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German Pages 348 [365] Year 1973
HE G E L- STU DIEN In Verbindung mit der Hegel-Kommission der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben von FRIEDHELM NICOLIN und OTTO PÖGGELER
B a nd 8
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
Inhaltlich unveränderter Print-On-Demand-Nachdruck der Originalausgabe von 1973, erschienen im Verlag H. Bouvier und Co., Bonn.
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-1472-0 ISBN eBook: 978-3-7873-2937-3 ISSN 0073-1578
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INHALT
TEXTE UND DOKUMENTE Bochum Sinclair — Hölderlin — Hegel. Ein Brief von Karl Rosenkranz an Christoph Th. Schwab
OTTO PöGGELER,
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Bochum Zur Dreiecks-Symbolik bei Hegel
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und KURT MEIST, Bochum Hegels „Prometheische Confession". Quellen für vier Jenaer Aphorismen Hegels
79
HELMUT SCHNEIDER,
MANFRED BAUM
ABHANDLUNGEN Berlin Poesie und Politik beim frühen Hegel
Josi MARIA RIPALDA,
91
Bochum Die Bedeutung des antiken Skeptizismus für Hegels Kritik der sinnlichen Gewißheit 119
KLAUS DüSING,
Montreal Reflection and Contradiction. A Commentary on some Passages of Hegel's Science of Logic 131
GEORGE DIGIOVANNI,
Bochum Die philosophische Erdkunde des Hegelianers Ernst Kapp. Ein Beitrag zur Wissenschaftstheorie und Fortschrittsdiskussion in der Hegelschule 163
HANS-MARTIN SASS,
LITERATURBERICHTE UND KRITIK G. W. F. Hegel: Gesammelte Werke. Band 4: Jenaer Kritische Schriften. Hrsg. V. H. Büchner u. O. Pöggeler (P. JANSSEN, Köln) 183 G. W. F. Hegel: Gesammelte Werke. Band 7: Jenaer Systementwürfe II. Hrsg. V. R.-P. Horstmann u. J. H. Trede (ULRICH CLAESGES, Köln) . .
186
VV. Dilthey: Zur Geistesgeschidite des 19. Jahrhunderts. Hrsg. v. U. Herrmann (OTTO PöGGELER, Bochum) 189 H. Kimmerle: Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens (L. BRUNO PUNTEL, München) 191 W. Becker: Hegels Phänomenologie des Geistes; W. Marx: Hegels Phänomenologie des Geistes (KLAUS HARTMANN, Tübingen) 196 F. Kaulbach: Philosophie der Beschreibung (HELMUT SCHNEIDER, Bochum) M. Clark: Logic and System (PETER ROHS, Kiel)
202 203
M. Wetzel: Reflexion und Bestimmtheit in Hegels Wissenschaft der Logik (PETER ROHS, Kiel) 206 F. Kümmel: Platon und Hegel (REINER WIEHL, Hamburg)
209
H.-G. Gadamer: Hegels Dialektik (PETER ROHS, Kiel)
213
Idealismus und politische Ökonomie. — W. Becker: Hegels Begriff der Dialektik und das Prinzip des Idealismus; Idealistische und materialistische Dialektik (JOHANN HEINRICH TREUE, Essen) 218 HegeTs Political Philosophy. Problems and Perspectives. Ed. by Z. A. Pelczynski (ROLF-PETER HORSTMANN, Bochum) 233 R. Marcic: Hegel und das Rechtsdenken im deutschen Sprachraum (OTTO PöGGELER, Bochum) 238 F. Wagner: Der Gedanke der Persönlichkeit Gottes bei Fichte und Hegel (LUDWIG SIEF, Freiburg) 239 Zur Dialektik von Erfahrung und Notwendigkeit in der philosophischen Gottesfrage. — W. Weischedel: Der Gott der Philosophen (ANNEMARIE GETHMANN-SIEFERT, Bochum) 245 E. Krieger: Abgrund imd Gründe; G. Siewerth: Gott in der Geschichte (ANNEMARIE GETHMANN-SIEFERT, Bochum) 254 Hegel und die Zukunft der Religion. — G. Rohrmoser: Emanzipation und Freiheit; P. Comehl: Die Zukunft der Versöhnung (WALTHER ZIMMEREI, Zürich) 258
M. Theunissen: Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologisch-politischer Traktat; Die Verwirklichung der Vernunft (REINHART MAURER, Stuttgart) 276 R. Bubner: Theorie und Praxis — eine nachhegelsche Abstraktion (HANSMARTIN SASS, Bochum) 286 L. Kodi: Humanistischer Atheismus und gesellschaftliches Engagement (HANS-MARTIN SASS, Bochum) 288 G. Lukäcs: Zur Ontologie des gesellschaftlichen Seins (ERNST VOLLRATH, Köln) 289 K. Hartmann: Die Marxsche Theorie (GüNTHER MALUSCHKE, Bonn) .
.
.
293
H. Maschner: Dialectic, Money and Commodity (HEINZ KIMMERLE, Bochum) 297 M. Buhr, J. E. Drexel, W. Jakusch (Hrsg.): Wilhelm Raimund Beyer. Eine Bibliographie (OTTO PöGGELER, Bochum) 298 New Studies in Hegel's Philosophy. Ed. by W. E. Steinkraus (MICHAEL J. PETRY, Bochum) 298 Hegel-Jahrbuch 1970 (DIETER REDLICH, Bochum)
300
Dialogos 1970 (JOSE MARIA RIPALDA, Berlin)
306
Arsenij Gulyga: Gegel' (WILHELM GOERDT, Bochum)
309
E. Heintel: Die beiden Labyrinthe der Philosophie (CHRISTIAN PARMA +, Bochum) 310 F. W. J. Schelling: Briefe und Dokumente. Hrsg. v. H. Fuhrmans (FRIEDHELM NICOLIN, Bonn) 314
BIBLIOGRAPHIE Abhandlungen zur Hegel-Forschung 1971
317
OTTO PÖGGELER (BOCHUM)
SINCLAIR - HÖLDERLIN - HEGEL Ein Brief von Karl Rosenkranz an Christoph Th. Schwab
Es ist — im HöLDERLiN-Stüdc von PETER WEISS — ISAAK VON SINCLAIR, der (obgleich selber nicht Stiftler, sondern Student der Rechte) für die studentische Aufsässigkeit die Schläge bekommt, als der Herzog von Württemberg sein Tübinger Theologen-Stift inspiziert. Ehe diese Horrorszene abläuft, drückt der Kandidat der Theologie Hegel seine revolutionäre Gesinnung mit philosophischen Platitüden aus, die eine allzu verständnislose Philosophiehistorie von vorgestern sich aus Hegels sog. Idealismus abstrahiert hat, die der historische junge Hegel sicherlich niemals in den Mund genommen hätte. HöLDERLIN verwendet in einem Jenaer Gespräch zwischen SCHILLER und GOETHE ebenso wie in einem Frankfurter Gespräch mit GOETHE Sätze aus dem „ältesten Systemprogramm des Deutschen Idealismus"; Hegel tritt dagegen schon während seines Aufenthaltes in Frankfurt auf die Seite der Banquiers und Kaufleute sowie auf die Seite GOETHES, also weg von den „subjektivistisch überspannten" Individuen wie HöLDERLIN und SIEGFRIED SCHMIDT. FICHTE reimt, nach rhetorischem Gebrauch revolutionärer Postulate, schon in Jena die Rede vom „teutschen Wesen" auf „genesen" („hoch aufgerichtet auf dem Podium, den Arm in heroischer Pose erhoben", als die Gendarmen die gefangenen Studenten abführen). Als HöLDERLIN in Homburg den herbeigeeilten Freunden vor Wandkarten der „östlichen und westlichen Erdhälfte" seinen Empedokles als ein CHE GuEVARA-Stüdc vorstellt, sucht Hegel seinen Platz auf dem „Boden der Gegebenheiten", mimt er schon den späteren Staatsphilosophen. Den wahnsinnigen HöLDERLIN in seinem Turm besucht Hegel als ein Verherrlicher des Krieges; doch nicht er und nicht ScHELLiNG, sonder der junge MARX, ist der Gast, der wirklich zu HöLDERLIN gehört. ^ ARNOLD RüGE brachte in den Briefwechsel, den er, MARX, BAKUNIN und FEUERBACH 1843 führten und in den Deutsdi-Tranzösischen Jahrbüchern veröffentlichten, als „Motto" seiner „Stimmung" die Sätze aus dem ‘ Peter Weiss: Hölderlin. Frankfurt a.M. 1971. 30 ff, 16 f, 58, 99, 76 f, 107, 110, 164 ff.
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OTTO PöGGELER
Hyperion ein, in denen HöLDERLIN sagt, die Deutschen seien Handwerker und Denker, Herren und Knechte, Jungen und gesetzte Leute, aber keine Menschen; dieses Volk sei wie ein Schlachtfeld, „wo Hände und Arme und alle Glieder zerstückelt unter einander liegen, indes das vergossene Lebensblut im Sande zerrinnt". So steht historisch, aber auch der Sache nach ein Wort von HöLDERLIN über jenem Wegstück des jungen MARX, das zu den Pariser Manuskripten, der ökonomisch-philosophischen Kritik der Entfremdung führte. Daß unter den Deutschen sich nicht die einen nur HöLDERLIN, die anderen nur MARX zuwendeten, daß die Deutschen vielmehr zugleich HöLDERLIN und MARX als ihr Erbe mit in ihre Zukunft nehmen möchten, ist ein alter Wimsch. Nun wird der Bezug zwischen HöLDERLIN und MARX schon auf der Bühne in Szene gesetzt, freilich in einer sehr gewandelten Situation. In der Erzählung Abschied von den Eltern sagt PETER WEISS von der Begegnung mit dem Steppenwolf jenes HERMANN HESSE, dessen Bücher man in den letzten Jahren die Schaufenster der New Yorker Buchläden füllen sah: „Hier war meine Situation gezeichnet, die Situation des Bürgers, der zum Revolutionär werden möchte." Wenn solches Revolutionär-werden-mögen nun Gestalten wie SINCXAIR, HöLDERLIN und Hegel auf die Bühne stellt und MARX ZU ihnen treten läßt, dann bleibt zu fragen, ob nicht dieses Mögen ein „weiches Element" ist, dem sich nach Hegel ja „alles Beliebige einbilden" läßt. Vermag dieses Mögen und Einbilden das, was war, nach unbekannten Seiten hin zu entdecken und neu auf die Zukunft zu beziehen? Oder greift es vorbei an dem, was war imd ist, greift es zu kurz? Diese Frage stellt sich um so dringlicher, wenn die Literatur nur reportagehaft in Szene setzt, was sowieso in historischen und politische Klischees virulent ist, wenn diese Virulenz aber letztlich darauf beruht, daß es in der Tat an der Zeit ist, die Freundschaft neu zu sehen, die SINCLAIR, HöLDERLIN und Hegel verband. Wer HöLDERLIN durch Freunde wie Hegel, SINCLAIR und SCHELLiNG letztlich allein gelassen sieht, wer nur MARX das Recht zum Eintritt in den Turm HöLDERLINS zuspricht, darf die Frage nicht abweisen, in welchem Verhältnis HöLDERLIN und Hegel oder HöLDERLIN und SINCLAIR wirklich standen, wie HöLDERLIN mit seinem Dichten und Tun auf die philosophischen und politischen Gedanken Hegels bezogen war und wie Hegel zu dem Freunde stand, wie jener ISAAK VON SINCLAIR in die Freundschaft eingeschlossen war, der Dichter und Philosoph zugleich hat sein wollen, aber vor allem ein politisch Handelnder imd der treueste Freund gewesen ist. Diese Frage kann hier freilich nicht entfaltet werden; jedoch soll in einer äußerlich-historischen, vorbereitenden Weise auf wenig
Sinclair — Hölderlin — Hegel
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beachtete oder auch unbekannte Dokumente und Tatsachen verwiesen werden, die für die Entfaltung dieser Frage wichtig sind.
I. Wie ist die Freundschaft zwischen SINCLAIR, HöLDERLIN und Hegel überhaupt in den Blick derer gekommen, die dem Werk Hegels oder HöLDERLINS zugewandt waren? Hegels Berliner Schüler haben offenbar um den „Bund der Geister" gewußt, dem SINCLAIR, HöLDERLIN und Hegel angehört haben, wenn auch in einer unklaren und vagen Weise — vielleicht von einem Hörensagen her, dessen eine Quelle wir wohl in JOHANNES SCHULZE namhaft werden machen können. So schrieb EDUARD GANS bei Hegels Tode in seinem Nekrolog über die Frankfurter Zeit Hegels: „Hier knüpfte er ein inniges Verhältnis nüt seinem Landsmann, dem Dichter HöLDERLIN, und mit SINCLAIR, dem Verfasser des Cevennenkrieges, ein Verhältnis, das die Geistesabwesenheit des einen und der frühe Tod des andern unterbrach." Es ist GANS also nicht bekannt, daß Hegel schon in Tübingen mit HöLDERLIN die engste Freundschaft geschlossen, SINCLAIR wohl wenigstens kennengelernt hatte. Von Hegels Aufenthalt im Tübinger Stift heißt es denn im Nekrolog auch nur: „Hier war er mehrere Jahre hindurch der Stubengefährte SCHELLINGS, und ein kleiner enger Raum umfaßte denjenigen, der in jugendlicher Begeisterung den großen Wurf zur neuen Philosophie tun sollte, und denjenigen, der berufen war, sie mit männlicher Tiefe einzuarbeiten und mit spätdauernder Tatkraft auszuführen. Niemals ist Hegel dieses frühem jugendlichen Beisammenseins uneingedenk gewesen; wenn er davon sprach, geschah es mit stiller freudiger Wehmut .. ." ^ SCHELLING, der den Kampf mit der Hegelschen Schule aufgenommen hatte, steht hier im Blickfeld des Interesses. Es war dann KARL ROSENKRANZ, der — innerhalb seiner Arbeit an der Biographie Hegels — nicht nur Hegels Verhältnis zu SCHELLING, sondern auch in differenzierter Weise Hegels und HöLDERLINS gemeinsame Studienzeit in Tübingen, den enthusiastischen Briefwechsel der Freunde nach dem Verlassen des Stifts, die Wiederbegegnung mit HöLDERLIN in Frankfurt zu erfassen suchte. In den Jahren 1843 und 44 veröffentlichte ROSENKRANZ im Literarhistorischen Tasdienbudi von PRUTZ Vorstudien * Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen. Hrsg. v. Günther Nicolin. Hamburg 1970. 491.
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OTTO PöGGELER
zu seiner Hegelbiographie; die erste Studie handelt über HöLDERLIN und Hegel und bringt auch den ersten Abdruck des Gedichtes Eleusis. ROSENKRANZ bezieht sich auf WILHELM WAIBLINGER, von dem 1831 ein Aufsatz Friedrich Hölderlins Leben, Dichtung und Wahnsinn erschienen war. WAIBLINGER hatte schon 1822 als Primaner den wahnsinnigen HöLDERLIN besucht, ihn dann während seiner Tübinger Studienzeit (1823—26) des öfteren gesehen — ihn zum Teil im ZiMMERSchen Haus (im „Turm" am Neckar) besucht, zum Teil mit hinausgenommen auf ein Gartenhaus. In seinem Roman von dem wahnsinnigen Dichter Phaeton teilte er 1823 das Gedicht In lieblicher Bläue mit. In dem Bericht über HöLDERLINS Leben, Dichtung und Wahnsinn, der erst nach WAIBLINGERS frühem Tode erschien, gab WAIBLINGER genaue Beobachtungen über den kranken Dichter. Er suchte auch den Ursprung der Krankheit des Dichters zu deuten. Die „ausschließliche Verehrung der Griechen" habe den zarten und „weichnervigen" Dichter mit seinem eigenen Lande unzufrieden gemacht und in ein immer feindseligeres Verhältnis zur Welt gestellt; die ihm ungemäße Erziehung in den theologischen Instituten habe ihn zerbrochen; nach dem Abschied von DIOTIMA sei der Gemütszustand HöLDERLINS „mehr als je exaltiert" gewesen. In Jena und Weimar habe HöLDERLIN vergeblich Anerkennung gesucht. GOETHE sei ihm nicht gut gewesen; SCHILLER dagegen habe ihm zu einer Professorenstelle verhelfen wollen. „Wäre das geschehen, so hätte HöLDERLIN einen bestimmten Wirkungskreis gehabt, er hätte sich beschränken lassen, wäre gesund geworden, wäre nach und nach erstarkt, seine geistige Überspannung hätte nachgelassen, er wäre nützlich geworden, und ein Weib an seiner Seite hätte vollends jene unnatürliche Richtung seiner Gemütskräfte zerstört und ihn gelehrt, wie man leben, arbeiten und sich behelfen müsse, wenn man mit Menschen menschlich leben wolle." In einer sensationshaschenden Weise greift WAIBLINGER schließlich zu bloßen Spekulationen: in Frankreich habe HöLDERLIN sich „in betäubenden Ausschweifungen zu vergessen" versucht; er habe „ein wüstes Leben" aber nicht zu ertragen vermocht.’
nennt WAIBLINGERS Darstellung „teils unvollständig, teils unrichtig". Unrichtiges findet sich schon im Äußerlichen: WAIBLINGER läßt HöLDERLIN von Württemberg nach Frankfurt gehen, dann weiter nach ROSENKRANZ
’ Wilhelm Waiblingers gesammelte Werke, mit des Dichters Leben von H. v. Canitz. Bd. 3. Pforzheim 1860. 230, 233 ff. — Zum folgenden vgl. Waiblinger a.a.O., 236 f; Karl Rosenkranz: Aus Hegels Leben. 1. Hegel und Hölderlin. In: Literarhistorisches Taschenbuch. Hrsg. v. R. E. Prutz. Leipzig. 1 (1843). 89 ff, vor allem 92, 102 f.
Sinclair — Hölderlin — Hegel
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Jena und Weimar; SINCXAIR erscfieint — ohne Nennung des Namens — als ein „wohlwollender, gutgesinnter Prinz, der HöLDERLIN in Jena kennen gelernt hatte" und dem Kranken später eine Bibliothekarsstelle verschaffte. Daß HöLDERLIN ZU Neislingen geboren worden sei, diese Annahme teilt auch ROSENKRANZ noch. Entsdieidende Deutimgsschemata übernimmt er von WAIBLINGER: Durch die Liebe zu Griechenland habe Hölderlin sich „unheilbar" mit der Gegenwart entzweit; so habe Hegel in HöLDERLIN „die Liebe zu dem griechisdien Wesen bis zum Extrem konzentiert" gefunden. (Noch NIETZSCHE muß ja in seiner ersten Unzeitgemäßen Betrachtung nicht nur gegen die philiströse „Religionsstifterei" von DAVID FRIEDRICH STRAUSS protestieren, sondern auch gegen FRIEDRICH THEODOR VISCHER, den „namhaften Ästhetiker aus der Hegelschen Vernünftigkeits-Schule", der HöLDERLIN als den „Weither Griechenlands" feierte.) Auch für ROSENKRANZ war das Theologiestudium HöLDERLINS ein „großer Irrtum". Bei ROSENKRANZ rinnen dann HöLDERLINS erster und zweiter Homburger Aufenthalt (1798—1800 imd 1804—1806) ineinander. Nach ROSENKRANZ ist es vor allem die imglückliche Liebe zu Frau GONTARD, die den endgültigen Sturz in den Wahnsinn bringt: „HöLDERLIN, Hauslehrer, wie Hegel, ward von der bodenlosesten Leidenschaft für die Gattin seines Principals ergriffen ... Sein Principal entfernte ihn aus der Stadt nach Homburg. HöLDERLIN verfiel in eine Raserei, welche BETTINA in den Briefen an die GüNDERODE vortrefflich beschrieben hat. Er redete wie ein Somnambuler in höchster Aufgeregtheit, vorzüglich über das Wesen der Poesie, der Sprache, des Metrums, der Dichtungsarten, bis der strömende hymnenartige Ausdruck abbrach und seine Aufregung in die größte Ermattung überging." Es sind also die Erzählungen der BETTINA V. ARNIM, durch die ROSENKRANZ sich hier bestimmt zeigt. SINCLAIR erscheint in der Hegelbiographie von ROSENKRANZ als ein FicHTEaner mit romantischem Ausgang. In HöLDERLIN sei Hegel die klassische, auf Griechenland sich richtende Romantik entgegengetreten, in SINCLAIR eine christliche. Auch DILTHEY sagt in seiner Jugendgesdiidite Hegels, als Dichter sei SINCLAIR der Romantik und HöLDERLIN verwandt, als Philosoph habe er von FICHTE her ein „System von christlich-mystischem Charakter" ausgebildet. * Von einer Christlichkeit SINCLAIRS hat man wohl allein aufgrund einer allgemeinen Religiosität, die sich in den * Karl Rosenkranz: G. W. F. Hegel's Leben. Berlin 1844. 81 f, 272; Wilhelm Diltheys gesammelte Schriften. Bd 4. Leipzig und Berlin 1925. 41. — Zum folgenden vgl. Hölderlin. Eine Qironik in Text und Bild. Hrsg. v. Adolf Bede und Paul Raabe. Frankfurt a.M. 1970. 83; Werner Kirchner; Hölderlin. Aufsätze zu seiner Homburger Zeit. Göttingen 1967. 57 ff.
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OTTO PöGGELER
Dichtungen findet, gesprodien. Von SINCLAIR soll freilich auch die Äußerung stammen, HöLDERLIN habe zum Hyperion einen dritten, christlidien Teil schreiben wollen. Jedenfalls wußte SINCLAIR, daß HöLDERLIN mit seiner Patmoshymne für den Landgrafen von HESSEN-HOMBURG jenes große religiöse, „diristliche" Zeitgedicht hat schaffen wollen, daß der Landgraf von KLOPSTOCK erwartet hatte. Der Literaturwissenschaft unseres Jahrhimderts blieb SINCLAIR bekannt als „der Freund HöLDERLINS" (wie er im Titel der maßgeblichen Arbeit von KäTHE HENGSBERGER genannt wird). Ein neuer Durchbruch zu dem, was wirklich geschichtlich gewesen war, gelang dann WERNER KIRCHNER: er schilderte, mit welcher heimlichen Begeisterung SINCLAIR , der Beamte des Homburger Hofes, 1796 zu den Generalen der französischen Revolutions- und Invasionsheere auf schaute; er vergegenwärtigte in detaillierter Weise den Hochverratsprozeß, in den SINCLAIR 1805 verwickelt wurde, von dem HöLDERLIN nur seines Wahnsinns wegen verschont blieb. KIRCHNER kam aber nicht zu der Frage, ob nicht auch Hegel Anteil nahm am Handeln SiNCLAiRS und am Politisieren HöLDERLINS — Hegel, der sich in seiner Frankfurter Zeit mit der Übersetzimg einer politischen Flugschrift für die Schweizer Freiheit einsetzte, der sich publizistisch am württembergischen Verfassimgsstreit beteiligte, der in das französische Mainz fuhr, der zur Zeit des Rastatter Kongresses sich die Frage vorlegte, ob Deutschland noch ein Staat sei. Hegel lag nicht nur als politischer Publizist, sondern auch als Philosoph für gewöhnlich nicht im Gesichtskreis der germanistischen HöLDERLINforschung. Wenn JOHANNES HOFFMEISTER sich sowohl HöLDERLIN wie Hegel zuwandte, dann beschränkte er sich allzu sehr auf eine vergleichende Betrachtung nur des Dichters imd des Philosophen. Dagegen hat LUDWIG STRAUSS 1928 im Euphorion auf die originellen philosophischen Gedanken von HöLDERLINS und SINCLAIRS Homburger Freund ZWILLING aufmerksam gemacht; 1931 hat er in derselben Zeitschrift auf den Nachlaß von J. G. EBEL (der HöLDERLIN die Frankfurter Hofmeisterstelle vermittelte) verwiesen und gezeigt, daß FICHTE den Verlag jener Übersetzung und Vorstellimg der Schriften SIEY^S vermittelte, die EBEL mit dem bedeutenden Publizisten OELSNER (den Hegel persönlich in Bern kennengelernt hatte) veranstaltete. ® Die Weise, wie STRAUSS sich damals am ® Die 7. G. Tichte-Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften bringt in der Abteilung Briefwechsel unter den Nummern 206, 228 und 233 Briefe von Fichte an Ebel, in denen auch ein Gespräch zwischen Fichte und Sinclair erwähnt wird. Leider ist den Herausgebern der interessante einschlägige Aufsatz von L. Strauß entgangen.
Sinclair — Hölderlin — Hegel
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Streit um das „älteste Systemprogramm des Deutschen Idealismus" beteiligte, zeigt jedoch, daß er keinen wirklichen Bezug zum Philosophieren Hegels hatte und ihm so das Verhältnis, das Hegel zu den Gedanken von HöLDERLIN, ZWILLING, SINCLAIR, EBEL und OELSNER gehabt haben mag, fremd blieb. WERNER KIRCHNER hat sich im Rahmen seiner Studien über HöLDERLIN und SINCLAIR frühe philosophische Räsonnements SiNCLAiRS abgeschrieben, welche in der VARNHAGENschen Sammlung der Preußischen Staatsbibliothek aufbewahrt, im Zweiten Weltkrieg jedoch ausgelagert wurden und zur Zeit noch verschollen sind. KIRC:HNER hat mit diesen Niederschriften offenbar nichts Rechtes anfangen können (zeitweise hat er in ihnen wohl Nachschriften von FiCHXESchen Vorlesungen sehen wollen). Die Bedeutimg, die diese Niederschriften für den Kontext haben, in dem die idealistische Philosophie entstand, wurde erst von DIETER HENRICH entdeckt. HANNELORE HEGEL hat die Räsonnements dann nach den Abschriften von KIRCHNER ediert imd in einer ausführlichen Interpretation deren Bedeutung für die Diskussion zwischen HöLDERLIN, SINCLAIR, ZWILLING und Hegel sichtbar gemacht. ®
Es ist diesem Frankfurt-Homburger Kreis gemeinsam, daß man in ihm FICHTES Denken als fixierende und trennende Reflexion faßt und dieser Reflexion das eine „Sein" (im Sinne SPINOZAS) vorausliegen läßt, zu dem die „Ästhetik", die Erfahrung der Schönheit oder die religiöse Erhebung den Zugang gewährt. Aus den Frankfurter Diskussionen erwächst konsequent der Jenaer Ansatz Hegels: Reflexion selbst sich in Spekulation aufheben zu lassen und so das Absolute als eine gegliederte Totalität zu fassen. In dem ältesten Lexikonartikel über Hegel, der wohl nicht ohne die Mitwirkung von Hegel selbst zustande gekommen ist, wird denn auch die Jenaer Position aus der Frankfurter Auseinandersetzung mit FICHTE abgeleitet: „Einiges Vermögen, welches ihm nach seines Vaters Tode zufiel, setzte ihn in den Stand, nach Jena zu gehen, um daselbst die Idee von der Philosophie, die sich in ihm, besonders nach vollendetem Studium der FicHTEschen Wissenschaftslehre gebildet hatte, weiter zu verarbeiten und in nähern Umgang mit seinem frühem Universitätsfreund ScHELLiNG zu kommen, der damals Professor in Jena war." Zwar wird hier neben den Berühmten — neben FICHTE imd SCHELLING — ’’
• Die näheren Literaturangaben bei Hannelore Hegel: Isaak von Sinclair zwisdien Fichte, Hölderlin und Hegel. Frankfurt a.M. 1971. ’’ Friedhelm Nicolin hat nachgewiesen, daß dieser Artikel in seiner ersten Form früher erschienen ist, als man bisher annahm, und daß A. Wendt mit Sicherheit sein Verfasser ist. Vgl. Der erste Lexikon-Artikel über Hegel (1824). In: HegelStudien 7 (1972), 113—122.
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OTTO PöGGELER
jener nidit genannt, der wahnsinnig geworden und in Vergessenheit geraten war: HöLDERLIN, der doch entscheidend die Auseinandersetzung mit FICHTE geprägt, seine Freunde und unter ihnen auch Hegel auf neue Bahnen des idealistischen PhilosopKerens gelenkt hatte. Aber mit dieser Einschränkung bezeugt das Dokument von 1824 richtig, was lange nicht gesehen worden ist, was in den Einzelheiten auch erst noch nachzuweisen bleibt: die Bedeutimg, die die Auseinandersetzung des HöLDERLINkreises mit FICHTE für die Entwicklung von Hegels Philosophieren in Frankfurt hatte. Freilich: der Blick auf den Frankfurt-Homburger Kreis, in dem HöLDERLIN sicherlich eine führende Rolle spielte, darf mcht dazu führen, HöLDERLIN vorschnell in einer allzu fichteanisierenden Weise begreifen zu wollen. Es könnte ja sein, daß die Auseinandersetzung mit FICHTE für HöLDERLIN lebenswichtig war, daß FICHTE für HöLDERLIN aber, als die Auseinandersetzung gelungen war, an Bedeutung verlor gegenüber Traditionen imd Tendenzen, die HöLDERLINS Dichten und Denken in tieferer Weise bestimmt hatten imd weiter bestimmten. So wichtig für Hegel die kritische Aneignung von HöLDERLINS Auseinandersetzimg mit FICHTE gewesen sein mag — es geht zu weit, in ihr die letzte entscheidende Wende auf dem Denkweg Hegels, die Ausbildimg dessen, was dann später Dialektik genannt wurde, finden zu wollen. ® Auch könnte das Verhältnis zwischen HöLDERLIN und Hegel ebenso entscheidend wie durch die FICHTEdiskussion durch den Versuch bestimmt gewesen sein, „Schönheit", dieses Leitphänomen, von der griechischen Tragödie her als ein „tragisches" Geschehen zu denken (Hegel suchte in Frankfurt, als HöLDERLIN an die Gestaltung des Empedokles ging, das Schicksal CHRISTI als ein tragisches zu fassen). Schließlich hat HöLDERUN nicht von ungefähr neben dem Philosophieren gleichgewichtig das Politisieren genannt, und in diesem Politisieren können Motive für das Dichten und Denken der Freunde gelegen haben, die ebenso entscheidend waren wie die Motive einer allzu abstrakt aufgefaßten FicHTEdiskussion, die mit dieser Diskussion auf ® Vgl. Dieter Henrich: Hegel im Kontext. Frankfurt a.M. 1971. 35 ff. — In einer weniger differenzierten und historisch festgelegten Form hat auch Dilthey von Hegels Frankfurter Konzeption der Liebe als Vereinigung gesagt: „Da sieht einem plötzlich dunkel der kommende Grundgedanke des Systems entgegen, und es ist Fichte, dessen Begriffe vom absoluten Ich, von der Reflexion in sich selbst, der Entgegensetzung und Vereinigung hineingetragen werden in diese mystische Sphäre von Liebe und Leben, und vielleicht wirkt Schellings Umformung Fichtes sdion hinein ... Werden diese Sätze aus der religiösen Gemütssphäre vollständiger herausgehoben, so entstehen die Formeln der ersten Schriften Hegels ..." {Wilhelm Diltheys gesammelte Schriften. Bd 4. 98 f.)
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das engste verbunden waren. Die Erforschung dieses Feldes im ganzen hat dadurch eine wichtige Wendung gewonnen, daß die Bedeutung des sog. ältesten Systemprogramms neu diskutiert wurde. ® Wie immer dieses Programm entstanden sein mag — man wird es nicht mehr wie bisher selbstverständlich auf die Linie HöLDERLIN-SCHELLING plazieren dürfen. Es kann wohl kein Zweifel sein, daß dieses Programm — wenn lücht es selbst, so doch sein Gedankengang — aus der Diskussion des Frankfurt-Homburger Kreises stammt oder doch in sie eingeführt worden ist. So hat sich in der Frage, wie HöLDERLIN, SINCLAIR und Hegel miteinander verbunden waren, ein Forschungsfeld aufgetan, durch das die rechte Sicht der Genesis des Deutschen Idealismus in einer grundsätzlich neuen Weise zur Erörterung gestellt ist.
II. An dieser Stelle soll nicht auf die eigentlichen Sachprobleme eingegangen werden, die mit dem Versuch verknüpft sind, die Bedeutung der Freundschaft zwischen SINCLAIR, HöLDERLIN und Hegel für das Dichten, Denken und Handeln in der „GoEXHEzeit" zu würdigen. Auch in der Sphäre des Äußerlich-Historischen gibt es schon Streitfragen und Unklarheiten, die mit schwerwiegenden Meinungsverschiedenheiten und Deutungsunterschieden verknüpft sind. Zu diesen Fragen soll hier etwas gesagt und mitgeteilt werden, und zwar zuerst für das Verhältnis zwischen SINCLAIR und Hegel. Daran kaim kein Zweifel sein: die überlieferten Dokumente zeigen den Zustand von Universität und Stift Tübingen um 1790 und die Parallelen zur heutigen Zeit besser als die Büttelszene, die PETER WEISS aufführen läßt (wobei er den Ephorus SCHNURRER zum Büttel macht, der — als fähiger Orientalist — der Lieblingslehrer eben jenes SC^IELLING war, der • Aus einer Tagung des Hegel-Archivs der Ruhr-Universität Bochum und der Internationalen Vereinigung zur Förderung des Studiums der Hegelschen Philosophie im Haus Villigst bei Sdiwerte entstand ein Sammelband mit Diskussionsbeiträgen zur Frage des Systemprogramms, der als Beiheft 9 der Hegel-Studien erscheint (Hegel-Tage Villigst 1969. Das älteste Systemprogramm. Studien zur Frühgeschichte des deutschen Idealismus. Hrsg. v. R. Bubner. Boim 1973). In seinem Aufsatz Poesie und Politik beim frühen Hegel zeigt JosS M. Ripalda in dem vorliegenden Band der Hegel-Studien, daß ein Gedanke, den man immer wieder als hegelfremd ausgibt, schon Garve und Herder angehört und von Hegel seit seiner Gymnasiastenzeit rezipiert wurde: der Gedanke, daß die Poesie, damit die „poetische" oder mythologische Religion, politische Einheit — die Einheit zwischen dem Weisen und dem Volk — zu stiften hat.
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der führende Kopf der jüngeren revolutionären Gruppe im Stift gewesen zu sein sdieint). Ein Gutachten zur Verbesserung des Stifts (wohl von 1791), das dem Herzog vorgelegt wurde, zählt unter die Mängel in Ansehung des Wissenschaftlichen den „Ekel vor dem soliden, mühsamen Studio", „Verachtung der Theologie, Hang mit heterodoxen Meinungen zu prahlen, ohne sie geprüft zu haben", unter die Mängel in Ansehung des Sittlichen „Hang zur Frivolität", „Geringschätzung der Gesetze, Unbotmäßigkeit, falscher Freiheitssinn, Mangel an praktischer Lebensklugheit", „Abneigung vom Geistlichen Stand, Wunsch, das nicht zu sein rmd zu sdieinen, was man ist und sein sollte". Unter den Quellen dieser Mängel werden angegeben „der Geist des Zeitalters", „die Revolution in der protestantischen Theologie", „der größere Luxus aller Stände" (welcher den Stipendiaten die Beschränkungen lästig mache), „hauptsädilidi aber der leidenschaftliche Drang nach mißverstandener Freiheit", dazu der „Zerfall" und die Antiquiertheit des Universitätsbetriebs. Nadi diesem Urteil „von oben" kann man sich denken, wie die Studenten ihre Lage sahen. Ihre Kritik ist bekarmt, und immer neu diskutiert wurde die Begeisterung der Stiftler und der anderen Studenten für die Französische Revolution und für KANTS Revolution der Denkart. Daß Hegel auf die revolutionäre Seite gehörte, steht fest. Für die Gesinnung der Studenten mag hier exemplarisch eine Stelle aus dem Brief stehen, den SINCLAIR als Rechtsstudent am 11. Oktober 1793 aus Tübingen an einen älteren Freund schrieb (an FRANZ WILHELM JUNG, der zu den „Homburger Revolutionsschwärmern" gehörte, die Beziehung zu den Mainzer Klubisten hatten): „Aber man darf die gute Gelegenheit nidit versäumen, die einem jetzt der Einfall der Franzosen gibt, man muß alles anwenden, das Volk in Gärung zu bringen und aus seinem Schlummer zu erwecken . .. Dann könnte man sie leicht lenken. Man müßte Klub, Kokarden, kurz alles schon haben: Volksfeste, Erlassung der
So äußerte sidi der Regierungsrat E. F. Georgii, der vergeblich für sinnvolle, mäßige Reformen eintrat. So konnte deim Hölderlin im Februar/März 1792 an seine Schwester schreiben: „Die neueren Nachrichten lauten gar nicht gut. Georgii allein protestierte wider des Herzogs Einfälle, wurde aber überstimmt . .Vgl. Fticdhelm NicoUn: Zu Hölderlins Bildungsgang. Dokumente — Hinweise — Berichtigungen. In: Hölderlin Jahrbuch 1969/1970. Tübingen 1972. 228—253, vor allem 250 ff. Freilich fragt sich, ob romantisierende Legenden wie die vom Tanz um den Freiheitsbaum Hegels Ringen um die rechte und nüchterne Fortführung der Revolution nicht zu sehr verdeckt haben. Vgl. dazu meinen Vortrag vom Hegelkongreß in Rom 1970: Philosophie und Revolution beim jungen Hegel (Filosofia e rivoluzione nel giovane Hegel.) In: Enciclopedia 72. Istituto dell'Enciclopedia Italiana. Roma 1971. 217—245.
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Steuern, neue Kreationen der Beamten. Eine gute Zeitung könnte viel tun, und da habe ich an Homburg gedacht.. Daß SINCLAIR sein Augenmerk richtet auf die Stiftler „im Kloster" — so auf RENZ, den opponierenden Primus von HöLDERLINS und Hegels Promotion — ist bezeugt. HöLDERLIN wurde im Oktober 93 (als er Tübingen schon verlassen hatte) von SINCLAIR für eine Hofmeisterstelle empfohlen. Freilich zeigt die Art der Empfehlung, daß es zu einer engeren Bekanntschaft noch nicht gekommen war. Hat SINCLAIR, der Rechtsstudent, Hegel, den vor dem Examen stehenden Theologen, während der gemeinsamen Studienzeit an der kleinen Universität kennengelemt? Als HöLDERLIN mit SINCLAIR in Jena eine enge Freundschaft geschlossen hatte, schrieb er im November 95 von SINCLAIR (der inzwischen nach Homburg zurückgegangen war) an Hegel: „Er läßt Dich herzlich grüßen; er ehrt Dein Andenken, wie immer." Daß dieser Satz nicht besage, Hegel und SINCLAIR seien schon von ihrer Studienzeit her miteinander bekannt gewesen, müssen in dieser oder jener Weise HANNELORE HEGEL und DIETER HENRICH behaupten: sie finden in SINCLAIRS Gedicht Die Bekanntschaft eine „Reportage" über die erste Begegnung zwischen Hegel und SINCLAIR, und gemäß dieser „Reportage" soll Hegel nach seiner Übersiedlung nach Frankfurt von HöLDERLIN als ein Unbekannter dem Freunde SINCLAIR in Homburg vorgeführt worden sein. Ja, dieses Gedicht soll auch die geistige Situation aufschlüsseln, in der Hegel, HöLDERLIN und SINCLAIR während ihrer Frankfurt-Homburger Wiederbegegnung oder Begegnung standen! Solchen Spekulationen gegenüber habe ich die AufVgl. Christian Waas: Franz Wilhelm Jung und die Hamburger Revolutionsediwärmer 1792—94. In: Festschrift Heinrich Jacobi zum 70. Geburtstag. Forschungen zur Hessen-Homburgischen Geschichte. Bad Homburg v. d. Höhe 1936. 31—80, vor allem 45 f. Käthe Hengsberger (Isaak von Sinclair, der Freund Hölderlins. Berlin 1920. 36 f) gibt meines Erachtens schon ein abgewogenes Urteil ab: sie köime sich der oft vertretenen Meinung nicht anschließen, daß Sinclair schon in Tübingen mit Studiengenossen wie Hegel oder Hölderlin „in nahe freundschaftliche Verbindung getreten" sei; immerhin möge „der Grundstein zur späteren Freundschaft gelegt worden sein". Daß Sinclair Hölderlin als Hofmeister empfehle, besage nicht viel, da er auch andere Stipendiaten vorschlage. Vielleicht habe schon der gewisse Gegensatz zwischen den „Stiftlern" und den übrigen Studierenden einem innigeren Verkehr entgegengestanden. Käthe Hengsberger verweist auch darauf, daß Sinclair mannigfache Beziehungen zu Stuttgart hatte, z. B. auch Stäudlin, dem Freund Hölderlins und Hegels, seine Empfehlungen sandte. Sie bemerkt dann: „Es muß dahingestellt bleiben, ob Sinclair jetzt schon mit Hegels Familie bekannt wurde." Sie verweist auf eine Bemerkung, die Rosenkranz in Hegel's Leben (S. 82) macht: „Sinclair war auch mit Hegel's Familie bekannt und hielt besonders Christianen sehr hoch." Auch gibt sie an, daß Sinclair in seinem Brief vom 16. 8.1810 (den auch Rosenkranz kaimte; vgl. Hegel's Leben. 269) Hegels Schwester grüßen läßt.
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fassung vertreten, daß alles dagegen spricht, daß Hegel der unbekannte Ankömmling des SiNciAiRschen Gedichts Die Bekanntschaft sein könnte, daß dieser Unbekannte vielmehr einer jener Frommen, christlich-romantisch Denkenden ist, die den Idealismus als Hybris verwerfen und sidi auf die schon gewordene Offenbarung, den „Glauben der Väter" berufen. Wie kann man den Hegel, der von Bern nach Frankfurt übersiedelt, nur in einer solchen Gestalt wiederfinden wollen? Darf man dieser Frage gegenüber die Gegenfrage stellen, wer es dann gewesen sein könne? HANNELORE HEGEL meint: „Andere Bekannte SINCLAIRS wie FICHTE, SCHELLiNG, ZWILLING, MOLITOR, BRENTANO etc. scheiden nach näherer Überprüfung aus." Auffällt, daß hier die Namen WINDISCHMANN und FRIEDRICH SCHLEGEL nicht ausdrücklich erwähnt sind. Im Oktober 1812 berichtet SINCLAIR von Aschaffenburg aus an Hegel vom Besuch WINDISCHMANNS und ScHELVERs; „ .. . wir verbrachten einige vergnügte Tage hier zu, die mich sehr lebhaft an die imsrigen nüt HöLDERLIN und ZWILLING erinnerten, die mir immer unvergeßlich sein werden." Im Herbst 1812 weilte an DALBERGS Hofe in Aschaffenburg auch JOHANNES SCHULZE und traf dort mit WINDISCHMANN zusammen. Ob SINCLAIR und SCHULZE sich hier kennenlernten, ist lüdit sicher bezeugt; jedenfalls befreundeten sie sich in diesen Jahren, und diese Freundschaft hatte für die HöLDERLINwie für die Hegeledition (wie noch zu zeigen sein wird) ebenso glückliche wie unglückliche Konsequenzen. Was nun FRIEDRICH SCHLEGEL angeht, so sagt KäTHE HENGSBERGER mit Verweis auf die ältere SINCLAIR-Arbeit HAMELS; „SINCLAIR war mit ihm und TIECK im Jahre 1806 in Frankfurt zusammengetroffen ... WahrZum einzelnen vgl. den ersten Teil meines Aufsatzes Hölderlin, Hegel und das älteste Systemprogramm in dem in Anm. 9 genannten Beiheft der Hegel-Studien. “ Vgl. Käthe Hengsberger: Isaak von Sinclair, der Freund Hölderlins. 69 Anm., 79; Briefe von und an Hegel. Hrsg. v. J. Hoffmeister imd R. Flechsig. Hamburg 1952 ff. Bd 1. 416 f. — Zum folgenden vgl. Käthe Hengsberger. 86 Anm., 63; Gedichte von Crisalin (d. i. Sinclair). Frankfurt a.M. 1811. Bd 1. 287 f (An Hölderlin), 233 f (An Molitor); Bd 2. 188 ff (Die Bekanntschaft). Man setzt das Erscheinen des zweiten Bandes der Gedichte Sinclairs gewöhnlidi auf das Jahr 1813; ein mir vorliegendes Exemplar zeigte jedoch das Erscheinungsjahr 1811. Frau Dr. Hannelore Hegel stellte daraufhin freundlicher Weise fest, daß die Exemplare des zweiten Bandes mit zwei verschiedenen Titelblättern erschienen sind, von denen eines die Jahreszahl 1811, das andere die Jahreszahl 1813 trägt. — Wann immer nun der zweite Band fertiggestellt und gedruckt worden sein mag — auch bei einem Erscheinen erst im Jahre 1813 bleibt es wegen der Kürze der Zeit, die zwischen der Begegnung mit Windischmann und dem Erscheinen der Gedichte liegt, unwahrscheinlich, daß Windischmann der angesprochene Unbekaimte in dem zur Debatte stehenden Gedicht sein könnte.
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sdieinlich fällt auch in dieses Jahr SCHLBGELS Besuch bei SINCLAIR in Homburg, den HAMEL a.a.O. erwähnt. Sie besteigen laut den handschriftlichen Vorarbeiten HAMELS gemeinsam mit Geheimrat SCHELLENBERG und Professor MOLITOR, bei dem SCHLEGEL in ,Hädernheim', nicht in Frankfurt gewesen sein soll, den Feldberg. Damals soll SCHLEGELS Gedicht ,Auf dem Feldberg 1806' entstanden sein." Am 23. Mai 1807 bezog SINCLAIR sich in einem Brief an Hegel auf die Gespräche mit SCHLEGEL und TIECK; er berichtete, HöLDERLIN sei bei Dr. AUTENRIETH in Tübingen in der Kur, und urteilte über HöLDERLINS Gedichte aus SECKENDORFFS Musenalmanach: „in seinem jetzigen Zustand verfertigt, die ich aber für unvergleichlich ansehe und die FR. SCHLEGEL und TIECK, die ich voriges Jahr darüber sprach, für das höchste in ihrer Art in der ganzen modernen Poesie erklärten". HöLDERLIN und sein Dichten und Denken sind also anwesend gewesen in den Gesprächen, die SINCLAIR mit Besuchern wie SCHLEGEL und TIECK und wohl auch einem Freund wie MOLITOR führte (MOLITOR hat SINCLAIR eine Arbeit gewidmet, als dieser aufgrund der Anklage auf Hochverrat in Haft war; mit Hegel war MOLITOR nicht persönlich, sondern nur durch Empfehlung und als Schriftsteller bekannt). Ist SINCLAIRS Gedicht An Hölderlin von 1800 noch ganz auf die Zukunft gerichtet, die „wie ein Tempel schön" sich vor dem Bund der Freunde auf schließe, so gedenkt das Gedicht An Molitor von 1809 der Freunde, die schon dahingegangen sind: das Wort der Gebliebenen soll sie ehren, sie zum Ruhm verklären „auf die künft'gen Zeiten fort"; vollbracht werden soll, was die Dahingegangenen nicht mehr vollbrachten: „Denn wenn Geister sich vereinet. Waltet Ewigkeit; Eines Lichtes Glanz erscheinet. Unvergänglichem geweiht. Doch das eine laß uns achten, ,Denket dieser Zeit;' Nicht nach Hoffnung nur zu trachten. Und was Zukunft einst verleiht."
Sollte es nicht möglich gewesen sein, daß SINCLAIR einem Besucher wie FRIEDRICH SCHLEGEL oderWiNDiscHMANN (oder wer sonst davon sprach, daß das „Werk des Höchsten" verderbt worden sei) sein Einverständnis mit den Grundgedanken HöLDERLINS und so auch die eigene Auffassung entgegengehalten habe? Mit den Versen des Gedichts Die Bekanntschaft:
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„Lebt da Liebe nicht in Wahrheit, Wo die Wesen eint ein Leben ?'' Die Tatsache, daß dieses Gedicht nicht den Titel trägt „An .. daß der Name des Besuchers nicht genannt wird, wiese dann darauf hin, daß dieser Besucher mit SINCLAIR nicht so eng befreundet war wie HöLDERLIN oder MOLITOR und Hegel. Fragen wir nun, wie die Begegnung zwischen HöLDERLIN, SINCLAIR, ZWILLING und Hegel im Frankfurter Raum wirklich geschehen sein mag, so weist alles darauf hin, daß die hohe Zeit des Gespräches gleich nach Hegels Ankunft, also in den ersten Monaten des Jahres 1797 lag, daß das Philosophieren und Politisieren später aber nicht abbrach, auch nicht, als HöLDERLIN 1798 nach Homburg ging. Hegel wohnte in einem der vornehmsten Häuser, dem Haus zur Goldenen Kette des Weinhändlers GOGEL, dazu an einem der schönsten Plätze der Stadt, dem Roßmarkt. Im Juli 1795 hatte Frau Rat GOETHE das Haus am Hirschgraben aufgegeben, um Luft, Licht und Sonne im Haus zum Goldenen Brunnen am Roßmarkt zu suchen; beim Verkauf der Weine aus dem Keller des alten Hauses hatte freilich der Weinhändler DICK den Weinhändler GOGEL überboten. Die Frau Rat beschreibt sehr schön das neue Wohngebiet, das sie ja bald mit dem jungen Hegel teilte: „Aber nun die Aussicht! . . . Die Hauptwache ganz nahe. Die Zeil — da sehe ich bis an Darmstädter Hof. Alles, was der Catharinenporte hinein und heraus kommt, so mit der Bockenheimer Straße und so weiter! . . . Und Sonntags, wenn die Catharinenkirche aus ist und die Wachtparade dazu kommt, so siehts auf dem großen Platz aus wie am Krönungstag . . (Seltsam, sich diesen Zustand heute zu vergegenwärtigen, wo das Frankfurter Zentrum zwischen Roßmarkt, Hauptwache und Katharinenkirche täglich von fast einer halben Million Menschen frequentiert wird, die — zum mindesten nach der städtischen Werbung — dort alles finden, was der Großstädter einer hochentwickelten Industrienation begehren kann.) Weltentsagung, so schreibt Hegel der Freundin seiner Schwester, sei in Frankfurt nicht gefragt, und so habe auch er sich entschlossen, „mit den Zum einzelnen vgl. die Einleitung meines Aufsatzes Hölderlin, Hegel und das älteste Systemprogramm in dem Anm. 9 genannten Beiheft der Hegel-Studien. Vgl. Ernst Beutler: Essays um Goethe. 4. Aufl. Wiesbaden 1948. 61. — Es war vielleicht nicht nur die stete Verwechslung von „Systemprogramm" und „Systemfragment", sondern auch der genius loci, wodurch Ernst Beutler zu dem Satz veranlaßt wurde; „Bei Gogel, dem ersten Weinhändler der Stadt, war wenige Jahre später der jimge Hegel als Hauslehrer und entwarf da sein berühmtes ,Systemprogramm' ..." (60)
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Wölfen zu heulen". Er ließ die Komödie, die Bälle so wenig aus wie das Baden im Main. Und er hatte nicht nur Verkehr mit Freunden wie SINCLAIR und HöLDERLIN. Noch 1801/02 scheint er Bücher — er nennt die erste Auflage von HERDERS Gott in Frankfurt gehabt zu haben (jedenfalls hatte er sie nicht in Jena). SINCLAIR konnte noch 1810 Hegels neue Nürnberger Adresse in Frankfurt erfragen. Hegel verkehrte in Frankfurt z. B. im Hause EHRMANNS, der nicht nur als wissenschaftlicher Gegner des Anatomen SöMMERING bekannt wurde, sondern auch — wie er selbst im März 99 an FIC:HTE schrieb — in Frankfurt eben jene Appellation von FICHTE gegen die Anklage des Atheismus verbreitete, aus der Hegel im sog. „Systemfragment von 1800" Formulierungen übernahm. Vor allem hatte Hegel Anschluß an die Familie des Theologen HUFNAGEL, der — Senior des geistlichen Ministeriums in Frankfurt — sich um die Betreuung der Frankfurter Hauslehrer verdient machte. Offenbar hat Hegel 1803 (also nach SCHELLINGS Weggang von Jena) bei HUFNAGEL wegen einer Stelle an einem Frankfurter Gymnasium, also wegen der Möglichkeit einer Rückkehr nach Frankfurt, nachgefragt. Hegel scheint — entgegen der Legende, die man aufgebracht hat — durchaus in Frankfurt „zuhause" gewesen zu sein. Wenn Hegel 1810 im Entwurf eines Briefes an SINCLAIR schreibt: „Grüße mir auch den hohen Feldberg und Alkin, nach dem ich von dem unglückseligen Frankfurt so oft und so gern hinübersah, weil ich Dich an ihrem Fuße wußte", so ist die Rede vom unglückseligen Frankfurt Reflex auf die Mitteilung SiNCXAiRS vom Tode ZWILLINGS und von der Fortdauer des Wahnsinns beim „unglücklichen" HöLDERLIN — die Freunde waren sicherlich der Meinung, die Krankheit HöLDERLINS sei durch das persönliche und gesellschaftliche unglückliche Schicksal, das HöLDERLIN in Frankfurt traf und dessen Verlauf Hegel aus nächster Nähe miterlebte, ausgelöst worden. Die Bekanntschaft der Freunde, ihr „Bund der Geister", ging über das Diskutieren hinaus. Wie SINCLAIR Hegels Familie, vor allem die Schwester —
Briefe von und an Hegel. Bd 1. 49, 52, 58, 55; 64, 66 ; 320 f; 309, 315; 64 f, 68 f; 333, 322. — Hegel nennt einen Taunusberg „Alkin", was Hoffmeister zu „Altkönig" modernisiert. Sinclair hat im 2. Band seiner Gedichte (S. 30) die Schreibung „Altkün" — in einem Gedicht mit der Titelei: „Der Lindwurm vom Scharterwald. (Zwischen dem Feldberg und Altkün)." Rosenkranz schreibt „Alken"; sein Abdrucke des Entwurfs eines Briefes von Hegel an Sinclair hat verschiedene Varianten gegenüber Hoffmeister und Karl Hegel; vor allem nennt der Schluß auch Hölderlin: „Auch MoUtor ... bitte ich, wie Hölderlin, gleichfalls zu grüßen." {Hegel's Lehen. 271). Aus Unterlagen Hoffmeisters geht hervor, daß ihm für den Schluß des Briefes und damit für den fraglichen Satz das Originalkonzept nicht mehr zur Verfügung stand, so daß er diesen Schluß nach der Briefausgabe von Karl Hegel druckte (in der schon „wie Hölderlin" fehlt).
