Heilige Fürstinnen und Kleriker: Lebensbeschreibungen und Wunderberichte von polnischen Heiligen des Mittelalters 9783534273638, 9783534273775, 9783534273782

Der Band versammelt neun bisher nie ins Deutsche übersetzte Texte - Viten, Wunderberichte, Papstbullen - zu sechs Heilig

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Table of contents :
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Titel
Impressum
Inhalt
Einleitung
Das Interesse am Heiligen
Zum Heiligenkult im mittelalterlichen Polen
Zur Gestaltung des Bandes
Dank
Stanisław
Werner
Jacek/Hyazinth
Anna
Salomea
Kinga/Kunegunda
Anhang
Karte
Abkürzungsverzeichnis
Bibelstellen
Register
Personennamen
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Heilige Fürstinnen und Kleriker: Lebensbeschreibungen und Wunderberichte von polnischen Heiligen des Mittelalters
 9783534273638, 9783534273775, 9783534273782

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Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe

Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe Die Reihe „Ausgewählte Quellen zur Geschichte des Mittelalters“ bietet mit zweisprachigen Editionen wichtiger mittelalterlicher Quellen im lateinischen Original mit moderner deutscher Übersetzung einen unmittelbaren Zugriff auf die wichtigen Geschehnisse, Strukturen und Akteure der Geschichte im europäischen Kontext. Die Wissenschaftliche Buchgesellschaft hat diese herausragende, seit den 1950er-Jahren kontinuierlich erscheinende Reihe ständig zeitgemäß weiterentwickelt. Jeder Band wird von renommierten Bearbeitern herausgegeben und durch fachkundige Einleitungen, erläuternde Anmerkungen, Bibliographie und Register gleichermaßen für Historikerinnen und Historiker und ein geschichtsinteressiertes Publikum erschlossen. •••••

Der Band versammelt neun bisher nie ins Deutsche übersetzte Texte – Viten, Wunderberichte, Papstbullen – zu sechs Heiligen des polnischen Mittelalters. Sie führen eindringlich die Bedeutung von Heiligenkulten für die religiöse Praxis vor Augen und erhellen zugleich die Rolle und Funktion von Heiligen für die mittelalterliche Nationenbildung und für die politische Repräsentation. Überdies bieten die Quellen zentrales und reichhaltiges Material zur allgemeinen Geschichte des mittelalterlichen Polen, sodass ihre deutschsprachige Erschließung den Vergleich innerhalb der europäischen mittelalterlichen Geschichte ermöglicht.

M I T T E L A LT E R

Heilige Fürstinnen und Kleriker

Heilige Fürstinnen und Kleriker Lebensbeschreibungen und Wunderberichte von polnischen Heiligen des Mittelalters Herausgegeben von Eduard Mühle

Eduard Mühle, geb. 1957, ist Professor für Geschichte Ostmitteleuropas und Osteuropas an der Universität Münster; er war Direktor des Leibniz-Instituts für historische Ostmitteleuropaforschung in Marburg, Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Warschau und Senior Fellow in Oxford, Cambridge, Princeton und Prag.

ISBN 978-3-534-27363-8

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Heilige Fürstinnen und Kleriker Hagiographische Texte des polnischen Mittelalters Herausgegeben von Eduard Mühle

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AUSGEWÄHLTE QUELLEN ZUR GESCHICHTE DES MITTELALTERS FREIHERR-VOM-STEIN-GEDÄCHTNISAUSGABE

Begründet von Rudolf Buchner und fortgeführt von Franz-Josef Schmale und Hans-Werner Goetz

Band 53

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Sanctae principissae et sancti clerici Vitae et Miracula Sanctorum Polonicorum saeculi XIII et XIV

editae, translatae et praefatione notisque instructae sunt a Eduard Mühle

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Heilige Fürstinnen und Kleriker Lebensbeschreibungen und Wunderberichte von polnischen Heiligen des 13. und 14. Jahrhunderts

herausgegeben, übersetzt und eingeleitet von Eduard Mühle

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. wbg Academic ist ein Imprint der wbg. © 2021 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Satz: Arnold & Domnick, Leipzig Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978–3–534–27363–8 Elektronisch ist folgende Ausgabe erhältlich: eBook (PDF): 978–3–534–27377–5 eBook (epub): 978-3-534-27378-2

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Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  9    Das Interesse am Heiligen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  9    Zum Heiligenkult im mittelalterlichen Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  10    Zur Gestaltung des Bandes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  19   Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  21 Stanisław († 1079) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  23 Werner († 1170/72). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  180 Jacek/Hyazinth († 1257). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  200 Anna († 1265). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  290 Salomea († 1268) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  310 Kinga/Kunegunda († 1292) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  362 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  484   Karte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  484   Abkürzungsverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  485   Bibelstellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  486   Register. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  487

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Einleitung Das Interesse am Heiligen Der feste Glaube des mittelalterlichen Menschen an die tatsächliche und wahrhaftige Anwesenheit des Übernatürlichen in seiner alltäglichen Lebenswelt, die daraus abgeleitete Verehrung von Heiligen und die kollektive und individuelle Inanspruchnahme der Wundertätigkeit heiliger Frauen und Männer stellen soziale Tatsachen dar, die in der mediävistischen Forschung seit einigen Jahrzehnten zu Recht ernst genommen werden. Hagiographische Texte – Viten, Mirakelberichte, Inventions-, Translations- und Elevationsberichte, Kanonisationsakten – gelten daher heute als „eine wichtige Quelle historischer Erkenntnis“1, deren vom Positivismus des 19. Jahrhunderts vorgenommene Ausgrenzung als einer vermeintlich lediglich Wundermärchen, Aberglauben, Nichtfaktisches bietenden Textsorte längst als ungerechtfertigt erkannt ist. Inzwischen sind Heiligenverehrung und Wunderglauben vor allem als ein „sozialgeschichtliches Phänomen“2, als Ausdruck einer „historischen Praxis symbolischer Kommunikation“3, als Angebot „zentrale[r] Deutungsparadigma“, in denen sich „reale Beobachtung und exegetische Deutungsperspektive zu einer modellhaft-typisierenden Darstellung von hoher Symbolkraft“ vermengen4, verstärkt in das Blickfeld der Mediävisten getreten. Als ein Phänomen, das aufgrund seiner Universalität und Omnipräsenz geradezu als ein unverwechselbares Kennzeichen des europäischen Mittelalters betrachtet werden kann5, bilden Heiligenverehrung und hagiographische Textproduktion nicht zuletzt den Gegenstand einer zunehmend weiter gespannten Friedrich Lotter, Methodisches zur Gewinnung historischer Erkenntnisse aus hagiographischen Quellen, in: Historische Zeitschrift 229 (1979), S. 298–356, hier S. 320. 2  František Graus, Mittelalterliche Heiligenverehrung als sozialgeschichtliches Phänomen, in: Heiligenverehrung in Geschichte und Gegenwart, hrsg. von dems./Dieter R. Bauer, Ostfildern 1990, S. 86–102. 3  Andreas Rentz, Inszenierte Heiligkeit. Soziale Funktion und symbolische Kommunikation von lebenden Heiligen im hohen Mittelalter, Berlin u. a. 2019, S. 395. 4  Uta Kleine, Gesta, Fama, Scripta. Rheinische Mirakel des Hochmittelalters zwischen Geschichtsdeutung, Erzählung und sozialer Praxis, Stuttgart 2007, S. 69. 5  Thomas Wetzstein, Heilige vor Gericht. Das Kanonisationsverfahren im europäischen Spätmittelalter, Köln u. a. 2004, S. 1. 1 

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Einleitung

europäisch-vergleichenden Forschung.6 Dabei bleiben auch die in der östlichen Hälfte des europäischen Kontinents auftretenden Erscheinungsformen und Fallbeispiele nicht unberücksichtigt. Doch könnten (wie u. a. die in Anmerkung 6 angeführten Sammelbände deutlich zeigen) die ostmittel-, südost- und ost­ europäischen Ausprägungen des Phänomens ohne Zweifel noch intensiver in den einschlägigen Diskurs einbezogen werden, zumal sie in der ‚nationalen‘ Forschung der betreffenden Länder durchweg eingehend erforscht werden.7 Der vorliegende Band will in diesem Sinn der deutschsprachigen Mediävistik das in vieler Hinsicht nahe liegende Beispiel polnischer mittelalterlicher Heiligenverehrung näherbringen und den Leser*innen mit Texten polnischer Provenienz einen unmittelbaren Einblick in die während des 13. und 14. Jahrhunderts in ­direkter östlicher Nachbarschaft zum Heiligen Römischen Reich praktizierte kultische Verehrung heiliger Frauen und Männer ermöglichen. Deren hagiographischer Niederschlag soll mit Hife der hier vorgelegten zweisprachigen Ausgabe nicht zuletzt für die universitäre Lehre zugänglich gemacht werden und auf diese Weise vielleicht auch weitere vergleichende Forschungen anregen. Zum Heiligenkult im mittelalterlichen Polen Erste Bekanntschaft mit christlichen Heiligen hat das von Herzog Mieszko I. begründete regnum Poloniae unmittelbar nach der in den 960er Jahren erfolgten 6  Vgl. dazu nur einige jüngere Sammelbände: Miracles in Medieval Canonization Processes. Structures, Functions, and Methodologies, hrsg. von Christian Krötzl/Sari Katajala-Peltomaa, Turnhout 2018; Saints and Sainthood around the Baltic Sea: Identity, Literacy, and Communication in the Middle Ages, hrsg. von Carsten Selch Jensen u. a., Kalamazoo 2018; Heiligkeiten. Konstruktionen, Funktionen und Transfer von Heiligkeitskonzepten im europäischen Früh- und Hochmittelalter, hrsg. von Andreas Bihrer/Fiona Fritz, Stuttgart 2019; Saints as Intercessors between the Wealthy and the Divine: Art and Hagiography among the Medieval Merchant Classes, hrsg. von Emily Kelley/Cynthia Turner Camp, London u. a. 2019; Hagiography and the History of Latin Christendom, 500–1500, hrsg. von Samantha Kahn Herrick, Leiden u. a. 2020. 7  Neuere westsprachige Einblicke in die umfangreiche nationalsprachliche Forschung bieten u. a.: Gábor Klaniczay, Holy Rulers and Blessed Princesses. Dynastic Cults in Medieval Central Europe, Cambridge 2007; Saints and their Lives on the Periphery. Veneration of Saints in Scandinavia and Eastern Europe (1000–1200), hrsg. von Haki Antonsson/Ildar H. Garipznov, Turnhout 2010; Les saints et leur culte en Europe centrale au Moyen Âge (XIe–début du XVIe siècle), hrsg von Marie-Madeleine de Cevins/Olivier Marin, Turnhout 2017. Das umfangreiche Werk Hagiographies. Histoire internationale de la littérature hagiographique latine et vernaculaire en Occident des origines à 1550, Vol. 1–7, hrsg. von Guy Philippart, Turnhout 1994–2017 bietet lediglich Überblicke zu drei Ländern: Gábor Klaniczay, La Hongrie, Bd. 2, 1996, S. 103–160; Teresa DuninWąsowicz, Hagiographie polonaise entre XIe et XVIe siècle, Bd. 3, 2001, S. 180–202; Ivanka Petrović, L‘hagiographie, latine et vernaculaire, de l‘espace croate, des origines à 1350, Bd. 4, 2006, S. 183–272.

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Zum Heiligenkult im mittelalterlichen Polen

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gemacht.8

Christianisierung Das geschah zunächst über die Patrozinien einiger weniger, in den zentralen Burgorten errichteter Kirchen. Doch noch vor Ende des 10. Jahrhunderts erhielt die junge Herrschaftsbildung ihren ersten lokalen Heiligen.9 Mieszkos Sohn, Bolesław I., hatte – wohl auch vom Vorbild des seit Mitte des 10. Jahrhunderts in Böhmen entwickelten Wenzels- und Ludmilakults inspiriert10  – die identitätsstiftende, prestigefördernde und herrschaftsstabilisierende Wirkung der Verehrung eines zum Patron des Reiches erhobenen ‚eigenen‘ Heiligen erkannt. In diesem Zusammenhang bot sich ihm der ehemalige Bischof von

8  Eine erste Orientierung über die Entwicklung des regnum Poloniae bietet Eduard Mühle, Die Piasten. Polen im Mittelalter, München 2011. 9  Allgemeine Überblicke zur Entwicklung der Heiligenverehrung im mittelalterlichen Polen bei Jerzy Starnawski, Drogi rozwojowe hagiografii polskiej i łacińskiej w wiekach średnich [Entwicklungswege der polnischen und lateinischen Hagiographie im Mittelalter], Kraków 1993; Aleksander Gieysztor, Politische Heilige im hochmittelalterlichen Polen und Böhmen, in: Politik und Heiligenverehrung im Hochmittelalter, hrsg. von Jürgen Petersohn, Sigmaringen 1994, S. 324–341; Wojciech Mrozowicz, Die politische Rolle des Kultes des hl. Adalbert, Stanislaus und der hl. Hedwig im Polen des 13. Jahrhunderts, in: Fonctions sociales et politiques du culte des saints dans les sociétés de rite grec et latin au Moyen Âge et à l’époque modern. Approche comparative, hrsg. von Marek Derwich/Michail Dmitriev, Wrocław 1999, S. 111–124; DuninWąsowicz, Hagiographie polonaise (wie Anm. 7), S. 180–202; Roman Michałowski, Le culte des saints du Haut Moyen Âge en Pologne et en Europe Occidentale, in: La Pologne et l’Europe ­Occidentale du Moyen Age à nos jours, hrsg. von Marie-Louise Pelus-Kaplan u. a., Poznań-Paris 2004, S. 29–41 ; ders., Die Heiligenkulte sowie die staatlichen und ethnischen Grenzen: Polen und die Nachbarländer vom 10. bis zum 14. Jahrhundert, in: Grenzräume und Grenzüberschreitungen im Vergleich. Der Osten und der Westen des mittelalterlichen Lateineuropa, hrsg. von Klaus Herbers/Nikolas Jaspert, Berlin 2007, S. 339–360; Aleksandra Witkowska, Polska twórczość ­hagiograficzna. Próba bilansu [Das polnische hagiographische Schaffen. Versuch einer Bilanz], in: dies., Sancti Miracula Peregrinationes. Wybór tekstów z lat 1974–2008, Lublin 2009, S. 13–29; Halina Manikowska/Dorota Gacka, Hagiografia a historyczność, czyli o historii w hagiografii i hagiografii w służbie historii [Hagiographie und Historizität oder über die Geschichte in der Hagiographie und die Hagiographie im Dienst der Geschichte], in: Przeszłość w kulturze średniowiecznej Polski. Tom 2, hrsg. von Jacek Banaszkiewicz u. a., Warszawa 2018, S. 657–748. 10  Aus der Fülle der Literatur seien nur genannt: František Graus, Die heiligen Repräsentanten, in: ders., Lebendige Vergangenheit. Überlieferung im Mittelalter und in den Vorstellungen des Mittelalters, Köln-Wien 1975, S. 145–205, bes. S. 159–173; Heinrich Jilek, Die Wenzels- und Ludmila-Legenden des 10. und 11. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Ostforschung 24 (1975), S. 79–148; Ferdinand Seibt, Wenzelslegenden, in: Bohemia 23 (1982), S. 249–276; Herman Kølln, Die Wenzelslegende des Mönchs Christian, Copenhagen 1990; David Kalhous, Legenda Christiani and Modern Historiography, Boston-Leiden 2015 sowie Anna Paner, Święty Wacław i jego kult w Polsce [Der heilige Wenzel und sein Kult in Polen], in: Kościół w społeczeństwie w ­Czechach i w Polsce w średniowieczu i w epoce nowożytnej, hrsg. von Wojciech Iwańczak u. a., Kraków 2020, S. 421–452.

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Einleitung

Prag, Adalbert, als ein geeignetes ‚Objekt‘ an.11 Adalbert (tschechisch: Vojtěch, polnisch: Wojciech) hatte um 996 am Hof Bolesławs Zuflucht vor böhmischer Bedrängung gefunden und mit Unterstützung des Piastenherrschers einen Missionszug gegen die heidnischen Pruzzen unternommen, auf dem er 997 den Tod fand. Bolesław löste den Leichnam aus, ließ dem Märtyrer in Gnesen eine würdige Grabstätte errichten und wirkte – unterstützt von Kaiser Otto III., der Adalbert freundschaftlich verbunden war – erfolgreich darauf hin, dass Papst Silvester II. bereits zwei Jahre nach Adalberts Tod dessen Kanonisation vornahm. So wie die Person des ersten ‚polnischen‘ Heiligen ein Landfremder war, so waren auch die Autoren der zu Adalbert verfassten hagiographischen Texte keine ‚Polen‘. Die älteste, vor dem Jahr 1000 verfasste Adalbert-Vita (Vita priori) wird entweder dem Römer Johannes Canaparius12 oder einem anonymen Autor aus dem Raum Aachen/Lüttich zugeschrieben13, während die um 1004 redigierte zweite Fassung (Vita altera) aus der Feder des sächsischen Missionsbischofs Brun von Querfurt stammte14 und auch eine vor 1017, wohl zu liturgischen Zwecken

11  Aus der Fülle der Literatur vgl. nur František Graus, St. Adalbert und St. Wenzel. Zur Funktion der mittelalterlichen Heiligenverehrung in Böhmen, in: Europa Slavica – Europa Orientalis, hrsg. von Klaus Detlev Grothusen/Klaus Zernack, Berlin 1980, S. 205–231; Gerard Labuda, Ein europäisches Itinerar seiner Zeit: Die Lebensstationen Adalberts, in: Adalbert von Prag. Brückenbauer zwischen dem Osten und dem Westen Europas, hrsg. von Hans Hermann Henrix, Baden-Baden 1997, S. 59–75; Johannes Fried, Der Hl. Adalbert und Gnesen, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 50 (1998), S. 41–70; ders., Gnesen-Aachen-Rom. Otto III. und der Kult des hl. Adalbert. Beobachtungen zum älteren Adalbertsleben, in: Polen und Deutschland vor 1000 Jahren. Die Berliner Tagung über den „Akt von Gnesen“, hrsg. von Michael Borgolte, Berlin 2002, S. 235–279; Sławomir Gawlas, Der hl. Adalbert als Landespatron und die frühe Nationenbildung bei den Polen, ebd. S. 193–233; Petr Kubin, Die Bemühungen Ottos III. um die Einsetzung des Heiligenkultes für Bischof Adalbert von Prag († 997), in: Böhmen und seine Nachbarn in der Přemyslidenzeit, hrsg. von Ivan Hlaváček, Ostfildern 2011, S. 317–340 12  S. Adalberti Pragensis episcopi et martyris Vita prior, hrsg. von Jadwiga Karwasińska, in: MPH SN 4, 1, Warszawa 1962; Übersetzungen in: Heiligenleben zur deutsch-slawischen Geschichte. Adalbert von Prag und Otto von Bamberg, hrsg. von Jerzy Strzelczyk/Lorenz Weinrich, Darmstadt 2005, S. 28–69, und Vitae Sanctorum aetatis conservationis Europae centralis (saec. X-XI)/Saints of the Christianization Age of Central Europe (Tenth-Eleventh Centuries), hrsg. von Gábor Klaniczay, Budapest-New York 2013, S. 77–181. 13  Fried, Gnesen-Aachen-Rom (wie Anm. 11), S. 241–254; Jürgen Hoffmann, Vita Adalberti. Früheste Textüberlieferungen der Lebensgeschichte Adalberts von Prag, Essen 2005, bes. S. 119– 121 (mit Neuedition und Übersetzung S. 126–179). 14  S. Adalberti Pragensis episcopi et martyris Vita altera auctore Brunone Querfurtensi, hrsg. von Jadwiga Karwasińska, in: MPH SN 4,2, Warszawa 1969; deutsche Übersetzung in: Heiligenleben (wie Anm. 12), S. 70–117.

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Zum Heiligenkult im mittelalterlichen Polen

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bereits in Polen verfasste Passio noch das Werk eines ‚Ausländers‘ war.15 Fremder

Provenienz war auch der Versuch, um die sogenannten „Fünf-Märtyrer-Brüder“, die im Jahr 1003 in ihrer (wohl bei Meseritz/Międzyrzecz gelegenen) Einsiedelei ermordeten Italiener Benedikt und Johannes und die Polen Matthäus und Isaak sowie deren Koch Christian, einen weiteren Heiligenkult zu etablieren. Auch wenn Brun von Querfurt noch im Jahr 1006 während seines ersten Polenaufenthalts eine umfangreiche Vita der Brüder verfasste16, konnte sich der Kult kaum entwickeln. Er verblieb ganz im Schatten der zentralen, ‚staatstragenden‘ Verehrung des heiligen Adalbert. Diese erlebte 1038/39 einen Rückschlag, als der böhmische Herzog Břetislav seinen Feldzug durch Schlesien und Großpolen dazu nutzte, die Adalbertsreliquien nach Prag zu entführen. Auch die Verheerung des Landes und ein durch eine ‚heidnische Reaktion‘ ausgelöster Zusammenbruch der Kirchenorganisation bewirkten einen zeitweisen Niedergang des Adalbertkultes. Doch scheint dieser, wie die Auffindung des vermeindlichen Adalbert-Hauptes in Gnesen 1124, die Stiftung eines neuen Reliquiars durch Bolesław III. sowie Darstellungen des Heiligen auf Münzen und Siegeln belegen, schon bald wiederbelebt worden zu sein und noch im frühen 12. Jahrhundert wieder „alle für einen voll ausgereiften Kult eines politischen Patrons typischen Elemente“ aufgewiesen zu haben.17 In den 1180er Jahren erreichte er dann im ikonographischen Programm der berühmten Gnesener Bronzetüren seinen plastischen Höhepunkt18, ehe sein politischer 15  Passio sancti Adalperti martiris, hrsg. von August Bielowski, in: MPH 1, Lwów 1864 [Nachdruck: Warszawa 1961], S. 153–156; eine neuere Edition bietet Anonimowa Passio s. Adalperti martiris (BHL 40) oraz Wiperta Historia de predictione episcopi Brunonis (BHL 1471b) – komentarz, edycja, przekład [Die anonyme Passio s. Adalperti martiris (BHL 40) und Wiperts Historia de predictione episcopi Brunonis (BHL 1471b) – Kommentar, Edition, Übersetzung], in: Rocznik Biblioteki Narodowej 43 (2012), S. 5–74; die Edition S. 56–70. 16  Vita quinque fratrum eremitarum auctore Brunone Querfurtensi, hrsg. von Jadwiga Karwasińska, in: MPH SN 4,3, Warszawa 1973; Life of the Five Brethren by Bruno of Querfurt, bearb. von Marina Miladinov, in: Vitae Sanctorum aetatis conservationis Europae centralis (saec. X-XI)/Saints of the Christianization Age of Central Europe (Tenth-Eleventh Centuries), hrsg. von Gábor Klaniczay, Budapest-New York 2013, S. 183–313. 17  Marcin Pauk, Eine Dynastie oder mehrere? Herrschaft und ihre Legitimation in der politischen Kultur Polens (12.–13. Jahrundert), in: Legitimation von Fürstendynastien in Polen und dem Reich. Identitätsbildung im Spiegel schriftlicher Quellen (12.–15. Jahrhundert), hrsg. von Grischa Vercamer/Eva Wółkiewicz, Wiesbaden 2016, S. 29–54, hier S. 37. 18  Drzwi Gnieźnieńskie [Die Gnesener Türen], 2 Bde., hrsg. von Michał Walicki, Wrocław 1956; Pavel Černý, Das Leben des hl. Adalbert von Prag auf der Bronzetür zu Gnesen, in: Tausend Jahre Benediktiner in den Klöstern Břevnov, Braunau und Rohr, hrsg. von Johannes Hofmann, St. Ottilien 1993, S. 157–216; Bernd Mohnhaupt, Typologisch strukturierte Heiligenzyklen. Die Adalbertsvita der Gnesener Bronzetür, in: Hagiographie und Kunst. Der Heiligenkult in Schrift, Bild und Architektur, hrsg. von Gottfried Kerscher, Berlin 1993, S. 357–368; Paweł Stróżyk,

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Einleitung

­ spekt seit Beginn des 13. Jahrhunderts infolge der teilfürstlichen Desintegration A des regnum Poloniae „außerhalb seines großpolnischen Zentrums“ wohl nicht mehr als zeitgemäß galt.19 Unterdessen wurden bis zum Ende des 12. Jahrhunderts über Kirchenpatrozinien und Reliquien ein gutes Dutzend bis dahin in Polen nicht vertretener ‚fremder‘ Heiliger eingeführt.20 Nach der Restauration des regnum Poloniae durch Kasimir I., den Erneuerer, und seinen Sohn Bolesław II., reiften allmählich die Voraussetzungen für die Ausbildung einer einheimischen Schriftlichkeit heran. Die sich im Verlauf des 12. Jahrhunderts beschleunigende Entwicklung hat sich nicht nur in einer erstmals merklichen einheimischen Urkundenproduktion niedergeschlagen21, sondern auch in folgendem Umstand Ausdruck gefunden: War der Verfasser der im zweiten Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts entstandenen ältesten Chronik der polnischen Geschichte noch ein Nichtpole22, so wurde das zweite historiographische Werk, die Chronica Polonorum des Krakauer Bischofs Vincentius, am Ende des 12. Jahrhunderts bereits von einem hochgebildeten Polen geschrieben.23 Zu diesem Zeitpunkt schöpfte die polnische Heiligenverehrung weiterhin ausschließlich aus ‚ausländischen‘ Quellen. So ließ der Breslauer comes Peter Wlast/ Piotr Włostowic 1145 Reliquien des umbrischen Märtyrerbischofs Vinzenz von Bevagna in seine Klostergründung auf dem Breslauer Elbing überführen, um seiner lokal-regionalen Herrschaft den Schutz eines Heiligen angedeihen zu lassen.24 Etwa zwei Jahrzehnte später stützte der Płocker Bischof Werner sein Bestreben, Źródła ikonograficzne w badaniu źródłoznawczym na przykładzie drzwi gnieźnieńskich. Heureza i krytyka zewnętrzna [Ikonographische Quellen in der quellenkundlichen Forschung am Beispiel der Gnesener Türen. Heuristik und äußere Kritik], Poznań 2011. 19  Pauk, Eine Dynastie (wie Anm. 17), S. 41. 20  Thomas Wünsch, Kultbeziehungen zwischen dem Reich und Polen im Mittelalter, in: Das Reich und Polen. Parallelen, Interaktionen und Formen der Akkulturation im hohen und späten Mittelalter, hrsg. von Alexander Patschovsky/Thomas Wünsch, Ostfildern 2003, S. 357–400, hier S. 366, 371. Zur Praxis der Reliquienverehrung ausführlich Maria Starnawska, Świętych życie po życiu. Relikwie w kulturze religijnej na ziemiach polskich w średniowieczu [Das Nachleben der Heiligen. Reliquien in der religiösen Kultur in den polnischen Ländern im Mittelalter], Warszawa 2008. 21  Tomasz Jurek, Początki dokumentu polskiego [Die Anfänge der polnischen Urkunde], in: Dyplomatyka staropolska, hrsg. von Tomasz Jurek, Warszawa 2015, S. 64–87, bes. S. 77–79. 22  Galli anonymi cronicae et gesta ducum sive principum Polonorum, hrsg. von Karol Maleczyński, in: MPH NS 2, Krakau 1952; Polens Anfänge. Gallus Anonymus: Chronik und Taten der Herzöge und Fürsten von Polen, übersetzt, eingeleitet und erklärt von Josef Bujnoch, Graz u. a. 1978. 23  Magistri Vincentii Chronica Polonorum/Die Chronik der Polen des Magisters Vincentius, übersetzt, eingeleitet und hrsg. von Eduard Mühle, Darmstadt 2014. 24  Annales Magdeburgenses, hrsg. von Georg Heinrich Pertz, in: MGH SS 16, Hannover 1859, S. 105–196, hier S. 187; Eduard Mühle, Zu den Anfängen des mittelalterlichen Adels in

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einen lokalen Płocker Heiligenkult zu begründen, auf Reliquien des 523 gestorbenen Burgunderkönigs Sigismund sowie des 1146 heiliggesprochenen Königs und Kaisers Heinrich II.25 Und noch 1183/84 griffen der Krakauer Herzog ­Kasimir II. und der Krakauer Bischof Gedko bei ihrem Versuch, die Position Krakaus gegenüber dem Erzbistum Gnesen und dem wiederbelebten Adalbertskult mit einem eigenen Krakauer Heiligenkult zu stärken, auf den heiligen Florian, einen 304 im heutigen Oberösterreich umgekommenen Römer, zurück. Seine Reliquien wurden von einem päpstlichen Legaten feierlich nach Krakau überführt und dort in der Wawelkathedrale sowie in einer, in der Siedlung Kleparz eigens errichteten und Florian geweihten Kollegiatskirche zur kultischen Verehrung ausgestellt.26 Neue einheimische Heiligenkulte und sie begründende hagiographische Texte sind in Polen nicht vor dem 13. Jahrhundert entstanden. Neben der Förderung des Adalbertkultes durch zwei neue, nun erstmals polnische Werke – die vor 1247 verfasste Vita Tempore illo27 und den 1260 bis 1295 zusammengestellten Katalog der Adalbert zugeschriebenen Wunder28 – kam es 1253 mit der Kanonisierung des Krakauer Bischofs Stanisław zunächst zur Erhebung eines heiligen Bischofs und mit der 1267 erfolgten Heiligsprechung der schlesischen Herzogin Hedwig zur Etablierung einer ersten heiligen Fürstin.29 Polen. Das Beispiel des Piotr Włostowic, in: ‘Köztes-Europa’ vonzásában. Ünnepi tanulmányok Font Marta tiszteletére, hrsg. von Daniel Bagi u. a., Pécs 2012, 357–374, bes. S. 372–373. 25  Vgl. unten S. 182. 26  Kazimierz Dobrowolski, Kult św. Stanisława i św. Floriana w średnich wiekach [Der Kult des hl. Stanisław und des hl. Florian im Mittelalter], in: Rocznik Krakowski 19 (1923), S. 116–133; Leszek Wetesko, Zur Stiftungstätigkeit Herzog Mieszkos III. des Alten in Großpolen, in: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen, hrsg. von Eduard Mühle, Berlin 2013, S. 347–370, hier S. 351–354; Stanislava Kuzmová, The Old and the New. St Stanislaus and Other Cults in Krakow, in: Les saints et leur culte (wie Anm. 7), S. 261–280, hier S. 267–271; vgl. auch unten Kapitel Stanisław, Anm. 13. 27  De sancto Adalberto episcopo, hrsg. von Wojciech Kętrzyński, in: MPH 4, Lwów 1884 [Nachdruck: Warszawa 1961], S. 206–221; Gerard Labuda, Nad legendą o św. Wojciechu ‚Tempore illo‘. Analiza źródłoznawcza [Zur Legende über den hl. Adalbert ‘Tempore illo’. Quellenkundliche Analyse], in: Ecclesia Posnaniensis opuscula Mariano Banaszak septuagesimo dedicata, hrsg. von Feliks Lenort/Konrad Lutyński, Poznań 1998, S. 11–31. 28  Miracula sancti Adalberti, hrsg. von Wojciech Kętrzyński, in: MPH 4, Lwów 1884 [Nachdruck: Warszawa 1961], S. 221–238. 29  Zu diesem Zeitpunkt hatte der Papst die Heiligsprechung bereits ganz in seine alleinige Zuständigkeit gezogen und ihr ein streng formalisiertes Verfahren zugrundegelegt; vgl. Michael Goodich, The Politics of Canonization in the Thirteenth Century: Lay and Mendicant Saints, in: Saints and their Cults. Studies in Religious Sociology, Folklore and History, hrsg. von Stephen Wilson, Cambrdge u. a. 1983, S. 169–187; Gábor Klaniczay, The Inquisition of Miracles in ­Medieval Canonization Processes, in: Miracles in Medieval Canonization Processes (wie Anm. 6),

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Einleitung

Beide ‚Modelle‘ folgten einem europäischen Trend. Während Stanisław als der Prototyp des unermüdlichen Seelsorgers und guten Verwalters seiner Diözese stilisiert wurde, der Kirche und Gläubige machtvoll vor dem ungerechten Herrscher beschützt, reihte sich Hedwig in „die merkwürdige religiöse Bewegung der gottesfürchtigen Prinzessinnen und Königswitwen“ ein, an deren Spitze die 1234 kanonisierte Elisabeth von Ungarn/Thüringen stand.30 Zwar war dies zugleich ein erster polnischer Versuch, über persönliche Heiligkeit die sakrale Legitimierung der Herrscherdynastie zu stärken. Denn anders als in Böhmen, Ungarn, der Kiever Rus’ oder in Serbien hatte es bei den Piasten bis dahin keine Bestrebungen gegeben, ein Mitglied der Dynastie in den Rang eines ‚heiligen Herrschers‘ zu erheben. Doch war das neue Modell der heiligen Fürstin weniger auf eine politische als auf eine religiös-moralische Wirkung ausgerichtet; es sollte in erster Linie die neue weibliche Religiosität akzentuieren, die im 13. Jahrhundert „zu den anerkannten religiösen Innovationen“ zählte, „die auf die Menschen jener Zeit eine große Fazszination ausübten.“31 Und so wurde Hedwig auch nicht in ihrer Eigenschaft als weltliche Fürstin, sondern als vorbildliche Gläubige, keusche Ehefrau, großzügige Gönnerin und Bewohnerin ihres Trebnitzer Klosters, als fromme, von Fasten, Almosengeben und Barmherzigkeit erfüllte Witwe zur Heiligen erhoben.32 Mit der heiligen Hedwig hielt das neue, inzwischen in weiten Teilen Europas verbreitete Religions- und Frömmigkeitsideal Einzug in die polnische Welt. Seine Popularisierung war vor allem das Werk der neuen Bettelorden. Diese betrieben S. 43–73; zum Verfahren der Heilisprechung Hedwigs Otfried Krafft, Papsturkunde und Heiligsprechung. Die päpstlichen Kanonisationen vom Mittelalter bis zur Reformation. Ein Handbuch, Köln u. a. 2005, S. 588–624; zu Stanisław s. unten S. 29–30. 30  Gábor Klaniczay, Königliche und dynastische Heiligkeit in Ungarn, in: Politik und Heiligenverehrung (wie Anm. 9), S. 343–361, hier S. 357; ausführlicher zum Phänomen ders., Holy Rulers (wie Anm. 7). 31  Gábor Klaniczay, Legenden als Lebensstrategien: Mitteleuropäische weibliche Heilige im Spätmittelalter, in: ders., Heilige, Hexen, Vampire. Vom Nutzen des Übernatürlichen, Berlin 1990, S. 13–28, 99–104, hier S. 17. 32  Vgl. Joseph Gottschalk, St. Hedwig, Herzogin von Schlesien. Köln-Graz 1964; Ewald Walter, Studien zum Leben der hl. Hedwig Herzogin von Schlesien. Stuttgart-Aalen 1972; Kazimierz Dola, Kanonizacja świętej Jadwigi na tle rozwoju kultu świętych w Europie XIII w. [Die Kanonisation der heiligen Hedwig vor dem Hintergrund der Entwicklung des Heiligenkultes im Europa des 13. Jahrhunderts], in: Colloquium Salutis 16 (1985), S. 83–94; Teresa Dunin-Wąsowicz, Sainte Hedvige et le pouvoir (XIIIe siècle), in: La femme au Moyen-Âge, hrsg. von Michel Rouche/Jean Heuclin, Maubeuge 1990, S. 381–394; Wojciech Mrozowicz, Die hl. Hedwig – Leben und Kult (mit Bemerkungen zur Handschrift IV F 192 der Universitätsbibliothek Wrocław/Breslau), in: Legenda o św. Jadwidze/Legende der hl. Hedwig, hrsg. von Wojciech Mrozowicz, Wrocław 2000, S. 571–596; Winfried Irgang, Hedwig (von Schlesien), in: Religiöse Erinnerungsorte in Ostmitteleuropa. Konstitution und Konkurrenz im nationen- und epochenübergreifenden Zugriff, hrsg. von Joachim Bahlcke u. a., Berlin u. a., 2013, S. 599–608.

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eine ebenso innovative wie erfolgreiche Form der Seelsorge und griffen in Liturgie und Predigt verstärkt auf das Vorbild ‚neuer‘, zeitgenössischer Heiliger zurück. Und so verdankten sich alle weiteren Initiativen, die polnische Kirche im späten 13. und 14. Jahrhundert um neue Heilige zu bereichern, primär den Franziskanern und Dominikanern. Es waren die Franziskaner bzw. Klarissen, die in Breslau einen Heiligenkult um die schlesische Herzogin Anna, in Sandez und Krakau eine kultische Verehrung der Herzoginnen Salomea und Kinga und in Gnesen eine solche um die Schwester Kingas, die Ehefrau des großpolnischen Herzogs Bolesławs des Frommen, Jolenta, zu etablieren versuchten.33 Dagegen bemühten sich die Dominikaner, die um die Mitte des 13. Jahrhunderts bereits an den Bemühungen um die Etablierung eines Kultes um den Płocker Bischof Werner beteiligt waren, darum, herausragende Vertreter ihres Ordens zu Heiligen erheben zu lassen. Größere Wirkung erzielten sie dabei nur mit dem heiligen Jacek/Hyazinth, während ihre Bemühungen um die Dominikaner Wit († um 1269) und Czesław († 1242), zu denen keine zeitgenössischen hagiographischen Texte überliefert sind, keine bzw. nur begrenzte Wirkung zeigten.34 Zu Jolenta, zu der keine mittelalterlichen hagiographischen Texte entstanden oder überliefert sind und die erst 1827 selig gesprochen wurde, vgl. Hieronim Wyczawski/Romuald Gustaw, Jolenta, Helena, in: HP 1, S. 624–632; Czesław Deptuła, Wielkopolska rodzina monarsza bł. Jolenty a niektóre problemy biografii księżnej [Die großpolnische monarchische Familie der sel. Jolenta und einige Probleme der herzoglichen Biographie], in: Święci nie przemijają. Materiały z sympozjum naukowego o błogosławionej Jolencie z okazji 700-lecia jej śmierci, hrsg. von Paweł Blok, Gdańsk 2002, S. 11–52; Marek T. Zahajkiewicz, Wzór świętej kobiety w średniowieczu na przykładzie wiadomości o życiu bł. Jolenty [Das Ideal der heiligen Frau im Mittelalter am Beispiel des Wissens über das Leben der sel. Jolenta], ebd., S. 77–87; Ryszard Knapiński, Bł. Jolenta w ikonografii polskich klarysek [Die sel. Jolenta in der Ikonographie der polnischen Klarissen], ebd. S. 165–187; Hanna Krzyżostaniak, Błogosławiona Jolenta – życie i dzieje kultu [Die selige J­ olenta – Leben und Kultgeschichte], in: Scripta minora V, hrsg. von Bohdan Lapis, Poznań 2007, S. 149– 232; Aleksandra Witkowska, Bł. Jolenta w staropolskiej tradycji hagiograficznej [Die sel. Jolenta in der altpolnischen hagiographischen Tradition], in: dies., Sancti Miracula Peregrinationes. Wybór tekstów z lat 1974–2008, Lublin 2009, S. 54–81; Marzena Baum, Historia i legenda w staropolskich żywotach błogosłowionej Jolenty, księżnej wielkopolskiej [Geschichte und Legende in den altpolnischen Viten der seligen Jolenta, der großpolnischen Herzogin], in: Legenda. Problem badawczy, hrsg. von Zbigniew Piłat u. a., Lublin 2014, S. 69–79. 34  Zu Czesław, der im 18. Jahrhundert selig gesprochen wurde, vgl. Jerzy Kłoczowski/Romuald Gustaw, Czesław, in: HP 1, S. 282–290; Jan A. Spież, Średniowieczne świadectwa życia i kultu błogosławionego Czesława [Mittelalterliche Zeugnisse des Lebens und Kults des seligen Czesław], in: Dominikanie w środkowej Europie w XIII–XV wieku. Aktywność duszpasterska i kultura intelektualna, hrsg. von Jerzy Kłoczowski/Jan A. Spież, Poznań 2002, S. 87–108; Wojciech ­Kucharski, Beatus Ceslaus natione polonus. Dzieje kultu błogosławionego Czesława [Beatus Ceslaus natione polonus. Geschichte des Kultes des seligen Czesław], Kraków 2012. Zu Wit vgl. Paweł Lielar/ Romuald Gustaw, Wit, in: PH 2, S. 540–555. 33 

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Einleitung

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Gleichzeitig hat im Verlauf des 13. Jahrhunderts lediglich ein weiterer, bis dahin in Polen nicht präsenter ‚fremder‘ Heiliger, der im frühen 4. Jahrhundert als Märtyrer gestorbene Blasius von Sebaste, Eingang in die Schar der über Patrozinien verehrten Heiligen gefunden.35 Mit den von den Bettelorden geförderten Heiligen trat eine wichtige Änderung in ihrer Rezeption ein. Trug der Adalbertskult als ein vom Herrscher initiierter und instrumentalisierter Kult in hohem Maße elitären Charakter, so erreichten die neuen Heiligen breitere Bevölkerungsschichten. Zwar blieb die aktive Lektüre hagiographischer Texte weiterhin auf die kleine Gruppe gebildeter Geistlicher begrenzt. Doch drangen ihre Inhalte über das von den Bettelorden gepredigte Wort häufiger und eindrücklicher in die Ohren der Gläubigen. Die polnischen Heiligenkulte des 13. und 14. Jahrhunderts sind – mit Ausnahme von Stanisław und Hedwig – auf regionale Wirkungsräume begrenzt geblieben. Dessen ungeachtet haben die neuen, ‚einheimischen‘ Heiligen und ihre ebenso einfachen wie eindrücklichen Lebensbeschreibungen und Mirakelberichte die Gemüter der Menschen wohl stärker als der ältere ‚Staatsheilige‘ Adalbert und die ‚fremden‘ Heiligen der Evangelien, des spätantiken Frühchristentums und des frühmittelalterlichen Südund Westeuropa bewegt. Sie haben die Bevölkerung unmittelbarer erreicht, ihre Vorstellungskraft intensiver beschäftigt, nachhaltiger auf ihre Identität eingewirkt und auf diese Weise die Mentalität der Gesellschaft in erheblichem Maße mitgeformt. Zugleich bedeuteten das 13. und 14. Jahrhundert den Höhepunkt der mittelalterlichen polnischen Hagiographie. Denn das 15. Jahrhundert hat zwar noch die – in fragmentarischen Wunderprotokollen bezeugten – Versuche gesehen, mit dem Krakauer Bischof Prandota († 1266), und der Königin Jadwiga († 1399) zwei neue indigene Heilige zu ‚produzieren‘. Doch haben diese Versuche vor Ende des Mittelalters weder Erfolg gehabt noch einschlägige Viten hervorgebracht.36 So ist der Bestand mittelalterlicher hagiographischer Texte zu polni-

Wünsch, Kultbeziehungen (wie Anm. 20), S. 371–372, 377. Zu Prandota ist ein Protokoll/Katalog mit 56 in den Jahren 1454–1465 notierten Wundern überliefert; Miracula vernerabilis patris Prandothe, episcopi Cracoviensis, hrsg. von Wojciech Kętrzyński, in: MPH 4, Lwów 1884 [Nachdruck Warszawa 1961], S. 442–500; vgl. Józef Mit­ kowski/Romuald Gustaw, Jan Prandota, in: HP 2, S. 568–574. Zu Jadwiga/Hedwig von Anjou sind zwei Wunder aus dem Jahr 1419 überliefert; Miracula beatae Hedwigis reginae Poloniae, hrsg. von Wojciech Kętrzyński, in: MPH 4, S. 767–769 (BHL 3769). Auf den 1426 vom Gnesener Erzbischof Wojciech Jastrzębiec unternommenen Versuch einer Erhebung Jadwigas folgte erst 1949 ein zweiter, ebenfalls erfolgloser Anlauf; erst Johannes Paul II. nahm dann im Juni 1979 unmittelbar vor seiner ersten Papstreise nach Polen ihre Seligsprechung vor; Anna Strzelecka/Romuald Gustaw, Jadwiga królowa, in: HP 1, S. 485–523; Michał Jagosz, Beatyfikacja i kanonizacja świętej Jadwigi królowej [Seligsprechung und Kanonisation der heiligen Königin Hedwig], Kraków 2003. 35  36 

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Zur Gestaltung des Bandes

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schen Heiligen am Ende nur noch um eine neue Stanisław- und eine neue KingaVita aus der Feder des bedeutenden Historikers Jan Długosz bereichert worden.37 Zur Gestaltung des Bandes Gegenstand des vorliegenden Bandes sind die hagiographischen Werke des 13. und 14. Jahrhunderts zu Stanisław, Werner, Jacek, Anna, Salomea und Kinga. Bei diesen Texten handelt es sich um Lebensbeschreibungen und Wunderberichte, die lediglich in einem Fall um zwei päpstliche Bullen ergänzt werden. Diese betreffen das Kanonisationsverfahren Stanisławs, der einzigen der sechs behandelten Personen, die bereits im Mittelalter heiliggesprochen worden ist. Den Quellentexten ist jeweils eine Einführung vorangestellt, die – in Vertiefung des Vorstehenden – in knappen Zügen die jeweilige Person, ihr Wirken, den um sie entstandenen Kult und die sie betreffenden hagiographischen Texte erläutert und in den Anmerkungen die wichtigste Forschungsliteratur nachweist. Dabei sind die Anmerkungen so gehalten, dass die Einzelkapitel ohne Rückgriff auf ein zentrales Quellen- und Literaturverzeichnis gelesen werden können. Lediglich wiederkehrende Abkürzungen sind im Anhang in einem gemeinsamen Abkürzungsverzeichnis aufgelöst. Mit den in diesem Band begegnenden sechs Heiligen werden mit einer wichtigen Ausnahme alle im 13. und 14. Jahrhundert entstandenen indigenen polnischen Heiligenkulte vorgestellt, zu denen hagiographische Texte überliefert sind. Die Ausnahme bildet Hedwig von Andechs-Meranien, die Ehefrau Heinrichs I., des Bärtigen, der 1201 bis 1238 als Herzog von Schlesien herrschte. Ihre um 1300 von einem anonymen Autor verfasste mittelalterliche Vita, der eine ältere nicht erhalten gebliebene Version des Zisterziensermönches Engelbert zugrunde lag, wurde bereits im Spätmittelalter wiederholt ins (Frühneuhoch-)Deutsche übersetzt38 und liegt seit längerem auch in modernen deutschen Übersetzungen

37  Vita Sanctissimi Stanislai Cracoviensis Episcopi, hrsg. von Ignatius Polkowski/Żegota Pauli, in: Joannis Dlugossii Senioris Canonici Cracoviensis opera omnia. Vol. 1, Cracoviae 1887, S. 1–181; Vita beatae Kunegundis, hrsg. von Ignatius Polkowski/Żegota Pauli, in: Joannis Dlugossii Senioris Canonici Cracoviensis opera omnia. Vol. 1, Cracoviae 1887, S. 183–356. 38  Die große Legende der heiligen Frau Sankt Hedwig. Faksimile nach der Originalausgabe von Konrad Baumgarten. Breslau 1504. Text- und Bilddeutungen von Joseph Gottschalk, Wiesbaden 1963; Legenda o św. Jadwidze/Legende der hl. Hedwig, hrsg. von Trude Ehlert/Jerzy Łukosz, Wrocław 2000 [= Faksimileausgabe einer Handschrift aus der Universitätsbibliothek Breslau (Sig. IV F 192) mit neuhochdeutscher und polnischer Übersetzung]; Rudolf Wintnauers Übersetzung der Legenda maior de beata Hedwigi. Text und Untersuchungen zu einem Frühwerk der Wiener Übersetzungsschule unter Herzog Albrecht III., hrsg. von Jelok Peters, Wien 2003 [nach einer Handschrift in der Bibliothèque royale de Belgique in Brüssel, Sig. MS. 4300]; Die

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Einleitung

vor.39

Darüber hinaus ist die heilige Hedwig als Landespatronin Schlesiens dem deutschen Leser, anders als die anderen in diesem Band vorgestellten Heiligen, ­relativ gegenwärtig und über eine vergleichsweise umfangreiche deutschsprachige (Forschungs-)Literatur gut zugänglich. Daher erschien eine Neuübersetzung dieses umfangreichen Textes und seine Aufnahme in den vorliegenden Band entbehrlich. Die Lebensbeschreibungen und Wunderberichte der in diesem Band vertre­ tenen Heiligen liegen nur in älteren Editionen vor und kritische Neueditionen stellen seit langem ein Desiderat der Forschung dar. Da solche Neueditionen jedoch bis auf Weiteres nicht in Sicht sind, die überlieferten Handschriften für diesen Quellenband nur stichprobenartig herangezogen werden konnten und auf eine systematische Kollationierung der Handschriften mithin verzichtet werden musste, stützen sich die hier gebotenen Übersetzungen auf die lateinischen Texte der polnischen Editionen des späten 19. Jahrhunderts. Diese haben seinerzeit – ähnlich wie die MGH und nicht zufällig in einer ähnlich benannten Reihe, den Monumenta Poloniae Historica – einen durchaus hohen wissenschaftlichen Anspruch erhoben und müssen keineswegs von vornherein als dem heutigen Standard nicht genügend verworfen werden. Die nachfolgend gebotenen lateinischen Texte übernehmen daher durchweg die Gliederung und Orthografie dieser Editionen. Zur Verbesserung der Lesbarkeit wurden die römischen Kapitelzählungen der Editionen einheitlich in arabische umgewandelt, gelegentlich Satzzeichen verändert und überlange Textblöcke durch zusätzliche Absätze unterteilt. Aus den Editionen übernommen wurden auch die von den seinerzeitigen Herausgebern vorgenommenen Emendationen, jedoch ohne die in den Handschriften begegnenden Varianten bzw. die von den Herausgebern als Fehler verworfenen Versionen der Handschriften, die diese in ihren kritischen Apparaten jeweils penibel vermerkt haben, in Anmerkungen ebenfalls zu reproduzieren. Wo an einigen wenigen Stellen aufgrund eigener Einsicht in einzelne Handschriften und/oder aufgrund neuerer Forschungen Korrekturen am Text der jeweiligen Edition vorgenommen wurden bzw. heute aufgrund neuer Handschriftenfunde von den seinerzeitigen Herausgebern nicht benannte Varianten vorliegen, wird dies in den Anmerkungen entsprechend vermerkt. Legende der heiligen Hedwig in der Übersetzung des Kilian von Meiningen, hrsg. von Sabine Seelbach, Münster 2016. 39  Das Leben der heiligen Hedwig. Die Legenda maior de beata Hedwigis ins Deutsche übersetzt von Konrad Metzger und Franz Metzger, Breslau 1927, S. 39–211 [neu hrsg. von Walter Nigg, Düsseldorf 1967, S. 45–202]; Vita beate Hedwigis (maior legenda de beate Hedwigi)/Leben der heiligen Hedwig (Größere Erzählung von der heiligen Hedwig), hrsg. von Peter Moraw, in: Der Hedwigs-Codex von 1353. Sammlung Ludwig. Band 2: Texte und Kommentare, hrsg. von Wolfgang Braunfels, Berlin 1972, S. 71–155.

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Dank

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Ergänzungen der seinerzeitigen Herausgeber sind in unserem lateinischen Text in eckige Klammern [ ] gesetzt, die wenigen eigenen Hinzufügungen im lateinischen Text in spitze Klammern < >. Zitate aus anderen Werken, die sich für die Texte ermitteln ließen, sind nur im lateinischen Text kursiv hervorgehoben, wobei die nächste auf die Kursivsetzung folgende Fußnote die Vorlage bzw. Fundstelle für das gesamte vorangehende (gelegentlich auch nachfolgende), teilweise sehr lange, daher mitunter auch unterbrochene Zitat angibt. In der deutschen Übersetzung, für die eine exakt-parallele Kursivsetzung schwer realisierbar erschien, macht lediglich die analoge Fußnote auf das entsprechende Zitat aufmerksam. Da wo innerhalb eines kursiv gesetzten Zitates ein weiteres Zitat, zumeist aus der Bibel, begegnet, werden diese Zitate innerhalb des Zitats (soweit möglich) in einfache Anführungszeichen gesetzt. Wo Textstellen auf andere Autoren, ebenfalls zumeist auf Bibelstellen, Bezug nehmen, aber diese keine direkten Zitate darstellen, wird dem entsprechenden Nachweis der Fundstelle ein „Vgl.“ vorangestellt. Alle Zusätze in der deutschen Übersetzung, sowohl jene, die für das rein sprachliche Verständnis des Textes erforderlich erschienen als auch jene, die ein besseres inhaltliches Verständnis ermöglichen sollen, werden (neben den oben angesprochenen Ergänzungen der Editoren) in eckige Klammern [ ] gesetzt. Die lateinischen Orts- und Personennamen werden in allen Fällen, in denen es gebräuchliche deutsche Äquivalente gibt (z. B. Krakau, Breslau, Posen bzw. Heinrich, Thomas, Agnes, Elisabeth) in deutscher Form wiedergegeben. Da in den polnischen Lokationsstädten des 13. und 14. Jahrhunderts, insbesondere in Krakau, zahlreiche deutschsprachige Bürger lebten, können lateinische Namen wie Petrus, Henricus u.ä. grundsätzlich sowohl Menschen mit deutschsprachigem als auch mit polnischsprachigem Hintergrund meinen. Personen und Orte werden teils in den Anmerkungen, wo dies für das unmittelbare Verständnis notwendig erscheint, teils in den Registern erläutert, die sie auch in ihren nichtdeutschsprachigen Namensformen ausweisen. Eine Karte am Schluss des Bandes soll die geographische Orientierung erleichtern. Zur Übersetzung ist schließlich zu bemerken, dass sie das Original so nah wie möglich wiederzugeben versucht, von diesem Prinzip aber überall dort abrückt, wo die Lesbarkeit des Deutschen dies erfordert. Das historische Präsens der lateinischen Texte wird in der deutschen Übersetzung durchgehend im Präteritum wiedergegeben. Dank Das Zustandekommen des Bandes wurde von verschiedenen Seiten tatkräftig unterstützt. Simon Beckmann und Laura Remy haben mit ersten Rohübersetzungen, Ines Ellertmann mit bibliographischen Recherchen und Exzerpten, Annabell Kalsow mit Vorarbeiten zu den Registern und Hannah Kemper mit einem letzten Korrekturdurchgang durch das gesetzte Manuskript als studentische Mitarbeiter/innen wertvollste Zuarbeiten und Hilfen geleistet. Annegret Remy hat

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Einleitung

eine erste Kollationierung der Worddatei des lateinischen Textes vorgenommen und Kornelia-Hubrich Mühle hat das ganze Vorhaben mit einem ersten Korrekturdurchgang und kritisch-hilfreichen Hinweisen begleitet. Ein besonderer Dank gilt Hans Werner Goetz. Er hat den Vorschlag, eine Sammlung polnischer hagiographischer Texte in die von ihm herausgegebene Reihe aufzunehmen, mit ­lebhaftem Interesse aufgegriffen und das Ergebnis dann mit größter Sorgfalt und hilfreichen Fragen und Modifizierungsvorschlägen durchgesehen. Daniel Zimmermann und der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft danke ich für das verlegerische Interesse an diesem Band und für dessen prompte und verlässliche Umsetzung in ein ansprechendes Buch. Für die technische Umsetzung der Karte danke ich Oliver Rathmann und dem Institut für vergleichende Städtegeschichte in Münster.

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Stanisław Die historische Gestalt Stanisław war von 1072 bis 1079 Bischof von Krakau.1 So haben es um 1266 die Annalen des Krakauer Domkapitels auf der Grundlage älterer Aufzeichnungen festgehalten.2 Die beiden ältesten polnischen Chroniken ergänzen diese mageren Angaben um eine Schilderung der näheren Umstände, unter denen der Bischof zu Tode gekommen ist. Der im zweiten Jahrzehnt des 12. Jahrhunderts schreibende so genannte Gallus Anonymus, ein aus dem romanischen Sprachraum an den Hof Herzog Bolesławs III. († 1138) gekommener Geistlicher, berichtet ohne Namensnennung von einer Strafe, die Bolesław II. († 1082) an Stanisław vollzogen habe. Danach sei der Bischof für einen Verrat („pro traditione“) zum Abschlagen der Glieder („truncationi membrorum“) verurteilt worden. Um welche Art von Verrat es sich gehandelt hat, lässt Gallus absichtsvoll im Dunklen. Nur sehr vorsichtig merkt der im Auftrag des Herrschers schreibende Chronist an, „dass der Gesalbte [der 1076 zum König gekrönte Bolesław II.] nicht an einem Gesalbten [dem Bischof] eine Sünde – worum es sich auch immer handeln mochte – körperlich bestrafen durfte.“ Schließlich habe sich der König mit seiner schändlichen Rache

Überblicke zur Person bei Zygmunt Sułowski/Zygmunt Wiktorzak, Stanisław ze Szczepanowa (?-1079), biskup krakowski, męczennik, święty [Stanisław aus Szczepanów (?-1079), Krakauer Bischof, Märtyrer, Heiliger], in: HP 2, S. 419–435; Wojciech Iwańczak, Stanislaus der Heilige, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon. Band 10, hrsg. von Traugott Bautz, Herzberg 1995, Sp. 1161–1165; Jerzy Strzelczyk, Stanislaus, hl., in: Lexikon für Theologie und Kirche. Band 9, hrsg. von Walter Kasper, Freiburg 2000, S. 930–931; Stanisław Trawkowski, Stanisław, in: PSB 41 (2002), S. 580–587; Stefan Samerski, Stanislaus von Krakau, in: Religiöse Erinnerungsorte in Ostmitteleuropa. Konstitution und Konkurrenz im nationen- und epochenübergreifenden Zugriff, hrsg. von Joachim Bahlcke u. a., Berlin u. a. 2013, S. 554–560. 2  Annales Cracovienses priores cum kalendario, hrsg. von Zofia Kozłowska-Budkowa, in: MPH NS 5, Kraków 1978, S. 50–51. Ein in der Mitte des 13. Jahrhunderts, vielleicht aber auch erst im 15. Jahrhundert angelegter Kalender des Domkapitels, in den ältere Kalendernotizen eingegangen sind, berichtet ohne Jahresangabe, dass der Krakauer Bischof am 11. April getötet worden sei; ebd., S. 139. 1 

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(„regem vindicantem sic se turpiter“) an dem „Verräter-Bischof “ („traditorem ­episcopum“) vor allem selbst geschadet.3 Acht bis neun Jahrzehnte später rückte der erste einheimische polnische Chronist, der von 1208–1218 als ein Nachfolger Stanisławs im Krakauer Bischofsamt wirkende Magister Vincentius, die Angelegenheit in ein anderes Licht. Seiner Schilderung zufolge habe der „allerheiligste Bischof der Krakauer“ („sacerrimus Cracouiensium pontifex“) wiederholt versucht, einen ungerechten und grausamen Herrscher zur Umkehr zu bewegen. Zu diesem Zweck habe er dem König „zunächst mit dem Untergang des Königreiches“ gedroht und schließlich „gegen ihn das Schwert des Kirchenbanns“ gezogen („anathematis gladium intendat“). Der „auf der Bahn des Bösen“ aber nicht zu bremsende Bolesław II. sei daraufhin „von einer noch entsetzlicheren Raserei erfasst“ worden und habe den „unschuldigen Bischof “ („pium presulem“) mitten im Gottesdienst „nahe am Altar“ („prope aram“) enthauptet und seine Glieder in kleinste Teile zerhackt.4 Einen gewaltsamen Tod Stanisławs belegen auch Untersuchungen, die 1963 an seinen sterblichen Überresten durchgeführt werden konnten. Sein nicht vollständig erhaltener Schädel wies Spuren von einem Schlag mit einem stumpfen Gegenstand auf, der wahrscheinlich zum Tod führte. Anhand des Schädels, bei dem noch ein großer Teil des gut ausgebildeten Gebisses erhalten war, konnte das Alter des Toten auf etwa 40 Jahre bestimmt werden, womit das Geburtsdatum des Heiligen um 1040 angesetzt werden kann.5 Alle weiteren Angaben zu Stanisławs Leben entstammen bereits den um die Mitte des 13. Jahrhunderts im Kontext seiner Kanonisierung verfassten Quellen. Ihnen ist mit einiger Verlässlichkeit nicht mehr zu entnehmen, als dass der Heilige in dem knapp 60 km östlich von Krakau gelegenen Ort Szczepanów als Sohn einer kleinpolnischen Großenfamilie zur Welt kam, eine für höhere kirchliche Ämter qualifizierende Ausbildung erhielt und dank der Nähe seiner Familie zum Herrscher eine aussichtsreiche politische Karriere einschlagen konnte. Eine solche war im 11. Jahrhundert auch im kirchlichen Bereich noch ganz von der Gunst des

3  Galli anonymi cronicae et gesta ducum sive principum Polonorum, hrsg. von Karol Maleczyński, in: MPH NS 2, Krakau 1952, S. 53 (I, 27); Polens Anfänge. Gallus Anonymus: Chronik und Taten der Herzöge und Fürsten von Polen, übersetzt, eingeleitet und erklärt von Josef Bujnoch, Graz u. a. 1978, S. 91–92. 4  Magistri Vincentii Chronica Polonorum/Die Chronik der Polen des Magisters Vincentius, übersetzt, eingeleitet und hrsg. von Eduard Mühle, Darmstadt 2014, S. 174–175. 5  Marian Kusiak/Jan Olbrycht, Protokół badania relikwiarza z czaszką św. Stanisława Szczepanowskiego [Protokoll der Untersuchung des Reliquiars mit dem Schädel des hl. Stanisław von Szczepanów], in: Sacrum Poloniae Millennium 11 (1965), S. 677–708, hier S. 681–683.

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Herrschers abhängig, so dass Stanisław bei seiner Erhebung zum Krakauer Bischof im Jahr 1072 ein enger Vertrauter Bolesławs II. gewesen sein muss.6 Ob sich der spätere Konflikt zwischen Bischof und König an rein persönlichen oder an politischen Gegensätzen entzündet hat, ist nicht zu klären. Möglicherweise haben Teile der Großen eine – vielleicht von Bolesławs jüngerem Bruder Władysław Herman unterstützte – Opposition gegen den König gebildet, der sich der Krakauer Bischof angeschlossen hat.7 Nach dessen gewaltsamem Tod musste Bolesław II. jedenfalls nach Ungarn fliehen, wo er unter ungeklärten Umständen 1081/82 ums Leben kam. Seinen Thron übernahm Władysław Herman, der – wie sein Sohn Bolesław III. – kein Interesse an der Etablierung einer besonderen Erinnerung an den von einem Mitglied seiner Familie zu Tode gebrachten Bischof entwickelte.8 Lediglich im kleinen Kreis der Krakauer geistlichen Elite bewahrte

6  Zur politischen Entwicklung und dem Verhältnis zwischen regnum und sacrum im frühpiastischen Polen vgl. Eduard Mühle, Die Piasten. Polen im Mittelalter, München 2011, S. 18–37. 7  Aus der Fülle der Literatur zum Konflikt vgl. nur [NN] Angerstein, Der Konflikt des polnischen Königs Boleslaus II. mit dem Krakauer Bischof Stanislaus, in: Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen 4 (1889), S. 259–281; Max Gumplowicz, Bolesław II. und der heilige Stanislaus, in: ders.: Zur Geschichte Polens im Mittelalter. Zwei kritische Untersuchungen über die Chronik des Baldwin Gallus, Innsbruck 1898, S. 239–258; Marian Plezia, Dookoła sprawy św. Stanisława. Studium źródłoznawcze [Zur Frage des hl. Stanisław. Eine quellenkundliche Studie], in: Analecta Cracoviensia 11 (1979), S. 251–431; Tadeusz Grudziński, Boleslaus the Bold, called also the Bountiful, and Bishop Stanislaus: The Story of a Conflict, Warsaw 1985, bes. S. 89–207; Gerard Labuda, Święty Stanisław. Biskup krakowski, patron Polski. Śladami zabójstwa, męczeństwa, kanonizacji [Der heilige Stanisław. Krakauer Bischof, Patron Polens. Auf den Spuren des Mordes, Martyriums und der Kanonisation], Poznań 2000, S. 13–128; ders., Wznowienie dyskursu w sprawie męczeństwa i świętości biskupa krakowskiego Stanisława [Wiederaufnahme des Diskurses in der Angelegenheit des Martyriums und der Heiligkeit des Krakauer Bischofs Stanisław], in: NP 108 (2007), S. 5–57; Jerzy Wyrozumski, Pomazaniec przeciw pomazańcowi [Ein Gesalbter gegen einen Gesalbten], in: Święty Stanisław w życiu Kościoła w Polsce. 750-lecie kanonizacji, hrsg. von Andrzej A. Napiórski, Kraków-Skałka 2003, S. 95–104; Piotr Guzowski, Konflikt biskupa Stanisława z królem Bolesławem Śmiałym. Stanowisko Kościoła wobec zamachów stanu we wczesnośredniowiecznej Polsce [Der Konflikt des Bischofs Stanisław mit dem König Bolesław dem Kühnen. Die Haltung der Kirche gegenüber ‘Staatsstreichen’ im frühmittelalterlichen Polen], in: Zamach stanu w dawnych społecznościach, hrsg. von Arkadiusz Sołtysiak, Warszawa 2004, S. 261–273; Krzysztof Skwierczyński, Recepcja idei gregoriańskich w Polsce do początku XIII wieku [Die Rezeption der gregorianischen Idee in Polen bis zu Beginn des 13. Jahrhunderts], Wrocław 2005, S. 113–246; Włodzimierz Bielak, Jeszcze w sprawie factum biskupa krakowskiego Stanisława ze Szczepanowa [Noch einmal zur Frage der Angelegenheit des Krakauer Bischofs Stanisław von Szczepanów], in: NP 115/116 (2011), S. 145–162. 8  Vgl. Danuta Borawska, Z dziejów jednej legendy. W sprawie genezy kultu św. Stanisława biskupa [Aus der Geschichte einer Legende. Zur Frage der Genese des Kultes des hl. Bischofs Stanisław], Warszawa 1950, S. 11.

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man dem Bischof ein Gedenken und sorgte dafür, dass seine Gebeine aus der Michaelskirche vom Skałka-Felsen in die Krakauer Kathedrale umgebettet wurden.9 Ein in der Öffentlichkeit verbreiteter Kult und ein Bestreben, Stanisław heilig sprechen zu lassen, war damit aber noch nicht verbunden.10 Die Entwicklung des Kultes Die Voraussetzungen für eine veränderte Stanisław-Wahrnehmung und die Ausbildung eines an die Person des Bischofs gebundenen Heiligenkultes entstanden nach der Mitte des 12. Jahrhunderts.11 Zu diesem Zeitpunkt begann das unter den Ein Teil der Forschung hält die Nachricht in Vita maior unten S. 103 (III,1) von einer ersten Überführung bereits im Jahr 1088 für verlässlich, so Gerard Labuda, Translacje relikwii św. Stanisława biskupa krakowskiego w rozwoju jego kultu [Die Überführung der Reliquien des hl. Stanisław, des Krakauer Bischofs, in der Entwicklung seines Kultes] in: Miasta – Ludzie – Instytucja – Znaki. Księga jubileuszowa ofiarowana Profesor Bożenie Wyrozumskiej w 75-rocznicę urodzin, hrsg. von Zenon Piech, Kraków 2008, S. 417–423, bes. S. 421. Andere verwerfen sie als eine spätere hagiografische Amplifikation und gehen davon aus, dass die Überführung erst in den 1140er Jahren nach Fertigstellung des romanischen Neubaus der Kathedrale erfolgte, so Borawska, Z dziejów (wie Anm. 8), S. 56, 61, 63–64; Plezia, Dookoła (wie Anm. 7), S. 326–329; ders., Epitafium Stanisława w katedrze krakowskiej [Das Epitaph des Stanisław in der Krakauer Kathedrale], in: Eos 57 (1967/68), S. 307–328, bes. S. 311–313; Michał Rożek, Ara patriae. Dzieje grobu św. Stanisława w katedrze na Wawelu [Der Altar des Vaterlandes. Geschichte des Grabes des hl. Stanisław in der Kathedrale auf dem Wawel], in: Analecta Cracoviensia 11 (1979), S. 433–460, bes. S. 439. 10  Anders ein Teil der älteren Forschung, der die Anfänge des Kultes in das Jahr 1088 datiert und mit der vermeintlichen ersten Umbettung der Gebeine des Heiligen im Jahr 1088 in Verbindung brachte; vgl. dazu Anm. 9 sowie Jerzy Rajman, Przedkanonizacyjny kult św. Stanisława biskupa [Der Kult des hl. Bischofs Stanisław vor der Kanonisation], in: NP 80 (1993), S. 5–48, hier S. 9–22. 11  Von der jüngeren Forschung überwiegend abgelehnt werden Versuche, zwei ikonographische Quellen als Belege für eine frühe Etablierung des Kultes heranzuziehen. Zum einen ist ein in die 1130er bzw. 1160–80er Jahre datierter Skulpturenzyklus, der die Seitenwände eines Taufbeckens im südschwedischen Tryde schmückte, als eine Darstellung des Bolesław-StanisławKonfliktes interpretiert worden, so von Johnny Roosval, Die Steinmeister Gotlands. Eine Geschichte der führenden Taufsteinwerkstätte des schwedischen Mittelalters, ihrer Voraussetzungen und Begleit-Erscheinungen, Stockholm 1918, S. 163–166 und Taf. XLVII–XLIX; Władysław Semkowicz, Sprawa św. Stanisława w świetle nowego źródła ikonograficznego [Die Angelegenheit des hl. Stanisław im Licht einer neuen ikonographischen Quelle], Kraków 1925 und neuerdings noch einmal (in Unkenntnis der inzwischen von polnischer Seite vorgebrachten Gegenargumente) von Jan Svanberg, The Legend of Saint Stanislaus and King Boleslaus on the 12th Century font in Tryde, Sweden, in: Folia Historiae Artium. Seria Nowa 5/6 (2000/2001), S. 25–42; dazu der kritische Kommentar von Marek Walczak, O chrzcielnicy w Tryde raz jeszcze [Noch einmal über das Taufbecken in Tryde], ebd. 7 (2001), S. 107–111. Zum anderen hat man ein 1799 zerstörtes, aus einer Zeichnung des 18. Jahrhunderts bekanntes Relief, das sich ursprünglich in der um die Mitte 9 

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Söhnen Bolesławs III. aufgeteilte regnum Poloniae in konkurrierende Teilherrschaften auseinanderzufallen.12 Die damit verbundenen innerdynastischen Konflikte eröffneten der Kirche den Spielraum, sich nach und nach der herzoglichen Bevormundung zu entziehen und ein eigenständiges politisches Profil zu gewinnen. In diesem Zusammenhang lag auch ein Rückgriff auf das Instrument des Heiligenkultes nahe. Zu Beginn der 1180er Jahre stützte der Krakauer Klerus seine emanzipativen Bestrebungen zunächst aber noch auf einen fremden Heiligen. 1184 ließ der Krakauer Bischof Gedko Reliquien des heiligen Florian aus Italien in die Krakauer Kathedrale überführen. Auf diese Weise sollte ein lokaler Kult etabliert werden, der eine Rangerhöhung der Krakauer Kirche und zugleich eine Festigung der politischen Stellung Kasimirs II., der sich 1177 mit Hilfe der kleinpolnischen weltlichen und geistlichen Großen widerrechtlich der Krakauer Senioratsherrschaft bemächtigt hatte, zu befördern versprach. Diesem Versuch war jedoch wenig Erfolg beschieden.13 Weitaus erfolgreicher sollte der Rückgriff auf einen einheimischen Märtyrer sein. Es war der Geschichtsschreiber und Bischof Vincentius, der zu diesem Zweck gegen Ende des 12., Anfang des 13. Jahrhunderts die entscheidende Umgestaltung des Stanisław-Bildes vornahm. Er ließ aus dem „Verräter-Bischof “ den ‚idealen Bischof ‘ werden, der die Werte des Christentums und die Interessen der Kirche gegenüber der weltlichen Macht bis in den Tod verteidigte. Dabei begnügte sich Vincentius nicht mit einer bloßen Rehabilitierung des Bischofs, sondern erhob Stanisław – vielleicht unter dem Einfluss der ersten Vita des im Dezember 1070 des 12. Jahrhunderts errichteten Kirche des Breslauer Vinzenzklosters befand, als eine Darstellung der Konfrontation zwischen Bolesław und Stanisław gedeutet, so Conrad Buchwald, Reste des Vinzenzklosters bei Breslau, in: Schlesiens Vorzeit in Bild und Schrift 1 (1900), S. 61–79, Abb. S. 75; Piotr Bohdziewicz, Zjazdy Łęczyckie XII wieku a powstanie kultu św. Stanisława Biskupa [Die Hoftage von Łęczyca des 12. Jahrhunderts und die Entstehung des Kultes des hl. Bischofs Stanisław], in: RHum 2–3 (1950–51), S. 237–267, bes. S. 251–252; Witold Sawicki, Zapoznane źródło ikonograficzne do dziejów i ustroju Polski piastowskiej [Eine vertraute ikonographische Quelle zur Geschichte und Verfassung des piastischen Polen], in: Zeszyty Naukowe KUL 8 (1965), S. 21–36. Die gegen diese Deutungen sprechenden Argumente bei Plezia, Dookoła (wie Anm. 7), S. 269–278; Labuda, Święty Stanisław (wie Anm. 7), S. 147–156; Zygmunt Świechowski, Ikonografia św. Stanisława we wczesnej rzeźbie monumentalnej [Ikonographie des hl. Stanisław in der frühen Monumentalskulptur], in: Analecta Cracoviensia 11 (1979), S. 539– 550, hier S. 541–545. 12  Vgl. Labuda, Święty Stanisław (wie Anm. 7), S. 141; Mühle, Die Piasten (wie Anm. 6), S. 63–73. 13  Erst im 14. Jahrhundert erfuhr der Krakauer St. Florianskult eine Wiederbelebung, in deren Zusammenhang ein kurzer Bericht über die Überführung der Reliquien entstand: Translatio sancti Floriani, hrsg. von Wojciech Kętrzyński, in: MPH 4, Lwów 1884 [Nachdruck: Warszawa 1961], S. 755–762.

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vor dem Altar ermordeten, 1173 heiliggesprochenen Erzbischofs Thomas Beckett14 – bereits zu einem Heiligen. Ausdrücklich sprach er von den „an [diesem] Heiligen [vollbrachten] Wundertaten des Erlösers“. Vor allem aber erfand er jene wirkmächtige Geschichte von der Wiederherstellung des Leichnams des Ermordeten, die den Kern und Ausgangspunkt der hagiographischen und politischen Idee des Stanisław-Kultes bilden sollte. Danach seien „aus den vier Himmelsrichtungen vier Adler“ herbeigeflogen, die den Leichnam „des Märtyrers“ Tag und Nacht vor dem Zugriff der Geier und anderer Aasvögel bewahrt hätten. „An den einzelnen Stellen, an denen die Einzelteile des heiligen Körpers zerstreut“ lagen, hätten „wunderbar wie Gold […] viele göttliche Lichter“ geleuchtet. Fromme Männer, die sich daraufhin dem Ort näherten, um die zerstreuten Körperteile einzusammeln, hätten „einen unversehrten Körper vorgefunden, der nicht einmal ein Zeichen von Narben trug.“ Diese Männer hätten den Leichnam fortgetragen und „eingehüllt in göttliche Wohlgerüche in der kleineren Kirche des heiligen Michael aufbewahrt.“15 Wie intensiv die Zeitgenossen das von Magister Vincentius entworfene Stanisław-Bild aufgegriffen haben, ist schwer zu sagen. Sein Nachfolger im Bischofsamt, Iwo Odrowąż (1218–1229), scheint erste Überlegungen angestellt zu haben, es einem regelrechten Kanonisationsverfahren zugrunde zu legen. Doch hat sein Nachfolger, Bischof Wisław (1229–1242), diesen Gedanken offenbar nicht weiterverfolgt.16 Erst der dritte Nachfolger des Vincentius, Bischof Prandota (1242–1266), unternahm ernsthafte Schritte, Stanisław in Rom heiligsprechen zu lassen. Er ließ um 1244 feierlich die Gebeine Stanisławs in der Kathedrale umbetten17 und veranlasste, dass Nachrichten über sein Leben und Wunderwirken gesammelt und aufgezeichnet wurden. Es dürfte kein Zufall sein, dass die überwiegende Zahl seiner später aufgezeichneten Wunder in die 1240er Jahre datieren.

Vgl. Borawska, Z dziejów (wie Anm. 8), S. 20–24; Thomas Wünsch, Kultbeziehungen zwischen dem Reich und Polen, in: Das Reich und Polen. Parallelen, Interaktionen und Formen der Akkulturation im hohen und späten Mittelalter, hrsg. von Alexander Patschovsky/Thomas Wünsch, Ostfildern 2003, S. 357–400, hier S. 374–377; Wojciech Mruk, Święty Stanisław i święty Tomasz, czyli o biskupach broniących swobód kościoła [Der heilige Stanisław und der heilige Thomas oder über Bischöfe, die die Freiheiten der Kirche verteidigen], in: ders., Homo sanctus. Wzorce świętych w Europie łacińskiej w średniowieczu, Warszawa 2018, S. 205–226. 15  Magistri Vincentii Chronica (wie Anm. 4), S. 176–177. 16  Vgl. dazu die Bemerkung in Vita maior unten S. 107 (III, 4), dass es Wisław „als Bischof so viele Jahre zugelassen habe, dass der Leib des heiligen Stanisław im Staub der Erde lag“. 17  Labuda, Translacje (wie Anm. 9), S. 422; Maria Starnawska, Dominikanie, św. Jacek i elewacja szczątków św. Stanisława przez biskupa Prandotę [Die Dominikaner, der hl. Jacek und die Erhebung der Gebeine des hl. Stanisław durch Bischof Prandota], in: Mendykanci w średniowiecznym Krakowie, hrsg. von Krzysztof Ożóg, Kraków 2008, S. 407–424, bes. S. 416–417, 420. 14 

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Das zusammengestellte Material wurde nach Rom geschickt und dem Papst vorgelegt, der ein förmliches Kanonisationsverfahren eröffnete.18 Der zu diesem Zweck eingesetzten ‚Kommission‘ gehörten der Erzbischof von Gnesen, Pełka, der Bischof von Breslau, Thomas, sowie der Abt des Zisterzienserklosters Leubus, Heinrich, an. Sie sollten vor Ort „die guten Werke und Wunder [Stanisławs] auf das Sorgfältigste […] untersuchen.“19 Das Ergebnis ihrer Prüfung wurde 1251/52 von den Krakauer Kanonikern Jakob von Skaryszew und Gerard Gallicus in Begleitung einiger Krakauer Dominikaner und Franziskaner dem Papst überbracht.20 Innozenz IV. sah freilich noch Klärungsbedarf und entsandte einen Vertrauten, den Franziskaner Jakob von Velletri, nach Krakau. Er sollte weitere Nachforschungen anstellen, vor allem Zeugen befragen.21 Eine zeitgenössische Abschrift des im Sommer 1252 verfassten Verhörprotokolls, dessen Original Jakob von Velletri mit nach Rom nahm, hat sich im Archiv des Krakauer Domkapitels erhalten.22 Es handelt sich um einen 3,5 m lan18  Zum Kanonisationsverfahren Jan Lisowski, Kanonizacja św. Stanisława w świetle procedury kanonizacyjnej kościoła dzisiaj i dawniej [Die Kanonisation des hl. Stanisław im Licht des Kanonisationsverfahrens der Kirche heute und früher, Rom 1953, bes. S. 129–237; André ­Vauchez, Sainthood in the Later Middle Ages, Cambridge 1997, S. 46, 53, 70; Labuda, Święty Stanisław (wie Anm. 7), S. 157–161; Ryszard Banach, Kanonizacja św. Stanisława i jej znaczenie [Die Kanonisation des hl. Stanisław und seine Bedeutung], in: Święty Stanisław patronem ładu społecznego, hrsg. von Bogusław Wójcik, Tarnów 2003, S. 29–41; Otfried Krafft, Papsturkunde und Heiligsprechung. Die päpstlichen Kanonisationen vom Mittelalter bis zur Reformation. Ein Handbuch, Köln u. a. 2005, S. 500–518. 19  Mandatsbulle Innozenz‘ IV. an Jakob von Velletri, unten S. 40–43; vgl. Vita maior unten S. 110–113 (III, 7) und Annales Cracovienses priores (wie Anm. 2), S. 83, wo es zum Jahr 1250 heiß: „Miracula beati Stanyzlai martiris gloriosi per dominum Fulconem archiepiscopum Gneznensem, Thomam episcopum Wratizlauiensem et abbatem de Lubes examinanutur“ (Die Wunder des heiligen Stanislaus, des glorreichen Märtyrers, werden durch Herrn Fulko, den Erzbischof von Gnesen, Thomas, den Bischof von Breslau und den Abt von Leubus geprüft). 20  Annales Cracovienses priores (wie Anm. 2), S. 83–84 zum Jahr 1251: „Magister Jacobus doctor decretorum et magister Gerardus can[onici] Crac[ouienses] cum Predicatoribus et Minoribus pro canonizatione beati Stanyzlai certi nuncii et procuratores eiusdem negocii ad Romanam curiam destinatur“ („Die Krakauer Kanoniker Magister Jakobus, Doktor des Kirchenrechts, und Magister Gerardus werden gemeinsam mit Dominikanern und Franziskanern für die Kanonisation des heiligen Stanislaus zu zuverlässigen Boten und Vertretern eben dieser Angelegenheit gegenüber der Römischen Kurie bestimmt“). Zum Umfeld des Krakauer Domkapitels zur Zeit der Kanonisation vgl. Krzysztof Ożóg, Środowisko katedralne krakowskie w dobie kanonizacji św. Stanislawa [Das Krakauer Kathedralmilieu in der Zeit der Kanonisation des hl. Stanisław], in: Święty Stanisław (wie Anm. 7), S. 61–80. 21  Mandatsbulle Innozenz’ IV. an Jakob von Velletri, unten S. 40–43. 22  Archiwum Krakowskiej Kapituły Katedralnej [Archiv des Krakauer Domkapitels], sygn. Ms 228; ediert in Miracula sancti Stanislai, hrsg. von Wojciech Kętrzyński, in: MPH 4, Lwów 1884

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gen, 22–25 cm breiten, einseitig beschriebenen Rotulus der am Beginn und Ende beschädigt ist, so dass er das Protokoll nicht vollständig überliefert. Von den 40 in ihm rubrizierten, mit den entsprechenden Zeugenreihen versehenen Wunderberichten („Artikel VII“ bis „Artikel XLVI“) sind 34 in teils wörtlicher Form in den Wunderkatalog der Vita maior eingegangen. Nach Überprüfung und Ergänzung der Materialien, zu denen spätestens jetzt auch eine Lebensbeschreibung des Märtyrers gehört haben dürfte, begab sich erneut eine polnische Gesandtschaft nach Rom.23 Ihr gelang es schließlich, Papst und Kardinäle von der ‚Heiligkeit‘ Stanisławs zu überzeugen, so dass Innozenz IV. am 8. September 1253 in der Franziskus-Basilika zu Assisi die Kanonisation vollzog.24 Nach der Heiligsprechung breitete sich die Verehrung des neuen Heiligen rasch und nachhaltig über ganz Polen aus. Sie wurde in liturgischen Texten, Predigten, ikonographischen Repräsentationen und historiographischen Werken beständig weiter propagiert und stellte bald den älteren Adalberts-Kult in den Schatten.25 [Nachdruck: Warszawa 1961], S. 285–318; im Folgenden zitiert nach der neueren Edition: Cuda św. Stanisława. Tekst łaciński wydał i komentarzem opatrzył Zbigniew Perzanowski, przekład Janina Pleziowa [Die Wunder des hl. Stanisław. Lateinischer Text, herausgegeben und mit Kommentar versehen von Zbigniew Perzanowski, Übersetzung Janina Pleziowa], in: Analecta Cracoviensia 11 (1979), S. 47–141, hier S. 68–141; eine Beschreibung der äußeren Erscheinung der Quelle ebd. S. 47–50. Vgl. auch Średniowieczne żywoty i cuda patronów Polski [Mittelalterliche Viten und Wunder der Patrone Polens], hrsg. von Marian Plezia, Warszawa 1977, S. 151–166; Aleksandra Witkowska, Miracula małopolskie z XIII i XIV wieku. Studium żródłoznawcze [Kleinpolnische Wunder des 13. und 14. Jahrhunderts. Eine quellenkundliche Studie], in: RHum 19 (1971), 2, S. 29–161, hier S. 43–49; dies., The Thirteenth-Century Miracula of St. Stanislaus, Bishop of Krakow, in: Procès de canonization au Moyen Âge. Aspects juridiques et religieux, hrsg. von Gábor Klaniczay, Roma 2004, S. 149–163, hier S. 153–156. 23  Annales Cracovienses priores (wie Anm. 2), S. 84 zum Jahr 1253: „Magister Jacobus et magister Gozuinus can[onici] Crac[ouienses] ad Romanam curiam remittuntur pro canonizatione dicti sancti Stanyzlai“ („Die Krakauer Kanoniker Magister Jakobus und Magister Gozinus werden für die Kanonisation des genannten heiligen Stanisław erneut an die Römische Kurie geschickt“). 24  Siehe Bulle Papst Innozenz’ IV. unten S. 170–177, die auf den 17. September ausgestellt ist; aus Vita maior unten S. 164–165 (III, 56) geht als Termin jedoch der Geburtstag Mariens, d. h. der 8. September hervor; vgl. auch Krafft, Papsturkunde (wie Anm. 18), S. 504–505. 25  Zur Entwicklung des Kultes allgemein Marcin R. Pauk, Kult św. Stanisława na tle innych kultów politycznych Europy Środkowej w średniowieczu [Der Kult des hl. Stanisław vor dem Hintergrund anderer politischer Kulte Mitteleuropas im Mittelalter], in: Kult św. Stanisława na Śląsku (1253–2003), hrsg. von Anna Pobóg-Lenartowicz, Opole 2004, S. 31–47; aus kunsthistorischer Perspektive: Agnieszka Rożnowska-Sadraei, Pater patriae. The Cult of Saint Stanislaus and the Patronage of Polish Kings 1200–1455, Krakow 2008; auf die Verbreitung des Kultes in Predigten fokussiert Stanislava Kuzmová, Preaching Saint Stanislaus. Medieval Sermons on Saint Stanislaus of Cracow. His Image and Cult, Warszawa 2013; dies, Division and Reintegration

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Die Lebensbeschreibungen und ihr Autor

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hinein.26

Früh wirkte sie auch in Nachbargebiete Der heilige Stanisław stieg zu dem ‚nationalen‘ Heiligen der Polen auf. In dieser Eigenschaft nimmt er bis heute einen zentralen Platz in ihrem kulturellen Gedächtnis ein.27 Die Lebensbeschreibungen und ihr Autor Bereits im Zusammenhang mit der Heiligsprechung sind zwei Lebensbeschreibungen entstanden, denen im 14. Jahrhundert eine Überarbeitung durch einen anonymen Autor und im 15. Jahrhundert eine eigenständige Darstellung aus der Feder des bedeutenden polnischen Geschichtsschreibers Jan Długosz zur Seite gestellt wurden.28 Die beiden noch dem 13. Jahrhundert zugehörigen Werke werof the body of St. Stanislaus: A Political Analogy in Sermons?, in: Promoting the Saints. Cults and Their Contexts from Late Antiquity until the Early Modern Period, hrsg. von Ottó Gecser u. a., Budapest 2011, S. 151–163; vgl. auch Zenon Piech, Darstellungen des heiligen Stanislaus als Schutzheiligen des Herrschers, des Staates und der Dynastie der Jagiellonen, in: Fonctions sociales et politiques du culte des saints dans les sociétés de rite grec et latin au Moyen âge et à l`époque moderne. Approche comparative, hrsg. von Marek Derwich/Michail Dmitriev, Wrocław 1999, S. 125–160; ders., Przeszłość zobrazowana: święci patroni i władcy [Imaginierte Vergangenheit: heilige Patrone und Herrscher], in: Przeszłość w kulturze średniowiecznej Polski. Band 2, hrsg. von Halina Manikowska, Warszawa 2018, S. 59–119, hier S. 93–109. 26  Zur frühen Rezeption in Böhmen vgl. Zbigniew Jakubowski, Polityczne i kulturowe aspekty kultu biskupa krakowskiego Stanisława w Polsce i w Czechach w średniowieczu [Politische und kulturelle Aspekte des Kultes des Krakauer Bischofs Stanisław in Polen und Böhmen im Mittelalter], Częstochowa 1988, S. 58–100; ders., Reperkusje tzw. ‘sprawy Stanisława’ w Czechach po roku 1253 [Auswirkungen der sog. ‘Stanisław-Frage’ in Böhmen nach dem Jahr 1253], in: Folia Historica Bohemica 13 (1990), S. 87–129; Marek Stawski, Wokół listu Przemysła Otokara II do biskupa krakowskiego Prandoty – jego historyczne tło i początki kultu św. Stanisława w Czechach [Zu einem Brief Przemysl Otokars II. an den Krakauer Bischof Prandota – sein historischer Hintergrund und die Anfänge des hl. Stanisław-Kultes in Böhmen], in: Kościół w Polsce a sąsiedzi, hrsg. von Janusz Grabowski/Tadeusz Paweł Rutkowski, Warszawa 2017, S. 221–247. 27  Vgl. exemplarisch: Franciszek Mróz, Geograficzny zasięg kultu św. Stanisława w Polsce [Die geographische Reichweite des hl. Stanisław-Kultes in Polen], in: Peregrinus Cracoviensis 14 (2003), S. 103–118; Bolesław Przybyszewski, Święty Stanisław biskup męczennik. Sprawa świętego Stanisława, biografia, legenda, kult, ikonografia, polemika z Gerardem Labudą [Der heilige Bischof-Märtyrer Stanisław. Die Angelegenheit des heiligen Stanisław, Biographie, Legende, Kult, Ikonographie. Eine Polemik mit Gerard Labuda], Rzeszów/Łańcut 2005. 28  Die mit den Worten Tradunt beginnende Überarbeitung gedruckt in Martini Galli chronicon ad fidem codicum […] denuo recensuit ex mandato Regiae Societatis Philomaticae Varsaviensis, Vitamque s. Stanislai atque inventarium ecclesiae metropolitanae Gnesensis adiecit Joannes Vincentius Bandkie, Varsaviae 1824, S. 321–380; BHL Nr. 7836. Długoszs Version gedruckt in: Vita Sanctissimi Stanislai Cracoviensis Episcopi, hrsg. von Ignatius Polkowski/Żegota Pauli, in: Joannis Dlugossii Senioris Canonici Cracoviensis opera omnia. Vol. 1, Cracoviae 1887, S. 1–181; BHL Nr. 7839–7841. Zu beiden Werken vgl. Kuzmová, Preaching (wie Anm. 25), S. 43–45, 52–58;

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den seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert als die „kleinere“ und die „größere“ Lebensbeschreibung – Vita minor und Vita maior – bezeichnet.29 Über das wechselseitige Verhältnis, das genaue Abfassungsdatum und den Verfasser der beiden Texte hat die Forschung lange kontrovers diskutiert. Heute besteht Einigkeit darüber, dass beide Viten aus der Feder eines Mannes stammen – des Dominikaners Vincentius von Kielce oder Kielcza. Er stellt sich in der Vita maior selbst mit den Worten „ich Bruder Vincentius vom Orden der Predigerbrüder“ („ego frater Vincencius de ordine fratrum ordinis predicatorum“) als Autor und zugleich als ein älterer Mann vor, dessen Lebensende nahe sei („statum in fine conversacionis“).30 Über seine Person ist darüber hinaus wenig Sicheres bekannt.31 Schon die Frage, ob sich sein in Quellen des 15. Jahrhunderts überlieferter Beiname auf das gut 100 km nordöstlich von Krakau gelegene Kielce oder das 140 km nordwestlich Wojciech Drelicharz, Unifying the Kingdom of Poland in Medieval Historiographic Thought, Kraków 2019, S. 298–309, 410–417. 29  Dabei knüpfte der Herausgeber beider Texte, Wojciech Kętrzyński, an den Titel Legenda minor de s. Stanislao martire et pontifice an, den Ignacy Polkowski 1882 dem von ihm herausgegebenen Faksimile einer die Vita enthaltenden Handschrift des 14. Jahrhunderts gegeben hatte; andere haben in Anknüpfung an Jan Długosz vorgeschlagen, die beiden Viten mit den Bezeichnungen Legenda s. Stanislai (= Vita minor) und Vita s. Stanislai (= Vita maior) zu unterscheiden; Gerard Labuda, Twórczość hagiograficzna i historiograficzna Wincentego z Kielc [Das hagiographische und historiographische Schaffen des Vincentius von Kielce], in: SŹ 16 (1971), S. 103–137, hier S. 115; Brygida Kürbis, Jak czytać najstarsze teksty o świętym Stanisławie [Wie liest man die ältesten Texte über den heiligen Stanisław], in: dies., Na progach historii, Band 2: O świadectwach do dziejów kultury Polski średniowiecznej, Poznań 2001, S. 105–128, hier S. 122–123. 30  Siehe unten S. 46–47. 31  Zur Person (mit unterschiedlichen Positionen): Tadeusz Wojciechowski, O życiu i pismach Wincentego z Kielc [Über das Leben und die Schriften des Vincentius von Kielce], in: Pamiętnik Akademii Umiejętności. Wydziały Filologiczny i Historyczno-Filozoficzny 5 (1885), S. 30–36; Marian Plezia, Wincenty z Kielc, historyk polski z pierwszej połowy XIII w. [Vincentius von Kielce, ein polnischer Historiker der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts], in: SŹ 7 (1962), S. 15–41; Labuda, Twórczość (wie Anm. 29); ders., Zaginiona kronika z pierwszej połowy XIII wieku w rocznikach królestwa polskiego Jana Długosza. Próba rekonstrukcji [Eine verlorene Chronik der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts in Jan Dlugoszs Annalen des polnischen Königreiches], Poznań 1983, S. 169–171; Andrzej Latkowski, Wincenty z Kielczy, dominikanin – życie i twórczość [­Vincentius von Kielcza, ein Dominikaner – Leben und Schaffen], in: Przegląd Tomistyczny 5 (1992), S. 63–69; Mariusz Woskowski, Wincenty z Kielczy. Człowiek i dzieło [Vincentius von Kielcza. Mensch und Werk], in: Kult św. Stanisława na Śląsku (1253–2003), hrsg. von Anna Pobóg-Lenartowicz, Opole 2004, S. 107–116; vgl. auch Agata Siwczyńska, Spór o biografię Wincentego dominikanina [Der Streit über die Biographie des Dominkaners Vincentius], in: Studenckie Zeszyty Naukowe Uniwersytetu Jagiellońskiego 13 (2000), 4, S. 35–54; Drelicharz, Unifying (wie Anm. 28), S. 113–117.

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von Krakau gelegene oberschlesische Kielcza bezog, bleibt unentschieden. Unsicher ist auch, ob jener Vincentius, der 1222 als einer der Kapläne des Krakauer Bischofs Iwo Odrowąż begegnet, mit jener Person/jenen Personen identisch war, die zwischen 1227 und 1260 in kleinpolnischen und schlesischen Urkunden mit dem Namen Vincentius hervortritt/hervortreten. Der Hagiograph Vincentius war ein enger Vertrauter von Bischof Iwo Odrowąż und scheint diesen 1229 als Krakauer Kanoniker auf einer Italienreise begleitet zu haben. Der Bischof starb auf dieser Reise in Modena; 1237 holte Vincentius von dort seine Gebeine zur Beisetzung in der Kirche der seit 1222 in Krakau ansässigen Dominikaner zurück.32 Wenig später trat er selbst in den Orden ein. Vielleicht ist er schon als Schüler der Krakauer Domschule mit dem von Magister Vincentius entworfenen Stanisław-Bild in Berührung gekommen. Sicher hat er dann die Bemühungen Iwo Odrowążs um eine weitere Verbreitung der Stanisław-Verehrung unterstützt; vielleicht war er bereits in dessen Auftrag in Stanisławs Heimatort Szczepanów gereist, um dort Informationen über ihn einzuholen.33 Als Bischof Prandota seit 1242 dann ernsthaft den Plan einer Kanonisation verfolgte, musste auch der Wunsch nach Abfassung einer Lebensbeschreibung dringlich werden. Doch ist ungewiss, ob diesem Bedürfnis bereits in Gestalt der Vita minor Rechnung getragen worden ist.34 Möglicherweise wurde der Kurie für das Kanonisationsverfahren zunächst eine andere, provisorische, nicht erhalten gebliebene Zusammenstellung von Lebensdaten vorgelegt. Die Vita minor ist dann noch im 13. Jahrhundert unter dem 8. Mai in die polnische Version der Legenda Aurea des Jakob von Voragine eingefügt worden, wobei offenbar ihr (nicht erhalten gebliebener) Einleitungsteil entfiel.35 Die Frage, Diese Nachricht ist in dem (nur in seiner jüngeren, im frühen 17. Jahrhundert entstandenen Form überlieferten) Totenbuch der Krakauer Dominikaner überliefert; abgedruckt bei Heinrich Zeissberg, Kleinere Geschichtsquellen Polens im Mittelalter. Eine Nachlese, Wien 1877, S. 139. 33  Vgl. den entsprechenden Hinweis in Vita maior unten S. 52–53 (I, 4). 34  Vita s. Stanislai episcopi Cracoviensis (Vita minor), hrsg. von Wojciech Kętrzyński, in: Monumenta Poloniae Historica 4, Lwów 1884, S. 238–285; BHL Nr. 7832; polnische Übersetzung: Żywot mniesjszy św. Stanisława [Die kleinere Vita des hl. Stanisław], in: Średniowieczne żywoty (wie Anm. 22), S. 111–150; italienische Übersetzung: Vincenzo da Kielce, O.P.: La „Vita Minor“ di S. Stanislao Vescove. Introduzione, traduzione e note di Jan Władysław Woś, Siena² 1983, S. 25–69. 35  Wojciech Kętrzyński hat seinerzeit 12 Handschriften der fast ausschließlich im Kontext der Legenda Aurea überlieferten Vita minor identifiziert; die älteste wird in die Mitte des 14. Jahrhunderts datiert und bietet den vollständigsten und besterhaltenen Text; die übrigen Handschriften stammen aus dem 15. Jahrhundert; Vita minor (wie Anm. 34), S. 239–243. Die neuere Forschung geht davon aus, dass sich die Vita minor außer in den von Kętrzyński angeführten Handschriften in zahlreichen weiteren Handschriften erhalten haben dürfte. Schon Marian Plezia, Na marginesie Złotej legendy (Chronologia hagiografii polskiej w połowie XIII w.) [Eine 32 

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ob Vincentius von Kielce/Kielcza die Vita minor bereits vor oder erst nach der Kanonisation verfasst hat, ist letztlich bis heute nicht eindeutig geklärt.36 Einigkeit besteht darüber, dass sie keinen (etwa für die Legenda Aurea) gekürzten Auszug aus der Vita maior darstellt37, sondern dieser vorangegangen ist.38 Dahingegen ist die Vita maior definitiv erst nach der feierlichen Heiligsprechung entstanden, die Vincentius von Kielce/Kielcza in Assisi (nimmt man seine lebendige Schilderung dieser Feier als ein entsprechendes Indiz39) möglicherweise selbst miterlebt hat; wahrscheinlich gehörte er auch zu jenen Dominikanern, die als Mitglieder der polnischen Delegationen in Rom das Kanonisationsbegehren unterstützt hatten. Um 1255 hat er das erste Brevier-Offizium für den auf den 8. Mai festgelegten Feiertag des neuen Heiligen verfasst.40 Bald nach Randbemerkung zur Goldenen Legende (Chronologie der polnischen Hagiographie in der Mitte des 13. Jahrhunderts)], in: ders., Od Arystotelesa do Złotej Legendy, Warszawa 1958, S. 430–457, hier S. 439–440 verwies auf vier Kętrzyński seinerzeit nicht bekannte weitere Handschriften. 36  Wojciech Kętrzyński, der noch von verschiedenen Autoren der Vita minor und Vita maior ausgegangen ist, datierte die Abfassung der Vita minor [in: Vita minor (wie Anm. 34), S. 245] in die Zeit um 1230; Plezia, Na marginesie (wie Anm. 35) S. 453 und Plezia, Wincenty z Kielc (wie Anm. 31), S. 22 in die Zeit „kurz nach 1242“, während Mieczysław Gębarowicz, Początki kultu św. Stanisława i jego średniowieczny zabytek w Szwecji [Die Anfänge des hl. Stanisław-Kultes und sein mittelalterliches Zeugnis in Schweden], in: Rocznik Zakładu im. Ossolińskich 1–2 (1927– 28), S. 46–82, hier S. 51, Pierre David, Les sources de l’histoire de Pologne à l’époque des Piasts (963–1386), Paris 1934, S. 127–136, Borawska, Z dziejów (wie Anm. 8), S. 51–52 und Labuda, Twórczość (wie Anm. 29), S. 111, 135–136 davon ausgingen, dass sie erst nach der Kanonisation in den Jahren 1254/57–1261/66 verfasst worden sei; der Datierung nach der Kanonisation schließt sich auch die jüngste Forschung an, vgl. Tomasz Jurek, Polska droga do korony królewskiej 1295–1300–1320 [Der polnische Weg zur Königskrone 1295–1300–1320], in: Proměna středovýchodní Evropy raného a vrcholného středověku. Mocenské souvislosto a paralely, hrsg. von Martin Wihoda/Lukáš Reitinger, Brno 2010, S. 139–191, hier S. 146–147; Drelicharz, Unifying (wie Anm. 28), S. 123; Jacek Banaszkiewicz, Prolog do Rocznika kapituły krakowskiej, św. Stanisław i czas historyczny [Der Prolog zu den Annalen des Krakauer Domkapitels, der hl. Stanisław und die historische Zeit], in: Przeszłość w kulturze średniowiecznej Polski. Band 1, hrsg. von dems. u. a., Warszawa 2018, S. 307–352, hier S. 310–312. 37  So Grażyna G. Klimecka, Legenda o świętym Stanisławie i dominikanie polscy [Die Legende über den heiligen Stanisław und die polnischen Dominikaner], in: Przegląd Tomistyczny 6–7 (1997), S. 25–44, bes. S. 38–39, 44. 38  Borawska, Z dziejów (wie Anm. 8), S. 31–52; Plezia, Wincenty (wie Anm. 31), S. 23–26, 29–35; Plezia, Dookoła sprawy (wie Anm. 7), S. 141–146; Średniowieczne żywoty (wie Anm. 22), S. 97–106; Drelicharz, Unifying (wie Anm. 28), S. 113–128; Banaszkiewicz, Prolog (wie Anm. 36), S. 309–320. 39  Siehe Vita maior unten S. 166–167 (III, 56). 40  Officium breviarii de s. Stanislao, in: Henryk Kowalewicz, Zabytki średniowiecznej liryki liturgicznej o św. Stanisławie, in: Analecta Cracoviensia 11 (1979), S. 228–241, hier S. 227–230; eine neue Edition in Wincenty z Kielczy, Oficjum o św. Stanisławie [Vincentius von Kielcza. Das

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1260/61 ist er dann im Krakauer Dominikanerkloster gestorben.41 Wann genau er

zuvor die Vita maior verfasst hat, lässt sich nicht feststellen. Immerhin kann der Zeitraum anhand der Todesdaten des in der Vita bereits als verstorben bezeichneten Jacek Odrowąż (August 1257)42 und des ebendort noch als lebend angesprochenen Papstes Alexander IV. (Mai 1261)43 ungefähr eingegrenzt werden. Für die Neubearbeitung der Lebensbeschreibung hat sich der Hagiograph naheliegenderweise in erster Linie auf seine eigene, ältere Ausarbeitung, die Vita minor, gestützt (die ihrerseits in hohem Maße aus der Chronik des Magisters Vincentius geschöpft hatte). Darüber hinaus hat er die Aufzeichnungen über die Stanisław zugeschriebenen Wunder (u. a. in Gestalt des Protokolls der Untersuchungskommission von 1252) herangezogen. Diese beiden grundlegenden Quellen hat er durch seine Kenntnis der ältesten (nicht erhalten gebliebenen) Krakauer Hofannalen, der in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts verfassten Polnisch-Ungarischen Chronik, älterer mündlicher Traditionen sowie durch Auskünfte von Zeitgenossen ergänzt.44 Auf dieser Grundlage ist ein dreiteiliger Text entstanden.45 Dieser wird mit einer Vorrede eingeleitet, in der der Autor Schreibanlass und Auftraggeber nennt, sich selbst vorstellt und seine schriftstellerischen Unzulänglichkeiten mit einem Offizium zum hl. Stanisław], hrsg. von Jakub Kubieniec, Kraków 2015; vgl. auch: Tomasz Gałuszka, Mater Polonia. Z badań nad oficjum brewiarzowym ku czci św. Stanisława ze Szczepanowa Dies adest celebris autorstwa Wincentego dominikanina [Mater Polonia. Forschungen über das Brevier-Offizium zu Ehren des hl. Stanisław von Szczepanów Dies adest celebris in der Autorschaft des Dominikaners Vincentius], in: RH 85 (2019), S. 7–25. 41  Das Totenbuch der Krakauer Dominikaner hat nur den Tag seines Todes (2. Januar), nicht aber das Jahr festgehalten; Zeissberg, Kleinere Geschichtsquellen (wie Anm. 32). 42  Siehe unten S. 160–161 (III, 54). 43  Siehe unten S. 162–163 (III, 55). 44  Zu den Quellen der Vita maior Kętrzyński (wie Anm. 45), S. 334–341; Labuda, Twórczość (wie Anm. 29), bes. S. 107–118; ders., Zapiski rocznikarskie w ‚Żywotach świętego Stanisława‘ Wincentego z Kielczy [Annalistische Aufzeichnungen in den ‚Viten des heiligen Stanisław‘ des Vincentius von Kielcza], in: SŹ 34 (1993), S. 29–40. Zur Vita allgemein Średniowieczne żywoty (wie Anm. 22), S. 235–246; Plezia, Wincenty (wie Anm. 31), S. 26–35; Drelicharz, Unifying (wie Anm. 28), S. 147–190; Banaszkiewicz, Prolog (wie Anm. 36), S. 320–326; Jerzy Wojtczak-Szyczkowski, Z problematyki języka i stylu ‚Żywota Większego Świętego Stanisława Biskupa‘ piora Wincentego z Kielczy [Zur Problematik von Sprache und Stil der ‚Größeren Vita des heiligen Bischofs Stanisław‘ aus der Feder des Vincentius von Kielcza], in: Święty Stanisław (wie Anm. 7), S. 81–94. 45  Vita sancti Stanislai Cracoviensis episcopi (Vita maior) auctore fratre Vincentio de ordine fratrum praedicatorum, hrsg. von Wojciech Kętrzyński, in: MPH 4, Lwów 1884 [Nachdruck: Warszawa 1961], S. 319–438; BHL Nr. 7833–7835; polnische Übersetzung: Żywot większy św. Stanisława [Die größere Vita des hl. Stanisław], in: Średniowieczne żywoty (wie Anm. 22), S. 249– 344.

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typischen Bescheidenheitstopos entschuldigt, der stark an die Vorreden erinnert, mit denen Magister Vincentius seine „Chronik der Polen“ bzw. einzelne ihrer Kapitel eingeleitet hat. Der erste Teil, der inhaltlich den Kapiteln 1–10 und 19–21 der Vita minor folgt, setzt mit einem knappen Abriss der ältesten Geschichte Polens von Mieszko I. bis Kasimir I. ein (I, 1–3). Anschließend werden die wichtigsten Lebensstationen des Heiligen vom Zeitpunkt seiner Geburt bis zum Beginn des Konfliktes mit König Bolesław II. geschildert und sein heiligmäßiges Wesen charakterisiert (I, 4–14). Der zweite Teil bietet (unter Verwendung der Kapitel 11–18 der Vita minor) einen ausführlichen Bericht über ein erstes von Stanisław noch zu seinen Lebzeiten an dem Ritter Peter (Piotr) in Gestalt einer Auferweckung von den Toten gewirktes Wunder (II, 1–6). Diese so genannte „Piotrawinsche Legende“ wird sodann mit einem Wunder verglichen, das der Apostel Paulus am heiligen Maternus gewirkt haben soll (II, 7–8). Die nächsten sechs Kapitel (II, 9–14) handeln von Kasimir I., wobei die den Kapiteln 22–24 entnommenen diesbezüglichen Nachrichten der Vita minor um neue Aspekte erweitert werden. Darauf folgt eine Beschreibung der Herrschaft Bolesławs II., die anders als in der Vita minor, die in ihren Kapiteln 25–29 noch ein zum Teil durchaus positives Bild dieses Herrschers gezeichnet hat, nun eindeutig negativ ausfallen (II, 15–18). Anschließend werden unter Heranziehung der Kapitel 32–33 der Vita minor der Mord an Stanisław und die wundersame Wiederherstellung seines zerstückelten Leichnams beschrieben (II, 19–20). Dann folgen Berichte über die ersten post mortem gewirkten Wunder bzw. Erscheinungen des Heiligen (II, 21–24) und die Reaktion Bolesławs II. darauf bzw. eine Schilderung seines unrühmlichen Endes (II, 25), wobei kaum noch Rückgriffe auf die Vita minor erfolgen. Gänzlich neu waren schließlich auch die geschichtspolitischen Reflexionen der beiden Schlusskapitel (II, 26–27), in denen der Hagiograph seine wirkmächtige Prophezeiung formuliert, der zufolge das zerrissene regnum Poloniae – so wie der zerstückelte Leichnam Stanisławs – in Zukunft wieder zusammengefügt werden würde. Der dritte, mit 57 Kapiteln umfangreichste Teil der Vita maior setzt mit Berichten darüber ein, wie sich der Heilige post mortem verschiedenen Personen gezeigt habe, vor allem um sie zu bitten, Bischof Prandota dazu zu bewegen, seine Gebeine zu erheben bzw. umzubetten (III, 1–6). Über die vorgenommene Umbettung und das von Prandota betriebene Kanonisationsverfahren berichtet Kapitel III, 7, an das sich ein Katalog von 47 Wundern anschließt, die – wie der Hagiograph eigens betont – „vor den Augen des apostolischen Stuhls und der gesamten römischen Kirche verlesen und durch das Zeugnis glaubwürdiger Zeugen bestätigt und dann von allen gemeinsam anerkannt worden“ seien (III, 8–50, 52) bzw. kurz vor (III, 55), „zur Zeit“ (III, 53) oder nach der Heiligsprechung (III, 51

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und 54) geschahen.46 Die Schlusskapitel erzählen von der Überwindung der letz-

ten Widerstände gegen die Kanonisation (III, 55), berichten von der feierlichen Heiligsprechung in der Franziskus-Basilika von Assisi (III, 56) und rühmen die Gnade, die den Polen mit ihrem neuen Heiligen zuteil geworden sei (III, 57). Die Vita maior bietet ihrem Genre entsprechend keinen Tatsachenbericht. Sie beschreibt das Leben und Wirken Stanisławs mit Hilfe zeitgenössischer Topoi und hagiographischer Muster. Dabei folgt sie dem Modell des ‚heiligen Bischofs‘, das im Kontext der kirchlichen Reformbewegung besondere Anforderungen an persönliche Frömmigkeit, pastorales Wirken und Eigenständigkeit gegenüber der weltlichen Macht stellte. Dieses Modell hatte in der Gestalt des Thomas Beckett eine wirkmächtige Form angenommen, die in den jüngeren christlichen Gesellschaften Ostmitteleuropas besonders großen Anklang fand.47 Zu den Topoi dieses Modells gehörte nicht nur der mit dem Märtyrertod „vor dem Altar“ bezahlte Widerstand gegen einen ungerechten weltlichen Herrscher, sondern auch eine ­adlige Herkunft, eine beispielhaft fromme Jugend, ein Studium des kanonischen Rechts im Ausland, eine besondere persönliche Bescheidenheit und Demut (­humilitas), die einen deutlichen Kontrast zur Überheblichkeit (superbia) des weltlichen Herrschers darstellte, und natürlich ein unermüdliches Wirken für das seelische und materielle Wohl der Kirche und des Kirchenvolkes. All diese Eigenschaften hat sich die Vita maior Stanisław zuzuschreiben bemüht. Handschriften und Edition Die Vita maior ist im Original nicht erhalten geblieben, sondern lediglich in späteren Sammelhandschriften überliefert. Ihr Herausgeber, Wojciech Kętrzyński, hat in den frühen 1880er Jahren insgesamt 21 Handschriften identifiziert, die ihren Text ganz oder teilweise enthalten.48 Davon können zwei ins ausgehende 13. Jahrhundert49, zwei ins 14. Jahrhundert, eine ins 15.–16. und eine ins frühe 16. Jahrhundert datiert werden. Alle übrigen Handschriften stammen aus dem 15. Jahrhundert. Soweit aus Kętrzyńskis Beschreibung erkennbar ist, bieten nur zwei Handschriften den Text vollständig; fünf enthalten ihn lediglich in sehr verkürzter und verdorbener Form, während die Vita in den übrigen 14 Handschriften unterschiedlich umfangreiche Fehlstellen aufweist. Seiner Edition hat Kętrzyński Siehe unten S. 112 f. Vgl. Vauchez, Sainthood (wie Anm. 18), S. 158–173, bes. S 168. 48  Aufgeführt und beschrieben in Vita maior (wie Anm. 45), S. 320–327. 49  Die von Kętrzyński noch in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts datierte Handschrift I.2015 des Lemberger Ossolineums (= Kętrzyński Hs. IX) wird heute im Zakład Narodowy im. Ossolińskich Wrocław [Nationales Ossolineum-Institut Breslau] unter der Signatur 2015/II. geführt und ins ausgehende 13. Jahrhundert datiert; vgl. Plezia, Na marginesie (wie Anm. 35), S. 441. 46  47 

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nur 14 der 21 Handschriften zugrunde gelegt. Diese hat er nach ihrer vermuteten Nähe zum verlorenen Original und inneren Ähnlichkeit in drei ‚Familien‘ differenziert, wobei er den edierten Text schließlich in erster Linie auf eine Kollationierung jener acht Handschriften gestützt hat, die er zur ersten ‚Familie‘ zählte.50 Zu Kontrollzwecken hat er darüber hinaus eine ins beginnende 16. Jahrhundert datierte Breslauer Handschrift herangezogen, die er der dritten ‚Familie‘ zuordnete und die den Text der Vita (wenn auch unvollständig) seines Erachtens in der besten Textgestalt überliefert hat.51 Eine systematische Sichtung der verfügbaren Handschriftenbestände dürfte das von Kętrzyński selbst bereits nicht vollständig genutzte Quellenmaterial sehr wahrscheinlich um den einen oder anderen Text bzw. das eine oder andere Textfragment ergänzen und damit eine breitere Grundlage für eine seit längerem als Desiderat betrachtete kritische Neuedition der Vita schaffen. Da eine solche ­Neuedition in absehbarer Zeit allerdings nicht zu erwarten ist, stützt sich der nachfolgend gebotene lateinische Text der Vita maior ganz auf die von Kętrzyński mit Hilfe zahlreicher Emendationen erstellte Textform. Auf die Entlehnungen, die die Vita maior in ihrem Wunderkatalog (Teil III) dem im Sommer 1252 unter ­ Leitung Jakobs von Velletri zusammengestellten Verhörprotokoll entnommen hat, wird jeweils in den Anmerkungen verwiesen, während die Passagen, die sie der Vita minor entnommen hat, im lateinischen Text kursiv kenntlich gemacht werden. Der Wiedergabe der Vita werden in unserer Edition zwei zentrale Dokumente des Kanonisationsverfahrens vor- bzw. nachgestellt. Dabei handelt es sich zum einen um die päpstliche Mandatsbulle für den nach Polen entsandten päpstlichen Legaten Jakob von Velletri vom 26. Mai 1252, zum anderen um die päpstliche 50  Dabei handelte es sich um folgende Codices: 1. Archiwum i Biblioteka Krakowskiej Kapituły Katedralnej [Archiv und Bibliothek des Krakauer Domkapitels], Sign. Nr. 101 (= Kętrzyński Hs. I), Ende 13. Jh., unvollständig; 2. Kaiserliche Bibliothek St. Petersburg, Otd I., fol. Nr. 363 (= Kętrzyński Hs. II), 14. Jh., die heute offenbar verlorene, da von L. I. Kiseleva, Latinskie rukopisi XIV veka (Opisane rukopisej Rossijskoj nacional’noj biblioteki) [Lateinische Handschriften des 14. Jahrhunderts (Beschreibung der Handschriften der Russischen Nationalbibliothek)], St. Peterburg 2012 nicht verzeichnete Handschrift hat seinerzeit auch Kętrzyński nicht im Original gesehen, sondern nur in einer für ihn angefertigten kollationierten Abschrift benutzt; 3.–6. Biblioteka Jagiellońska w Krakowie [Jagiellonen-Bibliothek Krakau], Nr. 1617 (= Kętrzyński Hs. III), Nr. 271 (= Kętrzyński Hs. VI), Nr. 1767 (= Kętrzyński Hs. VII) und Nr. 3408 (= Kętrzyński Hs. VIII), alle 15. Jh. und unvollständig; 7. Biblioteka Wyższego Seminarium Duchownego w Kielcach [Bibliothek des Höheren Geistlichen Seminars in Kielce], Ms. 27 (= Kętrzyński Hs. IVa und noch mit der Sign. Nr. l. 275), 15. Jh., unvollständig [vgl. Jerzy Wolny, Inventaire des manuscrits théologiques médiévaux de la bibloithèque du chapitre à Kielce, in: Medievalia Philosophica Polonorum 16 (1971), s. 43–85, hier S. 72]; 8. Biblioteka Uniwersytecka we Wrocławiu [Universitätsbibliothek Breslau], I, Q 437 (= Kętrzyński Hs. IV), 15.–16. Jahrhundert. 51  Biblioteka Uniwersytecka we Wrocławiu [Universitätsbibliothek Breslau], IV, Q 156.

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Handschriften und Edition

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Kanonisationsbulle vom 17. September 1253. Beide Urkunden bieten wichtige z­ usätzliche Einblicke in die Begründung des Kultes, die in dieser Form für die ­übrigen in diesem Band vorgestellten polnischen Heiligen nicht zur Verfügung stehen.

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Innocentii PP. IV Bulla mandatoria ad Jacobum de Velletri52

Innocentius episcopus, seruus seruorum Dej. Dilecto filio fratri Jacobo Velletrensi ordinis fratrum minorum salutem et apostolicam benedictionem. Licet olim venerabili fratri nostro episcopo Cracouiensi et dilectis filijs capitulo et clero Cracouiensis ciuitatis et diocesis suis nobis litteris intimantibus, quod mirabilis Deus in sanctis suis pie memorie Stanislao Cracouiensi episcopo tot et tantis dat coruscare miraculis ut illius sanctitas apertis indicijs comprobetur et ipsius inter alios sanctos non inuocare suffragia est indignum, venerabilibus fratribus nostris archiepiscopo Gn[e]znensi et episcopo Wratislauiensi et dilecto filio abbati de Lubez cisterciensis ordinis Wratislauiensis diocesis dederimus nostris litteris in mandatis, ut ascitis sibi uiris religiosis et Deum timentibus de uirtute morum et ueritate signorum, operibus uidelicet et miraculis, diligentissime inquirentes que inuenirent, nobis suis litteris fideliter intimarent; ipsisque in negotio huiusmodi procedentibus et rescribentibus nobis nos fidem adhibeamus, ut conuenit, processui eorundem. Quia tamen in tanto negotio est grauitate ac maturitate preuia procedendum, te ad partes transmittentes easdem discretioni tue auctoritate presentium in uirtute obedientie districte iniungimus, ut a dictis inquisitoribus, si superstites et presentes in prouincia fuerint, an sic processerint, sicut sub ipsorum sigillis recepimus, perscruteris et ipsorum actorum exempla ad maiorem certitudinem tecum portes. Faciens presentari tibi eos, qui dicuntur fuisse a diuersis infirmitatibus liberati, quos et quot potueris, ac illos duos centenarios, si superstites fuerint, de quibus mentio est in actis, qui dicuntur ab aliquibus accepisse uel eorum alterum, quod sanctum nouerunt eundem et de ipsius clara et honesta conuersatione, dum uiuerent, audiuerunt, inquisiturus ab ipsis, an ita sit; et inspecturus nichilominus deuotionem populi et famam communem super martirio et causa martirij necnon

52  Als Original im Archiwum Krakowskiej Kapituły Katedralnej [Archiv des Domkapitels Krakau] erhalten; ediert in KDKK I, Nr. 33 und zuletzt (mit polnischer Übersetzung) in Innocentego pp. IV bulla kanonizacyjna świętego Stanisława oraz bulla delegacyjna dla Jakuba z Velletri, hrsg. von Roman Zawadzki, in: Analecta Cracoviensia 11 (1979), S. 23–45, hier S. 42–45; danach der hier gebotene lateinische Text.

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Mandatsbulle Papst Innozenz’ IV. an Jakob von Velletri52

Innozenz, Bischof, Diener der Diener Gottes, dem geliebten Sohn und Bruder des Ordens der Minderbrüder Jakob von Velletri einen Gruß und apostolischen Segen. Da uns unser ehrwürdiger Bruder, der Bischof von Krakau [Prandota], und [unsere] geliebten Kapitelbrüder und Geistlichen der Stadt und Diözese Krakau schon längst in ihren Briefen mitgeteilt haben, dass der in seinen Heiligen wunderbare Gott dem Krakauer Bischof Stanisław seligen Angedenkens durch so viele und so große Wunder zu glänzen erlaubt hat, damit seine Heiligkeit durch offenbare Zeichen bewiesen werde und es nicht als unwürdig erscheine, ihn neben den anderen Heiligen um Hilfe anzurufen, haben wir durch unsere Briefe unsere ehrwürdigen Brüder, den Erzbischof von Gnesen [Pełka] und den Bischof von Breslau [Thomas I.] sowie unseren geliebten Bruder [Heinrich], den Abt von Leubus vom Zisterzienserorden in der Diözese Breslau, beauftragt, fromme und gottesfürchtige Männer heranzuziehen und die Tugendhaftigkeit und Wahrhaftigkeit der Zeichen, d. h. die guten Werke und Wunder [Stanisławs], auf das sorgfältigste zu untersuchen und uns durch ihre Briefe getreulich mitzuteilen, was sie herausgefunden haben. Und nachdem sie in dieser Angelegenheit derart verfahren sind und uns zurückgeschrieben haben, schenken wir ihrem Ergebnis, wie es sich gehört, Glauben. Weil in einem solchen Verfahren aber mit Ernst und vorausschauender Reife vorzugehen ist, schicken wir dich [Jakob], durch die Autorität dieses Briefes zu Gehorsam verpflichtet, in ebendiese Gebiete und bürden deiner Klugheit streng auf, von den genannten Inquisitoren, sofern sie noch leben und in der [besagten Kirchen-] Provinz anwesend sind, in Erfahrung zu bringen, ob sie so vorgegangen sind, wie wir unter ihrem Siegel erfahren haben; zur größeren Sicherheit bringe [auch] die Beispiele aus ihren Akten mit. Sorge dafür, dass dir von denen, die von verschiedenen Krankheiten geheilt worden sein sollen, so viele wie du anhören kannst, vorgeführt werden und auch jene beiden in den Akten erwähnten Hundertjährigen, sofern sie noch leben, oder [wenigstens] einer von ihnen, von denen es heißt, sie hätten von anderen gehört, dass sie den Heiligen zu ihren Lebzeiten gekannt und von seiner reinen und ehrbaren Lebensweise gehört hätten, und erfrage von ihnen, ob dem so war. Und überprüfe auch die Frömmigkeit des Volkes und

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et sanctitate ipsius. Inquiras insuper, utrum Cracouiensis diocesis paganis53 et ­Ruthenis scismaticis54 sit confinis, ut per hoc ex ipsorum confinio lucrum prouenire ualeat animarum. Ad hec librum cronicorum55, quoad capitulum pertinens ad negotium memoratum ex archiuo ducis Polonie editum, et etiam librum annalium56 et epitaphium57 considera diligenter. Et hijs summatim sub obtestatione iuramenti, ubi tibi uisim fuerit, coram prioribus inquisitoribus prestiti plenius intellectis, si aliqui testes super prioribus uel nouis articulis tibi fuerint presentati, eos iuratos secundum formam recipiendorum testium prudenter recipias et diligenter examinare procures. Et sic instructus ad nos, ut per te super hijs instruamur plenius, reuertaris. Datum Perusij VII Kal. Junij, pontificatus nostrj anno nono.

53  Gemeint ist die zu diesem Zeitpunkt noch ungetaufte litauische Bevölkerung, deren Territorium allerdings nicht direkt an die Krakauer Diözese angrenzte, sondern an das weiter nördlich gelegene Bistum Płock bzw. das Teilfürstentum Masowien. 54  Gemeint sind die griechisch-orthodoxen Einwohner des Fürstentums Galizien-Wolhynien, das sich östlich an die Krakauer Diözese anschloss. 55  Wohl die um 1200 verfasste „Chronik der Polen“ des Magisters Vincentius. 56  Gemeint sind die verschollenen ältesten Annalen des Krakauer Domkapitels (Annales regni Polonorum deperditi/Rocznik kapituły krakowskiej dawny), aus denen ein größerer Auszug in den Annales capituli Cracoviensis überliefert ist, die in einer Handschrift von 1266 erhalten geblieben sind; ediert in: Annales Cracovienses priores (wie Anm. 2), S. 20–105. 57  Entweder ein Eintrag in einem nicht erhalten gebliebenen Totenbuch, so Borawska, Z dziejów (wie Anm. 8), S. 60 oder ein tatsächliches Epitaph, so Plezia, Epitafium (wie Anm. 9), der die Grabinschrift im Übrigen bei Jan Długosz [Vita Sanctissimi Stanislai (wie Anm. 28), S. 96] überliefert sieht und in die Mitte des 12. Jahrhunderts datiert.

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die allgemeine Meinung über das Martyrium [des Stanisław] und die Ursache des Martyriums sowie über seine Heiligkeit. Erkunde überdies, ob die Krakauer Diözese den Heiden53 und ruthenischen Schismatikern54 benachbart ist, sodass aus der Nachbarschaft dadurch [d. h. durch die Heiligsprechung] ein Gewinn für die Seelen hervorgehen könnte. Dazu schaue dir sorgfältig das aus dem Archiv des Herzogs von Polen [Bolesław V.] stammende Buch der Chroniken55 an, soweit es einen Abschnitt zur genannten Angelegenheit bietet, wie auch das Buch der Annalen56 und die Grabinschrift.57 Und wenn dir, nachdem du der Hauptsache nach – da wo es dir erforderlich erscheint, unter Abnahme des Eides – in Gegenwart der vorgenannten Inquisitoren die Aussagen vollständig zur Kenntnis genommen hast, über die vorgenannten hinaus weitere Zeugen oder neue Artikel präsentiert werden sollten, dann höre diese gemäß der Formel für Zeugenaussagen Vereidigten klug an und sorge dafür, dass [ihre Aussagen] sorgfältig untersucht werden. Und so ins Bild gesetzt mögest du zu uns zurückkehren, damit wir von dir über diese [Dinge] vollständig unterrichtet werden. Gegeben zu Perugia, 26. Mai [1252], im neunten Jahr unseres Pontifikats.

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Vita sancti Stanislai Cracoviensis episcopi (vita maior)58 Incipit prologus in vitam sancti Stanislai Cracoviensis Episcopi. Gloriosi martiris sancti Stanislai episcopi Cracoviensis vite processum, passionis cursum, victorie triumphum, ad edificacionem fidelium michi describere et in medium ponere cupienti, ecce in limite dictaminis antiquitas temporis, difficultas operis, impericia sermonis obtundit aciem mee intencionis. Ideoque formido aggredi materiam huius laboris, ne me contingat succumbere mole tanti ponderis et illud dictum ewangelicum merear audire: Hic homo cepit edificare et non potuit consummare.59 Meciens quoque vires mee infirmitatis et statum in fine conversacionis ac eminenciam tante virtutis, laudare et predicare magnalia martiris, prout condecet, vix audeo eo, quod nulla meritorum suffragia michi ad hec suppetere videam, attendens illud dictum sapientis: Quod non est speciosa laus Dei in ore peccatoris60, cui dicitur in psalmo voce auctoris: Quare tu enarras iusticias meas et assumis testamentum meum per os tuum?61 Arguam te et statuam te contra vultum tuum.62 Verum quoniam opera Dei revelare et manifestare honorificum esse arbitror et viros gloriosos ac parentes nostros in generacionibus suis vult Dominus, ut laudemus, ego qui modicum quid accepisse videor de talentis Domini, non debet imputari mee presumpcioni, si divine parendo iussioni, quod accepi de munere Domini, cum usura reddo ad mensam Domini.63 Licet autem in fabricam divini thabernaculi aurum, argentum, lapides preciosos, purpuram variam, sapienciam videlicet et eloquenciam lepore verborum coloratam offerre cum divitibus non valeam, tamen secundum mei paupertatem ingenii vel pilos caprarum ad cultum eiusdem thabernaculi64 prompto animo cum pauperibus offerre contendo. 58  59  60  61  62  63  64 

Der Titel übernommen von Kętrzyński, Vita maior (wie Anm. 45), S. 319. Lk 14, 30. Sir 15, 9. Vgl. Ps 49, 16. Vgl. Ps 49, 21. Anspielung auf das Gleichnis von den Talenten (Geldstücken) bei Mt 25, 14–30. Vgl. Ex 25, 4.

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Die größere Lebensbeschreibung des heiligen Stanisław, des Bischofs von Krakau58 Es beginnt die Vorrede zum Leben des heiligen Stanisław, des Bischofs von Krakau. Siehe, da ich zur Erbauung der Gläubigen die Geschichte des Lebens, den Verlauf des Martyriums und den triumphalen Sieg des glorreichen Märtyrers, des heiligen Stanisław, des Bischofs von Krakau, beschreiben möchte, so hemmt an der Schwelle zur Niederschrift die Ferne der Zeit, die Schwierigkeit des Werkes und meine literarische Unzulänglichkeit die Schärfe meines Eifers. Daher scheue ich mich, den Gegenstand dieser Mühe anzugehen, soll es mir doch nicht passieren, unter einer so großen Last zusammenzubrechen und zu Recht jenes Wort des Evangeliums hören zu müssen: „Dieser Mann hat angefangen zu bauen und konnte das nicht vollenden.“59 Bedenke ich zudem die Größe meiner Schwäche und das nahe Ende meines Lebens sowie die Erhabenheit so großer Tugend, so wage ich es kaum, die Wundertaten dieses Märtyrers, so wie es sich geziemt, zu loben und zu verkünden, denn ich bin mir bewusst, dass mir dazu keinerlei Unterstützung durch meine Verdienste zur Verfügung steht, denke ich an die Worte des Weisen: „Nicht schön klingt das Loblied im Munde des Sünders“60, zu dem Gott im Psalm spricht: „Was zählst du meine Gebote auf und nimmst meinen Bund in deinen Mund?61 Ich will dich dafür rügen und es dir vor dein Antlitz stellen.“62 Da ich es aber dennoch für ehrenhaft halte, die Werke Gottes zu offenbaren und sichtbar zu machen, und auch der Herr wünscht, dass wir die ruhmreichen ­Männer und unsere Vorväter über die Generationen hinweg rühmen, soll es nicht ­meiner Anmaßung zugeschrieben werden, wenn ich, der ich vielleicht einige Geldstücke vom Herrn erhalten habe, dem göttlichen Befehl gehorche und das, was ich als Geschenk des Herrn erhalten habe, mit Zinsen auf den Tisch des Herrn zurückerstatte.63 Und obwohl ich nicht im Stande bin, zum Bau des göttlichen Tempels mit den Reichen Gold, Silber, Edelsteine, verschiedenartigen Purpur zu opfern, nämlich Weisheit und mit anmutigen Worten geschmückte Beredsamkeit, so beeile ich mich doch, im bescheidenen Maß meines Talentes bereitwillig mit den Armen wenigstens Ziegenhaare zum Schmuck dieses Tempels64 darzubringen.

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Inde est, quod ego frater Vincencius de ordine fratrum ordinis predicatorum rogatu venerabilis patris domini Prandote Cracoviensis episcopi et capituli sui ad honorem Dei gloriosique martiris et pontificis Stanislai ea, que ex relacione fidedignorum, qui a suis antecessoribus, qui facie ad faciem beatum Stanislaum noverant, audierunt65 et ei familiares existentes facta eius intellexerunt, ea quoque, que sub oculis meis vel vidi vel auditu comperi, alia vero bona, que ipsum a Deo per humanum studium et temporis incrementum sicut et nos in nobis accepisse perpendimus, brevi et humili stilo perstringere curavi et huic opusculo Domino favente, prout potui, inserui. Ipse autem Christus, rex glorie et dominus virtutum, per beati Stanislai patrocinium operi nostro donare dignetur incrementum, ut, cuius prosequimur meritum, sequentes exemplum assequi mereamur premium, ipso prestante, qui cum patre et spiritu sancto vivit et regnat Deus in secula seculorum amen.

Vgl. den Hinweis auf die „Hundertjährigen“ in der päpstlichen Mandatsbulle an Jakob von Velletri sowie die Annalen des Krakauer Domkapitels zum Jahr 1254: „Gedko miles obiit, qui centum vel amplius annorum senex exstitit. Hic multa miracula sancti Stanyzlai […] ennarravit“ („Der Ritter Gedko ist gestorben, der hundert Jahre oder noch älter wurde. Dieser erzählte […] von den vielen Wundern des heiligen Stanisław“; Annales Cracovienses priores (wie Anm. 2), S. 85. 65 

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So kommt es, dass ich, Bruder Vincentius vom Orden der Brüder des Predigerordens, auf Bitten des ehrwürdigen Vaters, des Herrn Prandota, des Bischofs von Krakau, und seines Kapitels mich zur Ehre Gottes und des ruhmreichen Märtyrers und Bischofs Stanisław darum bemüht habe, all das kurz und in einfachem Stil zu erzählen und mit Gottes Hilfe diesem kleinen Werk, so gut ich konnte, eingefügt habe, was aus dem Bericht glaubwürdiger Menschen hervorgeht, die es von ihren Vorgängern hörten, die den heiligen Stanislaw von Angesicht zu Angesicht kannten65 und als seine Vertrauten seine Taten erkannt haben, aber auch das, was ich mit eigenen Augen gesehen und [mit eigenen Ohren] gehört habe, sowie andere gute [Dinge], von denen wir gründlich erwogen haben, dass er sie durch menschlichen Eifer mit der Zeit von Gott in sich, so wie auch wir in uns, aufgenommen hat. Christus selbst aber, der König des Ruhms und Herr der [übermenschlichen] Tugenden, möge geruhen, unserem Werk durch den Schutz des heiligen Stanisław Erfolg zu verleihen, damit wir, indem wir dem Beispiel nacheifern, dessen Verdienst wir darlegen, mit Hilfe dessen den Lohn erlangen, der mit dem Vater und dem Heiligen Geist lebt und herrscht, Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

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Pars I. 1. Incipit processus in vitam beati Stanislai. Beatus Stanislaus, ut annales gestorum Polonie66 tangunt historie, nacione Polonus ex provincia Cracoviensi processit oriundus.67 Est autem regio rebus opulenta, Polonia communiter dicta, in partibus orientis posita, ambitu spaciosissima, quam plurimis et magnis provinciis distincta, quondam famosissima princeps provinciarum et domina. Hec enim olim fuit multorum fecunda parens natorum, quos proceritate stature, virium robore, aspectus venustate natura inibi solita est dotare.68 In descripcionibus quoque suorum annalium sub rege victoriosissimo Boleslao pio, Christiano filio Mesconis, qui primus fuit Christianus, adaucta felicibus incrementis, inclitis illustrata triumphis, amplissimum profecisse traditur in re­ gnum, a Danubio siquidem magno flumine regni Hungarie usque ad Solavam fluvium Saxonie, a Kyoviensi quoque civitate, que est metropolis Ruzzie, usque ad montes Karintie69 sui imperii extendens palmites, longe a se positas quondam suo sceptro regebat exteras naciones.70 Um welche Quelle es sich hier handelte, ist unklar; die Chroniken des Gallus Anonymus und des Magisters Vincentius sagen nichts zur Herkunft des Stanisław, die Annalen des Krakauer Domkapitels nennen nur das Datum seiner Bischofserhebung (1072) und seines Todes (1079); Annales Cracovienses priores (wie Anm. 2), S. 51. 67  Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 1, S. 253, Z. 1–2. 68  Vgl. das ‚Landeslob‚ in Galli anonymi cronicae (wie Anm. 3), S. 6–8 (I, Prohemium). 69  In Magistri Vincentii Chronica (wie Anm. 4), S. 94 wird die vermeintliche Ausdehnung Polens bis nach Kärnten („usque Carinthiam“) noch in die sagenhafte Frühzeit des Landes verlegt; hier wird sie erstmals in die historische Zeit Bolesławs I. versetzt. 70  Diese knappe Schilderung der Expansionspolitik Bolesławs I. fiel in der Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 19, S. 267–268; noch etwas ausführlicher aus: „Aber wir dürfen nicht glauben, dass dies [= Bolesław II.] jener Bolesław war, der der erste König Polens gewesen ist. Denn über jenen liest man in der Chronik der Polen, dass er die Herrschaft seines Geschlechts von der Donau bis zur Saale ausgedehnt hat. Sein Reich aber hat er nicht nur mannhaft verwaltet, sondern mit seiner Tüchtigkeit Polen auch vergoldet. Er unterwarf Böhmen und Mähren seiner Herrschaft, nahm in Prag den Herzogsthron ein und erhob von den Herzögen Böhmens und Mährens Tribute. Er rieb die bis dahin in ihren heidnischen Irrtümern lebenden Pomoranen und Pruzzen auf und machte sie zu seinen Tributpflichtigen. Er hat die Slawen und Ungarn oft im Kampf besiegt und ihr Land bis zur Donau in Besitz genommen. Schließlich ist er in die Rus‘ hinuntermarschiert und hat, als er Kiew durch das Tor, das das Goldene genannt wird, betrat, dessen Türflügel mit seinem Schwert bezeichnet und dort die Grenzen des regnum Poloniae festgesetzt. Die unbezwingbaren Sachsen hat er mit mächtiger Hand gebändigt und, um die Grenze zu markieren, in der Mitte der Saale eine eiserne Säule befestigt. Den heiligen Adalbert, den vom aufrührerischen Volk der Böhmen mit vielen Beleidigungen herausgeforderten Prager Bischof, hat er auf seiner langen Wanderschaft ehrenvoll aufgenommen und seinen heilbringenden Ermahnungen und Unterweisungen demütig Gehorsam geleistet. Auch hat er ihm, der ein Leben in Heiligkeit und 66 

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Teil I. 1. Es beginnt die Einführung in die Lebensbeschreibung des heiligen Stanisław. Der heilige Stanisław war, wie die Annalen der Geschichte Polens66 erwähnen, von Geburt Pole und stammte aus der Provinz Krakau.67 Das aber, was gewöhnlich Polen genannt wird, ist ein reiches Land, im Osten gelegen, von sehr großem Umfang, in ebenso viele wie große Provinzen unterteilt und einst die berühmteste Fürstin und Herrin der Provinzen. Denn es war ehemals eine fruchtbare Mutter vieler Kinder, die die Natur daselbst mit hohem Wuchs, Körperkraft und anmutigem Antlitz auszustatten pflegte.68 Auch in den Beschreibungen seiner Annalen wird überliefert, dass es unter dem siegreichsten und frommen König Bolesław [I.], dem christlichen Sohn Mieszkos [I.], der der erste Christ [Polens] war, durch glückliche Zuwächse verstärkt, durch vielgenannte Triumphe berühmt und zu einem riesigen Reich erweitert wurde. Denn indem er [Bolesław] die Zweige seiner Herrschaft von der Donau, dem großen Fluss im Königreich Ungarn, bis zur Saale, einem Fluss in Sachsen, und von der Stadt Kiew, der Hauptstadt der Rus’, bis zu den Bergen Kärntens69 ausspannte, beherrschte er einst mit seinem Zepter weit von sich entfernte fremde Völker.70

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2. Quomodo primus rex Boleslaus pervenit ad coronam.71 In diebus eiusdem illustrissimi principis Boleslai crebrescentibus beati Adalberti pontificis miraculorum signis, venit Otto Romanorum imperator, qui cognominatus est Rufus72, in Gneznam ad limina predicti martiris devocione ductus. Quem princeps inclitus Boleslaus honorifice suscepit et munificentissime pertractavit cum suis optimatibus. Cernens vero Cezar circa Boleslaum frequenciam et excellenciam regii apparatus, opulenciam quoque diviciarum ipsius admiratus ait suis principi­ bus: Decet utique virum tam magnificum nostre maiestatis fratrem et consortem fieri Romanorumque imperii socium et amicum appellari ac regio diademate insigniri. Deinde de capite suo coronam deposuit et capiti regis Boleslai imponens, ipsum in regem Polonie et omnium circumadiacencium regionum, quas suo subiugauerat imperio, consecrari precepit. Deditque imperator Boleslao regi pro regalibus insigniis lanceam beati Maurici et clavum Domini. Hec autem regalia insignia, corona videlicet, sceptrum et lancea usque in hodiernum diem in armario Cracoviensis ecclesie ad memoriam posterorum iacent recondita. Rex autem Boleslaus ob reverenciam imperialis dignitatis et in signum mutue dileccionis ac devocionis redonavit imperatori brachium beati Adalberti martiris. Quo cum magna reverencia assumpto multisque muneribus acceptis reversus est73 Alemaniam cum principibus suis.

Wundervollbringung geführt hat, in seiner Hauptstadt Gnesen einen Bischofssitz errichtet und ihn in Ehren zum Erzbischof erhöht. Nachdem ein wenig Zeit vergangen war, setzte dieser auf göttlichen Ratschluss hin seinen Kameraden, Mitstreiter und Bruder Gaudentius an seiner Stelle zum Erzbischof ein und fuhr mit dem Schiff durch Pommern ins Pruzzenland. Dort wurde er kurz darauf, während er das Wort des Glaubens verkündete, von den Pruzzen getötet und erhielt vom Herrn die Märtyrerpalme. Dieser ist der Bolesław, der die Bistümer gründete, mit königlichen Gaben beschenkte und ihre Grenzen absteckte.“ 71  Zum Folgenden vgl. die Schilderung in Galli anonymi cronicae (wie Anm. 3), S. 16–21 (I, 6); deutsch in Polens Anfänge (wie Anm. 3), S. 57–59. 72  Schon in Galli anonymi cronicae, (wie Anm. 3) S. 18 (I, 6); deutsch in Polens Anfänge (wie Anm. 3), S. 57 wurde der Beiname Ottos II. fälschlich Otto III. zugeschrieben. 73  Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 20, S. 268, Z. 20–21 bis S. 269, Z. 12; ebd. Z. 13–17 zusätzlich: „Dies ist also jener große König Bolesław [I.], der einen frommen Beinamen besaß, der Urgroßvater dieses Bolesław [II.] da, der als grausam, freigebig und kriegslustig bezeichnet worden ist. Jenen kennt man als Sohn des Mieszko, der als erster Herzog von Polen getauft wurde, diesen als Abkömmling des Herzogs Kasimir, der über das Kloster des heiligen Benedikt in Cluny durch Begnadigung des Papstes Benedikt Polen wieder als Herzog zurückgegeben worden ist.“

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2. Wie der erste König, Bolesław, zu seiner Krone

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gelangte.71

Als sich zur Zeit dieses höchst ruhmreichen Fürsten Bolesław [I.] die Wunderzeichen des heiligen Bischofs Adalbert häuften, da begab sich Otto [III.], der Kaiser der Römer, dessen Beiname Rufus war72, von Frömmigkeit geleitet nach Gnesen zum Haus des vorgenannten Märtyrers. Der erlauchte Fürst Bolesław [I.] empfing ihn ehrenvoll und bewirtete ihn mit seinen Großen überaus prunkvoll. Als aber der Kaiser die Menge [der Leute] und Vortrefflichkeit herrscherlicher Pracht sah, die Boleslaw umgab, auch den Reichtum seiner Schätze bewunderte, sprach er zu seinen Fürsten: „Es ziemt sich auf jeden Fall, einen so großartigen Mann zu einem Bruder und Teilhaber unserer Majestät zu erheben, ihn einen Bundesgenossen und Freund des Römischen Reiches zu nennen und mit dem königlichen Diadem auszuzeichnen.“ Dann nahm er die Krone von seinem Haupt und setzte sie auf das Haupt des Königs Bolesław und befahl, ihn zum König von Polen und aller umliegenden Gebiete, die er seiner Herrschaft unterworfen hatte, zu weihen. Auch übergab der Kaiser dem König Bolesław als königliche Insignien die Lanze des heiligen Mauritius und einen Nagel [vom Kreuz] des Herrn. Diese königlichen Insignien aber, nämlich die Krone, das Zepter und die Lanze werden bis zum heutigen Tage zum Gedenken für die Nachwelt in der Schatzkammer der Krakauer Kirche aufbewahrt. König Bolesław wiederum schenkte dem Kaiser aus Achtung vor der kaiserlichen Würde und zum Zeichen der gegenseitigen Wertschätzung und Verehrung einen Arm des heiligen Märtyrers Adalbert. Nachdem er [der Kaiser] diesen [Arm] mit großer Ehrerbietung angenommen und viele [weitere] Geschenke erhalten hatte, kehrte er73 mit seinen Fürsten nach Deutschland zurück.

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3. De Meskone filio Boleslai et eius exitu.74 Denique post mortem magni regis Boleslai anno Domini MoXXVo Mesco filius eius regnavit pro eo. Hic fuit sensu minoratus ac probitate patris, licet habuerit uxorem nobilem sororem videlicet Ottonis imperatoris.75 Qui cum desidia et deliciis resolutus rem publicam segnius administraret et propriis, non communibus utilitatibus intenderet, ceperunt extere naciones, que patri suo vectigales fuerant, minus timoris, reverencie et honoris eidem impendere et tributa regionum denegare. Quo ignominiose mortuo et Kazimiro filio eius parvulo, cognominato Karolo, per nobiles Polonie cum matre in Alemaniam expulso, stirps ducalis et regia in regno Polonie omnino perierat et unusquisque in illis diebus, quod sibi rectum videbatur, faciebat.76 4. De ortu beati Stanislai. Hiis temporibus de Cracoviensi provincia, ut superius pretulimus, beatus Stanislaus ex honestis parentibus est progenitus. Licet autem de nobili prosapia fuerit ortus, de ipsius tamen progenitoribus vel eorum nominibus ideo in hoc volumine nulla fit ad presens mencio, quia antiquitas temporis, negligencie nutrix, mater ingratitudinis hanc delevit oblivio. Sunt tamen superstites quidam de Raba et de Scepanow77, mili­ tes genere nobiles, qui dicuntur patris beati Stanislai veri heredes et legitimi succeso­ res. In Scepanow etenim villa prefata adhuc quidam congesti monticuli et apparencia designant fundamenta, ubi domus beati Stanislai olim stetit edificata. Ibidem etiam fuit ecclesia lignea, quam ipse in honore beate Marie Magdalene fabricavit et manu propria consecravit, que nuper tempore domini Ivonis bone memorie Cracoviensis episcopi pre vetustate corruit. Ipsam vetustissimam ecclesiam nos quoque vidimus et populo verbum Dei in ea predicavimus, ipsis heredibus et incolis terre adiacentibus hec ipsa protestantibus. Sed ad vite ipsius narracionem transeamus.78 5. De interpretacione nominis sancti Stanislai. Stanislaus igitur secundum seculi dignitatem non solum genere preclarus, sed et quo­dam presagio sui nominis extitit Dei electus. Siquidem hoc vocabulum „Stanis­ laus“ in sacro baptismate sibi collatum divinitus, ex Latino sermone ethimologi­zatum Vgl. die Schilderung in Galli anonymi cronicae (wie Anm. 3), S. 40 (I, 17); deutsch in Polens Anfänge (wie Anm. 3), S. 78–79. 75  Die falsche Bezeichnung Richezas, der Nichte Ottos III., als dessen Schwester schon bei Galli anonymi cronicae, ebd. 76  Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 22, S. 270, Z. 5–7. 77  Dorf 18 km östlich von Bochnia; ein nahegelegner Ort Raba ist heute nicht mehr bekannt. 78  Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 1, S. 254, Z. 1–11. 74 

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3. Über Mieszko [II.], Bolesławs Sohn, und dessen

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Tod.74

Bald nach dem Tod des großen Königs Bolesław im Jahr des Herrn 1025 herrschte an seiner Stelle sein Sohn Mieszko [II.]. Dieser besaß weder den Verstand noch die Tüchtigkeit des Vaters, obwohl er eine angesehene Gattin hatte, nämlich [­Richeza] die Schwester Kaiser Ottos [III.].75 Er gab sich der Trägheit und Vergnügungssucht hin, lenkte das Gemeinwesen allzu nachlässig und war [nur] auf den eigenen, nicht den allgemeinen Nutzen bedacht. Daher begannen die fremden Nationen, die seinem Vater abgabenpflichtig waren, ihm weniger Furcht, Respekt und Ehre zu erweisen und die Tribute ihrer Gebiete zu verweigern. Nach seinem unrühmlichen Tod wurde sein kleiner Sohn Kasimir, auch Karl genannt, ­zusammen mit seiner Mutter von den Adligen Polens nach Deutschland vertrieben, womit das herzogliche und königliche Geschlecht im Königreich Polen völlig zugrunde ging und ein jeder in jenen Tagen machte, was er für richtig hielt.76 4. Über die Herkunft des heiligen Stanisław. In dieser Zeit [d. h. in den 1030er Jahren] wurde, wie wir oben erwähnt haben, in der Provinz Krakau der heilige Stanisław von ehrbaren Eltern gezeugt. Obwohl er aus einer adligen Familie stammte, soll in diesem Buch von seinen Vorvätern und ihren Namen gleichwohl deshalb nicht die Rede sein, weil das Alter dieser Zeit, die Amme der Geringschätzung und Mutter der Undankbarkeit, diese [Zeit] durch Vergessenheit getilgt hat. Doch leben gewisse Nachkommen in Raba und Szczepanów77, Ritter edlen Geblüts, von denen man sagt, sie seien wahre Erben und rechtmäßige Nachfolger des Vaters, des heiligen Stanisław zu sein. Im genannten Dorf Szczepanów zeigen auch bis heute gewisse Erdaufschüttungen und gut erkennbare Fundamente, wo einst das Haus des heiligen Stanisław gestanden hat. Dort gab es auch eine Holzkirche, die er selbst zu Ehren der heiligen Maria Magdalena erbaut und mit eigener Hand geweiht hat, die aber kürzlich, zur Zeit des Herrn Iwo [Odrowąż] seligen Angedenkens, des Bischofs von Krakau, infolge ihres Alters eingestürzt ist. Wir haben diese sehr alte Kirche noch selbst gesehen und in ihr dem Volk das Wort Gottes gepredigt, während die Erben und Bewohner der Umgebung selbst dies persönlich bezeugt haben. Aber lasst uns [nun] zur Erzählung seines Lebens übergehen.78 5. Zur Erklärung des Namens des heiligen Stanisław. Stanisław war also nicht nur nach der weltlichen Würde von berühmter Abstammung, sondern, wie in gewisser Weise schon aus dem Vorzeichen seines ­Namens hervorgeht, auch ein Auserwählter Gottes. Denn der Name „Stanisław“, der ihm durch göttliche Fügung bei der heiligen Taufe verliehen wurde, kann in lateinischer und polnischer Sprache im Sinn von „stehender Ruhm“ oder „nach

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et Polonico: stans laus vel instans laudi sive eciam stacio laudis potest dici et congrue interpretari.79 Stetit enim vir Domini Stanislaus in laude Dei propensius et laus Dei stetit in corde ipsius, qui ex omni corde laudavit Dominum, dilexit Deum, qui fecit illum, institit laudi divine, dum Domino secundum apostolum ‚psallebat spiritu, psal­ lebat et mente‘.80 Stetit eciam laus Dei in ore eius, qui dicere potuit cum propheta verius: ‚Benedicam Dominum in omni tempore, semper laus eius in ore meo‘.81 Per­ stitit nichilominus laus Dei in opere illius, qui usque ad mortem pro iusticia Dei agonizare non timuit et stolam glorie in consummacione virtutis promeruit. Digne igitur sanctus Stanislaus in Domino laudabilis, digne Deus in sancto suo predicatur mirabilis, digne laus eius recolitur in ecclesia sanctorum, cuius laus nunquam deficiet de ore hominum.82 6. De donis gratuitis et naturalibus eiusdem. Hic primum ab inicio sue creacionis gratuito beneficio creatoris preventus benedic­ cionibus dulcedinis animam sortitus est bonam, quia in oculis Domini invenit gra­ ciam. Conservavit illi Dominus misericordiam suam in donis naturalibus, quibus optime a puero fuisse dignoscitur institutus. Fuit etenim eleganter natus, in cultu Christiane religionis educatus, Deo devotus, mente pudicus, corpore castus, habitu reverendus, locuplex rebus, moribus maturus, ingenio acutus, sermone discretus, consilio providus, in iudicio iustus et ad omne bonum habilis et promptus. Sicut enim cera liquida impressam imaginem recipit et servat, sic Stanislaus ab ineunte etate puer docilis bonum, quod audire vel intelligere poterat, armariolo pectoris sui com­ mendabat. Proinde parentes illius videntes puerum racione preditum, animo studio­ sum, decreverunt eum scolasticis disciplinis subiciendum.83 7. Quomodo traditus fuit ad studendum puer. Traditus autem litterarum studiis cepit Stanislaus puer bone indolis non segniter agere, pueriles ludos devitare, iuvenum lasciviam fugere, studio, cui commendatus erat, intendere, leccioni vacare frequenti, exercitacione studii ad habendam scien­ ciam totis viribus anhelare. Hoc autem ideo faciebat sagax puerulus, ut proficeret et magis magisque proficiens se ipso melior fieret et ad cognicionem veritatis perveni­ 79  Neben dem lateinischen laus (Ruhm, Lob) greift diese Etymologie auch auf das slawischsprachige Wort slava (Ruhm) zurück, das andernorts auch zur etymologischen Erklärung des Slawen-Namens herangezogen worden ist; vgl. Eduard Mühle, Die Slawen im Mittelalter zwischen Idee und Wirklichkeit, Wien u. a. 2000, S. 51, 377, 392. 80  1 Kor 14, 15. 81  Ps 33, 2. 82  Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 2, S. 254, Z. 12 bis S. 255, Z. 7. 83  Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 3, S. 255, Z. 8–18.

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Ruhm drängend“ oder auch „Stätte des Ruhms“ erklärt und passend gedeutet werden.79 Denn Stanisław, der Mann des Herrn, stand fest zum Ruhm Gottes und der Ruhm Gottes stand fest im Herzen dessen, der aus ganzem Herzen den Herrn lobte und Gott, seinen Schöpfer, liebte und der im göttlichen Lob nicht nachließ, während er nach dem Apostel dem Herrn ‚mit dem Geiste und mit dem Verstand Psalmen sang‘.80 Beständig war auch das Lob Gottes in seinem Mund, der wahrhaft mit dem Propheten sagen konnte: „Ich werde den Herrn preisen zu jeder Zeit, stets soll sein Lob in meinem Munde sein.“81 Außerdem wirkte der Ruhm Gottes fortdauernd in seinen Taten; er fürchtete sich nicht, für die Gerechtigkeit Gottes bis in den Tod zu kämpfen und verdiente sich in der Vollendung der Tugend die Stola des Ruhms. Daher ist der heilige Stanisław zu Recht lobenswert im Herrn, zu Recht wird Gott in seinem Heiligen als wunderbar gepriesen, zu Recht wird sein Ruhm in der Kirche der Heiligen erinnert, ein Ruhm, der im Munde der Menschen nie verstummen wird.82 6. Über seine göttlichen und natürlichen Gaben. Schon seit Beginn seiner Erschaffung [d. h. seiner Geburt] kam er durch die unentgeltliche Gnade seines Schöpfers den lieblichen Lobpreisungen zuvor und erhielt eine gute Seele, weil er in den Augen des Herrn Gnade gefunden hatte. Der Herr erwies ihm seine Barmherzigkeit in Gestalt natürlicher Gaben, mit denen er bekanntlich von Kindheit an großzügig ausgestattet war. Denn er war von edler Geburt, wurde im christlichen Glauben erzogen, war Gott ergeben, sittsam im Geiste, keusch im Leib, respektvoll im Umgang, wohlhabend, hatte einen reifen Charakter, scharfen Verstand, eine besonnene Redeweise, war umsichtig im Rat, gerecht im Urteil und immer fähig und bereit zu jeder guten Tat. Denn wie flüssiges Wachs das aufgedrückte Bild aufnimmt und bewahrt, so bewahrte Stanisław seit frühen Jahren als gelehriger Knabe das Gute, das er hören oder verstehen konnte, in der Schatzkammer seines Herzens. Und als seine Eltern sahen, dass der Junge von begabtem Verstand und fleißigem Sinn war, beschlossen sie, ihn zum Unterricht in die Schule zu geben.83 7. Wie der Junge dem Unterricht übergeben wurde. Nachdem er aber dem Studium der Wissenschaften anvertraut worden war, begann Stanisław als aufgeweckter Junge eifrig zu arbeiten. Er mied die Kinderspiele, hütete sich vor jugendlichem Übermut, lernte fleißig, was ihm empfohlen wurde, widmete sich beständig der Lektüre und mühte sich mit allen Kräften durch die Übung des Studiums Wissen zu erwerben. Dies aber tat der kluge Knabe, um Fortschritte und immer mehr Fortschritte zu machen [und] noch besser zu werden, als er selbst schon war, und um zur Erkenntnis der Wahrheit zu gelangen. Und er wurde in seinem Wunsch nicht enttäuscht, [sondern] durch die Lehre der gött-

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ret. Nec est fraudatus a desiderio suo, gracie Dei adiutus magisterio; nam quod ei etas puerilis denegabat, hoc in eo omnipotencia virtutis Dei supplebat. Puerilibus tandem rudimentis sufficienter instructus, cum iam esset iuvenis adultus, fertur ad locum, ubi tunc forte generale studium florebat, convolasse et in facultate liberalium arcium tempus non modicum exegisse.84 In iure quoque canonico ac divino compro­ batur studuisse, quia in eadem cronica Polonorum85 vir litteratus et in divinis rebus illuminatus perhibetur fuisse.86 8. Quomodo canonicus factus et in episcopum electus est. Cuius famam et opinionem audiens Lambertus, qui Zula dictus, Cracoviensis episco­pus et sedulo ‚percunctatus‘ nec non et honeste conversacionis illius odore delectatus, ‚accersitum fecit‘ eum in ‚ecclesia‘ Cracoviensi confratrem et ‚canonicum‘.87 Qui statim inter suos canonicos, quasi stella in medio nebule et quasi iubar inter ­sidera emicuit singulare. Duplex quippe decus fulgebat in venerando viro Stanislao, quem non solum secularis potestas honorabilem, verum et ecclesiastica dignitas red­ debat auctorizabilem. Qui clericali sublimatus privilegio totum se deinceps contulit divino famulaturum obsequio, quia ecclesiastico satis ad modum erat imbutus offi­ cio. Denique Lamberto Cracoviensi episcopo per mortem mediam de medio sublato, Stanislaus per voluntatem Dei et eleccionem canonicam anno nativitatis Domini MoLXXIIo in episcopum Cracoviensem eligitur88 et in sede pontificalis dignitatis sublimatur. ‚Quem‘ divina providencia tamquam ‚vas eleccionis futurum‘89, velut ‚lucernam‘ posuit ‚super‘ ecclesie ‚candelabrum‘90 et quasi vas auri solidum decora­ tum omni lapide precioso virtutum.91

84  Für die Lebenszeit des Stanisław anachronistisch, da es Universitäten und „eine Fakultät der freien Künste“ noch nicht gab. 85  Vgl. Anm. 55; weder Gallus Anonymus noch Magister Vincentius sagen etwas zu Stanisławs Ausbildung. 86  Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 4, S. 255, Z. 19 bis S. 256, Z. 7. 87  B. Jordanis de Saxonia, Libellus de principiis ordinis praedicatorum, in: Monumenta historica sancti patris nostri Dominici. Fasc. II, hrsg. von Heribert Christian Scheeben, Rom 1935, S. 25–88, hier S. 31. 88  Für die Lebenszeit Stanisławs anachronistisch, da die ersten kanonischen Bischofswahlen in Polen nicht vor Beginn des 13. Jahrhunderts erfolgten. 89  B. Jordanis de Saxonia, Libellus (wie Anm. 87), S. 28; vgl. auch Apg 9, 14. 90  Mt 5, 15, vgl. auch Lk 8, 16. 91  Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 5, S. 256, Z. 8–19.

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lichen Gnade unterstützt, denn was ihm das Knabenalter vorenthielt, das ergänzte die Allmacht der göttlichen Tugend. Und als er in den kindlichen Anfängen bereits ausreichend unterrichtet und bereits zum Jüngling herangewachsen war, soll er an einen Ort geeilt sein, wo damals das Studium der allgemeinen Fächer kräftig blühte und in der Fakultät der Freien Künste nicht wenig Zeit verbracht haben.84 Es wird auch bestätigt, dass er das kanonische und göttliche Recht studiert hat, da in ebendieser Chronik der Polen85 erwähnt wird, dass er ein gebildeter und in den göttlichen Dingen erleuchteter Mann war.86 8. Wie er Kanoniker und zum Bischof gewählt wurde. Als der Krakauer Bischof Lambert, auch Suła genannt, von seinem [Stanisławs] guten Ruf und Ansehen erfuhr und sich eifrig [nach ihm] erkundigte und in der Tat über seine rechtschaffene und wohltuende Lebensweise erfreut war, rief er ihn herbei und erhob ihn in der Krakauer Kirche zum Mitbruder und Kanoniker.87 Sogleich leuchtete er unter seinen Kanonikern wie ein Stern inmitten des Nebels und wie ein einzigartiges strahlendes Licht unter den Sternen hervor. Denn eine doppelte Würde erstrahlte in dem verehrungswürdigen Mann Stanisław, den nicht nur eine weltliche Macht ehrte, sondern auch eine kirchliche Würde ermächtigte. Nachdem er in den geistlichen Stand erhoben worden war, verschrieb er sich fortan ganz dem göttlichen Gehorsam, da er von den kirchlichen Pflichten genug ausgefüllt war. Und nachdem der Krakauer Bischof Lambert schließlich vom üblichen Tod mitten aus dem Leben genommen worden war, wurde Stanisław im Jahr 1072 nach der Geburt des Herrn nach Gottes Willen und durch kanonische Wahl zum Krakauer Bischof gewählt88 und auf den Bischofssitz erhoben. So stellte ihn die göttliche Vorsehung als ‚ein zukünftiges Gefäß der Auserwählung‘89 wie eine Lampe auf den Leuchter der Kirche90 und schmückte ihn wie ein Gefäß aus reinem Gold mit allen Kleinodien der Tugenden.91

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9. De statu eius in episcopatu. Suscepto autem cure pastoralis ministerio pontifex Christi Stanislaus super gregis sui custodiam pervigil excubabat et commissam sibi ecclesiam sollicite gubernabat. In culmine dignitatis positus, cum esset omnium prelatus, humilitate tamen cordis propter Deum omnibus erat subiectus.92 Superbiam in corde suo numquam domi­ nari permisit, que Luciferum de celo proiecit dyabolumque de angelo fecit et primum hominem de paradyso expulit. Erat autem in correccione severus et in vigore iusticie rectus. Culpas enim delinquencium, cuiuscunque dignitatis essent vel auctoritatis, non dissimulabat, sed secundum tempus et personam opportune et inopportune ar­ guebat.93 Unde et regem Boleslaum, qui post obitum patris sui Kazimiri tunc Polonie imperabat, cuius vita enormis erat, ut se corrigeret, sedule commonebat; sollici­ tudine quoque paterna tamquam prodigum filium ad penitenciam provocabat et quia incorrigibilis permanebat, quasi Samuel alium Saulem deflebat. Ipse vero typo superbie plenus et limo viciorum immersus, tamquam freneticus contra medicum salutis letiferas inimicicias in abysso sui cordis confovebat. Persecuciones quoque propter iusticiam libenter ab eo, licet immeritus, sustinebat94 et orare Dominum indesinenter pro eodem non cessabat. Quia vero scriptum est, quod peccator, cum venerit in profundum viciorum, contempnet non solum contra Deum erecto collo et pingui cervice armatus incedere, sed eciam sui presulis correpcionem obstinato animo cepit contempnere. 10. De iniquis legibus Boleslai et eius sequacium. Cernens autem pontifex Stanislaus suam ammonicionem in ipso minime proficere et per huiuscemodi, quas faciebat, abusiones et iniquas, quas condebat, leges rigorem iusticie deperire, cepit et ipse eius familiare contubernium vitare et a suis colloquiis sese subtrahere, ne sibi tacitus videretur consentire. Abhominabatur quippe vir iustus inter alia execrabile genus rapine. Cum enim ad sua colloquia pertractanda consueverant convenire, prata et annonas hominum depascebant, septa domorum comburebant, quod ipse et sui primores et nunc ipsorum sequaces dicunt esse ius terre commune in preiudicium universalis iusticie. Ob has causas et similes eorum tractatibus et consiliis totaliter se absentabat, sed in ecclesia sua fre­ quens residebat, officium divinum alacriter et intente cum suis clericis explebat et

92  93  94 

Vgl. Mk 9, 34. Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 6, S. 256, Z. 20 bis S. 257, Z. 6. Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 7, S. 257, Z. 7–10.

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9. Über seine Stellung als Bischof. Nachdem er aber das Amt der Hirtenpflicht auf sich genommen hatte, wachte der Bischof Christi Stanisław immer wachsam über seine Herde und verwaltete die ihm anvertraute Kirche sorgfältig. Obwohl er die höchste Würde trug, so dass er allen der Vorgesetzte war, blieb er für Gott in der Demut seines Herzens doch allen untertan.92 Niemals gestattete er, dass Hochmut in seinem Herzen herrschte, der [schon] Luzifer vom Himmel hinabgestürzt und aus dem Engel einen Teufel gemacht und den ersten Menschen aus dem Paradies vertrieben hat. In seiner Unterweisung aber war er streng und in seiner Rechtsgewalt gerecht. Denn bei Verfehlungen der Sünder nahm er kein Blatt vor den Mund, welche Würde oder welches Amt sie auch bekleideten, vielmehr tadelte er je nach Zeit und Person, ob es passte oder nicht.93 Daher ermahnte er auch unablässig König Bolesław [II.], der damals nach dem Tod seines Vaters Kasimir [I.] in Polen herrschte und ein ungeregeltes Leben führte, sich zu bessern. Mit väterlicher Sorge rief er ihn wie den verschwenderischen Sohn zur Buße auf und beweinte ihn, weil er unverbesserlich blieb, gleichsam wie ein Samuel einen zweiten Saul. Jener [Bolesław] aber, erfüllt von eitlem Hochmut und ganz im Sumpf seiner Laster versunken, schürte im Abgrund seines Herzens wie wahnsinnig todbringende Feindseligkeiten gegen den Arzt seines [Seelen-]Heils. Er [Stanisław] ertrug dessen Verfolgungen um der Gerechtigkeit willen bereitwillig, obschon unverdient94, und hörte nicht auf, unablässig für ihn zum Herrn zu beten. Denn es steht geschrieben, dass ein Sünder, der in den Abgrund der Laster gerät, nicht nur mit erhobenem Hals und feistem Nacken gerüstet gegen Gott marschiert, sondern in verstocktem Geist auch die Unterweisung seines Bischofs zu verachten beginnt. 10. Über die ungerechten Gesetze Bolesławs und seiner Anhänger. Als Bischof Stanisław aber sah, dass seine Ermahnung bei ihm [Bolesław] wenig bewirkte und durch dessen Taten, die Missbräuche, die er übte, und ungerechten Gesetze, die er schuf, die Strenge der Gerechtigkeit verloren ging, begann er, den vertraulichen Umgang mit ihm zu meiden und sich von seinen Hofberatungen zurückzuziehen, damit es nicht so aussähe, als würde er stillschweigend mit ihm übereinstimmen. Unter anderem verabscheute der gerechte Mann nämlich die fluchwürdige Art und Weise der Ausraubung. Denn wenn sie zu ihren ­Hofberatungen zusammenzukommen pflegten, weideten sie die Weisen und das Getreide der Untertanen ab und brannten die Umzäunungen der Häuser nieder, was er [Bolesław] und seine Großen und noch heute deren Anhänger zum Nachteil der allgemeinen Gerechtigkeit als gewöhnliches Landrecht bezeichnen. Aus solchen und ähnlichen Gründen hielt er sich von ihren Besprechungen und ­Beratungen völlig fern, saß stattdessen häufig in seiner Kirche, versah mit seinen Geistlichen eifrig und willig den Gottesdienst, zelebrierte fromm die hochheiligen

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sacrosancta misteria Christi devote celebrabat, oracioni, leccioni, meditacioni, con­ templacioni libenter vacabat et pro sibi commissis Deum gemitibus exorabat.95 11. De ornatu domus Dei et ministrorum eius. Parrochias suas, prout poterat, visitabat96 et que in eis corrigenda erant, emendare pro viribus curabat. Ministrorum ecclesie Christi, maxime autem sacerdotum mundiciam zelabat et ad vite sanctimoniam, sine qua nemo videbit Deum, vite sue exemplo invitabat. Que de fontibus salvatoris, sacre videlicet scripture sentenciis studendo haurire poterat, per verbum exhortacionis et predicacionis suis auditoribus habundanter effundebat.97 Quia autem decorem domus Dei supra modum dili­ gebat, per suam diocesim, ubi oculus sue providencie ferri non poterat manusque sue sollicitudinis attingere non valebat, archidiaconos, decanos,98 presbiteros, duces populo Dei preponebat, ut errata corrigerent et ad viam veritatis errantes revocarent. Qui clericali gaudebant privilegio et ecclesiastico utebantur beneficio in episcopatu suo, astringebat eos sedulo, ut in eis decor honestatis, pudor castitatis et bone con­ versacionis redoleret opinio. Quos vero paterna preibat ammonicio, si filialis non sequeretur correccio, eos et beneficio spoliabat et ne contagione pestifera plures perderent, tam­quam incorrigibiles de episcopatu suo propulsabat.99 12. De largitate et operibus misericordie ipsius. Sanctus Stanislaus licet esset vir iustus et severus, tamen peccatores ad penitenciam redeuntes largo sinu misericordie excipiebat et confessiones eorum per semet ipsum sepius audiebat. In causis matrimonialibus discuciendis industrius erat et causam, quam nesciebat, diligenter investigabat; ad clamorem pauperum aures suas non ob­ turabat; oppressos quoque, quibus non erat auxilium, de manu violentorum eruebat; viduas, pupillos et orphanos, quos per episcopatum suum quasi in libro memorie conscriptos habebat, eos eleemosinis suis nunc occulte, nunc aperte sustentabat. Super afflictos pietatis et compassionis viscera gestabat. Mensa eius splendida erat et communis, maxime autem hospitibus et spiritualibus viris. In mensa sua multis Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 7, S. 257, Z. 11–19. Der kanonische Brauch der Visitation dürfte in Polen zur Zeit des Stanisław noch kaum regelmäßig praktiziert worden sein; das Pfarrnetz war noch ausgesprochen dünn und die Kirchenorganisation nach dem Zusammenbruch der ersten piastischen Monarchie während der 1030er Jahre gerade erst wiederhergestellt worden. 97  Auch dieser Hinweis auf eine intensive Predigertätigkeit des Stanisław dürfte eine Rückprojizierung der im 13. Jahrhundert durch die Bettelorden stark geförderten Predigt-Praxis darstellen. 98  Für die Lebenszeit Stanisławs anachronistisch, da diese Kirchenämter in Polen nicht vor dem ausgehenden 12., beginnenden 13. Jahrhundert eingeführt worden sind. 99  Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 8, S. 257, Z. 20 bis S. 258, Z. 9. 95  96 

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Mysterien Christi, widmete sich gern dem Gebet, der Lektüre, der Meditation und Kontemplation und bat Gott mit Seufzern inständig für die ihm Anvertrauten.95 11. Über die Ausstattung des Gotteshauses und seiner Diener. Wann immer er konnte, visitierte er seine Pfarreien96 und bemühte sich mit ganzer Kraft zu verbessern, was in ihnen besserungswürdig war. Er ereiferte sich für die Lauterkeit der Diener der Kirche Christi, insbesondere aber der Priester, und lud sie mit dem Beispiel seines eigenen Lebens zu einem gottgefälligen Leben ein, ohne das niemand Gott schauen wird. Was er durch sein Studium aus den Quellen des Erlösers, nämlich den Worten der Heiligen Schrift zu schöpfen vermochte, goss er in Belehrungen und Predigten reichlich über seine Zuhörer aus.97 Da er aber den Anstand des Hauses Gottes über die Maßen hoch achtete, setzte er in seiner Diözese dort, wo weder sein wachsames Auge noch seine sorgsame Hand hinreichen konnte, Archidiakone, Diakone98 und Priester als Führer des Volkes Gottes ein, um Mängel abzustellen und die Irrenden auf den Weg der Wahrheit zurückzurufen. Diejenigen, die sich in seinem Bistum des Privilegs des geistlichen Standes erfreuten und kirchliche Pfründen besaßen, verpflichtete er eindringlich dazu, sich durch die Zierde der Ehrbarkeit, die Scham der Keuschheit und den Ruf eines guten Lebenswandels auszuzeichnen. Diejenigen aber, die eine vorausgegangene väterliche Ermahnung wie Kinder nicht mit Besserung befolgten, entkleidete er der Pfründen und vertrieb sie wie Unverbesserliche aus seinem Bistum, damit sie nicht durch verderbliche Ansteckung andere ins Unglück stürzen.99 12. Über seine Großzügigkeit und barmherzigen Werke. Obwohl der heilige Stanisław ein gerechter und strenger Mann war, nahm er bußfertige Sünder bereitwillig in den weiten Busen seiner Barmherzigkeit auf und hörte oft persönlich ihre Beichte. Bei der Erörterung von Ehesachen war er fleißig und einen Fall, den er nicht kannte, untersuchte er sorgfältig. Vor der Klage der Armen verschloss er nicht seine Ohren, auch erlöste er Unterdrückte, denen nicht geholfen wurde, aus der Hand der Gewalttägigen. Witwen, Mündel und Waisen seines Bistums, die er gleichsam in ein Erinnerungsbuch eingeschrieben hatte, unterstützte er mal insgeheim, mal offen mit Almosen. Über die Bedrängten breitete er das Herz seines Erbarmens und Mitleids aus. Sein Tisch war prächtig und für alle zugänglich, vor allem aber für Gäste und Geistliche. Er hatte nicht die

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et superfluis ferculis uti consuetudinem non habebat, longas consessiones et noc­ turnas potaciones, cum esset vir sobrius, quasi veneni poculum abhorrebat. Has enim introduxit vetus error gentilis et abusio prave consuetudinis, unde et more antiquorum in conviviis Polonorum100 cantilene gentilium, plausus manuum mosque salutancium servantur usque in diem hodiernum. Absit autem, ut hec corruptela locum habuerit in pontificis et martiris Christi mensa, quem numquam in desideriis et concupiscenciis tenuit carnis cura.101 13. De familie eius honesta conversacione. Peculiarem familiam ac domesticam clientelam, utpote vir castus ac pudicus, sub omni castitate vivere docebat et honestate. Curiales ipsius et benefici102, exemplo vite domini sui provocati, ubicunque cum eo morabantur, sive in via sive in domo, nulli erant penitus onerosi. Ipse enim erat quasi vitis fructificans suavitatem odoris ideoque sui palmites, capellani videlicet et milites, preferebant fructus honoris et honestatis. Decimas suas vel vendi vel colligi faciebat per provisores diocesis sue op­ portuno tempore103 sine messis et pauperum lesione, quod non a plerisque servari videtur hodie. Equum pondus, equam mensuram, equum habebat et modium eo, quod ‚pondus et pondus, mensura et mensura sit utrumque abhominabile apud Deum‘.104 Non sectabatur avariciam, que est idolorum servitus, sciens, quod ‚avaro nichil est scelestius‘, qui, ut dicit Ieronimus105, et obulo indiget ‚et animam suam venalem habet‘.106 14. Epilogus conversacionis ipsius. Ecce quomodo vir sanctus Stanislaus ordinate dies suos ad bonum finem deduxit, qui Christi passionibus communicans, ut bonus pastor pro ovibus Christi animam suam posuit, sic statum suum adherens Deo rexit in mundo, ut non deciperetur a In der Vita minor stand statt „Polonorum“ noch „Slavorum“; zum Hintergrund dieses Wortaustausches Eduard Mühle, Słowianie. Rzeczywistość i fikcja współnoty (V–XV wiek) [Die Slawen. Realität und Fiktion einer Gemeinschaft (6.–15. Jahrhundert)], Warszawa 2020, S. 269– 270. 101  Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 9, S. 258, Z. 10 bis S. 259, Z. 2. 102  Über die Organisation des Bischofshofes des 11.–12. Jahrhunderts ist aus anderen Quellen nichts bekannt, so dass davon ausgegangen werden muss, dass der Hagiograph auch hier Verhältnisse des 13. Jahrhunderts rückprojiziert hat. 103  Der Zehnt wurde im 13. Jahrhundert vornehmlich in Gestalt von Getreidegarben direkt vom Feld eingenommen, d. h. zu einem für die Zehnteinnehmer „günstigen Zeitpunkt“ noch vor der Ernte durch die Bauern. 104  Spr 20, 10. 105  Bei Hieronymus nicht zu identifizieren. 106  Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 10, S. 259, Z. 3–13; Sir 10, 9–10. 100 

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Gewohnheit, viele und überflüssige Speisen auf seinen Tisch zu bringen, und verabscheute als enthaltsamer Mensch langes Herumsitzen und nächtliche Trinkgelage gleichsam wie den Giftbecher. Denn diese [Sitten] hatte der alte heidnische Irrtum und der Missbrauch lasterhaften Brauchs eingeführt, weshalb auch bis zum heutigen Tag auf den Gastmählern der Polen100 nach Sitte der Alten die heidnischen Gesänge, das In-die-Hände-Klatschen und das Zuprosten beibehalten werden. Gott verhüte aber, dass solche Verderbtheit am Tisch des Bischofs und Märtyrers Christi Platz greift, den in seinen Sehnsüchten und Begierden niemals der Wunsch des Fleisches beherrscht hat.101 13. Über den ehrbaren Lebenswandel seiner Familie. Da er ein keuscher und sittsamer Mann war, lehrte er seine eigene Familie und sein Hausgesinde, in aller Keuchheit und Ehrbarkeit zu leben. Seine Höflinge und Pfründeninhaber102 fielen, angeregt durch das vorbildliche Leben ihres Herrn, wo immer sie sich mit ihm aufhielten, ob unterwegs oder zu Hause, überhaupt niemandem zur Last. Denn er selbst war wie ein Weinstock, der mit seinen Reben einen angenehmen Duft hervorbringt. Daher bevorzugten auch seine Triebe, d. h. seine Priester und Ritter, die Früchte der Ehre und des Anstands. Seine Zehnten ließ er von seinen Diözesanprovisoren zum günstigen Zeitpunkt103 entweder verkaufen oder einsammeln, ohne Schaden für die Ernte und die Armen, was heute nicht mehr von vielen beachtet wird. Er handhabte eine gerechte Waage, ein gerechtes Maß und einen gerechten Scheffel, ‚weil Gott beides verabscheut: mit zweierlei Gewicht und mit zweierlei Maß zu messen‘.104 Er ließ sich auch nicht von Habgier leiten, die Götzendienst ist, denn er wusste, dass nichts frevelhafter ist als ein Habgieriger, der – wie Hieronymus sagt105 – dem Groschen nachjagt und seine Seele verkauft.106 14. Nachwort zu seinem Lebenswandel. Seht, wie der heilige Mann Stanisław seine Tage geordnet zu einem glücklichen Ende führte, indem er Anteil an den Leiden Christi nahm und seine Seele wie ein guter Hirte für die Herde Christi hingab. Er übte seine Stellung in der Welt so an Gott hingegeben aus, dass er sich von der Welt nicht verführen ließ, weil er – wie

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mundo, sic, inquam, quod sibi sobrie et utiliter, proximo iuste et sociabiliter, Deo pie et humiliter vivere studuerit. Licet enim multis et diversis curis ligatus corpore tene­ retur in seculo, tamen mente conversabatur in celo, quia Christi flagrabat martirio cupiens dissolvi et esse cum Christo. Sic in procellis persecucionum anchoram vite sue fixam tenuit, quia pro iusticia usque ad mortem certavit et licet ex huius mundi naufragio tunica mortali exutus nudus evasit, sed naviculam suam, puram videlicet conscienciam, celestibus diviciis plenam ad portum salutis perduxit et in eterne quietis littore collocavit, prestante eodem Domino Iesu Christo salvatore nostro, qui cum Deo patre et spiritu sancto vivit et regnat Deus per omnia secula seculorum, amen.107 Pars II. 1. De milite Petro post triennium a morte suscitato.108 Quodam tempore sanctus Stanislaus episcopus, Cracoviensis ecclesie volens am­ pliare redditus, quandam villam super ripam Wizle positam, Potrawin109 dictam, a Petro milite denominatam, taxata summa pecunie appensoque argenti publico pon­ dere emit eam a prefato milite. Quo aliquot annis supervivente, possedit eam episco­ pus quieto iure. Tandem milite Petro viam universe carnis ingresso et in territorio eiusdem ecclesie sepulto, fratres eius vel amici propinquiores, tamquam defuncti

Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 10, S. 259, Z. 13–20. Die folgende, so genannte „Piotrawinische Legende“ erzählt vom einzigen Wunder, das der Heilige zu Lebzeiten gewirkt hat. Sie hat besonders große Popularität erlangt und steht geradezu emblematisch für den Stanisław-Kult. Die ältere Forschung hat in einer Skulptur auf einer der Seitenwände eines romanischen Taufbeckens, das in einer Kirche im südschwedischen Tryde stand, eine ins 12. Jahrhundert datierte ikonographische Umsetzung der Erzählung von der Auferweckung des Piotr von den Toten durch Stanisław sehen wollen und damit eine frühe Entstehung der Legende bzw. des Stanisław-Kultes als erwiesen erachtet; eine Abbildung der Szene der Auferweckung bei Roosval, Die Steinmeister Gotlands (wie Anm. 11), Taf. XLVIII. Wahrscheinlicher ist, dass die Legende von Vincentius von Kielce/Kielcza bewusst für ein breiteres Publikum konstruiert worden ist, wobei er sich an dem Muster der im 13. Jahrhundert in den Predigten der städtischen Bettelorden entfalteten exempla orientierte. Für die spätere ikonographische Repräsentation der Legende vgl. Władysław Smoleń, Legenda piotrawińska w gotyckiej ikonografii św. Stanisława ze Szczepanowa [Die Piotrawinische Legende in der gotischen Ikonographie des heiligen Stanisław von Szczepanów], in: RHum 23 (1975), 5, S. 1–25. 109  Heute in der Gemeinde Łaziska, 54 km nördlich von Sandomir. 107  108 

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ich gesagt habe – danach strebte, enthaltsam und nützlich, seinen Nächsten gegenüber gerecht und verträglich und Gott gegenüber fromm und demütig zu leben. Denn obwohl er durch seine zahlreichen und vielfältigen Pflichten in der Welt an seinen Leib gebunden war, hielt sich sein Geist doch im Himmel auf, weil er darauf brannte, ihn [den Leib] wie Christus im Martyrium aufzulösen und mit Christus zu sein. So hielt er sich auch in den Stürmen der Verfolgungen an den festen Anker seines Lebens, weil der bis in den Tod für die Gerechtigkeit kämpfte und sein Schiff, d. h. sein reines Gewissen, auch wenn er aus dem weltlichen Schiffbruch, seiner sterblichen Tunika beraubt, nackt hervorging, voller himmlischer Schätze sicher in den Hafen des Heils lenkte und am Ufer der ewigen Ruhe anlegte, mit Hilfe unseres Herrn und Heilands Jesus Christus, der mit Gottvater und dem Heiligen Geist lebt und herrscht, Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.107 Teil II. 1. Über den Ritter Peter, der drei Jahre nach seinem Tode auferweckt wurde.108 Einmal wollte der heilige Bischof Stanisław die Einnahmen der Krakauer Kirche vergrößern und erwarb für eine bestimmte Summe Geld, die mit geltendem Silbergewicht abgewogen war, ein am Ufer der Weichsel gelegenes Dorf, das nach dem Ritter Peter [= Piotr] Piotrawin109 genannt wurde, von eben diesem Ritter. Solange dieser noch einige Jahre lebte, besaß er das [Dorf] in ungestörtem Recht. Als aber der Ritter Peter den Weg allen Fleisches gegangen und auf dem Gelände ebendieser Kirche begraben worden war, begannen seine Brüder und näherstehenden Ver-

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legitimi successores ceperunt episcopum impetere de restituenda sibi hereditate.110 Iam quidem rex Boleslaus impaciens correccionis factus, contra episcopum sini­ stram voluntatem gerebat, sed nondum manifeste virus cordis eius efferbuerat. At cognati defuncti exspectato biennio vel amplius, quousque ira regis in episcopum excandesceret fervidius, episcopo de suo iure nolente cedere, rege instigante, compulsi sunt episcopum ad presenciam regis citare. Quid plura? Coram rege sistitur, queri­ monia deponitur, partes hinc inde audiuntur, causa litis discutitur, iudicium venti­ latur. Ut autem litigancium cessaret controversia, in hoc regis et iudicum resedit sentencia, quod episcopus a iure possessionis cederet, nisi aut eum, qui ei vendidit, statueret, aut instrumentum vendicionis et empcionis exhiberet aut idoneos testes produceret.111 Ex premissa ergo sentencia regis et iudicum Stanislaus episcopus, prout mos est, conscriptos testes recitat in publicum. Quibus approbatis accepit in mandatis, ut in futuro colloquio circa Potrawin compareat cum testibus nominatis. Appropinquabat terminus, quo testes erat producturus episcopus; at illi mandato ac timore constricti tyranni nec in termino comparere presenti nec testimonium ferre ausi sunt veritati.112

110  Hier ist eine Spezifik des polnischen Gewohnheitsrechts angesprochen, der zufolge Landbesitz als gemeinschaftlicher Familienbesitz galt; der Konflikt zwischen diesem alten Verwandtschafts- und dem neuem römischrechtlichen Individualbesitzrecht projiziert erneut Verhältnisse des 13. Jahrhunderts in das 11. Jahrhundert zurück; vgl. Michał Kaczmarek, Legenda piotrawińska jako źródło do poznania polskiego prawa średniowiecznego [Die Piotrawinische Legende als Erkenntnisquelle des mittelalterlichen polnischen Rechts], in: Acta Universitatis Wratislaviensis 226, Historia 26, Wrocław 1974, S. 91–100. 111  Auch der Verweis auf das Beweismittel Urkunde ist anachronistisch, da im 11. Jahrhundert in Polen Besitzwechsel noch nicht mit Urkunden bekräftigt wurden. 112  Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 11, S. 260, Z. 1 bis S. 261, Z. 5.

