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German Pages [312] Year 2013
BAUSTEINE ZUR SLAVISCHEN PHILOLOGIE UND KULTURGESCHICHTE NEUE FOLGE Begründet von HANS-BERND HARDER (†) und HANS ROTHE Herausgegeben von roland Marti, PETER THIERGEN, LUDGER UDOLPH und BODO ZELINSKY
Reihe A: slavistische forschungen Begründet von Reinhold Olesch (†)
Band 77
Die Geistliche Kommunion der Heiligen Boris und Gleb Exemplarische Rhetorik in einem polnischen Barockdrama
von
Henriette Stößl
2013 BÖH LAU V E R L A G K Ö L N W E IMAR WIEN
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Potsdam Graduate School
Henriette Stößl studierte Kunstgeschichte, Slavistik und Geschichte Osteuropas in München und wurde mit der vorliegenden Arbeit an der Universität Potsdam promoviert.
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Umschlagabbildung: Die Heiligen Gleb und Boris. Aus: Brama Tryumfalna…, Wilna 1689, Rückseite des Titelblatts (Ausschnitt) [Triumphbogen / für Gott, der im hl. Sakrament verborgen ist / und in seinen Hl. Hleb und Boris triumphiert, / aus dem Wappenbogen / des hochwohlgeborenen Herrn / Herrn Marcyan / Fürsten von Kozielsk / Ogiński, / Großkanzlers des Großfürstentums Litauen ... / errichtet. / wie auch dem Erben des unsterblichen Ruhmes, / und Großneffen / der Hl. Hleb und Boris / der russischen Fürsten, Märtyrer Christi, / desgleichen, / als dem gnädigen Stifter / in einem öffentlichen Akt vorgeführt / und zugeeignet / von der hochadeligen Jugend / der Minsker Schulen der Gesellschaft Jesu]
© 2013 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Druck und Bindung: pbtisk a.s., Pribram Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the Czech Republic ISBN 978-3-412-20963-6
Dank
Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam im Dezember 2010 als Dissertation angenommen. Die Verteidigung fand am 27.05.2011 statt. Herzlich danke ich Frau Prof. Dr. Herta Schmid für die wissenschaftliche Betreuung und das Vertrauen, mit dem sie diese Arbeit begleitet hat. Mein besonderer Dank gilt Frau Prof. Dr. Brigitte Schultze für die Übernahme des Zweitgutachtens und zahlreiche, wertvolle Hinweise. Herrn Prof. Dr. Hans Rothe, Herrn Prof. Dr. Peter Thiergen, Herrn Prof. Dr. Ludger Udolph, Herrn Prof. Dr. Bodo Zelinsky und dem Böhlau Verlag danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe Bausteine zur Slavischen Philologie und Kulturgeschichte. Der Potsdam Graduate School bin ich sehr verbunden für die Förderung meiner Dissertation durch einen Druckkostenzuschuß. Ich danke Herrn Prof. Dr. Alexander von Brünneck, Herrn Dr. Tycho Mrsich, Herrn Prof. Dr. Lothar Philipps und Herrn Prof. Dr. Roland Wittmann für ihren Zuspruch, mit dem sie mich zur Fertigstellung der Arbeit ermuntert haben. Frau Prof. Dr. Elwira Marszałkowska-Krześ und Herrn Sławomir Krześ danke ich herzlich für die Durchsicht der polnischen Zusammenfassung. Frau Anne Popiel, PhD danke ich für die Korrektur der englischen Zusammenfassung. Ich danke meiner Familie und meinen Freunden. Berlin, im Dezember 2012
Henriette Stößl
Inhalt
Dank ................................................................................................................................... 5 1. Einleitung: Gegenstand der Arbeit ......................................................................... 9 2. Beiträge der slavistischen Forschung ...................................................................... 16 3. Theoretische Grundlegung ....................................................................................... 35 3.1 Vorüberlegungen zur Intermedialität............................................................. 35 3.2 Zur anthropologischen Begründung des Intermedialen ............................ 44 3.3 Gemeinsame Strukturprinzipien in der Komposition bildkünstlerischer und literarischer Werke ................................................... 52 3.3.1 Uspenskijs Konzept des äußeren und inneren Standpunkts.......... 52 3.3.2 Kritische Anmerkungen ........................................................................ 65 3.3.3 Die Perspektive als „symbolische Form“ ............................................ 71 4. Analytischer Teil ......................................................................................................... 76 4.1 Zur historisch-systematischen Einordnung der Kommunia Duchowna S. S. Borysa y Hleba. Die Dramentheorie Sarbiewskis und ihre intermedialen Aspekte....................................................................................... 76 4.2 Zusammenfassung des Drameninhalts mit besonderer Berücksichtigung der Rede .............................................................................. 99 4.3 Kompositionsprinzipien ................................................................................... 119 4.3.1 Autorstandpunkt .................................................................................... 121 4.3.1.1 Theoretische Grundlagen ...................................................... 121 4.3.1.2 Der Autorkontext in der Kommunia Duchowna ............ 127 4.3.1.3 Lyrisch-rhetorische Einheiten im dramatischen Text ...... 134 4.3.1.4 Zur ideologischen Ausrichtung des Autorstandpunkts ................................................................... 154 4.3.2 Figurenstandpunkte ............................................................................... 160 4.3.2.1 Theoretische Grundlagen ...................................................... 160 4.3.2.2 Figurenstandpunkte in der Kommunia Duchowna ......... 164 4.3.3 Außenstandpunkt und Rahmen.......................................................... 196 4.3.3.1 Antiprologus ............................................................................ 198 4.3.3.2 Prologus..................................................................................... 203 4.3.3.3 Der Rahmen als allgemeines Kompositionsprinzip künstlerischer Texte................................................................. 205 4.3.3.4 Scena quinta ludicra................................................................ 212
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Inhalt
4.3.3.5 Zur komischen und moralisierenden Funktion des Intermediums. Bezüge zum Volkstheater und zur Volksliteratur ............................................................................ 214 4.3.3.6 Intermedien versus Tragödie – zur gattungspoetischen Anlage und Funktion der Komitragödie als neuer dramatischer Kategorie des Barock ..................................... 219 4.3.4 Gesamtkomposition und innere Kompositionsrahmen................. 220 4.3.4.1 Gustav Freytags Dramenmodell als Strukturprinzip ....... 224 4.3.4.2 Innere Kompositionsrahmen ................................................ 228 4.3.4.3 Die offene Form des Dramas nach Walzel ......................... 231 5. Rhetorik und Emblematik in der Kommunia Duchowna ................................. 237 5.1 Rhetorik ............................................................................................................... 238 5.1.1 Rhetorische Theorie in Polen im 17. Jahrhundert ........................... 238 5.1.2 Semantische Bezüge zur Rhetorik in der Kommunia Duchowna................................................................................................ 240 5.1.3 Exempla und enzyklopädische Wissensvermittlung ....................... 243 5.1.4 Oratorische Elementarformen in der Kommunia Duchowna ...... 249 5.2 Emblematische Bildlichkeit und Strukturprinzipien in der Kommunia Duchowna ..................................................................................... 251 5.2.1 Emblematische Exempla ....................................................................... 254 5.2.2 Zweigliedrige Stilfiguren ....................................................................... 259 5.2.3 Sentenzen ................................................................................................. 260 5.2.4 Chor .......................................................................................................... 264 5.2.5 Theatrum emblematicum...................................................................... 264 Zusammenfassung ............................................................................................................ 268 Streszczenie........................................................................................................................ 282 Summary ............................................................................................................................ 285 Anhang ............................................................................................................................... 289 Bildquellennachweis ........................................................................................................ 292 Literaturverzeichnis......................................................................................................... 294 Handschriftliche Quellen ............................................................................................... 301 Personenregister ............................................................................................................... 302
1. Einleitung: Gegenstand der Arbeit
Gegenstand dieser Arbeit ist der Nachweis emblematischer Bildlichkeit und emblematischer Strukturprinzipien in dem polnischen Barockdrama Kommunia Duchowna S. S. Borysa y Hleba (Geistliche Kommunion der Heiligen Borys und Hleb). In meiner vorangegangenen Magisterarbeit waren verschiedene Ausformungen emblematischer Strukturen in der Dichtung des polnischen Barock aufgezeigt und einer allgemeinen Typologie emblematischer Gedichte zugeordnet worden. Die vorliegende Dissertation stellt nun die dramatische Gattung in den Mittelpunkt des Interesses. In theoretischer Hinsicht grundlegend sind hier die Forschungen Albrecht Schönes (Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock. 3. Aufl. München 1993), die als Ausgangspunkt der neueren Beschäftigung mit dem Emblematischen überhaupt gelten können. Dabei wird in dieser Untersuchung die spezielle Frage der emblematischen Struktur im Drama, die ein konkretes, pictura und scriptura vereinigendes Emblem voraussetzt, in den umfassenderen Kontext der Bild-TextBeziehungen generell eingefügt. Auszugehen ist hier von einer Anregung Jan Mukařovskýs, die vergleichende Literaturforschung nicht nur immer mehr zu spezialisieren, sondern „in umgekehrter Richtung“ auszudehnen, „in den Bereich nämlich, wo sich die künstlerische Literatur mit den übrigen Kunstarten berührt.“1 In Ergänzung zu bisherigen Ansätzen der Intermedialitätsforschung und interart studies soll das Problem der Beziehungen zwischen Literatur und bildender Kunst, zwischen Sprachlichkeit und Bildlichkeit zunächst von einer allgemein philosophischen Ebene aus betrachtet und anhand von Positionen Kants und Deweys anthropologisch begründet werden. Die Untersuchung bleibt also nicht beim Kunstvergleich stehen, sondern fragt darüber hinaus nach der intermedialen Disponiertheit in der Konstitution des Menschen selbst. Ein transmedialer Zugang zu künstlerischen Texten verschiedener Art ergibt sich aus Boris A. Uspenskijs Abhandlung über gemeinsame Strukturprinzipien in der Komposition bildkünstlerischer und literarischer Werke (Boris A. Uspenskij, Poetik der Komposition. Struktur des künstlerischen Textes und Typologie der Kompositionsform. Frankfurt 1975, S. 149–190). Uspenskijs auf beide Kunstarten anwendbares Begriffsinventar des äußeren und inneren Standpunkts, des Rahmens, des zusammengesetzten Charakters eines Werkes, des Vorder- und Hintergrundes soll die methodische Grundlage dieser Arbeit bilden. Im Anschluß an den theoretischen Abriß ist eine detaillierte Analyse und Interpretation des barocken polnischen Jesuitendramas Kommunia Duchowna S. 1 Jan Mukařovský, „Zwischen Poesie und bildender Kunst“, in: Studien zur strukturalistischen Ästhetik und Poetik. Frankfurt / Berlin / Wien 1977, S. 228.
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Einleitung
S. Borysa y Hleba zu leisten. Dabei wird von den Voraussetzungen ausgegangen, die in der vielbeachteten, zeitgenössischen Dramentheorie des Dichters und Jesuitenautors Maciej Kazimierz Sarbiewski2 niedergelegt waren. Entwicklungsgeschichtlich gesehen, war das Jesuitentheater im 17. Jahrhundert in Polen die dominante Theatergattung gegenüber dem Hof-, Volks- und Wanderbühnentheater. Didaktische Funktionen gaben dem Theater seinen unverzichtbaren Stellenwert im Lehrplan der Jesuitengymnasien: die Schüler sollten auf eine öffentliche Laufbahn vorbereitet werden, Geläufigkeit in der lateinischen Sprache und rhetorischen Praxis erwerben, sich einen Fundus lateinischer Sentenzen aneignen, das Gedächtnis schulen, Haltung und Gestik einüben und Vorbilder für moralisches Handeln kennenlernen. Von ihrer Thematik her bezogen sich die Stücke vorwiegend auf die kirchlichen Feste, in den Aufführungen zum Schuljahresende auf das Lob der Wissenschaft, daneben waren panegyrische Stücke zu Ehren von Gönnern des jeweiligen Kollegiums verbreitet. Die effiziente Organisation des Jesuitentheaters spiegelt sich in der kontinuierlichen Wirksamkeit über zwei Jahrhunderte, der Vielzahl von Poetiken sowie einer reichhaltigen Dokumentation in Ordensannalen und Briefen. Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts waren in der polnischen und litauischen Ordensprovinz 59 Jesuitenkollegien entstanden; daß davon etwa 23 ihre Wirksamkeit in Städten mit vorwiegend russischsprachiger Bevölkerung entfalteten, wie Orsza und Polock (den beiden Aufführungsorten unseres Stückes), Smolensk und Witebsk, belegt die offenkundige Absicht der propagatio fidei unter den Orthodoxen und Unierten.3 Hinsichtlich der Ausstattung der Jesuitenbühnen ist davon auszugehen, daß Sarbiewski in seiner Theorie eben den Bühnentypus beschrieb, den er am Collegium Germanicum in Rom vor Augen hatte und der in der Folge in Polen auch am verbreitetsten war: Es handelt sich hier um eine Sukzessivbühne von bescheidenen Ausmaßen mit jeweils drei telari (drehbaren Quadern) für wechselnde Kulissen an den Seiten, etwa vier Metern Tiefe und einreihiger Beleuchtung von oben.4 Die Jesuitenkollegien von Lublin und Posen hatten nachweislich eine solche Bühne, darüber hinaus konnte Okoń anhand der erhaltenen Theaterprogramme und ihrer Szenenbeschreibungen Sukzessivbühnen in 2 „De tragoedia et comoedia sive Seneca et Terentius“, in: O poezji doskonałej czyli Wergiliusz i Homer (De perfecta poesi, sive Vergilius et Homerus), übs. v. Marian Plezia, bearb. v. Stanisław Skimina. Wrocław 1954, S. 228–249. 3 Julian Lewański, „Związki literackie polsko-ruskie w dziedzinie dramatu wieku XVII i XVIII“, in: Z polskich studiów slawistycznych (Polnisch-russische literarische Beziehungen auf dem Gebiet des Dramas des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Aus polnischen slavistischen Studien). Warszawa 1958, S. 68 f. 4 Zbigniew Raszewski, „Maciej Kazimierz Sarbiewski: O poezji doskonałej czyli Wergiliusz i Homer“, in: Pamiętnik teatralny [„Maciej Kazimierz Sarbiewski: Über die vollkommene Poesie oder Vergil und Homer“, in: Theatertagebuch] (1953), S. 30 f.
Gegenstand der Arbeit
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einer Reihe anderer Städte vermuten (Grodno, Jarosław, Kalisz, Kowno, Lemberg, Warschau, Wilna etc.).5 Mit den ordensinternen Regelungen der Theaterpraxis verbinden sich jedoch auch Restriktionen in qualitativer und quantitativer Hinsicht: die Aufführungen waren im Prinzip einmalig und auf einen aktuellen Anlaß bezogen; die automatische Verpflichtung zum Stückeschreiben, oft unter Zeitdruck, für Poetik- und Rhetoriklehrer, die sich auf einer Durchgangsstufe zum höheren Lehramt in der Philosophie und Theologie befanden, brachte nicht immer inspirierte dramatische Texte mit ästhetischem Anspruch hervor. So entstanden Spieltexte, gegenüber denen die sinnlich-visuelle Einwirkung auf den Zuschauer dominant war. Nur selten gingen Stücke in Druck, bedeutendere wurden handschriftlich in einem speziell dafür vorgesehenen Buch aufgezeichnet, das in jedem Kollegium geführt werden mußte. Gegenwärtig sind noch sechs solcher Codices erhalten, darunter der Kodeks Orszański mit der Kommunia Duchowna S. S. Borysa y Hleba.6 Aus diesen Einschränkungen und den Verlusten durch Kriege und Brände wird deutlich, daß von über 15 000 Jesuitenaufführungen gerade 3 % der Stücke erhalten sind.7 Vor diesem Hintergrund bot es sich also an, mit der Kommunia Duchowna S. S. Borysa y Hleba einen Dramentext zu analysieren, der in der Anthologie Dramaty staropolskie (Bd. VI, Warszawa 1963) abgedruckt und kommentiert vorliegt. Die möglichst umfassende Bearbeitung der Themenstellung ist begründet durch die Absicht, die Untersuchung auf nur einen Text zu beschränken. Entscheidend wirkt sich hier jedoch auch die dürftige Quellenlage aus: Es gibt überhaupt nur wenige genuin polnische Barocktragödien;8 eine viel größere Rolle spielten Übersetzungen, etwa der lateinischen Autoren Seneca und Plautus.9 Nachdem die polnischen Jesuiten ihre Tragödien zunächst in der Regel lateinisch verfaßt hatten, gingen sie ab dem Ende des 17. Jahrhunderts zunehmend mehr zur polnischen Sprache über; in diesen Kontext gehört auch die Kommunia Duchowna. Mit Blick auf die hier interessierende Emblematik ist aber vorauszuschicken, daß dieser Dramentext nur 5 Jan Okoń, Dramat i teatr szkolny. Sceny jezuickie XVII wieku (= Studia staropolskie, t. XXVI). [Schuldrama und Schultheater. Jesuitenbühnen des XVII. Jahrhunderts (= Altpolnische Studien, Bd. XXVI)]. Wrocław et al. 1970, S. 254. 6 Ebd., S. 126; S. 57 f., Anm. 115; S. 71. 7 Julian Lewański, „Teatr“, in: Słownik literatury staropolskiej (Wörterbuch der altpolnischen Literatur). Wrocław 1990, S. 860 f. 8 Die Forderung von Janusz Pelc, polnische Dramen in Anlehnung an Albrecht Schönes Forschungen auf ihr emblematisches Potential hin zu untersuchen, stößt angesichts der eingeschränkten Materialbasis an ihre Grenzen, s. Janusz Pelc, Obraz-Słowo-Znak. Studium o emblematach w literaturze staropolskiej. (= Studia staropolskie, t. XXXVII). [Bild-Wort-Zeichen. Studie über Embleme in der altpolnischen Literatur. (= Altpolnische Studien, Bd. XXXVII)]. Wrocław et al. 1973, S. 208. 9 Janina Abramowska, „Tragedia“, in: Słownik literatury staropolskiej. Wrocław 1990, S. 868 f.
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Einleitung
einen begrenzten Bestand an emblematischer Bildlichkeit und emblematischen Strukturen aufweist. In den spärlichen Autoranmerkungen finden sich keine Hinweise auf benutzte Emblembücher, wie sie in den umfangreichen Anmerkungsapparaten der schlesischen Dramatiker Gryphius und Lohenstein vorkommen. Besonderer Akzent wird in dieser Arbeit auf die Rhetorik gelegt als dem Emblematischen vorgeordneter Funktionsrahmen, der die Textproduktion wie die dramatische Aufführung insgesamt reguliert. Damit ist der Themenkreis eröffnet, der die Untersuchung nur eines Werkes in dieser Abhandlung inhaltlich legitimiert: Die Kommunia Duchowna ist nicht nur im handschriftlichen Kodeks Orszański überliefert, sondern auch als exemplarischer Text innerhalb einer anonymen polnischen Rhetorik (deren theoretische Ausführungen allerdings, ebenso wie der Anfang und das Ende des Dramas, verloren gegangen sind)10 – der Dramentext sollte das Regelsystem als nachahmenswertes Beispiel bestätigen. In diesem Sinne werden vielfältige semantische und systematisch-strukturelle Bezugnahmen auf die Rhetorik innerhalb der Kommunia Duchowna nachzuweisen sein. Bevor wir aber mit der Rhetorik und Emblematik dominante Verfahren des Barock in unserem Dramentext bestimmen, sind zunächst die genuin dramatischen Strukturkonstanten des Autorkontexts und der Personenkontexte, bzw. in Uspenskijs Terminologie des Autorstandpunkts und der Personenstandpunkte zu erörtern. Im Zusammenhang mit dem Autorkontext werden die einzelnen Schritte der Komposition eines Jesuitendramas dargelegt, d.h. die Wahl eines Arguments, die Einteilung in Akte und Szenen und schließlich die Überführung des Ganzen in Verse und Personenreden. Dem Autor direkt zuzuordnen sind lyrisch-rhetorische Sequenzen im dramatischen Text, die den drei genera dicendi entsprechen (exornativum, deliberativum, iudiciale). In diesem Kapitel unterziehe ich auch wertende, teils ideologisch determinierte Positionen zum Jesuitentheater einer im Rahmen der vorliegenden Arbeit kursorischen Betrachtung. Dem Autor stehen die dramatischen Personen gegenüber entsprechend Veltruskýs These von der grundlegenden Antinomie der dramatischen Struktur: Der dramatische Dialog ist nämlich sowohl Äußerung eines einzelnen, des Autors, als auch Wechselrede mehrerer Sprecher, der im Stück handelnden Personen.11 Im Hinblick auf die Kommunia Duchowna fällt die Typisierung der Personen durch einen begrenzten Satz von Merkmalen und Affekten auf sowie die antithetische Konstellation der Hauptfiguren – Märtyrer vs. Tyrann. Als besonders ergiebig für diese Untersuchung erweist sich, wie gesagt, Uspenskijs methodisches Konzept des Außenstandpunkts und Rahmens. In den komischen 10 M. Markovskij, „Južno-russkija intermedii iz pol’skoj dramy ‚Comunia duchowna Ss. Borysa y Hleba‘“, in: Kievskaja starina („Südrussische Intermedien aus dem polnischen Drama ‚Comunia duchowna Ss. Borysa y Hleba‘“, in: Kiever Altertümer), T. XLVI (1894), S. 32. 11 Jiří Veltruský, Drama as Literature (= Semiotics of Literature 2). Lisse 1977, S. 12 f.
Gegenstand der Arbeit
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Intermedien der Kommunia Duchowna wird Bezug genommen auf den Außenstandpunkt, die Lebenswirklichkeit der Zuschauer: Die Zugehörigkeit der Intermedienhelden zur Barockzeit und zu einer Sprachgemeinschaft, die ein polnischweißrussisches Mischidiom gebraucht, verankert diese Figuren in der aktuellen Aufführungssituation und weist ihnen einen Außenstandpunkt gegenüber der im 11. Jahrhundert spielenden, polnisch verfaßten inneren Spielhandlung der Märtyrertragödie von Boris und Gleb zu. Im Sinne eines Rahmens wird so eine Übergangszone von der Realität zur Bühnenillusion geschaffen. Der Ausnahmecharakter der Kommunia Duchowna wird hier aufgrund der besonderen Aufführungssituation in den Ostgebieten der polnischen Adelsrepublik (nicht im polnischen Kernland) unter dem weiteren Aspekt der grenzüberschreitenden Vermittlung europäischer Kultur herauszustellen sein: Für die ortsansässige russischsprachige, orthodoxe Bevölkerung war das Theater westlicher Prägung, wie es von den lateinischen Schulpoetiken der Jesuiten im 17. Jahrhundert propagiert wurde, noch eine exotische Kunstform. In diesem Sinne vermitteln scherzhafte Dialoge in den Prologen dramatisches Grundwissen in Sequenzen mit richtigen vs. mißverstandenen, verballhornten Begriffen (z.B. „Albo ma twój Hawriło jaką tu personę?“ (Oder hat dein Hawriło hier irgendeine Rolle? Z. 81) – „Tak, mospane, imajet od matki perstionek.“ ( Ja, mein Herr, er hat von der Mutter einen Ring. Z. 82)). Diese Exponierung des Codes ist nach Uspenskij konstitutiv für die Rahmengestaltung und den Außenstandpunkt, doch kommt ihr innerhalb des Stückes eine unverzichtbare, didaktische Funktion zu. Um eine breite Bevölkerungsmehrheit mit den Konventionen westlicher Bühnenpraxis vertraut zu machen, gab der Jesuitenautor in der Volkssprache eine Einführung in dramatische Terminologie (der Vermittlungsweg ging also auch von der Hochkultur zu den bildungsferneren Schichten) und übernahm seinerseits den traditionellen, für die nationale Identität Rußlands grundlegenden Stoff der Märtyrerlegende von Boris und Gleb sowie komische Intermedienhelden mit lokalem Kolorit (Kosake, Jude).12 Die ausgesprochene Popularität und Publikumswirksamkeit dieser Prologe wird nachzuweisen sein anhand der Verwendung ähnlicher Abschnitte in den drei anderen Stücken des Kodeks Orszański. Berücksichtigt man diesen gleichsam ornamentalen Einsatz von Texten, so läßt sich hier weiter eine Parallele zur bildenden Kunst ziehen, entsprechend Uspenskijs Feststellung dekorativer Tendenzen in der Rahmen- und Hintergrundsgestaltung. Im Hinblick auf die Gesamtkomposition des Stückes rekurriere ich auf Gustav Freytags Bauprinzipien der dramatischen Handlung.13 Für den Vergleich des drama12 Vgl. Julian Lewański, „Związki literackie polsko-ruskie w dziedzinie dramatu wieku XVII i XVIII“, S. 76. 13 Gustav Freytag, Die Technik des Dramas. Darmstadt 1975 (Nachdruck der 13. Aufl. Leipzig 1922), S. 93–122.
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Einleitung
tischen Aufbaus mit entsprechenden allgemeinen kompositorischen Verfahren in der Malerei werden die fünf Kriterien Heinrich Wölfflins zur Beschreibung barocker Form herangezogen, wie sie Oskar Walzel dann auf die Analyse literarischer Werke übertragen hat. Die Merkmale der malerischen Auffassung, des Tiefenhaften, des atektonischen, offenen Aufbaus, des Einheitlichen und der relativen Klarheit sind im Hinblick auf die Komposition der Kommunia Duchowna nachzuweisen. Einen wichtigen Anhaltspunkt zur Erschließung der offenen Struktur des Dramas bietet Uspenskijs Konzept der inneren Kompositionsrahmen: Von den einzelnen Akten der Kommunia Duchowna wird nur der erste regulär durch einen Chor abgeschlossen, der zweite und dritte Akt scheinen vom Sujetaufbau her nahtlos ineinander überzugehen; mit dem Nachweis chorartiger, moraldidaktischer Sequenzen auch in den Akten II und III lassen sich aber innere Kompositionsrahmen aufzeigen, welche die Aktgrenze implizit akzentuieren. So wird sich bei näherer Prüfung das scheinbar Regellose, Zufällige der vier Akte dieses Stückes (im Unterschied zu den fünf Akten des klassischen Dramas) als sorgfältig gegliedertes Ganzes erweisen. Damit bestätigt sich Walzels These, der atektonische Stil sei „Stil der mehr oder weniger verhehlten Gesetzmäßigkeit und der entbundenen Ordnung.“14 Walzel war ja gerade davon ausgegangen, die von der klassischen Theorie als formlos eingestuften Dramen Shakespeares neu als formbestimmt zu bewerten. Nach der Analyse der Kommunia Duchowna im Hinblick auf ihre dramatische Komposition sowie auf Bauprinzipien, die sich mit relevanten Kompositionselementen in der bildenden Kunst vergleichen lassen, werden wir zur Untersuchung spezifisch emblematischer Verfahren übergehen. Den bedeutendsten Beitrag zur systematischen Bearbeitung emblematischer Formen im Schultheater, darunter der Kommunia Duchowna, hat Ljudmila A. Sofronova15 geleistet. Im Unterschied zu ihrem breit angelegten Überblick über ein umfassendes, russisch-polnischukrainisches Textkorpus werden in dieser Arbeit gezielt anhand eines einzelnen Dramas verschiedene Arten emblematischer Bezugnahme gemäß den Kategorien Schönes herausgestellt. Ich beschränke mich also nicht auf eine kontingente Reihung auszugsweiser, isolierter emblematischer Passagen in dramatischen Werken, sondern erstelle eine detaillierte Gesamtaufnahme, so daß die Einbindung und Funktion emblematischer Abschnitte innerhalb des Strukturganzen der Kommunia Duchowna genauer bestimmt werden können. Beispielhaft ist hier eine Folge von Sentenzen herauszugreifen, die als komprimierter Fürstenspiegel zu lesen sind. Die Sentenzen stellen somit eine Form des Textes im Text dar, entsprechend Uspenskijs 14 Oskar Walzel, Gehalt und Gestalt im Kunstwerk des Dichters, Berlin 1923, S. 316. 15 Ljudmila A. Sofronova, Poėtika slavjanskogo teatra XVII – pervoj poloviny XVIII v. Pol’ša, Ukraina, Rossija (Poetik des slavischen Theaters des XVII. bis zur ersten Hälfte des XVIII. Jahrhunderts. Polen, Ukraine, Rußland). Moskva 1981, Kap. 10 „Ėmblematičeskij charakter škol’nogo teatra“ („Der emblematische Charakter des Schultheaters“), S. 208–223.
Gegenstand der Arbeit
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auf verschiedene Kunstarten übertragbarem Konzept des Werkes im Werk. Mit den Sentenzen ist gleichzeitig die Schnittstelle zwischen Emblematik und Rhetorik berührt: Sofronova stellt das Schultheater zwar ebenfalls in den allgemeinen Kontext der Rhetorik, berücksichtigt aber nicht deren normative Einwirkung auf das Emblematische. Abgesehen von Sofronovas grundlegender Abhandlung ist in der neueren Sekundärliteratur das Problem emblematischer Bildlichkeit im polnischen und russischen Barocktheater kaum erforscht. Im Folgenden soll daher zunächst ein Überblick über die wichtigsten Stellungnahmen zu diesem Thema gegeben werden.
2. Beiträge der slavistischen Forschung Janusz Pelc behandelt in seiner 1973 erschienenen, umfassenden Monographie Obraz – Słowo – Znak. Studium o emblematach w literaturze staropolskiej (Bild – Wort – Zeichen. Studie über Embleme in der altpolnischen Literatur) die Rolle der Emblematik im polnischen Drama und Theater des Barock in einem eigenen Kapitel (IV. Przemiany emblematyki barokowej, 5. W teatrze i w architekturze okazjonalnej). Als Desiderat der polnischen Barockforschung gilt ihm eine eingehende Untersuchung der Wechselbeziehungen zwischen Emblematik, Drama und Theater entsprechend dem grundlegenden Werk von Albrecht Schöne (Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock, erstmals erschienen 1964). Da Pelc im Wesentlichen eine entwicklungsgeschichtliche Gesamtdarstellung der polnischen Emblematik gibt, liegt es nahe, daß er sich in obengenanntem Kapitel auf einen allgemeinen Überblick und ausgewählte wichtige Beispiele beschränkt.1 Einen bedeutenden Anteil an der Einführung emblematischer Gestaltungsprinzipien in das barocke Theater Polens schreibt Pelc den Jesuiten zu. Hervorzuheben ist insbesondere die Tätigkeit der Wilnaer Jesuiten, deren kirchliche Prozessionen aus Anlaß des Fronleichnamsfestes durch verschiedene Drucke vom Anfang des 17. Jahrhunderts dokumentiert sind. Dabei wurde vor dem eigentlichen liturgischen Teil der Prozession eine Abfolge von Festwagen mit lebenden Bildern aus der biblischen Geschichte, Heiligenfiguren, Allegorien, usw. zur Schau gestellt, die mit entsprechenden lateinischen Motti versehen waren, so daß hier deutliche Bezüge zur Emblematik nachweisbar sind. Pelc bewertet diese Prozessionen mit Bezug auf Okoń (Dramat i teatr szkolny, S. 80) als paratheatralische Aufführungen. Die Betonung des Visuellen in der kirchlichen Zeremonie war in den bereits im Mittelalter formulierten Grundsätzen der katholischen Lehre verankert und durch die Konzilsbeschlüsse der Gegenreformation bestätigt worden.2 In Anlehnung an Schöne unterscheidet Pelc nun verschiedene Ebenen emblematischer Struktur im Drama entsprechend der Progression Wort – Satz – Text: emblematische Symbolik in Phraseologie und Metaphorik, Sentenzen, die manchmal unmittelbar aus Emblembüchern übernommen sind, und die spezifische Relation von Akt und Chor analog zu der von pictura und subscriptio. Dieses Wechselspiel von Akt und Chor kennzeichnet vor allem die lateinischen Schuldramen Knapskis (1564–1639)3, 1 Janusz Pelc, Obraz-Słowo-Znak. Studium o emblematach w literaturze staropolskiej (= Studia staropolskie, t. XXXVII), Wrocław et al. 1973, S. 208. 2 Ebd., S. 208–210. 3 Knapski gab bedeutende lexikographische Werke heraus, den Thesaurus polono-latino-graecus (1626) und die Adagia polonica (1632).
Beiträge der slavistischen Forschung
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wobei die Chorpassagen häufig in Polnisch verfaßt sind, um die Zusammenfassung und Auslegung des Bühnengeschehens einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Von diesen innersprachlichen Verfahren abgesehen, können sich Bühnendekoration, Requisiten und die Stilisierung der Akteure an Vorbildern aus der Ikonologie und Emblematik ausrichten.4 Auch in einem anderen Umfeld, der Kultur der Magnatenhöfe in Konkurrenz zum Warschauer Königshof, wurden emblematische Formen vielseitig eingesetzt. Einen besonderen Schwerpunkt in der Emblematik hatte das Schaffen Stanisław Herakliusz Lubomirskis, der mit dem Adverbiorum moralium sive de virtute et fortuna libellus (Büchlein der moralischen Adverbia, bzw. über die Tugend und das Glück. Warschau 1688) eines der bedeutendsten in Polen entstandenen Emblembücher verfaßt hat. Emblemata fügten sich in die Innenausstattung seines Palastes in Ujazdów ein, und auch die Bühne seines Hoftheaters war vermutlich mit emblematischen Dekorationen versehen. Es ist daher naheliegend, daß Lubomirski in seinen von italienischen Vorbildern beeinflußten Komödien auf die einschlägige Liebesemblematik rekurriert. In Lubomirskis Komödien begegnet man stellenweise genauen Beschreibungen konkreter Emblem-picturae mit den zugehörigen inscriptio-Zitaten, so daß hier nicht nur die sekundäre Verwirklichung eines darstellend-deutenden Strukturmusters, sondern die direkte, sprachlich vermittelte Einblendung emblematischer Bildlichkeit vollzogen wird.5 Grundsätzlich festzuhalten ist, daß emblematische Verfahren ihre intensivste Verbreitung im Schuldrama der 60er bis 80er Jahre des 17. Jahrhunderts fanden, einer Phase, die Pelc zufolge als Blütezeit der polnischen literarischen Emblematik überhaupt zu betrachten ist.6 Emblematische Apotheosen begegnen bereits in den italienischen Opern am Hoftheater Władysławs IV. (1632–1648), besonders aber in den Jesuitendramen, die nach 1683 den Sieg Jan Sobieskis über die Türken feierten.7 Panegyrische Auf4 Ebd., S. 210–213. 5 Z. B. beschreibt Don Alvares, der Held der gleichnamigen Komödie, eine Emblempictura, auf der Chronos dargestellt ist, der Cupido den zerbrochenen Pfeil auf seinem Rad zurechtschleift, und zitiert anschließend die zugehörige inscriptio: „Sprawi czas i staranie“ (Zeit und Mühe werden es zustande bringen), s. Pelc, Obraz-Słowo-Znak, S. 216. Durch das emblematische Exempel wird hier ein Ausweg aus der dramatischen Situation der Hoffnungslosigkeit aufgezeigt. 6 Pelc, Obraz-Słowo-Znak, S. 218. 7 In der Puccitelli-Oper Dafnis von 1635 zeigt die Schlußszene Fortuna auf der Weltkugel, zu ihren Füßen liegen allegorische Figuren, die Moskau und die Türkei verkörpern und so auf die Siege Władysławs verweisen. Emblematische Suggestivwirkung beherrscht auch die Szene in Imago Victoriae, in der zu Ehren der Fortitudo Johanns III. eine Triumphpyramide errichtet wird. Die zugehörigen Huldigungsinschriften weist die Allegorie der Fortitudo aus Bescheidenheit zurück und begnügt sich mit dem Psalmentext: „Prawica Pańska sprawiła dzieło“ (die Rechte des Herrn hat das Werk vollbracht), s. Pelc, Obraz-Słowo-Znak, S. 214 und 219.
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führungen dieser Art sind nach Pelc in engem Zusammenhang zu sehen mit feierlichen Einzügen von Monarchen und Kirchenfürsten, die als überhöhendes Ambiente eine entsprechende Ausstattung mit Triumphbögen und anderer ephemerer, für diesen konkreten Anlaß hergestellter Architektur benötigten. Emblemata gehörten zum selbstverständlichen Bildprogramm dieser Triumphbögen.8 Pelc beschränkt sich nicht darauf, die emblemspezifische Grenzüberschreitung zwischen Bild und Text festzustellen, sondern er zeigt darüber hinaus auch die fließenden Übergänge zwischen den einzelnen (para-)theatralischen Gattungen Prozession, feierlichem Einzug und Schauspiel auf. Konkret läßt sich das so beschreiben, daß z.B. allegorische Figuren, die quasi als Statisten ohne Rollentext an einem Umzug teilnahmen, in der anschließenden Festaufführung eine Rolle verkörperten. Nebenbei bemerkt, veränderte sich auch die Rolle des Zuschauers, der bei der Prozession als Statist mitwirkt und so einen internen Standpunkt besetzt, während er bei der Theateraufführung in der Regel einen externen Standpunkt einnimmt.9 Als besonders bühnenwirksam galt die Darstellung eines Triumphzuges im Theater (solche Massenszenen bedeuteten für das Jesuitentheater unter pragmatischem Aspekt die Einbeziehung einer großen Zahl von Schülern). Auszeichnende Würdeformeln der Gelegenheitsarchitektur wurden in die Textform überführt, indem manche Dramentitel das folgende Stück metaphorisch als Triumphbogen bezeichnen, wie z.B. die Brama Tryumfalna / Bogu W N. Sakramencie Utajonemu / w SS. swych Hlebie i Borysie Tryumfuiącemu ... (Triumphbogen / für Gott, der im hl. Sakrament verborgen ist / und in seinen Hl. Hleb und Borys triumphiert)10, oder das von Pelc gewählte Beispiel Porta Gentilitia ... Oginsciorum Familiae ... (Geschlechterpforte ... der Familie Ogiński ...). Gerade an der Schnittstelle zwischen dramatisierten Festlichkeiten einerseits und panegyrischen Gelegenheitsstücken andererseits ergab sich ein breites Anwendungsspektrum für emblematische Verfahren.11 Die in Europa singuläre Selbstinszenierung des polnischen Adels12 8 Ebd., S. 219f. 9 Ebd., S. 212f. u. 210. 10 S. dazu Henriette Stößl, „Brama Tryumfalna als Beispiel für Bild-Text-Beziehungen im polnischen Barocktheater“, in: Slavisches Drama und Theater in Vergangenheit und Gegenwart. Beiträge zur Jubiläumstagung anlässlich des 65. Geburtstages von Herta Schmid an der Universität Potsdam, hrsg. v. Birgit Krehl (= Die Welt der Slaven, Sammelbände, hrsg. v. Peter Rehder u. Igor Smirnov, Bd. 47). München/Berlin/Washington, D.C. 2012, S. 57–74. 11 Pelc, Obraz-Słowo-Znak, S. 219 f. 12 Die polnische Adelsfreiheit zeigte sich eindrucksvoll am liberum veto, d.h. ein einzelner Adeliger konnte durch seinen Einspruch einen Sejmbeschluß nichtig machen. In der politischen Publizistik der Aufklärung wurden die Teilungen Polens als Konsequenz dieser rücksichtslosen Wahrnehmung von Eigeninteressen bewertet. Der Begriff des Sarmatismus, mit dem man die Ideologie des polnischen Adels im 16. u. 17. Jh. bezeichnet, ist von dem Ursprungsmythos
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begründet die Dominanz panegyrischer Schriften in der Barockliteratur13 und das Interesse an der Heraldik. Noch vor Janusz Pelc’ wegweisender, für die vorliegende Untersuchung besonders wichtiger Arbeit erschien 1970 Jan Okońs materialreiche, historisch-vergleichende Abhandlung Dramat i teatr szkolny. Sceny jezuickie XVII wieku (Schuldrama und Schultheater. Jesuitenbühnen des XVII. Jahrhunderts). Er geht hier den Verbindungen des Jesuitentheaters zur Emblematik in punktuellen Hinweisen nach, ohne diese Frage jedoch in einem separaten Kapitel zusammenfassend und übersichtlich abzuhandeln. Für unsere Problemstellung werden daher die theoretisch-systematischen Aspekte dieser Wechselbeziehung im Vordergrund stehen, die inhaltliche Beschreibung einzelner emblematischer Szenenaufbauten soll dagegen nur in besonderen Fällen in Betracht gezogen werden. Okońs Ausgangspunkt bildet die Untersuchung von Theaterprogrammen im Hinblick auf ihre Form, Funktion und Wechselbeziehung zum entsprechenden vollständigen Dramentext (Kap. I). Eingehend erörtert wird hier das verbreitete Verfahren einer emblematischen Stilisierung der Dramentitel im Sinne eines zweiteiligen Aufbaus: der ‚erzählende‘ Titel enthält sowohl die abstrakte Grundidee des Stückes, als auch das zugehörige kurzgefaßte Handlungsschema, das meist auf einem konkreten historischen Ereignis beruht. Als Beispiel anzuführen ist u.a. ein Posener Programm von 1698 mit dem Titel Łagodnego szaleństwa wizerunek w sławnym pobożnością Eryku, królu duńskim, dla osobliwego w muzyce upodobania o okrucieństwo i zabójstwo nieznacznie przywiedzionym (Bild der gemäßigten Raserei, zu dem Erik, der durch seine Frömmigkeit berühmte dänische König, aufgrund seiner besonderen Vorliebe für die Musik wegen Grausamkeit und Mord unmerklich übergeführt wurde).14 Der eigentlich gemeinte Lehrgehalt (Auswirkungen der Raserei) wird als Deutungsperspektive für das vordergründig dargestellte szenische der szlachta und ihrer angeblichen Abstammung von dem iranischen Reitervolk der Sarmaten abgeleitet, das mit den Skythen verwandt war. In der Aufklärungszeit entstanden, konnotiert der Begriff klischeehafte Vorstellungen von Hinterwäldlertum, Abgrenzung von der europäischen Kultur und Xenophobie, Megalomanie, Prozeßsucht und striktem Festhalten an den Privilegien, dem Grundsatz der Freiheit und Gleichheit aller Adeligen ( Janusz Pelc, Stichwort „Sarmatyzm“, in: Słownik literatury staropolskiej. Wrocław 1990, S. 738). Auch mit der von orientalischen Einflüssen bestimmten Kleidung und den kahlgeschorenen Köpfen hob sich der polnische Kleinadel vom übrigen Europa ab. Die Affinität zur westeuropäischen Kultur war ausgeprägter an den Magnatenhöfen – de facto gab es abseits von der theoretisch bestehenden Gleichheit aller Adeligen gravierende soziale Unterschiede innerhalb dieses Standes, der zeitweise 10 Prozent der Bevölkerung umfaßte. 13 S. dazu Jakub Niedźwiedź, Nieśmiertelne teatra sławy. Teoria i praktyka twórczości panegirycznej na Litwie w XVII–XVIII w. (Unsterbliche Theater des Ruhmes. Theorie und Praxis panegyrischen Schaffens in Litauen im XVII.–XVIII. Jh.) Kraków 2003. 14 Jan Okoń: Dramat i teatr szkolny. Sceny jezuickie XVII wieku. Wrocław et al. 1970, S. 34 f.
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Geschehen (der fromme dänische König Erik, der durch seine Musikliebe zu Verbrechen angestiftet wurde) vorgegeben. Den Übergang von der Ebene der begrifflichen Abstraktion auf die der anschaulichen Darstellung akzentuiert der Ausdruck „wizerunek“ (Bild), der so als metasprachlicher Terminus die emblematische Spezifik dieser Bildlichkeit betont, die sich nicht in bloßer Abbildlichkeit erschöpft. Nach Okoń tritt nun eine Schwerpunktverschiebung zugunsten des abstrakten Begriffes ein, der zum eigentlichen Helden des Stückes wird, zumal da Begriffe im Sinne einer Personifikationsallegorie ohnehin als dramatis personae fungieren können. Von der zweistufigen emblematischen Strukturierung innerhalb der Titelangabe abgesehen, läßt sich dann in einem weiteren Schritt die gesamte Bühnenhandlung als pictura (ilustracja) zu einer allgemeinen Wahrheit auffassen, die im Dramentitel, bzw. lemma formuliert ist.15 Neben diesen Formen struktureller Bezugnahme sind freilich auch direkte Motivübereinstimmungen mit Emblembüchern feststellbar, z.B. benennt der Titel Icarus praeceps in mare delapsus ... (Icarus, der kopfüber ins Meer herabfiel) einen in der Emblematik öfter dargestellten Bildinhalt.16 Okoń beobachtet bei Dramentiteln des emblematischen Typs, daß die Tendenz zur Metaphorisierung auch die Angaben zum konkreten Aufführungsdatum erfassen kann.17 Die grundsätzliche Frage der Beziehung zwischen Bildlichkeit und Theateraufführung stellt sich im II. Kapitel, in dem die Wilnaer Fronleichnamsprozessionen als paratheatralische Inszenierungen untersucht werden. Nach Okoń ist ein im Sinne der Malerei stilisiertes Bild die elementare konstruktive Einheit der Prozession, dabei soll die Analogie von Bilddarstellung und Prozessionsszene unter formalen wie funktionalen Aspekten gelten. Auch den verschiedenen Darstellungen innerhalb der Prozession kommen nämlich die drei Bildfunktionen der eruditio (Belehrung der Leseunkundigen), memoria (Erinnern der Gebildeten an das Gezeigte) und Anleitung zur pietas zu, die in den Beschlüssen des Trienter Konzils verbindlich festgehalten waren. Die Textbezogenheit der Prozessionsbilder zeigt sich nicht nur in ihrer biblischen Thematik, sondern auch in der materiellen Integration von Inschriften mit entsprechenden Zitaten.18 15 Ebd., S. 36. 16 Ebd., S. 35. 17 Als Grundlage der Datierung wird dann beispielsweise „Anno Incarnatae Sapientiae“ (Im Jahr der Mensch gewordenen Weisheit) anstelle von „Anno Domini“ (Im Jahr des Herrn) angegeben oder die chronologische Zählung setzt überhaupt zu einem anderen Termin ein, wie dem Jahr der Taufe Christi oder der Befreiung Wiens durch Sobieski, was nicht selten zu Mißverständnissen führt, wenn man die Jahreszahl absolut nimmt. Ein weiteres, auf die graphische Textur beschränktes Verfremdungsverfahren besteht darin, das Aufführungsdatum in einem Chronogramm aus römischen Kapitalen, d.h. Ziffern zu verschlüsseln, s. Okoń, Dramat i teatr szkolny, S. 38 ff. 18 Ebd., S. 87–90. Ausführliche Prozessionsbeschreibungen finden sich in Dramat staropolski od początków do powstania sceny narodowej. Bibliografia. T. I.
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Bei der Prozession handelt es sich also um eine Abfolge statischer Bilder, die innerhalb eines vorgegebenen Raumes bewegt werden, denen somit nicht die Dynamik proxemischer Veränderung oder sprachlicher Konstituierung der einzelnen Figurendarsteller zukommt. Von einem Prozeß fortschreitender Dramatisierung kann also in diesem Fall nur in Bezug auf die syntagmatische Verbindung der Einzelbilder die Rede sein. Ausgehend von einer losen Verbindung zwischen den einzelnen Bildeinheiten, die untereinander austauschbar sind, zeichnet Okoń hier eine Entwicklungslinie nach hin zu einer kausal-temporalen Verknüpfung im Sinne einer Fabelhandlung. Eine Parallele zum dramatischen Prolog und Epilog zeigt sich, wenn die einzelnen Bilder durch ein eröffnendes Leitmotiv und eine zusammenfassende Schlußpointe gerahmt werden.19 Einen weiteren Beitrag zur systematischen Typologie emblematischer Verfahren leisten Okońs gattungstheoretische Überlegungen am Ende des III. Kapitels seiner Studie. Der Vergleich von Theorie und Praxis des Jesuitendramas führt hier zu dem Ergebnis, daß sich die zeitgenössischen Poetiken in erheblichem Maße an traditionellen Vorbildern aus der Antike und Renaissance ausrichten.20 Eine grundlegende Abweichung gegenüber dem klassischen Schema zeichnet sich jedoch in den normativen Anleitungen zur Gestaltung des Prologs ab: Neben der schlichten Inhaltsangabe im Prolog der klassischen Tragödie ist in der Wilnaer Poetica practica anno 1648 (Praktische Dichtkunst im Jahre 1648) u.a. auch die suggestiv-bildkräftige Variante einer symbolischen Darstellung vorgesehen, die von einer Begleitfigur interpretierend auf das Stück bezogen wird. Inszenierungstechnisch ließ sich das einleitende Bild entweder durch eine entsprechende Figurengruppe oder unter Verwendung der laterna magica erstellen, deren Verbreitung Mitte des 17. Jahrhunderts mit dem Erscheinen von Athanasius Kirchers Ars magna lucis et umbrae (Große Kunst des Lichts und Schattens) einsetzte.21 In den späteren Dichtungstheorien der Jesuiten Parnassus biceps (Doppelgipfeliger Parnaß. Sandomierz 1661) und Compendium humaniorum litterarum (Kurzer Weg zur feineren Bildung. Poznań 1691) werden die beiden oben genannten Prologschemata terminologisch differenziert als prologus simplex und prologus compositus, bzw. prologus und antiprologus abgehandelt. Dabei sind die emblematischen Gestaltungsmöglichkeiten, die der prologus compositus bietet, im Parnassus biceps explizit benannt: „Simplex, in quo poeta actionis suae synopsim explicat ..., compositus, in quo vel per emblema, vel per mutam repraesentationem, vel per musicam totius drammatis periocha exhibetur.“22 19 20 21 22
Okoń, S. 98 ff. Ebd., S. 223. Ebd., S. 232. Ebd., S. 233 (der einfache, in welchem der Dichter seine Handlung in einer Synopse erklärt ..., der zusammengesetzte, in welchem entweder durch ein Emblem oder durch eine stumme Darstellung oder durch Musik die Perioche des gesamten Dramas vorgeführt wird).
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Auf den emblematischen Charakter der Chöre verweist Okoń zwar nicht, doch kann eine Belegstelle aus dem Posener Compendium zitiert werden, die eine entsprechende Auffassung nahe legt: „Chorus – vel per cantum, vel per sermonem explicans rem peractam in actu praecedenti; ita tamen, ut aliquid tunc symbolice exhibeatur“.23 Diese Formulierung macht deutlich, daß der Chor eine zusätzliche zweite Ebene neben dem reinen Geschehensablauf einzubeziehen hat. Wenn man grundsätzlich davon ausgehen kann, daß Akt und Chor in der barocken Tragödie die emblematische Doppelstruktur des Darstellens und Deutens nachvollziehen, läßt sich das Zitat so verstehen, daß der Chor das szenische Spiel des vorangehenden Aktes nicht nur erläutert, sondern dessen symbolische Verweiskraft aufzeigt. Es ergeben sich jedoch plausible Anhaltspunkte dafür, daß die obige Definition die Funktion des Chors nicht auf die sprachliche Ebene beschränkt im Sinne eines Kommentars zum Bühnengeschehen als symbolischer Verkörperung einer abstrakten Lehre, sondern daß dem Chor ein eigenes symbolisch-darstellendes Element zugewiesen werden kann. Zum einen läßt das Begriffspaar explicare (erklären) vs. exhibere (vorzeigen) die angestrebte Differenzqualität eines auch visuell, nicht nur verbal vermittelten Handlungssubstrats erkennen. Für die implizite Annahme einer plastisch-bildlichen Komponente spricht zusätzlich, daß der Verfasser des Compendiums das Adverb „symbolice“ analog verwendet im Zusammenhang mit dem Antiprologus, der „die Handlungsfolge durch stumme Szenen oder Dinge symbolisch ausdrücken soll“.24 Diesen Befund bestätigt, daß in den literarischen Traktaten des 17. Jahrhunderts der Terminus „symbolon“ häufig gleichbedeutend mit „emblema“ verwendet wird. Insgesamt gesehen, ist so der Nachweis einer möglichen doppelten visuellen Referenz des Chors – auf die pictura des vorangehenden Akts und die symbolische Darstellung des Chors selbst – erbracht.25 Der Verfasser der Poetica practica zählt verschiedene Arten des Chors – je nach den Akteuren – auf, darunter den Chor aus allegorischen Figuren.26 Wenn auf 23 Ebd., S. 235 (der Chor – entweder durch Gesang oder durch Rede die im vorangehenden Akt gespielte Handlung erklärend; so jedoch, daß dann etwas symbolisch vorgeführt wird). 24 Zit. nach ebd., S. 233: „Antiprologus – per mutuas personas vel res seriem drammatis symbolice exprimens“. Der Schreiber des Compendiums dürfte wohl fälschlich „mutuas“ anstelle von „mutas“ verwendet haben. 25 Ein idealtypisches Beispiel für diese Chorgestaltung findet sich in der Tragikomödie Odostratocles. Die Bühnenanweisung zum 4. Chor, der aus vier Tugenden besteht, schildert detailliert, welche symbolischen Requisiten den moralisierenden Appell an die studierende Jugend augenfällig auf den Punkt bringen sollen: „Virtutes quatuor cum hieroglyphicis tentationum: prima tenet auem, secunda scyphum, tertia scriniolum cum auro, quarta sceptrum cum corona.“ (Vier Tugenden mit den Hieroglyphen der Laster: die erste hält einen Vogel, die zweite ein Weinglas, die dritte einen kleinen Schrein mit Gold, die vierte ein Szepter mit Krone), s. Stender-Petersen, Tragoediae sacrae, S. 174. 26 Okoń, Dramat i teatr szkolny, S. 236.
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diese Weise z.B. die Affekte der handelnden Figuren, die den Geschehensablauf vorantreiben, bildhaft-faßlich extrapoliert und mit einem verallgemeinernd-moralisierenden Kommentar versehen werden, dann ist hier ebenfalls ein emblematisches Strukturprinzip verwirklicht. Die deskriptive Bestandsaufnahme des Jesuitentheaters unter inhaltlichem Aspekt umfaßt den Hauptteil des III. Kapitels in Okońs Monographie. Ausgehend von der Prämisse der Einmaligkeit und Aktualität27 der Schulaufführungen, untergliedert er den Fundus an überlieferten Theaterprogrammen nach dem jeweiligen Aufführungsanlaß, der wiederum die Themenwahl bedingte. Im Wesentlichen waren die Vorstellungen des Schultheaters mit den Festen des Kirchenjahres, vor allem Karfreitag (6. Abschnitt: „Triumphus Crucis“) und Fronleichnam (2. „Corpus Christi“), verbunden; dazu kamen im 17. Jahrhundert in größerer Anzahl die Aufführungen zu Ehren von Gästen, bzw. zur Würdigung herausragender politischer Ereignisse, und als Neuerung diejenigen zum Schuljahresschluß. Diese beiden Gelegenheiten, die im 5. („Laudetur ...“) und 8. Abschnitt („Pallas orbis imperatrix“) abgehandelt werden, sind für unsere Fragestellung besonders relevant. Im 5. Abschnitt über die panegyrischen Gelegenheitsdramen notiert Okoń nämlich vermehrt Einzelbeobachtungen emblematischer Szenenbilder, von denen mir zwei besonders geeignet erscheinen, den Einsatz bildlich-plastischer Verfahren auf der Bühne zum Zweck der Abbreviatur einer komplexen Fülle von Bedeutungssträngen erkennen zu lassen. Das Stück Thaumaturga manus ... (Die wundertätige Hand) enthält die mittels der laterna magica erzeugte Erscheinung der Reliquienhand des hl. Johannes des Täufers mit der begleitenden Inschrift „In hac dextera vinces“ (Durch diese Rechte wirst du siegen), die einem zu Unrecht Inhaftierten seine Rettung und damit die Peripetie der Handlung im buchstäblichen Wortsinn anzeigt.28 Ausgehend von der didaktischen Intention des Autors, die für das gesamte Dramenschaffen der Jesuiten gilt, verweist Okoń hier auf eine zusätzliche symbolische Ebene, insofern als im überindividuellen heilsgeschichtlichen Kontext die Hand des hl. Johannes auf Christus als Erlöser der Menschheit hinzeigt. Eine weitere Bedeutungsschicht evoziert die inscriptio, weil sie gleichzeitig auf Kaiser Konstantins Vision eines Kreuzes mit der Inschrift „In hoc signo vinces“ (In diesem Zeichen wirst du siegen) anspielt.29 Über Okońs inhaltsbezogene Betrachtungen hinausgehend, könnte man nun im Hinblick auf die bildliche Verabsolutierung des deiktischen Gestus 27 Aktualität meint zum einen, daß das Jesuitentheater teilweise auf zeitgenössische historische Ereignisse Bezug nimmt, zum anderen, daß die Stücke für jede Aufführung in der Regel neu geschrieben wurden, s. ebd., S. 110 u. 126. 28 Das Drama wurde 1679 zu Ehren der Kanoniker der Warschauer St. Johannes-Kathedrale aufgeführt. Die panegyrischen Szenen waren auf die Chöre beschränkt, so daß die Einheit der Haupthandlung erhalten blieb, s. ebd., S. 167. 29 Ebd., S. 168.
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und seine Semantisierung durch die inscriptio von einer Selbstinszenierung des Emblematischen auf der Metaebene sprechen. Die Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger ließe sich so – über ihre konkrete Szeneneinbindung hinaus – als Sinnbild der belehrenden Funktion der Emblematik und ihrer Weltdeutung verstehen, das mit einem universalen Heilsversprechen im begleitenden Motto kombiniert wird. Im Allgemeinen ist ja die pragmatische Dimension der Emblematik durch ihren Appellcharakter an den Rezipienten bestimmt, durch die demonstrative Ableitung einer Handlungsnorm aus einem materiellen Bildzeichen. Wenn wir schließlich noch einmal auf die Objektebene zurückkehren, kann man feststellen, daß das Bild der zeigenden Hand den Postulaten der Emblemtheoretiker insofern durchaus entspricht, als die pictura den menschlichen Körper nur im Naturzustand (d.h. in Krankheit, Kindheit, Schlaf oder Tod), bzw. in einzelnen Teilen darstellen soll.30 Weitere Facetten der Intermedialität kommen in den Blick, wenn wir Bartłomiej Wąsowskis Stück Ludi saeculares Apollinis et Temporis (Spiele des Apollo und der Zeit anläßlich der Jahrhundertfeier) betrachten, das 1674 zum hundertjährigen Bestehen des Kollegiums in Jarosław aufgeführt wurde. Die Selbstverherrlichung des Jesuitenordens als Bildungsinstitution wird allegorisch vermittelt, indem Apollo und Tempus auf der Bühne vier Statuen anfertigen – als modellhafte Repräsentanten des Geistlichen, Fürsten, Heerführers und Bürgers – und ihnen anschließend Leben einhauchen.31 Für unsere Fragestellung ergibt sich daraus, daß hier weniger die Momentaufnahme des einzelnen emblematischen Szenenbildes für die Bühnenwirkung maßgeblich ist. Vielmehr erfordert der durative Aspekt, der durch Aufführungsanlaß und Themenwahl (Bildungstätigkeit) vorgegeben ist, die sukzessive Darstellung des Geschehensablaufs in seiner Prozeßhaftigkeit. In der szenischen Simulation der Bildhauerei zeigt sich darüber hinaus eine noch weitreichendere mediale Annäherung an das Theater, zumal es auch beim Schauspieler auf die Beherrschung des Körpers ankommt. Diese beiden Beispiele haben einen Einblick in die Möglichkeiten semantischer Potenzierung gegeben, die in der Anwendung bildhaft-plastischer Verfahren liegen. Daher ist Okońs zusammenfassende Bemerkung berechtigt, daß emblematische Bilder in panegyrischen Gelegenheitsdramen der Wiedergabe von Inhalten dienen, die sonst szenisch kaum zu realisieren wären.32 Zu bedenken ist freilich, daß eine 30 S. dazu J. F. Reimmann, zit. bei Schöne, Emblematik und Drama, 1993, S. 31; menschliche Gliedmaßen als eine Einteilungskategorie der Hieroglyphik erwähnen Henkel und Schöne, Emblemata, 1996, S. XXII, so daß hier wohl die Anregung zur emblematischen ‚Zerstückelung‘ zu suchen ist. 31 Okoń, Dramat i teatr szkolny, S. 176. Wąsowski hat später die Bauleitung der Posener Jesuitenkirche übernommen und auch architekturtheoretische Werke verfaßt. 32 Ebd., S. 179. Im Zusammenhang mit den panegyrischen Dramen ist nebenbei auf die Fülle emblematischer Assoziationen zu den Wappenbildern zu verweisen, die im Verlauf einer in-
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solche Theateraufführung nur Teil der offiziellen Laudatio war, die darüber hinaus eine entsprechende Rede, die Übergabe einer Gedenkschrift, in Einzelfällen auch die Errichtung eines Triumphbogens umfaßte.33 So läßt sich die These aufstellen, die bei Okoń zwar schon angelegt, aber noch nicht prägnant herausgearbeitet ist, daß im Zusammenhang mit den panegyrischen Dramen eine Verdichtung emblematischer Ausdrucksformen in quantitativer und qualitativer Hinsicht bemerkt werden kann. Nachweisen lassen sich hier nicht nur vermehrt emblematische Szenenbilder, sondern auch das Nebeneinander der Primärform des Emblems in seiner bildlichliterären Ganzheit (Gedenkschrift, Triumphbogen) und der Sekundärform emblematischer Strukturen (Lobrede, Schauspiel). Die Gültigkeit dieser These habe ich anhand des Programms zu dem Stück Brama Tryumfalna ... exemplarisch aufgezeigt.34 Wenn wir nun wieder zu Okońs Ausführungen übergehen, d.h. zu den Aufführungen zum Schuljahresende (8. Abschnitt), so erstaunt sein zusammenfassender Befund: diese Stücke weisen zwar inhaltliche Bezüge zur Emblematik auf, gemessen an ihrem Gegenstand – dem Lob von Lehre und Wissenschaft – jedoch nur in unerwartet geringem Maß. Gleichzeitig lassen sie einen weitgehenden Verzicht auf szenische Effekte erkennen, so daß sich das Hauptaugenmerk wohl auf den Dramentext richtet.35 Okońs Feststellung scheint mir einen ursächlichen Zusammenhang zu berühren, da der Einsatz bildlich-plastischer Verfahren gerade auf die Steigerung der Bühnenwirksamkeit berechnet ist. Nach Okońs bisherigem Befund ist diese einseitige Gewichtung der sprachlichen Form, die er mit der Autorschaft der Poetik-Professoren zu erklären versucht, für das Jesuitentheater ungewöhnlich, da der Text in der Regel einen untergeordneten Stellenwert gegenüber der szenischen Realisierung hat. Die bei anderen Stücken teilweise mangelhafte stilistische Ausarbeitung der Texte ergab sich durch den Gelegenheitscharakter der Aufführungen, das schnelle Schreibtempo, fehlende Erfahrung der Autoren und den Hang zum Schematismus, den die Befolgung der Grundsätze der Poetik mit sich brachte.36 Wir berühren hier ein zentrales Anliegen von Okońs Monographie, der im Titel Dramat i teatr szkolny schon anzeigt, daß er die Analyse nicht auf literaturwissenschaftliche Fragestellungen beschränkt, sondern insbesondere auch den visueltensiven Beschäftigung mit der Heraldik in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in die Dichtung und das Theater wie auch in gelehrte Kommentare eingingen, vgl. ebd., S. 162. S. dazu auch die grundlegende Arbeit von Walter Kroll: Heraldische Dichtung bei den Slaven. Mit einer Bibliographie zur Rezeption der Heraldik und Emblematik bei den Slaven (16.–18. Jahrhundert). Wiesbaden 1986. 33 Ebd., S. 155 ff. 34 S. Anm. 10. 35 Okoń, Dramat i teatr szkolny, S. 222. 36 Ebd., S. 57, Anm. 115 und S. 126, Anm. 59.
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len Aufbau und die Inszenierung der Stücke als Ganzes ins Auge faßt.37 In einem eigenen Abschnitt „Scena i na scenie“ (III., 10.) findet sich ein alphabetisches Verzeichnis der Aufführungsorte in Polen/Litauen, deren Bestand an Bühnendekorationen und technischen Vorrichtungen anhand der Angaben in den Programmen erfaßt wird, ergänzt durch Notizen aus den einzelnen Klosterarchiven. Im Ergebnis läuft diese Zusammenstellung auf ein begrenztes Inventar an Dekorationstypen (z.B. Meeres-, Wald-, Stadtszenen, Palastinterieurs) hinaus, das Okoń zufolge eine weitere Erklärung für den schematischen Aufbau der Jesuitendramen bietet.38 Den Kern der bildlich-literären Ausrichtung des Theaters betrifft auch ein Postulat aus dem Posener dichtungstheoretischen Compendium von 1691, das vom Dramenschreiber die Fähigkeit zur virtuellen Bildschöpfung und Einschätzung seiner szenischen Realisierbarkeit verlangt: „Scripturus drama, siste in imaginatione theatrum, ut illi scenas oculum implentes et facile mutandas accomodes, scripto vero drammate connota requisita et facienda.“ (Wenn Du ein Drama schreiben wirst, errichte in Deiner Vorstellungskraft ein Theater, so daß Du jenem Bühnenbilder anpaßt, die das Auge sättigen und leicht auszuwechseln sind, wenn Du aber das Drama geschrieben hast, merke an, was erforderlich ist und gemacht werden muß.)39 Als Träger symbolischer Werte, die nicht restlos im verbalen Dramentext aufgehen, sind im Rahmen der Inszenierung auch Ballett-, Tanz- und Musikeinlagen, Kostüme und Requisiten zu berücksichtigen.40 Eine besondere Rolle fällt schließlich der laterna magica zu, die im Posener Compendium von 1691 ausdrücklich als Verfahren des symbolischen Ausdrucks bezeichnet wird – der Verfasser des Compendiums spricht vom „modus symbolicus, per umbras vel mutas personas aliquid exhibens“ (die symbolische Darstellungsweise, durch Schatten oder stumme Personen etwas vorführend). Der Funktionsbereich der laterna magica umfaßte zum einen die Darstellung von Bildsequenzen in einem fortlaufenden Zeitkontinuum, zum anderen die punktuelle Einblendung von Einzelszenen zur Ergänzung der Bühnenhandlung – z.B. um das Parallelgeschehen an einem anderen Schauplatz oder auch eine Traumszene vorzuführen. Da diese neue Technik sowohl die Projektion von Bildern, als auch von Schriftzeichen auf die Bühne ermöglichte, konnte sie zur Verbreitung emblematischer Formen unter einem größeren Rezipientenkreis eingesetzt werden.41 Eine weitere wesentliche Vorarbeit hat Ljudmila A. Sofronova geleistet mit ihrer im Hinblick auf die Materialfülle und auch vom methodischen Ansatz her überzeugenden Studie Poėtika slavjanskogo teatra XVII – pervoj poloviny XVIII v. Pol’ša, 37 38 39 40 41
Ebd., S. 11 und 67 f. Ebd., S. 256. Zit. nach ebd., S. 255. Ebd., S. 256, 261, 265. Ebd., S. 262–265.
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Ukraina, Rossija (Poetik des slavischen Theaters des XVII. bis zur ersten Hälfte des XVIII. Jahrhunderts. Polen, Ukraine, Rußland) von 1981. Das Schultheater wird – unter Berufung auf Michail Bachtin – als Teil innerhalb der Bedeutungseinheit der Kultur systematisch bestimmt, d.h. zum einen gilt es, dieses Theater als eigenständiges künstlerisches Strukturganzes zu erforschen, zum anderen, seinen Stellenwert in Relation zu den künstlerischen Erscheinungen der Epoche insgesamt festzulegen. Im Mittelpunkt steht dabei die Poetik des Schultheaters, die Sofronova nicht nur als Regelsystem der Verknüpfung von Einzelelementen zum Werkganzen versteht, sondern darüber hinaus als Reihe von Prinzipien höherer Ordnung, die durch ihr dynamisches Wechselverhältnis Organisation und Bedeutung des Werkes hervorbringen und so auf dessen Funktionsrahmen, bzw. den künstlerischen Kontext der Epoche insgesamt zurückverweisen.42 Im Unterschied zu früheren Autoren, die in erster Linie historisch-vergleichend orientiert sind, eröffnet Sofronova einen methodischen Zugang zu diesem Gegenstand unter weitergehenden kulturhistorischen, philologischen, theaterwissenschaftlichen und komparatistischen Aspekten. Es erscheint hier zweckmäßig, den Inhalt des Buches im Ganzen zu skizzieren, um so den Ort unserer Fragestellung im System zu verdeutlichen, während das Problem emblematischer Verfahren bei den oben behandelten Arbeiten an zufälliger Stelle im entwicklungsgeschichtlichen Kontinuum auftaucht. Ausgehend von einer zusammenfassenden Betrachtung der Barockpoetik und einer kurzen Geschichte und Charakteristik des Schultheaters bestimmt Sofronova (3. Kap.) die Wechselbeziehung von Theater und Kultur im 17. Jahrhundert: Das Theater versteht sie als vorherrschende Ausdrucksform der Epoche, als Epochendominante unter den Kunstarten, ist hier doch das Zusammenwirken verschiedener Künste, die das barocke Kunstwollen im Allgemeinen kennzeichnet, bereits gattungskonstitutiv. Diese Vorrangstellung spiegelt sich in der Metapher von der Welt als Theater. Darüber hinaus begründet sie eine Theatralisierung von Literatur, Architektur und Malerei, die an einzelnen repräsentativen Beispielen aufgezeigt wird. Der gegenläufige Prozeß der Synthese verschiedener Kunstarten im Theater ist Gegenstand des vierten Kapitels. Von der Einbindung des Theaters in einen umfassenderen Kontext handeln auch das fünfte und sechste Kapitel, in denen Weltbild und Wertesystem des Schuldramas, bzw. seine Beeinflussung durch die Rhetorik untersucht werden. In den folgenden Abschnitten beschreibt Sofronova Sujetstrukturen und den Helden des Schuldramas sowie den gleichzeitigen Einsatz konventioneller und naturalistischer Verfahren der Wirklichkeitswiedergabe. Im Anschluß an diese hauptsächlich auf die Rolle der allegorischen Figuren bezogene Thematik wird im zehnten Kapitel der emblematische Charakter des Schuldramas eingehend betrachtet. Hier ist die Emblematik somit ein zentraler Gegenstand im Unterschied zu den bisher vorgestellten Arbeiten. 42 Sofronova, Poėtika slavjanskogo teatra, S. 3.
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Für unser Thema von besonderem Interesse ist zunächst das vierte Kapitel, in dem das Theater als Synthese verschiedener Kunstarten – der Dichtung, Malerei, Architektur, Skulptur, Graphik (hier sind auf der Bühne gezeigte Tafeln mit Inschriften oder Anagrammen von Namen zu nennen, bzw. der Einsatz menschlicher Körper zur Nachbildung von Wörtern)43, Musik, des Balletts und Tanzes – untersucht wird. Ausgehend von der Priorität visueller Verfahren im Barock,44 beschäftigt sich Sofronova mit dem Einfluß der Malerei auf das Theater. Normative Äußerungen, die diesen Zusammenhang kodifizieren, sind Franciscus Langs Dissertatio de actione scenica (Erörterung über die Bühnenhandlung) zu entnehmen. So scheint Lang das aufmerksame Studium der Posen und Gebärden, wie sie auf den Gemälden oder in Skulpturengruppen hervorragender Künstler dargestellt sind, zweckdienlich, um der Schauspielkunst modellhafte Vorbilder zu liefern. Analog zur Malerei läßt sich Langs Ausführungen zufolge auch ein Szenenbild komponieren, indem man Licht und Schatten verstärkt oder abschwächt, über Augenmaß verfügt, sich einen klaren Begriff von den handelnden Figuren, den Kostümen, Szenen bildet und mit der perspektivischen Wirkung vertraut ist.45 Den Anteil der bildenden Kunst am Theater betonen die gemalten szenischen Dekorationen, die zusammen mit der klaren Begrenzung durch den Bühnenrahmen den künstlerischen Raum definieren und so eine weitere Parallele zwischen Bühne und Gemälde aufscheinen lassen. Dekorationen wie rauschende Meeresfluten und Feuersäulen, aber auch Theatermaschinen mit Flug- und Versenkungsmechanismen waren auf die Erzeugung starker Effekte berechnet, von deren allzu häufigem Einsatz der Jesuitentheoretiker Masen jedoch abrät, da sie nicht lange und dauerhaft gefallen könnten.46 Ähnlich wie in der Malerei sind Embleme und allegorische Attribute auch im Theater zu verwenden, wie Sofronova anhand der Allegorien der Miłość (Liebe) und der Okrucieństwo (Grausamkeit) im Prolog der Utarczka krwawie wojującego Boga i Pana Zastępów … (Gefecht des blutig kämpfenden Gottes und Herrn der Heerscharen …) exemplarisch aufzeigt. Ein seltenes Beispiel der Integration eines ma43 Ebd., S. 87. 44 Dem epochenspezifischen Antagonismus gemäß schließt der Vorrang des Visuellen die Kehrseite des Sichtbaren, die Illusion, mit ein und stattet so die empirische Wahrnehmung gegebenenfalls mit der Kategorie der Lüge aus. 45 Nach Sofronova, Poėtika slavjanskogo teatra, S. 81. Das von Lang beschriebene Verfahren stellt nur eine Umkehrung der Methode dar, die bereits Poussin in seinen Kompositionsstudien praktiziert hat. Poussin konstruierte einen Kasten, in dem er Wachsfiguren auf verschiedene Weise anordnete und die Lichtverhältnisse mittels verschließbarer Öffnungen nach Belieben variierte. So ließ sich die günstigste szenische Konfiguration bestimmen, die dann der Komposition des Gemäldes zugrundegelegt wurde, s. dazu S. M. Daniėl’: „Pussen i teatr“, in: Teatral’noe prostranstvo, Moskva 1979, S. 219 f. 46 Nach Sofronova, Poėtika slavjanskogo teatra, S. 82.
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teriellen Bildes in die Bühnenhandlung, deren Peripetie eben durch das Bildsujet ausgelöst wird, findet sich in dem von A. Temberski verfaßten Stück Dies extrema iudicii Domini Principi ... (Jüngster Tag des Gerichts des Herrn und Höchsten ...)47 Diese katalogartige Auflistung der beobachteten Korrelationen zwischen der bildenden Kunst und dem Theater werden wir einer eingehenderen Prüfung unterziehen und in eine Typologisierung überführen. Zu differenzieren ist zunächst, ob eine tatsächliche Synthese verschiedener Kunstarten vorliegt, die im Sinne eines Gesamtkunstwerks in ihrer konkreten Materialität zusammengeführt werden oder aber die gezielte Simulation einer anderen Kunstart innerhalb ein und derselben Kunst. Daneben sind auf verschiedenen Ebenen ansetzende Integrationsinteressen zu verzeichnen, je nachdem, ob die spezifischen Verfahren der anderen Kunstart im Mittelpunkt stehen oder ob die andere Kunst nur als Medium zur Potenzierung der semantischen Aussage einbezogen wird. Langs Erörterungen betreffen das simulierende Nachvollziehen bildnerischer Darstellungsmittel qua szenisches Spiel. Im Hinblick auf die Bühnendekorationen und das Gemälde in der Handlung ist weniger von einer formalen, als von einer inhaltlichen Relevanz der Synthese auszugehen (dabei wäre allerdings noch zu berücksichtigen, daß diese Malerei ihrer Funktion nach der zielgerichteten Intention auf den Kunstcharakter als solchen im Wege stehen dürfte). Die kategoriale Einordnung von szenisch präsentierten Emblemen und Allegorien in unser Schema gestaltet sich komplexer, weil das Verhältnis Malerei – Theater48 an dieser Stelle zu ersetzen ist durch das Verhältnis Literatur – Theater, bzw. Literatur – Malerei. Wenn wir einmal von einer genaueren Differenzierung zwischen Emblem und Allegorie absehen, kann man beide Phänomene im Theater und in der Malerei vorrangig unter dem Aspekt der Adaption eines literarischen Verfahrens – des indirekten Sprechens – behandeln. Erst in einem zweiten Schritt wird die indirekte Aussage (ein abstrakter Begriff, bzw. eine moralische Direktive) bildnerisch vermittelt. Die Spezifik allegorischer und emblematischer Darstellungen gründet so nicht allein in ihrer Bildlichkeit, sondern in ihrer sekundären Codierung, mithin Sprachlichkeit. Dieser Sachverhalt geht ganz deutlich hervor aus Jacob Masens Einreihung des Emblems unter den Oberbegriff der imago figurata, 47 Ebd., S. 82 f. Held dieser Moralität ist ein junger Fürst, der ein ausschweifendes Leben führt. Die Allegorie der Misericordia vermag nicht unmittelbar, ihn auf den rechten Weg zurückzuführen; erst durch Vermittlung seines Hofmalers, der statt des gewünschten weltlichen Sujets das Jüngste Gericht darstellt, tritt der Sinneswandel ein. Dieses Stück veranlaßt Sofronova, auf die Arbeit Demins Russkaja literatura vtoroj poloviny XVII – načala XVIII veka (Russische Literatur der zweiten Hälfte des VII. bis zum Anfang des XVIII. Jahrhunderts) zu verweisen, der eine Übereinstimmung der Sujets der ersten russischen Theaterstücke mit den in der russischen Ikonenmalerei des 17. Jhs. populären Sujets feststellt. 48 Bei Sofronova heißt es, daß die Verwendung von Emblemen und Symbolen „približalo teatral’nuju scenu k proizvedenijam izobrazitel’nogo iskusstva“ (näherte das Theater und die Bühne Werken der bildenden Kunst an), ebd., S. 82.
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des Bildes mit tropischer, indirekter Aussage, dem wir uns weiter unten bei der Diskussion der emblematischen Bildlichkeit in der Kommunia Duchowna S. S. Borysa y Hleba (Geistliche Kommunion der Heiligen Boris und Gleb) zuwenden werden. Unsere aus Sofronovas Beobachtungen abstrahierte Aufstellung muß hier notwendigerweise ergänzt werden durch den Vorgriff auf eine dritte Kategorie der Wort-Bild-Beziehungen abseits von der Realpräsenz verschiedener Kunstgattungen innerhalb eines Gesamtkunstwerks und der Scheinpräsenz einer Kunstart mittels versuchter Nachahmung durch eine andere. Boris Uspenskij hat in seinem Aufsatz „Structural Isomorphism of Verbal and Visual Art“ (in: Poetics. International Review for the Theory of Literature 5, 1972) nicht intendierte immanente Strukturähnlichkeiten zwischen Literatur und bildender Kunst herausgearbeitet, die für unsere Analyse des Dramas Kommunia Duchowna S. S. Borysa y Hleba von grundlegender Bedeutung sein werden. Auf diese wegweisende Arbeit ist daher w.u. zurückzukommen. Sofronovas 10. Kapitel über den emblematischen Charakter des Schultheaters enthält eine Fülle von Nachweisen emblematischer Strukturprinzipien in russischen und polnischen Dramen. Wir wollen uns hier darauf beschränken, den systematischen Gang ihrer Argumentation in den Hauptpunkten nachzuzeichnen und einzelne autoreferentielle Zitate aus den Dramentexten hervorzuheben, die im Hinblick auf ihren emblemtheoretischen Aussagewert relevant erscheinen. Für den emblematischen Charakter des Schultheaters ist die Suche nach der „höheren“ Bedeutung, dem allgemeingültigen Sinn der bloßen sinnlich wahrnehmbaren Erscheinung grundlegend. Schon in ihrem vorangehenden 9. Kapitel über die Allegorie beschreibt Sofronova die dichotomische Auffassung der Wirklichkeit, die Unterscheidung zwischen Ding und Idee, als grundlegendes Merkmal der Barockpoetik. Diese Verbindung konkreter Gegenständlichkeit und begrifflicher Abstraktion in der Allegorie begründet die sowohl naturalistische, als auch konventionell-bedingte („uslovnyj“) Doppelnatur des Barocktheaters.49 Unter dem Stichwort des Emblematischen zieht Sofronova nicht die weit verbreiteten emblematischen Bilder in den Dramentexten in Betracht, sondern die Beziehung zwischen der Darstellung auf der Bühne und der Bedeutung dieser Darstellung. Die unmittelbar präsentierte Fabel des Stückes ist quasi als Illustration oder Beispiel einer allgemeingültigen Idee aufzufassen.50 Sofronova geht damit von einem weitgefaßten Begriff des Emblematischen im Barocktheater aus; im Unterschied dazu soll in dieser Arbeit eine engere Definition des Emblematischen gelten, d.h. es sind in Anlehnung an Albrecht Schöne sowohl spezifisch emblematische Bildmotive nachzuweisen, als auch emblematische Strukturen auf verschiedenen Textebenen herauszuarbeiten.
49 Ebd., S. 208. 50 Ebd., S. 211.
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Im Wesentlichen unterscheidet Sofronova nun vier größere Komplexe der Strukturierung dieses weitgefaßten emblematischen Bezuges. Ausgehend von der umfassendsten Problematik der Kohärenzbildung der szenischen Handlung insgesamt, ist erstens zu bemerken, daß die einzelnen Akte der Schuldramen häufig nur lose auf der Inhalts-, dafür aber umso mehr auf der Bedeutungsebene miteinander verbunden sind. Anschaulich demonstrieren läßt sich das z.B. an dem in Protasis und Apodosis unterteilten Jesuitendrama Imago victoriae a Serenissimo ac Invictissimo Ioanne III rege Poloniae de Turcis relatae, in Godifredo Bullonio primo rege Hierosolymarum adumbrata ... (Bild des Sieges, den der Durchlauchtigste und unbesiegbarste Johann III., König von Polen, über die Türken davongetragen hat, im Schattenriß angedeutet in Gottfried von Bouillon, dem ersten König von Jerusalem ... Warschau 1685). Die beiden Akte verhalten sich zueinander wie pictura und subscriptio eines Emblems in dem Sinne, daß Gottfried, der während des ersten Kreuzzugs (1099) Jerusalem eroberte, und in dem Stück die Handlungen Johanns III. auslegt und verherrlicht, nach Sofronovas Verständnis als „Symbol“ einzustufen ist. Sofronovas Aussage müßte jedoch dahingehend präzisiert werden, daß dieses Symbolische im Dramentitel selbst genauer erfaßt wird: Gottfried ist hier als „Bild, … im Schattenriß angedeutet“ für den siegreichen Sobieski ausgewiesen, gleichsam als seine Präfiguration.51 Sofronova gibt bei ihrer Besprechung des Stückes (S. 215) nur die Kurzfassung des Titels (Imago victoriae) an, der vollständige Titel ist Okoń, Dramat i teatr szkolny, S. 320 zu entnehmen. So entfällt bei Sofronova auch der Hinweis auf den Begriff des „adumbrare“ (einen Schattenriß machen, skizzieren, andeuten), der in den dramentheoretischen Schriften Jacob Masens insbesondere bei der Bestimmung des Verhältnisses von Drama und Emblem eine wichtige Rolle spielt. Für Masen haben nämlich diejenigen Dramen den höchsten Stellenwert, deren Fabelstruktur entsprechend einer adumbratio aufgebaut ist, ähnlich wie sie auch das Emblem kennzeichnet, d.h. ein konkreter, historischer Stoff soll mit einer zweiten Ebene indirekter Bedeutung verknüpft werden (s. dazu auch unser Kapitel über die Dramentheorie Sarbiewskis). Eine weitere Variante emblematischer Strukturierung betrifft die Gegenüberstellung der sogenannten ‚kleinen‘ mit den ‚großen‘ Teilen der Theateraufführung in dem Sinne, daß im Prolog, Epilog und den Chören eine allgemeine Schlußfolgerung aus der dargestellten Bühnenhandlung abgeleitet wird. Da wir auf diese Problematik bereits oben unter Rückgriff auf die Dichtungstheorie des 17. Jhs. 51 Im Zusammenhang mit den symbolischen Personenbezügen berücksichtigt Sofronova (S. 215) ein ähnliches Verfahren in der bildenden Kunst zur Zeit der Gegenreformation: So verleiht z.B. der Maler Boguszewski dem Bildnis des hl. Martin die Gesichtszüge des Königssohns Władysław IV., um auf dessen Freigebigkeit anzuspielen, s. dazu Tomkiewicz, „Polska sztuka kontrreformacyjna“, in: Wiek XVII – Kontrreformacja – Barok, Wrocław et al. 1970, S. 84.
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ausführlicher eingegangen sind, werde ich hier vor allem die von Sofronova zwar zitierten, jedoch nicht weiter kommentierten autoreferentiellen Stellungnahmen in den Nebentexten, bzw. den Prologen der Stücke selbst einer genaueren Bewertung unterziehen. Den Antiprolog zu dem Stück Ужасная измена сластолюбиваго жития ... (Der schreckliche Wechsel des wollüstigen Lebens ...) faßt das zugehörige Programm in dem Satz zusammen, daß hier „всего действия вещь и событие иероглифически является“ (der sachliche Kern und das Geschehen der ganzen Handlung hieroglyphisch in Erscheinung tritt). Eine Randglosse schlägt für иероглифически alternativ образне (bildlich) vor.52 Wie diese hieroglyphische Darstellung konkret visualisiert werden sollte, ist der Regieanweisung des vollständigen Dramentextes zu entnehmen, die zunächst den ersten Teil des Antiprologs beschreibt: „Зде явленый будетъ Сластолюбиа образъ з написания: ‚Маловременно еже наслаждаетъ‘ и сластолюбецъ между брашны и питиемъ, прочими мира прелестьми седя, надъ его же главою мечь на власу виситъ. Прииде убо Смерть и что убо привертаетъ, образъ же муки вечния пременяет: ‚Вечно есть еже умучает‘“ (Hier wird ein Bild der Wollust gezeigt mit der Aufschrift „Kurz ist es, daß er genießt“, und der Wollüstige inmitten von Schlemmerei und Trinken, und anderen Reizen der Welt sitzend, über seinem Kopf aber hängt ein Schwert an einem Faden. Hinzu tritt nun der Tod, und indem er es zurückdreht, tauscht er das Bild gegen eines der ewigen Qual aus: „Ewig ist es, daß er Qualen erleidet“). Aus diesen Hinweisen scheint zum einen hervorzugehen, daß die emblematische pictura des Antiprologs in der doppelten Medialität eines materiellen Bildes mit inscriptio (Allegorie der Wollust, auf der Rückseite des Bildes die Darstellung der Höllenqualen) und eines von Schauspielern erstellten lebenden Bildes (Wollüstiger beim Trinkgelage) in Szene gesetzt wird.53 Die entsprechende subscriptio deklamiert der erste Chor. Zum anderen veranschaulicht die eindringliche Geste des Bildumdrehens eine Verdoppelung der emblematischen Darstellung im Hinblick auf ihre anti-pictura. Das Prinzip der Gegenbildlichkeit setzt sich weiter fort im zweiten Teil des Antiprologs mit dem von der göttlichen Liebe ausgeführten Bilderwechsel von Armut und Leiden in ewige Freude, der die Szene des armen Lazarus auf dem Misthaufen begleitet. Bildlich-bündig wird so in Kürze ein vielschichtiges Opposi52 S. Vladimir Rezanov, Drama ukrains’ka, Bd. VI, Kiev 1929 (= Slavica-Reprint Nr. 77/5, Düsseldorf/Vaduz 1970), S. 93 u. 95. Im 17. Jh. gab es keine scharfe Trennung zwischen den Begriffen Emblem – Symbol – Hieroglyphe. Auf die Renaissance-Hieroglyphik als eine der Quellen der Emblematik geht Schöne in Emblematik und Drama, S. 34 ff ein. 53 Sofronova meint, daß der zweiteilige Antiprolog aus zwei lebenden Bildern bestehe (S. 219). Das Trinkgelage kann man sich als solches durchaus vorstellen, während unter Сластолюбиа образъ (Bild der Wollust) wohl eher ein materielles Bild zu verstehen ist. Ansonsten wäre keine Differenz zur Rollenfigur der Сластолюбие als solcher gegeben, die in den folgenden Akten ohne den Zusatz „образъ“ auftritt.
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tionsparadigma (Wollust – himmlische Liebe, zeitlich – ewig, irdisch – himmlisch, Glück – Leiden, reich – arm) vermittelt, das nicht nur einen kurzen Abriß des Stückes gibt, sondern des antithetischen barocken Weltmodells überhaupt. Im Antiprolog zu Ревность православия (Eifer der Rechtgläubigkeit) – einem derjenigen Stücke, die die Siege Peters I. im russisch-schwedischen Krieg feierten – heißt es, daß das Vorspiel der drei Figuren Fortuna, Virtus und Bellona die ganze Handlung „символически изобразует“ (symbolisch darstellt). Auch in diesem Antiprolog findet sich also eine direkte Rezeptionsanleitung für den Zuschauer, die auf die sekundäre Codierung der vorgeführten Szene verweist und deren spezifischen Zeichencharakter bloßlegt, so daß eine vom unmittelbaren kausal-temporalen Handlungsverlauf deutlich unterschiedene Darstellungsebene abgegrenzt wird. Traditionelle Vanitassymbolik kennzeichnet noch Mitte des 18. Jhs. die Einleitung zum Drama Стефанотокос (Stephanotokos), in dessen Antiprolog zwei Knaben Seifenblasen aufsteigen lassen, worauf sie dann im Prolog gläserne Gefäße zerschmettern. Der autoreferentielle Kommentar des Prologs weist ausdrücklich darauf hin, „Пример сей предлежащему нынешнему действию, аки заглавие, или надписание, того ради положити умыслихом, да всяк может чувствами своими осязати сие“ (dieses Beispiel der heute vorliegenden Handlung, als Titel oder Überschrift, deswegen vorzulegen in der Absicht, daß jeder diese mit seinen Sinnen wahrnehmen könne).54 Nicht die zeichenhafte Abstraktion qua symbolisch-hieroglyphischer Darstellung wird hier akzentuiert, sondern vielmehr die anschauliche Konkretheit des sinnlich faßbaren Exempels, so daß die Textstelle als frühe Reflexion über die von den Formalisten aufgestellte Kategorie des oščuščenie (Empfinden) gelten kann.55 Der Prolog ist zwar ebenfalls als symbolische ‚Überschrift‘ über die Gesamthandlung zu bewerten, doch wird nun nicht das Verfahren der sekundären Codierung benannt, sondern vielmehr seine Funktion: Auf die quasi dingliche Greifbarkeit des Geschehens zielt die Bedeutungsvariante von осязати im Sinne von ‚betasten‘. Zu einem dritten Komplex emblematischer Erscheinungsformen im Barocktheater kann man verschiedene Typen bildlicher Darstellung mit entsprechendem Begleittext zusammenfassen: Bilderdeklamationen, bei denen das szenische Spiel durch gemalte Bilder ersetzt wurde, lebende Bilder, die u.a. die Integration einer 54 Die Zitate und Szenenbeschreibungen zu den beiden letztgenannten Stücken sind Sofronova, Poėtika slavjanskogo teatra, S. 216 f. entnommen. 55 So schreibt Šklovskij in „Kunst als Verfahren“: „Und gerade, um das Empfinden (oščuščenie) des Lebens wiederherzustellen, um die Dinge zu fühlen, um den Stein steinern zu machen, existiert das, was man Kunst nennt. Ziel der Kunst ist es, ein Empfinden des Gegenstandes zu vermitteln, als Sehen, und nicht als Wiedererkennen“, zit. nach: Texte der russischen Formalisten I, S. 15. Zu berücksichtigen ist dabei freilich, daß sich die Intention des Dramenschreibers hier auf Wirkungssteigerung zum Zweck moralischer Belehrung und nicht auf die autonome Ästhetik der Kunst richtet.
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simultanen Darstellung in das eigentliche Bühnengeschehen ermöglichten, und laterna-magica-Projektionen, die signifikante Stellen der dramatischen Konstruktion markieren und – unter semantischem Aspekt – von der Bühne aus Einblick in transzendente Bereiche wie Traum- und Geisterwelten verschaffen sollten.56 Ein vierter größerer Abschnitt betrifft schließlich die Emblematizität des Barocktheaters im Hinblick auf die Korrelation zwischen szenisch präsentiertem und verbalem Text. Sofronova vergleicht das Bühnengeschehen einem sich in Zeit und Raum bewegenden Emblem, die Monologe und Dialoge der Helden entsprechen Sentenzen, bzw. gereimten umfassenderen subscriptiones. Der Schauspieler war Handelnder und Raisonneur, Instanz emblematischer Darstellung und Deutung in einem. Wichtig ist dabei die Unterscheidung, daß die von einer Rollenfigur ausgesprochene Deutung nicht unbedingt dem von ihr gezeigten Verhalten konform sein mußte, sondern auch einen objektiven, vom Zuschauer einzunehmenden Standpunkt ausdrücken konnte. Diese Tendenz zur Objektivierung erklärt den hohen Anteil von Sentenzen im Barockdrama, mit denen sich nicht nur die Haupthandlung kommentieren, sondern auch die Aufmerksamkeit auf sonst unbemerkte Nebenaspekte lenken ließ. Die Sentenzen in Simeon Polockijs Комидия притчи о блуднем сыне (Komödie des Gleichnisses vom verlorenen Sohn; entstanden zwischen 1673 und 1678) enthalten ein abschließendes Résumé der einzelnen Episoden. Besondere Darstellungsfunktionen hatte der verbale Text in den Fällen verdeckter Handlung, die jedoch von Sofronova nicht weiter behandelt wird. Verdeckte Handlungen ergaben sich z.B. als Folge beschränkter technischer Möglichkeiten des Theaters oder thematischer Restriktionen der Dramentheorie (Ausschluß grausamer Szenen, wie z.B. des bethlehemitischen Kindermordes): Berichte von Boten oder allegorischen Figuren wie der Fama entsprechen subscriptiones unter szenisch nicht dargestellte Bilder.57 An dieser Stelle liegt der Vergleich mit den emblemata nuda, den Emblemen ohne realisierte Bildkomponente, nahe; zu prüfen ist freilich, ob der Botenbericht im Sinne einer subscriptio tatsächlich über die narrativ-informierenden Elemente hinaus auch deutend-objektivierende enthält.
56 Sofronova, S. 218 ff. 57 Sofronova, S. 223.
3. Theoretische Grundlegung 3.1 Vorüberlegungen zur Intermedialität Nachdem wir einschlägige Untersuchungen emblematischer Barockdramen in der slavistischen Forschung überblicksartig zusammengestellt haben, soll nun auf der Grundlage von Literaturwissenschaft und Kunstwissenschaft ein allgemeiner, vergleichender Zugang zu den Bezügen zwischen literarischem Text und Bildkunst gesucht werden. Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist daher sowohl die Anwendung von Albrecht Schönes Methode emblematischer Drameninterpretation auf das polnische Ordensdrama des Barock, als auch die Erweiterung dieses Ansatzes im Hinblick auf den Ausgangspunkt der Skala möglicher Bild-Text-Relationen: Mit dem Emblem liegt bereits der Sonderfall einer Synthese vor, eine weitere Spezialisierung betrifft die emblematischen Strukturen im Drama. In die gegenläufige Richtung zielt der Versuch – außerhalb der unmittelbaren Koexistenz von Text und Bild – gemeinsame Strukturkonstanten literarisch-dramatischer und bildkünstlerischer Werke aufzuzeigen und so eine für verschiedene Arten von Texten gültige, supratextuelle Modellbildung1 im Sinne Lotmans vorzunehmen. Als Voraussetzung dieser vergleichenden Kunstbetrachtung sollen aber zunächst allgemeine Grundbedingungen der Intermedialität,2 verstanden als Beziehung zwischen verschiedenen Kunstarten, aus der Sicht der relevanten Disziplinen Literatur- und Kunstwissen1 Nach Lotman kann z.B. die Sprache räumlicher Relationen, die auf dem Oppositionsparadigma „hoch – niedrig“, „rechts – links“, „offen – geschlossen“, usw. beruht, Basis einer solchen supratextuellen Modellbildung sein, s. Jurij M. Lotman, Die Struktur literarischer Texte, München 1989, S. 313. 2 Wissenschaftshistorisch lassen sich zwei Forschungsrichtungen unterscheiden, die Bezugnahmen und Abhängigkeiten zwischen den Künsten, bzw. Medien zum Gegenstand haben: erstens stellt die Untersuchung von Wechselbeziehungen zwischen verschiedenen Kunstarten, deren Anfänge in die Antike zurückreichen, ein traditionelles Arbeitsgebiet der Komparatistik dar, das im Englischen mit ‚interart studies‘ bezeichnet wird. Mit der zunehmenden Verbreitung des Films als neuem Medium Anfang des 20. Jhs. setzt eine zweite Forschungsrichtung ein, die zunächst das Verhältnis von Film und Literatur zu klären sucht, dann aber auch andere audiovisuelle Medien miteinbezieht. Der in diesem Zusammenhang verwendete Terminus ‚Intermedialität‘ ist flexibel und wertfrei, so daß er Beziehungen der ‚neuen Medien‘ sowohl untereinander, als auch zu den verschiedenen Kunstarten erfassen kann. Im Unterschied dazu wird der Begriff ‚Intermedialität‘ in den interart studies noch zurückhaltend verwendet, da hier Intermedialitätsforschung ohnehin schon immer betrieben wurde. Irina Rajewski (Intermedialität. Tübingen/Basel 2002) plädiert für einen weitgefaßten Intermedialitätsbegriff und für die Zusammenführung der Erkenntnisse beider Studienzweige zu einer schlüssigen Theorie, s. S. 8 ff.
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Theoretische Grundlegung
schaft dargelegt werden. Unsere Abhandlung wird sich also im Wesentlichen auf Studien aus dem Bereich der Wort-Bild-Beziehungen stützen. Jan Mukařovský hat in seinem Aufsatz „Zwischen Poesie und bildender Kunst“ den Begriff der Intermedialität zwar nicht explizit erwähnt, doch im Ergebnis auf die Möglichkeit hingewiesen, die vergleichende Literaturwissenschaft nicht nur immer mehr zu spezialisieren, sondern auch „in umgekehrter Richtung“ auszudehnen, „in den Bereich nämlich, wo sich die künstlerische Literatur mit den übrigen Kunstarten berührt.“3 Mukařovský geht von einer funktionalen Bestimmung dieses übergeordneten Zusammenhangs aus: „Das, was die einzelnen Kunstarten untereinander verbindet, ist die Gemeinsamkeit des Ziels – sind diese Kunstarten doch durchweg Tätigkeiten mit überwiegend ästhetischer Orientierung; das, was sie voneinander trennt, ist die Verschiedenheit des Materials ... Die Gemeinsamkeit des Ziels führt dazu, daß ... jede Kunstart von Zeit zu Zeit das Bestreben äußert, mit ihren Mitteln dieselbe Wirkung zu erreichen, wie eine andere Kunstart.“4 So kann z.B. die Dichtung Malerei und Musik nachahmen, ohne dabei jedoch die Eigengesetzlichkeit ihres Materials, des Wortes, aufzugeben. Es werden nun verschiedene Verfahren der Dichtung unterschieden, die auf Nachahmung der Malerei ausgerichtet sind: zum einen die Betonung von Ausdrücken, die Farb- und Lichtnuancen beschreiben (literarischer Impressionismus), zum anderen die Bevorzugung statischer Motive (beschreibende Poesie), schließlich das Transponieren einer Bildperspektive ins Gedicht (Nezvals „Absoluter Totengräber“, Zyklus „Bizarres Städtchen“, No. 6). Allerdings erzielt Nezval in dem genannten Gedicht den Eindruck des Phantastischen, so daß sich hier die Möglichkeit der Übernahme bildnerischer Verfahren hinterfragen läßt. Mukařovský zufolge kann damit auch die Unmöglichkeit, die Grenzen des Materials zu überschreiten, selbst zum Gegenstand dichterischer Wirkung werden. Neben diesen temporären Kontakten zwischen Wort- und Bildkunst besteht eine dauerhaftere Verbindung im Hinblick auf Illustrationen literarischer Texte (seltener der ‚Illustration‘ des Bildes in Form eines Bildgedichtes).5 An anderer Stelle faßt Mukařovský die Grundantinomie in der Beziehung zwischen den Kunstarten – das Bestreben nach Überschreitung der Grenzen des Materials und die gleichzeitige Gebundenheit innerhalb dieser Grenzen – in der lateinischen Sentenz „ars una, species mille“ zusammen.6 Nach Mukařovský stehen alle Kunstarten in Wechselbeziehungen zueinander, so daß sie zu einer Struktur höherer Ordnung zusammengefaßt werden können. Dabei ist der Strukturaufbau aller Kunstarten insgesamt ebenso kompliziert und 3 Jan Mukařovský, „Zwischen Poesie und bildender Kunst“, in: Studien zur strukturalistischen Ästhetik und Poetik, Frankfurt / Berlin / Wien 1977, S. 228. 4 Ebd., S. 229. 5 Ebd., S. 229 ff. 6 Jan Mukařovský, Schriften zur Ästhetik, Kunsttheorie und Poetik, Tübingen 1986, S. 106.
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dynamisch veränderlich wie das Strukturgefüge jeder einzelnen Kunstart für sich genommen. Die übergeordnete Struktur aller Künste weist gewöhnlich eine Dominante auf, die historisch variabel ist, wie z.B. die bildende Kunst in der Zeit der Renaissance, die Dichtung in der Romantik.7 Abschließend setzt sich Mukařovský mit der Konzeption Oskar Walzels auseinander, wie jener sie in Gehalt und Gestalt im Kunstwerk des Dichters und in Wechselseitige Erhellung der Künste dargelegt hat. Mukařovský, der die These von der dynamisch veränderlichen, übergreifenden Gesamtstruktur aller Kunstarten aufgestellt hatte, kritisiert Walzels Vorstellung von der Einheit der Künste, da sie sich auf eine undynamische Parallelität künstlerischer Formen in Dichtung, Malerei und Musik beschränkt. Mit einer gewissen Berechtigung behauptet Walzel zwar die Relevanz der Zeitkomponente für die Wahrnehmung auch von Werken der bildenden Kunst, sein einseitiger Hang zur Einebnung der spezifischen Unterschiede zwischen den Kunstarten sei aber problematisch, ebenso wie die kritiklose Übernahme kunsthistorischer Begrifflichkeit (z.B. der Wölfflinschen Kategorien linear vs. malerisch) in die Analyse literarischer Werke. Zusammenfassend betrachtet, kommt Walzel unbestritten das Verdienst zu, „das Dogma der Unüberschreitbarkeit der Grenzen zwischen den Kunstarten“ angefochten zu haben, gleichzeitig verliert er aber auch „ihre faktische Begrenzung durch den Charakter des Materials aus dem Blickfeld“.8 Der Kunsthistoriker Jan Białostocki stellt in dem Artikel „Słowo i obraz“ („Wort und Bild“) einleitend fest, daß Wort und Bild nicht kommensurable Begriffe sind, da es sich beim Wort um eine abgesonderte Einheit innerhalb des Systems der Sprache handelt, beim Bild hingegen um ein geschlossenes Ganzes, dessen einzelne Teile nicht ohne weiteres unterschieden werden können.9 Die Popularität der strukturalen Linguistik und ihre Anwendung auf die bildende Kunst im Sinne einer allgemeingültigen Semiologie unterstellt eine unmittelbare Vergleichbarkeit von Sprache und bildender Kunst, die Białostocki zweifelhaft erscheint. Nur in begrenztem Umfang sind solche Versuche durchführbar, wie Ernst Gombrich mittels Anwendung der Bühlerschen Sprachfunktionen auf Werke der bildenden Kunst nachgewiesen hat. Gombrich zeigt nämlich auf, daß beim visuellen Bild die Appellfunktion am ausgeprägtesten, die Ausdrucksfunktion bereits problematisch ist, die Darstellungsfunktion hingegen nur durch zusätzliche Informationen gesichert werden kann.10 Hinzu kommt, daß die ‚Sprache‘ des Bildes we7 Jan Mukařovský, „Zwischen Poesie und bildender Kunst“, in: Studien zur strukturalistischen Ästhetik und Poetik, Frankfurt / Berlin / Wien 1977, S. 233. 8 Ebd., S. 234. 9 Jan Białostocki, „Słowo i obraz“, in: Słowo i obraz. Materiały Sympozjum Komitetu Nauk o Sztuce Polskiej Akademii Nauk (Wort und Bild. Materialien des Symposiums der kunstwissenschaftlichen Sektion der Polnischen Akademie der Wissenschaften). Warszawa 1982, S. 7. 10 Ebd., S. 11 f. Białostockis Zitat bedarf der Verständlichkeit halber einer Ergänzung durch die von Gombrich angeführten Beispiele: Stellen wir uns eine Lesefibel vor, die das Bild einer
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Theoretische Grundlegung
der Satzbau, noch Vokabular kennt, Tempora und Modi entziehen sich gleichfalls der visuellen Realisierung. Białostocki kommt so zu dem Ergebnis, daß vergleichbare Kategorien nur innerhalb der sekundären modellbildenden Systeme11 der Literatur und bildenden Kunst bestimmt werden können. Der Austausch zwischen den beiden Systemen betrifft zunächst die Ebene der Semantik: Motive (diskrete bedeutungstragende Einheiten) und Themen (umfassende Ganzheit der Motive) gehen von der Literatur in die Malerei über, Gemälde und Plastiken sind, wenn auch seltener, Thema der Literatur.12 Freilich schließt sich hier sogleich die Frage an, ob es Parallelen nicht nur im Hinblick auf den Gegenstand, sondern auch auf die Art und Weise des Gestaltens geben könnte, d.h. im Hinblick auf die künstlerische Struktur. Białostocki hält die betreffende Untersuchung von Mario Praz in Mnemosyne für wenig überzeugend und fordert eine auf präzise morphologische Analyse gestützte Beschreibung von Analogien im Aufbau poetischer und visueller Kunstwerke. Gleichzeitig sieht er eine Verbindung zwischen Literatur und Kunst nicht nur aufgrund ihrer gemeinsamen ästhetischen Funktion, vielmehr seien sie u.a. auch durch soziale und ideologische Funktionen einem übergreifenden Bezugssystem zugeordnet.13 Die Frage nach Strukturanalogien innerhalb von Literatur und bildender Kunst steht sinngemäß auch im Mittelpunkt von Peter V. Zimas Aufsatz „Ästhetik, Wissenschaft und ‚wechselseitige Erhellung der Künste‘. Einleitung“ (zu dem Sammelband Literatur intermedial: Musik – Malerei – Photographie Katze auf einem Stuhl zeigt, begleitet von dem Satz „Die Katze sitzt auf einem Stuhl“, so erweist sich das Bild als überlegen im Hinblick auf seine Appellfunktion – die Satzaussage an sich wird ein Kind unbeeindruckt lassen, das Bild hingegen sein Wohlgefallen erregen (Ernst Gombrich: „The Visual Image“, in: Scientific American 227 (1972), Nr. 3, S. 85). Eine evidente Determinierung durch die appellative Funktion kennzeichnet das Kultbild, das stellvertretend die Emotionen mobilisiert, die von seinem Urbild ausgehen sollen (S. 95). In Bezug auf die Ausdrucksfunktion, die von der romantischen Genie-Ästhetik besonders betont wurde, kritisiert Gombrich die Vorstellung als naiv, daß das Betrachten eines Kunstwerks im Rezipienten ein Äquivalent der Emotionen hervorruft, die zu dessen Entstehung geführt haben. Van Goghs Darstellung seines Schlafzimmers, dessen intendierte expressive Bedeutung ungestörter Ruhe durch verschiedene Briefe des Künstlers dokumentiert ist, löste z.B. in keinem von Gombrichs Probanden eine adäquate Beurteilung aus (S. 96). Das Scheitern der Darstellungsfunktion zeigt sich schließlich daran, daß von dem Begriff „Darstellung“ selbst kein Bild gemacht werden kann (S. 82). Zusammenfassend läßt sich Gombrichs Standpunkt so beschreiben, daß die Bildfunktionen nicht nahtlos in einem kommunikativen Modell aufgehen. Wenn er zugleich das Bild im Ganzen als Symbolsystem begreift (S. 82) und dessen „correct reading“ grundsätzlich von den drei Faktoren „code, caption and context“ abhängig macht (S.86), so verrät sich hier letztlich doch eine Affinität des Bildes zu sprachlichen Systemen. 11 Białostocki beruft sich bei der Verwendung dieses Begriffs (s. S. 10) explizit auf Jurij Lotman. 12 Ebd., S. 12 f. 13 Ebd., S. 13.
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– Film. Darmstadt 1995). Aufgabe einer allgemeinen, komparatistisch orientierten Kunstwissenschaft sei es, einen Zugang zur Intermedialität über semiotische Begriffe allgemeinster Art wie Struktur, Code, thematische Isotopie, usw. aufzudecken. Zunächst aber geht es Zima um eine wissenschaftsgeschichtliche Standortbestimmung der aktuellen Intermedialitätsstudien, die ihren Ausgangspunkt von der Krise der philosophischen Ästhetik am Ende des 19. Jhs. nimmt und der gleichzeitig einsetzenden Arbeitsteilung in einzelnen Spezialdisziplinen wie Literatur-, Kunst- und Musikwissenschaft. Die Einsicht in den autonomen, spezifischen Charakter der einzelnen Kunstformen ließ die verallgemeinernden Kategorien der philosophischen Ästhetik als unzulänglich erscheinen, da sie auf abstrakte Wesensbestimmung der Kunst in ihrer ungeteilten Einheit gerichtet waren und dem neuen Erfordernis differenzierter Beschreibungsmethoden und Terminologien nicht mehr genügen konnten.14 Der Rückblick auf zentrale Positionen der Ästhetik beginnt mit der Kritik an Hegel, der die These vom „sinnlichen Scheinen der Idee“ im Kunstwerk und damit einer heteronomen Begründung des Ästhetischen durch den philosophischen Begriff vertreten hatte. Diese Auffassung kennzeichnete später auch die marxistische Kunsttheorie. Zwar bedingte der Vorrang der Erkenntnisfunktion die privilegierte Stellung der Poesie, welche aufgrund ihres sprachlichen Mediums dem begrifflichen Denken der Philosophie nahe steht. Die Spezifik der poetischen Sprache aber blieb für Hegel bedeutungslos, da Dichtung ohne wesentlichen Wertverlust in andere Sprachen oder in Prosa übersetzbar sei.15 Im Unterschied dazu hatte Kant den Eigenwert des Ästhetischen gelten lassen. Er bestritt, daß „ästhetische Ideen“ auf „Vernunftideen“ zurückgeführt werden können und definierte das Schöne als das, was ohne Begriff allgemein gefällt.16 Von den neueren Theorien zur Ästhetik hebt Zima diejenige von Theodor W. Adorno besonders hervor,17 da dieser Kunst nicht einseitig auf philosophische Begrifflichkeit reduziert und der Eigengesetzlichkeit der verschiedenen Kunstarten Raum gibt. Nach Adorno ist Kunst „begriffsähnlich ohne Begriff “ und sie bildet durch „ihre mimetische, unbegriffliche Schicht“ einen Gegensatz zum philosophischen und wissenschaftlichen Denken. Übergreifende Bezüge zwischen heterogenen Kunstformen lassen sich unter Berücksichtigung des von Hegel übernommenen Postulats der Nichtidentität in der Identität herstellen, d.h. bei der Analyse verwandter Erscheinungen innerhalb verschiedener Kunstar-
14 Peter V. Zima, „Ästhetik, Wissenschaft und ‚wechselseitige Erhellung der Künste‘. Einleitung“, in: Literatur intermedial: Musik – Malerei – Photographie – Film. Darmstadt 1995, S. 1 f. 15 Ebd., S. 2 ff. 16 Vgl. ebd., S. 6. 17 Ebd., S. 8 ff.
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ten darf das Nichtidentische, Andere des jeweiligen Mediums nicht unterdrückt werden. 18 Im zweiten Teil seines Überblicks behandelt Zima die auf die Krise der Ästhetik folgende Herausbildung gesonderter Fachdisziplinen, welche mit adäquaten, empirisch nachprüfbaren Methoden die Eigengesetzlichkeit und Vielschichtigkeit der verschiedenen Kunstformen zu erfassen suchten. An erster Stelle ist hier auf den russischen Formalismus und den tschechischen Strukturalismus mit seinem Wegbereiter Jan Mukařovský zu verweisen, die den spezifischen Charakter des literarischen Kunstwerks betonten und das Problem der Form, bzw. den autonomen Aspekt des Zeichens innerhalb der poetischen Sprache in den Mittelpunkt ihrer Untersuchungen stellten. Als Vertreter einer Kunstgeschichte, die nicht auf den Theorien verbaler Kommunikation aufbaut, sondern den Stil (Verfahren und Stilmittel) als das Spezifische der Malerei und das visuelle Vermögen als ihre Verstehensgrundlage hervorhebt, wird Otto Pächt genannt.19 Das Kernproblem des Aufsatzes besteht nun darin, auf der Grundlage der einzelnen Fachdisziplinen einen differenzierten Zugang zu einer vergleichenden Kunstwissenschaft vorzuschlagen, der über Walzels verdienstvolle Initiative hinausgeht – nicht präzise genug lassen sich nämlich Walzels metaphorisierende, aus Architektur und Malerei abgeleitete Oppositionsbegriffe („Lineares und Malerisches, Flächenhaftes und Tiefenhaftes, geschlossene und offene Form oder Tektonik und Atektonik, Vielheit und Einheit, absolute und relative Klarheit 18 Die Suche nach Gemeinsamkeiten zwischen Literatur, Malerei und Musik berechtigt nach Adorno allerdings nicht zu der Annahme, daß ein einheitsstiftendes Moment per se in ihnen positiv vorhanden sei. In dem Aufsatz „Die Kunst und die Künste“ kritisiert Adorno entschieden „die naiv logische Ansicht, Kunst sei einfach der Oberbegriff der Künste, eine Gattung, welche jene als Arten unter sich enthält.“ Ein einheitlicher Kunstbegriff sei allein negativ zu formulieren: Das Verbindende zwischen den verschiedenen Kunstarten besteht in ihrer Abkehr von der empirischen Wirklichkeit, deren Elemente sie aber für ihre vielfältigen Realisierungen unweigerlich benutzen. Die Kunst bildet demnach als Antithese zur Empirie eine Einheit. Ihr dialektisches Wesen ergibt sich daraus, daß sie ihre Bewegung zur Einheit durch die Vielheit (der Kunstarten) hindurch vollzieht (Theodor W. Adorno, „Die Kunst und die Künste“, in: ders.: Ohne Leitbild. Parva Aesthetica. Frankfurt 1979, S. 185 ff ). Im selben Artikel setzt sich Adorno mit dem Problem der Intermedialität in der zeitgenössischen Kunst auseinander, ohne jedoch diesen Ausdruck zu verwenden – er spricht hier von Verfransung der Künste. Die Verfransung der Künste, am deutlichsten im Montageprinzip, ist fast stets begleitet vom „Griff der Gebilde nach der außerästhetischen Realität“ (S. 189) und stellt damit letztlich die Kunst selbst in Frage. Dennoch „ist kein Kunstwerk denkbar, das, indem es das Heterogene sich integriert und gegen den eigenen Sinnzusammenhang sich wendet, nicht doch einen bildete.“ (ebd.) 19 Zima, „Ästhetik, Wissenschaft und „wechselseitige Erhellung der Künste“. Einleitung“, S. 13 ff.
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des Gegenständlichen“)20 auf literaturwissenschaftliche Fragestellungen übertragen. Zwar geht auch Zima zunächst von einer abstrakten Terminologie aus, die auf heterogene Kunstformen anwendbar ist, doch müssen sich diese kunstwissenschaftlichen Universalbegriffe an die allgemeine Begrifflichkeit einzelner Fachwissenschaften wie Literaturwissenschaft, Kunstsoziologie, Musikwissenschaft und Filmsemiotik anschließen lassen, in einem dritten Schritt dann evtl. auch an die spezifische Begrifflichkeit dieser Disziplinen. Grundsätzlich sind also drei verschiedene Abstraktionsebenen zu unterscheiden, von denen die allgemeinste Ebene mit dem höchsten Abstraktionsgrad für den Vergleich der Kunstformen untereinander maßgebend ist.21 Einen möglichen Vergleichsansatz auf der Ebene allgemeinster Begrifflichkeit stellt der Nachweis thematischer Isotopien im Sinne von Greimas’ strukturaler Semiotik dar: Unter dem Stichwort „Thematisierung“ zeigt Greimas auf, wie der Wert „Freiheit“ – im Hinblick auf die Verräumlichungs- und Verzeitlichungsverfahren der diskursiven Syntax – einerseits als „räumliche Flucht“ (z.B. Aufbruch zu fernen Ufern), andererseits als „zeitliche Flucht“ (z.B. Einbeziehung von Vergangenheit und Kindheit) thematisiert werden kann. So erscheint die Vermutung plausibel, daß Begriffe, die auf den beiden Koordinaten der diskursiven Syntax thematisiert werden können, für den thematischen Brückenschlag zwischen ‚räumlichen‘ und ‚zeitlichen‘ Kunstformen vorrangig in Frage kommen. Darüber hinaus können komparatistische Studien an eine Reihe von Grundbegriffen der Semiotik wie Struktur (offene/geschlossene Struktur), Code (äußere/ innere Umkodierung), Intertextualität, Kontinuität/Diskontinuität anknüpfen, sind diese Begriffe doch besonders geeignet, von der allgemeinsten Abstraktionsebene in die einzelnen Fachwissenschaften übergeführt und näher bestimmt zu werden. Als Ausgangspunkt einer vergleichenden Kunstwissenschaft schlägt Zima Mukařovskýs („Pojem celku v teorii umĕní“ – Der Begriff des Ganzen in der Kunsttheorie) und Ecos (Das offene Kunstwerk) theoretische Ausführungen zur Offenheit der Struktur vor. Auf der Grundlage der genannten Arbeiten läßt sich dieses Gestaltungsprinzip sowohl innerhalb der Literatur, als auch der Malerei der Avantgarde analysieren. Entscheidend ist, daß die kunstwissenschaftlichen Elementarbegriffe der ersten, allgemeinsten Ebene eine nähere Konkretisierung auf der zweiten, einzelwissenschaftlichen Ebene erfordern. An dieser Stelle führt Zima auch das Beispiel an, daß „allgemeine Begriffe wie Kontinuität und Diskontinuität ... als Unterbrechung der narrativen Syntax ... oder als Perspektivenwechsel der Erzählerinstanz“ darstellbar sind.22 20 Zit. nach ebd., S. 19. 21 Ebd., S. 20. 22 Ebd., S. 21, Hervorhebung von H. St.
