Die Musik des griechischen Alterthumes: Nach den alten Quellen neu bearbeitet [Reprint 2020 ed.] 9783112375303, 9783112375297


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Die Musik des griechischen Alterthumes: Nach den alten Quellen neu bearbeitet [Reprint 2020 ed.]
 9783112375303, 9783112375297

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DIE MUSIK DES

GRIECHISCHEN ALTERTHÜMES. NACH DEN ALTEN QUELLEN NEU BEARBEITET

VON

RUDOLF WESTPHAL.

LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1883.

Das Recht der Herausgabe von Uebersetzungen vorbehaltet!.

Druck von M e t z g e r & W i t t i g in Leipzig.

DEN

HERREN

H. WEIL, M1TGLTED 1)ER ACADÉMIE DES INSCRIPTIONS E T B E L L E S - L E T T R E S ZU P A R I S ,

OH. ÉM. RUELLE, R1J1L10THKKAR VON S T . GENOFEVA ZD PARIS,

F. A. GEVAERT, VORPKM DIRECTOR D E R GROSSEN Ol'ER ZU P A R I S , GEGENWÄRTIG DIRECTOR DES CONSERV ATORI UMS ZU B R Ü S S E L ,

SEI DIESES BUCH DANKBARLICHST GEWIDMET.

Inhalts - Verzeichniß. Einleitung. Bearbeitung der griechischen Musik bei den Alten und Neueren Das Aristoxenische System der Künste

. . . .

Seit»

1 12

I. DAS MELOS DER GRIECHISCHEN MUSIK. Die Instrumentalnoten . . . Die erste musische Katastasis Spartas Olympos: Das vollständige System der griechischen Tonarten (Harmonien) Dorisch. Phrygisch-Lydisch Die zweite Musik-Katastasis Spartas 1. Die der diatonischen Scala fremden Klänge Verzierungen der alten vereinfachten Scala des Olympus . . . . Verzierung der alten vereinfachten Scala Terpander's Verzierungen in den chromatischen Scalen 2. Vermehrung der Tonscalen 3. Die Erfindung der Instrumentalnoten Die musische Katastasis seit- den Perserkriegen, besonders in den Musikschulen Athens Lasos von Hermione Pythokleides, Lamprokles, Dämon Plato und sein Verhältniß zu den Pythagoreern Stratonicus und die voraristoxenischen Harmoniker Aristoxenische Theorie des Melos Aus der ersten Harmonik Aus der zweiten Harmonik Aus der dritten Harmonik Alexandrinische und Bömische Zeit Euklides Eratosthenes Thrasyllus Didymus Theo Smyrnäus. Dionysius von Halikarnaß, der jüngere Aristides Mesomedes. Ptolemäus Die lyrodische Musik Die kitharodische Musik

31 50 69 77 114 117 128 134 137 141 153 167 168 174 176 178 180 184 192 241 243 244 245 246 247 248 251 255 260 261

Inhalts-Verzeichniß.

VT

II. DER RHYTHMUS DER GRIECHISCHEN MUSIK. Seite

Vorbemerkung 265 Rhythmische Zeitmaße • . . . 266 Die vier rhythmischen Systeme 269 Die einfachen Takte 274 Die zusammengesetzten Takte 280 Takte der continuirlichen Rhythmopöie und die isolirt. vorkommenden Takte 285 Takttheile 288 Die Diäresis (Zerfällung) der Takte in Takttheile 288 Takte der Praxis und theoretische Takte 290 Die rhythmischen Hauptbewegungen des Taktschlagens 291 Die rhythmischen Nebenbewegungen des Taktschlagens 306 Mischung heterogener Versfüße 311 Irrationale Takte 317

ANHANG. Die Hymnen des Dionysius und Mesomedes Die Instrumental-Beispiele des Anonymus Uebersicht der griechischen Notenzeichen Schlußwort

325 337 341 344

Namen- und Sachregister Berichtigungen

345 353

Einleitung.1 Bearbeitung der griechischen Musik bei den Alten und Neueren. Ihrer Tonkunst haben die Griechen nicht minder wie ihrer Dichtkunst eine äußerst umsichtige und scharfsinnige theoretische Behandlung zu Theil werden lassen. Der Theoretiker der Poesie ist der große Denker Aristoteles, der Schöpfer der Poetik; Aristoxenus von Tarent, der Schüler des großen Meisters, ein nicht minder scharfer Denker wie der Meister selber, ist der umsichtige, in seiner Darstellung für alle folgenden Zeiten unübertroffene Begründer der Musik-Wissenschaft. Von seinen zahlreichen musiktheoretischen Schriften ist nur ein geringer Theil auf uns gekommen. Zwar war in ihnen eine jede Seite der Musik behandelt (etwa mit Ausnahme der musikalischen Akustik), aber zwei Seiten sind es, denen Aristoxenus seine Hauptaufmerksamkeit schenkt. Er unterscheidet nämlich das musikalische Melos, welches nach ihm die durch Höhe und Tiefe bestimmte Qualität der Töne betrifft, — und den musikalischen Rhythmus, d. i. die Töne nach ihrer quantitativen, durch die verschiedene Zeitdauer bedingten Beschaffenheit. Die Wissenschaft vom Melos hat Aristoxenus in drei verschiedenen Werken, der ersten, der zweiten und dritten Harmonik, als den Ergebnissen verschiedener nach einander über diese Disciplin gehaltener Vorlesungen dargestellt, alle drei im wesentlichen Inhalte mit einander übereinstimmend, aber ein jedes der drei Werke nur fragmentarisch erhalten, so daß das eine dem anderen zur Ergänzung dienen muß. Ein Werk des Aristoxenus über den R h y t h m u s ist wo möglich noch fragmentarischer auf uns gekommen. Und doch wissen wir von der Rhythmik des Aristoxenus mehr, als von seiner Darstellung des Melos. Denn für die Rhythmik 1

Gleichzeitig als Vorwort.

B. W e s t p h a ] , Die Musik des griech. Alterthums.

1

2 der Griecheti steht uns als Parallele die Rhythmik unserer modernen Componisten zur Seite, welche im Ganzen denselben Gesetzen des rhythmischen Gefühles wie den von Aristoxenus auf Grund der alten griechischen Meister dargelegten Gesetzen gefolgt sind, während die Eigenartigkeit des griechischen Melos von der modernen Musik vielfach aufs weiteste abliegt. Die alten griechischen Schriftsteller, voran der große Plato — und noch früher die griechischen Dichter — reden von ihrer Musik als der ersten und höchsten ihrer Künste. So konnte es nicht ausbleiben, daß in der Renaissance des classischen Alterthumes bei den christlich-modernen Völkern die Musik der Griechen schon früh ein Lieblingsgegenstand wissenschaftlicher Forschungen wurde. Die oben angedeutete Eigenartigkeit der griechischen Musik im Yerhältniß zur christlich-modernen und die hierdurch sich ergebende Schwierigkeit in der Bewältigung des Gegenstandes war ein Grund mehr, die Forscher zu um so größerer, immer von neuem wiederholter Arbeit zu reizen. In die Zeit, welcher die griechischen Musikautoren noch nicht anders als aus den alten Handschriften zugänglich waren, gehört der Schweizer Heinrich Loriti, nach seinem Heimathscanton Glarus unter dem Namen Glareanus bekannt, der unter der Regierung Kaiser Maximilian's als einer der namhaften Humanisten zu Cöln, Basel, Pavia lebte und 1563 zu Basel starb. Ein Kenner zugleich der alten Sprachen, der Mathematik und Musik, versuchte er die christlichen Kirchentöne auf die Tonarten der Griechen zurückzufuhren. Sein „Dodecachordon", in welchem er diese seine Ansicht niederlegte, stand seiner Zeit in hohem Ansehen und wird von solchen, denen die späteren Arbeiten über die Musik der Alten nicht sonderlich bekannt sind, auch heute wohl noch als Autorität angeführt. Den Anfang, die alten Musikschriftsteller durch den Druck zu veröffentlichen, machte der gelehrte Niederländer Antonius Gogavinus Graviensis, der eine von ihm gemachte lateinische TJebersetzung der drei harmonischen Bücher des Aristoxenus und des Claudius Ptolemäus herausgab (Venedig 1562) und dessen Landsmann Johannes Meursius, der das griechische Original beider Werke zusammen mit den Schriften des Alypius und Nikomachus veröffentlichte (Leyden 1616). Darauf veranstaltete der Schleswiger Marcus M eib om (in Tönningen geboren) zu Amsterdam seine berühmte Ausgabe der Musikschriftsteller „Antiquae musicae autores Septem. Graece et latine. Marcus Meibomius restituit ac notis explicavit. 2 vol. in-4°. Amstelodami 1652." Meibom lebte dann am Hofe der Königin Christine zu Stockholm und später wiederum zu Amsterdam als Professor der schönen Wissen-

Bearbeitung der griechischen Musik bei den Alten und Neueren.

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Schäften, wo er 1711 starb. Seine Sammlung der alten Musikautoren enthält folgende Werke: 1. Die Harmonik des A r i s t o x e n u s , des ältesten und wichtigsten griechischen Musikschriftstellers aus der Zeit Alexander des Großen. In den drei Büchern seiner Harmonik, welche Meibom noch als ein einheitliches, freilich am Ende verstümmeltes Werk ansah, liegen Bruchstücke von drei verschiedenen Werken des Aristoxenus vor. 2. E u k l i d e s , Einleitung in die Harmonik. Der Verfasser ist nicht der alte Mathematiker Euklides, sondern ein viel späterer Schriftsteller aus der Zeit des römischen Kaiserthumes, welchen wir am passendsten mit dem Namen Pseudo-Euklides bezeichnen. 3. E u k l i d e s , Theilung des Kanons, eine akustische Arbeit, vermuthlicli von dem berühmten Geometer aus der früheren Zeit der Ptolemäer. 4. N i c o m a c h u s aus Gerasa, Handbuch der Harmonik. Nicomachus, der eine Einleitung in die Arithmetik geschrieben, gilt der römischen Kaiserzeit als bedeutender Mathematiker. Sein Handbuch der Harmonik beschäftigt sich hauptsächlich mit Akustik. 5. A l y p i u s , Einleitung in die Musik, enthält fast nur die griechischen Notentabellen. 6. G a u d e n t i u s , Einleitung in die Harmonik, aus der späteren Zeit des römischen Kaiserthums. 7. B a c c h i u s , der Alte, Einleitung in die musikalische Wissenschaft, ein kurzer Katechismus der griechischen Harmonik. 8. A r i s t i d e s Q u i n t i i i a n u s , drei Bücher über die Musik, eine Art von musikalischer Encyklopädie, welche nach dem späteren Herausgeber Julius Cäsar (1862) in das dritte christliche Jahrhundert gehört, von dem neuesten Herausgeber Albert Jahn (1882) in das erste Jahrhundert der römischen Kaiserzeit gesetzt wird, denn der Musikschriftsteller Aristides ist nach Jahn's Ansicht ein Freigelassener dös berühmten ßhetors Fahrns Quintiiianus. v 9. Marcianus C a p e l l a , ein römischer Schriftsteller des fünften Jahrhunderts, Verfasser eines Werkes „Ueber die Vermählung der Philologie mit dem Mercur". Das neunte Buch desselben ist der Hauptsache nach eine lateinische Uebersetzung aus dem ersten Buche des Aristides. Meibom's Musikerausgabe mit ihren werthvollen sachlichen Erläuterungen muß als der erste wirkliche Anfang der modernen Wissenschaft der griechischen Musik angesehen werden. Ein Zeitgenosse Meibom's ist der Engländer John W a l l i s , geboren 1616, Theologe und Mathematiker von Fach, Kaplan des Königs l*

4

Einleitung.

Karl II., gestorben 1703 zu Oxford, wo er die Professur der Mathematik bekleidete. Der dritte Band seiner gesammelten mathematischen Schriften, Oxford 1699, enthält eine Ausgabe des griechischen Textes (mit lateinischer Uebersetzung und werthvoller Erläuterung) von folgenden Musikschriftstellern: 1. Claudius Ptolemäus, Harmonik in drei Büchern, hauptsächlich vom Standpunkte der Akustik aus. Ptolemäus ist der berühmte Astronom aus Alexandrien, welcher in der Zeit des Kaisers Marc Aurel das im griechischen Texte nicht mehr erhaltene, unter dem Namen Almagest ins Arabische übersetzte große astronomische Werk geschrieben hat, welches bis auf Copernicus für die christliche Welt in dieser Wissenschaft die einzige Autorität war. 2. P o r p h y r i u s , Erklärungen zu der Harmonik des Ptolemäus, aus dem dritten christlichen Jahrhundert, ein fleißiges Sammelwerk aus früheren Musikschriftstellern. 3. Manuel Bryennius, Harmonik in drei Büchern, aus Byzantinischer Zeit (14. Jahrhundert): darin einige werthvolle Excerpte aus dem Alterthume. In ein erneutes Stadium traten die Forschungen über die Musik der Griechen durch die Arbeiten des berühmten Philologen und Alterthumsforschers AUGUST BÖCKH, der alle Kreise des antiken Lebens und Denkens in den Bereich des philologischen Studiums hineinzog, vorab die musischen Künste der Griechen. Die Pindar-Ausgabe des unsterblichen Meisters der Alterthumswissenschaft ist das monumentale Werk deutschen Fleißes und Scharfsinnes, in welchem August Böckh alle auf den musikalischen Vortrag der Pindarischen Gedichte unmittelbar oder mittelbar bezüglichen Thatsachen der griechischen Musik zur Sprache brachte. Wenige Decennien vorher waren die bis dahin verschollenen Arbeiten des Aristoxenus über Rhythmik wieder aufgefunden und veröffentlicht, die jetzt durch Böckh zu einem bleibenden Momente der philologischen Forschung werden sollten. Soviel auch heute von den Resultaten jener in Böckh's Pindar niedergelegten Forschungen veraltet sein mag: für alle folgenden Zeiten, so lange man sich mit der Wissenschaft griechischer Musik beschäftigen wird, wird August Böckh als eigentlicher Begründer derselben anzusehen sein. Die Forschungen des Meisters Böckh über griechische Musik wurden in demselben Geiste und mit derselben Genauigkeit und Gewissenhaftigkeit zuerst fortgeführt von F r i e d r i c h B e l l e r m a n n , Director am grauen Kloster zu Berlin. Drei seiner Werke sind für die Wissenschaft der griechischen Musik wahrhaft Epoche machend: 1. Die

Bearbeitung der griechischen Musik bei den Alten und Neueren.

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Hymnen des Dionysius und Mesomedes, Text und Melodien nach den Handschriften und den alten Ausgaben bearbeitet. Berl. 1840; — 2. Anonymi scriptio de musica. Berol. 1841; — 3. Die Tonleitern und Musiknoten der Griechen. Berl. 1847. In dem ersten dieser Werke gab Bellermann zum ersten Male eine authentische Ausgabe der Monumente griechischer Yocalmusik aus der Zeit des römischen Kaisers Hadrian; — in dem zweiten unternahm er in den Erläuterungen zu dem von ihm zum ersten Male edirten Texte des griechischen Musikers eine nahezu vollständige Zusammenstellung dessen, was uns von den übrigen Schriftstellern der Griechen an stofflichem Materiale überkommen ist, mit höchst geistvollen, ungemein beachtenswerthen Erklärungsversuchen; — in dem dritten jener Wßrke erläutert Bellermann die griechischen Musiknoten mit solcher Fülle von Scharfsinn, daß das Geheimniß der griechischen Notirung der Grundlage nach, soviel auch noch im Einzelnen zu modificiren sein wird, endgültig festgestellt ist. Nicht zum geringsten Theile war es auch bei mir die ungemein große Schwierigkeit des Gegenstandes, welche seit dem Jahre 1852, wo ich zuerst das Studium der griechischen Musiker begann, mich dieser Arbeit mit Unverdrossenheit und Zähigkeit treu bleiben ließ. Zuerst hatte ich damals z u s a m m e n mit August Roßbach denjenigen Theil der griechischen Musikliteratur, welcher die Rhythmik betrifft, in Angriff genommen. Was hierüber in den verschiedenen Auflagen unserer griechischen Metrik oder von mir allein bis zum Jahre 1872 veröffentlicht wurde, mochte wohl der früheren Auffassung griechischer Rhythmik gegenüber, wie es den Mitforschern erschien, ein nicht unbedeutender Fortschritt sein. Aber wie schon vorher gesagt, die Rhythmik der antiken Musik ist so wesentlich Eins mit der Rhythmik der modernen Componisten, daß ohne die genaue Kenntniß der von diesen angewandten rhythmischen Formen, namentlich ohne die genauere Einsicht in die Rhythmen des großen Joh. Seb. Bach, die notwendigen Parallelen fehlten, an deren Hand allein sich das von den griechischen Rhythmikern überlieferte Material richtig verstehen ließ. Unsere damalige Kenntniß der christlich-modernen Rhythmik war für Aristoxenus nicht ausreichend genug. So wird dasjenige, was die Rhythmik des Aristoxenus einen 12-zeitigen oder 9-zeitigen Takt mit drei verschiedenen (schweren oder leichten) Takttheilen nennt, nach seiner wahren musikalischen Bedeutung schwerlich anderswoher, als aus Bach zu erkennen sein, nicht aus Mozart, nicht aus Beethoven. Auf der Zusammensetzung des Taktes aus zwei oder drei oder vier Takttheilen verschiedenen Gewichtes (schweren und leichten Takttheilen)