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wandten, als die legitimen Erben des Verstorbenen, den Bischof zur Rückgabe ihres Erbbesitzes zu drängen.110 Leider hegte König Bolesław [II.], der die Zurechtweisungen nicht ertrug, bereits böse Absichten gegen den Bischof, wenn auch das Gift seines Herzens noch nicht offen ausgebrochen war. Die Verwandten des Verstorbenen warteten noch zwei Jahre und mehr, bis der Zorn des Königs gegen den Bischof noch heißer entbrannt war, und wurden, als der Bischof von seinem Recht nicht zurücktreten wollte, vom König angestachelt, den Bischof vor die Gegenwart des Königs zu rufen. Was weiter? Er wurde vor den König gestellt, Klage erhoben, beide Seiten wurden angehört, der Streitfall diskutiert und ein Urteil erörtert. Damit aber der Rechtsstreit ein Ende fand, fiel das Urteil des Königs und der Richter folgendermaßen aus: Der Bischof sollte von seinem Besitzrecht zurücktreten, wenn er nicht entweder denjenigen benannte, der es ihm verkauft hatte, oder die ­Verkaufsbzw. Kaufurkunde vorwies oder glaubwürdige Zeugen vorführte.111 Folglich verlas Bischof Stanisław gemäß dem vorgenannten Urteil des Königs und der Richter, wie es Brauch ist, öffentlich die [von ihm] aufgelisteten Zeugen. Nachdem diese zugelassen waren, erhielt er die Aufforderung, mit den benannten Zeugen zur nächsten Hofberatung in der Nähe von Piotrawin zu erscheinen. Es nahte der Zeitpunkt, zu dem der Bischof die Zeugen präsentieren sollte; doch wagten diese es nicht, gelähmt durch den Befehl des Tyrannen und aus Furcht vor ihm, zum genannten Termin zu erscheinen und die Wahrheit zu bezeugen.112

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2. Item de eodem. Videns servus Dei Stanislaus, quod humanum sibi defecit auxilium, ne perderet ec­ clesie sue predium, ad divinum, tamquam turrim fortissimam, confugit presidium. Venit nichilominus ad colloquium et stetit in termino prefixo et peroravit in concilio: O, inquit, regia dignitas et principum Polonie communis equitas, ex quo non inveni­ tur in terra veritas, date michi vel trium dierum inducias, quod ponam eum coram vobis, qui michi vendidit, et testetur, cuius est hec hereditas. Quibusdam stupenda, aliis admiranda, multis vero quasi quedam deliramenta visa sunt pontificis verba. Consilium tamen affuit commune, ut sibi darentur usque ad diem tercium optate inducie. Tunc Stanislaus Dei presul electus, fide Christi confortatus dixit hiis, qui secum aderant, viris devotis ac Deum timentibus: Fratres et commilitones mei, vos scitis, quod negocium Dei est et ecclesie, quod gerimus patrimonium crucifixi, pro quo certamus; Deo, a quo egreditur iudicium singulorum, causam nostram commit­ tamus. Nos vero hiis tribus continuis diebus, quibus inducias impetravimus, ieiuniis, vigiliis, oracionibus operam demus et faciem Domini in confessione preoccupemus, quod si fidem sicut granum sinapis habuerimus, ut ait in evangelio Dominus113: Quidquid orantes pecierimus nec hesitaverimus, scitote, quia accipiemus. Petamus ergo fiducialiter, queramus instanter, pulsemus perseveranter, ut, quod petimus fide­ liter, consequamur efficaciter.114

113  114 

Vgl. Mt 13, 31–32 und 17, 20 sowie Lk 17, 6. Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 12, S. 261, Z. 6 bis S. 262, Z. 2.

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2. Weiter über dasselbe. Als der Diener Gottes Stanisław sah, dass ihm menschliche Hilfe ausblieb, nahm er, um den Besitz seiner Kirche nicht zu verlieren, Zuflucht beim Schutz Gottes als des stärksten Befestigungsturmes. Nichtsdestotrotz kam er zur Hofberatung, stand zum festgesetzten Termin da und hielt in der Beratung eine Rede: „Oh, königliche Würde und allgemeine Gerechtigkeit der Fürsten Polens, bei der man auf Erden nicht die Wahrheit findet, gebt mir wenigstens drei Tage Aufschub, damit ich vor Euch denjenigen hinstelle, der mir [das Dorf] verkauft hat und damit bezeugt wird, wem dieser Erbbesitz gehört.“ Den einen erschienen die Worte des Bischofs seltsam, den anderen bewundernswert, vielen aber geradezu als albernes Geschwätz. Dennoch war der allgemeine Ratschluss, dass ihm die gewünschten drei Tage Aufschub gewährt werden. Da sprach Stanisław, der auserwählte Priester Gottes, gestärkt durch den Glauben an Christus, zu denen, die bei ihm waren, gottergebenen und gottesfürchtigen Männern: „Meine Brüder und Mitstreiter, ihr wisst, dass es das Geschäft Gottes und der Kirche ist, das Eigentum des Gekreuzigten zu verwalten, für den wir kämpfen; lasst uns unsere Sache Gott anvertrauen, von dem das Urteil jedes einzelnen ausgeht. Wir aber wollen uns in diesen drei aufeinanderfolgenden Tagen, die wir als Aufschub erhalten haben, unablässig dem Fasten, Nachtwachen und Beten widmen und das Antlitz des Herrn im Bekennen vorab für uns gewinnen. Und wenn wir nur einen Glauben haben so groß wie ein Senfkörnchen, wie der Herr im Evangelium sagt113, dann sollten wir – das sollt ihr wissen – nicht zweifeln, dass wir das, worum wir im Gebet bitten, auch erhalten. Lasst uns also vertrauensvoll nachsuchen, inständig flehen, beharrlich drängen, damit wir das, was wir zuversichtlich erbitten, tatsächlich erlangen.“114

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3. Item de eodem. Interim dies tercius imminebat et episcopus cum suis Potravensem ecclesiam divina celebraturus intrabat. Ibidem rex et milites et populi multitude aderant, qui ad col­ loquium confluxerant. Cumque divina complesset episcopus, ut erat pontificalibus indutus, egreditur ante fores ecclesie, ubi Petrus iacebat tumulatus, deinde fecit ter­ ram de tumulo eici et sepulcrum eius aperiri. Tunc flexis genibus cum lacrimis ad Dominum dixit: Miserere nostri Deus omnium, qui vivorum dominaris simul et mortuorum, defende causam tuam et educ ad victoriam iudicium tuum, quoniam diminute sunt veritates a filiis hominum. Revoca, quesumus Domine, de morte ad vitam Petrum famulum tuum, suscitans de pulvere egenum post decursum trium annorum, ut veritati perhibeat testimonium, qui suscitasti de monumento iam feten­ tem Lazarum et quadriduanum, ut glorificetur et laudetur nomen tuum in secula seculorum. Cumque hii, qui cum ipso aderant, respondissent amen, surgens ab ora­ cione pontificali baculo cadaver tetigit et clara voce dixit: In nomine patris et filii et spiritus sancti, surge Petre, qui dormis, et exurge a mortuis, ut manifestetur in te virtus et operacio sancte trinitatis. Surge, inquit, et sta in medium, da honorem Deo, veritati perhibendo testimonium, ut augeatur fides credencium et ‚obstruatur os‘ ho­ minum iniqua ‚loquencium‘.115 Qui continuo coram omnibus surrexit. Dansque illi manum de sepulchro vivum allevavit et ad concilium usque perduxit.116 4. Item de eodem. Stans autem Stanislaus episcopus in colloquio dixit regi et omni populo: En, inquit, est Petrus ille, qui mortuus fuerat, nunc vero coram vobis vivus astat, cuius vive vocis magis valere debet protestacio, quam testium produccio vel instrumentorum osten­ sio. Requirite ab eo, an ipse est, qui michi villam vendidit et taxatum precium pro ea recepit. Persona vobis est nota, sepulcrum patens, veritas oculata, resuscitacio sub oculis vestris per virtutem Dei nuper celebrata. Procul sint tenebre infidelitatis, pel­ latur ab oculis vestris omne nubilum ambiguitatis, nec putetis fantasma esse, ‚quia spiritus carnem et ossa non habet, sicut hunc videtis habere‘.117 Rex autem et omnis multitudo populi stabant stupefacti, suspensi novitate miraculi. Amici eius et propin­ qui et omnes, qui noverant eum, videntes, que sub oculis eorum de ipso contigerant,

115  116  117 

Ps 62, 12. Vita minor (wie Anm. 34) Kap. 13, S. 262, Z. 3 bis S. 263, Z. 2. Lk 24, 39.

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3. Weiter über dasselbe. Unterdessen stand der dritte Tag unmittelbar bevor, und der Bischof begab sich mit den Seinen zur Feier der heiligen Messe in die Kirche von Piotrawin. Ebendort waren der König, die Ritter und eine große Menschenmenge anwesend, die zur Hofberatung zusammengeströmt waren. Nachdem der Bischof die Messe beendet hatte, trat er noch in sein Priestergewand gekleidet vor die Tore der Kirche, wo Peter begraben lag. Alsdann gebot er, die Erde vom Grabhügel zu entfernen und sein Grab zu öffnen. Dann beugte er die Knie und sprach unter Tränen zum Herrn: „Erbarme dich unser, allmächtiger Gott, der du herrschst über die Lebenden und die Toten! Verteidige deine Sache und verhilf deiner Gerechtigkeit zum Sieg, da die Menschensöhne die Wahrheit mit Füßen getreten haben. Herr, wir bitten dich, rufe deinen Diener Peter vom Tode zum Leben, erhebe den Armen nach drei Jahren aus dem Staub, damit er sich als Zeuge der Wahrheit erweisen möge. Du hast ja den bereits verwesenden Lazarus nach vier Tagen aus seinem Grab auferweckt, damit dein Name von Ewigkeit zu Ewigkeit gelobt und gepriesen werde.“ Und nachdem diejenigen, die bei ihm waren, „Amen!“ geantwortet hatten, erhob er sich vom Gebet, berührte mit seinem Bischofsstab den Leichnam und rief mit lauter Stimme: „Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes! Steh’ auf, Peter, der du schläfst, und erhebe dich von den Toten, damit durch dich die Kraft und das Wirken der Heiligen Dreifaltigkeit offenbart werde. Steh’ auf – sprach er – und tritt in die Mitte! Erweise Gott die Ehre, indem du Zeugnis über die Wahrheit ablegst, damit das Vertrauen der Gläubigen gemehrt und der Mund der Menschen, die Unrecht verkünden, verschlossen werde.“115 Sofort erhob sich dieser [Peter] vor aller Augen. Und [der Bischof] gab ihm die Hand, hob ihn lebendig aus dem Grab und führte ihn zur Versammlung.116 4. Weiter über dasselbe. Bischof Stanisław stand also vor der Hofberatung und sprach zum König und zum ganzen Volk: „Seht, dies ist Peter, der gestorben war, nun aber vor euch lebendig steht. Das Zeugnis seiner lebendigen Stimme sollte größeren Wert haben als die Anhörung von Zeugen und das Präsentieren von Urkunden. Fragt ihn, ob er derjenige ist, der mir das Dorf verkauft und den vereinbarten Preis dafür erhalten hat. Seine Person ist euch bekannt, sein Grab steht offen und die Wahrheit ist offensichtlich: durch die Macht Gottes wurde vor euren Augen gerade eine Auferstehung gefeiert. Die Finsternis des Unglaubens möge weichen, von euren Augen jede Wolke des Zweifels vertrieben werden und glaubt nicht, es sei ein Trugbild, wenn ein Geist weder Fleisch noch Knochen hat, und wie ihr seht, hat er diese.“117 Der König und die ganze Volksmenge aber standen verblüfft da und wurden durch die Ungewöhnlichkeit des Wunders in Angst versetzt. Als die Freunde und Verwandten [Peters] und alle, die ihn kannten, sahen, was sich unter ihren Augen mit

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nec tergiversacionis locum nec spiritum ultra habebant. Postmodum Petrus monuit amicos, ut penitenciam agerent pro eo, quod virum sanctum et iustum multis labo­ ribus et iniuriis affecissent et nisi desisterent et peniterent, multa eos in tormentis supplicia manerent, et adiecit: Vos, inquit, scitis, quod nichil commune mecum ­habuistis in meo patrimonio, quod vendidi Stanislao Cracoviensi episcopo, si veritatem fateri vultis.118 5. Item de eodem. Deinde Petrus conversus ait ad regem et ad reliquam populi multitudinem: Ego, inquit, precibus et meritis beati viri huius a mortuis sum suscitatus et per voluntatem Dei missus huc veni, ut testimonium perhibeam veritati. Protestor ergo coram vobis omnibus, me Stanislao Cracoviensi episcopo Potrawin quondam meum patrimo­ nium vendidisse et pecuniam taxatam recepisse, propinquos meos in eo nichil umquam iuris habuisse. Testes autem, qui huic affuerunt commercio et se subtraxerunt ab hoc testimonio timore, munere, gracia vel odio, nisi penitenciam egerint de com­ misso, sciant se veritatis, que Deus est, privandos esse consorcio. Rex vero Boleslaus et sui assidei comprobata veritate fidei et assercione tanti testimonii de consilio com­ muni dederunt episcopo palmam iusticie et sine omni contradiccione posuerunt eum in plena ville possessione. Qualiter autem Potrawin villa predicta a iurisdiccione ecclesie Cracoviensis sit alienata, non est temporis instantis parabola.119 Hiis autem peractis dixit sanctus Stanislaus ad Petrum militem: Si placet et tibi videtur expedire, vis, et pro tuo labore et merito per aliquot annos vite tue a Deo inducias impetrabo. Respondit Petrus dicens: Sanctitati tue, pater venerande, gracias ago. Magis vero gratum habeo, ut meo me restituas monumento, quia tempore adhuc modico pro meis commissis adiciendus sum purgatorio et sic letus ad requiem per Dei misericor­ diam transibo.120 6. Item de eodem. Sanctus vir cognita voluntate Petri, comitante secum populi multitudine reduxit eum ad locum sepulture; deinde cunctis videntibus sepulcrum introivit, membra sua composuit, pro se Deum exorari rogavit, se terra operiri fecit et spiritum Domino reddidit. Super cuius transitum sanctus Stanislaus commendacionem anime fecit, habita quoque ad populum exhortacione, dataque pontificali benediccione, reversus est ad propria cum comitatu suo, gracias agens pro universis beneficiis omnipotenti

Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 14, S. 263, Z. 3–19. Das Dorf Piotrawin wurde dem Krakauer Domkapitel erst 1310 vom Krakauer Herzog Władysław Łokietek übertragen; KDKK I, Nr. 117. 120  Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 15, S. 264, Z. 1–17. 118  119 

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diesem zugetragen hatte, hatten sie keinen Grund und auch keinen Mut mehr für eine Weigerung. Kurz darauf ermahnte Peter seine Freunde, dafür Buße zu tun, dass sie dem heiligen und gerechten Mann so viel Leid und Unrecht zugefügt hatten, und sollten sie davon nicht ablassen und Reue empfinden, würden sie viele Strafen und Qualen erwarten. Und er fügte noch hinzu: „Ihr wisst, wenn ihr die Wahrheit einräumt, dass ihr in meinem Erbbesitz, den ich dem Krakauer Bischof Stanisław verkauft habe, mit mir nichts gemein hattet.“118 5. Weiter über dasselbe. Dann wandte sich Peter an den König und die übrige Volksmenge und sprach: „Ich bin durch die Bitten und Verdienste dieses heiligen Mannes von den Toten auferweckt worden und durch Gottes Willen entsandt, hierher gekommen, um die Wahrheit zu bezeugen. Daher bestätige ich vor euch allen, dass ich Piotrawin, mein ehemaliges Vatererbe, dem Krakauer Bischof Stanisław verkauft und dafür den vereinbarten Geldbetrag erhalten habe, und dass meine Verwandten an diesem [Dorf] nie irgendwelche Rechte besessen haben. Die Zeugen aber, die bei diesem Handel zugegen waren und sich aus Furcht, Bestechung, Gunst oder Hass diesem Zeugnis entzogen haben, mögen wissen, dass sie sich der Gemeinschaft der Wahrheit, die Gott ist, berauben, wenn sie nicht Buße für ihr Vergehen tun.“ König Bolesław und seine Helfer aber gaben, nachdem sie die Glaubwürdigkeit und Aussagekraft eines so starken Beweises anerkannt hatten, dem Bischof einmütig den Sieg der Gerechtigkeit und setzten ihn ohne jeden Widerspruch in das volle Besitzrecht über das Dorf. Wie das erwähnte Dorf Piotrawin dann später der Jurisdiktion der Krakauer Kirche entfremdet worden ist, muss jetzt nicht erzählt werden.119 Nachdem dies aber geschehen war, sprach der heilige Bischof zum Ritter Peter: „Wenn es dir gefällt und nützlich erscheint und du willst, dann werde ich für deine Mühe und dein Verdienst von Gott die Frist von einigen Jahren Deines Lebens erbitten.“ Peter antwortete und sprach: „Ich danke deiner Heiligkeit, hochwürdiger Vater. Doch ich wäre noch dankbarer, wenn du mich in mein Grab zurücklegen würdest, da ich [nur] noch eine kurze Zeit für meine Sünden im Fegefeuer zubringen muss und dann mit Gottes Barmherzigkeit freudig in die [ewige] Ruhe eingehen werde.“120 6. Weiter über dasselbe. Nachdem der heilige Mann Peters Willen kannte, führte er ihn in Begleitung der Volksmenge zu seiner Grabstätte zurück; darauf stieg dieser vor aller Augen in das Grab hinab, ordnete seine Glieder, bat, dass man für ihn zu Gott bete, ließ sich mit Erde bedecken und gab seinen Geist dem Herrn zurück. Der heilige Stanisław empfahl seine Seele für sein [erneutes] Hinübergehen und kehrte, nachdem er auch das Volk ermahnt und seinen bischöflichen Segen gespendet hatte, mit

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Deo.121

Probabile est autem et verisimile, quod iste Petrus, qui de divina dispensa­ cione et beati viri precibus suscitatus fuerat a morte pro testanda veritate, multo­ rum questionibus potuit satisfacere, et requisitus bona bonis, mala malis prenun­ ciare et ut secundum statum suum unusquisque se corrigeret, premunire.122 7. Exemplum miraculi precedentis. Nec moveat aliquem tanti prodigium miraculi, quod Petrus suscitatus est post tri­ ennium ad ferendum testimonium veritati.123 Legimus enim simile miraculum in gestis sanctorum perpetratum per beatum Petrum apostolum circa Maternum disci­ pulum suum.124 Cum enim Petrus apostolus eundem Maternum metropoli Treve­ rensi destinasset archiepiscopum, misit cum eo Marcialem condiscipulum eidem urbi verbum Dei ad predicandum. Qui cum itinere triginta dierum a Roma fuissent di­ gressi, contigit beatum Maternum graviter infirmari et eadem infirmitate mori. Quo sepulture tradito regressus est Marcialis Romam itinere, quo venerat, mortem eius renunciare Petro. Beatus autem apostolus dans ei baculum suum iussit, ut rediret apertoque sepulchro baculum suum super corpus defuncti poneret ac diceret: Petrus apostolus domini nostri Iesu Christi, magister tuus, Materne, precipit tibi: Surge, baculum meum accipe, ad urbem Treverensem perge et ministerium tuum, ad quod missus es, imple. Qui continuo surrexit et accepto baculo Petri Treverim venit et mandatum apostolicum complevit.125 Quapropter ad memoriam tanti miraculi et propter misterium fidei usque in hodiernum diem Romanus pontifex pastorali baculo caret et ecclesia Treverensis summi pontificis baculo privilegiata gaudet. 8. Item de eodem. Pensantes virtutem utriusque miraculi, fratres karissimi, videamus, quomodo omni­potens Deus, ‚qui facit mirabilia solus‘126, per beati Petri meritum ad vitam revocavit Maternum et sancti Stanislai martiris pulsatus precibus, a mortuis susci­ tavit militem Petrum, illum post LX127 dierum spacium, istum post trium annorum

Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 16, S. 265, Z. 1–7. Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 15, S. 264, Z. 18–20. 123  Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 16, S. 265, Z. 7–8. 124  Vgl. die hagiographischen Texte zum heiligen Maternus in BHL Nr. 5678–5681. 125  Vita minor (wie Anm. 34), Kap.17, S. 265, Z. 9–21. Der hier in die Zeit des Apostels Petrus rückprojizierte Maternus starb 328; er wird als dritter Bischof von Trier gezählt und war der erste historisch bezeugte Bischof von Köln. 126  Ps 71, 18. 127  Vita minor (wie Anm. 34): XXX. 121  122 

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s­ einem Gefolge nach Hause zurück, dem allmächtigen Gott für alle Wohltaten dankend.121 Und es ist auch glaubwürdig und wahrscheinlich, dass jener Peter, der aus göttlicher Bestimmung und auf Bitten des heiligen Mannes von den Toten auferweckt worden war, um die Wahrheit zu bezeugen, die Fragen vieler [Menschen] befriedigen konnte, und befragt, den Guten Gutes, den Bösen Böses ­verkünden und Vorsorge treffen konnte, damit sich ein jeder seinem Stand gemäß bessere.122 7. Ein Beispiel [zur Bekräftigung] des vorgenannten Wunders. Möge das Zeichen eines so großen Wunders, dass Peter nach drei Jahren von den Toten auferweckt wurde, um Zeugnis der Wahrheit zu geben, niemanden beunruhigen.123 Denn in den Geschichten der Heiligen lesen wir von einem ähnlichen Wunder, das der heilige Apostel Petrus an seinem Schüler Maternus vollbracht hat.124 Denn als der Apostel Petrus ebendiesen Maternus zum Erzbischof der Metropole Trier bestimmt hatte, entsandte er mit ihm [auch] seinen Mitschüler Martialis, um dieser Stadt das Wort Gottes zu predigen. Als sie auf ihrem Weg dreißig Tage von Rom entfernt waren, begab es sich, dass der heilige Maternus schwer erkrankte und an dieser Krankheit starb. Nachdem er bestattet worden war, kehrte Martialis auf dem Wege, auf dem er gekommen war, nach Rom zurück, um Petrus den Tod zu melden. Der heilige Apostel aber gab ihm seinen Stab und gebot, dass er zurückkehren, das Grab öffnen, seinen Stab auf den Leib des Toten legen und sagen sollte: „Petrus, der Apostel unseres Herrn Jesus Christus, dein Lehrer, gebietet dir, Maternus: Steh auf, nimm meinen Stab, begib dich in die Stadt Trier und erfülle dein Amt, in das du entsandt worden bist.“ Jener erhob sich sogleich, nahm den Stab des Petrus, kam nach Trier und erfüllte seinen apostolischen Auftrag.125 Zur Erinnerung an dieses große Wunder und um des Geheimnisses des Glaubens willen muss der römische Bischof bis zum heutigen Tag auf seinen Hirtenstab verzichten und erfreut sich die Kirche von Trier des Privilegs des Stabs des höchsten Bischofs. 8. Weiter über dasselbe. Erwägen wir die Macht beider Wunder, geliebte Brüder, dann sehen wir, wie der allmächtige Gott, ‚der allein die Wunder wirkt‘126, durch das Verdienst des heiligen Petrus den Maternus ins Leben zurückgerufen und von den Bitten des heiligen Märtyrers Stanisław erweicht den Ritter Peter von den Toten auferweckt hat; jenen nach einem Zeitraum von sechzig Tagen127, diesen nach Ablauf dreier Jahre;

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decursum; illum ut impleret iniunctum sibi predicacionis officium, istum ut veritati perhiberet testimonium, utrumque salutis et fidei negocium.128 Notandum quoque, quod in talibus et in similibus miraculis, si divine virtutis pensatur operacio, nullum est miraculum, quia omnia possibilia sunt apud Deum. Si autem sanctorum atten­ ditur meritum et fidei donum, Deus, a quo cuncta bona procedunt, hoc per eos ope­ ratur bonum, ut impleatur in eis illud dictum ewangelicum: ‚Qui in me credit, opera, que ego facio, et ipse faciet et maiora horum faciet‘.129 De perversis quoque et reprobis scriptum est: ‚Considera opera Dei‘ et vide, ‚quod nemo‘ potest eum ‚corrigere, quem‘ Deus ‚despexit‘.130 Boleslaus etenim filius Kazimiri, ut erat in arcum pravum conversus, nec timore Dei tactus nec presenti miraculo compunctus, nec ammonicione paterna correctus in suis sceleribus persistebat obstinatus.131

128  Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 17, S. 265, Z. 21 bis S. 266, Z. 5. Die Vita minor schließt hier als Kap. 18 ein von der Vita maior ausgelassenes Wunder an: „Ein anderes, ähnliches Wunder erzählt Eusebius von Caesarea in seiner Kirchengeschichte, nämlich dass der heilige Spyridon, der Bischof von Athen [recte: Zypern], während er noch weltlich war, eine einzige Tochter zeugte. Sie war eine geheiligte Jungfrau [Nonne] und verwaltete dank ihrer Umsicht und Tugend das Haus des Bischofs und das Gesinde des Vaters. An diese trat ein gewisser reicher Bürger der Stadt Athen heran, der zum Heiligen Grab nach Jerusalem pilgern wollte, übergab ihr urkundlich eine große Menge Gold zur Aufbewahrung und bat sie, sie möge es keinem außer ihm geben, wenn er lebend zurückkehre, wenn er aber unterwegs ums Leben käme, solle sie jenen Goldbetrag seinen Kindern und den anderen zuweisen, denen es in seinem Testament übertragen worden war. Diese vergrub das empfangene Geld in der Erde und wahrte treu das Geheimnis über das [ihr] Anvertraute. Nachdem aber einige Tage vergangen waren, starb die geheiligte Jungfrau. Jener Bürger aber kehrte, nachdem er die Gräber der Heiligen besucht hatte, nach einem Jahr nach Hause zurück. Als er aber die geheiligte Frau tot vorfand, ging er zum Vater des Mädchens und verlangte [bei ihm] dringlich das hinterlegte Gut. Als dieser antwortete, dass er nichts von der Hinterlegung des Geldes wisse, begann der Mann mit großem Geheul vor ihm zu klagen. Da riet ihm der heilige Spyridon, von tiefem Mitleid erfüllt, hinsichtlich der Wiedererlangung des Geldes guter Hoffnung zu sein und sagte: ‚Gehe, bete heute Nacht zum Herrn und komme morgen früh zu mir und der Herr wird uns die Werke seiner Barmherzigkeit zeigen.‚ Während der heilige Spyridon also die Nacht im Gebet verbrachte, erschien der Mann zur vereinbarten Zeit. Nachdem er ihn empfangen hatte, ging der heilige Bischof zum Grab seiner Tochter und sprach mit heller Stimme: ‚Höre, Tochter! Mit der Kraft Gottes und des Gehorsams, so wie du mir von klein aufgehorcht hast, bitte ich dich, deinem Vater zu antworten.‚ Und jene sprach aus dem Grab: ‚Was befiehlst du, mein Vater?‚ ‚Wo ist‚, fragte er, ‚die Geldmenge, die dir dieser Bürger unter dem Zeugnis Jesu Christi und deines Glaubens anvertraut hat?‚ Und jene antwortete: ‚Vater, bete für mich, dass es nicht meiner Sündhaftigkeit, sondern meiner Unwissenheit zugerechnet werde, dass ich vergaß, dir bei meinem Ableben vom Verbleib dieses Geldes zu erzählen. Siehe, es liegt an diesem und diesem Orte in der Erde begraben, gib es seinem Besitzer zurück.‚ Und so geschah es.“ 129  Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 18, S. 267, Z. 10–14; Joh 14,12. 130  Koh 7, 13. 131  Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 19, S. 267, Z. 15–17.

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jenen, damit er das ihm aufgetragene Predigeramt erfüllte, diesen, damit er die Wahrheit bezeugte – und beide als Angelegenheit des Seelenheils und des Glaubens.128 Anzumerken ist auch, dass an so großen und sich ähnelnden Wundern, bedenkt man die Wirkung göttlicher Macht, nichts Verwunderliches ist, da Gott über alle Möglichkeiten verfügt. Und wenn man das Verdienst der Heiligen und das Geschenk des Glaubens berücksichtigt, dann wirkt Gott, von dem alles Gute ausgeht, dieses Gute durch sie, damit sich in ihnen das Wort des Evangeliums erfüllt: ‚Wer an mich glaubt, wird die Werke, die ich vollbringe, auch vollbringen, ja größere als diese vollbringen.‘129 Von den Schlechten und Verwerflichen aber steht geschrieben: Betrachte die Werke Gottes und siehe, dass niemand denjenigen geradebiegen kann, den Gott gekrümmt hat.130 Denn Bolesław, der Sohn Kasimirs, wurde, als wäre er in einen schlechten Bogen verwandelt worden, weder von der Furcht Gottes bewegt noch durch das vorgeführte Wunder von Reue erfasst noch durch väterliche Ermahnung gebessert und verharrte hartnäckig in seinen Freveln.131

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9. Quomodo rex Kazimirus et Stanislaus sunt contemporanei. Iste Kazimirus, de quo supra premisimus132 et nunc ad prosequendum historie ordinem de ipso subicimus, quod fuerit in Alemaniam pulsus, beati Stanislai fuit contemporaneus. Uterque enim eorum in puericia traditus fuit litteris imbuendus, Stanislaus quidem in Polonia133, Kazimirus vero in Alemania litterarum apicem attigisse cognoscitur, sicut in cronicis declaratur.134 10. De clade Polonie, que accidit tempore eius. Eodem quoque tempore clades illa Polonie accidit, quod stirpe ducali et regia in Polonia deficiente naciones135, que tribute solite erant reddere regi Polonie, consurrexerunt, quasi lupi rapaces, per circuitum vastantes regnum Polonie; monasteria comburebantur et ecclesie, perimebantur monachi et ecclesiastice persone, senes et iuvenes gladio iugulabantur, virgines ac vidue et maritate violabantur et in captivi­ tatem cum ignominia ducebantur. Consumpta autem per incendia subitosque genti­ lium incursus iam pene tota Polonia136, cum aliunde non esset auxilium, maiores natu inierunt consilium, ut requirerent et invenirent et reducerent in regnum exulem et eiectum Kazimirum. Hic enim competenter instructus137 et iuvenis factus robus­ tus, ex Alemania in Gallias transiens et in monasterium Cluniacense veniens138, sancta conversacione monachorum Deo ibidem famulancium illectus et spiritu Dei inflammatus, vitam mutavit et sub habitu sancti Benedicti Deo militare cepit.139

Vgl. oben I, 3. Vgl. oben I, 7 und Anm. 84. 134  Vgl. Galli anonymi cronicae (wie Anm. 3), I, 21; deutsch in Polens Anfänge (wie Anm. 3), S. 85: „[…] da er als Kind von seinen Eltern einem Kloster dargebracht und dort in der Heiligen Schrift nach Art der freien Künste erzogen worden ist.“ Die Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 22, S. 270, Z. 14–15 kam mit ihrer Formulierung „[…] nachdem er [Kasimir] gewiss schon längst von seiner Mutter den Studien der Wissenschaft übergeben und in diesen angemessen unterrichtet worden war […]“ dieser Nachricht des Gallus noch etwas näher. 135  Vgl. oben I, 3. 136  Über die inneren Unruhen und äußeren Bedrängnisse der piastischen Herrschaft während der 1030er Jahre berichten in ähnlicher Weise Gallus Anonymus und Magister Vincentius; Galli anonymi cronicae (wie Anm. 3), S. 42–44 (I, 19), deutsch: Polens Anfänge (wie Anm. 3), S. 80–82; Magistri Vincentii Chronica (wie Anm. 4), S. 154–159 (II, 14). 137  Vgl. Anm. 134. 138  Die in der polnischen Überlieferung später populäre Erzählung vom vorübergehenden (fiktiven) Aufenthalt Kasimirs im Kloster Cluny begegnet hier zum ersten Mal. 139  Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 22, S. 270, Z. 7–18. 132  133 

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9. Wie König Kasimir und Stanisław Zeitgenossen waren. Dieser Kasimir, von dem wir oben etwas vorausgeschickt haben132 und nun hinzufügen, um den Ablauf der Geschichte zu folgen, dass er nach Deutschland vertrieben worden war, war ein Zeitgenosse des heiligen Stanisław. Beide waren in ihrer Kindheit dem Studium übergeben worden; wie bekannt ist, erlernte Stanisław die Kunst der Schrift in Polen133, Kasimir aber in Deutschland, wie in den Chroniken gezeigt wird.134 10. Über das Unglück Polens, das sich zu seiner Zeit ereignete. In ebendieser Zeit, da in Polen das herzogliche und königliche Geschlecht im Sterben lag, trat jenes Unglück Polens ein, bei dem sich Völker135, die es gewohnt waren, dem König von Polen Tribut zu zahlen, gemeinsam erhoben und wie reißende Wölfe das Königreich Polen rings um zu verwüsten begannen; Klöster und Kirchen wurden niedergebrannt, Mönche und Kleriker dahingerafft, Greise und junge Männer durch das Schwert gemeuchelt, Jungfrauen, Witwen und Ehefrauen vergewaltigt und in schmachvolle Gefangenschaft entführt. Als die Feuersbrünste und plötzlichen Überfälle der Heiden schon beinahe ganz Polen136 zerstört hatten und von nirgendwoher Hilfe kam, beschlossen die Ältesten, den ins Exil vertriebenen Kasimir zu suchen, zu finden und in die Königsherrschaft zurückzuführen. Denn dieser war als sorgfältig ausgebildeter137 und kräftiger junger Mann von Deutschland nach Frankreich hinübergegangen, in das Kloster Cluny gekommen138 und hatte vom heiligen Lebenswandel der dort Gott dienenden Mönche beeinflusst und vom Geist Gottes entflammt sein Leben geändert und begonnen, im Gewand des heiligen Benedikt Gott zu dienen.139

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11. De recuperacione

regis140

Kazimiri de claustro Cluniacensi.

Ac vero legati Polonorum assumpto comitatu multo variisque muneribus in auro et argento, profecti sunt ad requirendum ducem Kazimirum. Tandem post longam pe­ regrinacionem pervenientes Cluniacum invenerunt eum ibidem sub habitu mona­ stico iam septimum agentem annum. Expositisque causis itineris et apertis thezauris suis obtulerunt ei et abbati suo munera, vasa aurea et argentea, subinferentes quot clades et quanta mala propter ipsius absenciam sustineat Polonia; denique petunt dominum abbatem, ut eis ducem suum restitueret, supplicant nichilominus Kazi­ miro, ut in Poloniam rediret regnumque gubernaret et populum suum ab hostibus liberaret. Abbas autem habito prudentum virorum consilio respondit, se non posse annuere peticioni ipsorum neque satisfacere desiderio, quia is, qui renunciavit seculo, redire non posset ad seculum, nisi provida summi pontificis ad hoc accederet dispen­ sacio. Tunc legati Polonie responso abbatis accepto gradu concito Romam adeunt, summo pontifici Benedicto nono legacionem proferunt, dispensacionem petunt, allegant quoque calamitates Polonie, profanacionem fidei Christiane, incendia eccle­ siarum, subversionem urbium, violacionem virginum, oppressionem viduarum, ef­ fusionem sanguinis innocentum et multitudinem Christianorum utriusque sexus deductam in captivitatem et redactam in servitutem paganorum.141 12. De dispensacione regis Kazimiri, de denarioque sancti Petri. Auditis autem papa Benedictus Polonie desolacionibus, Christiane fidei compassus casibus gentique orbate principe misertus, ducem Kazimirum ad tenenda regni ­Polonie gubernacula redire decrevit. Ne ergo stirps regia vel ducalis omnino deperiret et regnum Polonie successore careret cum eodem duce Kazimiro, ut matrimonium legitime posset contrahere, misericorditer dispensavit. Ob cuius dispensacionis bene­ ficium ac recordacionis memorabile signum indictum est Polonis, ut in tonsura ro­ tunda conformarent se moribus religiosorum. Statutum est nichilominus, ut pro alendo lumine ecclesie beati Petri Rome censum solverent, quod vocatur Swatopetre id est sanctum beati Petri.142 Exsecuti negocium, assecuti propositum legati Polono­ rum leti et alacres redeunt Cluniacum et exinde excipientes ducem suum Kazimirum

140  Während Bolesław I. und Bolesław II. kurzzeitig (1024/25 bzw. 1076–1079) tatsächlich eine Königskrone trugen, waren Kasimir I. und alle Piasten nach Bolesław II. bis 1295 lediglich Herzöge; die mittelalterliche polnische Historiographie hat dennoch auch sie häufig als „rex“/ „reges“ bezeichnet. 141  Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 23, S. 270, Z. 19 bis S. 271, Z. 15. 142  Gemeint ist der so genannte Peterspfennig (denarius s. Petri), eine Abgabe an den Papst, von der im Fall Polens unklar ist, ob sie bis ins späte 10. Jahrhundert zurückreicht oder erst im 11., 12. oder 13. Jahrhundert eingeführt worden ist.

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11. Über die Heimholung

König140

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Kasimirs aus dem Kloster Cluny.

Daher machten sich Gesandte der Polen, ausgestattet mit großem Gefolge und verschiedenen Geschenken aus Gold und Silber, auf die Suche nach Herzog Kasimir. Schließlich kamen sie nach langer Reise im Ausland nach Cluny und fanden ihn dort im Mönchsgewand, das er schon das siebente Jahr trug. Nachdem sie den Grund ihrer Reise erklärt und ihre Schätze gezeigt hatten, boten sie ihm und dem Abt ihre Geschenke, goldene und silberne Gefäße, dar und fügten hinzu, wie viel Unglück und welch große Übel Polen aufgrund seiner Abwesenheit erleide. Schließlich ersuchten sie den Herrn Abt, ihnen ihren Herzog zurückzugeben und baten außerdem demütig Kasimir, er möge nach Polen zurückkehren, das Reich lenken und sein Volk von den Feinden befreien. Der Abt aber antwortete, nachdem er sich mit klugen Männern beraten hatte, er könne weder ihre Bitte erfüllen noch ihrem Wunsch entsprechen, weil jemand, der der Welt entsagt hat, nicht in die Welt zurückkehren kann, wenn dafür nicht ein Dispens des höchsten Bischofs vorliegt. Darauf eilten die Gesandten Polens, die die Antwort des Abtes akzeptierten, raschen Schritts nach Rom, trugen dem höchsten Bischof, Benedikt IX., ihr Anliegen vor, baten um Dispens, legten auch das Unglück Polens dar, die Entweihung des christlichen Glaubens, das Brandschatzen der Kirchen, die Zerstörung der Städte, die Vergewaltigung der Jungfrauen, die Unterdrückung der Witwen, das Vergießen unschuldigen Blutes und die Verschleppung vieler Christen beiderlei Geschlechts in die Gefangenschaft und ihre Auslieferung in die Knechtschaft der Heiden.141 12. Über den Dispens für König Kasimir und den Peterspfennig. Als Papst Benedikt von den Verwüstungen Polens hörte, von den Bedrängnissen des christlichen Glaubens ergriffen war und Mitleid mit dem Volk hatte, das seines Fürsten beraubt war, entschied er, Herzog Kasimir möge heimkehren und die Herrschaft über das Reich Polen in seine Hand nehmen. Und damit das königliche oder herzogliche Geschlecht nicht gänzlich ausstirbt und das polnische Reich nicht eines Thronfolgers entbehrt, erteilte er ebendiesem Herzog Kasimir gnädig den Dispens zur Schließung einer legitimen Ehe. Wegen der Vergünstigung dieses Dispenses und als denkwürdiges Zeichen der Erinnerung wurde den Polen aufgetragen, sich mit einer runden Tonsur den Bräuchen der Mönche anzupassen. Außerdem wurde verfügt, dass sie für die Beleuchtung der Kirche des heiligen Petrus in Rom eine Abgabe zahlen, die Swatopetre, d. h. das Heilige des heiligen Petrus genannt wird.142 Nachdem sie ihren Auftrag erfüllt und ihr Ziel erreicht hatten, kehrten die Gesandten der Polen fröhlich und munter nach Cluny zurück, nahmen dort ihren Herzog Kasimir in Empfang und zogen nach Deutschland zu

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veniunt in Alemaniam ad imperatorem Ottonem143 avunculum suum. Ubi cum exercuisset magne probitatis audaciam, sexcentorum virorum armatam miliciam ad eum deducendum et in regnum intronizandum transmisit imperator in Poloniam. Hinc veniens licet cum difficultate ac bellorum certamine, tandem hostibus expu­ gnatis, cum pace possedit regnum Polonie.144 13. Quomodo rex Kazimirus de dispensacione uxoratus est. Post hec accepit uxorem de Rusie principibus145 nobiliorem nomine Dobronegam dictam, cognomine Mariam, ex qua genuit quatuor filios, primogenitum Boleslaum, secundum Wladislaum, tercium Mesconem, quartum Odonem.146 14. De archiepiscopatu Cracoviensis ecclesie. Eodem tempore anno MoXLoVIo Aaron monachus Tinciensis147 in episcopum Cracoviensem postulatur.148 Assumptus autem ad peticionem regis Kazimiri, per eundem papam Benedictum Colonie consecratur et privilegio archiepiscopatus insignitur. Forma autem posicionis eius talis in cronicis reperitur: Pro reverencia principis apostolorum, sub cuius velamento te staturum constituisti et pro amore regis Kazimiri, qui et Karoli, domini vestri eiusque coniugis Marie eorumque filii Boleslai tociusque regni vestri statuimus, stabilimus, dicamus, benedicimus in perpetuum archiepiscopatum apud civitatem Cracoviensem, que hactenus erat episcopatus. Cui eciam subicimus omnes omnium episco­ patuum parrochias, que in toto regno sunt Polonico, ut archiepiscopali more uniTatsächlich entweder Konrad II. (gest. 1039) oder sein Nachfolger Heinrich III. Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 24, S. 271, Z. 16 bis S. 272, Z. 11. Zur Rückkehr Kasimirs nach Polen um 1040 und der Wiederherstellung des regnum Poloniae durch ihn vgl. Eduard Mühle, Kasimir I., Krakau und die Restauration piastischer Herrschaft in den 1040/50er Jahren, in: Das Sakramentar von Tyniec. Eine Prachthandschrift des 11. Jahrhunderts und die Beziehungen zwischen Köln und Krakau in der Zeit Kasimirs des Erneuerers, hrsg. von Klaus Gereon Beuckers/Andreas Bihrer, Wien u. a. 2018, S. 243–260. 145  Maria Dobronega (* um 1012) war eine Tochter des Kiewer Fürsten Vladimir I., der bereits 1015 gestorben war, so dass ihre Brüder, vor allem Großfürst Jaroslav I., der Weise, um 1040 ihre Eheschließung mit Kasimir veranlassten. 146  Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 24, S. 271, Z. 11–14; vgl. Galli anonymi cronicae (wie Anm. 3), S. 44 (I, 19); deutsch in Polens Anfänge (wie Anm. 3), S. 82. 147  Das in der zweiten Hälfte des 11. Jh. gegründete Benediktinerkloster liegt knapp 12 km südwestlich vom Krakauer Wawelberg. 148  Das zehn Kilometer westlich von der Krakauer Wawelburg gelegene Benediktinerkloster wurde im 11. Jahrhundert entweder bereits von Kasimir I. oder von Bolesław II. gegründet, wobei im ersteren Fall vermutet wird, dass der mit Kasimir aus dem Rheinland nach Krakau gekommene Aaron als dessen erster Abt fungierte. 143  144 

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Otto.143

seinem Onkel, Kaiser Da er [Kasimir] dort den Mut großer Tapferkeit bewiesen hatte, schickte der Kaiser ein bewaffnetes Gefolge von sechshundert Männern nach Polen, um ihn zu begleiten und in die Herrschaft einzusetzen. Dort angekommen, bezwang er, wenn auch mit Mühen und im Kampf der Schlachten, schließlich die Feinde und herrschte in Frieden über das polnische Reich.144 13. Wie König Kasimir mit Dispens geheiratet hat. Danach empfing er von den Fürsten der Rus’145 eine vortreffliche Ehefrau, die Dobronega genannt wurde, mit anderem Namen Maria, mit der er vier Söhne zeugte: den erstgeborenen Bolesław, den zweiten Władysław, den dritten Mieszko und den vierten Odo.146 14. Über den Erzbischof der Krakauer Kirche. Zu dieser Zeit, im Jahre 1046, wurde Aaron, ein Mönch aus Tyniec147, zum Erzbischof von Krakau berufen.148 Auf Bitten König Kasimirs wurde er angenommen, in Köln von eben diesem Papst Benedikt [IX.] geweiht und mit der erzbischöflichen Würde ausgezeichnet. Der Wortlaut seiner Ernennung wird in den Chroniken folgendermaßen wiedergegeben: „Zur Ehre des Apostelfürsten [Petrus], unter dessen Schirm du zu stehen beschlossen hast, und aus Liebe zu eurem Herrn, König Kasimir, auch Karl [genannt], sowie zu seiner Gattin Maria und ihrem Sohn Bolesław [II.] und zu eurem ganzen Königreich errichten, bestätigen, weihen und segnen wir für ewige Zeiten das Erzbistum in der Stadt Krakau, das bisher [nur] Bistum war. Auch unterstellen wir ihm alle Pfarreien aller Bistümer, die im gesamten polnischen Reich bestehen,

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uersis presideat. Tibi quoque, archiepiscope, concedimus pallium diebus sollempnibus deferendum.149 Denique anno MoLoVIIIo rex Kazimirus vita excessit et Boleslaus filius eius in regnum successit. Anno quoque MoLoVIIIIo Aaron archiepiscopus Cracoviensis obiit150, cui Lambertus, qui et Zula dictus, succedens archiepiscopatus insignia petere noluit. Hic est Lambertus, qui beatum Stanislaum ecclesie Cracoviensis canonicum instituit. Quo mortuo anno MoLoXXIIo Stanislaus successit et octavo sui episcopatus anno sub rege Boleslao151 ad martirii palmam pervenit, IIIo ydus Aprilis, luna VI, feria quinta post octavas Pasche, qua cantatur: Surrexit pastor bonus152, sub Gregorio papa VIIo.153 15. De probitate et perversitate regis Boleslai. Hic Boleslaus propter sui sceleris immanitatem, quam exercuit in beato martire Stanislao, cognominatus est sevus, propter excellenciam largitatis antonomasice dictus est largus, ob insignem audaciam virtutis appellatus est bellicosus.154 Quante enim liberalitatis, quanteque probitatis extiterit, per singula enarrare non est necesse.155 Licet autem bonum virtutis fundamentum iecisse videatur ab inicio, sed tamen terra sabulosa dehiscente omne opus, quod videbatur esse de genere bono149  Eine authentische Urkunde oder Chronikpassage, die diesem Text zugrunde liegen könnte, ist nicht bekannt. Die vermeintliche Erhebung Aarons zu einem „Erzbischof von Krakau“ muss als eine Erfindung des 13. Jahrhunderts angesehen werden, der das damalige Streben der Krakauer Kirche nach Gleichberechtigung mit dem Erzbistum Gnesen zugrunde lag. Aaron dürfte aber von 1046–1058 als Krakauer Bischof amtiert haben, auch wenn Faktum und Datum seiner Erhebung nur hier genannt sind. 150  Die Sterbedaten von Kasimir und Aaron so auch in den Annalen des Krakauer Domkapitels; Annales Cracovienses priores (wie Anm. 2), S. 48. 151  Vgl. Anm. 140. 152  Joh 10, 11. 153  Papst Gregor VII. wurde im April 1073 zum Papst gewählt, während Stanisław, wie die Annalen des Krakauer Domkapitels festhielten, im April 1079 ermordet wurde; Annales Cracovienses priores (wie Anm. 2), S. 51. 154  Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 25, S. 272, Z. 15–16; vgl. oben Anm. 3. In das polnische historische Gedächtnis eingegangen sind die Beinamen „der Freigiebige“ (szczodry) und „der Kühne“ (śmiały). 155  Die Vita minor hat das in ihren Kapiteln 25–29 noch ausführlich getan und mit Hilfe einer wörtlichen Wiedergabe der entsprechenden Passagen aus der Chronik des Magisters Vincentius [Magistri Vincentii Chronica II, 16 (1), (4)–(6); II, 17 (1) und (4); II, 18 (1)–(11)] ein erstaunlich positives Bild von Bolesław II. gezeichnet. Dazu hat sie ihn nicht nur als besonders freigiebig, bescheiden und unbestechlich gerühmt, sondern auch als einen unverdrossenen Kämpfer dargestellt, der die Macht und Größe des regnum Poloniae wiederhergestellt und das Land erfolgreich gegen äußere Übergriffe von Seiten der Ungarn, Österreicher, Böhmen, Mährer und Pomoranen

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damit es in erzbischöflicher Weise allen vorsteht. Und dir, Erzbischof, erlauben wir, an den Feiertagen das Pallium zu tragen.“149 Schließlich schied König Kasimir im Jahr 1058 aus dem Leben und sein Sohn Bolesław [II.] folgte ihm in der Herrschaft. Im Jahr 1059 starb auch der Krakauer Erzbischof Aaron150; auf ihn folgte Lambertus, auch Suła genannt, der sich nicht um die erzbischöflichen Insignien bemühen wollte. Dieser Lambertus war es, der den heiligen Stanisław zum Kanoniker der Krakauer Kirche ernannte. Nach seinem Tode im Jahr 1072 folgte ihm Stanisław nach, der im achten Jahr seines Epis­ kopats, unter der Herrschaft des Königs Bolesław [II.]151, am dritten Tag vor den Iden des Aprils [11. April], am sechsten Tag des Mondmonats, am Donnerstag nach der Osteroktav, als [beim liturgischen Mess-Einzug] gesungen wurde: „Ein guter Hirte ist aufgestanden“152, unter Papst Gregor VII., zum Sieg seines Martyriums gelangte.153 15. Über die Freigiebigkeit und Torheit König Bolesławs [II.]. Dieser Bolesław wurde wegen der Ungeheuerlichkeit seines Verbrechens, das er am heiligen Märtyrer Stanisław verübte, auch ‚der Schreckliche‘, wegen des Vorzugs seiner Freigiebigkeit mit entgegengesetztem Namen auch ‚der Freigiebige‘ und wegen der auffallenden Kühnheit seiner Tatkraft ‚der Kriegerische‘ genannt.154 Mit welch großer Freigiebigkeit und Tapferkeit er hervortrat, muss nicht im Einzelnen erzählt werden.155 Und obwohl es scheint, als hätte er zu Beginn ein gutes Fundament für seine Tugend gelegt, so tat sich dann doch der sandige Boden auf und stürzte jedes Werk, das seiner Art nach als ein gutes erschien, in den

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rum, corruit in abyssum. Quia vero ambiciosos oportet esse liberales, cum expetant humanos favores, quod in eo liberalitatis fuit, vento ambicionis exsufflatur, quod vero strenuitatis exstitit, profundo viciorum involvitur.156 Hic improbus pro recupe­ randis terminis regni Polonie,157 quos amiserant patres sui158 post tempora proavi sui magni regis Boleslai, suo stipatus exercitu exteras regiones peragravit et contra rebelles prelia multa commisit. Iam vero septimus annus volvebatur, quo rarus in patria, continuus in castris, semper vero apud hostes morabatur.159 Commoratus autem et commixtus inter gentes didicit opera eorum et servivit immundiciis eorum. Intermisso studio virtutum, factus est sentina omnium viciorum, traditus quoque in reprobum sensum, sicut equus et mulus, quibus non est intellectus, passionibus ignominie et contumelie affectus, carnis sue sequens luxuriam, gloriam suam in ignominiam et naturalem usum mutavit in eum usum, qui est contra natu­ ram.160

16. Quomodo vulgus per nobiles et nobiles per Boleslaum sunt deleti. Dum vero avidus victorie perdiutissime extra patriam immoratur, mora eius rei publice quantum commodi attulit et utilitatis, tantum postmodum ingessit discrimi­ nis, quantumque in se honeste habuit exercitacionis, tantum peperit fede insolencie ac dissolucionis. Nobilibus enim Polonie cum rege bellorum exercitacionibus occupatis, interim uxores ac filias eorum servi ad sua vota inflectunt, quasdam longa exspectacione maritorum fessas, alias desperacione deceptas, vi nonnullas ad serviles amplexus pertractas. Denique servi, ut scriptum est, delicate enutriti, protervientes in dominos suos161, lares eorum et cubilia occupant, municipia firmant, non solum vero contra reversuros municiones exstruunt, verum eciam reversis bellum infligunt. Nobiles vero Poloni, qui cum rege fuerant in castris multo tempore demorati, com­ perta fama tante prodicionis ac sceleris perpetrati, zelo iniurie vindicande animis concitati, contra regis imperium reversi sunt ad propria illicenciati. Tandem servo­ rum municionibus vix expugnatis, pro singulari temeritate singularibus eos perdide­ runt suppliciis. Sed et feminas, que ultro servis consenserant ac thori legitimi preva­ verteidigt habe. Eine solche ausführliche positive Darstellung erschien Vincentius von Kielce/ Kielcza nach Stanisławs Heiligsprechung nicht mehr angebracht. 156  Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 35, S. 283, Z. 6–9. 157  Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 30, S. 277, Z. 14. 158  Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 26, S. 274, Z. 17. 159  Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 30, S. 277, Z. 12–15. 160  Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 31, S. 278, Z. 14–16. 161  Vgl. Spr 29, 21.

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­ bgrund. Da es sich aber für ehrgeizige [Menschen] gehört, freigiebig zu sein, wenn A sie unbedingt die Gunst der Menschen gewinnen wollen, wurde das, was in ihm an Freigiebigkeit vorhanden war, vom Wind des Ehrgeizes davongeblasen; was ihn aber an Tüchtigkeit auszeichnete, wurde von der Tiefe der Laster eingehüllt.156 Um die Grenzgebiete des polnischen Reiches157 zurückzuerlangen, die seine Vorväter158 nach der Zeit seines Urgroßvaters, des großen Königs Bolesław [I.], eingebüßt hatten, durchstreifte dieser Ruchlose umringt von seinem Heer fremde Gebiete und führte viele Kämpfe gegen die Aufrührer. So war schon das siebente Jahr vergangen, da er sich selten im Vaterland, ständig in Feldlagern und immer unter den Feinden aufhielt.159 Während er dort weilte und sich unter die Heiden mischte, lernte er ihre Angelegenheiten kennen und diente ihren unreinen Gebräuchen. Er hörte auf, den Tugenden nachzustreben, wurde eine Kloake aller möglichen Frevel, gab sich auch, wie ein Pferd oder Maultier, die keinen Verstand haben, verwerflichen Neigungen hin, wurde von den Leidenschaften des Schimpfs und der Schande erfasst und tauschte der Zügellosigkeit seines Fleisches folgend seine Ehre gegen die Schande und den natürlichen Umgang gegen einen solchen ein, der gegen die Natur ist.160 16. Wie das Volk durch die Adligen und die Adligen durch Bolesław ­vernichtet  wurden. Während er sich des Sieges begierig überaus lange außerhalb des Vaterlandes aufhielt, brachte seine Abwesenheit dem Gemeinwesen so viel Nutzen und Vorteil, wie sie kurz darauf Gefahr heraufführte und so viel ehrbare Heeresfahrten er veranstaltete, so viel schändliche Überheblichkeit und Zerfall verursachte er. Denn während die Großen Polens zusammen mit dem König auf den Kriegszügen beschäftigt waren, machten sich ihre Knechte unterdessen ihre Frauen und Töchter gefügig, denn einige waren des langen Wartens auf ihre Männer müde, andere von Verzweiflung erfasst, einige wurden auch mit Gewalt in die Umarmungen der Knechte gezwungen. Da üppig genährte Knechte, wie geschrieben steht, ihren Herren gegenüber frech werden161, besetzten sie schließlich deren Häuser und Schlafgemächer, verstärkten die Burgorte und errichteten nicht nur Schutzwerke gegen die Heimkehrenden, sondern überzogen auch die [bereits] Heimgekehrten mit Krieg. Als die polnischen Adligen aber, die beim König waren und sich lange Zeit in den Feldlagern aufgehalten hatten, die Nachricht von einem so großen Verrat und Verbrechen erreichte, entbrannte in ihren Herzen das Verlangen, die Schande zu rächen; gegen den Befehl des Königs kehrten sie unerlaubterweise in die Heimat zurück. Nachdem sie schließlich mit Mühe die Schutzwerke der Knechte erobert hatten, richteten sie diese für ihre unerhörte Vermessenheit mit unerhörten Torturen zugrunde. Aber auch die Frauen, die sich den Knechten freiwillig hingegeben und zu Sünderinnen am legitimen Ehebett geworden waren, töteten sie mit grausamen Strafen. Damals wurde der [kultivierte] Ölbaum

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ricatrices extiterant, penis atrocissimis peremerunt. Extunc olea in oleastrum et favus versus est in absinthium.162 17. Quomodo ad ubera mulierum catulos fecit apponi. Rex vero Boleslaus post multas cedes adversariorum et victorias elevatus in super­ biam, belue rugientis induens seviciam, efferatis animis in Poloniam rediit et in suos ab hostibus bellum intorsit. Fingit illos iniurias suas non in plebe ulcisci, sed regiam in plebe maiestatem persequi; gloria enim, inquit, est principis in multitudine plebis, plebe vero deleta, rex quid erit? Ait eciam viros uxorios sibi non placere, quibus plus placet causa feminea quam principis obsequela. Conqueritur nichilominus se non tam apud hostes desertum, quam hostibus ultro et studiose expositum. Proinde maiores et precipuos capitis abscisione dampnat et quos aperte capere non valet vel perimere veretur, insidiis aggreditur. Mulieres quoque, quibus mariti pepercerant ducti humana mansuetudine, tanta insectatus est inhumanitate, ut ad earum ubera catulos applicare non horruerit, infantulis abiectis, quibus hostis pepercisset, si Scita vel gentilis fuisset. Astruebat enim pocius exstirpari oportere scortorum scandala, quam foveri. Quot tunc mulieres ingenue, quot matrone nobiles, quot denique ma­ ritate pudice servili prostitute sunt incestui et habite ostentui, quotque servorum in dominos conspirata est malicia, quot capita suppliciis exposita, hoc de vena exiciali crudelissimi Boleslai processit, hoc de fonte amaritudinis ipsius emanavit.163 18. De canonica ammonicione. Videns autem Stanislaus Cracoviensis episcopus, quod crudelem Boleslaum a nefario opere et a sua truculencia non posset paterne revocare, sed quasi lupum rapacem et beluam sevientem in oves dominicas desevire et gladium tyrannidis eius in populo Christiano crassari et sanguine innocentum debriari, iura quoque thori maritalis violari, Deum non timere, hominem non vereri, iusticiam opprimi, ascendens ex adverso se murum pro domo Domini opposuit et ponere animam suam pro grege Domini non dubitavit; Christi quoque hostia mox futurus, velut agnum mansuetum sese obtulit ad immolandum. Premissa igitur ammonicione

162  Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 30, S. 277, Z. 15 bis S. 278, Z. 13, die hier ihrerseits zu großen Teilen wörtlich aus Magister Vincentius [Magistri Vincentii Chronica II, 18 (12)–(14)] geschöpft haben. 163  Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 31, S. 278, Z. 16 bis S. 279, Z. 1, die auch hier zu großen Teilen wörtlich Magister Vincentius II, 20 (1)–(2) und (12) ausgeschrieben haben.

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[= Olivenbaum] zu einem wilden Ölbaum und die Honigwabe in Wermut verwandelt.162 17. Wie er den Brüsten der Frauen Welpen anlegen ließ. König Bolesław aber, der nach den vielen siegreichen Blutbädern unter seinen Feinden hochmütig geworden war, nahm die Wildheit einer brüllenden Bestie an, kehrte mit verwildertem Herz nach Polen zurück und wandte den Krieg von den Feinden gegen die Seinen. Er gab vor, dass jene im Volk nicht sein eigenes Unrecht rächten, sondern im Volk die königliche Majestät verfolgen würden; die Ehre des Fürsten nämlich, so sagte er, liege in der Menge des Volkes. Was aber wäre das für ein König, wenn das Volk vernichtet ist? Auch sagte er, dass er Männer nicht mag, die ihren Frauen ergeben sind und denen das weibliche Schicksal wichtiger sei als der Gehorsam gegenüber dem Fürsten. Er beklagte überdies, dass sie ihn nicht nur vor dem Feind im Stich gelassen, sondern freiwillig und mit Bedacht den Feinden ausgesetzt hätten. Deshalb verurteilte er die Vornehmsten und Ehrbarsten zum Tod durch Enthauptung und machte sich an die, die er nicht offen zu ergreifen wagte oder zu töten fürchtete, mit Hinterlist heran. Auch die Ehefrauen, die die Männer, von menschlicher Milde geleitet, verschont hatten, wurden mit so großer Unmenschlichkeit verfolgt, dass er nicht davor zurückschreckte, ihren Brüsten Welpen anzulegen, nachdem er ihnen die Kinder weggerissen hatte, die selbst ein Feind verschont hätte, sei er ein Skythe oder ein Heide. Er behauptete nämlich, dass es eher nötig sei, die Skandalhandlungen der Huren auszumerzen als zu fördern. Dass so viele frei geborene Frauen, so viele edle Matronen und schließlich so viele züchtige Ehegattinnen der knechtischen Unzucht preisgegeben und der Schande ausgesetzt worden sind, dass sich so viele Knechte hinterlistig gegen ihre Herren verschworen haben und so viele Köpfe den Todesstrafen ausgesetzt wurden – all dies ging aus der unheilvollen Ader des überaus grausamen Bolesław hervor, entsprang der Quelle seiner Bitterkeit heraus.163 18. Über die kanonische Ermahnung. Als aber Stanisław, der Krakauer Bischof, sah, dass er den grausamen Bolesław von seinem schändlichen Tun und seiner Rohheit nicht auf väterliche Weise abhalten konnte, dieser vielmehr wie ein blutrünstiger Wolf, wie eine wilde Bestie unter den Schafen des Herrn wütete, sich das Schwert seiner Tyrannei gegen das christliche Volk wandte und am Blut Unschuldiger berauschte, auch die Rechte des Ehebetts verletzt wurden, er Gott nicht fürchtete, keinen Menschen achtete und die Gerechtigkeit unterdrückt wurde, da stellte er sich ihm entgegen, richtete sich wie eine Mauer vor dem Haus des Herrn auf und zögerte nicht, seine Seele für die Herde des Herrn hinzugeben. Da er bald ein Opfer für Christus sein sollte, bot er sich wie ein sanftmütiges Lamm der Opferung dar. Er erteilte ihm folglich eine

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secundum normam ecclesiastice discipline, prius illi regni comminatur excidium, deinde anathematis intentat gladium, ecclesie quoque denegat introitum. At ille paterne correccionis impaciens quasi lignum tortuosum et aridum, quod facilius frangi potest quam dirigi, ad deteriora quelibet provocatur, immaniori vesania in­ duitur et ut alter Pharao iusto Dei iudicio maiori duricia cordis excecatus indu­ ratur.164 19. Quomodo sanctus Stanislaus martirizatus est per regem Boleslaum ad ­ecclesiam sancti Michaelis. In ecclesia itaque sancti Michaelis de Rupella165 sancto presule divina celebrante et patrocinia sanctorum implorante, iuxta aram inter infulas, non ordinis, non loci, non temporis, non sanctorum, non divinam presentem reveritus maiestatem, corripi et ab ara trahi iubet antistitem. Ad quem satellites atrocissimi quociens irruere temp­ tant, tociens cadunt, tociens compuncti ruunt; tercio prostrati mansuescunt.166 Quos tyrannus stans ante fores ecclesie obiurgat indignantissime dicens: O, inquit, ignavi et degeneres, non potestis unum sacerdotem trahere! Deinde irruens ad aram, ut Dohec Ydumeus167 in Christum Dominum, manus inicit violentas, ipse sponsum a gremio sponse, pastorem ab ovili [abstrahit], ipse patrem inter filie amplexus et fi­ lium in maternis pene obtruncat visceribus. O luctuosum, o transfunebre funeris spectaculum! Sanctum prophanus, pium sceleratus, presulem sacrilegus crudeli gla­ dio prosternit et diris vulneribus impressis, ense iam saciato sanguine, Deo dignam victimam efficit. Sic iustus cadit coram impio, sic bonus pastor moritur pro grege suo, sic granum frumenti cadens in terram surgit in uberem spicam et excussa palea transit in horreum Domini cum fruge multa; sic miles Christi, sic atletha Domini agonizat pro iusticia, sic Naboth verus moritur in area, ne in hortum olerum transeat vinea.168 Clamat in celum vox fusi sanguinis, terra non silet sudans aspersione rosei Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 32, S. 279, Z. 15 bis S. 280, Z. 1, die ihrerseits hier teils wörtlich Magister Vincentius II, 20 (3) wiedergeben. 165  Die schon für das 11. Jh. belegte Michaelskirche lag knapp 1 km südlich der Wawelburg auf dem linken Weichselufer im Krakauer Siedlungsteil Skałka; vom ursprünglichen Rundkirchenbau ist nach der gotischen Überbauung und der Anlegung einer Krypta nichts erhalten geblieben. 166  Ähnlich ließ schon die im ausgehenden 10. Jahrhundert verfasste Passio sancto Vencezlai martyris, hrsg. von Josef Emler, in: Fontes rerum Bohemicarum 1, Praha 1873, S. 146–166, hier S. 159 (Kap. 18) die von Boleslav I. zur Ermordung seines Bruders Wenzel angestachelten „Verbrecher dreimal [ansetzen] und dreimal, wie auf irgendeine Art ermüdet, [wieder] auf ihre Sitze zurücksinken.“ 167  Nach 1 Sam 22, 18 tötete Doeg auf Geheiß von König Saul 85 Priester. 168  Nach 1 Kg 21, 1–16 weigerte sich Naboth, seinen Weinberg an König Achab zu verkaufen und wurde daraufhin auf Betreiben von dessen Frau Isebel ermordet. 164 

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Ermahnung gemäß den Vorschriften der Kirchenlehre, drohte ihm zunächst mit dem Untergang seiner Herrschaft, streckte dann das Schwert des Kirchenbanns aus und untersagte ihm das Betreten der Kirche. Jener aber war nicht geneigt, die väterliche Belehrung zu dulden und wurde wie ein gewundener, trockener Ast, den man leichter brechen als geradebiegen kann, nur umso mehr zum Schlechteren gereizt, wurde von noch ungeheuerlicherem Wahnsinn erfasst und verschloss sich verblendet wie ein zweiter Pharao mit noch größerer Hartherzigkeit dem gerechten Urteil Gottes.164 19. Wie der heilige Stanisław durch die Hand des Königs Bolesław in der St. Michaelskirche den Märtyrertod starb. Daher ließ [Bolesław II.] den Bischof, als der heilige Bischof den Gottesdienst in der St. Michaelskirche von Rupella [Skałka]165 zelebrierte und gerade den Schutz der Heiligen erbat, im vollen Ornat beim Altar ergreifen und ohne Rücksicht auf die Würde, den Ort, den Augenblick und weder die Heiligen noch die Gegenwart der göttlichen Majestät fürchtend, vom Altar wegschleppen. So oft aber seine grässlichen Gefolgsmänner versuchten, sich auf ihn zu stürzen, so oft fielen sie, so oft stürzten sie von Reue ergriffen nieder; nach dem dritten Niederfallen waren sie ganz zahm.166 Der vor den Toren der Kirche stehende Tyrann beschimpfte sie auf abscheulichste Weise: „Oh, ihr missratenen Feiglinge, könnt ihr nicht einmal einen Priester ergreifen!“ Dann stürzte er – wie der Edomiter Doeg167, auf Christus, den Herrn – zum Altar, erhob seine gewalttätigen Hände und entriss höchstselbst den Bräutigam dem Schoß der Braut, den Hirten vom Stall, schlachtete höchstselbst den Vater in der Umarmung der Tochter und den Sohn beinahe noch im Mutterleib. Oh, welch jammervolles, welch Schauspiel einer Bestattung jenseits des Leichenbegängnisses! Der Ruchlose streckte den Heiligen, der Frevelhafte den Frommen, der Gottlose den Bischof mit dem grausamen Schwert nieder, drückte ihm schreckliche Wunden auf und machte ihn durch das schon von Blut triefende Schwert zu einem Gott würdigen Opfer. So fiel der Gerechte vor den Augen des Gottlosen, starb der gute Hirte für seine Herde, so wuchs das Weizenkorn, das auf die Erde fiel, zur üppigen Ähre heran und ging nach Abwerfen des Strohs mit reicher Ernte hinüber in den Speicher des Herrn; so kämpfte der Ritter Christi, der Athlet des Herrn für die Gerechtigkeit; so starb der wahre Nabot auf seinem Feld, damit sein Weinberg nicht zu einem Gemüsegarten wurde.168 Die Stimme des vergossenen Blutes schrie zum Himmel, die von blutigem Tau feuchte Erde

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cruoris ipseque met gladius parricide cruentatus martiris sanguine perpetrati sceleris vindictam expetit in auctore. Sic cruentissimus innoxium scelestis manibus interimit martirem gloriosum et singulos artus minutissime dissecans membratim discerpit, bestiis et volucribus celi in omnem ventum dispergit, acsi a singulis partibus mem­ brorum pena exigi debuisset et memoriam nominis ipsius auferri de sub celo credi­ disset.169 O iocundum, o suave Dei iudicium et omni prorsus dulcedine plenum, quia ille Boleslaus superbissimus humilis pontificis malleator ei, quem cruentis manibus malleavit, quasi speciosum diadema non sine regali purpura beato Stanislao aulam regis eterni ingressuro fabricavit. 20. De aquilis et celestibus radiis ad custodiam corporis celitus deputatis et de reintegracione membrorum eiusdem. Sed Deus omnipotens, qui in suis operibus semper est laudabilis et in sanctis suis predicatur mirabilis, ad declarandas et custodiendas sui gloriosi martiris exsequias celestes et terrenas subito deputavit creaturas. E quatuor namque mundi partibus a Deo cominus misse, quatuor vise sunt advolare aquile, que sublimius locum passio­ nis circinantes a contactu sacri corporis abigerent vultures aliosque sanguipetas ali­ tes.170 Cuius in custodele reverencia pervigili diem nocti et noctem continuant diei. Noctem appellem an diem? Diem pocius dixerim quam noctem; hec enim altera nox est, de qua scriptum est: Et nox ut dies illuminabitur.171 Mire eciam rutilancie tot in singulis locis celitus divine fulserunt lampades, quot sacri corporis disperse sunt par­ tes. Videres tunc ipsum celum terre dedisse suum ornatum et gloriam, quam quorun­ dam decore siderum et quibusdam radiis solis putares distinctam. Hac vero alacri­ tate miraculi animati ac zelo devocionis quidam patrum accensi sparsas membrorum minucias colligere gestiunt, pedetentim ad locum passionis accedunt. Mirabile dictu! Corpus integerrimum reperiunt, tinctum sanguine, sine omni cicatricum notamine, tollunt, asportant et apud eandem basilicam sancti Michaelis iuxta introitum ecclesie divinis conditum aromatibus recondunt. Per decennium autem, quo gleba corporis beati Stanislai martiris ad ecclesiam sancti Michaelis sepulta quievit, iugis dictarum lampadum splendor ab eodem loco non discessit.172

Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 32, S. 280, Z. 1 bis S. 281, Z. 5, die im ersten Teil (von inter infulas bis presulem sacrilegus) ihrerseits Magister Vincentius II, 20 (4)–(5) größtenteils wörtlich abgeschrieben hat. 170  Vgl. Passio sancti Adalperti martiris, hrsg. von August Bielowski, in MPH 1, Lwów 1864 [Nachdruck: Warszawa 1961], S. 151–156, hier S. 156 (Kap. 8). 171  Vgl. Ps 139 (138), 12. 172  Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 33, S. 281, Z. 6 bis S. 282, Z. 6 und Kap. 34, S. 282, Z. 8–10, die hier ihrerseits weitgehend wörtlich Magister Vincentius II, 20 (6) abgeschrieben haben. 169 

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schwieg nicht still und selbst das vom Blut des Märtyrers befleckte Schwert des Vatermörders forderte Rache gegen den Urheber des verübten Verbrechens. So tötete er äußerst blutrünstig mit verbrecherischen Händen einen unschuldigen, ruhmreichen Märtyrer. Er riss ihn, indem er seine einzelnen Glieder abhackte, in Stücke und warf sie in alle Richtungen den wilden Tieren und Vögeln des Himmels hin, so als ob er jedes einzelne seiner Glieder bestrafen müsste und [auf diese Weise] die Erinnerung an seinen Namen aus der Welt zu schaffen glaubte.169 Oh, wie freudig, wohltuend und ganz von Süße erfüllt war das Urteil Gottes, denn Bolesław, dieser überaus hochmütige Zerstückeler des demütigen Bischofs, ­verfertigte ihm, dem heiligen Stanisław, den er mit grausamen Händen zerstückelte, gleichsam eine prächtige Krone und ein königliches Purpurgewand, damit er in den Palast der königlichen Ewigkeit einziehen konnte. 20. Über die Adler und die himmlischen Strahlen, die zur Bewachung des ­Leichnams vom Himmel gesandt wurden, und die ­Wiederzusammenfügung seiner Glieder. Der allmächtige Gott aber, der in seinen Werken stets preiswürdig ist und in seinen Heiligen verherrlicht wird, sandte sogleich himmlische und irdische Geschöpfe, damit sie die Leichenteile seines ruhmreichen Märtyrers bezeichnen und bewachen. Man sah nämlich aus den vier Himmelsrichtungen sogleich vier von Gott gesandte Adler herbeifliegen, die hoch oben den Ort des Leidens umkreisend die Geier und andere Aasvögel von einer Berührung des heiligen Leibes abhielten.170 Auf ihrer ehrfürchtigen Wacht verbanden sie den Tag mit der Nacht und die Nacht mit dem Tag. Soll ich von Nacht oder Tag sprechen? Ich würde es eher Tag als Nacht nennen, steht doch von der anderen Nacht geschrieben: Und die Nacht wird wie ein Tag erhellt werden.171 Denn so viele Teile des heiligen Leibes zerstreut waren, so viele himmlische Lichter erstrahlten an den einzelnen Stellen in einem wunderbaren rötlichen Glanz. Damals schien es, als habe der Himmel selbst der Erde seinen Schmuck und seine Herrlichkeit verliehen, weil man meinen konnte, [die Erde] sei vom Glanz der Sterne und gleichsam von den Strahlen der Sonne verziert. Von der Freude über das Wunder ermutigt und entbrannt im Eifer der Frömmigkeit wollten einige der Väter die zerstreuten kleinen Teile der Glieder einsammeln und näherten sich Schritt für Schritt dem Ort des Leidens. Wie wunderbar! Sie fanden den Leib völlig unversehrt vor, zwar von Blut befleckt, aber ohne die geringste Spur von Narben. Sie hoben ihn auf, trugen ihn fort und setzten ihn in göttliche Düfte gehüllt bei ebendieser Basilika des heiligen Michael neben dem Kircheneingang bei. Für das Jahrzehnt aber, in dem der ­Klumpen des Leibes des heiligen Märtyrers Stanisław bei der Michaelskirche beigesetzt ruhte, wich der fortdauernde Glanz der besagten Lichter nicht von diesem Ort.172

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21. De apparicionibus et revelacionibus beati Stanislai. Ex eo igitur tempore Deus ad gloriam sui nominis merita gloriosi sui martiris cepit declarare multis miraculis. Crescebat enim cottidie et per omnes volitabat virtutum eius opinio et augebatur paulatim populi circa sanctum devocio. Fiebat frequenter super sepulchrum ipsius de nocte luminum coruscacio et erat in eodem loco devotorum hominum in oracione pernoctacio. Fiebant quoque sancti Stanislai multe revelaciones et tribulati corde recipiebant multas consolaciones et diversarum infirmitatum quamplurimas curaciones. Unde accidit, ut quidam vir bonus, dum secundum consuetudinem sepulchrum beati Stanislai visitaret et intempeste noctis silencio ibidem cum aliis in oracione persisteret, vidit quadam nocte cum hiis, qui aderant in ecclesia beati Michaelis, que tota celesti radiabat lumine, be­ atum Stanislaum pontificalibus indutum cum personis venerabilibus ad aram stare et divina sacramenta peragere ac pontificalem benediccionem astantibus dare.173 22. Item. Alias quoque de nocte eadem ecclesia beati Michaelis multo lumine coruscante, quibusdam viris devotis et feminis in oracione pernoctantibus et furtivas vigilias circa tumbam agentibus visus est sanctus pontifex Stanislaus in medio ecclesie pontificali­bus amictus stare et cum duobus ordinibus personarum venerabilium psalmos Daviticos decantare et vocibus alternantibus ymnos dulcissimos resonare.174 23. Item. Ad sepulchrum quoque ipsius viris pluribus et mulieribus ex devocione concurrentibus et tumbam eius amplexibus cordis et oris contingentibus vel aliquid de pulvere aut lapillis sepulcri eius capientibus huiuscemodi tactus et multas egritudines curavit corporis et quam plurimas pestes fugavit mentis. Ipse eciam talibus, dum adhuc ad ecclesiam beati Michaelis sanctum eius quiesceret corpus, frequen­ ter apparuit et de multis, que ad salutem vel consolacionem anime pertinent, edo­ cuit et hoc idem iam ad maiorem ecclesiam translatus fecit.175

Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 34, S. 282, Z. 11–13. Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 34, S. 282, Z. 11–16. 175  Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 34, S. 282, Z. 15–20, die hier berichtet, dass der Leichnam bereits zehn Jahre nach Stanisławs Tod in die Kathedrale auf dem Wawel („ad ecclesiam beati Wencezlai“) überführt worden sei. Der tatsächliche Zeitpunkt der Überführung des Leichnams in die „größere Kirche“, d. h. die Kathedrale, ist umstritten; vgl. oben Anm. 10 und 17. 173  174 

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21. Über die Erscheinungen und Offenbarungen des heiligen Stanisław. Seit dieser Zeit also begann Gott zur Ehre seines Namens die Verdienste seines ruhmreichen Märtyrers durch zahlreiche Wunder deutlich zu offenbaren. Denn von Tag zu Tag mehrte und verbreitete sich überall der Ruhm seiner Tugenden und allmählich wuchs im Volk die Verehrung des Heiligen. Über seinem Grab blitzte des Nachts oft ein Licht auf, und fromme Menschen durchwachten an ebendiesem Ort die Nacht im Gebet. Es kam auch zu häufigen Erscheinungen des heiligen Stanisław und geplagte Menschen empfingen viel Trost und ebenso viele Heilungen von verschiedenen Krankheiten. Und so geschah es, dass ein gewisser ehrbarer Mann, als er seiner Gewohnheit nach das Grab des heiligen Stanisław besuchte und in der ungestörten Stille der Nacht dort mit anderen im Gebet verharrte, eines Nachts zusammen mit denen, die [mit ihm] in der Kirche des heiligen Michael weilten, die ganz von einem himmlischem Licht erstrahlte, den heiligen Stanisław erblickte, wie er in Bischofsgewänder gekleidet und in Begleitung ehrwürdiger Personen am Altar stand, die heilige Messe zelebrierte und den Anwesenden seinen bischöflichen Segen spendete.173 22. Dasselbe. Ein anderes Mal erschien nachts in derselben, von zahlreichen Lichtern erleuchteten Kirche des heiligen Michael, frommen Männern und Frauen, die dort die Nächte im Gebet verbrachten und bei [seinem] Grab heimliche Nachtwachen hielten, der heilige Bischof Stanisław, wie er in sein Bischofsgewand gekleidet in der Mitte der Kirche stand und zusammen mit zwei Reihen ehrwürdiger Personen die Psalmen Davids sang und in wechselnden Stimmen die süßesten Lobgesänge ertönen ließ.174 23. Dasselbe. An seiner Grabstätte strömten aus Ehrerbietung auch viele Männer und Frauen zusammen, berührten sein Grab in Umarmungen des Herzens und Mundes oder nahmen etwas Staub oder Steinchen von seiner Grabstätte an sich; dergestalt berührt hat er sowohl zahlreiche körperliche Leiden geheilt als auch viele Plagen des Geistes vertrieben. Solange sein heiliger Leib in der Kirche des heiligen Michael ruhte, erschien er oft solchen [frommen Menschen] und belehrte sie über viele Dinge, die ihr Seelenheil oder die Tröstung ihres Herzens betrafen, und tat dasselbe, als er bereits in die größere Kirche überführt worden war.175

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24. Item de anuli virtute. Denique anulo eius pontificali consignati vel de aque intinccione ipsius anuli potati, innumerabiles infirmi, maxime gutturosi et morbis turgentibus inflati, non solum fideles Christiani, sed et perfidi Iudei per merita martiris Christi Stanislai usque in diem hodiernum optate restituuntur sanitati. Longum est autem enarrare et calamo describere, quot et quantis signis tunc Dominus sanctum suum clarifica­ vit176, sed fragilis humana condicio, ingrata Dei beneficio, multa ipsius miracula neglexit et processu temporis oblivioni tradidit. 25. De morte et eventu regis Boleslai. Cum igitur beati Stanislai sanctitas per ora hominum lacius volitaret frequentesque appariciones fierent et miraculorum ipsius insignia aures truculentissimi regis attingerent, Boleslaus, cuius nomen ex duobus corruptis compositum, versum in latinum dolorem et gloriam sonat177, id presignans, quod ipsius gloria foret in ignominiam commutanda et voluptatum eius dulcedo, putredo et vermis, in amaritudinem absinthii et fellis esset convertenda; impaciens glorie et invidens tante excellencie beatissimi pontificis et martiris Stanislai, nimio timore percussus, ut parricida cruentissimus, quem non malicie consciencia fecit humilem, sed sceleris audacia reddidit contumacem, non minus patrie, quam patribus invisus in Hunga­ riam secessit expulsus. Tempore vero modico, secundo videlicet exilii sui anno, inaudito languore correptus et in amenciam cecidit et mortem sibi conscivit. Mesco vero filius eius cum eo in exilium actus, in primo pubertatis flore veneno interiit et sic tota domus Boleslai corruit et martiri Stanislao iustas penas exsolvit.178

Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 34, S. 282, Z. 20 bis S. 283, Z. 2. Hier wird auf die Semantik der beiden Namenssilben abgehoben: Bole = ból = Schmerz und sław = sława = Ruhm. 178  Vita minor (wie Anm. 34) Kap. 35, S. 283, Z. 3 bis S. 284, Z. 2), wiederum mit einzelnen Zitaten aus Magister Vincentius II, 20 (9) und (15). Von einem unrühmlichen Ende Bolesławs und seines Sohnes Mieszko berichteten bereits Galli Anonymi cronicae (wie Anm. 3), S. 54–55 (I, 28 Schluss – 29). 176  177 

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24. Dasselbe über die Kraft seines Ringes. Schließlich werden bis zum heutigen Tage unzählige Kranke, besonders an Halsund Geschwulstkrankheiten Leidende, nicht nur gläubige Christen, sondern auch ungläubige Juden, sobald sie mit seinem Bischofsring gesegnet werden oder Wasser trinken, in das dieser Ring getaucht wurde, durch die Verdienste Stanisławs, des Märtyrers Christi, in der ersehnten Gesundheit wiederhergestellt. Es würde aber zu lange dauern zu erzählen und mit der Feder aufzuschreiben, mit wie vielen und wie großen Zeichen der Herr damals seinen Heiligen verherrlicht hat.176 Doch die schwache, der Gnade Gottes gegenüber undankbare menschliche Natur hat seine zahlreichen Wunder ignoriert und im Laufe der Zeit dem Vergessen anheimgegeben. 25. Über den Tod und das Ende von König Bolesław. Als sich also die Heiligkeit des heiligen Stanisław durch Menschenmund weiter verbreitete, es zu häufigen Erscheinungen kam und die Zeichen seiner Wunder das Ohr des äußerst groben Königs Bolesław erreichten, dessen Name aus zwei deformierten Ausdrücken zusammengesetzt war und der ins Lateinische übersetzt Schmerz und Ruhm bedeutet177 – was schon anzeigt, dass sich sein Ruhm in Schande und die Süße seiner Wollust (sie war ja nur Fäulnis und Wurm) in die Bitterkeit von Wermut und Galle verwandeln musste –, da konnte er den Ruhm nicht ertragen und neidisch auf die große Vollkommenheit des heiligsten Bischofs und Märtyrers Stanisław verfiel er in schreckliche Angst und verschwand, verbannt wie ein blutrünstigter Mörder, den das Bewusstsein der eigenen Bosheit nicht demütig, sondern die Frechheit des Verbrechens nur trotziger machte, dem Vaterland ebenso verhasst wie den Vätern, nach Ungarn. Aber nur wenig später, nämlich im zweiten Jahr seines Exils, wurde er von einer unbekannten Krankheit ergriffen, verfiel dem Wahnsinn und wählte für sich den Tod. Sein Sohn Mieszko aber, der mit ihm verbannt worden war, starb in der ersten Blüte seiner Jugend durch Gift. Auf diese Weise stürzte das ganze Haus des Bolesław und zahlte dem Märtyrer Stanisław die gerechte Strafe.178

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26. De amissione corone Polonie.179 Notandum quoque, quod sicut per modestiam ac pietatem proavi sui magni regis Boleslai corona regni Polonie aucta crevit, sic per huius Boleslai impietatem decrevit. Nam propter parricidium ipsius, quod in beato Stanislao martire commisit, non solum corona de capite posteritatis ipsius cecidit, sed et ipsa Polonia usque ad presens tempus suam gloriam et regni honorem amisit et sicut ille Boleslaus sue gentis dilatavit imperium, sic iste velut rex insipiens populum perdidit, nobiles peremit et in solitudinem Poloniam redegit. Et quemadmodum ille episcopatus fundavit et donis regalibus ampliavit, episcopalem quoque dignitatem extulit, sic iste sanctum Dei presulem Stanislaum mactando crudeliter, regale sacerdocium propha­ navit.180 Iusto ergo Dei iudicio agitur, ut qui innocentem occidit, ipse sibi vitam

179  Die in den Kapiteln II, 26–27 (und III, 56–57) formulierte Geschichtsphilosophie dürfte maßgeblich zur Ausbildung des mittelalterlichen polnischen ‚Nations‘-Bewusstseins beigetragen haben. Sie bot eine eingängige Erklärung für den Niedergang des regnum Poloniae im 13. Jahrhundert, indem sie diesen als eine göttliche Strafe für die Unzulänglichkeit und Gottlosigkeit der weltlichen Herrschaft darstellte. Zugleich weckte sie die Hoffnung auf eine künftige Wiedervereinigung des Reiches; vgl. Marian Plezia, Rola kultu św. Stanisława w dziele zjednoczenia państwa polskiego na przełomie XIII i XIV w. [Die Rolle des Kultes des hl. Stanisław im Werk der Vereinigung des polnischen Staates an der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert], in: W drodze 7 (1979), 5, S. 15–21; Sławomir Gawlas, Die mittelalterliche Nationenbildung am Beispiel Polens, in: Mittelalterliche nationes – neuzeitliche Nationen. Probleme der Nationenbildung in Europa, hrsg. von Almut Bues/Rex Rexheuser, Wiesbaden 1995, S. 121–143, hier S. 132–134; Jurek, Polska droga (wie Anm. 36), S. 146–159; Ożóg, Środowisko (wie Anm. 20), S. 78–80; Wojciech Dominiak, Rola kultu św. Stanisława na Śląsku w polityce zjednoczeniowej książąt opolskich w XIII w. [Die Rolle des Kultes des hl. Stanisław in Schlesien in der Vereinigungspolitik der Herzöge von Oppeln im 13. Jahrhundert], in: Kult św. Stanisława na Śląsku (1253–2003), hrsg. von Anna ­Pobóg-Lenartowicz, Opole 2004, S. 49–60; Drelicharz, Unifying (wie Anm. 28), bes. S. 188–190. Die jüngste Forschung relativiert die politische Bedeutung der Prophezeiung der Stanisław-Vita allerdings, indem sie annimmt, dass sie wahrscheinlich weniger weltlich-politisch als geistlicheschatologisch motiviert und gedacht gewesen sei; so Przemysław Wiszewski, Rex in regno suo? Wokół wyobrażeń i propagandy władzy królewskiej Piastów (do 1296 r.) [Der König in seinem Reich? Zur Imagination und Propaganda der Königsherrschaft der Piasten (bis zum Jahr 1296)], in: Proměna (wie Anm. 36), S. 416–483, bes. S. 457; Paweł Żmudzki, Liber de Passione Martiris i Vita Maior S. Stanislai. Na marginesie książki Wojciecha Drelicharza o idei zjednoczenia królestwa [Der Liber de Passione Martiris und die Vita Maior S. Stanislai. Eine Randbemerkung zum Buch von Wojciech Drelicharz über die Idee der Vereinigung des Königreiches], in: KH 122 (2015), S. 855–876, bes. S. 870–871. Dazu passt die Beobachtung von Kuzmová, Division (wie Anm 25), S. 158–161, dass in einschlägigen Predigten des 13.–15. Jahrhunderts der politische Aspekt des Stanisław-Kultes eher selten in den Vordergund getreten sei. 180  Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 35, S. 284, Z. 3 bis S. 285, Z. 3; zum Ausdruck „regale sacer­docium“ vgl. 1 Petr 2, 9.

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26. Über den Verlust der Krone

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Polens.179

Es ist auch anzumerken, dass, so wie durch die Bescheidenheit und Frömmigkeit seines Urgroßvaters, des großen Königs Bolesław [I.], die Krone des polnischen Reiches gemehrt wurde und wuchs, sie durch die Gottlosigkeit dieses Bolesław [II.] gemindert wurde. Denn wegen des Mordes, den er an dem heiligen Märtyrer Stanisław beging, fiel nicht nur die Krone vom Haupt seiner Nachkommenschaft, auch Polen selbst verlor bis in die heutige Zeit seinen Ruhm und die Würde des Königreiches. Und so wie jener Bolesław [I.] die Herrschaft seines Geschlechts erweiterte, so richtete dieser wie ein törichter König das Volk zugrunde, vernichtete die Adligen und verwandelte Polen in eine Wüste. Und während jener Bistümer gründete und mit königlichen Schenkungen ausstattete, auch die bischöfliche Würde erhöhte, schändete dieser durch seinen grausamen Mord am Heiligen Gottes, dem Bischof Stanisław, die königliche Priesterschaft.180 Folglich geschah es aus dem gerechten Urteil Gottes, dass derjenige, der den Unschuldigen

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adimeret et qui caput pontificis amputare non horruit et infulam conculcavit, ipse quoque profugus exularet et regium diadema sibi ac suis posteris amputaret et peregrinus in terra aliena male dies suos finiret. Et sicut ipse corpus martiris in multas partes secuit et in omnem ventum dispersit, sic Dominus regnum eius scidit et plures principes in eo dominari permisit et, ut peccatis nostris exigentibus in presenciarum cernimus, hoc regnum in se ipsum divisum in conculcacionem et direpcionem vastantibus per circuitum dedit.181 Sed sicut divina potencia idem beatissimum presulis et martiris corpus sine cicatricum notamine redintegravit et ipsius sanctitatem signis et prodigiis declaravit, sic futurum est, ut per eius merita regnum divisum in pristinum statum restauret, iusticia et iudicio roboret, gloria et honore coronet.182 27. De restauracione regni Polonie. Invenimus enim in descripcionibus annalium Polonorum183 et in vita beati Stephani regis Hungarorum, quod dux Mesco factus Christianus ad dominum papam Leonem sollempnes nuncios misit et ab eo sibi dari coronam humiliter postulavit. Cumque summus pontifex sue peticioni benignum assensum preberet et corona miro opere iam fabricata foret, ecce ex Hungaria eodem tempore missi Romam veniunt legati petentes, suum dominum ducem Stephanum regio diademate insi­ gniri. Cumque in crastino nunciis Polonie dari corona debuisset, ut voti compotes ad dominum suum ducem Polonie leti redirent, eadem nocte angelus Domini pape Leoni per visionem apparuit et duci Polonie dari coronam prohibuit, sed Stephano duci Hungarie fore tradendam censuit. Quare autem illi dedit et isti dari prohibuit, in eisdem cronicis causam insinuavit. Hec, inquit, gens magis diligit iniusticiam quam iusticiam, magis silvarum densitudinem et ferarum venacionem quam camporum planiciem et frugum ubertatem, magis diligit canes quam homines, plus pauperum oppressiones quam divinas leges et cetera, que ibi ab angelo 181  Hier beklagt Vincentius von Kielce/Kielcza den aktuellen Zustand des inzwischen in zahlreiche Teilfürstentümer zersplitterten regnum Poloniae, das während der Abfassung der Vita maior oder kurz davor (1258/59) zudem erneut Opfer eines Überfalls der Tataren geworden war. 182  An die Klage über den aktuellen politischen Zustand des regnum Poloniae knüpft Vincentius von Kielce/Kielcza hier die Hoffnung und Zuversicht auf dessen künftige Wiedervereinigung an. Für die Realisierung dieses politischen Zieles ist der Stanisław-Kult tatsächlich eine entscheidende ideologische Grundlage geworden. 183  Gemeint ist die so genannte, wohl in den 1220–30er Jahren am Hof des ungarischen Königsohnes Koloman, des Ehemanns der Salomea und kurzzeitigen Königs von Galizien, verfasste Ungarisch-Polnische Chronik, die in Kap. 6 die gänzlich erfundene Geschichte von der Mieszko I. zugunsten Stefans I. von Papst Leo VIII. vorenthaltenen Krone erzählt; Chronica ­Hungaro-Polonica. Pars I. (Textus cum varietate lectionum), hrsg. von Béla Karácsonyi, Szeged 1969 [= Acta Universitatis szegediensis de Józef Attila nominatae. Acta Historia 26], S. 30–32.

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getötet hat, sich selbst das Leben nahm und derjenige, der nicht davor zurückschreckte, das Haupt des Bischofs abzuschlagen und seine Inful mit Füßen trat, auch selbst ins Exil fliehen musste, sich und seine Nachkommen der Königskrone beraubte und als Fremder im fremden Land seine Tage elendig beendete. Und so wie dieser den Leib des Märtyrers in viele Teile zerhackte und in alle Winde zerstreute, so zerteilte der Herr sein Königreich, gestattete es, dass ziemlich viele Fürsten in ihm herrschten und überließ dieses in sich selbst geteilte Reich, wie wir heute durch die Schuld unserer Sünden erkennen, benachbarten Verwüstern zum Niedertrampeln und Ausplündern.181 Aber so wie die göttliche Macht ebendiesen heiligsten Leib des Bischofs und Märtyrers ohne eine Spur von Narben wieder zusammengefügt und seine Heiligkeit durch Zeichen und Wunder offenbart hat, so wird sie durch seine Verdienste das geteilte Königreich in Zukunft in seinem früheren Zustand wiederherstellen, es durch Gerechtigkeit und Rechtssprechung stärken und mit Ruhm und Ehre krönen.182 27. Über die Wiederherstellung des polnischen Königreiches. Denn in den Aufzeichnungen der Annalen der Polen183 sowie in der Vita des heiligen Stefan, des Königs der Ungarn, lesen wir, dass Herzog Mieszko, nachdem er Christ geworden war, eine feierliche Gesandtschaft zum Herrn Papst Leo schickte und von ihm demütig erbat, ihm eine Krone zu geben. Und als der höchste Bischof seiner Bitte die gnädige Zustimmung schenkte und bereits eine kunstvolle Krone angefertigt war, siehe, da kamen zur gleichen Zeit Abgesandte aus Ungarn mit der Bitte nach Rom, ihren Herrn, den Herzog Stefan, mit einer Königskrone auszuzeichnen. Und obwohl er am folgenden Tag den Abgesandten Polens die Krone hätte übergeben sollen, damit sie nach erfülltem Auftrag fröhlich zu ihrem Herrn, dem Herzog von Polen, zurückkehrten, erschien dem Papst Leo in ebendieser Nacht in einer Vision ein Engel des Herrn und untersagte ihm, die Krone dem Herzog von Polen zu geben, sondern riet ihm, sie Stefan, dem Herzog von Ungarn, zu übergeben. Den Grund aber, weshalb er jenem die Krone gab und sie diesem zu geben untersagte, hat er in denselben chronikalischen Aufzeichnungen mitgeteilt. Dieses Volk, sagte [der Engel], liebt die Ungerechtigkeit mehr als die Gerechtigkeit, das Dickicht der Wälder und die Jagd auf wilde Tiere mehr als die Ebene der Felder und den Reichtum der Früchte; es liebt die Hunde mehr als die Menschen, die Unterdrückung der Armen mehr als die göttlichen Gesetze und weiteres, was dort vom Engel mitgeteilt wird. Dennoch wird durch denselben

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insinuantur. Per eundem tamen angelum bona spes a Domino de restauracione regni Polonie promittitur ex eo, quod ibidem legitur: Verum tamen in fine dierum gentis illius miserebor et gloria regni illam illustrabo. Deus enim prescius futurorum, visitans peccata parentum in terciam et quartam generacionem filiorum, quia ipse solus novit, quando debeat misereri genti Polonorum et restaurare ruinas eorum, ideo usque ad ista tempora omnia insignia regalia, coronam videlicet, sceptrum et lanceam in armario Cracoviensis ecclesie, que est urbs et sedis regia, ut superius memoravimus184, adhuc servat recondita, usque dum ille veniat, qui vocatus est a Deo tamquam Aaron185, cui sunt hec reposita. Pars III. 1. De translacione corporis sancti Stanislai. Post passionem beati Stanislai, cum iam anni decimi volveretur circulus, quo eiusdem martiris ad ecclesiam sancti Michaelis humatum quieverat corpus, apparuit gloriosus pontifex cuidam nobili matrone, que locum eius sepulture solita erat frequentare et interdum nocte profunda ibidem in oracione persistere ac merita sanctitatis ipsius pro suis necessitatibus interpellare. Quadam igitur nocte, dum devocioni ibidem intenderet, vidit beatum Stanislaum presulem ad altare sancti Michaelis visibiliter quasi missarum sollempnia celebrantem et sibi in modum corone venerabilium personarum ordinem assistentem. Peractis autem divinis audit eum sese taliter alloquentem: Ego sum Stanislaus Cracoviensis episcopus. Vade, dic episcopo et canonicis, fratribus meis, ut corpus meum transferant ad ecclesiam kathedralem, quia hic iaceo sine debito honore et ossa mea teguntur pulvere. Episcopus vero et canonici audita relacione religiose femine, non increduli, sed certi de oraculi revelacione, anno MoLXXXoVIIIo sacrum corpus eius transtulerunt ad ecclesiam maiorem cum debita veneracione.186 2. Item de apparicionibus ipsius. Postquam autem translata est gleba corporis beati Stanislai et posita cum honore debito in medio ecclesie beati Wenceslai, similibus signis et apparicionum portenVgl. oben I, 2. Vielleicht ein Bild für die vom Autor bereits Bolesław V., dem zum Zeitpunkt der Abfassung der Vita in Krakau herrschenden Herzog, zugeschriebene Ambition, eine Königskrone zu erlangen, wie sie sein ungarischer Schwager seit langem trug und 1253 auch die benachbarten Fürsten von Halič und Litauen vom Papst erhalten hatten. 186  Die von einem Teil der Forschung als hagiographischer Topos gedeutete Nachricht hält Labuda, Zapiski (wie Anm. 44), S. 35–39; ders., Translacje (wie Anm. 9), S. 419–421 für authentisch und älteren annalistischen Aufzeichnungen entnommen; vgl. auch Anm. 17. 184  185 

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Engel vom Herrn die gute Hoffnung auf eine Wiederherstellung des polnischen Königreiches zugesichert, was aus dem hervorgeht, das dort zu lesen ist: Am Ende der Tage aber werde ich mich jenes Volkes erbarmen und es mit der Ehre des Königreiches auszeichnen. Denn Gott, der die Zukunft kennt, straft die Sünden der Eltern bis in die dritte und vierte Generation der Söhne, weil er allein weiß, wann er sich des Volkes der Polen erbarmen und seine Ruinen wiederaufrichten soll. Deshalb verwahrt er bis in unsere Zeit alle königlichen Insignien, nämlich die Krone, das Zepter und die Lanze, versteckt in der Schatzkammer der Kirche in Krakau, das – wie wir oben erwähnt haben184 – der königliche Hauptsitz ist, solange auf, bis derjenige kommt, der, wie einst Aaron185, von Gott berufen ist und für den diese [Insignien] aufbewahrt werden. Teil III. 1. Von der Überführung des Leibes des heiligen Stanisław. Als nach der Leidensgeschichte des heiligen Stanisław bereits zehn Jahre vergangen waren, während derer der Leib des Märtyrers bei der Kirche des heiligen Michael beigesetzt ruhte, erschien der rühmliche Bischof einer adligen Frau, die es gewohnt war, den Ort seiner Grabstätte häufig aufzusuchen, dort bisweilen in tiefer Nacht im Gebet zu verharren und die Verdienste seiner Heiligkeit für ihre Nöte anzuflehen. Eines Nachts, als sie im frommen Gebet versunken war, sah sie den heiligen Bischof Stanisław, wie er sichtbar am Altar des heiligen Michael gleichsam die feierliche Messe zelebrierte und ihn dabei eine Reihe von ehrwürdigen Personen wie ein Kranz umstanden. Nachdem aber der Gottesdienst beendet war, hörte sie, dass er sie folgendermaßen ansprach: „Ich bin Stanisław, der Krakauer Bischof. Gehe und sage dem Bischof [Prandota] und den Kanonikern, meinen Brüdern, sie sollen meinen Leib in die Kathedralkirche überführen, weil ich hier ohne die mir gebührende Ehre ruhe und meine Gebeine von Staub bedeckt werden.“ Nachdem der Bischof und die Kanoniker den Bericht der frommen Frau vernommen hatten, nicht ungläubig, sondern von der Weissagung einer Offenbarung überzeugt, überführten sie seinen heiligen Leib im Jahre 1088 mit der gebührenden Ehrerbietung in die größere Kirche.186 2. Ebenso über seine Erscheinungen. Nachdem aber der irdische Leib des heiligen Stanisław überführt und mit gebührender Ehre inmitten der Kirche des heiligen Wenzel beigesetzt worden war, begann Gott die Großartigkeit seiner Heiligkeit durch ähnliche Zeichen und

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tis cepit Deus ostendere magnalia sue sanctitatis. Quodam etenim tempore campane eiusdem ecclesie, clausis hostiis, media nocte, audite sunt compulsari simul preter morem. Proinde dominus Damianus, qui et Doman dictus, ipsius ecclesie tunc decanus187 et alii multi canonici a sompno expergefacti et inusitate pulsacionis novitate excitati ad ecclesiam concurrunt, sed hostia ecclesie diligencius obserata reperiunt. Deinde frequenti pulsu et clamosis vocibus ecclesie custodibus advocatis, causam ab eis insolite compulsacionis campanarum inquirunt. E quibus duo sanctuarii Petrech videlicet et Gromaza, grandevi etate, qui in ipsa ecclesia frequencius soliti erant excubare, sciscitantibus tale responsum dederunt: Vidimus beatum Stanislaum missarum sollempnia celebrare et circa eum chorum ministrorum Dei stare et campanas sine nostro et omni humano ministerio per semet ipsas pulsare. 3. Item de eodem. Magister quoque Benedictus eiusdem ecclesie scolasticus, vir bone conversacionis ac Deo devotus188; hic solebat frequenter primo galli cantu ante matutinas ecclesiam beati Wenceslai intrare et suarum oracionum Deo vota persolvere. Petrech vero sanctuarius iam dictus, homo probatus et etate provectus, iste die et nocte frequens in ecclesia erat, quia in pulsacione campanarum vices suorum sociorum gerere solebat. De hiis itaque duobus compertum est, quod pueris scolaribus189 et aliis ex pietate et devocione hoc verbum dicere consueverant: O pueri, o iuvenes, audite nos decrepitos et senes! Tempore vestro revelabitur maximus huius ecclesie thesaurus sanctus videlicet Stanislaus, quem nos vidimus oculis nostri altaria Dei circumeuntem et in pontificalibus ornamentis divina misteria pertractantem. 4. De elevacione reliquiarum. Cum autem complacuit dispensacioni divine, nostris novissimis temporibus sanctum suum miraculis evidentibus declarare et manifestis visionibus revelare, fideDa Damian ein Zeitgenosse des in III, 3 genannten Magisters Benedikt war und das Amt des Dekans der Krakauer Kathedrale 1206/10–1229 vom späteren Bischof Wisław ausgeübt wurde, fällt das Ereignis spätestens in das Jahr 1205. Der Kalender des Krakauer Domkapitels überliefert mit dem 16. September nur den Todestag des Damian; Annales Cracovienes priores (wie Anm. 2), S. 162. 188  Der Krakauer Magister Benedikt ist 1206 (KDKK I, 6), 1212 (KDKK I, 8 und KDM I, 9), 1219 (ZDKiDK I, 4, hier als scolasticus) und 1223/24 (KDKK I, 16) urkundlich belegt und den Annalen des Krakauer Domkapitels zufolge 1224 gestorben (Annales Cracovienses priores [wie Anm. 2], S. 74). 189  Gemeint sind die Schüler der Krakauer Domschule, zu denen der Hagiograph Vincentius von Kielce/Kielcza wahrscheinlich einst selbst gehörte. 187 

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wunderbare Erscheinungen kund zu tun. Einmal nämlich hörte man, dass mitten in der Nacht bei verschlossenen Türen ganz gegen den Brauch die Glocken geläutet wurden. Sogleich liefen Herr Damian, der auch Doman genannt wurde und damals Dekan187 dieser Kirche war, und viele andere aus dem Schlaf gerissene und vom ungewöhnlichen Läuten aufgeschreckte Kanoniker bei der Kirche zusammen, fanden die Türen der Kirche aber sorgfältig verschlossen. Nachdem sie die Kirchenwächter mit hartnäckigem Klopfen und lautem Rufen herbeigerufen hatten, fragten sie diese nach der Ursache des ungewöhnlichen Glockengeläuts. Den Wissbegierigen gaben zwei sehr betagte Kirchendiener, nämlich Pietrek und Gromadza, die in dieser Kirche gewöhnlich häufig Wache hielten, folgende Antwort: „Wir sahen, wie der heilige Stanisław die heilige Messe zelebrierte und um ihn herum eine Schar von Dienern Gottes stand und die Glocken ohne unser oder jegliches menschliches Zutun ganz von selbst läuteten.“ 3. Ebenso über dasselbe. Auch der Lehrer dieser Kirche, der Magister Benedikt, ein gottesfürchtiger Mann mit gutem Lebenswandel188, pflegte häufig beim ersten Hahnenschrei, noch vor dem Morgengebet, die Kirche des heiligen Wenzel zu betreten und Gott seine Gebetswünsche darzubringen. Der bereits erwähnte Kirchendiener Pietrek, ein bewährter Mann in vorgerücktem Alter, hielt sich ebenfalls häufig Tag und Nacht in dieser Kirche auf, weil er sich mit seinen Gefährten beim Läuten der Glocken abzuwechseln pflegte. Von diesen beiden aber ist bekannt, dass sie aus Frömmigkeit und Ehrerbietung den jugendlichen Scholaren189 und anderen dieses Wort zu sagen pflegten: „Oh, ihr Knaben und Jünglinge, hört auf uns Sieche und Greise! In euren Tagen wird der größte Schatz dieser Kirche, nämlich der heilige Stanisław, offenbart werden, den wir mit eigenen Augen gesehen haben, wie er am Altar Gottes stand und in seinen Bischofsgewändern die heilige Messe zelebrierte.“ 4. Über die Erhebung der Reliquien. Da es aber dem göttlichen Ratschluss gefiel, in unserer jüngsten Zeit seinen Heiligen durch sichtbare Wunder zu offenbaren und durch deutliche Erscheinungen zu enthüllen, begann auch die Frömmigkeit der Gläubigen immer heftiger nach

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lium quoque devocio ad promocionem canonizacionis beati Stanislai cepit fervidius anhelare. Imminente igitur tempore de canonizacionis ipsius promocione, domino Wislao bone memorie Cracoviensi episcopo iam defuncto et domino Pran­ dotha venerabili patre substituto, quidam miles gravem paciens infirmitatem vidit quasi per sompnum huiuscemodi visionem. Videbatur enim sibi, quod in ecclesia maiori, ubi quiescit corpus beati Stanislai, pulsarentur campane pro missa dicenda in aliqua magna festivitate. Et cum idem eger in visione properaret gracia misse audiende, perveniens ad pedem montis190 invenit predictum Wislaum episcopum rubeis vestimentis pontificalibus sese spoliantem. Eger vero mirabatur, quomodo missa sine episcopo celebraretur. Ad quem conversus episcopus eius respondit cogitacionibus: Non permittor, inquit, ad ecclesiam venire, quia tot annis episcopus fui et corpus beati Stanislai in terre pulvere iacere sustinui; idcirco exspolior hic indumento pontificali. Vade autem et dic episcopo Prandote, ut non negligat ossa sancti de terra elevare. Cui ait infirmus: Non credet michi, inquit, episcopus. At ille: Tunc dicas ei, quare non attendis, quali morte et pro qua causa mortuus est beatus Stanislaus? Quare non advertis, quanta et qualia miracula Deus per suum anulum operatur? Quanta fierent, si ossa eius de terra levarentur? Sicque infirmus evigilans totaliter a sua egritudine exstitit liberatus et per tres septimanas continue mansit sanus. Quibus elapsis in infirmitatem relapsus et ut sibi videbatur, in extasi positus vidit hominem canum, reverende persone, albo superpellicio indutum, super se stantem et quasi cum quadam indignacione sibi dicentem: Et tu eciam usque huc neglexisti! Tunc infirmus pavefactus statim surrexit et ad suos ait: Date michi equum, quia volo ire ad episcopum. Ascenso equo mox sanitati restitutus, ad episco­ pum perrexit et ei, que sibi dicta et circa se gesta fuerant, fideliter enarravit.191 5. De visione cuiusdam matrone de Nova Villa.192 Ad mulierem Theutonicam, bonam ac devotam, febrem per annum cottidie perpessam, sola filia presente et circa infirmam invigilante, quedam matrona reverenda et sibi penitus facie ignota per hostium camere, in qua iacebat, intravit et ad eam per visum dixit: Adelheyta, surge et vade Cracoviam ad sepulchrum beati Stanislai et dicas Troiano ecclesie custodi193, ubi iacet corpus sancti, ut dicat Prandote epi­ 190  Die Kathedrale steht auf dem Wawelhügel, einem Felsplateau, das sich rund 25 Meter über das Niveau der vorgelagerten Stadtteile und des Weichselufers erhebt. 191  Miracula (wie Anm. 22), Art. 35. 192  In der polnischen Übersetzung wird „Villa“ mit „Stadt“ übersetzt und vermutet, dass es sich um die Neustadt von Korczyn gehandelt hat; Żywot większy (wie Anm. 45), S. 338; Średniowieczne żywoty (wie Anm. 22), S. 228. 193  Wahrscheinlich identisch mit dem Kanoniker und Kantor Trojan, von dem die Annalen des Krakauer Domkapitels berichten, dass er am 3. Januar 1269 als hochbetagter Mann, „mehr als hundert Jahre alt“ gestorben sei; zu Lebzeiten sei dieser Trojan zwar „den Verführungen seines

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einer Kanonisierung des heiligen Stanisław zu lechzen. Als daher die Zeit seiner Kanonisierung bevorstand, der Krakauer Bischof Wisław seligen Angedenkens war bereits verstorben und [1242] durch den ehrwürdigen Vater, den Herrn Prandota, ersetzt worden, da sah ein von schwerer Krankheit geplagter Ritter wie im Traum folgende Erscheinung: Es schien ihm, als würden in der größeren Kirche [der Kathedrale], in der der Leib des heiligen Stanisław ruhte, wie zur Messe an einem großen Feiertag die Glocken geläutet. Und als ebendieser Kranke in seinem Traumgesicht sich beeilte, die Messe zu hören, und an den Fuß des Berges190 kam, da fand er den erwähnten Bischof Wisław, wie er sein rotes Bischofsgewand von sich warf. Der Kranke wunderte sich, wie die Messe ohne den Bischof gefeiert werden könnte. Ihm zugewandt antwortete ihm der Bischof auf seine Sorgen: „Ich darf die Kirche nicht betreten, weil ich als Bischof so viele Jahre zugelassen habe, dass der Leib des heiligen Stanisław im Staub der Erde lag; deshalb lege ich hier das Bischofsgewand ab. Du aber gehe hin und sage dem Bischof Prandota, er möge nicht versäumen, die Gebeine des Heiligen aus der Erde zu heben.“ Ihm antwortete der Kranke: „Der Bischof wird mir nicht glauben.“ Darauf jener: „Dann sage ihm: Warum denkst du nicht daran, welchen Tod und aus welchem Grund der heilige Stanisław gestorben ist? Siehst du denn nicht, wie viele und welche Wunder Gott durch seinen Ring wirkt? Wie viele [Wunder] würden [erst] geschehen, wenn seine Gebeine aus der Erde erhoben würden?“ Da erwachte der Kranke und war vollständig von seiner Krankheit befreit und blieb drei Wochen lang gesund. Als diese vorüber waren und er in die Krankheit zurückfiel, sah er – wie ihm schien in eine Entrückung versetzt – einen grauhaarigen, in ein weißes Chorhemd gekleideten Mann, eine ehrwürdige Persönlichkeit, die vor ihm stand und gleichsam voller Empörung zu ihm sagte: „Auch du hast es bislang versäumt!“ Da sprang der Kranke sogleich erschrocken auf und sprach zu den Seinen: „Gebt mir ein Pferd, da ich zum Bischof eilen will.“ Nachdem er das Pferd bestiegen hatte, war seine Gesundheit bald wiederhergestellt und er begab sich zum Bischof und erzählte ihm getreulich, was ihm gesagt worden war und sich um ihn zugetragen hatte.191 5. Über die Vision einer Frau aus Neudorf.192 Zu einer deutschen, guten und frommen Frau, die ein ganzes Jahr täglich an Fieber litt, trat, während nur ihre Tochter bei ihr war und bei der Kranken wachte, eine ehrwürdige Frau, deren Gesicht ihr völlig unbekannt war, durch die Tür in die Kammer ein, in der sie lag, und sprach zu ihr im [Traum-]Gesicht: „Adelheid, steh auf und gehe nach Krakau, zur Grabstätte des heiligen Stanisław und sage Trojan, dem Küster der Kirche193, in der der Leib des Heiligen ruht, er möge dem Krakauer Bischof Prandota ausrichten, er soll den Leib des auserwählten Dieners

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scopo Cracoviensi, quatenus non sinat corpus electi Dei amodo in pulvere iacere, sed statim ossa eius vino et aqua lavet et reponat ea super terram in aliquo mundo vase cum honore et statim liberaberis a tua infirmitate. Quod si non feceris nec hec dixeris, ab egritudine tua non liberaberis. Itaque infirma filiam, que presens erat et alios pueros de domo advocat et que viderat et audierat, eis enarrat et ut ad sepulchrum beati Stanislai ducatur, iniungit et rogat. Et quidem ad sepulchrum sancti pervenit, sed que custodi dicenda fuerant, minime revelavit et idcirco desideratam sanitatem eo tempore non percepit. Sequenti autem nocte cum ad matutinalem horam surgeret et oraret et filia sua Willebertha dormiret, vidit hominem venerabi­ lem ante se stantem et lingua Theutonica sibi dicentem: Adelheyta, sicut dictum est tibi in Novo loco a matrona illa reverenda, vade et dic Troiano custodi et ipse annunciet episcopo, ut ossa mea levet de pulvere, quia satis iam iacui in terra et lavet ea vino et aqua et ponat ea in vase mundo super terram. Tu vero ad sepulchrum meum vade et anulo meo facias te signari et statim liberaberis a tua infirmitate. Tunc mater excitans filiam visionem ei exposuit et cum ea ad sepulchrum beati Stanislai venit et omnia sibi imperata custodi enarravit. Anulo quoque ipsius faciens se si­ gnari statim perfecte restituta est sanitati.194 6. De revelacione cuidam nobili facta. Sulco vir nobilis195 graviter infirmatus cum in convalescencia in lecto dormiret, ap­ paruit ei quidam episcopus, vir reverendus, pontificalibus indutus et dixit ei: Ego sum Stanislaus episcopus Cracoviensis. Predica omnibus necessitatem habentibus, quod, quicunque anxiatus ad sepulchrum meum venerit, liberabitur et consolacio­ nem recipiet. Cumque evigilasset et super hac visione cogitaret, obdormivit et eun­ dem episcopum similia sibi dicentem audivit. Cumque de iteracione visionis mira­ retur et cogitaret, qualis hec visio esset, et, ut sibi videbatur, non dormiret, venit tercio idem episcopus et hec eadem peroravit: Ego sum Stanislaus Cracoviensis episcopus; vade, inquit, predica omnibus necessitatem habentibus, quod, qui­cunque venerit ad sepulchrum meum anxiatus, liberabitur et consolacionem recipiet. At ille

Fleisches nicht gewachsen“ gewesen, doch habe der heilige Stanisław, „weil er mit anderen Tugenden hervorragte“, gewollt, „dass durch seine [Trojans] Hände die Segnung seines [Stanisławs] Ringes und seiner Gebeine bei vielen Krankheiten Schutz und Heilung bringen mögen, wie die Wunder ebendieses Märtyrers deutlich zeigen.“ Annales Cracovienses priores (wie Anm. 2), S. 99. 194  Miracula (wie Anm. 22), Art. 27, wo neben der Tochter Willebertha auch ein Sohn der Adelheid namens Konrad als Zeuge genannt wird. 195  Wahrscheinlich identisch mit dem Sułek, der 1249–1253 als Kastellan von Brzesko, 1255 als Kastellan von Wiślica, 1260–1264 als Wojewode von Krakau und 1268 als Kastellan von Krakau belegt ist; UM Nr. 27, 122, 446, 1077.

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­ ottes nicht länger im Staub liegen lassen, sondern seine Gebeine sofort mit Wein G und Wasser waschen und in einem reinen Gefäß oberhalb der Erde in Ehren aufbewahren, und du wirst sogleich von deiner Krankheit befreit werden. Wenn du das nicht tun und ausrichten wirst, wirst du von deiner Krankheit nicht befreit werden.“ Da rief die Kranke ihre anwesende Tochter und die anderen Hausdiener und erzählte ihnen, was sie gesehen und gehört hatte und forderte und bat, zur Grabstätte des heiligen Stanisław geführt zu werden. Zwar gelangte sie zur Grabstätte des Heiligen, enthüllte aber keineswegs, was dem Küster auszurichten war und erlangte deshalb dieses Mal nicht die ersehnte Gesundheit. In der folgenden Nacht aber, als sie zur Stunde des Morgengebetes aufstand und betete und ihre Tochter Willebertha schlief, sah sie einen ehrwürdigen Mann vor sich stehen, der zu ihr in deutscher Sprache sagte: „Adelheid, gehe, so wie dir von jener ehrwürdigen Frau in Neudorf geheißen wurde, und sage dem Küster Trojan, er möge dem Bischof verkünden, dass er meine Gebeine aus dem Staub erhebe, weil ich schon lange genug in der Erde gelegen habe, und er möge sie mit Wein und Wasser waschen und über der Erde in ein reines Gefäß legen. Du aber gehe zu meiner Grabstätte und lasse dich mit meinem Ring segnen und du wirst sogleich von deiner Krankheit befreit werden.“ Daraufhin weckte die Mutter die Tochter, teilte ihr das Traumgesicht mit, begab sich mit ihr zur Grabstätte des heiligen Stanisław und erzählte dem Küster alles, was ihr aufgetragen worden war. Auch wurde sie, als sie sich mit dem Ring des Heiligen segnen ließ, sogleich zu völliger Gesundheit wiederhergestellt.194 6. Über die Offenbarung, die einem Adligen zu Teil wurde. Als Sułko, ein adliger Mann195, der schwer erkrankt war, gesundend in seinem Bett schlief, erschien ihm ein Bischof, ein ehrwürdiger, in Bischofsgewänder gekleideter Mann und sprach zu ihm: „Ich bin Stanisław, der Krakauer Bischof. Verkünde allen, die Not leiden, dass jeder Sorgenbeladene, der zu meiner Grabstätte kommt, gesunden und Trost finden wird.“ Als er erwachte und über diese Vision nachdachte, schlief er wieder ein und hörte denselben Bischof in ähnlicher Weise zu ihm sprechen. Und während er sich über die Wiederholung dieser Vision wunderte und überlegte, was es mit diesem Traumgesicht auf sich habe, und es ihm schien, als schlafe er nicht, da kam derselbe Bischof zum dritten Mal und sagte ihm eindringlich dasselbe: „Ich bin Stanisław, der Krakauer Bischof; gehe und verkünde allen, die Not leiden, dass jeder Sorgenbeladene, der zu meiner Grabstätte kommt, ge-

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non incredulus divine visioni, que audierat et viderat, omnibus cum omni devo­ cione nunciavit.196 Denique post hanc visionem circa finem anni Poznan filius eius graviter cepit infirmari et in tantum infirmitas invaluit, quod de vita eius desperabatur et loqui non poterat. Pater vero illius recordatus, quod a beato Stanislao audierat, quod omnes necessitatem pacientes, qui beati Stanislai auxilium invocarent, consolacionem reciperent, cum omni fiducia dixit: Domine Deus! Per intercessionem et merita beati Stanislai martiris tui adiuva me et libera puerum istum, quem sue sanctitati committo. Tunc puer conversus ad patrem ait: Quid dicis de sancto Stanislao? At ille: Voveo te, inquit, illi et committo, fili mi. Et puer ad patrem: Fac me, inquit, cito portari ad tumbam eius et continuo liberabor. Pater vero, quia nox erat, di­ stulit; sed diescente iter cum eo arripuit. Cumque cum puero ad sepulchrum venisset et beatum Stanislaum invocasset, puer in continenti sanatus est.197 7. De negocio et processu canonizacionis. Talibus igitur ac similibus revelacionum oraculis et virtutum preconiis provocatus, venerabilis pater Prandota Cracoviensis episcopus cum consilio sui capituli ossa beati martiris Stanislai de terra levavit, vino et aqua lavit et in vase mundo super terram reverenter collocavit.198 Extunc autem crebrescentibus uberioribus miraculorum signis prefati episcopi et capituli ecclesie Cracoviensis dignum duxit devocio, ut hec omnia salvatoris magnalia, que per martirem suum operata est sua potencia, cum fideli prelatorum Polonice ecclesie testimonio sacrosancte Romane ecclesie summo pontifici deferrentur Innocencio; qui reverendis et discretis viris domino Fulconi Gneznensi archiepiscopo et domino Thome Wratislaviensi episcopo ac domino abbati Lubensi Cisterciensis ordinis dedit in mandatis, ut de veritate vite et morum honestate ac miraculorum operacione beati Stanislai diligentissime inquirerent et habita super premissis sollerti indagacione sedi aposto­ lice hec eadem cum fidedignorum testimonio firmata et conscripta intimare ­curarent. Inquisitores vero et delegati in multorum religiosorum et aliorum virorum proborum presencia cum produccione iuratorum quam plurium testium diligenter examinata et sufficienter approbata, tribus sigillis signata, eidem aposto­ lice sedi beati Stanislai per suos nuncios direxerunt miracula. Dominus vero papa Innocencius hiis non contentus, multam servans maturitatem in negociis talibus, fratrem Iacobum virum litteratum et religiosum de ordine fratrum Minorum a

Visio = Anhang zu Miracula (wie Anm. 22), Art. 41, wo Sułko zu Sułek wird. Miracula (wie Anm. 22), Art. 41, wo der Vater des Poznan, Sułek, als Kastellan von Brzesko bezeichnet wird. 198  Vgl. unten Vita Iacchonis, S. 232–233 (Kap. XII), wo die Erhebung der Gebeine des Stanisław in das Jahr 1244 datiert wird. 196  197 

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sunden und Trost finden wird.“ Und jener zweifelte nicht an der göttlichen Vision und berichtete allen in voller Ehrerbietung, was er gesehen und gehört hatte.196 Bald nach dieser Vision, gegen Ende des Jahres, erkrankte sein Sohn Poznan schwer. Die Krankheit verstärkte sich derart, dass man um sein Leben fürchtete und er selbst nicht mehr sprechen konnte. Sein Vater aber erinnerte sich an das, was er vom heiligen Stanisław gehört hatte, dass alle Notleidenden, die die Hilfe des heiligen Stanisław anrufen würden, Trost erhalten würden und so sprach er voller Zuversicht: „Herrgott! Hilf mir durch die Vermittlung und Verdienste deines Märtyrers, des heiligen Stanisław, und heile diesen Jungen, den ich seiner Heiligkeit anvertraue!“ Da sprach der Junge zum Vater gewandt: „Was sagst du da vom heiligen Stanisław?“ Und jener: „Ich weihe dich ihm und vertraue dich ihm an, mein Sohn.“ Und der Junge zum Vater: „Lass mich schnell an sein Grab bringen und ich werde sogleich gesund!“ Der Vater aber zögerte, da es Nacht war; bei Tagesanbruch aber machte er sich mit ihm auf den Weg. Als er mit dem Jungen zur Grabstätte kam und den heiligen Stanisław anrief, wurde der Junge auf der Stelle geheilt.197 7. Über die Mühe und das Verfahren der Kanonisation. Durch solche und ähnliche Offenbarungszeichen und Wunderbekundungen angeregt hob der ehrwürdige Vater Prandota, der Bischof von Krakau, mit dem Rat seines Kapitels die Gebeine des heiligen Märtyrers Stanisław aus der Erde, wusch sie mit Wein und Wasser und brachte sie ehrfurchtsvoll über der Erde in einem reinen Gefäß unter.198 Und da sich seit dieser Zeit die Wunderzeichen noch weiter mehrten, erachtete es die Frömmigkeit des erwähnten Bischofs und des Kapitels der Krakauer Kirche für angemessen, alle diese großartigen Werke des Erlösers, die durch seine Macht und die Vermittlung seines Märtyrers vollbracht wurden, zusammen mit dem glaubwürdigen Zeugnis der Prälaten der polnischen Kirche dem obersten Bischof der Heiligen Römischen Kirche, Innozenz [IV.], zuzutragen. Dieser wiederum trug ehrwürdigen und besonnenen Männern, dem Herrn Pełka, Erzbischof von Gnesen, dem Herrn Thomas [I.], Bischof von Breslau, sowie [Heinrich] dem Herrn Abt des Zisterzienserordens in Leubus, auf, die Glaub­ würdigkeit der Vita, die Ehrenhaftigkeit der Sitten und die Wirksamkeit der Wunder des heiligen Stanisław auf das Sorgfältigste zu untersuchen und nach tüchtiger Erforschung der vorgenannten Dinge dafür zu sorgen, diese [Ergebnisse] zusammen mit dem Zeugnis vertrauenswürdiger Leute, bestätigt und beurkundet dem Heiligen Stuhl mitzuteilen. Die ‚Inquisitoren‘ und Abgesandten aber prüften in Anwesenheit vieler geistlicher und anderer frommer Männer unter Vorladung von Schwörenden und möglichst vielen Zeugen sorgfältig die Wunder des heiligen Stanisław, bestätigten sie hinreichend, besiegelten sie mit drei Sigeln und übermittelten sie durch ihre Boten dem Heiligen Stuhl. Der Herr Papst Innozenz war damit jedoch nicht zufrieden; er behielt sich in solchen Dingen eine große Reife

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direxit.199

latere suo in Poloniam Qui cum primorum inquisitorum, qui nichil obmiserant, de contingentibus diligenter examinasset processum, rursus optime informatum domino pape et toti curie Romane velut legatus fidelis beati Stanislai retulit negocium. Hec sunt autem miracula, que in conspectu sedis apostolice et tocius romane ecclesie sunt recitata et fidedignorum testium testimonio firmata et communiter tunc ab omnibus approbata. 8. De filio Richardi a morte suscitato. Cum Richardus Lombardus cum uxore pregnante Cracoviam venisset beati Floriani festivitate200 invitante, tercia nocte uxor ipsius bene natos gemellos, masculum et feminam, est enixa. Sed masculus sequenti die nativitatis sue sine baptismi gracia est defunctus. Quod cum nunciatum esset patri, dolor cordis apprehendit eum non tam pro defuncta prole, sed pro morte anime. Qui consurgens ad Deum, cum omni fiducia supplicat Deo prece cum lacrimis importuna, ut per beati Stanislai gloriosa merita resuscitare dignaretur filium suum ad percipiendum duntaxat nove regeneracionis sacramentum; unde et mortuum puerum ab hora matutinali usque ad horam diei terciam non permisit sepeliri. Hora vero tercia nunciatum est patri: En filius tuus vivit. Qui gaudio repletus sine mora utramque prolem in ecclesia beate virginis201 cum sollempnitate debita in Christo ex aqua et spiritu sancto regenerari procuravit. Verum puer, qui resuscitatus fuerat, illa die tota et nocte sequenti supervixit, sed circa auroram temporaliter moriens ad vitam et requiem eternam migravit. O mira Salvatoris clemencia! Mortuus filius ire et sub perpetue salutis relictus discrimine non ob aliud suscitatur a morte, nisi ut renato ex aqua et spiritu sancto per beati Stanislai merita, ut pater pecierat, filiacionem mereretur adopcionis divine. 9. De filio Wenceslai Wikero suscitato. Militis Wenceslai de Policarcicz202 filius nomine Wikerus203 in die sancti Martini gravissime infirmatus, sequenti die circa ortum solis est mortuus iacuitque illa tota Vgl. oben die päpstliche Mandatsbulle für Jakob von Velletri. Das Fest des in Krakau besonders verehrten heiligen Florian, dessen Reliquien 1184 in die Krakauer Kathedrale überführt worden waren, wird am 4. Mai begangen. 201  Die in den 1220er Jahren als romanische Basilika errichtete Marienkirche am Marktplatz der Krakauer Lokationsstadt und Vorgängerbau der heutigen, im 13.–15. Jahrhundert errichteten gotischen Marienkirche. 202  Das heutige Dorf Polekarcice, 24 km nordöstlich von Krakau; Wenzel heißt in Miracula (wie Anm. 22), Art. 23 aber Vrotslay/Wrocisław. 203  Miracula (wie Anm. 22), Art. 23. 199  200 

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[des Urteils] vor und schickte seinerseits Bruder Jakob [von Velletri], einen gelehrten und frommen Mann vom Orden der Minoriten nach Polen.199 Nachdem dieser das Verfahren über alles Diesbezügliche der ersten Inquisitoren, die in der Sache nichts unterlassen hatten, sorgfältig geprüft hatte, legte er gut unterrichtet dem Herrn Papst und der gesamten römischen Kurie als treuer Abgesandter die Angelegenheit des heiligen Stanisław erneut vor. Dies aber sind die Wunder, die vor den Augen des Apostolischen Stuhls und der gesamten römischen Kirche verlesen und durch das Zeugnis glaubwürdiger Zeugen bestätigt und dann von allen gemeinsam anerkannt worden sind. 8. Über Richards Sohn, der vom Tod auferweckt wurde. Als Richard der Lombarde mit seiner schwangeren Frau anlässlich des Festes des heiligen Florian200 nach Krakau kam, gebar seine Frau in der dritten Nacht gesunde Zwillinge, einen Knaben und ein Mädchen. Der Knabe aber starb am Tage nach seiner Geburt ohne die Gnade der Taufe. Als dies dem Vater berichtet wurde, ergriff ihn der Herzschmerz weniger wegen des Ablebens seines Nachkommens als vielmehr wegen des Todes seiner Seele. Er wandte sich an Gott und flehte voll Zuversicht und unter Tränen in ungestümer Bitte Gott an, er möge seinen Sohn durch die ruhmreichen Verdienste des heiligen Stanisław für würdig erachten, zum Leben erweckt zu werden, damit er wenigstens das Sakrament einer neuen Wiedergeburt empfange. Daher erlaubte er von der Morgenstunde bis zur dritten Stunde des Tages auch nicht, den toten Jungen zu begraben. Um die dritte Stunde aber wurde dem Vater gemeldet: „Siehe, dein Sohn lebt!“ Voller Freude sorgte er unverzüglich dafür, dass beide Kinder in der Kirche der heiligen Jungfrau201 in gebührender Feierlichkeit aus Wasser und heiligem Geist in Christus wiedergeboren wurden. Der zum Leben wiedererweckte Knabe aber überlebte jenen ganzen Tag und die darauffolgende Nacht, doch im Morgengrauen starb er den zeitlichen Tod und wanderte ins ewige Leben und in die ewige Ruhe. O wunderbare Gnade des Erlösers! Dieser gestorbene Sohn des Zornes, der in Gefahr stand, das ewige Heil zu verlieren, wurde aus keinem anderen Grund vom Tod zum Leben erweckt, als dazu, durch die Verdienste des heiligen Stanisław aus Wasser und Heiligem Geist wiedergeboren zu werden und, wie der Vater erfleht hatte, die Sohnschaft der göttlichen Adoption zu erwerben. 9. Über den Sohn des Wenzel, den zum Leben erweckten Wicher. Der Sohn des Ritters Wenzel aus Polikarcice202 mit Namen Wicher203 erkrankte am Tag des heiligen Martin schwer. Am darauffolgenden Tag war er bei Sonnenaufgang tot und lag den ganzen Tag lang unbegraben da, weil es, vor allem bei

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die inhumatus, quia non est moris, maxime apud nobiles, eadem die mortuum sepelire. Mater vero eius nomine Stronislava tunc temporis graviter infirma rogabat sanctum Stanislaum cum summa devocione et eiulatu tam pro se quam pro puero a morte suscitando et, ne adderetur dolor super dolorem afflicte de morte pueri, fecit se de domo, in qua corpus pueri iacebat exanime, educi. Educta autem ad quoddam palacium et posita super stramentum, cum circa solis occasum causa quietis oculos clausisset nec tamen dormiret, apparuit ei quidam vir canus et reverendus et dixit ei: Mulier anxia et tribulata! Obtentum est per preces beati Stanis­ lai, quod filius tuus in hac nocte reddetur tibi vivus. Audivit enim Deus oracionem tuam et vidit lacrimam tuam. Voveas autem votum illi sancto, in cuius die puer cepit infirmari. Cumque mater quasi de sompno aperuisset oculos et neminem videret, fecit se reduci in domum, ubi corpus iacebat exanime, narravitque viro visionem et aliis multis, qui venerant ad vigilandum de nocte racione funeris et parentum consolacione; devoverunt igitur puerum beato Martino, in eius enim die contigerat eum egrotare. Lapillum eciam quendam simplicem, qui erat acceptus de sepulchro beati Stanislai, posuerat mater antea super pectus pueri defuncti. Sedentibus autem eis et vigilantibus super funus, in primo galli cantu puer oculos aperuit et iterum clausit, secundo aperuit et iterum clausit, tercio aperiens oculos oscitavit et, invocantibus, qui aderant, merita sancti Stanislai, spiritum resumpsit et adductus postea ad sepulchrum eius, pro sua salute Deo et beato Stanislao gracias egit votumque persolvit. 10. De filio Hungari a morte suscitato. Cuiusdam Hungari nomine Petri filius Polech dictus, graviter infirmatus, octavo die fuit mortuus iacuitque204 defunctus ab hora tercia usque ad meridiem, quousque ad sepeliendum fuisset aptatus. Cumque pater et mater pueri defuncti inconsolabiliter flerent, dictum est eis, ut puerum defunctum beato Stanislao voverent et haberent fiduciam, quod ipsius merita puerum a morte revocare possent. Parentes vero Deum cum lacrimis orabant pro puero, devoventes eum beato Stanislao et promittentes tres panes et unum gallum ad suum sepulchrum cum eo deferre, si eum dignaretur a morte suscitare. Mira res, necdum enim plene parentes pro eo votum emiserant et puer iam revixerat et sanus ambulabat. Parentes vero venientes ad sepulchrum beati Stanislai cum puero, persoluto voto reversi sunt in Hungariam cum puero suo gracias agentes Deo et beato martiri Stanislao.

204  Miracula (wie Anm. 22), Art. 34, wo auch Ort und Zeit der Erkrankung angegeben werden: im Dorf Mysławczyce, im Haus des Wojasz („in villa de Mislauchiz in domo Voyasonis“), zwei Wochen vor Ostern in diesem Jahr, d. h. 1252 („duabus septimanis ante Pasca hoc anno“).

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Adligen, nicht Brauch ist, den Toten am selben Tag zu beerdigen. Seine Mutter aber, die Stronisława hieß und zu dieser Zeit schwer krank war, bat den heiligen Stanisław mit größter Frömmigkeit und unter Wehklagen sowohl für sich als auch um die Auferweckung des Jungen. Und damit ihrem durch den Tod des Jungen ausgelöstem Schmerz nicht noch weiterer Schmerz hinzugefügt wurde, ließ sie sich aus dem Haus, in dem der leblose Körper des Jungen lag, hinaustragen. Sie wurde in den Hof gebracht und auf Stroh gebettet. Als sie gegen Sonnenuntergang die Augen zur Ruhe schloss, aber noch nicht eingeschlafen war, erschien ihr ein grauhaariger und ehrwürdiger Mann und sprach zu ihr: „Du verhärmte und betrübte Frau! Durch die Bitten des heiligen Stanisław ist bewirkt worden, dass dir dein Sohn in dieser Nacht lebendig wiedergegeben wird. Denn Gott hat deine Gebete erhört und deine Tränen gesehen. Lege daher jenem Heiligen ein Gelübde ab, an dessen Festtag die Krankheit des Jungen begonnen hat.“ Als die Mutter wie vom Schlaf die Augen öffnete und niemanden sah, ließ sie sich ins Haus zurücktragen, wo der leblose Körper lag, und erzählte ihrem Mann und den vielen anderen, die wegen der nächtlichen Totenwache und zum Trost der Eltern gekommen waren, von ihrer Vision. Daher weihten sie den Jungen dem heiligen Martin, an dessen Festtag er nämlich erkrankt war. Auch legte die Mutter dem toten Jungen zuvor ein einfaches Steinchen auf die Brust, das vom Grabe des heiligen Stanisław stammte. Und als sie so dasaßen und die Totenwache hielten, öffnete der Junge beim ersten Hahnenschrei die Augen und schloss sie wieder, öffnete sie ein zweites Mal und schloss sie wieder; als er sie zum dritten Mal öffnete, gähnte er und erlangte, während die Anwesenden die Verdienste des heiligen Stanisław anriefen, seinen Geist zurück. Später wurde er zu dessen Grab geführt, wo er Gott und dem heiligen Stanisław für seine Heilung dankte und sein Gelübde erfüllte. 10. Über den Sohn eines Ungarn, der vom Tod auferweckt wurde. Der Sohn eines Ungarn namens Peter, der Polech genannt wurde, war schwer erkrankt. Er starb am achten Tag und lag204 von der dritten Stunde bis zum Mittag tot da, bis er für die Beisetzung hätte vorbereitet sein sollen. Da der Vater und die Mutter des gestorbenen Jungen untröstlich weinten, wurde ihnen gesagt, dass sie den verstorbenen Jungen dem heiligen Stanisław weihen und die Zuversicht haben sollten, dass dessen Verdienste den Jungen von den Toten zurückrufen können. Also baten die Eltern unter Tränen Gott für den Jungen, weihten ihn dem heiligen Stanisław und versprachen, zusammen mit ihm drei Brote und einen Hahn an dessen Grab zu bringen, wenn er ihn für würdig erachte, von den Toten auferweckt zu werden. Es war wunderbar, die Eltern hatten das Gelübde für ihn noch nicht zu Ende gesprochen, da war der Junge schon lebendig und spazierte gesund umher. Die Eltern aber begaben sich mit dem Jungen zur Grabstätte des heiligen Stanisław und kehrten, nachdem sie ihr Gelübde erfüllt hatten, mit ihrem Sohn Gott und dem heiligen Märtyrer Stanisław dankend nach Ungarn zurück.

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11. De eo, qui per annum languit, sanato. Goslaus205 de Morawicza206 miles longa infirmatus egritudine, a festo Michaelis usque ad cenam Domini continua laboravit infirmitate et cum ipse et omnes alii de vita ipsius desperarent, persuadente uxore sua votum vovit Deo et martiri eius sancto Stanislao, quod sepulchrum eius visitaret, si eum sanitati restitueret. Et voto emisso in continenti sensibiliter cepit meliorari. Cum vero, licet adhuc debilis, Cracoviam venit et tumbam beati Stanislai osculo tetigit, perfectam sanitatem recepit. 12. De infirmo desperato sanato. Thomcha de eadem parochia habebat filium circiter trium annorum graviter in­ firmatum et de vita iam desperatum, quem, cum beato Stanislao commisisset et ad tumbam eius detulisset, statim sanum recepit et omnino melioratum ad domum reportavit.207 13. De apostemate gutturis sanato. Woyslaus grave apostema habens in gutture, cum per tres dies morbus eum in tan­ tum vexaret, quod nec comedere nec bibere nec aliquid deglutire posset, fere desperatus et pro mortuo habitus, secundumque consuetudinem iam candela accensa super eum tenebatur, quasi super mortuum. Egro itaque in imagine et umbra mortis posito, apparuit sibi quidam vir in visione albis vestibus indutus, dicens ei: Vade ad Troianum custodem maioris ecclesie, qui ostendet tibi tumbam sancti Stanislai. Hanc cum osculatus fueris, statim ab hac infirmitate liberaberis. Et cum idem homo loqui non posset, concepit mente propositum, quod ita faceret et subito apostemate rupto sanus factus est et quarto die ad tumbam venit et Deo ac beato Stanislao debitas graciarum acciones reddidit.208

205  In Miracula (wie Anm. 22), Art. 9, auf den hier zurückgegriffen wird, heißt der erkrankte Ritter Ciechosław/Cechoslau, während ein als Krakauer Kanoniker bezeichneter Zeuge den Namen Gosław trägt. Da Letzterer für die Jahre 1244–1267 auch in Urkunden begegnet, dürfte dem Hagiographen hier eine Verwechslung unterlaufen sein und der hier genannte Ritter von Morawica tatsächlich Ciechosław geheißen haben. 206  Dorf, 13 km nordwestlich von Krakau. 207  Miracula (wie Anm. 22), Art. 10. 208  Miracula (wie Anm. 22), Art. 11, wo ergänzt wird, dass Wojsław aus dem Dorf Czernichów (Cyrnehou) kam und „in diesem Jahr“, d. h. 1252 erkrankte.

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11. Über einen Geheilten, der ein Jahr lang dahinsiechte. Gosław205 aus Morawica206, ein durch lange Krankheit geschwächter Ritter, litt vom St. Michaelstag [29. September] bis Gründonnerstag ununterbrochen an seiner Krankheit. Da er selbst und alle anderen um sein Leben fürchteten, gelobte er auf Anraten seiner Gattin Gott und seinem Märtyrer, dem heiligen Stanisław, dass er dessen Grabstätte besuchen werde, wenn er ihn wieder gesunden lasse. Sobald er das Gelübde abgelegt hatte, begann er eine merkliche Besserung zu spüren. Als er aber, wenngleich noch immer schwächlich, nach Krakau kam und das Grab des heiligen Stanisław mit einem Kuss berührte, erhielt er seine volle Gesundheit zurück. 12. Über die Heilung eines hoffnungslos Kranken. Tomka aus derselben Pfarrgemeinde hatte einen Sohn, der seit ungefähr drei Jahren schwer erkrankt war und an dessen Leben schon gezweifelt wurde. Als sie ihn dem heiligen Stanisław anvertraute und an dessen Grab brachte, erhielt er sofort seine Gesundheit zurück und sie brachte ihn vollständig genesen nach Hause zurück.207 13. Über ein geheiltes Halsgeschwür. Wojsław hatte eine große Geschwulst im Hals; als ihn die Krankheit drei Tage lang in solchem Maße quälte, dass er weder essen noch trinken noch irgendetwas schlucken konnte, so dass man die Hoffnung verlor und ihn für tot hielt, da wurde bereits gemäß dem Brauch eine brennende Kerze über ihn wie über einen Toten gehalten. Dem Kranken aber erschien im Angesicht und Schatten des Todes ein Mann, der in seinem Traumgesicht in weiße Gewänder gekleidet war und zu ihm sagte: „Gehe zu Trojan, dem Küster der Kathedralkirche, der dir das Grab des heiligen Stanisław zeigen wird. Sobald du dieses geküsst haben wirst, wirst du sofort von dieser Krankheit befreit werden.“ Und weil dieser Mann nicht sprechen konnte, gelobte er im Geiste, dass er dies tun wolle. Sogleich platzte das Geschwür und er wurde gesund. Am vierten Tag begab er sich zum Grab und stattete Gott und dem heiligen Stanisław den schuldigen Dank ab.208

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14. De morbo caduco sanato. Bogus de Pelgrimowicz209 habebat puerum nomine Nicolaum circiter quatuor annorum. Hic spumans valde graviter paciebatur morbum caducum in tantum, ut in ipsa passione quandoque mortuus credebatur et duravit eius infirmitas infra unum annum. Eo autem tempore, quo ossa beati Stanislai de terra sunt levata et honestiori loco collocata210, dum concursus ibidem magnus populi fieret, pater quoque dic­ tum puerum Nicolaum ad sepulchrum, in quo iacuerat sanctum corpus, in humeris detulit et eum in ipso sepulchro deposuit et osculari locum sepulture fecit et ab eo tempore effectus sanus numquam est a pristina infirmitate vexatus.211 15. Item. Boguslaus de Grodina212 habuit filium nomine Damianum, qui per annum et di­ midium passus est caducum morbum. In tantum autem cottidie morbus invalescebat, quod qualibet die quinque ter, quinque quater, quinque decies cadebat. Cumque graviter fuisset afflictus, pater pueri gerens plenam fiduciam de meritis beati Stanislai martiris ad sepulchrum eius filium suum adduxit et stans ibidem oravit et votum vovit dicens: Beate Stanislae, si liberaveris filium meum ab hac infirmi­ tate, dabo quolibet anno unum optimum agnum huic ecclesie, ubi requiescunt tue reliquie. Emisso autem voto puer eius omnino liberatus est a caduco morbo.213 16. De ceco in utroque oculo sanato. Reynaldus de Crisanovicz214, dum in festo beati Michaelis sollempniter ad missam pulsaretur et populus conveniret, ipse accepto cane et niso venatum ivit et cum re­ diit, graviter infirmatus fuit. Cumque nimio dolore capitis et oculorum passione acutissima laboraret, sic demum dolor invaluit, quod sinister eius oculus crepuit, dexter vero penitus evulsus visibiliter iacens in facie pependit sicque totaliter cecus fuit. Qui per consilium fratris et sororis se beato Stanislao devovit et ad eius sepulchrum perductus, cum ipsius sancti auxilium invocaret, post multarum profluvium lacrimarum surgens ab oracione clare vidit et amplius in utroque oculo sic 209  In Średniowieczne żywoty (wie Anm. 22), S. 224 wird der Ort nahe Miechów identifiziert, wo sich jedoch ein Ort mit diesem Namen nicht finden lässt; ein Pielgrzymowice findet sich dagegen gut 100 km westlich von Krakau im Grenzgebiet zu Böhmen. 210  Zur Frage des Zeitpunkts der Umbettung der Gebeine Stanisławs vgl. Anm. 17 und 175. 211  Miracula (wie Anm. 22), Art. 8. 212  Nicht identifizierbarer Ort. 213  Miracula (wie Anm. 22), Art. 37, wo es aber heißt, der Junge sei „täglich drei oder vier Mal“ gestürzt. 214  Dorf, 5 km nördlich von Bochnia.

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14. Über eine geheilte Epilepsie. Bogusz aus Pielgrzymowice209 hatte einen Jungen namens Nikolaus, der ungefähr vier Jahre alt war. Dieser spuckte sehr schlimm und litt so stark an der Fallsucht, dass man ihn während eines solchen Anfalles stets für tot hielt. Und diese Krankheit währte ein Jahr lang. In dieser Zeit, als die Gebeine des heiligen Stanisław aus der Erde geborgen und an einer würdigeren Stätte beigesetzt wurden210 und dort viel Volk zusammenströmte, brachte auch der Vater den erwähnten Knaben ­Nikolaus auf seinen Schultern an die Grabstätte, in der der heilige Körper ruhte. Er legte ihn auf das Grab und ließ ihn die Stätte der Beisetzung küssen und von dieser Zeit an wurde er gesund und nie mehr von der früheren Krankheit gequält.211 15. Dasselbe. Bogusław aus Grodzina212 hatte einen Sohn namens Damian, der anderthalb Jahre lang an der Fallsucht litt. Diese Krankheit aber verschlimmerte sich so sehr von Tag zu Tag, dass er an manchen Tagen fünfzehn, zwanzig oder fünfzig Mal hinfiel. Und als es schon sehr schlecht um ihn stand, fasste der Vater des Jungen volle Zuversicht in die Verdienste des heiligen Märtyrers Stanisław und führte seinen Sohn an dessen Grabstätte. Dort stand er, betete und legte mit folgenden Worten ein Gelübde ab: „Heiliger Stanisław, wenn du meinen Sohn von dieser Krankheit befreist, gebe ich der Kirche, in der deine Reliquien ruhen, jedes Jahr eines meiner besten Lämmer.“ Sobald er sein Gelübde abgelegt hatte, wurde sein Junge gänzlich von der Fallsucht befreit.213 16. Über die Heilung eines auf beiden Augen Blinden. Während am Festtag des heiligen Michael feierlich zur Messe geläutet wurde und das Volk zusammenströmte, nahm Reynald aus Krzyżanowice214 seinen Hund und Jagdfalken und ging auf die Jagd. Als er zurückkehrte, war er schwer erkrankt. Er litt unter sehr starken Kopfschmerzen und einem plötzlich sehr stechenden Augenleiden. Schließlich nahm der Schmerz so zu, dass sein linkes Auge platzte, das rechte aber ganz herausgequollen sichtbar im Gesicht hing, so dass er vollständig erblindete. Auf Anraten seines Bruders und seiner Schwester verpflichtete er sich dem heiligen Stanisław und wurde zu dessen Grabstätte geführt. Als er die Hilfe des Heiligen anrief und sich nach dem Vergießen vieler Tränen vom Gebet erhob, sah er [wieder] klar, mehr noch, er wurde schließlich auf beiden Augen

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convaluit, quod signum rupture vel alicuius deformitatis in eo nullus amodo deprehendit.215 17. De wule sanacione. Andreas miles de Prossowicz216 habuit quandam carnem excrescentem, que wula vocatur. Hec eum comedere et bibere vel aliquid deglutire vix sinebat, immo frequenter sibi spiritum vitalem ita precludebat, quod in supremo mortis articulo ipsum ponebat. Qui cum nullum aliud remedium habere potuisset, sancti Stanislai tumbam se visitaturum devovit cum omni devocione, quod faciens mox optatam sanitatem meruit obtinere. 18. De antrace morbo sanato. Predictus Andreas habuit morbum letiferum antracem super dextri pedis pollicem, preacuti doloris vehemencia se affligentem. Hic sequenti die ab ortu antracis beato Stanislao votum vovit, quod sepulchrum eius visitaret pedester cum uxore sua, et statim proxima nocte sequenti mortale, quo paciebatur, penitus disparuit apostema. 19. De apostemate sanato. Illustris princeps Opoliensis Wladislaus cum ad colloquium ad ducem Cracovie Boleslaum ex condicto pergeret festinanter, horridum in femore suo apostema sub una nocte emersit, quod eum de cepti itineris consummacione omnino desperare fecit. Verum cum se sopori dedisset, dictum est ei per visum: Invoca beatum Stanislaum et assequeris beneficium sanitatis optatum. Quod et fecit et evigilans se ab omni dolore liberatum cognovit. Cicatrix tamen vel signum apostematis in eius corpore sine omni dolore postmodum diucius perduravit. O virum sanctum, per omnia laudabilem, qui in sompnis invocatus in beneficiis prestandis invenitur munificus. 20. De pede paralitico sanato. Nobilis vir Smil de Moravicza217 plus quam anno uno graviter egrotavit ita, quod unius pedis officium omnino amisit. Unde pre doloris acerbitate de vita desperans, in presencia principis et nobilium condidit testamentum. Is postquam de bono Miracula (wie Anm. 22), Art. 7, wo Reynald(us) aber Rinard(us) heißt. Städtchen, 30 km nordöstlich von Krakau. 217  Vgl. Anm. 206; Śmil ist als Krakauer Amtsträger für die Jahre 1242–1263 belegt, für 1271–1274 als Kastellan von Brzesko; UM Nr. 29, 86, 156, 170, 409. 215  216 

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geheilt, so dass bei ihm fortan keine Spur des Platzens oder irgendeiner anderen Verunstaltung zu sehen war.215 17. Über einen geheilten Kropf. Der Ritter Andreas aus Proszowice216 hatte ein wucherndes Fleisch, das wula [Kropf] genannt wurde. Dieses erlaubte ihm kaum zu essen und trinken oder etwas zu schlucken, ja oft verschloss es ihm so sehr den Atem, dass es ihn in höchste Todesgefahr versetzte. Als er kein anderes Heilmittel mehr finden konnte, gelobte er, in aller Ehrerbietung das Grab des heiligen Stanisław zu besuchen. Indem er dies tat, verdiente er sich sogleich die erwünschte Gesundheit. 18. Über ein geheiltes Blutgeschwür. Der erwähnte Andreas hatte am großen Zeh des rechten Fußes ein tödliches ­Blutgeschwür, das ihm heftige, scharfe Schmerzen bereitete. Am Tag nach der Entstehung des Geschwürs legte er dem heiligen Stanisław das Gelübde ab, zusammen mit seiner Gattin zu Fuß dessen Grabstätte zu besuchen. Und sofort in der Nacht darauf verschwand das tödliche Geschwür, unter dem er gelitten hatte, vollständig. 19. Über ein geheiltes Geschwür. Als der erlauchte Fürst von Oppeln, Władysław, eilig zu einem verabredeten Hoftag zum Herzog von Krakau, Bolesław [dem Schamhaften], aufbrach, bildete sich in einer einzigen Nacht ein schreckliches Geschwür an seiner Hüfte, was ihn an der Vollendung der unternommenen Reise ganz zweifeln ließ. Als er sich aber dem Schlaf hingab, wurde ihm in einem Traumgesicht folgendes gesagt: „Rufe den heiligen Stanisław an, und du wirst die ersehnte Wohltat der Gesundheit erlangen.“ Dies tat er und als er erwachte, bemerkte er, dass er von allem Schmerz befreit war. Allerdings bestand eine Narbe bzw. ein Zeichen des Geschwürs danach noch längere Zeit ohne jeden Schmerz an seinem Körper fort. O heiliger Mann, in allem löblich, der du, im Schlaf angerufen, so wunderbare Wohltaten erweist! 20. Über einen geheilten lahmen Fuß. Śmił aus Morawica, ein adliger Mann217, war mehr als ein Jahr so schwer krank, dass er den Dienst eines Fußes vollständig verlor. Da er wegen der Stärke des Schmerzes am Leben verzweifelete, setzte er in Anwesenheit des Fürsten und der Großen sein Testament auf. Nachdem er sich auf guten Rat hin dem heiligen

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consilio devovit se beato Stanislao et signatus fuit pes eius de anulo ipsius sancti, mox in pede et toto corpore sensit remedium. Denique ad sepulchrum sancti perveniens et ibi oracionem faciens perfectam consequi meruit sanitatem.218 21. De facie et capite inflato sanato. Uxor Petri militis219 horribili tenebatur infirmitate; caput enim eius adeo intumue­ rat, quod humani vultus species in ea vix apparebat. Nasi tamen summitas modice de facie eius prominebat; facies eius splendebat, quasi esset oleo peruncta et caput et facies quodam livore erat totaliter obducta, circa aures tumor niger erat, qui horridum videntibus aspectum prestabat. Cum igitur de ipsius convalescencia omnino desperassent medici, maritus eius magis anxiabatur pro ea, quod sine confessione et sacramentis esset moritura. De nocte ergo consurgens properavit in Cracoviam, ut infirme uxori, quam beato Stanislao devoverat, procuraret salutis remedia. Sequenti vero diescente die domum rediit et quendam clericum ferentem sancti Stanislai anulum secum adduxit, quo dum paciens mulier fuisset consignata et aqua, in qua intinctus fuerat idem anulus, illa loca turgida fuissent linita, mox cepit tumor decrescere. Ipsa vero mane cepit loqui et fratri Martino de ordine Predicatorum confessa et corporis Christi sacramento communicata, modico post tem­ pore totaliter extitit liberata.220 22. De amente et muto a fulgure percusso et sanato. Quidam Bohemus Predwoy nomine cum duobus sociis iter faciens versus Pragam, dum distaret adhuc a civitate per dimidium miliare, exorta magna tempestate, ce­ perunt fulgura, grando et pluvia increbrescere ita, quod causa evadendi periculi compulsus est idem cum sociis suis subter quandam quercum declinare. Et dum essent ibi, ictus tonitrui a summo usque deorsum arboris terciam partem scidit et uno ex eius sociis penitus interempto et reliquo capillis adusto, caput canis, qui eciam erat cum eis, quasi gladio amputavit, ipsumque Predwoy surdum et mutum, insuper et amentem fecit. Quem postmodum per eandem viam venientes amici amentem reperiunt et semivivum ad civitatem Pragensem portando deducunt. Is 218  Miracula (wie Anm. 22), Art. 15, wo angegeben wird, dass das Wunder am St. Adalbertstag (23. April) [1252] drei Jahre zurücklag. 219  Dass dieser Petrus mit dem in einer Urkunde von 1255 (KDM I, 31) als Zeuge auftretenden Mundschenk („Petrus pincerna Cracouiensis“) identisch war, zeigt der Umstand, das er auch im analogen Artikel der Miracula (s. Anm. 220) als Mundschenk bezeichnet wird. 220  Miracula (wie Anm. 22), Art. 43, wo angegeben wird, dass das Wunder zu Pfingsten [1252] ein Jahr zurücklag („circa festum Pentecostes fuit annus“), der Ritter Peter als Mundschenk des Herzogs („pincerne ducis“) bezeichnet wird und der Name des Dominikanermönches, der das Wunder bezeugte, mit Bogdan (nicht Martin) angegeben wird.

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Stanisław verpflichtet hatte und sein Fuß mit dem Ring des Heiligen gesegnet worden war, fühlte er in seinem Fuß und am ganzen Körper sogleich eine Besserung. Und als er schließlich zur Grabstätte des Heiligen kam und dort betete, verdiente er sich die völlige Wiederherstellung seiner Gesundheit.218 21. Über ein geheiltes angeschwollenes Gesicht und Haupt. Die Frau des Ritters Peter219 litt an einer schrecklichen Krankheit; ihr Kopf war nämlich so sehr angeschwollen, dass an ihr die menschlichen Gesichtszüge kaum noch zu erkennen waren. Nur das Ende ihrer Nase stand noch etwas aus dem Gesicht hervor. Ihr Gesicht glänzte, als ob es mit Öl gesalbt wäre, und ihr Kopf und Gesicht waren ganz blau angelaufen; an ihren Ohren hatte sie eine schwarze Geschwulst, die dem Betrachter einen schrecklichen Anblick bot. Als die Ärzte daher schon jede Hoffnung auf ihre Genesung aufgegeben hatten, ängstigte sich ihr Mann noch mehr um sie, dass sie ohne Beichte und ohne Sakramente sterben würde. Also stand er in der Nacht auf und eilte nach Krakau, um der kranken Ehefrau, die er dem heiligen Stanisław empfohlen hatte, Heilmittel für ihre Rettung zu besorgen. Mit Anbruch des folgenden Tages kehrte er nach Hause zurück und brachte einen Geistlichen mit, der den Ring des heiligen Stanisław mit sich führte. Als die leidende Frau damit gesegnet wurde und jene angeschwollenen Stellen mit dem Wasser, in das der Ring getaucht worden war, benetzt wurden, begann die Geschwulst sogleich zurückzugehen. Am selben Morgen begann sie zu sprechen, legte bei Bruder Martin vom Orden der Predigerbrüder die Beichte ab, empfing das Sakrament des Leibes Christi und war wenig später vollständig geheilt.220 22. Über einen geheilten Verwirrten und Stummen, der vom Blitz ­getroffen ­worden war. Ein Böhme namens Předvoj machte sich mit zwei Gefährten auf den Weg nach Prag. Als er nur noch eine halbe Meile von der Stadt entfernt war, setzte ein starkes Gewitter ein, die Blitze, der Hagel und der Regen verstärkten sich so sehr, dass er mit seinen Gefährten gezwungen wurde, der Gefahr auszuweichen und sich unter eine große Eiche zu begeben. Als sie dort standen, schlug ein Blitz ein, der ein Drittel des Baumes von oben bis unten spaltete. Einer seiner Gefährten wurde dabei sofort getötet, dem zweiten verbrannten die Haare, und einem Hund, der ebenfalls bei ihnen war, wurde der Kopf wie durch ein Schwert abgeschlagen. Předvoj selbst wurde taub und stumm und vor allem verwirrt. Bald darauf fanden Freunde, die denselben Weg entlangkamen, den Verwirrten und trugen den Halb-

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Galli221

Prage in ecclesia sancti positus nocte quadam cum se sopori dedisset, vir quidam in visione sibi apparuit infulatus dicens ei: Ego te volo benedicere. Et legit super eum inicium sancti evangelii secundum Iohannem. Quo finito dixit illi: Surge et vade in Cracoviam ad sepulchrum beati Stanislai ciliciatus, nudipes et ibi quinde­ cim dies ieiunabis et liberaberis. Paciens autem putans eum, qui sibi apparuerat, esse aliquem capellanum, interrogavit eum dicens: Domine, quis estis vos? Ad quem ille: Ego sum, inquit, Stanislaus Cracoviensis episcopus. Mox igitur, ut eger evigilavit, cuncta, que sibi dicta fuerant, firmiter se facturum esse proponens, statim bene audire et recte loqui cepit nec non et opera sibi imperata implevit.222 23. De revoluto ore paralitico sanato. Mulieri cuidam repentina infirmitas, que paralisis dicitur, os iuxta aurem revolvit. Que veniens Cracoviam ad festivitatem beati Floriani audivit de miraculis martiris Stanislai. Orando cum devocione ad sepulchrum eius accessit, ubi prima et secunda die perseverans in oracione non est sanata, sed non ad insipienciam sibi. Tercia quippe die sermonem, qui fiebat, ubi corpus requiescit sancti Stanislai223, audiens attente, compuncta et sic mente primitus sanata, orans cum lacrimis pro sanitate corporali, per preces et merita beati Stanislai, ore ad statum debitum reformato, meruit exaudiri et ab infirmitate capitis, qua graviter urgebatur, in continenti liberari.224 24. De lingue inflacione sanata. Cuiusdam puelle linguam vehementer inflatam sic magnitudo tumoris extra os eiecerat, quod propter grossitudinem lingue, que ad quantitatem unius pugni videbatur excrevisse ita, quod eadem paciens os non valebat aperire. Huius ergo puelle parentibus de aliquo medicamine a vicinis sciscitantibus, datum est eis salutare consilium, ut obmissis aliis beati Stanislai implorarent suffragium. Quod audientes parentes cum gaudio filiam suam cum magna devocione et lacrimarum profu­

221  Um den romanischen Kirchenbau und den ihn umgebenden Markt herum wurde in den 1230–50er Jahren eine neue Gemeinde angesiedelt („nova civitas circa Sanctum Gallum“), in der sich Kolonisten aus Oberdeutschland niederließen. 222  Miracula (wie Anm. 22), Art. 44, wo angegeben wird, dass Předvoj Mitte Mai [1252] („fuit circa medium mensis Maii) nach Prag aufgebrochen sei. 223  In der Kathedrale auf dem Wawel. 224  Miracula (wie Anm. 22), Art. 26 wo die Frau den Namen Quecussa/Kwietusza trägt und die Dauer ihrer Krankheit von Sonntag vor Aschermittwoch bis 4. Mai [1251] datiert wird („in Quinquagesima preteriti anni … usque ad festum sancti Floriani“).

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toten in die Stadt Prag. Nachdem er in Prag in die Kirche des heiligen Gallus221 gebracht worden war, erschien ihm eines Nachts, als er sich [dort] dem Schlaf hingegeben hatte, im Traum ein Mann mit Bischofsmütze und sprach zu ihm: „Ich will dich segnen.“ Dann las er ihm den Anfang des heiligen Johannesevangeliums vor. Am Ende sagte er ihm: „Steh auf und begib dich im Bußgewand barfuß nach Krakau an die Grabstätte des heiligen Stanisław, dort sollst du fünfzehn Tage fasten und du wirst geheilt werden.“ Der Leidende glaubte, der ihm erschienene Mann sei irgendein Geistlicher, und fragte ihn: „Mein Herr, wer seid Ihr?“ Darauf sagte jener: „Ich bin Stanisław, der Krakauer Bischof.“ Gleich nachdem der Kranke erwacht war, beschloss er fest, alles zu tun, was ihm aufgetragen worden war und sofort konnte er gut hören und richtig sprechen und führte auch die ihm gegebenen Anweisungen aus.222 23. Über die Heilung eines durch Lähmung schiefen Mundes. Einer Frau verkrümmte eine plötzliche Krankheit, die Paralyse [Lähmung] genannt wird, den Mund bis zum Ohr. Als sie zum Fest des heiligen Florian nach Krakau kam, hörte sie von den Wundern des Märtyrers Stanisław. Fromm betend trat sie an seine Grabstätte, wo sie am ersten und zweiten Tag weiterhin ungenesen im Gebet verharrte, sich aber nicht beirren ließ. Denn am dritten Tag, als sie aufmerksam der Predigt lauschte, die an dem Ort gehalten wurde, an dem der Leib des heiligen Stanisław ruht223, wurde sie von Reue erfasst und so zunächst in ihrem Geist geheilt; und als sie unter Tränen auch für ihre körperliche Gesundung betete, da verdiente sie es, dank der Bitten und Verdienste des heiligen Stanisław erhört und ihr Mund in seinem normalen Zustand wiederhergestellt und sie von der Krankheit ihres Kopfes, die sie so schwer bedrängte, auf der Stelle befreit zu werden.224 24. Über die Heilung einer angeschwollenen Zunge. Einem Mädchen hatte die Größe eines Geschwürs die Zunge so stark anschwellen lassen, dass sie aus dem Mund herausstieß; [doch] wegen der Dicke der Zunge, die bis zur Größe einer Faust angewachsen zu sein schien, konnte die Leidende ihren Mund nicht mehr öffnen. Als die Eltern dieses Mädchens ihre Nachbarn nach einer Arznei fragten, wurde ihnen der heilsame Rat gegeben, [alle] anderen [Mittel] wegzulassen und die Hilfe des heiligen Stanisław zu erflehen. Als die Eltern dies hörten, empfahlen sie ihre Tochter mit Freude und großer Frömmigkeit unter

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sione devoverunt beato Stanislao, quo facto infirma puella statim eadem die a tali egritudine extitit liberata.225 25. De puero sine pelle nato et sanato. Nobilis quedam domina226 duos simul filios in lucem profudit, quorum alter Martinus dictus carens cute natus fuit. Qui cum sine abhominacione maxima non posset tangi nec sine mortis periculo aliquatenus valeret tractari, parentes fecerunt votum pro puero sancto martiri Stanislao, qui in continenti divino miraculo et Christi presulis merito in toto corpore meruit vestiri pellis beneficio. 26. De vermibus in oculo et sanacione. Pribislava filia Regneri civis Cracoviensis cepit in oculo sinistro graviter torqueri sic, quod ex corrupcione apparuerunt in eius oculo vermes multi, qui abinde extrahi non poterant, quia se sub palpebra abscondebant. Verum idem civis Regnerus bono consilio usus, cum dolenti oculo filiam ad sepulchrum beati Stanislai portavit et cum uxore sua pro puella orans ipsam cure sancti martiris commendavit. Tunc quidam ex ministris ecclesie simplicem lapidem de sepulchro sancti Stanislai tulit, quo dicte puelle oculum tetigit et signavit. Mox sequenti die facto mane, cum multi vermes fuissent primitus, tunc solus apparuit satis grossus, qui se capi eciam non permittebat, quia sub palpebram confugiebat. Sed per graciam Dei et merita sancti Stanislai tercio die penitus nullus vermis apparuit et puella sanum visum recuperavit.227 27. De ventre prius ad genitalia putrefacto et sanato.228 Puer quidam ingenuus nomine Stanislaus infirmitate miserabili ab annis puericie cepit infirmari. Venter enim eius paulatim ita computruerat, quod usque ad portam propaginis veniens, omnia intestina denudaverat. Quedam tamen pellicula Miracula (wie Anm. 22), Art. 32, wo das Mädchen den Namen Bogdała trägt und als Tochter eines Jakobs bezeichnet wird; der Zeitpunkt des Wunders wird mit „gestern vor 15 Tagen“ angegeben („Et hoc factum fuit, heri fuerunt XV dies“). 226  Miracula (wie Anm. 22), Art. 45, wo der Name der adligen Frau mit Bogumiła angegeben wird. 227  Miracula (wie Anm. 22), Art. 40, wo der Name des Vaters Riner(us) lautet und der Zeitpunkt der Erkrankung der Tochter mit dem Hinweis auf die vorübergehende Eroberung Krakaus durch die Tataren am 28. März 1241 auf das Frühjahr 1242 datiert wird („anno post adventum Tar­tarorum“). 228  Miracula (wie Anm. 22), Art. 46, wo das Wunder selbst nicht beschrieben wird, nur die Überschrift und ein einziger Zeuge genannt werden. 225 

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Tränen dem heiligen Stanisław. Daraufhin wurde das kranke Mädchen noch am selben Tag sofort von diesem so schweren Gebrechen geheilt.225 25. Über die Heilung eines ohne Haut geborenen Knaben. Eine adlige Frau226 brachte gleichzeitig zwei Knaben zur Welt, von denen der eine, der Martin hieß, ohne Haut geboren wurde. Da man ihn weder berühren konnte, ohne dabei größte Abscheu [zu empfinden], noch ohne Lebensgefahr irgendwohin tragen konnte, legten die Eltern gegenüber dem heiligen Stanisław ein Gelübde für den Knaben ab, dem durch ein göttliches Wunder und das Verdienst des Bischofs Christi auf der Stelle die Gnade zu Teil wurde, am ganzen Körper mit Haut bekleidet zu werden. 26. Über Würmer im Auge und die Heilung davon. Przybysława, die Tochter des Krakauer Bürgers Regner, befiel im linken Auge eine schwere Qual, da sich infolge von Fäulnis in ihrem Auge zahlreiche Würmer zeigten, die man von dort nicht entfernen konnte, weil sie sich unter dem Lid verbargen. Der besagte Bürger Regner aber folgte einem guten Rat und brachte die Tochter mit dem kranken Auge zur Grabstätte des heiligen Stanisław, betete zusammen mit seiner Frau für das Mädchen und vertraute dieses der Fürsorge des heiligen Märtyrers an. Dann brachte einer der Kirchendiener einen einfachen Stein vom Grab des heiligen Stanisław, mit dem er das Auge des besagten Mädchens berührte und segnete. Während es zuerst viele Würmer waren, zeigte sich am nächsten Tag sogleich am Morgen nur ein einziger ziemlich großer, den man ebenfalls nicht fassen konnte, weil er unter das Lid floh. Doch dank der Gnade Gottes und der Verdienste des heiligen Stanisław zeigte sich am dritten Tag überhaupt kein Wurm mehr und das Mädchen gewann ihre gesunde Sehkraft zurück.227 27. Über einen bis zu den Genitalien verfaulten Bauch und seine Heilung.228 Ein freigeborener Junge namens Stanisław begann schon als Kind an einer beklagenswerten Krankheit zu leiden. Denn sein Bauch verfaulte allmählich so sehr, dass [die Fäulnis], die [schon] bis zu seinen Genitalien reichte, alle Därme bloßlegte. Zwar entstand täglich ein bisschen Haut neu und schien, sobald sie verfault

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cottidie nascebatur et subito computrescens renovari omni die videbatur et tali inordinata vicissitudine puer amplius torquebatur. Tandem memorans mater pueri memorati, quod sanctus Stanislaus copiosa exuberaret gracia sanitatum, cum omni devocione et lacrimarum profusione ad sepulchrum eius deportat filium suum infirmum quasi quolibet momento moriturum. Et dum ibi supplex et devota staret, portatus fuit anulus beati Stanislai, quo in aqua tincto, lota sunt ex eadem aqua omnia intestina pueri miserabiliter putrefacta. Quod cum per tres dies et vices modo consimili factum fuisset, statim nova caro cum nova cute crevit, restituto pacienti puero cum debito decore perfecte sanitatis beneficio. Is Stanislaus per merita sancti Stanislai sanatus, postmodum crescens et iuvenis factus, ordinem fratrum Minorum ingressus, ne malicia mutaret intellectum eius, explens tempora sua, fuit in eodem ordine in brevi consummatus. 28. De puero ulceroso et ceco nato et sanato. Quedam mulier Godussa nomine peperit puerum ulcerosum et cecum; nulla enim signa oculorum nisi tractus quidam subtilis inter palpebras apparebat. Cutem vero in capite et in membris omnibus universaliter ulcerosam habebat, ex qua sanguis saniesque exibat. Qui cum secundo die nativitatis sue portaretur ad ecclesiam baptizandus et fuisset baptizatus, plebanus videns cecitatem pueri et cutis ulcerositatem consuluit parentibus, ut facto ieiunio triduano ad honorem beati Stanislai, implorarent patrocinium ipsius pro puero. Quod cum fecissent et iam secunda septimana ab ortu pueri transacta fuisset, parentes vero in prece perseverarent, ecce una dierum puer oculos aperuit et visum recepit et cutis pulchra, sicut in puero sano, subito in toto corpore apparuit. 29. De quodam ceco sacerdote illuminato. Sacerdos quidam Theutonicus multo tempore lumen oculorum amiserat et visum penitus. Hic sine previo ductore nec passum quidem pedis in via poterat ponere. Quadam igitur nocte dum desolatus iaceret et de suo statu cogitaret, incidit ei in mentem sentencia villici illius evangelici, quod fodere non valeret et mendicare erubesceret.229 Qui dum se sopori dedisset, apparuit ei quidam homo canus et reverenda facie dicens sibi in visione: Compacior mendicitati et desolacioni tue. Igitur consulo tibi, ut devoveas te beato Stanislao Cracoviensi episcopo ac sepul-

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Lk 16, 3.

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war, jeden Tag erneuert zu werden; doch wurde der Junge durch ein solches Hin und Her nur noch mehr gequält. Als sich die Mutter des erwähnten Jungen schließlich erinnerte, dass der heilige Stanisław reichlich Gnadenerweise der Heilung gewährt, brachte sie ihren Sohn, der jeden Moment sterben konnte, mit aller Hingabe und unter Tränen zu dessen Grabstätte. Und als sie dort demütig und fromm stand, wurde der Ring des heiligen Stanisław gebracht. Nachdem dieser ins Wasser getaucht worden war, wurden mit ebendiesem Wasser sämtliche elendig verfaulten Gedärme des Jungen gewaschen. Nachdem dies drei Tage lang jeweils dreimal geschah, wuchs plötzlich neues Fleisch mit einer neuen Haut und dem leidenden Jungen wurde die Gnade völliger Gesundung und eines normalen Aussehens zuteil. Dieser Stanisław, der durch die Verdienste des heiligen Stanisław geheilt worden war, wuchs bald darauf heran, wurde ein Jüngling und trat in den Orden der Minderbrüder [Franziskaner] ein [und] damit die Bosheit nicht seinen Verstand verdürbe, vollendete er in ebendiesem Orden seine [irdischen] Tage und starb nach kurzer Zeit. 28. Über einen Jungen, der voller Geschwüre und blind geboren wurde und geheilt wurde. Eine Frau namens Godussa gebar einen Knaben, der voller Geschwüre und blind war; zwischen seinen Lidern zeigte sich nämlich außer einem gewissen feinen Strich keine Spur der Augen. Auf dem Kopf und an allen Gliedern war seine Haut ganz mit Geschwüren bedeckt, aus denen Blut und Eiter floss. Als er am zweiten Tag nach seiner Geburt zur Taufe in die Kirche gebracht und getauft wurde, riet der Pfarrer, als er die Blindheit des Knaben und die Geschwüre auf seiner Haut sah, den Eltern, zu Ehren des heiligen Stanisław drei Tage zu fasten und ihn um seinen Schutz für den Knaben anzuflehen. Nachdem sie dies getan hatten und bereits die zweite Woche nach der Geburt des Knaben vergangen war, die Eltern aber weiter im Gebet verharrten, siehe, da öffnete der Junge eines Tages die Augen, gewann seine Sehkraft zurück und sogleich zeigte sich an seinem ganzen Körper eine schöne Haut wie bei einem gesunden Jungen. 29. Über einen blinden Priester, der sehend gemacht wurde. Ein deutscher Priester hatte seit langer Zeit völlig sein Augenlicht und seine Sehkraft verloren. Ohne einen vorausgehenden Führer konnte er nicht einen Fußschritt mehr auf den Weg setzen. Als er einmal nachts verlassen daniederlag und über seinen Zustand nachdachte, kam ihm der Satz des Evangeliums von jenem Verwalter in den Sinn, der nicht graben konnte, sich aber schämte zu betteln.229 Als er sich dem Schlaf hingegeben hatte, erschien ihm ein grauhaariger Mann mit ehrwürdigem Antlitz und sprach zu ihm im Traum: „Ich habe Mitleid mit deinem Elend und deiner Verlassenheit. Daher rate ich dir, dass du dich dem heiligen

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c­ hrum eius visites, quam cito tempus opportunum reperies. Verum tamen ad presens quidquid pecunie poteris penes te invenire, per primum peregrinum, qui occurrerit tibi hodie, ad tumbam sancti Stanislai martiris studeas offerre devote. Respondit sacerdos: Domine, per animam meam! nullam penes me puto habere pecuniam. At ille: Quere, inquit, et invenies.230 Presbiter itaque consurgens mane narravit cuidam parrochiano socio suo, alteri presbitero, quod sibi dictum fuerat in visione. Quia vero hec omnia sibi acciderant imminente beati Stanislai canonizacione231, requisivit a sepedicto plebano, quis esset ille novus sanctus, qui Cracovie haberetur in magna veneracione. Respondit ille, quod is esset sanctus Stanislaus Cracoviensis episcopus. Tunc presbiter ait: Licet sciam, quod circa me nullam pecuniam habeam, tamen ad marsupium meum manum meam mittam, ut secundum mandatum, quod dictum est michi per sompnum, si quid forte reperiam, peregrino, qui michi primo occurrerit, hoc offerendum beato Stanislao tradam. Deinde proferens duos de bursa, quos insperatos reperit, denarios, subito Deus per merita sui martiris ad videndum eos ipsius aperuit oculos et exclamans ait: Benedictus Deus et pontifex ipsius Stanislaus, qui aperuit oculos meos. Ecce enim et denarios, quales sunt, video et imaginem et inscripcionem ipsorum optime conspicio. Deinde predicto plebano et figuram imaginum et inscripcionem denariorum plene distinxit. Dumque cum eodem iam sine ductore ad ecclesiam letus curreret, ut Deo ac beato Stanislao pro beneficio accepto gracias debitas redderet, ecce occurrit eis quidam peregrinus stans ante fores ecclesie, qui ibat ad limina beati martyris cepto itinere. Cui sacerdos predictos duos denarios ad sepulchrum sancti pontificis offerendos supplex obtulit et se ipsum ibidem cito profecturum devovit; puerum vero quondam sue cecitatis ductorem ad amicos suos transmittere curavit et hoc, quod circa ipsum meritis beati Stanislai acciderat, eisdem cum gaudio nunciare. Ipse vero post modicum tempus preparatis necessariis viam arripuit et ad sepulchrum beati Stanislai martiris perveniens, votum devotus persolvit, gracias egit et de cetero optime vidit. 30. De duobus fratribus uno paralitico et altero epilentico. Wikerus Theutunicus habuit duos filios; unus fuit vocatus Gerhardus et erat quatuor annorum; alter Richoldus et erat sex annorum et ambo gravissimam paciebantur infirmitatem. Gerhardus siquidem paralisi percussus nec pedum nec manuum nec lingue usum habebat, sed quasi truncus aridus iacebat; per tres quoque septimanas nichil comedit, aquam tantum aliquando cum panno lineo madefacto vix suxit.

230  231 

Vgl. Lk 11, 9. Die Kanonisation erfolgte am 8. September 1253, vgl. oben Anm. 24.