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Damit ist gleichzeitig der methodische Rahmen abgesteckt, innerhalb dessen die Analyse des Stückes Kommunia Duchowna S. S. Borysa y Hleba durchgeführt werden soll. Auffällig ist hier der Perspektivenwechsel zwischen einem externen, von den Figuren der Intermedien vertretenen und einem internen Standpunkt, den die handelnden dramatis personae besetzen. Auf einer dritten, dramenspezifischen Ebene soll dann nach den Funktionen dieser verschiedenen Standpunkte für das Stück als Ganzes gefragt werden: z.B. zeigt sich in den beiden Prologen eine deutliche Verknüpfung des Außenstandpunkts der Figuren mit metasprachlichen Äußerungen über das Theater. Die Analyse kann sich dabei auf Boris A. Uspenskijs Abhandlung „Structural Isomorphism of Verbal and Visual Art“ stützen, die Fragen des Betrachterstandpunkts und des Rahmens künstlerischer (Bild-) Texte zum Gegenstand hat und dabei vor allem komparatistische Aspekte in Bezug auf Literatur, Malerei und Theater herausarbeitet. In Anlehnung an Oskar Walzels Gehalt und Gestalt im Kunstwerk des Dichters ist die offene Struktur des Dramas zu erörtern. Vergleicht man abschließend die dargelegten Konzepte miteinander, so scheint es, daß hier zwei unterschiedliche Auffassungen von Intermedialität vertreten werden, nämlich der zur Überschreitung der Grenzen des Materials tendierenden, spannungsgeladenen, expansiven, intentionalen Intermedialität (Mukařovský verwendet in diesem Zusammenhang häufig den Begriff der Nachahmung – „napodobení“)23 einerseits und einer solchen, die durch Strukturanalogien, bzw. Konvergenzen aufgrund immanenter, den einzelnen Kunstarten genuiner Kriterien zustande kommt (Białostocki), auf deren Basis sich eine allgemeine Kunstwissenschaft etablieren läßt (Zima). Zu beachten ist dabei freilich, daß der Terminus ‚Intermedialität‘ selbst bei Mukařovský und Białostocki nur in Paraphrase gebraucht ist (Mukařovský: „styk mezi uměními“ – Berührung zwischen den Kunstarten, S. 255; „vzájemný vztah umění“ – Wechselbeziehung der Kunstarten, S. 260. Białostocki: „strukturalne analogie pomiędzy sztuką i literaturą“ – Strukturanalogien zwischen Kunst und Literatur; „,korespondencje‘ sztuk“ – ‚Korrespondenz‘ der Künste, S. 13). Gegen ein starres Festhalten an dieser konzeptionellen Zweiteilung spricht allerdings, daß Mukařovskýs Kernthese von der Grundantinomie zwischen den Kunstarten, bestehend in ihrer gemeinsamen Ausrichtung auf ein ästhetisches Ziel zum einen und der Verschiedenartigkeit ihrer Materialien zum anderen, weitgefaßt genug ist, um auch das zweite Konzept einzuschließen. Hinzu kommt, daß Mukařovský seinen methodischen Ansatz aus der Komparatistik ableitet und gegen starre Grenzziehungen zwischen den Disziplinen eintritt, ist doch „der Übergang vom vergleichenden Studium der Literaturen zur vergleichenden Kunsttheorie ähnlich fließend wie die Verbindung zwischen dem vergleichenden Studium 23 Jan Mukařovský, „Mezi poesií a výtvarnictvím“, in: Kapitoly z české poetiky, Praha 1948, S. 256, wo er von der Nachahmung der Malerei und Musik durch die Literatur spricht und S. 257.
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der Literaturen und der Erforschung einer Einzelliteratur: von der Polarität zwischen einzelnen Komponenten eines dichterischen Werks bis hin zur Polarität zwischen der Dichtung und den anderen Kunstarten gibt es eine ununterbrochene Skala von Wechselseitigkeit und gegenseitiger Spannung“.24 Allerdings richtet sich Mukařovskýs Erkenntnisinteresse dabei dann doch wieder auf ein „vollständiges Bild von der ‚inneren‘ Entwicklung der Dichtung als Kunst“, bzw. auf „die Situation der Dichtung in diesem Zusammenspiel“. Im Hinblick auf den interstrukturellen Kunstvergleich, der den Nachweis einer impliziten Intermedialität zum Gegenstand hat, ist eine Tendenz zur Grenzüberschreitung auf der Metaebene der Beschreibung feststellbar, wenn z.B. der Begriff der Perspektive von der Kunst- in die Literaturwissenschaft eingeht. Jan Mukařovský hat den Begriff der Perspektive in den tschechischen Strukturalismus eingeführt, ausgehend von seiner Beschäftigung mit dem Einfluß des Kubismus auf die Poesie bei Nezval. Mit dem Problem der Perspektive setzt sich zeitgleich in der russischen Literaturwissenschaft auch Michail Bachtin auseinander, der Anregungen der Vossler-Schule aufgriff. Erst allmählich hat sich der Begriff der Perspektive in der Literaturwissenschaft durchgesetzt, wurde dann aber zu einem zentralen Terminus, um die Isomorphie räumlicher, wie auch zeitlicher Strukturen zu bezeichnen. In diesem Sinne verbindet Uspenskij das Konzept der Perspektive mit der vergleichenden Betrachtung von Literatur und Malerei. Der metaphorischen Verwendung des Terminus’ innerhalb der Literatur selbst ist Claudio Guillén25 nachgegangen und hat verschiedene Bedeutungsinhalte aufgezeigt wie „knowledge or illusion“, „notion of distance ... transferred metaphorically to time“ (S. 201 f.). Diese Zeitbezogenheit des Begriffs im Sinne einer Erwartungshaltung gegenüber der Zukunft läßt sich seit dem 17. Jh. nachweisen, z.B. in den Briefen der Madame de Sevigné. Abschließend eröffnet Guillén aber auch einen Ausblick auf die Instrumentalisierung des Terminus innerhalb der Literaturkritik (S. 204 ff.). Im Hinblick auf diese doppelte Funktionalisierbarkeit des Begriffs der Perspektive stellt sich aber die Frage, ob nicht über das analytische Konzept hinaus anthropologische Konstanten aufgezeigt werden können, die Übergänge von einem Medium in das andere, bzw. einer Kunstart in die andere begünstigen. Im Folgenden wollen wir also nach einer philosophischen Begründung der Wechselbeziehung zwischen den Kunstarten suchen. 24 Jan Mukařovský, „Zwischen Poesie und bildender Kunst“, in: Studien zur strukturalistischen Ästhetik und Poetik, Frankfurt / Berlin / Wien 1977, S. 228. Übergänge zwischen den Künsten in den Peripheriebereichen von Malerei und Dichtung beschreibt auch Lessing im XVIII. Kap. des Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie. 25 Claudio Guillén, „On the Concept and Metaphor of Perspective“, in: Literatur und bildende Kunst: ein Handbuch zur Theorie und Praxis eines komparatistischen Grenzgebietes, Berlin 1992, S. 196–209.
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3.2 Zur anthropologischen Begründung des Intermedialen Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind 26
Die Korrelation von sinnlich-bildlicher Anschauung und begrifflich-sprachlichem Denken ist nach Immanuel Kant Voraussetzung für philosophische Erkenntnis überhaupt: „Anschauung und Begriffe machen also die Elemente aller unserer Erkenntniß aus, so daß weder Begriffe ohne ihnen auf einige Art correspondirende Anschauung, noch Anschauung ohne Begriffe ein Erkenntniß abgeben können.“27 Zu unterscheiden ist dabei, daß es grundsätzlich zwei Arten sowohl der Anschauung, als auch des Begriffs gibt, und zwar sind sie entweder rein (a priori) oder empirisch (a posteriori). Beispiel für eine a priori vorliegende Anschauung ist die Vorstellung vom Raum, „die allen äußeren Anschauungen zum Grunde liegt. Man kann sich niemals eine Vorstellung davon machen, daß kein Raum sei, ob man sich gleich ganz wohl denken kann, daß keine Gegenstände darin angetroffen werden. Er wird also als die Bedingung der Möglichkeit der Erscheinungen und nicht als eine von ihnen abhängende Bestimmung angesehen und ist eine Vorstellung a priori, die nothwendiger Weise äußeren Erscheinungen zum Grunde liegt.“28 Darauf beruhen die apriorischen Grundsätze der Geometrie, die eben nicht aus zufälligen empirischen Wahrnehmungen abgeleitet sind. Der Zweiheit von Anschauung und Begriff jeweils zugeordnet sind die beiden Vermögen der Sinnlichkeit, die als „Receptivität unseres Gemüths, Vorstellungen zu empfangen“ definiert wird, und des Verstandes, der „Vorstellungen selbst hervorzubringen“ fähig ist und sich durch „Spontaneität des Erkenntnisses“ auszeichnet.29 „Ohne Sinnlichkeit würde uns kein Gegenstand gegeben und ohne Verstand keiner gedacht werden. Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“30 Beide Vermögen sind gleichwertig, können ihre Funktionen aber keinesfalls vertauschen: „Der Verstand vermag nichts anzuschauen und die Sinne nichts zu denken. Nur daraus, daß sie sich vereinigen, kann Erkenntniß entspringen.“31 In theoretischer Hinsicht ist also zunächst auf einer klaren Trennung der beiden Anteile zu bestehen, die sich darin abzeichnet, daß der erste Teil der Kritik der reinen Vernunft von transzendentaler Ästhetik (d.h. der „Wissenschaft von allen Principien der Sinnlichkeit a priori“, S. 50) handelt, der zweite von transzendentaler Logik. Diese Trennung bedingt schließlich auch, daß es nur denkmögliche, sog. Dinge 26 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft (Kants Werke. Akademie Textausgabe, Bd. III). 2. Aufl. 1787, Nachdruck Berlin 1968, S. 75. 27 Ebd., S. 74. 28 Ebd., S. 52 f. 29 Ebd., S. 75. 30 Ebd. 31 Ebd.
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an sich gibt, die sich aber jeder sinnlichen Anschauung entziehen und somit nicht Gegenstand der Erkenntnis sein können. Kants erkenntnistheoretische Maxime von der gegenseitigen Ergänzung von Anschauung und Begriff nimmt Gottfried Willems als allgemeinste Grundlage einer Theorie der Wort-BildBeziehungen überhaupt. Neben den im einzelnen Artefakt vereinigten Wort-Bild-Formen einerseits und den Wechselbeziehungen, die durch den Austausch von Stoffen und Formen begründet sind, andererseits unterscheidet er als dritte und wichtigste Kategorie die inneren Wort-Bild-Beziehungen: sie beruhen auf fundamentalen Zusammenhängen zwischen künstlerischen Verfahren, die darauf abzielen, literarischer Rede Bildlichkeit, bildlicher Darstellung Sprachlichkeit zu verleihen.32 Wort und Bild beziehen sich auf je unterschiedliche Weise auf die eine Erfahrungswirklichkeit, enthalten aber jeweils latente Spuren des anderen Mediums in diesem Bezogensein: „Wenn das Wort seine Inhalte wesentlich mit Hilfe von Begriffen aufbringt und modelliert, so wohnt diesen Begriffen, soweit sie sich auf Erfahrungswirklichkeit erstrecken, doch immer ein Bezug zum Sinnenschein der Wahrnehmung inne, insofern sie sich ihrem Inhalt nach im SelegierenSynthetisieren von Anschauung einer bestimmten Art konstituieren. Und wie das Wort nichts darstellen könnte, wenn die inhaltstiftenden Begriffe nicht auf Anschauung bezogen wären, wie sie, was die Erfahrungswirklichkeit anbelangt, eben nur im Sinnenschein der Wahrnehmung gegeben ist, so könnte das Bild nichts zeigen, wenn in dem Wahrnehmen, auf das es sich letztlich gründet, nicht ein schematisierendes „Meinen“ (Husserl), ein Bedeutung setzendes Fixieren des im Sinnenschein Gegebenen ... am Werk wäre, das von der Sprache nicht zu trennen ist.“33 An dieser Stelle bezieht sich Willems im Wesentlichen auf Kant (Kritik der reinen Vernunft), Husserl (Logische Untersuchungen) und Arnheim (Anschauliches Denken). Der Bereich der inneren Wort-Bild-Beziehungen ist dort anzusetzen, wo diese Zusammenhänge Gegenstand einer bewußten Formgebung sind, d.h. wo Sprache bildlich und Bilder auf ein immanentes sprachliches Potential hin gestaltet werden. Durch diesen Austausch ihrer spezifischen Leistungen wird „näher an die Erfahrung herangeführt, der sie sich jeweils verdanken, wird solche Erfahrung nicht mehr nur als Resultat benannt, sondern in ihrem Zustandekommen vorgeführt. Diese Verstärkung des Erfahrungscharakters darf wohl der Grundgedanke allen künstlerischen Darstellens ..., das Prinzip aller mimesis genannt werden.“34 Abschließend ist festzuhalten, daß menschliche Erfahrung und die daraus hervorgehenden Formen künstlerischer Darstellung historisch veränderlich sind: so ist „der evidente Sprachcharakter der voraufklärerischen Bildkunst“ unverkennbar, doch gilt diese Norm keineswegs für die Malerei des Impressionismus. Willems vertritt die These eines einheitlichen Entwicklungsprozesses von allegorischen (Mittelalter) über mimetisch-illusionistische (frühe Neuzeit) hin zu intuitionistischen (Moderne) Darstellungsstilen.35 32 Gottfried Willems, „Kunst und Literatur als Gegenstand einer Theorie der Wort-Bild-Beziehungen. Skizze der methodischen Grundlagen und Perspektiven“, in: Text und Bild, Bild und Text, hrsg. v. W. Harms, Stuttgart 1990, S. 414 f. 33 Ebd., S. 423. 34 Ebd. 35 Ebd., S. 426 f.
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Den Grundsatz einer unlösbaren Verbindung von Sinnlichem und Geistigem in der Kunst vertritt auch John Dewey36, ein Vertreter des amerikanischen Pragmatismus. Der programmatische Titel seines Buches Kunst als Erfahrung verweist bereits darauf, daß es ihm um eine ausschließlich empirische Betrachtungsweise geht. Ein Kunstwerk kann nach Dewey nur dann als solches gelten, „wenn es in irgendeiner individuell gewordenen Erfahrung lebendig ist.“ Es bleibt in seiner materiellen Beschaffenheit zwar durch die Zeiten hindurch gleich, „doch als Kunstwerk wird es jedes Mal neu geschaffen, wenn es ästhetisch erfahren wird.“37 Der Erfahrungsbegriff ist wesentlich nicht nur in rezeptions-, sondern auch in produktionstheoretischer Hinsicht. Dewey polemisiert mit seiner Konzeption gegen ältere Überzeugungen, die – auf Spiritualisierung und museale Entrückung der Kunst aus dem Alltäglichen gerichtet – sinnliche Aspekte der Wahrnehmung unterdrücken. Sein Anliegen besteht darin aufzuzeigen, wie Kunstwerke „die Eigenschaften der gewöhnlichen Erfahrung ins Geistige erheben“, bzw. die „Kontinuität zwischen der ästhetischen Erfahrung und den gewöhnlichen Lebensprozessen“ wiederherstellen.38 Erfahrung bedeutet letztlich „erhöhte Vitalität“, „gegenseitige Durchdringung des Ich und der Welt der Dinge und Ereignisse.“39 Aufschlüsse für unsere Fragestellung sind aus den Kapiteln über „Die gemeinsame Substanz der Künste“ (IX) und über „Die verschiedenartigen Substanzen der Künste“ (X) zu erwarten. Im IX. Kapitel werden grundlegende, allgemeingültige Prinzipien künstlerischen Schaffens erörtert, die sich möglicherweise für unseren interstrukturellen Kunstvergleich auswerten lassen. Dewey beginnt mit der Feststellung, daß gegenwärtig zwar konventionelle Restriktionen des Stoff-, bzw. Themenbereichs der Kunst aufgehoben sind, nicht aber die Notwendigkeit der Form als „Kern gemeinsamer Substanz“ verschiedener Künste.40 Künstlerische Form ist im Wesentlichen gekennzeichnet durch Organisiertheit und Enge der Beziehungen zwischen den verschiedenen Teilen, die das Formganze konstituieren. Form als 36 Zu Dewey s. zuletzt Hans-Peter Krüger, „Dewey, John (1859–1952)“, in: Handbuch der Politischen Philosophie und Sozialphilosophie, Bd. 1, hrsg. v. Stefan Gosepath, Wilfried Hinsch u. Beate Rössler. Berlin 2008, S. 214–219. Ders., „John Dewey, Die Öffentlichkeit und ihre Probleme (1927)“, in: Geschichte des politischen Denkens. Ein Handbuch, hrsg. v. Manfred Brocker. Frankfurt 2007, S. 525–539. 37 John Dewey, Kunst als Erfahrung, Frankfurt 1980, S. 128. 38 Ebd., S.18. Für diese Kontinuität spricht zum einen die vorkünstlerische Begründung des Ästhetischen in der Lebenswirklichkeit, wie es z.B. bei der Betrachtung knisternden Kaminfeuers erfahren werden kann (S. 11); zum anderen belegt der Rückblick auf die Geschichte der Kunst im antiken Griechenland den bruchlosen Übergang künstlerischer Betätigung in das bedeutungsreiche Leben einer geordneten Gemeinschaft (im Unterschied zur späteren musealen Desintegration), s. S. 13 f. 39 Ebd., S. 28. 40 Ebd., S. 221.
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qualitative Einheit ist aber Voraussetzung jeder abgerundeten und vereinheitlichten Wahrnehmung überhaupt.41 Formale Begrenztheit des ästhetischen Objekts wie jedes Objekts der Erfahrung schlechthin bedeutet keineswegs, daß die damit verbundene Erfahrung selbst begrenzt ist: diese Objekte „sind nur Brennpunkte eines Hier und Jetzt in einem Ganzen, das sich grenzenlos ausdehnt“, sie haben also einen völlig unbestimmten, nicht rational erfaßbaren Bezugsrahmen.42 Damit ist ein weiteres verbindendes Element zwischen den Künsten bestimmt: im ästhetischen Objekt wird die Eigenschaft besonders hervorgehoben, daß das Werk ein Ganzes bildet und einem größeren, einschließenden Ganzen angehört. Das Kunstwerk führt ein in eine transzendente Wirklichkeit. Alle Künste verfügen über ein spezifisches Medium, das in Korrelation zu einem bestimmten Erfahrungsorgan steht. Bei einer gewöhnlichen optischen Erfahrung beispielsweise wird die Farbe als Medium durch gleichzeitig anwesende akustische, thermische usw. Reize abgeschwächt und disparat wahrgenommen. Die künstlerische Verwendung der Farbe als Medium hingegen ist dadurch bestimmt, „daß nur eine Sinnesqualität konzentriert und intensiv benutzt wird, um das zu leisten, was gemeinhin unzusammenhängend und mit Hilfe vieler Faktoren erreicht wird.“43 So muß bei einem Gemälde Farbe allein „die Qualitäten der Bewegung, des Gefühls, des Tons etc. vermitteln, die bei einer gewöhnlichen Anschauung um ihrer selbst willen faktisch gegenwärtig sind. ... ‚Medium‘ in der ‚schönen Kunst‘ meint den Sachverhalt, daß diese Besonderung und Individualisierung eines einzelnen Erfahrungsorgans bis zu dem Punkt vorangetrieben wird, wo alle ihre Möglichkeiten ausgeschöpft werden.“44 Die Rolle des Mediums einer Kunst erschöpft sich aber keineswegs in seiner physischen Präsenz, sondern zielt letzten Endes darauf ab, Bedeutung zum Ausdruck zu bringen.45 Dem entspricht eine Bemerkung Deweys an anderer Stelle: „Die Farben eines Bildes werden mit Gegenständen, nicht mit dem Auge in Zusammenhang gebracht.“46 Für alle Kunstwerke ist die Teil-Ganzes-Relation wesentlich, d.h. jede Kunst verfügt über ein Verfahren, das der Linie in der Malerei entspricht, um „individualisierte und bestimmte Bestandteile“ abzugrenzen.47 Umgekehrt betrachtet, werden dadurch aber auch Beziehungen der für sich bedeutungsvollen Einzelelemente zu einem konsistenten Gesamtgefüge hergestellt. Es geht also nicht allein um Begrenzung im Sinne eines physischen Umrisses. Als Beispiel nennt Dewey hier die 41 42 43 44 45 46 47
Ebd., S. 137 u. 159. Ebd., S. 224 ff. Ebd., S. 233. Ebd., S. 227 f. Ebd., S. 234. Ebd., S. 144. Ebd., S. 235 ff.
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Einteilung des Dramas in Akte und Szenen, die einerseits Zäsuren schafft und individuelle, bedeutungstragende Bestandteile hervorbringt, andererseits aber auch den Rhythmus des Werkganzen weiterträgt. Prinzipiell gibt es zwei verschiedene Methoden, um die Individualisierung von Teilelementen herbeizuführen: „die des Kontrastes, des Stakkato, des Abrupten; und die des Fließens, des Verschmelzens und der feinen Abstufung.“48 Gesteigerte Energie vermittelt ein Kunstwerk, bei dem diese Methoden in umgekehrtem Sinn angewandt wurden, d.h. der Kontrast zum Aufbau von Beziehungen, fließende Übergänge zum Auslösen einer Kontrastwirkung. Schließlich sind die Kategorien von Raum und Zeit allen Materialien eigen, die ästhetisch verwendet werden. Die mathematischen Begriffe von Raum und Zeit sind nur Bedingungen unserer wirklichen Erfahrung. „Doch in der Erfahrung werden die Dinge unbegrenzt in den Modus des Verschiedenen gebracht und können eigentlich nicht exakt beschrieben werden, während sie in Kunstwerken einen Ausdruck finden.“ Kunst bringt so die essentiellen Qualitäten von Raum und Zeit wirkungskräftiger und klarer zum Ausdruck, als es in der Realität der Fall ist. Die Trennung von räumlich und zeitlich bestimmten Künsten geht fehl, ist doch „die Differenz in Wahrheit lediglich eine der Emphase innerhalb einer allgemeinen Substanz (der Künste). Jede Kunst besitzt etwas, was die andere wirksam ausbeutet, und ihr Besitz ist ein Hintergrund, ohne den die mittels Emphase in den Vordergrund gerückten Eigenschaften im Leeren verpuffen würden.“49 Dem gemäß haben z.B. Töne auch räumlichen Umfang (hoch – tief; lang – kurz) und vermitteln Gemälde durch entsprechende räumliche Positionierung der dargestellten Gegenstände Bewegungsenergie. In dem Kapitel über „Die verschiedenartigen Substanzen der Künste“ geht Dewey von der Prämisse aus, daß rigide Klassifikationen der Künste abwegig sind: sie lenken nämlich die Aufmerksamkeit vom eigentlich Ästhetischen ab, d.h. von der qualitativ einzigartigen und einheitlichen Erfahrung eines Kunstwerks. Diese Erfahrung ist immer konkret und individuell, während begriffliche Verallgemeinerung nur dann praktischen Nutzen hat, „wenn sie die Richtung angibt, in die wir uns unverzüglich bewegen können, um eine Erfahrung zu machen.“50 An dieser Stelle folgt ein Seitenhieb gegen die sog. „Wesensmetaphysiker“: ihre Definitionen zielen auf die Bestimmung einer inneren Wirklichkeit, die ein Ding als ein Seiendes begründet, als Teil einer ein für alle Mal festgelegten Gattung. Daraus ergibt sich der Fehlschluß, die Gattung für realer als das Individuelle zu halten. In der folgenden kritischen Auseinandersetzung mit gängigen Klassifikationssystemen erweist sich, wie oben schon angedeutet, die Einteilung in Künste des 48 Ebd., S. 239. 49 Ebd., S. 242. 50 Ebd., S. 252 f.
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Raumes und der Zeit als untauglich.51 Raum ist generell die Voraussetzung für alles Seiende. Wer würde außerdem bestreiten wollen, daß auch in Architekturen und Gemälden Rhythmus, in Poesie und Musik Symmetrie vorhanden sein kann? Die Einteilung in Raum- und Zeitkünste beruht auf der unhaltbaren Auffassung, daß das ästhetische Objekt ein unveränderliches physisches Produkt sei. Tatsächlich hat man aber auch in Bezug auf die bildende Kunst von einem kontinuierlichen Aufbau des ästhetischen Objekts im wahrnehmenden Subjekt aufgrund einer Folge von sich steigernden Interaktionen auszugehen. Dem entsprechend rückt Dewey den Begriff der „simultanen Anschauung“ von Werken der bildenden Kunst zurecht: eine Kathedrale z.B. ruft zwar zunächst eine totale qualitative Impression hervor, doch diese ist nur die Grundlage des Prozesses einer sukzessiven, kumulativen Interaktion, die das ästhetische Objekt hervorbringt. Die Abgrenzung nicht-darstellender Künste wie Architektur und Musik von darstellenden Künsten scheitert an der obigen Grundannahme, daß Darstellung im Sinne von Ausdruck Bestandteil jeder ästhetischen Erfahrung ist.52 Architektur stellt z.B. elementare Naturenergien in tragenden und lastenden Bauteilen dar, darüber hinaus bringt sie Werte des menschlichen Gemeinschaftslebens zum Ausdruck. Von Nachahmung im buchstäblichen Sinn kann hier ohnehin nicht die Rede sein, da jede der Künste dazu tendiert, ihr spezifisches Medium bis zu einem Punkt von Autonomie auszubeuten. Solche einschränkenden Klassifikationen der Künste ziehen üblicherweise die Einführung von Misch- und Übergangsformen53 nach sich. Gerade dieser Begriff 51 Ebd., S. 254 ff. 52 Ebd., S. 258 f. 53 Auf Grenzgebiete zwischen den Künsten verweist bereits Lessing im XVIII. Kapitel seines Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie und geht dabei von folgender Prämisse aus: konstitutiv für die Darstellung in der Malerei sei das Koexistierende eines Körpers, für die Darstellung in der Dichtung hingegen das Konsekutive der Rede. Wenn der Historienmaler nun den einen dargestellten fruchtbaren Augenblick etwas erweitert, indem er z.B. mit dem Faltenwurf anzeigt, „ob ein Bein oder Arm vor dieser Regung vorn oder hinten gestanden“ (S. 130), so bezieht er ein konsekutives Prinzip in seine Kunst ein. Umgekehrt kann der Dichter durch den Gebrauch nicht nur eines, sondern mehrerer Epitheta räumlich koexistierende, nebeneinander geordnete Eigenschaften eines Körpers beschreiben, „in einer solchen gedrängten Kürze so schnell aufeinander, daß wir sie alle auf einmal zu hören glauben.“ (S. 132) Homer zeichnet sich darin aus, den Schild des Achill in seinem eigenen Medium, der Sprache, zu „malen“: Er schildert ihn nicht als fertig vollendeten, sondern als werdenden Schild, wie Vulkan sich ans Werk macht und die verschiedenen Bilder unter seinen Hammerschlägen entstehen; so gelingt es ihm, „das Koexistierende seines Vorwurfs in ein Konsekutives zu verwandeln, und dadurch aus der langweiligen Malerei eines Körpers das lebendige Gemälde einer Handlung zu machen.“ (S. 134) Deutlich geringeren Wert hat für Lessing die Beschreibung des Schildes des Aeneas: Vergil löst sie nämlich aus dem Konnex mit der Handlung und beschreibt den Schild selbstzweckhaft lange nach seiner Fertigstellung. Die beste Illusionswir-
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einer ‚vermischten‘ Kunst ist nach Dewey als eine „reductio ad absurdum des ganzen rigid gehandhabten Klassifikationsgeschäfts“ zu betrachten, „da es in der Natur eines jeden Kunstobjekts liegt, es selbst, für sich und verbunden, vermittelnd zu sein.“54 Daran anschließend wird die rhetorische Frage gestellt, was solche Klassifikationen denn über Hoch- und Flachreliefs, Marmorskulpturen, figürliche Gestaltung auf Bronzetüren, plastische Darstellungen auf Figurenkapitellen, Kleinplastik in Elfenbein etc. aussagten? Mit der katalogartigen Auflistung verknüpft sich wohl die Absicht, zum einen auf die konkrete Vielfalt der Erscheinungen, zum anderen auf die Problematik einer deutlichen Trennungslinie zwischen Plastik und Architektur zu verweisen. Eine methodische Alternative zur rigiden Abgrenzungspraxis entwickelt Dewey anhand der Stilqualitäten poetisch und prosaisch: sie implizieren „die gefühlte Qualität einer Bewegung auf eine Grenze zu“, eine Qualität, die es in vielen Gradstufen und Formen gibt, ohne daß man auf einer unwiderruflich starren Grenzziehung zwischen Poesie und Prosa bestehen müßte.55 Es geht also vorrangig darum, Tendenzen, Bewegungen in die eine oder andere Richtung zu bestimmen. Erinnert wird nochmals an die Aufgabe der Begriffe, „als Instrumente für eine Annäherung an das wechselnde Spiel des konkreten Materials zu dienen, nicht ... jenes Material in einer rigiden Bewegungslosigkeit zu fesseln.“56 Als konstruktiven Gegenentwurf zu den angeführten Gliederungssystemen schlägt Dewey nun vor, die Verschiedenheit der Künste auf der Basis der jeweils von ihnen verwendeten Medien zu untersuchen. Drei Aspekte sind hier entscheidend, von denen der erste an das aptum der antiken Stillehre erinnert: die verschiedenen Medien haben verschiedene Vermögen und werden für verschiedene Zwecke eingesetzt („Wir bauen keine Brücken mit Kitt“). Zweitens lassen sich die Grenzen der spezifischen Wirkung eines künstlerischen Mediums nicht exakt a priori angeben – bedeutet Innovation in der Kunst doch nicht selten die Aufhebung von Barrieren, die als feststehend galten. Der dritte Aspekt schließlich ist für unsere Fragestellung von entscheidender Relevanz, da er als Grundsatzerklärung zugunsten einer intermedialen Kunstbetrachtung verstanden werden kann: „Wenn wir ferner unsere Untersuchung auf der Grundlage der Medien aufbauen, dann gestehen wir ein, daß diese ein Kontinuum und ein Spektrum57 bilden, und daß – während wir
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kung der Dichtung kann nur durch konsekutive Handlung erzeugt werden, ebenso wie die Lebhaftigkeit und täuschende Ähnlichkeit eines Bildes auf dem Koexistierenden der Körper beruht. Ebd., S. 259. Ebd., S. 261. Ebd., S. 263. Das Farbspektrum wird Hjelmslev zufolge in verschiedenen Kulturen unterschiedlich in Sektoren eingeteilt und benannt. Dies gilt Willems als Beleg für die „geschichtlich-gesellschaftliche Vermitteltheit der Wahrnehmung“, s. Gottfried Willems, Anschaulichkeit. Zu Theorie und
Zur anthropologischen Begründung des Intermedialen
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Künste so wie die sogenannten sieben Primärfarben unterscheiden können – es keinen Erklärungsversuch gibt, der genau anzugeben wüßte, wo ein Medium anfängt und ein anderes endet; und daß somit, wenn wir eine Farbe, vielleicht einen besonderen Rotstreifen, aus ihrem Zusammenhang herausnehmen, diese Farbe dann nicht mehr dieselbe Farbqualität hat wie vorher.“58 Diese kategoriale Bestimmung schließt also zwei Irrtümer aus, nämlich erstens die Künste gänzlich voneinander zu trennen, zweitens sie in eine Kunst überhaupt zusammenfließen zu lassen. Der Mittelweg zwischen klassifikatorischer Spezifikationssucht und einem banalen Einheitsbegriff läßt sich dahingehend bestimmen, „daß solche Wörter wie poetisch, architektonisch, dramatisch, plastisch, malerisch, literarisch ... Tendenzen bezeichnen, die bis zu einem gewissen Grade jeder Kunst eignen, denn sie qualifizieren jede vollständige Erfahrung, wogegen jedoch ein einzelnes Medium jeweils optimal dafür geeignet ist, jener Spannung Emphase zu verleihen.“59 Im Verlauf der anschließenden medienbezogenen Charakteristik der einzelnen Künste werden an verschiedenen Stellen Überschneidungen zwischen exponierten medialen Verfahren und latenten Potentialen anderer Medien aufgezeigt, die ich nur noch kurz zusammenfasse: Architektonisches z.B. ist in jedem Kunstwerk auf jeweils spezifische Weise vorhanden, „in dem Strukturmerkmale stark hervortreten.“60 Bildlichkeit eignet als sekundäre Ausdrucksqualität verschiedenen Künsten – zu unterscheiden ist hier zwischen dem Anschaulichen, das Prosa und Drama erreichen können und dem „genuin Bildlich-Malerischen“, wie es in der Poesie entfaltet werden kann.61 Sprachlich vermittelte Werte wiederum gehen unbewußt in Architektur, Plastik und Malerei ein. Eine zentrale Rolle fällt der Literatur deswegen zu, weil ihr Medium bereits durch Kommunikation gebildet ist. Sie verwirklicht so von vorneherein ein Ziel, das allen Künsten gemeinsam ist – nämlich Bedeutung zum Ausdruck zu bringen mittels Kommunikation.62 Deweys Ausführungen berechtigen zu der Annahme, daß anthropologische Voraussetzungen ein intermediales Kunstverständnis begünstigen. Bei der Abtrennung einer isolierten Sinneswahrnehmung handelt es sich immer um eine Abstraktion. Die Wirkung eines einzelnen Mediums (etwa der Farbe) auf ein spezielles Geschichte der Wort-Bild-Beziehungen und des literarischen Darstellungsstils (= Studien zur deutschen Literatur Bd. 103). Tübingen 1989, S. 75. 58 Dewey, Kunst als Erfahrung, S. 264 (Hervorhebungen H. St.). Auf einen ähnlichen Gedanken Mukařovskýs, der ebenfalls von einer ununterbrochenen Skala von Wechselseitigkeit und gegenseitiger Spannung zwischen den Kunstarten ausgeht, habe ich bereits auf S. 42 u. hingewiesen. 59 Ebd., S. 267 f. 60 Ebd., S. 270. 61 Ebd., S. 274. 62 Ebd., S. 282 ff.
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Sinnesorgan (Auge) läßt sich nicht exakt abgrenzen, sind die Sinne doch nur „Vorposten einer totalen organischen Tätigkeit“.63 Hinzu kommt, daß verschiedene Künste kraft ihrer Medien eine bestimmte Qualität (Malerisches, Architektonisches, Dramatisches etc.) besonders nachdrücklich, wenngleich nicht ausschließlich zur Geltung bringen. Eine Scheidung der Künste voneinander (analog zur Unterteilung der sieben Primärfarben) läßt sich nur aufgrund dominanter Strukturen durchführen, die in den jeweiligen Medien emphatisch in den Vordergrund gestellt werden. So ist ein dialektisches Spannungsverhältnis zwischen aktiven und passiven, ausstrahlenden und einnehmenden, dominanten und im Hintergrund ruhenden Vermögen innerhalb des Mediums einer bestimmten Kunst vorauszusetzen.64 Dieses Spannungsverhältnis wollen wir auf der Basis der philosophischen Anthropologie im Weiteren als Vorstufe von Intermedialität innerhalb des einzelnen Mediums einer Kunst verstanden wissen. Intermedialität aber garantiert eine Annäherung an die Normalbedingungen der Erfahrung und hat ihre letzte Begründung in der Konstitution des Menschen selbst. Im Rahmen dieser Abhandlung stellt die Intermedialität freilich ein Randproblem dar, gilt doch das Hauptinteresse den strukturellen Gemeinsamkeiten der Künste.
3.3 Gemeinsame Strukturprinzipien in der Komposition bildkünstlerischer und literarischer Werke 3.3.1 Uspenskijs Konzept des äußeren und inneren Standpunkts Nach der Begründung des Intermedialen in der Erfahrungswirklichkeit des Menschen soll nun auf einer weniger allgemeinen Abstraktionsebene die Möglichkeit eines Mediengrenzen überschreitenden Kunstvergleichs geprüft werden. Grundlage der folgenden Untersuchung ist Boris Uspenskijs allgemeine Theorie der Kom63 Ebd., S. 253. 64 Ebd.: „Jede Kunst besitzt etwas, was die andere wirksam ausbeutet, und ihr Besitz ist ein Hintergrund, ohne den die mittels Emphase in den Vordergrund gerückten Eigenschaften im Leeren verpuffen würden, verdunstet zu einer nicht faßbaren Homogenität“, S. 242. „daß solche Wörter wie poetisch, architektonisch, dramatisch, plastisch, malerisch, literarisch ... Tendenzen bezeichnen, die bis zu einem gewissen Grade jeder Kunst eignen, denn sie qualifizieren jede vollständige Erfahrung, wogegen jedoch ein einzelnes Medium jeweils optimal dafür geeignet ist, jener Spannung Emphase zu verleihen“, S. 267 f. „daß ... jedes Medium sein je eigenes Vermögen besitzt, aktiv und passiv, ausstrahlend und einnehmend, und daß der Grund für die Unterscheidung der verschiedenen Charakterzüge der Künste deren unterschiedliche Art ist, die Energie, die für das als Medium verwendete Material typisch ist, auszubeuten“, S. 285.
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position, „die Gesetzmäßigkeiten der strukturellen Organisation eines künstlerischen Textes untersucht und die auf die verschiedenen Kunstarten anwendbar ist.“65 Text ist hier im weitesten Sinn zu verstehen als beliebige semantisch organisierte Abfolge von Zeichen. Im Mittelpunkt dieser Theorie steht das Problem des Standpunkts (Blickpunkt, point of view), das mit dem methodischen Konzept der Perspektive untrennbar verknüpft ist, d.h. es handelt sich hier um die Übertragung eines kunstwissenschaftlichen Begriffs auf literaturwissenschaftliche Fragestellungen.66 Malerei und Literatur, insbesondere Ikonenmalerei und die Romane Tolstojs und Dostoevskijs, bilden dementsprechend den Hauptgegenstand der vergleichenden Kunstbetrachtung im Schlußkapitel des Buches (VII Gemeinsame Strukturen der verschiedenen Künste. Allgemeine Prinzipien der Textgestaltung in Malerei und Literatur).67 Der Hauptteil umfaßt die Beschreibung verschiedener StandpunktTypen (Standpunkte auf der Ebene der Ideologie, der Phraseologie, der Raum-ZeitCharakteristik, der Psychologie) in literarischen Werken und deren korrelatives Verhältnis. In einem weiteren Schritt werde ich dann die Strukturprinzipien, denen die Komposition bildkünstlerischer und literarischer Werke unterliegt, auf einen Dramentext übertragen – Uspenskij zeigt selbst bereits an verschiedenen Punkten Querverbindungen zum Theater auf. Das wird im Rahmen der Analyse des Stückes Kommunia Duchowna S. S. Borysa y Hleba zu leisten sein, die u.a. darauf ausgerichtet ist, die Gültigkeit dieser als komparatistische Universalbegriffe aufzufassenden Strukturprinzipien für das Drama/Theater nachzuweisen. Dabei erscheint es aber notwendig, in den anschließenden Kapiteln Uspenskijs Auffassung der Perspektive sowohl im Hinblick auf die Ikonenmalerei als auch auf die bildende Kunst seit der Renaissance mittels Konrad Onaschs grundlegender Monographie Die Ikonenmalerei sowie Erwin Panofskys wegweisender Abhandlung „Die Perspektive als ‚symbolische Form‘“ stellenweise zu modifizieren, bzw. zu ergänzen. Uspenskij geht von der elementaren Unterscheidung aus, daß ein Autor seinem Werk gegenüber entweder einen äußeren, distanziert-objektiven oder einen inneren Standpunkt einnehmen kann; im letzteren Fall versetzt er sich in die Erzählung hinein, indem er z.B. das Geschehen aus der Sicht einer der beteiligten Figuren wiedergibt, bzw. deren inneres Erleben offen legt. Eine analoge Opposition erkennt Uspenskij in der bildenden Kunst: seitdem die Zentralperspektive in der Renaissance norma65 Boris A. Uspenskij, Poetik der Komposition. Struktur des künstlerischen Textes und Typologie der Kompositionsform. Frankfurt 1975, S. 11. 66 Die Relevanz des Begriffs ‚Perspektive‘ sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher Hinsicht legt seine Anwendbarkeit auf verschiedenartige Kunstformen nahe, s. dazu auch die Ausführungen zum Problem der Perspektive in der Literaturwissenschaft auf S. 43. 67 Mit diesem Kapitel weitgehend übereinstimmend ist der Artikel „Structural Isomorphism of Verbal and Visual Art“ in: Poetics. International Review for the Theory of Literature 5 (1972), S. 5–39.
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Theoretische Grundlegung
Abb. 1 Dionisij: Gleichnis von der königlichen Hochzeit. Fresko in der Kirche des TheraponKlosters, nahe Kirillov, Kreis Vologda, um 1500
tive Bedeutung erlangt hatte, ist dem Maler ein außerhalb der Bilddarstellung liegender Standpunkt zugewiesen, während die mittelalterliche Ikonenmalerei durch einen inneren Standpunkt des Künstlers gekennzeichnet sein soll. Die Annahme einer Innenposition des Künstlers stützt sich hier vor allem auf das formale Verfahren der umgekehrten Perspektive. Sie zeichnet sich dadurch aus, daß die seitlichen Begrenzungslinien der Gegenstände nicht vom äußeren Betrachter weg zu einem gemeinsamen Fluchtpunkt im Bildhintergrund zusammengeführt werden, sondern die Seitenlinien der Gegenstände fluchten gerade umgekehrt zum äußeren Betrachter hin, so daß quasi eine spiegelverkehrte Perspektive entsteht, die einen weiteren, in der Darstellung befindlichen Betrachter (= Künstler) voraussetzt. (Abb. 1) Dies würde auch die Umkehrung der Größendimensionen erklären, d.h. die dem äußeren Betrachter nahen (und dem bildinternen Betrachter fernen) Figu-
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ren im Vordergrund werden verkleinert dargestellt, die Hintergrundsfiguren hingegen vergrößert. 68 Einen weiteren übergeordneten Allgemeinbegriff, der intermedialen Vergleichen zugrundegelegt werden kann, bildet der Rahmen künstlerischer Texte (‚Text‘ verstehen wir im oben angeführten, umfassenden Sinn). Der Rahmen bezeichnet die Grenze zwischen der im Kunstwerk dargestellten Welt und der äußeren Wirklichkeit, so daß sich hier ein enger Zusammenhang mit dem Wechsel von einem äußeren zu einem inneren Standpunkt ergibt. Uspenskij zählt verschiedene Möglichkeiten auf, die Grenzen des künstlerischen Textes im Interesse höchstmöglicher Annäherung an die Wirklichkeit in die reale Welt hinein zu verschieben (z.B. Durchbrechung der Randleisten in der mittelalterlichen Miniaturmalerei, Einfügung von Versatzstücken aus der Alltagswelt in der Kunst des 20. Jhs.), nennt dabei aber an erster Stelle die Hinwendung der Akteure an das Publikum innerhalb der theatralischen Handlung.69 In Bezug auf den Rahmen in der bildenden Kunst wird eine grundsätzliche typologische Unterscheidung getroffen: bei zentralperspektivisch aufgebauten Bildern, die eine Außenposition des Künstlers (und Betrachters) voraussetzen, ist der Rahmen darauf beschränkt, die Bildgrenze zu markieren, nicht selten, indem am Bildrand ein Fensterrahmen oder eine Türöffnung simuliert wird. Uspenskij zufolge übernimmt der Rahmen eine zusätzliche Funktion in der mittelalterlichen Ikonenmalerei: die Annahme einer bildinternen Position des Künstlers bedingt nämlich die Notwendigkeit, an den Rändern der Ikone eine Übergangszone zu schaffen, die auf den Außenstandpunkt des Betrachters hin orientiert ist. Damit wird der Rahmen in die Bildkomposition hinein verlagert, das Werk präsentiert nicht einen abrupten Ausschnitt aus der Wirklichkeit, sondern einen innerhalb des Rahmens besonders umorganisierten, in sich abgeschlossenen Raum. Spezifische formale Verfahren sollen den Wechsel von der einen in die andere Sphäre anzeigen: Kennzeichnend dafür ist z.B. die Präsentation von Interieurs in der mittelalterlichen Malerei als Querschnitt durch ein Gebäude, dessen Außenansichten und Dächer an den Bildrän68 Uspenskij, Poetik, S. 149 u. 154 ff. Uspenskij stützt seine Auffassung der umgekehrten Perspektive auf die Forschungen O. Wulffs, „Die umgekehrte Perspektive und die Niedersicht“, in: Kunstwissenschaftliche Beiträge, A. Schmarsow gewidmet, Leipzig 1907 und L. F. Žegins, Jazyk živopisnogo proizvedenija, Moskva 1970 (dt. Übs.: L. F. Shegin: Die Sprache des Bildes. Form und Konvention in der alten Kunst. Dresden 1982). Aus Žegins umständlicher Erörterung von Detailfragen konnte ich allerdings keine Abbildung gewinnen, um diesen Sachverhalt anschaulich zu demonstrieren. Am geeignetsten dazu erscheint mir Abb. 1, die ein Fresko aus der Kirche des hl. Therapon zeigt, zumal da hier die Verbindung zweier perspektivischer Systeme deutlich wird: die Tische im Vordergrund sind in umgekehrter Perspektive wiedergegeben, während der Portikus links im Hintergrund zentralperspektivisch dargestellt ist. 69 Uspenskij, Poetik, S. 158 f.
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dern wiedergegeben sind. Auf diese Weise läßt sich die Innenansicht einer geschlossenen Bildwelt im Zentrum mit der peripheren, rahmengebenden, auf den Außenstandpunkt des Betrachters bezogenen Außenansicht verbinden. (Abb. 2)70 Im Hinblick auf Rahmenformen innerhalb der Erzählliteratur ist auf konventionelle Einleitungs- und Schlußformeln zu verweisen, die eine äußere, an den Geschehnissen unbeteiligte Erzählerinstanz durch das unerwartete Auftreten der ersten Person („Ich“) einführen und so den Übergang von der Außen- zur Innenperspektive der Handlung anzeigen. Eine verwandte Erscheinung innerhalb der bildenden Abb. 2 Kombinierte Darstellung eines InKunst sieht Uspenskij in den Selbstnenraums im Zentrum mit dessen Außenanportraits, die Maler zuweilen an der sicht (Dächer) an der Bildperipherie. Peripherie ihrer Bilddarstellungen einDetail der Ikone Akathist der Gottesmutter fügten (z.B. Dürers Rosenkranzfest, von Kazan’, 17. Jh. Botticellis Anbetung der drei Weisen). Zu den Verfahren der Rahmenkomposition gehört auch die Anrede der zweiten Person am Ende einer Erzählung, der eine ähnliche Funktion zukommt wie dem Chor in der antiken Tragödie: sie repräsentieren einen gegenüber der Handlung äußeren Zuschauerstandpunkt, auf dessen Sicht sich die Konventionalität des Dargestellten bezieht.71 Für die Rahmenbildung auf der Ebene der Zeitcharakteristik typisch ist die Andeutung der Auflösung der Geschichte an ihrem Anfang, d.h. ein Ausblick auf die Zukunft von einem allwissenden, distanzierten Erzählerstandpunkt aus; anschließend wechselt der Erzähler zu einer Innenposition über, indem er z.B. aus der (eingeschränkten) Sicht einer bestimmten Figur berichtet.
70 Ebd., S. 162 f. Ob diese These grundsätzlich verallgemeinerungsfähig ist, bezweifle ich allerdings aufgrund der Vielfältigkeit des gesichteten Bildmaterials – zahlreiche Ikonen stellen Heiligenfiguren in beherrschender Frontalansicht dar ohne jegliche Rahmen- oder Hintergrundsgestaltung. Wo sollte hier eine Differenz zwischen interner und externer Betrachterposition festzustellen sein? 71 Ebd., S. 164 f.
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Ein verbreitetes Verfahren des Erzählschlusses ergibt sich aus dem Stillstellen der Zeit, wie es mit dem Tod des Haupthelden, Ereignislosigkeit aufgrund eines erreichten Glückszustandes (Märchen) oder der Erstarrung der Figuren zu einem lebenden Bild (Gogol’s Revisor) eintreten kann.72 In ähnlicher Weise, wie die Gesamtstruktur eines Werkes durch den Wechsel äußerer und innerer Standpunkte gerahmt sein kann, lassen sich innere Kompositionsrahmen nachweisen, die nach demselben Prinzip das Werkganze in eine Folge separater Mikroeinheiten zerlegen, und so den zusammengesetz- Abb. 3 Zusammensetzung der Raumorgaten Charakter des künstlerischen Textes nisation aus einer Gesamtheit von Mikroräubedingen. In der Erzählliteratur kön- men nen einzelne Teilabschnitte durch den Wechsel äußerer und innerer Standpunkte auf den eingangs genannten Ebenen der Ideologie, Phraseologie, RaumZeit-Charakteristik und Psychologie voneinander abgegrenzt werden; dabei sind diese inneren Kompositionsrahmen auf den einzelnen Ebenen nicht unbedingt deckungsgleich wie bei einer eingeschobenen Erzählung in der Erzählung, sondern überlagern sich möglicherweise im vertikalen Gefüge des Gesamtwerks.73 Den Bildraum der russischen mittelalterlichen Malerei kennzeichnet eine analoge Aufgliederung in separate Teilräume. Jeder dieser Teilräume ist ebenso auf eine Doppelperspektive hin angelegt wie der dargestellte Raum im Ganzen, „d.h. er hat einen Vordergrund, der dem Standort eines Außenbeobachters (des Bildbetrachters) entspricht, während der Mikroraum selber aus der Sicht eines Innenbetrachters (eines im dargestellten Raum befindlichen Zuschauers) strukturiert ist.“74 (Abb. 3) Dieses Prinzip der Raumschichtung läßt sich mit den ineinander verflochtenen Ebenen einer Erzählung vergleichen, denn es gilt, daß „die einzelnen jeweils einen Mikroraum darstellenden Abbildungen organisch (unzerlegbar) mit dem gesamten auf dem Bild dargestellten Raum verwoben sind, so daß die Grenzen zwi-
72 Ebd., S. 167. 73 Ebd., S. 173 f. 74 Ebd., S. 173.
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schen den Mikroelementen nur als immanente Kompositionsrahmen nachweisbar bleiben.“75 Von diesen Voraussetzungen der Perspektivkonstruktion abgesehen, können auf der Bildebene selbst verschiedene Raumbestandteile gegeneinander abgegrenzt werden. Hinsichtlich ihrer Anordnung und Funktion ergibt sich eine grundlegende Unterscheidung zwischen Vordergrund und Hintergrund, die sich in der Anwendung jeweils verschiedenartiger künstlerischer Systeme ausdrücken kann – z.B. der „Vogelperspektive“ im Hintergrund, die eine Entsprechung in der Literatur hat im Sinne einer überblicksartigen Beschreibung von einem höherliegenden Betrachterstandpunkt aus im Gegensatz zu einer detailorientierten Schilderung aus der Nahsicht. So behandelt der folgende Abschnitt einige Prinzipien zur Darstellung des „Hintergrunds“.76 Die kontrastive Gegenüberstellung der verschiedenen Bildschichten kann auch in der Form realisiert sein, daß ein linearperspektivisch angelegter, flächig-dekorativer Hintergrund die plastische Figurenbehandlung im Vordergrund akzentuiert – Uspenskij stellt hier eine Parallele zwischen Malerei und Theater fest, indem die gemalte Bühnendekoration das Körperhafte der Schauspieler hervortreten läßt. Für die Ikonenmalerei typisch ist auch der Gegensatz zwischen der starren Frontalabbildung der Vordergrundsfiguren mit ihrer festgeschriebenen lakonischen Gestik und den meist im Profil gezeichneten Hintergrundsfiguren, bei denen sich mehr Gestaltungsspielraum eröffnet für das Einbringen ‚barockisierender‘ Elemente, wie etwa perspektivischer Verkürzungen und expressiver Mimik. Beispiele für die Abgrenzung eines separaten Mikroraums im Bildhintergrund – durch einen Fensterrahmen oder Torbogen – gibt es auch aus der Renaissancemalerei (z.B. Botticellis Verkündigung). Dabei sind Vorder- und Hintergrund häufig von verschiedenen Standpunkten aus wiedergegeben. Für die Gestaltung des Hintergrunds ist im allgemeinen die dekorative Funktion entscheidend, die sich aus seiner Beziehung zu einem externen Betrachter ableiten läßt. Uspenskij stellt einen potentiellen Wesensgegensatz in der Konzeption von Vorder- und Hintergrund (Peripherie) insofern fest, als im Hintergrund „oft nicht unmittelbar die Welt, sondern das Dekorative dieser Welt zur Darstellung kommt, daß es sich also nicht um eine direkte Abbildung handelt, sondern um eine Abbildung dieses Abbilds.“77 In diesem Zusammenhang ist auf die Malerei Giottos zu verweisen, der sich angeblich von den Bühnendekorationen der Mysterienspiele zu seinen Hintergrundsarrangements („Häuschen und Pavillons“, „kulissenartigen, flächigen, wie aus Karton geschnittenen Felsen“78) anregen ließ, so daß hier eine 75 76 77 78
Ebd., S. 174. Ebd., S. 175 ff. Ebd., S. 176. A. Benois, Istorija živopisi, zit. nach Uspenskij, Poetik, S. 177.
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„Darstellung in der Darstellung“ mit verändertem Realitätsgrad gegenüber der Wiedergabe des Vordergrundes vorliegt. Die enge Verknüpfung von dekorativer Funktion, Hintergrundsausführung und auf einen distanzierten Außenbeobachter hin angelegter Perspektivkonstruktion verdeutlicht Uspenskij mit einem entwicklungsgeschichtlichen Argument: die Entstehung perspektivischer Verfahren in der Antike beruht auf den Erfordernissen der scenographia, die unter Anwendung optischer Gesetze illusionistische Bühnenmalereien zu erstellen lehrte.79 Festzuhalten ist, daß die „Darstellung in der Darstellung“ meist einem anderen künstlerischen System unterliegt als das übrige Bild. So wird z.B. in der ägyptischen Kunst die menschliche Figur durch eine Kombination von en face- und Profildarstellung wiedergegeben, falls es sich um einen lebenden Menschen handelt, während Mumien oder Statuen in der Malerei ausschließlich im Profil erscheinen. Unter kompositorischem Aspekt sind die auf einen externen Standpunkt bezogenen Figuren im Bildhintergrund, die in der Regel eine Statisten-Rolle spielen, mit den Nebenfiguren in der Literatur, bzw. den Chargen im Theater vergleichbar: zu ihren Hauptmerkmalen gehört puppenhaftes, automatisiertes Verhalten (s. dazu die pantomimischen Elemente im Hintergrund der Bühne), Unbeweglichkeit aufgrund ihrer festen räumlichen Bindung an den Hintergrund in dem Sinne, daß sie ihren Standort nicht beliebig wählen können (bei Shakespeare sind die Statisten für den Kulissenwechsel zuständig) und Bezeichnung durch sprechende Namen. Dostoevskij z.B. verleiht den Figuren im Erzählhintergrund oft groteske Familiennamen, die ihre Träger einer „Darstellung in der Darstellung“ zuweisen – wie etwa „pisar’ Pisarenko“, „medik Kostopravov“ (Schreiber Schreiberling, Arzt Knochenrichter, hier kommt noch die Bloßlegung des Verfahrens durch den Autor hinzu). Aus den bisherigen Ergebnissen leitet Uspenskij die grundsätzliche Feststellung ab, daß das Verfahren der „Darstellung in der Darstellung“ sowohl in der bildenden Kunst als auch in der Literatur gekennzeichnet ist durch eine Verstärkung der Zeichenhaftigkeit der Beschreibung oder Abbildung, bzw. eine Steigerung des Bedingtheitsgrades80. Umgekehrt bedeutet das, daß sich die Darstellung der Hauptfiguren im Vordergrund durch eine geringere Zeichenhaftigkeit, Bedingtheit und zugleich größere Realitätsnähe vom Hintergrund abhebt. Diese Behauptung Uspenskijs erscheint plausibel in Bezug auf die Literatur, fragwürdig jedoch anhand des hier diskutierten Bildmaterials, da sie in offenkundigem Selbstwiderspruch zu der oben festgestellten Kontrastierung hieratischer Frontalfiguren mit lebensnah-genrehaft gezeichneten Nebenfiguren im Hintergrund steht. Uspenskij erwähnt selbst in einer Anmerkung Buslaevs Auffassung der Ikonenmalerei „als bewußt stilisierter Malerei, woraus sich die Neigung erklären läßt, die Ikonenmalerei nach dem Gestal79 Uspenskij, Poetik, Anm. 60, S. 215. 80 Ebd., S. 181. Bedingtheit ist zu verstehen als „Verweissituation auf den Ausdruck und nicht auf den Inhalt“, ebd., Anm. 71, S. 217.
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tungsprinzip der „Darstellung in der Darstellung“ zu interpretieren.“81 Nach Buslaev werden nämlich auf den Ikonen die Figuren nicht direkt abgebildet, sondern skulpturhafte Vorstellungen dieser Figuren. Auch wenn man ein solches SkulpturPrinzip nicht anerkennt, bleibt die hochgradige Konventionalität dieser Kunstgattung trotzdem ein unbestreitbares Faktum, insofern als physiognomische und gestische Ausdrucksformen einem traditionellen Typenbestand und einer stehenden Topik unterliegen. Onasch hat zudem auf den „uneigentlichen“ Charakter der Ikonenmalerei und ihre durchgängige Abhängigkeit von der Literatur hingewiesen, was in der russischen Bezeichnung „ikonopisanie“ (Ikonenschreibung) sinnfällig zum Ausdruck kommt.82 Wir können daher nicht erkennen, daß „die zentralen Figuren ... im Vergleich zu den zweitrangigen weniger zeichenhaft (und bedingt), aber der Wirklichkeit des Lebens näher“ sind.83 Uspenskij übergeht diese Schwäche seiner Argumentation und verweist im Folgenden nur auf die gesteigerte Bedingtheit funktional unbedeutenderer Bildteile in der russischen mittelalterlichen Malerei, die sich zum einen äußert in der Ornamentalisierung der Landschaftselemente im Hintergrund (s. die sog. Ikonenberge, Abb. 4), zum anderen in symbolischen Darstellungen der zeitlichen oder räumlichen Einbindung des Geschehens. Wenn so z.B. die Nacht mittels einer Pergamentrolle mit aufgemalten Sternen veranschaulicht wird (Abb. 5) oder ein Fluß als allegorische Figur, die Wasser aus einem Krug gießt, dann ist der Bedingtheitsgrad dieser Hintergrundsgestaltung deutlich erhöht. Die vergrößerte Distanz zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem, die eine Umkodierung der Sinngehalte auf einer höheren Ebene notwendig macht, weist eine solche Darstellung als Ideogramm aus. Am Schluß des Abschnitts werden die anfänglichen Überlegungen wieder aufgegriffen: die stilisierten Hintergrundsdekorationen im Theater heben die eigentliche Bühnenhandlung hervor und verleihen ihr größere Lebendigkeit, so daß in dieser Hinsicht eine Einwirkung des Theaters auf Literatur und bildende Kunst denkbar erscheint.84 Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen verschiedenen Kunstarten besteht darin, daß für die Gestaltung von Rahmen und Hintergrund einheitliche formale Verfahren gelten. Beide Bereiche lassen sich unter dem Stichwort Peripherie zusammenfassen und sind von ihrer Funktion her auf einen Außenstandpunkt bezogen. Als Beispiele können hier die pantomimischen Einlagen angeführt werden, die im Theater das Geschehen im Hintergrund bezeichnen oder auch das Stück einleiten, sowie die 81 Ebd., Anm. 72, S. 217 f. 82 Konrad Onasch, Die Ikonenmalerei. Grundzüge einer systematischen Darstellung. Leipzig 1968, S. 77 u. 151. 83 Uspenskij, Poetik, S. 181. 84 Ebd., S. 182 f.
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Abb. 4 Ornamentalisierung des Ikonenhintergrundes, sog. Ikonenberge. Grablegung, 15. Jh.
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Abb. 5 Gesteigerte Konventionalität im Bildhintergrund: symbolische Darstellung der Nacht als Schriftrolle mit Sternen, der Morgenröte als Hahn. Miniatur aus einer Chronik des 16. Jhs.
Beschreibungen aus der Außenperspektive, die in der Literatur für den Erzählrahmen und die Hintergrundsschilderung kennzeichnend sind. Wie verhält es sich aber mit dem für die Hintergrundsgestaltung so bezeichnenden Prinzip der „Darstellung in der Darstellung“ in Bezug auf die Rahmenkomposition? Uspenskij stellt fest, daß ein Werk in seiner Ganzheit als „Darstellung in der Darstellung“ (Bild im Bild, Theater auf dem Theater, Novelle in der Novelle) aufgebaut sein kann. Der Rahmen umschließt dabei die eigentliche, zentrale Darstellung, die als natürlicher, weniger stilisiert im Vergleich zu ihrer äußeren Einfassung empfunden wird. Von der räumlichen Syntagmatik her gesehen, tritt hier so der umgekehrte Fall zur Hintergrundsabbildung ein, die als eingeschobenes Werk dekorativer, bedingter ist gegenüber der rahmenden, zentralen Darstellung. Umschließt hingegen der Rahmen das Werk im Werk, so erweist sich die eingeschobene Darstellung als authentischer, natürlicher im Vergleich zu ihrer dekorativen Umrandung. Entscheidend bleibt aber das Kriterium der weiterreichenden Stilisierung, bzw. des erhöhten Bedingtheitsgrades, das für die Rahmen- wie Hintergrundsgestaltung gleichermaßen zutrifft.85 85 Ebd., S. 184.
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Uspenskij spezifiziert nun anhand verschiedener Kunstarten, wie das Prinzip der „Darstellung in der Darstellung“ bei der Rahmenkonstruktion konkret angewandt sein kann. Für die Malerei kennzeichnend ist der zurückgeschlagene Vorhang, der als konventionelle Einrahmung den Blick auf das zentrale Bildgeschehen freigibt (z.B. Raffaels Sixtinische Madonna, Rembrandts hl. Familie). Einen ähnlichen Effekt haben Fenster- und Türrahmen sowie jede Art von Exterieur. Zu den Konventionen des Theaters gehört die Einführung in die dramatische Handlung mittels eines Prologs, der als Dialog zwischen Zuschauer und Schauspieler (bzw. Regisseur, Theaterdirektor) konzipiert ist („Vorrede auf der Bühne“ im Faust), und die eigentliche Handlung als „Spiel im Spiel“ ausweist. Als gängiges Verfahren in der Literatur ist die Rahmenerzählung anzuführen, die eine Novelle umschließt, ohne dabei in einer inneren Verbindung mit den geschilderten Begebenheiten zu stehen (Tausendundeine Nacht, Dekameron). In den genannten Fällen liegt besonderer Nachdruck auf der illusionistischen, dekorativen, bedingten Anlage der Rahmenkomposition, die auf den Außenstandpunkt des Betrachters oder Lesers ausgerichtet ist. In unmittelbarem Zusammenhang mit diesen stilisierenden Tendenzen steht die Anspielung auf den Code am Beginn eines künstlerischen Textes, die der Hinwendung zum Publikum mitten in einem Theaterstück (z.B. Hanswurst in der mittelalterlichen Komödie) vergleichbar ist: beide Male wird ein Übergang auf die Ebene der Metasprache vollzogen, bzw. ein peripherer Standpunkt eingenommen, von dem aus der Haupttext schärfere Konturen erhält.86 Auch unter diesem Aspekt zeigt sich also eine Entsprechung von Rahmen- und Hintergrundsverfahren. Die Zuordnung vergleichbarer Erzähl- und Perspektivtypen bildet den Gegenstand der abschließenden Bemerkungen. Geht man davon aus, daß in einem literarischen Werk die Position des Autors87 relativ genau angegeben werden kann, so ergibt sich eine offenkundige Analogie zur linearperspektivischen Abbildung in der Malerei: ähnlich wie das wo des Autors zur Zeit der Geschehnisse und das woher seiner Informationen (d.h. seine Glaubwürdigkeit) zu hinterfragen ist, läßt ein entsprechendes Bild nach dem Standort des Malers forschen. Für den Vergleich mit linearperspektivischen Darstellungen kommen insbesondere psychologische Beschreibungen in Betracht, die formal durch besondere Wort-Operatoren wie „kak budto“ (als ob), „vidimo“ (offensichtlich) bestimmt sind.88 Der Autor markiert auf diese Weise, daß er nicht beansprucht, die Dinge mit Sicherheit zu wissen, sondern sie so zu schildern, wie er sie sieht. Die genannten Wort-Operatoren haben dabei die 86 Ebd., S. 185. 87 Uspenskij verwendet gemäß den Konventionen der russischen Literaturwissenschaft den Begriff „avtor“: Damit ist jedoch nicht der biographische Autor und Werkproduzent, sondern die fiktionale Figur des impliziten Autors, des Narrators im Text gemeint. 88 Ebd., S. 186.
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Funktion, „Ausdrücke, die einen inneren Zustand umschreiben, auf eine objektive Beschreibungsebene zu übertragen (oder, anders gesagt, eine Beschreibung von innen in eine solche von außen zu transformieren).“89 Da sie die Außensicht (von einem fremden Standpunkt aus) auf innere Zustände rechtfertigen, werden sie auch als „Verfremdungswörter“ bezeichnet. Nach Uspenskij sind psychologische Beschreibung wie linearperspektivische Gestaltung durch die subjektive, zufällige Position des Schaffenden gekennzeichnet, die notwendigerweise eine Beschränkung des Autorenwissens, bzw. des Blickfeldes bedingt. Gleichzeitig handelt es sich dabei um eine bewußte, selbstgewählte Beschränkung mit dem Zweck, den Wahrscheinlichkeitsgrad der Darstellung zu erhöhen.90 Die Frage, woher ein Autor sein Wissen nimmt, ist allerdings systembedingt und verbietet sich im Hinblick auf das zweite Beschreibungs-/Perspektivsystem, das hier behandelt wird. Sowohl das Epos als auch eine Bilddarstellung nach den Gesetzen der umgekehrten Perspektive sind gerade nicht als Schöpfungen eines individuellen Autors zu verstehen.91 Der Ikonenmaler beabsichtigt, sein Objekt so 89 Ebd., S. 100. 90 Ebd., S. 186. 91 In diesem Sinne geht Pavel Florenskij in Die umgekehrte Perspektive (München 1989; verfaßt Moskau 1920) davon aus, daß die Ikonenmaler die Regeln der Zentralperspektive bewußt nicht anwendeten, „um einer religiösen Objektivität und transpersonalen Metaphysik willen. Denn wenn andererseits die religiöse Stabilität des Weltverständnisses und die heilige Metaphysik des allgemeinen Bewußtseins eines Volkes sich zu rein individualistischen Betrachtungen Einzelner von vereinzelten Standpunkten aus zersetzt … dann stoßen wir auch auf die für ein uneinheitliches Bewußtsein charakteristische Zentralperspektive.“ (S. 16; Hervorh. P. Fl.) Nicht auf wirklichkeitsgetreue Nachahmung kommt es dem Ikonenmaler an, sondern auf die Wesensschau des Heiligen und deren symbolische, synthetische Repräsentation von einer Vielzahl von Standpunkten aus. (Die Bezeichnung ‚umgekehrte Perspektive‘ leitet sich von dem Verfahren ab, entferntere Dinge größer, nähere dagegen kleiner abzubilden, S. 44 f.) Florenskij stellt so eine Oppositionsbeziehung zwischen umgekehrter Perspektive und Zentralperspektive her, zwischen Transzendenz und Realität, einer inneren und einer äußeren Beziehung zum Leben und setzt zwei entsprechende Kulturtypen einander entgegen, „den anschaulich-schöpferischen und den räuberisch-mechanistischen Typus.“ (S. 30) Zu berücksichtigen sind hier die historischen Bedingungen, ansonsten erscheint Florenskijs wertende Polemik zu Lasten der Zentralperspektive aus heutiger wissenschaftlicher Sicht kaum haltbar: Er erkennt „in einem solchen perspektivischen Künstler die Verkörperung eines passiven … Denkens … Ein Denken, das blitzartig, gleich einem Dieb und Räuber die Welt durch die Ritze seiner subjektiven Scheuklappen leblos und bewegungsunfähig betrachtet und nicht in der Lage ist, auch nur eine Bewegung zu erhaschen und voll Mühe danach strebt, die göttliche Absolutheit genau seines Platzes und seiner kurzen Beobachtung zu manifestieren.“ (S. 69) Diese Reaktion erscheint verständlich angesichts der jahrhundertelangen Verabsolutierung der Zentralperspektive als des alleingültigen Abbildungsstandards. Insgesamt vermittelt die Abhandlung grundlegende Einsichten und nimmt Panofskys Auffassung der Perspektive als symbolischer Form implizit vorweg: „Die Darstellung ist stets ein Zeichen und zwar jedwede Darstellung, sowohl die perspektivische als auch die
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abzubilden, wie es in Wirklichkeit ist, nicht so wie es ihm erscheint. Als Indiz einer analogen Verfahrensweise bewertet Uspenskij die konstanten Beiwörter in der Epik, die auf eine „wirkliche“, nicht „scheinbare“ Existenz hinweisen sollen. Hier läßt sich zudem eine direkte Parallele zu den konstanten Attributen der Figurendarstellung in der Malerei aufzeigen (s. z.B. die Bezeichnung von Heiligen durch jeweils spezifische Gewänder, Bartformen, usw.).92 Übereinstimmung zwischen beiden Kunstformen zeigt sich auch hinsichtlich der Verengung des Blickfeldes. Typisch für die altrussische Malerei ist die Wiedergabe einer Menschenmenge durch eine beschränkte Anzahl von Personen, des Laubwerks eines Baumes mittels weniger Blätter. Dem entspricht in der altrussischen Literatur, daß die kriegerischen Handlungen einer ganzen Streitmacht in den Taten einzelner Helden exemplarisch zusammengefaßt werden. Aus der Verengung des Blickfeldes folgt weiter, daß manchmal der Zusammenhang zwischen den einzelnen Darstellungen auf dem Bild verlorengeht. Anschaulich demonstrieren läßt sich das an Händen, die Gegenstände nur berühren, aber nicht festhalten und Personen, die einander ungeordnet auf die Füße treten.93 Ähnlich kann innerhalb der Literatur die Koordinierung der einzelnen Textabschnitte mangelhaft sein, wenn sich der Autor bei jeder einzelnen Episode einseitig auf den Beschreibungsvorgang konzentriert, so daß jede Einzelbeschreibung als ein sich selbst genügender Wert aufzufassen ist. Uspenskij führt hier die Folklore an sowie Goethes Hinweis auf die lückenhafte Koordinierung bei Shakespeare, die Goethe mit einer doppelten Lichtquelle auf einem Gemälde vergleicht.94 Bisher war von zwei verschiedenartigen Darstellungssystemen und deren jeweils analogen Verfahren in Malerei und Literatur die Rede. Ein universales Prinzip läßt sich jedoch in beiden Systemen nachweisen, wenn auch in unterschiedlicher gradueller Abstufung: eine Vielzahl von Standpunkten hatten wir als charakteristisches Merkmal der umgekehrten Perspektive bestimmt, doch sind auch linearperspektinichtperspektivische. … die Werke der darstellenden Künste unterscheiden sich nicht dadurch voneinander, daß das eine symbolisch und das andere mehr oder weniger naturalistisch ist, sondern dadurch, daß sie alle nichtnaturalistische Zeichen der verschiedenen Seiten der Dinge, verschiedener Ansichten der Welt und verschiedene Ebenen der Synthese darstellen. … Und die Linearperspektive auf Darstellungen ist keineswegs eine Eigenschaft der Dinge, wie der vulgäre Naturalismus glaubt, sondern lediglich ein Verfahren symbolischer Ausdruckskraft, eine von vielen möglichen symbolischen Stilrichtungen.“ (S. 55) 92 Uspenskij, Poetik, S. 187 ff. 93 Erwin Panofsky deutet in „Die Perspektive als ‚symbolische Form‘“ (in: Vorträge der Bibliothek Warburg, Bd. 4 (1924/25, hrsg. v. Fritz Saxl). Reprint Nendeln 1967) diese „schwebende“ Stellung der scheinbar abwärts gekehrten Füße als antiperspektivische Rückbildungserscheinung, die ursprünglich als Verkürzung der vorwärts gerichteten Füße gemeint war, S. 309, Anm. 30. 94 Uspenskij, Poetik, S. 188.
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vische Bilder oft auf mehrere Betrachterpositionen hin konstruiert. Vielstimmigkeit in der Literatur wird seit Bachtins wegweisender Studie gewohnheitsmäßig mit dem realistischen psychologischen Roman Dostoevskijs assoziiert. Ansätze dazu hatte es freilich schon bei Shakespeare, Rabelais, Cervantes und Grimmelshausen gegeben. Bereits in der altrussischen Literatur ist das Verfahren, zwei gegensätzliche Standpunkte miteinander zu verknüpfen, nachzuweisen: in der Geschichte vom Zarenreich Kazan’ (16. Jh.) wird das Geschehen sowohl aus der Sichtweise der belagerten Kazaner als auch der russischen Eroberer berichtet. Abschließend lehnt Uspenskij jede wertende oder evolutionistische Gegenüberstellung der beiden diskutierten Darstellungssysteme ab, muß aber doch zugestehen, „daß das letztere Prinzip wohl mehr für die mittelalterliche Weltauffassung zutrifft, während das erste eher für die neuere Zeit charakteristisch ist.“95 Am Rande finden wir noch einen entscheidenden Hinweis, dem wir entnehmen können, daß die beiden Abbildungs-/Beschreibungssysteme als symbolische Formen interpretierbar sind, die Weltbild und Denkweise ihrer Zeit widerspiegeln. Uspenskij nennt diesen Begriff zwar nicht explizit, doch leitet er im Hinblick auf das zuletzt besprochene System „die grundsätzliche Objektivität von Weltauffassung und Weltdarstellung“ daraus ab, „daß es für die mittelalterliche Weltanschauung keine willkürliche Zuordnung des Bezeichneten zum Bezeichnenden gibt.“ In der frühen Neuzeit hingegen richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Beschreibungsmethode, „wodurch die beschriebenen Fakten von der Methodik ihrer Analyse abhängig werden“96 – d. h. das Interesse verlagert sich vom „Was“ zum „Wie“ der Darstellung.
3.3.2 Kritische Anmerkungen Uspenskijs Ansatz läßt eine Reihe von Problemen offen, die sich zunächst aus der Konzentration auf das Konzept der Perspektive unter Betonung des Standpunkts bei weitgehender, reduktionistischer Ausklammerung des Raumes als Ganzem97 ergeben, d.h. er trennt einen Einzelaspekt vom System. Auch wenn wir die Zweiheit von externem und internem Standpunkt in Rechnung stellen, gelangen wir allenfalls zu einem linearen, nicht aber zu einem räumlichen Modell. Die Übertragung des Begriffs der Perspektive aus der Kunst- in die Literaturwissenschaft könnte aber über einen linearen Zugang hinaus, der sich an der fortschreitenden Entwicklung des sprachlichen Texts orientiert und möglicherweise legitimiert, zur Frage nach der Repräsentation des Raumes im Text vordringen.
95 Ebd., S. 190. 96 Ebd., S. 219, Anm. 87 u. 88. 97 Ebd., S. 173 finden wir einen vereinzelten Hinweis auf den Schichtencharakter des Raumsystems der Ikonenmalerei.
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Eine erste Annäherung an diese Problematik hatte Uspenskij im vorangehenden Kapitel III „Der ‚Standpunkt‘ auf der Ebene der Raum-Zeit-Charakteristik“ versucht. Dort findet sich auch diejenige Stelle in seiner Abhandlung, die das wechselseitige Verhältnis von Perspektive und Standpunkt festlegt und Analogien dazu in der Literatur aufzeigt: „Unter Perspektive im weitesten Sinne läßt sich generell jedes Darstellungssystem zur Wiedergabe eines drei- oder vierdimensionalen Raumes im Rahmen der gestalterischen Verfahren einer bestimmten Kunstart verstehen; im Falle der klassischen oder linearen Perspektive gilt als Richtpunkt der Standort jener Person, welche die Beschreibung oder Darstellung unmittelbar vornimmt. In der darstellenden Kunst geht es um die Wiedergabe eines realen mehrdimensionalen Raumes auf der zweidimensionalen Bildebene; der eigene Standort des Künstlers bildet den Orientierungspunkt; in der Wortkunst handelt es sich um die verbale Fixierung der Raum-Zeit-Relationen des beschriebenen Ereignisses zum beschreibenden Subjekt (Autor).“98
Vom konkreten Standort des Autors im Verhältnis zu den beschriebenen Figuren abgesehen, ist aber für die Erforschung intermedialer Zusammenhänge die Frage von entscheidendem Interesse, ob räumliche Verhältnisse in einem literarischen Text über die Objektebene hinaus wiedergegeben sein können. Uspenskijs Unterscheidung von Vordergrund und Hintergrund in Malerei und Literatur im Kapitel über die gemeinsamen Strukturen der verschiedenen Künste kann hier einen wichtigen Anhaltspunkt bieten. Oskar Walzel war in seinen Untersuchungen zur „Wechselseitigen Erhellung der Künste“ zu teilweise ähnlichen Ergebnissen gelangt. Von Wölfflin entlehnt er die Oppositionsbegriffe Flächenhaftes – Tiefenhaftes, um damit zwei prinzipielle Möglichkeiten künstlerischen Gestaltens zu bezeichnen. Die Ausschöpfung der Tiefendimension ist für Malerei, Dichtung und Drama des Barock charakteristisch und steht in engem Zusammenhang mit der Vielzahl von Hintergrundsfiguren: „Wer nur wenige Menschen in gleichmäßiger Ausführung auf ein Bild bringt, wird am besten flächige Anordnung wählen. ... Umgekehrt drängt die Fülle der Gestalten, die sich zu einem einzigen mächtigen Gipfel ballt, zu perspektivischer Behandlung in jedem Sinn des Wortes. Scheinen die Ausdrücke Flächenhaft und Tiefenhaft ausschließlich der Kunst des Raumes anzugehören, so gelten sie doch auch für die Dichtung. ... Hintergrundfiguren einer Dichtung sind uns ein geläufiger Begriff. ... Und nicht bloß im Drama sind solche Hintergrundfiguren anzutreffen.“99 98 Ebd., S. 69. Prägnant erscheint mir die Formulierung Lotmans, die sich zwar auf die Komposition des Wortkunstwerks bezieht, aber ohne weiteres auch für Werke der Malerei gilt: „Der Begriff ‚künstlerischer Blickpunkt‘ ist zu deuten als Relation eines Systems zu seinem Subjekt.“ Der ‚Blickpunkt‘ bestimmt zum einen die Ausrichtung des Textes im Hinblick auf sein Subjekt; zum anderen ist jeder Text aber auch eingeordnet „in eine bestimmte extratextuelle Struktur, deren abstrakteste Ebene man als ‚Weltanschauungstyp‘, ‚Weltbild‘ oder ‚Kulturmodell‘ definieren könnte.“ Grundlegenden Aufschluß über diese allgemeinste Ebene gibt der ‚Blickpunkt‘, d.h. er ist wie „kaum eines der Elemente der künstlerischen Struktur ... so unmittelbar mit der Aufgabe des Weltbildentwurfs verknüpft“ (Jurij M. Lotman, Die Struktur literarischer Texte, S. 374 u. 377). 99 Oskar Walzel, Gehalt und Gestalt im Kunstwerk des Dichters, Berlin 1923, S. 314.
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Eine andere Möglichkeit des Dichters, Tiefenwirkung zu erzeugen, besteht für Walzel darin, die Gestalten in Verbindung mit ihrer örtlichen Umwelt, bzw. mit der Naturlandschaft darzustellen.100 Beispielhaft dafür stehen die Dramen Shakespeares, die dem barocken Formenparadigma zugeordnet werden. Im Gegensatz dazu erscheinen die Figuren des französischen klassizistischen Theaters wie losgelöst von solchen Zusammenhängen. Zudem begünstigt ihre zahlenmäßige Beschränkung, wie oben angeführt, die flächenhafte Anordnung. Im Folgenden werden wir sehen, daß sich Walzels (von Wölfflin übernommene) Opposition Flächenhaftes – Tiefenhaftes nahtlos verbinden läßt mit den beiden Systemen der umgekehrten Perspektive und der Zentralperspektive. Uspenskij beschränkt sich darauf, diese beiden Systeme im wesentlichen hinsichtlich möglicher Standpunkte zu diskutieren und gibt einen abschließenden Ausblick auf ihre philosophische Begründung im Weltmodell des Mittelalters, bzw. der Neuzeit. Einem umfassenderen Verständnis sind die beiden in Betracht gezogenen Abbildungskonventionen aber nur dann zugänglich, wenn die Bestimmung der sie jeweils konstituierenden verschiedenen Raumanschauungen als notwendiger Analyseschritt eingefügt wird zwischen die Untersuchung der perspektivischen Formgebung einerseits und der symbolisierten Weltvorstellung andererseits. Grob zu unterscheiden wäre hier zum Beispiel, daß in der Ikonenmalerei laut Žegin ein verhältnismäßig ‚flacher‘ Raum101 zur Darstellung gelangt, während die Gesetze der Zentralperspektive die Abbildung eines illusionistischen Tiefenraums ermöglichen. Dabei ist der ‚flache‘ Raum als Ausdruck der abstrakt-symbolischen Weltanschauung des Mittelalters zu bewerten, der illusionistische Tiefenraum hingegen zeugt von realistischeren Auffassungen in der Neuzeit.102 Überlassen wir diese Problematik aber einem weiteren Kapitel und kehren zurück zum zentralen Problem des Standpunkts. Bedenken geäußert habe ich bereits insbesondere gegenüber Uspenskijs Annahme einer Innenposition des Künstlers in der Ikonenmalerei, die sich auf die formalen Besonderheiten der „umgekehrten Perspektive“ stützt. In den Randzonen des Bildes soll dieser innere Standpunkt durch entsprechende Darstellungsverfahren in eine auf den Betrachter bezogene Außenposition übergeführt werden. Panofsky hingegen schreibt die Entstehung der „umgekehrten Perspektive“ der Tatsache zu, 100 An vergleichbarer Stelle spricht Uspenskij davon, perspektivische und nicht-perspektivische Darstellung miteinander zu kombinieren, indem ein flächig-dekorativer, linearperspektivisch gefaßter Hintergrund mit plastischer Figurenbehandlung im Vordergrund kontrastiert (Poetik, S. 175). 101 Diese Flächigkeit wird auch erklärt mit der Auffassung orthodoxer Theologen, die Ikone als Fenster zwischen himmlischer und irdischer Welt zu verstehen, auf dem sich die Urbilder der Heiligen selbst zweidimensional abdrücken (Ernst Benz, Geist und Leben der Ostkirche. Hamburg 1957, S. 10 f.). 102 L. F. Shegin: Die Sprache des Bildes, Form und Konvention in der alten Kunst, S. 36 f.
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Theoretische Grundlegung „daß die östlichen Einflüsse vielfach eine Rückbildung der hellenistisch-römischen BodenFläche im Sinn der altorientalischen Boden-Linie im Gefolge gehabt hatten, so daß, da die Gebälklinien der Architektur ihre schräge Richtung beibehielten, der Anschein einer Divergenz entstand [d.h. die Boden-Linie steht im Widerspruch zur plastischen Gestaltung der Architektur]; gelegentlich griff diese echt orientalische Tendenz zur Horizontalisierung der Tiefenlinien (d.h. zur Aufhebung der „Verkürzung“) auch auf die obere oder untere Dachlinie über, wodurch sehr sonderbare Verzerrungen entstehen.“103
Anschließend nimmt Panofsky grundsätzlich Stellung dagegen, die „umgekehrte Perspektive“ in der byzantinischen und mittelalterlichen Kunst als Inversion der Zentralperspektive aufzufassen, so daß das Bild auf den Blickpunkt eines internen statt externen Betrachters bezogen wäre. Wenn wir nun in dieser Sache seinen knappen Verweis auf Doehlemann weiterverfolgen, so finden wir dort eine Erklärung für die Umkehrung der Proportionsverhältnisse (diejenigen Figuren, die der Hauptperson nahe stehen, werden vergrößert dargestellt, während die ihr fernen am Bildvordergrund verkleinert sind) in dem Sinne, daß sich die Größenrelationen der Figuren nach deren jeweiliger Bedeutung richten. Daneben spielte sicher auch die rein technische Frage, die zur Verfügung stehende Malfläche optimal auszunutzen, eine Rolle – die Figuren im Vordergrund wurden demnach klein angelegt, damit sie die Szene in der Bildmitte nicht überschnitten.104 Onasch spricht sich ebenfalls dafür aus, die „umgekehrte Perspektive“ im Sinne einer Bedeutungsperspektive zu interpretieren. Um das spezifische Bildverständnis zu erläutern, das in der Ikonenmalerei Ausdruck findet, führt er zunächst Platon an. Dieser hatte die illusionistischen Verfahren der Bühnen- und Schattenmalerei, bei denen die Zentralperspektive in Ansätzen angewandt wurde, als betrügerisch verworfen und die ägyptische Kunst als eigentliche und wesenhafte Seinsentsprechung gewürdigt. Die neuere Feststellung, daß die ägyptische Kunst „Denkbilder“, nicht „Sehbilder“ geschaffen hat, läßt sich nach Onasch auf hieratische Kunst generell und insbesondere auf die Ikonenmalerei übertragen: „Das Schauen der Bilder ist ein ‚uneigentlicher‘ Vorgang, der durch den eigentlichen im denkenden Erfassen ergänzt werden muß. Dieses wiederum scheidet das Individuelle, Zeitgebundene, Organische, Gegenständlich-Zufällige aus der Darstellung aus, um das Allgemeine, Zeitlose, Ideelle und ewig Gültige zu suchen. Einer solchen Vorstellung der Kunst entsprechen die Bindung an die Fläche mit der Frontalansicht, festgelegte Beziehungsschemata ... wie das Quadratnetz- und das standardisierte Proportionssystem.“105
103 Panofsky, „Die Perspektive als ‚symbolische Form‘“, S. 310, Anm. 30. 104 Karl Doehlemann, „Zur Frage der sog. ‚umgekehrten Perspektive‘“, in: Repertorium für Kunstwissenschaft 33 (1910), S. 87. 105 Onasch, Ikonenmalerei, S. 62.
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Als Beispiel wird das antike Repräsentationsbildnis angeführt, auf dem der Herrscher, der dem göttlichen Sein am nächsten steht, größer abgebildet ist als die übrigen Figuren. Auf diesem Denkschema beruht auch das Verfahren der „umgekehrten Perspektive“, bei dem sich die Proportionen der Bildgestalten nach deren jeweiliger Bedeutung ausrichten. Onasch zieht daraus das Fazit, daß außerästhetische, religiös-weltanschauliche Vorstellungen als entscheidendere Voraussetzung für die „umgekehrte Perspektive“ zu bewerten sind als die Absicht einer Identifikation von Bild und Betrachter im Hinblick auf einen internen Standpunkt. Zu einem ausgewogenen Urteil über Uspenskijs Auffassung der „umgekehrten Perspektive“ kommt man unter Berücksichtigung seines Vorworts zu Žegins Buch Die Sprache des Bildes106. Dort tritt die Polarisierung externer – interner Standpunkt völlig in den Hintergrund zugunsten der Betonung eines Standpunkt-Pluralismus107. Hier scheint mir der eigentliche Schlüssel zum Verständnis der „umgekehrten Perspektive“ als Form an sich zu liegen, wenn wir von Onaschs Deutung als symbolischer Form zunächst einmal absehen. Uspenskijs Zusammenfassung von Žegins Ergebnissen zufolge „setzt das System der umgekehrten Perspektive einen sich verändernden Betrachterstandpunkt voraus (eine Pluralität visueller Positionen) und ist daher mit einer Bewegung des Blicks und einer nachfolgenden Summierung der visuellen Eindrücke verbunden (während die lineare Perspektive bekanntlich von einer fixierten Betrachterposition ausgeht). Bei der Summierung wird diese Bewegung der visuellen Position auf die Darstellung übertragen ... Somit kann die Gegenüberstellung der linearen und der umgekehrten Perspektive in erster Linie mit der statischen oder dynamischen Position des Betrachters in Zusammenhang gebracht werden (hieraus wiederum ergibt sich eine Beziehung zu bestimmten Unterschieden in der Weltanschauung).“108
Faßt man in entsprechender Weise auf einem Bild die verschiedenen Eindrücke zusammen, die ein Gegenstand von mehreren Seiten aus bietet, so entstehen die charakteristischen Brüche und Deformationen, die Darstellungen in „umgekehrter Perspektive“ auszeichnen. Wenn wir unter diesem Aspekt also nochmals unsere Abb. 1 betrachten, so sehen wir wohl, daß ein Tisch, der entgegen den Regeln der Linearperspektive von drei Seiten aus (Aufsicht, Vorderansicht und Seitenfläche) 106 Er geht hier davon aus, daß ein Kunstwerk auf verschiedenen Ebenen in Analogie zu den Schichten der natürlichen Sprache (z.B. Grammatik, Semantik) untersucht werden kann. An erster Stelle steht dabei die Analyse des formal-geometrischen Aufbaus, d.h. der Perspektive und der Komposition, s. B. A. Uspenskij, „Zur Untersuchung der Sprache alter Malerei“, in: L. F. Shegin: Die Sprache des Bildes, Form und Konvention in der alten Kunst, S. 24 f. 107 Diesen Begriff erwähnt Uspenskij zwar auch in der Poetik auf S. 8 und S. 189 im Zusammenhang mit der „umgekehrten Perspektive“, doch scheint es, daß er hier nicht mehr als zwei Standpunkte vor Augen hat. 108 B. A. Uspenskij, „Zur Untersuchung der Sprache alter Malerei“, in: L. F. Shegin: Die Sprache des Bildes, Form und Konvention in der alten Kunst, S. 14.
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Abb. 6 Pablo Picasso: Liegende Frau, lesend, 1939
gezeigt wird, ein ebenso ‚wahres‘ Abbild der Wirklichkeit ist, wie wenn der optische Eindruck desselben linearperspektivisch vereinheitlicht wiedergegeben würde. Diese Kombination visueller Eindrücke zu einer vielansichtigen Präsentation des Gegenstandes sollte von Künstlern der Moderne wiederaufgegriffen werden109 zum Zweck, überkommene Sehgewohnheiten zu hinterfragen; die Einsicht in dieses Verfahren ist z.B. für ein adäquates Verständnis mancher Bilder Picassos unentbehrlich, auf denen der menschliche Körper stark verfremdet erscheint. Das ausgewählte Beispiel soll demonstrieren, wie Picasso Profil- und Frontaldarstellung des Gesichts vermischt. (Abb. 6) Korrekturen erfordert Uspenskijs vereinfachte Sichtweise der Linearperspektive, mit der er sich nicht mit der wünschenswerten Ausführlichkeit beschäftigt hat. Zutreffend wird eingangs bemerkt, daß das theoretische Postulat einer einheitlichen und unbeweglichen Betrachterposition in der Praxis selten verwirklicht ist, wie sich überhaupt künstlerische Qualität nicht an der perfekten Handhabung der Perspektivregeln messen läßt. Selbst bei linearperspektivisch angelegten Bildern kann also mit mehreren Standpunkten gerechnet werden.110 109 Ebd., S. 16. 110 Uspenskij, Poetik, S. 8.
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Hinterfragen wollen wir aber im nächsten Kapitel, wie es sich mit der „deutlichen räumlichen Barriere zwischen dem darstellenden Künstler und der dargestellten Welt“111 verhält sowie mit der Subjektivität zentralperspektivischer Darstellungen, deren formaler Aufbau unmittelbar vom räumlichen und zeitlichen Standort eines distanzierten Außenbeobachters abhängt.112 Panofskys Abhandlung wird uns die Grundlage bieten, eine differenziertere Vorstellung von der Subjektivitätsproblematik in Bezug auf die Zentralperspektive zu gewinnen. Befremdend wirkt Uspenskijs Vorgehen schließlich auch, wenn verschiedene Kunstformen dem Vergleich über Jahrhunderte hinweg standhalten müssen: so wird „das nämliche Prinzip“113 der Zerlegung in Mikroeinheiten der Beschreibung, bzw. des Raumes für Tolstojs Krieg und Frieden einerseits, für die mittelalterliche Malerei andererseits geltend gemacht. Unter dem abstrakten Gesichtspunkt der Komposition mag das statthaft sein; einer vielansichtigeren methodischen Betrachtung des Gegenstandes kommt es aber zugute, unter Einbeziehung der historischen Situation Kunstformen zu vergleichen, denen weniger unterschiedliche Weltmodelle zugrunde liegen. Als schlüssiger erweisen sich daher die Gegenüberstellungen von Epos und Ikonenmalerei, bzw. von psychologischem Roman und linearperspektivischer Darstellung in den abschließenden Bemerkungen. Die beiden zugrundeliegenden prinzipiellen Möglichkeiten des Gestaltens sind zwar universell verwendbar, doch bestätigt Uspenskij ihr jeweils dominantes Vorkommen im Mittelalter, bzw. in der Neuzeit. Wenn er in den letzten Anmerkungen den philosophischen Hintergrund beider künstlerischer Verfahren skizziert – die Überzeugung von der Objektivität der eigenen Weltanschauung im Mittelalter, bzw. von der Determiniertheit des Weltbilds durch die jeweilige Beschreibungsmethode in der Neuzeit – so nehme ich das zum Ausgangspunkt, Panofskys Konzept der Perspektive als symbolischer Form im nächsten Kapitel kurz darzulegen.
3.3.3 Die Perspektive als „symbolische Form“ Erwin Panofsky beschreibt in dem gleichnamigen Aufsatz die verschiedenen Arten perspektivischer Gestaltung in Antike und Neuzeit als Ausdruck der jeweils zugrundeliegenden Anschauung vom Raum und – in einem umfassenderen Sinn – als Ausdruck einer bestimmten Weltvorstellung. Er beruft sich dabei auf den Begriff der „symbolischen Formen“, der im Sinne Cassirers dadurch gekennzeichnet ist, daß „ein geistiger Bedeutungsinhalt an ein konkretes sinnliches Zeichen geknüpft und
111 Ebd., S. 155. Diese Aussage beruht auf den Vorstellungen von der Bildebene als „fenestra aperta“ (Alberti), bzw. „pariete di vetro“ (da Vinci). 112 Ebd., Anm. 60, S. 215. 113 Ebd., S. 172.
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diesem Zeichen innerlich zugeeignet wird“.114 Auf einer allgemeinsten Ebene sollen also perspektivische Verfahren auf ihren Hintergrund in philosophischen Konzepten überprüft werden, ähnlich wie wir bereits versucht haben, Anhaltspunkte für eine anthropologische Grundlegung des Intermedialen zu erschließen.115 Erste Hinweise auf den Zusammenhang von Darstellungsprinzipien – in engerem Sinn: perspektivischen Gestaltungsformen – und Weltauffassungen hatten die Studien Žegins und Uspenskijs ergeben116, so daß wir folgendes Schema aufstellen können: Epos psychologischer Roman umgekehrte Perspektive (byzantinische Kunst, Zentralperspektive (Kunst der Renaissance) Ikonenmalerei) flacher Raum tiefer Raum abstrakt-symbolisches Weltmodell realistischeres Weltmodell Überzeugung von der Objektivität der eigenen Weltanschauung und Weltdarstellung im Mittelalter feststehende Zuordnung des Bezeichneten zum Bezeichnenden
relativen Abhängigkeit der Weltanschauung von der jeweiligen Beschreibungsmethode Verlagerung der Aufmerksamkeit vom „was“ zum „wie“ der Darstellung
Ein vertieftes Verständnis dieser paradigmatischen Gegenüberstellung ermöglicht Panofskys Aufsatz insofern, als sich die spezifischen Raumanschauungen, von denen die byzantinische Kunst, bzw. die Kunst seit der Renaissance geprägt ist, über den Gegensatz des Flächenhaften und Tiefenhaften hinaus näher präzisieren lassen. Diese im Ergebnis richtige Opposition muß freilich als Abstraktion gelten. Wenn wir verfolgen, welche bedeutende Vermittlerrolle zwischen Antike und Neuzeit Panofsky der byzantinischen Kunst zuschreibt, gewinnen wir ein an Nuancen und Übergängen reicheres Bild der beiden Perspektivschemata. Darüber hinaus sollen weitere Aspekte des Zusammenhangs von ästhetischen Vorstellungen und philosophischem Denken in Bezug auf den Raum sichtbar gemacht werden. Detailliert beschreibt Panofsky die Entstehungsgeschichte der Zentralperspektive und betont dabei den bedeutenden Anteil der byzantinischen Kunst: Zum einen hat sie zwar einzelne Versatzstücke perspektivischer Raumgebilde aus der Antike bewahrt und konnte so Anregungen für die Raumdarstellungen Giottos und Duccios bereithalten. Zum anderen zeigt sie aber eine weitgehende Reduktion des 114 Panofsky, „Die Perspektive als ‚symbolische Form‘“, S. 268. 115 Lotmans oben (Anm. 98) zitierte Feststellung in Bezug auf den Blickpunkt des literarischen Textes, daß er wie „kaum eines der Elemente der künstlerischen Struktur ... so unmittelbar mit der Aufgabe des Weltbildentwurfs verknüpft“ ist, stimmt mit diesem Ansatz überein. 116 Shegin, Die Sprache des Bildes, S. 36 f.; Uspenskij, Poetik, S. 219, Anm. 87 u. 88.
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Raumes auf die Fläche, die in der mittelalterlichen Malerei konsequent fortgesetzt wurde. Körper und Freiraum in einem umfassenden Kontinuum zu binden (und sei es auch nur innerhalb der Bildfläche), bewertet Panofsky als vereinheitlichendes Prinzip, so daß hier bereits ein notwendiger Schritt hin zur Entdeckung des Einheitsraums der Zentralperspektive getan wurde. Dieses vereinheitlichende Prinzip, wie es am anschaulichsten im Goldgrund mittelalterlicher Malerei zur Geltung kommt, ist als bildnerisches Äquivalent für die Raumvorstellung in der Philosophie zu sehen, d.h. in der Lichtmetaphysik des heidnischen und christlichen Neuplatonismus. Panofsky deutet das Proklos-Zitat „der Raum ist nichts anderes als das feinste Licht“ in dem Sinne, daß der Raum zwar als Kontinuum begriffen wird, zugleich aber seiner Kompaktheit und Rationalität entledigt, weder greifbar noch messbar erscheint.117 Dagegen wurde der Raum in der antiken Kunst nur als Addition dessen empfunden, was zwischen den dargestellten Körpern übrigblieb (Aggregatraum).118 Diese Form anschaulicher Symbolisierung des Raumgefühls entspricht philosophischen Theorien, die das Ganze der Welt als etwas im Grunde genommen Diskontinuierliches auffaßten: nach Aristoteles war der Allgemeinraum durch die letzte Grenze eines allergrößten Körpers, bzw. der äußersten Himmelssphäre, bestimmt. Die darin befindlichen Einzeldinge sind wie in einem geschlossenen Gefäß aneinandergefügt, ohne daß die Körper und ihre freiräumlichen Intervalle in ein allumfassendes Raumkontinuum integriert wären.119 Davon unterscheidet sich grundlegend die neuzeitliche Auffassung eines unendlichen120, stetigen, homogenen Raumes121, der allen Einzeldingen vorausgeht. Dieser geometrische Raum ist als System von bloßen Relationen zwischen Höhe, Breite und Tiefe funktional bestimmt.122 Damit war die Rationalisierbarkeit des Raumes garantiert und die Voraussetzung für zentralperspektivische Konstruktionen geschaffen, d.h. zentralperspektivische Darstellungen lassen sich, einen festgelegten Standpunkt vorausgesetzt, exakt berechnen und geben die Maße der Einzeldinge und ihr wechselseitiges Verhältnis im Raum korrekt wieder. Die einseitige methodische Gewichtung des Standpunkts führt Uspenskij freilich zum Hinweis auf die Subjektivität zentralperspektivischer Darstellungen.123 Unberücksichtigt bleiben dabei die objektiven Abbildungsregeln in Abhängigkeit vom Standpunkt, die das 117 118 119 120
Panofsky, „Die Perspektive als ‚symbolische Form‘“, S. 273 f. Ebd., S. 269. Ebd., S. 271. Die Entdeckung des Fluchtpunkts, in dem sich die Bildorthogonalen im Unendlichen treffen, ist für Panofsky „gleichsam das konkrete Symbol für die Entdeckung des Unendlichen selbst“, ebd., S. 279. 121 Ebd., S. 260. 122 Ebd., S. 270. 123 Uspenskij, Poetik, S. 186 u. Anm. 60, S. 215.
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konstruktive System als Ganzes fordert. Panofsky widmet ein eigenes abschließendes Kapitel dem Problem, die Anteile des Subjektiven und des Objektiven an diesem Verfahren gegeneinander abzuwägen, so daß die Zentralperspektive als ambivalente Methode bezeichnet werden muß: „Sie schafft Distanz zwischen dem Menschen und den Dingen – aber sie hebt diese Distanz doch wiederum auf, indem sie die dem Menschen in selbständigem Dasein gegenüberstehende Ding-Welt gewissermaßen in sein Auge hineinzieht; sie bringt die künstlerische Erscheinung auf feste, ja mathematisch-exakte Regeln, aber sie macht sie auf der andern Seite vom Menschen, ja vom Individuum abhängig, indem diese Regeln auf die psychophysischen Bedingungen des Seheindrucks Bezug nehmen, und indem die Art und Weise, in der sie sich auswirken, durch die frei wählbare Lage eines subjektiven „Blickpunktes“ bestimmt wird. So läßt sich die Geschichte der Perspektive mit gleichem Recht als ein Triumph des distanziierenden und objektivierenden Wirklichkeitssinns, und als ein Triumph des distanzverneinenden menschlichen Machtstrebens, ebensowohl als Befestigung und Systematisierung der Außenwelt, wie als Erweiterung der Ichsphäre begreifen.“124
Auf diese Weise ergeben sich grundsätzlich verschiedene Möglichkeiten, die Zentralperspektive künstlerisch auszuwerten, die subjektivistische oder objektivistische Komponente zu betonen, die Barriere zwischen Bild und Betrachter abzuschwächen oder aufrecht zu erhalten: wird ein Innenraum in Schrägansicht, d.h. mit exzentrisch von der Mittelachse aus verlagertem Standpunkt, und aus naher Distanz gezeigt, so erscheint das Bild stärker auf den Betrachter bezogen. Er glaubt sich in den Raum mitaufgenommen, so daß die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit weniger spürbar ist. Abschließend muß das Kernproblem dieses Verfahrens angesprochen werden: die Zentralperspektive beruht auf einer kühnen Abstraktion der Wirklichkeit, da sie erstens voraussetzt, daß wir mit einem einzigen und unbewegten Auge sehen und zweitens, daß der ebene Durchschnitt durch die Sehpyramide – dies ist Albertis Definition des Bildes – unseren Seheindruck adäquat wiedergibt.125 Auf diese Weise wird der psychophysiologische Raum mit seiner sphäroiden Struktur in den mathematischen umgewandelt oder anders gesagt, die subjektive Sehwahrnehmung objektiviert. Genau in diesen anomalen Beobachtungsbedingungen sieht auch Nelson Goodman das entscheidende Hindernis: wie kann man, ausgehend von solch unnatürlichen Prämissen, behaupten, daß die Zentralperspektive einen absoluten Treuestandard der Wiedergabe des Raumes garantiert?126 Goodman polemisiert gegen die verbreitete Meinung, daß ein in korrekter Perspektive gemaltes Bild unter spezifizierten Bedingungen ein Lichtstrahlenbündel auf das Auge wirft, das dem 124 Panofsky, „Die Perspektive als ‚symbolische Form‘“, S. 287. 125 Ebd., S. 260. 126 Nelson Goodman, Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie. Frankfurt 1997, S. 24 u. 30.
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vom Gegenstand selbst ausgesandten entspricht und Perspektive damit objektiv nachprüfbar sei.127 Wie schon gesagt, hat diese Identität im Muster der Lichtstrahlen dadurch zweifelhaften Wert, daß sie unter Bedingungen erzeugt wird, die normalem Sehen zuwider laufen. Davon abgesehen, ist künstlerische Repräsentation keine Frage des Kopierens, sondern des Vermittelns, d.h. der Künstler entscheidet, welche Lichtstrahlen unter Galeriebedingungen das wiedergeben können, was er vor sich sieht. Es geht hier mehr um eine Übersetzung als um lückenloses Dokumentieren von Ähnlichkeiten. Perspektivische Bilder müssen, wie alle anderen auch, gelesen werden.128 Selbst eine Autorität wie Gombrich irrt, wenn er die „Vorstellung, die Perspektive sei nur eine Konvention und stelle die Welt nicht so dar, wie sie ‚wirklich‘ aussehe“ kritisiert – Perspektive, welche auch immer, ist nicht aus den Gesetzen der Optik abzuleiten.129
127 Ebd., S. 22. 128 Ebd., S. 25. 129 Ebd., S. 22 u. 27.
4. Analytischer Teil friget enim poesis sine theatro1
4.1 Zur historisch-systematischen Einordnung der Kommunia Duchowna S. S. Borysa y Hleba. Die Dramentheorie Sarbiewskis und ihre intermedialen Aspekte Nach diesen theoretischen Vorüberlegungen sind einige Sachinformationen zu unserem Stück selbst vorauszuschicken, bevor wir mit seiner Analyse im Hinblick auf die von Uspenskij aufgestellten allgemeinen Prinzipien künstlerischer Gestaltung beginnen. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage nach der spezifischen Bedingtheit von Komposition und Inhalt des Jesuitendramas, die anhand der Vorschriften in den Poetiken, ordensinterner Richtlinien und der Theaterpraxis selbst zu klären ist. Die Kommunia Duchowna S. S. Borysa y Hleba gehört dem im Humanismus entstandenen Schultheater an und damit demjenigen Theatergenre, das im 17. Jh. am weitesten verbreitet war.2 Es ist in erster Linie gekennzeichnet durch didaktische Zwecke, die sich mit ästhetischen und pragmatischen verbinden: Festliche Theateraufführungen am Ende des Schuljahres und kleinere Dialoge ohne szenische Ausstattung im Rahmen des Unterrichts sollten den Schülern Geläufigkeit in der lateinischen Sprache und rhetorischen Praxis vermitteln, ihr Gedächtnis üben sowie Vorbilder für moralisches Handeln im Sinne der katholischen Lehre aufzeigen.3 Die Beherrschung des Lateinischen galt beim offiziellen Gebrauch dieser Sprache in Polen als entscheidende Karrierevoraussetzung. Ein wichtiges Lernziel bestand auch darin, einen Fundus an lateinischen Sentenzen einzuprägen, der öffentlichen wie privaten Reden gebührendes Gewicht verlieh (darauf werden wir weiter unten bei der Behandlung emblematischer Strukturen im Drama noch zurückkehren). Gelungene Aufführungen vor einflußreichen Persönlichkeiten steigerten das Ansehen der Schule und förderten die Bereitschaft zu finanziellen Zuwendungen. Schließlich ist auf die gesellschaftlich-politische Funktion des Schultheaters zu verweisen: panegyrische Vorstellungen zur Amtseinführung geistlicher und weltlicher Würdenträger waren verbreitet. Erst recht erforderten bedeutendere Ereignisse wie z.B. die Befreiung Wiens durch Johann Sobieski oder Zar Peters Siege im russisch1 Ratio atque institutio studiorum Societatis Jesu (1591), zit. nach: Jan Poplatek: Studia z dziejów jezuickiego teatru szkolnego w Polsce. Wrocław 1957, S. 59 f. 2 Sofronova, Poėtika slavjanskogo teatra, S. 3. 3 Poplatek, Studia, S. 16 (dieser Autor stützt seine Aussagen auf reiches Quellenmaterial, d.h. auf eine beigegebene Zusammenstellung von Vorschriften der Ordensoberen, die das Theaterschaffen regulierten).
Historisch-systematische Einordnung der Kommunia Duchowna
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schwedischen Krieg unmittelbaren Widerhall auf der Bühne.4 Die weltumspannende Verbreitung des Jesuitenordens spiegelte sich im Drama des 17. Jhs. in der Zunahme von Themen, die auf den Nahen und Fernen Osten bezogen waren. Von inszenierungstechnischer Seite her gesehen, brachte die Tätigkeit der Jesuiten in China die Kenntnis der laterna magica mit sich, die von Athanasius Kircher um die Jahrhundertmitte in einer theoretischen Schrift propagiert wurde und als eine der folgenreichsten und suggestivsten Neuerungen der Barockbühne bezeichnet werden kann.5 Beschränkung im Schulischen und kosmopolitische Vernetzung ließen sich also ohne weiteres in Einklang bringen. Unser Stück (wir beziehen uns im Folgenden auf die Textversion, die in den Dramaty staropolskie, Bd. VI, Warszawa 1963 abgedruckt ist) stellt in verschiedener Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung dar. Für ein Jesuitendrama vom Ende des 17. Jhs. ungewöhnlich ist die Verwendung des Polnischen, da das Lateinische als Bühnensprache in der weltweit gültigen Studienordnung der Jesuiten (Ratio studiorum) von 1599 vorgeschrieben war, ebenso wie zuvor schon in Beschlüssen der polnischen Ordensprovinz von 1567 und 1576. In letzterer Akte wurde aber auch die Möglichkeit aufgezeigt, an hohen Feiertagen einen Dispens von dieser Regel zu erteilen, um größere Volksmengen anzuziehen. Weitere Ausnahmen betreffen Prologe und Intermedien in der Volkssprache, die den Inhalt kurz zusammenfaßten und so die allgemeine Verständlichkeit der Vorstellung gewährleisten sollten.6 Zu erklären wäre demnach die Abfassung unseres Stückes in Polnisch zum einen mit dem Aufführungsanlaß – es wurde, wahrscheinlich vor 1693, anläßlich des Fronleichnamsfestes (Corpus Christi) im Kollegium von Orsza aufgeführt.7 Das am Dnepr im heutigen Weißrußland gelegene Orsza gehörte im 17. Jh. zu den östlichen Gebieten Polens, und diese Grenzlage macht die Situation komplizierter: in die Beurteilung der sprachlichen Version des Stückes muß der Umstand einbezogen werden, daß dort vier Sprachen aufeinander trafen, nämlich die Volkssprache (Weißrussisch), das Kirchenslavische, Polnische und Lateinische.8 So umfaßte der Lehrplan in den dortigen Kollegien ebenfalls den Unterricht im Polnischen. Im 4 Sofronova, Poėtika slavjanskogo teatra, S. 34 ff; Okoń, Dramat i teatr szkolny. Sceny jezuickie XVII wieku, S. 156 ff. 5 Jan Okoń, „Z zagadnień baroku w szkolnym dramacie jezuickim w Polsce wieku XVII“, in: Dramat i teatr. Konferencja teoretycznoliteracka w świętej Katarzynie. Wrocław/Warszawa/ Kraków 1967, S. 21 f. 6 Poplatek, Studia z dziejów jezuickiego teatru szkolnego w Polsce, S. 22 f. 7 Okoń, Dramat i teatr szkolny. Sceny jezuickie XVII wieku, S. 22 u. 357. 8 Ähnliche Verhältnisse herrschten nach Sofronova in der Ukraine, wo zum einen die „prosta mova“ und das Kirchenslavische im Gebrauch standen, das Polnische aber die offizielle, auch von der adeligen Oberschicht verwendete Sprache war und das Lateinische die Teilhabe an der europäischen Gelehrtenkultur verbürgte, s. Starinnyj ukrainskij teatr, Moskva 1996, S. 22 f.
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Analytischer Teil
Unterschied zum polnischen Text der Akte sind Antiprologus, Prologus und Intermedien der Kommunia Duchowna in einer Mischung aus dem Ukrainischen, Weißrussischen, Russischen und Polnischen verfaßt9, Restbestände des Lateinischen finden wir in den Akt- und Szenenüberschriften und den sparsam gesetzten Regieanweisungen. Wenn in polnischen Jesuitendramen die Akte in der Hochsprache (Latein) und die Intermedien evtl. in der Volkssprache (Polnisch) auszuarbeiten waren, so scheint hier eine entsprechende Differenz zwischen dem polnischen Text der Akte und dem weißrussisch-ukrainisch-polnischen Dialekt der Intermedien zu bestehen.10 Eine Sonderstellung nimmt unser Drama auch deswegen ein, weil es anscheinend das gleiche ist, das ein anonymer Autor unter dem Titel „Comunia duchowna Ss. Borysa y Hleba na akt dana przez mlodz Collegium Polockiego Societatis Iesu“ in sein Rhetorik-Handbuch vom Ende des 17. Jhs. eingefügt hat. In dieser polnischen Rhetorik fehlt allerdings genau das Regelsystem, das der Dramentext als nachahmenswertes Lehrbeispiel bestätigen sollte – die theoretischen Ausführungen gingen, ebenso wie der Anfang und das Ende des Dramas selbst, verloren.11 Als Aufführungsort wird in der obigen Titelangabe nicht Orsza, sondern Polock genannt. Zwar galt für das Jesuitentheater im allgemeinen, daß jede Vorstellung einmalig und auf einen bestimmten Anlaß bezogen war12, doch wurden in einigen Fällen Codices mit dramatischen Texten von einem Kollegium an ein anderes weitergereicht. Gerade für den Kodeks Orszański, in welchem unser Drama überliefert ist, trifft das zu.13 Wiederholungen desselben Stückes innerhalb eines Kollegiums waren jedoch ausgeschlossen. Festzuhalten ist, daß die hochgradige Geformtheit und Regelgebundenheit unseres Textes ihn für literaturwissenschaftliche Analysen besonders geeignet macht. An der Kommunia Duchowna S. S. Borysa y Hleba ist schließlich bemerkenswert, daß uns überhaupt der weitgehend vollständige Dramentext vorliegt. Hinsichtlich der Überlieferungspraxis kann man sagen, daß Jesuitendramen im 17. Jh. ganz selten in Druck gingen.14 Es handelte sich um Spieltexte, keine Buchdramen. In 9 Dramaty staropolskie, Bd. VI. Antologia, bearb. v. Julian Lewański. Warszawa 1963, S. 690 f. 10 Grenzüberschreitungen zwischen den Kulturen zeigen sich auch darin, daß die vorwiegend ostslavisch geprägten Intermedientexte der Kommunia Duchowna in lateinischer Schrift aufgezeichnet sind. Sofronova führt in Poėtika slavjanskogo teatra, S. 30 einen Kiever Passionsdialog in lateinischer Sprache an, dessen polnischer Prolog in kyrillischen Buchstaben geschrieben ist. 11 M. Markovskij, „Južno-russkija intermedii iz pol’skoj dramy ‚Comunia duchowna Ss. Borysa y Hleba‘“, in: Kievskaja starina, T. XLVI (1894), S. 32. Abgedruckt sind hier einige Intermedientexte, die mit denen unseres Dramas übereinstimmen. S. auch Sofronova, Poėtika, S. 46. 12 Okoń, Dramat i teatr szkolny, S. 108 u. 126. 13 Sofronova, Poėtika, S. 53. 14 In der Bibliographie Dramat staropolski od początków do powstania sceny narodowej sind nur vier Dramentexte aufgelistet, die von den Jesuiten der polnischen Ordensprovinz während
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der einschlägigen Quelle dazu, einer Stellungnahme des Ordensgenerals Aquaviva von 1606, heißt es, daß er die Veröffentlichung der Dramen im Druck ungern sähe: „Wenn man damit beginnt, sie zu drucken, werden wir mit Bitten überhäuft werden. Außerdem sind diese Stücke mittelmäßig, obwohl sie gefallen, wenn man sie aufführt.“15
Davon unberührt bestand jedoch seit 1567 die Pflicht zur handschriftlichen Eintragung bedeutenderer Stücke in ein speziell dafür vorgesehenes Buch, das in jedem Kollegium geführt werden mußte. Dennoch ist der handschriftliche Nachlaß jesuitischen Theaterschaffens in Polen gering, da vieles durch Kriege, Brände und nach der Aufhebung des Ordens 1773 verloren ging.16 Theoretisch hätten wir entsprechend der Aufzeichnungspflicht insgesamt 57 ‚offizielle‘ dramatische Codices aus Polen und Litauen, gegenwärtig erhalten sind jedoch gerade sechs17: zu ihnen gehört der Kodeks Orszański mit vier Stücken vom Ende des 17. Jahrhunderts, darunter der Kommunia Duchowna S. S. Borysa y Hleba. Wenn die Kommunia Duchowna S. S. Borysa y Hleba nun als Ausnahmeerscheinung im dramatischen Schaffen der Jesuiten gelten kann, so befolgt ihr Autor aber auch gleichzeitig dessen Normen. Bevor wir zur eigentlichen Analyse übergehen können, sind deshalb noch einige Merkmale des Jesuitentheaters als künstlerischen Systems aufzuzeigen. Das obige Zitat betrifft bereits dessen inneren Aufbau, läßt es doch zum einen Rückschlüsse auf die Popularität und Wirkungsbezogenheit, zum anderen auf das Verhältnis von Text und Bildlichkeit innerhalb der Stücke zu. Entsprechend der Rhetorisierung aller Lebensbereiche im Barock war das Jesuitentheater vom persuasiven Zweck der propagatio fidei bestimmt. Ungeachtet der sprachlichen Hürde des Latein, die ja durch Intermedien in der Volkssprache abgemildert werden konnte, beruhte sein ungeheurer Publikumserfolg auf der Anziehung aller sozialen Schichten (wie auch die Schülerschaft sozial differenziert war).18 des gesamten 17. Jh. herausgegeben wurden, s. Okoń, Dramat i teatr szkolny, S. 70, Anm. 122. Anders verhielt es sich mit den Programmen, die den Inhalt der einzelnen Stücke in Kurzform wiedergaben. Diese wurden von den Kollegien selbst zu Propagandazwecken, häufig aber auch von denen in Druck gegeben, zu deren Ehren die Aufführung stattgefunden hatte, Okoń, Dramat i teatr szkolny, S. 29 f. 15 Poplatek, Studia z dziejów jezuickiego teatru szkolnego w Polsce, S. 67, Nr. 83 – Übersetzung des hier angegebenen polnischen Textes. 16 Ebd., S. 41 f. 17 Okoń, Dramat i teatr szkolny, S. 70 f. Dem Słownik literatury staropolskiej, Wrocław 1990, S. 136 zufolge kennen wir von den ca. 20 000 Stücken, die im 17. und 18. Jh. in den Kollegien der Jesuiten und anderer Orden entstanden sind, nur 3–4 %. 18 Sofronova beschreibt das Jesuitentheater als Massenphänomen. Die Schüler kamen zum Teil auch aus Handwerker- und Bauernfamilien (Poėtika slavjanskogo teatra, S. 38 f.). Zur soziologischen Aufgliederung der Zuschauer, darunter auch Frauen, s. Wilfried Barner, Barockrhetorik. Untersuchungen zu ihren geschichtlichen Grundlagen. Tübingen 2002, S. 365.
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Hinzu kam gegebenenfalls die Anpassung der Sujets an die regionale Geschichte: unser Stück über die Märtyrer Boris und Gleb mußte das Interesse der orthodoxen Bevölkerung Weißrußlands erwecken. Schon der Titel Kommunia Duchowna S. S. Borysa y Hleba verweist auf die Union von katholischer und orthodoxer Kirche: der speziell auf das Fronleichnamsfest bezogene Kult der Eucharistie, deren spirituelle Dimension19 hier besonders hervorgehoben wird, verbindet sich mit dem Kult der beiden ersten russischen Heiligen. Im Sinne emblematisierter Dramentitel ist die historische Leidensgeschichte von Boris und Gleb als pictura zu verstehen, während sich der symbolisch-abstrakte, eigentliche Sinngehalt des ganzen Stückes auf die geistliche Gemeinschaft mit Christus (Kommunia Duchowna) bezieht. Nach der Union von Brest 1596 waren die Heiligen Boris und Gleb stärker in der polnischen Geschichtsschreibung und Hagiographie berücksichtigt worden.20 Letzten Endes gründete die Massenwirkung der Jesuitendramen aber in der Dominanz des Visuellen21, die in der angeführten Quelle implizit angesprochen wird. Wenn hier von der Mittelmäßigkeit der Stücke die Rede ist, so betrifft das wohl die reguläre sprachliche Ausarbeitung, das stilistische Niveau der Texte, während sich das Gefallen eindeutig mit der Inszenierung, der aktuellen Zurschaustellung der literarischen Vorlage verbindet. Die Komposition der dramatischen Handlung bezeichnet Okoń als das künstlerisch bedeutendste Element im Jesuitendrama, nicht die Sprache, bzw. den Stil. Der sprachlich-stilistischen Durchformung standen ver19 Vgl. Jan Okoń, „Prolegomena teatrologiczne do ‚Komuniji Duchownej Świętych Borysa i Gleba‘“, in: Krakowskie Zeszyty Ukrainoznawcze [„Theaterwissenschaftliche Prolegomena zur ‚Kommunia Duchowna‘“, in: Krakauer Hefte zur Ukrainekunde], Bd. 5–6 (1996–1997), S. 39 f. Eucharistischer Thematik gewidmet sind noch zwei weitere Dramen, die im OrszaKodex enthalten sind: Misticzna Wesela Kommunia Genserika i Tryzymunda (in diesem Stück kauft ein weißrussischer Bauer in der Kirche eine Prosphore, s. S. 40) und Misticzna Kommunia Wcalu Niewinnych Karola y Fryderyka. 20 Von den literarischen Bearbeitungen dieses Stoffes ist vor allem auch Łazarz Baranowicz’ versifizierte Vita der Heiligen in Apollo chrześcijański zu nennen, s. Dariusz Dybek, „Z kart kronik do żywotów świętych – Borys i Gleb w literaturze staropolskiej“, in: Pamiętnik Literacki [„Von den Chronikaufzeichnungen zu den Heiligenleben – Boris und Gleb in der altpolnischen Literatur“, in: Literarische Rundschau] (1993), H. 3/4, S. 12 ff. 21 Ein großer Teil des Publikums von Jesuitenaufführungen verstand kein Latein – die Zuschauer waren so in erster Linie auf das Schauen angewiesen. Die gezielte visuelle Einwirkung auf ein Massenpublikum zum Zweck der Manipulation ist für Elida M. Szarota das zentrale Vergleichskriterium zwischen dem Jesuitendrama und den modernen Massenmedien. Ständiger Drang nach Neuem erfaßt dabei auch die Techniken künstlerischer Repräsentation, und das gilt bereits für die Barockbühne. Als Ergebnis ihrer Vergleichsstudie, die Material aus dem oberdeutschen Raum berücksichtigt, bemerkt Szarota eine Demokratisierung der Kultur, freilich aber auch fragwürdige Aspekte wie den Verlust an Individualität (Autorennamen sind uns nur selten überliefert) und weltanschauliche Gleichmacherei, s. Elida M. Szarota, „Das Jesuitendrama als Vorläufer der modernen Massenmedien“, in: Daphnis 4 (1975), S. 129–143.