6 beruht aber schließlich die gesammte Taktlehre des Aristoxenus. Dies sind die „Hauptbewegungen" in der Praxis des griechischen Täktirens, denen sich für jede Taktart verschiedene „Nebenbewegungen" unterordnen. Dergleichen höchst wichtige Thatsachen der griechischen Rhythmik, durch welche diese nicht bloß theoretisch, sondern auch praktisch der modernen Rhythmik so außerordentlich nahe tritt, waren uns früher gänzlich verborgen geblieben. Zu einem eingehenden Studium der griechischen Melik kam ich erst am Ende der fünfziger Jahre. Friedrich Bellermann's mustergültige Forschungen mußten zunächst mein Führer sein. Ueber sie hinauszugehen, dazu veranlaßte mich zuerst die Musikschrift des berühmten Mathematikers und Astronomen Claudius Ptolemäus, welche der verehrte Forscher Bellermann wohl kaum im Zusammenhange gelesen haben dürfte. Denn sonst wäre ihm bei seinem ungemeinen Scharfsinne schwerlich entgangen, was Ptolemäus unter der bei ihm so genannten thetischen Nomenclatur der Tonscalen versteht, zumal der erste Herausgeber der Ptolemäischen Harmonik, der englische Mathematiker Johannes Wallis, bereits vor 200 Jahren eine Deutung gegeben hatte, gegen die von keiner Seite her eine Einwendung gemacht werden kann und auch von Bellermann nicht gemacht ist, der seinerseits, trotz der sonst von ihm bewiesenen großen Gewissenhaftigkeit, an dieser Stelle den Commentar des englischen Herausgebers durchaus unbenutzt gelassen hat. Die thetische Scalen-Nomenclatur des Ptolemäus, die sich übrigens bis auf Aristoxenus und Aristoteles zurückführen läßt, führt im Zusammenhange mit gelegentlichen Mittheilungen des Plato, Aristoteles und anderer altgriechischer Schriftsteller, — Mittheilungen, die zum Theil früher noch nicht für die griechische Musik herbeigezogen und noch nicht verwerthel waren —, zu ganz anderen Anschauungen über das Wesen der alter griechischen Tonarten, als denen der früheren Forscher, auch Böckh's und Bellermann's. Meine griechische Harmonik vom Jahre 1863 welche diese aus Ptolemäus wieder hervorgeholten Auffassungen dei griechischen Tonarten in den Vordergrund stellte, wurde deshalb voi den Mitforschern mit Mißtrauen aufgenommen. „Wenn die in diesen Buche gegebene Auffassung der Ptolemäischen Stellen allgemeine An nähme zu finden geeignet wäre, dann müsse sie alle E r g e b n i s s f r ü h e r e r F o r s c h u n g e n in F r a g e stellen." Einige falsche Con sequeiizen, die ich in der ersten Auflage meiner griechischen Hai monik bezüglich der griechischen Tonarten auf Grund der Stellen de Ptolemäus gezogen hatte, sind bereits in der zweiten Auflage voi Jahre 1867 thatsächlich zurückgenommen, eine vollständige Rech*

7 fertigung meiner auf die Quellen gestützten Theorie der griechischen Tonarten mußte ich für meine Gesammtsausgabe des Aristoxenus vorbehalten, welche erst jetzt hat erscheinen können. Denn auch Aristoxenus, die wichtigste Autorität der griechischen Musiktheorie, war zwar von Marcus Meibom in der Mitte des 17. Jahrhunderts, 1652 (ich rede hier bloß von den Schriften über das Melos), herausgegeben, übersetzt und erklärt und ist dann wiederum gegen die Mitte dieses Jahrhunderts auf Grund italienischer Handschriften von Paul Marquard unter Beihülfe von Wilhelm Studemund herausgegeben, übersetzt und kritisch und exegetisch commentirt 1869. Aber nachweislich ist die Harmonik des Aristoxenus im Z u s a m m e n h a n g e weder von Bellermann, noch auch von dem Herausgeber Marquard gelesen, so verwunderlich dies auch namentlich bezüglich des letzteren erscheinen mag. Zur Entschuldigung des um die Wortkritik des AristoxenusTextes so sehr verdienten Marquard mag dienen, daß dasjenige, was uns in den Handschriften als die drei Bücher der Aristoxenischen Harmonik überkommen ist, von Marquard nicht für ein genuines Werk des Aristoxenus, sondern für eine zum Theil zufällig entstandene Excerpten-Sammlung aus Byzantinischer Zeit angesehen wird. Aus diesem Grunde ist Marquard im Voraus gegen den von ihm mit so großer Gewissenhaftigkeit aus den Handschriften herausgegebenen Text eingenommen und widmet der vermeintlichen Excerptensammlung nicht die gewissenhafte sachliche Beachtung, welche den Werken des Aristoxenus unzweifelhaft gebührt. Bezüglich der von mir in meiner griechischen Harmonik dem Aristoxenus-Texte gewidmeten Arbeit sagt er gelegentlich der Aristoxenischen Darstellung der Transpositionsscalen: „Die Resultate, welche Westphal gewinnt, sind in d i e s e m F a l l e , w i e noch in a n d e r e n , v o n sehr b e s t e c h e n d e r A r t , a l l e i n um so n a c h d r ü c k l i c h e r muß darauf h i n g e w i e s e n w e r d e n , daß die U n t e r l a g e n , auf d e n e n sie m i t a u ß e r o r d e n t l i c h e m S c h a r f s i n n und u m f a s s e n d e r G e l e h r s a m k e i t a u s g e f ü h r t sind, nicht s i c h e r sind." Meine Gesammtausgabe des Aristoxenus, welche ich nunmehr gerade dreißig Jahre nach dem Beginne meiner Aristoxenus-Studien und nach unverdrossener Mühe steten TJmarbeitens und Berichtigens der Oeffentlichkeit vorgelegt habe, wird hoffentlich den Mitforschern die Ueberzeugung geben, daß meine Arbeit auf s i c h e r e n Unterlagen basirt ist. Während die Forscher Deutschlands die durch meine Arbeit über das griechische Melos gewonnenen Ergebnisse mit Mißbehagen, Mißtrauen oder offenbarer Feindseligkeit aufnahmen, hatte man darüber bei unseren westlichen Nachbarn ein anderes Urtheil gewonnen. Ich hatte

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Einleitung.

bereits Deutschland verlassen, als das umfangreiche Werk „Histoire et Théorie de la Musique de l'Antiquité par Fr. Aug. G e v a e r t . Gand 1875. 1881", erschien, in welchem der gelehrte Musikforscher und Director des Brüsseler Musik-Conservatoriums, früher musikalischer Leiter der großen Oper zu Paris, auch denjenigen Punkten meiner griechischen Harmonik die vollste Anerkennung zollte, welche sich auf die thetische Onomasie des Ptolemäus und den damit in Zusammenhang stehenden Nachweis der nicht unisonen Begleitung der griechischen Melodien bezog. Ferdinand Hiller's „Musikalisches und Persönliches" sagt von Gevaert's Buche : „Es zu loben muß ich denen überlassen, die dazu berechtigt sind. Aber meiner Freude, daß ès entstanden, darf ich Worte verleihen, und meinem Danke für so viel Belehrendes, Anregendes, Ideenerweiterndes, was uns darin geboten wird. Und auch das darf ich aussprechen, daß es unserer ganzen, durch die gebildete und ungebildete Welt zerstreuten TonkünstlerGilde zum Stolz und zum Ruhm gereicht, den Verfasser eines solchen Buches einen der Unseren nennen zu dürfen. Gevaert, einst gekrönter Zögling der belgischen Akademie, jetzt Nachfolger von Fétis als Direktor des königlichen Conservatoriums in Brüssel, ist ein Mann von einer Vielseitigkeit der Bildung und einer Höhe der Anschauung, wie sie, nicht allein unter Künstlern, zu den seltenen Erscheinungen gehört. Alte und neue Sprachen und Literaturen sind ihm gleich geläufig, und in was Allem wäre er nicht zu Hause! Dabei giebt es vielleicht keinen zweiten Musiker, der die Entwickelung seiner Kunst aus ihren Monumenten so gründlich studirt hätte wie er. Er weiß gleichmäßig Bescheid in den Gesängen der römischen Liturgie und in denen der Oper seit ihrem Ursprung, und seine Sammlung „Les trésors de l'Italie" ist ein wahrer Schatz von Edelsteinen aus den italienischen dramatischen Componisten der beiden letzten Jahrhunderte. An der Opéra comique in Paris hat er mit seinen Opern „Quentin Durvard" und „Le Capitaine Henriot" große Erfolge gefeiert und durch mehrere Jahre war ihm die musikalische Leitung der großen Oper anvertraut. Der griechischen Musik gegenüber hatte er sich jedoch, wie er uns in seiner Vorrede mittheilt, so gleichgültig verhalten, wie es' die meisten Musiker schon gegen das sind, was hinter Sebastian Bach liegt. Alle sind wir ja mehr oder weniger in der Ansicht aufgewachsen, daß wir von der antiken Tonkunst nicht viel wissen können, und das, was zu erfahren ist, nicht der Mühe werth sei, gewußt zu werden. Wir freuten uns ohne Eifersucht, daß die griechischen Musiker schon so hoher Ehren theilhaftig geworden, daß später sogar Kaiser Nero es für das Schönste hielt, sich als

Bearbeitung der griechischen Musik bei den Alten und Neueren.

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Sänger applaudiren zu lassen; — einem Orpheus gegenüber mußten wir freilich unsere ungeheuere Inferiorität eingestehen, da er es dahin gebracht, durch sein Talent ganze Städte aufzubauen, während es heutigen Tages die Glücklichsten doch höchstens bis zu einem Landhause bringen. Inwiefern Gevaert gerade diese Ansichten theilte, weiß ich nicht, das aber sagt er uns, daß es das berühmte Werk Westphal's (l'admirable ouvrage de Westphal) über die griechische Metrik war, welches einen so vollständigen Umschwung bei ihm veranlaßte, daß er sich nun, mit der ganzen Kraft seines Wissens und Wollens, dem Studium der Musik der Alten hingab. Und wie groß die Kraft, davon legt der vorliegende Band ein imponirendes Zeugniß ab. . . . In dankbarer Bewunderung bespricht er die Arbeiten Westphal's , denen zu folgen, — die, so weit sie die Musik betreffen, wiederzugeben, ihm vor Allem am Herzen lag. Indem er auseinandersetzt, von welcher Wichtigkeit, — trotz der Unvollständigkeit der Quellen, trotz dem Mangel an antiken Tonwerken, — es für uns ist, den Zusammenhang der antiken Tonkunst mit der unseren so weit kennen zu lernen, als es vorläufig möglich, nimmt er für seine Thätigkeit das Gelingen der Aufgabe in Anspruch, die Gesetze der griechischen Musik als Musiker für Musiker entwickelt und die Analogien, welche diese mit der unseren bietet, klarer hervorgehoben zu haben, als dies dem eigentlichen, vorzugsweise für Philologen schreibenden Philologen möglich gewesen sei." So Ferdinand Hiller über Gevaert's Geschichte und Theorie der antiken Musik. Gevaert's Beifall kann mich vollständig entschädigen gegenüber dem Unwillen, welchen meine Auffassung des griechischen Melos bei Philologen und Musikern Deutschlands — Gymnasialdirector Ziegler in Polnisch-Lissa und Heinrich Bellermann, Musik-Professor an der Universität Berlin — auf sich geladen hat. 1 Wenn von der hier vorliegenden „Musik des griechischen Alterthums" auf dem Titel angegeben ist, sie sei „neu nach den alten Quellen dargestellt", so ist dies im Gegensatze zu meinen früheren Darstellungen desselben Gegenstandes gesagt. Die Form der Darstellung ist durchweg den früheren gegenüber eine neue und von der früheren in Anordnung und Ausführung durchaus verschiedene. Nicht die griechische Metrik ist ihr Zweck, nicht die Fachphilologen sind 1

Sicherlich ist Gevaert unter allen Operncomponisten und Conservatoriumsdirectoren der Welt der einzige, welcher mit kritisch-philologischem Geschick den handschriftlichen Text eines griechischen Musiksehriftstellers zu emendiren versteht, was dem Gymnasialdirector in Polnisch-Lissa Angesichts seiner PtolemäusConjecturen Niemand wird nachrühmen können.

10 /

der Leserkreis, an den ich bei meinem Buche zunächst gedacht habe. Es verfolgt ein allgemein historisches Interesse auf kunstgeschichtlichem Gebiete. Natürlich habe ich zunächst an Musiker, seien es Fachmusiker, seien es Dilettanten, dann aber auch an die für Musik sich interessirenden Philologen gedacht, aus deren Kreise ja überhaupt die ganze bisherige Forschung über die Musik der Griechen hervorgegangen ist. Denn nur selten hat sich ein philologisch gebildeter Fachmusiker, wie Oscar Paul, zugleich Professor an der Universität und dem Musikconservatorium Leipzigs, und Gevaert, der Vorsteher des Brüsseler Musikconservatoriums, an jenen Forschungen betheiügen können. Fühlt aber ein deutscher Musiker das Verlangen, sich auf dem immerhin wichtigen und auch für die moderne Musik resultatreichen Gebiete der alten griechischen Musik zu orientiren, so dürfte diesem wohl zu gönnen sein, daß er auch ein deutsches Buch findet, welches ihm nicht die längst veralteten Geschichten aus Forkel's Darstellung von neuem wieder mundgerecht zu machen sucht, sondern ihm eine wirkliche griechische Musik vorführt. Weil ich weiß, daß die Fachmusiker eine gewisse Aversion vor classischer Philologie haben, wie dies ihr mühseliges, für andere Studien keine Zeit und Muße erübrigendes Fachstudium durchaus natürlich erscheinen läßt, so habe ich mich in dieser neuen Darstellung der griechischen Musik der griechischen Typen ganz und gar enthalten. Die philologischen Leser werden daran keinerlei Anstoß nehmen können. Es soll dies Verfahren ja auch nur dazu dienen, daß auch denen, welchen das Griechische fremd ist, das so wünschenswerthe Studium der griechischen Musik ermöglicht werde. Was den sachlichen Inhalt dieser meiner neuen Darstellung der griechischen Musik betrifft, so habe ich mich für die T h e o r i e des Melos von meiner früheren Darstellung nicht allzuweit entfernen können, weil ich seit der ersten Veröffentlichung der von mir aus sorgfältigem Quellenstudium gewonnenen Ansichten über diesen Gegenstand hinlängliche Zeit zu wiederholten Prüfungen und Wiedererwägungen gehabt habe, die schließlich immer zu der Ueberzeugung führten, daß die Einwände und Angriffe meiner Gegner bezüglich des Ptolemäus und des Aristoxenus nicht sorgsam genug bedacht waren. Wenn mir von einem der Gegner vorgeworfen ist, meine Auffassung bringe eine gänzliche Umwälzung in das System der griechischen Musik hinein, so werde ich mir dies ebensogut als Lob interpretiren dürfen, wenn es auch mein Gegner als Tadel auszusprechen vermeinte. Für die T h e o r i e des R h y t h m u s dagegen ist in dieser neuen Darstellung der griechischen Musik auch der sachliche Inhalt ein in

Bearbeitung der griechischen Musik bei den Alten und Neueren.

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wichtigen Punkten wesentlich anderer, als in den früheren Darstellungen vor dem Jahre 1880 geworden. Der Musiker wird aus der gegenwärtigen Darstellung erkennen, daß die altgriechische Theorie des Rhythmus für ein eingehendes Studium der modernen Rhythmik unerläßlich ist, daß hier die Griechen (d. i. Aristoxenus) den Theoretikern von heute gar weit voraus sind, und daß der moderne Fachmusiker in diesem Punkte manches von dem, was er von modernen #

Theoretikern über Rhythmik gelernt hat, nach der Theorie des Aristoxenus geradezu umlernen muß. Die Reconstruction der griechischen Musik aus den trümmerhaften, zum Theil weit auseinander liegenden Quellen war eine der letzten, freilich auch der allerinteressantesten Arbeiten, welche von den großen Philologen aus der Blüthezeit der Philologie uns Epigonen zur Erledigung übrig gelassen war. Freilich war das nicht eine bloß durch die Akribie des Sammeins und durch kritische Methode auszuführende Mosaikarbeit. Es bedurfte auch der P h a n t a s i e des kritischen Sammlers, jener divinatorischen Phantasie des Künstlers, welcher schon ehe er sein Werk im Einzelnen vollständig ausgearbeitet hat, diese Einzelheiten gewissermaßen vorher fühlt. Wer nicht die Wichtigkeit des Ptolemäus und seiner Scalen - Onomasie für die harmonische Beschaffenheit der griechischen Tonarten vorausfühlt, der wird das anstrengende Studium der Ptolemaeischen Harmonik nicht in der Weise für nothwendig halten, daß er über demselben nicht ermüdet. So ist es Friedrich Bellermann ergangen. Oder er wird dasselbe wie Ziegler erleiden, der in der Besorgniß, daß sich durch Ptolemäus der gegenwärtige Stand der griechischen Musikwissenschaft vollständig umgestalte, lieber eine kritiklose Umgestaltung des Ptolemäischen Textes versuchte, als daß er seinerseits (wie sich das von einem die griechische Musikwissenschaft wirklich im Herzen tragenden Forscher nicht anders hätte erwarten lassen) freundlich und ohne Mißmuth daran mitzuarbeiten den Muth gefunden, das scheinbar ungünstige Ergebniß der thetischen Onomasie für die Mixolydische und Hypolydische Tonart durch eine andere Auffassung der betreffenden Quellennachrichten in ein ebenso günstiges Resultat wie für die Dorische, Phrygische, Lydische Tonart umzuändern. Gevaert hat nicht geschwankt, auf dem einmal als richtig erkannten Wege, welchen Ptolemäus und Aristoteles augenscheinlich erschlossen hatten, auch für die Mixolydische und Hypolydische Tonart das richtige Ergebniß festzuhalten. Auch dem Aristoxenus-Herausgeber Marquard scheint jene für die Reconstruction der griechischen Musikwissenschaft unerläßliche divinatorische Phan-

12

Einleitung.

tasie gefehlt zu haben, sonst hätte er nicht verkennen können, daß clie Angaben des Aristoxenus über die Pentachorde von 2, 3 und 4 verschiedenen Intervallgrößen nothwendig zu der Theorie der gemischten Scalen führen, statt in jenen Angaben einen Widerspruch gegen die sonstige Aristoxenische Theorie zu finden und dem genuinen Werke des Aristoxenus abzusprechen. Ohne jenen Sinn divinatorischer Phantasie wäre Marquard auch nicht so erbittert gegen meine Vergleichung der Aristoxenischen Lehre mit der des Ptolemäus, die doch zu dem Einzigen führt, was wir Modernen über das Wesen der antiken Chroai zu ermitteln im Stande sind. Marquard geht soweit, wirklichen neuen Ergebnissen über den Stand der griechischen Musik ein für alle Mal zu entsagen, daß er mir den Vorwurf macht, ich sei zu s e h r bemüht, aus Aristoxenus thatsächliche Ergebnisse für die Musik finden zu wollen. Als ob es sich ohne solche thatsächliche Resultate überhaupt noch lohnte, sich mit den antiken Naturschriftstellern zu beschäftigen! So sieht auch Gevaert die Sache an Préface p. Y.: „La musique des anciens, que j'avais considérée jusque-là comme un sujet absolument dénué d'intérêt, m'apparat tout à coup sous un joui- nouveau: j'y vis un objet d'étude attachant et digne de toute l'attention d'un musicien." Denn auch der Musik des Alterthums gilt der Spruch, den uns Terenz aus einem griechischen Dramatiker überliefert: „Nichts ist so schwierig, daß es der Geist durch Forschen nicht bewältige."