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kannte, so kannte Hegel SINCLAIRS Mutter. Daß die Freunde die Taunusberge sich erwanderten, sich in Bonames, der Ortschaft zwischen Frankfurt und Homburg, trafen, bestätigt die Tagebucheintragung, die sich die Prinzessin WILHELM VON PREUSSEN, geb. MARIANNE VON HESSEN-HOMBURG, im März 1830 nach einem Essen mit dem Rektor der Berliner Universität, dem „weltberühmten Professor Hegel", machte. Die Prinzessin war verlegen gewesen und hatte nicht gewußt, wie sie das Gespräch führen sollte: da fiel mir Herr von SINCLAIR ein, daß er ihn als genannt in alter Zeit — ich fing von ihm an — da sprach er von ihm, von Bonamös, von seinen Wanderungen mit ihm auf unseren Bergen, nannte jeden bei Namen — da fing er von HöLDERLIN an, der für die Welt verschollen ist — von seinem Buch Hyperion Die Stelle „ihn als genannt" ist entweder mundartlich bedingt und somit zu lesen in dem Sinne: „ihn öfter genannt" — oder der Satz ist hier entstellt und inhaltlich etwa so zu ergänzen: daß SINCLAIR Hegel als Freund dem Homburger Hof genannt habe, und zwar in alter Zeit, also um 1800. Merkwürdiger Weise findet sich unter Hegels Frankfurter Niederschriften auch ein Stück, das ein Gedicht zu einer kirchlichen Feier für Prinzessinnen enthält; über Genesis und Charakter dieses prekären Stücks hat man aber noch nichts ausmachen können. Hegels Frankfurter Jahre gehören für uns zu den undurchsichtigsten seines Lebens. Hat Hegel, als er Mainz besuchte, Beziehung aufgenommen zu den Bekannten, die SINCLAIR und HöLDERLIN dort hatten? Hat er, der sich publizistisch in den Württembergischen Verfassungsstreit mischen wollte und darüber mit Freunden in Stuttgart korrespondierte, mit HöLDERLIN und SINCLAIR zusammen Beziehungen nach Württemberg gehabt und gepflegt? Wir wissen nicht einmal, ob Hegel sich mit den neuen Freunden getroffen hat, die SINCLAIR und HöLDERLIN in Rastatt gewannen und die zu ihnen nach Homburg kamen. ROSENKRANZ schreibt, Frankfurt habe Hegel wissenschaftliche Muße gewährt und ihm „auch eine soziale Welt, die ihm nach Herz und Geist zusagte", geschaffen. ROSENKRANZ sagt aber nicht nur, Hegel habe hier HöLDERLIN, SINCLAIR und ZWILLING getroffen; er behauptet auch, er habe hier „den Philosophen MUHRBECK, der später in Greifswald starb", gefunden. „Hier berührte er sich mit BERGER, mit ERICHSON, mit ERHARD". Worauf ROSENKRANZ diese Briefe von und an Hegel. Bd 1. 165, 322, 332, 355, 396. Vgl. auch Anm. 13. — Zum folgenden vgl. Werner Kirchner: Hölderlin. Aufsätze zu seiner Homburger Zeit. 120; Dokumente zu Hegels Entwicklung. Hrsg. v. J. Hoffmeister. Stuttgart 1936. 385 ff. *'* Rosenkranz: Hegel's Leben. 81. — Zum folgenden vgl. Briefe von und an Hegel. Bd 1. 165, 108, 74.
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Behauptungen stützt und was an ihnen ist, bleibt unklar. SINCLAIR nennt brieflich gegenüber Hegel SIEGFRIED SCHMIDT als jemanden, „den Du als meinen und HöLDERLINS Freund kennen wirst". Ein anderes Mal spricht SINCLAIR von SCHMIDT, HORN und v. SECKENDORFF SO, als ob sie Hegel selbstverständlich bekannt seien. EBEL, dessen Freund OELSNER Hegel in Bern bekannt geworden war, hatte Frankfurt für Paris vertauscht, als Hegel nach Frankfurt kam. So konnte Hegel ihn nicht persönlich kennenlemen; er hat aber offenbar Anteil genommen an dem Verhältnis, das HöLDERLIN ZU EBEL hatte und dem wir einen der schönsten Briefe über HöLDERLINS Verhältnis zur Revolution verdanken. In eben diesem Briefe teilte HöLDERLIN EBEL Hegels Ankunft in Frankfurt mit; noch 1803 bittet Hegel ScHELLiNG, HöLDERLIN Neuigkeiten über EBEL mitzuteilen, von dessen Schrift über die Schweiz Hegel wie von etwas spricht, das man kennen muß. JOHANNES BOBROWSKI gestaltet in seiner Erzählung Böhlendorff die Geschichte einer der Gestalten der HöLDERLiN-Generation, die nur allzu exemplarische Geschichte eines Menschen, der in seiner Jugend mit großen Erwartungen der Welt entgegentrat, keinen Platz in dieser Welt gewinnen konnte, dann im Wahnsinn durch seine Heimat, das Kurland, irrte und sich schließlich dort den Tod gab. BOBROWSKI verflicht in seine Erzählung wie eine Leitfrage den Satz des „ältesten Systemprogramms": „Wie muß eine Welt für ein moralisches Wesen beschaffen sein?". Ob BöHLENDORFF und Hegel, dem wir die Niederschrift des „Systemprogramms" verdanken, sich jemals getroffen haben, wissen wir bisher jedoch nicht. Dabei hätten Hegel, der 1798 in Frankfurt die Übersetzung und Kommentierung der CARTschen Flugschrift über das Verhältnis des Waadtlandes zur Stadt Bern veröffentlichte, und BöHLENDORFF, der Zeuge des Umsturzes in der Schweiz geworden war und später darüber publizierte, sich viel zu sagen gehabt in einer Zeit, wo die jungen revolutionären „Geister" neben der helvetischen Republik gern eine schwäbische Republik gesehen hätten. So soll hier auf beider Schriften über die Schweiz ein kurzer Hinweis gegeben werden. Im Waadtland hatte man 1791 den zweiten Jahrestag der Erstürmung der Bastille gefeiert; dieser Begeisterung für die Revolution waren die „Herren" von Bern mit Hochverratsprozessen und mit militärischer Gewalt entgegengetreten. Als Hegels Übersetzung der Schrift von GART, der ganz für die Waadt Partei nahm, erschien, standen die französischen Truppen in der Schweiz und hatten die Umbildung der politischen Verhältnisse erzwungen. War Hegels Publikation damit nicht schon bei ihrem Erscheinen überholt? Hegel verfolgte jedoch nicht nur aktuelle politische
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Ziele; er wollte vielmehr sichtbar machen, wie das Geschehen in der Schweiz in seinem kleinen Maße das Weltgeschehen, die abendländische Geschichte, widerspiegelt: daß die anfängliche Freiheit, getragen vom Gemeingeist, untergeht durch die Sucht nach Reichtümern und nach Streit, daß die „Blutlogik" der Gewalt ins Spiel gebracht wird, daß aber nun die Zeit gekommen ist, in der die gemeinsame Freiheit eine neue Verwirklichung finden muß und finden wird. Im Vorwort zu seiner Übersetzung koimte Hegel noch auf den Umsturz in der Schweiz hinweisen und sagen, die Begebenheiten sprächen „für sich laut genug". Hegel zitierte aus dem 6. Buch der Aeneis, was die Sibylle dort als Wort eines derer berichtet, die in der Unterwelt bestraft und gemartert werden, als Wort des Kriegers imd Verwüsters PHLEGYAS, über dessen Haupt ständig als drohender Felsen das Schicksal schwebt: „Laßt euch warnen und handelt gerecht" (den Schluß des Verses: „und ehret die Götter", läßt Hegel aus). Es kann nur darum zu tun sein, so sagt Hegel, die Begebenheiten „in ihrer ganzen Fülle kennen zu lernen; sie schreien laut über die Erde: Discite iustitiam moniti, die Tauben aber wird ihr Schicksal schwer ergreifen." In seiner Geschichte der Helvetischen Revolution von 1802 hat BöHEENDORFF eben dieses gezeigt, wie die Tauben von ihrem Schicksal ergriffen werden. Zwar zitiert er Hegels CARX-Übersetzung nicht, und vielleicht kermt er sie gar nicht; aber er beruft sich doch auf jenen, der auch von Paris aus mit dem Frankfurt-Homburg-Mainzer Kreis (so nüt HöLDERLIN und JUNG) in Verbindung blieb, auf J. G. EBEL: „Vergebens suchte ein Deutscher, der sich in Paris aufhielt und die Schweiz genau kannte, der würdige EBEL .. . durch die dringendsten Zuschriften an seine Freunde in der Schweiz, die Regierungen mit den Gefahren bekannt zu machen, die ihnen augenscheinlich drohten, und sie früh zu bestimmen, aus eigner Bewegung zu tun, was der Wille des Verhängrüsses war. Mancher bereute, seinen Rat unbefolgt gelassen zu haben." Auch BöHLENDORFF schildert ein exemplarisches Geschehen: wie der Weg zu mehr Freiheit und Gleichheit sich unaufhaltsam gegenüber dem Herrschaftsmonopol von wenigen Bahn bricht, wie aber Frankreich, die Nation der Revolution, sich auch mit Gewalt, Unterdrückung und AusUnter dem Titel Hegels erste Drudcsdirift hat W. Wieland einen Faksimiledruck der Cartschrift von 1798 veranstaltet (Göttingen 1970). — Böhlendorffs Geschichte der Helvetischen Revolution wurde gedruckt in: Geschichte und Politik. Eine Zeitschrift hrsg. v. Karl Ludwig Woltmann. Berlin 1802. Dritter Band 97—186, 216—308; vgl. vor allem 124 f. — Was Hegel von Oelsner lernen konnte, den er in Bern traf, habe ich in meinem Anm. 11 genannten Vortrag angegeben: daß die Republikaner — wie Oelsner über das Paris von 1792 schrieb — „durch die letzten Krämpfe wenigstens um zwölf Jahrzehnte zurückgewichen" sind.
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beutung in der Schweiz im ganzen durchsetzt und Schweizer gegen die französisischen Truppen die alte Freiheit heldenmütig verteidigen, wie also das Neue, die Helvetische Republik, nur schwer, unter großen Verwirrungen und unter Unrecht, zur Existenz kommt. Der Gedanke, der HöLDERLIN, SINCLAIR, HEGEL, EBEL, BöHLENDORFF gemeinsam war, kommt nicht zum Zuge: es sei besser, zeitig und freiwillig eine gerechte Verteilung von Macht und Reichtum vorzunehmen, die Tendenz zu mehr Freiheit und Gleichheit als Grundtendenz der abendländischen Geschichte zu sehen, sie nach ihren Vorteilen wie Gefahren hin zu erkeimen und sie so als Chance zu ergreifen.
Wenn wir nach den letzten Jahren fragen, die Hegel in Frankfurt verbrachte, dürfen wir eines nicht übersehen: daß Hegel durchaus nicht, wie es die gängige Meinung ist, von Frankfurt so bald wie möglich nur zu einem einzigen Ort und zu einem einzigen Beruf strebte: nach Jena in die Universitätslaufbahn. Im Januar 1799 starb Hegels Vater, im März reiste Hegel zu den Nachlaßverhandlungen nach Stuttgart und erbte eine Summe Geldes, die ihm die Möglichkeit gab, sich eine Zeitlang von beruflichen Bindungen unabhängig zu machen. Die Semestral-Berichte des Tübinger Stifts melden am 23. Mai 1800 von Hegel: „macht eine Reise". Die Konsistorialprotokolle zeigen, daß Hegel einen Antrag gestellt hatte, ihm den Besuch „einiger auswärtiger Universitäten" zu erlauben und einen Beitrag zu den Reisekosten zu geben. Doch erst im September 1800 stellte die Stadt Frankfurt Hegel einen Paß aus zum Besuch von Mainz. Die eine von Hegels geometrischen Studien, die aus der damaligen Zeit erhalten sind, ist datiert vom 23. September 1800 in Mainz. (Am folgenden Tage begann Hegel mit einer Überarbeitung seiner Positivitätsschrift. Hegel machte also nicht, wie ROSENKRANZ sich ausdrückt, nur einen (weiteren) „Ausflug" nach Mainz. Er arbeitete dort und wollte sich die französisch gewordene Stadt und jenes Unterrichtsvs^esen näher ansehen, für dessen Neuorganisation sich SINCLAIRS und HöLDERLINS Freund JUNG eingesetzt hatte und für das man — zeitweilig mit großen Aussichten — FICHTE hatte gewinnen wollen, um so die französische politische Revolution und die deutsche Revolution der DenBriefe von und an Hegel. Bd 4. 77. — Protokolle des Konsistoriums (Landeskirdilidies Archiv Stuttgart. Bestand A 3. Nr 65.) 13. Mai 1800. “*In einer Bestandsaufnahme Hegelsdier Manuskripte vermerkt Karl Rosenkranz 1841: „Der Kampf der Vernunftreligion mit der positiven Religion. (Hegels populärste Schrift, die er 96 anfing und noch im September 1800, wo er eine neue von St. Clair [= Sinclair] durchgesehene Vorrede dazu schrieb, wieder herausgeben wollte)." Vgl. F. Nicolin: Karl Rosenkranz als Herausgeber und Biograph Hegels. (Hegel-Studien. Beiheft 7.) Brief Nr 18.
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kungsart zusammenzuführen. Aber einige Wodien später, am 2. November, schrieb Hegel von Frankfurt aus — seine Adresse war immer noch das Haus GOGEL am Roßmarkt — den berühmten Brief an SCHELLING: der Weg führte nun statt zu einigen Universitäten und nur zu deren Besuch zu der einen Universität Jena und schließlich auch zu einer halben Anstellung an ihr. Die Arbeiten, die Hegel aus Bern und Frankfurt mitgebracht hatte, blieben nun liegen (obgleich Hegel in den ersten Jenaer Jahren die Schrift über die Verfassung Deutschlands noch auszuarbeiten suchte); für Hegel folgte die Bemühung, als Kritiker und Systematiker in der Philosophie sich durchzusetzen. Für HöLDERLIN folgte nach seinem Fortgang aus Homburg der schwere Weg, der bald im Wahnsinn endete. Für SINCLAIR folgten Jahre angestrengter Tätigkeit als Homburger Beamter und zwischenzeitlich ein Hochverratsprozeß in Württemberg. Von der erschüttenden Begegnung mit dem wahnsinnigen HöLDERLIN berichtete SCHELLING an Hegel. SCHELLING begegnete 1804 auch SINCLAIR, als dieser HöLDERLIN von Schwaben nach Homburg holte. („Es kam mir vor", so schrieb SCHELLING über SINCLAIR an Hegel, „daß mit den schnell zusammengerafften noch FicHXESchen Ideen er sich dann übrigens so ziemlich in die Plattheit begeben hat." Einige Jahre später, 1810, sprach SINCLAIR gegenüber Hegel von der „Scharlatanerie SCHELLINGS und seiner Konsorten, das nichts als Methodelosigkeit und unerwiesenes Geschwätz ist, das sich heuchlerisch hinter einen läppischen Enthusiasmus verbirgt".) Vom Herbst 1805 bis zum Frühjahr 1806 reiste SINCLAIR nach Berlin und besuchte unterwegs auch Hegel. Er schrieb dann von Homburg aus am 25. 4.1806 an Hegel: „Im Brief, den Du mir in Jena gabst, bat mit ERICHSON, Dich zu ersuchen um eine Kritik seiner und meiner Sammlung, die diese Ostermesse unter dem Titel Glauben und Poesie im Verlag der Real-SchulBuchhandlung zu Berlin herausgekommen ist." In der genannten Sammlung stand jene Abhandlung SINCLAIRS über dichterische Komposition, die bis in die einzelnen Formulierungen hinein HöLDERLiNsches Gedankengut verarbeitet. SINCLAIR zeigte sich Hegel dann auch als Dichter, und die beiden korrespondierten ausführlich über SINCLAIRS Dichtungen. SINCLAIR brachte mit seinem Besuch, bei dem er sicherlich ausführlich über HöLDERLIN gesprochen hat, mit seiner Abhandlung, die HöLDERLiNsche Gedanken wiedergab, mit seinen Dichtungen, die auf ihre Weise die Bemühungen HöLDERLINS fortsetzen sollten, Hegel in eine seltsame Situation. Briefe von und an Hegel. Bd 1. 82, 321. — Zum folgenden 108.
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Hegel spradi damals ja in seiner Phänomenologie, wenn auch ohne Nennung des Namens, sein Urteil über HöLDERLIN: die schöne Seele, die in unmittelbar dichterischer Weise in der Zeit der alles auflösenden Reflexion einen Sinn in der Welt sucht, wird zum harten Herzen, das die Welt verurteilt; die Spannung zwischen Selbst und Welt kann schließlich nur noch gelöst werden im geist- und spannungslosen Wahnsinn. Schon in seinen Jenaer Vorlesungen hatte Hegel seine Auffassung dargelegt, daß in den alten Zeiten das Kunstwerk das Werk aller gewesen sei und einer als der letzte nur es vollendet an den Tag gebracht habe, daß es so aber heute nicht mehr sei. „Wenn zu unseren Zeiten freilich die lebendige Welt nicht das Kunstwerk in sich bildet, muß der Künstler seine Einbildung in eine vergangene Welt versetzen; er muß sich eine Welt träumen, aber es ist seinem Werk auch der Charakter der Träumerei oder des Nichtlebendigseins, der Vergangenheit, schlechthin aufgedrückt." Wegen Hegels „Nachlässigkeit" im Schreiben brach der Briefwechsel 1807 ab; jedenfalls brachte Hegel diesen Entschuldigungsgrund vor, als SINCLAIR den Briefwechsel 1810 wieder aufgenommen hatte. Die beiden Freunde zeigten sich nun als Philosophen: Hegel mit der Phänomenologie und mit den ersten Teilen der Wissenschaft der Logik, SINCLAIR vor allem mit seiner Arbeit Wahrheit und Gewißheit. So kam noch ein Briefwechsel über grundsätzliche philosophische Fragen zustande. „In dem Stil und der Darstellung", so schrieb SINCLAIR über die Vorrede und die Einleitung zur Phänomenologie, „habe ich Dich und Deinen Eifer, dem ein flammendes Schwert zu Gebot steht, sehr erkannt und an die Zeit des Bunds unserer Geister gedacht, aus dessen Mitte das Schicksal uns die andern entrissen hat". 1813 wurde SINCLAIR dann Offizier, um am Kampf gegen NAPOLEON teilzunehmen. Aus dem revolutionsbegeisterten Studenten, dem Homburger Beamten, der voll Enthusiasmus zu den Generälen der französischen Revolutionstruppen aufschaute, dem Eingekerkerten, der unter der Anklage umstürzlerischen Hochverrats stand, war nun ein Politiker und Militär geworden, der auf Seiten Österreichs gegen Frankreich kämpfte und durch „Kriegslieder" zum „Befreiungskampf" aufrief. In der Sammlung VARNHAGEN hat KIRCHNER eine Schrift von SINCLAIR gesehen mit dem Titel: „Homburg v. d. Höhe 1813. Unter “ Rosenkranz: HegeVs Leben. 181. — Daß die Phänomenologie des Geistes Hegels Urteil über Hölderlin enthalte, hat erstmals Emanuel Hirsdt dargelegt: Die Beisetzung der Romantiker in Hegel Phänomenologie. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft imd Geistesgeschichte. 2 (1924), 510—532. “ Briefe von und an Hegel. Bd 1. 320, 331; zum folgenden 394 f u. ö.
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welchen Bedingungen könnte Teutsdiland in einem Staatskörper vereinigt werden?" Unter welchen veränderten Umständen klingt hier, kurz vor SiNCLAiRS Tod, nodi einmal das Thema jener Schrift über die Verfassung Deutschlands an, die Hegel zehn bis fünfzehn Jahre vorher hatte schreiben wollen! Hegel selber hatte freilich schon 1806 SINCLAIR bei dessen Reise nach Berlin gebeten, zu erkunden, ob es für ihn nicht eine Stelle an der dortigen, der preußischen Universität gäbe.
III. SiNCXAiRs Briefe an Hegel sind von HOFFMEISTER nur auszugsweise veröffentlicht worden; das HöLDERLIN-Archiv bewahrt freilich Photokopien der Originale, und so wünscht man sich eine vollständige, genau kommentierte Ausgabe dieser gewiß nicht uninteressanten Dokumente. Von Hegels Briefen an SINCLAIR sind nur zwei Briefentwürfe gedruckt worden. Wo sind die Briefe selbst? ROSENKRANZ hat eine Zeitlang nach diesen Briefen gesucht, und die Suche ist bis in unsere Zeit fortgesetzt worden. HANNELORE HEGEL hat die Nachrichten zusammenzustellen versucht, die uns über das Schicksal von SINCLAIRS Briefen an Hegel und überhaupt über den SiNCLAiR-Nadilaß überliefert sind. ROSENKRANZ schrieb am 7.1.1840 an den Sohn Hegels, KARL HEGEL: „.. . Sollte denn aber der [sc. Briefwechsel] mit ST. CLAIR auf immer verloren sein? Kann man nicht durch die Zeitung etc. etwas dafür tun? Wissen Sie das Wie dieses Verlustes?" Am 23. 6. 1844 gab ROSENKRANZ an VARNHAGEN die folgende Auskunft: „Über SINCLAIR kann Geheimrat SCHULTZE viel mitteilen. Bei ihm verbrannten Hegels Briefe an SINCLAIR." SCHWAB behauptet in der Einleitung zu den Ausgewählten Werken Hölderlins, daß „SINCLAIRS Nachlaß in ScHULTZES Hände gekommen, leider aber dort durch einen unglücklichen Zufall vernichtet worden" sei. KIRCHNER nennt in seinen Nachlaßheften diese Behauptung irrtümlich. (Gemeint ist nicht, wie von HANNELORE HEGEL angegeben, GUSTAV SCHWAB, sondern CHRISTOPH SCHWAB mit seiner HöLDERLiN-Ausgabe von 1874; die Angabe CHRISTOPH SCHWABS wurde schon von VARRENTRAPP, dem Biographen SCHULZES, zurückgewiesen, die Zurückweisung dann von KäTHE HENGSBERGER übernommen; darauf stützt sich wohl KIRCHNER.) K. SCHWARTE gibt dann noch in seiner Darstellimg Landgraf Friedrich V. von Hessen-Homburg und seine Familie (1878) die Bemerkung: „Welches Schicksal dieser Nachlaß gehabt ..., ist nicht Vgl. Hannelore Hegel: Isaak von Sinclair zwischen Fichte, Hölderlin und Hegel. 118. — Zum folgenden vgl. Briefe von und an Hegel. Bd 1. 107.
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ZU ermitteln gewesen . .. Nach einer unverbürgten Nachricht soll er
in Homburg ein Raub der Flammen geworden sein." HANNELORE HEGEL hat eine interessante Anmerkung übersehen, die THEODOR HAERING in seinem bekannten Hegelwerk gemacht hat. Er sagt über HöLDERLIN und Hegel: „Der Verkehr beider war auch nach der Tragödie im GoNXARDschen Haus, solange HöLDERLIN bei SINCLAIR in Homburg war, offenbar noch ein redit reger. Einerseits kam (nadi den Briefen der DIOTIMA) HöLDERLIN noch öfters nach Frankfurt herüber; andererseits sind, nach einem auf der Tübinger Universitätsbibliothek befindlidien Brief von ROSENKRANZ an den Sohn GUSTAV SCHWABS, der ihm auch das Gedicht „Eleusis" vermittelt hatte, zahlreiche Briefe Hegels wie HöLDERLINS an SINCLAIR bzw. auch von Hegel an HöLDERLIN, die sidi im Besitze SINCLAIRS befanden, von des letzteren Haushälterin, als er sie während eines Ausgangs einmal unaufgeräumt auf dem Tisch liegen ließ, verbrannt worden. Auch brieflich also blieben beide zunächst in Verbindung. Ist es zuviel vermutet, wenn man annimmt, daß diese Briefe in erster Linie auch Trostbriefe für HöLDERLIN waren und von Versöhnung des Schicksals handelten?" Das von HAERING erwähnte Dokument scheint nun wirklich interessante Perspektiven aufzureißen und Antwort zu geben auf Fragen, die wir offen lassen mußten. Der von HAERING genarmte Brief befindet sich jedöch auch heute in der Tübinger Bibliothek, und ein Einblick in ihn zeigt, daß TH. HAERING wie so oft wieder einmal alle Dinge durcheinander geworfen hat, seine Ausdeutungen völlig indiskutabel sind. Schon die Wiedergabe des Briefinhaltes ist unrichtig (statt von ScHULZEs Haushälterin spricht HAERING von SINCLAIRS Haushälterin, statt von Hegels Briefen an SINCLAIR von Briefen Hegels und HöLDERLINS usf.).
Hannelore Hegel: Isaak von Sinclair zwischen Fichte, Hölderlin und Hegel. 289 ff. Vgl. ferner C. Varrentrapp: Johannes Schulze und das höhere preußische Unterrichtswesen in seiner Zeit. Leipzig 1889. 138; Käthe Hengsberger: Isaak von Sinclair, der Freund Hölderlins. 81. Zum folgenden vgl. Theodor Haering: Hegel. Sein Wollen und sein Werk. Bd 1. Leipzig und Berlin 1929. 475. — Ausdrücklicii sei vermerkt, daß — entgegen der Angabe Haerings — Schwab nicht das Gedicht „Eleusis" an Rosenkranz vermittelte, sondern den Brief Hegels an Hölderlin, in dem Hegel sich zur Annahme der Hauslehrerstelle in Frankfurt bereiterklärte (so Rosenkranz 1844 in Hegel's Leben. III; Nachdruck: IX). Das Gedicht Eleusis ist vielleicht oder sogar wahrscheinlich gar nicht in Hölderlins Hände und unter seine Papiere gekommen. Vgl. dazu Friedhelm Nicolin: Karl Rosenkranz als Herausgeber und Biograph Hegels. (Hegel-Studien. Beiheft 7.) Anm. 1 zu Brief 18.
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Karl Rosenkranz an Christoph Th. Schwab Königsberg d. 13 Juli 43. Hochgeehrtester Herr, Ihr werthes Schreiben nebst Beilage habe ich richtig und mit großem Dank empfangen. Wenn mein kleiner Aufsatz über Hölderlin Ihnen Vergnügen gemacht hat, so ist das ein schöner Lohn für diese von mir wenigstens mit größter Liebe gemachte Arbeit. — Daß Sie das Gedicht Eleusis seinem Ursprung nach aus Frankfurt datiren wollen, scheint mir rücht richtig. Ich glaube, Hegel schrieb es noch in der Schweiz sehnsuchtsvoll, nachdem Hölderlin ihm die Stelle in Frankfurt angetragen. — Wegen des iv xal :iräv haben Sie Recht. Ich habe nachgesehen. Es war auf Waiblinger's Zimmer, wo Hölderlin in solches Hinbrüten darüber verfiel. Sie fragen mich wegen des Nachlasses von Sinclair. Derselbe war in den Händen des Herrn Geheimen Oberregierungsrathes Dr. Johannes Schulze zu Berlin. Auch Hegel's Briefe an Sinclair waren darunter. Hr. Schulze zu Wetzlar geht eines Tags aus, läßt die Papiere auf einem Stuhl pMe mMe liegen (so ungefähr) und seine Haushälterin (er war noch, als dies geschah, gar?on) hat sie wirthschaftlich verbraucht, ob verbrannt oder verputzt kann ich so genau nicht sagen. Aber vernichtet sind sie. Ich hatte mir Hegels Biographie halber viel Mühe gegeben, die Sachen zu bekommen und habe mit Noth, noch dazu mit dem Versprechen, diesen Untergang nicht durch den Druck veröffentlichen zu wollen, endlich das Obige erfahren. Doch müssen von Sinclair noch viele Briefe zerstreut existiren. Seine Briefe an Hegel sind noch fast sämmtlich erhalten. Ich habe sie bereits benutzt und Herbst 1842 nach Berlin cm die Frau Prof. Hegel zurückgesandt. Sinclair gibt darin von Hölderlin fast immer Nachricht, aber sehr kurz, da, seit er bei dem Tischler untergebracht war, wie Sie auch selbst sagen, sein Zustand sich nicht mehr entwickelte, sondern stagnirte. Hegel hat ihn unendlich geliebt. Wenn Sie die Meinung aussprechen, als ob Schelling auf Hölderlin so großen Einfluß geübt, so muß ich dem widersprechen; obwohl mir das Umgekehrte eher der Fall scheint. Schon a. 12t. Februar 1791 schrieb Hölderlin in Hegels Stammbuch Göthe's Worte: Lust und Liebe sind die Fittige zu großen Thaten. und als sein symbolum "Ev xai jiäv! Daher diese Worte ihm bei Waiblinger sogleich auffallen mußten. Hinterher hat Fichte in Jena ihn besonders angezogen, wie dies aus den Briefen Hegel's an Schelling hervorgeht, dem er immer von Hölderlin's Briefen an ihn (Hegel in der Schweiz) referirt.
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Ich bedauere, daß meine vielen Amtsgeschäfte und die sonstige Vielthuerei, die mit meiner Stellung in der Königsberger Gesellschaft einmal verknüpft ist, mich die Biographie Hegels noch immer nicht haben vollenden lassen — und bin doch, da mir Vieles noch klarer wird und zuwächst, wie jetzt von Ihnen, auch nicht so ganz unzufrieden damit. Wie gern käm' ich einmal nach Tübingen! Seit mehren Jahren ist es mein Wunsch. Statt dessen aber lebt meine Frau jezt in Deutschland, nachdem das hiesige Klima ihre Gesundheit äußerst heruntergebracht hat. Mit der Bitte, Ihrem verehrten Herrn Vater, so wie den Herrn Fichte und Schwegler und Baur mich bestens empfehlen zu wollen, mit nochmaligem Dank für Ihre gütige Mittheilungen Ihr ergebenster Karl Rosenkranz
Herrn stud. theol. Christoph Schwab frey Tübingen
Der Brief findet sich — unter der Signatur Mi XVII 23 — in der Handschriftensammlung der Universitätsbibliothek Tübingen. Herrn Bibliotheksrat Dr. SECK verdanke ich eine Xerokopie des Originals und die Vermittlung der freundlichen Erlaubnis der Universitätsbibliothek für den Abdruck. Im ersten Abschnitt des Briefes sind die Worte „noch in der Schweiz" am Rande mit Verweiszeichen eingefügt; im zweiten Abschnitt folgt auf „Auch Hegel's Briefe an" gestrichen: „Holder[lin]"; ferner sind die Worte „zu Wetzlar" an der betreffenden Stelle am Rande angefügt. Im letzten Satz des drittletzten Abschnitts folgt auf „noch klarer" gestrichen: „wächst". Im zweitletzten Abschnitt kann eventuell „gerne" statt „gern" gelesen werden; das Wort „mehren" ist — wie bei ROSENKRANZ öfter — als deklinierte Form von „mehr" zu lesen, hier also im Sinne von „mehreren". ROSENKRANZ setzt beide Male auf das „hen" den Akut statt des Gravis (so auch Hegel's Leben, S. 40, während im Literarhistorischen Taschenbudi, S. 95, das „hen" keinen Akzent, nur den Spiritus asper trägt; die richtige, hier auch eingesetzte Schreibung mit Gravis findet sich dagegen Hegel's Leben, S. IV; Nachdruck S. X).
Der Brief gibt auf clie Frage nadi dem Verbleib von Hegels Briefen an SINCLAIR eine klare Auskunft, Der „Nadilaß" SINCLAIRS kam in die Hände von Johannes Schulze, innerhalb dieses Nachlasses Hegels Briefe an SINCLAIR. Daß hier im strengen Sinn vom ganzen Nachlaß die Rede ist, darf man in Zweifel ziehen. SINCLAIR ist am 29, April 1815 in Wien,
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WO er sidi sdion mehrere Monate aufhielt, gestorben. JOHANNES SCHULZE
hat am 4. Juni 1815 in Hanau geheiratet, wo er von 1812 bis 1816 Schuldirektor war und engere Freundschaft mit SINCLAIR im benachbarten Frankfurt und Homburg schloß. Die Briefe Hegels sind durch ein Mißgeschick vernichtet worden, als SCHULZE noch garfon, also noch Junggeselle war. Unklar bleibt, wie ROSENKRANZ dazu kommt, am Rande als Ort des Mißgeschicks nicht Hanau, sondern Wetzlar anzugeben. Dort hat SCHULZE zwar das Gymnasium reorganisiert, aber von Koblenz aus, wo er nach seiner Verheiratung von 1816—1818 arbeitete. In jedem Fall sind Hegels Briefe an SINCLAIR schon sehr früh bei JOHANNES SCHULZE, also ehe dieser 1818 nach Berlin kam, vernichtet worden. Durch diese Nachricht wird auch klar, was bisher über die Briefe überliefert wurde: ROSENKRANZ suchte nach den Briefen und erhielt schließlich von SCHULZE eine Auskunft über deren Schicksal. Ob neben Hegels Briefen weitere Teile des Nachlasses vernichtet wurden, ist nicht ganz sicher. CHRISTOPH SCHWABS Angabe, SINCLAIRS „Nachlaß" sei bei SCHULZE vernichtet worden, ist in dieser globalen Form nicht haltbar und insofern auch zurückweisbar. Die Nachricht vom Verbrennen des Nachlasses in Homburg ist ganz unverbürgt, und man muß sie wohl auf sich beruhen lassen. JOHANNES SCHULZE, Freund SINCLAIRS, Verehrer HöLDERLINS, später Anhänger und Vertrauter Hegels, hat nicht gemocht, daß die Öffentlichkeit von seinem Mißgeschick erfahre. Wenn hier nun doch öffentlich davon gesprochen wird, so nur, um eine lange diskutierte Frage endlich aufzuklären. Ich meine, es fällt durch diese Veröffentlichung in keiner Weise ein Schatten auf JOHANNES SCHULZE — vielmehr soll im folgenden ausdrücklich neu ins Gedächtnis gerufen werden, wie eng dieser Mann, der das preußische Unterrichtswesen mitorganisiert hat, nicht nur Hegel, sondern auch SINCLAIR tmd HöLDERLIN verbimden WCH. Das Mißgeschick von JOHANNES SCHULZE erinnert uns daran, wie das, was wir Geist nennen, durch seine symbolische Struktur in sehr prekärer Weise an verletzbare und vergängliche Dinge geknüpft ist. Der Brief von ROSENKRANZ ist aber nicht nur interessant für die Frage nach dem Schicksal des SmcHAiR-Nachlasses. Er gibt auch einen interessanten Einblick in die Entstehung der HöLDERLIN- und Hegelforschung. ROSENZu den Einzelheiten vgl. die Angaben Varrentrapps, a.a.O., 168, 211; Varrentrapps Angabe (434), erst in Berlin sei Sdmlze in einen Bezug zu Hegel und zur Hegelsdien Philosophie gekommen, auch Sinclair habe ihn weder zu philosophischen Studien veranlaßt noch in nähere Beziehung zu Hegel gebracht, ist auf Grund des hier edierten Briefes wohl zu korrigieren. Über die Editionstätigkeit Schutzes — seine Arbeit an der Edition der Werke Windcelmanns und die spätere Herausgabe der Hegelschen Phänomenologie — berichtet Varrentrapp im einzelnen.
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KRANZ hatte in einer Vorbemerkung zu den Studien Aus Hegels Leben, die er im Literarhistorischen Taschenbuch von PRUTZ veröffentlichte, gebeten, ihm „Briefe, Aufsätze, Ktmden über Hegel" zukommen und ihn erfahren zu lassen, ob seine Behandlimg des Themas („Hegel's Leben") angemessen sei. ROSENKRANZ veröffentlichte diese Bitte in einer Zeit (1843), in der der kranke HöLDERLIN in seinem Turm am Neckar mehr und mehr Besuch erhielt imd als Kranker auch zu einer literarischen Berühmtheit winde (außer dem Bericht WAIBLINGERS konnte ROSENKRANZ ja die Erzählungen über HöLDERLIN und SINCLAIR benutzen, die BETTINA VON ARNIM in ihrem Buch über die GüNDERODE gab). Seit 1840 studierte CHRISTOPH SCHWAB im Tübinger Stift, der Sohn GUSTAV SCHWABS, der seinerseits schon zu seiner Studienzeit HöLDERLIN in seinem Zwinger gesehen hatte und an der ersten HÖLDERLiNausgabe beteiligt gewesen war. CHRISTOPH besuchte seit 1841 regelmäßig den kranken Dichter, führte über die Besuche Tagebuch und gab so nach WAIBLINGERS Berichten noch einmal eine getreue Sdüldenmg der Lebensführung des Kranken. Der Vater GUSTAV SCHWAB bekam noch im gleichen Jahr von HöLDERLINS Stiefbruder Materialien für eine HöLDERLiNbiographie. Ende 1842 erschien dann (datiert auf 1843) von GUSTAV und CHRISTOPH SCHWAB eine Ausgabe der Gedichte von HöLDERLIN mit einer Einleitimg Lebensumstände des Dichters. So ist es nicht verwimderlich, daß CHRISTOPH SCHWAB an ROSENKRANZ nach dem Erscheinen von dessen Arbeit schrieb und ROSENKRANZ ihm als Antwort den hier publizierten Brief zusandte. CHRISTOPH SCHWAB hatte das Gedicht Eleusis in die Frankfurter Zeit verlegen wollen. Diesen irrtümlichen Ansatz konnte ROSENKRANZ zurückweisen, denn das Gedicht ist ja von Hegel selbst auf den August 96 datiert. ROSENKRANZ hatte selbst den Irrtum veranlaßt: er hatte im Abdruck des Gedichts das Datum nicht mitgeteilt. Dann muß ROSENKRANZ selber einen Irrtum zurücknehmen. Er hatte geschrieben: ,, ... das Symbolum "Ev jcai Häv, das HöLDERLIN in Hegels Stammbuch schrieb imd das noch jetzt in seiner Stube zu Tübingen auf einem großen Bogen Papier an der Wand prangt". ADOLF BECK zitiert in der HöLDERLiN-Chronik diese Behauptung von ROSENKRANZ imd sagt dazu: „Sonst nicht bezeugt und zweifelhaft." Schon CHRISTOPH SCHWAB hatte die Behauptung zurückgewiesen; ROSENKRANZ schlug den Bericht WAIBLINGERS nach und sah, daß er eine Stelle dieses Berichts falsch in der Erinnerung gehabt hatte. WAIBLINGER erzählt in dieser Stelle davon, wie er HöLDERLIN mit auf sein Gartenhaus auf dem Oesterberge nahm: „Womit er viel zu schaffen hatte, das war das pantheistische Ein und All, mit großen griechischen Charakteren über meinem Arbeitstisch an die Wand geschrieben. Er
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sprach oft lange mit sich selbst, immer das geheimnisvolle, vielbedeutende Zeichen anschauend, und emmal sagte er: ,Ich bin mm orthodox geworden, eure Heiligkeit! Nein, nein! ich studiere gegenwärtig den dritten Band von Herrn KANT, und beschäftige mich viel mit der neuen Philosophie/ Ich fragte ihn, ob er sich SCHELLING'S erinnere. Er sagte: ,Ja, er hat mit mir zu gleicher Zeit studiert, Herr Baron!'..." Vom Verhältnis HöLDERLIN-SCHELUNG sagt WAIBLINGER an anderer Stelle, wo er über HöLDERLINS Aufenthalt in der Schweiz (!) handelt: „Auch die Philosophie beschäftigte ihn, und die beginnende ScHELLiNG'sche Lehre scheint großen Eindruck auf ihn gemacht zu haben, wie er mir denn unter dem unverständlidisten Wortschwall später zuweilen von KANT imd ScHELLiNG erzählte." Zum Verhältnis HöLDERLIN-SCHELLING macht ROSENKRANZ in seinem Brief eine interessante Bemerkung: nicht SCHELLING habe HöLDERLIN, sondern eher HöLDERLIN SCHELLING beeinflußt. Auch die Forschung unseres Jahrhunderts hat diese Umwendung in der Betrachtung des Verhältnisses SCHELLING-HöLDERLIN vollzogen, dann freilich die Legende aufgebaut und dogmatisiert, SCHELLING sei durch HöLDERLIN (und nicht durch die Jenaer Romantik) zum ästhetischen Idealismus geführt worden, er sei wie durch eine Musenkette mit HöLDERLIN verbunden gewesen und habe (in dem ihm zugeschriebenen „ältesten Systemprogramm") gleichsam bewußtlos Dinge gesagt, die er in den gleichzeitigen Schriften noch zurückwies. Dabei sind die Dokumente über SOIELLINGS und HöLDERLINS Gespräche eindeutig: die beiden haben nicht akkordierend nüteinander gesprochen. Was den SCHELLING betrifft, der in Jena eine glänzende philosophische Karriere machte, so wird sich der FrankfurtHomburger Kreis von einem eigenständigen Philosophieren her für ihn interessiert und mit ihm beschäftigt haben. Der Brief, den HöLDERLIN wegen seines Journalplans an SCHELLING schrieb, zeigt sehr deutlich, daß er zu SCHELLING das freundschaftlich-innnige Verhältnis nicht hatte, das ihn mit Rosenkranz: Aus Hegel's Leben. 95; Hölderlin. Eine Chronik in Bild und Text. 106; IV. Waiblingers gesammelte Werke. Bd 3. 245 f. — Mandie neigen zu der Annahme, in Hölderlins Eintragimg im Hegelsdien Stammbuch sei das „Symbolum" Hen kai pan von Hegel hinzugefügt worden. Die Frage, von wem nun dieser Teil des Eintrags stammt, ist wegen der griechischen Buchstaben kaum zu entscheiden. 30 Waiblingers gesammelte Werke. Bd 3. 235. Rosenkranz hat in der Vorrede zu Hegel's Leben ausführlich die Schwabsche These zurüdcgewiesen, „das Drängen nach dem All und dem Einen" sei „in Hölderlins Weltanschauung erst durch Schelling hervorgerufen worden" (IV; NaAdruck: X.). Der Streit in unserem Jahrhundert betrifft dagegen vor allem die Weise, wie Hölderlin und Schelling den ästhetischen Idealismus ausgebildet, welche Bedeutung ihre Gespräche für diese Ausbildung hatten. Vgl. dazu das Anm. 9 genannte Beiheft der Hegel-Studien.
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Hegel verband. (Umgekehrt möchte man SCHELLIKGS schroffes Urteil über die SoPHOKLES-Übersetzung des kranken Freundes Hegel nicht Zutrauen.) Vielleicht war HöLDERLIN von SCHELLING enttäuscht und zählte diesen unter jene schon Berühmten, die sich um seine Bemühungen wenig kümmerten. Der Eindruck, den WAIBLINGER vom Verhältnis des kranken HöLDERLIN ZU SCHELLING vermittelt, wird denn auch von einem anderen Zeugnis korrigiert; GUSTAV SCHWAB erzählte GUSTAV SCHLESIER, sein Sohn habe ihm berichtet, daß HöLDERLIN von GOETHE (was auch WAIBLINGER sagt) müsse „erzürnt worden sein"; das Anzeichen dafür sei, daß er GOETHES — wie auch SCHELLINGS — gar nicht gedenke.
IV. Das Unglück, das JOHANNES SCHULZE mit Hegels Briefen an SINCLAIR widerfuhr, kann uns auf eine Spur bringen, auf der sich das Verhältnis zwischen SINCLAIR, HöLDERLIN und Hegel in einem weiteren Zug aufhellt. Viele neigen ja zu der Aimahme, Hegel habe, als er in Jena von HöLDERLINS Krankheit erfuhr, die allzu schwierige Hilfeleistung von sich weggeschoben imd dann von dem unglücklichen Jugendfreund nur noch geschwiegen. Aber ist diese Annahme richtig? SCHELLING schrieb 1803 an Hegel, nachdem er die erschütternde Begegnung mit dem kranken HöLDERLIN geschildert hatte: „Hier zu Lande ist keine Hoffnung, ihn herzustellen. Ich dachte Dich zu fragen, ob Du Dich seiner annehmen wolltest, wenn er etwa nach Jena käme, wozu er Lust hatte ..SCHELLING wie Hegel gehen davon aus, daß HöLDERLINS Krankheit eine heilbare Neurose sei. Beide sind sich über die großen Schwierigkeiten eines Heilprozesses im Klaren, und Hegel äußert — sehr berechtigte — Zweifel, ob Jena der rechte Ort für einen Heilungsversuch sei. Hegel lehnt den Versuch aber keineswegs ab: „Ich hoffe", so schreibt er über HöLDERLIN, „daß er noch immer ein gewisses Zutrauen in mich setzt, das er sonst zu mir hatte, und vielleicht ist dieses fähig, etwas bei ihm zu vermögen, wenn er hieher kommt." MARIA CORNELISSEN hat sogar die Vermutung geäußert, Hegel habe damals HöLDERLIN an GOETHE für die neue Jenaische Literaturzeitung als Rezensenten empfohlen; sie glaubt, für einen wichtigen Brief HöLDERLINS nicht SCHüTZ (den Herausgeber der nach Halle abgewanderten Allgemeinen Literatur-Zeitung), sondern GOETHE als Adressaten vermuten zu dürfen. ** Hölderlin. Eine Chronik in Text und Bild. 104; IV. Waiblingers gesammelte Werke. Bd 3, 234.
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bedurfte der Aufmunterung, und Hegel wußte nur allzu gut, wie eine Einladung, an einer von GOETHE herausgegebenen Zeitschrift mitzuarbeiten, auf ihn wirken würde. Dabei ist es durchaus denkbar, daß GOETHE von Hegel über den Zustand des Freundes informiert worden ist. Er kannte HöLDERLINS Fähigkeiten aus jahrelangem freundschaftlichen Umgang zu gut, als daß er auch während einer für ihn offenbar vorübergehenden Erkrankung ihn nicht mit Überzeugung hätte empfehlen können. Möglicherweise ist es denn auch Hegel gewesen, der den Freund brieflich gefragt hat, ob er Mitarbeiter an GOETHES kritischem Journal werden wolle, und der ihm die Bedingungen mitgeteilt hat, die dabei erfüllt sein müßten." Diese Vermutungen bleiben freilich ganz hypothetisch. Daß Hegel jedoch den geistigen Verkehr auch mit dem kranken HöLDERLIN sofort wieder aufnehmen wollte, zeigt sich auch daran, daß er in dem genannten Antwortbrief an SCHELLING diesen bittet, HöLDERLIN Neuigkeiten über EBEL njitzuteilen. SiNCLAiRS Besuch in Jena 1806, seine Nachrichten über HöLDERLIN, sein Versuch, durch eigene Arbeiten HöLDERLINS Dichtung und Dichtungstheorie fortzusetzen, mußten das Gedächtnis an HöLDERLIN bei Hegel wachhalten. Nach dem Tode SINCLAIRS geschah das Merkwürdige, daß ein Freund SINCLAIRS und Verehrer HöLDERLINS einer der nächsten Freunde Hegels wurde: JOHANNES SCHULZE! Die Fakten sind bekannt und hier nicht zu reproduzieren. ADOLF BECK berichtet in der HÖLDERLiN-Chronik für das Jahr 1812: „JOHANNES SCHULZE, als Oberschulrat des Großherzogtums Frankfurt nach Hanau berufen (später hochverdient im Preußischen Kultusministerium), lernt SINCLAIR kennen und wird durch dessen Freundschaft mit HöLDERLIN zur Beschäftigung mit dem Werk dieses ,eigentümlichen Geistes' geführt, der ,pindarische Hoheit mit christlicher Liebe verband' und ,selbst in seinem Sophokles' Stellen von unüberbietbarer Kraft schuf." Unter dem 29. 8.1820 wird in der Chronik vermerkt: „Der Infanterie-Leutnant E. W. VON DIEST in Berlin, gebürtiger Frankfurter, westfälischer Herkunft, Bekannter SINCLAIRS und J. SCHULZES, regt COTTA zum Verlag der Gedichte — von denen er in Abschrift schon einen guten Stamm besitzt — und zur Neuauflage des Hyperion an, ,zum Besten des für die Literatur viel zu frühe armen Zerstörten', dem er ,durch seinen Hyperion mit die glücklichsten Stunden . . . danke' und — so abschließend noch am 4. 3.1822 — ,bloß eine alte heilige Schuld abzutragen' habe ... Zu einer Vorrede sei SCHULZE, ein ,Teilnehmer der HöLDERLIN „HöLDERLIN
Briefe von und an Hegel. Bd 1. 71, 73 f; Maria Cornelissen: Ein Brief Hölderlins an Goethe? In; Goethe. Neue Folge des Jahrbuchs der Goethe-Gesellschaft. 22 (1960), 269—276, vor allem 275.
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allgemein gezollten Verehrung', gerne bereit; die Prinzessin WILHELM (MARIANNE) von PREUSSEN GEB. VON HOMBURG nehme ,an den Schriften wie dem Schicksale des Unglücklichen' lebhaften Anteil." Leider läßt die HÖLDERLiN-Chronik hier die Beziehungen auf Hegel und damit eine wichtige Perspektive weg. Deshalb seien zur Ergänzung einige weitere Stellen aus Briefen v. DIESES nach einer älteren, wenig beachteten Publikation von SEEBASS zitiert. Am 10. 3.1821 schreibt v. DIESE an KERNER, an den er durch ACHIM VON ARNIM gewiesen worden war: „Ein Verwandter von mir der hiesige Geheime Ober Regierungs Rath JOHANNES SCHULZE (Herausgeber des WINKELMANNS) hatte als Freund des verstorbenen Geheimen Raths SAINCLAiR in Homburg früher den Plan mit diesem vereint die Unterlassenen Gedichte FRIEDRICH HöLDERLINS, ZU dessem Besten sowohl als um der vaterländischen Litteratur Schätze wie diese zu erhalten, zu sammeln und heraus zu geben. Sein Tod, die Stürme der Zeit vereitelten ein Unternehmen, zu dem so Manches schon vorbereitet und gesammelt war, jetzt aber hat SCHULZE vereint mit nur diesen Plan wieder aufgenommen, und zwar so, daß er als Gelehrter den literarischen Theil der Arbeit, ich aber als bloßer Laie den des Sammelns und der nöthigen Correspondenz zu welcher ihn überhäufte Berufs Geschäfte ohnehin nicht Muse gönnen, übernommen hat. Durch die Gnade der Frau Prinzeß WILHELM Kgl. Hoheit wie ihrer erlauchten Schwestern, welche sich für unser Unternehmen interessieren, wie durch das, was wir schon besaßen und durch die Güte vieler Freunde haben wir die Gedichte bereits gesammelt ...". Am 11. 5.1821 schreibt v. DIESE (den Namen „Hegel" wie immer als „Haegel" wiedergebend) an KERNER über HöLDERLINS Gedichte: ,, ... auch in SCHILLERS früheren Almanachen soll sich noch manches finden, wie Herr Professor Haegel mich versichert . .." Am 24.1.1822, als eventuell eine Berliner Buchhandlung den Verlag der geplanten HöLDERLiNausgabe übernehmen soll, schreibt v. DIESE: „Da FOUQU^ wegen dem plözlichen Tode seines Schwiegervaters dieses Jahr nicht hieher kommen wird, so werde ich H. Professor Haegel, einen früheren Vertrauten Freund H., wegen der Abschließung des Contracts bemühen, Falls es Ihnen und H. GOK genehm ist, daß es hier herausHölderlin. Eine Chronik in Text und Bild. 80 f. — Zum folgenden vgl. Friedrich Seebaß: Zur Entstehungs-Geschichte der ersten Sammlung von Hölderlins Gedichten. Sonderdruck aus dem Rechenschaftsbericht des Schwäbischen Schillervereins Marbach 1918/19. 6, 13, 26, 30. — Während der Publikation dieses Aufsatzes sind die Dokumente im zweiten Teil des siebenten Bandes der Stuttgarter Hölderlin-Ausgabe (S. 453 ff) wieder gedruckt worden.