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Stanisław, dem Krakauer Bischof, weihst und seine Grabstätte besuchst, sobald du einen günstigen Zeitpunkt dafür findest. Für den Moment aber bemühe dich, durch den ersten Pilger, der dir heute begegnet, alles Geld, das du in deinem Besitz finden kannst, fromm dem Grab des heiligen Stanisław darzubringen.“ Der Priester antwortete: „Herr, bei meiner Seele! Ich glaube, ich habe kein Geld in meinem Besitz.“ Darauf jener: „Suche und du wirst finden!“230 Und als der Priester am Morgen aufstand, erzählte er seinem Gefährten, einem anderen Priester aus der Pfarrei, was ihm in seiner Vision gesagt worden war. Weil sich dies alles aber ereignete, als die Kanonisation des heiligen Stanisław noch bevorstand231, fragte er den besagten Pfarrer, wer denn jener neue Heilige sei, der in Krakau in so großer Verehrung gehalten werde. Jener antwortete, das sei der heilige Stanisław, der Krakauer Bischof. Darauf sagte der Priester: „Wenngleich ich weiß, dass ich überhaupt kein Geld bei mir habe, will ich doch meine Hand in meinen Geldbeutel stecken und gemäß dem mir im Schlaf gegebenen Auftrag das, was ich zufällig finden werde, dem Pilger, der mir als erster begegnen wird, übergeben, damit es dem heiligen Stanisław dargebracht werde.“ Daraufhin zog er zwei Denare aus seinem Beutel, die er unerwartet fand, und plötzlich öffnete Gott ihm durch die Verdienste seines Märtyrers die Augen, so dass er sie sehen konnte und laut ausrief: „Gepriesen sei Gott und sein Bischof Stanisław, der meine Augen geöffnet hat. Denn, siehe, ich sehe die Denare, wie sie beschaffen sind, und erkenne deren Münzbild und Legende.“ Dann beschrieb er dem erwähnten Pfarrer genau die Gestalt des Bildes und die Inschrift der Denare. Und als er mit ihm bereits ohne einen Führer fröhlich zur Kirche eilte, um Gott und dem heiligen Stanisław für die ihm gewährte Wohltat den gebührenden Dank abzustatten, siehe, da begegnete ihnen ein Pilger, der vor der Kirchentür stand und gerade auf dem begonnenen Weg zum Haus des heiligen Märtyrers [nach Krakau] wanderte. Diesem gab der Priester die zwei erwähnten Denare, bat ihn demütig, sie an der Grabstätte des heiligen Bischofs zu opfern und gelobte, sich schnell selbst eben dorthin zu begeben. Zu seinen Freunden aber schickte er den Jungen, der einst sein Blindenführer war, damit er ihnen mit Freude berichtete, was sich um ihn dank der Verdienste des heiligen Stanisław zugetragen hatte. Nachdem er bald darauf alle nötigen Vorbereitungen getroffen hatte, machte er sich selbst auf den Weg und kam zur Grabstätte des heiligen Märtyrers Stanisław, erfüllte dort fromm sein Gelübde, stattete seinen Dank ab und sah fortan auf das Beste. 30. Von zwei Brüdern, von denen einer gelähmt, der andere Epileptiker war. Der Deutsche Wicher hatte zwei Söhne; einer hieß Gerhard und war vier Jahre, der andere Richold und der war sechs Jahre alt. Beide litten an einer sehr schweren Krankheit. Denn Gerhard war von einer Lähmung geschlagen und konnte weder die Füße noch die Hände noch die Zunge benutzen, vielmehr lag er da wie ein steifer Klotz; drei Wochen lang aß er nichts, nur Wasser sog er dann und wann mit

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Cumque pater eius anxius foris quadam vice deambularet et de vita filii iam desperaret, votum vovit dicens: O beate Stanislae, libera filium meum ab hac infirmi­ tate et ego modo voveo eum tibi et ducam ipsum ad limina sepulchri tui cum offer­ torio unius fertonis argenti; et cum reversus fuisset in domum, ut filium suum videret, invenit eum iam liberatum, ambulantem et loquentem, licet adhuc corpore debilem. Richoldus similiter, alter filius, qui morbo epilentico laboraret et quinque ter vel quater in die cadebat; hic post votum emissum patris a sua infirmitate eciam in continenti fuit liberatus ita, quod predictum morbum numquam de cetero fuit passus. Pater vero pre gaudio pro liberacione filiorum in illa die notis et amicis fecit convivium magnum, glorificans Deum et sanctum Stanislaum. Deinde veniens cum uxore et ambobus filiis ad beati martiris sepulchrum devote solvit, quod promiserat, votum.232 31. De mente capto et muto curato. Radote cuiusdam villani filius nomine Radoslaus obmutuerat et tribus septimanis mutus manserat et quodam tedio rapiebatur ita, quod de nocte surgebat et manus tenencium se effugere temptabat. Tandem inductus bono consilio, ut in Cracoviam iret et cum filio suo ad tumbam beati Stanislai accederet et pro suo puero supplex sanctum Dei martirem oraret. Quod cum fecisset et predictus puer anulo sancti pontificis consignatus fuisset et aquam, in qua idem anulus fuerat intinctus, ­bibisset, statim remoto omni lingue impedimento locutus fuit et infirmitas tedii, qua vexabatur, ab eo penitus abscessit.233 32. De quodam furioso. Martinus quidam de Lantkovicz234 graviter infirmatus, octavo die factus est furio­ sus et ne lederet homines, fune ligabatur et sic per quindecim dies tali furia agitabatur; et cum quodam die facto intervallo aliquo melius haberet, votum vovit sancto Stanislao, quod sepulchrum eius visitaret, si ipsum liberaret. Sic igitur deductus sub custodia ad sepulchrum martiris, ne aliquem lederet et cum ibidem per quatuor dies et noctes iacuisset, in ultima nocte, cum circa sepulchrum obdormiret, apparuit ei beatus Stanislaus indutus pontificalibus dixitque ad eum: Veni mecum et liberaberis. Tunc eger expergefactus surrexit tacitus et ecclesiam exire voluit, sed

232  Miracula (wie Anm. 22), Art. 29, nach dem Richold täglich drei Mal hinstürzte und zwei Jahre lang an seiner Krankheit litt. 233  Miracula (wie Anm. 22), Art. 33, wo auch ein Beiname des Radosław (Mascalus/Mastalis) angegeben wird. 234  Dorf, gut 30 km nordöstilch von Krakau.

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Mühe aus einem angefeuchteten Leinentuch. Als sein Vater einmal bekümmert draußen hin- und herlief und schon um das Leben seines Sohnes fürchtete, legte er ein Gelübde ab und sprach: „Oh, heiliger Stanisław, befreie meinen Sohn von dieser Krankheit, und ich weihe ihn dir sogleich, führe ihn an die Schwelle deiner Grabstätte und werde dort eine Viertelmark Silber opfern.“ Und als er ins Haus zurückging, um nach seinem Sohn zu sehen, fand er ihn bereits geheilt, umherlaufend und sprechend vor, wenngleich er körperlich noch gebrechlich war. Ähnlich wurde auch Richold, der zweite Sohn, der an der Fallsucht litt und täglich fünfzehn oder zwanzig Mal hinfiel, nachdem der Vater sein Gelübde abgelegt hatte, sogleich von seiner Krankheit so geheilt, dass er fortan nie mehr von der besagten Krankheit geplagt wurde. Der Vater veranstaltete aus Freude über die Heilung seiner Söhne noch am selben Tag für seine Freunde und Verwandten zum Lobpreis Gottes und des heiligen Stanisław ein großes Festmahl. Danach begab er sich zusammen mit seiner Ehefrau und beiden Söhnen zur Grabstätte des heiligen Märtyrers und erfüllte fromm das geleistete Gelübde.232 31. Über die Heilung eines Geisteskranken und Stummen. Radosław, der Sohn eines Dorfbewohners namens Radota, hatte die Sprache verloren; er blieb drei Wochen lang stumm und wurde von einem gewissen Überdruß derart erfasst, dass er nachts aufstand und versuchte, sich den Händen derjenigen zu entziehen, die ihn festhielten. [Der Vater] erhielt schließlich den guten Rat, nach Krakau zu gehen und mit seinem Sohn an das Grab des heiligen Stanisław heranzutreten und dort demütig für seinen Jungen zum heiligen Märtyrer Gottes zu beten. Nachdem er das getan hatte, der besagte Junge mit dem Ring des heiligen Bischofs gesegnet worden war und er das Wasser getrunken hatte, in das dieser Ring getaucht worden war, wurde ihm sogleich jene Hemmung der Zunge gelöst, so dass er sprechen konnte, und auch die Krankheit des Irrsinns, von der er gequält wurde, fiel gänzlich von ihm ab.233 32. Über einen Wahnsinnigen. Ein gewisser Martin aus Łętkowice234 erkrankte schwer, verfiel am achten Tag der Raserei und wurde, damit er keine Menschen verletzt, mit einem Seil gefesselt. So verbrachte er fünfzehn Tage in großer Raserei. Als eines Tages eine Pause ­eintrat, fühlte er sich besser und gelobte dem heiligen Stanisław, seine Grabstätte zu ­besuchen, wenn er ihn heilen würde. Und so wurde er unter Bewachung, damit er niemanden verletzte, zum Grab des Märtyrers geführt und als er dort vier Tage und Nächte gelegen hatte und in der letzten Nacht am Grab eingeschlafen war, erschien ihm der in Bischofsgewänder gekleidete heilige Stanisław und sprach zu ihm: „Folge mir und du wirst geheilt werden.“ Als der Kranke erwachte, erhob er sich schweigend und wollte die Kirche verlassen, wurde aber

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a custodibus, ne exiret, est retentus. Quibus ille ait: Dimittite me, quia sanctus Stanislaus vocat me. Custodes vero imputantes eius inanie, non permiserunt eum exire. Et sic iterum obdormiens vidit in visione duos homines ad se venire, qui dixe­ runt ei: Veni nobiscum et ducemus te ad sanctum Stanislaum. Et tunc ipsi infirmo videbatur in visione, quod surgeret et cum illis duobus iret. Qui deduxerunt eum ad ecclesiam beati Andree235, que est Cracovie et ibi invenit sanctum Stanislaum indutum casula et tenentem librum, qui dixit ei: Tu es, qui pateris affliccionem furoris? Sta paulisper et exspecta et videbis. Tunc ceperunt venire multi, qui gravibus furori­ bus agitabantur et diversis affliccionibus torquebantur. Sanctus vero Stanislaus dixit infirmo: Isti sunt, qui falsum testimonium perhibent, inique iudicant, aliorum ne­ gocia fraudulenter procurant et ideo sic torquentur; sed tu ab hiis malis abstineas et dicas talibus, ut confiteantur et peniteant et sanabuntur. Tu quoque amodo scias te esse sanatum. Evigilans autem sanus, de cetero nullum furorem est passus.236 33. De demoniaco curato. Iuvenis quidam de Nezich237 nomine Petrech arreptus a demonio vexabatur furore continuo. Quandoque ligabatur clausus in domo, quandoque ad columpnam lapideam, que stabat in domo. Qui tante fortitudinis erat, quod ligatus ad eandem columpnam interdum eum quassabat et quam vix octo homines movere poterant, ipse eam solus de terra evellebat. Ductus autem ad ecclesiam ligatus verbere comprimebatur, quia mala et perversa loquebatur. Terrores quoque subitos paciebatur et cum ab eo quereretur, cur terreretur, respondebat, quia occursus pecorum et aliarum rerum timebat pro eo, quod omnia essent demonia, que sibi nocere volebant. Is cum quadam die ante ecclesiam omnium Sanctorum in Cracovia238 staret ligatus, inducebatur et cogebatur a circumstantibus simul pro ipso clericis et laicis ibidem Deum orantibus, ut nomen beati Stanislai invocaret. Cepit paciens clamare: Quare me torquetis? liberatus sum! Et cum quereretur ab eo, quomodo liberatus esset, respondit: Sanctus Stanislaus assumpsit me in montem altum et ibi precepit, ut non noceretur michi. Absolvit me eciam a vinculis et dixit michi: Ego

235  Der zwischen 1082 und 1101 vom Pfalzgrafen Sieciech im damaligen Krakauer Suburbium (in der heutigen Grodzka-Straße) gestiftete romanische Kirchenbau ist noch heute weitgehend erhalten; er war 1243 von Konrad von Masowien vorübergehend mit Wall und Graben umgeben und zu einer Wehrkirche ausgestaltet worden. 236  Miracula (wie Anm. 22), Art. 42, wo der Zeitpunkt der Erkrankung auf den Tag der Kreuzerhöhung (14. September) 1250 datiert wird („circa Exaltationem Sancte Crucis erunt duo anni“). 237  Nicht identifizierbarer Ort. 238  Die heute nicht mehr erhaltene Kirche stand, wie die Andreaskirche, im ehemaligen Krakauer Suburbium (Ecke Grodzka/Plac Wszystkich Świętych).

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von den Wächtern festgehalten, damit er nicht hinausging. Diesen sagte er: „Lasst mich los, denn der heilige Stanisław ruft mich.“ Doch die Wächter, die ihn für wahnsinnig hielten, gestatteten ihm nicht, hinauszugehen. Als er also wieder einschlief, sah er in einer Vision zwei Männer zu ihm kommen, die ihm sagten: „Folge uns und wir führen dich zum heiligen Stanisław.“ Da schien es diesem Kranken in seiner ­Vision, dass er aufstand und mit jenen beiden mitging. Sie führten ihn zur Kirche des heiligen Andreas235, die sich in Krakau befindet. Dort traf er den heiligen Stanisław, der ein Messgewande trug und ein Buch hielt und zu ihm sagte: „Bist du es, der an Wahnsinn leidet? Bleibe ein Weilchen stehen und warte und du wirst sehen.“ Da begannen viele Menschen herbeizukommen, die von schwerer Raserei und verschiedenen anderen Leiden gequält wurden. Der heilige Stanisław aber sprach zum Kranken: „Dies sind diejenigen, die falsches Zeugnis ablegen, ungerecht richten, die Angelegenheiten anderer auf betrügerische Weise verwalten und deshalb so gequält werden; du aber halte dich von solchen Übeln fern und sage diesen [Übeltätern], sie sollen beichten und Buße tun, dann werden sie geheilt. Auch du sollst wissen, dass du von diesem Augenblick an geheilt wurdest.“ Und als er gesund erwachte, litt er fortan an keiner Raserei mehr.236 33. Über die Heilung eines Besessenen. Ein Jüngling aus Nezich237 namens Pietrek wurde von einem Dämon ergriffen und von ständigem Wahnsinn gequält. Manchmal wurde er im Haus eingeschlossen, manchmal an eine Steinsäule gebunden, die im Haus stand. Er war so stark, dass er an diese Säule gebunden diese manchmal hin- und herbewegte und sie, die kaum acht Männer zu bewegen vermochten, ganz allein aus dem Boden herausriss. Und als der Gefesselte zur Kirche geführt wurde, musste er mit der Peitsche gebändigt werden, weil er üble und verkehrte Dinge sagte. Er litt auch unter plötzlichen Angstzuständen und wenn man ihn fragte, wovor er sich fürchte, antwortete er, dass er die Begegnung mit Hornvieh oder anderen Dingen fürchte, weil dies alles Dämonen seien, die ihm schaden wollten. Als er eines Tages gefesselt vor der Allerheiligenkirche238 in Krakau stand, wurde er von Klerikern und Laien, die ihn dort umstanden und für ihn zu Gott beteten, aufgefordert und gedrängt, den Namen des heiligen Stanisław anzurufen. Da begann der Kranke zu rufen: „Warum quält ihr mich? Ich bin geheilt!“ Und als er gefragt wurde, auf welche Weise er denn geheilt worden sei, antwortete er: „Der heilige Stanisław hat mich auf einen hohen Berg mitgenommen; dort hat er angeordnet, dass mir kein Schaden zugefügt werde. Er löste mich auch von den Fesseln und sagte zu mir: ‚Ich

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sum Stanislaus episcopus; Deo gracias age et vade in pace. Qui statim solutus ecclesiam intravit, Deo gracias egit, sacerdoti ibidem confessus sacramenta percepit, domum rediit, comedit et bibit et ab illa die nichil mali habuit. 34. De mente capto liberato. Iohannes miles de Vlyna239 habuit filium quindecim annorum mente captum ita, quod homines verberabat et omnia irracionabiliter loquebatur et faciebat. Quem cum in hac demencia pater comperisset et quid faceret, ignoraret, tandem inductus consilio sano domini Prandote Cracoviensis episcopi, duxit filium suum ad tum­ bam sancti Stanislai. Cum autem eidem infirmo data est aqua ad bibendum de sancti pontificis anulo, in continenti menti restitutus est et sanus domum rediit et gracias egit omnipotenti Deo atque martiri suo beato Stanislao.240 35. De amente facto propter voti fraccionem. Quidam bonus homo Sodlech nomine certam vaccam cum vitulo promisit beato Stanislao et cum quadam die sororem suam visitaret et eam egere videret, statuit in corde suo eandam vaccam cum vitulo sorori dare, credens sub pretextu elemosine posse votum irritare. Et dum sic firmato proposito vellet procedere de sororis domo, percussus cecitate et perturbatus mente, statim penitencia ductus fecit pres­ biterum ad se vocare. Cumque fuisset confessus de vacce et vituli irritacione, asse­ rens, quod eam, sicut prius promiserat, beato Stanislao vellet conferre, in continenti coram sacerdote visum recepit et eadem die cum quodam suo consanguineo ad sepulchrum sancti martiris iter assumpsit, sed nec vaccam nec vitulum tunc quidem adduxit. Et cum in via iterum in mente inciperet turbari, quasi amens reversus est ad propria, deducente eum Paulo illo suo consanguineo. Qui sine mora vaccam cum vitulo Cracoviam duxit et eam beato Stanislao, prout promiserat, obtulit et statim a turbacione sensus et cordis sanatus fuit.241 36. De oculis eversis et sanatis. Vir nobilis Wlosteg cum esset in Cracovia, incurrit dolorem oculorum vehementem ita, quod oculi propter eversionem non apparebant, sed tantum caro rubea. Qui dum nimis urgeretur, rogavit, ut ad ecclesiam sancti Wenceslai, in qua iacet corpus beati Stanislai duceretur. Et dum ibi esset, obtinuit, quod cum anulo eiusdem martiris Das heutige Ulina Wielka, 34 km nördlich von Krakau. Miracula (wie Anm. 22), Art. 13, wo der Zeitpunkt der Heilung mit dem Festtag der Bekehrung des heiligen Paulus [1252] angegeben wird („hoc anno in Conversione sancti Pauli“). 241  Miracula (wie Anm. 22), Art. 25, wo der Herkunftsort des Siodłek mit Skórnice („de Scoruiz“) und der Zeitpunkt seines ursprünglichen Gelübdes mit „Dienstag nach Ostern [1252]“ („hoc anno in III feria post octavam Pasce“) angegeben werden. 239  240 

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bin der Bischof Stanisław; danke Gott und gehe hin in Frieden‘.“ Befreit betrat er sogleich die Kirche, dankte Gott, legte einem Priester die Beichte ab, empfing die Sakramente und kehrte nach Hause zurück, aß und trank und hatte von diesem Tag an keinerlei Übel mehr. 34. Über die Heilung eines Geisteskranken. Der Ritter Johannes aus Ulina239 hatte einen fünfzehnjährigen Sohn, der so geisteskrank war, dass er die Menschen schlug und ganz unvernünftig sprach und handelte. Als der Vater ihn in diesem Wahnsinn vorfand und nicht wusste, was er tun sollte, führte er durch einen guten Rat des Herrn Prandota, des Krakauer Bischofs, dazu veranlasst, seinen Sohn schließlich an das Grab des heiligen Stanisław. Nachdem dem Kranken [dort] Wasser zu trinken gegeben worden war, das durch den Ring des heiligen Bischofs [geheiligt war], wurde er sogleich im Geiste wiederhergestellt, kehrte gesund nach Hause zurück und dankte dem allmächtigen Gott sowie seinem Märtyrer, dem heiligen Stanisław.240 35. Über einen, der durch den Bruch eines Gelübdes verrückt wurde. Ein guter Mann namens Siodłek hatte dem heiligen Stanisław fest eine Kuh mit Kälbchen versprochen. Als er aber eines Tages seine Schwester besuchte und sie Mangel leiden sah, beschloss er in seinem Herzen, diese Kuh mit Kälbchen der Schwester zu geben; [denn] er glaubte, unter dem Vorwand der Barmherzigkeit sein Gelübde brechen zu können. Als er mit dieser festen Absicht das Haus seiner Schwester verlassen wollte, wurde er von Blindheit getroffen und im Geist verwirrt. Sofort ließ er von Reue ergriffen, einen Priester zu sich rufen. Sobald er den Bruch des Kuh- und Kälbchen [-Gelübdes] gebeichtet und versichert hatte, dass er es, wie er zuvor versprochen hat, dem heiligen Stanisław darbringen wolle, erhielt er sogleich in Anwesenheit des Priesters seine Sehkraft zurück. Noch am selben Tag machte er sich zusammen mit einem Verwandten auf den Weg zur Grabstätte des heiligen Märtyrers, nahm aber weder die Kuh noch das Kälbchen mit. Und als sich unterwegs sein Geist erneut zu verwirren begann, kehrte er als Verrückter von seinem Verwandten Paul geführt nach Hause zurück. Unverzüglich führte er die Kuh mit dem Kälbchen nach Krakau und opferte sie, wie er versprochen hatte, dem heiligen Stanisław und war sogleich von der Verwirrung des Geistes und Herzens geheilt.241 36. Über verdrehte Augen und deren Heilung. Ein adliger Mann namens Włościej erfuhr, als er in Krakau war, einen so starken Augenschmerz, dass die Augen aufgrund der Verdrehung nicht mehr zu sehen waren, sondern nur rotes Fleisch. Da er allzu sehr gequält wurde, bat er, dass man ihn in die [Kathedral-]Kirche des heiligen Wenzel führe, in der der Leib des heili-

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oculi eius consignarentur et aqua intincti anuli crebrius sibi lavarentur. Quo facto cepit levius habere ita, quod illa die comedit et bibit, quod tribus continuis diebus non fecerat. Nicolaus quoque filius eius tunc temporis magnam inflacionem gutturis habuit ita, quod caput et guttur et pectus totum erat inflatum. Puer autem eo tempore erat sex annorum pariterque fuit portatus cum patre et de eadem aqua potatus et de eodem anulo fuit consignatus et sic ambo meritis sancti Stanislai martiris perceperunt beneficia sanitatis.242 37. De capite et officio lingue curato. Dominus Vitus ecclesie sancti Floriani243 prepositus, cuiusdam nobilis filius, in media parte capitis sinistra graviter est infirmatus. Fuitque ita dolor vehentissimus quod quatuor diebus nec comedit nec bibit nec loqui potuit. Denique quarto die modice loquendo fecit sibi portari anulum sancti Stanislai. Quo cum reverencia accepto tetigit loca doloris et in continenti sensit remedium divine miseracionis. Anulum quoque ipsum in aquam posuit et de ipsa aqua loca doloris linivit et aliquantulum bibit et reliquum aque in vase mundo reservari fecit. In sequenti autem die dolor rediit et ipse residuum aque, quod remanserat, bibit et de cetero omnis dolor abscessit.244 38. De dolore capitis et visu oculorum sanato. Crisanus de Petrovicz245 in capite vehementer infirmatus fuit ita, quod tribus diebus continuis nec comedit nec bibit nec dormivit nec aliquid videre potuit et cum esset in magna angustia constitutus, cepit habere voluntatem visitandi sepulchrum beati Stanislai votumque emisit. Sed quia nichil videbat, rogavit compatrem suum nomine Stephanum, ut eum in iumento suo ad sepulchrum sancti Stanislai duceret. Quo cum fuisset adductus, facta oracione ibidem, in continenti est liberatus ita, quod dolor capitis cessavit, bene vidit et sine ductore domum rediit et qui per tres dies et noctes non dormierat, optime dormivit et de cetero semper sanus extitit.246 Miracula (wie Anm. 22), Art. 24, wo mitgeteilt wird, dass zum Zeitpunkt der Aufzeichnung des Wunders (1252) die Krankheit, die vier Tage gedauert habe, bereits zwanzig Jahre zurücklag. 243  Die Kirche wurde zwischen 1185 und 1216 etwa zwei Kilometer nördlich des Wawel, im späteren Stadtteil Kleparz errichtet. 244  Miracula (wie Anm. 22), Art. 39, wo mitgeteilt wird, dass die Erkrankung am Festtag des heiligen Lukas, d. h. am 18. Oktober [1252] vier Jahre zurücklag. 245  Dorf, 20 km nordöstlich von Krakau. 246  Miracula (wie Anm. 22), Art. 38, wo für den Erkrankten der Beiname „Chrenza“ ergänzt und – etwas unklar – mitgeteilt wird, dass seine Erkrankung 1252 „im Juli etwa drei Jahre zurücklag“ („circa tres annos in mense Iulii cepit“). 242 

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gen Stanisław ruht. Und als er dort war, erreichte er, dass seine Augen mit dem Ring eben dieses Märtyrers gesegnet und mit dem Wasser, in das der Ring getaucht worden war, wiederholt gewaschen wurden. Sobald dies geschehen war, begann er so große Erleichterung zu spüren, dass er an diesem Tag aß und trank, was er schon drei Tage lang nicht [mehr] getan hatte. Auch sein Sohn Nikolaus hatte zu diesem Zeitpunkt eine so große Halsentzündung, dass sein Kopf und Hals und die Brust ganz angeschwollen waren. Der Junge aber, der damals sechs Jahre alt war, wurde mit dem Vater gebracht, trank von demselben Wasser und wurde mit demselben Ring gesegnet und so empfingen beide dank der Verdienste des heiligen Märtyrers Stanisław die Wohltat der Heilung.242 37. Über die Heilung eines Kopfes und des Dienstes der Zunge. Der Propst der Kirche des heiligen Florian243, Herr Wit, der Sohn eines Adligen, erkrankte schwer im mittleren Teil der linken Kopfhälfte. Und der Schmerz war so stark, dass er vier Tage lang weder aß noch trank noch sprechen konnte. Als er am vierten Tag schließlich etwas sprechen konnte, ließ er sich den Ring des heiligen Stanisław bringen. Er empfing ihn ehrfurchtsvoll und berührte [damit] die Stellen des Schmerzes und fühlte sogleich das Heilmittel der göttlichen Barm­ herzigkeit. Auch legte er den Ring ins Wasser und wusch mit diesem Wasser die Stellen des Schmerzes, trank ein wenig und ließ den Rest des Wassers in einem reinen Gefäß aufbewahren. Am nächsten Tag kam der Schmerz aber zurück und er trank den Rest des Wassers, den er aufbewahrt hatte, und danach verschwand jeder Schmerz.244 38. Über die Heilung von Kopfschmerzen und des Augenlichtes. Krzyżan aus Pietrzejowice245 litt so stark an Kopfschmerzen, dass er drei Tage lang weder aß noch trank noch schlief noch irgendetwas sehen konnte. Da er sich in großer Not sah, regte sich in ihm der Wunsch, die Grabstätte des heiligen Stanisław zu besuchen und legte ein Gelübde ab. Da er aber nichts sah, bat er seinen Gevatter Stefan, ihn auf seinem Ochsengespann zur Grabstätte des heiligen Stanisław zu bringen. Dorthin geführt, betete er ebendort und wurde sofort derart geheilt, dass der Kopfschmerz aufhörte, er gut sah, ohne Führer nach Hause zurückkehrte und, da er drei Tage und Nächte nicht geschlafen hatte, bestens schlief und fortan stets gesund war.246

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39. De viro nobili de apostemate liberato. Vir nobilis Martinus de Morawicza247 habuit gravissimum apostema in gutture, quod non permittebat eum nec die nec nocte quiescere nec aliquid omnino gu­ stare, sed nec spiritum bene attrahere. Hic rogavit, in domum suam anulum beati Stanislai sibi instanter apportari, quia iam metuebat suffocari. Dictum quippe ei ante fuerat per visum, quod, si invocaret sancti martiris auxilium, cito sentiret remedium. Cum ergo fuisset anulus apportatus et fuisset in gutture eo consignatus, mox ruptum est apostema et ipse penitus est liberatus.248 40. De duabus puellis ydropica et contracta. Quidam villanus Neuglaz nomine habuit filiam triennem universaliter in toto cor­ pore turgidam et inflatam. Et cum esset penitus desperata, attulit eam ad Goslaum parrochianum suum sacerdotem de Iasel249, ut eam benediceret et evangelium super ipsam legeret. Qui accipiens quandam particulam panni sericei, in quo ia­ cuerant ossa beati Stanislai250, infirmam benedixit. Hoc facto cum pater cum puella et vicinis domum processisset et vix ab ecclesia ad tres iactus sagitte abscessisset, penitus inventa est sana et ab omni inflacione aliena. Qui ad sacerdotem cum puella iam sana rediit et sacerdos putans eam forte in via mortuam, si filia sua adhuc viveret, requisivit. Et ille: Non, domine, sed statim videbitis eam optime valentem et sanam.251 Altera quoque filia eiusdem villani Neuglaz septem annorum, in omnibus mem­ bris contracta et paralisi percussa, os habens distortum et oculos, manus et omnia membra tremencia ac pedes divaricatos; omnes autem membrorum articuli ita erant distorti, quod videbantur a sua compage disiuncti. Cum igitur fuisset ad ean-

Vgl. Anm. 206; Martin war vielleicht mit dem für 1263–1266 als Krakauer Stallmeister und 1268 als Kastellan von Zawichost bezeugten gleichnamigen Amtsträger identisch; UM Nr. 157 und 1153. 248  Miracula (wie Anm. 22), Art. 16, wo Martin als Bruder des oben Kap. III, 20 und in Miracula (wie Anm. 22), Art. 15 genannten Śmił von Morawica bezeichnet und der Zeitpunkt seiner Erkrankung mit „im vergangenen Jahr zu Maria Himmelfahrt“, d. h. mit dem 15. August 1251, angegeben werden. 249  Die heutige Stadt Jasło, 133 km südöstlich von Krakau. 250  Danach wurden bereits um 1251 in Jasło, einem etwa 140 Kilometer südöstlich von Krakau gelegenen Ort, in Gestalt eines Stücks des vermeintlichen Tuches, in das die Gebeine des Stanisław (wahrscheinlich während seiner Überführung aus der Michaelskirche in die Kathedrale in der Mitte des 12. Jahrhunderts) eingewickelt waren, Reliquien des Heiligen aufbewahrt. 251  Miracula (wie Anm. 22), Art. 19, wo der Priester Gosław als „Gotsalcus archipresbiterus“ bezeichnet und das Wunder mit „zu St. Johannis wird es ein Jahr“ („in festo sancti Iohannis erit annus“), d. h. auf den 24. Juni 1251 datiert werden. 247 

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39. Über einen adligen, von einem Geschwür geheilten Mann. Martin aus Morawica247, ein adliger Mann, hatte im Hals ein riesiges Geschwür, das ihm weder am Tag noch in der Nacht zu ruhen erlaubte; auch konnte er überhaupt nichts essen und auch nicht frei atmen. Weil er bereits fürchtete zu ersticken, bat er dringend darum, dass ihm der Ring des heiligen Stanisław in sein Haus gebracht werde. Ihm war nämlich schon vorher in einem Traumgesicht gesagt worden, dass er rasch Besserung spüren werde, wenn er die Hilfe des heiligen Märtyrers anriefe. Als ihm also der Ring gebracht und sein Hals mit ihm gesegnet wurde, da platzte das Geschwür sofort auf und er selbst wurde völlig geheilt.248 40. Über zwei Mädchen, ein an Wassersucht leidendes und ein verkrüppeltes. Ein Bauer namens Niegłos hatte eine dreijährige Tochter, die am ganzen Körper aufgedunsen und angeschwollen war. Als [ihr Zustand] hoffnungslos wurde, brachte er sie zu seinem Pfarrer Gosław, einem Priester aus Jasło249, damit er sie segnete und das Evangelium über ihr las. Der nahm ein Stückchen von dem Seidentuch, in dem die Gebeine des heiligen Stanisław gelegen hatten250, und segnete die Kranke [damit]. Danach kehrte der Vater mit dem Mädchen und den Nachbarn nach Hause zurück. Und als er kaum drei Bogenschüsse von der Kirche entfernt war, sah man, dass es völlig gesund und von jeglicher Schwellung befreit war. So kam er mit dem bereits genesenen Mädchen zu dem Priester zurück und der Priester, der annahm, dass es vielleicht auf dem Weg gestorben sei, fragte, ob seine Tochter noch lebe. Und jener: „Nein, mein Herr, [sie ist nicht gestorben,] vielmehr werdet ihr sie sogleich bei bester Kraft und Gesundheit erblicken.“251 Die andere, siebenjährige Tochter dieses Bauern Niegłos war an allen Gliedern verkrüppelt und von Lähmung geschlagen; ihr Mund und ihre Augen waren ­entstellt, ihre Hände und alle Glieder zitterten und ihre Füße waren verkrümmt. Auch waren alle Gelenke ihrer Glieder derart verwachsen, dass es schien, als seien sie aus ihrem Gefüge herausgerissen. Als daher das besagte Mädchen von den

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dem ecclesiam predicta puella per parentes allata, ut a sacerdote benediceretur, de prefata illius panni sericei particula, in qua iacuerant sancti martiris ossa, et tribus diebus fuisset consignata, in tercia consignacione in sinu matris caput reclinavit et dormire cepit. In hac dormicione ergo a parentibus delata, antequam domum pervenirent, inventa est sana; crastina vero die super pedes suos, matre eam per manum ducente, ad ecclesiam venit gracias referens Deo et sue salutis medico, pontifici Stanislao.252 41. De contracta in manu et pede liberata. Quedam bona mulier nomine Iutha de Cosmicz253 cum post partum gravi esset infirmitate arrepta, a festo beati Adalberti usque ad festum omnium Sanctorum eadem infirmitate languit afflicta, paralisi quippe percussa, manus sinistre et pedis sinistri usu et officio erat penitus destituta. Apparuit autem ei in visu quidam vir reverendus, albo superpellicio indutus et dixit ei: Consilium tibi do, ut omni alio medicamine obmisso committas te beato pontifici et martiri Stanislao. Que cum a sompno evigilasset, iuxta visum votum vovit et in continenti manum et pedem distendit et utriusque usum et officium plenarie recepit.254 42. De lippitudine oculorum sanata. Amletha honesta mulier de Cracovia habuit filiam nomine Margaretham, que tunc sex annorum erat et a nativitate sua gravi lippitudine oculorum fuerat detenta. In lucido enim aere posita nichil videbat et in umbra male videre poterat. Lippitudo autem eius ita erat manifesta, quod oculi eius erant vel semper inflati vel sanguino­ lenti. Dormire non poterat nisi prona; caput vero eius semper ardens erat. In hoc statu omnes dies suos deduxit ita, quod parentibus vita eius tedio fuit. Multas quoque medicinas experta fuerat nec aliquid profecerant; immo de recuperacione visus parentes eius omnino desperaverant. Tandem mater pro filia sollicita, multa medicamenta experta commisit eam Deo et votum vovit beato Stanislao. Et quadam die quasi cecam deduxit eam sub clamide ad sancti pontificis et martiris tumbam obtulitque candelam et formam oculorum in cera factam suspenditque super tumbam. Et cum mater orasset et filiam doceret, ut beati Stanislai imploraret auxilium, oracione facta, revertebantur domum. Que cum in descensu ad pedem montis descenderent, puella se senciens melioratam, aperta veste matris, domum 252  Miracula (wie Anm. 22), Art. 20, mit der Datierung des Wunders auf den 24. Juli 1251 („in vigilia beati Iacobi proxime preterita“). 253  Dorf, 17 km südöstlich von Krakau. 254  Miracula (wie Anm. 22), Art. 18, wo die Frau „Iutrca“ genannt und die Dauer ihrer Erkrankung vom 23. April bis Ende September 1251 („die beati Adalberti preteriti usque ad finem Septembris“) datiert werden.

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­ ltern in die gleiche Kirche [in Jasło] gebracht wurde, damit es von dem Priester E gesegnet werde, wurde es drei Tage lang mit jenem erwähnten Stückchen Seidentuch gesegnet, in dem die Gebeine des heiligen Märtyrers ruhten. Bei der dritten Segnung lehnte es den Kopf an die Brust der Mutter und begann zu schlafen. In diesem Schlaf wurde sie von den Eltern fortgetragen und noch ehe sie nach Hause kamen, fand man sie gesund. Am nächsten Tag aber ging sie auf eigenen Beinen, an der Hand der Mutter geführt, zur Kirche, um Gott und dem Arzt ihrer Heilung, dem Bischof Stanisław, zu danken.252 41. Über eine an Hand und Fuß Verkrüppelte und ihre Heilung. Eine gute Frau namens Jutta aus Koźmice253 wurde nach einer Geburt von einer schweren Krankheit erfasst und siechte von dieser Krankheit gepackt vom Fest des heiligen Adalbert [23. April] bis zum Allerheiligen-Fest [1. November] dahin; denn sie war von einer Lähmung geschlagen und konnte die linke Hand und den linken Fuß überhaupt nicht mehr bewegen. Da erschien ihr in einem Traumgesicht ein ehrwürdiger, mit einem weißen Chorgewand bekleideter Mann und sprach zu ihr: „Ich rate dir, lasse alle anderen Heilmittel beiseite und vertraue dich dem heiligen Bischof und Märtyrer Stanisław an.“ Als sie aus dem Schlaf erwachte, legte sie gemäß dem Traum ein Gelübde ab und streckte sogleich Hand und Fuß und erhielt über beide die vollkommene Gewalt zurück.254 42. Über die Heilung einer Augenentzündung. Amletha, eine ehrenwerte Frau aus Krakau, hatte eine Tochter namens Margarete, die damals sechs Jahre alt war und von Geburt an unter einer schlimmen Entzündung der Augen litt. Denn im Tageslicht sah sie überhaupt nichts und im Schatten konnte sie nur schlecht sehen. Ihre Entzündung war so ausgeprägt, dass ihre Augen entweder immer geschwollen oder blutunterlaufen waren. Schlafen konnte sie nur vorwärts geneigt [d. h. wenn sie auf dem Gesicht lag], ihr Kopf aber glühte stets heftig. In diesem Zustand verbrachte sie alle ihre Tage, so dass ihr Leben für ihre Eltern zur Qual wurde. Zwar wurden an ihr viele Heilmittel erprobt, doch bewirkten sie nichts, ja die Eltern hatten schon ganz die Hoffnung auf eine Wiedererlangung der Sehkraft aufgegeben. Die um die Tochter, die viele Medikamente ausprobiert hatte, besorgte Mutter vertraute jene schließlich Gott an und legte gegenüber dem heiligen Stanisław ein Gelübde ab. Und eines Tages führte sie sie wie eine Blinde unter einem Umhang zum Grab des heiligen Bischofs und Märtyrers, spendete eine Kerze und hängte ein aus Wachs geformtes Abbild der Augen über das Grab. Und nachdem die Mutter gebetet und ihre Tochter unterwiesen hatte, den heiligen Stanisław um Hilfe anzuflehen, und das Gebet beendet war, kehrten sie nach Hause zurück. Als sie zum Fuß des Berges herabstiegen, da fühlte das Mädchen eine Besserung, öffnete das Gewand der Mutter und ging der

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antecedebat matrem. Et cum ad mensam sederent, dicebat puella matri, quod iam bene videret. Mater vero cum puelle videret visum clarum et bonum, benedixit Dominum et martirem suum sanctum Stanislaum.255 43. De muta curata. Petrus de Slawcow256 habuit filiam triennem, que in epiphania domini cepit valide infirmari ita, quod cum antea loqueretur, in ramis palmarum penitus obmutuit per­ mansitque muta usque ad invencionem sancti crucis penitusque desperata de vita. Parentes vero de longa eius egritudine anxiati tedio, devoverunt eam beato Stanislao. Quam cum pater posuisset in curru, ut eam Cracoviam duceret, infra dimidium miliare cepit loqui et melius habere et sequenti die dum perducta fuisset ad tumbam martiris, percepit beneficium perfecte sanitatis.257 44. De gutturis curacione. Ianica uxor Boguslai habuit in gutture quandam gravem infirmitatem ita, quod infra sex septimanas nec comedere nec bibere bene potuit. Veniens autem ad tumbam beati Stanislai, cum invocasset ipsius auxilium, perfecte sanata reversa est domum. 45. De dolore oculorum et curacione. Mulier quedam nomine Sobotha passa fuit gravissimum dolorem oculorum per duos annos continue et ex ipso dolore ita fuerant oculi eius obtenebrati, quod vix aliquid, eciam de propinquo male poterat videre. Et cum ex dolore et tali cecitate affligeretur, matre sua presente et quodam alio homine votum vovit, ad sepulchrum beati Stanislai ire et ipsum sanctum in reverencia semper habere, si eam ab hac cecitate dignaretur liberare. Et facto voto cum ad ipsum sepulchrum adducta fuisset et votum solvisset, statim cepit melius habere ita, quod in brevi tempore domum rediens cepit laborare et omnia negocia domus sue, que antea non fecerat, audacter exercere.258

255  Miracula (wie Anm. 22), Art. 22, wo die Mutter „Emleta“ genannt und als Ehefrau des Krakauer Bürgers „Rinerus“ bezeichnet wird. Das Wunder wird auf den letzten Sonntag vor Palmsonntag 1252 („anno presenti feria sexta ante dominicam, qua cantatur Iudi­ca“) datiert. 256  Der in den 1270–80er Jahren mit Stadtrecht bewidmete Ort liegt 51 km nordwestlich von Krakau. 257  Miracula (wie Anm. 22), Art. 14. 258  Miracula (wie Anm. 22), Art. 30, wo der Moment der Heilung mit „im vergangenen Mai [1252] vor einem Jahr“ („in mense May proximo preterito fuit annus“), der Name der Mutter mit

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Mutter auf dem Heimweg voraus. Und als sie zu Tisch saßen, sagte das Mädchen der Mutter, dass sie schon gut sehe. Als die Mutter die klare und gute Sehkraft des Mädchens sah, pries sie den Herrn und seinen Märtyrer, den heiligen Stanisław.255 43. Über einen geheilten Stummen. Peter aus Sławków256 hatte eine dreijährige Tochter, die am Tag der Erscheinung des Herrn [6. Januar] so schwer krank zu werden begann, dass sie, obwohl sie zuvor gesprochen hatte, an Palmsonntag vollkommen die Sprache verlor und bis zum Tag der Auffindung des heiligen Kreuzes [3. Mai] stumm blieb, so dass sie um ihr Leben fürchtete. Die ob ihrer langen Krankheit von Sorge erfüllten Eltern aber vertrauten sie dem heiligen Stanisław an. Als sie ihr Vater auf den Wagen setzte, um sie nach Krakau zu bringen, begann sie nach einer halben Meile zu sprechen und sich besser zu fühlen und als sie am nächsten Tag an das Grab des Märtyrers geführt wurde, empfing sie die Gnade vollständiger Heilung.257 44. Über die Heilung einer Halskrankheit. Janica, die Ehefrau des Bogusław, erkrankte so schwer am Hals, dass sie sechs Wochen lang weder gut essen noch trinken konnte. Nachdem sie aber an das Grab des heiligen Stanisław gekommen war, um seine Hilfe anzurufen, kehrte sie vollständig geheilt nach Hause zurück. 45. Über einen Augenschmerz und seine Heilung. Eine Frau namens Sobota litt schon zwei Jahre lang andauernd an einem sehr starken Augenschmerz. Durch diesen Schmerz waren ihre Augen so getrübt, dass sie selbst von Nahem nur mit größter Mühe noch etwas sehen konnte. Und da sie durch den Schmerz und solche Blindheit ganz niedergeschlagen war, legte sie in Anwesenheit ihrer Mutter und eines weiteren Menschen das Gelübde ab, sich an das Grab des heiligen Stanisław zu begeben und diesen Heiligen stets in Ehrerbietung zu halten, wenn er sie für würdig erachte, sie von dieser Blindheit zu befreien. Nach Ablegen des Gelübdes wurde sie zu seinem Grab geführt und ­erfüllte das Gelübde und begann sich sogleich derart besser zu fühlen, dass sie kurz darauf nach Hause zurückkehrte und zu arbeiten und alle Angelegenheiten ihres Hauses, was sie zuvor nicht konnte, tatkräftig zu erledigen begann.258

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46. De ea, que se simulabat virginem, deprehensa.259 Quedam puella Theutonica iam nobilis et adulta, corrupta per quendam iuvenem, amiserat pudiciciam ac virginitatis florem, unde et non velato capite incedebat simulans se, quod non erat. Hec aliquando sollempni festivitate invitante, cum matre conscia sceleris venit ad limina beati Stanislai martiris et dum essent ad pedem montis, puella cepit deponere peplum, quod in via portaverat, propter estum. Mater vero monebat filiam, ut velato capite beati Venceslai intraret ecclesiam; at illa contempsit monita matris et sertum ferens in capite, accessit ante sepulchrum martiris. Cumque in oracione procumberet et caput ad terram tunderet260, sertum cecidit et puella serto de terra resumpto surrexit. Volens autem crines suos comere et iterum sertum capiti imponere, totam simul comam capitis abstraxit et veluti novacula acutissima rasa in multitudine populi calva stetit. Que videns se esse deprehensam, ignominia et confusione plenam, penitencia ducta reatum suum publice coram omnibus est fassa. Ecce per beati Stanislai merita verum esse reperitur in hac puella, quod cuiusdam viri sapientis declarat prudencia. Est, inquit, confusio adducens gloriam et est confusio adducens ignominiam.261 Per ignominiam enim confusionis pervenitur ad penitenciam vere humilitatis secundum illud psal­miste: Imple facies eorum ignominia et querent nomen tuum, Domine!262 Perfecta vero humilitas penitentis non solum stabilem operatur salutem peccatoris, sed eciam acquirit gloriam exaltacionis secundum illud: Qui humiliatus fuerit, erit in gloria et qui se humiliat, exaltabitur.263

„Bratumnilla“ (Bratumiła) und der „des weiteren Menschen“ mit „Ratyk de Zastupou“ (Racik von Zastępów) angegeben werden. 259  Ein ähnliches Wunder schrieb die Vita Sanctae Hedwigis, hrsg. von Aleksander Semkowicz, in: MPH 4, Lwów 1884 [Nachdruck: Warszawa 1961], S. 501–642, hier S. 588 der heiligen Hedwig von Schlesien zu, wobei der Hagiograph explizit auf diese Ähnlichkeit verwies: „Simile factum de sancto legitur Stanzlao“ („Ein ähnliches Ereignis kann man auch vom heiligen Stanisław lesen“). 260  Gottfried von Altenberg beobachtete als Visitator der polnischen Zisterzienserklöster in der ersten Hälfte des 13. Jahrhundert, „dass es Sitte jenes Volkes sei, beim Eintritt in die Kirche mit dem ganzen Körper zu Boden zu fallen und den Kopf auf den Fußboden oder an die Kirchentür zu schlagen, sich dann auf die Brust zu schlagen und hinauszugehen.“ Zitiert nach Kazimierz Dobrowolski, Przyczynki do dziejów średniowiecznej kultury polskiej z rękopisu Szczyrzyckiego [Beiträge zur Geschichte der mittelalterlichen polnischen Kultur aus der Szczyrzycki-Handschrift], in: Studia Staropolskie. Księga ku czci Aleksandra Brücknera, Lwów-Kraków 1927, S. 312–353, hier S. 345. 261  Sir 4, 21. 262  Ps 82, 17. 263  Lk 14, 11.

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46. Über eine, die vorgab Jungfrau zu sein, und ertappt

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wurde.259

Ein bereits adliges und erwachsenes Mädchen, eine Deutsche, war von einem Jüngling verführt worden und hatte ihre Unschuld und die Blüte ihrer Jungfräulichkeit verloren. Dennoch schritt sie mit unverhülltem Haupt einher und stellte sich als etwas dar, was sie nicht war. Eines Tages begab sie sich zusammen mit ihrer Mutter, die von ihrem Frevel wusste, anlässlich des Jahresfestes [8. Mai] zum Haus des heiligen Märtyrers Stanisław; und als sie an den Fuß des Berges kamen, legte das Mädchen wegen der Hitze sein Kopftuch ab, das es unterwegs trug. Die Mutter aber mahnte die Tochter, die Kirche des heiligen Wenzel verhüllten Hauptes zu betreten, doch jene missachtete die Mahnungen der Mutter und näherte sich der Grabstätte des Märtyrers mit einem Blumenkranz auf dem Kopf. Als sie zum Gebet niederkniete und den Kopf auf die Erde stieß260, fiel der Kranz herunter. Das Mädchen nahm den Kranz von der Erde und richtete sich auf. Als es aber seine Haare kämmen und den Kranz wieder auf den Kopf setzen wollte, zog es sein ganzes Haar vom Kopf und so stand es, wie mit der schärfsten Klinge geschoren, mit kahlem Schädel vor der Menschenmenge. Als es sich ertappt sah, voller Schmach und Scham, bekannte es von Reue geleitet öffentlich vor allen seine Schuld. Seht, dank der Verdienste des heiligen Stanisław erwies sich an diesem Mädchen als wahr, was die Klugheit eines weisen Mannes verkündet: Es gibt, so spricht er, eine Scham, die Ehre einträgt und es gibt eine Scham, die zur Schmach führt.261 Denn durch Schmach und Scham gelangt man zur Reue wahrer Demut, gemäß [der Worte] jenes Psalmisten: „Ihr Angesicht bedecke mit Schmach und suchen sollen sie deinen Namen, Herr!“262 Vollkommene Demut des Büßers aber bewirkt nicht nur dauerhaftes Heil des Sünders, sondern führt auch zur Ehre der Erhöhung, gemäß jenes [Bibelwortes]: „Wer erniedrigt wird, der wird in der Ehre sein und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“263

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47. De puella submersa et puero. Andreas miles, filius nobilis viri Semiani, dum cum familia sua per aquam Odram de una villa ad aliam deberet transire, fecit nutricem cum pueris precedere et ascensa navi ultra fluvium transfretare. Erant autem duo pueri cum nutrice in navi, unus masculus adhuc in cunabulis, qui forte habebat a nativitate annum unum et puella erat trium vel quatuor annorum. Cumque nauta minaret navem cum nutrice et pueris et esset ad medium fluminis, impetus aque impulit navem super truncum cuiusdam arboris subitoque eversa nave periclitabantur pueri cum nutrice et nauta quidem natando evasit. Nutrix vero iam de sinu suo elapsis pueris ambabus manibus tenuit se ad proram navis. Infantulus nichilominus divina virtute custoditus, vagiens in cunis ferebatur super aquam iuxta descensum navis et cum iam mergeretur puellula et preceps cum impetu aque tenderet ad ima, clamor attolitur in ripa: O beate Stanislae, adiuva! et ex aqua erepta, que iam ad iactum unius sagitte descenderat, ad litus exponitur prefocata. Infans eciam cum nutrice extrahitur illesus, meritis beati Stanislai protectus. Parentes vero cum lacrimis et eiulatu magno cum hiis, qui aderant, supplicant beato Stanislao, ut vitam restituere dignaretur suffocato puero. Iacuit autem puella mortua a prima hora usque ad horam terciam. Cumque parentes eius instarent oracioni et devocioni et voverent eam, si vivam redderet, deducendam in Cracoviam ad tumbam beati Stanislai, in continenti de corpore puellule multa aqua erupit et illa oscitavit et oculos aperuit; salvam et sanam posthec ad tumbam cum voto, quod voverant, adduxerunt. 48. De puero submerso. Quidam puerulus trium annorum ludebat cum sodalibus suis in ponte ante castrum Gdanense, qui casu precipiti in aquam Visle de ponte cecidit et suffocatus ab aquis subito ad ima profundi descendit. Diu vero quesitus et tandem sub aquis inventus ad pontem, unde corruerat, extrahitur defunctus. Nunciatur parentibus casus pueri; accurrunt cum lacrimis invocantes patrocinium beati Stanislai. Puer vero luridus et inflatus ab hora nona usque ad vesperam iacuit extinctus. Fit ad clamorem parentis pueri concursus populi et interpellantur magnalia beati Stanislai; cumque omnes pariter cum lacrimis et devotis precibus sancti martiris

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47. Über ein ertrunkenes Mädchen und einen Knaben. Als der Ritter Andreas, der Sohn eines adligen Mannes namens Siemian, zusammen mit seiner Familie einmal von einem Dorf zum anderen über die Oder übersetzen musste, ließ er die Amme mit den Kindern vorangehen, ein Boot besteigen und den Fluss überqueren. Mit der Amme waren zwei Kinder im Boot – ein noch in der Wiege liegender Bub, der vielleicht ein Jahr alt war und ein Mädchen, das drei oder vier Jahre alt war. Als der Fährmann das Boot mit den Kindern und der Amme anstieß und es in der Mitte des Flusses war, trieb die Strömung des Wassers das Boot gegen den Stamm eines Baumes, so dass das Boot plötzlich umkippte und die Kinder mit der Amme plötzlich größter Gefahr ausgesetzt wurden; der Fährmann, der schwimmen konnte, entkam. Die Amme aber, der die Kinder bereits entglitten waren, hielt sich mit beiden Händen am Bug des Bootes fest. Der Säugling aber wurde von der göttlichen Macht beschützt und trieb wimmernd in seiner Wiege neben dem untergehenden Boot auf dem Wasser. Und als das kleine Mädchen schon ertrank und von der Strömung des Wassers kopfüber nach unten gezogen wurde, ertönte am Ufer ein Schrei: „O heiliger Stanisław, hilf!“ Da wurde [das Mädchen], das schon einen Bogenschuss weit abwärts getrieben war, dem Waser leblos entrissen und ans Ufer geworfen. Der Säugling aber wurde mit der Amme gesund herausgezogen, beschützt durch die Verdienste des heiligen Stanisław. Da flehten die Eltern mit denen, die dabei waren, unter Tränen und großem Wehklagen den heiligen Stanisław an, er möge es für würdig erachten, dem ertrunkenen Kind das Leben zurückzugeben. Das Mädchen aber lag von der ersten bis zur dritten Stunde tot da. Und als seine Eltern nicht aufhörten zu beten und zu flehen und gelobten, sie nach Krakau zum Grab des heiligen Stanisław zu bringen, wenn er sie lebendig zurückgäbe, brach aus dem Leib des kleinen Mädchens sogleich viel Wasser hervor und es schnappte nach Luft und öffnete die Augen. Danach führten sie das gerettete und gesunde [Mädchen] gemäß dem abgelegten Gelübde an das Grab [des heiligen Stanisław]. 48. Über einen ertrunkenen Knaben. Ein kleiner Junge von drei Jahren spielte mit seinen Kameraden auf einer Brücke vor der Burg Danzig. Da fiel er plötzlich kopfüber von der Brücke in die Weichsel, schluckte Wasser und sank sofort auf den tiefen Grund hinab. Nachdem man ihn lange gesucht und schließlich unweit der Brücke, von der er gefallen war, tief unten im Wasser gefunden hatte, zog man ihn tot heraus. Den Eltern wurde der Unfall des Knaben gemeldet; sie eilten herbei und riefen unter Tränen den Beistand des heiligen Stanisław an. Der Knabe aber lag von der neunten Stunde bis zum Abend blau angelaufen und angeschwollen tot da. Auf das Geschrei der Eltern des Knaben hin lief das Volk zusammen und verlangte nach den Wundertaten des heiligen Stanisław. Und als alle zusammen unter Tränen und frommen Gebeten die Hilfe

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subsidium flagitarent, ut suffocato puero vitam redderet et parentum desolacionem adimeret, subito de corpore mortui aqua erupit et puer suspirium traxit. Conclamantibus autem omnibus, qui aderant, Ihesu Christi potenciam atque sui pontificis gloriosa merita, puer quasi de gravi sompno excitatus oculos aperuit atque a parentibus sursum erectus, velut fatigatus resedit. Denique domum deductus dormivit, comedit, bibit atque deinceps sanus fuit. Ex hoc autem tam evidenti miraculo in tota Pomorania264 in terra et in mari beatus Stanislaus invocatur in auxilio opportuno. 49. Frater Vincencius de navis periclitacione in mari. Comes Ianussius vir nobilis265, filius Iaroslai et Petrus frater meus, filius fratris Henrici, ambo fide digni sub fidei iuramento et aliquorum, qui tunc cum eis comitabantur, testimonio retulerunt michi rem, quam refero. Hii enim probi viri ac plures Romipete alii tendebant ad limina beati Petri. Predictus vero Petrus clericus ad lucrandam scienciam ibat cum eis Bononiam. Hic erga beatum Stanislaum devocione ductus rogavit me in recessu, quatenus sibi darem de reliquiis eiusdem sancti, ut esset tutor et ductor vie peregrinacionis ipsius. Cum ergo habuissent viam prosperam, tandem pervenerunt Aquileiam, ubi conducta navi cum multis aliis ascenderunt mare navigantes Venecias. Timentes autem, ne in alto mari inciderent in procellas et fluctus, legebant iuxta litus quasi ad quinque vel ad sex sagitte tractus et dum essent prope de quadam civitate, que vocatur Caureola, forte ad octo vel decem miliaria Longobardica, subita oborta tempestate, videbantur positi in ultimo vite discrimine. Mare namque magis ac magis intumescebat et naute fortissime contra vim ventorum ad litus properabant; procelle nichilominus aquam in navem impellebant et illi, qui in navi erant, fere usque ad genua in aqua stabant. Iam vero de vita desperati, alii sanctum Nicolaum, alii sanctum Martinum, Poloni vero sanctum invocabant Stanislaum. Petrus quoque prolatis in publicum reliquiis beati Stanislai martiris, en, inquit, est presens nobiscum, cuius patrocinium invocetis. Et cum clamor omnium tolleretur in celum, ut sanctus Dei pontifex ferret eis opportunum auxilium, venit una supereminens aliis procella navemque sustulit et eam de profundo pelagi quasi in ictu oculi in quoddam arundinetum proiecit. Eversa vero navi solidam terram pedibus attigerunt et alii quidem usque ad cingulum, alii vero usque ad pectus, nonnulli autem usque ad braGemeint ist das Gebiet um Danzig herum, das im deutschsprachigen Raum „Pommerellen“, in Polen „Pomorze Gdańskie“ genannt wird; hier bestand seit dem 11. Jahrhundert mit dem Mittelpunkt Danzig eine eigenständige pomoranische Fürstenherrschaft, die seit dem frühen 12. Jahrhundert in piastisch-polnische Abhängigkeit geriet, in den 1220–1270er Jahren unter den so genannten Samboriden jedoch vorübergehend wieder weitgehend selbständig agierte. 265  Vielleicht identisch mit dem für die Jahre 1271–1283 als Wojewode von Sandomir und 1284–1285 als Kastellan von Krakau bezeugten Janusz; UM Nr. 124 und 967. 264 

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des heiligen Märtyrers forderten, damit dem ertrunkenen Knaben das Leben zurückgegeben und die Verzweiflung der Eltern aufgehoben werde, da entströmte dem Leib des Toten plötzlich Wasser und der Knabe schöpfte Atem. Daraufhin begannen alle Anwesenden laut die Macht Jesu Christi und die rühmenswerten Verdienste seines Bischofs zu preisen, und der Knabe öffnete die Augen, als ob er aus einem tiefen Schlaf erwacht sei, und als er von den Eltern auf die Beine gestellt wurde, setzte er sich wie ermüdet wieder hin. Nachdem er schließlich nach Haus gebracht worden war, schlief er, aß und trank und war seither gesund. Seit diesem so offenkundigen Wunder wird in ganz Pommern264, zu Lande und zur See, der heilige Stanisław um geeignete Hilfe angerufen. 49. Bruder Vincentius über die Schiffbruchgefahr auf dem Meer. Den Vorfall, über den ich hier berichte, haben mir der Amtsträger Janusz, ein adliger Mann265, Sohn des Jarosław, sowie mein [dominikanischer] Bruder Peter, der Sohn des Bruders Heinrich, beides glaubwürdige [Personen], unter Eid und unter Berufung auf das Zeugnis anderer [Personen], die sie damals begleiteten, zugetragen. Diese rechtschaffenen Männer hatten sich wie viele andere Rompilger zum Haus des heiligen Petrus aufgemacht. Mit ihnen reiste der erwähnte Kleriker Peter, der zum Studium nach Bologna ging. Da er den heiligen Stanisław verehrte, bat er mich beim Abschied, ihm etwas von den Reliquien dieses Heiligen zu geben, damit er ein Beschützer und Führer seiner Wanderschaft in die Fremde sei. Und sie hatten eine glückliche Reise und gelangten schließlich nach Aquileja, wo sie mit vielen anderen ein gemietetes Schiff bestiegen, um über das Meer nach Venedig zu segeln. Da sie aber befürchteten, auf hoher See in Stürme und Strömungen zu geraten, segelten sie nahe am Ufer entlang, gleichsam auf fünf oder sechs Bogenschüsse Entfernung. Und als sie in der Nähe einer Stadt waren, die Caorle hieß und vielleicht acht oder zehn Lombardische Meilen [vom Ufer entfernt] waren, kam plötzlich ein Sturm auf und sie sahen sich in höchste Lebensgefahr versetzt. Denn das Meer türmte sich immer gewaltiger auf und obwohl die Matrosen mit aller Kraft gegen den starken Wind auf das Ufer zusteuerten, spülte der Sturm nichtsdestotrotz das Wasser in das Schiff hinein, so dass alle, die sich auf dem Schiff befanden, ungefähr bis zu den Knien im Wasser standen. Da sie schon um ihr Leben fürchteten, riefen die einen den heiligen Nikolaus, die anderen den heiligen Martin, die Polen aber den heiligen Stanisław an. Auch Peter holte vor aller Augen die Reliquien des heiligen Märtyrers Stanisław hervor und sprach: „Seht, dieser ist jetzt mit uns, ruft seinen Schutz an!“ Und als sich der Ruf aller zum Himmel erhob, Gottes heiliger Bischof möge ihnen geeignete Hilfe leisten, da rollte eine Welle heran, die gewaltiger war als alle anderen zuvor, hob das Schiff hoch und warf es gleichsam in einem Augenblick vom offenen Meer in das Schilf [des Ufers]. Da das Schiff umgekippt war, betraten sie mit ihren Füßen festen Boden, wobei die einen bis zum Gürtel, die anderen bis zur Brust, einige auch bis zur Schulter im Wasser

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chia salvis rebus et personis in aqua steterunt. Tempestate autem sedata et navi preparata navigaverunt Venecias, ubi solventes vota sua laudabant salvatoris ma­ gnalia, qui per gloriosum martirem suum Stanislaum non solum in celo et in terra, sed in aquis et mari operatur mirabilia. 50. De equo illuminato et domestico ipsius cecato. Quidam de Mazovia et Lancicia homines simplices et villani pergebant Cracoviam ad limina beati Stanislai. Et erat inter eos quidam ad loquendum promptus et in verbis scurrilibus et iocosis curiosus. Hic habebat equum monoculum, quem propter vie solitudinem duxerat ad deferendum sibi et suis sociis corporis viaticum. Quodam igitur tempore cum prefati peregrini haberent inter se iocosas verborum conflictaciones, ut sic vie sublevarent labores essentque ex eo, quod plus forte sumpserant, leciores; ille, cuius equus erat monoculus, usus dicitur fuisse talibus verbis ac sermonibus: Non est, inquit, mirum, si beatus Stanislaus, qui introivit in potencias Domini, potens est apud Deum dare visum aut auditum vel quicquid huiusmodi creature racionali, videlicet homini, quia homo novit et scit ab eo petere, quod sibi videt competere. Maius vero esset miraculum ac maioris sanctitatis indicium, si modo equo meo monoculo redderet, quem amisit, oculum. Hoc enim animal, cum sit brutum et mutum ac irracionale, nec scit nec intelligit petere, quod sibi foret utile, ideoque non meretur aliquid accipere, sed nec beatus Stanislaus non petenti valet aliquod beneficium prestare. Cumque huiusmodi blasphemias et verba vaniloqua multiplicaret et argutus a sociis in sentencia oris sui persisteret, illico oculus eius crepuit et equus ipsius oculum, quem non habuit, accepit. Exinde fit stupor et turbacio, meror et confusio sociis de socio tam subita Dei animadversione percusso. Fit eciam divine potencie non mediocris admiracio de ceco equo illuminato. Tandem homo a Deo flagellatus et plaga cecitatis percussus ad se rediit. Cui quia vexatio intellectum dedit, se stulte contra sanctum Dei locutum fuisse recognovit. Hic denique cum ad sanctum eius sepulchrum pervenisset et reatum suum penitendo defleret et graciam, quam amiserat, promeruit et oculum, quem ex sua stulticia perdiderat, recuperavit. Ecce in hoc duplici opere divine misericordie impletum est vaticinium psalmiste: Homines et iumenta salvabis, Domine.266

266 

Ps 35, 7.

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standen, aber alle hatten Gut und Leben gerettet. Nachdem sich der Sturm gelegt hatte und das Schiff instandgesetzt worden war, segelten sie nach Venedig, wo sie ihre Gelübde erfüllten und die Wundertaten des Erlösers priesen, der durch seinen ruhmreichen Märtyrer Stanisław nicht nur im Himmel und auf Erden Wunder vollbringt, sondern auch im Wasser und auf dem Meer. 50. Über ein Pferd, das wieder sehen konnte, und seinen Besitzer, der erblindete. Einfache Menschen und Bauern aus Masowien und Łęczyca waren unterwegs nach Krakau zum Haus des heiligen Stanisław. Unter ihnen war einer, der gern redete und eine Vorliebe für possenhafte und spaßige Worte hatte. Er hatte ein einäugiges Pferd, das er mitgenommen hatte, damit es auf dem Weg durch abgeschiedenes Gebiet ihm und seinen Gefährten den Leibproviant trüge. Als sich die besagten Pilger einmal mit spaßigen Worten neckten, um sich auf diese Weise von den Strapazen der Reise abzulenken und etwas fröhlicher waren, weil sie vielleicht etwas zu viel zu sich genommen hatten, da soll der, dessen Pferd einäugig war, folgende Worte und Redeweisen gebraucht haben: „Es ist doch kein Wunder, wenn der heilige Stanisław, der in die Macht des Herrn eingegangen ist, die Macht bei Gott besitzt, einem vernunftbegabten Geschöpf, also einem Menschen, die Sehkraft oder das Gehör oder irgendetwas dieser Art zu geben, weil der Mensch nämlich weiß und versteht, ihn um das zu bitten, was ihm zusteht. Ein größeres Wunder und ein größerer Beweis seiner Heiligkeit wäre es freilich, wenn er diesem meinem einäugigen Pferd das Auge zurückgäbe, das es verloren hat. Da dieses Tier aber, weil es schwerfällig, stumm und ohne Vernunft ist, weder weiß noch versteht zu erbitten, was ihm nützlich wäre, hat es weder verdient, irgendetwas zu empfangen, noch kann ihm der heilige Stanisław ungebeten irgendeine Wohltat erweisen.“ Als er noch weitere derartige Gotteslästerungen und eitle Worte sprach und bei seinen Äußerungen blieb, obwohl ihn seine Gefährten rügten, platzte sogleich eines seiner Augen, während sein Pferd das Auge zurückerhielt, das ihm fehlte. Da ergriff die Gefährten Staunen und Unruhe, Trauer und Verwirrung über den Gefährten, den so plötzlich die Strafe Gottes getroffen hatte. Nicht geringes Staunen weckte aber die Macht Gottes, die das blinde Pferd wieder sehend machte. Schließlich kam auch der von Gott gegeißelte und mit der Strafe der Blindheit geschlagene Mann wieder zu sich. Da ihm die Züchtigung Einsicht gab, erkannte er, wie töricht er über Gottes Heiligen gesprochen hatte. Als er schließlich zu dessen heiliger Grabstätte kam, seine Schuld bereute und beweinte, verdiente er sich die Gnade, die er verloren hatte, und gewann das Auge, das er durch seine eigene Dummheit eingebüßt hatte, zurück. So erfüllte sich in diesem doppelten Werk der göttlichen Barmherzigkeit die Weissagung des Psalmisten: „Menschen und Tieren wirst du helfen, Herr.“266

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51. De equo mortuo resuscitato et pelle induto. Cum iam celebrata canonizacione beati Stanislai confluerent Cracoviam ex omnibus partibus fideles Christiani267, contigit et quendam Urbanum hominem de Surbia cum uxore et pueris tenellis ad sancti pontificis et martiris proficisci limina. Hic equum unum et currum acceperat ad subvehendum pueros et ut duceret vite necessaria, quibus sustentari opus erat. Et cum esset infra metas Polonie, mortuus est equus eius subitanea morte. Auriga autem in eodem loco curru relicto detractaque pelle caballi ac posita in humeris, sequebatur domesticum suum paulatim precedentem cum uxore et pueris. Sed cum ille forte iam dimidium miliare processisset et fatigatus cum pueris resideret, ecce animo turbatus domum decrevit redire desperans de cepto itinere. Visa turbacione viri, uxor eius ait illi: Absit a nobis, ut nostris vicinis ad tantam sollempnitatem leto animo concurrentibus, nos ultimi inveniamur et eos relinquamus. Numquid pre omnibus peiores erimus, ut retrocedamus et tante festivitati non intersimus; si alias non poterimus, pueros nostros in humeris portabimus et ubi deficiemus, beato Stanislao eos committemus. Tunc vir bonus et fidelis refocillatus est sermonibus mulieris. Dum igitur aurigam expectantes sic residerent et secum quererentur, conspiciunt puerum a longe venientem et pellem portantem et dum puer ad locum, ubi residebant, appropinquaret, ecce equum hinnientem et per rubeta subito currentem vident; tunc mulier viso equo ait viro suo: Vere equus noster est vel per omnia similis eius est! At ille: Aut visu deciperis aut sompnia meditaris. Nonne, inquit, ecce puer cutem portat et quomodo consequens est, ut equus mortuus vivat. Auriga veniens stetit et dum pellem de baculo, in quo eam tulerat, vellet deponere, non invenit. Requisitus quoque, an equum cognosceret, hesitabat, quid responderet. Sciebat enim, quod equum mortuum et cadaver spoliatum dimiserat cutemque eius detractam secum detulerat, sed quo de manibus eius elapsa sit tam subito, vehementer stupebat. Considerans autem diligenter equi circumstancias, deprehendit adhuc recentes et sanguine tinctas, quas cutello per scutem duxerat, incisuras et exclamavit: Vere equus noster est, quem mortuum, nunc vere propria cute reindutum beatus Stanislaus nostri misertus reddidit nobis vivum. Sicque equo infrenato una cum suo domestico ad locum, ubi currum dimiserant, abierunt et cadavere equi non invento rem gestam probantes experimento, curru iuncto ad suos redierunt. Deinde pueris et omni supellectili in curru levatis, Dominum benedicentes, leti et alacres in Cracoviam pervenerunt ibique vota sua beato Stanislao reddentes et eius

267  D. h. nach September 1253, anlässlich des jährlich am 8. Mai begangenen Festtages des Heiligen.

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51. Über ein vom Tod auferwecktes und mit Haut bedecktes Pferd. Nach der feierlichen Kanonisation des heiligen Stanisław strömten von allen Seiten gläubige Christen nach Krakau.267 Da begab es sich, dass ein Mann aus dem Sorbenland namens Urban mit Ehefrau und kleinen Kindern zum Haus des heiligen Bischofs und Märtyrer aufbrach. Er nahm ein Pferd und einen Wagen, um die Kinder zu fahren und die zur Ernährung nötigen Lebensmittel zu transportieren. Und als er bereits auf polnischem Gebiet war, starb sein Pferd eines plötzlichen Todes. Der Fuhrmann ließ den Wagen an Ort und Stelle stehen, zog dem Gaul die Haut ab, nahm sie auf den Rücken und folgte seinem Herrn, der mit Ehefrau und Kindern langsam vorausging. Als dieser vielleicht eine halbe Meile weitergegangen war und sich erschöpft mit den Kindern niedersetzte, da kamen ihm Zweifel an der ­begonnenen Reise und er beschloss in verwirrtem Geist, nach Hause zurückzukehren. Seine Gattin, die die Verwirrung ihres Mannes sah, sprach zu ihm: „Das fehlte noch, dass man uns, während unsere Nachbarn frohen Mutes zu einem solchen Fest herbeieilen, als die letzten antrifft und wir sie im Stich lassen. Sollen wir denn schlechter als die anderen sein und zurückweichen und uns von einem solchen Fest fernhalten? Wenn es nicht anders geht, werden wir unsere Kinder auf den Schultern tragen und wenn uns die Kräfte verlassen, vertrauen wir sie dem heiligen Stanisław an.“ Durch diese Worte der Frau wurde der gute und gläubige Mann wieder aufgemuntert. Und als sie auf den Fuhrmann wartend so dasaßen und sich wechselseitig fragten, sahen sie von weitem den Knecht kommen, der die Haut trug. Und als der Knecht an die Stelle kam, an der sie ruhten, da sahen sie plötzlich ein wieherndes Pferd durch das Gebüsch springen. Darauf sagte die Frau beim Anblick des Pferdes zu ihrem Mann: „Das ist doch unser Pferd oder jedenfalls ihm ganz ähnlich!“ Und jener: „Entweder trügt dich dein Blick oder du träumst. Trägt denn nicht der Knecht die Pferdehaut, wie kann daraus folgen, dass das tote Pferd lebt.“ Der Fuhrmann kam [heran], blieb stehen und wollte die Haut von dem Stock nehmen, auf dem er sie trug, konnte sie aber nicht finden. Gefragt, ob er das Pferd wiedererkenne, zögerte er mit der Antwort. Denn er wusste, dass er das Pferd tot und den Kadaver seiner Haut beraubt zurückgelassen und die ihm abgezogene Haut mitgenommen hatte; allerdings wunderte er sich sehr darüber, wie sie ihm so plötzlich aus den Händen entglitten war. Aber als er den Zustand des Pferdes genauer untersuchte, da entdeckte er frische und blutige Einschnitte, die er mit dem Messer durch die Haut gezogen hatte, und rief: „Das ist wahrhaftig unser gestorbenes Pferd, das uns der heilige Stanisław, der sich unser erbarmt hat, lebendig und tatsächlich wieder mit seiner eigenen Haut bedeckt zurückgegeben hat.“ Nachdem sie das Pferd aufgezäumt hatten, gingen beide, Herr und Knecht, an den Ort, wo sie den Wagen zurückgelassen hatten, und da sie [dort] keinen Pferdekadaver fanden, hielten sie die Sache für bewiesen, spannten den Wagen an und kehrten zu den Ihrigen zurück. Danach luden sie die Kinder und alle ihre Sachen auf den Wagen und begaben sich Gott preisend freudig und fröhlich nach Krakau. Dort legten sie dem heiligen

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magnalia predicantes, equum nichilominus cereum ad memoriam tanti miraculi contra tumbam eius suspendentes ad propria redierunt. O ineffabilis potencia creatoris, qui magna merita sui declarans pontificis et vitalem flatum restituit brutis ac in omni necessitate subvenit corde tribulatis. 52. De quodam nobili de flammis liberato. Vir nobilis Andreas de Moravicz268 pro remedio suorum peccaminum aliquando cruce signatus ivit in Pruziam.269 Hic a suis progenitoribus de beati Stanislai sanctitate ac eius multa miraculorum operacione percipiens semper eum dilexit et in magna reverencia habuit. Cumque plurimi cruce signati illuc pergerent, ut inimicos crucis Christi expugnarent et eos iugo Christi subigerent, victoriam obtinuerunt et multam stragem hostium fecerunt. Christiani vero domos eorum et sata combusserunt et bona ipsorum diripuerunt. Accidit autem eo tempore, ut idem vir nobilis ad curiam quandam pulchram et bene munitam cuiusdam potentis Prutheni cum suis comitibus deveniret et monebatur, ut eam igne supposito concremaret. Et cum ei domum intrandi nullus aditus pateret, tandem quandam porticum satis strictam et parvam invenit, per quam curiam subintrans, nullum omnino in domo reperit et cum domum incendisset et flammis in giro undique circumdatus esset, iam de vita desperabat, quia flamma subito consurgens omnem introitum et exitum clauserat. Sui vero cooperatores domo incensa iam foris stabant et existimantes eum esse in comitatu, de casu, qui ei acciderat, penitus ignorabant. Tunc ille stans in medio flamme ex intimo cordis ad deum ingemuit et beati Stanislai oportunum auxilium importunis precibus flagitare cepit. Et cum hinc inde anxius prospiceret, quod prius nequaquam viderat, flammam divisam in modum unius camere contra illam porticum vidit et effugiendi periculum viam sibi preparatam per merita martiris intellexit et per quam primitus trahens equum post se vix armatus intravit, modo sedens in equo cursu veloci quasi per portam latissimam, ut sibi videbatur, penitus illesus exivit. Sic beatus Stanislaus pontifex et martir gloriosus in celo et in terra et in igne et in aqua omnibus se invocantibus in veritate est adiutor in opportunitatibus, in tribulacione. 53. De peregrino occiso et a morte suscitato. Tempore canonizacionis beati Stanislai martiris quidam tres peregrini pergebant ad limina eiusdem gloriosi pontificis. Qui dum essent in silva, que vocatur Pre268  Vgl. Anm. 206; ein „Andrea de Morauich“ ist zum Jahr 1238 urkundlich belegt; KDM I, 22 und UM, Nr. 83. 269  Wahrscheinlich der im April 1221 von Papst Honoroius III. bewilligte (PUB I, 39 und 40) Kreuzzug der polnischen Herzöge gegen die noch heidnischen Pruzzen, der dann im Sommer 1222 und 1223 stattfand.

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Stanisław ihre Gelübde ab und rühmten seine Wundertaten und hängten zum Gedenken an ein so großes Wunder ein Pferd aus Wachs gegenüber seinem Grab auf und kehrten nach Hause zurück. Oh, wie unermesslich ist die Macht des Schöpfers, der die großen Verdienste seines Bischofs kundtut und selbst stumpfsinnigen Tieren den Atem des Lebens zurückgibt und in jeder Notlage den im Herzen Gepeinigten zu Hilfe kommt. 52. Über einen aus den Flammen geretteten Adligen. Der Adlige Andreas aus Morawica268 begab sich einmal zur Sühne seiner Sünden auf einen Kreuzzug ins Pruzzenland.269 Von seinen Vorfahren wusste er von der Hei­ligkeit des heiligen Stanisław und seinem großen Wunderwirken; daher schätzte er ihn sehr und hielt ihn stets in großer Ehrerbietung. Da sich sehr viele Kreuzritter dorthin begaben, um die Feinde des Kreuzes Christi zu bekämpfen und sie dem Joch Christi zu unterwerfen, errangen sie den Sieg und richteten unter den Feinden große Verluste an. Die Christen brannten deren Häuser und Saaten nieder und plünderten ihre Besitztümer. Zu dieser Zeit geschah es aber, dass ebendieser Adlige zusammen mit seinen Begleitern zu einem schönen und gut befestigten Hof eines mächtigen Pruzzen kam und ermahnt wurde, Feuer zu legen und ihn niederzubrennen. Als sich ihm kein Zugang öffnete, um das Haus zu betreten, fand er schließlich einen ziemlich engen und kleinen Säulengang, durch den er den Hof betrat, fand aber im Haus niemanden vor. Und nachdem er das Haus in Brand gesteckt hatte und rings von Flammen umgeben war, verlor er schon die Hoffnung auf sein Leben, weil das Feuer plötzlich aufflammte und jeden Ein- und Ausgang versperrte. Seine Mitstreiter aber standen, als das Haus schon brannte, draußen davor und nahmen an, dass er unter ihnen wäre, so dass sie von dem, was ihm geschah, ganz und gar nichts wussten. Jener stand unterdessen inmitten der Flammen, seufzte aus tiefstem Herzen zu Gott und begann, mit inständigen Bitten den heiligen Stanisław um geeignete Hilfe anzuflehen. Als er sich angstvoll nach allen Seiten umschaute, sah er, was er zuvor nicht gesehen hatte, dass das Feuer gegenüber jenem Säulengang wie ein Zimmer abgetrennt worden war; da verstand er, dass ihm durch die Verdienste des Märtyrers ein Fluchtweg aus der Gefahr bereitet worden war und wo er zuvor gerüstet und sein Pferd hinter sich herziehend nur mit Mühe eingetreten war, eilte er auf dem Pferd sitzend im Galopp wie durch ein, wie es ihm schien, sehr weites Tor ganz unverletzt ­hinaus. So ist der heilige Stanisław, der Bischof und ruhmreiche Märtyrer, im Himmel und auf Erden, im Feuer und im Wasser allen, die ihn in Wahrhaftigkeit anrufen, ein Beschützer zur rechten Zeit [und] in der Not. 53. Über einen getöteten und vom Tode auferweckten Pilger. Zur Zeit der Kanonisation des heiligen Märtyrers Stanisław machten sich drei Pilger auf zum Haus dieses ruhmreichen Bischofs. Als sie in dem Wald waren, der

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gina270,

duo latrones eruperunt de nemore cupientes eos spoliare. Duo igitur peregrini sumunt fuge presidium, tercius vero, qui videbatur audacior, incidit in manus latronum et tenentes suffocabant eum, ut deducerent ipsum ad iter devium. At ille invocabat sancti Stanislai presidium, ut suum erueret peregrinum de manibus inimicorum et ereptus de medio latronum prevaluit adversus unum ipsorum; vidensque latronis socius, quod prevalebat peregrinus, exempto pugione precidit guttur illius et sic ablato spolio abierunt, semivivo relicto. Videbatur autem ipsi premortuo peregrino, quod beatus Stanislaus, velut salutis medicus, ad egrotum accederet et ut quibusdam unguentis appositum collum ad caput foveret et quasi a sompno dormientem excitaret. Qui subito expergefactus seque videns expoliatum et nudum, suos socios est insecutus, narrans eis, quomodo interemptum a latronibus suscitavit eum a mortuis sanctus Stanislaus. Tandem in Cracoviam seminudus veniens votum sue peregrinacionis persolvit, pro salute sua Deo et suo glorioso martiri debitas gracias retulit et in signum huius miraculi in cera hominem figuratum ad tumbam beati viri suspendit. 54. De manifesta visione cuiusdam simplicis viri. Quidam de Slavcow271 coriarius, homo simplex et devotus, solitus erat in hora matutinali surgere et in quodam palacio domus sue oracionum suarum Deo vota persolvere. Quodam igitur estivo tempore in ortu surgentis aurore dum ibidem staret in oracione, vidit ultra pontem campum quendam, qui iacet in exitu ville, plenum copiosa populi multitudine, quam nemo poterat dinumerare. Estimabat autem et stupebat aliquem subitum venisse exercitum eo, quod videbat homines de diverso genere hominum. Stabat vero in eminenciori loco in medio eorum unus episcopus pontificalibus indutus, homo canus et reverendus et circa ipsum stabant multi clerici superpelliciis induti diversorumque ordinum quam plurimi viri religiosi ac femine permixte. Videbat autem ad episcopi benediccionem illam innumerabilem multitudinem sese humiliantem, at ille extensa manu dabat eis pontificalem benediccionem contra quatuor partes orbis scilicet versus orientem, occidentem, aquilonem et meridiem. Deinde cum multis vexillis precedebat ipsum processio protensa, que vergit per pontem ad maiorem stratam versus ecclesiam. Episcopus quidem ibat in media processione, precedente eum et sequente illa multitudine. Et cum esset pontifex contra palaciolum hominis illius, traxit se homo post columpnam et per quandam rimam contemplabatur et mirabatur illius episcopi honorem et gloriam. Exivit autem quidam superpelliciatus, canus capite

270  271 

Ein Wald in der Nähe des 20 km südwestlich von Krakau gelegenen Ortes Przeginia. Vgl. Anm. 256.

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Pregina genannt wird270, sprangen zwei Räuber aus dem Dickicht und wollten sie

ausrauben. Zwei Pilger suchten ihr Heil in der Flucht, der dritte, der der mutigste zu sein schien, aber fiel den Räubern in die Hände, die ihn festhielten und würgten, um ihn auf einen abgelegenen Weg zu ziehen. Da rief er den Schutz des heiligen Stanisław an, er möge seinen Pilger den Händen der Feinde entreißen und tatsächlich wurde er aus der Mitte der Räuber gerissen und konnte sich gegen einen von ihnen durchsetzen. Als der Gefährte des Räubers sah, dass der Pilger die Oberhand behielt, zog er sein Messer und schnitt ihm den Hals durch. Und so zogen sie mit der Beute ab und ließen ihn halbtot zurück. Dem sterbenden Pilger selbst schien es, als näherte sich dem Kranken der heilige Stanisław wie ein Arzt der Rettung, der den Hals mit irgendwelchen Ölen salbte und [wieder] an das Haupt fügte und [ihn] wie einen Schlafenden vom Schlaf erweckte. Als er plötzlich erwachte, sah er sich ausgeplündert und nackt, eilte seinen Gefährten nach und erzählte ihnen, wie der heilige Stanisław den von den Räubern Getöteten von den Toten auferweckt habe. Und als er schließlich halbnackt nach Krakau gelangte, erfüllte er sein Pilgergelübde, stattete Gott und seinem ruhmreichen Märtyrer für seine Rettung den gebührenden Dank ab und hängte als Zeichen dieses Wunders eine Menschenfigur aus Wachs an das Grab des heiligen Mannes. 54. Über die offenkundige Vision eines einfachen Mannes. Ein Gerber aus Sławków271, ein einfacher und frommer Mann, pflegte zur Stunde der Frühmesse aufzustehen und in einer Vorhalle seines Hauses Gott seine Gebete darzubringen. Als er eines Tages im Sommer im Morgengrauen ebendort im Gebet stand, sah er, wie jenseits der Brücke das Feld am Ausgang des Dorfes von einer großen Menschenmenge angefüllt war, die niemand zu zählen vermochte. Und er meinte und war darüber verwundert, dass plötzlich ein Heer eingetroffen sei, weil er Menschen unterschiedlicher Herkunft sah. In ihrer Mitte stand aber auf erhöhter Stelle ein in Bischofsgewänder gekleideter Bischof, ein grauhaariger und ehrwürdiger Mann, und um ihn herum standen viele in Chorhemden gekleidete Geistliche, zahlreiche Mönche verschiedener Orden sowie daruntergemischt [auch] Frauen. Auch sah er, wie sich jene riesige Menschenmenge für den Segen des Bischofs niederkniete und jener ihnen mit ausgestreckter Hand in alle vier Himmelsrichtungen, nämlich nach Osten, Westen, Norden und Süden, seinen bischöflichen Segen spendete. Dann ging ihm eine lange Prozession mit vielen Fahnen voran, die über die Brücke zur Hauptstraße in Richtung Kirche strebte. Der Bischof ging in der Mitte der Prozession, so dass ihm jene Menschenmenge entweder voranging oder folgte. Und als sich der Bischof gegenüber dem kleinen Hof jenes Mannes [des Gerbers] befand, verbarg sich der Mann hinter einer Säule, schaute durch einen Spalt hindurch und bewunderte den Ruhm und die Ehre jenes Bischofs. Da löste sich einer im Chorhemd mit grauem Haar und anmutigem Gesicht aus der Prozession, ging auf jenen in Verwunderung ver-

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et venusta facie, ad illum positum in stupore, divertens a processione vocansque ipsum proprio nomine ait: Quid stupes? Quid miraris? Noli, inquit, te abscondere, noli latere. Et iterum: Scis, iuquit, quis est pontifex iste et quid sunt multitudines tante? Et ille: Nescio, inquit, Domine. Iste est, ait, sanctus Stanislaus Cracoviensis episcopus et hec multitudo, que precedit et sequitur, salvata est precibus et meritis ipsius. Tu autem in Cracoviam ad ecclesiam sancte Trinitatis272 vade et fratri Vincencio predicatori273 peccata tua confitere et hec, que audisti et vidisti, studeas ei intimare, quia placuit Deo tibi hoc misterium revelare. Invenies autem eum iuxta ecclesiam ad columpnam contra fratris Iackonis sepulchrum274 sedentem et confessiones audientem. Insuper et hec annunciabis ei, quod adhuc in Polonia sunt sex sancti et electi Dei275, quorum mors preciosa est in conspectu Domini276, qui sunt equales coram Deo meritis beati Stanislai, quos Deus omnipotens signis et miraculis mirificabit et ostendet temporibus suis. Senescenti etenim et ad occasum vergenti mundo multisque peccatis involuto omni generi humano cum iam viluerunt sancte predicacionis verba, non reputantur nec ad mutacionem vite trahuntur bonorum exempla, necessario divina providencia hiis novissimis et periculosis temporibus exhibet et multiplicat miracula. Licet autem non fidelibus, sed infidelibus, ut dicit apostolus, data sunt signa277, per hec tamen in timore et amore Dei infirmorum plerumque confirmantur corda. Hoc funiculo triplici predicatores primitive ecclesie, sancti prophete et apostoli Domini, videlicet verbo predicacionis, exemplo sancte conversacionis ac virtutum prodigiis in sagenam fidei ad unitatem corporis Christi traxerunt omnia climata mundi, secundum quod scriptum est de apostolis: Illi autem predicaverunt ubique Domino cooperante et sermo­ nem confirmante sequentibus signis.278

272  Die bereits im 12. Jahrhundert, spätestens zu Beginn des 13. Jahrhunderts (zunächst in Holz) errichtete Dreifaltigkeit-Kirche wurde 1222 den nach Krakau gekommenen Dominikanern übergeben. 273  Hier spricht der Autor, Vincentius von Kielce/Kielcza, von sich selbst. 274  Der Dominikanerbruder Jacek Odrowąż (Hyazinth) war 1257 gestorben, was bedeutet, dass die Aufzeichnung dieses Wunders bzw. die Abfassung der Vita maior frühestens im Herbst 1257 erfolgt sein kann; zum Kult, der sich seit 1257 um den 1597 kanonisierten Heiligen entwickelte, vgl. unten S. 202–205. 275  Welche Personen Vincentius hier vor Augen hatte, bleibt ungewiss; da er sie dem heiligen Stanisław gegenüberstellt und bemerkt, dass sie erst in der Zukunft von Gott als Heilige offenbart werden würden, mögen ihm neben Hedwig von Schlesien (kanonisiert 1267) vor allem die Dominikaner Jacek, Czesław und Wit, vielleicht auch die Bischöfe Vincentius von Krakau und Werner von Płock vor Augen gestanden haben; dass er auch die Fürstinnen Salomea und Kinga im Blick hatte, ist unwahrscheinlich, da sie zum Zeitpunkt der Abfassung der Vita maior noch lebten. 276  Ps 115, 15. 277  Vgl. 1. Kor 14, 22. 278  Mk 16, 20.

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setzten [Gerber] zu, rief ihn bei seinem Namen und sprach: „Worüber bist du erstaunt? Worüber wunderst du dich? Verberge, verstecke dich doch nicht!“ Und weiter: „Weißt du denn, wer dieser Bischof ist und wer diese vielen Menschen sind?“ Und jener: „Ich weiß es nicht, Herr!“ „Das ist – sagte dieser – der heilige Stanisław, der Krakauer Bischof, und die Menge, die ihm vorangeht und ihm folgt, sind die durch seine Bitten und Verdienste Erretteten. Du aber gehe nach Krakau in die Kirche der heiligen Dreifaltigkeit272, bekenne dem Dominikaner-Bruder Vincentius273 deine Sünden und versuche ihm das, was du gesehen und gehört hast, mitzuteilen, weil es Gott gefallen hat, dir dieses Geheimnis zu offenbaren. Du findest ihn nahe der Kirche an der Säule gegenüber der Grabstätte des Bruders Jacek274, wo er sitzt und Beichten abnimmt. Verkünde ihm außerdem auch dies, dass es in Polen bislang sechs Heilige und Erwählte Gottes gibt275, deren Tod in den Augen Gottes kostbar ist276, die vor Gott den Verdiensten des heiligen Stanisław gleichkommen und die der allmächtige Gott zur rechten Zeit durch Zeichen und Wunder verherrlichen und offenbaren wird.“ Denn da die Welt altert und sich dem Untergang zuneigt und das ganze Menschengeschlecht in zahllose Sünden verstrickt ist, sind die Worte der heiligen Predigt schon wertlos geworden und die Beispiele guter [Menschen] werden weder beachtet noch zu einem Wandel des [eigenen] Lebens herangezogen. Deshalb muss die göttliche Vorsehung in diesen jüngsten und gefährlichen Zeiten umso mehr Wunder erweisen. Es mag auch sein, dass diese Zeichen, wie der Apostel sagt, nicht für die Gläubigen, sondern für die Ungläubigen bestimmt sind277, weil gerade durch sie die Herzen der Schwachen in Gottesfurcht und Gottesliebe vielfach gefestigt werden. Mit dieser dreifachen Schnur, nämlich dem Wort der Predigt, dem Beispiel eines heiligmäßigen Lebens und der Kraft der Wunder, haben die Prediger der Urkirche, die heiligen Propheten und Apostel des Herrn, alle Gegenden der Welt zur Vereinigung mit dem Leib Christi in das Netz des Glaubens gezogen, gemäß dem, was von den Aposteln geschrieben steht: Jene aber predigten überall und der Herr wirkte und bekräftigte ihre Predigt durch begleitende Zeichen.278

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55. De modo canonizacionis beati Stanislai et sanacione Domini Reynaldi Hostiensis episcopi, videlicet domini pape Alexandri.279 Recitatis igitur in conspectu sedis apostolice prefatis et aliis quam plurimis beati Stanislai miraculis ac instantibus ecclesie Cracoviensis nunciis pro sui canonizacione pontificis, licet sui martirii evidens causa et tantorum signorum frequencia id ipsum pro eo allegaret, papa tamen Innocencius hesitabat, quid faceret. Cum ergo tractatus frequentes super hoc negocio inter cardinales haberentur, dominus Reynaldus, tunc quidem Hostiensis episcopus, post hoc vero280 papa Alexander IIII, ecclesie Romane pontifex summus, antiquitatem temporis allegando, ne in canonizacione ipsius procederetur, inter alios forcius obsistere videbatur. Tunc stupefactus Iohannes presbiter cardinalis, qui erat datus auditor cause beati Stanislai martiris, quod non esset admissa tanta congeries miraculorum cum tanta nube testium, dixit ad magistrum Iacobum281 ecclesie Cracoviensis nuncium: Necessarium habet sanctus vir finale operari miraculum, quod discordantes cardinales in miraculis mirabiliter faciat concordare in unum. Dum igitur negocium sic in pendulo maneret et tempus tempori succederet, placuit divine dispensacioni, cuius voluntati nemo potest resistere, predictum Reynaldum Hostiensem episcopum gravi infirmitate corripere et flagellatum ad suum beneplacitum erudire. Qui cum ad extremum vite sue iam se crederet appropinquare, famulos suos et eos, qui ad eum gracia visitandi convenerant, de camera, in qua egrotabat, iussit abscedere, ut sibi vacaret et conscienciam de statu suo consuleret et animam suam in exitu suo Deo commendaret. Curavit nichilominus suum nuncium ad papam Innocencium transmittere rogans, quatenus ad ipsum veniret et sibi sacramentum unccionis conferret ac beneficium absolucionis apostolice dignaretur impendere. Cum igitur solus in domo iaceret et nullus alius adesset, ecce beatus Stanislaus pontificalibus indutus ante lectum eius visibiliter astitit et eum, an vigilaret, requisivit. At ille, Vigilo, inquit. Quis enim es tu? Et ille: Ego sum Stanislaus CracovienRainald war seit 12. Dezember 1254 als Papst Alexander IV. Nachfolger von Innozenz IV. In einigen Handschriften, darunter einer aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, findet sich statt „post hoc vero“ „nunc vero“, woraus gefolgert wurde, dass „nunc vero“ die ursprüngliche Formulierung gewesen sei, weil der Autor der Vita von Alexander als gegenwärtigem Papst habe schreiben wollen, was jüngere Handschriften dann aber abgeändert hätten; Średniowieczne żywoty (wie Anm. 22), S. 343. Ob der Hagiograph „nunc“ oder „post hoc“ verwendet hat, ist aber für die Frage, ob das Todesdatum Alexanders IV. (25. Mai 1261) als sicherer terminus ante quem für die Abfassung der Vita angenommen werden kann, nicht wirklich entscheidend, weil auch „post hoc“ im Sinn von „später“ (d. h. im Sinn von ‚im Anschluss an Rainalds Episkopat in Ostia‚) gut zu Lebzeiten Alexanders verwendet werden konnte. 281  Zur Herkunft des Magisters Jakob aus dem 190 km nordöstlich von Krakau (13 km südlich von Radom) gelegenen Ort Skaryszew vgl. auch Annales Cracovienses priores (wie Anm. 2), S. 96–97 (zum Jahr 1268) sowie oben S. 29. 279  280 

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55. Über die Art der Kanonisation des heiligen Stanisław und die Heilung des Herrn Rainald, des Bischofs von Ostia, bzw. des Herrn Papstes Alexander.279 Als unter den Augen des Heiligen Stuhles die vorgenannten und viele weitere Wunder des heiligen Stanisław vorgetragen wurden und die Abgesandten der Krakauer Kirche auf eine Kanonisation ihres Bischofs drängten, zögerte Papst Innozenz jedoch zu handeln, auch wenn die offensichtliche Ursache seines Martyriums und die Häufigkeit so vieler Zeichen selbst dafür sprach. Daher wurden in der Angelegenheit unter den Kardinälen zahlreiche Beratungen abgehalten, in denen sich neben anderen der Herr Rainald, damals Bischof von Ostia, später aber280 Papst Alexander IV. und höchster Bischof der römischen Kirche, mit Verweis auf die seither vergangene Zeit sehr dem zu widersetzen schien, dieses Kanonisationsverfahren fortzuführen. Da wunderte sich der Kardinalpriester Johannes [Giovanni Gaetano Orsini], der zum Auditor des Falles des heiligen Märtyrers Stanisław bestimmt worden war, dass eine so große Zahl von durch so viele Zeugen bestätigten Wundern nicht anerkannt werden sollte, und sagte zu Magister Jakob [von Skaryszew]281, dem Abgesandten der Krakauer Kirche: „Der heilige Mann muss noch ein letztes Wunder wirken, um die Kardinäle, die sich über seine Wunder nicht einig sind, auf wunderbare Weise zur Eintracht zu bringen.“ Während das Verfahren somit in der Schwebe blieb und die Zeit verging, gefiel es der göttlichen Vorsehung, deren Willen sich niemand widersetzen kann, den erwähnten Bischof Rainald von Ostia mit einer schweren Krankheit zu schlagen und den Gestraften eines Besseren zu belehren. Da er glaubte, dass er sich bereits dem Ende seines Lebens nähere, hieß er seine Diener und diejenigen, die ihn besuchen gekommen waren, das Zimmer, in dem er krank dalag, zu verlassen, um ungestört den Zustand seines Gewissens prüfen und seine Seele im Augenblick seines Todes Gott anvertrauen [zu können]. Nichtsdestotrotz sorgte er dafür, dass sein Bote mit der Bitte zu Papst Innozenz [IV.] geschickt wurde, ob er zu ihm kommen und ihn für würdig erachten möge, ihm das Sakrament der Letzten Ölung darzureichen und den Segen der apostolischen Absolution zu spenden. Während er also in seinem Haus allein dalag und niemand sonst bei ihm war, da stand plötzlich ganz deutlich der heilige Stanisław im Bischofsgewand vor seinem Bett und fragte ihn, ob er wach sei. Und jener sagte: „Ich bin wach, aber wer bist du?“ Und jener: „Ich bin Stanisław, der Krakauer Bi-

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sis episcopus, cuius tu fuisti hactenus adversarius. Eger vero resumpto spiritu ait illi: Presul sancte, michi, obsecro, ignosce! Penitet enim me fecisse, quod tue canonizacioni nisus sum obviare. At ille: In hoc, inquit, me Christi martirem et electum Dei recognosce. Surge iam sanus a lecto egritudinis tue et noli de cetero bonum negocium impedire, quod Deus decrevit saluti multorum proficere. Hec cum dixisset, ab oculis eius evanuit. Eger vero continuo plenam sanitatem recepit; vocatis autem servis suis ait: Preparate michi, inquit, quod comedam, ut ascensis equis, antequam huc veniat in itinere, domino pape festinus occurram. Mirantur famuli subitam mutacio­nem domini sui, Deum benedicunt et imperata perficiunt. At ille sanus et validus de lecto surgens vestes induit, comedit et bibit ascensisque equis domino pape ad se properanti obvius venit. Quo agnito papa obstupuit, quia quem iam premortuum putabat, vivum et sanum vidit et cum ab eo inquireret, quomodo tam insperatam sanitatem recuperasset, respondit: Sanctus Stanislaus Cracoviensis episcopus, missus a Deo salutis medicus meam ignoranciam increpuit et me pristine saluti restituit; unde sicuti nescius voluntati Dei et consilio restiti, sic canonizacionem a vestra Paternitate supplex imploro beati martiris et pontificis Stanislai. Quod ubi compertum est et celebri sermone vulgatum, subito cardinales, qui prius fuerant discordes, ad conformitatem concordie unanimiter convenientes beatum Stanislaum et per ea, que fecit, mirabilia, quorum exstat probacio luculenta, veraciter astruunt esse sanctum ac per evidens miraculum decernunt canonizacione dignissimum.282 56. De canonizacione et vexillo. Nec mora, dominus papa regrediens civitatem Assisianam cum cardinalibus consenciendo diffinivit, canonizandum esse tante sanctitatis virum, quem credebat iam in celis probabilibus testimoniis, gloria et honore coronatum prefixitque ad hec peragenda locum superiorem, basilicam videlicet beati Francisci, terminum vero nativitatem beate virginis, in quo consenserunt pariter universi. Nativitatis igitur die beate Marie virginis imminente, nata est cunctis, qui aderant, congratulacionis immensitas tantaque spiritualis tripudii leticia, quod de nullo sanctorum, quem auctoritas canonizavit Romana nostre novitatis tempore, consimilis est audita.

282  Anders als hier sehen die Großpolnische Chronik und die Annalen der Krakauer Franziskaner in der Erweckung eines verstorbenen (polnischen?) Großen das entscheidende, den Papst umstimmende Wunder; Chronica Poloniae maioris, hrsg. von Brygida Kürbis, in: MPH SN 8, Warszawa 1970, S. 99 (Kap. 98) und Rocznik franciszkański krakowski [Die krakauer Franziskaner-Annalen], hrsg. von August Bielowski, in: MPH 3, Lwów 1878 [Nachdruck: Warszawa 1961], S. 46–52, hier S. 50.

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schof, dessen Gegner du bislang gewesen bist.“ Da kam der Kranke zu Verstand und sagte: „Heiliger Bischof, ich flehe dich an, vergib mir! Denn ich bereue, was ich getan habe, [nämlich] dass ich versucht habe, deiner Kanonisation im Wege zu stehen.“ Darauf sagte jener: „Hierin sollst du mich als einen Märtyrer Christi und Erwählten Gottes erkennen. Erhebe dich gesund von deinem Krankenbett und behindere nicht weiter die gute Sache, die Gott zum Heil vieler zu vollbringen beschlossen hat.“ Nachdem er dies gesagt hatte, entschwand er seinen Augen. Der Kranke aber gewann sofort seine volle Gesundheit zurück, rief seine Diener herbei und sagte zu ihnen: „Bereitet mir etwas zu essen, damit ich das Pferd besteige und dem Herrn Papst, ehe er hier eintrifft, rasch entgegeneile.“ Verwundert über die plötzliche Veränderung ihres Herrn priesen die Diener Gott und führten die Anweisungen aus. Er aber erhob sich gesund und munter von seinem Bett, legte sein Gewand an, aß und trank, setzte sich aufs Pferd und kam dem zu ihm eilenden Herrn Papst entgegen. Als der Papst ihn sah, staunte er sehr, dass er den, den er schon für beinahe tot gehalten hatte, gesund und lebendig sah. Und als er ihn fragte, wie er denn so unverhofft die Gesundheit zurückerlangt habe, antwortete dieser: „Der heilige Stanisław, der Krakauer Bischof, ein von Gott gesandter Arzt des Heils, hat meine Unwissenheit getadelt und mich wieder gesund gemacht. Daher bitte ich, der ich bisher den Willen Gottes nicht kannte und mich seinem Ratschluss widersetzt habe, dich, Heiliger Vater, nun demütig um die Kanonisation des heiligen Märtyrers und Bischofs Stanisław.“ Als dies bekannt und in feierlicher Predigt verbreitet wurde, einigten sich plötzlich die zuvor widerstreitenden Kardinäle; sie gelangten zu einmütiger Eintracht, versicherten, dass der heilige Stanisław durch die Wunder, die er wirkte und die deutlich bewiesen seien, in der Tat ein Heiliger sei und beschlossen angesichts des [neuen] offensichtlichen Wunders, dass er der Kanonisation mehr als würdig sei.282 56. Über die Kanonisation und die Fahne. Unverzüglich kehrte der Herr Papst in die Stadt Assisi zurück und entschied im Einvernehmen mit den Kardinälen, dass ein Mann solcher Heiligkeit, den er aufgrund unbestreitbarer Zeugnisse als bereits im Himmel mit Ruhm und Ehre gekrönt ansah, kanonisiert werden müsse. Und zur Durchführung bestimmte er einen hoch gelegenen Ort, nämlich die Basilika des heiligen Franziskus und als Zeitpunkt den Geburtstag der heiligen Jungfrau [8. September], worin alle gleichermaßen zustimmten. Und als der Geburtstag der heiligen Jungfrau Maria kam, brach bei allen, die dort waren, eine unermessliche Beglückwünschung und eine so große Fröhlichkeit geistigen Jubels aus, wie man sie von keinem Heiligen, den die römische Autorität in unserer jüngsten Zeit kanonisiert hat, in gleicher Weise gehört hat.

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Ingresso namque basilicam patre communi et confluente de cuiuslibet natura climatis copiosa multitudine populi, luxerunt luminaria in media testudine per girum ordinata proporcionabiliter, ut appareret locus voluptatis amenissime. Nec vacabat a misterio luminositas tanti splendoris, sed figurabant celeste lumen, quod apparuit in custodia gloriosi corporis, quando quatuor convenerunt aquile de quatuor mundi partibus a Deo misse, ut glebam sancti servarent immunem a tactu bestie cuiuslibet feritatis. Post hec vero cum Romanus pontifex ascendisset pulpitum ad pronunciandum tante sanctitatis eulogium, apparuit coram eo decens vexillum, habens nomen et impressam imaginem beati Stanislai protomartiris Polonorum. Cuius vexilli rubor representavit effusionem preciosi sanguinis et imago gloriosum antistitem sive personam individui pacientis. Deinde facto sermone de vita ipsius et martirio recitatisque signis et prodigiis divine virtutis, que Deus operatus est per merita sui martiris, in presencia universalis ecclesie, qui tunc aderant, prelatorum, ipsum catalogo sanctorum adscripsit ac venerabilem eius memoriam inter preclaras martirum festivitates octavo Idus Maii sollempniter agi instituit. Angelorum quoque laude et hymno inchoato a summo pontifice, facta est per ecclesiam generalis candelarum distribucio, qualis numquam visa est fieri in aliquo sollempnitatis officio. Post hec vero dominus papa oracionem pronunciavit, quam ipse de glorioso martire et pontifice dictavit; celebratisque missarum sollempniis facta est indulgencia grandis. In die vero fe­ stivitatis ipsius devote concurrentibus et ad honorabilem martiris sepulturam annuatim accedentibus, omnibus vere penitentibus et confessis unum annum et quadraginta dies de iniuncta penitencia misericorditer relaxavit.283 Quibus omnibus rite peractis remansit illud vexillum in ecclesia sancti Francisci pro testimonio completi operis. Altare insuper constructum est in eadem basilica ad honorem eius­dem martiris, cuius materiam superat opus artis, ut sit in signum et titulum ac memoriale perpetuum ipsius mirifice sanctitatis. Hoc quoque silencio pretereundum non est, quod sicut sub persecucione regis Boleslai filii Kazimiri beatus Stanislaus Cracoviensis Episcopus anno dominice nativitatis MoLXXoIXo felici martirio consummatus est, sic eciam sub tempore Boleslai filii Lesconis, eiusdem Cracovie ducis, idem sanctus martir et pontifex Stanislaus multis coruscans miraculis a papa Innocentio IV anno gracie eiusdem domini nostri Ihesu Christi MoCCoLIIIo canonizatus est.

283  Vgl. die entsprechende Formulierung in der Kanonisationsbulle vom 17. September 1253, unten S. 178–179.

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Als der gemeinsame Vater und die aus allen möglichen Gegenden zusammengeströmte Volksmenge die Basilika betrat[en], da erstrahlten in der Mitte des Gewölbes exakt im Kreis angeordnete Lichter, so dass sie [die Basilika] wie der Ort des lieblichsten Genusses [das Paradies] erschien. Die Helle solchen Glanzes war auch nicht ohne geheimnisvolle Bedeutung, sondern verkörperte das himmlische Licht, das [einst] zur Bewachung des ruhmreichen Leibes [Stanisławs] erschienen war, als vier von Gott gesandte Adler aus den vier Himmelsrichtungen zusammenkamen, um die sterblichen Reste des Heiligen vor dem Zugriff der Wildheit welchen Wildtieres auch immer zu bewahren. Und als dann der römische Bischof [Alexander IV.] die Kanzel bestieg, um den Segen so großer Heilgkeit zu verkünden [die Kanonisatonsformel zu sprechen], erschien vor ihm eine edle Fahne, auf der der Name und das Bildnis des heiligen Stanisław, des Protomärtyrers der Polen, prangte. Das Rot dieser Fahne symbolisierte das Vergießen des kostbaren Blutes und das Bildnis den ruhmreichen Bischof bzw. die Person eines ungeteilt Leidenden. Nachdem er [der Papst] über sein Leben und Martyrium gesprochen und die Wunder und Zeichen der göttlichen Macht, die Gott durch die Verdienste seines Märtyrers gewirkt hat, vorgetragen hatte, trug er diesen in Gegenwart der anwesenden Prälaten der ganzen [katholischen] Kirche in das Verzeichnis der Heiligen ein und bestimmte, dass sein ehrwürdiges Gedenken in der Reihe der berühmten Märtyrerfeste am 8. Mai feierlich begangen werden soll. Dann stimmte der höchste Bischof das Loblied der Engel [„Gloria in excelsis“] und die Hymne [„Te Deum“] an, während in der Kirche eine allgemeine Verteilung von Kerzen erfolgte, wie man sie nie zuvor in irgendeinem feierlichen Gottesdienst gesehen hat. Danach trug der Herr Papst eine Rede vor, die er selbst über den ruhmreichen Märtyrer und Bischof diktiert hatte und gewährte während der Zelebrierung der Messe einen großen Ablass. Allen, die alljährlich an seinem Festtag gottesfürchtig zusammenkommen und die ehrwürdige Grabstätte des Märtyrers aufsuchen und [ihre Sünden] wahrhaft bereuen und die Beichte ablegen, gewährte er von der ­auferlegten Buße barmherzig einen Ablass von einem Jahr und vierzig Tagen.283 Nach Beendigung aller Feierlichkeiten verblieb jene Fahne zum Zeugnis des Geschehens in der Kirche des heiligen Franziskus. Außerdem wurde in ebendieser Basilika zu Ehren dieses Märtyrers ein Altar errichtet, dessen Kunstfertigkeit das [verwendete] Material übertraf – zum Zeichen, als Denkmal und zum ewigen Gedenken an seine wunderbare Heiligkeit. Auch das darf nicht mit Schweigen übergangen werden, dass, so wie der heilige Stanisław, der Bischof von Krakau, bei seiner Verfolgung durch König Bolesław [II.], den Sohn Kasimirs [I.], im Jahre 1079 nach der Geburt des Herrn den glücklichen Märtyrertod erlitten hat, so ist ebendieser heilige Märtyrer und Bischof Stanisław, der durch zahllose Wunder glänzte, zur Zeit Bolesławs [des Schamhaften], des Sohnes von Leszek [des Weißen], ebenfalls Herzog von Krakau, im Jahr der Gnade unseres Herrn Jesus Christus 1253 von Papst Innozenz IV. kanonisiert worden.

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57. Commendacio Polonorum. Gratuletur ergo Polonia, que a se felicem productam prolem et a Deo in splendoribus sanctorum progenitam tocius sanctitatis et felicitatis meruit habere parentem. Gaudeat Cracovia et maxime cathedralis ecclesia sui pastoris privilegiata gloria et sacri corporis dotata presencia ac virtutum ipsius illustrata triumphis, cui datur ex crebra principum et populi confluencia prerogativa privilegii singularis.284 Letetur et universorum fidelium mater ecclesia toto orbe terrarum diffusa, tanti pontificis et martiris preclara recolendo merita, festiva agendo sollempnia, ut per ipsius pia suffragia, quem Christus rex glorie et dominus virtutum gloriosa pas­ sione roseoque sanguine laureatum, tropheo victorie insignitum supernis socians civibus, fecit felicem ac beatum, nos quoque cum ipso perducere dignetur ad re­ gnum eternum, cui honor et imperium cum patre et spiritu sancto permanet in secula seculorum. Amen.

Vgl. das Schreiben des Kardinal-Presbyters Giovanni Gaetano Orsini an den Krakauer Bischof Prandota vom Herbst 1254, in dem ähnliche Wendungen begegnen; KDKK, Nr. 37. Auf eine Parallele zum Offizium für den 1234 heiliggesprochenen Dominikus verweist Gałużka, Mater Polonia (wie Anm. 40), S. 15. 284 

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57. Die Kommendation der Polen. Polen möge sich also glücklich schätzen, dass es verdient hat, einen von ihm hervorgebrachten glücklichen Nachkommen und einen von Gott im Glanz der Heiligen erzeugten Vater von ganzer Heiligkeit und Glückseligkeit zu besitzen. Krakau und vor allem seine Kathedralkirche möge sich freuen an dem mit besonderen Vorrechten versehenen Ruhm seines Hirten, an der Ausstattung mit der Anwesenheit seines heiligen und im Glanz seiner Tugenden leuchtenden Leibes, dem das einzigartige, besondere Vorrecht zuteil wird, dass er häufig von Fürsten und Volk besucht wird.284 Auch die über den ganzen Erdkreis verbreitete Kirche, die Mutter aller Gläubigen, möge sich freuen und sich an die so ruhmreichen Verdienste des Bischofs und Märtyrers erinnern und sein Fest feierlich begehen, damit er [Gott] sich herablassen möge, durch die fromme Hilfe desjenigen, den Christus, der König des Ruhms und Herr der Mächte, mit ruhmvollem Leiden und rosenrotem Blut bekränzt, mit der Trophäe des Sieges gekennzeichnet, den himmlichen Bürgern zugesellt und glücklich und selig gemacht hat, auch uns mit ihm, dem zusammen mit dem Vater und dem Heiligen Geist Ehre und Macht gehören in Ewigkeit Amen, in das ewige Reich zu führen.

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Innocentii PP. IV Bulla de canonizatione sancti Stanislai285 Innocentius episcopus seruus seruorum Dej. Venerabilibus fratribus archiepiscopo Gnesnensi et eius suffraganeis286 salutem et apostolicam benedictionem. Olim a gentilium oculis tenebrarum detersa caligine ac ab eorum cordibus infidelitatis gelide hyeme secedente, uernalis ex eo successit amenitas redolentium florum uenustate decora, quod ecclesie prius deserte ac sterili filij deuotione precipui ualloque constantie premuniti nascuntur, qui ut flores primeui et diffusam spirant suauitatem odoris et uberioris per Dei gratiam fructum sibi proferunt honestatis; sicque filiorum sibi multitudine proueniente innumera suique loco a mari usque ad mare tentorij dilatato287 infra ipsius inualuit terminos uox turturis288, gemitus ac doloris289, dum seua mitescens tyrannorum crudelitas ydolis exterminio traditis ad lamenta penitentie suffragante illo, cuius stupenda sunt opera, mirifice se conuertit. Gaudeat itaque ob hoc ipsa Ecclesia, que probrose detrimenta sterilitatis abiciens salubris incrementa fertilitatis suscepit ac nuptiali federe nunc illi gratiosa coniungitur, a quo priusquam esset assumpta de gentibus inuenerat se desertam. Letetur igitur emuleque sue de terrestri etiam eiecte Jerusalem Synagoge uidelicet dudum sibi huiusmodi sterilitatis incommoda impingenti secura respondeat, quod iam sue prolis fecunditate celestis muri Jerusalem cicatrix obducitur et

285  Als Original im Archiwum Krakowskiej Kapituły Katedralnej [Archiv des Domkapitels Krakau] mit der Signatur Dok. perg. 28 erhalten; ediert in KDKK, Nr. 38 und zuletzt (mit polnischer Übersetzung) in Innocentego PP. IV bulla, (wie Anm. 52), S. 32–39; danach der hier gebotene lateinische Text. 286  In den drei auf den gleichen Tag datierten Ausfertigungen an die allgemeine Kirche = C1, C² und V in Innocentego PP. IV bulla (wie Anm. 52), S. 40 lautet die Adresse: „Uenerabilis fratribus patriarchis, archiepiscopis et episcopis ac dilectis filijs abbatibus, prioribius archipresbyteris, decanis, archidiaconis, et alijs ecclesiarum prelatis, ad quos littere iste peruenerint“ („den ehrwürdigen Brüdern Patriarchen, Erzbischöfen und Bischöfen und den geliebten Söhnen Äbten, Prioren, Erzpriestern, Dekanen, Archidiakonen und den anderen Vorstehern der Kirchen, zu denen diese Schreiben gelangen“). Sie findet sich so wörtlich auch in der am 1. Juni 1235 von Papst Gregor IX, ausgestellten Bulle über die Kanonisation Elisabeths von Thüringen; Urkundenbuch der Deutschordens-Ballei Hessen. Band 1: Von 1207–1299, hrsg. von Arthur Wyss, Leipzig 1879, S. 51 (Nr. 54). 287  Vgl. Is 54, 2. 288  Vgl. Hl 2, 12. 289  Vgl. Is 35, 10 und 51, 11.

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Bulle Papst Innozenz’ IV. über die Kanonisation des heiligen Stanisław285 Innozenz, Bischof, Diener der Diener Gottes, den ehrwürdigen Brüdern, dem Erzbischof von Gnesen [Pełka] und seinen Suffraganen286, einen Gruß und apostolischen Segen. Als einst von den Augen der Heiden die Finsternis der Zweifel verscheucht wurde und der Winter des kalten Unglaubens von ihren Herzen verschwand, folgte auf ihn die vom Liebreiz duftender Blumen verzierte Anmut des Frühlings. Der zuvor verlassenen und unfruchtbaren Kirche wurden Söhne vorzüglicher Frömmigkeit und unbeugsamer Festigkeit geboren, die wie erste Frühlingsblüten einen unendlich süßen Duft verströmen und dank der Gnade Gottes die Frucht reicherer Ehrbarkeit hervorbringen. Und während ihnen so eine unzählige Menge von Söhnen heranwuchs und wie von Meer zu Meer ihre Zelte aufgespannt wurden287, ertönte in seinen Gebieten der Ruf der Turteltaube288, [ein Ruf] des Seufzens und Kummers289, da nach der Zerstörung der Götzenbilder die harte Grausamkeit der Tyrannen schwächer zu werden begann und sich, gefördert durch jenen, dessen Werke unergründlich sind, wunderbar in eine Wehklage der Buße verwandelte. Möge sich daher gerade die Kirche darüber freuen, die die Verluste der schimpflichen Unfruchtbarkeit abgeworfen und das Wachstum gesunder Fruchtbarkeit empfangen hat und jetzt durch ein Hochzeitsbündnis jenem gnädig verbunden wird, von dem sie sich verlassen sah, bevor sie von d[ies]en Völkern angenommen wurde. Möge sie also jubeln und ihrer Konkurrentin, der selbst aus dem irdischen Jerusalem vertriebenen Synagoge, die sich am Ungemach einer derartigen Unfruchtbarkeit lange gestoßen hat, furchtlos entgegnen, dass die Lücke in der Mauer des himmlischen Jerusalem längst durch die Fruchtbarkeit ihrer

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que antiqui hobitatores uacua domicilia reliquerunt, ipsa sue uniuersitatis illustrabit presentia, felici postmodum perfectione sui atque integritate gaudente. Porro ne huiusmodi exhuberante letitia quispiam in ualle miserie, morientium terra requiem posset sibi polliceri continuam, cuius uita est aduersus inimicorum in­ gruentia bella exterorum castra militia super terram, ac ne predicta ecclesia, que mater est cunctorum fidelium materne conditionis expers existeret, si solitas presertim in partu quorundam filorum suorum matrum parientium molestias non subiret interdum instauratur quodammodo sibi aduersitas oportuna, sicut in pas­ sione pie memorie beati Stanislai, Cracouiensis episcopi, cuius meritis prefata refulget ecclesia, patuit euidenter. Cum enim idem in sortem pontificalis ministerij digne uocatus a Domino super gregis sibi commissi prudenter custodiam uigilaret, hostium sagaciter explorauit insidias, malignantium anticipauit consilia emulique nostri deprehendens laqueos ipsius caute retiacula dissoluebat. Hic nempe pro suis ouibus cor suum tradiderat ad uigilandum diluculo290, ut si quem graui forte deprehenderet temptatione concussum, mox ubere consolationis291 adhibito eum erigeret desolatum, et quem in bono proficientem aduerteret, eum gratulationis ubere protinus confortaret, ut non minus per hoc deficientibus quam proficientibus subditis se claris indicijs ostenderet esse matrem. Verum cum non sine interne mentis angu­ stia Regem Polonorum nomine Boleslaum in tantum horrendis uoluptatibus ­subi­ci carnisque nephandis illecebris cerneret eneruari, ut in passiones ignominie traditus et inhumanis contumelijs afficiens corpus suum, mulierum mamillis auul­ sis proprijs exinde liberis catulos apponeret292 miserabiliter educandos, ne execrandam fouere malitiam et iniquitati eiusdem regis uideretur prefatus Pontifex per dissimulationem fauere postquam ipsum a premissis flagitijs sedula et paterna correctione euocare non potuit, in ipsum consulte medicinalem Petri gladium293 exercuit in spiritu lenitatis, sperans ut percussus dolens ad percutientem se in humilitate rediret, dominum exercituum suppliciter requirendo. Sed ipse indurato corde medicinam exhorrens et increpationem abhominans discipline, immo malleum uelut stipulam reputans294, non solum nulla penitudine se correxit, uerum etiam ad peiora in sue dampnationis cumulum prouocatus, iuxta aram non ordini

290  291  292  293  294 

Vgl. Sir 39, 6. Vgl. Is 66, 11. Vgl. oben Vita maior, Kap. II, 17. Die Androhung des Anathems; vgl. oben Vita maior, Kap. II, 18. Vgl. Ib 41, 20.

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Nachkommenschaft ausgefüllt und die alten Bewohnern ihre leeren Wohnungen verlassen haben und sie selbst [die Kirche] durch die Anwesenheit ihrer Gesamtheit erhellt wird, während sie sich ihrer baldigen glücklichen Vollendung und Heiligkeit erfreut. Allerdings soll sich in einer derart außergewöhnlichen Freude keiner der im Tal des Elends Sterbenden, deren Leben aus Kriegslagern gegen kriegerische Überfälle äußerer Feinde besteht, auf Erden ewige Ruhe versprechen und auch die besagte Kirche, die Mutter aller Gläubigen, tritt nicht ohne den Schmerz der Mutterschaft hervor, wenn sie bei der Geburt, insbesondere einiger ihrer Söhne, nicht die üblichen Schmerzen gebärender Mütter auf sich nimmt, wobei sie bisweilen durch heilsame Feindschaft wiederhergestellt wird, wie aus dem Leiden des heiligen Stanisław, des Krakauer Bischofs, seligen Andenkens, durch dessen Verdienst die vorgenannte [Krakauer] Kirche erstrahlt, deutlich hervorgeht. Nachdem ebendieser vom Herrn angemessen in den Stand des bischöflichen Amtes berufen worden war, hielt er über die ihm anvertraute Herde verständig Wacht, erkundete scharfsinnig die Hinterhalte der Feinde, antizipierte die Absich­ ten der Boshaften und unseres Neiders [des Teufels], indem er dessen Fallstricke entdeckte und dessen Netze umsichtig auflöste. Er hatte für seine Schafe sein Herz darauf gerichtet, vom Morgengrauen an zu wachen290, damit, wenn er zufällig einen ertappt, der von einer starken Versuchung erfasst wurde, er den Verlassenen durch die Darreichung der Mutterbrust des Trostes sogleich aufrichtete.291 Und wen er Fortschritte zum Guten machen sah, den stärkte er unverzüglich mit der Mutterbrust des Glückwunsches, um dadurch den schwach werdenden nicht weniger als den Fortschritte machenden Untergebenen durch deutliche Anzeichen zu zeigen, dass er ihr Mutter war. Als er aber nicht ohne innere Geistesnot sah, wie der König der Polen mit Namen Bolesław sich dermaßen schauerlichen Gelüsten hingab und durch die schimpflichen Verlockungen des Fleisches geschwächt wurde, wie er den Leidenschaften der Schande verfiel und seinen Körper barbarischen Misshandlungen hingab [und], erfüllt von roher Schande, den Brüsten der Frauen die eigenen Kinder entriss und [ihnen] dann schlecht genährte Welpen anlegte292, da griff der vorgenannte Bischof, damit es nicht schien, als würde er die fluchwürdige Bosheit unterstützen und die Ungerechtigkeiten dieses Königs durch Heuchelei begünstigen, nachdem er ihn durch fleißige väterliche Zurechtweisung nicht von den vorgenannten Schandtaten abzubringen vermochte, mit Bedacht im Geiste der Sanftmut zum heilsamen Schwert Petri293, in der Hoffnung, dass er, wenn er ihn schmerzlich schlägt, demütig zum Schlagenden zurückkehrt und flehend nach dem Herrn der Heerscharen verlangt. Doch dieser schauderte mit verstocktem Herzen vor der Medizin und verabscheute den erzieherischen Tadel, ja mehr noch, die Keule für einen Stoppel haltend294, verweigerte er nicht nur ohne jede Buße eine Besserung, sondern wurde zu einer noch schlimmeren Steigerung seiner Verdammnis gereizt und befahl seinen Gefolgsmännern, den in seine Bischofsgewänder gekleideten Bischof am Altar, weder Würde noch Ort noch Zeitpunkt

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non loco nec tempori deferens, iussit pontificalibus indutum antistitem per suos satellites diris corporis cruciatibus deputari. Sed ipsi quotiens in eum irruere temp­ tant, totiens compuncti, totiens mansuescunt prostrate; et tunc idem rex sue inseruiens impetuosus tyrannidi manus in eum conuertit sacrilegas, sponsum e gremio sponse, pastorem abstrahit ab ouili, patrem inter filie amplexus et filium in uisceribus pene obtruncauit maternis,295 faciens irritatus atrocitate ferali, ipsius – pro dolor – corpus inhumaniter in frusta concidi, uelut singulis membrorum partibus pene inflictio deberetur. Sed ille apud quem patientia pauperum non peribit in finem non solum rutilantibus huiusmodi sacratissimi corporis partes splendoribus illustrauit, uerum etiam ipsum nullo in eo cicatricis apparente uestigio integritati restituens, aquilarum suarum presidio miraculose a ferarum morsibus preseruauit. Gustato denique acerime ob zelum iustitie calice passionis, cum ab eodem tyranno totaliter putaretur consumptus, ecce ut lucifer oritur et quasi meridianus fulgor in firmamento consurgit, propter quod eius faciem in suis nonnulii necessitatibus deuotissime deprecantur. Ipse quidem defossus securus dormit, requiescit, et non est qui iam ipsum exterreat. Nec mirum, quia ciuitatem illam honoris et glorie corona insi­ gnitus inhabitat296, ubi est mansio secura, populus sine murmure ac patria totum id continens, quod delectat.

Vita minor (wie Anm. 34), Kap. 32 und oben Vita maior, Kap. II, 19. Innocentego pp. IV bulla (wie Anm. 52), S. 37 übersetzt „civitas“ mit „Königreich“, wonach die Bulle hier auf das „himmlisches Reich“ angespielt habe; wahrscheinlicher erscheint aber, dass hier auf das irdische Krakau und Stanisławs Funktion als Stadtpatron abgehoben wurde; vgl. auch Krafft, Papsturkunde (wie Anm. 18), S. 510–511 und die bildliche Darstellung auf einer um 1254 entstandenen Version von Stanisław-Pilger-Plaketten; publiziert u. a. bei RożnowskaSadraei, Pater Patriae (wie Anm. 25), S. 86. 295  296 

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achtend, durch grässliche Zerstückelung seines Körpers abzuschlachten. Jedes Mal aber, wenn diese versuchten, sich auf ihn zu stürzen, wurden sie von Reue erfasst, wurden sie gezähmt zu Boden geworfen. Daraufhin richtete der König selbst, seiner ungestümen Tyrannei folgend, seine gottlose Hand gegen ihn, entriss den Bräutigam dem Schoß der Braut, den Hirten vom Stall, schlachtete den Vater in der Umarmung der Tochter und den Sohn beinahe noch im Mutterleib und zerteilte295, erregt von seiner den Tod bringenden Grausamkeit, oh Weh, den Körper barbarisch in Stücke, so als wäre jedes einzelne Glied zur Marter bestimmt gewesen. Doch jener, dem die Geduld für die Armen nie ausgehen wird, hat nicht nur die Glieder dieses so überaus heiligen Körpers durch goldfunkelnden Glanz erleuchtet, sondern ihn auch in seiner Unversehrtheit, ohne dass an ihm die Spur einer Narbe zu sehen gewesen wäre, wiederhergestellt und durch den Schutz seiner Adler auf wunderbare Weise vor den Bissen der wilden Tiere bewahrt. Als er [Stanisław] schließlich im Eifer für die Gerechtigkeit den Kelch des schmerzhaften Leidens geleert hatte und man glaubte, er wäre von diesem Tyrannen vollständig vernichtet worden, da erhob er sich, so wie ein lichtbringender und gleichsam mittäglicher Glanz am Himmelsgewölbe aufgeht. Deshalb flehen manche in ihren Nöten in größter Frömmigkeit sein Antlitz an. Er aber schläft sicher begraben und ruht und es gibt niemanden mehr, der ihn erschrecken würde. Kein Wunder, denn er bewohnt, bezeichnet mit der Krone der Ehre und des Ruhms, jene Stadt296, in der es eine sichere Wohnung gibt, das Volk nicht murrt und das Vaterland alles vorhält, was beglückt.

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Uerum, ne militans ecclesia de tali ac tanto patrono sic atrociter sibi subtracto inconsolabiliter quasi gemitus singultuosos emitteret, si beneficiorum ipsius af­ fluentia, eam non contingeret sepius delectabiliter irrigari, ecce gloriosus in sanctis suis Dominus, uolens eiusdem patris plenitudinem glorie indicijs exprimere manifestis et prestolanti ecclesie grata conferre super hoc recreationis remedia, tot et tantis fecit ipsum famosis miraculis corruscare, de quibus facta nobis et fratribus nostris, prout debuit, per testes idoneos plena fides extitit, quod eius inter sanctos ceteros implorare subsidium reputauimus merito non indignum. Nam mortuis uita, lumen cecis, auditus surdis, uerbum mutis, claudis gressus, epylenticis cerebri robur et demoniacis immundis ab eis eiectis spiritibus corporum requies ad eius inuocationem nominis celesti dextera subito conferuntur.297 Propter quod, ne huiusmodi rutilantem lucernam sub modio periculose abscondi contingeret, quam idem Dominus tot mirificis signis recte disposuit super Ecclesie candelabrum honorifice collocari298, presertim cum ex hoc ignorantium Deum propellantur tenebre, confundatur peruersum hereticorum dogma et fidelium beata credulitas augeatur, eorundem fratrum, necnon et prelatorum tunc apud sedem apostolicam existentium communicato consilio, predictum beatum Stanislaum episcopum digne sanctorum cathologo duximus ascribendum.

297  Bulle über die Kanonisation Elisabeths von Thüringen, Urkundenbuch der Deutschordens-Ballei (wie Anm. 286), S. 53 (Nr. 54). 298  Vgl. Mt 5, 15.

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Damit aber die kämpfende Kirche darüber, dass ihr ein solcher Schutzherr so grausam entrissen wurde, nicht verzweifelt in seufzendes Wehklagen ausbricht, wenn es nicht geschieht, dass sie vom Reichtum seiner Wohltaten öfters ergötzlich überschwemmt wird, wollte der in seinen Heiligen preiswürdige Herr die Ruhmesfülle dieses Vaters in deutlichen Zeichen veranschaulichen und der harrenden Kirche das wohltuende Heilmittel der Wiederbelebung spenden und ließ ihn [Stanisław] daher durch so viele und berühmte Wunder glänzen, die uns und unseren Brüdern, wie es sich gehört, durch geeignete Zeugen völlig glaubwürdig bestätigt worden sind. Daher haben wir es mit gutem Grund für richtig gehalten, dass er wie andere Heilige um Hilfe angerufen werden kann. Denn auf die Anrufung seines Namens hin wurde durch die rechte Hand Gottes sogleich Toten das Leben, Blinden das Augenlicht, Tauben das Gehör, Stummen das Wort, Lahmen das Gehen, Epileptikern die Kraft des Gehirns und Besessenen durch Austreiben der unreinen Geister die körperliche Ruhe zurückgegeben.297 Und damit das derart strahlende Licht, das der Herr selbst zu Recht durch so wunderbare Zeichen ehrenvoll auf den Leuchter der Kirche zu stellen angeordnet hat298, nicht fahrlässig unter dem Scheffel verborgen wird, besonders damit durch dieses [Licht] die Schatten bei jenen verjagt werden, die Gott nicht kennen, die verkehrte Lehre der Häretiker in sich zusammenfällt und der heilbringende Glaube der Gläubigen gesteigert wird, haben wir nach Zuziehung des Rates der derzeit am apostolischen Stuhl gegenwärtigen Brüder wie auch Prälaten es für angemessen erachtet, den genannten heiligen Bischof Stanisław dem Verzeichnis der Heiligen hinzuzufügen.

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uniuersitati uestre per apostolica scripta districte precipiendo man­ damus, quatinus VIII Idus Maij, die uidelicet, quo mortis absolutus uinculo uictu­ rus perenniter ad fontem superne prodijt uoluptatis, festum eiusdem prout miranda ipsius meritorum magnitudo exigit, celebretis et faciatis sollempniter celebrari, ut id uobis de thesauris celestibus eius pia intercessione proueniat, quod ipse prestante Christo percepisse dinoscitur et possidere perpetuo gloriatur. Ceterum, ut vniuersi­ tati fidelium inuisibilis aule consequendi delicias, ex concessa nobis potestate desu­ per propiciante Domino sit facultas, quin immo et ut nomen exaltetur Altissimi, si sponte suam uenerabilem sepulturam fidelium procuremus accessibus frequentari omnibus uere penitentibus et confessis, qui ad dictam sepulturam in memorato festo et usque ad octauas300 ipsius causa deuotionis accesserint annuatim, ipsius suffragia petituri, de omnipotentis Dei misericordia et beatorum Petri et Pauli apostolo­ rum eius auctoritate confisi, vnum  annum et quadraginta dies, accedentibus uero annis singulis ad predictam sepulturam infra eiusdem festi quindenam quadraginta dies de iniuncta sibi penitentia misericorditer relaxamus.301 Datum Asisij, XV Kal[endas] Octobris, pontificatus nostri anno vndecimo. Quocirca299

299  In der auf den gleichen Tag datierten Ausfertigung an die polnischen Fürsten („dilectis filijs nobilibus viris ducibus Poloniae“) heißt es anstatt des Passus von „Quocirca uniuersitati“ bis „misericorditer relaxamus“: „Cum itaque, etsi alibi in uestris precipue partibus prefatus beatus Stanislaus medicus sit effectus egrotis quam pluribus, prout eorum causa langoris exegerat pigmenta suauitatis et unctiones conficiens sanitais, uelut ipsius a uarijs curati morbis meritis protestantur publice ac rei euidentia manifestat, nobilitatem uestram rogamus, monemus et hortamur attente, quatinus iuxta uerbum sapientis uos ad honorem medici sedulis exhortationibus inuitantis, sic ipsius sancti festum honorificentia debita studiosius uenerari curetis, quod et in prospertatis statu conseruari possitis incolumes et ab imminentibus pestibus, si – quod absit – secundum hominem utrumque ingruerint, eius patrocinio liberari.“ („Da nun der genannte heilige Stanisław in euren Gebieten auch andernorts sehr vielen Kranken ein wirksamer Arzt war, wie die dank seiner Verdienste von verschiedenen Übeln Geheilten, deren Krankheitsursache er genau untersucht und mit süßen Gewürzen und gesunden Salben geheilt hat, bezeugen und wie die Offensichtlichkeit der Sache deutlich zeigt, bitten, ermahnen und fordern wir euer Herkommen nachdrücklich auf, gemäß der Worte des Weisen [= Sir 38, 1–15], durch fleißige Ermahnungen [die Gläubigen] zur Ehrerbietung gegenüber d[ies]em Arzt anzuhalten, dass ihr also mit der gebührenden Ehrerweisung den Festtag dieses Heiligen sehr eifrig begeht, weil ihr durch seinen Schutz euren Wohlstand unversehrt bewahren und von drohenden Übeln, wenn – was Gott verhüte – sie über den Menschen in beidem [d. h. im körperlichen und seelischen Sinn] hereinbrechen, befreit werden könnt.“) 300  D.  h. innerhalb einer Frist von sieben Tagen nach dem Festtag selbst. 301  Bulle über die Kanonisation Elisabeths von Thüringen, Urkundenbuch der Deutschordens-Ballei (wie Anm. 286), S. 53 (Nr. 54).

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Daher299

befehlen wir euch allen und beauftragen euch mit [diesem] apostolischen Schreiben, dass ihr am 8. Mai, also am Tag, an dem er von der Fessel des Todes vollständig befreit für immer zur Quelle der himmlischen Freude aufgestiegen ist, sein Fest feiert und dafür sorgt, dass es feierlich begangen wird, so wie es die wunderbare Größe seiner Verdienste erfordert, auf dass euch durch seine fromme Vermittlung von den himmlischen Schätzen zuteil werde, was er, wie wir wissen, dank Christus erlangt zu haben und für immer zu besitzen sich rühmen kann. Weiters, damit aufgrund der uns durch den Herrn vom Himmel verliehenen Gewalt die Gesamtheit der Gläubigen die Möglichkeit habe, die Wonnen des unsichtbaren Palastes zu erlangen, ja noch mehr, damit der Name des Allerhöchsten erhöht werde, wenn wir dafür sorgen, dass die Gläubigen freiwillig häufig seine verehrungswürdige Grabstätte besuchen, erlassen wir barmherzig allen wahrhaft Buße Tuenden und [ihre Sünden] Bekennenden, die jährlich am erwähnten Festtag und innerhalb der Oktav300 zu seiner Verehrung die genannte Grabstätte aufsuchen [und] seine Fürsprache erbitten, im Vertrauen auf die Barmherzigkeit des allmächtigen Gottes und die Autorität seiner heiligen Apostel Petrus und Paulus, ein Jahr und vierzig Tage [von der ihnen auferlegten Buße], denen aber, die die besagte Grabstätte in bestimmten Jahren innerhalb von fünfzehn [Tagen] nach diesem Fest besuchen, vierzig Tage.301 Gegeben in Assisi, 17. September [1253], im elften Jahr unseres Pontifikats.

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Werner Die historische Gestalt Werner war in den Jahren 1156/57 bis 1170/72 Bischof in Płock, dem ca. 100 km nordwestlich von Warschau auf dem rechten Weichselufer gelegenen Vorort­ ­Masowiens.1 Über seine Herkunft und sein Wirken vor Antritt des Płocker Episkopats, aber auch über seine Tätigkeit in Płock ist wenig Sicheres bekannt. Dass er, wie Jan Długosz im 15. Jahrhundert zu wissen glaubte2, einem einheimischen Adelsgeschlecht entstammte, ist angesichts seines Namens unwahrscheinlich. Die Forschung geht davon aus, dass er aus dem Reich – entweder aus Wallonien, Burgund oder Bayern bzw. Franken – nach Polen gekommen ist.3 Für Burgund wird angeführt, dass Werner Reliquien des heiligen Sigismund nach Płock überführte, für Wallonien, dass es die Heimat seines Płocker Amtsvorgängers Alexander von Malonne war, und für Franken, dass Werner in Płock auch den Kult des Gründers des Bamberger Bistums, des Heiligen und Kaisers Heinrich II., zu etablieren versucht habe. Dafür, dass Werner am ehesten aus Süddeutschland an die Weichsel 1  Überblicke zur Person bei Romuald Gustaw, Werner, in: HP 2, S.  513–521; Antoni Gąsiorowski, Werner, in: Słownik starożytności słowiańskich, Bd. 6, hrsg. von Gerard Labuda/ Zdzisław Stieber, Wrocław u. a. 1977, S. 381–382. 2  Ioannis Dlugossii Annales seu Cronicae incliti regni Poloniae. Liber quintus, Liber sextus, hrsg. von Danuta Turkowska, Varsaviae 1973, S. 59 zum Jahr 1156: „Wernerus scolasticus Ploczensis, genere nobilis de domo Rosze, concorditer electus.“ Ioannis Dlugossii Vitae episcoporum Plocensium abbreviatae, in: MPH 6, Lwów 1903 [Nachdruck: Warszawa 1961], 599–619, hier S. 602: „Vernerus […] indigena de armis Rosae“. 3  Dies und das Nachfolgende nach Czesław Deptuła, Niektóre aspekty stosunków Polski z cesarstwem w wieku XII [Einige Aspekte der Beziehungen Polens zum Kaiserreich im 12. Jahrhundert], in: Polska w Europie. Studia historyczne, hrsg. von Henryk Zins, Lublin 1968, S. 35–92, bes. S. 36–41, 77–78; Marek Szymaniak, Biskup Płocki Gedko (1206–1223). Działalność kościelno-polityczna na tle procesu emancypacji Kościoła polskiego spod władzy książęcej [Der Płocker Bischof Gedko (1206–1223). Das kirchlich-politische Wirken vor dem Hintergrund des Prozesses der Emanzipation der polnischen Kirche von der Fürstenherrschaft], Toruń 2007, S. 82–85; Eduard Mühle, Der polnische Episkopat im alexandrinischen Schisma (1159–1177), in: Verwandtschaft – Freundschaft – Feindschaft. Politische Bindungen zwischen dem Reich und Ostmitteleuropa in der Zeit Friedrich Barbarossas, hrsg. von Knut Görich/Martin Wihoda, Köln u. a. 2019, S. 247–284, hier S. 264–267.

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gekommen ist, sprechen die engen Verbindungen, die Płock seit den späten 1080er Jahren mit dem bayrisch-fränkischen Raum unterhielt.4 Auch im kujawischen Nachbarbistum, das seinen Sitz im 50 Kilometer nordwestlich von Płock gelegenen Leslau (Włocławek) hatte, wirkte in den 1130–40er Jahren mit Swidger ein Bischof, der wahrscheinlich aus Bamberg kam.5 So ist nicht auszuschließen, dass dieser sein Domkapitel, das damals noch mit dem Kanonikerkollegium im nahegelegenen Kruschwitz (Kruszwica) identisch war, mit einem Mann aus seiner Heimat verstärken wollte und zu diesem Zweck einen Bamberger Geistlichen namens Werner an die Weichsel holte. Ein Kruschwitzer Kanoniker Werner begegnet 1143 jedenfalls in einer Urkunde der Witwe Herzog Bolesławs III., Salomea, für das großpolnische Kloster Mogilno.6 Auch Jan Długosz berichtet, dass der zum Bischof von Leslau gewählte Werner zuvor Kanoniker („canonicum Wladislauiensem“) gewesen sei. Allerdings unterschied der spätmittelalterliche Historiker diesen Leslauer Werner ausdrücklich vom Płocker Bischof Werner; in letzterem sah er einen Polen, während er den Leslauer Werner als einen Deutschen („nacione Almanum“) bezeichnete.7 Die Forschung hält die Notizen des Długosz allerdings für verwirrt und geht davon aus, dass die von ihm in das Jahr 1170 datierte Erhebung des Kanonikers Werner zum Leslauer Bischof tatsächlich bereits 1148 stattgefunden hat und der Leslauer Werner mit dem späteren Płocker Bischof Werner identisch war. Demnach hätte Werner zunächst von 1148 bis 1156/57 in Leslau gewirkt, sei dann nach Płock versetzt worden, wo er das dortige Episkopat bekleidete, bis er 1170/72 in einem Streit mit einem lokalen Großen gewaltsam zu Tode kam.8

Krzysztof Benyskiewicz, Książe polski Władysław Herman 1079–1102 [Der polnische Herzog Władysław Herman 1079–1102], Zielona Góra 2010, S. 307–308; Szymon Wieczorek, Die Schenkungen Bolesławs III. und Salomea von Berg an die Benediktinerabtei Zwiefalten in den 1130–40er Jahren, in: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen, hrsg. von Eduard Mühle, Berlin 2013, S. 131–170. 5  Er wird bei Ioannis Dlugossii Annales (wie Anm. 2), S. 319 als „episcopus Cruszwicensis“ und einer der Stifter des Prämonstratenserklosters in Strzelno bezeichnet. Zu seiner vermuteten Bamberger Herkunft vgl. Julia Tazbirowa, Początki biskupstwa na Kujawach [Die Anfänge des Bistums in Kujawien], in: Przegląd Historyczny 53 (1962), S. 229–244, hier S. 238–239; Deptuła, Niektóre aspekty (wie Anm. 3), S. 38, 41; Marcin Danielewski, Cuiavia Christiana. U progu chrześcijaństwa i Kościoła na Kujawach w X–XII wieku [Cuiavia Christiana. An der Schwelle des Christentums und der Kirche in Kujawien im 10. bis 12. Jahrhundert], Poznań 2019, S. 154, 164. 6  KDW I, Nr. 9. 7  Ioannis Dlugossii Annales (wie Anm. 2), S. 59, 90. 8  Das genaue Todesdatum ist ungewiss; die hagiographische Lebensbeschreibung datierte den Tod fälschlicherweise in das Jahr 1180, was bereits Ioannis Dlugossii Annales (wie Anm. 2), S. 91 korrigierte, der den Tod – vielleicht in einer gesuchten Parallele zum Todesdatum des Thomas Beckett – in das Jahr 1170 legte; die Forschung geht überwiegend von 1172 aus; ein sicherer 4 

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Der Leslauer Bischof Werner führte im Frühjahr 1148 eine polnische Gesandtschaft auf eine Synode nach Reims, wo er von Papst Eugen III. die Ausstellung einer Protektionsbulle für sein kujawisches Bistum erwirkte.9 Möglicherweise vertrat er bei dieser Gelegenheit auch die politischen Interessen Bolesławs IV., der 1146 nach der Vertreibung Władysławs II., eines Schwagers des Kaisers, die Senioratsherrschaft an sich gerissen hatte und daran interessiert sein musste, Eugen III. von einer vom Kaiser veranlassten päpstlichen Intervention zugunsten Władysławs abzuhalten. Auch später hat Werner an der Seite Bolesławs gestanden und wahrscheinlich 1156/57 an den Verhandlungen teilgenommen, in denen sich Friedrich I. und Bolesław IV. auf eine vorläufige Beilegung ihres Konfliktes verständigten. Bei dieser Gelegenheit könnte der Kaiser selbst Einfluss darauf genommen haben, dass Werner als Nachfolger des 1156 gestorbenen Bischofs Alexander aus Leslau nach Płock versetzt und dort als ein dem Staufer und dem traditionellen Modell einer herrschaftlich geprägten Kirche wohlgesonnener Mann installiert wurde.10 Ob Werner in Polen tatsächlich die Interessen des Kaisers vertreten hat, ist ungewiss. Er war ungeachtet seiner Herkunft aus dem Reich vor allem ein verlässlicher Mitstreiter Herzog Bolesławs IV., mit dem gemeinsam er in den 1160er Jahren in Płock eine Benediktinerabtei begründete oder wiederbelebte.11 Als ein Gegner der Reformbewegung und Verbindungsmann zu prokaiserlichen Kirchenkreisen im Reich wurde der Płocker Bischof Werner gegen Ende des Jahres 1165 von Bolesław IV. (erneut) mit einer wichtigen diplomatischen Mission betraut. Wie ein in den späten 1160er Jahren in Merseburg entstandener Bericht über einige Wunder des 1146 heiliggesprochenen Kaisers Heinrich II. erzählt, sandten die „Herzöge […] und das ganze Volk“ der Polonia den Płocker Bischof zu Friedrich I., um den Zorn des Königs zu besänftigen („ad placandam regis iram“). Der Kaiser hielt sich gerade in Aachen auf, wo er mit der Exhumierung terminus ante quem ist der Tod Herzog Bolesławs IV. (1173), der den besagten Großen für den Mord an Werner zur Rechenschaft zog. 9  Bulle Papst Eugens III. vom 5. April 1148, in: Codex diplomaticus Poloniae. Tomus II,1, hrsg. von Leon Rzyszczewski/Antoni Muczkowski, Varsaviae 1848, Nr. 1. 10  Czesław Deptuła, Kościół płocki w XII wieku [Die Płocker Kirche im 12. Jahrhundert], in: Studia Płockie, Bd. 3: Kościół płocki XI-XX wieku, hrsg. von Jerzy Kłoczowski, Płock 1975, S. 67–84, hier S. 78; Józef Dobosz, Monarcha i możni wobec Kościoła w Polsce do początku XIII wieku [Der Monarch und die Großen und die Kirche in Polen bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts], Poznań 2002, S. 414. Werners Episkopat in Leslau habe nach dieser These bereits 1156 ein Mann namens Onold/Onolf übernommen, der urkundlich erst zum Jahr 1161 bezeugt ist und über den sonst nichts weiter bekannt ist; vgl. Jacek Maciejewski, Episkopat polski doby dzielnicowej 1180–1320 [Der polnische Episkopat der Teilfürstenzeit 1180–1320], Kraków-Bydgoszcz 2003, S. 261–262. 11  Deptuła, Kościół (wie Anm. 10), S. 78.

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der Gebeine Karls des Großen beschäftigt war und am 29. Dezember 1165 vom Gegenpapst Paschalis III. die Kanonisation des karolingischen Kaisers vollziehen ließ.12 Werner sei mit seiner Gesandtschaft zunächst nicht empfangen und erst nach Intervention namentlich nicht genannter Fürsten „mit geziemenden Geschenken zum Kaiser“ vorgelassen worden. Leider verrät der Bericht, dessen Informant Werner selbst gewesen sein soll, nicht, welches Anliegen der Płocker ­Bischof dabei im Namen der piastischen Herzöge vertreten hat, sondern lässt ihn lediglich nach „erledigtem Auftrag“ („ad votum peracta“) „mit Reliquien des heiligen Heinrich und anderen Geschenken“, darunter Reliquien des heiligen Sigismund von Burgund, nach Polen zurückkehren.13 Dort scheinen Werners prokaiserliche und antigregorianische Haltung, aber auch sein Bemühen, im polnischen kirchlichen und politischen Leben eine kultische Verehrung zweier im Reich verehrter Heiliger zu verankern, darunter eines sächsischen Kaisers, der einen langjährigen Krieg gegen den Piastenherzog Bolesław I. geführt hatte, bald Widerstand geweckt zu haben. So ist auch nicht auszuschließen, dass Werners Ermordung einen politischen Hintergrund gehabt haben mag und mit ihm ein Anhänger der alten Ordnung sowie Befürworter einer engen Anbindung der piastischen Monarchie an das Kaiserreich beseitigt werden sollte.14 Werners späterer Hagiograph schilderte den Tod freilich als Folge einer eher privaten Auseinandersetzung. Danach sei der Bischof mit einem Großen namens Bolesta, dem Kastellan von Wizna, über den Besitz des Dorfes Szarsko in so heftigen Streit geraten, dass Bolesta den Bischof von seinem Bruder habe ermorden lassen. Dass der Kastellan daraufhin von Bolesław IV. zum Tode verurteilt und vor den Augen der versammelten Großen auf dem Scheiterhaufen in Gnesen Zur Kanonisierung vgl. Gerd Zimmermann, Karlskanonisation und Heinrichsmirakulum. Ein Reliquienzug der Barbarossazeit von Aachen über Doberlug/Lausitz nach Plozk, in: 102. Bericht des Historischen Vereins für die Pflege der Geschichte des Ehemaligen Fürstbistums Bamberg, Bamberg 1966, S. 127–148; Johannes Laudage, Alexander III. und Friedrich Barbarossa, Köln u. a. 1997, S. 167–171. 13  Ex aliis miraculis S. Heinrici, hrsg. von Georg Waitz, in: MGH SS 4, Hannover 1841, S. 814– 816, hier S. 815; vgl. auch Deptuła, Kościół (wie Anm. 10), S. 82–83; Michael Lindner, Aachen – Dobrilugk – Płock. Markgraf Dietrich von der Ostmark, Bischof Werner von Płock und die Anfänge des Zisterzienserklosters Dobrilugk, in: Die Nieder- und Oberlausitz – Konturen einer Integrationslandschaft. Band I: Mittelalter, hrsg. von Heinz-Dieter Heimann u. a., Berlin 2013, S. 139–176, bes. 140–142, 147–149. 14  Deptuła, Kościół (wie Anm. 10), S. 69; Deptuła, Niektóre aspekty (wie Anm. 3), S. 87; Zimmermann, Karlskanonisation (wie Anm. 12), S. 146; Szymaniak, Biskup (wie Anm. 3), S. 85. Bezeichnend ist auch, dass Werner mit keinem Wort in der Chronik des Magisters Vincentius, eines reformfreundlichen, antideutschen Parteigängers der Krakauer Herzöge Kasimir II. und Leszek des Weißen, erwähnt wird, während seine Vorgänger im Płocker Bischofsamt, Simon und Alexander, als vorbildliche Kirchenmänner gelobt werden; Die Chronik der Polen des Magisters Vincentius, hrsg. von Eduard Mühle, Darmstadt 2014, S. 234–237. 12 

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Werner

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wurde15,

verbrannt mag allerdings eher für einen politischen Hintergrund sprechen. Der Leichnam des ermordeten Bischofs, der sich an der Seite Bolesławs IV. offenbar in besonderem Maße auch für die Mission der benachbarten Pruzzen ­engagiert hat, wurde in der Mitte der Płocker Kathedrale beigesetzt. Die Entwicklung des Kultes Bestrebungen, den ermordeten Bischof zum Gegenstand einer kultischen Verehrung zu erheben, traten relativ plötzlich um die Mitte des 13. Jahrhunderts auf. Offenbar veranlasste die Kanonisation des Krakauer Bischofs Stanisław (1253) und das zeitgleiche Wiederaufleben des Kultes um den einstigen Prager Bischof Adalbert in Posen kirchliche und politische Kreise in Płock, den kleinpolnischen und großpolnischen Kulten einen eigenen Kult um einen heiligen Bischof zur Seite zu stellen. Ein maßgeblicher Initiator entsprechender Bemühungen scheint der ehemalige Kanzler des masowischen Herzogs Konrad I., Johannes (Jan), gewesen zu sein, der seit 1245 als Dekan an der Płocker Kathedrale wirkte.16 Dort ließ er die in einem einfachen Bodengrab ruhenden Gebeine Werners in eine neue, würdigere Grabstätte umbetten. Den Anstoß dazu soll eine Vision des (Płocker?) ­Dominikaners Konrad gegeben haben. Das deutet darauf hin, dass auch in Płock der Versuch, einen eigenen Heiligen zu etablieren, nicht zuletzt von den Mendikanten, hier den Dominikanern, getragen war.17 Der Versuch implizierte, dass dem Verehrten seit der Umbettung seiner Gebeine Wunder zugeschrieben und diese zusammen mit einer Beschreibung seiner Ermordung in einem hagiographischen Text zusammengestellt wurden. Doch auch wenn Wunder bald beobachtet und in Gestalt der Mors et Miracula eine Vita bzw. ein Mirakelbericht vor Ende des 13. Jahrhunderts vorlagen, blieben die Bemühungen, Werner zu einem im regnum Poloniae allgemein anerkannten Heiligen aufzubauen, letztlich erfolglos. Seine Verehrung blieb auf lokal-regionale 15  Stanisław Trawkowski, Kaźń kasztelana Bolesty (1170 r.) w tradycji płockiej [Die Hinrichtung des Kastellans Bolesta (1170) in der Płocker Tradition], in: SŹ 14 (1969), S. 53–61. 16  Ein Dekan Johannes („dominus Johannes decanus“) begegnet auch in Urkunden von 1259, 1289 und 1294; Kodeks dyplomatyczny księstwa mazowieckiego [Urkundenbuch des masowischen Herzogtums], hrsg. von Jan T. Lubomirski, Warszawa 1863, Nr. 30; Nowy kodeks dyplomatyczny Mazowsza. Część II: Dokumenty z lat 1248–1355 [Neues Urkundenbuch Masowiens. Teil II: Urkunden der Jahre 1248–1355], hrsg. von Irena Sułkowska-Kuraś/Stanisław Kuraś, Wrocław u. a. 1989, Nr. 82 und 96. Allerdings ist nicht völlig gesichert, dass es sich jeweils um ein und dieselbe Person gehandelt hat, zumal wenn der Dekan Johannes mit dem schon in Urkunden von 1237 und 1241 als Kanzler Konrads von Masowien begegnenden Johannes identisch gewesen ist. 17  Paweł Figurski, Przekaz ideowy i datacja Mors et miracula beati Verneri [Ideengehalt und Datierung der Mors et miracula beati Vernera], in: Studia Źródłoznawcze 48 (2010), S. 39–57, hier S. 56.

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Die Vita

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Kreise beschränkt; ein Anlauf, in Rom eine regelrechte Kanonisation in die Wege zu leiten, scheint zu keinem Zeitpunkt unternommen worden zu sein und auch in der polnischen Chronistik und Annalistik des späten 13. und 14. Jahrhunderts haben Werner bzw. ein mit seiner Person verbundener Kult keinerlei Spuren hinterlassen. Vielleicht scheiterte der Versuch, ihn auf das Heiligen-Podest zu heben auch deshalb, weil seine Person im späten 13. Jahrhundert bereits zu sehr für eine überholte kirchenpolitische Position stand, für eine Haltung, die im propäpstlichen Klima der polnischen Kirche, die sich inzwischen politisch und wirtschaftlich aus der herzoglichen Bevormundung emanzipiert hatte, keinen Rückhalt mehr besaß.18 Die Vita Als Autor des hagiographischen Textes, dem erst sein Herausgeber, Wojciech Kętrzyński, den Titel Mors et Miracula beati Verneri gegeben hat19, wird der im Text selbst genannte Płocker Dekan Johannes (Jan) identifiziert. Dieser soll den Text in fortgeschrittenem Alter verfasst haben, wobei das Todesdatum des im Text noch als lebend erwähnten Bischofs Peter (Piotr) III. einen terminus post quem darstellt. Nach Jan Długosz starb Peter III. 126320, während die neuere Forschung von 1271/75 ausgeht.21 Als ehemaliger herzoglicher Kanzler habe sich Johannes auf gute historische und politische Kenntnisse stützen sowie Berichte von Zeitgenossen heranziehen können, in deren Kreisen die nur zwei bis drei Generationen zurückliegenden Ereignisse noch lebendig gewesen seien.22 Allerdings sprechen die Mors et Miracula von Johannes durchweg in der dritten Person, weshalb andere seine Autorschaft für ausgeschlossen halten. Stanisław Trawkowski deutet die entsprechenden Passagen dahingehend, dass ein anonymer Autor von Johannes als von einer bereits verstorbenen Person geschrieben und die Mors et Miracula erst nach dessen Tod verfasst habe.23 Da Johannes nach Trawkowski noch 1294 urkundlich bezeugt werde24, sei der hagiographische Text Vgl. Gąsiorowski, Werner (wie Anm. 1), S. 382. Mors et Miracula beati Verneri, episcopi Plocensis. Auctore Iohanne, decano Ploceni, hrsg. von Wojciech Kętrzyński, in: MPH 4, Lwów 1884 [Nachdruck: Warszawa 1961], S, 748–754; BHL Nr. 8859. 20  Ioannis Dlugossii Annales (wie Anm. 2), Liber septimus, Varsaviae 1975, S. 140. 21  Maciejewski, Episkopat (wie Anm. 10), S. 249 mit Verweis auf eine „an den Bischof ­P[etrus] von Masowien“ adressierte Urkunde des Breslauer Bischofs Thomas II. vom 28. 6. 1271 [Nowy kodeks (wie Anm. 16), Nr. 53] bzw. das Datum, zu dem sein Amtsnachfolger erstmals in den Quellen begegnet (1275). 22  Mors et miracula (wie Anm. 19), S. 749. 23  Trawkowski, Kaźń (wie Anm. 15), S. 54–55. 24  Vgl. dazu oben Anm. 16. 18  19 

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frühestens im späten 13., vielleicht auch erst zu Beginn des 14. Jahrhunderts verfasst worden.25 Mit einiger Sicherheit lässt sich zum Autor nur sagen, dass er zum Płocker Klerus gehörte. Sein knapper Text wird mit einem Hinweis auf den Dekan Johannes eröffnet, der sich um das Andenken Werners in besonderer Weise bemüht habe. Es folgt die Schilderung des Konfliktes zwischen Werner und dem Großen Bolesta, der mit der Ermordung des Bischofs durch dessen Bruder Benessius und die Bestrafung der beiden Mörder endet.26 Daran schließen sich Ausführungen über die Bemühungen des Dekan Johannes an, Werners Grabstätte auszuschmücken bzw. dessen Gebeine zu erheben. Weiter berichtet der Hagiograph, wie Werner in und außerhalb von Płock Dominikanerbrüdern erschienen sei und damit letztlich seine Umbettung bzw. die Erhöhung seines Grabes bewirkt habe, ehe der Text in eine zum Teil sehr knappe und sprachlich schlichte Schilderung einer Reihe von Wundern übergeht, die sich zum einen an Werners Grabstätte in Płock, zum anderen in weiterer Entfernung (Kujawien und Großpolen) ereignet haben. Handschrift und Edition Auch wenn die Geschichte von Werners Ermordung später Eingang in das Geschichtswerk des Jan Długosz gefunden hat27, ist der dem ermordeten Bischof gewidmete mittelalterliche hagiographische Text heute lediglich in einem einzigen Codex überliefert.28 Dabei handelt es sich um eine in die Mitte des 15. Jahrhunderts datierte Pergamenthandschrift, die im Anhang zur Legenda Aurea des Jacob von Voragine eine Cronica Plocensis und eine Vita et miracula sanctae

25  Vgl. die Kritik an Trawkowskis Datierungsversuchen bei Figurski, Przekaz (wie Anm. 17), S. 41; Figurski selbst bemerkt zur Datierung lediglich, dass „die abschließende Redaktion der Mors et miracula nicht vor ca. 1275 erfolgt ist.“ 26  Zur Einordnung des Motivs des Bischofsmordes vgl. Paweł Figurski, Zabójstwo biskupa płockiego Wernera w kontekście wybranych utworów średniowiecznej hagiografii [Die Ermor­ dung des Płocker Bischofs Werner im Kontext ausgewählter Werke der mittelalterlichen Hagiographie], in: Per aspera ad astra. Materiały z XVI Ogólnopolskiego Zjazdu Historyków w Krakowie 16–20 kwietnia 2008. Tom 3: Historia Polski średniowiecznej, hrsg. von Adam Świątek, Karkow 2008, S. 38–43. 27  Ioannis Dlugossii Annales (wie Anm. 2), S. 91–93. 28  Józef Korzeniowski, Zapiski z rękopisów Cesarskiej Biblioteki Publicznej w Petersburgu i innych bibliotek Petersburskich [Aufzeichnungen aus Handschriften der Kaiserlichen Öffent­ lichen Bibliothek in St. Petersburg und aus anderen Petersburger Bibliotheken], Kraków 1910 [= Archiwum do dziejów literatury i oświaty w Polsce 11], S. 69 (Nr. 79) verzeichnet eine in das 15. Jahrhundert datierte, seinerzeit in der Kaiserlichen Bibliothek St. Petersburg aufbewahrte Papierhandschrift, die den Text auf f. 147–149 enthalten hat; dieser Kodex ist offenbar nicht erhalten geblieben; vgl. Figurski, Przekaz (wie Anm. 17), S. 39.

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Handschrift und Edition

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­ edvigis H Entgegen ihres Titels bietet die Cronica tatsächlich nichts zur Geschichte von Płock oder des masowischen Teilfürstentums, ist vielmehr ganz Werner und den von ihm gewirkten Wundern gewidmet. Der Text, der seinerzeit aus seiner verlorenen bzw. unbekannten Vorlage nicht übermäßig sorgfältig kopiert worden ist, wurde 1848 von August Bielowski erschlossen und abgeschrieben. Diese Abschrift hat Wojciech Kętrzyński in den frühen 1880er Jahren von Adolf Pawiński kollationieren lassen und in der überprüften Form der von ihm bearbeiteten, bislang einzigen kritischen Edition zugrunde gelegt.30 Der Textgestalt dieser Edition folgt auch der hier gebotene lateinische Text, der auch Kętrzyńsklis Überschrift übernimmt und nur an einigen wenigen Stellen anhand der Handschrift ergänzt worden ist. Auf solche Ergänzungen wird in den Fußnoten verwiesen. enthält.29

29  Legendae Sanctorum quas compilavit Jacobus de Voragine, Nationalbibliothek Warschau, Rps BOZ 54, f. 1r–463r: Iacobus de Voragine, Legenda Aurea; f. 463r-464v: Chronica Plocensis; f. 464v–469r: Vita et miracula sanctae Hedvigis. Die Handschrift ist online einsehbar unter https://polona.pl/item/historiae-sanctorum,MTIxOTk2Nw/3/#info:metadata [abgerufen 17.6. 2020]. 30  Mors et Miracula (wie Anm. 19), S. 748; die in Anm. 28 genannte, 1910 noch vorhandene Textvariante war Kętrzyński 1884 nicht bekannt. Eine polnische Teilübersetzung der Mors et ­miracula in Jakub de Voragine, Złota legenda. Wybór [Die Goldene Legende. Auswahl], übersetzt von Janina Pleziowa, bearb. von Marian Plezia, Warszawa 1954, S. 593–595.

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Mors et Miracula beati Verneri episcopi Plocensis

Anno Domini MCCXLV dominus Petrus dictus brevis pontificatus sui anno primo quendam virum reverendum nomine Iohannem, quondam Conradi ducis Mazovie cancellarium31, ad ecclesiam Plocensem in beneficium decanie vocavit. Qui omnibus diebus mansit in ecclesia, sepulcro reverendissimi patris domini Verneri Plocensis episcopi tantam reverenciam exhibuit, quod nunquam si egressus fuerit de ecclesia, nisi prius orasset ad sepulcrum eius, asserens cunctis, quia indubitanter idem venerabilis pater meriti eximii apud Deum omnipotentem existit, quem constat interemptum per potentissimum satrapam Mazovie, nomine Bolestam, pro deo et pro iusticia et pro defensione sue ecclesie eo modo et hac causa: Qui cum hereditatem sue ecclesie dictam Szarsko33, quam predictus Bolesta violenter occupaverat, iure recuperatam ingressus fuisset possessione corporali, ut ius ecclesie sue plenius declararet, interim revertit de castellania Visnensi34, cuius honore tunc fungebatur, dictus Bolesta, ad dominum properat et cum eo Prutenorum non modica multitudo, qui ad ipsum interdum mittebantur treugarum causa, quandoque vero cum querela pro diversis spoliis vel furtis et nonnunquam ad honorem ipsius portantes exuvia, quod pro eis decuplum deportarent.35 Cumque igitur vesperam vel verius noctem expenderent epulantes, notum fit de ingressu antistitis ad villam. Unde versus ad vesaniam, Bolesta fratri suo uterino Benessio cum exprobracione ait: Tu, inquit, cur tandem in proximo nostra occupantem sacerdotem non extinguis? Ille vero continuo acceptis Prutenis, qui tunc aderant, festinavit ad predium. Ubi inveniens reverendum patrem in caminata sive dor­ mitorio cum religioso viro fratre Benedicto ordinis Cluniacensis, id est sancti 31  Als Kanzler Konrads von Masowien begegnet Jan/Johannes in Urkunden von 1237 und 1241, vgl. oben Anm. 16. 32  Nach der Handschrift gegenüber Kętrzyński ergänzt. 33  Wohl das 37 km nordöstlich von Płock gelegene heutige Karsy nahe Drobin; Ioannis Dlugossii Annales (wie Anm. 2), S. 91 nennt den Ort Karszko. 34  Die Kastellanei Wizna lag gut 200 km nordöstlich von Płock am Ufer des Narew im äußersten Grenzgebiet Masowiens. 35  Ein Hinweis, dass der Pelzhandel zwischen Polen und Pruzzen noch im 13. Jahrhundert eine beachtliche Rolle spielte.

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Der Tod und die Wunder des heiligen Werner, des Bischofs von Płock

Im Jahre des Herrn 1245 stattete der Herr [Bischof] Peter [II.], genannt der Kurze, im ersten Jahr seines Pontifikates einen gewissen ehrwürdigen Mann namens ­Johannes, der einst Kanzler des Herzogs Konrad von Masowien war31, bei der Kirche zu Płock mit der Pfründe des Dekanats aus. Dieser hielt sich alle Tage in der Kirche auf und erwies dem Grab des hochehrwürdigen Vaters, des Herrn Werner, des Bischofs von Płock, eine so große Ehrerbietung, dass er praktisch32 nie aus der Kirche trat, ohne zuvor an dessen Grab gebetet zu haben. Er versicherte allen, dass dieser ehrwürdige Vater vor dem allmächtigen Gott zweifellos mit außerordentlichen Verdiensten hervortrete und bekanntlich für Gott, für die Gerechtigkeit und die Verteidigung seiner Kirche von dem mächtigsten Großen Masowiens, Bolesta, auf diese Weise und aus dem folgenden Grund getötet worden sei: Als er den Szarsko33 genannten Erbbesitz seiner Kirche, den der vorgenannte ­Bolesta gewaltsam an sich gerissen hatte, rechtmäßig zurückerlangt und körperlich in Besitz genommen hatte, um dem Recht seiner Kirche vollständig Ausdruck zu verleihen, da kehrte besagter Bolesta unterdessen aus der Kastellanei Wizna34, deren Amt er damals verwaltete, zurück und eilte rasch zu seinem Herrn; bei ihm war eine nicht kleine Schar von Pruzzen, die gelegentlich zu ihm zwecks eines Waffenstillstandes, manchmal aber auch mit Klagen über verschiedene Räubereien und Diebstähle geschickt wurden, bisweilen zu seiner Ehre auch Felle brachten, um für diese das Zehnfache wegzutragen.35 Als sie also den Abend oder genauer die Nacht speisend verbrachten, wurde [ihnen] der Eintritt des Bischofs in das Dorf mitgeteilt. Dadurch in Wut versetzt, sagte Bolesta vorwurfsvoll zu seinem leiblichen Bruder Benessius: „Du, warum vernichtest du nicht endlich diesen Bischof, der kürzlich in der Nähe unsere [Güter] besetzt hat?“ Jener aber nahm ­sogleich die dort anwesenden Pruzzen und eilte zu dem [fraglichen] Gut. Dort fand er den ehrwürdigen Vater in einer Kemenate oder einem Schlafraum zusammen mit dem Ordensmann Bruder Benedikt vom Cluniazensischen Orden,

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­ enedicti, sino quo vel aliis religiosis non consueverat quiescere, in cubile irruit et B utrumque interemit sevo ferro anno domini MoCLXXX36 die tercio post diem purificationis sancte Marie et proiectis super eos tapetibus sive et straminibus abscesserunt. Clientulus vero, qui curam gerebat de calciamentis antistitis et lectiscerniis, sub lecto metu mortis [se] absconderat et universa, que in nece antistitis contigerant, pluries pluribus declaravit. Benessius vero parricida37 extunc a nemine visus est, eciam nec a suis ita, quod vulgus fuerat opinatus, quod ob vindictam famuli Dei eum terra absorbuit vivum. Ipse autem et Bolesta auctor sceleris ab inclito principe domino Boleslao duce pro ipso parricidio personaliter accersitur per sentenciam, quam tulit contra eum coram satrapis tocius terre Polonie, circumvolutus tela uncta cera et crematus est in Gneszdna civitate.38 Et quia lux vera, que illuminat omnem hominem venientem in hunc mundum, famuli sui merita sue pietatis magnaliis dignatus est et dignatur misericorditer et mirabiliter illuminare, dignum est, ut servus non taceat, quod dominus suis mirabilibus predicat et declarat. Itaque cum decanus antedictus, observans, ne sepulcrum ipsius antistitis irreverenter calcaretur, procurasset comparari lapides, ut tumulum monumenti in modum sepulcri sublimius elevaret, profecissetque, quod ipse tumulus sepulcri per annos aliquot sic fecisset, ecce vir venerandus in visione fratri cuidam de ordine predicatorum nomine Conrado, qui nunquam ante in ­civitatem Plocensem intraverat39, dicens apparuit: Vade ad maiorem ecclesiam Da für 1177 bereits der Nachfolger Werners im Bischofsamt, Lupus, bezeugt ist, muss diese Jahresangabe falsch sein; zur Frage des Todesdatums Werners vgl. oben Anm. 8. 37  Janina Pleziowa (wie Anm. 30), S. 594 hat den Begriff mit „zabójca“ (Mörder, Totschläger) übersetzt, doch dürfte der Hagiograph hier durchaus das klassische Delikt des „Vatermordes“ vor Augen gehabt haben, auch wenn Werner hier natürlich nur als „geistlicher Vater“ gedacht gewesen sein kann. 38  Dass Gnesen, dessen Bedeutung als Vorort des regnum Poloniae im 13. Jahrhundert bereits nicht mehr allgemein präsent war, hier als Ort der Vollstreckung des Todesurteils hervorgehoben wird, hat Trawkowski, Kaźń (wie Anm. 15), S. 56, 60 neben dem Umstand, dass Jan Długosz die Geschichte ebenfalls kannte, und sich diese stilistisch von den übrigen Teilen der Erzählung abhebt, dazu veranlasst, einen älteren, bis ins späte 12. Jahrhundert zurückreichenden Ursprung der Erzählung von der Ermordung Werners und der Bestrafung Bolestas anzunehmen; vgl. auch ­Figurski, Przekaz (wie Anm. 17), S. 41–42. 39  Ungeachtet dieser Formulierung geht Figurski, Przekaz (wie Anm. 17), S. 46–47 davon aus, dass Konrad ein Mönch des 1225 errichteten Płocker Dominikanerklosters gewesen sei; im 13. Jahrhundert sei es nicht möglich gewesen, innerhalb eines Tages aus einem anderen Domi­ nikanerkloster nach Płock zu gelangen; dass Konrad zuvor niemals „in civitatem intraverat“, müsse so verstanden werden, dass Konrad aus dem Płocker Kloster zuvor nie in die vor der ­Lokation von 1237 noch separat gelegene bischöfliche civitas gekommen sei, wobei er auch die Kathedrale außerhalb dieser civitas verortet. Der Fortgang der Erzählung spricht freilich eher dafür, dass der Hagiograph Konrad doch eher als einen Nicht-Płocker Dominikaner vor Augen hatte, der für ihn gut (wenn auch in Wirklichkeit nicht innerhalb eines Tages) aus den jeweils etwa 36 

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d. h. [dem Orden] des heiligen Benedikt, denn er war es nicht gewohnt, ohne ihn oder andere Ordensmänner zu ruhen; er [Benessius] stürzte auf das Lager und tötete beide mit schrecklichem Schwert im Jahr des Herrn 118036, am dritten Tag nach Mariä Reinigung [= 5. Februar]. Und nachdem sie [die Pruzzen und Benessius] Teppiche oder Decken über sie geworfen hatten, verschwanden sie. Ein Diener aber, der Sorge für die Schuhe des Bischofs und sein Bettzeug trug, hatte sich in Todesangst unter dem Bett versteckt und erzählte alles, was sich bei der Tötung des Bischofs ereignet hatte, oftmals vielen [Menschen]. Benessius aber, der Vatermörder37, ward seither nicht mehr gesehen, auch nicht von den Seinen, sodass das Volk vermutete, die Erde habe ihn zur Vergeltung des Dieners Gottes lebendig verschlungen. Aber auch Bolesta selbst, der Anstifter des Verbrechens, wurde von dem berühmten Fürsten, dem Herrn Herzog Bolesław [IV. Kraushaar], für diesen Vatermord persönlich mit einem Urteil belangt, das er gegen ihn vor den Großen des ganzen Polenlandes verkündete: Er wurde in fettiges Gewebe eingewickelt und in der Burgstadt Gnesen38 verbrannt. Und weil das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, der auf diese Welt kommt, es für würdig hielt und hält, die Verdienste seines Dieners durch die Wundertaten seiner Frömmigkeit barmherzig und wunderbar zu erleuchten, geziemt es sich, dass der Knecht nicht verschweigt, was der Herr durch seine wunderbaren Taten rühmt und verkündet. Als daher der vorgenannte Dekan, der darüber wachte, dass die Grabstätte des Bischofs nicht ehrfurchtslos mit Füßen betreten werde, dafür sorgte, dass Steine beschafft wurden, um das Grab in der Art eines Grabmonuments noch erhabener zu erhöhen, und er Fortschritte erzielte, das Grab der Grabstätte für einige Jahre so herzurichten, siehe, da erschien einem Bruder des Predigerordens namens Konrad, der nie zuvor die Stadt Płock betreten hatte,39 in einer Vision ein ehrwürdiger Mann und sprach [zu ihm]: „Gehe zu der

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­ locensem40 P

et clero toti dicas, ut meum sepulcrum erigant et ornent. Et hanc v­ isionem, quam in nocte habuerat, mane consurgens fratribus, qui tunc aderant, aperuit, requirens diligenter, utrum aliquis pontifex, qui Vernerus vocaretur, eciam sit sepultus et petens licenciam visitandi sepulcrum, de quo iam certificates fuerat per fratres. Cumque licenciatus iter arriperet et esset in itinere, ante domum habuit obvium probum virum Iacobum ipsius ecclesie maioris subcustodem, quem quidem eadem nocte vox eiusdem venerabilis patris arguerat pro eo, quod sepulcrum eius non ornaverat. Qui consurgens mane eis, qui presentes erant in ecclesia, publicavit. Opportebat itaque eundem subcustodem querere apta ligna in domo eorumdem fratrum predicatorum pro sepulcro iam dicti antistitis et sic convenientes in unum cum memorato fratre Conrado, quod eis contingeret in nocte, narrabant et concordabant in id ipsum, firmissime asserente eodem fratre Conrado antistitis eiusdem sanctitatem. Volentibus itaque clero et non paucis castrensibus probis viris aptare locum ad sepulcrum, dum lapides removerent, tanta odoris fragrancia suavissimi inde redoluit, ut omnes stupefacti sese invicem conspicerent et mirarentur vehementer de odore insolito, in quo Dominus mirabilis sanctum suum glorificare dignatus est.41 Decanus autem prius dictus nocte subsequenti in visione duos canonicos Plocenses vidit portantes et deponentes in maiori altari kathedralis ecclesie Plocensis duo capita, unum Verneri episcopi et aliud comitis Cristini magni palatini, qui eciam accusantibus emulis prius excecatus, postmodum iugulatus [est] per Cunradum ducem.42 Iste Cristinus tante strenuitatis fuit, ut mirabilem miliciam exer-

60 km von Płock entfernten Dominikanerkonventen von Brześć Kujawski (gegründet 1243) oder Sochaczew (gegründet 1290) gekommen sein konnte. 40  Die der Himmelfahrt der hl. Jungfrau Maria geweihte Płocker Kathedrale wurde ab 1144 im Auftrag des Płocker Bischofs Alexander von Malonne errichtet. 41  Die hier für die Mitte des 13. Jahrhunderts angedeutete Exhumierung Werners mag durch die 1244 erfolgte Exhumierung und Umbettung des hl. Stanisław inspiriert gewesen sein; vgl. Maria Starnawska, Dominikanie, św. Jacek i elewacja szczątków św. Stanisława przez biskupa Prandotę [Die Dominikaner, der hl. Jacek und die Erhebung der Gebeine des hl. Stanisław durch Bischof Prandota], in: Mendykanci w średniowiecznym Krakowie, hrsg. von Krzysztof Ożóg, Kraków 2008, S. 407–424, bes. S. 413. 42  Über den Konflikt des Pfalzgrafen Krystyn mit Konrad von Masowien berichten unter dem Jahr 1217 auch die nach der Mitte des 13. Jahrhunderts zusammengestellten Annalen des Krakauer Domkapitels (Annales Cracovienses priores cum kalendario, hrsg. von Zofia KozłowskaBudkowa, in: MPH SN 5, Kraków 1978, S. 71): „MCCXVII Christinus palatinus Maz[ouiensis], miles strennuissimus, precepto ducis Conradi cecatur, tandem violenter iugulatur“ („1217 Christinus, der Wojewode von Masowien, ein sehr tüchtiger Krieger, wird auf Befehl Herzog Konrads geblendet und schließlich gewaltsam umgebracht“). Vgl. auch Janusz Powierski, Smierć wojewody Krystyna Piotrowica a początek najazdów pruskich na Masowsze [Der Tod des Wojewoden

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größeren Kirche [der Marien-Kathedrale] von Płock40 und sage dem ganzen Kle-

rus, dass sie meine Grabstätte erhöhen und schmücken mögen. Und diese Vision, die er in der Nacht hatte, offenbarte er, als er am Morgen aufstand, seinen damals anwesenden Brüdern, wobei er sich sorgfältig danach erkundigte, ob ein gewisser Bischof, der Werner genannt werde, auch [dort in Płock] begraben sei, und er bat um Erlaubnis, die Grabstätte, von der die Brüder bereits Zeugnis gegeben hatten, zu besuchen. Und als er sich mit Erlaubnis auf den Weg machte und unterwegs war, kam ihm vor einem Haus der rechtschaffene Mann Jakob, der Unterküster der Kathedrale, entgegen, den tatsächlich in derselben Nacht die Stimme ebendieses ehrwürdigen Vaters dafür kritisiert hatte, dass er seine Grabstätte nicht geschmückt hatte. Als er am Morgen aufstand, teilte er dies denen mit, die in der Kirche zugegen waren. Daher ergab es sich, dass derselbe Unterküster im Haus ebendieser Predigerbrüder [Dominikaner] für die Grabstätte des bereits genannten Bischofs geeignete Hölzer suchte. Und als sie [die Predigerbrüder] so mit dem erwähnten Bruder Konrad zusammentrafen, erzählten sie, was sich bei ihnen in der Nacht zugetragen hatte und stimmten in der Sache überein, wobei ebendieser Bruder Konrad die Heiligkeit dieses Bischofs besonders stark betonte. Als daher der Klerus und nicht wenige Bewohner der Burgstadt, rechtschaffene Männer, den Ort zu einer Grabstätte ausgestalten wollten, da entströmte ihm, solange sie die Steine entfernten, ein solcher Duft süßesten Geruchs, dass sich alle erstaunt ansahen und heftig über den ungewöhnlichen Geruch wunderten, durch den der wunderbare Herr seinen Heiligen zu preisen für würdig erachtete.41 Der vorgenannte Dekan aber sah in der darauffolgenden Nacht in einer Vision, wie zwei Kanoniker von Płock zwei Häupter zum Hauptalter der Płocker Kathedralkirche trugen und dort niederlegten; das eine [Haupt war das] des Bischofs Werner und das andere das des Amtsträgers Krystyn, des großen Wojewoden, der, als ihn ebenfalls Rivalen beschuldigten, zuerst geblendet, dann von Herzog Konrad [von Masowien] umgebracht worden war.42 Dieser Krystyn war von solch großer Tüchtigkeit, dass er einen staunenerregenden Kriegszug über das Meer unter-

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cuerit ultra mare et Prutenos ac alios gentiles hostes43 Mazovie compescuerit, ut plena securitate reddita Mazovie, tributarii existerent Polonorum. Clemens prepositus sororum sancte Marie Magdalene ordinis premonstratensis44, vir optime fame, dum longa et gravi egritudine laboraret iamque ageret in extremis nec esset aliquod indicium sanitatis vel spes vite, apparuit ei dominus Wernerus pontifex splendidus et infulatus, dicens: Scias me tibi optinuisse a Domino sanitatem et hoc annuncia populo et clero Plocensi, quod in oratorio antiquo duo sanctorum corpora sunt sepulta, quos suos collegas [esse] dicebat Laurencium et Alcium, nomina eorum exprimendo.45 Qui continuo sanatus sepulcrum dicti patris visitavit, prout devoverat. Sorores et alii circumstantes […46]. De hiis autem corporibus sic actum est, quod cum dominus tercius Petrus episcopus Plocensis in eodem oratorio sepulture traderetur47, cum nondum de predictis corporibus scitum esset, inventa [sunt] duo capita ita, quod unius capitis erant come lucidissimorum crinium et croceorum, que ibi posite sunt infra. Caput aliud vero sine crinibus, que ambo rursum reposita [sunt] in sepulcro. Sed visum fuit, quod in loco eodem cista fuit lignea, cum inventa fuerunt ferramenta egregia, circuli et alia multa, quibus ciste solent compaginare.

Krystyn Piotrowic und der Beginn der pruzzischen Einfälle nach Masowien], in: Komunikaty Warmińsko-Mazurskie 1992, 1, S. 3–32, bes. 5–6. 43  Damit dürften die litauischen Jadwinger gemeint gewesen sein. 44  Das Płocker Prämonstratenser-Kloster mit einer Maria Magdalena geweihten Kirche entstand frühestens nach 1239; Andrzej Gołembnik, Rozwój osadnictwa otwartego i pierwsza lokacja miasta [Die Entwicklung der offenen Siedlung und die erste Lokation der Stadt], in: Płock wczesnośredniowieczny, hrsg. von dems., Warszawa 2011, S. 222–278, hier S. 274. 45  Der heilige Alexius von Edessa wurde auch in Polen als Vorbild für die Armuts- und Weltfluchtbewegung verehrt, ehe er vom heiligen Franziskus in dieser Funktion abgelöst wurde. Die Verehrung des heiligen Laurentius schlug sich in zahlreichen Kirchenpatrozinien nieder; vgl. Thomas Wünsch, Kultbeziehungen zwischen dem Reich und Polen, in: Das Reich und Polen. Parallelen, Interaktionen und Formen der Akkulturation im hohen und späten Mittelalter, hrsg. von Alexander Patschovsky/Thomas Wünsch, Ostfildern 2003, S. 357–400, hier S. 362–363. Zur Nennung des Laurentius passt eine in das Jahr 1148 datierte chronikalische Notiz in der Płocker Bibel (Muzeum Diecezjalne w Płocku [Diözesan-Muesum Płock], Ms. perg. nr 2), in der es heißt, dass im Innern der Płocker Kathedrale in einem „sacrarium“ Reliquien u. a. des heiligen Laurentius gefunden und anschließend von Bischof Alexander in einem Reliquiar (einem vergoldeten Straußenei) auf dem Altar aufgestellt worden seien; die Notiz abgedruckt bei Zofia KozłowskaBudkowa, Płockie zapiski o cudach z r. 1148 [Die Płocker Aufzeichungen über Wunder aus dem Jahr 1148], in: KH 44 (1930), S. 341–348, hier S. 342. 46  In der Handschrift unvollständiger Satz. 47  Eine Urkunde von 1271 weist Peter III. noch als lebend aus, während für 1275 bereits sein Amtsnachfolger belegt ist, so dass das geschilderte Wunder nach 1271 und vor 1275 datiert; vgl. oben Anm. 20.

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nahm und die Pruzzen sowie andere heidnische Masowiens unterwarf, so dass sie, nachdem Masowien die volle Sicherheit zugestanden worden war, als Tributabhängige der Polen auftraten. Als der Propst der Schwestern der heiligen Maria Magdalena vom Orden der Prämonstratenser44, Klemens, ein Mann mit bestem Ruf, von einer langen und schweren Krankheit geplagt wurde und schon in den letzten Lebenszügen lag, es weder ein Anzeichen für Genesung, noch Hoffnung auf Leben gab, erschien ihm der Herr Werner, der strahlende und mit seiner Inful geschmückte Bischof, und sagte: „Du sollst wissen, dass ich für dich vom Herrn Heilung erlangt habe und dies verkünde dem Volk und dem Klerus von Płock [und auch], dass in der alten Kapelle zwei Heiligenkörper bestattet sind.“ Er nannte sie seine Amtsbrüder und ihre Namen Laurentius und Alexius.45 Der Geheilte besuchte sogleich die Grabstätte des besagten Vaters, so wie er es gelobt hatte. Die Schwestern und andere Umherstehende […46]. Mit diesen Körpern aber verhielt es sich so: Als der Herr Peter III., der Bischof von Płock, in eben dieser Kapelle seiner Grabstätte übergeben wurde47, weil niemand von den besagten Körpern etwas wusste, da fand man zwei Häupter, die dort unterhalb abgelegt waren, wobei das Haar des einen Hauptes hellleuchtend und safranfarben war. Das andere Haupt aber war ohne Haare. Beide wurden wieder in die Grabstätte zurückgelegt. Allerdings hatte es den Anschein, als hätte an eben dieser Stelle eine hölzerne Kiste gelegen, da man erlesene Eisenbeschläge, [Eisen-]Ringe und vieles andere fand, womit man Schatullen zusammenzufügen pflegte.

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Item quedam virgo de ipso castro Plocensi, dum graviter et tempore longo a demonio vexaretur, nomine Panczka, ducta ad sepulcrum eiusdem domini Werneri cum magna difficultate et ibi absoluta, mox curata, gracias cepit agere Deo et eius famulo, cuius patrocinio se sensit liberatam, presentibus duce et ducissa, cantore subcustode et aliis quampluribus fidedignis probis viris et feminis. Item quedam femina nomine Goszka, cum haberet manum aridam et vir eam propter hoc a se repulisset, venit cum matre ad sepulcrum domini Werneri et ibi sanata mox erat et egit gracias Deo et eius famulo. Item quandam feminam de Zacrzew48, vexatam graviter a demonio et tempore longo, vir duxit eam ad sepulcrum domini Werneri, que mox sanata reddidit gracias Deo et eius famulo. Item quedam domina de Swidva49 ducta ad sepulcrum domini Werneri, maximum habens comitatum, visum recepit, quod per plurimos eius comitatus probatum est, gracias Deo egit et eius famulo, cuius patrocinio liberate est. Item quidam puer de Zakovicze super Achnam50, natus claudus manibus et pedibus, portatus ad sepulcrum domini Werneri recuperavit plenam sanitatem, Deo gracias etc. Item vir quidam de Polonia maiori cum uxore sua, habens domum in villa comitis Rosconis, cum filio puero duorum annorum infirmante, dum ad limina domini Verneri processissent et venissent in Doninowo51, puer mortuus est; quem cum mortuum sepelire meditarentur ibidem, miserabiliter lacrimantes, cogitaverunt et voverunt eum deferre ad eiusdem domini Werneri limina; quia puer resuscitatus [est], ad sepulcrum domini Verneri deportatus, gracias Deo egerunt. Item in villa Plocensis episcopi Sopogy52 Cuyaviensis dyocesis cum quedam mulier, absente viro, sedens quidquam operis faceret, parvulus eius iam gradiens, ludens cucurrit ad puteum matre nescia et incautus prolapsus in puteum, submersus est; et mora maxima facta, mater pueri recordatur, surgit et querit per vicinos et tandem non invento domum revertitur et rursum querens in horreo, venit ad puteum et submersum invenit; quem extrahens materno dolore clamat; veniunt vicini et amici paterque pueri de opere campestri revertitur lacrimando. Adest eciam quidam Nedzalek nomine de eadem villa et suggerit puerum vovendum ad sepulchrum domini Verneri; quo facto puer statim revixit, Deo gracias etc.

48  Wahrscheinlich das 24 km südöstlich von Płock auf dem rechten Weichselufer gelegene Zakrzewo Kościelne und nicht das 83 km nordwestlich von Płock gelegene Zakrzewo oder das 170 km südöstlich von Płock (13 km nordwestlich von Radom) gelegene Zakrzew. 49  Nicht identifizierbarer Ort. 50  Weder ein Fluss namens Achna/Ochno noch ein an diesem gelegener Ort Zakovice lassen sich identifizieren. 51  Nicht identifizierbarer Ort. 52  Nicht identifizierbarer Ort.

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Ebenso wurde ein Mädchen aus der Burgstadt Płock namens Panczka, das schwer und lange von einem Dämon heimgesucht wurde, mit großer Mühe an die Grabstätte dieses Herrn Werner geführt und dort erlöst; kaum geheilt begann sie in Gegenwart des Herzogs und der Herzogin, des Kantors, Unterküsters und vieler anderer vertrauenswürdiger, rechtschaffener Männer und Frauen Gott und seinem Diener zu danken, durch dessen Schutz sie, wie sie spürte, geheilt worden war. Ebenso suchte eine Frau namens Goszka, weil sie eine verdorrte Hand hatte und ihr Mann sie deshalb von sich verstoßen hatte, mit ihrer Mutter das Grab des Herrn Werner auf und wurde dort sogleich geheilt und dankte Gott und seinem Diener. Ebenso führte ein Mann eine gewisse Frau aus Zakrzewo48, die schwer und lange von einem Dämon geplagt wurde, an die Grabstätte des Herrn Werner; alsbald geheilt stattete sie Gott und seinem Diener, durch dessen Schutz sie geheilt wurde, ihren Dank ab. Ebenso erhielt eine gewisse Herrin aus Swidva49, nachdem sie in großer Begleitung an die Grabstätte des Herrn Werner geführt worden war, ihre Sehkraft zurück, was von sehr vielen ihrer Begleiter bezeugt wurde; sie stattete Gott und seinem Diener, durch dessen Schutz sie geheilt worden war, ihren Dank ab. Ebenso erlangte ein gewisser Junge aus Zakovicze an der Achna50, der mit verkrüppelten Händen und Füßen geboren worden war, nachdem er zur Grabstätte des Herrn Werner getragen worden war, seine volle Gesundheit zurück; er dankte Gott etc. Ebenso [handelte] ein gewisser Mann aus Großpolen mit seiner Ehefrau, der ein Haus in einem Dorf des Amtsträgers Rosco besaß, als sein zweijähriger Sohn erkrankte [und], während sie zum Haus des Herrn Werner zogen und in Doninowo51 ankamen, der Knabe verstarb. Als sie darüber nachdachten, den Toten dort zu begraben und bitterlich weinten, besannen sie sich und gelobten, ihn zum Haus des Herrn Werner zu tragen. Weil der an die Grabstätte des Herrn Werner gebrachte Knabe wiedererweckt wurde, statteten sie Gott ihren Dank ab. Ebenso [geschah es] in Sopogy52, einem Dorf des Bischofs von Płock im Bistum Kujawien als eine gewisse Frau in Abwesenheit ihres Mannes im Sitzen irgendeiner Tätigkeit nachging und ihr Kind, das schon laufen konnte, ohne Wissen der Mutter im Spiel zu einem Brunnen lief, unvorsichtig in den Brunnen hineinfiel und ertrank. Nachdem eine lange Zeit vergangen war, erinnerte sich die Mutter des Jungen, stand auf und suchte [ihn] bei den Nachbarn; als sie ihn nicht fand, kehrte sie schließlich zum Haus zurück, suchte [ihn] noch in der Scheune, lief [dann] zum Brunnen und fand [ihn dort] ertrunken. Während sie ihn herauszog schrie sie in mütterlichem Schmerz. Da kamen Nachbarn und Freunde herbei und der Vater des Knaben kehrte weinend von der Feldarbeit heim. Es war auch ein gewisser [Mann] namens Niedziałek aus dem gleichen Dorf zugegen und schlug vor, den Knaben der Grabstätte des Herrn Werner anzugeloben. Nachdem dies geschehen war, wurde der Knabe sogleich wieder lebendig [und man stattete] Gott Dank ab etc.

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Werner

Item quidam puer in civitate Brest53 ludens submersus est in fluvio secus molendinum; tandem inventus, reportatur mortuus ad domum parentum, qui de melioribus erant civitatis. Igitur de solempnioribus exequiis curam habentibus, vicini et amici conveniunt et quidam ex ipsis audientes multa miracula, que operatur ­Dominus in Ploczk per merita famuli sui domini Verneri, consulunt parentibus illuc ipsum devovendum, qui, cum eum devovissent, statim resuscitatus etc. Item quidam homo de Cuyavia habens uxorem per annos aliquot excecatam ita, ut apertis oculis et visu clarissimo omnibus appareret, nihil tamen videret; audita famuli Dei fama, se cum sua uxore ipsius limina visitaturum vovit, id quod adimplevit. Iter autem agens cum aliis suis comitaneis fidedignis cum iam appropinquaret [ad] Ploczk secus castellum quoddam dictum Poplacin54 ecclesie Plocensis, femina memorata et cecata illuminata est ita, ut videret ecclesiam gloriose matris virginis Marie sancte in Ploczk55, cumque diucius ecclesiam intuita fuisset, clara voce interrogavit, quid hoc esset? cui cum indicassent, ecclesiam esse, exclamavit se illuminatam; gracias Deo agens et eius famulo domino Vernero episcopo, cuius meritis se sensit illuminatam etc.

Wahrscheinlich das 60 km nordwestlich von Płock, an der Zgłowiączka gelegene Kujawisch Brest/Brześć Kujawski, das 1250 Stadtrecht erhielt. 54  Die Burg dürfte in dem gleichnamigen Dorf, 5 km westlich von Płock auf dem linken, gegenüberliegenden Weichselufer gelegen haben. 55  Wahrscheinlich die Płocker Kathedrale (vgl. Anm. 40) und nicht die in einer Płocker Vorburgsiedlung im 12. Jahrhundert von einem Großen gestiftete Kollegiatskirche der Jungfrau Maria. 53 

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Werner

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Ebenso ertrank ein gewisser Junge in der Stadt Brest53, als er nahe einer Mühle

spielte, im Fluss. Nachdem man ihn schließlich gefunden hatte, wurde er tot zum Haus seiner Eltern gebracht, die zu den Wohlhabenderen der Stadt gehörten. Als sie daher Sorge für die Leichenfeier trugen, kamen Nachbarn und Freunde zusammen. Einige von ihnen, die von vielen Wundern gehört hatten, die der Herr in Płock durch die Verdienste seines Dieners, des Herrn Werner, wirkt, rieten den ­Eltern, ihn selbst dorthin zu geloben; nachdem sie ihn [der Grabstätte bzw. dem heiligen Werner] geweiht hatten, wurde er sogleich von den Toten auferweckt. Ebenso hatte ein gewisser Mann aus Kujawien eine Frau, die Jahre lang so erblindet war, dass sie, obwohl sie allen mit geöffneten Augen und einem überaus strahlenden Blick erschien, gleichwohl nichts sah. Als er vom Ruhm des Dieners Gottes hörte, gelobte er, sich mit seiner Gattin zu dessen Haus zu begeben [und] dies erfüllte er. Als er aber mit seinen anderen vertrauenswürdigen Begleitern auf dem Weg war und sich nahe einer Burg der Płocker Kirche namens Poplacin54 Płock näherte, da wurde die besagte blinde Frau derart erleuchtet, dass sie die Kirche der ruhmreichen Mutter, der heiligen Jungfrau Maria in Płock55 sehen konnte. Und nachdem sie die Kirche länger betrachtet hatte, fragte sie mit klarer Stimme, was dies sei. Als sie ihr erklärten, es sei die Kirche, rief sie aus, dass sie sehend gemacht worden sei; sie dankte Gott und seinem Diener, dem Herrn Bischof Werner, durch dessen Verdienste sie fühlte, erleuchtet worden zu sein, etc.

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Jacek/Hyazinth Die historische Gestalt Der polnische Dominikaner Jacek ist außerhalb Polens mit seinem lateinischen Namen Hyazinth in den Kreis der katholischen Heiligen eingegangen.1 Sein Geburtsdatum ist unbekannt; die ältere Forschung ist vom Jahr 1183 ausgegangen, doch dürfte er eher kurz vor 1200 zur Welt gekommen sein. Sein Hagiograph, dem wir im Grunde allein einige dürftige Informationen zu seinem Leben verdanken, sah seinen Geburtsort in einem Ort namens Stein (Kamień), wo um 1289 noch ein leiblicher Bruder des Heiligen gelebt haben soll.2 Schon mittelalterliche Quellen haben Kamień als das oberschlesische Groß-Stein (Kamień Śląski) gedeutet.3 Die Vita bezeichnete Jacek zudem als einen Verwandten des Krakauer Bischofs Iwo Odrowąż, woraus bereits Jan Długosz im 15. Jahrhundert (vielleicht zu weitgehend) gefolgert hat, dass er einem im Oppelner Schlesien ansässigen Zweig des

1  Überblicke zur Person bei Tadeusz Manteuffel, Jacek (1183–1257), in: PSB 10 (1962–64), S. 263–264; Jerzy Kłoczowski/Romuald Gustaw, Jacek, in: HP 1, S. 432–456; Marian Kanior, Święty Jacek [Der heilige Jacek], in: Polscy święci, Bd. 8, hrsg. von Joachim Roman Bar, Warszawa 1987, S. 84–122; Jerzy Wyrozumski, Św. Jacek Odrowąż na tle swoich czasów [Der hl. Jacek Odrowąż vor dem Hintergrund seiner Zeit], in: Zeszyty Naukowe Uniwersytetu Jagiellońskiego. Prace Historyczne 1989, Nr. 89, S. 43–52; Aleksandra Witkowska, Hyacinthe de Cracoviae, in: Dictionnaire d’histoire et de géographie ecclésiastiques, Bd. 25, hrsg. von Roger Aubert u. a., Paris 1990, Sp. 506–508; Jan Andrzej Spież, Św. Jacek Odrowąż [Der hl. Jacek Odrowąż], Kraków 2007; das vielfältige Schrifttum zu Jacek bis einschließlich 2011 erfasst mit 1058 Positionen: Bibliografia piśmiennictwa o świętym Jacku Odrowążu [Bibliographie des Schrifttums über den heiligen Jacek Odrowąż], bearb. von Małgorzata Habuda, Kraków 2013. 2  Siehe unten S. 272–273. 3  So nennen der Mitte des 15. Jahrhunderts redigierte Krakauer Bischofskatalog und die nur in einer Kopie des 16. Jahrhunderts überlieferten, im 14. Jahrhundert zusammengestellten Annalen der Krakauer Dominikaner Jacek „Iaczko de Oppole/Opol“; Catalogi episcoporum cracoviensium, hrsg. von Józef Szymański, in: MPH SN 10/2, Warszawa 1974, S. 59, 92, 112; Rocznik krasińskich [Die Krasiński-Annalen], hrsg. von August Bielowski, in: MPH 3, Lwów 1878 [Nachdruck: Warszawa 1961], S. 127–133, hier S. 132. Auch die Vita verweist in Kap. 43 mit ihrem Hinweis auf die Herkunft von Jaceks Bruder auf das Oppelner Land.

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Die historische Gestalt

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entstammte.4

mächtigen kleinpolnischen Adelsgeschlechts der Odrowąż Wohl bereits als Jugendlicher kam Jacek nach Krakau, wo er die Domschule besucht haben dürfte, ehe ihn der seit 1218 als Bischof amtierende Iwo zum Kanoniker beförderte und später – schenkt man seinem Hagiographen Glauben – zur weiteren Ausbildung an ein studium generale, vielleicht nach Bologna, geschickt hat.5 In Italien lernte Jacek, wenn nicht während eines Studiums in Bologna, so vielleicht als Begleiter des an die Kurie gereisten Krakauer Bischofs die seit 1215 von dem spanischen Priester Dominikus geschaffene Gemeinschaft der Predigerbrüder kennen. Um 1221/22 kehrte er als ‚Dominikaner‘ nach Krakau zurück, wo er maßgeblich an der Errichtung des ersten polnischen Konvents des neuen Ordens mitwirkte. Die von Bischof Iwo und dem Krakauer Herzog Leszek dem Weißen geförderte Gemeinschaft gewann mit ihrer neuartigen Seelsorge- und Predigertätigkeit und ihrem strengen Armutsideal rasch die Bevölkerung für sich, nahm eine dynamische Entwicklung und trieb den Ausbau des Ordens in der Region voran.6 So wurde Krakau zum Ausgangspunkt und Zentrum einer eigenen polnischen bzw. ostmitteleuropäischen ‚Dominikaner‘-Provinz und Jacek zu einem ihrer Gründerväter; 1228 nahm er gemeinsam mit dem seit 1225 amtierenden Provinzial Gerard von Breslau und dem späteren Provinzial Martin von Sandomir als Definitor an jenem Pariser Generalkapitel teil, auf dem die Provincia Polo­ nia den übrigen Ordensprovinzen weitgehend gleichgestellt wurde. Aus Krakau entsandte Dominikaner errichteten unterdessen Niederlassungen in Prag, Olmütz, Breslau, Sandomir, Płock, Kammin und Danzig. Das Kloster in Danzig soll Jacek, so sein Hagiograph, persönlich gegründet haben. Die Gründung diente der Missionierung der heidnischen Pruzzen, an der Jacek in den Jahren 1233 bis 1238 aktiven Anteil nahm.7 Auch in der Rus’ war

4  Joannis Długosz senioris canonici Cracoviensis Liber Beneficiorum diocesis Cracoviensis. Tomus III, Cracoviae 1894, S. 448–449. 5  Zu Jaceks Kanonikat und intellektuellem Profil vgl. Dariusz A. Dekański, Formacja intelektualna św. Jacka i pierwszych dominikanów polskich [Die intellektuelle Bildung des hl. Jacek und der ersten polnischen Dominikaner], in: Święty Jacek i dziedzictwo dominikańskie, hrsg. von Erwin Mateja u. a., Opole 2008, S. 17–39, S. 41–60, hier S. 43–53. 6  Zu den Anfängen der Dominikaner in Polen sowie ihrer ersten Gründung in Krakau vgl. Zofia Kozłowska-Budkowa, Założenie klasztoru oo. Dominikanów w Krakowie [Die Gründung des Dominikanerklosters in Krakau], in: Rocznik Krakowski 20 (1926), S. 1–19; Jacek Woroniecki, Św. Jacek Odrowąż i wprowadzienie zakonu kaznodziejskiego do Polski [Der hl. Jacek Odrowąż und die Einführung des Predigerordens in Polen], Katowice 1947; Dariusz A. Dekański, Początki zakonu dominikanów prowincji polsko-czeskiej [Die Anfänge des Dominikanerordens der polnisch-böhmischen Provinz], Gdańsk 1999, S. 55–117; Jerzy Kłoczowski, Klöster und Orden im mittelalterlichen Polen, Osnabrück 2013, S. 91–101. 7  Dekański, Początki (wie Anm. 6), S. 164–215; ders., Kilka uwag o dominikanach na Pomorzu Gdańskim i w państwie zakonu krzyżackiego w Prusach okresu średniowiecza z

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Jacek/Hyazinth

Jacek als Missionar aktiv. Sein Aufenthalt in Kiew, bei dem er ein weiteres Dominikanerkloster begründet haben soll, wird von der neueren Forschung in die Jahre 1228/29 bis 1233 datiert.8 Eine jüngere Legende berichtet von einer zweiten Reise Jaceks nach Kiew im Jahr 1240, die mit der Flucht vor den Tataren noch im Winter des gleichen Jahres geendet haben soll. Zeitgenössische Quellen wissen von einer solchen zweiten Missionsreise an den Dnepr jedoch nichts.9 Ebenso unbekannt ist, wo und wie Jacek den Einfall der Tataren in Polen erlebte. In den 1240–50er Jahren scheint er sich überwiegend, wenn nicht ausschließlich in und um Krakau aufgehalten zu haben; jedenfalls fanden die Wunder, die Jacek laut seinem Hagiographen in dieser Zeit gewirkt haben soll, mit einer Ausnahme (Kap. 9) in Krakau und Umgebung statt. Er starb am 15. August 1257 in Krakau und wurde in der dortigen Dreifaltigkeitskirche beigesetzt. Zur Entwicklung des Kultes Jacek war bereits zu Lebzeiten als Wundertäter hervorgetreten. Sein Hagiograph verzeichnet nicht weniger als acht zu Lebzeiten gewirkte Wunder (Kap. 6–13). Noch für den Tag seiner Beisetzung wurden neue Wunderzeichen notiert (Kap. 15–16) und so dürfte im Krakauer Dominikanerkloster bald nach 1257 eine kultische Verehrung eingesetzt haben. Um 1260 verwies der Krakauer Dominikaner Vinzenz von Kielcza/Kielce in seiner Vita Stanislai ausdrücklich auf Jaceks heiligmäßiges Leben.10 Und auch auf dem Generalkapitel von Bordeaux wurde schon 1277 festgehalten, dass im Krakauer Dominikanerkloster der Bruder Jacek uwzględnieniem propozycji badań i ich koordynacji [Einige Bemerkungen über die Dominkaner in Pomerellen und im Ordensstaat im mittelalterlichen Preussen unter Berücksichtigung von Vorschlägen für Forschungen und ihre Koordination], in: Dzieje dominikanów w Polsce XIII– XVIIII wiek. Historiografia i warsztat badawczy historyka, hrsg. von Henryk Gapski u. a., Lublin 2006, S. 80–102. 8  Dekański, Początki (wie Anm. 6), S. 118–164; Tadeusz M. Trajdos, Dominikanie w Kijowie za czasów św. Jacka [Die Dominikaner in Kiew zu Zeiten des hl. Jacek], in: Święty Jacek i dziedzictwo (wie Anm. 5), S. 61–74, bes. S. 62; vgl. aber auch Joseph Gottschalk, Zur Geschichte der Hyazinth-Verehrung, in: ASKG 16 (1958), S. 60–98, hier S. 72–74, der die Datierung der Vita (1222–1226) verteidigt. Zur Darstellung von Jaceks Missionstätigkeit in der Rus’ durch die frühneuzeitliche Hagiographie vgl. Joanna Miłek, Misja świętego Jacka na Rusi w świetle tradycji dominikańskiej [Die Mission des heiligen Jacek in der Rus’ im Licht der dominikanischen Tradition], in: Krakowskie Pismo Kresowe 1 (2009), S. 53–79. 9  Auch die z.T. noch in jüngeren (populär)wissenschaftlichen Publikationen verbreiteten Vorstellungen, dass Jacek als Missionar in Litauen, bei den Letten, in Skandinavien und Schottland, auf dem Balkan und in Asien tätig gewesen sei, gehen ausschließlich auf frühneuzeitliche, im Lichte der Kanonisation kräftig ausgeschmückte Versionen der Jacek-Biographie zurück und entbehren jeder historischen Grundlage. 10  Siehe oben S. 160–169.

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Zur Entwicklung des Kultes

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erwecken.11

ruhe, der die Macht habe, Tote zum Leben zu Dennoch kam im 13. Jahrhundert noch kein Kanonisationsverfahren in Gang.12 Zu Beginn des 14. Jahrhunderts zählte der Dominikaner Peregrinus von ­Oppeln in einer Predigt anlässlich des Festes des heiligen Dominikus „Jacek in Krakau“ („Iaccho in Cracovia“) zu den „bewunderungswürdigen Söhnen“ („mirabiles filios“) des Ordensgründers.13 Auch diese Bemerkung scheint auf eine frühe Verehrung zu verweisen. Doch erst um die Mitte des 14. Jahrhunderts bemühten sich die Krakauer Dominikaner darum, dem Andenken an ihren Gründervater eine solide Grundlage zu geben; sie veranlassten ihren Lektor Stanisław, eine Vita bzw. einen Katalog der ihm zugeschriebenen Wunder zusammenzustellen. Ob damit auch bereits ein konkretes Bestreben um die Einleitung eines Kanonisationsverfahrens verbunden war, ist nicht erkennbar.14 Möglicherweise ging die Initiative zur Abfassung einer Vita auf die Bitte des Generalkapitels von 1336 zurück, in

11  Notitia provinciarum et domum ordinis Praedicatorum, in: Scriptores Ordinis Praedicatorum recensiti. Tomus primus, hrsg. von Jacobus Quétif/Jacobus Echard, Lutetiae Parisorum 1719, S. I–XV, hier S. I: „In provincia Poloniae conventus Fratrum XXXVI, monasteria Sororum duo. In Cracoviensi jacet Frater Iascon potens in mortuis suscitandis, & Vitus episcopus potens in miraculis patrandis“ („In der Provinz Polonia gibt es 36 Brüder-Konvente, zwei Schwesternklöster. Im Krakauer [Konvent] ruht der Bruder Jacek, der Tote zum Leben erwecken kann, und der Bischof Wit, der Wunder wirken kann).“ 12  Zur Entwicklung des Kultes und den sich über drei Jahrhunderte hinziehenden Bemühungen um eine Kanonisation vgl. Gottschalk, Zur Geschichte (wie Anm. 8); Zdzisław Obertyński, Dzieje kanonizacji św. Jacka [Geschichte der Kanonisation des hl. Jacek], in: Prawo Kanoniczne 4 (1961), S. 79–172; Józef Swastek, Kult pośmiertny św. Jacka Odrowąża i starania o jego kanonizację [Der postume Kult des hl. Jacek Odrowąż und die Bemühungen um seine Kanonisation], in: Święty Jacek i dziedzictwo (wie Anm. 5), S. 311–322; Anna Zajchowska, Rozwój przedkanonizacyjnego kultu świętego Jacka [Die Entwicklung des Kultes des heiligen Jacek vor der Kanonisation], in: Święty Jacek Odrowąż. Studia i źródła. Skarby dominikańskie, hrsg. von Maciej Zdanek, Kraków 2008, S. 11–28; dies., Medieval Hagiography of St Hyacinth, in: Les saints et leur culte en Europe centrale auch Moyen Âge (XIe-début du XVIe siècle), hrsg von MarieMadeleine de Cevins und Olivier Marin, Turnhout 2017, S. 195–209. Zur Rezeption und Verbreitung des Kultes in Ostmittel-, Osteuropa und Skandinavien vgl. die Beiträge in Św. Jacek Odrowąż – aposteł północnej Europy. Międzynarodowe sympozjum [Der hl. Jacek Odrowąż – Apostel Nordeuropas], hrsg. von Arkadiusz Nocoń/Arkadiusz Wuwer, Roma-Katowice 2012. 13  Peregrinus de Opole, In festo sancti Dominici confessoris, in: Peregrini de Opole Sermones de tempore et de sanctis, hrsg. von Ryszard Tatarzyński, Warszawa 1997, S. 597–604, hier S. 602. 14  Aleksandra Witkowska, Średniowieczne tradycje kultu św. Jacka w Krakowie [Die mittelalterlichen Traditionen des hl. Jacek-Kultes in Krakau], in: Święty Jacek Odrowąż (wie Anm. 12), S. 145–158, hier S. 145; dies., Kult Jacka Odrowąża w sredniowiecznym Krakowie [Der Kult des Jacek Odrowąż im mittelalterlichen Krakau], in: dies., Sancti, miracula, peregrinationes. Wybór tekstów z lat 1974–2008, Lublin 2009, S. 82–94, hier S. 82–83.

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Jacek/Hyazinth

den einzelnen Ordens-Provinzen Nachrichten über von Ordensbrüdern gewirkte Wunder zu sammeln und einzureichen.15 Nach den Örtlichkeiten zu schließen, aus denen die Zeugen der Jacek zugeschriebenen Wunder kamen, blieb sein Kult zunächst auf das Krakauer Land, östliche Teile Schlesiens und das Grenzland zu den Karpaten beschränkt. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts setzten sich dann der Krakauer Kardinal Zbigniew Oleśnicki und die polnische Königin Sophie in Rom für eine Heiligsprechung ein.16 Diese Bemühungen wurden gegen Ende des 15. Jahrhunderts fortgesetzt. So wurden zwischen 1488 und 1500 nicht nur einige neue Wunder beobachtet und aufgezeichnet17, sondern ein Exemplar der mittelalterlichen Lebensbeschreibung auch nach Italien gebracht, wo es von dem italienischen Dominikaner Hieronymus Borselli (1432–1497) abgeschrieben wurde, ehe es verloren ging. Wie sehr sich damals die Fama von der Heiligkeit des Krakauer Dominikaners über Polen hinaus verbreitete, bezeugt auch der Nürnberger Chronist Hartmann Schedel, der in seiner Weltchronik nicht nur den heiligen Stanisław und Krakau beschrieb, sondern auch auf den wunderwirkenden Jacek verwies.18 Nachdem sich im Mai 1518 auch der polnische König Sigismund I. bei Papst Leo X. (1513–1521) für eine Kanonisation stark gemacht hatte, setzte dieser schließlich eine Untersuchungskommission ein. Diese nahm 1523/24 in Krakau insgesamt 409 Zeugenaussagen auf und stellte ein ausführliches Dossier zusammen, das 1526 nach Rom geschickt wurde, dort aber im Jahr darauf im Kontext der Verwüstung Roms durch Karl V. verloren ging. Dessen ungeachtet gestattete Papst Clemens VII. (1523–1534) noch im gleichen Jahr 1527 den polnischen Dominikanern, Jacek in der Liturgie zu feiern, und setzte dessen Gedenktag auf den 16. September fest; 1530 dehnte er diese Erlaubnis auf die gesamte Kirche des Königreichs Polen aus.

Constitutiones et Acta Capitulorum Generalium Ordinis Fratrum Praedicatorum 1232– 2001. Acta capitulorum generalium ordinis praedictaorum. Vol. II: Ab anno MCCCIV usque ad annum MCCCLXXVIII, hrsg. von Benedict M. Reichert, Roma 1889 [digitaler Nachdruck Berlin 2002], S. 241. 16  Maria Kowalczyk, Starania kardynała Zbigniewa Oleśnickiego o kanonizację św. Jacka Odrowąża [Die Bemühungen des Kardinals Zbigniew Oleśnicki um die Kanonisation des hl. Jacek Odrowwąż] , in: Dominikanie w środkowej Europie w XIII–XV wieku. Aktywność duszpasterska i kultura intelektualna, hrsg. von Jerzy Kłoczowski/Jan A. Spież, Poznań 2002, S. 65–72. 17  Anna Zajchowska/Maciej Zdanek, Mirakula świętego Jacka z lat 1488–1500. Edycja ­krytyczna [Die Miracula des heiligen Jacek aus den Jahren 1488–1500. Kritische Edition], in: SŹ 46 (2009), S. 95–105. 18  Hartmann Schedel, Liber chronicorum, aus dem Lateinischen übers. von Georg Alt, Nürnberg 1493, S. 264: „In demselben gotzhaws [der Krakauer Dreifaltigkeitskirche] reichsnet der selig Jacinctus in vil wunderwercken, wiewol er nochmals in der heilligen zal nicht angesagt ist.“ 15 

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Die mittelalterliche Vita

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In den darauffolgenden Jahrzehnten kam es in Krakau zur Auffindung und ­ rhebung der Gebeine Jaceks (1543), der Errichtung einer ihm geweihten Kapelle E bei der Dominikanerkirche (1545), der Anordnung eines Provinzialkapitels, dass jedes polnische Dominikanerkloster eine Abschrift der Vita Jaceks besitzen solle (1549) und zur Wiederauffindung der Prozessakten von 1523/24 in Gestalt einer Kopie des seinerzeitigen Dossiers (1580). Als dann auch der polnische König ­Sigismund III. noch einmal persönlich auf eine Kanonisation drängte und versprach, sämtliche Prozesskosten zu übernehmen19, wurde das förmliche Kanonisationsverfahren schließlich 1589 wieder aufgenommen. Es endete am 17. April 1594 mit der von Papst Clemens VIII. vollzogenen Kanonisation.20 Sie bewirkte einen kräftigen Aufschwung des Jacek/Hyazinth-Kultes und dessen rasche Verbreitung über ganz Europa.21 Ein knappes Jahrhundert später, am 24. September 1686, erklärte die päpstliche Kurie Jacek dann auch noch zu einem der Hauptpatrone des Königreichs Polen.22 Die mittelalterliche Vita Die mittelalterliche Vita wurde kurz nach 1352, dem Jahr, für das sie das jüngste Wunder Jaceks verzeichnet, zusammengestellt. Über ihren Verfasser, einen Bruder 19  Arkadiusz Nocoń, List króla Zygmunta III Wazy do papieża Sykstusa V w sprawie kanonizacji św. Jacka [Ein Brief des Königs Sigismunds III. Vasa an Papst Silvester V. in der Angelegenheit der Kanonisation des hl. Jacek], in: Światło ze Śląska. 750. rocznica śmierci św. Jacka, hrsg. von Bożena Pietyra/Krystian Kukowa, Katowice 2007, S. 83–91. 20  Jan Kopiec, Pierwsze pokanonizacyjne kazanie ku czci św. Jacka w Rzymie (24 kwietnia 1594 roku) [Die erste nach der Kanonisation zu Ehren des hl. Jacek in Rom gehaltene Predigt (24. April 1594)], in: Święty Jacek Odrowąż i dominikanie na Śląsku, hrsg. von Antoni Barciak, Kraków 2008, S. 42–55. 21  Franz Machilek, Darstellungen und Verehrung des heiligen Hyazinth in den Diözesen Regensburg, München und Freising, Augsburg und Eichstätt, in: ASKG 28 (1970), S. 125–137; Roberto Fusco, Ikonografia św. Jacka w dziełach wielkich mistrzów malarstwa włoskiego [Die Ikonographie des hl. Jacek in den Werken großer Meister der italienischen Malerei], in: Światło ze Śląska (wie Anm. 19), S. 127–149; Sigita Maslauskaitė, Quod vel lapidis virtutem, vel floris pul­ chritudinem designat. Ikonografia św. Jacka w sztuce religijnej na Litwie [Weil es sowohl die Tüchtigkeit des Steins als auch die Schönheit der Blume bezeichnet. Die Ikonographie des hl. Jacek in der religiösen Kunst Litauens], in: Święty Jacek Odrowąż. Studia (wie Anm. 12), S. 50–61; Mirosław Lenart, Zapomniane pamiątki kultu św. Jacka Odrowąża we Włoszech [Vergessene Denkmäler des Kultes des hl. Jacek Odrowąż in Italien], in: Święty Jacek i dziedzictwo (wie Anm. 5), S. 331–339; Antoni Kiełbasa, Ikonografia i kult św. Jacka na ternie Bawarii [Ikonographie und Kult des hl. Jacek auf dem Gebiet Bayerns], ebd., S. 341–351. 22  Arkadiusz Nocoń, Dzieje ustanowienia św. Jacka głównym patronem Polski [Geschichte der Einsetzung des hl. Jacek zu einem Hauptpatron Polens], in: Światło ze Śląska (wie Anm. 19), S. 93–105.

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im Krakauer Predigerkonvent namens Stanisław, ist nur bekannt, dass er in seinem Kloster zeitweise das Amt des Lektors ausgeübt hat. Wie er selbst hervorhebt, stützte er sich beim Abfassen seines Textes auf schriftliche Vorlagen und mündliche Berichte seiner Mitbrüder. Diese Quellen hat er mit eigenen Ausführungen und Kombinationen ergänzt und ausgestaltet. Solche finden sich außer im Vorwort, das sich im Übrigen an biblischen Motiven und dem Prolog der StanisławVita des Vincentius von Kielcza/ Kielce orientierte23, vor allem in den relativ dürftigen Ausführungen zur Person des Heiligen. Offenbar lag dem Hagiographen hundert Jahre nach Jaceks Tod nur wenig Konkretes über dessen Leben vor. So bleiben die auf die Deutung des Namens (Kap. 1) folgenden Ausführungen über Herkunft, Ausbildung und Eintritt Jaceks in den Orden (Kap. 2), über sein Wirken in Polen (Kap. 3), seine Lebensweise (Kap. 4), seine Missionstätigkeit in Kiew und Danzig (Kap. 9) sowie über seinen Tod und sein Begräbnis (Kap. 14) knapp, vage und fehlerhaft. Sie folgen selbstverständlich den üblichen hagiographischen Mustern und sind überdies ganz augenscheinlich von den dem Lektor Stanisław zweifellos bekannten zeitgenössischen Lebensbeschreibungen des heiligen Dominikus inspiriert.24 Schon die in Kap. 5 geschilderte Marienvision des Heiligen leitet zum Katalog der Visionen und Wunder über, der den überwiegenden Teil des Textes ausmacht, so dass von einer Vita im Grunde nicht die Rede sein kann. Als Vorlage für diesen Wunderkatalog hat die Forschung protollartige Aufzeichnungen ermittelt, die in einem später verlorengegangenen Liber miraculorum vorgelegen haben sollen.25 Dieses „Buch der Wunder“ ist zwischen 1268 und 1331 von verschiedenen Lektoren des Krakauer Dominikanerklosters zusammengestellt worden. Die meisten seiner Einträge hat in den Jahren 1268–1283 der Lektor Bogusław aufgezeichnet (eingegangen in die Kap. 6–13, 15–21, 25–32, 34–41 der Vita). Der Lektor Klemens fügte 1284–1290 weitere elf Berichte (Kap. 22–24, 33, 42–48) und der Lektor Bogusław der Jüngere 1290 einen weiteren Wunderbericht (Kap. 49) hinzu. Zu

23  Vgl. Maciej Zdanek, Figury i wątki biblijne w Przedmowie do Żywota św. Jacka. Ze studiów nad treściami ideowymi dzieła lektora Stanisława [Figuren und biblische Elemente im Prolog zur Vita des hl. Jacek. Aus Studien zum ideellen Gehalt des Werkes des Lektors Stanisław], in: Święty Jacek i dziedzictwo (wie Anm. 5), S. 163–175. 24  Dazu ausführlich Kazimierz Dobrowolski, Żywot św. Jacka. Ze studiów nad polską hagiografią średniowieczną [Die Vita des hl. Jacek. Aus Studien über die mittelalterliche polnische Hagiographie], in: Rocznik Krakowski 20 (1926), S. 20–39. 25  Vor allem Raymond J. Loenertz, La vie de s. Hyacinthe du lecteur Stanislas envisagée comme source historique, in: Archivum Fratrum Praedicatorum (27) 1957, S. 5–38, hier S. 5–13, 25–26 und Aleksandra Witkowska, Miracula małopolskie z XIII i XIV wieku. Studium żródłoznawcze [Die kleinpolnischen Miracula des 13. und 14. Jahrhunderts. Quellenkundliche Studien], in: RHum 19 (1971), 2, S. 29–161, hier S. 57–60, 71–74.

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betonte26,

den Jahren 1291–1328 lagen dem Lektor Stanisław, wie er selbst keine Wunderberichte vor; lediglich für 1329 und 1331 fand er zwei weitere – von der Forschung den Lektoren Matthäus und Friedrich zugeschriebene – Wunderberichte (Kap. 50 und 51) vor. Nur der letzte der insgesamt 49 Wunderberichte (Kap. 52) stammt vom Lektor Stanisław selbst. Die mithin über einen Zeitraum von knapp hundert Jahren (1268–1352) sukzessive und zumeist nachträglich erfolgte Aufzeichnung der Visionen und Wunder hatte zur Folge, dass ihre zeitliche Einordnung unsicher blieb und die angegebenen Jahreszahlen nicht verlässlich sind. Das gilt insbesondere für jene Wunder, die noch zu Lebzeiten Jaceks geschahen (Kap. 6–13). Aber auch bei den post mortem beobachteten Wundern begegnen zahlreiche Unstimmigkeiten. So decken sich beispielsweise die aus anderen Quellen bekannten Amtszeiten der in den Zeugenlisten aufgeführten Personen häufig nicht mit dem vermeintlichen Datum des bezeugten Wunders. Hier wurde entweder die Liste der beim fraglichen Wunder tatsächlich anwesenden Zeugen, nachträglich um solche Personen ergänzt, die dem Hagiographen zum Zeitpunkt der Aufzeichnung als geeignete Zeugen erschienen27, oder ein Teil der aufgeführten Zeugen wurde im Moment der Aufzeichnung des fraglichen Wunders durch Ämter näher charakterisiert, die sie zwar zum Zeitpunkt der Aufzeichnung, aber noch nicht zum Zeitpunkt der Bezeugung, geschweige denn des Wundergeschehens selbst ausgeübt haben. Mitunter unterliefen den Lektoren bei der Charakterisierung der Zeugen durch Ämter auch schlicht Verwechselungen, so dass die Zeugenreihen in erheblichem Maße verderbt sind. Handschriften und Edition Die Vita des Lektors Stanisław fand keinen Eingang in populäre hagiographische Sammlungen oder Breviere. Sie ist heute lediglich in zwei Handschriften vollständig überliefert, von denen die eine ins 14., die andere ins 16. Jahrhundert datiert. Die ältere Version ist im Krakauer Dominikanerkonvent entstanden und war bis ins 16. Jahrhundert hinein in dessen Besitz. Im Kontext des frühneuzeitlichen Kanonisationsverfahrens wurde sie 1589 nach Rom gebracht, wo sie später in die Bibliothek der römischen Adelsfamilie Chigi (daher als Handschrift C bezeichnet), dann in die Bibliothek des Vatikans gelangte.28 Die jüngere Version (nach ihrem Vgl. unten S. 284–285. Vgl. Marcin Starzyński, Das mittelalterliche Krakau. Der Stadtrat im Herrschaftsgefüge der polnischen Metropole, Köln u. a. 2015, S. 25. 28  Biblioteca Apostolica Vaticana Rom, Chig.F.IV.90, f. 1r-26v; online abrufbar unter https:// digi.vatlib.it/view/MSS_Chig.F.IV.90 (abgerufen 17. 9. 2020). Neueste Beschreibung der Handschrift bei Michał Kulpa, Wokół czternastowiecznego żywota św. Jacka – kilka zagadnień źródłoznawczych [Zur Vita des hl. Jacek aus dem 14. Jahrhundert – einige quellenkundliche Fragen], in: NP 132 (2019), S. 5–51, hier S. 14–16. Neben der Vita enthält die Handschrift die Auf26  27 

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Aufbewahrungsort als Handschrift BA bezeichnet29) ist zeitweise als eine von C unabhängige Fassung angesehen worden. Neueste Untersuchungen haben sie aber erneut als eine im Zuge des Kanonisationsverfahrens erstellte Abschrift von C identifiziert.30 Drei Handschriften bieten nur unvollständige Texte. Eine 1493–1497 von dem italienischen Dominikaner Hieronymus Borselli zusammengestellte Cronica ma­ gistrorum generalium ordinis fratrum predicatorum (nach ihrem Aufbewahrungsort als Handschrift B bezeichnet) enthält den größten Teil der Vita mit Ausnahme des Vorwortes, der Kapitel 1, 22, 42, 50 einiger Kapitelüberschriften und sämtlicher Zeugenlisten. Die gekürzte Abschrift erfolgte von einem Exemplar der Vita, die Borselli 1494 von Krakauer Dominikanern erhielt.31 Ein 1590–1591 für Papst Gregor XIV. zusammengestellter Bericht über den Stand des Kanonisationsverfahrens (nach seinem Aufbewahrungsort als Handschrift P bezeichnet) zitiert drei Kapitel der Vita vollständig (4, 6, 7) und zwei teilweise (9, 14) aus einer heute verlorenen Handschrift.32 Auf zwei im Einband eines jüngeren Folianten entdeckten Blättern eines verlorenen Codex des 14. Jahrhunderts, der einst dem Dominikanerkloster in Płock gehörte, sind Teile der Kapitel 2, 4 und 10 sowie die Kapitel 3 und 9 überliefert.33 In welchem Verhältnis diese (als K bezeichneten) Fragmente zum verlorenen Archetypen bzw. zur Handschrift C stehen, ist bislang nicht eindeutig geklärt.34 zeichnung dreier Jacek zugeschriebener, in den Jahren 1488, 1493 und 1500 geschehener Wunder (26v-27v), Berichte über die Auffindung von Jaceks Grab (28r-31v) und die Stiftung einer neuen Kapelle im Jahr 1581 (31v-33r) sowie ein Lied zur Errichtung eines Alabasteraltars zu Ehren des heiligen Jacek (33r-34r). 29  Biblioteca Anglica Rom, 313, f. 85r-101v; neueste Beschreibung der Handschrift bei Kulpa, Wokół (wie Anm. 28), S. 16–18. 30  So schon Wojciech Kętrzyński, Dodatek do [Ergänzung zu] De vita et miraculis sancti Iachonis ordinis fratrum praedicatorum auctore Stanislao lectore Cracoviensi eiusdem ordinis, in: MPH 5, Lwów 1888 [Nachdruck: Warszawa 1961], S. 1017–1026, hier S. 1018 und erneut Kulpa, Wokół (wie Anm. 28), S. 23–26. 31  Biblioteca Universitaria di Bolonia, 1999, f. 319–324v; neueste Beschreibung der Handschrift bei Kulpa, Wokół (wie Anm. 28), S. 21–22. 32  Bibliothèque nationale de France Paris, Latin 5382, f. 11v, 13r, 14r, 18r-18v, 20r; neueste Beschreibung der Handschrift bei Kulpa, Wokół (wie Anm. 28), S. 19–21. 33  Archiwum Polskiej Prowincji Ojców Dominikanów w Krakowie [Archiv der polnischen Provinz der Dominikanerväter in Krakau], K.XIV.46; vgl. Tomasz Gałuszka, Nota do artykułu Raymonda J. Loenertza [Bemerkung zum Artikel von Raymond Loenertz], in: Święty Jacek Odrowąż (wie Anm. 12), S. 69–77, hier S. 73–74; Kulpa, Wokół (wie Anm. 28), S. 19. 34  Gałuszka, Nota (wie Anm. 33), S. 73–74 sieht die Fragmente deutlich näher am Archetypen als den Text der Handschrift C, während Kulpa, Wokół (wie Anm. 28), S. 19 darauf hinweist, dass die Orthographie der Fragmente im Wesentlichen derjenigen der Handschrift C entspricht (auch wenn die Eigennamen weniger verderbt erscheinen als in C).

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Die von Ludwik Ćwikliński besorgte, bislang einzige kritische Edition erfolgte nach der Handschrift C, ohne dass Ćwikliński die Handschrift in Autopsie gesehen hätte.35 Er konnte lediglich mit einer 1854 in der Bibliothek in Rom von einem Mönch namens Müller angefertigten Abschrift arbeiten. Nicht bekannt war Ćwikliński eine zweite, in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts datierte Handschrift, die sich in der Universitätsbibliothek Münster befand, bei Kriegsende 1945 jedoch verbrannt ist. Sie enthielt eine Vita s. Iatzchonis (Hyacinthi), die wohl eine von einem nicht-polnischsprachigen Schreiber gefertigte Abschrift war; ob von C oder einer anderen, nicht überlieferten Handschrift, ist heute – da keine Abschriften des verlorenen Textes existieren – nicht mehr feststellbar.36 Ćwikliński hat seine Vorlage stellenweise korrigiert, die entsprechenden Originalschreibungen von C aber in den Anmerkungen wiedergegeben. Als Korrektiv diente ihm dabei die – auf Borselli gestützte – 1517 gedruckte Darstellung des Bologneser Dominikaners Leander Alberti37 und die 1594 im Druck erschienene Jacek/Hyazinth-Vita aus der Feder des Krakauer Dominikaners Seweryn Lubomlczyk.38 Der nachstehend reproduzierte lateinische Text folgt – da eine schon lange geforderte Neuedition nicht in Sicht ist39 – der Edition Ćwiklińskis (ohne die von ihm verbesserten Originalvarianten in den Anmerkungen zu wiederholen). Er 35  De vita et miraculis sancto Iacchonis (Hyacinthi) ordinis fratrum praedicatorum auctore Stanislao lectore Cracoviensi eiusem ordinis, hrsg. von Ludwik Ćwiliński, in: MPH 4, Lwów 1884 [Nachdruck: Warszawa 1961], S. 818–903, der Text der Edition S. 841–894. In der BHL wird die Vita unter der Nr. 4052 geführt. Auf den von Ćwiliński edierten Text stützen sich auch die beiden modernen polnischen Übersetzungen der Vita: Lektor Stanisław, Życie i cuda św. Jacka Odrowąża z zakonu dominikańskiego [Lektor Stanisław, Leben und Wunder des hl. Jacek Odrowąż vom Dominikanerorden], übersetzt von Władysław Bojarski, hrsg. von Zygmunt Mazur, Kraków 1994, S. 8–37; Lektor Stanisław z Krakowa, Życie i cuda świętego Jacka z Zakonu Braci Kaznodziejów [Lektor Stanisław aus Krakau, Leben und Wunder des heiligen Jacek vom Orden der Predigerbrüder], übersetzt von Tomasz Gałuszka/bearbeitet von Maciej Zdanek, in: Święty Jacek Odrowąż. Studia (wie Anm. 12), S. 101–155. 36  Liber miscellaneus, ehemals Universitätsbibliothek Münster 542, f. 155r ff. Eine kurze Beschreibung der Handschrift bei Joseph Staender, Chirographorvm In Regia Bibliotheca Pavlina Monasteriensi Catalogvs, Vratislaviae 1889, S. 119; Dobrowolski, Żywot św. Jacka (wie Anm. 24), S. 21. 37  De viris illustribus ordinis praedicatorum libri sex in unum congesti autore Leandro Alberto, Bononiae 1517, f. 175r-178v. 38  Severinus Cracoviensis, De vita miraculis et actis canonizationis Sancti Hyacinthi confessoris Ordinis Fratrum Praedicat. libri quatuor, Romae 1594. 39  Zur Notwendigkeit einer kritischen Neuedition schon Witkowska, Miracula (wie Anm.  25), S. 41; vgl. auch Henryk Fros, O nowe wydanie „De vita miraculis Sancti Iacchonis“ – głos w dyskusji [Über eine Neuedition von „De vita miraculis Sancti Iacchonis“ – ein Diskussionsbeitrag], in: Dominikanie (wie Anm. 16), S. 61–64; Gałuszka, Nota (wie Anm. 32), S. 70; Zdanek, Figury wie Anm. 23), S. 164.

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übernimmt auch den erst vom Herausgeber formulierten Titel, die von ihm eingeführte Kapitelzählung und (weitestgehend) auch die Absatzeinteilung. Wo unser Text auf der Grundlage eigener Einsicht in die Handschrift C sowie überzeugenderer Varianten aus den Handschriften BA, K und P40 von Ćwikliński abweicht, wird dies in den Anmerkungen erläutert. Zusätze in eckigen Klammern im lateinischen Text stammen von Ćwikliński.

40  Die Varianten aus BA, K und P nach Kętrzyński, Dodatek (wie Anm. 30), S. 1021–1026; Kulpa, Wokół (wie Anm. 28), S. 23–25; Gałuszka, Nota (wie Anm. 33), S. 73–74.

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De vita et miraculis sancti Iacchonis (Hyacinthi) ordinis fratrum predicatorum

Prohemium in uitam sancti Iacchonis ordinis fratrum predicatorum.41 Populus gencium, qui ambulabat in tenebris, vidit lucem magnam.42 Conditor uniuersy in principio creans celum et terram reliquit tenebras super faciem abissi.43 Ut autem has illuminaret, dixit: fiat lux, et facta est lux.44 Et sic facta luce mundum illuminauit. Sicut autem hoc fecit tenebras mundi illuminando, sic re uera per beatum Iacchonem tanquam per radium noui solis in Polonia tenebras peccatorum fugauit, et lumine fidei corda Polonorum illustravit. Unde iam completum est, quod Ysaias longe ante predixit dicens: Populus gencium, uidelicet in finibus Polonie et qui ambulabat in tenebris mentis ignorancie, vidit lucem magnam, id est sanctum Iacchonem predicatorem doctrine lucide. Sicut enim adueniente luce diei alleuiantur egritudines, excitantur a sompno homines, aues garriunt et bestie ad sua latibula fugiunt, sic sancto Iacchone in Poloniam misso a beato Dominico, Poloni alleuiati sunt a uiciis, excitati a negligenciis, animati ad contemplacionem celestium, liberati a potestate demonum45, ita ut iam Polonis noua lux oriri uisa est gaudium, honor et tripudium apud omnes populos.46

41  Diese Überschrift ist in C offenbar später von anderer Hand in kleinerer Schrift über den Text gesetzt worden; unter ihr findet sich in noch kleinerer Schrift „Liber conuentus Cracoviensis s. Trinitatis“ („Buch des Krakauer Dreifaltigkeits-Konvents“). 42  Jes 9, 2. 43  Gen 1, 1–2. 44  Gen 1, 3. 45  Nach Zdanek, Figury (wie Anm. 23), S. 165–166 hat der Hagiograph diesen Vergleich dem Kommentar des heiligen Basilius zum Matthäus-Evangelium entnommen, den er aus dem populären Compendium Manipulus florum des Thomas von Irland († vor 1338) gekannt haben dürfte. 46  Est 8, 16–17; vgl. auch Peregrini de Opole Sermones (wie Anm. 13), S, 27.

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Über das Leben und die Wunder des heiligen Jacek (Hyazinth) vom Orden der Predigerbrüder

Vorwort zur Lebensbeschreibung des heiligen Jacek vom Orden der Predigerbrüder.41 Das Volk der Heiden, das im Finstern wandelte, schaute ein großes Licht.42 Als der Schöpfer der Welt am Anfang Himmel und Erde schuf, ließ er Finsternis über dem Abgrund zurück.43 Um diese aber zu erleuchten, sprach er: „Es werde Licht!“ Und es ward Licht.44 Und indem so Licht ward, erleuchtete er die Welt. So wie er aber die Finsternis der Welt erleuchtete, so vertrieb er durch den heiligen Jacek wie durch den Strahl einer neuen Sonne wahrhaftig die Finsternis der Sünden in Polen und erhellte durch das Licht des Glaubens die Herzen der Polen. Daher erfüllte sich, was Jesaja lange zuvor vorhergesagt hatte, als er sprach: „Das Volk der Heiden, und zwar [jenes] im Gebiet Polens, das in der Finsternis eines unwissenden Geistes wandelte, schaute ein großes Licht, nämlich den heiligen Jacek, den Prediger einer leuchtenden Lehre.“ Denn so wie durch das anbrechende Tageslicht der Kummer gemildert, die Menschen aus dem Schlaf erweckt werden, die Vögel zwitschern und die wilden Tiere in ihre Schlupfwinkel fliehen, so wurden durch den vom heiligen Dominikus nach Polen geschickten heiligen Jacek die Polen von ihren Lastern befreit, aus ihren Nachlässigkeiten aufgescheucht, zur Schau der Himmlischen ermuntert [und] von der Macht der Teufel befreit.45 Und so ging den Polen bald neues Licht, Freude, Ehre und Wonne vor allen Völkern auf.46

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De qua luce, uidelicet sancto Iacchone47 ego frater Stanislaus, lector Cracouienminimus fratrum predicatorum, ad honorem trini et unius Dei, qui cunctos sanctos condidit atque inenarrabili luce decorauit, et ad hedificacionem populi, ea que in scriptis49 reperi et ex relacione patrum fide dignorum, qui a suis antecesso­ ribus, qui facialiter sanctum Iacchonem nouerunt et cum eo conuersati fuerunt, [audierunt], intellexi, breui et humili stilo perstringere curaui. Ipse autem Christus, rex glorie50, qui est splendor Dei patris et figura substancie eius51, per beati Iacchonis patrocinium operi meo dignetur dare incrementum, qui cum patre et spiritu sancto uiuit et regnat in secula seculorum. Amen.52 sis48,

1. Interpretacio nominis. Iazccho53 uulgariter, Iacingtus literaliter nuncupatus est. Dicitur autem Iacingtus a yacingto flore uel lapide, et secundum hoc54 duplicem habet interpretacionem. Primo dicitur Iacingtus quasi herba florem habens purpureum, quod bene beato Iazcchoni conuenit, nam ipse fuit herba humilis per cordis obedienciam, flos per corporis continenciam, purpureus per uoluntariam paupertatem seu indigenciam. Secundo dicitur Iacincthus a yacincto lapide, qui est fulgidus, ceruleus, auro similis et firmissimus. Sic beatus Iaccho fuit fulgidus per ewangelice doctrine tradicionem, fuit ceruleus per uite sancte conuersacionem et firmissimus per fidei catholice dilatacionem.55 Et sic patet nominis cognicio.

Nach Zdanek, Figury (wie Anm. 23), S. 170–171 habe Lektor Stanisław mit der Licht-­ Metapher Jacek als einen zweiten Christus stilisieren wollen. 48  Vgl. unten Kap. 52. 49  Dabei handelte es sich neben annalistischen Aufzeichnungen, die im Krakauer Dominika­ nerkloster geführt wurden, und der Vita des heiligen Dominikus vor allem um den in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts erstellten Katalog der Jacek zugeschriebenen Wunder (Liber miracu­ lorum); vgl. oben S. 206. 50  Von ego frater bis rex glorie aus Vita maior s. Stanislai, oben S. 46–47. 51  Hebr 1, 3. 52  Von per beati bis Amen aus Vita maior s. Stanislai, oben S. 46–47. 53  Nach C statt Iazccho bei Ćwikliński; so auch im Folgenden stets verbessert. 54  Bei Ćwikliński: hos. 55  Hier spielt der Hagiograph geschickt mit den doppelten Bedeutungen von purpureus und firmus bzw. mit der Nähe von caeruelus zu caelum. 47 

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Jacek47,

Über dieses Licht, nämlich den heiligen habe ich, Bruder Stanisław, Krakauer Lektor48 und der geringste unter den Predigerbrüdern, mich bemüht – zur Ehre des dreieinigen Gottes, der alle Heiligen erschaffen und mit unbeschreiblichem Licht geschmückt hat, sowie zur Erbauung des Volkes –, alles was ich in Schriften49 gefunden und aus dem Bericht glaubwürdiger Väter erfahren habe, die es von ihren Vorgängern [hörten], die den heiligen Jacek persönlich kannten und mit ihm verkehrten, in knapper und bescheidener Sprache kurz darzustellen. Christus selbst aber, der König der Ehren50, der Glanz des Gottvaters und das Ebenbild seines Wesens51, der mit dem Vater und dem heiligen Geist lebt und herrscht in Ewigkeit, er möge sich herablassen meinem Werk durch den Beistand des heiligen Jacek Gedeihen zu schenken. Amen.52 1. Die Deutung des Namens. Volkssprachlich wird er Jacek53, schriftsprachlich Hyazinth genannt. Hyazinth aber heißt er nach der Blume oder dem Stein Hyazinth und daher hat er54 [der Name] eine doppelte Bedeutung. Zum einen bedeutet Hyazinth die Pflanze, die eine purpurne Blüte hat, was gut zum heiligen Jacek passt, denn er selbst war durch den Gehorsam seines Herzens eine bescheidene Pflanze, durch die Enthaltsamkeit seines Körpers eine Blüte und purpurfarbig glänzend durch seine freiwillige Armut und Bedürftigkeit. Zum anderen ist Hyazinth nach dem Edelstein Hyazinth benannt, der funkelnd, himmelbau, goldähnlich und sehr fest ist. So war der heilige Jacek durch die Weitergabe der Lehre der Evangelien funkelnd, durch ein heiligmäßiges Leben himmelblau und durch die Verbreitung des katholischen Glaubens äußerst standhaft.55 Und so ist die Erklärung seines Namens klar.

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2. De ortu atque profectu sancti Iacconis. Sanctus Iazccho nacione Polonus in Prouincia regni Polonie, villa, que dicitur wulgariter Cameyn56, ex nobili prosapia oriundus fuit. Hic literis traditus super multos coetaneos diuina gratia ipsum sibi preordinante profecit. Tandem Yuo pater venerabilis, Episcopus Cracouiensis, de cuius erat sanguine ipsum in ecclesia ­cathedrali canonicum constituit, et modico interposito tempore ad studium generale misit, ubi multis annis persistens clarum intellectum in sacra theoloya ac iure canonico conquisiuit.57 Deinde regressus de studio in Cracouiam tamquam lucerna ardens super candelabrum posita super alios concanonicos lumine sciencie, morum uenustate ac uite honestate prefulsit. Cumque venerabilis pater Yuo episcopus Cracoviensis pro multis negociis ecclesie sue versus curiam Romanam ad papam Honorium iter arripuit et sanctum Iazcchonem secum recepit, ibique beatum Dominicum pro ordinis sui confirmacione laborantem inuenit, anno Domini MoCCoXVIo58, quo tempore nepotem cardinalis a mortuis suscitauit.59 Tunc 56  Zum Zeitpunkt der Geburt Jaceks war das regnum Poloniae bereits in sechs Teilfürstentümer aufgeteilt; der Geburtsort Kamień lag im schlesischen Teilfürstentum Oppeln, rund 150 km nordwestlich von Krakau; vgl. Anm. 3. 57  Die Schilderung der (nicht belegten) Ausbildung dürfte in hohem Maße dem Vorbild der Lebensbeschreibung des heiligen Dominikus nachempfunden und mithin eher ein Topos sein. 58  Honorius III. bestätigte Dominikus in der Tat am 22. Dezember 1216 die Regel des von ihm gegründeten Ordens; Iwo Odrowąż war jedoch erst seit September 1218 Bischof von Krakau, hat aber 1215 als Krakauer Kanoniker und Kanzler des Krakauer Herzogs am IV. Laterankonzil teilgenommen; vgl. Wojciech Barań-Kozłowski, Skład polskiej delegacji na obrady Soboru Laterańskiego IV [Die Zusammensetzung der polnischen Delegation in den Beratungen des 4. Laterankonzils], in: KH 110 (2003), 3, S. 15–20. Ob er Dominikus jemals persönlich getroffen hat, ist ungewiss. Die in Kap. II und III vorgenommene Datierung ist konstruiert, wohl um eine Nähe zu Dominikus und seiner Ordensgründung herzustellen; sie folgte wahrscheinlich dem Vorbild der Lebensbeschreibungen des heiligen Dominikus, in denen über die Bestätigung des Ordens und die Wahl Honorius‘ zum neuen Papst unter dem Jahr 1216 berichtet wird; zur Chronologie der in Kap. II und III zusammengerafften Ereignisse vgl. Loenertz, La vie (wie Anm. 25), S. 27–31; Gerard Labuda, Nowe spojrzenie na źródła dotyczące dziejów dominikanów w Polsce XIII–XIV wieku. Lektor Stanisław i jego Żywot św. Jacka [Eine neue Sicht auf die Qellen zur Geschichte der Dominikaner im Polen des 13.–14. Jahrhunderts. Der Lektor Stanisław und seine Vita des hl. Jacek], in: Dominikanie (wie Anm. 16), S. 45–59; Gałuszka, Nota (wie Anm. 33), S. 75–77; Jan Andrzej Spież, Kilka uwag o chronologii życia św. Jacka [Einige Bemerkungen zur Chronologie der Vita des hl. Jacek], in: Święty Jacek i dziedzictwo (wie Anm. 5), S. 17–39. 59  Gemeint ist die Auferweckung eines Neffen des Kardinals Stefano di Fossanova, die der heilige Dominikus an Aschermittwoch 1221 (= 24. Februar) erwirkt haben soll; das Wunder in verschiedenen Versionen beschrieben bei Jordan von Sachsen, † 1237 (B. Jordanis de Saxonia, Libellus de principiis ordinis praedicatorum, in: Monumenta historica sancti patris nostri Dominici. Fasc. II, hrsg. von Heribert Christian Scheeben, Rom 1935, S. 25–88, hier S. 72–73), Kons-

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2. Über die Herkunft und den Werdegang des heiligen Jacek. Der heilige Jacek, der Herkunft nach ein Pole, entstammte einer edlen Familie aus einem Dorf in der Provinz des Königreichs Polen, das volkssprachlich Kamień56 genannt wird. Dem Lernen übergeben übertraf er dank göttlicher Gnade, die ihn für sich vorherbestimmt hatte, viele Altersgenossen. Schließlich setzte ihn der ehrwürdige Vater Iwo, der Bischof von Krakau, mit dem er verwandt war, zum Kanoniker der Kathedralkirche ein. Und nachdem einige Zeit verstrichen war, schickte er ihn zum Studium, wo er viele Jahre ausharrte und ein klares Verständnis der heiligen Theologie und des kanonischen Rechts erwarb.57 Dann kehrte er vom Studium nach Krakau zurück, wurde durch das Licht seines Wissens wie eine brennende Lampe auf dem Leuchter über die übrigen Mitkanoniker gestellt und erstrahlte durch die Anmut seines Charakters und die Ehrbarkeit seines Lebenswandels. Und als sich der ehrwürdige Vater Iwo, der Bischof von Krakau, zwecks zahlreicher Geschäfte seiner Kirche auf den Weg zur römischen Kurie, zu Papst Honorius [III.] machte und den heiligen Jacek mitnahm, traf er dort den heiligen Dominikus, der um die Bestätigung seines Ordens nachsuchte; [das war] im Jahr 121658, als er [Dominikus] den Neffen des Kardinals vom Tod auferweckte.59 Als

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uiso miraculo supradictus dominus episcopus ad beatum Dominicum accessit et fratres pro prouincia Polonie petiuit. Cui beatus Dominicus affectuose inquit: hoc facerem, si fratres haberem; et si quos habetis Domino gratos pro ordine suscipiendos, ego eos recipiam. Qui cum magna deuocione obtulit sibi tres, scilicet sanctum Iacchonem, sanctum Cesslaum60 et Hermannum Theotonicum, qui de eius erant familia; quos suscipiens sanctus61 Dominicus habitu sui ordinis uestiuit, et anno integro circa se retinuit informatosque humilitate, castitate62 ceterisque ordinis obseruanciis, ad professionem recepit. 3. Quomodo sanctus Iazccho cum sua societate a beato Dominico in ­Poloniam est missus. Anno Domini MoCCoXVIIo beatus Dominicus spiritu Dei instigante et episcopo Yuone deuote petente, filios suos videlicet sanctum Iazcchonem et sanctum Cesslaum et conuersum Hermannum, dans eis ymbrem celestis benediccionis, in ­Poloniam misit, qui uenientes in Theothoniam ad ciuitatem Frizacensem ibi uerbo et exemplo populum edificantes, primum conuentum receperunt63, ubi infra sex menses numerosam multitudinem sacerdotum et clericorum ad ordinem receperunt et ordinis obseruantias, ut ex ore beati Dominici docti fuerant, eos informauerunt. Sicque relicto ibi fratre Hermanno, sanctus Iazccho et sanctus Cesslaus in

tantin von Orvieto, um 1244/46 (Costantino da Orvieto, Legenda Sancti Dominici, ebd. S. 286– 353, hier S. 310–311) und der Ordensfrau Cäcilia, † 1290 (Die „Miracula Beati Dominici“ der Schwester Cäcilia, hrsg. von Angelus Walz, in: Archivum Fratrum Praedicatorum 37 (1967), S. 5–43, hier S. 23–25). 60  Der Dominikaner Czesław, der vor Eintritt in den Orden Kustos in Sandomir und Kanoniker in Krakau war und 1233–1236 als Provinzial an der Spitze der polnischen Ordensprovinz stand, wurde bereits im Mittelalter verehrt; vgl. unten Anm. 86. Er wurde aber erst 1713 seliggesprochen; Jan A. Spież, Średniowieczne świadectwa życia i kultu błogosławionego Czesława [Mittelalterliche Zeugnisse vom Leben und Kult des seligen Czesław], in: Dominikanie w środkowej Europie w XIII–XV wieku. Aktywność duszpasterska i kultura intelektualna, hrsg. von Jerzy Kłoczowski/Jan A. Spież, Poznań 2002, S. 87–108; Wojciech Kucharski, Beatus Ceslaus ­natione polonus. Dzieje kultu błogosławionego Czesława [Beatus Ceslaus natione polonus. Geschichte des Kultes des seligen Czesław], Kraków 2012. 61  In K: beatus. 62  In K: caritate, in B: charitate [Nächstenliebe, Barmherzigkeit]. Das einjährige Noviziat wurde im Dominikanerorden erst 1244–50 eingeführt. 63  Der Konvent der Dominikaner in Friesach/Kärnten wurde wohl schon 1217 begründet; Jacek hat dann 1221/1222 während seines dortigen Aufenthalts zur Konsolidierung der zunächst mit Schwierigkeiten kämpfenden Neugründung beigetragen; vgl. Jan Andrzej Spież, Święty Jacek we Fryzaku [Der heilige Jacek in Friesach], in: Polonia Minor medii aevi, hrsg. von Zenon Woźniak/Jan Gancarski, Kraków-Krosno 2003, S. 561–574.

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er damals das besagte Wunder sah, trat der Herr Bischof an den heiligen Dominikus heran und erbat [von ihm] Brüder für die Provinz Polen. Da sagte der heilige Dominikus herzlich zu ihm: „Ich täte es, wenn ich Brüder hätte; und wenn ihr welche habt, die dem Herrn willkommen sind, um sie in den Orden aufzunehmen, will ich sie aufnehmen.“ Der [Bischof] bot ihm in großer Ehrerbietung drei [Männer] an, die aus seiner [Kanoniker-]Gemeinschaft waren, nämlich den heiligen Jacek, den heiligen Czesław60 und Hermann den Deutschen. Diese nahm der heilige61 Dominikus an, kleidete sie in den Habit seines Ordens, hielt sie ein volles Jahr in seiner Nähe und nahm die in Demut, Keuschheit62 und in den übrigen Ordensregeln Unterwiesenen in das Mönchsgelübde auf. 3. Wie der heilige Jacek mit seiner Kameradschaft vom heiligen Dominikus nach Polen geschickt wurde. Im Jahre des Herrn 1217 schickte der heilige Dominikus, vom Geist Gottes angestiftet und von Bischof Iwo demütig gebeten, seine Söhne, nämlich den heiligen Jacek, den heiligen Czesław und den Konversen Hermann mit dem Regen des himmlischen Segens nach Polen. Als sie nach Deutschland in die Stadt Friesach kamen, wo sie mit Wort und Tat das Volk erbauten, übernahmen sie einen ersten Konvent63, in dem sie innerhalb von sechs Monaten eine zahlreiche Menge von Priestern und Klerikern in den Orden aufnahmen und diese in den Regeln des Ordens, wie sie aus dem Mund des heiligen Dominikus gelehrt worden waren, unterwiesen. Nachdem sie dort den Bruder Hermann zurückgelassen hatten,

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uenerunt64,

Cracouiam ubi a canonicis, clero et populo honorifice recepti sunt. Quibus sanctus Iazccho literas papales et epyscopales65 domini Yuonis protulit, ut parrochiam sancte Trinitatis, ubi nunc est conuentus fratrum predicatorum ­absque mora et contradicione sibi deputarent. Quod Domino cooperante omnes unanimiter tam clerus quam uulgus devota mente impleuerunt et cum multis sumptibus in eodem loco in honorem sancte trinitatis claustrum fratribus predicatoribus edificauerunt.66 Anno Domini MCCXVIIo. 4. De austeritate uite sancti Iazcchonis. Felix Iazccho uite sue asperitatem tamquam a fonte originali a beato Dominico sumpsit. Inerat enim ei cordis humilitas, uirginalis puritas, Dei et proximi feruens caritas: tantis enim affluebat caritatis uisceribus, ut, ubicumque uidit afflictos uel plorantes, se continere non poterat, quin ymbrem lacrimarum emitteret, et in oratione fusis lacrimis pro eis diuinam clemenciam implorabat. Erat enim ei in eccle­ sia pernoctandi creberrima consuetudo, ut vix aut raro certum ad quiescendum locum haberet, et lassatis membris ante altare super lapidem67 aut super terram nudam capite reclinato paululum quiescebat, corpusque suum corrigiis nodosis usque ad sanguinis effusionem singulis noctibus affligebat. Feriis sextis et uigiliis beate Uirginis et apostolorum in pane et aqua ieiunabat totumque tempus uite sue Deo mancipauerat: semper enim aut studebat, aut predicabat, aut confessiones audiebat, aut orabat, aut infirmos uisitando verbo et exemplo proximum edificabat. 64  Der Krakauer Bischofskatalog und die Annalen der Krakauer Dominikaner datieren die Ankunft in Krakau in das Jahr 1222; als Begleiter Jaceks nennen sie zudem statt Czesław Heinrich den Mährer („frater Henricus Moravus“); Catalogi episcoporum (wie Anm. 3), S. 59. 65  Damit dürfte Stanisław die Empfehlungsbulle Papst Gregors IX. vom 26. August 1227 und die Urkunde Bischof Iwos vom 28. September 1227 vor Augen gehabt haben; die Bulle im Archiv der polnischen Dominikaner in Krakau, Dok. Perg. 1; die Urkunde Bischof Iwos in Codex ­diplomaticus Poloniae. Tomus I, hrsg. von Leon Rzyszczewski/Antoni Muczkowski, Varsaviae 1847, Nr. 18; dazu Tomasz Gałuszka/Maciej Zdanek, ‚Krakowskie‘ bulle rekomendacyjne Grzegorza IX a początki dominikanów polskich [Die ‚Krakauer‘ Empfehlungsbulle Gregors IX. und die Anfänge der polnischen Dominikaner], in: SŹ 44 (2007), S. 49–65, bes. S. 59–60. 66  Nach den um die Mitte des 13. Jahrhunderts zusammengestellten Annalen des Krakauer Domkapitels wurde dem Orden die Dreifaltigkeitskirche 1222 übertragen; Annales Cracovienses priores cum kalendario, hrsg. von Zofia Kozłowska-Budkowa, in: MGH SN 5, Warszawa 1978, S. 73; so auch der Krakauer Bischofskatalog und die Annalen der Krakauer Dominikaner, die von einer „ecclesia lignea“ sprechen; Catalogi episcoporum und Rocznik krasińskich (wie Anm. 3). Der hölzerne Bau musste offenbar erneuert oder durch einen Steinbau ersetzt und zudem auch ein Wohngebäude errichtet werden, so dass sich die Errichtung und Ausstattung des Klosters einige Zeit hinzogen; erst im September 1227 erfolgte die förmliche urkundliche Übertragung; vgl. die entsprechende in Anm. 65 genannte bischöfliche Urkunde. 67  B. Jordanis Libellus (wie Anm. 59), S. 75.

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Krakau64,

kamen der heilige Jacek und der heilige Czesław nach wo sie von den Kanonikern, dem Klerus und dem Volk ehrenvoll aufgenommen wurden. Diesen zeigte der heilige Jacek päpstliche Briefe und die bischöflichen65 des Herren Iwo, damit sie ihnen die St. Trinitatis-Pfarre, wo sich heute der Konvent der Predigerbrüder befindet, ohne Verzug und Widerspruch überließen. Mit Hilfe des Herrn erfüllten dies alle, der Klerus ebenso wie das Volk, einmütig und mit frommem Geist und sie erbauten den Predigerbrüdern mit viel Aufwand an ebendiesem Ort zu Ehren der heiligen Dreifaltigkeit ein Kloster.66 Im Jahr des Herrn 1217. 4. Über die strenge Lebensführung des heiligen Jacek. Der gesegnete Jacek empfing die Härte seiner Lebensführung wie aus der ursprünglichen Quelle, [nämlich] vom heiligen Dominikus. Denn er besaß eine Herzensdemut, eine Reinheit des Unschuldigen, eine brennende Gottes- und Nächstenliebe: So sehr erfüllte Barmherzigkeit sein Inneres, dass er, wo immer er Unglückliche und Trauernde sah, nicht an sich halten konnte, ja einen Regen von Tränen verströmte. Und nachdem er seine Tränen vergossen hatte, erflehte er im Gebet für sie göttliche Milde. Er hatte nämlich die Gewohnheit, sehr oft in der Kirche die Nacht zu übernachten, so dass er kaum oder selten einen Ort zum Ruhen hatte. Und so ruhte er seine erschlafften Glieder vor dem Altar nur ein wenig aus, indem er seinen Kopf auf einen Stein67 oder auf die nackte Erde zurücklehnte; und seinen Körper geißelte er in jeder Nacht mit knotigen Riemen bis das Blut hervorströmte. An Samstagen und an den Vigilien [= Vorabenden der Feste] der heiligen Jungfrau [Maria] und der Apostel fastete er bei Brot und Wasser und die gesamte Zeit seines Lebens stellte er in Gottes Dienst. Denn stets studierte er oder predigte oder nahm Beichten ab oder betete oder besuchte Kranke [oder] erbaute seine Nächsten mit Wort und Tat.

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5. Quomodo beata Uirgo apparuit sancto Iazcchoni in oracione uigilanti. Sanctus Jazecho in oracione positus in uigilia assumpcionis Uirginis Marie68, ante altare eiusdem in ecclesia Cracouiensi fratrum predicatorum, raptus duplici contemplacione de eius mirabili et gaudiosa assumpcione, dum deuocius et cum lacrimis oraret, uidit lucem premaximam super altare descendentem, in qua Uirgo benedicta sibi appropinquans69, dixit ad eum: Fili Iazccho, gaude, quia oraciones tue grate sunt in conspectu filii mei Saluatoris, et quidquid pecieris per me, apud eum inpetrabis. Hiis dictis cum luce et melodia angelica discessit ad celum. De qua uisione et allocucione uir sanctus Iazccho per nimium consolatus, quidquid a Deo petebat, fiducialiter impetrabat. Quam uisionem sub secreto reuelauit fratri Floriano et fratri Godino, eos inuitando ad ampliorem deuocionem Uirginis gloriose, dicens eam esse protectricem et consolatricem specialem filiorum beati Dominici. 6. Quomodo sanctus Iazcho domicellum Petrum suscitauit a morte. In die translacionis sancti Stanislay, qui est patronus Polonie, contigit sanctum Iazcchonem iter facere ad locum […70] dicti patroni. Qui dum transiret Wandalum nauigio, eo quod aqua per nimium excreuerat, inuenit in litore multitudinem hominum nobilium et simplicium plangencium super corpus cuiusdam nobilis, nomine Petri, de uilla, que uulgariter dicitur Prosowo71, qui raptu fluuii de equo submersus fuerat. Quem cum uidisset mater submersi, domina Falislaua, eo quod nouerat uitam eius sanctam et conuersacionem Deo gratam, procidit ad pedes cum lacrimis dicens: Homo Dei, frater Iazccho, scio te esse seruitorem Dei deuotum et plenum pietate ac misericordia. Vide nunc meam miseriam, quia unicum filium habui, quem nunc mortuum uideo. Quid nunc misera faciam, quia orbata sum marito et filio karissimo? Tunc sanctus Iazccho, misericordia motus, qua affluebat, profusis lacrimis descendens a multitudine flexis genibus orauit, et reuersus ad corpus dixit ad matrem defuncti: filia Falislaua, quando submersus est filius tuus? Respondit: heri hora uespertina, sed primo hodie inuentus est; ideo, dilecte pater, consolemini me miseram. Tunc sanctus Iazccho, accedens ad corpus, accepit manum defuncti et dixit: Petre, dominus Ihesus Christus, cuius gloriam ego predico, per intercessionem uirginis Marie restituat te uite pristine. Qui statim surreMarie nach BA statt mane bei Ćwikliński. In C: sibi a propriis. 70  In C hier eine Lücke; vielleicht war der Geburtsort des Stanisław gemeint. Kętrzyński, Dodatek (wie Anm. 30), S. 1021 liest die Stelle trotz der in C erkennbaren Lücke gestützt auf die von Aleksander Przezdziecki gefertigte Abschrift von C: „ad locum dictum Prossovo“; P hat hier: „ad locum oppidi dicti Proszowo.“ 71  Wahrscheinlich das 40 km östlich von Krakau, 2 km nördlich von Bochnia gelegene Dorf Proszówki. 68  69 

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5. Wie die heilige Jungfrau [Maria] dem heiligen Jacek im Nachtgebet erschien. Als sich der heilige Jacek in der Vigil vor Maria68 Himmelfahrt [14. August] zum Gebet aufgestellt hatte und vor ihrem Altar in der Krakauer Kirche der Predigerbrüder von einer zweifachen Betrachtung ihrer wunderbaren und freudigen Himmelfahrt ergriffen wurde, während er fromm und mit Tränen betete, da sah er auf dem Altar ein sehr helles Licht niedergehen, in dem sich ihm die gebenedeite Jungfrau näherte69 und zu ihm sprach: „Mein Sohn, Jacek, freue dich, weil deine Bitten in den Augen meines Sohnes, des Erlösers, Gnade finden und was auch immer du durch mich erbittest, das wirst du bei ihm erlangen.“ Nach diesen Worten entschwand sie mit dem Licht und einer Engelsmelodie in den Himmel. Durch diese Vision und Ansprache war der heilige Mann Jacek überaus ermutigt und was auch immer er von Gott erbat, erlangte er zuversichtlich. Diese Vision offenbarte er insgeheim dem Bruder Florian und dem Bruder Godinus und lud sie ein, die ruhmreiche Jungfrau noch stärker zu verehren, indem er ihnen sagte, sie sei eine besondere Beschützerin und Trösterin der Söhne des heiligen Dominikus. 6. Wie der heilige Jacek den jungen Herrn Peter vom Tod auferweckte. Am Festtag der Translation des heiligen Stanisław [27. September], der der Schutzpatron Polens ist, trug es sich zu, dass der heilige Jacek zum Ort […70] des besagten Schutzpatrons aufbrach. Während er auf einem Schiff die Weichsel überquerte, weil das Wasser sehr stark anschwoll, sah er am Ufer eine Menge adliger und einfacher Leute, die über dem Körper eines Adligen namens Peter wehklagten, der aus dem Dorf kam, das volkssprachlich Prosowo71 genannt wurde, und der durch die Gewalt des Flusses vom Pferd [gerissen worden und] ertrunken war. Als die Mutter des Ertrunkenen, die Herrin Falisława, ihn [Jacek] sah, fiel sie ihm, weil sie sein heiligmäßiges Leben und seinen Gott willkommenen Lebenswandel kannte, unter Tränen zu Füßen und sprach: „Mann Gottes, Bruder Jacek, ich weiß, dass du ein ergebener Diener Gottes und voller Frömmigkeit und Mitleid bist. Sieh nun mein Unglück, weil ich [nur] einen einzigen Sohn gehabt habe, den ich nun tot sehe. Was soll ich Unglückliche nun tun, da ich meines Gatten und meines teuersten Sohnes beraubt bin?“ Daraufhin kniete der heilige Jacek von Mitleid bewegt, das [ihn] überströmte, tränenvergießend nieder und betete von der Menschenmenge aus mit gebeugten Knien. Zum Leichnam gewandt fragte er die Mutter des Verstorbenen: „Meine Tochter Falisława, wann ist dein Sohn ertrunken?“ Sie antwortete: „Gestern zur Abendstunde, aber er wurde erst heute gefunden; daher, geliebter Vater, tröstet mich Unglückliche.“ Darauf trat der heilige Jacek an den Leichnam heran, nahm die Hand des Verstorbenen und sprach: „Peter, der Herr Jesus Christus, dessen Ruhm ich verkünde, möge dich durch die Vermittlung der Jungfrau Maria in dein früheres Leben zurückführen.“ Dieser erhob sich sogleich und dankte Gott und

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xit, gratias Deo agens et famulo suo sancto Iazcchoni. Hoc miraculum protestati sunt, qui oculis suis uiderunt, uidelicet: domnus Lasotha72 miles, domnus Zegotha pincerna73, domnus Prandotha decanus ecclesie cathedralis74 et domnus Philippus canonicus eiusdem ecclesie et multitudo innumerabilis utriusque sexus. Anno Domini MoCCoXXIo.75 7. Quomodo sanctus Iazccho curauit paraliticam uiuus existens. Quedam nobilis domna Iutta nomine de Coscheletz76, percussa paralisy in lingua ita, quod nec loqui, nec aliquod uerbum formare poterat, habuitque filium nomine Prandotam, qui naturali affectu matri compaciens, non modicam pecuniam in medicis consumpsit. Sed non proficientibus medicis, et humano adiutorio deficiente, matrem paraliticham ad sanctum Iazcchonem, cuius sanctitatis famam audiuerat, in Cracouiam deduxit, uocatoque beato viro Iazcchone dixit: o felix Iazccho, ecce filiam tuam, matrem meam ad te adduxi, que nec loqui, nec uerbum formare nequit iam amplius quam sex septimanis, propter quod obsecro, ut eam per tuam intercessionem adiuues. Tunc dixit sanctus uir: Filia mea Iutta, dominus Ihesus Christus liberet te ab hac infirmitate et restituat tibi modulos loquele. Et statim solutum est uiuculum lingue eius, et cepit diserte loqui, benedicens Deum, qui talia operatur per sanctos suos. Huic curationi interfuit frater Petrus, frater Florianus et seculares multi, videlicet dominus Prandotha filius eiusdem domne, et domnus Andreas germanus supradicte domne, et domna Katherina cum multis nobilibus ac simplicibus. Anno Domini MCCXXII in crastino sancte Trinitatis.77

Lasota nach BA statt Iasotha bei Ćwikliński; möglicherweise identisch mit dem für 1271– 1272 belegten Kastellan von Sandez; UM, Nr. 1020. 73  Żegota Zakliczyc aus dem Geschlecht der Topory war 1271–1276, zum Zeitpunkt der Aufzeichnung des Wunders, Krakauer Mundschenk und fungierte von 1282 bis 1302 als Wojewode und Kastellan von Krakau; UM, Nr. 88, 452, 456. 74  Für die Jahre 1268–1277 ist als Dekan der Krakauer Kathedrale ein Gerhard bezeugt, während ein Dekan namens Prandota in den Quellen sonst nicht begegnet; vielleicht liegt hier eine Verwechslung mit dem Amt des Krakauer Erzdiakons vor, das 1238–1242 vom späteren Bischof Prandota ausgeübt wurde, womit das Wunder selbst in diese Jahre datiert werden könnte. 75  Loenertz, La vie (wie Anm. 25), S. 13 datiert das Geschehen in das Jahr 1241. 76  Es bleibt unklar, welches Kościelec hier gemeint war; Gałuszka/Zdanek (wie Anm. 35) verweisen auf das 38 km östlich von Krakau gelegene Dorf Kościelec. 77  Das wäre im Jahr 1222 der 30. Mai gewesen; Loenertz, La vie (wie Anm. 25), S. 13 geht allerdings vom Jahr 1242 aus, in dem der Tag nach dem Dreifaltigkeitsfest auf den 16. Juni fiel. 72 

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seinem Diener, dem heiligen Jacek. Öffentlich bezeugt haben dieses Wunder, die es mit eigenen Augen gesehen haben, nämlich: der Herr Ritter Lasota72, der Herr Untermundschenk Żegota73, der Herr Prandota, Dekan der Kathedralkirche74, und Herr Philipp, Kanonikus derselben Kirche, sowie eine unzählbare Menge [von Leuten] beiderlei Geschlechts. Im Jahre des Herrn 1221.75 7. Wie der heilige Jacek noch zu Lebzeiten einen Gelähmten heilte. Eine gewisse adlige Herrin namens Jutta aus Kościelec76 war durch eine Lähmung der Zunge so geschlagen, dass sie weder sprechen noch ein Wort bilden konnte. Sie hatte einen Sohn namens Prandota, der durch seine natürliche Zuneigung Mitleid mit der Mutter hatte und daher nicht wenig Geld für Ärzte ausgab. Aber da die Ärzte keinen Erfolg hatten und menschlicher Beistand nichts ausrichtete, führte er die gelähmte Mutter nach Krakau zum heiligen Jacek, von dessen Heiligkeit er gehört hatte. Und nachdem man den heiligen Mann Jacek gerufen hatte, sagte er [zu ihm]: „Oh, gesegneter Jacek, siehe, ich habe deine Tochter, meine Mutter zu dir geführt, die schon seit mehr als sechs Wochen weder sprechen noch ein Wort bilden kann, weshalb ich [dich] anflehe, ihr durch deine Vermittlung zu helfen.“ Darauf sagte der heilige Mann: „Meine Tochter Jutta, der Herr Jesus Christus möge dich von dieser deiner Krankheit befreien und dir die Melodien der Sprache zurückgeben.“ Und sogleich war die Fessel ihrer Zunge gelöst und sie begann wohlgeordnet zu sprechen, wobei sie Gott pries, der Solches durch seine Heiligen bewirkt. Bei dieser Heilung waren der Bruder Peter, der Bruder Florian und viele Weltliche zugegen, nämlich: der Herr Prandota, der Sohn dieser Herrin, der Herr Andreas, der Bruder der besagten Herrin, und die Herrin Katherina mit vielen adligen und einfachen Leuten. Im Jahre des Herrn 1222 am Tag nach Trinitatis.77

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8. Quomodo sanctus Iazccho uiuus existens sanauit domnam. Quedam domna egritudine mortali percussa, deuenit usque ad extremam horam, et desperans de humano adiutorio sanctum Iazcchonem ad se uocavit, petens cum lacrimis, ut sibi manus inponeret. Qui cum uenisset ad eam, dixit ei: o felix Iazccho, ecce iam morior, si oratio tua non proficiet mihi ad salutem, propter quod rogo, ut orando manum tuam inponas capiti meo. Tunc sanctus uir manum suam inposuit orando super caput eius, et statim curata est et reducta a portis mortis, et restituta perfecte sanitati. Hoc miraculum uiderunt frater Florianus et frater Godinus, domnus Pribisslaus miles78, domna Dyrsislaua et Sanczislaua79 et multi alii fide digni. Anno Domini MoCCoXXII, in die beati Ieronimi.80 9. Quomodo sanctus Iazeco venit Kygiouiam et fratrem Cesslaum misit in ­Pragam. Anno Domini MCCXXII.81 Sanctus Iazccho misit fratrem Cesslaum in Bohemiam, qui cum eo82 a beato Dominico receptus ad ordinem fuerat et in Poloniam missus. Qui veniens ad civitatem Pragensem, cum fratre Ieronimo conuentum in honorem sancti Clementis receperunt, ubi nunc sunt fratres predicatores.83 Deinde uenientes in Wraceslauiam, in honorem sancti Adalberti claustrum predicatorum edificauerunt84, ibique frater Cesslaus innumeris85 prodigiis corruschans felici fine86 quieuit. Sanctus uero Iazccho ad origentem progrediens, seminando fructum uite, cuius precho erat feruentissimus, uenit in Masouiam ad ciuitatem, que uulgariter Vyssegroth87 dicitur, ubi tunc temporis Wandalus pernimium exuberauerat, nullamque nauem vel nautam inueniens, destitutusque humano auxilio,

78  Ein Ritter Przybysław begegnet auch in Kap. 18, 35, 39 und 42 als Zeuge, wobei er in Kap. 35 als Bruder der Bogusława von Proszowice bezeichnet wird; ob es sich um eine oder mehrere Personen gehandelt hat, lässt sich nicht sagen. 79  Nach BA statt Ianczislaua bei Ćwikliński. 80  Auch hier ist wohl vom Jahr 1242 auszugehen. 81  Loenertz, La vie (wie Anm. 25), S. 13 datiert das Wunder in das Jahr 1229. 82  Eo von Ćwikliński als eigener Zusatz gekennzeichnet, doch so auch in P und BA. 83  Der Dominikanerkonvent an der Prager Clemens-Kirche wurde 1226 begründet. 84  Der Dominikanerkonvent bei der Adalberts-Kirche, die bis dahin als Pfarrkirche der frühstädtischen Breslauer Kaufmannssiedlung auf dem linken Oderufer diente, wurde ebenfalls 1226 begründet; die Pfarrfunktion wurde an Maria Magdalena-Kirche übertragen; SUB I, Nr. 266. 85  In P und BA: miris. 86  In BA: felisissime. Czesław soll u. a. die Stadt Breslau 1241 auf wundersame Weise vor den Tataren gerettet haben, weshalb er als Schutzheiliger der Stadt verehrt wurde; vgl. oben Anm. 60. 87  In K: Wissegrod; der Ort liegt am nördlichen Weichselufer, 37 km südöstlich von Płock, 8 km westlich der Prämonstratenserabtei Czerwińsk.

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8. Wie der heilige Jacek zu Lebzeiten eine Frau heilte. Eine gewisse Herrin, die mit einer tödlichen Krankheit geschlagen war, gelangte an ihre letzte Stunde und rief, da sie die Hoffnung auf menschlichen Beistand aufgegeben hatte, den heiligen Jacek zu sich. Mit Tränen bat sie ihn, ihr die Hände aufzulegen. Als er zu ihr gekommen war, sagte sie ihm: „Oh, gesegneter Jacek, siehe, ich sterbe bereits, wenn dein Gebet mir nicht Rettung bringen wird; daher bitte ich dich, im Gebet deine Hand auf mein Haupt zu legen.“ Daraufhin legte der heilige Mann seine Hand zum Beten auf ihr Haupt und sogleich war sie geheilt, wurde von den Toren des Todes zurückgeführt und in vollständiger Gesundheit wiederhergestellt. Dieses Wunder sahen der Bruder Florian und der Bruder ­Godinus, der Herr Ritter Przybysław78, die Herrin Dierżysława und Sączysława79 und viele andere glaubwürdige [Zeugen]. Im Jahre des Herrn 1222 am Tage des heiligen Hieronymus [30. September].80 9. Wie der heilige Jacek nach Kiew kam und den Bruder Czesław nach Prag schickte. Im Jahre des Herrn 1222.81 Der heilige Jacek schickte den Bruder Czesław, der mit ihm zusammen82 vom heiligen Dominikus in den Orden aufgenommen und nach Polen geschickt worden war, nach Böhmen. Als dieser mit dem Bruder Hieronymus in die Stadt Prag kam, übernahmen sie ein Kloster zu Ehren des heiligen Clemens, wo jetzt die Predigerbrüder sind.83 Alsdann gingen sie nach Breslau und errichteten ein Kloster der Prediger[brüder] zu Ehren des heiligen Adalbert84; dort gelangte der durch eine große Zahl85 von Wundern ausgezeichnete Bruder Czesław an ein glückliches Ende.86 Der heilige Jacek aber zog weiter nach Osten, um die Frucht des Lebens zu säen, dessen glühendster Verkünder er war. Er kam nach Masowien in eine Stadt, die volkssprachlich Wyszogród87 genannt wird, wo damals die Weichsel Hochwasser führte. Und da er weder ein Schiff, noch einen

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dixit ad fratres, qui cum eo erant, videlicet frater Florianus, frater Godinus et frater Benedictus: oremus omnipotentem Deum, cui celum et terra, mare et fontes aquarum obediunt, ut nos transire faciat istum fluuium. Oratione igitur facta et signo crucis inpresso in Uandalum, dixit ad socios: sequamini in nomine Christi uestigia mea. Et processit sicco calcaneo per undas aquarum. Cuncti88 fratres socii sui non presumpserunt sequi uestigia eius, ipse uero conuersus ad eos, deposita capa super undas, eamque expandens dixit ad fratres: modo, karissimi filii, iste sit pons Ihesu Christi, super quem in nomine eius transeamus per hanc aquam ­nimiam. Et transierunt sancto Iazcchone cappam, super quam erant, dirigente uersus ciuitatem. Quod uidentes homines admirati sunt, benedicentes Dominum, qui mirabilia in Sanctis suis operatur. Quod miraculum narrauerunt et scripserunt supradicti tres fratres. Anno Domini MoCCoXXIIo.89 Venit sanctus Iazccho cum sua societate, videlicet fratre Godino et fratre Floriano et fratre Benedicto in Kyiow, ubi uerbum uite disseminando et multis prodigiis ac miraculis corruscando in eadem ciuitate conuentum in honorem Uirginis gloriose fratrum predicatorum recepit90, ibique quatuor annis moram fecit, et numerosam multitudinem sacerdotum ac clericorum ad ordinem recepit. Quinto uero anno inchoante, iter uersus Cracouiam arripuit, dimissoque91 fratre Godino in Kiyow, uenit in Gdansk, ubi uerbum uite fructifere disseminans et miraculis quam plurimis confirmans, plures ad ordinis ingressum prouocauit, relinquensque eis fratrem Benedictum et conuentu fratrum predicatorum in eodem loco recepto92, in Cracouiam cum fratre Floriano reuersus est.

In P und BA: Tunc. Vor der Jahresangabe findet sich in K zusätzlich die Überschrift: „Quomodo sanctus ­Yaczko sicco calcaneo petransiuit Wandalum cum fratribus et recipit conuentum in Kyyow et alium in Gdanczk ordinem fratrum predicatorum“ („Wie der heilige Jacek mit den Brüdern trockenen Fußes die Weichsel überquert und in Kiew einen Konvent und einen anderen Orden der Predigerbrüder in Danzig aufgenommen hat“). 90  Bereits im 12. Jahrhundert war in der Kiewer Unterstadt (Podol) ein von irischen Mönchen aus Regensburg und Wien besetztes Kloster entstanden; dieses so genannte Schottenkloster wurde 1228/29 von den mit Jacek nach Kiew gekommenen oder dort von ihm rekrutierten Predigermönchen übernommen, bis die ‚Dominikaner‘ 1233 vom Kiewer Großfürsten vertrieben wurden. 91  K ergänzt: ibi. 92  Herzog Swantopolk II. von Pommerellen veranlasste am 22. Januar 1227 urkundlich, den Dominikanern in Danzig die Nikolai-Kirche zu übertragen; Pommersches Urkundenbuch, Bd. 1: 786–1253, 2. Aufl. neu bearb. von Klaus Conrad, Köln/Wien 1970, Nr. 34. 88  89 

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Fährmann fand und die Hoffnung auf menschliche Hilfe verlor, sagte er zu den Brüdern, die bei ihm waren, nämlich Bruder Florian, Bruder Godinus und Bruder Benedikt: „Lasst uns den allmächtigen Gott, dem Himmel und Erde, das Meer und die Quellen der Gewässer gehorchen, bitten, dass er uns diesen Fluss überqueren lässt.“ Nachdem er gebetet und das Kreuzzeichen in Richtung Weichsel gemacht hatte, sprach er zu seinen Gefährten: „Folgt im Namen Christi [in] meiner Spur.“ Und er schritt trockenen Fußes durch die Wellen des Gewässers. Nicht alle88 seine Brüder-Gefährten wagten es, seiner Spur zu folgen; zu ihnen drehte er sich um, legte seinen Mantel auf die Wogen, breitete ihn aus und sprach zu den Brüdern: „Möge dies, teuerste Söhne, eine Brücke Jesu Christi sein, über die wir in seinem Namen dieses ungeheuer große Gewässer überqueren mögen.“ Und indem der heilige Jacek die Richtung wies, schritten sie über den Mantel, auf dem sie waren, der Stadt entgegen. Die Menschen, die das sahen, staunten und priesen den Herrn, der Wunderbares durch seine Heiligen wirkt. Dieses Wunder erzählten und beschrieben die drei obengenannten Brüder. Im Jahre des Herrn 1222.89 Der heilige Jacek gelangte mit seinen Kameraden, nämlich mit dem Bruder Godinus, dem Bruder Florian und dem Bruder Benedikt nach Kiew, wo er, um das Wort des Lebens zu verbreiten und durch viele Zeichen und Wunder zu glänzen, in ebendieser Stadt ein Kloster zu Ehren der ruhmreichen Jungfrau begründete.90 Und dort hielt er sich vier Jahre auf und nahm eine große Zahl von Priestern und Klerikern in den Orden auf. Zu Beginn des fünften Jahres aber brach er nach Krakau auf, ließ91 den Bruder Godinus in Kiew zurück und kam nach Danzig, wo er das Wort des Lebens fruchtbar aussäte, mit möglichst vielen Wundern bekräftigte und viele zum Eintritt in den Orden bewog. Er ließ ihnen den Bruder Benedikt und kehrte, nachdem [auch] ebendort ein Kloster der Predigerbrüder begründet worden war92, mit dem Bruder Florian nach Krakau zurück.

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10. Quomodo restituta sunt frumenta grandine percussa per orationem sancti Iazcchonis.93 Quedam domna nobilis, nomine Clemencia de uilla, que uulgariter dicitur ­Coschelecz94, cum magna deuocione sanctum Iazcchonem, qui eius erat confessor, ad supradictam uillam in festo sancte Margarethe95 inuitauit. Qui ueniens in uigilia eiusdem sancte, inuenit totius uille segetes grandine percussas, ita quod nihil96 penitus in campis nisi stramina et stipula concussa inueniebantur. Quem cum uidisset supradicta domna Clemencia, cum fletu dixit: O felix pater Iazccho, inuitaui te pro mea consolacione, nunc autem recipio te cum lacrimarum effusione, quia omnia, que habui in campis, sunt grandine concussa et anihilata. Et cum adhuc loqueretur, ecce multitudo uirorum ac mulierum de eadem uilla flentes et eiulantes coram sancto Iazcchone ceciderunt: O felix pater Iazccho, succurre nobis miseris, quia omnibus uictualibus per grandinem orbati sumus, et quod faciemus, nisi ut omnes fame moriamur? Sed quia scimus et pro certo audiuimus, quod Deus in omnibus te exaudit, idcirco succurre nobis flentibus. Qui uisis domne lacrimis et tante multitudinis totus perfusus lacrimis ait: Pater misericordiarum Deus, qui tribulatis succurrere consuevit, consulabitur uos. Ite igitur ad domos Vestras et ista nocte in orationibus uigilate. Mira res! mane surgentes in die sancte Margarethe inuenerunt omnes campos ad nominatam uillam pertinentes plenos annonis, tritico et aliis segetibus, ac si grandine numquam percussa fuissent. Tunc omnes uillani cum supradicta domna Deo gratias egerunt, qui per sanctum Iazcchonem tam mirabilia operatus est. Hoc miraculum uidit frater97 Florianus, domna Clemencia, domna Constancia soror eiusdem domne, domnus Gneuomirus et omnes incole eiusdem ville. Anno Domini MoCCo tricesimo VIIIo. 11. De prole obtenta oracione sancti Iaczechonis. Quedam nobilis domna nomine Felicia de Grussow98 XXti annis sterilis permansit, tandem ducta devocione uenit ad sanctum Iazcchonem, cuius erat filia confessionalis, et cum lacrimis dixit ad eum: Pater Iazccho, quid factura sum misera, quia despectui habet me maritus meus et tota parentela mea eo, quod sterilis permaneo et successore multarum hereditatum careo. Obsecro igitur tuam clementiam, ut digneris intercedere pro me peccatrice apud Altissimum, scio enim et firmiter K ergänzt: in die Margareth[e]. In K: Koscielecz; vgl. Anm. 76. 95  Der früher am 13. Juli begangene Festtag (heute 20. Juli) wurde zugleich als der Tag ­gefeiert, an dem die Ernte begann. 96  Nihil von Ćwikliński als eigener Zusatz gekennzeichnet, doch so auch in BA. 97  Nach BA statt pater bei Ćwikliński. 98  Dorf 36 km südöstlich von Krakau. 93  94 

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10. Wie das Getreide, das durch Hagelschlag zerstört worden war, durch ein Gebet des heiligen Jacek erneuert wurde.93 Eine gewisse adlige Herrin namens Klementia aus dem Dorf, das volkssprachlich Kościelec94 genannt wird, lud mit großer Ehrerbietung den heiligen Jacek, der ihr Beichtvater war, in das besagte Dorf zum Fest der heiligen Margareta95 ein. Als dieser zur Vorabendmesse ebendieser Heiligen kam, fand er die Saatfelder des gesamten Dorfes so stark von Hagel zerstört vor, dass man auf den Feldern fast nichts96 außer Stroh und zerrüttete Halme fand. Als die obengenannte Herrin Klementia ihn sah, sagte sie mit Wehklagen: „Oh, gesegneter Vater Jacek, ich habe dich zu meinem Trost eingeladen, nun aber empfange ich dich mit Tränen, weil alles, was ich auf den Feldern hatte, durch den Hagel zerstört und zunichte gemacht worden ist.“ Und als sie weitersprach, da kam eine Menge von Männern und Frauen aus ebendiesem Dorf und fielen weinend und klagend vor dem heiligen Jacek nieder: „Oh, gesegneter Vater Jacek, eile uns Unglücklichen zu Hilfe, weil wir durch den Hagel aller Lebensmittel beraubt worden sind, und was können wir tun, außer alle Hungers zu sterben? Weil wir aber wissen und mit Gewissheit gehört haben, dass Gott dich in allem erhört, deshalb komm uns Weinenden zu Hilfe.“ Als er die Tränen der Herrin und einer so großen Menge sah, brach er selbst in Tränen aus und sagte: „Der Vater der Barmherzigen, Gott, der es gewohnt ist, den Geplagten zu Hilfe zu eilen, wird euch trösten. Geht also in eure Häuser und wacht heute Nacht in Gebeten.“ Oh Wunder! Als sie morgens am Tag der heiligen Margarete aufstanden, fanden sie alle Felder, die zum genannten Dorf gehörten, voller Getreide, Weizen und anderer Saaten, so als wären sie nie vom Hagel zerstört worden. Daraufhin dankten alle Dorfbewohner und die besagte Herrin Gott, der durch den heiligen Jacek so Wunderbares gewirkt hat. Dieses Wunder sah[en] der Bruder97 Florian, die Herrin Klementia und ihre Schwester, die Herrin Konstanze, der Herr Gnewomir und alle Einwohner dieses Dorfes. Im Jahre des Herrn 1238. 11. Über eine durch ein Gebet des heiligen Jacek erlangte Nachkommenschaft. Eine gewisse adlige Herrin namens Felitia aus Gruszów98 blieb 20 Jahre lang unfruchtbar. Schließlich kam sie von ihrer Frömmigkeit geführt zum heiligen Jacek, dessen Beichttochter sie war, und sprach unter Tränen zu ihm: „Vater Jacek, was soll ich Unglückliche tun, da mich mein Ehemann und meine ganze Familie verachtet, weil ich unfruchtbar bleibe und des Erben einer großen Erbschaft entbehre? Daher erflehe ich deine Milde, mögest du dich herablassen, für mich Sünderin vor dem Höchsten einzutreten; denn ich weiß und glaube fest, dass du, was

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credo, quod, quicquid ab eo pecieris, impetrabis. Cui uir sanctus: Uade, filia Felicia, in domum tuam, ecce enim paries filium, ex cuius posteritate episcopi et multi barones generabuntur. Que omnia sunt adimpleta. Nam supradicta domna statim concepit et filium peperit, et ad sanctum Iacchonem in Cracouiam cum gratiarum accione ipsum attulit, et miraculum coram multis fide dignis protestata fuit, videlicet: fratre Floriano, fratre Clemente, domno Prandota99, domno Petro milite et multis aliis. Anno Domini MoCCoXLo. 12. Quomodo sanctus Iazccho duos cecos germanos illuminauit. In die translacionis beati Stanislay contigit sanctum Iazcchonem transire ad castrum ad predicandum uerbum Dei, et cum uenisset ad pedem montis, occurrit sibi quedam domna, Uitoslaua nomine, ducens in curru duos filios, quos simul pepererat cecos, et uiso uiro Dei procidit ad pedes eius cum lacrimis dicens: Homo Dei, frater Iazccho, respice oculo pietatis cordis meam desolacionem; nam septem anni sunt, quod peperi hos duos cecos filios, habentes ymagines deformatas, propter quod obsecro, ut digneris pro eis intercedere ad Dominum. Qui pietate compaciens, profusis lacrimis accedens ad eos [dixit]: Dominus Ihesus Christus, qui cecum natum illuminauit, ipse uobis beneficium oculorum impendat, et cruce signauit eos, et statim lumen oculorum receperunt. Huic miraculo interfuerunt100 frater Florianus socius eius, et domna Uitoslaua mater eorundem, domna Agnes soror eiusdem domne, domnus Petrus castellanus Cracouiensis101, domnus ­Segotha102 et multi alii fide digni. Anno Domini MoCCoXLoIIIIo. 13. Quomodo sanctus Iazccho domicellum Uisslaum a morte suscitauit. Quedam nobilis domna uidua, nomine Pribislaua, de uilla, que uulgariter dicitur Scrinka103, in festo beati Iacobi filium suum Uislauium, quem unicum habebat, pro sancto Iazcchone, cuius specialis erat filia, misit in Cracouiam; cui sanctus Iazccho: precede fili iter, cum ego in breui104 sequar te. Et dum precessisset, venit ad fluuium, qui uulgariter Raba dicitur, qui nocte precedenti et ipso die multum 99  Ob dieser Prandota mit dem in Kap. 7 genannten Sohn der Jutta aus Kościelec identisch war, lässt sich nicht sagen. 100  Nach BA statt interfuit bei Ćwikliński. 101  Ein Krakauer Kastellan Petrus ist weder um 1244 noch in den späten 1260–70er Jahren bezeugt; vielleicht handelte es sich um einen der für die Jahre 1270–1273 (UM, Nr. 448) und 1285–1289 (UM Nr. 453) belegten gleichnamigen Krakauer Wojewoden. 102  Wohl identisch mit dem in Kap. 6, 22, 28 und 47 als Zeuge auftretenden Żegota; vgl. Anm. 73. 103  Nach BA statt Serniki bei Ćwikliński; Skrzynka liegt 30 km südöstlich von Krakau. 104  Nach BA statt [breui] bei Ćwikliński.

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immer du von ihm erbittest, erlangst.“ Ihr antwortete der heilige Mann: „Tochter Felitia, geh nach Hause, denn siehe, du wirst einen Sohn gebären, aus dessen Nachkommenschaft Bischöfe und viele Barone hervorgehen werden.“ Dies alles hat sich erfüllt. Denn die obengenannte Herrin wurde sogleich schwanger und gebar einen Sohn. Diesen brachte sie selbst zum heiligen Jacek mit Danksagungen nach Krakau. Das Wunder wurde in Gegenwart vieler glaubwürdiger [Leute] öffentlich bezeugt, nämlich: [von] Bruder Florian, Bruder Klemens, dem Herrn Prandota99, dem Herrn Ritter Peter und vielen anderen [Zeugen]. Im Jahre des Herrn 1240. 12. Wie der heilige Jacek zwei blinde Brüder erleuchtete. Am Festtag der Translation des heiligen Stanisław [27. September] trug es sich zu, dass der heilige Jacek zur [Wawel-]Burg ging, um das Wort Gottes zu predigen. Als er an den Fuß des [Burg-]Berges kam, begegnete ihm eine gewisse Frau namens Witosława, die in einem Wagen zwei Söhne mit sich führte, die sie gleichzeitig blind geboren hatte. Als sie den Mann Gottes sah, fiel sie unter Tränen vor seine Füße und sagte: „Mann Gottes, Bruder Jacek, schau mit dem Auge der Frömmigkeit auf die Verzweiflung meines Herzens; denn es sind schon sieben Jahre vergangen, da ich diese beiden blinden Söhne mit entstellten Blicken geboren habe. Daher flehe ich dich an, mögest du dich herablassen, für sie beim Herrn einzutreten.“ Dieser trat von Mitleid ergriffen tränenüberströmt an diese heran [und sprach]: „Der Herr Jesus Christus, der den blind Geborenen erleuchtet hat, möge auch euch die Wohltat des Augenlichtes zu Teil werden lassen.“ Und er versah sie mit dem Zeichen des Kreuzes und sogleich empfingen sie das Augenlicht. Bei diesem Wunder war[en] zugegen100 der Bruder Florian, sein Gefährte, und die Herrin Witosława, die Mutter dieser [beiden Jungen], die Herrin Agnes, ihre Schwester, der Herr Peter, der Kastellan von Krakau101, der Herr Żegota102 und viele andere glaubwürdige [Zeugen]. Im Jahre des Herrn 1244. 13. Wie der heilige Jacek den jungen Herrn Wisław vom Tod auferweckte. Eine gewisse adlige Herrin, eine Witwe namens Przybysława aus dem Dorf, das volkssprachlich Skrzynka103 genannt wird, schickte am Fest des heiligen Jakob [25. Juli] den einzigen Sohn, den sie hatte, Wisław, um den heiligen Jacek, dessen besondere Tochter sie war, nach Krakau; zu diesem sagte der heilige Jacek: „Geh, mein Sohn, voran, während ich dir in Kürze104 folgen werde.“ Und als er vorausgegangen war, kam er an einen Fluss, der volkssprachlich Raba genannt wird [und]

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inundauerat. Dum transire uellet fluuium cum suo armigero, aque impetuositas ipsum de equo deiecit, et non ualens resistere submersus est. Tunc armiger eius vix euadens, ad matrem submersi ueniens, lamentabiliter mortem filii eius nunciauit. Que lacrimis perfusa, repentino cursu cum aliis dominabus ac multis mulieribus ac uiris ad ripam fluuii, ubi submersus [est] filius eius, uenit, et dum maternis uisceribus dolorose clamaret et lamentabiliter eiularet, ecce uir Dei, sanctus Iazccho cum fratre Clemente ueniebat, et nauigio transiens uenit ad ripam, ubi filia eius domna Pribisslaua cum multitudine mulierum ac uirorum lamentabatur mortem filii. Quem cum uidisset, procidit ad pedes eius cum lacrimis ac maternis eiulatibus dicens: O felix pater Iazccho, unicum filium meum Uisslaum, quem habui, pro te misi, et ecce in reditu, in hoc loco submersus est. Quid faciam ergo, quia nec maritum nec filium habeo, et lumen oculorum meorum extinctum uideo? Tunc sanctus Iazccho lacrimis perfusus, discedens paululum flexis genibus orauit, et cum ab oratione surrexisset, ecce corpus defuncti contra inpetum aque diuina uirtute dirigente, ad litus applicuit, quod extrahentes [ante pedes sancti locauerunt. Tunc105] cepit mater cum aliis dominabus et cum omni multitudine, que aderat, altis uocibus personare: O felix Iazccho, reddidisti mortuum, nunc redde et uiuum. Tunc uir Dei, accedens ad corpus dixit: fili Uisslaue, Dominus Ihesus Christus, cui omnia uiuunt, ipse te uiuificet, et statim surrexit. Quod miraculum factum est, presentibus hiis: domno Marcho106 milite et domno Paulo milite et domicello Andrea fratribus supradicte domne, et domna Felicia cum multis aliis utriusque sexus. Anno Domini M0CC0LVII0. 14. De transitu sancti Iaczchonis ex hac luce Sanctus igitur Iazccho post labores dyuturnos, quos circa salutem animarum operatus fuerat, et post multorum miraculorum operacionem, diuina raptus dulcedine, toto mentis desiderio concupuit dissolui, et esse cum Christo.107 Quod quidem cum lacrimis in oratione positus deuotissime postulabat atque desiderium suum pater misericordiarum108, qui eum sibi ab eterno [dignum famulum] previderat, dignatus est exaudire et terminum uite sue sibi reuelauit. Ideo in crastino beati Dominici109 patris sui corporis alteracionem incurrit sicque infirmitate inualescente in uigilia assumpcionis Uirginis gloriose110 conuocatis senioribus fratribus conuentus Cracouiensis, ait: Ego, inquit, filii carissimi, Domino me uocante

105  106  107  108 

Von Ćwikliński nach Severinus Cracoviensis, De vita (wie Anm. 38), S. 44 ergänzt. In BA: domino Maczko. Phil 1, 23. Misericordiam von Ćwikliński als eigener Zusatz gekennzeichnet, doch so auch in P und

BA. 109  110 

Da der heilige Dominikus am 4. August gefeiert wird, der 5. August. Da die Jungfrau Maria am 15. August gefeiert wird, der 14. August.

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der in der vorausgegangenen Nacht und am Tag selbst stark angeschwollen war. Als er den Fluss mit seinem Waffenträger überqueren wollte, warf ihn die Gewalt des Wassers vom Pferd und er ertrank, da er nicht stark genug war, Widerstand zu leisten. Daraufhin kam sein Waffenträger, der nur mit Mühe entkam, zur Mutter des Ertrunkenen und meldete wehklagend den Tod ihres Sohnes. Diese brach in Tränen aus und eilte zusammen mit anderen Damen und vielen Frauen und Männern raschen Schritts zum Ufer des Flusses, wo der Sohn ertrunken war. Und während sie aus tiefstem Mutterleibe schmerzerfüllt schrie und jämmerlich heulte, siehe, da kam der Mann Gottes, der heilige Jacek mit dem Bruder Klemens in einem Boot [über den Fluss] setzend an das Ufer, wo seine Tochter, die Herrin Przybysława mit der Menge der Frauen und Männer den Tod des Sohnes bejammerte. Als sie ihn sah, fiel sie vor seine Füße und sprach mit Tränen und mütterlichem Klagen: „Oh, gesegneter Vater Jacek, ich habe den einzigen Sohn, den ich hatte, Wisław, geschickt, um dich [zu holen] und siehe auf dem Rückweg ist er an dieser Stelle ertrunken. Was also soll ich tun, da ich [jetzt] weder einen Ehemann noch einen Sohn habe und das Licht meiner Augen erloschen sehe?“ Daraufhin brach der heilige Jacek in Tränen aus, trat ein wenig zur Seite und betete mit gebeugten Knien. Und als er sich vom Gebet erhob, siehe, da trieb der Leichnam des Verstorbenen von göttlicher Kraft gelenkt gegen die Strömung des Wassers ans Ufer. Man zog ihn heraus [und legte ihn vor die Füße des Heiligen. Daraufhin105] begann die Mutter zusammen mit den anderen Damen und der ganzen anwesenden Menge mit lauten Stimmen auszurufen: „Oh, gesegneter Jacek, du hast ihn tot zurückgegeben, nun gib ihn auch lebendig zurück.“ Da trat der Mann Gottes an den Leichnam heran und sprach: „Mein Sohn Wisław, der Herr Jesus Christus, für den alle leben, er selbst möge dich wiederbeleben“, und sogleich erhob er sich. Dieses Wunder geschah in Anwesenheit dieser [Zeugen]: des Herrn Ritters Markus106, des Herrn Ritters Paul und des jungen Herrn Andreas, der Brüder der obengenannten Herrin, und der Herrin Felitia und vieler anderer [Zeugen] beiderlei Geschlechts. Im Jahre des Herrn 1257. 14. Über das Hinscheiden des heiligen Jacek aus dieser Welt. Der heilige Jacek also wünschte nach langen Mühen, die er für das Heil der Seelen auf sich genommen hatte, und nach Vollbringung zahlreicher Wunder, erfasst von der göttlichen Wonne, mit der ganzen Sehnsucht seines Geistes sich abzuscheiden und bei Christus zu sein.107 Das hat er unter Tränen im Gebet tatsächlich überaus ehrerbietig verlangt. Und dem Vater der Barmherzigkeit108, der ihn sich seit Ewigkeit [als einen würdigen Diener] ausersehen hatte, gefiel es, seinen Wunsch zu erhören und er offenbarte ihm das Ende seines Lebens. Daher trat am Tag nach dem Festtag des heiligen Dominikus109, des Vaters, eine Veränderung seines Körpers ein. Und als so die Schwäche [seines Körpers] zunahm und die älteren Brüder des Krakauer Konvents zur Vigil vor Maria Himmelfahrt110 versammelt waren, sprach er [zu ihnen]: „Morgen werde ich, meine geliebten Söhne, da der Herr mich

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transiturus sum die crastina ex hac luce, ideo ea, que ex ore patris nostri beati Dominici audiui, uobis relinquo, ut humilitatem seruetis, caritatem mutuam habe­ atis et paupertatem uoluntariam possideatis. Hoc enim est testamentum111 eterne hereditatis. In crastino igitur, in die assumpcionis Genetricis Dei, oris canonicis deuote completis et sacramentis sincerissime perceptis, ora quasi nona, circum­ stantibus fratribus flentibus et deuote orantibus, erectis in celum manibus, prorumpens cum lacrimis in psalmum: „In te, Domine, speraui“112, cum dixisset: „In manus tuas commendo spiritum meum“113, tradidit felicem animam in manus sanctorum angelorum, qui ei sepius apparuerant, dum adhuc mortaliter uiueret. Sepultus autem est per domnum Prandotam episcopum Cracouiensem et per multitudinem cleri ac populi utriusque sexus, in ciuitate Cracouiensi in114 conuentu115 ordinis sui, quorum ipse erat primus pater et fundator in ciuitate iam dicta, missus a beato Dominico. Transiuit igitur ex hac luce anno Domini MoCCoLVIIo in die assumpcionis beate Marie ora quasi nona. Cuius felicem transitum dignatus est Deus innumeris116 prodigiis decorare et sanctitatem uite eius approbare. Nam in die sepulture eius quidam domicellus, nomine Zegotha, agitans equum in campo sancti Floriani117, casu grauissimo cecidit et expiravit. Quod cum parentes eius percepissent, uidelicet domnus Zaclicha pater eius et domna Florencia mater eiusdem defuncti, cum magna multitudine nobilium ac ciuitatensium118 corpus collisi ad sepulcrum sancti Iazcchonis cum ingenti clamore et lacrimarum effusione portauerunt, et postquam inuocassent patrocinium sancti Iazcchonis, post unius hore spacium defunctus sanus surrexit et nullum uestigium collisionis senciens, dixit, se fuisse cum sancto Iazcchone in paradiso. Sicque gratias agens Deo et sancto eius, beato Iazcchoni, reuersus est cum amicis suis ad propria. Huic miraculo interfuerunt et oculis suis uiderunt pater et mater supradicti iuuenis domnus Cle-

In P: testimonium et testamentum. Die Zitate von inquit bis testamentum aus Vita s. Dominici Ordinis Praedicatorum Institutoris scripta a B. Humberto Magistro Ordinis V, in: Annales Ordinis Praedicatorum, hrsg. von Tommaso M. Mamachi u. a., Romae 1756, Appendix, Sp. 264– 299, hier Sp. 296. 112  Ps 30, 1 und Ps 70,1. 113  Lk 23, 46; vgl. Ps 30,6. 114  Nach P und BA in statt et bei Ćwikliński. 115  In P: conventu fratrum. 116  In BA: miris. 117  Das Gebiet um die Krakauer Stiftskirche St. Florian im späteren Stadtteil Kleparz. 118  In BA: civium. Inwieweit der Begriff im Jahr 1257 schon im Sinn von „Bürger“ verwendet, d. h. bereits auf die mit den Privilegien des Magdeburger Rechts ausgestatteten Stadtbewohner eingegrenzt war, ist ungewiss; Krakau hatte gerade eben (im Juni 1257) das Stadtrecht erhalten; der Hagiograph aber wird den Begriff in der Mitte des 14. Jahrhunderts sicher in diesem Sinn verwendet haben. 111 

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ruft, aus dieser Welt hinübergehen. Daher hinterlasse ich euch das, was ich aus dem Mund unseres Vaters, des heiligen Dominikus, gehört habe, auf dass ihr die Demut bewahren, die gegenseitige Nächstenliebe behalten und die selbstauferlegte Armut besitzen möget. Denn dies ist das Testament111 einer ewigen Erbschaft.“ Folglich gab er am darauffolgenden Tag, am Festtag der Himmelfahrt der Mutter Gottes [15. August], nachdem die vorgeschriebenen Gebetsstunden andächtig vollendet und die Sakramente aufrichtig empfangen waren, um die neunte Stunde, während die Brüder weinend und andächtig betend mit zum Himmel ausgestreckten Händen um ihn herumstanden, nachdem er unter Tränen in den Psalm[vers] „Auf dich, Herr, vertraue ich“112 ausgebrochen war und gesagt hatte „Ich befehle meinen Geist in deine Hände“113, seine gesegnete Seele in die Hände der heiligen Engel, die ihm des Öfteren erschienen waren, solange er bis dahin als Sterblicher gelebt hatte. Begraben aber wurde er von dem Herrn Prandota, dem Krakauer Bischof, und einer Schar aus dem Klerus und dem Volk beiderlei Geschlechts in der Stadt Krakau im114 Kloster115 seines Ordens, dessen erster Vater und Gründer in der schon genannten Stadt er selbst war, [dorthin] gesandt vom heiligen Dominikus. Er schied also im Jahre des Herrn 1257 an Maria Himmelfahrt, etwa zur neunten Stunde aus dieser Welt. Gott gefiel es, mit unzähligen116 Wundern sein gesegnetes Hinscheiden zu schmücken und die Heiligkeit seines Lebens zu beweisen. Denn am Tag seiner Beisetzung ritt ein gewisser junger Herr namens Żegota sein Pferd auf dem Feld des heiligen Florian117, stürzte schwer und starb. Als seine Eltern, nämlich der Herr Zaclicha, sein Vater, und die Herrin Florentia, die Mutter des Verstorbenen, dies erfuhren, trugen sie den Leichnam des Gestürzten zusammen mit einer großen Schar von Adligen und Stadtbewohnern118 unter gewaltigem Geschrei und Tränenvergießen zur Grabstätte des heiligen Jacek. Nachdem sie den Beistand des heiligen Jacek angefleht hatten, erhob sich der Verstorbene nach Ablauf einer Stunde gesund; und keine Wirkung des Sturzes spürend, sagte er, dass er mit dem heiligen Jacek im Paradies gewesen sei. Und so dankte er Gott und seinem Heiligen, dem heiligen Jacek, und kehrte mit seinen Freunden in die Heimat zurück. Diesem Wunder wohnten bei und sahen es mit eigenen Augen der Vater und die Mutter des obengenannten jungen Mannes, der

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Cracouiensis119,

mens castellanus domnus Petrus decanus ecclesie cathedralis120 et multi alii utriusque sexus fide digni. Anno Domini et die sepulture eiusdem Sancti. 15. De uisione venerabilis patris domini Prandothe episcopi Cracouiensis, quam habuit de sancto Iazcchone. In die sepulture uiri Dei, fratris Iazcchonis uenerabilis pater domnus Prandotha, episcopus Cracouiensis, qui eum per se ipsum terre121 mandauerat, hora quasi nona ingressus est ecclesiam cathedralem sancti Stanislay122, ductus deuocione Uirginis gloriose, et ante altare procumbens in oratione depressus est modico ­sopore. Et ecce apparuerunt iuuenes formosi, ueste candidissima induti, bini et bini chorum ingredientes, quos sequebantur duo uenerabiles uiri, quorum unus pontificalibus erat decoratus, et alius habitu fratrum predicatorum erat indutus. Cuius tunica et scapulare niueo candore splendescebat, et habebat in capite duas coronas aureas. Tunc qui pontificalibus erat indutus, dixit ad episcopum Prando­ tham: Ego sum, inquit, Stanislaus episcopus Cracouiensis, et qui mecum transit, est frater Iazccho ordinis fratrum predicatorum, habens duas aureolas in capite, unam doctorum et aliam uirginum. Et conduco eum cum hac societate angelica ad celestem gloriam. Hiis dictis incepit uoce iucunda: Lux perpetua lucebit sanctis tuis, Domine.123 Et respondentibus angelis, cum magna luce et beato Iazcchone simul celum ascenderunt. Tunc episcopus, domnus Prandotha ad se ipsum reuersus, dixit et ad circumstantes: eamus cito ad fratres predicatores, ut enarremus mirabilia Dei de beato uiro, fratre Iazcchone, que dignatus est Dominus hodie seruis suis reuelare. Et confestim ingressus est domum fratrum predicatorum ad sanctam Trinitatem in Cracouia, conuocatisque fratribus, uidelicet fratre Bene-

119  In den Jahren 1255–1264 wurde das Amt des Krakauer Kastellans von einem Adam ausgeübt; UM, Nr. 121. Ein Krakauer Amtsträger namens Klemens ist für die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts nicht belegt; UM, S. 338. 120  In BA: cathedralis Cracoviensis. Gałuszka/Zdanek (wie Anm. 35), S. 121 gehen davon aus, dass 1257 ein Mann namens Pełka Dekan war und identifizieren Petrus mit dem für die 1290er Jahren belegten gleichnamigen Krakauer Kanoniker. 121  Terre von Ćwikliński als eigener Zusatz gekennzeichnet, doch so auch in BA. 122  Die St. Wenzels-Kathedrale auf dem Krakauer Wawelberg. 123  Incipit eines zur Kommunion in der liturgischen Totenfeier gesungenen Antiphons.

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Herr Klemens, der Kastellan von Krakau119, der Herr Peter, der Dekan der Kathe­

dralkirche120, und viele andere glaubwürdige [Zeugen] beiderlei Geschlechts. Im Jahr des Herrn [1257] und am Tag des Begräbnisses ebendieses Heiligen. 15. Über die Vision des ehrwürdigen Herrn Vaters Prandota, des Bischofs von Krakau, die er vom heiligen Jacek hatte. Am Tag des Begräbnisses des Mannes Gottes, des Bruders Jacek, betrat der ehrwürdige Herr Vater Prandota, der Bischof von Krakau, der ihn selbst der Erde121 übergeben hatte um die neunte Stunde geleitet von Ehrerbietung gegenüber der ruhmreichen Jungfrau die Kathedralkirche des heiligen Stanislaus.122 Nachdem er vor dem Alter niedergefallen war, wurde er im Gebet von einem kurzen Schlaf ergriffen. Und siehe, da erschienen [ihm] schöne junge Männer, die in sehr weiße Gewänder gekleidet paarweise den Chorraum betraten; ihnen folgten zwei ehrwürdige Männer, von denen der eine mit bischöflichen Gewändern geschmückt, der andere den Habit der Predigerbrüder trug. Seine Tunika und sein Skapulier erstrahlte[n] in schneeweißem Glanz und auf dem Kopf trug er zwei goldene Kronen. Daraufhin sprach der in die bischöflichen Gewänder Gekleidete zu Bischof Prandota: „Ich bin Stanisław, der Bischof von Krakau, und der, der mich begleitet, ist Bruder Jacek vom Orden der Predigerbrüder; er trägt zwei Heiligenscheine auf dem Kopf, einen der Gelehrten und einen der Unschuldigen. Und ich führe ihn zusammen mit dieser Engelschar zu himmlischem Ruhm.“ Nach diesen Worten begann er mit lieblicher Stimme [zu singen]: „Ein ewiges Licht wird deinen Heiligen leuchten, Herr.“123 Und die Engel respondierten [ihm] und mit einem großen Licht und dem heiligen Jacek stiegen sie gleichzeitig zum Himmel auf. Daraufhin kam der Bischof, der Herr Prandota, wieder zu sich und sagte zu den Umstehenden: „Lasst uns rasch zu den Predigerbrüdern gehen, um [ihnen] von den Wundern Gottes an dem heiligen Mann, dem Bruder Jacek, die sich der Herr heute herabließ, seinen Dienern zu offenbaren, zu erzählen.“ Und unverzüglich betrat er das Haus der Predigerbrüder zur Heiligen Dreifaltigkeit in Krakau, ließ

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dicto priore124, fratre Iohanne lectore, dicto Zarich125, fratre Bogusslao lectore126

et aliis fratribus et multis canonicis, clericis atque laicis, uidelicet domno Clemente decano ecclesie cathedralis, domno Syslao archidiacono eiusdem ecclesie127, domno Lupo cantore eiusdem ecclesie128, Uislao milite, Boguslao milite et aliis quam plurimis, qui cum eo, uenerant, tam clerici quam layci, uisionem supradictam, quam uiderat de sancto Iazcchone, cum magna deuocione et lacrimarum effusione clara uoce coram omnibus iam nominatis per ordinem, ut uiderat, supradictam uisionem Deo reuelante, lucidissime enarrauit. Que uisio facta est in die defunccionis beati uiri, fratris Iazcchonis, in die assumpcionis Uirginis Marie, hora quasi nona. Anno Domini MoCCoLVIIo. 16. De uisione, quam habuit soror Bronislaua de sancto Iazcchone. Fuit quedam nobilis domicella, nomine Bronislaua129, plus quam quadraginta annis deuote Deo seruiens in cenobio sororum, quod uulgariter dicitur Zwerinecz.130 In die igitur, in die defunccionis uiri fratris Iacchonis, concepta deuocione in die assumpcionis Uirginis gloriose, posita in oratione depressa est leui sopore, et uidit magnam lucem super ecclesiam fratrum predicatorum in Cracouia de celo descendentem, in qua multitudo angelorum celum cum iubilo ascendebat, quos sequebatur Uirgo speciosissima, ducens indutum habitu precioso fratrem ordinis Als Prior der Krakauer Dominikaner wird Benedikt in Kap. 34, 35, 37 und 38 auch für die Jahre 1272–1281 genannt, so dass anzunehmen ist, dass seine Bezeichnung als Prior für das Jahr 1257 rückwirkend erfolgte. 125  Johannes Zarych begegnet auch in Kap. 16 als Lektor, dann für 1267–1268 als Prior (Kap. 26–28) und für 1270–1272 als gewöhnlicher Bruder (Kap. 29, 32, 34). 126  Bogusław übte das Lektorenamt in den Jahren 1267/68–1281, 1283 und 1290 aus (Kap. 26–30, 32, 34–35, 37–39, 41 und 49), daher ist unwahrscheinlich, dass er es bereits 1257 bekleidet hat (so auch Kap. 16) und mit jenem Bogusław identisch war, der 1249 nach Auskunft der – allerdings erst im 16. Jahrhundert zusammengestellten – Krasiński-Annalen (MPH II, S. 132) als Unterprior der Krakauer Dominikaner zusammen mit zwei Krakauer Kanonikern in der Angelegenheit der Kanonisation des heiligen Stanisław nach Rom geschickt wurde; vgl. auch oben S. 29. 127  Das Amt des Krakauer Erzdiakons wurde 1257–1264 tatsächlich von einem Salomon ausgeübt; ein Zdzisław ist hingegen 1294–1298 als Erzdiakon in Lublin bezeugt. 128  Kantor war im Jahr 1257 entweder noch ein Sąd Odrowąż (KDM I, 39, KDKK I, 36) oder bereits Trojan (s. Stanisław Anm. 193). 129  In BA: Czonislava. Bronisława soll nach einer aus dem 17. Jahrhundert stammenden Tradition am 29. August 1259 gestorben sein; Bolesław Przybyszewski, Bronisława (około 1200– 1259), norbertanka, błogosławiona [Bronisław (um 1200–1259), eine Prämonstratenserin, Seliggesprochene], in: HP 1, S. 203–218, hier S. 212. 130  Das Prämonstratenserinnen-Kloster im 2,5 km westlich des Krakauer Wawel gelegenen Zwierzyniec war 1158–62 von dem Großen Jaxa von Miechów gestiftet worden. 124 

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Benedikt124,

die Brüder, nämlich den Bruder Prior den Bruder Lektor Johannes, genannt Zarych125, den Bruder Lektor Bogusław126 und die übrigen Brüder sowie viele Kanoniker, Kleriker und Laien, nämlich den Herrn Klemens, den Dekan der Kathedralkirche, den Herrn Zdzisław, den Erzdiakon derselben Kirche127, den Herrn Lupus, den Kantor derselben Kirche128, den Ritter Wisław, den Ritter Bogusław sowie möglichst viele andere, die mit ihm gekommen waren, Klerus wie Laien, zusammenrufen und berichtete vor allen bereits Genannten der Reihe nach sehr klar, mit großer Ehrfurcht und unter Tränen mit deutlicher Stimme von der obengenannten Vision, die er vom heiligen Jacek hatte, als ihm die obengenannte Vision von Gott offenbart wurde. Diese Vision ereignete sich am Todestag des heiligen Mannes, des Bruders Jacek, am Festtag von Maria Himmelfahrt [15. August], um die neunte Stunde. Im Jahr des Herrn 1257. 16. Über die Vision, die die Schwester Bronisława vom heiligen Jacek hatte. Es gab da ein adliges Fräulein namens Bronisława129, das über vierzig Jahre lang im Frauenkloster, das volkssprachlich Zwierzyniec genannt wird130, Gott fromm diente. An eben dem Tag, dem Todestag des [heiligen] Mannes, des Bruders Jacek, wurde sie, als sie sich am Festtag der Himmelfahrt der ruhmreichen Jungfrau der Hingabe überließ und ins Gebet vertieft war, von einem leichten Schlaf ergriffen. Und sie sah, wie ein großes Licht über der Kirche der Predigerbrüder in Krakau vom Himmel herabkam, in dem eine große Schar von Engeln jubelnd zum Himmel aufstieg. Ihnen folgte eine überaus schöne Jungfrau, wobei sie einen in ein kostbares Habit gekleideten Bruder vom Predigerorden [mit sich] führte. Da-

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predicatorum. Tunc supradicta Bronislaua131 dixit ad uirginem, quam uidit, speciosam. Quenam es, o domina? Cui respondit: Ego, inquit, sum mater misericordie, et deduco fratrem predicatorum Iazcchonem, qui hic mecum est, ad regnum glorie. Hiis dictis Mater misericordie incepit: „Ibo mihi ad montem mirre et ad colles Libani“132, et prosequentibus angelis cum sancto Iazcchone et cum celica luce, ingressi sunt patriam claritatis eterne. Tunc prefata domicella Bronislaua133 stupefacta de uisione, cum duabus sororibus, videlicet Falislaua et Margaretha celeriter uenit ad fratres predicatores in Cracouia, et conuocatis fratribus, scilicet fratre Benedicto priore, fratre Iohanne lectore, fratre Boguslao, fratre Ieronimo134 et multis aliis fratribus et secularibus, uidelicet Andrea et Petro, consulibus ciuitatis Cracouie135 et aliis fide dignis uisionem supradictam per ordinem enarrauit. Anno Domini MoCCoLVIIo.136 17. De curatione domine Margarethe ciuisse137 Cracouiensis. Quedam domina Margaretha in ciuitate Cracouiensi paralisi percussa in manibus et lingua, ita quod nec usum manuum [habere] nec loqui plus quam sex mensibus poterat. Que dum a suo marito et amicis suis ad ecclesiam fratrum predicatorum ad sepulcrum sancti Iazecconis cum magna deuocione portata fuisset, oracione deuota ad Deum fusa et ad suum preconem, uirum Dei beatum Iacconem, statim meritis sancti Iazeconis perfectam sanitatem recepit. Hoc miraculum uiderunt et In BA: Sronislava. Incipit eines in der Liturgie an Maria-Himmelfahrt gesungenen Antiphons; vgl. Hld 4, 6. 133  In BA: Sonislava. 134  Hieronymus begegnet für 1261 als Küster (Kap. 20), 1268–1270, 1280 als einfacher Bruder (Kap. 29, 30, 32 und 38) und 1282–1283 als Prior (40–41). 135  Andreas, den die Vita auch zum Jahr 1289 Ratsherr nennt (Kap. 49), ist durch andere Quellen als Krakauer Ratsherr nicht bezeugt; Starzyński, Das mittelalterliche Krakau (wie Anm. 27), S. 29 datiert sein Ratsherrenamt in die 1270er Jahre bis um 1290. Ein Ratsherr Petrus wird auch zum Jahr 1289 (Kap. 49) genannt; ob er mit dem in Kap. 17, 19, 23 und 26 genannten Vogt Petrus identisch war, ist nicht sicher zu sagen; vgl. Anm. 138. 136  Jerzy Rajman, Żywoty i cuda świętych jako źródła do dziejów Krakowa w XIII wieku [Viten und Wunderberichte als Quellen zur Geschichte Krakaus im 13. Jahrhundert], in: Księga Jubileuszowa Profesora Feliksa Kiryka, hrsg. von Andrzej Jureczko u. a., Kraków 2004, S. 177–186, bes. S. 183 hält die Datierung des Wunders in das Jahr 1257 für authentisch und schließt aus der Zeugenschaft der „Ratsherren“, dass in Krakau bereits unmittelbar nach Ausstellung der Lokationsurkunde vom 5. Juni 1257 auch bereits ein Stadtrat etabliert worden sei; demgegenüber vertritt Starzyński, Das mittelalterliche Krakau (wie Anm. 27), S. 24–30 die Auffassung, dass bei der erst nach 1268 erfolgten Aufzeichnung des Wunders ein jüngerer Zustand in das Jahr 1257 rückprojiziert wurde. 137  Zur Übersetzung mit „Bürgerin“ vgl. hier und in den nachfolgenden analogen Fällen Anm. 118. 131  132 

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Bronisława131

raufhin fragte die obengenannte die schöne Jungfrau, die sie sah: „Wer bist du, oh Herrin?“ Sie antwortete: „Ich bin die Mutter der Barmherzigkeit und geleite den Predigerbruder Jacek, der hier bei mir ist, in das Königreich des Ruhms.“ Nach diesen Worten begann die Mutter der Barmherzigkeit [zu singen]: „Ich werde zu den Myrrhebergen und den Hügeln des Libanon gehen“132; ihr folgten die Engel zusammen mit dem heiligen Jacek und einem himmlischen Licht und sie traten in das Vaterland der ewigen Klarheit ein. Daraufhin lief das besagte Fräulein Bronisława133, von ihrer Vision in Erstaunen versetzt, mit zwei Schwestern, nämlich Falisława und Margarete, eilig zu den Predigerbrüdern in Krakau. Nachdem [dort] die Brüder, nämlich der Bruder Prior Benedikt, der Bruder Lektor Johannes, der Bruder Bogusław, der Bruder Hieronymus134 und viele andere Brüder sowie Weltliche, nämlich die Ratsherren der Stadt Krakau Andreas und Peter135, und andere glaubwürdige [Zeugen] zusammengerufen waren, berichtete sie der Reihe nach von ihrer obengenannten Vision. Im Jahre des Herrn 1257.136 17. Über die Heilung der Herrin Margarete, einer Bürgerin137 von Krakau. Eine gewisse Herrin [namens] Margarete aus der Stadt Krakau war derart mit einer Lähmung der Hände und der Zunge geschlagen, dass sie seit über sechs Monaten weder ihre Hände gebrauchen noch sprechen konnte. Nachdem sie von ihrem Ehemann und ihren Freunden in großer Ehrfurcht zur Kirche der Predigerbrüder an die Grabstätte des heiligen Jacek getragen und ein frommes Gebet an Gott und seinen Herold, den heiligen Mann Gottes Jacek, gesprochen worden war, erhielt sie durch die Verdienste des heiligen Jacek sogleich ihre vollständige Gesundheit zurück. Dieses Wunder sahen und bezeugten öffentlich der Herr

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protestati sunt dominus Petrus aduocatus138 eiusdem ciuitatis, Iacobus et Philippus conciues et consules139 eiusdem ciuitatis et multi alii fide digni. Anno Domini MoCCoLVIIo in die sancti Michaelis. 18. De curacione domicelli Swentoslay sequitur miraculum. Quidam miles nomine Poguslaus140 habuit filium unicum dictum Swentoslaum; hic incidit in ydropisim et inualescente infirmitate cum appropinquaret portis mortis, pater eius supradictus cepit inuocare sanctum Iazeconem pro filii curacione dicens: Sancte Iazeco, digneris curare filium meum, qui destitutus est omnibus uiribus et ulterius uiuere non potest, nisi tuis sanctis orationibus adiutus, et ego eum ad tuum sepulcrum cum devota oblacione deducam. Quod cum compleuisset uotum cum lacrimis, statim iuuenis surrexit et ab omni inflatura atque infirmitate mortis, meritis sancti Iazeconis curatus, deuote, quod pater pro eo uouerat, ueniens ad sepulcrum sancti Iazeconis, adimpleuit. Quod miraculum ­uiderunt et protestati sunt pater et mater supradicti curati et domnus Pri­ bislaus miles et domnus Stanislaus miles et multi alii fide digni. Anno Domini MoCCoLoVIII. 19. De curacione ualde mirabili a portis mortis. Quidam homo nomine Sulcho, ciuis Mechouiensis141 et uxor eius Margaretha ­nomine habebant filium nomine Iohannem, qui incidit in acutam grauissimam febrem ita, quod quinto die deductus ad portas mortis nec uidere nec audire nec sentire quidquam poterat nisi quod spiritus uitales uix in eo perpendi poterant. Quem cum pater una cum matre sancto Iazeconi cum lacrimis deuouissent, dicentes: o sancte Iazeco, succurre nunc filio nostro laboranti in mortis artiIm Jahr 1257 waren nach Ausweis der Krakauer Lokationsurkunde (SUB, III, 232) Gedko Stilvoit, Jakob von Neiße und Dethmar Wolk Vögte in Krakau; bei Petrus könnte es sich nach Starzyński, Das mittelalterliche Krakau (wie Anm. 27), S. 26–27, 32 um Petrus Gwis gehandelt haben, der gegen Ende des 13., Anfang des 14. Jahrhunderts als Krakauer Vogt und Ratsherr bezeugt ist. Das passt zu der Annahme von Gałuszka/Zdanek (wie Anm. 35), S. 124, dass dieses Wunder erst um 1290–1293 niedergeschrieben wurde. Ein „Dominus Petrus aduocatus Cracouiensis“ begegnet in einer Urkunde des Propsts des Klosters Zwierzyniec vom 11. November 1293, KDM I, 123. 139  Jakob und Philipp, den die Vita auch zum Jahr 1268 als Krakauer Ratsherr nennt (Kap. 29), sind aus anderen Quellen nicht als Ratsherrn bezeugt. 140  In BA: Boguslaus. 141  Dem knapp 39 km nördlich von Krakau gelegenen Ort wurde erst im September 1290 Neumarkter Stadtrecht verliehen; KDM 2, Nr. 516. 142  Nach BA ergänzt. 138 

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Stadt138,

Peter, der Vogt ebendieser Jakob und Philipp, Bürger und Ratsherren139 ebendieser Stadt, und viele andere glaubwürdige [Zeugen]. Im Jahr des Herrn 1257 am Tag des heiligen Michael [29. September]. 18. Es folgt das Wunder von der Heilung des jungen Edelmanns Świętosław. Ein gewisser Ritter namens Pogusław140 hatte einen einzigen Sohn, der Świętosław genannt wurde; dieser erkrankte an Wassersucht. Als die Krankheit stärker wurde und er sich den Toren des Todes näherte, begann sein obengenannter Vater, den heiligen Jacek um Heilung seines Sohnes anzurufen, indem er sprach: „Heiliger Jacek, mögest du dich herablassen, meinen Sohn zu heilen, der von allen Kräften verlassen ist und nicht länger leben kann, es sei denn, ihm wird durch deine heiligen Gebete geholfen. Ich werde ihn auch zusammen mit einer frommen Gabe an deine Grabstätte führen.“ Nachdem er dieses Gelübde unter Tränen abgelegt hatte, erhob sich der junge Mann sogleich und war durch die Verdienste des heiligen Jacek von jeglicher Aufblähung und tödlichen Krankheit geheilt; fromm zog er zur Grabstätte des heiligen Jacek und erfüllte, was der Vater für ihn gelobt hatte. Dieses Wunder sahen und bezeugten der Vater und die Mutter des obengenannten Geheilten und der Herr Ritter Przybysław und der Herr Ritter Stanisław und viele andere glaubwürdige [Zeugen]. Im Jahre des Herrn 1258. 19. Über eine überaus wunderbare Heilung von den Pforten des Todes. Ein gewisser Mann namens Sułek, ein Bürger von Miechów141, und seine Ehefrau Margarete hatten einen Sohn namens Johannes. Dieser fiel derart in ein plötzliches und142 sehr starkes Fieber, dass er am fünften Tag vor die Tore des Todes geführt weder sehen noch hören noch irgendetwas fühlen konnte, und kaum noch Lebensgeister in ihm ausgemacht werden konnten. Nachdem der Vater zusammen mit der Mutter ihn unter Tränen dem heiligen Jacek geweiht hatten, indem sie sagten: „Oh heiliger Jacek, komme jetzt unserem Sohn, der in der Todesstunde ringt, zu

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culo, et nos promittimus Deo et tibi ipsum cum deuota oblacione ad sepulcrum tuum presentare. Mira res! — uix uerba finierant, statim iuuenis meritis sancti Iacchonis a portis mortis ad uitam reuocatur et perfecte sanitati redditur. Huic miraculo interfuerunt et in conscientiis suis protestati sunt pater et mater supradicti curati, Petrus aduocatus eiusdem ciuitatis143, Iacobus filius eiusdem. Anno Domini MoCCoLXo. 20. De luce celica uisa ad sepulcrum sancti Iazcchonis. Quidam uir bonus, re et nomine in montibus Ungarie uitam ducens heremiticam, audita fama sancti Iazeconis uenit ad ecclesiam in Cracouia fratrum predicatorum, ubi quiescit corpus sancti Iazcchonis. Deuocione igitur ductus petiuit a priore et a fratribus, ut in ecclesia nominata possit ad sepulcrum Sancti Iazeconis pernoctare. Quod cum factum esset, eo uigilanti in oracione, tres radii mire luminositatis super sepulcrum sancti Iazchonis de celo descenderunt, unus ad caput, secundus ad medium sepulcri et tertius ad pedes. Quod cum uidisset supradictus uir Dei, celeriter cucurrit ad sacristas, videlicet fratrem Ieronimum et fratrem Florianum144, ipsosque excitans ostendit eis premaximam lucem ad sepulcrum sancti Iazeconis; quam cum uidissent, proni in terram ceciderunt, gratias Deo agentes, qui preconem suum sanctum Iazeconem dignatus est luce celesti decorare. Facta est hec uisio anno Domini MoCCoLXIo. 21. De resuscitacione pueri mortui meritis sancti Iazconis. Quidam nobilis Andreas145 nomine de uilla, que uulgariter nuncupatur Iacubouice146, unicum filium habuit, quem tenerrime diligens, crapulose eum nutriebat. Igitur passus147 infirmitate ualida supradictus iuuenis deductus est usque ad portas mortis; et concurrentibus parentibus, notis et amicis ad compaciendum, ipsis flentibus et condolentibus iuuenis exspirauit. Tunc mater eiusdem defuncti cepit lamentabiliter personare, dicens: O Sancte Iazeco, redde mihi filium meum, et ego eum cum sollempni uoti obligacione atque deuota oblacione ad tuum sepulcrum deferam! Et hoc ipsum pater et ceteri amici cum magna deuocione promittebant. Mira res! circa noctis medium defunctus iuuenis sanus surrexit, gracias Vgl. Anm. 138. Da der Küster Florian in späteren Zeugenlisten nicht mehr begegnet, dürfte er mit jenem Florian identisch gewesen sein, der in Kap. 5, 7–12 als Zeitgenosse des heiligen Jacek begegnet. 145  Wahrscheinlich identisch mit dem in Kap. 32 als Bruder des Żegota (vgl. Anm. 73) auftretenden, durch ein Wunder geheilten Andreas; vielleicht auch mit den in Kap. 30 und 41 genannten gleichnamigen Zeugen. 146  Ort, 30 km nordöstlich von Krakau, 2 km südöstlich von Proszowice. 147  In BA: pressus. 143  144 

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Hilfe und wir versprechen Gott und dir, ihn mit einer frommen Gabe an dein Grab zu führen.“ Oh Wunder! – Kaum hatten sie die Worte beendet, da wird der junge Mann durch die Verdienste des heiligen Jacek sogleich von den Pforten des Todes ins Leben zurückgerufen und der völligen Gesundheit zurückgegeben. Diesem Wunder wohnten bei und bezeugten es öffentlich mit ihrem Gewissen der Vater und die Mutter des obengenannten Geheilten, Peter, der Vogt eben dieser Stadt143, und sein Sohn Jakob. Im Jahr des Herrn 1260. 20. Über ein himmlisches Licht, das am Grab des heiligen Jacek gesehen wurde. Ein gewisser, nicht nur dem Namen, sondern der Sache nach guter Mann, der in den Karpaten ein Einsiedlerleben führte, zog, als er vom Ruhm des heiligen Jacek hörte, zur Kirche der Predigerbrüder nach Krakau, wo der Leichnam des heiligen Jacek ruht. Geleitet von seiner Frömmigkeit erbat er vom Prior und den Brüdern, in der genannten Kirche an der Grabstätte des heiligen Jacek nächtigen zu dürfen. Als dies geschah und er im Gebet die Nacht durchwachte, da sanken vom Himmel drei Strahlen von außerordentlicher Helligkeit auf das Grab des heiligen Jacek herab; einer zum Kopf, ein zweiter zur Mitte der Grabstätte und ein dritter zu den Füßen. Als dies der obengenannte Mann Gottes sah, rannte er schnell zu den Küstern, nämlich dem Bruder Hieronymus und dem Bruder Florian144, weckte sie auf und zeigte ihnen das überaus helle Licht über der Grabstätte des heiligen Jacek. Als sie dieses sahen, fielen sie nach vorn auf die Erde und dankten Gott, der sich herabließ, seinen Herold, den heiligen Jacek, mit einem himmlischen Licht zu schmücken. Diese Vision geschah im Jahr des Herrn 1261. 21. Über die Wiedererweckung eines toten Jungen durch die Verdienste des heiligen Jacek. Ein gewisser Adliger namens Andreas145 aus einem Dorf, das volkssprachlich ­Jakubowice146 genannt wird, hatte einen einzigen Sohn, den er innigst liebte und überaus reichlich nährte. Als der genannte Junge von einer schweren Krankheit geschlagen wurde147, gelangte er vor die Tore des Todes; da kamen bei den Eltern Bekannte und Freunde zusammen, um Mitleid zu haben und als sie weinten und trauerten, da starb der junge Mann. Da begann die Mutter ebendieses Verstorbenen laut wehzuklagen, indem sie sprach: „Oh heiliger Jacek, gib mir meinen Sohn zurück und ich will ihn mit einem verbindlichen feierlichen Gelübde und einer frommen Gabe an dein Grab bringen!“ Und dasselbe versprachen der Vater und die übrigen Freunde mit großer Ehrerbietung. Oh Wunder! Etwa um Mitternacht erhob sich der verstorbene Jüngling gesund und dankte Gott und dem hei-

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Deo agens et sancto Iazeconi. Hoc miraculum protestati sunt, qui interfuerunt et uiderunt, uidelicet pater et mater supradicti resuscitati, dominus Petrus miles, dominus Iacobus miles et multi alii fide digni. Anno Domini MoCCoLXIIo. 22. De curacione cuiusdam puelle a porta mortis bonum miraculum sequitur. Quedam domina nomine Agatha, uxor comitis Zegote148, castellani Cracouiensis, habuit ancillam quatuordecim annis. Hec infirmata fuit149 octo diebus adeo grauiter, quod desperabatur de uita eius, et cum agonizaret, supradicta domina Agatha inuocauit beatum uirum, fratrem Iazcchonem dicens: O sancte Iazeco, digneris mihi reddere ancillam meam et in articulo mortis ei succurrere, et ego deuotam oblacionem pro ea tibi offeram. Cum autem sic inuocasset sanctum Iazcchonem et uotum compleuisset, astiterunt duo fratres circa lectum agonizantis puelle ueste candida induti, uidelicet tunica et scapulari et cappa fratrum predicatorum. Tunc senior dixit ad puellam agonizantem: respice in me; ego sum, inquit, frater Iaccho, inuocatus deuote pro tua sanitate. Ideo in nomine Ihesu Christi surge et gratias Deo age. Et statim puella surrexit sanitate perfecta suscepta, et sanctus Iazccho cum socio disparuit. Huic miraculo interfuerunt et protestati sunt coram priore150 fratre Clemente lectore151 et multis aliis fratribus et secularibus, videlicet: domina Agatha supradicta, domina Margaretha soror eiusdem, dominus Zegnenus152 castellanus Cracouiensis et filius eius Nicolaus. Anno Domini MoCCoLXoIIIo.

148  Wohl identisch mit dem in Kap. 6, 12, 28 und 47 als Zeuge auftretenden Żegota; vgl. Anm. 73; im Jahr 1263 übte das Amt des Krakauer Kastellans ein Mann namens Adam aus; vgl. Anm. 119. 149  In BA: erat. 150  Der Name des Priors fehlt. 151  Klemens ist als Lektor für die Jahre 1284–1290 bezeugt (Kap. 41–48); dass er auch bereits 1263–1265 Lektor war (vgl. auch Kap. 22–24), kann nicht ausgeschlossen werden, erscheint aber eher unwahrscheinlich. 152  Vermutlich eine Verschreibung des zu Beginn des Absatzes genannten Namens des Ehemanns der Agathe (Zegota/Żegota) und nicht, wie Gałuszka/Zdanek (wie Anm. 35), S. 128 übersetzen, die latinisierte Form von Sięgniew, eines Amtsträgers, der für die Jahre 1264–1268 als Kastellan von Krakau begegnet.

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ligen Jacek. Dieses Wunder haben öffentlich diejenigen bezeugt, die dabei waren und es gesehen haben, nämlich der Vater und die Mutter des besagten Wiedererweckten, der Herr Ritter Peter, der Herr Ritter Herr Jakob und viele andere glaubwürdige [Zeugen]. Im Jahr des Herrn 1262. 22. Es folgt das Wunder von der Heilung eines gewissen Mädchens von der Pforte des Todes. Eine gewisse Herrin namens Agathe, die Ehefrau des Amtsträgers Żegota148, des Kastellans von Krakau, hatte eine vierzehnjährige Magd. Diese war acht Tage so schwer krank149, dass man die Hoffnung auf ihr Leben aufgab. Als sie mit dem Tode rang, rief die obengenannte Herrin Agathe den heiligen Mann, den Bruder Jacek an, indem sie sprach: „Oh heiliger Jacek, lasse dich herab, mir meine Magd zurückzugeben und ihr in der Todesstunde zu Hilfe zu eilen und ich werde dir für sie eine fromme Gabe opfern.“ Nachdem sie so den heiligen Jacek angerufen und das Gelübde abgelegt hatte, standen da zwei Brüder am Bett des mit dem Tode ringenden Mädchens; sie waren mit einem strahlenden Gewand bekleidet, nämlich der Tunika, dem Skapulier und dem Mantel der Predigerbrüder. Daraufhin sprach der ältere zu dem mit dem Tode ringenden Mädchen: „Sieh mich an, ich bin Bruder Jacek, der ehrfürchtig um deine Heilung angerufen wurde. Erhebe dich also im Namen Jesu Christi und danke Gott.“ Und sogleich erhielt das Mädchen die vollständige Gesundheit und erhob sich, während der heilige Jacek mit seinem Gefährten verschwand. Bei diesem Wunder waren zugegen und bezeugten es öffentlich vor dem Prior150 und dem Bruder Lektor Klemens151 und vielen anderen Brüdern und Weltlichen, nämlich: die obengenannte Herrin Agathe, die Herrin Margarete, ihre Schwester, der Herr Żegota152, der Kastellan von Krakau, und dessen Sohn Nikolaus. Im Jahr des Herrn 1263.

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23. De liberacione cuiusdam domine a demonibus et sanitatis collacione sequitur miraculum. Quedam domina nobilis Thomislaua nomine, uxor Sdisslay153 comitis, infirmata usque ad mortem, cum esset in agone posita, uenerunt ad eam duo demones quasi ethiopes, et eam arripientes, ducebant eam per uias lubricas et tenebrosas154, et ecce occurrit eis uir candida ueste indutus, in habitu fratrum predicatorum et ait ad demones: Quo, inquit, ducitis hanc peregrinam? Qui responderunt: quo mandatum est nobis. Quibus uir Dei: dimittite, inquit, eam, quia nostra est. Et sic euanuerunt. Tunc dixit ad illam uir beatus: Ego, inquit, sum frater Iazeco ordinis fratrum predicatorum, quem pro tua liberacione inuocasti; ideo in nomine Ihesu Christi scias, te ab infirmitate tua esse curatam et a demonibus liberatam. Que expergefacta, statim surrexit, et ab omni infirmitate liberatam se sensit. Quam liberacionem ueniens ad sanctam Trinitatem in Cracouia ad sepulcrum sancti Iazcchonis, ut ei per eundem inpositum fuerat, gratias Deo agens, protestata fuit coram priore fratre Clemente lectore et Petro aduocato155 ciuitatis eiusdem et ­Andrea filio eius et multis aliis fide dignis.156 Anno Domini MoCCoLXoIIIIo. 24. De reformacione a portis mortis cuiusdam nobilis sequitur miraculum. Quidam nobilis habuit filium Paulum nomine, qui cum grauissime infirmaretur, deductus est usque ad portas mortis. Tunc pater eiusdem iuuenis, uidens filium in agone positum, cepit cum lacrimis inuocare sanctum Iazeconem, dicens: O sancte Iazccho, adiuua filium meum et libera eum nunc a morte, et ego promitto eum ad tuum sepulcrum adducere cum deuota oblacione. Uix uerba finierat, et ecce iuuenis surrexit sanitate perfecta suscepta, et gratias Deo agens, uenit cum patre ad sepulcrum sancti Iacconis, magnificans et protestans diuinam clemenciam, que per suum preconem, beatum Iazchonem tam mirabilia operatur. Que protestacio 153  Ein kleinpolnischer Amtsträger mit diesem Namen ist für die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts nicht bekannt. 154  Marek Cetwiński, Demoniczni Etiopowie, mąż w bieli i wrota śmierci. Świat wyobraźni w Żywocie św. Jacka [Dämonische Äthiopier, der Mann in Weiss und das Tor des Todes. Die Welt der Phantasie in der Vita des hl. Jaceks], in: Święty Jacek Odrowąż i dominikanie (wie Anm. 20), S. 21–25 bezieht dieses Bild von schwarzen Dämonen und Dunkelheit auf eine von Angst und Grauen erfüllte Todesvorstellung der weltlichen Zeitgenossen des Hagiographen, der dieser eine Todesvorstellung der Geistlichen gegenübergestellt habe, die von Licht und Helligkeit erfüllt sei. 155  Im Jahr 1264 amtierte als Krakauer Vogt ein Mann namens Rascho; dass er sich das Amt zu diesem Zeitpunkt mit Petrus geteilt hat, wie Rajman, Żywoty (wie Anm. 136), S. 184 annimmt, hält Starzyński, Das mittelalterliche Krakau (wie Anm. 27), S. 27 für unwahrscheinlich; vgl. auch Anm. 138. 156  In BA: fidelibus statt fide dignis.

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23. Es folgt das Wunder von der Befreiung einer gewissen Herrin von ­Dämonen und der Gabe ihrer Heilung. Eine gewisse adlige Herrin namens Tomisława, die Ehefrau des Amtsträgers Zdzisław153, war todkrank; als sie im Todeskampf lag, kamen zwei Dämonen wie zwei [schwarze] Äthiopier zu ihr, ergriffen sie und führten sie über gefährliche und dunkle Wege ab154 und siehe, da begegnete ihnen ein in ein strahlend weißes Gewand gekleideter Mann, im Habit der Predigerbrüder und sprach zu den Dämonen: „Wohin führt ihr diese Pilgerin?“ Sie antworteten: „Dorthin, wohin es uns aufgetragen wurde.“ Ihnen [sagte] der Mann Gottes: „Lasst sie frei, weil sie uns gehört.“ Und so verschwanden sie. Daraufhin sprach der heilige Mann zu jener: „Ich bin Bruder Jacek vom Orden der Predigerbrüder, den du zu deiner Befreiung angerufen hast; daher sollst du im Namen Jesu Christi wissen, dass du von deiner Krankheit geheilt und von den Dämonen befreit bist.“ Als sie erwachte, erhob sie sich sogleich und fühlte sich von jeglicher Krankheit geheilt. Als sie, wie ihr von ihm [Jacek] aufgetragen worden war, zur Dreifaltigkeitskirche nach Krakau zur Grabstätte des heiligen Jacek kam und Gott dankte, bezeugte sie diese Befreiung öffentlich vor dem Bruder Prior, dem Lektor Klemens und Peter, dem Vogt155 eben dieser Stadt, und seinem Sohn Andreas sowie vor vielen anderen glaubwürdigen156 [Zeugen]. Im Jahr des Herrn 1264. 24. Es folgt das Wunder von der Errettung eines gewissen Adligen von den ­Pforten des Todes. Ein gewisser Adliger hatte einen Sohn namens Paul, der schwer erkrankte und bis vor die Tore des Todes geführt wurde. Daraufhin begann der Vater des Jünglings, als er den Sohn in den letzten Zügen sah, unter Tränen den heiligen Jacek anzurufen, indem er sprach: „Oh heiliger Jacek, hilf meinem Sohn und errette ihn vor dem Tod und ich verspreche, dass ich ihn zusammen mit einer frommen Gabe an deine Grabstätte führen werde.“ Kaum hatte er die Worte beendet, siehe, da erlangte der Jüngling vollständige Gesundheit und erhob sich, dankte Gott und kam mit dem Vater zur Grabstätte des heiligen Jacek und rühmte und bezeugte die göttliche Milde, die durch seinen Herold, den heiligen Jacek, so Wunderbares wirkt. Das öffentliche Zeugnis [darüber] wurde vor dem Bruder Prior, dem Lektor

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facta est coram priore fratre Clemente lectore et Petro milite157 et Andrea filio eius et multis aliis fide dignis. Anno Domini MoCCoLXVo. 25. De resuscitacione uitule. Quedam domina, nomine Uitoscha habuit ancillam nomine Dobroscam, que sancto Iazeconi erat multum deuota. Tandem supradicta domina Uitoscha contulit ad peticionem magnam supradicte puelle uitulam, quam accipiens fouit, nutriuit tamquam se ipsam; sed infortunio inminente uitula infirmata decidens, mortua est. Quod cum uidisset puella Dobroscha, profusis lacrimis et magna deuocione cordis cucurrit ad sepulcrum sancti Iazcchonis, dicens: O sancte Iaccho, ego sum tota paupercula, et unam uitulam habui, que mortua est. Nunc obsecro tuam misericordiam, ut digneris eam uiuificare. Et hoc dicto158, reuersa est ad domum. Et interim domna Uitosca mandauit excoriari uitulam; sed puella procidit ad pedes eius dicens: Obsecro, mea domina, non permittas excoriari meam uitulam, donec reuertar a claustro fratrum predicatorum. Et cucurrit repentino gressu ad sepulcrum sancti Iazeconis dicens: Sancte Iazccho, obsecro, redde mihi meam uitulam. Et hiis dictis festine reuersa est ad domum, et ecce carnifex incepit excoriare uitulam. Tunc uitula, mouit pedem excoriatum et eleuato capite sana surrexit ­meritis sancti Iazcchonis. Quod miraculum protestata est supradicta domina ­Uithosca et Petrus maritus eius, et Dobrosca dicta puella et Hermannus carnifex, qui uitulam [ipsius] ceperat excoriare, et multi alii de domo eadem. Anno Domini MoCCoLXoVIo. 26. De curacione hominis a porta mortis sequitur miraculum. Quidam ciuis Cracouiensis nomine Geraldus, depressus acuta grauissima , habuitque consortem nomine Elizabeth, Deo deuotam et precipue sancto Iazeconi. Qui cum deductus esset dolore nimio ad desperacionem uite, inuocauit sanctum Iazeconem, ut dignaretur sibi succurrere, et precipue consors eius domina Elizabeth cum lacrimis interpellabat uirum Dei fratrem Iazeconem pro sanitate sui mariti. Eo igitur in agone posito et quasi iam a sensibus alienato, astitit ante lectum sanctus Iazccho, dicens: fili Geralde, quid petis a me, ego sum frater Iazeco inuocatus per te et precipue per consortem tuam Elizabeth, que adhuc cum lacrimis orat pro te ad meum sepulcrum. Cui respondit: Pater sancte

157  158  159 

Vielleicht identisch mit dem als Vogt bezeichneten Peter; vgl. Anm. 155. In BA: hec dicens. Ergänzt in Analogie zur Formulierung in Kap. 19.

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Klemens, dem Ritter Peter157 und dessen Sohn Andreas sowie vor vielen anderen glaubwürdigen [Leuten] abgelegt. Im Jahr des Herrn 1265.