Das Aristoxenische System der Künste. Ich schließe die Einleitung zur Musik der Griechen mit einer kurzen Notiz über das Yerhältniß der Musik zu den übrigen Künsten, wie es die Schule des Aristoteles aufgefaßt hat. Aristoteles selber setzt das Wesen der Künste in die „Mimesis", d. i. die Nachahmung. Wie dies Princip im Einzelnen für jede Kunst zu fassen ist, läßt sich schwer sagen. Es scheint, als ob Aristoteles an die Nachahmung des natürlichen und menschlichen Lebens denkt, sowohl des in der Geschichte sich manifestirenden, wie des individuellen Seelenlebens. Der Schüler Aristoxenus scheint hier größer als der Meister zu sein. Er geht aus von dem Materiale, in welchem der Künstler das Kunstwerk darstellt. Das Material der Kunst ist entweder ein bewegtes oder es ist ein unbewegtes, in der Ruhe des Raumes verharrendes. Von den sechs Künsten: Musik, Poesie, Orchestik oder Tanzkunst, — Architectur, Malerei, Plastik gehören die drei ersten zu den Künsten der Bewegung (zu den praktischen Künsten, d. i. Künsten der Handlung, auch musische Künste genannt); die drei letzten sind die Künste der

Das Aristoxenische System der Künste.

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Ruhe und des Raumes, die Künste des Fertigen oder apotelestische Künste. Die Werke dieser letzten Klasse der Künste sind, sowie sie aus den Händen der schaffenden Künstler hervorgehen, fertig und abgeschlossen und dem unmittelbaren Kunstgenüsse zugänglich. Die drei Künste der Bewegung oder Handlung stellen Werke dar, welche außer der geistigen That des schöpferischen Künstlers, wie des Componisten oder Dichters, auch noch der darstellenden Künstler, wie des Sängers und Instrumentalvirtuosen oder des recitirenden Schauspielers oder Declamators, bedürfen, um dem vollen Kunstgenüsse zu dienen. Man kann zwar Gedichte und Partituren auch durch bloßes Lesen sich aneignen, aber einen vollen Kunstgenuß gewährt hier nur das Hören der Worte und Töne. Ueber dieses antike System der Künste besitzen wir nur notizenhafte Auszüge aus älteren Werken in den alten Erläuterungen zu der griechischen Grammatik des Dionysius Thrax. Daß dasselbe schließlich auf Aristoxenus als seinen Urheber zurückgeht, läßt sich aus einzelnen Stellen seiner dritten Harmonik und seiner Rhythmik erkennen. Marquard sagt, Aristoxenus S. 327 : „Es ist sehr zu beklagen, daß an dieser Stelle Aristoxenus gerade so höchst mangelhaft excerpirt ist; wir würden sonst noch weitere Aufschlüsse über jenes System erhalten. Jedenfalls hat Westphal sehr recht, ihm [in der griechischen Harmonik 1863, wo es zum ersten Male aus den alten Scholien zu Dionysius Thrax wieder hervorgezogen ist] großes Lob zu spenden; ein eingehenderes Nachdenken führt von diesen Gesichtspunkten aus zu sehr klaren und unzweifelhaften Resultaten." Eine weitere Ausführung gibt Marquard in dem Aufsatze „Apologismen" in der deutschen Musikzeitung, Wien 1862, Nr. 50—52. Yergl. auch Gevaert, Histoire et Théorie de la Musique de l'Antiquité I, p. 21—39. Ich habe das Aristoxenische System der Künste, um es zu leichter Anschauung zu bringen, in olgender Uebersichtstabelle dargestellt, die hier wiederholt sein möge.

I. Apotelestische oder bildende Künste, Künste der Ruhe und des Raumes.

A. Architectur

Subjective: I

B. Malerei

\ II. Praktische oder Künste der ! Handlung, Künste der Bewegung I und der Zeit.

Musik

Subjeetiv-objective: Poesie

Einleitung.

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I. Apotelestische oder bildende Künste, Künste der Buhe und des Raümes.

Plastik

II. Praktische oder Künste der Handlung, Künste der Bewegung f und der Zeit.

C. Objective: |

Orchestik

A l l g e m e i n e s formales Gesetz: Gleichmäßigkeit des Raumes: Symmetrie I der Zeit: Rhythmus

Der s u b j e c t i v e und der o b j e c t i v e S t a n d p u n k t des Künstlers.

Wenn Aristoteles unter der von ihm als Princip der Künste hingestellten Nachahmung — wie es doch kaum anders möglich ist — das Nachahmen von irgend etwas außerhalb der Kunst im natürlichen oder menschlichen Leben liegenden versteht, so möchten in diesem Sinne hauptsächlich wohl die Plastik und die Orchestik eine Nachahmung des Natürlichen sein: die Plastik die idealisirende Nachbildung des menschlichen Leibes in einem festen dauerhaften Stoffe, — die Orchestik eine Veridealisirung der menschlichen Körperbewegungen durch den Menschen selber. Die Orchestik ist der modernen Welt fremder geworden als dem alten Hellenenthume. Denn das moderne Ballet dürfte wohl wenig mit der griechischen Orchestik gemein haben. Aber für die Plastik wird der Aristotelische Satz, daß die Kunst Nachahmung sei, fortwährende Gültigkeit behalten. Deshalb dürfen wir die Plastik, nicht minder auch die Orchestik, als die objectiven Künste bezeichnen, die in der Außenwelt ihr in der Kunst zu idealisirendes Vorbild haben. Dagegen sind die Architectur und die Musik die subjectiven Künste. Hier findet keine Nachahmung oder Idealisirung von etwas in der Natur gegebenem statt: das Schönheitsideal ist hier dem künstlerischen Geiste immanent. Zwar mag sich beim ersten Entstehen der A r c h i t e c t u r manche ihrer Formen, wie dies vielfach behauptet wird, an vegetabilische Gebilde angelehnt haben, durch sie hervorgerufen oder modificirt sein: die Säule durch den Baumstamm u. s. w. Aber in ihrer weiteren Entwicklung hat sich die Architectur von jenen Formen des natürlichen Lebens sichtlich frei gemacht oder dieselben wenigstens in einer Weise idealisirt und geradezu umgewandelt, daß von einer Nachahmung des Natürlichen als dem Principe der Architectur schlechterdings nicht die Rede sein kann. Noch weniger gilt der Aristotelische Grundsatz von der Musik. Freilich reden auch die

Das Aristoxenische System der Künste.

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Musiker von einer Nachahmung, aber dieses ist von der Festhaltung eines in einer Composition im Beginne derselben angewandten Themas auch für den weiteren Fortgang der Composition zu verstehen. Diese musikalische Nachahmung im technischen Sinne, welche sich am ausgeprägtesten im Kanon und in der Fuge zeigt, aber auch überhaupt eine Eigenschaft einer jeden guten Musik sein soll, gehört ihrem Wesen nach in die Kategorie der künstlerischen Einheit eines Musikwerkes. In diesem Sinne ist von Aristoteles die Nachahmung in der Kunst n i c h t gemeint. Unter der Nachahmung in der Kunst der Musik denkt sich Aristoteles die musikalische Wahrheit und Treue in der Wiedergabe von Empfindungen, welche sie darstellen will; diejenige Musik ist nach Aristoteles die vollendetste, welche irgend ein Bild des Seelenlebens in seiner leidenschaftlichen Bewegung, beziehungsweise der Beruhigung der Leidenschaften darstellt. Was in der Aristotelischen Politik von der Musik des Olympus gesagt ist, läßt über jene Auffassung des Aristoteles keinen Zweifel obwalten. Die heutige Programm-Musik würde, was Aristoteles Nachahmung in der Musik nennt, am leichtesten veranschaulichen. In welchem genetischen Zusammenhange das Erwecken gewisser Empfindungen und Stimmungen mit dem Anhören gewisser Tonverbindungen steht, ist bis jetzt nur wenig erkannt worden.1 Genüg, die Kunst v e r m a g es. Freilich wird die Zahl der durch die Musik zu erweckenden Empfindungen wissenschaftlich auf ein geringes Maß zu beschränken sein, vornehmlich auf den Gegensatz der Erregtheit und der Ruhe, an welchen sich dann andere Gegensätze, wie der Freude und der Wehmuth, der Energie und der Sentimentalität, leicht anschließen. Mit solchen allgemeineren Empfindungen würden sich wohl gewisse Arten der Tonverbindungen in genetischen Zusammenhang bringen lassen. Ihre Wirkungen zu vervollständigen, verbindet sich die Musik gleichzeitig mit der Poesie, deren Worte uns bestimmte Vorstellungen zuführen, mit deren Hülfe der Gegensatz unserer Empfindungen ein bestimmterer wird. Hier ist es nun die Bedeutung der Musik, unsere Phantasie zu erregen und schaffenskräftiger als gewöhnlich zu machen, so daß wir die Vorstellungen, welche die Worte des gesungenen Gedichtes aussprechen, weiter ausspinnen und von der Musik gehoben auch solche Momente, welche der Dichter 1 L e s s i n g (Hamburgische Dramaturgie, Hempel, S. 167) bezeichnet auch hier den richtigen Weg: „Wir werden diese verschiedenen Polgen von Tönen, die eine Empfindung ausdrücken, mit einander vergleichen und durch die Bemerkung dessen, was sie beständig gemein haben, hinter das Geheimniß des Ausdruckes kommen."

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nicht ausgesprochen hat, gleichsam hinzudichten. Dabei machen wir die Erfahrung, daß auf diese Weise die Musik uns concretere Bilder vorführt, als dies der Poesie möglich ist. Bei der Instrumentalmusik aber, wo uns die AVorte des Dichters fehlen, werden wir selber vollständig Dichter und machen ohne Worte zu der uns vorgeführten Musik ein reim- und rhythmusloses Gedicht, indem unsere eigene dichterische Phantasie die durch das Musikwerk erweckten Empfindungen und Stimmungen der Erregtheit oder der Ruhe, der Freude oder der Wehmuth, der Energie oder der Sentimentalität je nach den aus der Erinnerung unseres individuellen Lebens genommenen Vorstellungen weiter ausmalt. Denn uns allen ohne Ausnahme ist als angeborene Fähigkeit der Seele eine bald höhere, bald geringere poetische Begabung gemeinsam, welche durch nichts Anderes so sehr, wie durch die der Musik innig verschwisterte Poesie erweckt zu werden vermag. Die Tonverbindungen aber, durch welche der Künstler jene Wirkung auf unser Empfindungsleben hervorruft, haben im objectiven Dasein der Natur keinerlei Vorbild. Der Künstler schafft ohne „Nachahmung" lediglich aus dem ihm immanenten Schönheitsgefühle. Der einzelne Ton ist freilich etwas ihm objectiv gegebenes, sei es der Ton der menschlichen Stimme, sei es der Ton der Instrumente. Auch die Verbindung gleichzeitiger Töne zum Accorde erfolgt nach akustischen Gesetzen, und fort und fort wird die Musik sich in den Schranken dieser natürlichen Gesetze zu halten haben. Auch bestimmte Arten von Tonverbindungen kommen außerhalb der Kunst im objectiven Leben der Natur vor, z. B. der Gesang der Vögel. Aber in keinerlei Weise kann davon die Rede sein, daß dem Wesen der Musik die Nachahmung solcher außerhalb der Kunst im Leben der Natur vorhandenen Tonverbindungen zu Grunde liege. Die Musik ist die subjectivste aller Künste: lediglich und allein hat sie in dem immanenten Schönheitsgefühle des menschlichen Geistes ihren Grund. Wie in der Architectur, so schafft der Künstler auch in der Musik das Schöne bloß aus sich selber heraus, indem er das von ihm verwendete Kunstmaterial — ohne ein in der Objectivität gegebenes Vorbild — zum Kunstwerke gestaltet nach Normen, welche sich nur innerhalb des menschlichen Geistes finden, welche diesem immanent sind. Mit der Plastik und Orchestik verhielt es sich gerade umgekehrt. Hier ist das Kunstwerk, welches der Künstler bildet, auch schon außerhalb seiner Kunst in der Objectivität des natürlichen Seins vorhanden: die Arbeit des Künstlers besteht hier in einem Idealisiren, d. h. er vereint in seinem Kunstwerke die in der Natur vorhandenen, aber zerstreuten Momente des Schönen zum einheitlichen Ganzen. Diese Ver-

Das Aristoxenische System der Künste.

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einigung, diese Zusammenfassung des Einzelnen zur Einheit, ist die selbstständige T h a t des K ü n s t l e r s ; sein Schönheitsideal aber ist durch die O b j e c t i v i t ä t a u ß e r ihm gegeben. Die zwei noch übrigen Künste, Malerei und Poesie, sind object i v e u n d s u b j e c t i v e K ü n s t e zugleich. Der Maler, wie der Dichter, entnimmt das Schöne, welches er darstellt, ebenso sehr aus seiner eigenen innersten Seele, wie ihm die Außenwelt für seine Kunstwerke das Vorbild ist. Hiernach sondern sich die verschiedenen Gattungen sowohl der Malerei wie der Poesie, wenn auch ein Kunstwerk der einen oder der anderen Gattung niemals g a n z der Objectivität und niemals ganz der Subjectivität angehört. Der Maler und der Dichter ist in jedem seiner Werke zugleich ein— um mit Aristoteles zureden— nachahmender und zugleich ein nach seinem eigenen immanenten Schönheitsgefühle schaffender Künstler. Niemals wird der epische Dichter bloß die Begegnisse des fremden Lebens ohne den Spiegel seiner eigenen Subjectivität darstellen können, niemals kann der Lyriker bloß sein eigenes Empfinden ohne den Hintergrund des objectiven Daseins zum Kunstwerke machen. Ebensowenig kann auch der Landschaftsmaler die Natur bloß „abschreiben". In dieser innigen Vereinigung des Subjectiven und des Objectiven, des Idealisirens und des Producirens aus dem eigenen Ich besteht das Wesen dieser beiden Künste: sie halten die Mitte ein zwischen der Architectur und Musik einerseits und der Plastik und' Orchestik andererseits.

A n t i k e r und m o d e r n e r S t a n d p u n k t der K ü n s t e .

So etwa läßt sich, wenn wir das Aristoxenische System der Künste zu Grunde legen, das Verhältniß des Künstlers zu dem von ihm als Kunstwerk dargestellten Schönen auffassen. Da im allgemeinen das griechische Alterthum mehr die Objectivität, die christlichmoderne Welt mehr die Subjectivität in den Vordergrund stellt, so wird daraus folgen müssen, daß im griechischen Alterthume die beiden objectiven Künste, Plastik und Orchestik, einer besonders hohen Entwicklung fähig sein mußten, in der christlich modernen Welt dagegen die beiden subjectiven Künste, Architectur und Musik; — die Malerei und Poesie, als die beiden Künste, an welchen die Subjectivität und die Objectivität des Künstlers in gleicher Weise betheiligt ist, müßten bei jener Voraussetzung in der antiken und in der christlich modernen Welt die beiden Künste sein, zu deren vollendeter Entwicklung im classischen Alterthume und der modernen Welt dieselbe Vorbedingung gegeben war. R. W e s t p h a l , Die Musik des griech. Alterthums.

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Einleitung.

Dies würden die Folgerungen aus der abstracten Theorie sein, die nothwendigen Ergebnisse der theoretischen Schablone, welche das von Aristoxenus aufgestellte System der Künste ergiebt. Dies System hat den unleugbaren Vorzug großer Klarheit und innerer Wahrheit, es übertrifft darin alle von modernen Aesthetikern aufgestellten Versuche einer Classification der Künste. Aber wie verhält sich die Wirklichkeit zu jenen aus dem Systeme des Aristoxenus über das Verhältniß der einzelnen modernen Künste zu den entsprechenden Künsten des classischen Altertliums gefolgerten Sätzen? wie stellen sie sich zu den realen kunstgeschichtlichen Thatsachen? Drei Künste des Griechenthums sind es, über welche wir uns Angesichts der überlieferten Denkmäler ein möglichst genaues Urtheil zu bilden vermögen: die Poesie, die Plastik, die Architectur; während unser Urtheil über die drei übrigen Künste bei dem theilweisen oder gänzlichen Mangel der betreffenden Kunstdenkmäler immer nur ein ungenügendes bleiben wird. In der P l a s t i k als der objectivsten aller Künste müßte das Griechenthum der christlich - modernen Welt voran stehen. Es bedarf keines langen Erwägens, um auszusprechen, daß hier in der That die Griechen den modernen Künstlern so sehr überlegen sind, daß den letzteren nicht vielmehr zu thun bleibt, als den Griechen nachzuahmen. Denn wo der moderne Künstler in der Plastik einen eigenen, von den Griechen nicht betretenen Weg einschlagen will, da läuft er nur zu sehr Gefahr, den eigensten Gesetzen der plastischen Kunst untreu zu werden und auf ein anderes Kunstgebiet zu gerathen. In der A r c h i t e c t u r dagegen als einer subjectiven Kunst sollte a priore die christlich-moderne Welt zu einer höheren Stufe der Kunstentwickelung, als das classische Griechenthum bei dessen nur wenig auf die Subjectivität gerichtetem Geiste gelangt' sein. Der Ausgangspunkt der Architectur und der stete Mittelpunkt dieser gesammten Kunstthätigkeit ist das Gotteshaus. Der Unterschied der Religion des Alterthums von dem Christenthume begründet die Verschiedenheit der antiken und der christlich-modernen Architectur. Der antike Tempel ist nichts weiter als die Aufenthaltsstätte des Gottes, der hier im Bilde verehrt wird. Zu dem Götterbilde haben nur die Priester Zutritt, welche die Mittelspersonen zwischen der Gottheit und ihren Verehrern sind. Das christliche Gotteshaus dagegen ist für alle Gläubigen errichtet, welche hier dem Gotte der Christenheit in Gemeinschaft ihre Verehrung darbringen. So sind die Tempel der griechischen Welt nur Miniaturwerke, wenn sie nach dem Maßstabe der modernen Architectur bemessen werden. Nun kann

19 sich zwar im Kleinen das Kunstschöne eben so vollendet wie im Großen aussprechen, wie auch die Gebilde des Mikrokosmos im allgemeinen durchaus nicht hinter denen des Makrokosmos zurückstehen. Aber auch die Großartigkeit ist ein Moment der Kunst: reichere Entfaltung künstlerischer Formen verlangt überall größere Maßstäbe. Goethe's kurzer „Trost in Thränen" wird jeder Anforderung, welche man an ein vollendetes Kunstwerk stellen kann, im vollsten Maße gerecht, und dennoch ist jenes Gedicht weit entfernt davon, den Anspruch zu erheben, der Iphigenia oder dem Hermann und Dorothea coordinirt sein zu wollen. Aristoteles stellt den Satz auf, die Tragödie müsse ein „Megethos" haben, d. i. einen derartigen Umfang, daß sie sich deutlich in einen Anfangstheil, einen mittleren und einen Schlußtheil zerlege. Ein kleines lyrisches Gedicht kann eine solche reiche Gliederung nur selten darbieten, wohl aber ein episches und ein dramatisches Gedicht. In demselben Verhältnisse stehen die Architecturdenkmäler des Griechenthums zu denen der modernen Welt: einem Kölner Dome gegenüber will auch der vollendetste hellenische Tempelbau, wie gesagt, nichts anderes als ein Miniaturwerk sein. Von der P o e s i e , welche in gleicherweise eine Kunst der Subjectivität und der Objectivität ist, wird sich die theoretische Voraussetzung leicht bestätigt finden, daß diese Kunst in der alten und in der modernen Welt zu gleicher Vollendung gelangt ist. Zunächst sind zwar die antiken Dichter die Lehrmeister und Musterbilder der modernen. Schiller schreibt an Körner: „Ich lese jetzt fast nichts als Homer; die Alten geben mir wahre Genüsse. Zugleich bedarf ich ihrer im höchsten Grade, um meinen eigenen Geschmack zu reinigen, der sich durch Spitzfindigkeit, Künstlichkeit und Witzelei sehr von der wahren Simplicität zu entfernen anfing." Aber wie möchten wir bei aller hohen Verehrung vor den griechischen Dichterwerken im Ernste den Satz aussprechen, daß in der christlich-modernen Poesie nicht reichlich ebenso Meisterhaftes, Mustergültiges und Kunstvollendetes geleistet ist, wie von den antiken Dichtern? Es ist zwar nicht dasselbe, was das Alterthum und was die moderne Welt in der Poesie geschaffen, und auch nicht schwer den Unterschied anzugeben. Denn wenn sich in der Poesie Objectives und Subjectives vereinigt, so werden in der antiken Poesie zufolge der antiken Geistesrichtung die objectiven Elemente vor den subjectiven, in der modernen Poesie umgekehrt die subjectiven vor den objectiven vorwalten. Die epische Kunst ist größer in der alten, die lyrische in der modernen Welt. Ein Homer ist einziger Besitz nur des alten Griechenthums; schon dem Eömerthume, noch mehr aber der modernen Welt fehlt die Vor2*

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Einleitung.

aussetzung einen Homer hervorzubringen. Von' der Kunst der Plastik, welche die objectivste aller Künste ist, hat man diese den griechischen Dichtern eigene objective Auffassung und Darstellung in der Poesie „die plastische" genannt. Homer ist ihr unerreichbarer Hauptrepräsentant. Dagegen hat ein Künstler der subjectiven Lyrik wie Goethe wiederum unter den antiken Dichtern auch entfernt seines Gleichen nicht. Auch die Lyrik eines Pindar ist keine subjective, sondern eine objective Lyrik; die völlig veränderte Lebens- und Kunstrichtung der modernen Welt, deren Anfänge im Grunde schon mit der Periode Alexander's von Macedonien beginnen, machte es bereits den Kömern zu einer gleichen Unmöglichkeit, einen Pindar wie einen Homer unter ihren Dichtern zu haben. Was Plato, freilich in einem anderen Sinne, ausspricht: „die Hellenen sind Kinder", das bleibt namentlich mit Bezug auf die Hellenische Poesie eine ewige Wahrheit. Die harmlose Naivetät des Kindes, — der ungetrübte Scharfblick desselben, im Kleinen und Untergeordneten das Interessante und Schöne herauszufinden, das Gegentheil von aller Spitzfindigkeit, Künstlichkeit und Witzelei, wie Schiller es ausdrückt, bildet einen Grundzug in der classischen Dichtkunst der Griechen. Durch diesen Charakterzug ist dieselbe in so immensem Grade für plastische Auffassung und Darstellung beanlagt, welche die moderne Dichtkunst kaum anders als durch das Studium der Alten sich aneignen kann. Tiefe Innerlichkeit der Empfindung, Humor und Romantik sind dagegen Eigenthümlichkeiten, welche der modernen Poesie vor der antiken Poesie eigen sind. Die M a l e r e i sollte nach der aus dem Aristoxenischen Systeme sich ergebenden Theorie neben der Poesie die Kunst sein, zu welcher das Griechenthum in gleicher Weise wie die moderne Welt prädestinirt sein müßte. Bei dem gänzlichen Mangel größerer Denkmäler dieser Kunst aus dem Alterthume wird es uns unmöglich, zwischen der thatsächlichen Leistungsfähigkeit der Griechen und den Leistungen der Modernen auf diesem Gebiete einen Vergleich zu ziehen. Kaum ist uns mehr erhalten, als die Denkmäler der alten Vasen- und Wandmalerei. Hier scheint die wunderbare Schönheit der Linienzeichnung auf eine ganz hervorragende Kunststufe, zu welcher die griechische Malerei gelangt ist, hinzuweisen, zumal da die erhaltenen Vasen- und Wandgemälde wohl schwerlich von den ersten Meistern herrühren, sondern nur handwerkmäßige Arbeiten nach der Vorlage mehr oder minder bedeutenderer Originale sind. Für die griechische Musik ist die Zahl der Denkmäler noch ungleich geringer als für die Malerei. Gestehen wir offen, daß bei uns

Das Aristoxenische System der Künste.

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dieser Lücke der alten TJeberlieferung auch die zahlreichen theoretischen Schriften über griechisches Melos, die ja auch wieder so außerordentlich lückenhaft sind, zu einem Urtheile über das, was das Griechenthum in der Melik geleistet hat, nicht befähigen. Viel klarer sind unsere Anschauungen über die rhythmische Form der griechischen Musik. Denn mit Hilfe der Aristoxenischen Angaben gelingt es uns, die rhythmischen Formen der Meisterwerke griechischer Yocalmusik aus den Worttexten Pindars und der Dramatiker, welche sämmtlich auch die melischen Componisten ihrer Verse waren, wieder herzustellen, obwohl uns das Melos selber zu ihren Yersen nicht überliefert ist. Principiell muß man sich das Yerhältniß der griechischen Musik zur modernen gerade so denken, wie das Yerhältniß antiker und moderner Kunsterzeugnisse auf dem verwandten Gebiete der Architectur. Auch in der Musik- müssen die Kunsterzeugnisse der Griechen den modernen gegenüber den Charakter von Miniaturwerken gehabt haben, übrigens nach denselben Schönheitsgesetzen, wie in der modernen Welt, die hier das classische Griechenthum nur durch Großartigkeit der Formen überragt. Der den Griechen zum Selbstbewußtsein gekommene Grundsatz der Kunst lautet: „Nicht in dem Großen liegt das Schöne, sondern in dem Schönen das Große."1 Es wird sich im weiteren Verlaufe zeigen, daß diese zunächst aus der Analogie folgende Anlage durch manches Einzelne bestätigt wird. Anders denkt sich Paul Marquard in seinen Erläuterungen zu Aristoxenus S. 308 den Standpunkt der griechischen Musik. Von den zwölf Transpositionsscalen der Griechen redend, welche in der modernen Musik erst seit Johann Sebastian Bach in Aufnahme gekommen seien und von denen in der römischen Kaiserzeit der berühmte Mathematiker und Astronom Ptolemäus aus ganz willkürlichen und unzureichenden Gründen auf die sieben schon vor Aristoxenus üblichen Transpositionsscalen wieder zurückgegangen sei, sagt Marquard: „Es ist dies ein neuer Beweis nicht etwa nur gegen die musikalische Begabung des Ptolemäus, sondern überhaupt dafür, daß die Musik diejenige Kunst war, für deren inneres Wesen und Leistungsfähigkeit die Griechen die wenigste Anlage, das wenigste Verständniß besaßen, was sich übrigens aus ihrer Natur schon a priori deduciren läßt." Ich denke, aus der Natur der Griechen lassen sich keine anderen, als die von mir nach Aristoxenus angegebenen aprioristischen Deductionen folgern.

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„Mit diesen Worten," so heißt es bei Athenäus 14, p. 629, „gab der Meister Kaphesias seinem Schüler eine Ohrfeige, als dieser für eine Stelle ein ungehöriges Porte nahm."

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Einleitung.

D i e e i n z e l n e n Zweige der musischen Künste im Griechenthume.

Die ihm immanente Schönheitsidee bringt der Künstler an dem ihm gegebenen künstlerischen Materiale zur Anschauung: der Componist an den gleichzeitig und nach einander zum Melos vereinten Tönen, durch welche gewisse Empfindungen in uns erregt werden, der Dichter durch die Worte der Rede, die uns bestimmte Vorstellungen zufuhren. Die Gesichtspunkte, nach welchen diese Kunstmittel zum Ausdrucke des Schönen werden, lassen wir unberührt, ebenso auch die Frage nach dem Wesen und dem Ursprünge der dem menschlichen Geiste immanenten Idee des Schönen. Ygl. darüber meine Theorie des musikalischen Rhythmus seit Joh. Seb. Bach. Breitkopf und Härtel. 1880. S. XXXVIII ff., wo ich nicht umhin konnte, auf die Philosophie Plato's zurückzugehen. Mit der immanenten Schönheitsidee ist der dem menschlichen Geiste angeborene Sinn für Ordnung und Ebenmaß nicht ganz identisch, wenn auch vielfach mit ihm verwandt und bezüglich der Künste in • gemeinsamer Wirksamkeit mit dem Schönheitssinne. Ein wohlthuendes Gefühl vermag die Wirkung des Ordnungssinnes in dem Kunstwerke wohl hervorzurufen, aber die Vorstellung von etwas Schönem ebensowenig, wie die^ Mathematik ein Gebiet des Schönen genannt werden kann. Das immanente Ordnungsgefühl des Künstlers macht sich in den drei Künsten der Ruhe und des Raumes, d.i. der Architectur, Plastik und Malerei durch eine gesetzmäßige Gliederung des von dem Kunstwerke auszufüllenden Raumes geltend, welche wir als „Symmetrie" bezeichnen. Für die modernen Künste der Ruhe und des Raumes ist die Symmetrie eine wesentliche Grundbedingung in der Architectur. Das Alterthum hatte die Fähigkeit, ebenso wie in der Architectur, auch in der Plastik und Malerei die symmetrische Anordnung des Raumes als künstlerische Nothwendigkeit zu empfinden. Das auffallendste Beispiel dafür hat der Künstler gegeben, welche die vier Außenwände des Parthenon mit Reliefdarstellungen geschmückt hat. Vgl. a. a. 0. S. XLIX. In den dreiKünsten der Bewegung und der Zeit scheint auch der modernen Welt das Gesetz der Ordnung und der Gleichmäßigkeit etwas Unerläßliches. In der Musik gehört auch die melische Eigenthümlichkeit, welche man unter dem Namen „Nachahmung" begreift und ohne welche wir uns eine künstlerische Einheit der Composition kaum zu denken vermögen, streng genommen dem Principe der Gleichmäßigkeit an. Im eigentlichen Sinne aber wird die Gleich-

Die einzelnen Zweige der alten musischen Künste.

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mäßigkeit und Ordnung in der von dem Kunstwerke eingenommenen Zeit der „ R h y t h m u s " sein, welcher allen drei Künsten der Bewegung der Musik, der Poesie und der Orchestik gemeinsam ist. Die einzelnen durch das Kunstmaterialzur Erscheinung gebrachten und der sinnlichen Wahrnehmung vernehmbar gemachten Zeitabschnitte nennen wir nach Aristoxenus rhythmische Abschnitte oder Systeme: sie sind für alle drei musischen Künste die nämlichen: Versfuß, Vers oder rhythmisches Glied, Periode, Strophe. Insofern sich der Rhythmus im poetischen Texte an den Worten der Sprache darstellt, bezeichnen wir ihn als Metrum. Metrum und Rhythmus ist in der Musik identisch. Es giebt zwar musikalische und poetische Kunstwerke, bei denen entweder ganz und gar oder wenigstens für einzelne Theile die rhythmische Gliederung fehlt, aber im allgemeinen mögen wir für beide Künste die gesetzmäßige Anordnung der Zeitabschnitte nicht vermissen. In der Orchestik, wo dieselben durch die hinzutretende Musik stets dem Ohre fühlbar gemacht werden müssen, sind sie durchaus nothwendig. Wenn in dem Melos die sämmtlichen rhythmischen Abschnitte vorhanden sind, nennen wir dasselbe streng rhythmisches Melos und stellen demselben das Recitativ entgegen, in welchem wenigstens einzelne von den Arten der rhythmischen Abschnitte n i c h t vorhanden sind. Eine Poesie ohne Rhythmus oder, was dasselbe ist, ohne Metrum nennen wir Prosa. Aristoxenus nennt jedes der drei verschiedenen Kunstmateriale: das Melos der Musik, die Sprache der Poesie, die Bewegungen der Orchestik, sofern dieselben den Rhythmus zum Ausdrucke bringen, ein R h y t h mizomenon (rhythmisches Material). Je nachdem nur ein oder zwei oder drei Rhythmizomena gleichzeitig in der musischen Kunst zur Darstellung kommen, lassen sich verschiedene Zweige der musischen Kunst von einander sondern. Eine solche Unterscheidung findet sich schon bei Aristoteles im Eingange der Poetik. Näher muß Aristoxenus im verlorenen Anfange der Rhythmik darauf eingegangen sein, denn was wir bei Aristides über diesen Gegenstand finden, ist offenbar aus einer Darstellung des Aristoxenus geschöpft. Bei den Griechen stehen nämlich die drei musischen Künste in einem noch viel engeren Zusammenhange als bei uns, so daß für das Alterthum von einer so scharfen Trennung der einzelnen musischen Künste wie etwa bei den drei apotelestischen oder bildenden Künsten nicht die Rede sein kann. Fortwährend greifen die musischen Künste in den hierher gehörenden Kunstwerken in einander über, so daß fast

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immer mehrere musische Künste in ein und derselben Kunstleistung verbunden sind. Wir berücksichtigen zunächst die für die Poesie und Musik mit Ausschluß der Orchestik bestehenden Kunstgattungen nach der Reihenfolge ihres historischen Auftretens. I. Vocalmusik, d. i. gesungene Poesie mit Instrumentalbegleitung (melische Poesie). Der Gesang ist bei den Alten entweder ein monodischer (Solo-Gesang) oder ein zugleich von mehreren Sängern ausgeführter Chorgesang. Beide Arten sind im Alterthum nicht so wesentlich verschieden wie bei uns, denn auch der Chorgesang war ein einstimmiger Gesang, ohne Verschiedenheit der gleichzeitig sich betheiligenden Singstimmen. Unsere moderne Musik macht von -unisonen Chorgesängen im Ganzen eine seltene Verwendung; ihre Wirkung ist meist von ergreifender Großartigkeit. Mehrstimmigkeit wurde in der antiken Vocalmusik sowohl im Solo- wie im Chorgesange lediglich durch die begleitenden Instrumente bewirkt. Wunderlicher Weise hat man sich bisher darin gefallen, der griechischen Musik die Mehrstimmigkeit abzusprechen und aus ästhetischen Gründen zu deduciren, daß die griechische Musik nur eine unisone gewesen sein könne. Auch Arbeiten ersten Ranges, wie Helmholtz' berühmtes Werk über die Tonempfindungen, halten diesen Standpunkt ein. Nach den Berichten der Quellen soll die früheste Art der Instrumentalbegleitung (Krusis) der Griechen zwar eine mit der Gesangstimme unison gehende gewesen sein. Aber schon in der archaischen Periode der griechischen Musik, in der Kunst des alten Terpanders und Olympus kam eine nicht unisone Begleitung vor. Die Gewähr dafür ist die wichtige Autorität des Aristoxenus, allerdings in einem entlegenen, von allen Früheren, auch von Bellermann übersehenen Fragmente bei Plutarch. Es ist bemerkenswerth genug, daß die griechischen Schriften über Theorie der Musik auf die Art der Begleitung so wenig eingehen. Die Hauptquelle für uns sind die musikalischen Probleme des Aristoteles, die — nebenbei gesagt —: auch ihrerseits von den früheren Forschern niemals ausgebeutet worden sind. Wir schließen aus Aristoteles, daß es wenigstens in der mündlichen Tradition der alten Musikschulen bestimmte und feste Regeln der Begleitung gegeben haben muß. Daß sich solche Regeln der literarischen Theorie entziehen konnten, dafür geben die Chorgesänge des russischen Landvolkes ein bemerkenswerthes Analogon. Denn obwohl die russischen Bauern Jahrhunderte lang ihre chorischen Volkslieder stets mehrstimmig in polyphoner Weise nach sehr festen, von der Harmonielehre des Abendlandes oft sehr verschiedenen Regeln ausfuhren, so ist doch erst in der allerneuesten Zeit durch Julii Nikolajewic Melgunow diese interessante Er-

Die einzelnen Zweige der alten musischen Künste.