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komme, was mir deshalb sehr passend erscheint, weil dann das Ganze nicht getrennt würde und es sogleich in einer der günstigsten Perioden die das Werkchen nur treffen kann, heraus käme .. In einer Nachschrift zu einem Schreiben v. DIESTS an HöLDERLINS Stiefbruder GOCK heißt es am 4. 3.1822: „Dürfte es nicht gerathen seyn, in einigen ästhetischen Flugschriften auf die Erscheinung des Werkes aufmerksam zu machen? Wenn es Ihr Wille ist und ich den Zeitpunkt des Herauskommens erst kenne, so würde ich Haegel oder sonst einige literärische Freunde bitten, diese kleine Mühe in einigen Journalen hiesiger Gegend zu übernehmen." JOHANNES SCHULZE ist also eine der treibenden Kräfte gewesen bei dem Versuch, die erste HöLDERLiNausgabe zustandezubringen. Hegel war an den Gesprächen beteiligt; er verwies auf HöLDERLINS Gedichte in SCHILLERS Almanachen und wurde in verschiedener Weise in die Planungen einbezogen. Die Frage, wie es zur Verbindung des Leutnants VON DIEST mit dem Professor „Haegel" kam, ist wohl leicht zu beantworten. JOHANNES SCHULZE (bei dem Hegels Briefe an SINCLAIR durch ein Mißgeschick vernichtet worden waren) wird der Mittler gewesen sein. Er berichtet selber, er habe in Berlin seine philosophische Bildung vervollständigen wollen. „Zu diesem Zweck besuchte ich von 1819—1821 täglich in zwei Abendstunden sämtliche Vorlesungen Hegels . .. und scheute die Mühe nicht, mir den Inhalt sämtlicher Vorlesungen durch sorgfältig von mir nachgeschriebene Hefte noch mehr anzueignen." Nach Beendigung der Vorlesungen, so schreibt SCHULZE, pflegte „Hegel mich durch seinen Besuch in meiner Wohnung zu erfreuen oder bei einem gemeinschaftlichen Spaziergang auf die weitere Erörterung einzelner von mir aufgeworfener Fragen über Gegenstände seines Vortrags einzugehen . . ." HöLDERLINS Hyperion wurde 1822 neu aufgelegt. Die geplante Sammlung von HöLDERLINS Gedichten erschien erst 1826, nun vor allem betreut von den schwäbischen Verehrern HöLDERLINS. VARNHAGEN wandte sich an UHLAND wegen einer Besprechung der Gedichtsammlung für die Jahrbüdier für wissenschaftliche Kritik, doch lehnte dieser aus Zeitgründen ab. Auch in diesem Fall dürfen wir annehmen, daß es in dem Redaktionsgremium der Jahrbücher, in dem Hegel die maßgebliche Rolle spielte, vielleicht auch zwischen VARNHAGEN und Hegel persönlich, zu einem Gespräch über HöLDERLIN gekommen ist. VARNHAGEN hatte schon im Dezember 1808 den kranken HöLDERLIN besucht. Er hatte 1821 auf “ Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen. 209. Uhlands Briefwechsel. II, 255 (nach Seebaß).
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die Aktualität einer Neuauflage des Hyperion verwiesen: des griechischen Freiheitskampfes wegen fände der Hyperion „keine bessere Zeit". VARNHAGEN bemühte sich später dann um den Nachlaß SINCLAIRS, wobei ihn ROSENKRANZ an JOHANNES SCHULZE verwies. Es ist also nicht nur ein plötzliches Auftauchen alter Erinnerungen, was Hegel 1830 dazu bewegt, gegenüber der Prinzessin MARIANNE SO lebendig von SINCLAIR und HöLDERLIN und von den Taunusbergen zu sprechen. Das Andenken an HöLDERLIN hat ihn sein Leben lang begleitet und wurde immer wieder erneuert. Neben dem scheiternden Dichter aber stand SINCLAIR, der Handelnde, dessen Tätigkeit als Beamter und Politiker in dem Freunde JOHANNES SCHULZE gleichsam eine Fortsetzung auf preußischem Boden fand. Daß Dichten, Denken und Handeln zusammengehören, war die gemeinsame Überzeugung der Freunde. Handeln aber, das bedeutete für die Studenten und Hofmeister Anschluß an die Revolution und in diesem Sinn Kampf um mehr Freiheit. Bis in die einzelnen Worte hinein klingt eine Klage aus Hegels Tübinger Zeit an HöLDERLINS etwa gleichzeitiges Übersetzungsgedicht Reliquie von Alzäus an: „Es ist kein HARMODIUS, kein ARISTOGEITON, die ewiger Ruhm begleitete, da sie den Tyrannen schlugen, und gleiche Rechte und Gesetze gaben ihren Bürgern, die in dem Munde unsers Volks, in seinen Gesängen lebten — " Im Hyperion heißt es dann von ARISTOGITON und HARMODIUS: „Aber es ist auch nichts herrlicheres auf Erden, als wenn ein stolzes Paar, wie diese, so sich untertan ist. Und das ist auch meine Hoffnung, meine Lust in einsamen Stunden, daß solche große Töne und größere einst wiederkehren müssen in der Symphonie des Weltlaufs." Am 12.11.1798 schrieb HöLDERLIN von sich und SINCLAIR seiner Mutter, es werde wenig Freunde geben, „die sich gegenseitig so beherrschen und so untertan sind." Das Gedicht An Eduard, das heißt an SINCLAIR, findet den Grund für dieses Untertansein darin, daß der politisch Tätige den Dichterfreund dorthin zieht, wo im offenen Kampf um die neue Gestalt des Lebens gestritten wird, wo vielleicht auch er, der Dichter, singend fallen und der Freund ihn dann rächen wird: Hölderlin. Eine Chronik in Text und Bild. 77, 82 f. Vgl. Hegels theologische Jugendschriften. Hrsg. v. H. Nohl. Tübingen 1907. 359. — Beißner bemerkt zu dieser Hegelschen Stelle in seinen Erläuterungen zu Hölderlins Reliquie von Alzäus: „Die Wendung ,da sie den Tyrannen schlugen' . . . geht sehr wahrscheinlich auf Hölderlins Übersetzung zurüdc, die dann nicht allzu lange vor Hegels Entwurf entstanden sein müßte, also 1793, vielleicht am selben Arbeitstisch im Stift." Hölderlin: Sämtliche Werke. Bd 5. Stuttgart 1952. 358. — Zum folgenden vgl. im einzelnen Werner Kirchner: Der Hochverratsprozeß gegen Sinclair. Marburg 1949. Vgl. ferner Rosenkranz: Hegel's Leben. 91.
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„Wo ist der Liebe Zeichen am Tag? wo spricht Sich aus das Herz? wo ruhet es endlich? wo Wirds wahr, was uns, bei Nacht und Tag, zu Lange der glühende Traum verkündet? Hier, wo die Opfer fallen, ihr Lieben, hier! Und schon tritt hin der festliche Zug? schon blinkt Der Stahl? die Wolke dampft? sie fallen, und es Hallt in der Luft und die Erde rühmt es I" Nicht von ungefähr wollte die Prinzessin AUGUSTE VON HESSEN-HOMBURG, für die HöLDERLINS Hyperion einmal die Welt war, als Erbgroßherzogin von Mecklenburg-Schwerin den SCHULZE, DIEST und ihren schwäbischen Freunden die Veröffentlichung dieses Gedichts nicht gestatten — sie wußte noch, wie dieses Gedicht gemeint war: als dichterisches Wort zwischen Freunden, die sich politisch engagierten, die deshalb auch in einen Hochverratsprozeß verwickelt werden konnten. Geschah die Verwirklichung des Ideals der Tyramnenmörder HARMODIUS und ARISTOGITON nur in einem folgenlosen Denken und Dichten oder gar nur in einer grotesken Verzerrung, eben in jenem Hochverratsprozeß, der SINCLAIR und seine Freunde erst da traf, als sie ihre politische Ausrichtung schon hatten neu bestimmen müssen? Als Hegel Stuttgarter Freunden 1798 seine Schrift zum Württembergischen Verfassungsstreit zusandte, antworteten diese, ihr Ansehen, d. h. das Ansehen der „revolutionären" Gruppe, sei tief herabgesunken. „Die Sachwalter der großen Nation haben die heiligsten Rechte der Menschheit der Verachtung und dem Hohn unserer Feinde Preis gegeben. Ich kenne keine Rache, die ihrem Verbrechen angemessen wäre ..." Wie die heiligsten Rechte der Menschheit der Verachtung preisgegeben wurden, haben OELSNER und EBEL in Paris, hat BöHLENDORFF bei dem Einmarsch der französischen Truppen in der Schweiz, haben SINCLAIR und HöLDERLIN am Länderschacher auf dem Rastatter Kongreß sehen müssen. Als SINCLAIR schließlich 1805 verhaftet wurde, soll der wahnsiimige HöLDERLIN beständig auf „SINCLAIR und die Jakobiner" geschimpft und ausgerufen haben: „Ich will kein Jakobiner sein, fort mit allen Jakobinern. Ich kann meinem gnädigsten Kurfürsten mit gutem Gewissen unter die Augen treten." Noch in den wirren Gedanken des Kranken spiegelte sich, daß HöLDERLIN lernte, die Heimat müsse die Kräfte der Reform aus sich selbst gewinnen. Überlieferte HöLDERLIN in seinen Gedichtentwürfen den selbstherrlichen Kurfürsten von Württemberg zuerst als einen „unheimischen" den Todesgöttern, so begrüßte er ihn später als den Herrn seiner Heimat, von dessen
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Herzen er, HöLDERLIN, sich nicht wegschwatzen lassen wolle. Nur wer blind ist für politische Wirklichkeiten und das Dichten und Denken der Vergangenheit für die ideologische Vernebelung der Gegenwart gebraucht, karm diese Wandluii,^ HöLDERLINS und die Gründe für sie weginterpretieren wollen. Als SINCLAIR aus seinem Prozeß loskam, war Hegel Redakteur der Bamberger Zeitung geworden und bot dem Freunde gleich seine publizistische Hilfe an. Man sieht die Verhältnisse nicht richtig, wenn man Hegels Denken nicht in den „Traum" miteinbezieht, von dem HöLDERLIN in seinem Gedicht an SINCLAIR spricht. „Ich erinnnerte mich", so SCHRIEB SINCLAIR 1806 an Hegel, „daß die Stelle aus PINDAR pdßtuQEg aoqpoiTaroi Dir einmal besonders gefiel . .." Diesen Vers und die vorangehenden Verse aus PINDARS erster Olympischer Ode schrieb HöLDERLIN auf eine sonst leere Rückseite zwischen dem ersten und zweiten Akt der ersten Fassung des Empedokles. Diese Verse, an denen die Freunde sich gemeinsam freuten und die Hegel „besonders" gefielen, formulieren auf ihre Weise die Hoffnung, daß der „Traum" der Denker und Dichter einmal Wirklichkeit werde. Da HöLDERLIN leider die Übersetzung der ersten Olympischen Ode nur begonnen hat, sollen die Verse, die HöLDERLIN sich auf griechisch abschrieb, hier in der Übersetzung von WOLDE wiedergegeben werden; „Die Huldin, die all dies bewirkt und den Sterblichen alle Dinge verzaubert, bringt oftmals zu währendem Ansehn und läßt uns Glauben, was nicht glaublich ist; Zuverlässiges Zeugnis Bringet erst der spätre Tag."
Die Wahrheit, die Freiheit und Schönheit ist, so als Huld das Ewige im Endlichen der Mythen, Bilder und Institutionen gewährt, ist das, worauf HöLDERLIN, SINCLAIR und Hegel in ihrer gemeinsamen Zeit je auf eigene Weise verpflichtet gewesen sind und dem sie in unterschiedlichen Weisen auf ihrem weiteren Wege verpflichtet blieben. Auch SINCLAIR hat in seinen Gedichten die erste Olympische Ode PINDARS übersetzt. Diese Übersetzung zeigt nun freilich auf eine geradeBriefe von und an Heget. Bd 1. 164; zum folgenden 110. Sinclairs „Übersetzung" von Pindars erster Olympischer Ode steht im zweiten Band seiner Gedichte, 93 ff.
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zu schmerzliche Weise, daß der handelnde Beamte und Politiker kein Dichter war (sowenig wie Hegel in seinen Frankfurter Gedichten ein Dichter ist). Die einschlägigen Strophen lauten bei SINCLAIR: „Denn die den Sterblichen die Lust All schafft, die Grazie, wann sie ehrte. Hat oft zu fügen schon gewußt. Daß auch unglaublichs wirklich werde. Die Tage aber, die hernach. Der Wahrheit bestes Zeugnis führen. Denn daß der Mensch von Göttern sprach Nur Gutes, das thut ihm gebühren: Denn kleiner dann die Schuld..." Mag es deshalb auch ungemäß sein, SINCLAIR als Dichter oder als Denker neben HöLDERLIN und Hegel zu stellen — als der treueste Freund des Dichters und als der Gefährte des Denkers gehört er bleibend zu ihnen, da ihr Dichten und Denken niemals ohne das Handeln sein wollte und sein konnte.
V. In Hegels Werken fallen die Namen SINCLAIR und HöLDERLIN nicht. Das ist im Falle SINCLAIRS verständlich, da — entgegen seinem Selbstverständnis — nicht das Dichten noch das Denken, sondern das Handeln seine eigentliche Aufgabe und Leistung war. Wie ernst Hegel als Philosoph diese Aufgabe und Leistung nahm, zeigt noch die intensive persönliche Zuwendung zu SINCLAIRS Freund JOHANNES SCHULZE in Berlin. Daß Hegel in seinen Vorlesungen und Schriften den Namen des Jugendfreundes HöLDERLIN nicht erwähnt, wird uns dann nur allzu verständlich, wenn wir in dem, was Hegel in der Phänomenologie über das „harte Herz" sagt, auch sein Urteil über HöLDERLIN eingeschlossen sehen. Hegels Meinung, für den enthusiastischen Dichter sei die Lösung der Spannung zur Welt im geistlosen Wahnsinn bei der Härte der Entzweiung in der modernen Welt der einzige Ausweg, ist gewiß nicht von außen und leichtfertig gesagt. Hegels eigene Schwester war gemütskrank, und 1810 hat Hegel gegenüber WINDISCHMANN gestanden, er habe „ein paar Jahre bis zur Entkräftung" an jener „Hypochondrie" gelitten, die er als notwendige Durchgangsstufe für den reifenden Menschen begreift. „Jeder Mensch hat
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wohl überhaupt einen solchen Wendungspunkt im Leben, den nächtlichen Pimkt der Kontraktion seines Wesens, durch dessen Enge er hindurchgezwängt und zur Sicherheit seiner selbst befestigt und vergewissert wird, zur Sicherheit des gewöhnlichen Alltagsleben, und wenn er sich bereits tmfähig gemacht hat, von demselben ausgefüllt zu werden, zur Sicherheit einer inneren edlem Existenz." Frühe Analysen der Zeitsituation sprechen von denen, die die „Natur zur Idee in sich hervorgearbeitet" haben, die in eine innere Welt vertrieben sind, aber sich eigentlich treffen müssen mit jenen, die in der Wirklichkeit selbst eine noch unbekannte bessere Wirklichkeit verlangen. Später wurde diese Dramatik mehr in die Psychologie abgeschoben; dabei wurde freilich auch gezeigt, daß die Verfestigung im Alltagsleben ein bloßer Schein sein kann und daß die Gescheiterten nicht die Schlechtesten gewesen zu sein brauchen. „Diese Hypochondrie fällt meist etwa um das 27ste Jahr des Lebensalters oder zwischen dasselbe und das sechsunddreißigste; — sie mag oft unscheinbarer sein, aber es entgeht ihr nicht leicht ein Individuum; und wenn dieses Moment später eintritt, zeigt es sich unter bedenklichem Symptomen; aber da es zugleich wesentlich geistiger Natur ist, und vielmehr nur von dieser Seite her zur körperlichen Erscheinung wird, kann sich jene Stimmung unter die ganze Flachheit eines Lebens, das sich nicht zum Momentanen konzentriert hat, verteilen und hindurchziehen." Daß der Künstler in der modernen Welt in besonderer Weise der Einsamkeit ausgesetzt ist, sagen die Jenaer Reflexionen; aber auch die späteren Vorlesungen über Ästhetik enthalten Bemerkungen, die wie auf HöLDERLIN oder doch wie auf die HÖLOERLiNgeneration hin gesprochen sind. KARL ROSENKRANZ hat in seiner Hegelbiographie von HöLDERLIN gesagt: „Er war SCHELLINGS und Hegels dichterische Bevorwortung." (S. V) So ist es nicht imgefähr, daß ALEXANDER JUNGS Buch F. Hölderlin und seine Werke (Tübingen 1848) — die erste größere Gesamtdarstellung, die auch HöLDERLINS Beziehungen zur Philosophie berücksichtigt — KARL ROSENKRANZ gewidmet ist. Aber hat ROSENKRANZ HöLDERLINS Scheitern noch aus jener weiteren Perspektive sehen können, die zum mindesten für den Jenaer Hegel selbstverständlich war? Vielleicht zeigt gerade WAIBLINGER als Gewährsmann von ROSENKRANZ, wie sehr die Perspektive sich gewandelt hat. 1822, nach einem Besuch bei HöLDERLIN und nach der Lektüre des Hyperion schreibt WAIBLINGER in sein Tagebuch: „HöLDERLIN Briefe von und an Hegel. Bd 1. 314; Hegel: Schriften zur Politik und Rechtsphilosophie. Hrsg. V. G. Lassen. 2. Aufl. Leipzig 1923. 138 ff; Ein Hegelsdtes Fragment zur Philosophie des Geistes. Eingeleitet und hrsg. v. F. Nicolin. In: HegelStudien. 1 (1961), 9—48, vor allem 35.
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sdlüttelt midi ... idi fühle mich dieser großen, trunkenen Seele verwandt — o HöLDERLIN — Wahnsinn —Allzu selbstverständlich sucht WAIBLINGER, der doch als Persönlichkeit HöLDERLIN fernstand und als Dichter nicht mit diesem verglichen werden kann, von seinem eigenen Schicksal her HöLDERLIN ZU verstehen: „Verfehlte Plane des Ehrgeizes, überspanntes Streben, unglückliche Liebe machten den großen HöLDERLIN wahnsinnig. Könnten sies mich nicht auch machen?" BETTINAS Erzählungen von HöLDERLIN und SINCLAIR werfen dann einen romantischen Glanz, eine neue Tiefe, aber auch einen Hauch von faszinierendem Somnambulismus auf den kranken Dichter. So wird HöLDERLIN für ROSENKRANZ der jugendlich Scheiternde, dessen Scheitern in einem HöLDERLiN-Schicksal von der neuen Jugend wiederholt werden kann, der aber seine Einmaligkeit darin hat, eine „Bevorwortung" SCHELLINGS imd Hegels gewesen zu sein, wenn auch nicht mehr. Es ist kein geringerer gewesen als WILHELM DILTHEY, der in unfreiwilliger Weise dann das wirkliche Satyrspiel geschrieben hat zur Tragödie des im Wahnsiim endenden „harten Herzens", wie sie als Schicksal HöLDERLINS durch Hegels Phänomenologie hindurchschimmert. DILTHEY hat nicht nur mit seiner Aufsatzsammlimg Das Erlebnis und die Dichtung neue Dimensionen eines intimeren Verstehens von HöLDERLIN und NOVALIS sowie überhaupt der Dichtung der GoEXHEzeit gewonnen; er hat in einem frühen Aufsatz (1867) auch ausdrücklich über Hölderlin und die Ursachen seines Wahnsinns gehandelt. Wahnsinn, so sagt DILTHEY ZU dem schon damals verhandelten Streit, kann nicht nur physiologische, sondern auch psychische Ursachen haben; so war es bei HöLDERLIN und bei Schicksalsgenossen wie LENAU unnd ROBERT SCHUMANN. Die Ursachen für HöLDERLINS Wahnsiim lagen zum Teil in seinem persönlichen Charakter imd seinem Schicksal, zum Teil in der Stimmimgslage der Zeit. Auch DILTHEY sieht im Abschied von Frau GONTARD den Anstoß zu einer „furchtbaren Krisis"; dabei beruft er sich auf eine „erst neuerdings gegebene Aufklärung", nämlich auf jenen VARNHAGEN, der sich so sehr um HöLDERLIN und SINCLAIR bemüht hat imd dabei auch Kontakt mit ROSENKRANZ, wie auch mit JOHANNES SCHULZE und wohl auch mit Hegel aufgenommen hat. DILTHEY zitiert VARNHAGENS Tagebucheintragung vom 2. 3.1847, deren historische Richtigkeit später angezweifelt oder gänzlich zurückgewiesen worden ist: „In den Monatsblättern steht ein guter Aufsatz über HöLDERLIN. Das verhängnisvolle Mißgeschick, das seinen Wahnsinn verursachte, wird auch hier nur leise berührt oder eigentlich verhehlt. Es Hölderlin. Eine Chronik in Text und Bild. 414 f.
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wird nur gesagt, daß er das Haus des Bankiers GONTARD in Frankfurt am Main verlassen mußte, tmd dabei bemerkt, daß man dem Ehemann die Verabschiedung des jungen, schönen, reichbegabten Hauslehrers nicht verdenken konnte. Wie ganz anders stellt sich alles, wie notwendig entwickeln sich die Folgen, wenn man weiß, daß GONTARD den armen Dichter in süßem Gespräch, unschuldigem gewiß, aber doch innigem, tmd dadurch verdächtigem, mit seiner Frau traf, und ihm eine Ohrfeige gab! Eine Rohheit, die HöLDERLIN der Frau wegen nicht einmal rächen durfte." Die „totale Einsamkeit^ HöLDERLINS wird nicht von der Lage des Dichters in der Moderne her begründet, sondern von daher, daß der sehr Zurückhaltende keinen Anschluß gefunden habe an den Kreis der damaligen Jenaer philosophischen und dichterischen Schule. So habe es schließlich bei HöLDERLIN zum Versinken im Wahnsinn kommen können. DILTHEY, der sich um HöLDERLIN wie wenige in seiner Zeit bemüht hat, der auch die SoPHOKLESübersetzungen, damals eine große Seltenheit, vor sich liegen hatte und in ihnen manches „bewundernswürdig übersetzt" fand, der schon nach dem „gesetzlichen Kalkül" fragte, den HöLDERLIN der Dichtung zuschrieb — eben dieser DILTHEY muß von HöLDERLIN sagen, sein Wahnsinn sei ein Scheitern gewesen, ein Scheitern jedoch, über das die eigene Zeit, die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, endgültig hinausgeschritten sei! „Das große pathologische Interesse, welches wir somit an diesem Fall nehmen, ist ganz frei von jeder Furcht, daß heute noch ähnliches geschehen könne. Die großen Epidemien haben im Laufe der Geschichte gewechselt: Aussatz, Pest, Cholera sind durchaus verschiedene Krankheiten. So gehört auch diese Epidemie der Vergangenheit an. Die Gegenwart bringt andere ansteckende Krankheiten hervor. Die Krankheit HöLDERLINS ist vorüber." Früh schon hat man jedoch HöLDERLINS Wahnsinn nicht als den bloßen Ausdruck eines bedauerlichen Scheiterns genommen, sondern sich zuerst Wilhelm Dilthey: Hölderlin und die Ursachen seines Wahnsinnes. In: Wilhelm Diltheys gesammelte Schriften. Bd 15. Göttingen 1970. 102—116, vor allem 106 f, 108, 114 f, 102 f. — Dilthey hat auch 1886 zur Feier des Stiftimgstages der militärärztlidien Bildungsanstalten in Berlin eine Rede Dichterische Einbildungskraft und Wahnsinn gehalten, dabei den Kernsatz formuliert: „Das Genie ist keine pathologische Erscheinung, sondern der gesunde, der vollkommene Mensch", am Schluß Gottes Schutz erbeten für Se. Majestät, den Kaiser, „in welchem wir ein Vorbild aller vornehmen, humanen und hohen Gesinnung verehren." Wilhelm Diltheys gesammelte Schriften. Bd 6. Leipzig und Berlin 1924. 90—102, vor allem 94 und 102. Freilich war mit diesem wilhelminischen Optimismus der Topos „Genie und Wahnsinn" nicht aus der Welt geschafft; zu seiner Geschichte vgl. auch meinen Aufsatz Schopenhauer und das Wesen der Kunst, in: Zeitschrift für philosophische Forschung. 14 (1960), 353—389.
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einmal dagegen gewandt, daß man in HöLDERLINS späten Werken nur Spuren seiner Zerrüttung suchte und sie deshalb gar nicht erst ernst nahm. BETTINA VON ARNIM hat in ihrem Briefroman Die Günderode audi Bezug darauf genommen, daß HöLDERLINS SoPHOKLESübersetzimg in der Kritik der Zeitgenossen völlig negativ beurteilt wurde. „ST. CLAIR gab mir den Ödipus, den HöLDERLIN aus dem Griechischen übersetzt hat, er sagte, man könne ihn so wenig verstehen oder wolle ihn so übel verstehen, daß man die Sprache für Spuren von Verrüdctheit erklärt, so wenig verstehen die Deutschen, was ihre Sprache Herrliches hat . .Selbst SCHELLING hatte ja, als er im Sommer 1804 HöLDERLIN mit SINCLAIR auf dem Wege nach Homburg traf, an Hegel über HöLDERLIN geschrieben: „Seinen verkommenen geistigen Zustand drückt die Übersetzung des SOPHOKLES ganz aus." Die Zuwendung zur griechischen Tragödie, die HöLDERLIN imd Hegel teilten, bildete die Gnmdlage auch für Hegels Geist des Christentums (HöLDERLIN hat denn auch eines der Freiexemplare seiner SoPHOKLESübersetzung Hegel zugedacht). Das letzte Resultat, das diese Zuwendung HöLDERLIN erbrachte, die SoPHOKLESÜbersetzung, koimte in unseren Jahrzehnten trotz aller philologischen Kritik an Details CARL ORFF dazu dienen, fernab von der Welt der heutigen Schauspiele und Opern und fernab von der Welt schal gewordener humanistischer Philologie die „alten heilgen Theater" wieder zu erinnern. Daß HöLDERLINS Wahnsinn überhaupt eher im Sinne der alten Lehre von der theia mania zu verstehen sei, hat BETTINA VON ARNIM klar ausgesprochen: „Mir sind seine Sprüche wie Orakelsprüche, die er als der Priester des Gottes im Wahnsinn ausruft ..." Ihr Bericht ist ein — wenn auch verwirrtes — Echo auf HöLDERLINS Dichten und seine Gedanken über Dichtung sowie auf SiNCLAiRs verehrendes Wissen um dieses Dichten und Denken. „Gewiß ist mir doch bei diesem HöLDERLIN, als müsse eine göttliche Gewalt wie mit Fluten ihn überströmt haben, und zwar die Sprache, in übergewaltigem raschen Sturz seine Siime überflutend und diese darin ertränkend; und als die Strömvmgen verlaufen sich hatten, da waren die Sinne geschwächt und die Gewalt des Geistes überwältigt imd ertötet. — Und ST. CLAIR sagt: ja so ists .. ."HöLDERLINS Wahnsinn wird nicht als eine von außen kommende Krankheit und nicht als ein Versagen gesehen, sondern als das Zusammenbrechen unter einem zu großen Dienst: „Und so habe den Dichter der Gott gebraucht als Pfeil, seinen Rhythmus vom Bogen zu schnellen ..." Hölderlin. Eine Chronik in Text und Bild. 457 f; Briefe von und an Hegel. Bd 1. 82.
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Als NORBERT VON HELLINGRATH die späten Hymnen HöLDERLINS nicht nur erstmals in ihrer ursprünglichen Gestalt sichtbar gemacht, sondern auch mit STEFAN GEORGE deren Bedeutung neu erkannt hatte, hielt er — im ersten Weltkrieg, kurz vor seinem Tode vor Verdun — Vorträge über HöLDERLIN in München. In ihnen bekannte er, über HöLDERLINS Wahnsinn sprechen zu müssen, wenn er über HöLDERLIN spreche. Was muß — so fragte er, HöLDERLINS Schicksal mit dem Schicksal von KLEIST, NOVALIS und SHELLEY vergleichend — geschehen, „wenn Einer so ganz Schrei der Gottheit geworden ist, nur jubelnder Ruf der Verkündigung"? In der Antwort auf diese Frage wird HöLDERLINS Wahnsinn geradezu gesehen als Siegel auf sein Werk: „Das Gefäß der Offenbarung muß sich stumm, eine Mahnung an sie, die erst in Zukunft laut werden soll, durch die Leute tragen, das Haupt des Jünglings, das uralte Weisheit prophetischer Worte gesprochen hat, muß auch noch wirklich die ehrwürdige Weihe des Greisenalters empfangen, nachträglich gleichsam; die lebende Stimme muß in leisem Nachrauschen verklingen." MARTIN HEIDEGGER sah in seinem Hauptwerk aus den dreißiger Jahren, den noch unveröffentlichten Beiträgen zur Philosophie, die „geschichtliche Bestimmung der Philosophie" gipfeln „in der Erkenntnis der Notwendigkeit, HöLDERLINS Wort das Gehör zu schaffen". Auch er suchte der Krankheit HöLDERLINS, diesem Einbruch eines schlechthin Sinnlosen, noch einen Sinn zu geben, wenn er in seiner ScHELLiNGvorlesung über die Zeit von Hegels Phänomenologie und SCHELLiNGS Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit sagte; „Der Dritte im Bunde der Jugendfreundschaft der drei Schwaben, HöLDERLIN, ward um dieselbe Zeit von seinen Göttern in den Schutz des Wahnsinns hinweggenommen." Wenige Monate, nachdem HEIDEGGER diese Worte gesprochen hatte, gab sich ein junger Dichter und Kritiker den Tod, dessen Aufsatz Der späte Hölderlin bei der „Wiederkehr" HöLDERLINS in unserem Jahrhundert und z. B. in den Diskussionen um HöLDERLINS Friedensfeier allzu sehr vergessen worden ist: EUGEN GOTTLOB WINKLER. WINKLER vertrat die Auffassung, es sei immer noch eine „idealistische", Wirklichkeit überfliegende Tendenz am Werke gewesen, als HöLDERLIN in seinen späten Hymnen Brücken zu schlagen versuchte zwischen dem, was in der Geschichte des Abendlandes den Menschen an letztem, „göttlichem" Sinn sich zugeschickt habe. Auf diesen Brücken suchten nun jene zu wohnen, die dem Norbert von Hellingrath: Hölderlin. Zwei Vorträge. 2. Aufl. München 1922; Otto Pöggeler: Der Denlcweg Martin Heideggers. Pfullingen 1963. 233; Martin Heidegger: Sdiellings Abhandlung über das Wesen der mensMidien Freiheit (1809). Tübingen 1971. 2 f.
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Unsicheren ausgesetzt blieben und an deren Händen kein Händlergewinn klebe. „Sie haben nur ihre Brücke, — dieses Bauwerk aus den herrlichen Bögen der Gesänge. Kann man auf ihnen leben? auf ihnen, von ihnen? Manche verstehen ihre Not mit Würde und Anstand zu tragen, manche sind blind und kennen sie nicht. Der erste, der diesen Wohnort mit Namen HöLDERLIN hinter sich ließ, war HöLDERLIN selbst." Was Hegel über den Frankfurter Freund gedacht haben mag, das sagt WINKLER nun auch über den HöLDERLIN der späten Hymnen: die Wirklidikeit, der er sich entgegensetzte, holte ihn ein; die Spannung hatte sidi gelöst, als nur noch in dem „personlos gewordenen Geist" (der äußerlich als Wahnsinn sich zeigte) ein „Es" eine Zeitlang verlallend und verstummend weiterdichtete. Der HöLDERLIN, wie WINKLER ihn zeigt, ist erst der HöLDERLIN, dessen Verstummen vor dem Grauen der Wirklichkeit PAUL CELAN weiterträgt, wenn er sein HÖLDERLIN-Gedicht Tübingen, Jänner mit jenem Wort beschließt, das CHRISTOPH SCHWAB uns von einem seiner Besuche beim kranken HöLDERLIN als dessen Ausdruck überliefert hat: „Käme, käme ein Mensch, käme ein Mensch zur Welt, heute, mit dem Lichtbart der Patriarchen: er dürfte, spräch er von dieser Zeit, er dürfte nur lallen und lallen, immer-, immerzuzu. ('Pallaksch. Pallaksch.')" hatte am Schluß seines Aufsatzes geschrieben: „Ein unbekannter HöLDERLiNmythos zeichnet sich ab. Neben dem tragisch göttlichen Jünglingsantlitz mit den ebenmäßigen Zügen taucht die Erscheinung des Greises auf, wie sie eine Bleistiftzeichnung bewahrt: vorgebückt, den Finger weisend erhoben ..." Eine Zeit, die unter großen Krisen an den Aufbau einer einheitlichen Weltzivilisation geht, die EUGEN GOTTLOB WINKLER
Eugen Gottlob Winkler: Dichtungen, Gestalten und Probleme, Nachlaß. Pfullingen 1956. 317, 324. — Zum folgenden vgl. Paul Celan: Die Niemandsrose. Frankfurt a.M. 1963. 24. Über Celans Dichtungsauffassung vgl. meinen Aufsatz (Jan Aler zum 60. Geburtstag) Zur Lyrik Paul Celans. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft (in Vorbereitung). “
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Zeichen wie Auschwitz, Hiroshima und Vietnam mit sich trägt, wird sich gerade für diesen HöLDERLIN interessieren, aber in den zerstörten Greis den Traum des Jünglings hineinnehmen. Das überkommene HöLDERLINbild ist in der alten Weise nicht mehr weiterzugeben. Dichtung — davon war die Germanistik seit ihren spätromantischen Anfängen ausgegangen — sei die „Ursprache" eines „Volkes", und so hatte man HöLDERLINS Diditen als ein ausgezeichnetes Sprechen genommen, das mit seiner Nähe zum Mythos von allem prosaischen Philosophieren und Politisieren ferngehalten werden müsse, mochte man HöLDERLINS „Prophetie des Kommenden" nun auf das deutsche „Volk" oder auf das „Abendland" beziehen. Daß HöLDERLIN „politisierte", daß er in diesem Politisieren dem „westlichen" Gedankengut, vor allem den Ideen der Französischen Revolution zugetan war, daß zu diesem Politisieren das Philosophieren gehörte, mußte erst neu aufgedeckt werden. So trat auch HöLDERLINS Freundschaft mit Hegel und SINCLAIR oder auch mit EBEL und BöHLENDORFF neu ins Licht. PIERRE BERTAUX hat diese neuen Tendenzen der HöLDERLmforschung, die die Details längst erarbeitet hatte, zeitwirksam dargestellt: „Wie unter den griechischen Sternen das Paar Achill-Odysseus leuchtet: der jugendliche, reine, tragische Heros, frühem Untergang, aber ewigem Nachglanz bestimmt, und der vielerfahrene, scharfsinnige, den Fallen des Schicksals entweichende, immer wieder diskutierende und diskutierte, immer weiter wandernde Mensch des Wissens, von dessen Tod niemand hörte — so strahlt an unserem Sternenhimmel das Paar HöLDERLINHegel." Kann man jedoch eine solche Synthese zwischen HöLDERLIN und Hegel versuchen, wenn man HöLDERLINS Scheitern ebenso ernstnimmt wie den vielberufenen Hegelschen Optimismus in Bezug auf das Verhältnis von Wirklichkeit und Vernünftigkeit? Da diese Synthese nicht gelingen will, zieht man die Linien fort von Hegel zum jungen MARX, der — Gedanken des jungen Hegel über die HöLDERLiNgeneration und ihr Verhältrüs zur Welt auf nehmend, ohne sie zu kennen — RüGE auf die Verständigimg zwischen „allen denkenden und allen leidenden Menschen" als auf ein hoffnungsvolles Zeichen der Zeit verwies, als RüGE aus HöLDERLINS Hyperion das vernichtende Wort über die Deutschen als Motto seiner Stimmung angeführt hatte. In dieser neuen Konstellation wirken HöLDERLIN und Hegel heute auch über die deutsch sprechenden Länder hinaus. Glaubte z. B. einmal KURT HILDEBRANDT HöLDERLIN von Hegel trennen zu müssen, weil er HöLDERLIN F. Hölderlin: Dichtungen — Schriften — Briefe. Hrsg. v. Pierre Bertaux. Frankfurt a.M. und Hamburg. 12. — Zum folgenden Karl Marx: Frühe Schriften. Bd 1. Hrsg. V. H.-J. Lieber und P. Furth. Stuttgart 1962, 438.
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rein dem „westlichen" Gedankengut entgegensetzen wollte, so sind solche Entgegensetzungen und Trennungen heute unvollziehbar geworden, wo das westliche Deutschland ganz in den so oft und so unheilvoll von ihm zurückgestoßenen „Westen" integriert ist. Aber vielleicht ist eine solche Beurteilung der Lage zu kurzschlüssig. Wenn MARX in den DeutschFranzösischen Jahrbüchern die Chance Deutschlands darin sah, daß es „der zu einer eigenen Welt konstituierte Mangel der politischen Gegenwart" sei, so könnte dieser Mangel, der das deutsche Philosophieren, Theologisieren, Dichten und Politisieren mit hervorgetrieben hat, heute für die westliche Welt überhaupt kennzeichnend sein und eben zu jenem Protest führen, der die intensive Zuwendung zum jimgen MARX, ZU Hegel xmd nun auch zu HöLDERLIN trägt. So aber bekommt die Beschäftigung mit HöLDERLIN, SINCLAIR, Hegel und dem jungen MARX eine tiefe Zweideutigkeit: zeigt sie uns Wege zur Klärung der eigenen Situation oder ist sie Regression, eine romantische Flucht vor den Fragen der eigenen Zeit zu Symbolfiguren einer utopisch verklärten Vergangenheit? Ein Zurück zu jenem Traum, für den spätere Tage zeugen sollten — wie die PiNDAR-Verse sagen, die von den Frankfurter Freunden so geliebt wurden, ein Zurück auch zur radikalen Negation dieses Traums, zum reinen Scheitern, wie der wahnsinnige HöLDERLIN in seinem Turm es zeigt? So wie Bildhauer alter Zeiten dem Christuskind die Weltkugel mit jenem Kreuz in die Hand gaben, für das dieses Kind bestimmt war imd das dann zum Zeichen einer neuen Welt werden sollte, so sagt PETER WEISS von dem Turm am Neckar, daß er schon dagelegen, als „Kerker" gewartet habe, als HöLDERLIN Stadt und Stift betreten habe, daß er geblieben sei als Zeichen, auf das jene sich verwiesen sähen, die oft nicht einmal die Denkenden sind, die den Leidenden sich verbinden, sondern die leidenden Denkenden selbst. In einer altertümelnden Sprache beschließt der „Sänger" des Stücks von PETER WEISS den Epilog mit den folgenden Worten über HöLDERLIN: „Als weggesunken aus der Stadt er war und in der Erde lag da war der Thurm noch da und cJs zu Erde er geworden ganz und gar und man von ihm nur noch den Grabstein sah stand nah am Nekar immerdar sein Kercker nimmst ihn heut noch war".
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K. Marx: Frühe Sdiriften. 500.
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— ein scheiternder Jüngling, doch die „dichterische Bevorwortung" ScHELLiNGS Und Hegels? HöLDERLIN — wieder ein Dichter, der der theia mania anheimgegeben war? HöLDERLIN — der Schöpfer der späten Hymnen und Übersetzungen, die die Brücke schlagen zwischen den Gipfeln der Zeit? HöLDERLIN — der wirklichkeitsflüchtige Idealist, der als Dichter der Wirklichkeit doch treu bleibt und so im Verstummen vor ihr endet? HöLDERLIN — wie Hegel und der junge MARX als regressive Utopie benutzt von jenen, die sich an der Kälte der Moderne verkühlt haben? Wenn wir hier darauf hinweisen, wie das Verhältnis zwischen Hegel, HöLDERLIN und SINCLAIR eigentlich gewesen ist und ein paar alte Zeugnisse über dieses Verhältnis in den Blick bringen, dann könnte das vielleicht eine Erirmerung daran sein, daß wir heute, wo wir ein neues Verhältnis zu HöLDERLIN und seinen Freunden suchen, nicht zu voreilig nach einem „HöLDERLiN-Bild" und einer „Einordnung" HöLDERLINS in den Kontext seiner Zeit greifen sollten: Was wir von HöLDERLIN, SINCLAIR und Hegel verstehen, ist nicht alles; dieses Verständnis ist eines unter vielen schon gewesenen und vielen wohl noch kommenden. Was und wer jene Dichtenden, Denkenden und Handelnden—HöLDERLIN, Hegel und SINCLAIR— eigentlich waren, wird kaum einmal zu Ende diskutiert sein. Es muß uns genügen, daß wir einiges von ihrer Fremdheit und Ferne zu erfahren bekommen und einiges davon, was sie uns für unsere heutige Situation zu sagen haben. HöLDERLIN
HELMUT SCHNEIDER (BOCHUM)
ZUR DREIECKS-SYMBOLIK BEI HEGEL
I. Vorfragen Herkunft und Beschreibung Unter nachgelassenen Papieren Hegels im Privatbesitz seiner Nachkommen befindet sich ein einzelnes Blatt mit einer Dreiedcszeichnung, genauer mit vier Dreiecken, von denen drei kleinere an den Ecken eines größeren Dreiecks stehen. Die Seiten dieses größeren Dreiedcs sind mit Zeichen versehen, deren Bedeutung noch zu erklären sein wird. Auf jeder Seite steht ferner jeweils von links nach rechts das Wort Spiritus in lateinischen Druckbuchstaben. Die Zeichnung ist teils mit schwarzer Tinte, teils mit Bleistift ausgeführt. Mit Bleistift sind das kleinere Dreieck an der unteren Spitze, ein Teil der Zeichen und Teile von einzelnen Zeichen sowie jeweils der Anfangsbuchstabe S im Wort Spiritus gezeichnet. In der beigegebenen Abbildung (Abb. 1) erkennt man die in Bleistift gezeichneten Teile an ihrer undeutlichen Ausprägung und Blässe. Das Blatt hat einen unregelmäßigen linken und vor allem rechten Rand, ist also nicht sorgfältig beschnitten, sondern macht mehr den Eindruck eines irgendwo abgerissenen Papierstücks. Das Blatt ist breiter als hoch: an der breitesten Stelle 27,5 cm, Höhe ca. 21,5 cm. Die Maße der einzelnen Dreiecksseiten sind angegeben bei STUHLFAUTH ^ und brauchen hier nicht wiederholt zu werden. Die Länge der Seiten eines jeden Dreiecks schwankt geringfügig, da die Zeichnung anscheinend ohne Zeichengerät angefertigt wurde, wie auch die Strichführung zeigt. Es ist jedoch deutlich die Intention des Zeichners auf gleichseitige Dreiecke erkennbar. Das Papier ist graubraun und von grober Struktur und mit einem deutlich ausgeprägten Wasserzeichen versehen, das ein Segelboot darstellt. Das Blatt hat einen doppelten Knick durch die Mitte, war also früher längs- und quergefaltet zusammengelegt. Man kann das Blatt an sich in jeder Lage beschreiben und betrachten, da die richtige Lage durch die Zeichnung nicht eindeutig festgelegt ist. Jedoch erscheint es als zweckmäßig, wie hier in der Abbildung, das Blatt als Querformat zu betrachten und mit der ^ G. Stuhlfauth: Das Dreieck. Die Geschichte eines religiösen Symbols. Stuttgart 1937. 56, Anm. 138.
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Spitze der Dreiedce nach unten, da dann die Zeichen auf allen Seiten ohne stärkere Drehung des Blatts gut zu sehen sind und nur wenige Zeichen auf dem Kopf stehen. Es wäre aber auch eine Drehung des Blatts um 180° möglich. Die Abbildung der Zeichnung in der Suhrkampausgabe (vgl. Anm. 2) entspricht nicht der natürlichen Lage der Zeichnung, wenn man das Blatt, ob nun im Hoch-oder Querformat, gerade vor sich liegen hat. Veröffentlichung und bisherige Deutung Die Zeichnung wurde erstmalig in der bereits in Anmerkung 1 genannten Schrift von STUHLFAUTH veröffentlicht (Abbildung 16). Seitdem wurde sie nur zweimal wieder abgedruckt. ^ Die Deutung der Zeichnung begann mit den noch sehr undifferenzierten Erläuterungen von STUHLFAUTH. Er hatte die Zeichnung 1931 in Berlin auf der Hegelausstellung der Preußischen Staatsbibliothek gesehen und ohne Bedenken für eine eigenhändige Zeichnung Hegels gehalten. Er nennt sie „eine eigenartige Ergänzung dessen, was Hegels Biograph KARL ROSENKRANZ ZU diesem Stück Hegelscher Spekulation sagt" und zitiert dann ein Stück des Textes vom „Göttlichen Dreieck", den ROSENKRANZ überliefert hat (im folgenden kurz als Dreieckstext bezeichnet) *. In Anmerkung 140 verweist STUHLFAUTH auf TH. HAERING, der den Dreieckstext in die Jenenser Zeit datiere, und auf eine diese Datierung bestätigende Karte von Prof. H. GLöCKNER vom 18. 9. 1935. * Mit dieser Deutung hat STUHLFAUTH die folgende Diskussion weitgehend bestimmt. HAEUSSERMANN übernahm in dem bereits genannten Aufsatz (Anm. 2) von STUHLFAUTH die Zusammengehörigkeit von Zeichnung und Dreieckstext, die beide in Hegels Jenaer Zeit verlegt werden. Er versuchte die Zeichnung vom Text und damit von der christlichen Trinitätsspekulation her zu verstehen, ohne sich jedoch auf die Zeichnung richtig einzulassen. TH. L. H.\ERING ® deutete die Zeichnung ebenfalls spekulativ und ohne genauere Betrachtung der Zeichnung. Ihr liege ein kompli* F. Haeussermann: Das „Göttlidie Dreieck" und seine Bedeutung für die Philosophie Hegels. In; Zentralblatt für Psychotherapie und ihre Grenzgebiete. 11 (1939), 359—379, ebd. 359. — C.W.F. Hegel: Werke. Bd 2: Jenaer Schriften (1801—1807). Frankfurt 1970. (Theorie-Werkausgabe.) 535. ä Stuhlfauth. 37—39. * Stuhlfauth. 56. ^ Th. L. Haering: Hegel. Sein Wollen und sein Werk. Bd 2. Leipzig 1938. Neudr. Aalen 1963. 120/121.
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ziertes Schema dialektischer Konstruktion zugrunde, das „jedes Teilphänomen in sidi selbst eine dialektische Entwicklung durchmachen läßt und andererseits audi jedes dieser Teilphänomene als ganzes wieder nur Moment einer höheren dialektischen Einheit sein läßt, .. Audi HAERING bezieht in der weiteren Erklärung den Text unmittelbar auf die Zeichnung und die Dreiecke auf die Trinität, „wo die Dreieinigkeit Gottes in Vater, Sohn und Geist als umfassendes Dreieck mit drei Seiten dargestellt und symbolisiert, ebenso aber auch jede Seite dieses ersten Dreiecks wieder sich als Dreieck und in derselben dreistufigen dialektischen Entwicklung realisieren soll." Seitdem hat sich erst wieder H. KIMMERLE näher mit der Zeichnung beschäftigt im Rahmen der Bearbeitung und Datierung aller Jenaer Manuskripte Hegels. ® Auch er brachte Zeichnung und Text in engen Zusammenhang, indem er die Zeichnung als Vorstufe und symbolische Darstellung des Textes bezeichnete, jedoch bereits bemerkte, daß die Zeichnung dem Text nicht entspricht. Während im Text offenbar die vier Dreiecke miteinander ein einziges großes Dreieck bilden, sind die vier Dreiecke auf der Zeichnung getrennt und drei Dreiecke stehen vor den Ecken eines größeren Dreiecks. Der Text beschreibt also ein Dreieck von Dreiecken, die Zeichnung ein Dreieck mit Dreiecken. Das Viereck, von dem im Text die Rede ist, fehlt in der Zeichnung ganz. Von den Zeichen auf den Seiten des größeren Dreiecks der Zeichnung enthält dagegen der Text nichts. KIMMERLE datierte Zeichnung und Text auf das Frühjahr 1804. In einer späteren Veröffentlichung modifizierte KIMMERLE seinen Standpunkt teilweise. Die Nichtzusammengehörigkeit von Zeichnung und Text wird vorsichtig als Möglichkeit erwogen. ^ Die letzte Äußerung zur Zeichnung stammt von W. R. BEYER. ® Er bezweifelt Hegels Autorschaft und vermutet eine Abbildung der Skizze eines anderen Autors. In einer Rezension dieses Buchs von BEYER schloß sich KIMMERLE diesen Bedenken an, betonte jedoch die Zugehörigkeit der Zeichnung zum Werk Hegels, solange das Gegenteil nicht bewiesen ist. ®
• H. Kimmerle; Zur Chronologie von Hegels Jenaer Schriften. In: Hegel-Studien. 4 (1967), 144, 161/162. ’’ H. Kimmerle: Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens. Hegels „System der Philosophie" in den Jahren 1800—1804. Bonn 1970. (Hegel-Studien. Beiheft 8.) 116. • W. R. Beyer: Das Sinnbild des Kreises im Denken Hegels und Lenins. Meisenheim 1971. 3—5. • Hegel-Studien. 7 (1972), 392 Anm. 1.
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II. Historische Erklärung der Zeichnung Die bisher vorliegenden referierten Deutungen blieben alle im Rahmen der durch den Dreieckstext und durch die Zeichnung selbst leicht sich nahelegenden spekulativen Zusammenhänge. Unterlassen wurde eine historische Untersuchung der Zeichnung, die hiermit vorgelegt wird. Dadurch fällt dann auch neues Licht auf die für die Hegelforschung interessanten Fragen um Herkunft, Datierung, Beziehung zu Hegels Philosophie und Einordnung in sein Werk. Die historische Untersuchung muß einerseits die Zeichen erklären, andererseits die Anordnung der Dreiecke. Die Deutung der Zeichen Es konnten zwar einzelne Zeichen gedeutet, jedoch kein Sinn und Zusammenhang der Zeichen in ihrer Gesamtheit gefunden werden. Man kaim Planetenzeichen, Tierkreiszeichen, alchemistische und magische Zeichen erkennen. Von den sieben Planetenzeichen kommen sechs vor: Sorme, Mond, Merkur, Mars, Saturn, Jupiter. Es fehlt Venus. Die Zeichen für Jupiter und Saturn sind wohl aus ornamentalen Gründen mit angehängten Schleifen versehen. Über alle drei Seiten verteilt finden sich sieben Sterne. Die Siebenzahl ist auffällig und könnte sich nochmals auf die sieben Planeten beziehen. Vielleicht ist sie aber auch zufällig, da die Anordnung der Sterne keine Gesetzmäßigkeit erkennen läßt. Im Anschluß an das Sonnenzeichen folgen auf der rechten Seite des Dreiecks sofort der Mond und vier Sterne, eine bereits rein assoziativ naheliegende Verbindung, die vielleicht die Gesamtheit der Himmelskörper ganz allgemein darstellen soll. Auch in alchemistischen Zeichnungen sind häufig Sonne, Mond und Sterne zusammengestellt. Man könnte hier zahlreiche Parallelen aus Mythologie, Religionsgeschichte, Geheimwissenschaften anführen. Eine gewisse Symmetrie in der Anordnung der Planetenzeichen ist die Stellung je eines Planetenzeichens über dem Wort Spiritus. Wenn auch eine tiefere Verbindung zwischen Planeten und Spiritus besteht, wie noch dargelegt werden wird, so doch nicht speziell zu diesen drei Planeten. Die Anordnung scheint mehr aus ornamentalen und äußerlich symmetrischen Gründen erfolgt zu sein. Von den Tierkreiszeichen erscheinen die Zeichen für Fische, Schütze mit Fischen kombiniert. Für freundliche Hilfe bei der Deutung der Zeichen danke ich Frau Dozentin Dr. D. Goltz, Universität Kiel. “ Alchimia. Ideologie und Tedinologie. Hrsg. v. E. Floss. München 1970. 81.