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schiedene Hindernisse entgegen, wie der Gelegenheitscharakter der Dramen, die für eine einmalige Aufführung aus aktuellem Anlaß, manchmal unter Zeitdruck, geschrieben wurden, und die automatische Verpflichtung zum Stückeschreiben für die Rhetorik- und Poetiklehrer, die sich nur auf einer Durchgangsstufe zum höheren Lehramt in der Philosophie und Theologie befanden und nicht unbedingt Erfahrung als Dramatiker hatten. Dies begünstigte wiederum, daß sie sich an die in den Poetiken überlieferten Regeln hielten, so daß in stilistischer Hinsicht weitgehend einheitliche Texte entstanden.22 Um den Stellenwert der dramatischen Handlung, die Rolle des Visuellen und des Verbalen richtig einzuschätzen23, ist es unabdingbar, die zeitgenössische Dramentheorie der Jesuiten heranzuziehen. Die einflußreichste Poetik des polnischen Barock De perfecta poesi, sive Vergilius et Homerus verfaßte 1626/27 Maciej Kazimierz Sarbiewski24, der über die Grenzen Polens hinaus auch als poeta laureatus der neulateinischen Dichtung in hohem Ansehen stand (Rubens entwarf das Titelblatt zu seinen Lyricorum libri IV von 1632). Sein Vorbild als Lyriker war Horaz, dennoch gab er dem Epos den Vorrang vor allen übrigen Gattungen, es ist die perfekte Poesie schlechthin. Erörterungen über inventio und dispositio der Fabel, ihren enzyklopädischen Inhalt sowie Spezifikationen möglicher Handlungen nach vielen Einzelheiten hin nehmen die ersten acht Bücher der Poetik ein, das abschließende neunte Buch De tragoedia et comoedia sive Seneca et Terentius gibt eine kurzgefaßte Dramentheorie unter expliziter Berufung auf Aristoteles. Vieles davon, was vorher über das Epos gesagt wurde, gilt analog auch für das Drama – so stellt Sarbiewski bereits im zweiten Satz des 1. Kapitels „Definitio tragoediae“ die Ähnlichkeit der Tragödie mit der poesis perfecta, der epischen Dichtung, heraus: „Nam tragoedia, sicut et omnis poesis perfecta, non est imitatio personarum, sed actionum, ut saepe Aristoteles inculcat toto libro. Rectius ergo ipse describit Aristoteles tragoediam esse imitationem actionis illustris, magnitudinem habentis, non enarrando, sed agendo et colloquendo, ut misericordia et terrore animos ab iis perturbationibus liberet et purget, a quibus huiusmodi facinora tragica proficiscuntur.“25 22 Okoń, Dramat i teatr szkolny, S. 57 f. u. Anm. 115. 23 Die größere Wirkungskraft der szenisch vor Augen geführten Handlung im Vergleich zur auf der Bühne nur erzählten hat schon Horaz hervorgehoben: „aut agitur res in scaenis aut acta refertur / segnius inritant animos demissa per aurem / quam quae sunt oculis subiecta fidelibus et quae / ipse sibi tradit spectator“, Ars poetica. Die Dichtkunst. Stuttgart 1972, S. 14. 24 Eine umfassende, detaillierte Besprechung der dichtungstheoretischen Traktate Sarbiewskis steht nach Elżbieta Sarnowska-Temeriusz (Przeszłość poetyki. Od Platona do Giambattisty Vica. Warszawa 1995, S. 384) noch aus. In den folgenden Ausführungen werden wir einige bisher unbeachtete Aspekte aufzeigen können. 25 Maciej Kazimierz Sarbiewski, O poezji doskonałej czyli Wergiliusz i Homer (De perfecta poesi, sive Vergilius et Homerus), übs. v. Marian Plezia, bearb. v. Stanisław Skimina. Wrocław 1954, S. 228.
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Agieren und Reden, nicht Erzählen sind dieser Definition zufolge die primären Darstellungsmittel der Tragödie, deren Gegenstand die Nachahmung einer bedeutenden Handlung ist zu dem Zweck, die Zuschauer durch Mitleid und Furcht von ebendiesen Gemütsstörungen, von denen derart tragische Taten ausgehen, zu befreien. Wir verstehen obiges Zitat mit Okoń als Grundsatzerklärung zugunsten der theatralischen Komponente des Dramas. Dabei gilt es, diese Äußerung, die sich keineswegs nur in der barocken Dramentheorie findet, im Zusammenhang mit der für das Barock typischen Einwirkung auf den Rezipienten vor allem durch visuelle Eindrücke zu sehen. Ahistorisch wäre es, von einer prinzipiellen Opposition zwischen der Sprache des Dramas und der Sprache des Theaters im Barock auszugehen, da das semiotische Anderssein hier auf einer anderen Grundlage beruht. Zum einen kann nämlich keine Rede von der Anpassung des literarischen Textes an szenische Bedürfnisse sein – der Text ist vor allem dazu bestimmt, ausgesprochen, nicht dargestellt, bzw. gespielt zu werden, so daß er in diesem Theater sozusagen autonom existiert. Auf der anderen Seite ist das Agieren des Schauspielers in hohem Maß durch die Vorschriften der Rhetorik kodifiziert. Wenn man diese beiden Prämissen berücksichtigt, kann das höhere Ausmaß des Theatralischen im Barockdrama nur in der Einführung neuer visueller und akustischer Darstellungsmittel liegen, unter denen Okoń der Emblematik eine herausragende Rolle zuweist.26 Anhand von Sarbiewskis Poetik werden wir weiter unten noch zusätzliche Untersuchungen darüber anstellen, wo Anhaltspunkte für eine stärkere Gewichtung des Bildlichen zu finden sind. Einstweilen folgen wir aber dem Gang seiner Argumentation, um einige wesentliche Merkmale des Jesuitendramas festzuhalten. Unverzichtbar bleibt für Sarbiewski das illustre Personal der Tragödie und ihr im allgemeinen schrecklicher Ausgang. Die notwendige Verknüpfung von Handlungen hochstehender Persönlichkeiten mit deren tragischem Ende (während in der Komödie umgekehrt Handlungen von Personen niederen Standes einen glücklichen Ausgang nehmen) wird rational begründet mit dem Überraschungsmoment 26 Jan Okoń, „Z zagadnień baroku w szkolnym dramacie jezuickim w Polsce wieku XVII“, S. 13 u. Anm. 7. Die Abwägung des Verhältnisses (bildlich vermittelter) Handlung vs. gesprochener Text zugunsten der ersteren finden wir noch in zwei weiteren Dichtungstheorien der Jesuiten: Im Compendium humaniorum litterarum (Poznań 1691) heißt es schlicht, daß man für die Handlung mehr Sorge tragen soll als für die Personenrede – „magis debet curare quam sermonem“, während in der Poetica practica anno 1648 (Wilno) vor der Langeweile gewarnt wird, die längere Gespräche mit sich bringen – „unikanie w scenach długich rozmów, gdyż sprowadzają one nudę na słuchacza, zwłaszcza w naszych czasach, na naszych rodaków“. Besser ist es, wenn die im Gespräch Begriffenen auch etwas tun, z.B. umhergehen oder manuelle Arbeiten verrichten. Ja sogar Szenen ohne Worte, die nur mittels Gesten und unter Musikbegleitung realisiert sind, können einen überaus schönen Eindruck hervorrufen: „przepiękne wrażenie wywołują sceny bez słów, realizowane przy pomocy jedynie gestów“, welche „towarzyszyć mogą dźwięki muzyki“, zit. nach Okoń, ebd., S. 14 u. Anm. 9.
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(inopinatum), das sich auf diese Weise ergibt. Das Glück sei nämlich der allgemeinen Meinung nach den Hochstehenden, das Unglück aber den sozial niedriger Stehenden und Armen eigentümlich: „Ratio autem est, cur non nisi illustres actiones et illustrium personarum imitatur tragoedia in ordine ad commiserationem vel metum excitandum, comoedia autem leviores actiones levium personarum in ordine ad delectationem et festivitatem excitandam, quia ita experientia et ratione constat facilius nos dolere de calamitatibus illustrium virorum et tragicis eventibus quam de plebeiorum, sicut, e contra, facilius gaudemus de bono eventu plebeiorum quam illustrium, quia utrumque nobis inopinatum accidit, cum felicitas ordinarie propria sit illustribus ex communi opinione, infelicitas vero in plebeis et pauperioribus.“27
Die Kategorie des inopinatum (Überraschendes, Unvermutetes) läßt sich aus diesem speziellen Kontext ohne weiteres herauslösen und als zentrale Forderung der Wirkungsästhetik des Barock etablieren.28 Überraschungseffekte, Wunderer27 Sarbiewski, O poezji doskonałej czyli Wergiliusz i Homer (De perfecta poesi, sive Vergilius et Homerus), S. 228. 28 Konstitutiv ist es auch für die acumen-Theorie Sarbiewskis. Wie er in seinem Traktat De acuto et arguto liber unicus sive Seneca et Martialis (1619/20) ausführt, löst das Überraschende (nämlich der Vereinbarkeit von consentaneum und dissentaneum innerhalb einer Aussage) Verwunderung, bzw. Bewunderung (admiratio) beim Zuhörer aus, weil wir etwas hören, das wir nicht erwartet haben und dessen Grund uns verborgen war. Das inopinatum ist also mit der ignoratio causarum gleichzusetzen, so jedenfalls legt es der zur Bestätigung angeführte Hinweis auf Aristoteles nahe: „Effectus ergo et proprietas acuti est admirationem cum delectatione parere in animo audientis. Admiratio vero nascitur ex inopinato, quod nimirum audiamus aliquid, quod non exspectabamus cuiusque causa nos latebat, ac proinde accidere illud non putabamus. Nam ut Aristoteles docet, admiratio nascitur ex ignoratione causarum“, (Maciej Kazimierz Sarbiewski, Wykłady poetyki (Praecepta poetica), Wrocław/Kraków 1958, S. 7). Zwar verfüge ich nicht über die von Sarbiewski benutzte lateinische Aristoteles-Übersetzung des Alexander Paccius (Sarbiewski, O poezji doskonałej, Przedmowa von Stanisław Skimina, S. LIII); doch bezieht Sarbiewski sich hier anscheinend auf diejenige Stelle in Aristoteles’ Poetik, die eine gesteigerte Wirkung der Tragödie vom Verwunderlichen (θαυμαστόν) abhängig macht: „Diese Wirkungen [Schaudererregendes und Jammervolles] kommen vor allem dann zustande, wenn die Ereignisse wider Erwarten eintreten und gleichwohl folgerichtig auseinander hervorgehen. So haben sie nämlich mehr den Charakter des Wunderbaren (θαυμαστόν), als wenn sie in wechselseitiger Unabhängigkeit und durch Zufall vonstatten gehen.“ (Aristoteles, Poetik, griechisch/deutsch, übs. u. hrsg. v. Manfred Fuhrmann, Stuttgart 1982, S. 33). Freilich rekurriert Sarbiewski nochmals auf dieselbe Aristoteles-Stelle in seiner eigenen Poetik, wenn es darum geht, in Buch VII, Kap. III eine allgemeine Produktionsanweisung für die „Admirabilitas fabulae“ zu geben. Schlicht und einfach muß Verwunderliches, dessen Grund verborgen ist, über die ganze Fabel verteilt werden: „Sed universalius loquendo illa simpliciter erunt mirabilia ac proinde tota fabula spargenda, quae causam sui latentem habent. Miramur enim, ut ait Aristoteles, illa, quorum causam ignoramus.“ (Sarbiewski, O poezji doskonałej czyli Wergiliusz i Homer (De perfecta poesi, sive Vergilius et Homerus), S. 213). Das vorangehende Paradebeispiel eines Verwunderlichen – die Mitys-Statue, die aus unerfindlichen Gründen
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scheinungen und die Verdichtung der Ereignisse in der Fabel sollten dann zum festen Bestand des Jesuitentheaters gehören, um die Aufmerksamkeit der Zuschauer zu fesseln, ihre Sensationsgier und Schaulust anzufeuern. Wenigstens theoretisch versucht sich Sarbiewski am Anfang des 17. Jhs. noch als Verfechter der poetischen Wahrscheinlichkeit (probabilitas poetica), – und hier ergänzen wir seine eigentliche Dramentheorie durch einen Rückblick auf Buch VII, Kap. III „Admirabilitas fabulae“ – wenn er in Anlehnung an Aristoteles für einen restriktiven Einsatz des Verwunderlichen in der Tragödie im Vergleich zum Epos eintritt. Dies verlange schon allein der proportional geringere Textumfang der Tragödie. Außerdem bedinge der Rezeptionsweg der Tragödie, d.h. die unmittelbare Betrachtung, daß Unstimmigkeiten schneller ins Auge fallen als beim Epos, das auf abstrakt-mentale Aufnahme berechnet ist und den Helden nicht in direkter szenischer Präsentation sichtbar macht: „De hac Aristoteles non satis clare cap. 22 : « Sane convenit tragoediae ipsum praebere mirandum, magis autem epopoeiae, quod videlicet proportione respondeat » ... Addit autem ulteriorem rationem, quia singularia quaedam et magis vivacius, quippe per actionem et gestus, et machinas aliaque, quae coram spectantur potius, quam cogitantur, in tragoedia exhibentur, ut facile ratio dissentanei et absurdi appareat in ipso miro. Haec vero eadem singularia in contextu epico magis latent. «Ideoque», inquit, «mirandum maxime epopoeiae convenit, quoniam in ea ad ipsum agentem minime respicimus», hoc est oculis illum non videmus.“29
Sarbiewski argumentiert an dieser Stelle auf der Grundlage der medialen Differenz zwischen Tragödie und Epos – zu bedenken sind die Möglichkeiten und Probleme, die sich bei der sinnlich-visuellen Einwirkung auf den Zuschauer einerseits, aus der kognitiv-verborgenen auf den Hörer/Leser andererseits ergeben. Die anschauliche Vorführung der Bühnenillusion darf also keinesfalls durch ein Prinzip des sichtbar Abweichenden, gar Absurden gestört werden. In hohem Grad Verwunderliches birgt dagegen weniger Gefahr für die Glaubwürdigkeit der epischen Fabel, da wir den nur gedachten Helden nicht prüfend in Augenschein nehmen wie den auf der Bühne agierenden. Eine Fabel, die gefallen soll – so bringt es Sarbiewski auf die Kurzformel – muß sich durch varietas (Abwechslungsreichtum) und admirabilitas (Verwunderliches) auszeichnen; beide Qualitäten sind allerdings an der probabilitas (Wahrscheinlichkeit, Glaubwürdigkeit) als Richtschnur zu messen: „Sic ergo ad delectandum fabulae lectorem praeter varietatem et admirabilitatem addenda est probabilitas, per quam ex statu possibilitatis extrahantur illa mira et varia in statum exsistentiae.“30 durch Herunterfallen den Mörder des Mitys’ zweckdienlich erschlägt – hat Sarbiewski direkt von Aristoteles übernommen. 29 Sarbiewski, O poezji doskonałej czyli Wergiliusz i Homer (De perfecta poesi, sive Vergilius et Homerus), S. 212 f. 30 Ebd., S. 210.
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Weitere spezifische Hinweise zur Gewährleistung der Glaubwürdigkeit finden wir, wenn wir wieder zur eigentlichen Dramentheorie in Buch IX zurückkehren. In seiner Gegenüberstellung „Differentiae comoediae et tragoediae explicantur“ in Kap. II gesteht Sarbiewski zwar die Möglichkeit zu, Tragödienfabeln zu erdichten. Eindeutig vorzuziehen sei es aber, den Spielraum für dichterische Erfindung (fingendi potestas) in der Tragödie darauf zu beschränken, daß Stoff aus einer historischen Quelle verarbeitet wird. Eine falsche Fabel würde nämlich so auf den ersten Blick entdeckt, weil die ruhmvollen Taten berühmter Personen allen bekannt sind: „Tragoedia vero potest quidem interdum fingere, ut Pontanus docet, etiam totum, ut tamen Aristoteles praescribit, melior est, si argumentum ex historia aliqua conficiat. Addo rationem, nam alias probabilitas tolleretur tragoediae. Falsa enim fabula putaretur etiam primo aspectu, cum illustrium illustres actiones, ut regum, imperatorum, facile sciantur notaeque sint omnibus.“31
Unwahrscheinlichkeit (improbabilitas) – geradezu die Todsünde der Poesie – droht, wenn Theatermaschinen zur Aufführung todbringender Aktionen gebraucht werden: „facile in affectatione machinarum letiferas actiones exhibentium improbabilitas, letale prorsus poeseos peccatum, committitur.“32 Unter Berufung auf Horaz und Aischylos wird empfohlen, Tötungsszenen von der Bühne fernzuhalten und sozusagen ins Hausinnere, bzw. in den Botenbericht zu verlegen. In der Praxis sollte diese Regel im 17. Jh. freilich keine Geltung haben, forderte sie doch den Verzicht auf eines der wirksamsten Mittel zur Affektsteuerung der Zuschauer: die Märtyrer Borys und Hleb werden in der Kommunia Duchowna S. S. Borysa y Hleba auf offener Szene ermordet, den Brudermörder Światopełk verschlingt die Erde qua Fallvorrichtung am Ende des Stückes. Ebensowenig durchgesetzt hat sich das von Aristoteles abgeleitete Verbot, Märtyrerstoffe in der Tragödie zu behandeln, wie wir ebenfalls an der Kommunia Duchowna sehen können. Weder Mitleid noch Schrecken erweckt nämlich das Unglück guter und rechtschaffener Männer – so zitiert Sarbiewski Aristoteles –, sondern es hat etwas Verbrecherisches an sich seitens der Mörder, z.B. eines Märtyrers, wie Sarbiewski ergänzt. Vom Standpunkt des Märtyrers aus betrachtet, kann jedoch kaum Mitleid entstehen, da viele tugendhafte Männer sich das gleiche Schicksal wünschen und einsehen, daß jener selbst innere Freude über seine qualvolle Hinrichtung empfindet: „Ex parte etiam ipsius martyris vix oriri potest commiseratio, cum et multi probi viri idem sibi optent et illum ipsum gaudere de
31 Ebd., S. 229. 32 Ebd., S. 230.
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cruciatu intellegant.“33 Wie in der Malerei waren hagiographische Themen auch im Theater des 17. Jhs. weit verbreitet.34 Insgesamt gesehen, gibt Sarbiewski im II. Kapitel seiner Dramentheorie einen kursorischen, schematischen Überblick über die Unterschiede zwischen Tragödie und Komödie nach 11 Punkten gegliedert. Seine vergleichende Klassifizierung im Hinblick auf Fabel, Charaktere, Personen, Sentenzen, Diktion, Affekte, Apparat und Maschinen beruht im wesentlichen auf lapidaren Grundoppositionen wie öffentlich – privat, gravitätisch – leichtfertig, vornehm – vulgär, ungewöhnlich – alltäglich, heftig – gelassen. Gesonderte Beachtung verdient noch die Gegenüberstellung von Tragödien- und Komödienschluß: Der Ausgang der Tragödie ist unglücklich in großem Glück, derjenige der Komödie glücklich in kleinem. Unmittelbar folgt jedoch die Kritik an der breiten Masse der Grammatiker, die glauben, dies sei ein wesenhafter Unterschied. Auch die Tragödie kann nämlich ein glückliches Ende nehmen, das von Furcht begleitet ist, und die Komödie ein unglückliches mit einem Beigeschmack des Heiteren: „Falso tamen vulgus grammaticorum putat hanc esse essentialem differentiam, quia interdum, ut insinuat Aristoteles et docet Pontanus, potest esse tragoediae felix exitus, sed cum timore, et comoediae infelix, sed cum festivitate.“35
Diese Stellungnahme enthält eine theoretische Begründung für die spezifisch barocken Mischgattungen der Tragikomödie und Komitragödie. Explizit werden diese Termini erst in den späteren polnischen Dichtungstheorien (Poetica practica, Compendium humaniorum litterarum) angeführt.36 Sie sind geradezu beispielhaft für das Verfahren des acumen auf der Ebene der sprachlichen Formulierung – die Bedingung der concors discordia, die Sarbiewski in seiner einflußreichen Definition als grundlegend beschrieben hat, ist ohne weiteres erfüllt: „Acutum est oratio continens affinitatem dissentanei et consentanei, seu dicti concors discordia vel discors 33 Ebd. Diese Einwände wirken konstruiert und sollten um die Jahrhundertmitte durch eine etwas weniger realitätsferne Aristoteles-Auslegung ersetzt werden. Jacob Masen, einer der bedeutendsten Dramentheoretiker und -verfasser der Jesuiten, rehabilitiert in seiner Palaestra eloquentiae ligatae (Bd. 3) den Märtyrer als Tragödienhelden: Furcht erzeugt nämlich allein schon die Grausamkeit der auferlegten Marter. Optimale Katharsis bewirkt es, wenn die Zuschauer Furcht empfinden und gleichzeitig die Standhaftigkeit des Heiligen betrachten können. Mehr Mitleid verdient schließlich derjenige, dessen Hinrichtung, weil er tugendhaft ist, mehr Empörung erweckt: „vir fortis, indignus suppliciorum (quae gravissima fuerunt Martyrum) non territus etiam terrebit spectantes atrocitate poenae proposita: imo incussum metum, constantia simul viri inspecta, optime purgabit; ... Quo deinde quisque supplicio magis indignus virtute sua est factus, eo ad commiserationem promerendam magis est opportunus“, zit. nach Willi Flemming, Das Ordensdrama, Leipzig 1930, S. 44. 34 Sofronova, Poėtika, S. 42. 35 Sarbiewski, O poezji doskonałej czyli Wergiliusz i Homer, S. 229. 36 Okoń, „Z zagadnień baroku w szkolnym dramacie jezuickim, S. 14.
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concordia.“37 Sarbiewski gebraucht die angeführten Gattungsnamen nicht, doch läßt sich der Sache nach eine concettistische Auffassung der beiden Dramentypen aus dem obigen Zitat herauslesen: die übliche, in seiner Tragödiendefinition festgelegte Erwartungshaltung auf das unheilvolle Ende (bzw. auf das glückliche in der Komödie) kann getäuscht werden, den glücklichen (unglücklichen) Ausgang begleitet jedoch ein abweichendes Prinzip – cum timore (cum festivitate). Bis hierher wurden in der Dramentheorie traditionelle, vorwiegend auf Aristoteles und Pontanus zurückgehende Grundsätze nachvollzogen. Absoluten Neuheitswert für die polnische Theatergeschichte haben die folgenden Kapitel, in denen Sarbiewski aktuellste Errungenschaften der Bühnentechnik vorstellt, die er während seines dreijährigen Romaufenthaltes kennengelernt hatte. Detaillierte Konstruktionsanweisungen im Text veranschaulicht er durch entsprechende Skizzen im Anhang.38 Sarbiewski beschreibt hier einen relativ bescheidenen, nicht allzu kostspieligen Bühnentyp, wie er ihn im Collegium Germanicum der Jesuiten kennengelernt hatte.39 Die historische Entwicklung dieser Technologie seit Vitruv und ihre Varianten im 17. Jh. zeichnet Raszewski nach – es geht mir im Folgenden ebenfalls darum, Sarbiewskis Äußerungen über die materielle Bühnenausstattung als solche zusammenzufassen. Darüber hinaus liegt es mir aber vor allem an deren Explikation, um das Phänomen der Bildlichkeit im Barocktheater unter dem Aspekt ihrer technischen Produktion zu erörtern. Das vorrangige Ziel des Maschineneinsatzes, die Bühnenillusion zu steigern, läßt sich anhand verschiedener kategorialer Bestimmungen innerhalb des Textes nachweisen. Oben wurde schon vor der Gefahr unrealistisch wirkender Tötungsszenen aufgrund falscher Handhabe technischer Vorrichtungen gewarnt. Implizit dürfen wir nun von der kunstgerechten Beherrschung der Apparaturen eine Zunahme der probabilitas und eine effizientere Einwirkung auf den Zuschauer erwarten.40 Zwar geht Sarbiewski nicht explizit auf die Frage nach dem Stellenwert des Visuellen in der Theateraufführung ein – indirekt können wir ihre Bedeutung sehr wohl daran ermessen, wie die verschiedenen Themenbereiche proportional auf das Textganze seiner insgesamt kurzen Abhandlung De tragoedia et comoedia verteilt sind. Sarbiewski gibt der Beschreibung der Bühnentechnik ungefähr ebenso viel 37 Sarbiewski, Wykłady poetyki (Praecepta poetica), S. 5. 38 Einen vergleichbaren technischen Zug verrät bereits die acumen-Theorie Sarbiewskis, nimmt er doch als Ausgangspunkt das materiell-geometrische und damit klarste Beispiel eines acumen, nämlich das acumen mathematicum in Form eines Dreiecks, s. Wykłady poetyki (Praecepta poetica), S. 6. 39 Zbigniew Raszewski, „Maciej Kazimierz Sarbiewski: O poezji doskonałej czyli Wergiliusz i Homer. Wstęp“, in: Pamiętnik teatralny (1953), S. 24. 40 Vgl. Okoń, „Z zagadnień baroku w szkolnym dramacie jezuickim, S. 19.
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Raum wie formalen und inhaltlichen Fragen der Dramenkomposition: An Kapitel I „Definitio tragoediae“ und II „Differentiae comoediae et tragoediae explicantur“ schließen sich die vier technikbezogenen Kapitel III „De lumine artificiali“, IV „De structura ipsius theatri et apparatu“, V „De lateribus theatri“, VI „De latere profundissimo theatri construendo“ an. Ebenso wie die beiden Anfangs-, ist das abschließende Kapitel VII „Partes comoediae et tragoediae et actus, ubi et de mimo“ der konventionellen Dramentheorie zuzuordnen. In Seitenzahlen ausgedrückt, beziehen sich dreieinhalb auf technische, viereinhalb auf poetologische Anweisungen. Im Zusammenhang mit der technischen Bühnenausstattung ergeben sich auch deutliche Hinweise auf Sarbiewskis Problembewußtsein, was das Verhältnis des Theaters zu den Nachbarkünsten angeht. Unsere Sammlung verschiedener Belege ist als Beitrag zur Neulektüre traditioneller Poetiken im Hinblick auf intermediale Fragestellungen anzusehen, wie sie Jürgen Müller gefordert hat. In Anlehnung an Claus Clüvers Interart Studies (Bloomington 1996) bekräftigt Müller den intermedialen Aspekt der Poetik des Aristoteles – für Aristoteles bildeten Dichtung und Musik eine unauflösbare Einheit. Mit der Abgrenzung einzelner Kunstbereiche Ende des 19. Jhs. setzte eine getrennte Theoriebildung ein, in deren Verlauf sich unser heutiger Zugang zur aristotelischen Poetik auf sprachlich-textuelle Aspekte verengt hat.41 Für die vorliegende Arbeit methodisch vorrangig ist der Vergleich zwischen bildender Kunst und Dichtung, und so füge ich ergänzend hinzu, daß dieser so alt ist wie die Reflexion über die Dichtung selbst. Aristoteles stellt nicht weniger als siebenmal die Art der Nachahmung in der Tragödie einerseits, in der Malerei andererseits gegenüber, oft an strukturell bedeutsamen Stellen: z.B. entspricht dem Mythos als Fundament, als Seele der Tragödie die klare Umrißzeichnung in der Malerei. Charaktere kommen erst als zweites in Betracht, ebenso wie das Auftragen der Farbe. Die Verfahrensweise des Portraitmalers, Menschen ähnlich und zugleich schöner wiederzugeben, kann der Tragödiendichter zum Vorbild nehmen, weil er Menschen nachahmt, die besser sind als der Durchschnitt. So hat er ihre Charakterfehler, zugleich aber auch ihre Rechtschaffenheit darzustellen.42 Kehren wir zu Sarbiewskis Poetik zurück und wenden uns der Einleitung zum III. Kapitel „De lumine artificiali“ zu: Für Sarbiewski macht es einen Unterschied, bei welchen Lichtverhältnissen die tragische Handlung betrachtet wird, ob bei natürlichem Sonnenlicht oder künstlichem Lampenlicht, ob in einem geschlossenen Raum oder unter freiem Himmel, bei mäßigem oder hellem Licht, auch wenn man 41 Jürgen E. Müller, „Intermedialität als poetologisches und medientheoretisches Konzept“, in: Intermedialität. Theorie und Praxis eines interdisziplinären Forschungsgebiets, hrsg. v. Jörg Helbig, Berlin 1998, S. 32 f. 42 Aristoteles, Poetik, griechisch/deutsch, übs. u. hrsg. v. Manfred Fuhrmann, Stuttgart 1982, S. 23 u. 49.
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den Zweck der Tragödie selbst im Auge hat, traurigere Stimmungen zu erzeugen, und den allgemeinen Zweck der Dramen, Handlungen nachzuahmen: „ ... itaque si spectetur et finis ipsius tragoediae, qui est excitare tristiores affectus, et communis dramatum, qui est imitari actiones non tantum per dictionem et verba, sed etiam per gestus, vocem, incessum, affectum, demum per melodiam, per machinas et apparatum. Si igitur per cetera imitatur tamquam arte facta vel per artem temperata, idem plane videtur et de lumine ipso, ad quod spectari ipsa actio debet, potissimum cum iuxta varias exigentias nunc tristium, nunc iucundorum affectuum possit intendi vel minui lumen ipsum arte factum.“43
Die entscheidende explizite Stellungnahme zur Synthese der Künste in der dramatischen Aufführung finden wir also wiederum dort, wo es um die definitorische Quintessenz der Tragödie, bzw. des Dramas geht, d.h. um die Nachahmung von Handlungen „nicht nur durch Diktion und Worte, sondern auch durch Geste, Stimme, Bewegung, Gemütszustand, Melodie, Maschinen und Ausstattung.“ Diesen Katalog üblicher Darstellungsmittel erweitert Sarbiewski im Sinne scholastischen Anspruchs auf Universalität durch „übriges, das nachahmt, sei es durch Kunst gefertigt oder durch Kunst eingerichtet“ und nennt sogleich ausdrücklich das Licht, in dem die Handlung betrachtet wird. Je nachdem ob traurige oder angenehme Gemütszustände zu erzeugen sind, läßt sich das künstliche Licht verstärken oder dämpfen. Aus dem Folgenden geht dann deutlich hervor, daß Beleuchtung nicht nur eine handwerklich-technische Angelegenheit ist, sondern in der Sphäre der neuzeitlich verstandenen artes ihren Platz hat. Auf den ästhetischen Wert kommt es Sarbiewski vor allem an, wenn er feststellt, daß im Reflex der Öllampen Kostüme, Maschinen und die seitlichen Bühnendekorationen schöner erscheinen, umso mehr, als auch viele Unzulänglichkeiten der Maschinen bei künstlichem Licht verborgen bleiben. Die Kunst der Beleuchtung dient so der Idealisierung, welche schon Aristoteles dem Tragödiendichter und Portraitmaler zur Aufgabe machte (wie wir oben gesehen haben). Schließlich können ungewohnte Lichteffekte heiligen Schauder hervorrufen: „Demum experientia constat apparatum ipsum vestium, machinarum et laterum theatri tum pulchriorem apparere penes lucernas propter reflexum propinqui et tractabilis luminis, tum etiam, quod penes lumen artificiale multa vitia et defectus machinarum occultari possunt. Denique ipsa ratio inusitata luminis horrorem quendam sacrum in spectatoribus excitat.“44
Praktische Vorgaben zum Schluß dieses Abschnitts: erstens soll das Licht die Bühnenfläche, auf der die Fabel ausgeführt wird, bescheinen; zweitens sind die Lampen selbst versteckt zu halten hinter zwei Füllhörnern, angebracht an der oberen Stirnseite der Bühne, so wie es in der zugehörigen Skizze aufgezeichnet ist. 43 Sarbiewski, O poezji doskonałej czyli Wergiliusz i Homer, S. 231. 44 Ebd.
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Die folgenden Kapitel haben den Aufbau der Bühne selbst zum Gegenstand. Systematisch begonnen wird unter IV „De structura ipsius theatri et apparatu“ mit der Spielfläche, deren Breite zum Auditorium hin stetig anwachsen, deren Höhe aber in Richtung Zuschauerraum abnehmen soll (wohl der besseren Übersichtlichkeit und perspektivischen Wirkung halber). Auf dieser trapezförmigen Grundfläche sind entsprechend Sarbiewskis Skizze kästchenförmige Markierungslinien einzutragen, damit die Schauspieler ohne Schwierigkeiten die rechte Aufstellung finden, insbesondere der Chor sich zum Kreis oder Halbkreis formieren kann. Weil die tragische oder komische Handlung zeitweise am Meer vonstatten geht, müssen die Bühnenbretter außerdem so verlegt sein, daß sie sich von unten anheben lassen; mittels eines an ihre unteren Teile angehefteten Gewebes, das sich aufbläht und mit silbernen und dunkelblauen seidenen Fäden durchwirkt ist, können sie so das scheinhafte Bild von Wellen wiedergeben. Bewegt man vom unteren Teil der Bühne her kleine Stangen zweckentsprechend, entsteht ein simuliertes, zitternd im Lichtschein spielendes Meer: „providendum insuper est, ut asseres basis theatralis prius ante inter se ita intersecti componantur, ut a parte inferiori apte elevati speciem fluctuum referre possint appensa ad inferiores partes intumescente tela filis argenteis et caeruleis sericis contexta. Ipsi vero asserculi a parte inferiore apte moveri possint, ut falsus ille ... ludat tremulo sub lumine pontus.“45
Sarbiewski konkretisiert hier seine Vorstellung von der Illusionsbühne, wie sich anhand textinterner Verweise auf „speciem ... referre“ und „falsus ille ... pontus“ nachweisen läßt. Die Perfektionierung der fiktionalen Welt wird zum Hauptzweck im folgenden Kapitel über die seitlichen Bühnendekorationen (V „De lateribus theatri“). Sie sind so einzurichten, daß der Schauplatz den natürlichen Ort der wirklichen Handlung nachbildet: „procurandum est, ut ipse locus imitetur naturalem locum verae actionis“. Erfahrungen seines Romaufenthalts nimmt Sarbiewski als Muster, um die dazu notwendigen technischen Vorrichtungen zu beschreiben: drei längliche Kuben sind jeweils auf der rechten und linken Seite der Bühne so auf ihrer durchgehenden Mittelachse zu montieren, daß sie bequem gedreht werden können. Bei entsprechender Einstellung entsteht für den Zuschauer der Eindruck einer durchgehenden Wand auf beiden Seiten; dabei bleiben aber genügend Zwischenräume, damit die Schauspieler eintreten können und die Kuben sich nicht gegenseitig behindern, wenn sie alle gleichzeitig umgedreht werden, so daß sie – auf verschiedene Seiten gewendet – das Abbild verschiedener Dinge vergegenwärtigen. Jeder einzelne der sechs Kuben soll auf der einen, von oben bis unten mit Stoff bespannten Seite z.B. einen Wald in exaktester perspektivischer Malerei dargestellt haben, ähnlich auf der anderen Seite Wolken, auf der dritten aber Feuer, auf der vierten Türme und Bauwerke: 45 Ebd., S. 232.
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„ ... ut in diversas partes versi diversarum rerum effigiem repraesentent. Singuli ergo cubi sex in una parte v.g. habeant protensa tela a summo apice teatri usque ad basim theatralem depictas silvas per exactissimam opticam picturam, similiterque in altera parte omnes similiter cubi habeant optice depictas nubes, in tertia vero ignem, in quarta turres et aedificia“46
Der Sache nach beschreibt Sarbiewski hier eine Bühnenvorrichtung, die in der griechischen Antike als períaktos, in der Renaissance als telari (Mz.) bezeichnet wurde. Diese spezifischen Termini erscheinen Raszewski zufolge jedoch nicht in polnischen Quellen.47 Für unsere Fragestellung von entscheidendem Interesse ist, daß Sarbiewski in obigem Zitat sinngemäß den Ort für die Eingliederung der Malerei in das Gesamtsystem der dramatischen Aufführung angibt. Das Bühnenbild vermittelt eine möglichst genaue optische Illusion, es leistet die jeweilige räumliche Typisierung des Handlungsgeschehens. Umso mehr erhalten diese Zusammenhänge eine Rechtfertigung, wenn man die materiell-inszenierungstechnischen Ausführungen vor dem Hintergrund des einleitenden Grundsatzkapitels der ganzen Poetik (I „De natura poeseos“) liest: Die Poesie ist allen anderen Künsten überlegen, der Dichter in seiner Schöpferkraft gewissermaßen Gott ähnlich. Menschliche Handlungen sind vorrangiges, aber nicht ausschließliches Thema der Poesie, auf welches auch übrige Objekte oder Dinge bezogen sind. Danach folgt die Stelle, an der Sarbiewski den Vergleich mit dem Maler einführt: fertigt dieser das Bild eines Hirten an, malt er aber auch Schafe, Wiesen ringsum, Wälder, Bäche, weil sie auf den Hirten bezogen sind.48 In der folgenden Argumentation a fortiori wird die Vorgehensweise des sapientissimus pictor erläutert, der in fünf Schritten die Bildtafel des Universums gestaltet, bevor er in deren Mitte sein perfekt nachgeahmtes Ebenbild – den Menschen – stellt. Zunächst nimmt er sich jene unermeßlichen imaginären Räume, quasi als Bildtafel des Universums vor, dann beginnt er nach Art der Maler mit der Landschaft, d.h. er breitet Luft, Feuer, Wälder, Meer, etc. aus. Der erste Schritt der Malerei besteht also im Festlegen der Umrißlinien nach perspektivischen Regeln („totam denique primam illam picturae artem, quam opticam vocant, suis expressit linea46 Ebd., S. 233. 47 Zbigniew Raszewski, „Maciej Kazimierz Sarbiewski: O poezji doskonałej czyli Wergiliusz i Homer. Wstęp“, in: Pamiętnik teatralny (1953), S. 26 f.; hinsichtlich der Warschauer Bühneneinrichtung ist von kunsztach die Rede, von blejtramach (Blendrahmen) in einer Lubliner Quelle. Das Lubliner Theater entsprach genau den Vorgaben Sarbiewskis – für Windakiewicz geht das aus einem Gedicht über den Brand von Kirche und Kollegium im Jahr 1758 hervor. Dessen Autor bedauert zwar den Vorfall, konnte sich aber der komischen Wirkung nicht entziehen, als die blejtramy begannen, sich durch das Feuer selbsttätig zu bewegen und aus der Achse zu springen, s. Stanisław Windakiewicz, Teatr kollegjów jezuickich w dawnej Polsce (= Polska Akademja Umiejętności. Wydział filologiczny. Rozprawy T. LXI. Nr. 2). Kraków 1922, S. 8 f. 48 Sarbiewski, O poezji doskonałej czyli Wergiliusz i Homer, S. 5.
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mentis“, S. 6)49, der zweite im Auftragen der Farben, der dritte in der Kunst der Hell-Dunkel-Abstufung. Viertens ist das Bild mit belebten Bewohnern, Vierfüßlern, Fischen, usw. zu bestücken, fünftens mit Phantasiegeschöpfen wie Sphingen, Sirenen u. dgl. und schließlich mit dem Menschen als bestmöglicher Nachahmung Gottes. Ebenso wie auf diesem Gemälde des Universums, das der Poesie höchst ähnlich ist, wird in der Poesie der Mensch das bevorzugte Thema sein, die übrigen geschaffenen Dinge aber Beiwerk und nichts als Ornament und gewissermaßen optische Erscheinung des bevorzugten Objekts („in hac universi pictura, quam simillimam poesi diximus, cetera praeter hominem πάρεργα sunt ..., ita prorsus in poesi praecipuum argumentum erit homo, reliquae res creatae accessorium dumtaxat obiectum et non nisi propter ornamentum et opticam quandam praecipui obiecti apparentiam.“) Nach dem gleichen Schema geht unter den Dichtern der göttliche Vergil vor, wenn er in der Aeneis das Ebenbild des idealen Fürsten auf dem Gemälde des Epos wiedergibt: zuerst errichtet er jenem wie auf einem Gemälde eine Bühne und malt ringsum, ganz wie ein Maler, zweierlei Umgebung – Meer und Land („hic perfectissimi principis in tabula epopoeiae efficturus imaginem ... primum illi veluti in tabula theatrum erigit et regionem instar pictoris duplicem circum pingit, ... maris et terrae“).50 Der Vollständigkeit halber ist der entscheidende Unterschied hervorzuheben, auf dem die Überlegenheit der Poesie gegenüber der Malerei gründet: poesis und pictura können Dinge darstellen, nicht nur wie sie sind, sondern wie sie sein könnten. Malen heißt aber nicht sagen, dies ist so, sondern gewissermaßen deutlicher zeigen, wie etwas gewesen sein könnte. Erzählen aber, Sache des Dichters, heißt schon zu behaupten, daß dieses oder jenes ist, was gewesen sein könnte.51 Schaffen durch Wort und Bild stellt Sarbiewski auf höchster Ebene nebeneinander – im Schöpfungsmythos selbst: „quadam ratione in hoc quoque similis Deo poeta, qui cum res creat ... vocat ea, quae non sunt, tamquam ea, quae sunt“ (Hervorhebungen von Sarbiewski selbst), S. 4 vs. „Sapientissimus ergo pictor ille primum immensa illa imaginaria spatia quasi tabulam universitatis depingendae sibi proponit“, S. 6. Eine ganze Reihe von Belegstellen, die wir angeführt haben, spricht gegen eine starre Grenzziehung zwischen den Künsten. Sarbiewski legitimiert den Vergleich zwischen Dichtung und Malerei in den ideologisch-programmatischen Prämissen seiner Poetik und weist ihn durch textinterne Indikatoren wie sic, quasi, veluti, similitudo, instar aus. Sowohl konzeptuell, als auch in einzelnen termino49 Auffallend ist hier der übereinstimmende Sprachgebrauch, denn das „Weltgemälde“ wie auch die Bühnendekorationen sind gleichermaßen an die Regeln der Perspektive gebunden: „picturae artem … opticam“ (S. 6) – „opticam picturam“ (S. 233). 50 Ebd., S. 7. theatrum bedeutet Bühne, wie wir aus Buch IX, Kap. IV wissen. 51 Ebd., S. 11. Zur spezifischen Art des Behauptungssatzes im literarischen Kunstwerk s. Roman Ingarden, Das literarische Kunstwerk, 3. Aufl. Tübingen 1965, „§ 25. Der quasi-urteilsmäßige Charakter der in einem literarischen Werk auftretenden Aussagesätze“, S. 177.
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logischen Übereinstimmungen sehe ich Bezüge zu den inszenierungstechnischen Vorgaben im IX. Buch: Der Regisseur eines Bühnenstückes hat die „latera theatri“ (Kap. V) mit den Bildern verschiedener Landschaften zu versehen, ähnlich dem malenden Schöpfer des Universums („depictas silvas per exactissimam opticam picturam“, S. 233 vs. „primam illam picturae artem, quam opticam vocant, suis expressit lineamentis“, S. 6). Im System des Theaterspiels rückt freilich die Lichtgestaltung an erste Stelle (Buch IX, Kap. III), während die „ars opaci et clari“ (S. 6) im Einleitungskapitel der Poetik erst die dritte Schaffensphase des Weltgemäldes ausmacht. Die Anleihen des Theaters bei der Dekorationsmalerei haben uns zum Rückblick auf das Grundsätzliche der Einleitung veranlaßt – wenn Sarbiewski dort den in seiner Werteskala obenstehenden „göttlichen“ Vergil einführt, werden sogar Mehrfachübergänge zwischen den Künsten angezeigt, wohl als Möglichkeit einer potenzierten Schaffenskraft: Vergil ist Epiker, errichtet wie auf einem Gemälde eine Bühne für Aeneas und umgibt ihn wie ein Maler mit Meer und Land.52 Unter intermedialem Aspekt läßt sich hier eine Einwirkung des Theaters auf die Malerei bemerken, umgekehrt zu unserer am Anfang dieses Absatzes gestellten Ausgangsfrage. Die dichotomische Organisation irdischer Schauplätze, die uns Vergil vorzeigt, hat ihr Gegenstück in den speziellen Meeresnachbildungen der Bühnentechnik (S. 232) als Ergänzung zum ‚Festland‘ der Bühne selbst. Das VI. Kapitel des IX. Buches „De latere profundissimo theatri construendo“ können wir in das Gesamtbild der Einleitung nahtlos einfügen, enthält es doch auch die Vorrichtungen zur Einbeziehung der himmlischen Sphäre in das Bühnengeschehen. Zunächst knüpft Sarbiewski aber an das Vorangegangene an – den seitlichen Bühnendekorationen muß die Gestaltung der direkt dem Zuschauer gegenüberliegenden Front entsprechen: sechs auf Schienen zu bewegende Tafeln sollen mit ebenso vielen natürlichen Orten bemalt sein wie die sechs Kuben selbst; werden diese z.B. auf die Waldseite gedreht, soll man die beiden entsprechenden Tafeln im Hintergrund zusammenschieben.53 Es folgt die Beschreibung der Theatermaschinen, die den Abstieg der Götter vom Himmel oder ihren Aufstieg von der Erde dorthin gewährleisten, und bald erkennen wir auch, warum die Zweiteilung des rückwärtigen Prospekts geboten ist: der Spalt in der Rückseite ermöglicht das Einführen einer Stange in den Bühnenraum als Elementarbestandteil einer von hinten zu bedienenden Hebevorrichtung, die mit einem Gewicht, einem Flaschenzug und einem Seil verbunden sein soll. 52 Sarbiewski, O poezji doskonałej czyli Wergiliusz i Homer, S. 7. 53 Ebd., S. 233. Mit Recht bemerkt Raszewski, daß die vier verschiedenen Bühnenbilder der telari eigentlich vier Prospekte erfordern würden, d.h. acht Hintergrundstafeln, nicht nur sechs. Auch dürfte es sich nicht um eigentliche Holztafeln, sondern um kostengünstigere, mit Leinwand bespannte Holzrahmen gehandelt haben, s. Zbigniew Raszewski, „Maciej Kazimierz Sarbiewski: O poezji doskonałej czyli Wergiliusz i Homer. Wstęp“, in: Pamiętnik teatralny (1953), S. 29.
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Im Interesse täuschender Nachahmung ist das vordere Ende der Stange zu den Zuschauern hin mit einer gemalten Wolke zu kaschieren, damit die Stange selbst nicht zum Vorschein kommt und der Urgrund der Bewegung in eben der Wolke zu liegen scheint; gleichsam selbsttätig steigt die Wolke mit dem Schauspieler-Knaben herab, während sie doch heimlich mit dem Seil heruntergelassen wird, bzw. empor, wenn man es anzieht: „Itaque cum nubem ascenderint pueri, non praeponderabunt aequale sibi pondus, si dimittantur lente diducto ex vertebro fune, et ex altera parte non apparebit umquam spectatori ipsa pertica adeoque videbitur principium primum movendi esse in ipsa nube, quasi ipsa sponte vel descenderet diducto occulte, vel ascenderet attracto fune. Pertica autem dimittenda est per commissuras asserum quarti lateris theatralis, oppositi spectatoribus.“54
Sarbiewski entwirft – so läßt sich das bisher Gesagte zusammenfassen – den Plan einer bescheiden ausgestatteten, dem Schultheater angemessenen Sukzessionsbühne. Ihre Tiefenausdehnung wird wohl vier Meter betragen haben, wie Raszewski anhand der drei Paare von telari durch Vergleich mit den Vorgaben in Furttenbachs Traktaten errechnet. Die Oberfläche beleuchteten Lampen, deren Helligkeit zwar durch blecherne Schirme reguliert werden konnte; sie waren aber auf nur einer oberen Rampe zusammengefaßt und verdeckt durch das obere Fragment eines Bühnenrahmens.55 Unsere Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf die technischen Vorrichtungen vor allem insoweit, als sie dazu dienten, die Bildkomponente der dramatischen Handlung attraktiver zu gestalten. Anhaltspunkte für diesen Ansatz ergaben sich aus dem Text der Poetik selbst: verschiedene Stellen sind im Sinne einer Aufdeckung illusionistischer Verfahren für die Leserschaft zu verstehen. Im abschließenden VII. Kapitel seiner Dramentheorie „Partes comoediae et tragoediae et actus, ubi et de mimo“ wendet sich Sarbiewski wieder poetologischen Fragen zu und schreibt die Aufgliederung der Komödie in fünf Teile vor: der erste umfaßt den prologus, der zweite die protasis, in welcher der Hauptgegenstand des Stückes vorgestellt wird. Im dritten Teil, der epitasis, folgt eine Steigerung der Vorfälle in der protasis, Tumult und Schwierigkeiten sind hervorzurufen oder zu verstärken. Die Lebenskraft der Fabel selbst, ihr fester Bestand ist in der catastasis, dem vierten Teil, enthalten: er bringt eine größere Verwirrung der Dinge. Abgeschlossen wird die Fabel durch den fünften Teil, die catastrophe: hier sind schon die größten Schwierigkeiten aufgetreten, unvermutet gelangt die Sache aber zu einem guten Ende. Die Tragödie hat etwa die gleichen Teile, außer daß sie keine Prologe in Form einer Anrede an die Zuschauer aufweist. Überdies pflegt die Tragödie in der pro54 Sarbiewski, O poezji doskonałej czyli Wergiliusz i Homer, S. 233. 55 Zbigniew Raszewski, „Maciej Kazimierz Sarbiewski: O poezji doskonałej czyli Wergiliusz i Homer. Wstęp“, in: Pamiętnik teatralny (1953), S. 30 f.
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tasis und epitasis heiter gestimmt zu sein und den glücklichen Ausgang einer Sache zu versprechen – im Gegensatz zur Komödie. Gemeinsam ist ihnen aber, daß in der catastasis die Gefahr der tragischen Verwirrung offenbar zu werden beginnt, bis schließlich die Sache ihren Ausgang in der catastrophe nimmt.56 Tragödie und Komödie haben jeweils fünf Akte. Im ersten enthalten beide gewöhnlich auf verblümte Weise den Stoff der ganzen Fabel und verheißen insgeheim den Ausgang. Im zweiten wird die Sache zur Handlung fortgeführt. Im dritten Akt sind in der Komödie Hindernisse und Störungen hervorzubringen, manchmal auch in der Tragödie, obwohl sie zuweilen bis hierher im glücklichen Zustand der Fabel verbleibt. Der vierte Akt zeigt in der Komödie den Weg auf, wie die Hindernisse beseitigt werden können, in der Tragödie aber beginnt die Störung entweder oder wird größer. Der fünfte Akt bringt in der Komödie die in Verwirrung geratenen Dinge in Ordnung, in der Tragödie aber richtet er die in Verwirrung geratenen Dinge zugrunde und führt sie zur äußersten Störung. Weiter unten wird die Frage zu behandeln sein, ob und wie sich Sarbiewskis Vorgaben zur Aufgliederung der Fabel und zur Akteinteilung auf die Kommunia Duchowna S. S. Borysa y Hleba anwenden lassen. Die Akte sind wiederum in Szenen eingeteilt. Sarbiewski beklagt Verstöße der Zeitgenossen gegen die in der Antike beachtete Regel, daß nur Befehlshaber, Familienoberhäupter und Herren das Wort ergreifen und sich höchstens drei Personen in einer Szene unterreden sollen. Vor allem gilt dies für die Tragödie, in der ganz besonders Würde bewahrt werden muß. Der im Titel bereits genannte mimus ist in der Regel eine Komödie, welche man Sarbiewski zufolge als barfuß bezeichnete, weil sie von den Schauspielern wegen der Niedrigkeit des Stoffes ohne Kothurn und Sokkus aufgeführt wurde. Es wird zu prüfen sein, ob sich die Beschreibungskriterien des Mimus auf die Intermedien unseres Stückes anwenden lassen. Der Mimus steckt voller Scherze, berührt jedoch „verblümte Sentenzen“: „Mimus vero est comoedia fere, quae vocabatur planipes, iocis plena, sententiis tamen obliquis perstringens, vocata autem planipes, quod sine cothurno et socco ob humilitatem argumenti ab histrionibus agebatur.“57
Ausführungen zur Musikbegleitung von Tragödie und Komödie im folgenden Abschnitt bewerten wir wiederum im Sinne einer multimedialen Konzeption des Theaters und verweisen zurück auf die Stelle im III. Kapitel über die Nachahmung von Handlungen „per melodiam“. Sarbiewski stützt sich dann im VII. Kapitel auf die erschöpfende und gelehrte Behandlung dieser Fragen in Scaligers I. Buch, führt aber auch das allerneueste, außerordentliche Instrument an, welches man ihm in Rom 56 Sarbiewski, O poezji doskonałej czyli Wergiliusz i Homer, S. 234. 57 Ebd., S. 235.
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genau erklärt hat. (Abb. 7) Es kann gleichzeitig als Maschine aufgefaßt und nicht nur auf höchst erfreuliche Weise gehört, sondern auch betrachtet werden. Selbsttätig, ohne irgendeine Hand zu brauchen, vermag es, ein trauriges oder fröhliches Lied erklingen zu lassen:
Abb. 7 Sarbiewski: „De tragoedia et comoedia“, cap. VII: mechanisches Psalterion
„Porro, quod spectat ad melodiam, utrique aeque communem, de hac plus quam satis Scaliger lib. I … Nos adducimus unicum instrumenti genus, quod simul et machinae obtinere posset vicem, et non audiri modo gratissime, sed etiam spectari. Quod nobis exacte Romae explicatum ita est. Potest autem sponte sine ullo manus usu sonare idque vel lugubre, vel laetum melos.“58
Abschließend folgen allgemeine Bemerkungen zum szenischen Spiel und zur Deklamation – so erfordere die Tragödie die weit ausladende, bedeutungsschwere, heftige (laxum, gravem, vehementem) Gebärde, vor allem in den späteren Akten IV und V, die sich in ihrer Art auch von der Geste in der Rhetorik und im Alltagsleben unterscheide, weil sie sich vom angestrebten Wirkungsziel her unterscheide. In heftiger Gemütsbewegung kann sie über die Schultern, ja sogar über den Kopf vorgestreckt werden. Der Tragödie eigen ist der Gang auf Kothurnen, d.h. von der Höhe mit einem gewissen, nicht allzu gekünstelten Wechsel der Seiten und des ganzen Körpers, die wohltönende, kräftige, wirkungsvolle Stimme mit äußerst gewähltem und majestätischem Ausdruck der einzelnen Wörter.59 In der Gesamtwertung können wir Sarbiewskis Dramenpoetik als konservativ – gebunden an die klassische Tradition (Aristoteles, Horaz) und deren Nachfolge (Scaliger) – bezeichnen, gleichzeitig aber auch als hochmodern im Hinblick auf die Angaben zur Bühnentechnik. Um Sarbiewskis innovatorischen Beitrag nicht nur zur polnischen Theatergeschichte, sondern im gesamteuropäischen Rahmen zu würdigen, ziehen wir Barbara Bauers Aufsatz „Multimediales Theater. Ansätze zu einer Poetik der Synästhesie bei den Jesuiten“60 heran. Ihr Ausgangspunkt ist 58 Ebd. Die Funktionsweise dieses mechanischen Psalterions erklärt Raszewski (S. 30, Anm. 26) anhand der vier Zeichnungen dazu, die Sarbiewski seiner Abhandlung beigefügt hat. 59 Sarbiewski, O poezji doskonałej czyli Wergiliusz i Homer, S. 235 f. 60 Barbara Bauer, „Multimediales Theater. Ansätze zu einer Poetik der Synästhesie bei den Jesuiten“, in: Renaissance-Poetik, hrsg. v. Heinrich F. Plett, Berlin / New York 1994, S. 197–238.
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die Kluft zwischen der Dichtungstheorie der Jesuiten, die bis zur Mitte des 17. Jhs. strikt an Aristoteles orientiert war, und deren fortschrittlicher Bühnenpraxis: die Anziehungskraft der Stücke beruhte maßgeblich auf textexternen Gestaltungsmitteln wie gemalten Dekorationen, Musik und Balletteinlagen.61 Dieser Befund wirft die Frage auf, ob es „Ansätze zu einer jesuitischen Poetik der Synästhesie, in der sich die multimediale Praxis des Jesuitentheaters in Form von Regeln und Ratschlägen niedergeschlagen hat“62 gibt. Aufschluß darüber wird von Delrio, Pontanus, Donati, Masen, Lang und Neumayr erwartet. Wenn wir Bauers Ergebnisse pointiert zusammenfassen, lassen sich zwei Stufen der Reflexion über Intermedialität, bzw. Multimedialität in der jesuitischen Dichtungstheorie unterscheiden: 1. Poesie und Malerei sind verwandt, weil sie auf die imitatio / repraesentatio der Dinge abzielen. Dieser Gedanke gehört nach Bauer zu den Gemeinplätzen der Dichtungstheorien in der Renaissance. So fordert auch noch Antonio Possevino in seiner Bibliotheca selecta (1593), „daß die beiden Künste nie getrennt würden, die durch so viele Symbole einander ähnlich und gleichsam durch Verbindungen miteinander verknüpft seien.“63 2. Im Laufe der 1. Hälfte des 17. Jhs. vollzieht sich die Abkehr von Scaligers puristischer Haltung, die Wirkung des Dramas müsse vorrangig an die fabula nuda, d.h. an actio und oratio gebunden sein.64 Szenischer Apparat, Musik und Tanz werden im Interesse einer gezielten Affektsteuerung der Zuschauer als gleichberechtigt anerkannt. Nach Bauer findet sich „eine Wertung aller Künste gemäß denjenigen Sinnen, die sie ansprechen, und mit Rücksicht auf diejenigen Affekte, die durch die Sinneseindrücke erregt werden, ... in den ästhetischen Theorien erst, seitdem verschiedene Künstler unter einheitlicher Regie an einem komplexen ästhetischen Ereignis, z.B. einer Theater- oder Opernaufführung im Kontext eines Festes, zusammenwirkten.“65 Der Rhetorik kam in diesem Zusammenhang die Rolle einer Grundlagenwissenschaft, einer übergreifenden Produktions- und Wirkungstheorie zu, anhand derer sich die sinnlich-affektiven Leistungen der einzelnen Künste vergleichen ließen. Rhetorisch begründet war auch die Aufwertung handlungsexterner Darstellungsmittel im Sinne einer amplificatio des Dramentextes.66 Anfang des 18. Jhs. rechtfertigt Franciscus Lang die multimediale Reizüberflutung in seinen Meditationsdramen damit, daß dann wenigstens ein Sinn die Botschaft aufnehmen wird, wenn die anderen gerade abgelenkt oder träge seien.67
Eine Sonderstellung nimmt Jacob Masen ein – mit seiner Palaestra eloquentiae ligatae und der emblemtheoretischen Abhandlung Speculum imaginum veritatis 61 Ebd., S. 198 u. 200. 62 Ebd., S. 201. 63 Zit. nach ebd., S. 206 („ne dissociarentur, quae tot symbolis persimiles, ac quasi nexibus aptae essent inter sese“). 64 Ebd., S. 214. 65 Ebd., S. 220. 66 Ebd., S. 213. 67 Ebd., S. 233.
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occultae hat er Mitte des 17. Jhs. den Anschluß der Theorie an die Bühnenpraxis vollzogen.68 Masen vertrat die Überzeugung, daß das Bild (imago), die sinnliche Vergegenwärtigung einer Idee, Quelle der dichterischen Erfindung sei. Die tradierte Gattungssystematik von Drama, Epos und Lyrik tritt nun in den Hintergrund gegenüber einer neuen zeichentheoretischen Grundlegung der Gattungen: zum Unterscheidungskriterium wird das jeweilige Verhältnis zwischen der imago des dichterischen Werkes und der dargestellten Wirklichkeit. Die vier Arten der imago figurata, von denen das dichterische Werk jeweils ausgehen kann, sind Emblem, Symbol, Hieroglyphe und Aenigma. Ein einzelnes Sinnbild und die allegorische Szene eines Dramas z.B. können nun der gleichen Gattung angehören. Dabei lassen sich die vielschichtigen Bedeutungsdimensionen der imago figurata in der dramatischen actio sukzessiv entwickeln, indem z.B. auf die konkrete Darstellung historischer Ereignisse eine scena muta folgt, die den übertragenen Sinn dieser tatsächlichen Begebenheiten vorführt. Masen unterschied drei Arten der dramatischen Fabel, das genus verisimile, das genus verisignificativum und die Kombination beider im genus et verisimile et verisignificativum. Die erste Kategorie gibt das Abbild einer möglichen Sache, die Darstellung dessen, was gewesen sein könnte, bei der zweiten ist eine verborgene Wahrheit in das Bild tatsächlicher Ereignisse gekleidet. Den höchsten Stellenwert hat die dritte Variante, indem ähnlich wie bei einem Emblem, ein historischer Stoff mit einer zweiten Ebene indirekter Bedeutung verknüpft wird: „Tertium genus cum utrumque possideat, merito excellit ... ac proinde talis Dramatum adumbratio similis est emblematis, sive imagini figuratae quae aliud quam tabula proponit, mystice significat.“69 Als Anhänger des argutiaStils schätzt Masen den Vorzug dieses genus, den Leser in Spannung zu halten und durch unerwartete Gelehrsamkeit zu fesseln. Soweit wir sehen, beschränkten sich die jesuitischen Dramentheoretiker in den von Bauer ausgewerteten Fällen auf die poetologische Rechtfertigung handlungsexterner Darstellungsmittel. Masen kann im Hinblick auf die Inszenierungstechnik als Klassizist und Kritiker übertriebener Effekthascherei, wie sie durch den Einsatz von Maschinen möglich wurde, gelten. Konkrete Informationen zur Aufführungspraxis, z.B. zur Verwendung verschiedener Bühnen- und Kulissentypen, hat erst Franciscus Lang Anfang des 18. Jhs. in der Einleitung zum dritten Band seiner Stücke gegeben.70 Sarbiewski scheint so mit seiner technischen Anleitung zum Bau der Bühne und ihrer Ausstattung einzigartig im Vergleich mit den jesuitischen Dichtungstheoretikern der ersten Hälfte des 17. Jhs. Seine detaillierten Konstruktionsanweisungen in Wort und Bild, so unbeholfen die Zeichnungen auch größtenteils sind, schei68 Ebd., S. 211. 69 Ebd., S. 217 u. Anm. 65. 70 Ebd., S. 230.
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nen mehr einem Handbuch der Architektur als einer Poetik anzugehören. Er hat sich damit über die Trennung der Aufgaben von Dichter und Choragus (Regisseur) hinweggesetzt, die zur gleichen Zeit von Alessandro Donati vertreten wurde71. Sarbiewskis Beitrag zur „Poetik der Synästhesie“ ist vielfältig: wir haben gesehen, daß er im Einleitungskapitel seiner Poetik den für die Renaissance bezeichnenden Topos der Verwandtschaft zwischen Poesie und bildender Kunst im Schöpfungsmythos selbst begründet. Die Anerkennung extraverbaler künstlerischer Mittel zur Nachahmung von Handlungen ist im Kapitel III über die Bühnenbeleuchtung festgeschrieben. Explizit benannt ist dort auch die Möglichkeit der Affektsteuerung der Zuschauer mittels der Intensität des künstlichen Lichts. Insgesamt gesehen, kommt es Sarbiewski aber weniger auf die Affektsteuerung an, vielmehr auf imitatio und repraesentatio, die ich als Schlüsselbegriffe anhand mehrerer Belegstellen herausgearbeitet habe. Als Ergebnis der Analyse ist festzuhalten, daß Sarbiewski in erster Linie auf die Erzeugung szenischer Illusion bedacht war. Er beschreibt die bescheidenen Ursprünge einer Entwicklung, die ihren Höhepunkt in den illusionistischen Bühnen- und Freskomalereien des Jesuiten Andrea Pozzo fand. Pozzos Handbuch Perspectiva pictorum atque architectorum (Rom 1693) wurde grundlegend.
4.2 Zusammenfassung des Drameninhalts mit besonderer Berücksichtigung der Rede Bevor ich die Kommunia Duchowna S. S. Borysa y Hleba auf allgemeine Kompositionsgesetze des künstlerischen Textes hin analysiere, in Übereinstimmung mit den Kategorien Uspenskijs, sind in einem ersten Schritt spezifische Merkmale von Inhalt und Komposition der dramatischen Handlung zusammenzufassen. Die Handlung als zentrale Aufgabe dramatischen Gestaltens zu sehen, fordert die historische Einordnung unseres Stückes – auf dichtungstheoretische Begründungen dazu bin ich bereits eingegangen. Ein einzelnes Element aus dem Gesamtparadigma des Dramatischen herauszulösen, stellt freilich vor methodische Probleme. Nach Aristoteles besteht die Tragödie aus sechs Teilen: mythos (Handlung), ethe (Charaktere), diánoia (Gedanke, Erkenntnisfähigkeit), lexis (Rede, Sprache), opsis (Schau, Inszenierung) und melopoiía (Gesang, Melodik). Scaliger und Sarbiewski verwenden die entsprechenden lateinischen Termini fabula, mores, sententia, dictio, apparatus, melodia.72 Der Stellenwert, den diese Teile in ihrem korrelativen Verhältnis zueinander jeweils einnehmen, unterliegt historischen Veränderungen: die immense Bedeutung der Inszenierung für das barocke Schuldrama haben wir mehrfach belegt. Um aber die 71 Ebd., S. 215. 72 Bernhard Asmuth, Einführung in die Dramenanalyse, Stuttgart 1980, S. 3.
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dramatische Handlung unseres Stückes zu beschreiben, sind wir vor allem auf die Personenrede, den szenischen Dialog angewiesen und werden dazu auf signifikante Textstellen verweisen. Den szenischen Dialog hat Herta Schmid als strukturbildendes Prinzip der dramatischen Gattung bestimmt, während „die Übergabe der konstruktiven Funktion an die thematische Komponente der Handlung, wie sie lange Zeit für die Geschichte der Gattung charakteristisch war, ... nur eine vom szenischen Dialog als dem eigentlichen konstruktiven Prinzip des Dramas zugelassene Möglichkeit“73 ist. Die Figurenreden in unserem Stück sind, entsprechend seiner zeitbedingten Formung, darauf berechnet, die Handlung voranzutragen (z.B. als monologische Selbstdarstellungen und Absichtserklärungen, Anweisungen an Bedienstete, Botenberichte), ihre Organisation unterliegt mehr der Abfolge als dem Dialogischen im Sinne eines Wechselspiels gleichberechtigter Standpunkte, einmal abgesehen von den Intermedien. Hauptfiguren begegnen sich als ebenbürtige Gesprächspartner nur an zwei entscheidenden Wendepunkten des Geschehens (III, 5 u. 6; III, 8), ihre Redeziele lassen sich in diesen Situationen einstimmig zusammenfassen, bzw. einer Stimme hierarchisch unterordnen. Davon unberührt bleibt eine Konstruktionsdominante des Dramas der sprachlichen Schicht vorbehalten. Auf die Gestaltung der Redetexte an sich (dictio) ist in der Kommunia Duchowna besonderes Gewicht gelegt: die Aufnahme des Stückes in ein Rhetorik-Handbuch vom Ende des 17. Jhs. beweist, daß es sich aufgrund seiner sorgfältigen sprachlichen Durchformung als Lehrbeispiel eignete. Wie ich oben aufzeigte, waren Schuldramen von ihrer pragmatischen Funktion her auf die Einübung in der Redekunst entworfen. Innerhalb unseres Spieltextes thematisieren verschiedene Szenenüberschriften persuasives Handeln als Kern der folgenden Darstellung (z.B. I, 1; I, 3; I, 4; II, 5; II, 10), Rhetorik74 tritt zunehmend an die Stelle lebendiger dialogischer Figurenrede und wird als textkonstitutives Verfahren bloßgelegt. Auch in seiner Außenwirkung ist das Stück als Ganzes auf die moralische Beeinflussung der Zuschauer eingestellt. Handschriftlichen und gedruckten Dramentexten der Jesuiten ist in der Regel eine kurze Inhaltsangabe, häufig ein Auszug aus der historiographischen Literatur, vorangestellt – das sog. Argument75, welches hier als „Summa“ bezeichnet wird. Es verbürgt Sarbiewskis Empfehlung gemäß die Glaubwürdigkeit des Bühnen73 Herta Schmid, „Ist die Handlung die Konstruktionsdominante des Dramas? Čechovs Drei Schwestern als Beginn einer Paradigmenerweiterung der dramatischen Gattung“, in: Poetica 8 (1976), S. 178. 74 Michail Bachtin zufolge eignet der Rhetorik mit ihrer Ausrichtung am fremden Horizont des Hörers eine innere Dialogizität, s. Die Ästhetik des Wortes, Frankfurt 1979, S. 175. 75 Anhand der in den Argumenten zu polnischen Jesuitendramen genannten Quellen läßt sich eine lange Liste von Autoren anführen: römische, griechische, byzantinische Historiker und Kirchenhistoriker, Chronisten des Mittelalters, polnische Chronisten und Historiker (darunter Kromer und Stryjkowski), Biographen aus der Renaissance wie Paolo Giovio. Werke von
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geschehens. Mit der „Summa“ in Form eines knappen Prosatextes beginnt unsere Handschrift (s. die genaue Übersetzung im Anhang dieser Arbeit). Der Stoff ist so populär, daß der Schreiber auf die genaue Angabe der historischen Quelle verzichten kann: Nach dem Tod seines Vaters Włodzimierz möchte Światopełk76 die Alleinherrschaft über Rußland an sich reißen und läßt seine beiden Brüder Borys und Hleb durch Meuchelmörder töten. Światopełk wird daraufhin von seinem Bruder Jarosław aus dem Reich vertrieben und von der Erde verschlungen. Es ist anzunehmen, daß der Autor die epische Fassung dieses Stoffes im altrussischen Skazanie i strast’ i pochvala svjatuju mučeniku Borisa i Glěba kannte.77 Diese Einleitung, mit der wohl auch das Programmheft (wir haben es aus den Szenenüberschriften rekonstruiert, s. Anhang) begann, klassifiziert das Stück bereits als Tragödie entsprechend den Anforderungen Sarbiewskis: es hat die Nachahmung einer actio illustris mit tragischem Ende zum Gegenstand, die handelnden Personen sind Fürstensöhne. Von den klassischen Einheiten des Ortes, der Zeit und der Handlung hat das Jesuitendrama nur die Einheit der Handlung bewahrt.78 Anhand der „summa“ läßt sich das Geschehen grob datieren (Borys und Hleb werden kaum am selben Tag getötet worden sein) und mehreren Schauplätzen zuordnen – Światopełk dürfen wir zuerst am Fürstenhof in Kiev vermuten, die Morde finden unterwegs, bzw. auf der Überfahrt über die Dźwina statt („w drodze“, „przez Dźwinę jadący“, Dramaty staropolskie, S. 303), außerhalb der Grenzen des russischen Staates winkt Światopełk der Untergang („z państwa wygnany od ziemi pożarty“, S. 303). Die „summa“ enthält zugleich die intentionale Begründung („od brata Światopełka, który po ojcu chciał całą Rusią rządzić“, S. 303) und die triadische Struktur des dramatischen Handlungszusammenhangs, bestehend aus der Ausgangssituation, dem Veränderungsversuch und der veränderten Situation.79 Jesuiten wurden insbesondere für Dramen mit fernöstlicher und hagiographischer Thematik ausgewertet, s. Okoń, Dramat i teatr szkolny, S. 42 f. 76 Diese Namensform ist eine hybride Bildung, die korrekte polnische Variante lautet ‚Świętopełk‘ (Maks Fasmer, Etimologičeskij slovarʼ russkogo jazyka [Max Vasmer, Russisches Etymologisches Wörterbuch], Bd. III. Moskva 1987, S. 585). Daneben zitieren wir passim auch die russischen Namen ‚Svjatopolk‘ (altruss.: ‚Святопълкъ‘) und ‚Gleb‘ im Zusammenhang mit dem altrussischen Text der Skazanie. 77 Dramaty staropolskie, oprac. Julian Lewański, Bd. VI, Kommentar S. 691. 78 Okoń, Dramat i teatr szkolny, S. 223. Jacob Masen fordert nur, daß nicht allzu große zeitliche oder räumliche Intervalle überbrückt werden. Die Vorschrift des einen Tages ist unnütz; die Handlung ist es nämlich, welche vor allem nachgeahmt werden soll, nicht die Zeit: „haec ultima requiram, ne sc. tanta temporum locorumque intervalla in unum tempus locumque imitatione transferantur: tamen illa de unius alteriusve diei praescriptione … videtur inutilis; actio enim est, quam praecipue imitatur, non tempus“, Palaestra eloquentiae ligatae, Bd. 3, zit. nach Willi Flemming, Das Ordensdrama, Leipzig 1930, S. 43 f. 79 Vgl. Manfred Pfister, Das Drama, München 1997, S. 269.
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Ableiten können wir auch, welche Figuren den dramatischen Konflikt im Sinne eines Aktions-Reaktions-Musters austragen, bzw. nicht austragen: Światopełk will Rußland regieren und setzt die Handlung in Gang. Seine beiden Brüder Borys und Hleb verweigern die Handlung und übernehmen widerstandslos ihre Opferrolle. Bereit zur Gegenreaktion ist Jarosław, er vertreibt Światopełk aus dem russischen Staat, höhere Gerechtigkeit bewirkt dessen Ende.80
Antiprologus und Prologus Das Stück selbst beginnt nicht mit der hier skizzierten eigentlichen Handlung, am Anfang steht ein Antiprologus: der Gerber (Garbarz) betritt die Bühne, brüstet sich mit seinen Kriegskünsten und schildert die frischen Eindrücke vom Wettschießen der Zünfte, an dem er heute teilgenommen hat („Stuk-puk uszak hrymit“ – Stukpuk donnert es los in den Ohren, Z. 16). Hinzu kommt der Bauer (Chłop), sogleich versucht der Gerber, ihn zu vertreiben und ihm einen Platz unter seinesgleichen anzuweisen mit der rhetorischen Frage „Nie wiedajesz, szczo etut budzie komedzija?“ (Weißt Du nicht, daß es hier eine Komödie geben wird? Z. 27). Die Antwort des Bauern: „Żadnoho mnie nie trzeba, panie, kołodzieja“ (ich brauche keinen Stellmacher, Herr, Z. 28) zeigt, daß er die unbekannte Bezeichnung „komedzija“ (Komödie) nicht versteht und sie durch die bekannte „kołodzieja“ (Stellmacher, Wagner) ersetzt. Im Folgenden wird der szenische Dialog als eine Reihe solcher Stichomythien des Fragens und Mißverstehens entfaltet.81 Der komische Effekt kommt zustande, indem der Gerber seinen Wissensvorsprung in Bezug auf den theatralischen Code dem Bauern mitzuteilen versucht, dieser jedoch den fremdsprachlichen Wortklang der Fachbegriffe hin zum eingängigen landestypischen Idiom verunstaltet und der bäuerlichen Kultur einverleibt. Abschließend vertraut der Gerber dem Bauern an, warum er überhaupt hier ist: 80 Der Chronikerzählung Povest’ Vremennych Let nach wurde Boris am 24. Juli, Gleb am 5. September 1015 ermordet. Die Kämpfe zwischen Jaroslav und Svjatopolk dauerten in Wirklichkeit jahrelang, Svjatopolk starb auf der Flucht „in der Wildnis zwischen Polen und Böhmen“, s. Ludolf Müller, Die altrussischen hagiographischen Erzählungen und liturgischen Dichtungen über die Heiligen Boris und Gleb, München 1967, S. VII. Eine abweichende Version des Sachverhalts stützt die Eymundr Saga: Demnach hat Svjatopolk zuerst den Thron besetzt, wurde aber von Jaroslav vertrieben und floh nach Polen. Jaroslav ließ dann Boris, seinen anderen Rivalen im Nachfolgestreit, von warägischen Söldnern töten, doch schob er die Schuld auf Svjatopolk, s. Gail Lenhoff, The Martyred Princes Boris and Gleb: A Socio-Cultural Study of the Cult and the Texts. Columbus (Ohio) 1989, S. 12. Ein neulateinisches Epitaphium auf Svjatopolk in Gedichtform (XIII. Jh.) gilt als bedeutendstes Zeugnis dieses Genres im Polen des Mittelalters, s. Słownik literatury staropolskiej, Wrocław 1990, S. 182. 81 Mukařovský zufolge ist die Stichomythie durch scharfe semantische Richtungsänderungen gekennzeichnet, s. Kapitel aus der Poetik, Frankfurt 1967, S. 117.
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„Na restu prysow synka moho posłuchaty, Uczujesz, iak choroszo on bude kazaty. Po łatynsku iak repu hryzie; iak czytati Ozme, powna swetlica usudy czutaty.“ (Z. 63–66) Schließlich kam ich, um mein Söhnchen zu hören, Du wirst merken, wie gut er sprechen wird. Lateinisch, wie wenn er an einer Rübe bisse; wenn er zu lesen Beginnt, hört man es in der vollen Stube überall.
In den Vaterstolz auf das rhetorische Können des Sohnes mischt sich die Anbiederung an die Lebensverhältnisse des Bauern, der Gerber vergleicht Lateinisch-Sprechen mit Rübenknabbern. Damit ist die abschätzige Gleichbehandlung von Gerber und Bauer als „Grobiane“ im anschließenden Prologus vorbereitet. Der Erste (Student) tritt auf, wundert sich über ihre Anwesenheit und vertreibt sie mit Schimpf von der Bühne: „Jakoście wy tu wleźli, precz stąd, wy grubianie!“ (Wie habt ihr euch denn eingeschlichen, fort mit euch, ihr Grobiane! Z.77) Beschwichtigend wendet sich der Gerber an ihn und erkundigt sich „A czy borzdo Hawryłko nasz tut howoryty / Budet, kołyb to synka, panie, obaczyti!“ (Ob wohl bald unser Hawryłko hier sprechen / wird, wenn man doch das Söhnchen sehen könnte, Herr! Z.79, 80) Nun mischt sich der Zweite (Student) ein und fragt: „Albo ma twój Hawriło jaką tu personę?“ (Oder hat Dein Hawriło hier irgendeine Rolle? Z. 81) In der Replik des Gerbers „Tak, mospane, imajet od matki perstionek“ ( Ja, mein Herr, er hat von der Mutter einen Ring. Z. 82) ist der dramenspezifische Begriff „persona“ (Rolle) durch den alltäglichen „perstionek“ (Ring) ersetzt: damit verschiebt sich die Hierarchie der Rollenverteilung, wie sie vorher für die Konstellation Gerber – Bauer gegolten hatte. Der Gerber tritt in den Part des unverständigen Begriffslosen ein, Primus und Secundus (Studiosus) übernehmen die Belehrung. Während im Antiprologus beide Gesprächspartner den gleichen ukrainisch-weißrussisch-polnischen Dialekt verwendeten, zeigt sich das Bildungsgefälle im Prologus in einer zusätzlichen Differenzierung: äußerer Ausdruck für die Überlegenheit der Studenten gegenüber Gerber und Bauer ist schon, daß sie des Polnischen, der Hochsprache, mächtig sind. Den leidigen Fortgang gestörter Kommunikation sucht schließlich der Zweite (Student) abzubrechen mit der Aufforderung an den Gerber „Ale patrz, durny chłopie, wszak synopses w ręku.“ (Aber schau doch nach, [erg. welche Rolle Dein Sohn hat] dummer Bauer, ich habe doch die Synopse in der Hand. Z. 89) Auch dieses Angebot scheitert an der Verwechslung „synopses“ – „swynopas“ (Sauhirt). Immerhin muß das Zeigen der Synopse den Gerber zur sachlichen Einsicht geführt haben, „zhoniat tuda, chto ne maie / Takoje kartoczki“ (sie vertreiben von hier den, der kein solches Kärtchen hat, Z. 91, 92). Der Bauer, auf diese Weise ins Licht gesetzt, wünscht nun, daß der Student ihm ein „Kärtchen“, ein zweites dem Gerber verkaufe. Brüsk schmettert der Erste (Student) dieses Ansinnen ab und grenzt den Illiteraten aus dem Empfängerkreis der Synopse aus. Beiseite gehen und zuhören
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soll der Bauer, der Student aber wird von der Grausamkeit Światopełks und dem Martyrium der Heiligen erzählen: „Nie dla ciebie to, chłopie, co tu napisano; Nie domyślisz sie, choćby tobie było dano. Pódź na stronę a słuchaj, ja zaś okrucieństwo Opowiem Światopełka i świętych męczeństwo.“ (Z. 95–98) Nicht für Dich ist das, was hier geschrieben steht, Bauer; Du errätst es nicht, selbst wenn man es dir geben würde. Geh’ zur Seite und hör’ zu, ich aber werde von der Grausamkeit Światopełks erzählen und vom Martyrium der Heiligen.
Der folgende Einführungsprolog stimmt vom Informationsgehalt her weitgehend mit der „summa“ überein. Eine der im Ganzen sparsam eingesetzten Regieanweisungen im Anschluß an den Monolog des Studenten verlangt, inzwischen die Synopsen an die Gäste zu verteilen. Den Prologus schließen Wechselreden von Gerber und Bauer ab, doch handelt es sich hier nur partiell um einen Dialog im eigentlichen Sinn, überwiegend aber um Kommentare zu den Neuankömmlingen aus dem sozialen Umfeld der beiden (Apanas, Iwan, Chwieda, Owdocia, Spiridon, usw.). Diese Passage (Z. 115–144) kennzeichnet geschäftige Betriebsamkeit: der Gerber fordert den Bauern auf, seine schiefe Mütze gerade zu richten, weil er sie von hinten nach vorne aufgesetzt hat. Im Gegenzug empfiehlt der Bauer dem Gerber, die Mücke von sich wegzujagen, wozu soll sie sein Blut trinken. Spyridon hat die vom Schnupftabak schmutzige Nase abzuwischen, bestimmt der Gerber, der unter Gleichrangigen wieder in seinem Element ist. Er reglementiert im ersten und letzten Redetext das „ungebildete“ Volk, um einen ungestörten Ablauf der Vorstellung zu gewährleisten: „Ne smyte sa, mowczyte ...“ (Lacht nicht, schweigt, Z. 117) und „Stoytesz tu, nie duruyte ...“ (Steht hier still, macht keinen Unsinn, Z. 141). Insgesamt gesehen, kommt es bei der Schlußsequenz des Prologus weniger auf den Inhalt der einzelnen Äußerungen an, vielmehr sehen wir ihre Funktion hauptsächlich auf der Metaebene: beschrieben wird hier die Einrichtung der Zuschauer in ihrer Rolle. Wir werden uns noch ausführlich mit der Rahmenfunktion von Antiprologus und Prologus beschäftigen, wenn allgemeine Strukturprinzipien des künstlerischen Textes an der Kommunia Duchowna S. S. Borysa y Hleba aufzuzeigen sind. Einstweilen können wir zwei verschiedene Eröffnungsphasen unterscheiden: Antiprologus und erster Teil des Prologus (Z. 77–97) bilden den dramatischen Auftakt und sind vorrangig darauf berechnet, den Kontakt mit dem Publikum herzustellen, sein Interesse zu wecken (phatische Funktion). Deutlich markiert ist der Wendepunkt zur eigentlichen Exposition82, in der die zukünftige Handlung referiert wird (Z. 98–114): der Erste 82 Nach Pfister können Auftakt und Exposition zusammenfallen – für die normative Dramentheorie bis Gustav Freytag ist das die Regel – sie können aber auch als zwei isolierbare Textabschnitte aufeinander folgen, s. Das Drama, S. 124 f.
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(Student) leitet seine Ansprache mit „opowiem“ (Z. 98) ein und gibt damit einen Hinweis auf die dramatische Konvention des narrativen Prologs. Im anschließenden letzten Teil des Prologus (Z. 115–144) agieren wiederum die fingierten Zuschauer Gerber und Bauer, so daß sich der Kreis zum Auftakt hin schließt.
Actus primus Światopełk, der Protagonist des Stückes, legt in I,1 Handlungsabsicht, Stimmung und Charakter bloß. Im Hochgefühl, sich Fortunas beständiger Gunst zu erfreuen, faßt er den Plan, Rußland zu regieren. Die Teilung des Staates soll verhindert, die Brüder von der Thronfolge ausgeschlossen werden: „Już się nieba ku naszym chęciom nakłoniły, Zamysłom mym w faworze swym się uiściły. I z morza się porwawszy przed mymi wrotami Rozprasza złote ognie Febus promieniami. Na przyjaznym mię łonie Fortuna piastuje, Stateczny żądzom moim fawor pokazuje. Twarde krzcice uniży, z poddaństwem pod nogi Rzuci mi Ruś; zuchwałych twarde zetrze rogi. Już mi te głuche nocy cieszą widokami, Gdy sen ciekawe oko więzi powiekami; Ani sie próżne mary ze mnie naigrawają, Gdy sie śni, że do stóp mych wszyscy upadają. Ja po ojcu mam władnąć ruskimi narody, I których pograniczne opasały wody. W podział państwa nie puszczę, ani w jednym tronie Będą się bracia mieścić.“ … (Z. 145–160) Schon neigten sich die Himmel unserem Willen zu, Meine Vorhaben gingen in ihrer Gunst durch. Und aus dem Meer emporgefahren, breitet vor meinen Pforten Phoebus goldene Feuer mit seinen Strahlen aus. An wohlwollender Brust hegt mich Fortuna, Beständige Gunst bezeigt sie meinen Wünschen. Harte Nacken beugt sie, mit Untertänigkeit unter die Füße Wirft sie mir die Rus’; der Anmaßenden harte Hörner reibt sie auf. Schon erfreuen mich diese tiefen Nächte mit Aussichten, Wenn der Schlaf das neugierige Auge mit den Lidern bindet; Auch treiben keine leeren Trugbilder ihren Spott mit mir, Wenn ich träume, daß alle zu meinen Füßen niederfallen. Ich soll nach dem Vater die russischen Völker regieren, Und die, welche die Grenzgewässer umgürteten. Die Teilung des Staates lasse ich nicht zu, noch werden auf einem Thron Die Brüder Platz nehmen. ...
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Diese Eingangsrede stützt Światopełks negative Typisierung als „tyran“ (Z. 105), wie sie im Prologus vorausgeschickt wurde. Verdächtig macht ihn der Glaube an die Beständigkeit Fortunas, die Lust an der Unterwerfung seiner Untertanen. Światopełks Herrschaftsmodell mißt sich zum einen in den räumlichen Koordinaten einer primitiven oben-unten-Opposition, alle sollen ihm zu Füßen liegen, zum anderen in der horizontalen Ausdehnung absoluter Macht über den unzerteilten ruthenischen Staat. Ansichten – „widoki“ (Z. 153) – seiner Regentschaft boten ihm die nächtlichen Träume; im weiteren Verlauf werden wir noch sehen, daß ihm die Finsternis („głuche nocy“) als Ausdruck seiner moralischen und mentalen Verfassung zugeordnet ist und sein Weltmodell durch diabolische Inspirationen von unten geprägt wird. Eine erste Antwort auf Światopełks Handlungsinitiative ergibt sich aus dem Bericht seines Helfers Gamrot: „Borysa skupione / Wszędy głoszą gromady, ciebie się lękają / I przyszłe utrapienia strachem uprzedzają.“ (Borys verkünden die überall versammelten Volksmengen, Dich fürchten sie / Und greifen künftigen Bedrängnissen mit ihrer Angst vor. Z. 168–170). Das Volk erweist sich als Gegenkraft, es hat seine Stimme zugunsten Borys’ gebraucht und begegnet Światopełk mit Furcht, der gegenüber dem Tyrannen angemessenen Einstellung. Solche Widerstände gedenkt Światopełk kurzerhand mit Hilfe des Geldsacks zu beseitigen, Eryman, der Schatzmeister des Vaters, soll das Volk mit Gold aus der Staatskasse ködern. Auftrittsmonolog und weiterer Personenkontext dienen also der impliziten Selbstcharakteristik. Światopełk verkörpert den Typus des Tyrannen, sein Charakter ist nicht als differenziertes, individuelles Persönlichkeitsbild gezeichnet, vielmehr verdichtet in einem begrenzten Satz von Merkmalen und Affekten, wie sie als movens der dramatischen Handlung benötigt werden. Dem entspricht die grundsätzliche These Käte Hamburgers über das „Fragmentarische der dramatischen Menschengestaltung“. Es drückt sich darin aus, daß auf der Bühne „nicht die Personen die Worte, sondern die Worte die Personen bilden“.83 Eryman stilisiert als Außenbeobachter Światopełk zum Inbegriff des blutrünstigen Tyrannen. In seinem Monolog (I, 2) nennt er ihn „okrutnego pana“ (einen grausamen Herrn, Z. 191): „Wiem ja zdziczałe serce w nim, nieukojone / Gniewy, rankory z czasem nigdy nie uśpione.“ (Ich weiß ein verrohtes Herz in ihm, unstillbaren / Zorn, Ingrimm, der mit der Zeit nie einschläft, Z. 193 f.) Er weidet sich an Menschenblut, selbst Ströme davon können seinen Zorn nicht stillen. Der didaktischen Konzeption des Stückes gemäß wird die Figur Światopełks mit einem ganzen Katalog von Exempla aus der antiken Geschichte und Mythologie verglichen: Diokletian würde er als Herrscher noch an Grausamkeit übertreffen, die Wieder83 Käte Hamburger, Die Logik der Dichtung, München 1987, S. 182 u. 179. Im Unterschied zur epischen negiert die dramatische Figur ihre fragmentarische Seinsweise, weil sie den Wortgefügen physische Wirklichkeit verleiht und so der Schein der Lebensnähe entsteht, s. ebd.
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kehr scheußlicher Hinrichtungspraktiken des Phalaris, Busiris, Theromedon und Censorinus wäre zu befürchten. Światopełk als Funktionär des Bösen ist Borys als Ausbund des Guten kontrastiv entgegengestellt, und so erklärt Eryman abschließend, Borys vermöge beim Volk mehr durch seine Tugend als Światopełk durch seine Geldtasche. In der folgenden Ratssitzung (I, 3) gebraucht Eryman die suggestive Rhetorik emotional besetzter Bilder sowie lautlicher und lexikalischer Parallelismen: „Jeżeli krwie ruskiej kropla wre w sercach wspaniałych, / Jeżeli się w jarzmo wprzęgać nie chcemy zuchwałych / Tyranów“ (Wenn ein Tropfen russischen Blutes in erhabenen Herzen kocht, / Wenn wir uns ins Joch verwegener Tyrannen nicht einspannen wollen, Z. 235 f.). Er überzeugt die ohnehin gegen Światopełk eingestellten Senatoren, eine Erklärung zu unterzeichnen, die Borys zum Herrscher Rußlands bestimmt. Überdies verfaßt er Briefe, um andere zu einer ähnlichen Unterschrift zu überreden – „Ja po innych rozsyłam listy namawiając“ (Ich schicke Briefe an andere, um sie zu überreden, Z. 249) – und gibt sie einem Kosaken mit auf den Weg. Hier wie an mehreren anderen Stellen (Summa, Szenentitel zu I, 1 / I, 3 / I, 4 / II, 5 / II, 6 / II, 10 / III, 7) finden wir einen autoreferentiell zu deutenden Hinweis auf die rhetorische Grundstruktur des Textes. Borys’ Auftrittsmonolog (I, 4) ist als Gegenentwurf zu demjenigen Światopełks (I, 1) verfaßt und komplett als Vanitas-Gedicht zu lesen, Grübeln tritt an die Stelle des Handelns. Borys, über dessen Tugendhaftigkeit wir bereits vorinformiert sind, bekundet Unlust an der Macht, weil sie nur neue Begierden und Leiden schürt; sein grundsätzliches Mißtrauen gegenüber Fortuna verrät einen der neostoischen Philosophie des 17. Jhs. konformen Standpunkt. Światopełks einseitiges Modell von der Gipfelstellung des Monarchen stellt Borys implizit in Frage, wenn er seine Reflexion über die Unbeständigkeit irdischer Ehren in der Sentenz verdichtet: „I kto się wyżej podniósł, ten ciężej upada.“ (Und je höher sich einer erhoben hat, desto schwerer fällt er herab, Z. 274) Machtverzicht und Weltverachtung des in der vorigen Szene gewählten Fürsten lösen heftigen Widerstand der Senatoren aus, Eryman erinnert den Tatenlosen an seine Standespflicht: „Pamiętaj, żeś książąt ruskich plemię.“ (Besinne dich, daß du Nachfahre russischer Fürsten bist, Z. 284) Die folgenden Personenreden enthalten prospektive Ausblicke auf das weitere Geschehen: der dritte Senator klärt Borys über Światopełks Mordplan an den Brüdern (vgl. II, 6 / III, 11) mit dem Ziel der Alleinherrschaft auf und fordert, den Blutrünstigen zu töten oder des Landes zu verweisen (vgl. IV, 5). Empört über diesen Vorschlag, wünscht Borys, lieber selbst vom Sargbrett erdrückt zu werden, als mit der Kainshand den Bruder zu bezwingen und beschließt mit einer Anspielung auf seinen Opfertod, sich Światopełk unterzuordnen: „I pod jego się rządy poddać ofiaruję; / Zrzekam się państwa, jemu wierność obiecuję.“ (Und ich biete an [bringe zum Opfer], mich seiner Herrschaft zu unterwerfen; / Ich verzichte auf den Staat, ihm werde ich die Treue versprechen, Z. 307 f.) Unbeeindruckt droht der erste Senator an, Borys notfalls gewaltsam als Regenten
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einzusetzen; selbst aus der Wüste und entlegensten Höhlen würden sie ihn herausholen, damit er sie regiere (vgl. III, 6). Auf die spielinterne Exposition des dramatischen Konflikts (I, 1–4) folgt ein lustiges Zwischenspiel (I, 5): Der Kosake, den Eryman mit Briefen abgesandt hat, um für die Unterstützung von Borys zu werben, macht unterwegs ein Schläfchen. Zwei Dragoner stehlen währenddessen sein Pferd und legen ersatzweise eine Kuhhaut mit Schwanz in den nahen Sumpf. Der komische Effekt ist hier nicht (wie bei den Prologen) an die Wortebene geknüpft, sondern an die Situation – die Substitution des Pferdes mittels eines pars pro toto und das allmähliche Erkennen des Diebstahls. Verantwortlich dafür kann nur die wilde Soldateska Światopełks sein, meint der Kosake, „I jako wilcy szkapę moję ozionęło.“ (Und wie Wölfe hat sie meinen Gaul an sich gerissen, Z. 390) Der Bestohlene nützt aber sogleich die Gelegenheit, das Beste aus der Sache zu machen: Ein Jude erscheint, dem der Kosake vorspiegelt, die Haut stamme von einem edlen türkischen Pferd, das er selbst bei Chocim (1673) geraubt habe. Der Jude kauft die Haut und freut sich über den vermeintlichen Gewinn. Inzwischen tritt der Teufel auf, beklagt sich wie die beiden Dragoner über schwindende Beute und verkündet, sein Renommee in der Hölle anzukurbeln: „Teraz dowcip pokażę, kiedy będę radził / Światopełkowi, aby swoję bracią zgładził, / A sam na państwo wstąpił.“ ( Jetzt werde ich meinen Scharfsinn beweisen, wenn ich Światopełk raten werde, / Seine Brüder zu ermorden, / Selbst aber zur Herrschaft aufzusteigen. Z. 445 ff ) Außerdem beschließt der Teufel, alle Untaten sorgsam aufzuzeichnen und zu diesem Zweck die Kuhhaut zu requirieren. Den angsterfüllten Juden drängt er unter Gewaltandrohung, seine Bosheiten zu berichten. Im Wege eines investigativen Fragenkatalogs fördert der Teufel allerlei Stereotypen zutage wie: Branntwein wird mit Wasser gemischt, Tabak mit Nieswurz, Honig mit Kot, etc. Danach ist das Sündenregister der Christen an der Reihe, allen voran die Oberschicht („od panów zaczniemy“, Z. 486): Die Herren wollen Geliehenes nicht zurückerstatten. Sie geben die Schenke lieber einem Juden in Pacht, als einen Katholiken dort sein Brot verdienen zu lassen. Bauern leiden Unrecht unter den Herren, „a żółtobrzuchowie / Ich krwią, ich potami w rozsady rozpychają,“ (die Gelbbäuche aber / blähen sich durch deren Blut, deren Schweiß bis zum Zerspringen auf, Z. 505 f.) Studentenscherze – sie nehmen den Juden die Mütze ab – bewertet der Teufel als Lappalie („fraszka“, Z. 520) und verspricht ihre Vergeltung im Diesseits, in der Schule. Frauen aber, die ihren Stolz in aufwendige Kleider und Schminke setzen, wird höllische Schönheitsbehandlung in Aussicht gestellt: der Teufel persönlich will ihnen die Schleppen abschneiden, die Haare mit Pulver bestreuen, dann seine Gabel in die entflammten Haare stecken und den Kopf mit den Haaren umdrehen. Am Schluß der Szene reitet der Teufel auf dem Juden unter Gelächter von dannen. Wie in den beiden Prologen ist auch hier eine sprachliche Differenzierung getroffen: Teufel und Kosake sprechen polnisch, die beiden Dragoner und der Jude den Mischdialekt.
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Durch die komische 5. Szene ist nicht nur eine Binnengliederung des Aktes in zwei symmetrische, jeweils aus vier Szenen bestehende Hälften vorgegeben; danach zeichnen sich auch für die Handlungsentwicklung relevante Umschwünge ab: Światopełks Eingangsrede in I, 6 läßt sich seinem eigenen Auftrittsmonolog in I, 1 kontrastiv, dem Vanitas-Monolog Borys’ in I, 4 hingegen spiegelbildlich zuordnen: wörtlich greift Światopełk den Sprachgebrauch Borys’ auf – „tesknice“ (Kümmernisse, Z. 557 vs. Z. 255) –, um seine unruhige, bedrückte Stimmung darzulegen. Im Schlaf gibt es keine erfreulichen Aussichten mehr wie zu Beginn, vielmehr nagt der innere Wurm. Einen sofortigen Glücksfall vermutet Światopełk, als ihm die Ankunft des Kosaken mit den Briefen der Senatoren gemeldet wird. Er nimmt die Briefe an sich und öffnet sie, um sich Gewißheit zu verschaffen, ob die Senatoren gegen ihn sind. In diesem Fall gedenkt er, seine Strategie zu ändern und statt des Geldsacks („worek“, Z. 574, vgl. I, 1, Z. 177) seinen Scharfsinn („dowcipnego ... wynalazku“, Z. 604 f., vgl. „dowcip“, I, 8, Z. 675 sowie in der Selbstbeschreibung des Teufels I, 5, Z. 445) einzusetzen. Die Erkenntnis, daß ihn die Senatoren ablehnen und Eryman sein Wort gebrochen hat, reißt Światopełk hin zur Invokation der Unterwelt: „Ale zabiegę temu, choćbym i piekłami / Miał zatrząsnąć, ... Wy, zapadłe kraje, / Kędy ani zasypia, ani słońce wstaje, / ... mnie dopomagajcie, / W zdradach, złości i gniewie na państwo dźwigajcie!“ (Aber ich komme dem zuvor, wenn ich auch die Höllen / Erschüttern müßte, ... Ihr, entlegene Gegenden, / Wo die Sonne weder schläft noch aufgeht, / ... helft mir, / In Verrat, Bosheit und Zorn hebt mich empor zur Herrschaft! Z. 617 f., 621 f., 627 f.) Er beschließt, die Briefe durch gefälschte zu ersetzen, in denen er selbst zum Herrscher proklamiert wird. Für den Gang der Handlung hat der Pferdediebstahl also weitreichende Folgen, obwohl an der komischen 5. Szene keine der Hauptfiguren direkt beteiligt ist. In I, 7 wird der Kosake von seinen Schädigern an der Nase herumgeführt und begibt sich daraufhin (I, 8) zu Światopełk, der ihm ein schnelles Pferd zusichert und die gefälschten Briefe zur weiteren Überstellung aushändigt. Światopełk äußert sich zufrieden, daß alles wie am Schnürchen läuft und ihm Fortuna treu zu Diensten steht; Gamrot aber gibt die Scheinhaftigkeit und Wechselfälle des Glücks zu bedenken und stiftet ihn – unter Abwandlung von Światopełks eigener Aussage in I, 1, Z. 159 ff – zum Brudermord an: „Nigdy jedynym berłem zgodnie nie władają / Bracia“ (Niemals führen ein einziges Szepter einträchtig / Brüder, Z. 695 f.). Der Vorschlag, den Bruder zu töten, entspricht im Wortlaut dem der Senatoren gegenüber Borys (I, 4) – „zgładzić“, Z. 693 vs. „zgładź“, Z. 294 – freilich unterscheidet sich die Motivation: hier Ausschalten des Konkurrenten, dort Verhütung von Tyrannei und mehrfachem Brudermord. Mit der Autorität des antiken Exempels beendet Gamrot seine Argumentation: „Rzym początki krwawe / Z braci miał“ (Rom hatte blutige Anfänge / Von den Brüdern her, Z. 697 f.). Im Gegensatz zu Borys willigt Światopełk sogleich in den Mordplan ein, „Choćbym z Tyfonem we krwi upoić własnego / Miał ręce brata“ (Selbst wenn ich mit Typhon im Blut des eige-
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nen / Bruders die Hände tränken sollte, Z. 707 f.). Offensichtliches Blutvergießen – entgegnet Gamrot – kann das Erreichte gefährden, heimlicher Giftmord macht sich besser. Er ruft deshalb den Magier herbei. Im Zwiegespräch mit Światopełk (I, 9) rät der Magier zu einem vergifteten Brief, der den Bruder töten wird, sobald er ihn öffnet. Światopełk gibt ihm die Handlungsanweisung „Gotuj jady“ (Bereite die Gifte vor, Z. 753), er selbst will inzwischen einen Brief verfassen, in dem er zum Schein ankündigt, der Welt den Rücken zu kehren und dem Bruder seinen Teil am Fürstentum abzutreten. Seine Aussage ist so als Verkehrung des gutwilligen Thronverzichts von Borys (I, 4) zu lesen, den Verrat („zdrady“) hatten Gamrot und Światopełk am Ende der vorigen Szene (Z. 716 u. 734) programmatisch angekündigt. Wir dürfen davon ausgehen, daß der Magier auf der Bühne sein giftmischerisches Geschäft betreibt, während er mythologische Präzedenzfälle aufruft: den giftschäumenden Python, der von Apollos Pfeilen getroffen war, und das Nessushemd, das Herkules mit unsäglichen Schmerzen in den Tod trieb. Der Magier tritt ab, Gamrot kommt und wird von Światopełk beauftragt, den Brief an Borys zu übergeben und ihn zum Besuch bei Światopełk einzuladen. Dieser hegt keinen Zweifel an Gamrots Treue, hat er ihm doch selbst zum Giftmord am Bruder geraten. Wie um Erymans Einschätzung der „nieukojone gniewy“ (unstillbarer Zorn, I, 2, Z. 193 f.) zu bestätigen, beschließt Światopełk – ähnlich wie schon in I, 6 – die Szene mit einer weiteren Apostrophe an die Unterwelt, der Beschwörung, „Aby się nić żywota braterskiego rwała.“ (Daß doch der Lebensfaden des Bruders zerrisse. Z. 802)
Chorus und Chorus iocularis secundus Am Ende des ersten Aktes tritt einmalig der Chor auf, um das dargestellte Geschehen zu reflektieren, den Brudermord moralisch zu verurteilen. Diesen allgemeinen Verfall der Bruder- und Nächstenliebe bestätigt der Zwerg am Anfang des zweiten scherzhaften Chors (Z. 825–828), um dann die Perspektive wieder einzuengen auf seine eigenen Erfahrungen mit dem Leben bei Hofe, das von Heuchelei gekennzeichnet ist. Am meisten Anstoß nimmt er am „plugawe babskie nabożeństwo“ (der abscheuliche Weibergottesdienst, Z. 837). Nicht nur, daß er seine Gesundheit mit dem Anschleppen der Gebetbücher in Säcken ruiniert hat, in drastischen Einzelbeobachtungen spezifiziert er den eklatanten Widerspruch zwischen dem äußeren sanftmütigen Schein, den sich die Herrin in der Kirche gibt und ihrem wirklichen gewalttätigen Verhalten gegenüber den Dienstboten zuhause: „Łzy w kościele, różane płyną też z ust słowa, / Łagodniuchna twarz bywa i pokorna mowa, / A w domu wałek w garści albo pięść skurczona, / Ustawiecznie po gębie służących noszona.“ (Tränen fließen in der Kirche, rosige Worte auch aus dem Mund, / Mildest pflegt das Gesicht zu sein und demütig die Rede, / Aber zuhause das Nudelholz in der Hand oder die geballte Faust, / Unablässig gehoben aufs Maul der Dienstboten.
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Z. 843 ff ) Das Nudelholz als banales Küchengerät zielt hier auf die Dekonstruktion des hohen Status’ der Herrin, auf ihre Angleichung an die niedere Sphäre der Dienstboten. Bei genauerer Betrachtung erweist sich, daß Bildung und Rhetorik den weiteren Bezugsrahmen für die Sozialkritik des Zwerges festlegen. Direkt mit dem schulischen Kontext der Aufführung korreliert ist der Vorwurf der sinnentleerten Sprachbenutzung: „Że do południa trzepie pacierze w kościele, / Różańce i koronki jako mąkę miele,“ (Daß sie bis zum Mittag Gebete in der Kirche ableiert, / Rosenkränze um Rosenkränze wie Mehl mahlt, [mleć = mahlen; plappern] Z. 839 f.) und des ‚sportlichen‘ Einsatzes der Sprechwerkzeuge: „A kiedyż zaczną swoje szepty na wyścigi / Zszedszy sie w jednej ławie do jednejże ligi,“ (Aber wenn sie ihr Geflüster um die Wette beginnen / Zusammengekommen auf einer Bank zu einer Liga, Z. 859 f.) Auf einer abstrakten Ebene wird der Wert solchen Sprechens sprichwörtlich verdichtet: „Kto wiele gada, ślinę tylko miewa w zysku.“ (Wer viel schwatzt, hat oft nur Speichel als Gewinn“, Z. 866) Schwer ins Gewicht fällt auch der mangelnde Lernwille, die geistige Abwesenheit während der Predigt. Mit der Strategie, Gebete abzuleiern sowie Gedanken und Augen zwanghaft an die Bücher zu heften, läßt sich die Kanzelrede und mit ihr die Wahrheit über Kleider, Zerwürfnisse, gegenseitige Täuschungen ausblenden. Der Kammerdiener beantwortet die Auslassungen des Zwerges mit einer Klage über die langen Schleppen in der zeitgenössischen Frauenmode, eine Erfindung des Teufels, nicht fremder Länder. Den Abbruch der Unterhaltung motiviert der Kammerdiener mit dem Hinweis darauf, daß es Stockschläge geben wird, wenn sie sich verspäten. Insgesamt gesehen, figurieren Frauen innerhalb dieses Stückes (vgl. auch I, 5, Z. 523 ff ) nur auf der Metaebene und als Objekte der Belustigung. Sie haben keinen Anteil an der dargestellten Welt, vom Grundsatz her waren Frauenrollen von der Jesuitenbühne ausgeschlossen.84
84 In der Ratio studiorum von 1599 heißt es dazu „nec persona ulla muliebris, vel habitus introducatur“, zit. nach Poplatek, Studia z dziejów jezuickiego teatru szkolnego w Polsce, S. 62. Freilich erbaten etliche Kollegien einen Dispens von dieser Regel mit der Begründung, daß sonst eine ganze Reihe biblischer Themen nicht aufgeführt werden könne. Auch die polnische Ordensprovinz erwirkte die Erlaubnis, Personen in Frauenkleidern darzustellen, mit der Einschränkung „sed perquam raras et graves omnino personas eas esse oportet, non autem voluptas aut aliae similes adhibendae ... quae religiosam gravitatem minime decent“ (aber es ist nötig, daß diese überaus selten und ganz und gar ernsthafte Personen seien, nicht aber die Wollust oder andere ähnliche zur Mitwirkung herangezogen werden ... was sich für den religiösen Ernst am wenigsten ziemt), zit. nach Poplatek, ebd., S. 66. Aufgrund dieser Restriktion bemerkt Okoń, Dramat i teatr szkolny. Sceny jezuickie XVII wieku, S. 227, mußten neue Themen aufgegriffen werden, kennzeichnend sei aber eine gewisse Einseitigkeit in der Organisation der dichterischen Welt und ein Übergewicht der Intrige.
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Actus secundus Światopełks Mordplan stößt gleich zu Beginn des zweiten Aktes auf eine Verwicklung: Gamrot traut wie alle anderen dem grausamen Światopełk nur Verrat und Mord zu. Er will erfahren, ob dieser ihn für seine Dienste im Brief an Borys „ocukrował, / Za truciznę radzoną nuż mię omalował.“ (mit Zucker bestreut, / Für den Rat zum Gift mich wohl angeschwärzt hat. Z. 897 f.) Für das Öffnen eines fremden Briefes hatte ihm Światopełk in I, 6 (Z. 599) bereits ein Beispiel gegeben. Gamrot bricht das Siegel auf und erkennt in seinem unverzüglich eintretenden Tod eine gerechte Strafe Gottes – die Intrige fällt auf ihn selbst zurück. Zwei Soldaten kommen hinzu und nehmen seine Kleider an sich. In der folgenden Szene greift Borys den Vanitas-Monolog (vgl. I, 4) wieder auf, bekräftigt seinen Vorsatz, dem Bruder das Fürstentum abzutreten und beschließt, deshalb zu Światopełk zu gehen. Der schlechten Vorahnung, die ihn dabei überkommt, setzt er den vernünftigen Willen entgegen. Daneben enthält die Szene noch weitere Vorausdeutungen im Hinblick auf den Mord an Borys (II, 6): als er den toten Gamrot vor seiner Pforte sieht und ahnt, daß der Anschlag ihm gegolten haben könnte, verkündet er, mit (dem alttestamentlichen) Jonas gerne den Tod auf sich nehmen zu wollen, damit nicht noch weitere Unschuldige seinetwegen sterben. Infolge einer aberratio ictus hat der vergiftete Brief Borys zwar physisch verfehlt; als dieser seinen Inhalt liest, kommt immerhin noch Światopełks Täuschungsabsicht zum Erfolg: Borys glaubt, daß die öffentliche Meinung das innere Wesen seines Bruders mißdeutet, Światopełk in Wirklichkeit eitle Herrschaft verschmäht und dem Leben als Ordensbruder zuneigt: „Jak my sie mylemy, / Kiedy z wierzchnej postawy o rzeczach sądziemy.“ (Wie wir uns täuschen, / Wenn wir von der äußeren Gestalt her über die Dinge urteilen. Z. 957 f.) Gelungen ist es ebenfalls, mit Hilfe des Zauberers „pokryć zdrady“ (den Verrat zu verbergen, I, 8, Z. 716). Borys verkennt, daß Gamrot durch sein eigenes Mißgeschick umkam und befiehlt, den Täter zu suchen. Mit der abschließenden Sentenz vom Blut, das zum Himmel schreit, greift er unfreiwillig seinem eigenen Sterbemonolog vor: „ma krew głos, o niebo się obija, / A rzadko kiedy kara niezbożnego mija.“ (das Blut hat eine Stimme, vom Himmel wird sie vernommen, / Aber selten je entgeht der Gottlose der Strafe. Z. 967 f. – vgl. 1265 ff ) In II, 3 gibt der Jude einen tragikomischen Augenzeugenbericht von der Hölle, „Smarut, piekut, warut lude sweta toho“ (Sie schmoren, braten, kochen die Leute dieser Welt, Z. 988), zeigt aber wenig Neigung mehr zum Handel. Als ihm die beiden Soldaten Gamrots Kleider verkaufen wollen, kommt ein Höfling von Borys hinzu und verhaftet sie, weil er glaubt, die beiden hätten Gamrot getötet und dann die Kleider an sich genommen. Borys läßt die beiden Gefangenen zum älteren Bruder Światopełk führen, damit er über sie richte, und will sich danach selbst zu ihm auf den Weg machen (II, 4).
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Unbedingter Machtwille und die daraus folgende politische Intrige beherrschen den ersten Akt, Światopełks Personenkontext im zweiten Akt dient dazu, die niederen Affekte des Tyrannen in grellem Licht zu zeigen. Schon sein Auftrittsmonolog in II, 5 enthüllt in der inneren Schau vom Todeskampf des Bruders entmenschte Niedertracht: „lecz jeśli jeszcze w trupie tleje / I iskierka żywota, jeśli w bolach mdleje, / Sił ostatnich, wzburzone piekła, dobywajcie, / A jeszcze drgającego brata dokonajcie.“ (aber wenn noch in der Leiche / Auch nur ein Lebensfunke glimmt, wenn sie in Schmerzen ohnmächtig wird, / Holt, aufgepeitschte Höllen, die letzten Kräfte hervor, / Und laßt den noch zuckenden Bruder sterben. Z. 1025 ff ) Die Nachricht, daß Borys lebt, kann seinen Zorn nur anheizen – „gniew“ (Z. 194, 196, 1079, 1123) ist ein Schlüsselbegriff zu Światopełks Charakter. Umgehend entwirft er eine neue Anweisung zum Brudermord (Z.1090–1098), ausführen sollen ihn die beiden Soldaten, die ihm Borys wegen des vermeintlichen Mordes an Gamrot ausgeliefert hat. Ihre Unschuld leuchtet Światopełk in Kenntnis der Vorgeschichte unmittelbar ein, doch fordert er von ihnen die Tötung seines Bruders als Gegenleistung dafür, daß er sie verschont. Arglistig schiebt er den Soldaten ein eigenes Mordmotiv unter: solange Borys am Leben ist, wird dieser sie verfolgen und ihr Todesurteil fordern. Światopełks erster Plan ist fehlgeschlagen, und so sieht er sich am Schluß der Szene zu einem Moment der Reflexion genötigt: „Trwożę, bym drugiego / Szukając śmierci, siebie nie zgładził samego.“ (Ich fürchte, wenn ich eines anderen / Tod suche, daß ich mich selbst töten könnte.“ Z. 1109 f.) Für einen Augenblick verkehrt sich die Furcht vor dem Tyrannen zur Furcht des Tyrannen selbst. Nüchterne Betrachtung einer Liste mythologischer Übeltäter, die selbst zum Opfer ihrer Handlungen wurden, scheint ihn weniger zu erschrecken, als vielmehr durch gelehrtes Exemplifizieren zur Klarheit zu führen. Der Tatmensch Światopełk zerstreut seine Bedenken im Handumdrehen, noch hat er nichts erreicht. Die Mordszene (II, 6) steht im Mittelpunkt des zweiten Aktes. Unerklärliche Furcht und schlechte Vorahnungen veranlassen Borys, seine Diener wegzuschicken; durch ein Gebet in Anlehnung an den hl. Paulus85 ‚rüstet‘ er sich spirituell gegen bevorstehende Gefahren, bezeichnend ist hier die militärische Metaphorik: „Bóg mi tarczą“ (Gott ist mein Schild, Z. 1153). Den günstigen Moment nützen die beiden Soldaten, Światopełks Weisung gemäß als Pilger verkleidet, und enthüllen nach einer kurzen Begrüßung ohne Umschweife ihre wahren Absichten: „Przerwej zbytnie modlitwy! Wieczną się ścinają / Niechaj niemotą usta, niechaj zawierają!“ (Brich ab das überlange Gebet! Es soll erstarren in ewiger / Stummheit der Mund, er soll sich schließen! Z. 1171 f.) Der Mörder prophezeit Borys das Ende seiner Gebets-Rhetorik noch vor der Ankündigung des Blutvergießens. Er rechtfertigt die Tötung als Racheaktion: Borys, vom Mörder als „okrutny“ (grausam, Z. 1176, später gar als „okrutny 85 Der Kommentar macht dazu keine Angaben, doch könnte sich die Stelle auf Paulus’ Brief an die Epheser 6, 10–17 beziehen, in welchem die christliche Waffenrüstung beschrieben wird.
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tyran“, grausamer Tyrann, Z. 1226) eingestuft, trachtete nach dem Blut der Soldaten, diese wiederum nach seinem. Erstaunt fragt Borys, womit er sich schuldig gemacht habe. In diesem Moment greift der Knabe Georg, Borys’ Kammerdiener, ins Geschehen ein, scheitert aber mit dem Versuch, sein Leben für den Herrn einzusetzen, und wird umgebracht. Borys wiederholte Frage, warum die Soldaten Unschuldige töten, deckt in einem zweiten Schritt den wahren Verantwortlichen und die offizielle, pseudo-rechtliche Grundlage für den Tötungsakt auf: „Światopełk zgładzić kazał, Światopełk zabija, / Ginąć musisz, a dekret ten ciebie nie mija.“ (Światopełk befahl zu beseitigen, Światopełk tötet, / Sterben mußt du, und diesem Urteil entgehst du nicht. Z. 1229 f.) Widerstand ist Borys fremd, Sterben als Christ einziges Anliegen. In seinem letzten Gebet überhöht er das bevorstehende Lebensende als unweigerlichen Ratschluß göttlicher Vorsehung: „Od wieków jużeś dekretował / O mnie i doczesnego dni życia zrachował.“ (Seit Ewigkeiten schon hast Du verfügt / Über mich und die Tage des irdischen Lebens zusammengerechnet. Z. 1255 f.) Auf den rhetorischen Code und die Gleichsetzung Reden = Leben verweist Borys in seinem letzten Vers, in sinngemäßer Wiederholung der ersten Anrede seines Mörders: „Już mi z mową i żywot odjęty ustaje.“ (Schon wird mir mit der Rede auch das Leben weggenommen und hört auf. Z. 1272) Den Kausalzusammenhang („Doznawaj ... skutku złośliwego / Żądzy swojej“ – Erkenne ... die Folge deiner böswilligen / Begierde, Z. 1278 f.) zwischen Borys’ Tötung und seiner Handlungsweise betonen die Soldaten nach der Tat und beantworten abschließend dessen Frage nach seiner Schuld. Borys hatte die beiden kurz vernommen, an Światopełk ausgeliefert und damit ihre Hinrichtung so gut wie besiegelt; wir erinnern uns an das oberflächliche Verhör (II, 4), in dem sich die Soldaten nur zum Verkauf von Gamrots Kleidern bekannt hatten. Recht fadenscheinig wird so Borys’ Verhängnis durch einen tragischen Irrtum86 im Sinne der aristotelischen Theorie begründet: Die Annahme, daß die Soldaten Gamrot ermordet haben, war falsch. Borys hat sich durch den äußeren Schein täuschen lassen, ohne weiter nachzuforschen. Die Soldaten entkommen, Borys’ Diener kehren zurück – ihrer bloßen Anwesenheit am Tatort wegen verdächtigt sie Jarosław als Mörder und liefert sie an Światopełk aus: das Mißverstehen der Situation (II, 3) wiederholt sich (II, 7), der Handlungsgang baut auf der Verkettung und Abwandlung paralleler Vorgänge auf. Jarosław entwickelt in seinem Auftrittsmonolog (II, 7) die Totenklage als vanitasVergleich des Bruders mit einer verwelkten Rose und knüpft so an das allgemeine Thema von Borys’ Einführungsmonolog (I, 4) an. Diese Stelle verdeutlicht, wie die Figuren je nach den Erfordernissen der Handlung ad hoc positioniert werden: Jarosław tritt im I. Akt noch nicht auf (wie von der klassischen Theorie gefordert), er hat zunächst weder ein eigenes Charakterprofil noch eigene Pläne, doch wird er 86 Zur Interpretation der aristotelischen hamartía s. Asmuth, Einführung in die Dramenanalyse, S. 33.