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scheinung wissenschaftlich gewürdigt, worden: „Russkija pesni neposredstwenno s' golosow' naroda zapisannyja i s' ob'jasnenijami izdannyja J. N. Meljgunowyim'. Moskwa 1879." Zur Begleitung der Yocalmusik dienten entweder Saiteninstrumente oder Blasinstrumente. Das Saiteninstrument heißt Phorminx, Kithara oder Lyra. Man hat sich dasselbe zu denken wie unsere pedallose Harfe, deren Saiten mit einem metallenen Stäbchen (Plektron) angeschlagen wurden. Accorde, wie auf unseren Harfen, konnten also auf der antiken Harfe nicht angegeben werden, sondern jedesmal nur ein einziger Ton. Die Vocalmusik, welche unter Anwendung dieser Saiteninstrumente ausgeführt wurde, hieß Kitharodia, auch Lyrodia. Das Blasinstrument der griechischen Musik, genannt Aulos, hat man sich nicht wie unsere Flöte, sondern vielmehr wie unsere Clarinette zu denken (mit einem Mundstück, genannt Glottis). Der von dem Aulos begleitete Gesang heißt Aulodia. Die Anwendung metallener Blasinstrumente diente der Kriegsmusik und für Signale; von der höheren musischen Kunst waren diese Instrumente so gut wie ausgeschlossen. Nur drei Denkmäler der griechischen Vocalmusik sind uns überkommen, die drei von Bellermann unter neuer Vergleichung der Handschriften herausgegebenen Hymnen des Mesomedes auf die Muse, auf Helios und auf Nemesis — aus der Zeit des Kaisers Hadrian. Das in der Musurgia des gelehrten Jesuiten-Pater Athanasius Kircher angeblich nach einer Handschrift des Klosters San Salvator in Messina herausgegebene Bruchstück eines Pindar'schen Gedichtes muß auch ich jetzt für unecht erklären, trotz der von mir in meiner griechischen Harmonik aufgewandten Mühe, die von Böckh behauptete Aechtheit zu beweisen. Ebensowenig können die von Marcello mitgetheilten Melodien zu den drei Hexametern des Homerischen Hymnos auf Demeter Ansprüche auf Aechtheit erheben. Herausgegeben von Behaghel. IL I n s t r u m e n t a l m u s i k , genannt entweder Kitharistik oder Auletik, je nachdem sie durch Saiten- oder durch Blasinstrumente ausgeführt wurde. Ueber das „Lied ohne Worte" wird die Instrumentalmusik der Griechen wohl nicht weit hinausgekommen sein, obwohl bei ihnen der Solo-Instrumentalist kaum weniger gefeiert war, als die berühmtesten Virtuosen unseres Jahrhunderts. Die technische Fertigkeit namentlich auf dem Blasinstrumente brachte das griechische Publikum zu großem Enthusiasmus. Die Pythischen Spiele zu Delphi eröffneten dem AulosVirtuosen ebenso willig wie dem kitharodischen Sänger den Zutritt; der Pythische Sieg des Clarinetten-Virtuosen Midas aus Agrigent war für die Muse Pindar's ein kaum minder würdiger Gegenstand, als die

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Einleitung.

Pythischen ßosse-Siege des Königs Hiero, um durch Festgesänge verherrlicht zu werden. Der auletische Nomos Pythios, welchen der Virtuose an den Pythischen Spielen vorzutragen pflegte, ist uns von Strabo nach seinen einzelnen Theilen beschrieben (vgl. unten). Es war der durch ein Clarinettensolo in der Weise unserer Programmmusik dargestellte Kampf Apollos mit dem Pythischen Drachen in der Reihenfolge seiner verschiedenen Scenen: Durchspähung des Kampfplatzes von Seiten Apollos, die Herausforderung zum Kampfe, der Kampf selber, die Bewältigung des jammernden Ungethümes, der SiegesHymnus. Neben der Clarinette (dem Aulos) kamen hier auch noch andere Blasinstrumente zur Anwendung. Aristoxenus bei Plut. de mus. 21 erzählt: „Der Megarenser Telephanes war den Syringen dergestalt abhold, daß er seinen Instrumentenmachern niemals gestattete, dieselben auf den Aulos als Mundstück aufzusetzen, ja sogar hauptsächlich um der Syringen willen hat er sich vom Pythischen Agon fern gehalten." Was uns von griechischen Instrumentalcompositionen verblieben ist, ist äußerst wenig. Bellermann in seinem Anonymus hat die betreffenden kleinen Instrumentalstöcke genau nach den Handschriften zum ersten Male herausgegeben. Da ist eine kleine trochäische AulosMelodie in Syntonolydischer Tonart, zwei unbedeutende Melodien in Mixolydischer Tonart, eine Paonische Melodie (10 zeitige Dipodien) in Aeolischer Tonart, noch ein anderes kleines Beispiel in Aeolischer Tonart, welches dem Trochäischen Rhythmus angehört. Das ist so ziemlich alles, was durch Bellermann's Anonymus von griechischer Instrumentalmusik auf uns gekommen ist. Wahrscheinlich sind das Trümmer einer Art Clarinetten-Schule für Anfänger. Von Interesse sind diese kleinen Musikstücke für uns deshalb, weil wir in ihnen Beispiele für griechische Tonarten haben (Syntonolydische, Mixolydische und Aeolische Tonart), die uns in den erhaltenen Vocalmelodien (Dorisch und Ionisch) des Mesomedes nicht vorliegen; sodann auch des dort angewandten Päonischen (fünfzeitigen) Versfußes wegen. Die von mir nach den Bellermann'schen Handschriften gegebene Interpretation dieser Instrumentalstücke des Anonymus wird wohl die richtige sein. Vgl. den Anhang dieses Buches. III. Recitations-Poesie. Auch diese, obwohl sie kein Melos ist, gehört nach Aristoxenus unter die musischen Künste als ein besonderer Zweig derselben. Es sind die im Rhythmus vorzutragenden poetischen Texte. Aristoxenus führt aus, daß der vollständige Rhythmus nur in der gesungenen, nicht aber in der gesprochenen (declamirten) Poesie sich manifestiren kann. Nur die rhythmischen Accente, die Arsis- und Thesis-Silben, aber nicht die rhythmische Silbendauer

Das Aristoxenische System der Künste.

27

läßt sich beim Sprechen beachten. Das liege an der größeren Geschwindigkeit des Sprechens, welches auf keiner Silbe, außer etwa in besonderen Affecten, so lange anhalte, daß man sich der Verschiedenheit in der Zeitdauer bewußt werde. Das Eecitativ unserer Musik, welches man als eine Zwischenstufe zwischen dem Melos und der declamirten Poesie ansehen kann, fehlte der Kunst der Griechen. Dagegen gab es dort IV. Das M e l o d r a m , d. i. Recitations-Poesie mit gleichzeitiger Instrumentalmusik. Heutzutage sind ganze Dramen in melodramatischer Form veraltet, nicht selten aber sind einzelne melodramatische Partien in unseren Recitationsdramen, z. B. in Goethe's Egmont. Im klassischen Griechenthume muß diese Kunstform sehr häufig gewesen sein. Man nannte sie „Parakataloge". Zuerst soll Archilochus in seinen iambischen Trimetern sie angewandt, dann die Tragödie in ihre iambischen Dialoge sie aufgenommen haben, endlich soll sie auch noch in die Dithyramben eingeführt sein; dieses berichtet nach alter Quelle Plut. de mus. 28, womit Aristoteles in den musikalischen Probl. 19, 6 zu vergleichen ist. Die strophischen und antistrophischen Partien, welche innerhalb des in Trimetern gehaltenen Dialoges in H. Weil's Aeschilus-Ausgabe unterschieden werden, sind aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gesungene, sondern melodramatisch vorgetragene, d. h. unter gleichzeitigem Instrumentalspiele declamirte Strophen. Freilich geht aus Lucian de salt. 27 hervor, daß die Trimeter der Tragödien auch als Gesang vorgetragen wurden. Die mit Orchestik verbundenen Kunstzweige der Musik sind: V. D e r C h o r g e s a n g , d. i. Yocalmusik nicht bloß unter Instrumentalbegleitung, sondern auch unter orchestischer Bewegung der Singenden vorgetragen. Der modernen Welt fehlt diese Kunstform, welche im griechischen Alterthume als die höchste Blüthe der gesammten musischen Kunst gilt. Zwar gab es einige Gattungen von Chorliedern, z. B. die Hymnen, welche nach Athenaeus von einem stehenden Chore, also ohne orchestische Bewegung, vorgetragen wurden, aber in den meisten Fällen fehlte es, wo ein Chor sang, auch nicht an der Orchestik, sei es, daß diese Bewegungen in einem einfachen Marsch- oder Processionsschritt, sei es, daß sie im complicirteren Tanze bestanden, an welchem sich häufig nur ein Theil der Choreuten betheiligen mochte, während die übrigen bloß als Sänger fungirten. Es gab Tänze der chorischen Lyrik und des Dramas, nach dessen drei Arten: Tragödie, Comödie, Satyrdrama verschieden. Diesen drei dramatischen Gattungen entsprechend unterschied man auch drei

28

Einleitung.

Gattungen der Orchestik innerhalb der lyrischen Chorlieder, Athen. 14, p. 631 ff.: Dramatische Orchestik I. II. III.

Tragische Emmeleia Komischer Kordax Satyrische Sikinnis

Lyrische Orchestik Gymnopaidike Hyporchema Pyrrhiche

VI. R e c i t a t i o n s - P o e s i e mit Orchestik verbunden. Zii dieser der modernen Welt ebenfalls fehlenden Gattung musischer Kunst scheinen die im ionischen Dialecte geschriebenen Gedichte des unter Ptolemäus Philadelphi lebenden Sotades und Anderer unter seinen Zeitgenossen gehört zu haben; vgl. Aristides Quintiiianus p. 32 M. Der Ausdruck des Aristides ist zwar so gewählt, daß von Gedichten mit fingirter Action, keiner wirklichen Action gesprochen wird. Aber höchst wahrscheinlich wurden jene Gedichte des Sotades zu der Zeit ihrer Abfassung unter den Ptolemäern nicht bloß von einem Declamator gelesen, sondern zugleich in wirklicher Action dargestellt. Die Späteren, welche jene Dichtungen mit Vorliebe lasen und studirten, mußten sich dieselbe freilich hinzudenken. VII. I n s t r u m e n t a l m u s i k mit Orchestik verbunden. Diese Kunstgattung entspricht unserem heutigen Ballet. Das antike Ballet ist der klassischen Zeit fremd; es ist erst ein Product der römischen Kaiserzeit, genannt Pantomimus, d. i. ein Kunstzweig, welcher Alles durch nachahmenden Tanz ohne Worte darstellt. VIII. Orchestik ohne Musik. Kann immer nur eine sehr untergeordnete Kunstgattung gewesen sein. Gleichwohl wird zu Anfang der Aristotelischen Poetik von orchestischen Künstlern gesprochen, welche ohne Melos durch rhythmische Schemata sittliche Empfindungen, Leidenschaften und Handlungen darstellen. Von den Kunstzweigen der christlich-modernen Musik fehlt dem Griechenthume der reine, d. i. nicht von Instrumenten begleitete Chorgesang. Dieser ist ein Erzeugniß erst der christlich modernen Welt, denn das Griechenthum kennt keine Mehrstimmigkeit innerhalb des Gesanges, sondern nur in der Verbindung des unisonen Gesanges anfänglich mit einer, später (seit der Musikperiode des Lasos) auch mit mehreren Instrumentalstimmen.

L

Das Melos der griechischen Musik.

Die Instrumentalnoten. Aristoxenus1 sagt: „Die Parasemantik (d. h. die Notenkunde) ist nicht das Endziel, sondern nicht einmal ein Theil der harmonischen Disciplin." Er sagt dies mit Bezug auf diejenigen unter den früheren Schriftstellern über Musik, welche, wie es scheint, für das Bedürfniß des Musikunterrichts vom lediglich praktischen Standpunkte aus kleine musikalische Hülfsbüchlein verfaßt hatten. Obwohl wir nicht umhin können, jenen Ausspruch des Aristoxenus zu unterschreiben, so ist doch nichtsdestoweniger die Erörterung der bei den Griechen gebräuchlichen Notenschrift der einfachste Weg, auf welchem wir. den mit der Sache noch völlig Unbekannten am leichtesten in das eigenartige Wesen des griechischen Melos einfuhren können. Marcus Meibom, mit dessen Herausgabe der griechischen Musikschriftsteller das moderne wissenschaftliche Studium der griechischen Musik beginnt, zeigt in seinem Vorworte zu Aristoxenus, daß er in der griechischen Notenkunde wohl zu Hause war (er hat dort z. B. die Melodie des Ambrosianischen „Te Deum laudamus" in griechischen Noten umgeschrieben). Aber erst in der Mitte unseres Jahrhunderts ist von Friedrich Bellermann dem eigenartigen Wesen der griechischen Notation ein eingehendes, echt wissenschaftliches Studium zugewandt worden, insbesondere in seinen „Tonleitern und Musiknoten der Griechen, Berlin 1847", so wie schon früher in seiner Ausgabe: „Anonymi scriptio de Musica, Berolini 1841". Diese Epoche machenden Arbeiten Bellermann's werden für alle nachfolgenden Forscher auf diesem Gebiete die Grundlage bilden müssen. Wir können nicht umhin, die von ihm über die Notation der Griechen gewonnenen Resultate dankbarlichst auch zu den 1

Dritte Harmonik § 24, S. 455 meiner Uebersetzung und Erläuterung.

32

I. Das Melos der griechischen Musik.

unserigen zu machen. Der von mir hochverehrte Forscher würde wohl in demjenigen, worin ich von seiner Notations-Theorie abzuweichen genöthigt bin, die nothwendigen Consequenzen des zuerst von ihm betretenen Standpunktes erblicken. Es sind im wesentlichen zwei Punkte, worin ich von den Ergebnissen der vortrefflichen Arbeiten Bellermann's abweiche. Den einen will ich gleich hier zu Anfang angeben. Bellermann geht von der Voraussetzung aus, daß d e r E r f i n d e r der g r i e c h i s c h e n Noten die d i a t o n i s c h e Scala im Auge geh a b t habe. Die griechische Musik kannte freilich auch die diatonische Scala unserer modernen Musik, und auch für diese ihre diatonische Scala wurden ihre Noten gebraucht. Aber außer der Diatonik besaß das Griechenthum auch eine eigenartige Chromatik und als drittes Klanggeschlecht eine Enharmonik. Die moderne Musik hat von der alten die Namen diatonisch, chromatisch, enharmonisch sich angeeignet. Aber nur die Diatonik hat bei uns dieselbe Bedeutung wie bei den Griechen. Chroma und Enharmonik bedeutet bei uns zwar etwas ähnliches, aber die Aehnlichkeit verschwindet hier vor der wesentlichen Verschiedenheit: insbesondere ist die enharmonische Scala der Alten etwas diesen völlig individuelles. Die Enharmonik der Griechen ist in ihrer eigentümlichen Gestaltung der modernen Musik so durchaus fremd, daß es uns unmöglich scheinen will, eine annähernde Vorstellung davon zu gewinnen. Es kamen dort Klänge vor, welche wir zwar in der Theorie und mit Hülfe unserer akustischen Instrumente uns vorstellig machen können; aber wie dieselben in der Musik verwandt sein können und welche Wirkung sie haben mochten, das wissen wir nicht. Aus Aristoxeuus erfahren wir, daß zu seiner Zeit die enharmonische Musik bereits so sehr im Verschwinden begriffen war, daß die meisten Musiker unter seinen Zeitgenossen dieselbe als etwas ganz Antiquirtes ansahen. Friedrich Bellermann, welcher sich eine griechische Musik mit den in der unsrigen unverwendbaren Klängen der Enharmonik nicht denken mag, negligirt geflissentlich jene Angabe des Aristoxenus, nach welcher die enharmonische Musik gerade in die classische Periode des Hellenismus zu versetzen ist; Bellermann nennt die griechische Enharmonik eine schlechte Mode, welche der gesunkene Geschmack der späteren Zeit lange beibehalten habe. Das letztere könne man wegen der ausführlichen Beschreibung dieses Klanggeschlechtes bei den Alten nicht bezweifeln. Bloß für diatonische Musik sei das griechische Notensystem ein zweckmäßig erfundenes,

Die Instrumentalnoten.

33

für die Notirang der Enharmonik und Chromatik werde es falsch und ungeschickt gebraucht. Es ist hier nicht der Platz, eine Rechtfertigung der altgriechischen Enharmonik zu versuchen. Es handelt sich zunächst darum, die gegebenen Thatsachen, von welcher Art sie auch seien, anzuerkennen und uns bei dem Notensysteme der Griechen streng an das positiv Ueberlieferte anzuhalten. Hätte Bellermann die Aussagen des Aristoxenus nicht unbeachtet gelassen, dann würde ihm sicherlich nicht entgangen sein, daß dem griechischen Notensysteme nicht die uns wohl bekannte diatonische Scala, sondern die uns so ganz fremde Enharmonik zu Grunde liegt. Im Eingange seiner ersten Harmonik sagt Aristoxenus 1 : „Was die früheren Bearbeiter der Harmonik betrifft, so ist es eine Thatsache, daß sie Harmoniker im eigentlichen und engeren Sinne des Wortes sein wollen [nämlich Enharmoniker]. Denn bloß mit der Enharmonik haben sie sich befaßt, die übrigen Tongeschlechter niemals in Erwägung gezogen. Zum Beweise dessen dient, daß ja bei ihnen bloß für die Systeme des enharmonischen Tongeschlechtes Diagramme vorliegen; für diatonische und chromatische hat man sie nie bei ihnen gefunden. Und doch sollte eben durch ihre Diagramme die ganze Ordnung des Melos klar gestellt werden. [Ebenso ist es auch mit ihren sonstigen Darstellungen], in denen sie bloß von den oktachordischen Systemen der Enharmonik sprechen, während über die übrigen Tongeschlechter und die übrigen Systeme in diesen und anderen Tongeschlechtern niemals einer von ihnen eine Forschung angestellt hat; vielmehr nehmen sie von dem dritten Tongeschlechte der ganzen Musik einen einzigen Abschnitt vom Umfange einer Octave und beschränkten hierauf ihre ganze Wissenschaft." Genau dasselbe ist von Aristoxenus auch in der dritten Harmonik § 7 2 und in den gemischten Tischreden3 ausgesprochen. Es kann hier1

Aristoxenus erste Harmonik § 1, S. 203. Vgl. unten S. 44. 3 Aristox. S. 479: „Obwohl es drei Tongeschlechter giebt, die durch die Größe der Intervalle und durch die Stufen der Klänge und ebenso auch durch die Eintheilung der Tetrachorde verschieden sind, so haben dennoch die Alten in ihren Schriften bloß ein einziges Tongeschlecht behandelt. Meine Vorgänger haben nämlich weder das chromatische, noch das diatonische, sondern bloß das enharmonische und auch von diesem kein größeres Tonsystem als bloß die Octave berücksichtigt. Denn daß es nur Eine Art der Harmonik giebt, darüber waren fast alle einverstanden, während man sich über die verschiedenen Chroai der beiden anderen Tongeschlechter nicht einigen konnte. Die jetzt Lebenden aber haben das schönste der Tongeschlechter, dem die Alten seiner Ehrwürdigkeit 2

R. W e e t p h a l , Die Musik des griech. Alterthums.

3

34

Das Melos der griechischen Musik.

nach kein Zweifel obwalten, daß nicht die diatonischen Scalen, sondern die enharmonischen am frühesten notirt waren. Wir haben also in der historischen Ueberlieferung einen positiven Anhaltepunkt, wenn wir den Satz aufstellen, daß die Notirung der Griechen ihrem Wesen nach von Anfang an für die enharmonischen Scalen bestimmt war und von diesen erst späterhin auf die diatonischen und chromatischen hat übertragen werden müssen. Das Notensystem der Griechen ist ein zweifaches, denn in der Instrumentalmusik hat jeder Klang ein anderes Notenzeichen als in der Yocalmusik. Die uns von den alten Musikern1 zugekommenen Notentabellen geben deshalb für jeden Klang der Scala zwei Notenzeichen, von denen sie das instrumentale entweder unterhalb des Gesangnotenzeichens stellen oder auch so, daß die Vocalnote der Instrumentalnote vorangeht. Daß für die Gesangnoten die Buchstaben des zu Athen unter dem Archonten Euklides zu officiellem Gebrauche eingeführte sogenannte Ionische Alphabet benutzt worden ist, theils in gewöhnlicher unveränderter Gestalt, theils in einer für bestimmte Octaven modificirten Form der Buchstaben, das liegt offen zu Tage und ist niemals verkannt worden. Yon den Instrumentalnoten sagt Bellermann (Tonleitern und Musiknoten S. 46) : „Ich muß durchaus der von A. J. H. Vincent in der Schrift des „Notations scientifiques à l'école d'Alexandrie (revue Archéologique, janvier 1846)" ausgesprochenen Meinung beipflichten, daß die Instrumeiitalnoten aus den Zeichen für die Himmelskörper entstanden sein können. Aber ich wage durchaus nicht, ins Einzelne dieser Yermuthung einzugehen, und weiß auch gar nicht, wie alt unsere jetzt gebräuchlichen Zeichen für die Himmelskörper sein mögen. . . . Vincent geht von den in der kabbalistischen Lehre zur Bezeichnung der Himmelskörper vorkommenden hebräischen Buchstaben aus, nämlich: b

Saturn

»

Jupiter

D

Mars

3

T

D

5

Sonne

Venus

Mercur

Mond

wegen den meisten Eifer widmeten, ganz und gar hintangesetzt, so daß bei der großen Mehrzahl nicht einmal das Vermögen, die enharmonischen Intervalle wahrzunehmen, vorhanden ist: sie sind in ihrer leichtfertigen Trägheit soweit herabgekommen, daß sie die Ansicht aufstellen, der enharmonische Viertelton mache überhaupt nicht den Eindruck eines den Sinnen wahrnehmbaren Intervalles, und daß sie denselben aus den Melodie - Compositionen ausschließen. Diejenigen, sagen sie, hätten thöricht gehandelt, welche darüber eine Theorie aufgestellt und dies Tongeschlecht in der Praxis verwendet hätten." 1 Alypius p. 3 ff. Graudentius p. 22—29. Boethius 4, 3. 14. 15. Anonym, p. 78. 79. Porphyr, ad Ptol. 2, 5. 6. 7. Aristid. p. 15. 25—28.

35

Die Instrumentaliloten.

und zeigt, daß die geheimnißvollem astrologischem Gebrauche dienenden, von den gewöhnlichen sehr abweichenden Gestalten dieser hebräischen Buchstaben große Aehnlichkeit mit mehreren der griechischen Instrumentelnoten haben, nämlich mit folgenden: X

N




/2 c

Diazeuxis

3 ÜH

1 d

Diezeugménoi

J5 fc

Die erste musische Katastasis Spartas: Die altnationalen Molltonarten.

61

Mese

f

g

a

b

Paranete

Lichanos

e

c

CU «n

Paranete

Parhypate

O

Trite

Hypate

Die Alten faßten diese Octaven-Scala so auf, daß sie aus zwei Quarten-Systemen, in deren jedem ein Halbton und zwei Ganztöne auf einander folgen, zusammengesetzt sei: das untere Quarten-System von e bis a, das obere von h bis e. In der Mitte von beiden liege "ein sie trennendes Ganzton-Intervall a h, genannt der „trennende Ganzton", „Tonos diazeuktikos", oder auch kürzer „Diazeuxis", d. i. Trennung. Die Klänge des oberen Tetrachordes hießen die (von den unteren durch die Diazeuxis) getrennten Töne, Phthongoi diezeugmenoi. Der griechische Name für Quarte ist „dia tessaron", der Name für Quinte ist „dia pente", der Name für die ganze Octave ist „dia pason". (Aristoteles Probl. 19 bemerkt, man sollte statt „dia pason" eigentlich ,,di' okto" sagen, was genau dasselbe wie unser „Octave" ausdrücken würde.) Die andere Scala Terpander's enthält nur sieben Klänge, daher Heptachord genannt:

o -4J 0>

d

dasselbe ist:

H

0o0

Parhypate

e> -u cSL,e '/2

c

1

9 -a o 3 d

1

e

H2

| Synaphe

f

1

g 1 Synemmenoi

® -u »

¡25 a

Nach der Auffassung der Alten besteht auch diese Scala aus zwei Quarten-Systemen, die aber nicht durch einen diazeuktischen Ganzton von einander getrennt, sondern durch einen gemeinsamen Klang, die sogenannte Synaphe, mit einander verbunden sind. Die Klänge des oberen Tetrachordes oder Quarten-Systemes hießen daher „synemmenoi", „die verbundenen". Eine dritte Scala Terpander's ist ebenfalls ein Heptachord (System von sieben Klängen), eine Vereinfachung der ersten Scala, indem der Klang, welcher hier den Namen Trite führt, ausgelassen wird. Der N a m e Trite wird auch für dieses Heptachord beibehalten: er wird

Das Melos der griechischen Musik.

62

dem Klange zuertheilt, welcher auf dem Oktachorde den Namen Paramesos führte. ® K

w

Ol

CS

1

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g

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j

8

s

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E-

h

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[c]

So sind die Namen von dem alten Pythagoreer Philolaos überliefert bei Nicomachus p. 17 (vgl. oben). Die Vereinfachung besteht also darin, daß in dem oberen Quarten-Systeme der höhere Grenzklang des Halbton-Intervalles ausgelassen, d. h. in der Melodie des Ivitharoden nicht gebraucht wird, — wohl aber in der Instrumentalbegleitung des Kitharoden, wie sich alsbald aus den eingehenden Nachrichten des Aristoxenus ergeben wird. Aristoxenus, von den „Compositionen des Olympus und Terpander und des demselben Stile Folgenden" sprechend, sagt nämlich bei Plutarch de mus. 18—20, daß jene archaische Musik des Terpander und Olympus der Vieltönigkeit und VielfÖrmigkeit absichtlich zu entgehen suchte und deshalb manche der später gebräuchlichen Klänge vermieden habe. Im Einzelnen heißt es bei ihm: „Daß aber die Alten sich nicht aus Unkenntniß beim Tropos spondeiazon [für die Melodie] der Trite c enthielten Hypate Parhypate e f

Lichanos Mese Paramesos Trite Paranete Nete g a h c d e ,

das geht aus ihrer Anwendung dieses Tones für die Begleitung hervor, denn sie würden ihn nicht als symphonischen Accordton (Quinte) zur Parhypate (f) gebrauchen Begleitton Gesangton,

wenn sie ihn nicht anzuwenden verständen. Offenbar hat die Schönheit des Eindrucks, welcher im Tropos sponda'ikos durch Nichtanwendung der Trite (c) entsteht, ihr Gefühl darauf geführt, die Melodie [mit Uebergehung der Trite c] auf die Paranete (d) hinüberschreiten zu lassen". „Ebenso verhält es sich mit der Nete (e). Denn auch diese gebrauchten sie in der Begleitung als diaphonischen Accordton (Secunde)

Die erste musische Katastatis Spartas: Die altnationalen Molltonarten.

zur Paranete Mese (a):

63

(d) und als symphonischen Accordton (Quinte) zur -a

JL—p- ä - Begleitton — I I — ^ ^ Gesangton,

für die Melodie aber erschien er ihnen im Tropos sponda'ikos nicht passend." Aristoxenus fährt in der bei Plutarch erhaltenen Stelle folgendermaßen fort: „Und nicht bloß die beiden genannten Töne (c und d) haben sie in dieser Weise verwandt, sondern auch die Nete des Synemmenonsystems, denn in der Begleitung gebrauchen sie die Nete synemmenon (a) als diaphonischen Accordton zur Paranete (g, Secunde) und zur Parhypate (c, Septe), und als symphonischen Accordton zur Mese (e, Quarte) und zur Lichanos (d, Quinte)

m

»

3t Begleitton ^ Gesangton..

doch wenn ihn einer als Melodieton angewandt hätte, über den würde man sich wegen des durch diesen Ton bewirkten Ethos geschämt haben. Auch die Phrygischen Compositionen beweisen, daß jener Ton (die Nete synemmon) dem Olympus und seinen Nachfolgern nicht unbekannt war, denn sie wandten ihn nicht bloß in der Begleitung an, sondern gebrauchten ihn in der Metroa und einigen anderen Phrygischen Compositionen auch für die Melodie." Dieser Bericht des Aristoxenus, der höchsten Autorität für unsere Kenntniß der griechischen Musik, läßt keinen Zweifel, daß diese schon zur Zeit der ersten Spartanischen Katastasis keine unisone war, daß schon die Melodietöne des alten Kitharoden Terpander von den begleitenden Tönen des Instrumentes divergirten: daß der Begleitungston mit dem gleichzeitigen Melodietone bald die Quinte, bald die Quarte (sogenannte symphonische Intervalle), bald auch die Secunde, bald die Sexte (sogenannte diaphonische Intervalle) bildete. Nur in wenig Beispielen, aber doch als sichere Thatsache ist uns durch des ersten Gewährsmanns Autorität überliefert, daß die kitharodische Musik des Terpander eine z w e i s t i m m i g e war: die eine Stimme führt der Gesang des Kitharoden, die zweite Stimme das den Gesang begleitende Instrument aus. Es ist wohl nicht zufällig, daß in allen von Aristoxenus gegebenen

64

Das Melos der griechischen Musik.

Beispielen der tiefere Ton des Accordes der Melodie des Gesanges, der höhere Accordton der Instrumentalbegleitung angehört, denn auch bei Aristoteles Probl. 19, 12 wird die Frage aufgeworfen: „Weshalb übernimmt von den Saiten stets die tiefere die Melodie?" Wir haben bei dieser Angabe des Aristoteles zunächst an ein Instrumentalduett zu denken: das eine Instrument führt die Melodie aus, das andere begleitet. Die Melodie wird dabei stets von der unteren, die Begleitung von der oberen Stimme übernommen. In welcher Weise eine solche Begleitung im Allgemeinen ausgeführt wurde, darüber giebt Aristoteles in den musikalischen Problemen 19, 39 eine werthvolle Notiz: „Im Uebrigen entfernen sich die Accompagnirenden von den Klängen des Gesanges, aber am Schlüsse kommen sie wieder mit der Singstimme zusammen, und haben dann am Ende einen größeren Eindruck der Befriedigung, als der Eindruck der Unbefriedigtheit war, welchen sie vor dem Ende bei der Divergenz der Melodietöne und der Begleitungstöne empfinden mußten." Hier ist ganz genau der Eindruck beschrieben, wie wir ihn in unserer Musik bei Dissonanzen und bei den auflösenden Consonanzen des Abschlusses empfinden. Was nun den in dieser Stelle geschilderten Eindruck der Unbefriedigtheit beim Auseinandergehen der Melodie- und Begleitungsklänge und den am Schlüsse stattfindenden Eindruck der Befriedigung, welcher durch das schließliche Zusammentreffen beider Stimmen hervorgebracht wird betrifft, so müssen wir die fernere von Aristoteles in demselben Problemen aufgeworfene Frage herbeiziehen: „Weshalb befriedigt uns ein symphonirender Accord noch mehr als der Gleichklang." Deshalb werden wir das die schließliche Befriedigung verursachende Zusammentreffen der beiden Stimmen mindestens ebenso sehr auf den symphonirenden Accord wie auf den Gleichklang zu beziehen haben. Symphonisch im Sinne der Alten ist die Quarte, Quinte, Octave, Undecime, Duodecime, Doppeloctave u. s. w. Jedes der übrigen Intervalle heißt ein diaphonisches. Wir dürfen aus diesen Termini keine weiteren Consequenzen ziehen und müssen ganz besonders uns hüten, bei der Symphonie an unsere moderne Consonanz, bei der Diaphonie an unsere Dissonanz zu denken, obwohl jene beiden griechischen Ausdrücke in der Sprache der Römer durch „consonantia" und „dissonantia" wiedergegeben werden. Wir müssen uns nun noch fernerhin durch die musikalischen Probleme des Aristoteles führen lassen. Dort heißt es 19, 19: „In allen guten Compositionen ist die Mese ein sehr oft vorkommender Ton, auf der alle guten Componisten mit Vor-

Die erste musische Katastasis Spartas: Die altnationalen Molltonarten.

65

liebe verweilen, auf die sie bald w i e d e r z u r ü c k k e h r e n , wenn s i e d i e s e l b e v e r l a s s e n h a b e n , was in dieser Weise bei keinem einzigen der übrigen Klänge geschieht." Vorher war von Aristoteles auseinandergesetzt: „Wenn man die Mese zu hoch oder zu tief stimmt, die übrigen Saiten des Instrumentes aber in ihrer richtigen Stimmung gebraucht, so haben wir nicht bloß bei der Mese, sondern auch bei den übrigen Klängen das peinliche Gefühl einer unreinen Stimmung: dann klingt alles verstimmt. Hat aber die Mese ihre richtige Stimmung und ist etwa die Lichanos oder eine andere Saite verstimmt, dann zeigt sich die unreine «Stimmung nur an der Stelle des Musikstückes, wo eben diese verstimmte Saite erklingt." Auf diese zuletzt hier angeführten Worte brauchen wir hier nicht des Näheren einzugehen und dürfen uns eines Erklärungsversuches an dieser Stelle überheben. Genug, daß aus ihnen hervorgeht, daß Aristoteles bei der Mese auf w e l c h e die C o m p o n i s t e n b a l d w i e d e r z u r ü c k k e h r e n , wenn sie d i e s e l b e v e r l a s s e n h a b e n , zunächst an die Mese eines Instrumentes dachte. Indem wir uns vorbehalten, diesen Satz des Aristoteles über die Mese im weiteren Verlaufe unserer Darstellung auch auf die übrigen Tonarten anzuwenden, soll derselbe zunächst mit den Tonarten der Terpandrischen Kitharodik im Zusammenhange gebracht werden. Daß in der Musik Terpanders die Melodie der Singstimme gleichzeitig mit Klängen der Kithara begleitet werden, welche denen des Gesanges durchaus n i c h t immer unison waren, ist durch die bei Plutarch erhaltene Stelle des Aristoxenus zur unumstößlichen Thatsache erhoben. Die begleitenden Töne bildeten mit denen des Gesanges theils symphonische, theils diaphonische Intervalle. Von jenen war uns bei Aristoxenus die Quarte und die Quinte, von diesen die Secunde und die Sexte namhaft gemacht. In welchem Zusammenhange aber diese Accorde vorkamen — an welchen Stellen des Musikstückes —, darüber gibt uns Aristoxenus keinen Fingerzeig. Hier kommen nun die musikalischen Probleme des Begründers der Schule, welcher Aristoxenus angehört, zur Hülfe. An einer Stelle ist uns dort die allgemeine Angabe gemacht, daß am Schlüsse die Begleitung mit der Singstimme in einem homophonen oder symphonen Accorde zusammentrifft, nachdem im Vorausgehenden beide Stimmen so auseinander gegangen seien, daß vorher der Eindruck peinlicher Unbefriedigtheit hervorgebracht sei, der jetzt am Schluße in wohlthuende Befriedigung aufgelöst werde. In der anderen Stelle der Aristotelischen Probleme werden wir R. W e s t p h & l , Die Musik des griech. Atterthume.

5

66 belehrt, daß die Composition stets auf die Mese zurückkehrt, wenn sie dieselbe im Vorausgehenden verlassen hat. Der griechischen Mese wird hierdurch die Function der Tonica ausdrücklich überwiesen. Die Mese a ist Tonica sowohl der von e bis e reichenden Dorischen Octavengattung wie auch der von a bis a reichenden Aeolischen oder Hypodorischen Octavengattung. Indem wir nun die Mese (sie ist auf der Scala ohne Vorzeichen stets der Klang a) durch fettere Schrift vor den anderen hervorheben, lassen sich die beiden Octavengattungen Terpanders folgendermaßen skizziren: die ä o l i s c h e oder hypodorische » 0) s a h c d e f CO

g

a

d

e

die d o r i s c h e w

e

f

g

S u h

c

Beide Octavengattungen werden nach moderner Auffassung ein und dieselbe Tonart sein, nämlich ein A-Moll, welches des Leittones entbehrt; unter einander würden die beiden griechischen Octavengattungen dadurch verschieden sein, daß das Aeolische der Alten die authentische, das Dorische die plagale Tonart ist, wenn wir diese für die Kirchentonarten übliche Auffassung auf die griechischen Octavengattungen übertragen wollen. Sonst können wir sagen: der Schlußton der A e o l i s c h e n Melodie ist die Mese oder Tonica a, der Schlußton der D o r i s c h e n Melodie ist die Hypate e (identisch mit der Oberquinte oder Oberquarte), während die begleitende Instrumentalstimme in der Mese (Tonica) a schließt. Für das Aeolische bildet sowohl in der Melodie-, wie in der instrumentalen Begleitungsstimme die Mese oder Tonica a den Abschluß. Analog wird es nun auch für jede andere Transpositionsscala sich verhalten, z. B. bei der Verzeichnung mit 1 b wird der Ton d die Mese oder Tonica, der Ton a die Hypate oder Oberquinte (oder Unterquarte) bilden. Von der Art und "Weise der Terpander'sehen Melik können wir uns auf Grundlage des vom Anonymus p. 98 überlieferten Musikbeispieles eine Vorstellung machen, — der in demselben angewandte trochäische Rhythmus war freilich der Terpander'schen Kitharodik noch fremd. In jedem der übrigen Beispiele des Anonymus läßt sich

Die erste musische Katastasis Spartas: Die altnationalen Molltonarten.

67

leicht eine deutliche, wenn auch keineswegs immer bedeutende Melodie erkennen. Das im § 98 enthaltene trägt bei seinen vielen im Inlaute und namentlich auch auf den Hebungen des trochäischen Versfußes vorkommenden Pausen den Charakter einer Instrumentalbegleitung. Trotz der ablehnenden Bemerkung des um die Aristoxenische Rhythmik hochverdienten Dr. E. F. Baumgart 1 sehe ich mich genöthigt, an meiner früher ausgesprochenen Ansicht festzuhalten, daß hier die zweite Stimme einer in unserer Quelle nicht überlieferten Instrumentalmelodie vorliegt. Die letztere werden wir uns in nachstehender Weise zu der beim Anonymus erhaltenen Krusis hinzudenken können.

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Melos.

Krusis.

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Die als Melos verwendeten Töne sind die Terpander'schen Heptachordes: rC" os K

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synemmenon 1

Baumgart im Jahresberichte des k. kathol. St. Matthias-Gymnasium zu Breslau pro 1869, S. XXIX: „Es ist nur von Interesse zu sehen, wie die alten Musiklehrer ihre Schüler mit eben solchen Vexii'-Beispielen im Takte sicher zu machen suchten, wie wir es noch heut zu Tage thun." Wenn man den § 98 des Anonymus nicht für eine Begleitungsstimme halten will, da bleibt freilich nichts übrig, als darin ein „Yexir-Beispiel" zu erblicken. Denn eine Melodie wie in den übrigen Beispielen des Anonymus wird Niemand darin erkennen mögen. Aber warum nicht lieber an eine Begleitungs-Krusis als an ein Vexir-Bdispiel denken, zu dem doch der Anonymus durchaus nicht berechtigt! 5*

68

Das Melos der griechischen Musik.

Die dazu gehörige Krusis umfaßt das um eine Octav höher zu denkende untere Tetrachord desselben Systemes. Die Krusis hat den Schluß in d, d. i. der Tonica von d-moll; das Melos schließt in a, d. i. der Quinte von d-moll. Die Töne der Krusis gehören der Aeolischen oder Hypodorischen Octave, die Töne des Melos gehören der Dorischen Octave an. Was nun die von den Berichterstattern dem Terpander vindicirten Systeme oder Scala betrifft, so muß zunächst aus den von Aristoxenus (zweite Harmonik Abschn. XVI) stammenden Mittheilungen über die verschiedenen Stimmclassen (Topoi) constatirt werden, daß der kitharodische Nomos zur Ausführung eine Tenorstimme verlangte. Die Griechen notirten ihre Scalen mit Noten, welche ihrer Schreibung nach principiell durchaus mit den modernen Noten übereinstimmen, aber in der Stimmung des Klanges etwa eine kleine Terz tiefer standen als unsere Noten, ein wichtiges Resultat von Friedrich Bellermanns umsichtiger und scharfsinniger Forschung, auf welches unsere Darstellung weiterhin zurückkommen wird. Sollten also die beiden Scalen des Terpander von einer Tenorstimme ausgeführt werden, dann mußten sie folgendermaßen notirt werden: Terpander's Oktachord 1

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Aeol. Melodieschluß Terpander's Heptachord

Dor. Melodieschluß

Tonica

Auf der ersten Scala konnten von dem als Kitharoden auftretenden Tenorsänger sowohl Aeolische wie Dorische Gesänge in A-Moll ausgeführt werden. Bei aeolischen Melodien lag die Tonica oder Mese, welche zugleich den Melodieschlußton bildete, in der Mitte; der Gesang konnte über diesen Ton hinaus eine Oberquinte hinauf- und eine Unterquarte hinabsteigen. Bei Dorischen Melodien bildeten die Nete e den Melodieschluß. Dieser Ton war der höchste Ton der Scala, die fünfte Stufe oberhalb der Tonica a, welche letztere von der Kithara als Begleitton der schließenden Gesangsnote angegeben wurde. Unterhalb der Tonica konnten dem Gesänge noch vier Töne bis zur Unterquarte eingeräumt werden.

Oympos: Das vollständige System der griechischen Tonarteli (Harmonien).

69

Die zweite (Heptachordische) Scala enthält ein D-Moll, in welchem die Tonica (d) den höchsten Ton bildet. Der Klang a ist die Unterquarte, die Hypate, der Melodieschlußton der Dorischen Octav. Die Begleitung giebt dazu die Mese d. i. die Tonica als Accordton an. Augenscheinlich dient diese Terpandrische Scala für die Ausführung einer Dorischen Melodie: eine Quarte kann die Melodie über den Schlußton noch aufwärts steigen (bis zum Tone d), ebenso noch eine Quarte tiefer gehen (bis zum Tone e). Gehörten die Melodietöne dem einen Systeme an, so konnten die dazu gehörigen Begleitungstöne auf dem anderen Systeme ausgeführt werden. So geschieht es noch bei Pindar, welcher sich mit Vorliebe des alten Terpandrischen Heptachordes bedient. Die erste Olympische Ode ist wie aus v. 100 hervorgeht ein Aeolischer Gesang. Zu dem Gesänge wird (dies lehrt v. 17) die Begleitung auf einer Dorischen Phorminx ausgeführt.

Olympos. Das vollständige System der griechischen Tonarten. In die gleiche Kategorie mit Terpander als vornehmsten Repräsentanten der ersten Epoche archaischer Musik stellt Aristoxenus den Olympos. Eine so feste historische Persönlichkeit wie Terpander ist Olympos nicht, vielmehr eine Art von Collectivbegriff einer alten in halb mythischer Zeit aus Asien nach Hellas einwandernden Anletenschule. Was diese aus der Fremde kommende Schule des Olympos der hellenischen Musik zuführte, waren zwei den Griechen ursprünglich fremde Tonarten oder Harmonien, nämlich die Phrygische und die Lydische. Eine andere Version der Sage läßt die beiden fremden Tonarten durch die lydischen Begleiter des Pelops nach Griechenland eingeführt werden. So ein Gedicht des Dithyrambikers Telestes, nach einem Fragmente des Heraklides Pontikus bei Atheneus 14,625 f. Nach Aristoxenus scheinen unter den historischen Denkmälern archaischer Musik zwei auletische Nomoi des Olympos die frühesten Urkunden Phrygischer und Lydischer Musik zu sein. In seinem ersten Buche über Musik (Plutarch de mus. 15) berichtet Aristoxenus, daß Olympos die Lydische Tonart in einem Nomos epikedeios auf Pytho

Das Melos der griechischen Musik.

70

angewandt habe, d. i. in den Klagen des durch Apollo im Kampfe erlegten Pythischen Drachens; aus seinen vermischten Tischreden stammt die bei Plutarch a. a. 0. aufbewahrte Notiz, daß der berühmte Nomos des Olympos auf Athene Phrygisch war. Die beiden Octavengattungen sind folgende: Lydisch: Phrygisch:

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c d

Zum Ausgangspunkte der Untersuchung über Wesen und harmonische Beschaffenheit dieser beiden Octavengattungen nehmen wir die Stelle des Aristoxenus bei Plut. de mus. 19. „Auch die Phrygischen Compositionen beweisen, daß die Nete synemmenon dem Olympos und seinen Nachfolgern nicht unbekannt war, denn sie ließen dieselben nicht bloß für die Begleitung zu, sondern in den Metroa und einigen anderen Phrygischen Compositionen auch für die Melodie. Auch in Beziehung auf die Töne des Hypaton-Tetrachordes ist es klar, daß man sich dieses Tetrachordes nicht aus TJnkenntniß desselben enthielt, denn bei den übrigen Tonarten verwandte man sie; sicherlich also kannte man dieselben, aber aus sorgsamer Scheu für das Ethos enthielt man sich ihrer bei der Dorischen Tonart, vor deren charakteristischer Schönheit man Ehrfurcht trug." Das Hypaton-Tetrachord betreffend haben wir uns an die beiden Systeme Terpanders zu erinnern: an das Octachord von e bis e und an das Heptachord von H bis a oder in der Transpositionsscala mit einem b von e bis d. Einem jeden dieser beiden Systeme wurden in der Tiefe eine Quarte hinzugefügt. So entstand aus dem Octachorde ein Dodekachord-System (Duodecimen-System, System von zwölf Klängen): CO O

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Von denen in der Tiefe hinzugefügten Tönen benannte man H c d mit denselben Namen wie e f g, nämlich den ersten Hypate, den zweiten Parhypate, den dritten Lichanos, nur fügte man den drei

Olympos: Das vollständige System der griechischen Tonarten (Harmonien).

71

tiefsten einem jeden den Zusatz h y p a t o n hinzu: H Hypate hypaton, c Parhypate hypaton, d Lichanos hypaton — zum Unterschiede der Töne e f g, welche dieselben Benennungen mit dem Zusätze meson hatten. In der äußersten Tiefe eine Octave von der Mese entfernt wurde der Klang A hinzugenommen, welcher die Benennung P r o s l a m b a n o m e n o s d. i. „hinzugenommen" erhielt. Wenn Aristoxenus sagt, nicht in den Dorischen, wohl aber in den übrigen habe man in der archaischen Periode des Tetrachord hypaton angewandt, so ist wohl klar, daß hier nicht bloß von den Klängen H c d die Bede, sondern daß auch der Proslambanomenos mit eingeschlossen ist. Von der Dorischen Octavengattung e f g a h c d e war auch der tiefste Ton auf dem Terpandrischen Octachorde enthalten. Aber nicht von der Phrygischen Octav und nicht von der Lydischen Octav. So erklärt sich die Angabe des Aristoxenus, daß das Tetrachord hypaton in alter Zeit zuerst für die anderen (als die Dorische) Octavengattung in Aufnahme gekommen sei. Für die Phrygischen Compositionen bedurfte man der Lichanos hypaton d, für die Lydischen Compositionen der Parhyte hypaton c. Die noch nicht bei Terpander vorkommende Phrygische und Lydische Melopoeie war also die erste Veranlassung (das geht aus dem Berichte des Aristoxenus hervor), daß die Erweiterung des alten Octachordes zum Dodekachorde eintrat. Aber auch das alte Heptachord ist durch Hinzufugung des Tetrachordes hypaton zum Hendekachorde, zum Undecimen-Systeme von 11 Klängen erweitert worden; nach der obigen Stelle des Aristoxenus wird von Olympus und seinen Nachfolgern in der Phrygischen Composition die Nete synemmenon angewendet. Dieses System von 11 Klängen (Undecim en- System) ist folgendes: CO o

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In der Tiefe gehören ' die Klänge des Undecimen-Systemes der Scala ohne Vorzeichen an, in der Höhe der Scala mit einem b. Das Hendekachord würde sich folgendermaßen transponiren lassen: e

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f

g

h

72 Hier würde also für die Phrygische Octave der tiefere Klang d in der Lichanos meson enthalten sein, für die Lydische Octave der tiefste Klang c in der Parhypate meson. Das Hendekachord ist nach Aristoxenes ein Systema emmetabolon (auf dem man die Transpositionsscala verändern kann), das Dodekachord ein Systema ametabolon (ein System, welches keine Veränderung zuläßt). Auf jenem ist eine Metabole, d. i. ein Wechsel der Transpositionsscalen möglich, auf diesem nicht. Nach Ptolemäus dient das Systema emmetabalon einzig und allein zum Zwecke der Ausführung eines Wechsels der Transpositionsscalen, einen anderen Nutzen habe es nicht. Dies ist auch für Phrygische und Lydische Compositionen anzunehmen; doch brauchen wir nicht darauf einzugehen, in welcher Weise für diese Compositionen auf den Hendekachordsystemen ein Wechsel der Transpositionsscalen eintrat. Suchen wir jetzt die harmonische Bedeutung des Lydischen und Phrygischen Octavengattung zu bestimmen. Dies fällt zusammen mit der Untersuchung, welcher Klang jener Octaven die betreffende Tonica ist. Bisher hat man ohne Weiteres angenommen, daß der tiefste Ton der betreffenden Octavengattung die jedesmalige Tonica sei: bei der Lydischen Octavengattung von c bis c sei c die Tonica, mithin entspreche die Lydische Harmonie der modernen Dur-Scala; bei der Phrygischen Octavengattung von d bis d habe der Klang d die Tonicafunction, mithin sei das antike Phrygisch die nämliche Scala wie in der christlich-modernen Musik der Kirchenton in d, welcher hier der Dorische genannt wird. Aber wir sahen schon oben S. 66, daß der tiefste Ton bloß bei der Aeolischen, aber nicht bei der Dorischen Octavengattung die Bedeutnng der Tonica hat; für die Dorische Octavengattung mußten wir in der Mese a den Klang erkennen, welcher die Bedeutung der Dorischen Tonica hatte. Bei den Griechen gab es zwei Methoden die Phrygischen und Lydischen Tonstufen zu benennen. Beide Methoden kommen bei Aristoxenus vor. Die eine Methode heißt die d y n a m i s c h e O n o m a s i e oder die Benennung nach der „Dynamis" der Tonstufe. Nach dieser Methode wird ein jeder Klang, einerlei welcher Octavengattung er angehört, mit demselben Namen bezeichnet, welchen er als Klang der Dorischen Octavengattung d. i. als Klang des Systema ametabolon führen würde: — also nach der Dynamis d. i. der Geltung, welche ihm zukäme, wenn er ein Klang der Dorischen Octavengattung wäre. Diese dynamische Onomasie ist die einzige, welche bisher in den weiteren Kreisen der griechischen Musikforscher bekannt war.

Olympos: Das vollständige System der griechischen Tonarten (Harmonien).

73

Die zweite Methode in der Benennung der Tonstufen heißt die t h e t i s c h e O n o m a s i e , die Benennung „kata Thesin" (vgl. unten). Aristoxenus kennt wie gesagt beide Methoden, aber der Abschnitt XIT seiner ersten und zweiten Harmonik, welcher der Besprechung der thetischen Onomasie gewidmet war, ist in der Ausführung nicht auf uns gekommen. Wir besitzen diese Darstellung nur in der Harmonik des Ptolemäus. Eben deshalb, weil uns in den Werken des Aristoxenus die Darstellung der thetischen Onomasie nicht vorliegt und auch bei denjenigen Musikschriftstellern der römischen Kaiserzeit, welche mittelbar aus Aristoxenus geschöpft haben, nicht berücksichtigt ist, eben daher mag es gekommen sein, daß die neueren Forscher auf dem Gebiete der griechischen Musik, wie z. B. Friedrich Bellermann in demjenigen, was Ptolemäus (freilich ausführlich genug) über die thetische Onomasie berichtet, sich nicht zurecht finden konnten. Und doch hatte der früheste und bis jetzt einzige Herausgeber und Erklärer der Ptolemäischen Harmonik, der englische Mathematiker Jonannes Wallis, gerade vor 200 Jahren die von Ptolemäus gegebene Darstellung der thetischen Onomasie vollständig richtig verstanden, genau so wie diese Onomasie des Ptolemäus in meiner griechischen Harmonik vom Jahre 1863 und 1865 aus ungerechter langer Vergessenheit wieder hervorgezogen worden ist. Die Klänge der Phrygischen und Lydischen Octavengattungen sind nach der thetischen Onomasie für die Transpositionsscala ohne Vorzeichen: Klangnamen der P h r y g i s c h e n O c t a v e n g a t t u n g : Dynamische Klangnamen

A P
genannt „Doristi", und die Quintenform des durch verminderte Septime modificirten Dur, genannt „Phrygisti", sind für den Staat zulässig. Aristoteles meint dasselbe auch von der Quintenform des durch falsche Quarte modificirten Dur, genannt „Lydisti", welche bei Plato unerwähnt bleibt Für uns liegt die eminente Wichtigkeit der Stelle Plato's darin, daß wir hauptsächlich durch sie mit dem Vorhandensein der Terzenformen der alten Dur- und Molltonarten hekannt werden. Bei Bellermann, Tonleiter und Musiknoten S. 20, heißt es: „Das Nichtanerkennen der Terz als natürlich mitklingenden Intervalles ist es, was den alten eine große Hemmung in der Entwickelung der Musik anlegte und ihnen den Gebrauch des Duraccordes und somit die ganze harmonische Behandlung ihrer Melodien verschloß. Ein D u r a c c o r d ist uns zwar in den Musiknoten der Griechen nicht überliefert. Aber einen gebrochenen M o l l d r e i k l a n g als Ausgang eines Musikstückes hat Bellermann selber aus dem Anonymus § 98 veröffentlicht. Dort schließen die in D-moll gehaltenen Kola 1 und 4 (s. oben S. 67) mit dem gebrochenen D-Moll-Dreiklange a f d. Daß die Griechen die Bedeutung der Terze nicht kennen gelernt hätten, ist ein durch nichts gerechtfertigter Vorwurf. Indem wir für unsere Erklärung der Platonischen Stelle über die Tonarten den Anspruch vollkommener Richtigkeit erheben, weisen wir hier noch einmal darauf hin, daß das ganze System der griechischen Tonarten, sowohl der Molltonarten, wie der Durtonarten auf dem tonischen Dreiklange beruht. Und zwar ist es der Anschauung zufolge, welche dort Plato vertritt, ein dreifacher Quartsextenaccord, von welchem aus die griechischen Tonarten entwickelt werden. Thetische Trite. »z— Thetische Mese. — ^ Thetische Hypate.

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3

Olympos: Das vollständige System der griechischen Tonarten (Harmonien).

89

Auch ein Dreiklang als gebrochener Accord wie in den Beispielen „a f d" S. 67 wird immer ein Dreiklang sein. Gevaert I p. 162. Daß die Form des tonischen Dreiklanges, auf welchem das System der griechischen Tonarten beruht, gerade der Quartsextaccord ist, hat darin seinen Grund, daß die frühere Ausdehnung der griechischen Scala nicht unter die Hypate hinabging: es waren die Hypate, die Mese und die Trite, die auf den älteren Tonsystemen thetischer Nomenclatur zunächst in Betracht kommenden Klänge, wenn es sich um das Wesen der verschiedenen Formen der altnationalen Mollmelodien und der Phrygischen und Lydischen Durmelodien handelte. Wenn Plato, die verschiedenen Tonarten bezüglich ihres Ethos einer Prüfung unterwerfend, z u e r s t die mit der thetischen T r i t e schließenden Melodieformen aufzählt, dann an zweiter Stelle die mit der thetischen Mese schließenden, und e n d l i c h an dritter Stelle die mit der thetischen H y p a t e abschließenden Melodieformen sowohl der Dorischen Moll- wie auch der Phrygischen und Lydischen Durtonart: Dorische

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so scheint diese mit bewußter Consequenz durchgeführte Einhaltung einer sehr klaren Ordnung wohl schon aus den früheren Schulen der Musiker, in welchen die Melopoioi herangebildet wurden, herzustammen, wie denn Plato selber am Ende seiner ganzen Darstellung auf Dämon, das Haupt einer athenischen Musik-Schule, verweist. Dort lernten die Musikschüler die drei Haupttonarten, Dorisch, Phrygisch, Lydisch, und auch die für diese drei verschiedenen Tonarten vorkommenden dreifach verschiedenen Tritenschlüsse, Mesenschlüsse, Hypatenschlüsse kennen, wonach die verschiedenen Octavengattungen oder Harmonien sich bestimmen. Das waren die G r u n d z ü g e der griechischen Melopöie oder Compositionslehre, welche mit diesen Andeutungen reconstruirt sind.

90

Das Melos der griechischen Musik.

Lokrische Molltonart.

Unerledigt aber ist hier noch die Frage nach der Lokrischen Tonart. Pseudo-Euklides und Aristides überliefert uns, daß die Lokristi dieselbe Octavengattung wie die Hypodoristi ist, also die Octavengattung a

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Eine Stelle von Heraklides Ponticus, dem älteren Zeitgenossen und Gegner des Aristoxenus, sagt folgendes gelegentlich einer Polemik gegen die Neuerungen des Aristoxenus in den Transpositionsscalen: „Was eine eigene Harmonie sein soll, muß eine eigene Art von Ethos oder Pathos haben, wie dies z. B. bei der Lokristi der Fall ist, welche bei einigen Zeitgenossen des Simonides und Pindar in Aufnahme, späterhin aber in Mißachtung kam." Was Heraklides hiermit sagen will, geht aus demjenigen was er vorher gegen Aristoxenus geltend gemacht hatte hervor. Dieser hatte neben der Hypophrygischen Transpositionsscala G-Moll eine Scale Fis-Moll statuirt, welche er tieferes Hypophrygisch nannte. Die Transpositionsscala in G-Moll hatte ihren mit der Hypophrygischen Octavengattung gleichlautenden Namen deshalb erhalten, weil ein gewisser Abschnitt der Transpositionsscala G-Moll, nämlich von dem Klange f bis zum Klange f, die Hypophrygische Octave darstellte. Die von ihm eingeführte Transpositionsscala Fis-Moll nannte Aristoxenus tieferes Hypophrygisch, weil in ihr der Octavenabschnitt e bis e dieselbe Octavengattung wie dort die Klänge f bis f enthielten. Das Nähere hierüber möge man weiter unten nachsehen. Hier genügt es zu sagen, daß Heraklides Ponticus das höhere Hypophrygisch des Aristoxenus deshalb nicht anerkennen will, weil die Phrygische Octavengattung, wenn sie von e bis e ausgeführt wird, sich in nichts von derjenigen Octave, welche von f bis f ausgeführt wird, unterscheidet. Heraklides bei Athenäus 14, 625 verlangt einen Unterschied wie denjenigen, welcher zwischen der Lokristi und der ihr in der Intervallfolge gleichen Hypodoristi oder Aiolisti besteht. Worin besteht nun dieser Unterschied? Die Aiolisti ist die Hypateform der Dorischen Tonart. Die Lokristi muß also etwas anderes sein. — Noch von einer zweiten in a beginnenden Harmonie wissen wir, nämlich der Tritenspecies des Lydischen Dur, genannt Syntonolydisti. Mit dieser kann die Lokristi ebensowenig, wie mit der Aiolisti identisch sein, denn die „Lokristi ist bei einigen Zeitgenossen

Olympos: Das vollständige System der griechischen Tonarten (Harmonien).

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des Simonides und Pindar in Aufnahme, späterhin aber in Mißachtung gekommen" (Heraklides), während die Syntonolydisti eine ganz alte Tonart ist und schon in die Zeit vor Olympus hinaufreichen soll (vgl. S. 93). Nun wissen wir, daß alle griechischen Harmonien entweder mit der thetischen Hypate d. i. der Quinte, oder mit der Mese d. i. der Prime, oder mit der Trite d. i. der Terz beginnen; eine dieser drei Alternativen muß auch bei der in a beginnenden Lokristi zutreffen. Ihr tiefster Klang kann nicht die Function der Mese haben, denn dann wäre die Lokristi identisch mit der Aiolisti; ihr tiefster Klang kann ebenso wenig die Function der thetischen Trite haben, denn dann wäre die Lokristi identisch mit der Syntonolydisti. Es bleibt also nur dies übrig, daß der Klang a, mit welchem die Lokristi beginnt, die Function der Hypate hat. Sie ist gleich der im engeren Sinne sogenannten Doristi, Phrygisti, Lydisti eine Quintenspecies der Octave •

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Der christlichen Welt ist diese Tonart unter dem Namen des Dorischen Kirchentones d. i. des Kirchentones in d wohlbekannt, und zwar kommt sie mit der plagalen Form desselben überein. Wenn wir die Choralmelodien: „Wir glauben all' an Einen Gott", „Durch Adams Fall ist ganz verderbt", „Mit Fried' und Freud' fahr' ich dahin", oder den Gesang der Spinnerinnen in Haydn's Jahreszeiten hören, 1 so hören wir die Lokrische Tonart des griechischen Alterthumes. Dieselbe gehörte nicht dem Dorischen Moll, auch nicht dem Phrygischen Dur, auch nicht dem Lydischen Dur an. Wohl aber einer aus dem Lydischen Dur gebildeten parallelen Molltonart, welche wir Lydisches Moll benennen können, bei den Alten aber aus dem gleich anzugebenden Grunde den eigenen Namen Lokrisch erhalten hat. Auch beim Dorischen Moll geht das Melos gelegentlich (d. i. für die eine oder die andere Periode oder Kolon) in eine parallele DurTonart über, wie dies in dem Hymnus auf Helios der Fall ist. Wir können das nicht anders als „Dorisches Dur" bezeichnen. Und beim Phrygischen Dur hat man ebenso gelegentliche TJebergänge in eine 1

Bellermann, Anonymus p. 37.

«2

Das Melos der griechischen Musik.

parallele Moll-Tönart (Hymnus auf Nemesis), die dann als „Phrygisches Moll" zu bezeichnen wäre. Doch sind das, wie gesagt, nur gelegentliche Uebergänge, die sich nicht zu constanten Tonarten ftlr ein ganzes Melos herausgebildet haben. Beim Lydischen Dur aber ist dieser Fall wirklich eingetreten: in der parallelen Moll-Tonart des Lydischen Dur (d. h. des durch falsche Quarte modificirten Dur) sind ganze Meie gesetzt worden. Und zwar ist dies zuerst im Italischen Lokri epizephyrii geschehen durch den unter die Meister der zweiten Musik-Katastasis Spartas gezählten Xenokritos. Daher der Name der Harmonie „Lokristi". Bei den Zeitgenossen des Pindar und Simonides, berichtet Heraklides Poirticus, kam sie in Aufnahme, später aber wurde sie nicht mehr angewandt. Nachdem sich hiermit die Lokristi als eine dem Lydischen Dur parallele Moll-Tonart herausgestellt hat, sind wir nunmehr in der Lage, die von den Harmonien handelnde Stelle der Platonischen Republik vollständig verstehen zu können. Denn bisher mußten wir uns damit begnügen, in den dort filr Triten- oder Terzen-Species gebrauchten Worten „Welches sind die Tonarten der Wehmuth? Syntonolydisti und derartige Harmonien."

Die Mixolydisti und

den Ausdruck „und derartige Harmonien" nur auf eine einzige Tonart, nämlich die Boiotisti, zu beziehen. Gleichwohl muß Plato, da er den Plural gebraucht „und derartige Harmonien", an mehrere Tonarten denken. Giebt es nämlich nicht bloß eine, sondern zwei Moll-Tonarten, nämlich außer dem altnationalen Dorischem auch noch ein erst von Xenokritus aufgebrachtes dem Lydischen Dur paralleles Moll, die sogenannte Lokrische Moll-Tonart, so läßt sich der von Plato gebrauchte Plural „und derartige Harmonien" erklären, während derselbe, wenn es außer dem Lydischen und Phrygischen Dur nur ein einziges Moll, das Dorische Moll gäbe, aller Interpretation spotten würde. Wie im Phrygischen und Lydischen Dur, und wie im Dorischen Moll, so muß es auch im Lokrischen Moll neben den Mesen- oder Quinten-Species auch eine Triten- oder Terzen-Species gegeben haben, der gleich den übrigen Terzen-Species von Plato der Charakter der Wehmuth beigelegt wird. Vollständig ausgeführt wird also jene Stelle Piatos Folgendes besagen: „Welches sind die Tonarten der Wehmuth? Die Mixolydisti und Syntonolydisti, die Boiotisti und die syntonos Lokristi."

Olympos: Das vollständige System der griechischen Tonarten (Harmonien).

98.

Der N a m e „syntonos Lokristi" ist uns zwar nirgends überliefert, aber nach Analogie der syntonos Lydisti werden wir die fragliche TerzenSpecies schon init diesem Namen bezeichnen dürfen. Es werden also den drei Species der Lydischen Dur-Tonart folgende Species der parallelen Lokrischen Moll-Tonart zur Seite stehen:

Lyd. Dur.

chalara Lydisti

I '

I

syntonos Lydisti

2

III

Lydisti

4

V

6

7

6

7

syntonos

Lyd. Moll.

Lokristi

P 1

2

III

Lokristi

4

V

Eine Lokrische Primen-Species, die wir als „chalara Lokristi" bezeichnen mußten, kommt, so viel wir wissen, nicht vor. Das kann nicht allzusehr auffallen. Denn auch im Lydischen Dur wurde die Terzen-Species (die syntonos Lydisti) schon von Olympus gebraucht, während die Lydische Primen-Species (die chalara oder epaneimene Lydisti) nach Plutarch de mus. 19 erst geraume Zeit später von dem Athener Dajnon erfunden sein soll. 1 1

Plqt. de mus. 15: „Die Syntono-Lydische Harmonie verwirft Plato wegen, ihrer hohen Tonlage und weil sie für Klagen-Melodien geeignet ist. So soll auch ihr erster Ursprung ein threnodischer gewesen sein. Denn A r i s t o x e n u s sagt in seinem ersten Buche über die Musik, daß zuerst Olympus einen Threnos auf' Pytho in Lydischer Tonart für das Aulosspiel gesetzt habe. Einige nennen den Anthippos als Erfinderderselben. P i n d a r sagt in seinen Päanen, daß Anthippos zuerst bei der Hochzeit der Niobe den Chor ein Lydisches Lied habe singen lassen." Es kann kein Zweifel sein, daß Aristoxenus unter dem Lydischen Threnos des Olympus und ebenso Pindar unter dem Lydischen Chorgesange des Anthippus nicht die Lydische Octavengattung in f, sondern das Syntono-Lydische verstanden hat. Nicht anders hat auch Plutarch selber, welcher die Aussage des Aristoxenus und Pindar mittheilt, das „Lydische" verstanden. Denn er giebt hier (oder vielmehr er excerpirt) einen Commentar zu der über die Tonarten handelnden Stelle der Platonischen Republik, Plato selber aber hat bei dem, was Plutarchs Commentar „Lydisch" nennt, das Syntono-Lydische im Auge. Plato verwirft — so heißt es bei Plutarch — das Lydische [soll heißen: das SyntonoLydische] wegen seiner hohen Tonlage und weil es für Klage-Melodien angemessen ist." Von der „hohen Tonlage" steht bei Plato freilich nichts, es ist ein. Zusatz des Erklärers, aber ein ganz richtiger Zusatz. Denn das Syntono-Lydische ist die in der Trite a beginnende Species des Lydischen Dur: alle in der-

94

Das Melos der griechischen Musik.

D i e Termini „chalara" und „syntonos".

Wir haben noch ein Wort über die Termini „chalara (aneimene)" und „syntonos" zu sagen, welche in dem Lydischen und Phrygischen Dur zur Bezeichnung der in der „Mese" und der „Trite" schließenden Melodieform gebraucht werden. Ursprünglich scheinen diese Zusätze nur beim Phrygischen Dur vorgekommen zu sein, für welches Pratinas sie gebraucht, syntonos und aneimene: chalara Iasti

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Hier kam der Name Phrygisti bloß für die Hypate-Form vor; für die Form des Melodie-Schlusses in der Mese und in der Trite gebrauchte man von Anfang an eine von dem ionischen Volksstamme, bei dem solche Melodien vorzugsweise beliebt waren (Heraklides oben S. 87), hergenommene Benennung „Iasti" 1 , und da ist es ganz verständlich, daß die höhere dieser beiden Weisen (in der Trite schließend) den Namen „syntonos Iasti", d. h. „hohe Iasti", erhielt, die tiefere (in der Mese schließend) den Namen „chalara Iasti" oder „aneimene, Iasti". Nachdem sich diese Namen für die Melodieweisen des Phrygischen Dur fixirt hatten, wurden sie auch auf das Lydische Dur übertragen, wo es außer der Hypate-Form wiederum eine Mese-Form und eine Trite-Form gab! Auch hier erhielt das in der Trite schließende Trite beginnenden Octavengattungen sind höher, als in der Mese und in der Hypate beginnenden Species derselben Dur- oder Moll-Tonart. Gegen die in der Mese beginnende Species der Lydischen Dur-Tonart, die Lydische Species in f (gegen die Lydisti im engeren Sinne) würde Plato wohl ebenso wenig wie Aristoteles etwas einzuwenden haben, nach dessen Bemerkung sie für die Jugenderziehung eine vorzugsweise geeignete Harmonie ist. 1 Denn die mit Iasti gleichbedeutende Bezeichnung „Hypodoristi" entstand erst nach der Entwicklung des Systemes der Transpositionsscalen oder Tonoi.

Olympos : Das vollständige System der griechischen Tonarten (Harmonien).

95

Lydisch (schon Olympus muß nach Aristoxenus diese Form im Threnos auf Pytho angewandt haben) den Zusatz „syntonos", die in der tieferen Mese schließende Melodieform den Zusatz „chalara", obwohl die in der Hypate schließende Form der Melodie, genannt „Lydisti", noch tiefer als die in der Mese schließende „chalara Lydisti" stand. D e r Terminus Mixolydisti für S y n t o n o s Iasti.

Hier möge nun auch gesagt werden, weshalb man für den Namen „syntonos Iasti" (Pratinas) gleichbedeutend den immer allgemeiner werdenden Namen „Mixolydisti" gebrauchte. Zuerst bildete man in dieser Tonart nur Melodien von geringerem Umfange, wie Terpander aus vier Klängen seinen Nomos tetraoidios (Pollux 4) gebildet zu haben scheint. So überliefert uns der Anonymus § 97 ein bloß aus vier verschiedenen Klängen gebildetes Mixolydisches Musikstück: l-^r-k .

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Diese Melodie schließt in e, und so könnte es scheinen, als läge die Octave e

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also die Dorische Octave vor. Aber wenn der Umfang der Melodie ein größerer wäre, so würde sich zeigen, daß statt des Klanges a der Klang b vorkommt, denn sämmtliche Melodiereste des Anonymus stehen in der Transpositionsscala mit einem b, und diese muß nothwendig auch für das vorliegende Musikbeispiel vorausgesetzt werden. Dasselbe gehört entschieden einer Dur-Tonart an, deren Tonica der Klang c ist, deren Septime aber nicht durch den Klang h, sondern durch den Klang b gebildet wird, also eine verminderte Septime ist: «

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In welcher Weise bei größerem Umfange der Melodie der verminderte Septimen-Klang angewandt werden konnte, ersieht man aus der Hypate-Form des Phrygischen Dur (Iasti), für welche in dem Hymnus auf Nemesis ein Beispiel erhalten ist. Daß man anfänglich alle Melodien so viel wie möglich nach der Norm der Doristi, der alt-nationalen Tonart, bemaß, auch die durch Olympus aus der Fremde hinzugekommene Terzenform der Phrygischen Dur, das erscheint ganz natürlich. Aber eine reine Dorische Octave war diese Harmonie nicht, es zeigte sich vielmehr ein dem Dorischen fremdartiges Element, was man nach der in der griechischen Musikauffassung häufigen Anschauung1 als eine „Mischung" ansah. Wenn man die Phrygische Terzen-Species als „Mixolydisti" bezeichnete, so hatte dies den Sinn „eine Mischung des Dorischen mit dem Lydischen." Denn man hatte in Griechenland die Lydische Tonart des Olympus zunächst in derjenigen Form kennen gelernt, welche Plato in der Republik die SyntonorLydisti nennt, d. i. die Terzenform. Es geht das aus dem bei Plutarch de mus. §. 15 erhaltenen Satze des Aristoxenus hervor: „Zuerst hat Olympus einen Threnos auf Pytho in Lydischer Tonart für das Aulosspiel gesetzt," ein Satz, welcher zur Erläuterung der Worte Plutarch's dient: „Die [syntono] Lydische Tonart verwirft Plato wegen ihrer hohen Stimmlage und weil sie für Klagemelodien geeignet ist." Eben daselbst auch die Notiz: „Einige nennen den Anthippos als den Erfinder derselben [der Syntonolysti Piatos]; Pindar sagt in seinen Paeanen, daß Anthippos zuerst bei der Hochzeit der Niobe den Chor ein Lydisches Lied habe singen lassen." Derselbe Anthippos wird auch von Pollux 4, 78 als der Erfinder der „syntonos Lydisti" genannt. Also dies klagende, in der Durterz schließende Lydisch hatte man im Sinne, wenn man jene in Rede stehende Harmonie als „Mixolydisti," d. i. als eine Mischung des Dorischen mit dem Lydischen bezeichnete. Der von Pratinas für „Mixolydisti" gebrauchte Ausdruck „syntonos Iasti" verdient sachlich den Vorzug, aber Mixolydisch (d. i. „mixolydios Iasti") ist dem Sprachgebrauche der Musiker geläufiger geworden. 1

Aristoxenus' zweite Harmonik Abschn. XIV.

Olympos: Das vollständige System der griechischen Tonarten (Harmonien).

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Der Commentar zu P l a t o ' s S t e l l e v o n den Harmonien bei Aristides.

Wir geben nun noch den alten Commentar eines Musikers zu der die Octavengattungen besprechenden Stelle der Platonischen Republik, welcher bei Aristides p. 21 erhalten ist. Es sind Notenscalen in der Manier der alten vor Aristoxenus lebenden Harmoniker: „Tetrachord-Eintheilungen", welche die „allerältesten" für die Harmonien anwenden. Nach der Versicherung des Aristides sollen diese Scalen die von Plato in der Republik aufgeführten Tonarten darstellen. Sechs Harmonien sind es, welche Plato mit Namen auffuhrt: zwei für seinen Idealstaat reeipirte, die Doristi und die Phrygisti; vier, deren Anwendung aus ethisch-politischen Rücksichten verworfen wird: die Syntono-Lydisti und Mixolydisti, die chalara Iasti und chalara Lydisti. Es ist leicht nachzuweisen, daß Aristides nicht unmittelbar aus einer Schrift der alten Harmoniker excerpirt hat: vielleicht ist die Quelle (und nicht einmal die unmittelbar von Aristides selber eingesehene Quelle) keine andere, als die alte Aristoxenische Schrift über die „Meinungen der Harmoniker". g

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