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Waage. Alchemistische Zeichen sind evtl, die Zeichen für caput mortuum (Eisensulfid, Rückstand bei der Gewinnung des spiritus sulphuris, d. h. der Schwefelsäure), destillatus, putrefactio (Reinigung durch vorhergehende Faulung), die Zeichen für tartarus (Weinstein) und oleum tartari (Weinsteinöl). Das Zeichen für Weinstein könnte auch Pottasche bedeuten. Ein Teil dieser alchemistischen Zeichen und einige andere sind uralte magische Zeichen, die sich zum Teil schon in den spätantiken Zauberpapyri finden und vom Orient aus auch in die europäische Zauberliteratur eindrangen. Die Bedeutung der magischen Zeichen ist unklar. Man muß auch damit rechnen, daß die späteren Benutzer der Zeichen keinen Sinn mehr damit verbinden konnten und sie einfach aus der magischen Tradition übernahmen. Auch mit von den Herstellern selbst erfundenen geheimnisvoll aussehenden Krähenfüßen muß man rechnen. Alle Zeichen machen den Eindruck, als ob sie mehr oder weniger wahllos und völlig äußerlich zusammengestellt worden wären. Man muß sich daher auch vor einer Überinterpretation und übertriebenen Sinnfüllung hüten. Die Deutung der Zeichen unterliegt zudem einigen in der Sache begründeten Schwierigkeiten. Die Planetenzeichen können nicht nur die Planeten bedeuten, sondern sind in den Geheimwissenschaften mit vielen Reihen von Entsprechungen parallelisiert, z. B. mit den Metallen, Körperteilen, Farben, Tönen, Wochentagen, Edelsteinen, Pflanzen, Tieren, Lebensaltern und dgl. Viele dieser Zeichen wurden in mehreren Zweigen der Geheimwissenschaften verwendet, z. B. in Astrologie, Alchemie, Kabbala, Gnosis, Hermetik usw., zwischen denen enge Verbindungen bestanden, so daß man die Herkunft und Bedeutung oft nicht eindeutig angeben kann. Auch innerhalb der einzelnen Systeme gibt es Varianten mit abgewandelten Zeichen. Dadurch sind die Zeichen teilweise mehrDas Zeichenbuch. Hrsg. v. R. Koch. 2. Aufl. Offenbach 1926. 67. — Literatur über alchemistische Zeichen: G. W. Ceßmann: Die Ceheimsymbole der Alchymie, Arzneikunde und Astrologie des Mittelalters. 2. Aufl. 1922. Nachdr. Ulm 1964. — V. Cordier: Die chemische Zeichensprache einst und jetzt. Graz 1928. — W. Schneider: Lexikon alchemistisch-pharmazeutischer Symbole. Weinheim 1962. — I. SchwarzWinklhofer, H. Biedermann (Hrsg.): Das Buch der Zeichen und Symbole. Graz 1972. Zahlreiche Zeichen aus Astrologie und Magie, in: H.C. Agrippa ab Nettesheym: De occulta philosophia. Hrsg. u. erl. v. K. A. Nowotny. Graz 1967. — K. Preisendanz: Papyri Graecae magicae. Die griechischen Zauberpapyri. Bd 2. Leipzig 1931. Kol. XXV, neben 860: das koptische Delta und das vielleicht als Weinstein oder Pottasche gedeutete Zeichen. Häufig findet sich das in der Alchemie destillatus bedeutende Zeichen auf magischen und kabbalistischen Amuletten und Figuren: F. Bischoff: Die Elemente der Kabbalah. Magische Wissenschaft. Magische Künste. Berlin 1914. 201. 202. — 7. Scheible: Doktor Johannes Pausts Magia naturalis et innaturalis oder Dreifacher Höllenzwang, letztes Testament und Siegelkunst. Stuttgart 1849. “H. A. Strauss: Psychologie und astrologische Symbolik. Zürich 1953. 125—142.
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deutig. Es kann hier nicht darum gehen, alle möglichen Bedeutungen in den verschiedenen geheimwissenschaftlichen Systemen anzugeben. Es geht nur um die Zuordnung der Zeichen zu einem bestimmten System. In die Abbildung sind nur die sicheren Planeten- und Tierkreiszeidien eingetragen. Das Fehlen eines Sinnzusammenhangs der Zeichen weist darauf hin, daß der historische Ort der ganzen Zeichnung nicht in der Alchemie oder Astrologie mit ihren sinnvollen Zusammenhängen zu suchen ist, sondern in einem Bereich, in dem man sich dieser Zeichen rein äußerlich bediente. Die magischen Zeichen verweisen auf den magisdhen Bereich. Es handelt sich um eine Zeichnung aus einem Zauberbuch. Die Zauberbücher sind eine seit der Antike bekarmte Literaturgattung mit magischen Formeln, Anweisungen und Zeichen (Charaktere) zur Beschwörung und Bannung von Dämonen und Geistern. Die seit dem Mittelalter in Europa verbreiteten Zauberbücher zeigen starke orientalische Einflüsse vor allem aus dem jüdischen und arabischen Bereich. Auch antike Quellen sind verarbeitet, z. B. aus dem Neuplatonismus und Neupythagoreismus. Zahlreiche Zauberbücher stammen auch erst aus dem 17. und 18. Jahrhundert, wurden jedoch oft als sehr alt ausgegeben. Zauberbücher und Zeichnungen dieser Art wurden auch häufig von Studenten verfertigt und teuer an reiche Interessenten verkauft. Dadurch wird auch das Fehlen eines Zusammenhangs der Zeichen noch plausibler. Denn den Herstellern der Zeichnungen kam es natürlich nicht auf Sirmzusammenhänge an, die sie selbst nicht verstanden, sondern auf imponierendes Aussehen der Zeichnungen. Um die Zeichnungen attraktiver und interessanter zu gestalten, nahmen die Zeichner zwei Farben für die „Charaktere", nämlich Rot und Schwarz. Dadurch erklärt sich auch die Ausführung der Zeichen auf unserer Zeichnung teils in Tinte, teils mit Bleistift. Die Zeichnung erweist sich dadurch nämlich als von einer Vorlage abgezeichnet, bei der rote und schwarze Zeichen verwendet wurden. Die im OriFür diesen Hinweis und wertvolle Angaben dazu danke ich Herrn Prof. Dr. A. Nowotny, Köln. Übersichten über die Zauberliteratur: C. Kiesewetter: Faust in der Geschichte und Tradition. Mit besonderer Berücksichtigung des okkulten Phänomenalismus und des mittelalterlichen Zauberwesens. Bd 2. Berlin 1921. — A. Jacoby: Die Zauberbücher vom Mittelalter bis zur Neuzeit, ihre Sammlung und Bearbeitung. In: Mitteilungen der Schlesischen Gesellschaft für Volkskunde. 31/32 (1931), 208—228. — A. Spamer: Zauberbuch und Zauberspruch. In: Deutsches Jahrbuch für Volkskunde. 1 (1955), 109—126. C. Kiesewetter, ebd. 7, berichtet sogar von einem abgesetzten Halleschen Professor Dr. J. E. Philippi, der sich in seinen letzten Lebensjahren nur von dieser Industrie nährte.
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ginal schwarzen Zeichen sind hier ebenfalls schwarz, die im Original roten Zeichen mit Bl^igtift gezeichnet. Dieses abgezeichnete Original, das in allen Einzelheiten mit unserer Zeichnung übereinstimmen würde, konnte allerdings bisher nicht gefunden werden. Das spricht jedoch nicht gegen die behauptete Herkunft aus dem magischen Bereich. Längst lücht alle Zauberbücher sind gedruckt oder literarisch erfaßt. Viele liegen unbekannt und ungedruckt in Bibliotheken oder sind in daran interessierten Volksschichten im Umlauf, auch heute noch. LEITHäUSER bringt die Abbildung eines ähnlichen, vor einigen Jahren gefundenen Blattes mit Zeichen um einen sechseckigen Stern, also zwei ineinandergeschobene Dreiecke, das aus einem württembergischen Viehstall stammt. Naturgemäß blüht dieser Aberglaube im Verborgenen und ist sehr schwer zugänglich. Der ganze Komplex ist wenig erforscht und im Grunde ein Niemandsland zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen, für das sich nur von einigen Disziplinen aus gelegentlich jemand interessiert (Volkskunde, Theologie, Religionsgeschichte, Germanistik, Geschichte, Orientalistik). Was R. CH. ZIMMERMANN von der Erforschung der Hermetik sagte, gilt auch hier: „Es bleibt wohl die Crux der Erforschung der hermetischen Tradition, daß sie in einem Niemandsland zwischen allen akademischen Fachgebieten anzusiedeln wäre und daher immer nur peripher und stückweise, ja recht eigentlich zerstückelt in den Blick kommt. Immer wieder einmal vermelden die Wissensdisziplinen gleichsam neuentdeckte Inseln ihres eigenen altbekannten Indien, wo man sich in Wahrheit mit einem eigenen Kontinent vertraut zu machen hätte." Das bisher Erforschte ist fragmentarisch. Allein die Bearbeitung der literarisch gewordenen Zauberbücher wäre eine Lebensarbeit für einen orientalistisch ausgebildeten Volkskundler. Es ist daher auch kaum bekannt, welche magischen Traditionen im 18. und 19. Jahrhundert, aus dem unsere Zeichnung stammt, in abergläubischen Kreisen lebendig waren. Eine Herkunft des Blatts aus der Folklore ist nach Prof. NOWOTNY jedoch nicht anzunehmen. Das Blatt stammt vielmehr aus einem Zauberbuch der Oberschicht. Trotz dieser Schwierigkeiten und Forschungslücken lassen sich doch ähnliche Zeichnungen angeben, die es erlauben, auch unsere Zeichnung diesem Typ zuzuordnen. In dem schon genannten, von SCHEIBLE edierten Zauberbuch (vgl. Anm. 13), das auch GOETHE als Manuskript kannte, 7. G. Leiihäuser: Das neue Buch vom Aberglauben. Geschichte und Gegenwart. Berlin 1964. 326. R.Ch. Zimmermann: Das Weltbild des jungen Goethe. Studien zur hermetischen Tradition des deutschen 18. Jahrhunderts. Band 1: Elemente und Fundamente. München 1969. 40. ” C. Kiesewetter. 9 ff.
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sind einige ähnliche Zeichnungen abgebildet (vgl. Abb. 2). Nach dem Urteil des Herausgebers (Vorwort, 5) stammt das Buch aus dem 18. Jahrhundert. Ein gleichseitiges Dreieck in der Mitte eines dreifachen Kreises ist auf seinen drei Seiten mit 19 Beizeichen versehen, nämlich den 7 Planeten- und 12 Tierkreiszeichen. Im Gegensatz zu unserer Zeichnung sind beide Zeichenreihen also vollständig. Dagegen fehlen die auf unserem Dreieck vorhandenen anderen Zeichen. Im Dreieck befindet sich noch ein kleineres Dreieck mit der Inschrift „Locus". Die drei Kreise tragen verschiedene lateinische Aufschriften: den Anfang des Johannesevangeliums, entstellte hebräische Gottesnamen, Bibeltexte. Auf Tafel 118 (s. Abb. 3) ist ein Dreieck im Kreis dargestellt mit den zu dem Wort Spiritus auf unserem Dreieck analogen Aufschriften: Geist-Gott-Gott. Die Beizeichen fehlen hier allerdings. Bei den genannten Zeichnungen handelt es sich um Schutzdreiecke, die beim Zitieren und Beschwören der Geister verwendet wurden. Mit Hilfe von magischen Formeln, Zeichen und Handlungen, die für die verschiedenen Arten von Geistern genau angegeben sind, können die Geister herbeigerufen vmd zu Dienstleistungen für die Beschwörer gezwungen werden, z. B. zur Hilfe in Geldangelegenheiten, Diebstahl, Erlernung von Künsten und Wissenschaften, vor allem aber zum Schatzsuchen und Schatzgraben. Der Geist wurde gezwungen, den Schatz zu zeigen und herauszugeben. Da der Umgang mit den Geistern als sehr gefährlich galt, mußte sich der Beschwörer durch magische Figuren sichern. Die Kreise mit den Dreiecken und Zeichen wurden auf Papier oder Leinwand gezeichnet und am Ort der Beschwörung, meist an einem Kreuzweg, mit drei Pflöcken an den drei Ecken des Dreiecks am Erdboden befestigt. Auf den Tafeln 3 und 82 sieht man die drei Pflöcke an den drei Ecken des inneren Dreiecks. Hier bei unserer Zeichnung sind die drei Kreise weggelassen, weil offenbar die drei kleineren Dreiecke an den Ecken des größeren Dreiecks die Schutzfunktion des Kreises übernommen haben. Das wird sich durch die Erklärung der Anordnung der Dreiecke noch bestätigen. Die schützende, magische Kraft des Kreises ist bereits in der Antike eine geläufige Vorstellung und findet sich in fast allen abergläubischen und magischen Systemen.
Zum Schatzaberglauben vgl. Hirschberg: Art. Schatz, In: Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens. Hrsg. v. H. Bächtold-Stäubli. Bd 7. Berlin 1935136. 1002—1005. Scheible (s. Anm. 13). 200. M. P. Nilsson: Geschichte der griechischen Religion. Bd 1. 2. Aufl. München 1955. 113/114.
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Das Wort Spiritus In einem weiteren Sinn gehört auch das dreimal beigegebene Wort Spiritus zu den Zeichen. Da das äußerst vieldeutige Wort isoliert steht, wird man mit einer Deutung sehr vorsichtig sein müssen und den Sinn nicht unbedingt nur in einer Bedeutung suchen. Andererseits steht es aber auch sicher nicht zufällig hier. Man karm es mit der Figur und den Zeichen in einen plausiblen Zusanunenhang bringen. Zunächst könnte man an die Dämonen denken, die hier als Geister bezeichnet werden. Darunter fallen auch die durch Zeichen symbolisierten Planeten. Die in der Antike als Götter verehrten Planetengeister waren ja unter christlichem Einfluß längst zu meist bösen Dämonen geworden. Auch in der Dämonenlehre der bereits zitierten Magia naturalis sind die obersten Dämonen den Planeten zugeordnet. Spiritus wäre demnach als Deutewort eine Bezeichnung für die auf jeder Seite des Dreiecks durch Zeichen symbolisierten Dämonen. Sowohl die Zeichen als auch das Wort können dabei apotropäischen Sinn haben, im Sinne einer homöopathischen Magie, worauf bei der Erklärung der Anordnung der Dreiecksfiguren noch näher eingegangen wird. Diese Deutung wird bestätigt durch ein magisches Siegel, auf dem ebenfalls ein Dreieck im Kreis mit magisch-astrologischen Beizeichen dargestellt ist (Abb. 4). Auf den Seiten des Dreiecks stehen hier die einzelnen Namen der Dämonen (Boel, Cafziel, Michathan, Datquiel). Die Zeichnung aus dem Oedipus Aegyptiacus des Jesuiten ATHANASIUS KIRCHER (Rom 1652—54), ist abgedruckt in der bereits genaimten AcRippA-Ausgabe von K. A. NOWOTNY (vgl. Arun. 13), Appendix XIII. 687. Der sdion im Begriff der Planetengeister zwischen Kosmos und Geisterwelt gegebene Zusammenhang hat aber auch noch andere Formen. Es gibt einen Weltgeist, einen Erd- und Himmelsgeist, Elementargeister von Wasser, Feuer, Luft und Erde. In der Alchemie stellte man sich die Die Begriffsgeschidite von spiritus ist erstaunlicherweise noch nicht geschrieben. Sie deckt sich jedoch wenigstens teilweise mit der von itveOpa und Geist. Für beide Begriffe gibt es brauchbare Monographien. E. Sdtweizer: jtvEÜna, jtvsupaxixo?. In: Theolog. Wörterbuch zum Neuen Testament. Begr. v. G. Kittel. Hrsg. v. G. Friedrich. Bd 6. Stuttgart 1959. 330—450. — R. Hildebrand: Geist. Nachdruck Darmstadt 1966. In Goethes Faust heißt es im Walpurgisnachtstraum von Oberon: „Keine Klauen, keinen Schwanz! Doch bleibt es außer Zweifel: So wie die Götter Griechenlands, So ist auch er ein Teufel." (V. 4271—74). Paracelsus: Quinque philosophiae tractatus: „Dann ist auch weiter zu wissen, daß der Geister vielerlei sind, und je einer anders als der andere, denn es sind Spiritus coelestes, spiritus infernales, spiritus humani, spiritus ignis, spiritus aeris, Spiritus aquae, spiritus terrae etc. ..." In: Theophrastus Paracelsus: Werke. Bd 3: Philosophische Schriften. Besorgt v. W.-E. Peuckert. Darmstadt 1967. 416. — Zur
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ganze Materie mit Geist und Geistern erfüllt vor, die durch den alchemistischen Prozeß aus der Gefangenschaft in der Materie erlöst und befreit wurden. Die Anordnung der Dreiedce Die Anordnung der drei kleineren Dreiecke an den Ecken des größeren Dreiecks, die als Ersatz für den sonst üblichen schützenden Kreis um das große Dreieck gedeutet wurde, ist in der Geschichte des Dreieckssymbols mit seinen zahlreichen Varianten absolut singulär. Es konnte bisher trotz umfangreicher Nachforschungen keine weitere Dreiecksdarstellung mit dieser Anordnung der Dreiecke ausfindig gemacht werden. Es gibt nur eine Quelle, von der die Zeichnung angeregt sein kann, es sei denn, der Zeichner wäre durch Zufall selbst auf diese Anordnung gekommen, was jedoch höchst unwahrscheinlich ist, weil in der Quelle zugleich eine Dämonenlehre enthalten ist. Die Quelle ist PLUTARCHS Schrift De defectu oraculorum (Die eingegangenen Orakel), Kap. 22. In Dialogform wird in Kap. 22—37 das bereits von PLATON im Timaios behandelte Problem der Zahl der Welten entwickelt. Einer der Gesprächsteilnehmer, KLEOMBROTOS, berichtet von einem seltsamen Mann, den er am Roten Meer (= Arabischer Meerbusen und Indischer Ozean) getroffen habe. (Kap. 21) Von diesem Mann, der nur einmal im Jahr unter die Menschen ging und sonst mit herumziehenden Nymphen und Dämonen zusammenlebte, habe er über die Zahl der Welten folgendes erfahren: „Er sagte aber, es gäbe weder unendlich viele noch nur eine noch fünf Welten, sondern hundertdreiundachtzig, in einem Dreieckschema angeordnet, und zwar enthielte jede Seite desselben sechzig Welten, und die übrigen drei seien je an einer Ecke untergebracht; die einander benachbarten berührten sich, während sie sich sacht wie im Reigentanz herumbewegten; die innerhalb des Dreiecks befindliche Fläche sei der gemeinschaftliche Herd aller Welten und heiße das Feld der Wahrheit, in dem die Begriffe, die Ideen und die Urbilder alles dessen, was geworden sei und was werden werde, unbeweglich ruhten, und um sie sei die Ewigkeit, und die Zeit, gleichsam Beziehung von Natur und Geist im Deutschen Idealismus: 7. Hoffmeister: Goethe und der Deutsche Idealismus. Eine Einführung zu Hegels Realphilosophie. Leipzig 1932. — H. Rahner; Erdgeist und Himmelsgeist in der patristisdien Theologie. In: Eranos-Jahrbuch. Hrsg. v. O. Fröbe-Kapteyn. Bd 13. Zürich 1946. 237—276. ” C. G. fung: Psychologie und Alchemie. Olten 1972. (Ges. Werke. Bd 12) 340—352. Zu Spiritus bei Descartes, Bacon und Newton vgl. .W Frost: Bacon und die Naturphilosophie. München 1927. 158—162. 28 Der Verfasser wäre für Hinweise von Lesern dankbar.
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ein Ausfluß der Ewigkeit, bewege sich zu den Welten hin." PLUTARCHS Bruder LAMPRIAS meinte dazu, daß der seltsame Mann wohl bewandert in der Wissenschaft und kein Barbar sei, sondern ein Grieche von Abstammung, voll von griechischer Bildung. „Das beweist die Zahl der Welten, die nicht ägyptischen noch indischen, sondern dorischen Urspungs ist, aus Sizilien, von einem Mann aus Himera namens PETRON. Sein eigenes Büchlein habe ich zwar nicht gelesen, noch weiß ich, ob es noch erhalten ist, aber HIPPYS VON RHEGION, den PHANIAS VON ERESOS zitiert, berichtet, dies sei die Meinung und Lehre des PETRON, daß es hundertdreiundachtzig Welten gebe, die einander in einem Punk berührten. Was das freilich bedeutet ,sich in einem Punkt berühren', das erläutert er nicht, noch fügt er sonst etwas hinzu, was die Sache einleuchtend machen könnte." (Kap. 23)
Die hier geschilderte Anordnung der Weltendreiecke entspricht genau der Anordnung der Dreiecke auf unserer Zeichnung. PLUTARCH sagt zwar nicht ausdrücklich, daß die einzelnen Welten auch Dreiecksform haben. Eine solche Schlußfolgerung in unserer Zeichnung würde jedoch einerseits der magischen Verwendung des Dreiecks entsprechen, worüber noch mehr zu sagen ist, andererseits aber auch dem historischen Hintergrund der PLUTARCHStelle. DIOGENES LAERTIUS überliefert nämlich von EPIKUR nähere Ausführungen, wie man sich eine einzelne Welt aus den unzählig vielen Welten des Universums vorstellen kann. Danach kann sie auch die Form eines Dreiecks haben. „Eine Welt ist eine Art Behältnis des Himmels, das Sterne, Erde und alles Erscheinende umfaßt; sie stellt einen Abschnitt dar aus dem Unendlichen und endigt in eine Begrenzung, die entweder im Umschwung begriffen ist oder in Ruhe ist und einen runden oder dreieckigen oder wie immer gearteten Umriß hat; denn es liegen alle Möglichkeiten vor." In der folgenden Interpretation soll versucht
Plutarch: Über Gott und Vorsehung, Dämonen und Weissagung. Religionsphilosophische Schriften. Eingel. und übertragen von K. Ziegler. Zürich-Stuttgart 1952. 132. Plutarch: De def. or. 422 B—C. ’ekeye 6e HT|T’ dnelpou; nf)#’ 8va pr|TE jtfvre x6a[iot)S, TQetg xal ÖYÖof|xovTa xal exatöv slvai auvTeraYixEvoug xurd oxtiiia TpiYCDVoEidEg, o5 jtXeußdv fexdoTTiv fe^fixovra xdopou^ E'XEIV TQiiöv öe TWV Xowöäv Exaarov lögüa'&ai xatd Yco^'ittY, ärtTsodai öE Todg E.enovTa5 xal TWV xad’ exaaxa xd; alxiag dixoSiöovai. xal vdp iraßd xolg IIudavoeEioig EÜeT)aonev dXXag ■ycovlag dX/.oig deolg dvaxEiHEvag, wajiEe xal 6 $iX6Xaog nEreoiTixE xolg [IEV XT)V xeiYQ>vixT)v ycoviav xolg bk xi)v xExpaycovixTiv dcpiEgcoaag, xal dXXag aX.Xoig xal xf)v aöxfiv JIXEIOOI dsolg xal xcp adxtp nXEioug, xaxd xdg 6iaqp6got)g EV adxcp öuvdp.Eig dvetg. itpog a ^loi öOXEI xal 6 ’AdT)vaiog (?) cpiXococpog dcpogräv xaxd xö xglycovov xd ÖTijuoueYucdv xö redcr]g jtecoxoueYO'v alxiov xfjg xröv axoixßltov 6iaxoonT|OECog dXXoug [IEV üjtooxiiaai dEOug xaxd xdg jtXeudg, dXXoog 6e xaxd xdg YW'''laS, xoxig [lev ngoööou xal 8t)vd[iEcog xoehYodg, xoug bk xTjg au^Evi^Etog xcov oXcov xal xfjg Elg EV ndXiv xwv ngoEXOdvxcov ouvaYcoYfig.
Griechischer Text in: Prodi Diadochi in primum Euclidis elementorum librum commentarii. Ex rec. G. Friedlein. Leipzig 1873. Nachdr. Hildesheim 1967. 130. 6—21. Die hier gebotene Lesart A8T|valog, die der Übersetzer übernommen und auf Plato bezogen hat, muß geändert werden in Aaivalog. Gemeint ist Theodoros von Asine. Vgl. dazu Proclus. A commentary on the first book of Euclids elements. Transl. with introd. and notes by Glenn R. Morrow. Princeton University Press 1970. 105. Anm. 96. Ed. Steck. 282. Eixoxcog apa xal 6 $iXöXaog xxiv xoü xpiydivoi) yosv'mv rexragaiv dvEÜTixEV •ftEolg, Kpovcp xal “Aiöxi xal ”Apei xal Aiovdcicp, näaav xfiv xErpapEpii
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Auf den ersten Blick scheint DIELS mehr behauptet zu haben, als er philologisch exakt belegen konnte oder belegt hat. Einige Schwierigkeiten müssen erläutert werden. Die erste Schwierigkeit ergibt sich aus dem PtUTARCHtext De Is. c. 30. Es ist nicht deutlich angegeben, was vom Dreieck eigentlich den genannten Göttern eignet. TT]V im griechischen Text muß also durch ein Substantiv ergänzt werden. HOPFNER in der angeführten Übersetzung hat „Wesen" ergänzt. BABBITT bezog TTIV auf öuvainv im ersten Satz und übersetzte: „and the dominion of the triangle belongs to Hades, Dionysus and Ares, . .." Obwohl diese letztere Übersetzung die exakteste ist, kann man sinngemäß mit DIELS und ZELLER der y^vlav ergänzt, doch auch diese Stelle in Anlehnung an die PROKLOsstellen als indirekten Beleg für die Beziehung der drei genannten Götter zu den Dreieckswinkeln betrachten. Die parallelen PROKLOSstellen, die scheinbar eine TraditionsVariante darstellen, beziehen sich eindeutig auf die Winkel. Hier tritt allerdings das Problem auf, daß der Dreieckswinkel nach PHILOLAOS vier Göttern geweiht ist: Chronos, Ares, Hades und Dionysos. Chronos ist also gegenüber der PLUTARCHstelle dazugekommen. In der PLUxARCHstelle überPETRON wird Chronos jedoch ebenfalls erwähnt als Ausfluß der Ewigkeit, der sich zu den Welten hinbewegt. Bei den spärlichen Quellen sind für uns die Hintergründe dieser in Einzelheiten verschiedenen Traditionen und der TraditionsWandel nicht mehr rekonstruierbar. Wenn auch die Zahl der Winkel des Dreiecks also nicht unbedingt mit der Zahl der zugeordneten Götter übereinstimmen mußte, wie auch das Beispiel des Vierecks zeigt, dessen Winkel fünf Göttinnen geweiht ist, kaim man doch eine Traditionsvariante annehmen, die dem Dreieckswinkel drei Götter zuordnete, wie PLUTARCH von EUDOXOS in De Is. indirekt berichtet. Wenn PROKLOS ferner nicht von den Winkeln im Plural spricht, sondern von dem Winkel des Dreiecks im Singular, der mehreren Göttern geweiht wurde.
xiöv aroixeiojv 6iax6a(iT)CTiv TT)V fivtodev djtö TOC oögavoC xaOrixoiJO'av EITE djiö Twv TETTdßcov Toö ^coöiaxoü TnnjidTtov Ev TOUTOig nEQiXaßüjv ö (x^v ycLQ Kgovog jtöaav dq^toTTioi TT)V iyQ&y xat ipuxed'v odotav, 6 6E "'AQT]? jtödav xijv E^JTOQOV cpdaiv, xal 6 (lEV “AI8TIS TT|V öXtiv auvExei ^cof|v, 6 5E Aiovuaog Tf)V ■uQyd.y xal dEpuriv EmTQOitEtJEi ydvEaiv, ■fis xat 6 olvog ad[xßo^ov wv xal dEQ^dg. jtdvTEg 8E OCTOI xard HEV tdg Elg xd ÖEuxEga itoixiOEig 6iEaxT|xaai, ijvcovxai öE dX,Xr|Xoig. Siö xai xaxd [iiav aÜTWv YCDvtav CTuvayEi xr|v ^voaaiv 6 $iX6Xoog. Griechischer Text in: ed. Friedlein. 166, 25—167, 14. Plutardxs Moralia in 15 vol. V. 351C—438E. With an English transl. by F. C. Babbitt. London 1962. 75.
E. Zeller: Die Philosophie der Criedien in ihrer Teil 1, 1. Hälfte. 5. Aufl. 1892. 393.
gesdtiditlidten Entwicklung.
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ist das, entgegen ZELLER, ** keine Schwierigkeit für die Aufteilung der drei Götter auf die drei Winkel des Dreiecks. Im gleichseitigen Dreieck sind ja alle drei Winkel gleich groß und insofern karm man tatsächlich von einem einzigen Dreieckswinkel sprechen, der im Dreieck dreifach vorhanden ist. Wenn man jedoch drei Götter auf drei Winkel verteilt, liegt nichts näher, als jedem Winkel einen Gott zuzuteilen und nicht nur einem Winkel drei Götter oder einem Gott drei Winkel. Daß aber tatsächlich Götter bei den Seiten und bei den Winkeln aufgestellt wurden, berichtet PROKLOS selbst in der ersten angegebenen Stelle Von THEODOR VON ASINE, einem Schüler von JAMBLICH. Der Ausdruck „aufstellen" (viroarriaai) läßt schon irgendwie an bildliche Darstellungen denken oder zumindest an eine räumliche Zuordnung, die sich von der Identifizierung der Seiten des rechtwinkligen Dreiecks mit den Göttern Isis, Osiris und Horus bei den Ägyptern, von der PLUTARCH in De 7s. c. 56 berichtet, doch wesentlich unterscheidet. Ferner ist zu beachten, daß die vier Götter eine Einheit bilden, die nur in ihren Einwirkungen auf die untergeordneten Wesen sich vierfach zeigt. Das vor jedem Winkel stehende Dreieck könnte also auch als die dreifach aufgestellte Quaternität von Göttern verstanden werden. W. BURKERT versucht eine Deutung der Drei- und Vierzahl der von PROKLOS für PHILOLAOS angegebenen Götter bzw. Göttinnen, gestützt auf ältere Literatur, durch Heranziehung der in der antiken Astrologie üblichen Einschreibung von Dreiecken und Vierecken in den Tierkreis. Auch PROKLOS spricht ja von den vier Schnittpunkten des Tierkreises im Zusammenhang mit den vier Göttern und vier Elementen. Ein Dreieckswinkel würde dann vier Tierkreiszeichen umspannen. Abgesehen von der anderen Tradition bei PLUTARCH/EUDOXOS scheitert diese Deutung jedoch an der Tatsache, daß die genannten vier Götter weder einen direkten und überzeugenden Bezug zu den vier Jahreszeiten oder Elementen noch zu den Tierkreiszeichen haben, worauf BURKERT auch selbst hinweist. Andererseits scheint doch auch in dieser Interpretation ein richtiger Kern zu stecken, auch wenn er das Problem nur teilweise löst. Eine gewisse Schwierigkeit ergibt sich auch für die von DIELS behauptete Schutzfunktion der drei Dreiecke bzw. Welten/Götter, wofür kein Beleg angegeben wird. Die Göttertrias Hades, Ares, Dionysos ist weder in dieser Zusammenstellung noch überhaupt als Schutztrias anderweitig bekannt. Unsere Zeichnung könnte die scheinbar intuitive Inter« Ebd. 394. W. Burkerf: Weisheit und Wissenschaft. Studien zu Pythagoras, Philolaos und Platon. Nürnberg 1962. 326—328.
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pretation von DIELS bekräftigen. Das hier auf tretende hermeneutische Verfahren der Überbrückung von historischen Lücken kann man wohl dadurch rechtfertigen, daß ein Festhalten an einem abstrakten Exaktheitsideal hier nicht weiterführt. Bei diesen singulären und kaum verständlichen Überlieferungen, um die es hier geht, muß man zu allerdings begründeter Kombination und Intuition greifen, um überhaupt zu einer Deutung zu kommen. Man kann dadurch werdgstens die Richtung angeben, in der die Lösung liegt. U. E. hat DIELS die PETRONische Kosmologie sinnvoll und plausibel gedeutet. Auch W. CAPELLE schloß sich DIELS an. Der sachliche Zusammenhang unserer Zeichnung mit der Kosmologie des PETRON in der Deutung von DIELS von PHILOLAOS/PROKLOS her besteht also in der Anordnung der drei Welten an den Ecken des großen Dreiecks imd in der Deutung dieser drei Welten als Schutzwelten bzw. Schutzgötter wegen der im Neuplatonismus bekannten Weihe der Dreiedkswinkel an drei (Schutz) götter und der Aufstellung der Götter an den Winkeln. Die Deutung der drei Schutzwelten als drei Schutzgötter wird verständlicher, werm man bedenkt, wie gering in der heidnischen Antike der Unterschied von Gott und Welt war. Die Welt wurde als göttlich verstanden und erlebt und als mit Göttern aller Art angefüllt. Die scharfe Unterscheidung von Gott und Welt kam erst durch das Christentum auf. Nach dieser Interpretation der Kosmologie des PETRON auf unsere Zeichnung hin erhebt sich die Frage, was der Zeichner selbst von alledem gewußt hat, und wie er dazu kam, diese Kosmologie magisch anzuwenden. Man muß armehmen, daß er zumindest die PLUTARCHstelle gekannt hat. Ob er auch die von uns zur Interpretation herangezogenen PROKLOSstellen gekannt hat, muß offenbleiben. Der von uns aufgewiesene Zusammenhang zwischen Götter- bzw. Dämonenlehre und Kosmologie muß dem Zeichner nicht unbedingt bekannt gewesen sein. Er könnte auch auf eine mehr äußerliche Weise zu einer magischen Verwertung der 183 Welten gekommen sein. Die Nachricht davon in De defectu oraculorum steht nämlich in einem Kontext, in dem es weitgehend um Fragen der Dämonologie geht. Das Problem der Mehrzahl der Welten ist in dieser Schrift nur eine thematische Abschweifung, auf die man im Gespräch durch die Mitteilung kam, daß bei Dämonenkämpfen die besiegten Dämonen in eine andere Welt abgewandert seien. PLUTARCH ist auch durch viele andere Schriften neben XENOKRATES, APULEJUS und einiDie Vorsokratiker. Die Fragmente und Quellenberichte. Übers, u. eingel. v. W. Capelle. Stuttgart 1968. 102/03. Belege bei W. Kranz: Kosmos.
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gen Neuplatonikem der bedeutendste antike Dämonologe. Wer sich für PLUTARCHS Dämonenlehre interessierte, mußte notwendig auch auf PETRON und seine 183 Welten stoßen. Die innere Verbindung zur Magie lag für den Zeichner wohl einfach in der Dreiecksform mit ihrer magischen Bedeutung, von der auch PLUTARCH spricht. In der Dämonologie und im Zauberwesen spielte das Dreieck von jeher eine große Rolle, STUHLFAUTH bringt dazu eine Fülle von Belegen. PLUTARCH berichtet in seiner Schrift De sera numinis vindicta (Späte Vergeltung) in Kap. 28 im Zusammenhang mit einer Seelenreise ins Totenreich, daß dort drei Dämonen in Form eines Dreiecks zusammensitzen und die Ströme nach gewissen Maßen miteinander mischen. Das Dreieck wurde als Sinnbild der Dämonen verwendet. Dadurch konnte es auch zum Schutzdreieck werden und als Dreieck vor jedem Winkel den schützenden Kreis ersetzen. Der Grund dafür besteht darin, daß hier wieder das Prinzip der homöopathischen Magie angewandt wurde, auf das bei der Erklärung der Zeichen und des Wortes Spiritus bereits hingewiesen wurde. Das Prinzip similia similibus (Gleiches durch Gleiches) gilt nicht nur in der Medizin und Erkenntnistheorie, sondern auch in der Dämonenlehre. Die bösen Geister können nur durch andere böse Geister oder hier, beim Dreieck mit seinen Zeichen, durch deren Symbole abgewehrt werden. Als mögliche Quellen für unsere Zeichnung sind noch zwei andere Traditionen der Dreiecksspekulation zu prüfen. Sie können jedoch ausgeschieden werden. Die PLAXONische Lehre, daß die ganze materielle Wirklichkeit aus Dreiecken zusammengesetzt ist, spielt hier kaum herein. Denn Zusammensetzung aus Dreiecken bedeutet ja nicht Anordnung in Dreiecksform. Eine christlich-trinitarische Bedeutung ist höchst unwahrscheinlich. Es gibt unter den zahlreichen Trinitätssymbolen und symbolischen Trinitätsdarstellungen keine Anordnung der Dreiecke wie hier in dieser Zeichnung. Wohl war das Dreieck Gottessymbol zu allen Zeiten und auch im christlichen Bereich seit der Spätantike oder dem Frühmittelalter. Es soll auch nicht ausgeschlossen werden, daß sich in der Zauberpraxis sekundär bei einer solchen Figur die Assoziation an die christliche Trinität einstellen konnte, wenn auch zu erwägen wäre, inwiefern hier die Trinität gemeint sein könnte. In den Zaubertexten wird ja auch die Trinität häufig zum Schutz angerufen. Aber die christliche Trinitätslehre war nicht Quelle dieser Figur. Auch der behauptete Zusammenhang mit JAKOB BöHME ist nicht ersichtlich. Bei BöHME kommen nur einfache Plutarch, ed. Ziegler. 209. O. Bödier: Dämonenfurcht und Dämonenabwehr. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der christlichen Taufe. Stuttgart 1970. 161—168.
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Dreiecke als Symbol der Trinität vor. Bei der weiten Verbreitung des Dreiecks als Gottes- und Trinitätszeichen hat das aber nichts zu bedeuten und ist völlig unspezifisdi für unsere Zeichnung. Über eine mögliche sekundäre trinitarisciie Deutung durch Hegel ist noch zu sprechen.
III. Folgerungen für Hegel Als Ergebnis der historischen Untersuchung kann man festhalten, daß die Zeichnung von einer Vorlage abgezeichnet wurde (Ausführung in Tinte und Bleistift, Zeichen und Anordnung der Dreiecke aus anderen Quellen). Hegel hat die Zeichnung also nicht selbst entworfen. Ob er die Zeichnung selbst abgezeichnet hat oder ein anderer, muß offenbleiben. Wie kam die Zeichnung in Hegels Nachlaß? Die Zeichnung fand sich in einem Teil des Hegelnachlasses im Besitz von Nachkommen Hegels. Unter diesen Hegelmanuskripten sind jedoch auch Papiere, die nicht von Hegel selbst geschrieben sind, z. B. der Stammbaum der Familie, der schon älter ist. Es wäre also theoretisch denkbar, daß auch die Zeichnung auf Vorfahren Hegels zurückgeht und von ihm aus Interesse oder Pietät aufbewahrt wurde. Wenn sich jemand auf diese These versteifen wollte, könnte man ihn nicht widerlegen. Trotzdem scheint es wahrscheinlicher zu sein, daß die Zeichnung durch Hegel selbst in seine Papiere kam. Man muß sich dazu Hegels Interesse für alle mystischen und irgendwie obskur-geheimnisvollen Dinge vor Augen halten. Es gibt wohl auch einen Hegel secret auf diesem Gebiet. Die Beziehungen Hegels zu den Geheimwissenschaften können hier nicht ausführlich dargestellt werden. Aber immerhin hatte Hegel Beziehungen zu Alchemie, Gnosis, Rosenkreuzerei, Freimaurerei, Astrologie. Die Zeichnung paßt ganz in diesen Horizont. Seine oft absprechenden Äußerungen können darüber nicht hinwegtäuschen. Auch über Beschwörungen wußte er gut Bescheid, wie eine Stelle aus der Jenenser Realphilosophie II zeigt, wo er das Bergen des Samenkorns in der Erde als magische Handlung versteht. „Dies Bergen in die Erde ist daher eine mystische, magische Handlung. Wie das Kind nicht nur diese hilflose, sich lücht als Vernunft ankündigende Menschengestalt ist, sondern an sich die Kraft der Vernunft, ein ganz Andres als dies, das nicht sprechen, nichts Vernünftiges tun kann, und wie die Taufe eben diese feierliche Anerkennung des Genossen des Geisterreichs ist, so ist das In-die-Erde-Legen, Fallenlassen des Samenkorns diese “ Vgl. dazu; E. Voegelin: On Hegel — A study in sorcery. In: Studium Generale. 24 (1971), 335—368.
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mystische Haiuilung, daß geheime Kräfte in ihm sind, die noch schlummern, daß es in Wahrheit noch etwas Andres ist als dies, wie es so da ist. Der Magier, der diesem Korn, das ich mit der Hand zerdrücke, einen ganz andern Sinn gibt, welchem eine rostige Lampe ein mächtiger Geist ist, ist der Begriff der Natur. Das Korn ist die Macht, welche die Erde beschwört, daß ihre Kraft ihm diene. In Heidelberg nahm Hegel an den magnetisch-spiritistischen Sitzungen bei seinem Freund SCHELVER teil. Mit seinem Freund und Schüler VAN GHERT korrespondierte er über animalischen Magnetismus. In der Enzyklopädie werden die Denkbestimmungen der Logik als die reinen Geister bezeichnet, in der Logik als das Reich der Schatten. ®^ Noch in Berlin entlieh er sich von CAROVE ein Buch über Hexengeschichte und Somnambulismus ®® und exzerpierte eine Schrift von KIESER über das Zweite Gesicht. ®® Hegels Mitwelt, vor allem die Romantik, lebte mit diesen Dingen. Schon von daher war Hegel damit bekannt, auch wenn er die Romantik, vielleicht auch in sich, überwinden wollte. Hat Hegel die Zeichnung selbst abgezeichnet? Daüber läßt sich nichts sicher sagen. Die Ausführung zeigt einen ungeübten Zeichner, der die Sterne z. B. mit Hilfe vorgezeichneter Punkte zeichnete. Über Hegels Zeichenbegabung wissen wir wenig. ROSENKRANZ berichtet allerdings von dem verlorenen Wastebook aus Hegels Jenaer Zeit, daß er in diesem sich einmal „schlecht genug" selbst abgezeichnet habe, wie er, am Boden liegend das Farbenspiel des Lichts an seinem Fenster beobachtet habe. ®^ Hegel war also wohl eher ein schlechter Zeichner. Auch sind keine weiteren symbolischen Zeichnungen erhalten. Man muß zweifeln, ob es sie gegeben hat. Aus dem in großen Druckbuchstaben geschriebenen Wort Spiritus kann man nicht ersehen, ob es sich um Hegels Schrift handelt. Es gibt kein geeignetes Vergleichsmaterial mit großen Druckbuchstaben unter Hegels Manuskripten. Zudem wären drei Worte zu wenig Material für einen Schriftvergleich.
“ G. W. F. Hegel: Jenenser Realphilosophie. II. Die Vorlesungen von 1805/06. Hrsg. V. J. Hoffmeister. Leipzig 1931. 125. “ F. Walter: Aus meinem Leben. Bonn 1865. 98. Zitiert nach; Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen. Hrsg. v. G. Nicolin. Hamburg 1970. 157. Hegel: Enzyklopädie der phil. Wissenschaften im Grundrisse. (1830) Zusatz 2 zu § 24. Hegel: Werke. Bd 3: Wissenschaft der Logik. Hrsg. v. L. v. Henning. 47. “ Briefe von und an Hegel. Hrsg. v. J. Hoffmeister. Bd. 2. 2. Aufl. Hamburg 1961. 243.
Hegel: Berliner Schriften. Hrsg. v. J. Hoffmeister. Hamburg 1956. 691/92. ” K. Rosenkranz: Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben. Berlin 1844. 198.
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Wie kam die Zeichnung in Hegels Besitz? Man kann nur Vermutungen anstellen. Eine Möglichkeit wäre, daß Hegel unter Studenten oder abergläubischen Kreisen auf die Zeichnung stieß und sie sich dort abzeichnete oder abzeichnen ließ. Möglich wäre auch, daß es sich um eine Zusendung oder Briefbeilage handelt, worauf die Faltung hinweisen könnte. Allerdings kann die Faltung auch andere Ursachen haben. Es ist jedoch gut denkbar, daß ein Freund oder Bekannter, der um Hegels Interessen wußte, ihm das Blatt schickte. Auch GOETHE schickte einmal ein mystische Zeichnung, die sich allerdings auf die Farbenlehre bezog, über BOISSER^E an Hegel. Unter diesen Umständen stellt sich die Frage, ob man die Zeichnung überhaupt für Hegel in Anspruch nehmen kann oder sie nicht besser aus Hegels Werk ausscheiden soll. Da jedoch die Möglichkeit besteht, daß Hegel die Zeichnung selbst abgezeichnet hat, kann man sie auch nicht einfach aus dem corpus hegelianum ausscheiden. Es käme ihr im positiven Falle der gleiche Rang wie einem Exzerpt zu und sie gehörte damit eindeutig zu seinem Werk. Um dieser Möglichkeit willen und wegen ihrer Affinität zum Denken Hegels sowie ihrer Herkunft aus dem Hegelnachlaß wird man sie zum Werk rechnen müssen, sie in ihrer Authentizität jedoch als fragwürdig kennzeichnen. Die Affinität der Zeichnung zum Denken Hegels besteht neben den bereits erwähnten magischen Bezügen in Hegels Interesse für Dreiecksspekulation und Triadik überhaupt. Hegel muß jedenfalls eine innere Beziehung zu der Zeichnung gehabt haben, die ihn zur Aufbewahrung veranlaßte, wie auch immer die Zeichnung entstanden und in seine Hände gelangt sein mag. Die Wiederholung und Fortpflanzung des großen Dreiecks in den drei kleinen Dreiecken, die dreifache Aufgliederung einer ursprünglichen Triade, die im Neuplatonismus und in Hegels Gliederungen vorkommt, mußte ihn fesseln. Die Figur ist so angelegt, daß man, unabhängig von ihrer historischen Herkunft und Bedeutung, spekulativ sehr viel hineinlegen karm. Sicher kann man von der Zeichnung aus auch zur christlichen Trinitätsspekulation eine sekundäre Beziehung finden und Hegel wird diese Beziehung sicher auch beachtet haben. Man körmte das innere große Dreieck als den trinitarischen Gott in seiner Einheit, die drei kleineren Dreiecke als in seiner Dreiheit, die Einheit ist, deuten. Wenn man allerdings die ganze Zeichnung als Trinitätsdarstellung nähme, käme man auf eine Vierheit. Danüt hätte man aber den Boden der christlichen Trinitätslehre bereits verlassen. Die Trinität als Quaterni5. Boisseree: Briefwedisel/Tagebüdier. 1862. Nadidr. Göttingen 1970. Bd 2. 178 ff.
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tät spielt in den Geheimwissensdiaften und trinitarischen Häresien eine große Rolle. Auch bei Hegel scheint das Problem immer wieder durch. In einer eigenen Untersuchimg über den Dreieckstext wird demnächst das Problem behandelt werden. Ein historischer Zusammenhang zwischen der Zeichnung und dem Dreiedcstext ist nicht belegbar oder ersichtlich. Man karm die Zeichnung daher auch rücht als Vorarbeit zum Dreieckstext bezeichnen. Andererseits wird man richtig vermuten, daß Hegel in seinen Jugendjahren und in der Jenaer Zeit an diesen Dingen besonders interessiert war. Es erhebt sich die Frage einer möglichen Datierung. Die Datierung auf das Frühjahr 1804 durch H. KIMMERLE beruht auf Argumenten, die nur den Dreieckstext betreffen und ist daher wegen der unbeweisbaren Verbindung von Zeichnung und Text, abgesehen von der fraglichen Urheberschaft Hegels, nicht haltbar. Wenn man schon Vermutungen anstellen will, müßte man mindestens die Zeit bis 1807 ohne nähere Eingrenzung in Betracht ziehen. Eine genaue Datierung der Zeichnung war bisher nicht möglich. Man kann aus der Verwendung von Bleistift jedoch einen terminus a quo erschließen. Die Zeichnung kann demnach nicht vor ca. 1750 entstanden sein, als der Bleistift langsam in Gebrauch kam. Die früheste Bleistiftzeichnung GOETHES stammt aus dem Jahre 1765. Auch durch das Wasserzeichen ist keine Datierung möglich. Trotz der Hilfe der zwei größten deutschen Wasserzeicheninstitute konnte es nicht eingeordnet und datiert werden. Es ist bisher noch nicht aufgetreten. Zum Schluß muß noch die Möglichkeit erwogen werden, daß Hegel sich für die Zeichnung interessierte, weil er die PLUTARCHstelle kannte. Man kann annehmen, daß der in der antiken Literatur und Philosophie so bewanderte Hegel auch PLUTARCHS De defectu oraculorum gelesen hat. Jedenfalls war Hegel mit anderen Kollegen aus dem Tübinger Stift Subskribent einer PLUTARCHausgabe. Hegel hätte also hier gezeichnet gefunden, was er bei PLUTARCH gelesen hatte. Daß die fragliche PLUTARCHH. Kimmerle: Zur Chronologie von Hegels Jenaer Schriften. In: HegelStudien. 4 (1967), 144. Corpus der Coethezeichnungen. Bd 1. Hrsg. v. d. Nat. Forsch.- u. Gedenkstätten d. Klass. Deutschen Lit. in Weimar. Leipzig 1958. 11/12. LT. Hötzer: Hölderlin als Subskribent auf eine Plutarch-Ausgabe. In: Hölderlin-Jahrbudh. Hrsg. v. F. Beissner u. P. Kludchohn. Jg. 1950. Tübingen 1950. 120—126. — Es handelte sich um die Ausgabe von Hutten: Plutarchi Chaeronensis quae supersunt omnia. Cum adnotationibus variorum adjectaque lectionis diversitate. Opera Joannis Georgii Hutten. 14 Bde. Tubingae 1791—1804. Es war eine rein griechische Textausgabe. De defectu oraculorum erschien 1797 in Bd 9. Im Versteigerungskatalog von Hegels Bibliothek ist die Ausgabe als Nr. 470—83 aufgeführt.
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stelle in der damaligen PLUTARcnrennaissance am Ende des 18. Jahrhunderts und darüber hinaus auch bei anderen Beachtung fand, zeigt das Beispiel GOETHES, der den zweiten Teil der Stelle von den Urbildern im „Feld der Wahrheit" mit einer anderen PLUXARCHstelle über die „Mütter" kombinierte und im FAUST verwertete. (V. 6213 ff, 6427 ff.) Darauf hat als erster RIEMER hingewiesen. Zum Schluß soll noch die Möglichkeit geprüft werden, ob Hegel nicht unabhängig von historischen Quellen oder Vorlagen die Dreiecke in dieser Form kombinieren und mit den Zeichen versehen konnte, die ihm wie jedem anderen Gebildeten damals durchaus geläufig waren. Man könnte an eine Neuaktuierung oder Ausformung des in der Zeichnung dargestellten Archetyps der Verbindung von Dreiheit und Vierheit im Sinne von C. G. JUNG denken. Das würde historische Quellen erübrigen. Doppelentdeckungen und Doppelerfindungen unabhängig voneinander und durch lange Zeiträume getrennt sind in Philosophie und Wissenschaft ja immer wieder auf getreten. Man kann diese Erklärung nicht einfach abweisen. Dagegen spricht jedoch der deutlich vorhandene historische Hintergrund. Auch wenn man nicht genau sagen kann, auf welchem Weg dieser historische Hintergrund an Hegel kam, scheint die Annahme einer historischen Vermittlung doch plausibler zu sein.
“ K. Ziegler: Plutardios. In: Paulys Realencyclopädie der classisdien Altertumswissensdiaft (Pauly-Wissowa). Halbband 41. Stuttgart 1951. 958. PlutardiSdiwärmer waren Goethe, Klinger, Liditenberg, Hamann, Jacobi, Beethoven, Jean Paul. •* F. IV. Riemer: Mitteilungen über Goethe. Bd 1. 1841. 396. — Goethe-Handbuch. Hrsg. V. J. Zeltler. Bd 2. Stuttgart 1917. 641/42.
MANFRED BAUM / KURT MEIST (BOCHUM)
HEGELS „PROMETHEISCHE
CONFESSION"
Quellen für vier Jenaer Aphorismen Hegels
Karl ROSENKRANZ hat in fünf Nummern des Königsberger Literatur-Blattes von 1842 (4. Mai bis 27. Juli) „Kritische Xenien" Hegels aus dessen Jenaer Zeit veröffentlicht. Im Anhang seiner Hegel-Biographie (1844) druckte er den größten Teil jener Sammlung als Aphorismen aus der Jenenser Periode wieder ab ROSENKRANZ entnahm diese „Aphorismen" einem von ihm so genannten „Wastebook" das heute im Hegel-Nachlaß nicht mehr aufzufinden ist. Da diese Notizen nur durch ROSENKRANZ' Überlieferung erhalten sind, kommt seinen Veröffentlichungen für uns Quellenwert zu. Beide Male begleitete er Hegels Reflexionen mit Erläuterungen ihrer Entstehung und Bedeutung; und als einer dieser „Aphorismen" (nach dem ersten Abdruck) angegriffen wurde, antwortete er mit einer Erklärung eines Hegel'schen Paradoxons ®. ging davon aus, daß die von ihm ausgewählten Notizen Hegels, die nach seiner Mitteilung „zwischen Büchertiteln und gelehrten Excerpten" standen, durchgängig „mit der ganzen Macht genialer Ursprünglichkeit in momentanem Drang hingeschleuderte kritische Xenien" seien, die aus ihrer Umgebung für sich herausgenommen werden könnten: „Jedes ist ein kleines in sich abgeschlossenes Ganzes."^ Bei der Vorbereitung des Textes und der sachlichen Erläuterungen des Bandes 5 der Gesammelten Werke Hegels (Schriften und Entwürfe 1799—1808) stellte sich jedoch heraus, daß es sich bei mehreren dieser „Aphorismen" um bloße Exzerpte aus oder Anmerkungen zu Artikeln aus Literaturzeitimgen handelt. ROSENKRANZ
* Vgl. Unbekannte Aphorismen Hegels aus der Jenaer Periode. Mitgeteilt von Friedhelm Nicolin. In: Hegel-Studien. 4 (1967), 9—19. ^ K. Rosenkranz: Hegels Leben. Berlin 1844. 198. ’ Königsberger Literatur-Blatt. No 39. 29. Jimi 1842. Vgl. Nicolin: Unbekannte Aphorismen. 11, 19. * Königsberger Literatur-Blatt. No 31. 4. Mai 1842. 242; Nicolin: Unbekannte Aphorismen. 17; und Hegels Leben. 199.
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MANFRED BAUM / KURT MEIST
So ist der „Aphorismus" Nr 55 ® ein Zitat aus dem Intelligenzblatt der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung. Num. 72, den 1 Julius 1805. Sp. 611: „Unter andern hat Hr. KIESEWETTER eine sehr grosse Neigung bey den Taubstummen, in Reimen zu sprechen, gefunden, und, was beynahe unglaublich scheint, ihre Reime waren nicht auf Orthographie, sondern auf den Ton gegründet." Der „Aphorismus" Nr 1 geht zurück auf zwei Bildbeschreibungen C. A. BöTTIGERS in der Allgemeinen Literatur-Zeitung vom Jahre 1803. Zweyter Band. April, May, Junius. S. III {lieber die Siegsgöttin als Bild und Reichskleinod.) und ebd. Vierter Band. October, November, December. S. III (Eros und Anteros.). Die entsprechenden Stellen bei BöTTIGER lauten: „Wissen wir doch nicht einmal den artistischen Stammbaum (den mythologischen mag der Sagenklitterer PAUSANIAS verantworten IX, 27. p. 82), und den frühesten Bildner des Eros anzugeben." und: „Die Ehre, das Grundprincip monarchischer Verfassungen nach MONTESQUIEU, hat uns Modernen den Genius des Ruhms dafür gegeben, ein zweydeutiges Nebelbild, kaum durch den Pinsel des CARACCI ZU veredeln, als fliegende Fama aber mit den hässlichen Trompeter-Backen ein wahres Spottbild auf die Allegorie der Modernen." Der von ROSENKRANZ verteidigte „Aphorismus" über die Griechische Knabenliebe ® muß gleichfalls auf den zuletzt genannten Artikel BöTTIGERS bezogen werden. Dort heißt es S. III f: „Man erinnere sich z. B. nur an die Geschichte beym MAXIMUS TYRIUS Diss. XXVI, p. 28 REISK. wo sich eine ganze Reihe Lokrer um eines spröden Knaben willen erhängt. [. . .] Die Gymnasien waren und blieben die Säugammen und Kuppleriimen dieser unnatürlichen, aber unglaublich verbreiteten und in ihrem tausendfachen Einfluss auf die griechische Kunstwelt noch immer nicht hinlänglich gewürdigten Knabenliebe." Im ersten Teil seiner Abhandlung erörtert BöTTIGER die Frage, wie es bei den Griechen zur Bildung des Götterpaares Eros und Anteros gekommen sei. Neben anderen Belegen aus der antiken Literatur dient ihm die von MAXIMUS TYRIUS berichtete Episode zur Illustration seiner These, daß Anteros als Genius der verschmähten Liebe zu deuten sei. Weil diese Ausführungen den unmittelbaren Anstoß zu Hegels Reflexion gegeben haben, müßte ROSENKRANZ' Interpretation des — von ihm beim zweiten Abdruck der Sammlung unterdrückten — „Aphorismus" im Hinblidc auf BöTTIGERS Darlegungen überprüft werden. ® Nadi der Numerierung in; Dokumente zu Hegels Entwicklung. Hrsg. v. J. Hoffmeister. Stuttgart 1936. 369. • Nicolin: Unbekannte Aphorismen. 12.
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Hegels „Prometheisdie Confession"
Besondere Bedeutung hat ROSENKRANZ dem Faust-„Aphorismus" (Nr 50) beigemessen: „Dies Fragment könnte man Hegels Prometheisdie Confession nennen/'^ Indessen stammt diese „phänomenologische Faustiade" ® nicht von Hegel, sondern ist gleichfalls ein Exzerpt aus der Allgemeinen Literatur-Zeitung vom Jahre 1805 [Halle]. Zweyter Band. April, May, Junius. Sp. 170—182. Hegels Vorlage war eine anonyme Sammelrezension der Romane F. M. KLINGERS, deren Autor Johann Gottfried GROBER ® ist. Zur Erleichterung des Vergleichs werden im folgenden Hegels Text und die entsprechenden Partien aus GRUBERS Rezension parallel abgedruckt.
Gruber
Hegel
Früh fand Faust die Gränzen der Menschheit zu enge, und stiess mit wilder Kraft dagegen an, um sie über die Wirklichkeit hinüber zu rücken. [...] Er nagte an dem Gedanken: wie und woher es käme, dass der fähige Kopf und der edle Mann überall unterdrückt, vernachlässigt, sey, im Elende schmachte, während der Schelm und der Dummkopf reich, glücklich und angesehen wären. Er wollte nun den Grund des moralischen Uebels, das Verhältniss des Menschen mit dem Ewigen erfor-
Faust fand die Grenzen der Menschheit zu enge und stieß mit wilder Kraft dagegen an, um sie über die Wirklichkeit hinüber zu rücken. Er fand den edlen Kopf unterdrückt und vernachlässigt, den Dummkopf und Schurken zu Ehren erhoben. Er will den Grund des moralischen Uebels erforschen, das Verhältniß des Menschen zum Ewi-
’’ Königsberger Literatur-Blatt. No 31. 4. Mai 1842. 243; Nicolin: Unbekannte Aphorismen. 18. ® Hegels Leben. 200. • Johann Gottfried Gruber, geb. 29.11.1774, gest. 7.8.1851. Gruber hat sich am 29.11.1803 in Jena mit einer Arbeit Aesthetica philosophiae pars habilitiert und bis 1805, dem Jahr seiner Übersiedlung nach Weimar, Vorlesungen über Philosophie und Ästhetik gehalten. Während dieser Zeit beteiligte er sich auch als Rezensent an der Allgemeinen Literatiur-Zeitimg [Halle]. Nach Max Rieger ist er der Verfasser der anonym erschienenen Klinger-Rezension. Vgl. Friedridi Maximilian Klinger. Sein Leben imd Werke. Zweiter Teil: Klinger in seiner Reife. Dargestellt von M. Rieger. Darmstadt 1896. 417. Die Besprechung Klingers ist nur ein Teil der Gruberschen Rezension, die unter dem Gesamttitel Romanen-Literatur in mehreren Fortsetzungen erschien imd in ihrem zweiten Teil Romane Wielands zum Gegenstand hat. (Allgemeine Literatur-Zeitung vom Jahre 1805. Zweyter Band. Num. 103, 104, 105, 106; Dritter Band. Num. 238, 239.) Hegel scheint Gruber gekaimt zu haben. Vgl. Briefe von und an Hegel. Hrsg. v. J. Hoffmeister. Bd 1. Hamburg 1952. 90. Brief an Niethammer vom 10.12.1804.
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sdien, wollte wissen, ob er es sey, der das Mensdiengeschledit leite, und woher die ihn plagenden Widersprüche entstünden? Er wollte die Finsterniss erleuchten, die ihm die Bestimmung des Menschen zu umhüllen schien. Eröffnet wollte er den Grund der Dinge haben, die geheimen Springfedern der Erscheinungen der physischen und moralischen Welt, und den fasslich gemacht, der alles geordnet hat. Wozu, meynt er, eine Fadsel, wenn ihre dampfende Gluth den Irrenden nur blendet? — Vergebens aber, er fasst das Unfassbare nicht, und als er eilt auf die Bühne des Lebens, imd in den wunderbar durcheinanderkreuzenden Scenen der Welt Tugend und Laster verschlungen, Gutes aus Bösem, Böses aus Gutem hervorgehen sieht, verwirrt sich sein Geist immer mehr; er sieht unendlich die Kette der Nothwendigkeit um die freyen Geschöpfe geschlungen, reisst mit Macht an der Kette und kann sie nicht zerreissen, knirscht, dass keiner Herr von den
gen, ob er sei, der das Menschengeschlecht leite und woher die es plagenden Widersprüche entstehen. Er will den Grund der Dinge, die geheimen Springfedern der Erscheinungen der physischen und moralischen Welt und den faßlich haben, der Alles geordnet.
Vergebens! Er eüt auf die Bühne des Lebens, wo Tugend und Laster verschlungen, Gutes aus Bösem, Böses aus Gutem herkommt. Immer mehr verwirrt sich der Geist. Er sieht che Kette der Nothwendigkeit um die freien Geschöpfe geschlungen, knirscht, daß keiner Herr seiner Tha-
Zum Vergleich zitieren wir aus den Klingerschen Romanen nach der Ausgabe: F. M. Klingers Werke. Königsberg 1815 f. „Früh fand er die Gränzen der Menschheit zu enge, und stiess mit wilder Kraft dagegen an, um sie über die Wirklichkeit hinüber zu rücken. ... Er nagte an dem Gedanken: wie und woher es käme, dass der fähige Kopf und der edle Mann, überall unterdrückt, vernachlässigt sey, im Elende schmachte, während der Schelm und der Dummkopf reich, glücklich und angesehen wären. ... Er wollte nun den Grund des moralischen Übels, das Verhältiüss des Menschen mit dem Ewigen erforschen. Wollte wissen, ob er es sey, der das Menschengeschlecht leite, und wenn? — woher die ihn plagenden Widersprüche entständen? Er wollte die Finstemiss erleuchten, die ihm die Bestimmung des Menschen zu umhüllen schien ... [Faust:] ,Du sollst mir den Grund der Dinge, die geheimen Springfedem der Erscheinungen der physischen imd moralischen Welt eröffnen. Fasslich sollst du mir den machen, der alles geordnet hat ... Wozu eine Fackel, wenn ihre dampfende Glut den Irrenden nur blendet? ...'" Werke. Bd 3: Fausfs Leben, Thaten und Höllenfahrt. Königsberg 1815. 4, 6, 54 f. Grubers Text hat hier: Umfassbare (Druckfehler?).
Hegels „Prometheische Confession" Folgen seiner Thaten ist, und kann es nicht ändern, und muss alles seinen ewigen Lauf gehen lassen, dahingegeben einer fremden Madit, die er nicht sieht, die seiner nur zu spotten scheint; und überall um ihn tiefes Dunkel und finstres Schweigen! — Da fasst ihn kalte, schreckliche Verzweiflung ! Und das Resultat nun von allem? Dem Geist des Menschen ist alles dunkel, er ist sich selbst ein Räthsel. Vielleicht aber, dass die Theologie gewährt, was die Speculation hartnäckig versagte. [.. .] „[. . .] Wer ist Euer Gott? Was kann mir ein Gott seyn, um desswillen Ihr Vermessne sagt, dass idi hier stehe, den Ihr nun durch meine Ermordung rächen wollt! Was that ich ihm, idr, der idi nur strebte, die Gesetze der Menschheit nach der Leitung meines Herzens zu erfüllen! Was that mir Euer Gott, der weder mir, noch einem der Opfer Eurer Wuth beystund! der keines meiner Leiden stillte? zu dem der von Euch Geplagte vergebens ruft?" ** Weit entfernt, Beruhigung erhalten zu haben, schneidet es jetzt nur um so tiefer in die Seele, dass wir audi hier wieder nichts erfuhren, als diess; „Nothwendigkeit ist der Name der gewaltigen, unbekaimten Macht; diess ist alles, was du fassest! Unterwirf dich und stirb!" Und dennoch hüte man sich, zu rasch zu entscheiden, denn wie, wenn
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ten ist und kann's nicht ändern. Er muß Alles seinen ewigen Lauf gehen lassen, dahingegen jene Macht, die er nicht sieht, die nur seiner zu spotten scheint, tiefes Dunkel, finsteres Schweigen einhüllt. Dem Geist des Menschen ist Alles dxmkel, er ist sich selbst ein Räthsel.
Theologie gewährt, was die Speculation versagt: Was that ich Euerm Gott, der ich nur strebte, die Gesetze der Menschheit nach der Leitung des Herzens zu erfüllen, Euerm Gotte, der auf kein Opfer Euern Wünschen beistand, keines Euerer Leiden stillte, zu dem der von Euch Geplagte vergebens ruft? Nothwendigkeit ist der Name der gewaltigen, unbekannten Macht. Dies ist Alles, was du fassest. Unterwirf dich und stLb. -
** Dieser Satz steht im Epilogus des Faust, der in der 3. Auflage (1815) weggefallen ist. Vgl. Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt in fünf Büchern. St. Petersburg 1791. 411. Verkürztes Zitat aus Geschichte Raphaels de Aquillas. Vgl. Werke. Bd 4. Königsberg 1815. 277. “ Vgl. ebd. 271.
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nicht die Gottheit, sondern die Menschheit selbst durch Missbrauch ihrer Gaben, durch falsche Anwendung ihrer Fähigkeiten, durch Kleinmuth und Trägheit, die Schuld von dem allen trüge? Und wie, wenn die Geschichte diess wirklich bestätigte? — Dieser Gedanke ist es, der den Reisen vor der Sündfluth zum Grunde liegt, deren Tendenz ist, zu zeigen, der Mensch missbrauche leider, was ihm zu seinem Glück gegeben sey, Religion, Regierung und die Wissenschaften. Der Mensch wird als der eigne Vernichter seines glückseligen Zustandes aufgestellt, und nach ROUSSEAU scheint der Vf. anzunehmen, derjenige sey der glücklichste, der in stiller Ruhe, fern von der rauschenden Thätigkeit der Menschen, seine Tage hinlebt, ohne zu wissen, wie die Menschen regiert werden, und ohne nachzuforschen, warum Gott vor imsern Augen Dinge geschehen lässt, wie wir sie täglich geschehen sehen. Kann das aber der Mensch? Bestimmt er seine Lage und sein Schicksal? Wird er nicht gewaltsam hineingerissen in den Strudel des Lebens? Das grosse Warum kehrt also wieder. Der, Gott nicht mehr anklagende, seine Abhängigkeit aber bang anerkennende, Mensch willwis-
Nicht die Gottheit, sondern die Menschheit selbst durch Mißbrauch ihrer Gaben, durch falsche Anwendung ihrer Fähigkeit, durch Kleinmuth und Trägheit, trägt die Schuld von Allem. Der Mensch mißbraucht, was ihm zu seinem Glück gegeben ist, Religion, Regierung und die Wissenschaft. Am glücklidisten der in stiller Ruhe, fern von der rauschenden Thätigkeit der Menschen, seine Tage hinlebt, ohne zu wissen, wie die Menschen regiert werden, und ohne nachzuforschen, warum Gott vor unsern Augen Dinge geschehen läßt, wie wir sie täglich geschehen sehen. Kann das aber der Mensch? Bestimmt er seine Lage und sein Schicksal? Wird er nicht gewaltseun hineingerissen in den Strudel des Lebens? Das große Warum kehrt wieder.
Der Gott nicht mehr anklagende, seine Abhängigkeit aber anerkennende Mensch will wissen, zu wel-
Gruber verwendet hier und im folgenden Zitate aus dem Roman Der Faust der Morgenländer, in denen von den Reisen vor der Sündfluth im Dialog die Rede ist: „, ... Du hörtest Mahals Reisen als Grossvizir an ... denn hättest du sie als Mensch gehört, so würdest du höchstens daraus geschlossen haben: der Mensch mißbrauche leider oft, was ihm zu seinem Glück gegeben ist, Religion, Regierung und die Wissenschaften.'" Die zweite Stelle lautet: „,... Sieh, Grossvizir, dieses fliesst ungefähr aus Mahals Reisen ... : Derjenige sey der glücklichste, der in stiller, unschuldiger Ruhe, fern von den Höfen und der rauschenden Thätigkeit der Menschen, seine Tage hinlebt, ohne zu wissen, wie die Menschen regiert werden, und ohne nachzuforschen, warum Gott vor imsern Augen Dinge geschehen lässt, wie wir täglich geschehen sehen.' " Vgl. Werke. Bd 7. Königsberg 1816. 20, 24.
Hegels „Prometheisdie Confession"
sen, zu weldiem Zweck er da ist, und kann er keine Antwort erzwingen, so möchte er wenigstens erfahren, warum die Natur mit ihm auf halbem Wege stehen geblieben ist, und ihn da nur ahnden lässt, wo er Gewissheit fodert. ** Diess auszuführen, ist Giafar bestimmt, der uns des Menschen ächte Hoheit aus seiner moralischen Natur entwickelt. „Der Mensch ist, vermöge seines freyen Willens sein eigner Herr, Schöpfer seines Schicksals und seiner Bestimmung. Er kann durch sein Wirken den schönen Gang der moralischen Welt befördern und stören, und das ganze Menschengeschlecht, vom Bettler bis zum König, ist also, jeder nach seiner Kraft, zusammengenommen, Werkmeister der moralischen Welt. Der Mensch entwickelt nur das einmal in ihn gelegte Streben, wie jedes Ding der sichtbaren Welt; doch mit dem Unterschied, dass nur ihn sein freyer Wille, und sein das Böse und Gute begreifender Sinn, der Strafe und der Belohnung fähig machen." [...] „[.. .] Durch
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chern Zweck er cJa ist. Und kann er keine Antwort erzwingen, so möchte er doch wissen, warum die Natur mit ihm auf halbem Wege stehen geblieben und ihn da nur ahnen läßt, wo er Gewißheit fordert. Der Mensch ist Herr seines Schicksals und seiner Bestimmung. Er kann durch sein Wirken den schönen Gang der moralischen Welt befördern und stören und das ganze Menschengeschlecht vom Bettler bis zum König ist Werkmeister der moralischen Welt. Der Mensch entwickelt nur das in ihn gelegte Streben, wie jedes Ding der sichtbaren Welt, nur mit dem Unterschiede, daß nur ihn sein freier Wille und sein das Böse und Gute begreifender Sinn, der Strafe und der Belohnung fähig machen. — Ich habe
Vgl. die Geschichte Ciafars des Barmeciden: „, ... Der denkende Mensch fühlt sich zugleich der Natur unterworfen, und je mehr er beobachtet, je stärker überzeugt er sich von dieser zwiefachen Abhängigkeit, dieser seinen Stolz demüthigenden Beschränktheit, und will alsdaim das wiefern und warum erkennen; will wissen, zu welchem Zwecke er da ist; und kann er keine Antwort erzwingen, so möchte er wenigstens erfahren, warum die Natur, so zu sagen, mit ihm auf halbem Wege stehen geblieben ist, xmd ihn da nur ahnden lässt, wo er Gewissheit fordert. ...'" Werke. Bd 5. Königsberg 1816. 34 f. " Vgl. Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt in fünf Büchern. St. Petersburg 1791. 394: „Der Mensch ist vermöge seines freyen Willens, und seines ihm eingedrückten iimern Sinns, sein eigner Herr, Schöpfer seines Schicksals und seiner Bestimmung. Er kann durch seine Thaten und sein Würken, den schönen Gang der moralischen Welt befördern und stöhren, nach seiner Lage und Denkart oft ganze Völker, ja ganze Welttheile glücklich oder unglücklich machen, und das ganze Menschengeschlecht, vom Bettler bis zum Körüg, ist also, jeder nach seiner Kraft, zusammengenommen, Werkmeister der sogenannten moralischen Welt. Er entwickelt also nur das einmal in ihn gelegte Streben, wie jedes Ding der sichtbaren Welt, doch mit dem Unterschied, daß nur ihn sein freyer Wille, und sein das Böse und Gute be-
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was besieg' ich die Zweifel? — Ich habe die Neigung zum Bösen besiegt. Die Reinheit meines Willens ist es, das Gefühl, nach dem Gesetze der Vernunft gehandelt zu haben; die Ueberzeugung, dass ein Wesen nicht vergehen kann, das durch den Verstand gewirkt hat, die mich erheben." [...] Und so findet der Leser in diesen Werken den rastlosen, kühnen, oft fruchtlosen Kampf der Edeln mit den von diesem Götzen erzeugten Gespenstern, die Verzerrungen des Herzens und des Verstandes, die erhabenen Träume, den thierischen, verderbten, den reinen und hohen Sinn, Heldenthaten und Verbrechen, Klugheit und Wahnsinn, Gewalt und seufzende Unterwerfung, kurz — die ganze menschliche Gesellschaft mit allen ihren Wundern und Thorheiten, allen ihren Scheusslichkeiten und Vorzügen, wie der Vf. selbst erklärt. « Hat nun aber das bangende Herz durch Giafars schönen Glauben Beruhigung gefunden, und ist für das Leben eine neue Hoffnung aufgegangen: so geben wir zwar das Be-
die Neigung zum Bösen besiegt. Die Reinheit meines Willens ist es, das Gefühl, nach den Gesetzen der Vernunft gehandelt zu haben, die Ueberzeugung, daß ein Wesen nicht vergehen kann, das durch den Verstand gewirkt hat, sind es, die mich erheben. — Rastloser, kühner, oft fruchtloser Kampf des Edeln mit den von diesen Göttern erzeugten Gespenstern: Entzweiung des Herzens und des Verstandes; die erhabenen Träume und die thierischen, verderbten; der reine und hohe Sinn, Heldenthaten und Verbrechen; Klugheit und Wahnsinn; Gewalt und seufzende Unterwerfung; die ganze menschliche Gesellschaft mit ihren Wundern und Thorheiten, Scheußlichkeiten und Vor-
greifender Sinn, der Strafe und Belohnung fähig machen." Die Passage „Der Mensch ... moralischen Welt" findet sich nur geringfügig verändert auch in der Geschichte Giafars, 43. Vgl. Geschichte Giafars. 390: „,... Durch was besiege ich die Zweifel ...? Was ist es, das mich über ihn erhebt? ... Trugvoller Geist, in dem ich die Neigung zum Bösen besiegt habe! die Reinheit meines Willens ist es, das Gefühl, nach dem Gesetze der Vernunft gehandelt zu haben. Die Überzeugung, dass ein Wesen nicht vergehen kann, das durch den Verstand gewirkt hat ...'". Vgl. die Nahriht an das Publicum über die philosophishen Romane von Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt, bis zum ***: „Und so findet der Leser in diesen Werken den rastlosen, kühnen, oft fruchtlosen Kampf der Edeln ... Gewalt und seufzende Unterwerfung, und, um es mit Einem Worte zu bezeichnen, die ganze menschliche Gesellschaft mit allen ihren Wundern und Thorheiten, allen ihren Scheusslichkeiten und Vorzügen; aber auch das in jedem dieser Werke vorzüglich bemerkte Glück der natürlichen Einfalt, Beschränktheit und Genügsamkeit, auf welche hinzudeuten der Verfasser nirgends imterlassen hat." Allgemeine Literatur-Zeitung. Intelligenzblatt Numero 89. Mittwochs den 20te“ Jtmius 1798. 751.
Hegels „Prometheische Confession"
greifen des Unbegreiflichen auf, und fügen uns gefasster der ewigen, unabänderlidien Ordnung der Dinge; allein verlangen, vom kalten Geist des Zweifelns beschlichen, nach Auskunft über die Fragen: Ist jener Enthusiasmus wohl mehr, als der Traum eines Schwärmers? Rechtfertigt ihn der kalte Verstand? Jagen wir nicht, ihm folgend, leeren Schatten nach, und verlieren darüber die Wesenheit? Ja, lässt sich, so wie die Welt einmal ist, und ihre jetzigen Verhältnisse sind, überhaupt ein solcher Traum realisiren? [.. .] Sahir zeigt S. 332 fgg. die Quelle in falscher Aufklärung und Erleuchtung, Cultur und Humanität, und was die Heilmittel betrifft; so ruft der Geist der Natur, seinen Lieblingen Fanno und Rosa, zu: „Lebet in mir! mit mir! Ich bin [in] und mit Euch, und kann Euch lücht deutlicher werden, als ich es bin. Leben und Verwelken, Gedeihen und Zerstörung hangen an einander; meine Freundschaft verbirgt Euch die nahe Verkettung. Ich liebe meine Kinder, und habe ihnen die Täuschung zur Gefährtin gegeben. Ohne sie erstarrte Euer Geist, und der Frost des Todes beschliche Euer Herz. Mein Lohn ist Euer Glück, die Quelle dazu strömt mit reichem Flusse in Eurem Herzen. Suchet es nur da! Fliehet den Wahn derer, die es ausser mir suchen. — [...]"
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Zügen. — Allein — ist jener Enthusiasmus wohl mehr als der Traum eines Schwärmers? Rechtfertigt ihn der kalte Verstand? Jagen wir nicht, ihm folgend, leeren Schatten nach, imd verlieren darüber die Wesenheit? Ja, läßt sich, so wie die Welt nun einmal ist, wie ihre jetzigen Verhältnisse sind, überhaupt ein solcher Traum realisiren?
Geist der Natur; Lebet in mir, mit mir! Ich bin mit Euch und kann Euch nicht deutlicher werden, als ich es bin! Blühen und Verwelken, Gedeihen und Zerstören, hangen an einander. Meine Freundschaft verbirgt Euch die nahe Verkettung. Ich habe meinen lieben Kindern die Täuschung zur Gefährtin mitgegeben. Mein Lohn ist Euer Glück. Die Quelle dazu strömt mit reichem Flusse in Euerem Herzen. Suchet es nur da! Fliehet den Wahn derer, die es außer mir suchen!
Verkürztes Zitat aus Sahir, Eva's Erstgeborner im Paradiese. Vgl. Werke. 6d 10. Köiügsberg 1816. 211 ff.
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Daß Hegels „Fragment" sidi nicht auf GOETHES Faust bezieht, dessen erster Teil 1790 erschienen war, hat bereits ROSENKRANZ ausdrücklich bemerkt Seine weitergehende Behauptung, daß auch keine andere „Bearbeitung der Faustfabel" als Vorlage in Betracht komme wird dagegen durch die GRUBERsche Rezension widerlegt. Denn in den von Hegel ausgeschriebenen Partien der Rezension bespricht GRUBER folgende Romane KLINGERS (in der angegebenen Reihenfolge): Faust's Lehen, Thaten und Höllenfahrt; Geschichte Raphaels de Aquillas; Reisen vor der Sündfluth; Geschichte Giafars des Barmeciden und Sahir, Eva's Erstgeborner im Paradiese. Außerdem verwertet er KLINGERS Nachricht an das Publicum über die philosophischen Romane . . . und benutzt den Faust der Morgenländer. Die ersten beiden Absätze des „Aphorismus" handeln also nicht „überhaupt von Faust" sondern von einem „bestimmten Dichterwerk" nämlich von KLINGERS Faust-Roman. Dagegen beziehen sich die folgenden Abschnitte auf die übrigen Romane und nicht mehr, wie ROSENKRANZ annimmt, allein auf den Faust Es lassen sich der dritte Absatz der Geschichte Raphaels, der vierte den Reisen, der fünfte der Geschichte Giafars, dem Faust (nur 1. Aufl.) und der Nachricht und der sechste Absatz dem Sahir zuordnen. ROSENKRANZ vergleicht die einzelnen Etappen der „Faustiade" mit dem Aufbau der Phänomenologie des Geistes: „Er [Hegel] läßt Faust phänomenologisch von Standpunkt zu Standpunkt fortrücken, bis ihm der Geist der Natur zuruft . . . Die Entzweiung Fausts mit dem Glauben an Gott. . . Als Hegel Faust sich den Einwurf machen läßt, daß nicht das Wesen des Menschen ihn so unglücklich mache, sondern der Mißbrauch der ihm verliehenen Gaben . . ." Keine der so interpretierten Stellen hat in Hegels Vorlage etwas mit — KLINGERS — Faust zu tun. Natürlich ist es immer noch möglich, den ganzen KLiNGERSchen Romanzyklus mit der Phänomenologie und dem Schicksal Fausts in Beziehung zu setzen und Hegels stark gerafftes Exzerpt in diesem Sinne zu deuten. Eine solche Interpretation hätte die Auswahlgesichtspunkte Hegels anzugeben und zu erklären, warum in seiner Zusammenfassung gerade diejenigen Romane des Zyklus fehlen, die nach GRUBER „leicht die voll** Königsberger Literatur-Blatt. 243; NicoUn: Unbekannte Aphorismen. 18; Hegels Leben. 200. Das übersieht Joseph Gauvin in seinen beiden Aufsätzen: L'Aphorisme 50 du Temps lena. In: Hegel-Tage Urbino 1965. Bonn 1969. (Hegel-Studien. Beiheft 4.) 65—74; Plaisir ei Necessite II. In: Archives de Philosophie. 29 (1966), 237—267. Königsberger Literatur-Blatt. 243; Nicolin: Unbekannte Aphorismen. 18.
« Ebd. Hegels Leben. 200. “ Hegels Leben. 200 und Königsberger Literatur-Blatt. 243; Nicolin. 18. Königsberger Literatur-Blatt. 243; Nicolin. 18.
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endetsten dieses Vfs. seyn . . . dürften": die Geschichte eines Teutschen der neuesten Zeit und Der Weltmann und der Dichter Immerhin hat GRUBER sich „eine Würdigung, die dem Geist und der Absicht des Vfs. entspreche", zum Ziel gesetzt. Der Zweck KLINGERS aber war „nicht Romane überhaupt, sondern philosophische Romane zu liefern", die so eng zusaimnengehörten, „daß man diese ganze Folge von Werken abwarten müsse, bevor man über eins derselben ein entscheidendes Urtheil fällen köime" Es gibt aber weder einen Anhaltspunkt für eine unabhängige Beschäftigung Hegels mit KuNGERS^philosophischem Romanzyklus bei der Abfassung dieses Exzerpts, noch spricht etwas dafür, daß Hegel GRUBERS Gesamtdeutung, die die Billigung KLINGERS fand getreu reproduzieren wollte, auch wenn sich Spuren des ursprünglichen Aufbaus der Rezension in Hegels Kurzfassung wiederfinden lassen ®®. So bleibt Hegels „Kunst fragmentarischer Composition" in diesem „Aphorismus" noch aufzudedcen. Was den Stil unseres Textes betrifft, so ist er es wohl, der ROSENKRANZ „sehr merkwürdig" vorkommt, weil ihn „nicht selten eine gewisse gigantische Sonderbarkeit" auszeichne. Es bekunde sich in ihm eine „halbsinnliche, poetische Anschauung des Absoluten" Diese Charakterisierung, die eine Eigentümlichkeit der damaligen Diktion Hegels hervorzuheben glaubt, erscheint in neuem Licht, wenn nicht nur Hegels Vorlage, GRUBERS Rezension, herangezogen, sondern diese auch am Originaltext KLINGERS überprüft wird. Hegel hat bei seiner Abschrift in größerem Umfang solche Passagen der Rezension ausgewählt, die von GRUBER als KLiNGER-Zitate ausgewiesen wurden. Aber auch bei den übrigen Stücken zeigt der Vergleich mit KLINGER, daß GRUBER sich oft der Worte seines Autors bediente, ohne dies eigens kenntlich zu machen. Das hat zur Folge, daß Hegels Exzerpt zu etwa zwei Dritteln aus origiAllgemeine Literatur-Zeitung vom Jahre 1805. Zweyter Band. 178. 2® Ebd. 170, 183. ln einem Brief an den Verleger Hartknoch vom 19. August 1805 schreibt er: „Die Recens: in der H. L. Z. über meine Romane hab ich gelesen; er ist der erste, der sie aus dem Gesichts Punkt ansah, in welchem ich sie dachte, u ich bin ihm sehr verbunden. Wenn Sie den Verfasser derselben kennen, so nennen Sie mir ihn gefälligst." Friedrich Maximilian Klinger. Sein Leben und Werke. Dargestellt von M. Rieger. Zugabe zum zweiten Teil. Briefbuch. Darmstadt 1896. 82. So wollen die „Forscher" nach Gruber „den dunkeln Lauf der Weltbegebenheiten voll schreyender Widersprüche", „das finstre Räthsel" des menschlichen Daseins durch metaphysische Spekulation, durch Theologie und durch Geschichte auflösen, welchen Versuchen die auch von Hegel eingehaltene Reihenfolge Faust, Raphael und Reisen entspricht. Vgl. Allgemeine Literatur-Zeitung. 170. Königsberger Literatur-Blatt. 242; Nicolin: Unbekannte Aphorismen. 17. Hegels Leben. 200.
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nalen oder nur wenig abgewandelten Formulierungen des Dichters selbst besteht. Was ROSENKRANZ als Charakteristikum Hegels bezeichnet, ist also die Wirkung der dichterischen Sprache KLINGERS, von der GRUBER sagt, daß sie „wie ein Strom daher braust, der immer über seine Ufer hinauszubrechen droht" So findet ROSENKRANZ den Inhalt der vermeintlichen „Confession" Hegels „mit großer, aber seltsamer Energie ausgesprochen", was KLINGERS Stil zweifellos trifft. Auch wenn ROSENKRANZ meint, daß die KLiNGERsche Zusammenstellung der vom Menschen mißbrauchten Gaben, Religion, Regierung und Wissenschaft, „sehr charakteristisch für ihn [Hegel]" sei, braucht er nicht Unrecht zu haben. Denn es ist wahrscheinlich, daß Hegel dieser Passage seine Zustimmung gegeben hätte. Ebenso ist nicht zu widerlegen, daß Hegels Exzerpt, wenn es als „Faustiade" gelesen wird, „an den allgemeinen Typus der Deutschen für den verzweifelten Kampf des Einzelnen iiüt der einmal bestehenden Nothwendigkeit cmknüpfte" Eine Bestätigung dafür läßt sich freilich durch den Vergleich mit KLINGER ebensowenig gewinnen, da sich der „Typus der Deutschen" nicht unzweideutig definieren lassen will.
” Allgemeine Literatur-Zeitung. “ Hegels Leben. 200.
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POESIE UND POLITIK BEIM FRÜHEN HEGEL
I. Als vor einigen Jahren OTTO PöGGELER die Frage nadi dem Autor des sogenannten Ältesten Systemprogramms des deutschen Idealismus noch eimnal aufwarf, entfachte er eine Diskussion, die bis heute andauert.^ Grundvoraussetzung fast aller an dieser Diskussion Beteiligten, PöGGELER imd einige wenige ausgenommen, ist es gewesen, daß Hegel nicht so hätte denken können wie im Systemprogramm gedacht wird. Aus jenen wenigen Zeilen spricht eine revolutionäre Begeisterung und eine poeti-
Wir zitieren in Text und Anmerkungen abgekürzt mit den Namen der Verfasser oder Herausgeber: Garve Haym Hoffmeister Nicolin Nohl Rosenkranz Suphan
= Christian Garve; Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig 1779. = Rudolf Haym: Hegel und seine Zeit. Berlin 1857. = Dokumente zu Hegels 'Entwicklung. Hrsg. v. Johannes Hoffmeister. Stuttgart 1936. = Der junge Hegel in Stuttgart. Aufsätze und Tagebuchaufzeichnungen 1785—1788. Hrsg. v. Friedhelm Nicolin. Stuttgart 1970. (Marbacher Schriften. 3.) = Hegels theologische Jugendschriften. Hrsg. v. Herman Nohl. Tübingen 1907. = Karl Rosenkranz: Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben. Berlin 1844. Nadidr. Darmstadt 1963 u. ö. = Herders Sämtliche Werke. Hrsg. v. Bernhard Suphan. Berlin 1877—1913.
Hegels Gymnasialaufsätze zitieren wir nach Rosenkrcmz, fügen aber stets die entsprechenden Stellen bei Hoffmeister hinzu. (Außerdem finden sich die Texte bei Nicolin 71—79.) — Das Tagebuch zitieren wir nach dem kritischen Text von Nicolin, mit zusätzlicher Seitenangabe nach Hoffmeister. — Das Systemprogramm zitieren wir nach Hoffmeister (219—221), verweisen aber hier auf den soeben erscheinenden kritischen Text in Beiheft 9 der Hegel-Studien. ‘ Vgl. Otto Pöggeler: Hegel, der 'Verfasser des ältesten Systemprogramms des Deutschen Idealismus. In: Hegel-Tage Urbino 1965. Bonn 1969. (Hegel-Studien. Beiheft 4). 17—32. Ders.: Hölderlin, Hegel und das älteste Systemprogramm. In: Hegel-Tage Villigst 1969. Bonn 1972 (Hegel-Studien. Beiheft 9.)
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sehe Kraft, welche zu dem trodeenen, ästhetisch unbegabten und nur vorübergehend revolutionär angehauchten Meisterschüler Hegel schwerlich passen kann: „es gibt keine Philosophie, keine Geschichte mehr, die Dichtkunst allein wird alle übrigen Wissenschaften und Künste überleben"; oder „jeder Staat muß freie Menschen als mechanisches Räderwerk behandeln; und das soll er nicht; also soll er auf hören." (Hoffmeister 220)
Poesie und Politik sind die beiden Pole, um die sich die Frage nach einer neuen Totalität sowohl in diesen Zitaten wie im ganzen Systemprogramm dreht: Die Poesie als das Werk einer die Totalität des menschlichen Lebens vermittelnden Phantasie; Politik als die Tat im Medium der gemeinsamen Freiheit. Die mit diesen Namen untrennbar verflochtene, beide verbindende Achse, die Religion, bezieht sich sowohl auf die aufklärerische Kritik wie auf HERDERS kontemplative Einstellung. „Ein höherer Geist vom Himmel gesandt, muß diese neue Religion unter uns stiften, sie wird das letzte größte Werk der Menschheit sein." (Hoffmeister 221)
Gerade in diesen Begriffen ist aber Hegels ursprüngliche Problemlage deutlich formuliert; sie sind im soeben ausgelegten Sinne schon für seine frühen Jahre grundlegend. Dieser Tatbestand stellt sich noch heute geläufigen Legenden, wie der vermeintlichen Unverträglichkeit des Systemprogramms mit den Ideen Hegels, entgegen; seine Begründung ist die Aufgabe des vorliegenden Aufsatzes. Hegel hat von Anfang an mit den Problemen einer neuen Phantasie der Freiheit und der Vernunft gerungen. Und gerade mit diesen Fragen wurzelt seine ungeheure Anstrengung am unmittelbarsten in der eigenen Zeit. Der erste Ausdruck dieser Problematik beim ganz frühen Hegel blieb für ihn Jahre lang bestimmend. Darum wird er hier eingehend analysiert rmd seine Entwicklung in diesen ersten Jahren verfolgt. Zunächst aber einige vorbereitende Anmerkungen: Besonders klar und zuverlässig scheint die Frühperiode von Stuttgart (bis 1788) manche ursprünglichen Wesenszüge der Hegelschen Persönlichkeit zu zeigen: fleißig, gründlich, rationalistisch, geistig offen, aber auch wenig empfindlich, mäßig religiös und insgesamt schon ein wenig „der Alte", wie er von seinen Kommilitionen in Tübingen genannt wurde, oder die „Herbstnatur", wie nachher die Hegelforschung ihn kurzerhand charakterisierte. Wie ROSENKRANZ jedoch von einer verlorenen, die Ästhetik betreffenden Exzerptensammlimg berichtet, erscheinen „in den Artikeln Epopöie, Lehrgedicht, Roman, u. s. f. ... alle Lieblingsschriftsteller jener Zeit" (Rosenkranz 13). Und bei der Bewertung der Anga-
Poesie und Politik beim frühen Hegel
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ben von ROSENKRANZ fällt als Wichtigstes auf: die von ihm auf geführten Verfasser erscheinen nicht nur bei Hegel, sondern werden außerdem von ihm in ihrer geschichtlich richtigen Perspektive aufgenommen. BATTEUX, der Älteste, Klassizistische wird zwar von Hegel studiert, aber ohne großes Interesse (Tagebuch 13./20. VII. 1785: Nicolin 38 f, Hoffmeister 15 f). Eine größere Aufmerksamkeit scheint die Schlüsselfigur der Ästhetik in der mittleren Aufklärung, GOTTSCHED, beim Gymnasiasten gefunden zu haben {Rosenkranz 13). Aber wichtige Spuren in seinen ästhetischen Ausfühnmgen haben erst WIELAND {Rosenkranz 461, Hoffmeister (51) und vor allem LESSING und HERDER (ebd. 459 f bzw. 49 f) hinterlassen. Auch Hegels Lektüren der schönen Literatur zeigen ihn in engem Kontakt mit der neuen Sensibilität. Etwa mit KLOPSTOCK, dessen Oden, das bei ihm eigentlich Zukunftsweisende, von Hegel „größtenteils abgeschrieben" wurden {Rosenkranz 13); ROUSSEAU, dessen Aufnahme durch Hegel uns von Anfang an gut bezeugt ist, ^ und LESSINGS Nathan mit seiner großartigen Mahnung zu einer neuen Religion der Menschlichkeit, der Vernunft, der Freiheit und des Herzens {Rosenkranz 459 f, Hoffmeister 49). Von ScaiiLLER imd GOETHE hat Hegel sicher wenigstens Viesko und Werther, wahrscheinlich mehr gelesen. * Auch SHAKESPEARE gehörte zu seinen ersten Lektüren. Hinzu kommt eine eingehende Beschäftigimg mit den großen Klassikern, die an der Geburt der neuen Sensibilität beteiligt waren: HOMER, SOPHOKLES, PLATO. Die Rolle, welche damals HOMER bei ROUSSEAU imd GOETHE spielte, und was die Antigone für Hegel ^ Eine Stelle aus dem Stuttgarter Tagebuch Hegels (21. VII. 1785) zeigt auffallende strukturelle Parallelen mit einer Stelle aus dem dritten Buch der Bekenntnisse Vgl. Collection complette des Oeuvres de J. J. Rousseau (Aux Deux Ponts 1782—1784) XIX, 142. Bernhard Teyssedre findet in seinem Aufsatz Hegel ä Stuttgart [in: Revue Philosophique. 90 (1960), 208] nicht ohne gewisse Wahrscheinlichkeit Spuren von Rousseau in Hegels Aufsatz Über die Religion der Griechen und Römer (Rosenkranz 456, Hoffmeister 45). Ein Hegelsches Exzerpt aus den Bekenntnissen (Rosenkranz 13, 17) ist verloren gegangen; Hegel war auch hier auf dem Laufenden: die Bekenntnisse waren noch nicht ganz herausgegeben, so daß er in Stuttgart nur die sechs ersten Bücher lesen koimte. Es ist auch nicht bedeutcmgslos, daß Hegel zuerst nur diese Bücher gelesen hat; sie sind die schönsten, während die folgenden mehr synthetische, orientierende Formulierungen enthalten. Wie bei Schiller Fiesko tmd, wahrscheinlich weiüg später, bei Herders Gott hat Hegel zuerst die ideologisch weniger reife tmd gefühlsbetontere Fassung gekannt. * Rosenkranz 13, Haym 21. Vgl. die folgende Anmerkung. Aus fast allen diesen Lektüren sind uns fast keine direkten Indizien erhalten. Hegels Tagebuch war nicht nur sehr begrenzt in seiner Zielsetzung, sondern hört vor allem fast zwei entscheidende Jahre vor Anfang der Tübinger Periode auf; diese Tatsache wurde bis jetzt nur unzureichend berücksichtigt. Auch das ganze Aufsehen, das Haym (22) über die „prosaischen und philiströsen" Lektüren des jungen Hegels gemacht hat, ist völlig unbegründet.
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mindestens sehr bald bedeuten würde, sollte hier nicht außer Acht gelassen werden. * Tatsächlich gab es damals keine absolute Grenze mehr zwischen Humanismus einerseits und Aufklärung und Sturm und Drang andererseits. Das alles sollte schon zur Vorsicht mahnen, bevor man vom frühen Hegel als typischem Aufklärer spricht. Aufklärer war er wohl, aber in dieser Bezeichnung lag damals mehr, als man heute gewöhnlich darunter versteht. ® Auch in den zwei inhaltsvollen Aufsätzen des Gymnasiasten Hegel, welche uns erhalten geblieben sind, erscheint schon eine erstaxmlich reife Thematik. Die Problemlage der Aufklärung zeigt sich in ihnen in ihrer ganzen Spannung. Der erste heißt Über die Religion der Griechen und Römer (10. VIII. 1787); der zweite Über einige charakteristische Unterschiede der alten Dichter (7. VIII. 1788). Zwischen beiden lag Hegels letztes Jahr in Stuttgart. Gemeinsam ist ihnen eine vergleichende Struktur — die Alten xmd die Modernen —, welche das Erbe der „Querelle" anklingen läßt. Gemeinsam ist ihnen auch die ästhetische, politische und religiöse Thematik. Der Aufsatz Über die Religion knüpft mittelbar an die HuMESche Natural History of Religion, obwohl direktere Einflüsse aus der damaligen „Geschichte der Menschheit" sowie der Berliner Aufklärung spürbar sind. Der Aufsatz Über einige Unterschiede behandelt unmittelbarer die politisch-ästhetische Fragestellung; darum konzentrieren wir xms zimächst auf ihn. Der Inhalt des von ROSENKRANZ (458—461) nicht ganz mitgeteilten Textes gliedert sich in zwei ziemlich heterogene Teile:
* Die Antigone wurde vom Stuttgarter Hegel mit Sicherheit gelesen, da die ganze Ausgabe von Sophokles durch Brunk, die sie enthält, von Hegels damals studiert wurde (Rosenkranz 13). Galvano della Volpe behauptet, es sei erwiesen, daß Hegel schon in Stuttgart Goethes Iphigenie gelesen habe (Hegel romantico e mistico. Firenze 1929. 5), was aber bis zur Berner Zeit nicht zutrifft. Möglicherweise bezieht er sich auf einen im Sdiwäbisdien Museum [1 (1785), 1—28] erschienenen Teilvordruck der Iphigenie in Tauris; das Schwäbische Museum gehörte zu Hegels ersten Lektüren (Rosenkranz 12). — Bemard Teyssedre (a.a.O. 203) hat auf Grund des Tagebuches behauptet, Hegel habe die Antike nur an Epigonen gekannt. Die Behauptung ist unhaltbar, zumal man auch berücksichtigen müßte, daß hellenistische Werke wie der ästhetische Traktat Über das Erhabene des Pseudoiongin eine große Rolle bei der Entwiddung der ästhetischen Strömungen am Ende des 18. Jahrhunderts spielten; und dies nicht zufällig: es ist erstaunlich wie sehr die hellennistische Problematik des Longin der Lage der Spätaufklärung entsprach. ® Als typische und extreme Schlußfolgerung dieses verkürzten Hegel-Verständnisses mag die Annahme von Carmelo Lacorte (II primo Hegel. Firenze 1959. 86) gelten, Hegel habe in Stuttgart kein Interesse für die Literatur gehabt.
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Der zweite Teil (die zwei letzten Abschnitte), ist aufklärerisdthumanistisdi. Hegel selbst gibt mehrere Angaben über die Quellen (vgl. dazu Nicolin 147—150). Der erste Teil wird unter soziologisdien und psydiologisdien Gesichtspimkten behandelt. Seine Quellen wurden schon teilweise, obwohl nicht immer zuverlässig, von HOFFMEISTER herausgefunden (vgl. dort 407—414). HOFFMEISTERS besonderes Verdienst besteht hier in der Entdeckung der literarischen Abhängigkeit Hegels von einem Aufsatz CHRISTIAN GARVES: Betrachtung einiger Verschiedenheiten in den Werken der ältesten und neuern Schriftsteller, besonders der Dichter. * Wir konzentrieren uns auf den ersten Abschrütt des Aufsatzes Über einige Unterschiede, dessen Text wir Satz für Satz untersuchen werden.
II. 1. Verlust der Tradition „In unsern Zeiten hat der Dichter keinen so ausgebreiteten Wirkungskreis mehr. Die berühmten Thaten unserer alten, auch neueren, Deutschen sind weder mit unserer Verfassung verflochten, noch wird ihr Andenken durch mündliche Fortpflanzung erhalten. Bios aus den Geschichtbüchern zum Theil fremder Nationen [TACITUS] lernen wir sie kennen .. {Rosenkranz 459, Hoffmeister 48) GARVE drückt denselben Inhalt in positiver Form aus: „Ihre Epopee enthielt ihre älteste Geschichte, den Ursprung ihrer Städte imd ihrer großen Geschlechter. Was der Dichter dort in eine zusammenhängende Erzählung brachte, das hörte stückweise schon das Kind an der Brust seiner Mutter, das besang der Jüngling an den Festen der Götter imd Helden, davon redete der Sachwalter vor Gerichte, der Patriot im * Zuerst erschienen in: Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste. Leipzig. 10 (1770), 1—38 u. 189—210. Der Aufsatz wurde unverändert aufgenommen in: Sammlung einiger Abhandlungen. Aus der Neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften imd der freyen Künste. Leipzig 1779. 116—197. — Der ungerechterweise in Vergessenheit geratene Garve ist eine Schlüsselfigur, insofern er vor Kant Kants ethisches Ethos wie die Religion der empfindsamen Iimerlichkeit, das impirische Interesse wie die Offenheit für die romantischen Strömungen gleichermaßen vertritt. Gewiß, obwohl ihn Goethes und Schillers Xenien noch schonten, war am Ende der Abstand der neueren Generationen im gegenüber groß. Trotzdem ist sein Einfluß auf Hegel bis in die Berner Zeit spürbar geblieben.
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Rathe, der Heerführer im Felde. Ihre Oden, ihre Schauspiele, der Stoff und die Form derselben, waren in die besondem Ceremoiüen ihres Gottesdienstes, oder in die besonderen Feyerlichkeiten ihrer Zusammenkünfte, oder in die Verfassungen ihrer Regienmgsformen so eingewebt, daß sie nur unter diesen auf alle Weise ihre Veranlassung, ihre Beziehung, ihre volle Wirkung hatten." ^ Moderne Literatur zeichnet sich also für Hegel und GARVE durch den Verlust der Vergangenheit aus. Dieser Verlust artikuliert sich sowohl in der politischen Abwesenheit der Frühzeit aus den modernen Institutionen, wie in der Unterbrechung der mündlichen Tradition, welche die Dichtung von der Vergangenheit isolieren. Die Moderne ist eine entwurzelte Zeit. 2. Entwurzelte Phantasie [Fortsetzung des vorigen Zitats;] .. .„und auch diese Kermtniß ist nur auf die polizierteren Stände eingeschränkt. Die Märchen, die das gemeine Volk unterhalten, sind abenteuerliche Traditionen, die weder mit xmserm Religionssystem, noch nüt der wahren Geschichte Zusammenhängen." GARVE, positiv gewandt: „Alles was ihre Dichter von ihren Göttern und Helden erzählen, so unwahrscheinlich es auch seyn mag, wenn es mit der Natur der Dinge rmd des Menschen überhaupt verglichen wird, bekömmt doch eine Art von Glaubwürdigkeit, wenn man es mit der Natur rmd der besondern Geschichte des Landes vergleicht. Das System ihrer politischen und gottesdienstlichen Einrichtungen, viele unläugbare Facta der folgenden Zeiten, viele fortdauernde Spuren der ältesten Periode hängen auf gewisse Weise mit den Fabeln der Dichter zusammen, und scheinen dieselben vorauszusetzen. Zwischen der wirklichen und der mythologischen Geschichte war doch ein gewisses Band." ® Drei Ausdrücke Hegels verdienen hier besondere Aufmerksamkeit: „wahre Geschichte", „abenteuerliche Traditionen" und „unser Religionssystem". Hegel hat noch kein festgelegtes Verständnis von Geschichte. ® Was er der „wahren Geschichte" entgegensetzt, ist nicht ein falscher ge^ Garve 163 f; vgl. 184, Z. 7—10; 182, Z. 5. v. u. ff. ® Garve 180 f; vgl. 178, Z. 11—14. • Der Versuch von Lacorte (s. o. Anm. S), den Stuttgarter Hegel aus der Suche nach einem neuen Typ von Geschichte zu verstehen, ist eine unbegründete, obwohl von Rosenkranz selbst (vgl. 81, 8 f) vorgezeichnete Hypothese. Noch am Anfang der Tübinger lahre dachte Hegel nichts Systematisches unter oder über Ge-
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sdtiditswissensdiaftlicher oder geschichtsspekulativer Standpunkt, sondern der Aberglaube: die „abenteuerlichen Traditionen". Was Hegel unter „abenteuerlichen Traditionen" versteht, kann man in seinem Tagebuch lesen (9—12. VII. 1785): da erzählt er von einem „abscheulichen Gerassel" xmd dessen abergläubischer Deutung sogar bei „Leute [n], von denen man mehr Aufklärung erwartet und die in öffentlichen Ämtern stehen". Halb Stuttgart scheint nämlich durch „das sogenannte Muthes Herr" ziemlich durcheinander gewesen zu sein: „es seye der Teufel in einem feurigen Wagen, vornen daraus fliege ein Engel Gottes, imd rufe jedermann zu: Aus dem Weg das mutige Heer kommt, wer dieser göttlichen Warnung nicht folge werde von Herrn Teufel in seine Residenz geschleift" {Nicolin 37). Auf Teufel und Engel kommt Hegel noch eiiunal am Ende des lateinischen Teils des Tagebuches zurück (A. D. V. Id. / Ips. Idib. Mart. 1786). ®* Er spottet nicht; er wundert sich nur darüber, daß es immer noch möglich sei, die abergläubische Mythologie der Alten zu verachten, wenn sich in den modernen Vorstellungen ähnlicher Aberglaube finde. Was Hegel daraus bald lernen wird, ist, daß die Zersetzung des alten Systems eine Befreiung der Phantasie in die absolute Willkür mitbringt und daß die Aufgabe einer neuen „Mythologie", selbst vom rationalistischen Standpimkt aus, notwendig sei; diese positive Wendimg kann als der immanente Übergang der Aufklärung zur neuen Sensibilität, wie er sich schon in WIELAND teilweise vollzog, betrachtet werden; im Grunde ist es auch die Forderung nach einer neuen Totalität. Das Leben Jesu wird in der Berner Periode das Überwiegen dieses Gesichtspunktes widerspiegeln. Bezeichnend ist in der zuletzt angeführten Stelle des Tagebuches, daß auch andere Aspekte des Christentums beider Konfessionen als Aberglaube („supersdüciiie (vgl. Hoffmeister 171 f). Vor allem hatte die damalige Historie keine systematischen Ansprüche; sie war empirisch, und für die ganze Aufklärung — sogar noch etwa für Reinhold — erreichte sie nicht die Würde der Idee. Der Siim der „philosophischen Geschichte" bezeichnete so etwas wie die aufgeklärte Betrachtung der Geschichte; er enthielt sowohl die „pragmatische Geschichte" wie die „Geschichte der Menschheit" als spezifischere Formen der Geschichtsschreibung. Die erste stimmte annähernd überein mit der alten „historia, magistra vitae", als Materiallieferantin für die Moral, usw. Die zweite trat auf keinen Fall mit systematischem Anspruch auf. Nach dem damals sehr bekannten Göttinger Historiker Meiners hatte sie tmgefähr den Sinn von Naturgeschichte der Menschheit, war also eher eine empirische Antropologie; bei Iselin war sie eine Mischung von Pragmatismus und aufklärerischer Betrachtung, genau wie in Über einige Unterschiede; bei Kant ist der Abstand zwischen Geschichte tmd Idee fast immer absolut. Vgl. Hoffmeister 220, Z 7. •* Nicolin 58 f, Hoffmeister 35 f; vgl. dazu die deutsche Übersetzung bei Nicolin 103 f.
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stitio") erklärt werden: besonders die Riten und was mit dem Priesterstand zusammenhängt, dem Hegel mit scharfen Antiklerikalismus begegnet. Das führt xms zum „Religionssystem". Zunächst steht „tmser Religionssystem" im Gegensatz zu den „abenteuerlichen Traditionen", und das heißt zum Aberglauben, mit dem aber das Christentum werdgstens teilweise zusammenfiele. Bei mancher Lektüre Hegels war die Gleichsetzung sogar vorbehaltlos ausgesprochen. So etwa in einem Aufsatz von EBERHARD in der Berlinisdhen Monatsschrift, den Hegel im September 1787 exzerpiert hat {Hoffmeister 144 f; vgl. 426 f). Mythologie wird hier, wie in Hegels Tagebuch, höchstens als geschichtliche Vorstufe angenommen; in der Gegenwart wird sie, und mit ihr das Christentum, verachtet. Auch die Beziehung der Religion der Mythologie, als bloßer Vorstufe, zur Religion der Vernunft, wie sie etwa von EBERHARD vertreten wurde, taucht öfters in den Stuttgart Schriften auf. Überhaupt zeigt xms das Tagebuch keine fromme oder gefühlvolle Persönlichkeit, sondern eine ernste, aufmerksame, kritische Natur. Man sollte jedoch die Bedeutung dieser rationalistischen religiösen Begrifflichkeit für Hegel nicht überbewerten. So wurde der Begriff der Vorsehxmg von Hegel in seiner typisch aufklärerischen Form aufgenommen xmd bekam bei ihm besondere Relevanz im letzten, stark KANxisch geprägten Stuttgarter Exzerpt (s. Hoffmeister 163 f). Aber dieser Begriff ist einer der Pxmkte, wo die Aufklärung in die Romantik übergeht und eine unmittelbare Religion des Herzens sich entwickelt. Die religiösen Begriffe der Aufklärxmg wurden rdcht nur von der Romantik übernomTagebudx, 11. III. 1786 und ohne Datum {Nicolin 60). Besonders wichtig ist hier Hegels Aufsatz Über die Religion; schon Hoffmeister (426 f)) hat auf die Spur dieser Ideen beim alten Hegel hingewiesen. Vgl. auch das wichtige Exzerpt Wahre Glückseligkeit {Hoffmeister 92 f). “ Auch Rosenkranz berichtet: „Für die natürliche Theologie sowohl als für die positive sind die Quellen der Auszüge fast immer die kritischen Zeitschriften." (A.a.O. 14) Man müßte diese scheinbar unbedeutende Anmerkcmg durchdenken. Jene Zeitschriften waren neue, betont aufklärerische Erscheinungen, die zu den ersten Opfern der preußischen Reaktion zählen sollten. Hier sind zu nennen: die Allgemeine Literatur-Zeitung, mäßig und respektvoll, aber auch kritisch, dem Christentum gegenüber; die Berlinische Monatsschrift mit ihrem Progressismus und ihrer schon Herder auffallenden Insistenz auf einer neuen „Volksreligion"; die Allgemeine deutsche Bibliothek, die der Theologie einen großen Raum widmete, deren Luthertum aber eher politisch als orthodox war, zumindest wenn man ihre Forderung nach Toleranz, die deistischen Nuancen, die Kritik an der Gottheit Christi oder der Schriftinspiration betrachtet. Hegel teilte von Anfang an diese Toleranz (Tagebuch 7. VIII. 178S, 21. VIII. 1785) trotz einer streng lutherischen Erziehung und des in der deutschen Aufklärung verbreiteten antikatholischen Verdachts.
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men und neu eingeordnet; sie waren selbst oft stark subjektiv — „pathologisch", wie man damals sagte, — aufgeladen. Was die Idee etwa der Vorsehung betrifft, erscheint das sehr klar schon in einem der ersten Exzerpte aus der Gymnasialzeit (s. Hoffmeister, 93); wenige Jahre später entwickelt Hegel selbst diese Idee im Kontext einer schönen Religion des Herzens und im Vergleich mit der Antike (Nohl 22 f); dabei taucht am Rande, aber dezidiert, die Frage nach einer Volksphantasie auf, welche, wie in der Antike, „auf das tiefe moralische Bedürfnis der Vernunft, lieblich belebt durch den warmen Hauch der Empfindungen — nicht auf die kalte — aus einzelnen Fällen deduzierte Überzeugung, daß alles zum besten gewendet werde," gebaut sei. Da dem Vorbild der Griechen in der Moderne die Entzweiung zwischen Vernunft und Empfindung entspricht, findet sich nur bei wenigen eine richtige, erhabene Religion. Die Bedeutung der Phantasie und Empfindung für diese Religion bzw. Religiosität des Weisen wird erst in den Zusätzen zur Positivitätsschrift und im Systemprogramm herausgestellt: „Nicht nur der große Haufen, auch der Philosoph bedarf" einer sinnlichen Religion {Hoffmeister 220). Bis daher steht ein rationalistischer Standpunkt der harmonischen Einbeziehung der Phantasie in die neue Totalität entgegen, genau wie bei HERDER unnd noch mehr bei LESSING. Auch in dem Aufsatz Über die Religion spricht Hegel von den religiösen Vorstellungen der Alten in rationalistisch-aufklärerischem Sinne (z. B. Rosenkranz 457, Hoffmeister 47). Dasselbe gilt besonders von ihrer Mythologie; bezeichnend ist aber, wie der entsprechende Gedankengang unmerklich ins Gefühlvolle gleitet: „Diese große Verwirrung in der Mythologie wurde durch die Bemühung der Gelehrten, die Bedeutung jeder Fabel herauszufinden, noch um Vieles vergrößert. Zum Aufstellen der Bilder der Götter wurden eigene Plätze ersehen und Tempel erbaut, die alle eine große Heiligkeit erhielten, weil man glaubte, der Gott wohne hier. Höhen und Haine wählte man hierzu ohne Zweifel am liebsten, weil schon ihr Anblick etwas Erhabenes hat und ihre scheinbare Nähe am Himmel am ehesten ein Aufenthalt der Götter sein könnte; theils auch, weil die Seele eines einsamen, lebhaft empfindenden Menschen nirgends so sehr als bei einer herrlichen Aussicht in's Weite, wo man ein großes Stück der schönen Schöpfung auf einmal übersieht, oder als in den stillen düstem Wäldern entzückt wird, schwärmt und wirklich Erscheinungen zu haben und eine Gottheit zu sehen glaubt." {Rosenkranz 456, Hoffmeister 45) Ideenmäßig bleibt die Ausfühnmg ganz im Rationalistischen stecken; der Wortschatz der letzten Zeilen ist jedoch verräterisch. So finden sich
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Worte wie: „stille, düsteme Wälder", „die Seele eines einsamen, lebhaft empfindenden Menschen", „schöne Schöpfung" — ein in der aufziehenden Atmosphäre des Pantheismusstreits wichtiger Begriff —, daim „schwärmen", „Aussicht ins Weite", womit die bei KLOPSTOCK imd HERDER beliebte Bezeichnung „weit" aufgegriffen wird. Nicht zu vergessen ist hier auch das möglicherweise auf KLOPSTOCK anspielende „Höhen und Haine". Was er als Aufklärer endgültig für vergangen und überholt betrachten sollte, versucht Hegel unter der Hand mitzuvollziehen. Nur der Blick auf dieses doppelte Verhältnis und nicht die Annahme einer einseitigen reinen Verstandesaufklärung, die sich nicht einmal mit der wirklich gewesenen deckt, kann den Daten und Texten entsprechen, die uns aus Hegels früher Zeit erhalten blieben. Der Ausdruck „unser Religionssystem" formuliert hier nicht einfachhin einen trockenen und platten Deismus, sondern er steht vor allem für die Religion LESSINGS und ROUSSEAUS, aber auch GARVES, GOETHES, HERDERS. Die ethische, ästhetische und oft — wie z. B. die bei ROUSSEAU, HERDER, teilweise in der Berlinischen Monatsschrift sich artikulierende — politische Transposition der traditionellen Religion, wird mitgemeint: so LESSINGS neues Evangelium, das im Pantheismusstreit mit SPINOZAS Namen verbunden (vgl. Rosenkranz 40) einem Teil des ausgehenden 18. Jahrhundert noch die Losung geben sollte. Weim Hegel noch im Sommer 1787 eine teilweise unzeitliche, teilweise den Fortschritt „ex tenebris ad lumen" betonende Geschichtsauffassung zu vertreten scheint imd nur manche Nuancen die Richtung zeigen, in der er sich entwickeln wird, finden wir schon in den ersten Zeilen des Aufsatzes Über einige Unterschiede den impliziten Ruf nach einer Wiedergewinnung der Vergangenheit und mit ihr der eigenen Wurzel. Dieser Ruf spricht zugleich die Sehnsucht nach der verlorenen Phantasie, Mythologie und Geschichte und damit nach der verlorenen Totalität aus. Ein Wort, das in der damaligen Aufklärung in aller Munde war, „Volksreligion", scheint hier die neue Totalität bezeichnen “ Vgl. Klopstodcs Ode „Der Hügel und der Hain" (Oden von Klopstok. Reutlingen 1777. 266—277). Zitat aus dieser Ode bei Nohl 217, Z. 17. Vgl. Rosenkranz 13. Allerdings darf man dieses aufklärerische Moment nicht überspitzen. Auch in der Ästhetik spielte Humes kritisch-rationalistische Einstellung der Mythologie gegenüber eine große Rolle bei der Entstehung der Herderschen mythologischen Theorien. Selbst Wieland, als unentschiedener Feind der Mythologie hat dazu beigetragen, die Problematik der Mythologie beim frühen Hegel aufzuwecken. Die Kritik der alten Mythologie hat immer wieder die Frage nach einer neuen Phantasie aufgeworfen.
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ZU können, die Hegel vorsdiwebt. Nicht mehr der abstrakte Verstand vertritt und verficht den Kampf gegen den Aberglauben, sondern die wahre Phantasie. Daher kann man schon von Hegels Äußerungen in der Stuttgarter Zeit aus sehr wohl verstehen, wieso das Tübinger Fragment zwar gegen den Aberglauben, aber noch eindringlicher gegen seine aufgeklärten Kritiker spricht. 3. Die entzweite Gesellschaft „Dabei sind die Begriffe und die Cultur der Stände zu sehr verschieden, als daß ein Dichter unserer Zeit sich versprechen könnte, allgemein verstanden und gelesen zu werden." „In unsern Zeiten hat der Dichter keinen so ausgebreiteten Wirkungskreis mehr." „ ... und auch diese Kenntniß ist nur auf die polizierteren Stände eingeschränkt." (Rosenkranz 459, Hoffmeister 49, 48) Aus dem Problem der verlorenen und zu gewinnenden neuen Totalität resultiert das Hauptthema des ersten Abschnitts des Aufsatzes Über einige Unterschiede, nämlich die Unmöglichkeit einer universellen Dichtung in der entzweiten Nation. Dieses Fehlen einer universellen Dichtung signalisiert eimnal und vor allem die Unmöglichkeit einer Totalität in der konkreten Form der Phantasie; die Frage wird daim aber nicht als individuelles, sondern als nationales Problem aufgegriffen. Die starke soziologische Prägung des Themas stammt hier von GARVE; Hegel hat sie eher abgeschliffen. GARVE sagt ganz deutlich: „Weim also die Mittheilung der Ideen das einzige Band der Gesellschaft seyn kann, sobald der Eigennutz schweigt und die Bedürfnisse befriedigt sind; so gibt es kein solches mehr unter Gliedern einer Nation, die eine sich fremde Sprache reden, tmd von einander weder geliebt noch hochgesetzt werden können. Dieß alles fällt in den ersten Zeiten weg." „Unsere Schauspiele, unsere Romanen, warum sind sie uns itzt so reizend, oder vielmehr so nothwendig geworden? Zum Theil deswegen, weil sie uns in diese menschliche Gesellschaft wieder versetzen, von der wir gewissermaßen ausgeschlossen sind; weil sie uns Menschen von allerley Ständen, und in weit wichtigem Auftritten ihres Lebens handelnd und redend zeigen, als wir selbst zu sehen Gelegenheit haben; weil sie tms wieder in die Häuser der Großen führen, zu denen wir keinen Zutritt mehr haben, und uns mit der Vorstellung schmeicheln, daß dort diese Großen ims ähnlicher und weniger über uns erhaben sind, als sie zu sein scheinen, wenn wir bloß die Mauern ihrer Paläste
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ansehen; weil sie uns in die niedrigsten Klassen, zu denen wir uns aus Vorurtheil und Stolz und angewöhnten Ekel nidit herablassen wollen, eben die Aeußerungen der Natur zeigen, die uns bey uns selbst gefallen: mit einem Worte, weil sie uns das Vergnügen, unter Menschen und unter Menschen aller Art zu seyn, das wir in der Wirklichkeit verloren haben, in der Erdichtung wieder verschaffen." Diese Diagnose als solche war aber keineswegs Eigengut von GARVE und erscheint im Grunde schon in Hegels Tagebuch in der Einsicht, daß die Aufklärung unfähig war, die verlorene Totalität wiederherzustellen. 4. Klopstock, Herder Hegel zitiert hier das beste — bei GARVE nicht vorhandene — Beispiel, das man damals überhaupt anführen konnte: KLOPSTOCK — Vorbild eines ästhetischen und progressiven Aufklärers, eine Zeit lang Propagandist der französischen Revolution und bald Ehrenbürger der jungen französischen Republik; außerdem Verfasser eines großen epischen Gedichtes und danüt Entwerfer einer neuen Totalität sowohl für die Phantasie wie für die Polititk. „Unsem großen Deutschen epischen Dichter hat daher die weise Wahl seines Gegenstandes nicht in so viele Hände gebracht, als geschehen sein würde, weim unsere öffentlichen Verhältnisse Griechisch wären." (Rosenkranz 459, Hoffmeister 49) Garve 118 ff. Vgl. auch Rosenkranz 459, Z. 12—17 und 460, Z. 22 {Hoffmeister 49, Z. 4—10 und 50, Z. 23) mit Garve 124—131. Keine der zahlreichen und ausführlichen Stellen ist von Hegel aufgenommen, an denen sich Garve gegen die sozialen (124 f, 127—130) und noch schärfer gegen die wirtschaftlichen Unterschiede (126) wendet, welche alle für die Erniedrigung des Volkes verantwortlich sind. Hegel akzeptiert die Entzweiung der Gesellschaft als normal; seine Aufnahme des damals geläufigen Begriffes der „Volksaufklärung'' (Tagebuch, ohne Datum [Nicolin 60]; vgl. auch, obwohl sehr früh, 29. VI. 1785) deutet auch darauf hin, daß die von Garve ausdrücklich bekämpfte Inferiorität des Volkes, von ihm angenommen wird. Ohne Datum [Nicolin 60]. Mehr als um eine Diagnose handelte es sich oft um ein unproblematisch angenommenes Schema. Vgl. unter Hegels damaligen Lektüren: Moses Mendelssohn; Über die Frage; Was heißt aufklären? In: Berlinische Monatsschrift. 1784. 193—200 (vgl. Hoffmeister 140—143); Adam Ferguson; Grundsätze der Moralphilosophie. Übersetzt und mit einigen Anmerkungen versehen von Christian Garve. Leipzig 1772. 31—34; Isaak Iselin; Über die Geschichte der Menschheit. Frankfurt und Leipzig 1764. 5. Aufl. Basel 1786. Bd 2. 373. Iselin gab auch eine politisch starke Charakterisierung der sozialen Entzweiimg (Bd 2. 317), welche in der Aufklärung durchaus nicht selten war: vgl. Christoph Meiners: Grundriß der Geschichte der Menschheit. Lemgo 1785. Vorrede. Aus der Feststellung der Entzweiung wird aber in den Bekenntnissen und im Werther eine Anklage.
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Nodi ein anderer Name als GARVE scheint hier unsere Aufmerksamkeit zu verdienen: HERDER. 1765 hatte er eine Abhandlung ähnlichen Inhalts wie die von GARVE und Hegel geschrieben: Haben wir noch jetzt das Publikum und Vaterland der Alten?In der zweiten Sammlung der Fragmente Über die neuere Deutsche Literatur bildet das Fragment IV. B. 1. direkt oder indirekt die Grundlage des letzten Hegelschen Zitates. Der Titel des Fragmentes lautet: B. IVie weit haben wir sie [die Alten] nachgebildet? 1. Klopstock mit Homer verglichen; war Homer so unbekannt unter den Griechen, als Klopstock unter den Deutschen? Hat Wieland oder sein Gegner [Lessing] bei „kalos kagathos" Recht? Die vielleicht bezeichnendste Stelle ist folgende: „Ich schweife hier lieber auf dem Machtspruch eines Kunstrichters [LESSING] aus: ,HOMER ward eben so wenig von allen Griechen verstanden, als KLOPSTOCK von allen Deutschen! Die wahren Kenner der Dichtkunst sind zu allen Zeiten in allen Ländern eben so rar, als die Dichter selbst gewesen! So ist es wirklich!' Ohngeachtet dieses Wirklich hier als ein Amen stehet; so will ich doch eben nicht im zweiten Chor antworten: Amen! Sondern etwas ausnehmen." „ ... seine [HOMERS] Sprache war göttlich, neu; aber im Ganzen verständlich; weil damals noch nicht ein Unterschied zwischen der Sprache der Weisen und des Volks, zwischen der Denkart der Vornehmen und Geringen war; was HOMER sang, war die Sprache der Götter und zugleich eine veredelte Sprache des Pöbels." Auch hier wird also KLOPSTOCK über HOMER mit der Lage der Griechen verglichen und ein tiefer, auf die gegenwärtige soziale Zerrissenheit zurückzuführender Unterschied festgestellt. Das ist der genaue Inhalt des letzten Hegelschen Zitats. Aber HERDER fragt darüber hinaus nach einer Volkssprache, die auch heute noch zugleich „göttlich" sei wie bei HOMER. Lediglich eine schwache Spur dieser Gedanken findet sich bei GARVE, und auch bei Hegel ist keine eindeutige Resonaz festzustellen (Rosenkranz 459, Hoffmeister 49: „System", Verlust der „Sache"). Auch sonst hat die HERDERSche Problematik in Hegels Aufsatz Über einige Unterschiede Spuren hinterlassen. Die ganze letzte Seite (Rosenkranz 460 f, Hoffmeister 51) entspricht eher GOTTSCHEDS nüchterner Be-
trachtung der Antike, aber ein kleiner Einschub spiegelt die Aufgabe Mandie Grundideen dieses Aufsatzes wurden von Garve auf genommen tmd verarbeitet. Als Quelle mindestens von Garve kommen audi die Fragmente Über die neuere Deutsche Literatur, (Erste Sammlung, besonders die Fragmente 2— 8 und der „Besdiluß") in Betradit. Auch die zweite Ausgabe behandelt die denen der Aufsätze von Garve und Hegel sehr nah waren: Erste Sammltmg. 3— 7. " Suphan I, 297 f; vgl. auch 297—307,16—20.
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wider, die sich die Fragmente Über die neuere Deutsche Literatur gestellt hatten: „Hätten sich die Deutschen ohne fremde Cultur nach und nach selbst verfeinert, so hätte ihr Geist ohne Zweifel einen andern Gang genommen und würde eigene Deutsche Schauspiele haben, statt daß wir die Form von den Griechen entlehnt haben." Gewiß war HERDERS Absidit keineswegs die Wiederbelegung der alten germanischen Mythologie, sondern die neue Erschaffung einer Mythologie aus der eigenen Geschichte, die aber zu einer so eigenen und lebendigen Mythologie, wie jene alte es war, führen sollte. Hegels Weg scheidet sich an diesem zuletzt zitierten Gedanken von GOTTSCHED, mit seinem rationalistischen Mißverständnis der Mythologie und WIELAND, welcher ausschließlich einer nicht national gebundenen, kosmopolitischen Kultur und Phantasie huldigen wollte. Das Ergebnis: eine Beziehung Hegels zu HERDER in so früher Zeit war damit an sich, obwohl diese Auffassung im Rahmen der bisherigen Forschung neu ist, zu erwarten. Hegels Ausbildung war zu literar-humanistisch und zu modern, als daß eine Unkenntnis oder Nichtberücksichtigung HERDERS wahrscheinlich wäre. Schon aus den Zeitschriften, die Hegel las, klang beständig dieser Name. Wenn man außerdem berücksichtigt, was schon erwähnt wurde: die Sehnsucht nach der verlorenen Phantasie, Mythologie und Geschichte und mit ihnen nach der verlorenen Totalität, den Ruf nach der Widergewinnung der Vergangenheit zusammen mit einer neuen Volksreligion, so wird man wohl diese Daten nur mit Hilfe einer HERDERschen Komponente zusammenbinden können. Kehren wir zurück zu KLOPSTOCK. Sowohl HERDER wie LESSING meinten, KLOPSTOCKS Größe sei nicht das Epische, sondern das Lyrische. Mit HERDERS Worten: „Nirgends ist KLOPSTOCK größer, als wenn er, ein Kenner des Menschlichen Geistes, jetzt einen Sturm der Gedanken und Empfindungen aus der Tiefe der Seele holt und ihn bis zum Himmel brausen läßt: Wenn er einen Strudel von Zweifeln, Bekümmernissen, und Ängsten erregt" {ßuphan I, 283 f). Gerade KLOPSTOCKS Oden beeindruckten WERTHER, und sie sind es, wie wir wissen, die Hegel in Stuttgart gelesen und größtenteils abgeschrieben hat. Beim Messias spricht er nur von „Weisheit" {Rosenkranz 459, Hoffmeister 49) und lobt fünf Im Auktionskatalog der von Hegel bei seinem Tode hinterlassenen Bibliothek (1832) erscheinen folgende zu berücksichtigende Titel: Nr 892, Kritische Wälder (1769)) Nr 816, Zerstreute Blätter, 1. Sammlung (Gotha 1785); Nr 124, Gott (Gotha 1787). Diese Titel sind allerdings kein Beweis dafür, daß Hegel sie — oder nur sie — in Stuttgart gelesen hätte.
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Jahre später an diesem Werk noch einmal das Lyrische, meint aber mit HERDER, das Epische sei mißlungen. Der Aufsatz Über einige Untersdiiede stellt nur den soziologischen Mißerfolg der epischen Absicht fest; die Richtung aber, in der sich diese Konstantierung bewegt, zeigt sich ims im ersten Absatz von Nohl 358: Hegels Urteil schließt sich auch hier an das HERDERS und der neuen Sensiblität an. KLOPSTOCKS Abneigung gegen die griechische Mythologie und seine Anlehnung an die Tradition der christlichen Phantasie bleiben Hegel von Anfang an im Ganzen fremd.
5. Das System und die Bedürfnisse „Ein Theil hat sich von dem System, auf welches theils das ganze Gedicht, theils die einzelnen Theile gebaut sind, schon entfernt; den andern beschäftigen die Sorgen für die so vervielfätigten Bedürfnisse und Bequemlichkeiten des Lebens allzusehr, als daß er Zeit und Lust bekäme, sich zu erheben und den Begriffen der hohem Stände zu nähern." (Rosenkranz 459, Hoffmeister 49) Das Wort „System" bezieht sich hier weder auf das rein Ästhetische noch direkt auf das Christentum als theologisches oder kulturelles System, sondern auf das Christentum, sofern es Inhalt der Dichtung, d. h. System der Phantasie ist. Wenn Hegel also fortfährt: „Uns interessirt die Kunst des Dichters, nicht mehr die Sache selbst, welche oft den entgegengesetzten Eindruck macht", so ist „die Sache" nicht direkt das Christentum, sondern der literarische Gehalt, zu welchem auch das „Beeindrucken" gehört. Schon etwas in obliquo müßte man hier aus dem HERDERSchen Kontext den Verlust sowohl der griechischen wie der jüdisch-christlichen Totalität herauslesen, deren Bindeglied gerade die Phantasie ist. Darum kämpfte HERDER schließlich mit solchem Pathos auf literarischem Gebiet. Im Grunde wird das Christentum nicht schlechthin für überholt erklärt, wohl aber als Volksreligion, insofern durch sie keine gesellschaftliche Totalität mehr vermittelt werden kann. Das traditionelle Christentum ist, teilweise durch seinen Aberglauben, teilweise durch seinen Ikonoklasmus, der Feind einer neuen gesellschaftsverbindenden Phantasie. Wir köimen uns nicht mehr bei der in einem anderen Kontext wichtigen Problematik der „Bedürfnisse" aufhalten. Dieser typische Begriff der Aufklärung spielte schon bei VOLTAIRE eine entmythologisierende Rolle in der neuen Geschichtsauffassung. Dieser Sinn wird von Hegel nur halb wahrgenommen, der die bestimmende Wirkung der Bedürfnisse auf
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die untere Schicht der Gesellsdiaft auslegt (s. Rosenkranz 459, Hoffmeister 49). Für „die polizierteren Stände" geht es um neue „Begriffe", um ein neues „System", nicht um Bedürfnisse. Jedoch schon in Tübingen (Nohl 28) werden die Bedürfnisse ins Programm der neuen Totalität einbezogen: gerade die Phantasie ist da gut HERDERisdt die Vermittlerin auf dem Hintergrund des göttlichen Logos. Fassen wir zusammen: Beim Stuttgarter Hegel finden wir gleichzeitig ein rationalistisches und ein schwärmerisches Moment. Sogar die Bekämpfung des Aberglaubens wird nicht nur vom Verstand, sondern auch von und zugunsten der wahren Phantasie verfochten. Diese vertritt in der entwurzelten und entzweiten Nation die Sehnsucht nach einer neuen Totalität, deren Modell in Griechenland, nicht im Christentum zu suchen ist. Die Entwicklung zieht Hegel immer mehr in die Richtung der neuen Sensibilität, der Poesie; die Politik bleibt aber, trotz der soziologischen Akzente, abwesend.
III. Vier dunkle, uns fast undurchsichtige Jahre liegen zwischen dem Aufsatz Über einige Unterschiede und den Entwürfen zum Tübinger Fragment: bei dem Lebensalter Hegels, das wir betrachten, eine beträchtliche Lücke. Der eigentliche Fortschritt Hegels zeigt sich mehr als in der Aufnahme neuer Ideen in seiner persönlichen Entwicklung, die bestimmt ist durch die französische Revolution, die Freundschaft HöLDERLINS, die Vertiefung in den Pantheismusstreit. Obwohl die Stuttgarter Momente erhalten bleiben, gehen sie nicht mehr im Gleichschritt der populärphilosophischen Atmosphäre. Die soziologische Betonung der Problematik der Entzweiung samt ihren psychologischen und vor allem spezifisch literarischen Aspekten, unter denen sich GARVE das Problem vorwiegend stellte, treten bald zurück. GARVE schlug in dem von Hegel benutzten Aufsatz als seine spezifisch literarische Lösung die Annahme von und Anpassung an die Bedingungen der Moderne vor. HERDER aber, der zunächst auch innerhalb der literarischen Begrifflichkeit blieb, zielte darüber hinaus auf eine Wiedergewinnung unserer Wurzel und die Regeneration *• Diese Entwicklung fällt nodi teilweise in das letzte Tübinger Jahr. Sowohl die Entwürfe wie das Tübinger Fragment enthalten viele rationalistisdh-aufklärerisdie Elemente; aber diese erscheinen in den Entwürfen noch in ihrer eigenen Begrifflichkeit als für sich angenommen (Nohl 355, Z. 9—24; 357, Z. 25—36); dasselbe sickert noch durch am Ende von Nohl 9, aber dann wechselt entschieden die Atmosphäre (Nohl 10—17).
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unserer Gesellschaft. Es wird hier zwar keine bestimmte Politik deutlich artikuliert, aber doch, obwohl in vager Begrifflichkeit intendiert. GARVE tmd HERDER stehen in vieler Hinsicht auf einer gemeinsamen Grundlage. Aber das neue „System" der Phantasie als „nationale" Aufgabe fand sich nicht bei GARVE, und es ist gerade ein bestimmender Faktor der nächsten Entwicklung Hegels. Auch enthält die HERDERSche Theorie der neuen Phantasie abstrakte Seiten, und HERDER selbst fand nicht immer den Weg aus der literarischen Kritik in die kontemplative Spitze seines Denkens. Gerade dies ist das Erbe Hegels, der mit reflexiver Beharrlichkeit diesem Problem in allen seinen Zusammenhängen nachgehen wird. In diesem Kontext gewinnt die Forderung einer neuen Mythologie, wie von WINKELMANN, HEYNE imd vor allem HERDER auf der Suche nach einer neuen Totalität intendiert wurde, ihre ganze Bedeutung. Darum wird die Aufgabe der Erneuerung und der Revolution auch eine typisch HERDERSche Prägung aufweisen: die Aufgabe der Entwicklung einer neuen Phantasie. Die ersten Zeilen von Nohl 358 zeigen exemplarisch diesen Fortschritt in der ausdrücklichen und entschlossenen Entwicklung dessen, was in dem Aufsatz Über einige Unterschiede schon vorhanden, aber noch nicht so eindeutig und zentral herausgearbeitet war. Die neue Poesie versucht innerhalb des polizierteren Teiles ein alt-neues System der Phantasie zu bauen „Die christliche Religion gewährt der Phantasie einen weiten Spielraum, aus dem unser großer christlicher Epopöendichter [KLOPSTOCK] majestätischere Gemälde, schauerlichere Scenen und rührende Züge geschöpft hat [Messias], als je in eines Dichters Seele sie vorher gekommen waren". Der neuen Poesie mangelt aber politisch-soziologische Wirklichkeit, denn die Gestalten und Sinngehalte dieser Dichtung „sind nicht zum gemeinen Volk herabgestiegen, sie können es auch nicht, sie sind nicht öffentlich anerkannt, durch nichts sanktioniert". Den Grund dafür sieht Hegel darin, daß auf der einen Seite der Gebildete, der die Schönheit dieser Dichtung zu fassen vermag, „Vieles" in ihr zurückstoßen wird, „das für derbere Menschen verdaubar, glaubwürdig ist", daß andererseits die durch diese Elemente Angesprochenen die höheren Schönheiten Vgl. Fritz Strich: Die Mythologie in der deutschen Literatur von Klopstodc bis Wagner. Bern, München 1910. Bd 1. 106—115,129. Man vergleiche hier die Stellen aus Über einige Unterschiede, die oben schon mehrfach hercmgezogen wurden: Rosenkranz 459, Z. 17 ff und 7—9 {Hoffmeister 49, 7. 10 ff und 4—10). — Zu unserem folgenden Abschnitt siehe datm Satz 2 und 3 desselben Aufsatzes: Rosenkranz 459, Z. 4 ff {Hoffmeister 48, Z. 5 V. u. ff).
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nicht zu erfassen in der Lage sind. „Die Einbildungskraft des Volkes hat keine Leitung, keine sdvöne Darstellung der Bilder vor sich weder durch die Malerei nodi Bildhauerkimst noch Poesie hingestellt". Die Phantasie des pöbelhaften Teiles ist also für die des oberen Teiles unempfindlich, sowie umgekehrt (Rosenkranz 459, Z. 16—19 u. 7—9; Hoffmeister 49, Z. 12—15 u. 1—4). Dadurch scheitert der dichterische Versuch, eine einheitliche Phantasie zu evozieren, weil letzlich die Elemente dieser Phantasie sich nicht zu einer Einheit synthetisieren lassen. Statt als ein Kunstwerk die Phantasie eines Volkes anzusprechen und zu stiften, zerfällt KLOPSTOCKS Messias wieder in die Elemente, die es synthetisieren möchte, und spricht auf abstrakte Weise je verschiedene Bildimgsschichten an. Die Feindschaft des Christentums gegen die Volksphantasie ist das Thema der vier nächsten Abschnitte des Entwurfs (Nohl 358 f). KLOPSTOCKS soziologisches Scheitern als epischer Dichter wird wie Über einige Unterschiede herausgestellt und doch der Messias, unter vorwiegend gefühlsbetonten, nicht eigentlich epischen Bezeichnungen, gelobt: „schauerlich" und „rührend" — wohl noch Termini der traditionellen Rhetorik —, „feine und tiefe Empfindung", „höhere Schönheiten", „schöne Darstellung", „Herz", „Phantasie", „Einbildungskraft". Auch diese Wörter können noch als so gut aufklärerisch gelten wie die von Über einige Unterschiede, aber man sieht, was Hegel von KLOPSTOCK vorbehaltlos aufnimmt: die neue Sensibilität der Weite, der unmittelbaren Anwesenheit Gottes, sowohl in der Natur wie in unseren Schicksalen. Das ist gerade das, worin KLOPSTOCK sich als Vorgänger von HERDERS Gott, GOETHES Naturgefühl und der Atmosphäre des Pantheismusstreites zeigt. Schon ein Vergleich zwischen Nohl 358 und Rosenkranz 459 (Hoffmeister 48) zeigt, wie viel raffinierter und subjektiv betonter Hegels Ausdruck geworden ist. Die „öffentliche Anerkennung und Sanktionierung", die Hegel verlangt, trägt jetzt ausdrücklich den Sinn einer neuen Volksreligion mit dem politischen Wert des Contrat Social und der sowohl moralischen wie ästhetischen Wirksamkeit, die HERDER postulierte. Die Tübinger Entwürfe sind insgesamt vom Thema der Volksreligion in der Form einer neuen Phantasie durchzogen. Gewiß ist der Inhalt von Nohl 357, Z. 25—34 durchaus so aufgeklärt wie die Ausführungen über „die Weisen Griechenlands" in dem Aufsatz Über die Religion (Rosenkranz 457, Z. 10 v. u. ff, Hoffmeister 47, Z. 7—23); die ** tiohl 355, Z. 9—23 wiederholt die Themen von Rosenkranz 459 {Hoffmeister 48 f); Nohl 357 nimmt Themen aus Rosenkranz 457 f {Hoffmeister 47) auf.
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Relevanz der Figur des Weisen spricht gegen die Phantasie und erinnert eher an die unsichtbaren Götter von LESSINGS Laokoon als an die schön anschaulichen Gottheiten in HERDERS Kritischen Wäldern. Aber auch hier ist Hegels Frageweise und sein Lösungsversuch nicht festgelegt, er oszilliert zwischen Rationalismus und Irrationalität. „Wie weit darf sich Räsonnement einmischen, um noch Religion zu bleiben — Hieraus ist das Schimpfen über Götzendiener zu beurteilen" {Nohl 355): Der Abstand gegenüber dem Rationalismus sowohl der Ortodoxie wie der Aufklärung wird programmatisch. Bezeichnend ist hier die politische Bedeutung der Religion, die auch im direkten Kontext der Frage nach Phantasie und Totalität steht. Die Alten genossen eine Totalität von Phantasie, nationaler Kunst und öffentlichem Leben, von Person cmd Nation, Tradition und Gegenwart, Freiwilligkeit und Schicksal, Erhabeirheit und für jeden faßbarer Schönheit (Nohl 355 f, 358 f). Was dem allen zugrunde lag, war die Größe eines Lebens im Medium eines bruchlosen Allgemeinen; sie lebten eine echte, ästhetische, politische Volksreligion. Das Christentum hat aber diese schöne Phantasie bekämpft, einen Geist der Passivität, der Kleinlichkeit und Angst gebracht (Nohl 357 f, 355; vgl. 15 f). Die Zerstörung der „heiteren frohen Phantasie" (358), welche uns aus der mittelalterlichen Kunst und Habitat, aus Volksleben und -Gebräuchen spricht, zeigt dasselbe verheerende Bild. Mit alledem hat das Christentum die Entstehung des Despotismus mindestens begleitet, qualitativ gefördert imd verstärkt (357 ff; vgl. 7 f), und eine Totalität der Freiheit zerstört oder zu ihrer Zerstörung beigetragen. Statt aber an ihrer Stelle eine neue vorzulegen, hat es die Menschen in die Sklaverei vertrieben und selber, als ein mittelbarer, ungewollter Helfershelfer des Despotismus, aus demselben Geist der Tyrannei gehandelt (355 f). Der auffallendste Unterschied des sog. Tübinger Fragments (Nohl 3—29) gegenüber den Tübinger Entwürfen besteht lücht nur in der differenzierteren religiösen Begrifflichkeit, sondern in einer starken Wendimg gegen die Aufklärung (besonders 12—17), die als imbewußte Nachfolgerin des Werkes des Christentums im soeben ausgelegten Siime schon hier gesehen wird. Nohl 25 liefert ein klares Beispiel der Kon** Aristoteles, Sokrates: Nohl 357 (vgl. Rosenkranz 457, Z. 10 v. u. ff; Hoffmeister 47, Z. 7 ff). Mindestens für Nohl 357, Z. 25—36 zeigt sidi eine klare Abhängigkeit von Humes The Natural History of Religion, Sect. IV (vgl. David Hume: The philosophical Works. Ed. by Th. H. Green and Th. H. Grose. London 1882—1884. Bd 4. 321).
•• Als Beweis dieses Sinnes im zuletzt angeführten Text vgl. die Fortsetzung bis Nohl 355, Z. 16, sowie die Parallelstelle Nohl 14 f.
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trakritik gegen die aufklärerisdie Kritik des Aberglaubens: die Figur des Pilgers wird mit ihren irrationalen Werten der Trockenheit und Leere ihrer aufgeklärten Kritiker entgegengestellt (vgl. 10 f); die Erinnerung an Griechenland mit einem sehnsüchtigen „ach!" eingeleitet. Der HERDERsche Einfluß ist an diesen beiden Beispielen und überhaupt an der ganzen Kontrakritik deutlich erkennbar. Was ihr zugrunde liegt, ist Die Figur des Pilgers ist ein Herdersdier Topos, der in den Ideen verschiedentlidi auftaudit (z. B. Suphan XIV. 414). Was die Beschwörung Griedienlands betrifft, reichen die Parallelen oft bis in die konkreten Formulierungen. Zunächst sind Herder und Hegel darin einig, daß Christen und Griechen in scharfem Gegensatz zueinander stehen. So bemerkt Herder vom Christentum: „da sollten Menschen den Himmel finden, die Bürger der Erde zu seyn verschmähten, und damit die schätzbaren Gaben unseres Geschlechts, Vernunft, Sitten, Fähigkeiten, Eltern-, Freundes-, Gatten und Kindesliebe aufgaben" {Suphan XIV. 323); und Hegel sagt: „Unsere Religion will die Menschen zu Bürgern des Himmels, deren Blick immer aufwärts gerichtet ist, erziehen, imd darüber werden ihnen menschliche Empfindungen fremd" (Nohl 27). Was die Charakterisierung der Griechen selbst betrifft, ist der Wortschatz der letzten Seiten des Tübinger Fragments ganz Herderisch geprägt. So z. B. nennt Herder die Griechen „Blüte des Genius der Völker, ein Sohn der Tradition" {Suphan XIII. 310); Hegel spricht vom „Bild eines Genius der Völker — eines Sohns des Glücks" {Nohl 28); auch die Zusammenstellung von „Genius" tmd „Glück" findet sich in den Ideen {Suphan XIV. 113). Das Kapitel „Künste der Griechen" spricht über den „leichten Geist" (vgl. Nohl 27 f) „eines glücklichen Geiüus" (vgl. Nohl 28) und endet mit den Worten: „der Genius dieser Zeiten ist vorüber" {Suphan XIV. 113; vgl. Nohl 29). Im selben Sinn wie Herder sprechen die Tübinger Entwürfe von „kindisch" (vgl. Nohl 359 und Suphan XIV. 314). Die erste Sammlung der Zerstreuten Blätter lobt „das sanfte Maaß der Mensdilidikeit", das „dieser wohlgebildeten Nation in ihrem gemäßigten Himmelstrich zu Theil geworden war" {Suphan XV. 218); Hegel betont in ähnlichem Kontext „eine andere mildere, einem sanften Himmelstrich entsprossene Gestalt des Opferns" {Nohl 25). Die folgende Seite der Zerstreuten Blätter zeigt denselben Wortschatz der letzten Seiten des Tübinger Fragments: „Seele", „Liebe", „empfinden", „sanft", „schön", „glücklich", „Gefühl", „Schicksal", „mit Liebe belebt" {Nohl 23: „lieblich belebt"). So wie Nohl 28 f dreimal von „Blumen", „mit Rosen umwunden" die Rede ist, lesen wir in den Zerstreuten Blättern auch über die Griechen von „Blumen", „Blumenkranz" {Suphan XV. 203—206); ähnlich häufen sich XV, 159 in drei Zeilen typische Wörter aus dem Schluß des Tübinger Fragments: „Unschuld", „Freude", „Dank", „Freundschaft", „Liebe" und „bekränzt". Andere Paralellen wären noch aufzuzeigen, etwa wenn Herder davon spricht, daß „der Geist der Zeit den Rücken bückte" {Suphan VII. 258; vgl. Nohl 29, Z. 16; Nohl hat im Hegelschen Manuskript „Vater" statt „Nacken" gelesen) — Herders Einfluß auf Hegel trägt ästhetischkontemplative Züge: es ist die sehnsüchtige Evozierung der Vergangenheit, der Totalität, der vergöttlichten Natur und Gesellschaft. Gott ist anwesend in der ganzen Geschichte: „Gang Gottes über die Nationen" {Suphan V. 565; IV. 350—354). Die unendlichen Welträume sind nicht mehr wie bei Pascal in schreckender Ferne {Suphan V. 560, 584 f); die Subjektivität befindet sich in ihnen von der Gottheit umfangen und durchdrungen (vgl. aber schon Glauben und Wissen. In: Hegel: Gesammelte Werke. Bd 4. 414). Da wird die Aufklärung lächerlich, weil sie sich als Maß der Geschichte hinstellt {Suphan V. 511) und sich für besser als die Vergangenheit düiüct (V. 524; vgl. Nohl 10 f). Hegels Angriff gegen die Aufklärung,
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die theoretisdi entwickelte anthropologisdie Frage nach dem Zusammenspiel des „Pathologischen" {Nohl 18, vgl. 356) und Vernünftigen. Die Frage mag sich wohl in KANiischem Zusammenhang zugespitzt, vielleicht sich erst Hegel ausdrücklich gestellt haben, ihre Formulierung aber ist gut aufklärerisch xmd wird vor allem von der neuen Mythologie HERDERS vorausgesetzt und entwickelt. Tatsächlich wird sie vom Tübinger Fragment als die Frage nach der neuen Religion und der Stellimg des Irrationalen, Gefühlsmäßigen, der Phantasie in ihr gestellt {Nohl 5, 19, 23 f, 28). Damit bekommt die Problematik der Diskussion um KLOPSTOCK eine anthropologische Fimdierung, und zugleich wird ihre prospektive, antirestaurative Richtimg trotz aller Kritik an die Moderne gestärkt. Das Begriffspaar „Pathologie" — „Vermmft" genügt aber nicht zu einem Verständnis dieses anthropologischen Anliegens, weil ihm das von — eindeutig negativ bewerteter — „Passivität" und „Tat" (auch „Handlung", „Größe beim Handeln") beigefügt wird. Beide Begriffspaare greifen eng ineinander; die Tat ist entscheidendes Moment in der Vermittlimg von Pathologie imd Vermmft. Dabei vermitteln sich aber im Grunde — und darin liegt die Spur HERDERS, die den tiefsten Inhalt hat — Logos und Siimlichkeit. Hier zeigt sich eine gnmdsätzliche Annnahme des Programms der neuen Mythologie, als einer neuen Offenbarung in der Natur, in den Schicksalen, wie es von HERDER seit seinem Reisejournal klar formuliert wurde. Auf diese Weise bekommt die Politik nicht nur eine kulturkritische, sondern eine kidturschaffende, sowohl dichterische wie theologische Bedeutung, die immer wieder kurz aber bestimmt angemerkt wird. Hegel kann so eine programmatische These aufstellen: „Geist des Volkes, Geschichte, Religion, Grad der politischen Freiheit desselben — lassen sich weder nach ihrem Einfluß aufeinander, noch nach ihrer Beschaffenheit abgesondert betrachten — sie sind in ein Band zusammenNohl 16, erreicht bei weitem lücht die Härte von Herders Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. Diese Herdersche Kritik machte Epoche; ihr schuldete vielleicht vor allem dieses Werk seinen Erfolg. Herder selbst bejahte jedoch grundsätzlich die Aufklärung (Suphan V. 573). Man müßte das berücksichtigen, wenn man feststellt, daß trotz der heftigen Kritik so viele aufklärerische Elemente im Tübinger Fragment bleiben. Vgl. Justus Schwarz (Hegels philosophische Entwicklung. Frankfurt 1938. 19—30), der zum ersten Mal die Abhängigkeit des Tübinger Fragmentes von Herder festgestellt hat. Vgl. Nohl 355, Z. 9—22 (übrigens das Problem wie Rosenkranz 459, Hoffmeister 48 f); Nohl 15 f tmd 19, Z. 17—23. Besonders wichtig ist die Zusammenstellung von „Freiheit" cmd „Phantasie", Nohl 28. ** Nohl 357, Z. 9—13 cmd 6 v. u. bis Ende der Seite; Nohl 12, letzte Zeile ff; Nohl 19, Z. 8 V. u. bis Nohl 20, Z. 19; Nohl 27, Z. 9 f.
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verflochten — wie von drei Amtsbrüdem keiner ohne den andern etwas tun kann, jeder aber auch vom andern etwas anninunt". (Nohl 27) Poesie und Politik ist der analytische Name für eine neue Religion sowohl der privilegierten Innerlichkeit wie auch des Volkes, welche den im Eingangsabschnitt zu Über einige Unterschiede festgestellten Riß der Gesellschaft zu überwiiiden vermag. Die Betonung des Praktischen, der Spontaneität durchzieht über die angegebenen Begriffe hinaus das ganze Fragment. Allerdings bleibt die spezifisch politische Begrifflichkeit schwach und vage, sie schreitet nicht, im Sinne der späteren Hegelschen Logik, zu den Mitteln der politischen Verwirklichung fort. Dadurch kommt Hegel nicht über den Riß, welchen er in seiner Zeit festgestellt hat: die Tat kann ihre Vermittlung nur programmatisch postulieren. Postuliert wird mit HERDER die neue Phantasie und etwas am Irrationalen der eigenen Gegenwart und Überlieferung als Positives anerkannt; und doch kehrt Hegel immer wieder zu Programmen zurück, welche höchstens allgemein, und auch das mit Reserven, die Einbeziehung der Phantasie in die Vernunft verlangen. Die Frage der Mythologie erscheint einmal in der Form der Verehrung Griechenlands oder der Vindizierung etwa der mittelalterlichen Tradition {Nohl 25), ein anderes Mal als abstrakt-aufklärerische Zusammensetzimg aus Vernunft und Sinnlichkeit (357, 4, 17); diese zweite Formel kann jedoch nichts dem griechischen Modell Entsprechendes, geschweige derm Gleichwertiges angeben und bleibt abstrakt. Noch mehr, die Sinnlichkeit wird einerseits für das Volk verlangt, nicht für die TVeisen, und andererseits doch auch für den Weisen, der sich nach ihr schließlich sehnt. So widerspiegeln Hegels Gedanken unbewußt sowohl seine entzweite Lage, wie das undurchdringliche Programm ihrer Überwindimg: das Problem einer nationalen Mythologie der Vernunft.
IV. Die Fortsetzung der Themen des Tübinger Fragments in Bern zeigt nun eindeutiger den Widerspruch zwischen dem Enthusiasmus und dem ernsten Bedenken der Lage, zwischen der Einbeziehung der Früchte der Reflexion und dem Genuß der göttlichen Totalität. Man merkt, daß Hegel geneigt ist, der Reflexion die erste reellere Rolle zuzugestehen, ohne jedoch die Phantasie fallen lassen zu wollen: „Mit der Vernunft, die Handlungen der Pflicht fordert, unvertragbar ist sowohl die Frömmigkeit, die Gaben und Opfer zu den Tempeln der Götter bringt — oder in Ab-
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büßung, Kasteiung, Fasten, langem heftigen Beten ihr Herz erleichtert — oder die in frommen Gefühlen der Liebe — in mystischen Empfindungen schwelgt." {Nohl 37) Die Moral der Popularphilosophie und hier vor allem die von KANT wird in der Tat mit KLOPSTOCK — insofern er keine lebendige Tradition, keine universelle Phantasie widerzuspiegeln vermag — gleichgestellt, nur daß Hegel in diesem Berner Moment eher die Neigung zur Anpassung an die gegebene Entzweiung zeigt. Das positiv zu Bewertende der neuen Zeit ist, mit GARVE, ZU evident. Trotzdem: „Mit den Fortschritten der Vernunft gehen unaufhaltsam viele Empfindungen verloren, viele sonst rührende Associationen der Einbildungskraft werden schwächer, die wir Einfalt der Sitten heißen und deren Gemälde uns erfreut, uns rührt, deren Verlust wir oft nicht mit Unrecht bedauern." {Nohl 37) Und eine Anmerkung von Hegel: „der lucus wird ein Haufen Holz und der Tempel eine Steinmasse wie andere". Jetzt wird die Problematik des heiligen Haines (vgl. Rosenkranz 456, Z. 9; Hoffmeister 45, Z. 15) ausdrücklich reflektiert und nicht nur als gefühlvolle Ahnung der rationalistischen Kritik der Mythologie beigegeben. Die Inkongruenz zwischen der Phantasie und dem rationalistischen Verständnis der Geschichte als Entwicklung vom Aberglauben zur Vernunft zusammen mit der KANTischen Ratio zeigt sich größer denn je zuvor, gerade weil beide entwickelter und differeirzierter als in der Stuttgarter xmd Tübinger Zeit erscheinen. Die Tragödie der Moderne, die in Über einige Unterschiede unter dem vorwiegenden Einfluß des popularphilosophischen Milieus eine erste und ruhige Reflexion erreichte, zeigt wachsende Züge eines unheilbaren Risses. Es scheint Hegel selbst deutlicher zu werden, daß es, wie schon GARVE behauptete, keinen Ausweg aus dieser Lage gibt, sondern nur eine ruhige, entschlossene Arbeit in ihr. In der nächsten Entwicklung weicht die Frage der Phantasie in die Form des abstrakten Postulates einer lebendigen Vernunft, Hegel schlägt sich deutlicher, obwohl nicht orthodox KANTisch, auf KANTS Seite, und die Politik bestimmt zusehends die Begrifflichkeit. Im Grunde bleibt aber das göttliche Moment auch in der Politik erhalten, und die Totalität soll sich auch in ihr in der Form der Phantasie bewahren {Nohl 70). Viel später wird Hegel sagen: „Die Vorstellung, welche der Mensch von Gott hat, entspricht der, welche er von sich selbst, von seiner Freiheit hat" {Werke XV, 95); die Idee ist gut aufklärerisch (vgl. die Einleitung von Über die Religion), aber sie hat schon in Tübin” Vgl. Hans-Otto Rebstock; Hegels Auffassung des Mythos in seinen Frühsckriften. Mündien 1971. 225 f. Die Postulierung war in dieser Form gut aufklärerisch. Fritz Stridi (a.a.O. 389) sieht hier einen möglichen Einfluß Wielands auf Hegel.
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gen eine mystische Färbung erhalten. Die Frage nach der neuen Totalität ist Hegel unabdingbar geworden. So klingt schon zum ersten Mal der später für Frankfurt typische Ausdruck „plerosai" bei einer Reprise des Themas der Mythologie in Verbindung mit den Strukturen der Tat und dem Leben Jesu {Nohl 363) auf; und wenn die Nationalphantasie noch einmal in Verbindung mit der Politik behandelt wird (365 ff), wird auch KLOPSTOCKS Versuch „die Religion zu einer Sache der Phantasie" zu machen, gewürdigt (364). Die Schriften über Die Positivität der christlichen Religion und Das Leben Jesu zeigen den Versuch einer Weiterführung der Problematik in die Richtung der reflexiven Begrifflichkeit. Aber Hegel entfernt sich auf diese Art nach seiner eigenen Schätzung offensichtlich zu sehr vom Tübinger Ansatz und kehrt in den „Zusätzen" {Nohl 214—239) zu ihm zurück. Akzente aus der Stuttgarter Zeit tauchen in ihnen immer wieder unter der Reprise und Entwicklung der Ideen des ersten Abschnitts von Über einige Unterschiede, welche fast die ganzen Zusätze in Anspruch nehmen, auf. Wir können uns nicht mehr bei diesen Texten auf halten, die aber schon für sich deutlich genug sind. Das negative Beispiel KLOPSTOCKS wird virtuos entwickelt (Nohl 217), und ihm werden HöLTY, BüRGER, MusÄus — Hegel scheint doch mit der Literatur weiter zu tun zu haben! — zugeordnet (216). Als schon bei HERDER beliebtes positives Gegenbeispiel wird eine andere Lektüre aus der Stuttgarter Zeit zitiert: SHAKESPEARE. Respekt, aber auch Distanz vor LESSING sind gleichzeitig aus Nohl 218 zu lesen, ähnliche Distanz jetzt ausdrücklich gegenüber HERDER. Diese Entfremdung verdient unsere Aufmerksamkeit. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß die Mythologie von HERDER teilweise abstrakt und psychologisch dargestellt wurde. Verstand und Sinnlichkeit mußten „zusammengebracht", der Trockenheit der modernen Literatur auf diese Weise abgeholfen werden. Für Hegel tritt die Vernunft selbst mit dem Anspruch der Totalität auf, und für ihn muß also die abstrakte Beziehung zwischen ihr und der Sinnlichkeit problematischer als bei HERDER sein. Hegel betont auch mehr die verschiedenen Fast mit den Worten des Aufsatzes Über einige Unterschiede hören wir von politischer Rückbindung der Phantasie der Alten an die eigene Religion und Verfassung (Nohl 214; vgl. Rosenkranz 459 bzw. Hoffmeister 48). Wie im Aufsatz Über die Religion klingen noch einmal die Themen des Tempels und des heiligen Waldes an, diesmal als Vertreter der Volksreligion, nicht nur der Phantasie oder des Aberglaubens der Alten (Nohl 214 f). — Auch die zwei ersten Seiten der Schrift über die Positivität (Nohl 36 f) nehmen Themen aus den Stuttgarter Aufsätzen teilweise wörtlich auf. Die ausdrückliche Behandlung der „Mythologie" bleibt in der ganzen Berner Zeit beim rationalistischen Sinn, den Hegel von Eberhard empfing, (vgl. auch Nohl 92, Z. 11—16).
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politischen, rationellen usw. Momente in ihrer eigenen Begrifflichkeit, ohne sie, sei es in eine SriNOzistische Schau, zu verschmelzen. Die in HERDERS Ideen vorgenommene Zusammenbindung zwischen Vernunft und Sinnlichkeit, Vergangenheit und Moderne, Individuum und Totalität bleibt für Hegel programmatisch bestehen. Aber Hegel hat schon von der Reflexionsphilosophie einen stärkeren Sinn für die Spannung zwischen den zu integrierenden Elementen, während HERDER, dessen kritisches Interesse den aufklärerischen und sogar LEiBNizschen Modellen verhaftet blieb, zu einer Verschmelzung neigt. Gewiß, audi die KANxische Philosophie wird von Hegel nicht orthodox auf genommen; die Phantasie, und zwar eine Phantasie der Tat, nicht nur der Schau, behält ihren Platz. Die tiefen Hintergründe dieser Fragestellung deuten mit HERDER auf die — sowohl mystisch wie politisch — vermittelnde Rolle der Phantasie gerade zu einer Zeit, für welche dieses heilige Band schon lange gebrochen ist. Was Hegel von HERDER jetzt interessiert, ist vornehmlich der Autor des Briefes 31 aus den Briefen, das Studium der Theologie betreffend {Suphan X, 335 f), also der HERDER, welcher das Programm einer neuen Mythologie schon früh (I, 443 f) entwarf, nicht aber, welcher die alte Mythologie humanistisch, literarisch auslegt (I, 426—433 und auch selbst 443 f). Die Aufgabe, die sich von hierher stellt, ist also die, eine freie und gleichzeitig zur Systembildung fähige Phantasie zurückzugewinnen, welche unter den Bedingungen der Reflexion und der Entzweiung lebt und doch spontan und göttlich sein kann. „Dem Sinne nähert Phantasie das Ewige vermählt es mit Gestalt ** Ich kann hier auf die einzige vorhandene Analyse dieser Texte nicht eingehen: Rebstock (s. Anm. 27). 98—107. Obwohl es der Aufklärung nicht gerade an Unterscheidungskraft mangelte und schon in Tübingen der Hegelsche Gebrauch von Vernunft, Verstand und Sinnlichkeit die kantische Differenzierung gut kennt, scheint mir Rebstock Recht zu haben, wenn er behauptet, daß Vernunft, Verstand, Einbildungskraft und Sinnlidikeit nach Hegels kantischer Phase klarer unterschieden werden. Rebstode sieht auch und betont, daß das Totalitätsschema in diesen Texten bei aller Differenzierung der Begrifflichkeit vorwiegt; daß aber die Phantasie im Begriff sei, ästhetisch — im Sinne von unabhängig — zu werden {Rebstock. 106 f), scheint mir nicht mehr zu stimmen. Was den von Rebstode angeführten Text {Nohl 216, Z. 6 V. u. bis Ende des Abschnitts) betrifft, deutet der Genuß {Nohl 217, Z. 5 f) im Kontext unverhüllt auf das kantische Zusammenspielen der Seelenkräfte und fungiert noch dazu als Material für die Auslegung der totalisierenden Rolle der Phantasie innerhalb der Religion {Nohl 216, Z. 6 v. u. ff). Wogegen Hegel sich sowohl in diesem wie in anderen von Rebstode zitierten Texten wendet {Nohl 217, Z. 10—15; 219, bis Z. 15), ist die Ableitung der Phantasie aus dem Verstände oder, wie Hegel bald sagen wird, gegen ihre Subsumption, wie sie sich
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So schön und kurz sagt es das Gedicht Eleusis (Vers 37 f) am Ende der Berner Zeit. Gott, im Sinnlichen erfahrbar durch die Phantasie, welche die Entfremdung des Verstandes überwindet (34—36) und „erhabne Geister, hohe Schatten, von deren Stirne die Vollendung strahlt", schafft (39 f). Hat sich Hegel der Mystik ergeben und die Politik vergessen? Keineswegs. Wie in Nohl 28 oder in Über einige Unterschiede ist sich Hegel dessen bewußt, daß kein Pfad mehr zur Vergangenheit führt (Verse 56—66). Aber, so heißt es dann (92—96, vgl. auch 66 f): „Es trugen geizig deine Söhne, Göttin, nicht deine Ehr auf Gass' und Markt, verwahrten sie im innern Heiligthum der Brust. Drum lebtest du auf ihrem Munde nicht. Ihr Leben ehrte dich. In ihren Taten lebst du noch." Es ist die lebendige Mythologie einer neuen, befreiten Nation, die spontan fühlen und handeln kann, die das Bild der Gottheit in ihrem Leben unmittelbar trägt. Sie ahmt nicht das verlorene Griechenland nach, sie wiederholt sein göttliches Wunder. In diesem Ideal wußte sich Hegel mit HöLDERLINS Hyperion einig, der nicht nur die Natur wiederherstellen imd die Menschen mit den Göttern versöhnen, sondern dabei auch von den Türken, der nationalen Unterdrückung, befreien soll. Es ist das Ideal einer politischen Mythologie der Vernunft, wie sie das Systemprogramm postuliert {Hoffmeister 220 f) das Ideal einer anthropologisch und politisch totalitätsbildenden Schönheit, welche die Idee der Einheit verkörpert. Es ist die von KLOPSTOCK spontan gezeigte Entzweiung, die hier zusammengeschmolzen wird. „Monotheismus der Vernunft und des Herzens, Polytheismus der Einbildungskraft und der Kunst, dies ist's, was wir bedürfen." (220) Beharrliche Reste der von KANT fortgesetzten Aufklärung werden abgestreift und der Rationalismus endgültig von nicht nur in der Philosophie, sondern auch in der Dichtung sogar bei größeren Dichtern wie Ramler, Wieland, Lessing nicht selten findet. Der „freie Genuß" (Nohl 216 f) ist aus seinem Kontext zu interpretieren. Genuß ist nichts Isoliertes, sondern besitzt eine integrative Funktion. Auf jedem Fall ist es falsch, daß Herder die Mythologie verselbständigt habe. Eher trifft das Gegenteil zu, und es wäre auch für Hegel zu spät, wenn er es erst von ihm hätte lernen sollen. Rebstode (102—113) verfehlt diesen Zusammenhang durch seine Annahme einer rein ästhetischen Bedeutung der Phantasie für Hegel. Auch datiert er das Systemprogramm vor die zuletzt besprochenen Fragmente, was ihn folgern läßt, daß kein Einfluß von ihm auf Hegel ausgegangen sei. Es hätte aber eine etwas spätere Datierung genügt, damit das Systemprogramm sich aus diesen Fragmenten sehr wohl verstehen ließe.
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der Phantasie überwunden: „wir hören so oft, der große Haufen müsse eine sinnliche Religion haben. Nicht nur der große Haufen, auch der Philosoph bedarf ihrer." (ebd.) Dabei ist nicht nur die politische Bedeutung dieser Sätze bewußt, sondern auch die Tatsache, daß zum ersten Mal das Programm aufgestellt wird, die Vernunft der Reflexionsphilosophie mythologisch zu machen (vgl. 221). Gewiß ist die Begrifflichkeit der Lösung nicht so überschwenglich wie diese selbst; sie bleibt vielmehr der Problemstellung der Moderne treu. Darum werden sich sowohl Hegel wie HöLDERLIN in Frankfurt so intensiv mit dem Christentum beschäftigen: die Befreiung soll unter den Bedingungen der Moderne geschehen. Diese Aufgabe wird HöLDERLIN auf seine Art mit dem Empedokles lösen. Und wenn Hegel bald darauf die mythologische Vermittlung als zu unmittelbar und literarisch (vgl. Eleusis, letztes Drittel) nicht mehr als Lösungsprogramm ansehen wird, so wird die Idee des „Pieroma" in ähnlicher Form wie bei HöLDERLIN das Programm der Mythologie der Vernunft fortsetzen. Die Frage nach einer Volksphantasie, wie sie in Über einige Unterschiede formuliert vorliegt, wird also zurück weichen. In der Problematik der modernen Subjektivität und der Totalität, des Wertzerfalls der alten politischen und religiösen Totalität und ihrer Ersetzung durch eine neue, welche auf der verwirklichten Idee der göttlichen Freiheit beruhen soll, wird die alte mythologische Frage aufgefangen. Die Philosophie der Religion wird viel später sagen: „Die Versöhnung ist so die Freiheit, ist nicht ein Ruhendes oder Sehendes, sondern Thätigkeit. . . . Die Hauptvorstellung ist die von der Einheit der göttlichen und menschlichen Natur: Gott ist Mensch geworden." Die Mythologie der Vernunft und der Freiheit hat hier ihre vermittelnde Rolle nicht nur postuliert, sondern dialektisch bis zur totalen Transparenz verwirklicht; auch die Idee des Rechts ist nicht abstrakt, sondern vertritt das göttliche Leben. 31 Obersdiwenglith ist sie nur, insofern sie eindeutig poetisch-anarchistische Züge trägt (Hoffmeister 219 f). Noch in Jena wird Hegel die Rechtsverhältnisse in einem Staat negativ bewerten; vgl. Jürgen Habermas: Arbeit und Interaktion. In: Natur und Geschichte. Festschrift für Karl Löwith. Stuttgart 1967. 151. 33 Immerhin spielt das Stuttgarter Bild des „heiligen Haines" eine zentrale Rolle bei der Charakterisierung der Figur Abrahams in der Frankfurter Zeit. Das Bild macht die Entzweiung, den Verlust der Totalität anschaulich. Aber die Phantasie verfügt hier nicht mehr über die faktische Unabhängigkeit früherer Hegelscher Zeiten. Sie beginnt vielmehr ins System einbezogen zu werden, transparent zu sein (vgl. die fortgeschrittene Typisierung des „heiligen Haines" schon in Glauben und INissen, s. Hegel: Gesammelte Werke. Bd 4. 316 f). Die Mythologie neigt schon zur untergeordneten Stellung der Idee gegenüber. 33 Sämtliche Werke. Stuttgart 1927—1929. XVI. 208.
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Gewiß hat diese Transparenz ihre problematische Seite. Aber die bis zur Unkenntlichkeit stilisierte Spur der Aufklärung behält auch hier ihre grundsätzliche Bedeutung. Hegel blieb der Aufklärung verhaftet, so wie er an ihr kritisierte, der Vergangenheit verhaftet zu bleiben. Der Primat des Ideellen und Subjektiven war bei ihm von der Aufklärung — und nicht erst von der Romantik — schon von seiner Jugend an ganz ausgeprägt; dieser Primat, der Drang nach totalen Lösungen unter der Vorherrschaft des Begriffs verbindet ihn mehr mit der Aufklärung, als er ihn von ihr trennt. Die Aufklärung war gar nicht so abstrakt, wie ihre vom Rationalismus großenteils geerbte Begrifflichkeit vermuten läßt. Gerade ein beträdilicher Teil der großen und kleineren Schriftsteller, die beim jungen Hegel eine so intensive Spur hinterließen — ISELIN, LESSING, MENDELSSOHN, ROUSSEAU, WüNSCH, HERDER, USW. —, begleitete beständig seine konkreten Interessen mit einem kontemplativen Moment. Aber die erhabene Transparenz der Philosophie der Religion ist alles andere als Desinteresse für das Konkrete. Von der Aufklärung hat Hegel auch einen starken Sinn für die unaufhebbaren Differenzen in der Moderne erhalten. Sowohl den konkreten wie den kontemplativen Zug der Aufklärung hat Hegel von ihr geerbt und beides hat ihn zu einer wirklichen Ausführung dieses bis dahin eher — in der Sprache der Phänomenologie — „gemeinten" und in diesem Sinne abstrakten Programms bewogen. Hegel ist wie KANT eine Vollendungsmöglichkeit der Aufklärung; allein deren Fortführung entspricht in diesem Fall nicht den seit dem Historismus gängigen Klischees. Das Feld der ungeheuren Spannung, welche die Größe und Schwäche der Hegelschen Philosophie zeitigte, zwischen dem traditionell-kontemplativen und dem aktuell-pragmatischen Moment, wurde von der Aufklärung abgesteckt. Hegel hat nur dessen innere Logik durchgeführt, wie es auch nicht zuletzt durch die neuen Erschütterungen Europas möglich geworden war. Damit schuf er eine neue Lage, wenn auch nur potentiell: die Affinität zwischen den jetzigen Rückgriffen auf Hegel und den Restaurationen der Aufklärung ist nicht zufällig.
KLAUS DÜSING (BOCHUM)
DIE BEDEUTUNG DES ANTIKEN SKEPTIZISMUS FÜR HEGELS KRITIK DER SINNLICHEN GEWISSHEIT
Es ist erstaunlich, daß für Hegel vor allem in seiner Jenaer Zeit der Skeptizismus — nicht als von ihm bekämpfte Richtung, sondern als von ihm akzeptierte Argumentation — eine besondere Bedeutung hat. Denn man sollte zunächst annehmen, daß der Skeptizismus und die Metaphysik, die die Erkenntnis und die systematische Entfaltung des Absoluten zum Inhalt hat, einander ausschließen. Hegel selbst beruft sich für seine positive Auffassung des Skeptizismus vor allem auf die Antike. Systematisch erfüllt der Skeptizismus für ihn die Aufgabe der Vernichtung der endlichen Reflexionsbestimmungen und der „Erkenntnis" des Endlichen, die selbst endlich bleibt, bzw. der Aufhebung des Fürwahrhaltens des endlichen Selbstbewußtseins. So konzipiert Hegel die frühe Logik in Jena (1801/02 oder auch 1802/03), die noch von der Metaphysik als der Erkenntnis des Absoluten verschieden ist und in sie systematisch einleiten soll, als einen wissenschaftlichen Skeptizismus; aus diesem Grunde kann er auch die Phänomenologie des Geistes, die darm eben diese Einleitungsfunktion übernimmt, als sich vollbringenden Skeptizismus bestimmen. ^ Iimerhalb der Phänomenologie des Geistes spricht Hegel nun mehrfach von Skeptizismus, allerdings in einem eingeschränkten, nicht für das Ganze der Phänomenologie geltenden Sinn. Der Gestalt des Selbst* Diese Bedeutung des Skeptizismus für Hegels Denken ist bisher kaum erkannt worden. Vgl. vor allem H. Büchner; Zur Bedeutung des Skeptizismus beim jungen Hegel. In: Hegel-Tage Urbino 1965. Bonn 1969. (Hegel-Studien. Beiheft 4.) 49—56. Büchner hat eine größere Untersuchung über Hegels Aufnahme und systematische Veränderung des Skeptizismus angekündigt. — Vgl. ferner R. Verneaux: L'Essence du Scepticisme selon Hegel. In: Histoire de la Philosophie et Metaphysique. Recherches de Philosophie I. Paris 1955. 109—151. — N. Merker: Hegel e lo scetticismo. In: Societä. 16 (1960), 545—583. — Zum Verhältnis des Skeptizismus zur frühen Logik bei Hegel vgl. meine in anderem Zusammenhang auszuführenden Hinweise in Spekulation und Reflexion. Zur Zusammenarbeit Schellings und Hegels in Jena. In: HegelStudien. 5 (1969), 123 ff. — Das Verhältnis von Skeptizismus und Phänomenologie ist dargestellt bei H.-F. Fulda: Das Problem einer Einleitung in Hegels Wissenschaft der Logik. Frankfurt a. M. 1965. 25 ff.
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bewußtseins, die „Skeptizismus" heißt, liegt offenbar der antike, und zwar wohl der pyrrhonische Skeptizismus zugrunde, dessen Zweck bei der Enthaltung von allem Urteil (Epoche) die Ataraxie war. — Im folgenden soll nun gezeigt werden, daß Hegel auch im ersten Kapitel bei seinem Nachweis der Dialektik der sinnlichen Gewißheit auf den antiken Skeptizismus und im besonderen auf dessen Kritik an der Wahrheit des sinnlichen Seins rekurriert und diese Kritik methodisch und inhaltlich verbessert. Dabei soll hier nur auf die Grundzüge der Hegelschen Argumentation, nicht aber auf die einzelnen Wendungen oder auf das Problem des Verhältnisses dieser Bewußtseinsgestalt zu Kategorien der Logik eingegangen werden. Doch dürfte die Einschätzung und Beurteilung von Hegels Darstellung und Kritik der sinnlichen Gewißheit im ganzen von dem Nachweis nicht unbeeinflußt bleiben, daß Hegel die sinnliche Gewißheit und ihre „Erfahrung" nicht naiv beschreibt wie eine Vorgefundene und unmittelbar zugängliche Sache, sondern daß er offenbar Überlegungen der antiken Philosophie aufnimmt und sie — dem Anspruch der Phänomenologie gemäß — von historischen Zufälligkeiten zu reinigen bemüht ist. ^ ^ Daß Hegel von der sinnlichen Gewißheit zwar eine Deskription geben will, aber sie doch nicht einfach beschreibt, stellt Becker in seiner Kritik an Hegels Kapitel über die sinnliche Gewißheit fest. Er geht allerdings nicht auf die historischen Gründe ein. Vgl. IV. Becker: Hegels Begriff der Dialektik und das Prinzip des Idealismus. Stuttgart [usw.] 1969. 108—151, bes. 111 ff; ders.; Hegels „Phänomenologie des Geistes". Stuttgart [usw.] 1971. 19—29. — Auch andere Interpretationen nehmen Hegels Darstellung als mehr oder weniger gelungene unmittelbare Erfassung der sinnlichen Gewißheit und ihrer „Erfahrung". W. Wieland sucht dabei zugleich zu zeigen, daß Hegels Gedankengang der platonischen Dialogtechnik entspricht: Hegels Dialektik der sinnlichen Gewißheit. In: Orbis scriptus. D. Tschiiewskij zum 70. Geburtstag. München 1966. 933—941. — Th. Bodammer verfolgt bei der Behandlung von Hegels Kritik der sinnlichen Gewißheit genau dessen eigene Argumente und zeigt dabei die sprachphilosophischen Implikationen auf: Hegels Deutung der Sprache. Hamburg 1969. 73 ff. — R. Wiehl sieht im ersten Kapitel der Phänomenologie ein Sachproblem dargestellt, das er in eigenem Argumentationsgang hervorhebt. Er kritisiert dabei von Hegel aus Kants Beispiel-Satz aus den Prolegomena: „Wenn die Sonne den Stein bescheint, so wird er warm." (IV, 301 Anm.) Vgl. R. Wiehl; Über den Sinn der sinnlichen Gewißheit in Hegels Phänomenologie des Geistes. In: Hegel-Tage Royaumont 1964. Bonn 1966. (Hegel-Studien. Beiheft 3.) 103—134. — 7. Hyppolite weist auf Zeno, Parmenides und Plato als mögliche Bezugspunkte für Hegels Kritik der sinnlichen Gewißheit hin; an einer Stelle erwähnt er auch den Skeptizismus-Aulsatz Hegels als Voraussetzung des ersten Kapitels der Phänomenologie, ohne darauf aber näher einzugehen; vgl. J. Hyppolite: Genese et Structure de la Phenomenologie de l'Esprit de Hegel. Paris 1946. 81—99, bes. 84. In den Einzelheiten stützt er sich vielfach auf W. Purpus: Zur Dialektik des Bewußtseins nach Hegel. Berlin 1908. 18—64. Purpus erwähnt außer den Eleaten und Plato audi Aristoteles und Kant sowie Heraklit und Protagoras nach der Darstellung von Plato und Sextus Empiricus. Obwohl er z. T. Passagen aus Sextus zitiert, geht er hinsiditlich der sinnlichen Gewiß-
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Die sinnliche Gewißheit ist nach Hegel ein unmittelbares Fürwahrhalten eines für das sinnliche Bewußtsein unmittelbaren Gegenstandes. Das Wahre ist damit das Unmittelbare, das reine Sein oder das reine Diese. Der Reichtum der siimlichen Welt gehört, wie Hegel dann zeigt, eigentlich nicht der sinnlichen Gewißheit, sondern erst der Wahrnehmung zu, da die Erkenntnis eines solchen Reichtums vielerlei Bestimmung von Etwas durch Negation dessen, was es nicht ist, und damit Vermittlung erfordert. ® Der Reichtum des Konkreten fungiert für die sinnliche Gewißheit jeweils nur als Beispiel; die Bestimmung des Besonderen gilt ihr nicht als wesentlich für die sinnliche Erkenntnis. Dadurch daß das Wahre der sinnlichen Gewißheit auf das bloß Unmittelbare, das reine Diese festgelegt wird, ist die sinnliche Gewißheit also eine von Hegel in ihrer Reinheit erst hergestellte unterste Stufe der sinnlichen Erkenntnis. Als eine solche Stufe ist sie dann allerdings aufzunehmen und zu betrachten, da sie zu Beginn der Einleitung in das absolute Wissen nicht deduziert werden kann. In ihrem ersten Stadium ist der sinnlichen Gewißheit der Gegenstand als das Diese das Wahre. Dieser Wahrheitsanspruch wird von Hegel untersucht, nicht das sinnliche Empfinden als solches. Das Diese zeigt sich dem sinnlichen Bewußtsein als Jetzt und Hier. Hegel bringt als Beispiel für das Jetzt die Aussage: „Das Jetzt ist die Nadit." * Auf die ungewöhnliche Formulierung braucht hier noch nicht eingegangen zu werden; sie ist vermutlich durch die Problematik der antiken Philosophie sowie durch das von Hegel intendierte Resultat motiviert, in dem bestimmt wird, was das Jetzt ist. ® Die für wahr gehaltene Aussage: heit auf den Skeptizismus nicht ein (vgl. 37, 45, 51 f); er weist auf den Skeptizismus erst bei der Interpretation des Kapitels „Wahrnehmung" hin (vgl. bes. 111 f, 117 ff). Purpus sieht freilich — bedingt durch die Tendenz zur Hegel-Apologie — bei seinen historisch gehaltreichen Hinweisen und den Parallelen zu Hegels Logik sowie zu den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie über die Einleitungsfunktion der Phänomenologie hinweg. — Auf Purpus stützt sich auch N. Merker (Hegel e lo scetticismo), der aber an einer Stelle auf Platos Parmenides und Sextus Empiricus als Hintergründe für das erste Kapitel der Phänomenologie hinweist (vgl. 552 f). — Nach H. Ulrici ist Hegel die unmittelbare Erfassung und die Kritik der sinnlichen Gewißheit nicht gelungen: Über Prinzip und Methode der Hegelschen Philosophie. Halle 1841. 64 ff. ® Vgl. Hegel: Phänomenologie des Geistes. Hrsg. v. J. Hoffmeister. 6. Aufl. Hamburg 1952. 90. ^ Phänomenologie. 81. ® Becker kritisiert diese Formulierung aus mehreren, hier nicht näher zu erörternden Gründen, u. a. auch deshalb, weil sie der Selbstdarstellung der sinnlichen Gewißheit nicht entspricht. Vgl. Hegels Begriff der Dialektik. 128 ff. — Zur Sprachlichkeit der sinnlichen Gewißheit vgl. auch /. Simon: Das Problem der Sprache bei He-
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„Jetzt ist Nacht" ist am nächsten Tag, z. B. am Mittag, falsch geworden. Was das unmittelbare und sinnliche Diese jeweils sein kann, ist also veränderlich. — In den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie schreibt Hegel diese Argumentation dem Skeptizismus zu. In dem Kapitel über den antiken Skeptizismus heißt es: „Die Entstehung des Skepticismus ist sehr alt ... Skepticismus im allgemeinen Sinn ist, daß man sagt: Die Dinge sind veränderlich, sie sind; aber ihr Seyn ist nicht wahrhaft, es setzt sich ebenso ihr Nichtseyn. Z. B. Heute ist heute. Heute ist auch morgen u.s.f.; jetzt ist es Tag, aber Jetzt ist auch Nacht u.s.f. Von dem, was man so als Bestimmtes gelten läßt, sagt man so auch das Gegentheil. . . Jetzt nur sind sie (sc. die Dinge) so, in einer anderen Zeit sind sie anders; und diese Zeit, das Jetzt, ist selbst nicht mehr, indem ich von ihm spreche . . ® Hegel gibt hierfür keine Zitate oder Belege an; bei SEXTUS EMPIRICUS, den Hegel wohl schon in seiner Frankfurter Zeit studierte ^ und den er jedenfalls in seinem SkeptizismusAufsatz (1802) ausführlich besprochen hat, finden sich aber Stellen wie folgende: „Außerdem, wenn sie sagen, daß die Behauptung: ,es ist Tag' für den gegenwärtigen Zeitpunkt wahr sei, aber: ,es ist Nacht' falsch, und die Behauptung: ,es ist kein Tag' falsch, aber die Behauptung: ,es ist keine Nacht' wahr, so wird man erkennen, wie eine und dieselbe Aussage, wenn sie zum Wahren hinzukommt, dieses falsch macht, wenn sie aber zum Falschen hinzukommt, dieses wahr macht." ® — Allgemeiner, aber sicherlich auf das erste Stadium der sinnlichen Gewißheit beziehbar, erklärt Hegel schon im Skeptizismus-Aufsatz, daß SEXTUS EMPIRICUS z. B. im ersten Buch gegen die Logiker „die Wahrheit der sinn-
gel. Stuttgart [usw.] 1966. 20 ff. Vgl. ferner Th. Bodammer: Hegels Deutung der Sprache. 73, 76 ff. — B. Liebrucks sieht in diesem Satz das erste Beispiel für den spekulativen Satz: Sprache und Bewußtsein. Bd 5: Die zweite Revolution der Denkungsart. Frankfurt a. M. 1970. 14. ® Hegel: Sämtliche Werke. Bd XIV. Hrsg. v. K. L. Michelet. Berlin 1833. 541. Im folgenden wird die Bandzahl dieser Ausgabe immer in römischen, die Seitenzahl in arabisdien Ziffern angegeben. ’’ Vgl. K. Rosenkranz: Hegels Leben. Berlin 1844. 100. ® Sextus Empiricus: Adversus logicos. II, 103. Sexti Empirici opera. Graece et Latine. Ed. J. A. Fabricius. Leipzig 1718. 477: TCQÖq TOÜTOig orav LEYCOOI TÖ pEV, fipspa EOTIV, ä|tcopa, EAI XOü jiapovTog, eivai dXriOEg, srai 6E TOü vu| EOTI, >^“1 rö pEv, oöxi fipepu EOTi, V®i>öog’ T6 6E, oüxi EOTIV, uXriftEg' EJUCTTIOEI ;icög p’ia oDoa •aal f| duTT) dnöcpavoig, roig psv dXtidEOi jipoaEkOoüoa, ipEUÖii xavxa noiEc xolg 8E ipEuöfaiv, dXriftfj. Lesarten, Zeichensetzung und Akzente des Fabricius wurden beibehalten. Fabricius verteidigt die Lesart: ditöcpavatg und weist djtöqpaaig (d. h. Negation) statt dessen zurück. — Hegel benutzte sehr wahrscheinlich diese Ausgabe.
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liehen Erkenntniß bestritten" ® habe. Ebenso betont Hegel in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, daß sich der pyrrhonische Skeptizismus „gegen das Seyende der sinnlichen Gewißheit überhaupt" wandte, „der es unbefangen als das Wahre gilt" Vor diesem Hintergrund läßt sich nun Hegels eigene Argumentation deutlicher erkennen; man kann genauer bestimmen, inwiefern sie skeptisch ist und inwiefern nicht. Der Versuch, den Satz: „Jetzt ist Nacht" aufzuschreiben, um diese Wahrheit am nächsten Tag mit dem zu vergleichen, was dann gegenwärtig ist, bedeutet nur den sinnenfälligen, auch dem sinnlichen Bewußtsein faßbaren Übergang zur entgegengesetzten Behauptung. Indem Hegel dem Satz: „Jetzt ist Nacht" den anderen Satz: „Jetzt ist Tag oder Mittag" gegenüberstellt, verfährt er nach dem skeptischen Grundsatz, daß jeder Aussage eine gleichwertige entgegengesetzte Aussage gegenübersteht bzw. entgegenzustellen ist. Hegels Vorbild für ein solches Verfahren war aber wohl in erster Linie nicht der antike Skeptizismus, sondern KANTS Aufstellung des Widerstreits der kosmologischen Ideen nach skeptischer Methode. Das Verhältnis von These und Antithese nannte Hegel damals wie KANT Antinomie. Allerdings forderte Hegel, daß die Aufstellung von Satz und Gegensatz allgemein gemacht werde und das ganze Feld des Endlichen, also auch Aussagen der sinnlichen Gewißheit umfasse. Außerdem kann als weiterer Ausgangspunkt für Hegels skeptische Entgegensetzung von Sätzen die „dialektische Übung" in PLATOS Dialog Parmenides angesehen werden, der für Hegel im Skeptizismus-Aulsatz den wahren Skeptizismus repräsentierte. — Das Resultat der Gegenüberstellung von Satz und Gegensatz ist aber für Hegel und für den antiken Skeptizismus nicht dasselbe. Die Skepsis der Akademiker (ARKESILAOS und KARNEADES) verlangt als Ergebnis der einander entgegengesetzten Behauptungen die Urteilsenthaltung, weil weder der eine noch der andere Satz und auch nicht beide zusammen wahr sein können; der eine karm jedoch glaubhafter als der * Hegel: Gesammelte Werke. Bd 4. Hrsg. v. H. Büchner und O. Pöggeler. Hamburg 1968. 212. — Der antike Skeptizismus griff, wie Hegel gegen Schutzes Darstellung bemerkt, die Gewißheit der sinnlichen Perzeptionen selbst an und nicht die Erkenntnis etwa dahinter liegender Dinge (vgl. a.a.O. 205). XIV, 553. Vgl. Hegel: Gesammelte Werke, BD 4. 208; Sextus Empiricus: Pyrrhonische Hypotyposen. I, 12; I, 202—204; Diogenes Laertius: De vitis, dogmatibus et apophthegmatibus clarorum virorum libri X. Graece et Latine. Ed. Is. Casaubonus etc. Amsterdam 1692. IX, 74, 76. Vgl. die Bedeutung der Antinomie schon im Fragment „Glauben und Sein"; Hegels theologische Jugendsdtriften. Hrsg. v. H. Nohl. Tübingen 1907. 382. Vgl. ferner Gesammelte Werke. Bd 4. 24 ff, 219, auch 208, 215, 337 f.
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andere sein. Der pyrrhonische Skeptizismus, dem sich auch SEXTUS EMPIRICUS zurechnet, hält diese Theorie noch für dogmatisch und schließt sie in die Skepsis mit ein; sein Ergebnis ist die Forderung der Urteilsenthaltung, weil ihm die gleichberechtigten, einander entgegengesetzten Sätze weder einzeln noch zusammen als wahr erscheinen können. Hegels Resultat ist dagegen keine Urteilsenthaltung aus dem einen oder anderen Grunde, sondern die Position eines Dritten zu den entgegengesetzten Behauptungen aufgrund der Konzeption der bestimmten Negation. Die einander entgegengesetzten Sätze: „Jetzt ist Nacht" und: „Jetzt ist Tag" sind im Sinne der pyrrhonischen Skepsis gleichwertig. Die sinnliche Gewißheit aber kann das Wahre und Seiende nicht erkennen, wenn sie darüber nichts anderes zu sagen weiß, als daß es sich den Sinnen einmal so und einmal anders präsentiert. Das Seiende als das Bleibende ist vielmehr das Jetzt, die Gegenwart, für die Tag bzw. Nacht als Bestimmungen nur Beispiele sind. So erklärt sich auch Hegels Formulierung: „Das Jetzt ist die Nacht"; es handelt sich um einen Satz über das Seiende: das Jetzt. Das Jetzt ist Tag und Nacht und geht zugleich nicht darin auf. Tag und Nacht zu sein; so ist es nach Hegels Bestimmung ein Allgemeines und kein reines Dieses, wie es die sinrdiche Gewißheit für wahr halten wollte. Ein solches dialektisches Verfahren der Entgegensetzung mit der bestimmten Negation als Resultat ist also nicht bloß skeptisch. Die logischen Voraussetzungen dieser Methode können hier natürlich nicht erörtert werden; sie werden auch in der Phänomenologie nicht diskutiert. Hegels Kritik der siimlichen Gewißheit geht also von der Argumentation des antiken Skeptizismus aus, weicht dann jedoch in entscheidenden Punkten von ihr ab. Welche Positionen Hegel nun mit der Bewußtseinsgestalt der sinnlichen Gewißheit selbst idealisierend skizziert, läßt sich ebenfalls noch genauer angeben. In einem Passus der Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie, der mit einiger Wahrscheinlichkeit in die Jenaer Zeit, nämlich in das Wintersemester 1805/06 gehört, sagt Hegel: „Der gemeine Menschenverstand, oder auch der Skepticismus neuerer Zeit oder Philosophie überhaupt, die behauptet, daß die sinnliche Gewißheit Wahrheit habe . ..", brauchen eigentlich gar lücht „aus Gründen" widerlegt zu werden. Denn „sie behaupten unnmittelbar, das UnSo unterschied audv Hegel den akademischen vom pyrrhonischen Skeptizismus. Vgl. Gesammelte Werke. Bd 4. 209 ff; XIV, 515 ff, 538 ff. — Vgl. zu diesem Thema z. B. Sextus Empiricus: Pyrrhonische Hypotyposen. I, 220 ff; dazu die ausführliche Einleitung von M. Hossenfelder in Sextus Empiricus: Grundriß der pyrrhonischen Skepsis. Frankfurt a. M. 1968, bes. 12—42. — Vgl. ferner R. Richter: Der Skeptizismus in der Philosophie. 2 Bde. Leipzig 1904. Bd 1. 21—41, auch 42 ff.
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mittelbare sey das Wahre"; damit stehen sie auf dem Standpunkt der sinnlichen Gewißheit; „sie sagen ... immer etwas Anderes, als sie meinen" Hegel denkt also, wie aus dieser und anderen Stellen hervorgeht, beim Bewußtsein der siimlichen Gewißheit zunächst an den gemeinen Menschenverstand, der in der Versicherung der Wahrheit des Sinnlichen und Unmittelbaren dogmatisch ist. Doch fällt unter dieses sirmlidie Bewußtsein offenbar auch der neue, von G. E. SCHULZE dargestellte Skeptizismus, in dem die Tatsachen des Bewußtseins unbezweifelt stehen bleiben und der daher vom antiken Skeptizismus selbst in Frage gestellt werden kann. Mit der Neimung der Philosophie schließlich, die die sinnliche Gewißheit für Wahrheit hält, wird von Hegel vielleicht auf den erkenntnistheoretischen Empirismus JACOBIS oder auch HUMES hingewiesen. Hegel sieht nun die Bestätigung seiner Kritik an der Wahrheit der sinnlichen Gewißheit in der Sprache. Dieser Rekurs auf die Sprache ist nicht willkürlich, wenn vorausgesetzt wird, daß jedes erkennbare Wahre aussagbar, d. h. in irgendeiner Weise auch sprachlich formulierbar sein muß. Das von Hegel selbst zugrunde gelegte Argument, das bereits angedeutet wurde, besteht wohl darin, daß das Diese als solches XIV, 143. Im folgenden argumentiert Hegel wie in der Phänomenologie, daß Hier und Jetzt Allgemeinheiten seien: „Hier ist das, was ich zeige, — Jetzt, indem ich rede; aber Hier und Jetzt ist alle Hier und Jetzt." (a.a.O.) Dasselbe gilt vom Ich. — Kurz darauf macht Hegel eine Zeitangabe zur Bestimmung des Jetzt: „Von Jetzt an vor 1805 Jahren, — und Jetzt ist 1805 nach Christi Geburt." (XIV, 144) In einer Vorlesung aus Hegels Heidelberger oder Berliner Zeit hätte die Jahreszahl 1805 wenig Sinn gehabt. Sie paßt zu Hegels Jenaer Vorlesung vom Wintersemester 1805/06, in der er zum ersten Mal über Gesdiidite der Philosophie las. — Diese Jahreszahl steht in einem Abschnitt über das reine Diese als Jetzt, Hier und Ich, der von „Ueberhaupt daß das Allgemeine ..." bis „des thätigen Gedächtnisses" reicht (XIV, 143—144). In ihm ist von dem zu besprechenden Megariker Stilpo überhaupt nicht die Rede, von dem vorher und nachher zahlreiche Sätze und Anekdoten berichtet werden. Ob dieser Abschnitt schon in Hegels Jenaer Vorlesung im Zusammenhang mit einer Darstellung Stilpos stand, ist zwar nicht mehr auszumachen, aber doch nicht sehr wahrscheinlich. Vermutlich hat Michelet diese Überlegungen Hegels aus Jena in spätere Ausführimgen über Stilpo eingeschaltet, da es in ihnen um das Problem der Aussagbarkeit des Diesen geht, die Stilpo nach Hegels Interpretation leugnete. Vgl. z. B. Gesammelte Werke. Bd 4. 215; XIV, 556. Dieser Kritik des neuen Skeptizismus in Schulzes Kritik der theoretischen Philosophie (1801) und der Unterscheidung des antiken vom neuen Skeptizismus gilt Hegels Skeptizismus-Aufsatz. Vgl. Gesammelte Werke. Bd 4.197—238. Vgl. Hegels Jacobi-Kritik in Glauben und Wissen; etwa Gesammelte Werke. Bd 4. 350. Durch Jacobis Dialog: David Hume könnte Hegel auf Hume aufmerksam geworden sein; er wird später z. B. als moderner, nicht radikaler Skeptiker in der Enzyklopädie genannt; vgl. Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften. 3. Aufl. Heidelberg 1830. § 39 Aitm. Vgl. auch XV, 493 ff.
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nicht aussagbar und erkennbar ist, weil die Sprache, wenn in ihr Bedeutungen ausgesagt und nicht bloße Bezeichnungen, Namen gegeben werden, immer nur etwas Allgemeines ausdrücken kann. Es soll hier nicht Hegels Sprachphilosophie im einzelnen untersucht werden. Doch dürfte auch zu diesem kritisch gegen die sinnliche Gewißheit gerichteten Gedankengang zuirdndest teilweise die Antike Veranlassung gegeben haben; aus den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie ist zu entnehmen, daß Hegel dabei etwa an die Überlegungen des GORGIAS gedacht haben kann, dessen Theorie er ähnlich wie schon SEXTUS EMPIRICUS mit den Skeptikern in Zusammenhang bringt. GORGIAS' These lautet kurz gesagt: Wenn es etwas Seiendes gäbe und es gedacht werden könnte, was erst noch zu erweisen wäre, dann könnte es nicht mitgeteilt werden. Derm es läßt sich nicht in der Sprache erfassen. Hegel bemerkt hierzu: „Dieß muß im strengsten Sinne genommen werden; es kann gar nicht gesagt werden dieses Einzelne." Ferner kann noch erwähnt werden, daß z. B. der Herakliteer KRATYLOS — nach einer Bemerkung von ARISTOTELES in der Metaphysik — wegen der Unmöglichkeit, über das sich Verändernde etwas Wahres auszusagen, schließlich „glaubte, nichts mehr sagen zu dürfen, sondern nur den Finger [zum Zeigen] bewegte" Das Problem des Zeigens behandelt Hegel dann im dritten Stadium der sinnlichen Gewißheit. — Die Anlässe zu Hegels sprachphilosophischer Argumentation in seiner Kritik der sinnlichen Gewißheit dürften also u. a. in solchen skeptischen Überlegungen der Antike liegen, die nicht schon speziell zum pyrrhonischen Skeptizismus gehören. Allerdings läßt sich daraus allein die besondere Auffassung von Sprache im ersten Kapitel und auch in den späteren Kapiteln der Phänomenologie noch nicht erklären. Den Hintergrund hierfür bilden wohl Hegels eigene sprachphilosophische Überlegungen in den Jenaer Geistesphilosophien (1803/04 und 1805/06), nach denen das Bewußtsein in XIV, 42. Vgl. Sextus Empiricus; Adversus logicos. 1, 65 ff. Vgl. speziell die Erörterung der Unfähigkeit der Sprache, Seiendes zu erfassen: I, 83 ff. Die Zuspitzung auf das Problem der Aussagbarkeit des Einzelnen läßt sich allerdings aus Sextus' Bericht über Gorgias nicht unmittelbar entnehmen. — Schon Purpus macht auf Hegels Gorgias-Darstellung als Parallele zur sprachphilosophischen Kritik der sinnlichen Gewißheit in der Phänomenologie aufmerksam, ohne aber den von Hegel ausdrücklich hervorgehobenen Bezug der Auffassung des Gorgias zum Skeptizismus (vgl. XIV, 35, 39) zu erketmen. Vgl. Purpus: Zur Dialektik des Bewußtseins nach Hegel. 37. Aristoteles: Metaphysik. 1010a, 12 f. Vgl. auch oben Anm. 14. “ Als spezifisch sprachphilosophisches Problem hat dann Husserl in den Logischen Untersuchungen offensichtlich ohne Kenntnis Hegels die Bedeutung von „hier", „jetzt" und „ich" unter dem Thema: Wörter mit wesentlich okkasioneller Bedeutung behandelt.
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der Sprache gerade die Sphäre der Sinnlichkeit und Unmittelbarkeit verläßt und durch das Verknüpfen von Namen als bewußtseinsimmanenten Zeichen Bedeutungen der Sachverhalte ausdrückt, die Dinge, wie Hegel sagt, zu den „seinigen" macht und dabei zum Gedanken eines Allgemeinen gelangt. Die sinnliche Gewißheit kann also ihre Behauptung, das unmittelbare Diese als Gegenstand sei das Wahre, nicht aufrediterhalten; sie kann das Diese nicht einmal aussagen. Will sie an der Auffassung, das unmittelbare Diese sei das Wahre, dennoch festhalten, so kann sie nun versuchen, das andere Moment im Verhältnis von Bewußtsein und Gegenstand, nämlich das eigene Fürwahrhalten im Sehen, Hören usw. von Diesem für das Wahre zu erklären. Damit ist das zweite Stadium der sinnlichen Gewißheit erreicht. Das Bewußtsein ist also hinsichtlich der Wahrheit des Gegenständlichen skeptisch geworden; es beharrt aber darauf, daß das, was es selbst unmittelbar meine und was ihm so scheine, das Wahre sei. Ein solches Bewußtsein ist, wie Hegel im Skeptizismus-Aufsatz zeigt, das Bewußtsein des späteren antiken Skeptizismus: „Diese rein negative Haltung, die bloße Subjectivität und Scheinen bleiben will, hört eben damit auf, für das Wissen etwas zu seyn; wer fest an der Eitelkeit, daß es ihm so scheine, er es so meyne, hängen bleibt, . . . den muß man dabei lassen; seine Subjectivität geht keinen andern Menschen, noch weniger die Philosophie, oder die Philosophie sie etwas an." Da in der Phänomenologie aber die sinnliche Gewißheit ihr eigenes Meinen zunächst als das Wahre behauptet und damit ein Wissen beansprucht, kann gegen sie argumentiert werden. Hegel setzt — wie im ersten Stadium der sinnlichen Gewißheit — in skeptischer Weise einem Satz einen gleichwertigen anderen entgegen, z. B. dem „Ich sehe oder höre Dieses" den Satz: „Ein anderes Ich sieht oder hört Jenes". Durch die mit der antiken Skepsis nicht mehr zu vereinbarende Dialektik und ihr positives Resultat erweist Hegel das empirische, lediglich meinende Ich als ein allgemeines. Das empirische Ich als Dieses kann deshalb an seinem unmittelbaren Meinen nicht als an einer Wahrheit festhalten. — Die Position des antiken Skeptizismus in dieser Frage wird hier also offenbar selbst kritisiert. Sie gehört nach Hegels Darstellung im SkeptizismusAufsatz dem jüngeren antiken Skeptizismus zu, der sich z. T. gegen den Dogmatismus, z. T. aber bereits gegen die Philosophie wandte. Hegel unterscheidet ihn von dem wahren Skeptizismus, der eins ist mit der ** Gesammelte Werke. Bd 4. 222, vgl. 221. Die Subjektivität des Meinens gilt auch im neuen Skeptizismus als das Wahre; vgl. XIV, 540; in Bezug auf die akademische Skepsis vgl. XIV, 532.
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Philosophie, wie er ihn in PLATOS Parmenides sieht, und von dem zwar selbständig ausgebildeten und für sich stehenden, aber nur gegen den gemeinen Menschenverstand, nicht gegen die Philosophie gerichteten Skeptizismus etwa PYRRHOS. Da die sinnliche Gewißheit also weder ihren unmittelbaren Gegenstand noch ihr umnittelbares Meinen als das Wahre behaupten kann, so setzt sie im dritten Stadium schließlich die ganze unmittelbare Beziehung des sinnlichen Gegenstemdes zum sinnlichen Vernehmen als das Wahre. Dieses Bewußtsein ist insoweit skeptisch, als es keine Aussagen mehr über das Wahre als gegenständliches Dieses oder sein eigenes unmittelbares Meinen aufstellt. Es verzichtet damit sogar auf sprachliche Artikulation. Soll die unmittelbare sinnliche Beziehung aber noch irgendwie als Wahrheit überprüfbar und vom Irrtum unterscheidbar ein, so muß sie sich wenigstens zeigen lassen. Ob das unsprachliche Zeigen des Unmittelbaren, werm es gelingen sollte, zur Erkenntnis des Wahren zureicht, ist dann noch eine weitere Frage. Der Verzicht auf die Sprache beim Aufweis und der Erkenntnis dessen, was ist, und der Rekurs auf das reine Zeigen findet sich z. B. schon — wie erwähnt wurde — bei dem Herakliteer KRATYLOS. Hegel weist jedoch nach, daß die unmittelbare Beziehxmg zu einem bestimmten Zeitpunkt gar nicht gezeigt werden kann. Das positive Resultat seiner Darlegung ist das Verständnis des Jetzt als einer gegenwärtigen Phase, die viele Jetzt in sich hat. DieVgl. Gesammelte Werke. Bd 4. 213 ff. — In den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie wandelt sich Hegels Einschätzung. Danach zeugen die zehn Tropen des älteren antiken Skeptizismus von wenig gebildetem Bewußtsein; vielmehr sind die fünf Tropen des späteren Skeptizismus der Antike theoretisch subtiler, weil sie gegen Theorien gerichtet sind. Vgl. bes. XIV, 556. ^ Es ist immerhin möglich, worauf Purpus hinweist, hierbei an Protagoras' homo-mensura-Satz als Hintergrund für Hegels Darstellung zu denken. Der Mensch ist bei der sinnlichen Erkermtnis insofern Maß aller Dinge, als jeder sinnlich empfindbare Gegenstand in unmittelbarer Relation zum jeweiligen Sirmesorgan des Einzelnen steht und auch nur dadurch als Gegenstand gilt. Zu Purpus' Ausführungen ist hinzuzufügen, daß für Hegel wie für Sextus Protagoras ein Vorläufer des Skeptizismus ist (vgl. XIV, 34). Vgl. Purpus: Zur Dialektik des Bewußtseins nach Hegel. 52 f. ** Vgl. oben Aiun. 19. Nach Aenesidemus haben die Lehre der Herakliteer und die pyrrhonische Skepsis viele Gemeinsamkeiten. Sextus teilt diese Ansicht allerdings nicht; vgl. Sextus Empiricus: Pyrrhonische Hypotyposen. I, 207 ff. Vgl. dazu auch Richter: Der Skeptizismus in der Philosophie. Bd 1. 31. Hegels Begriff der Zeit ist hier aristotelisch; auch seine Darstellung eriimert wenigstens im allgemeinen an Aristoteles' Explikation der Zeit (vgl. Physik. 217b ff). Hegels Auffassung von der Zeit ist aber auch mit der Kantischen kompatibel. Das Allgemeine des Jetzt, von dem Hegel hier spricht, kaim in Kants Sinne jedoch nicht als diskursiver Begriff verstanden werden, sondern nur als ein „Allgemeines" der Anschauung, das die Teile als das „Besondere" in sich enthält. — Hegel verweist
Bedeutung des antiken Skeptizismus
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ses Ergebnis wird von Hegel dann auf das Hier und den Raum angewandt. Damit hat sich wohl gezeigt, daß Hegel bei seiner Kritik der sinnlichen Gewißheit auf den antiken Skeptizismus zurückgreift, dessen Argumente er in den verschiedenen Stadien des sinnlichen Bewußtseins verschieden aufnimmt und jeweils verändert; teilweise repräsentiert das sinnliche Bewußtsein selbst den von der Philosophie getrennten und sich gegen ihr Wissen kehrenden Skeptizismus. — Hegel betont in der Phänomenologie ausdrücklich den Zusammenhang seiner Kritik der sinnlichen Gewißheit mit dem Skeptizismus: Gegen die Erfahrung der sinnlichen Gewißheit, daß sie nämlich ihre Wahrheit nicht aufrechterhalten kann, „als allgemeine Erfahrung, auch als philosophische Behauptung, und gar als Resultat des Skeptizismus", wird zu Unrecht das sinnliche Diese weiterhin als „absolute Wahrheit für das Bewußtsein" festgehalten. Historisch leistete für Hegel der antike Skeptizismus den Nachweis, daß die sinnliche Gewißheit keinen Anspruch auf Wahrheit erheben kann, und gerade darin ist er dem modernen Skeptizismus überlegen. Die Vorläufigkeit auch des antiken Skeptizismus, die Hegel in der Phänomenologie besonders bei der Erörterung der Selbstbewußtseinsgestalt „Skeptizismus" aufzeigt, besteht aber darin, daß dieses Selbstbewußtsein „die Nichtigkeit des Sehens, Hörens usf." ausspricht, „und es sieht, hört usf. selbst" . Ebenso bestreitet es in praktischen Fragen die Legitimität jeweils geltender Sitten und richtet sich doch nach ihnen. Die sinnliche Gewißheit nicht als Wahrheit, aber als Erscheinen und subjektive Evidenz für das Bewußtsein läßt also auch der antike, und zwar der pyrrhonische Skeptizismus bestehen; er kann die Unwahrheit der sinnlichen Gewißheit nicht objektiv beweisen, da er nach eigener Aussage kein Kriterium der Wahrheit besitzt. Er bestreitet daher ihre Wahrheit subjektiv und akzeptiert sie subjektiv. Das skeptische Selbstbewußtsein gerät also in einen V^iderspruch, den es selbst auf dieser Stufe nicht auflösen kann. Hegels Darstellung und Kritik der sinnlichen Gewißheit in der Vorführung ihrer „Erfahrung" ist also keineswegs eine naive Beschreibung einer unmittelbar zugänglichen, sich unverdeckt zeigenden Bewußtseinsgestalt, auch wenn Hegels Formulierungen dies z. T. nahelegen. Sie enthält vielmehr historisciie imd systematische Implikationen, die für Hegels Bein der Tenaer Realphilosophie (wie schon Aristoteles) auch auf Zenos Dialektik, allerdings nicht, um die Bewegungsparadoxien zu widerlegen, sondern um die Allgemeinheit des Hier in ihnen bestätigt zu finden (vgl. Jenaer Realphilosophie. Hrsg. V. J. Hoffmeister, Leipzig 1931. 15). •• Phänomenologie. 87. Phänomenologie. 157. Vgl. auch Gesammelte Werke. Bd 4. 204.
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griff der sinnlichen Gewißheit und ihrer „Erfahrung" offenbar konstitutiv sind. Damit soll die Möglichkeit einer theoretischen Entwicklung dieser Implikationen nicht bestritten werden. Aber Hegel steht dabei vor der von ihm nicht gelösten und vermutlich auch nicht lösbaren Schwierigkeit, am Anfang der systematischen Einleitung in das absolute Wissen Argumente und Theorien verwenden zu müssen, deren Einsehbarkeit doch durch die Einleitung allererst erwiesen werden sollte. Hegel deutet in der Phänomenologie auch einen Zusammenhang der Kritik der sinnlichen Gewißheit, die vom antiken Skeptizismus ausgeht, mit seinem eigenen Begriff des sich vollbringenden Skeptizismus an. Der Skeptizismus zeigt, wie Hegel sagt, „die dialektische Bewegung auf, welche die sinnliche Gewißheit, die Wahrnehmung und der Verstand ist" — Hegel akzeptiert als Verdienst des antiken Skeptizismus nur die Kritik der sinnlichen Erkenntnis, nicht dagegen die Kritik der Vernunfterkenntnis; diese Kritik wird von ihm vielmehr entschieden zurückgewiesen. Er selbst entwickelte in der Jenaer Zeit eine Methode des Skeptizismus, die z. B. nach weist, daß die sinnliche Gewißheit, die Wahrnehmung und der an die Erscheinung gebundene Verstand keine Erkenntnis des Wahren zustande bringen. Diese Methode unterscheidet sich prinzipiell von der Isosthenie des pyrrhonischen Skeptizismus, d. h. der Gleichwertigkeit der einander entgegengesetzten Aussagen mit der daraus von den Skeptikern gefolgerten Urteilsenthaltung. Hegel stellte seine Methode, nämlich die Dialektik, zuerst als Methode der Logik auf, die von ihm damals als wissenschaftlicher Skeptizismus und insofern als systematische Einleitung in die Metaphysik oder in die eigentliche Erkenntnis des Absoluten konzipiert wurde. In dieser frühen Bedeutung war die Dialektik noch keine spekulative Methode. Auch innerhalb der Phänomenologie aber ist die Dialektik die Methode des sich vollbringenden Skeptizismus. In diesen methodischen und systematischen Kontext hat Hegel in der Phänomenologie die Kritik der sinnlichen Erkenntnis durch den antiken Skeptizismus eingefügt.
Phänomenologie. 155. ” Vgl. dazu meine Hinweise, die in einer besonderen Untersuchung über Hegels Logik ausgeführt werden sollen, in Spekulation und Reflexion. 123 ff; vgl. ferner J. H. Trede: Hegels frühe Logik (1801—1803/04). Versuch seiner systematischen Rekonstruktion. In: Hegel-Studien. 7 (1972), 123—168.
GEORGE DI GIOVANNI (MONTREAL)
REFLECTION AND CONTRADICTION. A COMMENTARY ON SOME PASSAGES OF HEGEL'S SCIENCE OF LOGIC
I. complained in the nineteenth Century that it was impossible to argue against the Hegelians. Since they had abandoned the law of contradiction, they had removed all limits from thouglrt. It would have been pointless, therefore, on the part of any critic ever to accuse them of being wrong, for there was no conclusion that (granted their standpoint) could not be derived from any principle whatsoever. * HARTMANN'S criticism, of course, is much too facile — at least if directed specifically against Hegel. It is true that in some passages of his writings contradiction is said to be the soul of reality. If one were to pay attention to these passages alone, the conclusion might well be drawn that' Hegel has denied tout court (as HARTMANN would have it) the traditional principle of contradiction. But there are numerous other texts in which Hegel claims, with no apparent awareness of being inconsistent, that certain forms that the object of consciousness or consciousness itself assume in the course of their development collapse because they have incurred contradiction. In these passages Hegel is clearly making use of the principle of contradiction as traditionally understood. And if they are taken as normative for an interpretation of Hegel's thought, the latter cannot be said to have departed (at least not in its basic principles) from traditional metaphysics. ^ Which set of texts should be taken as normative? It is this question that defines "the problem of contradiction" in Hegelian interpretation. In general critical opinion has been in favour of the second set. ® HeEDUARD VON HARTMANN
1 Über die dialektische Methode. 2nd ed. Bad Sadisa 1910. Ist ed. 1868. 37 ff. 2 The second study of Gregoire's £tudes Hes^eliennes is dedicated to this problem. £.tudes Hegeliennes. Les Points Capitaux du Systeme. Paris et Louvain 1953. 51—102. We refer to this work for the Hegelian texts relevant to the present context. ® For instance, T. L. Haering: Hegel. Sein Wollen und sein Werk. Bd 2. 620, 668— 670; 7. McTaggart: Studies in the Hegelian Dialectic. Cambridge 1896. 9; G, R. C. Mure: A Study of Hegel's Logic. Oxford 1959. 102—105. Gregoire's opinion is that although one must recognize, according to Hegel, the presence of contradiction in reality, the contradiction is there only in the process of being resolved: ,,... II ne pourrait s'agir de contradictions logiques dans les dioses que dans le cas des
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gel (so it has been generally claimed, albeit with varying degrees of intensity) has never denied the principle of contradiction. On the contrary, he has vindicated its validity once more by arguing that the concepts whidi the understanding (i. e., traditional metaphysics) believes free of contradiction do incur it in fact; and that they must be overcome and replaced by new ones. The categories of the Logic were intended by Hegel to provide precisely the new kind of conceptual unity (viz., one of reason) which alone resolves the contradiction incurred by the more traditional concepts. Looked at from the point of view of the understanding, the new categories have the appearance of being contradictory. This appearance, however, is a reflection of the narrowness of the understanding — not of any failure on their part. In brief, far from denying the principle of contradiction, Hegel has only argued that there is contradiction where previously nobody suspected one; and that there is none where previously one was held to be. In the texts in which the positive value of contradiction is extolled, the term "contradiction" should be replaced by the more appropriate "Opposition". In general such seems to be among scholars the majority opinion. It should be clear from the Start that we for our part do not share it. Not that we would want to claim that Hegel has denied tout court the principle of contradiction. Our contention is that there is a sense in which contradiction is for Hegel ultimate; and that the significance, therefore, of the traditional principle must be radically qualified when applied to Hegelian dialectic. Accordingly, the first set of texts on contradiction should be taken as strongly as possible; and it is possible to reconcile them with the second set, and also meet the charges levelled against Hegel by critics of EDUARD VON HARTMANN'S type only when they are so taken. For our assertion to be made good, a thorough study of the Hegelian System would be required: a task hardly to be attempted within the limits of an essay. We can try to defend it, however, by analyzing a key text of the Logic-, ^ and showing that it implies a radically new understanding of the meaning and the importance of contradicantinomies logiques elles-meme dont vient ä l'instant d'etre fait mention. Ces antinomies, ces oppositions dialectiques precedant VAufhebung, ne seraient donc pas, comme nous inclinons ä le croire, des contradictions logiques que la realite reussit ä eviter, mais des contradictions logiques reelles mais provisoires que la realit^ reussit ä r^soudre." (98) * By Logic we mean the Wissenschaft der Logik of 1812—16. This work will be quoted in the edition of Georg Lasson (2nd ed. Leipzig 1934); and shall be referred to in parenthesis in the body of the article by voIume number (Roman numerals) and page number (Arabic numerals).
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tion. A strategy of this sort has its obvious limitations. It can only succeed within the limits of the text chosen as the critical touchstone. The defence that it affords, therefore, must be open to revisions that might have to be made with the analysis of other texts. However, granted the dearth of detailed commentaries on Hegel's logical writings, the dose study of a single and very difficult passage of the Logic should only be welcome. The passage that we have in mind is to be found at the beginning of the Logic of Essence. It contains an analysis of reflection. It is a crucial passage, because at this point of the Logic the object has ceased to be (as it was during the Logic of Being) a succession of more or less discrete determinations, the unity of which remained outside of them. It has now explicitly assumed a persistent, inner identity (later to be defined as substance and then as subject), of which the determinations of being that made their appearance in the preceding dialectic are reinterpreted as the outward showing. At this point of the Logic, in other words, the object has begun to exhibit a reflective structure, in virtue of which it can perform vis-ä-vis its own manifestations the synthesizing function for which thought was solely responsible in the dialectic of being. The object has thus begun to make its own, qua object, the reflective movement of the thought expressing it; and the stage is set for the final Interpretation of the immediacy of being with which the Logic begins as a phenomenon of thought reflecting upon itself. But it is significant that Hegel, as a continuation of the dialectic of reflection, and together with an analysis of identity and difference, also examines the notion of contradiction. It is only fair to expect that any new meaning that contradiction assumes in Hegelian philosophy should especially emerge in a passage in which Hegel considers the notion ex professo; and which happens to be, moreover, so crucial for the development of the Logic as a whole. In the text that we are going to study, Hegel proceeds from an analysis of reflection to a discussion of what he calls the ^'essential determinations" (die Wesenheiten). They include identity, difference, diversity, Opposition and contradiction. For our part, since the dialectic of reflection is so difficult as to appear at times even cryptic, we shall reverse somewhat Hegel's own Order. We shall start with identity and difference (and the two parallel categories in the Logic of Being, viz., something and other)', and then, after we have gained a general idea of Hegel's argument, make our way back to the reflection which is the ground of
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the two Wesenheiten. Finally, we shall conclude with some remarks on contradiction to which the whole study will naturally lead.
II. We first tum our attention to difference and its corresponding category of other. In order to understand the two categories, Hegel insists that we overcome the usual habit of simply presupposing as already given two objects Standing next to one another, and then declaring that one is "other than" the next, or that each is "different from" the other. (I, 104—105) When we use other and difference in this way, the two categories become subjective rubrics of thought under which we subsume (by way of a reflection extrinsic to the objects under consideration) an already given multiplicity of things — but which do not qualify these latter precisely as they are in themselves. Hegel's aim, on the other hand, is to establish by means of the two categories the possibility for there being in the first place a multiplicity of objects. Other and difference are no longer to be considered, therefore, as subjective aids to an observer contrasting and comparing two given objects; but as expressing a reflective movement to be found in reality itself, and which allows it to exhibit a multiplicity of determinations. Other, accordingly, must be understood in itself — in the abstract sense of "otherness as such". „ . . . Das Andere [ist] zu nehmen, als isoliert, in Beziehung auf sich selbst; abstrakt als das Andere; rö ETSQOV des Plato . . ." (I, 105). And Hegel then proceeds to clarify the meaning of the passage by citing nature (in the determinations of space, time and matter) as the concrete object which other signifies in abstract. (I, 105) Apparently Hegel has in mind the peculiar feature of spatio-temporal objects of not admitting absolute limits. All such objects are always liable of being determined otherwise than they are at any given moment. They are characterized by an element of indefiniteness. There is no lapse of time, for instance, or span of space which cannot be indefinitely subdivided — that is to say, indefinitely re-defined in terms of an ever-changing number of constituent parts. A spatic-temporal object, therefore, cannot be said to be (in so far as it is affected by space and time) strictly self-identical. It is always other than it might appear to be at first: its nature consists in "being-otherthan". It is ,, ... das Andere an ihm selbst, d. i. das Andere seiner selbst .. ." (I, 105). It is this peculiarity of spatio-temporal objects which Hegel apparently wants to express abstractly by means of the
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category of the other. „ .. . Das Andere für sich ist ... also das in sich schlechthin Ungleiche, sich Negierende, das sich Verändernde . . (I, 106). A parallel claim is made with regard to difference — except that in its case the concrete image which Hegel seems to have in mind is the one of a process in which the distinction between starting point and end is both granted and denied. By difference we mean „ . . . der Unterschied an und für sich, nicht Unterschied durch ein Äusserliches, sondern sich auj sich beziehender, also einfacher Unterschied . . (II, 32). Instead of assuming two already given terms, A and Not-A, and declaring them to lie outside one another, Hegel is urging us to bracket the terms as fixed points, and direct attention to the transition from one to the other. We must conceptualize a point which is neither A nor Not-A: i. e., not a point at all, but a transition between the two. And it is such an "in-between" Situation which we must abstract and consider as an object in itself: as „einfacher Begriff", to use Hegel's phrase. Its essence consists in its being other than, any limit one might want to impose upon it. It is a simple "not", or "other in and for itself". The abstraction which Hegel is urging us to perform is a very important one, because his whole metaphysical standpoint rests on it. It is crucial, therefore, that we immediately come to terms with an obvious objection. Is the abstraction possible to carry out? Can one really think the mere lack of all definite limits — simple indefiniteness? It would seem that any attempt at bracketing in an object all definite limits would lead to the total disappearance of any object whatsoever, for the desired object would fail to off er any steady term of signification for the Intention directed towards it. The intended object, in other words, would offer no single point at which one could even begin to signify it. Like ZENO'S arrow, the intention aimed at it could not even begin to get to it. The language which Hegel uses to express "otherness as such" seems indeed already to betray this failure. However hard he might try to express the mere lack of all determinations, it is none the less always a well defined object (viz., one which he declares to be neither A nor B, but a Situation in-between) which he describes. He seems to hypostatize, in other words, the Situation of indefiniteness, and to treat it exactly like he would any other well determined object. It is „das Andere für sich" which Hegel wants to express, and it is to be understood „als isoliert, in Beziehung auf sich selbst" — i. e., precisely as any other substantial, well determined object.
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Now, Hegel would have no wish to deny the strenght of the objection. On the contrary, his aim is to establish that one cannot even try to conceptualize "otherness as such" or pure difference without having already made a return to identity. Ai\d he capitalizes on what has just been advanced as a betrayal of failure to make his point. It is only with reference to a steady, self-identical point of reference which provides a substratum for an innumerable number of unsteady determinations that one can conceive a sphere of indefiniteness at all. Hegel's preoccupation, however, is to avoid the usual way in which (supposedly out of respect for the principle of contradiction) identity is introduced at the side of difference, as if it entailed a mere self-reference which shuns all multiplicity, and to which difference must be added as an extrinsic element. The usual practice, in other words, is to conceive identity first as a mere self-reference devoid of content, and then to add to it a multiplicity of determinations which leave the identity untouched. (II, 29—31) The idea of a "thing-in-itself" (Ding-an-sich) is for Hegel a case in point. By means of such an idea one presupposes a substratum for all determinations possessing a merely formal identity devoid of content. A moment of indefiniteness (which allows for a multiplicity of determinations and hence for a concrete content) is then introduced — but relegated to the level of appearance and never really qualifying the object considered precisely as it is in itself (viz., as a self-identical thing-in-itself). (1,108) Rather than objecting to Hegel, therefore, for having introduced in other and difference a note of self-identity in spite of his avowed intention of expressing with those two categories the lack of any point of reference, we should concentrate instead on the step whereby the reintroduction of identity is expressly performed. The essential stipulation of course is that identity be not merely added to other and difference, but derived from them. The most explicit text in which Hegel attempts the derivation is to be found in the first book of the Logik. {1106) The other is what is being considered in the text; and Hegel is at pains to remove from it any steady point of reference. The other is that whicäi is absolutely dissimilar with itself („das in sich schlechthin Ungleiche"): the continuous abrogation of any would-be definite limit (the „an sich Negierende"); in a Word, a Situation of pure dränge („das sich Verändernde"). Its instability is so thorough that one cannot even speak of a definite term towards which the change might be directed. It has nowhere to go, except itself: „. .. dasjenige, in welches es sich ver-
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änderte, ist das Andere . . To revert once again to the Image of a movement from point A to point B, to obtain the other Hegel has bracketed both A and B; the term ad quem of the movement as well as the term a quo. The instability that results is due not merely to the fact that a previous determination has been left behind; but also to the absence of any other determination at which the movement could be brought to a halt. The Situation that Hegel is trying to express, therefore, is not to be confused with the "tendentional being" of the scholastics. Although there is definitely present in this latter a moment of instability (for tendentional being only strives after its being and it is not yet all that it should be), the instability is mitigated none the less by the presence throughout the striving under the form of a directing principle of the goal to be achieved. Or in more general terms, in any movement of "transcendence", (viz., of leaving behind a starting point for the sake of a point-beyond) the instability that results from abandoning the previously given term is contained by the presence as a goal of the new term towards which the transcending is to be accomplished. In Hegel's other, on the other hand, there is no such stabilizing factor. The term ad quem of the movement entailed by the notion is dropped as well as the term a quo. The other is the other tout court: ,,. . . es geht daher in demselben nur mit sich zusammen . . Hegel's stress on the idefiniteness of the other, however, is not the whole Story. Indeed, the text we have just referred to is of special importance only because it is obvious that in it Hegel is using other with two, different meanings. According to one, the other means the Situation of sheer instability just described. The object that it signifies, however, is also identical with itself — as Hegel puts it. It then appears as something substantial, for which to be perpetually "other than" any momentary determination one may posit in it is its determing factor. ® The other, that is to say, can also be understood as a sort of determination. ® (Thus, „.. . das Andere, das sonst weiter keine Bestimmung ® We have introduced the term "substantial" because Hegel explicitly remarks that with Etwas a beginning is made in a line of objective configurations of which subject (and a fortiori, substance) will be a more developed instance. The term, therefore, can be fairly used to shed some light on what Hegel is saying at the moment. Cf. Logik I, 102. • The Step whereby the lade of determined content in an object is turned into determination is what determines it precisely as a universal object in Opposition to be found in the dialectic of being. As it is intended at first, pure being is a concept devoid of all content; it has no determination whatsoever. Yet, such a lade of a determining factor is quite common in the Logic. The first instance of it to determinate being. It too, therefore, acquires a "determination" of its own. Logik I, 66.
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hat clearly, ,,das Andere" is being treated as a „Bestimmung"). But how can the other be taken in this sense; and how can Hegel manage to shift from one meaning of the term to the other? Apparently, Hegels point is that in an object in which determinations vanish in the very act of being posited, the very notion of differentiation ceases to have an absolute meaning. As Hegel puts it when considering difference, any distinction introduced in the object between one moment and another collapses as soon as it is posited, for its perpetual "being-other-than-itself" makes it immaterial whether one considers it as determined one way or another. In positing one determination, one might just as well have posited any other. The result is „. . . ein Unterscheiden, wodurch nichts unterschieden wird, sondern das unmittelbar in sich selbst zusammenfällt . . ." (II, 27). And indeed, if it is true that one cannot introduce any limit within an object (say, a) without immediately admitting, in the very act of positing it, that some other (say, b) would just as well be possible, and then again some other ad infinitum (. . . c, d, e, f. .. .), it follows that the object itself is not absolutely affected by any of them. Or take as example the phenomenon of selfconsciousness (which Hegel has certainly in mind when discussing difference). It is admitted that in achieving the object one has already made a return to the subject (for it is the seif which is achieved in the object); but again, in returning to the subject, one has only succeeded once more in objectifying it. To be subject is already to be object; and to be object, subject. The distinction between the two terms is thus strictly relativized. ^ The result is a Situation of indifference vis-ä-vis any determination. And it is upon this indifference that Hegel fastens his reflection in Order to reintroduce identity in the object. Since the object cannot be identified with any determination one may wish to posit within it, (for its structure is such, that any posited determination would be abolished as soon at it is posited) it acquires relatively to it as well as to any other a self-identity of its own. But what kind of seif-identity? Precisely: one of indifference vis-ä-vis any determination with which it might be momentarily identified. Thus, in the phenomenon of self-consciousness in which "being the object" or "being the subject" are the only two determinations in question, a basic unity is revealed which transcends both subject and object and of which the two are only passing determinations. ® The new unity transcends them precisely ’ For a brief and concrete discussion of the structure of self-consciousness, cf. PhC. 133—134. By PhC. We shall be referring to the Phänomenologie des Geistes. Ed. by J. Hoffmeister. 6th ed. Hamburg 1952. 8 PhG. 135.
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in the sense that it remains indifferent to either. The other signifies for Hegel quite in abstract such a state of indifference. It signifies the object's remaining other than any determination posited within it. Paradoxically, therefore, "otherness" becomes a determination while relativizing the value that detemünations have within the object. It becomes a determination, however, only in the precise sense just defined: viz., by establishing the object as a persistent centre of reference in virtue of an indifference to determinations. ® A persistent, self-identical substratum has thus been reintroduced in the object. Since it has no specific content of its own, it can be qualified now in one way, now in another. However, it has not been merely presupposed; nor is its indifference due to the fact that it remains outside the unsteady stream of passing qualifications which the other (at one level of meaning) signifies. Rather, it is the same movement in the object (as expressed by other and difference) which results both in the collapse within the object of any would be ultimate determination, and in the appearance in it (in the disappearing of the determinations) of a steady, self-identical point of reference. (II, 26—27; 27—28) The movement ought to be carefully adverted to, (even at the risk of being repetitious) because Hegel's whole metaphysical standpoint depends on it. The peculiarity of its structure derives from Hegel's having withdrawn from it (his "bracketing", as we have previously put it) both a point of departure and a point of arrival which could be conceived (supposedly) in independence of one another and of the movement itself. Essentially Hegel's move consists in the denial that the movement entails a moment of "transcendence" — if by that term one means any reference by the movement to a term which lies outside of it and which could subsist apart from the movement itself. However, once this denial has been made, the categories into which movement is normally analyzed acquire a meaning altogether new. The sense of "arriving", for instance, must be radically qualified — for the effect of dropping from the signifiaction of movement the presupposition of a starting point absolutely distinct from the final one can be no other than to extend indefinitely "back" in the movement (i. e., in the direction where one would normally expect to find the starting point) the presence of the final term. In other words, • We are rendering with “indifference" a Situation in the object usually referred to be Hegel with „Cleidigültigkeit" (in Miller's translation, “equivalence": Hegel's Science of Logic. London 1969. 375; in Johnston and Struther's translation, also "equivalence": Hegel's Science of Logic, London 1929. vol. I. 394) and also „Indifferenz". (Cf. Logik 1, 387, at the bottom of the page, in which „Indifferenz" is explicitly used in lieu of „Gleichgültigkeit").
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in a movement in which "on arriving" nothing definite can be said to have been left behind, "arriving" can only mean a return to what was already present. And inversely, "departing" too must acquire a new meaning once a point of arrival absolutely distinct from the starting point has been dropped. A "going forward" which has nowhere in particular to go can be more than a movement towards what is already present: once again, a return. The whole movement can thus be described as a going forward which is just as well a coming back: and a coming back whidi is equally a going foward. There is no moment in it which cannot be taken both as arrival and departure: and both for the same reason. A Situation thus arises in the object which lends itself with equal validity to two antithetical interpretations — each yielding one of the two results in which Hegel is interested. The first is that the moment of "otherness" has been radicalized to the point of becoming the other pure and simple. Accordingly, the object assumes the aspect of what Hegel also calls a show: a term aptly chosen, because it clearly espresses the total lack of substantiality to which the object has been reduced. It is no more possible to establish within it ultimate distinctions than it would be possible to delineate different parts in (say) a "show of lights". The object simply fails to offer any resistance to an observing regard: it dissolves into a mere play of lights. On the other hand, precisely because the "otherness" has been so thoroughly radicalized, the movement is forced to turn upon itself. The denial of an absolute distinction between point of departure and arrival simply prevents the movement from having quite left any point, or for that matter, from having quite arrived at any. It persists, therefore, precisely as movement. And it is in this way, as a motion turned upon itself (a reflection in which to arrive at the end is tantamount to having returned to the beginning) that the object acquires once again a moment of substantiality. It remains with itself no matter which limited term one may want to abstract from it. In a word, it persists as reflection. (II, 13)
The term is already to be found (but only incidentally, as part of the definition of „Erscheinung") in the Phenomenology; „ ... Denn Sdiein nennen wir das Sein, das unmittelbar an ihm selbst ein Nichtsein ist .. ." (PhG. 110). It is being in the determination of a "disappearing" (ein Verschwinden): or such that its truth lies outside of itself (PhC. 110—111). ** Such a show is the phenomenon upon which skepticism fastens itself. It is also comparable, according to Hegel, to the Erscheimmg of Kant's idealism. Logik. II, 9—10.
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A helpful way, perhaps, of pictorially representing the object as it emerges from Hegel's analysis is to imagine it as a spinning motion, the centrifugal force of which sorts out from it on the one hand an element of reflection, (this is the moment of self-identity in the object: its persistence precisely as movement) and on the other a show of determinations (this is the element of pure "otherness"). The one is sorted out at the same stroke as the other. In being pressed to an extreme, "otherness" is transformed {aufgehoben) into the reflection of the object into itself. To quote again from the text with which the present discussion began: ,,. . . so ist es [viz., das sich Verändernde] gesetzt als in sich Reflektiertes mit Aufheben des Andersseins, mit sich identisches Etwas ..(I, 106). Should the identity between show and reflection be obscured — should reflection be estranged from its own show — then the kind of "transcendence" arises which Hegel is intent on avoiding. The moment of indefiniteness in the object would then be related to a steady point of reference as if the two lay outside one another — and one could not admit the presence of either without ignoring that of the other (Cf. II, 3—4). The identity, therefore, which Hegel develops is a far cry from the simple self-reference, shunning all multiplicity, usually signified by it. The Ansichsein of an object — i. e., its "remaining-with-itself", or its persistence as a self-identical centre of reference — always contains luithin itself a moment of "otherness", for it is first obtained only through the disappearing within it of any would-be ultimate distinction, or as Hegel puts it, through „das Nichtsein des Andersseins" (I, 107). Identity only arises in the disappearance of distinction: „ . . . es liegt diese reine Bewegung der Reflexion [in which identity consists] darin, in der das Andere nur als Schein, als unmittelbares Verschwinden auf tritt" (II, 31). And Hegel argues that even the form under which the principle of identity has traditionally been couched should have indicated this much, for in the judgment "A is A", a moment is implied ("A is —") in which the possibility of A's being other than itself is envisaged. As soon as the judgment is completed, and A is asserted to be itself, the element of non-identity is denied. None the less, it was implied, and it lingers on as a disappearing show („.. . die Verschiedenheit ist nur ein Verschwinden . .."; II, 31). The net result of Hegel's analysis, therefore, is the denial of a strict equivalence between principle of identity and principle of contradiction. While it is indeed true that „Alles ist sich selbst gleich”, it does not follow that „A kann nicht zugleich A und nicht A sein”. On the
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contrary, in their being self-identical, all things entail a moment of nonidentity. They all contain, therefore, a contradiction. Accordingly, the principle of contradiction should be reformulated to assert as a summary of the dialectic of identity and difference that „Alle Dinge sind an sich selbst widersprechend" (II, 58). And Hegel adds: . . und zwar in dem Sinne, daß dieser Satz gegen die übrigen vielmehr die Wahrheit und das Wesen der Dinge ausdrücke." (II, 58) It is this reformulation of the principle of contradiction which also allows Hegel to deal again, but from a radically different standpoint, with the Problem of introducing determinateness in the idea of the Absolute with which both SPINOZA and LEIBNIZ (as Hegel well knew) were especially concerned. How is it possible to mediate between the simplicity that the Absolute ought to have and the determinations attributed to it? How is it possible to claim seriously that the Absolute is both one and many, and yet not incur contradiction? Hegel has shown that it is neither possible nor desirable to avoid contradiction, for it is incurred even in the attempt at expressing pure identity and pure difference — two concepts which more obviously than any other should be completely free of it. Identity is found to contain difference, and difference identity. Both concepts incur contradiction. And the contradiction is made irreducible precisely because it is incurred by both. The movement, in other words, whereby one concept tends to disappear into its opposite is diecked by the contrary tendency of the opposite to disappear back into it. It is impossible, therefore, to resolve the contradiction incurred by either simply by abolishing one concept in favour of its opposite, for the contradiction left behind by relinquishing one concept would be encountered again with equal force in the other. A point is thus achieved in the interplay between identity and difference in which both concepts are present — and each in spite of the contradiction which it still entails and which still tends to abolish it as a valid concept. A unity of tension, in other words, is achieved between the two opposite concepts. And it is such a unity which defines, according to Hegel, the idea of the Absolute. In one of the earliest stages of the Phänomenologie des Geistes, Hegel appeals to an image in his description of a thing in general which we do well to recall now, since it is a striking and concrete illustration of what Hegel has in mind. In the structure of a thing, Hegel claims, one can distinguish between two sorts of unity: an exclusive one (aus*2 Cf. Logik. I, 100—396; II, 164—165: I, 99—100: II, 168—169. 1» PhG. 92.
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schließende Einheit) whereby the thing is a simple object from which the multiplicity of determinations must be removed (in this sense the thing transcends whatever quality one may attribute to it); and an inclusive one (gleichgültige Einheit) whereby the object becomes a passive medium indifferently receptive of a multiplicity of determinations. However, (and this is the all-important point) for Hegel the truth of the thing consists in the identity between the two unities just defined. The essence of the thing is to be found at the point in which its identity spreads out in a multiplicity of determinations, and yet recoils from these back into its simple individuality. The thing is „die Negation, wie sie sich auf das gleichgültige Element bezieht und sich darin als eine Menge von Unterschieden ausbreitet; der Punkt der Einzelheit in dem Medium des Bestehens in die Vielheit ausstrahlend." Should we call the simple unity of the thing its moment of Fürsichsein — the moment, that is, of its remaining identical with itself in abstraction from all determinations; and its passive receptivity to determinations its Sein für Anderes, then the truth of the thing consists in its "remainingwith-itself" while losing itself in the "othemess" of the determinations, and in its returning back to itself in thus losing itself: ,,... der Gegenstand ist vielmehr in einer und derselben Rücksicht das Gegenteil seiner selbst: für sich, insofern es für anderes, und für anderes, insofern er für sich ist." It is such a movement of going out into "othemess", and yet recoiling back into reflective unity which constitutes for Hegel the basic outline of the life of the Absolute. So far, however, we have considered the movement only as implied by the two essential determinations to which it gives rise, viz., identity and difference. We must now consider it in itself, and thereby gain yet a deeper understanding of what contradiction means for Hegel. We turn, therefore, to the dialectic of reflection.
III. (a) Reflexion as the Identity of Essence and Show Identity and difference appear in the texts that we shall consider under a variety of forms: as reflection and show, (II, 13 ff,) essence and
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being (cf. II, 3) (or immediacy), the essential and the unessential (II, 7—9). All these terms, however, should not be bewildering, for they are all expressions of the two moments of Für-sich-sein und Sein-fürAnderes to which reflection (which we must now try to understand as the essence of reality) gives rise. Particularly difficult, on the other hand, is Hegel's usage of the term reflection. The term is used at times synonimously with Für-sich-sein; and at other times to sigrdfy the dialectical interplay of Für-sich-sein and Sein-für-Anderes which constitutes the total logical object. The two meanings, however, are by no means mutually exclusive; and the term does not have to be confusing provided one clearly adverts to the difficulty that it hides. We shall first consider Hegel's general analysis of reflection, and then proceed to distinguish three stages in its development. A long passage in the Logic defines reflection explicitly. (II, 13—14) It is a movement of becoming and transition which remains internal to itself (,, ... Die Bewegung des Werdens und Übergehen, das in sich selbst bleibt .. It is a movement within which any distinction between term and term (das Unterschiedene) is immediately annulled („. . . nur als das an sich Negative . . . bestimmt ist.") The terms and the distinction that should separate them from the rest of the movement are thus determined as a merely passing show of reality („. . . als Schein bestimmt ist"). In other words, since reflection is a movement that returns upon itself, the distinction within it between starting point and end is only an apparent one. Hegel also defines it as "the movement of nothing to nothing and so back to itself" („die Bewegung von Nichts zu Nichts und dadurch zu sich selbst zurück"). And he explains that the other which comes to be as the result of this kind of becoming does not mean the end (das Nichtsein) of a previous being. Rather, since both the being which has been left behind and the other which is achieved have only apparent reality, (i. e., they are both a nothing) the transition „Das Sein ist das Unmittelbare ..." (Logik II, 3). Being is also equated with show: „Das Sein ist Schein ..." (Logik II, 9). For instance, Hegel Claims that „das Wesen vielmehr den Schein in sich selbst enthält als die unendliche Bewegung in sich, welche seine Unmittelbarkeit als die Negativität, und seine Negativität als die Unmittelbarkeit bestimmt und so das Scheinen seiner in sich selbst ist. Das Wesen in dieser seiner Selbstbewegung ist die Reflexion" (Logik. II, 13). In this text Hegel is using „Reflexion" to mean the whole movement of the logical object with its two sides of essence and show. But then he adds after a few lines: „ ... für den in sich gegangenen, hiemit seiner Unmittelbarkeit entfremdeten Schein haben wir das Wort der fremden Sprache, die Reflexion" (Logik. II, 13). Here reflection is distinguished from show. It is show apart from its immediacy — i. e., abstract reflection.
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from the one to the other is just as mudi a return as it is a going forward. It is a movement whidi leaves nothing behind and achieves nothing new. The transition transforms itself {hebt sich auf) into its opposite (viz., a retum) in its very process of transition. Now, HegeFs interest is to determine how reflection, (as the result of the tension established between "going-forward" and "return") can issue in immediate being and at the same time transcend it. Hegel Claims that there is a sense in which the movement just described has indeed a positive content. Its being, however, is not a mere datum, but the result of the double negation {die Negation eines Nichts) in which reflection consists. Reflection is, first of all, a movement of disappearing, for there is no absolute starting point with which its being can be identified. But at the same time, since there equally is no absolute final point to which the movement is directed and with which its being can be identified, the movement of disappearing is checked in its very disappearing. The result is the disappearing of the first disappearing: the negation of a negation. Being appears precisely as the result of such a double negativity. It is defined by the persistence of the movement precisely qua movement: by its coincidence with itself {Gleichheit mit sich). Reflection is, therefore — but not tout court. Rather, it is because it is not not-being. And this way of expressing its being is more for Hegel than a more circuitous and clumsier way of simply reinstating being. The double negation expresses being precisely as the result of the inner tension of reflection rather than as a merely presupposed and inert fact (II, 14—15). One can say, therefore, that reflection is. Since its being, however, is mediated by negativity, reflection is qua being already the opposite of being. Its being is forever on the verge of transforming itself {aufheben) into negativity. Contrariwise, reflection can equally be said not to be, for as a movement tumed upon itself it has no absolute term with which it can be identified. But we have seen that by being so radicalized the negativity of reflection becomes self-related, and that it reintroduces being. The negativity of reflection, therefore, is implicitly being from the Start. And just as the being of reflection is forever on the verge of transforming itself into its other, so its negativity is equally in the opposite process of transforming itself into being. (II, 14—15). However, if such is its structure, reflection acquires two distinct meanings; and it accjuires both (this is the all-important point) for precisely the same reason. Thus, reflection is first of all show. By show we mean a reality which is itself only in virtue of a reference outside
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of itself. It is being — but being on the verge of transforming itself into its other. It is being only as moment, or being affected by nothingness. It is eqmvalent to immediacy, therefore, for since its being is only a momentary one, it has no definite limits, and can be grasped only in some arbitrary "here" and "now". And again, show is a nothingness — not a reality on its own, but only the illusion of being. It is nothing substantial. Yet, in thus being unsubstantial, it acquires a reality of its own. Its nature consists predsely in not being anything substantial. It is a nothingness which transforms itself, predsely as nothingness, into being. Show, in other words, is both being which transforms itself into its own negation, and nothing which transforms itself into being (II, 9, 11). It has the same structure which defines reflection, and which Hegel normally expresses with the pithy phrase of „die Negation der Negation". (II, 13) But reflection is also essence. Indeed, essence is nothing eise but the reflection of an object back into itself. The movement presupposes a moment in which the object still lacks self-identity. At that moment the object is not — or it is, but only in a cjnalified sense. It is present only as an illusion, or in the same form which also defines at first show. The essence of the object is achieved precisely by overcoming such a moment of negativity: in the reassertion of its self-identity in spite of the first moment of non-identity. However, in its return back to itself the object must reach back to the first moment of negativity and include it whithin itself, or otherwise it would fail to establish itself as the only truth. It would simply fall at the side of the first moment as one object next to another (and the other object, presumably, would also have a reality of its own). Rather, in its return bach to itself the object must prove itself as the only reality which was present from the Start — even in the first moment of negativity. But of course, in thus reclaiming for itself even the first moment of riegativity, the object qualifies both its own self-identity as expressed by essence, and the negativity as expressed in the first moment. Essence is identity only as the negation of an original negation — i. e., as the chech imposed on the first moment of disappearing on the part of the object. By the same token, the first negation entails from the Start, precisely qua negation, the identity of essence. In other words, essence entails the same transformation of nothingness into being, and of positive self-identity into negativity which defines both reflection in general and show. (II, 11) The important lesson to be learned, therefore, from the analysis of reflection is that essence and show, the inner and outer side of the object.
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are one and the same thing. „Der Schein ist dasselbe, was die Reflexion ist ... Das Wesen ist Reflexion ..(II, 13). Reflection defines the structure of both; and in defining one of them, it defines the other as well. However, it does not follow that there is no legitimate sense in whidi essence and show can be distinguished. After all, Hegel does not simply assert their identity. He asserts it in terms of a reflective movement; and the fact that he does so is just as significant as the assertion of the identity itself. We must remember that reflection is a self-becoming, or a becoming which achieves self-identity precisely inasmuch as it persists as becoming. In other words, if reflection persists indeed as a self-becoming, it persists only as an appearing (i. e., as becoming). Reflection exhibits, therefore, both a side of mere appearance and one of persistence. And even though the two sides are in mutual Opposition, reflection exhibits each of them only in virtue of the other. Reflection is ihus opposed to itself, and yet self-identical. „So ist die Reflexion sie selbst und ihr Nichtsein, und ist nur sie selbst, indem sie das Negative ihrer ist, denn nur so ist das Aufheben des Negativen zugleich als ein Zusammengehen mit sich." (II, 16) One can distinguish, therefore, between show and essence simply because there is indeed in reflection a distinction and mutual Opposition between itself and itself; and one can derive the two concepts by expressly signifying one side of reflection while merely implying the other. On the other hand, one can still identify essence and show, since reflection is equally self-identical. In other words, show and essence are related to one another in the same way as reflection is related to itself. The development of their mutual relationship is one and the same as the development of the interplay between self-identity and yet inner difference in reflection. Essencedoes not sigrdfy, accordingly, the self-identity of some empty object in general (any more than reflection does), but the persistence of show precisely as show. It is indeed the opposite of show, but only because show is from the Start the opposite of itself. And again, it is indeed identical with show, but only because it is from the start its own opposite. Contrariwise, show is not a mere delusion, but the showing of essence within itself. It too is the opposite of essence, but only because essence entails form the start a moment of self-repulsion. And again, it too is identical with essence, but only inasmuch as it too from the Start is its own opposite. Implicit in Hegel's analysis of reflection is of course a polemic against the dichotomy usually posited between world of phenomena on the one hand, and thing-in-itself or essence of reality on the other. (Cf. II,
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9—10) Hegel is arguing in favour of a strict identity between show and essence, phenomena and thing-in-itself, which allows none the less a meaningful distinction to be retained between the two terms. There is a sense, according to Hegel's analysis, in which one can still think of an object as reflected within itself (viz., as thing-in-itself or as essence). Its reflection, however, is not to be interpreted as establishing a reality which lies beyond the sphere of outward phenomena; and beyond the grasp, therefore, of an intelligence intent upon the phenomena. Rather, reflection defines the structure of the phenomena qua phenomena. Essence, as we have just put it, is the persistence of show precisely as show. It is possible, therefore, to establish a world of phenomena, because the movement of reflection which makes such a world possible is present in the phenomena themselves. Vice-versa, phenomena are indeed a disappearing reality devoid of substantiality. There is no need, however, to choose between the positive (but insubstantial) content which they offer, and the negative (viz., empty) subsistence of the thing-in-itself, for their movement of disappearance is a moment essential to the reflection whereby an object first comes to be itself. One only needs to define, therefore, the identity of an object with itself in order to have allowed already for a sphere of phenomenality. So far we have considered reflection in general. We must now delineate the three stages which Hegel recognizes in the general interplay between essence and show just defined. They are the stages of positing reflection, external reflection, and determining reflection.
(b) Positing Reflection (die setzende Reflexion) Positing reflection defines the relationship between essence and show (iimer reflection and iirunediate being) as the movement between two merely formal terms devoid of individual subsistence. The two terms have reality only as disappearing moments within the totality of the movement. Hegel's analysis, therefore, constists in a process whereby, ötarting first from one term and then the other as if in each case the term were presupposed, one concludes in point of fact by positing it as the result of the movement for which it had provided (supposedly) the assumed starting point. Thus, Hegel argues that since reflection is a movement, it presupposes immediate being as the condition for its realization. Reflection must Start; and it must presuppose, therefore, a starting point. However, the
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movement of reflection is such that on its being realized, it reverses its original intention; and thus qualifies the nature of its presupposed starting point. „Diese Unmittelbarkeit, die nur Rückkehr des Negativen in sich ist, — ist jene Unmittelbarkeit, welche die Bestimmtheit des Scheins ausmacht, und von der vorhin die reflektierende Bewegung anzufangen schien ..(II, 15). Reflection is a movement that turns upon itself. It cannot be said to have begxm (viz., precisely as a reflective movement), unless it has already returned to its starting point. (II, 15) This latter, therefore, far from being merely presupposed, must be the result of the movement for which it was supposed to provide a beginning. The realization of reflection thus coincides with the reduction of the immediate being with which it began to a merely passing moment. Immediate being is nothing in itself, but only the result of a movement towards it. And reflection itself is a movement which posits (setzt) that which it presupposes (voraussetzt) (11, 15—16). It is a presupposing which transforms itself into a process of positing the presupposition. The analysis of reflection, however, is still not complete, for the process just analyzed can be shown to reverse itself once more. Reflection turns form its just revealed function of positing the presupposition with which it began back to a movement of presupposing. And this second inversion is only to be expected, for reflection could hardly be said to have successfully mediated (i. e., posited by way of its return to it) the being with which it began unless it reintroduces it (but now as the result of the movement) precisely as it was at the beginning — viz., as immediate being. In other words, short of reinstating its presupposition in its original immediate character, reflection might well be said to have left it behind or to have achieved something eise in its stead — but not to have posited it precisely as it appeared at first. Reflection would not be a true return upon itself unless the immediacy of its starting point were reintroduced precisely as the result of the return. (II, 16) The new tum in the movement of reflection is actually already apparent in the Statement of the first. For to the extent that the immediate being first exhibited by reflection is negated by it as something in itself, it is immediately reinstated precisely as the being of reflection — i e., as containing from the Start the retum upon itself in which reflection consists. It was reflection from the Start, and it is this truth that the first inversion realized. Immediate being could legitimately be taken, therefore, (and so it was in fact) as the starting point of reflection. In
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other words, in positing its starting point, reflection simply returns to itself. In positing it, it simply presupposes itself. It is important, however, to take seriously all the implications of the second inversion in the intention of reflection — as Hegel does indeed. Its effect is twofold. The first (whidi we have just seen) ist to extend the reflecivity of the whole movement to embrace the first moment of immediate appearance. However, the extension of reflectivity to include immediacy would hardly make any difference to reflection itself unless it equally meant the extension of iirunediacy to include reflectivity: unless, in other words, the nature of reflection were radically qualified by embracing immediacy. It would certainly not be enlightening to say that reflection is a movement which in determining a given point as its own starting point only presupposes itself, if the claim only meant that reflection begins where iirunediacy has given place to reflectivity. The claim would amount to a trivial tautology — viz., reflection is reflection. To extend reflectivity to include immediacy would only mean to abstract from immediacy whenever considering reflection. On the other hand, the claim becomes very significant if it is taken quite literally to mean that reflection is the immediacy of its starting point. Understood in this way, it ceases to be an empty tautology, for it defines reflection in terms of its opposite — viz., immediacy. Or more precisely, it further qualifies reflection in terms of the result which follows upon its nature as a movement which persists precisely as movement. Reflection results in immediacy. We already made this point in the previous section when we remarked that a movement in which advance and retum coincide (and the one is mediated by the other) becomes indifferent to any distinction between starting point and end. One can Start in it anywhere, and it would be futile trying to justify one point in preference over another. But it is precisely such indifference to distinctions that immediacy signifies. Immediate being is simply there; and it is whatever it happens to be. Reflection transforms itself into immediacy precisely because it is a movement which always remains with itself and mediates itself through itself. In remaining with itself reflection repels itself (stieß sich von sich selbst ab) and gives rise to its own opposite. In brief, in positing its own starting point reflection presupposes itself, and it can do so because in thus presupposing itself, it posits the immediacy from whidi a start (which is only a start and not quite reflection yet) can truly be made. „Die Bewegung wendet sich als Fortgehen unmittelbar in ihr selbst um und ist nur so Selbstbewegung, — Bewegimg, die aus sich kommt, insofern die setzende Re-
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flexion voraussetzende, aber als voraussetzende Reflexion sdiledithin setzende ist" (II, 16). Once all the implications of the transformation of reflection from positing to presupposing are drawn out, a new light is also thrown on the meaning of the first inversion from presupposing to positing. The immediate being from which reflection begins is, qua immediate being, only a passing moment — for it is from the Start already the result of reflectivity. Its transformation, therefore, from the Status of a presupposition to something which is only in virtue of a reference outside of itself is the return of reflection back to itself. Indeed, the transformation is reflection itself, for we have seen (and we repeat again) that reflectivity consists in a movement which persists precisely as movement — in a mixture, that is, of being and non-being. The disappearing of the first immediate being (i. e., its mere "showing") is one and the same as the reference backward and forward (and the one through the other) in which the reality of reflection formally consists. Of course, once reflection retums from immediacy back to itself, the stage is set for its collapse into immediacy once more. Thus, in presupposing immediacy, reflection presupposes itself; and in presupposing itself, it posits immediacy (from which it can start for its return back to itself). The analysis can be summarized by means of the following paradigm: Reflection: 1. Reflection presupposes immediate being 2. Reflection posits immediate being 3. Reflection presupposes immediate being i. e., reflection precisely as presupposed Immediate being: 1. Immediate being is not (viz., it is only a show) 2. Immediate being is 3. Immediate being is by not being (viz., it acquires subsistence precisely as a show) i. e., the show of immediacy equals the movement of reflection within itself.
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(c) External Reflection (die äußere Reflexion) As carried out so far, the analysis of reflection has brought to light the identity of outward show and inner reflectivity — of immediate being and essence. It has presented the distinction between the two as a merely disappearing moment. The analysis, however, cannot stop at this point. If it did, Hegel would be ignoring the fact that immediate being and essence at least appear not to coincide. Even granted that it is wrong to conceive the two as extrinsic terms, the fact remains that they usually are so conceived. Indeed, positing reflection even depends in some sense on sudi an illusion, for it does Start by presupposing the two notions as distinct, and then proceeds to exhibit the presence of each in the other. To be complete, therefore, Hegel must also show how it is at least possible for immediate being and essence to appear outside one another; and for reflection to become (as Hegel puts it) external, or a movement between terms whidi stand in a relation of mutual indifference. He must account, in other words, for the possibility of misconceptions about the true nature of the relationship. And Hegel does so by showing that there is a perfectly legitimate sense (but by no means an ultimate one; here is where misconceptions occur) in which immediate being and essence remain indeed indifferent to one another. The transition in the development of an object from the stage in whidi all its elements are held together in a unity of tension, to the further stage in which they collapse in a relation of mutual indifference is a common one in the Hegelian dialectic. It occurs at every turn. It appears, moreover, that Hegel did not find the move a particularly troublesome one, for the passages in which he makes it are usually very terse, and hardly explain just why there should be a transition from formal unity (i. e., unity of tension) to what might be called a material indifference. Hegel seems to take it for granted. The case of the transition from positing to external reflection is no exception to the common rule. The passage in whidi it occurs could not be more cryptic. The passage contains first of all a summary of the dialectic which has just preced it. („So ist die Reflexion sie selbst und ..etc.; II, 16). The Statement of the transition to a new level of analysis begins only with ,,... Aber es ist zugleich bestimmt als Negatives . . And there is no denying that the text does not explicate just why immediacy, whidi is in actual fact identical with the movement whereby reflection always turns bade to itself from another, (i. e., it is identical with the movement of mediation in whidi reflection consists) should become at one point opposed to it.
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The result is of course that reflection becomes determined in Opposition to immediacy. In another passage which immediately follows the one just referred to and which introduces in the Logic the section on external reflection, Hegel is equally cryptic. („Die Reflexion als absolute Reflexion ist ..etc.; II, 17). The passage is more a definition of the difference between the general notion of reflection and external reflection than an explanation of why reflection should become external. Yet, does Hegel really need to be more explicit? Or does not positing reflection establish all the conditions required for the transition to the external, so that once it has been fully developed Hegel only needs to advert to the fact that the other is already present? The two objects into which reflection doubles itself when it becomes external correspond to the two moments which define it precisely as positing reflection. We remember that reflection is self-identical, and yet opposed to itself — and that it is both for the same reason. As Hegel reminds us in the passage just adverted to, reflection is itself and its non-being, and it is itself only because it is the negative of itself. „So ist die Reflexion sie selbst und ihr Nichtsein, tmd ist nur sie selbst, indem sie das Negative ihrer ist, denn nur so ist das Aufheben des Negativen zugleich ein Zusammengehen mit sich." (II, 16) In other words, the movement of reflection coincides on the one hcuid with itself. It is then a simple seif reference: „ein Zusammengehen mit sich." But on the other hand, reflection still remains a movement; and there is a sense, therefore, in which it always remains other than itself. It is then a mere show. Now, we have seen that for Hegel these two moments coincide in positing reflection. Once can say, therefore, that each is itself, (viz., only a moment) and yet the whole of reflection. Hence the instability of positing reflection. One cannot Start from either of its two terms without being ipso facto involved in the process which resülts in the term from which one has just started. However, if such is the case, it becomes perfectly indifferent to the notion of reflection by which of its two moments it is defined, for to grant one of them is to have already granted the whole of reflection. Each moment, therefore, can well acquire the appearance of an independent object, since each is indeed from the start the whole of reflection. Hence the transition from positing to external reflection. The same reason that makes it impossible for positing reflection to retain (except as a disappearing element) the distinction between its two moments equally accounts for their appearance as indifferent elements — for if each moment is already the other, each is the whole, and thus an object complete in itself.
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It should be clear that Hegel does not explicitly argue in this way in bis analysis of reflection. Yet, the argument is a fair one, first of all because it does explain the transition in question; but also because the same argument is explicitly put forward by Hegel in a parallel context of the Logic. Immediately after the analysis of reflection, Hegel goes on to consider the categories of identity, difference, diversity, Opposition and contradiction. They define the determinations that accrue to an object in virtue of its reflective structure. Identity and difference correspond to the two moments of self-relation and negativity which, as we have seen, make up reflection (II, 32). The total object under consideration consists of course in the interplay between the two. Each moment is both itself and the whole, i. e., itself and the other. „Der Unterschied ist das Ganze und sein eigenes Moment, wie die Identität ebensosehr ihr Ganzes und ihr Moment ist. — Dies ist als die wesentliche Natur der Reflexion . . (II, 33). However, as soon as Hegel has characterized identity and difference in this way, he goes on to introduce a third category, viz., diversity, by whidi he means a Situation in the object in which the two moments of identity and difference fall apart, and each becomes indifferent to the presence of the other. (II, 34) And it is clear from the context that diversity corresponds in the previous analysis to the stage of external reflection. „In der Verschiedenheit als der Gleichgültigkeit des Unterschieds ist sich überhaupt die Reflexion äußerlich geworden . . (II, 34). But why does diversity follow upon the interplay between identity and difference? Why does indifference to difference {die Gleichgültigkeit des Unterschieds) issue from their unity of tension? No doubt because identity and difference, since each is already the whole object, can each assume the form of a complete, independent object. Whereas they were at first only moments in the object, they become, as Hegel puts it, reflected each into itself. „Dies näher betrachtet, so sind beide, die Identität und der Unterschied . . . Reflexionen, jedes Einheit seiner selbst und seines Andern; jedes ist das Ganze. Damit aber ist die Bestimmtheit, nur Identität oder nur Unterschied zu sein, ein Aufgehobenes .. (II, 34—35). The original object is both itself and the negation of itself — i. e., it is self-identical and yet entails a distinction between itself and itself. These two moments of identity ar4 difference are held together at first by a unity of tension. But since ea