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jetzt für die Auslieferung der Diener benötigt. Światopełk bleibt dem Stimmungswechsel unterworfen: Borys’ dramatisches Erscheinen als Geist, provoziert durch abscheuliche Lust auf den Anblick seiner Leiche (vgl. II, 5), hinterläßt keinen nachhaltigen Eindruck, Światopełk glaubt sich am Ziel (II, 8), doch erkennen die Senatoren den Mord als sein Werk (Z. 1459) und bestimmen Hleb zum Herrscher über Rußland (II, 9). Światopełk muß also einen weiteren Anschlag aushecken (II, 10) und versucht es auch dieses Mal zuerst auf dem strategischen Umweg, einen wechselseitigen Brudermord anzuzetteln (vgl. den ersten unblutigen Mordversuch in I, 8, Z. 711): Borys’ gefangengenommene Diener sollen Hleb gegen Jarosław (II, 11), dann Jarosław gegen Hleb aufhetzen (II, 12). En passant spricht Hleb seinen Auftrittsmonolog (II, 11), ebenfalls als Nachruf auf Borys, und bedauert den jähen Abbruch der „słodkie mowy“ (süße Reden, Z. 1560) seines Bruders.
Actus tertius Hleb und Jarosław, durch Spione noch bestätigt im falschen Verdacht, mit einem Kriegsheer gegeneinander vorzugehen, verfallen in Resignation. Ihre Personenreden, isoliert aufeinander folgend in III, 2 und III, 3, sind auf das beherrschende Thema der vanitas gestimmt, Thronverzicht und Weltflucht erscheint beiden als einzig mögliche Reaktion auf den Verrat durch den eigenen Bruder. Ihre programmatischen ‚Antrittsreden‘ als Eremiten in der Wildnis (III, 5) signalisieren Kampfbereitschaft auf einer anderen, gedanklichen Ebene: Hleb entwickelt den Topos von der gefahrenreichen Schiffahrt des menschlichen Lebens, Jarosław versteht sich als Soldat im Gefecht „z ciałem, czartem i światem“ (mit dem Leib, dem Teufel und der Welt, Z. 1760). In Bußgewänder und Kapuzen gehüllt, begegnen sie sich unerkannt und offenbaren einander übereinstimmende Motivationen ihrer Flucht: „Nic zgoła nie widziałem w świecie bezpiecznego, / I często brat od brata ginie rodzonego.“ (Hleb: Überhaupt nichts Sicheres sah ich in der Welt, / Und häufig kommt ein Bruder durch den leiblichen Bruder um, Z. 1787) „Dziś gody – jutro płacze, dziś wielkie honory – / Jutro z tronu strącenie, dziś ludzkie fawory – / A jutro sie od brata razu śmiertelnego / Spodziewaj. Tak nie masz nic na świecie pewnego.“ ( Jarosław: Heute Feiern – morgen Weinen, heute hohe Ehren / Morgen Hinabstoßen vom Thron, heute Gunst der Menschen – / Aber morgen erwarte vom Bruder den tödlichen Schlag. / So gibt es nichts Sicheres in der Welt. Z. 1791 ff ) Staatsraison treibt die Senatoren zur Suche nach den Brüdern an, damit nicht „proch wszytko niepamięci / Zasypie“ (der Staub der Vergessenheit alles / Verschüttet, Z. 1741 f.) im Unterschied zu Troja, dessen „pamiątka w odważnym ożyła / Eneaszu“ (Erinnerung fortlebte im wagemutigen / Äneas, Z. 1740 f.). Sie treffen die beiden in der Wüste (III, 6) und befehlen ihnen, ihre Gesichter zu enthüllen. Kunstlos und allzu offensichtlich ist die anagnorisis von den Handlungserfordernissen gesteuert (das Zusammentreffen der Senatoren mit den Brüdern in der
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Analytischer Teil
Wildnis ist unwahrscheinlich), ohne aus den Ereignissen selbst hervorzugehen; darüber hinaus gelingt sie nur teilweise: Jarosław und Hleb erkennen zwar ihren Fehler („błędowi“, Z. 1850; „błąd“, Z. 1854), daß sie sich haben täuschen lassen, Światopełk als Drahtzieher der falschen Vorspiegelungen bleibt aber unentdeckt. Gegen den lebensfremden Quietismus der Brüder, die am Einsiedlerstatus festhalten wollen, argumentieren die Senatoren erfolgreich mit dem Aufruf zur Verteidigung des christlichen Glaubens: Wenn Hleb und Jarosław nicht die Regierung übernehmen, droht Rußland wieder dem Heidentum zu verfallen. Światopełk muß, wie schon im Vorfeld des ersten Mordplans an Hleb (II, 10), die Wechselfälle Fortunas innerhalb einer Szene (III, 7) durchmachen. Er glaubt sich vom sprichwörtlichen Glück Cäsars begünstigt, überlegt, den Brudermord in der Wildnis als Jagdunfall zu tarnen, bis ihn die neuerliche Veränderung der Situation – Rückkehr der Brüder – nötigt, sein eigenes Verhängnis (IV, 6) bereits hier vorausdeutend einzuläuten: „ostatniego ruszę / Sposobu, choćbym z nimi moję gubił duszę.“ (das letzte Mittel setze ich in Bewegung, / wenn ich damit auch meine eigene Seele vernichtete. Z. 1941 f.) Światopełk will vortäuschen, sich der Herrschaft des Bruders zu unterwerfen (vgl. die scheinhafte Abtretung des Fürstentums an Borys in I, 9, Z. 753 ff ), Hleb auf seine Güter jenseits der Dźwina einladen und ihn unterwegs dorthin von Kruent erdolchen lassen. Freilich läßt dieser Mordplan ein antikes Muster durchscheinen, wie Światopełk im folgenden Akt expliziert, indem er Kruent zu Charon, die Dźwina zu den Unterweltsströmen Lethe und Acheron umkodiert (IV, 2, Z. 2257 ff ). Hleb befällt der Schatten böser Vorahnungen (ähnlich wie schon Borys in II, 6), er antizipiert im Zwiegespräch mit Światopełk (III, 8), seinen inneren Zustand beschreibend, die eigene Tötung: „jakby nóż w me serce wraziły, / Jakby w wnętrznościach jakie ostrze zostawiły.“ (wie wenn man ein Messer in mein Herz hineingestoßen hätte, / Wie wenn man in das Innere irgendeine Klinge gebohrt hätte. Z. 1995 f.) Światopełk hat den gewünschten Vorwand für die scheinheilige Einladung, Hlebs Kümmernisse durch Vergnügungen auf seinem Landgut zu zerstreuen. Mit dem bevorstehenden Bankett thematisch verknüpft ist die neunte scherzhafte Szene, so daß der comic relief 87 dem tragischen Ende Hlebs vorausgeht. Der Koch beschreibt seine berufsbedingt vernachlässigte äußere Erscheinung, er schwitzt, Schaufelladungen voll Schmutz sitzen ihm im Nacken, die Haare sind zu einem filzigen Zopf verwickelt. Lachen provoziert hier die Einverleibung humani-
87 S. dazu Pfister, Das Drama, S. 291 f. Die Gegenüberstellung von Tragik und Burleske kann nach Pfister verschiedenen Funktionen dienen: der selbstzweckhaften ästhetischen Forderung nach varietas und copia (Abwechslung und Fülle), aber auch der handlungsrelevanten Einleitung einer dramatischen Gegenbewegung (im Sinne einer auf die Horrorszene folgenden Aktivierung der Lebenskräfte).
Zusammenfassung des Drameninhalts
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stischer Tradition in die derb-realistische Sphäre grotesker Körperlichkeit88: der Koch vergleicht seine von Fett starrende Kleidung mit einer Rüstung, Troja wäre von den Griechen nicht erobert worden, hätte es mehrere von seiner Sorte gehabt. In einer Sentenz, wie sie Sarbiewski auch für den komödienhaften mimus fordert, lassen sich die vielen Klagen pointiert auf die kulturfremden Ursprünge dieser Profession zurückführen: „Kto wynalazł ten urząd obrzydły kucharski, / Tyran był, nie katolik, dziki syn tatarski.“ (Wer dieses abscheuliche Amt des Kochs erfunden hat, / War ein Tyrann, kein Katholik, ein wilder Tatarensohn. Z. 2035 f.) Parodistisch gegenübergestellt wird der Tyrann als Erfinder der Kochkunst dem Gewaltherrscher im offiziellen politischen Geschehen – Światopełks Einladung bringt zwar den Koch ins Schwitzen (Z. 2013), im Endeffekt haben seine Handlungen aber weit schwerwiegendere Folgen. Der anschließende Dialog des Küchenchefs mit den unerfahrenen Küchenjungen endet in einer Schlägerei, die beiden mißverstehen den kulinarischen Fachbegriff „bijanka“ (Z. 2069) als „biey Janka“ (schlag’ den Janek = Name des Kochs, Z. 2070). In der folgenden Szene (III, 10) erkennt Jarosław völlig unmotiviert Światopełks Absicht, den Bruder zu ermorden, doch kommt seine Warnung zu spät: Kruent ersticht Hleb (III, 11). Das Tatschema und die Textstruktur sind im Wesentlichen der vorangegangenen Tötungsszene (II, 6) analog: Ankündigung des Lebensendes und Verstummens der Rede (Z. 2111 f.) – Begründung der Tat durch Światopełks Todesurteil – Gebet – kurzes Zögern des Schergen – Mord. Vom Umfang her ist der Text insgesamt freilich kürzer, Zeitablauf drängt zum Abschluß der Handlung.
Actus quartus Jarosławs Auftrittsmonolog (IV, 1) beginnt mit einer lyrischen Sequenz (Z. 2155– 2171), die sich gattungstypologisch der laus-ruris-Dichtung zuordnen läßt, einer bedeutenden Strömung innerhalb der polnischen Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts. Schon der Anfang „Błogo temu, ojczystej co pilnuje roli“ (Wohl dem, der den vom Vater ererbten Acker bestellt, Z. 2155) evoziert Horaz’ II. Epode „Beatus ille“, den antiken Prätext dieser Gattung89, das semantische Paradigma des laus ruris ist in den entscheidenden Grundzügen realisiert: der Glückszustand ländlicher Existenz – Broterwerb auf dem heimischen Acker, Gottesfurcht, Zufriedenheit in der Beschränkung, Ruhe, ungestörter Schlaf – wird als idyllisches Gegenbild zum vanitasbehafteten Leben im Palast entworfen, dort herrschen Sorgen, Trübsal, Schlaf88 Bachtin betont die Rolle der geistlichen Schulen für die Tradition des grotesken Realismus in der Ukraine und Weißrußland bis hin zu Gogol’, Die Ästhetik des Wortes, Frankfurt 1979, S. 340. 89 Staropolska poezja ziemiańska. Antologia, oprac. Janusz Gruchała i Stanisław Grzeszczuk. Warszawa 1988, S. 32 f.
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losigkeit. Den Negativkatalog beschließt Jarosławs Reflexion über die fehlgehende Etymologie des Wortes „pokój“ (Zimmer; Friede, Z. 2169), das ungeeignet zur Bezeichnung der herrschaftlichen Wohnstatt ist, nicht Friede, sondern Sorgen umschließt der so benannte Ort. Wenn Jarosław dem verlorenen Glück des einfachen Lebens nachtrauert, erscheint er als Sprachrohr landadeliger Ideologie der mittleren szlachta, keineswegs als Staatsmann, der am Ende zum höchsten Amt berufen wird. Seine Zurückhaltung ist vor allem als Kontrafaktur zur ‚Regierungserklärung‘ Światopełks (I, 1) konzipiert, als Absage an Brutalität und skrupellose Machtgier. Den Handlungsgang treibt die Ankunft des Boten voran, den Jarosław ausgeschickt hatte, um Hleb zu warnen. Hirten berichteten dem Boten von der Wundererscheinung einer Engelschar über dem Wald, dort fand er dann Hlebs Leiche. Für Jarosław unbegreiflich ist das Versagen der Blutrhetorik: „Póki, Boże, przebaczasz? Czy się nie obija / O niebo głos niewinnej krwie?“ (Solange, Gott, verzeihst Du? Schlägt nicht / dem Himmel entgegen die Stimme unschuldigen Blutes? Z. 2201 f.) Rhetorische adynata stilisieren seine Rede, um den Affektsturm der Trauer wiederzugeben, die kosmische Ordnung wird in Frage gestellt: „Niech sie teraz mieszają niebieskie obroty, / Niechaj Phaebus przygasi ognie swoje złoty!“ (Sollen sich doch jetzt die Umdrehungen der Himmelssphären verwirren, / Soll der goldene Phaebus doch seine Feuer ersticken! Z. 2211 f.) Prospektiv vorweg nimmt er das Ende des Aktes im Verdikt über den Übeltäter „Niegodzien, by go ziemia na swoim nosiła / Łonie, by i słoneczna jasność mu świeciła.“ (Unwürdig ist er, daß ihn die Erde trage auf ihrem / Schoß, auch daß ihm das Sonnenlicht leuchte. Z. 2217 f.) Die Senatoren wiederholen ihre schon an Borys (I, 4, Z. 295) gerichtete Warnung, Światopełk nicht im Staat zu dulden (Z. 2230 f.). Jarosław verspricht – unter Berufung auf die antiken Vorbilder Manlius und Agesilaus – Strafgerechtigkeit in der eigenen Familie zu üben, die Senatoren sollen Światopełk zum Tode verurteilen, wenn es sich zeigt „że ugasić swego / Tak wielu krwią nie może pragnienia“ (daß er seinen / Durst mit soviel Blut nicht löschen kann, Z. 2234 f.). Die Antwort folgt prompt in der nächsten Szene: Kruent berichtet, Hleb das Herz aus dem Leib geschnitten zu haben. Światopełk rast vor Freude über das Gelingen seiner Pläne und überlegt, wie es wäre, wenn er seinen Durst mit Hlebs Blut, gesammelt in einem Pokal, stillte, so wie Catilina das bereits vorgemacht hat: „Jakbym ja z Katyliną tę krew lał w puchary ... / Abym pragnienia przygasił, do mej wlałbym czary“ (Wie würde ich mit Catilina dieses Blut in Becher gießen ... / Damit ich den Durst löschte, in meinen Pokal eingießen“, Z. 2291 f.). Światopełk überbietet noch die Befürchtungen seiner Umgebung, kannibalistisch pervertiert er seine Fama des Blutrünstigen oder anders gesagt, er nimmt die Metapher des Blutdursts wörtlich. Der Szenenüberschrift zu IV, 3 und dem Eingangsmonolog Jarosławs läßt sich entnehmen, daß dieser Światopełk mitten im schadenfrohen Wortschwall überrascht und damit den Beweis für dessen Schuld hat. Die folgende Schmährede kon-
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statiert die jedes Maß der Tiernatur (Wolf, Tiger, Löwe) übersteigende Verwilderung des Brudermörders und geht über in einen sentimentalen Nekrolog auf Hleb. Rhetorisch konfiguriert ist der Hinweis des ersten Senators auf die Unwiderruflichkeit des Todes „Już żalem nie odwołasz ani płaczem brata, / Stamtąd go nie przyzowiesz na ten padół świata.“ (Weder durch Trauer, noch durch Tränen wirst Du mehr den Bruder abrufen, / Von dort rufst Du ihn nicht zurück in diese Niederung der Welt. Z. 2367 f.) Dem praktischen Rat des Senators folgend, ordnet Jarosław Hlebs Bestattung in Wysogród (Vyšgorod, spätere Kultstätte der Heiligen Boris und Gleb) an. In der Gerichtsszene (IV, 5) berät Jarosław mit vier Senatoren über die Bestrafung Światopełks. Die zunächst einstimmig entsprechend archaischer Augeum-Auge-, Zahn-um-Zahn-Justiz verhängte Todesstrafe hinterfragt Jarosław vom christlichen Standpunkt aus mit dem Argument „Tylko, że znowu w tenże sami popadniemy / Grzech, który w Światopełku ukarać myślemy.“ (Nur, daß wir wieder selbst in den gleichen Fehler verfallen / Um dessentwillen wir Światopełk zu bestrafen gedenken. Z. 2417 f.) Alternativ wird das Dekret über die Verbannung Światopełks aus dem russischen Staat erlassen. Światopełk muß die ambitionierten Pläne aufgeben, im verzweifelten Schlußmonolog (IV, 6) übernimmt er die fremden Standpunkte hinsichtlich seiner eigenen Person: Verrat wandte sich schon immer gegen den, der ihn ausgedacht hat, „ani zaniemiała / Tak krew wylana, głosem by nie przerażała / Nieba i uśpionego Boga przebudziła,“ (noch verstummte / So das vergossene Blut, daß es nicht mit seiner Stimme in Schrecken versetzte / Den Himmel und weckte den schlafenden Gott, Z. 2431 ff ), eher hört der Ätna auf, Feuer zu speien, als daß sich der brennende Zorn (gniew, Z. 2439 u. 2446) in seinem Herzen beschwichtigte. Angesichts der Hoffnungslosigkeit seiner Lage wünscht er sich in furioser Selbstverfluchung, nicht als Fürst, sondern als Tier oder Baum geboren zu sein (Z. 2463 ff, vgl. IV, 3, Z. 2298 ff ) – bedeutungsschwere, heftige Gebärden, wie sie Sarbiewski für den IV. und V. Akt der Tragödie fordert, haben hier ihren Platz. Ewige Höllenstrafe steht unausweichlich bevor, die Erde tut sich auf und verschlingt Światopełk. Die tragische Fallhöhe des Fürsten wird im eigentlichen Wortsinn und räumlich nachvollziehbar inszeniert, vermutlich mittels eines Senkbodens.
4.3 Kompositionsprinzipien Wie in unseren theoretischen Vorüberlegungen festgehalten, bildet nach Mukařovský die Gesamtheit der Künste eine Struktur höherer Ordnung. Ausgehend von dieser Prämisse stellte sich die Frage, ob über die Materialgrenzen hinweg gemeinsame Strukturkonstanten künstlerischer Werke aufgezeigt werden können. Eine methodische Grundlage für vergleichende Untersuchungen von Wort- und
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Bildkunst hat Boris Uspenskij im (oben referierten) Kapitel über „Gemeinsame Strukturen der verschiedenen Künste. Allgemeine Prinzipien der Textgestaltung in Malerei und Literatur“ geschaffen, mit vereinzelten Hinweisen auf Parallelerscheinungen im Theater. In meiner folgenden Analyse werde ich nachweisen, daß Uspenskijs Begriffsinventar besonders geeignet ist, die dramatische Struktur der Kommunia Duchowna S. S. Borysa y Hleba zu beschreiben und die kompositorischen Funktionen der verschiedenen Segmentierungsmodi innerhalb des Stückes zu bestimmen. Auf den ersten Blick erkennen wir bereits die Unterteilung in Haupt- und Nebentext, bzw. Autor- und Figurenrede, in Haupthandlung und komische Intermedien, und selbstverständlich in die vier Akte. Es wird sich zeigen, daß diese isoliert nebeneinander stehenden Gliederungsmöglichkeiten mittels der Uspenskijschen Terminologie in ein einheitliches System des Textaufbaus integriert werden können. Freilich habe ich zum Zweck der Dramenanalyse die vorgefundene Begrifflichkeit in ein adäquates Ordnungsschema gebracht und werde nun die Komposition des Stückes hinsichtlich des Autorstandpunkts, der Figurenstandpunkte sowie verschiedener Außen- und Innenperspektiven untersuchen. In den entsprechenden Gliederungspunkten (4.3.1 bis 4.3.4) berücksichtige ich auch die vier grundlegenden, im Hauptteil der Poetik der Komposition aufgestellten Standpunkt-Typen, bezogen auf Ideologie, Phraseologie, Raum-Zeit-Charakteristik und Psychologie. Unabdingbare Voraussetzung der Analyse ist aber das Verständnis der dramatischen Struktur als solcher – dabei stütze ich mich auf Jiří Veltruskýs Abhandlung Drama as Literature.90 Es erscheint notwendig, Uspenskijs eigene Auffassung zu modifizieren, das Problem des Standpunkts sei zwar im Prinzip für das Theater aktuell, „wenn auch nicht im gleichen Maße wie bei den übrigen Kunstarten.“91 Mit P. A. Florenskij ist er der Ansicht, die szenische Realisierung eines Dramas unterscheide sich vom rein literarisch rezipierten Werk dadurch, daß der Zuschauer im Theater nur beschränkte Möglichkeiten habe, sich mit dem Helden zu identifizieren, dessen Standpunkt zu übernehmen. Dagegen werde ich am entsprechenden Ort Stellung nehmen (Intermedien, moralische Appelle). Die Relevanz des Standpunkt-Problems für das Theater läßt sich auch insofern kaum bestreiten, als Jurij Lotman, ausgehend von der „Überschneidung mehrerer Texte in direkter Rede ... die Möglichkeit der Existenz mehrerer Blickpunkte in der Wortkunst am frühesten im Drama“92 behaup90 Veltruský bezeichnet in seinem Vorwort diese Abhandlung (= Semiotics of Literature 2. Lisse 1977) eher als neue Version, denn als reine Übersetzung der auf tschechisch verfaßten Studie Drama jako básnické dílo (1942). 91 Uspenskij, Poetik der Komposition, S. 10. 92 Jurij Lotman, Die Struktur literarischer Texte, München 1989, S. 382. In dieser hier verwendeten Übersetzung wird der russische Begriff „točka zrenija“ mit „Blickpunkt“ wiedergegeben, mit „Standpunkt“ in der deutschen Ausgabe von Uspenskijs Poetik der Komposition. Ich verwende beide Begriffe als variierende Übersetzungen synonym – im Deutschen gibt es keinen
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tet. Diesen verschiedenen, in der dialogischen Konzeption des Dramas angelegten Figurenstandpunkten methodisch vorzuordnen ist der „künstlerische Blickpunkt ... als Relation eines Systems zu seinem Subjekt“93. Damit ist eine universale, auf verschiedene Kunstarten anwendbare Kategorie gefunden, wie schon Lotmans einleitende Parallelisierung der Begriffe „Einstellung“ (Film), „Blickpunkt“ (Text), „Verkürzung“ (Malerei) aufzeigt. Im Folgenden werde ich den spezifischen Blickpunkt des Dramenautors in seinen grundsätzlichen Merkmalen und exemplarisch auf die Kommunia Duchowna bezogen untersuchen.
4.3.1 Autorstandpunkt 4.3.1.1 Theoretische Grundlagen Rolle und Position des Autors im Dramentext hat Veltruský unter verschiedenen Gesichtspunkten eingehend beschrieben. Im Mittelpunkt steht dabei die grundlegende Antinomie der dramatischen Struktur und die daraus folgende Komplizierung des semantischen Aufbaus: der dramatische Dialog ist sowohl Wechselrede mehrerer Sprecher als auch Äußerung eines einzigen Sprechers, des Autors.94 Als homogene Äußerung des Autors wird der dramatische Dialog vom Leser schon aufgrund der insgesamt gleichbleibenden Benennungstechnik wahrgenommen. Darüber hinaus eröffnen die Autoranmerkungen (bzw. Bühnenanweisungen) eine eigene Kommunikationsebene des Autors mit dem Leser und sind ein wesentliches Instrument, Terminus, der die semantischen Schattierungen von „točka zrenija“, bzw. „point of view“ vollständig enthielte: in der Fachliteratur ist wahlweise von „Standpunkt“, „Blickpunkt“, „Perspektive“, „Erzählwinkel“ die Rede (s. Franz K. Stanzel, Theorie des Erzählens, Göttingen 1982, S. 21). 93 Lotman, Die Struktur literarischer Texte, S. 374. 94 Veltruský, Drama as Literature, S. 12 f. Veltruskýs These der Verknüpfung von Dialog und Monolog im Dramentext liegt Mukařovskýs prinzipielle Einsicht in die Doppelnatur jeder sprachlichen Äußerung zugrunde, d.h. „the monologic and dialogic qualities comprise the basic polarity of linguistic activity, a polarity which reaches a temporary and always renewed equilibrium in every utterance, whether formally monologic or dialogic.“ ( Jan Mukařovský, „Two Studies of Dialogue“, in ders.: The word and verbal art, New Haven/London 1977, S. 112.) Dialogische Rede kennzeichnet die Dominanz semantischer Richtungswechsel, monologische die Tendenz zur ununterbrochenen logischen Kontinuität ohne semantische Wenden. (Ebd., S. 109 f.) Mukařovský weist nach, daß das Monologische und Dialogische gleichzeitig und untrennbar bereits in den psychischen Vorgängen angelegt ist, die der einzelnen Sprachäußerung vorausgehen: seelische Vorgänge können verschiedenen semantischen Kontexten zugeordnet werden, und es ist nur ein kleiner Schritt, diese Verschiedenheit der Kontexte verschiedenen Subjekten zuzuschreiben. Die Oszillation zwischen Einheit und Vielheit des Subjekts im Bewußtsein des Individuums beruht also auf dem Sich-Durchdringen und Abwechseln mehrerer Kontexte. (Ebd., S. 102.)
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um die semantische Einheit des dramatischen Dialogs zu begründen.95 Allein schon mit der Zuweisung der Personennamen zu den einzelnen Redeabschnitten erfüllen die Autoranmerkungen eine Elementarbedingung für das Verständnis des Dialogs – nicht die direkten Reden selbst können anzeigen, wem sie zugehören.96 Zusätzlich können Hinweise auf die außersprachliche Situation, deren Kenntnis für das Verstehen der Zusammenhänge unentbehrlich ist, in den Autoranmerkungen enthalten sein. Häufiger Gebrauch einer besonderen Art von Anmerkungen ist nach Veltruský für Stücke kennzeichnend, in denen semantische Statik dominiert, d.h. in denen die kontextuelle Einbindung der einzelnen Bedeutungseinheiten nicht feststeht: Wenn etwa die psychologische Situation, aus der heraus die verschiedenen Äußerungen sinnvoll werden, nicht im voraus durch direkte Beschreibung geklärt ist, enthalten die Autoranmerkungen meist eine Fülle symptomatischer Andeutungen (indem sie z.B. statt des Gemütszustands einer Person nur ihren Gesichtsausdruck referieren).97 Die Situation wird erst allmählich, wenn überhaupt je enthüllt. Diesen Fall berühre ich nur der Vollständigkeit des theoretischen Überblicks halber, für das Barockdrama ist er ohne Belang. Über die Anmerkungen kommuniziert der Autor direkt mit dem Leser und erinnert ihn beständig an den Gesamtkontext. Er ist dafür verantwortlich, den von 95 Veltruský, Drama as Literature, S. 37. Auf der Ebene der Kommunikation der Dialogpartner untereinander wird die semantische Einheit des dramatischen Dialogs durch den Bezug auf die außersprachliche Situation bestimmt. Auch diesen Begriff verdankt Veltruský Mukařovskýs grundlegenden Studien zum Dialog: die Einwirkung der realen, gegenständlichen Situation hat Mukařovský als zweites der unverzichtbaren Elemente des Dialogs benannt, neben der Ich-Du-Spannung der Gesprächsteilnehmer und dem Sich-Durchdringen und Abwechseln mindestens zweier Kontexte. (Mukařovský, The word and verbal art, S. 86 f.) 96 Veltruský, Drama as Literature, S. 41. Mit Recht verteidigt hier Veltruský die Autoranmerkungen als organischen Bestandteil des Dramas gegenüber Theoretikern, welche sie als extern in Bezug auf die literarische Struktur des Stückes einstufen, entfallen sie doch bei der Aufführung. Roman Ingarden führte die grundlegende Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebentext, d.h. zwischen dialogischen Personenreden und Autoranmerkungen, in die Dramentheorie ein: Der Nebentext gibt zum mindesten den Namen der jeweils sprechenden Person an, so daß die einzelnen Repliken gleichsam mit einem Anführungszeichen versehen werden. Daraus folgt die für das Drama als literarisches Werk typische „Einschachtelung“, bzw. doppelte Projektion der Sachverhalte. Anders gesagt, beide Schichten der dargestellten Gegenständlichkeiten – nämlich diejenige Schicht, welche durch den Nebentext, und die, welche durch den Haupttext entworfen wird, – wirken zusammen. Im Begriff des Haupttextes ist der Anspruch begründet, daß aus den zugehörigen Sätzen im Prinzip die ganze dargestellte Geschichte hervorgeht. Der Nebentext kann, über seine wesentliche Funktion der doppelten Projektion hinaus, weiter ausgebaut werden, um manche Sachverhalte der dargestellten Wirklichkeit des Haupttextes direkt zu bestimmen, s. Roman Ingarden, Das literarische Kunstwerk, Tübingen 1960, S. 220 ff. 97 Veltruský, Drama as Literature, S. 40.
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den einzelnen Personenkontexten unterscheidbaren, sinnhaften Gesamtkontext, bzw. Autorkontext (integral context) des dramatischen Dialogs herzustellen. Die Einheit des Sinns in den Personenkontexten ist von der Einheit des Sinns im Autorkontext zu trennen. Nicht als bloße Summe der Figurenreden entsteht das Sinnganze des Dramas, vielmehr gibt der Autor den individuellen Kontexten eine Zusatzbedeutung, indem er seine Haltung gegenüber den Charakteren offenbart. Seine Einstellung zu den Figuren kann der Autor durch mehr oder weniger explizite Hinweise in den betreffenden Figurenreden selbst vermitteln. Allerdings weist Veltruský hier – besonders hinsichtlich der Tragödie – auf die Schwierigkeit hin, den Sinn, den ein Charakter in seine Rede legt, abzugrenzen vom Sinn, den der Autor in sie hineinträgt. Die Sprache der Charaktere sei im Prinzip auch die Sprache des Autors, doch schwanke der Grad wechselseitiger Angleichung zwischen den Extremen völliger Identität (klassizistisches Drama) und größtmöglicher Differenzierung (realistisches Drama). Unmittelbarer zum Ausdruck kommt der Autorstandpunkt, wenn ein Kommentator mit Distanz zum dramatischen Dialog eingeführt wird und natürlich in den Anmerkungen, deren Umfang zunimmt, je mehr der Autor sich veranlaßt fühlt, das Sinnganze des Stückes festzulegen. Ein zentrales, auf den Gesamtkontext berechnetes Verfahren besteht darin, jeden Charakter bei seinem ersten Auftritt zu beschreiben und so den interpretativen Rahmen für seine folgenden Reden und Aktionen abzustecken.98 Zusammenfassend lassen sich also zwei Ebenen der Autorrede im Drama aufzeigen, die direkte Aussage in den Anmerkungen und die indirekt in den Personenreden enthaltene. Im Vergleich zu den dialogischen Personenreden sind die Autoranmerkungen aber nicht nur untergeordnet, sondern grundsätzlich unterschieden durch monologische Sprachverwendung. Dort, wo sich der Autor über die dominante Sprachform des Dramas, den Dialog, indirekt zu Wort meldet, erscheint das Autorsubjekt aufgespalten in die imaginären Subjekte der Personen. Dieser Befund ermöglicht eine differenziertere Betrachtung der Ausgangsthese über die grundlegende Strukturantinomie des dramatischen Dialogs als Äußerung sowohl eines als auch mehrerer Subjekte. Gleichzeitig mahnt Veltruský, die Zurückhaltung des Autors dialektisch zu verstehen: In den Anmerkungen tritt der Autor zwar in den Hintergrund, gibt sich aber deutlich zu erkennen als zentrale Instanz, als Urheber und Verteiler der Reden auf die einzelnen Figuren im Vordergrund. Wenn der Autor seine Aussage indirekt und aufgespalten auf imaginäre Figuren kundgibt, so macht er doch seine Präsenz als Mittelpunkt, dem das Strukturganze zustrebt, fühlbar.99 Weitere Aufschlüsse über die Rolle des dramatischen Autors sind aus der Einordnung des Dramas in das System der literarischen Gattungen zu gewinnen. Veltruský knüpft seine Überlegungen zu diesem Thema an Hegels Anschauung, 98 Ebd., S. 44 f. 99 Ebd., S. 69.
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das Drama sei eine Synthese von Lyrik und Erzählkunst und belegt die Gültigkeit dieser Auffassung unter verschiedenen Gesichtspunkten.100 Erstens entfalten die jeweiligen Dominanten von Lyrik (lyric) und Erzählkunst (narrative) – Sprache (language) und Handlung (plot) – ihr spezifisches Potential am vollsten im Drama. Lyrik als Sprachkunst wird in ihren Möglichkeiten noch übertroffen vom Raffinement der Dialogstruktur mit ihrer doppelten Ausrichtung auf einen mehrfachen Kontext der Personen und den einheitlichen des Autors hin, die dramatische Handlung kann sich, im Unterschied zur narrativen, von der Bindung an die Sprache lösen und Eigendynamik entwickeln (z.B. wenn einem Höchstmaß an Handlungsspannung handlungsneutrale Figurenreden parallel laufen). Im allgemeinen erscheint die dramatische Handlung als kontinuierlicher Strom hinter der Sprache, vorrangig an den Zeitablauf gebunden. Sobald die dramatische Handlung in Gang gesetzt ist, erzeugt der Zeitablauf allein im Leser das Gefühl, daß sie ununterbrochen und unaufhaltsam voranschreitet, selbst wenn der Redefluß ins Stocken gerät.101 Zweitens umfaßt das Drama sowohl mehrere Subjekte wie ein Werk der Erzählliteratur als auch ein einziges, dem lyrischen Subjekt vergleichbares. Eine Verschränkung tritt hier insofern ein, als das dramatische Subjekt qua Charakter noch mehr im Vordergrund steht als das lyrische Subjekt, das dramatische Subjekt qua Autor sich noch mehr in den Hintergrund zurückzieht als der Erzähler. Berücksichtigt man drittens die bestimmende Zeitform der Lyrik, die Gegenwart, und der Erzählkunst, die Vergangenheit, so läßt sich auch unter diesem Aspekt das Drama als Synthese beider Gattungen auffassen. Die Gegenwart des dramatischen Dialogs, das Verhaftetsein im Hier und Jetzt102 ist noch ausgeprägter als das Präsens im Gedicht, Bindung an die Vergangenheit kennzeichnet die dramatische Handlung. Genauer erläutert Veltruský diese Zeitbezüge im vorangehenden Kapitel (7 „Dramatic plot“): Die im dramatischen Dialog gegenwärtige außersprachliche Situation verändert sich permanent mit jeder neu geäußerten Bedeutungseinheit; sie markiert einen augenblicklichen, unwiederholbaren Schnittpunkt des stetig fließenden Kontinuums von Zeit und Raum. Im Unterschied dazu dauert die handlungsbezogene Situation als eine bestimmte Konstellation und Beziehung zwischen den Charakteren über eine gewisse Zeitspanne fort.103 Gleichwohl sind beide Situationsarten nur Aspekte derselben Sache, aus derselben sprachlichen Schöpfung abgeleitete Bedeutungen. Ihre Verschiedenheit entspricht nach Veltruský zwei perspektivischen Betrachtungsweisen des Lesers – der Nahsicht auf die jeweilige 100 Ebd., S. 86. 101 Ebd., S. 80. 102 Meine einführende Inhaltsangabe der Kommunia Duchowna unter besonderer Berücksichtigung der dictio folgt ebenfalls dem Präsens des dramatischen Dialogs, in einem späteren Kapitel sollen rückblickend die Aufbauprinzipien der dramatischen Handlung umrissen werden. 103 Veltruský, Drama as Literature, S. 80.
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Dialogsituation in allen Einzelheiten und der Fernsicht auf die gleiche Situation nach einem bestimmten Zeitablauf, der nur das Wesentliche bewahrt, bzw. aus der Fülle der Einzelheiten eine homogene Einheit aussondert. Vergangenheit, die Zeitform der Wahrnehmung der dramatischen Handlung, läßt Kontinuität und Einheit zu, während das Präsens, die Zeit des dramatischen Dialogs, sich sprunghaft verändert.104 Noch prinzipieller sind diese Zusammenhänge unter Berücksichtigung von Husserls Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins zu erklären, wenn wir seine theoretischen Aussagen über Zeitobjekte, d.h. „Objekte, die nicht nur Einheiten in der Zeit sind, sondern die Zeitextension auch in sich enthalten“105, auf das Drama anwenden: die Wahrnehmung eines Zeitobjekts setzt ein mit einer aktuell gegebenen Urimpression, an die sich kontinuierlich die primäre Erinnerung, bzw. Retention anschließt, an diese wiederum ein stetiges Kontinuum von Retention der Retention usf.; in der Folge von Retentionen wird die ursprüngliche Impression modifiziert, d.h. sie schattet sich immer weiter ab und sinkt in die Vergangenheit zurück.106 In die umgekehrte Richtung weisen die vorblickenden Erwartungen, die Protentionen.107 Husserl zeigt das am Beispiel einer Melodie – wir hören den einzelnen gegenwärtigen Ton, doch erinnern wir uns gleichzeitig an das abgelaufene Stück der Melodie und erwarten, beim jeweiligen Ton angekommen, auch ihre Fortsetzung.108 Das aktuelle Jetzt stellt also nur eine ideale Grenze dar.109 Für die Wahrnehmung des Zeitobjekts, z.B. einer Tonfolge, als Ganzheit konstitutiv ist, daß „die Einheit des retentionalen Bewußtseins die abgelaufenen Töne noch selbst im Bewußtsein „festhält“ und fortlaufend die Einheit des auf das einheitliche Zeitobjekt, auf die Melodie bezogenen Bewußtseins herstellt.“110 Hinsichtlich der Erscheinungsweise des Zeitobjekts – und hier sieht Husserl ein Analogon zur räumlichen Perspektive – ergeben sich Unterschiede in Abhängigkeit von der Stellung des jeweiligen Zeitpunkts zum aktuellen Jetzt: in der Nähe des Jetzt finden wir eine klare Sphäre, in der die diskreten sukzessiven Elemente „größere Deutlichkeit und Auseinandergehaltenheit“ aufweisen; je weiter wir uns aber davon entfernen, desto „größere Verflossenheit und Zusammengerücktheit“ kennzeichnet die einzelnen Teile: „Indem das zeitliche Objekt in die Vergangenheit rückt, zieht es sich zusammen und wird dabei zugleich dunkel.“111 Als Schlußfolgerung für unsere Fragestellung ergibt 104 Ebd., S. 83. 105 Edmund Husserl, Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins (1893–1917) (= Husserliana, Bd. X), Haag 1969, S. 23. 106 Ebd., S. 29 f. 107 Ebd., S. 38 f. 108 Ebd., S. 23. 109 Ebd., S. 40. 110 Ebd., S. 38. 111 Ebd., S. 26.
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sich, daß Veltruskýs einseitige zeitliche Zuordnung des dramatischen Dialogs zur von Nahem gesehenen Gegenwart, der Handlung zur in die Ferne gerückten Vergangenheit problematisch ist. Vielmehr müssen wir davon ausgehen, daß die Retentionsakte sowohl für den Dialog als auch für die dramatische Handlung im Präsens ablaufen, die einzelnen Zeitphasen in Bezug auf die Handlung jedoch größer sind, in Bezug auf den Dialog kleinteiliger. Kehren wir wieder zurück zu Veltruskýs Behandlung der Gattungssynthese und wenden uns dem grundlegenden Spannungsverhältnis zwischen semantischer Statik und semantischer Dynamik zu, das in jedem Drama gegeben ist. Erzählprosa begünstigt semantische Dynamik: narrativen Texten ist in der Regel die vereinheitlichende Perspektive des Themas vorgegeben, die den Sinn der einzelnen Äußerungen sofort einsichtig werden läßt. Semantische Statik hingegen kommt durch die Situationsgebundenheit einer Äußerung zustande (wie sie auch Gedichte häufig kennzeichnet).112 Nimmt der Sprecher den Bezug zur Realität nicht über ein bestimmtes Thema auf, sondern über eine aktuelle Situation, so fördert dies die Fragmentierung in Einzelaspekte und den Verlust einer generalisierenden Perspektive: „The psychological situation is characterized by single ideas, emotions, and so on, which by their insistent actuality relegate into the background the global mentalities of the participants and the overall relations between them; people often regret what they have or have not done as soon as they get out of the given situation and can see it from a distance or, to put it differently, as soon as that situation itself becomes a theme.“113 Den Vers – und darauf zielt mein Eingehen auf die beiden Varianten semantischer Entfaltung eigentlich ab – sieht Veltruský als tragendes Verfahren semantischer Statik in der Lyrik. Versintonation stört die Satzintonation, läuft dem Satz als elementarer dynamischer Bedeutungseinheit, welche die verschiedenen statischen Bedeutungseinheiten (Wörter) in ein Ganzes integriert, entgegen.114 Eine andere Funktion des Verses ist im Zusammenhang mit dem Autorstandpunkt zu betonen. Herta Schmid bewertet in ihrer Beschreibung der konstanten Komponenten der dramatischen Struktur die Lautebene als Indiz dafür, „welcher Pol der Strukturantinomie zwischen den dargestellten Sprechersubjekten und dem darstellenden Urheber-Subjekt das Übergewicht hat.“115 Im Versdrama verweist die einheitliche sprachliche Formung auf den Autor. Seine Dominanz kann er dadurch zu erkennen geben, daß er das Gestaltungsmittel des Verses mit sekundären Bedeutungen besetzt, „um Bedeutungsbeziehungen zwischen den direkten Reden 112 Veltruský, Drama as Literature, S. 88. 113 Ebd., S. 89. 114 Ebd., S. 88. 115 Herta Schmid: Strukturalistische Dramentheorie. Semantische Analyse von Čechovs „Ivanov“ und „Der Kirschgarten“. Kronberg 1973, S. 62.
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der Personen herzustellen ..., von denen die Sprecher selbst nichts wissen.“116 Theoretisch betrachtet, können beide Pole aber auch in etwa gleichrangig repräsentiert sein, wenn die Sprecher ihre Intonation gemäß den jeweiligen Gefühlslagen modulieren und der Autor den sinnhaften Gesamtkontext durch geeignete lautliche Instrumentierung unterstützt: „In diesem Fall wird die Lautebene zu einem zusätzlichen Mittel neben den Autoranmerkungen, das auf die ständige Präsenz des Urheber-Subjekts auch hinter den autonomen dramatischen Personen hinweist.“117 Mit der Funktion des Reims zu vergleichen ist nach Schmid der Gebrauch desselben Wortlauts in verschiedenen Personenkontexten. Von besonderem Interesse sind hier die abweichenden Bedeutungsnuancen, die derselbe Wortlaut in den dialogisch aufeinander zu beziehenden Repliken annimmt: Wissen die Personen nichts von ihrem homonymen Sprachgebrauch, wird erst aus dem umfassenden Sinnzusammenhang heraus das volle Bedeutungsspektrum der einzelnen Benennung erkennbar, so daß sich der Autorkontext als vorgeordnet gegenüber den direkten Reden der Personen erweist.118 Dieser Fragestellung werde ich im nächsten Kapitel (4.3.2 Figurenstandpunkte) eine genauere Bearbeitung widmen.
4.3.1.2 Der Autorkontext in der Kommunia Duchowna Ausgehend von den überzeitlichen gattungstypologischen Merkmalen des Autorstandpunkts im Drama können wir nun anhand der Kommunia Duchowna die paradoxe – untergeordnete wie zentrale – Stellung des Autors bestätigen. Abwesend erscheint schon der empirische Autor aufgrund der anonymen Überlieferung des Stückes (bei polnischen Jesuitendramen des 17. Jhs. eher die Regel als eine Ausnahme119). Regieanweisungen sind lakonisch und selten, meistens darauf beschränkt, den Auftritt oder Abgang einer Person zu bezeichnen – „Veniunt duo D r a g u n“ (nach Z. 330), „Hoc dicente venit D i a b o l u s“ (nach Z. 438), „Venit K o z a k“ (nach Z. 678), „Abit“ (nach Z. 684) –, manchmal auch eine auszufüh116 Ebd., S. 63. Schmid beruft sich an dieser Stelle auf G. O. Vinokurs Analyse „,Gore ot uma‘ kak pamjatnik russkoj chudožestvennoj reči“, in: ders., Izbrannye raboty po russkomu jazyku. Moskva 1959, S. 257–300. 117 Schmid, Strukturalistische Dramentheorie, S. 64. 118 Ebd., S. 84 f. 119 Jan Okoń, Dramat i teatr szkolny. Sceny jezuickie XVII wieku, S. 273 f. Allgemeine Bekanntheit erlangten einzelne Autoren des 16. und 18. Jhs., Pętkowski, Knapski und Bohomolec. Für das 17. Jh. nimmt Okoń, S. 278, an, daß im Grunde genommen jeder Jesuit eine Zeit lang Dramentexte schrieb, allein schon aus praktischer Notwendigkeit (die Zahl der Jesuitenkollegien wuchs an, ebenso die Gelegenheiten, die eine Aufführung verlangten). Aus den Ordensarchivalien kennen wir eine Reihe von Autorennamen, nicht aber die zugehörigen Stücke. Es gab jedenfalls keine offizielle Pflicht zum Verfassen von Dramen, s. Poplatek, Studia z dziejów jezuickiego teatru szkolnego w Polsce, S. 180.
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rende Handlung: „Interim distribuuntur hospitibus synopses et inter haec dicit (Garbarz) (nach Z. 114), „K o z a k o famulo litterae mittendae redduntur“ (nach Z. 252), „Skórę krowią z ogonem kładą“ (Sie legen die Kuhhaut mit dem Schwanz hin, nach Z. 356), „Trahens cadit et caudam solam extrahit“ (nach Z. 374). Gelegentlich finden wir unverzichtbare Hinweise zur Verkleidung, zum Schauplatz, bzw. zum äußeren Erscheinungsbild der Personen: die des Mordes an Gamrot verdächtigen Soldaten kommen, von Światopełk zum Mord an Borys angestiftet, „in veste peregrini“ (nach Z. 1160) – eine Dublette dieser Regieanweisung enthält übrigens der Rollentext Światopełks („wy pielgrzymskie szaty / Na sie [sic] weźcie“, Z. 1091 f.); in Kapuzen gehüllt, treten Hleb und Jarosław ihr Einsiedlerdasein in der Wüste an: „Tectus H l e b descendit in eremum“ (nach Z. 1746), „Supervenit J a r os ł a w tectus“ (nach Z. 1758). Den Einsatz von Kunstblut erfordert der Auftritt der beiden Höflinge, die auf Geheiß Światopełks Hleb und Jarosław gegeneinander aufhetzen sollen: „Venit A u l i c u s vulneratus“ (nach Z. 1562), „M i l e s accurrit vulneratus“ (nach Z. 1600). Unmißverständlich notiert ist der Spannungshöhepunkt, der Augenblick, in dem die jeweiligen Tötungshandlungen auszuführen sind: „Occidit“ (nach Z. 1226, 1274, 2152). Der abschließende Hinweis „Dehiscit terra“ (nach Z. 2484) legt die mechanische Vorrichtung einer Senkbühne nahe.120 Zumindest an einer Stelle vermissen wir klare Regieanweisungen: Światopełk ruft in II, 8 die Hexen an, daß sie ihm den Anblick des toten Borys gewähren mögen (Z. 1361 f.); umgehend markiert die Frage „Ale co jest?“ einen Wendepunkt in seinem Monolog, Światopełk beschreibt im Folgenden seine Vision in schauriger Lebendigkeit: die Geistererscheinung des toten Borys mit der blutenden Seitenwunde und den feuersprühenden Augen könnte, begleitet von einer entsprechenden laterna magica-Darstellung einen Höhepunkt visueller Impression bieten. Da wir aber keine explizite Regieanweisung dazu haben, läßt sich eine solche Annahme nur auf metatheatralische Hinweise, insbesondere den spezifischen Terminus des Schattentheaters, in der Personenrede stützen: „Borysa cień mi razi oczy, / ... Co to za obłuda? / Skądże te widowiska, skąd tak dziwne cuda?“ (Borys’ Schatten blendet mir die Augen, / ... Was ist das für ein falscher Schein? / Woher diese Schauspiele, woher so seltsame Wunder? Z. 1363 u. 1365 f.) Die Frage, ob der verbalen Inszenierung eine anschauliche res entsprochen hat, dürfte durch die technische Ausrüstung der jeweiligen Bühne entschieden worden sein. Glaubwürdig ist jedenfalls auch eine bildlose Umsetzung, behauptet doch der Kammerdiener in seiner Replik (Z. 1375 ff ), nichts zu sehen und daß Światopełk Trugbilder seines Gewissens ver-
120 Rückblickend auf Sarbiewskis Ausführungen zur Bühnentechnik stellen wir fest, daß er den irdischen Schauplatz nur um die höhere, himmlische Sphäre erweitert (Auf- und Abstieg göttlicher Gestalten), nicht aber um untere, chthonische Bereiche, wie sie die Aufführung unseres Stückes verlangt.
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folgten. Das Verrücktwerden des Tyrannen ist ein stehendes Motiv des Barockdramas.121 Aus unserer Analyse der Regieanweisungen sind zwei Schlüsse zu ziehen: der Autor bekräftigt sein überlegenes Bildungsniveau durch den vorwiegenden Gebrauch des Lateinischen; zweitens können wir einen restriktiven Einsatz von Regieanweisungen feststellen – wie er im übrigen der Norm des Barockdramas entspricht: nach Asmuth „war die Bühne eine Stätte rhetorischer Deklamation, auf der alles Wort wurde. Dinge, außersprachliche Tätigkeiten und Gefühle spielten nur eine Rolle, soweit die Akteure redend darauf hinwiesen. ... Selbst das eigene Sterben wurde rhetorisch vorgeführt.“122 Die Ausführlichkeit der Rollentexte macht daher explizite Regieanweisungen weitgehend überflüssig. Veltruský stellt den Grundsatz auf, daß „the authors make the greatest use of notes and remarks when they feel a need to convey the sense of the integral context and thus coordinate within it the contexts associated with the characters.“123 Abgesehen von den spärlichen Regieanweisungen in technischer Hinsicht, zielt im Sinne Veltruskýs eine besondere Art von Autoranmerkungen innerhalb unseres Dramas darauf ab, den integralen Kontext, den Sinnzusammenhang im Ganzen lückenlos zu dokumentieren: Überschriften zu jeder einzelnen Szene komprimieren deren Inhalt und sind sozusagen als epischer roter Faden im Hintergrund des Stückes zu lesen. Wie bereits in der Summa (Argument) und – mittelbar – im Prologus des Primus Studiosus, tritt der Autor hier als auktorialer Erzähler auf und bestimmt im voraus die Situation, in welche die Personen sprechend und handelnd eintreten. In der Summa schildert er die Ausgangssituation – Hauptpersonen, Ort und Zeit der Handlung, Konfliktstruktur (und nimmt auch schon das Ende vorweg) –, die Szenentitel aber enthalten die jeweiligen Veränderungen der Situation, so daß die folgenden Dialoge dynamisch in den Gesamtkontext des Stückes integriert werden können. Diese prospektive Ausrichtung der narrativen monologischen Autoranmerkungen ist durch die Verwendung des Präsens deutlich angezeigt. Vergleicht man die Szenentitel mit den zugehörigen Rollentexten auf ihre Deckungsgleichheit hin, so ergibt sich eine fast vollkommene Übereinstimmung: Für den Leser des Dramas enthalten die Szenentitel eine zusätzliche, doppelte Absicherung des integralen Kontexts – der Sinn des Stückes im Ganzen sowie die Haltung des Autors zu den Figuren geht nämlich bereits aus den dialogischen Personenreden hervor. Der bloße Zuschauer im Theater ist allein auf den Prologus angewiesen, um der semantischen Dynamik des Sinnaufbaus zu folgen – Summa und Sze121 Vgl. Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, Frankfurt 1982, S. 79 über den Tyrannen: „Sein Wille wird im Verlauf der Entwicklung von der Empfindung mehr und mehr gebrochen: zuletzt tritt der Wahnsinn ein.“ 122 Asmuth, Einführung in die Dramenanalyse, S. 51 f. 123 Veltruský, Drama as Literature, S. 45.
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nentitel entfallen bei der Aufführung. Nachdem der Primus (Studiosus) im Prolog das Handlungsschema und, über die Summa hinausgehend, auch das Wertesystem des Autors knapp umrissen hat – Borys i Hleb = ruscy patronowie (Schutzpatrone Rußlands, Z. 99), Światopełk = tyran (Z. 105) –, sind wir in der Lage, die jeweiligen Auftrittsmonologe mit ihrer impliziten Selbstcharakteristik adäquat einzuordnen und die Einstellung des Autors zu den Figuren zu erfassen. An einer einzigen Stelle hat der Szenentitel echten Informationsgehalt für den Leser und ergänzt die Personenkontexte. IV, 3 knüpft nahtlos an IV, 2 an, Jarosław überrascht Światopełk und wird Zeuge seiner rauschhaften Freudenrede auf Hlebs Tod: „Jarosław Światopełka cieszącego się z śmierci Hlebowej do więzienia skazuje.“ ( Jarosław verurteilt Światopełk, der sich über den Tod Hlebs freut, zu Gefängnis.) Die Überschrift zu IV, 3 nennt damit Światopełk ausdrücklich, so daß wir ihn uns in dieser Szene zumindest am Anfang physisch präsent vorstellen müssen. Aus den einleitenden Beschimpfungen Jarosławs: „Na co większych dowodów, same go splątały / Przestępstwa, okrutnika nam w ręce podały. / Bierzcie.“ (Wozu noch weitere Beweise, verstrickt haben ihn / Die Verbrechen selbst, sie gaben uns den Grausamen in die Hände. / Faßt ihn. Z. 2295 ff ) können wir Światopełks Anwesenheit aber nur indirekt erschließen, zumal da ihm hier keine eigene Replik zugestanden wird, sein Personenkontext in dieser Szene eine Lücke aufweist. Verurteilung zur Sprachlosigkeit inmitten der menschlichen Gesellschaft scheint seine erste – in einem rhetorikzentrierten Stück wie diesem – besonders harte Strafe zu sein. Folgerichtig muß Światopełk seinen Schlußmonolog außerhalb der Zivilisation ohne spielinterne Zuhörer halten. Abgesehen von theoretischen Gesichtspunkten wie dem Aufbau semantischer Dynamik, bzw. eines episierenden Nebentexts, haben die Szenentitel im Jesuitentheater fest umrissene praktische Funktionen im Rahmen der Zensurvorschriften. Ende des 17. Jhs. kamen aus verschiedenen Provinzen Klagen über Theateraufführungen wegen Verwendung der Volkssprache, Darstellung von Liebschaften und Verführungen sowie Fürstenbeleidigung durch beißende Satire, getarnt unter einem historischen und ehrenwerten Argument: „Dramata actionesque theatrales, ex quibus olim magnus animorum fructus existebat, plurimum iam ab Instituto nostro declinasse; alicubi ethnicorum poetarum fabulas in publico theatro repraesentatas esse, alibi amores et lenocinia inducta, alibi sive sub ideali et ficto, sive sub historico honestoque argumento ad magnatum principumque offensam aut inspersas, aut toto argumento deductas, mordaces satyras … propositas fuisse“124
Der Jesuitengeneral Charles de Noyelle glaubte diese Vergehen milder auffassen zu können, als sie ihm zugetragen wurden, dennoch schien es ihm angezeigt, weiter unten in seinem Brief „De defectibus vitandis in exhibitione actionum theatralium“ von 1684 Grundnormen für das Verfassen dramatischer Werke festzuhalten. Neben 124 Zit. nach Poplatek, Studia z dziejów jezuickiego teatru szkolnego w Polsce, S. 84.
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der Stoffwahl aus dem Bereich des Heiligen und Frommen („materia theatralis repraesentationis deligatur sacra et pia“) und der ausschließlichen Verwendung des Lateinischen („nonnisi latino sermone“) schreibt er auch vor, wie bei der Komposition von Theaterstücken und der Überwachung der einzelnen Kompositionsschritte durch den Rektor und seine Berater zu verfahren sei: „Primum sit, ut poeta non prius operi construendo calamum admoveat, quam propositum sibi argumentum, adhuc indigestum, Rectoris ac consultorum iudicio submittat, ut dispiciant, an Regulis respondeat, an loco, tempori, personis sit opportunum. Tum vero, ubi probari acceperit, illud in suos actus ac scenas digerat, digestumque denuo eorundem censurae subiciat, seque ab iis dirigi haud gravate patiatur. Secundum, ut postquam propositum argumentum iam in versus et interlocutiones duxerit, id poeta Rectori consignet, qui postquam illa reviderit, siquidem vacet, Praefecto revidenda committet. ... Tertium, ut post sufficientem adolescentum exercitationem, actio tota, nulla parte omissa, coram Rectore et consultoribus exhibeatur ... Haec vero coram dictis exercitatio instituatur 8 minimum diebus, priusquam spectatoribus exhibeatur, ut poetae tempus suppetat, si quae improbata fuerint, emendandi.“125
Erstens soll der Dichter nicht zum Stift greifen, ehe er sich ein Argument vorgenommen hat; billigt es die Zensur als konform mit den Regeln und geeignet in Bezug auf Ort, Zeit und Personen, ist das Argument in Akte und Szenen einzuteilen und wieder zur Genehmigung vorzulegen. Wenn der Dichter zweitens das Argument in Verse und Personenreden überführt hat, gibt er es zur Revision an den Rektor, dieser wiederum an den Präfekten. Drittens ist eine Generalprobe vor dem Rektor und seinen Beratern acht Tage vor der geplanten Aufführung anzusetzen, damit dem Dichter noch Zeit zur Ausbesserung eventueller Beanstandungen bleibt. Von den einleitend genannten drei Vorwürfen kann man den Autor der Kommunia Duchowna nur im Hinblick auf amouröse Anzüglichkeiten entlasten – er scheint eine Erlaubnis zugunsten der Volkssprache erlangt zu haben (s. auch das Kapitel über die historisch-systematische Einordnung unseres Stückes). Satirische Seitenhiebe gegen die herrschende Klasse versteckt er in den komischen Zwischenspielen unter unverfänglichem, einmal sogar seriös lateinischem Titel (I, 5; II, 3; III, 9; Chorus iocularis secundus: Karzeł cum Cubiculario ferunt libros in sacco et subsistunt). Scheinbar hat die Zensur auch am ausgearbeiteten Text keinen Anstoß genommen – souveräne Beherrschung der Sprache und Publikumswirksamkeit des Stückes haben wohl den Ausschlag für seine schriftliche Überlieferung im Kodeks Orszański gegeben. Was aber das vorgeschriebene procedere der dramatischen Komposition betrifft, so spiegeln sich die einzelnen Arbeitsgänge genau in unserem Dramentext wider (der dritte, die Inszenierung, immerhin noch zum Teil in den wenigen Regieanweisungen): er enthält Argument und Szenentitel, entsprechend den unter „erstens“ zusammengefaßten Anweisungen (argumentum in actus ac scenas digestum) – unter Anwendung heutiger Metasprache läßt sich beides als 125 Ebd., S. 85.
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Autorkontext, bzw. Nebentext beschreiben. Zweitens ist das Ganze in „Verse und Zwischenreden“ gekleidet. Aus dieser Quelle können wir eindeutig den logischen wie zeitlichen Vorrang des Autorkontexts gegenüber den Personenkontexten ableiten. Unter dem umfassenderen Blickwinkel der Rhetorik betrachtet, zeichnet das obige Zitat die vier Produktionsschritte der inventio (Argument), dispositio (Akte und Szenen), elocutio (Rollentexte) und actio (Aufführung) nach. Die Zensurvorschrift bedingte, daß das Theaterprogramm lange vor der Aufführung selbst vorbereitet, der Inhalt des Stückes vollständig und knapp zusammengefaßt war.126 Dem monologischen Autorkontext brauchte man nur noch die Widmung an eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, bzw. den Gönner der Schule hinzufügen, eine Liste der Schauspieler und ihrer jeweiligen Rollen scheint jedenfalls in der Dichtungstheorie Compendium humaniorum litterarum (Poznań 1691) nicht vorgesehen, geschweige denn die Nennung des Autors: „in synopsi seu compendio drammatis ... debet esse titulus drammatis, nomen illius, cui dedicatur et historia seu fundamentum drammatis.“127 Ein solches Programm begleitete auch die Vorstellung der Kommunia Duchowna, wie aus der betreffenden Regieanweisung im Prologus „Interim distribuuntur hospitibus synopses et inter haec dicit Garbarz“ (nach Z. 114) ausdrücklich hervorgeht. Jesuitendramen waren im allgemeinen zur Aufführung bestimmt, nicht zum Lesen, und so versteht es sich von selbst, daß der Verfasser der Kommunia Duchowna neben den Autoranmerkungen die zweite, in unseren methodischen Vorüberlegungen genannte Möglichkeit nutzt, sich indirekt in den Rollentexten zu äußern. In den Personenreden ist, wie schon gesagt, der Sinn des Stückes im Ganzen und die Einstellung des Autors zu den Figuren enthalten, beginnend mit der expositorischen Vorrede des Primus (Studiosus). Entsprechend der Bühnenkonvention im klassischen Drama sind die jeweiligen Auftrittsreden von Światopełk, Eryman und Borys auf die Kommunikation zwischen Autor und Zuschauer berechnet, um die Absichten der handelnden Personen zu enthüllen.128 Die Vorzeichen (positiv / negativ), unter denen wir sie zu beurteilen haben, stehen von Anfang an fest, weitere Auftritte bereichern den jeweiligen Personenkontext um zusätzliche Bedeutungen innerhalb des vorgegebenen Paradigmas. Unabhängig von den entgegengesetzten Figurenperspektiven sehen wir die Meinung des Autors am unmittelbarsten von Eryman und den Senatoren vertreten. Glaubwürdig, frei von Eigeninteressen auf das Gemeinwohl bedacht, werden sie sogar mit dem Vorwissen des auktorialen Erzählers ausgestattet: Światopełk vertraut noch auf die Macht des Goldes, um die Brüder von der Thronfolge auszuschalten, da sagt Senator tertius schon voraus, daß Światopełk einen nach dem anderen töten wird (Z. 289 ff ). Borys sträubt sich 126 Okoń, Dramat i teatr szkolny. Sceny jezuickie XVII wieku, S. 53. 127 Zit. nach ebd., S. 48. 128 Zum Monolog als Konvention s. Pfister, Das Drama, S. 185 ff.
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dennoch hartnäckig, Maßnahmen zu ergreifen. Einen Vorverweis auf III, 6 gibt Senator primus in I, 4 mit der Prophezeiung, daß die Senatoren Borys selbst aus syrischen Höhlen und ägyptischen Grabkammern herausholen werden, damit er Rußland regiere (Z. 312 ff ). Veltruskýs These, die Sprache der Charaktere sei immer auch die Sprache des Autors129, nimmt durch die gattungsbestimmenden Normen der Barocktragödie besondere Bedeutung an. Harsdörffer bezeichnete im Anschluß an Scaliger die „Lehr- und Dencksprüche“ gleichsam als „des Trauerspiels Grundseulen“130 und betont damit die architektonisch-strukturelle Funktion dieser Einheiten. Sarbiewski führt die Sentenzen in seinem Katalog der Unterschiede zwischen Tragödie und Komödie auf und macht den lehrhaft-gedanklichen Aspekt zur Grundlage seiner Definition: „Sententia ... , quae est explicatio sensus animi apta, quis quid v.g. nolit vel velit, intellegat vel non intellegat, neget vel affirmet etc.“131 Hier geht es also weniger um Komposition und Zusammenhalt des Werkganzen als um das sinnerschließende Potential der Sentenz, das ihren Abweichungsgrad von den übrigen Textbestandteilen bedingt. Beide Erklärungsversuche verweisen implizit auf den Autor, sei es als strukturgebende Instanz, sei es als Träger rhetorisch-didaktischer Intentionen. Selbst Światopełk, als der „Verfluchte“ in die russische Geschichte eingegangen132, kann so zum Sprachrohr des Jesuitenautors werden, wenn er sich, einen Augenblick lang reflektierend, von der Handlung distanziert, mit einem sinnreichen Spruch aus seiner Rolle heraustritt: „Biada tej koronie, / Która dwie głowie zdobi. Nigdy nie cierpiały / Nieba dwóch słońc.“ (Wehe der Krone, / Die zwei Häupter ziert. Niemals duldeten / Die Himmel zwei Sonnen. Z. 160 ff ) Der Meinung des Autors dürfte auch Światopełks Forderung entsprechen, „Więcej robić głową / Trzeba, kto chce królować, niż szablą marsową.“ (Mehr mit dem Kopf machen / Muß, wer als König herrschen will, als mit dem Säbel des Mars. Z. 605 f.) Prekär wird die Maxime erst durch ihre spezielle Ausführung im Personenkontext – Betrug und Urkundenfälschung bilden das Resultat der Überlegungen Światopełks. Im Schlußmonolog kann er nicht umhin, sein Scheitern auf das allgemein anerkannte Wertesystem zu beziehen, er verurteilt sich selbst vom Standpunkt des Autors aus. Eingehender werden wir uns mit dem Stellenwert der Sentenzen innerhalb des rhetorischen Kanons und der Frage, ob sie emblematische Strukturen in der Kommunia Duchowna begründen, im abschließenden Kapitel dieser Arbeit beschäftigen. Dort wird auch von der Wissensvermittlung qua Theaterspiel zu sprechen sein, von den historisch-mythologischen Exempla, die der Autor den handeln129 Veltruský, Drama as Literature, S. 44. 130 Zit. nach Albrecht Schöne, Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock, München 1993, S. 151. 131 Sarbiewski, O poezji doskonałej czyli Wergiliusz i Homer, S. 229. 132 Adolf Stender-Petersen, Geschichte der russischen Literatur, München 1986, S. 80.
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den Figuren zur Begründung ihres Vorgehens mitgibt, beginnend mit Światopełks Hinweis, Gold (zur Bestechung des Volkes) bezwinge selbst den (im antiken Griechenland legendären) Marmor vom Berg Marpessa (Z. 180).
4.3.1.3 Lyrisch-rhetorische Einheiten im dramatischen Text Mehrfach wurde schon die Bedeutung der Rhetorik für die Kommunia Duchowna hervorgehoben. Im Rahmen dieses Kapitels genügt es, sich die besondere Rolle des Autors eines rhetorischen Textes zu verdeutlichen: die Abhängigkeit seiner schöpferischen Produktion vom subjektiv gewählten Standpunkt sowie vom objektiv vorgegebenen Regelinventar legt die besondere Affinität rhetorischer und zentralperspektivisch-geometrischer Verfahren133 nahe – zuspitzen können wir so Jurij Lotmans allgemeine Gegenüberstellung des Blickpunkts in Literatur, Malerei und Film. Für die universale Geltung des Lotmanschen Modells spricht aber, daß schon Veltruský einen physikalischen Terminus verwendet, um die Stellung des dramatischen Autors gegenüber den Charakteren metaphorisch zu beschreiben: „Though split up into partial, imaginary subjects, the central subject nonetheless makes his presence felt as the focal point towards which the whole structure converges.“134 In das Schema wechselseitiger Erhellung fügen sich auch die unmittelbar folgenden Begriffe „background“, dem Veltruský den Autor zuordnet, und „foreground“ als Ort der handelnden Personen. Ausgehend von den methodischen Vorüberlegungen einer Synthese des Lyrischen und Narrativen im Drama wollen wir diese Problematik speziell auf die Kommunia Duchowna bezogen wieder aufgreifen. Es fällt auf, daß verschiedene Textpassagen – gelöst von der aktuellen dramatischen Situation – als eigenständige semantische Einheiten betrachtet werden können. Auf diese lyrischen Abschnitte gehe ich im Rahmen des Autorstandpunkts ein, narrativ-epische Strukturen ‚hinter‘ den Personenreden135 berücksichtige ich später im Zusammenhang mit der Handlungsentwicklung und den inneren Kompositionsrahmen. Bei der Qualifikation des Lyrischen ist einerseits von allgemeinen gattungstheoretischen Prämissen auszugehen, wie Dominanz der poetischen in Verbindung mit der emotiven Sprachfunktion, Vorherrschen des Deskriptiven und statischer Semantik, Aussage über eine SubjektObjekt-Relation, Metrik und Reim. Andererseits lege ich meiner Auswahl aber auch die Forderung nach Allgemeingültigkeit des Themenbezugs zugrunde, d.h. die betreffende Sequenz ist außerhalb der konkreten dramatischen Situation für sich 133 Boris Uspenskij vergleicht in seinem Vorwort zu Žegins Die Sprache des Bildes die formalen Beschränkungen, welche perspektivische Systeme der Malerei auferlegen, mit den Beschränkungen der Bühnendarstellung in Bezug auf Zeit, Ort und Handlung (S. 15). 134 Veltruský, Drama as Literature, S. 69. 135 Vgl. ebd., S. 80.
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sinnvoll. Von der Dichtungstheorie des 17. Jhs. her betrachtet, läßt sich mit dem Kriterium der Verallgemeinerung allerdings noch kein gattungsspezifisches Merkmal gewinnen, da es nach Sarbiewski für alle poetischen Werke gelten muß und den Grund für ihre Unvergänglichkeit enthält: „Res enim singulares iuxta universalem modum tractant.“136 Bezeichnenderweise leitet er diesen Vorzug gerade aus der Gegenüberstellung mit rhetorischen, an Ort, Person, Anlaß und Zeit gebundenen Texten ab, deren Zweck erlischt, sobald die singuläre Bestimmung ihre Aktualität verliert. Trotzdem ist die enge Verflechtung poetischer Theorie und Praxis des Barock mit der Rhetorik in der Literaturwissenschaft unbestritten137 und geht auch aus Sarbiewskis Traktaten selbst hervor. Inventio und dispositio der epischen Fabel und deren Einrichtung zum Zweck des docere, delectare, movere werden in De perfecta poesi abgehandelt; dort finden sich auch Bemerkungen darüber eingestreut, daß der Lyriker nicht Handlungen nachahmt, sondern Gedanken (sententiae) und Gefühle (affectus) ausdrückt.138 Die Unterteilung der lyrischen inventio im Buch „Characteres lyrici“ der Praecepta poetica folgt dem Schema der drei traditionellen Redegattungen: das genus exornativum umfaßt lobpreisende Oden, unter das genus deliberativum fallen sog. ethische Oden voller Sentenzen und Morallehren, die einer Sache zu- oder von ihr abraten. Dem genus iudiciale nahe steht das Verfluchungsgedicht, das aus einer Aufzählung von Verwünschungen besteht. Allen drei Arten gemeinsam ist aber der referentielle Bezug auf „res amplas, grandes, sublimes, divinas et a communi usu alienas“.139 An dieser Stelle können wir auch die Verbindung zu unserem Dramentext knüpfen: die dargestellte Welt der inneren Spielhandlung kreist ebenfalls um erhabene, göttliche, dem alltäglichen Umgang entrückte Gegenstände, ihr zugeordnet ist auf der Ebene der elocutio der hohe Sprachstil der Tragödie. Insbesondere trägt die Versform als auffälligstes Merkmal dazu bei, die Kommunia Duchowna der lyrischen Gattung anzunähern: der Autor verwendet durchgehend den paarig gereimten Dreizehnsilbler, mit Ausnahme des in sapphischer Strophe verfaßten einzigen Chorlieds am Ende des I. Akts. In der Versstruktur sehen wir eines der wirksamsten Mittel zur Betonung des Autorstandpunkts in unserem Stück, gleichzeitig bewirkt 136 Sarbiewski, O poezji doskonałej czyli Wergiliusz i Homer (De perfecta poesi), S. 14. 137 Wilfried Barner, Barockrhetorik. Untersuchungen zu ihren geschichtlichen Grundlagen. 2. Aufl. Tübingen 2002, S. 27, 56, 70 ff. Renate Lachmann, Die Zerstörung der schönen Rede. Rhetorische Tradition und Konzepte des Poetischen. München 1994, S. 14 ff. Ludwig Fischer, Gebundene Rede. Dichtung und Rhetorik in der literarischen Theorie des Barock in Deutschland. Tübingen 1968, S. 9, 22 ff. Jerzy Ziomek, Retoryka opisowa. Wrocław 1990, S. 64. 138 Sarbiewski, O poezji doskonałej czyli Wergiliusz i Homer (De perfecta poesi), S. 36, 45 zit. nach Teresa Michałowska, Staropolska teoria genologiczna (= Studia staropolskie t. XLI). Wrocław 1974, S. 121. 139 Sarbiewski, Wykłady poetyki (Praecepta poetica), S. 22.
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sie durch die fortwährende Störung der Einheit des Satzsinnes den Effekt semantischer Statik. Wenn wir im Folgenden sozusagen als Experiment Texte aussondern, die wir ähnlich in einer Anthologie barocker Lyrik finden könnten und tatsächlich gefunden haben – Hlebs Auftrittsrede am Beginn von III, 5 ist als „Modlitwa Hleba“ in Helikon sarmacki140 erfaßt – halten wir dennoch am Vorrang rhetorischer Gesichtspunkte für die Analyse der weitgehend vorautonomen, von pragmatischen Funktionen bestimmten Dichtung des Barock fest. Zeitgenössische Konzepte der Dichtung als oratio metrica, bzw. eloquentia poetica entsprechen diesem Verständnis. In die erste, von Sarbiewski angeführte Kategorie des genus exornativum einreihen können wir die hymnenartigen Lobpreisungen Gottes, die Borys und Hleb jeweils unmittelbar vor ihrem Tod sprechen, freilich von den Mördern genötigt, sich kurz zu fassen: „Boże, któryś jest cały okiem, cały uchem, Napełniającym wszytkie skryte lochy duchem, Stawam przed twym obliczem, stawam ukorzony, Od moich nieprzyjaciół zewsząd otoczony. Wiem, że listek z gałęzi ani włosek spłynie Z głowy, ani wypadnie i pióro ptaszynie Bez twej woli. Od wieków jużeś dekretował O mnie i doczesnego dni życia zrachował.“ (Borys, Z. 1249–1256) Gott, der Du ganz Auge, ganz Ohr bist, Alle verborgenen Verliese mit Geist erfüllst, Ich stehe vor Deinem Angesicht, stehe demütig, Von meinen Feinden allseitig umgeben. Ich weiß, daß kein Blättchen vom Zweig, kein Härchen herabfällt Vom Kopf, keine Vogelfeder herausfällt Ohne Deinen Willen. Seit Jahrhunderten schon hast Du eine Verfügung erlassen Über mich und die Tage des irdischen Lebens zusammengerechnet. „Oddaję Bogu ducha słowami krótkimi: Boże mój, który nie znasz początku żadnego, Któryś jest twórcą nieba, świata szyrokiego, Któryś morze rozległe brzegów nie znające Ograniczył, okiełznał i wały pieniące, U którego i piasek morski zrachowany, I pułk z gwiazd niezliczony jest skomputowany, Ty słonie (słońce) z nurtów morskich co dzień wyprowadzasz, Noc ze dniem, elementa wszytkie sobą zgadzasz, Stawam teraz przed tobą, i które wiadome Serca ludzkiego żądze, skrytości widome.“ (Hleb, Z. 2126–2136) 140 Helikon sarmacki. Wątki i tematy polskiej poezji barokowej. Wrocław et al. 1989, S. 255.
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Ich vertraue Gott meinen Geist mit kurzen Worten an: Mein Gott, der Du keinen Anfang kennst, Der Du Schöpfer des Himmels bist, der weiten Welt, Der Du das weite Meer, das Ufer nicht kennt, Umgrenzt, und die schäumenden Wogen gebändigt hast, Bei dem auch der Meeressand zusammengerechnet, Und das unzählbare Heer aus Sternen genau abgezählt ist, Du führst die Sonne aus den Meeresströmen Tag für Tag heraus, Stimmst die Nacht mit dem Tag, alle Elemente miteinander ab, Ich stehe jetzt vor Dir, und sichtbar wird, welche Begierden, Heimlichkeiten dem Menschenherzen bekannt sind.
Das gelobte Subjekt im Hymnus oder in der Ode ist vom Inhaltlichen (res) her grundsätzlich dadurch gekennzeichnet, daß es alle Maßstäbe und Grenzen menschlichen Vorstellungsvermögens sprengt. Borys’ scheinbar schlichte Einleitungsformel des allsehenden und allhörenden Gottes (die der ansonsten genaue Kommentator der Dramaty staropolskie wortlos übergeht) ist der antiken Tradition verpflichtet. Plinius d. Ä. beschreibt in der Historia naturalis den Aufbau des Weltalls und kritisiert es als Zeichen menschlicher Schwäche, nach dem Bild und der Gestalt Gottes zu suchen. „Wer auch Gott sei, wenn es überhaupt einen anderen gibt (als die Sonne) und in welchem Teile (des Alls) er auch sein mag, er ist ganz Gefühl, ganz Gesicht, ganz Gehör, ganz Seele, ganz Geist, ganz er selbst.“141 Der kosmologische Zusammenhang, auf dem Umweg über den antiken Text eingeschrieben in Borys’ Anrufung, rückt das polnische Zitat also in ein ganz anderes Licht, weg vom bespitzelnden Über-Auge oder -Ohr. Borys knüpft göttliche Allgegenwart und Allmacht an die detailgenaue Kontrolle scheinbarer Zufälligkeiten – Blatt, Haar und Vogelfeder unterliegen in ihrer Endlichkeit im einzelnen dem Willen Gottes. Aus dieser Bedeutungshaltigkeit des Singulären und dem Gedanken der seit Jahrhunderten sein Leben planenden Vorsehung gewinnt er ein Tröstungsargument in der Situation äußerster Bedrängung. 141 C. Plinius Secundus d. Ä., Naturkunde, Lateinisch – deutsch, Buch II, Kosmologie. Tübingen 1974, S. 22, Art. 14: „quisquis est deus, si modo est alius, et quacumque in parte, totus est sensus, totus visus, totus auditus, totus animae, totus animi, totus sui.“ Für Plinius konstituiert sich Gott also in sinnlich-geistigen Vermögen, es verrät menschliche Beschränktheit, ihn materiell erfassen zu wollen. Vielgötterei – die Zerlegung der Gottheit in Teile – muß gewissermaßen als eine dialektische Projektion menschlicher Laster betrachtet werden, wenn es z.B. Götter der Keuschheit, Eintracht, Hoffnung, usw. gibt. Er vertritt damit Positionen, die christlicher Interpretation entgegenkommen. Calderón verwendet ebenfalls die zitierte Plinius-Stelle in abgewandelter Form in El Mágico Prodigioso, setzt sich aber noch eingehender mit theologischen Lehrmeinungen auseinander, s. Elida Maria Szarota, Künstler, Grübler und Rebellen. Studien zum europäischen Märtyrerdrama des 17. Jahrhunderts. Bern 1967, S. 88 f.
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Hleb verwendet die üblichen, teilweise auch im „Credo“ enthaltenen Topoi kosmischer Überhöhung und raum-zeitlicher Entgrenzung: ohne Anfang ist der Schöpfer von Himmel, Welt, Meer, Sternen. Vor dem Hintergrund solcher Dimensionen erscheint Gott als der einzige, der den unfaßbaren Weiten des Meeres Grenzen zu setzen vermag und das Unding vollbringt, Mikrokosmos (Meeressand) wie Makrokosmos (Sternenheer) zahlenmäßig zu überblicken. Bei der Analyse eines Jesuitendramas mit ausgeprägt ideologischer Orientierung (materia sacra et pia) lohnt es sich, der Frage nachzugehen, welches Gottesbild in den Personenreden entworfen wird. Unsere beiden Textauszüge unterstützen eine rational bestimmte, nicht zuletzt vom schulischen Funktionszusammenhang geprägte Vorstellung: Gott gleicht einem Buchhalter, bzw. Zentralrechner des Universums und wir sehen in diesem Hang zu exakter Wissenschaftlichkeit, und umgekehrt in der Rückbindung der Naturwissenschaft an die Theologie, ein typisch barockes Phänomen, ähnlich wie Athanasius Kircher in seiner Abhandlung über den Magnetismus Gott als den Zentralmagneten der Schöpfung auffaßt oder die zeitgenössische Philosophie dem mos geometricus folgt.142 Freilich berührt das nur einen, keineswegs zu verabsolutierenden Aspekt neben den wesentlicheren, emotional besetzten Attributen des schutzgewährenden und barmherzigen Gottes, die durch ihre Nennung am Schluß von Hlebs Rede strukturell betont sind: „Pod twe sie skrzydła garnę. Bo nie odpędzony / Jest, który pod cień uciekał miłosierdzia twego,“ (Unter Deine Flügel schmiege ich mich. Denn nicht vertrieben / Ist der, welcher sich unter den Schatten Deiner Barmherzigkeit flüchtete, Z. 2142 f.) Betrachten wir die ausgewählten Abschnitte von der Ebene der verba aus, so fällt zunächst die Synekdoche und der lexikalische Parallelismus des Plinius-Zitats „Boże, któryś jest cały okiem, cały uchem“ (Gott, der Du ganz Auge, ganz Ohr bist, Z. 1249) auf. Hochgradig bildevozierend ist die enumeratio der unter göttlicher Aufsicht stehenden Quisquilien, lautlich insistierend wirkt sich hier die anaphorisch wiederholte Verneinung „ani“ aus. Hleb betont den theozentrischen Bezug seiner Rede durch Verwendung der Anapher „Któryś“, der ornatus umfaßt außerdem konstante Epitheta143: „świata szyrokiego“ (der weiten Welt), „morze rozległe“ (wei142 Kochanowski bedenkt in seinem Hymnus („Czego chcesz od nas, Panie“) auch den ästhetischen Wert des Schöpfungsaktes: „Tyś pan wszytkiego świata, Tyś niebo zbudował / I złotymi gwiazdami ślicznieś uhaftował; / Tyś fundament założył nieobeszłej ziemi / I przykryłeś jej nagość zioły rozlicznemi.“ Zit. nach Jerzy Ziomek, Renesans, Warszawa 1996, S. 261 (Du bist der Herr der ganzen Welt, Du bautest den Himmel auf / Und besticktest ihn mit goldenen Sternen wunderschön; / Du legtest das Fundament der nicht zu umlaufenden Erde / Und bedecktest ihre Nacktheit mit verschiedenen Kräutern). 143 Nach Ansicht von Boris Uspenskij sind konstante Beiwörter in der Epik „formales Beschreibungsmerkmal einer nicht ‚scheinbaren‘, sondern ‚wirklichen‘ Existenz“ (Poetik der Komposition, S. 188) und drücken so die Überzeugung von der Objektivität des eigenen Weltmodells aus.
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tes Meer), „wały pieniące“ (schäumende Wogen). Die lautliche Instrumentierung weist insgesamt eine Reihe von Parallelismen auf, z.B.: „włosek spłynie z głowy“, „pióro ptaszynie“, „ograniczył, okiełznał“, „teraz przed tobą“, „Serca ludzkiego żądze, skrytości“. Von der Semantik her motiviert ist die häufige Rekurrenz des als feierlich geltenden Vokals „o“, als adäquates Ausdrucksmittel des Unbegreiflichen im Hymnus gilt das Oxymoron, wie z.B. „niezliczony jest skomputowany“ (das unzählbare ist genau abgezählt). Ein im ganzen Text häufiges Verfahren besteht in der Inversion: das Voranstellen des Genitivs „Serca ludzkiego“ vor den Nominativ „żądze“ bewirkt aufgrund der komplexeren syntaktischen Struktur Verlangsamung und Gemessenheit des Satzflusses, kennzeichnend für den hohen Stil. Neben dem Personen- und Herrscherlob umfaßt das von Sarbiewski angeführte genus exornativum auch die laudes locorum (Städte- und Länderlob), darunter die im 16. und 17. Jh. in Polen besonders verbreitete laus ruris. Jarosławs Auftrittsrede am Beginn des IV. Akts können wir kontextunabhängig dieser Gattung zuweisen, bloßgelegt wird im Anfangsvers der intertextuelle Bezug zu Horaz’ II. Epode („Beatus ille, qui procul negotiis, / … / Paterna rura bobus exercet suis“): „Błogo temu, ojczystej co pilnuje roli, Lemieszem sie dokopie chleba, a przy woli Bożej stojąc, nikomu nie zajrzy większego Szczęścia, ale jest z stanu kontenten kmiecego. Rzadkie ma niepokoje, cóż mu przerwać może Sen, kiedy spracowane członki na swe łoże Skłoni. Czy próżność, czy wyniosłe chęci Rozbijają mu sen, czyli z pogardy sie smęci? Lubo go wesprze kępa i pochyłe drzewa Okryją, gdzie łagodny Zefirus przywiewa, Lub o słomiane wezgłowia doma wesprze głowę – Milszy sen jednak niźli wygody puchowe. Pałace gromadami osiadły starania, Troski, tesknice, smętki, częste niesypiania. A lubo nazywamy pańskie „pokojami“ Mieszkanie, mylimy się, ponieważ troskami Takimi napełnione miejsce zabroniły.“ (Z. 2155–2171) Glückselig der, welcher den vom Vater ererbten Acker bestellt, Mit der Pflugschar das Brot ausgräbt, und dem Willen Gottes folgend, niemandem hineinsieht in größeres Glück, sondern zufrieden ist mit dem Bauernstand. Selten hat er Unruhe, was kann ihm Den Schlaf unterbrechen, wenn er die abgearbeiteten Glieder auf sein Bett Legt. Stören etwa Überheblichkeit, hochfliegende Absichten Ihm den Schlaf, oder ist er wegen Verachtung betrübt? Wiewohl ihn ein kleiner Erdhügel stützt und geneigte Bäume
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Bedecken, wo der milde Zefir heranweht, Oder er auf ein Kopfkissen aus Stroh im Hause seinen Kopf stützt – Süßer ist der Schlaf dennoch als Daunenkomfort. Paläste sind errichtet mit Haufen von Mühen, Sorgen, Betrübnissen, Trauer, häufiger Schlaflosigkeit. Aber obwohl wir eine herrschaftliche Wohnung „Zimmer“ (im Polnischen = Friede, Ruhe) nennen, Täuschen wir uns, weil diese (Pl. Zimmer) einen mit solchen Sorgen Erfüllten Ort behüteten.
Genauer läßt sich dieser Abschnitt als Votum (im Unterschied zur anderen Gattungsvariante der laus ruris, dem Poemat ziemiański – Landlebenpoem) klassifizieren, eine Bezeichnung, die in den Titeln entsprechender laus ruris-Gedichte z.B. Daniel Naborowskis und Jan Andrzej Morsztyns vorgeprägt ist. Die rhetorischpersuasive Absicht und der sozialgeschichtliche Hintergrund tritt damit klar zutage – das Votum als programmatische Aussage von Abgeordneten des Sejm gehörte zur politischen Kultur der Rzeczpospolita szlachecka (Adelsrepublik). Zu den gattungskonstitutiven Merkmalen des literarischen Votum ziemiańskie zählen rhetorischer Aufbau, Monologizität, aber nicht zwangsläufig in Ich-Form, da der Erwartungshorizont auch den Ausdruck allgemeingültiger Wahrheiten im Votum einschließt, und Kompaktheit des Ganzen ohne weitläufige Digressionen.144 Wenn wir nun den aktuellen Kontext von Jarosławs Rede berücksichtigen, die Ansprache vor den Senatoren am Beginn des IV. Akts, so stützt dies die typologische Einordnung umso mehr. Für die Argumentationsstruktur des Textes kennzeichnend ist die Entfaltung zwischen zwei Gegensatzpolen, die schrittweise ineinander übergeführt werden: das erstrebenswerte Glück des Landlebens bildet den Ausgangspunkt, Paläste als Inbegriff der Bedrängnisse höfischer Existenz den düsteren Schlußakkord. Die Exposition der ersten vier Zeilen enthält Beweise für den Glückszustand des Bauern ex re: Eigentum an Grund und Boden, Fleiß, wirtschaftliche Autarkie, Frömmigkeit, die ihn vor Sozialneid bewahrt und mit dem Eigenen zufrieden sein läßt. Als zentraler Wert dieser Lebensweise werden jedoch „rzadkie niepokoje“ (seltene Unruhe, Z. 2159) herausgestellt; die doppelte Verneinung anstelle der positiven Formulierung „pokój“ (Ruhe, Frieden) zeigt an, daß der Autor an dieser Stelle dazu übergeht, ex negatione anderer Existenzformen zugunsten des Landlebens zu argumentieren. In diesem Zusammenhang sind auch die folgenden rhetorischen Fragen zu sehen, die den semantischen Komplex der Ruhe145 wiederum auf das Motiv des Schlafes 144 Janusz S. Gruchała i Stanisław Grzeszczuk: Staropolska poezja ziemiańska (Altpolnische Landlebendichtung), Warszawa 1988, S. 79 ff. 145 Diesen zentralen Aspekt des Landlebens hebt Kochanowski mit dem Gedichtanfang „Wsi spokojna“ (Ruhiges Land) seiner Horaz-Paraphrase „Pieśń świętojańska o Sobótce“ (Sankt
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begrenzen. Aus der Natur der Sache selbst ist zu fragen, was den Schlaf des Bauern stören soll, wenn er sich abgearbeitet ins Bett legt. In den nächsten Scheinfragen – unterbrechen „próżność, wyniosłe chęci, pogardy“ (Dünkel, hochfliegende Absichten, Verachtung, Z. 2161 f.) seinen Schlaf – kündigt sich schon implizit die negative Hintergrundsfolie des Lebens am Hof an, ebenso wie in den „wygody puchowe“ (Daunenkomfort, Z. 2166) als Gegensatz zu den süßen Schlummer gewährenden „słomiane wezgłowia“ (Kopfkissen aus Stroh, Z. 2165). Die beschauliche Landidylle des Häuschens auf dem Hügel, umstanden von geneigten Bäumen und vom milden Zefir umweht, wird mit „pałace“ (Paläste, Z. 2167) als metonymischem Ausdruck vitiösen Daseins am Hof, der Stätte rastloser ambitio, schroff konfrontiert; nicht zufällig gibt die Überrepräsentation des Vokals „a“ diesem Vers eine unheilvoll dräuende Note. In der anschließenden Zeile häufen sich nach dem Schema der versus rapportati die Unglücksparameter, welche im Vorangehenden in Bezug auf das Landleben gerade negiert wurden: Sorgen, Betrübnisse, bzw. Melancholie, Trauer, Schlaflosigkeit. Als conclusio ergibt sich eine klar aus der didaktischen Intention des Stückes hervorgehende metasprachliche Reflexion der dramatischen Person und des dahinterstehenden Autors: wir machen falschen Gebrauch von der Sprache, denn der Signifikant „pokojami“ (Zimmer; Friede, Ruhe) ist nicht deckungsgleich mit dem Signifikat „pańskie mieszkanie“ (herrschaftliche Wohnung), weil dieses Signifikat mit „troskami takimi napełnione miejsce“ (mit solchen Sorgen erfüllter Ort) übereinstimmt und die Bedeutung „Friede“ ausschließt. Im Paarreim wird uns gleichzeitig suggeriert, den falschen, im Original in Anführungszeichen gesetzten Signifikanten „,pokojami‘“ durch den treffenderen „troskami“ zu ersetzen. Die Möglichkeit eines herrschaftlichen Sanssouci erscheint hier verworfen.146 Größere Realitätsnähe zeichnet unseren Jesuitenautor auch insofern aus, als er das Landleben mit harter, physischer Arbeit verknüpft und nicht, wie in diesem Genre üblich, das abgeschiedene ländliche Refugium zur Pflegestätte von otium und litterae stilisiert oder den Bauern Liedchen pfeifen und Flöte spielen läßt. Von der Einbindung in den dramatischen Kontext der Kommunia Duchowna her sind die spezifischen Verschiebungen innerhalb des für die laus ruris gattungstypischen Merkmalskatalogs zu erklären: Einschränkung auf die negative Hintergrundsfolie des Hoflebens (unberücksichtigt bleiben die ebenfalls abzulehnenden Berufe des Soldaten und Seemanns), Eingrenzung des Landlebens auf den wesentlichen Vorzug der Ruhe, nochmalige Reduktion auf das Motiv ungestörten Schlafs. Konnte Jarosławs Auftrittsrede in ihren Anfängen die Funktion eines – wie man Johannislied vom Sonnwendfeuer) hervor, ebenso ein anonymer Autor mit der Anfangszeile „Spokojny kąt komu Bóg dał i myśl spokojną“ (Wem Gott einen ruhigen Winkel gab und einen ruhigen Sinn). 146 Tatsächlich störte ebendort auch die nahegelegene Windmühle die Ruhe Friedrichs II., und er unterlag im Rechtsstreit gegen ihren Betreiber.
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abgewandelt sagen könnte – idyllic relief nach der Ermordung Hlebs erfüllen, so läßt sich das penetrante Amplifizieren des Schlaf-Motivs („sen“, Z. 2160, 2162, 2166) in allegorischer Lesart auch auf den für immer schlafenden Hleb beziehen und schließlich die Ursache dieses Todesschlafs hinter den friedlosen Palastmauern aufdecken. Unmittelbar an das Votum knüpft Jarosław seine Anrede an die Senatoren „Wy podobnego szczęścia mnieście wybawili / Z pustyni“ (Ihr habt mir aus einem ähnlichen Glück herausgeholfen / Aus der Einöde, Z. 2172 f.); das Personalpronomen „wy“ (ihr) markiert den Übergang von der Schilderung des Allgemeinen zur aktuellen dramatischen Deixis. Noch in dieser Szene erfährt Jarosław von der Bluttat an Hleb, folgerichtig schlägt sein Rollentext vom genus exornativum ins genus iudiciale um unter Verwendung der einschlägigen Topoi „niewinnej“ (unschuldigen, Z. 2202), „sprawiedliwość“ (Gerechtigkeit, Z. 2203), „miecz“ (Schwert – konventionelles Attribut der strafenden Iustitia, Z. 2208), „sądy“ (Gerichte, Z. 2210): „Póki, Boże, przebaczasz? Czy się nie obija O niebo głos niewinnej krwie? Czemu omija Bezecnych twa sprawiedliwość? Kto-ć gniewy hamuje? Kto cie wiąże w zapale, kto ręce krępuje? Zleniała twa surowość. Gdzie są piorunowe Strzały, gdzie są siarczyste ognie? Gdzie surowe Grzmoty? Kiedy uzbroisz ręce twe ku boju I do miecza się porwiesz? Tak długo w pokoju Cierpisz dalej, a dalej, w złościach swoich brnących, Na twe sądy, niewdzięczność zgoła nie pomnących. Niech sie teraz mieszają niebieskie obroty, Niechaj Phaebus przygasi ognie swoje złoty! Niechaj noc dzień przerywa i jasne promienie Zagaszą swą żałobą Hesperowe cienie! Idźcie, troiste ognie, nieba przenikajcie, W tego, kto krwie niewinnej łaknie, ugadzajcie! Niegodzien, by go ziemia na swoim nosiła Łonie, by i słoneczna jasność mu świeciła. –“ (Z. 2201–2218) Solange, Gott, verzeihst Du? Schlägt nicht Dem Himmel die Stimme des unschuldigen Blutes entgegen? Warum verschont Deine Gerechtigkeit die Ruchlosen? Wer hemmt Deinen Zorn? Wer bindet Dich im Eifer, wer fesselt Dir die Hände? Träge geworden ist Deine Strenge. Wo sind die BlitzesPfeile, wo sind die lodernden Feuer? Wo die schweren Donnerschläge? Wann bewaffnest Du Deine Hände zum Kampf Und greifst zum Schwert? So lange im Frieden Duldest Du weiter, und weiter diejenigen, welche in ihren Bosheiten waten, Deiner Gerichte, Ungnade mitnichten eingedenk sind. Sollen sich doch jetzt die Umdrehungen der Himmelssphären verwirren,
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Soll der goldene Phaebus doch seine Feuer ersticken! Soll doch die Nacht den Tag unterbrechen und die Hesperidenschatten die hellen Strahlen Auslöschen mit ihrer Trauer! Geht, dreifache Feuer, durchdringt die Himmel, Trefft den, der nach unschuldigem Blut lechzt! Nicht wert ist er, daß ihn die Erde trage auf ihrem Schoß, daß ihm der Sonne Helligkeit leuchte. –
Es überrascht, daß Jarosław zuerst Gott, den obersten Richter, wegen seiner Untätigkeit anklagt: in einer atemlosen Reihe von Fragen rollt er das Problem der Theodizee auf, unfaßbar ist das straflose Wirken des Bösen: warum verzeiht Gott solange, schlägt nicht die Stimme des unschuldigen Blutes dem Himmel entgegen, warum entgehen die Ruchlosen der Gerechtigkeit, wer hemmt Gottes Zorn?147 Im Ruf nach Blitzstrahlen, Feuer und Donner (Z. 2205 ff ) scheint Jarosław schon dem altslavischen Götzen Perun148 anheimgefallen, wo ihn doch die Senatoren gerade mit dem Argument, daß das Heidentum bekämpft werden müsse (III, 6, Z. 1863 ff ), zum Verlassen der Einöde und zum Schutz von Staat und Kirche Rußlands aufgefordert hatten. Fassungslos angesichts der ungesühnten Freveltat beschwört Jarosław gewissermaßen als logische Folge a minore ad maius eine im Ganzen verkehrte Weltordnung: der Lauf der Gestirne soll sich verwirren, Phoebus seine Feuer löschen, die Nacht den Tag durchbrechen, bzw. die Schatten der Hesperiden (= Töchter der Nacht) die hellen Strahlen tilgen (Z. 2211 ff ). Dieser Katalog von Verfluchungen, wie sie Sarbiewski für das genus iudiciale fordert, endet in magischem Schadenszauber: mit dem Imperativ an „troiste ognie“ (dreifache Feuer, Z. 2215), die Himmel zu durchbrechen und demjenigen, der nach unschuldigem Blut lechzt, einen Schlag zu versetzen, ihn vom Erdenschoß in lichtlose Unterwelten zu verbannen. Jarosławs Verfluchung, bündig verdichtet in Gegenwart von Światopełk (IV, 3) „Ugodź, piorunie z nieba, pożrej, ziemio, złego!“ (Triff, Blitz vom Himmel,
147 Das Motiv des Zweifelns an Gottes Gerechtigkeit angesichts der Vertreibung der Arianer aus Polen enthält Zbigniew Morsztyns „Pieśń w ucisku“ (Lied in der Bedrängnis), doch deutet sich hier ein Lösungsweg an, indem das in diesem Leben erlittene Unrecht als Zeichen aufgefaßt werden kann, mit dem sich die übertragene Bedeutung der sicheren Heilserwartung verbindet, s. dazu Herta Schmid, „Das Concetto im polnischen Barock. Am Beispiel Zbigniew Morsztyns und mit einem Blick auf Bruno Schulz“, in: Der Text und seine Spielarten im polnischen Barock. Bausteine zu einer Epochensynthese, München 2005, S. 165 f. Im Unterschied zu unserem Textauszug dominiert in Morsztyns Gedicht die lyrische Gattung des liedhaften Gebets über die rhetorische der Gerichtsrede, s. Schmid, ebd., S. 164. 148 Perun unterstand das Gerichtswesen gemäß der altslavischen Mythologie, „auf ihn wurden Eide geschworen und Gerichtsentscheide gefällt“, s. Marianne Stößl, „Die hölzernen Götzenbilder der altslawischen ‚Mythologie‘“, in: dies.: Verbotene Bilder. Heiligenfiguren in Rußland. München 2006, S. 90.
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verschlinge Erde, den Bösen!“ Z. 2318) gibt schon die bühnentechnische Anweisung für das Ende des Stückes vor. Offenkundige Anspielungen an vorchristliche Traditionen werfen die Frage auf, inwieweit die Kommunia Duchowna hier altrussischen Texten nahesteht, für die ein solcher Zusammenhang belegt werden kann. In der Laurentius-Chronik ist überliefert, daß Jarosław in zwei kurzen Gebeten vor den Schlachten mit Światopełk Gott um Blutrache für Boris und Gleb bittet, zudem ruft er hier seine toten Brüder um Beistand an im Sinne heidnischer Ahnenverehrung. Nestors Čtenije spricht vom Leichnam Glebs, „der wie ein Blitz leuchtete“, als man ihn fand, weitere Feuerwunder (Erscheinung einer Feuersäule und brennender Kerzen) im Zusammenhang mit dem toten Gleb erwähnt das Skazanie i strast’ i pochvala svjatuju mučeniku Borisa i Glěba.149 Lenhoff wertet diese Textstellen als Belege dafür, daß religiöser Synkretismus den Kult der Heiligen Boris und Gleb in seiner Frühzeit prägte – die Erscheinungen im Umfeld der ermordeten Brüder ließen sich sowohl entsprechend altslavisch-heidnischer als auch christlicher Vorstellungen interpretieren.150 Jarosławs versteckte Hinweise auf Blutrache, den Götzen Perun und Feuererscheinungen in unserem Text sind weniger unter der historischen Genauigkeit des Autors oder dem Weiterleben heidnischer Bräuche151 zu verbuchen, vielmehr unter dem rhetorischen Verfahren überbietender Steigerung und Reklamierung sämtlicher paganer antiker – „Phaebus“ (Z. 2212), „Hesperowe cienie“ (Hesperidenschatten, Z. 2214), altslavischer – „piorunowe Strzały“ (Blitz-, bzw. Perunspfeile, Z. 2205 f.) und christlicher – „Boże“ (Gott, Z. 2201) überirdischer Mächte zum Kampf gegen das Böse. Das officium der Gerichtsrede besteht nach Cicero im movere und so lädt Jarosław seine Rede emotional auf, um im Bereich der inneren Spielebene der Handlung göttliche Strafe für den Mörder zu erwirken, im Hinblick auf die Kommunikation mit den Zuschauern aber den angemessenen Affekt der Empörung und das Verlangen nach Gerechtigkeit auszulösen. Auf Verstärkung des emotionalen Effekts berechnet sind hier Stilfiguren der Wiederholung wie die Anapher – dreimaliges „kto“ (wer, Z. 2203 f.), dreimaliges „gdzie“ (wo, Z. 2205 f.), dreimaliges „niech“, bzw. „niechaj“ (soll doch, Z. 2211 ff.) – und die Epizeuxis – „dalej, a dalej“ (weiter und weiter, Z. 2209). Übertreibung beherrscht die dictio, beginnend mit der Vorwurfs-Suada an den ‚faulen‘ Gott („Zleniała twa surowość“ – Deine Strenge ist träge geworden, Z. 2205) über die Adynata der 149 Gail Lenhoff, The Martyred Princes Boris and Gleb: A Socio-Cultural Study of the Cult and the Texts. Ohio 1989, S. 34 ff. 150 Ebd., S. 32, 41. 151 Das Problem des Zwieglaubens (двоеверие), des Nebeneinanderbestehens heidnischer und christlicher Praktiken, war zwar in Rußland mindestens bis zum 17. Jahrhundert aktuell (Vladislav V. Aržanuchin, Stichwort „Zwieglaube“, in: Lexikon der russischen Kultur, hrsg. v. Norbert P. Franz. Darmstadt 2002, S. 493), doch wird es für das Entstehungsgebiet unseres Dramas an der östlichen Peripherie Polens weniger relevant gewesen sein.
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gegen die Naturgesetze kreisenden Himmelskörper bis hin zur Invokation der ‚dreifachen Feuer‘ (Z. 2215), bei denen weniger die Vorstellung der Dreifaltigkeit mitgedacht ist als die Notwendigkeit eines nicht einmaligen, sondern dreifachen Vernichtungsschlags gegen den blutrünstigen Mörder. Zeittypisch und vom pragmatischen Kontext des Stückes her motiviert erscheint die Exponierung des Gedankens der Blutrhetorik – „głos niewinnej krwie“ (die Stimme unschuldigen Blutes, Z. 2202) – gegenüber dem der Blutrache. Jarosławs schlagartige Umkehr ins Rationale weist der Text durch einen Gedankenstrich (Z. 2218) aus; der unmittelbar folgende Appell an die Senatoren „Radźcież“ (Ratet, Z. 2219) zielt auf nüchterne Überlegung, wie weiteren Greueltaten vorzubeugen sei, auf das aktuelle Hier und Jetzt der dramatischen Situation. Die dritte Redeart, das genus deliberativum, repräsentieren in der Kommunia Duchowna Abhandlungen über das Thema der vanitas in den Rollentexten von Borys (Z. 253–274; 915–930), Hleb (Z. 1655–1668) und Jarosław (Z. 1691–1702). Beispielhaft für die ganz allgemeine Erörterung dieses Gegenstands ohne Zuspitzung auf die prekäre Stellung des Monarchen greifen wir Hlebs Auftrittsmonolog in III, 2 heraus: „Płonne uciechy nasze, omylne nadzieje. Tak trwała stałość, jako trzcina, gdy sie chwieje. Budujemy na ledzie, a tego nie wiemy, Że wszytko, co wystawiem, i sami zginiemy. One prace i one [.....] starania, Owe kłopoty, owe częste niesypiania O jeden sie dzień jako okręt rozbijają I w niepamięci nasze sprawy zanurzają. Płynie czas i my z czasem nieznacznie płyniemy, A coraz życia fałsze kresy stanowiemy. Alić jeden przypadek, wiatrek jeden mały Zanosi nas stąd na wiek nigdy nie przetrwały. I złote sobie czasem góry obiecujem, A wkrótce na żelazne czasy utyskujem.“ (Z. 1655–1668) Eitel sind unsere Freuden, trügerisch die Hoffnungen. So dauerhaft ist die Beständigkeit wie ein Schilfrohr, wenn es schwankt. Wir bauen auf Eis, aber das wissen wir nicht, Daß alles, was wir aufbauen, und wir selbst zugrunde gehen werden. Diese Arbeiten und diese [.....] Bestrebungen, Jene Sorgen, jene häufigen Schlaflosigkeiten Zerschellen wie ein Schiff an einem Tag Und versenken unsere Angelegenheiten in Vergessenheit. Es vergeht (verfließt) die Zeit und wir vergehen (verfließen, schwimmen) unmerklich mit der Zeit, Und bestimmen immer falsch des Lebens Ende.
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Analytischer Teil
Aber ein Zufall, ein kleines Windchen Trägt uns von hier fort in eine niemals zu Ende durchdauernde Ewigkeit. Und goldene Berge versprechen wir uns manchmal, Aber in Kürze klagen wir über eherne Zeiten.
Es geht hier nicht darum, das Für und Wider einer Sache abzuwägen, in den beiden Einleitungssentenzen steht die Eitelkeit menschlicher Freuden und Hoffnungen (Z. 1655), die Unbeständigkeit des Irdischen (Z. 1656) schon programmatisch fest. Hleb hat damit thesenhaft die Summe aus seinem bisherigen Dasein gezogen und reflektiert nun darüber, wie er und Menschen überhaupt – er spricht im Plural der 1. Person – dennoch im Widerspruch zu dieser fundamentalen Erkenntnis agieren, Aufbauarbeit leisten, sich sorgen, schlaflose Nächte haben, wo doch von einem Tag auf den anderen alles zerstört sein kann. Den schulischen Kontext unterstreicht es, wenn im Paarreim „nie wiemy“ (wir wissen nicht, Z. 1657) – „zginiemy“ (wir werden zugrunde gehen, Z. 1658) die Äquivalenz der Lautlichkeit auch eine semantische Verbindung von Nichtwissen und Untergang suggeriert. Vom gedanklichen Aufbau her gesehen, ist der Text in einen ersten größeren Abschnitt von acht Versen (Z. 1655–1662) unterteilt und in einen zweiten von sechs (Z. 1663–1668), mit einer weiteren Binnengliederung in drei aufeinanderfolgende Vierzeiler und ein abschließendes Verspaar. Im ersten Vierzeiler wird die Vergänglichkeit zielgerichteten menschlichen Handelns und des Menschen an sich behauptet, der zweite umfaßt die amplifizierende Aufzählung vergebens eingesetzter Kräfte. Die sinngemäße Verklammerung beider Quartette entsteht durch den Parallelismus der jeweiligen Schlußwörter „zginiemy“ (wir werden zugrunde gehen, Z. 1658) und „zanurzają“ (sie versenken, Z. 1662). In den umfassenderen Rahmen der Transzendenz stellt Hleb den zweiten Teil seiner Überlegungen (Z. 1663–1666), dessen Anfangswort „Płynie“ (es fließt) in lautlichem und semantischem Parallelismus zu „Płonne“ (eitel, überflüssig, Z. 1655) im ersten Teil steht, dem thematischen Stichwort für den Text im Ganzen. Nicht nur menschliches Tun ist von Hinfälligkeit bedroht, der Mensch selbst, in der flüchtigen Zeit lebend, kann sich wegen eines unbedeutenden Vorfalls unversehens in der Ewigkeit wiederfinden. Beide Textteile, der zweite jenseits- wie auch der einleitende diesseitsbezogene, stehen in einer Kooppositionsbeziehung. Die scheinbare Korrelation beider Bereiche deutet sich in der morphologischen Identität von „trwała“ (dauerhaft, Z. 1656) und „przetrwały“ (zu Ende durchdauernde, Z. 1666) an; diese Übereinstimmung wird aber durch die jeweilige Kontextbindung unterlaufen und ins Gegenteil verkehrt: durch den Vergleich mit dem Schilfrohr läßt sich die „trwała stałość“ (dauerhafte Beständigkeit, Z. 1656) des Irdischen auch ohne Negation ad absurdum führen, während in „wiek nigdy nie przetrwały“ (eine niemals zu Ende durchdauernde Ewigkeit, Z.1666) die doppelte Verneinung von „trwały“ (dauernde) zusammen mit dem Präfix „prze-“, das Abgeschlossenheit ausdrückt, die endlose Dauer der Ewigkeit erst recht festschreibt.
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Sarbiewskis Maßgabe der ethischen Unterweisung in dieser Gedichtart wird schließlich auch in der conclusio der beiden letzten Zeilen befolgt mit der Warnung vor dem Streben nach Glück: wir erhoffen uns goldene Berge, in Kürze klagen wir aber über eherne Zeiten. (Z.1667 f.) Die gedichtartige Sequenz schlägt mit der rhetorischen Frage „Izalim sie spodziewał, aby brat domowe / Wojny wszczynał“ (Habe ich etwa erwartet, daß mein Bruder häusliche / Kriege beginnen würde, Z. 1669 f.) in ichbezogene, dramatische Personenrede um. Das aufgezeigte Kompositionsschema – zwei inhaltlich zusammengehörige Vierzeiler im ersten Teil, ein zweiter Teil bestehend aus einem Vierzeiler und einem abschließenden Verspaar sowie die Tendenz zur Beschreibung im ersten, zur Reflexion im zweiten Abschnitt – kommt dem Sonett nahe, erfüllt aber nicht dessen strenge formale Kriterien im Hinblick auf die Reimfolge und die Silbenzahl pro Vers. Hlebs Auftrittsmonolog (III, 2) im Ganzen charakterisiert der Gebrauch einschlägiger Vergänglichkeitsmetaphern und –vergleiche: das schwankende Schilfrohr, Bauen auf Eis, Zerschellen des Schiffs, ein kleiner Wind, eherne Zeiten als Antithese zu goldenen Bergen. Im Gegensatz zu den erdrückenden Vanitas-Katalogen der Barockdichtung mit neuen Bildern in jedem einzelnen Vers (z.B. Naborowski „Cnota grunt wszytkiemu“, Gryphius „Es ist alles eitell“, Hoffmannswaldau „Die Welt“) sehen wir die existentialistische Aussage in unserem Text durch maßvollen Einsatz der Bildlichkeit sinnfällig und angemessen hervorgehoben. Vermieden sind die Schockeffekte makabrer Ikonographie, aber auch das Aufzeigen eines Auswegs, wie den Wechselfällen des Daseins mit Tugend oder der Besinnung auf ewige Werte zu begegnen sei. Die schlüssige Konsequenz, sich von der Welt abzuwenden, die Grenze zwischen Welt und Nicht-Welt zu überschreiten, zieht Hleb dann in der Auftrittsrede zu III, 5. In Helikon sarmacki, einer Anthologie polnischer Gedichte des Barock, wird dieser Monolog als „Modlitwa Hleba“ aufgeführt unter der Rubrik „ŻYCIE – ŻEGLUGĄ“ (Das Leben – eine Schiffahrt).152 Der Band ist nach thematischen Gesichtspunkten geordnet im Unterschied zu unserer an rhetorischen Begriffen ausgerichteten Taxonomie, die den Text der Gattung des Propemptikon, dem Gelegenheitsgedicht anläßlich eines Reiseantritts, zuweist: „Jużem u brzegu uciął światowe przeszkody, Teraz sie wolnym lotem na głębokie wody Zapuszczam. Kieruj łódką wszytkich żeglujących, Cynozuro, do portu wiecznego biegących. Sprzyjajcie, wiatry! Boże, żagle osłabione Popędzaj twym natchnieniem, a gdy zapienione Powstaną wały, gdy się Scylla podpasana 152 Helikon sarmacki. Wątki i tematy polskiej poezji barokowej (= Biblioteka Narodowa S. I, Nr. 259). Wrocław 1989, S. 255.
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Rzuca [.....] i Charybdis w swej niezgruntowana Będzie warła paszczękę, gdy głosy zdradliwe Syren będą me serce łechtały złośliwe – Oddalaj strachy, a daj, by nie przekonała Żadna pokusa, góry nade mną nie miała.“ (Z. 1747–1758) Schon schnitt ich am Ufer weltliche Widrigkeiten ab, Jetzt dringe ich freien Fluges in tiefe Gewässer Vor. Lenke das Boot aller Segelnden, Cynosura, die zum ewigen Hafen laufen. Seid günstig, Winde! Gott, treib an die erschlafften Segel Mit Deinem Hauch, wenn aber schaumbedeckte Wogen sich aufrichten, wenn sich die umgürtete Scylla Wirft [.....] und Charybdis in ihrem unergründlichen Schlund brodeln wird, wenn die verräterischen Stimmen Der Sirenen mein Herz böswillig anlocken werden – Nimm fort die Ängste und gib, daß keine Versuchung Überzeugen kann und die Oberhand über mich gewinnt.
Bevor wir den Text analysieren, wollen wir unsere Klassifikation als Propemptikon im Gesamtsystem von Sarbiewskis Poetik verankern. Wir waren ausgegangen von den „Characteres lyrici“153 und den Gattungsnormen, welche Sarbiewski für die drei Arten lyrischer inventio analog zu den drei rhetorischen genera dicendi aufstellt, und haben dann einzelne Textauszüge aus der Kommunia Duchowna einer entsprechenden Zuordnung unterzogen. Freilich läßt Sarbiewskis Dreiteilung noch die Frage offen, in welchem Verhältnis sie zu den spezifischen Gedichtgattungen steht. Dieses Problem scheint in dem Traktat im Rahmen der lyrischen elocutio nur am Rande berührt, Michałowska zufolge findet sich in dem entsprechenden Abschnitt der „Characteres lyrici“ eine traditionell-schematische Aufzählung von species der lyrischen Gattung: Dithyrambus, Scolia, Päan, Hymnus sowie das sog. carmen saeculare.154 153 Maciej Kazimierz Sarbiewski, „Characteres lyrici“, in: Wykłady poetyki (Praecepta poetica), übs. u. bearb. v. Stanisław Skimina, Wrocław / Kraków 1958. Wie der Begriff „Character“ hier zu verstehen sei, können wir mittelbar aus dem Wortgebrauch Jacob Masens ableiten, in dessen „Poetik der Terminus stylus vorherrscht, während in der Rhetorik der Begriff character benutzt wird.“ Fischer, Gebundene Rede. Dichtung und Rhetorik in der literarischen Theorie des Barock in Deutschland, S. 170. 154 Teresa Michałowska, Staropolska teoria genologiczna, S. 126. Michałowska hat ihrer Abhandlung ein ausführliches Wörterbuch von Gattungsbegriffen beigefügt, die in polnischen Schulpoetiken des 16.-18. Jhs. häufiger vorkommen. Dort lesen wir unter dem Stichwort „Scolia“, daß es sich hier um ein Werk handelt, welches während eines Gastmahls vorgetragen wird – Sarbiewski erwähnt den bloßen Namen, verweist im übrigen aber auf Scaliger (Michałowska, S. 186). Unter Päan verstand man ursprünglich ein Chorlied zu Ehren
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Eine adäquate gattungstypologische Zuordnung von Hlebs Monolog (III, 5) läßt sich anhand des IX. Kapitels „De silvis et silvarum speciebus“ (Buch IX) in Sarbiewskis De perfecta poesi rekonstruieren. Unter der übergeordneten terminologischen Kategorie der Silven werden etwa 17 Arten von Gelegenheitsgedichten aufgezählt, die verschiedenen Anlässen des menschlichen Lebens von der Hochzeit (Epithalamium) bis zum Tode (Epicedium) gewidmet sind. Sarbiewski unterstreicht mehrfach die Nähe dieser kleinen Poeme zur Rhetorik, insbesondere zum genus demonstrativum und deliberativum.155 In der umfangreichen Liste erscheint das Propemptikon zwar nicht, nur das Abschiedsgedicht des Wegfahrenden an Freunde (Apobaterion) als sein Gegenstück, so daß Sarbiewski wohl glaubte, diese Lebenssituation genügend berücksichtigt zu haben. Michałowska gibt an mehreren Stellen zu bedenken, daß klassifikatorische Einteilungen in der Dichtungstheorie des 17. und 18. Jhs. nicht konsequent durchgehalten, willkürlich verschoben werden.156 Entscheidend für die Einstufung des Textes als Propemptikon, als Geleitgedicht für einen Abreisenden, waren (ungeachtet dessen, daß Hleb sich in der Einsamkeit selbst das Geleit geben muß) gattungskonstitutive, seit der Antike tradierte Merkmale.157 Zum festen Bestand dieser Textsorte gehören Gebetselemente – die Anrufung Gottes und der Gewalten, welche die Seefahrt beherrschen, „Cynozuro“ (Polarstern, Leitstern, Z. 1750), „wiatry“ (Winde, Z. 1751), „Boże“ (Gott, Z. 1751), die Bitte um sichere Fahrt und glückliche Ankunft „do portu wiecznego“ (zum ewigen Hafen, Z. 1750). Die ganze Disposition läßt sich grammatikalisch an einer Folge von Imperativen festmachen: „Kieruj“ (lenke, Z. 1749), „Sprzyjajcie“ (seid günstig, Z. 1751), „Popędzaj“ (treib an, Z. 1752), „Oddalaj ... daj“ (nimm fort ... gib, Z. 1757). Typisch ist die Darstellung des Meeres als locus horridus, die Furcht vor elementarer Bedrohung durch das aufgewühlte Element. Antike Mythologie liefert den Rahmen, um die Gefahren der Schiffsreise – Scylla, Charybdis, Sirenen (Z. 1753 ff ) – bildhaft vor Augen zu stellen. Gleichzeitig drückt sich darin eine heroische Stilisierung Hlebs als neuer Odysseus aus. Die Anführung antiker Exempla Apolls, dem Lobpreis oder Dank gewidmet. Scaliger, auf den sich Sarbiewski hier beruft, bezeichnete den Päan als lyrisches Lied zu Ehren der Götter, ähnlich dem Hymnus; dieser letztere sollte jedoch in bescheidenerem Stil verfaßt sein (Michałowska, S. 181). Das (carmen) „Saeculare“ ist dem Anlaß zugedacht, daß ein Jahrhundert zu Ende geht und ein neues beginnt (S. 185). 155 Sarbiewski, O poezji doskonałej czyli Wergiliusz i Homer (De perfecta poesi), S. 236, 248. 156 Michałowska, Staropolska teoria genologiczna, S. 130, 131: zum einen wurde die Zusammenstellung einzelner Gedichtarten, wie sie Sarbiewski in den Characteres lyrici vornimmt, von anderen Autoren erweitert, zum anderen variierte die Zuordnung der Silven bald zur lyrischen, bald zur epischen Dichtung. Ich hatte bereits darauf hingewiesen, daß sich Sarbiewski zur Dramentheorie auch in seiner eingehenderen Darstellung der Epik äußert. 157 Michałowska, Staropolska teoria genologiczna, S. 184.
