Die Organisation des Polnischen Aufstandes von 1863 und 1864 ; bearbeitet nach offiziellen Quellen

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Die

Organisation

des

Polnischen

Aufstandes

1863 und 1864.

Bearbeitet

nach offiziellen Quellen.

Berlin

1868.

Verlag von G. Bernstein, Behren- Straße 56.

16720

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Deerr 1865 in Warschau im Druck erschienene Bericht des russischen General - Polizeimeiſters im Königreiche Polen, Generalmajor Trepow, an Se. Maj. den Kaiser von Rußland , über die Entstehung , Entwickelung und Unterdrückung des polnischen Aufstandes in den Jahren 1863 und 1864, beſteht aus einer Sammlung von Aktenstücken , die wegen ihres authentischen Inhalts und der Mittheilung bis dahin wenig bekannter Details die höchste Beachtung verdient. Der Umstand , daß dieses umfangreiche , in russischer Sprache abgefaßte Memoire wenig zugänglich ist, außerdem selbst dem der Sprache mächtigen Leser ein klares Bild der Organisation des Aufstandes nur nach dem eingehendsten Studium bieten kann , hat uns zu dieser Darstellung der den Aufstand leitenden Kräfte , wie sie in den verschiedenen Perioden desselben organisirt waren , veranlaßt. Außer dem hohen Interesse , welches diese wahrheitsgetreuen , leidenschaftlosen , den Ergebnissen gerichtlicher Untersuchungen entnommenen Aufschlüsse haben müssen , ist dabei auch noch ein anderes , nicht minder wichtiges Moment hervorzuheben, nämlich, daß aus denselben klar hervorgeht, wie die polnische Revolution, mag man im Uebrigen von ihren Ursachen und ihrer Veranlassung denken wie man will , in ihrem Verlaufe und ihren Maßnahmen ganz entschieden nicht die Theilnahme und Sympathie verdient hat, die ihr von mancher Seite , namentlich von gewissen Kreiſen der Gesellschaft so überschwänglich gezollt worden. Möge man doch bedenken , daß die keineswegs unbedeutenden Spenden, welche der Insurrektion, meiſtens von Weſten her, zugefloſſen, 1*

4 das Ihrige dazu beigetragen haben, jene abscheulichen Mordanfälle auf Warschaus Straßen möglich zu machen , daß man durch jene Liebesgaben gewiſſermaßen mitſchuldig wird an dem Werben jener Banden s. g . Gendarmen , welche mit vergifteten Waffen das Leben der ruhigen Bürger bedrohten, die sich der Theilnahme an den Gesezwidrigkeiten entziehen wollten. Die von uns zusammengestellten Aufschlüsse werden dann auch ferner darthun , wie wenig die Bewegung eigentlich das ganze Volk ergriffen hatte, welcher Mittel es bedurfte , es im Aufstande zu erhalten und in welche unwürdige Hände die Leitung desselben gelegt war. Wir gehen zur Darstellung selbst über.

Di Anstifter der polnischen Revolution sind nicht in Polen selbst zu suchen. Wenn man die Fäden des Aufstandes nach ihrem Ursprunge verfolgt, ſo laufen sie zuſammen in den Händen der Emigration, die niemals mit ihren agitatorischen Bestrebungen geruht hat. Man hatte mit nur zu gutem Erfolge gesucht , den zum Umsturz der bestehenden Verhältniße geneigten Gemüthern einzureden, daß der erſte in Europa ausbrechende Krieg das Signal zur Befreiung Polens, zur Wiederherstellung eines ſelbſtändigen polnischen Königreichs sein werde ; diesen Zeitpunkt glaubte man beim Ausbruch des italienischen Krieges im Jahre 1859 gekommen, und da man aus gewiſſen, in Rußland selbst sich fundgebenden Symtomen schließen zu dürfen vermeinte, daß das russische Volk eine polnische Bewegung nicht mit ungünſtigen Augen ansehen würde, so unternahm man die ersten Schritte zur Einleitung des Aufstandes . Es kam hauptsächtlich darauf an, auch die öffentliche Meinung in Europa zu bearbeiten und Unterstügungsmittel, namentlich Geld, zu beſchaffen, und man überschwemmte deshalb Europa mit Bekanntmachungen und Manifesten, welche die Lebensfähigkeit des polnischen Volkes in einem selbständigen Staate darlegen solten. Man hoffte auch auf die Intervention verſchiedener europäischer Mächte zu Gunsten des Aufſtandes, den man erregen wollte, und träumte vom Einrücken polnischer Legionen in das Königreich Polen, wo sie sich mit der dort organisirten Bewegung verbinden sollten. Mittlerweile verlief das Jahr 1859 ohne die Hoffnungen der Emigration zu erfüllen, und der italienische Krieg blieb ohne Einfluß auf die polnischen Zustände. Deßunge-

6 achtet nahmen die Agitationen ihren ungeschwächten Fortgang. Sehr thätige Werkzeuge zur Schürung derselben waren die, in Folge der im Jahre 1856 erlassenen Amnestie, aus Sibirien Zurückgekehrten. Manche derselben zogen unter falschem Namen in Polen ein und fanden sich in Warſchau zuſammen, wo sie eine geheime Gesellschaft bildeten, die schwarze (d. h. geheime) Brüderschaft genannt. Der nächste Zweck dieser schwarzen Brüderschaft war, patriotische Gefühle in der Bevölkerung zu erwecken und Haß und Abschen gegen den russischen Namen zu verbreiten. Man bediente sich zu

diesem Ende namentlich verschiedenartiger

Demostrationen, z . B. des Absingens von Hymnen in den Kirchen. Das Haupt dieser Gesellschaft war ein Student der Medizin Adam Prot Asnik , der schon 1860 durch seine Umtriebe sich verdächtig machte und in die AlexanderCitadelle eingesperrt ward , von wo er doch später glücklich entfam . Das erste größere Beispiel einer jener obenge= dachten Demonstrationen fand zu Warschau im Juni 1860 statt, am Tage des Begräbnisses der Wittwe eines polniſchen Generals (Sowinski) , der 1831 beim Sturm auf Wola gefallen war. Man wird sich noch der Auftrittte erinnern, die bei dieser Gelegenheit stattfanden und von den Zeitungen so triumphirend als ein Beweis auspoſaunt (wurden , von welch' tiefem Vaterlandsgefühl die Warschauer Bevölkerung durchbrungen sei und wie das Andenken an die für die Rettung des Vaterlandes gefallenen Helden sie begeistere. Aus dem Bericht des General - Polizeimeiſters aber geht hervor, daß diese ganze Bewegung eine künstliche war und daß man dabei nicht ohne Glück auf das leicht empfängliche Gemüth der Jugend speculirt hatte , deun diese bildete den Hauptkern der Theilnehmer an jenen Demonſtrationen. Damals zuerst kamen jene Placate revolutionären Inhalts auf, welche heimlich von Hand zu Hand gingen und nicht wenig zur Schürung der Unruhen beitrugen . Lange Zeit hindurch nahmen die ruhestörenden Auftritte in Warschau ihren ungehinderten Fortgang und man kann fast nicht um-

7

hin, die Haltung der Regierung, diesem Treiben gegenüber, als zu große Nachgiebigkeit und Langmuth, ja als Schwäche zu bezeichnen. *) Endlich am 15/27. Februar 1861 führte eine solche Demonſtration zu einem blutigen Zuſammenstoß zwischen dem Volk und der bewaffneten Macht, wobei es Todte und Verwundete gab.

Aus Anlaß dieses Ereignisses trat mit Zu-

stimmung des Statthalters, des nun verstorbenen Fürsten Gortschakow, eine Anzahl von Hausbesizern und anderen einflußreichen Persönlichkeiten zu einem Verein zusammen, der sich die Delegation nannte und sich die Aufgabe stellte, die Wiederholung ähnlicher Tumulte zu verhüten. Diese Delegation wußte sich bald auch dem Statthalter gegenüber eine solche Bedeutung zu verschaffen , daß sie so gut wie unumschränkte Gewalt in Bezug auf die städtischen Verhältnisse ausübte und es sogar beim Statthalter durchſeßte, daß diejenigen Personen, welche wegen politischer Demonſtrationen oder Umtriebe gefänglich eingezogen waren , freigegeben wurden.

Zur Aufrechthaltung der Ordnung auf den

Straßen gründete

die Delegation eine besondere Polizei,

uud zwar ganz nach dem Muster der von der Regierung eingesetzten. Im höchsten Grade bezeichnend für das Wesen dieſes Vereins ist der Umstand, daß die Gesellschaft der schwarzen Brüder ihre Thätigkeit einstellte , nachdem die Delegation einen festen Boden gewonnen. Man wird daher eine Continuität zwischen beiden Vereinen erkennen müſſen und in der That war die Einsehung der Delegation die Frucht eines reiflich durchdachten revolutinären Planes . Unmerk lich machte man dadurch die Bevölkerung mit dem Gedanken an die Revolution vertraut , indem man sie gewöhnte, *) Aehnliche Ausdrücke erlaubt sich auch der Bericht des GeneralPolizeimeisters ; sollte dennoch die gerade damals start hervortretende demokratische Richtung in Rußland, welche der Bericht wohl andeutet, aber nur um ihren Einfluß auf die polnische Bewegung abzuweisen, etwas an dieser Schwäche Schuld sein?

8 die Delegation als eine über der Regierungsmacht stehende Gewalt anzusehn und von nicht geringer Wichtigkeit war es, das man die vornehmsten und einflußreichsten Persöhnlichfeiten an die Spitze dieser Gewalt gestellt hatte, denn da auf halben Wege nicht stehen zu bleiben war , verwickelte man sie in die Folgen dieser abnormen Zustände , die nicht auf sich warten ließen. Wollte man noch Zweifel hegen daran, daß das ganze Revolutionsdrama in Polen nach einem bestimmten , sorgfältig durchgearbeiteten Plane abgespielt wurde, so möge man sich daran erinnern , daß die spätere, wirkliche Revolutionsregierung ganz nach denselben Regeln gegründet war, wie die Delegation, und daß Warschau ganz nach denselben System eingetheilt und behandelt wurde, welches von der Delegation entworfen und zur Ausführug gebracht worden. Die Fahrlässigkeit der Regierung, gegenüber dem revolutionären Treiben der Bevölkerung, ließ den Geist der Umwälzung immer stärker um sich greifen und derselbe erhob bald sein Haupt kühn genug . Es zeigte sich indeſſen auch hier wieder jene Erscheinnug , welche uns die Geschichte schon so oft vorgeführt , nämlich , daß es den Polen nicht gegeben

ist ,

mit

Ziele zuzuſtreben.

vereinten

Kräften

einem

gemeinsamen

Immer machen sich Parteianschauungen,

Parteibestrebungen in so hohem Maaße geltend , daß bei dieſem Ringen die besten Kräfte zu Grunde gehen.

So

zeigte es sich auch hier. Kaum gewann die Bewegung feſten Fuß im Königreiche Polen, als sie sich auch schon in zwei Parteien spaltete , die schroff genug einander gegenübertraten. Es waren dieß die Parteien der Weißen und der Rothen. Die Partei der Weißen bestand aus Gutsbesigern, Kapitalisten und überhaupt der besigenden Klasse , die auf dem Wege einer gemäßigten Oppoſition eine sogenannte „ legale Exploitirung" der Regierung wollten , zum Besten der Nationalität und der Uuabhängigkeit des Königreichs . Die Rothen dagegen, welche in ihren Reihen Beamte, Advokaten und Studenten zählten, suchten das Volk zu einem bewaff-

9 neten Aufstande zu bewegen und auf diesem Wege die Unabhängigkeit Polens in den Grenzen von 1772 zu erreichen. Diese beiden Parteien nun bekämpften sich, wie gesagt, gegenseitig und jede suchte soviele Anhänger wie möglich zu sich hinüberzuziehen , und während die Weißen meistens unter dem Adel Profelhten machten, so die Rothen unter dem unruhigſten Theil der Bevölkerung, dem städtiſchen. Den Centralpunkt der Weißen bildete anfangs die agronomische Gesellschaft und als diese geschlossen ward, die Direktion der Weißen.

Das Centrum der Rothen war das

sogenannte Centralcomité. Nachdem beide Parteien ihre Kräfte in fruchtlosen Kämpfen eine Zeit lang vergeudet hatten, kam es zwischen ihnen zu einer Art von Kompromiß. Bei diesem wußten aber die Rothen die Oberhand zu erhalten und sie hatten daraus den ferneren Vortheil , daß ihren späteren Maßnahmen gewissermaßen ein legales Gepräge in den Augen des Volkes aufgedrückt ward, da sie im Namen der ganzen Nation zu handeln schienen.

So bestanden beide

Parteien auch nach dem Ausbruch des bewaffneten Aufstandes nebeneinander, bis endlich nach dem Sturz der Diktatur von Langiewicz die Weißen sich gänzlich vom Schauplaß zurückzogen und den Rothen völlig das Feld räumten. Den eigentlichen und ursprünglichen Kern der Rothen bildeten die sogenannten Zehner , d . h. Genossenschaften von 10 Personen.

Jedes Mitglied derselben warb

neue

Mitglieder, wodurch sich allmählig Hunderte bildeten. Auf diese Weise gewann die Partei bald einen bedeutenden Zuwachs und breitete sich ganze Land aus. Die Partei men

Volksjunta

( Jond

wie ein Netz über das nahm darauf den Na-

narodowji ) an ,

und

unter

dieſem hat sie den lezen , blutigen Theil der Revolution geleitet. Die ersten Anwerbungen rurch die Zehner geschahen

durch Ueberredung, allein später , als der bewaffnete Aufstand losgebrochen war, wichen die Infurgenten vor keinem Mittel zurück um ihre Reihen zu füllen. Man scheute sich

10 nicht

Dolch und Strick dort anzuwenden , wo

man eine

Hinneigung zur rechtmäßigen Regierung vermuthete und es gelang in der That der Volksjunta, indem ſie Schrecken im Lande verbreitete , den größten Theil der Bevölkerung auf ihre Seite zu ziehen und es dahin zu bringen, daß die von ihr gegebenen Befehle blindlings ausgeführt wurden . Die Volksjunta war vollständig organisirt und zwar zerfiel diese Organisation in 3 Theile : die eigentliche Volksjunta, die Centralorganiſation in Warschau und die Lokalorganiſation in den 8 Woiwodschaften , in welche das Königreich Polen durch die Insurgenten getheilt war. Die eigentliche Volksjunta , oder das höchste Organ der Revolution, beſtand bis zum 10. Oktober 1863 nur aus

einigen Mitgliedern , die

einen Rath bildeten und

deren Person in das tiefste Geheimniß gehüllt war . Nach dem 10. Oktober 1863 trat ein Führer an die Spiße der Junta, mit der Machtvollkommenheit eines Diktators, ohne jedoch diesen Namen zu führen . Das Warschauer Centralorgan , das später das Hauptorgan der ganzen Revolution ward , bestand aus 6 Departements (polnisch :

Wudzial ,

russisch :

Otdelenie), die unter Directoren standen.

Otdel oder

Diese Departe-

ments waren : 1. das der innern Angelegenheiten , 2. das der Finanzen , 3. das Kriegsdepartement, 4. das Departement des Aeußeren , 5. das Departement der Presse und 6. das Departement der Polizei ; dazu kam noch das Amt eines Gouverneurs von Warschau.

Jedes Departement bestand außer dem Direktor und einem Sekretair, aus einer gewiſſen Anzahl von Beamten. Die Departementsdirektoren kannten zum größten Theil die Mitglieder der höchsten Gewalt nicht persönlich, ja sie waren nicht einmal unter sich bekannt. Die Lokalorganiſation in den Woiwodschaften endlich bestand aus bevollmächtigten Commiſſairen, Vorſtehern der Woiwodschaften , der Kreise, Städte u. s. w . Diese 3 Theile der revolutionären Organisation (die

11 Volksjunta, das Centralorgan und die Lokalorganiſation) waren, jeder in seiner Sphäre thätig und verhandelten auf folgende Weise mit einander. Die Vermittelung zwischen der Volksjunta und dem Centralorgan geschah durch den Staatssekretair und die Departementssekretaire ; zur Vermittelung zwischen der Centralund den Lokalbehörden diente ein eigenes Departement, die Expeditur , die gleichfalls ihren Direktor , Sekretair und andere Beamte hatte.

Zur Beſorgung von Sachen über

die Grenze hinaus waren eigene Sekretaire für die ruſſischen und litthauischeu Angelegenheiten und ein Commiſſair für die äußere Correspondenz angestellt. Jede Verfügung der Junta erfolgte durch den Staatssekretair , welcher sie entweder persönlich oder durch seine Beigeordneten den Departementssekretairen zutheilte.

Zu

dieſem Behuf fanden sich alle Sekretaire täglich in dem Gebäude der Hochschule ein, in einem Auditorium , das ihnen vom Professor Dubowski eingeräumt ward. In diesen Versammlungen übergaben dann die Sekretaire auch ihre Berichte und zwar je nach den Umständen entweder dem Staatssekretair, wenn sie der Junta vorgelegt werden sollten, oder den Sekretairen der betreffenden Departements . Die Entscheidungen auf die Berichte übergab der Staatssekretair dann den Departementssekretairen in der nächsten Sizung und wurden dieselben dann in den Departements unter der Ueberwachung der Direktoren zur Ausführung gebracht . Verfügungen der Junta an die Lokalorganisationen, aufrührische Plakate, Broschüren, Zeitungen u. s . w. wurden, dem Sekretair der Expeditur eingehändigt und an den Ort ihrer Bestimmung abgesandt , entweder mit der kaiserlichen Post, oder auf der Eisenbahn, oder mit den von den Inſurgenten im ganzen Königreiche etablirten Posten ; bei wichtigeren Gelegenheiten auch durch besondere Courire , wozu man gewöhnlich Fraxenzimmer nahm.

Durch das Einver-

ständniß mit einigen an der Post und an der Eisenbahn angestellten Beamten ging die aufrührerische Correspondenz

12 größtentheils glücklich von Statten und oft kam sie früher zur Stelle, als die Verfügungen der legitimen Regierung, die gleichzeitig mit ihnen abgesandt waren. Diese ganze Ordnung bestand bis zum 10. Oktober 1863, als die Gesammtleitung der Insurrektion in die Hände Romwald Trauguts überging . Von dieser Zeit an fonferirten einige der Departementsdirektoren persönlich mit dem obersten Führer in dessen Wohnung, welche er bei der Helene Kirkor, der Frau eines Redakteurs in der Pechstraße ( Smolnoi Uliza ) genommen hatte. Traugut zu ihnen.

Bisweilen ging auch

Im Februar 1864, nach der Arreſtirung vieler Mitglieder der höchsten Gewalt , ward die Zusammenkunft der Sekretaire abgeschafft und seit der Zeit geschah aller Verkehr zwischen den Departements durch Frauenzimmer , die sich an zwei Orten einfanden, nämlich in der Apotheke des Muklianowicz in der Marschallstraße und in dem Wrublewskischen Pfefferkuchenladen in der Kapitelstraße . Wir gehen jezt auf die Entwickelung der verschiedenen Organe, sowie auf manche Einzelheiten näher ein.

I. Die oberste Gewalt. Dieselbe wechselte im Laufe der Revolution öfter in ihrer Benennung , sowie in den Persönlichkeiten , welche sie bekleideten ; es lassen sich sieben Phasen derselben unterscheiden.

1. Das Centralcomité ; es erließ seine erste Proflamation am 20. August 1862 und bestand aus 5 Mit1. September gliedern, von denen jedes einen Gehülfen hatte ; vom Anfange des Januar 1863 an wurden dieſe Gehülfen aber nicht mehr zu den Sizungen des Comités zugelaſſen. 2. Die provisorische Volksjunta ; sie trat am 22. Januar 1863 zusammen und stellte ein Dekret über den Beginn des bewaffneten Aufstandes aus , welcher also

13 von diesem Zeitpunkt zu datiren ist.

Die Mitglieder der

Junta waren : der Candidat der Rechte Oskar Aweide , ein gewisser Mikoschewski , der Architekt Joseph Janowski, ein früherer Finanzbeamter Namens Maikowski und der Student Stephan Lobrowski , der zugleich den Posten eines Gouverneurs von Warschau übernahm. 3. In der zweiten Hälfte des März traten drei Mitglieder aus der Junta aus und es wurden statt ihrer aufgenommen : Der Literat Agathon Hiller , der Literat Karl Ruprecht und der Schullehrer Eduard Siwinski. 4. In der Mitte des Juni reconstruirte sich die Centralgewalt von Neuem und nannte sich jezt Volksjunta. Sie bestand aus 3 Mitgliedern, nämlich den frühen Beamten Robulianski und Bonkowski , sowie einem gewissen Kasjatkowski.

Dieſe Junta bestand aber nur 12 Tage

hindurch, da sie in der Aktionspartei , gegen deren Willen sie sich constituirt hatte, keine Stüße fand. 5. Ende Juni bildete sich daher eine neue Junta aus

dem oben genannten Aweide , dem Studenten Majewski, dem Gymafiallehrer Golemberski , einem gewissen Janowski und dem Ingenieur Joseph Grabowski , an dessen Stelle jedoch bald Wladimir Milewicz trat. Anfangs August ward Aweide nach Litthauen als bevollmächtigter Kommissär geschickt und ward Kaczkowski statt seiner in die Junta aufgenommen . Im September 1863 erſchien in Warschau eine Bande von Leuten, die zu der Partei der äußersten Rothen gehörten, unter der Anführung eines bekannten Verbrechers , Ignaz Chmelenski , auf dessen Anstiften die mörderischen Anfälle auf den Grafen Lüders , den Großfürsten Konstantin Nikolajewitsch und den Marquis Wielopolski gemacht wurden . Diese Bande versuchte durch Erzeugung von Schrecken den schon erlöschenden Aufſtand zu neuer Gluth anzufachen. Das Auftreten der Junta, welche allerdings bis zu diesem Zeitpunkt eine gewiſſe Mäßigung bewiesen hatte, klagten ſie der Schwäche und der Unschlüssigkeit an, und nachdem sie die

14 Masse des Volkes durch Einschüchterung auf ihre Seite gezogen hatten, verdrängten sie die Junta und setzten ihre Häupter an die Stelle derselben . 6.

Diese neue Junta bestand

aus :

Chmelenski ,

Frankowski, Piotrowski , Kobulianski und Kaczkowski, welche lettere Beiden schon früher als Mitglieder der Centralgewalt figurirt hatten. Das Auftreten dieser Menschen, welche die abscheulichsten Ausbrüche des Sansculottismus weit überbot, wird ein ewiger Schandfleck an der polnischen Aktionspartei bleiben ; mag sie auch diese Excentricitäten nicht gewollt haben , sie ist und

bleibt für

alle

Konsequenzen, die aus der Auflehnung gegen die rechtmäßige Regierungsgewalt flossen, verantwortlich. Blut war jetzt die Losung und Mord stand auf der Tagesordnung . Der Mordversuch gegen den Grafen Berg fällt in diese Periode. Die Machthaber verfielen nun auf die unſinnigſten Pläne, man wollte die Kasernen unterminiren und in die Luft sprengen, die Citadelle mit congrevschen Raketen bombardiren, dann namentlich auch den finanziellen Kredit Rußlands durch Ausgabe einer ungeheuren Anzahl falscher ruſſiſcher Kreditbillets untergraben. Die Verfertigung solcher Billets war schon früher von Chmelenski in London betrieben worden. Allein es zeigte sich bald, daß diese blutigen, auf den Umſturz alles Bestehenden hinarbeitenden Maßnahmen ihr Ziel verfehlten. Das Volk ließ sich nur eine kurze Zeit einſchüchtern und empörte sich gegen die verbrecherischen Handlungen der Junta, auch ward die Stimmung des Auslandes zu Gunsten der Polen bedeutend dadurch abgekühlt. Auch die energischen Maßregeln der legitimen Regierung im Königreich Polen trugen sehr viel zum Aufhören des Terrorismus bei . Es ward nun von Mitgliedern der Aktionspartei , die sich in Krakau zusammenfanden, beschlossen, die Junta zn verdrängen und zwar wollte man eine geeignete Persönlichkeit nach Warschau schicken, um dort ein neues Centralorgan zu bilden und die Leitung der Revolution zu übernehmen. Die

1

15 Wahl dieser Persönlichkeit fiel auf den früheren russischen Ingenieuroberstlieutenant Romwald Traugut , der im Grobnoschen begütert war und eine Zeitlang den Befehl über eine Abtheilung Infurgenten in Litthauen geführt hatte. Dieser kam am 10. Oktober 1863 nach Warschau und es gelang ihm, die Mitglieder der Junta zum Zurücktreten zu bewegen. 7. Die lezte Phase der polnischen Revolution wird durch die Diktatur Trauguts bezeichnet, denn er übernahm die Führung der höchsten Gewalt allein ; venigstens ist es bis jetzt noch nicht enthüllt worden, ob ihm Jemand zur Seite gestanden und wer dies gewesen ist. Kaum hatte indeſſen Traugut sein Amt angetreten , als der den Polen angeborene Hang

zu Intriguen in

einer zahlreichen Partei

Mißvergnügter seinen Ausdruck fand und schon zu Anfang 1864 trat der Pharmazeut Joseph Wisch omirski mit Vorschlägen zu einer veränderten Leitung der Angelegenheiten, namentlich um radikale Reformen durchzuſeßen, hervor. Da traf die Ergreifung Trauguts und einer großen Anzahl der Mitglieder der Aktionspartei die Anhänger der Revolution wie ein Donnerschlag und man dachte allen Ernstes daran , den Sitz der aufrührerischen Regierung von Warschau nach einem anderen Orte zu verlegen. Mit Trauguts Ergreifung

am 29.

5.

ist das

August

hingerichtet)

in seinen Hauptzügen

März

1864 (er ward

Drama der Revolution

beendet , wenn es

auch an

einem

Nachspiele, freilich ohne bedeutenden Eclat , nicht gefehlt hat. Nachdem die Institution der Volksjunta mit Trauguts Festsetzung zu existiren aufgehört hatte sie bestand unter ihm schon nur mehr dem Namen nach - schlossen sich die Reste der revolutionären Führer zu dem sogenannten städtischen Rath zusammen , dessen Vorsitz der frühere Petersburger Student , Alexander Wisch ko w ski übernahm . Seiner kopflosen Energie gelang es noch einige Symptome des Aufstandes wachzurufen ; als man

endlich

16 seiner und seiner Helfershelfer, die sich sehr ruhig verhalten hatten , habhaft ward , erlosch damit die letzte Spur desſelben.

II.

Die Centralorganiſation.

Bis zum Juni 1863 verwalteten die Mitglieder der Junta selbst die verschiedenen Zweige der Regierungsgeschäfte mit Hülfe ihrer Beigeordneten ; als sich aber gegen das Ende jenes Monats die Arbeit häufte, wurden vorläufig 5 Departements ( Wydzialy ) , nämlich für den Krieg , für die innern und äußern Angelegenheiten, für die Finanzen und die Preſſe errichtet. Als dann die Rothen ans Ruder kamen, am 17. August , ward noch das Departement der Polizei hinzugefügt. Jedes Departement hatte seinen besonderen Director, welchem wiederum Referenten und Sekretaire zur Seite standen .

1. Das Kriegsdepartement. Director

desselben

war

Eugen Kaczkowski

und

später der aus dem russischen Dienst desertirte Generalstabscapitain Galensowski . Diese Behörde befaßte sich nur mit der höheren Leitung des Kriegswesens und überließ die Details , wie z . B. die Formirung der Banden und die Ausrüstung derselben mit allem Erforderlichen, der sogenannten städtischen Organisation .

Diese , die sich eines

großen Einfluſſes erfreute, war dem Kriegsdepartement nicht untergeordnet, sondern eher gleichgestellt. Scharf abgegrenzt waren die Ressorts beider Behörden nicht, und wir werden deshalb im Folgenden ihre Thätigkeit an derselben Stelle, und ohne sie zu trennen , besprechen. Indessen wird es nothwendig sein, der städtischen Organiſation noch ein besonderes Kapitel weiter unten zu widmen , denn ſie bildet ein wesentliches Organ der gesammten Revolution und steht gleichsam in der Mitte zwischen der Centralorganiſation und der Lokalorganiſation , zu welcher letteren sie eigentlich zu

17 rechnen wäre , während sie vermöge der Bedeutung , die sie gewann ,

eine bei weitem höhere Stellung einnahm ,

was

der ganzen Leitung der Angelegenheiten eben nicht förderlich war. Eins der Hauptgeschäfte des Kriegsdepartements bestand in der Verwendung der demselben überwiesenen Gelder, namentlich zum Ankauf von Waffen .

Das Budget des De-

partements im Jahre 1863 ſtellte sich folgendermaßen : Einnahme. Ausgabe. Rubel. Rubel. Vom 7. Juni bis zum 10. Auguſt 168,280 . Im August . 23,326. = September . 30,113. = October 5,032. - November • · 6,500. = Dezember 3,335.

168,280. 14,992 . 26,640.

Summa : 236,586 .

221,038 .

3,641. 4,174. 3,311 .

Es ist daraus ersichtlich , wie die Mittel im Laufe des Jahres immer mehr und mehr abnahmen; im Januar 1864 floß fast gar nichts in die Kasse , später nahmen die Einfünfte dann wieder zu. Der Director hatte ein monatliches Gehalt von 125 R. und Jeder der vier Sefretaire 75 R.

Offiziere, welche

sich zu den im Felde stehenden Insergenten begaben, erhielten durchſchnittlich eine Unterstützung von 50 R. , Einige auch 100 Rub. Die wichtigste Sorge war der Waffenkauf. Schon in den Monaten October, November und Dezember des Jahres 1862 hatte das Warschauer Centralcomité an das auswärtige Comité in Paris successive die Summe von 140,000 Gulden gesandt, mit dem Auftrage, so schleunig wie möglich Waffen zu besorgen. Das Haupt des Pariser Comités war damals Zwerczakewicz ; auch reiste Langiewicz nach Paris, um die Sache rascher zu betreiben.

HOV RAZE NPVA

KNI

BANI

SCHE

Die Agenten befanden sich bei diesem Waffenkauf in großer Verlegenheit , da man ihnen keine Vorschriften über R THE LID HAR 2 B P I B

SLOVANSKA

18 die Eigenschaften und den Preis der Gewehre , über den Transport u. s. w. gegeben hatte, und die einzige Instruktion des Warschauer Comités, das seine Geldsendungen fortsette, bestand darin, „man solle faufen " ; nach Ausbruch der Revolution würden bestimmtere Weisungen erfolgen.

Da die

Agenten nun von der Vorstellung ausgingen, daß zu Anfang des Aufstandes die Insurgentenschaaren aus Leuten bestehen würden ,

welchen

der

Gebrauch

verbesserter Feuerwaffen

vollkommen fremd ſei, beſchloſſen ſie, Gewehre der einfachsten Art, nur zum erſten Zuſammenſtoß tauglich, anzuschaffen. In Folge dessen kaufte Langiewicz im November 1862 : 4-5000 alte preußische , glattläufige Gewehre, die ehemals Steinschlösser gehabt , dann mit Percussionsschlössern versehen worden waren ; sie kosteten 12-13 Franken das Stück. Außerdem kaufte das Pariser Comité in London, durch Bonforts Vermittelung, 3987 Büchsen für 108,000 Franken. Alle diese Feuerwaffen wurden nach Gotha und Wien gefandt, während die Richtung des Weitertransports dem Pariser Comité unbekannt blieb. Um den Transport abzukürzen, beschloß 3werczakewicz , Gewehre in Königsberg , nahe an der polnischen Grenze, zu kaufen und fandte deshalb die Summe von 7000 Franken dahin ab. Was dafür angeschafft worden, darüber verlautet Nichts .

Die Sache muß hier keinen

rechten Fortgang genommen haben , denn wiederum wandte sich Zwerczakewicz nach London zum Einkauf von 1000 Enfieldbüchsen und 2 Withworthgeschützen (6000 Lst.)

Damit

waren die überſandten Gelder , 334,233 Gulden ( 50,135 Rubel ) erschöpft . Es gelang nun den Vorstellungen, welche 3werczakewicz dem Warschauer Comité machte, daß die Geldsendungen nach Paris eingestellt wurden, indem er auf die Schwierigkeit der Verschickung der Waffen von London oder Paris, auf die Betrügereien Bonforts und ſeine eigne Unbekanntschaft mit den betreffenden Handelsgeschäften hinwies . Demzufolge berief das Warschauer Comité eine Commiſſion zum Einkauf von Waffen, die in Lüttich ihren Siz nehmen sollte.

19 Dieſe Commiſſion trat mit verschiedenen Geschäftsleuten in Verbindung , unter Anderen mit Forster in Berlin, welcher die posenschen

Insurgentenbanden

mit

Gewehren

versah. Es flossen der Commiſſion ganz bedeutende Geldmittel zu, so vom 9. April bis zum September 1863 : 12,137 Thaler und 901,984 Franken.

Davon verausgabte sie jene

erste Summe (vermuthlich nach Berlin) und von der lezteren : 336,669 Franken ; hierfür wurden angeschafft : 7805 Büchsen , 652 Karabiner , 1639 Pistolen , 300 Säbel und 2 Millionen Zündhütchen. Eine fernere Rechnungsablegung von Seiten der Commission existirt nicht ; aller Wahrscheinlichkeit nach wurde auch der Rest jener obigen Summe zum Ankauf von Waffen mit Zubehör gebraucht, wobei die Lütticher Fabrikanten gute Geschäfte gemacht haben sollen.

Aus

den von Mieroslawsky veröffentlichten Dokumenten geht hervor, daß die von Warschau zu dem genannten Zweck eingeschickten Gelder von den Emigrirten in unverantwortlicher Weise verschleudert wurden . Es wurden außerdem sehr viele Waffen im Königreich Polen selbst, sowie in Posen und Galizien, nach dem Ausbruch der Revolution käuflich erworben. In Warschau befanden sich Magazine, wo die Gewehre und sonstigen Ausrüſtungsgegenstände

aufbewahrt wurden,

bis sie bei passenden Gelegenheiten den Insurgentenbanden zugeführt werden konnten, auch wurden Individuen, welche sich in Warschau zur Theilnahme an dem Kampfe meldeten, aus den Magazinen mit dem Nöthigen versehen und dann an die im Felde stehenden Detachements abgeschickt. Am 4. September befanden sich in diesen sogenannten Volksmagazinen : 3 Geschüße, 62 Büchsen, 94 Pistolen und Revolver, 118 Säbel, 179 Dolche, 66 Piken, 350 Beile, 47,000 St. Zündhütchen, 200 Pfund Pulver, 32 Bomben , 55 Raketen und 17,078 verschiedene Kleidungsstücke.

Ein großer Theil

dieser Gegenstände fiel der Polizei in die Hände und zwar fand man sie im Grabowskischen Hause , im Bernhardiner Kloster, im Ekkertschen Hause und an anderen Orten. 2*

Eine

20 Waffenfendung wurde in der Nähe der Stadt Garwolin vom Obersten Weintraube aufgefangen. 2. Das Departement der innern Angelegenheiten. Dieses bewirkte die Vermittelung zwischen der Junta und den bevollmächtigten Kommissairen in den Woiwodschaften und bestand aus dem Direktor, einem Sefretair und 3 Referenten. Der Geschäftsgang war in der Weise vertheilt , daß der Direktor und Jeder der drei Referenten die Korrespondenz mit je zwei Woiwodschaften besorgte. Bis zum März 1864 bekleidete den Posten des Direktors Raphael Krajewski , jedoch mit einigen Unterbrechungen. Während derselben und nach Krajewski's Arreſtation fungirten an seiner Stelle : ein früherer Professor an der Petersburger Univerſität, Laguna , dann der Gutsbesitzer Joseph Narjimski , und ein vormaliger Warschauer Student, Karl Majewski. Narjimski entzog sich der Untersuchung durch die Flucht , die beiden Andern sind nach Rußland abgeführt worden, haben sich aber hartnäckig geweigert, über ihre Amtsführung irgend welche Aufschlüsse zu geben. 3. Das Departement der Finanzen . Es bestand einem Kaſſirer,

aus dem Direktor ,

einem Kontrolleur,

einem Sekretair und einem fünften Mit-

gliede. Direktor war der Gutsbesiger Dionysius Skarjinski und nach ihm Toczisti , einer der in Folge der Amnestie aus Sibirien Zurückgekehrten . Dieses Departement scheint keine große Bedeutung ge= habt zu haben, da der größte Theil der Geldmittel, über welche die Revolution zu verfügen hatte, zur Beschaffung von Kriegmaterial verwandt wurde, welches entweder durch die oberste Behörde unmittelbar, oder durch das Krieg sdepartement oder die städtische Organisation, ohne die Dazwischen-

1

21 kunft des Finanzdepartements, geschah. Auch die andern Departements hatten ihr eigenes Budget , wahrscheinlich unabhängig von der Finanzbehörde.

4. Das Departement der auswärtigen Angelegenheiten. Dieses Departement hatte außer dem Direktor nur noch einen Sekretair und scheint überhaupt von geringer Wichtigkeit geweſen zu sein, auch verschwand es gegen Ende des Jahres 1863 gänzlich. Direktor war zuerst Heinrich Krajewski , der in Folge der Amnestie aus Sibirien zurückgekehrt war, und später der Kanonikus Dunajewski.

5. Das Departement der Presse. Es ist dies das älteste der revolutionären Departements und existirte in gewiſſer Weise schon vor Errichtung des Centralcomité's , wie es denn auch eines der wichtigsten Werkzeuge der Revolution war. Es ward von einem Direktor geleitet , dem ein Sekretair zur Seite stand, und benuzte geheime Druckereien zur Verbreitung von Zeitungen, Flugschriften, Bekanntmachungen u. s. w. Bei diesem Departement trat ein häufiger Wechsel in der Person des Direktors ein, und es bekleideten den Posten eines solchen nacheinander : Agathon Hiller , der Lehrer Eduard Siwinski, Bronislaw Schwarz, Iwan Wernizki , Stephan Bobrowski , dann der Lehrer Brichibhlski , der frühere Beamte Timm Senkowicz , der Redakteur der „Warschauer Zeitung " Joseph Wagner und endlich der Lehrer Roman Julinski. Es wurden von dem Departement der Preſſe 3 verschiedene revolutionäre Zeitungen herausgegeben , von denen zusammengenommen aber nur 30 Nummern erschienen. Der Vertrieb der Zeitungen geschah durch Frauenzimmer, welche dafür eine monatliche Vergütigung von 15 Rubeln erhielten. Für Artikel , die in den Zeitungen aufgenommen wurden,

22

war das Honorar 3 Kopeken für die Zeile und jedes Exemplar dieser revolutionären Blätter kostete 5 Kopeken. Außerdem wirkte man auch noch durch Bestechung fremder Zeitungen und Bezahlung an diese für Aufnahme polenfreundlicher Artikel, ferner durch die Absendung falscher Telegramme, zu welchem Ende Czartoryski monatlich gegen 2000 Rubel erhielt. Auch im Lande selbst wurden große Summen verausgabt, beiſpielweiſe in den 4 legten Monaten des Jahres 1863 : 7000 Rubel. Der schädliche Einfluß, den die revolutionäre Presse auf die Gemüther der Bevölkerung ausübte , trieb die legitime Regierung zu dem größten Eifer bei der Erforschung der geheimen Druckereien und derjenigen Personen, welche in

diesen

beschäftigt

waren

oder

der

Verbreitung

der

Drucksachen oblagen. So gelang es, im September 1863 in Warschau 5 Druckereien und eine lithographische Anstalt der Junta nebst 22 Perſonen zu entdecken, die theils in den Anstalten selbst, theils mit der Verbreitung ihrer Erzeugnisse beschäftigt waren. Die größte Thätigkeit rücksichtlich der Einrichtung und des Betriebswesens der Druckereien hatte der oben als Direktor des Preßdepartements angeführte frühere Redakteur Joseph Wagner entwickelt und war dabei von einem Buchdrucker Namens Loiko aufs Eifrigſte unterſtügt worden. Sie hatten eine Druckerei im Hauſe der Wittwe Kasterska in zwei Zimmern eingerichtet, und hier wurde namentlich der „ Dziennik Narodowy" ge= druckt. Da stürmten am 13. Mai 1863 plötzlich 4 vermummte, bewaffnete Personen in das Local und geboten die Arbeiten einzustellen , ohne sich jedoch der Geräthe zu bemächtigen.

Diese Maßregel war seltsamer Weise von

einigen der höchstgeſtellten Mitgliedern der Organiſation, welche feindliche Gesinnungen gegen Wagner nährten , ausge= gangen.

Die zur Druckerei gehörigen Sachen wurden nun

in ein anderes Local gebracht und ſtanden dort eine Zeit dieselben zuerst Dann führte Wagner lang unbenugt. Dann Wo an eine

neue Stelle und

darauf wieder zurück in das

23 ursprüngliche Local bei der Kaſterska , und begann seine Thätigkeit von Neuem. Allein die Polizei kam der Sache hier auf die Spur, und Wagner mußte in aller Eile seine Druckerei wiederum verlegen. So wechselte er noch mehrere Male

den Ort

Polizei in die Hände fiel.

derselben ,

bis

sie

endlich der

Ihm selbst gelang es, sich der

Arrestation durch die Flucht zu entziehen.

Bis gegen Ende

des Jahres 1863 hatte die revolutionäre Regierung noch immer geheime Druckereien ; in den ersten Tagen des neuen Jahres ward aber auch die letzte derselben von der Polizei entdeckt und unſchädlich gemacht, und die revolutionären Dokumente wurden fortan bei einem gewöhnlichen Buchdrucker, Namens Nowakowski , wie es scheint bis zum Ende der Insurrektion, gedruckt.

6.

Das Polizeidepartement.

Dasselbe ward erst am 17. August 1863 , also später als die anderen

Departements, gegründet und hatte na=

mentlich auch die Bestimmung, die Ausführung der von der obersten Behörde gegebenen Befehle zu überwachen tadelnde Beurtheilungen derselben zu unterdrücken.

und Zu

dem Ende stand die Warschauer und die Provinzialpolizei, sowie die städtische Wache, unter dieſem Departement.

Es

bestand dieselbe aus einer Kanzlei und 3 Abtheilungen. Der Direktor dieser Behörde war , so lange sie existirte, der frühere Gymnasiallehrer, Adolph Penkowski , und der Kanzlei stand ein vormaliger Wegebeamter, Emil Lauber , vor. Die 3 Abtheilungen waren folgende : a. Die eigentliche Polizei . Ihr Vorstand war Jan Karlowicz , ehemals angestellt beim Warschauer Oberpolizeimeiſter, bei der Insurrection bekannt nnter dem Namen Jan der Weiße (Bjeli) und sein Gehülfe Jan Masson , genannt Jan der Schwarze , ( Czerni) , ein früherer Apothekerlehrling.

24 b. Die Paßabtheilung . Sie ward verwaltet von Wladislaw Saliesti , einem früheren Beamten der Kreditgesellschaft ;

die

falschen

Paßblankette ,

deren

man

fich bediente, wurden von Bialkowski , Nowosielski und Robert Grabowski geliefert. c. Die geheime Polizei. Jhr Oberhaupt war Michailowski und sein Gehülfe Peter Smyjewski , früherer Finanzbeamter. Zum Zweck der Polizeiverwaltung war die Hauptſtadt in Diſtrikte und Kreise eingetheilt, welche den, von den legitimen Behörden angeordneten Eintheilungen entsprachen. Es gab 5 Distrikte, (wovon 1 in Praga) und 12 Kreise (delnizi).

Lettere waren wiederum in Sektionen und diese

in Reviere abgetheilt.

Jeder Diſtrikt hatte einen Inspektor

mit einem Gehülfen , und jeder Kreis einen Kommiſſair, dem gleichfalls ein Gehülfe beigegeben war ; dann hatten die Sektionen ihre Vorsteher und die Reviere ihre Aufseher. Für jeden Distrikt und jede Sektion waren Steuereinnehmer angeordnet , welche mit Hülfe der Revieraufseher ihr Geschäft betrieben. Zu den Obliegenheiten der Polizei gehörte : Das Vollziehen der von der höchsten Behörde ausgehenden Befehle. Die Führung von Verzeichnissen über alle Einwohner Warschaus, mit Bezeichnung des Standes, Gewerbes und der Einkünfte eines Jeden, behufs der revolutionären Steueranseßung. Die Ueberwachung des Verhaltens der Einwohner, ob Jemand den Geboten der insurrektionellen Behörde zuwider handelte oder übel gesonnen war. Die Aufspürung der Maßnahmen der legitimen Regierung und namentlich gegen wen Untersuchungen und Verfolgungen eingeleitet wurden, worüber dann aufs Schleunigſte an die Vorgesetzten zu berichten war. Zur Verfügung des Oberhauptes der Polizei standen 50 mit Dolchen bewaffnete Leute , sogenannte Gendarmen,



25 welche zu den Mordanfällen gebraucht wurden.

Ihr An-

führer war ein gewiffer Schaffarczik und sein Gehülfe hieß Eduard Hochhauser. Außerdem existirte noch eine sogenannte städtische Wache, welche aber eigentlich zu der städtischen Organisation gehörte , die weiter unten näher besprochen wird. Die Polizei hatte auch Vorräthe von orsinischen Bomben und anderen Mordgeräthen, welche bei den Ueberfällen auf den Straßen von ihr angewendet werden sollten. Die Ausgaben des Polizeidepartements waren sehr beDem Direktor waren zur Bezahlung von Agenten

deutend.

und Kourieren, zur Fortschaffung compromittirter Personen u. s. w . monatlich 1500 Rubel angewiesen ; seine Gehülfen sowie die Inspektoren und Kommissarien erhielten jeden Monat 50 Rubel. Den Vorstehern der sogenannten rusfischen Stiftungen ( über welche man durchaus nichts Näheres weiß) wurden monatlich 500 Rubel und für Nachrichten aus dem Stabsquartier der russischen Truppen 45 Rubel bezahlt. Zu Zeiten war die Anzahl

jener Gendarmen auch größer ; so wurden vom 1. bis 20. Auguſt für 200 Gendarmen 1800 Rubel und vom 20. Auguſt bis zum 1. September für 120 600 Rubel verausgabt, so daß jeder derselben täglich 50 Kopeken erhielt. Das Gehalt der Gendarmen ward , wenn sie sich weigerten einen Mord zu vollziehen, herabgesezt, bis dann der Hunger sie zwang, den Befehl auszuführen, auch wurden Drohungen angewandt , um sie dazu zu bringen. Dabei mußten die Gendarmen ganz auf eigene Gefahr handeln und die Junta nahm sich ihrer nicht an , um sie zu decken oder sie zu befreien, wenn ſte, was sehr oft geschah, der legitimen Polizei in die Hände fielen. In Warschau wurde der an Jemanden zu vollziehende Mord hauptsächlich von dem Polizeidirektor , dem Revolutionstribunal und dem sogenannten abgekürzten Gericht verfügt; doch konnten die Gendarmen auch ohne Weiteres

26 jede Person , die des öffentlichen Schußes beraubt , d . h. gerichtet war, niederſtoßen. Zu diesen Perſoneu gehörten : alle russischen

Polizeioffiziere und Gendarmen , und die Mitglieder der Militär- Untersuchungskomissionen und Gerichte u . A. Die Verfügungen des Polizeidirektors wurden in einer besonderen Zeitung abgedruckt , deren erste Nummer, mit der Bezeichnung " Verordnungen des Polizeidepartements " (Rosporzadzenia Wydziału Policjia ) am 31. Auguſt 1863 erschien. Es war in derselben auch das Programm oder die Aufgabe des Blattes angegeben , und zwar in folgender Weise : „ Die Einwohner anzuhalten zu einem freiwilligen, einmüthigen patriotischen Handeln, die Mittel anzugeben für ein behutsames Auftreten , die Böswilligen zu verfolgen und allen gefahrbringenden Maßregeln des Feindes vorzubeugen. " Wie dieses Programm von der revolutionären Polizeibehörde aufgefaßt ward , davon giebt der weitere Inhalt derselben Nummer jenes Blattes den besten Beweis . Es werden dort nämlich die schon von der Polizei vollzogenen Mordthaten zur öffentlichen Kunde gebracht, und es ſind folgende Personen, die ihr zum Opfer gefallen waren : Slawinski , die Familie Wichert (3 Perſonen) , der Aufseher Biali , der Beamte Skawronski , der Arbeitsmann Bellert ,

und ein bei der Tabacks adminiſtration Angestellter, Namens Krajewski ; ferner wird mitgetheilt, daß ein Mordversuch auf den Kommissair des ersten Warschauer Polizeidistrikts, Drosdowicz , gemacht aber fehlgeschlagen sei. Also seit der Einſegung der inſurrectionellen Polizei waren gerade 14 Tage verflossen und in 14 Tagen 8 Ermordungen und 1 Mordversuch ! Wir werden unten noch von vielen solcher Greuelthaten zu berichten haben. Der größte Theil der zum Polizeidepartement gehörigen Personen ward ergriffen und ist den Gerichten übergeben worden.

27 Außer diesen 6 Departements der Centralorganisation gab es in Warschau noch einige Institutionen von solcher Bedeutung , daß wir sie nicht als einer jener Behörden untergeordnet betrachten können , sondern ihnen eine selbstständige Besprechung widmen müſſen. Dahin gehören : Das Revolutions tribunal und die städtische Organiſation. 1) Das Revolutions tribunal. Am 2. Januar 1863 , zu einer Zeit, wo mehrere frühere Gerichtsbeamte Mitglieder der Volksjunta waren , erschien ein Defret von dieser, welches die Einsetzung eines solchen Tribunals verkündete und als dessen Bestimmung angab, Leute , welche wegen ihrer der Revolution ungünstigen Gesinnung sich bemerklich machten , in Untersuchung zu ziehen und Todesurtheile über sie zu fällen . Das Warschauer Revolutionstribunal bestand aus einem Präsidenten dem früheren Petersburger Studenten der Rechte Witold Moschinski und zwei Mitgliedern, dem vormaligen Moskauer Studenten Alexander Pawkowski und dem Schuhmachermeister Penionjek. Dazu kam noch ein Prokurator, weicher die Anklageakte gegen die vor das Gericht gezogenen Personen zu erheben hatte ; dieſe Würde ward auch einem Moskauer Studenten , Namens Kosieski , übertragen . Alles was dies Gericht betraf, war in das tiefste Geheimniß gehüllt, und selbst Viele der höheren revolutionären Beamten kannten die Mitglieder des Tribunals nicht ; nur der Junta, dem Stadthauptmann und dem Chef der Gendarmen waren sie bekannt.

Letterer hatte für die Voll-

ziehung der Bluturtheile zu sorgen. 2) Die städtische Organisation in Warsch a u. Wir sagten schon oben, daß diese Inſtitution eigentlich zu den lokalen Organiſationen, welche die dritte Hauptgruppe der revolutionären Behörden bildeten , zu rechnen seien. Allein vermöge der großen Bedeutung Warschaus für die Insurrektion, namentlich wegen der großen Geldbeiträge und

28 der Menge von Kombattanten , welche die Stadt lieferte, erhielt die städtische höchste Behörde eine solche Wichtigkeit, daß sie bisweilen sogar nicht ohne Erfolg mit der Junta rivaliſiren konnte.

Es sind bei der städtischen Organisation zwei Gewalten zu unterscheiden, nämlich die adminiſtrative,

melche dem Stadthauptmann , und die militärische , dem Organisator übertragen war. a)

Der

welche

revolutionäre Stadthauptmann

in

Warschau. Die Würde eines solchen ward nach einander bekleidet von: dem verabschiedeten Lieutenant der russischen reitenden Garde - Artillerie

Sigismund Padlewski ,

Bobrowski ,

einem

ehemaligen

Beamten ,

Stephan Namens

Senkowicz, dem früheren Gymnasiallehrer Prschi bylski und dem Studenten Alexander Waschkowski . Ein gewisser Lempke verrichtete Adjutantendienst bei Einigen der Genannten, bis er später als sogenannter Organisator eine selbständige Rolle spielte. Der Stadthauptmann hatte eine aus Gendarmen beſtehende Wache , welche zugleich auch zur Verfügung der Junta war und dieselbe vor den Angriffen widerstrebender Parteien sicher stellen , wie auch dem Treiben dieser nachspüren sollte. Chef der Gendarmen war zuerst ein Student, Namens Janczewski , dann ein anderer Student, Paul Liandowski , der als Gehülfen einen Warschauer Bürger, Namens Paul Ekkert , hatte. Liandowski traf eine Auswahl aus den Gendarmen, indem er 50 der Zuverlässigſten zu einer besonderen Bande vereinigte, welche er die Brüderschaft der Knijalisten oder Dolchmänner nannte. Diese waren die Vollzieher der Bluturtheile des Revolutionstribunals, oder der von den andern revolutionären Behörden

dekretirten Ermordungen.

Als Liandowski im October 1863 von der russischen Polizei sehr scharf verfolgt ward, floh er aus Warschau und nahm alle Gendarmen mit , aus denen er ein reitendes

29 Detachement bildete, worauf er sich mit demselben den Expeditionen gegen die Russen anschloß. Nun gründete der oben, bei dem Polizeidepartement erwähnte Jan Karlowicz eine neue Gendarmerie , die

städtische Polizei genannt, welche ganz ebenso gebraucht ward wie die frühere, doch scheinen jezt alle ihre Mitglieder dieselbe Bestimmung gehabt zu haben, die einst den Knijalisten vorzugsweise übertragen war. Die Mordbefehle gingen ihnen entweder schriftlich oder auch mündlich zu ; bei wichtigen Fällen , d. h. wenn angesehene oder hochgestellte Personen zu ermorden waren, mußten die Anführer der Gendarmen. zugegen sein.

Außer den obengenannten Personen , welche

den Dolchen der Gendarmen zum Opfer fielen, seien hier noch erwähnt : der Polizeibeamte Baranowski , deſſen Frau und Tochter bei dieser Gelegenheit verwundet wurden , der Major von Rotkirch, die Beamten Galinski und Dombrowski , der Doctor Bertold Herrmann u . A. Sehr viele Mordversuche, wie der gegen den Grafen Berg , den General Trepow u. s. w. mißglückten oder führten nur die Verwundung des Betreffenden herbei . Der letzte Mord in Warschau fiel am 4. Januar 1864 vor, und glückte es den energischen Maßregeln der ruſſiſchen Polizei ein weiteres Blutvergießen zu verhüten. Indeſſen figurirte der Stadthauptmann noch lange Zeit nachher, indem er sich namentlich durch die Erlassung von Verfügungen bemerkbar machte. Die letzte dieser Bekanntmachungen erschien am 6. Auguſt 1864, also noch 3 Tage nach der Hinrichtung Trauguts , mit dessen Tode die Revolution ihrem Ende entgegengeführt wurde. Der Stadthauptmann hatte außer seinen polizeilichen Funktionen noch vielfache und andere Geschäfte , wie z. B. die Oberleitung des Steuer- und Rechnungswesens der Stadt ; der dieser Darstellung zu Grunde liegende Bericht des Generalpolizeimeiſters erwähnt derselben aber nur ganz beiläufig.

30

b) Der revolutionäre Organisator Warschaus . Seine wichtigste Funktion bestand in der Absendung von Verstärkungen zu den im Felde stehenden Detachements und in der Ausrüstung derselben mit Waffen , Kleidungsstücken und andern Gegenständen. Der erste dieser Organisatoren war Wladimir Lempke, im Gouvernement Kiew gebürtig, und der Sohn eines Generalmajors, auch Ludwig Oculiarnik , der Brillenludwig genannt. Dieser Mensch ist entschieden eine der hervortretendsten Persönlichkeiten der Revolution. Es scheint Etwas von einer Römernatur in ihm gewesen zu sein.

Selbst die

Mitglieder der höchsten Gewalt fürchteten sich vor ihm, und nicht mit Unrecht, denn im Januar 1863 mußten auf seinen Antrieb die damaligen Mitglieder der Junta abtreten und wurden durch andere , die mehr nach Lempkes Sinne waren, ersetzt.

Die städtische Organisation , obgleich ihm

nicht unterthan , fügte sich stets unweigerlich seinem Willen und seiner unbeugsamen Energie.

Er umgab sich mit einer

Schaar von Leuten, die ihm blindlings ergeben waren, und den Ungehorsam gegen seine Befehle strafte er furchtbar, unnachsichtlich , oft mit dem Tode des Betreffenden. Man war ihm von Seiten der ruſſiſchen Polizei bei einem Aufenthalt in Kiew auf die Spur gekommen, und als er sich ohne Rettung verloren sah, schon in den Händen seiner Häscher, nahm er Gift , welches er in einem Ringe , der ihm von der Volksjunta als Zeichen der Anerkennung geschenkt war, stets bei sich trug. Nach Lempke war ein früherer Beamter , Julian Gawalkewicz , Organisator.

Namens

Ehe wir diesen Abschnitt schließen, wollen wir noch auf einen im Vorgehenden erwähnten Fall , die Beraubung der Warschauer Finanzkasse , kurz zurückkommen . Dies unerhört verwegene Unternehmen ward von dem Studenten Alexander Waschkowski , der später die Würde des Stadthauptmanns bekleidete, im Juni 1863 mit Hülfe des

31 Kassenbeamten Janowski , des Kaſſenkontrolleurs Gebda und dreier Kassendiener Belczinski , Tuschkowski und Die beiden Erstgenannten Kolschunowski ausgeführt. lieferten Waschkowski die Schlüssel zu den

Schatz-

gewölben, und es wurden nun nach Abbrücken , die man von diesen genommen hatte , ähnliche Schlüſſel angefer= tigt. Die drei Diener halfen Waschkowski die aus den Gewölben fortgenommenen Gelder und Werthpapiere nach der Wohnung eines Anhängers der Revolution hinschaffen, welches drei Tage hindurch, am 6., 8. und 9. Juni, und zwar wenn die Sitzungen im Finanzgebäude geschlossen waren und ehe sie Morgens begannen, geschah. Die an den Gewölben anfgestellten Schildwachen ließen Waschkowski und seine Helfershelfer ruhig ein- und ausgehen und Siegel waren an den Thüren nicht angebracht. Auf diese Weise wurden 3,600,000 Rubel aus den Gewölben der Finanzkasse entführt, nämlich 42,000 Rubel an baarem Gelde und 3,557,500 Rubel an Werthpapieren.

Von letteren wurden

3 Millionen sogleich nach Paris an die daſelbſt etablirte Kommiſſion zur Tilgung der Nationalschuld eingeschickt , die übrigen Summen

aber der revolutionären Regierung in

Warschau zur Verfügung gestellt.

III.

sich

Die Lokalorganiſation in den Woiwodschaften.

Die Nationalregierung theilte das Gebiet, über welches der Aufstand verbreitet hatte , in 8 Woiwodschaften ;

nämlich Plott, Augustowo, Masowien , Kalisch , Sandomir, Krakau , Lublin , Podlachien und diese zerfielen wieder in 39 Bezirke , die Bezirke in Kreise und diese in Kirchspiele ( Parafien oder Prichoden ) .

Diese so bis in die kleinsten

Theile durchgeführte Organiſatiou diente einmal in vorzüglicher Weise zur straffen Aufrechthaltung des angeordneten Geschäftsganges und andererseits gab sie der Nationalregierung eine erwünschte Gelegenheit , dem Volkscharakter der Polen, welche außerordentlich titelsüchtig sind, zu schmei-

32 cheln, indem sie eine ungeheure Menge von Aemtern schuf und dadurch eine große Anzahl von Individuen , die dem Aufstande sonst vielleicht fern gestanden hätten, an sich heranzog und sich verbindlich machte. In den Woiwodschaften war die bürgerliche Verwaltung etwas schärfer von der militärischen getrennt, als dies in Warschau der Fall war, indessen hatte die erstere doch auch manche Geschäfte, welche in das Gebiet der andern hinüberspielten. Beide Geschäftszweige hatten einen besonderen Chef. In jeder Woiwodschaft hielt sich ein mit großen Vollmachten ausgerüsteter Kommmissair der Nationalregierung, das „ Auge und Ohr “ derselben , auf, und als unvermeidliche Stüße der Autorität der Beamten und der Durchführung der pon Oben kommenden Befehle waren überall Banden von Gendarmen statio= nirt, welche auch hier durch heimliche Ermordungen die Gemüther einschüchterten. A. Die bürgerliche Verwaltung. 1) Die obere Verwaltung schaften.

in den Woiwod-

An ihrer Spize stand ein von der Nationalregierung. aus den im Diſtrikt ansässigen Einwohnern erwählter Chef. Zu den mannigfachen Obliegenheiten desselben gehörten : Die Ausführung der Dekrete der Nationalregierung, Die Eintreibung der nach Verfügung der Nationalregierung auferlegten Steuern, die Kontrolle über die Kassen der Woiwodschaft, Oberaufsicht über die städtische Adminiſtration, Ueberwachung der öffentlichen Meinung, Fürsorge für nothleidende Familien. Entgegennahme von Gesuchen aller Art, Einrichtung des Postwesens, Beschaffung und Aufbewahrung aller zur Ausrüstung der im Felde stehenden Truppen nöthigen Gegenstände, wie auch Gestellung von Pferden , Einrichtung von Kommissionen für

die Rekrutenaushebung,

33 Bestätigung der vom Revolutionstribunal (der Woiwodschaft) gefällten . Urtheile, Ernennung von Beamten und die Abseßung derselben, Wöchentliche Berichte an die Nationalregierung über Zustand der Woiwodschaft. den Die Kasse der Woiwodschaft ward vom Chef unter eigner Verantwortlichkeit verwaltet, doch haftete er nur für den halben Belauf der in ihr enthaltenen Summe, für deren andere Hälfte der von der Nationalregierung ernannte Kaſſirer verantwortlich war. Der Kaſſenbehalt durfte den Betrag von 2 Millionen Gulden nicht übersteigen und mußte der Ueberschuß an die Nationalregierung abgeliefert werden, an welche auch wöchentlich über den Stand der Kaſſe zu berichten war. Dem Kommiſſair mußten auf ſein Verlangen alle möglichen Aufschlüsse über die Kasse gegeben werden, ebenso dem Militärchef der Woiwodschaft. Das Revolutionstribunal der Woiwodschaft bestand aus dem Vorsitzenden, zweien Mitgliedern und einem Procurator ; dasselbe hatte Urtheile über Leute zu fällen, deren Gesinnuugen verdächtig waren , und diese Urtheile lauteten oft auf Todesstrafe. Uebrigens waren nicht in allen Woiwodschaften solche Tribunale. 2) Die Verwaltung der Distrikte. Der Chef derselben ward aus den dort ansässigen Einwohnern durch den Administrationschef der Woiwodschaft erwählt und war demselben unmittelbar untergeben, wöchentlich hatte er über den Zuſtand im Diſtrikt an Jenen zu berichten. Unter ihm standen verschiedene Behörden ; zunächst die Kanzlei , welche aus mehreren Abtheilungen bestand, von denen wir die für Militärangelegenheiten hervorheben wollen.

Sie hatte für Magazine zur Aufbewahrung

von Waffen und andern Militärgegenständen, sowie für deren Beschaffung zu sorgen, ferner Verzeichnisse über die Personen. zu führen, welche bei den Rekrutenaushebungen in Betracht kommen konnten, Geld- und Naturalbeiträge auf die Einwohner 3

34 auszuschreiben, zum Unterhalt der insurrectionellen Banden, endlich über die im Distrikt vorfallenden Truppenbewegungen beider Parteien, über Gefechte, Gewaltthätigkeiten u . f. w. zu berichten. Die Finanzkaſſe des Distrikts durfte bis zu 300,000 Gulden enthalten , etwaige Ueberschüsse waren an die Kasse der Woiwodschaft abzuliefern. Der Adminiſtrationschef verwaltete die Kaffe unter eigener Verantwortung ; für den Kassenbehalt haftete andern Hälfte.

er zur Hälfte ,

der Kassirer zur

3) Die Verwaltung der Kreise. Jeder Distrikt war in 2 oder 3 Kreise getheilt.

Die

Geschäfte der Kreisbehörden bestanden wesentlich in der Erhebung der auferlegten Steuern und der Ablieferung derselben an die Distriktskaſſen . 4) Die Verwaltung der Kirchspiele. Dieselbe war ausschließlich eine polizeiliche und ward vom Kirchspielvorsteher ―― der von dem Kreisvorsteher ernannt wurde mit Hülfe des für jedes Dorf ernannten Aeltesten oder Reviervorstehers und der Sicherheitswache gehandhabt.

Der Kreisvorsteher konnte jedes , seiner Ge-

sinnungen halber verdächtige Individuum feſtnehmen laſſen, und kam ihm überhaupt die Ueberwachung der Gemüther der Einwohner zu.

Außer diesen verschiedenen Verwaltungs-

bezirken oder Woiwodschaften hatten die größeren Städte ihre eigene nach den oben geschilderten Grundfäßen eingerichtete Administration.

B. Die Militärverwaltung. Dieselbe hatte als Hauptaufgabe, die Vermittelung zwischen der bürgerlichen Adminiſtration und den Truppenführern zu übernehmen. In jeder Woiwodschaft war ein Chef der Militärverwaltung , dem wiederum ein Organisator unmittelbar untergeben war.

Dieser hatte die Aufsicht über

35

die von den bürgerlichen Behörden angelegten Magazine und mußte dafür Sorge tragen , daß dieselben die feſtgesezte Anzahl von Ausrüstungsgegenständen enthielten. Darunter aber war verstanden : die vollständige Ausrüstung zweier Infanteriebataillone zu 676 Mann und zweier Escadrons zu 152 Mann , sowie ein auf diese Truppenſtärke berechneter Mundvorrath für 30 Tage. Es lag dem Organisator ob ,

die im Felde stehenden Detachements aus

den Magazinen mit dem Nöthigen zu versehen , allein er durfte nie mehr als die Hälfte der Gegenstände , die das Magazin enthalten sollte , ausliefern, und mußte dann die Civilbehörden zur Nachfüllung desselben anhalten. Auch bei der Militärverwaltung war die Distriktsund Kreiseintheilung zu Grunde

gelegt und jeder dieser

Theile hatte seinen Organiſator.

Außerdem gab es soge-

nannte Partisanenchefs , die unter den Organisatoren der betreffenden Distrikte standen. Für jede 10 Quadratmeilen ward nämlich eine Compagnie solcher Parteigänger, welche zu Patrouillendiensten und andern Unternehmungen des kleinen Krieges bestimmt waren , errichtet.

Eine solche

Compagnie beſtand aus 96 Mann und zerfiel in zwei Züge (wswod ) und 8 Sektionen zu 12 Mann , jede unter dem Kommando eines Unteroffiziers. Ihre Aufgabe war namentlich

den Feind überall zu beunruhigen, Patrouillen und

Transporte, sowie Kouriere, Poſten und Spione aufzufangen, Magazine zu plündern und zu vernichten, Parks und Hospitäler aufzuheben , Wege und Telegraphen zu zerstören . Brücken sollten ohne ausdrücklichen Befehl des Militärchefs nicht zerstört werden, man sollte aber das dazu nöthige Material in Bereitschaft halten. Außerdem mußten die Parteigänger den Detachements, welche ihren Distrikt betraten, als Wegweiser dienen.

In diesem Parteigängerdienst wurden

auch berittene Schüßen verwendet , die in kleine Corps von 1 Offizier, 3 Unteroffizieren und 24 Mann getheilt waren. Partisanenchefs, welche den Rang eines Lieutenants bekleideten, konnten ohne Urtheil jeden auf frischer That er3*

36 tappten Spion oder Verräther tödten lassen, worüber jedoch ein von drei Personen unterschriebener Bericht an den Kreisorganisator einzuschicken war. Sie mußten ihre Corps aus kühnen, kräftigen, aufgeweckten , nicht trunksüchtigen Leuten, am liebsten aus Forstleuten, rekrutiren und waren dazu verpflichtet, beständig umherzuſtreifen; jeden fünften Tag durften sie ausruhen. Der Anzug der Partisanen , der Schnitt des Haares und des Barts sowie ihr ganzes Auftreten durfte sich von dem der Einwohner ihres Distrikts nicht unterscheiden , damit sie , nach Ablegung der Waffen , vom Feinde nicht zu erkennen waren . Außer diesen Partisanen , welche zunächst eine mehr militärische Bestimmung hatten, war eine ungeheure Menge von Gendarmen , ein förmliches Netz, über das ganze Land verbreitet.

Jeder Distrikt hatte einen Gendarmenchef, unter

welchem die sogenannten Wachtmeister standen, die wiederum eine Anzahl Gendarmen befehligten.

Von diesen hielt ein

Theil sich bei den Wachtmeistern auf — es gab in jedem Kreise einen solchen während die Andern rundumher auf dem Lande vertheilt waren, so daß auf jedes Dorf ein Gendarm kam. Dieselben waren ihren Vorgeseßten zum unbedingtesten Gehorsam verpflichtet und hatten, als zur geheimen Polizei gehörig, den Eid unverbrüchlicher Verschwiegenheit leisten müssen. Ihre Instruktion war sehr umfangreich; wir heben von ihren vielen Verpflichtungen hier einige der wichtigsten hervor: 1) Sie sollten die Gesinnungen der Einwohner erforschen und namentlich zu erkunden suchen, ob Jemand der russischen Regierung zugethan sei. 2) Sie hatten fremde Perſonen und ihren Verkehr mit den Einwohnern aufs schärfste zu überwachen ; machte sich Jemand als russischer Spion verdächtig , so war er festzunehmen und an die nächste Wache (Detachement) abzuliefern . 3) Sie hatten die Verfügungen der Admiſtrativbehörden in Vollzug zu bringen, Munitions- und Waffentransporte zu

37 leiten ,

wobei sie sich mit den benachbarten Gendarmen-

posten , namentlich über die Sicherheit des Transports , in Verbindung setzen sollten. 4) Sie mußten die Bewohner für den Fall , daß dieſe von

russischen Patrouillen

eder Detachements

über die

Stellung der Insurgentencorps befragt werden sollten, förm lich instruiren , ausweichende Antworten zu geben , niemals beſtimmte Namen und Ortschaften zu nennen und stets Russen und Polen mit einander zu verwechseln. 5) Sie hatten feindliche Abtheilungen irre zu leiten und ihre Aufmerkſamkeit auf Gegenden zu lenken , die nicht von den Polen besetzt waren. 6) Die vom Feinde angelegten Kommunicationen sollten fie zerstören, und ferner, ganz wie die Partiſanen und ihnen hülfreiche Hand leistend , sollten sie Depeschen und Kouriere auffangen , feindliche Posten fallen u. s. w.

und Patrouillen über-

Welche Mittel die Gendarmen bei ihrer vielseitigen Thätigkeit anzuwenden hatten , davon kann man sich einen Begriff machen, wenn man in der von der Nationalregierung an die Chefs der Woiwodschaften und Distrikte erlaſſenen Instruktion vom 25. Januar 1863 lieſt : „ Alle Mittel zur Vernichtung der Macht des Feindes sind gut und müssen angewandt werden . " Die Gendarmen , mit so weitgehenden Befugnissen ausgerüstet , werden bei Anwendung der Mittel zur Ausführung ihres Dienstes nicht wählerisch gewesen sein.

Aus unserer kurzen Darstellung der Organisation des polnischen Aufstandes dürfte klar geworden sein , daß dieselbe mit großer Energie und Geschicklichkeit durchgeführt worden ist. Aber es geht daraus auch hervor, wie künstlich die ganze Bewegung gewesen ist und wie wenig fie das eigentliche Volk ergriffen hatte, auf dessen Ueberwachung und

38 Einschüchterung ein großer Theil der Maßregeln der infurrektionellen Regierung gerichtet war.

Eine Erhebung wie

die spanische am Anfange dieses Jahrhunderts, welche alle Schichten der Bevölkerung durchdrang , und grade darum, troß ihrer mannichfachen Ausschweifungen , unser Mitgefühl rege macht, eine solche Erhebung war der polnische Aufſtand des Jahres 1863 nicht.

Aus Humanitätsrücksichten konnte

man Theilnahme empfinden für die Polen, Politiker konnten glauben ihre Rechnung zu finden bei diesem Aufstande wahre Sympathien hat er wenige gefunden. THE LIO B I B

Druck von G. Bernstein in Berlin.