25. Über die Wiedererweckung eines Kalbes. Eine gewisse Herrin namens Witosza hatte eine Magd namens Dobroszka, die dem heiligen Jacek sehr ergeben war. Da gab die obengenannte Herrin Witosza [einmal] auf nachdrückliche Bitte der besagten Magd hin ihr ein Kalb, das sie nach dem Empfang pflegte und nährte wie sich selbst. Dann aber kam ein Unheil, das Kalb wurde krank und starb. Als das Mädchen Dobroszka das sah, brach es in Tränen aus und eilte in der großen Frömmigkeit ihres Herzens an die Grabstätte des heiligen Jacek, wo sie sprach: „Oh heiliger Jacek, ich bin ganz armselig und hatte [nur] ein einziges Kalb, das gestorben ist. Nun erflehe ich deine Barmherzigkeit, mögest du dich herablassen, es wiederzubeleben.“ Und nach diesen Worten158 kehrte sie nach Hause zurück. Unterdessen befahl die Herrin Witosza, das Kalb zu häuten; doch das Mädchen fiel ihr zu Füßen und bat: „Ich flehe dich, meine Herrin, an, lass nicht zu, dass mein Kalb gehäutet wird, ehe ich nicht aus dem Kloster der Predigerbrüder zurückgekehrt bin.“ Und raschen Schritts eilte sie zur Grabstätte des heiligen Jacek und bat [dort]: „Heiliger Jacek, ich flehe dich an, gib mir mein Kalb zurück.“ Nach diesen Worten kehrte es unverzüglich nach Hause zurück und siehe, da begann der Fleischer [bereits] das Kalb zu häuten. Daraufhin bewegte das Kalb den gehäuteten Fuß und nachdem es den Kopf aufgerichtet hatte, richtete es sich dank der Verdienste des heiligen Jacek gesund auf. Dieses Wunder wurde öffentlich bezeugt von der obengenannten Herrin Witosza und ihrem Ehemann Peter, dem besagten Mädchen Dobroszka und dem Schlächter Hermann, der ihr Kalb zu häuten begonnen hatte, sowie von vielen anderen [Zeugen] aus demselben Haus. Im Jahr des Herrn 1266. 26. Es folgt das Wunder von der Heilung eines Mannes von der Pforte des Todes. Ein gewisser Krakauer Bürger namens Gerald wurde von einem plötzlichen, sehr starken [Fieber159] niedergedrückt; er hatte eine Gefährtin namens Elisabeth, die Gott und besonders dem heiligen Jacek ergeben war. Als er [Gerald] durch den übermäßigen Schmerz die Hoffnung auf sein Leben verlor, rief er den heiligen Jacek an, er möge sich herablassen, ihm zu Hilfe zu eilen; vor allem setzte sich seine Gefährtin, die Herrin Elisabeth, mit Tränen bei dem Mann Gottes, dem Bruder Jacek, für die Gesundheit ihres Ehemannes ein. Als dieser also mit dem Tod rang und fast schon das Bewusstsein verloren hatte, da stand an seinem Bett der heilige Jacek und fragte: „Mein Sohn, Gerald, was erbittest du von mir? Ich bin Bruder Jacek, der von dir und besonders von deiner Gefährtin Elisabeth, die jetzt unter Tränen für dich an meinem Grab betet, angerufen worden ist.“ Er antwortete ihm: „Heiliger Vater Jacek, ich flehe dich an, mögest du dich herablassen, mich durch

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Iazeco, obsecro, ut meritis tuis digneris me curare. Cui uir Dei: In nomine Ihesu Christi, sis ab omni infirmitate liberatus. Et hec dicens disparuit. Tunc infirmus supradictus statim surrexit, sanitate perfecta suscepta, et repentino cursu absque mora cum multis amicis ac familia magna ad ecclesiam fratrum predicatorum uenit et consortem suam Elizabeth orantem ad sepulcrum sancti Iazeconis inuenit, que uidens eum sanum, gratias Deo agens et suo preconi beato Iazeconi reuersi sunt ad propria. Huic miraculo160 interfuerunt et protestati sunt coram priore Iohanne Zarhic, lectore Boguslao et multis aliis fide dignis: videlicet supradictus Geraldus, Elizabeth uxor eius, Petrus aduocatus Cracouiensis161, Mauricius162 et Uilhelmus163 consules eiusdem ciuitatis. Anno Domini MoCCoLXoVIIo. 27. De adiutorio in periculo partus sequitur miraculum. Quedam nobilis domina, nomine Potrumila164, uxor domini Uersii, grauida exi­ stens, sex [ante partum] septimanis, [magno dolore uteri angebatur et165] partu appropinquante, non ualens parturire, defecit spiritus eius, et inuocans beatum Iazeconem, deducta est usque ad portas mortis. Que dum esset in agone posita, ecce uir Dei, beatus Iazeco astitit ante lectum eius dicens: Filia Potrumila, Deo deuota, quia me inuocasti in tua infirmitate, ideo in nomine Ihesu Christi sanitatem habeas et filium absque magno labore parias. Que cum quasi de graui sopore ad se reuersa fuisset, sanam se inuenit et filium absque labore peperit, et ueniens ad sepulcrum sancti Iazeconis, gracias Deo egit et suo preconi, beato Iazeconi, cum deuota oblacione. Hoc miraculum protestati sunt coram priore fratre Iohanne Zarich et lectore Boguslao supradictus dominus Versuus et uxor eius domina Potrumila et dominus Petrus miles et Iacobus166 miles. Anno Domini ­MoCCoLXoVIIIo, in die sancti Gregorii.167

In BA: curationi. Vgl. Anm. 138. 162  Nach Starzyński, Das mittelalterliche Krakau (wie Anm. 27), S. 28 „wahrscheinlich ein Nachkomme der Familie Moritz und Vater der späteren [Krakauer] Ratsherrn Heinemann, Petrus und Nicolaus.“ 163  Möglicherweise der gleichnamige für das ausgehende 13. Jahrhundert belegte Krakauer Schöffe; Starzyński, Das mittelalterliche Krakau (wie Anm. 27), S. 28. 164  In BA: Petromila. 165  Von Ćwikliński nach Severinus Cracoviensis, De vita (wie Anm. 38), S. 86 ergänzt. 166  Da die Ritter Peter und Jakob so zusammen auch in Kap. 21 als Zeugen begegnen, dürfte es sich um die gleichen Personen gehandelt haben. Ob Jakob auch mit den in Kap. 30 und 41 genannten gleichnamigen Zeugen identisch war, ist nicht zu sagen. 167  Sofern hier das Heiligenfest Gregors des Großen gemeint ist: der 12. März. 160  161 

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deine Verdienste zu heilen.“ Darauf der Mann Gottes: „Im Namen Jesu Christi, mögest du von jeglicher Krankheit befreit sein.“ Und während er dies sagte, verschwand er. Daraufhin erhielt der obengenannte Kranke sogleich die vollständige Gesundheit, erhob sich und ging schnellen Schrittes mit vielen Freunden und seiner großen Familie unverzüglich zur Kirche der Predigerbrüder, wo er seine Gefährtin Elisabeth betend am Grab des heiligen Jacek fand. Als diese ihn gesund sah, dankte sie Gott und seinem Herold, dem heiligen Jacek, und sie kehrten nach Hause zurück. Bei diesem Wunder160 waren zugegen und bezeugten es öffentlich vor dem Prior Johannes Zarych, dem Lektor Bogusław und vielen anderen glaubwürdigen [Leuten]: nämlich der obengenannte Gerald, dessen Ehefrau Elisabeth, Peter, der Vogt von Krakau161, die Ratsherren ebendieser Stadt Moritz162 und Wilhelm.163 Im Jahr des Herrn 1267. 27. Es folgt das Wunder von der Hilfe bei einer schwierigen Geburt. Eine gewisse adlige Herrin namens Piotrumiła164, die Ehefrau des Herren Warsza, war schwanger. Sechs Wochen [vor der Geburt wurde sie von einem großen Schmerz in der Gebärmutter geängstigt165] und als die Geburt näherkam und sie nicht die Kraft hatte zu gebären, da schwand ihr der Atem und während sie den heiligen Jacek anrief, wurde sie vor die Tore des Todes geführt. Als sie im Todeskampf dalag, siehe, da stand der Mann Gottes, der heilige Jacek an ihrem Bett und sagte: „Meine Tochter Piotrumiła, du Gottergebene, da du mich in deiner Krankheit gerufen hast, sollst du im Namen Jesu Christi gesund werden und deinen Sohn ohne große Anstrengung gebären.“ Als sie wie aus einem tiefen Schlaf wieder zu sich kam, fand sie sich gesund und gebar ihren Sohn ohne Anstrengung. Und als sie zur Grabstätte des heiligen Jacek kam, dankte sie Gott und seinem Herold, dem heiligen Jacek, mit einer frommen Gabe. Dieses Wunder bezeugten vor dem Prior Johannes Zarych und dem Lektor Bogusław öffentlich der obengenannte Herr Warsza und seine Ehefrau Piotrumiła sowie der Herr Ritter Peter und der Ritter Jakob.166 Im Jahr des Herrn 1268 am Tag des heiligen Gregor.167

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28. De curacione manus cuiusdam matrone miraculum. Nobilis matrona Martha168 nomine amiserat usum dextre manus ita, quod nec extendere nec flectere eam poterat. Quadam igitur169 uice dolore manus nimio pressa, uenit cum magno eiulatu ad ecclesiam fratrum predicatorum, ubi requiescit corpus beati Iazeconis, et cum lacrimis posita manu super sepulcrum eius dixit: O sancte Iazeco, tu multos mortuos suscitasti et diuersos infirmos curasti. Digneris me tuam170 deuotam a dolore manus mee liberare. Que dum uerba cum lacrimis protulisset et manum aridam super sepulcrum sancti uiri posuisset, mox beneficium perfecte curacionis suscepit, et tum171 gratias agens Deo et beato Iazeconi reuersa est ad propria. Huic miraculo interfuerunt et oculis suis conspexerunt frater Iohannes prior Zarich, lector Boguslaus, frater Ieronimus, dominus Zegota172, Petrus miles et multi alii utriusque sexus fide digni173, MoCCoLXoVIIIo in die translacionis beati Dominici. 29. De curacione oculorum ad sepulcrum sancti Iazcchonis. Quedam religiosa femina174, Cecilia nomine, a puericia sua seruiens deuote ­Domino plus quam XXX annis, que incidens in infirmitatem et grauissimum ­dolorem oculorum ita, quod VIIIo annis nimium dolorem paciens ut ceca ducebatur, tandem speciali deuocione ducta, quam habebat ad uirum Dei Iazeconem, mandauit se duci ad sepulcrum beati Iazeconis. Quod cum manu contigisset, in uocem prorumpens cum lacrimis: O sancte Iazeco, per te Deus mira operatur, nunc circa mortuos, nunc circa cecos; digneris me miseram iam octo annis cecam oculis176 clemencie uisere et ab hac cecitate oculorum meorum eripere. Et hiis dictis oculos sepulcro177 sancti Iazeconis applicuit. Mira res! statim meritis sancti Iazeconis omnem infirmitatem oculorum euasit et lumen perfectum recepit, in die sancte Trinitatis178, presentibus hiis: fratre Iohanne dicto

In BA: Maria. In BA: ergo. 170  In BA: tibi. 171  In BA: tunc. 172  Wohl identisch mit dem in Kap. 6, 12, 22 und 47 als Zeuge auftretenden Żegota; vgl. Anm. 73. 173  In BA: digni, Anno Domini. 174  In BA: domina. 175  Nach BA ergänzt. 176  oculis nach BA statt oculo bei Ćwikliński. 177  sepulcro nach BA statt super sepulcrum bei Ćwikliński. 178  Das Fest fiel 1268 auf den 3. Juni. 168  169 

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28. Das Wunder von der Heilung der Hand einer gewissen Frau. Eine adlige Frau namens Martha168 hatte derart den Dienst ihrer rechten Hand eingebüßt, dass sie diese weder strecken noch beugen konnte. Da sie169 vom wechselnden Schmerz der Hand übermäßig gequält wurde, ging sie mit lautem Wehklagen zur Kirche der Predigerbrüder, wo der Leichnam des heiligen Jacek ruht. Nachdem sie ihre Hand auf dessen Grab gelegt hatte, sprach sie unter Tränen: „Oh heiliger Jacek, du hast viele Tote auferweckt und verschiedene Kranke geheilt. ­Mögest du dich herablassen, mich, deine170 Ergebene, vom Schmerz meiner Hand zu befreien.“ Als sie diese Worte unter Tränen hervorbrachte und ihre dürre Hand auf das Grab des heiligen Mannes legte, empfing sie sogleich die Wohltat vollständiger Genesung. Daraufhin171 dankte sie Gott und dem heiligen Jacek und kehrte in die Heimat zurück. Bei diesem Wunder waren zugegen und sahen es mit eigenen Augen: der Bruder Prior Johannes Zarych, der Lektor Bogusław, der Bruder Hieronymus, der Herr Żegota172, der Ritter Peter und viele andere glaubwürdige173 [Zeugen] beiderlei Geschlechts, 1268 am Tag der Translation des heiligen Dominikus [24. Mai]. 29. Über die Heilung der Augen am Grab des heiligen Jacek. Eine gewisse gottesfürchtige Frau174 namens Cäcilia, die seit ihrer Kindheit mehr als dreißig Jahre fromm dem Herrn diente, verfiel derart einer Krankheit und einem sehr starken Augenschmerz, dass sie acht Jahre lang übermäßige Schmerzen erdulden und wie eine Blinde geführt werden musste. Schließlich veranlasste sie, geleitet von der besonderen Hingabe, die sie gegenüber dem Mann Gottes, dem [heiligen]175 Jacek, hegte, dass man sie an die Grabstätte des heiligen Jacek führt. Als sie diese mit der Hand berührte, rief sie unter Tränen aus: „Oh heiliger Jacek, durch dich wirkt Gott Wunderbares, mal bei Toten, mal bei Blinden; mögest du dich herablassen, mich Unglückliche, die ich schon seit acht Jahren blind bin, mit den Augen176 der Milde anzuschauen und von dieser Blindheit meiner Augen zu befreien.“ Und nach diesen Worten lehnte sie ihre Augen an die Grabstätte.177 Oh Wunder! Sogleich verschwand dank der Verdienste des heiligen Jacek jegliche Krankheit der Augen und sie erhielt das vollständige Augenlicht zurück. [Das geschah] am Tag der Heiligen Dreifaltigkeit178, in Gegenwart dieser [Zeugen]: des

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­ arich, fratre Boguslao lectore, domino Philippo179, domino Geraldo180 consuliZ bus Cracouiensibus et aliis multis fide dignis. Anno Domini MoCCoLXoVIIIo. 30. De liberacione surditatis ad sepulcrum sancti Iazcchonis sequitur miraculum. Quedam domina nomine Margareta in territorio Cracouiensi uixit in uiduitate plus quam viginti annis, que incidens in infirmitatem, percussa est grauissima surditate adeo, quod nec campanas, nec homines, nec quascumque sonorosas percussiones audire poterat. Igitur cum magna deuocione ad ecclesiam fratrum predicatorum in Cracouia ueniens, inuocabat sanctum Iazeconem et fratrem Uithum, episcopum de ordine fratrum predicatorum181, dicens: sancte Iazeco et sancte Uite, liberate me ab hac surditatis infirmitate. Et accessit ad sepulcrum sancti ­Iazeconis, deosculans illud et aures desuper applicans; quod cum fecisset, statim surditatem euasit et beneficium audiendi perfectissime suscepit182. Huic miraculo interfuerunt et supradictam dominam curatam uiderunt: frater Boguslaus lector et frater Ieronimus et dominus Andreas183 et Iacobus184 et multi alii fide digni. Anno Domini MoCCoLXoIXo. 31. De curacione subita tocius corporis. Quedam domina nomine Sertha, cognata domini Rodslay, plebani de Zechanowz185, percussa grauissima acuta ita, quod nec medici, nec quodcumque humanum adiutorium187 ei suffragare poterat, et audiens se morti appropinquare, inuocabat beatum Iazcchonem dicens: O sancte Iazccho, tu es consolator Vgl. Anm. 139. Vielleicht der Krakauer Bürger Gerardus, der 1290 als Empfänger einer Urkunde des großpolnischen Herzogs Przemysł II. bezeugt ist; KDM I, 118. Ein Ratsherr Gerhardus ist zum Jahr 1302 im ältesten Krakauer Stadtbuch verzeichnet, wobei sich der Eintrag ebenfalls auf das Jahr 1290 bezieht; Najstarsze księgi i rachunki miasta Krakowa od r. 1300 do 1400 [Die ältsten Stadt- und Rechnungsbücher Krakaus vom Jahr 1300 bis 1400], hrsg. von Franciszek Piekosiński/ Józef Szujski, Kraków 1878, S. 7 (Nr. 25). Da Gerard nach 1290 nicht mehr in Krakau hervortritt, vermutet Starzyński, Das mittelalterliche Krakau (wie Anm. 27), S. 28, dass er mit dem für 1300 bezeugten gleichnamigen Vogt von Miechów identisch war. 181  Der Dominikaner Wit wurde 1253 zum Missionsbischof der Litauer geweiht, erhielt 1255 aber den päpstlichen Dispens, das Amt bei Beibehaltung des Bischofstitels nicht weiter ausüben zu müssen. 182  In BA: recepit. 183  Vgl. Anm. 145. 184  Vgl. Anm. 166. 185  In BA: Schechonow; Dorf 25 km südlich von Krakau. 186  Ergänzt in Analogie zur Formulierung in Kap. 19. 187  In BA: presidium. 179  180 

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Bruders Johannes, genannt Zarych, des Lektors Bruder Bogusław, der Krakauer Ratsherren, des Herrn Philipp179 [und] des Herrn Gerald180, sowie vieler anderer glaubwürdiger [Zeugen]. Im Jahr des Herrn 1268. 30. Es folgt das Wunder von der Heilung einer Taubheit am Grab des ­heiligen Jacek. Eine gewisse Herrin namens Margarete lebte im Gebiet von Krakau mehr als zwanzig Jahre lang im Witwenstand. Als sie einer Krankheit verfiel, wurde sie so sehr von einer schweren Taubheit geschlagen, dass sie weder Glocken noch Menschen noch irgendwelche anderen klangvollen Schläge hören konnte. Daher kam sie in großer Ergebenheit zur Kirche der Predigerbrüder in Krakau, rief den heiligen Jacek und den Bruder Wit, einen Bischof vom Orden der Predigerbrüder181, an und sprach: „Heiliger Jacek und heiliger Wit, befreit mich von dieser Krankheit der Taubheit.“ Und sie trat an die Grabstätte des heiligen Jacek heran, küsste sie und lehnte ihre Ohren darauf; als sie dies getan hatte, verschwand sogleich die Taubheit und sie erlangte die Wohltat ausgezeichneten Hörens.182 Diesem Wunder haben beigewohnt und die obengenannte Herrin geheilt gesehen: der Bruder Lektor Bogusław und der Bruder Hieronymus und der Herr Andreas183 und Jakob184 und viele andere glaubwürdige [Zeugen]. Im Jahr des Herrn 1269. 31. Über die plötzliche Heilung eines ganzen Körpers. Eine gewisse Herrin namens Sertha, eine Verwandte des Herrn Rodsław, des Pfarrers von Dziekanowice185, war derart von einem plötzlichen, sehr starken [Fieber186] geschlagen, dass ihr weder Ärzte noch irgendein irdischer Beistand187 Linderung verschaffen konnte. Als sie hörte, dass sie dem Tod nahe war, rief sie den heiligen Jacek an, indem sie sprach: „Oh heiliger Jacek, du bist der Tröster der

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tribulatorum et medicator infirmorum, succurre mihi nunc misere in articulo mortis posite, et libera me ab hac maxima anxietate, et ego promitto cum deuota oblacione ad tuum sepulcrum uenire. Mira res! uix uotum finiret, subito omnem infirmitatem euasit et perfectam sanitatem meritis beati Iazcchonis recepit. Huic miraculo interfuerunt et oculis suis uiderunt: supradictus dominus. Rodslaus et Petrus miles, domina Agnes, multi alii fide digni. Anno Domini MoCCoLXXo. 32. De curacione oculi excecati cuiusdam militis miraculum. Quidam miles nomine Andreas188, uir nobilis genere, excecatus fuit in uno oculo morbida infirmitate ita, quod in pupilla caro excreverat mortua, in quantitate nucis gallice, que caro premaximum dolorem et faciei de cui passionem189 in eo causabat. Et non ualens euadere carnis superfluitatem et nimii doloris stimulacionem, uenit ad fratres predicatores in Cracouiam ad sepulcrum sancti Iazcchonis, et superposito oculo corrupto sepulcro sancti Iazcchonis, dicebat: O sancte Iazccho, dum mortaliter uiueres, me ut filium dilexisti, nunc respice in me, et libera me ab hac infirmitate, et redde mihi oculum meum. Quod cum dixisset, subito caro superflua ab oculo cecidit et pupilla noua, dans actum uidendi clarissime, meritis sancti Iazcchonis apparuit. Huic miraculo interfuerunt et oculis suis uiderunt: frater Iohannes dictus Zarich, frater Boguslaus, frater Ieronimus, dominus Zegota190 miles germanus curati, Petrus miles et multi alii fide digni in crastino sancte Trinitatis191 anno Domini MoCCoLXXo. 33. De curacione corporis tocius sequitur miraculum. Quedam domina nobilis, filia comitis Sulchonis, castellani Cracouiensis192, uxor Scarbimiri, percussa grauissima infirmitate ita, quod nec comedere, nec bibere, nec loqui poterat, et cum medici de uita eius desperarent, pater eius dominus Sulcho, castellanus Cracouiensis, inuocabat beatum uirum fratrem Iazeconem et fratrem Uitum episcopum de ordine predicatorum, dicens: O sancte Iazccho et sancte Uite, dignemini succurrere filie mee laboranti in morte, et ego eam193 cum Vgl. Anm. 145. Ćwikliński hat statt de cui passionem aus Severinus Cracoviensis, De vita (wie Anm. 38), S. 89 turpitudinem non paruam ergänzt; BA bietet: premaximum dolorem et facie passionem in eo cuasbat. 190  Möglicherweise identisch mit dem in Kap. 6, 12, 22, 28, 37 und 47 als Zeuge auftretenden Żegota; vgl. Anm. 73. 191  Da Trinitatis 1270 auf den 8. Juni fiel: 9. Juni. 192  Sułek (z Niedźwiedzia) ist als Kastellan von Krakau für die Jahre 1285–1288 bezeugt; UM, Nr. 125. 193  eam nach BA statt eum bei Ćwikliński. 188 

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Bedrückten und der Heiler der Kranken, eile mir Unglücklichen, die ich im Todeskampf liege, zu Hilfe und befreie mich von dieser gewaltigen Angst, und ich verspreche, dass ich mit einer frommen Gabe an deine Grabstätte kommen werde.“ Oh Wunder! Kaum hatte sie das Gelübde abgelegt, da verschwand plötzlich jegliche Krankheit und sie empfing durch die Verdienste des heiligen Jacek die vollständige Gesundheit. Diesem Wunder wohnten bei und sahen es mit eigenen Augen: der obengenannte Herr Rodsław und der Ritter Peter, die Herrin Agnes und viele andere glaubwürdige [Zeugen]. Im Jahr des Herrn 1270. 32. Das Wunder von der Heilung des erblindeten Auges eines gewissen Ritters. Ein gewisser Ritter namens Andreas188, ein Mann adliger Abstammung, war auf einem Auge durch eine schlimme Krankheit derart erblindet, dass in der Pupille totes Fleisch in der Größe einer Walnuss herauswuchs, Fleisch, das einen starken Schmerz und ihm dadurch Leiden im Gesicht189 verursachte. Und weil er dem Hervorquellen des Fleisches und der Reizung durch den übermäßigen Schmerz nicht entkommen konnte, begab er sich zu den Predigerbrüdern nach Krakau an die Grabstätte des heiligen Jacek. [Dort] legte er das kranke Auge auf die Grabstätte des heiligen Jacek und sprach: „Oh heiliger Jacek, während du noch als Sterblicher lebtest, hast du mich wie einen Sohn geliebt, nun schau auf mich und befreie mich von dieser Krankheit und gib mir mein Auge zurück.“ Als er dies sagte, fiel plötzlich das überflüssige Fleisch von seinem Auge und durch die Verdienste des heiligen Jacek erschien eine neue Pupille, die ihm die Fähigkeit gab, sehr klar zu sehen. Diesem Wunder wohnten bei und sahen es mit eigenen Augen: der Bruder Johannes, genannt Zarych, der Bruder Bogusław, der Bruder Hieronymus, der Herr Ritter Żegota190, der Bruder des Geheilten, der Ritter Peter und viele andere glaubwürdige [Zeugen] am Tag nach Trinitatis191 im Jahr des Herrn 1270. 33. Es folgt das Wunder von der Heilung eines ganzen Körpers. Eine gewisse adlige Herrin, die Tochter des Amtsträgers Sułek, des Kastellans von Krakau192, die Ehefrau des Skarbimir, war derart von einer sehr schweren Krankheit geschlagen, dass sie weder essen noch trinken noch reden konnte. Als die Ärzte die Hoffnung auf ihr Leben aufgaben, rief ihr Vater, der Herr Sułek, der Kastellan von Krakau, den heiligen Mann, Bruder Jacek, und den Bruder Wit, den Bischof vom Orden der Predigerbrüder, an, indem er sprach: „Oh heiliger Jacek und heiliger Wit, möget ihr euch herablassen, meiner mit dem Tod ringenden Tochter zu Hilfe zu eilen, und ich werde sie193 mit einer feierlichen Gabe an euer

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sollempni oblacione ad sepulcrum uestrum deducam. Quod cum uotum compleuisset, statim infirma recenti uoce clamauit: Gracias ago Deo meo, et sanctis eius, beato Iazcchoni et sancto Uito, quia liberata sum a mea infirmitate et a mortis periculo. Et statim sana surrexit et cum patre, domino Sulchone iam dicto et magna comitiua ad sepulcrum sanctorum Iazcchonis et Uiti cum magna deuocione uenit, et uotum, quod pater promiserat, deuote persoluit. Huic miraculo interfuerunt et oculis suis uiderunt: dominus Sulco, castellanus Cracouiensis, pater eiusdem, Petrus miles, Andreas miles, germani eiusdem, domina Florencia, et soror eius Clemencia. Anno Domini MoCCoLXXoIo. 34. De curacione uulnerum letalium in capite et in manibus sequitur miraculum. Quidam ciuis Cracouiensis, Hyncho nomine, per hostes uulneratus in capite usque ad cerebrum et in brachiis usque ad ossa ita letaliter, quod omnis medicina medicorum circa eum defecit; qui uidens se morti appropinquare, inuocauit sanctum Iazeconem, dicens: O sancte Iazeco, ecce nunc morior, quia nulla194 medicina humana curari ualeo; sed si tua pietas mihi affuerit, pro certissimo credo, me posse uiuere. Ideo obsecro tuam misericordiam, ut mihi succurras misero; et ego cum sollempni oblacione tuam tumbam uisitabo. Mirum negocium, uix uotum compleuerat, et statim uulnera consolidata atque perfecte curata sensit, et se ab omni infirmitate seu debilitate meritis sancti Iazcchonis curatum inuenit, et mox surgens cum uxore Elizabeth et duobus filiis Philippo et Iacobo ad ecclesiam fratrum predicatorum cum sollempni oblacione uenit, gratias Deo agens, et sancti sui Iazcchonis merita uociferans, qui eum curauit et a porta mortis ad uitam reduxit. Hanc miraculosam curacionem protestatus est supradictus Hyncho et uxor eius Elizabeth et duo filii eius Philippus et Iacobus coram priore fratre Benedicto, coram fratre Iohanne dicto Zarich, coram lectore Boguslao et multis aliis fide di­ gnis. Anno Domini MoCCoLXXoIIo. 35. De sanacione pueri a porta mortis sequitur miraculum bonum. Quedam domina nomine Boguslaua de uilla, que dicitur uulgariter Prosowicz195, habuit filium nomine Nicolaum, qui percussus permaxima infirmitate ita, quod non erat in eo aliquod signum uite. Qui cum agonizaret, mater eius supradicta Boguslaua cepit clamare maternis uisceribus, inuocando sanctum Iazcchonem dicens: O sancte Iazccho, per te Deus mira operatur, nunc obsecro, ut me miseram

nulla nach BA statt ulla bei Ćwikliński. Dorf, 30 km nordöstlich von Krakau; Gałuszka/Zdanek (wie Anm. 35), S 110 und 137 identifizierten Prosowicz allerdings mit dem in Kap. 6 genannten Prosowo/Proszówki; vgl. Anm. 71. 194  195 

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Grab führen.“ Sobald er dieses Gelübde abgelegt hatte, rief die Kranke sogleich mit frischer Stimme: „Ich danke meinem Gott und seinen Heiligen, dem heiligen Jacek und dem heiligen Wit, weil ich von meiner Krankheit und der Gefahr des Todes befreit worden bin.“ Und sogleich erhob sie sich gesund und kam mit ihrem Vater, dem schon genannten Herrn Sułek, und einem großen Gefolge [und] in großer Hingabe zur Grabstätte der Heiligen Jacek und Wit und erfüllte ergeben das Gelübde, das der Vater abgelegt hatte. Diesem Wunder wohnten bei und sahen es mit eigenen Augen: der Herr Sułek, der Kastellan von Krakau, ihr Vater, der Ritter Peter, der Ritter Andreas, ihre Brüder, die Herrin Florentia und ihre Schwester Klementia. Im Jahr des Herrn 1271. 34. Es folgt das Wunder von der Heilung tödlicher Wunden an Kopf und ­Händen. Ein gewisser Krakauer Bürger namens Hynek wurde von Feinden am Kopf bis aufs Hirn und an den Armen bis auf die Knochen so lebensgefährlich verletzt, dass bei ihm jedes Heilmittel der Ärzte versagte. Als er sah, dass er sich dem Tode näherte, rief er den heiligen Jacek an, indem er sprach: „Oh heiliger Jacek, siehe, ich sterbe jetzt, weil ich durch kein194 menschliches Heilmittel kuriert werden kann; wenn aber dein Mitleid mir beisteht, glaube ich fest daran, dass ich leben kann. Daher erflehe ich deine Barmherzigkeit, auf dass du mir Unglücklichem zu Hilfe eilst. Dann werde ich mit einer feierlichen Gabe dein Grab besuchen.“ Welch‘ wunderbare Sache, kaum hatte er das Gelübde abgelegt, da fühlte er sogleich seine Wunden geschlossen und vollkommen geheilt; er fand sich von jeglicher Krankheit oder Hinfälligkeit durch die Verdienste des heiligen Jacek geheilt. Sofort erhob er sich und zog zusammen mit seiner Ehefrau Elisabeth und seinen beiden Söhnen Philipp und Jakob mit einer feierlichen Gabe zur Kirche der Predigerbrüder, dankte Gott und benannte laut die Verdienste seines Heiligen Jacek, der ihn geheilt und von der Pforte des Todes ins Leben zurückgeführt hat. Diese wunderbare Heilung haben der obengenannte Hynek und seine Ehefrau Elisabeth und seine beiden Söhne Philipp und Jakob vor dem Prior, dem Bruder Benedikt, dem Bruder Johannes, genannt Zarych, dem Lektor Bogusław und vielen anderen glaubwürdigen [Leuten] öffentlich bezeugt. Im Jahr des Herrn 1272. 35. Es folgt das gute Wunder von der Heilung eines Jungen von der Pforte des Todes. Eine gewisse Herrin namens Bogusława aus einem Dorf, das volkssprachlich ­Proszowice195 genannt wird, hatte einen Sohn namens Nikolaus, der derart mit einer sehr schweren Krankheit geschlagen war, dass er schon ohne jedes Lebenszeichen war. Als er in den letzten Zügen lag, begann seine obengenannte Mutter Bogusława aus Leibeskräften zu wehklagen und den heiligen Jacek anzurufen, indem sie sprach: „Oh heiliger Jacek, durch dich wirkt Gott Wunderbares, nun flehe

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uiduam digneris consolari et filium meum iam agonizantem restituere pristine sanitati, et si hoc feceris, promitto tibi, usque ad mortem meam feriis quartis ieiunare. Quod uotum dum cum lacrimis compleuisset, statim filius eius dixit: mater mea dilecta, cito da mihi comedere, quia per sanctum Iazcchonem curatus sum a mea infirmitate. Et surgens perfecte sanatus, gratias Deo egit, et preconi suo, beato Iazeconi. Hoc miraculum protestati sunt: ipsemet curatus et mater eius domina Boguslaua, dominus Falislaus miles, dominus Pribislaus miles, germani supradicte, coram priore fratre Benedicto, lectore Boguslao et multis aliis fide dignis. Anno Domini millesimo CCoLXXo tercio. 36. De fragrancia odoris duplicis ad sepulcrum sanctorum Iaczchonis et Uiti episcopi. Quidam nobilis Zegotha nomine, cum adhuc esset clericus in seculo, ductus deuocione, uenit ad ecclesiam fratrum predicatorum in Cracouia, et cum deuocione oscularetur sepulcrum sancti Iazchonis, deinde sancti Uiti, sensit miram fragranciam atque odoris suauissimi redolenciam, qualem lingua humana uix explicare posset. Quo odore allectus, praeter spem196 mundanam ordinem fratrum predicatorum ingressus est, in quo sanctam uitam ducens, laudabiliter uixit. Qui postmodo iuramento firmauit, supradicti odoris fragranciam ad sepulcra iam nominata sensisse. Anno Domini MoCCoLXXoIIIIo. 37. De curacione circa sepulcrum sancti Iaczchonis. Nobilis quidam nomine Dobroslaus197, notarius ducis Boleslay, percussus squinancia plus quam octo diebus ita, quod caput et guttur habebat inflatum et nec comedere nec bibere poterat. Nono igitur die infirmitatis, cum a medicis desperaretur de198 uita eius, mandauit eum supradictus dux dominus Boleslaus ad sepulcrum sancti Iaczconis portari. Qui dum ingressus esset ecclesiam fratrum predicatorum, in qua requiescit corpus sancti Iaczconis, statim rehabuit modulos loquele, et appropinquans atque deosculans sepulcrum uiri Dei, beati Iaczchonis, cum lacrimis dicebat: O sancte Iaczco, iam mihi usum loquendi reddidisti, obsecro, ut digneris me sanitati pristine restituere, et ego promitto tibi, ferias quartas usque ad mortem ieiunare. Qui cum uotum compleuisset, mox meritis sancti Iaczchonis inflatura capitis et gutturis disparuit, et apostema scissum totumque

In C preopem statt praeter spem; in BA fehlt preopem mundanam. Als herzoglicher Amtsträger in anderen Quellen nicht belegt. Für die Jahre 1270–1278 ist ein Twardosław als herzoglicher Kaplan bezeugt, der 1262 auch als herzoglicher Notar begegnet. 198  De von Ćwikliński als eigener Zusatz gekennzeichnet, doch so auch in BA. 196  197 

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ich dich an, mögest du dich herablassen, mich elende Witwe zu trösten und meinem schon in den letzten Zügen liegenden Sohn die frühere Gesundheit zurückzugeben. Und wenn du dies tust, verspreche dir, bis zu meinem Tod mittwochs zu fasten.“ Sobald sie das Gelübde unter Tränen abgelegt hatte, sagte ihr Sohn sogleich: „Meine liebe Mutter, gib mir schnell zu essen, weil ich durch den heiligen Jacek von meiner Krankheit geheilt worden bin.“ Und er erhob sich vollkommen gesund, dankte Gott und seinem Herold, dem heiligen Jacek. Dieses Wunder haben vor dem Bruder Prior Benedikt, dem Lektor Bogusław und vielen anderen glaubwürdigen [Leuten] öffentlich bezeugt: der Geheilte selbst und seine Mutter, die Herrin Bogusława, der Herr Ritter Falisław und der Herr Ritter Przybysław, die Brüder der obengenannten [Mutter]. Im Jahr des Herrn 1273. 36. Über den Wohlgeruch eines zweifachen Duftes am Grab der ­Heiligen Jacek und des Bischofs Wit. Ein gewisser Adliger namens Żegota, der in seinem irdischen Leben bis dahin Geistlicher war, kam von seiner Frömmigkeit geleitet zur Kirche der Predigerbrüder in Krakau und küsste mit Hingabe das Grab des heiligen Jacek, dann jenes des heiligen Wit. Da bemerkte er einen wunderbaren Wohlgeruch und die Verbreitung eines sehr angenehmen Duftes, den die menschliche Sprache kaum beschreiben könnte. Durch diesen Geruch angelockt gab er seine weltliche Hoffnung196 auf und trat in den Orden der Predigerbrüder ein, in dem er ein geheiligtes Leben führte und lobenswert lebte. Später bestätigte er unter Eid, dass er den Wohlgeruch des obengenannten Duftes an den genannten Gräbern bemerkt hatte. Im Jahr des Herrn 1274. 37. Über eine Heilung am Grab des heiligen Jacek. Ein gewisser Adliger namens Drobosław197, der Notar des Herzogs Bolesław [V.], war mehr als acht Tage lang derart von einer Halsentzündung geschlagen, dass sein Kopf und sein Hals geschwollen waren und er weder essen noch trinken konnte. Als am neunten Tage der Krankheit die Ärzte die Hoffnung auf198 sein Leben aufgaben, ließ ihn der obengenannte Herzog, der Herr Bolesław, an die Grabstätte des heiligen Jacek bringen. Sobald jener die Kirche der Predigerbrüder, in der der Leichnam des heiligen Jacek ruht, betreten hatte, erhielt er sogleich die Fähigkeit des Sprechens zurück und als er sich dem Grab des Mannes Gottes, des heiligen Jacek, näherte und es abküsste, sprach er unter Tränen: „Oh heiliger Jacek, du hast mir bereits den Gebrauch der Sprache zurückgegeben, ich flehe dich an, mögest du dich herablassen, mir [auch] die frühere Gesundheit zurückzugeben, und ich verspreche dir, bis zu meinem Tod mittwochs zu fasten.“ Sobald er das Gelübde abgelegt hatte, verschwand durch die Verdienste des heiligen Jacek sogleich die Schwellung des Kopfes und der Kehle, das Geschwür platze auf und der

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corpus sanitati pristine perfecte restitutum. Huic curacioni interfuerunt et oculis suis conspexerunt: frater Benedictus prior, frater Boguslaus lector, dominus Zegota199 miles, dominus Falislaus200 miles, domicellus Petrus et multi alii fide digni. Anno Domini MoCCoLXXoVIIo. 38. De curacione iuuenis a porta mortis. Quidam miles nomine Boguslaus201, cuius uxor erat Magdalena nomine; hii habebant filium unicum nomine Uislauum, qui incidit in acutam grauissimam ita, quod a medicis fuit de uita eius desperatum. Et cum morti appropinquaret et iam agonizaret, domina Magdalena, mater eius, cepit cum lacrimis inpulsare uotis et oracionibus sanctum Uitum episcopum de ordine predicatorum et sanctum Iaczconem dicens: O sancte Uite et sancte Iaczcho, dignemini succurrere filio meo in morte laboranti, et ego eum cum sollempni oblacione ad sepulcra uestra offeram. Quod uotum cum perfecisset, statim iuuenis locutus est ad eam, dicens: O mater karissima, cito uadamus ad ecclesiam fratrum predicatorum in Cracouiam, ut gratias Deo agamus pro mea curacione et sanctis eius, beato Iaczchoni et sancto Uito, nam apud me fuerunt in decore mirabili, unus pontificalibus indutus, alius habitu fratrum predicatorum adornatus, dixeruntque mihi, dum agonizarem: In nomine Ihesu Christi curamus te ab infirmitate, quam pateris, surge et cum matre tua transiens ad sepulcra nostra, comple uotum, quod spopondit pro te mater tua. Tunc supradicta domina Magdalena, mater curati, cum domino Boguslao marito suo et multis consanguineis uenientes in Cracouiam de uilla, que uulgariter dicitur Pelcznycha205, ad fratres predicatores, ubi corpora dictorum sanctorum requiescunt, uotum promissum sollempniter persoluerunt. Huic curacioni interfuerunt, et oculis suis uiderunt, et suo206 iuramento protestati sunt: pater et mater iam nominati, dominus Pelcha germanus eiusdem, dominus Yaroslaus miles, domina Constancia, domina Stanislaua et multi alii fide digni, coram priore, fratre Ieronimo, lectore Boguslao. Anno Domini MoCCo octogesimo, in crastino assumpcionis Uirginis gloriose.

199  Möglicherweise identisch mit dem in Kap. 6, 12, 22, 28, 32 und 47 als Zeuge auftretenden Żegota; vgl. Anm. 73. 200  Vielleicht identisch mit dem in Kap. 35 und 41 als Zeugen auftretenden Ritter Falisław. 201  Vielleicht identisch mit dem in Kap. 15 als Zeugen auftretenden Ritter Bogusław. 202  Ergänzt in Analogie zur Formulierung in Kap. 19. 203  Nach BA ergänzt. 204  Nach BA ergänzt. 205  Etwa 41 km nordöstlich von Krakau. 206  In BA sub.

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ganze Körper war vollständig in die frühere Gesundheit zurückversetzt. Dieser Heilung wohnten bei und nahmen sie mit eigenen Augen wahr: der Bruder Prior Benedikt, der Bruder Lektor Bogusław, der Herr Ritter Żegota199, der Herr Ritter Falisław200, der junge Herr Peter und viele andere glaubwürdige [Zeugen]. Im Jahr des Herrn 1277. 38. Über die Heilung eines Jünglings von der Pforte des Todes. [Es gab] da einen gewissen Ritter namens Bogusław201, dessen Ehefrau Magdalena war; sie hatten einen einzigen Sohn namens Wisław, der derart in ein plötzliches und sehr starkes [Fieber202] fiel, dass die Ärzte die Hoffnung auf sein Leben aufgegeben hatten. Und als er dem Tod nahekam und bereits im Todeskamp lag, begann seine Mutter, die Herrin Magdalena, unter Tränen mit Gelübden und Gebeten den heiligen Wit, den Bischof vom Orden der [Predigerbrüder203] „und den heiligen Jacek zu bestürmen, indem sie sprach: „Oh heiliger Wit und heiliger Jacek, möget ihr euch herablassen, meinem Sohn, der im Sterben liegt, zu Hilfe zu eilen, und ich werde ihn mit einer feierlichen Gabe an eure Gräber führen.“ Als sie das Gelübde abgelegt hatte, sprach der Jüngling sogleich zu ihr und sagte: „Oh teuerste Mutter, lass uns schnell zur Kirche der Predigerbrüder nach Krakau gehen, um Gott und seinen Heiligen, dem heiligen Jacek und dem heiligen Wit, für meine Heilung zu danken, denn sie standen [gerade204] in wunderbarem Glanz vor mir, der eine in Bischofsgewänder gekleidet, der andere mit dem Habit der Predigerbrüder geschmückt, und sie sagten mir, als ich im Todeskampf lag: ,Wir heilen dich im Namen Jesu Christi von der Krankheit, an der du leidest; erhebe dich und gehe mit deiner Mutter hinüber zu unseren Gräbern, erfülle das Gelübde, das deine Mutter für dich abgelegt hat.‘ “ Daraufhin kamen die obengenannte Herrin Magdalena, die Mutter des Geheilten, mit dem Herrn Bogusław, ihrem Ehemann, und vielen Verwandten aus dem Dorf, das volkssprachlich Pałecznica205 genannt wird, nach Krakau zu den Predigerbrüdern, wo die Leichname der genannten Heiligen ruhen, und erfüllten feierlich das abgelegte Gelübde. Dieser Heilung wohnten bei und sahen sie mit eigenen Augen und bezeugten sie mit ihrem206 Eid vor dem Prior, dem Bruder Hieronymus und dem Lektor Bogusław öffentlich: der Vater und die Mutter des schon Genannten, der Herr Pełka, der Bruder desselben, der Herr Ritter Jarosław, die Herrin Konstanze, die Herrin Stanisława und viele andere glaubwürdige [Zeugen]. Im Jahr des Herrn 1280 am Tag nach Maria Himmelfahrt [16. August].

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39. De curacione oculorum tota cecorum circa ad sepulcrum. Quedam domina nobilis nomine Cristina, uxor domini Nicolay militis, de uilla, que uulgariter dicitur Strenawa207, incidit in infirmitatem oculorum, et inualescente morbo, priuata est totaliter uirtute uisiua ita, quod nec lucem nec hominem, nec quodcumque uisibile uidere poterat sex annis, et iam ceca ab omnibus appellabatur, et a marito suo detestabatur. Tandem quedam deuota matrona dixit ei: Domina Cristina, facias uotum sancto Iaczchoni, per quem Deus nunc in Cracouia operatur mira aput fratres predicatores, et sum certa, quod Deus meritis suis reddet tibi uisum. Tunc domina Cristina ceca uoce lamentabili et cum lacrimis respondit: Iam, inquit, uadam ad ecclesiam nostram, quam habemus in uilla, et ibi oracione deuota premissa, uotum emittam. Que cum ecclesiam inducta fuisset et oracionem fecisset, sopore modico depressa, astitit ei sanctus Iaczcho, dicens: Domina Cristina, si uis cecitatem euadere, uisita sepulcrum meum cum deuota oblacione. Tunc supradicta domina Cristina ad se reuersa, clamare cepit: Cito currum preparate et me in Cracouiam ad fratres predicatores ad sepulcrum sancti Iaczcho­ nis ducite, nam iam mihi apparuit in fulgido habitu fratrum predicatorum, lumen oculorum meorum mihi promisit. Quod cum factum fuisset, [et ipsa] ad sepulcrum uiri Dei cum lacrimis hac deuota oracione [orasset et] oculis cecis [sepulcrum] contigisset, statim uisum clarissimum recepit meritis sancti Iaczchonis. Huic miraculo interfuerunt et oculis suis conspexerunt dominus Nicolaus maritus eiusdem, dominus Pribislaus miles, dominus Wirchoslaus miles, domina Agnes germana supradicte curate, domina Florencia et multi alii fide digni, et frater208 Benedictus prior, Boguslaus lector. Anno Domini MoCCo octogesimo primo in die209 beati Dominici hora quasi nona. 40. De sanacione mirabili. In ciuitate, que uulgariter dicitur Mechow, erat quidam nomine Sulcho, habens uxorem Margaretam; hii habebant unicum filium Iohannem nomine, qui incidit in acutam grauissimam ; et die octauo, infirmitate preualente, cepit agonizare. Quod cum uidisset mater eius, inuocabat sanctum Iaczchonem dicens: O sancte Iaczcho, tu omnes ad te deuote confugientes211 et tuum patrocinium flagitantes consolaris; digneris mihi, famule tue, unicum filium meum, quem iam uideo quasi mortuum, reddere. Et circa gallicinium cum iam exspirare filius eius 42 km nördlich von Krakau. BA: fratres. 209  BA: festo. 210  Ergänzt in Analogie zur Formulierung in Kap. 19, in dem bereits vom gleichen Wunder berichtet wird. 211  confugientes nach BA statt recolentes bei Ćwikliński. 207  208 

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39. Über die vollständige Heilung blinder Augen am Grab. Eine gewisse adlige Herrin namens Christina, die Ehefrau des Herrn Ritters Nikolaus, aus dem Dorf, das volkssprachlich Szreniawa207 genannt wird, bekam eine Augenkrankheit. Als sich die Erkrankung verschlimmerte, wurde sie derart gänzlich der Sehkraft beraubt, dass sie sechs Jahre lang weder Licht noch einen Menschen noch irgendetwas Sichtbares sehen konnte. Und schon wurde sie von allen als blind bezeichnet und von ihrem Ehemann verflucht. Schließlich sagte ihr eine gewisse fromme Frau: „Meine Herrin Christina, lege dem heiligen Jacek, durch den Gott jetzt in Krakau bei den Predigerbrüdern Wunder wirkt, ein Gelübde ab, und ich bin mir sicher, dass Gott dir dank seiner Verdienste die Sehkraft zurückgeben wird.“ Daraufhin antwortete die blinde Herrin Christina mit kläglicher Stimme und unter Tränen: „Schon will ich zu unserer Kirche gehen, die wir im Dorf haben, und dort ein frommes Gebet vorausschicken und ein Gelübde ablegen.“ Als sie in die Kirche geführt worden war und ihr Gebet gesprochen hatte, wurde sie von einem kurzen Schlaf erfasst. Da trat zu ihr der heilige Jacek und sagte: „Meine Herrin Christina, wenn du die Blindheit verlassen willst, besuche meine Grabstätte mit einer frommen Gabe.“ Daraufhin kam die obengenannte Herrin wieder zu sich und begann zu rufen: „Bereitet schnell einen Wagen vor und führt mich nach Krakau zu den Predigerbrüdern an die Grabstätte des heiligen Jacek, denn er ist mir bereits im strahlenden Gewand der Predigerbrüder erschienen und hat mir mein Augenlicht versprochen.“ Als dies geschehen war [und sie] am Grab des Mannes Gottes unter Tränen ihr frommes Gebet [gesprochen] und mit ihren blinden Augen [das Grab] berührt hatte, erlangte sie durch die Verdienste des heiligen Jacek sogleich die klare Sehkraft zurück. Diesem Wunder wohnten bei und sahen es mit eigenen Augen: der Herr Nikolaus, ihr Ehemann, der Herr Ritter Przybysław, der Herr Ritter Wierzchosław, die Herrin Agnes, die Schwester der obengenannten Geheilten, die Herrin Florentia und viele andere glaubwürdige [Zeugen] und der Bruder208 Prior Benedikt und der Lektor Bogusław. Im Jahr des Herrn 1281 am Tag209 des heiligen Dominikus [4. August] um die neunte Stunde. 40. Über eine wunderbare Heilung. In einer Stadt, die volkssprachlich Miechów genannt wird, gab es einen gewissen [Mann] namens Sułek, der eine Ehefrau [namens] Margarete hatte. Sie hatten einen einzigen Sohn namens Johannes, der in ein plötzliches und sehr schweres [Fieber210] fiel. Am achten Tage verstärkte sich die Krankheit sehr und er begann, mit dem Tode zu ringen. Als dies seine Mutter sah, rief sie den heiligen Jacek an, indem sie sprach: „Oh heiliger Jacek, du tröstest alle, die fromm bei dir Zuflucht suchen211 und deinen Beistand erbitten; mögest du dich herablassen, mir, deiner Dienerin, meinen einzigen Sohn, den ich schon fast tot sehe, zurückzugeben.“

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debuit, apertis oculis sana uoce dixit ad matrem et ad alios circumstantes, ipsum deflentes: Nolite flere, iam sanctus Iaczcho primo aput me fuit et totaliter me curauit, et dixit mihi, ut statim irem in Cracouiam ad fratres predicatores ad sepulcrum suum cum graciarum accione et deuota oblacione. Et surgens in crastino compleuit, quod sibi a beato Iaczcone inpositum212 fuit. Huic miraculo interfuerunt et oculis suis uiderunt et protestati sunt pater et mater curati, Andreas et Philippus ciues eiusdem ciuitatis, Katherina et Elizabet in eadem , coram fratre Ieronimo priore, Stephano lectore214, fratre Boguslao antiquo et multis aliis fide dignis. Anno Domini MoCCoLXXXoIIo. 41. De sanacione subita tocius corporis. Quedam nobilis domina Margareta nomine, uxor Falislay215 militis de uilla, quo uulgariter dicitur Kalina216, percussa dissenteria ita, quod penitus destituta fuit uiribus, quia nec comedere nec bibere ualebat. Et cum appropinquaret morti, inuocauit sanctum Iaczconem, dicens: O sancte Iaczcho, ueraciter credo, te esse in uita eterna, et quod Deus tuis meritis multos languidos curauit et mortuos suscitauit. Ideo obsecro, ut digneris me ad uitam reuocare et ego promitto Deo et tibi, ferias quartas et sextas usque ad mortem in pane et aqua ieiunare217, et ad tuum sepulcrum cum deuota oblacione uenire. Mira res! uix uotum compleuit, et statim meritis sancti Iaczchonis sana surrexit, et ueniens in Cracouiam gracias Deo et suo preconi, beato Iaczchoni egit et oblacionem sollempnem cum deuocione ­obtulit. Huic miraculo interfuerunt: supradictus miles, maritus eius dominus ­Falislaus, dominus Iacobus218 miles, dominus Andreas miles219, domina Florencia soror eiusdem domine et multi alii fide digni, et protestati sunt coram fratre Ieronimo priore, Boguslao lectore, fratre Zacharia sacrista. Annno Domini ­MoCCoLXXXoIIIo.

BA: imperatum. Nach BA ergänzt. 214  Der Lektor Stefan begegnet 1284 und 1289 auch als Prior (Kap. 42, 44). 215  Vielleicht identisch mit dem in Kap. 35 und 37 als Zeugen auftretenden Ritter Falisław. 216  Das 43 km nordöstlich von Krakau gelegene Kalina Wielka. 217  Legenda s. Dominci auctore Bartholomaeo Tridentino, in: Berthold Altaner, Der hl. Dominikus. Untersuchungen und Texte, Breslau 1922, S. 230–239, hier S. 232. 218  Vgl. Anm. 166. 219  Vgl. Anm. 145. 212  213 

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Und beim ersten Hahnenschrei, als ihr Sohn bereits sein Leben aushauchen musste, sagte er mit offenen Augen und gesunder Stimme zur Mutter und zu den anderen Anwesenden, die ihn beweinten: „Weinet nicht, der heilige Jacek war schon bei mir und hat mich vollkommen geheilt und er hat mir gesagt, dass ich sofort mit einer Danksagung und einer frommen Gabe nach Krakau zu den Predigerbrüdern an seine Grabstätte gehen soll.“ Tags darauf erhob er sich und erfüllte, was ihm vom heiligen Jacek aufgetragen212 worden war. Diesem Wunder wohnten bei und sahen es mit eigenen Augen und bezeugten es öffentlich: der Vater und die Mutter des Geheilten, Andreas und Philipp, Bürger eben dieser Stadt, Katherina und Elisabeth in derselben [Stadt213] vor dem Bruder Prior Hieronymus, dem Lektor Stefan214, dem Bruder Bogusław, dem alten [Lektor], und vielen anderen glaubwürdigen [Leuten]. Im Jahre des Herrn 1282. 41. Über die plötzliche Heilung eines ganzen Körpers. Eine gewisse adlige Herrin namens Margarete, die Ehefrau des Ritters Falisław215 aus dem Dorf, das volkssprachlich Kalina216 genannt wird, wurde derart von Durchfall geplagt, dass sie fast gänzlich ihre Kräfte verlor, weil sie weder essen noch trinken konnte. Und als sie sich dem Tod näherte, rief sie den heiligen Jacek an, indem sie sprach: „Oh heiliger Jacek, ich glaube wirklich, dass du im ewigen Leben bist und Gott durch deine Verdienste viele Kranke geheilt und Tote auferweckt hat. Deshalb flehe ich dich an, mögest du dich herablassen, mich ins Leben zurückzurufen, und ich verspreche Gott und dir, bis zu meinem Tod mittwochs und freitags bei Brot und Wasser zu fasten217 und mit einer frommen Gabe an dein Grab zu kommen.“ Oh Wunder! Kaum hatte sie das Gelübde abgelegt, da erhob sie sich durch die Verdienste des heiligen Jacek sogleich gesund, und als sie nach Krakau kam, dankte sie Gott und seinem Herold, dem heiligen Jacek, und brachte ehrfürchtig ihre feierliche Gabe dar. Diesem Wunder wohnten bei: der obengenannte Ritter Falisław, ihr Ehemann, der Herr Ritter Jakob218, der Herr Ritter Andreas219, die Herrin Florentia, ihre Schwester, und viele andere glaubwürdige [Zeugen]; und sie bezeugten es öffentlich vor dem Bruder Prior Hieronymus, dem Lektor Bogusław und dem Bruder Küster Zacharias. Im Jahr des Herrn 1283.

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42. De curacione febris meritis sancti Iaczconis. Quedam nobilis domina, nomine Mylesca220, uxor comitis Ianczchonis221 de ­Cunich222 habuit filiam unicam, nimirum formosam, nomine Dobroslauam. Hec corrupta febre, decidit in uarias infirmitates, et cum medici de uita eius desperarent, mater eius domina Mylesca, que speciali deuocione sancto Iaczchoni erat affecta, lacrimosis oculis et corde lamentabili cepit flagitare patrocinium sancti Iaczchonis, dicens: o sancte Iaczcho, audiui de te in sermone, quod sis pius et misericors te inuocantibus; ideo te obsecro, ut digneris filiam meam curare, et ego promitto tibi eam cum deuota oblacione223 ad tuum sepulcrum deducere. Quod uotum cum compleuisset, statim supradicta domicella Dobroslauua meritis sancti Iaczchonis perfecta sanitate suscepta surrexit. Quam mater, domina Mylesca, et pater eius dominus Ianco comes cum magna comitiua in Cracouiam ad fratres predicatores ad sepulcrum sancti Iaczchonis cum deuota oblacione deduxerunt. Hoc miraculum uiderunt et protestati sunt: pater et mater supradicte domicelle, Dirsicius auunculus eius, Pribislaus miles, domina Klara224 matertera eiusdem et multi alii fide digni. Coram priore Stephano, Clemente lectore. Anno Domini MoCCoLXXXoIIIIo, in crastino sancte Trinitatis.226 43. De curacione maximi doloris cordis. domina Pribislaua, uxor militis domini Iacobi de terra Opolensy, fratris uterini beati uiri Iaczchonis, de uilla, que dicitur uulgariter Camen229, incidit in grauissimam acutam . Et cum a medicis desperaretur de uita eius, recordata est uiri sancti Iaczchonis, per quem Deus mira operatur in Cracouia et in omnibus finibus Polonie. Et quia circumdata doloribus mortis penitus loqui non potuit, sed corde anxio et deuotis suspiriis inuocabat sanctum Iaczconem, et cum plangeretur a marito et ab amicis tamquam mortua, circa gallicinium astitit ante lectum eius sanctus Iaczcho dicens: PribisIn BA: Milosca. In BA: Jaczkonis. 222  de Cunich nach BA; in C: de Mnych, statt de Amych bei Ćwikliński. Kunice liegt 27 km südöstlich von Krakau. 223  In BA statt deuota oblacione: devotione et offeratio. 224  So in C und BA statt Dara bei Ćwikliński. 225  Nach BA ergänzt. 226  Da das Dreifaltigkeitsfest im Jahr 1284 auf den 4. Juni fiel, der 5. Juni. 227  Nach BA ergänzt. 228  Ergänzt in Analogie zur Formulierung in Kap. 42. 229  Siehe Anm. 56. 230  Ergänzt in Analogie zur Formulierung in Kap. 19. 220  221 

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42. Über die Heilung eines Fiebers durch die Verdienste des heiligen Jacek. Eine gewisse adlige Herrin namens Mileszka220, die Ehefrau des Amtsträgers Janczek221 von Kunice222, hatte eine einzige, wahrlich hübsche Tochter namens Dobrosława. Diese wurde von einem Fieber verdorben, bekam verschiedene Krankheiten und als die Ärzte die Hoffnung auf ihr Leben aufgaben, begann ihre Mutter, die Herrin Mileszka, die dem heiligen Jacek mit besonderer Hingabe zugetan war, mit tränenerfüllten Augen und jammervollem Herzen den Beistand des heiligen Jacek zu erflehen, indem sie sprach: „Oh heiliger Jacek, ich habe von dir in der Predigt gehört, dass du jenen gegenüber, die dich anrufen, gütig und barmherzig bist; deshalb flehe ich dich an, mögest du dich herablassen, meine Tochter zu heilen, und ich verspreche dir, dass ich sie mit einer frommen Gabe223 an dein Grab führen werde.“ Nachdem sie das Gelübde abgelegt hatte, erlangte die obengenannte junge Herrin Dobrosława durch die Verdienste des heiligen Jacek sogleich die vollständige Gesundheit und erhob sich. Ihre Mutter, die Herrin ­Mileszka, und ihr Vater, der Herr Amtsträger Janko [= Janczek], führten sie mit einem großen Gefolge nach Krakau zu den Predigerbrüdern an die Grabstätte des heiligen Jacek, mit einer frommen Spende. Dieses Wunder sahen und bezeugten öffentlich der Vater und die Mutter der obengenannten jungen Herrin, ihr Onkel Dzirżyk, der Ritter Przybysław, die Herrin Klara224, ihre Tante, und viele andere glaubwürdige [Zeugen]. Vor dem Vater225 Prior Stefan [und] dem Lektor Klemens. Im Jahr des Herrn 1284 am Tag nach Trinitatis.226 43. Über die Heilung eines sehr starken Schmerzes am Herzen. Eine gewisse adlige227 Herrin namens228 Przybysława, die Ehefrau des Herrn Ritter Jakob aus dem Oppelner Land, eines leiblichen Bruders des heiligen Mannes Jacek, aus dem Dorf, das volkssprachlich Kamień229 genannt wird, fiel in ein plötzliches und sehr starkes [Fieber230]. Und als die Ärzte die Hoffnung auf ihr Leben verloren, erinnerte sie sich des heiligen Mannes Jacek, durch den Gott in Krakau und allen Gebieten Polens Wunder wirkt. Und weil sie von Todesschmerzen umringt überhaupt nicht mehr sprechen konnte, rief sie den heiligen Jacek mit ängstlichem Herzen und frommen Seufzern an. Und während sie von ihrem Ehemann und von den Freunden wie eine Verstorbene betrauert wurde, stand beim ersten Hahnenschrei der heilige Jacek an ihrem Bett und sprach: „Przybysława, du Gottesfürchtige,

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laua, Deo deuota, quia me inuocasti in hora mortis tue, ideo in nomine Ihesu Christi restituo te uite pristine et sanitati perfecte. Hiis dictis disparuit, et tunc supradicta domina Pribislaua cepit clamare uoce alta ad personas circa eam uigilantes, sed sompno soporatas, dicens: Surgite, surgite; numquid non uidistis sanctum Iaczchonem, qui primo aput me fuit habitu fratrum predicatorum, indutus tunica et scapulari, nimio candore decoratus meque a morte liberauit et sanitati pristine restituit perfecte. Et hoc231 dicens, statim sana surrexit , et ueniens in Cracouiam cum magna familia ad fratres predicatores cum oblacione deuota ad sepulcrum sancti Iaczchonis gracias Deo egit, qui dignatus est per suum preconem, beatum uirum Iaczchonem mira operari. Hoc miraculum protestati sunt: supradicta domina Pribislauua et maritus eius dominus Iacobus et Bartholomeus miles et Bronislaua soror eiusdem et multi alii fide digni coram fratre priore Cracouiensi233 [et] Clemente lectore. Anno Domini MoCCoLXXXoIXo. 44. De sanacione digitorum meritis sancti Iaczconis. Quedam domina Margareta nomine, filia Bartholomei, ciuissa Cracouiensi[s] casualiter234 precidit duos digitos de manu propria; et cum eiularet et lamentabiliter fleret, acceptis duobus digitis et panniculo inuolutis, uenit ad ecclesiam fratrum predicatorum, ad sepulcrum sancti Iaczconis, et cum lacrimis [cepit235] orare et dicere: o beate Iaczco, per tua merita Deus mortuos suscitat; digneris mihi, famule tue, digitos mortuos manui mee reuiuere et uiuificare, et ego promitto tibi omni die, quam diu uixero, septem Pater noster cum totidem Aue Maria deuote decantare. Et hec dicens, manum digitis priuatam super sepulcrum sancti Iaczconis posuit, et digitos auulsos locis suis applicauit. O stupendum negocium! mox digiti meritis beati Iaczconis locis suis iuncti sunt et sanitati perfecte restituti. Hoc miraculum uiderunt et protestati sunt: Bartholomeus uir eius237, Petrus ciuis Cracouiensis, Florianus et Boguslaus ciues eiusdem ciuitatis, domina Sondeca et Katherina, frater Stephanus prior Cracouiensis et frater Clemens et multi alii fide digni. Anno Domini MoCCoLXXXIX in crastino beati Dominici.

Nach BA statt hec bei Ćwikliński. Nach BA ergänzt. 233  Da in Kap. 44 als Prior der auch schon zu 1284 (Kap. 42) in dieser Funktion genannte Stefan begegnet, dürfte auch hier der Name Stefan zu ergänzen sein. 234  In BA: civis Cracoviensis casu. 235  In BA: et cepit cum lacrimis. 236  Nach BA ergänzt. 237  Da Bartholomäus zu Beginn des Kapitels als Vater der Margarete bezeichnet wird, liegt hier entweder ein Fehler vor oder Vater und Ehemann trugen denselben Namen. 238  Nach BA ergänzt. 231  232 

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weil du mich in der Stunde deines Todes angerufen hast, versetze ich dich im Namen Jesu Christi in dein früheres Leben und vollkommene Gesundheit zurück.“ Nach diesen Worten verschwand er. Daraufhin begann die obengenannte Herrin Przybysława, den Personen, die um sie wachten, aber vom Schlaf übermannt waren, mit lauter Stimme zuzurufen: „Steht auf, steht auf! Habt ihr denn nicht den heiligen Jacek gesehen, der gerade im Habit der Predigerbrüder, bekleidet mit Tunika und Skapulier, geschmückt mit übermäßigem Glanz, bei mir war und mich vom Tode befreit und vollständig in meine frühere Gesundheit zurückversetzt hat?“ Und während sie dies231 sagte, erhob sie sich sogleich völlig232 gesund. Dann zog sie mit ihrer großen Familie und einer frommen Gabe zu den Predigerbrüdern nach Krakau an die Grabstätte des heiligen Jacek und dankte Gott, der sich herabgelassen hatte, durch seinen Herold, den heiligen Mann Jacek, Wunderbares zu wirken. Dieses Wunder bezeugten öffentlich: die obengenannte Herrin Przybysława und ihr Ehemann, der Herr Jakob, der Ritter Bartholomäus und Bronisława, ihre Schwester, und viele andere glaubwürdige [Zeugen] vor dem Bruder Prior von Krakau233 [Stefan und] dem Lektor Klemens. Im Jahr des Herrn 1289. 44. Über die Heilung der Finger durch die Verdienste des heiligen Jacek. Eine gewisse Herrin namens Margarete, die Tochter des Bartholomäus, eine Krakauer Bürgerin, schnitt sich zufällig234 zwei Finger von der eigenen Hand ab. Sie heulte und weinte jämmerlich, hob die beiden Finger auf, wickelte sie in ein Tüchlein und ging zur Kirche der Predigerbrüder an die Grabstätte des heiligen Jacek und unter Tränen begann sie235 zu beten und zu sprechen: „Oh heiliger Jacek, durch deine Verdienste erweckt Gott Tote auf; mögest du dich herablassen, mir, deiner Dienerin, die beiden236 toten Finger meiner Hand wiederzubeleben und lebendig zu machen, und ich verspreche dir, jeden Tag, solange ich lebe, ehrfürchtig sieben ‚Vaterunser‘ und ebenso viele ‚Ave Maria‘ zu singen.“ Und während sie dies sagte, legte sie die der Finger beraubte Hand auf das Grab des heiligen Jacek und fügte die [aus dem Tüchlein] ausgewickelten Finger an ihren Platz. Oh, staunenswerte Tat! Sogleich wurden die Finger durch die Verdienste des seligen Jacek an ihrer Stelle [mit der Hand] verbunden und in vollständige Gesundheit zurückversetzt. Dieses Wunder sahen und bezeugten öffentlich: ihr Mann Bartholomäus237, der Krakauer Bürger Peter, Florian und Bogusław, Bürger ebendieser Stadt, die Herrin Sędka und Katherina, der Bruder Prior von Krakau Stefan und der Bruder Lektor238 Klemens sowie viele andere glaubwürdige [Zeugen]. Im Jahr des Herrn 1289 am Tag nach dem Festtag des heiligen Dominikus [5. August].

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45. De curacione hominis a porta mortis et curacione cecitatis eiusdem.239 Quidam homo, nomine Swenton de uilla, que dicitur uulgariter Maslomecz240, habuit filium nomine Symonem a natiuitate cecum. Hic cum esset sex annorum, deduxit eum pater in Cracouiam ad fratres predicatores, ad tumbam sancti Iaczcho­ nis, et applicauit faciem eius super sepulcrum cum lacrimis, dicens: O sancte Iaczcho, succurre mihi misero et redde filio meo lumen oculorum, et ego promitto tibi usque ad mortem meam omni anno cum oblacione deuota [filium] tali die presentare. Quod uotum dum compleuisset, dixit ad eum filius: pater karissime, iam omnia clarissime uideo, omni cecitate semota. Tunc241 pater cum lacrimis, gratias Deo agens et preconi suo , reuersus est ad propria. Huic illuminacioni interfuerunt et oculis suis uiderunt: pater supradicti ceci, Uoyslaus auunculus eiusdem, Petrus et Andreas ciues Cracouienses, Katherina et Magdalena, ciuisse Cracouienses, frater Clemens lector et frater Pribislaus sacrista.243 Anno Domini MoCCoLXXXoIXo in die assumpcionis Uirginis gloriose. Idem filius eiusdem post menses sex ab oculorum curacione incidit in grauissimam acutam , et cum agonizaret et morti appropinquaret, pater eius supradictus Swenton cepit cum lacrimis patrocinium sancti Iaczconis flagitare, ­dicens: O sancte Iaczco, sicut dignatus es filium meum cecum natum illuminare, ita digneris nunc eum a morte eripere, et ego promitto tibi, tuum ordinem cum eo intrare et usque ad mortem perseuerare. Stupenda res! uix uotum compleuerat, statim filius suus meritis beati Iaczchonis sanus surrexit, et post modicum ueniens cum patre in Cracouiam ad sepulcrum sancti Iaczchonis, gratias Deo agentes, ordinem fratrum predicatorum ingressi sunt, in quo multis annis deuote Deo ser­ uientes, feliciter ex hac uita transierunt. Huic curacioni interfuerunt et testimonium perhibuerunt pater supradicti curati, Woyslaus auunculus eiusdem, Miroslauua et Potrumila matertere, coram fratre Clemente lectore Cracouiensi, fratre Pribislao sacrista. Anno Domini MoCCoLXXXoIXo.

239  In BA ist dieses Kapitel in zwei Kapitel mit den Überschriften „De curacione cecitatis“ und „De curacione hominis a porta mortis“ unterteilt. 240  Nach C und BA statt Maslouice bei Ćwikliński; wohl das Dorf Masłomiąca 13 km nördlich von Krakau. 241  tunc nach BA, statt tum bei Ćwikliński. 242  Nach BA ergänzt. 243  Der Küster Przybysław begegnet in dieser Funktion auch für das Folgejahr 1290 (Kap. 46, 48, 49). 244  Ergänzt in Analogie zur Formulierung in Kap. 19.

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45. Über die Heilung eines Menschen von der Pforte des Todes und die ­Heilung seiner Blindheit.239 Ein gewisser Mann namens Święton aus dem Dorf, das volkssprachlich Masłomiąca240 genannt wird, hatte einen einzigen Sohn namens Simon, der von Geburt an blind war. Als dieser sechs Jahre alt war, führte ihn der Vater nach Krakau zu den Predigerbrüdern an das Grab des heiligen Jacek und unter Tränen legte er das Gesicht [des Kindes] auf die Grabstätte und sprach: „Oh heiliger Jacek, eile mir Unglücklichem zu Hilfe und gib meinem Sohn das Augenlicht zurück und ich verspreche dir, bis zu meinem Tod jedes Jahr an diesem Tag [meinen Sohn] mit einer frommen Gabe zu dir zu schicken.“ Sobald er das Gelübde abgelegt hatte, sagte der Sohn zu ihm: „Liebster Vater, schon sehe ich alles ganz klar, weil jegliche Blindheit entfernt wurde.“ Daraufhin241 dankte der Vater unter Tränen Gott und seinem Herold, dem heiligen Jacek242, und kehrte in seine Heimat zurück. Dieser Erleuchtung wohnten bei und sahen sie mit eigenen Augen: der Vater des obengenannten Blinden, sein Onkel Wojsław, die Krakauer Bürger Peter und Andreas, die Krakauer Bürgerinnen Katherina und Magdalena, der Bruder Lektor Klemens und der Bruder Küster Przybysław.243 Im Jahr des Herrn 1289 an Maria Himmelfahrt [15. August]. Ebenso fiel der Sohn desselben [Mannes] sechs Monate nach der Heilung seiner Augen in ein plötzliches, sehr starkes [Fieber244]. Als er im Todeskampf lag und sich dem Tode näherte, begann sein Vater, der obengenannte Święton, unter Tränen den Beistand des heiligen Jacek zu erflehen, indem er sprach: „Oh heiliger Jacek, so wie du dich herabgelassen hast, meinen blind geborenen Sohn zu erleuchten, so mögest du dich nun herablassen, ihn dem Tod zu entreißen, und ich verspreche dir, mit ihm in deinen Orden einzutreten und darin bis zum Tod zu bleiben.“ Welch staunenswerte Sache! Kaum hatte er das Gelübde abgelegt, erhob sich sein Sohn durch die Verdienste des heiligen Jacek sogleich gesund, und nach kurzer Zeit kam er mit dem Vater nach Krakau an die Grabstätte des heiligen Jacek; sie dankten Gott und traten dem Orden der Predigerbrüder bei, in dem sie viele Jahre lang Gott fromm dienten und glücklich aus diesem Leben schieden. Dieser Heilung wohnten bei und legten vor dem Bruder Klemens, dem Krakauer Lektor, [und] dem Bruder Küster Przybysław Zeugnis ab: der Vater des obengenannten Geheilten, sein Onkel Wojsław, [seine] Tanten Mirosława und Piotrumiła. Im Jahr des Herrn 1289.

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46. De curacione tysis meritis sancti Iaczchonis. Quedam femina, nomine Cecilia, de uilla Maslomecz245, habuit filium, nomine Flosculum, a natiuitate tisicum ita, quod manibus et pedibus totoque corpore erat inualidus. Que dum quadam die infirmitatem filii plangeret, uenit ad eam Magdalena247, cognata eius, dicens: Cecilia, soror mea, quare non facis uotum beato Iaczchoni pro filio tuo, nam precedenti die fui in Cracouia aput fratres predicatores, et uidi mirabilia, que Deus operatur per beatum Iaczconem248. Quibus auditis, statim supradicta Cecilia uenit ad sepulcrum sancti Iaczco­nis, et dum cum lacrimis ad tumbam sancti Iaczconis pro filio oraret, depressa modico sopore uidit sanctum Iaczconem habitu fratrum predicatorum indutum, sibi dicentem: Uade, Cecilia, in domum tuam, quia iam curaui filium tuum. Que expergefacta repentino gressu, dum supradicte uille appropinquaret, occurrit ei filius suus totaliter curatus, dicens ei: Mater mea karissima, quidam reuerendus homo nouiter astitit coram me, cum in lecto depressus in infirmitate iacerem, habitu fratrum predicatorum indutus, dixitque mihi: Surge sanus et ­occurre matri tue, que appropinquat ad uillam. Et his dictis disparuit, et ecce totus sanus sum factus. Tunc supradicta Cecilia, mater curati, cum magno gaudio, cum cognatis et uicinis, filium deduxit ad sepulcrum sancti Iaczchonis, gratias Deo agens et beato Iaczconi pro curacione filii. Huic miraculo interfuerunt et oculis suis uiderunt: mater dicti curati, Magdalena, et Katerina cognate eius, Voyslaus249 et Pribislaus fratres eius, et multi alii fide digni, qui protestati sunt coram fratre Clemente lectore, fratre Pribislao sacrista. Anno Domini ­MoCCoLXXXoIXo in octaua assumpcionis Uirginis Marie.

245  246  247 

Nach C und BA statt Maslouicze bei Ćwikliński; vgl. Anm. 240. Nach BA ergänzt. Vielleicht identisch mit der in Kap. 45 als Zeugin auftretenden Krakauer Bürgerin Mag-

dalena. 248  249  250 

BA fügt noch hinzu: et prodiga. BA: Uislaus. Nach BA ergänzt.

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46. Über die Heilung von Schwindsucht durch die Verdienste des heiligen Jacek. Eine gewisse Frau namens Cäcilia aus dem Dorf Masłomiąca245 hatte einen Sohn namens Floskul, der von Geburt an derart an Schwindsucht litt246, dass er an Händen, Füßen und am ganzen Körper kraftlos war. Als sie eines Tages die Krankheit des Sohnes beweinte, besuchte sie ihre Verwandte Magdalena247, und sagte: „­Cäcilia, meine Schwester, warum legst du dem heiligen Jacek nicht ein Gelübde für deinen Sohn ab; gestern nämlich war ich in Krakau bei den Predigerbrüdern und sah die Wunder, die Gott durch den heiligen Jacek wirkt.“248 Nachdem sie dies gehört hatte, zog die obengenannte Cäcilia sogleich an die Grabstätte des heiligen Jacek und als sie am Grab des heiligen Jacek unter Tränen für den Sohn betete, wurde sie von einem kurzen Schlaf ergriffen. Da sah sie den heiligen Jacek mit dem Habit der Predigerbrüder bekleidet, wie er zu ihr sprach: „Cäcilia, kehre in dein Haus zurück, weil ich deinen Sohn schon geheilt habe.“ Nachdem sie aufgewacht war und sich mit eiligem Schritt dem obengenannten Dorf nährte, lief ihr der vollkommen geheilte Sohn entgegen und sagte ihr: „Meine liebste Mutter, ein gewisser ehrwürdiger Mann stand kürzlich, als ich von der Krankheit geschwächt im Bett lag, im Habit der Predigerbrüder vor mir und sagte mir: ,Erhebe dich gesund und eile deiner Mutter entgegen, die sich dem Dorf nähert.‘ Und nach diesen Worten verschwand er und siehe da, ich bin vollkommen geheilt.“ Daraufhin führte die obengenannte Cäcilia, die Mutter des Geheilten, in großer Freude den Sohn gemeinsam mit Verwandten und Nachbarn zur Grabstätte des heiligen Jacek und dankte Gott und dem heiligen Jacek für die Heilung des Sohnes. Diesem Wunder wohnten bei und sahen es mit eigenen Augen: die Mutter des besagten Geheilten, ihre Verwandten Magdalena und Katherina, ihre Brüder Wojsław249 und Przybysław und viele andere glaubwürdige [Leute], die es bezeugten vor dem Bruder Lektor Klemens und dem Bruder Lektor und250 Küster Przybysław. Im Jahr des Herrn 1289 in der Oktav von Maria Himmelfahrt [22. August].

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47. De curacione doloris pedum meritis sancti Iaczchonis. Quedam domina nobilis genere, relicta comitis Thome de Breze251, nomine ­Dobroslauua, ex uoti deuocione promiserat uisitare pedibus iter faciendo252 ­limina sancti Stanislay et beatorum uirorum Iaczchonis et Uiti episcopi Lumbuzani253 de ordine fratrum predicatorum. Et cum iter arripuisset et uenisset ad uillam, que uulgariter dicitur Modlincza254, non cum modica comitiua, defecit spiritus eius, et amplius iter inceptum prosequi non ualens, mandauit se portari ad pomerium in eadem uilla; et cum sola esset, deuota oracione et lacrimarum effusione cepit inuocare uiros beatos, uidelicet fratrem255 Iaczchonem et fratrem256 Uitum episcopum Lubozanum dicens: o sancte Iaczcho et sancte Uite, ego ex deuocione pedicando processi ad sepulcra uestra, nunc autem podagra percussa sum et deuocionem meam perficere nequeo, propter quod obsecro, ut mihi di­ gnemini succurrere et a dolore pedis258 liberare. Et sic orans, leui sompno depressa est in oracione uigilanti. Mox due uenerande persone astiterunt, una habitu fratrum predicatorum induta, alia pontificalibus adornata, quas sequebatur processio multorum fratrum, uoce clara dicentium: In ciuitate Domini clare sonant iugiter organa Sanctorum.259 Tunc primi duo dixerunt ad eam: Dobroslauua, Deo deuota, surgens imple iter arreptum, et meritis eorum, quos inuocasti, qui hic tecum sunt, scias te esse curatam. Que ad se reuersa, cepit clamare: Cito, cito ­uadamus in Cracouiam ad fratres predicatores, ad sepulcra sanctorum fratris Iaczchonis et fratris Uiti episcopi, nam primo aput me fuerunt cum multitudine fratrum et me a dolore premaximo pedum liberauerunt. Et tunc uenientes ad sepulcra sanctorum fratris Iaczchonis et fratris Uiti episcopi gratias Deo egit de perfecta collacione sanitatis. Quam curacionem protestata est supradicta domina Dobroslaua coram domino Zegota castellano Cracouiensi260, Petro milite, Grymislao et Floriano, domicellis, domina Constancia, sorore sua, domicella Marga-

Dorf 10 km nordwestlich von Krakau. pedibus iter faciendo nach BA statt pedicando bei Ćwikliński. 253  In BA: Luduzani; die verderbte Schreibung könnte auf Lubuc(z)ensis zurückgehen und damit auf die Vorstellung des Hagiographen bzw. seiner späteren Kopisten verweisen, dass Wit Bischof von Lebus gewesen sei; die Erinnerung an sein litauisches Missionsbistum war offenbar verblasst. 254  10 km nordwestlich von Krakau. 255  In BA: sanctum. 256  In BA: sanctum. 257  Nach BA ergänzt. 258  pedis nach BA statt pedum bei Ćwikliński. 259  Incipit eines am Festtag der Heiligen Apostel gesungenen Antiphons. 260  Vgl. Anm. 73. 251  252 

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47. Über die Heilung von Fußschmerzen durch die Verdienste des heiligen Jacek. Eine gewisse Herrin edler Abstammung, die Witwe des Amtsträgers Thomas von Brzezie251, namens Dobrosława hatte in einem frommen Gelübde versprochen, sich zu Fuß auf den Weg zu machen252 und die Gräber des heiligen Stanisław und der heiligen Männer vom Orden der Predigerbrüder Jacek und Wit, des Lumbusaner Bischofs253, zu besuchen. Und nachdem sie sich eilig auf den Weg gemacht hatte und mit nicht wenig Gefolge in das Dorf kam, das volkssprachlich Modlniczka254 genannt wird, da schwand ihr der Atem, so dass sie den begonnenen Weg nicht fortsetzen konnte; sie ließ sich in einen Obstgarten in ebendiesem Dorf tragen. Als sie [dort] allein war, begann sie in einem frommen Gebet und unter Tränenvergießen die heiligen Männer, nämlich den Bruder255 Jacek und den Bruder256 Wit, den Lu[m]busaner Bischof anzurufen, indem sie sprach: „O heiliger Jacek und heiliger Wit, ich habe mich in großer257 Ehrfurcht zu Fuß zu euren Grabstätten aufgemacht, nun aber bin ich mit einer Fußgicht geschlagen und kann mein Gelübde nicht erfüllen; deswegen flehe ich euch an, möget ihr euch herablassen, mir zu Hilfe zu eilen und [mich] vom Schmerz in meinen Füßen258 zu befreien.“ Und während sie so betete, wurde sie in ihrem Gebet von einem leichten Schlaf ergriffen. Da traten sogleich zwei ehrwürdige Personen heran, die eine im Habit der Predigerbrüder, die andere mit bischöflichen Gewändern geschmückt; ihnen folgte eine Prozession zahlreicher Brüder, die mit klarer Stimme sangen: „In der Stadt des Herrn klingen unablässig hell die Instrumente der Heiligen.“259 Daraufhin sprachen die ersten beiden zu ihr: „Dobrosława, du Gottesfürchtige, stehe auf und vollende den eingeschlagenen Weg und wisse, dass du durch die Verdienste derer, die du angerufen hast [und] die hier bei dir sind, geheilt bist.“ Als sie erwachte, begann sie zu rufen: „Schnell, lasst uns schnell nach Krakau zu den Predigerbrüdern gehen, an die Grabstätten der Heiligen, des Bruders Jacek und des Bruders Wit, des Bischofs, denn gerade standen sie zusammen mit einer Vielzahl von Brüdern vor mir und haben mich von meinem übermäßigen Fußschmerz befreit.“ Und als sie dann zu den Grabstätten der Heiligen, des Bruders Jacek und des Bruders Wit, des Bischofs, kamen, dankte sie Gott für die vollständige Gabe der Gesundheit. Diese Heilung bezeugte die obengenannte Herrin Dobrosława vor dem Herrn Żegota, dem Kastellan von Krakau260, dem Ritter Peter, den jungen Herren Grzymisław und Florian, der Herrin Konstanze, ihrer Schwester, der jungen Herrin Margarete, dem Krakauer Lektor Bruder Klemens und vielen anderen

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retha, fratre Clemente lectore Cracouiensi et multis aliis fide dignis. Anno Domini MoCCoLXXXoIXo, in die sancti Bernardi abbatis. 48. De resuscitacione equi. Quidam homo nomine Miroslaus, in ciuitate Cracouiensi degens, habuit unum equum, quo uictum et amictum sibi et uxori sue conquirebat. Hic dum quadam tota die in uia lubrica laborasset et ad hospicium suum uenisset, equus infirmatus decidens exspirauit. Quod cum uidisset supradictus Miroslaus et uxor eius Magdalena, ceperunt lamentabiliter flere et pilos de capitibus suis euellere, clamando et dicendo: quid faciemus, quia substanciam nostram perdidimus? Ad quorum clamorem uicinus eorum, nomine Dobeslaus, consolans eos dixit: Nolite tantum flere propter equum mortuum, sed uotum facite sancto Iaczchoni, et ipse consolabitur uos. Tunc supradictus Miroslaus celeriter ad ecclesiam fratrum predicatorum cucurrit ad sepulcrum sancti Iaczchonis et orauit cum lacrimis dicens: O sancte Iaczcho, uide lacrimas meas et paupertatem meam, et redde mihi equum meum, et ego promitto tibi, quod anno integro singulis feriis quartis ieiunabo in pane et aqua. Quod uotum dum compleuisset, et ecce uxor eius ueniebat cum gaudio, dicens: Miroslae, uir karissime, equus noster, qui fuerat mortuus, meritis sancti Iaczchonis suscitatus est. Ueni et uide mirabilia, que hodie Dominus dignatus est nobiscum facere. Qui repente surgens, gratias Deo agens, inuenit equum suum sanum et a morte suscitatum meritis sancti Iaczchonis. Huic suscitacioni261 interfuerunt Dobeslaus, Zislaus, ciues Cracouienses, Dobka uxor eiusdem, Bogumila et multi alii fide digni et protestati sunt coram fratre Clemente lectore Cracouiensi et fratre Pribislao sacrista. Anno Domini MoCCo nonagesimo, in crastino sancti Michaelis. 49. Quomodo demones predixerunt canonizacionem beati Iaczconis. Quedam demoniaca adducta fuit de Cessyn262 in Cracouiam ad tumbam sancti Iaczchonis pro liberacione sua. Que cum adducta fuisset ad cemeterium sancte Trinitatis ad fratres predicatores, uisa ecclesia nequaquam ingredi eam uoluit, sed clamabat, uoce lamentabili dicens: Abducite me hinc, abducite me hinc, ut non appropinquem ad sepulcrum sancti Iaczchonis; magnus enim aduersarius noster est, nam per eum tartarus noster magnam ruinam accipit. Tunc frater Boguslaus lector, uir Deo deuotus et per omnia approbatus, dixit ad eum: Coniuro te per nomen sancte Trinitatis, et per patrem et filium et spiritum sanctum, ut nobis ueritatem dicas, quantum te Deus scire permisit, si frater Iaczcho, quem Deus tot In BA: miraculo. Das 115 km südwestlich von Krakau im polnisch-tschechischen Grenzgebiet gelegene Teschen/Cieszyn. 261  262 

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glaubwürdigen [Zeugen]. Im Jahr des Herrn 1289 am Tag des heiligen Abtes Bernard [20. August]. 48. Über die Auferweckung eines Pferdes. Ein gewisser Mann namens Mirosław, der in der Stadt Krakau lebte, hatte ein einziges Pferd, mit dem er sich und seiner Ehefrau Lebensunterhalt und Kleidung verschaffte. Nachdem er sich einmal einen ganzen Tag lang auf schlüpfrigem Weg angestrengt abgemüht hatte und in seine Herberge gekommen war, fiel das Pferd geschwächt nieder und starb. Als dies der obengenannte Mirosław und seine Ehefrau Magdalena sahen, begannen sie jämmerlich zu weinen und sich die Haare vom Kopf zu reißen, wobei sie schrien und fragten: „Was werden wir tun, da wir unsere Existenzgrundlage verloren haben?“ Auf ihr Geschrei hin beruhigte sie ihr Nachbar namens Dobesław und sprach: „Weint nicht so viel wegen des toten Pferdes, sondern legt dem heiligen Jacek ein Gelübde ab und er selbst wird euch trösten.“ Daraufhin eilte der oben genannte Mirosław rasch zur Kirche der Predigerbrüder an die Grabstätte des heiligen Jacek und betete unter Tränen, indem er sprach: „Oh heiliger Jacek, schau auf meine Tränen und meine Armut und gib mir mein Pferd zurück und ich verspreche dir, dass ich ein ganzes Jahr lang jeden Mittwoch bei Brot und Wasser fasten werde.“ Sobald er das Gelübde abgelegt hatte, siehe, da kam seine Ehefrau freudig und sagte: „Mirosław, liebster Mann, unser Pferd, das tot war, ist durch die Verdienste des heiligen Jacek wieder lebendig geworden. Komm und sieh das Wunder, das der Herr sich heute herabgelassen hat, an uns zu wirken. Dieser erhob sich rasch, dankte Gott und fand sein Pferd durch die Verdienste des heiligen Jacek gesund und vom Tode auferweckt vor. Dieser Auferweckung261 wohnten die Krakauer Bürger Dobesławs und Zdzisław, seine Ehefrau Dobka, Bogumiła und viele andere glaubwürdige [Leute] bei und sie bezeugten sie vor dem Krakauer Lektor, Bruder Klemens und dem Bruder Küster Przybysław. Im Jahr des Herrn 1290 am Tag nach St. Michaelis [30. September]. 49. Wie die Dämonen die Heiligsprechung des heiligen Jacek vorhersagten. Eine gewisse, von einem Dämon besessene Frau wurde zwecks Austreibung aus Teschen262 nach Krakau an die Grabstätte des heiligen Jacek geführt. Als man sie zu den Predigerbrüdern auf den Friedhof der Dreifaltigkeitskirche geführt hatte und sie die Kirche sah, wollte sie diese keineswegs betreten, sondern rief mit klagender Stimme: „Bringt mich hier weg, bringt mich hier weg, damit ich mich nicht der Grabstätte des heiligen Jacek nähere; denn er ist unser großer Gegner, erleidet unsere Hölle durch ihn doch großes Verderben.“ Daraufhin sagte Bruder Bogusław, der Lektor, ein gottesfürchtiger und in allen Dingen erprobter Mann, zu ihr: „Ich beschwöre dich beim Namen der Heiligen Dreifaltigkeit, beim Vater und Sohn und Heiligen Geist, sage uns die Wahrheit, soweit sie Gott dich wissen lässt: Wird

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miraculis decorauit, sit canonizandus. Qui uoce lamentabili cum magna indignacione respondit: Coniuratus cogor ueritatem fateri263, nam frater Iaczcho pro certo canonizabitur, cuius canonizacio maiora dampna nobis inferet quam canonizacio sancti Stanislay. Tunc frater Boguslaus lector adiecit: quando, inquit, hoc erit? Respondit: scio quod erit, sed quando erit, non est mihi datum desuper. Et hoc est signum, quod erit canonizatus; quia quam cito sepulcrum eius tetigero, exibo de hoc uasculo, et tunc265 cum magna difficultate ad sepulcrum ductus est, et cum tetigisset sepulcrum, obsessa liberata est meritis sancti Iaczconis. Huic expulsioni meritis sancti Iaczchonis et future canonizacioni per spiritum propalate interfuerunt frater Boguslaus lector, frater Pribislaus sacrista, dominus Florianus miles, Petrus et Andreas consules Cracouienses266 et multi alii fide digni. Anno Domini MoCCoLXXXoIXo. Ab hoc anno Domini, uidelicet MoCCo nonagesimo, non inueni aliqua in scripto miracula de sancto Iaczchone, et hoc fecit tunc fratrum uiuentium negligentia, que est fomentum et nutrix obliuionis, usque ad annum ab incarnacione Domini millesimum CCCmXXIXm. 50. [Quidam ciuis Cracouiensis a periculoso morbo squinantico et a gutturis apostemate liberatur.267] Quidam nomine Fredericus, monetarius, uir boni testimonii, ciuitatis Cracouiensis268, dum quodam tempore infirmitate non modica grauaret, ex deuocione confugit ad presidia sancti Iaczchonis; et dum in deuocione circa sepulcrum suum apud fratres predicatores actu269 consisteret ad sanctam Trinitatem, et ipsum deuote in auxilium suum inuocaret, protinus ab illa infirmitate extitit liberatus.270 Fredericus predictus successu temporis, ferme post unius anni spacium vel amplius, fuit grauiter ex dolore morbi in gutture pregrauatus, adeo quod eciam quasi desperaret de se ipso; et licet memoria beneficiorum sit labilis, ipse tamen idem In BA: dicere. Nach BA ergänzt. 265  Nach BA statt tum bei Ćwikliński. 266  Vgl. Anm. 135. 267  Der Titel von Ćwikliński nach Severinus Cracoviensis, De vita (wie Anm. 38), S. 114 ergänzt; C und BA: ohne Titel. 268  Ein Münzmeister Friedrich begegnet im Krakauer Stadtbuch zum Jahr 1320; Najstarsze księgi (wie Anm. 180), S. 58 (Nr. 584). 269  actu nach BA, statt actum (?) bei Ćwikliński. 270  Ćwikliński fügt zwischen „liberatus.“ und „Fredericus“ ein „[…….]“ ein, da seine Vorlage (die von dem Mönch Müller angefertigte Abschrift von C) hier eine Lücke mit Parenthesezeichen aufwies und er aus Severinus Cracoviensis nicht erschließen konnte, was hier ausgelassen worden sein könnte. 263  264 

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der Bruder Jacek, den Gott mit so vielen Wundern ausgezeichnet hat, heiliggesprochen werden?“ Sie antwortete mit klagender Stimme und großem Unmut: „Durch einen Eid gebunden, bin ich gezwungen, die Wahrheit zu bekennen263, denn Bruder Jacek wird mit Sicherheit heiliggesprochen werden [und] seine Heiligsprechung wird uns größeren Schaden zufügen als die Heiligsprechung des heiligen Stanisław.“ Daraufhin fügte der Bruder Bogusław, der Lektor, hinzu: „Wann wird dies geschehen?“ Sie antwortete: „Ich weiß, dass es geschehen wird, aber wann es geschehen wird, ist mir von oben nicht zu wissen264 gegeben. Und dies ist das Zeichen dafür, dass er heiliggesprochen werden wird: Sobald ich seine Grabstätte berührt haben werde, werde ich dieses Gefäß verlassen.“ Daraufhin265 wurde sie mit großer Mühe an die Grabstätte geführt und sobald sie das Grab berührt hatte, wurde die Besessene durch die Verdienste des heiligen Jacek befreit. Dieser Austreibung durch die Verdienste des heiligen Jacek und der Offenbarung der zukünftigen Heiligsprechung durch den [Heiligen] Geist wohnten der Bruder Lektor Bogusław, der Bruder Küster Przybysław, der Herr Ritter Florian, die Krakauer Ratsherren Peter und Andreas266 und viele andere glaubwürdige [Zeugen] bei. Im Jahr des Herrn 1289. Ab diesem Jahr des Herrn, nämlich 1290, bis zum Jahr seit der Fleischwerdung des Herrn 1329 fand ich in den Schriften keinerlei Wunder vom heiligen Jacek mehr; dies hat eine Nachlässigkeit der damals lebenden Brüder bewirkt, die der Zunder und die Amme des Vergessens ist. 50. [Ein gewisser Krakauer Bürger wird von einer gefährlichen Halskrankheit und einem Halsgeschwür befreit.267] Ein gewisser Friedrich, der Münzmeister der Stadt Krakau268, ein gut beleumun­ deter Mann, suchte, als er einmal von einer nicht leichten Krankheit bedrückt wurde, ehrfürchtig Zuflucht im Schutz des heiligen Jacek. Als dies in Frömmigkeit an dessen Grabstätte bei den Predigerbrüdern geschah269, machte er an der [Kirche der] Heiligen Dreifaltigkeit Halt und rief ihn ehrfürchtig zu seiner Hilfe an. Da wurde er unverzüglich von jener Krankheit befreit.270 Der besagte Friedrich wurde [aber] im Lauf der Zeit, nach etwa einem Jahr oder mehr, derart von einem starken Schmerz in der Kehle bedrückt, dass er beinahe die Hoffnung auf [sein Leben] verlor; und obwohl die Erinnerung an Wohltaten schlüpfrig ist, ging Fried-

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Fredericus, gratus beneficii, quod, quantum senserat, presidio sancti Iaczchonis [acceperat]271, iterata deuocione, ob spem liberacionis a predicta infirmitate, ad sepulcrum sancti Iaczchonis adiit et se sibi deuotissime recommendauit, orans, ut a predicto dolore gutturis ipsum liberaret. Qui mox facta oracione tam mentali quam uocali, fuit continuo liberatus. Quod siquidem miraculum in quadam predicacione, dum frater Mathias, lector tunc conuentus Cracouiensis272, ad laudem Dei, qui mirabilia in sanctis suis operatur, nec non et extollendum sancti Iaczcho­ nis famam273 publice propallasset274, idem Fridericus astante multitudine populi proprie uocis oraculo, quidquid predictus lector dixerat, asseruit et constanter fere coram quingentis hominibus utriusque sexus, qui tunc aderant, affirmauit. Anno Domini MoCCCoXXoIXo, in uigilia sancti Stanislay, martiris gloriosi. 51. De resuscitacione pueri meritis sancti Iaczconis. Quedam domina, nomine Elizabeth, uxor Nicolay ciuis Cracouiensis, produxit in lucem huius seculi masculum permaxime debilitatis. Hic die quinto, antequam baptizatus fuisset, mortuus est. Quod cum mater uidisset, et pater defuncti pueri percepisset, utrique parentes in uocem lacrimosam prorumpentes, puerum defunctum275 cum sollempni oblacione ad fratres predicatores in Cracouiam276 ad sepulcrum sancti Iaczchonis deportari mandauerunt. Quod cum factum fuisset et pater manibus propriis filium277 mortuum super sepulcrum sancti uiri Iaczchonis posuisset, et uoce lacrimosa eum inuocasset, dicens: O sancte Iaczcho, de te multa mirabilia audiui, et per tua merita Deus multos mortuos suscitauit, obsecro tuam clemenciam, ut filium meum, sine baptismate defunctum, digneris uiuificare, et ego promitto tibi singulis feriis quartis usque ad mortem ieiunare. Mira res! uix uotum compleuerat, et statim puer reuixit et uiua uoce personare cepit. Huic ­suscitacioni interfuerunt et oculis suis uiderunt: supradictus Nicolaus pater pueri suscitati, Petrus et Iohannes auunculi eiusdem pueri, Margaretha et Magdalena

In BA: gratus et memor beneficii meriis beati Iaczchonis sibi collati. Matthias war 1329–1330 Lektor, 1330 auch Prior in Krakau; 1313 begegnet er als Lektor im Dominikanerkloster in Liegnitz und 1331–1337 als Provinzial der polnischen Ordensprovinz; Gałuszka/Zdanek (wie Anm. 35), S. 152. 273  famam nach BA statt [beneficium] bei Ćwikliński. 274  propallasset nach BA statt propellasset (?) bei Ćwikliński. 275  In BA: mortuum. 276  Cracoviam nach BA statt Cracovia bei Ćwikliński. 277  In BA: puerum. 271  272 

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rich dankbar für die [vorherige] Wohltat, die er, soweit er wahrgenommen hatte, durch den Beistand des heiligen Jacek [empfangen hatte]271, doch selbst ein weiteres Mal ergeben in der Hoffnung auf Heilung von der genannten Krankheit an die Grabstätte des heiligen Jacek, empfahl sich ihm überaus demütig und bat, dass er ihn von dem besagten Halsschmerz befreien möge. Sobald er sein Gebet ebenso im Geiste wie mit lauter Stimme verrichtet hatte, war er sogleich geheilt. Als Bruder Matthias, damals Lektor des Krakauer Konvents272, dieses offensichtliche Wunder in einer Predigt zum Lobe Gottes, der in seinen Heiligen Wunder wirkt, wie auch zum Ruhm273 des heiligen Jacek öffentlich verkündete274, da bekräftigte ebendieser Friedrich vor einer großen Volksmenge mit eigener Stimme, was der vorgenannte Lektor gesagt hatte und bestätigte es standhaft vor ungefähr fünfhundert Leuten beiderlei Geschlechts, die damals zugegen waren. Im Jahr des Herrn 1329 am Tag vor dem Festtag des heiligen Stanisław [= 7. Mai], des ruhmreichen Märtyrers. 51. Über die Wiedererweckung eines Knaben durch die Verdienste des ­heiligen Jacek. Eine gewisse Herrin namens Elisabeth, die Ehefrau des Nikolaus, eines Krakauer Bürgers, brachte einen Jungen von sehr großer Gebrechlichkeit in das Licht dieser Welt. Er starb am fünften Tag, noch bevor er getauft worden war. Als die Mutter dies sah und der Vater des verstorbenen Jungen dies wahrnahm, brachen beide Eltern in lautes Weinen aus. Sie ließen den verstorbenen275 Jungen mit einer feierlichen Gabe zu den Predigerbrüdern in Krakau276 an die Grabstätte des heiligen Jacek bringen. Nachdem dies geschehen war und der Vater den toten Sohn277 mit eigenen Händen auf das Grab des heiligen Mannes Jacek gelegt hatte, rief er ihn mit tränenreicher Stimme an, indem er sprach: „Oh heiliger Jacek, ich habe viel Wunderbares von dir gehört und durch deine Verdienste hat Gott viele Tote auferweckt, ich erflehe deine Milde, mögest du dich herablassen, meinen Sohn, der ohne Taufe gestorben ist, wiederzubeleben, und ich verspreche dir, bis zu meinem Tod jeden Mittwoch zu fasten.“ Oh Wunder! Kaum hatte er das Gelübde abgelegt, da war der Junge sogleich wieder lebendig und begann mit lebhafter Stimme laut zu schreien. Dieser Auferweckung wohnten bei und sahen sie mit eigenen Augen: der obengenannte Nikolaus, der Vater des auferweckten Knaben, Peter und Johannes, die Onkel ebendieses Knaben, Margarete und Magdalena, die Verwandten

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cognate eiusdem, et protestati sunt coram fratre Fredrico lectore278, fratre Henrico antiquo280, et multis aliis fide dignis. Anno Domini MoCCCoXXXIo. 52. De reuocacione cuiusdam presbiteri a porta mortis meritis sancti Iaczconis. Quidam presbiter Nicolaus nomine, de uilla, que dicitur uulgariter Sczirzicz281, percussus grauissima infirmitate et fluxu sanguinis per dissenteriam deductus est usque ad portas mortis. Qui cum agonizaret et circumstantibus tanquam mortuus282 plangeretur, uir sanctus, frater Iaczcho in nube lucida, indutus cappa decorata gemmis splendidissimis et tunica et scapulari niuey candoris et lapidem gestans in pectore inusitati fulgoris, [adstitit] ei dicens: Nicolae, respice in me et cognosce diligenter, qui ego sum. Ad quem presbiter respiciens, ait: Domine, ignoro, quis sitis283. Cui uir Dei: ego sum, inquit, frater Iaczcho ordinis fratrum predicatorum, et ueni liberare te ab hac infirmitate. In nomine igitur Ihesu Christi, sis sanus, et uade celeriter ad tumbam meam, ad fratres predicatores in Cracouiam, et dic ma­ gnalia Dei fratribus meis et uniuersis populis. Mira res! tanquam de leui sompno, qui in agone constitutus erat284, surrexit perfecta sanitate recepta. Et ueniens in Cracouiam ad sepulcrum sancti Iaczchonis, gratias Deo egit et preconi suo sancto Iaczchoni. Quod miraculum protestatus est supradictus presbiter coram fratre ­Stanislao lectore tunc285, fratre Iacobo antiquo286 et fratre Petro predicatore ­Polonorum287 et coram toto populo uoce publica in sermone, die dominica anno MoCCCoLIIo XXII die mensis Iulii.

Vielleicht identisch mit dem Friedrich, der 1372–1373 als Prior des Dominikanerklosters in Auschwitz fungierte; Gałuszka/Zdanek (wie Anm. 35), S. 152. 279  Nach BA ergänzt. 280  Heinrich dürfte sein Lektorenamt nach 1309 und vor 1328/29 ausgeübt haben; möglicherweise war er identisch mit dem Heinrich, der 1331 als Prior des Konvents in Schweidnitz, 1333 als Lektor in Breslau und 1337–1343/44 als Inquistor in Krakau begegnet und 1363 starb; Gałuszka/Zdanek (wie Anm. 35), S. 153. 281  In dem 45 km südlich von Krakau gelegenen Ort wurde 1238–1245 ein Zisterzienserkloster errichtet. 282  In BA: a circumstanibus tanquam moriturus. 283  In BA: qui sis tu. 284  in BA: iam agonizabat. 285  tunc fehlt in BA; mit Stanisław begegnet hier der Verfasser der vorliegenden Vita; vgl. oben S. 206. 286  Der Lektor Jakob muss sein Amt zwischen 1331 und 1352 ausgeübt haben; Gałuszka/ Zdanek (wie Anm. 35), S. 154. 287  Das Krakauer Dominikanerkloster bot Predigten auf Polnisch und – angesichts einer zahlreichen deutschsprachigen Bürgerschaft – auch auf Deutsch an. 278 

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ebendieses [Knaben]; und sie bezeugten es vor dem Bruder Lektor Friedrich, dem Bruder Heinrich, dem ehemaligen280 Lektor279, und vielen anderen glaubwürdigen [Zeugen]. Im Jahr des Herrn 1331. 52. Über das Zurückrufen eines gewissen Priesters von der Pforte des Todes durch die Verdienste des heiligen Jacek. Ein gewisser Priester namens Nikolaus aus dem Dorf, das volkssprachlich ­Szczyrzyc281 genannt wird, wurde mit einer sehr schweren Krankheit geschlagen und durch den Blutfluss, der durch die Ruhr [ausgelöst wurde], bis an die Tore des Todes geführt. Als er im Todeskampf lag und von den Umstehenden wie ein Gestorbener282 beweint wurde, da [trat] der heilige Mann, der Bruder Jacek, in einer strahlenden Wolke, bekleidet mit einem Mantel, der mit prächtigsten Edelsteinen geschmückt war, einer Tunika und einem Skapulier von schneeweißem Glanz und mit einem Stein von ungewöhnlichem Glanz auf der Brust, [an ihn heran] und sagte ihm: „Nikolaus, schaue auf mich und erkenne gewissenhaft, wer ich bin.“ Der Priester schaute auf ihn und sagte: „Herr, ich weiß nicht, wer ihr seid.“283 Ihm [antwortete] der Mann Gottes: „Ich bin Bruder Jacek vom Orden der Predigerbrüder und ich bin gekommen, dich von deiner Krankheit zu befreien. Mögest du also im Namen Jesu Christi gesund sein! Und gehe schnell an mein Grab zu den Predigerbrüdern nach Krakau und verkünde meinen Brüdern und dem ganzen Volk die Wundertaten Gottes.“ Oh Wunder! Wie von einem leichten Schlaf erhob sich der, der im Todeskampf lag284, nachdem er die völlige Gesundheit erhalten hatte. Und als er nach Krakau an die Grabstätte des heiligen Jacek kam, dankte er Gott und seinem Herold, dem heiligen Jacek. Dieses Wunder bezeugte der obengenannte Priester vor Bruder Stanisław, dem damaligen285 Lektor, dem Bruder Jakob, dem ehemaligen286 [Lektor], und dem Bruder Peter, dem Prediger der Polen287, und vor dem ganzen Volk öffentlich in einer Predigt am Sonntag im Jahr 1352, am 22. Tag des Monats Juli.

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Anna Die historische Gestalt Anna kam zwischen 1199 und 1204 als Tochter des böhmischen Königs Přemysl Ottakar I. und seiner zweiten Ehefrau, der ungarischen Königstochter Konstanze, zur Welt.1 Das in einer kinderreichen Familie aufgewachsene Mädchen wurde zwischen 1214 und 1218 nach Breslau, in den Hauptort des noch ungeteilten Herzogtums Schlesien verheiratet. Ihr Ehemann wurde der drittälteste Sohn Herzog Heinrichs I. und seiner Ehefrau Hedwig, Heinrich II.2 Dem Paar, das bis zum Tod Heinrichs I. (1238) am herzoglichen Hof lebte, wurde um 1218/20 mit Gertrud ein erstes Kind geboren; urkundlich treten beide erstmals im April 1228 hervor.3 Im gleichen Jahr nahmen sie in Prag an der Krönung von Annas Bruder Václav zum König von Böhmen teil. Aus Prag rief das Paar vor 1240 auch die ersten Franziskaner nach Breslau, für die sie im nördlichen Teil des herzoglichen Geländes auf dem linken Oderufer ein Kloster mit einer dem Apostel Jakobus geweihten Kirche stifteten.4 1  Überblicke zur Person bei Roman Grodecki, Anna (1202–1265), księżna Śląska [Anna, Herzogin von Schlesien], in: PSB 1, S. 116–118; Władysław Bochniak, Życie i duchowość księżnej Anny Śląskiej (1204–1265) [Leben und Geistigkeit der Herzogin Anna von Schlesien], in: Księżna Anna i Piastowska fundacja w Krzeszowie, hrsg. von Władysław Bochniak, Legnica 2002, S. 7–19; Maciej Michalski, Kobiety i świętość w żywotach trzynastowiecznych księżnych polskich [Frauen und Heiligkeit in den Viten polnischer Herzoginnen des 13. Jahrhunderts], Poznań 2004, S. 77– 79; Kazimierz Jasiński, Rodowód Piastów śląskich [Genealogie der schlesischen Piasten], Kraków² 2007, S. 104–106; Kateřina Sládková, Anna Slezká [Anna von Schlesien], in: Svatá Anežka Česká a velké ženy její doby, hrsg. von Miroslav Šmied/František Zábruba, Praha 2013, S. 209– 218. Ein ausführliches, wenngleich in Vielem überholtes Lebensbild bei August Knoblich, Herzogin Anna von Schlesien. 1204–1265. Erinnerungsblätter zu ihrem sechshundertjährigen Todestage, Breslau 1865. Zum familiären Kontext in Prag und ihren Geschwistern vgl. Chris­tian-Frederik Felskau, Agnes von Böhmen und die Klosteranlage der Klarissen in Prag. Leben und Institution, Legende und Verehrung, Band 1, Nordhausen 2008, S. 89–102. 2  Zu Heinrich II. vgl. Przemysław Wiszewski, Henryk II Pobożny. Biografia polityczna [Heinrich II., der Fromme. Eine politische Biographie], Legnica 2011. 3  SUB I, Nr. 287. 4  Marta Młynarska-Kaletynowa, Wrocław w XII-XIII wieku. Przemiany społeczne i osadnicze [Breslau im 12. bis 13. Jahrhundert. Gesellschaftliche und siedlungsmäßige Wandlungen],

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Die historische Gestalt

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Den Überfall der Tataren im Frühjahr 1241 erlebte Anna gemeinsam mit ihrer Schwiegermutter Hedwig, zu der sie eine besonders enge Beziehung pflegte5, in der Burg Crossen an der Oder.6 Dort erreichte sie die Nachricht, dass ihr Mann im Kampf gegen die Angreifer bei Liegnitz gefallen war. Sie blieb bis zu ihrem Tod Witwe, hat sich aber – anders als ihre Vita es darstellt – nicht gänzlich aus dem politischen Leben zurückgezogen. Vielmehr stand sie ihren Söhnen als Ratgeberin zur Seite und begegnet in zahlreichen Urkunden auch als aktiv Handelnde.7 Später bezog sie eine Wohnung bei dem von ihr begründeten Breslauer Klarissenkloster. Auch mit den seit 1226 in Breslau vertretenen Dominikanern sowie den Franziskanern pflegte sie engen Umgang. Letzteren überließ sie ihre Einkünfte aus dem Breslauer Kaufhaus (domus mercatorum) und unterstützte den weiteren Ausbau des Klosters mit einer erheblichen Geldsumme.8 Wie ihre Vita rühmt, führte Anna – dem Beispiel ihrer Schwiegermutter Hedwig, aber auch jenem ihrer Schwester Agnes und ihrer Tante Elisabeth von Thüringen folgend – ein frommes und asketisches Leben, fastete viel und betete beständig.9 Vor allem verschrieb sie sich der Sorge um die Armen, Kranken und Bedürftigen. Dank der Einkünfte aus Besitzungen und Abgaben, die ihr Heinrich II. noch zu Lebzeiten übertragen hatte und deren Verwaltung sie offenbar selbst überwachte, konnte sie großzügig Almosen verteilen und eine beachtliche Stiftungstätigkeit entfalten.10 Neben reichen Einzelgaben, die – wie ihre Vita notierte – auch entfernten Kirchen (in Rom, Krakau, Prag, Marburg) zugutekamen,

Wrocław u. a. 1986, S. 139–143; Ewald Walter, Zu den Anfängen des Franziskanerklosters St. Jakob und des Klarissenklosters St. Klara auf dem Breslauer Ritterplatz, in: ASKG 53 (1995), S. 225–240. 5  Vgl. unten S. 298–299 und Anm. 39 6  Vita beate Hedwigis (maior legenda de beate Hedwigi)/Leben der heiligen Hedwig (Größere Erzählung von der heiligen Hedwig), hrsg. von Peter Moraw, in: Der Hedwigs-Codex von 1353. Sammlung Ludwig. Band 2: Texte und Kommentare, hrsg. von Wolfgang Braunfels, Berlin 1972, S. 71–155, hier S. 109 (VIII, 5). 7  SUB II, Nr. 252, 253, 255, 300, 389, 438; SUB III, Nr. 8, 23, 36, 40, 51, 55, 60, 61, 140, 147, 148, 159, 151, 228, 230, 247, 324, 347, 373, 374, 521. 8  Tadeusz Kozaczewski, Kościół klarysek, dwór księżnej Anny a dom kupców [Die Kirche der Klarissen, der Hof der Herzogin Anna und das Haus der Kaufleute], in: Zeszyty Naukowe Politechniki Wrocławskiej. Architektura IV 36 (1960), S. 83–91. 9  Ewald Walter, Franziskanische Armutsbewegung in Schlesien. War die Herzogin Anna eine Terziarin des Franziskanerordens?, in: ASKG 40 (1982), S. 207–221, bes. S. 210–211 vertritt die These, dass Anna dem so genannten „Dritten Orden“, den Terziaren, beigetreten sei und in ihre Vita Spuren aus deren Regel (Regula et vita fratrum vel sororum penitentium) eingegangen seien. 10  Vgl. Patrycja Gąsiorowska, Fundacje Anny Śląskiej (1204–1265) [Die Stiftungen Annas von Schlesien], in: Studia Franciszkańskie 11 (2002), S. 223–244; Kateřina Sládková, Anna Slezská a její fundace [Anna von Schlesien und ihre Stiftungen], in: Marginalia historica 1 (2011), S. 56– 83.

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Anna

stiftete sie 1241/42 in Grüssau eine Benediktinerabtei11 und in Breslau ein der heiligen Elisabeth geweihtes, von Franziskanern geführtes Spital (das in den 1250er Jahren von den ebenfalls aus Prag herbeigerufenen Kreuzherrn mit dem roten Stern übernommen und deren Patron Matthäus gewidmet wurde).12 Zwischen 1253 und 1256 stiftete Anna – gegen Widerstände der um die herzogliche Gunst fürchtenden Breslauer Franziskaner – schließlich ein Klarissen-Kloster.13 Es wurde neben dem Haus der Franziskaner und dem Elisabeth- bzw. Matthias-Spital platziert, womit der inzwischen gegründeten Lokationsstadt ein veritabler Sakralkomplex zur Seite trat. Dessen Anlage folgte dem Prager Vorbild, das Annas Schwester Agnes in Gestalt eines ähnlichen, dreiteiligen Komplexes aus Franziskaner-, Klarissenkloster und Spital errichtet hatte; anders als Anna war Agnes dabei selbst in den Klarissenorden eingetreten.14 Für die Errichtung der Klostergebäude gewann Anna u. a. die Unterstützung von Papst Alexanders IV., der zwischen 1256 und 1260 nicht weniger als 20 Urkunden zugunsten des Klosters ausstellte und die Gläubigen mit einem Ablass von 100 Tagen zu Spenden für die Neugründung animierte.15 So konnten die 1257 aus Prag an die Oder gekommenen, zunächst provisorisch untergebrachten Klarissen schon 1260 einen Klosterneubau beziehen. In ihren letzten Lebensjahren engagierte sich Anna nicht zuletzt für eine Heiligsprechung ihrer Schwiegermutter Hedwig; sie war vielleicht eine der treibenden Kräfte der Einleitung des päpstlichen Kanonisationsverfahrens, dessen erfolg-

SUB II, Nr. 230. SUB III, Nr. 60; Młynarska-Kaletynowa, Wrocław (wie Anm. 4), S. 147–150; Marek Słoń, Die Spitäler Breslaus im Mittelalter, Warszawa 2001, S. 37, 47–48, 134–136. 13  Młynarska-Kaletynowa, Wrocław (wie Anm.  4), S. 143–146; Ewald Walter, Zur Gründungsgeschichte des Breslauer Klarenstiftes, in: JbFWUB 32 (1991), S. 21–28; ders., Zu den Anfängen (wie Anm. 4), S. 230–239; Anna Sutowicz, Fundacja klasztoru klarisek Wrocławskich na tle fundacji innych placówek żenskiego zakonu franciszkańskiego na ziemiach Polskich [Die Stiftung des Klosters der Breslauer Klarissen vor dem Hintergrund der Stiftung anderer Stätten des franziskanischen Frauenordens in den polnischen Ländern], in: Perspektiva. Legnickie Studia Teologiczno-Historyczne 5/2 (2006), S. 122–140. 14  Helena Soukupová, Svatá Anežka Česká. Život a legenda [Die heilige Agnes von Böhmen. Lebensbeschreibung und Legende], Praha 2015, bes. S. 73–81; die Vorbildfunktion Prags betonen auch Franz Machilek, Die Přemysliden, Piasten und Arpaden und der Klarissenorden im 13. und frühen 14. Jahrhundert, in: Westmitteleuropa – Ostmitteleuropa. Vergleiche und Beziehungen, hrsg. von Winfried Berehard u. a., München 1992, S. 293–306, hier S. 299–301; Markéta Jarošová, Klášterní kostely minoritů a klarisek ve Vratislavi [Die Klosterkirchen der Minoriten und Klarissen in Breslau], in: Svatá Anežka (wie Anm. 1), S. 233–247. 15  SUB III, Nr. 193–195, 208, 220, 270–273, 285–288, 329–334, 337. 11 

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reichen Abschluss im Jahr 1267 sie allerdings nicht mehr erlebte.16 Anna starb am 26. Juni 1265 und wurde in Breslau in der Klosterkirche der Klarissen beigesetzt. Das Ausbleiben eines Kultes Die Erinnerung an die Herzogin Anna wurde vor allem in den Kreisen der schlesischen Bettelorden gepflegt. Vor allem im Breslauer Klarissenkloster wird man die frommen Taten der eigenen Stifterin und in der Klosterkirche beigesetzten Herzoginwitwe im Gedächtnis bewahrt haben; nicht zufällig ist das einzige bekannte Exemplar ihrer Vita in eben jenem Konvent überliefert worden. Ihr Autor hat die Beschriebene wiederholt mit dem Adjektiv sancta charakterisiert und sie gleich zu Beginn in eine starke Beziehung zur heiligen Hedwig gestellt. Ob er damit ein regelrechtes Kanonisationsverfahren befördern wollte17, ist schwer zu sagen. Tatsächlich ist ein solches nie eingeleitet worden. Auch Annas Söhne Heinrich III. und Władysław (seit 1265 Erzbischof von Salzburg und seit 1267/8 zudem Verwalter des Breslauer Bistums) werden ihre Mutter in Ehren gehalten haben. Doch regten sich auch im Haus der schlesischen Piasten weder im 13. Jahrhundert noch später Bestrebungen, der 1267 heiliggesprochenen Hedwig in Person ihrer Schwiegertochter Anna eine weitere, förmlich kanonisierte Heilige zur Seite zu stellen.18 Es wurden weder Nachrichten von Wundern verbreitet, die sich an ihrem Grab ereignet hätten, noch Reliquien generiert, denen eine Wunderwirkung hätte zugeschrieben werden können. Jedenfalls konnte Annas Biograph nicht auf entsprechende Erzählungen zurückgreifen. Seine Lebensbeschreibung blieb denn auch im Grunde ein recht knappes frommes Portrait, dem entscheidende hagiographische Elemente fehlten. Die Vorstellung von einem heiligmäßigen Leben der Fürstin Anna musste sich mit der Erinnerung an ihre vorbildliche Frömmigkeit, ihr großzügiges karitatives Wirken und ihre Stiftungstätigkeit begnügen. In dieser Form blieb die Erinnerung an sie aber im Wesentlichen auf das klösterliche Milieu der Bettelorden, vielleicht gar allein auf die Klarissen beschränkt.19 In der allgemeinen Bevölkerung scheint sich eine Verehrung Annas als Heilige nicht verbreitet zu haben, vielleicht auch weil sich seit dem späten 13., frühen 14. Jahrhundert auch in Schlesien ein – nicht zuletzt von 16  Joseph Gottschalk, Die Förderer der Heiligsprechung Hedwigs, in: ASKG 21 (1963), S. 73– 132, hier S. 80–84. 17  So Patrycja M. Ksyk, Vita Annae ducissae Silesiae, in: Nasza Przeszłość 78 (1992), S. 127– 150, hier S. 145. 18  Vgl. Anna Sutowicz, Pomiędzy pamięcią a kultem – tradycja zakonna związana z księżna Anną Śląską w XIII–XVIII w. [Zwischen Erinnerung und Kult – die mit der Herzogin Anna von Schlesien im 13. bis 18. Jahrhundert verbundene Ordenstradition], in: Saeculum Christianum 16, Nr. 2 (2009), S. 13–31, hier S. 16. 19  Sutowicz, Pomiędzy (wie Anm. 18), S. 21–22.

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den Franziskanern geförderter – Kult um die heilige Anna, der Großmutter Jesu, verbreitete, dessen bekannteste Manifestation der sogenannte „Annaberg“ darstellt.20 In der frühen Neuzeit erinnerten sich nicht einmal mehr die Breslauer Kreuzherrn mit dem roten Stern der besonderen Frömmigkeit ihrer einstigen Stifterin; lediglich die Klarissen gedachten damals noch ihrer „seligen, fromen und gerechten styffterin“, die sie für „gancz selig“ hielten. Doch verbanden auch sie mit Annas Leben keine weitergehenden hagiographischen Konstruktionen.21 Als der Kreuzherr Johann Ludwig Starger um 1745, nachdem er bereits für die Fürstin Maria Wostrokin eine Abschrift und deutsche Übersetzung der mittelalterlichen Vita angefertigt hatte22, den Text auch für sein Matthias-Stift abschrieb, musste er konstatieren, dass selbst die Klarissen von Annas Leben nichts mehr wussten.23 Die Vita Den Verfasser von Annas kurzer Lebensbeschreibung hat man zumeist in Kreisen der Breslauer Franziskaner gesucht, sei es im Umfeld von Annas Beichtvater Her-

20  Benigny Z. Piechota, Kult liturgiczny św. Anny na Śląsku w świetle średniowiecznych rękopisów liturgicznych [Der liturgische Kult der hl. Anna in Schlesien im Licht der mittelalterlichen liturgischen Handschriften], in: Rocznik Teologiczny Śląska Opolskiego 2 (1970), S. 99– 130, bes. S. 109–110. 21  Sutowicz, Pomiędzy (wie Anm. 18), S. 22–23; das Zitat aus einem dort zitierten Gebet der Ordensfrau Anna Fribelin; Biblioteka Uniwersytecka we Wrocławiu [Universitätsbibliothek Breslau], IO 33, f. 152r. 22  Kurtze Lebens Beschreibung Der Hochseel Annae Schlesische Herzogin und Stiefterin des Furstl. Jungfrawen Closters des Hehl. Clarisser Ordens zu St. Clara in Breslau, Biblioteka Uniwersytecka we Wrocławiu [Universitätsbibliothek Breslau], IV F 232, f. 3r-6r; die lateinische Abschrift f. 10r-12r. 23  Vita serenissimae Dominae Annae Ducissae scilicet Piisimae Fundatricis Domus et Hospitalis Sancti Mathiae Wratislaviae Sacri Militaris Ordinis Crucigerorum cum ruber Stella, Biblioteka Uniwersytecka we Wrocławiu [Universitätsbibliothek Breslau], IV F 122 a, Nr. 5, f. 10r–13r. – auf f. 15 heißt es: „[…] translatione in linguam germanicam ad notitiam Monialium Stae Clarae/ que pariter ignorabant Vitam suae fundatricis/hac occasione ferme post quinque saeculae sanctae Vita et Virtutes Serenissimae fundatricis tandem etiam Domui Mathianae innotuit“ („[…] mit der Übersetzung in die deutsche Sprache zur Kenntnis der Nonnen des Klarenstifts, die [alle] zusammen die Lebensbeschreibung ihrer Stifterin nicht kannten, werden bei dieser Gelegenheit nach fast fünf Jahrhunderten das Leben und die Tugenden der huldreichsten heiligen Stifterin schließlich auch dem Matthiasstift bekannt.“)

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Die Vita

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in Person des Frater Henricus de Bren oder eines jüngeren Ordensvertreters, der den Breslauer Klarissen mit Anna vielleicht erst im zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts ein nachahmenswertes Vorbild vor Augen stellen wollte.26 Die ältere Forschung hat auch die Möglichkeit erwogen, dass einer der Kreuzherren mit dem roten Stern das Lebensbild verfasst haben könnte. Dafür spräche, dass die Vita mit ihrem Hinweis auf den Widerstand und die Belästigungen, die Anna von den Franziskanern wegen ihres Einsatzes für die Klarissen erfahren musste, im Grunde kein gutes Licht auf die Minderbrüder wirft.27 Mit der ungeklärten Frage nach dem Verfasser bleibt auch die Frage der Abfassungszeit offen, für die mit dem Todesdatum Annas (1265) und der ins 14. Jahrhundert datierten Handschrift lediglich die Termini post quem und ante quem feststehen.28 Die in einfacher Sprache gehaltene Vita kommt ohne biblische und andere ­Zitate aus. Sie bietet kaum mehr als eine nüchterne, schablonenhafte, wenig geschickt gebaute Beschreibung der frommen und karitativen Werke ihrer Heldin. Dabei diente ihr ganz offenbar die Vita der heiligen Hedwig (in der nicht erhalten gebliebenen Version des Leubuser Zisterziensers Engelbert) als ein – nicht erreichtes – Vorbild; denn alle Anna zugeschriebenen, das franziskanische Modell der Heiligkeit betonenden Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen finden sich so auch bei Hedwig, so dass die Vita Annae auch als eine „schwache Kurzversion“ der Vita Hedwigis bezeichnet worden ist.29 bord24,

(† 1302)25

24  Walter, Franziskanische Armutsbewegung (wie Anm. 9), S. 221; Ksyk, Vita Annae (wie Anm. 17), S. 144–146; Michalski, Kobiety (wie Anm. 1), S. 57; Jan Dąbrowski, Dawne dziejopisarstwo polskie (do roku 1480) [Die ältere polnische Geschichtsschreibung (bis zum Jahr 1480)], Wrocław u. a. 1964, S. 95 hielt auch eine Autorschaft von Herbord selbst für möglich. 25  Vgl. Kamil Kantak, Bren Henryk, in: PSB 2, S. 426; Ksyk, Vita Annae (wie Anm. 17), S. 144 hat hierzu bemerkt, dass das intellektuelle Niveau Heinrichs, eines engen Beraters von Herzog Heinrich IV., der 1281 zum Erzbischof von Gnesen ernannt wurde, das Amt aber nicht antrat, eher gegen diese These spreche. 26  Marek Cetwiński, ‚Anna Beatissima‘. Wokół średniowiecznej biografii dobrodziejki benedyktynów krzeszowskich [‚Die seligste Anna‘. Zur mittelalterlichen Biographie der Wohltäterin der Grüssauer Benediktiner], in: Krzeszów uświęcony łaską, hrsg. von Henryk Dziurla/Kazimierz Bobowski, Wrocław 1997, S. 31–37, hier, S. 37. 27  Knoblich, Herzogin Anna (wie Anm. 1), S. 118–119; Heinrich Zeißberg, Die polnische Geschichtsschreibung im Mittelalter, Leipzig 1873, S. 124. 28  Unentschieden lässt die Frage der Autorschaft auch Mateusz Lewandowski, Vita Annae ducissae Silesiae i jej tajemniczy autor na tle ideału świętości kobiecej XIII/XIV wieku [Die Vita der Herzogin Anna von Schlesien und ihr geheimnisvoller Autor vor dem Hintergrund des Ideals der Frauen-Heiligkeit des 13.–14. Jahrhunderts], in: Autor i jego dzieło w wiekach średnich, hrsg. von Anna Laskowska/Maksymilian Sas, Warszawa 2014, S. 107–115. 29  Ksyk, Vita Annae (wie Anm. 17), S. 137.

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Handschrift und Edition Die Vita ist lediglich in einer Pergamenthandschrift des 14. Jahrhunderts überliefert, die auch Lebensbeschreibungen des heiligen Bonaventura, des heiligen Franziskus, des heiligen Antonius und der heiligen Klara enthält und ursprünglich im Besitz des Breslauer Klarissenklosters war. In die Handschrift, die sich seit 1884 in der Universitätsbibliothek Breslau befindet30, wurde „kurz nach 1328“31 oder im „14. bzw. zu Beginn des 15. Jahrhunderts“32 ab f. 152r von anderer Hand als die vorgenannten Viten und ohne Überschrift der (fortlaufende, durch keinerlei graphische Zeichen gegliederte) Text zu Anna eingetragen. Ihm folgen auf f. 155r156r von gleicher Hand annalistische Notizen zum Klarissenkloster.33 Ob die Eintragung der Vita von einer verloren gegangenen Vorlage erfolgte oder diese selbst das Original darstellt, ist unklar. Gustav Adolf Stenzel hat den Text in den 1830er Jahren erstmals ediert.34 In den 1880er Jahre folgte eine weitere Edition durch den polnischen Mediävisten Aleksander Semkowicz, der die grammatischen Fehler der mittelalterlichen Vorlage stärker als Stenzel zum besseren Verständnis korrigierte, die handschriftlichen Originalvarianten dabei aber in den Anmerkungen verzeichnete.35 Der hier gebotene lateinische Text folgt dieser Version Semkowiczs, ohne aber dessen Variantenapparat zu reproduzieren.36

Biblioteka Uniwersytecka we Wrocławiu [Universitätsbibliothek Breslau], IV F 193; die Handschrift beschrieben von Aleksander Semkowicz in: Vita Annae ducissae Silesiae, hrsg. von dems., in: MPH 4, Lwów 1884 [Nachdruck: Warszawa 1961], S. 656–661, hier S. 656; nach dem Handschriftenkatalog von 1910 bei Bogusław Czechowicz, Anna ducissa filia regis Bohemiae hic sepulta. Wokół memorii fundatorki wrocławskiego konwentu klarysek [Hier ist bestattet die Her­ zogin Anna, Tochter des Königs von Böhmen. Zur Memoria der Stifterin des Breslauer Klarissenkonvents], in: Svatá Anežka (wie Anm. 1), S. 219–232, hier S. 220–221. 31  So Cetwiński, ‚Anna Beatissima‘ (wie Anm. 26), S. 32. 32  So Ksyk, Vita Annae (wie Anm. 17), S. 129; Czechowicz, Anna ducissa (wie Anm. 30), S. 220–221 sieht den gesamten Kodex von einer Hand geschrieben und datiert ihn in die Zeit zwischen 1328–1335. 33  Gesondert ediert als Notae monialium Sancta Clarae Wratislaviensium, in: MGH SS 19, Hannover 1889, S. 533–536 und Spominki klarysek wrocławskich [Denkmäler der Breslauer Klarissen], in: MPH 3, Lwów 1878 [Nachdruck: Warszawa 1961], S. 691–695. 34  Vita Annae ducissiae Silesiae, hrsg. von Gustav Adolf Stenzel, in: Scriptores rerum Silesiacarum 2, Breslau 1839, S. 127–130. 35  Vita Annae ducissiae (wie Anm. 30), S. 657–661. 36  Polnische Übersetzungen der Vita liegen vor in: Księżna Anna i Piastowska fundacja w Krzeszowie [Die Herzogin Anna und die piastische Stiftung in Grüssau], hrsg. von Władysław Bochniak, Legnica 2002, S. 29–37; Vita Annae ducissae Silesiea/Żywot Anny księżnej Śląska [Lebensbeschreibung der Herzogin Anna von Schlesien], übersetzt von Edward Skibiński, in: Michalski, Kobiety (wie Anm. 1), S. 311–317. 30 

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Vita Annae ducissae Silesiae37

Anna beatissima, postquam intravit terram Polonie38, sancte Hedwigi in omnibus ita subdita et obediens extitit, et, sicut mos erat, quod uxores ducum ad mensam altius sedere solerent, sancta Anna, licet filia regis fuerit, nunquam inde turbata fuit, quod pre ceteris inferius consedit et sancte Hedwigi ita familiaris extitit, quod omnium quasi secretorum sanctitatis eius conscia fuit.39 Quando vero missa celebrabatur, sancta Hedwigis velo circumdabatur et nullus permittebatur interesse, nisi sola sancta Anna40, que etiam omnia ornamenta sua deponebat infra missam et in omni sanctitate conformabat se sancte Hedwigi et quidquid portabat de serico et purpura, ita amplum semper formari fecit, ut aptum esset ad officium altaris, nec strictas manicas portabat. Tante etiam humilitatis fuit, quod solebat stare coram sancta Hedwigi, quando componebatur, quasi una de pedisequis, etiam quando fuit inpregnata.41 In quadragesima et in adventu domini solita erat portare griseam tunicam sub vestibus secularibus et preciosis vivente marito suo et eisdem temporibus linea pepla portabat. In cena domini, quando sancta Hedwigis lavabat pedes pauperum,

37  Dieser Titel wurde dem Text bereits von Gustav Adolf Stenzel gegeben und von Aleksander Semkowicz (wie Anm. 30) übernommen. 38  Das Jahr, in dem Anna aus Prag nach Breslau kam, ist nicht überliefert; ihre Eheschließung mit Heinrich II. wird von der Forschung in die Zeit zwischen 1214 und 1218/20 datiert. 39  Zum sehr vertrauten Umgang Annas mit ihrer Schwiegermutter Hedwig vgl. auch die entsprechenden Passagen in der Vita beate Hedwigis (wie Anm. 6), S. 74, 75, 79, 87: „Dicta domina Anna ex specialis familiaritatis confidencia […]“ („Die besagte Herrin Anna aus dem Vertrauen einer besonderen Vertrautheit […]“), 89, 91: „[…] quia inter omnes feminas familiarissima ei [Hedwigi] fuit“ („weil sie [Anna] ihr [Hedwig] unter allen Frauen die Vertrauteste war“). 40  Vgl. die Schilderung des gemeinsamen Kirchgangs in Vita beate Hedwigis (wie Anm. 6), S. 91, wo es u. a. heißt: „[Anna] in ecclesia maxime sibi [Hedwigi] vicinior assistebat“ („und in der Kirche hatte sie [Anna] ihren Platz ganz in der Nähe [Hedwigs]“). 41  Anna brachte zwischen 1218 und 1243 mindestens zwölf Kinder zur Welt, von denen zwei sehr früh verstorben und zehn namentlich bekannt sind: Gertrud, Bolesław II., Mieszko, Konstanze, Elisabeth, Heinrich III., Konrad I., Agnes, Władysław und Hedwig; vgl. Jasiński, Rodowód (wie Anm. 1), S. 109–139.

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Das Leben der Herzogin Anna von Schlesien37

Als die heiligste Anna in das Land Polen kam38, war sie der heiligen Hedwig in allem derart ergeben und gehorsam, dass, auch wenn es Sitte war, dass Ehefrauen von Herzögen bei Tisch erhöht zu sitzen pflegten, die heilige Anna, wenngleich sie die Tochter eines Königs war, nie darüber ergrimmte, dass sie vor anderen niedriger saß. Und sie war so vertraut mit der heiligen Hedwig, dass sie fast alle Geheimnisse ihrer Heiligkeit kannte.39 Während aber die Messe gelesen wurde, war die heilige Hedwig mit einem Schleier umhüllt und niemand durfte zugegen sein außer der heiligen Anna40, die zur Messe ebenfalls allen Schmuck ablegte und sich in ihrer ganzen Heiligkeit wie die heilige Hedwig benahm. Wenn sie etwas aus Seide und Purpur trug, ließ sie dies stets so groß schneidern, dass es für den Dienst am Altar geeignet war; auch trug sie keine engen Ärmel. So groß war ihre Demut, dass sie in Gegenwart der heiligen Hedwig, wenn sie zusammenstanden, so zu stehen pflegte, als wäre sie eine der Kammerfrauen, selbst als sie schwanger war.41 In der Fasten- und Adventzeit pflegte sie unter den weltlichen und teuren Kleidern eine graue Tunika zu tragen; zu Lebzeiten ihres Mannes [Heinrichs II.] trug sie zu diesen Zeiten [noch] Obergewände aus Leinen. An Gründonnerstag, wenn

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sancta Anna pariter cum ea lavabat et distribuebat eisdem vestimenta per se ipsam et per pueros suos. In curia sua habebat quendam capellanum, virum religiosum, cui interdum confitebatur sancta Hedwigis et sancta Anna, quando non poterant habere fratres minores42, cui sancta Anna paravit vestes cylicinas, camisias (scilicet [fe]moralia).43 Quando vero sordide fuerunt, lavit propriis manibus et mundavit a vermibus, adhuc vivente marito suo. Omni etiam nocte consueverat surgere ad matutinas cum duce marito suo. Frequenter etiam visitabat infirmos et in puerperio iacentes et eisdem elemosinam suam largiebatur. Postquam vero fratres minores terram intraverunt44, statim vixit cum marito suo secundum consilium eorum et disciplinas accipiebat a quadam pedissequa sua et maritus eius a fratribus. Caste vixerunt in coniugio, sicut dominus constituit. Post mortem vero mariti sui45, statim induta est grisea tunica46 et a carnibus abstinuit et capillos capitis sui abscidit. A festivitate omnium sanctorum usque ad nativitatem domini secundum consuetudinem fratrum minorum ieiunare consueverat et aliis temporibus frequentissime ieiunabat. Fecit etiam funem fieri de capillis equorum, quem portabat sub vestimentis ad nudam carnem.47 Post mortem mariti sui uno anno terre prefuit48, postea statim omnia ornamenta sua vendidit et domum fratribus construi fecit, ad quod mille marcas con-

42  Die Vita beate Hedwigis (wie Anm. 6), S. 92 nennt als Hedwigs Kaplan einen Martin (S. 92) und einen Luthold (S. 109), beide aber nicht als Beichtvater; als solche begegnen – neben Herbord (s. Anm. 67) – aber der Leubuser Abt Gunther (S. 86) und der Zisterzienser Matthäus (S. 112). 43  Die Worte in der runden Klammer sind in der Handschrift ausradiert worden. 44  Die ersten Franziskaner kamen in den späten 1230er Jahren aus Prag nach Krakau und Breslau; vgl. Jerzy Kłoczowski, Klöster und Orden im mittelalterlichen Polen, Osnabrück 2013, S. 107–109. 45  Heinrich II. fiel am 9. April 1241 in Liegnitz im Kampf gegen die Tataren. 46  Neben den Franziskanern und Klarissen trugen auch die Angehörigen des so genannten ‚dritten Ordens‘ des heiligen Franziskus, die Terziaren/innen, ein graues Gewand; angesichts der engen Verbundenheit Annas mit den Franziskanern könnte die Stelle vielleicht belegen, dass sie sich nach dem Tod ihres Gatten – wie ihre Cousine Elisabeth von Thüringen – diesem ‚dritten Orden‘ angeschlossen hat; vgl. Walter, Franziskanische Armutsbewegung (wie Anm. 9), S. 211– 214. 47  Vgl. Vita beate Hedwigis (wie Anm. 6), S. 87: „Cilicium durum de pilis equorum contextum ferebat proximum corpori […]. Zonam quoque nodosam de pilis equorum contortam super lumbos suos constrictam portabat“ („Auf dem bloßen Leib trug sie ein Bußhemd, das aus Roßhaaren gewebt war […]. Um ihre Hüften trug sie einen aus Roßhaaren gewebten und mit Knoten versehenen Gürtel“). 48  Da ihr ältester Sohn, Bolesław Rogatka, 1242 bereits volljährig war, könnte Anna eine Regentschaft allenfalls für ihre noch minderjährigen Söhne ausgeübt haben; Cetwiński, ‚Anna

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die heilige Hedwig den Armen die Füße wusch, wusch die heilige Anna zusammen mit ihr und teilte ihnen eigenhändig und mit Hilfe ihrer Diener Kleidung aus. An ihrem Hof hatte sie einen Kaplan, einen gottesfürchtigen Mann, der der heiligen Hedwig und der heiligen Anna gelegentlich die Beichte abnahm, wenn keine Minderbrüder [Franziskaner] zur Verfügung standen42; diesem besorgte die heilige Anna Bußgewänder, Kleider (d. h. Hosen43). Wenn sie aber schmutzig waren, wusch sie sie mit eigenen Händen und befreite sie von Würmern, noch zu Lebzeiten ihres Mannes. Auch pflegte sie jede Nacht gemeinsam mit dem Herzog, ihrem Mann, zu den Nachtgebeten aufzustehen. Oft besuchte sie Kranke und entbindende Mütter und spendete ihnen ihr Almosen. Nachdem die Minderbrüder das Land betreten hatten44, lebte sie mit ihrem Gatten sogleich gemäß deren Rat und ließ sich von ihrer Kammerfrau und ihr Ehemann von den Brüdern geißeln. Keusch lebten sie in ihrer Ehe, wie es der Herr bestimmte. Nach dem Tode ihres Gatten45 aber wurde sie sogleich mit der grauen Tunika bekleidet46, enthielt sich des Fleisches und schnitt sich die Haare ihres Hauptes ab. Vom Allerheiligenfest bis zum Geburtsfest des Herrn pflegte sie nach der Regel der Minderbrüder zu fasten und fastete auch sehr häufig zu anderen Zeiten. Auch machte sie sich einen Strick aus Pferdehaaren, den sie unter ihren Kleidern auf dem nackten Fleisch trug.47 Nach dem Tod ihres Mannes stand sie ein Jahr lang dem Lande vor.48 Dann verkaufte sie schnell all ihren Schmuck, ließ den [Franziskaner-]Brüdern ein Haus er-

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tulit et post conbustionem49 reedificari fecit et iuxta eos habitacionem sibi fecit et

omnia preparamenta altaris, que tunc temporis habere potuit, eis dedit et cottidie ad audiendum divinum officium ad eos ibat et tunc denarios pauperibus distribuebat. Dedit etiam eis domum mercatorum50, de qua ei etiam provenerant omni anno ducente marce. Omni anno eosdem fratres vestiebat et rogavit, ut capitulum provinciale huc poneretur, quibus etiam expensam dedit51 et cum eis manducavit et ita ordini fratrum se et pueros suos subdiderat, quod etiam usque ad mortem conservavit. Hospitale etiam fecit52, in quo infirmos collegit, quos sepissime in propria persona visitavit et eisdem poma et alia necessaria propriis manibus singula distribuit, quod etiam variis ornamentis dotavit, sericeis cussinis et culcitris et pretiosis coo­ pertoriis et aliis multis. Molendinum etiam et parrochiam et civitatem cum villis adiacentibus et aliam villam cum piscina et silva dedit et calicem et missale et ornatum altaris. Tempore vero, quo fuit contracta et iam non plus poterat ambulare, fecit se portare super sellam ad infirmos, quibus propriis manibus distribuit necessaria. Eodem tempore etiam fecit verberari se a pedisequis suis valde dure sepissime. Frequenter etiam circuibat ecclesias cum magna devocione, ferens secum denarios, quos propriis manibus distribuit indigentibus et omnibus necessitatem pacientibus, longe vel prope positis, misericorditer largiebatur. Quidquid ei provenit de iudiciaria potestate trium villicorum, totum in usum pauperum expendit. In Trebnitz dedit integrum ornatum altaris et pallam auro consutam et costam sancte Elizabet ornatam auro et argento et crucem bene ornatam lapidibus preciosis et alia plura et calicem. Ad sanctum Stanizlaum53 dedit calicem et casulam consutam auro et ad sanctam Elizabet in Marchburg54 dedit etiam casulam. Ad sanctum Petrum ad Romanam curiam etiam dedit casulam ornatam auro et calicem.

Beatissima‘ (wie Anm. 26), S. 36 hält den Hinweis auf eine Regentschaft für eine „reine literarische Konstruktion“, die dazu gedient habe, Annas Verzicht auf Macht und Reichtum zu betonen. 49  Möglicherweise war hier der große Stadtbrand von 1254 gemeint; vgl. Walter, Zu den ­Anfängen (wie Anm. 4), S. 229. 50  Die zentrale Breslauer Handelseinrichtung, die zu diesem Zeitpunkt noch nahe dem Oderübergang in der Nachbarschaft des entstehenden Franziskanerklosters lag. 51  Ob und wie oft das Provinzialkapitel der 1238/39 aus der Provinz Saxonia ausgegliederten Provincia Bohemiae et Poloniae tatsächlich auf Einladung Annas in Breslau getagt hat, lassen die Quellen nicht erkennen. 52  Vgl. oben Anm. 12. 53  Der Kathedrale auf dem Krakauer Wawel, in der die Gebeine des 1253 kanonisierten Stanisław ruhen. 54  Der seit 1235 errichteten, 1283 geweihten Elizabethkirche, in der sich die Grabstätte der heiligen Elizabeth befindet.

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richten, dem sie hundert Mark übertrug, und ließ [es auch] nach einem Brand49 wiederaufbauen. Neben ihnen [den Franziskanern] ließ sie sich eine Wohnung einrichten und übergab ihnen alle liturgischen Gewänder, die sie damals beschaffen konnte. Sie ging täglich zu ihnen, um die heilige Messe zu hören und teilte den Armen dann Denare aus. Sie übergab ihnen [den Franziskanern] auch das Kaufhaus50, aus dem ihr jährlich zweihundert Mark zuflossen. Jedes Jahr bekleidete sie eben diese Brüder und bat sie, hier [in Breslau] ihr Provinzkapitel abzuhalten, für das sie auch die Kosten zahlte.51 Sie speiste mit ihnen und unterwarf sich selbst und ihre Diener derart dem Orden der Brüder, dass sie [ihren Gehorsam] bis in den Tod wahrte. Auch errichtete sie ein Spital52, in dem sie Kranke versammelte, die sie sehr oft in eigener Person besuchte und denen sie Früchte und andere Lebensmittel mit eigenen Händen austeilte. Sie stattete es auch mit verschiedenen Ausrüstungsgegenständen aus, mit seidenen Kissen und Federbetten und teuren Decken sowie vielen anderen [Dingen]. Sie übergab [dem Spital] auch eine Mühle und eine Pfarrgemeinde und eine Stadt mit dazugehörenden Dörfern und ein anderes Dorf mit einem Fischteich und einem Wald sowie einen Kelch, ein Messbuch und ein Altargewand. Als sie aber [bereits] gelähmt war und nicht mehr laufen konnte, ließ sie sich auf einer Sänfte zu den Kranken tragen, denen sie mit eigenen Händen Lebensmittel austeilte. Zu eben dieser Zeit ließ sie sich auch von ihren Kammerfrauen sehr oft sehr lange geißeln. Häufig suchte sie mit großer Frömmigkeit die Kirchen auf, wobei sie Denare mit sich trug, die sie mit eigenen Händen an die Armen und alle Notleidenden in nah und fern barmherzig austeilte. Was auch immer ihr an Gerichtsgefällen aus ihren drei Dörfern zufloss, alles gab sie zum Nutzen der Armen aus. In [das Kloster] Trebnitz gab sie eine ganze Altarausstattung, ein goldbesticktes Altartuch, eine mit Gold und Silber verzierte Rippe der heiligen Elisabeth und ein schön mit Edelsteinen besetztes Kreuz und viele andere [Dinge] sowie einen Kelch. Dem heiligen Stanisław53 übergab sie einen Kelch und ein goldbesticktes Messgewand und auch der heiligen Elisabeth in Marburg54 übergab sie ein Messgewand. Dem heiligen Petrus und der römischen Kurie übergab sie ebenfalls ein mit Gold verziertes Messgewand und einen Kelch. In Prag schenkte sie dem hei-

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Franciscum55

In Praga ad sanctum dedit etiam casulam cum auro et pallam auro consutam et tapete preciosum et omni anno de cera, quantum sufficiebat, et pisces et filtra toto conventui et in omnibus providebat eis necessitatem et incluse uni mittebat omni anno elemosinam suam et in aliis monasteriis necessitatem pacientibus largiter subveniebat. Monasterium pauperum dominarum56 in propria curia construxit, propter quod sustinuit varias tribulaciones et multas et inauditas ab aliquibus fratribus, quibus multa bona inpendit et in magna reverentia habuit et sepe ipsis flexis genibus supplicavit, rogando etiam supplicavit, ne impedirent et ei contrarii essent, et multas lacrimas fudit propter molestiam et contumelias, quas passa est ab eis et in tantum eam molestabant, quod sorores, quas ad plantandum acquisierat, recedere omnibus modis volebant, quibus ipsa flexis genibus supplicavit, ne hec facerent, et propter ferventissimum amorem, quem habuit erga deum, duas filias tradidit religioni, unam ordini sancte Clare cum duabus nepotibus57, et aliam ordini griseorum cum una nepote.58 Elemosinam etiam habunde deputavit sororibus sancte Clare, unde habuerint cottidianum victum et vestitum59, et ornamenta altaris dedit preciosissima et quatuor calices et patenas et crucem et reliquias sanctorum preciosissimas, ornatas auro et argento60, et in honore sancte Hedwigis construxit

Dem Prager Franziskanerkloster mit seiner 1244 geweihten Jakobskirche. Das Klarissenstift in Breslau, vgl. oben Anm. 13. 57  In das Klarissenstift ist nach Auskunft des Tractatus sive speculum genealogiae Sanctae Hedwigs quondam ducisse Slesie, hrsg. von Akesander Semkowicz, in: MPH 4, Lwów 1884 [Nachdruck: Warszawa 1961], S. 642–651, hier S. 649 Annas Tochter Hedwig eingetreten; ihrem Beispiel folgten die Enkelinnen Hedwig, die Tochter ihres Sohnes Konrad I., des Herzogs von Glogau, sowie Eufemia, die Tochter ihrer mit dem Herzog von Großpolen, Przemysław I., verheirateten Tochter Elisabeth. 58  In das Zisterzienserinnenkloster von Trebnitz ist nach Auskunft des Tractatus (wie Anm. 57), S. 649 Annas Tochter Agnes eingetreten; ihrem Beispiel folgten ebenfalls zwei Enkelinnen Annas: Anna, die Tochter ihres ältesten Sohnes, Bolesławs II. Rogatka (a. a. O. S. 648) sowie Eufrosina, eine weitere Tochter ihrer mit dem Herzog von Großpolen, Przemysław I., verheirateten Tochter Elisabeth (a. a. O. S. 650). 59  Zur Ausstattung des Klarissenklosters durch Anna mit drei Dörfern, zwei Erbgütern, fünf Herrenhäusern in Breslau, vier Mühlen und vier Fischteichen vgl. SUB III, Nr. 228. 60  Zur Kirchenausstattung des Klosters durch Anna vgl. die Bulle Papst Alexanders IV. vom 27. April 1259, in der er den Klarissen untersagt, den ihnen von Anna geschenkten Kirchenschmuck zu veräußern; SUB III, Nr. 285. 55  56 

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Franziskus55 ebenfalls

ligen ein goldbesticktes Messgewand und ein mit Gold besticktes Altartuch sowie einen kostbaren Teppich und für jedes Jahr so viel Wachs, wie benötigt wurde, und Fische und Matratzen für den ganzen Konvent und versorgte sie [die Angehörigen des Konvents] mit allen nötigen Dingen und einer Einsiedlerin ließ sie jährlich ihr Almosen zukommen und stand barmherzig [auch] in anderen Klöstern den Notleidenden bei. Auf ihrem eigenen Hof errichtete sie ein Kloster für arme Damen56, weshalb sie verschiedene zahlreiche und unerhörte Beschwerden von gewissen Brüdern aushalten musste, denen sie viel Gutes getan und die sie in großer Verehrung gehalten hatte. Oft bat sie diese auf Knien, auch flehend bat sie, dass sie sie nicht behindern und gegen sie sein mögen und sie vergoss viele Tränen wegen der Belästigung und Beleidigungen, die sie von ihnen ertragen musste. So sehr belästigten sie sie, dass die Schwestern, die sie zur Fortpflanzung [des Glaubens] gewonnen hatte, sich auf alle Fälle zurückziehen wollten. Auf Knien bat sie [Anna] diese, dies nicht zu tun. Und aus der stärksten Liebe zu Gott übergab sie zwei [ihrer] Töchter dem Klosterleben; die eine mit zwei Enkelinnen dem Kloster der heiligen Klara57, die andere mit einer Enkelin dem Kloster der grauen [Nonnen].58 Auch bestimmte sie für die Schwestern der heiligen Klara [Klarissen] ein großzügiges Almosen, von dem sie ihre tägliche Nahrung und Kleidung hatten59 und sie übergab [ihnen] eine sehr kostbare Altarausstattung, vier Kelche und Patenen, ein Kreuz und kostbarste, mit Gold und Silber verzierte Heiligenreliquien.60 Zu Ehren der heiligen

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ecclesiam61 iuxta monasterium sancte Clare et coronam62 fecit super caput sancte

Hedwigis in Trebnitz et brachium de argento ad sanctum Claram. Quociens vero contingebat eam transire per domos leprosorum, intrabat ad illos et dabat eis denarios et interdum mittebat calcios et camisias. Incluse cuidam etiam cottidie mittebat de mensa sua de omnibus cibis, qui inferebantur mense ­ipsius, quam frequenter et in propria persona visitabat et quicunque de familia sua in curia infirmabatur, personaliter visitabat et hec in seculari habitu fecit et quando iam non poterat ambulare, fecit se portare ad eos. Quendam cecum a nativitate in curia sua nutrivit et vestivit et coram mensa sua comedere fecit. Ibat etiam ad infirmos ad civitatem et visitabat eos et quando iam ambulare non poterat, misit nuncios suos ad eos et consolabatur eos, mittens eis necessaria, quando vero aliquis grave cor habebat erga eam, illi studebat se magis benigne exhibere, ut ­mitigaret eum. Omni sabbato pistare fecit de uno modio panes, quos dominicis diebus distribuebat pauperibus sororibus per civitatem mendicantibus et scolaribus pauperibus dabat denarios. In solempnitatibus precipuis et festivitatibus sanctorum etiam pistare fecit modium simile et misit fratribus minoribus et predicatoribus. Tribus vicibus in anno solempniter fecit distribui elemosinam omnibus petentibus et egenis. Virgines pauperes tradidit matrimonio, morte dampnatos et incarceratos et vinculatos liberavit et eisdem necessaria tribuit. Anniversarium omnium sibi servientium celebrare fecit. Omnium pauperum, egenorum et desolatorum pupillorum et orphanorum consolatrix et mater fuit. Quodam etiam tempore sedebat cum fratribus, qui dixerunt ei, quare tam viles vestes portaret; ipsa respondit, quod post mortem mariti sui nunquam vestes ad delectacionem portasset. Quidquid operabatur in serico et auro, totum ad divinum servicium operata est et quando non poterat alia operari, faciebat capsas ad corpus domini, quas in cena domini distribuit pauperibus sacerdotibus. Quando in aliqua villa morabatur, fecit inquiri pauperes et infirmos, quibus mittebat de mensa sua id, quod melius habebat. Quando etiam transibat per aliquam ecclesiam, descendebat de curru et ibi orabat. In autumno conservari fecit diversas species et diversos fructus et cetera, que congruebant infirmis. Fere quinque annis 61  Zur Frage, ob der Hagiograph hier sagen wollte, dass Annas Kirchenstiftung bereits vor der Kanonisation Hedwigs (1267) deren Patrozinium erhielt oder nur zum Ausdruck bringen wollte, dass die Kirche zum Zeitpunkt der Abfassung der Vita der heiligen Hedwig geweiht war, vgl. Ewald Walter, Die von Anna, der böhmischen Königstochter und Herzogin von Schlesien († 1265), ihrer Schwiegermutter, der hl. Hedwig († 1243), gewidmete corona in Trebnitz, in: ASKG 15 (1957), S. 44–85, hier S. 45–47. 62  Walter, Die von Anna (wie Anm. 61), bes. S. 74–79, 84 übersetzt „corona“ mit „Lichterkrone“ bzw. „Kronleuchter“, da er ausschließt, dass Anna Ihrer Schwiegermutter, die es – so ihre Vita – stets ablehnte, als Herzogin eine Krone zu tragen, eine Weihe- oder Votivkrone gestiftet habe.

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Hedwig errichtete sie neben dem Kloster der heiligen Klara eine Kirche61 und ließ

über dem Haupt der heiligen Hedwig in [der Klosterkirche von] Trebnitz eine Krone62 anbringen und für die heilige Klara einen Arm aus Gold anfertigen. So oft es sich aber ergab, dass sie an den Häusern der Leprakranken vorüberkam, trat sie zu jenen ein und gab ihnen Denare und manchmal schickte sie ihnen Schuhwerk und Hemden. Einer gewissen Einsiedlerin schickte sie täglich von ihrem Tisch von allen Speisen, die auf ihren Tisch kamen; oft besuchte sie sie auch persönlich und wenn irgendjemand aus ihrem Gesinde auf dem Hof krank wurde, besuchte sie ihn persönlich und tat dies in weltlicher Kleidung und als sie bereits nicht mehr gehen konnte, ließ sie sich zu ihnen tragen. Einen gewissen, von Geburt an Blinden ernährte und kleidete sie auf ihrem Hof und ließ ihn vor ihrem Tisch essen. Sie ging auch zu den Kranken in die Stadt und besuchte sie, und als sie bereits nicht mehr gehen konnte, schickte sie ihre Boten zu ihnen und tröstete sie, indem sie ihnen Lebensmittel schickte. Wenn aber irgendjemand ihr gegenüber hartherzig war, bemühte sie sich, sich ihm umso freundlicher zu erweisen, um ihn zu besänftigen. Jeden Samstag ließ sie aus einem Scheffel [Getreide] Brot backen, das sie am Sonntag an die armen Schwestern austeilte, die in der Stadt bettelten, und den armen Scholaren gab sie Denare. Zu besonderen Festlichkeiten und zu den Festtagen der Heiligen ließ sie einen Scheffel Weizen[brot] backen und schickte es den Minder- und Predigerbrüdern. Drei Mal im Jahr ließ sie feierlich ihr Almosen an alle Bettler und Armen verteilen. Arme Jungfrauen übergab sie der Ehe, zum Tode Verurteilte, Eingekerkerte und in Ketten Gelegte befreite sie und teilte ihnen Lebensmittel zu. Sie ließ den Geburtstag aller ihrer Diener feiern. Allen armen, mittellosen und verlassenen Mündeln und Waisen war sie eine Trösterin und Mutter. Einmal saß sie auch mit Mönchen zusammen, die sie fragten, warum sie so einfache Kleidung trage; sie antwortete, dass sie seit dem Tod ihres Mannes nie Kleider zur Ergötzung trüge. Was auch immer aus Seide und Gold angefertigt wurde, alles wurde für den Gottesdienst gefertigt und wenn andere [Sachen] nicht mehr angefertigt werden konnten, machte sie Behältnisse für den Leib Christi, die sie am Gründonnerstag an arme Priester verteilte. Wenn sie in irgendeinem Dorf weilte, ließ sie Arme und Kranke suchen, denen sie von ihrem Tisch das schickte, was sie an Besserem hatte. Wenn sie an irgendeiner Kirche vorrüberkam, stieg sie vom Wagen und betete dort. Im Herbst ließ sie verschiedene Gewürze und verschiedene Früchte und ähnliches konservieren, die für Kranke geeignet waren. Kaum fünf

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ante mortem ita contracta fuit, quod omnino ambulare non potuit et hoc pacientissime sustinuit, semper gracias agendo deo de omnibus infirmitatibus suis et molestiis. Nimis grata fuit illis, qui serviebant ei, non quasi ex debito, sed quasi ex gracia id facerent. Et licet contracta fuerit, tamen nunquam communicare voluit in lecto, sed manibus sublevantium eam […63] per quandam fenestrellam. In cena domini fecit sibi contractos portare, quibus pedes lavit, procumbens super unum crus, quia aliter non poterat, quibus vestimenta distribuit et denarios et cibaria, licet tunc hoc fecerit tantum, quod omni tempore sanitatis fecit. Licet etiam nimis infirma esset, tamen semper abstinebat a carnibus et sepissime a piscibus. Fecit etiam interdum se portare in claustrum ad sorores, quas coram se fecit comedere et bibere cum magna hilaritate, et tempore infirmitatis noluit comedere super mensam consutam vel curialiter contextam, nisi super simplicem pannum. Et licet nimis debilis esset, tamen quocienscunque in nocte evigilabat, orationi semper insistebat, similiter et in die. Tempore etiam infirmitatis sue fecit etiam fratres minores coram se comedere, a quibus etiam magnam consolacionem habuit iisque fecit construi monasterium sancte Clare64, propter quod aliqui multum eam molestabant. Ista omnia, que supra scripta sunt, testantur soror Gotlindis65 et soror Christiana et soror Metza. Apropinquante vero morte ipsius66, confessorem suum pro quadam causa procul miserunt, propter quod nimis fuit turbata, in qua verba contra ordinem dixerat. Unde audivit vocem dicentem sibi, ut de hoc culpam suam diceret, quod contra ordinem dixerat. Aliam vocem etiam audivit, quod deberet purgari ab omnibus peccatis suis, cui ipsa respondit: „domine, misericorditer ita, quod corpus possit pati.“ Item dixit de celo sibi esse intimatum, quod cito martirium eius finem haberet et quod dimissa ei essent omnia peccata sua. Ista narravit confessori suo fratri Herbordo.67

Hier weist die Handschrift offenbar eine Fehlstelle auf. Das Klarisenkloster in Breslau, vgl. Anm. 13 und 56. 65  Als Kammerfrau Annas wird Gotlinde in der Vita beate Hedwigis (wie Anm. 6), S. 110 (VIII, 10) erwähnt. 66  Das Todesdatum verzeichnet in annalistischen Aufzeichnungen des Klarissenstifts; Spominki (wie Anm. 33), S. 692: „[…] obiit anno Domini 1265 in nocte sancti Iohannis baptiste, sepulta aput chorum sororum in capella sancte Hedwigis („[…] sie starb im Jahr des Herrn 1265, in der Nacht des heiligen Johannes des Täufers, und wurde bestattet vor der Schar der Schwestern in der Kapelle der heiligen Hedwig“). 67  Als Beichtvater der Fürstin Anna wird der Franziskanerbruder Herbord, der 1267 Bischof von Lavant wurde, in der Vita beate Hedwigis (wie Anm. 6), S. 86, 87, 91, 93 mehrfach erwähnt; daneben begegnet er in mehreren Urkunden (SUB III, Nr. 140, 228, 278, 320, 347). 63  64 

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Anna

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Jahre vor ihrem Tod war sie so gelähmt, dass sie überhaupt nicht mehr gehen konnte, und dies ertrug sie mit größter Geduld; stets dankte sie Gott für all ihre Gebrechen und Beschwerden. Sehr dankbar war sie jenen, die ihr dienten, und dies nicht aus Verpflichtung, sondern aus Dankbarkeit [ihr gegenüber] taten. Und obwohl sie gelähmt war, wollte sie die Kommunion nie im Bett empfangen, sondern sie wurde an den Händen derer, die sie aufrichteten, durch ein kleines Fenster […63]. Am Gründonnerstag ließ sie Gelähmte zu sich bringen, denen sie die Füße wusch, indem sie auf einem Bein niederkniete, weil sie anders nicht konnte, und sie teilte ihnen Kleider und Denare und Essen aus, obwohl sie damals nur das tat, was sie zu allen Zeiten ihrer Gesundheit getan hatte. Und obwohl sie sehr krank war, aß sie nie Fleisch und oft auch keinen Fisch. Auch ließ sie sich bisweilen in das Kloster zu den Schwestern tragen, die in ihrer Anwesenheit mit großer Fröhlichkeit essen und trinken sollten. Während ihrer Krankheit wollte sie nicht an einem gedeckten oder höfisch geschmückten Tisch essen, allenfalls über einem gewöhnlichen Tuch. Und obwohl sie sehr gebrechlich war, verharrte sie, wann immer sie nachts erwachte, im Gebet, ebenso auch tagsüber. Während ihrer Krankheit ließ sie auch die Minderbrüder in ihrer Anwesenheit essen, von denen sie ebenfalls viel Trost empfing. Und sie ließ das Kloster der heiligen Klara64 errichten, weshalb einige sie sehr belästigten. All dies, was oben geschrieben steht, bezeugen die Schwester Gotlinde65, die Schwester Christiana und die Schwester Metza. Als aber ihr Tod nahte66, hatte man ihren Beichtvater in einer bestimmten Angelegenheit in die Ferne gesandt, weshalb sie sehr bestürzt war und in dieser [Bestürzung] etwas gegen den Orden sagte. Daher hörte sie eine Stimme, die ihr sagte, dass sie das beichten solle, was sie gegen den Orden gesagt habe. Auch hörte sie eine andere Stimme, [die ihr sagte,] dass sie sich von allen ihren Sünden reinigen müsse, worauf sie antwortete: „Oh Herr, sei so barmherzig, dass der Leib es ertragen kann“. Sie sagte auch, ihr sei vom Himmel verkündet worden, dass ihr Martyrium bald ein Ende habe und ihr alle Sünden erlassen worden seien. Das erzählte sie ihrem Beichtvater, dem Bruder Herbord.67

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Salomea Die historische Gestalt Salomea war das älteste Kind des Krakauer Herzogs Leszek des Weißen und seiner ruthenischen Ehefrau Grimislava (poln. Grzymysława), der Tochter des Lucker Fürsten Ingvar.1 Leszeks Ehe mit einer ruthenischen Fürstentochter war 1207 im Rahmen einer piastischen Ostpolitik geschlossen worden, deren Expansionspläne auf konkurrierende Bestrebungen des ungarischen Königs stießen.2 Als sich die Rivalen 1214 und 1218 wiederholt auf ein gemeinsames Vorgehen einigten, suchten sie die Verständigung durch eine dynastische Verbindung abzusichern, bei der Salomea mit dem ungarischen Königssohn Koloman, einem Bruder Elisabeths von Thüringen, vermählt wurde. Doch ist zweifelhaft, ob Salomea bereits 1214 an den ungarischen Hof geschickt worden ist3, da Leszek die Vereinbarung sogleich wieder aufkündigte. Wäre sie tatsächlich 1214 nach Buda gelangt und die Angabe ihrer Vita verlässlich, der zufolge sie als Dreijährige nach Ungarn verbracht wurde, so wäre ihr Geburtsdatum in das Jahr 1211/12 zu setzen. Die Forschung geht neuerdings allerdings davon aus, dass Salomea erst nach der zweiten polnischÜberblicke zur Person bei Oswald Balzer, Genealogia Piastów [Genalogie der Piasten], Kraków² 2005 [ursprünglich 1895], S. 480–487; Bronisław Włodarski, Salomea królowa halicka (Karta z dziejów wprowadzenia zakonu klarysek do Polski) [Salomea, Königin von Halič (Ein Kapitel aus der Geschichte der Einführung des Ordens der Klarissen in Polen)] , in: NP 5 (1957), S. 61–81; ders./Romuald Gustaw, Salomea, in: HP 2, S. 300–313; Jerzy Wyrozumski, Salomea, in: PSB 34 (1992–1993), S. 365–368; Maciej Michalski, Kobiety i świętość w żywotach trzynastowiecznych księżnych polskich [Frauen und Heiligkeit in den Viten polnischer Herzoginnen des 13. Jahrhunderts], Poznań 2004, S. 73–77; Hanna Krzyżostaniak, Trzynastowieczne święte ­kobiety kręgu franciszkańskiego Polski i Czech. Kształtowanie się i rozwój kultów w średniowieczu [Heilige Frauen des 13. Jahrhunderts aus dem Franziskanerkreis Polens und Böhmens] , Poznań 2014, S. 51–54. 2  Zur Krakauer Ostpolitik vgl. Bronisław Włodarski, Polska i Ruś 1194–1340 [Polen und die Rus’ 1194–1340], Warszawa 1966, S. 31–90. 3  So Alojzy Karwacki, Błog. Salomea za życia i po śmierci, w siedemsetną rocznicę jej urodzin [Die sel. Salomea zu Lebzeiten und nach ihrem Tod, zum 700. Jahrestag ihrer Geburt], Kraków 1911, S. 21; Balzer, Genealogia (wie Anm. 1), S. 482–483 und neuerdings Karol Hollý, Princess Salomea and Polish-Hungarian Relations in the Period 1214–1241, in: Historický Časopis 55 (2007), Supplement, S. 7–34, hier S. 19. 1 

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ungarischen Verständigung, d. h. 1218/19 dem damals zehnjährigen Koloman zur Frau gegeben worden ist, ohne dabei jedoch von dem angenommenen Geburtsdatum 1211/12 abzurücken.4 Koloman war bereits 1215 nach einer ersten vorübergehenden ungarischen Eroberung des ruthenischen Fürstentums zum König von Galizien gekrönt worden.5 Doch erst nachdem ein polnisch-ungarisches Heer 1219 den Hauptort Halič erneut erobert hatte, konnten der junge König und seine junge – tatsächlich wohl nicht förmlich zur Königin gekrönte6 – Gattin dort installiert werden. Ihre de facto von einem Wojewoden namens Filja ausgeübte Herrschaft währte allerdings nicht lange. Bereits im Frühjahr 1221 eroberte der Novgoroder Fürst Mstislav Mstislavič, der Kühne, Galizien für die Rjurikiden zurück und vertrieb die polnisch-ungarischen Besatzer. So verschlug es Salomea (wieder oder erstmals) nach Ungarn. Über ihr dortiges Leben ist so gut wie nichts bekannt.7 Offenbar hielt sich das Paar zunächst einige Jahre im nordöstlichen Landesteil, in der Zips, auf – wohl in der Hoffnung, von dort bald erneut die Herrschaft in Galizien übernehmen zu können.8 Da sich dies als unrealistisch erwies, vertrat Koloman seit 1226 nach einer von Andreas II. unter seinen Söhnen vorgenommene Herrschaftsteilung den Vater in Slawonien, Dalmatien und Kroatien. Dort engagierte er sich u. a. in der Bekämpfung häretischer Bewegungen, unterhielt in diesem Zusammenhang eine rege Korrespondenz mit dem Papst und förderte die in Bosnien missionierenden Franziskaner.9 4  Vgl. Włodarski, Salomea królowa (wie Anm. 1), S. 70; ders./Gustaw, Salomea (wie Anm. 1), S. 301–302; Michalski, Kobiety (wie Anm. 1), S. 74. 5  Zu Koloman in Galizien vgl. Hollý, Princess Salomea (wie Anm. 3), S. 14–25; Gábor Barabás, Coloman of Galicia and His Polish Relations. The Duke of Slavonia as Protector of Widowed Duchesses, in: Hungaro-Polonica. Young Scholars on Medieval Polish-Hungarian Relations, hrsg. von Daniel Bági u. a., Pécs 2016, S. 89–117, hier S. 92–96. 6  Jedenfalls hat die päpstliche Kanzlei den Königstitel nur auf Koloman, nicht auf dessen Ehefrau bezogen; vgl. Bulle Honorius III. vom 27.1.1222 und Gregors IX. vom 14.10.1234. Erst im Witwenalter bezeichnen päpstliche und piastische Urkunden Salomea als „quondam regina“, was aber nicht zwangsläufig eine erfolgte Krönung belegt. Dagegen nimmt Hollý, Princess Salomea (wie Anm. 3), S. 19–20, 24 an, dass Salomea gekrönt wurde. 7  Vgl. Hollý, Princess Salomea (wie Anm. 3), bes. S. 29–34, der – ohne neue Erkenntnisse zu bieten – konstatiert, „that Salomea was an important figure in political history during her Hungarian period“ (S. 33). 8  Martin Homza, Sytuacja polityczna Spisza do początków XIV w. [Die politische Situation der Zips bis zu Beginn des 15. Jahrhunderts], in: Historia scepusii. Vol. I: Dzieje Spisza I, hrsg. von dems./Stanisław A. Sroka, Bratislava-Kraków 2010, S. 125–174, hier S. 148; Barabás, Coloman (wie Anm. 5), S. 96–98. 9  Zu Kolomans Mitherrschaft in Ungarn vgl. Nataša Procházková, Postavenie haličského král’a a slavónskeho kniežat’a Kolomana z rodu Arpádovcov v uhorskej vnútornej a zahraničnej politike v prvej polovci 13. storočia [Die Stellung des Königs von Halič und Herzogs von Slawo-

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Salomea

Von Salomea berichten die Quellen aus dieser Zeit lediglich, dass sie am Zustandekommen einer weiteren polnisch-ungarischen Eheschließung beteiligt war; 1239 wurde ihrem damals dreizehnjährigen Bruder Bolesław ihre erst fünfjährige Nichte, die Tochter Ihres ungarischen Schwagers Bela IV., Kunegunda/Kinga, als Ehefrau versprochen.10 Verschiedene Indizien deuten darauf hin, dass sie auch an der Kirchenpolitik ihres Ehemanns Anteil genommen hat. Koloman fiel im April 1241 im Kampf gegen die Tataren, woraufhin der Piastentochter ein weiteres Leben in Ungarn offenbar weder wünschenswert noch möglich erschien. So kehrte sie – wahrscheinlich gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem Bruder, die beide 1241 am ungarischen Hof Zuflucht vor den in Polen eingefallenen Tataren gesucht hatten – nach Krakau zurück. Dort schickten sich die kleinpolnischen Großen gerade an, den masowischen Herzog Konrad zu vertreiben und begrüßten Bolesław V., den Schamhaften, als ihren neuen Herzog. Im Kampf gegen den masowischen Onkel, aber auch gegen die Litauer, Jadwinger und Ruthenen suchte Bolesław den Beistand der römischen Kirche, die ihrerseits eine katholische Missionierung der heidnischen und schismatischen Ostgebiete verfolgte. Beide setzten dabei auf die erst seit Kurzem in Polen vertretenen Bettelorden, insbesondere die Franziskaner, die sich am Krakauer Hof großer ­Beliebtheit erfreuten. Salomea war bereits in Ungarn mit der franziskanischen ­Bewegung und ihrem von der heiligen Klara begründeten weiblichen Zweig in ­Berührung gekommen.11 Ihr wachsender religiöser Eifer dürfte vor allem durch das Beispiel ihrer Schwägerin Elisabeth befeuert und ihr Entschluss, sich selbst den Klarissen anzuschließen, vom Vorbild der Přemyslidin Agnes befördert worden sein. Der Eintritt in den Orden erfolgte, als Bolesław und Grzymisława anlässlich eines in Sandomir zu Pfingsten 1245 abgehaltenen Provinzialkapitels der Franzis-

nien Koloman aus dem Haus der Árpáden in der ungarischen Innen- und Außenpolitik in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts], in: Medea. Studia Mediaevalia et Antiqua 2 (1998), S. 64–75; dies., Koloman Haličský na Spiči pred rokom 1241 [Koloman von Halič in der Zips vor dem Jahr 1241], in: Terra Scepusiensis. Stav bádania o dejinách Spiša. hrsg. von Ryszard Gladkiewicz/Martin Homza, Levoča-Wroclaw 2003, S. 243–249; Hollý, Princess Salomea (wie Anm. 3), bes. S. 25– 29; Barabás, Coloman (wie Anm. 5), S. 99–113. 10  Die von der Vita Kingae verbreitete Erzählung, die die maßgebliche Initiative zu dieser Eheverbindung Salomea zuschreibt (vgl. unten S. 376–377), muss allerdings als eine hagiographische Überhöhung, wenn nicht Erfindung angesehen werden; Bolesław V. selbst verwies in einer Urkunde von 1257 auf den Krakauer Bischof und die kleinpolnischen Großen als die entscheidenden Initiatoren; KDM II, 452. 11  Vgl. unten S. 326–327 den Hinweis ihres Hagiographen, dass einer ihrer Beichtväter am ungarischen Hof der Franziskaner Albert gewesen sei.

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verkündeten.12

kaner die Stiftung eines ersten polnischen Klarissenklosters Der neue Konvent wurde in Zawichost, einem wichtigen Weichselübergang auf der Ost-West-Verkehrsachse unweit von Sandomir angesiedelt.13 Dorthin zog die Herzogsschwester mit einer kleinen Gruppe von Klarissen, liturgisch von einer Gruppe von aus Sandomir nach Zawichost versetzten Franziskanern betreut. Die Schwestern pflegten von Anfang an gewisse Formen der Krankenpflege, die 1255 in die Stiftung eines regelrechten Spitals mündeten.14 Als „fundatrix monasterii“, Fürstentochter und „quondam regina“ besaß Salomea zweifellos das Sagen in ihrem Kloster, auch wenn sie die Funktion der Äbtissin einer Mitschwester überließ. Mit ihrem Gewicht setzte sie sich bei Papst Innozenz IV. wiederholt dafür ein, die strenge Ordensregel der heiligen Klara, die dem Kloster an sich jedweden Besitz untersagte, aufzuweichen. Tatsächlich erhielt sie vorübergehende Dispense, so dass das Kloster von fürstlichen und adligen Gönnern großzügige Schenkungen entgegennehmen konnte.15 Dessen ungeachtet war der Zawichoster Klarissengründung keine dauerhafte Zukunft beschieden. Angesichts der Gefahr eines erneuten Einfalls der Tataren beschloss Bolesław im Frühjahr 1257, das Frauenkloster in die Nähe von Krakau zu verlegen und in Zawichost zunächst lediglich das Männerkloster zu belassen.16 So gelangte Salomea wieder in die Nähe des Krakauer Hofes, an einen knapp 20 km nördlich des Wawel gelegenen Ort namens Skała, der dem verlegten Kloster seinen lateinischen Namen „Lapis Sanctae Mariae“ gab.17 Hier blühte das Kloster rasch auf, erlangte durch Interventionen und Zukäufe Salomeas weiteren umfangreichen Besitz und konnte unter ihrer Ägide 1267 am Ort sogar eine städtische Siedlung nach deutschen (Neumarkter) Recht begründen.18 12  Vgl. Rocznik Małopolski [Annalen Kleinpolens], hrsg. von August Bielowski, inb: MPH III, Lwów 1878 [Nachdruck: Warszawa 1961], S. 135–202, hier S. 168: „Frater Remundus minister Polonie capitulum tenuit in Sandomiria et velat Salomeam sanctam“ („Bruder Remundus, der Provinzial von Polen, hielt ein Kapitel in Sandomir ab und verschleierte die heilige Salomea“). 13  Vgl. KDM I, 44 (Stiftungsurkunde Bolesławs V. vom 2. März 1257); zur Klosterstiftung eingehend: Andrzej Pleszczyński, Zur Geschichte und Bedeutung der Stiftung des Klarissenklosters in Zawichost, in: Monarchische und adlige Sakralstiftungen im mittelalterlichen Polen, hrsg. von Eduard Mühle, Berlin 2013, S. 395–416. 14  KDM II, 446 (Stiftungsurkunde Bolsławs V. vom 18. April 1255). 15  Vgl. KDM II, 444 (Bulle Innozenz’ IV. vom 3. August 1254). 16  KDM I, 57, 58; Pleszczyński, Zur Geschichte (wie Anm. 13), S. 412. 17  Die päpstliche Zustimmung zu dieser Verlegung erging auf eine Supplik Salomeas hin erst Anfang August 1260; KDM I, 53; zum Namen vgl. unten Anm. 61. 18  KDM I, 55, 70–73 (zur Erweiterung des Klosterbesitzes), 75 (zur Lokation von Skała); zur Ausstattung des Klosters vgl. auch Janina Stoksik, Powstanie i późniejszy rozwój upozażenia klasztoru klarysek w Krakwoie w XIII i XIV wieku [Begründung und spätere Entwicklung der Ausstattung des Klarissenklosters in Krakau im 13. und 14. Jahrhundert], in: Rocznik Krakowski 35 (1961), S. 92–128.

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Salomea

Ein Jahr später erkrankte die inzwischen wohl Mitfünfzigjährige so schwer, dass sie ihr Testament diktierte.19 Sie starb noch im November des gleichen Jahres in ihrem Kloster, in dem sie zunächst auch beigesetzt wurde. Zur Entwicklung des Kultes Im darauffolgenden Jahr, im Frühsommer 1269, wurde der Leichnam der Herzogstochter aus dem Klarissenkloster in die Krakauer Franziskanerkirche überführt. Die Vita Salomeae erzählt, dass dem ein Streit zwischen Franziskanern und Klarissen darüber vorausgegangen sei, welchem Haus das Vorrecht der Grabpflege zukomme, wobei das Urteil am Ende zugunsten der Franziskaner ausgefallen sei.20 Auch wenn ein Teil der Forschung diese Erzählung für nicht authentisch hält, dürfte die Überführung in die bedeutendere Kirche bzw. in die Hauptstadt des Herzogtums als ein Beleg dafür anzusehen sein, dass in Krakau schon bald nach dem Tod der herzoglichen Nonne Bestrebungen aufkamen, sie auf besondere Weise zu verehren. Ob die Krakauer Franziskaner und Klarissen – das Beispiel der 1255 heiliggesprochenen Klara vor Augen – dabei bereits eine regelrechte Kanonisation anstrebten, ist unklar. Die soeben (1267) erfolgte Heiligsprechung Hedwigs von Schlesien könnte ein weiterer Anstoß dazu gewesen sein. Jedenfalls nutzte der Franziskaner Bogufal 1270, schenkt man der Vita Salomeae Glauben (VII, 22), den Festtag der heiligen Hedwig, um vor dem Krakauer Herzogspaar über „die Heiligkeit der Schwester Salomea“ zu predigen.21 So mögen auch der Krakauer Hof und insbesondere die Salomea zu deren Lebzeiten eng verbundene Herzogsgattin Kunegunda/Kinga Gefallen an dem Gedanken eines Salomea-Kultes gefunden haben. Daher kann mit Gábor Klaniczay auch nicht ausgeschlossen werden, dass die erste Zusammenstellung der von der Vita Salomeae aufgezeichneten, in die Jahre 1268–1273 datierten Wunder, auf Kingas Veranlassung hin erfolgte.22 Allerdings finden sich in den Quellen – sieht man von der Vita selbst einmal ab – tatsächlich keine weiteren Hinweise auf zeitgenössische Versuche der Krakauer Kirche oder/und des Krakauer Hofes, in Rom ein entsprechendes Verfahren in Gang zu setzen. Die wohl auch von Bürgern der Stadt Krakau und Angehörigen der kleinpolnischen Elite unterstützten Bemühungen um die Verbreitung eines SalomeaKultes blieben in ihrer Wirkung begrenzt. Die Orte, für die die Vita von Salomea gewirkte Wunder verzeichnete, lagen alle in dem vergleichsweise überschaubaren Gebiet des Krakauer Herzogtums nördlich der Weichsel und erfassten darüber KDM I, 76. Siehe unten S. 334–335. 21  Siehe unten S. 350–351 (VII, 22). 22  Gábor Klaniczay, Holy Rulers and Blessed Princesses. Dynastic Cults in Medieval Central Europe, Cambridge 2002, S. 221–222. 19  20 

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Die Vita

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­ inaus lediglich noch das Oppelner Schlesien; nur in einem einzigen Fall wurde h ein Wunder für eine etwas weiter entfernte Region, das großpolnische Kalisz, dokumentiert (VII, 2). Erst für das 17. Jahrhundert sind Bemühungen um eine Kanonisation belegt, für die im Vatikan eine Abschrift der mittelalterlichen Vita Salomeae vorgelegt wurde.23 Daraufhin bestätigten am 6. Mai 1672 die Ritenkongregation und Papst Clemens X. zunächst die Existenz eines alten Salomea-Kultes, ehe der Papst am 18. Dezember 1673 verkündete, dass die polnische Kirche und der Orden der Franziskaner den 17. November als Gedenktag Salomeas begehen dürfen. Eine Bulle, die diese Zusage als eine regelrechte Seligsprechung förmlich besiegelt hätte, wurde allerdings nicht ausgestellt, so dass 1749 ein zweiter Kanonisationsprozess angestrengt wurde, der jedoch ebenfalls ohne Kanonisations- oder Beatifikationsurkunde endete.24 Die Vita Das einzige greifbare Zeugnis einer mittelalterlichen Verehrung Salomeas als einer Heiligen stellt die ihr gewidmete Vita dar.25 Ihr Herausgeber, Wojciech Kętrzyński, hat den überlieferten Text als das Werk eines Autors, des Franziskaners Stanisław, angesehen, den er zugleich mit dem im Schlussteil der Vita als Zeuge verschiedener Wunder begegnenden gleichnamigen Beichtvater der Klarissen von Skała identifizierte.26 Dieser habe die Vita um 1290 verfasst, da im Text zum einen von der Vernichtung von Salomeas, in Sandomir aufbewahrten Bußgewändern (I, 5) die Rede ist, zu der es nach Kętrzyński bei der Belagerung der Stadt durch die Tataren im Jahr 1287 gekommen sei, zum anderen die 1292 ver23  Schon 1667 hatte das Krakauer Klarissenkloster eine Abschrift der in seiner Bibliothek aufbewahrten Version der Vita den Herausgebern der Acta Sanctorum übersandt; Acta sanctorum Bd. 5, S. 665–666; Vita et miracula sanctae Kyngae ducissae Cracoviensis, hrsg. von Wojciech Kętrzyński, in: MPH 4, Lwów 1884 [Nachdruck: Warszawa 1961], S. 662–744, hier S. 665. 24  Zum frühneuzeitlichen Verfahren vgl. Marian Kanior, Proces beatyfikacyjny bł. Salomei [Das Beatifikationsverfahren der sel. Salomea], in: Z przeszłości Krakowa, hrsg. Jan M. Małecki, Warszawa-Kraków 1989, S. 69–94. 25  Vita sanctae Salomeae reginae Haliciensis. Auctore Stanislao Franciscano, hrsg. von Wojciech Kętrzyński, in: MPH 4, Lwów 1884 [Nachdruck: Warszawa 1961], S. 770–796; BHL Nr. 7466. 26  Vita sanctae Salomeae (wie Anm. 25), S. 770–771 sowie Vita et miracula sanctae Kyngae (wie Anm. 23), S. 665, 682. Der Hinweis auf den Franziskaner Stanisław fand sich in der (heute verlorenen) Handschrift Ossolineum l. 83, fol. 261; jüngere, im Umfeld der Handschriftenüberlieferung entstandene Notizen haben Stanisław 1727 und 1779 zeitlich im 14. Jahrhundert verortet; auf welcher Grundlage ihn Kętrzyński ins 13. Jahrhundert datiert und mit dem in der Vita Salomeae genannten Stanisław identifiziert, wird nicht ersichtlich; zur Person des Stanisław vgl. Patrycja Gąsiorowska, Stanisław (XIII w.), franciszkanin, spowiednik, lektor, hagiograf [Stanisław (13. Jh.), Franziskaner, Beichtvater, Lektor, Hagiograf], in: PSB 42 (2003–2004), S. 3–4.

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storbene Kinga dem Hagiographen noch als lebende Person vor Augen gestanden habe.27 Kętrzyńskis Zeitgenosse Bolesław Ulanowski hat den überlieferten Text dagegen für ein aus zwei separaten Teilen – einem Wunderkatalog (VII, 1–39) und einer Lebensbeschreibung – zusammengesetztes Werk gehalten. Der Katalog der Wunder sei bereits unmittelbar nach Salomeas Tod entstanden, während die Lebensbeschreibung (I–VI) im Verlauf der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts von einem Franziskaner namens Stanisław verfasst worden sei.28 Auch die jüngere Forschung hat die Frage der Abfassungszeit nicht eindeutig klären können. Sie schließt sich entweder Kętrzyński29 oder Ulanowski30 an oder versucht, beide Zugänge zu verknüpfen. So geht Brygida Kürbis davon aus, dass eine erste Version der Vita bald nach Salomeas Tod (deutlich vor 1290) vorgelegen habe. Von ihr seien im überlieferten Text jedoch lediglich Teile des Prologs und einige konkrete Angaben zu Salomeas Leben erhalten geblieben. Dieser ‚Ur-Vita‘ sei ein in den Jahren 1268–1273 mit Blick auf eine Kanonisation zusammengestellter Katalog der Wunder angehängt worden, der dann unverändert Eingang in die spätere Redaktion gefunden habe, während die ‚Ur-Vita‘ durch diese im Verlauf des 14. Jahrhunderts, am ehesten in der zweiten Hälfte, stark überarbeitet und um eine hagiographische „Legende“ (vor allem in Kap. I zu fassen) erweitert worden sei, was in faktographischer Hinsicht zu erheblichen Verunstaltungen geführt habe.31 Der mithin nur allgemein in die Zeit des ausgehenden 13. bis späten 14. Jahrhunderts datierbare Text, der auch in neueren (polnischen und ungarischen) Übersetzungen zugänglich ist32, umfasst nach einem Prolog sieben Kapitel unterVita sanctae Salomeae (wie Anm. 25), S. 774 Bolesław Ulanowski, Kilka słów o żywocie św. Salomei królowej halickiej [Einige Worte zur Vita der hl. Salomea, der Königin von Halič], in: Rozprawy i sprawozdania z posiedzeń wydziału historyczno-filozoficznego Akademii Umiejętności 20 (1887), S. 91–104, bes. S. 93, 97, 103. Vgl. dazu auch die Entgegnung von Wojciech Kętrzyński, Dodatek do [Ergänzungen zu] Vita Salomeae reginae Haliciensis. Auctore Stanislao Fransiscnao, in: MPH 5, Lwow 1888 [Nachdruck: Warszawa 1961], S. 1014–1017. 29  Jan Dąbrowski, Dawne dziejopisarstwo Polski (do roku 1480) [Die ältere Geschichtsschreibung Polens (bis zum Jahr 1480)], Wrocław u. a. 1964, S. 95–96; Włodarski/Gustaw, Salomea (wie Anm. 1), S. 301; Klaniczay, Holy Rulers (wie Anm. 22), S. 223. 30  Włodarski, Salomea, królowa (wie Anm. 1), S. 67, Anm. 16. 31  Brygida Kürbisówna, Żywot bł. Salomei jako źródło historyczne [Die Vita der sel. Salomea als historische Quelle], in: Studia Historica w 35-lecie pracy naukowej Henryka Łowmiańskiego, Warszawa 1958, S. 145–154, bes. S. 147, 150–151; vgl. auch Aleksandra Witkowska, Miracula małopolskie z XIII i XIV wieku. Studium żródłoznawcze [Die kleinpolnischen Miracula des 13. und 14. Jahrhunderts. Eine quellenkundliche Studie], in: RHum 19 (1971), 2, S. 29–161, hier S. 53. 32  Żywot świętej Salomei królowej halickiej napisany przez Stanisława franciszkanina, tł., wstęp i przypisy Cecylian Niezgoda [Die Vita der heiligen Salomea, der Königin von Halič, geschrieben von dem Franziskaner Stanisław, übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen 27  28 

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schiedlicher Länge, die vom weltlichen Leben Salomeas (I), ihrem Eintritt in das Kloster (II), ihrer Erkrankung (III), ihrem Tod (IV), ersten noch vor ihrem Begräbnis gewirkten Wundern (V), dem Streit zwischen Klarissen und Franziskanern um den Ort ihrer Grabstätte (VI) und schließlich im umfangreichsten Kapitel (VII) von insgesamt 37 Wundern erzählen. Die Informationen über Salomeas weltliches Leben fallen dabei ausgesprochen knapp und oft unzutreffend aus. So gut wie nichts erfährt der Leser über ihr Klosterleben. Die Wunderberichte bieten dagegen zahlreiche interessante Einblicke in das Alltagsleben der Gesellschaft im Kleinpolen und Oppelner Schlesien der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Handschrift und Edition Die Vita Salomeae ist nicht im Original und nicht vollständig überliefert, sondern nur aus einer Handschrift bekannt, die im Jahr 1401 angelegt worden ist und zugleich auch die Vita Cunegundis (Kingae) enthält.33 Diese Handschrift war die Vorlage für zwei im 16. und 17. Jahrhundert angefertigte Abschriften34, wies aber schon ihrerseits so viele Abschreibfehler auf, dass auch sie nur als die Abschrift von einer nicht erhaltenen Vorlage angesehen werden kann. Ob diese Vorlage aus verschiedenen, zu unterschiedlichen Zeiten entstandenen Texten oder einem zusammenhängenden Werk bestand, ist in der Forschung kontrovers diskutiert, aber nicht abschließend geklärt worden. Seit 1884 liegt die Vita in einer kritischen, bislang nicht ersetzten Edition vor.35 Ihr folgt der nachfolgende lateinische Text (mit ein-zwei Ausnahmen, auf die in den Anmerkungen verwiesen wird). Auch die vom Herausgeber vorgenommene Kapitelzählung und Absatzeinteilung wird übernommen36, jedoch darauf vervon Cecylian Niezgoda], in: W Nurcie Franciszkańskim 5 (1996), S. 145–162; [ohne Titel], in: Jerzy Andrzej Wojtczak, Średniowieczne życiorysy bł. Kingi i bł. Salomei, Warszawa 1999, S. 205– 232; Szent Szalóme legendája [Die Legende der heiligen Salomea], übersetzt von Klára Kisdi, in: Legendák és csodák (13–16. század). Szentek a magyar käzépkorpból II., hrsg. von Edit Madas/ Gábor Klaniczay, Budapest 2001, S. 96–117. 33  Vitae et miracula augustarum virginum: divae Cunegundis reginae Poloniae et divae Salomeae reginae Haliciae ab auctore anonymo conscripta MCCCCI, f. 1r–24v; https://polona.pl/ item/varia,NjAzNzk0Mw/8/#info:metadata (abgerufen am 28. 7. 2020); die Handschrift beschrieben in Vita et miracula sanctae Kyngae ducissae Cracoviensis, hrsg. von Wojciech Kętrzyński, in: MPH 4, Lwów 1884 [Nachdruck: Warszawa 1961], S. 682–744, hier S. 663–666. 34  Biblioteka Jagiellońska [Jagiellonen-Bibliothek Krakau] Nr. 3301, f. 206–230 (16. Jahrhundert); die ins 17. Jahrhundert datierte Handschrift befand sich unter der Signatur 83 im Ossolineum-Institut in Lemberg, dessen Bestände 1945 nach Breslau transferiert wurden; in Breslau gilt die Handschrift heute als vermisst. 35  Vita sanctae Salomeae (wie Anm. 25), S. 776–796. 36  Die 1401 angelegte Handschrift enthält einen fortlaufenden Text, in dem Initialen und Worte in roter Schrift Sinnabschnitte markieren.

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zichtet, die im Apparat der Edition aufgeführten fehlerhaften Varianten der Handschriften (Kętrzyński führt fast ausschließlich solche aus der 1401 angelegten Handschrift an) hier in den Anmerkungen zu reproduzieren.

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Vita sanctae Salomeae reginae Haliciensis

In nomine Domini – Amen. Incipit vita sancte Salomee. Gloriosus Deus in sanctis suis et in maiestate, qui est purus intellectus, Deus benedictus, cuius venerabilis puritas nullius corporis contagione violatur, largitor premiorum ineffabilis gracie, dono specialis privilegii beatam Salomeam prodotavit. Nam Salomea interpretatur, quasi salutis meatus: quia vere salutis meatum jugiter cum virginitatis pudore sequebatur.37 I. Sequitur legenda. 1. Hec enim sancta Salomea nacione fuit [Polona], filia magnifici ducis terarum Cracovie ac Sandomirie, nomine Lestkonis, cuius mater Grimislava genere Ruthena; fraterque eius Boleslaus, cuius uxor nomine Kinga filia incliti principis Bele, divina clemencia Ungarie regis. Hec, inquam, Salomea in teneritate iuventutis illuminata per spiritum sanctum38, bone indolis, sancte conversacionis, in Dei serviciis dans mercedem operi semper reperta fuit. Nam rege Andrea Ungarie deprecante, ut Christi famula Salomea pro filio eius nomine Colomano in sponsam traderetur, quod, si casu fieri non deberet, totum ducatum Lestkonis predictus rex Ungarie vellet devastare; quibus monicionibus, immo comminacionibus dux Lestko respondit: Filiam nostram Salomeam ad postulacionem Andree, regis Ungarie, pro filio eius Colomano dare non possumus, quia votum fecit Deo nec maior est potestas regis Ungarie, quam Cunctipotentis, in cuius disposicione perficiuntur omnia. Instantibus autem baronibus et consiliariis suis, dux illustris Lestko annuit et consensit peticionibus predicti regis Ungarie, ut sua filia Salomea con-

37  Kürbisówna, Żywot (wie Anm. 31), S. 152–153 sieht in diesem Absatz das Relikt des Prologs der nach 1270 verfassten ältesten Version der Vita und inhaltlich einen Anklang an die Lehre des heiligen Bonaventura bzw. den ‚Augustinismus‘ des 13. Jahrhunderts. 38  Auch in der Formulierung „in teneritate … spiritum sanctum“ sieht Kürbisówna, Żywot (wie Anm. 31), S. 153 Anklänge an die Lehre Bonaventuras und der Franziskaner des 13. Jahrhunderts.

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Die Lebensbeschreibung der heiligen Salomea, der Königin von Galizien

Im Namen des Herrn – Amen. Es beginnt die Lebensbeschreibung der heiligen Salomea. Der in seinen Heiligen und seiner Erhabenheit ruhmreiche Gott, der die reine Erkenntnis ist, Gott, der gepriesene, dessen verehrungswürdige Reinheit von keiner leiblichen Berührung befleckt wird, der Spender von Auszeichnungen unaussprechlicher Gnade, hat die heilige Salomea mit der Gabe einer besonderen Vergünstigung ausgestattet. Denn [der Name] Salomea bedeutet so viel wie „Weg des Heils“, weil sie wahrhaftig den Weg des Heils beständig mit jungfräulicher Sittsamkeit verfolgt hat.37 I. Es folgt die Legende. 1. Die heilige Salomea war nämlich ihrer Herkunft nach [Polin], die Tochter des großartigen Herzogs der Länder von Krakau und Sandomir, Leszeks [des Weißen]. Ihre Mutter war Grzymisława, der Geburt nach eine Ruthenin, und ihr Bruder war Bolesław [V., der Schamhafte], dessen Frau Kinga die Tochter des berühmten Fürsten Bela [IV.], des durch göttliche Gnade Königs von Ungarn, war. Diese Salomea, sage ich, wurde in der Zartheit ihrer Jugend durch den Heiligen Geist erleuchtet38, [besaß] einen guten Charakter, [führte] ein heiligmäßiges Leben und gab im Dienst für Gott der guten Tat stets den gebührenden Lohn. Als dann Andreas [II.], der König von Ungarn, heftig darum bat, die Dienerin Christi, Salomea, seinem Sohn Koloman als Braut zu übergeben, weil der vorgenannte König von Ungarn, falls das vielleicht nicht geschehen sollte, das ganze Herzogtum Leszeks verwüsten wollte, da antwortete der Herzog Leszek auf diese Warnungen, ja Drohungen: „Unsere Tochter Salomea können wir nicht gemäß der Forderung Andreas’, des Königs von Ungarn, seinem Sohn Koloman [zur Frau] geben, weil sie Gott ein Gelübde abgelegt hat [und] die Macht des Königs von Ungarn nicht größer ist als die des Allmächtigen, in dessen Ordnung alles vollendet wird.“ Weil aber seine Barone und Ratgeber darauf drängten, stimmte der erlauchte Herzog Leszek zu und war [schließlich] mit den Bitten des vorgenannten Königs von

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nubio Colomani traderetur. Erat autem Salomea tercio anno sue etatis, cum ad curiam predicti regis Ungarie pro filio Colomano deportaretur.39 2. Ipsa autem, informata lege sui Creatoris, taliter se continuit, ut coniuncta Colomano puritatem sine omni illecebritate conservaret. Nam legitur40, cum ambo disciplinis scolasticis traditi fuissent, quod in tantum in sacris literarum scripturis beata Salomea processisset, quod eciam requisita a magistro proprio ewangelium, quod de die audiebat, interpretabatur et exponebat; quod eciam Colomanus precedens pro excessu eius doctrinali, pro ipsa circa informacionem eorum verbera tollerare conabatur. Et succedente tempore, cum ambo ad annos pubertatis pervenissent, thoro coniunguntur nec per hoc in alterutro castitas violatur; non enim hinc Dei sponse affuit desiderium carnale, quod pervigil exardescens in sui Conditoris amore, tota se oracionibus ac aliis operibus exponebat et supprimens mundana fastidia, assumpto humiliter onere, domino Deo se dedicabat. Nam frequenter accidit, quod cum ipsa noctis tempore oracionibus insisteret in tantum, ut corpus eius nimium fatigaretur, domino Colomano eius sponso evigilante et eam in oracionibus debilitatam vidente, mox Colomanus misertus voce compas­ sionis eam sincerius rogabat, dicens: Amica mea, sufficiunt tibi labores iam pro domino Deo facti; desiste amodo, ne fatigata labore infirmitate preocuperis.41 3. O quam sancte, o quam honeste hec beata vixit, ut non solum interiori habitu per mentis puritatem, fidei sinceritatem domino Deo dedicaretur, sed eciam obtenta castitate, exteriori amictu Deo clarius famularetur. Nam quodam tempore egrediente rege Colomano ad campos cum suis baronibus gracia deduccionis temporis, Salomea invadente temptacione ad beneplacita sui domini se ornatu muliebri, prout anima ipsius desiderabat, ornavit; quo ornatu ornata miro modo cepit fulgere et suam auxit pulchritudinem.42 Hec autem fecerat in cubiculo regio. Qua Die neuere Forschung geht davon aus, dass Salomea erst 1218/19 als etwa Siebenjährige ihrem ungarischen Bräutigam zugeführt wurde; ob sie dabei zunächst nach Ungarn oder gleich nach Halič gebracht wurde, ist unklar; s. oben S. 310–311. Die Wortwahl des Hagiographen (deportare) betont offenbar bewusst den ‚Zwangscharakter‘ dieser Eheverbindung. 40  Die Verwendung dieses Verbs deutet möglicherweise daraufhin, dass sich der Hagiograph hier auf schriftliche Vorlagen gestützt hat; nach Kürbisówna, Żywot (wie Anm. 31), S. 151 stammt dieser Teil des Textes aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. 41  Vgl. die ähnliche Szene in den Viten der heiligen Elisabeth: Caesarius von Heisterbach, Das Leben der Heiligen Elisabeth (Vita Sancte Elyzabeth Lantgravie, Sermone de Translatione Beate Elyzabeth), hrsg. und übersetzt von Ewald Könsgen, Marburg 2007, S. 32–33 (Kap. 8); Dietrich von Apolda, Das Leben der Heiligen Elisabeth, hrsg. und übersetzt von Monika Rener, Marburg 2007, S. 50–51 (Kap. II, 1). 42  Wie ein solches prunkvolles Gewand aussah, das wie Halina Manikowska, Zwischen Askesis und Modestia. Buß- und Armutsideale in polnischen, böhmischen und ungarischen Hof39 

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Ungarn einverstanden, seine Tochter Salomea dem Ehebund mit Koloman zu übergeben. Salomea aber war in ihrem dritten Lebensjahr, als sie an den Hof des vorgenannten Königs von Ungarn für dessen Sohn Koloman weggebracht wurde.39 2. Sie selbst aber, über das Gebot ihres Schöpfers unterrichtet, enthielt sich auf derartige Weise, dass sie, obwohl mit Koloman vermählt, ihre Unschuld ohne jede Verlockung bewahrte. Denn man liest40, dass die heilige Salomea, als beide dem Schulunterricht übergeben worden waren, im Studium der Heiligen Schrift so große Fortschritte machte, dass sie, auch vom eigenen Lehrer befragt, das Evangelium, das sie zum jeweiligen Tag hörte, erklären und darlegen [konnte und] dass auch Koloman für ihre Verfehlungen im Unterricht vortrat und versuchte, für sie die zu ihrer Belehrung verabreichten Hiebe zu ertragen. Und als die Zeit kam, da beide in die Pubertät gekommen waren, wurden sie im Ehebett zusammengeführt; doch wurde dadurch beider Keuschheit nicht verletzt; denn von da an fehlte der Braut Gottes das fleischliche Verlangen, weil sie stets wachsam in Liebe zu ihrem Schöpfer entbrannte, sich ganz Gebeten und anderen [guten] Werken widmete und sich, indem sie die weltlichen Dünkel unterdrückte und demütig ihre Last trug, Gott, dem Herrn, hingab. Häufig nämlich geschah es, dass der Herr Koloman, ihr Gatte, wenn sie selbst des Nachts so sehr in Gebeten verharrte, dass ihr Körper allzu sehr ermüdete, erwachte und sie durch die Gebete geschwächt sah; dann tat sie Koloman leid und er bat sie mit der Stimme ehrlichsten Mitleids: „Meine Freundin, dir sind schon die für Gott, den Herrn, bereiteten Mühen hinreichend; höre jetzt auf, damit du nicht, von der Mühe geschwächt, krank wirst.“41 3. O wie fromm, o wie ehrenhaft lebte diese Selige, dass sie sich nicht nur mit ihrer inneren Haltung, durch die Reinheit ihres Geistes, die Ernsthaftigkeit ihres Glaubens Gott, dem Herrn, hingab, sondern Gott mit ihrer aufrechterhaltenen Keuschheit noch strahlender auch in ihrem äußeren Gewand diente. Denn als einmal König Koloman mit seinen Baronen zum Zeitvertreib auf die Felder zog, da schmückte sich Salomea, von der Versuchung erfasst, zum Gefallen ihres Herrn, wie ihr Herz es begehrte, mit einem prachtvollen Frauengewand. Mit diesem Gewand geschmückt begann sie auf wunderbare Weise zu strahlen und steigerte ihre Schönheit.42 Dies aber tat sie im königlichen Schlafgemach. Und während sie sich

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sic delectante in vestitu et ornatu suo, nunciatur dominus rex venisse ad ostium domus predicte. Cuius adventum Salomea audiens perterrita est et cepit intra tri­ stari, volens ornatum deponere de se; sed propter sinistram opinionem aliorum hoc facere non presumpsit, sed sic cum magno timore regem expectavit. Et cum rex cubiculum intrasset, mox delectacione captus eam intra sua brachia cepit et super lectum posuit, in quo dormire solebat et stans super eam intuensque clarita­ tem vultus eius, ait: O Ihesu Christe, quam magna dimitto propter te. Et ait ad Salomeam: Nisi dimitterem propter Deum, commercia carnis exegissem. Et dimittens eam intactam, foras egressus [est]. Intelligens autem Salomea in hoc fuisse temptacionem diaboli incitantis et misericordiam Dei liberantis, similia de cetero noluit acceptare. Hoc autem factum fuit, quia in primevo etatis flore utebatur veste viduali et inculta; propter quod sepius hortabatur eam Colomanus, quod huiusmodi vestem non deferebat, cum vidua non esset ipso vivente. 4. Narratur eciam de ipsa, quod cum fatigata fuisset pre nimia instancia oracionum, quod quasi non posset, ecce sic ipsa vigilante et quiescente, venit vox ad ipsam de celo dicens: Consummatum est.43 A quo tempore minus cepit curare de rebus quam prius, que spectabant ad eius vite conservacionem. Hec eadem beata Salomea a colloquio virorum et ab omni conversacione eorundem abstinebat, ne oblectacione vicio precipitaretur. Nam instante regina Ungarie, uxore regis Andree, que erat uxor eius secunda genere Gallica44, ut ad ludos virorum excitaretur, ipsa Christi famula appodiata vel adiuta talibus insistere recusabat, dicens predicte regine: Domina regina, parata sum vobis obedire et vobiscum solaciari, quando in societate mulierum sine viris sumus; [cum] viris autem nullum volo habere commercium. Hec autem omnia facta fuerunt propter insidias castitatis. 5. Nec in eo solo se affligebat, verum in corporis maceracione per cilicia triplicia, quorum unum erat factum de pilis equinis pure nodatum, aliud subtilius de consimilibus pilis nodatum, tercium vero de pilis equorum et canapo contextum fuit.45 Et quia huiusmodi tunicas multum occultabat, ne de huiusmodi facto gloriam kreisen im 13. Jahrhundert, in: Acta Poloniae Historica 47 (1983), S. 33–54, hier S. 36 betont, „die weiblichen Reize auf eine besonders vorteilhafte Art und Weise zur Geltung brachte“, zeigt ein Siegel der schlesischen Herzogin Anna, abgedruckt als Abb. 3 in Joseph Gottschalk, St. Hedwig. Herzogin von Schlesien, Köln-Graz 1964, S. 112. 43  Joh 19, 30. 44  Andreas II. war seit 1215 mit Jolenta, einer Tochter des Grafen von Nevers und Auxerre, Peter von Courtenay, verheiratet. 45  Die Krakauer Klarissen bewahren bis heute zwei Fragmente eines wollenen Gewandes als Reliquie auf, die im Jahr 1340 dem Grab Salomeas entnommen worden sein sollen und als Überreste dieses dritten Bußgewandes angesehen werden; s. den Abschnitt „Relikwie“ auf https://www.klaryski.pl/bl-salomea.php#NaN [zuletzt aufgerufen am 28.1.2021].

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so an ihrem Kleid und Schmuck erfreute, wurde gemeldet, dass der Herr König zur Tür des besagten Hauses gekommen sei. Als Salomea von seiner Ankunft hörte, erschrak sie heftig, begann innerlich betrübt zu sein und wollte das prachtvolle Gewand [schon] ablegen; doch wegen der übelwollenden Meinung der anderen wagte sie nicht, dies zu tun, sondern erwartete mit großer Furcht den König so [wie sie war]. Und nachdem der König das Schlafgemach betreten hatte, nahm er sie sogleich von Lust ergriffen in seine Arme und legte sie auf das Bett, in dem er zu schlafen pflegte, und sprach, während er über ihr stand und den Glanz ihres Antlitzes betrachtete: „O Jesus Christus, auf welch’ großartige [Frau] verzichte ich wegen dir.“ Und zu Salomea sagte er: „Würde ich nicht Gott zuliebe verzichten, würde ich fleischlichen Verkehr einfordern.“ Und er schickte sie unberührt weg und ging selbst hinaus. Salomea aber, die darin eine Versuchung des anstiftenden Teufels und einen Gnadenerweis des befreienden Gottes erkannte, wollte derartige Dinge fortan nicht mehr zulassen. Dies aber geschah, weil sie in der Blüte ihres Jugendalters schmucklose Witwenkleidung trug. Daher ermahnte Koloman sie des Öfteren, nicht solche Kleidung zu tragen, da sie, solange er lebe, keine Witwe sei. 4. Auch erzählt man von ihr, als sie [einmal] von allzu inständigem Beten ermüdet war, sodass sie gleichsam nicht mehr konnte, siehe, da kam, während sie so wachte und ruhte, zu ihr eine Stimme vom Himmel und sprach: „Es ist vollbracht.“43 Von dieser Zeit an begann sie sich weniger als zuvor um Dinge zu kümmern, die die Erhaltung ihres Lebens betrafen. Ebendiese selige Salomea hielt sich von der Unterredung mit Männern und jeglichem Umgang mit denselben fern, um nicht durch Vergnügen ins Verderben gestürzt zu werden. Denn als die Königin von Ungarn, die Ehefrau des Königs Andreas [II.], die seine zweite Frau [und] der Geburt nach Französin war44, darauf drängte, dass sie sich für die Spiele der Männer begeisterte, weigerte sich die [im Geist] gestützte und gehorsame Dienerin Christi beharrlich, sich solchen [Spielen] hinzugeben, indem sie der besagten Königin sagte: „Meine Herrin und Königin, ich bin bereit, Euch zu gehorchen und mich mit Euch zu vergnügen, wenn wir uns in Gemeinschaft von Frauen ohne Männer befinden; mit Männern aber will ich keinen Umgang haben.“ All dies aber geschah als ein Hinterhalt für ihre Keuschheit. 5. Doch peinigte sie sich nicht nur durch dieses [Verhalten], sondern kasteite ihren Körper [auch] mit dreifachen Bußgewändern, von denen eines aus einfach geknoteten Pferdehaaren gemacht, das zweite feiner aus ähnlichen Haaren geknüpft, das dritte aber aus Pferdehaaren und Hanf gewebt war.45 Und obwohl sie derartige Untergewänder vielfach versteckte, damit es nicht schiene, als wollte sie durch ein solches Tun weltlichen Ruhm davontragen, zeigte sie auf Drängen ihres Beicht-

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mundanam videretur deportare, ad instanciam tamen confessoris sui Adalberti46 de ordine fratrum minorum manicam unius tunice cum difficultate ostendit. Hec autem miro modo aspera erat. Et hee tunice per devastacionem castri Sandomiriensis combuste fuerunt.47 II. Capitulum de successione in regnum. Et post hec, mortuo rege Andrea Ungarie48, Colomanus cum suo fratre dicto Bela regna diviserunt taliter, ut Bela in regno Ungarie patri succederet, Colomanus vero regnum Gallacie in Russia obtineret et cum beata Salomea in eodem regno Gallacie XXV annis regnavit49; post hoc in Domino obdormivit. Quo rege Colomano mortuo, hec sancta Salomea pretendens voti castitatem, rediit ad natalem patriam regnante protunc Prandotha episcopo Cracoviensi50, qui eciam ipsam per imposicionem veli in signum virginitatis, sacro suscepto ordine sancte Clare sub regula sancti Francisci a fratre Reimundo ministro Polonie, consecravit.51 Que XXVIII annis52 castis visceribus in devotis oracionibus, in exemplaribus demonstracionibus, in elemosinarum elargicionibus, in ecclesiarum construccionibus et in cenobiorum reformacionibus, tamquam regina humilis vixit. III. Capitulum de incepcione infirmitatis eius sequitur. Anno autem Domini MCCLXVIII, in die sabbati, indiccione XI, IV Ydus Novembris, in vigilia sancti Martini episcopi confessoris, infra evangelium summe misse incepit infirmari. In ipsa autem infirmitate pacientissima fuit, nec causa alicuius poterat ad iracundiam provocari. Dicebat autem fratribus et sororibus, dictante spiritu sancto, mortem in proximo sibi imminere. Cui fratres dicebant: Absint hec a te, domina nostra, omnia; per Dei graciam adhuc multo tempore nobiscum vivens eris. Ad quos illa dicebat: Sabbatum in proximo venturum totum declarabit. Et huiusmodi verbum dicebat. Sed fratres et sorores minime adverterunt, nisi post 46  Salomeas Beichtvater wird an späterer Stelle (Kap. VII, 11, 13, 18 und 20) auch Albert genannt und dürfte mit dem in VII, 7, 19 und 25 genannten Albert identisch sein. 47  Wojciech Kętrzyński in Vita sanctae Salomeae (wie Anm. 25), S. 774 datiert dieses Ereignis in das Jahr 1287; vgl. dazu aber die Einwände von Ulanowski, Kilka słów (wie Anm. 28), S. 93–94; Kürbisówna, Żywot (wie Anm. 31), S. 148. 48  Andreas II. starb am 21. September 1235 in Ofen. 49  Dieser wohl erst im 14. Jahrhundert formulierte Bericht ist gänzlich unzutreffend; zu den tatsächlichen historischen Zusammenhängen s. oben S. 311. 50  Prandota amtierte seit dem Frühjahr 1242 als Bischof von Krakau. 51  Zu Salomeas Eintritt in den Klarissenorden s. oben S. 312–313. 52  Da der Eintritt in den Orden zu Pfingsten 1245 erfolgte, verbrachte Salomea nicht 28, sondern 23 Jahre im Kloster.

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vaters, des Franziskaners mit Verlegenheit [doch wenigstens] den Ärmel eines ihrer Unterhemden. Dieser [Ärmel] aber war auf wunderbare Weise rau. Und diese Untergewänder wurden durch die Zerstörung der Burgstadt San­ domir verbrannt.47 II. Das Kapitel über die Nachfolge in der Herrschaft. Und danach, als der König von Ungarn gestorben war48, teilten Koloman und sein Bruder, der vorgenannte Bela, das Königreich derart, dass Bela dem Vater in der Herrschaft über Ungarn nachfolgte, Koloman aber die Herrschaft über Galizien in Ruthenien erhielt und zusammen mit der seligen Salomea in ebendiesem Königreich Galizien 25 Jahre herrschte.49 Danach entschlief er im Herrn. Nachdem König Koloman gestorben war, berief sich diese heilige Salomea auf die Keuschheit ihres Gelübdes und kehrte in ihre Geburtsheimat zurück, wo damals Prandota als Bischof von Krakau amtierte50, der sie auch selbst durch Auflegen des Schleiers als Zeichen der Jungfräulichkeit weihte, nachdem sie von Bruder Raimund, dem Provinzial Polens, in den der Regel des heiligen Franziskus unterstellten Orden der heiligen Klara aufgenommen worden war.51 Achtundzwanzig Jahre52 lebte sie mit keuschem Schoß in frommen Gebeten, in vorbildlicher Hingabe, verteilte großzügig Almosen, errichtete Kirchen und reformierte Klöster; gleichsam wie eine demütige Königin. III. Es folgt das Kapitel über den Beginn ihrer Krankheit. Im Jahre des Herrn 1268 aber, an einem Samstag in der elften Indiktion, am vierten Tag vor den Iden des Novembers [= 10. November], am Vorabend [des Festtages] des heiligen Martin, des Bischofs und Bekenners, begann sie im Hochamt während [der Lesung] des Evangeliums krank zu werden. In dieser Krankheit aber war sie äußerst geduldig und kein Anlass konnte sie zum Zorn reizen. Auch sagte sie ihren Brüdern und Schwestern, wobei aus ihr der Heilige Geist sprach, dass ihr Tod unmittelbar bevorstehe. [Darauf] sprachen die Brüder zu ihr: „Möge Dir, Unserer Herrin, all dies erspart bleiben; durch die Gnade Gottes wirst du noch eine lange Zeit mit uns leben.“ Jene [aber] sagte ihnen: „Der nächste Samstag wird alles zeigen.“ Und derartige Worte sprach sie. Aber die Brüder und Schwestern beachteten sie keineswegs; erst nach ihrem Tod verstanden sie. Am Donnerstag

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mortem ipsius hoc cognoverunt. Feria vero quinta ante obitum suum, convocatis sororibus cunctis, fecit eis exhortacionem, proponens eis, quid facere et quid vitare deberent, dicens: Sorores mee dilecte! habete pacem in Domino et diligite vos et invicem castitatem foventes, sine accusacione, sine murmuracione; et sic sequitur merces Domini et felicitas eterna; si autem aliud feceritis, tribulaciones multe vos sequentur. Et eadem die resignavit omnia in manus abbatisse, quecunque habuit, dicens: In nomine Domini! omnia, que habeo, sive debite possideo sive non debite, sive vivam sive moriar, omnia resigno in manus abbatisse. De sepultura vero dicebat: Post mortem meam detur corpus meum fratribus, si ipsum habere voluerint, ad sepeliendum. Hec eciam beata Salomea dicebat fratribus et sororibus: Viri et sorores! nolite orare Deum pro vita mea ulteriori; quia Dominum meum Ihesum Christum matremque eius piissimam fideliter exoro, ut feliciter vitam meam de hoc vili ergastulo finiat, quia in gravamen multorum et non in subsidium sum constituta et intercedente gloriosa virgine matre eius, me indignam ad solacium vite eterne perducat. IV. Capitulum de morte ipsius sequitur. 1. Feria quinta proxima ante obitum eius per quandam matronam, nomine ­Cochus, nacione de Malesowo53, in quadam visione presagita fuit ad mortem. Nam eadem matrona in quadam visione sensit plures homines ambulantes et mutuo sub silencio loquentes et vidit duas columpnas cristallinas, celos tangentes, supra quas stabant tres viri aspectu venerabiles et decori, qui dicebant: Beatam expectamus, que in brevi tempore in Domino vitam est finitura. 2. Factumque eciam est, quod frater Boguslaus dictus Lupus, ordinis predicti, qui illo tempore stabat in castro54 sancte Salomee, in quadam visione vidit duas columpnas marmoreas de celo protensas ante capellam sancte Salomee et per easdem columpnas vidit beatam Salomeam ascendentem ad altitudinem celi. Qui in tali visione, in qua nec perfecte dormiebat nec perfecte vigilabat, audiebat dulcissimum cantum decantari ad similitudinem melodie, qua cantatur: „Fronduit, floruit Aaron virgula“55, nec tamen cantantes vidit. Qui plene expergefactus audivit 53  Nicht identifizierbarer Ort; vielleicht das 43 km nordöstlich von Krakau gelegene Małoszów oder das 100 km nordöstlich von Krakau gelegene Maleszowa. 54  „Castrum“ mag sich hier vielleicht weniger auf die benachbarte herzogliche Burg, das cas­ trum Scala, heute Grodzisko, beziehen als auf die im Herbst 1267 vom Krakauer Lokator Dethmar Wolk im Auftrag von Salomea bei ihrem Kloster angelegte städtische Siedlung zu deutschem Recht; die Lokationsurkunde in KDM I, 75. 55  Vgl. Num 17, 6–8; im Kontext des mittelalterlichen, von den Franziskanern besonders gepflegten Marienkultes war „der Stab Aarons“ ein Symbol für die heilige Jungfrau Maria und ging als solcher in Marien-Hymnen ein.

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vor ihrem Tod rief sie alle Schwestern zusammen, ermunterte sie und stellte ihnen vor Augen, was sie tun und was sie vermeiden sollten, wobei sie sagte: „Meine geliebten Schwestern! Habt Frieden im Herrn, achtet euch und fördert [euch] gegenseitig in der Keuschheit, [seid] ohne Klage, ohne Murren, dann folgt der Lohn des Herrn und das ewige Glück. Wenn ihr aber anders handelt, werden euch viele Drangsale verfolgen. Und an eben diesem Tag gab sie alles in die Hände der Äbtissin zurück, was auch immer sie besaß, und sprach: „Im Namen des Herrn! Alles, was ich habe, sei es, dass ich es verdient besitze oder unverdient, sei es, dass ich lebe oder sterbe, alles gebe ich in die Hände der Äbtissin zurück.“ Über ihr Begräbnis aber sagte sie: „Nach meinem Tod soll mein Körper den Brüdern übergeben werden, wenn sie ihn nur haben wollen, um ihn zu bestatten.“ Auch dies sagte die selige Salomea den Brüdern und Schwestern: „Männer und Schwestern! Bittet Gott nicht, dass er mein Leben verlängere, weil ich meinen Herrn Jesus Christus, und seine äußerst gnädige Mutter aufrichtig anflehe, mein Leben glücklich von diesem wertlosen Gefängnis abzugrenzen, weil ich [nunmehr] zur Beschwernis vieler und nicht zu [ihrer] Stütze bestimmt bin und er mich Unwürdige auf Vermittlung der ruhmreichen Jungfrau, seiner Mutter, zum Trost des ewigen Lebens führen möge.“ IV. Es folgt das Kapitel über ihren Tod. 1. Am Donnerstag vor ihrem Tod wurde ihr von einer gewissen Frau namens Kochus, der Herkunft nach aus Malesowo53, in einer bestimmten Vision der Tod vorhergesagt. Denn eben diese Frau nahm in einer bestimmten Vision wahr, wie mehrere Menschen umhergingen und unter abwechselndem Schweigen redeten; auch sah sie zwei kristallene Säulen, die den Himmel berührten, über denen drei Männer standen, die von ihrem Aussehen her ehrenwert und schmuckvoll waren [und] die [folgendes] sagten: „Wir erwarten die Selige, die in Kürze ihr Leben im Herrn beenden wird.“ 2. Und es geschah auch, dass Bruder Bogusław, genannt der Wolf, aus dem vorgenannten Orden, der sich zu jener Zeit in der Stadt54 der heiligen Salomea aufhielt, in einer gewissen Vision zwei Marmorsäulen sah, die vom Himmel herab bis zur Kapelle der heiligen Salomea reichten und er sah, wie die selige Salomea über eben diese Säulen zur Höhe des Himmels emporstieg. In seiner Vision, in der er weder richtig schlief noch richtig wachte, hörte dieser [Bogusław] einen äußerst lieblichen Gesang, der der Melodie ähnelte, die zu „Es grünte, es blühte der Stab Aarons“55 gesungen wird. Die Sänger aber sah er nicht. Als er vollständig erwachte, hörte er die Stimme der weinenden Schwestern. Es war aber jene Stunde,

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vocem sororum deflencium. Erat autem illa hora, qua sancta Dei in sabbato proximo infra octo dies sue infirmitatis in Domino obdormivit.56 3. Et in eodem die mortis eius stabat quedam domina de sororibus coram ipsa, vultum eius considerans et videns eam subridere, ait ad ipsam: Numquid, domina mea, aliquid vides, quia hilarem te ostendis? Ad quam Salomea ait: Video, inquit, dominam meam, beatam virginem, matrem Domini mei, stantem coram me; ideo letam et ridentem me ostendo. 4. Illa autem hora, qua moriebatur sancta Salomea, sedebat soror Agnes, protunc abbatissa, cum aliis duabus sororibus, expectantes felicem obitum ipsius et in emissione spiritus eius viderunt omnes tres quasi stellam parvam de ore progredientem. 5. Et die, quo fuit mortua, circumstantibus corpus eius sororibus, quedam soror iuvencula, que iam multo tempore carebat claro lumine oculorum, quasi furtim inter sorores se ingerens, misit se ad pedes sororis beate Salomee et accepto panniculo, quo tegebat caput suum, extersit pedes ipsius et apposuit ad oculos et statim fuit illuminata. Et mirum, quia puella, que a multo tempore videre non poterat, statim accepto psalterio cepit legere cum aliis sororibus, quasi nunquam impedimentum habuisset. 6. Eodem tempore, quo iacuit in choro sororum septem diebus inhumata, contigit sanguinem fluxisse de naribus et ore ipsius super cussinum parvulum, quod erat capiti eius suppositum, et super panniculum album, quo tegebatur caput ipsius. Octavo autem die, quando debuit sepeliri, domina Wisenega, abbatissa eiusdem monasterii57, involvens caput eius alio panno mundo, tradidit corpus sepulture, cussinum autem et pannum cruentum pedisseque sororis nomine Sudce tradidit ad abluendum. Quod filia ipsius, nomine Stroncha, accipiens ad dormiendum, in nocte capiti suo subposuit et, cum obdormivisset, apparuit ei soror beata Salomea in visu dicens: Quomodo presumpsisti cussinum meum capiti tuo subponere vel quomodo abluere audes hoc, quod cito erit in gloria et honore? Dico enim tibi, quod cussinus et pannus meus, quos vultis abluere, cito erunt vobis necessarii ad gloriam et ad honorem. Et statim sancta Salomea traxit ei cussinum de sub capite ipsius, mandans, ne ablueretur. Stroncha vero continuo surgens excitataque matre 56  Die Annalen des Krakauer Domkapitels (MPH SN 5, S. 99–100) und die Chronik des Dzierzwa (MPH NS 15, S. 79) geben als Todesdatum den 10. November 1268 an; seit der Seligsprechung Salomeas im Jahr 1673 wird – auf der Grundlage der Datierung der Vita – in der Kirche offiziell der 17. November als Todestag zugrunde gelegt und liturgisch begangen. 57  Vgl. oben IV, 4, wo die damalige Äbtissin des Marienklosters in Skała Agnes genannt wird; möglicherweise war Wisenega ihr Beiname oder bereits ihr Familienname.

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in der die Heilige Gottes am Samstag acht Tage nach Beginn ihrer Krankheit [= 17. November] im Herrn entschlief.56 3. Und am Tag ihres Todes stand eine gewisse Herrin aus dem Kreis der Schwestern bei ihr, betrachtete ihr Gesicht und sah, wie sie lächelte; da sprach sie zu ihr: „Siehst du, meine Herrin, vielleicht irgendetwas, weil du dich heiter zeigst?“ Dieser sagte Salomea: „Ich sehe meine Herrin, die heilige Jungfrau, die Mutter meines Herrn, vor mir stehen; deshalb zeige ich mich froh und lächelnd.“ 4. In jener Stunde aber, in der die heilige Salomea starb, saß die Schwester Agnes, die damalige Äbtissin, mit zwei anderen Schwestern zusammen; sie erwarteten ihr [Salomeas] glückliches Ableben und alle drei sahen, als sie ihren Geist aushauchte, wie ein kleiner Stern aus ihrem Mund aufging. 5. Und am Tag, an dem sie starb, warf sich, während die Schwestern um ihren Leichnam herumstanden, eine gewisse Schwester, eine junge Frau, die schon längere Zeit der klaren Sehkraft ihrer Augen entbehrte, indem sie sich heimlich unter die Schwestern mischte, der heiligen Schwester Salomea zu Füßen. Dann nahm sie den Tuchfetzen, mit dem sie ihren Kopf bedeckte, wischte [damit] deren Füße ab und führte [ihn] an ihre Augen und sogleich war sie sehend gemacht. Und das war ein Wunder, weil das Mädchen, das lange Zeit nicht sehen konnte, sogleich einen Psalter nahm und mit den anderen Schwestern zu lesen begann, so als ob sie niemals eine Behinderung gehabt hätte. 6. Zu eben dieser Zeit, als sie im Chorraum der Schwestern sieben Tage lang unbestattet dalag, geschah es, dass Blut aus den Nasenlöchern und ihrem Mund auf ein kleines Kissen floss, das unter ihr Haupt gelegt worden war, und auf ein weißes Tüchlein, mit dem ihr Kopf bedeckt war. Am achten Tag aber, als sie begraben werden musste, übergab die Herrin Wisenega, die Äbtissin ebendieses Klosters57, nachdem sie das Haupt in ein anderes, sauberes Tuch gewickelt hatte, den Leichnam der Bestattung, das Kissen aber und das blutbefleckte Tuch der Schwester gab sie der Sutka, die ihr diente, zur Reinigung. Dieses nahm ihre Tochter Stroncha zum Schlafen an sich und legte es in der Nacht unter ihr Haupt. Nachdem sie eingeschlafen war, erschien ihr die Schwester, die heilige Salomea, in einer Vision und sagte: „Wie konntest du dir anmaßen, mein Kissen unter dein Haupt zu legen und wie kannst du es wagen, das zu waschen, was schnell in Ruhm und Ehre stehen wird? Ich sage dir nämlich, dass das Kissen und das Tuch, die ihr reinigen wollt, euch schnell für Ruhm und Ehre notwendig sein werden.“ Und sofort zog die heilige Salomea ihr das Kissen unter ihrem Haupt weg, wobei sie anordnete, dass es nicht gewaschen werde. Stroncha aber stand unverzüglich auf, weckte die Mutter und erzählte ihr von der Vision; diese brachte am frühen Morgen das besagte

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retulit ei visionem; que mane facto deportavit predictum cussinum et pannum non ablutum sororibus ad claustrum dicens, quia Dominus in hominibus infirmis facta stupenda operatur et quam plurimis conferet remedia sanitatis. V. Capitulum de miraculis nondum post sepulturam sancte Salomee sequitur. 1. Et cum beata Salomea feliciter in Domino obdormivisset, ad chorum sororum supra unum tapete reponitur et inhumatum VIII diebus reservatur.58 Et admirabile de corpore eius accidit, quod predictis VIII diebus nullus fetor, nullus horror proveniebat, sed pocius suavis odor et recreacio reflagrabat ita, quod sorores tristes ad corpus eius accedentes gaudium et solacium continue recuperaverunt.59 2. Contigit eciam, quod corpore in choro eius quiescente, quedam soror, nomine Boguslava, filia comitis Slave, a nimio dolore oculorum ad tactum ipsius sacri corporis sanata fuit et pro eo unum psalterium circa corpus eius ad laudem Domini devote complevit. 3. Sic eciam eodem tempore soror Boguslava a nimio dolore digiti ad invocacionem sancte Salomee et veli eius superposicione liberata fuit. 4. Soror eciam nomine Agnes cadens de gradibus, nimium concussa, ad invocacionem eius plene sanitati restituta est. 5. Et transactis octo diebus positum est corpus eius in alveolo et simplici sepulture traditum terreque commendatum.

In der Klosterkirche der Klarissen in Skała. Vgl. den ähnlichen Passus bei Caesarius von Heisterbach, Das Leben der Heiligen Elisabeth (wie Anm. 41), S. 88–89 (Kap. 30). 58  59 

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Kissen und das Tuch ungewaschen zu den Schwestern ins Kloster und sagte [ihnen], dass der Herr an kranken Menschen staunenswerte Taten wirkt und sehr vielen Heilmittel für ihre Gesundheit bringen wird. V. Es folgt das Kapitel über die noch vor dem Begräbnis der heiligen Salomea vollbrachten Wunder. 1. Und nachdem die selige Salomea glücklich im Namen des Herrn entschlafen war, wurde sie im Chorraum der Schwestern auf einem Teppich aufgebahrt und unbestattet acht Tage lang aufbewahrt.58 Und von ihrem Körper ging etwas Wunderbares aus, da während der genannten acht Tage kein Leichengeruch, kein Schrecken aufkam, sondern vielmehr ein süßer Duft und eine Erquickung derart aufglühte, dass die Schwestern, die sich trauererfüllt ihrem Leichnam näherten, sogleich Freude und Trost zurückgewannen.59 2. Auch geschah es, dass, während ihr Leichnam im Chorraum ruhte, eine gewisse Schwester mit Namen Bogusława, die Tochter des Amtsträgers Sława, durch die Berührung ihres heiligen Leichnams von einem sehr großen Augenschmerz geheilt wurde und dafür bei ihrem Leichnam zum Lobe des Herrn demütig einen ganzen Psalter aufsagte. 3. Auf diese Weise [und] auch zu ebendieser Zeit ist die Schwester Bogusława von einem sehr großen Fingerschmerz geheilt worden, nachdem sie die heilige Salomea angerufen und deren Tuch aufgelegt hatte. 4. Auch eine Schwester namens Agnes, wurde, nachdem sie die Treppe hinuntergefallen war und sich schwer verletzt hatte, durch ihre [Salomeas] Anrufung zur vollen Gesundheit wiederhergestellt. 5. Und nachdem acht Tage vergangen waren, wurde ihr Leichnam in eine Mulde gelegt, einem einfachen Begräbnis übergeben und der Erde anvertraut.

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VI. Capitulum de litigacione sororum cum fratribus pro corpore sancte Salomee.60 Et quia fratres minores de Cracovia lite mota pro sepultura eius in sorores eius, sepulturam in conventu eorum postulabant, ideo moverunt litem sororibus de Lapide sancte Marie61, ut eorum sepulture traderetur, suffulti hac racione, quomodo beata Salomea de ordine sancti Francisci fuisset, filia principis, et in extrema voluntate apud eos sepulturam eligeret62, et quia congruum et decens est, ut extrema voluntas defuncti adimpleatur, propter quod apud eos deberet sepeliri. Pro alia autem parte sorores de Lapide sancte Marie allegabant, quia, licet filia principis fuisset, monasticam tamen vitam duxit, tamquam soror, mater ac domina in beneficiis copiosa sub ordine sancte Clare et regulam sancti Francisci elegit et usque ad finem sue vite sub affectu salutis eterne convixit. Discussa autem hac decertacione, decretum est super iure sepeliendi ipsius fratribus. Et cum procedere de monasterio noluisset, quia accidit, quod eius sancto corpore in currum posito octo boves videlicet trahere divina disposicione nequiverunt, ipsi fratres tanto stupefacti miraculo admirati sunt et confessorem sancte Salomee, nomine Adalbertum63, monuerunt, imo cogerunt, ut sancte Salomee in virtute divina imperaret, ut, quemadmodum in sanitate obediens fuit, sic adhuc obediret, ut iuberet eam bobus ducere. Et factum est ita in virtute confessoris. Qui convenientes cum quam pluribus nobilibus personis secularibus tam clericis quam laicis, transiverunt ad monasterium sancte Marie de Lapide et corpus beate Salomee extumulaverunt integrum ab omni corrupcione et fetore reservatum; imo de eius sacro corpore videbatur distillari liquor similis oleo in signum virginitatis, quem devote fratres recolligentes in uno angulo alveoli reponebant. Creator generis humani, quam

60  Die Authentizität der nachfolgenden Erzählung ist gelegentlich in Zweifel gezogen und argumentiert worden, dass ihr eine Verwechslung mit jenem Streit zugrunde gelegen habe, der zu Beginn des 14. Jahrhunderts zwischen den Krakauer Franziskanern und den Płocker Dominikanern um das Begräbnis der 1301 verstorbenen Tochter des masowischen Herzogs Siemowit geführt worden ist, die ebenfalls Salomea hieß, als Klarisse in einem Kloster (wahrscheinlich in Skała) gelebt hatte, aber in Masowien gestorben und in Płock bestattet worden war; Ulanowski, Kilka słów (wie Anm. 28), S. 99–102; Włodarski, Salomea (wie Anm. 1), S. 80–81; zur maso­ wischen Salomea Balzer, Genealogia (wie Anm. 1), S. 743–746. 61  Der lateinische Name des Klarissenklosters war vom Toponym Skała (= Fels = lapis) abgeleitet. 62  In ihrem Testament, das Salomea unter dem Datum des 30. Augusts 1268 ausstellen ließ und in dem sie Teile ihres Besitzes den Klarissen, Teile den Franziskanern überließ (KDM I, 76), hat sie keine Verfügung zu ihrer Beisetzung getroffen. Allerdings spricht der Hagiograph zuvor (Kap. III, oben S. 328–329) selbst davon, dass Salomea wünschte, bei den Franzikanebrüdern bestattet zu werden. 63  Vgl. Anm. 46.

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VI. Das Kapitel über den Streit der Schwestern mit den Brüdern um den Leichnam der heiligen Salomea.60 Und weil die Minderbrüder aus Krakau, indem sie einen Streit um ihr [Salomeas] Begräbnis gegen ihre Schwestern entfachten, eine Bestattung in ihrem Konvent forderten, deswegen strengten sie einen Prozess gegen die Schwestern der heiligen Maria von Skała61 an, auf dass sie einer Grabstätte bei ihnen übergeben werde, wobei sie sich durch das Argument bestärkt sahen, dass die selige Salomea dem Orden des heiligen Franziskus angehört habe, eine Fürstentochter [gewesen sei] und in ihrem letzten Willen ein Begräbnis bei ihnen [den Franziskanern] gewählt habe.62 Und da es angemessen und geziemend ist, den letzten Willen eines Verstorbenen zu erfüllen, deshalb müsse sie auch bei ihnen beigesetzt werden. Für die andere Partei aber brachten die Schwestern der heiligen Maria von Skała vor, dass sie – obwohl sie eine Fürstentochter gewesen sei – dennoch wie eine Schwester, eine Mutter und eine an Wohltaten reiche Herrin nach der Regel der heiligen Klara ein Klosterleben geführt, die Ordensregel des heiligen Franziskus gewählt und bis zum Ende ihres Lebens im Verlangen nach ewigem Heil [mit ihnen] zusammengelebt habe. Nachdem die Streitfrage aber erörtert worden war, wurde das Recht, sie zu bestatten, den Brüdern zugesprochen. Da sie aber aus dem Kloster nicht fortgehen wollte, geschah es, dass acht Rinder ihren auf einen Wagen gelegten heiligen Leichnam offenkundig nach göttlicher Fügung nicht zu ziehen vermochten. Über ein solches Wunder waren selbst die Brüder verblüfft und ermahnten, ja nötigten den Beichtvater der heiligen Salomea, Adalbert63, geradezu dazu, der heiligen Salomea mit göttlicher Kraft zu gebieten, auch jetzt so zu gehorchen, wie sie in gesundem Zustand [d. h. zu Lebzeiten] gehorcht hatte, und den Ochsen zu befehlen, sie zu ziehen. Und so geschah es durch die Kraft des Beichtvaters. Als sie sich mit vielen vornehmen, weltlichen Großen, mit Klerikern wie Laien, versammelt hatten, gingen sie zum Kloster der heiligen Maria nach Skała hinüber und exhumierten den Leichnam der heiligen Salomea, der unversehrt und von jeglicher Verwesung und von Modergeruch frei war. Ja, es hatte den Anschein, als ob zum Zeichen ihrer Jungfräulichkeit aus ihrem heiligen Körper eine ölartige Flüssigkeit triefte, die die Brüder fromm auffingen und in einer Ecke der [Grab-]Mulde aufbewahrten. Oh, du Schöpfer des Menschengeschlechts, wie

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mire sanctam tuam odore suavitatis decorasti in signum eius sanctitatis, perfusione fluentis olei mirabilius perornasti in signum integre eius virginitatis. Nunc ceci sanantur, nunc muti, surdi reparantur, nunc debiles et infirmi sanitati restituuntur.64 Cumque fratres et alie multe persone fluvium, qui dicitur Prodnik, pertransissent, accidit, quod quedam pulcherrima avicula provolans ab alto super tumulum eius, volatum frequentans sepius residebat in signum percepcionis infinite glorie paradisi celestis. Et lato corpore eius cum debita reverencia et honore, quibus decet, ad fratres minores Cracovie cum hympnis et canticis, sub anno Domini MCCLXVIIIIo XI Kalendas Iunii, presente illustri domina Kinga, filia regis Ungarie, ducissa protunc Cracoviensi ac Sandomiriensi et presentibus aliis quam pluribus fidedignis tam viris, quam mulieribus, cum fletu et lacrimis, hympnis et canticis sepulture traditur et commendatur. VII. Capitulum de miraculis. 1. Eodem anno in Mechovia quedam mulier, dicente sibi marito suo: Domina regina Salomea defuncta est, ait: „Commissa sit diabolo“ – et subito os eius conversum est ad partem posteriorem capitis et duravit sic septem diebus. Sed cum confessa fuit reatum suum coram septem sacerdotibus, pristine sanitati est restituta. 2. Item eodem anno frater Gerardus ordinis minorum, dictus Kobila, in Kalis, dum fere anno integro caruisset usu manus, quia nec missam dicere poterat, soror sancta Salomea ei in visione apparuit, et lesam manum extendere iubente, curatus est et mane facto missam legit gracias agens Deo et sancte Salomee pro sua liberacione. 3. Item anno Domini MCCLXIXo frater Guntherus ordinis minorum, guardianus de Lapide sancte Marie, habens casualem lesionem in pedibus gravissimam ita, quod nullo modo ambulare poterat, obdormivit nocte superveniente, in qua expergefactus recordatus est se habere cruserium quoddam, quod sibi sancta Salomea dederat; quod cum applicuisset ad crus confractum, statim est consolidatum ita, quod nullum amplius dolorem sensit et surgens mane, cepit perfecte ambulare.

64  Vgl. oben die analoge Formulierung in der Bulle Papst Innozenz‘ IV. zur Kanonisation des hl. Stanisław vom 17. September 1253, S. 176–177 oder die ähnliche Wendung in der ElisabethVita Dietrich von Apolda (wie Anm. 41), S. 206–207 (VIII, 9).

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wunderbar hast du deine Heilige zum Zeichen ihrer Heiligkeit mit dem Duft der Anmut geziert; noch wunderbarer hast du sie durch das Ausströmen fließenden Öls zum Zeichen ihrer unbefleckten Jungfräulichkeit geschmückt. Nun werden Blinde geheilt, nun Stumme und Taube wieder gesund, nun Schwache und Kranke der Gesundheit zurückgegeben.64 Und nachdem die Brüder und viele andere Personen den Fluss, der Prądnik genannt wird, überquert hatten, geschah es, dass ein gewisser sehr schöner kleiner Vogel von hoch oben über ihrem Sarg herbeiflog, regelmäßig aufflatterte und sich öfters niedersetzte als ein Zeichen der Erkenntnis der unendlichen Herrlichkeit des himmlischen Paradieses. Und dann wurde ihr Leichnam mit gebührender Ehrfurcht und Ehrerbietung, wie es sich geziemt, unter Hymnen und Lobgesängen zu den Minderbrüdern in Krakau gebracht [und] im Jahr des Herrn 1269, am elften Tag der Kalenden des Juni [= 22. Mai] in Anwesenheit der erlauchten Herrin Kinga, der Tochter des Königs von Ungarn, die damals Herzogin von Krakau und Sandomir war, sowie in Anwesenheit vieler anderer Gläubigen, Männer wie Frauen, unter Wehklage und Tränen, Hymnen und Lobgesängen der Bestattung übergeben und [der Erde] anvertraut. VII. Das Kapitel über die Wunder. 1. In demselben Jahr sagte eine gewisse Frau in Miechów, als ihr Mann ihr erzählte: „Die königliche Herrin Salomea ist gestorben“, „Soll sie der Teufel holen.“ Da verdrehte sich plötzlich ihr Mund zum hinteren Teil ihres Kopfes und blieb so sieben Tage lang. Nachdem sie aber ihre Sünde in Anwesenheit von sieben Priestern bekannt hatte, wurde sie in ihrer vorherigen Gesundheit wiederhergestellt. 2. Ebenso in demselben Jahr entbehrte der Bruder Gerhard vom Orden der Minder[brüder], der [auch] Kobila genannt wurde, in Kalisz fast ein ganzes Jahr lang den Gebrauch seiner Hand. Und weil er auch die Heilige Messe nicht lesen konnte, erschien ihm die heilige Schwester Salomea in einer Vision und befahl ihm, die verletzte Hand auszustrecken. Da wurde er geheilt, las am [nächsten] Morgen die Messe und dankte Gott und der heiligen Salomea für seine Heilung. 3. Ebenso schlief im Jahr des Herrn 1269 der Bruder Gunther vom Orden der Minder[brüder], der Guardian [der Klarissen] der heiligen Maria von Skała, der gerade eine unglückliche Verletzung an den Füßen hatte, die so stark war, dass er überhaupt nicht mehr laufen konnte, bei einbrechender Nacht ein, in der er [aber] aufwachte und sich erinnerte, dass er ein gewisses Kruzifix hatte, das ihm die heilige Salomea gegeben hatte. Als er dieses an sein gebrochenes Bein legte, wurde es sogleich derart gekräftigt, dass er keinen weiteren Schmerz spürte und, als er am Morgen aufstand, problemlos herumzugehen begann.

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4. Item eodem anno MCCLXIX VIII Kalendas Aprilis nobilis mulier Katherina, relicta comitis Petri65, filii Viti, dum maxime infirmata erat in civitate Cracoviensi in tantum, quod iam anhelitus erat preclusus, vocavit ad se duos fratres minorum, Preborium et Prandotam, coram quibus finem vite sue prestolabatur. Aderant ibi eciam quedam matrone religiose, scilicet Vitoslava et Sutka cum societate sua, et advocans Katherina ad se Sutkam, ait: Rogo te, si habes, aliquod velum sororis sancte Salomee, quia per ipsam credo me posse liberari ab hac infirmitate mea. Respondens Sutka se habere huius velum, recessit domum, promittens predictum velum ei portare. Quod cum allatum fuisset, eo viso statim ab infirmitate fuit liberata, videntibus omnibus; qui aderant, mirabantur dicentes: Vere est sancta et electa Dei. 5. Eodem anno nobilis domina, nomine Floriana, nurus predicte Katherine, in villa, que nuncupatur Malesow66, uxor Nicolai, non poterat parere puerum. Tunc obstetricibus desperantibus de salute ipsius et ab ipsa recedentibus, solius Dei auxilio erat derelicta. Nam medio capite pueri de utero matris egrediente, non exire omnino nec iterato intrare ventrem poterat. In quo dolore mansit Floriana ab hora nona usque ad horam vespertinam. Vidensque Katherina nurum suam iam lividam totam et morti appropinquare, ait ad Florianam: Filia carissima, invoca sanctam Salomeam et credas te precibus eius posse salvari. Que ut potuit, cepit invocare sanctam Salomeam, ut eam adiuvaret et a morte liberaret. Ipsa eciam Katherina, cadens prona in terram, fudit lacrimas, invocans [in] auxilium sanctam Salomeam; et cum fecisset votum, deferendum ad sepulcrum sancte Salomee, statim natus est puer mortuus. Quod audiens Katherina cepit invocare fervencius auxilium sancte Salomee dicens: Domina piissima, que semper consolatrix pauperum fuisti, que nasci puerum fecisti, impetra a Domino puero anime restitucionem. Et mirum in modum restituta est anima puero defuncto. Erat autem puella, que in baptismo vocata est Effrosina. Quod miraculum celebre factum est per totam diocesim. 6. Eodem anno mulier, nomine Gerusa, de civitate Cracoviensi, diutissime laborabat nec parere poterat; et cum esset vicina morti, invocato nomine sancte Salomee et facto voto trium panum et candele, statim peperit filium, quem nominavit

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Vielleicht der für die 1250er Jahre belegte Krakauer Mundschenk Peter/Piotr; UM Nr. 85. Vgl. Anm. 53.

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4. Ebenso rief in demselben Jahr 1269, am achten Tag der Kalenden des April [= 25. März] die vornehme Frau Katherina, die Witwe des Amtsträgers Peter65, des Sohnes des Wit, als sie in der Stadt Krakau so sehr erkrankte, dass ihr bereits das Atemholen verwehrt war, zwei Minderbrüder, Presbor und Prandota, zu sich. In deren Gegenwart erwartete sie das Ende ihres Lebens. Es waren dort auch gewisse fromme Frauen zugegen, nämlich Witosława und Sutka mit ihrer Gesellschaft. Da rief Katherina Sutka zu sich und sprach: „Ich bitte dich um irgendein Tuch der heiligen Schwester Salomea, wenn du es hast, weil ich glaube, dass ich durch sie von dieser, meiner Krankheit befreit werden kann.“ Sutka antwortete, dass sie ein Tuch von ihr habe, ging nach Hause und versprach, ihr das besagte Tuch zu bringen. Als es herbeigebracht worden war und sie es erblickt hatte, wurde sie sogleich, wie alle sahen, von ihrer Krankheit erlöst. Die Anwesenden staunten und sagten: „Sie ist wahrhaftig eine Heilige und Auserwählte Gottes.“ 5. In demselben Jahr [1269] konnte eine vornehme Frau namens Floriana, eine Schwiegertochter der vorgenannten Katherina, die Frau von Nikolai, in einem Dorf, das Malesow[o]66 genannt wird, ihr Kind nicht gebären. Als die Hebammen damals die Hoffnung auf ihre Rettung verloren und sich von ihr zurückzogen, blieb sie allein der Hilfe Gottes überlassen. Als der mittlere Teil des Kopfes des Kindes aus dem Uterus der Mutter hervortrat, konnte er weder gänzlich herauskommen noch erneut in den Bauch zurücktreten. In diesem Schmerz verblieb Floriana von der neunten Stunde bis zur Abendstunde. Und als Katherina sah, dass ihre Schwiegertochter bereits ganz blau anlief und sich dem Tod näherte, sagte sie zu Floriana: „Liebste Tochter, rufe die heilige Salomea an und vertraue darauf, dass du durch ihre Fürbitten geheilt werden kannst.“ Diese begann, so gut sie konnte, die heilige Salomea anzurufen, dass sie ihr helfen und sie vom Tod erretten möge. Auch Katherina selbst fiel nach vorn geneigt auf die Erde, vergoss Tränen und rief die heilige Salomea um Hilfe an; und sobald sie das Gelübde gesprochen hatte, dass es [das Kind] zum Grab der heiligen Salomea getragen werde, wurde das Kind sogleich tot geboren. Als Katherina dies hörte, begann sie, die Hilfe der heiligen Salomea noch flammender zu erflehen, indem sie sprach: „Frommste Herrin, die du stets eine Trösterin der Armen gewesen bist, die du das Kind hast gebären lassen, erwirke beim Herrn für das Kind die Wiederherstellung seines Lebens.“ Und auf wunderbare Weise wurde dem verstorbenen Kind das Leben wiedergegeben. Es war aber ein Mädchen, das in der Taufe den Namen Effrosina erhielt. Dieses Wunder wurde in der ganzen Diözese berühmt. 6. Im selben Jahr [1269] lag eine Frau namens Gerusa aus der Stadt Krakau sehr lange in den Wehen und konnte nicht gebären; und als sie dem Tod nahe war, rief sie den Namen der heiligen Salomea an, legte ein Gelübde [über die Schenkung von] drei Brotlaiben und einer Kerze ab und sogleich brachte sie einen Sohn zur

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­ etrum. Et notum factum est in tota civitate Cracoviensi et hoc protestata est preP dicta mulier coram fratre Borislao lectore, coram fratre Petro antiquo, coram fratre Nicolao laico, fratribus minoribus. 7. Eodem anno frater Albertus ordinis minorum in Lapide sancte Marie laborabat gravissimo dolore dextre faciei ita, quod nec comedere poterat. Qui invocato nomine sancte Salomee et apposita pellicula quadam ad faciem, quam sancta Salomea solebat gestare circa corpus suum, statim recuperavit sanitatem. 8. Eodem anno in eodem loco, in Lapide sancte Marie, soror Precslava gravabatur nimio dolore; que invocato nomine sancte Salomee, replicans ei sua obsequia, quam devote et fideliter servierit eidem, statim recuperavit sanitatem. Videbatur autem Precslave, quod, nescio quis, traheret dolorem violenter de latere ipsius. 9. Eodem anno villanus homo de Zebezuch67, nomine Paulus, procurator apud sorores de Lapide sancte Marie, cum esset gravi morbo percussus in capite et in facie in tantum, quod lingua ipsius [in] mentum dependebat quasi abruptum et iacebat super pectus ipsius, tumor autem totam faciem occupaverat; qui veniens ad Lapidem sancte Marie cepit rogare quoquomodo balbuciendo et per indicia ex quadam domina nomine Sutka, si aliquod remedium posset eidem adhibere. Que accipiens particulam panniculi, quod solebat esse super caput sancte Salomee, posuit super faciem predicti Pauli, ligans in panno simplici et sigillans, ne ab aliquo subtraheretur. Quo apposito panniculo apostema est rupta et tumor de facie recessit et homo statim pristinam recuperavit sanitatem. 10. Eodem anno nobilis puella, nomine Stanislava de Sancha68, filia Bogute et Roslave, habebat unum oculum destructum, in cuius medio erat quedam pustula eminens contra oculum et fissa per medium; quo oculo nichil videre poterat. Que cum facto voto venisset ad sepulcrum sancte Salomee, statim pustula recessit et oculus fuit mirifice clarificatus. 11. Sub anno eciam Domini MCCLXIXo infra octavas nativitatis beate virginis Marie, IVo Idus Septembris in Scala, ubi defuncta fuit soror Salomea, soror Iuliana

67  Nicht eindeutig indentifizierbarer Ort, vielleicht das 12 km nordwestlich von Krakau ­gelegene Zabierzów. 68  Dorf 24 km westlich von Krakau.

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Welt, den sie Peter nannte. Und es wurde in der ganzen Stadt Krakau bekannt und die besagte Frau bezeugte dies öffentlich vor den Minderbrüdern, dem Bruder Borisław, dem Lektor, dem Bruder Peter, dem Alten, und dem Laienbruder Nikolai. 7. Im selben Jahr [1269] litt Bruder Albert vom Orden der Minder[brüder] in Skała, [im Kloster] der heiligen Maria, derart an einem sehr starken Schmerz in der rechten Gesichtshälfte, dass er nicht mehr essen konnte. Nachdem er den Namen der heiligen Salomea angerufen hatte und ein gewisses Tüchlein an sein Gesicht gelegt hatte, das die heilige Salomea an ihren Körper zu tragen pflegte, erlangte er sogleich seine Gesundheit zurück. 8. Im selben Jahr [1269], am selben Ort, in Skała, [im Kloster] der heiligen Maria, wurde die Schwester Przesława von einem sehr heftigen Schmerz gequält. Nachdem sie den Namen der heiligen Salomea angerufen und ihr ihre Folgsamkeit erklärt hatte, ihr demütig und treu zu dienen, erlangte sie sogleich ihre Gesundheit zurück. Es schien Przesława aber so, als hätte irgendjemand den Schmerz gewaltsam aus ihrer Seite herausgezogen. 9. Im selben Jahr [1269] wurde ein Landmann aus Zebezuch67 namens Paul, der Verwalter bei den Schwestern [vom Kloster] der heiligen Maria in Skała, so stark von einer heftigen Krankheit am Kopf und im Gesicht geschlagen, dass seine Zunge wie abgerissen bis zum Kinn herabhing und auf seiner Brust lag, ein Tumor aber das ganze Gesicht befallen hatte. Nachdem er nach Skała, [ins Kloster] der heiligen Maria gekommen war, begann er irgendwie stotternd und Zeichen gebend eine gewisse Herrin namens Sutka zu fragen, ob sie ihm nicht irgendein Heilmittel verabreichen könne. Diese nahm ein kleines Stück von einem Tüchlein, das die heilige Salomea auf dem Kopf zu tragen pflegte, legte es auf das Gesicht des vorgenannten Paul, band es in ein einfaches Tuch und versiegelte es, damit es nicht durch irgendetwas weggezogen werden konnte. Nachdem das Tüchlein aufgelegt worden war, platzte das Geschwür auf, verschwand der Tumor aus dem Gesicht und der Mann erlangte sofort seine frühere Gesundheit zurück. 10. Im selben Jahr [1269] hatte ein vornehmes Mädchen namens Stanisława aus Sanka68, die Tochter von Boguta und Rosława, ein verletztes Auge, in dessen Mitte sich eine Pustel befand, die gegen das Auge hervorstach und in der Mitte gespalten war; mit dem Auge konnte sie nichts sehen. Nachdem sie ein Gelübde abgelegt hatte und zum Grab der heiligen Salomea gekommen war, verschwand die Pustel auf der Stelle und das Auge war auf wunderbare Weise [wieder] klar. 11. Ebenfalls im Jahr des Herrn 1269 innerhalb der Oktav nach [dem Festtag] der Geburt der heiligen Jungfrau Maria, am vierten Tag vor den Iden des September [= 10. September], lag in Skała, wo die Schwester Salomea gestorben war, die

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a meridie usque ad completorium mortua fuit, sacro sancto oleo inuncta; iacebat autem quasi rosa respersa rubedine. Et modicum post infra completorium aperuit oculos suos et cepit loqui; vocans ad se fratrem Albertum confessorem devote cepit ei confiteri; confessione autem finita et penitencia sibi iniuncta, cum timore Dei cepit referre fratribus Alberto et Rinero, quia in ipsa hora, qua sic iacebat quasi mortua, vidit sanctum Franciscum venientem ad se, sanctam Claram et sororem sanctam Salomeam et multitudinem angelorum et aliorum sanctorum cum ipsis, inter quos erat quidam frater minor, quem eciam nescivit, quis esset, neque cognovit eum; qui appropinquans, duxit eam per manum ad presenciam iudicis summi reddentis unicuique secundum opera sua et dixit ei: Iste est summus iudex, qui est filius Dei vivi, quia Virgo gloriosa mater et eius filia adorat eum flexis genibus. Et cum predicta Iuliana vellet [cum] supradictis sanctis remanere, omni affectu hoc desiderans, dixit ad eam soror Salomea, que tanta gloria fulgebat, quod humanam linguam impossibile est ipsam enarrare: Opportet te adhuc, inquit, ­redire. Quo audito Iuliana doluit, quia redire debuit. Ad quam Salomea ait: Non graveris, inquit, quia ad nos reverteris; dices autem fratri Alberto confessori meo verba et facta, que gravant hominem quemlibet; qui sunt adversarii tui, non timeas, quia tandem non nocebunt tibi et adhuc consolaberis in hac vita, sicut videbis oculis tuis; nec ante morieris, donec videas, quod Dominus ita magnificabit totam terram istam miraculis magnis et gloria inaudita, quod totus mundus ad­ mirabitur, et tu eris per omnia et in omnibus consolatus; et quicunque inpedit statum sororum mearum, non evadet iudicium Dei. Dixit autem Salomea ad ­Iulianam: Dicito sororibus meis: Unam causam scitis inter nos et aliam mando vobis; corrigite utramque. Que autem fuerit illa causa, eloqui non potuit propter debilitatem. Plura alia vidit predicta Iuliana; vidit enim ordinem sancte Clare in mirabilem gloriam sublimatum; vidit eciam omnes ordines, qui sunt sub celo, inter quos vidit ordinem, quo sicut in terra non est humilior et inferior, ita nunc in celo non est eo sublimior et alcior. Et hoc audivit, quando fuit introducta in locum fratrum minorum; ubi cum inducta fuisset, vidit totum mundum quasi modicum globum vel pugnum manus. Et multa alia vidit, que prolixum est scribere nec describi potest. Henricum ordinis minorum guardianum Cracoviensem, qui occisus fuit a Tataris, vidit in gloria et meritum eius vidit et multa alia de aliis personis et de gloria et de penis vidit.

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Schwester Juliana vom Mittag bis zum letzten Tagesgebet tot da und wurde mit geweihtem, heiligem Öl gesalbt; sie lag aber da wie eine mit Röte überzogene Rose. Und kurze Zeit später, [noch] während des letzten Gebetes öffnete sie ihre Augen und begann zu sprechen; sie rief den Bruder Albert zu sich, ihren Beichtvater, und begann, ihm ergeben zu beichten; nachdem die Beichte beendet war und sie die Buße auf sich genommen hatte, begann sie in Gottesfurcht den Brüdern Albert und Reiner zu berichten, dass sie in eben der Stunde, in der sie wie tot dalag, gesehen habe, wie der heilige Franziskus zu ihr kam, [sowie] die heilige Klara und die heilige Schwester Salomea und eine Vielzahl von Engeln und anderen Heiligen mit ihnen [waren], darunter ein gewisser Minderbruder, von dem sie ebenfalls weder wusste, wer er war, noch ihn kannte. Als dieser sich näherte, führte er sie an der Hand vor den höchsten Richter, der einen jeden gemäß seinen guten Taten richtet, und sagte ihr: „Das ist der höchste Richter, der Sohn des lebendigen Gottes, weil die ruhmreiche Jungfrau, die Mutter und dessen Tochter, ihn auf gebeugten Knien anbetet.“ Und als die vorgenannte Juliana bei den oben erwähnten Heiligen bleiben wollte und dies von ganzem Herzen wünschte, da sagte ihr die Schwester Salomea, die von so großer Herrlichkeit erstrahlte, dass es der menschlichen Zunge unmöglich ist, davon zu erzählen: „Einstweilen sollst du noch zurückkehren.“ Als sie dies hörte, tat es Juliana leid, dass sie zurückkehren musste. Da sagte ihr Salomea: „Sei nicht betrübt, du wirst ja zu uns zurückkehren; nenne aber dem Bruder Albert, meinem Beichtvater, die Worte und Taten, die jeden Menschen bedrücken; fürchte nicht die, die deine Gegner sind, weil sie dir am Ende nicht schaden werden und du einstweilen in diesem Leben Trost finden wirst, wie du mit eigenen Augen sehen wirst; und du wirst nicht eher sterben, bis du siehst, dass der Herr diese ganze Erde dermaßen mit großen Wundern und unerhörter Herrlichkeit preisen wird, dass die ganze Welt staunen wird und du durch all diese Dinge und in allem Trost finden wirst; und wer immer die Stellung meiner Schwestern beeinträchtigt, wird dem Gericht Gottes nicht entgehen.“ Ferner sagte Salomea zu Juliana: „Du sollst das meinen Schwestern sagen: Die eine Sache ist unter euch bekannt und die andere gebe ich euch auf – bessert euch in beiderlei Hinsicht.“ Um welche Sache es sich aber handelte, konnte sie infolge ihrer Gebrechlichkeit nicht sagen. Die besagte Juliana sah noch viele andere [Dinge]; sie sah nämlich, wie der Orden der heiligen Klara zu wunderbarer Herrlichkeit erhöht wurde; auch sah sie alle Orden, die sich unter dem Himmel finden, darunter erblickte sie einen Orden, dem gegenüber es auf Erden keinen demütigeren und niedrigeren gibt, während jetzt im Himmel keiner erhabener und höher ist als dieser. Und sie hörte dies, als sie an den Ort der Minderbrüder hineingeführt wurde; als sie dort eingeführt wurde, sah sie die ganze Welt wie eine kleine Kugel oder die Faust einer Hand. Und sie sah noch vieles andere, das aufzuschreiben zu langwierig ist und nicht beschrieben werden kann. Sie sah Heinrich vom Orden der Minder[brüder], den Krakauer Guardian, der von den Tataren getötet worden war, in seiner Herrlichkeit und sah sein Verdienst; und sie sah vieles andere von anderen Personen, sowohl hinsichtlich ihres Ruhmes als auch ihrer Bußen.

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12. Anno Domini MCCLXXo XII Kal. Februarii nobilis mulier, nomine Elizabeth,

relicta Pribislai filii Laurencii, in villa, que dicitur Sdimerici69, cum esset iam circa finem vite sue, vidit beatam virginem Mariam et sororem sanctam Salomeam in corona fulgenti stantem circa eam et dominam Racslavam, uxorem comitis ­Clementis Magni, castellani Cracoviensis70, remocius stantem, cum non fuerit eiusdem meriti cum sorore Salomea. Dixit autem Elizabeth ad Racslavam: Cognata carissima, dicito michi, quid acciderit de patruo meo, viro comite Clemente, qui occisus est a Tataris; utrum sit salvatus, inquiro. Ad quam illa: Omnes, inquit, illi, qui sunt occisi a Tataris, de quorum numero est patruus tuus, maritus meus, adiuvante eos beata virgine Maria, omnes, inquam, salvati sunt et evolaverunt in celum. Ad quam Elizabeth: Domina mea, que me nutristi, sicut filiam carissimam, cum adhuc essem parvula, dicito mihi: Si ego salvabor. Cui illa: Salvaberis, inquit, tu et proles tua tecum, scilicet filii et filie tue. Qua visione transeunte, dixit predicta Elizabeth ad filium suum comitem Dobrogostum et ad filiam suam Evam et ad Svatoslavam de Stanecek71, que aderant presentes: Vidi, inquit, beatam Mariam et sanctam reginam et patruam meam vere vidi. Cui filius: Mater carissima, quam reginam vidisti? Sanctam, inquit, Salomeam vidi, et retulit eis predictam visionem. Qua finita, post spacium bene quinque [dierum] prorsus illa felix anima carne soluta est. Cuius corpus in Stanecek requiescit. 13. Anno Domini MoCCoLXXo circa IV Kalendas Marcii frater Rinerus, sacerdos ordinis minorum, vidit sororem Salomeam in visione; cum qua colloquens, quesivit ab ea de duce Boleslao, sicut germano ipsius, et de domina ducissa Cracoviensi et Sandomiriensi domina Kynga, uxore ipsius, si habebunt prolem. Que non respondit verbum; iteratoque interrogata ait: Forte habebunt prolem. Tandem addidit frater Rynerus: Domina carissima, que vultis mandare fratri Alberto, confessori vestro? Que ait: Nichil, quia in aliquo me offendit. Quod cum fuisset nunciatum fratri Alberto, sine mora rogavit sorores de Lapide sancte Marie ordinis sancte Clare, quod rogarent beatam Mariam, quod iubebat famulam suam sororem Salomeam dicere, quid est illud, in [quo] offendit eam [… 14. … in72]firmitate cepit dissolvi et est aliquantulum dissoluta.

Wahrscheinlich das 40 km nordöstlich von Krakau gelegene Dorf Dziemierzyce. Ein Krakauer Kastellan namens Klemens ist für die Jahre 1238–1239 belegt; er fiel 1241 im Kampf gegen die Tataren bei Chmielnik; UM Nr. 117. 71  Nicht identifizierbarer Ort. 72  Zwischen „eam“ und „firmitate“ sind in der Handschrift von 1401 (f. 15v) von späterer Hand zwei Kreuzchen angebracht, zu denen sich am unteren Rand des Blattes der Hinweis findet, dass hier offenbar der Inhalt eines Blattes aus der Vorlage fehlt („Inter has duas cruces ultimi versus unam paginam deesse carentia sensus perfecti testatur“). 69  70 

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12. Im Jahre des Herrn 1270, am zwölften Tag der Kalenden des Februar [= 21. Januar] sah eine vornehme Frau namens Elisabeth, die Witwe Przybysławs, des Sohnes des Laurentius, in ihrem Dorf, das Dziemierzyce69 heißt, als sie bereits dem Ende ihres Lebens nahe war, die heilige Jungfrau Maria und die heilige Schwester Salomea, wie sie in einer leuchtenden Krone um sie herum stand[en]; und [sie sah auch] die Herrin Racława, die Frau des Amtsträgers Klemens des Großen, des Kastellans von Krakau70, die etwas weiter entfernt stand, weil sie nicht denselben Verdienst hatte wie die Schwester Salomea. Elisabeth aber sagte zu Racława: „Liebste Verwandte, berichte mir, was mit meinem Onkel, dem Herrn Amtsträger Klemens, geschehen ist, der von den Tataren getötet wurde; ich frage dich, ob er erlöst worden ist.“ Jene antwortete: „All jene, die von den Tataren getötet worden sind, darunter dein Onkel, mein Ehemann, alle, sage ich, sind durch die Hilfe der heiligen Jungfrau Maria erlöst worden und in den Himmel emporgeflogen.“ Darauf zu ihr Elisabeth: „Meine Herrin, die du mich aufgezogen hast wie deine liebste Tochter, als ich noch ganz klein war, sage mir: Werde [auch] ich erlöst werden?“ Ihr antwortete jene: „Du wirst erlöst werden, du und mit dir deine Nachkommenschaft, nämlich deine Söhne und Töchter.“ Als diese Vision vorüber war, sprach die besagte Elisabeth zu ihrem Sohn, dem Amtsträger Dobrogost und zu ihrer Tochter Eva und zu Świętosław aus Stanecek71, die bei ihr waren: „Ich habe die heilige Maria und die heilige Königin gesehen und [auch] meine Tante habe ich wahrhaftig gesehen.“ Der Sohn zu ihr: „Liebste Mutter, welche Königin hast du gesehen?“ „Die heilige Salomea habe ich gesehen“ und sie erzählte ihnen die vorgenannte Vision. Nachdem ihr Ende gekommen war, nach einem Zeitraum von gut fünf [Tagen], wurde jene glückliche Seele völlig von ihrem Fleische gelöst. Ihr Leichnam ruht in Stanecek. 13. Im Jahre des Herrn 1270, um den vierten Tag der Kalenden des März [= 26. Februar] herum sah der Bruder Reiner, ein Priester aus dem Orden der Minder[brüder], die Schwester Salomea in einer Vision; als er sich mit ihr unterhielt, fragte er sie nach Herzog Bolesław [V.], als wäre er sein Bruder, und nach der Herrin, der Herzogin von Krakau und Sandomir, der Herrin Kinga, dessen Frau, ob sie einen Nachkommen haben werden. Diese erwiderte kein Wort; und nachdem sie ein weiteres Mal gefragt worden war, sagte sie: „Vielleicht werden sie einen Nachkommen haben.“ Schließlich fügte Bruder Reiner hinzu: „Liebste Herrin, was wollt ihr Bruder Albert, eurem Beichtvater, anvertrauen?“ Sie sagte: „Nichts, weil er mich in einer bestimmten Sache gekränkt hat.“ Als dies Bruder Albert berichtet worden war, bat er unverzüglich die Schwestern [vom Kloster] der heiligen Maria vom Orden der heiligen Klara in Skała, die heilige Maria zu bitten, ihrer Dienerin, der Schwester Salomea, zu befehlen, dass sie sage, was jenes sei, wodurch er sie gekränkt habe [… 14. …72] begann an Stärke nachzulassen und löste sich ein wenig auf.

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15. Item eodem anno Nonis Marcii soror Sutka, pedissequa dominarum de Lapide sancte Marie, vidit oculata fide lucem magnam in quadam domo ipsius, in qua servabat tunicam bone memorie sororis Salomee; et cum accessisset ad domum predictam, vidit Salomeam stantem indutam illa tunica, quam Sutka conservabat ad se, et erant due sorores ex utraque parte Salomee, de quibus unam cognoscebat et statim cecidit ad pedes Salomee; ad quam Salomea: Tu es, inquit, domina magna, quia non curas de me. Ad quod Sudka: Et quid, ait, domina, possum pro te facere? Cui Salomea ait: Quociens, inquit, me visitasti et sepulchrum meum? Et adiecit Salomea loquens Sudce: Habes, inquit, duo peccata, que nondum es confessa, et dixit ei, que illa peccata et hoc erat verum. Mox itaque Sudca surgens perrexit in Cracoviam visitare sepulchrum domine Salomee. Item domina Salomea a XII etatis sue anno usque ad finem vite sue semper portavit cilicium.73 16. Item anno Domini MoCCoLXXo circa festum pasche74 nobilis domina sive mulier in terra Opoliensi, relicta comitis Smilonis, domina Clemencia, retulit fratri Iohanni, dicto Cozuboni, de ordine fratrum minorum et socio ipsius coram multis scolaribus huiusmodi factum; habebat siquidem predicta domina multos pavones in domo sua in villa, que dicitur vulgariter Croschina75, et hii erant sibi dati ad custodiam a quodam viro religioso, nomine Pakoslao, ordinis fratrum minorum. Contigitque, quod veniens canis cuiusdam rustici villani, interfecit unum de pavonibus; cui cum predicta domina fuisset comminata, quod predictum canem vel occideret vel venderet, alioquin, si simile quid faceret, vellet eum rebus spoliare pro dampno suo. Veniens autem iterato predictus canis interfecit alium pavonem; quo viso predicta domina fuit gravissime perturbata timens, ne vituperium per-[ciperet] predicti fratris Pacoslai. Accepto itaque pavone mortuo, cooperuit eum quadam veste simplici et cepit invocare nomen sancte Salomee, dicens: Domina Salomea, audivi, quod sis sancta et corusces miraculis, si ergo ita est, fac, quod pavo iste mortuus reviviscat et credam te esse sanctam. Et hoc dicto exivit de domo, in qua mortuum pavonem posuerat. Postquam autem deambulavit huc illuc per domum, post breve tempus reversa est, in qua domo pavo iacebat, quem invenit resuscitatum, sanum, incolumem, extractum de vestibus, quibus erat coopertus, et sedentem super fornacem. Et notum factum est miraculum pluribus.

73  Dass dieser Satz ursprünglich wohl nicht hierhin gehörte, scheint auch dem Verfasser (oder einem späteren Leser) der Handschrift von 1401 aufgefallen zu sein, da er (f. 16v) mit einem schwarzen Tintenstrich besonders markiert wurde. 74  Im Jahr 1270 fiel der Ostersonntag auf den 13. April. 75  Dorf 8 km westlich von Oppeln.

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15. Ebenso im selben Jahr, an den Nonen des März [= 7. März], sah die Schwester Sutka, eine Dienerin der Herrinnen [vom Kloster] der heiligen Maria in Skała, mit eigenen Augen ein großartiges Licht in einem ihrer Häuser, in dem sie das Untergewand der Schwester Salomea guten Angedenkens aufbewahrte; und als sie an das besagte Haus herantrat, sah sie, wie Salomea mit jenem Gewand bekleidet dastand, das Sutka bei sich aufbewahrte, und auf jeder Seite Salomeas stand eine Schwester, von denen sie eine erkannte, und sogleich fiel sie Salomea zu Füßen. Zu ihr sagte Salomea: „Du bist eine große Herrin, weil du dich nicht um mich sorgst.“ Darauf sagte Sutka: „Und was kann ich, Herrin, für dich tun?“ Zu ihr sprach Salomea: „Wie oft hast du mich und meine Grabstätte besucht?“ Und Salomea fügte hinzu, indem sie zu Sutka sagte: „Du hast zwei Sünden begangen, die du noch immer nicht gebeichtet hast“, und sie nannte ihr, welcher Art jene Sünden waren und dies war die Wahrheit. Daher erhob sich Sutka alsbald und begab sich auf den Weg nach Krakau, um die Grabstätte der Herrin Salomea zu besuchen. Ebenso trug die Herrin Salomea von ihrem zwölften Lebensjahr an bis an ihr Lebensende stets ein Bußgewand.73 16. Ebenso berichtete im Jahr des Herrn 1270 um das Osterfest74 herum eine vornehme Herrin oder Frau im Oppelner Land, die Witwe des Amtsträgers Śmil, die Herrin Klementia, ihrem Bruder Johannes, genannt Cozubonus, aus dem Orden der Minderbrüder, sowie dessen Gefährten in Anwesenheit zahlreicher Scholaren von folgendem Ereignis: Die besagte Herrin nämlich hielt in ihrem Haus in dem Dorf, das in der Volkssprache Chrosczinna75 genannt wurde, zahlreiche Pfauen; diese waren ihr von einem frommen Mann namens Pakosław, einem Franziskanerbruder, zum Hüten anvertraut worden. Und es begab sich, dass der Hund irgendeines Landmannes herbeikam und einen der Pfauen tötete; da drohte die besagte Herrin diesem [Landmann], dass er den genannten Hund entweder töten oder verkaufen solle, andernfalls wolle sie, wenn Ähnliches [nochmals] geschehe, ihn als Schadensersatz seines Besitzes berauben. Der besagte Hund aber kam ein zweites Mal und tötete einen anderen Pfau. Als dies die genannte Herrin sah, war sie auf das Heftigste beunruhigt und fürchtete, vom besagten Bruder Pakosław Schelte zu bekommen. Deshalb bedeckte sie den toten Pfau, nachdem sie ihn an sich genommen hatte, mit einem einfachen Gewand und begann, den Namen der heiligen Salomea anzurufen, indem sie sprach: „Herrin Salomea, ich habe gehört, dass du eine Heilige sein und durch Wundertaten glänzen sollst; wenn das so ist, bewirke, dass dieser tote Pfau wieder lebendig wird, und ich werde glauben, dass du heilig bist.“ Und nachdem sie dies gesagt hatte, trat sie aus dem Haus, in dem sie den toten Pfau niedergelegt hatte. Nachdem sie aber hierhin und dorthin um das Haus herumgelaufen war, kehrte sie nach kurzer Zeit in das Haus zurück, in dem der Pfau lag und fand ihn zum Leben erweckt, gesund, unverletzt, von der Kleidung, mit der er bedeckt gewesen war, befreit und auf einem Herd sitzend vor. Und das Wunder ist vielen [Menschen] bekannt geworden.

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17. Item eodem anno, VIIIo Idus Maii, quedam mulier religiosa circa fratrum mi-

norum domum in Cracovia, nomine Martha, gravabatur dolore oculorum gravissime a multo tempore. Que ipso dominico die76 VIII Idus Maii, accepto quodam panniculo, qui fuerat super corpus sancte Salomee, tersit oculos suos et statim dolor oculorum recessit ab ipsa. 18. Item eodem anno frater Albertus ordinis minorum, confessor predicte sancte Salomee, cepit infirmari satis valde et VII Idus Maii feria VI accessit ad sepulchrum sancte Salomee et incumbens super ipsum cepit decantare „pater noster“, et cepit invocare nomen beate Marie virginis et nomen Salomee sibi in auxilium; et in ipsa oracione obdormivit super sepulchrum. Videbatur autem ei, quod gravissimis febribus paciebatur oppressus; evigilavit et sensit se bene curatum ab infirmitate et cepit laudare Deum et sanctam Salomeam. 19. Item eodem anno Nonis Iulii frater Albertus predictus, confessor eius, miserabili tumore intumuerat in tantum, quod tota facies eius erat quasi tympanum et cutis scindi videbatur pre nimia eius extensione; et erat horribile ipsum aspicere. Sed feria VI, hora tercia, cum posuit super caput suum et super faciem velum sancte Salomee, quod ipsa solebat gestare in capite suo, mox totus dolor et infirmitas ab eo recessit, tumor autem paulatim cepit decrescere, quasi cuiusdam manu suavi traheretur deorsum ab oculis et sic ipsius meritis intercedentibus liberatus est ab omni infirmitate et dolore. Quod notum fuit toti civitati Cracoviensi, in qua miraculum contigit. 20. Item eodem anno XIX Kalendas Septembris, feria quinta in vigilia assumpcionis beate virginis Marie, infra vesperas, fratrum minorum in domo Cracoviensi, existentibus in choro fratribus Alberto, predicto domine Salomee confessore, Borislao lectore, Crisano tunc ebdomadario, Wenceslao antiquo et aliis pluribus sacerdotibus, clericis et laicis presentibus, venit mulier Theutonica ad ostium chori, deferens secum insignia duorum oculorum de cera factorum, insinuans per indicia [se esse] illuminatam per merita sancte Salomee; nullus enim fratrum poterat tunc cum ea loqui, cum sit Theutonica, fratres vero Poloni.

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Der 8. Mai 1270 fiel tatsächlich auf einen Donnerstag.

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17. Ebenso wurde im selben Jahr [1270] vor den achten Iden des Mais [= 8. Mai] eine fromme Frau namens Martha in der Nähe des Hauses der Mindererbrüder in Krakau über lange Zeit sehr heftig von einem Augenschmerz gequält. Am Sonntag76, dem achten Tag vor den Iden des Mais, nahm sie selbst ein gewisses Tuch, das auf dem Leichnam der heiligen Salomea gelegen hatte, rieb [damit] ihre Augen und sogleich fiel der Augenschmerz von ihr ab. 18. Ebenso begann im selben Jahr [1270] der Bruder Albert vom Orden der Minder[brüder], der Beichtvater der besagten heiligen Salomea, sehr schlimm zu erkranken. Am siebten Tag vor den Iden des Mais [= 9. Mai], einem Freitag, trat er an die Grabstätte der heiligen Salomea heran, warf sich auf diese, fing an, das „Vater unser“ zu singen, und begann, den Namen der heiligen Jungfrau Maria und den Namen Salomeas zu seiner Hilfe anzurufen; und während dieses Gebetes schlief er über der Grabstätte ein. Ihm schien aber, als litte er an sehr heftigen Fieberanfällen; [dann] erwachte er und spürte, dass er von der Krankheit gut geheilt war, und begann Gott und die heilige Salomea zu preisen. 19. Ebenso schwoll im selben Jahr [1270] an den Nonen des Julis [= 10. Juli] der genannte Bruder Albert, ihr Beichtvater, durch einen üblen Tumor so stark an, dass sein ganzes Gesicht wie eine Handpauke aussah und die Haut durch ihre übermäßige Spannung zu zerreißen schien; und es war furchtbar, ihn anzuschauen. Am Freitag aber, zur dritten Stunde, als er ein Tuch der heiligen Salomea, das diese auf ihrem Haupt zu tragen pflegte, auf seinen Kopf und sein Gesicht legte, wichen der Schmerz und die Krankheit sogleich gänzlich von ihm, der Tumor aber begann allmählich zu schrumpfen, als ob er von einer angenehmen Hand von den Augen nach unten gezogen wurde. Und so ist er durch die eingreifenden Verdienste [Salomeas] von aller Krankheit und vom Schmerz befreit worden. Dies wurde der ganzen Stadt Krakau bekannt, in der sich dieses Wunder ereignete. 20. Ebenso kam im selben Jahr [1270], am 19. Tag vor den Kalenden des Septembers [= 14. August], einem Donnerstag, am Vorabend des [Festtages] der Aufnahme der heiligen Jungfrau Maria [in den Himmel], als die Minderbrüder in ihrem Krakauer Haus, die Brüder Albert, der besagte Beichtvater der Herrin Salomea, der Lektor Borisław, dann der Hebdomadarius [d. h. der in der fraglichen Woche den Gottesdienst abhaltende Mönch] Krzyżan, der alte Wenzel und viele andere anwesende Priester, Kleriker und Laien zur Vesper im Chor hervortraten, eine deutsche Frau an den Eingang des Chorraumes; bei sich trug sie die Abzeichen zweier aus Wachs gefertigter Augen und bedeutete durch Zeichen, dass sie durch die Verdienste der heiligen Salomea erleuchtet worden sei. Denn keiner der Brüder konnte damals mit ihr sprechen, weil sie eine Deutsche war, die Brüder aber Polen.

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21. Item eodem anno in terra Opoliensi quedam domina nobilis, filia comitis Petri, neptis vero Andreisse de Murancha77, retulit fratri Martino sacerdoti ordinis minorum, trahenti originem a Cuiavia, de Opole et socio eius, venisse ad se quandam mulierem, que fuit tribus annis ceca, et dixisse se esse illuminatam per sanctam Salomeam. 22. Item anno Domini MoCCoLXIXo78 VIIIo Kalendas Septembris, in translacione sancte Hedvigis, frater Boguphalus lector in domo fratrum minorum in Corchin, presente domino Boleslao duce Cracovie et Sandomirie et presente domina Kinga ducissa, coniuge ipsius.79 Et contigit eum inter cetera loqui de sanctitate sororis Salomee, quomodo per ipsam Dominus multa operatur miracula. Affuit ibi comes Iacobus80, filius Pacoslai, qui inenarrabili dolore capitis cruciabatur et propter presenciam ducis egredi de ecclesia non audebat pre nimia confusione. Qui auditis beneficiis domine Salomee cepit ipsam tacitus invocare prece devota, ut eum a tali periculo liberaret; quod cum fecisset, omnis dolor et passio recessit ab ipso. Hec autem passio contigerat ei, postquam ecclesiam predictam fuerat ingressus; erat enim homo indevotus. 23. Item eadem die in eadem predicacione fuit quedam domina nobilis, nomine Nasthasia, de villa, que Mistrevich81 dicitur, vidua relicta bone memorie comitis Martini dicti Velenchi. Hec habebat secum filiam parvulam, in cuius oculo una fuit pustula magna, que in medio oculo existens passionem eidem puelle inferebat et videre simpliciter prohibebat. Audiens itaque predictum fratrem Boguphalum mirabilia recitantem, que per famulam suam Salomeam Dominus operatur, cepit ipsam invocare, votum faciens, quod, si sanaret filiam eius, sepulcrum eius visitaret et offertorium ferret. Que facta oracione et voto emisso inspexit in oculum filie sue, et ecce iam macula predicta erat deleta de oculo ipsius meritis sancte Salomee. Que postmodum in infirmitate existens confessori suo, fratri Iohanni, dicto ­Werepech, ordinis minorum retulit sub bono iuramento. 24. Item anno Domini MoCCoLXX, infra tempus quadragesime82, quedam nobilis domina Anastasia, uxor comitis Henrici, filia Morislai, erat infirmata usque ad Nicht identifizierbarer Ort. Auch dieses Wunder dürfte, wie die vorstehenden, in das Jahr 1270 und nicht – wie wahrscheinlich vom Kopisten fehlerhaft abgeschrieben – in das Jahr 1269 zu datieren sein. 79  Wojciech Kętrzyński [Vita sanctae Salomeae (wie Anm. 25), S. 791] vermutet hier eine Fehlstelle in der Abschrift von 1401 und ediert die Stelle „coniuge ipsius ….. et contigit“. 80  Jakob, der Sohn des Pakosław, ist 1250–1253 ohne Amt urkundlich belegt, war 1256–1259 Kastellan von Wojnicz, 1261–1263 Richter in Krakau und 1271 Kastellan in Lublin; UM Nr. 361. 81  Dorf 12 km südwestlich von Korczyn. 82  Im Jahr 1270 währte die Fastenzeit vom 26. Februar bis 10. April. 77  78 

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21. Ebenso im selben Jahr berichtete im Oppelner Land eine vornehme Herrin, die Tochter des Amtsträgers Peter, die Enkelin/Nichte des Andreas aus Murancha77, dem Bruder Martin, einem Priester des Ordens der Minder[brüder] in Oppeln, der seinen Ursprung in Kujawien hatte, und dessen Gefährten, dass zu ihr eine gewisse Frau gekommen sei, die drei Jahre lang blind war und gesagt habe, dass sie durch die heilige Salomea sehend gemacht worden sei. 22. Ebenso im Jahr des Herrn 126978, am achten Tag vor den Kalenden des Septembers [= 25. August], [am Festtag] der Überführung der heiligen Hedwig, [predigte] der Bruder Bogufal, der Lektor im Hause der Minderbrüder in Korczyn, in Gegenwart des Herrn Bolesław [V.], des Herzogs von Krakau und Sandomir, und in Gegenwart der Herrin Kinga, der Herzogin, seiner Gattin.79 Und es begab sich, dass er unter anderem über die Heiligkeit der Schwester Salomea sprach [und darüber,] wie der Herr durch sie viele Wunder wirke. Dabei war [auch] der Amtsträger Jakob80, der Sohn des Pakosław, der von einem unsagbaren Kopfschmerz gequält wurde, aber wegen der Anwesenheit des Herzogs es nicht wagte, die Kirche zu verlassen, um nicht zu sehr zu stören. Als sie von den Wohltaten der Herrin Salomea hörten, begann [Jakob] diese im Stillen in demütigem Gebet anzurufen, dass sie ihn von der so großen Pein erlöse; nachdem er dies getan hatte, fiel jeglicher Schmerz und alles Leid von ihm ab. Diese Leidensgeschichte aber widerfuhr ihm, nachdem er die besagte Kirche betreten hatte; denn er war ein gottloser Mensch. 23. Ebenso wohnte am selben Tag [= 25. August 1270] eine gewisse vornehme Herrin namens Anastasia aus dem Dorf Mistrzewice81, eine hinterbliebene Witwe des Amtsträgers frommen Angedenkens Martin, genannt Velenchus, derselben Predigt bei. Diese hatte ihre kleine Tochter bei sich, in deren Auge sich eine große Pustel befand, die mitten im Auge auftrat und dem Mädchen Schmerzen bereitete und sie schlicht daran hinderte zu sehen. Und als sie so hörte, wie der besagte Bruder Bogufal von den Wundern vorlas, die der Herr durch seine Dienerin Salomea wirke, begann sie eben diese anzurufen und legte das Gelübde ab, dass sie, wenn sie ihre Tochter heile, ihre Grabstätte besuchen und ein Opfer darbringen werde. Nachdem sie das Gebet gesprochen und das Gelübde abgelegt hatte, schaute sie in das Auge ihrer Tochter und siehe da, schon war der erwähnte Fleck durch die Verdienste der heiligen Salomea aus dem Auge getilgt worden. Dies hat sie später, als sie [einmal] krank war, ihrem Beichtvater, dem Bruder vom Minderorden Johannes, genannt Werepech, unter Eid berichtet. 24. Ebenso im Jahr des Herrn 1270 erkrankte innerhalb der Fastenzeit82 die vornehme Herrin Anastasia, die Ehefrau des Amtsträgers Heinrich, die Tochter des Morisław, bis auf den Tod. Und nachdem sie den Bruder Pakosław vom Orden der

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mortem et vocato ad se fratre Pacoslao ordinis minorum de domo Corchensi, habita confessione, peciit communionem et extremam unccionem; iam enim de vita desperaverat. Quod cum factum fuisset, predictus frater Pacoslaus habebat secum almucium sororis Salomee et velum eiusdem, rogans predictam Anastasiam, posuit almucium super caput eius et velum super pectus. Et que septem diebus non dormiverat, statim obdormivit et vidit in visione sororem Salomeam, que veniens ad ipsam tenuit eam per manum et ait: Anastasia, ecce sana facta es et ab omni infirmitate curata, habes enim super caput tuum almucium meum et velum super pectus; propter quod visitabis sepulchrum meum et hec, que facta sunt circa te, hominibus, quibus expedit scire, enarrabis. Habebat domina Salomea in capite suo coronam magnam et mirabilem. Anastasia vero mox excitata, gracias agens Deo et sancte Salomee de sua liberacione, omnibus, qui circumstabant, visionem suam retulit. Quam cum frater Pacoslaus hortaretur, ut iterato dormiret, respondit se non habere necesse, cum sit perfecte curata; devicta tamen precibus et monitis ipsius obdormivit iterato. Et ecce apparuit ei secundo sancta Salomea, dicens ei: Anastasia, cur tam cito dixisti hominibus factum meum, qui talia audire non habuerunt necesse. Actum bene factum est. Et hoc dicto fuit Anastasia autem cito informata visitare sepulchrum ipsius et votum obtulit, narrans mirabilia populo. Ex eo autem tempore, quo biretum sororis sancte Salomee tenuit super caput suum, nunquam passionem doloris capitis habuit. 25. Item anno domini MoCCoLXXo pridie Idus Maii, feria quarta, nobilis puer frater Thymo ordinis minorum in domo Corchensi, volens piscari cum piscatore et incaute sequens, intravit quandam foveam profundissimam in flumine, quod Sudicha dicitur, et nesciens natare submersus est, fratribus minoribus procul aspicientibus et auxilium ferre non valentibus, Pacoslao et aliis. Et cum in profundo esset, habebat nomen Salomee regine in mente et cum emersisset, ait: Regina nobilis, volens dicere „Regina Salomea, adiuva me!“ et non potuit dicere et iterum submersus est. Et ecce subito quidam truncus magnus, ut ei videbatur, enatavit de profundo illius fovee et sustentabat eum, ne tenderet in abyssum; cum tamen prius existens in profundo eiusdem fovee nullum lignum esse ibi sensit sicque stetit in illo trunco, quousque fratres navigio ad ipsum venerunt. Hoc viderunt multi fratres minores et eciam retulit idem Thymo in Cracovia fratribus Alberto, Borislao lectore, Rynero, Iacobo, Gorazcone et aliis multis.

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Minder[brüder] aus dem Haus von Korczyn zu sich gerufen [und] die Beichte abgelegt hatte, verlangte sie nach der Kommunion und letzten Ölung; denn sie hatte bereits die Hoffnung auf ihr Leben aufgegeben. Als dies geschehen war, bat der besagte Bruder Pakosław, der die Almutie [die fellbesetzte Schulter- bzw. Kopfbedeckung] der Schwester Salomea und ihren Schleier bei sich hatte, die erwähnte Anastasia zu sich und legte die Almutie auf ihren Kopf und das Schleiertuch auf ihre Brust. Und sie, die sieben Tage lang nicht geschlafen hatte, schlief auf der Stelle ein und sah in einer Vision die Schwester Salomea, die zu ihr kam und sie an der Hand hielt und sagte: „Anastasia, schau, du bist geheilt worden und von jeglicher Krankheit kuriert, denn du hast auf deinem Kopf meine Almutie und auf deiner Brust meinen Schleier; deshalb sollst du meine Grabstätte besuchen und das, was um dich herum geschehen ist, den Menschen, denen es zu wissen nützt, erzählen.“ Die Herrin Salomea hatte auf ihrem Kopf eine große, wunderbare Krone. Als Anastasia aber bald darauf erwachte und Gott und der heiligen Salomea wegen ihrer Erlösung dankte, berichtete sie allen, die um sie herumstanden, von ihrer Vision. Als Bruder Pakosław sie ermahnte, wieder einzuschlafen, antwortete sie, dass sie dies nicht brauche, da sie wieder vollständig geheilt sei; dennoch schlief sie von [seinen] Bitten und Ermahnungen bezwungen ein weiteres Mal ein. Und siehe, ein zweites Mal erschien ihr die heilige Salomea und sagte ihr: „Anastasia, warum hast du so schnell den Menschen von meiner Tat erzählt, die Derartiges zu hören nicht nötig hatten? Die Tat geschah recht.“ Und nachdem dies gesagt worden war, wurde Anastasia ferner schnell eingegeben, ihre [Salomeas] Grabstätte zu besuchen, und sie erfüllte das Gelübde und erzählte dem Volk von den Wundertaten. Seit der Zeit aber, da sie die Haube der heiligen Schwester Salomea auf ihrem Haupt trug, hatte sie keine Kopfschmerzen mehr. 25. Ebenso im Jahr des Herrn 1270 am Tag vor den Iden des Mais [= 14. Mai], einem Mittwoch, geriet ein vornehmer Junge, der Bruder Thymo aus dem Orden der Minder[brüder] vom Hause in Korczyn, als er mit einem Fischer fischen wollte und ihm unvorsichtig folgte, in eine äußerst tiefe Untiefe im Fluss, der Sudycha heißt. Und weil er nicht schwimmen konnte, ging er unter, während die Minderbrüder, Pakosław und die anderen, aus der Ferne zusahen, aber keine Hilfe zu bringen vermochten. Und als er in der Tiefe war, kam ihm der Name der Königin Salomea in den Kopf, und als er auftauchte, sagte er: „Vornehme Königin“, er wollte „Königin Salomea, hilf mir!“ rufen, konnte es aber nicht und versank wieder. Und siehe, plötzlich schwamm da, wie es ihm schien, irgendein großer Baumstamm vom Grund jener Untiefe herauf und er hielt ihn, so dass er nicht in den Abgrund geriet. Auch wenn er zuvor am Grund der Untiefe gespürt hatte, dass dort kein Holz war, hielt er sich auf diese Weise so lange an jenem Baumstamm fest, bis die Brüder auf einem Boot zu ihm kamen. Dies haben viele Minderbrüder gesehen und auch eben dieser Thymo selbst hat es in Krakau den Brüdern Albert, dem Lektor Borisław, Reiner, Jakob, Gorazko und vielen anderen erzählt.

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26. Item eodem anno in eadem domo mulier quedam, nomine Iuditha, paciebatur gravissimum dolorem capitis. Que rogavit matrem suam, nomine Woyslavam, ut, visitato sepulchro sancte Salomee pro ipsa, recommendaret eam ipsius bonitati. Quo facto dolor omnis recessit ab ea83 et puerum peperit sine periculo. Huius rei testes sunt supradictus Valterus, Benedictus, Beata, frater Borislavus et frater ­Domanus laicus ordinis minorum, coram quibus confessa est predicta Iuditha. 28.84 Item eodem anno Bertha, nurus fratris Domani ordinis minorum, [uxor] civis Cracoviensis, cum [in] infirmitate existens, esset posita in ultimo instanti vite sue ita, [quod vix] in solo pectore spiritus senciebatur et tota iam erat quasi mortua, et quia sine extrema unccione debebat mori, rogavit maritum suum, ut extremam unccionem ei procuraret; qui visa uxore in necessitate constituta gravissime redoluit, quia propter noctem hoc minime poterat procurare; erat enim nox obscura et homines erant sopori dediti. Quod videns Bertha complosis manibus cepit invocare sanctam Salomeam, ut sine oleo sancto non sineret eam mori. Et statim perfudit eam quasi sudor suavissimus, et cepit melius habere et continuo femina alleviata [est] ab infirmitate. Huius rei testes: frater Valterus, Benedictus et maritus dicte Berthe, Iuditha et predicti fratres, coram quibus confessa fuit. 29. Item anno Domini MoCCoLXXIo in Camenech, Opoliensis ducatus, quedam puella nomine Vlasca, XII annorum etate, filia Galli, clauda fuit et contracta, carens usu pedum a nativitate85 usque ad festum sancti Urbani. In quo festo fratre Crisano ordinis minorum predicante ibidem et miracula sancte virginis Salomee recitante, mater puelle audiens miracula, currit ad filiam, hortans eam facere votum sancte Salomee; que flens fecit votum, quod sepulcrum eius visitaret; et statim fuit curata ab omni infirmitate. Que continuo surgens, cepit ludere currendo cum aliis puellis in platea coram omni populo, magnificans Deum. Huius rei testes sunt domina ville predicte cum filio suo et nuru et aliis pluribus.

83  Wojciech Kętrzyński [Vita sanctae Salomeae (wie Anm. 25), S. 793] vermutet hier eine größere Fehlstelle in der Abschrift von 1401 (f. 21r) und ediert die Stelle „ab ea ……….. 27. …. et puerum“. Sein Argument: „puerum peperit“ knüpfe nicht an „dolorem capitis“ an, und der „supradictus Valterus“ sei in den vorangehenden Kapiteln nicht in Erscheinung getreten. 84  Die Zählung behält trotz des hier vorgenommen Streichung des vermeintlichen Kapitels 27 die Zählung der Kętrzyński-Edition (vgl. Anm. 83) bei. 85  Unterstellt man, dass der Abschreiber hier das Wort „dominica“ ausgelassen hat, könnte auch mit „Weihnachten“ übersetzt werden, dann wäre das Mädchen lediglich einige Monate lang erkrankt gewesen.

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26. Ebenso im selben Jahr [1270] im selben Haus litt eine gewisse Frau namens Judith, an einem sehr heftigen Kopfschmerz. Sie bat ihre Mutter Wojsława, dass sie an ihrer Stelle die Grabstätte der heiligen Salomea besuche und sie deren Güte empfehle. Nachdem dies geschehen war, wich aller Schmerz von ihr83 und sie gebar einen Jungen ohne Gefahr. Die Zeugen dieses Ereignisses sind der oben erwähnte Walter, Benedikt, Beate, der Bruder Borisław und der Laienbruder Doman vom Orden der Minder[brüder], vor denen die vorher genannte Judith es bekannte. 28.84 Ebenso bat im selben Jahr [1270] Bertha, die Schwiegertochter des Bruders Doman vom Orden der Minder[brüder], [die Ehefrau], eines Krakauer Bürgers, als sie krank wurde und in höchste Lebensgefahr geriet, [weil] ihr Atem allein in ihrer Brust [kaum] zu spüren war und sie schon gleichsam ganz tot war und weil sie ohne die letzte Ölung sterben musste, ihren Ehemann darum, dass er ihr die letzte Ölung besorge. Als er seine Frau in diese Not versetzt sah, empfand er großen Schmerz, weil er, da es Nacht war, diese [Ölung] keineswegs besorgen konnte; denn die Nacht war finster und die Menschen lagen in tiefem Schlaf. Als Bertha dies sah, schlug sie ihre Hände zusammen und begann, die heilige Salomea anzurufen, sie möge es nicht zulassen, dass sie ohne die heilige Ölung sterbe. Und sogleich überströmte sie so etwas wie ein überaus süßduftender Schweiß und sie begann, sich besser zu fühlen und unverzüglich wurde die Frau von ihrer Krankheit befreit. Die Zeugen dieses Ereignisses [waren] der Bruder Walter, Benedikt und der Ehemann der besagten Bertha, Judith und die vorgenannten Brüder, vor denen sie [Bertha] es bekannt hatte. 29. Ebenso im Jahr des Herrn 1271 war in Kamieniec, im Herzogtum Oppeln, ein zwölfjähriges Mädchen namens Vlasca, die Tochter des Gallus, gelähmt und behindert, da sie von der Geburt85 bis zum Fest des heiligen Urban [25. Mai] den Gebrauch ihrer Füße entbehrte. Als zu diesem Fest der Bruder Krzyżan vom Orden der Minder[brüder] ebendort predigte und von den Wundern der heiligen Jungfrau Salomea vorlas, eilte die Mutter des Mädchens, als sie von den Wundern hörte, zu ihrer Tochter und ermunterte sie, der heiligen Salomea ein Gelübde abzulegen; diese legte unter Tränen das Gelübde ab, dass sie ihre [Salomeas] Grabstätte besuchen werde; und sogleich wurde sie von jeglicher Krankheit geheilt. Sie erhob sich sofort und begann im Laufen mit den anderen Mädchen auf der Straße vor dem ganzen Volk, Gott preisend, zu spielen. Die Zeugen dieses Ereignisses sind die Herrin des besagten Dorfes mit ihrem Sohn und der Schwiegertochter und mit vielen anderen [Leuten].

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30. Item in eodem anno in villa quadam Iamca86, Opoliensis ducatus, puella parvula forte duorum annorum, filia comitis Iaxichonis, cuius uxor dicitur Sophia, facto voto a parentibus pro ipsa, bis a mortuis fuit suscitata per merita sancte Salomee, cui ipsam cum fletu magno et lacrimis humiliter recommendaverunt. 31. Item eodem anno frater Martinus ordinis fratrum minorum, vadens in Strelech87 ad predicandum racione festi sancti Laurencii, cepit cogitare de miraculis sancte sororis Salomee, que volebat populo predicare. Et volens magis esse certus, optavit, si Dominus celi in ipso aliquod miraculum ostenderet meritis sancte Salomee, utpote si serpens eum lederet, sed nullum dolorem nec mortem ei inferret. Hec eo cogitante per viam, ecce serpens maximus ascendit pedem eius; sed predictus frater frigiditatem sensit et serpentem non vidit; frater autem quidam sequens eum vidit serpentem pedem eius complectentem et exclamavit ad ipsum, ostendens ei serpentem super pedem. Qui continuo deiecto serpente illesus apparuit et breviter ipsum miraculum, quod in ipso contigerat, populo predicavit in villa supradicta in festo sancti Laurencii, presente supradicto comite Iaxicone et aliis. 32. Item anno Domini MoCCoLXXII VIII Idus Marcii [feria] tercia, in civitate Cracoviensi quedam mulier, nomine Gertrudis, uxor Hermani, civis Cracoviensis, laboravit in partu duobus diebus nec parere poterat eo, quod puer non habebat ordinatum modum nascendi; vidensque, quod nullo subsidio obstetricis poterat liberari, cepit invocare beatam virginem Mariam et sanctum Franciscum et sanctam Salomeam, cuius precibus et auxilio olim fuerat eciam a periculo partus liberata; et facto voto, [quod], si filius nasceretur, vocaret eum Franciscum, si vero puella, vocaret eam Salomeam, statim peperit filium, qui mox, ut natus est et baptizatus, mortuus est. Hec autem protestata est predicta mulier presentibus hiis: Hermano, viro suo, fratre Borislao lectore, fratre Vincencio sacerdote ordinis fratrum minorum et coram aliis pluribus.

86  87 

Deutschrechtliches Dorf 17 km nordwestlich von Oppeln. Das spätere Groß Strehlitz/Strzelce Opolskie, 32 km südöstlich von Oppeln.

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Salomea

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30. Ebenso ist im selben Jahr [1271] in dem Dorf Jamke86, im Herzogtum Oppeln, ein sehr kleines Mädchen von vielleicht zwei Jahren, die Tochter des Amtsträgers Jaksykon, dessen Frau Sophia heißt, nachdem ihre Eltern ein Gelübde für sie abgelegt hatten, durch die Verdienste der heiligen Salomea, der sie dieses [Mädchen] unter großem Weinen und Tränen demütig anvertraut hatten, zweimal von den Toten auferweckt worden.

31. Ebenso im selben Jahr [1271] ging Bruder Martin vom Orden der Minderbrüder nach Strzelce87, um anlässlich des Festes des heiligen Laurentius [= 10. August] zu predigen und er begann, über die Wunder der heiligen Schwester Salomea nachzudenken, die er dem Volk verkündigen wollte. Und weil er sich noch sicherer sein wollte, wünschte er, dass der Herr des Himmels an ihm selbst durch die Verdienste der heiligen Salomea irgendein Wunder zeigen möge, etwa wenn eine Schlange ihn verletzen, ihm aber weder Schmerz noch Tod bereiten würde. Als er das so auf seinem Weg erwog, siehe, da schlängelte sich eine sehr große Schlange an seinem Fuß empor; der genannte Bruder spürte zwar eine Kälte, sah [aber] die Schlange nicht; ein Bruder, der ihm folgte, sah jedoch, wie die Schlange seinen Fuß umschlang und rief ihm laut zu, wobei er ihm die Schlange auf seinem Fuß zeigte. Dieser warf sogleich die Schlange zu Boden, blieb unverletzt und predigte dem Volk kurz darauf im oben genannten Dorf am Festtag des heiligen Laurentius in Anwesenheit des oben erwähnten Amtsträgers Jaksykon und anderer [Leute] über eben dieses Wunder, das sich an ihm selbst ereignet hatte. 32. Ebenso lag im Jahr des Herrn 1272 am achten Tag vor den Iden des März [= 8. März], einem Dienstag, in der Stadt Krakau eine gewisse Frau namens Gertrud, die Gattin des Hermann, eines Krakauer Bürgers, zwei Tage lang in den Wehen und konnte nicht gebären, weil das Kind nicht die richtige Lage hatte, um geboren zu werden; und als sie sah, dass sie durch keinerlei Hilfe der Hebamme gerettet werden konnte, begann sie die heilige Jungfrau Maria und den heiligen Franziskus und die heilige Salomea anzurufen, durch deren Gebete und Hilfe sie schon einmal aus der Gefahr bei einer Geburt gerettet worden war. Nachdem sie das Gelübde abgelegt hatte, dass sie, sollte ihr ein Sohn geboren werden, diesen Franziskus nennen, sollte es aber ein Mädchen sein, dieses Salomea nennen würde, gebar sie auf der Stelle einen Sohn, der bald darauf, sobald er geboren und getauft worden war, starb. Und dies bezeugte die besagte Frau öffentlich in Anwesenheit folgender [Personen]: Hermann, ihrem Mann, dem Bruder und Lektor Borisław, dem Bruder und Priester des Ordens der Minderbrüder Vincentius sowie vor vielen anderen [Leuten].

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MoCCoLXXIIo,

33. Item eodem anno Nonis Martiis, die Lune, quidam bene probus homo Brathena de villa, que dicitur Victorovice88, Cracoviensis diocesis, infirmatus usque ad mortem fuit; nam apostema gravissime ita occupaverat guttur ipsius, quod nec comedere nec bibere poterat per VIII dies et facto voto ad sanctam Salomeam, quod vellet sepulcrum ipsius visitare, appositaque particula de velamine sancte Salomee, quo tegebat caput suum, ad predictum apostema, statim omnis dolor simul cum apostemate peciit superiorem partem capitis, et continuo liberatus est predictus homo ab omni infirmitate. Hoc autem attestabatur predictus Brathena et uxor eius Katherina coram fratre Borislao lectore et coram fratre Leonardo, predicatore ordinis fratrum minorum, et coram aliis in domo Cracoviensi, IIIIo Idus Aprilis in dominica, qua cantatur: Iudica me; eo enim die attulerat offertorium, quod voverat, ad sepulcrum sancte Salomee se oblaturum. 34. Item eodem anno circa festum penthecostes89, in Grodech maiori [de] civitate Bochnensi quidam civis, nomine Velizlaus, infirmatus fuit usque ad mortem; et cum iam de sola sepultura ipsius ageretur, delatus ad ecclesiam fratrum minorum et coram altari facto voto pro ipso ad sanctam Salomeam, quod sepulcrum ipsius visitaret, statim curatus est ab infirmitate. Hec idem Velislaus protestatus est coram fratre Raciborio sacerdote Bochnensi et coram Borislao, Iacobo, lectoribus ordinis fratrum minorum. 35. Item anno Domini MoCCoLXXIIo tempore quadragesime90 frater Andreas ordinis minorum de Monstrelich91, existens Cracovie, percussus est paralysi in parte sinistra corporis sui, a capite usque ad pedes. Qui statuens sue curacioni terminum [promisit, ut], si usque ad festum penthecostes92 mereretur curari ab hac infirmitate meritis et precibus sororis Salomee, vellet eam confiteri sanctam et sepulcrum eius vovit se visitaturum vel per se vel per aliam personam. Et mirum in modum, facto voto, plenam recepit sanitatem tocius sui corporis. Huius rei testes sunt frater Borislaus lector, frater Stanislaus antiquus, frater Bulimus antiquus, quibus suam sanitatem, quam recepit, aperuit et aliis pluribus.

Dorf 12 km nordöstlich von Krakau. Pfingstsonntag fiel 1272 auf den 12. Juni. 90  Die Fastenzeit währte im Jahr 1272 vom 9. März bis 21. April. 91  Welcher Franziskanerkonvent sich hinter dieser offenbar verderbten Schreibung verbirgt, bleibt unklar. 92  Vgl. Anm. 89. 88  89 

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33. Ebenso war im selben Jahr 1272, an den Nonen des März [= 7. März], einem Montag, der recht tüchtige Mann Brathena aus dem Dorf, das Wiktorowice88 genannt wird und zur Diözese Krakau [gehört], todkrank; denn ein Geschwür hatte seinen Hals so schlimm befallen, dass er acht Tage lang weder essen noch trinken konnte. Nachdem er der heiligen Salomea das Gelübde abgelegt hatte, dass er ihre Grabstätte besuchen wolle, und ein kleines Stück vom Schleier der heiligen Salomea, mit dem sie ihr Haupt bedeckte, auf das besagte Geschwür gelegt hatte, zog sich der ganze Schmerz zusammen mit dem Geschwür sogleich in den oberen Teil des Kopfes zurück und unverzüglich war der besagte Mann von jeglicher Krankheit geheilt. Dies aber bezeugten der genannte Brathena und seine Frau Katherina vor dem Bruder und Lektor Borisław und vor dem Bruder Leonhard, einem Prediger des Ordens der Minderbrüder, und vor anderen im Krakauer Haus [des Ordens] am vierten Tag vor den Iden des April [= 10. April], einem Sonntag, an dem gesungen wird: „Richte mich“. Denn an diesem Tag hatte er das Opfer dargebracht, das er zum Grab der heiligen Salomea zu bringen versprochen hatte. 34. Ebenso im selben Jahr [1272] um das Pfingstfest89 herum war in Groß-Grodek, nahe der Stadt Bochnia, ein gewisser Bürger namens Welisław todkrank; und als bereits nur noch von seiner Beisetzung die Rede war, wurde er in die Kirche der Minderbrüder gebracht. Und nachdem er vor dem Altar der heiligen Salomea das Gelübde abgelegt hatte, dass er ihre Grabstätte besuchen wolle, wurde er sogleich von seiner Krankheit geheilt. Dies hat eben dieser Welisław vor Bruder Racibór, dem Priester von Bochnia, und den Lektoren des Ordens der Minderbrüder Borisław [und] Jakob öffentlich bezeugt. 35. Ebenso im Jahr des Herrn 1272 wurde in der Fastenzeit90 der Bruder Andreas vom Orden der Minder[brüder] von Monstrelich91, als er sich in Krakau aufhielt, von einer Lähmung der linken Seite seines Körpers geschlagen, die vom Kopf bis zu den Füßen [ging]. Indem er für seine Heilung eine Frist setzte, [versprach er, dass er], wenn er es verdiene, bis zum Pfingstfest92 durch die Verdienste und Gebete der Schwester Salomea von dieser Krankheit geheilt zu werden, er sie als Heilige bekennen wolle, und er versprach, dass er ihre Grabstätte besuchen werde, sei es selbst oder durch eine andere Person. Und nachdem er das Gelübde abgelegt hatte, erlangte er auf wunderbare Weise die volle Gesundheit seines ganzen Körpers zurück. Zeugen dieses Ereignisses sind der Bruder und Lektor Borisław, der alte Bruder Stanisław, der alte Bruder Bulim, denen er seine wiedererlangte Gesundheit offenbarte, sowie viele andere [Personen].

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MoCCoLXXIIIo

36. Item anno [Domini] tempore quadragesime93, circa festum annunciacionis beate Virginis, idem frater Andreas, in domo Cracoviensi existens, percussus est infirmitate in pectore et in toto corpore ita, quod abegrediens a stomacho eius videbatur velle stringere vias gutturis eius. Qui solita oracione, quam fecerat ad honorem sancte Salomee, quam ab eo tempore, ex quo sanatus fuit a paralysi, dicebat singulis diebus, recurrit ad auxilium sancte Salomee, statuens tempus et spacium sue salutis, quod infra IIIIor dies deberet restitui sanitati ab eadem, et statim fuit restitutus plenissime sanitati. Qui cum factum occultasset a fratribus, apparuit ei soror Salomea cum duabus virginibus, miris vestibus adornata et nescio, quis dicebat: Iste est novus ordo et habitus virginum. Et erat lux admirabilis circa Salomeam et circa predictas virgines. Dicebat eciam, nescio quis, predicto fratri Andree: Si tu occultas et celas, quando fratres scient? sed nichil addebat, quid esset illud, quod occultaret. Et statim surgens, dixit suam curacionem et visionem fratri Borislao lectori et fratri Stanislao confessori suo et aliis etc. 37. Sub anno domini MoCCoLXXIIIo, quidam nobilis homo Dobrogost, filius Pribislai, filiaster Laurencii94 habebat […].95

Die Fastenzeit währte im Jahr 1273 vom 22. Februar bis 6. April. Oben VII, 12 wird Przybysław als Sohn des Laurentius bezeichnet. 95  Hier bricht der Text in der Handschrift von 1401 (f. 24v) ab; Wojciech Kętrzyński [Vita sanctae Salomeae (wie Anm. 25), S. 664] vermutet, dass „nicht nur ein Blatt, sondern wahrscheinlich ein ganzes ‚Heft‘ fehlt.“ 93  94 

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36. Ebenso im Jahr [des Herrn] 1273 war in der Fastenzeit93, um das Fest der Ver-

kündigung der heiligen Jungfrau [= 25. März] herum, eben dieser Bruder Andreas, während er sich im Krakauer Haus [des Ordens] aufhielt, in Brust und ganzem Körper so stark von einer Krankheit geschlagen, dass es schien, sie wolle von seinem Bauch ausgehend die Wege seines Halses zusammenschnüren. Mit einem gewohnten Gebet, das er zu Ehren der heiligen Salomea sprach [und] das er von der Zeit an, da er von der Lähmung geheilt war, jeden einzelnen Tag sprach, nahm er Zuflucht zur Hilfe der heiligen Salomea, setzte Zeitpunkt und Moment seiner Heilung fest, [nämlich] dass er innerhalb von vier Tagen von derselben in seiner Gesundheit wiederhergestellt werde, und sogleich war er zur vollsten Gesundheit wiederhergestellt. Da er das Ereignis vor den Brüdern verheimlichte, erschien ihm die Schwester Salomea mit zwei Jungfrauen, die mit wunderbaren Gewändern bekleidet waren, und irgendjemand sagte: „Dies ist die neue Ordnung und der neue Habit der Jungfrauen.“ Und ein wunderbares Licht umgab Salomea und die vorgenannten Jungfrauen. Auch sagte irgendjemand zum besagten Bruder Andreas: „Wenn du es verheimlichst und verbirgst, wann werden es [dann] die Brüder erfahren?“ Doch fügte er nicht hinzu, was [denn] jenes sei, das er verberge. Und sofort erhob er sich und erzählte dem Bruder und Lektor Borisław und dem Bruder Stanisław, seinem Beichtvater, und anderen von seiner Heilung und Vision etc. 37. Im Jahr des Herrn 1273 hatte der vornehme Mann Dobrogost, ein Sohn des Przybysław, der Stiefsohn94 des Laurentius […].95

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Kinga/Kunegunda Die historische Gestalt Die ungarische Königstochter Kunegunt, die in Polen Kunegunda, vor allem aber Kinga genannt wurde, war das dritte oder vierte von neun oder zehn Kindern Belas IV. und seiner byzantinischen Ehefrau Maria.1 Ihr Geburtsdatum hat Jan Długosz 1473 fälschlich in das Jahr 1204 gelegt2, der Bollandist Peter Boschius 1727 in das Jahr 12243, während die moderne polnische Mediävistik die Angaben polnischer Annalen für glaubwürdig hält und vom Jahr 1234 ausgeht.4 Im Rahmen der ungarischen Bemühungen, das piastische Polen als Verbündeten für eine árpádische Vormachtstellung im östlichen Mitteleuropa zu gewinnen, die bereits der Eheschließung von Belas Bruder Koloman mit der Piastin Salomea zugrunde lagen und denen um 1256 auch die Ehe einer Schwester KinÜberblicke zur Person bei Zofia Kozłowska, Kunegunda, in: PSB 16 (1971), S. 186–189; Maria H. Witkowska/Romuald Gustaw, Kinga-Kunegunda, in: HP 1, S. 757–779, bes. S. 757–765; Aleksandra Witkowska, Bł. Kinga w średniowiecznych przekazach hagiograficznych [Die sel. Kinga in den mittelalterlichen hagiographischen Erzählungen], in: Dies., Sancti Miracula Peregrinationes. Wybór tekstów z lat 1974–2008, Lublin 2009, S. 43–53 [ursprünglich 1986]; Ludwik Kowalski/Stanisław Fischer, Santa Cunegonda o Kinga dell’ordine di s. Chiara già duchessa di Cracovia e Sandomierz (1234–1292), Roma 1999; Barbara Kowalska, Święta Kinga – rzeczywistość i legenda. Studium źródłoznawcze [Die heilige Kinga – Wirklichkeit und Legende. Eine quellenkundliche Studie], Kraków 2008, S. 14–21, 121–136, 363–366 (zu den auf Originalurkunden gestützten sicher belastbaren Aussagen über Kingas Leben); Maciej Michalski, Kobiety i świętość w żywotach trzynastowiecznych księżnych polskich [Frauen und Heiligkeit in den Viten polnischer Herzoginnen des 13. Jahrhunderts], Poznań 2004, S. 68–73; Hanna Krzyżostaniak, Trzynastowieczne święte kobiety kręgu franciszkańskiego Polski i Czech. Kształtowanie się i rozwój kultów w średniowieczu [Heilige Frauen des 13. Jahrhunderts aus dem Franziskanerkreis Polens und Böhmens], Poznań 2014, S. 54–57. 2  Ioannis Dlugossii Annales seu Cronicae incliti regni Poloniae. Liber quintus, Liber sextus, hrsg. von Danuta Turkowska, Varsavae 1973, S. 285 (zum Jahr 1239). 3  Acta Sanctorum Julii […]. Tomus V, Antwerpen 1727, S. 673; das Datum 1224 findet sich mitunter auch noch in jüngeren Darstellungen z. B. Gábor Klaniczay, Holy Rulers and Blessed Princesses. Dynastic Cults in Medieval Central Europe, Cambridge 2002, S. 439. 4  Die Argumente der polnischen Forschung bereits 1895 zusammengestellt von Oswald Balzer, Genealogia Piastów [Genealogie der Piasten], Kraków² 2005, S. 493–494. 1 

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gas, Jolenta, mit dem großpolnischen Herzog Bolesław dem Frommen dienen sollte, wurde Kinga 1239 mit dem Herzog von Sandomir und potentiellen Erben des Krakauer Thrones, Bolesław V., dem Schamhaften, vermählt – geht man von 1234 als Geburtsdatum aus: verlobt.5 Tatsächlich erlangte der Sohn Leszeks des Weißen und Bruder Salomeas 1243 als Sechszehnjähriger die Herrschaft über das Herzogtum Krakau. Bis dahin lebte das Paar in Sandomir, wo Kinga die Fürsorge ihrer Schwiegermutter Grzymisława und die Erziehung des Pädagogen Michul erfuhr. Der Überfall der Tataren zwang den Sandomirer Hof 1241 zur Flucht nach Krakau und von da nach Ungarn. Wann das Paar von dort nach Polen zurückgekehrt ist, bleibt unklar; möglicherweise erst 1243, nachdem der schärfste Rivale, Konrad I. von Masowien, besiegt war und Bolesław den Krakauer Thron einnehmen konnte. Der Hof residierte, da Krakau und Sandomir von den Tataren verheert worden waren, zunächst in Korczyn, das auf halbem Weg zwischen den beiden Vororten des Herzogtums lag. Auch später, nachdem Krakau wiederhergestellt war, hielt sich das Herzogspaar häufiger dort auf. Als Ehefrau des Herzogs von Krakau und Sandomir war Kinga neben ihrer Schwiegermutter Grzymisława in ungewöhnlich starkem Maße an der Herrschaftsausübung beteiligt. Seit 1255 trat sie neben dieser und dem Herzog in zahlreichen Urkunden als Mitausstellerin auf; in anderen Urkunden wurde ausdrücklich auf ihre Zustimmung zu den getroffenen Entscheidungen verwiesen. Später stellte sie Urkunden auch allein aus.6 Als Herzogin besaß sie in Krakau, später in Sandez eine eigene Hofhaltung mit eigenen Amtsträgern und führte ein eigenes Siegel.7 Als Tochter des ungarischen Königs, die gelegentlich zu den Eltern nach Esztergom und Buda reiste, dürfte Kinga zur Festigung der piastisch-árpádischen Beziehungen beigetragen haben; sicher hat sie die Verheiratung ihrer Schwester Jolenta nach Großpolen unterstützt, vielleicht auch bei der Anwerbung ungarischer Fachleute für den kleinpolnischen Salzbergbau mitgewirkt.8 Zum Kontext dieser dynastischen Verbindung vgl. Wojciech Kozłowski, The Marriage of Bolesław of the Piasts and Kinga of the Arpads in 1239 in the Shadow of the Mongol Menace, in: ,In my spirit and thought I remained a European of Hungarian origin.‘ Medieval historical studies in memory of Zoltan J. Kosztolnyik, hrsg. von István Petrovisc u. a., Szeged 2010, S. 79–99. 6  Die entsprechenden Urkunden angegeben bei Kowalska, Święta Kinga (wie Anm. 1), S. 27; vgl. auch Piotr Rabiej, Die Legitimierung der Herrschaft Bolesław des Schamhaften, Herzog von Krakau im Lichte seiner Urkunden, in: Legitimation von Fürstendynastien in Polen und dem Reich. Identitätsbildung im Spiegel schriftlicher Quellen (12.–15. Jahrhundert), hrsg. von Grischa Vercamer/Eva Wółkiewicz, Wiesbaden 2016, S. 263–276, hier S. 269–271, der einen Grund für Kingas ungewöhnlich starke urkundliche Präsenz in ihrer „starken und unabhängigen Position sowie der Autorität“ ihrer Persönlichkeit sieht. 7  Kowalska, Święta Kinga (wie Anm. 1), S. 128. 8  Letztere Vermutung stützt sich allerdings lediglich auf die in der Vita selbst verbreitete Legende, s. unten S. 398–399 (Kap. 10); vgl. Józef Piotrowicz, Górnictwo solne w Małopolsce w 5 

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Unter dem Einfluss der Krakauer Franziskaner, aber auch ihrer Tante Salomea, der Stifterin des ersten polnischen Klarissenkonvents, wurde schon die junge Kinga stark von den Strömungen der neuen Frömmigkeit erfasst. Möglicherweise hat sie sich bereits zu Lebzeiten ihres Mannes dem so genannten dritten franziskanischen Orden angeschlossen. Jedenfalls förderte sie gemeinsam mit ihrem Ehemann die kleinpolnischen Bettelorden9 und soll sich nach Aussage ihrer Vita auch für die Kanonisation des heiligen Stanisław eingesetzt haben.10 1257 übertrug ihr Bolesław als Gegenleistung für die von ihr in die Ehe eingebrachte umfangreiche Mitgift, aus der sich der Herzog erhebliche Geldmengen borgen musste, das im Grenzgebiet zum Königreich Ungarn gelegene Sandezer Land.11 Als faktisch eigenständige Herrin von Sandez kümmerte sich Kinga fortan intensiv um die wirtschaftliche Entwicklung der Region und intensivierte mit einer Reihe von Reformmaßnahmen nicht zuletzt den Landesausbau.12 Nach dem Tod Bolesławs zog sie sich in der ersten Jahreshälfte 1280 mit ihrem Hof ganz nach Sandez zurück, wo sie ein Klarissenstift gründete, in das sie selbst eintrat. Dabei musste sie sich gegen den Widerstand Leszeks II., des Schwarzen und Neffen ihres verstorbenen Mannes, durchsetzen. Dieser hatte, da Kinga und Bolesław kinderlos geblieben waren, den Krakauer Thron übernommen und war bestrebt, auch das Sandezer Land in seine Verfügungsgewalt zu bringen. Da eine Klostergründung angesichts der für seine Ausstattung erforderlichen Schenkungen dem weltlich-herzoglichen Zugriff Ländereien und Prärogativen zu entziehen drohte, suchte Leszek auch die – wohl schon länger vorbereitete – Klostergründung zu verhindern. Kinga wiederum dachte nicht daran, den Klostereintritt mit einem vollständigen Rückzug aus dem weltlichen Herrschaftsgeschäft zu verbinden. Sie agierte – nicht zuletzt, um ihre Klostergründung und weitere kirchliche Institutionen materiell gut versorgen zu können – weiterhin als Grundherrin und u ­ rkundete

czasach księżnej Kingi – jego legendarne i rzeczywiste początki [Der Salzbergbau in Kleinpolen zur Zeit der Herzogin Kinga – seine legendären und wirklichen Anfänge], in: Studia i Materiały do Dziejów Żup Solnych w Polsce 18 (1994), S. 9–26. 9  Barbara Kowalska, Bolesław Wstydliwy i św. Kinga a ruch franciszkański [Bolesław der Schamhafte und die hl. Kinga und die Franziskanerbewegung], in: Mendykanci w średniowiecznym Krakowie, hrsg. von Krzysztof Ożóg u. a., Kraków 2008, S. 97–112. 10  Auch diese Aussage ist nur in der Vita Kingae selbst überliefert, während andere Quellen, auch die Vita maior Stanislai nichts von einer solchen Unterstützung wissen. 11  KDM II, Nr. 452. 12  Ausführlich hierzu Anna Rutkowska-Płachcińska, Sądeczyzna w XIII i XIV wieku. Przemiany gospodarcze i społeczne [Das Sandezer Land im 13. und 14. Jahrhundert. Wirtschaftliche und gesellschaftliche Wandlungen], Wrocław u. a. 1961, bes. S. 34–54; Marek Barański, Dominium sądeckie. Od książęcego okręgu grodowego do majątku klasztoru klarysek sądeckich [Das Dominium Sandez. Vom herzoglichen Burgbezirk zum Klosterbesitz der Sandezer Klarissen], Warszawa 1992, bes. S. 96–105.

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nun ausdrücklich als Herzogin oder Herrin von Sandez („ducissa de Sandecz“/ „domina de Sandech“).13 Der Konflikt, in dem der Krakauer Bischof Paul von Przemanków zu vermitteln suchte, zog sich einige Jahre hin.14 Doch konnte Kinga bereits im Sommer 1280 einen Teilerfolg erzielen, eine Verständigung über die Klostergründung herbeiführen und an die Realisierung ihrer Sandezer Stiftung gehen15, für die sie im Juli 1283 auch eine päpstliche Besitzbestätigung erhielt.16 Als Klarisse („soror ordinis sancti Francisci“) wird sie erstmals zu Beginn des Jahres 1281 in einer Urkunde des Krakauer Bischofs bezeichnet17; dass sie das Ordensgelübde abgelegt hat, ist allerdings erst für 1289 belegt.18 Zu diesem Zeitpunkt dürfte sie ihren Herrschaftsanspruch über das Sandezer Land bereits an Gryfina, die Witwe des Ende September 1288 gestorbenen Leszek, abgetreten haben.19 Gegen Ende Ihres Lebens, in der letzten von ihr ausgestellten Urkunde bezeichnete sie sich am 28. Mai 1292 nur noch als „einstige Herzogin von Krakau und Sandomir, jetzt bescheidene Dienerin Christi im Habit des heiligen Franziskus in Sandez“ („quondam ducisse Cracouie et Sandomirie, nunc humili Christi famule sub habitu sancti Francisci apud Sandec“).20 In ihrem Kloster hat sie zu keinem Zeitpunkt ein herausgehobenes Amt übernommen, aber als Königstochter und Herzogswitwe selbstverständlich de facto das Sagen gehabt. Im September 1291 erkrankte sie, blieb längere Zeit leidend und verstarb in ihrem Kloster am 24. Juli 1292, in dessen Klosterkirche sie auch beigesetzt wurde. KDM II, Nr. 511, 513. Bronisław Włodarski, Polityczna rola biskupów krakowskich w XIII wieku [Die politische Rolle der Krakauer Bischöfe im 13. Jahrhundert], in: NP 27 (1967), S. 29–62, hier S. 53–55; Barbara Kowalska, Biskup krakowski Paweł z Przemankowa a klasztor klarysek w Starym Sączu [Der Krakauer Bischof Paul von Przemanków und das Klarissenkloster in Alt Sandez], in: Prace naukowe Akademii im. Jana Długosza w Częstochowie. Zeszyty Historyczne 10 (2009), S. 29–42, bes. S. 34–37, 41–42; Paweł Żmudzki, Studium podzielonego królestwa. Książę Leszek Czarny [Eine Studie über das geteilte Königreich. Der Herzog Leszek der Schwarze], Warszawa 2000, S. 310– 346. 15  Die Stiftungsurkunde vom 6. Juli 1280 ist lediglich in einer Abschrift aus dem 17. Jahrhundert überliefert (KDM II, Nr. 487), doch belegt eine Originalurkunde des römischen Kardinals Matthäus, dass das Kloster im Sommer 1281 in Betrieb war; KDM I, Nr. 99. Zur Klostergründung vgl. auch Bolesław Kumor, Fundacja starosądeckiego klasztoru i parafie na Sądecczyźnie fundowane przez pp. Klaryski [Die Stiftung des Alt Sandezer Klosters und die von den Klarissen im Sandezer Land gestifteten Pfarrgemeinden], in: Tarnowskie Studia Teologiczne 1987, 10, S. 157–164. 16  KDM II, Nr. 496. 17  KDM II, Nr. 491. 18  KDM II, Nr. 512 und 513. 19  Gryfina begegnet allerdings erst ab 1292 auch als „Herrin von Sandez“; KDM II, Nr. 518, 523–526, 532. 20  KDM II, Nr. 519. 13  14 

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Zur Entwicklung des Kultes Die Sandezer Klarissen haben der Verstorbenen von Anfang an ein besonderes Andenken bewahrt und ihre Grabstätte sicherlich sogleich zum Ort einer besonderen Verehrung erhoben. Doch erst zum Jahr 1307 scheint ein erstes, an diesem Grab durch Intervention der Verstorbenen geschehenes Wunder notiert worden zu sein. Kurz zuvor hatte der kujawische Herzog Władysław Łokietek den Krakauer Thron erobert und es scheint seine Ehefrau Jadwiga, die damit den Titel „Herrin von Sandez“ erlangt hatte, gewesen zu sein, die erste Bemühungen zur Begründung eines Kinga-Kultes unternommen hat. Nach 1317/1320 hat dann ein unbekannter Franziskaner in Sandez eine erste Lebensbeschreibung verfasst, die im Jahr 1329 ein anderer unbekannter Franziskaner um einen Katalog mit den für die Jahre 1307–1312 bezeugten Wunder ergänzt hat. Zu einem regelrechten Kanonisationsverfahren ist es damals allerdings noch nicht gekommen; der Kult blieb regional begrenzt und erst Jahrzehnte später, zu Beginn des 15. Jahrhunderts notierte man erstmals wieder neue Wunder, die dem Wirken Kingas zugeschrieben wurden. Diese für die Jahre 1405–1471 bezeugten Wunder hat Jan Długosz 1471–1473 mit dem älteren Wunderkatalog und einer eigenen Version der Lebensbeschreibung zu einem gänzlich neuen Werk zusammengeführt.21 Dieses hat er dem Krakauer Bischof Jakob von Sienno gewidmet. Die damit verbundene Hoffnung, der Kirchenmann werde Bemühungen um eine Kanonisation der Gerühmten unternehmen, erfüllten sich jedoch nicht. Immerhin führte der Druck einer polnischen Übersetzung von Długoszs Vita be­ atae Kunegundis im Jahr 1617 zu einer Belebung des Kinga-Kultes und 1628 zur Einsetzung einer polnischen Untersuchungskommission. Diese unterzog die vorliegenden Berichte über die dem Wirken Kingas zugeschriebenen Wunder, die 1532–1559 im Sandezer Klarissenstift um weitere Wunderaufzeichnungen ergänzt worden waren, einer eingehenden Prüfung. Das Ergebnis veranlasste König Sigismund III., dem Papst eine förmliche Bitte um Kanonisation vorzulegen. Doch befand die zuständige Ritenkongregation die nach Rom übersandten Akten als nicht genügend. Erst 1683 wurde auf Bitten König Jan III. Sobieskis in Rom ein erneutes Kanonisationsverfahren eingeleitet, das am 11. Juni 1690 mit der päpstlichen Bestätigung der Seligsprechung einen vorläufigen Erfolg erzielte. Nachdem die Ritenkongregation Kinga 1715 auch zur Patronin Polens und Litauens erhoben hatte und 1733 in Sandez weitere Wunder aufgezeichnet worden waren, folgten zunächst 1742–1749, dann 1883–1905, 1936 und 1946 weitere erfolglose 21  Vita beatae Kunegundis, hrsg. von Ignatius Polkowski/Żegota Pauli, in: Joannis Dlugossii Senioris Canonici Cracoviensis opera omnia. Vol. 1, Cracoviae 1887, S. 183–356; BHL Nr. 4668. Vgl. auch Barbara Kowalska, Jak Jan Długosz zmieniał Żywot św. Kingi [Wie Jan Długosz die Vita der hl. Kinga verändert hat], in: Piśmiennictwo sakralne w dziejach Polski do końca XVIII wieku na tle powszechnym, hrsg. von Stanisław Bułajewski u. a., Józefów 2012, S. 171–182.

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Lebensbeschreibung und Wunderberichte

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Bemühungen um eine Heiligsprechung. Erst in den 1990er Jahren war ein erneuter Anlauf erfolgreich, so dass Papst Johannes Paul II. anlässlich seines siebten Papstbesuches in Polen Kinga am 16. Juni 1999 schließlich zur Heiligen erhob.22 Lebensbeschreibung und Wunderberichte Wie der anonyme Verfasser der mittelalterlichen Vita in seinem Vorwort schrieb, seien es die „sehr große Beharrlichkeit und der Eifer der Bitten meiner Herrinnen, der Schwestern vom Haus in Sandez“ gewesen, die ihn dazu bewegt hätten, eine „vollständige Zusammenstellung“ von Kingas Leben zu unternehmen. Der Autor dürfte demnach mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Sandezer Franziskaner, wohl einer der Beichtväter oder Kaplane der Sandezer Klarissen gewesen sein.23 Dass er seinen Text zwischen 1317/20 und 1329 verfasst hat, hat die Forschung zum einen aus dem Umstand gefolgert, dass er den Bischof von Toulouse, den 1317 heilig gesprochenen Enkel König Belas IV., Ludwig, bereits als Heiligen (sanctus) 22  Zur Entwicklung des Kultes und den Bemühungen um eine Kanonisation vgl. Witkowska/ Gustaw, Kinga-Kunegunda (wie Anm. 1), S. 766–772; Kazimierz Szwarga, Kult liturgiczny bł. Kingi w Polsce [Der liturgische Kult der sel. Kinga in Polen], in: Roczniki Teologiczno-Kanoniczne 18 (1971), 4, S. 53–86; Łukasz Walczyk, Kult bł. Kingi w małopolskich ośrodkach górnictwa solnego [Der Kult der sel. Kinga in den kleinpolnischen Zentren des Salzbergbaus], in: Studia i Materiały do Dziejów Żup Solnych w Polsce 18 (1994), S. 27–36; Ryszard Banach, Grób i relikwie bł. Kingi w ciągu dziejów [Das Grab und die Reliquien der sel. Kinga im Lauf der Geschichte], ebd., S. 47–52; Stanisław Salaterski, Z dziejów kultu bł. Kingi w Sądecczyźnie [Aus der Geschichte des Kultes der sel. Kinga im Sandezer Land], in: Rocznik Sądecki 22 (1994), S. 189–205; Dorota Anna Kulasówna, Kult i legenda o Kindze [Kult und Legende von Kinga], in: Z Dziejów Średniowiecznej Europy Środkowowschodniej, hrsg. von Jan Tyszkiewicz, Warszawa 1998, S. 59– 70; Marian Kanior, Kult bł. Kingi na ziemi krakowskiej w ciągu wieków [Der Kult der sel. Kinga im Krakauer Land im Verlauf der Jahrhunderte], in: Studia i Materiały do Dziejów Żup Solnych 21 (2001), S. 239–256; Elżbieta Kalwajtys; Świadectwa kultu świętej Kingi w górnictwie solnym [Zeugnisse des Kultes der heiligen Kinga im Salzbergbau], ebd. 257–272; Szymon Swoboda, Średniowieczne relikty kultu św. Kingi. Historia i aranżacja kaplicy św. Kingi przy kościele klasztornym sióstr klarysek w Starym Sączu [Mittelalterliche Relikte des Kultes der hl. Kinga. Geschichte und Dekoration der Kapelle der hl. Kinga in der Klosterkirche der Klarissenschwestern in Alt Sandez], in: Varia Mediaevalia. Studia nad średniowieczem w 1050. rocznicę Chrztu Polski, hrsg. von Kirył Marinow u. a., Łódź 2016, S. 193–208. 23  Zur Vita vgl. die Einführung des Herausgebers in: Vita et Miracula sanctae Kyngae ducissae Cracoviensis, hrsg. von Wojciech Kętrzyński, in: MPH 4, Lwów 1884 [Nachdruck: Warszawa 1961], S. 662–744, bes. S. 676, 680–682; Maria H. Witkowska, ‘Vita sanctae Kyngae ducissae cracoviensis‘ jako źródło hagiograficzne [‘Die Vita der heiligen Kinga, der Herzogin von Krakau’ als hagiographische Quelle], in: RHum 10 (1961), 2, S. 41–166; Michalski, Kobiety (wie Anm. 1), S. 48–53; Kowalska, Święta Kinga (wie Anm. 1), S. 217–238; Krzyżostaniak, Trzynastowieczne święty (wie Anm. 1), S. 139–141, 147–148, 151–152, 179–180.

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Kinga/Kunegunda

bzw. den 1320 zum König gekrönten Władysław Łokietek als rex titulierte.24 Zum anderen geht sie davon aus, dass die Vita bereits jenem Franziskaner bekannt gewesen sei, der 1329 einen gesonderten Katalog der Kinga zugeschriebenen Wunder angelegt hat. Schließlich wird darauf verwiesen, dass die Vita zumindest von einer Mitlebenden der Kinga berichtet (Kap. 28), die zum Zeitpunkt der Abfassung „noch immer lebt[e]“; auch die übrigen Wunderschilderungen der Vita erwecken den Eindruck, als seien sie relativ bald nach Kingas Tod aufgezeichnet worden. Die Vita umfasst nach einem Prolog, der eine gewisse Gelehrsamkeit und rhetorische Schulung erkennen lässt, 68 Kapitel. Im Vergleich zu den Anna und Salomea gewidmeten Lebensbeschreibungen fällt sie deutlich umfangreicher aus. Wie diese sucht sie dem Leser (bzw. seinerzeit dem Hörer) die Heilige einerseits als historische Gestalt (Königstochter und Herzogin) nahezubringen, sie ihm andererseits aber vor allem als vorbildliche Christin vor Augen zu stellen, die mit ihrem Lebenswandel das Ideal der franziskanischen Frömmigkeit erfüllt und dank ihrer Fürsorglichkeit und Vorbildlichkeit bereits zu Lebzeiten Wunder gewirkt habe. Das geschieht naheliegenderweise in einer den zeitgenössischen hagiographischen Mustern verhafteten Art, die gleichwohl manche Einblicke in zeitgenössische soziale und mentale Realitäten eröffnet.25 Inhaltlich wie chronologisch folgt die Vita einer nicht allzu strengen Ordnung und erweckt oft den Eindruck einer wenig durchdachten Komposition. Dazu tragen nicht zuletzt jene Passagen (in den Kapiteln 39, 45, 63) bei, die mehr oder weniger direkte Wiederholungen von bereits an anderer Stelle gebotenen Erzählungen darstellen. Diese Passagen werden wohl zurecht als spätere Hinzufügungen gedeutet, von denen allerdings unklar ist, von wem und zu welchem Zeitpunkt sie in den Text der ursprünglichen Vita interpoliert worden sind. Möglicherweise stammen sie bereits vom Verfasser des 1329 zusammengestellten Wunderkatalogs, der vielleicht auch die ursprüngliche Vita einer ersten Überarbeitung unterzogen hat; vielleicht sind die fraglichen Passagen aber auch erst von späteren Kopisten auf der Grundlage anderer Überlieferungen ergänzt worden.26 Dabei wird zurecht gelegentlich darauf verwiesen, dass die zeitgenössische Verwendung des Adjektivs sanctus nicht zwingend eine Kanonisation der so charakterisierten Person belege, weshalb oft nur der zweite ‚Beleg‘ akzeptiert und der terminus post quem mit 1320 angegeben wird. Allerdings kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass der Königstitel eine nachträgliche Interpolation späterer Kopisten war. 25  Vgl. Barbara Kowalska, Czego bali się ludzie w średniowieczu? [Wovor haben sich Menschen im Mittelalter gefürchtet?], in: Sivis pacem, para bellum. Bezpieczeństwo i polityka Polski. Księga jubileuszowa ofiarowana Profesorowi Tadeuszowi Dubickiemu, hrsg. von Robert Majzner, Częstochowa-Włocławek 2013, S. 1073–1084, die die Vita auf die Frage hin analysiert, wovor sich im Mittelalter Menschen gefürchtet haben. 26  Vgl. Witkowska, Vita sanctae (wie Anm. 23), S. 53. 24 

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Handschriften und Edition

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Der schon mehrfach angesprochene Wunderkatalog (die Miracula) stellen, auch wenn die Handschriften sie mit der Vita als einen zusammenhängenden Text präsentieren, eine eigenständige hagiographische Quelle dar.27 Die 21 von einem Prolog und einem Schluss gerahmten Wunderaufzeichnungen bilden ein kompositorisches Ganzes, dass ganz offensichtlich unabhängig von der Vita aufgezeichnet oder – auf der Grundlage einer älteren Aufzeichnung – redigiert worden ist. Das geschah, wie der anonyme Verfasser (oder Redakteur) selbst festhielt, im Jahr 1329 und wahrscheinlich in Kenntnis der wenige Jahre zuvor verfassten Vita. Dabei datierte er das chronologisch erste Wunder in das Jahr 1307, das letzte als Einzelereignis aufgeführte Wunder in das Jahr 1312; die zwischen 1312 und 1329 beobachteten Wunder fasste er am Schluss lediglich summarisch zusammen. Auch dies bekräftigt die Vermutung, dass seinen ausführlichen Schilderungen der in den Jahren 1307–1312 geschehenen Wunder ältere, nahe am Zeitpunkt der jeweiligen Wunder gemachte Aufzeichnungen („Protokolle“?) zugrunde gelegen haben dürften.28 Über die Person des Verfassers/Redakteurs des 1329 abgeschlossenen Wunderkatalogs ist nichts bekannt, doch dürfte es sich gewiss um einen polnischen Geistlichen, wahrscheinlich um einen Franziskaner gehandelt haben. Auch der Ort, an dem er die Aufzeichnung niedergeschrieben oder redigiert hat, lässt sich nicht ermitteln; doch dürfte auch hier die Vermutung naheliegen, dass er in der Nähe der Grabstätte Kingas, d. h. im Umfeld des Sandezer Klarissenstiftes gelegen haben dürfte. Unklar bleibt, was die Verfasser der Vita und der Miracula in den 1320er Jahren konkret dazu veranlasst hat, die ihnen aus älteren Aufzeichnungen und mündlicher Überlieferung greifbaren Informationen über das Leben und Wirken Kingas aufzuzeichnen. Keine anderen Quellen bieten irgendwelche Hinweise darauf, dass die Krakauer Kirche oder die Sandezer Klarissen bereits zu diesem Zeitpunkt ein regelrechtes Kanonisationsverfahren angestrebt und eingeleitet hätten. Handschriften und Edition Jan Długosz hatte bei der Abfassung seiner Vita beate Cunegundis 1571–1573 eine damals bei den Klarissen in Sandez aufbewahrte, später verloren gegangene Ab27  Als solche ausführlich untersucht von Aleksandra Witkowska, Miracula małopolskie z XIII i XIV wieku. Studium żródłoznawcze [Die kleinpolnischen Miracula des 13. und 14. Jahrhunderts. Eine quellenkundliche Studie], in: RHum 19 (1971), 2, S. 29–161, bes. S. 55–57, 77–81, 98. 28  Witkowska, Miracula (wie Anm. 27), S. 36, 39 und dies., Bł. Kinga (wie Anm. 1), S. 43 geht davon aus, dass die erste Aufzeichnung der Wunder unmittelbar in den Jahren 1307–1312 in Form eines „Protokolls“ durch ein „Büro der Wunder“ erfolgt sei; solche „eigentümlichen Kanzleien“ hätten in der zweiten Hälfte des 13. und frühen 14. Jahrhunderts an den Grabstätten Jaceks, Salomeas und Kingas bestanden.

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schrift der ursprünglichen Vita herangezogen.29 Diese ursprüngliche Vita ist im Original nicht erhalten geblieben. Ihr Text ist heute nur noch in drei Handschriften überliefert. Die älteste Handschrift stammt aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, war im 16. bis frühen 18. Jahrhundert noch im Besitz des Krakauer Klarissenklosters und enthält neben der Vita Kingae einschließlich der Miracula (fol. 1r-72v = Handschrift I) auch die Vita Salomeae.30 Ein in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts datierter Papierkodex, der sich 1684 noch in der Bibliothek der Pfarrkirche von Nowy Korczyn befand, bietet lediglich die Vita ohne die Miracula (= Handschrift II).31 Beide Handschriften waren Abschriften von einer Abschrift, die ihrerseits auf eine im Jahr 1401 beendete Abschrift zurückging, die einst den Krakauer Franziskanern gehörte und ihrerseits offenbar nicht vom Original, sondern von einer weiteren Abschrift erstellt worden war. Die 1401 beendete Abschrift war zugleich die unmittelbare Vorlage für den Text der dritten überlieferten Version, die sich in einem bis heute im Krakauer Klarissenkloster bewahrten Folianten des 17. Jahrhunderts erhalten hat. In ihm wurden Materialien des in den 1620er Jahren verhandelten Kanonisationsverfahrens zusammengestellt, darunter neben der Vita beate Cunegundis des Jan Długosz auch die mittelalterliche Vita Kingae samt der Miracula (= Handschrift III).32 Da Handschrift III wahrscheinlich direkt von der 1401 vollendeten Vorlage abgeschrieben wurde, die Handschriften I und II aber nur mittelbar auf diese zurückgehen, hat Wojciech Kętrzyński die erste und bislang einzige kritische Edition der Vita Kingae 1884 vor allem auf den Text der Handschrift III gestützt.33 Angesichts der in allen drei Handschriften recht zahlreich enthaltenen Fehler, die überwiegend bereits in der Vorlage von 1401 vorhanden waren, hat Kętrzyński den edierten Text durch zahlreiche Korrekturen und Emendationen bereinigt. Dieser bereinigte Text wird dem im Folgenden gebotenen lateinischen Text zugrunde gelegt, ohne dabei die von Kętrzyński in seinem kritischen Apparat ausgewiesenen Długosz, Vita (wie Anm. 2); Vita et Miracula (wie Anm. 23), S. 675. Heute Nationalbibliothek Warschau, Rps BOZ 127; als Digitalisat zugänglich unter https:// polona.pl/item/varia,NjAzNzk0Mw/8/#info:metadata (zuletzt abgerufen am 26. November 2020); die Handschrift beschrieben in Vita et Miracula (wie Anm. 23), S. 663–666. 31  Heute Jagiellonenbibliothek Krakau Ms. 3301, f. 135–191; die Handschrift beschrieben in Władysław Wisłocki, Katalog rękopisów Biblioteki Uniwersytetu Jagiellońskiego. Część II: Rękopisy 1876–4176. Index [Katalog der Handschriften der Bibliothek der Jagiellonen-Universität. Teil II: Die Handschriften 1876–4176. Index], Kraków 1877–1881, S. 725. 32  Vita servae Dei Cunegundis per religiosum patrem Franciscanum theologum, in: Processus Novus Particularis in causa Beatificationis seu Canonisationis Servae Dei Kunegundi, fol. 29–60, in: Archiwum Krakowskich Klarysek [Archiv der Krakauer Klarissen], B 36; die Handschrift beschrieben in Vita et Miracula (wie Anm. 23), S. 667–669. 33  Vita et Miracula (wie Anm. 23); in der BHL werden die Vita unter der Nr. 4666, die Miracula unter 4667 geführt. 29  30 

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fehlerhaften Varianten der Handschriften hier zu reproduzieren. In dem von ihm edierten Text hat Kętrzyński zudem auch jene in den Handschriften vorgefundenen Passagen belassen, die – wie oben erläutert – als jüngere Interpolationen anzusehen sind. Diese Passagen werden auch in unserem Text beibehalten, Vita und Miracula aber, für die im Übrigen drei polnische und eine ungarische Übersetzung vorliegen34, deutlicher als zwei unabhängige Texte voneinander abgegrenzt. Die von Kętrzyński an einigen Stellen mit Punkten markierten inhaltlichen Lücken des Textes, die als solche in den Handschriften graphisch nicht kenntlich sind, werden mit […] gekennzeichnet, Zusätze von Kętrzyński in eckige Klammern gesetzt und die sehr wenigen eigenen Modifizierungen des Editionstextes in den Anmerkungen erläutert.

34  Jerzy Andrzej Wojtczak, Średniowieczne życiorysy bł. Kingi i bł. Salomei [Die mittelalterlichen Viten der sel. Kinga und sel. Salomea], Warszawa 1999, S. 125–204; Cecylian Niezgoda, Święta Kinga. Żywot hagiograficzny [Die heilige Kinga. Die hagiographische Vita], Stary Sącz 1999, S. 221–286; Żywot świętej Kingi księżnej krakowskiej/Vita sanctae Kyngae ducissae Cracoviensis, übersetzt und eingeleitet von Bolesław Przybyszewski, Tarnów 1997, S. 31–115 (nur die Vita); Kezdődik az előszó Boldog Kinga krakkói hercegnő életírásához [Es beginnt der Prolog zur  Lebensbeschreibung der Glückseligen Kinga, der Herzogin von Krakau], übersetzt von Klára Boross, in: Legendák és csodák (13–16. század). Szentek a magyar käzépkorpból II., hrsg. von Edit Madas/Gábor Klaniczay, Budapest 2001, S. 122–180.

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Vita sanctae Kyngae ducissae Cracoviensis

Incipit prologus in vitam felicis Kincze ducisse Cracoviensis. Quoniam simile factum est regnum celorum homini patri familias, qui exiit primo mane conducere operarios in vineam suam35; vinea Domini exercituum sancta ­ecclesia militans fore perhibetur, quam pater alter familias, Deus eterni luminis, in montibus sue eternitatis ab inicio plantavit et ad extollendum eam operarios ­utriusque sexus humani generis predestinando vocavit. Qui, licet diversis temporibus, una iam fide et operacione in hac vinea eius laborantes, obtulerunt ei fructum temporibus suis. Novissime vero horum omnium iam advesperascente etate mundi, volens omnipotens Deus vineam suam sanctam, matrem ecclesiam, semper florere novis signis et virtutibus, erexit in ea vitem magnifici generis, rege Bela, imperiali prosapia36 exortam, scilicet beatam Kyngam. Hec sancta in imo humilitatis eximie radices virtutum suarum figens in domo Domini, ut oliva uberrima fructificans, in devotas propagines mirifice excrevit; inter quas demum semet ipsam in statu innocencie sub habitu et regula sancte Clare Christo immortali sponso humiliter dedicavit. Ad eius ergo vite compilacionem totalem occurrunt michi plura sensui meo ­obsistencia, videlicet huius sancte eximia dignitas, vite mee summa infirmitas, ­literarum ignorancia et obscuritas ac corporis mei manifesta debilitas. Sed quia cogit me maxima instancia et sollicitudo precum dominarum mearum, sororum domus Sandecensis37, ut huiuscemodi onus imponerem humeris meis, ergo tu, Deus omnipotens, qui es omnium bonorum origo et consummacio, sis michi benignus adiutor in isto negocio ad laudem maiestatis tue et huius sancte.

Mt 20, 1. „Kaiserlich“, weil Bela mit einer Tochter des byzantinischen (wenn auch nur im Exilreich von Nikäa herrschenden) Kaisers Theodoros I. Laskaris verheiratet war; s. weiter unten S. 375. 37  Das 1280 von Kinga gestiftete Klarissenkloster; s. oben S. 364–365 sowie Anm. 76. 35  36 

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Das Leben der heiligen Kinga, der Herzogin von Krakau

Es beginnt das Vorwort zur Lebensbeschreibung der heiligen Kinga, der Herzogin von Krakau. Das Himmelreich gleicht ja dem Hausvater, der am Morgen ausging, Arbeiter in seinem Weinberg zu mieten35; als der Weinberg des Herrn der Heerscharen erweist sich die kämpfende, heilige Kirche, die der andere Hausvater, der Gott des ewigen Lichts, von Anbeginn auf den Bergen seiner Ewigkeit gepflanzt hat und zu deren Erhebung er aus dem Menschengeschlecht Arbeiter beiderlei Geschlechts vorherbestimmt und berufen hat. Diese brachten ihm, wenn auch zu verschiedenen Zeiten, indem sie in gemeinsamem Glauben und Tun in seinem Weinberg wirkten, zu ihrer jeweiligen Zeit Gewinn. In jüngster Zeit aber, in der sich das Weltalter schon dem Abend zuneigt, richtete der allmächtige Gott, der wünscht, dass sein heiliger Weinberg, die Mutter Kirche, stets durch neue Zeichen und Wunder erblüht, in ihm eine Rebe großartiger Abstammung auf, nämlich die von König Bela [IV.] aus kaiserlicher Familie36 hervorgegangene heilige Kinga. Diese Heilige brachte, indem sie in größter Demut die Wurzeln ihrer Tugenden, wie ein Olivenbaum, der reiche Ernte trägt, tief in das Haus Gottes eingrub, auf wunderbare Weise gottesfürchtige Setzlinge hervor. In deren Kreis weihte sie sich schließlich selbst im Zustand der Unschuld unter dem Habit und der Regel der heiligen Klara demütig Christus, dem unsterblichen Bräutigam. Bei der vollständigen Zusammenstellung ihres Lebens begegnen mir daher viele von mir empfundene Hindernisse, nämlich die hervorragende Würde dieser Heiligen, die große geistige und moralische Schwäche meines Daseins, meine literarische Unkenntnis und Unwissenheit sowie die offenbare Entkräftung meines Körpers. Aber weil mich die sehr große Beharrlichkeit und der Eifer der Bitten meiner Herrinnen, der Schwestern vom Haus in Sandez37, drängen, diese Last auf meine Schultern zu nehmen, mögest du also, allmächtiger Gott, der du Urspung und Ziel aller guten Dinge bist, mir bei diesem Werk zum Lob deiner Erhabenheit und der und dieser Heiligen ein gnädiger Helfer sein.

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1. De eius genealogia et stirpis magnificencia. Legitur in cronicis Hungarorum38, quod Andreas accepta uxore uterina sorore beate Hedvigis generavit ex ea duos filios Belam et Colomanum et unam filiam, sanctam scilicet Elisabeth. Rex autem Andreas post diem obitus Ladislai regis39 vigesima octava die, quarto Calendarum Iunii, in festo Pentecosten40 coronatus est et regnavit triginta annis, mensibus tribus, diebus viginti quinque; obiit autem anno Domini millesimo ducentesimo trigesimo quinto, sexto Calendarum Octobris. Huic successit in regnum filius suus dux Bela, cui erat contoralis nomine Maria, filia imperatoris Grecorum; imperator vero ipse de stirpe Neronis cesaris; imperatrix autem de genealogia sancte Catharine virginis et martiris eximie, prout tradunt dicte cronice.41 Rex quippe Bela post obitum genitoris sui regis Andree42 diadema regni et sceptrum regale cum nimia magnificencia honoris in Alba Regali in ecclesia cathedrali suscepit, rege Colomano germano eius ensem regalem ad latus eius honorifice tenente; Daniele vero duce Ruthenorum equum suum ante ipsum summa cum reverencia ducente. Consummata quippe omni solempnitate sue coronacionis, omnia negocia regni sui provide disponebat. Denique de contorali sua Maria duos filios Belam et Stephanum et sex filias43 suscepit, que hoc modo maritate sunt: Annam recepit in coniugem sibi Raczislaus dux Crovacie44; Margareta in Insula Bude ordini predicatorum tradita decimo octavo etatis sue anno, mortua est in ipso ordine; Kyngam vero desponsavit Boleslaus dux Cracovie; Constancia tradita est Leoni duci Rus38  Um welche Quelle es sich hier gehandelt hat, ist ungeklärt; Ryszard Grzesik, Polska Piastów i Węgry Arpadów we wzajemnej opinii (do roku 1320) [Das Polen der Piasten und Ungarn der Árpáden in der wechselseitigen Meinung (bis zum Jahr 1320)], Warszawa 2003, S. 27–28, 137 vermutet, dass es sich um eine frühe Redaktion der Gesta Hungarorum bzw. einen speziell für Kinga daraus gefertigten Auszug „genealogischen Charakters“ gehandelt haben könnte. 39  Der im August 1204 als drei- oder fünfjähriges Kind zum König gekrönte Ladislaus starb am 7. Mai 1205, möglicherweise ermordet im Auftrag seines Onkels Andreas‘ II. 40  Pfingstsonntag fiel im Jahr 1205 auf den 29. Mai. 41  Vgl. Anm. 38. Hier scheinen in der Tat von den Árpáden geführte genealogische Informationen verwendet worden zu sein, die ihrerseits offenbar die von den byzantinischen Angeloi gepflegte julisch-claudische Genealogie aufgegriffen haben, in der ein Nero-Bezug allerdings fehlte; worauf sich die Verbindung der Maria Laskarina mit der Katharinenlegende stützte, ist unklar. Für den Hinweis zum byzantinischen Hintergrund danke ich Günther Prinzing, Mainz. 42  Andreas II. starb am 21. September 1235 in Ofen. 43  Bela hatte tatsächlich sieben oder acht Töchter; der Hagiograph nennt nicht die Tochter Margarete, die bereits 1242 starb, so dass die im gleichen Jahr geborene siebte Tochter, die hier genannte Nonne und spätere Heilige, ihren Namen erhalten konnte; als eine achte Tochter wird mitunter eine Katharina genannt. 44  Der Rjurikide Rostislav Michajlovič war seit 1247 ungarischer Ban in Slawonien (1247– 1248) und Bosnien (1248–1262), nicht aber „Herzog von Kroatien“.

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1. Über ihre Abstammung und die Erhabenheit ihres Geschlechts. In den Chroniken der Ungarn38 kann man lesen, dass Andreas [II.], der die leibliche Schwester der heiligen Hedwig [Gertrud von Meranien] zur Ehefrau genommen hatte, mit dieser zwei Söhne, Bela [IV.] und Koloman, sowie eine Tochter, nämlich die heilige Elisabeth, zeugte. König Andreas aber wurde am achtundzwanzigsten Tag nach dem Tod König Ladislaus‘ [III.]39, am vierten Tag vor den Kalenden des Junis, zu Pfingsten40 gekrönt und er herrschte dreißig Jahre, drei Monate und fünfundzwanzig Tage lang; er starb aber im Jahre des Herrn 1235, am sechsten Tag vor den Kalenden des Oktobers [26. September]. Ihm folgte sein Sohn, der Herzog Bela, in der Herrschaft nach. Er hatte eine Bettgefährtin namens Maria, die Tochter des Kaisers der Griechen. Der Kaiser [Theodoros I. Laskaris] selbst aber war aus dem Geschlecht des Kaisers Nero, die Kaiserin [Anna Komnene Angelina] wiederum aus dem Geschlecht der heiligen Jungfrau und vorzüglichen Märtyrerin Katharina [von Alexandria], wie die genannten Chroniken41 überliefern. König Bela [IV.] empfing nach dem Tod seines Vaters, des Königs Andreas42, die Reichskrone und das königliche Zepter mit großer Erhabenheit und Ehre in Stuhlweißenburg in der Kathedralkirche, wobei sein Bruder, König Koloman, an seiner Seite ehrenvoll das Königsschwert trug, Daniel, der Herzog der Ruthenen, aber mit höchster Ehrerbietung vor ihm sein Pferd führte. Nachdem alle Feierlicheiten seiner Krönung beendet waren, ordnete er umsichtig alle Geschäfte seines Reiches. Schließlich bekam er von seiner Bettgefährtin Maria zwei Söhne, Bela [V.] und Stefan [, sowie sechs Töchter43, die auf folgende Weise verheiratet wurden: Rostislav, der Herzog von Kroatien44, nahm Anna zur Ehefrau; Margarete wurde in ihrem achtzehnten Lebensjahr auf der [Margareten-]Insel von Buda dem Predigerorden übergeben und starb in ebendiesem Orden; mit Kinga aber vermählte sich Herzog Bolesław [V.] von Krakau; Konstanze, die in der Stadt

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sie, que coruscat miraculis in civitate Lwovensi; Iolenta extitit uxor ducis Boleslai Polonie maioris; Elizabeth dominus Otto dux Bavarie45 in coniugem sibi accepit. Stephanus autem filius regis habuit filiam nomine Mariam; hanc dominus Carolus rex Sicilie46 in consortem sibi accepit; generavit ex ea filium scilicet sanctum Ludovicum; hic fuit filiaster felicis domine. Regnavit autem rex Bela annis triginta quinque; obiit etenim anno Domini millesimo ducentesimo septuagesimo, quinto Maii Nonas, feria sexta in festo invencionis alme crucis et sepultus est Strigonii in ecclesia fratrum minorum una cum domina Maria consorte sua et filio suo Bela duce. Rex autem Colomanus regis Bele germanus fuit rex Ruthenorum Alborum47, qui duxerat uxorem nomine Salomeam filiam Lesconis ducis Cracovie et ducisse Grimislave et hec Salomea ingressa Hungariam recepit Kyngam pro Boleslao fratre suo duce Cracoviensi. 2. Quomodo tradita est Boleslao. Tandem ad instanciam sancte Salomee consortis regis Colomani fratris regis Bele Hungarorum, fratri dicte Salomee domino Boleslao filio Lesconis, duci Cracovie, in coniugem sociatur huiusmodi ordinacione. Nam dicta Salomea existens in Hungaria, matri sue nomine Grimislave secrete nunciat, quod sibi cohortem militum Hungariam de Polonia transmittat, per quos Kyngam filiam regis Bele secrete fratri suo Boleslao consortem destinare posset, simul insinuans, quod ex presencia et adventu eiusdem puellule tam duci quam matri nec non et toti Polonice genti multa ac varia solacia deberent conferri. Tollens igitur sepe dicta Salomea fiscellam aut ladulam foraminosam ex intencione ad id preparatam, dominam Kyngam dicte ladule includit tradensque fidedignis militibus sui secreti consciis, sub specie cuiusdam thesauri in terram Cracovie transmisit. Quam Salomeam ladulam benedicentem ac nimium flentem cum Hungari cernerent, avaricie imputantes et secretum nescientes variis cachinnis derident; ipsa quoque devoto affectu Deo commendabat, quod mittebat. Sicque clemencia Omnipotentis opitulante, baiulatores tam sollempnes per Sandecz in Woynicz48 venerunt, thesaurum immensum domine Grimislave ducisse pandunt49; quam ducissa complexans gau45  Elisabeth heiratete 1250 den Herzog von Bayern Heinrich XIII., der ab 1255 als Heinrich I. Herzog von Niederbayern war; der Hagiograph hat ihn mit seinem Vater, Otto II. von Bayern, verwechselt. 46  Karl II. von Anjou trug tatsächlich den Titel „König von Neapel“. 47  Koloman war 1215 zum König von Galizien gekrönt worden, verlor das Königreich aber bereits 1221 an den Novgoroder Fürsten Mstislav Mstislavič; vgl. oben S. 311. 48  Ort 47 km nördlich von Sandez. 49  In einer von Grzymisława 1239 in Woynicz ausgestellten Urkunde wird die Datierung mit dem Zusatz versehen „cum apportata esset filia Belle regis Hungarie nostro filio Boleslao in uxorem“ („als die Tochter Belas, des Königs von Ungarn, unserem Sohn Bolesław zur Frau gebracht

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Lemberg durch Wunder glänzte, wurde Leo [I.], dem Herzog der Rus’, gegeben; Jolenta war die Frau Herzog Bolesławs von Großpolen; Elisabeth nahm sich Herzog Otto von Bayern45 zur Gattin. Stefan [V.] aber, der Königssohn, hatte eine Tochter namens Maria; diese nahm sich der Herr Karl [II. von Anjou], der König von Sizilien46, zur Ehegefährtin; er zeugte mit ihr einen Sohn, nämlich den heiligen Ludwig [von Toulouse]; dieser war ein Verwandter der gesegneten Herrin. König Bela aber herrschte fünfunddreißig Jahre lang; er starb nämlich im Jahr des Herrn 1270, am fünften Tag vor den Nonen des Mais [3. Mai], einem Freitag, am Festtag der Auffindung des segenspendenden Kreuzes und wurde in Esztergom in der Kirche der Minderbrüder zusammen mit der Herrin Maria, seiner Gefährtin, und seinem Sohn, Herzog Bela, begraben. König Koloman aber, der Bruder König Belas, war König der Weißruthenen [d. h. von Galizien]47 und hatte Salomea, die Tochter Herzog Leszeks [des Weißen] von Krakau und der Herzogin Grzymisława, geheiratet. Nachdem diese Salomea nach Ungarn gekommen war, verpflichtete sie sich Kinga für ihren Bruder Bolesław, den Herzog von Krakau. 2. Wie sie Bolesław übergeben wurde. Schließlich wurde sie [Kinga] auf Drängen der heiligen Salomea, der Gefährtin König Kolomans, des Bruders des Ungarnkönigs Bela [IV.], dem Bruder der genannten Salomea, dem Herrn Bolesław, dem Sohn Leszeks, des Herzogs von Krakau, auf folgende Weise zur Ehefrau verbunden: Als nämlich die genannte Salomea in Ungarn weilte, meldete sie ihrer Mutter Grzymisława heimlich, dass sie ihr eine Schar Ritter aus Polen nach Ungarn schicken möge, durch die sie Kinga, die Tochter König Belas, heimlich ihrem Bruder Bolesław als Gemahlin zuführen könne; zugleich erklärte sie, dass die Anwesenheit und Ankunft dieses Mädchens sowohl dem Herzog als auch der Mutter, ja dem ganzen polnischen Volk zahlreiche und verschiedenartige Vorteile bringen werde. Daher richtete die oft genannte Salomea ein Körbchen bzw. eine kleine Truhe her, die sie absichtlich mit kleinen Löchern ausgestattet hatte, schloss die Herrin Kinga in die besagte kleine Truhe ein und übergab sie vertrauenswürdigen Rittern, die in ihr Geheimnnis eingeweiht waren, und schickte sie als sei es irgendein Schatz, in das Krakauer Land. Als die Ungarn sahen, wie Salomea diese kleine Truhe segnete und [dabei] übermäßig weinte, rechneten sie es ihrer Habgier zu und lachten sie, da sie das Geheimnis nicht kannten, mit schallendem Gelächter aus. Sie aber vertraute, was sie abschickte, in frommer Zuneigung Gott an. Und da die Milde des Allmächtigen zu Hilfe kam, gelangten die Lastenträger wie üblich über Sandez nach Wojnicz48 und offenbarten der Herrin Grzymisława, der Herzogin, den unermesslichen Schatz.49 Die Herzogin umarmte sie [Kinga], freute sich über die Nachkommen-

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det de generis incliti prosapia, letatur de pulchritudinis elegancia, exultat de successoris presencia. 3. Quomodo et quam sollempniter sit suscepta per socrum suam et per omnes nobiles terre. Fitque nobilium concursus, advolant procerum agmina, congratulantur sponso procedenti de thalamo suo50; glorificant sponsam ornatam monilibus suis.51 Sed quia dux Boleslaus duodecim annorum tunc existens matri dixerat, quod nullam sibi in consortem sociaret, nisi que similitudinem domine Salomee sororis sue exprimeret ac in primo ecclesie ingressu ridere inciperet, hoc illico devotis oracionibus Grimislave factum est, quod pulchritudinem tantam predicte sorori sue ­simillimam Dominus omnipotens in ea ampliavit, ut oculum ducis sua pulchritudine ad se converteret. In ingressu igitur ecclesie subridens indicibilem ducis amorem ad se inclinavit. 4. De beate Kynge mira generacione et infancia eius. Gaudeamus omnes fideles, Altissimi potenciam in beata Kynga venerantes, quoniam quodammodo ipsam super humanam generacionem mirifice extulit adhuc in cellula materni uteri existentem. Cum beata Kynga a matre sua illustri regina Hungarorum in utero portaretur, videbatur matri eius, quod quoddam pondus importabile ferret, racione cuius periculum sibi mortis imminere metuens, ecclesiam ingreditur et cum omni precum instancia sinceroque affectu ac uberrima lacrimarum effusione cepit beatissime Marie semper virginis suffragia implorare, ut eam a faucibus periculi imminentis liberare dignaretur. Mirabile dictu! Statim vox ad ipsam divinitus insonuit dicens ei: Noli timere, Maria; onus enim ventris tui, quo periclitari metuis, meo salva munimine evades, puellam paries tibi in solacium excessi-

wurde“); KDM I, Nr. 24. Auch die Annalen des Krakauer Domkapitels datieren die Zuführung Kingas in das Jahr 1239; Annales Cracovienses priores cum kalendario, hrsg. von Zofia KozłowskaBudkowa, in: MPH SN 5, Kraków 1978, S. 78. Dass diese nicht in der hier legendenhaft geschilderten Form erfolgte, erweist schon der Widerspruch zu der unten S. 414–415 (Kap. 26) gebotenen abweichenden Version. Die vom Krakauer Bischof Wisław und kleinpolnischen Großen befürwortete Anbahnung der Ehe (vgl. dazu KDM II, Nr. 452) erfolgte tatsächlich 1239 über eine nach Ungarn entsandte Delegation. Diese wird sich u. a. auf die Unterstützung der mit dem ungarischen Hof verbundenen Salomea (vgl. oben S. 320–323) gestützt haben, woraus die spätere Tradition die hier und in Kap. 26 gebotene Legende entwickelt haben dürfte. 50  Ps 18, 6. 51  Vgl. Ps 44, 10 und Offb 21, 2.

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schaft des berühmten Schwiegersohnes, jubelte über die Anmut ihrer Schönheit und frohlockte über die Gegenwart einer Nachfolgerin. 3. Wie und auf welch feierliche Weise sie von ihrer Schwiegermutter und allen Adligen des Landes aufgenommen wurde. Und es kam zu einem Zusammenlauf der Adligen, Scharen von Vornehmsten eilten herbei, beglückwünschten den Bräutigam, als er aus seinem Gemach trat50, und priesen die mit ihren Halsketten geschmückte Braut.51 Doch weil der damals zwölf Jahre alte Herzog Bolesław der Mutter gesagt hatte, dass er sich mit keiner Gefährtin verbinden würde, die nicht eine Ähnlichkeit zur Herrin Salomea, seiner Schwester, besitze und beim ersten Betreten der Kirche nicht zu lächeln beginne, da geschah es dank der frommen Gebete Grzymsławas, dass der allmächtige Herr in ihr die Schönheit so vergrößerte, dass sie seiner besagten Schwester sehr ähnlich wurde und mit ihrer Schönheit die Augen des Herzogs auf sich zog. Und als sie lächelnd die Kirche betrat, gewann sie die unaussprechliche Liebe des Herzogs. 4. Über die wunderbare Zeugung der heiligen Kinga und ihre Kindheit. Mögen wir, alle Gläubigen, die wir in der heiligen Kinga die Macht des Allerhöchsten verehren, uns freuen, weil er sie gewissermaßen über das menschliche Geschlecht in wunderbarer Weise erhoben hat, während sie noch im Kämmerchen der Gebärmutter ihrer Mutter lag. Als die heilige Kinga von ihrer erlauchten Mutter, der Königin der Ungarn, im Mutterleib getragen wurde, da erschien es ihrer Mutter, als trüge sie eine unerträgliche Last. Da sie aus diesem Grund fürchtete, dass ihr die Gefahr des Todes drohe, ging sie in die Kirche und begann mit der ganzen Beharrlichkeit ihrer Gebete, in aufrichtiger Zuneigung und unter überaus reichem Vergießen ihrer Tränen die Hilfe der heiligen und ewigen Jungfrau Maria anzuflehen, dass sie sich herablassen möge, sie aus den Schlünden der drohenden Gefahr zu erlösen. Wie wunderbar zu sagen! Sogleich richtete sich eine göttliche Stimme an sie und sprach zu ihr: „Fürchte dich nicht, Maria; denn der Bürde deines Bauches, durch die du in Gefahr zu sein glaubst, wirst du durch meinen Schutz wohlbehütet entgehen: Du wirst ein Mädchen gebären, dir zu über-

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vum et multis animabus in refrigerium et singulare remedium.52 Ad hanc vocis deifice sponsionem quasi imbre celesti conspersa, quedam presagia mire consolacionis in utero suo sensit. Que omnia per incrementum temporis tam in domo habitacionis materne quam in religionis augmentacione probantur fore completa. Tandem iam partui vicina contra sentenciam scripture dicentis: In dolore pa­ ries53, eo partus tempore toto solacii gaudio modo interminabili perfundebatur; nam puella, quam est enixa, non more lavatur, sed super naturam puritate inestimabili claruit. Non enim locione puerorum more naturaliter nascencium indigebat, nam miraculose extra locionem fonte lacrimarum ipsius sancte Kynge corpusculum ex toto perfundebatur et loco locionis naturalis totum lacrimarum imbre rigabatur. Et quia, qui sanctus est, sanctificatur adhuc54 […55] nam consuetudinis erat, [que], ut refertur utique divinitus inspirata, in domo eiusdem regis Bele ab ipsa consorte ipsius impetrata [erat], ut nullus infantulus ex stirpe regia natus ablactaretur, nisi prius corporis Christi tradicione infantulo calix porrigeretur, post cuius calicis suscepcionem ianua regni celestis eisdem infantulis pateret. Cum igitur eadem die nativitatis eiusdem infantule sacrum baptisma ministrare deberetur manibus cuiusdam episcopi eam baptisare cupientis, non sine magno, mirabili prodigio primam vocem protulit dicens dicto: Ave regina celorum, [mater regis] angelorum56 etc.; amodo nullam vocem locucionis emisit, quousque nature modus concessit. Quo peracto calix dictus ad bibendum prius, quam quicunque cibus, eidem infantule est oblatus, in cuius, ut videtur, pretextu non consuetudinis morem, sed sacramenti sumpcionem figuraliter percepit. Tandem puella ablactata more beati Nicolai57 non bino in hebdomade die, sed solum tempore divini officii, cum more consueto missa coram personis regalibus 52  Vgl. die 1256 von Thomas von Celano verfasste Lebensbeschreibung der heiligen Klara, in der die Mutter Klaras vor ihrer Niederkunft von einer ähnlichen Furcht erfasst in die Kirche eilt, inständig betet und von einer zu ihr sprechenden Stimme beruhigt wird; Legenda sancte Clarae virginis, hrsg. von Stefano Brufani, in: Fontes Franciscani, hrsg. von Enrico Menestò, Assisi 1995, S. 2415–2450, hier S. 2417 (Kap. I, 2); deutsch: Thomas von Celano, Leben der heiligen Klara von Assisi, in: Leben und Schriften der heiligen Klara, hrsg. von Engelbert Grau, Werl7 1997, S. 117– 179, hier S. 125. 53  Gen 3, 16. 54  Offb 22, 11. 55  Hier sah der Herausgeber Kętrzyński eine Sinnlücke im Text der Handschrift, die er mit mehreren Punkten gekennzeichnet hat. 56  Incipit eines Antiphons zum Lobpreis der Jungfrau Maria, das so auch die Großpolnische Chronik zum Jahr 1239 der neugeborenen Kinga im gleichen Zusammenhang in den Mund legt; Chronica Poloniae maioris, hrsg. von Brygida Kürbis, in: MPH SN 8, Warszawa 1970, S. 86 (Kap. 68). 57  Vgl. Vita sancti Nicolai, et confessoris, in: Sancti confessoris pontificis et celeberrimi thaumaturgi Nicolai Acta primigenia, hrsg. von Nicolo Carmine Falconi, Neapel 1751, S. 112–126, hier, S. 114.

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großem Trost und vielen Seelen zur Erquickung und einzigartigen Abhilfe.“52 Auf

dieses Versprechen der göttlichen Stimme hin war sie wie von einem himmlischen Regen benetzt und spürte in ihrem Mutterleib gewisse Vorzeichen einer wunderbaren Linderung. All dies sollte im Laufe der Zeit sowohl [während Kingas Leben] im Haus der mütterlichen Wohnung als auch bei der Förderung des Glaubens [während Kingas Klosterleben] nachweislich in Erfüllung gehen. Als sie schließlich der Geburt schon nahe war, wurde sie entgegen dem Satz aus der Schrift, der lautet: „Mit Schmerzen wirst du gebären“53, genau zum Zeitpunkt der Geburt auf unermessliche Weise von einer vollkommenen Freude der Linderung überströmt. Denn das Mädchen musste, als es zur Welt kam, nicht wie üblich gebadet werden, sondern erstrahlte von Natur aus in unschätzbarer Reinheit. Es bedurfte nämlich nicht des Bades wie bei natürlich geborenen Kindern, denn der kleine Leib der heiligen Kinga wurde auf wunderbare Weise ohne Bad ganz und gar von dem Quellfluss ihrer eigenen Tränen überströmt und anstelle des natürlichen Bades vollständig vom Regen ihrer Tränen benetzt. Denn wer heilig ist, wird weiterhin geheiligt54 […55] denn es war, wie berichtet wird, eine durchaus von Gott eingegebene und im Haus ebendieses Königs Bela von dessen Gemahlin durchgesetzte Gewohnheit, dass kein in der königlichen Familie geborener Säugling abgestillt werden sollte, ehe dem Säugling nicht vor der Gabe des Leibes Christi der Kelch gereicht worden sei; nach Empfang jenes Kelches sollte die Pforte zum himmlichen Königreich ebendiesen Säuglingen offenstehen. Als also am Tag der Geburt ebendieses Säuglings die heilige Taufe durch die Hände eines gewissen Bischofs, der sie taufen wollte, vollzogen werden sollte, da brachte sie nicht ohne großes, erstaunliches Wunderzeichen, ein erstes Wort hervor, indem sie zu dem besagten [Bischof] sagte: „Sei gegrüßt, Königin der Himmel, [Mutter des Königs] der Engel“56 usw.; zukünftig aber gab sie kein gesprochenes Wort mehr von sich, bis es die Gesetzmäßigkeit der Natur erlaubte. Nachdem dies geschehen war, wurde ebendiesem Mädchen vor jeder Speise der besagte Kelch zum Trinken gereicht, mit dem sie, wie es scheint, nicht unter dem Vorwand der Gewohnheit den Brauch, sondern bildlich den Empfang des Sakraments vollzog. Als das Mädchen schließlich nach Sitte des heiligen Nikolaus57 nicht an zwei Tagen der Woche, sondern nur während des Gottesdienstes von der Mutterbrust abgelegt wurde, da schlief es in der Zeit, da nach dem üblichen Brauch in Anwesenheit der königlichen Personen die Messe gefeiert wurde, nie ein, noch ver-

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celebraretur, eo in tempore nunquam sompnum capiebat neque cibum postulabat, sed pocius devocioni dedita oculos in celum semper tendebat; multique eam ab eadem consuetudine per varios ludos avertere nitebantur, ipsa vero spiritu sancto inspirata cunctas temptacionum vanitates modo indicibili superabat oculosque suos ad cunctorum opificem indesinenter dirigebat. Singulariterque consuetudinis regie extitit, prius missam singularem celebrare; que cum coram infantibus more consueto diceretur, hec felix Kynga lacrimarum fonte ex cordis devocione inenarrabiliter perfundebatur ita, ut celesti imbre ex toto perfundi videretur et quociescunque „Iesus“, hoc nomen dulcissimum in salutem per Mariam toti mundo editum, nominare felix Kynga audiebat, ex devocionis affectu tota in se immutabatur ac gaudii alacritate plenius respersa, contra morem puerorum in cunis iacencium quasi oscitando, os ipsius cum verba promere non posset, diligencia cum summa lingua delingebat, ut hiis signis nomen salvificum quodammodo honorare videretur et summis precordiorum indiciis, quod natura non capiebat, ­effectum monstraret. Cum autem organa more naturali gressum preberent, beata infantula omnes suas consodales ad capelle ingressum sub pretextu puerilis solacii invitabat ipsaque ludos lascivie evitans predictamque capellam ingrediens oracioni cum summa devocione vacabat solaque devocioni insistens sub specie solacii cunctas puellas nunc accitando, nunc ad genuflexiones, nunc ad neniarum prostraciones sollicite incitabat58 sic, ut videretur omnes actus suos ante racionis usum omnium directori ferventer commendare. In hiis ac similibus perfeccionis operibus infra quinquennium a die nativitatis sue in domo paterna sese melior existens, indesinenter proficiebat. Fit ergo dicte domine Grymislave ineffabile gaudium ex signis et nutibus sponsi et sponse, voluntatum ac morum incredibili unione; nam Dei pietas hoc in eis operata est propter castitatis perfeccionem in utroque, usque ad extrema inter se observanciam pleniorem. Ergo, ut premissum est, cum in terra Polonorum gaudium gaudio cumularetur, dotalicium Kynge felicis ad quadraginta millia marcarum se extendebat, quia patri et matri carior habebatur; racione cuius non solum sponso, verum eciam universo populo se caram reddebat. Bone igitur indolis puer felix Kynga cum quinque esset annorum, sub obediencia socrus sue de virtute in virtutem proficiens, puellas singulas verbis dulcifluis inclinabat, ut oraciones singu­ lares Deo ac matri sue Marie devoverent, ut ludere licenciarentur, licet prima

58  Vgl. die Berichte der Viten der heiligen Elisabeth über das ganz ähnliche Verhalten der Tante Kingas, der kindlichen Elisabeth: Caesarius von Heisterbach, Das Leben der Heiligen Elisabeth (Vita Sancte Elyzabeth Lantgravie, Sermone de Translatione Beate Elyzabeth), hrsg. von Ewald Könsgen, Marburg 2007, S. 20–21 (Kap. 3); Dietrich von Apolda, Das Leben der Heiligen Elisabeth, hrsg. und übersetzt von Monika Rener, Marburg 2007, S. 36–37 (Kap. IV).

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langte es nach Nahrung; vielmehr hielt es seine Augen stets in größter Andacht zum Himmel. Und viele bemühten sich, sie von dieser Gewohnheit mit verschiedenen Spielen abzubringen. Sie aber war, inspiriert vom Heiligen Geist, auf unbschreibliche Weise allen Leichtfertigkeiten der Verführungen überlegen und richtete ihre Augen unablässig auf den Schöpfer aller [Dinge]. Eine besondere Gewohnheit des Königshauses war es, [für die Kinder] zunächst eine gesonderte Messe zu feiern; während diese wie gewöhnlich in Anwesenheit der Kleinkinder gelesen wurde, wurde die gesegnete Kinga in der Andacht ihres Herzens in unbeschreiblicher Weise derart von einem Strom der Tränen übergossen, dass es schien, sie sei ganz von einem himmlichen Regen überströmt und jedes Mal, wenn die gesegnete Kinga hörte, wie der Name „Jesus“, dieser von Maria der ganzen Welt zum Heil verkündete überaus liebliche Name, genannt wurde, da veränderte sie sich in der ganzen Stimmung ihrer Andacht und wurde vom Eifer ihrer Freude ganz bespritzt. Entgegen der Eigenart von Kindern, die in der Wiege liegend gleichsam gähnen, leckte sie ihren Mund, weil er noch keine Worte hervorbringen konnte, mit ihrer Zungenspitze eifrig ab, um durch diese Zeichen gewissermaßen den heilbringenden Namen, wie es schien, zu ehren und durch [diese] höchsten Zeichen ihrer Gefühle die Wirkung [dessen] anzuzeigen, was sie auf natürliche Weise nicht erfasste. Als aber die Organe [ihr] erlaubten, auf natürliche Weise zu laufen, da lud das heilige Mädchen unter dem Vorwand kindlicher Unterhaltung alle Mädchen ein, [mit ihr] in die Kapelle zu gehen. Und indem sie selbst die Spiele der Ausgelassenheit mied und die besagte Kapelle betrat, widmete sie sich mit größter Andacht dem Gebet. Als einzige verharrte sie in der Andacht und trieb im Schein der Zerstreuung alle Mädchen derart heftig dazu an, bald zu bekennen, bald auf die Knie zu fallen, bald Lieder zu singen58, dass es schien, als überließe sie noch vor Gebrauch ihres Verstandes ihr ganzes Handeln glühend dem Lenker aller [Dinge]. In diesen und ähnlichen Werken der Vollkommenheit trat sie in den fünf Jahren seit dem Tag ihrer Geburt im väterlichen Haus [immer] deutlicher hervor und machte unablässig Forschritte. So ward der besagten Herrin Grzymsława angesichts der Beweise und Zeichen, dass Braut und Bräutigam eine unglaubliche Einheit der Neigungen und Charaktere [verband], eine unaussprechliche Freude. Denn dies bewirkte in ihnen die Liebe Gottes aufgrund der Vollkommenheit ihrer beider Keuschheit, die sie sich bis an ihr Lebensende vollständig bewahrten. Während, wie vorausgeschickt wurde, also im Land der Polen die Freude durch Freude vermehrt wurde, erstreckte sich die Mitgift der gesegneten Kinga auf vierzigtausend Mark, weil sie Vater und Mutter recht lieb war. Auf diese Weise machte sie sich nicht nur dem Verlobten, sondern auch dem ganzen Volk beliebt. Als Kind mit guter Begabung schritt die gesegnete Kinga, als sie fünf Jahre alt war, im Gehorsamkeit gegenüber ihrer Schwiegermutter von Tugend zu Tugend fort. Mit süß fließenden Worten machte sie einzelne Mädchen geneigt, Gott und seiner Mutter Maria einzelne Ge-

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devocionis sue intencio fuerit pro bono statu et casta puritate, quam tam corpore quam mente usque ad finem vite sue tota cordis intencione observare satagebat. Si quando vero ludere licenciabatur, vestibus magis preciosis induebatur, quas ex intencione genuflexionibus variis modisque diversis destruebat, ut tali occasione posset eas facilius pauperibus erogare. In omnibus eciam ludis sibi difficiliora eligebat, ut corpusculum laboribus affectum cogeret spiritui servire, nunc vehicula cum consodalibus super montem ducebat […59]; in aliis vero omnibus servituti se subiciens alios sibi preferebat ipsi; infirmantibus autem cunctis obsequium cum maxima devocione exhibebat. Quanto autem devocionis affectu se ipsa Christo copulavit, ex fervore amoris sumitur exemplum. Nam a nativitate sua ut oraciunculas suas plenius et commodius exsolvere Deo posset, habebat ad hoc speciale secretarium et Christi ac beate Virginis imagines, coram quibus devotissime procumbens bis de die ante prandium devotissime insistebat et precipue post completorium usque ad primam noctis vigiliam tota in Christi contuitu absorpta mentis devocione persistebat. Tempore etenim missarum pro nulla causa quantumcunque ardua ab ecclesia discedebat, nisi omnes, quotquot celebrabantur, misse fine debito consummarentur. Sermones vero ac predicaciones attentissime audiebat sic, quod plures oretenus referebat, quia de quolibet sermone aliquid capiebat, quod loco oracionis Christo devote reddebat. Quantum vero ad ieiunia, vigiliam sancti Ioannis baptiste, sancti Ioannis evangeliste, beatorum Nicolai, Martini pontificum, sanctarumque Catharine et Margarete virginum preter alias matris ecclesie vigilias devotissimo venerabatur affectu ita, ut usque ad noctem ieiunaret. Ob quorum eciam reverenciam mille „Pater [noster]“ et totidem „Ave Maria“ cum devotis genuflexionibus persolvebat et alias dominas ac domicellas sincera allocucione ad id faciendum inducebat ac prece precioque convincebat. Cumque ab aliis quereret, quid per predicta suffragia a sanctis postularent, singulis singulas responsiones facientibus, quia alique pro bono statu, alique pro fortuna mundi, alique pro sanitate corporis, alique pro diviciis, ipsa vero ait: Ego non pro alio, nisi pro illibate virginitatis conservacione hec omnia converto. 5. De domacione corporis sui et castigacione. Quid autem de domacione corporis referam huius Beate? Nam cum sericeis ac purpureis in domo socrus sue vestibus tegeretur, ipsa autem intus ad carnem more sancte Cecilie de pilis equinis veste asperrima coxas corporis tegebat, quod quasi

59  Hier sah der Herausgeber Kętrzyński eine Sinnlücke im Text der Handschrift, die er mit mehreren Punkten gekennzeichnet hat.

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bete darzubringen, damit ihnen zu spielen erlaubt werde, so als hätte die ursprüngliche Absicht ihrer Frömmigkeit auf einen guten Stand und keusche Reinheit ­abgezielt, die sie körperlich wie geistig bis ans Ende ihres Lebens mit ganzer Herzensabsicht zu bewahren trachtete. Wenn ihr aber einmal zu spielen erlaubt war, dann wurde sie mit sehr kostbaren Kleidern angezogen, die sie absichtlich durch allerlei Kniefälle und auf verschiedene Weise kaputt machte, um sie aus solchem Anlass leichter den Armen geben zu können. Auch wählte sie bei allen Spielen das Schwierigere, um ihren kleinen, von den Anstrengungen geschwächten Körper dazu zu zwingen, dem Geist zu dienen, bald zog sie mit Spielkameraden einen Wagen über einen Berg […59]; in allen anderen [Dingen] aber unterwarf sie sich der Knechtschaft [und] zog andere sich selbst vor; jeglichen Kranken aber gewährte sie mit größter Hingabe Nachgiebigkeit. Mit welch großer Zuneigung der Hingabe sie sich aber mit Christus verband, zeigt das Beispiel des Eifers ihrer Liebe. Denn seit ihrer Geburt hatte sie, damit sie Gott ihre kleinen Gebete noch reichlicher und angenehmer abstatten konnte, dafür einen besonderen, geheimen Ort sowie Bilder von Christus und der heiligen Jungfrau, vor denen sie sich zweimal am Tag demütigst niederwarf; vor dem Mittagessen wandte sie sich [ihnen] demütigst zu und besonders nach der Komplet harrte sie bis zur ersten Nachtwache mit der Hingabe ihres Geistes ganz in die Anschauung Christi vertieft aus. Auch während der Messen verließ sie, wie wichtig ein Grund auch sein mochte, nicht die Kirche, ehe nicht alle Messen, wie viele auch immer gelesen wurden, mit dem gehörigen Schluss beendet wurden. Den Predigten und Lesungen aber hörte sie so aufmerksam zu, dass sie Vieles auswendig wiedergab, weil sie aus jeder Predigt irgendetwas mitnahm, das sie Christus statt eines Gebetes fromm zurückgeben konnte. Was aber das Fasten betraf, so ehrte sie die Vigil des heiligen Johannes des Täufers, des heiligen Evangelisten Johannes, der heiligen Bischöfe Nikolaus und Martin sowie der heiligen Jungfrauen Katharina und Margareta neben den anderen Vigilien der Mutter Kirche in der frömmsten Andacht so sehr, dass sie bis in die Nacht fastete. Zu deren Verehrung betete sie überdies mit demütigen Kniefällen tausend „Vater unser“ und ebenso viele „Ave Maria“ und brachte mit aufrichtigem Zureden auch andere Herrinnen und Fräuleins dazu, dasselbe zu tun, und überzeugte sie mit Bitten und Belohnung. Und wenn sie andere fragte, was sie mit den besagten Fürbitten von den Heiligen erbaten, und jeder eine andere Antwort gab, da die einen um einen guten Stand, die anderen um weltliches Glück, andere um körperliche Gesundheit, andere um Reichtum [baten], da sagte sie selbst aber: „Ich richte alle diese [Bitten] auf nichts anderes als auf die Bewahrung unversehrter Jungfräulichkeit.“ 5. Über die Zähmung und Züchtigung ihres Körpers. Was aber soll ich über die Zähmung des Körpers dieser Heiligen berichten? Denn während sie im Haus ihrer Schwiegermutter mit seidenen und purpurnen Kleidern

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omni nocte corpusculum suum tenerrimum cruentum reddebat. Sicque in tante penitencie austeritate annum duodecimum complevit. 6. De nupciarum sollempnitate. Venit ergo dies, in qua thalamus nupciarum collocatur cum magnificencia regii culminis; ad quas confluunt duces magnifici, principes incliti, archiepiscopi episcopique devoti ac patres reverendi, proceres Polonorum ac aliarum provinciarum strennui, ducisse ac nobilium domine simul cum virginibus aliisque quam plurimis conglomeratis agminibus ad civitatem Cracoviensem conveniunt.60 Leticie variis ludis dant inicium. Cantantibus igitur organis et nimiis multiplicatis solaciis, ipsa felix ancilla Christi soli Domino decantabat cantica leticie interioris hominis. Quanto plus multiplicabantur tripudia convivarum, tanto magis in felici virgine augmentabantur insignia interne devocionis. Corde enim devoto Christo commendabat virginitatis flosculum, quem marcescere timebat. Clandestine igitur cum sponso separata, sponsus devocione virginis sponse sue inclinatus sic eam alloquitur, pollicens sibi exhibendum, quidquid postulasset ab eo. Illa vero, ut prudens virgo et devota, non aurum et non argentum, non divicias, non provincias, non vestes, non margaritas, non possessiones, non edes, sed in terram prostrata pro toto solacio cordis devote postulat, prece sedula supplicat, ut uterque castitatis illibate puritatem creatori cunctorumque plasmatori uno anno devoveant. Quod pius sponsus nutu annuente spondet sponse devote, peticionis affectum tota cordis intencione memoratum annum cum castitatis puritate totaliter ac inviolabiliter observare ac hoc secretum nullatenus nulla necessitate, nullo nutu nulloque signo detegere nec cuiquam mortalium ullo modo reserare. Quo promisso audito et firmato sponsa devota alacritate gaudii sedulius respersa multiplicat ieiunia, auget orandi spacia, cumulat devota suffragia. Nam […61] si unum de multis referam: Cum post sacras ac sollempnes nupcias in Corczyn in Nova civitate cum socru sua moraretur, ubi fratrum minorum conventus habetur62, licenciam devote petebat, ut eam devota socrus cum puellis in alia quam in domo sua dormire permitteret; qua annuente totam illam noctem in omni devocione expendebat et cum quadam domina nomine Preczslava aliisque,

Die Zusammenkunft in Krakau kann erst nach der definitiven Erhebung Boleławs zum Herzog von Krakau-Sandomir, also nach 1243, die tatsächliche Eheschließung (sponsalia de prae­ senti), deren Datum keine Quelle überliefert, nach der ‚Verlobung‘ von 1239 (sponsalia de futuro) frühestens 1246 stattgefunden haben, nachdem Kinga das 12. Lebensjahr erreicht hatte. 61  Hier sah der Herausgeber Kętrzyński eine Sinnlücke im Text der Handschrift, die er mit mehreren Punkten gekennzeichnet hat. 62  Das Franziskanerkloster in Korczyn, dem Geburtsort Bolesławs V., der 1264 Stadtrecht erhielt, wurde frühestens um 1260 von diesem und seiner Gattin Kinga gestiftet. 60 

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angetan war, bedeckte sie nach Art der heiligen Cäcilia darunter über dem Fleisch die Hüften ihres Körpers mit einem äußerst rauen Gewand aus Pferdehaaren, das gewissermaßen jede Nacht ihren kleinen, sehr zarten Körper blutig machte. Und in der Strenge so großer Buße vollendete sie so ihr zwölftes Lebensjahr. 6. Über die Hochzeitsfeierlichkeiten. Es kam also der Tag, an dem mit der Pracht der königlichen Spitze das Ehebett aufgestellt wurde. Dazu strömten erhabene Herzöge, berühmte Fürsten, fromme Erzbischöfe und Bischöfe sowie ehrwürdige Väter, die tüchtigen Großen der Polen und anderer Provinzen, Herzoginnen und adlige Herrinnen wie auch Jungfrauen und viele andere in dicht gedrängten Scharen in der Stadt Krakau zusammen.60 Mit mannigfachen Spielen ließ man die Fröhlichkeit beginnen. Während also die Musikinstrumente erklangen und die Vergnügungen übermäßig vermehrt wurden, sang die gesegnete Dienerin Christi allein für den Herrn Lieder der inneren menschlichen Freude. Je mehr die Gäste tanzten, desto stärker wuchsen in der gesegneten Jungfrau die Zeichen der inneren Hingabe. Mit hingegebenen Herzen nämlich vertraute sie die Blüte ihrer Jungfräulichkeit, von der sie fürchtete, dass sie verwelken werde, Christus an. Als sie dann mit ihrem Bräutigam heimlich [von der Feier] abgesondert wurde, sprach sie der von der Frömmigkeit seiner jungfräulichen Braut bewegte Bräutigam an und versprach, ihr zu gewähren, was immer sie von ihm verlange. Jene aber forderte als kluge und fromme Jungfrau weder Gold noch Silber noch Reichtum noch Ländereien noch Kleider noch Perlen noch Besitztümer noch Häuser, sondern warf sich auf den Boden und verlangte fromm vollständige Tröstung ihres Herzens und bat demütig in eifriger Bitte, dass sie beide ein Jahr lang dem Schöpfer und Bildner aller [Dinge] die Reinheit unversehrter Keuschheit geloben. Da gelobte der liebevolle Bräutigam mit zustimmendem Nicken der frommen Braut, den Willen ihrer Herzensbitte [zu erfüllen und] mit ganzem Eifer das besagte Jahr vollständig und unverletzlich in der Reinheit der Keuschheit zu wahren und dieses Geheimnis auf keinen Fall, in keiner Notlage, durch kein Nicken und kein ­Zeichen zu enthüllen noch irgendeinem Sterblichen auf irgendeine Weise zu ­eröffnen. Nachdem dieses Versprechen gehört und bekräftigt worden war, steigerte die von freudiger Erregung noch eifriger erfüllte fromme Braut ihr Fasten, dehnte die Gebetszeiten aus und vermehrte die frommen Fürbitten. Denn […61] wenn ich eine [Sache] von vielen berichte: Als sie sich nach der heiligen und feierlichen Hochzeit zusammen mit ihrer Schwiegermutter [Grzymisława] in Korczyn, in der Neustadt, aufhielt, wo es einen Konvent der Minderbrüder gibt62, bat sie demütig um Erlaubnis, die fromme Schwiegermutter möge ihr gestatten, zusammen mit den Mädchen in einem anderen als ihrem Haus zu schlafen; als diese zustimmte, brachte sie jene ganze Nacht in vollständiger Andacht zu und eilte mit einer gewissen Herrin namens Przesława und anderen

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quas precio conducebat, nec non Michulone pedagogo suo in Corczyn ad ecclesiam sancti Nicolai tempore, quo hiems algoribus horrida, frigoribus hispida terram stringebat, nudis pedibus concita properabat; omnibusque sue devocionis affectibus completis ad maximum spacium domum remeabat. Contigit autem quadam vice, ut eam socrus dicta in puellarum domo existimans sollicite perquireret, qua non inventa turbacionis more cepit angustiari, quod Micul predictus memorati secreti conscius percipiens, veloci cursu cepit fe­ stinare ad ecclesiam, ubi sancta domina devotis oracionibus vacabat vestigiisque sanguineis iter respersum cruoris de pedibus e vestigio rubricato […63] eam in ecclesia memorata, mente suspensa ad Deum, in oracione invenit. Quam cum verbis contumeliosis affecisset dicens: O domina, ruina capitis mei es cum tuis occupacionibus et discriminibus variis; que quasi a sompno surgens ipsum benigne consolabatur dicens: Ne timeas, nam Deus diligentes se consolatur, confirmat ac protegit. Sicque nebula celesti eos protegente, orto iam sole, sed nullo vidente, civitatem ingrediuntur omnique suspicione divinitus semota, una cum socru sua ad missam procedit leta, ecclesiam ingreditur Deoque gracias referens devota efficitur. Et ex relacione fidedignorum accepi, quod, ad quamcunque ecclesiam nocte furtim veniebat, ostia ecclesie nunquam adeo sic fortiter fuerunt obserata, quin ministerio angelico sibi aperirentur. Quod, ut videtur, a miraculo non vacabat eximio. Sic hunc annum in omni castitate devocionisque fervore una cum suo contorali compleverunt. 7. De obtentu castitatis secundi anni. Tandem anno secundo ducem devotum verbis dulcifluis alloquitur dicens, ut ob reverenciam matris misericordie virginisque gloriose hunc annum secundum modo simili in omni puritate ab utroque esse observandum. Quo ob ipsius devotam precum instanciam annuente, sponsa devota gaudio indicibili exhilarata non tam pro sua, quam eciam pro devoti ducis casta intencione puraque conversacione Dei misericordiam devotis oracionibus flagitat, bonum in melius auget, elemosinis largioribus se ipsam exercet nec non et infirmorum obsequiis se promptam exhibet, sic nimirum, quod et leprosis dulce et humile servicium prebebat domosque ipsorum devote visitans educit vulnerum putredinem, abstergit suo peplo

63  Hier sah der Herausgeber Kętrzyński eine Sinnlücke im Text der Handschrift, die er mit mehreren Punkten gekennzeichnet hat.

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[Frauen], die sie gegen Bezahlung anheuerte, zudem mit ihrem Erzieher Michul zu der Zeit, in der der raue Winter mit Frösten und Kälte die Erde zusammenschnürte, mit bloßen Füßen schnell zur St. Nikolai-Kirche in Korczyn; und nachdem alle die Gefühle ihrer Frömmigkeit möglichst lange ausgelebt hatten, kehrte sie nach Hause zurück. Es begab sich aber einmal, dass die genannte Schwiegermutter sie im Haus der Mädchen wähnte und besorgt nach ihr fragte. Als sie [dort] nicht angetroffen wurde, begann sie sich beunruhigt zu ängstigen. Als dies der vorgenannte Michul, der ein Mitwisser des erwähnten Geheimnisses war, bemerkte, begann er raschen Schrittes zur Kirche zu eilen, wo die heilige Herrin sich frommen Gebeten widmete. Er fand sie in der erwähnten Kirche im Gebet, den Geist zu Gott gewandt, [indem er63] entlang der Blutspuren dem von dem Blut ihrer Füße bespritzten Weg [folgte]. Er überzog sie mit scheltenden Worten, indem er sprach: „Oh, Herrin, du bist mit deinen Handlungen und verschiedenen Entscheidungen das Verderben meines Hauptes.“ Da erhob sie sich wie aus einem Schlaf und tröstete ihn gütig, indem sie sprach: „Fürchte dich nicht, denn Gott tröstet diejenigen, die ihn lieben, bestärkt und beschützt [sie].“ Und so betraten sie, während himmlischer Nebel sie verhüllte, die Sonne schon aufgegangen war, aber niemand [sie] sah, die Stadt; und nachdem aller Argwohn durch göttliche Fügung beiseitigt war, schritt sie zusammen mit ihrer Schwiegermutter fröhlich zur Messe, betrat die Kirche und stattete Gott ehrerbietig Dank ab. Und dem Bericht glaubwürdiger [Leute] habe ich entnommen, dass die Kirchentore, zu welcher Kirche auch immer sie nachts heimlich kam, niemals so stark verriegelt waren, dass sie sich [ihr] nicht durch den Dienst der Engel öffneten. Das, so scheint es, entbehrt nicht eines ungewöhnlichen Wunders. So vollendete sie dieses Jahr zusammen mit ihrem Bettgefährten in völliger Keuschheit und in der Glut der Frömmigkeit. 7. Über die Fortsetzung der Keuschheit im zweiten Jahr. Im zweiten Jahr sprach sie [Kinga] den frommen Herzog schließlich mit süßfließenden Worten an und sagte [ihm], dass beide aus Ehrfurcht vor der Mutter der Barmherzigkeit und ruhmreichen Jungfrau [auch] dieses zweite Jahr in gleicher Weise in völliger Reinheit bewahren sollten. Als dieser angesichts der demütigen Beharrlichkeit ihrer Bitten zustimmte, wurde die fromme Braut von einer unbeschreiblichen Freude aufgeheitert und bat in frommen Gebeten um Gottes Barmherzigkeit nicht nur für ihre eigene Achtung der Keuschheit und reine Lebensweise, sondern auch für [jene] des frommen Herzogs; sie steigerte das Gute zum Besseren, übte sich in noch reichlicheren Almosen und zeigte sich überdies zum Dienst an den Kranken so entschlossen, dass sie Aussätzigen einen angenehmen und demütigen Dienst erwies, ehrfürchtig ihre Häuser besuchte, die Fäulnis der Wunden entfernte, den Eiter mit ihrem Gewand abwischte, ihre Wun-

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saniem, ligat ipsorum vulnera, impensa denique cum devocione elemosina, osculo eorum pedibus et aliis ulceribus humiliter exhibito discedebat. Contigit autem quadam vice, quod, cum de Nova civitate Corczyn versus ­Paczanow64 cum comitiva sua iter faceret, reperit in via quendam leprosum nimiis vulneribus infectum, sordidum, fetidum et abiectum. Quem cum alii horrore perculsi pertransissent, beata Kynga cernens suum stare fecit vehiculum hominemque sic despectum suis complexans manibus et ad se in currum recipiens ancillarem sibi prebebat obsequelam. Quod cetere domine ac puelle cernentes, horrore quodam ac nausea obvolute ceperunt eam despicere ac eidem submurmurare, detrahere variisque cahinnis ipsam vituperare dicentes: Sciatis veraciter, domina, quod non solum in cibo et potu, verum eciam in omni conversacione te detestando, nolumus tibi communicare. Que Deo plena, totum vertens solacium non tantum ab istis, verum eciam a multis, simillimis operibus manum piam non relaxabat. Cum autem quandam dominam nomine Preczslavam horrore plenam felix Kynga sub specie solacii osculata fuisset, os ac facies eius in tantum intumuit, ut quasi lepra percussa videretur. Que terrore maximo concussa eiulare cepit clamorose, beatam Kyngam obiurgando; ipsa vero pacientissime sustinens, secundario sibi osculum impressit et illico totus tumor lepre evanuit; quod factum stuporem non modicum in cordibus audiencium et videncium generavit eamque in operibus perfeccionis plenius confirmavit. Cum autem quadam vice in Sandomiria more consueto leprosorum domum ­visitare vellet, invidi inimici astucia ipsam per canum innumeram multitudinem a bono opere repellere cupiente […65] felix namque domina crucis signo pectus suum muniens, pallio suo rabiem ac seviciam ipsorum canum modo indicibili domavit sibique ac comitive sue securitatem prestitit opusque devocionis consuete diligenter complevit. Item accidit de porcorum apparicione in eadem causa visitacionis leprosorum ibi in Sandomiria. Item in Cracovia de predonibus in simili negocio visitacionis leprosorum. 8. Quantam molestiam pro obtentu castitatis tercio anno habuit. Hic nota. Completis igitur annis duobus pro continencia castitatis impetratis, ducem humillime aggreditur, ut racione prosperitatis ob devocionem sancti Ioannis baptiste

Ort 21 km nordöstich von Korczyn. Hier sah der Herausgeber Kętrzyński eine Sinnlücke im Text der Handschrift, die er mit mehreren Punkten gekennzeichnet hat. 64  65 

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den verband, schließlich in Demut ein Almosen gab und, nachdem sie ihre Füße und andere Wunden demütig mit einem Kuss versehen hatte, Abschied nahm. Es begab sich aber einmal, dass sie, als sie sich mit ihrem Gefolge aus der Neustadt Korczyn nach Pacanowo64 auf den Weg machte, unterwegs einen Aussätzigen traf, der von sehr schweren Wunden überzogen, schmutzig, stinkend und verstoßen war. Während die anderen von einem Schauder erfasst an ihm vorübergingen, ließ die heilige Kinga, als sie ihn sah, ihr Fahrzeug anhalten, umarmte den so verachteten Mann, nahm ihn zu sich in den Wagen und brachte [ihm] selbst den Dienst einer Dienerin dar. Als die übrigen Herrinnen und Mädchen dies sahen, wurden sie von einem Schauder und Brechreiz erfasst und begannen, sie zu schmähen und hinter ihr zu murren, mit allerlei Gelächter über sie herzuziehen und sie zu schelten, indem sie sprachen: „Ihr sollt wahrlich wissen, Herrin, dass wir dich nicht nur in Hinblick auf Essen und Trinken, sondern auch in jeglichem Umgang verabscheuen und mit dir nicht verkehren wollen.“ Da sie durch Gott stark war, wandte sie ihren ganzen Beistand nicht so sehr von den genannten [Frauen] ab, sondern ließ ihre fromme Hand auch nicht von vielen ähnlichen guten Werken. Nachdem die heilige Kinga aber eine gewisse Herrin namens Przesława, die [ebenfalls] von Schauder erfüllt war, wie zum Trost geküsst hatte, da schwollen deren Mund und Gesicht derart an, dass es schien, als wäre sie vom Aussatz geschlagen. Von größtem Schrecken geschüttelt, begann sie laut klagend zu heulen und die heilige Kinga zu schelten. Diese aber ertrug [dies] mit größter Geduld, drückte ihr ein zweites Mal einen Kuss auf und auf der Stelle verschwand die ganze Geschwulst des Aussatzes. Dieses Ereignis löste in den Herzen derer, die es hörten und sahen, nicht wenig Staunen aus und bestärkte sie [Kinga] noch mehr in den Werken ihrer Vollkommenheit. Als sie aber einmal in Sandomir nach ihrer Gewohnheit das Haus der Aussätzigen zu besuchen wünschte, da wollte die List eines missgünstigen Feindes [des Teufels] sie durch eine große Hundemeute von ihrem guten Werk abhalten.65 Und die gesegnete Herrin schützte ihre Brust mit dem Zeichen des Kreuzes, zähmte die Raserei und Wildheit der Hunde auf unbeschreibliche Weise mit ihrem Mantel, verschaffte sich und ihrem Gefolge Sicherheit und vollendete gewissenhaft das Werk ihrer gewohnten Frömmigkeit. Gleiches ereignete sich anlässlich eines Besuchs der Aussätzigen dort in San­ domir beim Auftauchen von Schweinen. Gleiches in Krakau bei einem ähnlichen Besuch von Aussätzigen mit Räubern. 8. Wie viel Kummer sie bei der Einhaltung der Keuschheit im dritten Jahr hatte. Hier die Begebenheit. Als folglich die beiden für die Einhaltung der Keuschheit vereinbarten Jahre verstrichen waren, suchte sie mit größter Demut den Herzog [dafür] zu gewinnen, dass sie in Hinblick auf ihr Glück [und] aus Ehrfurcht vor dem heiligen Johannes,

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tercium annum cum pudore castitatis custodirent. Commotus dux et ipsam thorum matrimonii mendaciter subterfugere opinans, eidem indignatur. Tandem fere medio anno eidem sancte materiam tribulacionis ministrat, se patenter pollicens aliis feminis familiaritatem ostensurum. Confessorique suo secrete misterium pandens precatur, ut ipsam ad sue voluntatis complementum inducat. Quam confessor modis variis angariat et ad obediendum ducis imperio ipsam multis exemplis inducit. Quibus omnibus felix sponsa viriliter resistens, hostis antiqui versucias a se fecit fugere. Dux autem quandam dominam nobilem mandavit sibi intencione mali propositi adduci. Felix namque domina hec omnia suis devotis oracionibus superavit. Et quia ipse dux contra dominam felicem sic provocatus, sibi loqui dedignabatur, ipsa se totam proteccioni sancti Ioannis contulit. Et ecce mirabile dictu! [in] vigilia eiusdem sancti Ioannis baptiste ea orante et devotis oracionibus insistente, apparuit ei in visu beatus Ioannes promittens sibi, quia, quidquid in nomine ipsius pecierit, optato cum effectu a Deo obtinebit: Et hoc erit tibi pro signo certitudinis; in Civitate Nova dicta Corczyn te de ecclesia egrediente, dux tibi occurret, te dulciter salutando et manum propriam tibi porrigendo et quidquid ab eo postulaveris, procul dubio obtinebis. Et hec omnia exitus rei comprobavit. Propter quod factum domina felix sancto Ioanni vovit, quod, quicunque debitor, cuiuscunque est excessus, in vigilia eius veniam postulasset, effectum debitum consequeretur. Hoc habito duas dominas semper in dormitorio ponebat, que, quam cito dux obdormiret, eam ad oracionem excitarent. Quadam vice cum inopinate corpus ducis camisia foraminosa tetigisset, albugineam amovere cupiens, ipsum excitavit. Qui sinistra intencione dominam increpavit.66 Quo facto turbata statim in mane dominabus patefecit, que dixerunt ad invicem: O qualis ista coniunx est, que nec pedem nec minimam particulam nudam corporis ducis sui vult videre. Que omnia indicant castitatis observanciam pleniorem. Et cum eandem materiam dux militibus suis in mane referret, turbacio exoritur racione prolis future, qua carere opinabantur.67

66  Dieser Zornesausbruch des Herzogs wird in Żywot świętej Kingi (wie Anm. 34), S. 43 als Beleg dafür gedeutet, dass der ehelichen Enthaltsamkeit möglicherweise auch eine Impotenz Bolesławs zugrunde gelegen haben könnte. 67  Dass die Zeitgenossen vom Herzogspaar selbstverständlich einen Nachkommen erwarteten, lässt auch ein Hinweis der Vita Salomeae (Kap. VII, 13) erkennen, vgl. oben S. 344–345.

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dem Täufer, ein drittes Jahr in der Sittsamkeit der Keuschheit wahren. Da war der Herzog bestürzt, meinte, sie wolle sich dem Ehebett trügerisch entziehen, und empörte sich über sie. Schließlich gab er nach etwa einem halben Jahr ebendieser Heiligen [weiteren] Anlass zur Beunruhigung, indem er offen aussprach, dass er vertrauten Umgang mit anderen Frauen wünsche. Da bat sie ihren Beichtvater, dem sie unter vier Augen das Geheimnis offenbarte, dass er sie zur Erfüllung ihres Willens anleite. Der Beichtvater bedrängte sie auf verschiedene Weise und verleitete sie mit vielen Beispielen dazu, dem Befehl des Herzogs zu gehorchen. Indem die glückliche Braut all diesen [Beispielen] standhaft widerstand, bewirkte sie, dass die listigen Anschläge des alten Feindes vor ihr flohen. Der Herzog aber ließ sich eine gewisse edle Herrin in der Absicht eines üblen Vorhabens zuführen. Die gesegnete Herrin war all dem mit ihren frommen Gebeten freilich überlegen. Und weil der Herzog selbst gegen die gesegnete Herrin so gereizt war, verschmähte er das Gespräch mit ihr, während sie sich ganz dem Schutz des heiligen Johannes anvertraute. Und siehe, wie wunderbar! Als sie in der Vigil ebendieses heiligen Johannes des Täufers betete und sich eifrig ihren frommen Gebeten widmete, da erschien ihr in einer Vision der heilige Johannes und versprach ihr, dass sie das, was immer sie in seinem Namen erbitte, mit der gewünschten Wirkung von Gott erhalten werde: „Und dies soll dir als Zeichen der Gewissheit dienen; wenn du in der Neustadt, die Korczyn genannt wird, die Kirche verlässt, wird dir der Herzog entgegenkommen, dich lieb grüßen, dir seine Hand reichen und was immer du von ihm forderst, wirst du ohne jeden Zweifel erlangen.“ Und all dies hat der Ausgang der Sache bestätigt. Wegen dieses Ereignisses legte die gesegnete Herrin dem heiligen Johannes das Gelübde ab, dass jeder Sünder, was auch immer er begangen haben mag, der in seiner Vigil um Gnade bitte, den gebührenden Erfolg erzielen werde. In dieser Lage stellte sie immer zwei Herrinnen ins Schlafgemach, die sie, sobald der Herzog eingeschlafen war, zum Gebet aufweckten. Einmal jedoch, als sie mit ihrem löchrigen Hemd unvermutet den Körper des Herzogs berührte, weckte sie ihn auf, als sie das weiße Hemd wegziehen wollte. Dieser stellte die Herrin in übler Absicht zur Rede.66 Davon aufgewühlt erzählte sie dies am Morgen sogleich den Herrinnen, die daraufhin untereinander sprachen: „Oh, was ist das nur für eine Gattin, die weder einen Fuß noch den kleinsten Teil ihres Körpers vor ihrem Herzog nackt sehen möchte.“ All diese Dinge belegen die vollständige Bewahrung ihrer Keuschheit. Und als der Herzog am Morgen ebendiese Sache seinen Rittern berichtete, da trat Unruhe im Hinblick auf einen künftigen Nachkommen auf, da sie glaubten, einen solchen entbehren zu müssen.67

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Missas vero quandoque triginta cum summa reverencia et devocione auscultabatur; vesperas nativitatis Christi eciam in via precio exhibito nunquam obmittebat. Silencium de nocte semper tenebat ita, ut nec ad ducem loqueretur. In oracione sedula hiis annis et precipue feria sexta indefessa persistebat, oracionibus autem peractis ad recipiendam disciplinam flagellum de ferro nodosum ad hoc habebat. Idem sabbatho faciebat. Quadam autem vice cum dux cum Tataris [et] scismaticis conflictum habere deberet68, ipsa de ducis sanitate et prosperitate sollicita in oracione constituta, vocem audivit dicentem sibi: Nos, inquam, ad tue precis instanciam missi sumus ad tuam obsequelam. Qui et exercitum ducis contra inimicos suos direxerunt, qui in predicto exercitu in vestibus albis apparentes cedem quam maximam in hostibus fecerunt. Quorum nomina Gervasius et Prothasius habebantur.69 De exercitu vero ducis nullus captus nullusque morte interiit.

68  Möglicherweise der von den Annalen des Krakauer Domkapitels in das Jahr 1266 datierte Feldzug Bolesławs gegen den Fürsten von Galizien Johann (Svran/Švarno) Daniilovič; Annales Cracovienses (wie Anm. 49), S. 91–92. 69  Die noch im ausgehenden 13. oder beginnenden 14. Jahrhundert im Umfeld der Krakauer Franziskaner verfasste Chronik des Dzierzwa datierte das kriegerische Treffen in das Jahr 1266, und zwar auf den Festtag der Mailänder Märtyrer und Heiligen Gervasius und Protasius († um 300), d. h. den 19. Juni; Chronica Dzirsvae/Kronika Dzierzwy, hrsg. von Krzysztof Pawłowski, in: MPH NS 15, Kraków 2013, S. 79; möglicherweise kannte der Hagiograph die Notiz des Dzierzwa und leitete aus dem Datum die wundersame Unterstützung durch eben diese beiden Heiligen ab. Die Frage, weshalb der Hagiograph sie hier in dieser Form einführt, ausführlich diskutiert bei Barbara Kowalska, Błogosławiona Kinga i jej duchowi opiekunowie [Die selige Kinga und ihre geistlichen Beschützer], in: Prace Naukowe Wyższej Szkoły Pedagogicznej w Częstochowie. Zeszyty Historyczne 6 (2000), S. 183–194.

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Zuweilen lauschte sie mit größter Ehrfurcht und Frömmigkeit gar dreißig Messen; die Abendmessen zur Geburt Christi ließ sie auch unterwegs, indem sie [für sie] bezahlte, nie aus. Das nächtliche Stillschweigen wahrte sie stets derart, dass sie auch mit dem Herzog nicht sprach. Während dieser Jahre verharrte sie eifrig und besonders freitags unermüdlich im Gebet; nach ihren Gebeten aber nahm sie außerdem eine knotige Geißel aus Eisen, um sich zu züchtigen. Dasselbe tat sie auch an Samstagen. Einmal aber, als der Herzog mit den Tataren [und] den [ruthenischen] Schismatikern kämpfen musste68 und sie sich, da sie um die Gesundheit und das Wohl des Herzogs besorgt war, ins Gebet vertiefte, hörte sie eine Stimme, die zu ihr sprach: „Wir sind auf Drängen deiner Bitte hin dir zum Dienst geschickt worden.“ Sie, die im besagten Heer in weißen Gewändern erschienen, lenkten auch das Heer des Herzogs gegen seine Gegner und richteten unter den Feinden ein überaus großes Blutbad an. Ihre Namen waren Gervasius und Protasius.69 Aus dem Heer des Herzogs aber wurde niemand gefangen und niemand getötet.

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9. De oblacione offertorii et bonorum operum. In epiphania Domini tres marcas auri Christo offerebat; in die palmarum in ecclesia, ubi officium audiebat, vestem, in qua tunc existebat, ob reverenciam crucifixi de ecclesia exiens ad offertorium mittebat; in die autem cene quadraginta pauperes pascebat, lavabat, vestiebat. Unum vero ex ipsis puerulum pauperem singulariter assumebat, cui ad morem Marie Magdalene pedes lacrimis rigabat, capillis capitis sui tergebat, balsamo ungebat70 osculoque pedibus eius prestito elemosinam copiosam in sinu ipsius abscondebat. Item quandocunque claustrum ad sanctam Salomeam ordinis sancte Clare71 ex devocione intrabat, veste preciosiori induebatur, quam sororibus ob amorem Iesu Christi offerebat. Contigit etenim, ut unam dominam vite remisse claustro traderet, ea dicente, quod lupus traditur inter oves. Beata quoque Kynga ore prophetico sancte Salomee dixit: Sciatis hanc in proximo pre aliis pluribus esse vita ac moribus perfecciorem. Quod eventu rei in posterum claruit. Modum autem hunc habuit consuetudinis devote, quod, cum per terram regni sui iter faceret, tante devocionis existebat, quod, ubi ecclesiam cernere poterat, in cuius sancti honore esset, inquirebat offertoriumque devote mittebat. Et si ecclesiam in honorem virginis gloriose edificatam didicisset, omni vectura relicta, nudis pedibus per spinas et tribulos, per petrarum et veprium acutissimas duricias, colliculos ac monticulos preceps conscendebat, ibique oracioni procumbens terram lacrimis irrigabat ita, ut eciam nives liquescerent geluque dissoluto gramina viridia apparerent. Completisque oracionibus sue devocionis asperiorem ­regressum per spinas et tribulos tendebat et pedes suos delicatos ita spinarum ac veprium aculeis vulnerabat, ut vix domicelle ac domine non sine nimia compassione et tristicia evellerent, ea leta et hilari per omnia existente. Item cum in Skarzeszow72 multum mane vellet ecclesiam ingredi causa oracionis, apparuit ei demon in specie vetule ingentis magnitudinis sic, ut caput in aere teneret et ecclesie magnitudinem excederet. Clamore itaque inter ceteras continuo pre timore exorto, felix Kynga signo crucis edito, mox in fugam umbram hostis ­antiqui convertit et ianuas ecclesie absque ulla clave sibi et omnibus suis p ­ atefecit.

Lk 7, 38. Das 1245 ursprünglich in Zawichost gegründete Kloster war 1257 nach dem 20 km nördlich von Krakau gelegenen Skała verlegt worden; vgl. oben S. 313. 72  Möglicherweise das 87 km nordwestlich von Sandomir, 14 km südöstlich von Radom gelegene Skaryszew. 70  71 

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9. Über [ihre] Opfergaben und guten Werke. Am Festtag der Erscheinung des Herrn brachte sie Christus drei Mark Gold dar; am Palmsonntag gab sie der Kirche, in der sie den Gottesdienst hörte, beim Verlassen der Kirche das Gewand, in dem sie damals erschien, aus Ehrfurcht vor dem Gekreuzigten als Opfergabe; am Gründonnerstag aber speiste sie vierzig Arme, wusch und kleidete sie. Einen von ihnen aber, einen kleinen armen Jungen, nahm sie in besonderer Weise auf, benetzte wie Maria Magdalena seine Füße mit ihren Tränen, trocknete [sie] mit den Haaren ihres Hauptes ab, salbte [ihn] mit Balsam70 und einem Kuss, den sie auf seine Füße drückte, und verbarg ein reiches Almosen in seinem Gewand. Ebenso war sie, wann immer sie aus Frömmigkeit zur heiligen Salomea in das Kloster vom Orden der heiligen Klara71 ging, mit einem besonders wertvollen Gewand bekleidet, das sie [dann immer] aus Liebe zu Jesus Christus den Schwestern spendete. Auch geschah es, dass sie [einmal] eine Herrin, die ein nachlässiges Leben führte, dem Kloster übergab, wobei sie sagte, dass ein Wolf unter Schafe gelassen werde. In einem prophetischen Spruch sagte die heilige Kinga der heiligen Salomea auch: „Ihr sollt wissen, dass diese [Frau] bald in ihrem Leben und Benehmen vollendeter als viele andere sein wird.“ Der Ausgang der Sache machte dies später deutlich. Sie hatte auch die fromme Angewohnheit, dass sie, wenn sie durch das Gebiet ihrer Herrschaft reiste, eine so große Frömmigkeit an den Tag legte, dass sie, wo immer sie eine Kirche sehen konnte, danach fragte, welchem Heiligen sie geweiht sei, und demütig eine Opfergabe sandte. Und wenn sie hörte, dass eine Kirche zu Ehren der ruhmreichen Jungfrau erbaut worden war, verließ sie jedes Fahrzeug, stieg Hals über Kopf mit bloßen Füßen über dornige Sträucher und stacheliges Unkraut, über die spitzesten Steine und Dornenbüsche, kleine Hügel und Berge, warf sich dort zum Gebet nieder und benetzte die Erde so mit ihren Tränen, dass selbst der Schnee schmolz und nach Auflösung des Frostes grünes Gras hervortrat. Sobald sie die Gebete ihrer Frömmigkeit beendet hatte, schlug sie den mühsameren Rückweg über dornige Sträucher und stachliges Unkraut ein und verletzte ihre zarten Füße so an den Spitzen der Stacheln und Dornenbüsche, dass die jungen Frauen und Herrinnen diese kaum ohne sehr großes Mitleid und Betrübnis herausziehen konnten, während sie in allem froh und heiter war. Ebenso als sie [einmal] in Skaryszew72 sehr früh am Morgen zum Gebet die Kirche betreten wollte, da erschien ihr ein Dämon in Gestalt einer alten Frau von so gewaltiger Größe, dass ihr Kopf in die Luft reichte und die Höhe der Kirche übertraf. Während sich deshalb bei den anderen sofort aus Angst ein Geschrei erhob, schlug die gesegnete Kinga, indem sie ein Kreuzzeichen machte, den Schatten des alten Feindes sogleich in die Flucht und öffnete für sich und alle ihre Leute ohne jeglichen Schlüssel die Türen der Kirche.

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10. De miraculis in Hungaria ex presencia ipsius virtutis factis. Contigit autem quadam vice felicem dominam visitacionis parentum causa Hungariam ingredi, ubi clemencia divina per eius merita miracula declaravit. Primum est omni recitacione dignum. Nam cum a patre suo, domino rege Bela unam fodinam salis sibi dari peciisset et eo benignissime annuente id promeruisset, stans super predictam foveam sibi assignatam felix Kynga invocataque divina gracia annulum suum in ipsam foveam proiecit. Post multum vero temporis cum fodine in Bochna diocesis Cracoviensis foderentur, in prima fovea in una salis banca predictus aureus annulus est repertus. Quem videns felix domina et suum esse recognoscens, Deo gracias egit, qui semper mira diligentibus operatur.73 Item mater eius cum sincera dileccione ordinem predicatorum amplexata diligeret, oracionibus devotis sancte Kynge filie sue superata, ordini fratrum minorum adhesit eumque sincere diligens demum in choro Strygoniensi tumulata requiescit. Item patrem suum a faucibus mortis mire liberavit. Cum enim in convivio cuius­dam comitis nomine Pauli rex debebat interfici, felix Kynga robore Altissimi suffulta, ad gladiatores ingressa, triginta enses manu nuda a maleficis eruens, eos suis militibus tradidit et patrem dextra sua de medio inimicorum eduxit. 11. De reditu suo in Poloniam. Cum Poloniam rediisset, se ipsam omnino deprimens, vitam austerrimam actitabat. Nam tempore hiemali sola clamide amicta in oracione persistebat. Tempore autem veris et estus, veste asperrima et pellibus corpus suum domabat. Et in quocunque clenodio aut veste commendabatur, totum illud Deo dedicabat ita, quod eciam quandam coronam, quam ad ecclesiam transeundo ferret, illico ipsam de capite suo deponens pro fabrica sancte crucis assignavit. Insuper dum de corporis elegancia commendaretur, diversimode faciem suam deturpabat, interiorem pulchritudinem Deo committendo. Et quod maius videtur, quia tempore vite ducis sui licencia petita et obtenta, in manibus ministri tunc missam modulantis professionem sacram regule beati patris Francisci cum cordis devocione apud minores in Cracovia suscepit sicque sub obediencia confessoris constituta, tunica et corda professionis sue nunquam caruit, omnemque religionis obedienciam, castitatem ceterasque austeritates tanquam perfecta religiosa humiliter exercuit.

73  Hintergrund dieser Legende dürfte Kingas Mitwirkung an der Anwerbung ungarischer Bergleute für die 1251 erfolgte Anlage des Salzbergwerks in Bochnia gewesen sein.

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10. Über die Wunder, die infolge der Gegenwart ihrer Tugend in Ungarn ­geschahen. Es begab sich aber einmal, dass die gesegnete Herrin, um ihre Eltern zu besuchen, nach Ungarn kam, wo die göttliche Barmherzigkeit durch ihre Verdienste Wunder wirkte. Das erste ist aller Rede wert. Denn als sie sich von ihrem Vater, dem Herrn König Bela, ein Salzbergwerk zum Geschenk erbat, er dem in gütigster Weise zustimmte und sie es erhielt, da warf die gesegnete Kinga, während sie oberhalb der besagten, ihr übertragenen Grube stand, nachdem sie die Gnade Gottes angerufen hatte, ihren Ring in ebendiese Grube. Nach langer Zeit aber, als die [Salz-]Gruben in Bochnia in der Diözese Krakau ausgehoben wurden, da wurde in der ersten Grube in einer Salzbank der besagte goldene Ring gefunden. Als ihn die gesegnete Herrin erblickte und als den ihren erkannte, dankte sie Gott, der den Eifrigen stets Wunder wirkt.73 Ebenso wurde ihre Mutter, die mit aufrichtiger Liebe dem Predigerorden zugetan war, von den demütigen Gebeten der heiligen Kinga, ihrer Tochter, überwältigt, so dass sie sich dem Orden der Minderbrüder anschloss und ihn aufrichtig liebend schließlich bestattet im Chor [der Kathedrale] von Esztergom ruht. Ebenso hat sie ihren Vater auf wunderbare Weise aus den Schlünden des Todes befreit. Denn als der König bei einem Gastmahl eines gewissen Amtsträgers namens Paul getötet werden sollte, trat die gesegnete Kinga gestärkt durch die Kraft des Allerhöchsten den Schurken entgegen, entriss den Übeltätern mit bloßer Hand dreißig Schwerter, übergab sie ihren Rittern und führte den Vater an ihrer rechten Hand mitten aus den Feinden heraus. 11. Über ihre Rückkehr nach Polen. Als sie nach Polen zurückkehrte, erniedrigte sie sich selbst in jeder Hinsicht und führte ein sehr strenges Leben. Im Winter nämlich verharrte sie, nur in einen Mantel gehüllt, im Gebet. Im Frühling und Sommer aber zähmte sie ihren Körper mit einem sehr rauen Gewand und Fellen. Und in welchen Schmuck und welches Gewand sie auch gekleidet wurde, alles weihte sie so sehr Gott, dass sie einmal sogar eine Krone, die sie beim Kirchgang trug, auf der Stelle von ihrem Kopf nahm und für die Verfertigung eines heiligen Kreuzes bestimmte. Überdies verunstaltete sie, da sie für die Eleganz ihres Körpers gerühmt wurde, ihr Gesicht auf verschiedene Weise und vertraute ihre innere Schönheit Gott an. Und was noch bedeutender erscheint: dass sie noch zu Lebzeiten ihres Herzogs [dessen] Erlaubnis erbeten und erhalten hat, bei den Minder[brüdern] in Krakau in die Hände jenes geistlichen Dieners, der damals die Messe sang, in der Demut ihres Herzens das heilige Gelübde nach der Regel des heiligen Vaters Franziskus abzulegen. Und so unter den Gehorsam des Beichtvaters gestellt, trug sie stets das Gewand und den Gürtel ihres Ordensgelübdes und übte wie eine vollwertige Ordensfrau demütig jeglichen Gehorsam gegenüber dem Glauben, Keuschheit und die übrigen strengen Regeln.

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12. Sequitur miraculum. Cum autem adhuc ante professionem dominus dux ei precepisset omnino prohibendo, ne ieiuniis corpus suum in tantum afficeret, sed pocius carnibus et ferinis delicatis recrearetur, contigit, ut ea piscem comedente et aquam bibente, nuncius speculator ad videndum a duce dirigatur, qui videns eam aquam bibentem et piscem comedentem retulit duci. Dux vero extemplo ad eam ingreditur, accipiens ante ipsam piscem gustat et carnes reperit delicatas; aqua eciam gustata vinum preciosum in ore sentit. Et extunc consensit devotus in omni devocione sponse sue. Hec revera est commutacio dextere excelsi. 13. De esu carnium. Denique cum ex obediencia confessoris sui in mandatis reciperet, quod carnes comedere pro confortacione corporis sui deberet, carnes eciam ferine in saporem piscium vertebantur, quod a quibusdam secreta eius servantibus est veraciter probatum. Et quoniam ex consuetudine devocionis sue calceamento non utebatur et cum confessor suus ex compassione sui sibi preciperet, ut calceos deferret, ipsa predictos calceos subdeferebat. Cum autem in pedibus eos deferre cogeretur, sub solia amovebat, ut sic nudo calce transiret; soculos ad id preparatos in quantitate unius digiti sibi consuens deferebat.74 14. De obediencia confessori. Quibus omnibus confessor cognitis, in terra ipsam sedere precepit calceos in collo tenentem soculisque in pallio ante ipsam existentibus. Ipsa vero hec omnia, ut vere obediencie filia, diligenter sustinuit pro omnibus Deo grates referendo. Moris etenim sibi erat a mane usque ad horam prandii missas audire ac oracionibus devotis instantissime insudare; post prandium vero quidquid manibus suis poterat, totum ad honorem Christi ad altare offerebat. Vixit autem cum domino duce, sponso suo devoto, in omni castitate et perfeccionis opere quadraginta annis.

74  Vgl. Vita beate Hedwigis (maior legenda de beate Hedwigi)/Leben der heiligen Hedwig (Größere Erzählung von der heiligen Hedwig), hrsg. von Peter Moraw, in: Der Hedwigs-Codex von 1353. Sammlung Ludwig. Band 2: Texte und Kommentare, hrsg. von Wolfgang Braunfels, Berlin 1972, S. 71–155, hier S. 85–86 (IV, 2), die berichtet, wie sich Hedwig weigerte, Schuhe zu tragen und deshalb von ihrem Mann und ihrem Beichtvater getadelt wurde.

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12. Es folgt ein Wunder. Als aber der Herr Herzog ihr noch vor dem Gelübde Vorschriften machte und ihr ganz und gar untersagte, ihren Körper durch Fasten in so großem Maß zu schwächen, vielmehr [verlangte,] sich mit Fleisch und köstlichem Wildbret aufzubauen, da begab es sich, dass sie Fisch aß und Wasser trank, dies ein vom Herzog zur Beaufsichtigung entsandter Aufseher sah und dem Herzog berichtete, dass sie Wasser trank und Fisch aß. Der Herzog aber ging auf der Stelle zu ihr, nahm vor ihr den Fisch, probierte ihn und schmeckte köstliches Fleisch; er probierte auch das Wasser und spürte in seinem Mund prächtigen Wein. Und daraufhin stimmte er fromm in jede fromme Handlung seiner Braut ein. Dies ist in der Tat eine Wandlung durch die rechte Hand des Erhabenen. 13. Über den Fleischverzehr. Als sie schließlich aus Gehorsam zu ihrem Beichtvater die Anweisung annahm, zur Stärkung ihres Körpers Fleisch zu essen, nahm selbst das Fleisch von Wildtieren Fischgeschmack an, was von gewissen [Personen], die ihre Geheimnisse kannten, als wahr bestätigt worden ist. Und da sie nach ihrer frommen Gewohnheit keine Schuhe trug, ihr Beichtvater ihr aus Mitleid mit ihr aber anriet, [doch] Schuhe zu tragen, trug sie die besagten Schuhe [in den Händen]. Als sie aber gezwungen wurde, sie an den Füßen zu tragen, entfernte sie deren Sohlen, so dass sie mit bloßen Füßen einherschritt; dazu trug sie in der Größe eines Fingers präparierte genähte Socken.74 14. Über den Gehorsam gegenüber dem Beichtvater. Als der Beichtvater all dies erfuhr, befahl er ihr, sich auf den Boden zu setzen und die Schuhe vor sich an den Hals und die Socken an den Mantel zu halten. Sie aber hielt all dies, wie eine Tochter wahren Gehorsams, gewissenhaft aus und dankte für alles Gott. Denn sie hatte die Gewohnheit, vom Morgen bis zur Stunde des Mittagessens Messen zu hören und sich äußerst heftig in ihren frommen Gebeten zu verausgaben; nach dem Mittagessen aber brachte sie alles, was sie mit eigenen Händen [tragen] konnte, zu Ehren Christi am Altar dar. Sie lebte aber mit dem Herrn Herzog, ihrem frommen Gatten, vierzig Jahre lang in vollständiger Keuschheit und im Streben nach Vollkommenheit.

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15. De decessu ducis. Tandem piissimo duce universe carnis viam ingresso75, mox felix domina habitum ordinis beati Francisci non modica cum devocione assumpsit in die beati Melchiadis76, funere ducis in feretro existente. Fit autem nobilium concursus fitque luctus et planctus universalis omnium super morte et funere domini ducis sui statimque omnium nobilium fit humilis peticio ad felicem dominam, ut solita pietate miseracionis sue eos deserere non deberet, sed regnum tocius ducatus assumeret aut aliquem nomine suo substitueret; indicibili enim gracia erga eam racione sue devocionis afficiebantur. Ipsaque petitis induciis, ut in veste viduali inter eos appareret, domum cuiusdam religiose nomine Marthe ingressa ibique cum sorore sua nomine Iolenta maioris Polonie ducissa accepto domini ducis linteamine per medium sciderunt et inde peplis humilibus factis capita sua velaverunt et sic velate per totum chorum fratrum minorum in Cracovia [transierunt] ad peragendum exequias funeris ducis Boleslai. Quas ut viderunt milites ac omnis cetus populi fleverunt planctu magno dicentes: Ve, ve nobis, quia utroque principe orbamur hodie, duce per mortem et domina ducissa per ordinis assumpcionem. Sicque geminatus dolor crevit in populo. Felix namque domina in sola tunica, saga et pallio gracillimo contecta, totam noctem illam circa funus ducis sui corporis insompnem deduxit, deprecans devotissime cum nimia lacrimarum effusione pro salute anime eius. Mane itaque facto tum iam singultu depresso frangebatur, gene faciei sue profluvio lacrimarum scindebantur et ex nimio fletu panniculi peplorum madefacti in viridem colorem vertebantur. Sepulto autem devotissimo duce Boleslao, cum iam domum de ecclesia reverteretur, manicis inclinatis sanguis nimius de ipsius corpusculo frigore ac aliis laboribus macerato abundantissime manavit. Ordinata quippe cum debita magnificencia sepultura ducis sui elemosinaque copiosa per omnes ecclesias pro anima ipsius distributa, statim in territorium Sandecense, quod pro dote sua a domino duce felicis memorie impetraverat, profecta est cum suo speciali comitatu. Cumque in Sandecz venissent, mox, quod ante in pectore suo gerebat, ad laudem Dei enititur et in palam facto deducit. Nam cum omni devocionis sue instancia claustrum sanctimonialium ordinis alme virginis Clare in ipsa civitate Sandecz 75  Die Quellen überliefern verschiedene Daten; die letzte, von Bolesław V. ausgestellte Urkunde datiert vom 6. Dezember 1279 (KDKK I, Nr. 83); als das wahrscheinlichste Datum seines Todes gilt der (allerdings nur in einer bei Jan Długosz überlieferten Quelle verzeichnete) 7. Dezember 1279. 76  10. Dezember und 10. Januar. Dass Kinga bereits unmittelbar nach Bolesławs Tod in das Klarissenkloster von Sandez eingetreten ist, erscheint unwahrscheinlich; die Sandezer Klostergründung konnte tatsächlich erst ab Sommer 1280 realisiert werden. Als „soror ordinis sancti Francisci“ begegnet Kinga erstmals in einer am 2. Januar 1281 ausgestellten Urkunde des Krakauer Bischof Paul; KDM II, Nr. 491.

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15. Über das Hinscheiden des Herzogs. Als der überaus fromme Herzog schließlich den Weg allen Fleisches ging75, nahm die gesegnete Herrin sogleich, am Festtag des heiligen Melchiades76, als der Leichnam des Herzogs noch auf der Totenbahre lag, mit nicht geringer Demut den Habit des Ordens des heiligen Franziskus an. Und da geschah ein Auflauf der Adligen, war bei allen Trauer und allgemeines Wehklagen über den Tod und das Begräbnis ihres Herrn, des Herzogs, und sogleich wurde der gesegneten Herrin die demütige Bitte aller Adligen angetragen, sie dürfe diese mit der gewohnten Frömmigkeit ihrer Barmherzigkeit nicht im Stich lassen, sondern möge die Herrschaft über das ganze Herzogtum übernehmen oder jemanden in ihrem Namen einsetzen; denn angesichts ihrer Demut waren sie ihr gegenüber von unsagbarer Dankbarkeit erfüllt. Sie aber ging, nachdem sie um Aufschub gebeten hatte, damit sie in Witwenkleidung vor ihnen erscheinen konnte, in das Haus einer gewissen Ordensfrau namens Martha. Dort nahm sie gemeinsam mit ihrer Schwester Jolenta, der Herzogin von Großpolen, ein Leinentuch des Herrn Herzogs, das sie in der Mitte durchrissen, um sich mit den daraus gemachten demutsvollen Tüchern ihre Häupter zu verhüllen; und so verschleiert schritten sie durch den ganzen Chorraum der Minderbrüder von Krakau, um das Begräbnis des Leichnams des Herzogs Bolesław zu begehen. Als die Ritter und der ganze Auflauf des Volkes sie so sahen, weinten sie mit großem Wehklagen und sagten: „Wehe, wehe uns, da wir heute beider Fürsten beraubt werden, des Herzogs durch den Tod und der Herrin Herzogin durch die Annahme des Ordensgelübdes.“ Und so erwuchs im Volk ein doppelter Schmerz. Die gesegnete Herrin aber verbrachte, lediglich mit einer Tunika, einer Decke und einem leichten Überwurf bedeckt jene ganze Nacht schlaflos am Leichnam der Gebeine ihres Herzogs und betete unter großem Tränenvergießen in größter Hingabe für das Heil seiner Seele. Als es Morgen wurde, war sie daher vom tiefen Schluchzen schon ganz geschwächt, waren die Wangen ihres Gesichts vom Fluss der Tränen durchfurcht und das Tuch ihrer Schleier durch übermäßiges Weinen ganz durchnässt und grün gefärbt. Als sie nach dem Begräbnis des äußerst frommen Herzogs Bolesław aber aus der Kirche bereits nach Hause zurückkehrte, da floss, als sie ihre Arme beugte, sehr viel Blut aus ihrem zarten, von Kälte und anderen Strapazen zermürbten Körper. Nachdem sie also das Begräbnis ihres Herzogs mit der gebührenden Erhabenheit begangen und an alle Kirchen reichliche Almosen für seine Seele verteilt hatte, brach sie sogleich mit ihrem vertrauten Gefolge in das Gebiet von Sandez auf, das sie [seinerzeit] vom Herrn Herzog seligen Angedenkens als ihre Mitgift erhalten hatte. Als sie nach Sandez kamen, bemühte sie sich sogleich um das, was sie zuvor zum Lob Gottes in ihrem Herzen trug, und setzte es öffentlich um. Denn mit dem ganzen Eifer ihrer Frömmigkeit errichtete sie in ebendieser Stadt Sandez ein

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construxit. Ad quod cenobium ad serviendum Deo omnipotenti et beate Marie virgini et glorioso confessori beato Francisco77 virgines nobilium, imo ducum et eciam simplicium quam plures ibidem congregavit. Et ut commodius et devocius oracionibus vacare possent cum pro anima ducis sui domini Boleslai, cum pro communi bono terre et tocius christianitatis, tum eciam pro animabus parentum, propinquorum, benefactorum et omnium fidelium defunctorum et ut contemplacioni devocius insistere possent et pro ipsius felicis domine salute utriusque hominis, pro victu quotidiano et ceteris communibus vite necessariis dotavit claustrum premissum magnis ac certis reditibus. Primo et principaliter legavit sibi eandem civitatem Sandecz cum teloneo et omnibus78 suis quibusvis reditibus; demum omnes villas cum censu et cum tabernis, cum pratis et cum omnibus utilitatibus, fructibus, serviciis; insuper contulit omnia molendina in utroque fluvio scilicet in Dunaiecz et Poprot et in omnibus fluviis ac rivulis, qui sunt et qui fieri possunt in omnibus hereditatibus ipsius dominii, cum clausuris et omnibus quibusvis instrumentis ad molendina spectantibus; denique piscacionem et in fluviis et rivulis dicti dominii; venacionem vero et mellificia cum omnibus silvis et nemoribus ac generaliter cum omnibus usibus, qui habentur et in posterum haberi poterunt. Hec omnia, ut supra sunt notata, sepius dicto monasterio iure hereditario in perpe­ tuum79 contulit et privilegiis apostolicis nec non ducum seu principum ac suis propriis firmiter roboravit. Ipsa eciam beata ac felix domina cum omni humilitate et devocione in ipso claustro sub obediencia abbatisse semetipsam collocavit et usque ad extremum sui exitus diem in eodem perseveravit. 16. De eius humili et devota habitacione inter sorores. Cum autem hec felix et beata inter sorores ad laudem Dei per eam congregatas commoraretur, omnibus se non dominam, sed servilem exhibebat personam et quod maius est, ad omnia servicia non tantum divina et ecclesiastica, sed eciam communia suam tenebat hebdomadam ita, ut eciam utensilia quoque humiliter lavaret; quod plura, nam omnes sorores suas in omnibus devotis operibus, in humilitate, pietate, compassione et omni sincera dileccione excedebat. Quod eciam in multis claruit exemplis. Et quia Deo omnipotenti in omni obediencia omnique precum instancia devote servivit, Deus vero ipsam adhuc in ergastulo corporis existentem multis et quam plurimis mirisque decoravit miraculis, prout infra ­patebunt.

Vgl. die analoge Formulierung in der Stiftungsurkunde von 1280 (KDM II, Nr. 487): „[…] ad Dei gloriam et sanctae Dei genitricis Mariae ac beati Francisci gloriosi confessoris […].“ 78  Stiftungsurkunde von 1280 (wie Anm. 77), der auch die weitere Aufzählung der Klosterausstattung durch den Hagiographen ähnelt. 79  Stiftungsurkunde von 1280 (wie Anm. 77). 77 

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Nonnenkloster vom Orden der segenspendenden Jungfrau Klara. In diesem Frauenstift versammelte sie sehr viele Jungfrauen adliger Männer, ja sogar von Herzögen und auch einfacher Leute, um ebendort Gott, dem Allmächtigen, und der heiligen Jungfrau Maria sowie dem ruhmreichen Bekenner, dem heiligen Franziskus77, zu dienen. Und damit sie sich dort bequemer und andächtiger den Gebeten sowohl für die Seele ihres Herrn, des Herzogs Bolesław, als auch für das allgemeine Wohl des Landes und der ganzen Christenheit wie auch für die Seelen der Eltern, Verwandten, Wohltäter und aller verstorbenen Gläubigen hingeben konnten, und damit sie sich dort andächtiger der Kontemplation widmen und für beiderlei Heil [das körperliche und seelische] der glücklichen Herrin [sorgen] konnten, stattete sie das vorgenannte Kloster für den täglichen Lebensunterhalt und die übrigen allgemeinen Notwendigkeiten des Lebens mit großen und sicheren Einkünften aus. Erstens und hauptsächlich verschrieb sie sich ebendiese Stadt Sandez mit dem Zoll und allen daraus fließenden Einkünften78; dann alle Dörfer mit ihren Abgaben und mit den Tavernen, mit den Wiesen und allen Nutzungen, Ernteerträgen und Dienstleistungen. Überdies verlieh sie [dem Kloster] alle Mühlen an beiden Flüssen, nämlich dem Dunajec und Poprad, sowie an allen Flüssen und Bächen, die auf sämtlichen Erbgütern ihrer Domäne bestehen und in Zukunft bestehen können, mit den Einfriedungen und allen beliebigen zu den Mühlen gehörigen Geräten; schließlich das Recht, in den Flüssen und Bächen der genannten Domäne zu fischen; weiterhin das Jagdrecht und die Imkereien mit allen Wäldern und Hainen und vor allem mit allen Nutzungen, die man an ihnen hat oder in Zukunft haben kann. Alle diese vorgenannten Dinge übertrug sie dem oft genannten Kloster durch Erbrecht auf ewig79 und bekräftigte [die Schenkung] durch päpstliche, herzogliche bzw. fürstliche sowie ihre eigenen Urkunden als gültig. Auch stellte sich die heilige und gesegnete Herrin selbst mit ganzer Demut und Ergebenheit in ebendiesem Kloster persönlich unter den Gehorsam der Äbtissin und verblieb an diesem [Ort] bis zum letzten Tag ihres Lebens. 16. Über ihre demütige und fromme Lebensweise unter den Schwestern. Als aber diese gesegnete und heilige [Kinga] unter den von ihr zum Lobe Gottes versammelten Schwestern weilte, da verhielt sie sich allen gegenüber nicht wie eine Herrin, sondern wie eine Dienerin und, was noch bedeutender ist, sie versah ihren Wochendienst nicht nur im Hinblick auf die göttlichen und kirchlichen, sondern auch sämtliche gemeinschaftlichen Dienste derart, dass sie selbst das ­Geschirr demütig abwusch; mehr noch: in allen frommen Werken, in ihrer Demut, Frömmigkeit, ihrem Mitgefühl und ihrer ganzen echten Nächstenliebe übertraf sie alle ihre Mitschwestern. Das wurde auch an vielen Beispielen deutlich. Und weil sie dem allmächtigen Gott in vollem Gehorsam und voller Inständigkeit ihrer Bitten ergeben diente, zeichnete sie Gott, während sie noch im Gefängnis ihres Körpers wandelte, durch viele und überaus bemerkenswerte Wunder aus, so wie sie im Folgenden offenbar werden.

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17. De disciplina et correccione diversorum. Tempore autem illo, quo ducatum cum duce suo gubernabat, omnem eciam gentem incultam ab errore ad noticiam veritatis, ab impudico excessu ad pudiciciam revocare nitebatur. Exemplum de domino Petro milite, qui uxore sua abiecta, mulierem vagam adamabat, multis vero passionibus ac vulneribus suam consortem afficiendo apud mulieres serviciales ipsam recluserat ita, quod iam de vita desperans finem expectabat. Quod cum famula Dei didicisset, statim cum sua comitiva ad villam militis properat, dominam inclusam querens. Accersitisque comitibus suis mandat, ut domum dicti militis ingrederentur. Qui tum racione amicicie, tum racione austeritatis et ferocitatis sue, ipsum in medio curie cultello extracto cernentes, ingredi recusant. Quod famula Dei cernens sola personaliter domum audacter ingreditur dominamque requirens et in medio servicialium ipsam reperiens, verbis consolatoriis reficit. Vagam autem manibus propriis de furno per pedes extrahens, per totam curiam usque ad suum currum traxit. Ipsam currum ascendere nolentem brachiis propriis elevans in currum levavit, quod nullo modo absque Dei iuvamine fieri potuit, cum ipsa domina esset tenerrima, vaga autem mulier pinguis et magna ita, quod annulus in manu sibi frangeretur, qui medium fertonem pensabat auri. Ad nocturnum vero veniens, illa mulier nunquam post apparuit et cum Dei famula requireretur, quo talis mulier devenisset, respondit sub assercione veritatis, [quod] nullum dampnum in corpore haberet, sed ibi esset nutu Dei posita, ubi Deo serviens deinceps nunquam peccabit. Item contigit de Clara Charonis, cuius maritus quasi racione carens consortem suam minime curabat. Ipsa vero mulier voluptati dedita torum suum depravans, castrimargie vagabunda insistebat. Quod felix famula Dei percipiens curie sue ipsam adiunxit; fitque mulier de bono in melius proficiscens, doctrina et oracionibus ­famule Dei informata et adiuta, religionem sanctam assumens Deoque serviens devotissima est effecta. 18. Sequitur miraculum. Item quedam mulier nomine Elisabeth vagabunda et dissoluta ad famulam Dei iam in claustro consistentem venit, quam Dei famula instruens a via mala ad statum perfeccionis convertit. Quam in bono proposito confirmatam ad ordinem recepit. Ipsa vero sese melior existens sanctam vitam actitando multum bone vite est assecuta.

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17. Über die Zucht und Besserung verschiedener Leute. In jener Zeit aber, in der sie gemeinsam mit ihrem Herzog das Herzogtum lenkte, bemühte sie sich auch, sämtliches ungebildete Volk vom Irrtum zur Kenntnis der Wahrheit, von der unzüchtigen Ausschweifung zur Sittsamkeit zurückzurufen. [Angeführt sei] das Beispiel von dem Herrn Ritter Petrus, der seine Frau verstieß, sich in eine zügellose Frau verliebte, seiner Gattin aber viel Leid und Schmerz bereitete und sie bei den Dienstfrauen so einschloss, dass sie am Leben verzweifelte und schon ihr Ende erwartete. Als die Dienerin Gottes davon erfuhr, eilte sie mit ihrem Gefolge sofort in das Dorf des Ritters und fragte nach der eingesperrten Herrin. Nachdem sie ihre Begleiter herbeigerufen hatte, befahl sie ihnen, das Haus des besagten Ritters zu betreten. Diese weigerten sich einzutreten, teils aus Freundschaft, teils wegen seiner Strenge und Wildheit, da sie ihn mitten im Hof mit gezücktem Dolch sahen. Als dies die Dienerin Gottes sah, betrat sie mutig allein das Haus, fragte nach der Herrin, entdeckte sie inmitten der Dienerschaft und baute sie mit Worten des Trostes wieder auf. Die Zügellose aber holte sie mit eigenen Händen an den Füßen hinter dem Ofen hervor und zog sie über den ganzen Hof bis zu ihrem Wagen. Da sie nicht auf den Wagen steigen wollte, hob sie sie mit eigenen Armen hoch und setzte sie in den Wagen, was sie ohne Gottes Hilfe auf keinen Fall gekonnt hätte, da sie eine sehr zarte Herrin, jene zügellose Frau aber derart fett und groß war, dass der Ring an ihrer Hand brach, der einen halben Vierdung Gold wog. Zwar kam jene Frau [noch] zum Nachtgebet, tauchte anschließend [aber] nie wieder auf. Und als die Dienerin Gottes gefragt wurde, wohin diese Frau entschwunden sei, antwortete sie unter Versicherung der Wahrheit, [dass] sie keinen körperlichen Schaden davongetragen habe, sondern dort unter den Willen Gottes gestellt sei, wo sie Gott fortan dienen und nie mehr sündigen wird. Ebenso trug es sich mit Klara, der Frau des Charon, zu, deren Ehemann, als hätte er den Verstand verloren, sich überhaupt nicht um seine Gattin kümmerte. Die Ehefrau aber gab sich der Begierde hin, verdarb ihr Ehebett und verharrte in umherschweifender Unzucht. Als die gesegnete Dienerin Gottes dies vernahm, zog sie diese [Frau] an ihren Hof; und die Frau schritt vom Guten zum Besseren, nahm, durch die Lehre und Gebete der Dienerin Gottes belehrt und gestützt, das heilige Ordensleben an und wurde zu einer sehr frommen Dienerin Gottes. 18. Es folgt ein Wunder. Ebenso kam eine umherschweifende und zügellose Frau namens Elisabeth zu der Dienerin Gottes, als sie bereits im Kloster lebte. Die Dienerin Gottes belehrte sie und brachte sie vom schlechten Weg zu einem Zustand der Vollendung. Sobald sie in ihrem guten Vorsatz gefestigt war, nahm sie sie in den Orden auf. Sie aber erwies sich als durchaus tauglich, führte eine heiliges Leben und erreichte vieles von einem guten Leben.

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19. De operibus misericordie eius. Denique hec beata famula Dei pupillos cum maxima caritate reficiebat. Nam quandocunque mulierem pauperculam infantulum habere audiebat, expensam pro matre et panniculos infanti pro cunabulis transmittebat. Sepulturas insuper pauperibus cum offertorio devota ordinabat, cereos et cetera funebria cum magna compassione exhibendo. Tante etenim compassionis et miseracionis erga pauperes, tribulatos, infirmos, nuditate, fame ac frigore depressos erat, ut omnes brachio appodiacionis sue utcunque consolaretur. Quapropter omnes egentes non dominam, sed matrem pauperum et omnium mestorum eam iam nuncupabant, quia, prout iam dictum est recte, ad omnes misericordie visceribus effluebat. 20. Miraculum luculentum. Dum autem fratres80 duo felicis domine, filii regis Stephani filii regis Bele, nati fuissent, contigit unum scilicet Andream exilium pati, quo relegatus venit in Polo­ niam ad suam amitam, felicem dominam, ubi per signa a felici domina indicata in balneo a nobilibus per crucis inter scapulas signaculum et mestricis81 morsum agnoscitur. Qui ad sui fratris instanciam in Nida fluvio inter Visliciam et Corczyn submergitur per Hungaros deceptus. In Corczyn apud fratres fuit tumulatus, sed ad instanciam felicis domine extumulatur et in Sandecz in vigilia beate Elizabeth adducitur. Cum igitur ad instanciam sororum famula Dei una cum cetu dictarum sororum pro resuscitacione ipsius Andree oraciones devotas ad Christi clemenciam dirigerent, domina felix in suo oratorio constituta in Deum tota rapitur et oracionibus devotis insistit. Cum igitur voces diverse a sororibus in oratorio dicte domine audirentur, soror Gertrudis iuvenis quidem, sed devota foramen in oratorium faciens vidit felicem dominam lumine celesti amictam. Et increpante eam alia sorore nomine Aldegunde, sibi Dei secretum reserat. Tercia autem sorore nomine Grimislava eis associata, vocem domine trinitatem deificam alloquentem audiunt, responsa omnino non intelligunt. Sicque miraculo conspecto recedunt. Et cum signa resurreccionis in funere cernerent, domina felix ipsum ad pedes tangens dixit: Iace, iace in pace, ne puer terreatur. Signisque vite recedentibus

Recte: nepotes; so schon in der Handschrift I von anderer Hand am Rand notiert. Was mit diesem unbekannten Wort gemeint war, ist unklar; Niezgoda, Święta Kinga (wie Anm. 34), S. 242 und Żywot świętej Kingi (wie Anm. 34), S. 67 übersetzen es mit „maciora“ (Wildsau), Wojtczak, Średniowieczne życiorysy (wie Anm. 34), S. 151 dagegen mit „uderzenie biczem“ (Peitschenhieb). 80  81 

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19. Über die Werke ihrer Barmherzigkeit. Schließlich kümmerte sich diese gesegnete Dienerin Gottes mit größter Nächstenliebe um Waisen. Denn wann immer sie hörte, dass eine sehr arme Frau einen Säugling hatte, schickte sie der Mutter Geld und dem Kleinkind Windeln für die Wiege. Überdies richtete die fromme [Kinga] armen Leuten Begräbnisse mit einer Opfergabe aus, indem sie mit großem Mitgefühl Kerzen und sonstige Begräbnisutensilien gewährte. Denn sie brachte armen, geplagten, kranken, von Nacktheit, Hunger und Kälte niedergedrückten [Menschen] so viel Mitgefühl und Barmherzigkeit entgegen, dass sie alle mit dem Arm ihrer Unterstützung wie nur möglich tröstete. Daher nannten alle Bedürftigen sie nicht Herrin, sondern schon Mutter der Armen und aller Betrübten, weil sie, wie ja schon richtig gesagt wurde, für alle von ganzem Herzen Barmherzigkeit ausströmte. 20. Ein glänzendes Wunder. Nachdem aber die beiden Neffen80 der gesegneten Herrin, [Ladislaus IV. und Andreas,] die Söhne König Stefans [V.], des Sohnes von König Bela [IV.], auf die Welt gekommen waren, begab es sich, dass einer, nämlich Andreas, das Exil erdulden musste und verbannt nach Polen zu seiner Tante, der gesegneten Herrin, kam. Dort wurde er im Bad von Adligen an den Zeichen erkannt, die von der gesegneten Herrin verraten worden waren, nämlich an einem kleinen Kreuzesmal zwischen den Schultern und [der Narbe vom] Biss einer mestrix.81 Auf Drängen seines Bruders wurde er im Fluss Nida, zwischen Wiślica und Korczyn, nachdem er von den Ungarn getäuscht worden war, ertränkt. Er wurde bei den Brüdern in Korczyn begraben, auf Bitten der gesegneten Herrin aber wieder exhumiert und am Vorabend des Festes der heiligen Elisabeth [18. November] nach Sandez überführt. Als dann die Dienerin Gottes auf Drängen der Schwestern zusammen mit einer Schar der genannten Schwestern für die Auferweckung dieses Andreas fromme Gebete an die Gnade Christi richtete, wurde die gesegnete Herrin, während sie sich in ihrer Kapelle befand, ganz zu Gott entrückt und hielt in den frommen Gebeten inne. Als nun die Schwestern in der Kapelle der besagten Herrin verschiedene Stimmen hörten, sah die Schwester Gertrud, die zwar noch jung, aber fromm war, als sie einen Spalt zum Gebetsraum öffnete, die gesegnete Herrin von einem himmlischen Licht umhüllt. Und als eine andere Schwester namens Aldegunde sie tadelte, eröffnete sie ihr das Geheimnis Gottes. Als sich aber eine dritte Schwester namens Grzymisława zu ihnen gesellte, hörten sie, wie die Stimme der Herrin die göttliche Dreifaltigkeit ansprach, doch die Antwort verstanden sie ganz und gar nicht. Und so zogen sie sich im Angesicht eines Wunders zurück. Und als man an dem Leichnam die Anzeichen einer Auferstehung sah, berührte ihn die gesegnete Herrin an den Füßen und sagte: „Ruhe, ruhe in Frieden, damit der Junge nicht erschreckt werde.“ Und nachdem die Lebenszeichen ver-

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­ ortis signa statim subsecuntur deportatoque funere ac sepulto cum magna solm lempnitate, sed cum tedio famule Dei. Nam aliud sepulchrum in claustro pro ipso factum fuit et in alio fratres funus sepelierunt, eciam obiurgantes et adeo sororibus dicentes, quod, si non possunt vivis, saltem mortuis nituntur cohabitare. Felix vero domina prophetico sermone dixit: In sepulchro priori oportet ipsum sepeliri, quod post plura temporum curricula adimpletum fore probatur; nam de lapide edificato in sepulchro predicto corpus dicti pueri est translatum. Et cum felix domina per plures quereretur, cur prohibuisset, ne defunctus resurgeret, dixit: Tria divinitus sibi fuisse revelata, cur non deberet resuscitari. Primo quia sine peccato fuit mortuus et timeretur de periculo peccati in posterum, si viveret; secundo quia multus Christianorum sanguis fuisset effusus; tercio quia miraculo suo adscriberetur et propter vanam gloriam timeret sibi perdere meritum preteritorum laborum […82] ubi deservata virginitate insinuans et cristallino nitore ipsam fulgere conspiciens; et hoc secretum nunquam voluit reserare, nisi sibi fuisset per sorores visio enodata. 21. Miraculum. Cum autem quadam vice quandam sororem, suam magistram, de quadam levitate mansuetissime reprehenderet arguendo, soror moleste argucionem felicis domine ferens coram imagine crucifixi [per] imprecaciones multas ipsam dominam maledicebat. Quadam vice contigit, ut domina felix transiens ante altare predicte imagini reverenciam faceret, mox de ipsa cruce vocem ad se delapsam audivit dicentem sibi, quod, quociescunque inde transiret, „Credo“ et „Pater noster“ dicere deberet, ut tales imprecaciones evadere posset. 22. Item miraculum. Item cum quadam vice soror Clara ad mandatum felicis domine pro aqua ferenda concita pergeret, aquam hauriens, ranam in urceo ad dominas tulit; quam domina eiciens, verbis detractoriis afficiens predictam sororem a se propulsavit, de intoxicacione sororum suspectam habuit, licet soror ipsa iusta fuisset. Tandem oracionem devotam beate virgini fudit dicta soror, ut ipsius intencionem felici domine reseraret. Factumque est enim, cum devota domina oracioni coram imagine beate virginis Marie modo consueto procumberet, vocem ad se factam de ipsa imagine

82  Hier sah der Herausgeber Kętrzyński eine Sinnlücke im Text der Handschrift, die er mit mehreren Punkten gekennzeichnet hat.

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schwunden waren, folgten sogleich die Zeichen des Todes. Und der Leichnam wurde weggebracht und in großer Feierlichkeit bestattet, doch mit Widerwillen der Dienerin Gottes. Denn man hatte für ihn im Kloster schon ein anderes Grab hergerichtet und in diesem anderen beerdigten die Brüder den Leichnam, wobei sie die Schwestern sehr tadelten und ihnen erklärten, dass, wenn sie [es] schon nicht mit den Lebenden könnten, sie sich bemühen sollten, wenigstens mit den Toten zusammenzuleben. Die gesegnete Herrin aber sagte in einem prophetischen Wort: „Es gehört sich, dass er im vorherigen Grab beerdigt wird“, was sich nach langer Zeit erfüllte; denn der Leichnam des besagten Jungen wurde aus dem aus Stein gebauten [Grab] in das vorgenannte Grab überführt. Und als die gesegnete Herrin von vielen gefragt wurde, warum sie verhindert habe, dass der Verstorbene wieder auferstehe, sagte sie, dass ihr von Gott drei Gründe offenbart worden seien, warum er nicht wieder auferweckt werden sollte: Erstens, weil der Gestorbene ohne Sünde war und die Gefahr gefürchtet wurde, er werde, wenn er weiterlebe, im Folgenden sündigen; zweitens, weil viel Christenblut vergossen worden wäre; drittens, weil man es ihr als ein Wunder zugeschrieben hätte und sie angesichts des eitlen Ruhms fürchtete, das Verdienst ihrer vorangegangenen Mühen zu verderben […82], wo sie sich mit bewahrter Jungfräulichkeit und kristallener Schönheit glänzen sah; und sie hätte nie gewollt, dieses Geheimnis preiszugeben, wäre ihr die Vision nicht durch die Schwestern erklärt worden. 21. Ein Wunder. Als sie [Kinga] aber einmal eine Schwester, ihre Vorsteherin, wegen einer Leichtfertigkeit mit einem Tadel äußerst milde kritisierte, trug die Schwester schwer am Tadel der gesegneten Herrin und schmähte die Herrin vor dem Bild des Gekreuzigten mit vielen Verwünschungen. Eines Tages begab es sich, dass die gesegnete Herrin zum Altar hinüberging und dem besagten Bild ihre Ehrfurcht erwies; da hörte sie von diesem Kreuz sogleich eine Stimme zu ihr herabsinken, die ihr sagte, dass sie, wann immer sie von da hinüberkomme, ein „Glaubensbekenntnis“ und ein „Vaterunser“ aufsagen müsse, um derartigen Verwünschungen zu entgehen. 22. Ebenso ein Wunder. Ebenso als sich einmal die Schwester Klara im Auftrag der gesegneten Herrin anschickte, eilig Wasser zu holen und das Wasser schöpfte, da brachte sie im Krug den Herrinnen einen Frosch mit. Diesen warf die Herrin hinaus, versah die besagte Schwester mit schmähenden Worten und stieß sie von sich weg, da sie den Verdacht hatte, sie wolle die Schwestern vergiften, obwohl diese Schwester rechtschaffen war. Daraufhin ließ die besagte Schwester ein frommes Gebet an die heilige Jungfrau hören, damit sie ihre Absicht der gesegneten Herrin eröffnete. Und so geschah es, dass die fromme Herrin, als sie sich vor dem Bild der heiligen Jung-

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audivit, quod soror non maliciose, sed casualiter hoc egit. Sicque felix domina culpam suam coram sorore recognoscens, sibi indulgeri peciit et ad graciam suam ipsam recipiens in virtutibus nimium profecit. 23. De communione. Communicabat autem devotissime circa regulam83 communicaciones tredecim in anno; in festo paschatis non communicabat, sed in die sabbathi, quia ob trinitatis reverenciam die dominica non flebat. Corpus vero Christi semper lacrimosis oculis intuebatur. Quandoque autem quasi in extasi posita ob fervorem oracionis corpus Christi non videbat et extunc, cum hoc sibi contingeret, penitenciam maximam perferebat et pluribus affliccionibus corpus suum afficiebat, credens propter delictum hoc sibi evenisse. 24. De reverencia resurreccionis dominice. Consuetudo eciam sibi erat, quod ob reverenciam resurreccionis dominice semper die dominico primam sororem, quam sibi obviam habuit, affabatur ei dicens: Surrexit Christus vere, respondente sorore: Vere surrexit, et felix domina nimio gaudio respersa sorori osculum affectuose prebebat. Item ex intencione proprie industrie consuetudo sibi inerat, quod decem psalmos in vulgari, antequam ecclesiam exiret, Deo persolvebat addens oracionem: Omnipotens Deus, qui vivorum dominaris simul et mortuorum etc. et sic totum psalterium per ordinem complebat pro bono statu ecclesie. 25. De ornatu ecclesiastico. Legitur84, quod hec beata ab ineunte etate racionis sue totis nisibus anhelabat, ut ecclesiasticum cultum in omni decenti ornatu sublimaret. Nam quidquid de omnibus reditibus dominii sui habere poterat, excepto victu et vestitu sororum suarum, omnia in divino ornatu expendebat, casulas purpureas diversi generis nitore refulgentes, gemmis preciosis ac auro intextas vittisque aureis diversimode decoratas per ecclesias cathedrales, conventuales ac parochiales sincere distribuendo, calices denique aureos, gemmis preciosis intextos, deauratos, argenteos, ubicunTatsächlich gab es keine kirchliche Vorschrift, die den Empfang des Abendmahls begrenzt hätte; allerdings erfolgte in der Praxis offenbar eine so eingeschränkte Wahrnehmung dieses Sakramentes, dass bereits das IV. Laterankonzil 1215 die Gläubigen verpflichtet hatte, mindestens einmal im Jahr (zu Ostern) die Heilige Kommunion zu empfangen. 84  Die Formulierung verweist auf eine schriftliche Quelle, die jedoch nicht identifiziert werden kann; Kętrzyński [Vita et miracula (wie Anm. 23), S. 680] hat an ein in der betreffenden Kirche geführtes Totenbuch gedacht. 83 

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frau Maria wie gewohnt zum Gebet auf den Boden legte, eine an sie von diesem Bild gerichtete Stimme hörte, dass die Schwester dies nicht in böser Absicht, sondern aus Versehen getan habe. Und so gab die gesegnete Herrin ihre Schuld vor der Schwester zu, bat sie um Verzeihung und machte, indem sie sie wieder in ihre Gunst aufnahm, in ihren Tugenden sehr große Fortschritte. 23. Über die Kommunion Sie empfing das Abendmahl aber äußerst ehrfürchtig, wegen der [damals geltenden] Regel83 [aber nur] an dreizehn Kommunionen im Jahr. Am Osterfest empfing sie das Abendmahl nicht, aber am [Oster-]Samstag, weil sie aus Ehrfurcht vor der Dreifaltigkeit am Sonntag nicht weinte. Den Leib Christi aber schaute sie stets mit tränenreichen Augen an. Wann immer sie aber, durch die Leidenschaft ihres Gebetes gewissermaßen in Verzückung versetzt den Leib Christi nicht wahrnahm, ertrug sie, sobald ihr dies widerfuhr, die größte Buße und versah ihren Körper mit vielen Schlägen, da sie glaubte, dass ihr dies wegen dieses Vergehens widerfuhr. 24. Über die Ehrfurcht vor der Wiederauferstehung des Herrn. Sie hatte auch die Angewohnheit, aus Ehrfurcht vor der Wiederauferstehung des Herrn jeden Sonntag die erste Schwester, der sie begegnete, mit den Worten anzureden: „Christus ist wahrhaftig auferstanden“, worauf die Schwester antwortete: „Er ist wahrhaftig auferstanden“ und die gesegnete Herrin der Schwester von übermäßiger Freude erfüllt in großer Zuneigung einen Kuss gab. Ebenso hatte sie aus dem Antrieb eigenen Eifers die Angewohnheit, bevor sie die Kirche verließ, Gott zehn Psalmen in der Volkssprache aufzusagen und das Gebet „Allmächtiger Gott, der du herrschst über die Lebenden und die Toten usw.“ hinzuzufügen; und so betete sie den ganzen Psalter der Reihe nach zum Wohl der Kirche. 25. Über den Kirchenschmuck. Man liest84, dass diese Heilige seit sie ihren Verstand benutzen konnte, mit allen Kräften den kirchlichen Kult durch jede gebührende Ausstattung erhöhte. Denn was immer sie aus allen Einkünften ihrer Domäne erzielen konnte, das alles gab sie bis auf den Lebensunterhalt und der Bekleidung ihrer Schwestern, für die göttliche Ausstattung aus, indem sie purpurne, im Glanz strahlende, mit Edelsteinen und Gold durchwirkte und mit verschiedenen goldenen Bändern geschmückte Meßgewänder verschiedener Art gerecht über die Kathedral-, Kloster- und Pfarrkirchen verteilte, schließlich auch, wo immer sie konnte, die goldenen, mit Edelsteinen besetzten, [oder] vergoldeten und versilberten Kelche vermehrte. In größter Ehrfurcht sorgte sie auch für Messbücher und andere kirchliche Bücher, für

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que potuit, multiplicabat; missales vero ac alios ecclesiasticos libros, pallas et cetera munimina matris ecclesie devotissime procurabat; presbyteros eciam et alias ecclesiasticas personas in cultu divino devotas miro venerabatur affectu, eis necessaria ministrando. 26. Miraculum luculentissimum de ira Marie consortis regis Bele. Domina Salomea consors regis Colomani fratris regis Bele veniens in Hungariam, recedente domina Maria in Possonium, recepit felicem puellam in Strygonio pro duce Boleslao germano suo et concita, ut supra premissum est85, cum ipsa in Polo­ niam venit. Post aliquantum vero temporis cum puellula et fratre sponso eius iterato Hungariam venit. Cui Maria ex offensa contra eam concepta prohibuit ei omnem reverenciam exhiberi ita, ut ingredienti nullus assurgeret nec aliquis ipsam salutare presumeret. Mirum in modum cumque domina Salomea humiliter domum, in qua domina Maria sedebat, ingrederetur, nutu divino Maria compuncta ei assurrexit et ipsam gratanter suscipiens, benignissime alloquitur ve­niamque cum magna humilitate petenti ac virgam pro correccione super dorsum tenenti Maria ire prius concepte clementer indulsit et filiam suam scilicet beatam Kyngam una cum sponso suo Boleslao sibi ostendi intime postulavit. Quibus visis cum gaudio ac muneribus ingentibus in Poloniam remeare cum conductu decenti iubet. 27. Miraculum. Quedam virgo sua specialis servitrix ordinem assumens, diabolo instigante, ordinem postponere cupiebat, quod felix domina spiritu sancto cognoscens, bis ipsam allocuta, voluntatem suam percipiens oracioni operam dedit et mox malam voluntatem dicte virginis immutavit. Que culpam suam recognoscens cum lacrimis veniam petivit et extunc in ordine sacro devota permansit. 28. De osculi eius virtute. Osculum sui oris tantam virtutem auctoritate divina prestante habebat, quod, quamcunque sororem osculabatur, si aliqua infirmitate detinebatur, statim sanabatur; nam sorori Catharine Adolany86 nunc viventi et tunc dolorem oculorum pacienti osculum prebuit, que statim sanata fuit. Huius miraculi virtus in multis sororibus et diversis languoribus probata extitit.

Vgl. oben S. 376–377 (Kap. 2), wo aber eine andere Version dieser Geschichte erzählt wird. Katharina Odolani ist von Dezember 1293 bis März 1330 als Äbtissin des Sandezer Klarissenkloster mehrfach urkundlich belegt; KDM II, 525, 560, 564, 568, 585, 601. Nach Witkowska, Vita Kingae (wie Anm. 23), S. 104 dürfte von ihr die Inititiative zu einer ersten Redaktion der Vita ausgegangen sein. 85 

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[Altar- oder Kelch-]Tücher und andere Utensilien der Mutter Kirche. Die Priester und die anderen, dem Gottesdienst ergebenen kirchlichen Personen verehrte sie mit wunderbarer Zuneigung, indem sie ihnen Lebensmittel spendete. 26. Ein überaus lichtvolles Wunder über den Zorn der Maria, der ­Gattin König Belas. Als die Herrin Salomea, die Gattin König Kolomans, des Bruders König Belas, nach Ungarn kam, während sich die Herrin Maria nach Bratislava zurückzog, nahm sie in Esztergom für Herzog Bolesław, ihren Bruder, das gesegnete Mädchen in Empfang und eilte mit ihr, wie oben vorausgeschickt wurde85, nach Polen. Nach einiger Zeit aber kam sie mit dem kleinen Mädchen und dessen Bräutigam, ihrem Bruder, wieder nach Ungarn. Maria, die wegen der Kränkung zornig auf sie war, untersagte jedermann, ihr jegliche Ehrerbietung zu erweisen, sodass sich niemand erhob, wenn sie eintrat, noch irgendjemand es wagte, sie zu begrüßen. Wie wunderlich, als die Herrin Salomea demütig das Haus betrat, in dem sich die Herrin Maria aufhielt, da stand Maria, von einem göttlichen Befehl angetrieben, vor ihr auf, nahm sie liebenswürdig in Empfang und sprach sie gütigst an und da sie [Salomea] mit großer Demut um Verzeihung bat und einen Stock zu ihrer Züchtigung über dem Rücken hielt, ließ Maria von dem zuvor gehegten Zorn sanftmütig ab und bat von Herzen, dass ihr ihre Tochter, das heißt die heilige Kinga, zusammen mit Bolesław, ihrem Bräutigam, gezeigt werde. Nachdem sie sie gesehen hatte, gebot sie, dass sie in Freude und mit außerordentlichen Geschenken unter gebührendem Geleit nach Polen zurückkehren mögen. 27. Ein Wunder. Eine gewisse Jungfrau, ihre besondere Dienerin, begehrte, als sie in den Orden eintrat, angestachelt vom Teufel, die Ordensregel hintanzustellen. Als die gesegnete Herrin dies durch den Heiligen Geist erkannte, sprach sie jene zweimal an, wandte, da sie ihre Absicht durchschaute, ihre Mühe auf das Gebet und veränderte sogleich den bösen Willen der genannten Jungfrau. Diese erkannte ihre Schuld, bat unter Tränen um Verzeihung und verblieb seither demütig in der heiligen Regel. 28. Über die Wunderkraft ihres Kusses. Dank der Vollmacht göttlicher Verleihung besaß der Kuss ihres Mundes eine so große Wunderkraft, dass, welche Schwester auch immer sie küsste, wenn eine durch Krankheit [ans Bett] gefesselt war, sie sofort geheilt wurde. So gab sie der Schwester Katharina Adolany86, die noch immer lebt und damals an einem Augenschmerz litt, einen Kuss [und] sie wurde sofort geheilt. Die Kraft dieses Wunders hat sich bei vielen Schwestern und verschiedenen Krankheiten trefflich erwiesen.

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29. Miraculum. Item dominus Paulus episcopus Cracoviensis per ducem Lesconem detentus et vinculis graviter constrictus87 et iam de vita desperans, auxilium sororum cepit implorare, ut ipsum a morte liberarent. Cui in magna pressura posito sancta Catharina apparuit et ipsius compedes confringens liberum abire fecit, dicens: Scias te meritis felicis Kynge fore liberatum.88 Qui veniens ad felicem dominam, visionem et factum retulit Deoque et sibi gracias agens, se ad omnia beneplacita obtulit. Ipsa vero se humilians nunquam aliquod meritum sibi adscribebat. 30. De eiusdem episcopi infirmitate. Infirmitate autem gravi domino Pauli episcopo laborante ex incisione et pressura calculi et iam de vita desperante, quia triduo loquelam amiserat, meritis felicis Kynge sibi in visione apparentis est sanatus; dictumque est sibi, quod quidam sanctus iuvenis ipsum liberavit. 31. Sequitur miraculum. Confessore suo89, qui fuit conscius suorum secretorum, graviter infirmante et ipsa pro eo clemenciam Dei implorante et oracionibus insistente, vidit celum apertum et in vellere albo effigiem sancti Francisci sibi dicentem: Quia devote pro filio meo, fratre Bogufalo, quem ad me tollere volebam, supplicasti, ipsum sanitati pristine restituo. Quo dicto statim servitor suus, qui eum agonizantem nunciaverat, venit dicens, ipsum vivere et bene se habere. 32. Item miraculum. Quedam soror nomine Osanna Zelconis casu intravit oratorium felicis domine, ea in contemplacione existente, vidit eam lacrimantem et ad imaginem gloriose virginis Marie loquentem et audivit vocem de ipsa imagine, quam omnino non intelligebat, que ad felicem dominam in quodam radio lucidissimo prodiebat et vidit 87  Paul (Paweł z Przemankowa) amtierte von 1267 bis 1292 als Krakauer Bischof und wurde 1283 im Kontext der Auseinandersetzung zwischen Kinga und Leszek dem Schwarzen auf einem Hoftag vorübergehend inhaftiert; wie lange er in Haft blieb, ist unklar; im Dezember 1284 kam es zu einer Verständigung mit dem Herzog, der dem Bischof eine hohe Entschädigung zahlte; vgl. oben S. 365. 88  Vgl. oben Kap. I, das Kinga als Nachkommin der heiligen Katharina bezeichnet. 89  Dieser Beichtvater Bogufal dürfte mit dem Lektor der Franziskaner von Korczyn identisch gewesen sein, der nach Auskunft der Vita Salomeae 1270 vor dem Herzogspaar über die heilige Hedwig predigte; vgl. oben S. 350–351 (Kap. VII, 22).

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29. Ein Wunder. Ebenso begann der Herr Paul, der Bischof von Krakau, nachdem er von Herzog Leszek [dem Schwarzen] verhaftet und schwer in Ketten gelegt worden war87 und schon die Hoffnung auf sein Leben aufgab, die Hilfe der Schwestern anzurufen, sie mögen ihn vor dem Tode retten. Dem in große Bedrängnis gestürzten [Bischof] erschien die heilige Katharina [von Alexandria], brach seine Fußfesseln und ließ ihn als freien [Mann] weggehen, wobei sie sagte: „Wisse, dass du dank der Verdienste der gesegneten Kinga befreit worden bist.“88 Als er zur gesegneten Herrin kam, berichtete er von der Vision und dem Ereignis, dankte Gott und ihr und erwies alle Wohlgefälligkeiten. Sie aber, die sich erniedrigte, schrieb sich selbst nie irgendein Verdienst zu. 30. Über eine Krankheit desselben Bischofs. Als der Herr Bischof Paul aber infolge des Stechens und Drückens eines Steinchens schwer an einer Krankheit litt und schon die Hoffnung auf Leben aufgab, weil er schon drei Tage nicht mehr sprechen konnte, da wurde er durch die Verdienste der gesegneten Kinga, die ihm in einer Vision erschien, geheilt; und gesagt wurde ihm, dass ihn ein gewisser heiliger Jüngling gerettet habe. 31. Es folgt ein Wunder. Als ihr Beichtvater89, der ein Mitwisser ihrer Geheimnisse war, schwer erkrankte und sie selbst für ihn die Milde Gottes erflehte und eifrig betete, da erblickte sie den geöffneten Himmel und in einem weißen Gewand die Gestalt des heiligen Franziskus, der zu ihr sprach: „Weil du ehrfürchtig für meinen Sohn, den Bruder Bogufal, den ich zu mir holen wollte, gebeten hast, stelle ich diesen in seiner früheren Gesundheit wieder her.“ Sobald dies gesagt war, kam sogleich ihr Diener, der [ihr zuvor] berichtet hatte, dass er [Bogufal] im Todeskampf lag, und sagte [ihr], dass dieser lebe und sich gut fühle. 32. Ebenso ein Wunder. Eine gewisse Schwester namens Osanna, [die Tochter der] Zelcona, betrat zufällig die Kapelle der gesegneten Herrin, während sich diese im kontemplativen Gebet befand. Sie sah, wie sie weinte und zu einem Bild der ruhmreichen Jungfrau Maria sprach, und hörte eine Stimme, die von diesem Bild in einem gewissen, sehr hell scheinenden Strahl zur gesegneten Herrin ausging, die sie überhaupt nicht verstehen konnte, und sah, wie die Herrin selbst in außerordentlicher Helligkeit

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ipsam dominam claritate precipua resplendentem, quod cum aliis sororibus referret, prohibita fuit propter suam simplicitatem, ne de cetero oratorium intraret et quod secretum nulli amodo proderet. 33. Sequitur miraculum. Item soror Anna Ducella quadam vice existens in oratorio intra velum domine, domina orante, sensit ignem; unus enim cereus de quinque cereis, qui in oratorio ardebant, casu ceciderat et peplum felicis domine in collo ipsius totum cremavit. Soror Anna Ducella festine accurrens ipsum ignem super collum ipsius domine extinxit et cum vellet culpam dicta soror recognoscere, prohibuit eam felix domina, ne secretum sue devocionis panderet. 34. Miraculum in Penini. Tempore vero fuge Tartarorum90 sorores puellule parvule diversis hominibus et cmethonibus91 tradebantur ad vehendum, ut ad castrum dictum Penini92 pro conservacione vite deducerentur. Cmethones autem pre nimia pressura vectigalium et timore mortis concussi quasdam puellulas sorores in nemore et periculosis locis in nivibus proiectas et derelictas fugerunt, que sic in tedio mortis posite voces cum lacrimis adlamentabiles emittentes puerili more eiulabant, signanter fuerunt soror Sophia, Clara, Michaelis et Salomea, que omnes divino nutu meritisque felicis domine periculum mortis evidenter evaserunt et usque ad dominam salubriter deducti sunt. Tartaris quippe invalescentibus, totam terram cede dire hostilitatis sue conquassantibus, felix domina omnes sacerdotes, qui tunc cum ea in castro erant, tam religiosos quam seculares hortabatur, ut missis ac divinis laudibus iugiter insisterent, sorores et totam communitatem in devocione et fide confortabat; milites eciam suos et ceteros omnes animabat, ut sine pavore genti infidelissime viriliter strennueque se opponentes, castrum semet ipsosque defensarent, quod et factum est mirum in modum. Cum Tartari ad castrum hostiliter accessissent, nullum iaculum, nullam sagittam contra castrum iecerunt non sine admiracione omnium hec videncium, que meritis felicis domine fiebant; sed iugulando et capti90  Hier ist der dritte große Überfall der Tataren gemeint, der von Anfang Dezember 1287 bis etwa Mitte Februar 1288 Kleinpolen verheerte; vgl. unten S. 426–427 (Kap. 39, 3). 91  Urspung und Bedeutung des Begriffs „Kmethen“ (Cmethones) sind umstritten; bezeichnete er im 10.–12. Jahrhundert möglicherweise noch herausgehobene Krieger oder Amtsträger (evtl. lag ihm das lateinische „comes“ zugrunde), so verwenden die Quellen des 13.– 14. Jahrhunderts den Begriff bereits für abhängig gewordene Bauern. 92  Die nicht lokalisierbare Burg dürfte in den rund 40 km südwestlich von Sandez, im polnisch-slowakischen Grenzgebiet gelegenen Pieninen (dt. Kronenberge, poln. Pieniny) gelegen haben.

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e­ rstrahlte. Als sie dies den anderen Schwestern berichtete, wurde ihr wegen ihrer Einfalt untersagt, fortan die Kapelle zu betreten und das Geheimnis in Zukunft irgendjemandem zu verraten. 33. Es folgt ein Wunder. Ebenso hielt sich einmal die Schwester Anna Ducella in der Kapelle auf, während die Herrin [dort] betete, und bemerkte ein Feuer im Schleier der Herrin; eine Kerze nämlich von den fünf Kerzen, die in der Kapelle brannten, war zufällig herabgefallen und verbrannte das Gewand der gesegneten Herrin an deren Kragen vollständig. Die Schwester Anna Ducella eilte geschwind herbei und löschte selbst das Feuer über dem Kragen der Herrin. Und als die genannte Schwester [für das Ereignis] die Schuld auf sich nehmen wollte, hielt sie die gesegnete Herrin [davon] ab, damit das Geheimnis ihrer Frömmigkeit nicht offenbar werde. 34. Ein Wunder in Pieniny. Zur Zeit der Flucht vor den Tataren90 wurden [einige] Schwestern, [noch] kleine Mädchen, verschiedenen Leuten und Bauern91 zur Mitnahme anvertraut, um sie zum Schutz ihres Lebens zu einer Burg zu bringen, die Pieniny92 hieß. Die vom großen Druck der Abgaben und durch Todesfurcht geängstigten Bauern aber warfen die besagten Mädchen-Schwestern im Wald an gefährlichen Stellen in den Schnee, ließen sie zurück und machten sich auf und davon. Derart in Todesnot versetzt ließen sie unter Tränen jammervolle Stimmen hören und heulten nach Kinderart, genau waren es die Schwestern Sophia, Klara, Michaela und Salomea. Sie alle sind durch göttliches Wirken und die Verdienste der gesegneten Herrin erwiesenermaßen der Todesgefahr entgangen und gesund der Herrin zugeführt worden. Als die Tataren allerdings erstarkten und das ganze Land mit dem grauenvollen Morden ihrer Feindseligkeit erschütterten, ermutigte die gesegnete Herrin alle damals mit ihr in der Burg anwesenden Priester, Ordensgeistliche wie Weltgeistliche, sich ununterbrochen den Messen und göttlichen Lobgesängen zu widmen. Sie bestärkte die Schwestern und die ganze Gemeinschaft in ihrer Frömmigkeit und Zuversicht; auch ermutigte sie ihre Ritter und alle übrigen, sich ohne Angst, standhaft und tatkräftig dem ungläubigen Heidenvolk entgegenzustellen und die Burg und sich selbst zu verteidigen, was auf wunderbare Weise auch geschah. Nachdem sich die Tataren feindlich der Burg genähert hatten, schleuderten sie – nicht ohne Verwunderung aller, die das sahen – keinen Wurfspieß, keinen Pfeil gegen die Burg, was durch die Verdienste der gesegneten Herrin geschah. Vielmehr zogen sie ab, wobei sie [viel] Volk abschlachteten und gefangen nahmen.

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vando populum abierunt. Verum irretiti in ipso scopulo aliquocies ipsi Tartari castrum incendere volentes, meritis felicis domine repressi sunt. Recedente autem paganismo iam extra confinia, devastata tota terra, felix domina rediens cum sororibus et suo comitatu ad claustrum, nichil omnino reperit subsidii, nil victualis et alimonie invenit, quia omnia vastitate hostili consumpta fuerunt. Ipsa vero invocato nomine nutritoris tocius creature sorores suas fere numero septuaginta in victu et amictu usque ad nova provide gubernabat.

35. De canonisacione beati Stanislai gloriosi martiris et pontificis per felicem dominam a sede apostolica impetrata hoc modo. Tempore autem eo, quo gloriosus princeps Boleslaus ducatum Cracovie et San­ domirie cum sponsa sua devotissima, domina Kynga, strennue gubernabat, beati Stanislai gloriosi martiris atque pontificis miracula ac prodigia multiplici virtute augebantur. Crebrescente igitur fama sue eximie sanctitatis ac undique comprobata, felix Kynga alacritate devocionis accensa, pro canonisacione tanti sancti totis votis ac viribus anhelare cepit; unde devotum sponsum suum, ducem Boleslaum, sponsa devota omni precum instancia aggreditur, inducens eum, ut tempore vite ipsorum sollempnitas canonisacionis sancti Stanislai consummaretur. Quo benigne annuente mox viri celeberrimi ad sedem destinantur apostolicam, ut legacionem huiusmodi peragant93, qui acceptis literis thesauroque copioso prima et secunda vice laborantes, tandem optati muneris graciam a domino Innocencio consecuti sunt. Felix denique domina accepta auctoritate apostolica propriis manibus ossa gloriosi ac sanctissimi martiris levavit lacrimisque uberrimis cum summa devocione lavit ac mediante domino Procopio Cracoviensi episcopo94 ceterisque canonicis in conclavi decenti recondi precepit. De hoc vero benignissimo Boleslao huius felicis domine sponso sic habetur in cronica Cracoviensi95: Hoc quoque silencio pretereundum non est, quod, sicut sub persecucione regis Boleslai filii Casimiri beatus Stanislaus Cracoviensis episcopus anno dominice incarnacionis millesimo septuagesimo nono felici martirio consummatus est, sic eciam sub tempore ducis Boleslai filii Lesconis, eiusdem Cracovie ducis, idem sanctus et gloriosus­

Zu dieser nach Rom entsandten Delegation vgl. oben S. 29. Prokop amtierte in den Jahren 1293–1294 als Krakauer Bischof; zur Zeit der Kanonisation des heiligen Stanisław war Prandota (Prędota z Białaczowa) Bischof von Krakau. 95  Wie das nachfolgende wörtliche Zitat zeigt, war damit die Vita maior Stanislai gemeint. 93  94 

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Zwar wollten die in ihrer Hartherzigkeit verfangenen Tataren des Öfteren die Burg anzünden, wurden [aber] durch die Verdienste der gesegneten Herrin zurückgedrängt. Als die gesegnete Herrin aber, nachdem sich das Heidentum schon über die Grenze zurückgezogen hatte [und] das ganze Land verwüstet war, mit den Schwestern und ihrem Gefolge in das Kloster zurückkehrte, da fand sie keinerlei Vorräte vor, keine Lebens-, keine Nahrungsmittel, weil alles durch die feindliche Verwüstung vernichtet worden war. Sie aber lenkte, nachdem sie den Namen des Ernährers der ganzen Schöpfung angerufen hatte, ihre Schwestern, fast siebzig an der Zahl, in Lebensunterhalt und Bekleidung umsichtig in neue [Zeiten]. 35. Über die Kanonisation des heiligen Stanisław, des ruhmreichen Märtyrers und Bischofs, die durch die gesegnete Herrin auf folgende Weise vom­ ­apostolischen Stuhl erlangt wurde. Zu der Zeit aber, als der ruhmreiche Fürst Bolesław das Herzogtum Krakau und Sandomir zusammen mit seiner tieffrommen Braut, der Herrin Kinga, tatkräftig lenkte, wurden die durch die mannigfache Tugend des heiligen Stanisław, des ruhmreichen Märtyrers und Bischofs, [gewirkten] vielfältigen Wunder und Vorzeichen vermehrt. Während sich also der Ruf seiner außerordentlichen Heiligkeit verbreitete und von allen Seiten anerkannt wurde, begann sich die gesegnete Kinga, vom Eifer der Frömmigkeit entflammt, mit ganzem Verlangen und allen Kräften für die Kanonisierung eines so großen Heiligen einzusetzen. Daher suchte die fromme Braut ihren frommen Bräutigam, den Herzog Bolesław, mit der ganzen Beharrlicheit ihrer Bitten zu gewinnen und ihn dazu zu bewegen, dass [noch] zu ihrer beiden Lebzeiten die Feier der Kanonisierung des heiligen Stanisław durchgeführt werde. Als dieser gütig zustimmte, wurden sogleich die aner­kann­ testen Männer zum apostolischen Stuhl geschickt, um die entsprechende Gesandtschaft erfolgreich auszuführen.93 Mit mitgenommenen Briefen und einem reichen Schatz mühten sie sich ein erstes und ein zweites Mal ab und erlangten schließlich vom Herrn Innozenz die Gunst der ersehnten Gnade. Zuletzt erhob die gesegnete Herrin, nachdem sie die apostolische Genehmigung erhalten hatte, mit eigenen Händen die Gebeine des ruhmreichen und hochheiligen Märtyrers, wusch sie mit überreichen Tränen und der größten Hingabe und ordnete durch Vermittlung des Herrn Prokop, des Bischofs von Krakau94, und der übrigen Kanoniker an, [sie] an einem gebührenden Ort erneut zu beerdigen. Über diesen überaus gütigen Bolesław, den Bräutigam dieser gesegneten Herrin, heißt es in der Krakauer Chronik95 so: „Auch das darf nicht mit Schweigen übergangen werden, dass, so wie der heilige Stanisław, der Bischof von Krakau, bei seiner Verfolgung durch König Bolesław [II.], des Sohnes Kasimirs [I.], im Jahr 1079 nach der Fleischwerdung des Herrn den seligen Märtyrertod erlitten hat, so ist ebendieser heilige und ruhmreiche Märtyrer und Bischof Stanisław, umstrahlt von zahllosen Wundern, zur Zeit Bolesławs [V.], des Sohnes von Leszek [dem Weißen], ebenfalls Herzog von

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martir et pontifex Stanislaus multis choruscans miraculis a papa Innocencio quarto anno gracie eiusdem Domini nostri Iesu Christi millesimo ducentesimo quinquage­ simo tercio canonisatus est.96 36. De demoniacis sequitur. Quodam tempore adducitur ad eam unus a demone obsessus nomine Sestremilus, cuius famula Dei affliccionem aspiciens, [in] oracione sancta ipsum signo sancte crucis cepit signare. Demon ipsum discerpens, [vehiculum] cum rotis et ladula, in qua ligatus fuit, superlevans totaliter traduxit, voce magna clamans ac dicens: Ve, ve ante Hungaram! et domina non suis, sed Dei et sancte crucis adscribens virtutibus, dicebat: Opportet te Deum timere et servitores ipsius revereri. Quod demon audire non valens, statim ab ipso homine discessit. Ipsaque domina hominem dictum cibo recreavit et sanitati per omnia restitutum abire in pace iussit. 37. Item. Alter demoniacus adducitur, qui ad claustrum receptus in domo quadam inclusus est. Qui cum dominam felicem appropinquare sentiret, cepit clamare licens: Ve, ve, Hungara venit! Ipsa vero signo alme crucis compescens eius insaniam, ipsum mox abire ab ipso homine mandavit, qui cum eiulatu et strepitu nimio exivit ab eo. Cumque per simplicitatem quarundam sororum hec prodigia divulgarentur, felix domina non sinebat, ut secretum divine operacionis cuiquam panderetur. 38. De elemosina, quam fratribus ad capitula destinabat et quomodo fratribus sui conventus ministrabat. Legitur97, quod ex devocione pure caritatis, qua ad ordinem sanctissimi patris beati Francisci totis visceribus anhelabat, ad omne generale capitulum quinquaginta, ad provinciale autem capitulum triginta marcas grossorum transmittebat, semet ipsam statumque sororum cum debita devocione fratribus recommendando. Habebat denique in Antiqua Sandecz circa claustrum sororum suarum conventum fratrum98 de triginta personis, quos omnes in vestitu et victu quotidiano studiosissime procurabat, cibaria eis parando propriis et offerendo manibus. Quadam etenim vice cibum fratribus portans, in fossatum magnum inopinate

Vita maior Stanislai III, 56; vgl. oben S. 164–167, 170–179. Die Formulierung verweist auf eine schriftliche Quelle, die jedoch nicht identifiziert werden kann; Kętrzyński [Vita et miracula (wie Anm. 23), S. 680] hat an Aufzeichnungen/Protokolle eines Provinzial- oder Generalkapitels des Franziskanerordens gedacht. 98  Das von Bolesław V. 1279 gestiftete Franziskanerkloster. 96  97 

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Krakau, im Jahr der Gnade unseres Herrn Jesus Christus 1253 von Papst Innozenz IV. kanonisiert worden.“96 36. Es folgt [etwas] über von Dämonen Besessene. Einmal wurde ihr [Kinga] ein von einem Dämon besessener [Mann] namens ­Sestremilus zugeführt. Als die Dienerin Gottes seine Bedrängnis erblickte, begann sie, ihn in einem heiligen Gebet mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes zu bezeichnen. Während der Dämon ihn schüttelte, hob er den Wagen mit Rädern und einem Faß, in dem er [der besessene Mann] gefesselt war, hoch und höhnte haltlos, indem er mit lauter Stimme rief und sprach: „Wehe, wehe vor der Ungarin!“ Die Herrin aber sprach, wobei sie es nicht ihren, sondern Gottes und des heiligen Kreuzes Wundertaten zuschrieb: „Es gehört sich, dass du Gott fürchtest und seine Diener ehrst!“ Das zu hören, ertrug der Dämon nicht und ließ sofort von dem Mann ab. Und die Herrin selbst baute den besagten Mann wieder mit Nahrung auf und ließ ihn in der Gesundheit gänzlich wieder hergestellt in Frieden gehen. 37. Ebenso. Ein anderer Besessener wurde [ihr] zugeführt, der im Kloster aufgenommen in einem Haus eingeschlossen wurde. Als er bemerkte, dass sich die gesegnete Herrin näherte, begann er zügellos zu schreien: „Wehe, wehe, die Ungarin kommt!“ Sie aber zähmte seine Raserei mit dem Zeichen des segenspendenden Kreuzes und gebot ihm [dem Dämon], sogleich von diesem Mann abzulassen. Und er fuhr mit Heulen und großem Getöse aus ihm aus. Und als diese Wunderzeichen durch die Einfalt gewisser Schwestern bekannt gemacht wurden, ließ die gesegnete Herrin es nicht zu, dass das Geheimnis des göttlichen Wirkens irgendjemandem offenbart wurde. 38. Über ein Almosen, das sie den Brüdern für die Kapitel bestimmte und wie sie den Brüdern ihres Konventes diente. Man liest97, dass sie aus der Hingabe reiner Nächstenliebe, mit der sie sich aus ganzem Herzen für den Orden des hochheiligen Vaters, des heiligen Franziskus einsetzte, an jedes Generalkapitel fünfzig, an jedes Provinzkapitel aber dreißig Mark Groschen schickte und sich selbst sowie den Schwesternstand in gebüh­ren­ der Hingabe den Brüdern anvertraute. In Alt-Sandez hielt sie schließlich in der Nähe des Klosters ihrer Schwestern einen Brüderkonvent98 von dreißig Personen, die sie alle mit größtem Eifer mit Kleidung und dem täglichen Lebensunterhalt versorgte, indem sie ihnen mit eigenen Händen Speisen bereitete und darbot. Als sie einmal den Brüdern Essen brachte, fiel sie unverhofft in einen großen Graben,

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cecidit, quod devota domina, licet non modicum collisa fuerit, racione sue devocionis non sensit. 39. De paciencia eius mira et de inaudita persecucione fratrum. 1. Beata etenim et venerabilis hec sancta, licet ex innata regia pietate ad omnes misericordie visceribus iuxta decenciam dignitatis regie effluebat et multa gratuita beneficia quibusdam impendebat, qui tamen eius beneficiis recognitis varias turbaciones ei pro bonitate reddebant et tedia ministrabant. Nam confessorem suum fratrem Bogufalum in eius nimiam turbacionem aliquocies ab ea amoverunt et una vice obedienciam eidem fratri Bogufalo portaverunt continentem, quatenus sive stando sive ambulando sive sedendo ipsum litera inveniret, statim ab ipsa recederet, quod et factum est. Tandem sibi alium nomine Petrum dictum Odranecz de Bohemia assignaverunt. Qui aliquorum detraccioni felicis domine aurem apponens, conspicatur ipsam levitatibus pocius quam devocioni insudare et protervitate quadam ad locum oratorii accedit; velum autem amovens eam celesti lumine radiantem contuetur, cuius splendorem ferre non valens, in terram proiectus lacrimisque perfusus ac sanctitatem vite prospiciens, testis extat veritatis ­solusque personaliter miraculi visionem refert tam fratribus quam dominabus, singulariter cuidam domine Dobeslae, que fuit relicta domini Ianussii palatini Cracoviensis.99 2.100 Noverat felix Kinga dominum dixisse: In paciencia vestra possidebitis animas vestras.101 Quante igitur paciencie fuerit, inferius scriptum demonstrat. Demon, humane salutis inimicus, aliquos fratres ordinis concitavit, qui ipsam felicem Kingam cum fratre Bogufalo confessore suo de illicito opere scilicet fornicacionis fallaciter coram senioribus suis inculpaverunt, qui tamen fuit vir sancte conversacionis et fame honeste; ob quam causam eidem fratri Boguchvalo fuit litera missa obediencialis, ut sine mora visis patentibus in Gnezdnam se transferret. Qui mox ut literam predictam vidit, ceu filius vere obediencie, non audita ad finem confessione felicis Kince nec data absolucione, surgens valedixit eidem felici Kince. Que cum causam ab eo perquireret, quare ei valedixisset, respondit, literam sibi datam 99  Ein Krakauer Wojewode namens Janusz ist für die zweite Hälfte des 13. und die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts nicht belegt; der Hagiograph mag ihn mit dem für die Jahre 1271–1283 bezeugten gleichnamigen Wojewoden von Sandomir verwechselt haben, der 1284–1285 Kastellan von Krakau war (UM Nr. 124 und 967), von dem möglicherweise auch in der Vita Stanislai III, 49 (vgl. oben S. 150–151) die Rede ist. 100  Die Abschnitte 2. bis 5. sind spätere Hinzufügungen, die Jan Długosz nicht bekannt waren, als er 1471–1473 eine ältere (heute verlorene) Abschrift des verlorenen Originals der mittelalterlichen Vita ausschrieb. 101  Lk 21,19.

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was die fromme Herrin, obwohl sie heftig aufgeschlagen war, aufgrund ihrer Frömmigkeit nicht spürte. 39. Über ihre wunderbare Geduld und eine unerhörte Verfolgung durch die [Franziskaner-]Brüder. 1. Diese wahrlich fromme und verehrungswürdige Heilige brachte, wenn auch aus angeborener königlicher Liebe, allen tiefe Barmherzigkeit entgegen, gemäß dem Anstand königlicher Würde. Gewissen [Leuten] schenkte sie uneigennützig zahlreiche Pfründen, die ihr die Güte, obgleich sie ihre Wohltaten anerkannten, dennoch mit verschiedenen Betrübnissen vergalten und Kummer bereiteten. So hielten sie des Öfteren ihren Beichtvater, den Bruder Bogufal, zu ihrem sehr großen Leidwesen von ihr fern und einmal brachten sie ebendiesem Bruder Bogufal eine Anweisung, die besagte, dass wie immer ihn der Brief erreiche – stehend, umherwandelnd oder sitzend – er sich sofort von ihr zurückziehen möge, was auch geschah. Schließlich wiesen sie ihr einen anderen [Beichtvater] namens Peter, genannt Odranecz von Böhmen, zu. Als dieser sein Ohr einer Verleumdung der gesegneten Herrin durch irgendwelche [Leute] lieh, vermeinte er, dass sie sich mehr den Leichtfertigkeiten als der Frömmigkeit hingebe und trat mit einer gewissen Unverschämtheit an ihre Gebetsstätte heran. Als er aber ihren Schleier entfernte, sah er sie in einem himmlischen Licht strahlen, dessen Glanz er nicht zu ertragen vermochte. Sich auf die Erde werfend, Tränen vergießend und die Heiligkeit ihres Lebens vor sich sehend, wurde er ein Zeuge der Wahrheit und teilte die Vision des Wunders persönlich sowohl den Brüdern als auch den Herrinnen mit, insbesondere einer gewissen Herrin Dobiesława, die die Witwe des Herrn Janusz, des Wojewoden von Krakau, war.99 2.100 Die gesegnete Kinga wusste, dass der Herr gesagt hat: „Fasst eure Seelen mit Geduld.“101 Wie duldsam sie aber war, zeigt das unten Geschriebene. Ein Dämon, der Feind des menschlichen Heils, wiegelte irgendwelche Ordensbrüder auf, die diese gesegnete Kinga vor ihren Ältesten lügnerisch einer verbotenen Tat, nämlich der Unzucht mit Bruder Bogufal, ihrem Beichtvater, beschuldigten, obwohl dieser ein Mann von heiliger Lebensführung und ehrenhaftem Ruf war. Aus diesem Grund wurde ebendiesem Bruder Bogufal eine briefliche Anweisung geschickt, dass er sich, sobald er das Schriftstück gesehen habe, unverzüglich nach Gnesen begeben sollte. Als dieser den Brief sah, da erhob er sich sogleich wie ein Sohn wahren Gehorsams und verabschiedete sich, ohne die Beichte der gesegneten Kinga zu Ende gehört noch die Absolution erteilt zu haben, von ebendieser gesegneten Kinga. Als diese ihn nach dem Grund fragte, warum er sich verabschiede, antwortete er, dass ihm ein Brief gegeben worden sei, er möge sich in heiligem

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recedendi per sanctam obedienciam visis presentibus sine mora; et sic profectus est, nullis rebus ad eum pertinentibus acceptis, excepto breviario vestibusque, in quibus ambulabat. Loco cuius felix Kinga fratrem Petrum dictum Odranecz Bohemum petivit sibi mitti pro confessore; qui cum venisset in Sandecz, quesivit a fratribus, quam ob causam fuisset emissus frater Boguchvalus. Responderunt, ut est predictum, quia commiscebatur cum ea carnaliter. Qui postquam domine Kince confessionem generalem audivit, dixit ei, ut tenebatur: Et ubi dicis culpam de hoc, quod te cum ­fratre Boguchvalo commiscuisti? Que pacienter respondit: Pater reverende, ego me de hoc non excuso, sed Deus, qui est cognitor omnium occultorum, scit et novit omnia. Et hiis dictis surgens in oratorium suum ivit et ibidem in modum crucis prostrata ante imaginem crucifixi cum lacrimis in oracione persistebat. Tunc predictus frater Petrus confessor paulatim ad oratorium accedens per fene­ strulam introspexit, volens videre, qualiter domina oraret vel quid ibi ageret; et vidit eam immenso lumine circumdatam, quod lumen visus suus sustinere non poterat. Et veniens ad fratres arguit eos dicens: Peccastis in Deum et ego una vobiscum, tam sanctam feminam cum sancto fratre infamando; et hiis dictis, iuramento firmando narravit, se vidisse eam, ut pretactum est, celesti lumine circumdatam, addens hec: Si minimam horam fuissem intuitus lumen predictum, certo fuissem excecatus. Idem frater Petrus ita sancte vite fuit et honeste conversacionis, sicut patet ex miraculis, que Deus per sua merita in gloria operatur. 3. Tempore, quo Tartari terram Polonie invaserunt et moram ibidem a festo sancti Nicolai usque ad carnisprivium traxerunt102, felix Kinga una cum virginibus Deo dicatis transtulit se de claustro in quoddam castrum Penini vulgariter dictum propter seviciam Tartarorum. Tunc dux Lesco non valens resistere eis, in Hungariam secessit et transiens ante castrum predictum, prostratus ante felicem Kingam, petivit eam, ut pro ipso et pro statu bono terre Deum deprecaretur; hoc facto recessit in Hungariam. Post hec felix domina indesinenter oravit pro se et pro sacratis Deo virginibus, sororibus videlicet ordinis sancte Clare, quas fovebat in Christi servicio plus, quam si esset eisdem mater carnalis, ut eas preservaret ab omni infestacione paganorum. Mirabile dictu, predicti Tartari venientes sub castrum, ubi famula Christi morabatur felix Kinga cum ancillis Christi […103] dux exercitus paganorum levata manu contra castrum […104] istud non fecit homo, sed supremus artifex Deus. Post hec ad claustrum iidem pagani venientes, ibidem diebus 102  Die Rede ist vom Überfall der Tataren im Winter 1287/88; der Beginn der Fastenzeit (Aschermittwoch) fiel im Jahr 1288 auf den 11. Februar 1288; vgl. oben Anm. 90. 103  Hier sah der Herausgeber Kętrzyński eine Sinnlücke im Text der Handschrift, die er mit mehreren Punkten gekennzeichnet hat. 104  Der in der Handschrift fehlende Text dürfte davon gehandelt haben, dass die Burg dank des Eingreifens der heiligen Kinga von den Tataren nicht erobert werden konnte; vgl. hierzu das Wunder von der Errettung der Stadt Assisi vor den Sarazenen durch die Gebete der heiligen Klara;

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Gehorsam unverzüglich [von ihr] zurückziehen, sobald er das Mitgeteilte gesehen habe. Und so brach er auf, ohne die ihm gehörenden Sachen mitzunehmen, außer eines Breviers und der Kleidung, in der er ging. Die gesegnete Kinga bat darum, ihr an seiner Stelle den Bruder Petrus, genannt Odranecz der Böhme, als Beichtvater zu schicken; nachdem dieser nach Sandez gekommen war, fragte er die Brüder, aus welchem Grund der Bruder Bogufal weggeschickt worden sei. Sie antworteten, wie zuvor gesagt wurde, „weil er sich mit ihr fleischlich vereinigte“. Als er der Herrin Kinga später die Generalbeichte abnahm, sagte er ihr, wie behauptet wird: „Und wo bekennst du deine Schuld, dass du dich mit dem Bruder Bogufal fleischlich vereinigt hast?“ Geduldig antwortete sie: „Ehrwürdiger Vater, dafür rechtfertige ich mich nicht, sondern Gott, der Kenner aller verborgenen Dinge, weiß und kennt alles.“ Und mit diesen Worten erhob sie sich und ging in ihre Kapelle, warf sich dort vor dem Bild des Gekreuzigten in Kreuzesgestalt auf den Boden und verharrte unter Tränen im Gebet. Darauf näherte sich der besagte Bruder Peter, ihr Beichtvater, vorsichtig der Kapelle, spähte durch ein kleines Fenster hinein, weil er sehen wollte, wie die Herrin betete oder was sie dort tat; und er sah sie umgeben von einem unermesslich hellen Licht, dessen Schein seine Augen nicht ertragen konnten. Und als er zu den Brüdern kam, kritisierte er sie, indem er sprach: „Ihr habt gegen Gott gesündigt und ich mit euch durch die Verleumdung einer so heiligen Frau zusammen mit einem heiligen Bruder.“ Und nach diesen Worten erzählte er unter Eid, dass er sie gesehen habe, so wie gerade erwähnt wurde, umgeben von einem himmlischen Licht, und fügte dies hinzu: „Wenn ich nur die geringste Zeit das besagte Licht angeschaut hätte, wäre ich sicher erblindet.“ Derselbe Bruder Petrus führte ein heiliges Leben und hatte einen ehrbaren Lebenswandel, wie die Wunder deutlich machen, die Gott durch seine Verdienste ruhmvoll wirkt. 3. In der Zeit, als die Tataren in das Gebiet Polens einfielen und sich vom St. Nikolaus-Fest bis zum Beginn der Fastenzeit ebendort aufhielten102, begab sich die gesegnete Kinga angesichts der Wildheit der Tataren zusammen mit den Gott geweihten Jungfrauen aus dem Kloster in eine gewisse Burg, die in der Volkssprache Pieniny genannt wird. Damals verschwand Herzog Leszek [der Schwarze], der nicht in der Lage war, ihnen [den Tataren] Widerstand zu leisten, nach Ungarn. Als er an der besagten Burg vorüberkam, warf er sich vor der gesegneten Kinga nieder und bat sie, für ihn selbst und den guten Bestand des Landes Gott [um Gnade] zu bitten. Nachdem dies geschehen war, entschwand er nach Ungarn. Danach betete die gesegnete Herrin unablässig für sich und für die Gott geweihten Jungfrauen, d. h. die Schwestern vom Orden der heiligen Klara, die sie im Dienst für Christus mehr hegte, als wenn sie deren leibliche Mutter gewesen wäre, um sie vor jeglichem Angriff der Heiden zu bewahren. Wie wunderbar, als die besagten Tataren vor die Burg kamen, wo sich die Dienerin Christi, die gesegnete Kinga, mit den Mägden Christi aufhielt […103] der Heerführer der Heiden mit erhobener Hand gegen die Burg […104]. Dies tat kein Mensch, sondern der höchste Schöpfer, Gott. Als dieselben Heiden daraufhin vor das Kloster kamen, blieben sie dort recht viele

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pluribus manserunt et nullum dampnum predictis sororibus in structuris fecerunt. 4. Eodem tempore, quo felix Kinga in castro supramemorato mansit, propter metum Tartarorum vinum, quo recrearetur, habere non potuit105 et quia omnis alter potus sibi desipiebat, vinum limphatum semper et hoc parce sumebat. Et quia tunc propter pericula predicta vinum pro ea haberi non poterat, quidam civis felici Kincze fidelis exposuit se in Hungariam ad multa milliaria per devia pro vino transire; quo abeunte venerunt duo viri forma decori, ferentes vasculum optati vini et sororibus presentaverunt. Que accipientes et cum gaudio felici domine inferentes non quesiverunt dictos viros, qui vel unde essent. Post hec felix domina misit ad requirendum eos, qui nusquam sunt inventi. Nulli dubium, quin hoc poculum a Christo est missum, cuius servicio se famula Dei Kinga cum virginibus mancipavit, sicut ipsa fatebatur dicens: Unicus meus Iesus Christus in tanta necessitate gerit curam mei. 5. Felix Kinga cum iam propinquaret ad terminum vite sue, plus quam anno integro gravibus infirmitatibus languit, nunquam cessans dominum Iesum Christum exorare et graciarum acciones ei referre pro omnibus beneficiis sibi ab eo impensis.106 In eadem infirmitate sanctus Ioannes evangelista et felix Salomea eidem apparuerunt et eam sunt consolati et iam instante hora mortis sue dixit ad sorores circumstantes: Cedite ad partem! que cum causam quererent, quare cedere deberent, dixit: Annon videtis sanctum Franciscum ad me venientem, consolatorem meum? Tunc sorores glorificaverunt Deum de tali ostensione. Post hec sciens ex revelacione diem exitus sui ab hoc seculo, dixit: Domine Iesu Christe, omnia, que habui in hoc mundo, a te habui et nulli alteri aliquid de bonis tuis do, nisi tibi, unico meo, restituo et ancillas tuas, quas ad laudem nominis tui congregavi et fovi, tibi, salvator meus Iesu Christe, relinquo, tue proteccioni et defensioni committo. Sororibus vero dixit: Filie dilecte, si permanseritis in sanctitate tali, sicut [vos] dimitto et vos mutuo in Christo dilexeritis et omnem societatem dedecentem statum vestrum, maxime virorum horrueritis, promitto vobis et me inter Deum et vos fideiussorem constituo, quod nunquam laus Dei usque ad diem iudicii cessabit in hoc claustro.

Legenda sancte Clarae (wie Anm. 52), S. 2428–2429 (Kap. I, 21–22); Thomas von Celano, Leben (wie Anm. 52), S. 143–144. 105  Vgl. unten S. 446–447 (Kap. 60). 106  Vgl. unten S. 448–449 (Kap. 63).

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Tage und fügten den vorgenannten Schwestern keinerlei Schaden an den Klosterbauten zu. 4. Zur selben Zeit, als sich die gesegnete Kinga in der oben erwähnten Burg aufhielt, konnte sie wegen der Tatarengefahr keinen Wein zu Erfrischung erhalten105; und weil ihr jedes andere Getränk töricht erschien, nahm sie stets, aber sparsam mit Wasser vesetzten Wein zu sich. Und weil man damals wegen der besagten Gefahr für sie keinen Wein besorgen konnte, erklärte ein gewisser, der gesegneten Kinga treuer Bürger, dass er viele Meilen über Schleichwege um des Weines wegen nach Ungarn gehen wolle. Als er losgegangen war, kamen zwei Männer von anmutiger Gestalt, die ein kleines Gefäß mit dem gewünschten Wein brachten und den Schwestern darreichten. Diese nahmen es und brachten es mit Freude der gesegenten Herrin, fragten aber die besagten Männer nicht, wer oder woher sie seien. Daraufhin schickte die gesegnete Herrin, sie zu fragen, doch konnte man sie nirgends finden. Kein Zweifel, dass dieser Becher von Christus geschickt worden war, in dessen Dienst sich die Dienerin Gottes Kinga zusammen mit den Jungfrauen gestellt hatte, wie von ihr selbst bekannt wurde, indem sie sprach: „Einzig mein Jesus Christus sorgt sich in so großer Not um mich.“ 5. Als sie sich schon dem Ende ihres Lebens näherte, war die gesegnete Kinga über ein ganzes Jahr lang durch schwere Krankheiten geschwächt, wobei sie nie aufhörte, den Herrn Jesus Christus inständig zu bitten und ihm Dank abzustatten für alle Wohltaten, die ihr von ihm gewährt worden waren.106 In ebendieser Krankheit erschienen ihr der heilige Johannes, der Evangelist, und die gesegnete Salomea und trösteten sie. Und als bereits die Stunde ihres Todes bevorstand, sprach sie zu den umstehenden Schwestern: „Geht zur Seite!“ Als diese nach dem Grund fragten, warum sie zur Seite treten sollten, sagte sie: „Seht ihr denn nicht den heiligen Franziskus, meinen Tröster, wie er zu mir kommt?“ Daraufhin priesen die Schwestern Gott für ein derartiges Zeichen. Da sie danach aufgrund der Offenbarung den Tag ihres Abgangs aus dieser Welt kannte, sagte sie: „Herr Jesus Christus, alles, was ich in dieser Welt habe, habe ich von dir und ich gebe niemand anderem irgendetwas von deinen Gütern; nur dir, meinem einzigen [Mann], gebe ich es zurück und hinterlasse dir, mein Erlöser Jesus Christus, deine Mägde, die ich zum Lobpreis deines Namens versammelt und behütet habe und vertraue sie deinem Schutz und Schirm an.“ Den Schwestern aber sagte sie: „Geliebte Töchter, wenn ihr euch dauerhaft in solcher Heiligkeit halten werdet, in der ich [euch] verlasse, und euch gegenseitig in Christus lieben werdet und euch vor jeder Gemeinschaft, die für euren Stand unangemessen ist, vor allem vor [jener] der Männer zurückscheuen werdet, dann, so verspreche ich euch und setze mich als Bürgin zwischen Gott und euch, wird das Lob Gottes in diesem Kloster bis zum Tag des [Jüngsten] Gerichts niemals fehlen.“

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40. De cantu. Quadam autem vice volens sorores suas in melodia cantus divini officii proficere et audaciam cantandi eis inferre, sincera cum devocione supplicavit fratribus, quod in die sancte Clare sorores divinum officium cum cantu et cum vesperis exsolverent. Qui contempta eius peticione soli vesperas incipiunt et intonant ac exsolvunt ei in tedium et detrimentum non modicum; domina autem Constancia, germana eius, ducissa Ruthenorum, que tunc aderat, fratres inclamante et reprehendente, sorori sue preces humiles fudit, quatenus ob reverenciam beatissimi patris Francisci filios ipsius in reverencia habeat et nullatenus ipsos reprehendat. Altera vero vice cum sorores missam inchoassent et eam tonanter prosequerentur, omnes fratres eis in opprobrium de ecclesia recesserunt et nonnisi ex mandato custodis, qui tunc ibi aderat, ad ecclesiam redierunt. Et ea omnia in odium felicis domine agebantur. 41. De ferocitate Lesconis mitigata. Domino eciam Lescone duce cum suis proceribus tocius terre eidem felici domine multas iniurias irrogante et dampna varia inferente, ipsa sua paciencia et oracione devota omnia superavit, cervices iniquorum consiliariorum rigore vere iusticie deprimendo, ducem a via asperitatis sue ad semitas rectitudinis et iusticie deducendo. Qui omnes et dux et primates terre, considerata divina virtute in famula Dei, compuncti corde veniam cum genuflexione pecierunt ducique extunc suaserunt, ut omnia ad nutum domine operaretur. Tunc dux Lesco exhibita debita reverencia felici domine, cum omni devocione iura ac omnes reditus claustri certis et optatis roboravit privilegiis, semet ipsum oracionibus sororum ac suffragiis earum recommendando. 42. Dampnandus Petrus salvatus est. Post mortem autem Lesconis Theutonicis terram Sandecensem hostiliter occupantibus107 et per quosdam nobiles castrum in Lemes edificantibus, racione pacis reformande cum suis ad memoratum montem progreditur. Quam quidam miles 107  Gemeint sind die kriegerischen Auseinandersetzungen, in denen sich nach dem Tod des kinderlosen Krakauer Herzogs Leszeks des Schwarzen (1288) die übrigen polnischen Teilfürsten um das Krakauer Erbe stritten, wobei vor allem im Heer des schlesischen Herzogs Heinrich IV. auch zahlreiche deutsche Ritter kämpften; vgl. die Annalen des Traska zu den Jahren 1288 und 1289; Rocznik Traski, in: MPH 3 [Nachdruck: Warszawa 1961], S. 826–861, hier S. 852. Nicht ausgeschlossen werden kann, dass hier eventuell auch jene tschechisch-deutschen Kriegerscharen angesprochen sind, die ein Jahrzehnt später im Kontext des Kampfes Wenzels II. um den Krakauer Thron Teile Kleinpolens besetzten.

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40. Über den Gesang. Als sie aber einmal wünschte, dass ihre Schwestern Fortschritte im gottesdienstlichen Liedgesang machen, und sie ihnen Mut zum Singen einflößte, bat sie in aufrichtiger Hingabe die Brüder, dass die Schwestern am Tag der heiligen Klara den Gottesdienst mit Gesang und mit Vespergebeten ausrichten mögen. Sie wiesen ihre Bitte zurück und begannen die Vespergesänge allein, ließen sie ertönen und beendeten sie zu ihrem [Kingas] nicht geringen Leidwesen und Ärger. Als die Herrin Konstanze, ihre Schwester, die Herzogin der Ruthenen, die damals anwesend war, die Brüder [daraufhin] anschrie und tadelte, goss sie [Kinga] aber über ihre Schwester demütige Bitten aus, dass sie aus Ehrfurcht vor dem heiligsten Vater Franziskus dessen Söhne in Ehrfurcht halten und diese unter keinen Umständen tadeln möge. Ein anderes Mal aber, als die Schwestern die Messe begonnen hatten und diese laut tönend ausführten, verließen alle Brüder ihnen zum Vorwurf die Kirche und gingen nur auf Geheiß des Küsters, der damals dort anwesend war, in die Kirche zurück. Und dies alles taten sie aus Abneigung gegenüber der gesegneten Herrin. 41. Über die Zähmung der Wildheit Leszeks [des Schwarzen]. Als aber der Herr Herzog Leszek mit seinen Großen aus dem ganzen Land ebendieser gesegneten Herrin viel Unrecht beibrachte und allerlei Schaden zufügte, da überwand sie alle mit ihrer Geduld und ihrem ehrfürchtigen Gebet, drückte die Nacken der ungerechten Ratgeber mit der Strenge wahrer Gerechtigkeit nieder und führte den Herzog vom Pfad seiner Grobheit auf die Bahnen von Recht und Gerechtigkeit. Als sie die göttliche Macht in der Dienerin Gottes bedachten, baten sie alle, der Herzog ebenso wie die Vornehmen des Landes, im Herzen bewegt mit Kniefällen um Verzeihung. Und dem Herzog redeten sie von da an zu, alles nach dem Willen der Herrin zu tun. Daraufhin erwies Herzog Leszek der gesegneten Herrin den schuldigen Respekt und bestätigte in ganzer Ehrfurcht die Rechte und alle Einkünfte des Klosters durch sichere und willkommene Privilegien, wobei er sich selbst den Gebeten der Schwestern und ihren Fürbitten empfahl. 42. Petrus, der verdammt werden sollte, wurde errettet. Als aber nach Leszeks [des Schwarzen] Tod die Deutschen das Land von Sandez feindlich besetzten107 und mit Hilfe einiger Adliger eine Burg auf dem Lemiesz errichteten, da zog sie [Kinga] mit den Ihren, um den Frieden wiederherzustellen, vor den erwähnten Berg. Da schoss ein gewisser Ritter namens Peter, den sie selbst

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nomine Petrus, quem ipsa de fonte baptismali levaverat, iactu sagitte vecorditer appetit et circa guttur felicis domine sagitta transeunte, ipsum verbis correctoriis humiliter obiurgans, de ferocitate reprehendit. Qui ulcione divina sequente per occisionem interiit et in agone laborans ad monasterium predictum se duci ad sepeliendum petivit et intervenientibus meritis felicis domine a dampnacione eterne mortis eruitur et consorcio salvandorum annumeratur; pro quo facto aliis ipsam reprehendentibus, quod tanta beneficia homini dampnando inferret, respondit dicens: Scitote firmiter, quod, quicunque hominum utriusque sexus per me de fonte baptismali erigitur, nunquam eterne dampnacionis pena punietur, divina ipsum protegente gracia et hoc ipsum donum celitus est michi revelatum. 43. De abstinencia ipsius. Quante abstinencie extitit, sensus humanus capere nequit. Nam post mortem ducis sui nunquam carnibus utebatur usque ad decessum vite sue. Vigilias vero Christi, extraordinarias sicut beatarum virginum ac martirum Catharine, Margarethe non solum ipsamet, verum eciam ex devocione plures sorores prece et precio inducebat, quod cum ipsa usque ad noctem abstinerent; feria quoque sexta in pane et aqua usque in sero ieiunans tota die devotissima in oracione persistebat. Similiter die sabbathi ob reverenciam virginis gloriose faciebat et nunquam tempore vite sue fomentacione dolii vel balnei utebatur nec aliqua aqua suam faciem lavabat, nisi racione communionis vel magne necessitatis. In cibo eciam nullam delectacionem habebat et si quis cibus delicatus coram ipsa ponebatur, statim ipsum amovebat et pauperibus distribuebat; in potu autem temperatissima extitit, quia nunquam nisi in prandio et in cena potum et hoc exilem sumebat multum parce cum limpha modica. Vigilias eciam beate virginis Marie nichil comedens vel modicis oblatis similiter corpus suum reficiebat. Quadragesimam vero beati Francisci108 a festo omnium sanctorum summa cum devocione ieiunabat. 44. De vigilia, paciencia et humilitate ipsius. In omni hora tabefacit carnem vigilia honestatis.109 Quod dictum hec sancta omnino observavit. Nam ante medium noctis pervigil existens, tam in ecclesia quam in caminata velamine se obstruens, erecta acie oculorum in celum, a gallicinio ad

108  Die Regel des Franz von Assisi sah eine solche Fastenzeit von Allerheiligen bis Weihnachten vor. 109  Sir 31, 1.

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aus dem Taufbecken gehoben hatte, wahnsinnigerweise einen Pfeil nach ihr und als der Pfeil am Hals der gesegneten Herrin vorbeiflog, schalt sie ihn demütig mit Worten der Zurechtweisung und tadelte ihn wegen der Zügellosigkeit. Als die göttliche Vergeltung auf dem Fuße folgte kam er in der Schlacht um, und während er mit dem Tode rang, bat er darum, zur Beisetzung in das vorgenannte Kloster geführt zu werden und da die Verdienste der gesegneten Herrin intervenierten, wurde er aus der Verdammnis des ewigen Todes befreit und der Gemeinschaft der zu erlösenden Menschen zugerechnet. Als die anderen sie für diese Tat tadelten, dass sie einem verdammenswerten Menschen so große Wohltaten erweise, antwortete sie, indem sie sprach: „Wisset zuverlässig, dass wer immer unter den Menschen beiderlei Geschlechts von mir aus dem Taufbecken gehoben wird, der wird nie mit der Strafe der ewigen Verdammnis bestraft werden, da ihn die göttliche Gnade beschützt – und dieses Geschenk ist mir vom Himmel offenbart worden.“ 43. Über ihre Enthaltsamkeit. Welch große Enthaltsamkeit sie übte, kann der menschliche Verstand nicht fassen. Denn nach dem Tod ihres Herzogs [Bolesławs V.] nahm sie bis zum Ende ihres Lebens nie Fleisch zu sich. Zur Vigil Christi aber [und] zu besonderen [Vigilien] wie denen der heiligen Jungfrauen und Märtyrerinnen Katharina und Margareta [war] sie nicht nur selbst [enthaltsam], sondern brachte aus Frömmigkeit auch viele Schwestern durch Bitte und Belohnung dazu, mit ihr bis in die Nacht enthaltsam zu sein. Auch am Freitag fastete sie bei Brot und Wasser bis spät abends und verharrte den ganzen Tag äußerst fromm im Gebet. Genauso hielt sie es aus Ehrfurcht vor der ruhmreichen Jungfrau am Samstag. Und nie machte sie zeit ihres Lebens von der Erwärmung einer Wanne oder eines Bades Gebrauch, noch wusch sie sich ihr Gesicht mit Wasser, es sei denn für den Empfang des Abendmahls oder aus einer bedeutenden Notwendigkeit. Auch fand sie keinerlei Vergnügen am Essen und wenn irgendeine köstliche Speise vor sie gestellt wurde, entfernte sie diese sogleich und verteilte sie an die Armen. Auch beim Trinken zeigte sie sich äußerst maßvoll, weil sie nie ein [alkoholisches] Getränk zu sich nahm, außer beim Mittag- und Abendessen und dies nur spärlich, sehr zurückhaltend mit Wasser [versetzt]. Auch zu den Vigilien der heiligen Jungfrau Maria aß sie nichts oder erfrischte ihren Leib gleichsam mit wenigen Oblaten. Die vierzig Fastentage des heiligen Franziskus108 aber fastete sie ab dem Allerheiligenfest mit größter Hingabe. 44. Über ihr Wachen, ihre Duldsamkeit und Demut. „Zu jeder Stunde verzehrt das Wachen um des Ansehens willen den Leib.“109 Diesen Spruch hat die Heilige in jeder Hinsicht befolgt. Denn stets blieb sie vor Mitternacht wach, hüllte sich sowohl in der Kirche als auch im Wohnraum in den Schleier, stellte sich, den Blick der Augen zum Himmel gerichtet, vom ersten

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auroram erigens se coram effigie crucis, ubi passio Christi habebatur expressa, consignabat, promens illud propheticum, et primo cor consignabat dicens: Sed in lege Domini fiat voluntas eius et in lege eius meditabitur die ac nocte110; deinde totum corpus consignando promebat: Et erit tanquam lignum, quod plantatum est secus decursus aquarum etc. Ad caput vero: Et folium eius non defluet etc.111 Deinde inclinabatur profundius. Et post hec in terram procumbens coram imagine virginis gloriose, indicibiliter lacrimarum imbribus abundancius perfundebatur ita, quod non modicam ladulam, in qua imago predicta fuit, ter semper implebat, antequam missarum sollempnia audire incipiebat ante diem. Deinde ab oracione descendens statim sorores infirmas visitabat et unicuique secundum exigenciam necessaria ministrabat, stubas calefaciens et alia quevis humilitatis officia cordialiter exhibens. 45. De silencio cum diligencia servato. 1. Post completorium eciam tenebat silencium et non loquebatur nisi nutibus et signis. Post cenam semper vitas sanctorum recitabat et tota intencione cum precipua devocione in ipsis occupabatur, signanter autem beati Antonii et aliorum sanctorum, de quibus singularem sumebat consolacionem et postea paululum habito completorio quiescens, quandocunque excitabatur, primo omnium devotissima cum suspirio dicebat, tantam graciarum accionem nunquam posse Deo referre, quantam habuit in hominum creacione, gubernacione et redempcione. Deinde intempeste noctis silencio ab oracione consurgens, divine contemplacioni excessiva devocione immorabatur; in matutinis vero erecta stabat et quanto melius et devocius sorores cantabant, tanto plus ex devocione ipsius voces angelice resonabant in auribus eius, ut videretur iam concionibus angelicis interesse ita, ut de gutture eius diversimode voces formarentur. In omnibus eciam horis nocturnis et diurnis devota consistebat, item ad honorem angelorum triginta „Pater noster“ stans exsolvebat, habens in memoria merita angelorum, qui producunt animas ad regna polorum. Item cum stella matutina oriretur, ter in terram prosternebatur, Marie summe stelle gracias et laudes exhibendo. 2.112Beata Kinga licet fuerit maritata, tamen Deo custodiente, non fuit cognita viro, sed virgo permansit, quod hominibus taliter innotuit. Cum sanctimo­ niales a pontifice consecrarentur, hec pre nimia humilitate noluit suscipere

Ps 1, 2. Ps 1, 3. 112  Die Absachnitte 2. bis 5. sind spätere Hinzufügungen, die Jan Długosz nicht bekannt waren, als er 1471–1473 eine ältere (heute verlorene) Abschrift des verlorenen Originals der mittelalterlichen Vita ausschrieb. 110  111 

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Hahnenschrei bis zur Morgenröte vor das Bild des Kreuzes, wo sie das Leiden Christi ausgedrückt fand, machte ein Kreuzzeichen, holte jenen Prophetenspruch hervor und bekreuzigte zuerst ihr Herz und sprach: „Aber am Gesetz des Herrn möge seine Lust sein und über sein Gesetz soll er Tag und Nacht sinnen.“110 Dann bekreuzigte sie ihren ganzen Körper und zitierte: „Und der wird wie ein Baum sein, der gepflanzt wurde entlang der Wasserläufe usw.“ Und [das Kreuzzeichen] am Kopf [machend sprach sie]: „Und sein Laub wird nicht herabfallen usw.“111 Daraufhin beugte sie sich noch tiefer. Und danach fiel sie vor dem Bild der ruhmreichen Jungfrau zu Boden, wurde auf unbeschreibliche Weise von einem derart großen Tränenregen überströmt, dass sie ein nicht so kleines Kästchen, in dem sich das besagte Bild befand, jedes Mal dreimal anfüllte, bevor sie sich vor Tagesanfang anschickte, die Feierlichkeiten der Messen zu hören. Danach ließ sie vom Gebet ab, suchte sogleich die kranken Schwestern auf und bediente eine jede nach Bedarf mit dem Notwendigen, reinigte die Stuben und verrichtete von Herzen andere Dienste jedweder Niedrigkeit. 45. Über das mit Sorgfalt bewahrte Schweigen. 1. Auch wahrte sie nach der Komplet Schweigen und äußerte sich nur durch ­Nicken und Zeichen. Nach dem Abendessen las sie stets Heiligenviten vor und beschäftigte sich mit ihnen mit ganzem Eifer und besonderer Hingabe, insbesondere aber mit [dem Leben] des heiligen Antonius und anderer Heiliger, aus deren Vorbild sie Trost schöpfte. Danach, nachdem die Komplet beendet war, ruhte sie ein bisschen und wann immer sie aufwachte, sagte sie als die frommste von allen zuerst mit einem tiefen Seufzer, dass sie Gott niemals eine so große Danksagung abstatten könne, wie sie ihm für die Erschaffung der Menschen, ihre Lenkung und Erlösung zukomme. Wenn sie sich dann in der Stille tiefer Nacht vom Gebet erhob, verweilte sie mit außergewöhnlicher Hingabe in der Betrach­ tung Gottes; bei den Morgengebeten aber stand sie stets aufrecht da und je schöner und hingebungsvoller die Schwestern sangen, desto stärker tönten aus ihrer Frömmigkeit die Stimmen der Engel in ihren Ohren, sodass es schien, als nähme sie bereits in der Weise an den Versammlungen der Engel teil, dass durch ihre Kehle verschiedenartige Stimmen gebildet würden. Auch stellte sie sich zu allen Stundengebeten in der Nacht und am Tag andächtig hin. Ebenso sprach sie zur Ehre der Engel stehend dreißig „Vater unser“, da sie die Verdienste der Engel im Gedächtnis hielt, die die Seelen ins Königreich der Himmel führen. Ebenso warf sie sich beim Aufgang des Morgensterns dreimal zu Boden, um Maria, dem größten Stern, Dank und Lobpreis zu erweisen. 2.112 Obwohl die heilige Kinga verheiratet war, ist sie doch von Gott behütet, von keinem Mann ‚erkannt‘ worden, sondern blieb Jungfrau, was den Menschen auf folgende Weise bekannt wurde. Als die Nonnen vom Bischof [Paul] geweiht wur-

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c­ onsecracionem virginum, sed viduarum consecracionem suscepit. Tunc frater Boguchvalus eam redarguendo dixit: Tu non es rite consecrata, quia, cum sis virgo, poposcisti te consecracione viduali consecrari. Que flexis poplitibus coram eo humiliter petivit, ut hoc nulli viventi homini proderet, quam diu ipsa viveret in hoc mundo.113 3. Idem frater Boguchvalus cum iam debebat migrare de hoc seculo, ad transitum ipsius quam plures homines utriusque sexus convenerunt, coram quibus ipse dixit: Hodie a vobis ingredior viam universe carnis et sciatis, quod domina Kinga, quamvis fuerit in statu matrimoniali, tamen virgo permanet. Et ecce vobis signum predico, quod in loco, in quo nunc panni scarlatici venduntur, gramina viridia crescent. Quod rei eventus demonstrat, quia civitas ad locum alium transposita est.114 4. Item soror Catharina in quadam familiari collocucione dixit: Domina, ut michi videtur, tu es virgo. Que inpremediate respondit: Certo sum virgo. Tunc statim doluit se emisisse verbum dictum de ore, petivit eam, ne alicui revelaret predictum verbum, quamdiu ipsa viveret.115 5. Item post mortem beate Kincze frater Leonardus confessor suus asseruit, ipsam fuisse virginem et hoc ipsum verbis iuratoriis confirmavit.

Vgl. unten S. 444–445 (Kap. 57). Tatsächlich hat der böhmische König Wenzel II. als Herzog von Krakau 1292 knapp 9 km nordöstlich des alten Sandez an der Mündung der Kamienica in den Dunajec den Ort Neu Sandez gegründet, der aber erst im frühen 14. Jahrhundert Stadtrecht erhielt. Vgl. auch unten S. 444–445 (Kap. 58). 115  Vgl. unten S. 442–445 (Kap. 55). 113  114 

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den, wollte sie aus allzu großer Demut nicht die Jungfrauenweihe empfangen, sondern empfing die Weihe der Witwen. Da wies sie Bruder Bogufal zurecht und sprach: „Du bist nicht nach dem rechten Brauch geweiht, weil du, obwohl du eine Jungfrau bist, verlangt hast, mit der Witwenweihe geweiht zu werden.“ Mit gebeugten Knien bat sie ihn demütig, dies keinem lebenden Menschen zu verraten, solange sie auf dieser Welt lebe.113 3. Als derselbe Bruder Bogufal diese Welt bereits verlassen musste, kamen zu seinem Hinübergehen recht viele Menschen beiderlei Geschlechts zusammen, vor denen er sprach: „Heute gehe ich von euch den Weg allen Fleisches und ihr sollt wissen, dass die Herrin Kinga, obwohl sie im Stand der Ehe war, dennoch Jungfrau geblieben ist. Und sehet! Ich sage euch ein Zeichen voraus, dass an dem Ort, an dem jetzt scharlachrote Tücher verkauft werden, grünes Gras wachsen [wird].“ Das bestätigte der Ausgang der Sache, da die Stadt an eine andere Stelle versetzt worden ist.114 4. Ebenso sagte Schwester Katharina in einem gewissen vertraulichen Gespräch: „Herrin, wie mir scheint, bist du Jungfrau.“ Diese antwortete unbedacht: „Gewiss bin ich Jungfrau.“ Daraufhin bereute sie sogleich, das ausgesprochene Wort fallen gelassen zu haben, und bat sie, sie möge niemandem das besagte Wort offenbaren, solange sie lebe.115 5. Ebenso erklärte nach dem Tod der heiligen Kinga der Bruder Leonhard, ihr Beichtvater, dass sie Jungfrau gewesen sei, und bekräftigte dies mit Worten des Eides.

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46. De demonis repulsione. Item quasi visibiliter cum demonibus conflictabatur. Nam quadam vice sorore Buczislava in oracione constituta, demon teterrimus in effigie virili ei apparuit eandemque plurimum terruit; que territa sanctam dominam acclamare cepit, que tunc devotissima in oracione posita demonem increpare cepit et ipsi baculo, quo sustentabatur, minas incuciendo […116], qui eius oracione confusus abscessit. Soror vero illa ante oratorium felicis domine procumbens pacifice quievit a toto terrore omnino liberata; que facie ad faciem ipsum demonem vidit in specie virili. 47. De devocione ad vulnera Christi. Sancta vero Kynga ex nimia devocione, quam ad Christi vulnera habebat, quinque candelas in honorem quinque vulnerum Christi semper in sua camerula cremabat. In festo vero natalis Christi quendam magnum cereum ad ecclesiam fieri mandabat, qui eciam cereus die beati Stephani, Ioannis evangeliste, circumcisionis et epiphanie semper ardebat. In sanctissimo festo paschatis a sexta feria maiori usque ad secundam feriam eiusdem festi idem cereus continue ardebat; qui eciam pre nimia magnitudine in una pulla pisis circumsepta locabatur.

116  Hier sah der Herausgeber Kętrzyński eine Sinnlücke im Text der Handschrift, die er mit mehreren Punkten gekennzeichnet hat.

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46. Über die Austreibung eines Dämons. Ebenso kämpfte sie gleichsam unter aller Augen mit Dämonen. Denn als sich eines Tages die Schwester Buczysława im Gebet befand, erschien ihr ein überaus abscheulicher Dämon in männlicher Gestalt und erschreckte sie sehr; erschrocken begann sie die heilige Herrin anzurufen, die damals in ein äußerst frommes Gebet vertieft war und den Dämon zu schelten begann und ihm mit dem Stock, auf den sie sich stützte, zu schlagen drohte […116], [woraufhin] dieser durch ihr Gebet verstört verschwand. Jene Schwester aber, die den Dämon von Angesicht zu Angesicht in männlicher Gestalt gesehen hatte, fiel vor der Kapelle der gesegneten Herrin zu Boden und beruhigte sich friedlich, da sie von dem ganzen Schrecken vollständig befreit worden war. 47. Über die Ehrfurcht gegenüber den Wunden Christi. Die heilige Kinga aber zündete aus der sehr großen Ehrfurcht, die sie gegenüber den Wunden Christi hegte, in ihrer kleinen Kammer stets fünf Kerzen zu Ehren der fünf Wunden Christi an. Zum Fest der Geburt Christi aber ließ sie für die Kirche eine große Wachskerze anfertigen; diese Wachskerze brannte auch stets am Tag des heiligen Stephanus, Johannes‘ des Evangelisten, am Beschneidungsfest und zu Epiphanias. Zum hochheiligen Osterfest brannte dieselbe Wachskerze ununterbrochen von Karfreitag bis Ostermontag; sie wurde auch wegen ihrer gewaltigen Größe in ein Gefäß gestellt, das ringsum durch Erbsen geschützt war.

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48. De austeritate vite ipsius, quam ducebat. Magne eciam austeritatis erga semet ipsam extitit, nam quanto maiori calore aura augebatur, tanto gravioribus vestibus utebatur et quanto pluribus ac gravioribus algoribus aura stringebatur, tanto gracillimis induebatur vestibus. Et ut magis magisque frigora corpus eius fatigatum anxiarent, mandabat calefieri aquam in ollis et cacabis, ut vapor, qui de calida aqua exibat, ipsam in medio ollarum predictarum positam gelu per maximum concrustaret. Et sic frequencius ex diversarum penarum mutacione carnem spiritui miro modo servire studiose cogebat. Et ut olfactum loco delicati odoris amplius affligeret, mandabat sibi panniculos sordidos calefieri, quibus loco calefaccionis corporalis penalitatem fetoris sibi ingerebat et sic omnes sensus sui corporis mirabiliter arcebat. Item ex quo ordinem sacrum assumpsit, nunquam estivo tempore calceamentis utebatur. Et licet fuerit tam delicati generis, sepe ex asperitate gressuum suorum scissure permaxime in pedibus eius apparebant. Et cum per aliquas dominas familiares sibi ex compassione pedes de aceto lavabantur, ipsa devota et felix domina omnem dolorem humiliter et hilariter pacientissime sustinebat. Hiemali autem tempore nullum socculum seu panniculum in calceamentis deferebat, ut frigus pedes gelidos gravius affligeret. 49. De demonis expulsione miraculum. Item unum puerum a demone possessum et per dominam Annam ipsum puerum tenentem […117] felix Kynga adveniens minas incussit et mox a puero exivit et puer sanus per omnia efficitur, quem cibo refectum de claustro emisit. 50. Item [miraculum]. Soror Clara Iacobi cum sex annos etatis sue haberet, ad claustrum recepta abecedarium primo et „Credo“ addiscens, venit ad felicem dominam, ubi ipsa habitabat. Quam felix domina videns, librum suum eidem tradidit dicens: Lege in isto libro, filia. Signoque crucis super ipsam facto, puellula legere itaque cepit illum psalmum: „Laudate dominum, omnes gentes“118, quem nunquam didicerat.

117  Hier sah der Herausgeber Kętrzyński eine Sinnlücke im Text der Handschrift, die er mit mehreren Punkten gekennzeichnet hat. 118  Ps 116, 1.

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48. Über die Strenge des Lebens, das sie führte. Auch übte sie sich selbst gegenüber große Strenge, denn je mehr die Luft durch größere Wärme ausgedehnt wurde, desto schwerere Kleider gebrauchte sie und je mehr die Luft durch häufigere und strengere Fröste zusammengezogen wurde, desto zierlichere Kleider zog sie an. Und damit die Fröste ihren erschöpften Körper noch mehr martern mochten, ließ sie Wasser in Töpfen und Kesseln erhitzen, damit der vom heißen Wasser aufsteigende Dampf sie, die inmitten der besagten Töpfe stand, mit einer möglichst dicken Eiskruste überzog. Und so brachte sie durch häufigeren Wechsel der verschiedenen Martern auf wunderbare Weise das Fleisch dazu, dem Geist eifrig zu dienen. Und um den Geruchssinn an Stelle eines angenehmen Duftes stärker zu peinigen, verfügte sie, dass ihr schäbige Lumpen erwärmt werden, mit denen sie sich statt körperlicher Erwärmung die Strafe des Gestanks zufügte und so alle Sinne ihres Körpers auf wunderbare Weise in Schranken hielt. Ebenso benutzte sie, seit sie in den heiligen Orden eingetreten war, in der Sommerzeit niemals Schuhe. Und obwohl sie von so zierlicher Art war, zeigten sich an ihren Füßen infolge der Rauhheit ihrer Schritte häufig sehr große Risse. Und wenn ihr von irgendwelchen vertrauten Schwestern aus Mitleid die Füße mit Essig gewaschen wurden, hielt die fromme und gesegnete Herrin jeden Schmerz demütig, heiter und überaus geduldig aus. Zur Winterzeit aber trug sie in den Schuhen weder Socken noch Tuch, damit der Frost die kalten Füße umso heftiger peinigte. 49. Ein Wunder von der Austreibung eines Dämons. Ebenso [befreite die heilige Kinga] einen von einem Dämon besessenen Jungen, während die Herrin Anna diesen Jungen hielt […117]. Die gesegnete Kinga trat heran, sprach Drohungen aus und sogleich verschwand er aus dem Knaben und der Knabe wurde vollständig gesund; von einer Speise gestärkt entließ sie ihn aus dem Kloster. 50. Ebenso [ein Wunder]. Die Schwester Klara Jacobi wurde mit sechs Jahren in das Kloster aufgenommen und lernte zuerst das Alphabet und das Glaubensbekenntnis; [eines Tages] suchte sie die gesegnete Herrin auf, da wo diese wohnte. Als die gesegnete Herrin sie sah, gab sie derselben ihr Buch und sagte: „Lies in diesem Buch, Tochter.“ Und nachdem sie über ihr das Zeichen des Kreuzes gemacht hatte, begann das kleine Mädchen so jenen Psalm zu lesen: „Lobet den Herrn, alle Völker“118, den sie noch nie gelernt hatte.

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51. De liberacione a faucibus mortis eiusdem Clare. Cum enim quadam vice ipsa tenella existente, casu de ambitu ceciderat et magno clavo per guttur transfixo inhereret, iam mortua ad dominam portatur, quam, signo crucis per lignum Domini facto, vite pristine restituit. 52. De cecis illuminatis miraculum. Quedam soror nomine [Paulina119] sororis Sophie oculum per candelam ardentem totaliter destruxerat, que statim ad oratorium felicis domine est adducta, quam felix domina signaculo alme crucis benedixit et mox totus dolor cessavit. Puella de recuperacione sui visus cum magna exultacione Deo et felici domine gracias egit. 53. Item de ceco. Quedam domina nobilis relicta Philippi puerum cecum domine felici obtulit, lacrimis uberrimis deprecans, ut pro illuminacione sua deprecaretur. Domina autem puerum in oratorium suum suscipiens preces Domino devotas fudit et puero prorsus excecato visum restituit sicque sanum et nova veste indutum matri restituit. 54. De igne ipsam non urente. Videntur eciam tempore vite elementa racione sue devocionis sibi obedire. Nam cum ex fervore caritatis circa ignem vel racione infirmarum sororum vel racione cuiuscunque infirmitatis quidquam ordinare deberet, pluries visa est carbones ­ignitos in manu sua loco tentarii componere et manum delicatam igni absque lesione approximare, a quo minime ledebatur. 55. De castitate ipsius, quam tenuit.120 Quociescunque extra oracionem cum suis sororibus loquebatur, semper virtutem castitatis aliis virtutibus preferebat, sicut quandoque audita fuit sub racione cuiusdam reprehensionis dicere: Quid, mee care, quid, mee dilecte filie, castimonie virtuti detrahitis? Ego etenim indigna mulierum nunquam viri mei nisi manus

119  Der Name von Kętrzyński [Vita et miracula (wie Anm. 23), S. 722] nach Długosz, Vita (wie Anm. 2) ergänzt. 120  Vgl. oben S. 436–437 (Kap. 45, 4).

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51. Über die Befreiung derselben Klara aus den Schlünden des Todes. Als sie [Klara] nämlich einmal, als sie noch sehr zart war, zufällig im Kreuzgang hingefallen und an einem großen Nagel hängen geblieben war, der sich durch ihren Hals gebohrt hatte, da wurde sie schon tot zur Herrin gebracht, die sie, nachdem sie über dem Holz des Herrn ein Kreuzzeichen gemacht hatte, zum vorherigen Leben wiederherstellte. 52. Das Wunder von der Erleuchtung einer Blinden. Eine gewisse Schwester namens [Paulina119] hatte mit einer brennenden Kerze das Auge der Schwester Sophia vollständig zerstört; diese wurde sogleich zur Kapelle der gesegneten Herrin geführt und die gesegnete Herrin segnete sie mit dem Zeichen des segenspendenden Kreuzes und sogleich hörte der ganze Schmerz auf. Das Mädchen dankte Gott und der gesegneten Herrin mit großem Jubel für die Wiedererlangung ihrer Sehkraft. 53. Ebenso über eine Blinde. Eine gewisse adlige Herrin, die Hinterbliebene des Philipp, brachte der gesegneten Herrin ihren blinden Jungen und flehte überaus tränenreich darum, dass man für seine Erleuchtung um Gnade bitten möge. Die Herrin aber nahm den Jungen in ihre Kapelle mit, übergoss den Herrn mit frommen Bitten und stellte dem ganz und gar erblindeten Jungen die Sehkraft wieder her und auf diese Weise gab sie ihn gesund und in ein neues Gewand gekleidet der Mutter zurück. 54. Über das Feuer, das sie nicht verbrannte. Auch schienen ihr die Naturelemente wegen ihrer Frömmigkeit zeitlebens zu gehorchen. Denn wenn sie aus der Leidenschaft ihrer Nächstenliebe, sei es wegen kranker Schwestern oder wegen irgendeiner Krankheit, am Feuer irgendetwas ordnen musste, da schien es mehrere Male, dass sie die brennenden Kohlen statt mit einer Zange mit ihrer Hand zusammenlegte und ihre zarte Hand ohne eine Verletzung dem Feuer näherte, von dem sie keineswegs verletzt wurde. 55. Über ihre Keuschheit, die sie bewahrte.120 Sooft sie jenseits des Gebets mit ihren Schwestern redete, zog sie stets die Tugend der Keuschheit den anderen Tugenden vor. So war einmal zu hören, dass sie im Sinne eines gewissen Tadels sagte: „Warum, meine lieben, warum, meine geschätzten Töchter, schmälert ihr die Tugend der Keuschheit? Ich habe nämlich niemals die den Frauen unwürdigen [Körperteile] meines Mannes gesehen, außer

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solas et faciem vidi. Ex quo pluries fuit coniectum, quod in virginitate cum suo contorali virgo permansit. Quod confirmat soror Catharina dicta Odolani multipliciter.121 Nam cum quadam vice quasi sibi indignata fuisset, eandem clementi ­affectu ad se inclinare cupiens dixit felix domina: O si, filia, ad me velles de necessitate inclinari et mei conscia esse secreti, tibi cor meum aperirem. Qua promittente, quod nulli pandere vellet, domina confessa est, se esse virginem illibatam a nativitate sua. 56. Item de castitate. Vladislaus rex tocius Polonie una cum domina Hedvige contorali sua sollempni assercione protestati sunt coram certis et veridicis nobilibus regni sui, quod felix Kynga eis consciis virginitatis sue florem tempore vite sue inviolabiliter conservavit, quia ipse rex in puerili etate existens sepius thalamum felicis domine intrabat et multis certissimis signis et prodigiis eius virginitatem probavit. 57. Item de castitate probacio.122 Contigit eciam, quod cum dominus Paulus episcopus Cracoviensis ibidem in cenobio Sandecensi virgines velaret, inter eas domina felix viduitatem proferens, virginitatem negabat. Cui cum confessor suus frater Bogufalus obiceret male esse consecratam, cum esset virgo et vidualem benediccionem accepisset, ipsa vero supplici prece deprecabatur eum, ut secretum suum nunquam alicui detegeret; qui divino nutu compunctus subticuit, cum vir sagacis ac providi ingenii fuisset. 58. Item probacio de castitate ipsius.123 Cum vero in extremis positus predictus confessor felicem dominam coram civibus, qui racione visitacionis sue ad eum convenerant, puram virginem affirmaret, multis civibus verba ipsius deliramentis similia fore videbantur. Quod devotus confessor spiritu prophetico precognoscens civibus dixit: Quia fidem verbis meis adhibere noluistis, in civitate vestra hac, ubi nunc panni venduntur scarlatici, in brevi urtice permaxime excrescent et cum hec fieri videritis, tunc forsitan verbis meis credetis. Que omnia processu temporis completa sunt.

121  122  123 

Vgl. Anm. 84. Vgl. oben S. 434–437 (Kap. 45, 2). Vgl. oben S. 436–437 (Kap. 45, 3).

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allein die Hände und das Gesicht.“ Daraus wurde mehrere Male gefolgert, dass sie mit ihrem Bettgefährten als Jungfrau in Jungfräulichkeit verharrte. Dies hat die Schwester Katharina, genannt Odolani, mehrfach bestätigt.121 Denn als [diese] sich einmal gewissermaßen schon über sie empörte, sagte die gesegnete Herrin, die sie mit sanfter Liebe sich geneigt machen wollte: „Oh Tochter, wenn du dich aus enger Verbindung mir zuneigen und eine Mitwisserin meines Geheimnisses sein wolltest, dann würde ich dir mein Herz öffnen.“ Als sie [Katharina] versprach, dass sie es keinem offenbaren wolle, bekannte die Herrin, dass sie seit ihrer Geburt eine unversehrte Jungfrau sei. 56. Ebenso über ihre Keuschheit. Władysław [Łokietek], der König von ganz Polen, und die Herrin Jadwiga, seine Bettgefährtin, haben in einer feierlichen Erklärung vor zuverlässigen und die Wahrheit sprechenden Adligen ihres Königreiches bezeugt, dass die gesegnete Kinga ihres Wissens nach zeitlebens die Blüte ihrer Jungfräulichkeit unverletzt bewahrt hat, weil der König selbst, als er im jungen Alter war, des Öfteren das Schlafzimmer der gesegneten Herrin betreten und ihre Jungfräulichkeit mit äußerst sicheren Anzeichen und Wunderzeichen bewiesen hat. 57. Ebenso ein Beweis ihrer Keuschheit.122 Als der Herr Bischof Paul von Krakau ebendort im Kloster von Sandez den Jungfrauen den Schleier anlegte, begab es sich auch, dass unter ihnen die gesegnete Herrin ihre Jungfräulichkeit leugnete, indem sie ihren Witwenstand vorbrachte. Als ihr Beichtvater, der Bruder Bogufal, ihr vorwarf, dass sie auf schlechte Weise geweiht worden sei, weil sie eine Jungfrau sei, jedoch den Witwensegen empfangen habe, flehte sie ihn aber mit demütiger Bitte an, ihr Geheimnis niemals irgendjemandem zu verraten; dieser schwieg veranlasst durch göttliche Fügung, weil er ein Mann von scharfsinniger und vorsichtiger Klugheit war. 58. Ebenso ein Beweis ihre Keuschheit.123 Als aber der besagte Beichtvater in den letzten Atemzügen lag und die gesegnete Herrin vor den Bürgern, die zum Besuch bei ihm zuammengekommen waren, als reine Jungfrau bestätigte, schienen seine Worte vielen Bürgern albernem Geschwätz zu gleichen. Da der fromme Beichtvater dies mit prophetischem Geist vorhergesehen hatte, sagte er den Bürgern: „Weil ihr meinen Worten kein Vertrauen schenken wollt, werden in dieser eurer Stadt, wo jetzt scharlachrote Tücher verkauft werden, in Kürze sehr große Brennnesseln wachsen und wenn ihr dies geschehen seht, dann werdet ihr meinen Worten vielleicht glauben.“ Dies alles erfüllte sich im Fortschreiten der Zeit.

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59. De repulsione malorum per oraciones eius. Quadam vice guerra impiorum increscente et Teutonicis discidium claustro ordinare cupientibus124, cives mali predones apud se conservant, qui noctis tempore claustrum invadere et dominas molestare deberent. Domina vero oracionibus insudante devotissime tempore matutinali, cum campana pro matutinis tangeretur, satellites perfidi nutu Omnipotentis compunguntur et terrore nimio concussi a sua iniqua intencione conquiescunt et ad suas partes, unde venerant, mox fugam ineunt et recedunt et sic claustrum et domina ab eorum hostilitate liberantur.125 60. De vino celitus sibi ministrato.126 Quadam vice vinum habere desideranti et dicenti, quod vini creator posset, si vellet, pauperculas suas vino bono exsaturare, et ecce ante portam adest nuncius duas flasculas de optimo vino felici domine transmittens. Et cum domina quereret, unde tam nobile veniret, statim nuncius, qui vinum portaverat, queritur et minime invenitur. Cognoscunt igitur angelico ministerio vinum de celo fore missum. Ille nimirum, qui ex aqua vinum fecit, famulam suam in siti eius poculo vini celestis recreavit. 61. De spiritu prophetico, quem habuit. Quadam vice sororibus suis precinens dixit: Licet alique ex vobis variis infirmi­ tatibus gravantur et gravabuntur, verum tamen ante me nulla vestrum decedet. Contigit autem quadam vice, quod soror Vislava gravi infirmitate detineretur, sorores alie ad oratorium felicis domine concite accedunt eamque in oracione impediunt dicentes et bachantes: Domina, talis soror iam spiritum exhalavit. Que ab oracione surgens dixit eis: Quia meis sermonibus non credidistis, vestra infirmaria nunquam vacabit, sed semper una ex vobis infirma manebit. Quod dictum sequenti tempore completum est.

124  125  126 

Vgl. oben Anm. 93. Vgl. oben Anm. 90. Vgl. oben S. 428–429 (Kap. 39, 4).

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59. Über die Abwehr des Übels durch ihre Gebete. Als der Kampf gegen die Ungläubigen sich einmal intensivierte und die Deutschen dem Kloster eine Trennung verordnen wollten124, hielten schlechte Bürger Räuber bei sich, die zur Nachtzeit in das Kloster einfallen und die Herrinnen belästigen sollten. Da aber die Herrin sich zur Zeit der Morgengebete äußerst andächtig den Gebeten widmete, wurden die gewissenlosen Spießgesellen, als die Glocke zu den Morgengebeten geläutet wurde, auf einen Wink des Allmächtigen von Reue ergriffen und ließen, von allzu großem Schrecken erschüttert, von ihrem üblen Vorhaben ab. Sie ergriffen sogleich die Flucht in ihre Gebiete, aus denen sie gekommen waren und zogen sich zurück. Und so wurden das Kloster und die Herrin von ihrer Feindseligkeit befreit.125 60. Über den ihr vom Himmel dargebotenen Wein.126 Als sie einmal Wein haben wollte und sagte, dass der Erschaffer des Weines, wenn er wollte, seine armen Frauen mit gutem Wein vollkommen sättigen könnte, siehe, da stand vor dem Tor ein Bote und überreichte der gesegneten Herrin zwei Fläschchen besten Weines. Und als die Herrin fragte, woher ein so edler [Wein] komme, wurde der Bote, der den Wein gebracht hatte, sofort gesucht, aber keineswegs gefunden. Daher erkannten sie, dass der Wein durch den Dienst der Engel vom Himmel geschickt worden war. Zweifellos hat jener, der aus Wasser Wein machte, seine Dienerin in ihrem Durst mit einem Becher himmlischen Weines erquickt. 61. Über den prophetischen Geist, den sie hatte. Einmal weissagte sie ihren Schwestern und sprach: „Obwohl einige von euch an verschiedenen Krankheiten leiden und leiden werden, wird doch keine von euch vor mir sterben.“ Es begab sich aber einmal, dass die Schwester Wisława von einer schweren Krankheit gefesselt wurde; da gingen die anderen Schwestern eilig zur Kapelle der gesegneten Herrin, unterbrachen sie im Gebet und riefen und lärmten: „Herrin, diese Schwester hat schon ihren Geist ausgehaucht.“ Sie erhob sich vom Gebet und sagte ihnen: „Weil ihr meinen Worten nicht geglaubt habt, wird euer Krankensaal niemals leer sein, sondern stets wird eine von euch krank bleiben.“ Dieses Wort hat sich in der Folgezeit erfüllt.

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62. Item de spiritu prophetico. Cum vero eadem vice, quando domina spiritu prophetico precinuisset, quod prima inter omnes sorores Ade debitum exsolveret, quedam soror nomine Aldegundis more quasi contencioso dixit: Non tu, o domina, cum sis iuvenis, sed ego precedam forte te, respondens felix domina aiebat: Sicut mater vestra extiti, vos in claustro congregans, sic eciam vos in celis preveniam, vestras oraciones vultui divino presentans. Que omnia sunt impleta. 63. De infirmitate et transitu ipsius ex hoc mundo.127 1. Cum ergo suis meritis premia eterna cunctorum remunerator vellet sua pietate compensare, ut denario diurno famula sua non orbaretur, eandem gravi prevenit infirmitate. Nam in die beati Mathei evangeliste gravissima infirmitate percussa, diversis languoribus gravabatur. Et ab ipso die usque ad festum beati Iacobi in lecto decumbens, quantas passiones et quam pacienter et devote sustinuit, lingua enarrare, sensus exprimere nequit humanus. Et ab ipsa sui egritudine semper coram ipsa misse celebrabantur; ipsa vero corpusculum suum nimia egritudine consumptum sustentari cupiebat et sic missas manibus dominarum suffulta, mira cum devocione audiebat et oraciones consuetas corpore sic lassato perficiebat et semper oblaciones consueto more offerre mandabat. In ipsa eciam egritudine, infirmitate aliqualiter repressa, operibus misericordie devota inherebat, manibus propriis aliquid operando et inde orphanis et viduis necessaria ministrabat. Quid plura? nam consolaciones permaximas habebat. In eadem infirmitate sanctus Iohannes baptista et sanctus Ioannes evangelista et sancta Salomea eidem apparuerunt et eam sunt consolati. Et iam instante hora mortis sue dixit ad sorores circumstantes: Cedite ad partem. Que cum ab ea quererent, cur cedere deberent, respondit: An non videtis sanctum Franciscum ad me venientem, consolatorem meum?128 Tunc sorores glorificaverunt Deum de tali ostensione et sanctorum visitacione. Quadam autem vice sancta Salomea ei apparuit, consolacionem annuncians et dicens, quod anima domini Andree infantis purgatorio finito iam bravium celeste iucunda possidet.129 Multas et varias alias sanctorum consolaciones, Deo annuente, probabiliter percepit.

127  128  129 

Vgl. oben S. 428–429 (Kap. 39, 5). Vgl. oben S. 430–431 (Kap. 40). Vgl. oben S. 408–409 (Kap. 20).

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62. Ebenso über ihren prophetischen Geist. Einmal aber, als die Herrin in prophetischem Geist vorhersagte, dass sie als erste unter allen Schwestern Adams Schuld begleichen werde, da sagte eine gewisse Schwester namens Aldegunde fast schon in streitsüchtiger Weise: „Nicht du, Herrin, weil du eine junge Frau bist, sondern ich werde dir wohl vorausgehen.“ Da antwortete die gesegnete Herrin und sprach: „So wie ich als eure Mutter hervorgetreten bin, als ich euch in [diesem] Kloster versammelt habe, so werde ich euch auch im Himmel vorangehen und eure Gebete dem Antlitz Gottes zeigen.“ Dies alles erfüllte sich. 63. Über ihre Krankheit und ihr Hinscheiden aus dieser Welt.127 1. Als daher der Vergelter aller [Dinge] in seiner Liebe ihren Verdiensten den ewigen Lohn zukommenlassen wollte, damit seine Dienerin nicht um den Tagespfennig gebracht werde, ließ er eine schwere Krankheit über sie kommen. Denn am Tag des heiligen Matthäus, des Evangelisten [21. September 1291], wurde sie von einer sehr schweren Krankheit geschlagen und von verschiedenen Beschwerden bedrückt. Wie viele Leiden sie geduldig und fromm ertrug, während sie von diesem Tag an bis zum Fest des heiligen Jakob [25. Juli 1292] krank im Bett lag, kann keine Zunge erzählen, keine menschliche Empfindung ausdrücken. Und seit dieser ihrer Krankheit wurden die Messen stets vor ihr gefeiert; sie selbst aber verlangte, dass ihr kleiner, von der Krankheit übermäßig geschwächter Körper aufrecht gehalten werde; und so hörte sie die Messen mit wunderbarer Frömmigkeit, indem sie von den Händen der Herrinnen gestützt wurde, vollendete die gewohnten Gebete, obwohl ihr Körper so ermattet war, und ließ [sich] die Hostien stets auf gewohnte Weise reichen. Selbst in diesem Leiden blieb sie, indem sie die Krankheit irgendwie unterdrückte, den Werken der Barmherzigkeit demütig verbunden, tat etwas mit ihren eigenen Händen und diente Waisen und Witwen mit dem Nötigen. Was mehr? Sie verfügte doch über die allergrößten Tröstungen. In ebendieser Krankheit erschienen ihr der heilige Johannes, der Täufer, der heilige Johannes, der Evangelist, und die heilige Salomea und trösteten sie. Und als bereits die Stunde ihres Todes bevorstand, sprach sie zu den umstehenden Schwestern: „Geht zur Seite!“ Als diese sie fragten, warum sie zur Seite treten sollten, antwortete sie: „Seht ihr denn nicht den heiligen Franziskus, wie er zu mir kommt, meinen Tröster?“128 Daraufhin priesen die Schwestern Gott für ein derartiges Zeichen und den Besuch der Heiligen. Einmal aber erschien ihr die heilige Salomea, kündigte Trost an und sagte, dass die Seele des Herren Andreas, des [ungarischen] Infanten, das Fegefeuer hinter sich habe und schon freudig den himmlischen Lohn besitze.129 Wahrscheinlich hat sie mit Gottes Zustimmung noch viele und allerlei weitere Tröstungen der Heiligen erfahren.

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Adveniente namque die sancti Alexii gravatur maiori infirmitate, quod videntes sorores lacrimosis oculis propter obitum sue matris preces clemencie divine fundunt, ne orbate matre, orphane permanentes pluribus in hac vita anxietatibus turbarentur et ut Deus ad consolacionem ipsarum vitam domine diucius prorogaret. Ad quas felix domina dicebat: O mee dilecte filie, nunc turbacionem matri ministratis; Deus etenim michi diem obitus mei revelaverat; hic nunc ad vestrarum precum instanciam vitam michi prolongans diem extremum abscondit, propter quod quam plurimum contristata nunc consisto. Sorore igitur quadam ipsam requirente, quomodo dies extrema sibi fuisset insinuata, felix domina dixit: Beata Maria virgo proximo die sabbathi michi apparens, ipsum diem resolucionis mee michi assignaverat; sed nunc vestris interpellacionibus et fletibus eam vitam prolongavit. Sicque factum est, nam ab ipsa die usque ad feriam quintam christianissime supervixit. Infra hos autem dies, quos supervixit, audita est Deo patri in trinitate viventi et filio et spiritui sancto graciarum acciones agere totumque corpus suum per singulas iuncturas benedicere pro eo, quod ipsam Deus in castitate et utriusque hominis puritate conservans, semet ipsam immaculatam custodivit. Appropinquante igitur die et hora exitus sui extrema, mandavit campanellam tangere pro signo convencionis sororum. Quibus insimul concurrentibus, antiquis et minoribus, [quas] ipsa ut pia mater sincero affectu ad Dei servicium vocaverat et sub umbra alarum sue pie educacionis congregaverat, et alloquitur eas materno affectu et quasi testamentum ipsis relinquens, spiritu caritatis accensa dixit: O filie mee predilectissime, immensissima Omnipotentis clemencia ad suum servicium vocante et nunc non alio nisi nutu Dei vocate, non enim de potencia humana confisa vel de proteccione regia vos vocavi, sed de celesti munimine. Licet autem ve­ stra civitas multos turbacionis et desolacionis pacietur incursus et in tantum, quod rabie inimicorum invalescente, claustrum velint diruere et per pluries vobis minas et turbaciones, pericula et dampna inferre, vos vero virgines Deo dicate, in uno et solo Deo spem vestram ponite, Deum timete, sine intermissione orate, ab omni specie mala virilique occupacione abstinete et plurimum cavete caute, nec aliqua nisi cum cognato in tercio gradu loquatur; misericordiam, caritatem et pietatem amplexantes, in virtutibus devotis crescite; pacienciam in tribulacionibus et angustiis habete, pacem et concordiam summopere custodite et ego, licet indigna peccatrix, inter vos et sponsum nostrum Iesum Christum me pono mediatricem,

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Als dann der Tag des heiligen Alexius [von Edessa] kam [17. Juli 1292], wurde sie von einer noch schwereren Krankheit bedrückt; als die Schwestern dies sahen, stießen sie angesichts des Todes ihrer Mutter mit tränenerfüllten Augen Bitten um göttliche Gnade aus, dass sie nicht ihrer Mutter beraubt, Waisen bleiben, in diesem Leben durch noch mehr Ängste beunruhigt werden mögen und Gott ihnen zum Trost das Leben der Herrin weiter verlängern möge. Zu ihnen sagte die gesegnete Herrin: „Oh, meine geliebten Töchter, jetzt bereitet ihr eurer Mutter Unruhe; Gott hat mir nämlich den Tag meines Todes offenbart; nun, da er durch die Beharrlichkeit eurer Bitten mir das Leben verlängert, hat er den letzten Tag verborgen, weswegen ich jetzt überaus betrübt bin.“ Als eine Schwester sie daher fragte, wie ihr der Todestag mitgeteilt worden sei, sagte die gesegnete Herrin: „Die heilige Jungfrau Maria ist mir letzten Samstag erschienen und hat mir den Tag meines Todes bestimmt; aber jetzt habt ihr mit eurem Klagen und Weinen dieses Leben verlängert.“ Und so geschah es auch, denn von diesem Tag an hat sie noch bis zum Donnerstag sehr christlich weitergelebt. In diesen Tagen aber, die sie weiterlebte, hörte man, wie sie Gott, dem in der Dreieinigkeit lebenden Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist Dank sagte und ihren ganzen Körper mit jedem einzelnen Gelenk dafür lobte, dass Gott sie in Keuschheit und in beiderlei Unschuld [d. h. der körperlichen und geistlichen] des Menschen erhalten und sie unbefleckt bewahrt hat. Als also der Tag und die letzte Stunde ihres Lebens nahten, ließ sie zum Zeichen der Zusammenkunft der Schwestern die kleine Glocke schlagen. Als diese herbeigelaufen waren, die alten und die jüngeren, [die] sie selbst wie eine liebevolle Mutter mit ehrlicher Zuneigung zum Dienst an Gott gerufen und unter dem Schatten der Flügel ihrer liebevollen Erziehung [im Kloster] zusammengeführt hatte, sprach sie diese mit mütterlicher Zuneigung an und sagte, ihnen gewissermaßen ein Testament hinterlassend, vom Geiste der Nächstenliebe entbrannt: „Oh, meine überaus geliebten Töchter, die die unermesslich große Gnade des Allmächtigen zu seinem Dienst gerufen hat und die ihr jetzt nicht anders als durch Gottes Willen gerufen seid, ich habe euch ja nicht im Vertrauen auf menschliche Macht oder königlichen Schutz gerufen, sondern [im Vertrauen] auf himmlischen Beistand. Auch wenn eure Gemeinde viele Angriffe von Unordnung und Verwüstung erleiden wird, auch so große, dass sie durch die wachsende Wut der Feinde das Kloster zerstören und euch mehrere Male Schrecken und Unruhen, Gefahren und Schäden zufügen wollen, so setzt, ihr Gott geweihten Jungfrauen, eure Hoffnung dennoch einzig und allein auf Gott, fürchtet Gott, betet ohne Unterlass, haltet euch von jedwedem üblen Anblick und männlicher Inanspruchnahme fern und nehmt euch mit Vorsicht sehr in Acht, dass keine außer mit einem Verwandten dritten Grades redet; umarmt die Barmherzigkeit, Nächstenliebe und Frömmigkeit, wachst in [euren] guten Taten, habt Geduld in Unruhen und Notlagen, bewahrt den Frieden und die Eintracht gar sehr und ich, obgleich eine unwürdige Sünderin, stelle mich zwischen euch und unseren Bräutigam Jesus Chris-

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ex parte ipsius vobis promittens, quod si hec feceritis, licet multas angustias sustinueritis, tamen nulla vestrum in peccatum carnale prolabetur et nec inquinabitur ipsius corpus, nisi de consensu anime. Etsi aliqua vestrum inimico instigante peccaverit, divina pietate ad penitenciam reducta indulgenciam obtinebit et Dei misericordiam consequetur nec aliqua in anima periclitabitur, sed omnes teterrimas inimicorum penas evadens celeste bravium possidebit in eternum. Cum autem felix domina huius sanctissime admonicionis et institucionis finem dedisset, sorores omnes et singule in amarissimas prorumpentes lacrimas, eiulatus et suspiria indicibili dolore dabant et piissimam matrem deflebant seque suis intercessionibus devote recommendabant. Sororibus itaque flentibus domina Grifina domini ducis Lesconis contoralis ad felicem dominam humiliter se inclinans cum lamento cordiali dixit: O mater, o domina piissima, num quid sentis, quod te velis a nobis tam cito disiungere? Cui cum aliis felix domina respondit dicens: Sinite me, o filie, sinite et flere desinite, ut in hac ultima hora transitus mei possim aliquantulum orare et me ipsam et vos Deo commendare. Itaque velum super oculos trahens, tota se in Deum collegit, oransque, ut alia Anna, cuius labia movebantur et vox penitus non audiebatur, interpellabat enim agmina sanctorum tam pro se quam eciam pro bono filiarum suarum, quas in Christo genuerat, statu. Oracione vero completa, supplicat humiliter, quod sacro oleo ungeretur. Ad quam fratres illico ornatu decenti induti devote progrediuntur. Felix itaque domina confessione et communione premissa, singula corpusculi sui membra ad sacri olei unccionem devotissime offert. Sicque omnibus sacramentis summa cum devocione et reverencia procurata, hora extrema appropinquante, rogat sororem Anastasiam, quam sibi pro magistra assumpserat, ut illud evangelium sibi legeretur: Ante diem festum pasche130, ut, sicut Christus a ­discipulis suis, sic et ipsa a sororibus suis segregari deberet. Itaque omnibus rite et devote ordinatis, valedicens omnibus cum summa devocione in Dei amore cursum suum feliciter consummavit et animam suam felicem circa auroram in vigilia beati Iacobi apostoli Deo omnipotenti tradidit131, cui est honor in secula seculorum. Amen. In ipsa namque hora sui exitus fragror aromaticus mirifici odoris de eius sanctissima gleba corporis prodiens, cunctos refecit et totum corpus eius mira albedine resplenduit.

Joh 13, 1. Das Todesjahr wird in den Annalen des Traska mit 1292 angegeben; Rocznik Traski (wie Anm. 107), S. 852; die letzte bekannte Urkunde hat Kinga am 28. Mai 1292 ausgestellt, während eine Urkunde Wenzels II. vom 28. November 1292 Kinga bereits als verstorben bezeichnet; KDM II, Nr. 519 und Nr. 521. 130  131 

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tus als Vermittlerin und verspreche euch in seinem Namen, dass, wenn ihr dies tut, obwohl ihr viele Notlagen aushalten müsst, dennoch keine von euch in fleischliche Sünde fallen noch ihr Körper beschmutzt werden wird, es sei denn mit Zustimmung der Seele. Und wenn irgendeine von euch, angestachelt vom Erzfeind, sündigen sollte, wird sie durch die göttliche Liebe zur Buße geführt, Gnade erlangen und die Barmherzigkeit Gottes erreichen; auch wird keine ihre Seele aufs Spiel setzen, sondern allen fürchterlichen Qualen der Feinde entgehen und in Ewigkeit den himmlischen Lohn besitzen.“ Als aber die gesegnete Herrin diese hochheilige Ermahnung und Anweisung beendet hatte, da brachen alle Schwestern, jede einzelne, in bitterste Tränen aus, heulten und seufzten in unsäglichem Schmerz, beweinten die tieffromme Mutter und vertrauten sich demütig ihren Fürsprachen an. Und während die Schwestern weinten, neigte sich die Herrin Gryfina, die Bettgefährtin des Herrn Herzogs Leszek [des Schwarzen], demütig zur gesegneten Herrin und sprach mit Weinen im Herzen: „Oh Mutter, oh frommste Herrin, was fühlst du denn, dass du dich so schnell von uns trennen willst?“ Ihr und den anderen antwortete die gesegnete Herrin, indem sie sprach: „Lasst mich, meine Töchter, lasst mich und hört auf zu weinen, damit ich in dieser letzten Stunde meines Hinscheidens ein bisschen beten und mich selbst und euch Gott anvertrauen kann.“ Und so zog sie den Schleier über ihre Augen, versenkte sich ganz in Gott und indem sie wie eine zweite Anna betete, deren Lippen [zwar] bewegt wurden, [deren] Stimme aber überhaupt nicht zu hören war, rief sie die Scharen der Heiligen sowohl für sich als auch für das Wohl ihrer Töchter an, die sie in Christus gezeugt hatte. Nachdem sie das Gebet aber beendet hatte, bat sie demütig, mit geweihtem Öl gesalbt zu werden. Auf der Stelle traten geziemend gekleidete Brüder ehrfürchtig an sie heran. Und die gesegnete Herrin hielt, nachdem die Beichte und Kommunion vorausgeschickt worden waren, jedes einzelne Glied ihres kleinen Körpers ehrfürchtigst zur Salbung mit dem geweihten Öl hin. Und als dergestalt alle Sakramente mit größter Andacht und Ehrfurcht besorgt worden waren, sich die letzte Stunde näherte, da bat sie die Schwester Anastasia, die sie als ihre Vorsteherin angenommen hatte, dass ihr jenes Evangelium vorgelesen werde: „Vor dem Osterfest“130, da sie sich so, wie Christus von seinen Jüngern, von ihren Schwestern trennen müsse. Nachdem nun alles gebührlich und fromm geregelt war, verabschiedete sie sich von allen und vollendete mit größter Demut in Liebe zu Gott glücklich ihre Lebensbahn und übergab ihre glückliche Seele am Vortag des heiligen Apostels Jakob [24. Juli] im Morgengrauen Gott131, dem Allmächtigen, dem Ehre ist in alle Ewigkeit. Amen. Dabei stieg in dieser Stunde ihres Todes vom heiligsten Boden ihres Körpers ein wohlriechender Duft von wunderbarem Geruch auf, der alle erfrischte; und ihr ganzer Körper erstrahlte in wunderbarem Weiß.

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2.132 In ipsa eciam hora transitus sui multe ac diverse visiones quibusdam certis et veridicis personis mirifice claruerunt. Cumque conductus legeretur, ipsa iam agonizante, et postquam sanctus Petrus claviger regni celestis fuit nominatus, spiritum exhalavit; tunc sorores suavem odorem senserunt, quem antea nunquam senserant. Corpus, quod antea nigrum videbatur, versum est in nimiam albedinem. Cum vero sorores eam ad lavandum vellent deducere, manus ipsius, quas supra pectus in modum crucis composuerat adinvicem, disiungere non valebant. Tunc abbatissa dixit: Per obedienciam tibi mandare iam nequeo, sed per obedienciam Domini nostri Iesu Christi, cui omnibus diebus vite tue obediendo paruisti, tibi mando, ut manus disiungas. Ut hec verba finivit dicta abbatissa, manus abinvicem per se fuerunt separate. 3. Soror Amabilia tempore, quo felix Kinka extremum vite sue agebat, narravit se vidisse in visione sanctam Ursulam cum sodalibus suis venisse ad deducendam animam eius. 4. Soror Tomislava vidit in visione duorum sanctorum manus ornatas cum linteamine dimissas ad tollendum animam felicis Kincze.133 5. Eadem hora Paulecz elemosinarius felicis Kincze in cemeterio ecclesie parochialis iacens, vidit celum patere et animam ipsius illuc deportari.134 6. Soror Elizabeth vidit manifeste animam felicis Kincze sub specie lucide stelle de ore ipsius procedere et per fenestram domus directo tramite in celum transire.135 7. Eadem hora, qua beata Kinka migravit de hoc seculo, dominus Cristanus canonicus Visliciensis deambulans in cemeterio et complens oraciones suas, vidit columpnam nubeam a terra usque ad celum extensam, in qua audivit voces angelorum canencium responsorium: Regnum mundi et omnem ornatum seculi contempsi propter amorem Domini mei Iesu Christi.136 Tunc idem canonicus Deo devotus sciscitatus est, que persona notabilis de hoc mundo transisset, et reperit, ut est predictum, eadem hora felicem Kinkam de hoc mundo transivisse.137 132  Die Abschnitte 2. bis 7. sind spätere Hinzufügungen, die Jan Długosz nicht bekannt waren, als er 1471–1473 eine ältere (heute verlorene) Abschrift des verlorenen Originals der mittelalterlichen Vita ausschrieb. 133  Vgl. unten S. 456–457 (Kap. 65). 134  Vgl. unten S. 458–459 (Kap. 67). 135  Vgl. unten S. 456–457 (Kap. 64). 136  Die ersten beiden Zeilen eines zu Ehren der heiligen Jungfrauen u. a. in der Allerheiligenmesse gesungenen Antiphons. 137  Vgl. unten S. 458–459 (Kap. 68).

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Auch erschienen in der Stunde ihres Hinscheidens gewissen zuverlässigen und wahrredenden Personen auf wunderbare Weise viele verschiedene Visionen. Als das Totengebet gelesen wurde, während sie schon in den letzten Zügen lag und der heilige Petrus, der Schlüsselträger des himmlischen Königreichs, angerufen worden war, hauchte sie ihren Geist aus; daraufhin nahmen die Schwestern einen süßen Geruch wahr, den sie niemals zuvor wahrgenommen hatten. Der Körper, der zuvor dunkel erschien, änderte seine Farbe in ein sehr helles Weiß. Als die Schwestern sie aber zum Waschen bringen wollten, waren sie nicht in der Lage, ihre Hände, die sie in Kreuzesform auf der Brust zusammengelegt hatte, voneinander zu trennen. Da sagte die Äbtissin: „Mit Bezug auf den Gehorsam [mir gegenüber] kann ich dir schon nichts [mehr] befehlen, aber mit Bezug auf den Gehorsam unserem Herrn Jesus Christus gegenüber, dem du alle Tage deines Lebens in Gehorsam untertan warst, gebiete ich dir, deine Hände voneinander zu lösen. Sobald die besagte Äbtissin diese Worte gesprochen hatte, waren die Hände von selbst voneinander getrennt. 2.132

3. Die Schwester Amabilia erzählte, dass sie zu der Zeit, als die gesegnete Kinga an das Ende ihres Lebens kam, in einer Vision gesehen habe, wie die heilige Ursula mit ihren Gefährtinnen gekommen sei, um ihre Seele wegzuführen. 4. Die Schwester Tomisława sah in einer Vision die geschmückten Hände zweier Heiliger, die mit einem Tuch entsandt waren, um die Seele der gesegneten Kinga mitzunehmen.133 5. Zur selben Stunde sah Pawłicz, ein Almosenempfänger der gesegneten Kinga, der gerade auf dem Friedhof der Pfarrkirche ruhte, wie der Himmel offenstand und dorthin ihre Seele weggeführt wurde.134 6. Die Schwester Elisabeth sah deutlich, wie die Seele der gesegneten Kinga in ­Gestalt eines hellen Sterns aus ihrem Mund hervorkam und durch das Fenster des Hauses auf direktem Weg in den Himmel hinüberging.135 7. Zur selben Stunde, in der die heilige Kinga aus dieser Welt schied, sah der Herr Christian, ein Kanoniker aus Wiślica, als er auf dem Friedhof spazieren ging und seine Gebete sprach, eine wolkenartige Säule, die von der Erde bis in den Himmel reichte, in der er Stimmen von Engeln hörte, die den Wechselgesang sangen: „Das Reich der Welt und den ganzen Schmuck der Welt habe ich verachtet, um der Liebe willen zu meinem Herrn Jesus Christus.“136 Darauf erkundigte sich derselbe gottesfürchtige Kanoniker, welche bemerkenswerte Person aus dieser Welt geschieden sei, und erfuhr, dass, wie zuvor gesagt wurde, zur selben Stunde die gesegnete Kinga aus dieser Welt geschieden war.137

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64. Visio sorori Elisabeth apparuit. Nam quedam soror nomine Elisabeth Hungara138, Deo devota, eadem hora et in eadem domo, in qua felix domina migravit, in oracione existens, sompno arripitur et videt animam felicis domine angelorum agminibus circumdatam sub specie stelle splendidissime celos in exultacione ascendere. 65. Soror Tomka vidit visionem fratrum et sororum. Altera quoque soror nomine Tomka pre nimia fratrum et sororum multitudine domum, in qua felix domina iacebat, intrare non valens, foris procumbebat oracioni dedita, que simili modo rapta extra se vidit celum apertum et de celo imaginem effigiei beati [Petri] apostoli similem descendentem, manus ornatas habentem animamque felicis domine sub specie decore puelle [cum] mitra gemmis preciosissimis intexta et ornata, ad gaudia angelica deferentem. Hoc ipsum liquido claruit, nam cum fratres conductum felici domine agerent et ad illum locum devenissent dicentes: Sancte Petre, ora pro ea, in hoc verbo statim spiritum exhalavit et ad Christum eternum sponsum feliciter migravit. 66. Visio sororis Budcze sequitur talis. Item alia soror nomine Budka, cum foris eo tempore existeret et aliquali sompno gravaretur, extemplo quasi quodam aculeo puncta, vocem ad se delapsam audivit dicentem sibi: Surge, surge, quid dormis? Ecce appropinquat hora et nunc est, in qua omnis cetus beatorum et agmina angelorum in occursum beate Kynge progrediuntur; que plene evigilans et progrediens cum certa experiencia didicit, quod illa hora fuit, in qua felix domina ad celi palacium migravit.

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Wahrscheinlich identisch mit der Elisabeth in Kap. 63.6.

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64. Der Schwester Elisabeth erschien eine Vision. Eine gewisse Schwester namens Elisabeth, eine Ungarin138, die Gott ergeben war, wurde zur selben Stunde und im selben Haus, in dem die gesegnete Herrin verstarb, während sie gerade im Gebet war, vom Schlaf erfasst und sah, wie die Seele der gesegneten Herrin von einer Engelschar umgeben in Gestalt eines hellstrahlenden Sterns unter Jubel in den Himmel aufstieg. 65. Schwester Tomka schaute eine Vison der Brüder und Schwestern. Eine andere Schwester namens Tomka, die wegen der sehr großen Zahl von Brüdern und Schwestern das Haus, in dem die gesegnete Herrin lag, nicht betreten konnte, warf sich im Freien auf den Boden und gab sich dem Gebet hin; diese sah, als wäre sie in ähnlicher Weise aus sich herausgerissen worden, wie der Himmel offen stand und vom Himmel ein Bild herabstieg, das der Gestalt des heiligen Apostels [Petrus] glich, schöne Hände hatte und die Seele der gesegneten Herrin in Gestalt eines anmutigen Mädchens mit einer von kostbarsten Edelsteinen durchwirkten und geschmückten Kopfbedeckung zur Freude der Engel forttrug. Dies wurde zuverlässig deutlich, denn als die Brüder für die gesegnete Herrin das Totengebet sprachen und an die Stelle kamen, an der sie sprachen: „Heiliger Petrus, bete für uns“, da hauchte sie bei diesem Wort sogleich ihren Geist aus und wanderte glücklich zu Christus, ihrem ewigen Bräutigam. 66. Es folgt eine solche Vision der Schwester Budka. Ebenso hörte eine andere Schwester namens Budka, als sie in dieser Zeit im Freien war und von einem Schlaf beschwert wurde, plötzlich, als sei sie von irgendeinem Stachel gestochen, eine Stimme, die zu ihr herabsank und sprach: „Steh auf, steh auf, was schläfst du? Siehe, es naht die Stunde und jetzt ist sie da, in der die ganze Versammlung der Heiligen und die Scharen der Engel sich auf den Weg zur heiligen Kinga machen.“ Sie wachte vollständig auf, machte sich auf den Weg und erfuhr mit sicherer Kenntnis, dass es jene Stunde war, in der die gesegnete Herrin in den Palast des Himmels hinüberwanderte.

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67. Visio Paulici pauperis. Item quidam vir pauper, sed vita famosus, nomine Paulicus, cum de nocte devocionis sue consuete cursum volens complere, eadem hora ecclesias devotus circumiret et iam circa ecclesiam parochialem beate Elisabeth fuisset constitutus, vidit manifeste sano intuitu supra claustrum et signanter supra felicis domine caminatam lumen ingentis splendoris de celo illam totam domum illustrans et in medio ipsius splendoris quasi globum solarem ab ipso lumine circumfusum in celum conscendentem. Morteque felicis domine cognita, cunctis civibus et aliis quibusvis hominibus publice predicabat, ipsius domine animam in celum assumptam, addens spiritu prophetico139, eam in brevi multis miraculis coruscare; que omnia nutu divino completa sunt post mortem. 68. Visio Cristani canonici. Cum autem obitus ipsius felicis domine propter multa pericula eo tempore imminencia et singulariter propter Wistubconis magni predonis exercitum infra triduum celaretur, ne forte domine intellecta morte, claustrum invaderent hostiliter exspoliando, quidam autem canonicus, homo vite sancte et devotus nomine Cri­ stanus in Vislicza oracioni deditus vidit in spiritu, quod tali hora felix domina migravit a seculo, vivens in Christo, sicut dictum fuit. Quod cum aliis concanonicis suis referret, mox nuncium dirigunt in Sandecz. Qua re sic se habere veraciter comperta, per dictum nuncium sorores reprehendunt dicentes, cur tam ineffabile sacramentum in partibus remotis iam divinitus revelatum celarent? Et tunc primo pulsantur campane et exequie debita celebritate per omnes aguntur.

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Bei Kętrzyński [Vita et miracula (wie Anm. 23), S. 731]: prephetico.

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67. Die Vision des armen Paulicus. Ebenso sah ein gewisser armer, aber in seiner Lebensweise bekannter Mann namens Paulicus, als er eines Nachts seine gewohnte Andacht beenden wollte und zu ebendieser Stunde andächtig um die Kirchen herumging und schon bei der Pfarrkirche der heiligen Elisabeth angekommen war, augenscheinlich mit klarem Blick, wie über dem Kloster und genauer über der Kammer der gesegneten Herrin ein Licht von gewaltigem Glanz vom Himmel herab jenes ganze Haus erleuchtete und wie inmitten dieses Glanzes eine Sonnenkugel, die von diesem Licht selbst umgeben war, in den Himmel aufstieg. Und nachdem er vom Tod der gesegneten Herrin erfahren hatte, verkündete er allen Bürgern und allen anderen Menschen öffentlich, dass die Seele dieser Herrin in den Himmel aufgenommen worden sei, und fügte in prophetischem Geist139 hinzu, dass diese in Kürze durch viele Wunder erstrahlen werde; dies alles erfüllte sich durch den Willen Gottes nach [ihrem] Tod. 68. Die Vision des Kanonikers Christian. Als aber das Ableben der gesegneten Herrin wegen der zahlreichen damals drohenden Gefahren und insbesondere wegen der Heerscharen des großen Räubers Wistubko drei Tage lang verheimlicht wurde, damit sie nicht, wenn sie zufällig vom Tod der Herrin erführen, feindlich in das Kloster einfielen und es ausplünderten, da sah ein gewisser Kanoniker, ein frommer Mann von heiliger Lebensweise namens Christian in Wiślica, als er sich dem Gebet hingab, im Geiste, dass die glückliche Herrin zu solcher Stunde aus der Welt hinübergewandert war und, wie schon gesagt wurde, in Christus lebte. Als er dies seinen anderen Mitkanonikern berichtete, schickten sie sogleich einen Boten nach Sandez. Nachdem man erfahren hatte, dass sich die Sache wirklich so verhielt, tadelten sie die Schwestern durch den genannten Boten und fragten, warum sie ein so unbeschreibliches Sakrament verheimlicht haben, wo es doch schon von Gott in entlegenen Gebieten offenbart worden sei. Und daraufhin wurden ein erstes Mal die Glocken geläutet und [dann] von allen die Leichenfeiern mit der gebührenden Festlichkeit begangen.

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Miracula sanctae Kyngae In nomine Domini. Amen. Omnibus christifidelibus notum fore debet, quia misericordiarum et tocius consolacionis [largitor] Iesus Christus, qui in suis operibus semper est laudabilis et in sanctis predicabitur mirabilis, mundi vespera propinquante, humilem famulam suam, dominam Kingam, filiam Bele quondam regis Hungarie, sue incarnacionis anno M.CC. nonagesimo secundo, nono Calendas Augusti de ergastulo corporis ducens inde ad patriam, magnis multisque miraculis non desinit declarare, de quibus multa omissa [sunt], pauca vero sue sanctitatis [prodigia] in isto codice continentur et hoc brevitatis causa. 1. Anno igitur gracie Domini millesimo trecentesimo septimo, feria secunda proxima post pascha puer bene novem annorum nomine Dobroslava, filia comitis Martini de Czyrzycz140, de turri plus quam ad viginti ulnas cecidit ad lapidem tam graviter, quod tota domus, ubi sedebant domine, mota fuit; credentes autem domine, quod lapides de turri incassum iacerent, mittunt famulos prohibere: qui venientes non lapides, sed puerum de turri lapsum et exanimem iacere ac spumas emittentem totumque lividum ex collisione reperiunt. Mox hec matri et ceteris dominabus nunciant, que omnes cursu veloci ad funus lugubre cum fletu et eiulatu conveniunt et sic totam illam diem usque ad tempus vespertinum peragunt. Tandem reminiscentes clemencie domine Kincze, quomodo vita comite pia super afflictos fuerit, audientesque eciam de eius sanctitate aliqualiter famam volitare, se ad ipsam omni devocione convertunt promittentes, quod cum puero et offertorio sepulcrum eius vellent visitare, si in puero mortuo per eius merita possent consolari. Mirabile dictu, mox puer sic ad petram collisus, omni prorsus cicatricum et livoris amoto notamine revixit et amodo sanus permansit, nullo alio remedio se adiuvante. Hoc factum multe nobiles domine cum matre dicti pueri ad sepulcrum domine Kincze venientes cum ipsa sub iuramento declaraverunt.

Möglicherweise der 30 km südöstlich von Krakau gelegene Ort Szczyrzyc, in dem seit 1238/45 ein (zunächst in Ludźmierz von einem Krakauer Großen gestiftetes) Zisterzienserkloster besteht. Der Amtsträger Martin begegnet 1306 in einer Urkunde Władysław Łokieteks als „Martinus filius Sbignewy de Scyricz“ und urkundet 1335 zusammen mit anderen selbst als „Martinus […] nobilis viri Zbignei de Czirzicz“; KDM 1, Nr. 136 und 198. 140 

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Die Wunder der heiligen Kinga Im Namen des Herrn. Amen. Alle Christgläubigen sollen wissen, dass der [Spender] von Barmherzigkeiten und jeglichen Trostes, Jesus Christus, der in seinen Taten stets lobenswert ist und in seinen Heiligen stets als wunderbar zu verkünden sein wird, als sich [ihr] der Abend der Welt näherte, seine demütige Dienerin, die Herrin Kinga, die Tochter Belas, des einstigen Königs von Ungarn, im Jahr 1292 seiner Fleischwerdung, am neunten Tag vor den Kalenden des Augusts [24. Juli], aus dem Gefängnis ihres Körpers und von dort in die Heimat geführt und nicht aufgehört hat, [sie] durch viele große Wunder deutlich zu offenbaren, von denen [im Folgenden] viele ausgelassen, einige wenige aber als [Zeichen] ihrer Heiligkeit in diesem Buch festgehalten werden, und dies der Kürze halber. 1. Im Jahr der Gnade des Herrn 1307, am Montag nach Ostern [27. März], fiel ein etwa neun Jahre altes Kind namens Dobrosława, die Tochter des Amtsträgers Martin aus Szczyrzyc140, mehr als zwanzig Ellen tief von einem Turm so heftig auf einen Stein, dass sich das ganze Haus, in dem die Herrinnen saßen, bewegte; da die Herrinnen aber glaubten, dass Steine unnütz vom Turm geworfen würden, schickten sie Diener, um dies zu verhindern: als diese kamen, fanden sie nicht Steine, sondern das vom Turm gefallene und bewusstlose daliegende Kind, das Schaum von sich gab und vom Aufprall ganz blau war. Sogleich meldeten sie dies der Mutter und den übrigen Herrinnen, die alle eiligen Schritts mit Heulen und Weinen beim traurigen Leichnam zusammenkamen und so den ganzen Tag bis zur Abendzeit zubrachten. Schließlich erinnerten sie sich der Mildtätigkeit der Herrin Kinga, wie sie zeitlebens den Bedrängten fromm zugetan war, und da sie auch hörten, wie sich die Fama von ihrer Heiligkeit ziemlich verbreitete, wandten sie sich mit ganzer Hingabe an sie und versprachen, dass sie mit dem Kind und einer Opfergabe ihre Grabstätte besuchen wollten, wenn sie durch ihre Verdienste über das tote Kind getröstet werden könnten. Wie wunderbar, sogleich wurde das Kind, das so [heftig] auf den Stein geschlagen war, wieder lebendig, während jegliches Zeichen von Schrammen und Bluterguss ganz und gar beseitigt war, und es blieb fortan gesund, ohne dass ihm irgendein anderes Heilmittel helfen musste. Dieses Ereignis haben viele edle Herrinnen zusammen mit der Mutter des besagten Kindes, die mit dieser selbst zur Grabstätte der Herrin Kinga kamen, unter Eid bezeugt.

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2. Idem puer revoluto anno unius auris auditum amisit; dum autem ob reverenciam domine Kincze ad sepulcrum eius cum offertorio duceretur, ut posset lese auris auditum rehabere, ad medium milliare mox, ut vidit locum deposicionis sacri corpusculi, puer ad terram procidit; exorans dominam Kinkam, ut solitam pietatem ipsi conferre dignaretur, mox cepit usum lese auris habere. Hoc experte honeste femine, que cum puero liberato in peregrinacione erant, cum iuramento retulerunt. 3. Item filius Sbroslai de Druszkow141 a gravissimo morbo surdus et mutus vicinusque morti factus erat, qui eciam os eius et vultum torvum fecerat, vexans ipsum tam graviter, quod quandoque septem homines ipsum tenere non poterant, quin de lecto proiceretur et hanc passionem per duos menses sustinuit. Tandem parentes eius procuratis reliquiis sancte domine, posuerunt super ipsum promittentes, quod vellent venire cum eo ad sepulcrum eius, si per merita eius sanaretur. Mox cepit melius habere et plene sanitati reformatur. Hoc omnes incole ville superius dicte sub iuramento sunt protestati. 4. Item in villa, que Golkowice142 nuncupatur, domus ex subito impetu venti ad terram corruit et oppressit filiam Woyciechonis nomine Iaroslavam. Cum autem parentes penitus de puero ignorarent, distrahunt robora domus collapse calcantes ipsa et moventes, sub quibus inveniunt puerum suum mortuum, totum contritum, conculcatum et lividum ac ore nive repleto, ad quod spectaculum graviter commoti ceperunt inconsolabiliter lamentari. Accipientes vero corpus exanime, lumen accendunt et se tota devocione ad piam dominam Kinkam convertunt voventes, quod puerum cum offertorio ad sepulcrum eius vellent deferre, si ipsos dignaretur consolari et sic ab occasu solis lamentantes in oracione usque ad diem perseverant et tandem puerum vivum reperiunt, quod factum omnibus incolis dicte ville patuit, quod et multi ex ipsis iuramento firmaverunt, videlicet uterque parens, Bogus dictus Dasconis, Braxanta, Ioannes et alii quam plures.143

Wahrscheinlich das 27 km nordwestlich von Sandez gelegene Drużków Pusty. Dorf 5 km südwestlich von Alt Sandez. 143  Von den hier und in den nachfolgenden ‚Protokollen‘ namentlich aufgeführten 58 Zeugen können die allermeisten nicht näher identifiziert werden; vgl. Witkowska, Miracula (wie Anm. 27), S. 79. 141 

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2. Dasselbe Kind verlor, nachdem ein Jahr vergangen war [d. h. 1308], auf einem Ohr das Hörvermögen; als man es aber aus Ehrfurcht vor der Herrin Kinga mit einer Opfergabe an ihre Grabstätte führte, damit es das Hörvermögen des beschädigten Ohres zurückerhalte, fiel das Kind, sobald es etwa eine halbe Meile vorher den Ort der Aufbewahrung des heiligen kleinen Körpers sah, auf den Boden; es flehte die Herrin Kinga an, sie möge sich herablassen, ihm die übliche Gnade zu erweisen, und sogleich begann es wieder das Gehör des beschädigten Ohres zu haben. Dies haben erfahrene und rechtschaffene Frauen, die mit dem geheilten Kind auf [dieser] Pilgerfahrt [zum Grab der Kinga] waren, unter Eid berichtet. 3. Ebenso war der Sohn des Zbrosław aus Druszkow141 durch eine sehr schwere Krankheit taub und stumm und in die Nähe des Todes gebracht worden, die auch seinen Mund und Blick grimmig gemacht hatte. Sie quälte ihn so heftig, dass ihn mitunter sieben Männer nicht festhalten konnten, damit er nicht vom Bett geworfen wurde; und dieses Leiden hielt er zwei Monate lang aus. Schließlich legten seine Eltern, nachdem sie sich Reliquien der heiligen Herrin besorgt hatten, diese auf ihn und versprachen, dass sie mit ihm zu ihrer Grabstätte kommen wollten, wenn er durch ihre Verdienste geheilt würde. Sogleich begann er sich besser zu fühlen und wurde zu voller Gesundheit wiederhergestellt. Dies haben alle Einwohner des oben genannten Dorfes unter Eid bezeugt. 4. Ebenso stürzte in dem Dorf, dass Gołkowice142 heißt, ein Haus infolge einer plötzlichen Sturmböe in sich zusammen auf die Erde und begrub unter seinen Trümmern die Tochter des Wojciech namens Jarosława. Da die Eltern aber von [dem Unfall] ihres Kindes gar nichts wussten, zogen sie die Eichenbalken des eingestürzten Hauses auseinander, traten auf diese und bewegten sie; unter ihnen fanden sie ihr Kind tot, vollständig zermalmt, zerdrückt und blau angelaufen sowie den Mund voll weißen Schaums; auf diesen Anblick hin begannen sie schwer bestürzt untröstlich zu wehklagen. Dann nahmen sie den leblosen Körper auf, zündeten ein Licht an und wandten sich in aller Hingabe an die fromme Herrin Kinga, indem sie gelobten, das Kind mit einer Opfergabe an ihre Grabstätte bringen zu wollen, wenn sie sich herablassen würde, sie zu trösten. Und so verharrten sie von Sonnenuntergang bis Tagesanbruch wehklagend im Gebet und fanden das Kind schließlich lebend vor; dieses Ereignis wurde allen Bewohnern des genannten Dorfes offenbar, was viele von ihnen auch unter Eid bestätigt haben, nämlich beide Eltern, Bogusz genannt Daskoniusz, Braxanta, Johannes und viele andere [Zeugen].143

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5. Item Vrovinus144 nomine, filius civis de Nova Sandecz Diduini, dum graviter in

infirmitate laboraret, spondet pro se sancte domine, ut sepulcrum eius visitaret, si per merita eius posset relevamen habere et mox convaluit; veniensque ad sepulcrum sancte domine cum patre et matre seriem facti cum iuramento retulerunt. Item anno Dominice incarnacionis MCCC octavo et ceteris annis gracia Domini hec acta sunt, que secuntur. 6. Quedam femina nomine Bratomila de Radlow145 veniens ad limina sancte domine retulit cum iuramento, quod auricularis intraverat sibi in aurem et vexabat eam gravissime per duas septimanas sic, quod tota vicinia percepit de passione eius. Cum autem se devote sancte domine recommendaret, promittens sepulcrum eius visitare, mox auricularis de aure eius exivit, quod eciam factum quedam femina nomine Vulca, que oculis suis viderat, est protestata. 7. Quedam femina nomine Margaretha Dersva gravem dolorem in capite sustinebat a multo tempore nec valuit aliquo sibi medicamine subvenire. Tandem informata per quandam devotam feminam, quod tres dies ad honorem sancte domine Kinge ieiunaret, quo facto mox dolorem capitis evasit. 8. Puer vero eiusdem femine nomine Nicolaus dum graviter langueret, habens per totum corpus pustulas, dicta mulier ipsum cepit tota devocione sancte domine recommendare et mox gracia eius a predicta passione est liberatus. Et hec eadem femina veniens ad sepulcrum eiusdem sancte domine fide data recitavit. 9. Quedam pauper vidua de Nova Sandecz nomine Margareta dum ante nativi­ tatem beate virginis die dominico146 cum senibus et pueris iret pro fragis colligendis, subito gravi infirmitate occupatur, racionem et loquelam perdidit; ad manus vero ad civitatem adducta, duabus septimanis dictam passionem sustinebat. Tandem sancta domina apparuit ei dicens, se esse de stirpe regia gentis Ungarice nomine Kinga et [quod] omnes, qui de ipsa aliud sentirent, incassum ipsam in necessi­tatibus suis invocando laborarent. Dixitque ei, quod iter ad sepulcrum eius assumeret et sanitati pristine restitueretur; hoc eciam ipsi adiungens, quod verbum Domini nunciantibus diceret, ut monerent feminas, ne capita sua superfluo 144  Möglicherweise identisch mit dem Sandezer Bürger deutscher Herkunft Frowin, der u. a. Probst in Sandez, Kanoniker in Breslau (?) und ab 1330 in Krakau war und als Autor des Poems Antigameratus, eines didaktisch-moralischen Ratgebers, hervorgetreten ist; vgl. Aleksander Birkenmajer/Roman Polak, Frovinus, in: PSB 7, S. 153–154. 145  Ort 62 km nördlich von Sandez. 146  Da das Fest der Geburt der Jungfrau Maria am 8. September 1308 auf einen Sonntag fiel, muss hier, wo der Sonntag als Vortag des Festes bezeichnet wird, bereits vom Jahr 1309 die Rede sein.

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5. Ebenso gelobte [ein Mann] namens Frowin144, der Sohn des Didwin, eines Bür-

gers von Neu Sandez, als er schwer an einer Krankheit litt, der heiligen Herrin, für sich, ihre Grabstätte zu besuchen, wenn er durch ihre Verdienste Linderung erfahren könnte; und sogleich erholte er sich; und als er mit seinem Vater und seiner Mutter an die Grabstätte der heiligen Herrin kam, berichteten sie unter Eid den Verlauf des Geschehens. Ebenso geschahen im Jahr der Fleischwerdung des Herrn 1308 und in weiteren Jahren durch die Gnade des Herrn diese [Wunder]Geschichten, die [jetzt] folgen. 6. Eine gewisse Frau namens Bratomiła aus Radłów145 kam zum Haus der heiligen Herrin und berichtete unter Eid, dass ihr die Ohrmuschel ins Ohr eingedrungen sei und sie zwei Wochen lang so auf das heftigste gequält habe, dass die ganze Nachbarschaft von ihrem Leiden hörte. Als sie sich aber ehrfürchtig der heiligen Herrin anvertraute und versprach, ihre Grabstätte zu besuchen, da trat die Ohrmuschel sogleich wieder aus ihrem Ohr heraus; dieses Ereignis hat auch eine gewisse Frau namens Wulka, die es mit eigenen Augen sah, bezeugt. 7. Eine gewisse Frau namens Margarete Derswa musste seit langer Zeit einen starken Kopfschmerz ertragen und konnte sich mit keinem Heilmittel Abhilfe schaffen. Nachdem sie von einer gewissen frommen Frau schließlich unterwiesen worden war, drei Tage zu Ehren der heiligen Kinga zu fasten, verschwand der Kopfschmerz sogleich, nachdem sie dies getan hatte. 8. Als aber der Sohn derselben Frau namens Nikolaus schwer erkrankte und am ganzen Körper Pusteln hatte, begann die besagte Mutter, ihn mit ganzer Ehrfurcht der heiligen Herrin anzuvertrauen, und sogleich wurde er durch ihre Gnade vom genannten Leiden befreit. Und dies trug dieselbe Frau, als sie an die Grabstätte ebendieser heiligen Herrin kam, mit ihrem Ehrenwort vor. 9. Eine gewisse arme Witwe aus Neu Sandez namens Margarete wurde plötzlich, als sie vor [dem Festtag] der Geburt der heiligen Jungfrau [7. September], an einem Sonntag146, mit Alten und Kindern Erdbeeren sammeln ging, von einer schweren Krankheit befallen und verlor Verstand und Sprache; und nachdem sie an den Händen in die Stadt geführt worden war, ertrug sie zwei Wochen lang das besagte Leiden. Schließlich erschien ihr die heilige Herrin und sagte, dass sie aus königlicher Familie ungarischen Stammes sei und Kinga heiße und [dass] alle, die anders über sie dächten, sich vergeblich bemühen würden, sie in ihren Notlagen anzurufen. Und sie sagte ihr, dass sie sich auf den Weg zu ihrer Grabstätte machen solle und [dort] zur früheren Gesundheit wiederhergestellt würde; sie fügte dem auch Folgendes hinzu, dass sie denen, die das Wort des Herrn verkünden, sagen solle, sie mögen die Frauen ermahnen, ihre Häupter nicht mit überflüssigem

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ornatu circumquaque ingrossantes adornarent, aliter enim non possent graciam Dei adipisci. Et mirabile dictu, mox dicta vidua sana cepit nomen sancte domine, quod nunquam ab aliquo ante audiverat, proclamare et verba racionis depromere. Tandem veniens ad limina sancte domine hoc factum cum iuramento recitavit. Quod eciam factum multis civibus in Nova Sandecz patuit, videlicet Frichoni Manco, Andree filio Hennigi et uxori eius, Vinando, Iacloni et uxori eius et aliis multis. 10. Quedam femina nomine Martha de Tarnow villa comitis Raphali, adducta ad sepulcrum beate domine pede dextro clauda et ceca sinistro oculo, que cum ibidem confessa fuisset et impetraret patrocinium a sancta domina, mox usum pedis et oculi rehabuit. Et quod ceca fuit et clauda, protestati sunt sub iuramento, qui dictam mulierem ante noverant, videlicet Prybyslaus, Bartholomeus et quedam femina Sdzislava nomine et ipse confessor frater Cristanus dixit, ipsam usu pedis et oculi ante caruisse. 11. Item filia Ungari nomine Matthie de Myslcza147 dum ex subita et gravi passio­ne moreretur, mox uterque parentum graviter conturbatur. Tandem per amicos et alios, qui ibi aderant, monetur pater, ut puerum defunctum beate domine recommendaret; nam ipsa sua gracia servicium eius recogitans, deberet ipsum in suo puero consolari, ipsum resuscitando. Ad quod pater pueri ait: Qui mortuus est, mortuus est. Attamen ad monicionem amicorum cepit se et puerum sancte domine recommendare. Tandem puer ad sepeliendum defertur, ipso patre pre amaritudine cordis domi remanente; cum autem essent iam circa fluvium Poprot bene ad quartam milliaris deferentes, mater accedens ad feretrum discooperuit puerum et invenit vivere et pannum in ore tenendo sugere; mox omnes ad terram cadentes Deo et sancte domine gracias agunt. Dum hec patri nunciantur, incredulus perseverat. Puer vero a loco, in quo revixit, ad limina beate domine cum graciarum accionibus deportatur et sic Domino laudes et sue sancte exsolventes, domum reversi omnem hesitacionem a corde patris increduli amoverunt, domum puero vivo reportato. Hoc factum laudabile Petrus Abrahe148, Ioannes Aloconis, Got­ fridus dictus Mokroslot et multi incole dicte ville oculata fide viderunt. Tandem puerum ad limina sancte domine apportantes, in publica stacione ostendentes puerum, hoc factum protestati sunt.

Dorf 3 km südöstlich von Alt Sandez; Matthias ist für 1313 („Mathia de Myslcza“) und 1327 („Mathia Vngarus de Myslcza“) auch urkundlich belegt; KDM II, Nr. 560 und 594. 148  Vielleicht identisch mit dem 1320 in einer Urkunde der Äbtissin des Sandezer Klarissenklosters als Vater des Zeugen Isaac genannten „Abrahe de Podgrodze“; KDM II, Nr. 579. 147 

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Schmuck und ringsherum zu verzieren, da sie sonst nicht die Gnade Gottes erlangen könnten. Und wie wunderbar, sogleich begann die besagte Witwe, gesund den Namen der heiligen Herrin, den sie zuvor nie von jemandem gehört hatte, laut zu rufen und Worte der Vernunft hervorzubringen. Schließlich kam sie zum Haus der heiligen Herrin und trug unter Eid dieses Ereignis vor. Dieses Ereignis wurde auch vielen Bürgern in Neu Sandez offenbar, nämlich dem Fricho Mancus, dem Andreas, dem Sohn des Hennig, und dessen Frau, dem Winand, dem Iaclo und dessen Frau und vielen anderen [Zeugen]. 10. Eine gewisse Frau namens Martha aus Tarnów, einem Dorf des Amtsträgers Raphael, wurde an die Grabstätte der heiligen Herrin geführt, weil sie am rechten Fuß lahm und auf dem linken Auge blind war; nachdem sie ebendort gebeichtet und von der heiligen Herrin Schutz erbeten hatte, erlangte sie sogleich den Gebrauch des Fußes und des Auges zurück. Und dass sie blind und lahm gewesen war, haben unter Eid diejenigen bezeugt, die die besagte Frau vorher gekannt hatten, nämlich Przybysław, Bartholomäus und eine gewisse Frau namens Zdzisława, auch der Beichtvater selbst, Bruder Christian, sagte, dass sie zuvor des Gebrauches des Fußes und des Auges entbehrte. 11. Ebenso gerieten, als die Tochter eines Ungarn namens Matthias aus Myślec147 an einem plötzlichen und schweren Leiden verstarb, beide Eltern sogleich ganz aus der Fassung. Schließlich wurde der Vater von Freunden und anderen Leuten, die dort zugegen waren, daran erinnert, das tote Kind der heiligen Herrin anzuvertrauen; denn sie müsse in ihrer Gnade seinen Dienst anerkennen und ihn über sein Kind trösten, indem sie es wiederauferwecke. Darauf sagte der Vater des Kindes: „Wer tot ist, ist tot.“ Aber dennoch begann er auf die Ermahnung seiner Freunde hin, sich und sein Kind der heiligen Herrin anzuvertrauen. Schließlich wurde das Kind zur Beisetzung fortgebracht, während der Vater in der Bitterkeit seines Herzens zu Hause blieb; als sie aber schon beim Fluss Poprad waren und es etwa eine Viertelmeile getragen hatten, trat die Mutter an die Bahre, enthüllte das Kind und fand, dass es lebte und das Tuch, das es im Mund hielt, lutschte; sogleich fielen alle auf die Erde und dankten Gott und der heiligen Herrin. Als dem Vater dies mitgeteilt wurde, verharrte er ungläubig. Das Kind aber wurde von dem Ort, an dem es wieder lebendig geworden war, mit Danksagungen zum Haus der heiligen Herrin gebracht und so beseitigten sie, nachdem sie dem Herrn und seiner Heiligen Lobpreisungen erwiesen hatten und nach Hause zurückgekehrt waren, jeden Zweifel aus dem Herzen des ungläubigen Vaters, da das Kind lebend nach Hause zurückgebracht worden war. Dieses preiswürdige Ereignis haben Petrus Abrahe148, Johannes Aloconis, Gottfried genannt Mokroslot und viele Einwohner des besagten Dorfes mit eigenen Augen gesehen. Als sie das Kind schließlich zum Haus der heiligen Herrin brachten und das Kind an öffentlicher Stelle zeigten, bezeugten sie dieses Ereignis.

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12. Quedam virgo nomine Cristina de Magno Sale lesa in medio corporis paralisi per unum annum sic, quod non potuit manum et pedem omnino regere, veniens in Antiquam Sandecz ob reverenciam sancte domine, ut poterat, traxit ibi moram bene tribus septimanis, sepulcrum sancte domine visitando. Quodam vero tempore dum ad sepulcrum ipsius staret, eius patrocinium exorans, caput suum ad parietem tundendo, quedam domina honesta, quam nunquam viderat nec postea vidit, retraxit illam dicens, quod non deberet ulterius caput suum percutere, quia lederetur. Et ex ea hora cepit usum manus et pedis habere, quorum usum antea non habuit, quod multi in dicta civitate viderunt et hoc sub iuramento protestati sunt, videlicet Iacobus sutor cum uxore, in cuius domo mansit, uxor Ioannis dicti Zambacz149, quedam honesta domina Vislava et quasi omnes de civitate hoc viderunt. 13. Item filia Cholrici civis de Nova Sandecz nomine Margaretha moriebatur post occasum solis; cumque lumen ad funus poneretur et luctus pro ea fieret et multi amicorum advenissent et pater et mater graviter puerum suum deflerent, tandem ceperunt omni devocione, qua poterant, sanctam dominam invocare, ut eos in suo puero dignaretur consolari et cum sic invocando perseverarent fere usque ad medium noctis, et postea, ad funus accedunt et illud discooperientes vivere puerum inveniunt, mox ad terram procidunt, gracias sancte domine referentes. Dum autem ad limina sancte domine in crastino cum puero et offertorio venire non possent propter transitum Ungarorum, votum suum octava die compleverunt. Hec facta sunt feria sexta post diem beati Iacobi apostoli150; quod protestati sunt sub iuramento pater pueri et mater nomine Gerussa, Henricus civis, Nicolaus151 et filia Cilotonis nomine Catharina, Herintrudis, Hedvigis et alie quam plurime ­femine honeste et viri, quibus hoc factum patuit.

149  Ein „Iohanne[s] Zambach“ begegnet 1320 als Zeuge in einer Urkunde der Äbtissin des Sandezer Klarissenklosters; KDM II, Nr. 579. 150  Der Jakobstag fiel 1308 auf einen Donnerstag, womit sich als Datum des Ereignisses der 26. Juli ergäbe; wenn das Wunder wie jenes in Kap. IX bereits in das Jahr 1309 datiert, hätte es sich am 1. August, also eine ganze Woche später zugetragen; Kętrzyński [Vita et miracula (wie Anm. 23), S. 736] ging vom Jahr 1311 aus, in dem der Freitag nach dem Jakobstag (Sonntag) der 30. Juli war und datierte auch die nachfolgenden Wunder bis Kap. 19 in das Jahr 1311; ihm folgt auch Witkowska, Miracula (wie Anm. 27), S. 80. 151  Vielleicht identisch mit dem 1329 in einer Urkunde als Ratsherr und Zeuge genannten „Nicolaus de Sandecz“; KDM I, Nr. 178.

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12. Als eine gewisse Jungfrau namens Christina aus Wieliczka durch eine Lähmung in der Mitte ihres Körpers ein Jahr lang so versehrt war, dass sie ihre Hand und ihren Fuß überhaupt nicht steuern konnte, kam sie nach Alt Sandez, hielt sich dort, so gut sie konnte, aus Ehrfurcht vor der heiligen Herrin gut drei Wochen auf, um die Grabstätte der heiligen Herrin zu besuchen. Zu einem bestimmten Zeitpunkt aber, als sie an ihrem Grab stand und ihren Schutz erbat, wobei sie ihr Haupt gegen die Wand stieß, zog eine gewisse rechtschaffene Frau, die sie nie gesehen hatte und später nie mehr sah, sie zurück und sagte, dass sie ihr Haupt nicht weiter zerstoßen dürfe, weil sie [dadurch] verletzt würde. Und von dieser Stunde an begann sie wieder, ihre Hände und Füße zu gebrauchen, die sie zuvor nicht hatte gebrauchen können, was viele Leute in der besagten Stadt gesehen und unter Eid bezeugt haben; dies haben nämlich Jakob, der Schuster, mit seiner Ehefrau, in dessen Haus sie lebte, die Ehefrau des Johannes, genannt Zambacz149, eine gewisse ehrenhafte Herrin, Wisława, und gewissermaßen alle [Bürger] der Stadt gesehen. 13. Ebenso starb die Tochter des Cholricus, eines Bürgers von Neu Sandez, namens Margarete nach Sonnenuntergang; und als ein Licht an den Leichnam gestellt wurde, sich über sie ein Trauergejammer erhob und viele Freunde hinzukamen, da beweinten Vater und Mutter ihr Kind sehr; schließlich begannen sie, in ganzer Hingabe, so gut sie konnten, die heilige Herrin anzurufen, dass sie sich herablassen möge, sie über ihr Kind zu trösten; und so verharrten sie flehend etwa bis Mitternacht und als sie später an den Leichnam herantraten und ihn enthüllten, fanden sie das Kind lebend; da fielen sie sogleich zu Boden und statteten der heiligen Herrin Dank ab. Da sie aber wegen des Durchzugs der Ungarn mit dem Kind und einer Opfergabe nicht [gleich] am Folgetag zum Haus der heiligen Herrin kommen konnten, erfüllten sie ihr Gelübde [erst] am achten Tag. Dies geschah am Freitag nach dem Tag des heiligen Jakob [25. Juli], des Apostels150; dies haben unter Eid bezeugt der Vater des Kindes und die Mutter namens Gerussa, der Bürger Heinrich, Nikolaus151 und die Tochter des Ciloto namens Katharina, Herintrudis, Hedwig und sehr viele andere ehrenhafte Frauen und Männer, denen dieses Geschehnis bekannt war.

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14. Item domina Hedvigis incliti principis regis Cracovie et tocius Polonie152 ­coniunx retulit coram multis et aliis utriusque sexus hominibus, iuramento contestans, quod, quando iam quasi in extremis posita laboraret, vidit duas larvas teterrimas sub specie hominis ad lectum suum propinquare, quorum timore ac horrore perculsa, nullius omnino devocionis memor erat. Mox post hec vidit et sanctam dominam ad lectum suum stare in veste religiosa et dictas larvas ab ipsa removere, manicas sui habitus ipsi opponendo et sic sepedictis larvis disparen­ tibus, devocionis sue recordata cepit ipsam sanctam deprecari. Ipsa vero ab oculis eius elapsa, confestim cepit melius habere, quousque plene sanitati fuit restituta. 15. Uxor Sestremili de Kurow153 veniens ad vicinum suum, casu invenit puerum suum in igne volutari et miserabiliter aduri, ad quem mox currens et ipsum de medio ignis semivivum trahens, cepit sanctam invocare Kingam, votum faciens et confestim cepit puer melius habere et hec, fide data, veniens ad limina sancte domine recitavit. 16. Item quedam puella de Cracovia Agnes nomine, bene decennis, obsessa per demonem, proximo die dominico post diem beati Adalberti154 adducta fuit ad limina sancte domine per amicos suos; cum autem introducta esset [in] claustrum dominarum ad sepulcrum eius mane diei illius, mox demonium allisit ipsam ad terram et distendit manus eius et pedes in longum et os eius ad mensuram palme dilatavit. Sicque prona iacens in terra fremebat spumans usque post meridiem, tandem orantibus amicis suis pro ipsa sanctam dominam, fuit liberata, multis videntibus, fide oculata. Cum autem educta esset ad hospicium, iterum vexabatur obsessa. Eodem die amici ipsam ad sepulcrum sancte domine reduxerunt, ubi manens multas insanias et multas blasphemias in Deum et in sanctos eius proferebat. Cum autem ibidem sorores mote misericordia, evangelium et passiones sanctorum super ipsam legerent, una de sororibus cum diceret legens super ipsam in Latino: Foras eiciat mundanum principem155, mox in contrarium derisive respondit Polonice, quod festucam eiceret. Et sic a die dominico usque ad feriam quintam sorores cum ipsa multum occupacionis habuerunt; medio vero tempore sancta domina apparuit ipsi consolans ipsam et sic evasit. Dicta vero puella plene racioni reformata dixit, tres demones ipsam vexasse, quorum unus vocabatar

Władysław Łokietek ist am 20. Januar 1320 zum König des wiedervereinten Königreichs Polen gekrönt worden. 153  Nicht identifizierbarer Ort, da hier das 250 km nordöstlich von Krakau gelegen masowische Kurów (Curow) sicher nicht gemeint gewesen sein dürfte. 154  Der 23. April (Adalbertstag) fiel 1308–1311 auf Dienstag bis Freitag, der Sonntag danach mithin auf den 24, 25., 26. oder 27. April. 155  Vgl. Joh 12, 31. 152 

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14. Ebenso berichtete die Herrin Hedwig, die Ehefrau [Władysław Łokieteks,] des erlauchten Fürsten, des Königs von Krakau und ganz Polen152, unter Eid vor vielen Menschen beiderlei Geschlechts, dass sie, als sie schon fast in ihren letzten Atemzügen lag, zwei überaus abscheuliche böse Geister in Menschengestalt sich ihrem Bett nähern sah; durch deren Furcht und Schauder erschrocken, vergaß sie gänzlich ihre Andacht. Kurz darauf sah sie, wie auch die heilige Herrin [Kinga] in ihrem Ordensgewand an ihrem Bett stand und die besagten bösen Geister von ihr vertrieb, indem sie ihr die Ärmel ihres Habits auflegte; und nachdem so die oft genannten bösen Geister verschwunden waren, erinnerte sie sich wieder ihrer Andacht und begann, diese Heilige um Gnade zu bitten. Und nachdem diese aus ihren Augen entschwunden war, begann sie sich auf der Stelle besser zu fühlen, bis sie zu vollständiger Gesundheit wiederhergestellt war. 15. Als die Ehefrau des Sestremilus aus Kurów153 [einmal] zu ihrem Nachbarn kam, entdeckte sie zufällig ihren Sohn, wie er sich in einem Feuer wälzte und elendlich verbrannt wurde; darauf rannte sie sogleich zu ihm, zog ihn halbtot mitten aus dem Feuer und begann, die heilige Kinga anzurufen; sie legte ein Gelübde ab und sofort begann sich der Junge besser zu fühlen; und davon berichtete sie mit ihrem Ehrenwort, als sie zum Haus der heiligen Herrin kam. 16. Ebenso wurde ein gewisses, etwa zehnjähriges Mädchen aus Krakau namens Agnes, das von einem Dämon besessen war, am Sonntag nach dem Tag des heiligen Adalbert154 von seinen Freunden zum Haus der heiligen Herrin geführt; und nachdem es am Morgen jenes Tages in das Kloster der Herrinnen hinein und an ihr Grab geführt worden war, stieß der Dämon sie sogleich zu Boden, dehnte seine [des Mädchens] Hände und Füße weit aus und verbreiterte seinen Mund auf das Maß einer Handfläche. Und während es so nach vorne gebeugt am Boden lag, schnaubte und schäumte es bis zum Mittag; schließlich wurde es, da seine Freunde für es zur heiligen Herrin beteten, befreit, was viele mit eigenen Augen gesehen haben. Als es aber in die Herberge geführt wurde, wurde es erneut heimgesucht [und] vom Teufel besessen. Noch am selben Tag führten die Freunde es zurück zum Grab der heiligen Herrin, wo es viele wahnsinnige und schmähende Worte gegen Gott und seine Heiligen hervorbrachte. Und als die Schwestern ebendort, von Mitleid bewegt, das Evangelium und Leidensgeschichten von Heiligen über ihm lasen, las eine der Schwestern über ihm auf Latein und sagte: „Möge es den Fürsten der Welt hinauswerfen“155; da antwortete es sogleich spöttisch auf Polnisch, dass es einen Splitter hinauswerfen werde. Und so hatten die Schwestern von Sonntag bis Donnerstag viel Mühe mit ihm; unterdessen aber erschien ihm die heilige Herrin, spendete ihm Trost und verschwand wieder. Und das besagte Mädchen, das zu vollständigem Verstand wiederhergestellt war, sagte, dass drei Dämonen es gequält hätten, von denen einer Oksza, ein anderer Naton und der

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Oksza, alter Naton et tercius Rozen. Hoc factum quasi omnes viri et mulieres civitatis Antique Sandecz conspexerunt. 17. De Wisnicze156 quidam homo audiens clamorem puerorum in campo, concito cursu illuc properavit et invenit filiam suam iam mortuam; lupus enim sic eam destruxerat in corpore, quod viscera de ventre ipsius effluebant. Mater vero dicte puelle properans de Bochna ad domum suam, hiis auditis rumoribus in medio vie cum fletu et eiulatu corruit in terra, sanctam dominam exorans. Cum autem domum surgens a loco pervenisset, puerum suum invenit vivum, sed per totum corpus cruentatum, ubi multi hominum convenerunt dolentes puerum. Et hoc tandem cum iuramento venientes ad sepulcrum sancte domine Kinge protestati sunt, quod dictus puer mortuus fuerat et ad invocacionem beate, vite reformatus. 18. Item Potrek de Weliczka ad tumbam sancte domine cum filia sua nomine Stanislava veniens, retulit cum iuramento, eandem filiam suam submersam ­iacuisse sub molendino a mane usque ad meridiem. Tandem ea inventa, ceperunt sanctam dominam pro resuscitacione eius cum fletu exorare et mox resurrexit. 19. Puella quedam nubilis et adulta, de Potrovicz157 prope Matonech Cracoviensis diocesis nata, nomine Tomka, cuidam de Ksanicz158 iuveni nupsit, que statim post tres septimanas epilenticum morbum et tercianam febrim incurrit. A quibus meritis sancte crucis, que in Lyszecz habetur in reverencia magna, dum illuc voto emisso in peregrinacione corde humili venisset et contrito, graciose fuit liberata. Verum tempore elapso non multo, maledicciones easdem, ut prius, quibus ipsius demeritis […159] ut deus glorificetur in illa et in sanctis suis, iterato incurrit, habens quendam [demonem] importunum, sevum nec non protervum pariter et infestum; cum qua idem sepe sepius loquebatur, et de familia mulieris prefate pluribus quandoque presentibus, nemine vero preter illam ipsum vidente. Cui demon idem omnia quidem corporis habens membra, solis manuum carens pollicibus, in statura quidem unius viri nunc in tunica, nunc in sola camisia, nunc aliter, ut placuit, gladio aliquando exerto, aliquando cuspide vibrata, faciem propriam torquens, ut libuit, timorem et horrorem vehementer incussit. Illa misera et Dorf 7 km südöstlich von Bochnia. Witkowska, Miracula (wie Anm. 27), S. 118 übersetzt „Potrovicz“ mit Piotrowice (ohne Lokalisierung); Niezgoda, Święta Kinga (wie Anm. 34), S. 288 identifiziert es mit dem 24 km südlich von Kielce gelegenen Piotrkowice und „Matonech“ mit Miechów, das allerdings 70 km südwestlich von Piotrkowice liegt; Żywot świętej Kingi (wie Anm. 34), S. 197 deutet den Ort als das nahe von Maków gelegene Dorf Potrowicze. 158  Nicht identifizierbarer Ort. 159  Hier sah der Herausgeber Kętrzyński eine Sinnlücke im Text der Handschrift, die er mit mehreren Punkten gekennzeichnet hat. 156  157 

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dritte Rozen hieß. Dieses Ereignis haben beinahe alle Männer und Frauen der Stadt Alt Sandez beobachtet. 17. Als ein gewisser Mann aus Wiśnicz156 auf einem Feld Kindergeschrei hörte, eilte er mit raschem Schritt dorthin und fand seine Tochter schon tot vor; ein Wolf hatte sie nämlich an ihrem Leib so zugrunde gerichtet, dass ihr die Eingeweide aus dem Bauch quollen. Die Mutter des genannten Mädchens, die davon durch Gerüchte gehört hatte und aus Bochnia nach Hause eilte, stürzte in der Mitte des Weges mit Weinen und Klagen zu Boden und betete zur heiligen Herrin. Nachdem sie sich aber von der Stelle erhoben hatte und zu Hause angekommen war, wo viele Menschen zusammengekommen waren, um das Kind zu betrauern, fand sie ihr Kind lebend vor, wenn auch am ganzen Körper voller Blut. Und dies haben sie schließlich, an die Grabstätte der heiligen Herrin Kinga gekommen, unter Eid bezeugt, dass das besagte Kind gestorben war und bei Anrufung der Heiligen zum Leben wiederhergestellt worden ist. 18. Ebenso berichtete Piotrek aus Wieliczka, als er mit seiner Tochter Stanisława an das Grab der heiligen Herrin kam, unter Eid, dass ebendiese seine Tochter vom Morgen bis zum Mittag ertrunken unter einer Mühle gelegen hatte. Nachdem man sie endlich gefunden hatte, begann man, mit Wehklagen die heilige Herrin um ihre Wiedererweckung anzubeten, und sogleich stand sie wieder auf. 19. Ein gewisses heiratsfähiges und erwachsenes Mädchen, gebürtig aus Potrovicz157 nahe Matonech in der Diözese Krakau, namens Tomka, das einen gewissen jungen Mann aus Ksanicze158 heiratete, fiel plötzlich drei Wochen später in eine epileptische Krankheit und ein wiederholtes Fieber. Von diesen [Beschwerden] wurde sie durch die Verdienste des heiligen Kreuzes, das in Lyszecz in großer Verehrung stand, gnädig befreit, nachdem sie ein Gelübde abgelegt hatte und in einer Pilgerreise demütigen und zerknirschten Herzens dorthin gegangen war. Doch nach nicht allzu langer Zeit verfiel sie, da sie irgendeinen rücksichtslosen, wilden, gleichermaßen dreisten und angriffslustigen [Dämon] hatte, erneut in dieselben Schmähreden wie zuvor, von denen [sie] durch seine [des Kreuzes159] Verdienste [befreit worden war], damit Gott in ihr und seinen Heiligen gepriesen werde. Dieser [Dämon] sprach mit ihr des Öfteren, dann und wann auch in Anwesenheit vieler aus der Familie der besagten Frau, doch niemand außer ihr selbst hat ihn gesehen. Ebendieser Dämon, der alle Körperglieder besaß und nur die Daumen an den Händen entbehrte, jagte ihr in der Gestalt eines Mannes, der mal in Tunika, mal nur im Untergewand, mal anders, wie es ihm gefiel, einmal mit gezücktem Schwert, einmal mit geschwenktem Dreizack, sein eigenes Gesicht verzerrend, wie es ihm beliebte, auf heftige Weise Angst und Schrecken ein. Als jene unglückliche und gepeinigte [Frau] einmal mit

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afflicta ipsum cum validis quandoque clamoribus in palam fugiente, imo signo crucis illa se consignante, demon improbus et pertinax simili modo se signabat. Et semel germano mulieris predicte in eadem domo secum ob aliquale eiusdem solacium iacente et ad illam in primo gallicinio taliter loquente: Ne timeas, quia galli iam cantant; demon immediate subintulit: Quid ergo? ego eciam ut gallus cantabo, et ascensa pertica cantare cepit, ut alius gallus. Tandem quoque terro­ ribus crebris iam afflictam et concussam demon importunus et crudelis satis cito post festum beati Ioannis baptiste in ipsam de conto spisso et magno bipennim prius preacutam, columpne cuidam infixam, super caput eius cum strepitu cadere faciens, graviter percussit in capite, de quo ictu exanimis fere facta loquelam perdidit omnino, digitis quoque manuum pariter et volis contractis, motu pedis dextri atque gressu privata fuit et sic a festo fere sancti Ioannis baptiste usque ad vigiliam natalis Christi misera ipsa et infelix manens, miseram vitam duxit. Cui medio tempore nec omnino vigilanti nec totaliter dormienti domina sancta Kinca tunicam quidem inferiorem albam habens apparuit eique, uti erat pia tota, mansueta et benigna, blande subiunxit: Si meum, filia mea, visitaveris sepulcrum, ad plenum de hiis omnibus et in lingua curaberis, et hoc dicto disparuit. Quid plura? mulier morti iam propinqua plus quam vite, viribus quoque corporis penitus destituta, de lecto sine adminiculo alicuius consurgens ex abrupto, videt certo cercius candelas duas, quamlibet illarum, cubiti unius spissas, ut auricularis digitus, ad viriditatem quandam declinantes et ad caput lecti parieti affixas ibique a domina sancta Kinga derelictas et pre nimia illarum claritate stupefacta quidem et territa, domum illam exiliens, ad aliam, in qua germanus suus Michael nomine dormiebat, quantocius accedere festinavit. Et quoniam muta ex illo gravissimo ictu facta fuerat, mugitu quodam aliisque nutibus suis, quibus potuit, et signis ipsum excitavit. Qui visa illa claritate, domum quoque illam ardere iam estimans, eandem, ut extinguat, celeriter insiliit et illas candelas tanquam duas faculas ardentes, divino nutu id fieri non advertens, subito extinxit, illa ipsum gestibus, quibus valuit, prohibente. Que post modicum quibusdam signis indicans et nutibus, extensione indicis atque motu capitis versus illas partes, ubi corpus felicis domine Kinge conditum quiescit, dominam innuit sanctam Kingam sibi apparuisse, candelas eciam illas mirabiles ibi reliquisse et ad suum sepulcrum ipsam venire iussisse, sicut processu temporis et iuxta sancte Kinge promissum mulier illa, ad plenum rehabita tandem loquela, cunctis retulit verbo tenus seriem publice per ordinem huius facti.

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großem Geschrei vor ihm öffentlich davonlief und sich zudem bekreuzigte, da bekreuzigte sich der ruchlose und hartnäckige Dämon auf die gleiche Weise. Einmal lag der Bruder der besagten Frau bei ihr im selben Haus, um sie irgendwie zu trösten, und sprach zu ihr beim ersten Hahnenschrei folgendermaßen: „Fürchte dich nicht, weil die Hähne schon krähen.“ Da fügte der Dämon unmittelbar hinzu: „Na und? Ich werde auch wie ein Hahn krähen“, stieg auf eine Vogelstange und begann zu krähen, wie ein anderer Hahn. Schließlich bewirkte der rücksichtslose und grausame Dämon auch, dass kurz nach dem Fest des heiligen Johannes des Täufers [24. Juni] eine dicke und große Stange, die zuvor zweifach zugespitzt und in eine Säule hineingeschlagen worden war, mit Getöse auf die schon mit so häufigen Schrecken heimgesuchte und verängstigte [Frau] herunterfiel und ihren Kopf schwer verwundete. Durch diesen Schlag fast getötet, verlor sie gänzlich die Sprache und wurde, nachdem sich ihre Finger und in gleicher Weise die Handflächen zusammengezogen hatten, auch der Bewegung des rechten Fußes und des Gehens beraubt; und so führte sie ungefähr vom Fest des heiligen Johannes, des Täufers, bis zum Heiligen Abend, elend und unglücklich bleibend, ein erbarmungswürdiges Leben. Unterdessen erschien ihr, während sie weder ganz wach war noch fest schlief, die heilige Herrin Kinga, die mit einem weißen Unterhemd angetan, wie immer ganz fromm, freundlich und gütig war und schmeichelnd hinzufügte: „Wenn du, meine Tochter, mein Grab besuchst, wirst du von all diesen Dingen und in deiner Rede vollständig geheilt werden.“ Und nachdem dies gesagt war, verschwand sie. Was weiter? Die Frau, die dem Tode schon näher war als dem Leben, auch ihre körperlichen Kräfte gänzlich verloren hatte, richtete sich plötzlich ohne jemandes Stütze auf, sah sicherer als sicher zwei Kerzen, von denen jede bei einer Länge von einer Elle einen kleinen Finger breit war, etwas ins Grün neigte und am Kopf des Bettes an der Wand befestigt und dort von der heiligen Herrin Kinga zurückgelassen worden war; verblüfft von deren übermäßiger Helligkeit und auch etwas erschreckt, verließ sie jenes Haus und beeilte sich, schleunigst in das andere zu gehen, in dem ihr Bruder Michael schlief. Und weil sie ja durch jenen sehr schweren Schlag stumm war, weckte sie diesen mit einem gewissen Muhen und anderen Zeichen, mit denen sie dies konnte, auf. Als dieser jene Helligkeit sah und schon meinte, dass jenes Haus in Flammen stand, sprang er schnell auf, um es zu löschen; und jene Kerzen, die wie zwei Fackeln brannten, gingen durch Gottes Willen, ohne dass man merkte, dass dies geschah, plötzlich aus, während jene ihn mit den Gebärden, zu denen sie fähig war, zurückhielt. Wenig später zeigte sie durch gewisse Zeichen und Winke, durch Ausstrecken des Zeigefingers und eine Bewegung des Kopfes in jene Richtung, wo der Leib der gesegneten Herrin Kinga begraben ruht, gab zu erkennen, dass die heilige Herrin Kinga ihr erschienen war, auch jene wunderbaren Kerzen dort zurückgelassen und ihr befohlen hatte, ihre Grabstätte aufzusuchen; und so wurde jene Frau im Laufe der Zeit, wie von der heiligen Kinga versprochen, vollständig, auch in der Sprache, wieder hergestellt und hat den Ablauf dieses Ereignisse der Reihe nach öffentlich allen berichtet.

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Ad160 credendum plurimi trahebantur tanto facilius, quanto iam alias in se ipsis

ac in aliis sancte Kinge experti erant beneficia atque remedia, que longe lateque eciam in remotis Polonie partibus agentibus Dominus copiose per suam famulam clementer operari non cessat et hinc inde sic manifeste claret hiis, qui vitam ipsius contemplati sunt et legerunt, que non nisi soli Deo facere possibilia sunt. Et ultimo illas candelas mirifice angelorum forsan ministerio factas, sepe dictus Michael germanus dicte mulieris una cum illa die tercio post factum tam insolitum tamque mirabile, quod accidit, ad domum quandam fratrum predicatorum in Opatovecz161 scilicet Corcinensis territorii deferens, uni eorum in sacristia cum devocione precipua ac tripudio magno et iubilo [tradidit], illa foris extra ecclesiam, quoniam vinculum lingue eius nondum solutum fuerat, manente. Cui post aliquod tempus domina sancta Kinga denuo apparens in sompnis, cur candelas illas extingui admisisset, ipsam cum indignacione quadam, prout sibi videbatur, aliquatenus redarguens [corripuit], penitenciam eidem trium dierum in pane et aqua salutarem iniungens, sic autem, ut die qualibet tres solummodo panis morsellos cineri intinctos sumeret – que tamen esset illa mulier, in memoria non habuit – indubitanter pollicens illi mulieri loquelam a festo beati Ioannis baptiste sublatam liberaliter se daturam. Quod et fecit sui non immemor promissi, nocte scilicet ipsam vigiliam natalis Domini nostri Iesu Christi immediate precedente162, anno videlicet incarnacionis dominice M.CCC.XImo. Sic igitur omni destitutam solacio et adeo plagis percussam tam variis et attritam electa Dei, sancta Kinka, demone ab ea propulsato, pristine iuxta suum promissum et optate restituit ex integro sospitati, ut ex hoc patenter claresceret, quantis a sibi devotis sepefata felix Kinga sit attollenda preconiis et laudibus, cuius patrocinio et meritis iam ab omnibus desperata a tam multis et variis est curata languoribus, tum quia ipsa Dei sancta demonem ab ea presumptuosum et infe­ stum potenter compescuit, tum quia taliter tribulatam et afflictam a febribus perfecte curavit, tum quia manus in digitis confractis contractas et in volis, una illarum putrescente iam et fetente, sanavit, tum quia motum et gressum pedi debitum licet per violenciam sublatum denuo reddidit, tum quia epilenticum ab ea morbum penitus excussit, tum quia egram et morti propinquam perfecte curavit, tum quia septimo vinculum lingue graciose solvens, eidem loquelam clementer

160  Der Abschnitt „Ad credendum“ bis „possibilia sunt“ ist von Kętrzyński [Vita et miracula (wie Anm. 23), S. 740] wohl zurecht als eine spätere Interpolation angesehen worden. 161  Das Dominikanerkloster in dem 7 km südwestlich von Korczyn an der Mündung des Dunajec in die Weichsel gelegenen Opatowiec war 1283 errichtet worden. 162  D.h. in der Nacht vom 23. auf den 24. Dezember.

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Sehr160 viele wurden umso leichter dazu gebracht, dies zu glauben, je mehr sie

auch sonst schon bei sich selbst und bei anderen die Wohltaten und Heilmittel der heiligen Kinga erfahren hatten, die der Herr nicht aufhört, weit und breit auch denen durch seine Dienerin reichhaltig und gnädig zu wirken, die in entlegenen Teilen Polens leben. Und denen, die ihre [Kingas] Lebensbeschreibung geistig betrachtet und gelesen haben, wird von allen Seiten so überaus deutlich, dass niemand außer Gott diese zu wirken möglich ist. Schließlich hat der oft genannte Michael, der Bruder der besagten Frau, gemeinsam mit dieser am dritten Tag nach dem ebenso ungewöhnlichen wie wunderbaren Ereignis, das sich zugetragen hatte, jene Kerzen, die vielleicht durch den Dienst von Engeln auf wunderbare Weise aufgestellt worden waren, zu einem gewissen Haus der Predigerbrüder in Opatowiec161 im Gebiet von Korczyn gebracht und in der Sakristei einem von ihnen mit besonderer Ehrfurcht, großem Jubel und Frohlocken [übergeben], während jene, da ja die Fessel ihrer Zunge noch nicht gelöst worden war, draußen vor der Kirche blieb. Als ihr nach einiger Zeit die heilige Herrin Kinga erneut im Traum erschien, da [machte sie] ihr, wie ihr schien, mit einer gewissen Verärgerung Vorwürfe, indem sie [sie] ziemlich [tadelte], weil sie es zugelassen hatte, dass jene Kerzen ausgingen. Als heilsame Buße legte sie ihr auf, drei Tage bei Brot und Wasser zu fasten, und zwar so, dass sie an jedem Tag nur drei in Asche getauchte Brotstückchen zu sich nehmen sollte – wer aber jene Frau [d. h. Kinga] war, wusste sie nicht mehr –, und sie [Kinga] versprach jener Frau unzweifelhaft, dass sie ihr die [ihr] seit dem Fest des heiligen Johannes des Täufers genommene Sprache hochherzig [wieder]geben werde. Dies tat sie auch, da sie ihr Versprechen nicht vergaß, und zwar in der Nacht, die der Vigil zur Geburt unseres Herrn Jesus Christus unmittelbar vorangeht162, nämlich im Jahr der Fleischwerdung des Herrn 1311. Auf diese Weise also hat die Erwählte Gottes, die heilige Kinga, gemäß ihres Versprechens die von allem Trost verlassene und von so vielen verschiedenen Schlägen getroffene und zermürbte [Frau], indem sie den Dämon aus ihr vertrieb, in ihrer früheren und ersehnten Gesundheit vollständig wiederhergestellt, sodass daraus ganz deutlich erhellte, mit wie vielen Lobpreisungen und Lobeshymnen die oft genannte gesegnete Kinga von den ihr fromm Ergebenen emporzuheben ist, durch deren Schutz und Verdienste sie, die von allen bereits aufgegeben worden war, von so vielen verschiedenen Leiden geheilt wurde, einmal weil diese Heilige Gottes den sehr dreisten und bedrohlichen Dämon machtvoll zähmte, zum anderen weil sie die derart von Fieber gequälte und geschwächte vollständig kurierte, dann weil sie [ihre] gelähmten, an den Fingern und Handflächen gebrochenen Hände, von denen eine schon faulte und stank, heilte, dann weil sie [ihrem] Fuß das gebührende Bewegungs- und Gehvermögen noch einmal zurückgab, obwohl es [ihr] gewaltsam genommen worden war, dann weil sie die epileptische Krankheit ganz und gar aus ihr herausschüttelte, dann weil sie die kranke und dem Tode nahe [Frau] vollständig kurierte, dann weil sie siebtens die Fessel der Zunge gnä-

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contulit et sic septem signa vicissim in uno eodemque homine sunt perpetrata; nam muta expedite loquitur, possessa a demone potenter liberatur, morti propinqua in toto curatur, afflicta a febribus perfecte sanatur, contracta in manibus iam putrefactis ad plenum solvitur, motus sive gressus pedibus debitus egregie redditur, epilenticus ab ea morbus graciose tollitur. Racione quorum gracias agens Deo et in laudem sancte Kincze, cuius meritis plenarie est curata, prorumpens convenienter dicere potuit: Liberasti me de multis tribulacionibus, que circumdederunt me – ecclesiasticus163, unde et in psalmo: Ex omnibus tribulacionibus meis eripuit me.164 Hec omnia superius per ordinem posita septem de illa villa, de qua dicta mulier erat, persone fidedigne una cum illa integre curata ac plures alii ad sepulcrum domine felicis, sancte Kincze de longinquo venientes publice sunt protestati, imo ad certitudinem horum pleniorem cunctis confiniis villam illam vulgariter Potrovicz dictam circumadiacentibus tam inauditum tamque mirabile factum et stupendum ac omni admiracione et stupore dignum satis clarum extitit atque notum. 20. Quidam duo iuvenes, unus nomine Florianus et alter Ioannes, habebant multas apes et cum exercitus Hungarorum multitudine in magna venisset165, videntes truncos apum in magna copia, iniecerunt manus et ceperunt frangere et incidere cum securibus et acceperunt mel, quotquot fuit, et calcaverunt apes pedibus et dissipaverunt ita, ut nichil manserit. Venientes illi duo iuvenes in crastino, ceperunt colligere illud, quod manserat et collegerunt modicum quid de apibus et de melle et posuerunt in unum truncum et invocabant auxilium domine sancte Kinge, promittentes dare singulis annis decimam de melle, si dignaretur eis augmentare apes. Tandem venerunt in crastino ad truncum et invenerunt plenum de apibus et de melle ita, acsi nunquam aliquis tetigisset. Et ab illa hora augmentate sunt apes ita, quod habuerunt quinquaginta truncos apum et hoc dixerunt, cum venissent ad limina domine sancte cum iuramento fide data, quod ita factum erat per merita dicte domine. 21. Item anno Domini M.CCCXIImo mulier quedam Gertrudis nomine, uxor ­Michaelis de vico vulgariter Crive166 dicto, de regno Hungarie, ancillam, quam rabidus canis momorderat, ignorans, ubi vulnus accidisset, hinc inde palpando diligenciusque considerando vulnus per canem inflictum manu incaute tangebat Sir 51, 4–5. Ps 53, 9. 165  Es mag sich entweder um jene ungarischen Kämpfer gehandelt haben, die Władysław Łokietek 1311 unmittelbar vor dem Krakauer Aufstand des Vogtes Albert 1311 von ungarischer Seite erhielt, oder um jene, auf die der Herzog 1312 in Alt Sandez wartete; Witkowska, Miracula (wie Anm. 27), S. 78. 166  Nicht identifizierbarer Ort. 163  164 

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dig löste und ihr gütig die Sprache verlieh und auf diese Weise wiederum an ein und demselbem Menschen [gleich] sieben Wunder vollbracht worden sind; denn die Stumme spricht ohne Behinderung, die vom Dämon Besessene ist machtvoll befreit, die dem Tode Nahe in Gänze kuriert, die vom Fieber Geschwächte vollständig geheilt, die an den schon faulenden Händen Behinderte zur Gänze erlöst, der gebührende Gang oder Schritt beeindruckend zurückgegeben, die epileptische Krankheit gnädig von ihr genommen. Für diese [Heilungen] stattete sie Gott Dank ab und brachte Lobesworte für die heilige Kinga hervor, durch deren Verdienste sie vollkommen geheilt wurde, und konnte zufrieden sagen: „Du hast mich von vielen Bedrängnissen befreit, die mich umgeben haben“, – [aus] Ecclesiastikus163, und auch im Psalter: „Aus allen meinen Bedrängnissen hat er mich herausgerissen.“164 Dies alles, was oben der Reihe nach dargestellt worden ist, haben sieben vertrauenswürdige Personen aus jenem Dorf, aus dem die besagte Frau kam, zusammen mit jener vollständig Geheilten sowie viele andere, die von weither an die Grabstätte der gesegneten Herrin, der heiligen Kinga, kamen, öffentlich bezeugt; ja mehr noch, zur vollständigeren Bestätigung dieser [Ereignisse] wurde das so unerhörte wie wunderbare, so erstaunliche wie jedes Bewunderns und Staunens würdige Ereignis auch in allen Gebieten, die in der Umgebung jenes Dorf lagen, das in der Volkssprache Piotrkowice genannt wird, ziemlich berühmt und bekannt. 20. Zwei junge Männer, der eine mit Namen Florian und der andere Johannes, besaßen viele Bienen; als aber das Heer der Ungarn in großer Menge kam165 und die zahlreichen Bienenstöcke sahen, legten sie Hand an sie, begannen sie aufzubrechen und mit Beilen hineinzuhauen, nahmen den Honig, den es gab, und zertrampelten die Bienen mit den Füßen und zerstörten sie dermaßen, dass nichts übrigblieb. Als die beiden jungen Männer am nächsten Tag kamen, begannen sie, das einzusammeln, was übriggeblieben war, und sammelten ein wenig von den Bienen und dem Honig, setzten sie in einen Stock und riefen die Hilfe der heiligen Herrin Kinga an, wobei sie versprachen, jedes Jahr den Zehnten vom Honig zu geben, wenn sie sich herablassen würde, ihnen die Bienen zu vermehren. Schließlich kamen sie am nächsten Tag zu dem Stock und fanden eine derartige Fülle von Bienen und Honig, als hätte ihn niemand angerührt. Und von jener Stunde an wurden die Bienen so vermehrt, dass sie fünfzig Bienenstöcke hatten; und als sie zum Haus der heiligen Herrin kamen, sagten sie unter Eid ehrlich aus, dass dies so geschehen war durch die Verdienste der besagten Herrin. 21. Ebenso tastete im Jahr des Herrn 1312 eine gewisse Frau namens Gertrud, die Ehefrau des Michael aus dem Dorf, das in der Volkssprache Crive166 heißt, eine Magd aus dem Königreich Ungarn, die ein tollwütiger Hund gebissen hatte, da sie nicht wusste, wo die Wunde eingetreten war, von allen Seiten ab und betrachtete sie sehr sorgfältig, wobei sie die vom Hund zugefügte Wunde unvorsichtigerweise

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moxque venenum, quod ante per canem fuerat infusum, unguibus mulieris ad­ herens, per manum ad precordia cepit ascendere, rigores et quasdam horripilaciones per omnia membra eius generando, mesticiamque inconsuetam eidem mulieri infligendo sicque per triduum in passione iam dicta mulier permansit; tercio vero die in vespere dum ad dormiendum una cum viro suo, ut moris est, sese depo­ suisset, ecce in primo sompno terrores excessivi ac dolor intollerabilis ipsam angere cepit, que senciens periculum sibi imminere, virum excitans cum gemitu ipsum sic allocuta est: Accipe infantem ad te et amodo te ipsum cum omni diligencia, qua potes, una cum infante a contactu meo custodi et consorcium meum devita, iam enim, prout considero, malum meum appropinquavit. Moxque mulier in furiam versa, stridores dencium et eiulatus et clamores excessivos faciebat maxime propter dolores, qui circa precordia acrius ipsam affligebant. Tantus namque dolor cruciabat ipsam, ut frequenter quasi globulum contortum de lecto proiciebat et ad terram prosternens quasi exanimem ipsam ostendebat. Cumque per triduum sic fuisset afflicta, vicini, qui ex compassione venientes, ipsam visitabant, suadere ­ceperunt, ut alicui sanctorum se committeret, votum pro muliere facere se promittentes; quorum consiliis mulier acquiescens, cum aliquantulum dolor quievisset, ad merita beate domine Kincze se convertit, promittens, quod nudis pedibus ad sepulcrum eius iret, si meritis eius liberari mereretur. Mirabile dictu, vix miserabilis mulier verba finiverat et ecce, misericordia Dei affavente, meritis beate domine Kincze cessavit omnis dolor, qui ipsam interius cruciabat, sed et racionis, qua privata fuerat, usum mox recepit; dolor tamen aliqualis ad renes descendens, ipsam mulierem non modicum aggravabat. Demumque per triduum dolor renum perseveravit, mulier vero iam sue compos racionis et experta clemenciam Dei omnipotentis ac merita beate domine Kincze, duplicavit votum et secundam peregrinacionem facere se promisit, si ad plenam se redire cognosceret sanitatem. Statimque post votum factum tres catulos167 mulier miserabilis est enixa sicque omnis dolor cessavit et mulier sanitatem optatam est adepta, sicut postmodum ad sepulcrum beate domine veniens mulier sepedicta ore proprio coram multis est confessa, iuramento confirmans et vicinis suis protestantibus, videlicet Laurencio et Stephano, qui cum eadem muliere ad sepulcrum venerant ex devocione.

167  Ob hier „catulos“ bewusst oder versehentlich verwendet wurde, bleibt unklar; von der Sache her wäre „calculos“ (Nierensteine) richtig.

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mit der Hand berührte; und sogleich begann das Gift, das zuvor durch den Hund eingeflößt worden war und [jetzt] an den Fingernägeln der Frau klebte, über [ihre] Hände in die Brust aufzusteigen, wobei es in all ihren Gliedern eine Steifheit und gewisse Erstarrungen erzeugte und ebendieser Frau eine ungewohnte Niedergeschlagenheit zufügte; und derart verblieb die schon genannte Frau drei Tage lang in diesem Leiden; am Abend des dritten Tages aber, nachdem sie sich mit ihrem Mann zum Schlafen niederlegt hatte, wie es Gewohnheit ist, siehe, da begann sie im ersten Schlaf ein übermäßiger Schrecken und unerträglicher Schmerz zu ängstigen; als sie merkte, dass ihr Gefahr drohte, weckte sie ihren Mann und sprach ihn mit lautem Seufzen so an: „Nimm das Kind an dich und hüte dich fortan mit ganzer Sorgfalt, so gut du kannst, mit dem Kind vor meiner Berührung und meide meine Gesellschaft, denn schon ist, wie ich sehe, mein Unheil gekommen.“ Und kurz darauf war die Frau in Raserei versetzt, knirschte mit den Zähnen, heulte und stieß, hauptsächlich wegen der Schmerzen, die sie in der Brust auf ziemlich stechende Weise peinigten, gewaltige Schreie aus. Denn der Schmerz quälte sie dermaßen, dass er sie häufiger gleichsam wie eine Kugel zusammenrollte und aus dem Bett warf, und sie auf dem Boden liegend wie tot aussehen ließ. Und nachdem sie drei Tage lang so gepeinigt worden war, begannen Nachbarn, die aus Mitleid kamen und sie besuchten, sie zu überreden, sich irgendeinem der Heiligen anzuvertrauen; und sie versprachen, für die Frau ein Gelübde abzulegen; durch ihre Ratschläge beruhigte sich die Frau und als der Schmerz ein bisschen nachließ, wandte sie sich an die Verdienste der heiligen Herrin Kinga, versprach, barfuß an ihre Grabstätte zu gehen, wenn sie es verdiente, durch ihre [Kingas] Verdienste geheilt zu werden. Wie wunderbar zu sagen, kaum hatte die unglückliche Frau die Worte beendet und siehe, da hörte, begünstigt durch die Barmherzigkeit Gottes, durch die Verdienste der heiligen Herrin Kinga jeder Schmerz, der sie im Innern quälte, auf; sogleich erhielt sie auch den Gebrauch ihres Verstandes, dessen sie beraubt war, zurück; dennoch belästigte der Schmerz, der irgendwie zu den Nieren hinabstieg, diese Frau nicht wenig. Schließlich hielt der Nierenschmerz drei Tage lang an, die Frau aber, die ihres Verstandes bereits [wieder] mächtig war, und die Gnade Gottes, des Allmächtigen, sowie die Verdienste der heiligen Herrin Kinga kannte, verdoppelte das Gelübde und versprach, eine zweite Pilgerfahrt zu unternehmen, wenn sie erkennen würde, dass sie zu voller Gesundheit zurückkehrt. Und sofort, nachdem das Gelübde abgelegt worden war, gebar die unglückliche Frau drei Welpen [Nierensteine]167 und so hörte jeder Schmerz auf und die Frau erlangte die ersehnte Gesundheit, wie die oft genannte Frau später, als sie zur Grabstätte der heiligen Herrin kam, mit eigenem Mund vor vielen [Zeugen] bekannt und unter Eid bekräftigt hat und von ihren Nachbarn, nämlich Laurentius und Stefan, die aus Frömmigkeit mit ebendieser Frau zur Grabstätte gekommen waren, bezeugt worden ist.

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22. Hec ad presens sufficiant. Et quia longum esset presencium serie declarare singula, que Deus omnipotens meritis electe sue domine Kincze omnibus in periculis suffragia eius devote inplorantibus operatus est nec desinit operari et augere, miracula et cavendum est, ne tacite transientes ea, que in palam divulgari debeant, obmittamus et inde gracie Dei et sancte eius domine Kincze ingrati inveniamur, eapropter sub brevi compendio generaliter omnia et universa significamus et in nomine Domini concludimus, videlicet quod ab anno dominice incarnacionis M.CC.XC secundo, quo anno felix dicta domina de ergastulo corporis ad Chri­ stum migravit, usque ad annum gracie eius M.CCC.XX.IXum hiis miraculis, que subscribuntur, exceptis superius prenotatis, Deus sanctam suam dignatus est adornare, scilicet quod octuaginta mortui meritis dicte domine vite pristine sunt restituti, sexaginta ceci eius suffragio sunt illuminati, quinque decem captivi a vinculis seu a captivitate eius auxilio sunt liberati, insuper septingenti utriusque sexus a diversis infirmitatibus eius patrocinio sunt curati et optate sospitati ad plenum restituti. Explicit prologus de sancta Kinka ducissa Cracoviensi anno Domini M.CCCC primo finitus in crastino sancte Anne feria quarta.168

168  Dieser Schlussvermerk benennt nicht den Zeitpunkt des Abschlusses des ursprünglichen Werkes, sondern den Moment der Fertigstellung der (heute nicht mehr erhaltenen) Abschrift.

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22. Diese [Wunderberichte] mögen für jetzt genügen. Und weil es zu lang wäre, in der Reihe der gegenwärtigen [Berichte] einzelne Wunder aufzuzeigen, die der allmächtige Gott durch die Verdienste seiner Erwählten, der Herrin Kinga, all jenen, die sie in gefährlichen Lagen ehrfürchtig um ihre Unterstützung anflehen, wirkt und nicht zu wirken und zu mehren aufhört, und [weil] wir Acht geben müssen, dass wir nicht stillschweigend jene [Wunder] übergehen und auslassen, die in der Öffentlichkeit verbreitet werden müssen, und daher der Gnade Gottes und seiner Heiligen, der Herrin Kinga, für unwürdig befunden werden, deswegen machen wir in einem kurzen Überblick allgemein alle und sämtliche [Wunder] kenntlich und fassen im Namen des Herrn zusammen, nämlich dass Gott es vom Jahr der Fleischwerdung des Herrn 1292 an, in welchem Jahr die besagte gesegnete Herrin aus dem Gefängnis ihres Körpers zu Christus hinübergewandert ist, bis zum Jahr seiner Gnade 1329 für würdig erachtet hat, seine Heilige durch diese Wunder zu schmücken, die unten hingeschrieben sind, abgesehen von den oben [für die Jahre 1307–1312] schon angeführten, und zwar, dass achtzig Gestorbene durch die Verdienste der besagten Herrin zum früheren Leben wiederhergestellt wurden, sechzig Blinde durch ihre Unterstützung wieder sehend gemacht wurden, fünfzehn Gefangene mit ihrer Hilfe von ihren Fesseln oder aus der Gefangenschaft befreit wurden, darüber hinaus durch ihren Beistand siebenhundert Menschen beiderlei Geschlechtes von verschiedenen Krankheiten geheilt und vollständig zur ersehnten Gesundheit wiederhergestellt wurden. Es endet die Vorrede von der heiligen Kinga, der Herzogin von Krakau, die im Jahr des Herrn 1401, am Tag nach der heiligen Anna, einem Mittwoch [27. Juni], [abgeschlossen wurde].168

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Abkürzungsverzeichnis ASKG Archiv für Schlesische Kirchengeschichte BHL Bibliotheca hagiographica latina antiquae et mediae aetatis f. folium (Blatt) hl. heilig(e) HP Hagiografia polska. Słownik bio-bibliograficzny [Polnische Hagiographie. Ein bio-bibliographisches Wörterbuch], Bd. 1–2, hrsg. von Romuald Gustaw, Poznań u. a. 1971–1972. Hs. Handschrift JbFWUB Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau KH Kwartalnik Historyczny KDKK I Kodeks dyplomatyczny katedry krakowskiej św. Wacława. Część pierwsza obejmująca rzeczy od roku 1166 do roku 1366 [Urkundenbuch der Krakauer Kathedrale des hl. Wenzel. Erster Teil, Dinge vom Jahr 1166 bis zum Jahr 1366 umfassend], hrsg. von Franiciszek Piekosiński, Kraków 1874 KDM I-II  Kodeks dyplomatyczny Małopolski [Kleinpolnisches Urkundenbuch], [t. I:] 1178–1386, hrsg von Franciszek Piekosiński, Kraków 1876; t. II: 1153–1333, hrsg. von dems., Kraków 1886 KDW I Kodeks dyplomatyczny Wielkopolski. Tom I: zawiera dokumenty nr 1–616 z lat 984–1287 [Großpolnisches Urkundenbuch, Bd. I: enthält die Urkunden Nr. 1–616 aus den Jahren 984–1287], hrsg. von Ignacy Zakrzewski, Poznań 1877 MGH SS Monumenta Germaniae Historica. Scriptores (in Folio) MPH (SN) Monumenta Poloniae Historica (Series Nova) NP Nasza Przeszłość. Studia z dziejów kościoła i kultury katolickiej w Polsce PSB  Polski Słownik Biograficzny [Polnisches biographisches Wörterbuch] r recto (Vorderseite) PUB Preußisches Urkundebuch. Politische Abteilung. Bd. 1: Die Bildung des Ordensstaates. Erste Hälfte, hrsg. von [Rudolf] Philippi in Verbindung mit [Carl] Woelky, Königsberg i. Pr. 1882. RH Roczniki Historyczne RHum Roczniki Humanistyczne SUB I-III Schlesisches Urkundenbuch, Bd. 1: 971–1230, hrsg. von der Historischen Kommision für Schlesien, bearb. von Heinrich Appelt, Wien/ Köln/Graz 1971; Bd. 2: 1231–1250, bearb. von Winfried Irgang, ebd. 1977; Bd. 3: 1251–1266, bearb. von dems., ebd. 1984. SŹ Studia Źródłoznawcze

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św. święty [heilig] UM Urzędnicy małopolscy XII-XV wieku. Spisy [Kleinpolnische Amtsträger des 12. bis 15. Jahrhunderts. Listen], hrsg. von Antoni Gąsiorowski, Wrocław u. a. 1990. v verso (Rückseite) ZDKiDK I Zbiór dokumentów katedry i diecezji krakowskiej. Część I: 1063– 1415 [Urkundensamlung der Krakauer Kathedrale und Diözese. Teil 1], hrsg. von Stanisław Kuraś, Lublin 1965 Bibelstellen Die Bibelstellen, auf die in den Anmerkungen verwiesen wird, werden nach der Biblia Sacra Vulgata, hrsg. von Robert Weber/Roger Gryson, Stuttgart5 2007 zitiert (benutzt in der online-Version: https://www.bibelwissenschaft.de/online-bibeln/ biblia-sacra-vulgata/lesen-im-bibeltext/). Die verwendeten Abkürzungen sind wie folgt aufzulösen: Apg Die Apostelgeschichte Est Das Buch Ester Ex Das Buch Exodus Gen Das Buch Genesis Hebr Der Brief an die Hebräer Hld Das Hohelied Ijob Das Buch Ijob Jes Das Buch Jesaja Joh Johannesevangelium 1 Kön Das erste Buch der Könige 1 Kor Der erste Brief an die Korinther Lk Das Evangelium nach Lukas Mk Das Evangelium nach Markus Mt Das Evangelium nach Matthäus Num Das Buch Numeri Offb Die Offenbarung des Johannes (Apokalypse) Phil Der Brief an die Philipper Koh Das Buch Kohelet (Prediger) Ps Die Psalmen 1 Sam Das erste Buch Samuel Sir Das Buch Jesus Sirach Spr Das Buch der Sprichwörter

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Register Die Register sind nach den deutschen Namensformen sortiert, so dass die Seitenzahlen auf den deutschen Text verweisen. Wo eine deutsche Namensform nicht gebräuchlich ist, wird die polnische, wo weder eine deutsche noch eine polnische Namensform bekannt ist, die (kursiv gesetzte) lateinische Namensform der Quellentexte zugrunde gelegt. Bei den deutschen Namensformen folgen, sofern sie stärker abweichen (also nicht bloß c statt t, v statt w oder die zusätzliche Endung –us aufweisen) kursiv in runder Klammer die lateinischen Formen der Quellentexte. In der Klammer folgen nach einem Schrägstrich bei Verwendung deutscher Namensformen auch die polnische und/oder andere im gegebenen Fall gebräuchliche Namensformen. Seitenzahlen, die auf die Einleitungen und die Anmerkungen verweisen, sind kursiv gesetzt. Die verwendeten Abkürzungen sind wie folgt aufzulösen: Äbt. = Äbtissin, adl. = adlig, Anf. = Anfang, At. = Amtsträger, Bf. = Bischof, bibl. = biblisch, Br. = Bruder, Bür. = Bürger/in, d. = der, dt. = deutsch, Dom. = Dominikaner, Ebf. = Erzbischof, Ef. = Ehefrau, Fr. = Franziskaner, Fs. = Fürst, Gr. = Großer, Grv. = Großvater, H. = Hälfte, Hl. = Heiliger, Hz. = Herzog, Jh. = Jahrhundert, Kan. = Kanoniker, Kas. = Kastellan, Kg. = König, Klar. = Klarissin/Klarissen, Ks. = Kaiser, poln. = polnisch, Ri = Ritter, röm. = römisch, S. = Sohn, Schw. = Schwester, T. = Tochter, ung. = ungarisch, v. = von, V. = Vater, Woj. = Wojewode, Zist. = Zisterzienser, zw. = zweite. Menschen, die an ihrer eigenen Person ein Wunder erleben, werden zusätzlich mit dem Kürzel W., Personen, die an ihren Verwandten, Bediensteten oder Mitklosterbrüdern/–schwestern Wunder beobachten, mit V. und Personen, die förmlich als Zeugen von Wundern genannt werden, mit Z. gekennzeichnet.

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Personennamen A Aaron, bibl. 103, 329 Aaron, Ebf. v. Krakau († 1059) 82, 83, 84, 85 Achab, bibl. 90 Adalbert (Vojtěch/Wojciech), Bf. v. Prag, Hl. (956–997) 12, 13, 15, 18, 30, 48, 51, 142, 277, 470, 471 Adalbert, W., V., Fr. in Skała, Beichtvater d. Salomea (13. Jh.) 312, 326, 327, 341, 343, 345, 349, 353 Adam, bibl. 449 Adelheid (Adleheyta), W., dt. Frau (13. Jh.) 107, 108, 109 Adlegunde, Klar. in Skała (13. Jh.) 449 Agathe, V., Ef. d. Krakauer Kas. Żegota (13.– Anf. 14. Jh.) 248, 249 Agnes (Anežka) v. Böhmen, Äbt. in Prag, Hl. (1211–1282) 291, 292, 312 Agnes (Agnieszka), T. d. Anna v. Schlesien, Äbt. d Klar. in Trebnitz (1230/36–1277) 298, 304 Agnes (Agnieszka), Z., Herrin (13. Jh.) 233, 261 Agnes (Agnieszka), Z., Schw. d. Christina in Szreniawa (13. Jh.) 269 Agnes (Agnieszka) Wisenega, W., Äbt. d. Klar. in Skała (13. Jh.) 330, 331 Agnes, W., Klar. (13. Jh.) 333 Agnes, W., Mädchen in Krakau (13.–14. Jh.) 471 Albert = Adalbert, Beichtvater Albert, Vogt in Krakau († nach 1314) 478 Aldegunde, Klar. in Sandez (13. Jh.) 409, 449 Alexander v. Malonne, Bf. v. Płock († 1156) 180, 182, 183, 192, 194 Alexander IV., Papst (1199–1261) 35, 162, 163, 165, 167, 292, 304 Alexius (Alcius) v. Edessa, Hl. († um 430) 194, 195, 451 Amabilia, W., Klar. in Sandez (13.–14. Jh.) 455 Amletha (Emleta), V., Ef. d. Krakauer Bür. Regner (13. Jh.) 143, 144 Anastasia, V., Witwe d. At. Martin Velenchus in Mistrzewice (13. Jh.) 351

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Anastasia, W., Ef. d. At. Heinrich (13. Jh.) 351, 353 Anastasia, Äbt. d. Klar. in Sandez (13.– 14. Jh.) 453 Andreas, bibl., Hl. 135 Andreas II., Kg. v. Ungarn (1177–1235) 311, 321, 324, 325, 326, 327, 374, 375 Andreas, S. Stefans V. (1268–1278) 409, 449 Andreas (Andrzej) v. Morawica, W., Gr. († vor 1253) 156, 157 Andreas (Andrzej) v. Murancha, Gr. im Oppelner Land (12.– 13. Jh.) 351 Andreas (Andrzej) v. Proszowice, W., Ri. (13. Jh.) 121 Andreas (Andrzej), V., Ri., S. d. Siemian (13. Jh.) 149 Andreas (Andrzej), Z., Br. d. Jutta v. Kościelec (13. Jh.) 225 Andreas (Andrzej), Z., Br. d. Przybysława aus Skrzynka (13. Jh.) 235 Andreas (Andrzej), V., Ri. in Jakubowice (13. Jh.) 247, 259, 261, 263, 271 Andreas (Andrzej), W., Ri., Br. d. Ri. Żegota (13. Jh.) 246 Andreas (Andrzej), W., Fr. in Monstrelech (13. Jh.) 359, 361 Andreas (Andrzej), Z., Ratsherr in Krakau (13. Jh.) 242, 243, 271, 277, 285 Andreas (Andrzej), Z., Sohn d. Vogtes Peter (13.–14. Jh.) 251, 253 Andreas (Andrzej), Z., Bür. in Sandez (13.– 14. Jh.) 467 Anna, bibl. Hl. 294, 453, 483 Anna Komnene Angelina, Ef. v. Theodoros I. Laskaris (1176–1212) 375 Anna v. Schlesien, T. Přemysl Ottakars I., Ef. v. Hz. Heinrich II. (1199/1204–1265) 17, 19, 290 290–309 309, 368 Anna, T. Belas IV. (1226–?) 375 Anna, T. Hz. Bolesławs II. Rogatka, Äbt. in Trebnitz (1258–1278/84) 304 Anna Ducella, Klar. in Sandez (13. Jh.) 419 Anna, V., Herrin in Sandez (13. Jh.) 441 Antonius, Einsiedler, Hl. († 356) 296, 435

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Personennamen B Bartholomäus, Z., Ri. im Oppelner Land (13. Jh.) 274, 275 Bartholomäus, V., Bür. in Krakau (13. Jh.) 275 Bartholomäus, Z. in Sandez (13.–14. Jh.) 467 Basilius, Hl. (um 330–379) 212 Beate, Z. (13. Jh.) 355 Bela IV., Kg. v. Ungarn (1206–1270) 312, 321, 327, 337, 362, 367, 372, 373, 374, 375, 377, 381, 399, 409, 415, 461 Bela V., S. Belas IV., Hz. v. Slawonien (1249– 1269) 375, 377 Benedikt v. Nursia, Hl. († 547) 50, 79, 191 Benedikt IX., Papst (nach 1000–1050) 50, 81, 83 Benedikt, ital. Mönch in Polen († 1003) 13 Benedikt, W., Magister in Krakau (Ende 11.–12. Jh.) 105 Benedikt, Benediktiner in Masowien (12. Jh.) 189 Benedikt, Z., Dom., Prior in Krakau (13. Jh.) 229, 241, 243, 263, 265, 267, 269 Benedikt, Z., Fr. (13. Jh.) 355 Benessius, Gr. in Masowien (12. Jh.) 186, 191 Bernard v. Clairvaux, Zist., Abt, Hl. (1090– 1153) 283 Bertha, W., Bür. in Krakau (13. Jh.) 355 Blasius, Bf. v. Sebaste, Hl. († um 316) 18 Bogdała, W., Mädchen (13. Jh.) 126 Bogdan, Z., Dom. (13. Jh.) 122 Bogufal (Boguchvalus/Bogufał), Fr., Lektor, Beichtvater Kingas (13. Jh.) 314, 351, 416, 417, 425, 427, 437, 445 Bogumiła, V., adl. Frau (13. Jh.) 126 Bogumiła, Z. (13. Jh.) 283 Bogusław (Boguslaus), V., (13. Jh.), 145 Bogusław (Boguslaus), Z., Dom., Lektor (13. Jh.) 206, 240, 241, 243, 255, 257, 259, 261, 263, 265, 267, 269, 271 Bogusław (Boguslaus), d. Wolf (Lupus), W., Fr. (13. Jh.) 329 Bogusław (Boguslaus), Ri. in Pałecznica (13. Jh.) 241, 266, 267 Bogusław, Z., Bür. in Krakau (13. Jh.) 275

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Bogusław (Boguslaus) v. Grodzina, V. (13. Jh.) 119 Bogusław d. Jüngere, Dom., Lektor (13.–14. Jh.) 206, 283, 285 Bogusława (Boguslava), W., Klar, T. d. At. Sława († 1285) 333 Bogusława, V., Herrin in Proszowice (13. Jh.) 226, 263, 265 Bogusz (Bogus) v. Pielgrzymowice, V. (13. Jh.) 119 Bogusz Daskoniusz (Bogus Dasconis), Z., Mann in Gołkowice (13.–14. Jh.) 463 Boguta, Gr., Vater d. Stanisława (13. Jh.) 341 Boleslav I., Hz. v. Böhmen (um 915–972) 90 Bolesław (Boleslaus) I., d. Tapfere (Chrobry), Hz., Kg.v. Polen (967–1025) 11, 12, 49, 49, 50, 53, 80, 87, 99, 183 Bolesław (Boleslaus) II., d. Kühne/Freigiebige (Śmiały/Sczodry), Hz., Kg. v. Polen (1041/42–1082) 14, 23–27, 36, 48, 50, 59, 67, 71, 73, 77, 80, 82, 83, 84, 85, 87, 89, 91, 93, 94, 95, 99, 167, 173, 421 Bolesław (Boleslaus) IV., Kraushaar (Kędzierzawy), Hz. v. Polen/Masowien (1121/22–1173) 182–184, 191 Bolesław (Boleslaus) II. Rogatka, Hz. v. Schlesien–Liegnitz (1220/25–1278) 298, 300, 304 Bolesław (Boleslaus) V., d. Schamhafte (Wstydliwy), Hz. v. Kleinpolen (1226– 1279) 43, 102, 121, 167, 265, 312, 313, 321, 345, 351, 363, 364, 375, 377, 379, 386, 389, 391, 392, 393, 394, 395, 401 402, 403, 405, 407, 415, 421, 422, 433 Bolesław (Boleslaus) d. Fromme (Pobożny), Hz. v. Großpolen (1224/27–1279) 17, 363, 377 Bolesta, Gr. in Masowien (12. Jh.) 183, 186, 189, 190, 191 Bonaventura, Fr., Philosoph (1221–1274) 296, 320 Borisław (Borislaus), Z., Fr., Lektor (13. Jh.) 341, 349, 353, 355, 357, 359, 361 Boschius, Peter, Bollandist (18. Jh.) 362 Brathena, W., Mann aus Wiktorowice (13. Jh.) 359

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Bratomiła, W., Frau in Radłów (13.–14. Jh.) 465 Bratumiła (Bratumnilla), Mutter d. Sobota (13. Jh.) 146 Braxanta, Z., Frau in Gołkowice (13.–14. Jh.) 463 Bronisława, Z., Schw. d. Przybysława in Kamień (13. Jh.) 275 Bronisława, W., adl. Nonne in Zwierzyniec (13. Jh.) 240, 241, 243 Brun v. Querfurt, Missionsbischof, Hagiograph (um 974–1009) 12, 13 Břetislav, Hz. v. Böhmen (um 1003–1055) 13 Buczysława (Buczislava), W., Klar. in Sandez (13. Jh.) 439 Budka, W., Klar. in Sandez (13.–14. Jh.) 457 Bulim, Z., Fr. (13. Jh.) 359 C Cäcilia, Hl. († 230) 387 Cäcilia, Nonne († 1290) 218 Cäcilia, W. (13. Jh) 257 Cäcilia,V., Frau in Masłomiąca (13. Jh.) 279 Charon, Ehemann (13. Jh.) 407 Cholricus, V., Bür. in Sandez (13.–14. Jh.) 469 Christian, Konverse († 1003) 13 Christian, W., Kan. in Wiślica (13.–14. Jh.) 455, 459 Christian, Z. in Sandez (13.–14. Jh.) 467 Christiana, Klar. in Breslau (13. Jh.) 309 Christina, W., Herrin in Szreniawa (13. Jh.) 269 Christina, W., Jungfrau in Wieliczka (13.– 14. Jh.) 469 Ciechosław (Cechoslaus) v. Morawica, W., Ri. (13. Jh.) 116 Ciloto, Bür. in Sandez (13.–14. Jh.) 469 Clara s. Klara Clemens, Bf. v. Rom, Hl. (50–97/101) 227 Clemens VII, Papst (1478–1534) 204 Clemens VIII, Papst (1536–1605) 205 Clemens X., Papst (1590–1676) 315 Czesław, Dom. († 1242) 17, 160, 218, 219, 220, 221, 227

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Ćwikliński, Ludwig, poln. Philologe (1853– 1942) 209, 210 D Damian, S. d. Bogusław v. Grodzina, W. (13. Jh.) 119 Damian (Damianus/Doman), W., Dekan in Krakau (Ende 12.– 13. Jh.) 105 Daniel (Daniil Romanovič), Fs. v. Galizien– Wolhynien, Kg. d. Rus’ (1201–1264) 375 David, bibl. 95 Dethmar Wolk, Vogt, Lokator in Krakau (13. Jh.) 244, 328 Didwin (Diduinus), V., Bür. in Sandez (13.– 14. Jh.) 465 Długosz, Jan, poln. Geschichtsschreiber (1415–1480) 91, 31, 180, 181, 185, 186, 190, 200, 362, 366, 369, 370, 402, 424, 434, 454 Dobesław (Dobeslaus), Z., Bür. in Krakau (13. Jh.) 283 Dobiesława (Dobesla), Z., Witwe d. Woj. ­Janusz (13. Jh.) 425 Dobka, Z., Bür. in Krakau (13. Jh.) 283 Dobrogost, V., S. d. Elisabeth, d. Ef. d. Krakauer Kas. Klemens (13. Jh.) 345 Dobrogost, Gr. (13.–Anf. 14.) 361 Dobronega Maria, Ef. v. Kasimir I. (1011/25– 1087) 82, 83 Dobrosław (Dobroslaus), W., Notar Hz. Bolesławs V. (13. Jh.) 265 Dobrosława (Dobroslaua), W., T. d. At. ­Janczek (13. Jh.) 273 Dobrosława (Dobroslaua), W., Witwe d. At. Thomas v. Brzezie (13. Jh.) 281 Dobrosława (Dobroslava), W., T. d. Martin v. Szczyrzyc (1298–?) 461–463 Dobroszka (Dobrosca), W., Magd (13. Jh.) 253 Doeg (Dohec), bibl. 90, 91 Doman, Z., Laienbruder (13. Jh.) 355 Dominikus Guzman, Gründer des Dominikanerordens, Hl. (um 1170– 1221) 168, 201, 206, 213, 214, 216, 217, 219, 221, 223, 227, 234, 235, 237, 257, 269, 275

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Personennamen Dierżysława (Dyrsislausa), Z., Herrin (13. Jh.) 227 Dzierzwa, poln. Chronist (13.–14. Jh.) 394 Dzirżyk (Dirsicius), Z., Mann in Kunice (13.– Anf. 14. Jh.) 273 E Effrosina, T. d. Floriana (13. Jh.) 339 Elisabeth v. Ungarn/Thüringen, Hl. (1207– 1231) 16, 170, 176, 178, 291, 292, 300, 302, 303, 310, 312, 322, 332, 336, 375, 382, 409, 459 Elisabeth (Elżbieta), T. d. Anna v. Schlesien (1224/32–1265) 298, 304 Elisabeth, T. Belas IV. (1236–1271) 376, 377 Elisabeth (Elżbieta), W., Witwe d. Przybysław in Dziemierzyce (13. Jh.) 345 Elisabeth, V., Z., Bür. in Krakau, Ef. d. Bür. Gerald (13. Jh.) 253, 255, 271 Elisabeth, V., Ef. d. Hynek, Bür. in Krakau (13. Jh.) 263 Elisabeth, W., Klar. in Sandez (13. Jh.) 407, 455, 456, 457 Elisabeth, W., Bür. in Krakau, Ef. d. Bür. ­Nikolaus (13.–14. Jh.) 287 Engelbert, Zi. in Schlesien († um 1300) 19 Eufemia, Enkelin d. Anna v. Schlesien, Klar. in Breslau (1253–1298) 304 Eufrosina, Enkelin d. Anna v. Schlesien, Äbt. in Trebnitz (1253–1298) 304 Eugen III., Papst († 1153) 182 Eusebius v. Caesarea, Kirchenvater († 339/340) 76 Eva, V., T. d. Elisabeth, d. Ef. d. Krakauer Kas. Klemens (13. Jh.) 345 F Falisław (Falislaus), V., Z., Ri. in Kalina (13. Jh.) 265, 266, 267, 270, 271 Falisława (Falislaua), V., Adlige in Prosowo (13. Jh.) 223 Falisława (Falislaua), Nonne in ­Zwierzyniec (13. Jh.) 243 Felitia, W., Z., adl. Frau in Gruszów (13. Jh.) 231, 233, 235 Filja, Woj. in Galizien (13. Jh.) 311 Florentia, V., Z., Herrin (13. Jh.) 263

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Florentina, Z., Schw. d. Margarete in Kalina (13. Jh.) 237, 269, 271 Florian v. Lorch, röm. Offizier, Hl. († 304) 15, 27, 112, 125, 139, 237 Florian, Z., Dom. in Krakau, Küster (13. Jh.) 223, 225. 227, 229, 231, 233, 247 Florian, Z., Bür. in Krakau (13. Jh.) 275 Florian, Z., Ri. (13.–14. Jh.) 281, 285 Florian, W., junger Herr (13.–14. Jh.) 479 Floriana, W., Ef. d. Nikolaus in Malesowo (13. Jh.) 339 Floskul, W., junger Herr in Masłomiąca (13. Jh.) 279 Franz(iskus) v. Assisi, Begründer d. Franziskanerordens (1181/82–1226) 165, 167, 194, 300, 305, 327, 335. 343, 357, 365, 399, 403, 405, 417, 423, 429, 431, 432, 433, 449 Fricho Mancus, Z., Bür. in Sandez (13.– 14. Jh.) 467 Friedrich I., Barbarossa, Kg., Ks. (1122– 1190) 182 Friedrich (Fredericus), W., Münzmeister in Krakau (13. Jh.) 284, 285 Friedrich (Fredericus), Z., Dom., Lektor (2. H. 13.–14. Jh.) 207, 288, 289 Frowin (Vrovin), W., Bür., Gelehrter in Sandez († 1351) 464, 465 G Gaudentius (Radim), Ebf. v. Gnesen (970–?) 50 Gallus, Missionar Hl. († 640) 125 Gallus Anonymus, Chronist († nach 1116) 23, 48, 56, 78 Gallus, Mann in Kamieniec (13. Jh.) 355 Gedko, Bf. v. Krakau (ca. 1130–1185) 15, 27 Gedko, Gr. († 1254) 46 Gedko Stilvoit, Vogt, Lokator in Krakau (13. Jh.) 244 Gerard Gallicus, Kan. in Krakau (13. Jh.) 29 Gerard v. Breslau, Dom. Provinzial (13. Jh.) 201 Gerald, W., Z., Bür. in Krakau (13. Jh.) 253, 255 Gerald, Z., Ratsherr in Krakau, Vogt in ­Miechów (13.–Anf. 14. Jh.) 258, 259

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Anhang

Gerhard (Gerardus) Kobila, W., Fr. in Kalisz (13. Jh.) 337 Gerhard, W., S. d. Deutschen Wicher (13. Jh.) 131 Gertrud v. Andechs–Meranien, Ef. v. Andreas II. (um 1185–1213) 375 Gertrud, T. d. Anna v. Schlesien, Ef. Hz. Bolesławs I. v. Masowien (1218/20– 1244/47) 298 Gertrud, W., Bür. in Krakau (13. Jh.) 357 Gertrud, Klar. in Sandez (13. Jh.) 409 Gertrud, W., Frau im Dorf Crive (13.–14. Jh.) 479, 481 Gerusa, W., Frau in Krakau (13. Jh.) 339 Gerussa, V., Bür. in Sandez (13.–14. Jh.) 469 Gervasius, Hl. († um 300) 394, 395 Giovanni (Johannes) Gaetano Orsini, Kardinal, 1277–1290 Papst Nikolaus III. (1210/20–1280) 163, 168 Gnewomir (Gneuomirus), Z., Herr (13. Jh.) 231 Godinus, Z., Dom. in Krakau (13. Jh.) 223, 227, 229 Godussa, V., Frau (13. Jh.) 129 Gorazko (Gorazcon), Fr. in Krakau (13. Jh.) 353 Gosław, S. d. Ciechosław (13. Jh.) 117 Gosław (Goslaus), W., Ri. in Morawica (13. Jh.) 117 Gosław (Goslaus), Z., Kan. in Krakau (13. Jh.) 116 Gosław (Goslaus / Gotsalcus), Priester in Jasło (13. Jh.) 140, 141 Goszka, W., Frau in Płock (13. Jh.) 197 Gotlinde, Klar. in Breslau (13. Jh.) 308, 309 Gottfried (Gotfridus Mokroslot), Z. in Myślicz (13.–14. Jh.) 467 Gottfried v. Altenberg, Zist. (13. Jh.) 146 Gozinus, Kan. in Krakau (13. Jh.) 30 Gregor I., Papst, Hl. (540–604) 254, 255 Gregor VII., Papst (1025/30–1085) 84, 85 Gregor IX., Papst (1210–1276) 170, 220 Gregor XIV., Papst (1535–1591) 208 Grimislava s. Grzymysława Gromadza (Gromaza), W., Kirchendiener in Krakau (Ende 11.–12. Jh.) 105

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Gryfina (Grifina), Ef. Hz. Leszeks d. Schwarzen (1244/51–1303/09) 365, 453 Grzymisław (Grymislaus), Z., junger Herr (13. Jh.) 281 Grzymisława (Grimislava, Grymislava), T. d. Lucker Fs. Ingvar, Ef. Hz. Leszeks d. Weißen († 1258) 310, 312, 321, 363, 377, 379, 383, 385, 387 Grzymisława (Grimislava), Klar. in Sandez (13. Jh.) 409 Gunther, W., Fr., Guardian d. Klar. in Skała (13. Jh.) 337 Gunther, Abt in Leubus, Beichtvater d. hl. Hedwig (13. Jh.) 300 H Hartmann Schedel, Humanist, Historiker (1440–1514) 204 Hedwig (Jadwiga) v. Meranien/Schlesien, Ef. v. Hz. Heinrich I., Hl. (1174–1243) 15–20, 146, 160, 290, 291–293, 295, 298, 299, 300, 301, 306, 307, 308, 314, 351, 375, 416 Hedwig (Jadwiga), T. d. Anna v. Schlesien, Äbt. d. Breslauer Klar. (1238/41–1318) 298, 304 Hedwig (Jadwiga), T. Konrads I., Äbt. d. Breslauer Klar. (1255/65–1318) 304 Hedwig, Z., Bür. in Sandez (13.–14. Jh.) 469 Hedwig, Ef. v. Władyław Jagiełło s. Jadwiga Heinrich II., Kg., Ks., Hl. (973–1024) 15, 182, 183 Heinrich III., Kg., Ks. (1017–1056) 82 Heinrich (Henryk) I., d. Bärtige (Brodaty), Hz. v. Schlesien (1162/70–1238) 19, 290 Heinrich (Henryk) II., d. Fromme (Pobożny), Hz. v. Schlesien (1196/1204– 1241) 290, 291, 298 Heinrich (Henryk) III., d. Weiße (Biały), Hz. v. Breslau (12227/30–1266) 293 Heinrich (Henryk) IV., d. Rechtschaffene (Probus), Hz. v. Breslau (1257/58–1290) 430 Heinrich, XIII./I., Hz. v. Bayern/Niederbayern (1235–1290) 376 Heinrich, Zist., Abt in Leubus (13. Jh.) 29, 41, 111

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Personennamen Heinrich d. Mährer (Henricus Moravus), Dom., Lektor (Ende 12.–13. Jh.) 220 Heinrich (Henricus/Henryk), Dom. (13. Jh.) 151 Heinrich (Henricus/Henryk), Z., Dom., Lektor (14. Jh.) 288, 289 Heinrich (Henricus/Henryk), Fr. in Krakau (13. Jh.) 343 Heinrich (Henricus/Henryk), At. (13. Jh.) 351 Heinrich (Henricus/Henryk), Z., Bür. in Sandez (13.–14. Jh.) 469 Hennig, Z., Bür. in Sandez (13.–14. Jh.) 467 Henricus de Bren, Fr. in Breslau († 1302) 295 Herbord, Fr., Beichtvater d. Anna v. Schlesien (13. Jh.) 294, 308, 309 Herintrudis, Z., Bür. in Sandez (13.–14. Jh.) 469 Hermann, Z., Fleischer (13. Jh.) 253 Hermann, Z., Bür. in Krakau (13. Jh.) 357 Hermann d. Deutsche (Hermanus Theoton­ icus), Konverse bei d. Dom. (Ende 12.– 1. H.13. Jh.) 219 Hieronymus, Kirchenvater, Hl. (347–420) 62, 63, 227 Hieronymus, Dom. in Prag (13. Jh.) 227 Hieronymus, Z., Dom. in Krakau, Küster (13. Jh.) 242, 243, 247, 257, 259, 261, 267, 271 Hieronymus Borselli, Dom. (1432–1497) 204, 208, 209 Honorius III., Papst (um 1150–1227) 216, 217 Hyazinth s. Jacek Hynek (Hyncho), W., Bür. in Krakau (13. Jh.) 263 I Iaclo, Z., Bür. in Sandez (13.–14. Jh.) 467 Ingvar Jaroslavič, Fs. v. Luck (1166–1212) 310 Innozenz (Innocentius) IV., Papst (1195– 1254) 29, 30, 41, 111, 113, 162, 163, 165, 167, 171, 313, 336, 421, 423 Isaak, poln. Mönch († 1003) 13 Isaak, Mann in Sandez (13.–14. Jh.) 466 Isebel, bibl. 90

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Iwo Odrowąż, Bf. v. Krakau († 1229) 28, 33, 53, 200, 201, 216, 217, 219, 220, 221 J Jacek (Iaccho/Hyazinth) Odrowąż, Dom., Hl. († 1257) 17, 19, 35, 160, 161, 200 200-289 289, 369 Jadwiga, Ef. v. Władysław Łokietek (1270/75–1339) 366, 445, 471 Jadwiga (Hedwig von Anjou), Kg. v. Polen (1373–1399) 18 Jakob, Apostel, Hl. († 44) 233, 290, 449, 453, 468, 469 Jakob v. Skaryszew, Kan., Dekan in Krakau (13. Jh.) 29, 30, 162, 163 Jakob v. Velletri (Jacobus Velletrensis), Fr., päpstl. Legat (13. Jh.) 29, 38, 41, 46, 112, 113 Jakob v. Voragine, Dom., Hagiograph (1228/29–1298) 33, 186 Jakob, W., Unterküster d. Płocker Kathedrale (13. Jh.) 193 Jakob, Z., Ratsherr in Krakau (13. Jh.) 244, 245 Jakob, V. (13. Jh.) 126 Jakob, Z., Ri. (13. Jh.) 249, 254, 255, 259, 271 Jakob, W., At., S. d. Pakosław (13. Jh.) 350, 351 Jakob, V., S. d. Krakauer Bür. Hynek (13. Jh.) 263 Jakob, V., Ri., Br. d. Hl. Jacek aus Kamień (13. Jh.) 273, 275 Jakob, Fr. in Krakau (13. Jh.) 353, 359 Jakob, Z., Sohn des Krakauer Vogtes Peter (13.–14. Jh.) 247 Jakob, Z., Dom., Lektor (14. Jh.) 288, 289 Jakob, Z., Schuster in Sandez (13.–14. Jh.) 469 Jakob v. Sienno (Jakub z Sienna), Bf. v. ­Krakau (1413–1480) 366 Jaksychon (Iaxicho), V., At. in Jamka (13. Jh.) 357 Jan III. Sobieski, Kg. v. Polen (1629–1696) 366 Janczek/Janko (Ianczcho), At. in Kunice (13. Jh.) 273 Janica, W. Ef. d. Bogusław (13. Jh.) 145

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Anhang

Janusz (Ianussius) Nowojowic, Z., Woj. v. Sandomir, Kas. v. Krakau (13. Jh.) 151, 424, 425 Jaroslav I., d. Weise, Vladimirovič, Gfst. v. Kiew (979/86–1054) 82 Jarosław (Iaroslaus), Gr. (Ende 12.–13. Jh.) 151 Jarosław (Yaroslaus), Z., Ri. (13. Jh.) 267 Jarosława (Iaroslava), W., T. d. Wojciech (14. Jh.) 463 Jastrzębiec, Wojciech, Ebf. v. Gnesen (um 1362–1436) 18 Jaxa v. Miechów, Gr. († 1176) 240 Jesaja (Ysaias), bibl. 213 Johannes d. Täufer, Hl. († 30/36) 140, 308, 385, 391, 393, 449, 475, 477 Johannes d. Evangelist, Apostel, Hl. (1.–2. Jh.) 385, 429, 439, 449 Johannes Canaparius, Mönch, Hagiograph in Rom (Ende 10.–Anf. 11. Jh.) 12 Johannes, ital. Mönch in Polen († 1003) 13 Johannes (Jan), W., Kanzler d. Hz. Konrad v. Masowien, Dekan in Płock (13. Jh.) 184, 185, 186, 188, 189, 191, 193 Johannes (Jan) v. Ulina (de Vlyna), V., Ri. (13. Jh.) 137 Johannes (Jan) Zarych, Z., Dom., Lektor (13. Jh.) 240, 241, 243, 255, 257, 261, 263 Johannes (Jan) Cuzobonus, Fr., Br. d. Klementia in Chrosczinna (13. Jh.) 347 Johannes (Jan) Werepech, Fr. (13. Jh.) 351 Johannes (Jan), W., S. d. Sułek in Miechów (13.–14 Jh.) 245, 269 Johannes (Jan), Z., Verwandter d. Krakauer Bür. Nikolaus (13.–14. Jh.) 287 Johannes (Ioannes Aloconis/Jan), Z. in Myślicz (13.–14. Jh.) 467 Johannes (Jan), Z., Mann in Gołkowice (13.–14. Jh.) 463 Johannes (Jan) Zambacz, Z. in Sandez (13.– 14. Jh.) 468, 469 Johannes (Jan), W., junger Mann (13.– 14. Jh.) 479 Johannes Paul (Jan Paweł) II., Papst (1920– 2005) 18, 367 Jolante, T. d. Peter II. v. Courtenay († 1233) 324

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Jolenta (Jolanda/Helena), T. Belas IV., Ef. v. Bolesław v. Großpolen (1244–1298) 17, 363, 377, 403 Jordan v. Sachsen, Dom., Hagiograph (1185/90–1237) 216 Judith (Iuditha), W., Frau in Korczyn (13. Jh.) 355 Juliana, W., Klar. in Skała (13. Jh.) 343 Jutta (Iutha / Iutrca) v. Koźmice, W. (13. Jh.) 143 Jutta, W., Adlige in Kościelec (13. Jh.) 225, 232 K Karl, d. Große, Kg., Ks., Hl. (747/48–814) 183 Karl II. v. Anjou, Kg. v. Neapel (1254–1309) 376, 377 Karl V., Ks. (1500–1558) 204 Kasimir (Kazimierz) I., d. Erneuerer (Odnowiciel), Hz. von Polen (1016–1058) 14, 36, 50, 53, 59, 77, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 167, 421 Kasimir (Kazimierz) II., d. Gerechte (Sprawiedliwy), Hz. von (Klein–)Polen (1138– 1194) 15, 27, 183 Katharina v. Alexandria, Hl. (3.–4. Jh.) 375, 385, 416, 417, 433 Katherina, T. v. Bela IV. (13. Jh.) 374 Katherina, Z., Herrin/Bür. v. Krakau (13. Jh.) 225, 275, 277 Katherina, W., Witwe d. At. Peter (13. Jh.) 339 Katherina, Z., Verwandte d. Cäcilia in Masłomiąca (13. Jh.) 279 Katherina, Z., Ef. d. Brathena (13. Jh.) 359 Katharina Adolany/Odolani, W., Klar., Äbt. in Sandez (13.–Anf. 14. Jh.) 414, 415, 437, 445 Katherina, Z., Bür. in Sandez (13.–14. Jh.) 469 Kętrzyński, Wojciech, poln. Historiker (1838–1918) 37, 38, 185, 315, 316, 318, 370, 371 Kinga (Kunegunt/Kunegunda), T. Belas IV., Ef. v. Bolesław V., Hl. († 1292) 17, 19, 160,

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Personennamen 312, 314, 316, 317, 321, 337, 345, 351, 362–483 362 483 Klaniczay, Gábor, ung. Historiker (* 1950) 314 Klara v. Asissi, Begründerin d. Klar.ordens, Hl. (1193/94–1253) 296, 305, 307, 309, 327, 335, 343, 345, 373, 380, 397, 405, 411, 426, 427, 431 Klara (Clara Iacobi), W., Klar. in Sandez (13. Jh.) 441, 443 Klara, Z., Tante d. Dobrosława in Kunice (13. Jh.) 273 Klara, Frau d. Charon, Nonne (13. Jh.) 407 Klara, Mädchen bei d. Klar. in Sandez (13. Jh.) 419 Klemens, W., Probst in Płock (13. Jh.) 195 Klemens, Dekan in Krakau (13. Jh.) 241 Klemens (d. Große), Z., Kas. v. Krakau († 1241) 239, 344, 345 Klemens, Z., Dom., Lektor, Prior (13. Jh.) 206, 233, 235, 248, 249, 251, 253, 273, 275, 277, 279, 281, 283 Klementia, W., Adlige in Kościelec (13. Jh.) 231 Klementia, W., Adlige in Chrosczinna, Ef. d. Śmił (13. Jh.) 347 Klementia, Z., T. d. Krakauer Kas. Sułek (13. Jh.) 263 Kochus, W., Frau in Maleszów (13. Jh.) 329 Koloman, Kg. v. Halič (1208–1241) 100, 310-312, 321, 323, 325, 327, 362, 375, 377, 415 Konrad II., Kg., Ks. (990–1039) 82 Konrad I., Hz. von Masowien (1187/88– 1247) 134, 184, 188, 189, 192, 193, 312, 363 Konrad I., Hz. v. Glogau (1228/31–1273/74) 298 Konrad, W., Dom. (13. Jh.) 184, 190, 191, 193 Konrad, S. d. dt. Frau Adelheid (13. Jh.) 108 Konstanze, T. Belas III., Ef. Přemysl Ottakars I. (1177/81–1240) 290, 431 Konstanze (Konstantia), T. Belas IV. († um 1251) 375 Konstanze (Konstantia), T. d. Anna v. Schlesien (1221/27–1253/57) 298

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Konstanze (Konstantia), Z., Herrin (13. Jh.) 231, 267 Konstanze (Konstantia), Z., Herrin, Schw. d. Dobrosława v. Brzezie (13. Jh.) 281 Konstantin, Bf. v. Orvieto († 1256) 216 Kürbis, Brygida, poln. Historikerin (1921– 2001) 316 Kunegunda s. Kinga Krystyn (Cristin/Christinus), Woj. in Masowien († 1217) 192, 193 Krzyżan (Crisanus), Mann in Pietrzejowice, W. (13. Jh.) 138, 139 Krzyżan (Crisanus), Fr. in Krakau (13. Jh.) 349, 355 Kwietusza (Quecussa), W. (13. Jh.) 124 L Ladislaus III., Kg. v. Ungarn (1199–1205) 374, 375 Ladislaus IV., Kg. v. Ungarn (1262–1290) 409 Lambert Suła, Bf. v. Krakau († 1071) 57, 85 Lasota, Z., Ri. (13. Jh.) 224, 225 Laurentius, Hl. († 258) 194, 195, 357 Laurentius (Wawrzyniec), V. d. Przybysław in Dziemierzyce (13. Jh.) 345, 360, 361 Laurentius (Wawrzyniec), Z., Mann im Dorf Crive (13.–14. Jh.), 481 Lazarus, bibl. 71 Leander Alberti, Dom. in Bologna (1479– 1552) 209 Leo VIII., Papst (?–965) 100, 101 Leo X., Papst (1475–1521) 204 Leo I. Daniilovič, Fs., Kg. v. Galizien–­ Wolhynien (um 1228–1301) 377 Leonhard (Leonardus), Z., Fr. (13. Jh.) 359 Leonhard (Leonardus), Beichtvater d. Kinga (13.–14. Jh.) 437 Leszek (Lestco), d. Weiße (Biały), Hz. v. Kleinpolen (1184/85–1227) 167, 183, 201, 321, 363, 377, 421 Leszek (Lesco) d. Schwarze (Czarny), Hz. v. Krakau–Sandomir (1240/42–1288) 364, 365, 416, 417, 427, 430, 431, 453 Ludmila, Fs. v. Böhmen, Hl. (860–921) 11 Ludwig (Ludovic), Fr., Ebf. v. Toulouse, Hl. (1274–1297) 367, 377

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Lukas, Apostel, Evangelist, Hl. († 84) 138 Lupus, Bf. v. Płock († 1186/87) 190 Lupus, Kantor in Krakau (13. Jh.) 241 Luthold, Kaplan d. hl. Hedwig (13. Jh.) 300 M Magdalena, V., Ef. d. Bogusław in Pałecznica (13. Jh.) 267 Magdalena, Z., Bür. in Krakau, Verwandte d. Cäcilia in Masłomiąca (13.–Anf. 14. Jh.) 277, 278, 279 Magdalena, W., Ef. d. Mirosław in Krakau (13.–14. Jh.) 283 Magdalena, Z., Verwandte d. Krakauer Bür. Nikolaus (Ende 13.– 14. Jh.) 287 Margareta v. Antiochia, Hl. († 305) 231, 385, 433 Margarete, T. Belas IV. (um 1225–1242) 374 Margarete, T. Belas IV., Dom., Hl. (1242– 1270) 375 Margarete, Z., Schw. der Agathe/Ef. des Kas. Żegota (13. Jh.) 249 Margarete, W., T. d. Krakauer Bür. Bartholomäus (13. Jh.) 243, 275 Margarete, Nonne in Zwierzyniec (13. Jh.) 243 Margarete, W., T. d. Amletha (13. Jh.) 143 Margarete, V., Bür. in Miechów (13. Jh.) 245, 269 Margarete, W., Witwe (13. Jh.) 259 Margarete, Z., junge Herrin (13. Jh.) 281 Margarete, W., Herrin in Kalina (13. Jh.) 271 Margarete, Z., Verwandte d. Krakauer Bür. Nikolaus (Ende 13.–14. Jh.) 287 Margarete (Margaretha Dersva), W., V. (13.– 14. Jh.) 465 Margarete, W., Witwe in Sandez (13.– 14. Jh.) 465 Margarete, W., T. d. Cholricus (13.–14. Jh.) 469 Maria Magdalena, bibl., Hl. 53, 194, 195, 397 Maria, Mutter Gottes, Hl. 165, 192, 198, 199, 221, 223, 234, 241, 267, 277, 279, 328, 329, 335, 337, 341, 343, 345, 347, 349, 357, 361, 375, 379, 380, 383, 385, 405, 413, 417, 433, 435, 451, 464, 465

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Maria Laskarina, T. d. Ks. Theodoros I. ­Laskaris (1206–1270) 362, 374, 375, 377, 379, 399, 415 Maria, T. v. Stefan V. (1257–1323) 377 Markus (Marchus), Z., Ri., Br. d. Przybysława aus Skrzynka (13. Jh.) 235 Martha, W., Adlige (13. Jh.) 257 Martha, W., Frau in Krakau (13. Jh.) 349 Martha, Ordensfrau (13. Jh.) 403 Martha, W., Frau in Tarnów (13.–14. Jh.) 467 Martialis, Schüler d. Maternus (Ende 3., Anf. 4. Jh.) 75 Martin, Bf. v. Tours, Hl. (316/17–397) 113, 115, 151, 327, 385 Martin, Fr. in Oppeln (13. Jh.) 351, 357 Martin, Dom. in Krakau (13. Jh.) 123 Martin v. Sandomir, Dom. (13. Jh.) 201 Martin, Kaplan d. hl. Hedwig, Kan. in ­Breslau (13. Jh.) 300 Martin (Martinus Velenchus), At. in ­Mistrzewice (13. Jh.) 351 Martin (Marcin) v. Morawica, W., Gr. (13. Jh.) 140, 141 Martin (Marcin) v. Łętkowice, W. (13. Jh.) 133, 135 Martin (Marcin), W., Knabe (13. Jh.) 127 Martin (Marcin) v. Szczyrzyc, At. (13.– 14. Jh.) 460, 461 Maternus, Bf. v. Köln, Hl. († 328) 74, 75 Matthäus, Evangelist, Apostel, Hl. 212, 292, 449 Matthäus, poln. Mönch († 1003) 13 Matthäus, röm. Kardinal (13. Jh.) 365 Matthäus, Zi, Beichtvater d. hl. Hedwig (13. Jh.) 300 Matthias, Dom., Lektor (2. H. 13.–14. Jh.) 207, 287 Matthias, V., Ungar in Myślec (13.–14. Jh.) 466, 467 Mauritius, Hl. († um 290) 51 Melchiades (Melchiadis / Militiades), Bf. v. Rom, Hl. († 314) 403 Metza, Klar. in Breslau (13. Jh.) 309 Michael, bibl. Hl. 28, 93, 95, 103, 119, 245, 283

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Personennamen Michael, V., junger Mann in Piotrowice (13.–14. Jh.) 475, 477 Michael, Mann im Dorf Crive (13.–14. Jh.) 479 Michaela, Mädchen bei d. Klar. in Sandez (13. Jh.) 419 Michul, Erzieher d. hl. Kinga (13. Jh.) 363, 389 Mieszko (Mesco) I. Hz. v. Polen (um 922– 992) 10, 11, 36, 49, 50, 100, 101, Mieszko (Mesco) II. Kg. v. Polen (990–1034) 53 Mieszko (Mesco), S. Kasimirs I. (1045–1065) 83 Mieszko (Mesco), S. Bolesławs II. (1069– 1089) 96, 97 Mieszko, S. d. Anna v. Schlesien (1223/27– 1241) 298 Mileszka (Mylesca), V., Adlige in Kunice (13. Jh.) 273 Mirosław (Miroslaus), W., Bewohner v. ­Krakau (13. Jh 283.) Mirosława (Miroslauua), Z., Tante d. Simon in Masłomiąca 13. Jh.) 277 Morisław (Morislaus), V. d. Anastasia, d. Ef. d. At. Heinrich (13. Jh.) 351 Moritz (Muaricius/Maurycy), Z., Ratsherr in Krakau (13. Jh.) 255 Mstislav Mstislavič, F. v. Novgorod († 1228) 311 N Nabot, bibl. 90, 91 Naton, Dämon 471 Niedziałek (Nedzalek), Dorfbewohner (13. Jh.) 197 Nero, röm. Ks. (37–68) 374, 375 Niegłos (Neuglaz), V., Bauer (13. Jh.) 141 Nikolaus, Bf. v. Myra, Hl. (Ende 3.–4. Jh.) 151, 381, 385, 389 Nikolaus (Mikołaj), V., Ri. in Szreniawa (13. Jh.) 269 Nikolaus (Mikołaj), W., S. d. Bogusz v. ­Pielgrzymowice (13. Jh.) 119 Nikolaus (Mikołaj), W., S. d. Bogusława in Proszowice (13. Jh.) 263

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Nikolaus (Mikołaj), W., S. d. Włościej (13. Jh.) 139 Nikolaus (Mikołaj), Mann in Malesowo (13. Jh.) 339 Nikolaus (Mikołaj),W., Priester in Szczyrzyc (13. Jh.) 289 Nikolaus (Mikołaj), Laienbruder (13. Jh.) 341 Nikolaus (Mikołaj), Z., S. d. Krakauer Kas. Żegota (13.–14. Jh.) 249 Nikolaus, W., S. d. Margarete Desrva (13.– 14. Jh.) 465 Nikolaus, Z., Bür. in Sandez (13.–14. Jh.) 468, 469 Nikolaus (Mikołaj), V., Bür. in Krakau (14. Jh.) 287 O Odo (Odon), S. Kasimirs I. (11. Jh.) 83 Oksza, Dämon 471 Oleśnicki, Zbigniew, Bf. v. Krakau, Diplomat (1389–1455) 204 Onolf, Bf. v. Leslau (12. Jh.) 182 Osanna, W., T. d. Zelcona, Klar. in Sandez (13. Jh.) 417 Otto II., Kg. Ks. (955–973) 50 Otto III., Kg. Ks. (980–1002) 12, 50, 51, 52, 53 Otto II., Hz. v. Bayern (1206–1253) 376, 377 P Pakosław (Pacoslaus), Fr. im Oppelner Land (13. Jh.) 347 Pakosław (Pacoslaus), V. d. At. Jakob (13. Jh.) 350, 351 Pakosław (Pacoslaus), Fr. in Korczyn (13. Jh.) 351, 353 Panczka, W., Mädchen in Płock (13. Jh.) 197 Paschalis III., Papst (1110–1168) 183 Paul (Paweł z Przemankowa), W., Bf. v. ­Krakau (1267–1292) 365, 402, 416, 417, 435, 445 Paul (Paweł), W., Verwalter d. Klar. in Skała (13. Jh.) 341 Paul (Paweł), V., (13. Jh.) 137 Paul (Paweł), Z., Ri., Br. d. Przybysława aus Skrzynka (13. Jh.) 235

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Paul (Paweł), W., S. eines Gr. (13. Jh.) 251 Paul (Paulus), At. Kg. Belas IV. (13. Jh.) 399 Paulicus, W., Mann in Sandez (13.–14. Jh.) 459 Paulina, V., Klar. in Sandez (13. Jh.) 443 Paulus v. Tarsus, Apostel, Hl. († 60) 36, 136, 179 Pawiński, Adolf, poln. Historiker (1840– 1896) 187 Pawlicz (Paulecz), W., Almosenempfänger (13. Jh.) 455 Pełka, Ebf. v. Gnesen († 1258) 29, 41, 111, 171 Pełka, Z., Br. d. Bogusław aus Pałecznica (13. Jh.) 267 Pełka, Dekan in Krakau (13. Jh.) 238 Peregrinus v. Oppeln, Dom., Homiletiker (um 1260–1333) 203 Peter (Petrus/Piotr), W., Ri. (11. Jh.) 36, 64, 65, 71, 73, 75 Peter II., v. Courtenay, Gf. v. Nevers und Auxere (um 1155–1219) 324 Peter Wlast (Piotr Włostowic), poln. Gr. († 1153) 14 Peter II. (Petrus/Piotr), d. Kurze, Bf. v. Płock († 1254) 189 Peter III. (Petrus/Piotr Niedych), Bf. v. Płock († 1271/75) 185, 194, 195 Peter (Piotr), V., Gr., Mundschenk d. Hz. v. Krakau (13. Jh.) 122, 123, 338, 339 Peter (Piotr) v. Sławków, V. (13. Jh.) 145 Peter (Piotr), At. im Oppelner Land (13. Jh.) 351 Peter (Piotr), W., Z., junger Mann aus Prosowo (13. Jh.) 223 Peter (Piotr), S. d. Gerusa (13. Jh.) 341 Peter (Piotr), Z., Ri. (13. Jh.) 233, 249, 254, 255, 257, 261, 263, 281 Peter (Piotr), Ri., der seine Frau verstieß (13. Jh.) 407 Peter (Piotr), Ri., Taufkind d. Kinga (13. Jh.) 431 Peter (Petrus), Z., Ehemann d. Witosza (13. Jh.) 253 Peter (Piotr), Z., Dekan in Krakau (13. Jh.) 239 Peter (Piotr), Z., Dom. (13. Jh.) 151, 225

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Peter (Petrus Odranecz), W., Fr. aus Böhmen, Beichtvater d. Kinga (13. Jh.) 425, 427 Peter (Piotr) d. Alte, Z., Fr. (13. Jh.) 341 Peter (Petrus Abrahe/Piotr), Z. in Myślicz (13.–14. Jh.) 467 Peter (Piotr), Kan. in Krakau (13.–14. Jh.) Peter (Piotr), Z., Verwandter d. Krakauer Bür. Nikolaus (13.–14 Jh.) 287 Peter (Piotr), Z., Ratsherr in Krakau (13.– Anf. 14. Jh.) 242, 243, 275, 277, 285 Peter (Piotr) Gwis, Z., Vogt, Ratsherr in Krakau (13.–Anf. 14. Jh. Jh.) 244, 247, 250, 251, 253, 255 Peter Polech, V., Ungar (13. Jh.) 115 Petrus, Apostel, Hl. 74, 75, 81, 83, 151, 173, 179, 303, 455, 457 Philipp, Ri. (13. Jh.) 443 Philipp, Z., Kan. in Krakau (13. Jh.) 225 Philipp, Z., Ratsherr in Krakau (13. Jh.) 244, 245, 259, 271 Philipp, V., S. d. Krakauer Bür. Hynek (13. Jh.) 263 Pietrek (Petrech), W., Kirchendiener in Krakau (Ende 11.–12. Jh.) 105 Pietrek (Petrech), W., Knabe (13. Jh.) 135 Piotrek (Potrek), V., Mann in Wieliczka (13.–14. Jh.) 473 Piotrumiła (Potrumila), W., adl. Frau (13. Jh.) 255 Piotrumiła (Potrumila), Z., Tante d. Simon in Masłomiąca (13. Jh.) 277 Pogusław (Poguslaus), V., Ri. (13. Jh.) 245 Poznan, W., S. d. Sułko (2. H. 13. Jh.) 110, 111 Prandota (Prędota z Białaczowa), W., Bf. v. Krakau (um 1200–1266) 18, 28, 33, 36, 41, 47, 103, 107, 111, 137, 168, 224, 237, 239, 326, 327, 420 Prandota, V., Fr. (13. Jh.) 339 Prandota, Z., Dekan in Krakau (13. Jh.) 224, 225 Prandota, V., Sohn d. Jutta v. Kościelec (13. Jh.) 225, 232, 233 Presbor, V., Fr. (13. Jh.) 339 Prokop, Bf. v. Krakau († 1294) 420, 421 Protasius, Hl. († um 300) 394, 395

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Personennamen Przesława (Precslava), W., Klar. in Skała (13. Jh.) 341 Przesława (Preczslava), Frau in Korczyn (13. Jh.) 387, 391 Przemysł I, Hz. v. Großpolen (1220/21– 1257) 304 Przemysł II., Hz. v. Großpolen/Kg. v. Polen (1257-1296) 258 Przybysław (Pribislaus), S. d. Laurentius 345 Przybysław (Pribislaus), Z., Ri. aus Proszowice (13. Jh.) 226, 227, 245, 265, 269, 273, 360, 361 Przybysław (Pribislaus), Z., Dom, Küster (13. Jh.) 276, 277, 279, 283, 285 Przybysław (Pribislaus), Mann in Dziemierzyce (13. Jh.) 345 Przybysław (Pribislaus), Z., Br. d. Cäcilia in Masłomiąca (13. Jh.) 279 Przybysław, Z. in Sandez (13.–14. Jh.) 467 Przybysława (Pribislaua), V., Adlige in Skrzynka (13. Jh.) 233. 235 Przybysława (Pribislava), W., Mädchen (13. Jh.) 127 Przybysława (Pribislaua), W., Adlige in Kamień, Schwägerin d. hl. Jacek (13. Jh.) 273, 275 Předvoj (Prdwoy), W., böhmischer Mann (13. Jh.) 123, 124 Přemysl Otakar I., Kg. v. Böhmen (1155– 1230) 290 R Racibór (Raciborius), Z., Priester in Bochnia (13. Jh.) 359 Racik (Ratyk) v. Zastępów (13. Jh.) 146 Racława (Racslava), Ef. d. Krakauer Kas. Klemens (13. Jh.) 345 Radosław (Radoslaus), W., Knabe (13. Jh.) 132, 133 Radota, V. Dorfbewohner (13. Jh.) 133 Raimund, Fr., Provinzial in Polen (13. Jh.) 327 Rainald v. Segni, Bf. v. Ostia s. Papst Alexander IV. Raphael (Raphalus), At. in Tarnów (13.– 14. Jh.) 467 Rascho, Vogt in Krakau (2. H. 13. Jh.), 250

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Regner (Rinerus), V., Bür. in Krakau (13. Jh.) 126, 127, 144 Reiner (Rinerus), W., V., Fr. in Skała (13. Jh.) 343, 345 Reiner (Rynerus), Fr. in Krakau (13. Jh.) 363 Reynald (Rinardus) v. Krzyżanowice, W. (13. Jh.) 119, 120 Richard, V., Lombarde (13. Jh.) 113 Richeza, Ef. Mieszkos II. († 1063) 52, 53 Richold, W., S. d. Deutschen Wicher (13. Jh.) 131, 132, 133 Rodsław (Roslaus), Pfarrer in ­Dziekanowice (13. Jh.) 259, 261 Rosco, Gr. (13. Jh.) 197 Rosława (Roslava), adl. Frau in Sanka (13. Jh.) 341 Rostislav Michajlovič, Fs. v. Novgorod, Ban in Slawonien u. Bosnien († 1262) 374, 375 Rozen, Dämon 473 S Samuel, bibl. 59 Salomea v. Berg, Ef. Hz. Bolesławs III. (vor 1101–1144) 181 Salomea, T. Hz. Leszeks d. Weißen, Ef. Kg. Kolomans, Hl. († 1268) 17, 19, 100, 160, 310-361 310 361, 362-364, 368, 369, 377, 378, 379, 397, 415, 429, 449 Salomea, T. Hz. Siemowits I., Klar. (1242/62– 1301) 334 Salomea, Mädchen bei d. Klar. in Sandez (13. Jh.) 419 Saul, bibl. = Paulus 59 Sączysława (Ianczislaua), Z. (13. Jh.) 227 Semkowicz, Aleksander, poln. Historiker (1850–1923) 296 Sertha, W., Herrin (13. Jh.) 259 Sestremilus, W. (13. Jh.) 423 Sestremilus, Mann in Kurow (13.–14. Jh.) 471 Seweryn Lubomlczyk (Severinus Cracoviensis), Dom. in Krakau (1532–1612) 209 Sędka (Sondeca), Z., Herrin in Krakau (13. Jh.) 275 Sieciech, Gr. (Ende 11.–Anf. 12. Jh.) 134

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Anhang

Siemian (Semianus), Gr. (13. Jh.) 149 Siemowit I, Hz. v. Masowien (1215–1262) 334 Sigismund, Kg. d. Burgunder, Hl. († 523/24) 15, 180, 183 Sigismund I., d. Alte (Zygmunt I Stary), Kg. v. Polen (1467–1548) 204 Sigismund III. Wasa (Zygmunt III Waza), Kg. v. Polen (1566–1632) 205, 366 Silvester II., Papst (um 950–1003) 12 Simon, Bf. v. Płock († 1129) 183 Simon, W., S. d. Święton (13. Jh.) 277 Siodłek (Sodlech),W., Mann (13. Jh.) 136, 137 Skarbimir, Gr. (13. Jh.) 261 Sława (Slava), At. (13. Jh.) 333 Sobota, W., Frau (13. Jh.) 145 Sophia, V., Ef. d. At. Jaksychon (13. Jh.) 357 Sophia, Mädchen bei d. Klar. in Sandez (13. Jh.) 419, 443 Sophie (Zofia Holszańska), Kg. v. Polen (1405–1461) 204 Spyridon, Bf. v. Zypern, Hl. (um 270–350) 76 Stanisław (Stanislaus), Bf. v. Krakau, Hl. († 1079) 15, 16, 18, 19, 23 23–179 179, 184, 192, 204, 206, 222, 223, 233, 239, 240, 281, 285, 302, 303, 336, 364, 420, 421 Stanisław (Stanislaus), Z., Ri. (13. Jh.) 245 Stanisław (Stanislaus), Z., Fr. (13. Jh.) 315, 316, 359, 361 Stanisław (Stanislaus), Dom., Lektor, Hagiograph († vor 1385/92) 203, 206, 207, 214, 215, 220, 288, 289 Stanisława (Stanislaua), Z. (13. Jh.) 267 Stanisława (Stanislava), W., adliges Mädchen in Sanka (13. Jh.) 341 Stanisława (Stanislava), W., Mädchen in Wieliczka (13.–14. Jh.) 473 Starger, Johann Ludwig, Kreuzherr in Breslau (18. Jh.) 294 Stefan (Stephanus) I., Kg. v. Ungarn, Hl. (969–1038) 100, 101 Stefan (Stephanus) V., S. Belas IV., Kg. v. Ungarn (1239–1272) 375, 409

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Stefan, Z., Dom., Lektor, Prior (13. Jh.) 271, 273, 275 Stefan (Stephanus), Z., Mann im Dorf Crive (13.–14. Jh.) 481 Stefano di Fossanova, Kardinal († 1227) 216 Stephanus, Hl. (†36/40) 439 Stenzel, Gustav Adolf, dt. Historiker (1792– 1854) 296, 298 Stroncha, W., T. d. Klar. Sutka (13. Jh.) 331 Stronisława (Stronislava), W., V., Ef. Wenzels v. Polikarcice 115 Sułek (Sulcho), V., Bür. in Miechów (13.–14. Jh.) 245, 269 Sułek (Sulco, Sulcho) v. Niedźwiedź, W., V., Kas. v. Krakau (13. Jh.) 108, 110, 261, 263 Sutka, W., Klar. in Skała (13. Jh.) 331, 341, 347 Sutka, V., Frau in Krakau (13. Jh.) 339 Svaromir (Švarno) Daniilovič, Fs. v. Galizien († 1270) 394 Swantopolk (Świętopełk) II., Hz. v. Pommerellen (um 1195–1266) 228 Swidger, Bf. v. Leslau (1. H. 12. Jh.) 181 Śmił (Smil) v. Morawica, W., Kas. v. Brzesko (13. Jh.) 120, 121, 140 Śmił (Smil), At. im Oppelner Land (13. Jh.) 347 Święton (Swenton), V., Mann in Masłomiąca (13. Jh.) 277 Świętosław (Svatoslav) Mann aus Stanecek, V. (13. Jh.) 345 Świętosław (Swentoslaus), W., junger Herr (13. Jh.) 245 T Theodorus I. Laskaris, Ks. v. Nicäa, Grv. v. Kinga 372, 375 Thomas Beckett, Ebf. v. Canterbury, Hl. (1118–1170) 28, 37 Thomas I., Bf. v. Breslau († 1268) 29, 41, 111 Thomas II., Bf. v. Breslau († 1292) 185 Thomas v. Brzezie (de Breze), At. (13. Jh.) 281 Thomas v. Celano, Fr. Hagiograph (um 1190–1260) 380 Thymo, W., Fr. in Korczyn (13. Jh.) 353

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Personennamen Tomisława, W., Ef. d. At. Zdzisław (13. Jh.) 251 Tomisława (Tomislava), W., Klar. in Sandez (13. Jh.) 455 Tomka (Thomcha), V., poln. Frau (13. Jh.) 117 Tomka, W., Klar. in Sandez (13.–14. Jh.) 457 Tomka, W., Frau in Potrowicz (13.–14. Jh.) 473, 477, 479 Traska, poln. Chronist (14. Jh.) 430, 452 Trawkowski, Stanisław, poln. Historiker (1920–2008) 185, 186 Trojan, Kan., Küster in Krakau († 1268) 107, 117 Twardosław, Kaplan (13. Jh.) 264 U Ulanowski, Bronisław, poln. Historiker (1860–1919) 316 Urban, Bf. v. Rom, Hl. († 230), 355 Ursula v. Köln, Hl. (4. Jh.) 455 V Václav s. Wenzel Vincentius, Bf. v. Krakau, Chronist (Mitte 12. Jh.–1223) 14, 24, 27, 28, 33, 35, 36, 42, 48, 56, 78, 84, 88, 92, 96, 160, 183 Vincentius v. Kielce/Kielcza, Dom., Hagiograph († nach 1262) 32-34, 47, 53, 64, 86, 100, 104, 151, 160, 161, 202, 206 Vincentius, Z., Fr. (13. Jh.) 357 Vinzenz v. Bevagna, Bf. v. Chieti, Hl. († um 320) 14 Vladimir I. Svjatoslavič, d. Heilige, Gfst. v. Kiew (um 960–1015) 82 Vlasca, W., Mädchen in Kamieniec (13. Jh.) 355 W Warsza (Uersius), Z., Gr. (13. Jh.) 255 Walter, Z., Fr. (13. Jh.) 355 Welisław (Velizlaus), W., Bür. in Grodek (13. Jh.) 359 Wenzel (Wenceslaus/Václav) I., Hz. v. Böhmen, Hl. (907–929/35) 11, 90, 103, 105, 137, 147, 238

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Wenzel (Václav) I., Kg. v. Böhmen (1205– 1253) 290 Wenzel II. (Václav), Kg. v. Böhmen u. Polen (1271–1305) 430, 436, 452 Wenzel (Wenceslaus/Wenczesław), Fr. in Krakau (13. Jh.) 349 Wenzel (Wenceslai, Vrotslay/Wrocisław) v. Polikarcice, V., Ri. (13. Jh.) 112, 113 Werner, Bf. v. Płock, Hl. († 1179/72) 14, 17, 19, 160, 180 180-199 199 Wicher (Wikerus), W., S. Wenzels v. Polikarcice (13. Jh.) 113 Wicher (Wikerus Theutunicus), V., dt. Mann (13. Jh.) 131 Wierzchosław (Wirchoslaus), Z., Ri. (13. Jh.) 269 Wilhelm, Z., Ratsherr in Krakau (13. Jh.) 255 Willebertha, V., T. d. dt. Frau Adelheid (13. Jh.) 108 Winand (Vinandus), Z., Bür. in Sandez (13.– 14. Jh.) 467 Wisenega = Agnes, Äbt. in Skała Wisław (Wislaus), Bf. v. Krakau (1231–1242) 28, 104, 107, 378 Wisław (Uislaus), W., junger Mann aus Skrzynka (13. Jh.), 233, 235 Wisław (Uislaus), Ri. (13. Jh.) 241 Wisław (Uislaus), W., S. v. Bogusław in Pałecznica (13. Jh.) 267 Wisława (Vislava), Klar. in Sandez (13. Jh.) 447 Wisława (Vislava), Z. in Sandez (13.–14. Jh.) 469 Wistubko, Räuber (13.–14 Jh.) 459 Wit, V. d. At. Peter (13. Jh.) 339 Wit (Vitus), Dom., Missions–Bf. d. Litauer (13. Jh.) 17, 160, 258, 259, 261, 263, 265, 267, 280, 281 Wit, W., Propst in Krakau (13. Jh.) 139 Witosława (Vitoslaua), V., Frau in Krakau (13. Jh.) 339 Witosława (Uitoslaua), V., Herrin (13. Jh.) 233 Witosza (Uitoscha), Z., Herrin (13. Jh.) 253

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Władysław (Wladislaus) I. Herman, Hz. v. Polen (1042/44–1102) 25, 83 Władysław II., d. Vertriebene (Wygnaniec), Hz. v. Polen/Schlesien (1105–1159) 182 Władysław, Ebf. v. Salzburg, Hz. v. Breslau (1237–1270) 293, 298 Władysław Ellenlang (Łokietek), Kg. v. Polen (1260–1333) 72, 366, 368, 445, 470, 471, 478 Władysław (Wladislaus), W., Hz. v. Oppeln (um 1225–1281/82) 121 Włościej (Wlosteg), W., Gr. (13. Jh.) 137 Wojasz (Voyaso), V., Hausbesitzer (13. Jh.) 114 Wojciech (Woyciech), V., Mann in Gołkowice (13.–14. Jh.) 463 Wojsław (Woyslaus), W., poln. Mann (13. Jh.) 116, 117 Wojsław (Uosyslaus), Z., Onkel d. Simon, Br. d. Cäcilia in Masłomiąca (13. Jh.) 277, 279 Wojsława (Woyslava), V., Frau in Korczyn (13. Jh.) 355

Wostrokin, Maria, Fs. in Breslau (18. Jh.) 294 Wulka (Vulka), Z., Frau in Radłów (13.– 14. Jh.) 465 Z Zacharias, Z., Dom. Küster (13. Jh.) 271 Zaclicha, V., Herr (13. Jh.) 237 Zbrosław (Sbroslaus), V., Mann in D ­ ruszków (13.–14. Jh.) 463 Zdzisław (Syslaus), Erzdiakon in Krakau (13. Jh.) 241 Zdzisław (Sdisslaus), At. (13. Jh.) 251 Zdzisław (Zislaus), Z., Bür. in Krakau (13.– Anf. 14 Jh.) 283 Zdzisława (Sdizslava), Z. in Sandez (13.– 14. Jh.) 467 Zelcona, Mann d. Osanna (13. Jh.) 417 Żegota (Segotha, Zegota, Zegnenus) Zakliczyc, Z., Kas. v. Krakau (13.–Anfang 14. Jh.) 224, 225, 232, 233, 246, 248, 249, 256, 257, 260, 261, 265, 266, 267, 281 Żegota, W., junger Herr (13. Jh.) 237

Geographische Namen A Aachen 12,182 Achna, Fluss 196, 197 Alexandria 375 Andechs 19 Anjou 376, 377 Asien 202 Assisi (Assisia) 30, 37, 163, 179, 426, 432 Aquileja (Aquileia) 151 Athen 76 Auxerre 324 B Balkan 202 Bamberg 180, 181 Bayern (Bavaria) 180, 376, 377 Bevagna 14 Białaczów 420

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Bochnia (civitas Bochnensis, Bochna) 118, 359, 398, 399, 472, 473 Böhmen (Bohemia) 11, 16, 31, 48, 118, 227, 290, 425, 436 Bologna (Bononia) 151, 201, 208 Bordeaux 202 Bosnien 311, 374 Bratislava (Possonium) 415 Breslau (Wratislauia, Wraceslau/Wrocław) 14, 17, 21, 27, 29, 37, 38, 41, 111, 185, 201, 226, 227, 288, 290–297, 300, 302, 303, 304, 308, 464 Brest (Brest/Brześć Kujawski) 199, 198 Brzesko 108, 110, 120 Brzezie (Breze) 281 Buda 310, 363, 375 Burgund 180, 182

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Geographische Namen

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C Caorle (Caureola) 151 Chrosczinna (Croschina/Chróścina) 347 Cluny (monasterium Cluniacensis) 50, 78, 79, 81 Crive 479 Crossen 291 Czernichów (Cyrnehou) 116 Czerwińsk 226

Großpolen (Polonia maioris) 13, 14, 17, 164, 186, 197, 304, 315, 363, 377, 380, 403 Groß-Strehlitz (Strzelce Opolskie) 356 Grüssau 292 Gruszów (Grussow) 231

D Dalmatien 311 Danzig (Gdansk, Gdanczk, castrum ­Gdanense/Gdańsk) 149, 150, 201, 206, 228, 229 Deutschland (Alemania, Theothonium) 51, 53, 79, 81, 124, 180, 219 Dnepr 202 Donau (Danubium) 48, 49 Doninowo 197 Drobin 188 Drużków (Druszkow) 462, 463 Dunajec (Dunaiecz), Fluss 405, 436, 476 Dziekanowice (Zechanowz) 259 Dziemierzyce (Sdimericus) 345

I Italien 33, 201, 204

E Edessa 194 Esztergom (Strygonium) 363, 377, 399, 415 Europa 16, 18 F Franken 180 Frankreich (Gallia) 79 Friesach (civitas Frizacensis) 218, 219 G Galizien (Gallacia, Halic/Halič) 42, 100, 311, 321, 327, 376, 377, 394 Gnesen (archiepiscopus Gnesnensis, Gne­ zam/Gniezno) 12, 13, 15, 17, 18, 29, 41, 50, 51, 84, 111, 171, 190, 191, 425 Gołkowice (Golkowice) 463 Grodzina (Grodina) 119 Grodzisko 328 Groß-Grodek (Grodech) 359

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H Halič, Stadt 102, 311, 322 Heiliges Römisches Reich 10, 51

J Jakubowice (Iacubouice) 247 Jamke (Iamca/Nowa Jamka) 357 Jasło (Iasel) 140, 141, 143 Jerusalem 76 K Kärnten (Karintia) 48, 49, 218 Kalina Wielka (Kalina) 270, 271 Kalisz (Kalis) 315, 337 Kamienica, Fluss 436 Kamieniec 355 Kamień Śląski (Cameyn, Camenech) 200, 216, 217, 273 Kammin 201 Karpaten (montes Ungarie) 204, 247 Karsy 188 Karszko 188 Kielce 32, 34, 38, 202, 206, 472 Kielcza 32, 33, 34, 202, 206 Kiew (Kyovia, Kiyow, Kyyow) 16, 48, 49, 82, 202, 206, 227, 228, 229 Kleinpolen 312, 317, 363, 378, 418, 430 Kleparz 15, 138, 236 Köln (Colonia) 74, 82, 83 Korczyn (Corchin, Corczyn) 106, 350, 351, 353, 363, 370, 386, 387, 389, 391, 393, 409, 416, 476, 477 Kościelec (Coscheletz) 224, 225, 231 Koźmice (Cosmicz) 143 Krakau (Cracouia / Kraków) 14, 15, 17, 18, 21, 23–27, 29–30, 32–33, 35, 38, 41, 42, 43, 45, 46, 47, 48, 49, 51, 53, 57, 65, 73, 82,

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Anhang

83, 84, 85, 89, 90, 102, 103, 104, 106, 107, 108, 109, 111, 112, 113, 116, 117, 118, 120, 121, 123, 125, 126, 127, 131, 132, 133, 134, 135, 137, 138, 140, 142, 143, 144, 145, 149, 150, 153, 155, 158, 159, 160, 161, 162, 163, 164, 165, 167, 168, 169, 173, 174, 184, 192, 200–208, 214, 215, 216, 217, 218, 220, 221, 222, 223, 224, 225, 229, 230, 232, 233, 235, 236, 237, 238, 239, 240, 241, 242, 243, 244, 245, 246, 247, 248, 249, 250, 253, 254, 255, 258, 259, 260, 261, 262, 263, 265, 266, 267, 268, 269, 270, 271, 272, 273, 275, 276, 277, 278, 280, 281, 282, 283, 284, 285, 286, 287, 288, 289, 291, 300, 302, 310, 312–315, 321, 324, 326, 327, 328, 330, 335, 337, 338, 339, 340, 341, 343, 344, 345, 347, 349, 350, 351, 353, 355, 357, 358, 359, 363–366, 369, 370, 373, 375, 377, 378, 386, 387, 391, 394, 396, 399, 402, 403, 416, 417, 420, 421, 423, 424, 425, 430, 436, 445, 460, 464, 470, 471, 473, 478, 483 Kroatien (Crovacia) 311, 374, 375 Kruschwitz (Kruszwica) 181 Krzyżanowice (Crisanovicz) 119 Ksanicz 473 Kujawien (Cuyaviensis dyocesis) 181, 182, 186, 197, 199, 351 Kunice (Cunich) 272, 273 Kurów (Kurow) 471 L Lavant 308 Lebus 280 Lemberg (civitas Lwovensis) 37, 377 Lemiesz (Lemes), Berg 431 Leslau (Włocławek) 181, 182 Leubus (Lubez/Lubiąż) 29, 41, 111 Libanon (Libanus) 243 Liegnitz (Legnica) 291, 300 Litauen 102, 202, 366 Lublin 350 Luck 310 Ludźmierz 460 Lüttich 12

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Lyszecz 473 Łaziska 64 Łęczyca (Lancicia) 153 Łętkowice (Lantkovicz) 133 M Mähren 48 Magdeburg 236 Maków 472 Malesow 329, 339 Maleszowa 328 Małoszów 328 Marburg (Marchburg) 291, 303 Masłomiąca (Maslomecz) 276, 277, 279 Masowien (Mazovia) 42, 134, 153, 180, 185, 188, 189, 192, 193, 194, 195, 227, 312, 363 Matonech 472, 473 Meranien 19 Merseburg 182 Meseritz (Międzyrzecz) 13 Miechów (Mechovia, Mechow) 118, 240, 245, 269, 337, 472 Mistrzewice (Mistrevich) 351 Modena 33 Modlinca (Modlincza) 281 Mogilno 181 Monstrelich 359 Morawica (Moravicza, Morawicza) 116, 117, 121, 141, 157 Münster 22, 209 Murancha 351 Mysławczyce (Mislauchiz) 114 Myślec (Myslcza) 467 N Narew 188 Neapel 376 Neudorf (Nova villa) 107, 109 Neumarkt (Środa Śląska) 244, 313 Nevers 324 Nezich 135 Nida, Fluss 409 Nikäa 372 Novgorod 311, 376 Nürnberg 204

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Geographische Namen O Oder (Odra / Odra) 149, 226, 290–292, 302 Österreich 15 Ofen 374 Olmütz 201 Opatowiec (Opatovecz) 476, 477 Oppeln (Opole, terra Opoliensis) 121, 200, 216, 273, 315, 317, 346, 347, 351, 355, 356, 357 Osteuropa 203 Ostia (episcopus Hostiensis) 163 Ostmitteleuropa 37, 203 P Pacanów (Paczanow) 391 Pałecznica (Pelcznycha) 267 Paris 201 Perugia (Perusia) 43 Pielgrzymowice (Pelgrimowicz) 118, 119 Pieninen (Kronenberge/Pieniny) 418 Pieniny (Penini), Burg 419, 421, 427, 429 Pietrzejowice (Petrovicz) 139 Piotrawin (Potrawin) 65, 67, 69, 71, 72, 73 Piotrkowice (Potrovicz) 472, 479 Piotrowice 472 Płock (civitas Plocensis) 14, 17, 42, 160, 180– 188, 189, 190, 191, 192, 193, 194, 195, 196, 197, 198, 199, 201, 208, 226 Polen (Polonia, regnum Poloniae) 10, 13, 14, 18, 27, 30, 36, 38, 43, 48, 49, 50, 51, 53, 56, 59, 60, 69, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 87, 89, 98, 99, 100, 101, 103, 113, 150, 151, 161, 169, 180, 182–184, 190, 194, 200–202, 204– 206, 213, 216, 217, 219, 223, 227, 273, 298, 300, 312, 313, 327, 362, 363, 366, 367, 377, 399, 409,415, 427, 445, 470, 471, 477 Polikarcice (Policarcicz) 112, 113 Pommern (Pomorania) 50, 150, 151 Pommerellen (Pomorze Gdańskie) 150, 202, 228 Popłacin (Poplacin) 199 Poprad (Poprot), Fluss 405, 467 Posen 21, 184 Potrovicz 473 Potrowicze 472

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Prag (Praga) 12, 13, 48, 123, 124, 125, 184, 201, 226, 227, 290–292, 297, 300, 303, 304 Prądnik (Prodnik) 337 Pregina, Wald 159 Proszówki (Prosowo) 222, 223 Proszowice (Prossowicz) 121, 226, 246, 262, 263 Pruzzenland (Pruzia) 50, 157 Przegina 158 Przemanków 365, 416 Q Querfurt 12, 13 R Raba (Raba) 52, 53, 233 Radłow (Radlow) 465 Radom 396 Regensburg 228 Reims 182 Rheinland 82 Rom (Roma) 28–30, 34, 75, 81, 101, 151, 185, 204, 207, 208, 217, 291, 314, 366, 420 Roosval 64 Rus’ (Rusia, Ruzzia) 16, 48, 49, 83, 201, 202, 377 Ruthenien (Russia) 43, 310, 311, 327 S Saale (Solava) 48, 49 Sachsen (Saxonia) 49 Sandez (domus Sandecensis, Sandecz/Nowy Sącz) 17, 364–367, 369, 373, 376, 377, 402, 403, 405, 409, 414, 418, 431, 436, 437, 445, 459, 462, 464, 465, 466, 467, 469, 473, 478 Sandomir (Sandomiria/Sandomierz) 64, 150, 201, 218, 312, 313, 315, 321, 327, 337, 345, 351, 363, 365, 386, 391, 396, 421, 423, 424 Sanka (Sancha) 341 Schlesien (Silesia) 13, 15, 17, 19, 20, 33, 200, 204, 290, 293, 298, 306, 314, 315, 317, 430 Schottland 202 Schweidnitz 288 Sebaste 18

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Anhang

Serbien 16 Sizilien (Sicilia) 377 Skała (Lapis, Scala) 26, 315, 330, 332, 335, 337, 341, 345, 347, 396 Skałka (Rupella) 90, 91 Skandinavien 202, 203 Skrzynka (Scrinka) 232, 233 Skaryszew (Skarzeszow) 162, 163, 396, 397 Skórnice (Scoruiz) 136 Slawonien 311, 374 Sławków (Slavcow, Slawcow) 145, 159 Sopogy 197 Sorbenland (Surbia) 155 St. Petersburg 38 Stanecek 345 Strzelce (Strelech) 356, 357 Strzelno 181 Stuhlweißenburg (Alba Regalia / Székes­ fehérvár) 375 Sudycha (Sudicha), Fluss 353 Swidva 197 Szarsko (Szarsko) 183, 189 Szczyrzyc (Sczirzicz, Czyrzycz) 289, 460, 461 Szczepanów (Scepanow) 24, 53 Szreniawa (Strenawa) 269 T Tarnów (Tarnow) 467 Teschen (Cessyn/Cieszyń) 282, 283 Thüringen 16, 170, 176, 178, 291, 300, 310 Toulouse 377 Trebnitz (Trebnitz/Trzebnica) 16, 303, 304, 307 Trier (archiepiscopus Treverensis) 74, 75 Tryde 26, 64 Tyniec (Tinecensis) 83

W Wallonien 180 Warschau 180 Wawel 15, 82, 94, 106, 124, 138, 233, 240, 302, 313 Weichsel (Wizle, Visla, Wandalus/Wisła) 65, 90, 106, 149, 180, 181, 196, 198, 223, 226, 227, 228, 229, 313, 314, 322, 476 Wieliczka (Weliczka) 469, 473 Wien 228 Wiktorowice (Victorivice) 359 Wiśnicz (Wisnicze) 473 Wizna (castellania Visnensis) 183, 188, 189 Wiślica (Vislicia) 409, 455, 459 Wojnicz (Woynicz) 350, 376, 377 Wyszogród (Vyssegroth) 227 Z Zebezuch 341 Zabierzów 340 Zakovicze 197 Zakrzew 196 Zakrzewo Kościelne (Zacrzew) 196 Zakrzewo (in Kujawien) 196 Zastępów (Zastupou) 146 Zawichost 140, 313, 396 Zips 311, 312 Zgłowiączka, Fluss 198 Zwierzyniec (Zwerinecz), Kloster 240, 241, 244 Zypern 76

U Ulina (Vlyna) 137 Umbrien 14 Ungarn (Hungaria) 16, 25, 49, 97, 101, 310– 312, 321, 325, 327, 337, 362–364, 376, 377, 378, 399, 415, 427, 429, 461, 479 V Velletri 29, 38, 41, 46, 112, 113 Venedig (Venecia) 151, 153

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Ethnonyme

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Ethnonyme Äthiopier 251 Böhmen 48, 84, 123, 427 Burgunder Deutsche 129, 131, 147, 181, 219, 349, 430, 431, 447 Edomiter 91 Franzosen 325 Italiener 13 Jadwinger 194, 31 Letten 202 Litauer 42, 194, 258, 312 Lombarden 113 Mährer 84 Österreicher 84 Polen 12–14, 31, 37, 48, 57, 62, 63, 81, 101, 103, 146, 156, 167, 169, 173, 178, 188, 195, 213, 217, 289, 321, 349, 377, 383, 387

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Pomoranen 48, 84 Pruzzen 12, 48, 50, 156, 157, 184, 188, 189, 191, 195, 201 Römer 12, 15 Ruthenen 43, 312, 321, 375, 377, 431 Sachsen 48 Sarazenen 426 Skythen 89 Slawen 48, 54, 62 Tataren 100, 126, 202, 291, 300, 312, 313, 315, 343, 344, 345, 363, 395, 418, 419, 421, 426, 427, 429 Ungarn 48, 84, 101, 102, 115, 375, 377, 379, 398, 409, 423, 457, 465, 467, 479

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Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe

Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe Die Reihe „Ausgewählte Quellen zur Geschichte des Mittelalters“ bietet mit zweisprachigen Editionen wichtiger mittelalterlicher Quellen im lateinischen Original mit moderner deutscher Übersetzung einen unmittelbaren Zugriff auf die wichtigen Geschehnisse, Strukturen und Akteure der Geschichte im europäischen Kontext. Die Wissenschaftliche Buchgesellschaft hat diese herausragende, seit den 1950er-Jahren kontinuierlich erscheinende Reihe ständig zeitgemäß weiterentwickelt. Jeder Band wird von renommierten Bearbeitern herausgegeben und durch fachkundige Einleitungen, erläuternde Anmerkungen, Bibliographie und Register gleichermaßen für Historikerinnen und Historiker und ein geschichtsinteressiertes Publikum erschlossen. •••••

Der Band versammelt neun bisher nie ins Deutsche übersetzte Texte – Viten, Wunderberichte, Papstbullen – zu sechs Heiligen des polnischen Mittelalters. Sie führen eindringlich die Bedeutung von Heiligenkulten für die religiöse Praxis vor Augen und erhellen zugleich die Rolle und Funktion von Heiligen für die mittelalterliche Nationenbildung und für die politische Repräsentation. Überdies bieten die Quellen zentrales und reichhaltiges Material zur allgemeinen Geschichte des mittelalterlichen Polen, sodass ihre deutschsprachige Erschließung den Vergleich innerhalb der europäischen mittelalterlichen Geschichte ermöglicht.

M I T T E L A LT E R

Heilige Fürstinnen und Kleriker

Heilige Fürstinnen und Kleriker Lebensbeschreibungen und Wunderberichte von polnischen Heiligen des Mittelalters Herausgegeben von Eduard Mühle

Eduard Mühle, geb. 1957, ist Professor für Geschichte Ostmitteleuropas und Osteuropas an der Universität Münster; er war Direktor des Leibniz-Instituts für historische Ostmitteleuropaforschung in Marburg, Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Warschau und Senior Fellow in Oxford, Cambridge, Princeton und Prag.

ISBN 978-3-534-27363-8

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