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begegnet in der Kommunia Duchowna häufig und steht in engem Zusammenhang mit der didaktischen Absicht des Autors. Darüber hinausgehend, hat Bieńkowski insbesondere die panegyrische Funktion von Motiven aus der antiken Mythologie für das polnische Jesuitendrama des Barock hervorgehoben.158 Wenn er dabei von der Verherrlichung der am antiken Vorbild gemessenen Charakterzüge und Taten von Gönnern der Schule ausgeht, so kann dieses procedere ohne weiteres auch auf die Gestalt des Hleb übertragen werden. Ein wörtliches Verständnis von Hlebs Rollentext wird dekonstruiert durch Kleidervorschrift und Ortsangabe in den vorangehenden Autoranmerkungen: „Tectus Hleb descendit in eremum.“ (Hleb, der mit einer Kapuze bedeckt ist, steigt herab in die Einöde.) Der obige Textauszug entwirft die im europäischen Barock verbreitete Allegorie des menschlichen Lebens als Schiffsreise.159 Deutlicher als sonst fällt hier die rhetorische Konvention im negativen Sinne eines Auseinanderklaffens von res und verba, von Hleb in der Mönchskapuze, die Steppenwüste betretend, gegenüber dem Seefahrer inmitten der Meereswogen auf. Als Pendant zu Hlebs Rede folgt sogleich der Weltverzichts-Monolog Jarosławs (Z. 1759–1774), der für sich die Vorbilder des miles christianus und des antiken Herkules in Anspruch nimmt. Mehrere Abschnitte der Kommunia Duchowna stehen dem Epicedium nahe, einer Textsorte, die das Lob des Verstorbenen und den Ausdruck der Trauer enthält: Borys’ Tod beklagt Jarosław in Z. 1309–1338, Hleb in Z. 1543–1562. Jarosławs Nachruf auf Hleb umfassen die Zeilen 2329–2366. Als konventionelle Topoi der Totenklage begegnen hier der Vergleich des Dahingeschiedenen mit einer welken Rose (Z. 1314 ff; Z. 2330), die Beteuerung niemals versiegender Tränenbäche seitens der Hinterbliebenen (Z. 1335 f.; Z. 2337) und von Seufzern, die sich unaufhörlich der Brust entringen (Z. 1337; Z. 2338). Dem Jesuitenschüler standen so Textschablonen zur Verfügung, die sich später in entsprechenden gesellschaftlichen Kontexten verwerten ließen. Im Laufe der Analysen habe ich wiederholt auf die strukturelle und semantische Abhängigkeit der Kommunia Duchowna von der Rhetorik hingewiesen. Wie sehr das Menschenbild dieses Dramas von der Konstitution des Menschen durch die Sprache regiert ist, zeigt sich insbesondere im Rekurs auf den antiken Mythos von der Nymphe Echo (s. Ovids Metamorphosen) in Jarosławs Trauerrede auf den toten Hleb (IV, 3). Im Mythos wird die Möglichkeit einer körperlosen (wenn auch in ihrem Ausdrucksumfang reduzierten) Stimme reflektiert: die Nymphe Echo verwandelt sich in Stein aus Gram über die Zurückweisung ihrer 158 Tadeusz Bieńkowski, Fabularne motywy antyczne w dramacie staropolskim i ich rola ideowa. Studium z dziejów kultury staropolskiej (= Studia staropolskie t. XIX). Wrocław 1967, S. 38. 159 Zur Gestaltung dieser Allegorie bei Daniel Naborowski s. Henriette Stößl: „Zur Funktionsweise emblematischer Strukturen: Naborowskis Impreza: Calando Poggiando, To Na Dół, To Do Góry“, in: Der Text und seine Spielarten im polnischen Barock. Bausteine zu einer Epochensynthese, hrsg. v. Herta Schmid (= Die Welt der Slaven, Bd. 23, hrsg. v. Peter Rehder u. Igor Smirnov). München 2005, S. 103–115.
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Liebe durch Narcissus. Allein die Stimme verblieb ihr (sie konnte aber nur fremde Worte nachsagen) – der amouröse Hintergrund ihrer Trauer und der folgenden Verwandlung muß im Schuldrama natürlich verschwiegen werden: „Pójdę w dzikie pustynie, kędy zamieniwszy Nimfę w kamień, żal a głos tylko zostawiwszy I teraz go o skały i góry rozpadłe I obrzeżyste rzeki odbija zapadłe. Kędy mi odpowiedzą knieje, będę uszy Cieszyć imieniem brata i strapionej duszy Uczynią folgę głosy nazad odchodzące I żale powtarzając serce me rażące. Hlebie, Hlebie! O, Echo, czemuś zaniemiało, Echo, czemuś na głos mój nie odpowiedziało? Nie masz Hleba, ach, nie masz żalu folgi mego, Nie słychać brata wielce mnie ulubionego.“ (Z. 2339–2350) Ich werde in wilde Wüsten gehen, wo sich verwandelte Die Nymphe in Stein, Leid und Stimme nur waren ihr verblieben Und jetzt wirft sie sie [Stimme] zurück von Felsen, zerklüfteten Bergen Und weit entlegenen, umsäumten Flüssen. Wo mir die Wälder antworten, werde ich meine Ohren Erfreuen mit dem Namen des Bruders und der betrübten Seele Werden Stimmen Linderung schaffen, die wieder zurückkehren, Indem sie die Leiden wiederholen, die mein Herz treffen. Hleb, Hleb! O, Echo, warum bist Du verstummt, Echo, warum antwortetest Du nicht auf meine Stimme? Hleb ist nicht da, ach, es gibt keine Linderung meines Leids, Nicht zu hören ist mein vielgeliebter Bruder.
Im Stück wird der Mythos zunächst zum Aufbau einer potentiellen räumlichen Kontiguitätsbeziehung eingesetzt, die auch das Verhältnis von Ursache und Wirkung berührt: Jarosław will dorthin gehen, wo sich die Nymphe in Stein verwandelt hat und ihre Stimme widerhallen läßt (Z. 2339 ff ). In gleicher Weise sollen ihm die Wälder antworten – Echo ist vielerorts gegenwärtig – und sein Leid durch Stimmen mildern, die den Namen des Bruders wiederholen (Z. 2343 ff ). Von dieser metonymischen Art der Anverwandlung des Mythos zu unterscheiden ist die metaphorische Gleichsetzung Hleb – Echo, die sich stufenweise ergibt: Zunächst scheint es so, als würde Jarosław zwei Personen anrufen, Hleb sowie Echo, deren ausbleibende Antwort er anmahnt (Z. 2347). Der endgültige Befund „Nie masz Hleba ... Nie słychać brata“ (Hleb ist nicht da ... Nicht zu hören ist mein Bruder, Z. 2349 f.) legt dann aber den Rückschluß nahe, daß mit „Echo“ (Z. 2347 f.) nicht die antike Personifikation, sondern ein metaphorisches Substitut für Hleb gemeint ist. Unsere Untersuchung ausgewählter Abschnitte der Kommunia Duchowna wollen wir mit Bemerkungen zu einer versuchsweisen stilistischen Einordnung des Tex-
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tes abschließen. Es hat sich gezeigt, daß der Autor unseres Stückes auf schwülstigen Wortreichtum160, übertriebenen ornatus und schwindelerregende Manierismen des acumen-Stils verzichtet. Hohen Stellenwert innerhalb barocker Rhetorik hatte der aus den Stilmustern silberner Latinität entwickelte Concettismus, seine theoretische Fundierung lag in den Schriften der Jesuiten Gracián, Tesauro, Masen161 und Sarbiewski („De acuto et arguto“162). Von spitzfindiger Ausdrucksweise im Interesse moderner Weltläufigkeit und Gewandtheit bei Hofe oder in den politischen Kämpfen der Gegenreformation sorgfältig zu trennen ist das vorrangige pädagogische Konzept des Jesuitenordens, Beherrschung des Lateinischen auf der soliden Basis der aurea latinitas, d.h. streng klassischer, vor allem ciceronianischer Stilmuster zu vermitteln. Eine klassizistische Auffassung behauptete sich in weiten Teilen der Jesuitenlyrik – zu nennen sind hier Pontanus, Balde163 und Sarbiewski164. Insgesamt gesehen, stellte Sarbiewski nicht Cicero, sondern Vergil als Stilideal allen anderen Autoren voran, vereinigt dieser doch in seinen Werken den reichen (copiosus) Stil Ciceros, den knappen (brevis) Sallusts, den nüchternen (siccus) Frontos, den blu160 Als Ausnahme anführen müssen wir freilich das barocke Stilmittel der anaphorisch eingeleiteten Häufung von Adynata, z.B. „Prędzej żywioły wojny swojej zaniechają, / Prędzej się zetną morza, a opoki stają, / Prędzej ogień ugasi, a zapali woda, / Płomieniom z strumieniami prędzej będzie zgoda, / Aniżeli Światopełk będzie rządził nami.“ (Eher werden die Elemente ihren Krieg einstellen, / Eher werden die Meere zusammenkommen und die Felsen sich erheben, / Eher wird das Feuer erlöschen und das Wasser sich entzünden, / Zwischen Flammen und Strömen wird eher Eintracht sein / Als Światopełk uns regieren wird. Z. 223 ff ) Ebenso Z. 1381 ff u. 2211 ff. 161 Wilfried Barner, Barockrhetorik, S. 357. 162 Von allen poetologischen Werken Sarbiewskis ist dieser Traktat am sorgfältigsten ausgearbeitet: Sarbiewski präsentierte 1623 in Rom seine acumen-Theorie vor sachkundigem Publikum und überarbeitete sie dann in den Polocker Vorlesungen 1626/27, s. Barbara Otwinowska, „Koncept“, in: Słownik literatury staropolskiej, Wrocław 1990, S. 340; Stanisław Skimina, „Przedmowa“ zu: Maciej Kazimierz Sarbiewski, Wykłady poetyki (Praecepta poetica). Wrocław/Kraków 1958, S. XVIII f.; zu den konzeptionellen Veränderungen in der zweiten Fassung des Traktats s. Eugenija Ulčinaitė, Teoria retoryczna w Polsce i na Litwie w XVII wieku. Próba rekonstrukcji schematu retorycznego. Wrocław et al. 1984, S. 61 ff. Herta Schmid sieht diese Veränderungen im Zusammenhang mit zunehmend kritischen Haltungen gegenüber concettistischer Dichtung in Polen, s. „Das Concetto im polnischen Barock. Am Beispiel Zbigniew Morsztyns und mit einem Blick auf Bruno Schulz“, in: Der Text und seine Spielarten im polnischen Barock. Bausteine zu einer Epochensynthese, München 2005, S. 151 f. 163 Richard Newald, Die deutsche Literatur vom Späthumanismus zur Empfindsamkeit 1570– 1750 (= Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart, 5. Bd.). München 1963, S. 252 f. 164 In Äußerungen der Zeitgenossen über Sarbiewski kehrt der Vergleich mit Horaz in verschiedenen Abstufungen wieder: entweder in dem Sinne, daß Sarbiewski nur vor Horaz zurückstehe, ihm gleichkomme oder ihn gar übertreffe, s. Hernas, Barok, Warszawa 1998, S. 258 f.
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migen (pinguis) des Plinius.165 Auf Sarbiewskis Behandlung lyrischer Stilvarianten analog zu den drei genera dicendi sind wir bereits eingegangen; spärlich sind jedoch seine Stilvorgaben für die Tragödie, deren dictio „verba ... regia, senatoria, rara, inusitata, sublimia, sonantia, plena“ erfordert.166 Hilfsweise werden wir also noch einige Angaben aus Jacob Masens Dramentheorie in Bd. III der Palaestra eloquentiae ligatae heranziehen, um die Stilebene der Kommunia Duchowna genauer beschreiben zu können. Die gebundene Rede der Poesie soll nach Masen im allgemeinen „perspicua“ und „illustris“167 sein, ganz besonders gilt es aber, das Kriterium der perspicuitas bei der dramatischen dictio zu beachten. Einleuchtend ist die Begründung, daß dramatische Rede nur den Ohren zufliegt, wenn sie diese aber nicht auf Anhieb mit ihrem Sinn durchdringt, wird sie müßig und meist auch lästig vergeudet: „illud inprimis observandum sit, ut perspicua sit dictio, quae in dramatibus ad solas fere aures allabitur, quas nisi suo sensu quam primum penetret, otiosa ac persaepe etiam onerosa profunditur.“168 Für Masen bedeutet perspicuitas also eine Verkürzung des Rezeptionswegs auf den punktgenauen Zusammenfall von Hören und Verstehen, so daß sich der Sinn des Begriffs von der optischen zur gedanklichen Klarheit hin verschiebt. Das zweite Merkmal „illustris“ wird bedingt durch die Abweichung von der gewöhnlichen Alltagsrede im Hinblick auf Satzgliederung, Seltenheit der Tropen und vereinzelte knapp aufblitzende, kernige Sentenzen, die manchmal durch spitzfindige Gegensätze gekennzeichnet sind („rarioribus, argutisque nonnunquam per oppositiones, ac vibratis concisim nervoseque sententiis“). Auszugehen ist davon, wie weise und bedeutende Personen reden, denen daran liegt, viel mit wenigem zu sagen („ut multa paucis loquantur“).169 Auf die Rollentexte der Senatoren in unserem Stück trifft dies unmittelbar zu. Abruptes Stocken der Rede hingegen, wie es Masen für den Satzbau des stylus gravis entsprechend dem Affektpotential der res fordert170, weist die Kommunia Duchowna gerade nicht auf, so gut wie jeder Satz wird schulischer Gepflogenheit entsprechend ordnungsgemäß zu Ende geführt. Die Stilqualitäten der perspicuitas, des gehobenen Sprachniveaus, das stellenweise zu bündigen Sentenzen verdichtet ist, und eines den Redegegenständen angemessenen ornatus können wir anhand der bisher zitierten Beispiele auch für die 165 Maria Renata Mayenowa, Artikel „Styl – Teorie“, in: Słownik literatury staropolskiej, Wrocław 1990, S. 802. 166 Sarbiewski, O poezji doskonałej czyli Wergiliusz i Homer (De perfecta poesi), S. 229. 167 Beide Postulate stellte bereits Aristoteles in Kap. 22 seiner Poetik auf, s. Aristoteles, Poetik, griechisch/deutsch, übs. u. hrsg. v. Manfred Fuhrmann, Stuttgart 1982, S. 71. 168 Jacob Masen, Palaestra eloquentiae ligatae, Bd. III zit. nach dem Teilabdruck in: Willi Flemming, Das Ordensdrama, Leipzig 1930, S. 45. Masens Original ist in der Staatsbibliothek zu Berlin unauffindbar, wiewohl im Katalog präsent. 169 Ebd. 170 Ebd., S. 46.
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Kommunia Duchowna in Anspruch nehmen. Ihr Autor hat sich der Herausforderung gestellt, polnische dictio am klassisch-lateinischen hohen Stilideal zu messen (mit Ausnahme der Intermedien, auf die wir gesondert eingehen müssen). Im Rahmen unserer Dramenanalyse konnten wir eine Differenzierung des hohen Stils der Tragödie in verschiedene Unterarten entsprechend Sarbiewskis Lyriktheorie nachweisen. In Abhängigkeit von der jeweiligen res sah die antike Rhetorik drei genera dicendi (demonstrativum, deliberativum, iudiciale) vor, die mit unterschiedlichen Stilhöhen verknüpft waren. Eine deutliche Verschiebung gegenüber dem klassischen Kanon der Rhetorik hin zu einer eigenständigen Poetik bedeutet es also, wenn Sarbiewski die entsprechenden drei Stilgattungen der Lyrik einheitlich an ein gehobenes Sprachniveau bindet. Die Möglichkeit einer internen Auffächerung des erhabenen Stils unter Einbeziehung belehrender, sentenziöser und lobender Elemente, des sog. stylus mixtus, wurde übrigens auch in der Rhetorik Prolusiones oratoriae (Kalisz 1653) aufgezeigt.171 In polnischen Rhetoriken des 17. Jhs. läßt sich allgemein eine Fortentwicklung des traditionellen Dreierschemas hin zu einer Vielzahl von Stilbegriffen nachweisen. Exemplarisch stellt Rynduch am Schluß seiner Arbeit einen Katalog von 25 verschiedenen Stilvarianten zusammen.
4.3.1.4 Zur ideologischen Ausrichtung des Autorstandpunkts Wir haben den Autor der Kommunia Duchowna als Träger eines Repertoires lyrischer Stilisierungstechniken bestimmt, ausgehend von Veltruskýs grundsätzlicher Annahme einer Synthese der Lyrik und Erzählkunst im Drama. Unter Berücksichtigung der in Uspenskijs Poetik der Komposition entworfenen Typologie der Standpunkte auf verschiedenen Ebenen des literarischen Werks soll abschließend der Standpunkt des Autors in ideologischer Hinsicht aufgezeigt werden.172 Am Ende unseres Stückes, genauer im Nebentext, findet sich eine eindeutig ideologisch markierte Stellungnahme: Es schließt mit der allen Jesuitendramen gemeinsamen Formel „Ad M.(ajorem) D.(ei) G.(loriam) B.(eatae) V.(irginis) M.(ariae) honorem“173, das Wertesystem des Autors ist von Anfang an (Summa, Prologus) offengelegt. Wie oben bereits angeführt, durfte laut Studienordnung ausschließlich eine „materia sacra et pia“ dargestellt werden, um Zöglinge und Publikum im katholischen Glau171 Zbigniew Rynduch, Nauka o stylach w retorykach polskich XVII wieku, Gdańsk 1967, S. 82. 172 Texte, in denen der Autor eine einzige, gleichbleibende ideologische Position bezieht (wie in unserem Stück), hält Uspenskij unter kompositorischem Aspekt für trivial und uninteressant, s. Poetik der Komposition, S. 17. Umso facettenreicher kann aber die rezeptionsgeschichtliche Auseinandersetzung mit einem solchen Werk sein, wie ich im Folgenden darlegen werde. 173 Jean-Marie Valentin, „Jesuitenliteratur als gegenreformatorische Propaganda“, in: Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte, Bd. 3: Zwischen Gegenreformation und Frühaufklärung: Späthumanismus, Barock, 1572–1740. Reinbek 1985, S. 174.
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ben zu festigen; darüber hinaus zielten die mit allen Mitteln theatralischer Wirkung inszenierten Stücke auf weitere missionarische Erfolge im Dienst der Gegenreformation.174 Insbesondere galt das in den Kresy (Randgebieten) der polnischen Adelsrepublik, wo die Aufführungen der Jesuiten auch von Anhängern anderer Religionen und Bekenntnisse besucht wurden.175 Die massive Tendenz der Theaterpraxis zur Glaubenspropaganda steht freilich im Widerspruch zu späteren Auffassungen von der Autonomie der Kunst. Windakiewicz meint, „es sei lächerlich, im Drama der Jesuiten Kunst suchen zu wollen.“176 Literaturwissenschaftler, die Anfang des 20. Jhs. daran gingen, die Jesuitendramatik zu rehabilitieren, betonen deren eminenten entwicklungsgeschichtlichen Stellenwert. Hahn verweist darauf, daß Jesuitendialoge für längere Zeit das Theaterschaffen in Polen fast ausschließlich repräsentierten.177 Stender-Petersen hält fest, „wie wenig sich diese Dramengattung aus dem Entwicklungsgange der neuzeitlichen Tragödie ausschalten läßt, wie sehr gerade sie zur Pflege und künstlerischen Kultur der klassisch-tragischen Form beigetragen hat“178, und belegt in detaillierten Analysen der Tragödien Knapskis und seiner Nachfolger die stilistische Anlehnung an Seneca (S. 207 ff ). Der Typologie des polnischen Jesuitendramas (moralisatorisches Exempeldrama, martyrologische, historische Tragödie, konfessionspolemisches Drama, dämonologisches Drama) stellt Stender-Petersen die Prämisse voran, jedes dieser Werke sei im Grunde „moralisatorisch und will durch Aufstellung abschreckender oder anlockender Exempel erzieherisch auf die Jugend einwirken. In diesem Sinne ist jedes Jesuitendrama eo ipso tendenziös.“179 Lewański würdigt im Vorwort zu den Dramaty staropolskie Kontinuität, Organisation und Dokumentation der Jesuitenbühne180 und gibt insgesamt einen kennt174 Die Bandbreite der Zuschauermanipulation beschreibt eindrücklich das Vorwort zu Bidermanns in München 1609 aufgeführtem Cenodoxus: zuerst lachten sie, daß fast die Stühle brachen, durch den Ausgang der Handlung (die Seele des hochmütigen Gelehrten Cenodoxus verfällt dem Teufel) erschüttert und zu wahrer Gottesfurcht animiert, besuchten fortan vierzehn Edelleute die Ignatianischen Exerzitien, vgl. Barner, Barockrhetorik, S. 347. 175 Okoń, Dramat i teatr szkolny. Sceny jezuickie XVII wieku, S. 103. Sofronova, Poėtika slavjanskogo teatra, S. 41. 176 Windakiewicz, Teatr kolleg jów jezuickich w dawnej Polsce, Kraków 1922, S. 4, zit. nach: Adolf Stender-Petersen, Tragoediae sacrae. Materialien und Beiträge zur Geschichte der polnisch-lateinischen Jesuitendramatik der Frühzeit. Tartu 1931, S. 32. 177 „dyalogi jezuickie, niezmiernie ważne w rozwoju historyi naszego dramatu, one to bowiem przez długi przeciąg czasu są jedynemi prawie przedstawieniami teatralnemi w Polsce“, Wiktor Hahn, Literatura dramatyczna w Polsce XVI wieku, Lwów 1906, S. 92. 178 Stender-Petersen, Tragoediae sacrae, S. 2. 179 Ebd., S. 34. 180 „Była ... najdłużej, bo dwieście lat konsekwentnie działającą instytucją świadomie zorganizowaną, kontrolowaną, posiadającą własną poetykę, ba, nawet seminaria dramatopisarskie oraz przemyślany system sprawozdawczości.“ (Sie war die am längsten, nämlich zweihundert
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nisreichen, detaillierten Überblick. Da für ihn das Realismuspostulat in Übereinstimmung mit der sozialistischen Doktrin an oberster Stelle steht bzw. im Rahmen offizieller Literaturgeschichtsschreibung stehen muß, überwiegen negative Bewertungen in den Ausführungen zur zweiten, seit den zwanziger Jahren des 17. Jhs. einsetzenden Phase der Jesuitendramatik in Polen (hier zeigt sich die historische Bedingtheit seiner Aussage von 1959, von der wir nicht wissen, ob sie seine tatsächlichen Überzeugungen wiedergibt): „Man darf nicht annehmen, daß jenes Auftreten historischer und polnischer Thematik irgendeine Wende zum Realismus hin bedeutete. ... Die immer mehr sich verbreitende hagiographische und moralisierende Thematik schuf eine ganz praktische Poetik der vereinfachten Dramaturgie, welche nur Verallgemeinerungen gebrauchte, die sich natürlich auf das Wissen von den Dogmen, auf die katholische Ethik und rituelle Symbolik bezogen. Nach dem Sieg über die Andersgläubigen ... war das Theater Agitationsmittel (und das selten), schließlich aber verwandelte es sich in ein weit verzweigtes Instrument der Katechisierung, das an Gefühle, Einbildungskraft – am wenigsten an den Intellekt – appellierte. Das bedeutete eine ganz radikale Wendung von der Dramatik hin zum theatralischen, leeren und naiven Effekt. Das bedeutete Rhetorik ohne Handlung ..., die keine Motivation kennt.“181
Die Verflachung der künstlerischen Aussage des Theaters wird hier als Folge seiner religiösen Ausrichtung gesehen. Vor dem Hintergrund der in den 50er Jahren in sozialistischen Staaten geltenden marxistischen Ästhetik überrascht der Vorwurf an das Theater, Agitationsmittel zu sein – in Anlehnung an Hegels Theorie vom Vorrang des Begrifflichen in der Kunst war die Unterordnung des Kunstschaffens unter heteronome politische Zwecke begründet.182 Für ideologische Diskurse typisch ist jedoch, daß die Legitimität abweichender Positionen bestritten, gleiches procedere unter anderen Vorzeichen verworfen wird. Das heißt in unserem Fall, die Jesuiten Jahre konsequent arbeitende Institution, bewußt organisiert, kontrolliert und verfügte über eine eigene Poetik, ja sogar über Schreibseminare für Dramen sowie ein durchdachtes System des Berichtswesens.) Julian Lewański, „W teatrach staropolskich“, in: Dramaty staropolskie, T. I, Warszawa 1959, S. 62. 181 Ebd., S. 68: „Nie należy przypuszczać, aby owo pojawienie się tematyki historycznej i polskiej oznaczało jakiś zwrot ku realizmowi. ... Narastająca coraz bardziej tematyka hagiograficzna i moralizująca stwarzała całą praktyczną poetykę ułatwionej dramaturgii, operującej samymi uogólnieniami, odnoszonymi oczywiście do wiedzy o dogmatach, do katolickiej etyki i obrzędowej symboliki. Skoro walka z innowierstwem została wygrana, teatr ... bywał (i to rzadko) organem agitacji, a wreszcie przemienił się w szeroko rozgałęzione narzędzie katechizacji, apelującej do sentymentów, wyobraźni – najmniej do intelektu. Oznaczało to bardzo radykalny odwrót od dramatyczności na rzecz efektu teatralnego, pustego i naiwnego. Oznaczało retoryczność pozbawioną akcji ..., nie znającą motywacji.“ 182 S. dazu Peter V. Zima, „Ästhetik, Wissenschaft und „wechselseitige Erhellung der Künste“. Einleitung“, in: Literatur intermedial: Musik – Malerei – Photographie – Film. Darmstadt 1995, S. 2 f. Zima beschreibt u.a. wichtige Positionen der marxistischen Ästhetik, wie sie Georg Lukács in Anlehnung an Hegel vertreten hat.
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hätten das Theater durch seine Zweckbindung von der Stufe der Kunst zum „szeroko rozgałęzione narzędzie“ (weit verzweigten Werkzeug)183 degradiert und ins Irrationale der „sentymentów, wyobraźni“ (Gefühle, Einbildungskraft) abgedrängt. Daß man überhaupt eine Grundnorm des Realistischen in der Kunst aufstellen könne, hat Roman Jakobson schon 1921 hinterfragt und „die ganze Relativität des Begriffs »Realismus«“184 in seinen diachronen Verwendungskontexten beleuchtet. Ausgehend von der Prämisse, daß Tatsachen weniger gefunden als erfunden werden, steht auch Nelson Goodman vor dem Problem, „welche Welten nun genau als wirklich anerkannt werden müssen.“185 Sozialgeschichtliche Ansätze in der Literaturwissenschaft sind vom Begriff her dadurch gekennzeichnet, daß sie außerhalb der Literatur selbst liegende Determinanten mit berücksichtigen, „den Nexus zwischen Text und Kontext in bezug auf Produktion, Intention und Wirkung“186 aufzeigen. Valentin sieht in seiner Studie zur „Jesuiten-Literatur als gegenreformatorische Propaganda“187 sehr wohl die Indienstnahme der Literatur durch den alles überragenden religiösen Zweck, reklamiert aber entschieden, sie auch nach ästhetischen Kriterien zu messen. Für das Theater „erbringen die Auseinandersetzungen mancher Autoren, zum Beispiel in den Prologen ihrer Stücke, mit den poetologischen Vorschriften den Nachweis, daß die Dualität von ästhetischer Reflexion und Spielpraxis ein wesentliches Charakteristikum dieser Literatur ist, die sich in ihren besten Produktionen über das Niveau der bloßen Belehrung und Wirkung erhob.“188 Baldes lateinische Oden in der Nachfolge des Horaz waren in ganz Europa anerkannt, manche wurden von Gryphius ins Deutsche übertragen. Ausgewogen beurteilt Valentin die Bedeutung der Rhetorik in der Jesuitenliteratur auch unter künstlerischem Aspekt, sie war „technische 183 Nebenbei bemerkt, ist diese Metapher mißglückt, weil sie die Vorstellungsbereiche des Natürlichen und des Künstlichen vermischt. 184 Roman Jakobson, „Über den Realismus in der Kunst“, in: Ders., Poetik. Ausgewählte Aufsätze 1921–1971. Frankfurt 1979, S. 135. 185 Nelson Goodman, Weisen der Welterzeugung, Frankfurt 1990, S. 118. 186 Jean-Marie Valentin, „Jesuitenliteratur als gegenreformatorische Propaganda“, in: Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte, Bd. 3, S. 202. 187 Ebd., S. 172–205. 188 Ebd., S. 204. Von autoreferentiellen Stellungnahmen in russischen Schuldramen war bereits oben bei der Besprechung von Sofronovas Poėtika slavjanskogo teatra die Rede, z. B. faßt das Programm zu dem Stück Užasnaja izmena slastoljubivogo žitija ... (Der schreckliche Wechsel des wollüstigen Lebens ...) den Antiprolog folgendermaßen zusammen: „die Sache und das Geschehen der ganzen Handlung erscheint hieroglyphisch“, übs. nach: Vladimir Rezanov, Drama ukrains’ka, Bd. VI, Kiev 1929 (= Slavica-Reprint Nr. 77/5, Düsseldorf/Vaduz 1970), S. 93. Das Programm sagt damit nichts über den Darstellungsinhalt des Antiprologs aus, vielmehr wird ein poetologischer Terminus verwendet, um dessen hieroglyphisch-sinnbildhafte Darstellungsweise zu charakterisieren.
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Voraussetzung zur intendierten Wirkung auf die Leser, Hörer und Zuschauer“, aber auch „strukturbestimmende Produktionsästhetik“.189 Kritische Abrechnung mit dem barocken Schultheater als automatisiertem Verfahren ist im Sinne literarischer Evolution von der unmittelbar folgenden Aufklärungspoetik zu erwarten. Franciszek Ksawery Dmochowski schildert im dritten Gesang seines 1788 erschienenen Poems Sztuka rymotwórcza (Reimkunst) den Zustand der Dramatik in seiner polnischen Heimat: „U nas przez długie lata był teatr ubogi. Miejsce jego trzymały szkolne dyjalogi, Gdzie w niezgrabnym układzie, dla prostej zabawy, Kiedy pozasiadała liczna szlachta ławy, Żaki różne czyniły widowiska z siebie, Udawały, co w piekle, co dzieje się w niebie. Cała się rzecz kończyła na wrzaskach i śmiéchach. Potem Bachus, w rzęsistych spełniany kielichach, Weselej jeszcze gości niż aktor zabawił; Jeśli diabeł przestraszył, Bach dobrą myśl sprawił.“ (Z.175–184)190 Bei uns war jahrelang das Theater arm. Seinen Platz hielten Schuldialoge, Wo in ungeschickter Komposition, zum schlichten Vergnügen, Als der Adel zahlreich auf Bänken Platz nahm, Die Studenten verschiedene Schauspiele selber machten, Nachahmten, was in der Hölle, was im Himmel sich ereignet. Die ganze Sache endete in Lärm und Gelächter. Danach heiterte Bacchus, in reichliche Kelche gefüllt, noch fröhlicher die Gäste auf als der Schauspieler; Wenn der Teufel erschreckte, machte Bacchus frohgemut.
Schuldialoge stellen demnach ein in künstlerischer Hinsicht mangelhaftes Theatersurrogat zur törichten Belustigung des Adels dar.191 Anstößig erscheint der simple formale Aufbau der Stücke („w niezgrabnym układzie“ – in ungeschickter Komposition, Z. 177), der plakativ zur Schau gestellte Gegensatz von Hölle und Himmel auf der Inhaltsebene („Udawały, co w piekle, co dzieje się w niebie“ – Nachahmten, was in der Hölle, was im Himmel sich ereignet, Z. 180). Bemerkenswert ist, daß 189 Jean-Marie Valentin, „Jesuitenliteratur als gegenreformatorische Propaganda“, S. 204. 190 Zit. nach: Oświeceni o literaturze. Wypowiedzi pisarzy polskich 1740–1800. (Aufklärer über die Literatur. Äußerungen polnischer Schriftsteller 1740–1800.) Warszawa 1993, S. 389. 191 Kaum besser weg kommt allerdings auch Kochanowskis Odprawa Posłów greckich (Abfertigung der griechischen Gesandten): „ta niewielką ma sławę: / Same w niej są rozmowy, nie masz zawikłania / Rzeczy, nie masz trudności, nie masz rozwiązania.“ (diese steht nicht in großem Ruhm: / Nur Gespräche gibt es hier, keine Verwicklung / Der Sache, es gibt keine Schwierigkeit, keine Lösung. Z. 190 ff ) Dmochowski fügt hinzu, daß Kochanowski nur durch sein eigenes Bekenntnis zur Schwäche dieses Dramas entlastet sei.
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die ideologische Grundlegung der Schuldramatik hier überhaupt in Zweifel gezogen wird durch die einseitige Zweckbestimmung des delectare („dla prostej zabawy“ – zum schlichten Vergnügen, Z. 177). Nicht einmal die persuasive Absicht – das movere durch den Teufel (Z. 184) – wird anerkannt, aufklärerisches Moralisieren sieht die Wirkung der Aufführungen bei den anschließenden exzessiven Gelagen der szlachta im Wein verflüchtigt. Die unterschiedlichen Konzepte von docere im 17. und 18. Jh. ließen sich schon gar nicht mehr in Einklang bringen: Belehren im Sinne der Aufklärung heißt nicht, den Teufel auf die Bühne zu schicken und die Zuschauer sinnlich zu überrumpeln, vielmehr sie durch den Appell an die Vernunft zu sittlichem Verhalten anzuleiten. Ein versteckter Angriff ist wohl auch im Hinweis auf die ständische Exklusivität des Theatervergnügens enthalten, weiter unten heißt es im Zusammenhang mit Morsztyns Corneille-Übersetzung Cyd albo Roderyk, die am Hofe Jan Kazimierz’ aufgeführt wurde, ausdrücklich: „Nie znał naród teatru“ (das Volk kannte das Theater nicht, Z. 199). Dmochowskis Aussage stellt insgesamt eine polemisch vereinfachte Wertung dar, welche die in den 30-er Jahren des 18. Jhs. einsetzenden Reformbewegungen im Theaterschaffen der Jesuiten unterschlägt.192 Wesentlich günstiger fällt Goethes etwa zeitgleiches Urteil nach dem Besuch einer Vorstellung im Regensburger Jesuitenkollegium (1786) aus: „Ich verfügte mich gleich in das Jesuitenkollegium, wo das jährliche Schauspiel durch Schüler gegeben ward, sah das Ende der Oper und den Anfang des Trauerspiels. Sie machten es nicht schlimmer als eine angehende Liebhabertruppe und waren recht schön, fast zu prächtig gekleidet. Auch diese öffentliche Darstellung hat mich von der Klugheit der Jesuiten aufs neue überzeugt. Sie verschmähten nichts, was irgend wirken konnte, und wußten es mit Liebe und Aufmerksamkeit zu behandeln. Hier ist nicht Klugheit, wie man sie sich in Abstracto denkt, es ist eine Freude an der Sache dabei, ein Mit- und Selbstgenuß, wie er aus dem Gebrauche des Lebens entspringt. Wie diese große geistliche Gesellschaft Orgelbauer, Bildschnitzer und Vergulder unter sich hat, so sind gewiß auch einige, die sich des Theaters mit Kenntnis und Neigung annehmen, und wie durch gefälligen Prunk sich ihre Kirchen auszeichnen, so bemächtigen sich die einsichtigen Männer hier der weltlichen Sinnlichkeit durch ein anständiges Theater.“193
Goethe bescheinigt den Patres Sachkunde in puncto Bühnenwirksamkeit und Freude am Spiel. Umso unverständlicher ist es, wenn klassische, in der Goethezeit entwickelte ästhetische Normvorstellungen herangezogen werden, um barocke Kunst im allgemeinen und das Jesuitentheater im besonderen zu verwerfen. Sehr deutlich bringt Goethe zum Ausdruck, daß hier nicht frömmelnde Indoktrination, sondern sinnlicher Genuß im Vordergrund steht, daß es sich um ein „anständiges
192 Vgl. Mieczysław Klimowicz, Oświecenie (Aufklärung), Warszawa 1998, S. 78. 193 Goethe, Italienische Reise, München 1978, S. 10 f. S. dazu auch Barner, Barockrhetorik, S. 352 f.
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Theater“ handelt, kein „armes“ (wie sein polnischer Zeitgenosse Dmochowski klischeehaft urteilte). Unserem Überblick über die metaideologischen Positionen zum Jesuitendrama werden wir eine Vorgabe für weitere Untersuchungen entnehmen und die Aufklärungskritik konstruktiv auswerten: in Dmochowskis Sztuka rymotwórcza war die Rede von der Nachahmung dessen, „was in der Hölle, was im Himmel sich ereignet“, bzw. von der schablonenhaften Gegenüberstellung von Gut und Böse. Den Rekurs auf Oppositionspaare bestimmt Sofronova als Hauptmerkmal der Barockpoetik, das sich auf verschiedenen Ebenen auswirkt, wie sie u.a. anhand des Kontrastprinzips in der Sujetstruktur näher ausführt.194 Im folgenden Kapitel zu den Personenstandpunkten werden wir aufzeigen, daß die ideologisch bedingte antagonistische Grundstruktur der Kommunia Duchowna keineswegs nur oberflächlich zur Schau gestellt ist, sondern in die tieferen Schichten der sprachlichen Textur hineinreicht und als subtiles Netz von Korrespondenz- und Kontrastbezügen195 beschrieben werden kann.
4.3.2 Figurenstandpunkte 4.3.2.1 Theoretische Grundlagen Die grundsätzliche Antinomie der dramatischen Struktur – sie ist sowohl Aussage eines einzelnen Autor- als auch mehrerer Sprechersubjekte – bedingt, daß wir komplementär zum Autorstandpunkt die verschiedenen Figurenstandpunkte in der Kommunia Duchowna zu untersuchen haben. Wir behalten den umfassenderen Begriff des Standpunkts in Bezug auf die Figuren bei, weil wir über die dramatischen Charaktere hinaus ihre Bindung an ein entsprechendes Kulturmodell aufzeigen wollen. Nach Lotman ist jeder Text „eingebettet in eine bestimmte extratextuelle Struktur, deren abstrakteste Ebene man als ‚Weltanschauungstyp‘, ‚Weltbild‘ oder ‚Kulturmodell‘ definieren könnte“196, und dies gilt bis zu einem gewissen Grad auch für die Reden der handelnden Figuren. Methodischer Ausgangspunkt sollen wiederum grundlegende Bemerkungen Veltruskýs zu den dramatischen Charakteren in Drama as Literature (Kap. 6) sein; wenn wir dann von der allgemeinen Gattungstypologie zur Analyse der dramatis personae in der Kommunia Duchowna übergehen, werden wir speziell auf slavische Schuldramen des Barock bezogene Er194 Sofronova, Poėtika slavjanskogo teatra, S. 15 u. 164. 195 Vgl. Manfred Pfisters Definition des dramatischen Charakters als „Summe der Korrespondenz- und Kontrastrelationen zu den anderen Figuren des Textes“ in: Das Drama, S. 224, eine Definition, die er von Lotmans grundlegenden Thesen zu „Figur und Charakter“ (Die Struktur literarischer Texte) ableitet. 196 Lotman, Die Struktur literarischer Texte, S. 377.
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kenntnisse aus Sofronovas Poėtika slavjanskogo teatra XVII – pervoj poloviny XVIII v. Pol’ša, Ukraina, Rossija (Poetik des slavischen Theaters des XVII. bis zur ersten Hälfte des XVIII. Jahrhunderts. Polen, Ukraine, Rußland) einbeziehen. Um den politisch-historischen Entwurf der dargestellten Welt und ihrer antagonistischen Figurenkonstellation Tyrann vs. Märtyrer näher zu erläutern, rekurrieren wir auf Benjamins Ursprung des deutschen Trauerspiels: die Thesen des Verfassers sind unter Berücksichtigung einer gesamteuropäischen Perspektive (Calderón, Shakespeare) gewonnen und bieten weiterführende Anhaltspunkte auch für die Analyse unseres Stückes. Veltruský zufolge bedingt der dramatische Dialog gespaltene Subjekte – sowohl im Hinblick auf die dramatische Figur als auch in Bezug auf den Autor: die dramatische Figur hat nur imaginären Status, sie ist eine aus dem Redekontext ableitbare Bedeutung, gleichwohl erscheint sie als eigenwertige, im Gespräch engagierte Person. Auf die Spaltung der Autorrede in direkte und indirekte, in die Anmerkungen einerseits und den impliziten Anteil am Dialog andererseits, sind wir schon im vorigen Kapitel eingegangen. Für uns hier wichtig ist, daß wir die Spaltung des dramatischen Charakters als Projektion der grundlegenden Strukturantinomie zwischen einem mehrfachen und einem einzelnen semantischen Kontext im Drama auffassen können: den Charakter prägt der innere Widerspruch von Spontaneität und Determiniertheit – scheinbar spontan äußert er seine Reden aufgrund seiner Stellung in der außersprachlichen Situation, gleichwohl bringen diese (vom Autor konzipierten) Reden ihn selbst als Bedeutung überhaupt erst hervor. Inwieweit die Tendenz mehr zum Spontanen oder Determinierten gehen kann, hängt vom semantischen Aufbau des Dramas im Ganzen und insbesondere von der Dominanz semantischer Statik, bzw. Dynamik ab: semantische Dynamik (beispielhaft gibt Veltruský hier Maeterlincks Stücke an) hat zur Folge, daß eine Figur nie den vollständigen Sinn der eigenen Aussagen überblickt, erst allmählich zu ihrem wahren Gehalt vordringt, ohne ihn je total zu erfassen. Ein Charakter, der auf diese Weise unbewußt einen semantischen Kontext entwickelt, wird von diesem beherrscht, gleichzeitig erweist sich ein solcher Figurenkontext nur als einer von vielen Aspekten des einheitlichen Autorkontexts. Auch dann ist die Spontaneität des Charakters nicht restlos aufgehoben – der Sinn, den die Figur in ihre Reden legt, mag zwar im Verhältnis zur umfassenden Sinngebung durch den Autor oberflächlich sein, ein Sinn bleibt es aber allemal. Semantische Statik hingegen (und diese Regel erwähne ich nur der methodischen Vollständigkeit halber, weil sie im Zusammenhang mit unserem Stück unerheblich ist) läßt die Repliken als spontane Reaktionen der jeweiligen Charaktere erscheinen, ihre Determiniertheit markieren aber zwangsläufig die Autoranmerkungen.197
197 Veltruský, Drama as Literature, S. 68 ff.
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Ist der Handlungsaufbau von semantischer Dynamik gekennzeichnet und die Determiniertheit der Figuren vorrangig, so wirkt sich das auf die Merkmalsausstattung der Charaktere aus. Der Autor nimmt dann eine Reduktion auf diejenigen Charaktereigenschaften vor, die in Verbindung mit dem betreffenden Personenkontext stehen, er entwirft den Charakter „ad hoc“ je nach den Notwendigkeiten des dramatischen Dialogs. Die Eliminierung bestimmter Eigenschaften führt zur Verallgemeinerung derjenigen Kennzeichen, die beibehalten wurden; in dieser Verallgemeinerung des Charakters sieht Veltruský ein Verfahren, um die Empathie des Lesers zu stimulieren – dieser kann nun eigene Erfahrungen in den Charakter hineinprojizieren auf der Grundlage allgemeiner Attribute, die er mit der entsprechenden Figur teilt. Veltruský belegt hier seine Ausführungen mit Hegels Bemerkung, dieser Prozeß werde durch die Ausstattung des Charakters mit einer begrenzten Zahl von Merkmalen erleichtert.198 Selbst bei der Fülle von Eigenschaften, die ein spontaner gezeichneter Charakter in einem Drama mit semantischer Statik aufweist, bleibt noch eine fest umrissene Kontur dominanter Merkmale. Um eine adäquate Rezeption zu gewährleisten, wird manchmal schon vorab im Personenverzeichnis des Stückes die Bestimmung ihrer wichtigsten Wesenszüge mitaufgeführt.199 Der dramatische Charakter ist vom Grundsatz her ein handelnder Charakter, und zwar handelnd aus einem inneren Impuls heraus („a dramatic character is one who acts, as a rule from an internal impulse“, S. 71). Veltruský meint nun, daß Hegel, Goethe und Schiller die Frage des inneren Impulses200 überbewertet hätten: 198 Uspenskij ist an dieser Stelle nochmals zu widersprechen: mit einem Verweis auf P. A. Florenskij meint er, daß „die Möglichkeiten der Transfiguration, der Selbstidentifikation mit dem Helden, der wenigstens zeitweisen Wahrnehmung aus seiner Perspektive, im Theater ungleich beschränkter als in der Literatur“ seien (Poetik der Komposition, S. 10). Florenskij zufolge könne jemand, der Hamlet liest, das darin enthaltene „Spiel im Spiel“ unschwer vom Standpunkt der Personen in der Haupthandlung aus nachvollziehen. Der Zuschauer im Parkett sehe das „Spiel im Spiel“ aber ausschließlich von seinem Standpunkt aus (s. das Zitat in Uspenskij, Poetik der Komposition, S. 9). Weitere Begründungen werden nicht angeführt und so fragt man sich, warum nicht auch der Theaterbesucher zu der Transferleistung imstande sein sollte, die Tragweite des „Spiels im Spiel“ aus der Sicht der agierenden Personen in der Haupthandlung abzuschätzen? – Zum begrenzten Satz von Eigenschaften des dramatischen Charakters ist noch anzumerken, daß sich diese Strategie (abgesehen von der vereinfachten Identifikationsmöglichkeit) auch unter dem Aspekt mnemotechnischer Ökonomie begründen läßt: Asmuth geht von der spezifischen Darbietungssituation im Theater aus, „daß der Zuschauer sich in kurzer Zeit die Eigenart mehrerer Figuren einprägen muß“ und verknüpft damit „eine sparsam-markante, stilisierende Merkmalsausstattung ... wie sie vor allem die Typenkomödie entwickelt hat“, s. Einführung in die Dramenanalyse, S. 88. 199 Veltruský, Drama as Literature, S. 70. 200 Hier ist einzuwenden, daß Goethe und Schiller gar nicht von einem handlungsauslösenden inneren Impuls sprechen, sondern davon, daß das Epos „den außer sich wirkenden Menschen“, die Tragödie hingegen „den nach innen geführten Menschen“ darstelle. Veltruskýs
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viele Handlungen geschehen unbewußt, d.h. automatisch, aus Gewohnheit, auf Befehl oder Betreiben anderer, ohne daß der jeweilige Charakter einen zielgerichteten Vorsatz zu seinem Tun gefaßt hat, ohne daß er in der Lage ist, die Auswirkungen seines Handelns zu überblicken. Je unbewußter eine Handlung ausgeführt wird, desto weniger lenkt sie die Aufmerksamkeit auf die ausführende Person. Den Grad der Bewußtheit des Handelns kann man nach Veltruský als wichtigen (nicht jedoch als einzigen) Maßstab ansetzen, um die Hierarchie der Charaktere im Drama zu bestimmen. Am unteren Ende finden wir Figuren, die überhaupt keine Handlung ausführen, sondern z.B. eine Geschichte erzählen, auf die sich das Interesse der Zuschauer konzentriert. Eine höhere Stufe ist erreicht, wenn etwa ein Botenbericht Informationen enthält, die in irgendeiner Weise andere Personenkontexte affizieren – hier ist schon ein Schritt weg vom Monolog und hin zu unbewußter Handlung getan. Dialogische Rede und bewußte Handlung setzen voraus, daß die jeweilige Personenrede im Hinblick auf die Interaktion mit einem anderen Kontext formuliert ist. An der Spitze der Hierarchie stehen durch Personennamen201 ausgezeichnete Charaktere, deren Handeln einem bewußten inneren Antrieb folgt. Veltruský erklärt dieses Stufenmodell anhand von Sophokles’ König Ödipus.202 Am konkreten Beispiel des Teiresias analysiert er, daß die Reden dieser Figur, die oben in der HierFormulierung scheint also die hier gattungsmäßig getrennten Bereiche des Handlungsimpulses einerseits, der Innerlichkeit, bzw. psychischen Vorgänge andererseits zu vermischen. Im Aufsatz „Über Epische und Dramatische Dichtung von Goethe und Schiller“ (in: Der Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe, hrsg. v. Paul Stapf, Berlin / Darmstadt / Wien 1960, S. 969 f.) wird die oben zitierte Gegenüberstellung von Epos und Tragödie aus der Begriffsopposition Tätigkeit vs. Leiden entwickelt; daraus entnehmen wir, daß goethezeitliche Bestimmungen nur mit Vorsicht auf das Barockdrama zu übertragen sind. Gerade den Handlungsaspekt der Tragödie, die Nachahmung einer „actio illustris“, hebt Sarbiewski in seiner oben angeführten Definition hervor. – Hegel geht in seiner Gattungslehre der Poesie davon aus, das Drama stelle „ein Inneres und dessen äußere Realisierung dar. Dadurch erscheint dann das Geschehen nicht hervorgehend aus den äußeren Umständen, sondern aus dem inneren Wollen und Charakter, und erhält dramatische Bedeutung nur durch den Bezug auf die subjektiven Zwecke und Leidenschaften.“ (Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, 3. Bd., Stuttgart 1964, S. 482). Mit „internal impulse“ übersetzt Veltruský „den inneren Zweck ..., dessen Held das handelnde Individuum ist. ... Dieser Zweck, die Sache, auf welche es ankommt, steht höher als die partikuläre Breite des Individuums, das nur als lebendiges Organ und belebender Träger erscheint.“ (Hegel, ebd., S. 483 f.). 201 Bei der Herausbildung einer ukrainischen Theaterkultur nach westlichem Muster im 17. Jh. kam es zu Tabubrüchen im Zusammenhang mit der Personendarstellung: mit der Auffassung des Menschen als Ebenbild Gottes war es nach orthodoxer Tradition unvereinbar, das eigene Äußere zu manipulieren, um jemand anderen zu verkörpern. Die Änderung des Namens ließ sich nur in einem einzigen Fall – dem Eintritt ins Kloster – rechtfertigen, ansonsten glich sie einer Gotteslästerung, s. Sofronova, Starinnyj ukrainskij teatr, Moskva 1996, S. 117 ff. 202 Veltruský, Drama as Literature, S. 71 ff.
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archie steht und aus innerem Antrieb handelt und spricht, weniger darauf angelegt sind, diesen inneren Antrieb und die dialogische Auseinandersetzung mit einem anderen Personenkontext hervorzukehren – vielmehr liegt die Hauptfunktion der Reden des Teiresias darin, das Wirken des Fatum zu exponieren, den sinnhaften Gesamtkontext zu verdeutlichen.203 Weniger offensichtlich ist die Hierarchie, wenn die Figuren eine Vielzahl von Eigenschaften aufweisen, d.h. die Charakterdarstellung mehr zur Spontaneität hin tendiert. Gibt es zwei Protagonisten innerhalb eines Stückes, wird die Rangfolge der Personen ebenfalls nicht unmittelbar einsichtig. Wahrnehmbar bleibt nach Veltruský die Hierarchie der Charaktere auch dann, wenn sie auf ein Minimum reduziert ist, d.h. wenn die Hauptperson während des ganzen Stückes, gegebenenfalls virtuell, anwesend ist, während die anderen Figuren von Szene zu Szene einander ablösen. Die Allgegenwart des Helden muß aber nicht durch konkrete Bühnenpräsenz gegeben sein, sie kann sich auch in der linguistischen Struktur der Reden anderer verwirklichen.204
4.3.2.2 Figurenstandpunkte in der Kommunia Duchowna Wenn wir vor dem Hintergrund dieser Überlegungen zur Analyse der Personenstandpunkte in der Kommunia Duchowna übergehen, können wir zunächst diejenigen Beschreibungskriterien ansetzen, die für den dramatischen Charakter im klassisch-traditionellen Sinn gelten, und uns mit Recht auf Hegels inneren Zweck205 als Auslöser der Handlung berufen. Światopełk gibt im Eingangsmonolog seinen subjektiven, alles bestimmenden Zweck kund und versichert dreifach, die Himmelsmächte und Fortuna seien „naszym chęciom“ (unserem Wollen, Z. 145), „zamysłom mym“ (meinen Absichten, Z. 146), „żądzom moim“ (meinen Begierden, Z. 150) günstig gesonnen: er erstrebt die Alleinherrschaft über Rußland, Unterwerfung seiner Gegner und den Ausschluß der Brüder von der Thronfolge, so daß sich ein potentieller dramatischer Konflikt schon abzeichnet. Światopełk verbalisiert seine Regierungsabsicht als gebildete Persönlichkeit illustren Standes, in gehobener Diktion mit Allusionen an die antike Mythologie („Febus“, Z. 148; „Fortuna“, Z. 149) und einer abschließenden sentenziösen Zusammenfassung. Vom Grundsatz her bereits bekannt sind uns Światopełks Absichten und seine Charakterisierung als Tyrann durch die Summa sowie den Prologus des Ersten Studenten („tyran“, Z. 105), überdies der weitere Verlauf und Ausgang der Handlung. Diese Vorkenntnisse bewirken, daß der Situationsbezug jeder im Folgenden geäußerten 203 Ebd., S. 74. 204 Ebd., S. 75. 205 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Ästhetik, 3. Bd., Stuttgart 1964, S. 483.
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Redeeinheit unmittelbar deutlich wird – daher ist von der Dominanz semantischer Dynamik in der Kommunia Duchowna auszugehen. Gemäß der von Veltruský aufgestellten Regel folgt aus der dynamischen Bedeutungskonstruktion eines Stückes die weitgehende Determiniertheit der Charaktere und deren Ausstattung mit einem begrenzten Satz von Merkmalen. Der Gesamtkontext bestimmt also die notwendigen Eigenschaften des Helden und umreißt ihn als Typus, während auf eine ausdifferenzierte individuelle Charakterisierung verzichtet wird. Sofronova bezeichnet den Helden im Schuldrama entsprechend als „figura uslovnaja“ (konventionelle Figur)206, versehen mit einem kennzeichnenden, über den ganzen Spielverlauf hin gleichbleibenden Attribut, und stellt diese Typisierung des dramatischen Helden in Zusammenhang mit gleichzeitigen Verfahren in der sarmatischen Portraitmalerei: auch dort kommt es weniger auf die individuellen Züge des Portraitierten an, vielmehr auf sein Familienwappen, das ihn als zeichenhaften Repräsentanten eines Allgemeinen ausweist. In ähnlicher Weise lassen sich in der mittelalterlichen Malerei Heiligenfiguren anhand eines feststehenden Attributs identifizieren – das konkrete Attribut evoziert die Summe relevanter Daten zu der betreffenden Figur.207 Übertragen wir diese Befunde auf die Kommunia Duchowna, sehen wir Światopełk als exemplarischen Vertreter des Tyrannen, in der Hauptsache gekennzeichnet mit dem Affekt des Zorns. Durch den ganzen Text ziehen sich Hinweise auf Światopełks „gniew“ (bzw. Pl. „gniewy“), ein Charakterzug, den Fremd- und Eigencharakteristiken einstimmig an ihm hervorheben, beginnend mit der expositorischen Information in Erymans Auftrittsmonolog („nieukojone gniewy“, unstillbarer Zorn, Z. 193 f.; „gniewy“, Z. 196). Die bloße Etikettierung wandelt sich in eindrucksvolle Vorführung der Sache selbst, als Światopełk unter Verletzung des Briefgeheimnisses vom Widerstand der Senatoren gegen ihn erfährt und in wildem Zorn höllische Mächte zu Hilfe ruft: „mnie dopomagajcie, / W zdradach, złości i gniewie na państwo dźwigajcie!“ (helft mir, / In Verrat, Bosheit und Zorn hebt mich zur Herrschaft empor! Z. 627 f.) Weiter bezeugt Światopełk das Wüten der „gniewy“ an den Stellen, wo die Handlung eine andere Wende nimmt, als von ihm erwartet, oder er sich selbst zu einer neuen Schandtat anstachelt: nach dem Fehlschlag des Giftattentats auf Borys („Nie ugasło pragnienie, ogniwa wrzucone / Gniewów barziej się żarzą;“ – Nicht erloschen ist die Begierde, Zornesbrocken, die ich hineinwarf, glühen heftiger, Z. 1078 f.), nach dem Mordauftrag an die Soldaten („Powstańcie, gniewy znowu wnętrzne, powstawajcie, / Burze, a Światopełka z sobą porywajcie.“ – Erhebt euch, ihr Zorneswallungen, immer wieder erhebt euch, ihr inneren / Stürme, und reißt Światopełk mit euch, Z. 1123 f.), als er von 206 Sofronova, Poėtika slavjanskogo teatra, S. 169. 207 Ebd., Anm. 1, S. 255 f. Sofronova stützt sich bei ihrem Vergleich auf die Erkenntnisse Tananaevas in Sarmatskij portret, S. 142 ff.
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der Wahl Hlebs erfährt („Darmo i popędliwe gniewy, zasypiacie. ... Darmo sie za gniew gniewem prędko udusiły.“ – Vergeblich auch seid ihr eingeschlafen, aufbrausende Zorneswallungen. ... Vergeblich erstickte schnell ein Zorn nach dem anderen. Z. 1506 ff ) und bevor er Hleb in die Falle lockt („Mają swój dowcip gniewy powolny do złego,“ – Zorneswallungen eignet ein Scharfsinn, willfährig zum Bösen, Z. 1943). Im entscheidenden Moment der Selbsterkenntnis im Schlußmonolog stellt Światopełk die Sinnfrage: „Ale czemu w swych gniewach serce opłonęło / I co ognia piekielnym pochodniom ujęło? ... Prędzej wyschłym dnem morza przeście ludziom wolne / Uczynią, prędzej gwiazdy z firmamentu dolne / Spadszy, osiądą knieje, Etna poprzestanie / Siarczystych ogniów, niźli gniew w sercu ustanie.“ (Aber warum entbrannnte das Herz in seinem Zorn / Und fing Feuer an Höllenfackeln? ... Eher machen Meere, von Grund auf ausgetrocknet, den Durchgang für Menschen frei, / Eher fallen die Sterne vom Firmament / herunter und sinken Wälder ein, läßt der Ätna / die schwefeligen Feuer sein, bevor der Zorn im Herzen aufhört. Z. 2439 ff ) Auf den Zorn als hervorstechende Eigenschaft Światopełks verweisen auch die Fremdcharakteristiken an Stellen, die für den Gesamtkontext bedeutsam sind. Zur Logik des Barockdramas gehört die Warnung des Übeltäters, und so ruft nach der Geistererscheinung des toten Borys der Kammerdiener (ersatzweise für die Allegorie des Gewissens in älteren Stücken) Światopełk auf: „Ej, poskrom gniewy twoje“ (Ei, mäßige Deinen Zorn“, Z. 1379). Jarosław erkennt gegen Ende des Stückes und völlig unmotiviert die mordlustige Veranlagung seines Bruders: „Wiem ja, jakie zakały, gniewy niestrawione / Ma w swym sercu Światopełk“ (Ich weiß, welche Schandflecken, unverdaute Zornesregungen / In seinem Herzen Światopełk hat, Z. 2091 f.). Światopełks Charakterbild ergänzen, sozusagen als kolorierende Ausschmückung, die weiteren Merkmale der Grausamkeit (Eryman: „okrutnego pana“ – einen grausamen Herrn, Z. 191), Blutrünstigkeit (Senator tertius: „Uprzedzaj miecze okrutnego / Tyrana, zgładź krwie braci twojej pragnącego“ – Komm’ dem Schwert des grausamen / Tyrannen zuvor, töte den, den es nach dem Blut deiner Brüder dürstet, Z. 293 f.) und Verrohung (Eryman: „Wiem ja zdziczałe serce w nim“ – Ich weiß ein verrohtes Herz in ihm, Z. 193). Anhand einer Reihe textinterner Belege habe ich nachgewiesen, welche zentrale Rolle der Affekt des Zorns für die Charakterdarstellung Światopełks in ihrer handlungstragenden Funktion einnimmt. In diesem Zusammenhang sind auch die nicht publizierten Randnotizen zur Kommunia Duchowna von Bedeutung, die in der Handschrift der Bibliothek des Ossolineum (Sign. 12.778) vorliegen.208 Mit Recht stellt Lewański in seinem Kommentar in der Anthologie Dramaty staropolskie summarisch fest, diese lateinisch verfaßten Randnotizen enthielten Beobachtungen 208 Der Handschriftenabteilung des Zakład Narodowy im. Ossolińskich in Wrocław danke ich für die freundliche Bereitstellung der Originalhandschrift zu Studienzwecken.
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moralisierenden Inhalts.209 Genauer lassen sich verschiedene Kategorien der Randbemerkungen unterscheiden: a) Inhaltszusammenfassende, so z.B. wenn es in der Glosse neben Światopełks Eingangsmonolog heißt: „Fortuna favens describit“ (neben Z. 145; bei der Stellenangabe der Randnotizen beziehe ich mich auf die Zeilenzählung des gedruckten Dramentextes in den Dramaty staropolskie, wo die Randnotizen aus Platzgründen ausgelassen wurden). Erymans Auftrittsmonolog begleitet die Beischrift: „Tyranni principes enumerantur et genera cruciatuum“ (neben Z. 197). b) Solche, die eine Sentenz aus dem Rollentext ziehen: „Aurum omne potest aequale“ bezieht sich auf die Stelle, wo Światopełk davon spricht, die Untertanen mithilfe des Geldsacks auf seine Seite zu bringen (neben Z. 177). Erymans Lobesworten auf Borys’ Tugend entspricht der Zusatz „Virtus plus potest quam pondus et copia auri“ (neben Z. 207). c) Auf die Affektlagen der Charaktere, insbesondere Światopełks, bezogene: an seinen Wutausbruch und die Anrufung der Unterwelt schließt sich der Eintrag „Affectus indignationis“ (neben Z. 614), an seinen Plan, den Bruder heimtückisch mit Gift zu beseitigen, „affectus furores dirae“ (neben Z. 728); auf des Zauberers Verheißung, alle diesem Zweck dienlichen Gifte dieser Welt zu sammeln, bezieht sich „affectus irae et maledictionis et furoris“ (neben Z. 757). Den Randnotizen nach zu urteilen, braust im II. Akt Światopełks Zornessturm am heftigsten in der 5. Szene, als er zunächst annimmt, das Gift habe Borys niedergestreckt – „Affectus irae, impetus mortis et caedes alterius“ (neben Z. 1028) – und als er erfährt, daß es an Stelle dessen Gamrot traf – „affectus furoris, irae“ (neben Z. 1076). Nach einem ähnlichen Schema der Vorfreude und enttäuschten Vorfreude, beide von den gleichen Affekten beherrscht, ist im III. Akt die 7. Szene aufgebaut: Światopełk hofft, die in der Wildnis umherirrenden Brüder würden von Löwen gefressen, dazu die Randnotiz „affectus irae et furoris“ (neben Z. 1905). Eine identische Notiz findet sich bald darauf, als er zur Rückkehr der Brüder und ihrer Anerkennung als Regenten Stellung nimmt und den neuen Mordplan ausheckt (neben Z. 1938). Im Unterschied zu den vorigen ist der IV. Akt gekennzeichnet durch Jarosławs Gemütsstimmung der Trauer um Borys und Hleb, „affectus doloris“, wie es in den Randkommentaren zu seinem Trauermonolog heißt (neben Z. 2332 u. 2338). Plausibel erscheint die Hypothese, die affektbezogenen Randnotizen könnten als zusätzliche Regieanweisungen für mimische und gestische Artikulation zu verstehen sein. In der Rhetorik, bzw. Dramentheorie der Jesuiten war die Zuordnung gestischer Zeichen zu den verschiedenen Affekten in allen Einzelheiten kodifiziert, zu nennen sind hier vor allem die Eloquentiae Sacrae et Humanae Parallela Libri XVI (Paris 1619) von Nicolas Caussin und Franciscus Langs 209 Dramaty staropolskie, Bd. VI, hrsg. v. Julian Lewański, Warszawa 1963, S. 690.
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Dissertatio de actione scenica (München 1727).210 Lang beschreibt, wie der Affekt des Zorns auf der Bühne repräsentiert werden muß: „Sobald er zu entbrennen beginnt, solange der Geist seiner selbst noch mächtig ist, zieht man gewöhnlich die Stirn in Falten, presst die Lippen zusammen, unternimmt jähe Schritte, vollführt häufigere Arm- und Handbewegungen; die Rede wird erregter, von Zeit zu Zeit unterbrochen und durch eingelegte Pausen entstellt; dann wirft man wilde Blicke auf die verhasste Person, wenn sie anwesend ist; ist sie nicht da, schleudert man ihr bittere Worte gewissermaßen durch die Luft entgegen, gestikuliert heftig, stößt die Finger gegeneinander, knirscht mit den Zähnen und tut anderes dieser Art, worin die Leidenschaft des Zorns sich ausdrückt.“211
Im Rahmen unserer umfassenderen Problematik des Intermedialen ist daher festzuhalten, daß über sprachliche Bildlichkeit in den einzelnen Personenreden hinaus visuelle Vorstellungen durch textinterne Hinweise auf das Affektgebaren der Charaktere evoziert werden können. Abschließend ist noch gesondert das pädagogische Interesse zu vermerken, auf das eine Glosse zu Jarosławs Schlußrede im Rat der Senatoren (IV, 1) verweist. Jarosław will Światopełk zum Tode verurteilen, sollte sich herausstellen, daß er den Mord an Hleb zu verantworten hat. Das Verhängen einer Kapitalstrafe gegen Familienangehörige rechtfertigt Jarosław mit dem römischen Vorbild des Manlius, der den eigenen Sohn wegen Mißachtung seines Befehls mit dem Beil tötete und so zum exemplum unerbittlicher väterlicher Strenge wurde. Die inhaltsbezogene Randnotiz „Interfecti filii ob inobedientia!“ (neben Z. 2237) enthält – wie keine andere sonst – ein Ausrufezeichen: der Schreiber suggeriert, daß Ungehorsam nicht nur Züchtigung oder schulischen Mißerfolg, sondern gar den Tod bedeuten kann, und unterstreicht wiederum den Vorrang der pragmatischen, erzieherischen Funktion des Textes. Aus den Randnotizen war nicht nur eine inhaltliche Bestätigung für die hauptsächliche Charaktereigenschaft Światopełks, den affectus irae, abzuleiten; vielmehr habe ich diese Randbemerkungen auch auf ihre Positionssemantik212 hin untersucht und fand, daß sie an Stellen auftreten, die entscheidend für die weitere Handlungsent210 Erika Fischer-Lichte, Semiotik des Theaters, Bd. 2, Tübingen 1983, Anm. 102, S. 189 f. 211 Franciscus Lang, Dissertatio de actione scenica, hg. u. übersetzt v. A. Rudin, München 1975, zit. nach Fischer-Lichte, Semiotik des Theaters, Bd. 2, S. 53 f. 212 Diesen Begriff entnehme ich Aage A. Hansen-Löves Abhandlung „Intermedialität und Intertextualität. Probleme der Korrelation von Wort- und Bildkunst – Am Beispiel der russischen Moderne“, in: Dialog der Texte (= Wiener Slawistischer Almanach, Sonderbd. 11), Wien 1983, S. 320. Hansen-Löve schreibt, für Wort-Bild-Beziehungen in der russischen Moderne sei kennzeichnend, daß sich die Aufmerksamkeit von der korrelativen Referenzfunktion der Wort- und Bildzeichen verlagere zu ihrer wechselseitigen syntagmatischen Position, d.h. zu ihrer Positionssemantik. Dieser Begriff erweist seine methodische Ergiebigkeit auch in rein sprachlichen Zusammenhängen.
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wicklung sind. Die Vorführung der Affekte beschreibt Scaliger in seiner Poetik als Ziel des Dramas überhaupt, die Handlung als zielführendes Mittel: „Docet affectus poeta per actiones, ut bonos amplectamur, atque imitemur ad agendum: malos aspernemur ob abstinendum. Est igitur actio docendi modus: affectus, quem docemur ad agendum. Quare erit actio quasi exemplar, aut instrumentum in fabula, affectus vero finis.“213
Ausgehend von dieser Prämisse stellt Benjamin die These auf, die Entwicklung der Dramatik im XVII. Jahrhundert sei dadurch gekennzeichnet, „daß die Darstellung der Affekte immer nachdrücklicher, die konturierte Ausprägung der Handlung aber, wie sie im Renaissancedrama nirgends fehlt, immer unsicherer wird. Das Tempo des Affektlebens beschleunigt sich dermaßen, daß ruhige Aktionen, gereifte Entscheidungen seltner und seltner begegnen.“214 Diese Verschiebung von rationaler Steuerung zu emotionaler Determination illustriert prototypisch der Tyrann: seine Willenskraft wird nach Benjamin zunehmend von der Empfindung gebrochen, bis er schließlich dem Wahnsinn anheimfällt.215 Als Beispiele für die Unterordnung der Handlung unter die Affekte sind die Tragödien Lohensteins zu nennen, „wo in einem didaktischen Furor die Leidenschaften in wilder Jagd einander ablösen.“216 Der lehrhafte Impetus der Barocktragödie im allgemeinen, nicht nur des Schuldramas, drängt sich auf; bezeichnend ist, wie schon Scaliger in dem obigen Zitat dreimal das Verb „docere“ in jeweils unterschiedlichen grammatischen Formen verwendet. Auch für den anonymen Verfasser der Kommunia Duchowna steht die Wissensvermittlung, wie vielfach und auf verschiedenen Ebenen des Textes aufgezeigt werden konnte, an erster Stelle: das böse Naturell Światopełks und sein schreckliches Ende soll zu moralischem Verhalten anregen, aber auch der Böse tritt – durch die zahlreichen exempla, mit denen er sein Handeln unterlegt – in den Dienst der Verbreitung von Kenntnissen über antike Geschichte und Mythologie. Zweitens wurde anhand des Verteilungsschemas der einschlägigen Randnotizen über das Textganze nachgewiesen, daß das Andrängen der Affekte hier nicht als Selbstzweck gilt, sondern im Zusammenhang mit der stufenweisen Handlungsentwicklung steht. Drittens ergeben sich durch die Exponierung leidenschaftlichen Zorns inhaltliche Parallelen zu den Dramen Senecas, deren Vorbildfunktion für die Renaissance- und 213 Julius C. Scaliger, Poetices libri septem, VII, 3 zit. nach: Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, Frankfurt 1982, S. 79. 214 Walter Benjamin, ebd. 215 Zugrunde liegt hier ein abstraktes Modell des Verhältnisses von kontrollierter Willenskraft vs. bis zum Affekt gesteigerter Emotion, die in Wahnsinn übergehen kann. Stoischaffektloses Leidenserdulden kennzeichnet die Märtyrer Borys und Hleb in der Kommunia Duchowna. Im Unterschied dazu schließt Gryphius’ Catharina von Georgien mit der Schreckensvision der Märtyrerin vom Untergang ihres Peinigers. Den anderen Pol haltloser Affektgetriebenheit repräsentieren die Tyrannen Światopełk, bzw. Chach Abbas. 216 Walter Benjamin, S. 80.
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Barocktragödie unbestritten ist.217 Unzählige Äußerungen über Zornesausbrüche in Senecas Stücken lassen sich mit seiner Abhandlung De ira in Verbindung bringen.218 Unsere Charakterzeichnung wäre unvollständig und würde eine wesentliche Komponente der didaktisch-moralisierenden Aussage des Stückes übersehen, wenn wir ein Merkmal außer acht ließen, das ausschließlich Światopełk im Eigenkommentar wiederholt für sich beansprucht, während es in den Fremdcharakteristiken unerwähnt bleibt. Nicht nur der Zorn an sich, „gniew“, sondern erst seine Paarung mit „dowcip“ (Witz, Intellekt) macht Światopełk wahrhaft gefährlich – und darin besteht seine eigentliche Spezifik gegenüber den rasenden Helden der Antike. Seneca beschrieb in De ira den Zorn in Anlehnung an Horaz als „zeitweiligen Wahnsinn“ und ging von der grundsätzlichen Unvereinbarkeit des Zorns mit der „Vernunft und klaren Überlegungen“ aus.219 Ganz anders ist Światopełk jedoch in der Lage, Widerstand gegen seinen ambitionierten Plan nicht nur mit Zorn, sondern mit scharfem Nachdenken zu quittieren. Eryman hielt den Geldsack zurück, unterließ die plumpe Bestechung, also will Światopełk die unverbrüchliche Parteinahme der Senatoren für Borys hintergehen, „kiedy dowcipnego / Zażyjem wynalazku. Więcej robić głową / Trzeba, kto chce królować, niż szablą marsową.“ (wenn ich eine sinnreiche / Erfindung gebrauche. Mehr mit dem Kopf machen / Muß, wer als König herrschen will, als mit dem Säbel des Mars. Z. 604 ff ) Die uneingeschränkt gültige, eines jeden Fürstenspiegels würdige Sentenz über die Kopfarbeit des Königs kompromittiert Światopełk selbst durch den vorangehenden und nachfolgenden Kontext seiner Rede: Verletzung des Briefgeheimnisses („Pokaż listy ... Otworzę“ – Zeig’ die Briefe ... ich öffne sie, Z. 595 u. 599) und Urkundenfälschung („charakter wyrażę / Tych, którzy listy piszą, jakoby radzili, / By mie za pana swego zgodnie ogłosili.“ – die Handschrift werde ich wiedergeben / von denen, welche die Briefe schreiben, wie wenn sie beraten hätten, / daß sie mich einstimmig als ihren Herrn ausrufen. Z. 630 ff ) ziemen sich idealiter nicht für den König, 217 Janina Abramowska, Stichwort „Tragedia“ in: Słownik literatury staropolskiej, Wrocław et al. 1990, S. 868. Abramowska zufolge beschränkt sich der Kanon der altpolnischen Tragödie auf ein originäres Werk, Kochanowskis Odprawa posłów greckich (aufgeführt 1578), ansonsten auf polnische Übersetzungen und Paraphrasen – zu nennen sind hier vor allem Ł. Górnickis Troas (1589), eine Übersetzung des Seneca-Dramas, S. Morsztyns Wiedergabe des Hippolytus von Seneca (um 1690) und J. A. Bardzińskis polnische Übertragung sämtlicher Tragödien Senecas Smutne starożytności teatrum (Trauriges Theater des Altertums, 1696). Vom Ende des 17. Jhs. an werden Tragödien in polnischer Sprache für das Schultheater der Jesuiten verfaßt (s. Abramowska, S. 869). 218 Theodor Thomann, „Seneca als Mittler der griechischen Tragödie“, in: Seneca. Sämtliche Tragödien. Lateinisch und deutsch, Bd. I, Zürich 1961, S. 29. 219 L. Annaeus Seneca, Philosophische Schriften. Lateinisch und deutsch, 1. Bd., Darmstadt 1969, S. 97.
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zeichnen vielmehr den Beginn einer kriminellen Karriere aus. Nochmals kompakt zusammen faßt Światopełk sein ‚intelligentes‘ Vorgehen und die strategische Überlegenheit des Scharfsinns gegenüber anderen Machtmitteln in der Auftrittsrede zu I, 8: „Jakom uradził pirwej, takem też wykonał. Odmieniłem styl. Listym chytrze pofałszował. ... Czego cnota, czego miecz i boje marsowe Nie dokażą i siły gdzie Herkulesowe Mdleją, tam dowcip wspiera i sposoby daje, Kędy siła i w złocie nadzieja ustaje. Mam otuchę, że mi się kunszty me powiodą I mądre wynalazki najmniej nie zawiodą.“ (Z. 667–678) Wie ich zuerst beschlossen habe, so führte ich es auch aus. Ich änderte den Stil. Die Briefe habe ich listig gefälscht. ... Was die Tugend, was das Schwert und die Kämpfe des Mars Nicht fertig bringen und wo die Kräfte des Herkules Ermatten, dort leistet der Scharfsinn Beistand und gibt Möglichkeiten, Wo Kraft und Hoffnung auf das Gold nachlassen. Ich habe Zuversicht, daß mir meine Kunststücke gelingen Und die klugen Erfindungen am wenigsten enttäuschen.
Wie hier gegen Ende des I. Akts, so beruft sich Światopełk nochmals explizit auf den Scharfsinn am Ende des II. und III. Akts. In II, 10 glaubt er sich nach Borys’ Ermordung am Ziel und spricht – gleichsam als Bestätigung seiner programmatischen Aussage im I. Akt und als Summe seiner staatsmännischen Erfahrung – ein dreimaliges Lob des Scharfsinns: „Dowcip może wiele / W tym, który niepierzchliwie ni też nazbyt śmiele / Na wiele się odważa. Dowcip mi zhołdował / Ruś, dowcip i po ojcu państwo ofiarował.“ (Scharfsinn vermag viel / Bei dem, der furchtlos, aber auch nicht allzu kühn / Vieles wagt. Scharfsinn ließ mir huldigen / die Rus’, Scharfsinn brachte mir nach dem Tod des Vaters auch den Staat als Gabe dar. Z. 1493 ff ). Auch ohne daß er die direkte wörtliche Benennung „dowcip“ verwendet, hat Światopełks Gewitztheit der Sache nach Rückhalt zum einen in seinen Handlungen selbst, zum anderen in sinnverwandten Bezeichnungen. Er täuscht seinen Thronverzicht vor (Z. 753 ff ), er befiehlt die Maskerade von Borys’ Mördern als Pilger (Z. 1091), seinen Brüdern läßt er von einem (kunst-)blutverschmierten Höfling jeweils vorspiegeln, Jarosław plane Krieg gegen Hleb und umgekehrt (Z. 1529 ff ). Wie die Höflinge dabei zu verfahren haben – „chytrze“ (listig, schlau, Z. 1530) – bestimmt er in Anlehnung an sein eigenes Vorgehen im I. Akt (Z. 668). In das semantische Feld von „dowcip“ gehören weiter die schon erwähnten „kunszty“ (Kunststücke, Z. 677) und „mądre wynalazki“ (klugen Erfindungen, Z. 678); mit „fortel“ (Kunstgriff, Z.
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1927) bezeichnet er den trickreichen Plan, seine Brüder in der Wüste töten zu lassen und dies als Jagdunfall zu tarnen. Den Gipfelpunkt des Bösen erreicht Światopełk am Ende des III. Akts, als er den höchsten Einsatz, den Verlust seines Seelenheils, wagt, um an die Macht zu kommen. Er will Hleb den Thronverzicht vortäuschen, ihn persönlich auf seine Güter einladen und auf der Überfahrt über die Düna erstechen lassen. Diesen Plan leitet er ein mit der Sentenz „Mają swój dowcip gniewy powolny do złego, / Natura prędszy sposób aniż do dobrego.“ (Zorneswallungen eignet ein Scharfsinn willfährig zum Bösen, / Von Natur aus ein geschwinderer Weg als zum Guten. Z. 1943 f.) Beide Schlüsselbegriffe „dowcip“ und „gniewy“ sind hier kombiniert und dem Bösen schlechthin zugeordnet. Den teuflischen Ursprung von Światopełks Scharfsinn hatte die Scena quinta ludicra unmittelbar bloßgelegt (mit den Intermedien zur Kommunia Duchowna werden wir uns im nächsten Kapitel „Außenstandpunkt und Rahmen“ beschäftigen). Noch vergleichsweise harmlos war Światopełks Verfehlung, der Bestechungsauftrag an Eryman, in I, 1 gewesen; schon tritt im komischen Zwischenspiel (I, 5) Diabolus auf, beklagt sich über die schlechte Ertragslage und daß man ihm in der Hölle vorwirft, er sei ein träger junger Kater, nicht pfiffig genug. Abhilfe verspricht er sich von seinem Scharfsinn: „Teraz dowcip pokażę, kiedy będę radził / Światopełkowi, aby swoję bracią zgładził, / A sam na państwo wstąpił.“ ( Jetzt beweise ich meinen Scharfsinn, wenn ich / Światopełk den Rat geben werde, seine Brüder umzubringen, / Und selbst die Herrschaft anzutreten. Z. 445) Über die lexikalische Identität – „dowcip“ in den Personenreden des Teufels und Światopełks – wird eine charakterliche suggeriert. Zusammenfassend kann man abstrahieren, daß Światopełk von seiner negativen, perversen Intelligenz im Dienst der Affekte zum Ausstreuen falscher Zeichen, zur Vermehrung der Scheinhaftigkeit der Welt verführt wird. Progredient ist seine Lasterhaftigkeit von bescheidenen Anfängen bis zu seiner leibhaftigen Täterschaft und dem Wunsch nach Einverleiben des brüderlichen Blutes. Zunächst begnügt er sich noch mit der Fälschung der Briefe an die Senatoren, einer schriftlichen Maske, die den lügenhaften Inhalt überdecken soll („charakter wyrażę“ – die Handschrift werde ich wiedergeben, Z. 630; „Odmieniłem styl“ – ich änderte den Stil, Z. 668); dann verzerrt er die moralischen Parameter der Weltwahrnehmung seiner Brüder, d.h. Borys glaubt anhand des vergifteten Briefs, Światopełk wolle ins Kloster eintreten, Hleb und Jarosław läßt er feindselige Absichten gegeneinander unterstellen. Die Peripetie des ganzen Stückes begründet der einzige direkte Dialog Światopełks mit einem seiner Brüder, Hleb. Falsches Mienenspiel und heimtückische Verstellung gegenüber dem kleinen Bruder, die Verdeckung des Mordplans mit süßlichen Anreden wie „O Hlebie ulubiony ... mój Hleb“ (O liebster Hleb ... mein Hleb, Z. 1974 u. 1979) ziehen als gerechte Folge der höchstpersönlichen Intervention schließlich auch den physischen Untergang Światopełks nach sich.
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Mehrmals wiederholt und mit Konnotationen des Teuflischen versehen, ist der Begriff „dowcip“ (Scharfsinn) in unserem Stück keineswegs weltanschaulich neutral. „Dowcip“ (poln. Entsprechung zu ingenium, esprit, wit, ingegno, Witz) kann vor dem Hintergrund seiner Verwendungskontexte im 16. und 17. Jh. im wesentlichen drei Bedeutungsbereiche220 umfassen: • intellektuelles Vermögen; in einem spezielleren Sinn auch dichterisches Talent, das von den metaphysischen Regionen des furor poeticus ins Psychologische verlegt wird. So beschreibt Kochanowski den Dichter als jemanden, „komu dowcipu równo z wymową dostaje“221 (dem Einfallsreichtum und Redegabe gleichermaßen zukommen) • rhetorisches Stilmuster im Sinne concettistischer Theorien • höfisches Verhaltensideal, wie es z.B. in Łukasz Górnickis Dworzanin (Der Höfling. 1566) dargestellt wird. Wir wollen uns nicht einseitig für die philologische Spekulation entscheiden, daß in der negativen Auffassung von „dowcip“ in der Kommunia Duchowna eine metapoetische Verurteilung spitzfindiger Schreibweise enthalten sein könnte (eine These, die immerhin durch den weitgehend acumen-freien Stil des Dramentextes unterstützt würde). Vielmehr geht es um die ethische Dimension listig-durchtriebenen Verhaltens, die Światopełk in Kontrast setzt zur Lauterkeit seiner Brüder, bei denen Worte und Gedanken übereinstimmen. Aus den Personenreden selbst können wir keinen entsprechenden komplementären Gegensatz zu „dowcip“ herauslösen. Versuchsweise möchte ich aber die für den Gesamttext festgestellte Stilqualität der „perspicuitas“ auf die Ebene der Charaktermerkmale übertragen und einheitlich den Brüdern Światopełks zuordnen. Die eingehende Beschäftigung mit Światopełks Charakter in seiner handlungstragenden Funktion läßt ihn bereits als Protagonisten erkennen, sein Monolog umfaßt Beginn und Ende der Tragödie; auch in den wenigen Szenen, in welchen er nicht selbst auftritt, fällt entweder sein Name (I, 3) oder ist er durch das von ihm inszenierte Verwirrspiel virtuell anwesend (III, 1–5). Die Nennung von Borys und Hleb als Hauptpersonen im Dramentitel Kommunia Duchowna S. S. Borysa y Hleba steht dazu nur in scheinbarem Widerspruch: als Heilige kommt ihnen die geistige Teilhabe an der himmlischen Sphäre zu, sie sind Protagonisten in einem anderen Raum, d.h. der Titel löst die überzeitliche Bedeutung der eigentlichen Spielhandlung heraus. Grundlegend für unser Stück ist die antithetische Konstellation der Hauptfiguren, Światopełks Kampf gegen seine Brüder, der eine Reihe von oppositiven Eigen220 Barbara Otwinowska, Stichwort „Ingenium“, in: Słownik literatury staropolskiej, Wrocław et al. 1990, S. 301–304. 221 Kochanowski, Pieśni II 19, 13, zit. nach Otwinowska, „Ingenium“, S. 303.
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schaftspaaren und Zuordnungen bedingt: böse – gut, Machtgier – Machtverzicht, aktiv – passiv, affektunterworfen – affektlos, Brudermord – Bruderliebe, Tyrann – Märtyrer, Furcht – Mitleid, Laster – Tugend, gottlos – fromm, unten – oben, Hölle – Himmel, Heidentum – Christentum. Dabei sind die Extreme auf die Spitze getrieben, wie Gracián unter Berufung auf die Ständeklausel festgelegt hat: „Könige mißt man nach keinem Mittelmaße. Man rechnet sie entweder unter die gar guten / oder unter die gar bösen.“222 Untereinander sind die Brüder Borys, Jarosław und Hleb kaum individualisiert, sie betreten den Schauplatz einzeln nacheinander in Abhängigkeit von Światopełks Aktionen, zuerst Borys, dann Jarosław und Hleb. Im Prinzip läßt sich hier Veltruskýs These anwenden, determinierte Charaktere würden vom Autor ad hoc geschaffen, je nach den Anforderungen des dramatischen Dialogs.223 Die Hauptfiguren in der Kommunia Duchowna sprechen nur selten miteinander – Hleb und Jarosław treffen sich in der Einöde, zunächst inkognito, dann folgt das Wiedererkennen (III, 5; 6); Światopełk besucht Hleb, um ihn in die Falle zu locken (III, 8); Jarosław läßt Światopełk verhaften (IV, 3). Sofronova zeigt die Möglichkeit auf, daß sich die Helden im Schuldrama während des ganzen Stückes nicht begegnen, dafür aber ihre grundlegenden Funktionen, bzw. Attribute in Wechselwirkung miteinander treten, welche die Bedeutung des Stückes ausmachen. So wirkten Schuldramen bei aller inneren Spannung häufig nicht dynamisch.224 Das dramatische Potential, bzw. der innere Impuls (in der Terminologie Veltruskýs) von Światopełks rechtschaffenen Brüdern geht gegen Null, seinen Aktionen lassen sie bis zum Ende des III. Akts kaum Reaktionen folgen. Borys wird eingeführt als Vertreter einer ideologischen Gegenposition zu Światopełks ehrgeizigem Machtstreben, nicht aber als Gegenspieler (I, 4). Später erscheint Jarosław (II, 7), dann Hleb (II, 11) erstmals auf der Bühne mit der Klage um den toten Borys und dem Wunsch, lieber selbst an seiner Stelle gestorben zu sein. Ihrem vermeintlichen beiderseitigen Thronstreit begegnen sie mit dem Rückzug in die Einöde. Die theoretische Begründung dieses Interessenverzichts in den politischen Auseinandersetzungen findet sich in den jeweiligen Vanitasmonologen der drei Brüder, beginnend mit Borys’ programmatischer Auftrittsrede: „Mają to królewskie mitry i książęce trony, Mają berła monarchów, cesarskie korony, Że nowe tesknice w sercach, nowe niecą bole; Lubo zdobi korona, cierniem jednak kole. Nie masz nic statecznego; z lotnym ubiegają Wszytkie sukcesa czasem i statku nie mają. 222 Lohensteins Übersetzung (Breslau 1676) von Graciáns El político Don Fernando el Católico, S. 123 zit. nach Benjamin, 1982, S. 51. 223 Veltruský, Drama as Literature, S. 70. 224 Sofronova, Poėtika slavjanskogo teatra, S. 181.
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I dziś pogodną twarzą fortuna przyświeca, A wkrótce utajone znowu gniewy wznieca. Więcej wierzam na ledzie literom pisanym, Więcej śniegom i więcej statkom ufam sklanym [sic] Aniżeli fortunie. Zawszem równał z kwiatem Honory225 i bogactwa, który ginie z latem. Izali nie igrzysko sobie założyła Fortuna w ludziach, gdy się tak przeniewierzyła, Kiedy z tronu do pługu monarchom kazała, Berła z radłem, koronę z motyką równała? Nie wierzam tej obłudzie, która jako rosa Opada, kiedy słońca ognistym niebiosa Krąży wozem Phaeton, w biegu tchnie płomieniem, Sciężała mgła osiada i ginie swym cieniem. Taż się w honorze każdym w prawdzie znajdzie zdrada, I kto się wyżej podniósł, ten ciężej upada. Insze zamysły moje, gardzę próżnościami I wziętymi u świata gardzę honorami.“ (Z. 253–276) Mit sich bringen Königshüte und Fürstenthrone, Mit sich bringen Monarchenszepter, Kaiserkronen, Daß sie neue Melancholie in den Herzen, neue Leiden entfachen; Mag die Krone auch schmücken, sticht sie dennoch mit einem Dorn. Es gibt nichts Beständiges; mit der flüchtigen Zeit entschwinden Alle Erfolge und haben keinen Bestand. Wenn auch heute mit heiterem Gesicht Fortuna hold ist, Wird sie doch bald wieder heimlichen Zorn erregen. Eher glaube ich Buchstaben, die auf Eis geschrieben sind, Eher traue ich Schnee, eher gläsernen Schiffen Als der Fortuna. Immer verglich ich mit einer Blume, 225 Die von Jurij Lotman erörterte Begriffsopposition „Ehre“ (čest’) – „Ruhm“ (slava) läßt sich auch anhand der Kommunia Duchowna nachweisen: Borys benennt mit dem Begriff „honor“ (Ehre, čest’, Z. 264, 273, 917) „das Attribut einer bestimmten sozialen Kategorie“ und begreift es „als Ausdruck einer Würdigung in Form einer materiellen Belohnung mit Zeichencharakter“. Im Unterschied dazu ist der Begriff „gloria“ (Ruhm, slava) als „Kennzeichen einer anderen, einer höheren Stellung seines Trägers auf der Leiter der sozialen Wertigkeit“ in unserem Text Gott vorbehalten, wie aus der allen Jesuitendramen gemeinsamen Schlußformel „Ad M.(ajorem) D.(ei) G.(loriam) B.(eatae) V.(irginis) M.(ariae) honorem“ hervorgeht. Innerhalb der Formel ist wiederum die hierarchische Abstufung von Gott (gloria) zu Maria (honor) im Sinne Lotmans bezeichnend. Im Mittelalter (und auch in unserem Text aus der Barockzeit) wurde zwischen den beiden Begriffen, die heute als Tautologie erscheinen, genau differenziert. S. dazu Jurij Lotman, „Die Opposition ‚Ehre‘ – ‚Ruhm‘ in weltlichen Texten der Kiewer Periode“, in: ders., Kunst als Sprache. Untersuchungen zum Zeichencharakter von Literatur und Kunst. Leipzig 1981, S. 244 u. 248 f.
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Die mit dem Sommer vergeht, Ehren und Reichtümer. Machte sich nicht ein Spiel mit den Menschen Fortuna, wenn sie so untreu wurde, Daß sie Monarchen befahl, vom Thron zum Pflug [zu wechseln], Szepter mit dem Hakenpflug, die Krone mit der Hacke gleichmachte? Ich glaube dieser Täuschung nicht, die wie der Tau Abfällt, wenn mit der Sonne feurigem Wagen Phaeton Die Himmel umkreist, in seinem Lauf Flammen atmet, Der lastende Nebel sich niedersenkt und mit seinem Schatten verschwindet. So findet sich in jeder Ehre in Wahrheit Verrat, Und desto tiefer fällt, je höher sich einer erhoben hat. Anders sind meine Absichten, ich verachte Eitelkeiten Und weltliche Ehrenstellungen verachte ich.
Borys entsagt der Fürstenmacht und Eitelkeit der Welt mit dem Argument, daß sich die Unbeständigkeit Fortunas in besonderem Maße gegenüber der Spitzenstellung des Monarchen auswirkt. Diesen Standpunkt wiederholt er am Beginn des II. Akts und beschließt, um nicht mit den Sorgen einer herausgehobenen Stellung seinen inneren Seelenfrieden zu belasten, die Fürstentümer an den älteren Bruder abzutreten („Podwyższonych fasoły ... wnętrzny sercu pokój odejmują, Z. 925 ff; „Ustąpię bratu księstwa“, Z. 931; „A ja spokojny żywot obieram“, Z. 965); vgl. den in I, 4 (Z. 308) geäußerten Thronverzicht. In seiner Haltung – der constantia gegenüber den Verlockungen irdischer Macht – und in der fast wörtlichen Berufung auf die tranquillitas animi („wnętrzny sercu pokój“ – innerer Friede des Herzens) vertritt Borys Grundwerte neostoischer Philosophie. Damit sind die Wesensmerkmale bestimmt, die er in dieser Welt Światopełk und seiner rastlosen Getriebenheit durch niedere Affekte entgegensetzt. Für den Sinn des Stückes im Ganzen wesentlich bedeutsamer ist es, Borys ‚nicht von dieser Welt‘ erscheinen zu lassen und mit Światopełk als Werkzeug des Satans zu konfrontieren. Borys’ Anwartschaft auf Heiligkeit vermittelt der Text durch die Bibelzitate, mit denen er weniger sein Handeln, als seine jeder Pragmatik des common sense zuwiderlaufende Zurückhaltung argumentativ unterlegt. Die Warnung der Senatoren, Światopełk werde in seiner Machtgier einen Bruder nach dem anderen umbringen, und ihre Forderung, ihn zu töten oder zu verbannen, lehnt Borys ab mit dem Verweis auf Exempla im Alten Testament – Kain und die grausamen Brüder Josephs (Z. 302–304). Als Borys auf dem Weg zu Światopełk Furcht überkommt, schickt er seine Diener weg, um sich im Gebet zu stärken, anstatt sie zu erhöhter Wachsamkeit und Kampfbereitschaft anzuhalten. Unter Berufung auf den hl. Paulus (Z. 1149; vgl. Der Brief an die Epheser, 6, 13) vertraut er der christlichen Waffenrüstung: „Bóg mi tarczą, Bóg piersi do boju uzbroi“ (Gott ist mir Schild, Gott wappnet die Brust zum Kampf, Z. 1153). Davon zu unterscheiden sind die Textstellen, die gezielt auf die Nachfolge Christi anspielen. Borys ahnt, daß der Anschlag auf Gamrot eigentlich ihm gegolten hat, und erklärt, lieber selbst den Tod
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auf sich zu nehmen, bevor noch weitere Unschuldige sterben: „By nie ginęli za mnie, z Jonaszem obieram / Śmierć chętnie i doczesny ten żywot zawieram.“ (Damit sie nicht für mich sterben, wähle ich mit Jonas / den Tod bereitwillig und beende dieses zeitliche Leben. Z. 943 f.) Aus der Sicht theologischer Typologie, die Ereignisse aus dem Alten Testament als Präfigurationen (Typus) von Begebenheiten aus dem Neuen Testament (Antitypus) deutet226, gilt Jonas als Vorbote der Auferstehung: Er war ins Meer geworfen worden, damit seine Mitreisenden nicht umkamen; nach drei Tagen im Leib des Walfischs, der ihn verschlungen hatte, kam Jonas wieder hervor (Der Prophet Jona, Kap. 1 und 2). Dem Kreuzigungsbericht im Lukasevangelium (Lk. 23, 34 und 46) sinngemäß nachgebildet, teils wörtlich zitiert sind Borys’ Bitte um Vergebung für die Feinde und die letzten Worte, mit denen er seinen Geist in Gottes Hände empfiehlt: „Ustaniesz wnet, języku, lecz, krwi, nie ustawaj, Wylana, ale głosem twym Boga wyznawaj. Nie chcę, byś krwią Ablową nieba przeraziła, A boską sprawiedliwość na moich zwaliła Nieprzyjaciół. Daruję, z serca wam daruję I krzywd moich, potwierdzam z serca ustępuję. Boże, przyjmij, z tą krwią w ręce ducha daję, Już mi z mową i żywot odjęty ustaje.“ (Z. 1265–1272) Bald wirst du ruhen, Zunge, aber Blut, komm’ nicht zum Stillstand, Vergossenes, sondern bekenne Gott mit deiner Stimme. Ich möchte nicht, daß du mit Abels Blut die Himmel erschreckst, Und die Gerechtigkeit Gottes herabstürzen läßt auf meine Feinde. Ich vergebe, von Herzen vergebe ich euch Und das Unrecht an mir, ich bekräftige es, lasse ich von Herzen nach. Gott, nimm an, mit diesem Blut gebe ich in Deine Hände meinen Geist, Schon wird mir mit der Rede auch das Leben genommen und hört auf.
Aus diesem Sterbepassus gehen nicht nur die christologischen Bezüge, sondern auch die Selbststilisierung als Blutzeuge, bzw. Märtyrer hervor. Borys will mit seinem Blut Zeugnis ablegen für den Glauben (Z. 1266), nicht Rache provozieren. Er gibt damit die Interpretationsanweisung zu seiner ‚Blutrhetorik‘ vor, die ihm nach dem Versagen der menschlichen Sprache noch bleibt. Deutliche Parallelen zur Leidensgeschichte Christi weisen auch zwei Fremdkommentare auf. Borys’ zweiter Diener kommt schließlich zurück und findet seinen Herrn: „Ciszej, wszak przed namiotem oto krzyżem leży.“ (Leiser, er liegt ja hier vor dem Zelt mit kreuzförmig ausgestreckten Armen. Z. 1297) In Jarosławs Totenklage (die zugleich seine Auftrittsrede ist) klingt die Übereinstimmung der durchbohrten Seite von Borys mit 226 Friedrich Ohly, „Typologie als Denkform der Geschichtsbetrachtung“, in: Typologie (hrsg. v. Volker Bohn), Frankfurt am Main 1988, S. 22 f.
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der Seitenwunde Christi an: „Bodajby utkwiało / We mnie ostrze, które-ć bok srodze przekopało.“ (Wenn doch in mir / die Klinge steckte, welche Dir die Seite unbarmherzig durchbohrte. Z. 1331 f.) Nach Borys’ Tod designieren die Senatoren Hleb zum Thronfolger. Im Gegensatz zum gottlosen Tyrannen Światopełk ist er für sie „Pan taki łaskawy, / Którego są wiadome świątobliwe sprawy.“ (Ein so gütiger Herr, / dessen gottgefällige Belange allgemein bekannt sind. Z. 1461 f.) Hleb hebt sich charakterlich von den anderen ‚guten‘ Brüdern allenfalls durch äußerste Bescheidenheit ab; als ihm durch Światopełks Intrige kriegerische Absichten unterstellt werden, reagiert sein Kundschafter Koland verständnislos: „Prawda, nie wiem co do boju, co pana lichego / Wzbudza, przedtem nad wszytkie bracia skromniejszego.“ (Wahrhaftig, ich weiß nicht, was meinen genügsamen Herrn zum Kampf / Anstachelt, den zuvor bescheidensten aller Brüder. Z. 1649 f.) Bis hin zur Selbstentwertung übersteigert Hleb diese Fremdcharakteristik mit der Beschwörung, nicht weltliche Ehren, sondern nur Gott zu suchen: „Choćbym miał być pomiotłem, by po mnie deptano, / Choćby mną jakoby czym nikczemnym rzucano – / Nie stoję o godności, o twój [Bóg] honor stoję,“ (Wenn ich auch ein Ofenwischer sein müßte, wenn man nach mir träte, / Wenn man auch mit mir wie mit etwas Nichtswürdigem herumwerfen würde – / Es geht mir nicht um Würden, um Deine [Gott] Ehre geht es mir, Z. 1969 ff ). In seinen letzten Worten äußert Hleb die Hoffnung, „Że przymiesz w ręce twoje, Ojcze, mego ducha.“ (Daß Du annimmst in Deine Hände, Vater, meinen Geist. Z. 2148) So bekräftigt er, sowohl im Wortlaut als auch im Nachvollzug der Leidenserfahrung auf den Dramentitel Kommunia Duchowna S. S. Borysa y Hleba rückverweisend, die geistliche Gemeinschaft mit Christus und seinem Bruder Borys. Hlebs Erhebung in den Rang der Heiligen deuten die Topoi des unschuldig vergossenen Blutes („Krew niewinną“, Z. 2149; „niewinnej krwie“, Z. 2202) und der grausamen Marter („Hleb okrutnie zamęczon“, Z. 2198; „skatowanie“, Z. 2314) an. Die spezifische Stilisierung von Hlebs Christusnachfolge erhellt aus der Beschreibung des Ortes, an dem Jarosławs Bote den toten Hleb auffand. Das Rahmenpersonal der Krippendarstellung – kniende und betende Hirten, singende Engel – wird im Botenbericht visuell in Szene gesetzt: „Napadłem na pasterzów, którzy przyklękając Nabożnie się modlili. Pytałem, dlaczego; Mianowali, że wielki orszak Anielskiego Wojska nad lasem widzą, jam tylko śpiewaniem I wdzięcznym przywabiony głosów rozbieraniem Głębiej w lasek postąpił, alić (ach, czy jawić?), Wargi mi się ścinają, nie wiem, jako prawić.“ (Z. 2188–2194) Ich traf auf Hirten, die niedergekniet waren Und fromm beteten. Ich fragte, warum; Sie gaben an, daß sie den großen Zug eines Engels-
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Heers über dem Wald sehen, ich ging, nur durch Gesang Und anmutigen Widerhall von Stimmen angelockt, Tiefer in das Wäldchen hinein, aber (ach, soll ich’s kundtun?), Die Lippen erstarren mir, ich weiß nicht, wie ich’s sagen soll.
Der Bote gibt die Beschreibung aus einer doppelten Perspektive wieder, nämlich der eigenen Beobachtung und vom äußeren Standpunkt der Hirten aus. Deren Erzählung von der Wundererscheinung des Engelsheers beglaubigt der Bote, indem er die Vision in ihrer akustischen Präsenz und deiktischen Funktion an den eigenen Standpunkt rückbindet – die lieblichen Stimmen weisen ihm den Weg zu Hlebs Leiche. Es liegt also nahe, die Zeichen, die an Borys und Hleb nach ihrem Tode offenbar werden – durchbohrte Seite und Engelschor –, als Kontrafakturen zu den Ereignissen vom Sterben und der Geburt Christi zu sehen. Hlebs Tod ist gleichzeitig dasjenige Ereignis, das Jarosławs Wandlung zum Staatsmann und damit eine gewisse Entwicklung seines Charakters auslöst. Bis dahin hatte er, ähnlich wie Borys und Hleb, konsequent seinen Machtverzicht erklärt und programmatisch ein bildkräftiges Vanitas-Gedicht über die Nöte des Fürstenstandes, verglichen mit den sturmumtosten, hochragenden Zedern des Libanon und dem schutzlos den Naturgewalten ausgelieferten Olymp, vorausgeschickt (III, 3). Kampflos überläßt Jarosław seinem scheinbar ehrgeizigen Bruder Hleb das Feld und entscheidet sich für das Einsiedlerleben (III, 3, Z. 1721 ff ), nach dem Wiedererkennen und Aufdecken der Intrige folgt das wechselseitige Abtreten der Herrscherwürde (III, 6, Z. 1859 ff ); die Ablehnung weltlicher Ehren erneuert Jarosław, bevor er Hleb vor Światopełks Mordanschlag warnt (III, 10, Z. 2081 f.) und nach seiner Lobrede auf das Landleben (IV, 1, Z. 2176 f.). Auf den zweiten Brudermord aber reagiert Jarosław weder mit hilfloser, sentimentaler Klage noch mit widerstandsloser Übernahme der nächsten Opferrolle, sondern mit der (bereits oben analysierten) Verfluchung des Übeltäters: in dieser dem genus iudiciale zugehörigen Rede erwähnt er explizit den Begriff „sprawiedliwość“ (Gerechtigkeit, Z. 2203), der seine Autorisierung als Thronfolger begründet und seinen markantesten Wesenszug beschreibt im Kontrast zu Światopełks Zorn und der Heiligkeit der ermordeten Brüder. Aus dem Katalog der in den Fürstenspiegeln der Antike und des Mittelalters tradierten Herrschertugenden wird die Gerechtigkeit herausgegriffen und an Jarosław exemplarisch vorgeführt. Zum einen fallen hier seine zahlreichen direkten Bezugnahmen auf der Ebene der elocutio auf (Z. 2238; 2250; 2317; hinzu kommen Fremdkommentare, die Gerechtigkeit fordern, bzw. in Aussicht stellen: Z. 2373; 2398). Zum anderen soll Jarosław der Sache nach gerecht wirken, weil er zusammen mit den Senatoren eine Beratung abhält über den Brudermörder (allerdings ohne dem Delinquenten eine Stimme vor Gericht zu geben – Światopełks Selbstverurteilung wird in der letzten Szene nachgeliefert). Mit einiger Bemühung kann man auch die Weisheit und Milde des christlichen Herrschers herauslesen, wenn Jarosław für eine Um-
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wandlung des Todesurteils227 in Verbannung plädiert in der Überzeugung, es bedeute wiederum die gleiche Sünde, die Morde mit reziproker Kapitalstrafe zu ahnden (Z. 2417 f.). Frömmigkeit hatte Jarosław bereits bewiesen, als er sich von den Senatoren mit dem Argument, der Glaube müsse verteidigt werden, zum Verlassen der Einöde bewegen ließ (Z. 1863 ff ). Insgesamt nach dem Umfang des Personenkontexts und der quantitativen Verteilung auf die genannten Themen Totenklage (in II, 7; II, 12; IV, 3), Thronverzicht, Fürstenamt zu urteilen, tut sich Jarosław weniger durch energische Tatkraft hervor, als durch rhetorische Kompetenz in den drei genera dicendi. Gerade darin erweist sich aber vor allen anderen Merkmalen, daß er den Anforderungen an den modernen Staatsmann des 17. Jahrhunderts gewachsen ist, wenn er auch als historische Figur des Mittelalters, aber doch im zeitgenössischen Habitus auftritt. Die Personen unseres Stückes (wie auch der Schuldramen im allgemeinen) lassen sich in drei hierarchisch nacheinander gestaffelte Gruppen einteilen228: an erster Stelle stehen die Hauptfiguren, die Träger eines besonderen Charaktermerkmals, bzw. Attributs; häufig zeichnen sie sich durch Passivität aus – bei der Typisierung der Fürstensöhne im einzelnen bin ich gegebenenfalls auch darauf eingegangen. Die zweite Gruppe ist abhängig von der ersten, unterstützt sie in ihren Absichten durch Beratung oder Ausführung von Befehlen, nimmt eine aktive Rolle ein und beeinflußt die Handlung – dazu gehören der Schatzmeister Eryman, die Senatoren, Światopełks Helfer Gamrot. Zur dritten Gruppe schließlich zählen Diener und Boten; sie stellen die Verbindung zwischen der ersten und zweiten Gruppe her. Ebenfalls in diese Kategorie einzureihen sind die Figuren der Intermedien – diese hat das folgende Kapitel „Außenstandpunkt und Rahmen“ zum Gegenstand, daher bleiben sie einstweilen unberücksichtigt. Die Rolle der Senatoren beschreibt Eryman in seiner einführenden Charakteristik: „Owóż są i przedniejsi, którzy nachyloną / Z Atlasem dźwigną Rusią, ojczyźnie obroną / Będą, niezmożonymi wesprą ją karkami, / Zdrowymi przyszłym klęskom zabiegą radami.“ (Nun sind die Vortrefflichsten da, welche die gebeugte / Rus’ mit Atlas emporheben, dem Vaterland Schutz / Sein, es mit unbesiegbaren Nacken stützen werden, / Mit heilsamen Ratschlägen künftigen Niederlagen zuvorkommen. Z. 211 ff ) Auf der Senatorenversammlung ruht die Last der Verantwortung für den Staat, frei von Privatinteressen setzen sie sich für das Gemeinwohl ein, wie schon aus dem Verzicht auf Personennamen und ihrer schlichten Durchnummerierung (Senator primus – quartus) hervorgeht. In der Ratsversammmlung (I, 3) ernennen sie Borys zum neuen Regenten und unterzeichnen ein entsprechendes Dokument; Światopełks Anspruch auf den väterlichen Thron lehnen die 227 Die Ablehnung der Todesstrafe ist wohl auch begründet durch das politische Kalkül des summum bonum für das Staatswesen, die Verantwortung für die beste Staatsform. 228 Sofronova, Poėtika slavjanskogo teatra, S. 176 f.
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Senatoren und Eryman einhellig ab, weil ihm Gewalt und Bestechung Mittel zum Zweck sind: „Światopełk na tron ojca już się gwałtem wdziera / I złotym kluczem drogę do niego otwiera.“ (Światopełk drängt sich schon auf den Thron seines Vaters mit Gewalt / Und öffnet den Weg zu ihm mit goldenem Schlüssel. Z. 221 f.) Seine Grausamkeit läßt Vernichtung und Blutvergießen befürchten, das „Lechowe słabe i Tatarskie strzały / W narodzie naszym dotychczas nie dokazały.“ (die schwachen lechischen und tatarischen Pfeile / In unserem Volk bis jetzt nicht zustande gebracht haben. Z. 231 f.) Besonders schwer wiegt die Bedrohung der politischen Freiheit: „wolność nam w okowy zamieni.“ (die Freiheit tauscht er uns gegen Fesseln aus. Z. 234) Kraft ihrer Autorität erlauben sich Eryman und die Senatoren scharfe Kritik an Borys’ staatsgefährdender Verweigerungshaltung, seinem Mangel an Willensstärke und Standhaftigkeit in der Bewahrung weltlicher Herrschaft, des Erbes seiner Vorfahren (Z. 277–284). Den Standpunkt der Senatoren, Staatsräson gebiete die Tötung Światopełks, lehnt Borys aus religiöser Überzeugung und unter Hinweis auf den besonders verwerflichen Frevel des Brudermordes ab (Z. 297–308). Das Stück enthält also nicht nur die für Jesuitendramen geforderte materia sacra et pia, sondern auch Ansätze zu einer diesseitsbezogenen politischen Anthropologie: In den staatstheoretischen Schriften des Ordens wurde die Legitimität des Tyrannenmordes diskutiert. Im Gegensatz zu denen, die jede politische Gewalt in Anlehnung an den Römerbrief („Jedermann unterwerfe sich der obrigkeitlichen Gewalt; denn es gibt keine Gewalt außer von Gott“, Rm 13,1) für unantastbar hielten, gestanden die Jesuiten als letztes Mittel das Widerstandsrecht zu gegen unrechtmäßige Eroberer und Herrscher, die sich zum Tyrannen entwickelten. Juan de Mariana (De rege, 1599) und Roberto Bellarmino (De Officio Principis christiani, 1619) betrachten die Person des Fürsten nicht als sakrosankt, auch ihm haften menschliche Schwächen an, also ist bei seiner Erziehung besondere Sorgfalt anzuwenden. Grundsätzlich aber galt das Ideal des christlichen Herrschers – in deutlicher Distanzierung von Machiavelli – und der Vorrang des Religiösen vor dem Politischen.229 Genau dieser Prioritätenverteilung entspricht das Argument, mit dem die Senatoren Hleb und Jarosław als widerwillige nächste Thronanwärter im Nu aus der Einöde locken: 229 Jean-Marie Valentin, „Jesuitenliteratur als gegenreformatorische Propaganda“, in: Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte, Bd. 3: Zwischen Gegenreformation und Frühaufklärung: Späthumanismus, Barock, 1572–1740. Reinbek 1985, S. 184 ff. Mit ihrer Ausrichtung an aristotelisch-thomistischem Gedankengut vertraten die Jesuiten eine staatsfreundliche Haltung, ausgehend von der Bestimmung des Menschen als von Natur aus sozialem Wesen. Hingegen sahen Augustinus und Luther in der irdischen respublica eine der Strafen, die der Sündenfall nach sich gezogen habe, ebd., S. 183 f.
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„Możecie nami wzgardzić, ale uczynicie Dla Boga i do rządów serca nakłonicie. Jeśli sie tajemnego żywota ujmiecie, A w opiekę ruskiego państwa nie przymiecie, Niedobrze wkorzeniona rozchwieje sie wiara, Bogów znowu pogańskich powróci cześć stara. Ej, czy miłoż nam będzie bydlęcą skropione Krwią oglądać ołtarze, kędy postawione Prześwięte tajemnice, gdy tam położony Będzie bałwan, kędy Bóg w chlebie utajony. Znowu wężom i drzewom będzie honor dany I gdzie świętych obrazy, tam Jowisz rzezany Stanie. Powinne niebu piekła będą brały Pokłony, gdy was za panów nie będą miały Ruskie kraje. Ej, jeśli o Boga stoicie, Rozumiemy, że prośbą naszą nie wzgardzicie.“ (Z. 1863–1878) Ihr könnt uns verachten, aber tut es Für Gott und neigt eure Herzen dem Regieren zu. Wenn ihr ein Leben in heimlicher Abgeschiedenheit führt, Und den ruthenischen Staat nicht in Schutz nehmt, Wird der [noch] nicht gut verwurzelte Glaube ins Wanken geraten, Der heidnischen Götter altgewohnte Verehrung wieder zurückkommen. Ei, wird es uns wohl angenehm sein, mit Tierblut besprengte Altäre anzusehen, wo ausgesetzt sind Die hochheiligen Geheimnisse, wenn dort errichtet sein Wird ein Götzenbild, wo Gott im Brot verborgen ist. Wieder wird Schlangen und Bäumen Ehre gegeben sein Und wo Heiligenbilder sind, dort wird eine Jupiterstatue stehen. Die dem Himmel geschuldeten Verneigungen werden Höllen empfangen, wenn die ruthenischen Länder nicht euch zum Herren haben werden. Ei, wenn es euch an Gott liegt, Meinen wir, daß ihr unsere Bitte nicht verachtet.
Die Senatoren erweisen sich als lernfähig: statt offener, direkter Opposition gegen Światopełk stellen sie den drohenden Rückfall in paganes Brauchtum vor Augen, die Verdrängung der Hostienverehrung („ołtarze, kędy postawione / Prześwięte tajemnice“ – Altäre, wo ausgesetzt sind / Die hochheiligen Geheimnisse, Z. 1870 f.) und Eucharistie („Bóg w chlebie utajony“ – Gott im Brot verborgen, Z. 1872)230 durch heidnische Kulte, welche gemäß dem humanistischen Bildungskanon römisch-antike („Jowisz“, Z. 1874), teils auch lokal bedingte vorchristliche Züge 230 Die Textstelle steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Aufführungsanlaß des Fronleichnamsfestes, ebenso wie der Dramentitel und Borys’ Verlangen nach dem Sakramentenempfang vor seinem Tod (Z. 1235).
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tragen („wężom i drzewom będzie honor dany“ – wird Schlangen und Bäumen231 Ehre gegeben sein, Z. 1873). Als überlegene Taktiker führen die staatstragenden Kräfte den Verhandlungserfolg durch indirektes Sprechen herbei, den tropischen Austausch von Ursache und Wirkung, des Personennamens „Światopełk“ durch die Bezeichnung der Folgen seiner Herrschaft: „piekła będą brały / Pokłony“ – Höllen werden / Verbeugungen empfangen, Z. 1875 f. Ohne daß der Begriff explizit erwähnt wird, beweisen die Senatoren hier „dowcip“ (Scharfsinn) im Dienst der guten Sache, im Gegensatz zu Światopełks diabolisch inspiriertem. Erst als dieser nach dem zweiten Brudermord an Hleb eindeutig als Verbrecher überführt ist, fordert der erste Senator von Jarosław wieder im Klartext imperativischer Rede die Bestrafung Światopełks (Z. 2371 ff ). Im Ansatz nimmt das procedere der Senatoren Rücksicht auf den Mehrheitswillen – in den Ratssitzungen (I, 3; II, 9) wird abgestimmt, bei der Regentenwahl wollen sie die Zustimmung des Volkes einholen: „Ze mną na Hleba, proszę, wiarę swą stwierdzajcie, / Ze mną za całej Rusi pana obierajcie!“ (Mit mir bekundet Hleb, so bitte ich, eure Treue, / Mit mir wählt ihn zum Herrn der ganzen Rus’! Z. 1463 f.) „Jeno potrzeba, by sie pospólstwo wiązało / Wespół z nami, za pana Hleba uznawało. / Każdy z nas, starajmy sie o to namowami / Tajemnymi, aby lud wszytek trzymał z nami.“ (Es ist nur [noch] notwendig, daß sich das Volk verbündet / Zusammen mit uns, daß es als Herrn Hleb anerkennt. / Ein jeder von uns bemühe sich in geheimen [d.h. ohne daß es Światopełk erfährt] / Beratungen, daß das ganze Volk zu uns halte. Z. 1467 ff ) Jarosław als künftiger Machthaber bezieht wiederum den Rat der Senatoren in seine Urteilsentscheidung über Światopełk mit ein: „Skarzę go, gdy się z wami wszytkimi naradzę / I jako osądzicie, taką śmiercią zgładzę.“ (Ich werde ihn anklagen, wenn ich mit euch allen eine Beratung abhalte / Und wie ihr urteilt, so lasse ich den Tod an ihm vollstrecken. Z. 2375 f.) Der Sprachgebrauch der Senatoren umfaßt Floskeln des Amtlich-Kanzleimäßigen wie „wasze na tej karcie podpisujcie / Imiona“ (auf diesem Blatt unterschreibt mit euren / Namen, Z. 237 f.), „Podrzucone to listy, ręka sfałszowana“ (Das sind untergeschobene Briefe, eine gefälschte Handschrift, Z. 1437), „dekret“ (Z. 2428). Von allen Personen der inneren Spielebene sind sie diejenigen, deren idealisierter Verhaltenskodex einigermaßen treffsicher auf die bevorstehende Hofbeamtenlaufbahn der Jesuitenschüler zielte. Insgesamt betrachtet, repräsentieren die Senatoren und Jarosław einerseits, Światopełk andererseits zwei gegensätzliche Herrschaftsentwürfe. Weniger der Rus’ des Mittelalters als der Wahlmonarchie im Polen des ausgehenden 17. Jahrhunderts 231 Dies scheint auf die Verehrung u.a. von Bäumen und Schlangen im vorchristlichen Litauen anzuspielen; erst der litauische Großfürst und polnische König Jogaila/Jagiełło, der Begründer der Jagiellonen-Dynastie, ließ die heidnische Kultstätte in Vilnius zerstören und die heiligen Schlangen töten (Tomas Venclova, Vilnius. Eine Stadt in Europa, Frankfurt a. M. 2006, S. 42 u. 50).
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entspricht das Vorgehen der Senatoren, auf die Bewahrung der „wolność“232 (Freiheit, Z. 234) zu achten und über ihren Regenten selbst zu entscheiden; als beschönigenden Zusatz muß man freilich bewerten, daß sie sich dabei der Rückendeckung des Volkes versicherten – Bürger und Bauern waren in der polnischen Adelsrepublik von politischer Beteiligung weitgehend ausgeschlossen.233 Im Stück wird also dem idealen Fürsten ein ideales Gemeinwesen an die Seite gestellt. Światopełk dagegen zeichnet in gröbsten Konturen das Schreckbild des Tyrannen, der sich intrigierend und mordend den Weg zum Thron bahnt234; mit dessen Regierungserklärung nach Borys’ Tod scheint der Dramenautor auch einen Seitenhieb auf die Willkürherrschaft des russischen Zaren und Selbstherrschers zu intendieren: „Już ustały przeszkody, wolnym teraz krokiem / Na tron mój wstąpię, prawa surowym wyrokiem / Obostrzę, wolności ujmę, jednowładnym panem / Bywszy, będę rządził każdym, podług woli, stanem.“ (Schon sind die Hindernisse aufgehoben, freien Schrittes besteige ich / Jetzt meinen Thron, die Gesetze verschärfe ich durch strenge / Urteile, die Freiheit schränke ich ein, und wenn ich Alleinherrscher / Bin, werde ich jeden Stand nach meinem Willen regieren. Z. 1415 ff ). Den parallelen Bezug auf „wolność“ in den Personenkontexten der Senatoren und Światopełks nehme ich zum Ausgangspunkt, um auf einige Besonderheiten des dramatischen Dialogs in der Kommunia Duchowna einzugehen. Grundsätzlich dominiert hier das Autorsubjekt über die einzelnen Sprechersubjekte, wie sich schon am genannten Beispiel belegen läßt: die zeitliche Distanz der beiden Äußerungen und das Nicht-Wissen der Sprechinstanzen von der Aussage des jeweils anderen werden auf der Ebene des Autorkontexts zusammengeführt und in ein sinnhaftes Ganzes eingegliedert. Auch die Hauptfiguren kommunizieren miteinander in direkter Wechselrede nur zweimal während des gesamten Stückes, ansonsten beschränken sich ihre Gesprächskontakte auf Angehörige der mittleren und unteren Hierarchie (Eryman, Senatoren, Gamrot; Diener, Boten); eine umso größere Rolle kommt dem Autor dabei zu, ‚dialogische‘ Beziehungen zwischen den Reden der 232 Die Bedeutung dieses Begriffs im politischen Diskurs des 16. und 17. Jahrhunderts in Polen hebt sein ständiges Epitheton „złota“ (goldene) hervor. S. dazu auch: Henryk Olszewski, „Die altpolnische Ideologie der goldenen Freiheit und ihre Nachwirkung im 19. und 20. Jahrhundert“, in: Vergleichende Strafrechtswissenschaft (Festschrift für Andrzej J. Szwarc). Berlin 2009, S. 35–52. 233 Henryk Samsonowicz, Historia Polski do roku 1795, 5. Aufl. Warszawa 1990, S. 195. Czesław Miłosz berichtet vom Niedergang der Städte durch gegen sie gerichtete Reichstagsbeschlüsse und die Kriege um die Mitte des Jahrhunderts, von der Verelendung und Unterdrückung der Bauern (Geschichte der Polnischen Literatur, Köln 1981, S. 100). 234 Benjamin verweist auf die moralisierende Geschichtsauffassung des 17. Jahrhunderts, entsprechend zeigt sich im Barockdrama „die historische Aktivität nicht anders denn als verworfene Betriebsamkeit von Ränkeschmieden“, Ursprung des deutschen Trauerspiels, Frankfurt 1982, S. 69.
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Protagonisten textübergreifend herzustellen, wenn sie schon nicht unmittelbarräumlich miteinander konfrontiert sind, so daß man hier von einem abstrakten ‚Dialog‘ sprechen könnte. Als Replik und Gegenreplik aufeinander bezogen, zeichnen so die jeweiligen Auftrittsmonologe von Światopełk (I, 1) und Borys (I, 4) den dialogkonstitutiven semantischen Richtungswechsel 235 nach – im konkreten Fall von der Affirmation zur Negation weltlicher Herrschaft. Die Auffassung von der ‚dialogischen‘ Verknüpfung der beiden Monologe findet Rückhalt in Mukařovskýs Grundthese, „daß der Monolog und der Dialog nicht als zwei einander fremde und stufenartig geordnete Formen verstanden werden dürfen, sondern als zwei Kräfte, die miteinander sogar im Verlauf des Gesprächs unaufhörlich um die Vorherrschaft kämpfen.“236 Außerdem steht natürlich jeder Monolog einer dramatischen Figur von vorneherein in einem diskursiven Verhältnis zum monologischen Autorkontext. Darüber hinaus baut der Autor qua Benennungsakt Beziehungsstrukturen über verschiedene Phasen des dramatischen Hier und Jetzt auf, die den voneinander getrennt auftretenden dramatischen Charakteren und dem Zuschauer entgehen, dem aufmerksamen Leser237 aber sehr wohl bewußt werden: häufig verwendet unser Schreiber das Verfahren des lexikalischen Parallelismus mit dem Zweck, „die Zusam235 Jan Mukařovský bestimmt drei Grundaspekte des Dialogs, nämlich die Polarität eines IchDu-Verhältnisses zwischen den Gesprächspartnern, ihrer beider Bezug zur gegenständlichen Situation, in der sie sich gerade befinden, und das Sich-Durchdringen und Sich-Lösen zweier Personenkontexte, das mit mehr oder weniger scharfen semantischen Richtungsänderungen einhergeht („Zwei Studien über den Dialog“, in: Kapitel aus der Poetik, Frankfurt 1967, S. 115 ff ). Wenn ich also den Terminus abstrakter ‚Dialog‘ einführe, ist Mukařovskýs Definition insofern zu modifizieren, als sich Światopełk und Borys streng genommen nicht in einer aktiven Wechselbeziehung innerhalb derselben außersprachlichen Situation befinden. Zur Rechtfertigung dieses Ansatzes läßt sich aber Mukařovskýs Feststellung anführen, der Dialog müsse, „da er in das Ganze des Bühnenwerks eingespannt ist, allerdings nicht in dem Maße frei sein, daß er alle seine unendlich schillernden Möglichkeiten entfalten kann, sondern er kann in seiner Beweglichkeit durch irgendein anderes Element begrenzt sein. So z. B. verknüpfte das realistische Theater ... den Dialog auf das Engste mit dem Grundriß des Stücks, d. h. mit den Wechselbeziehungen der Personen als konstanten Charakteren. Hier dient der Dialog dazu, im Laufe des Stücks die Beziehungen der Personen zueinander sichtbarer werden zu lassen und so jede Person mithilfe ihres Verhältnisses zu den übrigen immer klarer zu definieren.“ (Mukařovský, „Zwei Studien über den Dialog“, S. 152) Genau diese Wechselbeziehungen zwischen konstanten Charakteren, die Gebundenheit des Dialogs durch einen festen Grundriß, ist für die Kommunia Duchowna kennzeichnend. 236 Ebd., S. 136 f. 237 In den einführenden Bemerkungen zum Jesuitendrama habe ich darauf hingewiesen, daß es sich meistens um Spieltexte und keine Lesedramen handelte, bin aber auch auf die besondere Stellung der Kommunia Duchowna als Beispieltext in einer zeitgenössischen Rhetorik eingegangen.
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mengehörigkeit zweier oder mehr dialogisch aufeinander bezogener Repliken anzuzeigen. Die Wahl desselben Wortlauts kann zusätzlich auch in den Verantwortungsbereich der Sprechersubjekte fallen. Hierbei gilt, daß die Ebene der dialogischen Kontexte umso mehr solche Orientierungshilfen durch zusätzlich gesetzte Bedeutungsbeziehungen und Bedeutungsakzente erfordert, je geringer die Übersicht der einzelnen dialogischen Sprecher über die ganze Ebene des Dialogs ist.“238 Führen wir unser Beispiel des abstrakten ‚Dialogs‘ zwischen Światopełk und Borys weiter, dann können wir die psychologischen Auswirkungen von Borys’ Eingangsmonolog in Światopełks Auftrittsrede zu I, 6 feststellen, insbesondere indem Światopełk den Begriff „tesknice“ (Kümmernisse, Wehmut, Melancholie; Z. 557 vs. 255)239 aufgreift, den er in seiner überschäumend optimistischen Gefühlslage beim Auftrittsmonolog als ‚fremdes Wort‘240 abgestoßen hätte. Im Verlauf ihrer Reden präzisieren beide Brüder verschiedene Bedeutungsnuancen von „tesknice“ – Borys stellt die Unbeständigkeit weltlicher Ehren, den nie auszuschließenden, jähen sozialen Abstieg heraus, Światopełk die innere Anspannung und Unruhe auf dem Weg zum höchsten Amt; entsprechend verdichten sie ihre jeweilige Vorstellung von „honor“ (Ehre; Z. 273 vs. 569) in allgemeingültigen Sentenzen: „Taż się w honorze każdym w prawdzie znajdzie zdrada, / I kto się wyżej podniósł, ten ciężej upada.“ (Borys: So findet sich in jeder Ehre in Wahrheit Verrat, / Und desto tiefer fällt, je höher sich einer erhoben hat. Z. 273 f.), bzw. „Wysokie honory to mają, / Że tych, którzy sie chciwie onych dobijają, / Niepokojami trapią. Tak trudno idziemy / Wzgórę, tak na honory trudno wstępujemy.“ (Światopełk: Hohe Ehren bringen es mit sich, / Daß die, welche gierig nach jenen streben, / Unruhe quält. So wie wir mühsam / Bergauf gehen, so haben wir mühsam nur Zugang zu Ehrenstellungen. Z. 569 ff ). Damit habe ich Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, daß ein ‚dialogisches‘ Spannungsverhältnis besteht zwischen den Reden von Borys und Światopełk, die beide einen gemeinsamen Redegegenstand abhandeln, ohne daß sie sich aber in einer konkreten Gesprächssituation begegnen. Zum gleichen Ergebnis kommen wir, wenn wir eine Beziehung zwischen den Reden der beiden Brüder unter dem Aspekt der Kontextbildung, der Einheit des Sinns annehmen. Ausgehend von Mukařovskýs drei Prinzipien der semantischen Struktur des Satzes im dichterischen Werk – Einheit des Sinns, Akkumulation der Bedeutung, Oszillation zwischen Bedeutungsstatik und Bedeutungsdynamik241 – bestimmt Herta Schmid als kleinste Grund238 Herta Schmid, Strukturalistische Dramentheorie, Kronberg 1973, S. 85. 239 Der Melancholie als stehendem Charakterzug des Fürsten in der Barocktragödie hat Walter Benjamin (Ursprung des deutschen Trauerspiels) ein eigenes Kapitel zugewiesen. 240 Zu Michail Bachtins Theorie des dialogisch angelegten Worts im Roman s. „Das Wort in der Poesie und das Wort im Roman“, in ders.: Die Ästhetik des Wortes, hrsg. v. R. Grübel, Frankfurt 1979, S. 168–191. 241 Jan Mukařovský, „On Poetic Language“, in ders.: The Word and Verbal Art, New Haven/ London 1977, S. 50 ff.
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einheit des dramatischen Dialogs nicht die einzelne Redeäußerung einer Person, sondern die paarweise Verbindung von Replik und Gegenreplik im Sinne einer Aktion und der durch sie provozierten Reaktion.242 An die Grundeinheit von Replik und Gegenreplik schließen sich größere Einheiten an wie der Personenkontext als die Summe der Repliken einer einzelnen Figur und der übergreifende Gesamtkontext des dramatischen Werks. Die Akkumulation der Bedeutung im Drama folgt keiner einfachen linearen Progression, vielmehr ist jede Äußerung eines Sprechers sowohl vor dem Hintergrund seines eigenen Personenkontexts als auch vor dem des Dialogpartners (bzw. der Dialogpartner) zu beurteilen. Von vorneherein geht also mit der Ich-Du-Spannung der dramatischen Rede und den damit verbundenen semantischen Richtungswechseln ein höheres Maß an Bedeutungsakkumulation einher als in monologischen Texten. Gleichzeitig bedingt das Aktions-Reaktions-Schema die Tendenz des Personendramas zur Bedeutungsdynamik, insofern als eine Äußerung ihre Gegenäußerung prospektiv vorwegnehmen, bzw. die Gegenreplik retrospektiv den Bezug zur ursprünglichen Äußerung wiederherstellen kann. Im dramatischen Dialog ist also nicht nur der Satz an sich bedeutsam, vielmehr zielt dessen semantische Aktivität potentiell in verschiedene Richtungen innerhalb des eigenen wie auch innerhalb fremder Personenkontexte.243 Diese dialogspezifische Modellierung der Prinzipien von Bedeutungsakkumulation und Bedeutungsdynamik läßt sich beispielhaft anhand der Auftrittsreden von Światopełk (I, 1; I, 6) und Borys (I, 4; II, 2) nachvollziehen, auch ohne daß der Autor die reale Bühnenpräsenz des jeweils Angesprochenen vorgegeben hat. Światopełks einem Traumgesicht entsprungene Überzeugung, Fortuna begünstige ihn beständig (Z. 149 f.), kann nur den (freilich unbewußten) Widerspruch des positiven Helden auslösen, den Hinweis auf die ambivalente, heiter-grimmige Doppelnatur Fortunas und ihr unvorhersehbares Spiel mit den Menschen (Z. 257 ff ). „Fortuna“ benennt hier keine statische Allegorie, vielmehr unterliegt das Wort im weiteren Textverlauf einer Bedeutungsakkumulation durch spezifische Präzisierungen im jeweiligen Kontext. Borys führt seine Betrachtung abstrakt-dinglicher Herrschaftszeichen („królewskie mitry i książęce trony ... berła monarchów, cesarskie korony“ – Königshüte und Fürstenthrone ... Monarchenszepter, Kaiserkronen, Z. 253 f.) über in die personifizierte Vorstellung Fortunas als derjenigen Instanz, welche diese Insignien des Regenten zwar verleiht, dessen Macht aber gleichzeitig auch beschränkt: „Czyjekolwiek fortuna skronie ozdobiła / Koroną albo mitrą i komu wtrąciła / Monarchów berło w ręce, w ślady z honorami / Nasyła troski z swymi sprzężone sidłami.“ (Wessen Schläfen auch immer Fortuna schmückte / Mit einer Krone oder Mitra und wem sie drückte / Ein Monarchenszepter in die Hand, dem schickt sie, den Ehrenstellungen auf dem Fuße folgend, / Sorgen hinterher, die 242 Herta Schmid, Strukturalistische Dramentheorie, Kronberg 1973, S. 85 f. 243 Ebd., S. 86–89.
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mit ihren Fangstricken verbunden sind. Z. 915 ff ) Das Motiv der Gefangenschaft erweitert also das zuvor aufgebaute Negativparadigma der Fortuna von Unbeständigkeit, Spiel und Täuschung. Światopełk hingegen versteigt sich – in Anknüpfung an seinen Auftrittsmonolog in I, 1 – gar zur Behauptung, er selbst beherrsche die Glücksgöttin und beruft sich auf das sprichwörtliche Glück Cäsars: „Fortuny niemal panem z Julijuszem mogę / Nazwać sie, tak mam łatwą do wszelakich drogę / Zamysłów. Choćbym pierścień w morskie wrzucił wody, / Ryba mi odda, żadnej nie odniosę szkody.“ (Beinahe Herr über Fortuna kann ich mich mit Julius / Nennen, so leichten Zugang habe ich zu jeglichen / Vorhaben. Würde ich auch einen Ring in die Meeresfluten hineinwerfen, / Wird ihn mir ein Fisch zurückgeben, keinerlei Schaden werde ich davontragen. Z. 1891 ff ) Schließlich lernt aber auch Światopełk die Kehrseite Fortunas kennen, nachdem die Brüder mit ihrer Rückkehr aus der Wildnis seinen Plan zum Scheitern brachten: „Pogodną twarz fortuna czemu odmieniła?“ (Warum veränderte Fortuna ihr freundliches Gesicht? Z. 1936) Auf Światopełks sinnmodulierende Übernahme des Begriffs „tesknice“ aus dem Personenkontext von Borys bin ich bereits eingegangen. Wenn Światopełk überrascht die Störung seines inneren Seelenfriedens bekundet: „Nie wiem, co za tesknice wnętrzny przerywają / Pokój, gryzoty zbytne serce mi targają.“ (Ich weiß nicht, was für Kümmernisse den inneren Frieden / Brechen, allzu großes Nagen mir das Herz zerreißt. Z. 557 f.), so spiegelt sich diese Äußerung im Personenkontext von Borys, rückverweisend und vom Einzelfall ins Allgemeine, ins Emblematisch-Bildliche gehoben: „Podwyższonych fasoły często pod szatami / Złotem przenikanymi albo purpurami / Mole nieukojoną gryzotą dojmują / Sumnieniu, wnętrzny sercu pokój odejmują.“ (Sorgen der Höhergestellten sind häufig unter Gewändern / von Gold oder Purpur durchwirkt / Motten gleich setzen sie mit unersättlichem Nagen / Dem Gewissen zu, heben den inneren Frieden des Herzens auf. Z. 925 ff ) Der Vergleich ausgewählter Textstellen hat bestätigt, daß der Autor die Auftrittsreden von Światopełk (I, 1; I, 6) und Borys (I, 4; II, 2) auf ein ‚dialogisches‘ Inund Gegeneinander angelegt hat.244 Eine komplette Konkordanzliste lexikalischer Parallelismen wie auch ‚dialogischer‘, auf Bedeutungsakkumulation und -dynamik gerichteter Bezugnahmen der verschiedenen Personenkontexte aufeinander würde den Rahmen dieses Kapitels übersteigen. Festzuhalten ist, daß der Autor über den szenischen Dialog alternierender Sprechinstanzen eine zweite, weiterreichende ‚dialo-
244 Über diese Personenkonstellation hinaus ließen sich natürlich auch Querverbindungen zu anderen Figurenkontexten nachweisen – demzufolge gleicht der Dialog nach Veltruský eher einem Netzwerk als einer Kette von Aktion und Reaktion (Drama as Literature, 1977, S. 34). Herta Schmid weist darauf hin, daß dieses Beziehungsnetz zwischen den Sprechersubjekten nur von der Ebene des Autors her vollständig überblickt werden kann (Strukturalistische Dramentheorie, S. 496, Anm. 139).
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gische‘ Schicht konstruiert hat, um mittelbare Beziehungen zwischen den Reden der Hauptfiguren zu schaffen. Bei der Untersuchung des dramatischen Dialogs sind die antithetischen Weltmodelle zu berücksichtigen, wie sie in den Personenstandpunkten von Borys, Hleb und Jarosław sowie ihrem Gegenspieler Światopełk vorgeführt werden. Hinter dem Kampf der Brüder steht das Wertesystem christlicher Ethik, verkörpert in den Figuren des Märtyrers, bzw. gerechten Herrschers auf der einen Seite, die Negation christlicher Gebote und moralischer Grundnormen durch den skrupellosen Tyrannen auf der anderen Seite. Zu analysieren bleibt hier noch, wie der Gegensatz auf der Handlungsebene in die linguistische Struktur übergeht, genauer, wie der Autor die scheinbar einheitliche Bedeutung lexikalischer Parallelismen durch Einfügen in positiv, bzw. negativ besetzte Personenkontexte konterkarieren kann. In diesem Zusammenhang erscheint es nützlich, zunächst einen Exkurs über Karcevskijs Theorie des sprachlichen Benennungsaktes im allgemeinen einzufügen, dann auf dessen Besonderheiten im Drama einzugehen. Der Benennungsakt, d.h. die Suche nach einem Wort zur Bezeichnung eines Gegenstands der Realität, entwickelt sich in zwei Richtungen: innerhalb der synonymischen Reihe, bestehend aus sinnverwandten Wörtern, wird dasjenige ausgewählt, welches dem Gegenstand am nächsten kommt, während innerhalb der homonymischen Reihe geprüft wird, welche der verschiedenen Bedeutungen dieses Einzelworts auf den fraglichen Gegenstand passen und welche ausscheiden. So kommt in dem betreffenden Wort eine Beziehung zwischen den beiden Reihen zustande, die man als bestimmtes, wenn auch instabiles Gleichgewicht bezeichnen könnte.245 Veltruský geht im entsprechenden Kapitel von Karcevskijs Festlegung aus und verweist im Anschluß daran auf die Besonderheit des Benennungsaktes im dramatischen Dialog: sobald ein Wort in einen anderen Personenkontext eingeht – sei es, wenn es vom Gesprächspartner wahrgenommen wird bzw. dieser dasselbe Wort verwendet oder dieselbe Sache benennt – kommt das Gleichgewicht ins Wanken, gibt es Verschiebungen in der synonymischen und/ oder homonymischen Reihe. Der Gebrauch desselben Wortes durch verschiedene dramatische Personen erzeugt daher kaum dieselbe Bedeutung, dieselbe Relation zwischen den beiden Reihen, sondern kann geringfügige bis drastische semantische 245 Serge Karcevskij, „Du dualisme asymétrique du signe linguistique, in: Travaux du Cercle linguistique de Prague I (1929) zit. nach Veltruský, Drama as Literature, S. 17. Mukařovský zufolge markiert der einzelne Benennungsakt einen spezifischen Schnittpunkt zwischen den beiden Reihen und stellt eine Beziehung zwischen der Realität (synonymische Reihe) und dem sprachlichen System (homonymische Reihe) her. Je kreativer die Benennung, desto weniger ist dieser Schnittpunkt im voraus gegeben. Auch wenn die Benennung der Konvention folgt, wurde der Schnittpunkt im Wege eines sprachlichen Aktes festgelegt und nicht durch eine in der Realität existierende Analogie zwischen Gegenstand und Wort ( Jan Mukařovský, „On Poetic Language“, in ders.: The Word and Verbal Art, New Haven/London 1977, S. 43 f.).
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Abweichungen umfassen.246 Im logischen Gegenzug heißt dies: Der Sprecher versucht bei seiner Wortwahl schon im voraus die homonymischen Verschiebungen zu berechnen und zu kontrollieren, denen das betreffende Wort unterliegt, sobald es vom anderen Gesprächspartner aufgenommen wird. Unter Berücksichtigung der grundlegenden Strukturantinomie des Dramas müssen wir noch ergänzen, daß die Benennungsakte der verschiedenen Sprechinstanzen letztlich die ununterbrochene, einheitliche Äußerung einer Einzelperson, des Dramatikers, sind.247 Wenn der Autor unseres Stückes lexikalische Parallelismen in verschiedenen Figurenkontexten verwendet, so geht es hier nicht mehr um das Ausbalancieren von Bedeutungsspielräumen zum mehr oder weniger Extremen hin, bzw. um Verschiebungen in der homonymischen Reihe, die eventuell so weit reichen, daß sie Veränderungen in der synonymischen Reihe nach sich ziehen. Vielmehr kann dasselbe Wort sein Gegenteil, bzw. seine Negation bedeuten, je nachdem, ob es vom Autor einem ‚guten‘ oder ‚bösen‘ Personenkontext zugeteilt wird. Von Anfang an kennen wir Światopełk als „okrutnego tyrana“ (grausamen Tyrannen, Z. 293 f.) und sein „zdziczałe serce“ (verrohtes Herz, Z. 193). Sobald aber Światopełk und seine Mordgehilfen dem sanftmütigen Borys das Charaktermerkmal „okrutny“ (grausam) anhängen, scheint die Absicht des Autors durch, dieses Prädikat zu entwerten und in die entgegengesetzte Bedeutung überzuleiten: Światopełk wünscht sich in der Zaubererszene (I, 9), Gift möge „brata okrutnego“ (den grausamen Bruder, Z. 784) zu Boden strecken, dabei hatte doch Borys den politisch angeratenen Brudermord gerade mit den rhetorischen Fragen verworfen „Także by mi już ze lwy serce dziczeć miało ... Jak by ziemia nosiła, jak by okrutnego / Cierpiały nieba zbójcę?“ (Sollte mir auch schon mit den Löwen das Herz verroht sein ... Wie würde die Erde tragen, wie den grausamen / Mörder der Himmel dulden? Z. 297; 300 f.) Światopełk hingegen quittierte Gamrots Vorschlag, die Alleinherrschaft durch Brudermord abzusichern, als „mądrze“ (weise, Z. 701). Ins Leere gehen auch die Beschuldigungen des Mörders, Borys sei ein „okrutny tyran“ (grausamer Tyrann, Z. 1226), der ein grausames Ende seinem gottlosen Leben machen solle („Uczyń koniec okrutny życia niezbożnego.“ Z. 1274). Anstifter zu dieser falschen Sicht der Dinge ist freilich Światopełk, daher erfahren wir auch nichts über das weitere Schicksal seiner Handlanger, wird an diesen drittrangigen Figuren kein Exempel statuiert. Die Umkehrung der Bedeutung tritt auch dort ein, wo es sich nicht um lexikalische Parallelismen handelt, sondern um das gleiche Denotat. Theoretisch habe ich diesen Fall bereits oben berücksichtigt im Zusammenhang mit den semantischen Verschiebungen, die Veltruský nicht nur beim Gebrauch desselben Wortes, sondern auch bei der Benennung derselben Sache durch verschiedene dramatische Personen
246 Veltruský, Drama as Literature, S. 18. 247 Ebd., S. 25.
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feststellt. Jarosław attestiert Światopełk in seiner abschließenden ‚Abrechnung‘ wiederum den Wesenszug der Verrohung, Wildheit, bzw. Tiernatur: „ ... i tak już dziczeje, Jako nigdy nie dziczał, komu matka była Wilczyca i których swym mlekiem upoiła Nieubłagana tygris, i której z lwiętami W jednym łonie jednymi karmieni piersiami. Srogi, zapamiętały, dziki okrutniku, ...“ (Z. 2298 ff ) ... der schon so wild wurde, Wie niemals wild war, wer zur Mutter hatte Eine Wölfin und welche mit ihrer Milch tränkte Eine unbarmherzige Tigerin, und welche mit den Löwenjungen Im gleichen Schoß von gleichen Brüsten genährt wurde. Grimmiger, rasender, wilder Wüterich, ...
Angesichts der unweigerlich bevorstehenden, ewigen Höllenstrafe wünscht Światopełk selbst, sich des Menschseins und seiner unsterblichen Seele entledigen zu können: „Bodajbym się nie rodził, Światopełk, książęciem, Bodajbym się na ten świat pokazał bydlęciem. Gdybym się w dzikich krajach gdzie drzewem urodził, Albo lew, albo tygrys, lub pard srogi spłodził, Abym po śmierci zniszczał! Bodajbym się skałą, Bodaj kruszcem, opoką bodaj skamienałą Urodził się, nigdy bym tak złej nie znał wieczności, Nie znałbym, ach, nie znałbym piekielnych ciemności.“ (Z. 2463 ff ) Gäbe doch Gott, daß ich, Światopełk, nicht geboren wäre als Fürst, Gäbe doch Gott, daß ich auf diese Welt gekommen wäre als Tier. Wenn ich doch in wilden Ländern irgendwo als Baum hervorgekommen wäre, Oder ein Löwe, Tiger oder grimmiger Luchs mich gezeugt hätte, So daß ich nach dem Tode vernichtet sein würde! Gäbe doch Gott, daß ich als Gestein, Gäbe Gott, daß ich als Erz, als steiniger Fels Auf die Welt gekommen wäre, niemals würde ich eine so schreckliche Ewigkeit kennen, Nicht kennen würde ich, ach nicht kennen die Finsternisse der Hölle.
Eine der Untaten Światopełks war der Versuch gewesen, seine negative Eigenschaft „dziki“ (wild) im Gegenzug auf die Brüder Jarosław und Hleb zu übertragen, zunächst durch intrigante Verzerrung ihres Weltbilds: So glaubt Hleb, sich gegen Jarosław verteidigen zu müssen (Z. 1575), dieser wiederum meint: „Hleb ... pod skórami / Owczymi wilka karmi i złość niewinnością / Pokrył“ (Hleb ... nährt / unterm Schafspelz einen Wolf und bedeckte die Bosheit / Mit Unschuld, Z. 1620 ff ). Den einzig möglichen Ausweg sehen beide darin, sich von der menschlichen Zivilisation abzukehren und in die Wildnis zu begeben. Dies kommt Światopełks
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Plänen entgegen, die Brüder zu ‚bestialisieren‘ und ihnen ein gewaltsames Ende zu bereiten, sei es, daß sie von Ungeheuern zerfleischt oder von seinen Schützen als vermeintliches Jagdwild zur Strecke gebracht werden: „Albo sie Jarosława z Hlebem nie przerwała Przyjaźń? Już sie tułają w zapadłych pustyniach, Z zwierzęty mają łoża po dzikich jaskiniach. Kto by to dał, aby lew, który zalał drogi Krwią Nemejskie, i bawół, który stawił rogi Alcydesowi, gniewy bestyjalskie warli – Ich sie trupem pastwili, ich wnętrzności żarli. (Z. 1896 ff ) ... Sam łowcem waszym będę. Hola, niech otoczą Zewsząd lasy strzelcami, ... Wszak Chaona brata Helen w łowach zgładził I, jakoby nie wiedząc, na zwierza zasadził. I mnie ten fortel ujdzie. Za zwierzynę brata Hleba i Jarosława zgładzę w łowach z świata.“ (Z. 1921 ff ) Zerbrach denn nicht die Freundschaft zwischen Jarosław und Hleb? Schon irren sie umher in entlegenen Wüsten, Mit Tieren zusammen haben sie Lagerstätten in wilden Höhlen. Wäre es doch nur möglich, daß der Löwe, der die nemeischen Wege mit Blut überschwemmte, und der Büffel, der seine Hörner Dem Alciden entgegenstellte, vor bestialischem Zorn kochten – Sich an ihrer Leiche weideten, ihre Eingeweide auffräßen. ... Ich selbst werde euer Jäger sein. Holla, umgeben soll man Von allen Seiten den Wald mit Schützen, ... Den Bruder Chaon hat doch Helenos auf der Jagd getötet Und, gleichsam unwissend, auf ein Tier angelegt. Auch mir wird dieser Kniff durchgehen. Als Wild werde ich den Bruder Hleb und Jarosław bei der Jagd aus der Welt schaffen.
Unmittelbar darauf meldet ein Diener, die Senatoren hätten Jarosław und Hleb aus der Wildnis herausgeführt. Światopełks Versuch, seine Brüder zu entmenschlichen, hat sich als untauglich erwiesen, für den Leser stand das Fehlschlagen dieser Denotierung ohnehin fest. Der infernalische Hintergrund von Światopełks Personenkontext wird aber am deutlichsten, wenn er Benennungsakte auf sakrale Termini stützt, bzw. seine Handlung gegenbildlich zum christlichen Ritual entwirft. Umgekehrt könnte man sagen, daß der Rezipient allein schon durch den Personenkontext vorgewarnt ist, daß Światopełk religiöse Begriffe in einem pervertierten, gotteslästerlichen Sinn unterwandert. Gamrots Paradebeispiel des erfolgreichen Brudermörders und Alleinherrschers – Romulus – fügt Światopełk ein weiteres hinzu:
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„... Tyfon zamordował Osydidesa, w części małe podrobiwszy Brata i adherentom swoim podzieliwszy, Jakoby sakramentem wszytkie obowiązał Rozdartym bratem, a tak w jedno serca wiązał.“ (Z. 702 ff ) Typhon ermordete Osiris, schnitt in kleine Teile Den Bruder und verteilte ihn an seine Anhänger, So nahm er gleichsam wie mit einem Sakrament alle in die Pflicht Mit dem zerstückelten Bruder, und verband ihre Herzen zu einem.
Offenkundig hat Światopełk an dieser Stelle nicht die lateinische Ursprungsbedeutung von „sacramentum“ – Eid, Schwur im Sinn (Z. 705). Vielmehr läßt der geschilderte Ablauf – Austeilung der ‚disiecta membra‘ an die Anhänger, Gemeinschaftsbildung („wszytkie obowiązał“ – nahm er ... alle in die Pflicht) und Einswerdung („w jedno serca wiązał“ – er verband ihre Herzen zu einem) – die Anspielung auf das letzte Abendmahl Christi erkennen. Es handelt sich hier um einen haarsträubenden Mißbrauch der interpretatio christiana248, der Auslegung heidnisch-antiker Mythen im Sinne katholischer Moralistik. Bei ‚rechtmäßiger‘ Anwendung dieser Methode konnten z.B. Hercules und Achilles als Vorläufer Christi gelten, Światopełk hingegen wagt den Vergleich zwischen der Verteilung eines zerstückelten Körpers, veranstaltet vom Monstrum Typhon249, und der Einsetzung des Abendmahlsopfers, des Allerheiligsten Sakraments durch Christus. Noch abscheulicher wirkt dieser Benennungsakt, wenn man ihn in Beziehung setzt zu der Parallelstelle in Borys’ Personenkontext, dem Verlangen des Todgeweihten nach den Sterbesakramenten und der Eucharistie: 248 Um das Erbe der griechisch-römischen Literatur mit dem Christentum vereinbaren zu können, deckte man einen in den heidnisch-antiken Mythen verborgenen, allegorischen Sinn auf. So ließ sich z.B. die Vielzahl der Götter umdeuten als Attribute des Einen, wahren Gottes oder auch als Personifikationen philosophischer und moralischer Begriffe. In den Jesuitenschulen war es verbreitet, antiker Dichtung und Geschichtsschreibung Beispiele für erwünschtes bzw. verabscheuungswürdiges Verhalten zu entnehmen und vor allem auch mittels Theateraufführungen darzustellen (Tadeusz Bieńkowski, Fabularne motywy antyczne w dramacie staropolskim i ich rola ideowa. Studium z dziejów kultury staropolskiej. Wrocław et al. 1967, S. 13 u. 16 ff ). 249 Diodor berichtet, daß Typhon zusammen mit 26 Gefährten seinen Bruder Osiris überfiel und tötete. Anschließend zerstückelte er diesen in 26 Teile „und gab einem jeden seiner Gehülfen eines davon, damit sie desto fester bey ihm halten sollten.“ Zit. nach: Benjamin Hederich, Gründliches mythologisches Lexikon. Neusatz und Faksimile der Ausgabe Leipzig 1770. URL: http://www.zeno.org/Hederich-1770/A/Osiris?hl=osiris (abgerufen am 18.07.2012). Es ist hier keine Rede vom Verzehr der Einzelstücke, vielmehr fand Isis dieselben wieder, nachdem sie Typhon in einer Schlacht besiegt hatte, und formte daraus 26 Standbilder des Osiris.
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„Dopuście, bym mógł z świata zniść po chrześcijańsku, A we krwi mej nie ginął od was po pogańsku. Niech doczekam kapłana, niech sakramentami Opatrzony umieram, niech tajemnicami Przeczystymi posilon idę do wieczności.“ (Z. 1233–1237) Laßt zu, daß ich aus der Welt scheiden kann als Christ, Und nicht in meinem Blut von eurer Hand sterbe wie ein Heide. Ich muß einen Priester erwarten, ich muß mit den Sakramenten Versehen sterben, ich muß gestärkt Mit den reinsten Geheimnissen in die Ewigkeit eingehen.
Als Gamrot anstelle von Borys zu Tode gekommen war, hatten Światopełk am Ende von I, 5 Zweifel beschlichen, ob ein neuer Anschlag wiederum scheitern und ihn selbst zugrunderichten könnte. Um sich zu frischen Taten anzufeuern, zieht er die Summe aus seinen bisherigen Verrichtungen: „Jeszczem nic nie dokazał, wszytko pobożnością / Nazwie sie, com dotychczas czynił, a nie złością.“ (Noch habe ich nichts fertiggebracht, alles nennt man / Frömmigkeit, was ich bisher getan habe, aber nicht Bosheit. Z. 1125 f.) Auch in dieser Aussage tritt die Fragwürdigkeit des Verhältnisses von verba und res scharf hervor. Kann man es wirklich als frommen Akt bezeichnen, seinen Vertrauten versehentlich vergiftet und den irrtümlich dieses Mordes beschuldigten Soldaten eine detaillierte Anweisung zum Brudermord gegeben zu haben? Światopełks Verständnis von Frömmigkeit weicht signifikant ab von der Norm, doch fordert er anhand der gewählten reflexiven grammatischen Konstruktion „nazwie sie“ (heißt, nennt man) anstelle von „nazwę“ (nenne ich) die objektive Gültigkeit seiner beschönigenden Formulierung. Vor dem Hintergrund der rhetorischen Auffassung des Stückes im Ganzen ist besonders hervorzuheben, daß Światopełk an dieser Stelle den Benennungsakt selbst thematisiert (wie Jarosław später mit seiner Erklärung des Begriffs „pokój“ (Friede, Zimmer) in Z. 2169). Vom ‚falschen‘ Reden – der semantischen Manipulation der Begriffe „sakrament“ und „pobożność“ (Frömmigkeit, Gottgefälligkeit) – steigert sich Światopełk ins falsche Handeln, den versuchten Vollzug des Sakrilegs. Dem unstatthaften Vergleich des Osiris-Leibes mit dem Leib Christi läßt er nach der Ermordung Hlebs den verwerflichen Wunsch folgen, sich quasi den Kelch des Heiles mit dem Blut seines Bruders einzuverleiben und dadurch Erlösung von seinem brennenden Verlangen zu gewinnen: „O, gdyby sie natura trochę nie wzdrygała I strachem przyrodzonym warg nie zawierała, Jakbym ja z Katyliną tę krew lał w puchary ... Abym pragnienia przygasił, do mej wlałbym czary, Rad bym spełnił, tak pragnę, tak mi serce pała, Jak Etnejska siarczystym tleje ogniem skała!“ (Z. 2289–2294)
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O, wenn nur die Natur nicht ein bißchen zurückschreckte Und mit angeborener Angst nicht die Lippen verschlösse, Wie würde ich mit Catilina dieses Blut in Kelche gießen ... Um das Verlangen zu dämpfen, gösse ich es in meine Trinkschale, Froh würde ich sie ausleeren, so groß ist mein Verlangen, so brennt mir das Herz, Wie der Berg Ätna vor heftigem Feuer schwelt.
Wie schon der Titel Kommunia Duchowna besagt, steht das Altarsakrament im Zentrum des thematischen Aufbaus dieses Stückes. Einen letzten Anflug von Scheu, sich gegen das Allerheiligste zu versündigen, drückt Światopełk in der konjunktivischen Fassung des obigen Zitats aus. Er selbst verweist auf die negativen Vorzeichen dieser Art von Kommunion – die Naturwidrigkeit und den beispielgebenden Vorläufer Catilina250, der sich nicht nur als Verräter, sondern auch als Brudermörder und Heiligtumsschänder einen Namen machte. Die beabsichtigte Handlung bleibt jedoch im Rhetorischen stecken, die Äußerung selbst nimmt Jarosław zum Anlaß, um Światopełk wegen seiner Verbrechen anzuklagen. In letzter Konsequenz führt sie zur ‚leiblichen Aufnahme‘ Światopełks in die Hölle, die ihm sinnfälligerweise nicht den Schlund – die übliche Bezeichnung wäre „czeluści piekielne“, möglich auch „pazcza, paszczęka“ (Rachen) – sondern „wnętrzności“ (die Eingeweide) entgegenhält, um den Antagonisten der heiligen Brüder sozusagen von hinten zu verzehren: „Już mię krążą piekielne mocy, już sie, już wywiera / Wnętrzności ziemia, już mie do siebie zabiera...“ (Schon kreisen die Höllenmächte um mich, schon, schon reißt sich / Die Erde die Eingeweide auf, schon nimmt sie mich fort zu sich... Z. 2481 f.) Aus der Analyse des Benennungsakts in der Kommunia Duchowna müssen wir die wichtige Erkenntnis ableiten, daß die umfassende Antithese, die zwischen Weltmodellen und Charakteren besteht, auf der Ebene der sprachlichen Zeichen mit Elementen des Spiegelbildlichen verknüpft ist. Lotmans Begriff der soprotivo250 Der anonyme Verfasser des Dramentextes führt hier zwei Geschichtsquellen zusammen. Bei Plutarch heißt es in Bezug auf Catilinas Brudermord: „Das Unerhörteste aber von allem, was geschah, vollführte Lucius Catilina. Dieser hatte, ehe noch die Entscheidung gefallen war, seinen Bruder ermordet und bat nun Sulla, den Mann, als ob er noch lebte, zu ächten, und so geschah es. Um dafür Sulla seinen Dank abzustatten, ermordete er einen gewissen Marcus Marius, einen Angehörigen der Gegenpartei, überbrachte den Kopf Sulla, der auf dem Markt saß, und ging dann zu dem nahen Weihwasserkessel des Apollon, um sich die Hände abzuwaschen.“ (Plutarch, Große Griechen und Römer, Bd. 3, München 1980, Kap. „Sulla“, Abschn. 32, S. 91 f.) Im Unterschied zu unserem Dramenautor distanzierte sich schon Sallust von der Schauergeschichte des Blutopfers: „Manche Leute behaupteten damals, Catilina habe nach Schluß der Rede die Genossen seines Verbrechens eidlich verpflichtet und dabei Menschenblut mit Wein vermischt in Schalen herumgereicht; ... Mir ist diese Sache bei der Schwere des Falles zu wenig verbürgt.“ (Sallust, Werke und Schriften. Lateinisch – Deutsch. 4. Aufl. Stuttgart 1969. De Catilinae coniuratione, Kap. XXII, S. 41)
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postavlenie (Gleich- und Entgegensetzung, Korrespondenz- und Kontrastrelation) erweist sich als produktiv für die barocke Poetik. Das Verfahren der protivopostavlenie kennzeichnet die Personenkontexte, Światopełk steht im Gegensatz zum christlichen Weltmodell seiner Brüder; auf der Ebene des Autorkontextes hingegen wird eine mittelbare Beziehung zwischen den Personenreden durch lexikalische Parallelismen, qua sopostavlenie, hergestellt. In der Gleichheit ausgewählter Lexeme („okrutny“, „dziki“, „sakrament“) und Denotate („dziki“) in verschiedenen Personenkontexten habe ich die Ungleichheit aufgezeigt und sehe darin den Nachweis, daß der untersuchte Dramentext im Ganzen Sarbiewskis Definition des acutum entspricht als „oratio continens affinitatem dissentanei et consentanei, seu dicti concors discordia vel discors concordia.“251 Dieses Verfahren erschließt sich aber vorwiegend von der überschauenden Ebene des Autorsubjekts aus, die einzelnen Redebeiträge der dramatischen Personen betrifft es so gut wie gar nicht. Der Autor ist es, der den Figuren Światopełk und Borys das gleiche Wort zuteilt, um gerade in der Konkordanz der Wörter die Diskrepanz der Wertmaßstäbe, den ideologischen Gegensatz zu betonen. Nach Sofronova begründet die allgemeine Vorstellung von der Systemhaftigkeit der Welt im Barock die gegenseitige Abhängigkeit der Dinge, ihre Kategorisierung nach Gegensätzlichem und Ähnlichem.252 Entsprechend sind Kontrast und Vergleich als Leitprinzipien barocker Poetik, ja künstlerischer Sprache überhaupt, zu bestimmen.253 Von den subtilen Gestaltungsmöglichkeiten der dictio innerhalb des Gesamtkontextes gehen wir im folgenden Kapitel „Außenstandpunkt und Rahmen“ über zu komischen Verfahren, die auf das direkte Hinterfragen der sprachlichen Benennung zielen. Wir verlassen den Raum der inneren Handlung des Stückes und wenden uns der äußeren Spielebene der Intermedien zu.
4.3.3 Außenstandpunkt und Rahmen Die Tragödienhandlung der Kommunia Duchowna wird eingeleitet mit zwei komischen Vorspielen, dem Antiprologus und Prologus, und dann im weiteren Verlauf an einigen Stellen durch komische Zwischenspiele unterbrochen. Zu nennen sind hier die Szenen • I, 5: Scena quinta ludicra. Kozak z listami posłany od Erymana w drodze konia gubi (Der Kosake, den Eryman mit Briefen losgeschickt hat, verliert unterwegs sein Pferd)
251 Maciej Kazimierz Sarbiewski, Wykłady poetyki (Praecepta poetica), übs. u. bearb. v. Stanisław Skimina, Wrocław / Kraków 1958, S. 5. 252 Sofronova, Poėtika slavjanskogo teatra, S. 25. 253 Ebd., S. 21.
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• I, 7: Scena septima. Posłaniec senatorski o koniu się zgubionym przepytywa (Der Bote der Senatoren erkundigt sich nach seinem verschwundenen Pferd) • am Ende des I. Akts der Chorus iocularis secundus. Karzeł cum cubiculario ferunt libros in sacco et subsistunt (Zwerg und Kammerdiener tragen Bücher in einem Sack und bleiben stehen) • II, 3: Scena tertia. Żołdacy szaty przedając Gamrotowe w ręce wpadają Borysa (Die Soldaten fallen, als sie Gamrots Kleider verkaufen, in die Hände von Borys) • III, 9: Scena nona ioculans. Kucharz frasuje się, o gościach usłyszawszy (Der Koch grämt sich, da er von Gästen gehört hat). Sofronova faßt diese Handlungssequenzen unter dem Terminus Intermedien zusammen und widmet ihnen eine grundlegende und umfassende Studie.254 Dabei geht sie aus von der Gemeinsamkeit struktureller Auffassung des literarischen Werkes, die zum einen abzuleiten ist aus den Regelwerken der Dichtungstheorie des 17. Jhs., und die zum anderen die Literaturwissenschaft im 20. Jh. geprägt hat. So stellt sie die Begriffsbestimmung des Intermediums in der Wilnaer Poetica Practica (1648) an den Anfang ihrer Überlegungen: „Intermedium est brevis actio, ficta sive vera, inter actus comicos et traicos, constans verbis, rebus, personis lepidis, sive aptis ad recreandum auditorem, extra actus et actiones scenicas.“ Daraus gewinnt sie die Gliederung für den ganzen Aufsatz, entsprechend werden drei Aspekte der Intermedien in der Kommunia Duchowna untersucht, nämlich Thematik und Stoffwahl (brevis actio, ficta sive vera), Funktionen (constans verbis, rebus, personis lepidis, sive aptis ad recreandum auditorem) und schließlich das Verhältnis zum Drama im Ganzen (inter actus comicos et traicos ... extra actus et actiones scenicas).255 Über die rein literaturwissenschaftliche Problematik hinaus werde ich eine ergänzende Betrachtung anstellen: Wie ist in den Intermedien ein Außenstandpunkt verwirklicht und welche funktional verwandten Erscheinungen in der bildenden Kunst bieten sich hier zum Vergleich an? Stoffe und Personal256 der Intermedien – Gerber, Bauer, Kosake, Dragoner, Jude, Teufel, Zwerg, Kammerdiener, Koch, Küchenjungen – sind dem Alltagsleben, bzw. der Folklore entnommen und stehen auf der untersten Hierarchieebene. In der Hauptsache sind die Figuren Träger der komischen, stellenweise auch der moralisierenden Funktion, die Frage nach ihrem Charakter und seinen Merkmalen stellt sich hier nicht, ebenso wenig wie die nach der inneren Logik und wechselseitigen 254 Ludmiła Sofronowa, „Intermedia polskiego dramatu z XVII wieku «Kommunia Duchowna świętych Borysa i Gleba»“, in: Pamiętnik teatralny XX (1971), S. 60–75. 255 Ebd., S. 61. 256 S. dazu auch Dietger Langer, Die Technik der Figurendarstellung in den polnischen, weißrussischen und ukrainischen Intermedien, Frankfurt/Main 1972.
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Abhängigkeit ihrer Aktionen. Sofronova zufolge ist die Handlung der Intermedien durch drei Elemente verbunden – die monologische Rede, den Dialog im Sinne eines konventionellen Frage-Antwort-Schemas und die physische Auseinandersetzung. Entsprechend sind die Intermedien, mit Ausnahme der Pferdediebstahlsszene (I, 5), weitgehend von Handlungsstatik gekennzeichnet.257
4.3.3.1 Antiprologus Im Antiprologus wird die Aufführung auf einer völlig anderen Spiel- und Realitätsebene und in einer anderen Sprache als die Haupthandlung eröffnet. Der Gerber (Garbarz) berichtet in seinem Auftrittsmonolog, daß er beim Schützenfest zugegen war, und prahlt mit seiner Kompetenz in den Kriegskünsten258: „Nietosz juże dowoli nine nastrelałsa W kobyłoiu, pod cechom swoim natreszcawsa. Da chociay koziemiaka około wołowych Chwostow chodit, potrapit on stucki woyskowych.“(Z. 1–4) Irgendwie nicht ganz so, wie ich es wollte, schoß ich heute Mit dem Gewehr, unter mein Zunftzeichen ließ ich’s knallen. Ja, obwohl der Gerber um Ochsenschwänze Herum geht, versteht er sich auf die Kriegskünste.
(Übs. nach der polnischen Übersetzung von Julian Lewański im Kommentar zur Kommunia Duchowna, in Dramaty staropolskie, Bd. VI, S. 691 ff, wo er (S. 690) diese Sprache als Mischung aus dem Ukrainischen, Weißrussischen, Russischen und Polnischen einstuft) Bereits an dieser Stelle ist das auf komische Wirkung berechnete sprachliche Verfahren erkennbar, Begriffe wie z.B. „stucki woyskowych“ (Kriegskünste, Z. 4) aus einer ideellen Sphäre in die Niederungen des Alltäglichen herunterzuholen259: „chociay koziemiaka około wołowych / Chwostow chodit“ (obwohl der Gerber 257 Sofronova, „Intermedia“, S. 66 f. Der Begriff ist hier nicht im Sinne semantischer Statik wie bei Veltruský gebraucht, sondern meint nur, daß diese Reden für die dramatische Entwicklung irrelevant sind. 258 Den konkreten sozialgeschichtlichen Hintergrund für den Soldatendienst des Gerbers hat man in der Berufsorganisation der Zünfte zu suchen – ihre Mitglieder waren u.a. auch zur Verteidigung der Stadt verpflichtet. Allerdings ist die Schlagkraft und Disziplin dieser improvisierten Armee mit der Zeit abhanden gekommen und den straff organisierten stehenden Truppen sowie den Fortschritten in der Belagerungstechnik nicht mehr gewachsen gewesen ( Jan Bystroń, Dzieje obyczajów w dawnej Polsce, Bd. I, Kraków 1932, S. 228 f.). 259 Sofronova weist in diesem Zusammenhang auf die Rolle der Metaphern beim Erzeugen komischer Effekte hin: Die Assoziationen der Intermedienhelden liegen stets einige Ebenen tiefer als der Gegenstand, der die Assoziationen hervorruft, S. 70.
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um Ochsenschwänze / Herum geht, Z. 3 f.) Ebenso verhält es sich mit der Schilderung des Getöses, das die im einzelnen spezifizierten Arten von Schießgewehren produzierten, vergleicht der Gerber doch den Klang der Waffen mit dem Prasseln des feuchten Erlen- und Eichenholzes, das Chwieda in den Ofen legt (Z. 11 ff ), um schließlich die Beschreibung auf ein lautmalerisches Einsprengsel zu reduzieren: „Stuk-puk uszak hrymit, nie masz u pokoiu.“ (Stuk puk donnert es los in den Ohren, keine Ruhe hast du. Z. 16) Als weiteren Beweis seiner Kriegstüchtigkeit führt der Gerber an, wie Hajwryło und Kuryło ein Schwein, das er erbeutete, in einer Schenke geschlachtet haben (Z. 20 ff ). Die typischen Eigenschaften des Miles Gloriosus, wie sie in der Nachfolge des Plautus tradiert wurden – Aufschneiderei und obstinates Behaupten – treten hier an die Stelle unmittelbarer martialischer Präsenz: „Juzesmy ukurywsa czo woyskowa znaiu,“ (Schon habe ich den ganzen Rauch über, ich verstehe was vom Soldatendienst, Z. 19); „znaiu, czo to byty / Żołnierom, szczo z kobyły ohnistuj smoliti.“ (ich weiß, was das ist, / Soldat zu sein, wie es ist, aus einem feurigen Gewehr zu schießen. Z. 23 f.) Stellenweise enthält diese Rede eine gewisse Note der Selbstdekonstruktion, der Schuß auf die Zunftscheibe scheint nicht ganz ins Ziel gegangen zu sein (Z. 1 f.), schwach war das Ergebnis, als der Held die Lunte angezündet hat (Z. 17). Der Monolog des Gerbers erschöpft sich keineswegs im Komischen, vielmehr tritt darin gleichzeitig die Funktion des Antiprologs in Kraft im Sinne einer Einführung in das bevorstehende Schauspiel. Zudem enthält der Text Indikatoren für die Lokalisierung und den Aufführungstermin des Dramas. Das Stück wurde in den Jesuitenkollegien von Orsza und Polock260, in den östlichen Grenzgebieten der polnischen Adelsrepublik, gezeigt – die dort verbreitete Volkssprache ist die Sprache der Intermedien. Explizit fragt der Gerber seinen Gesprächspartner, den Bauern, ob er jemals in Polock gewesen sei (Z. 33). Der Bauer ist zum ersten Mal dort, mithin erklärt sich für den anderen das völlige Nichtwissen des Landmanns („To niczoho nie znaiesz“ – so weißt du also gar nichts, Z. 34). Sofronova macht auf die theatergeschichtliche Relevanz des Berichts vom Schützenfest aufmerksam: Schützenwettbewerbe wurden von Schützengilden261 in fast allen Festungsstädten einmal jährlich nach dem Fronleichnamsfest organisiert zusammen mit anderen Belustigungen wie Gastmählern und Volksfesten. Theateraufführungen wurden nicht selten nach 260 Das Theaterschaffen am Jesuitenkollegium in Polock beginnt im Jahr 1585 mit einem Dialog aus Anlaß des Fronleichnamsfestes (Okoń, Dramat i teatr szkolny, 1970, S. 80). 261 Diese nannten sich in Polen „Kurkowe towarzystwa“ und richteten seit dem Mittelalter Wettschießen für die Zünfte aus; der Name leitet sich ab von „kurek“ (Hahn), weil das Ziel üblicherweise aus der Nachbildung eines solchen bestand, ebenso wie als Siegespreis ein silberner Hahn ausgesetzt wurde. Dem Schützenkönig winkten Privilegien, so war er während des betreffenden Jahres von Steuern befreit und durfte Waren zollfrei einführen (Zygmunt Gloger, Encyklopedia staropolska ilustrowana, Bd. III, Warszawa 1958, S. 122 ff ).
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den Wettkämpfen direkt auf dem Schießstand dargeboten. Wenn der Gerber vom Ende des Wettbewerbs erzählt, so signalisiert dies den Beginn der Vorstellung.262 Der Auftritt des Bauern (Chłop) bietet dem Gerber die Gelegenheit, diesen von der Bühne zu verweisen auf seinen korrekten Standort „stań meży mużykami“ (stell’ dich hin zu den Bauern, Z. 26) und die unmittelbar bevorstehende Aufführung anzukündigen: „Nie wiedajesz, szczo etut budzie komedzija?“ (Weißt du nicht, daß es hier eine Komödie geben wird? Z. 27) In der Folge entspinnt sich ein komischer Dialog – der Gerber befragt den Bauern auf seine Kenntnis des theatralischen Codes, der Bauer versteht die Begriffe nicht und wandelt sie lautlich ähnlichen Wörtern seines eigenen Soziolekts an. Auf diese Weise stehen zwei Paradigmen einander gegenüber: „szczo etut budzie komedzija?“ (daß es hier eine Komödie geben wird? Z. 27)
„Żadnoho mnie nie trzeba, panie, kołodzieja.“ (Ich brauche keinen Stellmacher [bzw. Wagner], Herr. Z. 28) „...zkaży mnie, czy znaiesz, / Czo to Duhałog“ „duha leha nie do kołodzieja“ (den Bügel für (Sag mir, ob du weißt, / Was ein Dialog ist, das Pferdekummet gibt es nicht beim StellmaZ. 29 f.) cher, Z. 31)
Diese erste Sequenz der fehlerhaften Rezeption von Begriffen geht über in das Mißverstehen der Situation: Der Frage des Bauern, ob man hier Salz kaufen könne (Z. 37) – deswegen scheint er von der Frau in die Stadt geschickt worden zu sein263 – begegnet der Gerber mit der stereotyp wiederholten Beschimpfung „ty duren“ (du Dummkopf, Z. 39); anschließend richtet er den Blick auf die Zuschauer, wohl in Verbindung mit einer deiktischen Geste, und verdeutlicht die ständische Zugehörigkeit des sitzenden Publikums sowie dessen Erwartung eines Dramas: „Panowie tut sedat, soli nie szynkuiut. Ma uczadewes, chame, da tu czob hledeli Na Żydow, prysli panowie, dla toho usiedli.“ (Z. 40 ff ) Die Herren sitzen hier, Salz schenken sie nicht aus. Hast dich wohl betrunken, Bauernlümmel, um hier zu schauen Auf die Juden264, kamen die Herren, deswegen haben sie sich hingesetzt.
262 Sofronova, „Intermedia“, S. 71. 263 Die Situation des Bauern, der von seiner Frau zum Salzkaufen in die Stadt geschickt wird, findet sich auch in Piotr Barykas Komödie Z chłopa król (Vom Bauern ein König, 1637), s. dazu Brigitte Schultze, Der polnische Bauernfürst: Vom Bauern zum König. Arbeit am Stoff in vier Jahrhunderten, Frankfurt/Main 2003, S. 117 f. Dort verfällt der Bauer allerdings der Trunksucht und wird zur Hauptperson, bzw. zum Spaßobjekt für die Soldaten, die ihn als König verkleiden. In unserem Stück soll der Bauer jedoch ganz allgemein die Theatersituation signalisieren und qua Zuhören und Zuschauen erlernen, wie das Medium funktioniert. 264 Lewański zufolge könnte die Äußerung auf ein Stück über den biblisch-historischen Stoff der Bundeslade hindeuten, Dramaty staropolskie, S. 692. Wir beschäftigen uns später mit der mehrfachen Verwendung unserer Prologe auch in anderen Stücken.
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Die frohe Aussicht des Bauern, eben bei diesen Juden Salz kaufen zu können, dämpft der Gerber und versucht, ihm den Grundsatz der Bühnenillusion zu vermitteln: „Ma iescze ty duren, tud Żyd nie bude prawy.“ (Bist immer noch ein Dummkopf, hier wird es keinen wirklichen Juden geben. Z. 45) Als der Bauer meint, dann müsse es sich wohl um einen „perechrist“ (Z. 46), einen getauften Juden, handeln, erkennt der Gerber, daß seine bisherigen Bemühungen erfolglos waren und gibt ihm auf niedrigstem Niveau eine Hinführung zu der kommenden Vorstellung: „Nie dojdu ia z toboiu sprawy. Da posłuchaj, mużyku, szow tut dalej bude, Naladysz sia, iak roznye budut chodit lude. Widis, ze heto szaprancom uwsiudy obito?“ (Z. 46–49) Mit dir komme ich nicht klar. Hör’ zu, Bauer, was es hier weiter geben wird, Du wirst sehen, wie verschiedene Leute herumgehen werden. Siehst du, wie überall safrangelbes Tuch ausgeschlagen ist?
Auf die einfachste Kurzformel gebracht, soll der Bauer zuhören und zuschauen (von irgendeinem Sinn des beobachteten Treibens ist noch gar keine Rede). Eine wesentliche, organisationstechnische Prologfunktion kommt hier zur Geltung, die Konzentration des Zuschauers wird auf das Drama gelenkt. Mit dieser Replik setzt der Gerber zu einem dritten Erklärungsversuch an und kommentiert nun die szenische und räumliche Ausstattung des Theaters. Wie schon am Beginn des Dialogs bringt der Bauer wiederum das komische Verfahren in Gang, die Begriffe in seine eigene Lebenssphäre zu integrieren: szaprancom obito (mit safrangelbem Tuch ausgeschlagen, Z. 49) sceny nasłano ... cynamonom (die Bühne mit zimtfarbenem Stoff verkleidet, Z. 51) cynamon doroha to macieryja (der zimtfarbene ist ein teurer Stoff, Z. 53) Szto tu siedat, za wsiudy iedat aksamity. (Die, die hier sitzen, gehen immer in Samt. Z. 55) U nich na połumisku atłas hotowany. (Bei ihnen ist Atlas über die Schüssel gebreitet, Z. 57) oś obaty orhany (schau die Orgel an, Z. 59)
szubrawcom nabito (die Schurken durchgeprügelt werden, Z. 50) scen każut ... Siemionom (unklar, Z. 52) maiu ... doroha macieryja (ich habe eine gute Mutter, Z. 54) Tak, pane, y ia znaiu, od nas oni syty. ( Ja, Herr, auch ich weiß, daß sie dank unsereinem satt sind. Z. 56) Tak, panie, od nas pan wsiudy wychowany. ( Ja, Herr, von uns bekommt der Herr immer seinen Unterhalt. Z. 58) Da iescze popar nie horany, / A czosz heto za skrina? kolib odomnuli, Nuchby z iey sczokolwiek hroszy wysunuli. ( Ja, der Acker ist noch nicht gepflügt, / Aber was ist das für ein Kasten? wenn man ihn aufmachen würde, / könnte man aus ihm vielleicht ein paar Groschen hervorholen. Z. 60 ff )
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Über den komischen Effekt hinaus, den die volksetymologisch verunstalteten Begriffswiederholungen des Bauern erzeugen, lenkt der Autor hier die Aufmerksamkeit auf die Störung der Kommunikation. Ungeachtet seiner lächerlichen Unwissenheit in Sachen Theater und in Bezug auf kostbare Stoffe – safrangelber und zimtfarbener besagen ihm ebenso wenig wie Samt und Atlas – beweist der Bauer doch klaren Verstand, als der Gerber auf das Publikum zu sprechen kommt („Szto tu siedat“ – die, die hier sitzen, Z. 55): In seiner Replik bringt der Bauer aus eigener Initiative und selbstbewußt die sozialkritische Einsicht hervor, daß Lebensunterhalt und Wohlstand der Oberschicht auf der Leistung des Bauernstandes beruhen. Es zeigt sich also schon von Anfang an, daß die Komik der Intermedien von moralisierenden Stellungnahmen durchsetzt ist. Abschließend verrät der Gerber sein persönliches Interesse an der Theateraufführung, weil er hören will, wie sein Sohn vorspricht (bzw. predigt – „kazaty“, Z. 64). Den Stolz auf die Redekunst des Sprößlings bringt er dem Bauern nun in dessen eigenem Idiom nahe: im Vergleich mit dem Beißen der Rübe versucht er, die lautliche Besonderheit des Lateinischen fühlbar zu machen; unmittelbar von selbst versteht sich dagegen der Anspruch an die Deklamation des Sohnes, sämtliche Anwesenden im Saal zu erreichen: „Na restu prysow synka moho posłuchaty, Uczujesz, iak choroszo on bude kazaty. Po łatynsku iak repu hryzie; iak czytati Ozme, powna swetlica usudy czutaty.“ (Z. 63–66) Schließlich kam ich, um mein Söhnchen zu hören, Du wirst merken, wie gut er sprechen wird. Lateinisch, wie wenn er an einer Rübe bisse; wenn er zu lesen Beginnt, hört man es in der vollen Stube überall.
Autoreferentiell stellt die Äußerung Errungenschaften und Struktur der Jesuitenpädagogik in den Mittelpunkt. Auf einer Einstiegsebene für bildungsfernere Schichten werden Schönheit und Wohlklang des Lateinischen in komischer Verfremdung vermittelt, ernsthaft formuliert ist das Lernziel, der Stimme Deutlichkeit und raumfüllende Kraft zu verleihen. In Ansätzen spiegelt sich so die Hierarchie der Studienordnung wider: Dem Spracherwerb, insbesondere des Lateinischen, dienten die Grammatikkurse der unteren Klassen, während im Rhetorikunterricht der Oberstufe auch Fragen der actio und ihrer Unterkategorie der pronuntiatio – wie sie in unserem Text anklingen – abgehandelt wurden.265 Entsprechend dem kulturellen Stereotyp, das dem Bauern zugewiesen ist, verknüpft dieser in seiner Replik andere Werte mit dem Begriff des „rozumna detina“ 265 Zum Aufbau des Rhetorikstudiums am Jesuitengymnasium s. Barner, Barockrhetorik, 2002, S. 332 ff.
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(vernünftiges Kind, Z. 68): Sein Sohn konnte, erst ein Jahr alt, schon Schweine aus dem Garten hinaustreiben und einen ganzen Laib Brot halten. Am dritten Tag nach seiner Geburt habe er Kraut, Rettich und dicke Grütze verschlungen. So Gott will, werde er eines Tages das Land pflügen (Z. 67–76).
4.3.3.2 Prologus Zu der Konstellation Gerber – Bauer tritt im Prologus ein weiteres Paar, der Erste und der Zweite Student (Primus und Secundus Studiosus). Ähnlich unwirsch, wie schon die Kontaktaufnahme des Gerbers mit dem Bauern vonstatten gegangen war („Czeo chamie deressza, stań meży mużykami.“ – Was drängst du dich hier vor, Lümmel, stell’ dich hin zu den Bauern. Z. 26 f.), fragt der Erste Student die beiden Gesprächspartner aus dem Antiprologus: „Jakoście wy tu wleźli, precz stąd, wy grubianie!“ (Wie habt ihr euch denn eingeschlichen, fort mit euch, ihr Grobiane! Z. 77) Unterwürfig wiederholt der Gerber sein soeben vorgebrachtes Anliegen, „nasz Hawryłko ... tut howoryty“ (unseren Hawryłko ... hier reden, Z. 79) zu hören und auch zu sehen „obaczyti“ (Z. 80). Durch diese kurze Wechselrede ist der Prolog strukturell und inhaltlich mit dem Antiprolog verknüpft, wie sich an der Aufnahme der Kommunikation über das Schema rhetorische Frage – Zurückweisung – Beschimpfung und das Interesse des Gerbers am Auftritt des Sohnes zeigt. Analog gestaltet sich in beiden Einleitungen auch die Produktion des Komischen: Gegenüber den beiden wissenden Studenten tritt nun der Gerber ein in den Part des Ahnungslosen, der die spezifische Terminologie des Theaters mißversteht, und es entwickelt sich folgende Doppelsequenz „richtiger“ vs. fehlerhaft reproduzierter Begriffe aus der Frage des Zweiten Studenten: „Albo ma twój Hawriło jaką tu personę?“ (Oder hat dein Hawriło hier irgendeine Rolle? Z. 81) „Ale ty, baiu, nie wiesz, że się akt wystawia?“ (Aber weißt du nicht, Schwätzer, daß ein Stück aufgeführt wird? Z. 83)
„Tak, mospane, imajet od matki perstionek.“ ( Ja, mein Herr, er hat von der Mutter einen Ring. Z. 82) „Hak samomu whorło! Czoko kleniesz? Czowto za projawia?“ (Ein Haken soll dir selber in die Kehle [fahren]! Warum fluchst du? Was für ein Schauspiel? Z. 84) „Wiedz, chłopie, że niejedna tu dziś będzie „I ja baczu, czo stoit tu niejedna stena.“ (Auch scena.“ (Weißt du, Bauer, daß es hier heute so ich sehe, daß hier so manche Wand steht. manche Szene geben wird? Z. 85) Z. 86) „Ale, głupcze, wszak widzisz, że jest prosceni- „Proscienko stojat scieny i my rozumiejom.“ jum.“ (Aber, Dummkopf, du siehst doch, daß (Sehr gerade stehen die Wände, auch ich hier das Proszenium ist. Z. 87) verstehe das. Z. 88) „Ale patrz, durny chłopie, wszak synopses w „Sam ty swynopas, da ne moy synok, Halenku.“ ręku.“ (Aber schau doch nach, dummer Bauer, (Selber bist du ein Schweinehirt, aber nicht ich habe doch die Synopse in der Hand. Z. 89) mein Söhnchen, Halenek. Z. 90) [Hervorhebungen von H. St.]
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Mit der Aufforderung, die Rolle des Sohnes aus der Synopse zu ermitteln, bricht der Zweite Student den gescheiterten Dialog ab und nimmt gleichzeitig Bezug auf die reale Situation – die bevorstehende Ausgabe der Theaterprogramme. Der Erste Student verweigert jedoch dem Gerber und Bauern das schriftliche Programm mit dem Hinweis auf ihren Unverstand und befiehlt ihnen, seiner Erzählung von der Grausamkeit Światopełks und dem Martyrium der Heiligen zuzuhören (Z. 97– 114). Er hält nun einen traditionellen Prolog in Form einer zusammenfassenden, episierenden Inhaltsangabe der folgenden Aufführung. Die anschließend in der Regieanweisung angekündigte Verteilung der Synopsen an die Gäste begleiten alternierende Reden von Gerber und Bauer, die weniger als Dialog zweier Gesprächspartner konzipiert sind, vielmehr als Wendung ans Publikum, d.h. als Anrede weiterer Neuankömmlinge aus demselben, ostslavisch geprägten Handwerker- und Bauernmilieu (Apanas, Iwan, Chwieda, Owdocia, Spiridon etc.). Wenn auch die beiden Prologe die Unwissenheit breiterer Volksschichten in puncto Theater bloßlegen, so besteht doch die abschließende Sequenz ad spectatores auf der deutlichen Repräsentation dieser Gruppe unter den Zuschauern.266 Obwohl ihr die dramatische Terminologie fremd ist, beherrscht sie doch den erforderten Verhaltenskodex, wie man sich als Zuschauer in seiner Rolle einzurichten hat. So erlassen Gerber und Bauer verschiedene Verbote und Gebote: sich nicht dem Herrn aufzudrängen, nicht zu lachen, zu schweigen (Z. 116 f.), die Herren durchzulassen und aus dem Weg zu gehen, nicht zu drängeln (Z. 133 f.), auf seinem Platz stehen zu bleiben und keine Faxen zu machen (Z. 141). Mit Sofronova verweise ich noch auf die Kirchenstrafe der „kunica“ – einer Art Pranger, bestehend aus einer Eisenkette, die an der Kirchentüre befestigt und am anderen Ende mit einem Halsring zur Fixierung des Kirchenschwänzers oder anderweitigen Missetäters versehen 266 Poplatek zufolge diente das Jesuitentheater niemals den Interessen einer bestimmten Klasse. Vielmehr suchte man die religiöse Indoktrination auf ein Massenpublikum auszuweiten, so daß die Aufführungen häufig auch unter freiem Himmel stattfanden (Poplatek, Studia z dziejów jezuickiego teatru szkolnego w Polsce, Wrocław 1957, S. 17). Das Publikum des Jesuitentheaters setzte sich aus der Stadtbevölkerung und Bewohnern der umliegenden Dörfer zusammen. Auf die breite soziale Fächerung sowohl der Jesuitenschüler, als auch der Besucher ihrer Theateraufführungen verweist Sofronova und nennt neben der Bürgerschaft ausdrücklich Handwerker und Bauern. Sie vertritt die These von der Widerspiegelung gesellschaftlicher Verhältnisse in den Intermedien – oft wird hier eine eher zurückhaltende Einstellung der Eltern zur Schulbildung moniert; in einem Text geht es darum, daß nur einer von hundert Bauern sein Kind zur Schule schickt (Sofronova, Poėtika slavjanskogo teatra, 1981, S. 38). Die Volksnähe der Intermedien gründet in der Aufnahme folkloristischer Sujets, entscheidend ist jedoch die Lizenz zum Gebrauch der Volkssprache in Intermedien, Prologen und Epilogen (Poplatek, 1957, S. 21 f.). Speziell auf die nationalen und religiösen Interessen der orthodoxen Zuschauer in den Ostgebieten Polens ausgerichtet war die hagiographische Thematik der Kommunia Duchowna (Sofronova, 1981, S. 41).
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war.267 Der Gerber droht damit einem der Anwesenden, weil er zwar ungern „do koscioła / Choc do cerkwie“ (in die katholische oder orthodoxe Kirche, Z. 137 f.) geht, sich aber gerne „tut“ (hier, Z. 139), also beim Schauspiel, einfindet.
4.3.3.3 Der Rahmen als allgemeines Kompositionsprinzip künstlerischer Texte Diese kulturgeschichtliche Besonderheit reiht sich ein in die mehr oder weniger verschlüsselten Hinweise auf das aktuelle Hier und Jetzt der Vorstellung, ebenso wie das Schützenfest nach dem Fronleichnamstag implizit als Zeit, Polock direkt als Ort der Theateraufführung angegeben wird. Für diese ergibt sich ein terminus post quem aus dem Intermedium Scena quinta ludicra, in dem der Kosake dem Juden eine Roßhaut anpreist, die er selbst bei Chocim, mithin im Jahre 1673, von einem türkischen Pferd erbeutet habe (Z. 404). Damit wird der Widerspruch deutlich, der sich zwischen der im 11. Jahrhundert spielenden Tragödienhandlung (sie enthält den Auftrag der Senatoren an den Kosaken, Briefe zu überstellen) und der Selbstdatierung des Kosaken ins 17. Jahrhundert im Intermedium (I, 5) ergibt. Dies bekräftigt Sofronovas These, daß sowohl zwischen den Intermedien untereinander, als auch zwischen diesen und der Haupthandlung nur eine schwache Verbindung besteht.268 Über die Kohärenzfrage hinaus muß aber die grundsätzliche Beobachtung der verschiedenen Zeitschichten und Sprachen in Intermedien und innerer Spielhandlung in den Mittelpunkt der folgenden Überlegungen gestellt werden. Die Zugehörigkeit der Intermedienhelden zum Barock und zu einer Sprachgemeinschaft, die sich eines west-ostslavischen Mischidioms bedient, verankert diese Figuren in der aktuellen Aufführungssituation und weist ihnen einen Außenstandpunkt gegenüber der Märtyrertragödie zu. An der Peripherie des Stückes wird so ein schrittweiser Übergang von der Realität zur Bühnenillusion geschaffen: Der unmittelbare Bezug des Antiprologs zur zeitgenössischen Wirklichkeit zeigt sich in der Thematisierung des Schützenfests und der ausschließlichen Verwendung des Mischdialekts, während der Prolog mit den polnischen Repliken der Studenten und der episierenden Inhaltsangabe zur Sprache und Zeit der Haupthandlung überleitet. Noch eine weitere Staffelung läßt sich hier anführen, die beide Prologe vom eigentlichen Geschehen abhebt, nämlich die Lenkung der Aufmerksamkeit auf akustische Eindrücke, wie sie beginnt mit der Schilderung des Krachs und Getöses beim Schießwettbewerb (Z. 1–16) und dann in konkreten Aufforderungen signa267 Sofronova, „Intermedia“, S. 62. S. dazu auch das Stichwort „kuna“ in Gloger, Encyklopedia staropolska ilustrowana, Bd. III, Warszawa 1958, S. 118 f. 268 Sofronova, „Intermedia“, S. 74.
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lisiert wird: „Da posłuchaj, mużyku, szow tut dalej bude“ (Hör zu, Bauer, was es hier weiter geben wird, Z. 47), „prysow synka moho posłuchaty“ (kam ich, um mein Söhnchen zu hören, Z. 63), „Pódź na stronę a słuchaj, ja zaś okrucieństwo / Opowiem Światopełka i świętych męczeństwo.“ (Geh’ zur Seite und hör’ zu, ich aber erzähle / von der Grausamkeit Światopełks und dem Martyrium der Heiligen. Z. 97 f.). Einen bedeutenden Stellenwert haben in diesem Zusammenhang auch die stichomythischen Reden der Dialogpartner, gerichtet auf die Exponierung metasprachlicher Ausführungen zum Theater, sowie die Erzählhaltung des prologgebenden Studenten. Wenn auch den Personenreden der Haupthandlung eine ausgeprägt rhetorische Formung eignet, so macht sich doch in den beiden Prologen die Andersartigkeit des Verhältnisses zum Sprachlichen in der Selbstverdoppelung des Mediums in den komischen Dialogen über die dramatische Terminologie kenntlich: Jurij Lotman hat das Sprachspiel unter typologischem Aspekt mit der Darstellung eines Spiegels auf einem Gemälde verglichen. So präsentiert z.B. Velázquez269 dem Betrachter die liegende Venus in Rückenansicht, jedoch vor einem Spiegel, in welchem ihr Gesicht, und zwar vom bildinternen Blickpunkt der Venus aus, für den Betrachter zu sehen ist. (Abb. 8) Gerade diese Verdoppelung bringt den Blickpunkt als selbständiges Strukturelement zur Geltung – oder anders gesagt: die Art und Weise der Darstellung, das bildgebende Verfahren, wird selbst zum Objekt der Darstellung.270 Auf unsere Prologe übertragen heißt dies, 269 Auf ein anderes Gemälde von Velázquez, das Portrait der Infantin Margareta, bezieht sich Tadeusz Kantor sowohl in seiner gleichnamigen Collage als auch in dem Stück Dziś są moje urodziny: Kantor legt in der zugehörigen „Wielka dygresja teoretyczna“ fest, daß das Stück vom Überschreiten der Grenze zwischen der Illusion des Bildes und der Realität der Bühne handelt. Dieses Spiel mit verschiedenen ontischen Ebenen setzt Kantor in Gang, wenn er im IV. Akt die Infantin aus dem Bilderrahmen heraus auf die Bühne treten läßt (Tadeusz Kantor, Pisma. Dalej już nic... Teksty z lat 1985–1990. Wrocław 2005, S. 242 f. u. 289). 270 Jurij M. Lotman, „Teatral’nyj jazyk i živopis’ (K probleme ikoničeskoj ritoriki)“, in: Teatral’noe prostranstvo [„Die Sprache des Theaters und die Malerei (Zum Problem einer Rhetorik des Bildes)“, in: Der Raum im Theater]. Moskva 1979, S. 240 ff. Zum Problem des Spiegels in der Barockmalerei s. auch den II. Abschnitt „Im barocken Spiegelkabinett: Paradoxien der Repräsentation“ von Dieter Merschs Aufsatz „Ästhetischer Augenblick und Gedächtnis der Kunst. Überlegungen zum Verhältnis von Zeit und Bild“, in: Die Medien der Künste. Beiträge zur Theorie des Darstellens, hrsg. v. Dieter Mersch. München 2003. Diskutiert werden hier verschiedene Interpretationen von Velázquez’ Gemälde Las Meniñas, 1656: Foucault bestimmt als Zentrum des Bildes einen Ort außerhalb desselben, in dem der Betrachterblickpunkt, der Blickpunkt des Malers auf dem Bild und der Blickpunkt des porträtierten Königs und seiner Frau (welche indirekt auf einem Spiegel in der Bildmitte dargestellt sind) konvergieren. Die andere Interpretation faßt die Darstellung auf dem Gemälde selbst als Wiedergabe eines vor der Leinwand befindlichen Spiegels auf. Als Grundproblem des „Spiegeltheaters“ erweist sich für Mersch die „Nichtdarstellbarkeit der Performanz seiner
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Abb. 8 Diego Velázquez: Venus mit ihrem Spiegel, 1644–48
daß die Verdoppelung der Wortbedeutung die bewußte Wahrnehmung der Sprache als Medium verstärkt. Von grundsätzlicher Relevanz sind die Ausführungen zu den abweichenden Zeit- und Sprachebenen in den Prologen und der Haupthandlung, wenn wir eine strukturelle Gemeinsamkeit verschiedener Kunstarten untersuchen wollen – das Problem des Rahmens, d.h. der Grenze zwischen der Wirklichkeit und einem semiotisch konzipierten, in sich geschlossenen System. Die Kehrseite der semiotischen Eingrenzung des Kunstwerks besteht aber immer auch im Bestreben nach „Aufhebung der Grenzen des künstlerischen Raums ... nach maximaler Annäherung von abgebildeter und realer Welt, um bei der Darstellung höchste Wirklichkeitstreue (Wahrscheinlichkeit und Ähnlichkeit) zu erreichen.“271 Im Theater ist der Rahmen durch die Bühne, das Proszenium und den Vorhang vorgegeben. Das gängigste Verfahren, diesen Raum zu überschreiten und in das wirkliche Leben vorzudringen, besteht in der Wendung an das Publikum272, wie wir sie im einleitenden Festbericht des Antiprologs sowie am Ende des Prologs beobachten. Unmittelbaren Bezug auf Herstellung“ (S. 160), d.h. der Augenblick, den die Gegenwart des Bildes einfängt, ist „immer nur ein »Schon-Vorüber«“ (ebd.). 271 Uspenskij, Poetik der Komposition, S. 159. 272 Ebd., S. 158.
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die konkrete, reale Aufführungssituation nimmt auch der Zweite Student mit der Erwähnung der Synopse zum Drama. Im Prinzip gilt aber, daß die Grenzen der fiktionalen Welt höchstens verschoben, nicht aber aufgehoben werden, wenn die Akteure zeitweise aus ihnen heraustreten. Konstitutiv für den Rahmen eines Kunstwerks ist nach Uspenskij der Übergang von der Außen- zur Innenperspektive273, wenn z.B. ein am Hauptgeschehen unbeteiligter Ich-Erzähler nur am Anfang und Schluß auftritt oder unsere Prologfiguren von außen auf die innere Spielhandlung blicken, ähnlich jemandem, der ein Bild von einem außerhalb liegenden, zentralperspektivischen Standpunkt aus betrachtet. Ein deutliches Indiz für den Außenstandpunkt des Erzählers liegt in der Vorwegnahme des Handlungsausgangs274 in der Inhaltsangabe des Prologs, die aus der Sicht von außen eine Betrachtung der Vergangenheit, aus der Sicht der inneren Spielhandlung jedoch einen Blick in die Zukunft liefert. Weiter können wir an den beiden Prologen der Kommunia Duchowna ein verbreitetes Prinzip aufzeigen, den Rahmen als Werk im Werk zu gestalten. Verschiedene Kunstarten vergleichend, verweist Uspenskij hier auf die typischen Prologe im Theater, die als Disput zwischen Zuschauer und Schauspieler (auf der Bühne) verfaßt sind (wie z.B. die „Vorrede auf der Bühne“ im Faust), und auf die Erzähltechnik, Novellen in eine Rahmenhandlung einzuschieben (Tausend und eine Nacht, Dekameron). Entsprechend wird in der Malerei verfahren, wenn die Peripherie des Bildes durch einen Fenster- oder Türrahmen, bzw. einen zurückgeschlagenen Vorhang ausgezeichnet ist (wie bei Raffaels Sixtinischer Madonna). In der Regel erscheint die „Darstellung in der Darstellung“ im Verhältnis zur eigentlichen Darstellung als stilisierter, bedingter.275 Diesen Grundsatz hat Uspenskij vor allem aus der Betrachtung der ebenfalls als Werk im Werk aufzufassenden Hintergrundsdarstellungen in der Ikonenmalerei gewonnen: die Hintergrundsfiguren kennzeichnet ein höherer Grad an Zeichenhaftigkeit als die zentralen Figuren im Vordergrund, deren relativ geringere Zeichenhaftigkeit mit einem höheren Realitätsgrad einhergeht (meine Vorbehalte dazu – angesichts der festgeschriebenen Konventionalität der Ikonenfiguren – habe ich bereits in den theoretischen Vorüberlegungen weiter oben mitgeteilt). Als Vergleichsbeispiele für die Stilisierung des Hintergrunds in der Erzählliteratur sind nebengeordnete, als Statisten agierende Figuren anzuführen. Eine weitere Stufe der Bedingtheit ist dann erreicht, wenn die Statisten gleichsam als Puppen charakterisiert werden, d.h. als (sprachliches) Zeichen des Zeichens276. In der Malerei verbindet sich mit der fortschreitenden Stilisierung des 273 274 275 276
Ebd., S. 157 ff. Vgl. ebd., S. 167. Ebd., S. 184 f. Petr Bogatyrev formulierte als erster im Kreis der Prager Strukturalisten die grundlegende Einsicht, daß das theatralische Zeichen als Zeichen des Zeichens aufzufassen ist. Dabei kann
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Hintergrunds die Tendenz zur Ornamentalisierung – Uspenskij nennt hier die typischen „Ikonenberge“. Das Theater eignet sich aufgrund der Gegenüberstellung lebensechter Personen mit stilisierten Kulissen als Paradebeispiel für die zunehmende Zeichenhaftigkeit der Hintergrundsdarstellung, insbesondere wenn Shakespeare anstelle schematisch umrissener Bühnendekorationen nur noch Schrifttafeln mit Ortsangaben verwendet.277 Grundsätzlich gelten für Hintergrund und Rahmen einheitliche Gestaltungsmodi und die Bindung an die Außenperspektive. Uspenskij faßt zusammen, daß „die Außenperspektive ... einerseits unmittelbar dem Standpunkt des Zuschauers oder Lesers“ entspricht, „andrerseits zeichnet sie sich durch ihren betont illusionistischen (dekorativen, bedingten) Charakter aus.“ Als wesentliches Kennzeichen der Stilisiertheit des Rahmens, bzw. des „Werks im Werk“ nennt er die „unerwartete Anspielung auf den verwendeten Code“, die – ebenso wie die Wendung ans Publikum – „einen Übergang auf die Ebene der Metasprache“ vollzieht, „ein Heraustreten an die Peripherie der Darstellung“, um „die Darstellung deutlicher zu konturieren.“278 Anhand der Analyse der Kommunia Duchowna können diese theoretischen Prinzipien der Rahmengestaltung exemplarisch bestätigt werden. Im Vergleich mit den Figuren der Haupthandlung, deren Charaktere als Typen mit einem begrenzten Satz von Merkmalen zu bestimmen waren, weisen die Intermedienhelden einen noch höheren Grad an Stilisiertheit auf, indem sie nur mehr durch den Berufsstand (Gerber, Bauer, Student, Koch), nicht aber durch Eigennamen ausgezeichnet sind. Ihre unmittelbare Zuordnung zur komischen, bzw. moralisierenden Funktion erklärt die ‚flache‘, noch weniger differenzierte Typengestaltung. Gleichzeitig erscheinen die Randfiguren unbeweglich, als Statisten fest mit dem Hintergrund verbunden. Um den dekorativen Aspekt, die Tendenz zur Ornamentalisierung des Rahmens nachzuweisen, werde ich zusätzlich zur Kommunia Duchowna noch die Prologe zu den drei weiteren, ungedruckten, ebenfalls in der Originalhandschrift des Kodeks Orszański enthaltenen Stücken heranziehen: 1. Sławna Pomoc Ramirowego zwycięstwa przez Anielskie pułki Uczyniona 2. Misticzna Wesela Kommunia Genserika i Tryzymunda 3. Misticzna Kommunia Wcalu Niewinnych Karola y Fryderyka ein beliebiges Objekt, das in einer Kultur als Zeichen fungiert, ohne jegliche materielle Veränderung als theatralisches Zeichen für dasjenige Zeichen, das es selbst darstellt, eingesetzt werden (z.B. ein Stuhl). Die spezifische Polyfunktionalität des theatralischen Zeichens wies er am Material des Folkloretheaters nach, d.h. ein bestimmtes theatralisches Zeichen kann andere Zeichenfunktionen übernehmen und unterschiedliche Bedeutungen generieren: z.B. läßt sich ein Stuhl auch in der Bedeutung einer Treppe, eines Schwertes, eines Regenschirmes oder Autos verwenden (Erika Fischer-Lichte, Semiotik des Theaters, Bd. 1: Das System der theatralischen Zeichen. Tübingen 1983, S. 181 ff ). 277 Uspenskij, Poetik der Komposition, S. 178 ff. 278 Ebd., S. 185.
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Das Quellenstudium zeigt, daß die Antiprologe und Prologe dieser Dramen charakteristische Passagen mit der Kommunia Duchowna gemeinsam haben: So berichtet in den drei anderen Antiprologen ein Kosake von Schießübungen und zählt dabei auch die einschlägigen Waffenarten auf; identisch mit den Zeilen 5–20 in der Kommunia Duchowna – der Schilderung des Getöses beim Schützenfest – ist ein Teil des Antiprologs in der Misticzna Kommunia (S. 228 des Kodeks Orszański). Ebendort findet sich weiter unten (S. 229 f.) eine wörtliche Übereinstimmung mit den Zeilen 27–88 aus der Kommunia Duchowna: abgewandelt ist nur das Personal, hier ist es der Kosake, der den Begriff „Komödie“ einführt und dem Ruthenen („Rusin“) den Grundsatz der Bühnenillusion erklärt sowie die Ausschmückung des Theaters (safrangelber und zimtfarbener Stoff ). Ebenfalls treten dann zwei Studenten auf und übernehmen abwechselnd die dramenkundliche Belehrung der beiden ungehobelten Eindringlinge (Rolle, Szene, Proszenium). Der Prolog der Misticzna Kommunia endet mit dem Wortgeplänkel von Kosake und Ruthene und deren Wendung ans Publikum; hier (S. 230) begegnen wiederum Passagen, die mit den Zeilen 115–120, 121 f., 133–144 in der Kommunia Duchowna identisch sind. Ebenfalls umfaßt Sławna Pomoc die populären Erklärungen von Kosake zu Ruthene, das Spiel mit den Begriffen „Komödie“ und „Dialog“ (S. 2), die Vermittlung der Bühnenillusion und Beschreibung der stofflichen Ausstattung von Bühne und Zuschauern (S. 3) – dieser Passus wiederholt die Zeilen 45–60 der Kommunia Duchowna. In Misticzna Wesela Kommunia Genserika i Tryzymunda dagegen wird am Ende des Antiprologs (S. 104 f.) der Beginn des Prologs aus der Kommunia Duchowna (Z. 77–90) zitiert mit dem Wunsch des Ruthenen, am Auftritt des Sohnes teilzuhaben, und mit der fachkundigen Vermittlung dramenspezifischer Terminologie (Rolle, Akt, Szene, Proszenium, Synopse) durch die Studenten. Nebenbei ist noch zu bemerken, daß die in der Frage des Kosaken an den Ruthenen offengelegte Ortsangabe, ob er schon mal in ... gewesen sei, variiert: im ersten Stück wird Orsza279 erwähnt (S. 2), im dritten Nowogródek (S. 229), im vierten, der Kommunia Duchowna, Polock (Z. 33).
279 Das Jesuitenkolleg in Orsza, 1610 gegründet, verfügte dank der Förderung Jan Sobieskis über ein zweistöckiges Gebäude; anhand der Konzeption der Kommunia Duchowna vermutet Lewański dort einen eigenen Saal für Theateraufführungen, der verhältnismäßig gut mit Bühnenmaschinen für Kulissenwechsel, künstlicher Beleuchtung und einer laterna magica (um z.B. Światopełk Visionen der toten Brüder vorzuspiegeln) ausgestattet war. Von allen 59 Jesuitenkollegien, die in der polnischen und litauischen Ordensprovinz tätig waren, lagen an die 23 auf russischem Gebiet ( Julian Lewański, „Związki literackie polsko-ruskie w dziedzinie dramatu wieku XVII i XVIII“, in: Z polskich studiów slawistycznych (Polnischrussische literarische Beziehungen auf dem Gebiet des Dramas des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Aus polnischen slavistischen Studien). Warszawa 1958, S. 68 ff und 75.)
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Aus der Sichtung übereinstimmender Sequenzen in allen vier Dramen können wir nun folgende Schlüsse ziehen: die komischen Szenen in Antiprolog und Prolog lassen sich zu einer Art Paradigma zusammenfassen: • Bericht vom Schützenfest • Belehrung des Ruthenen durch den Kosaken (bzw. des Bauern durch den Gerber) • Belehrung der beiden Ungebildeten durch die Studenten • Gespräch von Kosake und Ruthene mit ihresgleichen aus dem Publikum Es hat sich gezeigt, daß diese Textabschnitte als mehrfach verwendbare Versatzstücke – ähnlich einem Ornament – in verschiedene Kontexte eingegliedert werden können. Anzunehmen ist, daß die häufige Wiederholung dieser Szenen in ihrer ausgesprochenen Volkstümlichkeit und Wirkung auf die Zuschauer begründet liegt und den Kommentaren zum dramatischen Code hier eine besondere, weit über das Dekorative hinausgehende Funktion zukommt: Für die Russisch sprechende, orthodoxe Bevölkerung in den Ostgebieten der polnischen Adelsrepublik war das Theater, wie es von den lateinischen Schulpoetiken der Jesuiten im 17. Jahrhundert propagiert wurde, zunächst eine exotische Kunstform.280 Wenn der Bauer oder Ruthene die einschlägige Metasprache mißverstehen, so darf dies als Aussage über den ‚Sitz im Leben‘ der Stücke aus dem Kodeks Orszański gelten. Um diesen Rezipientenkreis an die Konventionen westlicher Bühnenpraxis heranzuführen, übernahmen die Jesuitenautoren im Gegenzug lokale, traditionelle Stoffe, wie z.B. die Märtyrerlegende von Boris und Gleb, oder komische Figuren mit regionalem Kolorit.281 Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang auch die polnischweißrussische Mischsprache in den Intermedien. Der dramatische Code wird, wie wir anhand der Differenzierung der komischen Szenen in der obigen Liste feststellen konnten, unter verschiedenen Aspekten beleuchtet: um den gängigen Zeitpunkt der Theateraufführung geht es implizit im Bericht vom Schützenfest, die dramatische Begrifflichkeit und den Grundsatz der Bühnenillusion handeln zuerst Un-/ Halbkundige untereinander ab, dann Studenten gegenüber Nichtwissenden; vierter Gegenstand ist der Verhaltenskodex für Zuschauer. In den Antiprologen kehrt stets der autoreferentielle Hinweis auf die kommende Vorstellung einer „Komödie“ wieder und belegt die für das Barock typische Gattungsvermischung der Tragödie mit komischen Intermedien. Zum gleichen Ergebnis kommt Lewański, ohne auf das explizite Ankündigen der Komödie im Rollentext einzugehen. Hinsichtlich der Komposition der 280 Zum Theater als neuer, über polnische Jesuitenkollegien vermittelter Kunstform s. Sofronova, Starinnyj ukrainskij teatr, Moskva 1996, S. 36 f. 281 Lewański, „Związki literackie polsko-ruskie w dziedzinie dramatu wieku XVII i XVIII“, S. 76.
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Dramen aus dem Kodeks Orszański beobachtet er insgesamt eine Tendenz zur Einbindung der Intermedien in die Akte, bzw. daß die Intermedien durch die Chöre von ihrem angestammten Platz zwischen den Akten in die Akte verdrängt werden. So kommt es zu einem mehrmaligen Umschalten – einerseits bleibt die scheinbar klassische dramatische Komposition mit Akteinteilung und dem aus der Renaissance übernommenen Konzept der Katharsis erhalten, andererseits macht sich der Druck der in der Barockpoetik festgeschriebenen Mischgattungen und der strikten Unterordnung von Verfahren und Motiven unter die Effekterzeugung um jeden Preis bemerkbar.282 Mit einer Ausnahme sind auch in der Kommunia Duchowna die Intermedien innerhalb der Akte zu finden, obwohl das Stück nur einen Chor am Ende des I. Aktes aufweist: diesem moraldidaktischen folgt ein zweiter, scherzhafter Chor (Chorus iocularis secundus) in der Funktion eines Intermediums.
4.3.3.4 Scena quinta ludicra Hinsichtlich des I. Aktes der Kommunia Duchowna ist eine Verdichtung des Komischen festzustellen, beginnend mit Antiprolog und Prolog, über die Zäsur der Scena quinta ludicra, die den Akt in zwei symmetrische, je vier Szenen umfassende Hälften teilt, und in I, 7 in einem scherzhaften Wortgefecht nachklingt; den Aktschluß markiert der Chorus iocularis secundus. Nur noch jeweils ein Intermedium gibt es dann innerhalb der Akte II und III. Während die beiden Prologe „solis verbis risum movent aut Macaronismis aequivocationibus, affectato dicendi genere“ gehört diese Szene dem anderen, in der Dichtungstheorie vorgesehenen Typus von Intermedien an, „Quae in ipsis actionibus consistunt. Tales sunt decepciones ingeniose, modi rapiendi subtiliores inter pueros et servos etc.“283 Raub und Täuschung bilden auch hier den Ausgangspunkt der Handlung: Der als Briefbote der Senatoren ausgesandte Kosake hält ein Schläfchen, um sich von den Strapazen des Reitens zu erholen und bietet so zwei Dragonern die Gelegenheit, sein Pferd heimlich zu stehlen; dabei unterstreicht der eine der beiden Soldaten den vergnüglichen Nebeneffekt dieser Aktion: „Smech uczynim y sobie, y tomu durnomu.“ (Wir machen uns einen Spaß und diesem Dummen auch. Z. 352) Mittels einer Roßhaut täuschen sie vor, die Stute sei in den Sumpf gefallen. Lächerlich wirkt die Anstrengung des Kosaken, das angebliche Pferd am Schweif aus dem Sumpf zu ziehen, im Vergleich zum erzielten Ergebnis. Pragmatisch beschließt der Kosake, die Roßhaut zu verkaufen. Zupaß kommt ihm dabei der Auftritt des Juden, der einen neuen Abschnitt – das Verkaufsgespräch – 282 Ebd., S. 75. 283 Ebd., S. 77. Lewański zitiert eine nicht näher titulierte Handschrift (Nr. 736) aus dem Ossolineum.
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einleitet. Dem Kosaken gelingt es, dem Juden den abgewetzten Balg als Haut eines türkischen, bei Chocim erbeuteten Pferdes anzudrehen und damit das Klischee des betrügerischen Händlers umzukehren. Beflügelt vom vermeintlich vorteilhaften Kauf, beschließt der Jude im folgenden Monolog, Handel zu treiben und seine wenig lukrative Schenke an abgelegenem Ort aufzugeben. Trotz gewisser gewinnsteigernder Geschäftspraktiken – so manche Handvoll Salz ins Bier zu schütten und mit Salz die Heringsköpfe vollzustopfen (Z. 431 f.) – bringt er nämlich am Jahresende nur mit Mühe den Pachtzins für den Starosten auf. Im folgenden dritten Abschnitt der fünften komischen Szene tritt der Teufel an, um seine in der Hölle angezweifelten Fähigkeiten unter Beweis zu stellen (Z. 443 f.). In einer Art ‚Prolog‘ gibt er kund, Światopełk zum Brudermord und zur Übernahme der Herrschaft verleiten zu wollen (Światopełks Rolle als Anführer der Bösen schien bereits in der Vermutung des Kosaken durch, daß dessen Soldateska sein Pferd gestohlen habe, Z. 389). Zweitens versteht sich der Teufel als Amtsperson – in dieser Eigenschaft muß er unter den gegebenen Umständen Polnisch sprechen – mit dem Vorsatz, ein Sündenregister zu führen: „Mam kalamar i pióro, będę rejestrował, / Niecnoty wszytkie wiernie będę tu spisował. / Pugilaresów nie mam.“ (Ich habe Tinte und Feder, ich werde alle / Schandtaten registrieren und getreulich hier aufschreiben. / Ein Notizbuch habe ich nicht. Z. 449 ff ) Den fehlenden Schriftträger erkennt er in der Roßhaut, unter welche sich der Jude furchtsam verkrochen hat. Als dieser versucht, den Pferdeschwanz als Weihwedel einzusetzen und den Bösen unter Mißbrauch des christlichen Abwehrritus zu verscheuchen, befiehlt ihm der Teufel, der seiner Rede mit Beschimpfungen und der Androhung physischer Gewalt Nachdruck verleiht, seine Sünden zu bekennen. Abgehandelt werden nun Praktiken betrügerischer Gastronomie wie die Vermischung von Branntwein mit Wasser (Z. 474), von Tabak mit Nieswurz (Z. 478), geschmortem Rettich mit Teer (Z. 479) und von Honig mit Kot (Z. 481). Der Jude streitet ab, so etwas zu tun, denunziert aber Leyba und Boruch (Z. 476 u. 482). Ungleich länger werden die Repliken, wenn als nächstes die Verfehlungen der Christen, insbesondere der Oberschicht, zur Debatte stehen: „od panów zaczniemy“ (mit den Herren fangen wir an, Z. 486). Der Jude beklagt, daß sich die Herren als unehrliche Händler hervortun und Geliehenes nicht zurückgeben. Mangelnde Verbundenheit der Katholiken untereinander beanstandet der Teufel, ist doch fast jede Schenke an einen Juden verpachtet: „Wolą grosz wziąć od Żyda niż trzy od wiernego, / Kiedy co arendować, a w karczmie każdego / Żyd niemal siedzi.“ (Sie wollen lieber einen Groschen vom Juden nehmen als drei von einem Christgläubigen, / Wenn etwas in Pacht zu geben ist, und in jeder Schenke / Fast sitzt ein Jude. Z. 500 ff ) Die Abrechnung des Teufels kulminiert in der drastischen Anprangerung des Unrechts, das die Bauern von den Herren erleiden: Blut und Schweiß kostet sie das Erwirtschaften der geforderten Abgaben, im Gegenzug verfetten die
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„żółtobrzuchowie“ (Gelbbäuche, Z. 505)284 wie Tiere. Den offiziellen Charakter seines Tuns unterstreicht der Teufel, indem er die Notizen auf der Roßhaut als Schriftsatz für das Jüngste Gericht deklariert: „Na tej ja karbuję / Skórze wszytko i na sąd Boży nagotuję.“ (Auf dieser Haut / Kerbe ich alles ein und bereite es für das Gericht Gottes vor. Z. 510 f.) In einer direkten Anrede ans Publikum dekonstruiert er die komische Funktion des Intermediums: „Nie żarty to, nie żarty! Tam sie postrzeżecie, / Kiedy się pod me rządy w piekle dostaniecie.“ (Das ist kein Witz, kein Witz! Dort werdet ihr es schon merken, / Wenn ihr unter meine Herrschaft in der Hölle gelangt. Z. 512 f.) Den Bericht des Juden von den Übergriffen der Studenten hingegen bewertet der Teufel als Lappalie – „fraszka“ (Z. 520) – die er im Schulalltag, also schon im Diesseits, vergelten wird. Schwerer ins Gewicht fällt der Stolz der Frauen, ihr Hang zu auffallender Kleidung und Schminke. Mit der detaillierten Beschreibung, wie er diese Todsünde in der Hölle bestrafen wird, beschließt der Teufel das Register: „Obetnę ja ogony, tam ja upiększone / Posypię proszkiem włosy, tam ja w rozpalone / Wprowadzę włosy widły, ba i łeb z włosami / Skręcę.“ (Ich schneide die Schleppen ab, dort bestreue ich die aufgeputzten / Haare mit Pulver, dort steche ich in die entflammten / Haare mit der Gabel, fürwahr ich drehe auch den Kopf mit den Haaren / Herum. Z. 526 ff ) Bedacht auf das Formale, läßt er den Juden die Aufzeichnungen durchlesen und unterschreiben. Abschließend nimmt der Teufel den Juden als Reitpferd in Beschlag – dabei bezeichnet er ihn mit nicht weniger als drei synonymen Begriffen: „mierzyna“, „rumak“, „parepka“ (Z. 538 ff ) – und reitet auf ihm von der Bühne.
4.3.3.5 Zur komischen und moralisierenden Funktion des Intermediums. Bezüge zum Volkstheater und zur Volksliteratur Wie schon für die beiden Prologe ist auch für dieses Intermedium die enge Bindung an die zeitgenössische Realität charakteristisch, entsprechend Uspenskijs 284 Dieser Ausdruck spielt auf den Safrankonsum der höheren Schichten im 17. Jahrhundert in Polen an. Gloger zufolge wurden die Bewohner von Sandomierz wegen ihrer besonderen Vorliebe für Kutteln „na żółto“ (auf gelbe Art, d.h. mit Safran) von ihren Nachbarn mit ebendiesem Schimpfwort bezeichnet (Encyklopedia staropolska, Bd. II, Warszawa 1972, Stichwort „Flaki“, S. 157). Insgesamt gesehen, zeichnete sich die Küche des polnischen Adels durch verschwenderischen Gebrauch fernöstlicher Gewürze wie Pfeffer und Safran aus, der den Wohlstand des Hauses vorführen sollte. Davon zeugt das Sprichwort „Pieprzno i szafranno, moja mościa panno!“ (Gepfeffert und mit Safran, mein Durchlauchtes Fräulein!), aber auch die Fremdwahrnehmung: Der französische Höfling Laboureur, der im Gefolge Maria Ludwikas, der Gattin Jan Kazimierz’, nach Polen gekommen war, beschreibt die bei Festmählern gereichten Speisen als schön anzusehen, aber scharf und ungenießbar (Bystroń, Dzieje obyczajów w dawnej Polsce, Bd. 2, Warszawa 1976, S. 483 f.).
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Festlegung, daß Rahmen- wie Hintergrundsdarstellung vom Außenstandpunkt des Zuschauers her konzipiert sind. Für den ausgesprochenen Publikumsbezug dieser Gattung lassen sich aber auch immanent künstlerische Gründe anführen. Weitgehend unabhängig von der jeweiligen Epoche spiegelt sich im Intermedium als elementarer, aus Improvisationen bestehender Komödie gleichsam das Theater in statu nascendi. Ebenso wie seine genetischen Vorläufer, der Schauspieler im antiken Mimus und der ioculator innerhalb mittelalterlicher kirchlicher Dramen, mußte der Schauspieler im Intermedium allein durch seine Darstellungskunst die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sich ziehen. Diese unmittelbare Abhängigkeit von der positiven Publikumsreaktion bedingte, daß in den Intermedien gezielt auf die Vorlieben der Zuschauer Rücksicht genommen wurde und Lokalkolorit, Originalität und Realismus zu ihren prägenden Merkmalen gehören.285 Innerhalb der Scena quinta ludicra zeichnet sich eine Verschiebung von der vorwiegend unterhaltenden Funktion der Abschnitte 1 und 2 zur dominant moralisierenden Funktion des 3. Abschnitts ab: Das Umschalten vom Komischen zur Morallehre bedeutet aber gleichzeitig, daß der Autor vom genuin dramatischen Spiel und Dialog absieht und dazu übergeht, seine Intentionen unmittelbar qua Wendung ans Publikum zu vermitteln.286 Vier Gruppen sind es, denen der Autor qua Teufel sozialkritisch den Spiegel vorhält – seinem Gesprächspartner, dem „Żyd“ ( Jude, Z. 467) als prototypischem Vertreter der Gastwirte, den „panowie“ (Herren, Z. 486), „studenty“ (Studenten, Z. 518) und „niewiasty“ (Frauen, Z. 523). Vergleichsweise maßvoll tadelt der Teufel die Verfehlungen des Juden, er bezeichnet sie als „psikusy“ (Schelmenstreiche, Z. 470) und verzichtet darauf, die in der Hölle winkende Strafe auszumalen. Scharf brandmarkt er dagegen die Verpachtung der allermeisten Schenken an Juden sowie die ungerechte Ausbeutung der Bauern durch die adeligen Herren und droht diesem Stand Vergeltung unter seiner Herrschaft in der Hölle an (Z. 513). Damit nimmt der Teufel auf konkrete zeitgeschichtliche Probleme in den Ostgebieten der Rzeczpospolita Bezug: adelige polnische Eigentümer ukrainischer Latifundien bevorzugten jüdische Pächter und wiesen sie an, möglichst hohe Erträge zu erwirtschaften. Die zunehmende Unterdrückung der Bauern trug bei zum Kosakenaufstand unter Bogdan Chmielnicki (1648) in der Ukraine. Nach dem Sieg Chmielnickis über die polnischen Truppen mußte sich die Szlachta aus Teilen der Ukraine zurückziehen und in ihrem Gefolge auch die jüdische Bevölkerung, um sich vor Pogromen in Sicherheit zu bringen.287 Bystroń bemerkt, daß sich in Polen, das im Mittelalter als paradisus Judaeorum288 285 Lewański, „Związki literackie polsko-ruskie w dziedzinie dramatu wieku XVII i XVIII“, S. 78. 286 Vgl. Sofronova, „Intermedia“, S. 68. 287 Bystroń, Dzieje obyczajów w dawnej Polsce, Bd. 1, Warszawa 1976, S. 66 f. 288 Ebd., S. 53.
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galt, im 17. Jahrhundert das Verhältnis zu den Juden zunehmend verschlechterte, und er unterscheidet die beiden Strömungen des „makabren Antisemitismus“ (hier sind Stereotypen mittelalterlichen Ursprungs zu nennen, der Vorwurf des Christusmordes, der Brunnenvergiftung, des Hostiendiebstahls und der Ritualmorde an Christenkindern) und einer mehr karikaturistischen Variante.289 Zu letzterer zählt er, daß die Figur des Juden häufig in der Volksliteratur und in komischen Intermedien vorkommt. Gerade Studenten waren es auch, die Juden mit Spott, Streichen und tätlichen Übergriffen verfolgten, berichtet wird von Plünderungen und Verwüstungen jüdischer Wohnviertel. Der Klage des Juden in unserem Stück, Studenten nähmen ihnen manchmal die Mützen weg (Z. 518), entspricht die Überlieferung, daß in Vilnius Katholiken den Juden die Kipas heruntergezogen hätten, wenn diese sie nicht vor der Muttergottes von Ostra Brama vom Kopf nahmen.290 Wie an kaum einer anderen Stelle des Dramas wird in der Scena quinta ludicra die Verbindung der Intermedien des Ordenstheaters zum Volkstheater deutlich.291 Sofronova zählt eine Reihe von Motivübernahmen auf, wie die Beschwerde des Dragoners über schwindende Beute, die an entsprechende Stellen in der Komedia rybałtowska erinnert, das in russischen und polnischen Märchen überlieferte Motiv des Pferdediebstahls und des Teufels, der die Sünden der Menschen auf einer Kuhoder anderen Haut niederschreibt.292 Unter dem Aspekt volkstümlich-festlicher Formen und Motive hat Bachtin den Teufel der Mysterienspiele beschrieben als „nicht nur ... inoffizielle, sondern auch ... ambivalente Figur“ und „Repräsentant der zerstörenden und erneuernden Kraft des Materiell-Leiblichen.“293 Im Vergleich zu den Mysterienspielen des Mittelalters trägt der Teufel innerhalb der Kommunia Duchowna deutliche Züge des Offiziellen, mit der christlichen Weltanschauung Konformen: als beflissener Beamter führt er Tinte und Feder mit sich und plant, menschliche Untugenden „getreu zu registrieren“ (Z. 449 f.), für die lästerliche Vorspiegelung eines christlichen Teufelsabwehrritus droht er dem Juden Strafe an (Z. 464 f.) und fordert ihn am Schluß auf, das Sündenprotokoll durchzulesen und zu unterschreiben (Z. 530; 532). Die Voraussetzungen für eine solche „Vermischung von ‚offiziell‘ und ‚nichtoffiziell‘“ waren nach Bachtin in der Renaissance mit der Ablösung des Lateinischen und dem Vordringen der Volkssprachen in die Literatur gegeben:
289 Ebd., S. 64 f. 290 Venclova, Vilnius. Eine Stadt in Europa. Frankfurt 2006, S. 111. 291 S. dazu im Allgemeinen: Dietger Langer, Die Technik der Figurendarstellung in den polnischen, weißrussischen und ukrainischen Intermedien. Frankfurt 1972, S. 29 ff. 292 Sofronova, „Intermedia“, S. 63 f. 293 Michail Bachtin, Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur, Frankfurt 1987, S. 308.
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„Die volkstümliche Lachkultur konnte, nachdem sie jahrhundertelang im nichtoffiziellen Leben und in der szenischen und sprachlichen Volkskunst bestanden hatte, in die höchsten Sphären der Literatur und der Ideologie aufsteigen. Dort wirkte sie anregend und befruchtend, um dann, mit der Stabilisierung des Absolutismus und der Herausbildung einer neuen Offizialität, herabzusinken auf die unterste Stufe in der Gattungshierarchie, dort stecken zu bleiben, sich gewissermaßen von der Verwurzelung im Volk zu lösen und zu verflachen.“294
Zum Sprachrohr asketischer christlicher Moralisten macht sich der Teufel durch sein einseitig negatives Frauenbild: er beschreibt Frauen als nur auf ihr Aussehen bedacht, süchtig nach Modetorheiten – „ogony“ (Schleppen, Z. 526) – mithin dem oberflächlichen Schein anhängend. Im Chorus iocularis secundus am Ende des I. Aktes wird diese negative Einstellung im satirischen Monolog des Zwerges auf „babskie nabożeństwo“ (Gottesdienst der Frauen, Z. 837) weiterentwickelt. Das Beten der Frauen kompromittiert er als gedankenloses Plappern, ihre scheinhafte Demut in der Kirche stellt er in krassen Gegensatz zur zornigen Schelte und gewalttätigen Behandlung der Dienstboten zuhause. Die Schimpftiraden von Zwerg und Kammerdiener gipfeln darin, die diabolische Natur der Frauen festzustellen: „Niech się wróci do domu i diabła gorszego / W piekle nie masz“ (Laß’ sie wiederkommen nachhause und einen schlimmeren Teufel / Gibt es in der Hölle nicht, Z. 841 f.). Für den Kammerdiener sind die langen Schleppen der Frauentracht satanischen Ursprungs, der Teufel, nicht das Ausland, habe sie in Analogie zu seinem eigenen Habit ausgedacht (Z. 881 ff ), er stehe auf diesen Schleppen und benutze die Frauen als Zugpferde (Z. 875 f.). Zum Beweis der Gleichung Frau = Teufel, die auf dem gemeinsamen Dritten – ogon (Schleppe, Schwanz) – beruht, zieht der Kammerdiener eine sprichwortartige Sentenz heran: „Z ogona, mówiemy, / Diabła kto poznać może“ (Am Schwanz, bzw. der Schleppe, sagt man, / Kann man den Teufel erkennen, Z. 883 f.). So bleibt nur der negative Pol vom ursprünglich ambivalenten Frauenbild der volkstümlichen Lachtradition: hier ist die Frau „eng mit dem materiellleiblichen Bereich verbunden, sie ist dessen zugleich degradierende und erneuernde Verkörperung. Sie wird ebenso ambivalent gesehen wie dieser Bereich ... vor allem aber ist sie das gebärende Prinzip“295 Die Ambivalenz des Teufels hingegen beruht in der Kommunia Duchowna weniger auf Zerstörung und Erneuerung als auf seiner gleichzeitig komischen und moralisierenden Funktion – was er an Komik gegenüber den unbändig-tabulosen Diablerien des Mysterienspiels eingebüßt hat, scheint er an moralischer Autorität hinzuzugewinnen, indem er gleichsam auf offizieller Ebene die Rechte der Bauern einfordert. Dieses direkte politische Engagement unterscheidet sich grundsätzlich vom Ausdruck der utopischen Gleichheit und Freiheit aller in den symbolischen Formen
294 Ebd., S. 122. 295 Ebd., S. 281.
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des Karnevals.296 Bei aller Systemkonformität erfüllt aber auch dieser Teufel mit der „Bindung an den Bereich des Materiell-Leiblichen“297 ein zentrales Kriterium, das ihn als Figur der volkstümlichen Komik ausweist. Er reitet auf dem Juden von der Bühne und bekräftigt die karnevaleske Szene mit Gelächter: „Ha, ha, ha!“ (Z. 556) Die Unterdrückung der obszönen Seite des Teufels im Kodeks Orszański fällt beim Vergleich mit der anderen Redaktion des Textes in der Polocker Handschrift auf. Während in unserer Fassung der Jude aufgrund seiner großen Füße („pedały spore“, Z. 539) dem Bösen als Reitpferd geeignet erscheint, prüft der Teufel in der anderen Version die Genitalien: „Pokaż sam ... luboś pokładany / I wałach dawni kiedyś jeszcze obrzezany.“ (Zeig’ selbst ... obwohl du kastriert / Und ein vor langem noch beschnittener Wallach bist. Anmerkungen zur Kommunia Duchowna, S. 697) Derart volkstümlich-derbe Komik in den Intermedien zog freilich immer wieder Verbote und Strafandrohungen von Seiten der Ordensoberen nach sich.298 Diese fünfte Szene im I. Akt leitet ein verbreitetes Motiv russischer und polnischer Volksmärchen ein, die Höllenfahrt. Ihr Gegenstück hat sie in der 3. Szene des II. Aktes, einem komischen Intermedium, das auf den schaurigen Fund der Leiche Gamrots folgt: Die unfreiwillige Begleitung des Teufels in die Hölle gibt dem Juden nun Gelegenheit, über die dort gängigen Foltermethoden zu berichten: Züchtigen, Augenausstechen, Knochenbrechen, Gedärmeherauswinden belehren den Protagonisten, von Betrug und Schwindel abzulassen („Juze kinu samberstwo, kinu bałamutit“, Z. 984). Schon wollte man ihn in den Kessel mit siedendem Pech werfen, doch erbarmten sich die Teufel seiner noch einmal, weil es genug andere gab (Z. 985 ff ). Am meisten von allen schmorten die Herren in der Hölle (Z. 991 f.), daneben auch Bürger, hin und wieder ein Bauer, Frauen. Die suggestiven Bilder legen dringend den Vorsatz zu moralischer Besserung nahe: „Oy, poprawlu żywota, scob me tam ne byli“ (Oh, ich bessere meinen Lebenswandel, daß ich dort nicht sein muß, Z. 999). Auch das letzte Intermedium, die Scena nona ioculans im III. Akt, steht im Zusammenhang mit einer Greueltat, geht dieser aber voraus: Światopełk lädt Hleb ein (III, 8), um den Schutzlosen auf der Überfahrt über die Dźwina ermorden zu lassen (III, 11). Die Einladung motiviert den Auftritt des Kochs, der sich im Eingangsmonolog über die unzumutbaren Härten dieses Berufes beklagt. Zeit zur Körperpflege und zum Waschen fehlt, also vergleicht er seine fettstrotzende Kleidung scherzhaft mit einer Rüstung299, an der Pfeile und Kugeln abprallen; hätte Troja mehrere solche wie ihn gehabt, wäre es nicht von den Griechen erobert worden (Z. 2017 ff ). 296 297 298 299
Vgl. ebd., S. 306. Ebd., S. 309. S. dazu Poplatek, Studia z dziejów jezuickiego teatru szkolnego w Polsce, Wrocław 1957, S. 22. Beispiele für Küchenhumor und die Verbindung von Küche und Kriegertum führt Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Tübingen / Basel 1993, S. 431 ff an.
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Mit der Karnevalisierung des Rittertums300 ist hier ein volkstümlich-festliches Motiv gegeben, ebenso wie mit dem scherzhaften Verprügeln301 des Kochs durch die beiden Küchenjungen am Ende der Szene. Das Verprügeln bildet den komischen Höhepunkt des versuchten Fachgesprächs zwischen Koch und Küchenjungen, das nach demselben Muster wie die Dialoge über den dramatischen Code aufgebaut ist: den kulinarischen Terminus „bijanka“ (Z. 2067), der eine Speise aus Mandeln, Gallert, Zucker, Reis, Fleischbrühe und geräucherten Zungen bezeichnet, reduzieren die unverständigen Gehilfen zu „biey Janka“ (schlag’ den Janek, Z. 2070) und machen sich gleich ans Werk, nachdem sie zuvor gelernt haben, daß sie alle Befehle des Kochs umgehend ausführen müssen (Z. 2061 f.) und daß der Koch „Janek“ (Z. 2066) heißt.
4.3.3.6 Intermedien versus Tragödie – zur gattungspoetischen Anlage und Funktion der Komitragödie als neuer dramatischer Kategorie des Barock Abschließend ist kurz auf das Verhältnis der Intermedien zur Haupthandlung einzugehen – in diesem Zusammenhang war bereits die Rede von der Tendenz zur Gattungsvermischung im Barock innerhalb der innovativen Dramenformen der Tragikomödie und Komitragödie.302 In den Bereich der letzteren gehört auch die Kommunia Duchowna. Berücksichtigt man die historische Entwicklung, so lassen sich freilich die Ursprünge des Komischen im Mysterienspiel, der Verbindung von „Scherz und Ernst in mittelalterlicher Literatur“303 in die Antike zurückverfolgen: Plinius d.J. legitimiert die Mischung von Scherz und Ernst als literarisches Stil- und als Lebensideal mit dem programmatischen Motto „Homo sum“304. In Anlehnung an Curtius betrachtet Jakobson komische Szenen als unverzichtbaren Bestandteil des mittelalterlichen Mysterienspiels und beruft sich auf die Etymologie der „farce“: „The farce was intimately linked to the mystery as even the etymology suggests. Portions of the office were stuffed, farced first by Latin, and then by vernacular interpolations … The tradition of farcing, filling with conflicting ingredients, and generally, the syncretic character of late medieval gastronomy is in harmony with the „mixed style“ of the gothic play.“305
300 Vgl. Bachtin, Rabelais, S. 250 f. 301 Vgl. ebd., S. 246. 302 Okoń, „Z zagadnień baroku w szkolnym dramacie jezuickim w Polsce wieku XVII“, 1967, S. 14 f. 303 So der Titel des IV. Exkurses in Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, S. 419–434. 304 Ebd., S. 420. Zum Lachen als der „zweiten Natur des Menschen“ s. Bachtin, Rabelais, S. 125. 305 Roman Jakobson, „Medieval Mock Mystery (The Old Czech Unguentarius)“, in: Studia philologica et litteraria in honorem L. Spitzer, Bern 1958, S. 258.
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Um die Verbindung der widerstreitenden Geschmacksrichtungen süß und salzig zu dokumentieren, zitiert Jakobson ein Rezept für ‚Geschmorten Euter‘ aus dem ältesten tschechischen Kochbuch, und mit Recht darf man in diesem Zusammenhang auch obengenannte „bijanka“ anführen. Im Hinblick auf die zeitliche Einbindung der komischen Figuren im Mysterienspiel, die gleichzeitig als Zeugen des dramatisierten biblischen Geschehens und als Zeitgenossen ihrer jeweiligen Zuschauer eingeführt werden, wendet sich Jakobson gegen den Begriff „Anachronismus“. Die Evangeliengeschichte ist durch ihre alljährliche Wiederaufführung nicht ferne Vergangenheit, sondern wird stets neu aktualisiert, so daß die Einheit der Zeit im Mysterienspiel adäquat mit dem Begriff „Panchronie“ zu bezeichnen ist.306 Als ein Relikt dieses doppelten Zeitbezuges in der Kommunia Duchowna können wir die Einbindung des Kosaken in die ins Mittelalter datierte Haupthandlung und in den Aufführungskontext des 17. Jahrhunderts bewerten. Dessenungeachtet und trotz der Bezüge des Jesuitendramas zum Volkstheater und zum Mysterienspiel lassen sich die Haupt- und Intermedienfiguren in der Kommunia Duchowna keinesfalls grundsätzlich in eine einheitliche Zeitdimension integrieren, vielmehr bleibt der Außenstandpunkt der komischen Akteure nicht nur deutlich fühlbar, sondern ist beabsichtigt. Zum einen handelt es sich bei unserem Stück nicht um ein alljährlich aktualisiertes Mysterium, prinzipiell waren Jesuitendramen (mit wenigen Ausnahmen) zur einmaligen Aufführung bestimmt. Die komischen Intermedien verstärken die Tragik der Haupthandlung und steigern die dramatische Spannung.307 Es entsteht der Effekt eines mehrmaligen Umschaltens von der Lebenswirklichkeit der Zuschauer zur dargestellten Welt der Tragödie und wieder zurück von der Bühnenillusion zum Illusionsbruch. Damit erfüllt sich das typische Kontrastprinzip barocker Wirkungsästhetik.
4.3.4 Gesamtkomposition und innere Kompositionsrahmen Nachdem wir die Intermedien in der Kommunia Duchowna unter dem Aspekt des Außenstandpunkts und der Rahmengestaltung untersucht haben und in einem weiteren Schritt anhand dieser Fragestellung gemeinsame Strukturkonstanten von Literatur und Malerei herausarbeiten konnten, wollen wir nun den Gesamtaufbau der Tragödienhandlung analysieren. Ausgehend von Gustav Freytags Die Technik des Dramas als methodischer Grundlage wird u.a. der Zusammenhang von Handlungsentwicklung und Aktgrenzen zu diskutieren sein. Dabei sind auch die inneren Kompositionsrahmen aufzuzeigen gemäß Uspenskijs These vom zusammengesetzten Charakter des Kunstwerks, d.h. dem innerhalb des Werkes fortgeführten Wechsel
306 Ebd., S. 260. 307 Sofronova, „Intermedia“, S. 74.
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von Außen- und Innenperspektive.308 Weitere Aufschlüsse für unser umfassendes Thema der universalen Gestaltungsprinzipien in Literatur und Malerei sind ebenfalls im Bereich der Dramenkomposition zu gewinnen: Oskar Walzel ging von Heinrich Wölfflins kontrastiven Grundbegriffen zur Beschreibung der Renaissance- und Barockkunst aus, um die Bauweise klassischer Dramen mit derjenigen der Dramen Shakespeares zu vergleichen. Walzels Begriffsinventar scheint geeignet, um die barocke Kompositionsform der Kommunia Duchowna in Relation zur bildenden Kunst zu erfassen. Die Beschäftigung mit dem regulären dramatischen Aufbau der Kommunia Duchowna erscheint auch deswegen angezeigt, weil Jan Okoń eine grundsätzliche Tendenz des barocken Jesuitendramas zu epischen Gattungen309 behauptet, vor allem dem Roman und Epos, bzw. dem Kriminalroman, wenn man von heutigen Verhältnissen ausgeht. Die Ursache für den Wandel der dramatischen Komposition sieht er in der bevorzugten Bearbeitung historischer Stoffe, im Schwinden der Aktion der dramatis personae zugunsten der Reflexion, in der geringeren Gewichtung der Handlung gegenüber einer vielgestaltigen, an Ereignissen reichen Fabel. Dabei verdankt sich die Geschehensfülle auch Einwirkungen jenseits personalen Handelns wie Mißverständnissen, Orakeln, Weissagungen, Träumen (die freilich immerhin das Kriterium der poetischen Wahrscheinlichkeit zu erfüllen haben). In der Zusammenfassung ergibt sich so eine Exponierung sensationeller Effekte und ungewöhnlicher Motive in der Fabel, die Okoń zu obiger Feststellung der Gattungsvermischung führte. Ins Gewicht fällt dabei freilich auch der Hinweis auf die Dichtungstheorie: Sarbiewskis Äußerungen über Tragödie und Komödie im IX. Buch sind kurzgefaßt und verallgemeinernd, während er in den vorangehenden acht Büchern zur epischen Poesie (Vergils und Homers) häufig auf verwandte Strukturelemente in der Tragödie Bezug nimmt. Das heißt, er unterscheidet nicht grundsätzlich zwischen dramatischer und epischer Komposition.310 Auswirkungen auf den dramatischen Bau hatte auch die bühnentechnische Ausstattung: mittels der Periakten, wie sie Sarbiewski beschreibt, ließen sich wechselnde Hintergründe der Handlung vorstellen. Übertragen auf die Verhältnisse der Kommunia Duchowna ist davon auszugehen, daß die Bühnendekoration aus einer Abfolge von Palastinterieur, Szene vor dem Palast mit „Tor“ (Borys ... Gamrota przed wroty umarłego najduje. II, 2), einer waldigen Landschaftsszene „unterwegs“, in der Borys ermordet wird (w drodze, II, 6) und schließlich der Darstellung eines „Urwaldes“, bzw. einer „Wildnis“ (Sena308 Uspenskij, Poetik der Komposition, S. 169. 309 Jan Okoń, „Prolegomena teatrologiczne do „Komuniji duchownej świętych Borysa i Gleba“, in: Krakowskie Zeszyty Ukrainoznawcze, Bd. V/VI (1996/1997), S. 40; Okoń, Dramat i teatr szkolny, 1970, S. 58. 310 Okoń, „Z zagadnień baroku w szkolnym dramacie jezuickim w Polsce wieku XVII“, 1967, S. 22–24.
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torowie ... na puszczą idą ..., III, 4) bestand. Die Waldszene des Mordes an Borys würde folgerichtig mit IV, 6 korrespondieren, wo Światopełk „durch die Wälder irrt“ (tuła sie po lasach) und von der Erde verschlungen wird. Hingegen liegen keine unmittelbaren Regieanweisungen für die Verwendung von Schiffen in der Szene des Mordes an Hleb (III, 11) vor, während in der altrussischen Heiligenlegende das Einholen von Glebs Barke durch seine Verfolger beschrieben wird.311 Einen entfernten Hinweis gibt nur Światopełk mit seiner Einladung „Proszę, ku mej chudoby przez Dwinę ku wodzie / Popłyniesz“ (Ich bitte, daß du zu meinem Gut über die Dźwina, übers Wasser, fährst, Z. 2003 f.). Ljudmila A. Sofronovas Ausführungen zu den Sujets und zur Sujetstruktur des barocken Schuldramas zielen weniger auf die dramatische Gesamtkomposition als auf die kleinteilige, 32 Positionen umfassende Auflistung wiederkehrender Situationen, von denen die meisten auch in der Kommunia Duchowna begegnen (z.B. 2. Der Fürst denkt über die Lasten der Machtstellung nach. 5. Der Fürst hat eine schlechte Vorahnung. 16. Eine Nachricht führt zu gegenseitigen Verdächtigungen, usw.)312 Voraus schickt sie eine Zuordnung dramatischer Sujets zu verschiedenen, umfassenden Themenkreisen, um folgende Klassifizierung313 vorzuschlagen: • Moralitäten (hier wird auch darauf verwiesen, daß Stender-Petersen überhaupt alle Jesuitendramen unter dieser Kategorie subsumiert) • Märtyrer-, bzw. hagiographische Dramen • Stücke über das Machtstreben, Staatsaktionen • dem Abenteuerroman nahestehende Dramen Dabei soll hier keine starre Grenzziehung vorgenommen werden, vielmehr gibt es Wechselbeziehungen zwischen den verschiedenen Typen, vor allem den Märtyrerdramen und den vom Machtstreben handelnden Stücken, eine Verknüpfung, die auch für die Kommunia Duchowna kennzeichnend ist. Zu den grundlegenden Situationen, bzw. Sujetelementen gehören Vorhersagen, Identifikationen (wie das Wiedererkennen von Hleb und Jarosław in der Wildnis), Wunder; allgemeine Sujetverfahren sind Variation, Widerspiegelung, paralleler Bau, Kontrast.314 Implizit liest man aus Sofronovas Ausführungen eine Begründung für ihre ausgiebige Beschäftigung mit der mikrostrukturellen Aufspaltung der Sujets: Qua Argument, Prolog und Synopse war dem Zuschauer das Sujet und der Ausgang der Handlung von vorneherein bekannt, so daß der Dramaturg darauf bedacht sein mußte, den Zuschauer mit Einzelheiten, wirkungsvollen Episoden zu fesseln.315 311 Russische Heiligenlegenden, hrsg. v. Ernst Benz, Zürich 1983, S. 66. 312 Sofronova, Poėtika slavjanskogo teatra, S. 144 ff. 313 Ebd., S. 142 ff. 314 Ebd., S. 152 ff. 315 Ebd., S. 155.
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Der Eindruck der Ereignisdichte und einer Vielzahl überraschender Wendungen beim erstmaligen Lesen der Kommunia Duchowna ist unbestreitbar und entspricht den referierten Beobachtungen Okońs und Sofronovas. Im Rückblick läßt sich jedoch aus der Fülle von Einzelheiten ein deutliches Muster dramatischer Komposition, die Einheit der Handlung, abstrahieren. Beide Arten des Zugangs verknüpft Veltruský in seiner methodischen Unterscheidung der jeweiligen perspektivischen Wahrnehmung des dramatischen Dialogs einerseits und des dramatischen Sujets (plot) andererseits: der Dialog wird im Präsens, sozusagen aus räumlicher und zeitlicher Nähe wahrgenommen, in stetem Wandel der Benennungsakte, in diverse Elemente aufgeteilt, während sich die kontinuierliche und einheitliche Struktur des dramatischen Sujets erst im distanzierten Rückblick aus der Vergangenheit erschließen läßt.316 Wenn im Drama so eine Synthese der dominanten Zeitformen von Lyrik – Präsens – und narrativen Gattungen – Präteritum – vorliegt, bleibt noch auf den wesentlichen Unterschied zwischen dramatischem und narrativem plot nach Veltruský hinzuweisen: der Stufenbau317 ist für ihn ein unabdingbares Merkmal dramatischer Sujets, während narrative Sujets im Stufenbau oder auch linear entfaltet sein können.318 Dieser Sachverhalt trifft zu, wenn wir unser Stück mit seiner Vorlage, der altrussischen „Erzählung von den beiden Duldern und Heiligen Märtyrern Boris und Gleb“319 vergleichen. Im epischen Bericht folgt ein Mord geradlinig auf den anderen, während der dramatische Autor die Tötungshandlungen jeweils aufspaltet in Mordversuch und –vollendung: dem erstmaligen Scheitern folgt die Ausführung beim wiederholten Angriff. Mit Recht hat Šklovskij auf die Unentbehrlichkeit von Verzögerungsmomenten in der Sujetentwicklung generell hingewiesen, und so möchte ich der gestuften Handlung in der Kommunia Duchowna die Verlangsamung der Erzählung mittels eingeschobener Gebetstexte der beiden Märtyrer vor ihrer Ermordung entgegensetzen: Dramatisch wirkt hier das Einblenden direkter Rede, in der die eigene Innerlichkeit im Zustand höchster Erregung preisgegeben wird, lyrisch der sentimentale sprachliche Ausdruck. Auf die gestufte Komposition der Kommunia Duchowna werde ich nochmals an ihrem systematischen Ort innerhalb der Dramentheorien Gustav Freytags und Oskar Walzels zurückkommen. 316 Veltruský, Drama as Literature, S. 83. 317 S. dazu auch Viktor Šklovskij, „Der Zusammenhang zwischen den Verfahren der Sujetfügung und den allgemeinen Stilverfahren“, in: Texte der russischen Formalisten, Bd. 1 (hrsg. v. Jurij Striedter). München 1969, S. 36–121. Šklovskij beschreibt Stufenbau und Verlangsamung als zentrale Verfahren der Sujetkomposition, die er im Zusammenhang mit dem Stilmittel des Parallelismus sieht. Auf die Unterscheidung zwischen dramatischem und narrativem Sujet kommt es ihm dabei nicht an. 318 Veltruský, Drama as Literature, S. 78. 319 In: Russische Heiligenlegenden, hrsg. v. Ernst Benz, Zürich 1983, S. 54–73.
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4.3.4.1 Gustav Freytags Dramenmodell als Strukturprinzip Freytag hat ein normatives Modell des Dramas entworfen, demzufolge die dramatische Komposition fünf Teile umfaßt, nämlich Einleitung, Steigerung, Höhepunkt, Fall oder Umkehr und Katastrophe: diese Bauform stellt er graphisch anhand einer Pyramide dar, deren linke Seite die aufsteigende, deren rechte die absteigende Handlung in symmetrischer Spiegelung veranschaulicht; der Pyramidenspitze als Treffpunkt beider Linien ist der Höhepunkt der Handlung zugeordnet.320 Grundsätzlich unterliegt die Steigerung dem Stufenbau, „ob die Steigerung in einer oder mehreren Stufen bis zum Höhenpunkt laufe, hängt von Stoff und Behandlung ab.“321 Für die fallende Handlung nennt er keine konkrete Zahl der Abstufungen, sondern verweist nur darauf, „daß die Umkehr eine geringere Zahl wünschenswert macht, als im allgemeinen die aufsteigende Handlung verstattet.“322 Damit haben wir einen Anhaltspunkt dafür, daß auch Freytags scheinbar streng symmetrisches Schema Spielraum für ein Ungleichgewicht im Aufbau der Handlungsachsen zuläßt. Allerdings hat er den Stufenbau in der graphischen Darstellung des Pyramidenmodells nicht berücksichtigt. In der Regel verbinden sich die fünf Teile der Handlung mit den fünf Akten, doch gesteht Freytag eine geringere Aktzahl – ein oder drei – bei gedrängteren Stoffen zu.323 Das klassische Schema der fünf Akte, wie es auch Sarbiewski in seiner Dichtungstheorie – gepaart mit den vier Handlungsabschnitten protasis, epitasis, catastasis und catastrophe – fordert, trifft für die Kommunia Duchowna nicht zu; vielmehr wollen wir aufzeigen, wie die konventionellen Teile des Dramas hier asymmetrisch auf vier Akte324 verteilt sind. Der Einleitung kommt innerhalb unseres Stückes kein eigener erster Akt zu, sie ist kein „organischer Teil im Bau des 320 Gustav Freytag, Die Technik des Dramas, Darmstadt 1975, S. 102. 321 Ebd., S. 110 f. 322 Ebd., S. 118. Die Proportionierung der steigenden und fallenden Handlung nach dem Verhältnis 3:2 Akte bei Aristoteles richtet sich nach dem Goldenen Schnitt. Dieses ideale Maßverhältnis bestimmt also die griechische Baukunst und auch die Architektur des Dramas, wie wir im Hinblick auf unser Kernproblem der Intermedialität ableiten können. Über das gemeinsame künstlerische Strukturprinzip hinaus ist das Verhältnis 3:2 Akte auch unter wahrnehmungspsychologischem Aspekt motiviert: nachdem die steigende Handlung der Akte I–III abgelaufen ist, läßt sich die Entwicklung der fallenden Handlung bereits vorausahnen und in der kürzeren Zeitspanne der Akte IV und V darstellen. 323 Ebd., S. 172 f. 324 Die offene Bauform der vier Akte verbindet sich mit der Orientierung an der Bewegungslinie der Diagonalen und damit einem grundlegenden barocken Gestaltungsprinzip. Diese Bewegung ist zu sehen als Öffnung der Aufführung hin zum Publikum mittels verschiedener Verfahren der Publikumsansprache, der Intermedien, Spiel-im-Spiel-Verfahren und der damit verknüpften Steuerung der Aufmerksamkeit hin auf die verschiedenen semiotischen Schichten.
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Dramas“325, sondern mittels einer epischen Inhaltsangabe im Prolog vorangestellt: der Erste Student führt in Ort, Zeit und Hintergründe der Handlung ein – die Erbfolge in Rußland nach dem Tod Włodzimierz’ – und benennt die komplementären Kräfte von Spiel und Gegenspiel326 – „Światopełk“ (Z. 103), „tyran“ (Z. 105) versus „Borys i Hleb“, „ruscy patronowie“ (Z. 99) sowie Jarosław (Z. 112). Hervorgehoben ist das erregende Moment, Światopełks energisch hervordrängendes Verlangen, die Alleinherrschaft über Rußland anzutreten, in seinem Auftrittsmonolog am Beginn des ersten Aktes: Der negative Held setzt die Handlung in Gang und mit seinen dominanten Charakterzügen der rücksichtslosen Machtgier, dem Affekt des Zorns, wird im Folgenden die innere Geschlossenheit der Handlung motiviert sein. Vom ersten Akt an wirkt sich bereits das Gegenspiel aus, zunächst noch im Bericht von Światopełks Vertrautem Gamrot, das Volk stimme für Borys und schrecke vor Światopełk zurück (Z. 168 f.), dann in den drei folgenden Szenen mit der entschiedenen Ablehnung Światopełks durch Eryman und die Senatoren. Nach dem komischen Intermedium fängt Światopełk die gegen ihn gerichteten Briefe der Senatoren ab. Das Gegenspiel provoziert ihn, gefälschte, für ihn stimmende Briefe abzusenden und schließlich den Vorsatz zum Mord an Borys mittels eines vergifteten Briefes zu fassen. So macht sich schon im ersten Akt eine Steigerung der verbrecherischen Handlungsabsicht bemerkbar. Im zweiten Akt verläuft die Steigerung weiter über die zwei Stufen des geplanten, heimtückisch-verdeckten Mordes an Borys (der fälschlich Gamrot trifft) über den realisierten, blutigen. Dabei hat Borys selbst unbewußt seine künftigen Mörder Światopełk in die Hände gespielt, weil er sie ihm als des Mordes an Gamrot verdächtig ausgeliefert hatte. Dem Höhepunkt der Bluttat (II, 6) folgt ein weiteres Ansteigen der Handlung: Światopełk, der sich auf die Nachricht von Borys’ Tod hin am Ziel seiner Wünsche wähnt (II, 8), erhält die Nachricht von Hlebs Bestimmung zum Thronfolger (II, 10) und wird so durch das Gegenspiel der Senatoren veranlaßt, eine neue, verdeckte Intrige auszuhecken: seine beiden Erfüllungsgehilfen, die Hleb und Jarosław gegeneinander aufwiegeln sollen, so daß sie sich gegenseitig umbringen, hatte ihm wiederum Jarosław überstellt, da er sie irrtümlich des Mordes an Borys bezichtigt hatte wegen ihrer bloßen Anwesenheit am Tatort. Am Ende des zweiten Aktes hat Światopełk schon erfolgreich Mißtrauen zwischen den beiden Brüdern geschürt; der zweite Akt geht beinahe nahtlos in den dritten über, indem das Mißtrauen in einer wiederum zweiten Stufe zur Gewißheit wird: den Szenen elf und zwölf im zweiten Akt entsprechen so die dazu jeweils parallelen Szenen zwei 325 Gustav Freytag, Die Technik des Dramas, S. 103. 326 Aristoteles berücksichtigt noch nicht die Perspektivik von Spiel und Gegenspiel: Freytag stellt hier zwei Modelle vor, je nachdem, ob ein aktiver Held von Anfang an das Gegenspiel provoziert, oder ob ein passiver Held die Gegenreaktion erst in der fallenden Handlung auslöst.
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und drei im dritten Akt (II, 11 : III, 2 und II, 12 : III, 3). Światopełks Mordplan scheitert jedoch an dem beiden Brüdern eigenen Charakter der Friedfertigkeit und Bruderliebe. Den Senatoren gelingt es, dem Gegenspiel zum Durchbruch zu verhelfen, in der Mitte des dritten Aktes (III, 6) führen sie die entscheidende Wende herbei: ihre Argumentation, daß Rußland nicht dem Heidentum anheimfallen solle, verleitet die Brüder zur sowohl räumlichen, als auch gedanklichen Umkehr; sie verlassen die Wildnis und sind bereit zu regieren. Die Nachricht von der Rückkehr der Brüder stachelt Światopełk an, einen zweiten, unfehlbaren Plan für den Mord an Hleb zu fassen. Als letzte Steigerung und Höhepunkt muß die Bluttat empfunden werden, weil Światopełk zum einen dafür selbst den Verlust seines Seelenheils in Kauf nimmt (Z. 1942) und zum anderen im persönlichen Gespräch mit dem jüngsten Bruder (bis dahin gab es überhaupt keinen Dialog Światopełks mit seinen Brüdern) Hleb täuscht und an den Tatort lockt. Der Ermordung Hlebs als zweitem Höhepunkt des Stückes am Ende des dritten Aktes geht eine Szene (III, 10) voraus, in der Jarosław spontan und unmotiviert Światopełks gewaltbereite Natur erkennt (wie die Senatoren bereits in II, 9) und Hleb durch einen Boten davor warnen läßt, zu Światopełk zu fahren. Zwar kann diese Warnung im Zuschauer nicht den geringsten Zweifel am unweigerlich fatalen Lauf der Ereignisse auslösen, doch ist Jarosławs Einsicht notwendig, um den Beginn der fallenden Handlung zu markieren. Vehement bricht die Kraft der Reaktion durch, als Jarosław und die Senatoren am Beginn des vierten Aktes gemeinsam beschließen, den Freveltäter Światopełk zu bestrafen, sobald seine Schuld erwiesen ist. Jarosław profiliert sich nun als Anführer des Gegenspiels und zugleich als künftiger Herrscher. Die erste Szene gründet auf dem effektvollen Gegensatz zwischen der laus-ruris-Idylle seiner Auftrittsrede und der im genus iudiciale gehaltenen, flammenden Verfluchung von Hlebs Mörder nach der Todesmeldung. Im Ergebnis steht Jarosławs unbedingter Handlungswille fest, der ausgleichenden Gerechtigkeit, notfalls mit dem Schwert, Geltung zu verschaffen. Der ersten Szene gleich- und entgegengesetzt ist die zweite (die gleiche Nachricht von Hlebs Tod und die unterschiedlichen Reaktionen darauf ): auf die Botschaft von Hlebs Tod hin glaubt Światopełk die Hindernisse auf dem Weg zum Thron beseitigt, gebärdet sich euphorisch und bekundet gar, nach dem Blut seines toten Bruders im buchstäblichen, nicht übertragenen Sinn zu dürsten. Das Abwegige dieses Wunsches, dessen Ohrenzeuge Jarosław war, gibt die letzte Begründung der Katastrophe. Jarosław ergreift nun das Wort, in höchster Bewegung klagt er Światopełk an, spricht den Nachruf auf Hleb und erklärt sich einverstanden mit dem zu erwartenden Todesurteil der Senatoren. Im Unterschied zur Steigerung der Mordpläne Światopełks macht sich in der fallenden Handlung eine Abschwächung bemerkbar: die Kapitalstrafe für Światopełk wandelt Jarosław in der Ratssitzung mit den Senatoren (IV, 5) um in Verbannung unter Berufung darauf, nicht der gleichen Sünde wie Światopełk anheimfallen zu wollen (Z. 2417 f.). An die Stelle
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alttestamentlicher Vergeltung setzt er so christliches Handeln. Entsprechend dem Grundsatz, die Katastrophe enthalte „doch nur die notwendigen Folgen der Handlung und der Charaktere“327 muß Światopełk in der Schlußszene die Tragweite seiner Handlungen – „zdrady“ (Verrat, Z. 2429), „krew wylana“ (vergossenes Blut, Z. 2432) – und die Determiniertheit seines Charakters – „czemu w swych gniewach serce opłonęło“ (warum entbrannte das Herz im Zorn, Z. 2439) – erkennen. Der Höllensturz steht bevor gleichsam als berechenbares Ergebnis der vorangegangenen Taten. Światopełks Selbstkommentar am Beginn der Szene richtet sich dabei nicht nur auf seine individuelle, historische Existenz, sondern umfaßt als didaktischemblematische Botschaft an den Zuschauer zugleich eine allgemeingültig-abstrakte Reflexion darüber, daß Verrat und Blutvergießen auf ihren Urheber zurückschlagen. Freytags Grundsatz, die Umkehr solle weniger Abstufungen als die Steigerung umfassen, erscheint hier anhand einer deutlichen Asymmetrie von Fall und Aufstieg Światopełks übererfüllt: Gegenüber der steigenden Handlung der Akte I-III mit zwei (verzögerten) Höhepunkten nimmt die fallende den verhältnismäßig kurzen Zeitraum der sechs Szenen des IV. Aktes ein. Von der inneren Logik des Stückes her drängt sich das Abrupte des Sturzes durch die überwältigende Ansammlung von Freveltaten zwingend auf. Darüber hinaus erfordert die Ökonomie der Bühnenzeit einen Ausgleich der beiden Handlungsachsen, um die aufgeführte, einheitliche Handlung insgesamt einem anthropologisch vertretbaren Maß der Aufmerksamkeit unterzuordnen. Freilich ist auch dieses Maß eine von den historischen Bedingungen abhängige Größe. Als Faustregel für die Dauer einer Vorstellung ist in einer Anweisung des Jesuitenordens von 1647 vorgegeben, daß zwei Stunden, bzw. 800 Verse, nicht überschritten werden sollen.328 Wenn wir davon abstrahieren, daß die Instruktion lateinische Dramen vorsieht, hätte die Aufführung der Kommunia Duchowna mit 2484 Versen sechs Stunden in Anspruch genommen, was eher unrealistisch scheint. Freytag hingegen veranschlagt drei Stunden und etwa 2000 Verse für ein Theaterstück von angemessener Länge (er bemerkt auch, daß Shakespeares Stücke ungekürzt fast vier Stunden umfassen, z.B. hat Hamlet 3715 Verse, Richard III. 3603329). Seinem Rechenbeispiel folgend, möchte ich von einer Dauer von etwa vier Stunden für die Aufführung der Kommunia Duchowna ausgehen. Für die Beschreibung des dramatischen Handlungsaufbaus unseres Stückes hat sich Freytags Ansatz als zweckmäßig erwiesen; problematisch erscheint es jedoch, die vier Akte dem klassischen Schema einzupassen. Weiterführende Aufschlüsse zur Bauform der Kommunia Duchowna wird uns Oskar Walzel geben, zuvor aber ist noch die Binnengliederung des Stückes zu untersuchen. 327 Gustav Freytag, Die Technik des Dramas, S. 121. 328 Poplatek, Studia z dziejów jezuickiego teatru szkolnego w Polsce, Wrocław 1957, S. 75 f. 329 Gustav Freytag, Die Technik des Dramas, Anmerkung S. 309 f.
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4.3.4.2 Innere Kompositionsrahmen In engem Zusammenhang mit dem Aufbau des Dramas steht die Frage nach den inneren Kompositionsrahmen, nach dem Verhältnis der Aktgrenzen zu den Sujetgrenzen. Doppelt hervorgehoben wird das Ende des ersten Aktes durch den Chorus sowie den Chorus iocularis secundus. Beide Chöre nehmen innerhalb des Stückes eine Sonderstellung ein – die Erwartung, daß auch die folgenden Akte durch einen Chor und/ oder ein Intermedium abgeschlossen würden, geht jedoch ins Leere. Von der Makrostruktur der Komposition her entfällt also mit dieser einen Ausnahme die zusätzliche Markierung des Aktendes. Im Hinblick auf den semantischen Aufbau scheinen zweiter und dritter Akt durch den fortschreitenden Bruderzwist zwischen Hleb und Jarosław nahtlos – ohne Zäsur im Sujet – ineinander überzugehen, während der dritte Akt mit der Ermordung Hlebs, der vierte mit Światopełks Versinken in der Erde eindeutig abschließt. Bei näherer Untersuchung der Mikrostruktur des Textes läßt sich aber nachweisen, daß die Rollentexte Jarosławs am Ende des zweiten und dritten Aktes (II, 12 und III, 10) Abschnitte umfassen, die auffallende lexikalische, semantische und funktionale Parallelen zum Chorlied des ersten Aktes enthalten. Der erste Akt stellt Światopełks schrittweise Entwicklung zum Brudermörder aus skrupelloser Machtgier vor Augen und schließt mit dem makaber-effektvollen Auftritt des giftmischenden Zauberers. Im Anschluß daran gibt der Chor eine distanzierte Reflexion auf den Stand der Dinge: „Gdzie złote wieki, jako upłynęły Szczęśliwe prędko czasy? Górę wzięły Żelazne lata, kiedy już brat brata Chce zgładzić z świata. Żadnej przyjaźni nie masz tak statecznej, Trwałego związku nie masz i tak wiecznej Miłości, aby kiedy nie ustała, Rwać się nie miała. Romulus Rema, a Helen Chaona Zgładzili z świata, pierwsza zrumieniona Była krwią brata ręka Kaimowa Nader surowa. Żaden nie może respekt uhamować Tego, kto pragnie zuchwale panować. Na stronę brat, gdzie idzie o honory, Giną fawory.“ (Z. 809–824) Wo sind die goldenen Zeitalter, wie vergingen Die glücklichen Zeiten schnell? Die Oberhand bekamen Eherne Jahre, wenn schon der Bruder den Bruder Aus der Welt schaffen will.
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Keine so beständige Freundschaft gibt es mehr, Kein dauerhaftes Bündnis und so ewigwährende Liebe, daß sie nicht irgendwann aufhörte, Nicht zerreißen sollte. Romulus schaffte den Remus, und Helenus den Chaon Aus der Welt, als erste gerötet War vom Blut des Bruders die Hand Kains Die allzu grausame. Keine Ehrfurcht kann den hemmen, Der frech begehrt zu herrschen. Zur Seite mit dem Bruder, wenn es um Ehrenstellungen geht, Ist es aus mit der Gunst.
Offenkundig ist so die emblematische Struktur des ersten Aktes: die dargestellte Bühnenhandlung verhält sich zur moralisierenden Auslegung des Chores wie die pictura eines Emblems zu ihrer subscriptio, wie „Besonderes und Allgemeines, Bild und Bedeutung, die doch als Komplementärerscheinungen erst miteinander das charakteristische Ganze bilden.“330 In der Terminologie Uspenskijs gesprochen, zeichnet sich mit dem Wechsel vom Innenstandpunkt der dramatis personae zum Außenstandpunkt der objektiven Bewertung des Bühnengeschehens im Chor ein innerer Kompositionsrahmen ab. Die Sonderstellung des Chors ist durch die schon von Seneca in dieser Position eingesetzte sapphische Strophe331 gekennzeichnet, die hier einmalig im Unterschied zum Elfsilbler des dramatischen Dialogs verwendet wird. Im Zusammenhang mit der Analyse der Gesamtkomposition und der inneren Kompositionsrahmen greife ich hier schon dem folgenden Kapitel zur Emblematik in der Kommunia Duchowna vor. An die subscriptio-Funktion des Chores knüpft Jarosław am Ende des zweiten Aktes an, als ihm ein blutüberströmter Höfling meldet, daß Hleb mit bewaffneten Truppen auf Jarosławs Vernichtung ziele: „Już sie znowu wracają czasy Kaimowe, Z których wzięło początek zabójstwo surowe. Brat bratu śmiercią grozi, komuż ufać mamy, Kiedy na zgubę od krwie naszej wyglądamy?“ (Z. 1613–1616) Schon wieder kommen die Zeiten Kains zurück, In denen grausamer Mord seinen Anfang nahm. Der Bruder droht dem Bruder mit Tod, wem sollen wir vertrauen, Wenn wir Ausschau halten nach unserem Verderben von unserem eigenen Blut? 330 Albrecht Schöne, Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock, 3. Aufl. München 1993, S. 169. 331 Ebd., S. 170, Anm. 3.
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Der Verweis auf die Zeiten Kains und den drohenden Brudermord zeigt signifikante lexikalische und semantische Parallelen mit der ersten und dritten Strophe des Chorliedes. Unmittelbar im Anschluß daran geht Jarosław direkt ins Bühnengeschehen zurück mit seiner persönlichen (durch die Intrige vorgegebenen) Einschätzung Hlebs als „świątoszek“ (Frömmler, Z. 1617), der „pod skórami / Owczymi wilka karmi“ (unter dem Schafspelz / einen Wolf nährt, Z. 1620 f.), und beschließt, einen Spion auszusenden. So bildet die Aktgrenze zwar keinen scharfen Einschnitt im Sujet (wenn sich die Spione, die am Ende des zweiten Aktes ausgeschickt wurden, am Anfang des dritten Aktes treffen, so stellt das keine bedeutende Veränderung dar), auch ist die Aktgrenze nicht durch einen Chor im Hinblick auf den Gesamtaufbau hervorgehoben; doch läßt sich anhand der verschiedenen Redehaltungen Jarosławs, der vom distanzierten, allgemeinen Kommentar zur Lage in den eigenen Rollentext (Außen- vs. Innenstandpunkt) übergeht, ein impliziter, innerer Kompositionsrahmen auf der mikrostrukturellen Ebene des dramatischen Dialogs nachweisen. Mit der geringfügigen Vorverlegung des inneren Kompositionsrahmens vom direkten Aktende entschied sich der Autor für eine offenere Struktur als sie das klassische, fünfaktige Drama mit abschließenden Chören kennzeichnet. Die subscriptio zum dritten Akt ist in die vorletzte Szene vorgezogen: am Ende von III, 10 wiederholt Jarosław seine kulturkritischen Betrachtungen zu den gegenwärtigen Zeiten; das vom Chor vermittelte Paradigma der Brudermörder aus der Antike und dem Alten Testament erweitert er ins Politische und unterstellt, daß thrakische Tyrannen wohl nicht so viel unschuldiges Blut vergossen hätten, wie dies jetzt der Fall sei: „Co za czasy, już nie wiem, przeszłe czy widziały Wieki tak zawiedzionych i trackie czy miały Większych tyranów kraje, którzy by pragnęli Zguby ludzkiej, niewinnych krwie barziej łaknęli? Ustawiczne zabójstwo, lecz kresy zamierzył Bóg złościom i kto miarki kto dobrał, domierzył Pewnej w przestępstwie pełni, porwie się uśpiony Bóg do miecza, głosem krwi ludzkiej obudzony.“ (Z. 2099–2106) Was sind das für Zeiten, ich weiß nicht mehr, ob frühere So trügerische Zeitalter gesehen haben und ob die thrakischen Länder Größere Tyrannen hatten, die nach dem Verderben Der Menschen strebten, mehr nach dem Blut Unschuldiger lechzten? Ständig Mord und Totschlag, aber eine Grenze setzte Gott den Übeltaten und wer das Maß überzog, dem maß er Eine bestimmte Grenze im Verbrechen zu, der schlafende Gott wird zum Schwert greifen, von der Stimme menschlichen Blutes erweckt.
Der Hinweis auf „kresy“ (Z. 2103), die von Gott bemessene Grenze der Freveltaten, mag als autoreferentielle Ankündigung des Tragödienendes verstanden werden.
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Aus unserer vergleichenden Übersicht des Chorliedes und der angeführten Abschnitte in Jarosławs Rollentext können wir erstens schlußfolgern, daß die drei Sequenzen in ihrer moraldidaktischen Stellungnahme – der Verurteilung des Brudermordes und Machterwerbs um jeden Preis – weitgehend übereinstimmen. Zweitens belegt diese Übereinstimmung, daß die Einzelstellung des Chorliedes insofern schlüssig ist, als es mit seiner auf alle vier Akte, auf das Stück im Ganzen universal anwendbaren Aussage nicht nur spezifisch auf den ersten Akt bezogen werden muß. Wenn wir im Hinblick auf die inneren Kompositionsrahmen eine offenere Struktur der Kommunia Duchowna feststellen konnten als bei Stücken mit stereotyper Anordnung des Chores am Aktende, so gilt dies ähnlich für die Verteilung der Intermedien innerhalb der Akte. Eine Ausnahme bilden die komischen Prologe direkt am Anfang und der scherzhafte Chor am Ende des ersten Aktes. Die Intermedien im zweiten (komischer Bericht des Juden von der Höllenfahrt) und dritten Akt (scherzhafte Klagen des Kochs) dagegen sind, vom Aktanfang bzw. -schluß aus gesehen, jeweils in die dritte Szene verschoben (s. Anhang). Der unmittelbare Anfang des zweiten und das Ende des dritten Aktes sind nachdrücklich hervorgehoben mit den Schauerszenen von Gamrots Gifttod und Hlebs Ermordung, die begleitenden, spannungsentlastenden Intermedien jeweils nach-, bzw. vorangestellt. Diese Positionierung unterstützt die These von der semantischen Zusammengehörigkeit des zweiten und dritten Aktes: mit den beiden komischen Zwischenspielen in II, 3 und III, 9 ist gleichsam ein übergreifender, innerer Kompositionsrahmen um beide Akte gelegt.
4.3.4.3 Die offene Form des Dramas nach Walzel Vom Nachweis einer offeneren Kompositionsstruktur können wir direkt dazu übergehen, Merkmale barocker Form an der Kommunia Duchowna aufzuzeigen, wie sie Oskar Walzel für die Dramen Shakespeares im Gegensatz zur klassischen französischen und deutschen Tragödie entwickelt hat. Walzel geht zunächst aus von den fünf kontrastiven Begriffspaaren, die Wölfflin in seinen Kunstgeschichtlichen Grundbegriffen zur Unterscheidung der klassischen Kunst des 16. Jahrhunderts von der barocken des 17. Jahrhunderts aufstellt: 1. Dem Linearen, Begrenzten der Renaissance setzt er das Malerische, die Tendenz zum Unbegrenzten entgegen, den klaren Konturen der Renaissancemalerei die Betonung von Licht- und Farbgestaltung im Barockgemälde. 2. Gegenüber dem Flächenhaften der Renaissance wird im Barock die Tiefendimension stärker berücksichtigt, der Bildhintergrund vertieft. 3. Ausgehend von der Prämisse, daß jedes Kunstwerk ein geschlossenes Ganzes sei, sind Kunstwerke der Renaissance durch geschlossenere Form und Tektonik des Aufbaus gekennzeichnet im Unterschied zu barocken Kunstwerken mit offenerer Form und einem weniger strengen tektonischen Aufbau.
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4. Vielheit als „Harmonie freier und gleichberechtigter Teile“ geht über in Einheit: „Die Einheit eines Barockbildes ruht auf einem Zusammendrängen der Glieder zu einem einzigen Motiv. Dem führenden Element werden die übrigen untergeordnet.“332 5. Auf die Gestaltwahrnehmung bezieht sich der Gegensatz von absoluter (Renaissance) und relativer Klarheit (Barock). Im Ergebnis führt dies zur Verselbständigung von Komposition, Licht und Farbe, „unabhängig von den dargestellten Dingen; nicht mehr klären sie die Form der Gegenstände auf.“333 Die beiden unterschiedlichen historischen Epochenstile – Renaissance und Barock – verallgemeinert Wölfflin in einem nächsten Schritt zu zwei polaren Grundtypen künstlerischen Gestaltens, die einander in gesetzmäßiger Folge, in ständigem Übergang von der einen zur anderen Reihe ablösen.334 Dieses auf nur zwei Kunstperioden beruhende Geschichtsmodell erscheint Walzel zwar anfechtbar, doch anerkennt er die fünf Grundbegriffe als unentbehrliche „Kategorien der Anschauung“335; er stimmt Wölfflin zu, daß hier zwei elementare Möglichkeiten des Sehens zugrunde liegen, zwei Arten, wie sich das Verhältnis des Auges zur Welt gestaltet, zwei Weisen der optischen Wahrnehmung des Kunstwerks noch vor der Bestimmung seiner Ausdruckswerte.336 Walzel nimmt Wölfflins Anregung auf, die Grundbegriffe für die Beschreibung von Dichtung zu nutzen und verspricht sich davon eine Präzisierung literaturwissenschaftlicher Terminologie, vor allem deswegen, weil es Wölfflin nicht um den Nachweis der lückenlosen Merkmalsreihe an einem Kunstwerk zu tun ist, sondern weil er gerade auf Übergangs- und Zwischenformen aufmerksam macht, bei denen nicht alle Merkmale vollständig, bzw. auch solche der jeweils entgegengesetzten Reihe verwirklicht sind. Er vergleicht die Grundbegriffe einem „Koordinatensystem“, das Genauigkeit der Analyse gewährleistet, „wie nahe oder wie fern ein einzelnes Werk einem allbekannten Grundtypus dichterischen Gestaltens steht.“337 Mit der Übertragung der Wölfflinschen Grundbegriffe auf die Dichtung ging es Walzel aber vor allem um die Apologie der Formbestimmtheit von Shakespeares Dramen im Sinne der offenen Form; er begegnet damit dem Anspruch der Literaturwissenschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die geschlossene Form des fünfaktigen Dramas als normativen Richtwert zu verabsolutieren.338 Von den fünf Begriffspaaren Wölfflins streicht Walzel den Gegensatz Tektonik vs. Atektonik als grundlegend für die literaturwissenschaftliche Analyse heraus und bekräftigt dies 332 Oskar Walzel, Gehalt und Gestalt im Kunstwerk des Dichters, Berlin 1923, S. 301. 333 Ebd. 334 Ebd., S. 306. 335 Ebd., S. 305, 308. 336 Ebd., S. 300. 337 Ebd., S. 310. 338 Ebd., S. 317.
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mit der schon bestehenden Konvention, architektonische Begrifflichkeit – entsprechend der Redewendung vom „Bau“ einer Dichtung – in die Beschreibung von Literatur zu übernehmen.339 Auf die atektonische, offene Form der Dramen Shakespeares treffen nach Walzel genau die Merkmale zu, die Wölfflin an atektonisch aufgebauten Barockgemälden festgestellt hat: sie sind nicht um eine Mittelachse gleichmäßig nach beiden Seiten hin entwickelt, vielmehr verschiebt sich das Gleichgewicht zwischen den einzelnen Teilen, bzw. Akten. In der Komposition vorherrschend ist die Diagonale, während Horizontale und Vertikale in der Renaissancemalerei betont sind. Konkret veranschaulicht Walzel eine Analogie zur Diagonalen im Drama an Abb. 9 Guido Reni: Die büßende der Stellung der Hauptfigur bei Shake- Magdalena, 1631–32 speare: ihr stärkster Auftritt muß nicht notwendigerweise in der Mitte des Stückes (wie im klassischen Drama) liegen, sondern kann vor oder hinter die Mittelachse verschoben sein (s. Antonius und Kleopatra). Walzel bleibt jedoch nicht bei den Topoi der bewegten, spannungsreichen, auf der Diagonalen basierenden Komposition barocker Malerei stehen, sondern exemplifiziert an Guido Renis Gemälde Die büßende Magdalena (Abb. 9) eine Parallele zur Behandlung der Hauptfigur in Lear: „Teilt man das Bild durch eine Diagonale, die von oben links nach rechts unten führt, so fällt fast die ganze Gestalt Magdalenas in die linke Bildhälfte. Stimmt das nicht ganz überein mit dem Bau des „Lear“, der den Helden in der zweiten Hälfte kaum auf die Bühne bringt?“340 In ähnlicher Weise gilt für Barockgemälde wie -dramen, daß sie nicht gleichmäßig, sondern eher wie zufällig in einen vorgegebenen Rahmen eingepaßt scheinen. Walzel gibt in Anlehnung an Wölfflin eine vergleichende Charakteristik des Tektonischen und Atektonischen und bezieht die Merkmale des atektonischen Stils direkt auf die Dramen Shakespeares: „Tektonischer Stil ist für Wölfflin Stil der gebundenen Ordnung und der klaren Gesetzmäßigkeit. Atektonischer Stil ist Stil der mehr oder weniger verhehlten Gesetzmäßigkeit und der 339 Ebd., S. 315. 340 Ebd., S. 317.
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entbundenen Ordnung. Dort Notwendigkeit der Führung, völlige Unverschiebbarkeit, hier Spiel mit dem Schein des Regellosen. Doch nur Spiel, nicht wirkliche Regellosigkeit. Denn – und das ist, was stärkste Beachtung verdient – im ästhetischen Sinn ist auch für Wölfflin in aller Kunst Form etwas Notwendiges. Barock versteckt nur gern die Regel, löst die Rahmungen und Gliederungen, führt Dissonanz ein und streift in der Dekoration den Eindruck des Zufälligen. Zum tektonischen Stil zählt, was wie Begrenzung und Sättigung wirkt. Atektonischer Stil öffnet die geschlossene Form, führt die gesättigte Proportion in eine weniger gesättigte über, ersetzt die fertige Gestalt durch die scheinbar unfertige, die begrenzte durch die unbegrenzte, bewirkt an Stelle des Eindrucks der Beruhigung den Eindruck der Spannung und Bewegung.“341
Anzuführen sind noch die übrigen Kennzeichen der Barockreihe, wie z.B. die deutliche Akzentuierung einer Hauptfigur unter vielen anderen Nebenfiguren im Unterschied zur gleichmäßigen Behandlung einer begrenzten Personenzahl (Einheit vs. Vielheit). Die Auszeichnung eines Protagonisten vor mehreren Hintergrundsfiguren eröffnet eine Tiefendimension, die Shakespeare mit der Bezeichnung des Landschaftshintergrundes, der jeweiligen Umgebung, noch zusätzlich unterlegt, während die Figuren im klassischen Drama wie losgelöst von ihrer Umwelt erscheinen (Tiefenhaftes vs. Flächenhaftes).342 Den Gegensatz des Malerischen und Linearen schließlich möchte Walzel weniger auf die Nachahmung dieser künstlerischen Verfahren innerhalb der Dichtung bezogen wissen, vielmehr auf die verschiedenen Arten, ein literarisches Werk zu gliedern: mit fließenden Übergängen zwischen den einzelnen Teilen oder klar abgegrenzten Konturen.343 Wichtig ist darauf hinzuweisen, daß Walzel nicht nur ex negativo die atektonische Form der Dramen Shakespeares bestimmt. Gleichzeitig betont er ihre feste Zusammenfügung und übernimmt in Anlehnung an Carl Steinweg den Begriff der „Bindung“ aus der Formanalyse der Baukunst in die der Dichtung. Shakespeares Dramen mangelt es zwar an ebenmäßigem Aufbau um eine mittlere Kompositionsachse; doch stellt er mittels Wiederholungsfiguren (z.B. Richard III.: Clarences Traum in I, 4 vs. Richards Traum in V, 3) und Kontrastwirkungen (Antonius und Kleopatra: der Gegensatz zwischen Oktavia in III, 2 u. 4 und Kleopatra in III, 3)344, bzw. in der Zusammenfassung beider Verfahren zur kontrastierenden Wiederholung (Richard III.: expliziter Mordauftrag Richards in I, 3 vs. angedeuteter in IV, 2. Mord auf offener Szene in I, 4 vs. Mordbericht in IV, 3)345 eine enge innere Verkettung der Handlung her. 341 342 343 344 345
Ebd., S. 316. Ebd., S. 313 f. Ebd., S. 318. Ebd., S. 291 f. Oskar Walzel, „Shakespeares dramatische Baukunst“, in: Das Wortkunstwerk. Mittel seiner Erforschung. Darmstadt 1968, S. 321.
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Wir können an dieser Stelle unmittelbare Übereinstimmungen mit Sofronovas Liste von Sujetverfahren erkennen; anschließen läßt sich auch das Kompositionsprinzip, das Freytag und Šklovskij in anderer Formulierung als Stufenbau bezeichnet haben – auch die Stufung beruht in der Regel auf Wiederholung und/ oder Kontrast. So lassen sich Walzels Ergebnisse zum einen an die zuvor referierten Theorien rückbinden, zum anderen sollen sie nun noch auf die Komposition der Kommunia Duchowna übertragen werden. Das scheinbar Regellose, Zufällige der vier Akte erweist sich bei genauerer Prüfung als gegliedertes Ganzes, sobald die inneren Kompositionsrahmen berücksichtigt werden: faßt man die Akte II und III zu einem mittleren Akt zusammen, könnte man implizit ein reguläres Schema von drei Akten unterlegt sehen. Der Dramenautor ‚versteckt‘ jedoch die inneren Kompositionsrahmen im Sinne einer ‚malerischen‘ Auffassung, anstatt die Gliederung linear zu begrenzen und bloßzulegen. Die atektonische, offene Struktur der Kommunia Duchowna konnten wir anhand der Verteilung von Intermedien und chorartigen Sequenzen bestätigen. Durch die Intermedien mit ihren Nebenfiguren deutet sich ein Hintergrund zur Haupthandlung an; damit gewinnt das barocke Drama an räumlicher Tiefe im Gegensatz zur mittelalterlichen Heiligenlegende von Boris und Gleb, in der das Geschehen sozusagen flächenhaft und ohne räumliche Schichtung präsentiert wird. Die beiden Gattungsvarianten – Erzählung und Drama – lassen sich so beispielhaft unserem Vergleichsmodell aus dem obigen Abschnitt „Die Perspektive als symbolische Form“ zuordnen: Der mittelalterlichen Erzählung entspricht der flächige, in umgekehrter Perspektive entworfene Raum der Ikonenmalerei und auf philosophischer Ebene die Überzeugung von der Objektivität der eigenen Weltanschauung. Im Unterschied dazu korreliert die Tiefenschichtung des Raumes im Barockdrama mit dem System der Zentralperspektive, die als symbolische Form für ein offeneres Weltbild steht, indem sie die Darstellung vom subjektiven Blickpunkt des Künstlers abhängig macht. Als analoge Methode zur zentralperspektivischen Gestaltung in der Literatur habe ich weiter oben die rhetorische Konzeption eines Textes durch das Autorsubjekt bestimmt. Die Analyse der Personenstandpunkte hatte ergeben, daß das Stück einen Protagonisten herausstellt, und nur dieser ist in allen vier Akten präsent. Freilich handelt es sich am Ende des zweiten und Anfang des dritten Aktes nur um eine virtuelle Anwesenheit Światopełks als Urheber der Intrige; damit läßt sich Walzels These von der Diagonalen, die den Helden zeitweise von der Bühne abtrennt, problemlos übertragen. Auch die fünfte Kategorie Wölfflins der relativen Klarheit im Gegensatz zur absoluten können wir für unser Stück in Anspruch nehmen, wenn wir aufgreifen, was eingangs über die Ereignisfülle und den epischen Zug des Jesuitendramas gesagt wurde; dennoch sind alle Episoden eng mit dem Ganzen verbunden. (Dies betont auch Walzel, wenn er sich im Hinblick auf Shakespeares Antonius und Kleopatra gegen die ambivalente Kritik Wolffs wendet, „eine Überfülle von Ereig-
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nissen belaste ... das Drama. ... Selbst wenn Shakespeare etwas Überflüssiges bringe, so wisse er es doch so innig mit dem Notwendigen zu verweben, daß eine Aussonderung ohne Schädigung des Ganzen kaum möglich sei.“346) Abschließend bleibt noch, auf die zentrale Bedeutung der Verfahren des Parallelismus’, Kontrasts und der soprotivopostavlenie zu verweisen, die an verschiedenen Strukturebenen der Kommunia Duchowna aufgezeigt wurden. Im Hinblick auf den Benennungsakt konnte ich u.a. ausführen, wie lexikalische Parallelismen in den verschiedenen Personenkontexten auf eine gegensätzliche Semantik zielen (anhand der Beispiele „okrutny“, „dziki“, „sakrament“). Im Bereich der Gesamtkomposition wiederholt sich das Muster geplanter Mord vs. realisierter, die Anstiftung falsch Verdächtigter einmal zum Mord an Borys, dann an Hleb, unmittelbar auf Hlebs Thronverzicht und Weltflucht (II, 2) folgt Jarosławs (III, 3). In scharfen Kontrast zueinander sind Jarosławs Reaktion auf die Nachricht von Hlebs Tod (IV, 1) und Światopełks (IV, 2) gestellt. Kontrastierende Wiederholung ist zu bemerken, wenn Borys’ Ermordung die Tötung seines Dieners Georgius vorausgeht, während Hleb alleine auf seinen Mörder trifft. Aus dieser Beispielsammlung geht deutlich hervor, daß der dramatische Autor trotz der gedrängten Folge von Ereignissen eine enge innere Verkettung der Handlung herzustellen weiß. Zwar ist die Kommunia Duchowna nicht regelmäßig in fünf Akten entwickelt, doch konnte ihre atektonische Form im Sinne einer „mehr oder weniger verhehlten Gesetzmäßigkeit“ aufgedeckt werden.
346 Ebd., S. 308.
5. Rhetorik und Emblematik in der Kommunia Duchowna Grammatica purum confert perspicuumque sermonem, Poetica inveniendi eloquendique ornatum, Dialectica probandi vim. Ministrae omnes, ipsa eloquentia Regina est.1
Masens Bestimmung ist in dem Sinne gemeint, daß die Rhetorik alle anderen Fächer des Trivium und auch die Poetik in sich einschließt und sie noch übertrifft durch ihr übergeordnetes Ziel des persuadere2. Auch für die Kommunia Duchowna gilt allgemein, daß die Zuschauer mit den wirkungsvollen Mitteln theatralischer Darbietung von den ethischen Leitgedanken und Inhalten der katholischen Glaubenslehre überzeugt werden sollten. Theateraufführungen an kirchlichen Feiertagen oder am Ende des Schuljahres bildeten den Höhepunkt des Rhetorikbetriebs an den Ordensschulen.3 Rhetorik ist die Grundlagendisziplin jesuitischer Pädagogik als diejenige ars, welche die regelkonforme Herstellung von Texten und ihren mündlichen Vortrag lehrt. Die Spezialisierung des Unterrichtsprogramms auf die Redepraxis vor aller Sachkunde entsprach den gesellschaftlichen Anforderungen der Zeit: mit der Entwicklung des Parlamentarismus und des politischen Lebens, mit dem Aufkommen der Reformation in Polen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts stieg der Bedarf an ausgebildeten Rednern. Katholische und andersgläubige Humanistenschulen neuen Typs paßten sich diesen Anforderungen an.4 Im Verlauf unserer Analysen sind wir immer wieder auf die zentrale Bedeutung der Rhetorik für unseren Text – in semantischer wie auch in struktureller Hinsicht – aufmerksam geworden und wollen hier eine zusammenfassende Übersicht anschließen. Nachdem in den vorangehenden Kapiteln gemeinsame Strukturprinzipien in verschiedenen Kunstarten aufgezeigt wurden, wollen wir nun übergehen zur Frage nach dem Bildlichen und in engerem Sinne Emblematischen in unserem Stück, Themenbereiche, die wiederum durch die Rhetorik als grundlegendem Funktionsrahmen des Textes reguliert werden. Wir stützen uns in diesem Abschnitt auf die Untersuchungen Ulčinaitės, Barners und Sofronovas, hinsichtlich 1 Jacob Masen, Palaestra oratoria, S. 10, zit. nach Ludwig Fischer, Gebundene Rede. Dichtung und Rhetorik in der literarischen Theorie des Barock in Deutschland. Tübingen 1968, S. 22. 2 Für Barner ist „persuasio ... das maßgebende Ziel des Jesuitentheaters“, doch bemerkt er gegen Ende des Jahrhunderts eine Einschränkung des Worttheaters zugunsten der zunehmend prachtvollen musikalischen und visuellen Ausstattung, s. Wilfried Barner, Barockrhetorik. Tübingen 2002, S. 352. 3 Ebd., S. 244. 4 Tadeusz Bieńkowski, „Szkolne wykształcenie retoryczne wobec wymogów praktyki (Uwagi o funkcji retoryki w Polsce w XVI i XVII w.)“, in: Retoryka a literatura (= Studia staropolskie 50). („Schulische Rhetorikausbildung angesichts der Anforderungen in der Praxis“, in: Rhetorik und Literatur = Altpolnische Studien 50). Wrocław et al. 1984, S. 214.
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der Emblematik sind methodische Anregungen aus den Arbeiten Schönes und Bauers aufzunehmen.
5.1 Rhetorik Bei der Kommunia Duchowna handelt es sich um kein beliebiges Stück aus der stattlichen Produktion passioniert spielfreudiger Rhetorikprofessoren5, sondern um ein exemplarisches Drama. Neben dem Kodeks Orszański gibt es eine weitere Überlieferung des Textes, eingebunden in eine anonym verfaßte Rhetorik vom Ende des 17. Jahrhunderts, deren Regelwerk aber ebenso wie der Anfang und das Ende des Stückes verlorengegangen sind.6 Die klassischen drei Stufen des Rhetorikunterrichts umfaßten praecepta – die normative Theorie, vor allem die Werke von Aristoteles, Cicero, Quintilian, Caussin und Soarez, exempla – zur Lektüre empfohlene Mustertexte wie die Schriften von Cicero, Horaz, Vergil, Ovid, evtl. auch Martial im Hinblick auf den stilus argutus und imitatio – die eigene Textproduktion der Schüler, die Gelegenheit zu schulinternen oder öffentlichen Auftritten bekamen.7 In der obengenannten Rhetorik waren so praecepta und exemplum eines nach den Regeln vorbildlich konstruierten Dramas vereinigt. Der Beispielcharakter der Kommunia Duchowna im Hinblick auf die inventio, dispositio und elocutio ist unbestreitbar, sie zeichnet sich aus durch ihre ornata oratio, den Fundus an gelehrtem Wissen und Textmustern für verschiedene Gelegenheiten. Bemerkenswert ist vor allem auch, daß es sich hier um einen polnischsprachigen Text handelt.
5.1.1 Rhetorische Theorie in Polen im 17. Jahrhundert Diesen Befund wollen wir in einen umfassenderen Zusammenhang stellen und kurz die Entwicklung der Rhetorik in Polen im 17. Jahrhundert skizzieren. Ulčinaitė bezeichnet das movere, die emotionale Erschütterung der Rezipienten, als oberstes Ziel der Rhetorik des 17. Jahrhunderts, nicht die Überzeugung durch Argumente.8 Grundsätzlich unterscheidet sie vier Arten von Texten: 1. Theoretische Abhandlungen, die den ganzen Problembereich der Rhetorik erörtern 5 Poplatek verweist auf die zahlreichen Restriktionen, die erlassen wurden, damit nicht unverhältnismäßig viel Zeit für das Theaterspiel verlorenging, s. Studia z dziejów jezuickiego teatru szkolnego w Polsce, S. 26 f. 6 M. Markovskij, „Južno-russkija intermedii iz pol’skoj dramy ‚Comunia duchowna Ss. Borysa y Hleba‘“, in: Kievskaja starina, T. XLVI (1894), S. 32. 7 Vgl. Barner, Barockrhetorik, S. 243. 8 Ulčinaitė, Teoria retoryczna w Polsce i na Litwie w XVII wieku, S. 53 u. 55.
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2. Monographien, die einer Spezialfrage (etwa der amplificatio oder elocutio) gewidmet sind 3. Kompendien, die kurzgefaßte theoretische Grundsätze mit einem ‚Hilfsapparat‘ verbinden, d.h. Musterreden, oratorischen Übungen verschiedenen Typs, Zusammenstellungen nützlicher formelhafter Wendungen 4. ‚Magazine‘, die Beispielsentenzen, Emblemata, Wappengedichte oder sog. eruditiones enthalten, d.h. Sammlungen verschiedener Kenntnisse aus dem Bereich der Geschichte, Literatur, Mythologie usw.9 Als bedeutendste polnische Rhetoriken des 17. Jahrhunderts entsprechend der erstgenannten Kategorie sind zu nennen: Zygmunt Lauxmins Praxis oratoria sive praecepta artis rhetoricae (1648), eine die klassische Tradition und gemäßigten Figurenschmuck propagierende Rhetorik (in diesen Bereich hatten wir w.o. im Zusammenhang mit dem Autorkontext die Kommunia Duchowna stilistisch eingeordnet) sowie Michael Radaus Orator extemporaneus (1640), der auch der acumen-Theorie einen umfangreichen Abschnitt einräumt. Jan Kwiatkiewicz gibt mit Phoenix rhetorum (1672) trotz des in diesem Titel artikulierten umfassenden Anspruchs de facto kein Handbuch mehr, sondern behandelt ausschließlich die elocutio. Kwiatkiewicz’ Werke markieren den Umbruch zum barocktypischen Concettismus und wurden vorwiegend in Polen rezipiert, während Lauxmins Autorität in Litauen weite Verbreitung genoß.10 Daneben war natürlich Cyprian Soarez’ Rhetorik allgemein verbindlich für alle Jesuitenschulen und Nicolas Caussins Eloquentiae Sacrae et humanae libri XVI in Polen einflußreich. Der oben zweitgenannten Kategorie ist Sarbiewskis Abhandlung „De acuto et arguto“ zuzurechnen, der dritten die anonyme, mit der Kommunia Duchowna kombinierte Rhetorik. Nicht eingehen können wir auf die Fülle handschriftlicher Rhetoriken, die in Polen und Litauen im 17. Jahrhundert entstanden sind. Als grundlegenden Zug der Barockrhetorik kann man ihre Abkehr vom voll ausgebildeten, proportional ausgewogenen theoretischen System bestimmen, wie es die Renaissancegelehrten in Anlehnung an die Antike abgeleitet hatten.11 Die klassische drei- oder fünfteilige Struktur (inventio, dispositio, elocutio, memoria, actio) wurde verändert durch umfangreicher bearbeitete Einschübe zu besonders aktuellen Themen wie dem concetto, der amplificatio, Stiltypologie, Affektenlehre, etc. Stärkere Berücksichtigung fanden neben der ‚großen‘ ciceronischen Rhetorik auch die schulischen progymnasmata, kleinere rhetorische Übungen für den Anfänger, wie Erzählung, Chrie, Sentenz oder vorher gesonderte bibliographische 9 Ebd., S. 20. 10 Ebd., S. 25 ff. 11 Barbara Otwinowska, Stichwort „Retoryka“, in: Słownik literatury staropolskiej, Wrocław et al. 1990, S. 719.
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Positionen wie Abhandlungen zur Epistolographie und Predigt. Am entscheidendsten wirkte sich aber die Verschiebung von den theoretisch-wissenschaftlich ambitionierten Kompendien der Renaissance zu den an der Redepraxis orientierten Barockrhetoriken aus, die den exempla nun einen besonderen Stellenwert gaben. Die Tendenz ging also eindeutig in die Richtung der Theorie und Praxis verbindenden Handbücher und reichhaltigen Materialsammlungen (der dritten und vierten von Ulčinaitė genannten Textkategorie). Darüber hinaus stellt Otwinowska durch die zunehmende Berücksichtigung polnischer exempla (erstmals bei Sarbiewski) eine Polonisierung der Barockrhetorik fest, während der normative Apparat in der Regel dem Lateinischen verpflichtet bleibt.12 Eine deutliche Tendenz zur Aktualisierung und Konkretisierung der rhetorischen Theorie zeigt sich in ihrer Verbindung mit gesellschaftlichen, milieubedingten Bedürfnissen und literarischen Moden. Das ideale, überzeitliche Modell der Rhetorik wird aufgegeben zugunsten der Anpassung an den sarmatischen Geschmack. Vielteilige Auffächerung und Spezialisierung läßt die Rhetoriken ein passendes Muster für alle möglichen Fälle bereithalten, so daß am Ende keine normative Vorgabe ‚wie man reden muß‘ angestrebt wird, sondern eine relativierende Auflistung von Möglichkeiten ‚wie man reden kann‘, begleitet von einem umfangreichen didaktischen Apparat von exempla.13 Dies hat zur Folge, daß die Wirklichkeit und der schöpferische Prozeß durch Schemata der inventio und dispositio derart kleinteilig aufgespalten werden, daß Sarbiewski das Erdrücken des jungen Talents durch den allzu eng gefaßten Vorschriftenkanon befürchtet: „Fit enim persaepe, ut natura suopte ingenio fecunda et ex nativa vi ad inveniendum facillima nimia praeceptorum diligentia obruatur suumque magnopere vigorem labefactet, celeres vero ingenii motus cunctatione quadam consilii et artis retardet.“14
5.1.2 Semantische Bezüge zur Rhetorik in der Kommunia Duchowna Wie oben bereits aufgezeigt wurde, unterliegt die Produktion eines Jesuitendramas der rhetorischen Grundeinteilung: Das Verfassen des Arguments gehört in den Bereich der inventio, die Einteilung in Akte und Szenen unterliegt der dispositio, das Überführen des Ganzen in Verse und interlocutiones der elocutio und die Auffüh12 Ebd. An den protestantischen deutschen Gelehrtenschulen gab es – im Unterschied zur konsequent befolgten latinitas an den Jesuitengymnasien – eine deutschsprachige Spieltradition (Barner, Barockrhetorik, S. 314, 340), die Christian Weise mit dem Schulfach ‚deutsche Oratorie‘ seit 1678 theoretisch fundierte (Barner, S. 280). Auf sein Standardwerk zur Rhetorik Politischer Redner (1677) folgten zahlreiche deutschsprachige Rhetorikhandbücher (Barner, S. 167). 13 Otwinowska, „Retoryka“, S. 720. 14 Maciej Kazimierz Sarbiewski, „De acuto et arguto liber unicus, sive Seneca et Martialis“, in: Wykłady poetyki (Praecepta poetica). Wrocław/Kraków 1958, S. 14.
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rung vor den Ordensoberen umfaßt memoria und actio. Über dieses grundsätzliche procedere hinaus wollen wir nun nochmals die Hinweise zusammenfassen, die unser Stück auf der Ebene der inventio und elocutio eindeutig in den schulischen Funktionszusammenhang der Rhetorikausbildung stellen. So fällt im Antiprologus das bedeutsame, autoreferentielle Stichwort des „Duhałog“ (Dialog, Z. 30). Weil der Bauer den Begriff „komedzija“ (Komödie, Z. 27) nicht verstanden hat, fragt ihn der Gerber weiter in didaktisch-explizierender Absicht, ob er denn wisse, was ein Dialog sei. Als spezielle rhetorische Übung hatte der dialogus seinen festen Platz im Schulunterricht der Jesuiten und bezeichnete eine Wechselrede ohne szenische Ausstattung, die nur vorgetragen, nicht gespielt wurde. Grundlegende oratorische Genres neben dem dialogus waren die disputatio als Streitrede zur Heranbildung der raschen gedanklichen Reaktion, die declamatio eines einzelnen Redners, die Rezitation eines carmen und die actio forensis als Inszenierung eines großen Prozesses der Antike, die ciceronische Eloquenz eindrucksvoll wiederaufleben ließ. Zu unterscheiden ist hier zwischen nicht-öffentlichen, schulinternen Übungen und Dialogen sowie Deklamationen, die als öffentliche actus, häufig im Rahmen einer Feierlichkeit, vorgetragen wurden.15 Der Begriff des actus, selbstbeschreibend auf die Kommunia Duchowna bezogen, findet sich unmittelbar im Prologus wieder im Verlauf der scherzhaften Darlegung dramenspezifischer Begrifflichkeit im Dialog der Studenten mit dem Gerber: „nie wiesz, że się akt wystawia?“ (weißt du nicht, daß ein Schulactus aufgeführt wird? Z. 83) Über die Rhetorik hinaus wird hier, wie bereits dargelegt, die Einführung der neuen Kunstform des Jesuitentheaters in den weißrussischen Gebieten didaktisch aufbereitet, und zwar zugänglich für alle Gesellschaftsschichten, beginnend mit den unteren, ungebildeten. Selbstdarstellung der Jesuitenpädagogik und Reklame für ihre Effizienz beschließt den Antiprologus. Für den ignotus verständlich, zählt der Gerber drei Schlüsselkompetenzen auf, die seinem Sohn an der Schule vermittelt wurden: „choroszo on bude kazaty“ (gut wird er sprechen, Z. 64) übersetzt nur die Definition der Rhetorik als „ars bene dicendi“, „Po łatynsku“ (lateinisch, Z. 65) verweist auf die selbstverständliche Beherrschung des Lateinischen (das im übrigen in unserem Stück gar nicht verwendet wird), „usudy czutaty“ (hört man es überall, Z. 66) auf die raumfüllende Kraft der pronuntiatio. Persuasio als Ziel aller Rhetorik – „namówić“ (überreden, zureden) – wird nicht weniger als siebenmal in den Szenenüberschriften thematisiert. Meistens geht es darum, daß Światopełk seine Helfer zu den Mordtaten überredet, am Anfang überredet aber auch Eryman die Senatoren, Borys zu wählen, bzw. die Senatoren Borys, daß er die Herrschaft antreten solle. Damit ist inbegriffen, daß der Text eine zumindest ansatzweise ausgebaute Argumentationsstruktur enthält. Während laut der Szenenüberschriften beide Parteien in diesem Stück das „namówić“ (überre15 Sofronova, Poėtika slavjanskogo teatra, S. 126; Barner, Barockrhetorik, S. 243 u. 343.
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den) praktizieren, gehört „wmówić“ (einreden, glauben machen, Z. 1518) zu den eindeutig negativen Strategien Światopełks: die Höflinge sind zwar unschuldig am Tod von Borys; doch verlangt Światopełk von ihnen als Gegenleistung dafür, daß er sie vor der Strafe für die eingeredete Schuld verschone, die Brüder gegeneinander aufzuhetzen. Auf den negativen Stellenwert des Światopełkschen „dowcip“ (Witz, Intellekt, Z. 445, 604, 675, 1493 ff ) im Sinne sophistischer Betrügerei hatten wir bereits hingewiesen; desavouiert wird hier möglicherweise auch das am Ende des 17. Jahrhunderts weit verbreitete und in der Jesuitenrhetorik anerkannte Stilideal. Ein komisches Gegenbild zur Rhetorik entwirft der Zwerg mit seiner Satire auf die sinnentleerte Sprachbenützung beim „babskie nabożeństwo“ (Gottesdienst der Frauen, Z. 837): „trzepie pacierze w kościele, / Różańce i koronki jako mąkę miele“ (Gebete in der Kirche klopft, / Rosenkränze wie Mehl mahlt, Z. 839 f.). Gleichwohl sind dies „różane ... słowa“ (Rosenworte, Z. 843), verglichen mit den Schimpftiraden gegenüber den Dienstboten. Sarbiewskis Vorschrift der „sententia vulgaris et humilis“16 für die Komödie entspricht die regelrecht antirhetorische Sentenz, mit welcher der Zwerg das Treiben der Frauen auf einer allgemeinen Ebene bewertet: „Kto wiele gada, ślinę tylko miewa w zysku.“ (Wer viel quatscht, hat immer nur Speichel als Gewinn. Z. 866) Die Möglichkeit sprachlicher Verzerrung, des weitestgehenden Auseinanderklaffens von res und verba spiegelt sich in Światopełks Eigenkommentar zu seinem zweiten, gegen Borys gerichteten Mordauftrag, in welchem er diese Schandtat als „pobożność“ (Frömmigkeit) bezeichnet: „Jeszczem nic nie dokazał, wszytko pobożnością / Nazwie się, com dotychczas czynił, a nie złością.“ (Noch habe ich nichts fertiggebracht, alles nennt man / Frömmigkeit, was ich bisher getan habe, aber nicht Bosheit. Z. 1125 f.) Selbst der Tod ist ein unter rhetorischem Gesichtspunkt zu betrachtendes Ereignis. Borys steht klar vor Augen, daß seine Zunge bald zum Stillstand kommen wird, doch visiert er stellvertretend die Rhetorik seines Blutes an: „Ustaniesz wnet, języku, lecz, krwi, nie ustawaj, / Wylana, ale głosem twym Boga wyznawaj.“ (Bald wirst du ruhen, Zunge, aber Blut, komm’ nicht zum Stillstand, / Vergossenes, sondern bekenne Gott mit deiner Stimme. Z. 1265 f.) Borys’ letzter Satz schließlich enthält die Gleichsetzung der Rede mit dem Leben an sich: „Już mi z mową i żywot odjęty ustaje.“ (Schon wird mir mit der Rede auch das Leben genommen und hört auf. Z. 1272) Entsprechend beklagt Hleb in seinem Nachruf auf Borys das Verstummen seines Bruders: „Za kazania stały mi jego słodkie mowy. / Teraz się to przerwały nigdy nie widzianym / Sposobem“ (Predigten wurden mir seine süßen Reden. / Jetzt sind sie abgebrochen auf nie gesehene / Weise, Z. 1560 f.). In Hlebs Todesszene kündigt ihm sein Mörder ebenfalls das Verstummen der Rede an: „tchem ostatnim dziś się zawrze mowa, / Ostatnie będą, 16 Maciej Kazimierz Sarbiewski, O poezji doskonałej czyli Wergiliusz i Homer (De perfecta poesi, sive Vergilius et Homerus). Wrocław 1954, S. 229.
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jeśli które rzeczesz, słowa.“ (mit dem letzten Atemzug wird heute deine Rede schließen, / Die letzten werden es sein, wenn du irgendwelche Worte sprichst. Z. 2111 f.) Jarosławs vehemente Reaktion auf Hlebs Tod exponiert wiederum den in der Kommunia Duchowna mehrfach gebrauchten Topos der „głos niewinnej krwie“ (Stimme des unschuldigen Blutes, Z. 2202), die zum Himmel ruft, quasi als Verlängerung und ultimative Intensivierung menschlicher Rede. Wie weitgehend die Bildvorstellungen in diesem Dramentext dem umfassenden Bezugssystem der Rhetorik untergeordnet werden, zeigt sich schließlich in Jarosławs Epicedium: wenn angesichts von Hlebs Tod selbst die verabsolutierte Stimme der Nymphe Echo verstummt (Z. 2347), ist dies die höchste denkbare Steigerung über das Verstummen des Toten hinaus (vgl. die Diskussion des Echo-Mythos im Kapitel über den Autorstandpunkt und die lyrischen Sequenzen in der Kommunia Duchowna). Die Grenzen der Sprache und die Unwiderruflichkeit des Todes verdeutlicht der Erste Senator Jarosław unmißverständlich: „Już żalem nie odwołasz ani płaczem brata, / Stamtąd go nie przyzowiesz na ten padół świata.“ (Weder durch Trauer, noch durch Tränen wirst du mehr den Bruder abrufen, / Von dort rufst du ihn nicht zurück in diese Niederung der Welt. Z. 2367 f.)
5.1.3 Exempla und enzyklopädische Wissensvermittlung Nachdem verschiedene Bezugnahmen auf die Rhetorik in der semantischen Konstruktion des Dramas dargelegt wurden, wollen wir nun, von der Ebene der rhetorischen Systematik ausgehend, an diesem Text ausgewählte, aufgrund ihres häufigen Vorkommens repräsentative Verfahren aufzeigen. Auf einzelne Figuren wie die Metapher, das Adynaton, die Allegorie (Schiffahrt, Z. 1747 ff; miles christianus, Z. 1759 ff ), Metonymie und Synekdoche waren wir bereits in den ‚Gedichtanalysen‘ im Zusammenhang mit dem Autorstandpunkt eingegangen. Im Folgenden werden wir die im Bereich der inventio angelegten rhetorischen Kategorien des Beispiels (exemplum) und der Sentenz untersuchen. Aristoteles betrachtet die Sentenz als Teil des Enthymems, Beispiel und Enthymem aber als zwei Beweismittel in der Argumentation, die allen Redegattungen gemeinsam sind. Im Unterschied zum Enthymem, das einen Schluß vom Ganzen auf den Teil, vom Allgemeinen auf das Besondere zieht, wird das Beispiel von einem verwandten, bekannteren Teil auf einen anderen, weniger bekannten Teil bezogen; dabei bildet eine Ähnlichkeitsbeziehung die Grundlage der Zusammenstellung beider. Prinzipiell sind zwei Arten von Beispielen zu unterscheiden: solche, die historische Tatsachen anführen, und fingierte Beispiele, die aus einem Gleichnis oder einer Fabel bestehen können.17 Daraus geht schon hervor, daß das Beispiel verschiedenen Umfang haben kann, von der kurzen Namensnennung bis zur ausgebauten Erzählung, ja eigenständigen literarischen 17 Aristoteles, Rhetorik, München 1995, 20. Kap., S. 133 ff.
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Gattung.18 In seinem Schlußwort betont Aristoteles die unmittelbare Wirkung des Beispiels auf die persuasio: „Beispiele aber muß man beim Fehlen von rhetorischen Schlüssen (Enthymeme) wie Beweise gebrauchen – denn die Überzeugung kommt dadurch zustande.“19 Über diese allgemeinen theoretischen Voraussetzungen hinaus eignet den exempla in der Kommunia Duchowna die wesentliche Funktion, die Gelehrsamkeit des Autors zu beglaubigen. Schon in der zweiten Szene entfaltet Eryman einen Katalog von grausamen Gewaltherrschern der Antike, um Präzedenzfälle für die erschreckende Lasterhaftigkeit Światopełks aufzuzeigen: er nennt Diokletian, Phalaris, der seine Feinde in einem glühenden ehernen Stier unter grausigem Gebrüll zu Tode rösten ließ, den sagenhaften ägyptischen König Busiris, der Fremdlinge dem Osiris opferte, den Skythenkönig Theromedon, der Löwen mit Menschenfleisch fütterte und schließlich den römischen Kaiser Censorinus, der schon nach sieben Tagen Tyrannenherrschaft getötet wurde (Z. 192–202). Auf den Beweis der Grausamkeit Światopełks, die für das russische Volk verhängnisvoll wäre, zielt die amplificatio im Sinne einer Fülle von nicht weniger als fünf Beispielen und der kombinierten Evokation von Geschichte und Mythos.20 Die historischen Spezialkenntnisse läßt der Autor Eryman mit der Formel „wiem“ (ich weiß) im weiteren Kontext untermauern: „Wiem ja zdziczałe serce w nim, ... Wiem, jako się krwią ludzką nieraz oczy pasły.“ (Ich weiß ein verrohtes Herz in ihm, ... Ich weiß, wie an Menschenblut sich öfter seine Augen weideten. Z. 193 ff ) Weiter unten sehen wir, wie der wissensbestätigende, autoreferentielle Verweis direkt im Zusammenhang mit den angeführten exempla steht. Als sich Jarosław von der Welt abkehrt und in die Wildnis aufbricht, erinnert er sich an Pallas Athene, die Herkules zum Kampf ausrüstete: „A któż mię tu uzbroi? Wiem, że Pallas skronie / Herkulesa przyłbicą swoją ku obronie / Warowała“ (Aber wer wappnet mich hier? Ich weiß, daß Pallas die Schläfen / Des Herkules mit seinem Helmsturz zum Schutz / Sicherte, Z. 1765 ff ). Weiter rechtfertigt Jarosław seine Entscheidung, nötigenfalls die Todesstrafe an seinem leiblichen Verwandten Światopełk zu vollstrecken, mit dem Hinweis auf die antiken exempla des Manlius und Agesilaus und thematisiert explizit den lehrhaften Kontext der Aufführung: „... Wiem, jako przedtem i ręce ojcowskie Uzbroić sprawiedliwość mogła, że synowskie 18 Jerzy Ziomek, Retoryka opisowa, Wrocław 1990, S. 108 f. 19 Aristoteles, Rhetorik, S. 136. 20 Dabei scheint die Liste der fünf Schreckensherrscher mindestens zum Teil topisch verfestigt zu sein: Laurentius von Durham führt in einer Gerichtsrede aus dem 12. Jahrhundert Busiris, Thyestes, Phalaris, Theromedon und Polyphem an, s. Oratio Laurentii pro iuvenibus compeditis, zit. nach: Thomas Haye, Oratio. Mittelalterliche Redekunst in lateinischer Sprache. Leiden 1999, S. 131.
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Żelazem ukarały przestępstwa; własnego Toporem zgładził syna Manlijus, nad jego Zakaz że się był porwał na Samnitów, lubo Ich starszy z swym triumfem, z ich powrócił zgubą. Agesilaus głodem umorzył własnego Syna, że się łakomstwem uniósszy złotego Kruszcu, już przekupiony, chciał Spartę Kseuksowi Poddać, głodnemu Greków nieprzyjacielowi.“ (Z. 2237–2246) … Ich weiß, wie vor Zeiten auch Vaterhände Die Gerechtigkeit bewaffnen konnte, daß sie der Söhne Verbrechen mit dem Eisen bestraften; den eigenen Sohn tötete Manlius mit dem Beil, weil er sich über sein Verbot [hinwegsetzte] und über die Samniten herfiel, obwohl Er mit ihren Ältesten in seinem Triumphzug, mit ihrer Niederlage heimkehrte. Agesilaos ließ den Hungertod sterben den eigenen Sohn, weil er von Habsucht hingerissen nach goldenem Metall, schon bestochen, Sparta dem Xeuxes Ausliefern wollte, einem gierigen Feind der Griechen.
Auch Światopełk und seine Ratgeber stützen ihre Argumentation auf exempla aus der Alten Geschichte und Mythologie. Den Brudermord zugunsten der Alleinherrschaft läßt Gamrot das prominente Beispiel des Romulus geraten erscheinen (Z. 698 ff ), Światopełk ergeht sich minutiös in einem ganzen Katalog und beruft sich auf das Zeugnis der Historiographie: „tak świadczą dzieje starodawne“ (so bezeugt es die Alte Geschichte. Z. 720). Demzufolge mordete Typhon den Bruder, Medea den Apsyrtos, Sysaphon Mamertes, Polites und Learchos waren ebenfalls Brudermörder (Z. 707 ff und 721 ff ). Darüber hinaus sind exempla des Brudermordes über das ganze Stück verteilt, der Chor führt Helenus und Chaon, Kain und Abel an, Hleb den König Iugurtha (Z. 1678). Nachdem Gamrot Opfer seines eigenen Mordplans geworden war, bedenkt Światopełk in einer Reflexionspause am Ende von II, 5, daß sein beabsichtigter Anschlag auf Borys ebenfalls ihn selbst treffen könnte, so wie Trasius als erster auf dem Opfertisch endete, den zu errichten er Busiris geraten hatte, wie Perillus als erster den von ihm für Phalaris ersonnenen ehernen Stier mit seinem Gebrüll belebte, und Diomedes seinen Pferden zum Fraß wurde (Z. 1113 ff ). Drei Beispiele werden hier eingesetzt, um die Gültigkeit der Sentenz „Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein“ (Z. 1111 f.) zu beweisen. Mit den Sentenzen in diesem Drama werden wir uns im folgenden Abschnitt ausführlicher beschäftigen. Als Światopełk nach Borys’ Ermordung glaubt, Herrscher über Rußland zu werden, eröffnet er eine Reihe von exempla contraria21: Fackelaufzüge, Elephantenaufmärsche wie bei Pompeius, vor Wagen gespannte Hirsche und Lorbeerkränze, auf 21 Jerzy Ziomek, Retoryka opisowa, Wrocław 1990, S. 110.
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den Bergen entfachte Feuer wie bei Iulius Caesar oder Triumphbögen sind seine Sache nicht, „U mnie ceny te pompy najmniejszej nie mają.“ (Bei mir hat dieser Pomp nicht den geringsten Wert. Z. 1478) Auch muß der, welcher den Thron besteigt, nicht ganze Heerscharen und Völkerschaften niedergestreckt haben, wie Augustus, Claudius und der Makedonenkönig (Z. 1481 ff ), vielmehr genügt die Leiche des Bruders, um Światopełk in den Besitz der Rus’ und der Ukraine zu setzen: „Wielem hufców położył w jednym porażonym, / Wielem narodów zgładził w bracie zamorzonym.“ (Viele Truppen streckte ich nieder, indem ich einem den Schlag versetzte, / viele Völker machte ich nieder, indem ich den Bruder umbrachte. Z. 1489 f.) Aus diesen exempla ex maiore ad minus zieht Światopełk den Schluß, daß nicht nur Kriegsruhm und Waffentaten den Machterwerb sichern, sondern ebenso der in einer dreifachen Anapher gerühmte „dowcip“ (Scharfsinn, Z. 1493, 1495, 1496). Von dieser amplifizierenden Zusammenfassung mehrerer exempla zu einer narrativen Sequenz unterscheidet sich die Verdichtung weniger Beispiele zu einer prägnanten, bildkräftigen Kurzformel. Mit unwiderleglichen, sofort evidenten Paradigmen vernichtender Auslöschung quittiert der Zweite Senator die Nachricht von Borys’ Tod: „Do nas się już trojańskie przenoszą ruiny, / Do nas się nawracają i Teb rozwaliny!“ (Zu uns versetzt werden schon die Ruinen Trojas, / Zu uns wenden sich auch die Trümmer Thebens! Z. 1455) Die Anapher „Do nas“ in Verbindung mit den Sinnbildern der Zerstörung soll die drohende Gefahr für das eigene Staatswesen emphatisch heraufbeschwören. Für Hleb ist der Verlust seines Bruders Borys gleichbedeutend, wie wenn man „wzieły Polluksowi / Kastora, Achillesa wzieły Patroklowi.“ (man nahm dem Pollux / den Castor, den Achilles nahm man dem Patroklos. Z. 1551) Das Beispiel wird hier verkürzt auf die Figur der Antonomasie, d.h. der Eigenname steht für ein herausragendes Wesensmerkmal seines Trägers, die Freundschaft. Alle Überzeugungskraft in nur noch ein Beispiel zu legen, gebietet der Augenblick der Todesnot: Borys’ Knappe Georgius parallelisiert Borys mit Aktäon, den Artemis (welche er mit ihren Nymphen beim Baden beobachtet hatte) in einen Hirsch verwandelte, und der dann von seinen eigenen Hunden zerrissen wurde: „Wściekli psi, z Akteonem – rzekę – poznawajcie / Pana swego, paszczęki wasze zawierajcie.“ (Tolle Hunde, mit Aktäon – sage ich – erkennt / Euren Herrn, schließt eure Mäuler. Z. 1203 f.) Auch auf der Inhaltsebene des Textes wird das Beispiel im Sinne eines lebenden Vorbilds für positives oder negatives Verhalten thematisiert. Hleb nahm sich Borys als Musterbeispiel der Lebensführung: „przykładem idąc za którego / Jakkolwiek wiodłem żywot“ (dessen Beispiel folgend, / Ich immer mein Leben führte, Z. 1558 f.). Auf den pädagogischen Verweis der Senatoren stößt dagegen der Rückzug von Hleb und Jarosław in die Wildnis: „pociągniecie i naszych przykładem / Synów; wielu na puszczą pójdzie waszym śladem.“ (ihr werdet durch euer Beispiel auch unsere Söhne / anlocken; viele werden auf eurer Spur in die Wildnis kommen. Z. 1817 f.)
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Wiederholt war auf die didaktischen Grundlagen und Voraussetzungen der Kommunia Duchowna einzugehen, und anhand der exempla wurde der Fundus antiquarischer Kenntnisse des Autors22 untersucht. Wenn wir an dieser Stelle die Analyse an die Dichtungstheorie des 17. Jahrhunderts anknüpfen, sehen wir, daß Sarbiewski Dichtung in einem ganz allgemeinen Sinn als Vermittlerin der verschiedensten Wissenschaften versteht, wie er im VI. Buch „De iis rebus, quae necessariae sunt in fabula ad docendum seu de encyclopaedia fabulae“ darlegt.23 Die in den vorangegangenen fünf Büchern aufgestellten poetologischen Regeln der imitatio betrafen nur die Materie der Poesie, d.h. ihren unbelebten Körper, die Seele der Poesie aber liegt Sarbiewski zufolge im docere, vor allem in einschlägigen Hinweisen zur Lebensgestaltung.24 In den folgenden Büchern VII und VIII werden dann jeweils die officia des delectare und movere behandelt. Grundsätzlich unterscheidet Sarbiewski zwischen der direkten Belehrung (encyclopaedia directa), wenn der Autor Ergebnisse aus den verschiedensten Wissenschaften in die Fabel einbindet, und der allegorischen Form (encyclopaedia obliqua), die sich vor allem zur Darstellung der Moralphilosophie und ihrer Ansichten zur Einrichtung des menschlichen Lebens eignet. Mit dieser zweiten Kategorie sind im weitesten Sinn auch die allegorisch-emblematischen Strukturen beschrieben, auf die ich im folgenden Abschnitt eingehen werde. Gegenüber der universalen Vielfalt der artes liberales, der historischen, medizinischen, mechanischen, philosophischen, mathematischen, theologischen und juristischen Wissenschaften etc., die Sarbiewski im Werk Vergils und Homers nachzuweisen bemüht ist, finden sich in unserem Dramentext neben den ausführlich behandelten Bezügen zur Rhetorik Hinweise auf optische und etymologische Erkenntnisse. Die Textstelle bei Vergil, die Sarbiewski in Zusammenhang mit der Optik bringt – Aeneas überschaut das Meer und erblickt kein Schiff25 – bezeichnet freilich einen schlichten Sachverhalt ohne erkennbaren didaktischen Gehalt. Mit der neuesten Forschung auf dem Gebiet der Optik vertraut zeigt sich der Autor der Kommunia Duchowna in seinen Betrachtungen über das trügerische Farbenspiel des Regenbogens: 22 Zum poeta doctus in der deutschen Dichtungstheorie des Barock s. Ludwig Fischer, Gebundene Rede. Dichtung und Rhetorik in der literarischen Theorie des Barock in Deutschland. Tübingen 1968, S. 79 ff. 23 Maciej Kazimierz Sarbiewski, O poezji doskonałej czyli Wergiliusz i Homer (De perfecta poesi, sive Vergilius et Homerus). Wrocław 1954, S. 174–208. 24 „Hactenus materiam dumtaxat poeseos et inanimum ipsius corpus tractavimus, ut ipsa natura, cum embryonem format. Nunc ad ipsam poeseos formam accedemus animamque illius corpori infundemus, quae consistit in assecutione finis ulterioris non quomodocumque imitandi rem, sed in ordine ad docendum, et praecipue humanam vitam conformandam, quod hoc libro faciemus“, ebd., S. 174. 25 Ebd., S. 185.
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„O niestatku! O pewnie opłakane czasy, W które sie takie knują domowe hałasy! Jak kiedy tęcza dżdżyste przepasze niebiosa, Gdy ziemię upragnioną górna skropi rosa, Ufarbowane lice różne nakrapiają Kolory, ale prawdy w swej cerze nie mają, Tylko się różnym światło sposobem odbija, A z oczu się nagrawa, tak, kiedy omija I świątobliwość Hleba, nic tam prawdziwego Nie było, ale tylko z oka się ludzkiego Nagrawał;“ (Z. 1711–1721). Oh, Unbeständigkeit! Oh gewiß beklagenswerte Zeiten, In denen sich solche familiären Spektakel entspinnen! Wie wenn der Regenbogen regnerische Himmel umgürtet, Wenn die sehnlich wartende Erde himmlischer Tau besprengt, Sein gefärbtes Antlitz verschiedene Farben Besprenkeln, aber in ihrer Gesichtsfarbe keinerlei Wahrheit haben, Nur das Licht auf verschiedene Weise reflektiert wird, Und sein Spiel mit dem Auge treibt, so ist es auch, wenn Die Gottgefälligkeit den Hleb meidet, dabei nichts Wahrhaftes Gewesen ist, sondern er nur sein Spiel mit dem menschlichen Auge Trieb;
Isaac Newton hatte 1666 durch seine Experimente mit Prismen den Grundsatz bewiesen, daß weißes Licht in die Spektralfarben – so wie sie auch im Regenbogen erscheinen – zerlegt werden kann.26 In Übereinstimmung damit heißt es im Text wortwörtlich: „Ufarbowane lice różne nakrapiają / Kolory, ale prawdy w swej cerze nie mają, / Tylko się różnym światło sposobem odbija“. (Sein gefärbtes Antlitz verschiedene Farben / Besprenkeln, aber in ihrer Gesichtsfarbe keinerlei Wahrheit haben, / Nur das Licht auf verschiedene Weise reflektiert wird, Z. 1715 ff ). Anschließend wird in einem zweiten Schritt im Sinne mittelalterlicher Allegoresepraxis aus dem Naturphänomen die übertragene Bedeutung der Scheinhaftigkeit abgeleitet und in Vergleich gesetzt zu Hlebs vorgetäuschtem gottgefälligen Wesen. Gleichzeitig ist mit der Augentäuschung hier eine der Kernfragen barocker Ästhetik berührt. Auf die Problematisierung der Etymologie des Wortes „pokój“ (Zimmer; Friede, Z. 2169), das in Wirklichkeit auch einen kummervollen Ort bedeuten kann, sind wir bereits w.o. im Zusammenhang mit der Analyse der laus-ruris-Sequenz eingegangen.
26 Hans Gekeler, Handbuch der Farbe. Systematik, Ästhetik, Praxis. Köln 2000, S. 10. Eine eigene Farbenlehre hatte auch der belgische Jesuitenpater Aguilonius in seinem Werk Opticorum libri sex (1613) entwickelt.
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5.1.4 Oratorische Elementarformen in der Kommunia Duchowna Nach diesem Exkurs über den lehrhaft-enzyklopädischen Anspruch der Kommunia Duchowna wollen wir nun überleiten zu den größeren Redeeinheiten innerhalb der dispositio des Textganzen und hier einige oratorische Elementarformen gleichsam archäologisch freilegen. Zu den Grundfertigkeiten der Rhetorikausbildung gehört der freie Vortrag eines carmen (Gedichts)27, und im Rahmen des Autorkontexts wurden verschiedene Abschnitte ausgesondert, die der inventio lyrischer Gattungen folgen, wie sie Sarbiewski analog zu den drei genera dicendi beschrieben hat.28 Dem genus exornativum, der lobpreisenden Ode, haben wir die Gebete von Borys und Hleb vor ihrem Tod zugeordnet sowie das laus-ruris-Gedicht am Anfang von Jarosławs Auftrittsrede zum vierten Akt. Unter das genus deliberativum fallen Vanitasgedichte (u.a. Hlebs Auftrittsmonolog zu III, 2), in welchen davon abgeraten wird, sich der Eitelkeit menschlicher Freuden und Hoffnungen hinzugeben. Das genus iudiciale schließlich exemplifiziert eindrucksvoll Jarosławs Verfluchungssequenz nach dem Mord an Hleb (Z. 2201–2218). Die Deklamationen der Hauptfiguren sind häufig nach rhetorischem Muster untergliederte Reden mit Einleitung, das Thema behandelndem Hauptteil und Schluß29, so die Vanitas-Monologe von Borys und Hleb, die Nekrologe Jarosławs mit ihren ausgebauten floralen Vergleichen und der umfangreiche dramatische Schlußmonolog Światopełks. Borys’ Vanitas-Deklamation über den Sinn weltlicher Macht in I, 4 geht über in eine disputatio mit Eryman und den Senatoren: sie argumentieren, daß es sein officium sei, das höchste Staatsamt anzutreten. In bildkräftiger Diktion mahnt ihn Eryman, er sei ein schwankendes, wellengepeitschtes Schifflein anstelle einer unüberwindlichen Mauer des russischen Staates, auch trete er nicht in den Steigbügel seines Vaters (Z. 277–284). Mit dem Appell „Pamiętaj, żeś książąt ruskich plemię“ (Denk daran, daß du Abkömmling russischer Fürsten bist“, Z. 284) erinnert er ihn an seine ererbte Pflicht zu regieren. Der Zweite Senator führt den Schutz des Gemeinwohls ins Feld, weil durch Borys’ Weigerung Ruinen und Leichen der Untertanen drohten, das Land zu bedecken. Als Steigerung in der Argumentation ist die unverhüllte Aufforderung des Dritten Senators zu betrachten, Borys solle Światopełk töten, da dieser sich durch den Brudermord den Weg zum Thron bahnen wolle. Eine solche Tat verspricht zwar pragmatischen Nutzen in der politischen Überlegung, doch lehnt sie Borys aus moralischen Gründen entschieden ab und stellt in seiner Güterhierarchie das honestum über
27 Barner, Barockrhetorik, S. 295. 28 Maciej Kazimierz Sarbiewski, Wykłady poetyki (Praecepta poetica). Wrocław / Kraków 1958, S. 22. 29 Sofronova, Poėtika slavjanskogo teatra, S. 135.
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das utile.30 Den Disput beschließt die Androhung des Ersten Senators, Borys notfalls mit Gewalt in die Herrschaft einzusetzen (Z. 309). Zum Vergleich mit dieser Szene bietet sich der Dialog Gamrots mit Światopełk an; auf Anhieb gelingt Gamrot die persuasio zum Brudermord, nachdem er nur das antike exemplum des Romulus angeführt hat (Z. 698 ff ). Bezüge zum genus iudiciale enthält die Verteidigungsrede der Soldaten, die ihre Unschuld am Mord von Gamrot darlegen; Światopełk hatte ihnen zuvor unter ironisch-hyperbolischem Verweis auf die antiken Autoritäten der Rhetorik angekündigt: „Mówcie, ale was żadna nie uwolni mowa, / By była Demostena lub Tulijuszowa.“ (Sprecht, aber keine Rede wird euch die Freiheit bringen, / Wenn sie auch von Demosthenes oder Tullius wäre. Z. 1053 f.) Die Szene IV, 5 schließlich umfaßt eine einfache actio forensis: „Jawna rzecz“, evident ist (Z. 2403), daß Światopełk seine Brüder Borys und Hleb getötet hat. Jarosław und die vier Senatoren fordern zunächst einstimmig die Todesstrafe, doch wandelt sie Jarosław um in Vertreibung. Insgesamt bleibt festzuhalten, daß die Kommunia Duchowna einen kanonischen Text darstellt, ein Musterbeispiel für gehobene, von der Normalsprache abweichende, mit Figuren und gelehrten Exempla ausgeschmückte polnische Diktion. Mit Ulčinaitė ist davon auszugehen, daß der Autor vorrangig auf das officium des movere abzielt – das Erzeugen von Mitleid mit den heiligen Märtyrern, von Furcht über das Ende Światopełks. Großen Stellenwert müssen wir aber anhand des Apparats gelehrter exempla dem docere einräumen. Die vermutlich prunkvolle Ausstattung und die komischen Intermedien schließlich geben dem delectare breiten Raum. Auf das movere der Zuschauer lassen sich schließlich auch die im Zusammenhang mit den Figurenstandpunkten erwähnten, nicht publizierten Randnotizen beziehen: sie enthalten Kommentare zu den an bestimmten Textstellen angebrachten Affekten – z.B. „affectus irae, doloris“ – und verweisen damit spiegelbildlich auf die intendierte abschreckende, bzw. mitleiderregende Wirkung. Wenn so an verschiedenen Stellen Notizen zu den jeweils relevanten Affekten aufgezeichnet werden, ist hier gleichzeitig eine Regieanweisung für die actio der Schauspieler gegeben, genauer für den stimmlichen Ausdruck und die Gestensprache, die Soarez als „eloquentia corporis“ bezeichnet.31 30 Dies steht im Einklang mit dem an Jesuitenschulen allgemein verbreiteten Lehrbuch von Soarez, der eine ‚absolute‘ Ethik vertritt im Unterschied zu Quintilians ‚relativer‘ Ethik: hier werden Nützlichkeit und ethischer Wert als gleichberechtigte Alternativen der deliberatio geltend gemacht (Barbara Bauer, Jesuitische ‚ars rhetorica‘ im Zeitalter der Glaubenskämpfe. Frankfurt 1986, S. 160). An höchster Stelle stehen bei Soarez freilich die Pflichten gegenüber Gott, und mit ebendiesem Argument werden die Senatoren später Hleb und Jarosław zum Verlassen der Wildnis bewegen. 31 Dazu die betreffende Stelle bei Soarez: „Est enim actio quasi corporis quaedam eloquentia. Cum sit autem in duas diuisa partes, vocem, gestumque, quorum alter oculos, altera aures
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5.2 Emblematische Bildlichkeit und Strukturprinzipien in der Kommunia Duchowna Der übergeordnete Kontext der Rhetorik ist um die Mitte des 17. Jahrhunderts auch bestimmend für die theoretische Fundierung der Emblematik als eigenständiger kunst- bzw. literaturwissenschaftlicher Gattung, in der sich Bild und Wort, res picta und res significata, materia physica und forma moralis32 vereinen. Grundsätzlich kennzeichnet das Emblem nach Albrecht Schöne eine formale Dreiteilung in inscriptio, pictura und subscriptio und eine Doppelfunktion des Abbildens und Auslegens, des Darstellens und Deutens.33 Jacob Masen faßt in seinem Speculum imaginum veritatis occultae (1650) die Emblemata mit den Gattungen der Symbola, Hieroglyphica und Aenigmata unter dem Oberbegriff der imago figurata zusammen und deckt so den methodischen Zugang zum Emblem über die rhetorische Tropen- , bzw. Metaphernlehre auf: Für die imago figurata ist, ebenso wie für die figürliche Rede, eine tropische translatio-Beziehung kennzeichnend, aber im Unterschied zum Ersatz eines eigentlichen durch ein uneigentliches Wort handelt es sich hier um den Ausdruck einer imago propria durch eine imago figurata.34 Die Nähe des Emblems zum rhetorischen Stilideal der argutia wird deutlich, wenn wir berücksichtigen, daß in der Theorie meist das Ingeniöse der Verbindung von Bild und Wort im Vordergrund steht (obwohl der so erzeugte Rätselcharakter der pictura in der Praxis keineswegs allgemein verbindlich ist). Eine Begründung in diesem Sinne liefern Masens Speculum sowie Emanuele Tesauros Il cannocchiale Aristotelico (1654). Nach dem Muster der Rhetorik werden nun Kompositionsregeln für das Emblem aufgestellt, die Vielfalt der Erscheinungsweisen spezifiziert und Abgrenzungen zu den allegorischen Nachbargattungen getroffen.35 Die Sentenz erweist sich als wichtigste Schnittstelle zwischen Rhetorik und Emblematik, sowohl im Allgemeinen, wie auch in Bezug auf die Kommunia Duchowna. Im Rhetorikunterricht für Anfänger wurde besonderer Wert auf das Memorieren lateinischer Sentenzen gelegt. Auf diese Weise ließen sich Vokabel- und Grammatikkenntnisse mit dem Erwerb eines festen, in verschiedenen Redesituationen anwendbaren Zitatenschatzes verbinden. Sentenzen waren, ebenso wie fabula, narratio, chria, laus, descriptio, etc. klassischer Bestandteil der progymnasmata (An-
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mouet, per quos duos sensus omnis ad animum penetrat affectus“, De arte rhetorica, S. 153, zit. nach Barner, Barockrhetorik, S. 351. Diese Bestimmung von Emblempictura und -subscriptio geht auf Nicolaus Taurellus zurück, s. Albrecht Schöne, Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock. München 1993, S. 40. Ebd., S. 21. Vgl. Barbara Bauer, Jesuitische ‚ars rhetorica‘ im Zeitalter der Glaubenskämpfe. Frankfurt 1986, S. 461 f. Ebd., S. 466.
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fängerübungen). Sentenzen drücken in Form eines kurzen Satzes einen allgemeinen Gedanken, eine Meinung oder ein Urteil aus; in Anlehnung an die progymnasmata des Aphthonius lassen sie sich genauer klassifizieren, je nachdem, ob sie zu etwas ermuntern (exhortans), von etwas abraten (dehortans), informieren (enuntians), einfach (simplex), komplex (composita), wahrscheinlich (probabilis), wahr (vera) oder übertragen (superlata) sind.36 Zahlreiche Emblem-inscriptiones sind auf diese Weise zu einer bündigen, eingängigen, fixierten Kurzformel verdichtet. Hinweise zur Affinität von Emblem und Sentenz enthalten auch die Titelkupfer der vier Emblemsammlungen des Joachim Camerarius aus der Pflanzen- und Tierwelt, einer der verbreitetsten Quellen zur Emblematik. So lautet z.B. der Untertitel zu der 1595 erschienenen Symbolorum et emblematum ex animalibus quadrupedibus desumtorum centuria altera: Exponuntur in hoc libro rariores tum animalium proprietates tum historiae ac sententiae memorabiles. Camerarius beschreibt also nicht nur die Eigenschaften (proprietates) der Vierfüßler und die relevanten Tatsachen (historiae), sondern auch die daraus speziell abzuleitenden moralischen Nutzanwendungen (sententiae). Das LXVI. Emblem z.B. zeigt in der pictura den Steinbock, verknüpft mit der inscriptio „Insuetum per iter“ (Auf ungebräuchlichem Pfad). Im anschließenden Prosakommentar sind nicht nur die Eigenschaften des Tieres erwähnt – es findet sich in unzugänglichen Alpengegenden und springt behende von Fels zu Fels – sondern es wird auch ein mögliches allegorisches Signifikat aus der res significans des Steinbocks entwickelt und in eine Sentenz gekleidet: „Virtutem habitare in rupibus accessu difficilibus.“ (Die Tugend wohnt auf schwer zu erklimmenden Felsen.)37 In den einleitenden theoretischen Anweisungen zur Produktion von Symbolen schreibt Camerarius unter Punkt 2. die Verbindung von Symbol und Sentenz grundsätzlich fest: das wichtigste Prinzip der Symbole bestehe darin, „daß sie eine durch Bedeutungsschwere und Kürze möglichst aussagekräftige Sentenz enthalten“ (in eo vel maxime sita est symbolorum ratio, ut cum gravitate brevitateque quadam plurimum sententiam contineant).38 In der ersten Regel wird der typische Rezeptionsweg der Symbole über Umwege und Windungen, das Aufdecken dunkler Sentenzen, in den Vordergrund gestellt. Drittens schließlich sei eine gewisse Ähnlichkeit des Symbols mit dem adagium oder der paroemia zu beachten. Insgesamt ist hier anzumerken, daß Aussagen über das Symbol insofern auch für das Emblem gelten, als Camerarius ‚Symbol‘ als generalisierenden, ‚Emblem‘ als spezielleren Be-
36 Eugenija Ulčinaitė, Teoria retoryczna w Polsce i na Litwie w XVII wieku. Wrocław 1984, S. 159. 37 Joachim Camerarius, Symbola et emblemata. (Nürnberg 1590 bis 1604) Teil 1: Centuria I–III. Fotomechan. Nachdr. Graz 1986, fol. 74 v. 38 Ebd., S. 8 v.
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griff auffaßt, ähnlich wie sich der Begriff ‚animal‘ zu ‚homo‘ verhält.39 Direkt aus der Rhetorik bezogen scheint w.u. die Gegenüberstellung von Sentenz und Emblem im Sinne von verba und res (Sententia, & Emblema videntur mihi differe ut verba & res, seu signa quaedam rerum, & res signatae.)40 Abschließend unterscheidet Camerarius noch zwei Verwendungsweisen des Terminus ‚Emblem‘ im „wörtlichen und uneigentlichen Verständnis“ (quomodo id nomen proprie, quomodo figurate accipiatur). In buchstäblicher Bedeutung bezeichnet Emblem ein eingeblendetes Zierwerk des Kunstgewerbes, in übertragenem Sinn ist der Begriff auf die Rhetorik anwendbar: von einer auf Emblemata bezogenen Rede kann man sprechen, wenn diese „mit verschiedenen Farben und gekünsteltem Schmuck der Worte und Dinge ausgearbeitet sei“ (oratio variis verborum rerumque pigmentis & lenociniis Rhetoricae artis elaborata, Emblematis referta dici figurate potest.)41 Von dieser übertragenen Bedeutung ist prinzipiell auszugehen, wenn wir unter dem Blickwinkel der Rhetorik emblematische Bilder und Strukturen in der Kommunia Duchowna untersuchen. Hier muß allerdings vorausgeschickt werden, daß dieser Dramentext einen begrenzten Bestand an emblematischer Bildlichkeit und emblematischen Strukturen aufweist, verglichen mit den Tragödien der schlesischen Dramatiker Gryphius, Lohenstein und Hallmann, denen umfangreiche, gelehrte Anmerkungsapparate und Quellenhinweise beigegeben sind. Janusz Pelc’ Postulat, das polnische Barockdrama müsse in Anlehnung an die Forschungen Albrecht Schönes untersucht werden42, stößt hier auf quantitative und qualitative Grenzen. Gemäß dem Artikel von Janina Abramowska im Słownik literatury staropolskiej gibt es überhaupt nur wenige genuin polnische Barocktragödien. Eine wichtige Rolle spielten dagegen Übersetzungen Senecas, z.B. Bardzińskis Smutne starożytności teatrum (1696). Am Rande sind die zahlreichen Tragödien im Umkreis des Schultheaters vor allem der Jesuiten erwähnt, die ab dem Ende des 17. Jahrhunderts auch in polnischer Sprache verfaßt wurden.43 Die Autoranmerkungen zu unserem Stück sind spärlich und enthalten keinerlei Hinweise auf benutzte Emblembücher. Trotzdem werde ich zwei Stellen in der Kommunia Duchowna aufzeigen, die in eindeutigem Zusammenhang mit konkreten Emblemata stehen. 39 Ebd., S. 9 v. 40 Ebd., S. 10 r. 41 Ebd., S. 10 v. Auf ähnliche Weise bezeichnet Gracián Emblemata als die kostbaren Steine in der goldenen Fassung kunstvoller Rede und schreibt Harsdörffer der Sinnbildkunst zu, „dem Redner zu beweglicher Darstellung seiner Sachen“ zu dienen, zit. nach Schöne, Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock, S. 58. 42 Janusz Pelc, Obraz-Słowo-Znak. Studium o emblematach w literaturze staropolskiej. Wrocław et al. 1973, S. 208. 43 Janina Abramowska, Stichwort „Tragedia“, in: Słownik literatury staropolskiej. Wrocław 1990, S. 868 f.
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5.2.1 Emblematische Exempla Der von Albrecht Schöne ausgearbeiteten Systematik folgend, beginnen wir so mit den emblematischen exempla im dramatischen Text. An exponierter Stelle am Ende der ersten Szene beteuert Światopełk seinen Glauben an die Macht des Goldes; um die Untertanen für sich zu gewinnen, weist er Eryman, den Schatzmeister seines Vaters, an: „Tylko ty, Erymanie, ... dobądź teraz złota, / A z Herkulesem w złote serca wiąż ogniwa; / Jak sęp na łup rzuci się na złoto myśl chciwa.“ (Du nur, Eryman, ... ziehe jetzt das Gold hervor, / Und verbinde mit Hercules die Herzen durch goldene Kettenglieder; / Wie der Geier auf die Beute stürzt sich auf das Gold ein gieriger Sinn. Z. 183 ff ) Öfter nimmt der Text Bezug auf die mythologische Figur
Abb. 10 Andreas Alciatus: Emblematum libellus, 1542, Nr. 93
des Hercules als Inbegriff männlicher Kraft (Z. 674, 1766, 1905), doch muß das genannte Zitat, daß Hercules die Herzen mit goldenen Kettengliedern verbindet, zunächst dunkel erscheinen. Aufschluß gibt hier das XCIII. Emblem aus Alciats Emblematum libellus mit der inscriptio „Eloquentia fortitudine praestantior“ (Redekunst ist wirksamer als Stärke). (Abb. 10) Wie die subscriptio beschreibt, ist Hercules in der pictura als grauer, alter Mann dargestellt; eine lange Kette, die von seiner Zunge ausgeht und sich dann mehrfach teilt, verbindet ihn mit den Ohren der umstehenden Personen. Der tiefere, aus der pictura abgeleitete Sinn zielt auf die
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Überlegenheit der Rhetorik gegenüber physischer Stärke: „Die Franzosen glauben gar vest, / Wie Hercules nit sey gewest / So gar starck, wie man ruembt sein macht, / Sonder hab under sich gebracht / All welt mit red, und zungen mild, / Malen im drumb ein soelich bild. / Hie bey siht man, das wort mit witz / Thuen mer, dan aller waffen spitz“44. Ursprünglich geht diese Darstellung des Hercules in Verbindung mit Zügen des keltischen Gottes Ogmios auf Lukian zurück; dieses Motiv des sog. Hercules Gallicus45 spielt neben der Figur des Hercules am Scheideweg und dem christianisierten Hercules eine wichtige Rolle in der Mythenrezeption der Frühen Neuzeit – siehe die Aufnahme in die Literatur bei Ronsard, in die Malerei bei Raffael und Tiepolo.46 Um der Wirkmacht der Rhetorik sichtbaren Ausdruck zu verleihen, wird in der Bildvorstellung die ‚Fesselung‘ der Zuhörer durch goldene Ketten sinnfällig vor Augen geführt, und genau hier liegt der Ansatzpunkt für Światopełks entidealisierenden Emblem-Gebrauch: innerhalb des für ihn charakteristischen negativen Weltmodells (s. Kap. Figurenstandpunkte) deutet er das Hercules-Motiv um und pervertiert das ideale Konzept von der integrativen Kraft des Wortes in das Laster kollektiver materieller Verführung. Durch Bestechung will er sich die Unterstützung des Volkes sichern. Im Gegenzug erfüllt der positiv konnotierte Borys in den Worten Erymans die ursprüngliche, eigentliche Bedeutung des Hercules-Emblems: „Wiem, że Borysa wiąże serca wszystkich cnota, / Światopełka nie zachcą, choćbym dobył złota.“ (Ich weiß, daß Borys’ Tugend die Herzen aller verbindet, / Światopełk wollen sie nicht, selbst wenn er das Gold hervorholte. Z. 207 f.) Die indirekte, erst über das Emblem nachweisbare semantische Bezugnahme auf die Rhetorik verbindet sich hier mit einer strukturellen – Schöne hat eine Liste verschiedener Argumentationskontexte aufgestellt, in denen emblematische exempla verwendet werden. Übertragen auf unser Stück kann man sagen, daß Światopełk seinen Überredungsversuch auf das Hercules-Emblem stützt, um es „als Begründung für eine Aufforderung des Angesprochenen zu bestimmten Handlungen“47 zu nützen. Trotz Erymans vorgeblicher Einwilligung in den Bestechungsbefehl folgt seine vehemente Ablehnung, Światopełk als Regenten anzuerkennen, unmittelbar anschließend am Anfang der zweiten Szene. Geradezu ein Schlagabtausch starker Bilder tritt in Kraft, wenn Eryman nun in seinem Monolog das Hercules-Emblem mit der pictura der Schlange quittiert, welche die mütterlichen Eingeweide durch44 Andreas Alciatus, Emblematum libellus. Nachdr. der Orig.-Ausg. Paris 1542, Darmstadt 1991, S. 207. 45 S. dazu Jürgen Trabant, Der Gallische Hercules. Über Sprache und Politik in Frankreich und Deutschland. 2002. 46 Mythenrezeption. Die antike Mythologie in Literatur, Musik und Kunst von den Anfängen bis zur Gegenwart (= Der Neue Pauly, Supplemente Bd. 5, hrsg. v. Maria Moog-Grünewald). Stuttgart / Weimar 2008, S. 330 u. 335. 47 Schöne, Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock, S. 89.
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beißt: „Już bym pruł macierzyńskie z jaszczurką wnętrzności, / Z nieukróconym pardem do tej nielitości / Miałbym przyść, bym ojczyźnie okrutnego pana / Miał życzyć, surowszego nad Dioklecyjana.“ (Ich würde schon mit der Schlange die mütterlichen Eingeweide aufreißen, / Mit dem ungezähmten Luchs würde ich zu solcher Unbarmherzigkeit / Kommen, wenn ich dem Vaterland einen grausamen Herrn / Wünschte, einen härteren als Diokletian. Z. 189 ff ) Hypothetisch im Konjunktiv malt sich Eryman das Schreckensszenario aus, er würde als Kind Rußlands den mütterlichen Leib der Heimat zerbeißen und töten, wenn Abb. 11 Joachim Camerarius: Symbolorum er Światopełks Machtantritt duldete. et emblematum ex aquatilibus et reptilibus Allerdings verknüpft der Dramenautor desumptorum centuria quarta, 1604, Nr. 91 das Bild mit der unmittelbaren, ersten Bedeutung kindlicher Bosheit, ohne die zweite, übertragene emblematische Bedeutung der gerechten Strafe zu evozieren. (Abb. 11) In der Emblemliteratur wird nämlich die antike naturkundliche Überlieferung, daß die Viper dem Männchen nach dem Coitus den Kopf abbeißt, als Sinnbild weiblicher Grausamkeit gedeutet; in der Bewertung der Emblematiker kommt die gerechte Vergeltung dafür den Nachfahren zu, die ihrerseits bei der Geburt die Mutter töten.48 Festzuhalten bleibt das Gewicht des emblematischen Arguments „als Maßstab des Urteils über ein negatives Verhalten des Angesprochenen und als Verdammungsargument“.49 Der drohenden, übermächtigen Gefahr der Machtübernahme Światopełks stellt Eryman anschließend einen persuasiven Abschreckungskatalog grausamer Gewaltherrscher der Antike entgegen, auf den ich bereits im Zusammenhang mit den rhetorischen exempla eingegangen bin. Phalaris zeichnet sich vor den anderen Tyrannen zusätzlich als prominenter emblematischer Bildgegenstand aus.50 Während an dieser Stelle des Dramentextes (Z. 197) nur die Grausamkeit als solche im Vordergrund steht (den ehernen Stier von den Todesschreien der im 48 Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts, hrsg. v. Arthur Henkel u. Albrecht Schöne. Stuttgart / Weimar 1996, Sp. 662. 49 Schöne, Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock, S. 89. 50 S. Henkel / Schöne, Emblemata, Sp. 1143 ff.
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Feuer Umkommenden ertönen zu lassen), nimmt Światopełk w.u. selbst Bezug auf das historische Exempel, um darüber zu reflektieren, daß das Böse auf seinen Urheber zurückfällt (Z. 1117 ff) – Perillus, der Erfinder des ehernen Stieres endete nämlich als erster qualvoll darin. Światopełk hebt also genau den übertragenen Sinngehalt hervor, der in der Emblematik üblicherweise aus dieser pictura gezogen wird. Der Vollständigkeit halber sei noch auf die rhetorische Relevanz verwiesen, die der Bologneser Humanist Achille Bocchi diesem Emblem in der subscriptio beilegt: Er wünscht „O daß doch jeder auf solche Art langsam geschmort würde, der die römische Wohlredenheit mißachtet, damit er, wenn er es schon verschmäht, auf schickliche Weise zu reden, Abb. 12 Achille Bocchi: Symbolicarum quaestionum... IV, 1555, Nr. 116 doch einmal lerne, richtig zu brüllen.“51 (Abb. 12) Darüber hinaus wird in der Kommunia Duchowna eine Reihe mythologischer Figuren erwähnt, die auch in Emblembüchern repräsentiert sind und bestimmte Bedeutungen sinnbildhaft verkörpern. Ixion stellt das schlechte Gewissen vor (Z. 626 f. – Henkel / Schöne, Emblemata, Sp. 1658 f.), das Rad der Fortuna den Glückswandel (Z. 690 – Sp. 1808), Actaeon den Lohn des Undanks (Z. 1203 – Sp. 1622 f.), Castor und Pollux Bruderliebe (Z. 1551 f. – Sp. 1675) und Scylla und Charybdis Gefahr (Z. 1753 ff – Sp. 1699f.). An diesen Beispielen zeigt sich das emblematische Potential der Antonomasie: der Eigenname steht für eine herausragende Eigenschaft seines Trägers oder anders, das Bild der Person verknüpft sich mit einer zur Kurzformel verdichteten, bedeutungsweisenden subscriptio. Hier soll jedoch keinesfalls eine absichtliche Verbindung des Dramentextes mit der Emblematik konstruiert werden, vielmehr beruhen diese Übereinstimmungen auf einem universell verfügbaren Code humanistischen Bildungsgutes. Weitere Nachforschungen in spezielleren Emblembüchern über den von Henkel / Schöne aufgearbeiteten Bestand hinaus erforderte es, die pictura der libanesischen Zeder zuzuordnen: Jarosław hebt die Konfliktsituation mit seinem Bruder Hleb ins Allgemeine und macht dann die Bedrängnisse des Fürstenstandes sinnlich51 Henkel / Schöne, Emblemata, Sp. 1144.
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anschaulich fühlbar, indem er sich den himmelwärts aufragenden, von nördlichen Stürmen umgestürzten Zedern vergleicht. Dem traditionellen Herrschaftssymbol der Zeder52 reiht er noch das Bild des von Blitzen heimgesuchten Olymp an; auch an dieser Stelle kann man, wie schon beim Schlangen-Emblem Erymans den meist unmittelbaren und eindimensionalen Symbolgebrauch in der Kommunia Duchowna erkennen: Jarosławs exponierte Situation als Fürst zieht Angriffe nach sich. Anders wird z.B. im Emblembuch Saavedras Idea de un Principe Politico Christiano der verborgene Doppelsinn des vom Blitz getroffenen Berges auf die Gefahr bezogen, die den Höflingen ob ihrer gefährlichen Nähe zu den Hochstehenden droht.53 Durch vielfältige Parallelen in der Emblematik läßt sich schließlich die Schiffahrtsallegorie in der gedichtartigen Sequenz der sog. „Modlitwa Hleba“ (Z. 1747 ff ) illustrieren.54 Zusammenfassend können wir abstrahieren: Wenn die dramatische Figur ihre Situation mittels eines emblematischen Bildes erklärt und ins Rationale hebt, ist gleichzeitig die Ebene des Autorkontextes aktiviert. Darüber hinaus geht Schöne von einer Art überindividuellem Text der Emblematik aus: „Wie die Sprache der emblematischen Bilder die dramatische Person transzendiert, das Spiel der Sinnbilder oberhalb des dramatischen Vorgangs in höheren Rängen sich vollzieht, so übersteigt diese Sprache auch das individuelle Vermögen des Dramatikers. Er wird zum Verwalter vorgegebener Exempla, sein Trauerspiel zur Bestätigung des längst Gewußten, Abgebildeten und als exemplarisch Bestimmten, das im Bühnengeschehen aufs neue sich zur Schau stellt.“55
Auf persuasive Bildrhetorik zielen die genannten Beispiele emblematischer Exempla im dramatischen Text. Dem figurativen Sprechen kommen allgemein die drei Funktionen des „Schmucks, der Veranschaulichung und Konkretisierung eines Sachverhalts und der aufmerksamkeitssteuernden Emphase“56 zu. Von dieser vorwiegend semantikzentrierten Orientierung an konkreten Emblemata unterscheidet Schöne verschiedene Formen struktureller Bezugnahme auf das Emblem auf der Wort-, Satz- und Textebene: Zweigliedrige Stilfiguren, Sentenzen, Abhandlungen und Reyen. Diese Varianten werden wir anhand der Kommunia Duchowna prüfen und die Sentenzen als dominantes Gestaltungsprinzip herausstellen.
52 Vergil hat eine Einteilung des hohen, mittleren und niederen Stils getroffen und ein Paradigma aus typischen Standesvertretern, zugehörigen Tieren, Gegenständen und Bäumen entwickelt. Dem hohen Stil und dem Herrscher gemäß sind Pferd, Schwert, Zeder und Lorbeer, dem mittleren Stil und Bauern Ochse, Pflug und Obstbaum, dem niederen Hirte, Schaf, Hirtenstab und Buche, s. Jerzy Ziomek, Retoryka opisowa, Wrocław 1990, S. 60. 53 Henkel / Schöne, Emblemata, Sp. 59. 54 Ebd., Sp. 1453 ff. 55 Schöne, Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock, S. 135. 56 Manfred Pfister, Das Drama. Theorie und Analyse. München 1997. S. 217.
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5.2.2 Zweigliedrige Stilfiguren Beginnen wir mit der kleinsten Einheit der zweigliedrigen Stilfiguren. In seinem Schlußwort am Ende des ersten Aktes faßt Światopełk programmatisch seinen Plan zusammen, „Aby się nić żywota braterskiego rwała.“ (Daß doch der Lebensfaden des Bruders zerrisse. Z. 802) Die offene substantivische Genitivverbindung „nić żywota braterskiego“ (wörtlich: Faden des brüderlichen Lebens) wird „aus je einem konkreten und einem abstrakten Substantiv zusammengesetzt, – so wie es der abbildenden und auslegenden, darstellenden und deutenden Funktion des aus Bild und Text gefügten Emblems entspricht.“57 Schöne macht darauf aufmerksam, daß sich für manche dieser Verbindungen emblematische Parallelbeispiele nachweisen lassen, ohne daß man diese als direkte Vorlagen bezeichnen dürfte; vielmehr kommt es darauf an, durch die motivische Entsprechung auf die Abb. 13 Gilles Corrozet: Hecatongraphie, 1543, G iiij b Einsicht in die strukturelle Analogie hinzuführen und die ideelle Priorität der pictura festzulegen. In diesem Sinne weise ich den Lebensfaden einem Emblem aus Corrozets Hecatongraphie zu mit der inscriptio „Toutes choses sont perissables“ (Alles ist vergänglich).58 (Abb. 13) Die pictura zeigt vier Menschen, die an wellenlinigen, dünnen Fäden hängen; in der ekphrastischen Wiedergabe der subscriptio heißt dies: „Les choses de Dieu ordonnées, / Qui de l’humanité dependent, / Toutes à un tendre fil pendent, / Mourants après qu’elles sont nées.“ (Alles von Gott Eingerichtete, / Das der Menschheit zugehört, / Hängt an einem dünnen Faden, / Und ist dem Tode unterworfen, sobald es geboren ist.) Komplexer als das herkömmliche Genitivschema gestaltet sich die Wendung „Mole nieukojoną gryzotą dojmują / Sumnieniu“ (Motten setzen mit unstillbarem Beißen / dem Gewissen zu, Z. 927 f.); doch liegt auch hier die emblematische Minimalkombination je eines pictura- und subscriptio-Elementes, eines konkret-bildlichen und eines abstrakt-deutenden Substantivs zugrunde. Den Gewissensmotten zur Seite stellen lassen sich noch „kwiat ... pociechy“ (Blume ... des Trostes, Z. 1549) 57 Schöne, Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock, S. 142. 58 Henkel / Schöne, Emblemata, Sp. 954.
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– Hleb bezeichnet so den toten Borys, „proch ... niepamięci“ (der Staub ... der Vergessenheit, Z. 1741) – im Zusammenhang mit der Befürchtung des Ersten Senators, der russische Staat werde ausgelöscht und „Miłości ... strzały“ (Liebespfeile, Z. 2391 ff; vgl. Henkel / Schöne, Emblemata, Sp. 1759) – Ezalvus klagt die Allegorie der Liebe an, nicht in Światopełks Herz getroffen zu haben. Obwohl in diesen Beispielen die „Tendenz des dramatischen Stils zu verdunkelnder Komprimierung des Ausdrucks, zu lakonischer Wucht und pathetischer Ballung“59 nicht ganz so auf die Spitze getrieben ist, wie Substantivkomposita dies im Deutschen ermöglichen, bleibt doch die gedrängte Anschaulichkeit, das Pathos der visuell-verbalen emblematischen Kurzformeln erhalten. In einem Punkt – hinsichtlich der „verdunkelnden Komprimierung des Ausdrucks“ in Fügungen wie „Unglücks-Welle“ und „Tugend-Fels“ – ist Schöne allerdings zu widersprechen: unmittelbare Klärung und erhellenden Aufschluß, nicht Verdunkelung, ist gerade die Bildkomponente imstande zu bieten.
5.2.3 Sentenzen Entsprechend Scaligers poetologischer Bestimmung der Sentenzen als „columnae, aut pilae“60, die den Bau der Tragödie strukturieren, kann der lehrhafte Sinngehalt der Kommunia Duchowna in einer Reihe von Sentenzen verdichtend zusammengefaßt werden. Am Anfang des ersten Aktes steht für Światopełk lapidar und unverrückbar fest: „W podział państwa nie puszczę, ani w jednym tronie / Będą się bracia mieścić. Biada tej koronie, / Która dwie głowie zdobi. Nigdy nie cierpiały / Nieba dwóch słońc. Królestwa zawsze się targały / Przez dwóch panów, ani tam zgodne rządy były, / Gdzie się dwiema głowami i serca dwoiły.“ (Hervorhebungen der Sentenzen von H. St. – Die Teilung des Staates lasse ich nicht zu, noch werden auf einem Thron / Die Brüder Platz nehmen. Wehe der Krone, / Die zwei Häupter ziert. Niemals duldeten / Die Himmel zwei Sonnen. Königreiche spalteten sich immer / Durch zwei Herren, nicht gab es dort einträchtige Regierung, / Wo sich wegen zweier Häupter auch die Herzen entzweiten. Z. 159 ff) In der bildhaften, dem gesamten Bühnengeschehen vorangestellten inscriptio, daß eine Krone nicht zwei Häupter zieren könne, es auch keine zwei Sonnen gebe61, bringt Światopełk anschaulich eine objektive und grundsätzliche Einsicht auf den Punkt und amplifiziert sie noch durch das kosmologische Argument. Die Sentenzen zeigen ihn „in der 59 Schöne, Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock, S. 140. 60 Zit. nach Schöne, Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock, S. 151. 61 Benjamin verweist auf ähnliche Stellen in Gryphius’ Leo Armenius: „Wer iemand auf den thron / An seine seiten setzt, ist würdig, daß man cron / Und purpur ihm entzieh. Ein fürst und eine sonnen / Sind vor die welt und reich.“ In Hallmanns Mariamne heißt es: „Der Himmel kan nur eine Sonne leiden / Zwey können nicht im Thron’ und Eh-Bett weiden.“ Zit. nach Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels. Frankfurt 1982, S. 49.
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Doppelrolle des Darstellenden und zugleich die eigene Darstellung Deutenden“62 oder anders: die Sentenzen gehören nicht nur dem Rollentext Światopełks an, sondern lassen sich durch ihren Verallgemeinerungsgrad und didaktischen Gehalt auch dem Autorkontext zuweisen. Światopełk umrahmt die bildhaft-lakonisch hervorbrechenden Sentenzen, indem er ihre konkrete Anwendung auf die russischen Verhältnisse und sich selbst vorausschickt und eine abstrakte Reflexion über die Spaltung der Königreiche durch zwei Herrscher unten anfügt. Als Ehrenzier und peinigende Qual zugleich erscheint Borys die Herr- Abb. 14 Guillaume de La Perrière: La morosophie, 1553, Nr. 29 scherkrone in der programmatischen inscriptio zu seinem Antrittsmonolog, die man aber auch auf das ganze Stück beziehen kann: „Lubo zdobi korona, cierniem jednak kole.“ (Mag die Krone auch schmücken, sticht sie dennoch mit einem Dorn. Z. 256) In der Emblematik findet sich dazu eine direkte Entsprechung: das Bild einer in ihrem Inneren mit Dornen gespickten Krone zeigt mit gleicher Bedeutung das 29. Emblem in Guillaume de La Perrières La Morosophie.63 (Abb. 14) Die anschließenden, bilderreichen Überlegungen zur vanitas des Menschenlebens und Unbeständigkeit Fortunas engt Borys wiederum ein auf die Konditionen des Fürstenstandes und faßt sie in einem knappen, allgemeingültigen Erfahrungssatz zusammen: „Taż się w honorze każdym w prawdzie znajdzie zdrada, / I kto się wyżej podniósł, ten ciężej upada.“ (So findet sich in jeder Ehre in Wahrheit Verrat, / Und je höher sich einer erhoben hat, desto schwerer fällt er herab. Z. 273 f.) Hier (wie auch im nächsten Beispiel) verdeutlicht das gnomische Relativpronomen „kto“ (wer) die übergeordnete Ebene der Maxime, die Ableitung einer Regel aus einer Vielzahl von Einzelfällen. Den Widerstand der Senatoren, der von ihnen aufgebrachten Volksmenge, ja ganz Rußlands glaubt Światopełk mithilfe seines „dowcip“ (Verstand, Witz) ausschalten zu können: „Więcej robić głową / Trzeba, kto chce królować, niż szablą marsową.“ (Mehr mit dem Kopf machen / Muß, wer als König herrschen will, als mit dem Säbel des Mars. Z. 605 f.) Mitten im Chaos der Verhältnisse stützt er sich 62 Schöne, Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock, S. 158. 63 Henkel / Schöne, Emblemata, Sp. 1259.
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so auf eine grundlegende Verhaltensnorm und stellt sein weiteres, listig-betrügerisches Handeln unter dieses positive Motto.64 Die Überlegenheit der Vernunft gegenüber roher Kraft zu betonen, gehört zum Gemeingut europäischer Fürstenspiegel, wie auch das 84. Emblem in Saavedras Idea de un Principe Politico Christiano belegt.65 Mit der pictura einer Schmiede, in der Rüstungen gefertigt werden, ist die inscriptio „Plura consilio quam vi“ (Mehr mit Überlegung als mit Gewalt) verbunden. Aus der zugehörigen subscriptio geht hervor, daß der Mensch seine von Natur aus bestehende Wehrlosigkeit durch den Gebrauch seines Verstandes und die kunstreiche Anfertigung von Waffen überwinden kann. Als Leitsentenz für das ganze Stück könnte man das Sprichwort herausstellen, das Gamrot quasi als subscriptio an sein Lebensende setzt: „Kto pod kim dołki kopie, sam też w one wpada, / I na złoczyńcę zawsze obraca się zdrada.“ (Wer einem anderen eine Grube gräbt, fällt auch selbst hinein, / Und gegen den Übeltäter wendet sich immer der Verrat. Z. 903 f.) Von einer höheren Ebene aus, ja unter Berufung auf die zeitlos gültige, bereits im Alten Testament fixierte Menschheitserfahrung66, gibt er damit eine wertende Deutung seines szenisch dargestellten Handelns. Die Sentenz durchzieht das Stück in mehreren Varianten, so am Ende von II, 5, als Światopełk den geplanten Mord an Borys bedenkt: „Zawsze tych wykopane doły przywalają, / Którzy zguby drugiego przez zdrady szukają.“ (Immer erdrücken ausgeschaufelte Gruben diejenigen, / Welche das Verderben eines anderen durch Verrat suchen. Z. 1111 f.) Vom verkehrten Weltbild der Mörder aus erscheint Borys’ Tötung als gerechte Strafe dafür, daß er die Todesstrafe für sie gefordert hatte: „Tak się trafia tym, którzy żywota cudzego / Nienawidzą; znienacka postradają swego.“ (So ergeht es denjenigen, die ein fremdes Leben / Hassen; unversehens verlieren sie ihr eigenes. Z. 1287 f.) Nicht das Bild der Grube, sondern den von Gamrot eingeführten, abstrakten Begriff des Verrats exponiert die inscriptio am Beginn von Światopełks großem Verzweiflungsepilog: „Jeszcze się nigdy dobrze zdrady nie kończyły, / Ale się utajone na koniec odkryły / Na wynaleźcy zgubę.“ (Noch nie endete Verrat gut, / Sondern, verborgen, wurde er am Ende aufgedeckt / Zum Verderben seines Erfinders. Z. 2429 f.) Gegen Ende des Stückes (III, 10) zieht Jarosław für sich persönlich die Summe aus dem bisherigen Bühnengeschehen: „Często w tropy za tymi, którzy uciekają, / 64 Eine weniger prägnante, aber bildhafte und ausführliche Variante dieser Sentenz äußert Światopełk einleitend zu I, 8: „Czego cnota, czego miecz i boje marsowe / Nie dokażą i siły gdzie Herkulesowe / Mdleją, tam dowcip wspiera i sposoby daje, / Kędy siła i w złocie nadzieja ustaje.“ (Was die Tugend, was das Schwert und die Kämpfe des Mars / Nicht fertig bringen und wo die Kräfte des Herkules / Ermatten, dort leistet der Scharfsinn Beistand und gibt Möglichkeiten, / Wo Kraft und Hoffnung auf das Gold nachlassen. Z. 673 ff ) 65 Henkel / Schöne, Emblemata, Sp. 1242. 66 „qui fodit foveam incidet in eam“, s. Biblia Sacra Vulgata, 3. Aufl. Stuttgart 1983, Liber proverbiorum Salomonis 26, 27.
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Idzie honor, a którzy usilnie ścigają, / Tym się i z rąk wyśliznie.“ (Häufig geht die Ehre auf der Spur derer, die vor ihr fliehen, / Und denjenigen, welche sie mit Kräften verfolgen, / Entgleitet sie aus den Händen. Z. 2075 ff ) Auch hier handelt es sich um eine weit verbreitete Sentenz, die z.B. in einer anonymen, handschriftlichen lateinischen Rhetorik aufgelistet wird. Der Sinnspruch ist Bestandteil einer Sammlung von „Sententiae et eruditiones“ und wird hier dem Paragraphen über die Glückwunschreden zugeordnet: „Honor fugientes sequitur sequentes fugit“ oder „Virtutis umbra honor etiam invitos comitat.“67 Wenn wir die bisherigen Ergebnisse zusammenfassen, können wir feststellen, daß Sentenzen gehäuft im ersten Akt vorkommen und so die Lenkung des Rezeptionsvorgangs durch inscriptio-artige, bedeutungsfixierende, allgemein verständliche Formeln erleichtert wird. In paränetischer Ausrichtung vermitteln diese Merksprüche Verhaltensmuster für ethisches Handeln oder allgemeiner: sie enthalten die Interpretation der auf der Bühne gezeigten Repräsentation.68 Schöne stellt die wortund bilderreiche, breit entwickelte dramatische pictura des Bühnengeschehens den eingängigen, epigrammatisch-bündigen Sentenzen entgegen und betont abschließend deren kognitiven Stellenwert: „Gegen die vielgesichtige, widerspruchsreiche, turbulente Wirklichkeit, die auf der Schaubühne vor Augen tritt, setzt die lakonische Sentenz die klare, harte Form einer höheren Wahrheit. Sie staut den Fluß des Geschehens, sie stemmt sich gegen die vergehende Zeit, in der die dramatischen Figuren und Aktionen dahintreiben, um Raum und Zeit zu schaffen für den Eintritt der Erkenntnis. Gegen das Vergängliche und Veränderliche der menschlichen Sachen befestigt sie, als Pfeiler und Säule, das Trauerspiel im Beständigen und Dauernden.“69
Zu betonen ist die bildhafte, nicht abstrakt-begriffliche Fassung der Sentenzen in der Kommunia Duchowna. Ihre mnemotechnische Aufnahme fördern die Wiederholung in verschiedenen Varianten und plakative Polarisierungen, die beide gleichzeitig die affektive Beeinflussung der Zuschauer bewirken: eine Krone – zwei Köpfe, eine Sonne – zwei Sonnen; Kronenzier – Kronenqual; Gipfelstellung – Sturz; Kopfarbeit – Gewaltanwendung; Grube für den anderen – eigene; Macht für den Unwilligen – keine Macht dem Strebenden. In der Mehrzahl enthalten die Sentenzen staatstheoretische Maximen, aus der dargestellten Bühnenhandlung wird so ein auf wesentliche Aussagen komprimierter Fürstenspiegel, gleichsam als Text im Text, abgeleitet. Nur das Sprichwort von der Fallgrube läßt sich darüber hinaus auf die breite Masse des Publikums beziehen. Mit dieser Wendung ans Publikum in moralisierender Absicht werden wir gleichzeitig zur w.o. behandelten Rahmenproblematik zurückgeführt, zum Außenstandpunkt der objektiven Bewertung, wie er 67 Universitätsbibliothek Vilnius, Sign. F 3 – 1421, fol. 125 v. 68 Zur Interpretation, die Barockdramatiker ihren eigenen Werken beigeben, s. Sofronova, Poėtika slavjanskogo teatra, Kap. 11 „Interpretacija i opisanie“, S. 224 ff. 69 Schöne, Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock, S. 162.
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sich auch in den Sentenzen geltend macht. Ähnlich formuliert es Walter Benjamin, wenn er „die allegorische Sentenz ... als Rahmen“ kennzeichnet, „in den die Handlung, stets verändert, stoßweise einrückt, um sich als emblematisches Süjet darin zu zeigen.“ Damit ist das Trauerspiel „durch die intermittierende Rhythmik eines beständigen Einhaltens“ ausgezeichnet.70
5.2.4 Chor Auf die emblematische Struktur des Verhältnisses zwischen dem Chorlied, den chorartigen Sequenzen und den vier Akten bin ich bereits oben im Zusammenhang mit den inneren Kompositionsrahmen in der Kommunia Duchowna eingegangen. Für die zunehmend prunkvolle, opernartig-multimediale Ausstattung der Chöre gibt es zwar keinen Anhaltspunkt in unserem Stück; wohl aber sind in der ebenfalls im Kodeks Orszański enthaltenen Misticzna Wesela Kommunia Genserika i Tryzymunda am Ende des zweiten und dritten Aktes dem Text des „Chorus“ die Noten des hier jeweils zu singenden „Cantus“ beigefügt.
5.2.5 Theatrum emblematicum Von der Bezugnahme auf emblematische Bilder und Strukturen abgesehen, ist die Barocktragödie an sich schon sinnbildhaft: die dargestellten Personen weisen in ihrem exemplarischen Charakter über sich selbst hinaus – vor allem dann, wenn sie als Leiche zum deutungsfähigen Schaubild erstarrt sind71 –, ebenso die Requisiten und Schauplätze. Der tote Borys wird zum Zeichen der Vergänglichkeit stilisiert, wenn ihn Jarosław in seinem Nekrolog kontrastiv mit der blühenden, dann farblosen und abgefallenen Rose vergleicht, die nur noch Dornen in den Herzen der Angehörigen hinterläßt (Z. 1311 ff ). Nicht als bloße Realien für sich selbst zu nehmen, sondern als fatale Requisiten72 mit einer höheren Bedeutung versehen sind Gamrots vergifteter Brief, der dem Sprichwort von der Grube gemäß ihn selbst zugrunde richtet (Z. 901), und Kruents Mörder-Dolch (Z. 2265). Anteil am Emblematischen haben auch die Bühnenbilder, „in that the general scenic device takes on a specific and abstract meaning, which transcends the nature of the object represented on the stage. Only where a scenic element points to a significance beyond itself may it be con-
70 Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels. Frankfurt 1982, S. 175. 71 Schöne, Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock, S. 219. 72 S. dazu Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, S. 113: „Ausgeteilt ist das Verhängnis nicht allein unter die Personen, es waltet gleichermaßen in den Dingen. ... die Leidenschaft selbst setzt das fatale Requisit in die Aktion.“
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sidered emblematic.“73 Wenn die Regieanweisung zu III, 5 besagt „Hleb z Jarosławem schodzą się na puszczy od siebie niepoznani“ (Hleb und Jarosław treffen sich in der Einöde, ohne einander zu erkennen), dann bezeichnet „Einöde“ nicht nur das konkrete Bühnenbild, sondern gleichzeitig die symbolische, innere Landschaft der auftretenden Personen. Dem dazu kontrastierenden Hofszenario am Beginn von IV, 1 weist Jarosław sogar eine explizite Deutung zu: „A lubo nazywamy Abb. 15 Der Untergang Svjatopolks. pańskie „pokojami“ / Mieszkanie, my- Miniatur („klejmo“) auf der Randleiste der limy się, ponieważ troskami / Takimi Boris-und-Gleb-Ikone aus Kolomna, 14. Jh., napełnione miejsce zabroniły.“ (Aber Tret’jakov-Galerie, Nr. 28757 obwohl wir eine herrschaftliche Wohnung „Zimmer“ (= Friede, Ruhe) nennen, / Täuschen wir uns, weil diese einen mit solchen Sorgen / Erfüllten Ort behüteten. Z. 2169 ff ) Von einem übergeordneten Standpunkt aus betrachtet, stellt die barocke Illusionsbühne mit ihren Szenenwechseln überhaupt ein Sinnbild der Unbeständigkeit und Vergänglichkeit der Welt dar, wie auch der Topos vom ‚theatrum mundi‘ für die Barockkultur und Lebensauffassung generell prägend ist. Im schreckenerregenden Schlußemblem des Höllensturzes Światopełks findet das Stück seinen Höhepunkt und Abschluß. Das Sprichwort von dem, der anderen eine Grube gräbt, und selbst hineinfällt, bleibt nicht mehr im Verbal-Metaphorischen haften, sondern erfüllt sich so in der Realität. An dieser Stelle ist auf verwandte Darstellungen in der Ikonenmalerei zu verweisen.74 (Abb. 15) Den Vergleich mit der Bildkunst heranzuziehen, erscheint umso zwingender, als Demin der frühen russischen Dramatik eine Bevorzugung von Sujets bescheinigt, die von der Ikonenmalerei her bekannt waren.75 In diesem Kontext hat es also einen noch viel 73 Peter Daly, Literature in the Light of the Emblem. Structural Parallels between the Emblem and Literature in the Sixteenth and Seventeenth Centuries. 2. Aufl. Toronto 1998, S. 174. 74 S. dazu M. V. Alpatov, „Gibel’ Svjatopolka v legende i v ikonopisi“, in: Trudy otdela drevnerusskoj literatury XXII (Vzaimodejstvie literatury i izobrazitel’nogo iskusstva v drevnej Rusi). Moskva / Leningrad 1966, S. 18–23. 75 Anatolij S. Demin, Russkaja literatura vtoroj poloviny XVII – načala XVIII veka. Novye chudožestvennye predstavlenija o mire, prirode, čeloveke. Moskva 1977, S. 44. Demin verfolgt detailliert die Beschreibungen von Posen, Bewegungen und Gesten in der altrussischen Literatur. Die Lebendigkeit der Helden in der Literatur des 17. Jahrhunderts, die zeitgleich mit dem Beginn des russischen Dramas entstanden ist, beurteilt er als neue Erscheinung, s. S. 41.
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tieferen Sinn, wenn Schöne die dramatische Figur auf dem Schaugerüst „als lebende pictura, als sprechende icon, agierende imago“76 bezeichnet. Mit dem Bildhaft-Anschaulichen verbindet sich das Exemplarische, und so geht es im Barockdrama „um die Schaustellung exemplarischer Figuren, beispielhafter Vorgänge und die Kundgabe ihrer Bedeutung, um bildhafte Eindruckskraft und rhetorische Wortgewalt“77 – entsprechend hatten wir dieses und das vorhergehende Kapitel überschrieben. Die vorzugsweise Behandlung von Themen aus der Geschichte, wie die für Tragödien verbindliche Ständeklausel mit dem Personal der Fürsten und Könige nahe legt, bedingt freilich eine entsprechende Einengung des Exemplarisch-Bildhaften. Historische Tatsachen, in der Mehrzahl blutige Staatsaktionen, werden als dramatisches Bild der Wirklichkeit enthoben, aus dem Vergänglich-Zufälligen ins Dauerhaft-Bedeutende übergeführt. Die emblematisierten Historien sind gekennzeichnet durch die Doppelfunktion der materia physica der darstellenden Handlung und der auslegenden forma moralis der Sentenzen und Chöre. In der intermedialen Verbindung von Wort und Bild sieht Harsdörffer die Ursache der Vorrangstellung des Dramas vor allen anderen Dichtungsarten: „Das Trauer- und Freudenspiel ist ein wesentliches / lebendiges und selbstredendes Gemähl / das der Poet ausbildet. Dem Gemähl ermangelt sonsten die Stimme / welche es begeistert und beseelet / dem Gedicht ermangelt die liebliche Figur / welche es für die Augen stellet: In dem Trauer- und Freudenspiel redet das Gemähl mit zimlichen Geberden / die sonsten noch die Figur noch die Schrift leisten kan / und wird alles viel beweglicher den Zuschaueren und Anhöreren beygebracht. Hierinnen besteht das letzere Meisterstükk der Dichtkunst und die höchste Vollkommenheit.“78
Ein Jahrhundert später wird Kant mit der Ableitung des Erkenntnisprozesses aus zwei Grundquellen – Anschauung und Begriff – den intermedialen Gattungen des Emblems und des Schauspiels implizit eine allgemein-philosophische Fundierung geben.79 Zusammenfassend können wir sagen, daß emblematische Sentenzen gehäuft im ersten Akt der Kommunia Duchowna nachweisbar sind; in den beiden konkreten Emblemata des Hercules Gallicus und der Schlange werden programmatische Aussagen zum Sinngehalt des ganzen Dramas vorweggenommen. Von diesen beiden Ausnahmen abgesehen, verbietet die besondere Aufführungssituation unseres Stückes eine Überlastung der Zuschauer durch hermetisch-esoterische emblematische Komponenten: Die Einführung der neuen Kunstform des Theaters mit der 76 Schöne, Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock, S. 220. 77 Ebd. 78 Georg Philipp Harsdörffer, Gesprechspiele Fünfter Theil. Nürnberg 1645, S. 26, zit. nach Schöne, Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock, S. 207. 79 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft (Kants Werke. Akademie Textausgabe, Bd. III). 2. Aufl. 1787, Nachdruck Berlin 1968, S. 74.
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lebendig-bewegten Darstellung szenischer Bilder in den von der orthodox-byzantinischen Tradition bestimmten Gebieten Weißrußlands war etwas so radikal Neues, daß in jedem Fall Allgemeinverständlichkeit des Inhalts, nicht etwa intellektuell zu bewältigende obscuritas anzustreben war. Undenkbar erscheint in diesem Zusammenhang z.B. auch die Vorwegnahme des Handlungskerns im Prolog mittels einer symbolischen scena muta. Bezüge der Kommunia Duchowna zu Shakespeare und der offenen Form seiner Dramen wurden bereits aufgedeckt, eine Verbindung, die überdies im Stoffkreis der Historie deutlich wird: Historie tritt an die Stelle der Allegorie des Mysterienspiels80, konkrete Persönlichkeiten ersetzen Jedermann, Tugenden und Laster. Gleichwohl bleibt die moraldidaktische Ausrichtung des Theaters in den exempla und emblematischen, ahistorischen Sentenzen erhalten. Ähnlich wie sich der Schwerpunkt von der Allegorie zur Historie verlagert, vollzieht sich auch ein Richtungswechsel von der allegorisch-theologischen Interpretation der in den Dingen liegenden Zeichensprache Gottes zur Funktionalisierung dieses mundus symbolicus innerhalb rhetorisch-künstlerischer mimesis, spirituelle Hermeneutik wandelt sich zum profanen Kunstgriff.81 Es geht nicht mehr darum, das Buch der Natur auf seine Heilswirkung für den Menschen zu befragen, vielmehr verselbständigt sich das rhetorische Verfahren, den Dingen ad hoc Bedeutung für den jeweiligen Kontext zuzuweisen. Rhetorik wird zu einer „Grundlagendisziplin und universalen Interpretationswissenschaft“.82 Ich habe den Nachweis dafür erbracht, daß Rhetorik die Gestaltung der Kommunia Duchowna grundsätzlich und auf verschiedenen Ebenen determiniert; der Emblematik freilich ist innerhalb des Dramas nur ein sehr begrenzter Rahmen zugewiesen.
80 Bernard Spivack, Shakespeare and the Allegory of Evil, New York 1958, S. 62, zit. nach: Elfriede Neubuhr, „Einleitung“, in: Geschichtsdrama. Darmstadt 1980. S. 8. 81 Schöne bezeichnet dies als „zum concettistischen Kombinationsspiel säkularisierte Symboltheologie“ (Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock, S. 47). 82 Barbara Bauer, Jesuitische ‚ars rhetorica‘ im Zeitalter der Glaubenskämpfe. Frankfurt 1986, S. 540 f.; s. ebd. Kap. VII.6. „Masens ‚Speculum‘ und die Auflösung der Allegoresetradition“, S. 536–541.
Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit sucht einen methodologischen Zugang zum barocken Jesuitendrama, ausgehend von der Feststellung allgemeiner Prinzipien der künstlerischen Struktur, die einheitlich gelten für verschiedene Kunstarten, wie Literatur, Malerei und Theater. Dabei war ein einzelnes polnisches Drama aufgrund seines Ausnahmecharakters in den Mittelpunkt der Analyse zu stellen: zum einen hatte der Text exemplarische Bedeutung für die Rhetorik, zum anderen ist die vermittelnde Funktion dieses Theaterstückes im Rahmen der Einführung polnisch-westeuropäischer Spielkultur in den ostslavisch-orthodoxen Gebieten hervorzuheben. Zunächst greift die Arbeit Anregungen aus der Literatur- und Kunstwissenschaft ( Jan Mukařovský, Jan Białostocki) zu vergleichenden Kunstbetrachtungen auf. Auszugehen ist hier von der anthropologischen Begründung des Wechselverhältnisses zwischen den Künsten, die zum einen abzuleiten ist aus Kants Postulat der unlösbaren Verbindung zwischen Anschaulich-Bildlichem und BegrifflichSprachlichem im Erkenntnisprozeß. Zum anderen entspricht es nach Dewey den Normalbedingungen der Erfahrung, der Konstitution des Menschen selbst, Übergänge zwischen den Künsten wahrzunehmen, anstatt eine einzelne Sinneswahrnehmung und das ihr zugeordnete Medium uneingeschränkt zu verabsolutieren: „Wenn wir ferner unsere Untersuchung auf der Grundlage der Medien aufbauen, dann gestehen wir ein, daß diese ein Kontinuum und ein Spektrum bilden, und daß – während wir Künste so wie die sogenannten sieben Primärfarben unterscheiden können – es keinen Erklärungsversuch gibt, der genau anzugeben wüßte, wo ein Medium anfängt und ein anderes endet.“1 Die methodische Grundlage unserer vergleichenden Betrachtung von Theater/Dramentext und Malerei bildete Boris Uspenskijs Abhandlung „Gemeinsame Strukturen der verschiedenen Künste. Allgemeine Prinzipien der Textgestaltung in Malerei und Literatur“ (in: Poetik der Komposition. Struktur des künstlerischen Textes und Typologie der Kompositionsform. Frankfurt 1975.) Aus den beiden unterschiedlichen Darstellungskonventionen der sog. umgekehrten Perspektive der Ikonenmalerei und der Zentralperspektive leitet Uspenskij die gemeinsamen, auf verschiedene Künste anwendbaren Grundbegriffe des inneren und äußeren Standpunkts, des Rahmens, des Vorder- und Hintergrunds eines Werkes sowie der inneren Kompositionsrahmen ab und weist auf die Abhängigkeit des jeweiligen Perspektivsystems vom relevanten, historisch variablen Weltmodell (Mittelalter vs. Neuzeit) hin. Der Uspenskijsche Ansatz wird durch grundlegende Einsichten Konrad Onaschs und Erwin Panofskys erweitert. 1 John Dewey, Kunst als Erfahrung, Frankfurt 1980, S. 264.
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Vor der Analyse der Kommunia Duchowna entsprechend den von Uspenskij et al. aufgestellten Kriterien wird zunächst die Einordnung des in der Arbeit behandelten Dramas in den historisch-systematischen Kontext der Zeit geklärt: die Ausnahmestellung dieses Stückes im Grenzbereich polnisch-ostslavischer Kulturbeziehungen ist dadurch begründet, daß es als exemplarischer Text in eine verlorengegangene, anonyme Rhetorik vom Ende des 17. Jahrhunderts einging. Anhand der vielfältigen Bezüge zum theatralischen Code in den Prologen geht eine wesentliche Funktion des Stückes, abgesehen von der schul- und moraldidaktischen, hervor – die Vermittlung westlicher Bühnenpraxis in den orthodox-ostslavisch geprägten Regionen der polnischen Adelsrepublik (Aufführungen in Orsza und Polock). Maciej Kazimierz Sarbiewski war einer der prominentesten Autoren der Barockzeit. Aus seiner theoretischen Reflexion über das Theater in der einflußreichsten Poetik des polnischen Barock De perfecta poesi, sive Vergilius et Homerus, darin enthalten das neunte Buch „De tragoedia et comoedia, sive Seneca et Terentius“, konnten wir den Vorrang der sinnlich-visuellen Einwirkung auf den Zuschauer und die Aufwertung textexterner Darstellungsmittel ableiten. Sarbiewskis Dramentheorie verbindet zu etwa gleichen Anteilen traditionell aristotelische Anweisungen zur Komposition des dramatischen Textes mit der Beschreibung neuester bühnentechnischer Errungenschaften aus Rom zum Zweck, die szenische Illusion zu steigern und die fiktionale Welt zu perfektionieren. Entsprechend unserer Ausgangsfrage wurde Sarbiewskis Problembewußtsein im Hinblick auf die Beziehungen des Theaters zu den Nachbarkünsten untersucht: Ziel der Tragödie ist die imitatio von Handlungen mit Hilfe einer Vielzahl von Mitteln – dictio, verba, gestus, vox, incessus, affectus, melodia, machinae, apparatus – und übrigem, das durch Kunst gemacht oder eingerichtet ist, darunter auch die Kunst der Beleuchtung.2 Theater läßt sich so als Synthese verschiedener Kunstarten begreifen, von denen in Kap. III des neunten Buches das künstliche Licht, in V und VI die perspektivische Dekorationsmalerei und in Kap. VII ein neuartiges und selbsttätiges Instrument zur Produktion trauriger, bzw. fröhlicher Melodien einer eingehenderen Betrachtung unterzogen werden. Zu berücksichtigen war auch die Einleitung der Poetik, in der Sarbiewski den Schaffensprozeß in Dichtung und Malerei anhand des Schöpfungsmythos vergleicht: Gott hat in der Schöpfung des Universums, bei der er ähnlich einem Maler vorging, dem Menschen die übrigen geschaffenen Dinge als Beiwerk und Ornament (parerga, accessorium obiectum) an die Seite gestellt – so wie ein Maler nicht nur einen Hirten abbildet, sondern auch Schafe, Wiesen und Flüsse; in gleicher
2 „Si igitur per cetera imitatur tamquam arte facta vel per artem temperata, idem plane videtur et de lumine ipso, ad quod spectari ipsa actio debet“, Maciej Kazimierz Sarbiewski, O poezji doskonałej czyli Wergiliusz i Homer (De perfecta poesi, sive Vergilius et Homerus), übs. v. Marian Plezia, bearb. v. Stanisław Skimina. Wrocław 1954, S. 231.
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Zusammenfassung
Weise habe die Dichtung nicht ausschließlich menschliche Handlungen zum Gegenstand, sondern auch andere Objekte.3 Dem theoretischen Teil der vorliegenden Arbeit schließt sich die Zusammenfassung des Drameninhalts unter besonderer Berücksichtigung der Rede und die Analyse der Kompositionsprinzipien der Kommunia Duchowna an, beginnend mit der Untersuchung des Autorstandpunkts. Gemäß der von dem Theoretiker Jiři Veltruský festgestellten grundsätzlichen Antinomie der dramatischen Struktur – der Text ist sowohl Äußerung eines einzelnen, des Autors, als auch mehrerer Sprechersubjekte, der dramatischen Personen – ist die Autorenrede aufgespalten auf den Nebentext der Autoranmerkungen und auch auf indirekte Stellungnahmen des Autors in den Rollentexten, bzw. Sentenzen der handelnden Personen. Die Produktionsschritte der Kommunia Duchowna – Argument, Szenenüberschriften, sprachliche Ausformulierung, actio – wurden mit der entsprechenden Konstruktionsanweisung in einer ordensinternen Zensurvorschrift4 von 1684 abgeglichen. Vor dem Hintergrund des strukturellen Kunstvergleichs war auf die Affinität rhetorischer und zentralperspektivischer Verfahren zu verweisen in der Annahme eines subjektiv gewählten Autor-/Betrachterstandpunkts sowie eines objektiv gegebenen Regelsystems. Im Zusammenhang mit dem Autorstandpunkt fielen Textsequenzen auf, die einem lyrischen Autor zugewiesen werden können. Ausgehend von Hegels Bestimmung, im Drama liege eine Synthese von Lyrik und Erzählkunst vor, wurden so gedichtartige Abschnitte innerhalb des Dramas ausgesondert. Entsprechend Sarbiewskis Klassifizierung der lyrischen inventio in den Praecepta poetica sind diese Texte den drei Redegattungen des genus exornativum, deliberativum und iudiciale zugeordnet worden. Für die Barockdichtung kennzeichnende Themen waren hier die vanitas-Problematik, die Schiffahrtsallegorie des menschlichen Lebens und die laus ruris, welche ein maßgebliches Selbstbeschreibungsmodell der polnischen Kultur im 16. und 17. Jahrhundert formuliert. Näher untersucht wurde die besondere ideologische Markierung des Autorstandpunkts in den Jesuitendramen. Aufschlußreich erwies sich hier eine Gegenüberstellung polemischer, bzw. affirmativer Reaktionen auf die Jesuitendramatik in den folgenden Jahrhunderten: die Diskreditierung dieses Theaters als kunstlos im Hinblick auf die Komposition und die Schaustellung plakativer Gegensätze (Dmochowski, ein Vertreter der Aufklärung), der Vorwurf naiver Effekthascherei und Agitation (Lewański) begegnet auf der einen Seite, auf der anderen die Anerkennung, daß Jesuitendramen über zwei Jahrhunderte lang das Theaterspiel in Polen fast ausschließlich repräsentierten (Hahn), die Wertschätzung der Professio3 Ebd., S. 7. 4 Abgedr. bei Jan Poplatek, Studia z dziejów jezuickiego teatru szkolnego w Polsce, Wrocław 1957, S. 85.
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nalität des Jesuitentheaters im Hinblick auf Institutionalisierung, normative Kompetenz (Poetiken) und Berichtswesen (Lewański) und schließlich der auf weltliche Sinnenfreude gerichteten Bühnenwirksamkeit und Spielbegeisterung (Goethe). Die Analyse der Figurenstandpunkte geht von der grundsätzlichen Feststellung der Dominanz semantischer Dynamik innerhalb der Kommunia Duchowna aus, d.h. durch gezielte Vorinformationen ist dem Zuschauer der Situationsbezug jeder Redeeinheit unmittelbar einsichtig. Den Begriff der semantischen Dynamik im Gegensatz zur semantischen Statik leiten wir von Jiři Veltruskýs Unterscheidung zwischen dem Autorstandpunkt und den Personenstandpunkten ab. Semantische Dynamik, nach Mukařovský ein universales Prinzip der Dichtung überhaupt, tritt ein, wenn der Autor dominant ist, umgekehrt ruft die Dominanz der Personen semantische Statik hervor. Nach Veltruský hat semantische Dynamik die Determiniertheit der Charaktere und ihre Ausstattung mit einem begrenzten Satz von Merkmalen zur Folge. Sofronova vergleicht diese Typisierung des Charakters („figura uslovnaja“ – konventionelle, bedingte Figur)5 mit entsprechenden Verfahren in der sarmatischen Portraitmalerei: dem gleichbleibenden Wesenszug des dramatischen Helden entspricht die überindividuelle Charakterisierung des Portraitierten durch das Familienwappen, das ihn als zeichenhaften Repräsentanten eines Allgemeinen ausweist. Antithetisch und, der Ständeklausel gemäß, ins Extreme getrieben, ist die Konstellation der Hauptfiguren: dem Tyrannen Światopełk, gekennzeichnet durch den Affekt des Zorns und perversen „dowcip“ (Scharfsinn, Intellekt), sind seine heiligen Brüder und Märtyrer Borys und Hleb (polnische Schreibweise der Namen in der Kommunia Duchowna) entgegengesetzt, welche die vanitas irdischer Herrschaft beteuern und in der Christusnachfolge stehen. Den Machtkampf gewinnt Jarosław, der sich u.a. durch rhetorische Kompetenz in den drei genera dicendi profiliert hat. In der Personenhierarchie an zweiter Stelle nach den Hauptfiguren stehen die Senatoren als staatstragende Kräfte. In ihren Rollentexten spiegeln sich in Ansätzen zeitspezifische Erwägungen zur politischen Anthropologie in der Reklamierung von „wolność“ (Freiheit, Z. 234 – ein Begriff, der im Polnischen ansonsten mit dem ständigen Epitheton „złota“ (goldene) verknüpft ist), in der Legitimierung des Tyrannenmordes (Z. 294; hier war auf die Billigung des Tyrannenmordes als ultima ratio durch die Jesuitenautoren zu verweisen) und in der Übertragung des Herrschaftsmodells der Wahlmonarchie in Polen auf das russische Mittelalter als Zeit der internen Spielhandlung (Z. 235 ff, 1463 ff ). Dem negativen Vorbild des russischen Zaren und Selbstherrschers gemäß ist Światopełks Plan seiner künftigen Regentschaft entworfen (Z. 1416).
5 Ljudmila A. Sofronova, Poėtika slavjanskogo teatra XVII – pervoj poloviny XVIII v. Pol’ša, Ukraina, Rossija. Moskva 1981, S. 169.
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Zusammenfassung
Unter theoretischem Aspekt wurde die vorrangige Bedeutung der Affekte für das Drama in Anlehnung an Scaliger begründet und mit Walter Benjamin6 das Zurückdrängen der Handlung zugunsten der Affektdarstellung in der Barocktragödie diskutiert. In diesem Zusammenhang konnten aus den unpublizierten Randnotizen zu der Handschrift in der Bibliothek des Ossolineum in Wrocław wertvolle Hinweise darauf gewonnen werden, welche Affekte an entsprechenden Stellen der Handlung unseres Stückes einzusetzen seien (die Randbemerkungen enthalten darüber hinaus auch inhaltszusammenfassende Kommentare und Sentenzen). Im Hinblick auf kunstvergleichende Fragestellungen wurde die visuelle Valenz hervorgehoben, die sich aus Regieanweisungen zur Affektdarstellung ableiten läßt – die gestische und mimische Ausführung der Affekte war in den Rhetoriken umfassend kodifiziert. Einer näheren Betrachtung wurde die Spezifik des Benennungsaktes in der Kommunia Duchowna unterzogen. Die Hauptfiguren des Stückes begegnen einander nur an zwei Stellen, ansonsten handelt es sich um Dialoge mit Vertretern der zweiten (Helfer, Senatoren) und dritten (Höflinge, Diener) Hierarchieebene. Dennoch war nachzuweisen, daß der Autor über den szenischen Dialog alternierender Sprechinstanzen eine zweite, ‚dialogische‘ Schicht konstruiert hat, um mittelbare Beziehungen zwischen den Reden der Hauptfiguren herzustellen. Zum einen läßt sich anhand auffallender lexikalischer Parallelismen in den jeweiligen Auftrittsreden von Światopełk und Borys die von Mukařovský festgestellte Bedeutungsakkumulation und Bedeutungsdynamik von Replik und Gegenreplik über verschiedene Phasen des dramatischen Hier und Jetzt hinweg nachweisen. Zum anderen zeichnen sich in diesen beiden Auftrittsmonologen semantische Richtungswechsel ab, z.B. in der Einstellung gegenüber dem höchsten Staatsamt, auch ohne daß sich die Redner in derselben außersprachlichen Situation befinden. Eine Besonderheit des Benennungsaktes ist schließlich darin zu sehen, daß dasselbe Wort (okrutny, dziki, sakrament) sein Gegenteil bedeuten kann, je nachdem ob es vom Autor einem ‚guten‘ oder ‚bösen‘ Personenkontext zugeteilt wird – wenn Światopełk von „sakrament“ spricht, meint er damit einen den christlichen Abendmahlsritus pervertierenden heidnischen Akt. Dieser Gegensatz zwischen Weltmodellen und Charakteren (protivopostavlenie) wird vom Autor auf der Ebene der sprachlichen Zeichen mit Elementen des Spiegelbildlichen (sopostavlenie) verknüpft. Jurij Lotmans Prinzip der soprotivopostavlenie (Gleich- und Entgegensetzung, Korrespondenz- und Kontrastrelation), aufgezeigt an den lexikalischen Parallelismen in konträren Personenkontexten, erweist sich als produktiv für die barocke Poetik und kann hier auch im Sinne von Sarbiewskis Definition des acutum als „oratio continens affinitatem dissentanei et consentanei“7 interpretiert werden. 6 Ursprung des deutschen Trauerspiels, Frankfurt 1982, S. 79. 7 Maciej Kazimierz Sarbiewski, Wykłady poetyki (Praecepta poetica), übs. u. bearb. v. Stanisław Skimina, Wrocław / Kraków 1958, S. 5.
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Das Kapitel „Außenstandpunkt und Rahmen“ hatte die Intermedien der Kommunia Duchowna unter dem Aspekt ihrer komischen und moralisierenden Funktion zum Gegenstand. Den theoretischen Zugang zu den Intermedien bestimmte der für den Kunstvergleich relevante Begriff des Rahmens: der Rahmen bezeichnet nach Uspenskij die Grenze zwischen der Wirklichkeit und einem semiotisch konzipierten, in sich geschlossenen System. Grundsätzlich ist der Rahmen gegenüber der eigentlichen Darstellung durch den Entwurf eines Außenstandpunkts, größere Stilisiertheit der Figuren, den Rekurs auf die Metasprache und die Ornamentalisierung des Hintergrunds gekennzeichnet. Anhand unseres Stückes zeigte sich die Außenperspektive in den Intermedien in ihrer deutlich von der Haupthandlung unterschiedenen Zeit- und Sprachebene: während die eigentliche Tragödienhandlung im 11. Jahrhundert spielt und in polnischer Sprache verfaßt ist, nehmen die Intermedien auf das aktuelle Hier und Jetzt der Aufführungssituation, die Zeit am Ende des 17. Jahrhunderts, Bezug und sind in einem in den Ostgebieten der polnischen Adelsrepublik gesprochenen polnisch-weißrussischen Mischdialekt aufgezeichnet. Dies ist im Zusammenhang mit der Tendenz der Rahmengestaltung zu sehen, daß die Grenze zur Wirklichkeit überschritten werden soll im Sinne einer maximalen Annäherung von abgebildeter und realer Welt.8 Der unmittelbare Beginn des Stückes – der Bericht des Gerbers vom Schützenfest – markiert ganz konkret den regulären Termin für Theateraufführungen in Verbindung mit dem alljährlich stattfindenden Schützenfest nach dem Fronleichnamstag.9 Im Vergleich mit den Hauptfiguren weisen die Intermedienhelden einen höheren Stilisierungsgrad auf, indem sie nur mehr durch den Berufsstand, nicht aber durch Eigennamen charakterisiert und unbeweglich mit ihrem Hintergrund verbunden sind. Allgemeine Stilisierungstechniken des Rahmens im Kunstvergleich umfassen innerhalb der Malerei zurückgeschlagene Vorhänge, die ein Bild umsäumen, bzw. Fenster- oder Türrahmen, während für das Theater Prologe in Form eines vorbereitenden Dialogs zwischen Zuschauer und Schauspieler typisch sind, für die Erzählprosa in eine Rahmenhandlung eingeschobene Novellen.10 Uspenskij zufolge zeigt sich die Stilisiertheit des Rahmens häufig auch im Übergang auf die Ebene der Metasprache, in der Anspielung auf den verwendeten Code an der Peripherie der Darstellung, um die eigentliche Darstellung deutlicher zu konturieren.11 Der komische Effekt in den beiden Prologen beruht auf der schnellen Wechselrede eines dramenkundigen und eines unwissenden Dialogpartners. In dieser 8 Boris Uspenskij: „Gemeinsame Strukturen der verschiedenen Künste. Allgemeine Prinzipien der Textgestaltung in Malerei und Literatur“ in: Poetik der Komposition. Struktur des künstlerischen Textes und Typologie der Kompositionsform. Frankfurt 1975, S. 159. 9 Ludmiła Sofronowa, „Intermedia polskiego dramatu z XVII wieku «Kommunia Duchowna świętych Borysa i Gleba»“, in: Pamiętnik teatralny XX (1971), S. 71. 10 Uspenskij, Poetik der Komposition, S. 184. 11 Ebd., S. 185.
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Zusammenfassung
Exponierung metasprachlicher Terminologie zum Theater über jeweils eine richtige und eine fehlerhafte, volksetymologisch verballhornte Begriffssequenz tritt eine Selbstverdoppelung des sprachlichen Mediums zutage. Für die übergeordnete Fragestellung des strukturellen Kunstvergleichs war festzuhalten, daß Jurij Lotman das Sprachspiel unter typologischem Aspekt mit der Darstellung eines Spiegels auf einem Gemälde vergleicht. Das bildgebende Verfahren, die Art und Weise der Darstellung, wird so selbst zum Objekt der Darstellung.12 Im Hinblick auf die Ornamentalisierung der Rahmengestaltung war die aus dem Handschriftenstudium des Kodeks Orszański gewonnene Erkenntnis entscheidend, daß alle darin enthaltenen vier Dramen übereinstimmende Sequenzen im Antiprolog und Prolog aufweisen: diese komischen Szenen nehmen Bezug auf den dramatischen Code, indem sie den gängigen Zeitpunkt für Theateraufführungen, dramatische Terminologie und den Verhaltenskodex für Zuschauer abhandeln – ähnlich einem Ornament sind sie als mehrfach verwendbare Versatzstücke in verschiedene Dramenkontexte integrierbar. Über das Dekorativ-Komische hinaus kommt diesen Szenen die wichtige Funktion zu, das Theater als neue Kunstform in den von der Orthodoxie geprägten Ostgebieten Polens zu progagieren. Die ausgesprochene Popularität und Publikumswirksamkeit der ornamentalen, metatheatralischen Passagen begünstigt die Verwendung der Volkssprache und komischer Figuren mit lokalem Kolorit; in diesem Zusammenhang ist natürlich auch der traditionelle Stoff der Märtyrerlegende von Boris und Gleb bedeutend. Eine der Kernfragen barocker Dramentheorie – die typische Gattungsvermischung der Tragödie mit komischen Intermedien – berührt der in den Antiprologen wiederkehrende autoreferentielle Hinweis auf die kommende Vorstellung einer „Komödie“. Aus den Intermedien sind schließlich Belege für die breite soziologische Schichtung des Publikums von Jesuitenaufführungen, darunter der deutlichen Repräsentation von Handwerkern und Bauern, zu gewinnen.13 Neben der komischen eignet den Intermedien eine ausgeprägte moralisierende Funktion. Unmittelbar bezogen auf die zeitgenössische Realität, den Außenstandpunkt des Zuschauers, gibt der Autor seine moralisierenden Intentionen im Intermedium qua Wendung ans Publikum mittels der Figur des Teufels kund: er übt Sozialkritik an den drei Gruppen des „Żyd“ ( Juden), der „panowie“ (Herren) und „niewiasty“ (Frauen). Die Oberschicht wird vor allem wegen der Ausbeutung der Bauern angeprangert. Den Frauen, die im Jesuitentheater nur auf der Ebene der Metasprache, nicht aber im Kreis der dramatis personae eine Rolle spielen, wird Oberflächlichkeit, Bösartigkeit und eine schlechthin diabolische Natur angelastet. 12 Jurij M. Lotman, „Teatral’nyj jazyk i živopis’ (K probleme ikoničeskoj ritoriki)“, in: Teatral’noe prostranstvo [„Die Sprache des Theaters und die Malerei (Zum Problem einer Rhetorik des Bildes)“, in: Der Raum im Theater]. Moskva 1979, S. 240. 13 Sofronova, Poėtika slavjanskogo teatra, S. 38.
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In Personenkonstellation und Motiven zeigt sich so eine klare Affinität der Intermedien zum Volkstheater und zur Volksliteratur. Im Unterschied zu Michail Bachtins Auffassung konnte der offiziell-amtliche Charakter des Teufels in der Kommunia Duchowna nachgewiesen werden.14 Grundsätzlich ist das Verhältnis der Intermedien zur Haupthandlung dadurch zu bestimmen, daß durch die Komik der Intermedien die Tragik der Haupthandlung hervortritt und die dramatische Spannung gesteigert wird. Es entsteht der Effekt eines mehrmaligen Umschaltens von der Lebenswirklichkeit der Zuschauer zur dargestellten Welt der Tragödie. Damit erfüllt sich das typische Kontrastprinzip barocker Wirkungsästhetik. Das Kapitel „Gesamtkomposition und innere Kompositionsrahmen“ geht von Jan Okońs (eines der modernen polnischen Barockforscher) Feststellung episierender Tendenzen im barocken Jesuitendrama aus. Anhaltspunkte für eine weniger scharfe Gattungstrennung lassen sich auch aus der Dichtungstheorie Sarbiewskis ableiten. Demgegenüber wurde die dramatische Bauform der Kommunia Duchowna anhand der von Gustav Freytag geforderten fünf Teile der dramatischen Komposition (Einleitung, Steigerung, Höhepunkt, Umkehr, Katastrophe) nachgewiesen und die Dynamik der komplementären Kräfte von Spiel und Gegenspiel aufgezeigt. Es stellte sich nun die Frage, wie der reguläre dramatische Handlungsaufbau des Stückes in Einklang zu bringen sei mit der Zahl der vier Akte – anstelle der fünf entsprechend klassischer Norm. Entschieden wendet sich der Autor der Kommunia Duchowna gegen den Schematismus der traditionellen Abfolge von Akt und Chor, bzw. Intermedium: das Stück enthält nur einen Chor am Ende des ersten Aktes, doch ließen sich Textabschnitte mit lexikalischen, semantischen und funktionalen Parallelen zum Chorlied im Personenkontext Jarosławs nachweisen. Daraus folgte zum ersten, daß auch die Akte zwei und drei implizit durch einen Chor im Sinne eines inneren Kompositionsrahmens abgeschlossen werden; der Chor vertritt dabei einen Außenstandpunkt gegenüber dem Bühnengeschehen. Zum zweiten konterkariert dieser innere Kompositionsrahmen auf der mikrostrukturellen Ebene des Textes am Ende des zweiten Akts die makrostrukturelle semantische Sujeteinheit von zweitem und drittem Akt. In ähnlicher Weise werden die Intermedien nicht stereotyp zwischen den Akten positioniert, sondern im zweiten und dritten Akt jeweils in die dritte Szene, vom Aktanfang, bzw. -schluß aus gesehen, verschoben. Das Unterlegen der vier Akte mit inneren Kompositionsrahmen – anstelle von Chören oder Intermedien, die das Aktende direkt markieren – sowie die Lockerung des Verhältnisses von Akt- und Sujetgrenzen sind als eindeutige Belege für die offene Struktur der Kommunia Duchowna zu bewerten. Mit dem Stichwort der „offenen Form“ gelangen wir unmittelbar zu Oskar Walzels kontrastiven Begriffspaaren zur Unterscheidung der klassischen Renais14 Michail Bachtin, Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur, Frankfurt 1987, S. 308.
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sancekunst des 16. Jahrhunderts von der barocken des 17. Jahrhunderts, die er von Heinrich Wölfflin (Kunstgeschichtliche Grundbegriffe) übernommen hat: dem Linearen, Flächenhaften, der geschlossenen Form (Tektonik), der Vielheit und absoluten Klarheit der Renaissance stellt er das Malerische, Tiefenhafte, die offene Form (Atektonik), die Einheit und relative Klarheit gegenüber.15 Walzel zufolge eignen sich die fünf Begriffspaare auch zur analytischen Beschreibung dichterischer Werke; insbesondere zielt er mit der Kategorie der offenen Form auf die Charakterisierung der Formbestimmtheit der Tragödien Shakespeares im Unterschied zum normativ verabsolutierten klassischen, geschlossenen Drama. Die Kriterien barocker Form, wie sie Walzel an den Dramen Shakespeares aufgezeigt hat, konnten auf die Kommunia Duchowna übertragen werden: Das scheinbar Regellose, Zufällige der vier Akte erweist sich bei genauerer Prüfung als sorgfältig gegliedertes Ganzes. Berücksichtigen wir nämlich die inneren Kompositionsrahmen anhand der Verteilung von Chor, chorartigen Sequenzen und Intermedien, zeigt sich im Ergebnis die offenere Form der Kommunia Duchowna im Unterschied zur klassischen schematischen Anordnung von Akt und Chor. Der Dramenautor versteckt gleichsam die inneren Kompositionsrahmen in den Akten im Sinne einer ‚malerischen‘ Auffassung, anstatt die Gliederung linear zu begrenzen und bloßzulegen. Durch die Intermedien mit ihren Nebenfiguren wird ein Hintergrund zur Haupthandlung entworfen, so daß das Barockdrama an räumlicher Tiefe gewinnt. In Bezug auf die Personenstandpunkte ist das Kriterium der Vereinheitlichung relevant: Światopełk ist der einzige in allen vier Akten präsente Protagonist; wenn Walzel den Begriff der Diagonalen von der Bildbeschreibung auf die Dramenkomposition überträgt, so meint er damit die zeitweise Abtrennung des Helden von der Bühne, wie sie auch mit Światopełks Abwesenheit am Ende des zweiten und Anfang des dritten Aktes gegeben ist. Mit der Kategorie der relativen Klarheit läßt sich die in episierender Breite angelegte Fülle wechselnder Episoden beschreiben, hinter der die Analyse den regulären dramatischen Aufbau zu rekonstruieren hatte. Die von Walzel aufgezeigte feste innere Verkettung der Handlung bei Shakespeare qua Wiederholungsfiguren, Kontrastwirkungen und kontrastierender Wiederholung fand sich in entsprechenden Verfahren auf verschiedenen Kompositionsebenen der Kommunia Duchowna wieder. Abschließend war der Vergleich von Literatur und bildender Kunst als symbolischer Formen noch in den umfassenderen Rahmen des philosophischen Denkens einzuordnen. Es wurden zwei Modelle einander gegenübergestellt: das eine umfaßt die mittelalterliche Heiligenlegende von Boris und Gleb, den flächigen Raum der Ikonenmalerei in ‚umgekehrter‘ Perspektive und die Überzeugung von der Objektivität der eigenen Weltanschauung – das andere die Barocktragödie der Kommunia Duchowna mit der Tiefenschichtung des Raumes, die mit der Zentralperspektive 15 Oskar Walzel, Gehalt und Gestalt im Kunstwerk des Dichters, Berlin 1923, S. 301.
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korreliert; die größere Offenheit des Weltbildes wird hier dadurch bedingt, daß die Darstellung vom subjektiven Blickpunkt des Künstlers, bzw. der rhetorischen Konzeption des Autorsubjekts abhängig ist. Im folgenden Kapitel wurden die Bezüge der Kommunia Duchowna zur Rhetorik untersucht. Vor dem Hintergrund der systematischen Einteilung des Rhetorikunterrichts an Jesuitengymnasien in praecepta (normative Theorie), exempla (zur Lektüre empfohlene Mustertexte) und imitatio (eigene Textproduktion der Schüler) wurde der exemplarische Charakter des Stückes betont – neben dem Kodeks Orszański gibt es eine weitere Überlieferung des Dramas als Mustertext innerhalb einer anonym verfaßten Rhetorik vom Ende des 17. Jahrhunderts. Dieser Befund war in den umfassenderen Zusammenhang der Entwicklung der Rhetorik im 17. Jahrhundert in Polen und der gängigen Textsorten über diesen Themenkreis zu stellen: zu unterscheiden sind hier erstens theoretische Abhandlungen, die den gesamten Problembereich der Rhetorik erörtern, zweitens Monographien zu Spezialfragen (wie der amplificatio oder elocutio), drittens Kompendien, die theoretische Abhandlungen und Mustertexte verbinden, und viertens umfangreiche Sammlungen von Beispielen, Sentenzen, Wappengedichten, etc. oder sog. eruditiones, d.h. von Kenntnissen aus der Geschichte, Literatur und Mythologie.16 Der dritten Kategorie war auch die anonyme, mit der Kommunia Duchowna verbundene Rhetorik zuzuordnen. Generell kennzeichnet die Barockrhetorik die Abkehr vom voll ausgebildeten, proportional ausgewogenen, fünfteiligen (inventio, dispositio, elocutio, memoria, actio) System der Renaissance. Einschübe zu aktuellen Themen wie dem concetto, der amplificatio oder Affektenlehre wurden stärker gewichtet. Im wesentlichen macht sich eine Verschiebung bemerkbar von den theoretisch-wissenschaftlich ambitionierten Kompendien der Renaissance zu den an der Redepraxis orientierten Barockrhetoriken, denen häufig ein umfangreicher Apparat von exempla, eruditiones und Textmustern für alle Gelegenheiten beigegeben war. Mittels solcher Kompendien und Mustersammlungen, wie wir sie oben unter drittens und viertens angeführt haben, ließ sich die rhetorische Theorie aktualisieren, an die jeweiligen gesellschaftlichen Bedürfnisse und den sarmatischen Geschmack anpassen.17 Die zunehmende Spezialisierung und Ausdifferenzierung der Handbücher hatte zur Folge, daß die Wirklichkeit und der schöpferische Prozeß durch Schemata der inventio und dispositio derart kleinteilig aufgespalten wurden, daß Sarbiewski das Erdrücken des jungen Talents durch den engen Vorschriftenkanon befürchtet.18 16 Eugenija Ulčinaitė, Teoria retoryczna w Polsce i na Litwie w XVII wieku. Próba rekonstrukcji schematu retorycznego. Wrocław et al. 1984, S. 20. 17 Barbara Otwinowska, Stichwort „Retoryka“, in: Słownik literatury staropolskiej, Wrocław et al. 1990, S. 720. 18 „Fit enim persaepe, ut natura suopte ingenio fecunda et ex nativa vi ad inveniendum facillima nimia praeceptorum diligentia obruatur suumque magnopere vigorem labefactet, celeres vero ingenii motus cunctatione quadam consilii et artis retardet.“ Maciej Kazimierz Sarbiewski,
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Im Kapitel über den Autorstandpunkt war anhand einer ordensinternen Zensurvorschrift allgemein festgehalten worden, daß der Produktionsprozeß von Jesuitendramen entsprechend der rhetorischen Grundeinteilung in inventio (Argument), dispositio (Akte und Szenen), elocutio (versifizierte Personenreden), memoria und actio (Probeauftritt vor den Ordensoberen, dann in der Öffentlichkeit) reguliert ist. Bei der eingehenden Textanalyse der Kommunia Duchowna war auszugehen von autoreferentiellen Hinweisen, die das Stück auf der Ebene der inventio und elocutio in einen Funktionszusammenhang mit der Rhetorik stellen: „Duhałog“, „akt“, „choroszo on bude kazaty“ (gut wird er sprechen, i.e. ars bene dicendi), „namówić“ (überreden). Ansätze zu einer Dekonstruktion des Rhetorischen im inoffiziell-folkloristischen Kontext der Intermedien enthält eine scherzhafte Sentenz: „Kto wiele gada, ślinę tylko miewa w zysku.“ (Wer viel quatscht, hat immer nur Speichel als Gewinn. Z. 866) In einem weiteren Abschnitt wurde die ebenfalls im Bereich der inventio angelegte Kategorie des Beispiels (exemplum) und seine vielfältigen Erscheinungsformen in der Kommunia Duchowna näher untersucht. Über die argumentative Funktion hinaus sind die exempla in unserem Stück auf didaktische Zwecke und den Ausweis der Gelehrsamkeit des Autors gerichtet. In diesem Zusammenhang wurde auf Sarbiewskis dichtungstheoretische Forderung des docere und des lehrhaft-enzyklopädischen Gehalts der Fabel hingewiesen – der Dichter könne Ergebnisse der verschiedensten Wissenschaften in den Fabelkontext einbinden.19 An dieser Stelle wurde angemerkt, daß in unserem Stück einzelne Sachverhalte der Rhetorik, Dramenkunde und Etymologie, aber auch neueste Erkenntnisse zur Optik (Zerlegung des weißen Lichtes in die Spektralfarben des Regenbogens) vermittelt werden. Auf der Ebene der dispositio des Textganzen waren verschiedene Redearten herauszuarbeiten. Zu den rhetorischen Grundfertigkeiten, die der Lehrplan der Jesuitengymnasien umfaßte, gehörte der freie Vortrag eines carmen (s. dazu die Analyse lyrischer Sequenzen im Kapitel über den Autorkontext). Ausgewählte Textabschnitte konnten den oratorischen Elementarformen der declamatio, disputatio und actio forensis zugeordnet werden. Insgesamt ist dem Autor der Kommunia Duchowna die Einlösung der rhetorischen officia des movere, docere und delectare zu bescheinigen: den Zuschauer bewegen Mitleid (Tod der heiligen Brüder) und Furcht (schreckenerregendes Ende Światopełks), seiner Belehrung dienen die dramenkundlichen Unterweisungen in den Prologen und der Apparat von exempla aus
„De acuto et arguto liber unicus, sive Seneca et Martialis“, in: Wykłady poetyki (Praecepta poetica). Wrocław/Kraków 1958, S. 14. 19 Maciej Kazimierz Sarbiewski, O poezji doskonałej czyli Wergiliusz i Homer (De perfecta poesi, sive Vergilius et Homerus), übs. v. Marian Plezia, bearb. v. Stanisław Skimina. Wrocław 1954, S. 174.
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der Geschichte und Mythologie, auf das Vergnügen zielen die vermutlich prunkvolle Ausstattung und die komischen Intermedien. Über die strukturellen Gemeinsamkeiten von Drama und Bildkunst auf einer allgemeinen Ebene hinaus, wie sie oben ausgeführt wurden, waren abschließend emblematische Bilder und Strukturprinzipien in der Kommunia Duchowna zu diskutieren. Auch dieser Fragenkomplex ist zunächst in den übergeordneten Zusammenhang der Rhetorik zu stellen. Auszugehen war hier von Jacob Masens Einordnung der Emblemata unter den umfassenderen Oberbegriff der imago figurata, die, ebenso wie die figürliche Rede, durch eine tropische translatio-Beziehung gekennzeichnet ist. Das rhetorische Stilideal der argutia ist für Embleme mit ingeniöser Verbindung von Bild und Textelementen bestimmend – theoretische Begründungen dazu gaben Jacob Masens Speculum imaginum veritatis occultae und Emanuele Tesauros Il cannocchiale Aristotelico. Am deutlichsten überschneiden sich Emblematik und Rhetorik in der Sentenz: Sentenzen waren fester Bestandteil der rhetorischen Propädeutik, die sprachliche Anfängerübungen mit dem Erwerb eines nützlichen, in verschiedenen Redesituationen anwendbaren Zitatenschatzes verband. Die Affinität von Sentenz und Emblem, die gleichzeitig auch funktionale Unterschiede impliziert, haben wir näher untersucht anhand der theoretischen Einführung von Joachim Camerarius zu einem Quellentext der Emblematik, der Symbolorum et emblematum ex animalibus quadrupedibus desumtorum centuria altera: Exponuntur in hoc libro rariores tum animalium proprietates tum historiae ac sententiae memorabiles. Schon der Untertitel macht auf die enge Verbindung beider aufmerksam. Camerarius unterscheidet auch zwischen wörtlichem und figürlichem Verständnis des Begriffs „Emblem“ – in buchstäblichem Sinn bezeichnet er ein eingeblendetes Zierwerk des Kunstgewerbes, in übertragener Verwendung eine mit verschiedenen Schmuckelementen versehene Rede. Diese zweite, figürliche Auffassung des Terminus’ Emblem war maßgebend für den Nachweis emblematischer Bilder und Strukturen in der Kommunia Duchowna. Grundsätzlich wurde darauf hingewiesen, daß Janusz Pelc’ Postulat, das polnische Barockdrama müsse in Anlehnung an die Forschungen Albrecht Schönes bearbeitet werden, angesichts des vorhandenen Materialbestandes überzogen erscheint – Janina Abramowska zufolge gibt es nur wenige genuin polnische Barocktragödien (Art. „Tragedia“, in: Słownik literatury staropolskiej. Wrocław 1990, S. 868 f.). Der von Albrecht Schöne ausgearbeiteten Systematik folgend, war mit den emblematischen exempla im dramatischen Text zu beginnen. Am originellsten erwies sich eine Anspielung auf das XCIII. Emblem aus Alciats Emblematum libellus im Rollentext von Światopełk (Z. 183 ff ), das in der pictura den sog. Hercules Gallicus als älteren Mann zeigt, wie er mit den von seiner Zunge ausgehenden Ketten des Wortes seine Zuhörer an sich bindet; in der subscriptio wird aus diesem Sachverhalt die Überlegenheit der Rhetorik gegenüber roher physischer Gewalt abgeleitet. In rollentypischer Weise pervertiert Światopełk das Emblem in dem Sinne, daß Hercules die Zuschauer an die goldenen Ketten kollektiver materieller Verführung legt.
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Von den verschiedenen Parallelen zu emblematischen Bildern, die weniger auf bewußter Übernahme, als auf einem universell verfügbaren Code humanistischen Bildungsgutes zu beruhen scheinen, war überzugehen zu strukturellen Bezugnahmen auf das Emblem, welche die Zweiheit von res picta und res significata, von Darstellung und Deutung nachbilden. An erster Stelle sind hier zweigliedrige Stilfiguren zu nennen, die meist in Form einer substantivischen Genitivverbindung ein konkretes Bild und seinen abstrakten Sinngehalt kombinieren, wie z.B. „nić żywota braterskiego“ (Lebensfaden des Bruders, Z. 802), „proch ... niepamięci“ (der Staub ... der Vergessenheit, Z. 1741). Die eminente Bedeutung der Sentenz für die Dramenkomposition wurde in der Dichtungstheorie mehrfach hervorgehoben (Scaliger, Harsdörffer). Demgemäß haben wir den objektiven, lehrhaften Sinngehalt der Kommunia Duchowna entsprechend einer Reihe von Sentenzen verdichten können. Von einem Beispiel abgesehen, das auf die Allgemeinheit der Rezipienten anwendbar ist – „Kto pod kim dołki kopie, sam też w one wpada, / I na złoczyńcę zawsze obraca się zdrada.“ (Wer einem anderen eine Grube gräbt, fällt auch selbst hinein, / Und gegen den Übeltäter wendet sich immer der Verrat. Z. 903 f.) – kommen die Sentenzen von ihrer inhaltlichen Aussage her einem komprimierten Fürstenspiegel gleich, wie folgende Beispiele belegen: „Biada tej koronie, / Która dwie głowie zdobi. Nigdy nie cierpiały / Nieba dwóch słońc.“ (Wehe der Krone, / Die zwei Häupter ziert. Niemals duldeten / Die Himmel zwei Sonnen. Z. 160 ff ) „Więcej robić głową / Trzeba, kto chce królować, niż szablą marsową.“ (Mehr mit dem Kopf machen / Muß, wer als König herrschen will, als mit dem Säbel des Mars. Z. 605 f.) „Często w tropy za tymi, którzy uciekają, / Idzie honor, a którzy usilnie ścigają, / Tym się i z rąk wyśliznie.“ (Häufig geht die Ehre auf der Spur derer, die vor ihr fliehen, / Und denjenigen, welche sie mit Kräften verfolgen, / Entgleitet sie aus den Händen. Z. 2075 ff ) Die emblematische Doppelstruktur ließ sich – von der Wort-, über die Satzzur Textebene fortschreitend – auch anhand des Verhältnisses des moralisierenddeutenden Chorliedes am Ende des I. Akts und der vorher dargestellten Bühnenhandlung aufzeigen. Abschließend war in Anlehnung an Albrecht Schöne auf den an sich schon sinnbildhaften Charakter des Barocktheaters einzugehen. Von der barocken Sukzessionsbühne und ihren häufigen Szenenwechseln leitet sich der Topos vom „theatrum mundi“ als Inbegriff der Unbeständigkeit und Vergänglichkeit des Irdischen ab. Über sich selbst hinaus weisen bildhaft-exemplarisch dargestellte Personen, emblematische Requisiten und Schauplätze. Schönes Auffassung der dramatischen Figur „als lebende pictura, als sprechende icon, agierende imago“ bekommt einen tieferen Sinn, wenn wir berücksichtigen, daß die frühe russische Dramatik Sujets bevorzugt, die von der Ikonenmalerei her bekannt waren.20 So war 20 Anatolij S. Demin, Russkaja literatura vtoroj poloviny XVII – načala XVIII veka. Novye chudožestvennye predstavlenija o mire, prirode, čeloveke. Moskva 1977, S. 44.
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in Bezug auf den Höllensturz Światopełks am Ende des Stückes auf verwandte Ikonendarstellungen zu verweisen.21 Insgesamt ist der vereinzelte Gebrauch emblematischer Symbolik in der Kommunia Duchowna eher unmittelbar und eindimensional – hermetisch-esoterische, concettistische Emblematik wurde durch die spezielle Aufführungssituation ausgeschlossen, d.h. die Einführung des Theaters westlichjesuitischer Prägung als neuer Kunstform in den von der orthodox-byzantinischen Tradition bestimmten Gebieten Ostpolens verlangte eine leicht zugängliche Symbolsprache. In gattungsgeschichtlicher Hinsicht haben wir die emblematisierte Historie, wie sie in den Stücken Shakespeares, aber auch in der Kommunia Duchowna erscheint, in die Nachfolge des Mysterienspiels gestellt: exemplarische, historische Persönlichkeiten ersetzen Jedermann, Tugenden und Laster, gleichwohl bleibt die moraldidaktische Ausrichtung des Theaters in den exempla und emblematischen, ahistorischen Sentenzen erhalten. Grundlegend gewandelt hat sich im 17. Jahrhundert auch das theologische Verständnis des mundus symbolicus hin zur ingeniösen Zeicheninterpretation im Rahmen profaner rhetorischer Kunstübung. Abschließend bleibt festzuhalten, daß mit dem barocken Jesuitentheater die Grundlagen für die visuelle Kultur der Moderne, für die Reizüberflutung der Zuschauer und die gezielte Einwirkung auf alle Sinne geschaffen wurden.22 Sarbiewski schreibt in den Anweisungen zur Bühnentechnik explizit die Ausschöpfung einer Vielzahl von Künsten zum Erzeugen szenischer Illusion vor.
21 M. V. Alpatov, „Gibel’ Svjatopolka v legende i v ikonopisi“, in: Trudy otdela drevnerusskoj literatury XXII (Vzaimodejstvie literatury i izobrazitel’nogo iskusstva v drevnej Rusi). Moskva / Leningrad 1966, S. 18–23. 22 Vgl. dazu: Elida M. Szarota, „Das Jesuitendrama als Vorläufer der modernen Massenmedien“, in: Daphnis 4 (1975), S. 129–143. Barbara Bauer: „Multimediales Theater. Ansätze zu einer Poetik der Synästhesie bei den Jesuiten“, in: Renaissance-Poetik, hrsg. v. Heinrich F. Plett, Berlin / New York 1994, S. 197–238.
Streszczenie Przedmiotem niniejszej rozprawy jest dramat jezuicki barokowy Kommunia Duchowna S. S. Borysa y Hleba, w wersji rękopiśmiennego Kodeksu Orszańskiego, przedrukowanej w: Dramaty staropolskie (T. VI. Warszawa 1963). Ze względu na ograniczenia materiałowe1 autorka koncentruje się w swoich badaniach na jednym dramacie polskim z końca XVII w., o wyjątkowym charakterze. Kommunia Duchowna wyróżnia się znaczeniem egzemplarycznym dla retoryki: rękopiśmienne, anonimowe kompendium retoryki łączące spis reguł (praecepta) z tekstem dramatycznym Kommunii Duchownej (exemplum). Na podkreślenie zasługuje znaczenie sztuki dla wprowadzenia zachodnioeuropejskich form teatralnych na wschodnich, prawosławnych rubieżach Rzeczypospolitej (Orsza i Połock). Osnowę części teoretycznej stanowi wypowiedź Jana Mukařovskiego, żeby nie tyle dążyć do specjalistycznego wyodrębnienia literaturoznawstwa porównawczego, ile do jego rozszerzenia „w odwrotnym kierunku, mianowicie w ten zakres, gdzie literatura artystyczna dotyka się z pozostałymi rodzajami sztuk.“2 Autorka jeszcze dalej rozwija to zagadnienie analizując przesłanki filozoficzne przekroczeń granic między poszczególnymi rodzajami sztuki. W tym sensie pisma Kanta (Kritik der reinen Vernunft) i Deweya (Art as Experience) pozwalają postawić tezę o dyspozycji intermedialnej w samej konstytucji człowieka. Wychodząc z założeń antropologicznych, otwiera się transmedialny dostęp do różnych rodzajów sztuk na podstawie rozprawy Borisa A. Uspenskiego „Strukturnaja obščnost’ raznych vidov iskusstva. Obščie principy organizacii proizvedenija v živopisi i literature“ (w: Poėtika kompozicii. Struktura chudožestvennogo teksta i tipologija kompozicionnoj formy. Moskva 1970, s. 172–218). Zasób pojęć Uspenskiego – tzn. zewnętrzny i wewnętrzny punkt widzenia, rama, pierwszy plan i drugi plan oraz złożony charakter dzieła artystycznego – nadaje się do opisania form kompozycyjnych w malarstwie i w literaturze. Te pojęcia, przydatne też do określenia struktury dramatu, stanowią podstawę części analitycznej niniejszej pracy. Analizy poprzedza umieszczenie Kommunii Duchownej w kontekście historyczno-systematycznym doby baroku.3 Sztuka należy do teatru szkolnego jezu-
1 Janina Abramowska pisze w artykule „Tragedia“ (Słownik literatury staropolskiej, Wrocław 1990, s. 868), że „dorobek staropolskich pisarzy w zakresie tragedii był niewielki“. 2 por. Jan Mukařovský, „Mezi poesií a výtvarnictvím“, w: Kapitoly z české poetiky. Praha 1948, s. 254. 3 Ljudmila A. Sofronova, Poėtika slavjanskogo teatra XVII – pervoj poloviny XVIII v. Pol’ša, Ukraina, Rossija. Moskva 1981.
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ickiego4, który zdominował życie teatralne XVII w. w Polsce. Szczególną uwagę poświęca autorka teorii dramatycznej Sarbiewskiego De tragoedia et comoedia sive Seneca et Terentius przede wszystkim pod względem intermedialnym, pojmującym teatr jako syntezę różnych sztuk. Sarbiewski łączy zarówno tradycyjną naukę kompozycyjną według Arystotelesa, jak i opisanie najnowszej techniki scenicznej, która sprowadza się do podwyższenia środków wykonania dramatycznego poza słowem, wzmagania iluzji scenicznej, celem zmysłowego-wizualnego oddziaływania na widzów. Technikę tę poznał podczas pobytu w Rzymie. W dalszym ciągu zasady kompozycyjne zastosowane w Kommunii Duchownej ulegają szegółowej analizie w następujących aspektach: • Punkt widzenia autora • Punkty widzenia osób dramatu • Zewnętrzny punkt widzenia i rama • Kompozycja całościowa i wewnętrzne ramy kompozycyjne Pojęcie ramy sprzyja porównaniu strukturalnemu ze sztukami plastycznymi, wyznaczając dostęp teoretyczny do intermediów. Według Uspenskiego rama, łącząc się z zewnętrznym punktem widzenia, określa granicę między rzeczywistością i zawartym semiotycznym systemem. Osoby dramatu, czas i język intermediów cechuje zewnętrzny punkt widzenia wobec akcji głównej tragedii o Borysie i Hlebie, odnoszącej się do XI w., pisanej w języku polskim, natomiast postacie komiczne intermediów nawiązują do aktualnej rzeczywistości XVII w. we wschodnich połaciach Rzeczypospolitej, mówiących mieszaninę językową ukraińsko-białorusko-polską. Osobnej uwagi wymaga charakterystyczne dla ramy eksponowanie kodu w Antiprologus i Prologus: Oba intermedia zawierają śmieszne dialogi o terminologii dramatycznej5 aby sprowadzić widzów do zachodnio-europejskich konwencji scenicznych. Przy tym jeden rozmówca używa pojęć poprawnych, a drugi – chłop albo garbarz – zniekształca i dopasowuje je do swoistego dla jego poziomu intelektualnego, dialektu (Secundus Studiosus: „Albo ma twój Hawriło jaką tu personę?“ w. 81 – Garbarz: „Tak, mospane, imajet od matki perstionek.“ w. 82). Autorka eksponuje ogromną popularność tych dialogów, wskazując podobne sekwencje także w trzech innych dramatach, zawartych w Kodeksie Orzańskim. Pod względem intermedialnym wynika z tego możliwość zintegrowania tych samych tekstów, w różnych sztukach teatralnych, z zastosowaniem wymienności elementów w układach ornamentacyjnych.
4 Jan Okoń, Dramat i teatr szkolny. Sceny jezuickie XVII wieku (= Studia staropolskie, t. XXVI). Wrocław et al. 1970. 5 por. Ludmiła Sofronowa, „Intermedia polskiego dramatu z XVII wieku «Kommunia Duchowna świętych Borysa i Gleba»“, w: Pamiętnik teatralny XX (1971), s. 69.
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Aby określić specyficzną barokową kompozycję Kommunii Duchownej w całości, autorka wychodzi z par pojęć opozycyjnych Heinricha Wölfflina (Kunstgeschichtliche Grundbegriffe), stosowanych do rozróżnienia właściwości sztuki renesansowej i barokowej. Oskar Walzel przeniósł te podwójne pojęcia do analizy dzieł literackich. Szczególny nacisk kładzie autorka na otwartą, atektoniczną strukturę Kommunii Duchownej: Sztuka zawiera tylko jeden chór na końcu aktu pierwszego, ale można ustalić odcinki tekstu z leksykalnymi, semantycznymi i funkcjonalnymi paralelami do tego chóru i w akcie drugim i trzecim, które akcentują wewnętrzne ramy kompozycyjne. Dramatopisarz rezygnuje ze sztywnego schematyzmu zmieniających się kolejno aktów i chórów (albo intermediów) na korzyść luźniejszej dystrybucji intermediów między czterema aktami. Kategorią kluczową dla analizy Kommunii Duchownej stanowi retoryka, nauka podstawowa normująca szkolnictwo i praktykę teatralną jezuitów. Zgodnie z powyższym ustaleniem wzorca dramatu we współczesnej teorii, autorka ukazuje pojęciowe i strukturalne związki tekstu z retoryką. Do retorycznej figury przenośni odwołuje się też porozumienie emblematu jako imago figurata, przez teoretyka i dramatopisarza Masena (Speculum imaginum veritatis occultae). Różne jednostki ze strukturą emblematyczną6 w Kommunii Duchownej dopełniają funkcje ozdoby, środki argumentacji albo pouczenia. Nie sposób bowiem udowodnić więcej niż dwa związki tekstu dramatycznego z konkretnymi, raczej zagadkowymi emblematami – Hercules Gallicus Alciata (Emblematum libellus, 1542, nr 93 – w. 185) oraz żmija Camerariusa (Symbola et emblemata IV, 1604, nr 91 – w. 189). Wstrzemięźliwość ta zdaje się być skutkiem wprowadzenia nowej formy teatru zachodniego, wymagającego claritas jako ideału stylistycznego i łatwo zrozumiałego języka symbolicznego zamiast ezoterycznej hermetyczności. Reasumując można stwierdzić, że barokowy teatr jezuicki stworzył podłoże dla wizualnej kultury nowożytnej, której celem jest oddziaływanie na wszystkie zmysły.
6 Albrecht Schöne, Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock. 3. wyd. München 1993. Por. też Janusz Pelc, Obraz – Słowo – Znak. Studium o emblematach w literaturze staropolskiej (= Studia staropolskie, t. XXXVII). Wrocław et al. 1973, s. 208: Pelc podkreśla konieczność opracowania inspiracji emblematycznych w polskim teatrze barokowym, podobnie do książki Schönego.
Summary This book examines the Polish baroque drama Kommunia Duchowna S. S. Borysa y Hleba (The Spiritual Communion of Saints Boris and Gleb), written in the Jesuit college of Orsza at the end of the 17th century. Besides the exiguous tradition of genuine Polish baroque tragedies in general, focussing on a single drama is justified here by its uniqueness: Firstly, the Kommunia Duchowna, by establishing a paradigm for the rhetorical form of texts, is embedded into a compendium of rhetoric theory. Secondly, the drama is of crucial importance for the mediation of western Jesuit theatrical culture among the Russian-speaking Orthodox population in the eastern boundaries of the Polish Aristocratic Republic (Orsza, Polock), to whom this art form seemed exotic. My thesis builds upon the proposal of Jan Mukařovský not only to further enhance the comparative study of literature, but also to extend it in the opposite direction: “If comparative study thus penetrates more deeply the very kernel of literature than seems to be its primary design, we may obviously presuppose that it can expand in the opposite direction as well, namely, into the sphere where artistic literature touches upon other arts.”1 This question requires further elaboration, i.e. a discussion of the philosophical premises of the boundary-crossing between art forms, especially between literature, painting and theatre. A review of Immanuel Kant’s Kritik der reinen Vernunft refers to the continuous combination of visual impressions and verbal concepts in the cognitive process.2 Furthermore, Chapters IX and X in John Dewey’s Art as Experience3 can be interpreted as a confirmation of the intermedial disposition of man in general. The theoretical approach proceeds from an essay by Boris A. Uspensky, “Structural Isomorphism of Verbal and Visual Art”.4 Uspensky’s categories – external and internal points of view, frame, foreground and background, and the compound character of the artistic text – are particularly appropriate to describe compositional forms in painting as well as in literature and drama. According to Mukařovský’s proposal, these categories reveal the structural analogies between different kinds of artistic texts.
1 Mukařovský, Jan. “Between Literature and Visual Arts”. The Word and Verbal Art. Selected Essays by Jan Mukařovský (New Haven and London, 1977), p 207. 2 Kant, Immanuel. Kritik der reinen Vernunft (Kants Werke. Akademie Textausgabe, Vol. III). 2nd Ed 1787 (Reprint Berlin, 1968), p 74. 3 Dewey, John. Art as Experience (London, 1934), esp. pp 226–227. 4 In: Poetics. International Review for the Theory of Literature, 5 (1972), pp 5–39.
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An in-depth analysis of the Kommunia Duchowna is preceded by a classification of the drama within the historical and systematical context of baroque literature. It constitutes a prime example of Jesuit school theatre, which dominated Polish theatre in the 17th century. Close attention is paid to the contemporary drama theory of Maciej Kazimierz Sarbiewski’s De tragoedia et comoedia sive Seneca et Terentius5, in particular with a view to his statements about intermediality, thereby regarding theatre as a synthesis of different arts. Sarbiewski combines traditional Aristotelian composition theory with a description of the very latest stage technology, as he had observed it during his residence in Rome. This study analyses the composition devices of the Kommunia Duchowna according to the following aspects: • Author’s point of view • Points of view of the dramatis personae • External point of view and frame • General composition and internal compositional frames The notion of frame, supporting the structural comparison between the visual arts and literature, organizes the theoretical discussion of the comical intermedia. According to Uspensky, the frame, which is closely related to the external point of view, marks the border between the real world and a self-contained semiotic system. The dramatis personae, time and language of the intermedia are characterized by an external point of view towards the main action of the tragedy of Boris and Gleb, which takes place in the 11th century and is written in Polish. On the contrary, the comic figures of the intermedia are bound to the here and now of the theatrical performance in 17th-century eastern Poland and use a hybrid Polish-BelarussianUkrainian-Russian language. Generally, the frame is determined by references to the metalinguistic level, illusionism and decorativeness. In this sense, facetious dialogues within the prologues propagate basic dramatic knowledge. Parallel sequences include correct vs. misunderstood, transmogrified terms, thus exposing the code, e.g. Student: “Does your Hawriło play any part (personę) here?” – Tanner: “Yes, Sir, he’s got a ring (perstionek) from his mother.” The occurrence of similar prologues in three other plays demonstrates the applicability of these highly popular dialogues within other contexts – analogous to ornamental, decorative elements. In order to investigate the integral composition of the Kommunia Duchowna, the study proceeds from Heinrich Wölfflin’s dualistic term pairs, describing the different features of Renaissance and Baroque art. Oskar Walzel transferred these terms to literature, intending to prove the baroque, open structure of Shakespeare’s 5 In: Idem, O poezji doskonałej czyli Wergiliusz i Homer (De perfecta poesi, sive Vergilius et Homerus) (Wrocław, 1954).
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plays, which ran counter to classic drama theory. Evidently, the Kommunia Duchowna is likewise qualified by its open, atectonic structure, denying the classical schematism of the five acts with final chorus: Although the drama includes only one chorus at the end of the first act, this book points out passages in the script with lexical, semantic and functional parallels to the chorus text also in the second and third act. Thus, the dramatist marks internal compositional frames in order to give the four acts a looser, open structure. The analysis places particular emphasis on rhetoric as the key category regulating Jesuit education and theatre practice. According to the exemplary significance of the Kommunia Duchowna in contemporary theory, this study highlights various semantic and structural references of the dramatic text to rhetoric. Rhetoric as the overall framework of Baroque culture also affects emblem theory. The German theoretician and dramatist Jacob Masen (1606–1681) defines the emblem as imago figurata, thus transferring the rhetorical figure of metaphor to symbolic visual representations. Above all, frequent coincidences between rhetoric and emblematics concern the sententiae within dramatic texts. Scaliger regarded the sententiae as the main pillars of the entire tragedy, which reflect the deeper significance of the dramatic action. In the Kommunia Duchowna, the sententiae indeed have a crucial function. Offering advice, which adds up to a kind of ‘Mirror of Princes’, they resemble a ‘work within the work’. In addition to the sententiae in the Kommunia Duchowna, this study examines various other kinds of emblematic structures, based on Albrecht Schöne’s classification.6 Apart from these twofold emblematic structures, creating with words a picture and its interpretation, the analysis was able to verify only two references of the dramatic text to particular, rather enigmatic emblems – to the Hercules Gallicus emblem (Andreas Alciatus, Emblematum libellus, XCIII) and the viper emblem ( Joachim Camerarius, Symbolorum et emblematum ex aquatilibus et reptilibus desumptorum centuria quarta, XCI). This restraint is due to the introduction of the new art form of western theatre, demanding claritas as a predominant stylistic ideal and an easily comprehensive symbolic language instead of esoteric hermeticism. In summary, it can be stated that Sarbiewski already described the creation of scenic illusionism as a result of different arts interacting with one another. It is but a short step from the illusionism of the baroque stage to modern culture invading all the senses.
6 Schöne, Albrecht. Emblematik und Drama im Zeitalter des Barock. (München, 3rd Ed 1993).
Anhang Kommunia Duchowna S. S. Borysa y Hleba (Die Geistliche Kommunion der Heiligen Boris und Gleb) Im Folgenden soll eine Übersetzung der „summa“, die an den Anfang des Dramentextes gestellt ist, sowie der Überschriften über die einzelnen Szenen gegeben werden, so daß sich daraus das Programm des Stückes rekonstruieren läßt. Mit ziemlicher Sicherheit ist davon auszugehen, daß ein solches Programm vor Beginn der Aufführung verteilt wurde, da im Prolog explizit darauf verwiesen wird: „Ale patrz, durny chłopie, wszak synopses w ręku.“ (Aber schau doch nach, dummer Bauer, ich habe doch die Synopse in der Hand, Z. 89.) An einigen Stellen habe ich in Klammern Ergänzungen eingefügt, die für den Gesamtzusammenhang des Stückes wesentlich sind. Summa: Hleb und Borys, oder Dawid und Roman, die Söhne von Włodzimierz, des russischen Fürsten, werden von ihrem Bruder Światopełk, der nach dem Vater ganz Rußland regieren wollte, getötet. Borys wird unterwegs durch von Światopełk gedungene Mörder, nachdem er um Zeit für ein Gebet ersucht hat, zusammen mit dem Kammerdiener Jerzy, der sich schützend vor ihn stellt, getötet, während Hleb, als er über die Dźwina fährt, von denen, die Światopełk angestiftet hat, mit einem Messer erstochen wird, welcher sodann von seinem Bruder Jarosław aus dem Reich vertrieben und von der Erde verschlungen wird. ANTIPROLOGUS PROLOGUS ACTUS PRIMUS Scena prima Światopełk, der sich die Alleinherrschaft über Rußland verspricht, überredet Eryman, den Schatzmeister des Vaters, daß er mit Gold die Senatoren für ihn kaufe. Scena secunda Eryman verwendet entgegen den Absichten Światopełks das Gold für Borys. Scena tertia Eryman überredet die Senatoren, daß sie Borys als Herrn wählen. Scena quarta Die Senatoren überreden Borys, der Ehrenstellungen verschmäht, zur Herrschaft. Scena quinta ludicra Der Kosake, den Eryman mit Briefen losgeschickt hat, verliert unterwegs sein Pferd. Scena sexta Światopełk nimmt die Briefe in Empfang und fälscht die Absichten der Senatoren in ihnen.
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Scena septima Der Bote der Senatoren erkundigt sich nach seinem verschwundenen Pferd. Scena octava Die Briefe gibt Światopełk gefälscht zurück, Gamrot rät ihm, Borys zu töten. Scena nona Einen Brief, den Gamrot mit Giften getränkt hat, schickt Światopełk zu Borys. Chorus Chorus iocularis secundus Zwerg und Kammerdiener tragen Bücher in einem Sack und bleiben stehen. ACTUS SECUNDUS Scena prima Gamrot stirbt, als er den Brief neugierig öffnet. Scena secunda Borys findet, als er sich zu Światopełk begeben will, Gamrot tot vor dem Tor. Scena tertia Die Soldaten fallen, als sie Gamrots Kleider verkaufen, in die Hände von Borys. Scena quarta Borys überstellt die gefangengenommenen (vermeintlichen) Mörder Gamrots dem Światopełk. Scena quinta Światopełk überredet die ihm überstellten Soldaten zum Mord. Scena sexta Die (dergestalt) überredeten (Soldaten) töten, als Pilger verkleidet, Borys auf dem Weg. Scena septima Jarosław schiebt, nachdem er den Ermordeten gefunden hat, den Mord auf dessen Höflinge. Scena octava Das verdächtige Hofgesinde wird zu Światopełk geführt. Scena nona Die Senatoren erkennen, daß die Briefe von Światopełk gefälscht worden sind. Scena decima Światopełk überredet die wegen des Mordes Verleumdeten zur Beseitigung Hlebs mittels Jarosławs. Scena undecima Hleb empfängt die Nachricht, daß sich Jarosław mit einem Heer gegen ihn auf den Weg mache. Scena duodecima Jarosław nimmt die Nachricht entgegen, daß Hleb angeblich gegen ihn vorgehe. ACTUS TERTIUS Scena prima Die von Hleb und Jarosław ausgesandten Spione treffen aufeinander. Scena secunda
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Hleb empfängt von seinem Boten die Nachricht, daß Jarosław gegen ihn sei. (Hleb verzichtet auf den Thron, entsagt der Welt und geht in die Wildnis) Scena tertia Jarosław empfängt durch seinen Boten die Nachricht, daß Hleb gegen ihn sei. ( Jarosław verzichtet auf den Thron, entsagt der Welt und geht in die Wildnis) Scena quarta Als die Senatoren von ihrem (d.h. Hlebs und Jarosławs) neuen Lebenswandel erfahren haben, gehen sie in die Wildnis, um sie zu suchen. Scena quinta Hleb und Jarosław treffen sich in der Wildnis, ohne einander zu erkennen. Scena sexta Die Senatoren überraschen Jarosław und Hleb in der Wildnis. (Mit dem Argument, daß Rußland sonst wieder dem Heidentum zu verfallen drohe, überzeugen sie die Brüder von der Notwendigkeit ihrer Rückkehr) Scena septima Nachdem Światopełk von der Rückkehr der Brüder erfahren hat, überredet er Kruent, Hleb zu töten. Scena octava Hleb ist betrübt; Światopełk kommt herbei, tröstet ihn und lädt ihn zu sich ein. Scena nona ioculans Der Koch grämt sich, da er von Gästen gehört hat. Scena decima Jarosław warnt Hleb durch einen Boten, daß er nicht zu Światopełk fahren solle. Scena undecima Kruent ermordet Hleb, als er zu Światopełk fährt. ACTUS QUARTUS Scena prima Jarosław bekommt von dem Boten, den er ausgesandt hat, die Nachricht von der Ermordung Hlebs. Scena secunda Światopełk empfängt von Kruent die Nachricht von der Ermordung Hlebs. Scena tertia Jarosław verurteilt Światopełk, der sich über den Tod Hlebs freut, zu Gefängnis. Scena quarta Ezalvus berät sich mit anderen über die Bestattung Hlebs. Scena quinta Jarosław verurteilt Światopełk zu Verbannung. Scena sexta Światopełk, der aus dem Reich vertrieben wurde, irrt durch die Wälder und die Erde verschlingt ihn.
Bildquellennachweis Abb. 1 Dionisij: Gleichnis von der königlichen Hochzeit. Fresko in der Kirche des Therapon-Klosters, nahe Kirillov, Kreis Vologda, um 1500. – In: Philipp Schweinfurth, Geschichte der russischen Malerei im Mittelalter. Haag 1930, dort Abb. 76. bpk (Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte) / Staatsbibliothek zu Berlin Abb. 2 Kombinierte Darstellung eines Innenraums im Zentrum mit dessen Außenansicht (Dächer) an der Bildperipherie. Detail der Ikone Akathist der Gottesmutter von Kazan’, 17. Jh. Abb. 3 Zusammensetzung der Raumorganisation aus einer Gesamtheit von Mikroräumen Abb. 4 Ornamentalisierung des Ikonenhintergrundes, sog. Ikonenberge. Grablegung, 15. Jh. Abb. 5 Gesteigerte Konventionalität im Bildhintergrund: symbolische Darstellung der Nacht als Schriftrolle mit Sternen, der Morgenröte als Hahn. Nächtliche Ratssitzung im feindlichen Feldlager, Miniatur aus einer Chronik des 16. Jhs. Abb. 2, 3, 4, 5 in: Boris A. Uspenskij, Poėtika kompozicii. Struktura chudožestvennogo teksta i tipologija kompozicionnoj formy. (Poetik der Komposition. Struktur des künstlerischen Textes und Typologie der Kompositionsform) Moskva 1970, dort Abb. 9, 12, 26, 30. bpk / Staatsbibliothek zu Berlin Abb. 6 Picasso, Pablo: Femme couchée lisant (Liegende Frau, lesend), 1939. Musée Picasso, Paris. © Succession Picasso / VG Bild-Kunst, Bonn 2012 / bpk / RMN – Grand Palais / Jean-Gilles Berizzi Abb. 7 Sarbiewski: „De tragoedia et comoedia“, cap. VII: mechanisches Psalterion. – In: Maciej Kazimierz Sarbiewski, O poezji doskonałej czyli Wergiliusz i Homer (De perfecta poesi, sive Vergilius et Homerus) (Von der vollkommenen Poesie, oder Vergil und Homer), übs. v. Marian Plezia, bearb. v. Stanisław Skimina. Wrocław (Breslau) 1954, dort Abb. 14. bpk / Staatsbibliothek zu Berlin Abb. 8 Diego Velázquez: Venus mit ihrem Spiegel, 1644–48. – In: José López-Rey, Velazquez. The Artist as a Maker with a Catalogue raisonné of his Extant Works. Lausanne / Paris 1979, dort Abb. neben S. 102, Katalog-Nr. 106. bpk / Staatsbibliothek zu Berlin Abb. 9 Guido Reni: Die büßende Magdalena, 1631–2. – In: D. Stephen Pepper, Guido Reni. A complete catalogue of his works with an introductory text. Oxford 1984, dort Abb. 165. bpk / Staatsbibliothek zu Berlin
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Abb. 10 Andreas Alciatus: Emblematum libellus. Reprograf. Nachdruck der Orig.-Ausg. Paris 1542. Wiss. Buchges. Darmstadt 1991, dort Nr. XCIII, S. 206. Abb. 11 Joachim Camerarius, Symbola et emblemata. (Nürnberg 1590 bis 1604). Teil 2: Centuria IV. Fotomechan. Nachdr. Graz 1988, dort Abb. XCI, S. 92 r. bpk / Staatsbibliothek zu Berlin Abb. 12 Achille Bocchi: Symbolicarum quaestionum … IV, 1555, Nr. 116 Abb. 13 Gilles Corrozet: Hecatongraphie ..., 1543, G iiij b Abb. 14 Guillaume de La Perrière: La morosophie ..., 1553, Nr. 29 Abb. 12, 13, 14 in: Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts, hrsg. v. Arthur Henkel u. Albrecht Schöne. Stuttgart / Weimar 1996, dort Sp. 1143, 954, 1259 Abb. 15 Der Untergang Svjatopolks. Miniatur („klejmo“) auf der Randleiste der Boris-und-GlebIkone aus Kolomna, 14. Jh., Tret’jakov-Galerie, Nr. 28757. – In: M. V. Alpatov, „Gibel’ Svjatopolka v legende i v ikonopisi“, in: Trudy otdela drevnerusskoj literatury XXII (Vzaimodejstvie literatury i izobrazitel’nogo iskusstva v drevnej Rusi). [„Der Untergang Svjatopolks in der Legende und Ikonenmalerei“, in: Veröffentlichungen der Sektion für altrussische Literatur XXII (Wechselwirkungen von Literatur und bildender Kunst im alten Rußland)]. Moskva / Leningrad 1966, dort Abb. 2. bpk / Staatsbibliothek zu Berlin
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Personenregister Erfaßt sind hier Autoren von Primär- und Sekundärliteratur, die einen Beitrag zu den theoretischen Fragestellungen dieser Arbeit leisten. Einzelne Maler, deren Werken Beispielcharakter innerhalb der Intermedialitätsproblematik zukommt, werden ebenfalls berücksichtigt. Abramowska, Janina, 11, 170, 253, 279 Adorno, Theodor W., 39, 40 Aguilonius, Franciscus, 248 Aischylos, 85 Alciatus, Andreas, 254, 255, 279 Alpatov, M. V., 265, 281 Annaeus Seneca, Lucius, s. Seneca Aphthonios, 252 Aristoteles, 81, 83–89, 96, 97, 99, 114, 153, 224, 225, 238, 243, 244, 269 Aržanuchin, Vladislav V., 144 Asmuth, Bernhard, 99, 114, 129, 162 Bachtin, Michail, 27, 43, 65, 100, 116, 117, 186, 216–219, 275 Balde, Jacob, 152, 157 Baranowicz, Łazarz, 80 Barner, Wilfried, 79, 135, 152, 155, 159, 202, 237, 238, 240, 241, 249–251 Bardziński, Jan Alan, 170, 253 Bauer, Barbara, 96–98, 238, 250, 251, 267, 281 Bellarmino, Roberto, 181 Benjamin, Walter, 129, 161, 169, 184, 186, 260, 264, 272 Benz, Ernst, 67, 222, 223 Białostocki, Jan, 37, 38, 42, 268 Bidermann, Jacob, 155 Bieńkowski, Tadeusz, 150, 193, 237 Bocchi, Achille, 257 Bogatyrev, Petr, 208, 209 Bühler, Karl, 37 Bystroń, Jan, 198, 214–216 Calderón de la Barca, Pedro, 137, 161 Camerarius, Joachim, 252, 253, 256, 279
Cassirer, Ernst, 71 Caussin, Nicolas, 167, 238, 239 Cicero, Marcus Tullius, 144, 152, 238, 239, 241 Corrozet, Gilles, 259 Curtius, Ernst Robert, 218, 219 Daly, Peter, 265 Daniėľ, S. M., 28 Demin, Anatolij S., 265, 280 Dewey, John, 9, 46–52, 268 Dmochowski, Franciszek Ksawery, 158–160, 270 Donati, Alessandro, 99 Dybek, Dariusz, 80 Eco, Umberto, 41 Fabius Quintilianus, Marcus, s. Quintilianus Fischer, Ludwig, 135, 148, 237, 247 Fischer-Lichte, Erika, 168, 209 Florenskij, Pavel A., 63, 64, 120, 162 Franz, Norbert P., 144 Freytag, Gustav, 13, 220, 223–227, 235, 275 Fuhrmann, Manfred, 83, 153 Furttenbach, Joseph, 94 Gloger, Zygmunt, 199, 205, 214 Gombrich, Ernst, 37, 75 Goodman, Nelson, 74, 157 Goethe, Johann Wolfgang v., 159, 160, 162, 163, 271 Górnicki, Łukasz, 170, 173 Gracián, Baltasar, 152, 174, 253 Gruchała, Janusz, 117, 140 Gryphius, Andreas, 12, 147, 157, 169, 253, 260 Grzeszczuk, Stanisław, 117, 140
Personenregister
Guillén, Claudio, 43 Hahn, Wiktor, 155, 270 Hallmann, Johann Christian, 253, 260 Hamburger, Käte, 106 Hansen-Löve, Aage A., 168 Harsdörffer, Georg Philipp, 133, 253, 266, 280 Hederich, Benjamin, 193 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, 39, 123, 124, 156, 162–164, 270 Henkel, Arthur, 256–262 Hernas, Czesław, 152 Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann v., 147 Homer, 49, 221 Horaz (Horatius Flaccus, Quintus), 81, 85, 96, 117, 139, 140, 152, 157, 170, 238 Husserl, Edmund, 125 Ingarden, Roman, 92, 122 Jakobson, Roman, 157, 219, 220 Kant, Immanuel, 9, 39, 44, 45, 266, 268 Kantor, Tadeusz, 206 Karcevskij, Serge, 189 Kircher, Athanasius, 21, 77, 138 Klimowicz, Mieczysław, 159 Knapski, Grzegorz (Cnapius, Gregorius), 16, 155 Kochanowski, Jan, 138, 140, 158, 170, 173 Kroll, Walter, 25 Krüger, Hans-Peter, 46 Kwiatkiewicz, Jan, 239 Lachmann, Renate, 135 Lang, Franciscus, 28, 29, 97, 98, 167, 168 Langer, Dietger, 197, 216 La Perrière, Guillaume de, 261 Laurentius v. Durham, 244 Lauxmin, Zygmunt, 239 Lenhoff, Gail, 102, 144 Lessing, Gotthold Ephraim, 49
303
Lewański, Julian, 10, 11, 13, 78, 101, 155–157, 166, 167, 198, 200, 210–212, 215, 270, 271 Lohenstein, Daniel Casper v., 12, 169, 174, 253 Lotman, Jurij, 35, 38, 66, 72, 120, 121, 134, 160, 175, 195, 196, 206, 272, 274 Lubomirski, Stanisław Herakliusz, 17 Lukian, 255 Maccius Plautus, Titus, s. Plautus Mariana, Juan de, 181 Markovskij, Michajlo M., 12, 78, 238 Martialis, Marcus Valerius, 238 Masen, Jacob, 28, 29, 31, 86, 97, 98, 101, 148, 152, 153, 237, 251, 279 Mayenowa, Maria Renata, 153 Mersch, Dieter, 206 Michałowska, Teresa, 135, 148, 149 Miłosz, Czesław, 184 Morsztyn, Jan Andrzej, 140, 159 Morsztyn, Stanisław, 170 Morsztyn, Zbigniew, 143 Mukařovský, Jan, 9, 36, 37, 40–43, 51, 102, 119, 121, 122, 185, 186, 189, 268, 271, 272 Müller, Jürgen, 88 Müller, Ludolf, 102 Naborowski, Daniel, 140, 147, 150 Nestor, 144 Neubuhr, Elfriede, 267 Newton, Isaac, 248 Nezval, Vítězslav, 36, 43 Niedźwiedź, Jakub, 19 Ohly, Friedrich, 177 Okoń, Jan, 10, 11, 16, 19–26, 77–82, 86, 87, 100, 101, 111, 127, 132, 155, 199, 219, 221, 223, 275 Olszewski, Henryk, 184 Onasch, Konrad, 53, 60, 68, 69, 268 Otwinowska, Barbara, 152, 173, 239, 240, 277
304
Anhang
Ovidius Naso, Publius, 150, 238 Paccius, Alexander, 83 Panofsky, Erwin, 53, 63, 64, 67, 68, 71–74, 268 Pelc, Janusz, 11, 16–19, 253, 279 Pfister, Manfred, 101, 104, 116, 132, 160, 258 Picasso, Pablo, 70 Platon, 68 Plautus, Titus Maccius, 11, 199 Plezia, Marian, 10, 81, 269, 278 Plinius Caecilius Secundus, Gaius (d. J.), 219 Plinius Secundus Maior, Gaius (d. Ä.), 137, 138 Plutarch, 195 Polockij, Simeon, 34 Pontanus, Jacob, 85–87, 97, 152 Poplatek, Jan, 76, 77, 79, 111, 127, 130, 131, 204, 218, 227, 238, 270 Possevino, Antonio, 97 Poussin, Nicolas, 28 Pozzo, Andrea, 99 Quintilianus, Marcus Fabius, 238, 250 Radau, Michael, 239 Raffael, 62, 208, 255 Rajewski, Irina, 35 Raszewski, Zbigniew, 10, 87, 91, 93, 94, 96 Reni, Guido, 233 Ronsard, Pierre de, 255 Rubens, Peter Paul, 81 Rynduch, Zbigniew, 154 Saavedra Fajardo, Diego de, 258, 262 Sallustius Crispus, Gaius, 195 Samsonowicz, Henryk, 184 Sarbiewski, Maciej Kazimierz, 10, 81–96, 98–101, 117, 119, 128, 133, 135, 139, 143, 147–149, 152–154, 163, 196, 221, 224, 239, 240, 242, 247, 249, 269, 270, 272, 275, 277, 278, 281 Sarnowska-Temeriusz, Elżbieta, 81 Scaliger, Julius Caesar, 95–97, 99, 133, 148, 149, 169, 260, 272, 280
Schiller, Friedrich v., 162, 163 Schmid, Herta, 100, 126, 127, 143, 152, 186–188 Schöne, Albrecht, 9, 11, 14, 16, 30, 35, 133, 229, 238, 251, 253–267, 279, 280 Schultze, Brigitte, 200 Seneca, Lucius Annaeus, 11, 155, 169, 170, 229, 253 Shakespeare, William, 14, 59, 64, 65, 67, 161, 209, 221, 227, 231–236, 267, 276, 281 Shegin (Žegin), Lev F., 67, 69, 72 Skimina, Stanisław, 10, 81, 148, 152, 196, 269, 278 Soarez, Cypriano de, 238, 239, 250, 251 Sofronova, Ljudmila A., 14, 15, 26–34, 76–79, 86, 155, 157, 160, 161, 163, 165, 174, 180, 196–200, 204, 205, 211, 215, 216, 220, 222, 223, 235, 237, 241, 249, 263, 271, 273, 274 Spivack, Bernard, 267 Stanzel, Franz K., 120, 121 Stender-Petersen, 22, 155 Stößl, Henriette, 18, 150 Stößl, Marianne, 143 Szarota, Elida M., 80, 137, 281 Šklovskij, Viktor, 33, 223, 235 Taurellus, Nicolaus, 251 Tesauro, Emanuele, 152, 251, 279 Thomann, Theodor, 170 Tiepolo, Giovanni Battista, 255 Trabant, Jürgen, 255 Tullius Cicero, Marcus, s. Cicero Ulčinaitė, Eugenija, 152, 237–240, 250, 252, 277 Uspenskij, Boris A., 9, 12–14, 30, 42, 52–67, 69–73, 120, 134, 138, 154, 162, 207–209, 214, 215, 220, 221, 229, 268, 269, 273, 274 Valentin, Jean-Marie, 154, 157, 158, 181 Valerius Martialis, Marcus, s. Martialis Velázquez, Diego, 206
Personenregister
Veltruský, Jiří, 12, 120–126, 129, 133, 134, 160–165, 174, 188–190, 223, 270, 271 Vergilius Maro, Publius, 92, 93, 152, 221, 238, 247, 258 Vitruvius Pollio, Marcus, 87 Walzel, Oskar, 14, 37, 40, 42, 66, 67, 221, 223, 227, 231–236, 275, 276 Wąsowski, Bartłomiej, 24
305
Weise, Christian, 240 Willems, Gottfried, 45, 50 Windakiewicz, Stanisław, 91, 155 Wölfflin, Heinrich, 14, 66, 67, 221, 231–235, 276 Zima, Peter V., 38–42, 156 Ziomek, Jerzy, 135, 243–245, 258
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DAS RUSSISCHE DRAMA HERAUSGEGEBEN VON BODO ZELINSKY UNTER MITARBEIT VON JENS HERLTH (BAUSTEINE ZUR SLAVISCHEN PHILOLOGIE UND KULTURGESCHICHTE. REIHE A: SLAVISTISCHE FORSCHUNGEN, BAND 40,3)
Vom Klassizismus bis zum Ausgang des 20. Jahrhunderts werden 21 repräsentative russische Dramen vorgestellt und von ausgewiesenen Kennern analysiert. War das Drama in Russland nach einer langen theaterlosen Zeit zunächst nur Nachahmung westlicher Muster, gewann es im Zeitalter der Romantik, bei Griboedov, Puškin und Gogol’, seine Selbständigkeit und
nationale Eigentümlichkeit. Am Ende des 19. Jahrhunderts wurde es dann von Anton Čechov im Bruch mit der gesamten abendländischen Tradition des aristotelischen Theaters auf einen absoluten Höhepunkt geführt. Das dramatische Schaffen dieses Autors, das eine bis heute andauernde Präsenz auf den Bühnen der Welt besitzt, ist deshalb mit allen vier großen Stücken („Die Möwe“, „Onkel Vanja“, „Die drei Schwestern“, „Der Kirschgarten“) vertreten. Der Band wird vom Herausgeber durch eine umfangreiche Entwicklungsgeschichte des russischen Dramas eingeleitet.
2012. VI, 542 S. GB. MIT SU. 155 X 230 MM | ISBN 978-3-412-18101-7
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Parallel and CoMMentary by lara sels
bd. 26 | Holger siegel (Hg.)
2009. XXv, 319 s. 5 s/w-FaksiMiles.
der Briefwechsel zwischen
gb. | isbn 978-3-412-20605-5
aleKsandr i. turgenev und vasilij a. ŽuKovsKij 1802–1829
bd. 22 | antHony HiPPisley,
miT BrieFen TurgenevS an nikolaJ
evgenija v. lukjanova
m. karamzin und konSTanTin
simeon PolocKij’s liBrary
Ja. Bulgakov auS den Jahren
a CaTalogue
1825–1826
2005. vii, 226 s. 11 s/w-abb. auF 8 taF.
2012. iv, 712 s. gb.
gb. | isbn 978-3-412-22905-4
isbn 978-3-412-20845-5
bd. 23 | Peter ZenuCH (Hg.)
bd. 27,1 | siMeon PoloCkij
Kyrillische Paraliturgische
rifmologion
lieder
eine Sammlung
ediTion deS handSChriFTliChen
höFiSCh-zeremonieller gediChTe
liedguTS im ehemaligen BiSTum
Band 1
von mukaCevo im 18. und
2013. ClX, 480 s. 7 s/w-abb. gb.
19. JahrhunderT
isbn 978-3-412-20915-5
2006. 982 s. gb. | isbn 978-3-412-27205-0 bd. 24 | jurij jasinovs’kyj (Hg.) das lemBerger irmologion die älTeSTe liTurgiSChe muSikhandSChriFT miT FünFliniennoTaTion auS dem ende deS 16. JahrhunderTS bearbeitet von Carolina lutZka 2008. lviii, 509 s. 510 FaksiMiles. gb.
SG054
isbn 978-3-412-16206-1
böhlau verlag, ursulaplatz 1, d-50668 köln, t: + 49 221 913 90-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar
RUDOLF NEUHÄUSER
RUSSISCHE LITERATUR 1780–2011 LITERARISCHE RICHTUNGEN – SCHRIFTSTELLER – KULTURPOLITISCHES UMFELD 12 ESSAYS
Der vorliegende Band bietet einen Kompass durch die russische Literatur. Er stellt die Abfolge der literarischen Richtungen vom späten 18. Jahrhundert bis in das beginnende 21. Jahrhundert dar und macht deutlich, dass die russische Literatur immer ein fester Bestandteil der europäischen Literatur war. Behandelt werden nicht nur die großen Epochen wie Romantik und Realismus, sondern auch die kürzer andauernden Zeiten des Umbruchs, des Protests und des Neubeginns, die bisher von der Literaturwissenschaft kaum oder gar nicht wahrgenommen wurden, wie auch die widersprüchlichen Entwicklungen in Gesellschaft, Politik und Literatur des beginnenden 21. Jahrhunderts. 2013. IV, 248 S. GB. 155 X 235 MM | ISBN 978-3-205-78926-0
böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, a-1010 wien, t: + 43 1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar