142 22 4MB
German Pages 896 [897] Year 2012
Hoppe/Uechtritz/Reck
Handbuch Kommunale Unternehmen
.
Handbuch Kommunale Unternehmen mitbegründet von
Prof. Dr. Werner Hoppe † herausgegeben von
Prof. Dr. Michael Uechtritz Honorarprofessor an der Universität Stuttgart, Rechtsanwalt Stuttgart
Hans-Joachim Reck Hauptgeschäftsführer des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU), Berlin Rechtsanwalt Berlin bearbeitet von
Dr. Stefanie Beinert, LL.M.
Dr. Frank Peter Ohler
Rechtsanwältin/Steuerberaterin, Frankfurt/Main
Rechtsanwalt, Mainz
Dr. Martin Beutelmann, LL.M. Rechtsanwalt, Stuttgart
Prof. Dr. Johannes Hellermann Universitätsprofessor, Bielefeld
Dr. Matthias Karl, LL.M. Rechtsanwalt/Attorney-at-Law (New York), Stuttgart
Anna Kostic Regierungsrätin, Bad Homburg
Prof. Dr. Stefanie Lorenzen Professorin an der Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin
Dr. Herwig Lux Rechtsanwalt, Stuttgart
Prof. Dr. Janbernd Oebbecke Universitätsprofessor, Münster
Dr. Udo H. Olgemöller Rechtsanwalt, Frankfurt/Main
Dr. Olaf Otting Rechtsanwalt, Frankfurt/Main
Lisa Ronellenfitsch Oberrechtsrätin bei der Stadt Mannheim
Prof. Dr. Michael Ronellenfitsch Universitätsprofessor, Tübingen
Dr. Doris-Maria Schuster Rechtsanwältin, Frankfurt/Main
Dr. Jörg Siegels, Dipl.-Kfm. Rechtsanwalt/Steuerberater, Frankfurt/Main
Hans-Joachim Reck Rechtsanwalt, Berlin
Prof. Dr. Michael Uechtritz Rechtsanwalt, Stuttgart
3. vollständig überarbeitete Auflage
2012
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek veiZcichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrutbar.
Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-40091-0 ©2012 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist w:heberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Jan P. Lichtenford, Mettmann Satz: Griebsch & Rochol, Hamm Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Gennany
Vorwort zur 3. Auflage
Seit Erscheinen der zweiten Auflage (2007) des „Handbuch Kommunale Unternehmen“ sind mehr als fünf Jahre vergangen. Mit der nunmehr vorliegenden dritten Auflage präsentiert sich das in der Praxis positiv aufgenommene Werk in aktueller Fassung. Die Neuauflage berücksichtigt nicht nur die seit dem Jahr 2007 eingetretenen – umfangreichen – Rechtsänderungen, die die Rahmenbedingungen für die unternehmerische Tätigkeit der Kommunen setzen. So haben die Regelungen der Gemeindeordnungen zu den Voraussetzungen der kommunalwirtschaftlichen Betätigung in den meisten Bundesländern Änderungen erfahren. Herausgeber und Autoren haben bei der Aktualisierung ihrer Beiträge besonderen Wert darauf gelegt, neueren Entwicklungen und Tendenzen kommunaler wirtschaftlicher Tätigkeit Rechnung zu tragen und auf die sich hierbei stellenden Fragen einzugehen. Während beim erstmaligen Erscheinen des Werkes im Jahr 2004 die Diskussion stark von einem „Trend“ zur formellen und materiellen Privatisierung gekennzeichnet war, steht aktuell eher die Diskussion um eine „Rekommunalisierung“ kommunaler Aufgaben im Vordergrund. Dies gilt besonders für die klassischen Felder der Daseinsvorsorge, wie die Diskussion in vielen Kommunen über einen Wiedereinstieg im Bereich der Ver- und Entsorgungswirtschaft dokumentiert oder die an vielen Orten erörterte Frage eines Rückkaufs der Stadtwerke. Die Neuauflage greift diese aktuellen Tendenzen auf und bemüht sich wie bisher, den Kommunen eine praxistaugliche Hilfestellung für ihre unternehmerischen Aktivitäten zu bieten. Werner Hoppe, auf dessen Anregung die erste Auflage im Jahr 2004 zurückgeht, ist im Juli 2009 durch einen tragischen Unfall verstorben. Der Verlag und der bisherige Mitherausgeber/Unterzeichner freuen sich, dass es gelungen ist, Herrn Rechtsanwalt Hans-Joachim Reck als neuen Mitherausgeber zu gewinnen, der auch als Mitautor für § 16 (Rechtsform kommunaler Unternehmen: Rechtliche Vorgaben und Entscheidungskriterien) verantwortlich zeichnet. In seiner Funktion als langjähriger Hauptgeschäftsführer des Verbandes Kommunaler Unternehmen (VKU) bringt der neue Mitherausgeber seine umfassende Kenntnis der Probleme und Fragestellungen, die die kommunalen Unternehmen beschäftigen, ein – im Interesse der Zielsetzung dieses Werkes, die Rechtsfragen kommunaler unternehmerischer Tätigkeit nicht nur wissenschaftlich, sondern auch und vor allem im Hinblick auf die sich in der Praxis stellenden Probleme zu erörtern. Auch in der dritten Auflage ist der Kreis der Verfasser der einzelnen Beiträge unverändert beisammen geblieben. Als Mit- und Co-Autoren sind Frau Stadtoberrechtsrätin Lisa Ronellenfitsch (§ 1), Herr Rechtsanwalt Dr. Udo H. Olgemöller (§ 6 und § 14) sowie Frau Regierungsrätin Anna Kostic (§ 11) hinzugekommen.
V
Vorwort
Der Dank der Herausgeber gilt allen, die das Erscheinen dieser dritten Auflage des Handbuchs ermöglicht haben. Besonderer Dank gebührt Frau Claudia Bergmeier, die die Bearbeitung der dritten Auflage verlagsseitig umsichtig und engagiert betreut hat. Stuttgart, Juli 2012
Michael Uechtritz
Vorwort zur 1. Auflage
Rechtsfragen der kommunalen wirtschaftlichen Betätigung finden aktuell ein starkes Interesse. Dies belegt bereits die Vielzahl der Veröffentlichungen, die zu Einzelaspekten dieser Thematik in jüngster Zeit erschienen sind. Die Gründe für die neue Aktualität des keineswegs neuen Phänomens der wirtschaftlichen kommunalen Betätigung sind vielfältig: Zentrale Bedeutung kommt der Privatisierungs- und Deregulierungspolitik auf nationaler aber auch auf europäischer Ebene zu. Hierdurch sind wichtige Felder kommunaler wirtschaftlicher Betätigung in Wettbewerbsmärkte überführt worden, wodurch sich die Rahmenbedingungen der kommunalwirtschaftlichen Betätigung verändert haben. Ungeachtet dieses „Eindringens“ Privater in Tätigkeitsfelder, die traditionell von den Kommunen beherrscht werden, ist der Umfang kommunalwirtschaftlicher Betätigung nicht rückläufig. Im Gegenteil: Zahlreiche Kommunen versuchen auf Märkten tätig zu sein, die traditionell keine typischen Bereiche kommunaler wirtschaftlicher Betätigung darstellen. Die Ausdehnung der wirtschaftlichen Betätigung der Kommunen hat dabei nicht nur eine gegenständliche, sondern auch eine räumliche Komponente. In zunehmendem Maße greifen Kommunen bei ihrer wirtschaftlichen Betätigung über ihre jeweiligen Gemeindegrenzen hinaus. Die maßgeblichen rechtlichen Vorgaben für Voraussetzungen und Grenzen der kommunalen wirtschaftlichen Betätigung sind in Bewegung. In den vergangenen Jahren sind die entsprechenden Regelungen in den Gemeindeordnungen der Bundesländer in unterschiedlicher Weise und teilweise mit gegenläufigen Tendenzen geändert worden. Auch die seit Jahren anhaltende und sich verschärfende Finanzknappheit der Kommunen bewirkt einen erheblichen Veränderungs- und Modernisierungsdruck, der sich gerade im Bereich kommunaler wirtschaftlicher Betätigung auswirkt. Dies gilt im Hinblick auf die Notwendigkeit, „erfolgreich“ zu wirtschaften; darüber hinaus aber auch im Hinblick auf die zunehmende Notwendigkeit einer Kooperation der öffentlichen Hand mit dem privaten Sektor (Stichwort: „public private partnership“).
VI
Vorwort
Der Dank der Herausgeber gilt allen, die das Erscheinen dieser dritten Auflage des Handbuchs ermöglicht haben. Besonderer Dank gebührt Frau Claudia Bergmeier, die die Bearbeitung der dritten Auflage verlagsseitig umsichtig und engagiert betreut hat. Stuttgart, Juli 2012
Michael Uechtritz
Vorwort zur 1. Auflage
Rechtsfragen der kommunalen wirtschaftlichen Betätigung finden aktuell ein starkes Interesse. Dies belegt bereits die Vielzahl der Veröffentlichungen, die zu Einzelaspekten dieser Thematik in jüngster Zeit erschienen sind. Die Gründe für die neue Aktualität des keineswegs neuen Phänomens der wirtschaftlichen kommunalen Betätigung sind vielfältig: Zentrale Bedeutung kommt der Privatisierungs- und Deregulierungspolitik auf nationaler aber auch auf europäischer Ebene zu. Hierdurch sind wichtige Felder kommunaler wirtschaftlicher Betätigung in Wettbewerbsmärkte überführt worden, wodurch sich die Rahmenbedingungen der kommunalwirtschaftlichen Betätigung verändert haben. Ungeachtet dieses „Eindringens“ Privater in Tätigkeitsfelder, die traditionell von den Kommunen beherrscht werden, ist der Umfang kommunalwirtschaftlicher Betätigung nicht rückläufig. Im Gegenteil: Zahlreiche Kommunen versuchen auf Märkten tätig zu sein, die traditionell keine typischen Bereiche kommunaler wirtschaftlicher Betätigung darstellen. Die Ausdehnung der wirtschaftlichen Betätigung der Kommunen hat dabei nicht nur eine gegenständliche, sondern auch eine räumliche Komponente. In zunehmendem Maße greifen Kommunen bei ihrer wirtschaftlichen Betätigung über ihre jeweiligen Gemeindegrenzen hinaus. Die maßgeblichen rechtlichen Vorgaben für Voraussetzungen und Grenzen der kommunalen wirtschaftlichen Betätigung sind in Bewegung. In den vergangenen Jahren sind die entsprechenden Regelungen in den Gemeindeordnungen der Bundesländer in unterschiedlicher Weise und teilweise mit gegenläufigen Tendenzen geändert worden. Auch die seit Jahren anhaltende und sich verschärfende Finanzknappheit der Kommunen bewirkt einen erheblichen Veränderungs- und Modernisierungsdruck, der sich gerade im Bereich kommunaler wirtschaftlicher Betätigung auswirkt. Dies gilt im Hinblick auf die Notwendigkeit, „erfolgreich“ zu wirtschaften; darüber hinaus aber auch im Hinblick auf die zunehmende Notwendigkeit einer Kooperation der öffentlichen Hand mit dem privaten Sektor (Stichwort: „public private partnership“).
VI
Vorwort
Das vorliegende Handbuch behandelt alle maßgeblichen Rechtsfragen, mit denen sich die Gemeinden bei der Aufnahme und Durchführung unternehmerischer Tätigkeiten konfrontiert sehen. Behandelt werden im ersten Teil Entwicklung und Tendenzen sowie Voraussetzungen und Grenzen privatwirtschaftlicher Betätigung der Kommunen. Im zweiten Teil werden die Handlungsformen und Instrumentarien wirtschaftlicher Betätigung ausführlich erörtert. Der dritte Teil widmet sich den Rechtsfragen des kommunalen Gesellschaftsrechts, dem angesichts der andauernden Tendenz zur wirtschaftlichen Betätigung in privatrechtlicher Rechtsform besondere Bedeutung zukommt. Im vierten Teil werden einzelne relevante Rechtsgebiete für die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen behandelt, speziell die arbeitsrechtlichen, wettbewerbsrechtlichen, steuerrechtlichen, konzernrechtlichen und vergaberechtlichen Fragestellungen. Den Abschluss bildet eine Darstellung und kritische Würdigung der Kriterien für die Rechtsformwahl kommunaler Unternehmen. Die Verfasser der einzelnen Beiträge sind Professoren oder Rechtsanwälte, die sich in Wissenschaft und Praxis seit vielen Jahren mit den von ihnen erörterten Materien befassen. Die Herausgeber hoffen, kommunalen Entscheidungsträgern mit diesem Handbuch eine Hilfestellung für ein erfolgreiches Tätigsein kommunaler Unternehmen in schwierigen Zeiten angesichts einer Vielzahl neuer rechtlicher Herausforderungen und Fragestellungen zu geben. Berlin/Stuttgart, August 2003
Die Herausgeber
VII
Vorwort
VIII
Inhaltsübersicht*
Seitea
Vorwort zur 3. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V
Vorwort zur 1. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VI
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXI
Allgemeines Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXIII
Erster Teil: Entwicklung und Tendenzen privatwirtschaftlicher Betätigung der Kommunen §1 Voraussetzungen und historische Entwicklung privatwirtschaftlicher Betätigung der Kommunen (M. Ronellenfitsch/L. Ronellenfitsch) Rz.
A. I. II. III. IV. V.
Seitea
Kommunale Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgabensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgabenerfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufgabenfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Folgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 3 8 10 14
3 3 3 5 6 7
B. Entwicklungsphasen der privatwirtschaftlichen Betätigung der Kommunen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ursprünge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Entwicklungsstufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16 16 17
8 8 9
21 21 23 26 27
11 11 12 13 14
C. I. II. III. IV.
Aktuelle Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neues Steuerungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausdehnung des gemeindlichen Wirkungskreises . . . . . . . . Kritik und Folgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Statistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
* Ausführliche Inhaltsverzeichnisse finden sich jeweils am Anfang der mit § bezeichneten Teile.
IX
Inhaltsübersicht
§2 Neuere Diskussion: Privatisierung und Rekommunalisierung (Ronellenfitsch) Rz.
Seitea
A. Diskussionsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausgangslage: Daseinsvorsorge im Wettbewerb . . . . . . . . . . II. Aktuelle Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 12
18 18 25
B. I. II. III.
Unterscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriffsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Folgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14 14 15 18
26 26 26 27
C. Formelle und materielle Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Formelle Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Materielle Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19 19 20
27 27 28
D. Einbeziehung Privater in die öffentliche Aufgabenerfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verwaltungshilfe und Beleihung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Privatfinanzierung kommunaler Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . III. Sonstige Formen von „Public Private Partnerships“ . . . . . . IV. Rekommunalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21 21 23 24 25
28 28 29 29 30
§3 Verfassungsrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Vorgaben (Ronellenfitsch) A. I. II. III.
Verfassungsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selbstverwaltungsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirtschaftsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konkurrentenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 6 10
33 33 36 37
B. I. II. III. IV. V.
Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selbstverwaltungsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirtschaftsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wettbewerbsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konkurrentenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14 14 15 19 20 30
39 39 40 42 42 46
X
Inhaltsübersicht
Zweiter Teil: Der rechtliche Rahmen privatwirtschaftlicher Betätigung der Kommunen §4 Kommunalrechtlicher Begriff der privatwirtschaftlichen Betätigung der Kommunen (Ronellenfitsch) Rz.
Seitea
A. Begriffsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Wirtschaftliche Betätigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Wirtschaftliche Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 2
48 48 48
B. I. II. III.
Abgrenzung zu nichtwirtschaftlichen Unternehmen . . . . . Allgemeine Abgrenzungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spezielle Abgrenzungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daseinsvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4 4 5 9
49 49 49 51
C. Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zulässigkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schrankentrias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10 10 11
51 51 52
D. Betrieb eines Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
54
A. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
56
B. Voraussetzungen der Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Obligatorische Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Fakultative Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9 9 11
57 57 58
C. Grenzen der Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfassungsrechtliche Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kommunalrechtliche Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12 12 13
58 58 59
D. Materielle Privatisierung bei der privatwirtschaftlichen Betätigung der Kommunen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Teilprivatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15 15 16 18
59 59 60 60
E. Rekommunalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfassungsrechtliches Gebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abwägungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21 21 22
62 62 62
§5 Voraussetzungen und Grenzen der materiellen Privatisierung (Ronellenfitsch)
XI
Inhaltsübersicht
§6 Kommunalrechtliche Voraussetzungen für die wirtschaftliche Betätigung (Uechtritz/Otting/Olgemöller) Rz.
A. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schrankentrias der Deutschen Gemeindeordnung . . . . . . . II. Entwicklung der landesrechtlichen Regelungen nach 1945 B. Erledigung von Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff der überörtlichen wirtschaftlichen Betätigung . . . . . II. Regionalprinzip als Schranke gemeindlicher Wirtschaftsbetätigung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anerkannte Ausnahmen überörtlicher Betätigung . . . . . . . IV. Landesrechtliche Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Öffentlicher Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Auslegung des Begriffsmerkmals in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Prozedurale Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Prüfung der Subsidiarität im Rahmen des „öffentlichen Zwecks“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Seitea
1 2 5
67 68 69
18 22
76 78
24 33 36
79 82 83
49 50
89 89
51 67
90 95
72
97
D. Kommunale Leistungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76
98
E. Subsidiarität gegenüber privaten Wirtschaftsaktivitäten . . I. Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Durchführung des Qualitätsvergleichs der Leistungen zwischen privaten und kommunalen Unternehmen . . . . . . III. Unterschiedliche landesrechtliche Regelungen . . . . . . . . . .
79 80
99 99
83 88
100 101
F. Hilfsbetriebe und Annextätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Randnutzungen und Annextätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Freie Kapazitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
94 95 105
104 104 107
G. Reichweite und dauerhafte Sicherstellung der Kriterien . . .
111
109
H. Wirtschaftliche oder nichtwirtschaftliche Betätigung . . . .
118
112
J. Rechtliche Überprüfbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsschutz privater Konkurrenten vor den Verwaltungsgerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsschutz privater Konkurrenten jenseits der Verwaltungsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
126
115
127
116
152 158
124 127
XII
Inhaltsübersicht
§7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung (Hellermann) A. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Ausdifferenzierung der Handlungsformen und -instrumente kommunalwirtschaftlicher Betätigung . . . . . II. Die kommunale Wahlfreiheit hinsichtlich Organisationsund Handlungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Aspekte der kommunalen Organisations- und Handlungsformenwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rz.
Seitea
1
133
1
133
10
139
16
142
B. Rechtsformen gemeindeeigener Unternehmen . . . . . . . . . . I. Öffentlich-rechtliche Organisationsformen . . . . . . . . . . . . . II. Privatrechtliche Rechtsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21 22 91
144 144 170
C. Rechtsformen interkommunaler wirtschaftlicher Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Öffentlich-rechtliche Organisationsformen . . . . . . . . . . . . . II. Gemischt-öffentliche Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . .
134 137 161
182 183 190
165
191
168
192
188
201
D. Rechtsformen der Einbeziehung Privater in die kommunale Aufgabenerfüllung (Public Private Partnership) . . . I. Allgemeine Rahmenbedingungen von Public Private Partnership . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einzelne Rechtsformen der Kooperation von Kommunen und Privaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dritter Teil: Grundlagen und Rahmenbedingungen kommunalen Gesellschaftsrechts §8 Rechtliche Vorgaben für die Gründung kommunaler Gesellschaften (Oebbecke) A. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. I. II. III.
Zulässigkeit der Rechtsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zulässigkeit der Aufgabenwahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . Öffentliches Interesse an der Gesellschaftsgründung . . . . . Subsidiaritätsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
219
9 10 13 19
221 221 222 224
XIII
Inhaltsübersicht Rz.
Seitea
C. Vorgaben für die Ausgestaltung der gesellschaftsrechtlichen Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausrichtung auf den öffentlichen Zweck . . . . . . . . . . . . . . II. Begrenzung des wirtschaftlichen Risikos . . . . . . . . . . . . . . III. Sicherstellung kommunalen Einflusses . . . . . . . . . . . . . . . IV. Wirtschaftsplan und Rechnungslegung . . . . . . . . . . . . . . . . V. Sonstiges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32 37 43 55 65 76
227 229 231 234 237 240
D. Errichtungsvorgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gemeindliche Willensbildung und Vertretung . . . . . . . . . II. Aufsichtliche Mitwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78 79 82
241 241 242
1
243
Wirtschaftsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirtschaftliche Zweckerfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ertragserzielung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbot des Machtmissbrauchs und Konkurrenzschutz . .
5 7 10 14
245 246 247 248
§9 Rechtliche Vorgaben für die Führung kommunaler Gesellschaften (Oebbecke) A. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. I. II. III.
C. Wirtschaftsplan und Rechnungslegung . . . . . . . . . . . . . . . .
18
249
D. Die Entsendung und Abberufung kommunaler Vertreter in Gesellschaftsgremien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
250
E. Verhalten kommunaler Vertreter in Gesellschaftsgremien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Informationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Weisungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Inhaltliche Bindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rückbindungsvorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Abführungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Haftungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30 33 40 47 51 56 58
253 254 256 259 260 261 262
F. Veräußerung von Beteiligungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
262
G. Berichtspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
263
H. Haftung der Gemeinde für die Gesellschaft . . . . . . . . . . . .
72
266
XIV
Inhaltsübersicht
Vierter Teil: Relevante Rechtsgebiete für wirtschaftliche Betätigung von Kommunen § 10 Wettbewerbsrecht (Lux) A. I. II. III. IV.
Wettbewerbsrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Problemaufriss; Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lauterkeits- und Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die geschäftliche Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
B. Grenzen der Aufnahme wirtschaftlicher Tätigkeit: Durchsetzung durch das Wettbewerbsrecht? . . . . . . . . . . . I. Keine Durchsetzung des Kommunalrechts über § 3 Abs. 1 UWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Keine Erweiterung der Rechtsschutzmöglichkeiten . . . . . III. Prozessuale Möglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. I. II. III. IV. V. VI. VII.
Fallgruppen wettbewerbswidrigen Verhaltens . . . . . . . . . . Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflicht zur generellen Zurückhaltung? . . . . . . . . . . . . . . . . Verquickung von Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Missbrauch von Autorität oder Hoheitsbefugnissen . . . . . Preisunterbietung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Faktische Bevorzugung bestimmter Unternehmen . . . . . Abwehr unlauteren Verhaltens Dritter . . . . . . . . . . . . . . . .
Rz.
Seitea
1 1 3 5 25
271 271 272 273 282
33
286
33 39 40
286 289 290
42 42 44 48 69 93 96 97
290 290 291 293 302 311 312 313
§ 11 Steuerrecht (Beinert/Kostic) A. Überblick über die Steuerpflicht der öffentlichen Hand . .
1
321
B. I. II. III. IV. V.
Betrieb gewerblicher Art (BgA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriff des BgA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Merkmale eines BgA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abgrenzung zwischen BgA und Hoheitsbetrieb . . . . . . . . . Abgrenzung zwischen BgA und Vermögensverwaltung . . Verpachtung eines BgA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5 5 8 18 39 45
322 322 323 327 333 335
C. I. II. III. IV.
Körperschaftsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steuerpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einkunftsart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gewinnermittlung und Buchführungspflichten . . . . . . . . Besonderheiten der Gewinnermittlung bei BgA . . . . . . . .
46 46 47 48 61
335 335 336 336 340
XV
Inhaltsübersicht Rz.
Seitea
93
351
Kapitalertragsteuer, § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. a, b EStG . . . . . Besteuerungssystematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . BgA mit eigener Rechtspersönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . BgA ohne eigene Rechtspersönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . .
129 129 132 135
363 363 364 364
E. Steuerbelastungsvergleich: BgA oder GmbH? . . . . . . . . . . I. Steuerbelastung eines BgA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Steuerbelastung einer Beteiligung an einer GmbH . . . . . .
179 179 181
377 377 378
Steuerlicher Querverbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung von BgA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung in einer Kapitalgesellschaft . . . . . . . . Zusammenfassung mittels Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . Steuerlicher Querverbund bei Beteiligung eines Dritten .
188 189 211 224 236
382 382 389 393 396
G. Ausblick (Körperschaftsteuer, Kapitalertragsteuer) . . . . . .
245
399
H. I. II. III.
Gewerbesteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . BgA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitalgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
246 246 251 252
400 400 400 401
J. Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Unternehmereigenschaft einer juristischen Person des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Steuerbare Umsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Umsatzsteuerliche Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Vorsteuerabzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ausblick (Umsatzsteuer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
253
401
253 317 340 343 380
401 421 428 429 443
453 453 453
V. Dauerdefizitäre Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. I. II. III.
F. I. II. III. IV.
§ 12 Arbeitsrecht (Schuster/Lorenzen) A. I. II. III.
Arbeitsrecht in kommunalen Unternehmen . . . . . . . . . . . Öffentlicher Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Angehörige des öffentlichen Dienstes . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsquellen des Dienst- und Arbeitsrechts im öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 2 5
454
B. I. II. III.
Privatisierung und Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arten der Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeitsrechtliche Probleme – Überblick . . . . . . . . . . . . . . .
12 13 14 30
456 457 457 463
C. Einzelne Privatisierungsarten und arbeitsrechtliche Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Privatisierung mit Betriebsübergang . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32 32
464 464
XVI
Inhaltsübersicht Rz.
II. Besonderheiten der Organisationsprivatisierung ohne Betriebsübergang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Privatisierung von Eigengesellschaften oder Beteiligungsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Die Rolle von Personalrat und Betriebsrat bei Privatisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Beteiligungsrechte des Personalrats bei der Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei Privatisierungen . III. Organkontinuität der Vertretungsgremien – Fortbestand und Übergangsmandate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gestaltung durch Tarifverträge und Dienst- bzw. Betriebsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Seitea
127
504
141
508
150
511
151 159
512 518
170
522
183
527
186
528
186
528
215
545
A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
568
B. Grundbegriffe des Konzernrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kein besonderes Konzernrecht kommunaler Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Definitionsnormen des Konzernrechts . . . . . . . . . . . . . . . .
6
569
6 10
569 571
21
574
21 23 27
574 575 576
30
577
56
585
69
589
70 75
589 590
93 93
596 596
E. Personaleinsatz im Rahmen von Privatisierungen . . . . . . I. Personalgestellung – Personaleinsatz bei einem Privaten ohne oder neben einer Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Beschäftigung von Beamten in privatisierten Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 13 Konzernrecht (Siegels)
C. Kommunen als herrschende Unternehmen . . . . . . . . . . . . I. Keine Privilegierung öffentlich-rechtlicher Körperschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ausdehnung des Unternehmensbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . III. Anwendbarkeit der Rechtsprechung auf Kommunen . . . . IV. Einzelfragen der Unternehmenseigenschaft von Kommunen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Vermeidung der Unternehmenseigenschaft der Kommunen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Abhängigkeit kommunaler Unternehmen und ihre Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begründung und Beendigung von Abhängigkeitsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsfolgen der Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Begründung und Beendigung von Konzernverhältnissen . I. Faktische Konzerne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XVII
Inhaltsübersicht Rz.
Seitea
II. III. IV. V. VI.
Qualifiziert faktische Konzerne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertragskonzerne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begründung von Vertragskonzernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Änderung von Unternehmensverträgen . . . . . . . . . . . . . . . Beendigung von Unternehmensverträgen . . . . . . . . . . . . .
105 109 122 149 154
600 602 605 612 613
F. I. II. III.
Haftung im faktischen Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
164 165 178 187
616 616 620 622
G. I. II. III. IV.
Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs . . . . . . . . Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
188 188 192 206 208
623 623 624 629 629
H. Haftungs- und Ausgleichspflichten im Vertragskonzern . I. Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. GmbH/Personengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
209 209 211
629 629 631
J. Persönliche Verantwortung der für die Kommune Handelnden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einfluss des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
212 213 222 224
631 631 634 634
227 227 231 236 241 245
635 635 636 637 638 639
246
640
250
641
259
642
K. I. II. III. IV. V. VI.
Besonderheiten bei Public Private Partnerships . . . . . . . . Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen des Gemeinschaftsunternehmens . . . . . . . . . Voraussetzungen der gemeinsamen Beherrschung . . . . . . Gemeinsame einheitliche Leitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrfache Konzernzugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrheitsbeteiligung der Kommune an einem Gemeinschaftsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Paritätische (50 : 50-)Beteiligung der Kommune an einem Gemeinschaftsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Minderheitsbeteiligung der Kommune an einem Gemeinschaftsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 14 Vergaberecht (Otting/Ohler/Olgemöller) A. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
646
B. Kommunale Unternehmen als öffentliche Auftraggeber . I. Kommunen und kommunale Unternehmen als öffentliche Auftraggeber nach § 98 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
650
5
650
XVIII
Inhaltsübersicht
II. Rechtsbindungen der Kommunen und kommunaler Unternehmen unterhalb der Schwellenwerte des § 100 Abs. 1 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Sonstige Rechtsbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rz.
Seitea
29 32
663 665
C. Grenzen des Vergaberechts: Inhouse-Vergaben und andere Formen öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit . . . . . . . . . I. Beauftragung kommunaler Unternehmen (Inhouse-Vergaben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Nichtinstitutionalisierte Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . III. Auftragsvergaben von kommunalen Unternehmen . . . . . . IV. Risiken unzulässiger de facto-Vergaben . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
667
37 52 61 63
668 677 682 683
D. Beteiligung kommunaler Unternehmen an Vergabeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
684
1
689
8
691
8 20 68
691 695 715
C. Missbrauch von Marktmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Verhältnis des deutschen zum europäischen Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Europäisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
100
728
100 103 113
728 729 734
D. Zusammenschlusskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verhältnis der deutschen zur europäischen Fusionskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Europäisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
150
750
150 152 168
750 751 756
185
765
185 191
765 768
§ 15 Kartellrecht (Karl/Beutelmann) A. Überblick – die kartellrechtlichen Regime und ihre Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Wettbewerbsbeschränkende Verhaltensabstimmung . . . . . I. Abgrenzung der Anwendungsbereiche des deutschen und des europäischen Kartellrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Europäisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Nationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
E. Der nicht-unternehmerische Staat als Adressat des europäischen Wettbewerbsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Art. 106 Abs. 1 AEUV i.V.m. Art. 102 AEUV: Der Staat als Adressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Art. 4 Abs. 3, 101 AEUV: die „neue Norm“ . . . . . . . . . . . . .
XIX
Inhaltsübersicht
Fünfter Teil: Kriterien für die Rechtsformwahl § 16 Rechtsform kommunaler Unternehmen: Rechtliche Vorgaben und Entscheidungskriterien (Uechtritz/Reck) Rz.
Seitea
A. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
773
B. Rechtliche Vorgaben für die Wahl einer Rechtsform . . . . . . I. Der Grundsatz: Kommunales Organisationsermessen . . . . II. Einfachrechtliche Schranken des Organisationsermessens.
9 9 14
778 778 780
C. Konfligierende Ziele bei der Rechtsformwahl . . . . . . . . . . .
17
781
23 23 26 43 56 65 75 77 92 102
784 784 785 791 796 800 802 804 810 813
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
815
D. I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII. IX.
XX
Einzelne Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Flexibilität“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einwirkungsmöglichkeiten der Kommune . . . . . . . . . . . . . . Personalwirtschaftliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftungsrisiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Finanzierungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kooperationsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haushalts-, Rechnungs- und Prüfungswesen . . . . . . . . . . . . Sonstige Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Abkürzungsverzeichnis AA a.A. a.a.O. AbfallPrax AbfG ABl. abl. Abs. a.E. AEG AEUV ÄndTV a.F. AFG AfK AFRG AG AGVwGO AiB AktG allg.M. Alt. a.M. AMNOG ANBA Anh. Anm. AnstG LSA AnwBl. AnwZpvV AO AöR AR ArbG ArbRB Art. AS ATV AÜG Aufl.
Auswärtiges Amt andere Ansicht am angegebenen Ort Abfallrechtliche Praxis (Zeitschrift) Gesetz über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen Amtsblatt ablehnend Absatz am Ende Allgemeines Eisenbahngesetz Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Änderungstarifvertrag alte Fassung Arbeitsförderungsgesetz Archiv für Kommunalwissenschaften (Zeitschrift) Arbeitsförderungsreformgesetz Amtsgericht, Aktiengesellschaft, auch: Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift) Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung Arbeitsrecht im Betrieb (Zeitschrift) Aktiengesetz allgemeine Meinung Alternative andere Meinung Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit Anhang Anmerkung Gesetz über die kommunalen Anstalten des öffentlichen Rechts (Anstaltsgesetz) Sachsen-Anhalt Anwaltsblatt Anwendungszeitpunktverschiebungsverordnung Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift) Aufsichtsrat Arbeitsgericht Der Arbeits-Rechts-Berater (Zeitschrift) Artikel Amtl. Slg. der Entscheidungen des rheinland-pfälzischen und des saarländischen OVG Tarifvertrag über die betriebliche Altersversorgung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes (Tarifvertrag Altersversorgung) Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Auflage
XXI
Abkürzungsverzeichnis
BAG BAGE BAT BauGB BauGO BauNVO BauO BauR Bay., bay. BayObLG BayVBl BayVGH BB BBauBl BBauG BBesG BBG Bbg. BbgGO BbgKVerf BDH BDHE BDiA BDiG BDO BeamtStG BeamtVG Bearb. Beil. ber. bes. Beschl. BesStruktG BetrAVG BetrVG BFH BFHE BgA BGB BGBl. BGH BGHR BGHSt(Z) BHO BImSchG BImSchV BJagdG
XXII
Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bundesangestelltentarifvertrag Baugesetzbuch Baugebührenordnung Baunutzungsverordnung Bauordnung (der Länder) Baurecht (Zeitschrift) Bayern, bayerisch Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Betriebs-Berater (Zeitschrift) Bundesbaublatt Bundesbaugesetz Bundesbesoldungsgesetz Bundesbeamtengesetz Brandenburg Brandenburgische Gemeindeordnung Kommunalverfassung des Landes Brandenburg Bundesdisziplinarhof Slg. der Entscheidungen des BDH Bundesdisziplinaranwalt Bundesdisziplinargericht Bundesdisziplinarordnung Beamtenstatusgesetz Gesetz über die Versorgung der Beamten und Richter in Bund und Ländern Bearbeitung Beilage (zu bestimmten Zeitschriften) berichtigt besonders Beschluss Besoldungsstrukturgesetz Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung – Betriebsrentengesetz Betriebsverfassungsgesetz Bundesfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des BFH Betrieb gewerblicher Art Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof BGH-Rechtsprechung Zivilsachen/Strafsachen Sammlung der Entscheidungen des BGH in Strafsachen (Zivilsachen) Bundeshaushaltsordnung Bundes-Immissionsschutzgesetz Bundes-Immissionsschutzverordnung Bundesjagdgesetz
Abkürzungsverzeichnis
BKartA BKGG BKR BMF BMT-G II
BWVP BZRG
Bundeskartellamt Bundeskindergeldgesetz Baukoordinierungsrichtlinie Bundesministerium der Finanzen Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe Manteltarifliche Vorschriften für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe Bundesnaturschutzgesetz Betriebsordnung Kurzzeit-Betreibermodell (Build, Operate, Transfer) Bundespersonalvertretungsgesetz Bebauungsplan Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung Bundesratsdrucksache Bremen, bremisch Verfassung für die Stadt Bremerhaven Bundesreisekostengesetz Sten. Berichte des Bundesrates Beamtenrechtsrahmengesetz Baurechtssammlung Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts (Entscheidungssammlung) Bundessozialhilfegesetz Bundessteuerblatt Bundestagsdrucksache Sammel- und Nachschlagewerk der Rspr. des BVerwG, hrsg. v. Buchholz Bundesverfassungsgericht Sammlung der Entscheidungen des BVerfG Bundesverwaltungsgericht Sammlung der Entscheidungen des BVerwG Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes Berliner Wasserbetriebe Die Gemeinde, Zeitschrift für die Städte und Gemeinden, für Stadträte, Gemeinderäte und Ortschaftsräte, Organ des Gemeindetags Baden-Württemberg Baden-Württembergische Verwaltungspraxis (Zeitschrift) Bundeszentralregistergesetz
CR
Computer und Recht (Zeitschrift)
D DAR DAWI
Disziplinar Deutsches Autorecht (Zeitschrift) Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse Der Betrieb (Zeitschrift) Deutscher Beamtenbund Gesetz über die Gründung einer Deutsche Bahn Aktiengesellschaft
BMT-G-O BNatSchG BO BOT BPersVG BPlan BRAGO BR-Drs. Brem., brem. BrhVerf. BRKG BR-Prot. BRRG BRS BSG BSGE BSHG BStBl BT-Drs. Buchholz BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE BVwVerfG BWB BWGZ
DB dbb DBGrG
XXIII
Abkürzungsverzeichnis
ders. dgl. DGO d.h. DJT DKR DNV DöD DÖV DokBer. DRiG DRiZ DSchG DStR DStT DStZ DtZ DVBl DVO DVP EAV EBE EBITDA
derselbe dergleichen Deutsche Gemeindeordnung das heißt Deutscher Juristentag Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie der neue vertrieb (Zeitschrift) Der öffentliche Dienst (Zeitschrift) Die öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Dokumentarische Berichte aus dem Bundesverwaltungsgericht Deutsches Richtergesetz Deutsche Richter-Zeitung Denkmalschutzgesetz Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutscher Städtetag (Zeitschrift) Deutsche Steuer-Zeitung Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift Deutsches Verwaltungsblatt Durchführungsverordnung Deutsche Verwaltungspraxis (Zeitschrift)
Ergebnisabführungsvertrag Eildienst – Bundesgerichtliche Entscheidungen Gewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen – auf Sachanlagen – und Abschreibungen – auf immaterielle Vermögensgegenstände (earnings before interest, taxes, depreciation, and amortization) EBV Eigenbetriebsverordnung EEG Erneuerbare-Energien-Gesetz EFA Europäisches Fürsorgeabkommen EFG Entscheidungen der Finanzgerichte (Zeitschrift) EG Einführungsgesetz; Europäische Gemeinschaften EigAnVO Rh.-Pf. Eigenbetriebs- und Anstaltsverordnung Rheinland-Pfalz EigBG BW Eigenbetriebsgesetz Baden-Württemberg EigBGes Eigenbetriebsgesetz (in Hessen) EigVO Eigenbetriebsverordnung Eild LKT NW Eildienst Landkreistag Nordrhein-Westfalen (Zeitschrift) Einl. Einleitung EnWG Energiewirtschaftsgesetz ErgLfg. Ergänzungslieferung Erl. Erläuterung/Erlass EStH Hinweise zu den Einkommenssteuer-Richtlinien EStR Einkommenssteuer-Richtlinie ESVGH Sammlung der Entscheidungen des hessischen und des baden-württembergischen VGH mit Entscheidungen der Staatsgerichtshöfe beider Länder EuG Gericht der Europäischen Union EuGH Gerichtshof der Europäischen Union EuGHE Amtl. Sammlung der Rechtsprechung des EuGH EuR Europarecht (Zeitschrift)
XXIV
Abkürzungsverzeichnis
EuZW EWG EWiR EWS EzA (SD)
EzS
Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Zeitschrift) Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht (Schnelldienst) Entscheidungssammlung zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Entscheidungssammlung zum Sozialversicherungsrecht
f. FamRZ FD-ArbR ff. FG FGO FKVO FluglärmSchG FlurbG Fn. FR FStrG
folgende Seite, für Zeitschrift für das ganze Familienrecht Fachdienst Arbeitsrecht folgende Seiten oder Randziffern Finanzgericht Finanzgerichtsordnung Fusionskontrollverordnung Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm Flurbereinigungsgesetz Fußnote Finanz-Rundschau (Zeitschrift) Bundesfernstraßengesetz
GA GastG GbR gem. Gemhlt GemHVO NW GemO GesR GewArch GewO GewStDV GewStG GewStR GG ggf. GKG GkG NW
Generalanwalt Gaststättengesetz Gesellschaft bürgerlichen Rechts gemäß der gemeindehaushalt (Zeitschrift) Gemeindehaushaltsverordnung Nordrhein-Westfalen Gemeindeordnung GesundheitsRecht (Zeitschrift) Gewerbearchiv Gewerbeordnung Gewerbesteuerdurchführungsverordnung Gewerbesteuergesetz Gewerbesteuer-Richtlinie Grundgesetz gegebenenfalls Gerichtskostengesetz Gesetz über kommunale Gemeinschaftsarbeit NordrheinWestfalen Gesetz über kommunale Zusammenarbeit Baden-Württemberg Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbHRundschau (Zeitschrift) Der GmbH-Steuer-Berater (Zeitschrift) Gemeinsames Ministerialblatt Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Gemeindeordnung
EzAÜG
GKZ BW GmbH GmbHG GmbHR GmbH-StB GMBl. GmS-OGB GO
XXV
Abkürzungsverzeichnis
GPA grds. GRUR
GS GSG GS-Prüfung GüKG GVBl GVG GWB
Gemeindeprüfungsanstalt grundsätzlich Zeitschrift der Deutschen Vereinigung für Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Praxis im Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht (Zeitschrift) Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Rechtsprechungs-Report (Zeitschrift) Großer Senat/Gerätesicherheit Gerätesicherheitsgesetz Gerätesicherheitsprüfung Güterkraftverkehrsgesetz Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
h.A. Halbs. Hamb HeimG Hess., hess. HGB HGO HGrG h.M. HRG Hrsg., hrsg. HschG HwO
herrschende Ansicht Halbsatz Hamburg Heimgesetz Hessen, hessisch Handelsgesetzbuch Hessische Gemeindeordnung Haushaltsgrundsätzegesetz herrschende Meinung Hochschulrahmengesetz Herausgeber, herausgegeben Hochschulgesetz (der Länder) Handwerksordnung
IBR i.d.F. i.d.R. IFG IHK ILO IÖPP IR i.S.d. IStR i.V.m.
Immobilien- & Baurecht (Zeitschrift) in der Fassung in der Regel Informationsfreiheitsgesetz Industrie- und Handelskammer Internationale Arbeitsorganisation (International Labour Organization) Institutionalisierte Öffentlich-Private Partnerschaft InfrastrukturRecht (Zeitschrift) im Sinne des Internationales Steuerrecht (Zeitschrift) in Verbindung mit
JArbSchG JGG JStG Jura JuS JZ
Jugendarbeitsschutzgesetz Jugendgerichtsgesetz Jahressteuergesetz Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristenzeitung (Zeitschrift)
GRUR Prax. GRUR-RR
XXVI
Abkürzungsverzeichnis
KAG KapESt KDVG KG KGaA KGSt
Kommunalabgabengesetz Kapitalertragssteuer Kriegsdienstverweigerungsgesetz Kammergericht, Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Kommunale Gemeinschaftsstelle (für Verwaltungsmanagement) KÖSDI Kölner Steuerdialog (Zeitschrift) KommJur Kommunaljurist (Zeitschrift) KommunalPraxis Fachzeitschrift für Verwaltung, Organisation und Recht KomZG, Gesetz über (die) kommunale Zusammenarbeit KommZG KPBl. Kommunalpolitische Blätter (Zeitschrift) KrV Die Krankenversicherung (Zeitschrift) KrW-/AbfG Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz KrWG Kreislaufwirtschaftsgesetz KSchG Kündigungsschutzgesetz KStG Körperschaftsteuergesetz KStH Hinweise zu den Körperschaftssteuer-Richtlinien KStR Körperschaftssteuer-Richtlinie KStZ Kommunale Steuer-Zeitschrift KSVG (Saarl.) Kommunalselbstverwaltungsgesetz Saarland KV/KVerf Kommunalverfassung LAG LBauO LBG LBO LEntG LG LGebO LKR LKRZ LKV LM LPersVG LPlanG Ls. LSA LSG LT-Drs. LWG MBl MDR MittRhNotK
Landesarbeitsgericht Landesbauordnung Landesbeamtengesetz Landesbauordnung Landesenteignungsgesetz Landgericht Landesgebührenordnung Lieferkoordinierungsrichtlinie Zeitschrift für Landes- und Kommunalrecht Hessen/ Rheinland-Pfalz/Saarland Landes- und Kommunalverwaltung (VerwaltungsrechtsZeitschrift für die Länder Berlin/Brandenburg/Sachsen/ Sachsen-Anhalt/Thüringen) Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des BGH Landespersonalvertretungsgesetz Landesplanungsgesetz Leitsatz Land Sachsen-Anhalt Landessozialgericht Landtagsdrucksache Landeswassergesetz Ministerialblatt Monatsschrift für Deutsches Recht Mitteilungen der Rheinischen Notarkammer (Zeitschrift; heute Rheinische Notar-Zeitschrift (RNotZ))
XXVII
Abkürzungsverzeichnis
MTArb m.w.N. MwStSystRL NatSchVO NBauO Nds., nds. n.F. NGO NJ NJOZ NJW NJWE-WettbR NJW-RR NKomVG NKomZG NordÖR Nr. NuR NVwZ NVwZ-RR NW NWVBl. NZA NZA-RR NZBau NZG NZS NZV o. OBG öAT ÖPNV ÖPP
Manteltarifvertrag für Arbeiterinnen und Arbeiter des Bundes und der Länder mit weiteren Nachweisen Mehrwertsteuersystem-Richtlinie Naturschutzverordnung Niedersächsische Bauordnung Niedersachsen, niedersächsisch neue Fassung, neue Folge Niedersächsische Gemeindeordnung Neue Justiz Neue Juristische Online Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift NJW-Entscheidungsdienst Wettbewerbsrecht Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungs-Report Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz Niedersächsisches Gesetz über die kommunale Zusammenarbeit Zeitschrift für öffentliches Recht in Norddeutschland Nummer Natur und Recht (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ-Rechtsprechungs-Report Verwaltungsrecht Nordrhein-Westfalen, nordrhein-westfälisch Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Rechtsprechungsreport Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Sozialrecht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht
OWiG
oben Ordnungsbehördengesetz Zeitschrift für das öffentliche Arbeits- und Tarifrecht Öffentlicher Personennahverkehr Öffentlich Private Partnerschaft (Public Private Partnership) Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr Oberfinanzdirektion Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Entscheidungen der OLGe in Zivilsachen Oberverwaltungsgericht Amtl. Sammlung der Entscheidungen der OVGe Lüneburg und Münster Ordnungswidrigkeitengesetz
PBefG PersR
Personenbeförderungsgesetz Der Personalrat (Zeitschrift)
ÖTV OFD OHG OLG OLGE OLGZ OVG OVGE
XXVIII
Abkürzungsverzeichnis
PersV PlanzVO PostO PostPersRG PPP
Die Personalvertretung (Zeitschrift) Planzeichenverordnung Postordnung Postpersonalrechtsgesetz Öffentlich-Private Partnerschaft (Public Private Partnership)
RdA RdE RdL Rev. RGBl. Rh.-Pf., rh.-pf. RiA ROG ROV Rs. Rspr. RuStG RVO Rz.
Recht der Arbeit (Zeitschrift) Recht der Energiewirtschaft (Zeitschrift) Recht der Landwirtschaft Revision Reichsgesetzblatt Rheinland-Pfalz, rheinland-pfälzisch Recht im Amt (Zeitschrift) Raumordnungsgesetz Raumordnungsverfahren Rechtssache Rechtsprechung Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz Reichsversicherungsordnung Randziffer
s. S. Saarl., saarl. SächsEigBG SächsGemO SächsWG SchlHMBG Schl.-Holst. SDAI
siehe Seite Saarland, saarländisch Sächsisches Eigenbetriebsgesetz Sächsische Gemeindeordnung Sächsisches Wassergesetz Schleswig-Holsteinisches Mitbestimmungsgesetz Schleswig-Holstein Sozialdienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse Sektorenverordnung Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften Sozialgericht, Soldatengesetz Sozialgesetzbuch Sektorenkoordinierungsrichtlinie Sammlung der Rechtsprechung des EuGH/EuG Solidaritätszuschlag Sparkassengesetz Gesetz über die Spaltung der von der Treuhand verwalteten Unternehmen Staatsanzeiger Strafgesetzbuch Staatsgerichtshof Strafprozessordnung streitig Städte- und Gemeinderat (Zeitschrift) Steuer und Wirtschaft (Zeitschrift)
SektVO SEStEG SG SGB SKR Slg. SolZ SpkG SpTrUG StAnz StGB StGH StPO str. StuGR StuW
XXIX
Abkürzungsverzeichnis
StVO SUrlVO
Straßenverkehrsordnung Sonderurlaubsverordnung
ThürKO TKG TVG TVöD TVöD-BT TVÜ TVÜ-VKA TV-V Tz. TzBfG
Thüringer Kommunalordnung Telekommunikationsgesetz Tarifvertragsgesetz Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst Besonderer Teil Überleitungstarifvertrag Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts Tarifvertrag für die Versorgungsbetriebe Textziffer Teilzeit- und Befristungsgesetz
u.a. u.ä. Ubg UMTS UmwG UmwStG UntStRefG UPR UR Urt. UStAE UStG u.U. UVR
unter anderen(m), und andere und ähnliche(s) Die Unternehmensbesteuerung (Zeitschrift) Universal Mobile Telecommunications System Umwandlungsgesetz Umwandlungssteuergesetz Unternehmenssteuerreformgesetz Umwelt- und Planungsrecht Umsatzsteuer-Rundschau Urteil Umsatzsteuer-Anwendungserlass Umsatzsteuergesetz unter Umständen Umsatzsteuer- und Verkehrssteuer-Recht (Zeitschrift)
VA(e) VBL VBlBW Verf. VerfGH VergabeR VermG VersTV
Verwaltungsakt(e) Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Verfasser, Verfassung Verfassungsgerichtshof Zeitschrift für das gesamte Vergaberecht Vermögensgesetz Tarifvertrag über die Versorgung der Arbeitnehmer des Bundes und der Länder sowie von Arbeitnehmern kommunaler Verwaltungen und Betriebe Verwaltungsarchiv Verwaltungsrechtsprechung Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Vergabeverordnung vom Hundert Zeitschrift für Vermögens- und Insolvenzrecht Vergabekammer Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände
VerwArch VerwRspr. VG VGH vgl. VgV v.H. VIZ VK VKA
XXX
Abkürzungsverzeichnis
VkBl VKR VKS-News VKU VM VO VOB/A VOF VOL/A Vorb. VR VRSPR VStG VSVgV VÜA VVDStRL VW VwGO VwVfG VwVG VwZG VwZVG WaStrG WG BW WHG WiB WiVerw WM WPg WRP WuB WuW WuW/E z.B. ZBB ZBR ZfBR ZfgK ZfPR ZfW
Verkehrsblatt des Vereinigten Wirtschaftsgebietes Verbraucherkreditrichtlinie Fachzeitschrift des VKU für die Bereiche Abfallwirtschaft und Stadtreinigung im VKU Verband kommunaler Unternehmen Verwaltung & Management (Zeitschrift) Verordnung Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen, Teil A: Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen, Teil A: Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Leistungen Vorbemerkung Verwaltungsrundschau (Zeitschrift) Verwaltungsrechtsprechung in Deutschland Vermögensteuergesetz Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit Vergabeüberwachungsausschuss Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Versicherungswirtschaft (Zeitschrift) Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz (des Bundes bzw. der Länder) Verwaltungsvollstreckungsgesetz Verwaltungszustellungsgesetz Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz Wasserstraßengesetz Wassergesetz Baden-Württemberg Wasserhaushaltsgesetz Wirtschaftsrechtliche Beratung (Zeitschrift) Wirtschaft und Verwaltung (Zeitschrift) Wertpapier-Mitteilungen (Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht) Die Wirtschaftsprüfung (Zeitschrift) Wettbewerb in Recht und Praxis (Zeitschrift) Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht Wirtschaft und Wettbewerb (Zeitschrift für Deutsches und Europäisches Wettbewerbsrecht) Wirtschaft und Wettbewerb, Entscheidungssammlung zum Kartellrecht zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift für Beamtenrecht Zeitschrift für deutsches und internationales Bau- und Vergaberecht Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen Zeitschrift für Personalvertretungsrecht Zeitschrift für Wasserrecht
XXXI
Abkürzungsverzeichnis
ZG ZGR ZHR ZIP ZKF ZNER ZögU ZPO ZStV z.T. ZTR zust. zutr. ZVgR ZVK ZWeR z.Z.
XXXII
Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Kommunalfinanzen Zeitschrift für neues Energierecht Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen Zivilprozessordnung Zeitschrift für Stiftungs- und Vereinswesen zum Teil Zeitschrift für Tarif-, Arbeits- und Sozialrecht des öffentlichen Dienstes zustimmend zutreffend Zeitschrift für deutsches und internationales Vergaberecht Zusatzversorgungskasse Zeitschrift für Wettbewerbsrecht zur Zeit
Allgemeines Literaturverzeichnis1
Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Band 2, 2. Aufl. 2000 Ahmann, Öffentlich- und privatrechtliche Organisationsformen kommunaler Einrichtungen der Daseinsvorsorge, 2009 Altenmüller, Privatrechtliche oder öffentlich-rechtliche Form für kommunale Unternehmen, VBlBW 1984, 61 ff. Ambrosius, Der Staat als Unternehmer, 1984 Badura, Wirtschaftliche Betätigung der Gemeinde zur Erledigung von Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze, DÖV 1998, 818 ff. Bauer, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1994), 243 ff. Bauer/Böhle/Masson/Samper, Bayerische Kommunalgesetze, Loseblatt Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 19. Aufl. 2010 Becker, Grenzenlose Kommunalwirtschaft, DÖV 2000, 1032 ff. Berg, Die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen – kommunale Selbstverwaltung und Wettbewerb, WiVerw 2000, 141 ff. Blanke/Trümner, Handbuch Privatisierung, 1998 Blümel/Doehring/Klein (Hrsg.), Kolloquium aus Anlass des 100. Geburtstags von Prof. Dr. Dr. h. c. Ernst Forsthoff, 2003 Britz, Funktion und Funktionsweise öffentlicher Unternehmen im Wandel: Zu den jüngsten Entwicklungen im Recht der kommunalen Wirtschaftsunternehmen, NVwZ 2001, 380 ff. Brüggemann, Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) im kommunalen Bereich, 2010 Brüggemeier/Damm, Kommunale Einwirkung auf gemischtwirtschaftliche Energieversorgungsunternehmen am Beispiel des RWE/VKA-Konflikts, 1988 Budäus (Hrsg.), Organisationswandel öffentlicher Aufgabenwahrnehmung, 1998 Budäus/Eichhorn (Hrsg.), Public Private Partnership. Neue Formen öffentlicher Aufgabenerfüllung, 1997 Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, 1999 Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen. Eigenbetriebe – Kapitalgesellschaften – Zweckverbände, 5. Aufl. 2006 von Danwitz, Vom Verwaltungsprivat- zum Verwaltungsgesellschaftsrecht – Zu Begründung und Reichweite öffentlich-rechtlicher Ingerenzen in der mittelbaren Kommunalverwaltung, AöR 120 (1995), 595 ff. 1 Literaturhinweise zu Einzelproblemen finden sich jeweils am Anfang der mit § bezeichneten Teile.
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Allgemeines Literaturverzeichnis
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Erster Teil: Entwicklung und Tendenzen privatwirtschaftlicher Betätigung der Kommunen §1 Voraussetzungen und historische Entwicklung privatwirtschaftlicher Betätigung der Kommunen von Prof. Dr. Michael Ronellenfitsch und Stadtoberrechtsrätin Lisa Ronellenfitsch
A. Kommunale Aufgaben . . . . . I. Allzuständigkeit . . . . . . . . . II. Aufgabensystem . . . . . . . . . 1. Freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben . . . . . . . . 2. Pflichtige Selbstverwaltungsaufgaben . . . . . . . . 3. Auftragsverwaltung . . . . . 4. Pflichtaufgaben nach Weisung . . . . . . . . . . . . . . III. Aufgabenerfüllung . . . . . . . IV. Aufgabenfinanzierung . . . . . 1. Finanzbedarf . . . . . . . . . 2. Öffentliche Abgaben . . . . . 3. Erträge und Einnahmen aus privatwirtschaftlicher Betätigung . . . . . . . . . . . . .
Rz. 1 1 3 4 5 6 7 8 10 10 12
Rz. V. Folgerung . . . . . . . . . . . . . 14 B. Entwicklungsphasen der privatwirtschaftlichen Betätigung der Kommunen . . . . . . 16 I. Ursprünge . . . . . . . . . . . . 16 II. Entwicklungsstufen . . . . . . . 17 C. Aktuelle Situation . . . . I. Neues Steuerungsmodell . II. Ausdehnung des gemeindlichen Wirkungskreises . . III. Kritik und Folgerung . . . IV. Statistik . . . . . . . . . .
. . . 21 . . . 21 . . . 23 . . . 26 . . . 27
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A. Kommunale Aufgaben
A. Kommunale Aufgaben I. Allzuständigkeit Alle kommunalen Tätigkeiten erfordern eine Aufgabenzuweisung1. Auch 1 die privatwirtschaftliche Tätigkeit der Kommunen ist nur zulässig, soweit es sich dabei um eine kommunale Aufgabe handelt. Aufgabenzuweisungen an die Gemeinden und Landkreise ergeben sich aus den speziellen Vorschriften der Gemeindeordnungen und unmittelbar aus Art. 28 Abs. 2 GG. Da gemeindliche Aufgaben ständigem Wandel unterworfen sind, schreibt Art. 28 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG keinen Bestand bestimmter Aufgaben der Gemeinden fest, sondern begründet die gemeindliche Universalzuständigkeit zur Regelung aller „Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft.“2 Der örtliche Wirkungskreis kann auch neue Aufgaben („Aufgabenerfindungsrecht“) erfassen, wird aber vor allem traditionell bestimmt. Zu den kommunalen Aufgaben gehört herkömmlich die Schaffung sozia- 2 ler, kultureller und wirtschaftlicher Einrichtungen. Die gemeindliche Daseinsvorsorge, die Verwaltung der gemeindlichen öffentlichen Einrichtungen und die Gemeindewirtschaft prägen seit jeher das Bild („Wesen“) der kommunalen Selbstverwaltung und fügen sich in das System der kommunalen Aufgaben ein.
II. Aufgabensystem Die kommunalen Aufgaben sind Teil eines Aufgabensystems, bei dem 3 unbeschadet der landesrechtlichen Differenzierungen – je nach dem Grad der Eigenständigkeit bei der Aufgabenerfüllung – vier Arten kommunaler Aufgaben zu unterscheiden sind. Dem „eigenen Wirkungskreis“ sind die freiwilligen und pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben zugeordnet; im
1 Vgl. Badura, DÖV 1998, 818 ff. (823). Organisationsrechtlich sind Aufgabe, Zuständigkeit, Kompetenz und Befugnis zu unterscheiden. Die Aufgabe gibt ein bestimmtes Ziel an, das einem Aufgabenträger zugeordnet wird. Die Zuordnung von Aufgaben zu einer Organisationseinheit und den für sie handelnden Organen ergibt deren Zuständigkeit. Objektiv umschreibt die Zuständigkeit den Geschäftskreis der Behörden. Gegenstand der Zuständigkeit ist die Kompetenz. Die Kompetenz leitet über von der Zuständigkeit zur Aufgabenerfüllung. Ist die Aufgabenerfüllung mit Eingriffen in Rechte der Bürger verbunden, ist eine besondere Eingriffsbefugnis erforderlich. Ansonsten können Aufgabenzuweisungsnormen zugleich als Befugnisnormen interpretiert werden („ius ad finem dat ius ad media“). 2 BVerfG v. 17.1.1967 – 2 BvL 28/63, BVerfGE 21, 117 (128 f.); v. 23.11.1988 – 2 BvR 1619,1628/83, BVerfGE 79, 127 (146 f.); HessVGH v. 27.5.2009 – 8 C 10/08, NVwZ 2009, 1305 (1306); VerfGH Rh.-Pf. v. 28.3.2000 – VGH NW 12/98, NVwZ 2000, 801; ferner bereits PrOVG 2, 186 (189 f.); 12, 155 (158). M. Ronellenfitsch/L. Ronellenfitsch
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„übertragenen Wirkungskreis“ sind die gemeindliche Auftragsverwaltung und die Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung angesiedelt3. 1. Freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben 4 Bei den freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben gibt es keine inhaltlichen Vorgaben durch staatliche Rechtsvorschriften. Innerhalb der Kompetenzgrenzen können sich die Gemeinden nach freiem Entschließungs- und Auswahlermessen betätigen, soweit ihre Leistungsfähigkeit dies zulässt. Beispiele für freie Selbstverwaltungsangelegenheiten sind die Unterhaltung von öffentlichen Einrichtungen der Daseinsvorsorge wie Versorgungs- und Verkehrsbetriebe, die Einrichtung kommunaler Sparkassen sowie im Sportbereich die Unterhaltung von Sportplätzen und Schwimmbädern oder im kulturellen Bereich der Betrieb von Theatern, Konzerthallen, Bibliotheken und Museen. 2. Pflichtige Selbstverwaltungsaufgaben 5 Bei den pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben ist bundes- oder landesgesetzlich bestimmt, dass die Kommunen diese Aufgaben erfüllen müssen. Die Art und Weise der Aufgabenerfüllung fällt in den eigenen Verantwortungsbereich der Gemeinden. Das Ermessen reduziert sich auf ein reines Auswahlermessen. Beispiele für pflichtige Selbstverwaltungsangelegenheiten sind die Bauleitplanung, Baulanderschließung, städtebauliche Sanierung und Wohnungsbauförderung, Abfall- und Abwasserbeseitigung, die Trägerschaft von Grundschulen, die Straßenbaulast und zahlreiche Aufgaben im Bereich der Jugend- und Sozialhilfe. 3. Auftragsverwaltung 6 Bei der Auftragsverwaltung bedient sich der Bund der Länder zur Erfüllung staatlicher Aufgaben. Nach dem Vorbild des § 2 Abs. 3 DGO gab es ursprünglich im ganzen Bundesgebiet Auftragsverwaltung. Nur wenige Bundesländer haben diesen Verwaltungstyp später aber auch beibehalten, sofern nicht Art. 85 GG Platz griff. Seit der Föderalismusreform I von 2006 darf der Bundesgesetzgeber den Gemeinden und Gemeindeverbänden keine Aufgaben mehr übertragen (Art. 84 Abs. 1 Satz 7 und Art. 85 Abs. 1 Satz 2 GG). Dies gilt nicht für altes Recht (Art. 125a GG). Eine bundesrechtlich angeordnete kommunale Auftragsverwaltung scheidet damit aus. Aus föderalem Blickwinkel ist das Mediatisierungsgebot zu begrüßen. Verwaltungspolitisch dürfte dieser Ansatz aber ebenso wenig
3 Die Unterschiede des dualistischen und monistischen Systems bleiben bei der Grobgliederung der kommunalen Aufgaben außer Betracht.
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A. Kommunale Aufgaben
Bestand haben wie das in Folge der verfehlten Entscheidung des BVerfG zu den Arbeitsgemeinschaften gem. § 44b SGB II4 zum Dogma erhobene Trennungsprinzip, das den Verfassungsgeber ohne Not zur Einfügung des Art. 91d GG zwang. 4. Pflichtaufgaben nach Weisung Die meisten Bundesländer wandelten die Auftragsangelegenheiten in 7 Pflichtaufgaben nach Weisung um. Bei diesem Verwaltungstyp werden staatliche Aufgaben von den Kommunen in der Funktion einer unteren staatlichen Verwaltungsbehörde wahrgenommen. Die staatlichen fachaufsichtlichen Weisungsbefugnisse sind aber mehr oder weniger beschränkt.
III. Aufgabenerfüllung Während im übertragenen Wirkungskreis auch die Art der Aufgabenerfül- 8 lung fremdbestimmt ist, so dass eine eigenständige privatwirtschaftliche Betätigung der Kommunen ausscheidet, umfasst „Regelung“ in Art. 28 Abs. 2 GG jede allgemein zulässige Art der Aufgabenerledigung. Die Erfüllung der Aufgaben im eigenen Wirkungskreis der Gemeinden und im Wirkungskreis der Gemeindeverbände muss somit nicht hoheitlich erfolgen. Die Regelung kann sich vielmehr in den Formen des öffentlichen oder des privaten Rechts, direkt oder indirekt durch Einschaltung Dritter, planerisch, spontan oder routinemäßig vollziehen5. Beispiel: Eine Gemeinde ist unbeschadet ihrer Eigenschaft als Trägerin hoheitlicher Gewalt berechtigt, die in ihrem Eigentum stehenden öffentlichen Straßen, Wege und Plätze gegen Entgelt etwa zu Zwecken der Außenwerbung Dritten zu überlassen6. Im eigenen Wirkungskreis kommt folglich generell auch eine privatwirtschaftliche Erfüllung gemeindlicher Aufgaben in Betracht. Die privatwirtschaftliche Aufgabenerfüllung der Kommunen ist eine Erscheinungsform der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand. Wirtschaftliche Betätigung bedeutet das Herstellen, Anbieten oder Verteilen von Gütern, Dienstleistungen oder vergleichbaren Leistungen, die ihrer Art nach auch mit der Absicht der Gewinnerzielung erbracht werden können (vgl. § 91 Abs.1 BbgKVerf). Die Hauptform der wirtschaftlichen Betätigung ist der Betrieb eines wirtschaftlichen Unternehmens durch die Gemeinde. Die Befugnis der Gemeinden zur privatwirtschaftlichen Betätigung unterliegt Schranken. Entscheidend ist, dass die privatwirtschaftli4 BVerfG v. 19.12.2007 – 1 BvR 620/07, BVerfGE 119, 309. 5 Schmidt-Aßmann, Kommunalrecht, in Schmidt-Aßmann/Schoch, Besonderes Verwaltungsrecht, Kapitel Kommunalrecht Rz. 19. 6 VGH BW v. 14.8.1992 – 10 S 816/91, NVwZ 1993, 903 (904). M. Ronellenfitsch/L. Ronellenfitsch
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che Betätigung der Erfüllung gemeindlicher Aufgaben dient. Der Aufgabenbezug kann aber mehr oder weniger eng sein. Für die privatwirtschaftliche Betätigung der Gemeinden bietet sich nicht nur die Errichtung, Übernahme oder Erweiterung von Einrichtungen oder Unternehmen oder die Beteiligung daran an, die den Bürgern unmittelbar zur Verfügung stehen. Beispiel: Stadttheater. Erfasst werden vielmehr auch diejenigen Aktivitäten, die den Bürgern nur mittelbar zugute kommen. Beispiel: Stadtgärtnerei; städtische Schreinerei. Schließlich sind privatwirtschaftliche Aktivitäten der Kommunen möglich, deren Nutzen für die Bürger in erster Linie darin besteht, Gewinne zu erzielen, um die finanzielle Situation zu verbessern, insbesondere um defizitäre Einrichtungen finanzieren zu können. 9 Die privatwirtschaftliche Tätigkeit der Kommunen stellt ein Bindeglied her zwischen Aufgabenerfüllung und Aufgabenfinanzierung.
IV. Aufgabenfinanzierung 1. Finanzbedarf 10 Neuralgischer Punkt kommunaler Selbstverwaltung ist die Finanzausstattung. Die Kehrseite der kommunalen Allzuständigkeit ist die Unbegrenztheit potentieller kommunaler Aufgaben, der aber nur begrenzte Einnahmemöglichkeiten gegenüberstehen. Nach Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG sind mit der kommunalen Selbstverwaltung die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung gewährleistet. Spezielle verfassungsrechtliche Vorgaben für das kommunale Finanzwesen ergeben sich aus Art. 106 Abs. 5–7 GG (Ertragshoheit der Gemeinden). Nach Art. 106 Abs. 5 und 5a i.V.m. Abs. 3 Satz 1 GG erhalten die Gemeinden einen Anteil an dem Aufkommen der Einkommens- und Umsatzsteuer, der von den Ländern auf der Grundlage der Einkommenssteuerleistungen ihrer Einwohner bzw. eines orts- und wirtschaftsbezogenen Schlüssels weiterzuleiten ist. Über die Grundsteuer, die Gewerbesteuer und die örtlichen Verbrauchs- und Aufwandsteuern haben die Gemeinden (bzw. nach Maßgabe der Landesgesetzgebung die Gemeindeverbände) nach Art. 106 Abs. 6 Satz 1 GG die volle Ertragshoheit. Für die Grundsteuer und Gewerbesteuern erkennt Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG den Gemeinden die Hebesatzberechtigung im Rahmen der Gesetze zu. Schließlich fließt nach Art. 106 Abs. 7 GG den Gemeinden und Gemeindeverbänden von dem Länderanteil am Gesamtaufkommen der Gemeinschaftssteuern (Art. 106 Abs. 3 Satz 1 GG) ein von der Landesgesetzgebung zu bestimmender Hundertsatz zu. 6
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A. Kommunale Aufgaben
Eine bestimmte Höhe der Steuererträge ist den Kommunen ebenso wenig 11 garantiert7 wie eine Vollabdeckung des kommunalen Finanzbedarfs8. Die Kommunen sind deshalb gezwungen, auch andere Einnahmequellen zu erschließen. 2. Öffentliche Abgaben Weitere Abgaben neben den vorstehend erwähnten Steuern sind Gebüh- 12 ren und Beiträge. Gebühren und Beiträgen ist gemeinsam, dass sie dem Vorteilsausgleich dienen („spezielle Entgeltlichkeit“). Gebühren steht eine konkrete Gegenleistung der Gemeinden gegenüber, die in der Vornahme einer Amtshandlung oder der Bereitstellung öffentlicher Einrichtungen oder Anlagen bestehen kann. Es gilt das Kostendeckungsprinzip, das in der Praxis aber (etwa aus sozialen Gründen) nur zu einem geringen Teil zur Kostendeckung beiträgt. Beiträge dienen der Deckung des Aufwands öffentlicher Einrichtungen der Gemeinden. Sie werden von denjenigen erhoben, denen die Einrichtungen Vorteil gewähren, unabhängig davon, ob die Einrichtung konkret genutzt wird. Auch die Beiträge sind regelmäßig nicht kostendeckend. 3. Erträge und Einnahmen aus privatwirtschaftlicher Betätigung Der gemeindliche Finanzbedarf wird schließlich gedeckt durch Ver- 13 mögenserträge, zu denen Erträge aus dem Finanzvermögen (Rücklagenentnahmen) und aus dem Anlagevermögen der wirtschaftlichen Unternehmen zählen. Hinzu kommen Erträge aus privatrechtlichen Rechtsgeschäften (z.B. Konzessionsverträge) und schließlich aus Vermögensveräußerungen9. Die tatsächliche Erzielung von Gewinnen ist zwar keine begriffliche Voraussetzung für das Vorliegen eines wirtschaftlichen Unternehmens (vgl. unten § 4 Rz. 4). Solche Unternehmen sollen gleichwohl „einen Ertrag für den Haushalt der Gemeinde abwerfen“10, „soweit das mit ihrer Aufgabe der Erfüllung des öffentlichen Zwecks in Einklang zu bringen ist“11.
V. Folgerung Die wirtschaftliche Betätigung ist für die Aufgabenerfüllung und -finanzierung der Gemeinden und Gemeindeverbände im eigenen Wirkungskreis unerlässlich. Sie mag zum „Wesen“ der kommunalen Selbstverwal-
7 BVerwG v. 11.6.1993 – 8 C 32.90, NVwZ 1994, 176 (177). 8 NdsStGH v. 15.8.1995 – StGH 2/93 u.a., DÖV 1994, 994 (995, 997). 9 Seewald, Kommunalrecht, in Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 1, Rz. 248. 10 § 102 Abs. 2 Halbs. 2 GemO BW. 11 § 149 NKomVG. M. Ronellenfitsch/L. Ronellenfitsch
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Voraussetzungen und historische Entwicklung
tung gehören, ist aber dennoch nicht unbeschränkt möglich. So ist der Bezug zur Aufgabenerfüllung zu beachten. Nur bei freiwilligen Aufgaben kann die wirtschaftliche Betätigung in einem „Freikauf“ von gemeindlichen Aufgaben einmünden (materielle Privatisierung; vgl. § 2 Rz. 13). Umgekehrt wirft die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden folgendes Problem auf: Einerseits ist die Gemeinde verpflichtet, für ihre Bürger Einrichtungen zu schaffen und die Grenze der Leistungsfähigkeit durch Gewinne aus wirtschaftlicher Tätigkeit zu verschieben. Andererseits soll die Gemeinde mit ihren Unternehmen nicht in eine Konkurrenzsituation zur privaten Wirtschaft treten. 15 Die Lösung des Problems versuchen die Kommunalgesetze in der Weise, dass sie bestimmte Formen der gemeindlichen wirtschaftlichen Tätigkeit von besonderen Voraussetzungen abhängig machen12. Hier findet gegenwärtig ein Erosionsprozess statt. Den Rahmen der einfachgesetzlichen Lösungsversuche stecken jedoch die verfassungs- und gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben ab (vgl. § 3), die eine rechtlich ungezügelte Entwicklung bei der privatwirtschaftlichen Betätigung der Gemeinden verhindern.
B. Entwicklungsphasen der privatwirtschaftlichen Betätigung der Kommunen I. Ursprünge 16 Während die Wurzeln öffentlicher Erwerbswirtschaft bis in die Antike zurückreichen13, nahm die heutige wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden mit der Industrialisierung ihren Ursprung, die Mitte des 19. Jahrhunderts begann. Zwischen 1871 und 1914 entwickelte sich Deutschland vom Agrarstaat mit industrieller Basis zum Industriestaat14. Parallel dazu verlief die Urbanisierung. 1871 hatten 74 % der Bevölkerung in Landgemeinden und Landstädten mit weniger als 2 000 Einwohnern gelebt. 1910 waren es noch 40 %. Der Bevölkerungsanteil der in Großstädten mit mehr als 100 000 Einwohnern Lebenden wuchs in diesem Zeitraum von 5 auf 20 %. Die technische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung stellte die Gemeinden vor neue Aufgaben. Gerade im lokalen Bereich erforderten die industriellen Produktionsverfahren eine adäquate Infrastruktur, die sich nicht nur auf Kommunikation und Transport beschränkte, sondern die Stadt als Wohngebiet der Industrie-
12 Seewald, Kommunalrecht, in Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 1, Rz. 267 sowie unten § 4. 13 Vgl. M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Grundriss der Sozialökonomie, Band 3, 1921, S. 743. 14 Ambrosius, Der Staat als Unternehmer, S. 12.
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B. Entwicklungsphasen der privatwirtschaftlichen Betätigung der Kommunen § 1
arbeiterschaft erschloss15. Unter der Prämisse, dass den Bürgern durch die Ausweitung der kommunalen Aufgabenfelder kein finanzieller Nachteil erwachsen dürfe und die Gemeindewirtschaft sich selbst tragen müsse (Überschussfinanzierung statt Finanzierung aus Steuermitteln), wurde die Infrastruktur im Wege der kommunalen Wirtschaftstätigkeit sukzessiv aufgebaut16.
II. Entwicklungsstufen Fuchs unterschied 1922 sechs Entwicklungsstufen der Gemeindewirt- 17 schaft17. Als erstes wurde die kommunale Wasserversorgung eingerichtet, die zuvor in Händen privater Unternehmer gelegen hatte (1. Stufe). Vorreiter war, veranlasst durch das Feuer von 1842 und Choleraepidemien, die Stadt Hamburg im Jahr 1849. Die übrigen Kommunen folgten nach 187018. Ebenfalls in den Siebziger Jahren begann mit der Errichtung von Schlachthäusern eine forcierte kommunale Gesundheitspflege, die auch die Übernahme der Abwasserbeseitigung, Straßenreinigung, Müllabfuhr und des Friedhofs- und Bestattungswesens, sowie die Einrichtung von Badeanstalten, Markthallen und Krankenhäusern umfasste (2. Stufe). 1880 setzte die Errichtung der kommunalen Gaswerke ein (3. Stufe)19. Hier blieb jedoch die Privatwirtschaft in großem Umfang vor allem auf dem Gebiet der Gaserzeugung und -verteilung tätig. Etwa zeitgleich kam es zur Gründung kommunaler Unternehmen der Elektrizitätswirtschaft (4. Stufe)20. Dort dominierten von vornherein kommerzielle Erwägungen. Rentabilität versprachen nur Unternehmen mit größeren Versorgungsgebieten, was zu überregionalen Organisationsformen unter privater Kapitalbeteiligung führte (Beispiel Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk-AG). Einen gewissen Abschluss der Entwicklung stellt der Ausbau des kommunalen Nahverkehrs dar (5. Stufe)21. Seit der Wende vom 19.
15 Ambrosius, Der Staat als Unternehmer, S. 38. 16 Vgl. Hettlage, Die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden, 1935; Köttgen, Die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden, in Busse, Festschrift 150 Jahre Deutscher Juristentag , S. 577 ff. 17 Brix/Lindemann/Most/Preuss/Südekum, Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften, Band 2, 1922, S. 242 ff. Der Sonderweg des auf einer bis ins 18. Jahrhundert zurückgehende Tradition beruhenden öffentlichen Sparkassenwesens ist dabei unberücksichtigt. 18 Rath, Die Hygiene der Stadt im 19. Jahrhundert, in Artelt u.a., Städte-, Wohnungs- und Kleidungshygiene des 19. Jahrhunderts in Deutschland, S. 52 ff. 19 Wehrmann, Die Entwicklung der deutschen Gasversorgung von ihren Anfängen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, Diss.; Depenbrock, Die Stellung der Kommunen in der Versorgungswirtschaft. 20 Brüggeln, Die Entwicklung der öffentlichen Elektrizitätswirtschaft in Deutschland, 1931. 21 Vgl. Dienel/Schmucki, Mobilität für alle. Geschichte des öffentlichen Personennahverkehrs in der Stadt zwischen technischem Fortschritt und sozialer M. Ronellenfitsch/L. Ronellenfitsch
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Voraussetzungen und historische Entwicklung
zum 20. Jahrhundert erfolgte eine weitgehende Kommunalisierung der Straßenbahnen und Buslinien22. Nach dem Ersten Weltkrieg nahm die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden sprunghaft zu (6. Stufe). Die Gemeinden mussten als Reaktion auf die Folgen des Zusammenbruchs und der Notlage der Bevölkerung Einrichtungen schaffen, die mit der bisherigen kommunalen Betätigung wenig zu tun hatten (Handwerksbetriebe, Lebensmittelversorgung). Man sprach vom Gemeindesozialismus23 und war sich schon zu Zeiten der Weimarer Republik einig, dass die ausufernde wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden wieder beseitigt werden sollte24. 18 Die Konsequenzen zogen nach landesrechtlichen Vorläufern25 die Deutsche Gemeindeordnung vom 30.1.1935 (DGO)26 und die Eigenbetriebsverordnung vom 21.11.1938 (EBV)27. Die Motive der die wirtschaftliche Betätigung einschränkenden Vorschriften28 mögen sich gewandelt haben – § 67 DGO diente wohl kaum dem Schutz der privaten Konkurrenz29, sondern lediglich der kommunalen Risikominimierung – dennoch boten die Regelungen Anknüpfungspunkte für die Entwicklung nach 1945.
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Pflicht; Matzerath, Stadt und Verkehr im Industriezeitalter, 1996; Ambrosius, Zurück zu den Anfängen? Die institutionelle Entwicklung des öffentlichen Nahverkehrs bis zum Zweiten Weltkrieg unter der Perspektive der aktuellen Regionalisierung, in Püttner, Der regionalisierte Nahverkehr, S. 11 ff.; Ronellenfitsch, Der ÖPNV im europäischen Binnenmarkt, 1. Teil, VerwArch 2001, 131 ff. (133 ff.). Zwar wurden bereits auf besonders verkehrsreichen Strecken Linien von privaten Unternehmern betrieben. Jetzt zwang aber die rasche Urbanisierung und die damit einhergehende Notwendigkeit der Bevölkerung, größere Entfernungen zwischen Wohnung und Arbeitsplatz zu überwinden, die Kommunen, entferntere Stadtteile und Vororte mit Nahverkehrsmitteln zu verbinden. Beispiele bei Krabbe, Kommunalpolitik, S. 261 ff. Ursächlich für diese Entwicklung waren der Bedeutungsrückgang der Liberalen nach 1918, die Sozialisierungstendenzen zu Beginn der Weimarer Republik und die Erzbergersche Finanzreform, die die Gemeinden zur Erschließung neuer Geldquellen nötigte. Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrecht, 8. Aufl. 1928, S. 126 Fn. 12 rügte einen Verstoß gegen die nur reichsrechtlich zu regelnde Gewerbefreiheit. Art. 61 BayGO vom 17.10.1927 (GVBl. S. 293); Art. 139 WürttGO vom 19.3.1930 (RegBl. S. 45); § 87 Preußisches Gemeindefinanzgesetz vom 15.12.1933 (GS S. 442). Reichsrechtliche Vorläufer waren die Notverordnungen vom 6.10.1931 (RGBl. I S. 437) und vom 30.3.1933 (RGBl. I S. 180). RGBl. I S. 49. EBV vom 21.11.1838 (RGBl. I S. 1650). Vgl. unten § 4 Rz. 7, 10. Die DGO wurde nicht von ungefähr als „Grundgesetz des nationalsozialistischen Staates“ bezeichnet, das sich gegen das Selbstverwaltungsverständnis als „liberales Bollwerk“ richtete; vgl. Köttgen, Deutsche Verwaltung, 3. Aufl. 1944, S. 74 ff. (75).
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§1
C. Aktuelle Situation
Der Nachkriegsgesetzgeber sah daher keinen Anlass zu grundlegenden 19 Rechtsänderungen. Die tatsächliche Entwicklung ging dahin, dass mehr und mehr Gemeinden privatrechtlichen Organisationsformen den Vorzug gaben und Eigenbetriebe in Eigengesellschaften umwandelten30. Dies war aber nur eine Variante der zyklisch auftretenden Privatisierungswellen. Gravierendere Änderungen der überkommenen Strukturen erfolgten gegen Ende des letzten Jahrhunderts vor dem Hintergrund der Finanzknappheit der Kommunen. Auf die Finanzkrise konnte in unterschiedlicher Weise reagiert werden, nämlich durch
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– Leistungsabbau, – Privatisierung, – Rationalisierung und – Ausweitung der Kommunalwirtschaft in ertragreiche Geschäftsfelder31. Ohne klares Gesamtkonzept wurden alle Wege bisweilen gleichzeitig beschritten. Vor allem im Zuge der allgemeinen Privatisierungsdiskussion geriet das kommunale Wirtschaftsrecht in den 1990er Jahren in Bewegung32. Viele Kommunen erprobten auch das sog. Neue Steuerungsmodell, das privatwirtschaftliche Tätigkeiten der Gemeinden strukturell begünstigt, sich freilich nie vollständig durchsetzte, aber gleichwohl die aktuelle Situation mitprägt.
C. Aktuelle Situation I. Neues Steuerungsmodell Kernpunkt des insbesondere von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle 21 (KGSt) entwickelten - mittlerweile nicht mehr so neuen - Neueren Steuerungsmodells33 ist die Veränderung des Steuerungssystems der gemeindli30 Vgl. Altenmüller, VBlBW 1984, 61 ff.; s.a. Schönershofen/Binder-Falcke, VR 1997, 109 ff. 31 Ehlers, DVBl 1998, 497 ff. (497). 32 Knemeyer/Kempen, Kommunales Wirtschaftsrecht, in Achterberg/Püttner/ Würtenberger, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 2, Rz. 14; vgl. auch Britz, NVwZ 2001, 380 ff. 33 KGSt, Das Neue Steuerungsmodell: Begründung, Konturen, Umsetzung, Bericht/1993, S. 7 ff.; KGSt, Das Neue Steuerungsmodell, Erste Zwischenbilanz, Bericht 10/1995, S. 7 ff.; KGSt, Das Verhältnis von Politik und Verwaltung im Neuen Steuerungsmodell, Bericht 10/1996, S. 7 ff.; KGSt, Rahmenregeln bei dezentraler Ressourcen- und Ergebnisverantwortung, Bericht 4/2000; Otting, Neues Steuerungsmodell und rechtliche Betätigungsspielräume der Kommunen; von Mutius, Neues Steuerungsmodell in der Kommunalverwaltung, in Burmeister u.a., Verfassungsstaatlichkeit, FS für Stern, S. 685 ff.; C. Meyer, M. Ronellenfitsch/L. Ronellenfitsch
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Voraussetzungen und historische Entwicklung
chen Aufgabenerfüllung. Durch die Zusammenführung von dezentraler Fach- und Ressourcenverantwortung soll eine „outputorientierte“ Leistungserbringung erfolgen, bei der die nachgefragten Leistungen in „Produkte“ zusammengefasst werden. Für jeden Fachbereich („Produktbereich“) wird festgelegt, wie die Erstellung der Produkte zu finanzieren ist (produktbezogene Budgets). Der Zwang, im Rahmen der ggf. kontraktierten34 zentralen Vorgaben mit dem zur Verfügung gestellten Budget eigenverantwortlich zu wirtschaften, ist Anreiz für die Erzielung eigener Einnahmen. Einnahmen lassen sich aber nur erzielen, wenn sich die Kommunen im Wettbewerb mit Privatunternehmern durchsetzen können. Dies erforderte einen Mentalitätswandel der kommunalen Mitarbeiter. 22 Das Selbstverständnis als Manager schienen viele kommunale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter rasch verinnerlicht zu haben; denn bei vielen Kommunen war so etwas wie eine Goldgräbermentalität festzustellen35. Die Kommunalwirtschaft boomte36 so sehr, dass mit Blick auf niederländische Eigentümlichkeiten (Tiburger Stadtunternehmensmodell)37 der Slogan „Unternehmen Rathaus“ aufkam. Jede unternehmerische Betätigung ist auf Expansion ausgelegt. Die örtliche Radizierung des gemeindlichen Tätigkeitsfeldes wird zunehmend als Hemmnis empfunden.
II. Ausdehnung des gemeindlichen Wirkungskreises 23 Einen rechtlich brisanten Teilaspekt der Zunahme kommunaler privatwirtschaftlicher Tätigkeiten stellt die Ausdehnung des gemeindlichen Wirkungskreises dar. Seit einiger Zeit wird der räumliche Aktionsradius der Gemeinden mit stillschweigender Billigung der Kommunalaufsichtsbehörden unter einfachgesetzlichem Nachvollzug38 ausgeweitet. Eine Mindermeinung im Schrifttum rechtfertigt dies mit der Begründung, nur
34 35 36 37 38
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New Public Management als neues Verwaltungsmodell: staatsrechtliche Schranken und Beurteilung neuer Steuerungsinstrumente; Bernhardt, Neuorganisation der staatlichen Aufgabenerfüllung, Anspruch und Leistungsfähigkeit des New Public Management: dargestellt am Beispiel des Straßenunterhaltungs- und Betriebsdienstes; Mehde, Neues Steuerungsmodell und Demokratieprinzip; Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, S. 61 ff.; Pünder, DÖV 2001, 70 ff.; Praktische Umsetzung bei Hopp/Göbel, Management in der öffentlichen Verwaltung. Allgemeiner: Schliesky, NordÖR 2012, 57 ff.; Schmidt, DÖV 2008, 760 ff. Zu den Zielvereinbarungen zwischen Politik und Verwaltung Pünder, DÖV 1998, 63 ff.; Schmidt, DÖV 2008, 760 ff.; kritisch auch Wallerath, DÖV 1997, 57 ff. Ehlers, DVBl 1998, 497 ff. (498). Ruffert, VerwArch 2001, 27 ff. (27). Hierzu zutreffend Laux, DÖV 1993, 523 f. § 102 Abs. 1 und 7 GemO BW; Art. 87 Abs. 3 BayGO; § 121 Abs. 1und 5 HGO; § 107 Abs. 3 GO NW; § 85 Abs. 1 und 2 GemO Rh.-Pf.; § 71 Abs. 1 ThürKO.
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C. Aktuelle Situation
hoheitliches Handeln der Gemeinde setze Kompetenzen voraus39. Wie gezeigt (vgl. Rz. 1 mit Fn. 1), ignoriert diese Auffassung elementare organisationsrechtliche Grundlagen. Die gemeindliche Kompetenz erfasst nur die Erfüllung eigener Aufgaben, und dies sind grundsätzlich nun einmal die Aufgaben des örtlichen Wirkungskreises. Das schließt die gemeinsame Erledigung der Aufgaben mit anderen kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften auf überörtlicher Basis nicht aus40. Beispiel: Verkehrsverbund; lokaler Umweltschutz. Unzulässig sind jedoch wirtschaftliche Aktivitäten auf dem Boden von 24 anderen Gemeinden gegen deren Willen, für die schon bezeichnende Formulierungen wie „Feindliche Übernahme“ oder „Kannibalismus“ aufgekommen sind41. Der einfache Gesetzgeber kann nur eingeschränkt Kompetenzerweiterun- 25 gen schaffen; denn durch Befugnisnormen zur räumlichen Expansion der Kommunalwirtschaft der Stammgemeinde darf die verfassungsrechtlich geschützte Position der Zielgemeinden nicht verkürzt werden42.
III. Kritik und Folgerung Ob das Neue Steuerungsmodell völlig gescheitert ist, lässt sich gegenwär- 26 tig noch nicht abschließend beurteilen. Es hat jedenfalls die mit ihm verbundenen Erwartungen nicht erfüllt. Dies aus gutem Grund. Die neuere Kommunalphilosophie sieht die Stadt bereits als Konzern. Verfassungs- und kommunalrechtlich ist der „Konzern Stadt“ ein Hirngespinst. Die Gemeinden sind von Verfassungs wegen Träger der mittelbaren Staatsverwaltung. Als solche haben sie öffentliche Aufgaben zu erfüllen. Die kommunale Selbstverwaltung ist kein reines Dienstleistungsgewerbe. Die Gemeinden betätigen sich auch privatwirtschaftlich nicht 39 Vgl. etwa Wieland in SPD-Landtagsfraktion NRW, Wirtschaftliche Betätigung der Kommunen, S. 8 ff.; Wieland., Kommunalwirtschaftliche Betätigung unter veränderten Wettbewerbsbedingungen, in Hennecke, Optimale Aufgabenerfüllung im Kreisgebiet?, 1999, S. 193 ff.; Wieland, NWVBl. 2000, 246 f. (248). Im Ergebnis ähnlich OLG Düsseldorf, v. 12.1.2000 – Verg 3/99; NVwZ 2000, 714 ff.; Otting, Neues Steuerungsmodell und rechtliche Betätigungsspielräume der Kommunen, S. 198 f.; N. Schulz, BayVBl. 1998, 449 ff. (451 f.); ferner Held, NWVBl. 2000, 210 ff. (202); Karst, DÖV 2002, 809 ff. 40 Zum Leistungs- und Verwaltungsverbund Blümel, VVDStRL 36 (1978), 171 ff. (238 ff.). 41 Tettinger/Erbguth/Mann, Besonderes Verwaltungsrecht Band 1, Rz. 301 42 Vgl. Ehlers, DVBl 1998, 497 ff. (503 f.); Katz, DNV 1999, 21 ff. Grawert, Zuständigkeitsgrenzen der Kommunalwirtschaft, in Grupp/Ronellenfitsch, FS für Blümel, S. 119 ff. (127 ff.); F. Becker, DÖV 2000, 1032 ff.; Heintzen, NVwZ 2000, 743 ff.; Oebecke, ZHR 164 (2000), 375 ff.; Kühling, NJW 2001, 177 ff. Ruffert, VerwArch 2001, 27 ff. (34 f.); s. auch BVerwG v. 1.5.1995 – 7 C 58.94, BVerwGE 98, 273 (275 f.). M. Ronellenfitsch/L. Ronellenfitsch
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Voraussetzungen und historische Entwicklung
wie Privatrechtssubjekte in Ausübung ihrer Privatautonomie, sondern als Bestandteil der Verwaltung43. „Benchmarking“44 und „outputorientierte“ Sichtweise sind gewiss hilfreich. Es besteht aber die Gefahr, dass die Gemeinden ihren Tätigkeitsbereich sachlich und räumlich (nur) dort ausweiten, wo dies kommerziell interessant ist. Überzogene Vorstellungen rufen zwangsläufig Gegenreaktionen hervor45, welche der gebotenen Fortentwicklung der kommunalen Wirtschaftstätigkeit unnötige Hindernisse bereiten. Über kurz oder lang treffen privatwirtschaftliche Tätigkeiten der Gemeinden auf (materielle) Privatisierungsforderungen, die als Gegenbewegung die Forderung nach Rekommunalsierung provozieren.
IV. Statistik 27 Die Bedeutung der wirtschaftlichen Tätigkeit der Gemeinden erschließt sich aus folgenden Angaben: Ausgaben, Einnahmen und Schulden der kommunalen Haushalte 2009/2008 Ausgaben
Einnahmen
Veränderung
177 194
167 197
+ 6,0
Personalausgaben
44 270
42 211
+ 4,9
Laufender Sachaufwand
36 438
34 511
+ 5,6
4 384
5 156
– 15,0
343 036
40 438
+ 6,4
Soziale u.ä. Leistungen
40 325
38 435
+ 4,9
Sachinvestitionen
21 860
20 755
+ 5,3
Baumaßnahmen
16 840
15 738
+ 7,0
5 021
5 017
+ 0,1
Schulden Mio. Euro % Ausgaben darunter:
Zinsausgaben Laufende Zuweisungen an öffentlichen Bereich
Erwerb von Sachvermögen
43 Berg, WiVerw 2000, 141 ff. (146); Hösch, WiVerw 2000, 159 ff. (177). 44 Interkommunale Leistungsvergleiche werden seit Beginn der 1990er Jahre betrieben. Für März 2000 gab die KGSt 79 Vergleichsringe zu 36 Themen mit 400 Teilnehmern an. Daneben stehen 25 kommunale Benchmarking-Ringe, die von der Bertelsmann-Stiftung betreut werden und eine Vielzahl ungezählter Vergleichsringe. In Hessen erfolgt eine kontinuierliche überörtliche Prüfung durch den Landesrechnungshof, in Rheinland-Pfalz ein landesweiter Kostenvergleich kommunaler Abfallwirtschaftsbetriebe durch das Ministerium für Umwelt und Forsten, in Schleswig-Holstein findet ein interkommunaler Kosten- und Leistungsvergleich am Beispiel eines ausgabenorientierten Kennzahlenvergleichs in 40 Kommunalverwaltungen statt; vgl. Die Bundesregierung (Hrsg.), Moderner Staat-Moderne Verwaltung, 2001, S. 12. 45 S. 494. Weitere Nachweise bei Ehlers, DVBl 1998, 497 ff. (498); Grawert, Zuständigkeitsgrenzen der Kommunalwirtschaft, in Grupp/Ronellenfitsch, FS für Blümel, S. 120.
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C. Aktuelle Situation
Ausgaben Darlehensgewährungen Erwerb von Beteiligungen Einnahmen
Einnahmen
Veränderung
705
497
+ 42,0
3 694
1 074
+ 244,0
170 024
174 895
– 2,8
62 386
70 390
– 11,4
9 732
8 526
+ 14,1
391 636
87 091
+ 5,2
15 770
15 693
+ 0,5
darunter: Steuern und steuerähnliche Abgaben Einnahmen aus wirtschaftlicher Tätigkeit Laufende Zuweisungen vom öffentlichen Bereich Gebühren u.ä. Entgelte Veräußerung von Beteiligungen
614
594
+ 3,3
– 7 176
7 710
X
Nettokreditaufnahme
– 884
– 3 077
X
Schuldenaufnahme
8 484
6 771
+ 25,3
Schuldentilgung
9 368
9 848
– 4,9
Kreditmarktschulden
75 054
76 381
– 1,7
Kassenverstärkungskredite
34 870
29 801
+ 17,0
Finanzierungssaldo
Stand der Schulden am 31. Dezember
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§2 Neuere Diskussion: Privatisierung und Rekommunalisierung von Prof. Dr. Michael Ronellenfitsch Rz. A. Diskussionsstand . . . . . . . . 1 I. Ausgangslage: Daseinsvorsorge im Wettbewerb . . . . . . . . . 1 1. Nationales Recht . . . . . . . 3 2. Gemeinschaftsrecht . . . . . 6 II. Aktuelle Situation . . . . . . . 12 B. Unterscheidungen . . . . . . . . I. Begriffsbildung . . . . . . . . . . II. Erscheinungsformen . . . . . . 1. Vermögensprivatisierung . . 2. Aufgabenprivatisierung . . . 3. Organisationsprivatisierung . III. Folgerung . . . . . . . . . . . . .
14 14 15 15 16 17 18
Rz. C. Formelle und materielle Privatisierung . . . . . . . . . . . . . 19 I. Formelle Privatisierung . . . . 19 II. Materielle Privatisierung . . . . 20 D. Einbeziehung Privater in die öffentliche Aufgabenerfüllung . I. Verwaltungshilfe und Beleihung . . . . . . . . . . . . . . . II. Privatfinanzierung kommunaler Aufgaben . . . . . . . . . . . III. Sonstige Formen von „Public Private Partnerships“ . . . . . . IV. Rekommunalisierung . . . . . .
21 21 23 24 25
Literatur: Arnim, von, Rechtsfragen der Privatisierung – Grenzen staatlicher Wirtschaftstätigkeit und Privatisierungsgebote, 1995; Baudenbacher u.a. (Hrsg.), Ein Leben in Praxis und Wissenschaft: Festschrift für Barfuss, 2002; Bauer, Zukunftsthema „Rekommunalisierung“ DÖV 2012,329 ff.; Bauer, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), 243 ff.; Blanck, Privatisierung öffentlicher Aufgaben: Ordnungs- und wirtschaftspolitische Notwendigkeit auch im kommunalen Bereich, KPBl. 1993, 512 ff.; Blanke, Kommunale Selbstverwaltung und Daseinsvorsorge nach dem Unionsvertrag von Lissabon, DVBl 2010, 1333 ff.; Blümel/Doehring/Klein (Hrsg.), Kolloquium aus Anlass des 100. Geburtstags von Prof. Dr. Dr. h. c. Ernst Forsthoff, 2003; Bull, Privatisierung öffentlicher Aufgaben, VerwArch 1995, 621; Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, 1999; Burgi, Gutachten zum 67. DJT, Band I, 2008; Brüning, (Re-) Kommunalisierung von Aufgaben aus privater Hand - Maßstäbe und Grenzen, VerwArch 2009, 453 ff.; Brüning, Der Private bei der Erledigung kommunaler Aufgaben insbesondere bei der Abwasserbeseitigung und der Wasserversorgung, 1997; Candelas u.a. (Hrsg), Krise der Privatisierung - Rückkehr des Öffentlichen, 2009; Classen u.a. (Hrsg.); „In einem vereinten Europa dem Frieden der Welt dienen...“, Festschrift für Oppermann, 2001; Cremer, Kommunalisierung als Element der Verwaltungsreform, VerwArch 2011, 242 ff.; Cremer/Giegerich/Richter/Zimmermann, Tradition und Weltoffenheit des Rechts: Festschrift für Helmut Steinberger (Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht), 2001; Dierkes, Materielle Privatisierung der Abwasserbeseitigung, SächsVBl. 1996, 269 ff.; Dohms, Die Bedeutung des Art. 86 n.F. (= Art. 90 a.F.) EGV für die wettbewerbsrelevanten Vorschriften des EGVertrags, Diss. FU Berlin, 1999; Ennuschat, Die neue Mitteilung der EU-Kommission zu den „Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa“, RdE 2001, 46 ff.; Erbguth,
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§2
Literatur
Die Zulässigkeit der funktionalen Privatisierung im Genehmigungsrecht, UPR 1995, 369 ff.; Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938; Forsthoff, Rechtsfragen der leistenden Verwaltung“, 1959, zit. Autor, Rechtsfragen; Frenz, Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, EuR 2000, 901 ff.; Galle, Die Einschaltung privater Unternehmer in die kommunale Abfallentsorgung, 1997; Geiger, EUV/EGV, 4. Aufl. 2004; Gern, Privatisierung in der Kommunalverwaltung, 1997; Gern, Privatisierung in der Kommunalverwaltung, 1997; Geßner/Jansen, Kommunen und Stromkonzessionsverträge: Drum prüfe, wer sich ewig bindet? LKV 2011, 450 ff.; Gröpl, Neue Wege zur Verwaltung staatlichen Vermögens?, DStT 1999, 113; Guislain, Les privatisations: un défi stratégique juridique et institutionnel, Brüssel, 1995; Gusy, Privatisierung von Staatsaufgaben, 1998; Harms, Daseinsvorsorge im Wettbewerb, 2001; Hecker, Anstaltsrechtliche, demokratiestaatliche und privatisierungstheoretische Überlegungen am Beispiel der Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe (BWB), VerwArch 2001, 261 ff.; Held/Fenzel, Der Konzessionsvertrag als Königsweg? – Maximierung der kommunalen Einnahmen ggf. auch über die Rekommunalisierung LKV 2010, 19; Hennecke, Kommunale Aufgaben und Strukturen im europäischen Bundesstaat, 2011; Heuer, Privatwirtschaftliche Wege und Modelle zu einem modernen (anderen?) Staat - Kritische Überlegungen zu Veränderungen in den staatlichen Strukturen aus der Sicht der Finanzkontrolle, DÖV 1995, 85 ff.; Hoffmann-Riem/J.-P. Schneider (Hrsg.), Verfahrensprivatisierung im Umweltrecht, 1996; Hofmann, Privatisierung kommunaler Verwaltungsaufgaben, VBlBW 1994, 121 ff.; J. Ipsen (Hrsg.), Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 1994; Ipsen, Jörn / Schmidt-Jortzig, (Hrsg), Recht, Staat, Gemeinwohl: Festschrift für Dietrich Rauschning, 2001; Isensee/Lecheler, Freiheit und Eigentum, Festschrift für Leisner,1999; Kämmerer, Daseinsvorsorge als Gemeinschaftsziel oder: Europas „soziales Gewissen“, NVwZ 2002, 1041 ff.; Kämmerer, Privatisierung, 2001; Koenig, Daseinsvorsorge durch Wettbewerb!, EuZW 2001, 481 ff.; König/Benz (Hrsg.), Privatisierung und staatliche Regulierung, 1996; Klowait, Die Beteiligung Privater an der Abfallentsorgung, 1995; Krölls, Rechtliche Grenzen der Privatisierungspolitik, GewArch 1995, 129 ff.; Lenk/Hesse/Rottmann, Privatisierung und Rekommunalisierng der Wasserversorgung aus theoretischer und empirischer Perspektive, IR 11/2010, 293–297; Libbe/Hanke, Rekommunalisierung - neue Wege der öffentlichen Daseinsvorsorge, Gemhlt 2011,108 ff; Ludwig, Privatisierung staatlicher Aufgaben im Umweltschutz, 1998; Magiera/ Sommermann, Daseinsvorsorge und Infrastrukturleistungen, Symposium zu Ehren von Willi Blümel zum 80. Geburtstag, 2009; Mayen, Privatisierung öffentlicher Aufgaben: Rechtliche Grenzen und rechtliche Möglichkeiten, DÖV 2001, 110 ff.; Mehde, Privatisierung des Rechtsstaats. Staatliche Infrastruktur, 2008; Miert, van, La Conférence intergouvernementale et la politique communautaire de concurrence, (EC) Competition Policy Newsletter 1997, Nr. 2, S. 1 ff.; Mombaur (Hrsg.), Privatisierung in Städten und Gemeinden, 1994; Nettesheim, Europäische Beihilfeaufsicht und mitgliedschaftliche Daseinsvorsorge, EWS 2002, 253 ff.; Osterloh/ Bauer, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1995), 204 ff., 243 ff.; Papier, Kommunale Daseinsvorsorge, DVBl 2003, 68 ff.; Püttner, Daseinsvorsorge und Wettbewerb von Stadtwerken, DVBl 2010, 1189 ff.; Rehak/Bell, Vergaberecht und kommunale Privatisierung der Abfallentsorgung, LKV 2001, 185 ff.; Rodriguez, Les Services Publics et le Traité d’Amsterdam, 1998; Ronellenfitsch, Voraussetzungen und Grenzen neuer Liegenschaftsmodelle bei der Verwaltung staatlichen Vermögens in der Bundesrepublik Deutschland, Seoul 2001; Ronellenfitsch, Staat und Markt: Rechtliche Grenzen einer Privatisierung kommunaler Aufgaben, DÖV 1999, 705 ff.; Ronellenfitsch, Schranken einer Privatisierung der staatlichen Unfalluntersuchung im Bereich der Eisenbahn, NVwZ 1998, 1021 ff.; Ronellenfitsch, Allgemeine Betrachtungen zur Verkehrsüberwachung durch Private, DAR 1997, 147 ff.; Schink, Kommunale Daseinsvorsorge in Europa, DVBl 2005, 861 ff.; Schmehl, Teilprivatisierung der Daseinsvorsorge, Demokratieprinzip Ronellenfitsch
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Neuere Diskussion: Privatisierung und Rekommunalisierung
und Gewinnerzielungsmaxime – BerlVerfGH, NVwZ 2000, 794, JuS 2001, 233 ff.; Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung und „schlankem“ Staat, 1999; Schwarze, Daseinsvorsorge im Lichte des europäischen Wettbewerbsrechts, EuZW 2001, 334 ff.; Seele, Die Privatisierung kommunaler Dienste und Leistungen, NdsVBl. 1995, 217 ff.; Stewing, Wirtschaftliche und rechtliche Aspekte bei der Finanzierung öffentlicher Objekte durch Private, BauR 1991, 703; Storr, Zwischen überkommener Daseinsvorsorge und Diensten von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, DÖV 2002, 357 ff.; Tettinger (Hrsg.), Rechtlicher Rahmen für Public-Private-Partnerships auf dem Gebiet der Entsorgung, 1994; Thimet, „Rekommunalisierung“ und Finanzierung der Wasserversorgung nach Kommunalabgabenrecht, KommunalPraxis spezial 2010,150 ff.; C. Völmicke, Privatisierung öffentlicher Leistungen in Deutschland, 1996; Weidemann, Deregulierung und kommunales Wirtschaftsrecht, DVBl 2000, 1571 ff; Wilke, Öffentliche Energieversorgung bei auslaufenden Konzessionsverträgen, NordÖR 2011, 431ff; Wolfers, Privatisierung unter Wahrung der öffentlich-rechtlichen Rechtsform der Modellfall Berliner Wasserbetriebe, NVZ 2000, 765; Zeiss, Private Vorfinanzierung öffentlicher Infrastruktur, NVwZ 1998, 467; Zeiss, Privatfinanzierung staatlicher Infrastruktur, Diss. Bonn 2000.
A. Diskussionsstand I. Ausgangslage: Daseinsvorsorge im Wettbewerb 1 Die Industrienationen haben sich auf allen Ebenen an ihren Aufgaben übernommen. Überall zwingt schon seit einiger Zeit die Finanzlage zu Abhilfemaßnahmen. In diesem Zusammenhang kam es immer wieder zu Privatisierungswellen. Vorreiter der letzten Privatisierungswelle war Großbritannien. Britischen Vorbildern verdanken wir nicht nur die Citizen’s Charter, sondern die – in vielen Bereichen abstruse – Vorstellung vom Bürger als Kunden der Verwaltung. Wo die öffentliche Hand durch ihre Verwaltung dagegen Leistungen erbringt, spricht zunächst manches für diese Sichtweise. Dem Bürger als Kunden ist es gleichgültig, wer ihm Leistungen erbringt. Entscheidend sind Kosten und Qualität der Leistung. Hier ist auch Wettbewerb nützlich. Besteht die Erbringung der Leistung oder jedenfalls die Gewährleistung der Leistungserbringung jedoch in der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe, stoßen Wettbewerb und Privatisierung auf ihre rechtlichen Grenzen. 2 Bei der Daseinsvorsorge ist der Wettbewerb aber nur Instrument der optimalen Aufgabenerfüllung und nicht Anwendungsfall marktwirtschaftlicher Ordnungsprinzipien wie Privatautonomie und Gewinnmaximierung1.
1 Zum Folgenden Ronellenfitsch, Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff, in Blümel/ Doehring/Klein, Kolloquium zum 100. Geburtstag von Forsthoff, pass. ab S. 53 ff.
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A. Diskussionsstand
1. Nationales Recht Bereits als Forsthoff den Ausdruck „Daseinsvorsorge“2 in die Rechtwis- 3 senschaft einführte, erfasste die auf die Eingriffsverwaltung zugeschnittene Dogmatik des Verwaltungsrechts nur noch einen Teil der Verwaltungswirklichkeit. Der effektive Lebensraum des Menschen war gewachsen, der beherrschte Lebensraum geschrumpft. Dadurch war nach Forsthoff eine Lage entstanden, in welcher die existenznotwendigen Lebensgüter nicht durch die Nutzung eigener Sachen, sondern im Wege der Appropriation zugänglich gemacht werden mussten. Die „Veranstaltungen“ zur Befriedigung der Appropriationsbedürfnisse nannte Forsthoff Daseinsvorsorge3. Bei der staatlichen Daseinsvorsorge stellt sich die Frage der Teilhabe. Sie ist dahingehend zu beantworten, dass auch die Daseinsvorsorge – gleichgültig, in welcher Rechtsform sie erfolgt – öffentliche Verwaltung ist und damit öffentlich-rechtlichen Bindungen unterliegt. Diese rechtliche Konsequenz macht die Daseinsvorsorge zum Rechtsbegriff. Trotz der geringen Konturenschärfe setzten sich Begriff und Konzeption 4 der Daseinsvorsorge nach dem Krieg jedenfalls in der Praxis, durch, fanden in der Rechtsprechung namentlich des BVerfG ihren Niederschlag4 und wurden vom Gesetzgeber aufgegriffen. So ist nach § 1 Abs. 1 Regionalisierungsgesetz5 „die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im ÖPNV“ eine Aufgabe der Daseinsvorsorge. Das ist kein unverbindlicher Programmsatz, sondern eine Rechtspflicht, der man sich nicht unter Berufung auf die angebliche Konturlosigkeit der Aufgabenstellung entziehen kann. Ähnliches gilt für die Regelungen einiger Gemeindeordnungen, wonach die Gemeinden ungeachtet der Rechtsform wirtschaftliche Unternehmen nur errichten, übernehmen, wesentlich erweitern oder sich daran beteiligen dürfen, wenn bei einem Tätigwerden „außerhalb der kommunalen Daseinsvorsorge“ der Zweck nicht besser und wirtschaftlicher durch einen anderen erfüllt wird oder erfüllt werden kann6. 2 Grundlegend war die Schrift „Die Verwaltung als Leistungsträger“, 1938, später teilweise abgedruckt in „Rechtsfragen der leistenden Verwaltung“, 1959. 3 Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, 1938, S. 6. 4 Vgl. BVerfG v. 10.12.1974 - 2 BvK 1/73 und 2 BvR 902/73, BVerfGE 38, 258 (270); v. 7.7.1977 - 1 BvR 108,424/73 u. 226/74, BVerfGE 45, 63 (78); v. 20.3.1984 - 1 BvL 28/82, BVerfGE 66, 248 (258); v. 14.4.1997 - 1 BvR 775/91, BVerfGE 77, 192 (199 f.); v. 23.9.1994 – 2 BvR 1547/85, NVwZ 1995, 370; v. 7.1.1999 – 2 BvR 927/97, NVwZ 1999, 520; v. 18.2.1999 – 1 BvR 1367/88, 146 u. 147/91, NVwZ 1999, 1103. 5 Verkündet als Art. 4 des Eisenbahnneuordnungsgesetzes vom 27.12.1993 (BGBl. I S. 2378). 6 § 102 Abs. 1 Nr. 3 GemO BW i.d.F. vom 24.7.2000 (GBl S. 582), zul. geändert durch Gesetz vom 9.11.2010 (GBl S. 793); Art. 87 Abs. 1 Nr. 4 BayGO i.d.F. der Bek. vom 22.8.1998 (GVBl S. 797), zuletzt geändert durch Gesetz vom 16.2.2012 (GVBl S. 308); § 71 Abs. 1 Nr. 4 ThürKO i.d.F. der Bek. vom 14.4.1998 (GVBl S. 73), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21.12.2011 (GVBl S. 531, 532); vgl. Ronellenfitsch
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5 „Daseinsvorsorge“ ist notwendig ein sachbezogener Begriff, der sich nach dem aktuellen Versorgungsbedürfnis der Bevölkerung richtet. Das Versorgungsbedürfnis ist nicht konstant, sondern orientiert sich am allgemeinen Lebensstandard7 der durch gesetzgeberische Zielsetzungen konkretisiert wird. Der Gesetzgeber ist dann an die eigenen Zielsetzungen gebunden. Diese Ziele müssen erreicht werden. Die Ob-Entscheidung ist gefallen. Wie die Ziele erreicht werden, ist dem Aufgabenträger freigestellt. 2. Gemeinschaftsrecht 6 Die europäische Wirtschaftsverfassung verfolgt nach wie vor ordnungspolitisch den „Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ (Art. 120 Satz 2 AEUV.) Eine Rechtsordnung, die sich zu diesem Ordnungsprinzip bekennt, muss die Grundvoraussetzungen des Wettbewerbs sicherstellen. So umfasste die Tätigkeit der EU nach Art. 3 Abs. 1 lit. g EG „ein System, das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarkts vor Verfälschungen schützt.“ Auch nach dem Vertrag von Lissabon gehört der Binnenmarkt zu den grundlegenden Zielen der Union (Art. 3 Abs. 3 Satz 1 EUV). Mit dem Binnenmarkt ist notwendig der Wettbewerb verbunden. Der unverfälschte Wettbewerb soll nach der Präambel des AEUV einen redlichen Wettbewerb innerhalb der Union gewährleisten. Dem Schutz der durch eine derartige Wettbewerbsfreiheit gekennzeichneten Wirtschaftsordnung der EU dient ein differenziertes Wettbewerbssystem, mit dem zwei Ebenen angesprochen werden. Einmal gilt es, den Wettbewerb gegen private Beschränkungen zu schützen, zum anderen müssen Interventionen der öffentlichen Hand mit dem unverfälschten Wettbewerb in Einklang gebracht werden. Die gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln der Art. 101–109 AEUV erfassen auch den Bereich der Daseinsvorsorge8. Nach Art. 107 Abs. 1 AEUV sind ferner staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Ein weit verstandener Begriff „Beihilfe“ umfasst alle Begünstigungen von Unternehmen oder Produktionszweigen, soweit sie nicht durch eine entsprechende marktgerechte Gegenleistung des Begünstigten kompensiert werden9. Maßgeblich sind allein die Wirkungen auch die gegenständliche Umschreibung in § 107 Abs. 1 Nr. 3 GO NW i.d.F. der Bek. vom 14.7.1994 (GV NW S. 666), zuletzt geändert durch Gesetz vom 13.12.2011 (GV NW S. 685) und § 116 Abs. 2 GO LSA i.d.F. vom 14.8.2009 (GVBl S. 383), zuletzt geändert durch Gesetz vom 30.11.2011, (GVBl) S. 814. 7 Forsthoff, Rechtsfragen, S. 12. 8 Vgl. zum Verkehrsbereich EuGH v. 4.4.1974 – Rs 167/73, Kommission/Frankreich, Slg 1974, 359; v. 30.4.1986 – Rs 209–213/84, Asjes, Slg 1986, 1425. 9 EuGH v. 23.2.1961 – Rs.30/59, De Gezamenlijke Steenkolenminjen in Limburg/ Hohe Behörde, Slg 1961, 1.
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der Begünstigungen, deren Gründe oder Ziele sind unerheblich10. In Betracht kommen nicht nur alle Formen von Zuschüssen, sondern auch Kostenentlastungen11. Ob Ausgleichsleistungen für Daseinsvorsorgelasten stets rechtfertigungsbedürftige Beihilfe darstellen12 oder (zutreffend) schon tatbestandlich nicht unter Art. 107 Abs. 1 AEUV fallen13, ist noch nicht abschließend geklärt14. Zuwendungen an öffentliche Unternehmen durch die Trägerkörperschaft sind jedenfalls nach herkömmlicher Rechtsprechung Beihilfen, wenn ein privater Gesellschafter in einer gleichartigen Lage unter Rentabilitätsgesichtspunkten eine solche Beihilfe nicht gewährt hätte15. Auch insoweit wird die Erfüllung von Daseinsvorsorgeaufgaben berührt. Die Daseinsvorsorge ist gemeinschaftsrechtlich somit nicht von vornherein vom Wettbewerbsgrundsatz ausgenommen. Der Ausrichtung der Europäischen Gemeinschaft auf eine wettbewerbs- 7 orientierte Marktwirtschaft stellte jedoch bereits Art. 90 EGV, sodann Art. 86 EG und nunmehr Art. 14 AEUV die „Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ entgegen16. Die Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse wurden zunächst als Fremdkörper im europäischen Binnenmarkt betrachtet und als Ausnahmen behandelt. Seit 1993 bemühte sich indessen insbesondere das Europäische Parlament, die Stellung der unmittelbar dem Gemeinwohl verpflichteten Unternehmen aufzuwerten17. Diese Bemühungen führten zur Einfügung von Art. 16 in den Europäischen Gemeinschaftsvertrag durch den Amsterdamer Vertrag. Die Hinzufügung von Art. 16 EG ließ das Verhältnis von Wettbewerb und „Diensten von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ nicht unberührt18. Der Wettbewerbsgedanke wurde zwar nicht verdrängt, jedoch kam den Diensten von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse besondere Bedeutung zu19. Wie Schwarze zutreffend betont, ließ sich das Konzept der Daseinsvorsorge nicht mehr allein als rechtfertigungsbedürftiger
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EuGH v. 17.6.1999 – Rs. C 75/97, Belgien/Kommission, Slg I-3671. Vgl. die Berechnungsgrundsätze der Kommission ABl. 2000, C-71/142). So Generalanwalt Léger im Altmarkstreit (Rs. C 280/00). EuGH v. 22.11.2001 – Rs. C-53/00, Ferring/Across, Slg 2001 I-9067 Rz. 23, 29 sowie Generalsanwalt Jacobs Rs. C-126/01 – GEMO SA, Schlussanträge v. 30.4.2002 Rz. 110 ff. Hierzu ausführlich Nettesheim, EWS 2002, 253 ff. (257 ff.). EuGH v. 14.9.1994 – Rs C-278/92 bis C-280/92, Spanien/Deutschland, Slg 1994 I-4103. Hierzu Badura, „Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ unter der Aufsicht der Europäischen Gemeinschaft, in Classen u.a., FS Oppermann, S. 571 ff. Vgl. Entschließung des Europäischen Parlaments zu der Mitteilung der Kommission „Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa“ v. 17.12.1997 (ABl C v. 10.1.1998, S. 75). Anders die Sicht der Kommission vgl. van Miert, La Conférence intergouvernementale et la politique communautaire de concurrence, (EC) Competition Policy Newsletter 1997, Nr. 2, S. 1 ff. (4). Zutreffend Streinz, EuZW 1998, 137 ff. Ronellenfitsch
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Ausnahmenfall interpretieren20. Dabei ist es geblieben. Art. 14 AEUV betont den Stellenwert der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse. Diesem Stellenwert trägt Art. 106 AEUV- begrenzt Rechnung. Die individualrechtliche Seite der Daseinsvorsorge wird ferner durch Art. 36 der EU-Grundrechte-Charta21 zur Geltung gebracht 8 Die „Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ werden für den deutschen Sprachraum als „Dienste der Daseinsvorsorge“ bezeichnet22. Der Ausdruck „Daseinsvorsorge“ stammt vom deutschen Sprachdienst der EU, der diese Übersetzung für die (erste) Mitteilung der Europäischen Kommission „Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa“ vom September 199623 verwendete. Die „Leistungen der Daseinsvorsorge“ oder gemeinwohlorientierte Leistungen dienten dabei als Oberbegriff für „marktbezogene oder nichtmarktbezogene Tätigkeiten, die im Interesse der Allgemeinheit erbracht und daher von den Behörden mit spezifischen Gemeinwohlverpflichtungen verknüpft werden“. Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse waren die marktbezogenen Daseinsvorsorgeleistungen, von denen die Bereiche der Telekommunikation, des Postwesens, des Verkehrs, der Elektrizität sowie Hörfunk und Fernsehen näher gewürdigt wurden. Eine gegenständliche Beschreibung der Daseinsvorsorge war damit nicht verbunden. Gemeinschaftsrechtlich diente der Begriff der Daseinsvorsorge lediglich der Zuordnung gemeinwohlorientierter Leistungen, die eine Sonderbehandlung erfordern24. 9 Die auf Bitte des Europäischen Rats von Lissabon (23./24.3.2000) erfolgte Neuformulierung der Mitteilung vom 20.9.200025 verfolgte die Absicht, den Wettbewerbsgedanken bei Daseinsvorsorgeleistungen zu verstärken26. Seit 1996 hätten aus der Sicht der Kommission Erfahrungen in Daseinsvorsorgebereichen, die dem Wettbewerb geöffnet worden sind, gezeigt, dass Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, Binnenmarkt und gemeinschaftliche Wettbewerbspolitik einander ergänzen27.
20 Schwarze, EuZW 2001, 334 ff. (337). Ebenso Storr, DÖV 2002, 357 ff. (361). 21 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl C Nr. 364) v. 18.12.2000, S. 1. 22 Vgl. nur Geiger, EUV/EGV, Art. 16. Überschrift. 23 „Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa“ (ABl C 281 vom 26.9.1996, S. 3.). In anderen Sprachfassungen der Mitteilung war von „services d’intérêt general“, services of general interest“, „servicios de interés generals“, „serviços de interesse geral“, „servici d’ interesse generale“, Tjänsten i allmänhetens interesse“ oder „Diensten van algemeen Belang“ die Rede. 24 Kritisch Mestmäcker, Daseinsvorsorge und Universaldienstleistungen im europäischen Kontext, in FS f. Zacher, S. 665 ff. 25 KOM (2000) 580 endg. (ABl. C 17/2001, S. 4, Anh. I). Hierzu Ennuschat, RdE 2001, 46 ff. 26 Vgl. van Miert, Die Zukunft der Wettbewerbspolitik in der EU, Referat im Rahmen der Vortragsreihe „Europa vor der Wirtschafts- und Währungsunion“ Bonn, 27.10.1997, Hrsg.: Zentrum für Europäisches Wirtschaftsrecht, 1997. 27 Tz. 3.
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Der Europäische Rat von Nizza vom 7., 8. und 9.12.2000 nahm die Mit- 10 teilung der Kommission vom 20.9.2000 zur Kenntnis und billigte eine Erklärung des Rates zum Binnenmarkt vom 28.9.2000, in der die Rolle bestätigt wurde, welche die Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse „bei der Gewährleistung des sozialen und territorialen Zusammenhalts der Europäischen Union spielen“28. Zugleich forderte er in seinen Schlussfolgerungen die Kommission auf, anlässlich seiner Tagung in Laeken im Dezember 2002 über Leistungen der Daseinsvorsorge erneut zu berichten. Zu den Schlussfolgerungen ergingen u.a. eine Stellungnahme der Bundesrepublik Deutschland29 und ein Memorandum Frankreichs30, die sich in unterschiedlicher Intensität für eine Öffnung des Daseinsvorsorgebereichs für den Wettbewerb aussprachen. Der Bericht „Leistungen der Daseinsvorsorge“ der Kommission für den Europäischen Rat in Laeken vom 17.10.200131 geht nur in Nebenpunkten auf solche Anregungen ein, versteht sich aber nicht als Korrektur der Miteilungen von 1996 und 2000 (Nr. 6), sondern hält an ihrem Wettbewerbscredo fest32: Dieser Ansatz geht fehl. Wo Wettbewerb mit dem Daseinsvorsorgeauftrag vereinbar ist, sollte er möglichst rasch eingeführt werden. Wo aber „besondere Gegebenheiten“ dem Wettbewerb entgegenstehen, darf er überhaupt nicht eingeführt werden. Darüber hinaus hat der Wettbewerb in diesem Zusammenhang nur dienende Funktion. Den Bestrebungen der Kommission und zahlreicher Autoren, dem „rei- 11 nen“ Wettbewerbsprinzip auch im Daseinsvorsorgebereich zum Durchbruch zu verhelfen und öffentlich-rechtliche Bindungen nur als lästige Ausnahmen hinzunehmen33 ist entschieden entgegenzutreten. Forsthoff
28 Europäischer Rat (Nizza): Schlussfolgerungen des Vorsitzes, 8.12.2000, Nr. 400/1/00 Ziff. E 45 Ano. II. 29 Dok. des Rates der EU 12028/01 v. 20.9.2001. 30 Dok. des Rates der EU 12029/01 v. 20.9.2001. 31 KOM (2001) 598 end. Hierzu überzeugend Kämmerer, NVwZ 2002, 1041 ff. 32 Nr. 48 f. lauten: „Für eine Vielzahl von Dienstleistungen von allgemeinem öffentlichen Interesse haben sich offene Märkte als optimale Instrumente zur Befriedigung der Bedürfnisse der Bürger und Unternehmen erwiesen. In den durch Gemeinschaftsmaßnahmen liberalisierten Sektoren hat der Wettbewerb zu einer vergrößerten Angebotsvielfalt und zu Kostensenkungen für die Verbraucher wie auch für die gewerblichen Nutzer geführt. Bei der Einführung des Wettbewerbs in einem Sektor verfolgt die Gemeinschaft einen schrittweisen, strukturierten Liberalisierungsansatz, um so eine Kontinuität des Leistungsangebots zu gewährleisten und den betroffenen Akteuren eine Anpassung an die sich ändernden Marktbedingungen zu ermöglichen. In den Gemeinschaftsmaßnahmen sind deshalb auch besondere Übergangsfristen bzw. Ausnahmeregelungen für einzelne Mitgliedstaaten in den Fällen vorgesehen, wo sich solche Regelungen als unabdingbar erweisen, um besonderen Gegebenheiten Rechnung tragen zu können.“ 33 Vgl. Mestmäcker, Daseinsvorsorge und Universaldienstleistungen im europäischen Kontext, in FS f. Zacher, S. 665 ff.; Harms, Daseinsvorsorge im WettRonellenfitsch
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wollte wohl den Wettbewerb im Daseinsvorsorgebereich a priori ausschließen. Das lässt sich heute nicht mehr halten. Bei marktbezogenen Daseinsvorsorgetätigkeiten ist Daseinsvorsorge im Wettbewerb möglich. Der Wettbewerb hat dann aber nur dienende Funktion. Er kann im Interesse der Daseinsvorsorge genutzt werden, um den günstigsten Anbieter für die Erfüllung der öffentlichen Aufgabe zu ermitteln. Private Gewinnerzielung widerspricht auch nicht automatisch der Gewährleistung einer angemessenen Daseinsvorsorge. Selbst bei Einrichtungen der Daseinsfürsorge schließt das Selbstkostendeckungsprinzip kalkulatorische Gewinne nicht aus34. Einen Interessenausgleich zwischen privatem Gewinnmaximierungs- und öffentlichen Versorgungsinteresse kann es indessen nicht geben. Öffentlicher Daseinsvorsorgeauftrag und private Gewinnmaximierung sind unvereinbar. Die Herstellung „praktischer Konkordanz“ ist hier nicht möglich. Im Konfliktfall zwischen Daseinsvorsorge und freiem Wettbewerb folgt aus Primärrecht im Zweifel der Vorrang der Daseinsvorsorge. Jedes andere Verständnis würde die europäische Integration zurückschrauben und die EU auf eine reine Wirtschaftsgemeinschaft reduzieren. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis in Art. 106 Abs. 2 AEUV führt zu keiner anderen Sichtweise: Zum einen macht es das Wesen einer Ausnahme aus, dass es die Regel verdrängt. Zum anderen sind die Ausnahmekriterien so vage gehalten, dass ein weiter Gestaltungsspielraum für nationale Ausnahmeregelungen besteht35, während die Eingriffsschwelle für die Kommission hoch angesetzt ist. Die Wettbewerbsbeschränkung darf die Entwicklung des Handelsverkehrs nicht in einem Ausmaß beeinträchtigen, die dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft. Der Daseinsvorsorgeauftrag modifiziert das Wettbewerbsprinzip, lässt Beschränkungen des Wettbewerbs zu und rechtfertigt die sog. staatliche und kommunale Eigenproduktion, wenn nur durch sie eine ausreichende Daseinsvorsorge gewährleistet ist. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Daseinsvorsorge zu einem eigenständigen Strukturmerkmal der EU geworden ist und zu einer Wiederentdeckung der Staatlichkeit geführt hat.
bewerb, 2001; Magiera, Gefährdungen der öffentlichen Daseinsvorsorge durch das EG-Beihilferecht, in Ipsen, Jörn / Schmidt-Jortzig, FS f. Rauschning, S. 269 ff.; Koenig, EuZW 2001, 481 ff. Vgl. auch Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie „Daseinsvorsorge“ im Europäischen Binnenmarkt vom 12.1.2002. 34 BVerwG v. 1.12.1998 – 5 C 29.97, BVerwGE 108, 56. 35 Vgl. EuGH v. 19.5.1993 – Rs. C-320/91, Corbeau, Slg 1993, I-2533; v. 27.4.1994 – Rs. C-393/92, Almelo, Slg. 1994, I-477; v. 23.10.1997 – Rs. C-159/94, Kommission/Französische Republik, Slg 1997, I-5815; v. 10.2.2000 – verb. Rs. C-147 u. 148/97, Remailing, Slg 2000, I-825 Rz. 49 ff.
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II. Aktuelle Situation Die Wiederentdeckung der Staatlichkeit im Daseinsvorsorgebereich hat 12 freilich die Privatisierungsdiskussion noch kaum erreicht. Die Privatisierung staatlicher einschließlich kommunaler Aufgaben war das Modethema der 1990er Jahre in Wissenschaft und Praxis. Mittlerweile ist eine gewisse Ernüchterung eingetreten, weil trotz der Flut an Veröffentlichungen36 die Theorie die Praxis vielfach im Stich lässt. Andererseits begann die Praxis ohne theoretische Absicherung herumzuexperimentieren. Kein Verwaltungsbereich, von der Parkraumbewirtschaftung37 bis hin zur Verkehrsüberwachung, zur Unfallaufnahme38 und zum Strafvollzug39, blieb vom Einsatz Privater verschont. Allerdings wurden die Privaten hier als Beliehene in die Verwaltungsorganisation integriert. Das ist eine Privatisierungsform, die selbst bei polizeilichen Aufgaben eine lange rechtliche Tradition aufweist und auf geringere rechtliche Hemmnisse trifft. Eine Vorreiterrolle derartiger Privatisierung kommt im kommunalen Bereich der Ver- und Entsorgung zu. Während die Gewinnorientierung beim sog. Betreibermodell keine Rolle spielen darf, liegt der Reiz der Privatisierung bisher vom Staat wahrgenommener Aufgaben darin, zumindest die Aufgabenerfüllung den Marktbedingungen zu unterwerfen. Im Zuge der allgemeinen Privatisierungsdiskussion kam es auch zu For- 13 derungen nach Privatisierung kommunaler Dienstleistungen40. Dabei wurde häufig unterstellt, dass private Unternehmen stets wirtschaftlicher und kundenfreundlicher als die öffentliche Hand arbeiten würden. 36 J. Ipsen (Hrsg.), Privatisierung öffentlicher Aufgaben; Schoch, DVBl 1994, 962 ff.; Osterloh/Bauer, VVDStRL 54 (1995), 204 ff., 243 ff.; Bull, VerwArch 1995, 621 ff.; Erbguth, UPR 1995, 369 ff.; Guislain, Les privatisations: un défi stratégique juridique et institutionnel, Brüssel, 1995; Krölls, GewArch 1995, 129 ff.; Heuer, DÖV 1995, 85 ff.; von Arnim, Rechtsfragen der Privatisierung – Grenzen staatlicher Wirtschaftstätigkeit und Privatisierungsgebote; C. Völmicke, Privatisierung öffentlicher Leistungen in Deutschland, 1996; König/Benz, Privatisierung und staatliche Regulierung; Hoffmann-Riem/J.-P. Schneider, Verfahrensprivatisierung im Umweltrecht; Schmidt, ZGR 1996, 345 ff.; Gusy, Privatisierung von Staatsaufgaben, 1998; Wieland, Kommunale Selbstverwaltung zwischen Privatisierung öffentlicher Aufgaben und Ausdehnung wirtschaftlicher Betätigung, in Henneke (Hrsg.), Stärkung kommunaler Handlungsund Entfaltungsspielräume, S. 17 ff.; Peine, DÖV 1997, 353 ff.; Ludwig, Privatisierung staatlicher Aufgaben im Umweltschutz, 1998; Schuppert, Jenseits von Privatisierung und „schlankem“ Staat, 1999; Ronellenfitsch, DÖV 1999, 705 ff.; Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe; Watrin, Privatisierung in ordnungspolitischer Sicht, in Isensee/Lecheler, Freiheit und Eigentum, FS f. Leisner, 1999, S. 853 ff.; Mayen, DÖV 2001, 110 ff.; Kämmerer, Privatisierung; Schmelz, Rechtsfragen der Organisations- und Aufgabenprivatisierung, in Baudenbacher u.a., Ein Leben in Praxis und Wissenschaft: Festschrift für Barfuss, S. 257 ff. 37 KG v. 23.10.1996 – 2 Ss 171/96 3 Ws (B) 409/96, NJW 1997, 2894 (2895 f.). 38 Vgl. Ronellenfitsch, DAR 1997, 147 ff.; ders., NVwZ 1998, 1021 ff. 39 Vgl. BVerfG v. 18.1.2012 – 2 BvR 133/10. 40 Vgl. nur Blanck, KPBl. 1993, 512 ff. Ronellenfitsch
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Die Privatisierung auch auf gemeindlicher Ebene41 stößt allerdings auf verfassungsrechtliche Schranken. Bei der Daseinsvorsorge kann eine Privatisierung nur in Frage kommen, wenn sichergestellt ist, dass die Privatwirtschaft lebensnotwendige Leistungen ordnungsgemäß, zuverlässig, gleichmäßig, ununterbrochen zu annehmbaren Preisen ohne Ausnutzung eventuell entstehender Monopolstellungen anbieten und dies auch dann, wenn sich ihre Gewinnvorstellungen nicht erfüllen.
B. Unterscheidungen I. Begriffsbildung 14 Privatisierung bedeutet ganz allgemein die Übertragung bisher von der unmittelbaren oder mittelbaren Staatsverwaltung wahrgenommener Aufgaben auf private Träger. Bei diesem weiten Bedeutungsgehalt lassen sich mit dem Begriff „Privatisierung“ die unterschiedlichsten Bedeutungsgehalte verbinden42, die rechtlich wenig gemeinsam haben. Neben der Privatfinanzierung öffentlicher Aufgaben werden gewöhnlich drei Erscheinungsformen der Privatisierung aufgeführt: Vermögensprivatisierung, Aufgabenprivatisierung und Organisationsprivatisierung.
II. Erscheinungsformen 1. Vermögensprivatisierung 15 Die Vermögensprivatisierung betrifft erwerbswirtschaftlich tätige Unternehmen der öffentlichen Hand, die keine originären öffentlichen Aufgaben erfüllen. Beispiel: Verkauf von Anteilen einer Automobil-AG durch eine öffentlich-rechtliche Körperschaft an die Bürger. Die Vermögensprivatisierung bedeutet keine echte Privatisierung, da es an einer öffentlichen Aufgabe fehlt. Rechtlich ist sie allenfalls insofern problematisch, als nur Unternehmen, die nachhaltige Gewinnaussichten bieten, überhaupt privatisierungsfähig sind. Es besteht also die Gefahr, dass die öffentliche Hand ihr Tafelsilber verschleudert. Daraus ergibt sich aber keine Privatisierungsgrenze, sondern eher ein Veräußerungsgebot nach Maßgabe der Gewinnmaximierung.
41 Vgl. Hofmann, VBlBW 1994, 121 ff.; Mombaur, Privatisierung in Städten und Gemeinden; Seele, NdsVBl. 1995, 217 ff.; Gern, Privatisierung in der Kommunalverwaltung; Giegerich, Gemeindeunternehmen zwischen Kompetenz, Konkurrenz und Kohärenz, in Cremer/Giegerich/Richter/Zimmermann, Tradition und Weltoffenheit des Rechts: FS f. Helmut Steinberger, S. 419 ff. 42 Vgl. Krölls, GewArch 1995, 129 ff.
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C. Formelle und materielle Privatisierung
2. Aufgabenprivatisierung Bei der Aufgabenprivatisierung entledigt sich der Staat (einschließlich der 16 Gemeinden) eines Teils seiner Aufgaben. Beispiel: Verzicht auf ein Verwaltungsmonopol Die Aufgabenprivatisierung nähert sich schnell der Grenze des Staatsvorbehalts. Dem versucht man, durch Privatisierungen zu entgehen, bei denen die staatliche/kommunale Aufgabenverantwortung erhalten bleibt. Beispiel: Überführung eines kommunalen Krankenhauses in eine GmbH mit der Kommune als Alleingesellschafter. 3. Organisationsprivatisierung Die Organisationsprivatisierung bewirkt lediglich, dass staatliche/kom- 17 munale Aufgaben unter fortdauernder staatlicher Verantwortung in privaten Organisationsformen erledigt werden. Die Organisationsprivatisierung bildet das Gegenstück zur Beleihung. Bei der Beleihung wird eine private Organisationsform zur Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben herangezogen. Die spezifischen Privatisierungsprobleme stellen sich nicht. Auch hier kann nur in einem weiten Sinn von Privatisierung gesprochen werden43.
III. Folgerung Für die Dogmatik und praktische Handhabung der Privatisierung ist so- 18 mit letztlich nur interessant, ob die juristische Person des öffentlichen Rechts eine Aufgabe weiterhin erfüllt, oder ob sie sich ihrer entledigt und sie weitestgehend dem Belieben Privater überlässt. Daraus ergibt sich die Unterscheidung von formeller („unechter“) und materieller („echter“) Privatisierung.
C. Formelle und materielle Privatisierung I. Formelle Privatisierung Die formelle Privatisierung umfasst alle Handlungsvarianten der öffent- 19 lichen Hand, die kennzeichnen, dass eine Aufgabe öffentlich bleibt, sie aber nicht von der Verwaltung im „institutionellen Sinn“ – also von Bediensteten einer juristischen Person des öffentlichen Rechts –, sondern von Privaten – also natürlichen Personen oder juristischen Personen des
43 Bestanden die hoheitlichen Aufgaben zuvor noch nicht, liegt spiegelbildlich zur Privatisierung eine „Publifizierung“ vor. Ronellenfitsch
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Neuere Diskussion: Privatisierung und Rekommunalisierung
Privatrechts (GmbH, AG) – erfüllt wird44. Soweit kein Verwaltungsvorbehalt besteht, ist rechtlich ein großer Gestaltungsspielraum eröffnet.
II. Materielle Privatisierung 20 Bei der materiellen Privatisierung überträgt die öffentliche Hand Verfügungsgewalt über Vermögensgegenstände oder über Produkt- und Leistungserstellung sowie Produktangebot auf „echte“ Private45. Die öffentliche Hand verzichtet definitiv auf weiteres Tätigwerden. Die Erfüllung der früheren öffentlichen Aufgabe bleibt dem Markt überlassen. Die materielle Privatisierung kommt nur bei rechtlich disponiblen Aufgaben in Betracht.
D. Einbeziehung Privater in die öffentliche Aufgabenerfüllung I. Verwaltungshilfe und Beleihung 21 Verwaltungshilfe und Beleihung sind Anwendungsfälle der formellen Privatisierung, bei der der Staat sich die Sachkunde bzw. die technischen und betrieblichen Möglichkeiten der Privaten nutzbar macht. Beispiel: Wasserversorgung46, Abwasserbeseitigung47, Abfallbeseitigung48, Entsorgung49. 22 Eine Beleihung ist geboten, wenn der behördliche Sachverstand zur Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben nicht ausreicht und wenn die privaten Sachverständigen bei ihrer Tätigkeit auf Hoheitsbefugnisse angewiesen sind. Im Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeit der Gemeinden spielt die Beleihung nur dann eine Rolle, wenn die Tätigkeit mit Hoheitsbefugnissen, etwa mit einem Gebührenerhebungsrecht, verknüpft wird. Dies leitet über zum Betreibermodell.
44 Peine, DÖV 1997, 353 f. (354); Osterloh, VVDStRL 54 (1995), 210. 45 Osterloh, VVDStRL 54 (1995), 210. 46 Hierzu VerfGH Berlin v. 21.10.1999 – VerfGH 42/99, DVBl 2000, 51; Schmehl, NVwZ 2000, 794, JuS 2001, 233 ff.; Hecker, VerwArch 2001, 261 ff. 47 Schoch, DVBl 1994, 1 ff.; Dierkes, SächsVBl. 1996, 269 ff.; Brüning, Der Private bei der Erledigung kommunaler Aufgaben insbesondere bei der Abwasserbeseitigung und der Wasserversorgung. Zur Überwälzung der Kosten BayVGH v. 2.3.2000 – 4 N 99.68, NVwZ-RR 2001, 120. 48 Klowait, Die Beteiligung Privater an der Abfallentsorgung; Galle, Die Einschaltung privater Unternehmer in die kommunale Abfallentsorgung; Weidemann, DVBl 2000, 1571 ff.; Rehak/Bell, LKV 2001, 185 ff. 49 Vgl. Tettinger, Rechtlicher Rahmen für Public-Private-Partnerships auf dem Gebiet der Entsorgung; Tettinger, DÖV 1996, 764 ff.
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§2
D. Einbeziehung Privater in die öffentliche Aufgabenerfüllung
II. Privatfinanzierung kommunaler Aufgaben Die Erfüllung und Finanzierung öffentlicher Aufgaben fallen wenigstens 23 temporär auseinander, wenn Kommunen sich Privater zur Finanzierung kommunaler Aufgaben bedienen. Der Charakter der Aufgabe ändert sich nicht, jedoch verlässt die Beschaffung der Finanzmittel den öffentlichen Bereich. Wichtigster Anwendungsfall der Privatfinanzierung ist das Betreibermodell, bei dem ein privates Unternehmen ein öffentliches Vorhaben für dessen Nutzung ein leistungsabhängiges Entgelt zu entrichten ist, finanziert, baut und betreibt. Eine verbreitete Variante des Betreibermodells stellt das sog. Build-Operate-Transfer-Modell (B.O.T-Modell) dar, bei dem das Vorhaben von Privaten zwar finanziert und gebaut sowie zunächst unterhalten und betrieben wird, nach einer vereinbarten Zeitspanne aber an die öffentliche Hand übergeht50. Ziel des Betreibermodells ist die Entlastung der öffentlichen Haushalte von den vorhabensbezogenen Kosten. Das Ziel lässt sich nur erreichen, wenn die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für die Privatfinanzierung erfüllt sind. Die wichtigste tatsächliche Voraussetzung ist die Gewinnung eines privaten Investors. Ein Privatinvestor wird sich nur finden lassen, wenn die Refinanzierung einschließlich einer angemessenen Verzinsung durch die zu erwartende Nachfrage und durch die Bemessung der Nutzungsentgelte gesichert ist. Anders als bei der finanzverfassungs- und haushaltsrechtlich problematischen Vorfinanzierung öffentlicher Aufgaben durch Private51 besteht daher bei einem realistischen Betreibermodell die wirtschaftlich relevante Gegenleistung für die von dem Privatinvestor übernommene Verpflichtung darin, dass diesem das Recht eingeräumt wird, für seine Leistungen Beiträge oder Gebühren zu erheben. Eine derartige Übertragung von Hoheitsfunktionen erfordert eine gesetzliche Grundlage, die verschiedenen Anforderungen zur Sicherung einer sozialgerechten Aufgabenerfüllung genügen muss.
III. Sonstige Formen von „Public Private Partnerships“ Die importierte Modeerscheinung der Öffentlich Privaten Partnerschaf- 24 ten (ÖPP), bei denen die öffentliche Hand Private längerfristig vertraglich 50 Vgl. Stewing, BauR 1991, 703 ff. (704). 51 Zum sog Mogendorfer Modell und zum Immobilienleasing in Rheinland-Pfalz VerfGH Rh.-Pf. v. 20.11.1996 – VGH N 3/96, NVwZ-RR 1998, 145; Zeiss, NVwZ 1998, 467 ff.; Zeiss, Privatfinanzierung staatlicher Infrastruktur, Diss. S. 87 ff. Zum schleswig-holsteinische Liegenschaftsmodell BVerfG v. 17.9.1998 – 2 BvK 1/98, NordÖR 1998, 339; Gröpl, Neue Wege zur Verwaltung staatlichen Vermögens?, DStT 1999, 113 ff.; zu NW vgl. Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens „Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW“ und zum Erlass personalvertretungsrechtlicher Regelungen vom 12.12.2000 (GV. NW. S. 754). Vgl. auch. Ronellenfitsch, Voraussetzungen und Grenzen neuer Liegenschaftsmodelle bei der Verwaltung staatlichen Vermögens in der Bundesrepublik Deutschland. Ronellenfitsch
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§2
Neuere Diskussion: Privatisierung und Rekommunalisierung
in die öffentliche Aufgabenerfüllung einbindet, hat zu einem Flickenteppich von Modellen geführt, die sich einer einheitlichen rechtlichen Bewertung entziehen (vgl. unten § 5 Rz. 20) und die daher im jeweiligen Sachzusammenhang erörtert werden.
IV. Rekommunalisierung 25 Druck erzeugt Gegendruck. Privatisierung war der Schlüsselbegriff des Gewährleistungsstaates. Warnungen vor einer faktisch materiellen Privatisierung essenzieller Staatsaufgaben, Forderungen, dass die Gewährleistung die Möglichkeit implizieren müsse, notfalls die Aufgabe selbst zu erledigen, wurden als statistische Vorstellungen von gestern abgetan. Dabei war von vornherein fraglich, ob die Privatwirtschaft zwangsläufig immer besser, effizienter und kostengünstiger arbeitet als die öffentliche Hand. Als sich die Erwartungen in die Privatisierung teilweise als utopisch herausstellten, kam es zu einer Gegenbewegung, die unter dem Schlagwort Rekommunalisierung diskutiert wird53 und ebenfalls über das Ziel hinaus zuschießen droht. Wie bei der Privatisierung sind rechtliche Differenzierungen geboten. 52
26 Bereits begrifflich bestehen jedoch Unsicherheiten. Rekommunalisierung wird zumeist als Sammelbegriff für jeglichen Aufgabenzugriff der Kommunen gebraucht. Re-Kommunalisierung bedeutet indessen lediglich die Rückübertragung der Aufgaben auf die Kommunen, die diese im Zuge der Privatisierung verloren haben. Die erstmalige Übertragung von Aufgaben auf die Gemeinden und Gemeindeverbände stellt demgegenüber eine Kommunalisierung dar, die der besonderen Rechtfertigung bedarf.54 Die Kommunalisierung hat mit der Privatisierung nichts zu tun und ist im vorliegenden Zusammenhang nicht zu erörtern. 27 Rekommunalisierung ist somit die Rückgängigmachung oder sonstige Aufhebung von vorausgegangenen Privatisierungen. Die Voraussetzung der Rekommunalisierung kann sich daraus ergeben, dass die Privatisierung von vornherein zeitlich beschränkt war oder dass der Privatisierungszweck nicht erreicht wurde (fehlgeschlagener Privatisierung). Möglich ist schließlich auch die Rekommunalisierung aufgrund einer neuen kommunalpolitischen Willensentscheidung. Da die Rekommunalisierung den actus contarius zur Privatisierung darstellt, orientieren sich ihrer rechtlichen Voraussetzungen an denen der Privatisierung. Wo eine Privatisierung geboten ist, scheidet eine (Re)-Kommunalisierung aus, wo
52 So die Tendenz bei Knauff, Der Gewährleistungsstaat; hierzu die Buchbesprechung von Ronellenfitsch, ZögU 2008, 340. 53 Bauer, DÖV 2012, 329 ff.; Libbe/Hanke, Gemhlt 2011, 108 ff.; Brünig, VerwArch 2009, 453 ff. 54 Cremer, VerwArch 2011, 242 ff.
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D. Einbeziehung Privater in die öffentliche Aufgabenerfüllung
eine Privatisierung unzulässig ist, ist eine Rekommunalisierung geboten. Im übrigen besteht ein weiter kommunaler Gestaltungsspielraum. Obwohl Privatisierung und Rekommunalisierung nur zwei Seiten dersel- 28 ben Medaille sind, wird vielfach eine Trendwende angenommen. Das ist unzutreffend. In Wahrheit handelt es sich nur um zwei unterschiedliche Wege zum gleichen Ziel, nämlich zur optimalen Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe. Welcher Weg der bessere ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, wobei die Erfahrungen im Einzelfall generalisierungsfähig sind. Erfahrungen liefen etwa die Fälle Potsdam,55 Berlin, Grenoble56.
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Besondere Bedeutung hat die Rekommunalisierung im Zusammenhang 30 mit Ablauf der Kooperations- und Konzessionsverträge, die in den neunziger Jahren abgeschlossen worden sind.57 Hier müssen die Kommunen entscheiden, ob sie die Leistungserbringung durch Dritte fortführen wollen oder es vorziehen, die Leistung selbst zu erbringen. Zusammenfassend lässt sich im Anschluss an Bauer festhalten, dass es 31 sich bei Privatisierung und Rekommunalisierung komplementäre Strategien zur Modernisierung des Gemeinwesens handelt, die gleichberechtigt nebeneinander stehen.58
55 Wasserversorgung/Abwasserentsorgung; hierzu David Hachfeld, Rekommunalisierung - Lehren aus Potsdam und Grenoble, in: Mario Candelas u.a. (Hrsg.), Krise der Privatisierung – Rückkehr des Öffentlichen, 2009, S. 87 ff. 56 Wasserbetriebe; vgl. Benedikt Wolfers, NVZ 2000, 765. 57 Thimet, KommunalPraxis special 2010, 150 f. 58 Bauer, DÖV 2012, 333. Ronellenfitsch
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§3 Verfassungsrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Vorgaben von Prof. Dr. Michael Ronellenfitsch Rz. A. Verfassungsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . I. Selbstverwaltungsgarantie . . 1. Selbstverwaltung . . . . . . 2. Im Rahmen der Gesetze . . II. Wirtschaftsverfassung . . . . 1. Ausnahmecharakter der privatwirtschaftlichen Betätigung der Gemeinden 2. Rechtfertigung . . . . . . . III. Konkurrentenschutz . . . . .
. . . . .
1 1 1 3 6
. 6 . 7 . 10
B. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . 14 I. Ausgangslage . . . . . . . . . . 14
II. Selbstverwaltungsgarantie . . . 1. Keine „Europafestigkeit“ der Selbstverwaltungsgarantie . 2. Europäische Charta der Kommunalen Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . 3. Mindestgarantie . . . . . . . III. Wirtschaftsverfassung . . . . . IV. Wettbewerbsprinzip . . . . . . . 1. Öffentliche Unternehmen . 2. Beihilfeverbot . . . . . . . . . V. Konkurrentenschutz . . . . . .
Rz. 15 15 17 18 19 20 21 27 30
Literatur: Antweiler, Öffentlich-rechtliche Unterlassungsansprüche gegen kommunale Wirtschaftstätigkeit, NVwZ 2003,1466 ff.; Blanke, Die kommunale Selbstverwaltung im Zuge fortschreitender Integration, DVBl 1993, 819 ff.; Bleckmann, Europarecht, 6. Aufl. 1997; von Bonin, Unwirksamkeit eines nationalen Bürgschaftsvertrags bei Rückabwicklung einer Unionsrechtswidrigen staatlichen Beihilfe, EuZW 2012, 106 ff.; Britz, Staatliche Förderung gemeinwirtschaftlicher Dienstleistungen in liberalisierten Märkten und Europäisches Wettbewerbsrecht, DVBl 2000, 1641 ff.; Ehlers, Die verfassungsrechtliche Garantie der kommunalen Selbstverwaltung, DVBl 2000, 1301 ff.; Ennuschat, Kommualwirtschaftsrecht – Prüfungsmaßstab im Vergaberechtsschutz?, NVwZ 2008, 966 ff.; Faber, Öffentliche Aufträge an kommunalbeherrschte Unternehmen – in-house-Geschäfte oder Vergabe im Wettbewerb?, DVBl 2001, 248 ff.; Faber, Europarechtliche Grenzen kommunaler Wirtschaftsförderung, 1992; Faber, Die Zukunft kommunaler Selbstverwaltung und der Gedanke der Subsidiarität in den Europäischen Gemeinschaften, DVBl 1991, 1126; Geis, Kommunalrecht – Ein Studienbuch, 2. Aufl., 2011; Groß, Selbstverwaltung angesichts von Europäisierung und Ökonomisierung, DVBl 2002, 1182 ff.; Grupp/Ronellenfitsch (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung in Deutschland und Europa, Symposium zum 65. Geburtstag von Blümel, 1995; Heberlein, Maastricht – ein Erfolg für die kommunale Selbstverwaltung, DVBl 1994, 1215 ff.; Heberlein, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung in der europäischen Integration – eine Replik, BayVBl. 1993, 676; Henneke (Hrsg.), Kommunale Perspektiven im zusammenwachsenden Europa, 2002; Henneke (Hrsg.), Kommunen und Europa – Herausforderungen und Chancen, 2000; Isensee/Kirchhof u.a. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrecht Band 3, 2. Aufl. 1996, zit. Autor, Bei-
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A. Verfassungsrechtliche Vorgaben
tragstitel, Isensee/Kirchhof u.a., HStR III, § Rz.; Kahl, Das öffentliche Unternehmen im Gegenwind des europäischen Beihilferegimes, NVwZ 1996, 182; Klodt/ Stehn u.a., Die Strukturpolitik der EG, 1992; Lambert, Subsidiarität in Europa – Allheilmittel oder juristische Leerformel?, EuR 1993, 229 ff.; Martini, Gemeinden in Europa, 1992; Martini/Müller, Der Schutz der kommunalen Selbstverwaltung in der europäischen Integration durch nationales Verfassungsrecht und gemeinschaftsrechtlich allgemeine Rechtsgrundsätze, BayVBl. 1993, 161; Meßmer, Kommunalwirtschaftliche Schrankentrias und Konkurrenzschutz unter besonderer Berücksichtigung von § 102 Abs. 1 der Gemeindeordnung für Baden-Württemberg, 2006; Mombaur/von Lennep, Die deutsche kommunale Selbstverwaltung und das Europarecht, DÖV 1988, 988 ff.; Müller-Serten, Gemeindewirtschaftsrecht und Vergaberecht, NZBau 2000, 120 ff.; Niedzwicki, Das Prinzip grundlegenden, demokratischen Gehalts nach den sog. Maastricht – und Lissabon – Urteilen des BVerfG im Anwendungsbereich der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung – Ein subjektiv-öffentliches Recht auch gegen die materielle Privatisierung kommunaler Aufgaben?, KommJur 2011, 45 f.; Nowak, Grundrechtlicher Drittschutz im EGBeihilfekontrollverfahren, DVBl 2000, 20 ff.; Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 4. Aufl. 2009; Reese-Koch, Abfallwirtschaftliche Daseinsvorsorge im europäischen Binnenmarkt, DVBl 2012, 1393 ff.; Rengeling, Die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung im Zeichen der europäischen Integration, DVBl 1990, 893 ff.; Ronellenfitsch, J. C., Calhoun und die Europäische Staatengemeinschaft, in Festschrift F. Oppermann, 2001, S. 65 ff.; Ronellenfitsch, Selbstverantwortung und Deregulierung im Ordnungs- und Umweltrecht, 1995; Ronellenfisch, Gemeindliches Eigentum und materielle Präklusion, JuS 1983, 594; Ruffert, Kommunalwirtschaft und Landes-Wirtschaftsverfassung, NVwZ 2000, 763 ff.; H. Schmid, Wirtschaftliche Betätigung der Kommunen, ZKF 2001, 242 ff.; S. Schmitt, Inhalt, verfassungsrechtliche Stellung und Bedeutungsgehalt der kommunalen Finanzhoheit, 1996; Schneider, Kommunaler Einfluss in Europa, 2004; Sodan, Vorrang der Privatheit als Prinzip der Wirtschaftsverfassung, DÖV 2000, 361 ff.; Spannowsky, Der Einfluss europäischer Rechtsentwicklungen auf den kommunalen Handlungsrahmen, DVBl 1991, 1120; Stöß, Europäische Union und kommunale Selbstverwaltung: die Handlungsspielräume deutscher Kommunen unter Einwirkung der Europäischen Union aus ökonomischer Perspektive, 2000; Strittmatter, Rechtliche Grenzen privatwirtschaftlicher Betätigung der Kommunen im Wettbewerb, VM 1997, 221 ff.; Tettinger, Rechtsschutz gegen kommunale Wettbewerbsteilnahme, NJW 1998, 3473 ff.; Tomerius, Wirtschaftliche Betätigung der Kommunen zwischen Gemeindewirtschafts- und Wettbewerbsrecht, LKV 2000, 41 ff.; Warneke, Die wirtschaftliche Betätigung von Gemeinden und das Wettbewerbsrecht“, JuS 2003, 958 ff.; Weiß, Einführung und Umsetzung der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland: insbesondere in Bayern und Nordrhein-Westfalen, 1996; Werner, G., Wirtschaftliche Betätigung der Kommunen, VBlBW 2001, 206 ff; Wilms, Das Europäische Gemeinschaftsrecht und die öffentlichen Unternehmen – Die Kompetenz der Kommission aus Art. 90 Abs. 3 EG-Vertrag und ihre Anwendung auf die Elektrizitätswirtschaft, 1996.
A. Verfassungsrechtliche Vorgaben I. Selbstverwaltungsgarantie 1. Selbstverwaltung Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG und die Landesverfassungen gewährleisten den 1 Gemeinden das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft Ronellenfitsch
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Verfassungsrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Vorgaben
im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Wie sich aus Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG ergibt, ist damit das Recht auf Selbstverwaltung gemeint. Die kommunale Selbstverwaltungsgarantie erstreckt sich auf den kommunalen Aufgabenbereich und auf die Aufgabenwahrnehmung. Der garantierte Aufgabenbereich umfasst die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft. Die garantierte Aufgabenwahrnehmung besteht in der eigenverantwortlichen Führung der Geschäfte in diesem Bereich. Der örtliche Geschäftsbereich betrifft die Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln und das Zusammenleben der Gemeindeeinwohner in ihrer Gesamtheit zum Gegenstand haben1. 2 Im örtlichen Wirkungskreis können die Gemeinden grundsätzlich ohne besonderen Kompetenztitel jede öffentliche Aufgabe übernehmen, die der Gesetzgeber nicht anderen Stellen ausschließlich zugewiesen hat („Universalität“ oder Allzuständigkeit)2. Die Gemeindeverbände haben nach Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG ein Selbstverwaltungsrecht im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereichs. 2. Im Rahmen der Gesetze 3 Der Allzuständigkeit der Gemeinden und subsidiären Zuständigkeit der Gemeindeverbände entspricht ein weiter Ausgestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Die Selbstverwaltungsgarantie besteht nur „im Rahmen der Gesetze“. Der Gesetzgeber ist berechtigt, den Umfang der Selbstverwaltungsangelegenheiten zu bestimmen und ihre Ausübung zu beschränken. Art. 28 Abs. 2 GG enthält einen Regelungs- und einen Schrankenvorbehalt. Der Gesetzesvorbehalt in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG erfasst ferner nicht nur die Aufgabenwahrnehmung, sondern auch den Aufgabenbereich selbst3. Allerdings stellt der Gesetzesvorbehalt die Ausgestaltung und Formung der Einrichtung der kommunalen Selbstverwaltung nicht in das Belieben des Gesetzgebers. Der Gesetzgeber ist gehin-
1 BVerfG v. 30.7.1958 – 2 BvG 158, BVerfGE 8, 122 (134); v. 17.1.1979 – 2 BvL 6/76, BVerfGE 50, 195 (201); v. 23.11.1988 – 2 BvR 1619, 1628/83, BVerfGE 79, 127 (151 f.); BVerwG v. 11.2.1993 – 4 C 18.91, BVerwGE 92, 56. 2 BVerfG v. 17.1.1967 – 2 BvL 28/3, BVerfGE 21, 117 (128 f.); v. 24.6.1969 – 2 BvR 446/46, BVerfGE 26, 228 (237 f.); v. 17.1.1979 – 2 BvL 6/76, BVerfGE 50, 195 (201); v. 7.10.1980 – 2 BvR 584 u.a./76, BVerfGE 56, 298 (312); v. 12.1.1982 – 2 BvR 113/81, BVerfGE 59, 216 (226); v. 23.11.1988 – 2 BvR 1619, 1628/83, BVerfGE 79, 127 (143, 146 f.); v. 26.10.1994 – 2 BvR 44/91, BVerfGE 91, 228 (236); v. 7.1.1999 – 2 BvR 929/97, NVwZ 1999, 520; BVerwG v. 4.8.1983 – 7 C 2.81, BVerwGE 67, 321 (324); v. 18.5.1995 – 7 C58.94, BVerwGE 98, 273 (275); vgl. bereits oben § 1 Rz. 1. 3 BVerfG v. 18.7.1967 – 2 BvF 3 u.a./62, BVerfGE 22, 180 (204 ff.); v. 21.5.1968 – 2 BvL 2/61, BVerfGE 23, 353 (365 f.); v. 17.1.1979 – 2 BvL 6/76, BVerfGE 50, 195 (201); v. 23.11.1988 – 2 BvR 1619, 1628/83, BVerfGE 79, 127 (143 ff.).
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A. Verfassungsrechtliche Vorgaben
dert, die Selbstverwaltung „so zu beschränken und innerlich auszuhöhlen, dass sie nur noch ein Schattendasein führen kann“4. Nach allgemeiner Auffassung handelt es sich bei der Selbstverwaltungs- 4 garantie um eine Garantie der Einrichtung „kommunale Selbstverwaltung“5. Bei Einrichtungsgarantien muss die Einrichtung als solche in ihrem Kernbereich oder „Wesensgehalt“ erhalten bleiben. Der Wesensgehalt der kommunalen Selbstverwaltung wird zumeist so bestimmt, dass den Gemeinden bestimmte Aufgaben zugewiesen werden, die ihnen „seit jeher“ zustanden6. Daraus ergeben sich Bereiche, die vor Schmälerungen durch den Gesetzgeber geschützt sind7. Im Einzelnen wird der Kern der Selbstverwaltungsgarantie durch die Zuordnung bestimmter Hoheitsrechte konkretisiert. Hierzu zählen Gebietshoheit, Satzungshoheit, Planungshoheit8, Organisationshoheit, Personalhoheit und Finanzhoheit9. Auch die privatwirtschaftliche Betätigung der Gemeinden wird eigenständig oder als Teil der kommunalen Organisationshoheit (Formenwahlrecht) und Finanzhoheit dem unantastbaren Wesensgehalt der gemeindlichen Selbstverwaltungsgarantie zugeschlagen10 oder jedenfalls für grund-
4 So schon der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich, Entscheidung vom 10./11. 12.1929, in: Lammers/Simons, Die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich, 1929–1932, Band 2, 1932, S. 99 (107); vgl. auch Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl. 1933, S. 583. 5 Vgl. etwa F. Klein, Institutionelle Garantien und Rechtsinstitutsgarantien, 1934, S. 136 im Anschluss an Carl Schmitt, Verfassungslehre, 1928, S. 170 ff. 6 BVerfG v. 12.7.1960 – 2 BvR 373, 442/60, BVerfGE 11, 266 (274); v. 26.11.1963 – 2 BL 12/62, BVerfGE 17, 172 (182); v. 1.7.1967 – 2 BvF 3 u.a./62, BVerfGE 22, 180 (205); v. 21.5.1968 – 2 BvL 2/61, BVerfGE 23, 353 (365); v. 24.6.1969 – 2 BvR 446/64, BVerfGE 26, 228 (238); v. 17.1.1979 – 2 BvL 6/76 , BVerfGE 50, 195 (201); v. 12.1.1981 – 2 BvR 113/81, BVerfGE 59, 216 (226); v. 23.11.1988 – 2 BvR 1619, 1628/83, BVerfGE 79, 127 (146); v. 26.10.1994 – 2 BvR 44/91, BVerfGE 91, 228 (238). 7 BVerfG v. 20.3.1952 – 1 BvR 267/51, BVerfGE 1, 167 (175, 178); v. 29.4.1958 – 2 BvL 25/56, BVerfGE 7, 358 (364); v. 2.12.1958 – 1 BvL 27/55, BVerfGE 8, 332 (359); v. 27.4.1959 – 2 BvF 2/58, BVerfGE 9, 268 (290); v. 12.7.1960 – 2 BvR 373, 442/60, BVerfGE 11, 266 (274); v. 26.11.1963 – 2 BvL 12/62, BVerfGE 17, 172 (182); v. 17.1.1967 – 2 BvL 28/63, BVerfGE 21, 117 (130); v. 1.7.1967 – 2 BvF 3 u.a./62, BVerfGE 22, 180 (205); v. 21.5.1968 – 2 BvL 2/61, BVerfGE 23, 353 (365); v. 24.6.1969 – 2 BvR 446/64, BVerfGE 26, 228 (238); v. 23.11.1988 – 2 BvR 1619, 1628/83, BVerfGE 79, 127 (143); v. 7.2.1991 – 2 BvL 24/84, BVerfGE 83, 363 (381); v. 26.10.1994 – 2 BvR 44/91, BVerfGE 91, 228 (238). 8 BVerwG v. 19.11.1965 – IV C 184.65, BVerwGE 22, 342 (347); v. 11.2.1993 – 4 C 25.91, DVBl 1993, 657. 9 BVerfG v. 27.1.2010 – 2 BvR 2185, 2194/04, BVerfGE 125, 141 (158 ff.); S. Schmitt, Inhalt, verfassungsrechtliche Stellung und Bedeutungsgehalt der kommunalen Finanzhoheit. Die Finanzhoheit relativierend BVerfG v. 7.9.2010 – 2 BvF 1/09, BVerfGE 127, 165 (208). 10 BVerfG v. 16.5.1989 – 1 BvR 705/88, NJW 1990, 183; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 88 f.; Ehlers, Gutachten 64. DJT, S. E 68. Umfassend: WieRonellenfitsch
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Verfassungsrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Vorgaben
sätzlich zulässig gehalten. Bezogen auf die Daseinsvorsorge gehört sie gewiss zum typusprägenden Bild der kommunalen Selbstverwaltung11. Die Verfassungsgeber in Bund und Ländern fanden bereits eine entfaltete Wirtschaftstätigkeit vor. Wirtschaftliche Leistungen zur Existenzsicherung der Bürger werden seit jeher den Aufgaben der kommunalen Gebietskörperschaften zugeordnet12. Allerdings erfasst die Selbstverwaltungsgarantie nur die durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigte wirtschaftliche Betätigung der Kommunen. Erwerbswirtschaftlich-fiskalische Betätigung, deren Primärzweck das Gewinnstreben ist, fällt, sofern sie kommunalrechtlich gestattet ist, nicht (unmittelbar) in den Schutzbereich der Selbstverwaltungsgarantie13. Generell muss die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden im Kontext der Gesamtverfassung gewürdigt werden.
II. Wirtschaftsverfassung 1. Ausnahmecharakter der privatwirtschaftlichen Betätigung der Gemeinden 6 Die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden fügt sich nicht nahtlos in das marktwirtschaftliche System ein. Dem Grundgesetz lässt sich zwar kein ausdrückliches Bekenntnis zu marktwirtschaftlichen Prinzipien entnehmen. Das BVerfG leitet aus der Formel von der „wirtschaftspolitische Neutralität des Grundgesetzes“ jedoch nur einen wirtschaftspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers ab, „sofern er dabei das Grundgesetz und insbesondere die Grundrechte beachtet.“14 Daher muss die Affinität der Grundrechte zur Marktwirtschaft beachtet werden15. Staatliche Einflussnahmen auf die Privatwirtschaft werden damit verfassungsrechtlich zur Ausnahme. Die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden ist nicht per se verfassungswidrig16, bedarf aber als Ausnahme von der Regel der Rechtfertigung.
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land/Hellermann, Der Schutz des Selbstverwaltungsrechts der Kommunen gegenüber Einschränkungen ihrer wirtschaftlichen Betätigungen im nationalen und europäischen Recht. VerfGH Rh.-Pf. v. 28.3.2000 – VGH N 12/98, NVwZ 2000, 801 mit insoweit unzutreffender Kritik von Ruffert, NVwZ 2000, 763 ff. BVerfG v. 20.3.1984 – 1 BvL 28/82, BVerfGE 66, 248 (258); BVerwG v. 18.5.1995 – 7 C 58.94, BVerwGE 98, 273 (275). BVerfG v. 8.7.1982 – 2 BvR 1187/80, BVerfGE 61, 82 (107). A.A. Ehlers, DVBl 2000, 1301 ff. (1309). BVerfG v. 1.3.1979 – BvR 532 u.a., BVerfGE 50, 290 (338). Ronellenfitsch, Wirtschaftliche Betätigung des Staates, in Isensee/Kirchhof u.a., HStR III, § 84 Rz. 32; Ronellenfitsch, Selbstverantwortung und Deregulierung im Ordnungs- und Umweltrecht, S. 23. Art. 110 Abs. 1 GG setzt die Zulässigkeit einer wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand voraus.
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2. Rechtfertigung Die Gemeinden können sich bei ihrer wirtschaftlichen Betätigung nicht auf Grundrechte berufen. Das BVerfG hat im Sasbach-Beschluss entschieden, dass der öffentlichen Hand keine (materiellen) Grundrechte zustehen und damit den früheren Streit um die Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts beendet17. Die Gemeinden als Teil der mittelbaren Staatsverwaltung können nicht zugleich Adressaten und Berechtigte von Grundrechten sein (Konfusionsargument).
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Die sachliche Rechtfertigung für die wirtschaftliche Betätigung der Ge- 8 meinden folgt aus deren Verpflichtung, das Wohl ihrer Einwohner zu fördern, auf das klarstellend alle Gemeindeordnungen abheben. Der Gemeinwohlauftrag reagiert auf Massenbedürfnisse, deren Befriedigung auch in den kommunalen Aufgabenbereich fällt. Die Aufgaben der Daseinsvorsorge sind staatliche Aufgaben. Der kommunalen Gewährleistungspflicht entspricht die Befugnis, die Aufgabe notfalls selbst wahrzunehmen. Belange der Daseinsvorsorge rechtfertigen grundsätzlich immer die Wettbewerbsteilname kommunaler Unternehmen. Gerechtfertigt sind auch gemeindliche Interventionen, wenn eine privatwirtschaftliche Bedarfsbefriedigung nicht im Rahmen des marktwirtschaftlichen Systems erfolgt, d.h. wo private Monopole bestehen18. Sonstige privatwirtschaftliche Betätigungen können nur durch spezielle öffentliche Zwecke gerechtfertigt werden, die zumindest mitverfolgt werden oder wurden (Bestandsschutz). Rein erwerbswirtschaftlich motiviertes Tätigwerden von Gemeinden ist prinzipiell unzulässig19. Über die Zuordnung zum Schutz der Selbstverwaltungsgarantie erlangen überkommene wirtschaftliche Betätigungsformen im bezeichneten Rahmen Verfassungsrang und rechtfertigen die konkrete wirtschaftliche Betätigung der Kommunen.
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III. Konkurrentenschutz Da die Kommunen bei ihrer wirtschaftlichen Betätigung nur eine Ge- 10 winnerzielungsabsicht aufweisen, nicht jedoch auch real Gewinne erzielen müssen20, bestehen von vornherein Wettbewerbsvorteile im Verhält-
17 BVerfG v. 8.7.1982 – 2 BvR 1187/80, BVerfGE 61, 82; hierzu Ronellenfisch, JuS 1983, 594 ff. 18 Faiß/Lang/Faiß/Schmid/Giebler, Kommunales Wirtschaftsrecht in BadenWürttemberg, Rz. 865. 19 Sodan, DÖV 2000, 361 ff. (370). 20 Die kommunalen Unternehmen können somit auf Dauer auch ohne Gewinn betrieben werden. Ronellenfitsch
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nis zu privaten Konkurrenten. Für Privatunternehmer ist es obendrein ärgerlich, wenn sie mit Steuermitteln zur Finanzierung der Kommunen beitragen, deren wirtschaftliche Unternehmen mit Unternehmen Privater im Wettbewerb stehen. Damit stellt sich die Frage nach dem Konkurrentenschutz in voller Schärfe. 11 Die Erfolgsaussichten verwaltungsprozessualen Rechtsschutzes im Wege der Klage auf Unterlassung von Wettbewerb oder jedenfalls Wettbewerbsverstößen waren bislang gering, zumal bereits der drittschützende Charakter der Vorschriften der Gemeindeordnungen über die wirtschaftliche Betätigung der Kommunen umstritten war und überwiegend abgelehnt wurde21. Entsprechendes gilt für die Durchsetzung von Einwirkungsansprüchen der Kommune auf die wirtschaftliche Betätigung gemeindlicher Unternehmen22. Mittlerweile hat sich aber eine rechtsschutzfreundlichere Praxis verstetigt23. Das letzte Wort ist hierzu freilich noch nicht gesprochen (vgl. § 6 Rz. 137 ff.) 12 Die Zivilgerichte neigten demgegenüber dazu, die Rechtsschutzlücke zu schließen, indem sie öffentlich-rechtliche Kompetenzüberschreitungen kurzerhand als Verstöße gegen § 3 UWG deklarieren24. Der BGH hat diesem expandierenden Kontrollstreben der Instanzgerichte einen Riegel vorgeschoben25. Das „zivilgerichtliche Dilettieren in Zentralbereichen
21 BVerwG v. 1.3.1978 – 7 B 144.76, NJW 1978, 1539; VGH BW v. 21.7.1982 – 1 S 746/82, NJW 1984, 251 (252); HessVGH v. 17.1.1996 – 6 TG 4316/95, DÖV 1996, 476 (477); OVG NW v. 2.12.1985 – 4 A 2214.84, NVwZ 1986, 1045; Waechter, Kommunalrecht, Rz. 611; Seewald, Kommunalrecht, in Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 1, Rz. 296; Schoch, DÖV 1993, 377 (380); Stober, Kommunalrecht, § 11 I 3; Tettinger/Erbguth/Mann, § 12 Rz. 93 ff.; zutreffend differenzierend Knemeyer/Kempen, Kommunales Wirtschaftsrecht, in Achterberg/Püttner/Würtenberger, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 2, § 17 Rz. 55 ff. 22 HessVGH v. 17.1.1996 – 6 TG 4316/95, DÖV 1996, 476. 23 VerfGH Rh.-Pf. v. 28.3.2000 – VGH 12/98, NVwZ 2000, 801 (805); OVG NW v. 13.8.2003 - 15 B 1137/93, NVwZ 2003, 1520; VGH BW v. 6.3.2006 – 1 S 2490/05, NVwZ-RR 2006, 714; v. 1.4.2008 – 15 B 122/08, NVwZ 2008, 1031; VG Braunschweig v. 7.3.2012 - 5 B 25/12, BeckRS 2012, 48461. 24 BGH v. 18.5.1995 – I ZB 22/94, NJW 1995, 2295 (2296); v. 25.4.2002 – I ZR 250/00, DVBl 2002, 1282; OLG Hamm v. 23.9.1997 – 4 U 99/97, NJW 1998, 3504 („Gelsengrün“; hierzu Löwer, Organisationsrechtliche und materiellrechtliche Grenzen kommunaler konkurrenzwirtschaftlicher Betätigung – Der Fall „Gelsengrün“, 1997); OLG Düsseldorf v. 28.10.1999 – 2 U 7/99, DVBl 2000, 284; LG Offenburg v. 3.12.1999 – 5 O183/98 KfH, NVwZ 2000, 717; OLG München v. 20.4.2000 – 6 U 4072/99, NVwZ 2000, 835; OLG Karlsruhe v. 16.11.2001 – 4 U 171/99, VBlBW 2001, 234. Vgl. ferner Strittmatter, VM 1997, 221 ff.; Tomerius, LKV 2000, 41 ff.; G.Werner, VBlBW 2001, 206 ff.; H. Schmid, ZKF 2001, 242 ff. 25 BGH v. 25.4.2002 – I ZR 250/00, BGHZ 150, 343; hierzu Warneke, JuS 2003, 958 ff.
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des Kommunalrechts“26 wäre in der Tat unnötig, wenn ein grundrechtlicher Abwehranspruch gegenüber kommunalen Konkurrenten anerkannt würde. Bislang hilft aber auch der unmittelbare Rückgriff auf die Grundrechte der Konkurrenten (Art. 12, 14 GG) nicht viel weiter, da nach überwiegender Meinung Grundrechte generell nicht vor Konkurrenz, auch nicht vor Konkurrenz durch die öffentliche Hand27, schützen. Eine Ausnahme besteht lediglich beim Verdrängungswettbewerb28 oder bei Ausnutzung einer Monopolstellung29. Große Fortschritte hat der Konkurrentenschutz im Vergabeverfahren gemacht30. Unter Fortentwicklung dieser Ausnahmen wird man den privaten Kon- 13 kurrentenschutz immer dann bejahen müssen, wenn die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden deren Kompetenzbereich überschreitet oder das Übermaßverbot verletzt31. Über die Frage, ob die privatwirtschaftliche Betätigung der Gemeinden zulässig ist, haben dann die Verwaltungsgerichte zu entscheiden.
B. Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben I. Ausgangslage Die Beschneidung der kommunalen Entscheidungsspielräume im eige- 14 nen Wirkungskreis durch gemeinschaftsrechtliche Regulierungen mit hoher Regelungsdichte wird immer wieder als Bedrohung der Selbstverwaltung dargestellt32. Wesentlich gravierender ist aber umgekehrt ein deregulierter Wettbewerb, dem sich die gemeindlichen Unternehmen ausgesetzt sehen. Der zunehmende Wettbewerbsdruck auf dem Binnenmarkt macht auch vor der wirtschaftlichen Betätigung der Gemeinden keinen Halt33. Die Kommunen und ihre Verbände empfinden diese Ent-
26 Tettinger, NJW 1998, 3473 ff. (3494). 27 BVerwG v. 1.3.1978 – 7 B 144.76, NJW 1978, 1539; VGH BW v. 21.7.1982 – 1 S 746/82, NJW 1984, 251 (252 f.). 28 BVerwG v. 21.3.1995 – 1 B 211.94, DVBl 1996, 152 (153); OVG NW v. 2.12.1985 – 4 A 2214.84, NVwZ 1986, 1045 (1046). 29 BVerwG v. 21.3.1995 – 1 B 211.94, DVBl 1996, 152 (153); HessVGH v. 17.1.1996 – 6 TG 4316/95, NVwZ 1996, 816 (817). 30 Vgl. Müller-Serten, NZBau 2000, 120 ff. 31 Vgl. bereits Kluth, Grenzen kommunaler Wettbewerbsteilnahme, S. 63 ff.; Tettinger, NJW 1998, 3473 f. (3474). 32 Vgl. nur Martini, Gemeinden in Europa, S. 30 ff.; Spannowsky, DVBl 1991, 1120 ff. 33 Vgl. die Beiträge in: Henneke, Kommunen und Europa – Herausforderungen und Chancen. Ronellenfitsch
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wicklung auch unter dem Gesichtspunkt der Finanzknappheit als bedrohlich34. In der Tat verhält sich das Gemeinschaftsrecht zur privatwirtschaftlichen Betätigung der Gemeinden ambivalent, indem es diese schützt, aber auch beschränkt.
II. Selbstverwaltungsgarantie 1. Keine „Europafestigkeit“ der Selbstverwaltungsgarantie 15 Die Verträge, die der EU zu Grunde liegen, enthalten keine dem deutschen Recht entsprechende Garantie der kommunalen Selbstverwaltung35. Das entspräche auch nicht der europäischen Verfassungstradition36. Art. 28 Abs. 2 GG gilt als nicht „europafest“37, da sich selbst sekundäres Unionsrecht gegenüber der Selbstverwaltungsgarantie durchsetzt38. Beim Zustandekommen dieser Regelungen besteht nicht einmal ein förmliches Beteiligungsrecht der Gemeinden, deren Interessen aber durch die Länder über Art. 23 GG zu wahren sind. Damit besteht wenigstens ein bescheidener mittelbarer Schutz. 16 Den nationalen Verfassungsordnungen ist es unbenommen, im Rahmen des Gemeinschaftsrechts die kommunale Selbstverwaltung zu gewährleisten. Nach dem – unmittelbar nur im Verhältnis der Gemeinschaft und Mitgliedstaaten verbindlichen39 – Subsidiaritätsprinzip haben dann die Mitgliedstaaten darauf zu achten, dass Maßnahmen der Gemeinschaft nicht über das für die Erreichung der Ziele des AEUV erforderliche Maß in die eigene Verfassungsordnung eingreifen. Den in Art. 23 GG aufgeführten Organen der Bundesrepublik Deutschland obliegt insoweit hinsichtlich der kommunalen Selbstverwaltung auch im Außenverhältnis eine Garantenstellung für die Einhaltung europäischer Normen zum Schutz der kommunalen Selbstverwaltung, ganz abgesehen davon, dass einer unionsrechtlichen institutionellen Aushöhlung der Selbstverwal-
34 Vgl. nur die Rede von Articus v. 4.9.2000 in Berlin „Neubestimmung statt Palaver“, FAZ vom 5.9.2000, S. 16. 35 Zur Thematik Stöß, Europäische Union und kommunale Selbstverwaltung: die Handlungsspielräume deutscher Kommunen unter Einwirkung der Europäischen Union aus ökonomischer Perspektive; Groß, DVBl 2002, 1182 ff. (1188 f.); Henneke (Hrsg.), Kommunale Perspektiven im zusammenwachsenden Europa; Schneider, Kommunaler Einfluss in Europa. 36 Zur Garantie der kommunalen Selbstverwaltung in den Verfassungsordnungen der Mitgliedstaaten der EU Heberlein, DVBl 1994, 1215 ff. (1215). 37 Statt aller Seewald, Kommunalrecht, in Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 1, Rz. 11. 38 Zum umfassenden Vorrang des Gemeinschaftsrechts EuGH v. 15.7.1964 – Rs. 6/64, Flaminio Costa/E.N.E.L., Slg. 1964, 1251 (1270). Aus dem Schrifttum Zuleeg, in FS f. von Unruh, S. 91 ff. (93); Mombaur/von Lennep, DÖV 1988, 988 ff. (991); Rengeling, DVBl 1990, 893 ff. 39 Lambert, EuR 1993, 229 ff. (235).
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tungsgarantie der nationale Souveränitätsvorbehalt (Art. 4 Abs. 2 AEUV) entgegengehalten werden könnte40. 2. Europäische Charta der Kommunalen Selbstverwaltung Eine derartige Schutznorm ist die seit 1.9.1988 als Bundesrecht41 geltende 17 Charta der Kommunalen Selbstverwaltung42. Diese enthält in Art. 3 Abs. 1 folgende Definition: „Kommunale Selbstverwaltung bedeutet das Recht und die tatsächliche Fähigkeit der Kommunalen Gebietskörperschaften, im Rahmen der Gesetze einen wesentlichen Teil der öffentlichen Angelegenheiten in eigener Verantwortung zum Wohl ihrer Einwohner zu regeln und zu gestalten.“ Die Bedeutung der Charta, der nicht einmal auf nationaler Ebene Verfassungsrang zukommt, mag nicht besonders groß sein43. Immerhin bringt sie das gemeineuropäische Anliegen zum Ausdruck, gewisse Grundelemente der kommunalen Selbstverwaltung zu sichern. Auf dem Weg zur Aufnahme der Selbstverwaltungsgarantie in eine europäische Verfassung stellt sie zwar einen ersten Schritt dar. Als Basis eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes kann sie indessen noch nicht herangezogen werden44. 3. Mindestgarantie Das Europäische Vertragswerk ist ein Gesetzsystem, das eine Zusam- 18 menschau tragender Wertungsprinzipien zulässt. Hierzu zählen die Vertragsprinzipien der Souveränität, der Verhältnismäßigkeit und der Bürgernähe, Prinzipen also, die einen Mindeststandard kommunaler Selbstverwaltung stützen, auch wenn sie keinen gegenständlich bestimmten Aufgabenkatalog rechtfertigen45. Zu diesem Mindeststandard gehört es, dass autonome staatliche Untergliederung sich im Interesse einer effekti-
40 Vgl. Blanke, DVBl 1993, 819 ff. (821 f.). Zu den Konsequenzen eines Verstoßes von Gemeinschaftsrecht gegen den Souveränitätsvorbehalt (Nullifikation) vgl. Ronellenfitsch, J. C. Calhoun und die Europäische Staatengemeinschaft, in FS f. Oppermann, S. 65 ff. (82). 41 Gesetz vom 22.1.1987 (BGBl. II S. 65). 42 Zur landesrechtlichen Umsetzung Weiß, Einführung und Umsetzung der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland: insbesondere in Bayern und Nordrhein-Westfalen. 43 Schmidt-Aßmann, Kommunalrecht, in Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, Rz. 7a. 44 Geis, Kommunalrecht, § 4 Rz. 15; Schröder, Kommunalrecht, in Achterberg/ Püttner/Würtenberger, Besonderes Verwaltungsrecht Band 2, § 16 Rz. 41; Faber, DVBl 1991, 1126 ff. (1129); weitergehend Spannowsky, DVBl 1991, 1120 ff. (1123 f.). 45 Magiera, Kommunale Selbstverwaltung und Europäische Union, in Grupp/Ronellenfitsch, Blümel-Symposium, S. 13 ff. (31 f.). Noch weitergehend Martini/ Müller, BayVBl. 1993, 161 ff.; hiergegen wiederum Heberlein, BayVBl. 1993, 676 ff. Ronellenfitsch
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ven Aufgabenerfüllung auch privatwirtschaftlich betätigen dürfen, soweit dies primäres Gemeinschaftsrecht nicht ausdrücklich ausschließt. Der Mindeststandard der kommunalen Selbstverwaltung ist von der Gemeinschaft in die Abwägung mit anderen gemeinschaftsrechtlichen Prinzipien einzubeziehen46.
III. Wirtschaftsverfassung 19 Die Frage nach der Wirtschaftsverfassung der EU ist zu beantworten mit Blick auf die vertraglichen Grundlagen sowie die Allgemeinen Rechtsgrundsätze des primären Unionsrechts, die als Eckwerte zusammengesehen das wirtschaftliche Leitbild der EU ergeben. Wie praktisch jede Wirtschaftsverfassung, weist diejenige der EU eine Mischung aus marktwirtschaftlich-freiheitlichen („liberalen“) und interventionistischen („dirigistischen“) Elementen auf. Dies beruht auch darauf, dass im Vertragssystem Kompromisse zwischen den durchaus verschiedenen Wirtschaftssystemen in den Mitgliedstaaten zu finden waren47. Gleichwohl lässt sich in der Gesamtschau festhalten, dass Leitbild der EU-Wirtschaftsverfassung der „Grundsatz einer sozialen Marktwirtschaft mit kontrolliertem Wettbewerb“ ist48. Eingriffe in den Markt bedürfen auch nach unionsrechtlichem Vertragsverständnis jeweils einer besonderen Legitimation durch kollidierendes Primärrecht.
IV. Wettbewerbsprinzip 20 Das Bekenntnis des Art. 4 Abs. 1 EG (jetzt Art. 119 Abs. 1 AEUV) zum Grundsatz einer sozialen Marktwirtschaft mit kontrolliertem Wettbewerb erfasst den gesamten Bereich der wirtschaftlichen Betätigung von Gemeinden. Sowohl die Vorschriften für die Unternehmen (Art. 101–106 AEUV) wie auch die Beihilfevorschriften (Art. 107–109 AEUV) finden Anwendung. In beiden Fällen ist jedoch die Zwischenstaatlichkeitsklausel zu beachten. 1. Öffentliche Unternehmen 21 Art. 106 Abs. 1 AEUV untersagt es den Mitgliedstaaten, in Bezug auf öffentliche Unternehmen oder Unternehmen mit ausschließlichen oder besonderen Rechten, Maßnahmen zu treffen oder beizubehalten, durch die
46 Ähnlich, allerdings wohl nur de lege ferenda, Heberlein, DVBl 1994, 1213 ff. (1221). 47 Bleckmann, Europarecht, Rz. 2117. 48 Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 19 S. 329.
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die Unternehmen gegen die Wettbewerbsvorschriften verstoßen49. Ein öffentliches Unternehmen ist „jedes Unternehmen, auf das die öffentliche Hand auf Grund des Eigentums, finanzieller Beteiligung, Satzung oder sonstiger Bestimmungen, die die Tätigkeit des Unternehmens regeln, unmittelbar oder mittelbar beherrschenden Einfluss ausüben kann“50. Die Rechtsform des öffentlichen Unternehmens (Anstalt, Eigenbetrieb, juristische Person des Privatrechts)51 ist irrelevant. Maßgeblich ist allein der beherrschende Einfluss des Mitgliedstaats oder seiner Gebietskörperschaften52. Ein beherrschender Einfluss wird vermutet, wenn die öffentliche Hand unmittelbar oder mittelbar
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– die Mehrheit des Kapitals des Unternehmens besitzt oder – über die Mehrheit der Stimmen verfügt oder – mehr als die Hälfte der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des Unternehmens bestellen kann (Art. 2 Abs. 2 TransparenzRL). Unternehmen mit Sonderrechten sind Unternehmen, denen der Staat Pri- 23 vilegien bis hin zu Monopolen einräumt. Die Alternative „besondere Rechte oder ausschließliche Rechte“ bringt undeutlich zum Ausdruck, dass es um eine gleitende Skala geht. Auch partielle Ausschließlichkeitsrechte werden erfasst. Unternehmen mit Sonderrechten können zugleich auch öffentliche Unternehmen sein. Das Verbot des Art. 106 Abs. 1 AEUV ist insbesondere verletzt, wenn 24 Kartellabsprachen getroffen werden können, Verstöße gegen das Missbrauchsverbot nach Art. 102 AEUV – etwa durch unangemessene Tarifvereinbarungen – begünstigt werden oder gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV verstoßen wird. Ferner macht der Verweis in Art. 107 AEUV deutlich, dass Beihilfen an öffentliche Unternehmen oder Unternehmen mit Sonderrechten verboten sind, soweit sich aus dem AEUV nichts anderes ergibt. 49 Vgl. Wilms, Das Europäische Gemeinschaftsrecht und die öffentlichen Unternehmen – Die Kompetenz der Kommission aus Art. 90 Abs. 3 EG-Vertrag und ihre Anwendung auf die Elektrizitätswirtschaft. 50 Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 80/723/EWG der Kommission vom 25.6.1980 über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen (TransparenzRL) ABl L 195 vom 29.7.1980, S. 35; geändert ABl L 229 vom 28.8.1985, S. 20; ABl L 254 vom 12.10.1993, S. 16; ABl L 1 vom 3.1.1994, S. 457; ABl L 193 vom 29.7.2000, S. 15. 51 EuGH v. 23.4.1991 – Rs C-41/90, Höfer-Elser/Macrotron, Slg 1991 I-1978 Tz. 21; v. 17.2.1993 – verb. Rs C-159/91, Christian Poucet/Assurances Générales de France (AGF) u.a., NJW 1993, 2597 m. Anm. Eichenhofer Tz. 17. 52 Leitentscheidungen EuGH v. 18.11.1999 – Rs C 107/98, Teckal, Slg. 1999, I.8121; v. 11.5.2006 – Rs C 340/04, Carbotermo, NJW 2006, 2679; v. 11.5. 2006 – Rs. C 410/04 – Bari, NVwZ 2006, 555. Ronellenfitsch
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25 Aus Art. 106 Abs. 1 AEUV folgt allerdings auch, dass das Gemeinschaftsrecht von einer Koexistenz des öffentlichen Sektors mit dem privaten Sektor ausgeht. Wenn öffentliche Unternehmen nicht schlechthin von der Anwendung der Vertragsregeln, insbesondere der Wettbewerbsregeln freigestellt sind, so impliziert das die Zulässigkeit einer privatwirtschaftlichen Betätigung öffentlicher Unternehmen. 26 Für öffentliche und sonstige Unternehmen nach Art. 106 Abs. 1 AEUV sowie weiterer Unternehmen, die nicht unter diese Bestimmung fallen, trifft Art. 106 Abs. 2 AEUV eine Sonderregelung, sofern die Unternehmen mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, d.h. sofern sie (wirtschaftliche) Daseinsvorsorgeaufgaben wahrnehmen53. Die effektive Aufgabenerfüllung hat hier Vorrang vor den anderen Vertragszwecken, also auch vor dem Wettbewerbsprinzip (vgl. oben § 2 Rz. 11). 2. Beihilfeverbot 27 Das Beihilfeverbot des Art. 107 Abs. 1 AEUV gilt über die „Brückennorm“ des Art. 106 Abs. 1 AEUV54. Ziel ist es, gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen innerhalb des Gemeinsamen Marktes zu schaffen und zu bewahren, wettbewerbsverzerrende Beihilfepolitiken der einzelnen Mitgliedstaaten zu vermeiden, einen hierdurch ausgelösten Subventionswettlauf der Mitgliedstaaten zu verhindern und auf diese Weise die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs als Ordnungsprinzip in räumlicher Hinsicht sicherzustellen55. 28 Der Beihilfebegriff ist gegenständlich weit gefasst und beinhaltet nicht lediglich Subventionen, sondern alle Arten von Begünstigungen. Das sind alle sich wirtschaftlich auswirkende, unentgeltliche, also ohne angemessene Gegenleistung ausgestattete Maßnahmen. Unter den Beihilfebegriff fallen beispielsweise Zuschüsse, Befreiungen von Steuern und Abgaben, Zinszuschüsse, Übernahme von Bürgschaften zu Vorzugsbedingungen, unentgeltliche oder besonders preiswerte Überlassung von Grundstücken und Gebäuden sowie Übernahme von Verlusten56. Damit Vergünstigungen als Beihilfen eingestuft werden können, müssen sie zum einen un-
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Vgl. Britz, DVBl 2000, 1641 ff. Kahl, NVwZ 1996, 182 ff. (183). Vgl. Klodt/Stehn u.a., Die Strukturpolitik der EG, S. 75. Faber, Europarechtliche Grenzen kommunaler Wirtschaftsförderung, S. 126– 130.
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mittelbar oder mittelbar aus staatlichen Mitteln gewährt werden57 und zum anderen dem Staat zuzurechnen sein58. Begriffsmerkmal der gemeinschaftsrechtlichen Beihilfe ist ihr Verbot 29 nach Art. 107 Abs. 1 AEUV. Unionsrechtlich sind nur solche Beihilfen relevant, die den Tatbestand dieser Bestimmung erfüllen59. Aber auch solche grundsätzlich verbotene Beihilfen können ausnahmsweise gerechtfertigt sein. Nicht jede Beihilfe ist verboten, sondern nur eine Beihilfe, die den gemeinsamen Markt berührt. Staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, sind mit dem gemeinsamen Markt nur dann unvereinbar, – soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen und – soweit im AEUV nicht etwas anderes bestimmt ist. Staatliche Leistungen zum Ausgleich von Defiziten, die durch die Erfüllung von Daseinsvorsorgeleistungen durch Unternehmen im Sinne von Art. 106 Abs. 1 AEUV entstehen, sind schon tatbestandlich keine verbotenen Beihilfen. Sie verfälschen nicht den zwischenstaatlichen Wettbewerb oder drohen ihn zu verfälschen, da jeder, der sich um die Leistungserfüllung bewirbt, einen Anspruch auf die Ausgleichsleistung hat, sobald er den Zuschlag erhält.
57 EuGH v. 17.3.1993 – Rs. C-72/91 und C-73/91, Sloman Neptun, Slg. 1993, I-887, Rz. 19; v. 30.11.1993 – Rs. C-189/91, Kirsammer-Hack, Slg. 1993, I-6185, Rz. 16; v. 7.5.1998 – Rs. C-52/97 bis C-54/97, Vicido u.a., Slg. 1998, I-2629, Rz. 13; v. 1.12.1998 – Rs. C-200/97, Ecotrade, Slg. 1998, I-7907, Rz. 35, vom 17.6.1999 – Rs. C-295/97, Piaggio, Slg. 1999, I-3735, Rz. 35; vom 13.3.2001 – Rs. C-379/98, Preußenelektra, Slg. 2001, I-2099, Rz. 58. 58 EuGH v. 2.2.1988 – Rs. 67/85, 68/95 und 70/95, Van der Kooy u.a./Kommission, Slg. 1988, 219, Rz. 35; v. 21.3.1991 – Rs. C-303/88, Italien/Kommission, Slg. 1991, I-1433, Rz. 11; v. 16.5.2002 – Rs C-482/99, Französische Republik/Kommission, DVBl 2002, 1034 Rz. 22. 59 EuGH v. 16.5.2002 – Rs C-482/99, Französische Republik/Kommission, DVBl 2002, 1034 (1037), Rz. 68. Weiterführende instruktive Informationen zum Tatbestand des Beihilfeverbots mit einer ausführlichen Rechtsprechungsübersicht enthält die Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Beihilfevorschriften der Europäischen Union auf Ausgleichsleistungen für die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse v. 11.1.2012 (2012/C 8/02). Die Kommissionsmitteilung ist Teil des sog. EU-Beihilfe-Pakets v. 20.12.2011. Zu diesem für kommunale Unternehmen relevanten Gesetzespaket gehören zudem der Beschluss der Kommission v. 20.12.2011 über die Anwendung von Art. 106 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf staatliche Beihilfen in Form von Ausgleichsleistungen zugunsten bestimmter Unternehmen, die mit der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind. Ronellenfitsch
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Verfassungsrechtliche und gemeinschaftsrechtliche Vorgaben
V. Konkurrentenschutz 30 Auch auf Unionsebene kommt ein Konkurrentenschutz privater Wettbewerber gegen gemeinschaftsrechtswidrige Modalitäten (namentlich gegen unzulässige Wettbewerbsvorteile) bei der privatwirtschaftlichen Betätigung von Gemeinden in Betracht. Vor allem im Vergabewesen hat sich das Klagerecht vor dem EuGH bislang nicht selten als effektiv erwiesen60, was für „in-house-Geschäfte bedeutsam werden könnte61. Auch gegen unzulässige Beihilfen besteht Drittschutz konkurrierender Dritter, der seit dem „Bananen-Urteil“ des EuGH62 aus dem Gemeinschaftsgrundrecht auf Berufsausübungsfreiheit abzuleiten ist63. Unzulässige Beihilfen sind grundsätzlich zurückzufordern64.
60 Vgl. nur EuGH v. 22.6.1989 – Rs. 103/88 – Constanze/Stadt Mailand, NVwZ 1990, 649. 61 Hierzu Faber, DVBl 2001, 248 ff.; OLG Düsseldorf v. 28.7.2011 – VII-Verg 20/11, NZBau 2012, 50. 62 EuGH v. 5.10.1994 – Rs. C-280/93, Deutschland/Rat, Slg. 1994, I-4973. 63 Nowak, DVBl 2000, 20 ff. (23). 64 EuGH v. 12.2011 – C 275/10 (Residex/Rotterdam); von Bonin, EuZW 2012, 106.
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Zweiter Teil: Der rechtliche Rahmen privatwirtschaftlicher Betätigung der Kommunen §4 Kommunalrechtlicher Begriff der privatwirtschaftlichen Betätigung der Kommunen von Prof. Dr. Michael Ronellenfitsch
A. Begriffsmerkmale . . . . . . . . I. Wirtschaftliche Betätigung . . . II. Wirtschaftliche Unternehmen . B. Abgrenzung zu nichtwirtschaftlichen Unternehmen . . I. Allgemeine Abgrenzungskriterien . . . . . . . . . . . . . II. Spezielle Abgrenzungskriterien 1. Gesetzliche Verpflichtung . . 2. Kulturelle und soziale Einrichtungen . . . . . . . .
Rz. 1 1 2 4 4 5 6
3. Hilfsbetriebe . . . . . . . . . III. Daseinsvorsorge . . . . . . . . .
Rz. 8 9
C. Schranken . . . . . . . . . . . . I. Zulässigkeitsvoraussetzungen . II. Schrankentrias . . . . . . . . . . 1. Öffentlicher Zweck . . . . . 2. Leistungsfähigkeit . . . . . . 3. Subsidiarität . . . . . . . . .
10 10 11 11 13 14
D. Betrieb eines Unternehmens . . 15
7
Literatur: Achterberg/Püttner/Würtenberger, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 2, 2. Aufl. 2000; Ehlers, Das neue Kommunalwirtschaftsrecht in Nordrhein-Westfalen, NWVBl. 2000, 1 ff.; Frenz, Wettbewerbsrechtliche Absicherung privater Entsorgungsverantwortung, DÖV 2000, 802 ff.; Gern, Deutsches Kommunalrecht, 2. Aufl. 1997; Heilshorn, Die Neufassung der kommunalwirtschaftlichen Subsidiaritätsklausel und des Gebietsbezuges kommunaler Unternehmen in Baden-Württemberg, VBlBW 2007, 161 ff.; Henneke, Gewinnerzielung und Arbeitsplatzsicherung als Legitimation kommunalwirtschaftlicher Betätigung, NdsVBl. 1999, 1 ff.; Henneke, Kommunale Aufgabenerfüllung in Anstaltsform, VBlBW 2000, 337 ff.; Hidien, Das Ermessen der Gemeinden über die Zweckbindung ihrer wirtschaftlichen Unternehmen, DÖV 1983, 1002 ff.; Hidien, Gemeindliche Betätigungen rein erwerbswirtschaftlicher Art und „öffentlicher Zweck“ kommunaler Wirtschaftsunternehmen, 1981; Jarass, Kommunale Wirtschaftsunternehmen und Verfassungsrecht, DÖV 2002, 489 ff.; Knemeyer, Vom kommunalen Wirtschaftsrecht zum kommunalen Unternehmensrecht, BayVBl. 1999, 1 ff.; Krohn, „Aus“ für Inhouse-Vergaben an gemischtwirtschaftliche Unternehmen, NZBau 2005, 92 ff.; Otting, Öffentlicher Zweck, Finanzhoheit und fairer Wettbewerb – Spielräume kommunaler Erwerbswirtschaft, DVBl 1997, 1258 ff.; Püttner, Neue Regelungen für öffentliche Unternehmen?, DÖV 2002, 731 ff.; Reinhard, Die Zulässigkeit kommunaler Wohnungsunternehmen, DÖV 1990, 500 ff.; Schaudigel, Der Betrieb nichtwirtschaftlicher kommunaler Unternehmen in Rechtsformen des Privatrechts, 1995; Schmidt-Aßmann/Schoch, Besonderes Verwaltungsrecht, 14. Aufl.
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§4
Kommunalrechtlicher Begriff der privatwirtschaftlichen Betätigung
2008; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, 1982; Schönershofen/Binder-Falcke, Zur wirtschaftlichen Betätigung der Gemeinden, VR 1997, 109 ff.; Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 1 (Kommunalrecht), 6. Aufl. 1999; Tettinger/Erbguth/ Mann, Besonderes Verwaltungsrecht/1, 10. Aufl. 2009; Waechter, Kommunalrecht, 3. Aufl. 1997; Waldmann, NVwZ 2008, 284 ff.; Zugmaier, Gemeindliche Unternehmen in Privatrechtsform, BayVBl. 2001, 233 ff.
A. Begriffsmerkmale I. Wirtschaftliche Betätigung 1 Wirtschaftliche Betätigungen sind solche Tätigkeiten einer Kommune, die auch von einem Privatunternehmer mit der Absicht der Gewinnerzielung vorgenommen werden könnten1. Der Vergleich mit der Privatwirtschaft stellt auf die Art und Weise der Tätigkeit ab (kaufmännischer Geschäftsbetrieb)2, nicht auf die konkret bestehende Konkurrenzsituation. Indizien der kommunalen Wirtschaftstätigkeit sind die Entgeltlichkeit der Leistung und die tatsächliche Gewinnerzielung.
II. Wirtschaftliche Unternehmen 2 Entsprechend zur Definition der wirtschaftlichen Tätigkeit sind kommunale wirtschaftliche Unternehmen Wirtschaftseinheiten der Kommunen, die auch von privaten Rechtsträgern betrieben werden können3. 3 Nur exemplarische Bedeutung erlangte auch die ursprünglich als abschließend-verbindlich gedachte Aufzählung wirtschaftlicher Unternehmen in der Ausführungsanweisung4 zur Eigenbetriebsverordnung5. Danach wurden als wirtschaftliche Unternehmen aufgeführt: – Versorgungsbetriebe: Wasserwerke, Gaswerke (auch Verteilungsbetriebe), Elektrizitäts- und Fernheizwerke (auch Verteilungsbetriebe); – Verkehrsbetriebe: Straßenbahnen, Kleinbahnen, Kraftverkehrsbetriebe, Industriebahnen, Anschlussbahnen, Gleisbetriebe, Hafenbetriebe, Speicher, Lagerhäuser, Häfen, Flughäfen, Fähren;
1 BVerwG v. 22.2.1972 – I C 24.69, BVerwGE 39, 329 (333). 2 Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rz. 665. 3 Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rz. 725; Waechter, Kommunalrecht, Rz. 600. Die Formel geht auf den Staatssekretär im Reichsfinanzministerium und letzten preußischen Finanzminister Johannes Popitz zurück. 4 Runderlass des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern v. 22.3.1939 (MBliV 467). 5 EBV v. 21.11.1838 (RGBl. I S. 1650).
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§4
B. Abgrenzung zu nichtwirtschaftlichen Unternehmen
– Betriebe der Urproduktion und darauf aufbauende Verarbeitungsbetriebe: Güter, Molkereien, Milchhöfe, Sägewerke, Salinen, Brunnenbetriebe, Kies- und Kalkbetriebe, Braunkohlebergwerke, Ziegeleien, Mühlen; – sonstige Betriebe: selbständige Gaswerkproduktionen (Kohleveredelungsbetriebe), selbständige Installationsbetriebe, selbständige Eisfabriken, selbständige Milchkühl- und andere Kühlanlagen, Wein- und Ratskellereien, Stadthallen und Reklamebetriebe. Für die wirtschaftlichen Unternehmen der Gemeinden gelten die besonderen Anforderungen des Gemeindewirtschaftsrechts.
B. Abgrenzung zu nichtwirtschaftlichen Unternehmen I. Allgemeine Abgrenzungskriterien Die Abgrenzung zwischen wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Tä- 4 tigkeit ist nicht allein in Bayern, das nur „Gemeindliche Unternehmen“ kennt6, schwierig, weil beide Arten kommunaler Verwaltungstätigkeit in der Regel von verselbständigten Teilen der Gemeindeverwaltung vorgenommen werden. Öffentliche Einrichtungen können als wirtschaftliche Unternehmen geführt werden7. Die Organisationsform liefert somit keine brauchbaren Abgrenzungskriterien. Die Erzielung von Einnahmen lässt ebenfalls nicht zwingend auf das Vorliegen einer wirtschaftlichen Tätigkeit schließen, da für nichtwirtschaftliche Tätigkeiten der Gemeinden spezielle Entgelte verlangt werden dürfen. Als Faustregel kann gelten, dass es sich bei den nichtwirtschaftlichen Unternehmen um solche Unternehmen handelt, deren Betrieb den Gemeinden ausdrücklich aufgegeben ist und die nach bisherigen Erfahrungen nicht gewinnbringend betrieben werden können8. Die Gewinnerzielungsabsicht als primärer Unternehmenszweck würde hier wegen der fehlenden realistischen Gewinnerzielungsmöglichkeiten ins Leere stoßen. Deshalb sollen hier die Regelungen über wirtschaftliche Unternehmen nicht bzw. nur eingeschränkt gelten.
II. Spezielle Abgrenzungskriterien Die Gemeindeordnungen nehmen von den wirtschaftlichen Unternehmen, d.h. von den strengeren Bindungen des Gemeindewirtschaftsrechts, 6 Art. 86 ff. BayGO; hierzu Knemeyer, BayVBl. 1999, 1 ff. 7 VGH BW v. 18.10.1990 – 2 S 2098/89, NVwZ 1991, 583; ferner Schaudigel, Der Betrieb nichtwirtschaftlicher kommunaler Unternehmen in Rechtsformen des Privatrechts. 8 Seewald, Kommunalrecht, in Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 1, Rz. 277. Ronellenfitsch
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§4
Kommunalrechtlicher Begriff der privatwirtschaftlichen Betätigung
solche Unternehmen, zu deren Betrieb die Gemeinde gesetzlich verpflichtet ist, bestimmte kulturelle und soziale Einrichtungen sowie Hilfsbetriebe zur Deckung des gemeindlichen Eigenbedarfs aus9. 1. Gesetzliche Verpflichtung 6 Keine wirtschaftlichen Unternehmen sind solche kommunalen Unternehmen, die auf Grund spezialgesetzlicher Anordnung zur Tätigkeit verpflichtet sind, Beispiele: Abfallbeseitigungsanlagen10 oder Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen von Trägern der Jugendhilfe 11. Der Bereich der kommunalen Pflichtaufgaben fällt nicht unter das Gemeindewirtschaftsrecht. 2. Kulturelle und soziale Einrichtungen 7 Keine wirtschaftlichen Einrichtungen sind in Anlehnung an § 67 Abs. 2 DGO ferner „Einrichtungen des Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesens, der Kultur, des Sports, der Erholung, der Abfall- und Abwasserbeseitigung, der Straßenreinigung sowie Einrichtungen ähnlicher Art“12. Beispiel: Ein Zweckverband, dem der Auftrag übertragen wurde, den Verbandsgemeinden Trinkwasser zu liefern und der nach der Verbandssatzung keinen Gewinn erwirtschaften darf13. 3. Hilfsbetriebe 8 Schließlich sind auch Hilfsbetriebe, die ausschließlich zur Deckung des Eigenbedarfs der Gemeinde dienen, keine wirtschaftlichen Unternehmen.
9 Vgl. etwa § 107 Abs. 1 GO NW; hierzu OVG NW v. 26.10.2010 – 15 A 440/08, KommJur 2011, 11. 10 Vgl. § 1 LAbfG NW; Art. 4 BayAbfG; § 41b ff. BayWG; §§ 45 ff. LWG NW. Vgl. auch Frenz, DÖV 2000, 802 ff. 11 §§ 5 Abs. 2, 12 SGB VIII. 12 § 102 Abs. 3 GemO BW; § 121 Abs. 2 HGO; § 68 Abs. 2 KV MV; § 136 Abs. 3 NKomVG; § 107 Abs. 2 Nr. 2 GO NW; § 85 Abs. 2 GemO Rh.-Pf.; § 108 Abs. 2 KSVG; § 97 Abs. 2 SächsGemO; § 116 Abs. 3 GO LSA; § 101 Abs. 2 GO Schl.Holst. Zu Feuerbestattungseinrichtungen VG Karlsruhe v. 14.2.2012 – 5 K 3000/11. 13 VGH BW v. 25.9.1995 – 2 S 250/95, VGHBW-Ls 1995, Beilage 12, B3–4.
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§4
C. Schranken
III. Daseinsvorsorge Von der mit unmittelbarer Gewinnerzielungsabsicht betriebenen wirt- 9 schaftlichen Betätigung sind auch die Tätigkeiten der Daseinsvorsorge zu unterscheiden, bei denen die effektive Aufgabenerfüllung im Vordergrund steht. Eine klare Trennungslinie lässt sich aber hier nicht ziehen. Abgesehen davon, dass in beiden Fällen ein öffentlicher Zweck vorliegen muss, schließt die Wahrnehmung der Aufgabe der Daseinsvorsorge den Rückgriff auf private Unternehmen und wirtschaftliche Unternehmen der Gemeinden nicht aus. Erfüllen wirtschaftliche Unternehmen der Gemeinden Aufgaben der Daseinsvorsorge, dann unterliegen sie den besonderen Bindungen der kommunalrechtlichen Vorschriften über die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden mit Ausnahme des Subsidiaritätsprinzips14. Die Abgrenzung der reinen erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit von der Daseinsvorsorge steht im Übrigen nicht ein für alle Mal fest, da sich die Bedürfnisse der Bevölkerung wandeln und nicht einmal die Beschränkung der Daseinsvorsorge auf die Grundversorgung eine rechtliche Stabilität garantiert15.
C. Schranken I. Zulässigkeitsvoraussetzungen Die Gemeinden dürfen wirtschaftliche Unternehmen ungeachtet der 10 Rechtsform nur errichten, übernehmen, wesentlich erweitern oder sich daran beteiligen, wenn bestimmte Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt sind. Dabei sehen die Gemeindeordnungen16 einheitlich drei auf § 67 DGO zurückgehende Schranken vor, nämlich den öffentlichen Zweck, die Leistungsfähigkeit und die Subsidiarität. Die Möglichkeit gemeindlicher Wirtschaftsbetätigung wird außerdem dadurch eingeschränkt, dass „Bankunternehmen“ (vgl. § 1 KWG ) generell unzulässig sind. Dafür sind allerdings kommunale Sparkassen ausdrücklich spezialgesetzlich zugelassen17.
14 Vgl. § 102 Abs. 1 Nr. 3 GemO BW. 15 Schmidt-Aßmann, Kommunalrecht, in Schmidt-Aßmann/Schoch, Besonderes Verwaltungsrecht, Rz. 118. 16 §§ 102 ff. GemO BW; Art. 86 ff. BayGO; § 91 BbgKVerf; §§ 52, 53 BrhVerf.; §§ 121 ff. HGO; §§ 68 ff. KV MV; §§ 136 Abs. 1 NKomVG; §§ 107 ff. GO NW; §§ 85 ff. GemO Rh.-Pf.; §§ 108 ff. KSVG; §§ 97 ff. SächsGemO; §§ 116 GO LSA; §§ 101 ff. GO Schl.-Holst., §§ 71 ff. ThürKO. 17 Nach BVerfG v. 23.9.1994 – 2 BvR 1547/85, NVwZ 1995, 370 (371) sind Sparkassen Einrichtungen geblieben, mit deren Hilfe Gemeinden und Kreise eine Aufgabe der Daseinsvorsorge wahrnehmen; ebenso SächsVerfGH v. 23.11.2000 – Vf. 62-II-99, DVBl 2001, 294; vgl. auch Henneke, VBlBW 2000, 337 ff. Ronellenfitsch
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Kommunalrechtlicher Begriff der privatwirtschaftlichen Betätigung
II. Schrankentrias 1. Öffentlicher Zweck 11 Jedes gemeindliche Verhalten muss einem öffentlichen Zweck dienen, der die Zielrichtung der Aufgabenzuweisung bestimmt. Die Bindung kommunaler Wirtschaftsbetätigung an einen unmittelbar zu erfüllenden öffentlichen Zweck ist verfassungsrechtlich vorgegeben18. Die Gemeindeordnungen vollziehen das lediglich nach. Das Erfordernis, dass der „öffentliche Zweck das Unternehmen rechtfertigt“19, lässt sich jedoch faktisch ohne größere Schwierigkeiten einhalten20, zumal richtiger Ansicht nach auch Annextätigkeiten erfasst werden21. Der öffentliche Zweck entfällt nur, wenn die Gewinnerzielungsabsicht der einzige Zweck der wirtschaftlichen Betätigung ist22. Zur Rechtfertigung wirtschaftlicher Betätigung reichen bereits strukturpolitische Erwägungen (z.B. Standortsicherung, Arbeitsplatzsicherung) aus, die sich leicht finden lassen, zumal die Rechtsprechung den Gemeinden insoweit Entscheidungsprärogativen einräumt23. Beispiele: Die Rechtsprechung erkannte die sozialpolitischen Belange bei der kommunalen Wohnungsvermittlung24 als öffentlichen Zweck an und stellte einen Sachzusammenhang zwischen dem Verkauf und der Zuteilung von Kfz-Kennzeichen her25. Problematisch erscheint die gewerbliche Gebäudereinigung26. Der öffentliche Zweck landschaftsgärtnerischer Arbeiten für private Auftraggeber27 ist ebenfalls schwer erkennbar. 12 Im Schrifttum28 wurden als öffentliche Zwecke aufgeführt: – Kontrolle örtlicher Monopole – zweckmäßige Verwaltung von Gemeindestraßen im Hinblick auf die Nutzung durch Versorgungs- und Kommunikationsleistungen 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28
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Jarass, DÖV 2002, 489 ff. (490 f.). A.A. Otting, DVBl 1997, 1258 ff. (1263). Hierzu Schönershofen/Binder-Falcke, VR 1997, 109 ff. (111). Das gilt auch für den „dringenden“ öffentlichen Zweck nach § 107 GO NW. Püttner, DÖV 2002, 731 ff. (735). Amtl. Begründung zu § 67 DGO, abgedruckt bei Surén, Gemeindewirtschaftsrecht, 1960, S. 139 f.; Hidien, Gemeindliche Betätigung, S. 74 ff. BVerwG v. 22.2.1972 – I C 24.69, BVerwGE 39, 329 (334); OLG Karlsruhe v. 14.11.2001 – 6 U 43/01, OLG-Report Karlsruhe 2002, 131 (Wohnungsbau); Hidien, DÖV 1983, 1002 ff. BVerwG v. 1.3.1978 – 7 B 144.76, NJW 1978, 1539 (1540); vgl. auch Reinhard, DÖV 1990, 500 ff. BGH v. 26.4.1974 – I ZR 8/73, DÖV 1974, 785 (787) m. Anm. Püttner. Heintzen, Rechtliche Grenzen und Vorgaben für eine wirtschaftliche Betätigung von Kommunen im Bereich der gewerblichen Gebäudereinigung, 1999. Vgl. aber OLG Karlsruhe v. 16.11.2000 – 4 U 171/99, NVwZ 2001, 712. Vgl. Hill, Kommunen im wirtschaftlichen Wettbewerb, 1998, S. 49 ff.; Enkler, Wirtschaftliche Betätigung der Kommunen in neuen Geschäftsfeldern, ZG 1998, 328 ff.; Henneke, NdsVBl. 1999, 1 ff.
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§4
C. Schranken
– Unterstützung der gemeindlichen Stadtplanung, Siedlungspolitik und Wirtschaftsförderung – Erhaltung des kommunalen Einflusses auf die Versorgung gegenüber Großunternehmen – Sicherung eines angemessenen Tarifgefüges zwischen Kleinverbrauchern und Großabnehmern. 2. Leistungsfähigkeit Gemeindliche Wirtschaftsunternehmen müssen nach Art und Umfang in 13 einem angemessenen Verhältnis zur Leistungsfähigkeit der Gemeinde und zum voraussichtlichen Bedarf stehen29. Das Kriterium der Leistungsfähigkeit ist eine haushaltsrechtliche Selbstverständlichkeit. Der Gebietsbezug verweist die Gemeinden auf ihre sachlichen und räumlichen Kompetenzgrenzen (vgl. näher zur Diskussion und den Schranken für eine gebietsüberschreitende Tätigkeit wirtschaftlicher Unternehmen von Gemeinden § 6 Rz. 24 ff.). 3. Subsidiarität Wirtschaftliche Betätigungen der Gemeinden sind nur dann zulässig, 14 wenn der Zweck nicht besser und wirtschaftlicher durch Private erfüllt werden kann30. Die Subsidiaritätsklausel ist in den Gemeindeordnungen unterschiedlich stark ausgeprägt31, gilt aber in Deutschland flächendeckend32; denn sie enthält einen verfassungsrechtlich gebotenen allgemeinen Rechtsgrundsatz, von dem nur für den Bereich der Daseinsvorsorge eine Ausnahme zu machen ist. Bei der Daseinsvorsorge wird mit der wirtschaftlichen Betätigung eine originäre öffentliche Aufgabe erfüllt, während außerhalb der kommunalen Daseinsvorsorge die öffentliche Zweckrichtung der wirtschaftlichen Tätigkeit nur einen privaten Tätigkeitsbereich überlagert. 29 § 102 Abs. 1 Nr. 2 GemO BW; Art. 87 Abs. 1 Nr. 2 BayGO; § 91 Abs. 2 Nr. 2 BbgKVerf; § 121 Abs. 1 Nr. 2 HGO; § 68 Abs. 1 Nr. 2 KV MV; § 136 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 NKomVG; § 108 Abs. 1 Nr. 4 GO NW; § 85 Abs. 1 Nr. 2 GemO Rh.-Pf.; § 108 Abs. 1 Nr. 2 KSVG; § 97 Abs. 1 Satz 2 SächsGemO; § 116 Abs. 1 Nr. 2 GO LSA; § 101 Nr. 2 GO Schl.-Holst.; § 71 Abs. 1 Nr. 2 ThürKO. 30 § 102 Abs. 1 Satz 1 GemO BW; Art. 87 Abs. 1 Nr. 4 BayGO; § 68 Abs. 1 Nr. 3 KV MV; § 136 Abs. 2 Nr. 3 NKomVG; § 85 Abs. 1 Nr. 3 GemO Rh.-Pf.; § 108 Abs. 1 Nr. 3 KSVG; § 116 Abs. 1 Nr. 3 GO LSA; § 101 Abs. 1 Nr. 3 GO Schl.Holst.; § 71 Abs. 1 Nr. 3 ThürKO. 31 Heilshorn, VBlBW 2007, 161 ff. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Subsidiaritätsklausel in § 107 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GO NW erhebt Ehlers, NWVBl. 2000, 1 ff. 32 In Hessen geht der Subsidiaritätsgedanke im „öffentlichen Zweck“ auf; vgl. Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht Rz. 686; Knemeyer/Kempen, Kommunales Wirtschaftsrecht, in Achterberg/Püttner/Würtenberger, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 2, Rz. 22. Ronellenfitsch
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Kommunalrechtlicher Begriff der privatwirtschaftlichen Betätigung
D. Betrieb eines Unternehmens 15 Für die Ausgestaltung der wirtschaftlichen Betätigung stehen den Gemeinden grundsätzlich alle Formtypen des öffentlichen und privaten Rechts zu Verfügung, wodurch eine weite Skala der Verselbständigung der wirtschaftlichen Unternehmen eröffnet wird33. Die öffentlich-rechtlichen Formen reichen vom Regiebetrieb über den Eigenbetrieb zu den rechtsfähigen Organisationsformen der Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts bis schließlich zu sog. Selbständigen Kommunalunternehmen des öffentlichen Rechts34. Die Wahl privatrechtlicher Organisationsformen ist an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. In erster Linie geht es um die Sicherstellung des öffentlichen Zwecks und die Verwirklichung der gemeindlichen Einwirkungspflicht. Das bedeutet, dass nur eine formelle Privatisierung in Betracht kommt.
33 Überblick bei Cronauge, Kommunale Unternehmen, passim. 34 Riedmaier/Schraml, Das Kommunalunternehmen – Anstalt des öffentlichen Rechts. Erweiterung kommunaler Handlungsmöglichkeiten, 2000; Waldmann, NVwZ 2008, 284 ff.
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§5 Voraussetzungen und Grenzen der materiellen Privatisierung von Prof. Dr. Michael Ronellenfitsch
A. Grundlagen . . . . . . . . . . .
Rz. 1
B. Voraussetzungen der Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . 9 I. Obligatorische Privatisierung . 9 II. Fakultative Privatisierung . . . 11 C. Grenzen der Privatisierung . . . 12 I. Verfassungsrechtliche Grenzen 12 II. Kommunalrechtliche Grenzen. 13
Rz. D. Materielle Privatisierung bei der privatwirtschaftlichen Betätigung der Kommunen . I. Zusammenfassung . . . . . . II. Abwägung . . . . . . . . . . . III. Teilprivatisierung . . . . . . .
. . . .
15 15 16 18
E. Rekommunalisierung . . . . . . 21 I. Verfassungsrechtliches Gebot . 21 II. Abwägungsentscheidung . . . . 22
Literatur: Altenhofen, Public Private Partnership, 2005; Bausback, Public Private Partnership im deutschen Öffentlichen Recht und im Europarecht, DÖV 2006, 901 ff.; Boehme-Neßler, Öffentliche Auftragsvergabe in Public-Private-Innovationsnetzwerken, DVBl 2006, 1257 ff.; Bremer, Public Private Partnership, 2005; Budäus, Kooperationsformen zwischen Staat und Markt, 2006; Byok, Das Verhandlungsverfahren, Praxishandbuch für die sichere Auftragsvergabe unter besonderer Berücksichtigung von PPP-Projekten, 2006; Cronauge, Kommunale Unternehmen: Eigenbetriebe – Kapitalgesellschaften – Zweckverbände, 2. Aufl. 1995; Eberle, Public Private Partnership, 2001; Fleckenstein, Abbau von Hemmnissen für Public Private Partnerships: Das ÖPP-Beschleunigungsgesetz, DVBl 2006, 75 ff.; Gern, Deutsches Kommunalrecht, 2. Aufl. 1997; Isensee/Kirchhof u.a. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrecht (HStR III), 3. Aufl. 2006; Mehde, Ausübung von Staatsgewalt und Public Private Partnership, VerwArch 2000, 540 ff.; Meyer-Hofmann/Riemenschneider/Weihrauch (Hrsg.), Public Private Partnership, 2005; Püttner, Chancen und Risiken der PPP aus juristischer Sicht, 2006; Reichenerzer, Die gesetzliche Verankerung von Public-Private-Partnerships, DÖV 2005, 603 ff.; Schoch, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, DVBl 1994, 962 ff.; Shirvani, Public Private Partnership und die Subsidiaritätsprüfung bei öffentlichen Unternehmensbeteiligungen, DÖV 2011, 865 ff.; Tettinger, Die rechtliche Ausgestaltung von Public Private Partnership, DÖV 1996, 764 ff.; Tettinger, Public Private Partnership, Möglichkeiten und Grenzen – ein Sachstandsbericht, NWVBl. 2005, 1 ff.; Uechtritz, Möglichkeiten für private Verkehrsinfrastrukturbetreiber außerhalb der öffentlichen Haushalte, DVBl 2002, 739 ff.; Uechtritz/Otting, Das „ÖPP-Beschleunigungsgesetz“: Neuer Name, neuer Schwung für „öffentlich-private Partnerschaften“?, NVwZ 2005, 1105 ff.; Waechter, Kommunalrecht, 3. Aufl. 1997; Weber, M., Public Private Partnership, 2006; Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg (Hrsg.), Public Private Partnership in Baden-Württemberg, 2005; Weihnacht, Public Private Partnership, 2004; Ziekow (Hrsg.), Public Private Partnership, 2003.
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§5
Voraussetzungen und Grenzen der materiellen Privatisierung
A. Grundlagen 1 Eine „echte“, materielle Privatisierung setzt das Vorliegen originär staatlicher Aufgaben voraus, wobei Staat und Kommunen als Einheit zu verstehen sind. Staatsaufgaben sind die durch die jeweilige Rechtsordnung dem jeweiligen Staat oder seinen Untergliederungen zugeordneten Aufgaben. 2 Bei den Staatsaufgaben ist zu unterscheiden: Der moderne Staat wird durch unverzichtbare Aufgaben definiert, über die nicht einmal der Gesetzgeber disponieren kann. Die Grenzen der Privatisierung hängen insoweit mit dem Entstehen der Staatlichkeit zusammen. Privatisierungsmaßnahmen dürfen nicht auf die Herstellung vorstaatlicher Zustände hinauslaufen. Für die Beurteilung konkreter Privatisierungsmaßnahmen ist vielfach ein historischer Vergleich hilfreich. 3 Die politischen Gebilde des Mittelalters wurden von Personen beherrscht, die die Verwaltungsmittel als Privateigentum besaßen1. Private und öffentliche Aufgaben ließen sich nicht trennen. Das wurde erst mit Herausbildung der Souveränität nach innen und außen, d.h. mit Entstehen der Staatlichkeit möglich. Mit der Souveränität war untrennbar das Gewaltmonopol verbunden. Da der Staat aber nicht nur Machtordnung, sondern zugleich Rechtsordnung ist, musste das Gewaltmonopol auf die rechtmäßige Gewaltausübung beschränkt werden. Der Staat wurde zum Verfassungsstaat. 4 Der Verfassungsstaat garantiert in erster Linie die individuelle Freiheit. Da die Ausübung der Staatsgewalt mit Freiheitseinschränkungen verbunden ist, bedarf sie der Legitimation durch die Staatszwecke. Die staatlichen Zwangsbefugnisse werden nicht nur legitimiert, wenn sie kollidierenden individuellen Freiheitsrechten dienen. Im modernen Staat geht es vielmehr auch um die Gewährleistung sozialer Mindeststandards und die Sicherung einer adäquaten Infrastruktur2. Schließlich darf Staatsgewalt zum Zweck der Selbstbehauptung und zur Wahrung der kulturellen Identität ausgeübt werden. 5 Diese unverzichtbaren Staatszwecke werden durch öffentliche Aufgaben konkretisiert. Der Begriff der öffentlichen Aufgaben ist schillernd, weil der Staat und seine Untergliederungen auch auf Aufgaben zugreifen können, bei denen es sich nicht um originäre Staatsaufgaben handelt. Solcher Aufgaben darf der Staat und dürfen die Gemeinden sich auch wieder entledigen. Unverzichtbar sind nur die die staatszweckbezogenen Aufgaben. Entscheidend ist immer, dass der Staat die unabdingbaren Aufgaben erfüllt. Wie er seine Aufgaben wahrnimmt, spielt keine Rolle, solange das
1 Heller, Staatslehre, 4. Aufl. 1970, S. 129. 2 Vgl. insgesamt Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung. Rechtliche Grundstrukturen netzgebundener Transport- und Übertragungssysteme, 1997.
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§5
B. Voraussetzungen der Privatisierung
Ergebnis stimmt. Eine materielle Privatisierung ist bei unverzichtbaren Staatsaufgaben schon begrifflich unzulässig. Einige Staatsaufgaben sind darüber hinaus notwendig von staatlichen Or- 6 ganen wahrzunehmen3. Um notwendige Staatsaufgaben handelt es sich bei Aufgaben, die für die Staatlichkeit konstitutiv sind und deren effektive Erfüllung nur durch staatliche Organe sichergestellt werden kann. Notwendige Staatsaufgaben sind einer materiellen und formellen Privatisierung entzogen. Müssen bestimmte Aufgaben dem Staat verbleiben, weil von ihnen die 7 Staatlichkeit abhängt oder weil sie von Verfassungs wegen nur Staatsorganen überantwortet sind, kann man von einem Staatsvorbehalt sprechen. Im Wesentlichen unstreitig ist der Staatsvorbehalt bei Maßnahmen mit Sicherheitsfunktion und Sanktionscharakter. Schließlich legitimiert der Sicherheitszweck des Staates erst das Gewaltmonopol4. Ein die Gewaltenteilung aufgreifender Unterfall des Staatsvorbehalts ist 8 der Verwaltungsvorbehalt, der zum Ausdruck bringt, dass bestimmte staatliche Aufgaben der unmittelbaren oder mittelbaren Staatsverwaltung als regulärer staatlicher Exekutivgewalt zwingend zugeordnet sind. Der schlichte Verwaltungsvorbehalt verbietet nur eine Aufgabenprivatisierung. Können dagegen bestimmte staatliche Aufgaben nur bei Wahrnehmung durch Verwaltungsorgane effektiv erfüllt werden (qualifizierter Verwaltungsvorbehalt), ist auch eine formelle Privatisierung ausgeschlossen.
B. Voraussetzungen der Privatisierung I. Obligatorische Privatisierung Bei unzulässiger privatwirtschaftlicher Betätigung oder bei privatwirt- 9 schaftlicher Betätigung ohne unmittelbaren öffentlichen Aufgabenbezug kann sich eine Privatisierungspflicht ergeben, wenn die rechtlich geschützten Interessen privater Konkurrenten den Bestandsschutz gemeindlicher wirtschaftlicher Unternehmen der Gemeinden überwiegen (Privatisierungsgebot)5.
3 Vgl. auch Gramm, Privatisierung und notwendige Staatsaufgaben, 2001. 4 BVerfG v. 1.8.1978 – 2 BvR 1013 u.a./77, BVerfGE 49, 24 (56 f.). 5 Ronellenfitsch, Wirtschaftliche Betätigung des Staates, in Isensee/Kirchhof, HStR, § 84 Rz. 44. A.A. Schoch, DVBl 1994, 962 ff. (969). „Demokratiedefizite“ bei der wirtschaftlichen Betätigung öffentlicher Unternehmen erzwingen freilich keine Privatisierungen; zu weitgehend daher Gersdorff, Öffentliche Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Demokratie und Wirtschaftlichkeitsprinzip, 2000. Ronellenfitsch
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Voraussetzungen und Grenzen der materiellen Privatisierung
10 Der haushaltsrechtliche Privatisierungszwang durch Ergänzung von § 6 HGrG in Anlehnung an § 7 Abs. 1 Satz 2 BHO6 ließ sich nicht durchsetzen7. Nach dem Vorbild von § 7 Abs. 1 Satz 2 BHO sieht aber etwa Art. 61 Abs. 2 Satz 2 BayGO eine Privatisierungsprüfpflicht vor. Auch andere Gemeindeordnungen kennen Privatisierungsgebote8. Am weitesten geht § 91 Abs. 3 BbgKVerf, wonach für die Übertragung der Leistungen „Sorge zu tragen“ ist, wenn Dritte die Leistung gleich günstig oder günstiger anbieten und der öffentliche Zweck nicht entgegensteht.
II. Fakultative Privatisierung 11 Bei freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben der Gemeinden fällt es in den autonomen Entscheidungsspielraum der Gemeinden (der Gemeindevertretungen), eine materielle Privatisierung durchzuführen. Dem exekutiven Zugriffsrecht entspricht die Kompetenz zur Aufgabe der Verwaltungsaufgabe9, soweit nicht aus besonderen Gründen Grenzen der Privatisierung bestehen.
C. Grenzen der Privatisierung I. Verfassungsrechtliche Grenzen 12 Verfassungsrechtliche Grenzen der Privatisierung lassen sich in Ausnahmesituationen auf den Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG, auf die funktionelle Zuweisung von Verwaltungskompetenzen (Art. 83 ff. GG) und notfalls auch auf die Grundrechteordnung stützen. Bei Aufgaben der Daseinsvorsorge10 können sich verfassungsrechtliche Grenzen der Privatisierung ergeben, wenn die Verfassungen staatliche Gewährleistungspflichten vorschreiben. Eine formelle Privatisierung ist auch hier gleichwohl in aller Regel zulässig.
6 Danach verpflichten die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zur Prüfung, inwieweit staatliche Aufgaben oder öffentlichen Zwecken dienende wirtschaftliche Tätigkeiten durch Ausgliederung und Entstaatlichung oder Privatisierung erfüllt werden können. 7 Vgl. BT-Drs. 12/6700, S. 2. 8 Helm, Rechtspflicht zur Privatisierung: Privatisierungsgebote im deutschen und europäischen Recht, 1999. 9 Schoch, DVBl 1994, 962 ff. (970). 10 Krieger, Schranken der Zulässigkeit der Privatisierung öffentlicher Einrichtungen der Daseinsvorsorge mit Anschluss- und Benutzungszwang, 1981.
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D. Materielle Privatisierung bei der privatwirtschaftlichen Betätigung
II. Kommunalrechtliche Grenzen Bei den Pflichtaufgaben ist von vornherein nur eine formelle Privatisie- 13 rung möglich11. Aus der Aufgabenzuweisungsnorm ergibt sich, ob ein Verwaltungsvorbehalt vorgeschrieben wurde oder nicht. Im wirtschaftlichen Tätigkeitsbereich ist das nur der Fall, wenn mit der Tätigkeit Hoheitsbefugnisse verknüpft sind und keine Beleihung vorgesehen ist. Nach den meisten Gemeindeordnungen sind auch im freiwilligen Auf- 14 gabenbereich die Veräußerung eines wirtschaftlichen Unternehmens oder einer Beteiligung an einer Gesellschaft sowie andere Rechtsgeschäfte, durch die die Gemeinde ihren Einfluss auf das Unternehmen oder die Gesellschaft verliert oder vermindert, nur zulässig, wenn die für die Betreuung der Einwohner erforderliche Erfüllung der gemeindlichen Aufgaben nicht beeinträchtigt wird12. Beispiel: Privatisierung eines kommunalen Weihnachtsmarktes13
D. Materielle Privatisierung bei der privatwirtschaftlichen Betätigung der Kommunen I. Zusammenfassung Die materielle Privatisierung ist eine Aufgabenprivatisierung. Die Kom- 15 mune trennt sich von einer Einrichtung und der von dieser wahrgenommenen Aufgabe. Die materielle Privatisierung ist unzulässig, wo eine Pflicht zur Aufgabenwahrnehmung besteht. Sie kommt somit nur bei Selbstverwaltungsaufgaben in Betracht. Selbst dort ist sie in Parallele zu den Erwägungen zum Staatsvorbehalt bedenklich, wenn freiwillige Aufgaben die Identität der Gemeinden prägen oder die soziale Grundsicherung der Gemeindeeinwohner nur durch die Gemeinde selbst gewährleistet werden kann14. Bei privatwirtschaftlichen Betätigungen der Gemeinden dürfte das zumeist nicht der Fall sein. Die Gemeinde hat lediglich eine Abwägungsentscheidung zu treffen, ob sie ein wirtschaftliches Unternehmen öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Organisations-
11 Waechter, Kommunalrecht, Rz. 647 a. 12 § 106 GemO BW; § 79 Abs. 1 BbgKVerf; § 12 HGO; § 74 KV MV; § 98 NKomVG; § 111 Abs. 1 Satz 1 GO NW; § 111 KSVG; § 100 SächsGemO; § 122 GO LSA; § 103 GO Schl.-Holst. 13 HessVGH v. 4.3.2010 – 8 A 2613/09, LKRZ 2010, 184 Korrektur von HessVGH v. 17.4.2008 – 8 UE 1263/07, LKRZ 2008, 262; BVerwG v. 27.5.2009 – 8 C 10.08, DVBl 2009, 1382. 14 Grabbe, Verfassungsrechtliche Grenzen der Privatisierung kommunaler Aufgaben, 1979, S. 50 ff. Ronellenfitsch
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Voraussetzungen und Grenzen der materiellen Privatisierung
form in die Verantwortung nichtstaatlicher Rechtssubjekte überlassen und dem Wettbewerb überantworten will.
II. Abwägung 16 Die Abwägungsentscheidung der Kommune15 sollte alle für oder gegen die Privatisierung sprechenden Belange ermitteln, gewichten und innerhalb des rechtlich vorgegebenen Rahmens in Relation setzen. Hierbei muss sich die Gemeindevertretung zunächst über die Privatisierungsziele im Klaren sein (ordnungspolitische Erwägungen, Wirtschaftlichkeitskriterien). Sodann sind die möglichen Privatisierungsgegenstände ins Auge zu fassen. Bezogen auf Privatisierungsziel und -gegenstand muss dann das geeignete Privatisierungsmodell entwickelt werden, wobei als Rahmenbedingungen immer die Privatisierungswirkungen und -folgen mit zu bedenken sind. 17 Kriterien16 für die Prüfung sind: – Öffentliches Interesse an der Aufgabenerfüllung – Erforderlichkeit von Steuerungs- und Kontrollmöglichkeiten der Verwaltung – Zuverlässigkeit der Aufgabenwahrnehmung – Versorgungs-, Entsorgung- und Nachsorgesicherheit – Sozialverträglichkeit des Entgelts – Wettbewerb und Verhinderung von Monopolen – Haftungsfragen17 Zu berücksichtigen sind auch eventuell fortbestehende Pflichten der Gemeinden18.
III. Teilprivatisierung 18 Besondere Aufmerksamkeit bei der Abwägung ist der Möglichkeit einer Teilprivatisierung zu widmen. Es liegt auf der Hand, dass sich die Privatisierung profitabler Unternehmensbereiche am leichtesten realisieren lässt. Der defizitäre Unternehmensbereich, der bisher vom profitablen 15 Hierzu instruktiv Schoch, DVBl 1994, 962 (968 f.). 16 Vgl. Ausschuss für „Kommunale Wirtschaft“ der Innenminister-Konferenz, VKU ND Nr. 543 (3/1994), S. 2 f. 17 Zu Anforderungen an die Organisation der Aufsicht in einem gemeindlichen Freibad BGH v. 21.3.2000 – VI ZR 158/99, DVBl 2000, 1712. 18 Kund, Nachwirkende Pflichten der Gemeinden bei der Ausgliederung öffentlicher Aufgaben auf Private, 1988.
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D. Materielle Privatisierung bei der privatwirtschaftlichen Betätigung
Unternehmensbereich finanziert wurde, verbleibt dann aber bei der Gemeinde. Mit dem Totschlagargument eines angeblich unzulässigen Querverbunds und kurzfristigen Privatisierungserlösen werden Gemeinden zu Teilprivatisierungen bewogen, die auf Dauer deren finanzielle Situation nur verschlechtern können. Bei einheitlichen Aufgabenbereichen ist im Rahmen der Abwägung zu prüfen, ob die Privatisierung für den gesamten Aufgabenbereich19 die Aufgabenerfüllung verbessert oder verschlechtert. Beispiel: Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe20 Die Teilprivatisierung bietet sich an, wenn ohne sie aktuell öffentliche 19 Aufgaben nicht, nicht mehr oder nicht im erwünschten Umfang erfüllt werden können. Formen der Teilprivatisierung sind das Betreibermodell21 und das Betriebsführungsmodell. Beim Betreibermodell behält sich die Gemeinde im Betreibervertrag Eingriffs- und Kontrollrechte vor22. Beim Betriebsführungsmodell überträgt die Gemeinde einem privaten Unternehmen gegen Entgelt lediglich die kaufmännische und technische Leitung eines Unternehmens für Rechnung und im Namen der Gemeinde. Von einer materiellen Privatisierung kann man im strengen Sinn nicht sprechen, da die Aufgabenverantwortung der Gemeinde nicht vollständig beseitigt wird. In den Zusammenhang der Teilprivatisierung gehören generell die öffent- 20 lich-privaten Partnerschaften, für die sich trotz des gesetzgeberischen Eindeutschungsversuchs 23 die englische Bezeichnung Public Private Partnership (PPP) eingebürgert hat24. Hierbei handelt es sich um einen Sammelbegriff für eine Vielzahl von Formen von in der Regel längerfristig angelegter Zusammenarbeit auf vertraglicher Grundlage zwischen der öffentlichen Hand und privaten Unternehmen mit dem Ziel der Erledigung
19 20 21 22
Ebenso Waechter, Kommunalrecht, Rz. 647 d. VerfGH Berlin v. 14.7.2010, VerfGH 39/09, NVwZ-RR 2010, 8. Vgl. für Bundesprojekte Uechtritz, DVBl 2002, 739 ff. Cronauge, Kommunale Unternehmen, Rz. 663; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rz. 767. 23 Gesetz zur Beschleunigung der Umsetzung von Öffentlich-Privaten Partnerschaften und zur Verbesserung gesetzlicher Rahmenbedingungen für Öffentlich-Private Partnerschaften, v. 7.9.2005 (BGBl. I S. 2676); hierzu: Uechtritz/Otting, NVwZ 2005, 1105 ff.; Reichenerzer, DÖV 2005, 60 ff.; Fleckenstein, DVBl 2006, 75 ff. 24 Tettinger, NWVBl. 2005, 1 ff.; Mehde, VerwArch 2000, 540 ff.; Eberle, Public Private Partnership, 2001; Ziekow (Hrsg.), Public Private Partnership, 2003; Weihnacht, Public Private Partnership, 2004; Altenhofen, Public Private Partnership, 2005; Bremer, Public Private Partnership, 2005; Budäus, Kooperationsformen zwischen Staat und Markt, 2006; M. Weber, Public Private Partnership, 2006; Byok, Das Verhandlungsverfahren, 2006; Püttner, Chancen und Risiken der PPP aus juristischer Sicht, 2006; Bausback, DÖV 2006, 901 ff.; Shirvani, DÖV 2011, 865 ff. Ronellenfitsch
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Voraussetzungen und Grenzen der materiellen Privatisierung
öffentlicher Aufgaben. Angesichts der Vielzahl der PPP-Modelle (neben dem Betreibermodell Konzessionsmodelle, Inhaber- und Erwerbermodelle, gemischtwirtschaftliche Gesellschaften u. dgl.) und Sonderkonstellationen (z.B. PP-Innovationsnetzwerke25) scheidet eine einheitliche Bewertung von PPP aus. Die unionsrechtlichen26, kommunalrechtlichen27, vergaberechtlichen, haushalts-, steuerund abgabenrechtlichen Implikationen werden vielmehr im jeweiligen Sachzusammenhang dargestellt. Auch bei der PPP ist darauf zu achten, dass diese nicht auf eine temporäre materielle Privatisierung hinausläuft.
E. Rekommunalisierung I. Verfassungsrechtliches Gebot 21 In den Ausnahmesituationen, in denen eine Privatisierung ausgeschlossen ist (Rz. 12), muss bei gleichwohl erfolgter Privatisierung eine Rekommunalisierung erfolgen. In der Regel genügt aber die Umwandlung einer materiellen in eine formelle Privatisierung, bei der der Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG gewahrt bleibt.28
II. Abwägungsentscheidung 22 Im Übrigen ist die Durchführung einer Rekommunalisierung Ergebnis einer Abwägungsentscheidung, die strukturell der Abwägung bei der Privatisierung entspricht. Für die Rekommunalisierung insbesondere der Energieversorgung kommt dabei der noch nicht abschließend geklärten Frage der Anwendbarkeit des Vergaberechts zentrale Bedeutung zu29. Richtiger Ansicht nach lässt eine öffentlich-rechtliche Organisationsform die Unternehmereigenschaft nach § 36 Abs. 3 GWB entfallen30.
25 Boehme-Nessler, DVBl 2006, 1257 ff. 26 Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Grünbuch zur öffentlichprivaten Partnerschaft und den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften für öffentliche Aufträge und Konzessionen, KOM (2004) 327. 27 Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.), Public Private Partnership Projekte. Eine aktuelle Bestandsaufnahme, 2005. 28 BVerfG v. 18.1.2012 – 2 BvR 13/10, NJW 2012, 1563. 29 Vgl. Hüting/Hopp, RdE 2011, 255. 30 OLG Frankfurt v. 29.9.2011 – 11 W 24/11 (Kart,); OLG Hamburg v. 14.12.2010 1 Verg 5/10.
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§6 Kommunalrechtliche Voraussetzungen für die wirtschaftliche Betätigung von Rechtsanwalt Prof. Dr. Michael Uechtritz, Rechtsanwalt Dr. Olaf Otting und Rechtsanwalt Dr. Udo H. Olgemöller
A. Überblick . . . . . . . . . . . . .
Rz. 1
I. Schrankentrias der Deutschen Gemeindeordnung . . . . . . .
2
II. Entwicklung der landesrechtlichen Regelungen nach 1945 .
5
B. Erledigung von Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft . . . . . . . . . . 18 I. Begriff der überörtlichen wirtschaftlichen Betätigung . . . . 22 II. Regionalprinzip als Schranke gemeindlicher Wirtschaftsbetätigung? . . . . . . . . . . . . 24 1. Art. 28 Abs. 2 GG als verfassungsrechtliche Absicherung gemeindlicher Wirtschaftsbetätigung . . . . . . . 24 2. Art. 28 Abs. 2 GG als verfassungsrechtliche Grenze kommunaler Betätigung? . . 26 III. Anerkannte Ausnahmen überörtlicher Betätigung . . . . . . . 33 IV. Landesrechtliche Regelungen . 36 1. Erleichterung gemeindegebietsüberschreitender Wirtschaftsbetätigung . . . . 37 2. Berechtigte Interessen der betroffenen Zielgemeinde . . 45 C. Öffentlicher Zweck . . . . . . . 49 I. Historischer Hintergrund . . . 50 II. Auslegung des Begriffsmerkmals in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . 51 1. Ausschluss „reiner“ Erwerbswirtschaft . . . . . . 51
Rz. 2. Positive Begriffsbestimmung und Einschätzungsprärogative . . . . . . . . . . . . . . . 58 III. Prozedurale Anforderungen . . 67 IV. Die Prüfung der Subsidiarität im Rahmen des „öffentlichen Zwecks“ . . . . . . . . . . . . . 72 D. Kommunale Leistungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 76 E. Subsidiarität gegenüber privaten Wirtschaftsaktivitäten . I. Historischer Hintergrund . . . II. Durchführung des Qualitätsvergleichs der Leistungen zwischen privaten und kommunalen Unternehmen . . III. Unterschiedliche landesrechtliche Regelungen . . . . . . . .
79 80
83 88
F. Hilfsbetriebe und Annextätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . 94 I. Randnutzungen und Annextätigkeiten . . . . . . . . . . . . 95 II. Freie Kapazitäten . . . . . . . . 105 G. Reichweite und dauerhafte Sicherstellung der Kriterien . . 111 H. Wirtschaftliche oder nichtwirtschaftliche Betätigung . . . . . 118 J. Rechtliche Überprüfbarkeit . . I. Rechtsschutz privater Konkurrenten vor den Verwaltungsgerichten . . . . . . . . . . . . . 1. Abwehransprüche aus Grundrechten (Art. 12 GG) . 2. Abwehransprüche aus einfachem Recht . . . . . . . . .
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126
127 128 132
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Kommunalrechtliche Voraussetzungen für die wirtschaftliche Betätigung Rz.
a) Entscheidung des VerfGH Rheinland-Pfalz . . . . . . b) Entscheidung des OVG Nordrhein-Westfalen . . . c) Situation in den einzelnen Bundesländern . . . . II. Rechtsschutz privater Konkurrenten jenseits der Verwaltungsgerichte . . . . . . . . . .
134 135 137
Rz. 1. Rechtsschutz vor den ordentlichen Gerichten . . . 153 2. Rechtsschutz vor den Vergabenachprüfungsinstanzen . 157 III. Ausblick . . . . . . . . . . . . . 158
152
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Uechtritz/Otting/Olgemöller
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Kommunalrechtliche Voraussetzungen für die wirtschaftliche Betätigung
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Uechtritz/Otting/Olgemöller
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A. Überblick
Betätigung von Kommunen – Aktuelle Entwicklungen im Gemeindewirtschaftsrecht, Die Gemeinde SH 2003, 290; Schliesky, Öffentliches Wettbewerbsrecht, 1997; Schmahl, Umfang und Grenzen wirtschaftlicher Betätigung von Gemeinden in Brandenburg, LKV 2000, 47; Schmidt-Bleibtreu/Klein/Hofmann/Hopfauf (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, 1982; Schneider, Öffentlich-rechtliche Marktzutrittsverbote im Vergaberecht, NZBau 2009, 352; Scholz/Pitschas, Gemeindewirtschaft zwischen Verwaltungs- und Unternehmensstruktur, 1982; Shirvani, Public Private Partnership und die Subsidiaritätsprüfung bei öffentlichen Unternehmensbeteiligungen, DÖV 2011, 865; Sollondz, Neues kommunales Unternehmensrecht im Freistaat Sachsen, LKV 2003, 297; SPD-Landtagsfraktion NRW (Hrsg.), Wirtschaftliche Betätigung der Kommunen, 1997; Sponer u.a. (Hrsg.), Kommunalverfassungsrecht Sachsen, Loseblatt Stand 2011, zit. Autor in Sponer u.a., Gemeindeordnung für Sachsen; Steckert, Kommunalwirtschaft im Wettbewerb, 2002; Stehlin/Grabolle, Spielräume gemeindlicher Wirtschaftstätigkeit, VBlBW 2007, 41; Stern/Püttner, Die Gemeindewirtschaft Recht und Realität, 1965; Stiel, „Bestandsschutz“ für kommunale Unternehmen – was heißt das?, NWVBl. 2009, 46; Teuteberg, Daseinsvorsorge durch, nicht für kommunale Unternehmen, LKV 2008, 150; Uhlenhut, Wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden außerhalb ihres Gebietes, 2004; Ullmann, Das Koordinatensystem des Rechts des unlauteren Wettbewerbs im Spannungsfeld von Europa und Deutschland, GRUR 2003, 817; Vieweg/Haarmann (Hrsg.), Beiträge zum Wirtschafts-, Europa- und Technikrecht, Festgabe für Rudolf Lukes, Köln u.a. 2000; Vogelsang/Lübking/Ulbrich, Kommunale Selbstverwaltung, 3. Aufl. 2005; Wachsmuth u. a. (Hrsg.), Thüringer Kommunalrecht, Loseblatt Stand 2010; Wieland/Hellermann, Der Schutz des Selbstverwaltungsrechts der Kommunen gegenüber Einschränkungen ihrer wirtschaftlichen Betätigung im nationalen und europäischen Recht, 1995; Wilke/Schachel, Probleme fiskalischer Betätigung der öffentlichen Hand, WiVerw 1978, 95; Wixforth, Die gemeindliche Finanzhoheit und ihre Grenzen, 1964; Wohlfarth, Kommunalrecht für das Saarland, 3. Aufl. 2003; Wolff, Verfassungs- und europarechtliche Fragen der wirtschaftlichen Betätigung deutscher Kommunen im Ausland, DÖV 2011, 721; Wurzel/ Schraml/Becker, Rechtspraxis der kommunalen Unternehmen, 2. Aufl. 2010; Ziekow (Hrsg.), Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft, 2000.
A. Überblick Die Gemeindeordnungen aller Bundesländer statuieren Zulässigkeitsvoraussetzungen für die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen. Baden-Württemberg: § 102 GemO BW; Bayern: Art. 87 BayGO; Brandenburg: § 91 BbgKVerf, Hessen: § 121 HGO; Mecklenburg-Vorpommern: § 68 KV MV; Niedersachsen: § 108 NGO – mit Wirkung zum 1.11.2011: § 136 NKomVG; NordrheinWestfalen: §§ 107, 107a GO NW; Rheinland-Pfalz: § 85 GemO Rh.-Pf.; Saarland: § 108 KSVG; Sachsen: § 97 SächsGemO; Sachsen-Anhalt: § 116 GO LSA; Schleswig-Holstein: § 101 GO Schl.-Holst.; Thüringen: § 71 ThürKO.
Die Struktur dieser Tatbestände ist im Wesentlichen ähnlich. Sie geht auf die Bestimmungen des § 67 der Deutschen Gemeindeordnung (DGO) vom 30.1.1935 zurück. Gleichwohl variieren die Zulässigkeitstatbestände in den Gemeindeordnungen der einzelnen Bundesländer mittlerweile beträchtlich. Die Landesgesetzgeber sind in jüngerer und jüngster Zeit zum Teil diametral entgegengesetzte Wege bei der Bestimmung Uechtritz/Otting/Olgemöller
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der Grenzen und Rahmenbedingungen kommunaler wirtschaftlicher Betätigung gegangen. Sie reagierten damit auf kontroverse Forderungen der (vor allem größeren) Kommunen und ihrer Verbände einerseits, der Privatwirtschaft andererseits.
I. Schrankentrias der Deutschen Gemeindeordnung 2 Zulässigkeit und Grenzen kommunaler Wirtschaftsbetätigung waren bereits in der Weimarer Republik Gegenstand intensiver politischer und rechtlicher Auseinandersetzungen1. Rechtliche Regelungen existierten in den Gemeindeverfassungen seinerzeit nicht. Die fortgeltenden Städteordnungen des 19. Jahrhunderts enthielten keine Beschränkungen der wirtschaftlichen Betätigung der Gemeinden2. In den zwanziger Jahren expandierten die kommunalen Wirtschaftsbetriebe in bislang nicht wahrgenommene Geschäftsfelder, etwa die Bauwirtschaft und die Lebensmittelversorgung. Ursache war zunächst der Ausgleich der Folgelasten des Weltkriegs. Mehr und mehr trat infolge von Veränderungen der finanzwirtschaftlichen Rahmenbedingungen3 jedoch die Funktion der Kommunalwirtschaft in den Vordergrund, mit ihren Beiträgen Deckungslücken in den kommunalen Haushalten auszugleichen4. Zum Zwecke der Einnahmeerzielung wurden lukrative neue Geschäftsfelder gesucht und erschlossen5. 3 An dieser Praxis entzündete sich eine breite Kampagne der Spitzenverbände von Handel, Banken und Industrie, denen die wirtschaftliche Tätigkeit der Kommunen als „kalte Sozialisierung“ erschien6. Gegen Ende der Weimarer Republik wurde massiv die Forderung erhoben, im Rahmen einer Reform der Gemeindeordnungen die wirtschaftliche Betätigung der
1 Vgl. zur historischen Entwicklung der Gemeindewirtschaft den Überblick bei Otting, Neues Steuerungsmodell, S. 90 ff. m.w.N. 2 Berndorff, Die Grenzen der öffentlichen Unternehmen untersucht anhand der Städteordnungen und des sonst einschlägigen Rechts, S. 13. 3 Zu nennen ist hier als Ausgangspunkt die so genannte Erzbergersche Finanzreform von 1920, die den Gemeinden das bisherige Zuschlagsrecht auf die Einkommensteuer nahm und dies durch einen weniger ergiebigen – und vor allem kommunaler Autonomie entzogenen – Anteil an der Reichseinkommensteuer ersetzte, vgl. Wixforth, Die gemeindliche Finanzhoheit und ihre Grenzen, S. 43. 4 Vgl. Stern/Püttner, Die Gemeindewirtschaft Recht und Realität, S. 27. 5 In Berlin etwa waren besonders konfliktträchtig der Gerätehandel der Berliner Gas- und Elektrizitätswerke, die Übernahme des Anschlag- und Reklamewesens durch eine neu gegründete städtische Gesellschaft, die Aktivitäten des städtischen Fuhrparks, vgl. Büsch, Geschichte der Berliner Kommunalwirtschaft in der Weimarer Epoche, S. 31–34. 6 Dazu eingehend Böhret, Aktionen gegen die „kalte Sozialisierung“ 1926–1930. Ein Beitrag zum Wirken ökonomischer Einflussverbände in der Weimarer Republik, passim, oder auch Rudolff in Mann/Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 1, § 6 Rz. 20.
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Kommunen restriktiver zu regeln7. Die kommunalen Spitzenverbände setzten dem ihren hartnäckigen Widerstand entgegen; insbesondere in Preußen scheiterten daher bis zum Ende der Republik alle auf eine Einschränkung kommunaler Wirtschaftsbetätigung abzielenden Gesetzentwürfe. Unter dem 15.12.1933 wurden dann schließlich – nach der nationalsozialistischen Machtübernahme8 – im neuen preußischen Gemeindeverfassungsgesetz9 und im Gemeindefinanzgesetz gesetzliche Bestimmungen über die Gemeindewirtschaft erlassen, die den Forderungen der Wirtschaftsverbände der Weimarer Republik weitgehend entsprachen. Die Vorschriften des preußischen Gemeindefinanzgesetzes10 waren dann Grundlage einer neuen reichseinheitlichen Regelung der Zulässigkeitsvoraussetzungen wirtschaftlicher Betätigung in der Deutschen Gemeindeordnung (DGO)11. § 67 DGO knüpft die Zulässigkeit wirtschaftlicher Betätigung an drei Vo- 4 raussetzungen (Schrankentrias), die im Wesentlichen mit den bereits 1933 im preußischen Gemeindefinanzgesetz formulierten Restriktionen übereinstimmten: – Ein öffentlicher Zweck muss das Unternehmen rechtfertigen. – Das Unternehmen muss in einem angemessenen Umfang zur Leistungsfähigkeit der Gemeinde stehen. – Der Zweck darf nicht besser oder wirtschaftlicher durch einen anderen erfüllt werden können (sog. Subsidiaritätsklausel oder Funktionssperre).
II. Entwicklung der landesrechtlichen Regelungen nach 1945 Die nach 1945 in den Ländern der Bundesrepublik verabschiedeten Ge- 5 meindeordnungen orientierten sich hinsichtlich ihrer Regelungsstruktur am Vorbild der §§ 67 ff. DGO12. Nahezu durchgehend wurde in den westlichen Bundesländern mit unterschiedlichen Formulierungen an der Schrankentrias festgehalten. Auch die Gemeindeordnungen der neuen Bundesländer nahmen nach 1989 diese Regelungsstruktur auf. Unter7 Vgl. zu den historischen Hintergründen Rebentisch in Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 1, S. 97; Püttner, GRUR 1964, 359 (360); Böhret, Aktionen gegen die „kalte Sozialisierung“, 1926–1930, passim. 8 Matzerath in Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 1, S. 101 (105), spricht von einem „handstreichartigen“ Vorgehen. 9 Pr.GS. S. 427. 10 Pr.GS. S. 442. 11 DGO v. 30.1.1935, RGBl. I S. 49. Die Regelungen wurden als „historischer Rückschlag“ für die Gemeindewirtschaft empfunden, vgl. Berg, WiVerw 2000, 141 (144). 12 Schmidt-Jortzig in Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 5, S. 50 ff.; Ruffert, VerwArch 92 (2001), 27 (29). Uechtritz/Otting/Olgemöller
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schiede existierten zunächst nur im Detail: So formulierte die nordrheinwestfälische Gemeindeordnung etwa, dass ein dringender öffentlicher Zweck das Unternehmen erfordern (nicht nur: rechtfertigen) muss. Einige Bundesländer – etwa Hessen – verzichteten auf die Übernahme der dritten Voraussetzung, der so genannten Subsidiaritätsklausel. 6 Spätestens seit Mitte der neunziger Jahre driftet die Entwicklung in den einzelnen Bundesländern jedoch in entgegengesetzte Richtungen. Ähnlich wie in der Spätphase der Weimarer Republik wurde die wirtschaftliche Betätigung der Kommunen mehr und mehr Gegenstand politischideologischen Streits. Ursache war zum einen die angespannte Situation der Kommunalfinanzen, in der die Gemeinden nach neuen Einnahmequellen suchten. Zum anderen setzte ein erheblicher Privatisierungsund Modernisierungsdruck ein, in dessen Folge sich kommunale Unternehmen neu am Markt positionieren mussten – auch in neuen Geschäftsfeldern13. Schließlich führte und führt der Liberalisierungsschub in zentralen „traditionellen“ Domänen kommunaler Daseinsvorsorge – Energiewirtschaft, Ver- und Entsorgung, Nahverkehr14 – zu einer Verschärfung der Wettbewerbssituation zwischen kommunaler und privater Wirtschaft15. Während die kommunale Seite die rechtlichen Fesseln beklagte, die ein wirtschaftliches Gedeihen kommunaler Unternehmen – vermeintlich – behinderte, führte die Privatwirtschaft Klage über die aus ihrer Sicht ausufernde Betätigung kommunaler Unternehmen. Kommunale Unternehmen verweisen auf ihre traditionellen Tätigkeitsschwerpunkte bei der Ver- und Entsorgung, die es flächendeckend und dauerhaft gegen privatwirtschaftliches Marktversagen („Rosinenpickerei“) zu sichern gelte, und verlangen nach Chancengleichheit im Wettbewerb. Die Privatwirtschaft beklagt, dass ihr durch einen mit Steuergeldern finanzierten Wettbewerb das Wasser abgegraben werde16. 7 Die Landesgesetzgeber sind den politischen Forderungen in unterschiedlicher Weise nachgekommen. In einigen Bundesländern wurden die Voraussetzungen für die wirtschaftliche Betätigung liberalisiert, in anderen Bundesländern wurden sie deutlich restriktiver gefasst; gegenläufige Tendenzen und Wendungen lassen sich als Folge geänderter ordnungspolitischer Vorstellungen oftmals selbst innerhalb einzelner Bundesländer fest13 Vgl. zu den spezifischen Ursachen dieser Entwicklung, vor allem im Zusammenhang mit dem so genannten neuen Steuerungsmodell und der kommunalen Finanzkrise, Otting, Neues Steuerungsmodell, S. 44–53. 14 Seit der Kartellrechtsnovelle 1998 findet das Kartellrecht gem. § 130 GWB uneingeschränkt auf öffentliche Unternehmen Anwendung, eine Ausnahme besteht gem. § 131 Abs. 8 GWB nur noch für die öffentliche Wasserversorgung. 15 Vgl. Cronauge, AfK 1999, 24 (26 ff.). 16 Zu den unterschiedlichen Interessen etwa OLG Düsseldorf v. 17.6.2002 – Verg 18/02 – DAR, NZBau 2002, 626 (630); Berg, WiVerw 2000, 141 (142); Ruffert, VerwArch 92 (2001), 27 (28); Oebbecke in Mann/Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 2, § 41 Rz. 1 ff.; Dyllick/Lörincz/Neubauer, LKV 2012, 151 (158).
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stellen. Gegenstand der Forderungen von kommunaler Seite war regelmäßig, die Betätigung in den vermeintlich lukrativen Bereichen der Strom- und Gasversorgung oder der Telekommunikation und anderen neuen Geschäftsfeldern zu erleichtern. In jüngerer Zeit geht es den Kommunen zudem um die Erleichterung (gemeinde-)grenzüberschreitender wirtschaftlicher Betätigung. Demgegenüber fokussierte die Privatwirtschaft ihre Bemühungen vor allem auf eine restriktivere Fassung der so genannten Subsidiaritätsklausel und auf eine Begrenzung des räumlichen Aktionsradius der Kommunalwirtschaft auf das Gemeindegebiet. Nichtsdestotrotz wird vielfach bereits wieder über Zulässigkeit und Grenzen der Rekommunalisierung zwischenzeitlich liberalisierter und privatisierter Tätigkeiten diskutiert17. Gegenläufige Entwicklungen zeigen sich insbesondere in Nordrhein- 8 Westfalen18. Zunächst wurde im Rahmen der Kommunalverfassungsreform 199419 das Recht der wirtschaftlichen Betätigung (bis dahin §§ 88 ff. GO NW a.F.) in einem eigenen 11. Teil der Gemeindeordnung (§§ 107 ff. GO NW) zusammengefasst. Voraussetzung war danach, dass ein dringender öffentlicher Zweck die wirtschaftliche Betätigung erforderte und die Tätigkeit nach Art und Umfang in angemessenem Verhältnis zur Leistungsfähigkeit der Gemeinde stand. Die in § 88 Abs. 1 Nr. 1 GO NW a.F. noch enthaltene Subsidiaritätsklausel wurde indes komplett gestrichen, der Katalog nichtwirtschaftlicher Einrichtungen in Abs. 2 der Vorschrift erweitert. Die Reform, insbesondere die Streichung der Subsidiaritätsklausel, wurde als „Votum für die grds. Betätigungsfreiheit der Städte und Gemeinden und zugleich gegen gesetzliche Rahmenbedingungen zugunsten einer stärkeren Einbeziehung Privater in die Aufgabenerfüllung“ gewertet20. Mit der nächsten Änderung der Gemeindeordnung im Jahre 199721 wurde die Telekommunikation von den Zulässigkeitsanforderungen des § 107 Abs. 1 GO NW weitgehend freigestellt und den Gemeinden eine Betätigung auf diesem lukrativen Markt unter erleichterten Bedingungen ermöglicht. Mit dem sog. 1. Modernisierungsgesetz22 wurde der § 107 GO NW im Jahre 1999 völlig neu gefasst. Die Subsidiaritätsklausel wurde wieder eingeführt, jedoch beschränkt auf ein Tätig17 Zur Diskussion etwa Brüning, VerwArch 100 (2009), 453, oder Bericht des Bundeskartellamtes über seine Tätigkeit in den Jahren 2009/2010 sowie über die Lage und Entwicklung auf seinem Aufgabengebiet und Stellungnahme der Bundesregierung, beides abgedruckt in BT-Drs. 17/6640. 18 Attendorn, KommJur 2010, 361 (363), spricht von einer „unendlichen Änderungsgeschichte“. 19 Gesetz v. 17.5.1994, GV NW S. 666. 20 Rehn/Cronauge/von Lennep/Knirsch, Gemeindeordnung NW, Loseblatt Stand 2011, § 107 Erl. I.4. 21 Gesetz zur Stärkung der wirtschaftlichen Betätigung von Gemeinden und Gemeindeverbänden im Bereich der Telekommunikationsdienstleistungen v. 25.11.1997, GV NW S. 422. 22 Erstes Gesetz zur Modernisierung von Regierung und Verwaltung in Nordrhein-Westfalen v. 15.6.1999, GV NW S. 386. Uechtritz/Otting/Olgemöller
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werden außerhalb der Energieversorgung, der Wasserversorgung, des öffentlichen Verkehrs sowie der Telekommunikationsdienstleistungen. Gleichzeitig wurde auf das Erfordernis des dringenden öffentlichen Zwecks verzichtet. Die Betätigung über das eigene Gemeindegebiet hinaus wurde liberalisiert. Nach dem Regierungswechsel 2005 wurde im Jahre 2007 das Gesetz zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung – GO-Reformgesetz – verabschiedet23. Das Erfordernis des dringenden öffentlichen Zwecks wurde wieder eingeführt und zugleich die Subsidiaritätsklausel verschärft („nicht ebenso gut und wirtschaftlich“ statt „nicht besser und wirtschaftlicher“). Nach dem erneuten Regierungswechsel im Jahre 2010 wurde mit dem „Gesetz zur Revitalisierung des Gemeindewirtschaftsrechts“ vom 21.12.201024 das Erfordernis des dringenden öffentlichen Zwecks sogleich wieder gestrichen und die Anforderungen der Subsidiaritätsklausel wieder gelockert. Mit § 107a GO NW gilt seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Revitalisierung des Gemeindewirtschaftsrechts eine gesonderte Vorschrift über die Zulässigkeit der energiewirtschaftlichen Betätigung der nordrhein-westfälischen Gemeinden. Der Gesetzgeber führte damit eine dritte Kategorie neben der wirtschaftlichen Betätigung einerseits und der nicht-wirtschaftlichen Betätigung andererseits ein. Das soll den Gemeinden einen rechtssicheren Rahmen für ihre Tätigkeit auf den Energiemärkten bieten. Durch Aufhebung bestehender Wettbewerbsbeschränkungen sollen kommunale Anbieter zudem in einem deutlich höheren Maß als bisher auf dem Energiemarkt tätig werden können und damit für mehr Wettbewerb auf dem Energiemarkt sorgen. Die Lockerungen seien erforderlich, weil andernfalls „ein massenhaftes Sterben kommunaler Anbieter“ drohe, da diese in ihren jetzigen Strukturen nicht dauerhaft konkurrenzfähig seien25. 9 Bayern hat Art. 87 BayGO im Jahre 1998 völlig neu gefasst26. Aus dem kommunalen Wirtschaftsrecht wurde ein „kommunales Unternehmensrecht“27. Die bislang allen Gemeindeordnungen eigene Differenzierung zwischen wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Betätigung ist seitdem in Bayern entfallen. Ebenso wie in Nordrhein-Westfalen wurde die gemeindegebietsübergreifende Betätigung erleichtert. 10 Eine erste Liberalisierung der überörtlichen Betätigung erfolgte im Jahre 2001 auch in Sachsen-Anhalt28. Im Jahre 2007 wurde das Örtlichkeitsprinzip speziell für die kommunalen Unternehmen der Strom-, Gas- und 23 24 25 26 27 28
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GV. NW. S. 380. GV. NW. S. 685. LT-Drs. 15/27, S. 11. Ges. v. 24.7.1998; GVBl. S. 424. Vgl. Knemeyer, BayVBl. 1999, 1; Köhler, BayVBl. 2000, 1. Gesetz über das kommunale Unternehmensrecht v. 3.4.2001, GVBl. S. 136.
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A. Überblick
Wärmeversorgung weiter gelockert29, um „diese in die Lage zu versetzen, chancengleich am Wettbewerb“ teilnehmen zu können30. Baden-Württemberg hat 1999 die Subsidiaritätsklausel – ähnlich wie 11 Nordrhein-Westfalen – auf ein Tätigwerden außerhalb der kommunalen Daseinsvorsorge beschränkt31. Mit Wirkung vom 1.1.2006 wurde die vorhandene Subsidiaritätsklausel verschärft und zu einer sogenannten echten Subsidiaritätsklausel umgestaltet, so dass ein Tätigwerden der Kommune außerhalb der Daseinsvorsorge nicht erst dann ausscheidet, wenn ein privater Anbieter den Zweck besser oder wirtschaftlicher erfüllen kann, sondern bereits dann, wenn dieser die Aufgabe ebenso gut oder wirtschaftlich erfüllen kann32. Gleichzeitig wurde eine Ausdehnung wirtschaftlicher Aktivitäten über die Gemeindegrenzen hinaus unter bestimmten Voraussetzungen ermöglicht. Bis zur Kommunalrechtsnovelle im Jahre 2005 verfügte Hessen als letztes 12 Flächenland über keinen Subsidiaritätsvorbehalt, führte dann aber für wirtschaftliche Betätigungen, die ab dem 1.4.2004 ausgeübt werden, die strengste Subsidiaritätsregelung aller Flächenländer ein33. Der Subsidiaritätsvorbehalt greift bei jeder wirtschaftlichen Betätigung der Kommune. Relativiert wird die Strenge dadurch, dass so genannte „verbundene Tätigkeiten“ nach § 121 Abs. 4 HGO nunmehr ausdrücklich erlaubt sind und die Bindung kommunaler Unternehmen an das Gemeindegebiet gelockert wurde. Mit ihrem Vorschlag zur Novellierung der Gemeindeordnung hielten die Regierungsfraktionen im Jahre 2011 an diesen restriktiven Maßgaben fest34. Das wurde als Blockade der unumgänglichen Energiewende und der dafür erforderlichen Kommunalisierung der Energieversorgung kritisiert35. Mit Gesetz vom 16.12.2011 wurde ein Kompromiss Gesetz36: Gem. § 121 Abs. 1a HGO dürfen Gemeinden sich ohne Subsidiaritätsprüfung ausschließlich auf dem Gebiet der Erzeugung und Speicherung erneuerbarer Energien sowie der Verteilung von hieraus gewonnener thermischer Energie wirtschaftlich betätigen, wenn die Betätigung im regionalen Umfeld in den Formen interkommunaler Zusammenarbeit und unter Beteiligung Privater erfolgt. Die Beteiligung der Gemeinden soll dabei einen Anteil von 50 % nicht übersteigen. Ermöglicht werden soll auch die wirtschaftliche Beteiligung der Einwohner. Ein höherer Anteil der Gemeinde ist nur zulässig, wenn trotz einer Markterkundung die geforderte Beteiligung privater Dritter und Einwohner nicht er29 30 31 32 33
Drittes Gesetz zur Änderung der Gemeindeordnung v. 7.11.2007, GVBl. S. 352. LT-Drs. 5/697, 6. Gemeindewirtschaftsrechts-ÄndG v. 19.7.1998, GBl. S. 292. Gesetz zur Änderung des Gemeindewirtschaftsrechts v. 1.12.2005 (GBl. S. 705). Gesetz zur Änderung der Hessischen Gemeindeordnung und anderer Gesetze v. 31.1.2005, GVBl. S. 54. Zur Begründung LT-Drs. 16/2463, 1 f. 34 LT-Drs. 18/4031. 35 Vgl. Hessischer Landtag, Plenarprotokoll 18/74 v. 18.5.2011, S. 5146 ff., oder F.A.Z. – Rhein Main Zeitung v. 12.8.2011, Nr. 186 (2), S. 39. 36 GVBl. Nr. 26 v. 23.12.2011, S. 786. Uechtritz/Otting/Olgemöller
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Kommunalrechtliche Voraussetzungen für die wirtschaftliche Betätigung
reicht werden kann. § 121 Abs. 1b HGO stellt klar, dass die Regelung auch dem Schutz privater Dritter dient, soweit diese sich entsprechend wirtschaftlich betätigen wollen. Ziel der obligatorisch vorgesehenen Beteiligung privater Dritter und der Beschränkung auf den hälftigen Anteil ist eine Begrenzung der wirtschaftlichen Risiken der Gemeinden. Zugleich soll für die bereits am Markt agierenden Unternehmen eine Anreizfunktion geschaffen werden sowie eine „unerwünschte Konkurrenzsituation“ zwischen Privaten und Kommunen vermieden werden37. Die Gesetzesbegründung stellt des Weiteren klar, dass im Anwendungsbereich des § 121 Abs. 1a HGO auf die zwingende Subsidiaritätsprüfung in den dort genannten Konstellationen verzichtet wird38. Daraus dürfte zu schließen sein, dass die Gemeinden sich im Bereich der Energiegewinnung und -versorgung weiterhin ohne Rücksicht auf die Beschränkungen des § 121 Abs. 1a HGO betätigen dürfen, wenn die konkrete Tätigkeit mit der Subsidiaritätsklausel des § 121 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 HGO vereinbar ist. 13 Rheinland-Pfalz hat die Subsidiaritätsklausel im Jahre 1998 verschärft und den Gemeinden wirtschaftliche Betätigungen bereits bei Leistungsparität mit einem privaten Dritten untersagt39. Seit dem Jahre 2009 gilt dies jedoch nur noch für Tätigkeiten außerhalb der Energie- und Wasserversorgung sowie des öffentlichen Personennahverkehrs40. Der Gesetzgeber will damit der zwischenzeitlich beobachteten Öffnung der Versorgungsmärkte Rechnung tragen und Wettbewerbsnachteile für die kommunalen Unternehmen verhindern. Die Lockerung des Örtlichkeitsprinzips soll die kommunalen Unternehmen in die Lage versetzen, größere und über das eigene Gemeindegebiet reichende Märkte zu erschließen41. Mit vergleichbaren Gründen hatte Thüringen bereits im Jahre 2000 die Handlungsspielräume der Gemeinde erweitert und dazu insbesondere den Geltungsbereich der Subsidiaritätsklausel auf Tätigkeiten außerhalb der Daseinsvorsorge beschränkt42. 14 In Niedersachsen galt nach § 108 NGO zunächst eine unechte Subsidiaritätsklausel, nach der die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden erst unzulässig war, wenn ein anderer den öffentlichen Zweck besser und wirtschaftlicher erfüllte. Mit Wirkung zum 1.1.2006 führte der Landesgesetzgeber eine echte Subsidiaritätsklausel ein, wonach genügt, dass der 37 LT-Drs. 18/4816, S. 3. 38 LT-Drs. 18/4816, S. 2. 39 4. Landesgesetz zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften v. 2.4.1998, GVBl. S. 108. 40 Landesgesetz zur Änderung der Gemeindeordnung, des Zweckverbandsgesetzes und der Landkreisordnung v. 7.4.2009, GVBl. S. 162. 41 LT-Drs. 15/3032, 7. 42 Drittes Gesetz zur Änderung der Thüringer Kommunalverfassung v. 18.7.2000, GVBl. S. 177; zur Begründung vgl. LT-Drs. 3/333.
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A. Überblick
Zweck ebenso gut und wirtschaftlich durch einen privaten Dritten erfüllt wird oder werden kann43. In Reaktion auf die abweichende Rechtsprechung des OVG Lüneburg44 stellt das Gesetz zur Zusammenfassung und Modernisierung des niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts vom 17.12.201045 nun mit Wirkung zum 1.11.2011 in § 136 Abs. 1 Satz 3 NKomVG ausdrücklich klar, dass die Subsidiaritätsklausel auch dem Schutz privater Dritter dient, die sich entsprechend wirtschaftlich betätigen oder betätigen wollen. Die Energie- und Wasserversorgung sowie der öffentliche Personennahverkehr und Telekommunikationsdienstleistungen werden dem Anwendungsbereich der Subsidiaritätsklausel entzogen. In ähnlicher Weise hatte Sachsen bereits im Jahre 2003 den Wortlaut der Subsidiaritätsklausel geändert. Vergleichsmaßstab sind seit dem nicht „andere“, sondern „private Dritte“, was klarstellen soll, dass die Klausel dem Schutz privater Konkurrenten dient46. Das Saarland ersetzte im Jahre 2004 eine unechte durch eine echte Subsidiaritätsklausel47. Damit verband der Gesetzgeber die Erwartung einer drittschützenden Wirkung der Klausel, so dass sich private Wettbewerber gegen das Ob der wirtschaftlichen Betätigung wenden können48. Durch die zugleich novellierten Regelungen zu Annextätigkeiten und zu gemeindegebietsübergreifenden Tätigkeiten soll die Chancengleichheit der kommunalen Unternehmen im Wettbewerb hergestellt werden. Im Gegensatz dazu stellt die Kommunalverfassung des Landes Branden- 15 burg ausdrücklich klar, dass die Vorschriften über die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden ausschließlich dem Schutz der Leistungsfähigkeit der Gemeinden dienen, sich private Dritte darauf also nicht berufen können, um Konkurrenz durch kommunale Tätigkeit abzuwehren. Der Gesetzesentwurf der Landesregierung aus dem Jahre 2011 für ein „Gesetz zur Stärkung der kommunalen Daseinsvorsorge“ zielt darauf ab, die geltende echte auf eine unechte Subsidiaritätsklausel zurückzustufen. Zugleich soll die wirtschaftliche Betätigung außerhalb des Gemeindegebietes in den Bereichen der Elektrizitäts-, Gas- und Fernwärmeversorgung erleichtert sowie die Zulässigkeit von Annextätigkeiten und Randnutzungen klarer definiert werden49. Das Gesetz ist am 10.1.2012 in Kraft getreten.50 43 Gesetz zur Neuordnung des Gemeindehaushaltsrechts und zur Änderung gemeindewirtschaftsrechtlicher Vorschriften v. 15.11.2005 (Nds. GVBl. S. 342). 44 OVG Nds. v. 14.8.2008 – 10 ME 280/08, NVwZ 2009, 258. 45 GVBl. S. 576. Zu dieser Novelle vgl. etwa Freese, NdsVBl. 2011, 299 ff. 46 Gesetz zur Änderung des kommunalen Wirtschaftsrechts und des Sächsischen Wassergesetzes v. 4.3.2003, GVBl. S. 158; dazu etwa Sollondz, LKV 2003, 297. 47 Gesetz Nr. 1532 zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften v. 8.10.2003. 48 Vgl. LT-Drs. 12/918, 18 f. In diesem Sinne auch, wenngleich im Ergebnis offen lassend: OVG Saarl. v. 22.10.2008 – 3 B 279/08, LKRZ 2008, 477. 49 Vgl. LT-Drs. 5/3023. 50 GVBl. 2012 I Nr. 1, berichtigt durch GVBl. 2012 I Nr. 7. Uechtritz/Otting/Olgemöller
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Kommunalrechtliche Voraussetzungen für die wirtschaftliche Betätigung
16 Mecklenburg-Vorpommern beabsichtigt, die kommunale Selbstverwaltung durch eine Erweiterung der rechtlichen Handlungsspielräume der Kommunen zu stärken, ohne hierzu aber die Voraussetzungen der Zulässigkeit wirtschaftlicher Unternehmen der Gemeinden wesentlich zu ändern51. Es soll daher bei der bestehenden echten Subsidiaritätsklausel bleiben und die Voraussetzungen und Grenzen einer überörtlichen Betätigung der Gemeinden weiterhin nicht gesetzlich konkretisiert werden. Demgegenüber konkretisierte Schleswig-Holstein bereits im Jahre 2003 die Voraussetzungen, unter denen die Gemeinden außerhalb ihres Gebietes und insbesondere auch im Ausland tätig werden dürfen52. 17 Aufgrund der letzten Änderungen der Gemeindeordnungen ist die Tendenz wahrzunehmen, das Tätigwerden innerhalb des Gemeindegebiets restriktiver zu handhaben und dafür im Gegenzug aber eine Ausdehnung der zulässigen Tätigkeiten auf den überörtlichen Bereich zu ermöglichen. In den liberalisierten Märkten soll den kommunalen Unternehmen hingegen zumeist Chancengleichheit im Wettbewerb mit den privaten Anbietern ermöglicht werden. Der Gesetzgeber in Brandenburg sieht zwischenzeitlich sogar wieder die Notwendigkeit kommunaler Wirtschaftstätigkeit, um „Daseinsvorsorge flächendeckend und dauerhaft“ zu gewährleisten53. Diese Erwägung könnte vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung in einigen Regionen künftig an Bedeutung gewinnen und zu Lockerungen der Bindungen für kommunale Wirtschaftstätigkeit führen.
B. Erledigung von Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft 18 Zunächst ist auf eine besonders umstrittene Zulässigkeitsvoraussetzung kommunaler Wirtschaftsbetätigung einzugehen, nämlich den örtlichen Aktionsradius eines kommunalen Unternehmens. 19 Die Beschränkung der kommunalen wirtschaftlichen Betätigung auf das jeweilige Gemeindegebiet war in der deutschen Gemeindeordnung von 1935 nicht ausdrücklich angesprochen. Auch die landesrechtlichen Nachfolgebestimmungen enthalten nur zum Teil eine entsprechende Einschränkung. So formuliert § 108 Abs. 1 NGO für Niedersachsen: „Die Gemeinden dürfen sich zur Erledigung von Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft wirtschaftlich betätigen.“
51 Entwurf der Landesregierung zu einem Gesetz über die Kommunalverfassung und zur Änderung weiterer kommunalrechtlicher Vorschriften v. 2.3.2011, LTDrs. 5/4173. 52 Gesetz zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung v. 25.6.2002, GVBl. S. 126. 53 LT-Drs. 5/3023.
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B. Erledigung von Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft
Diese Formulierung hat der Landesgesetzgeber gewählt, um ausdrücklich klarzustellen, dass die Gemeindeordnung die wirtschaftliche Betätigung auf die Erledigung von Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft beschränkt54. Eine das Gemeindegebiet überschreitende Betätigung soll von vornherein unzulässig sein. Wenn es in § 136 Abs. 1 Satz 1 NKomVG statt dessen „Die Kommunen dürfen sich zur Erledigung ihrer Angelegenheiten wirtschaftlich betätigen.“
heißt, ist damit nach dem Willen des Gesetzgebers keine inhaltliche Änderung verbunden. Die durch die bisherige Formulierung beabsichtigte Begrenzung der Handlungsbefugnisse soll weder gelockert noch aufgehoben werden55. Eine vergleichbare Beschränkung auf die Aufgaben der örtlichen Gemein- 20 schaft findet sich etwa für Brandenburg in § 91 Abs. 2 BbgKVerf56. Diese Regel wird allerdings durch § 91 Abs. 4 BbgKVerf durchbrochen, der als Ausnahme vom Örtlichkeitsprinzip bestimmte überörtliche Aktivitäten zulässt. Ein ähnliches Regelungsmodell findet sich für Nordrhein-Westfalen in § 107 Abs. 1 und Abs. 3 GO NW. Dort hat der Landesgesetzgeber aber ergänzend Sondertatbestände für die nichtwirtschaftliche und die energiewirtschaftliche überörtliche Betätigung geschaffen (§ 107 Abs. 4 und § 107a Abs. 3 GO NW). Wiederum anders stellt sich die Rechtslage etwa in Sachsen-Anhalt dar, wo für die überörtliche Betätigung zwischen den Bereichen Strom-, Gas- und Wasserversorgung und allen anderen Tätigkeitsfeldern differenziert wird (§ 116 Abs. 3 und Abs. 4 GO LSA). Restriktiv wie in Niedersachsen ist die Zulässigkeit überörtlicher Betätigung hingegen – zumindest im Ausgangspunkt – in den Bundesländern zu beurteilen, in denen es an einer ausdrücklichen Regelung insoweit fehlt. So verzichtet der Landesgesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern auf eine ausdrückliche Regelung und verweist lediglich darauf, dass Zulässigkeit und Grenzen der überörtlichen Betätigung durch Rechtsprechung und Verwaltungsvorschriften hinreichend ausgestaltet seien57. Für Sachsen, wo eine ausdrückliche Gestattung überörtlicher Tätigkeiten ebenso fehlt, wird deren Zulässigkeit in bestimmtem Umfang aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen hergeleitet58. Die Vielfalt der Regelungsmodelle in den Ländern macht deutlich, dass die Zulässigkeit einer gemeindegebietsübergreifenden wirtschaftlichen 54 LT-Drs. 13/1450, 117. 55 LT-Drs. 16/3147, 22. 56 Schmahl, LKV 2000, 47 (49), interpretiert die insoweit gleichlautende Vorgängervorschrift des § 100 Abs. 2 BbgGO ebenfalls als Ausschluss gebietsüberschreitender Tätigkeit. 57 LT-Drs. 5/4173, 147. 58 Vgl. dazu Sollondz in Sponer u.a., Gemeindeordnung für Sachsen, § 97 Erl. 2.4; Schmidt in Quecke u.a., Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen § 97 Rz. 60a. Uechtritz/Otting/Olgemöller
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Betätigung nach wie vor zu den umstrittensten Themen des Gemeindewirtschaftsrechts gehört59.
I. Begriff der überörtlichen wirtschaftlichen Betätigung 22 Überörtlich ist eine Betätigung immer dann, wenn ihr der Bezug zum Gemeindegebiet oder zur Gemeindebevölkerung fehlt, sie also nicht „örtlich radiziert“ ist. Damit ist keine strikte räumliche Begrenzung auf das Gemeindegebiet verbunden, wohl aber das Erfordernis einer Betätigung im Interesse der eigenen Einwohnerschaft60. Das ist nicht mehr der Fall, wenn die eigentliche Wertschöpfung der erbrachten Leistung nicht auf dem Gemeindegebiet erfolgt oder keinen Bezug zur Einwohnerschaft aufweist61. Ausschlaggebend für die Zuordnung ist keine anlagenbezogene, sondern eine funktionale Betrachtungsweise: Es kommt nicht darauf an, wo sich die Anlagen und Einrichtungen befinden, mit denen die Tätigkeit wahrgenommen wird. Maßgeblich ist, ob ein Bezug zur Gemeindebevölkerung oder zum Gemeindegebiet besteht, wem also die Tätigkeit zugutekommt62. Daraus wird beispielsweise gefolgert, dass die Errichtung oder Beteiligung an einer in der Nordsee gelegenen Offshore-Windkraftanlage auch Gemeinden aus dem küstenfernen Inland erlaubt sei, ohne dass es auf etwaige Beschränkungen überörtlicher Tätigkeiten ankomme63. Auch die Beteiligung an Kraftwerken oder der Betrieb von Wasserwerken jenseits der Gemeindegrenzen werden für zulässig erachtet64. 23 Vereinzelt wird die Auffassung vertreten, ein Bezug zum Gemeindegebiet liege auch dann noch vor, wenn kommunale Energieversorgungsunternehmen einen Ausgleich für verloren gegangene Sonderkunden jenseits der Gemeindegrenzen suchten, da dadurch im Interesse der Einwohnerschaft die Leistungsfähigkeit und Existenzgrundlage des kommunalen Unternehmens abgesichert werde65. Dem wird nicht beigepflichtet werden können. Mit diesem Argument könnte letztlich auch eine völlig schrankenlose Betätigung gerechtfertigt werden. Ein bloß wirtschaftlichfiskalischer Bezug zum Gemeindegebiet im Sinne einer finanziellen Stärkung des örtlichen Unternehmens genügt nicht66. Eine Versorgung von Sonderkunden jenseits der Gemeindegrenzen ist überörtliche Betätigung; 59 Vgl. zur Thematik etwa Gern, NJW 2002, 2593; Heilshorn, VerwArch 96 (2005), 88; Jarass, DVBl 2006, 1; Dünchheim/Schöne, DVBl 2009, 146. 60 Cronauge, AfK 1999, 24 (31); Gern, NJW 2002, 2593 (2594 f.). 61 OVG Rh.-Pf. v. 21.3.2006 – 2 A 11124/05, DÖV 2006, 611 (613); Kühling, NJW 2001, 177 (178); Wefelmeier in Blum u.a., Kommentar zur NGO in Kommunalverfassungsrecht Niedersachsen, § 108 Rz. 4. 62 BVerwG v. 20.1.2005 – 3 C 31.03, BVerwGE 122, 350 (355). 63 Henneke/Ritgen, Kommunales Energierecht, S. 46. 64 Oebbecke in Mann/Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 2, § 41 Rz. 22. 65 Cronauge, AfK 1999, 24 (31). 66 So auch Jarass, DVBl 2006, 1 (4).
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ob sie zulässig ist, hängt von den verfassungs- und gemeinderechtlichen Grenzen für diese überörtliche Betätigung ab.
II. Regionalprinzip als Schranke gemeindlicher Wirtschaftsbetätigung? 1. Art. 28 Abs. 2 GG als verfassungsrechtliche Absicherung gemeindlicher Wirtschaftsbetätigung Die wirtschaftliche Betätigung der Städte und Gemeinden findet ihre 24 Grundlage nicht nur (einfachrechtlich) in den landesrechtlichen Normen über die wirtschaftliche Betätigung. Nach herrschender Auffassung gehört sie zu den Elementen, die das Wesen der kommunalen Selbstverwaltung prägen. Sie unterfällt insoweit dem Schutz der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Art. 28 Abs. 2 GG und der entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Normen67. Verfassungsrechtlich geschützt ist aber nicht die wirtschaftliche Aktivi- 25 tät schlechthin. Art. 28 Abs. 2 GG räumt den Gemeinden die (verfassungsrechtliche) Befugnis ein, die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Nach ganz herrschender Meinung ist die verfassungsrechtliche Garantie der wirtschaftlichen Betätigung der Gemeinden daher auf das eigene Gemeindegebiet beschränkt68. Es ist folglich auch unstreitig, dass der Landesgesetzgeber die Zulässigkeit wirtschaftlicher Betätigung ausdrücklich auf das Gemeindegebiet beschränken darf. Gegen eine solche Beschränkung ist verfassungsrechtlich aufgrund der eingeschränkten Reichweite des Art. 28 Abs. 2 GG bzw. der entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Normen nichts zu erinnern69. 2. Art. 28 Abs. 2 GG als verfassungsrechtliche Grenze kommunaler Betätigung? Aus der Feststellung, dass eine kommunale wirtschaftliche Betätigung, 26 die die eigenen Gemeindegrenzen überschreitet, verfassungsrechtlich nicht geschützt ist, folgt aber nicht ohne weiteres, dass derartige Aktivi-
67 Wieland/Hellermann, Der Schutz des Selbstverwaltungsrechts der Kommunen gegenüber Einschränkungen ihrer wirtschaftlichen Betätigung im nationalen und europäischen Recht, S. 21 ff.; Gern, NJW 2002, 2593; Dreier in Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band 2, Art. 28 Rz. 136. 68 Vgl. nur Nierhaus in Sachs, Grundgesetz Kommentar, Art. 28 Rz. 35; Tettinger/ Schwarz in Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Band 2, Art. 28 Rz. 173. 69 Oster in Gabler u.a., Kommunalverfassungsrecht Rheinland-Pfalz, Vorbem. zu §§ 85 bis 92 Gemeindeordnung, Anm. 2.2.1. Uechtritz/Otting/Olgemöller
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täten rechtlich unzulässig sind70. Ebenso wenig kann hieraus zwingend abgeleitet werden, dem einfachen Gesetzgeber sei es verwehrt, den Gemeinden eine wirtschaftliche Betätigung über den örtlichen Wirkungskreis hinaus zu gestatten71. 27 Im Schrifttum wird jedoch teilweise – weiter gehend – angenommen, Art. 28 Abs. 2 GG bzw. die entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Normen stellten nicht nur eine Garantie, sondern zugleich eine Grenze jeglicher kommunaler Betätigung dar72. Diese verfassungsrechtliche Grenze könne von kommunalen Unternehmen nicht überwunden werden. Folgerichtig sind dann auch verfassungsrechtliche Bedenken gegen einfachrechtliche Normen geäußert worden, mit denen der Landesgesetzgeber ein wirtschaftliches Tätigwerden über die Gemeindegrenze hinaus gestattet hat73. 28 Um die Stichhaltigkeit dieser Argumentation zu überprüfen, ist eine Klärung des Normgehaltes des Art. 28 Abs. 2 GG erforderlich. Nach der vorherrschenden Interpretation enthält Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG eine institutionelle Rechtssubjektsgarantie, eine objektive Rechtsinstitutionsgarantie und eine subjektive Rechtsstellungsgarantie74. Für die hier interessierende Thematik ist letztere, die kommunale Selbstverwaltungsgarantie, von Interesse. Diese hat eine vertikale und eine horizontale Komponente75: Sie sichert und begrenzt die kommunale Kompetenz einerseits gegenüber staatlichen Hoheitsträgern (vertikal); andererseits grenzt sie auch die räumlichen Zuständigkeitsbereiche der einzelnen Gemeinden (horizontal) untereinander im Sinne eines „Rundumschutzes“ ab76. Ausdrücklich hat das BVerfG allerdings anerkannt, dass es dem Gesetzgeber frei steht, den Gemeinden überörtliche Aufgaben zuzuordnen, die dann aber an der Gewährleistung des Art. 28 Abs. 2 GG nicht teilhaben77. In gleicher Weise ist dem Gesetzgeber auch die Übertragung von 70 Jarass, DÖV 2002, 489 (498). 71 Für Verfassungswidrigkeit insoweit Franz, Gewinnerzielung durch kommunale Daseinsvorsorge, S. 87. 72 Ehlers, DVBl 1998, 497 (503); Grawert, Zuständigkeitsgrenzen der Kommunalwirtschaft, in Grupp/Ronellenfitsch, FS für Blümel, S. 119; Heintzen, NVwZ 2000, 743; Meyer, LKV 2000, 321 (323); Ruffert, VerwArch 92 (2001), 27 (34). 73 Ehlers, NWVBl. 2000, 1 (5); Becker, DÖV 2000, 1032 (1039); Franz, Gewinnerzielung durch kommunale Daseinsvorsorge, S. 87. 74 Tettinger in Mann/Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 1, § 11 Rz. 4 f.; Nierhaus in Sachs, Grundgesetz Kommentar, Art. 28 Rz. 41 ff.; Henneke in Schmidt-Bleibtreu/Klein/Hofmann/Hopfauf, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 28 Rz. 42 ff. 75 Kühling, NJW 2001, 177 (179); Gern, NJW 2002, 2593 (2595). 76 Dreier in Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band 2, Art. 28 Rz. 106; Henneke in Schmidt-Bleibtreu/Klein/Hofmann/Hopfauf, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 28 Rz. 46c. 77 BVerfG v. 23.11.1988 – 2 BvR 1619, 1628/83 – Rastede, BVerfGE 79, 127 (152). Der Gesetzgeber kann diese gesetzlich zugewiesenen Aufgaben mit überörtlichem Charakter den Kommunen also auch ohne Berücksichtigung des Art. 28 Abs. 2 GG wieder entziehen.
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Aufgaben in horizontaler Hinsicht („Querzonung“ statt „Hochzonung“) nicht prinzipiell untersagt78. Ihm ist es gestattet, Gemeinden qua Gesetz grenzüberschreitende Kompetenzen zu übertragen79. Eine Schranke stellt die Selbstverwaltungsgarantie der betroffenen „Zielgemeinde“ dar80. Diese Schranke greift, wenn die Einwirkung auf dem fremden Gebiet von einigem Gewicht ist. Erst dann kann das überörtliche Tätigwerden einen Eingriff i.S.v. Art. 28 Abs. 2 GG für die andere Gemeinde bedeuten81. Auf der Basis dieses Verständnisses des Normgehaltes von Art. 28 Abs. 2 29 GG bestehen also keine grds. verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn eine gesetzgeberische Ausweitung kommunaler wirtschaftlicher Betätigung über den örtlichen Wirkungskreis hinaus erfolgt82. Wegen der begrenzten Kompetenz des Landesgesetzgebers kann dieser allerdings „seine“ Gemeinden nicht ermächtigen, auf dem Territorium von Gemeinden anderer Bundesländer tätig zu werden83. Fehlt es an einer ausdrücklichen gesetzlichen Zulassung einer wirtschaft- 30 lichen Betätigung über den örtlichen Wirkungskreis hinaus, so ist deren Zulässigkeit umstritten. Von vornherein entfallen Bedenken gegen ein die Gemeindegrenzen transzendierendes Handeln bei den Vertretern der Auffassung, die der Zuständigkeitsschranke des Art. 28 Abs. 2 GG nur für hoheitliches Handeln Bedeutung zumessen wollen. Eine Kompetenzbindung besteht nach dieser Auffassung nur bei hoheitlichem Staatshandeln; im erwerbswirtschaftlich-fiskalischen Bereich dürfe sich die Gemeinde ohne Rücksicht auf kompetentielle Schranken betätigen84. Auf dem Felde der wirtschaftlichen Betätigung dürfe sich die Gemeinde beim Fehlen entgegenstehender einfach-rechtlicher Regelungen auch jenseits des Gemeindegebietes ohne Rücksicht auf kompetentielle Schranken engagieren85. Einer besonderen rechtlichen Legitimation bedürfe es für kommunales Wirtschaften nicht; es gebe keine verfassungsrechtlichen Totalvorbehalte für jegliches Staatshandeln.
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Gern, NJW 2002, 2593 (2595). Kühling, NJW 2001, 177 (179). Kühling, NJW 2001, 177 (179). Jarass, DVBl 2006, 1 (3). Schink, NVwZ 2002, 129 (136); Ehlers, Gutachten E zum 64. Deutschen Juristentag, S. 99; Pünder/Dittmar, Jura 2005, 760 (762). 83 Ehlers, NWVBl. 2000, 1 (6); Kühling, NJW 2001, 177 (181), Gern, NJW 2002, 2593 (2595); Nierhaus in Mann/Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 2, § 40 Rz. 46; dies bezweifelnd hingegen Jarass, DVBl 2006, 1, (4); Pünder/Dittmar, Jura 2005, 760 (762). 84 Wieland in SPD-Landtagsfraktion NRW, Wirtschaftliche Betätigung der Kommunen, S. 8 f.; Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, S. 157. 85 Wieland, Kommunalwirtschaftliche Betätigung unter veränderten Wettbewerbsbedingungen, in Henneke, Optimale Aufgabenerfüllung im Kreisgebiet?, S. 196 ff. Uechtritz/Otting/Olgemöller
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31 Diese Auffassung stellt im Schrifttum eine Mindermeinung dar. Sie sieht sich dem Einwand ausgesetzt, es werde für den Bereich der Kommunalwirtschaft „reanimiert“, was das BVerfG für das Verhältnis von Bund und Ländern schon im ersten Fernsehurteil von 1961 zurückgewiesen habe, wonach die Erfüllung öffentlicher Aufgaben, zu der jede Form der Kommunalwirtschaft gehören müsse, kompetenzgebunden sei, auch wenn sie sich in Organisations- und Handlungsformen des Privatrechts vollziehe86. 32 Umstritten ist ferner – und zwar auch bei den Autoren, die die Beschränkungen des Art. 28 Abs. 2 GG auf hoheitliches Handeln ablehnen –, ob die Zustimmung einer (Ziel-) Gemeinde zur Betätigung einer anderen Gemeinde auf ihrem Territorium solche Aktivitäten unabhängig von einer gesetzlichen Regelung – zu legitimieren vermag. Wer Art. 28 Abs. 2 GG nur als Abwehrrecht der Kommunen in horizontaler Hinsicht versteht, muss zur Unbedenklichkeit einer grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Aktivität gelangen, wenn die Zielgemeinde das Tätigwerden der Fremdgemeinde auf ihrem Gebiet nicht beanstandet87. Anders muss das Urteil ausfallen, wenn man die Bedeutung des Art. 28 Abs. 2 GG als (örtlich beschränkten) Kompetenztitel betont. Da Zuständigkeitsvorschriften nicht disponibel sind, kann bei dieser Sichtweise die bloße Einwilligung einer Nachbargemeinde zur wirtschaftlichen Betätigung einer anderen Kommune auf ihrem Gemeindegebiet nicht ausreichen88.
III. Anerkannte Ausnahmen überörtlicher Betätigung 33 Unstreitig ist, dass Gemeinden sich im Wege der interkommunalen Zusammenarbeit überörtlich betätigen dürfen89. Interkommunale Zusammenarbeit bedeutet, dass die Aufgabenwahrnehmung einen Bezug zu mehreren örtlichen Gemeinschaften hat, und zwar nicht von einer Gemeinde allein, aber von mehreren Gemeinden gemeinsam wahrgenommen werden kann.
86 Tettinger in Mann/Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 1, § 1 Rz. 10; Nierhaus in Mann/Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 2, § 40 Rz. 24 ff. 87 In diese Richtung das OLG Düsseldorf v. 12.1.2000 – Verg 3/99 – AWISTA, NZBau 2000, 155 (156); ebenso Kühling, NJW 2001, 177 (181); Jarass, DVBl 2006, 1 (3). 88 Heintzen, NVwZ 2000, 743 (745 f.). 89 OVG NW v. 1.4.2008 – 15 B 122/08, NVwZ 2008, 1031 (1036); Dreier in Dreier, Grundgesetz Kommentar, Band 2, Art. 28 Rz. 138; Tettinger/Schwarz in Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Band 2, Art. 28 Rz. 179; Oebbecke in Mann/Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 2, § 41 Rz. 23.
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Es gibt kommunale Aufgabenfelder, deren Erledigung durch eine Ge- 34 meinde allein nicht mehr sinnvoll leistbar ist. Eine solche „mehrörtliche“ (nicht: „überörtliche“) Aufgabenwahrnehmung genießt den Schutz der Selbstverwaltungsgarantie90. Die Landesgesetzgeber haben durch die Schaffung von Zweckverbandsgesetzen bzw. Gesetzen über kommunale Zusammenarbeit die überörtliche Zusammenarbeit von Gebietskörperschaften zur Erledigung bestimmter kommunaler Aufgaben anerkannt. Diese Zusammenarbeit kann nicht nur in öffentlich-rechtlichen Rechtsformen (Zweckverband, Arbeitsgemeinschaft), sondern selbstverständlich auch in privatrechtlicher Rechtsform organisiert werden91. Die Zweckverbandsgesetze der Länder schließen privatrechtliche Kooperationsformen nicht aus92. Bei privatrechtlichen Formen der interkommunalen Zusammenarbeit sind freilich im Einzelfall vergaberechtliche Grenzen zu beachten. Eine – ungeschriebene – Ausnahme vom Regionalprinzip wurde weiter 35 im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung hingenommen93. Die Aufsichtsbehörden haben toleriert, dass sich westdeutsche Kommunen oder Stadtwerke im Rahmen der Aufbauhilfe wirtschaftlich in Partnergemeinden oder sonstigen Gebietskörperschaften in den neuen Bundesländern engagierten.
IV. Landesrechtliche Regelungen Im Laufe der letzten Jahre haben viele Bundesländer die Voraussetzungen 36 gemeindegebietsübergreifender wirtschaftlicher Betätigung liberalisiert, so dass in den meisten Gemeindeordnungen mittlerweile Vorschriften existieren, die Voraussetzungen für die überörtliche wirtschaftliche Betätigung normieren. Der Gesetzgeber in Sachsen sieht nach wie vor von einer ausdrücklichen Zulassung der überörtlichen Betätigung ab. Das führt in der Praxis zu erheblichen Begründungsschwierigkeiten und Rechtsunsicherheiten, wenn Zulässigkeit und Grenzen überörtlicher Betätigung definiert werden sollen (vgl. die Nachweise oben bei Rz. 24 ff.). Das gilt nicht zuletzt für die durch den Gesetzgeber nicht eindeutig geregelte Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern (vgl. oben bei Rz. 16). In Niedersachsen beschränkt der Landesgesetzgeber die Gemeinden auf die örtliche Betätigung (vgl. dazu oben bei Rz. 19).
90 Kühling, NJW 2001, 177 (178 f.); Pieroth in Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 28 Rz. 13. 91 OVG NW v. 1.4.2008 – 15 B 122/08, NVwZ 2008, 1031 (1036). 92 § 105a Abs. 1 Satz 3 GemO BW etwa erwähnt die Möglichkeit der Beteiligung mehrerer Gemeinden an einem Unternehmen in Privatrechtsform ausdrücklich. 93 Von einer „Verwilderung der Sitten“ spricht in diesem Zusammenhang allerdings Ehlers, DVBl 1998, 497 (505). Uechtritz/Otting/Olgemöller
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1. Erleichterung gemeindegebietsüberschreitender Wirtschaftsbetätigung 37 Eine generelle Absage an die Zulässigkeit überörtlicher Betätigung kommunaler Unternehmen ist mit den einfachgesetzlichen landesrechtlichen Regelungen in den meisten Gemeindeordnungen nicht zu vereinbaren. Entweder wird man diese Regelungen für verfassungswidrig halten müssen94 oder man wird konzedieren müssen, dass die Verfassung einer Tätigkeit außerhalb des Gemeindegebietes jedenfalls nicht von vorneherein entgegensteht. Der Schluss auf die Verfassungswidrigkeit der Vorschrift wird vereinzelt gezogen; andere meinen, sie liefen praktisch leer, da kein öffentlicher Zweck erkennbar sei, der eine Betätigung außerhalb des eigenen Gemeindegebietes rechtfertigen könne95. 38 Die gesetzlichen Regelungen zur überörtlichen Betätigung knüpfen zumeist an die wirtschaftliche Betätigung an. Zugleich unterscheiden die Gemeindeordnungen regelmäßig wirtschaftliche und nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten. Allein Nordrhein-Westfalen (§ 107 Abs. 4 Satz 1 GO NW) hat bislang eine spezielle Regelung über die überörtliche Wahrnehmung nicht-wirtschaftlicher Tätigkeiten geschaffen96. Fehlt eine solche Regelung, könnte jede nicht-wirtschaftliche Betätigung mangels einfachgesetzlicher Grundlage als unzulässig angesehen werden. Wird diese Konsequenz nicht gezogen, ist zu klären, welche Grenzen der überörtlichen nicht-wirtschaftlichen Tätigkeit gezogen sind. Noch vor Einführung des geltenden § 107 Abs. 4 GO NW hatte das OLG Düsseldorf im Jahre 2000 zunächst entschieden, dass sich die Beschränkungen der Gemeindeordnung für überörtliche Betätigungen allein auf wirtschaftliche Betätigungen beziehen97. Diese Freistellung nicht-wirtschaftlicher Betätigungen von Verbot überörtlicher Tätigkeiten hat das Gericht im Jahre 2002 relativiert98. Im Jahre 2005 hat das OVG Nordrhein-Westfalen dann wiederum entschieden, dass Tätigkeiten im Bereich der Abfallentsorgung, die nach der GO NW nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten sind, den gesetzlichen Beschränkungen für überörtliche Betätigungen nicht unterliegen99. Dem folgte zwischenzeitlich das OVG Rheinland-Pfalz und billigte die Tätigkeit einer kommunalen Eigengesellschaft, die außerhalb des Gemeindegebietes Leichtverpackungen zur Sortierung und Verwertung annahm, um 94 Diese Konsequenz ziehen partiell in der Tat – für NW – Ehlers, NWVBl. 2000, 1 (5 f.), und Löwer, NWVBl. 2000, 241 (244), sowie – für LSA – Becker, DÖV 2000, 1032 (1039). In diese Richtung auch Schliesky, Die Gemeinde SH 2003, 290 (293), und Franz, Gewinnerzielung durch kommunale Daseinsvorsorge, S. 87, sowie wohl auch Nierhaus in Mann/Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 2, § 40 Rz. 43, anders allerdings Nierhaus in Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Art. 28 Rz. 49. 95 Stewing in Vieweg/Haarmann, Beiträge zum Wirtschafts-, Europa- und Technikrecht. Festgabe für Rudolf Lukes, S. 189 (192). 96 Vgl. dazu etwa OVG NW v. 1.4.2008 – 15 B 122/08, NVwZ 2008, 1031 (1034 ff.). 97 OLG Düsseldorf v. 12.1.2000 – Verg 3/99 – AWISTA, NZBau 2000, 155 (156). 98 OLG Düsseldorf v. 17.6.2002 – Verg 18/02 – DAR, NZBau 2002, 626 (632). 99 OVG NW v. 12.10.2004 – 15 B 1873/04, NVwZ 2005, 1211 (1212).
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diese in einer im Gemeindegebiet betriebenen Anlage zu sortieren100. Als unzulässig wäre die nicht-wirtschaftliche überörtliche Tätigkeit indes anzusehen, wenn auch hierfür eine gesetzliche Grundlage gefordert wird. Die erste Regelung zu gemeindegebietsübergreifender Tätigkeit wurde in Bayern eingefügt. Art. 87 Abs. 2 BayGO lautet:
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„Die Gemeinde darf mit ihren Unternehmen außerhalb des Gemeindegebiets nur tätig werden, wenn dafür die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen und die berechtigten Interessen der betroffenen kommunalen Gebietskörperschaften gewahrt sind. Bei der Versorgung mit Strom und Gas gelten nur die Interessen als berechtigt, die nach den Vorschriften des Energiewirtschaftsgesetzes eine Einschränkung des Wettbewerbs zulassen.“
Ganz ähnlich heißt es in Thüringen, wo § 71 Abs. 4 ThürKO allerdings zusätzlich Genehmigungs- und Anzeigepflichten vorsieht. Die Regelungen in Baden-Württemberg (§ 102 Abs. 7 GemO BW), Hessen (§ 121 Abs. 5 HGO), dem Saarland (§ 108 Abs. 4 KSVG) und SchleswigHolstein (§ 101 Abs. 2 GO Schl.-Holst.) unterscheiden sich von der bayerischen Regelung vor allem, indem sie für die Versorgung mit Strom und Gas nicht auf das EnWG, sondern allgemein auf das Wettbewerbsrecht Bezug nehmen. Zum Teil sprechen sie allgemeiner auch von den liberalisierten Tätigkeiten oder den im Wettbewerb erbrachten Tätigkeiten. Rheinland-Pfalz verzichtet in § 85 Abs. 2 GemO Rh.-Pf. auf spezielle Re- 40 gelungen zu den in den liberalisierten Märkten erbrachten Tätigkeiten und regelt lediglich, dass eine überörtliche wirtschaftliche Tätigkeit zulässig ist, wenn die Schrankentrias und die berechtigten Interessen aller unmittelbar von der Tätigkeit betroffenen Gemeinden gewahrt sind. Gleiches gilt mittlerweile für die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinde in Nordrhein-Westfalen gem. § 107 Abs. 3 Satz 1 GO NW in der Fassung des Gesetzes zur Revitalisierung des Gemeindewirtschaftsrechts vom 21.12.2010. Hier finden sich für die energiewirtschaftliche Betätigung Sonderregelungen in § 107a Abs. 3 GO NW. Zulässigkeit und Grenzen der überörtlichen nicht-wirtschaftlichen Betätigung sind schließlich in § 107 Abs. 4 GO NW geregelt. Der Landtag von Sachsen-Anhalt beschloss im Jahre 2001 zunächst, die 41 überörtliche Betätigung unter den Voraussetzungen der Schrankentrias und nicht entgegenstehenden berechtigten Interessen der betroffenen Gemeinden grds. zuzulassen101. § 116 GO LSA wurde aber bereits 2003 restriktiver formuliert und die Zulässigkeit überörtlicher Tätigkeit auf begründete Ausnahmefälle beschränkt102. Seit der Novelle aus dem Jah-
100 OVG Rh.-Pf. v. 21.3.2006 – 2 A 11124/05, DÖV 2006, 611. 101 Ges. v. 3.4.2001, GVBl. S. 136; vgl. dazu Gundlach, LKV 2001, 354. 102 Zweites Investitionserleichterungsgesetz v. 16.7.2003, GVBl. Nr. 26 v. 21.7.2003, S. 158. Uechtritz/Otting/Olgemöller
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re 2007 wird differenziert103: In den Bereichen Strom-, Gas- und Wärmeversorgung ist die überörtliche Tätigkeit grds. im Rahmen des jeweiligen Ordnungsrahmens zulässig, § 116 Abs. 3 GO LSA. Das soll die Chancengleichheit der kommunalen Versorgungsunternehmen im Wettbewerb sichern104. Überörtliche wirtschaftliche Betätigung in allen anderen Tätigkeitsfeldern ist nur in begründeten Ausnahmefällen zulässig. Insoweit verbietet § 116 Abs. 4 GO LSA im Grundsatz die Tätigkeit extra muros105. 42 In Brandenburg ist gem. § 91 Abs. 4 BbgKVerf eine wirtschaftliche Betätigung außerhalb der Versorgung der örtlichen Gemeinschaft sowie der Nutzung von Einrichtungen bzw. Angeboten in der Gemeinde zulässig für (1.) die Versorgung mit Elektrizität, Gas und Fernwärme sowie (2.) im Rahmen von Vereinbarungen oder Konzessionen der betroffenen Gemeinden, Gemeindeverbände oder kommunalen Unternehmen. Durch den Verzicht auf das Erfordernis eines regionalen Bezugs soll zugleich klargestellt werden, dass eine wirtschaftliche Betätigung auch in entfernter liegenden Gemeinden möglich ist106. 43 Einige Gemeindeordnungen regeln ausdrücklich die Zulässigkeit kommunaler Tätigkeit im Ausland. Beispielsweise heißt es in § 107 Abs. 3 und Abs. 4 GO NW, dass die Aufnahme einer wirtschaftlichen bzw. nicht-wirtschaftlichen Betätigung auf ausländischen Märkten der Genehmigung bedarf. Der nordrhein-westfälische Gesetzgeber betrachtet also sogar die kommunale Betätigung auf Auslandsmärkten nicht als verfassungsrechtlich verboten, sondern unterstellt sie nur einem präventiven Genehmigungsvorbehalt. Derartige Auslandsaktivitäten sind etwa bei kommunalen Messegesellschaften verbreitet107. Desgleichen unterstellt § 116 Abs. 5 GO LSA die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden im Ausland einem Genehmigungserfordernis. In Schleswig-Holstein genügt eine Anzeige vor Aufnahme der Tätigkeiten108, § 101 Abs. 3 GO Schl.Holst. lautet: „Die wirtschaftliche Betätigung im Ausland ist unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 zulässig, wenn berechtigte Interessen des Bundes oder des Landes Schleswig-Holstein nicht entgegenstehen. Die Kommunalaufsichtsbehörde ist rechtzeitig vor ihrer Aufnahme zu unterrichten.“
103 Drittes Gesetz zur Änderung der Gemeindeordnung v. 7.11.2007, GVBl. S. 352. 104 LT-Drs. 5/697, 6. 105 Näher dazu etwa Beck/Lübking/Schürmeier, Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt, § 116 Rz. 28 ff. 106 Vgl. Entwurf der Landesregierung zum Gesetz zur Stärkung der kommunalen Daseinsvorsorge, LT-Drs. 5/3023, insb. S. 5 f. der Begründung. 107 Cronauge in Rehn/Cronauge/von Lennep/Knirsch, Gemeindeordnung NW, § 107 Erl. IX. 108 Eine Verpflichtung zur Unterrichtung vor Aufnahme von Auslandsaktivitäten sieht nun auch der Entwurf für einen novellierten § 91 Abs. 4 BbgKVerf vor, vgl. LT-Drs. 5/3023, 2.
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B. Erledigung von Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft
Die Zulässigkeit der Auslandsbetätigung wird zum Teil pauschal mit dem Argument in Zweifel gezogen, die Versorgung von Ausländern mit deutschen kommunalen Leistungen stelle keinen legitimen öffentlichen Zweck dar, zumal vielfach in Frage zu stellen sei, ob die Auslandsaktivität in einem angemessenen Verhältnis zur Leistungsfähigkeit der Gemeinde steht109. Nach vielfach vertretener Ansicht wäre ein Verbot landesübergreifender Tätigkeit indes nicht mit den Grundfreiheiten des EG-Vertrags vereinbar110, selbst die Einführung eines Genehmigungsvorbehalts wie in Nordrhein-Westfalen wird kritisch beäugt111. Ist das Entgegenstehen berechtigter Bundes- oder Landesinteressen nicht bereits ausdrücklich in der Regelung enthalten, ergibt sich dessen Berücksichtigung aus dem Grundsatz der Bundes- bzw. Ländertreue112.
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2. Berechtigte Interessen der betroffenen Zielgemeinde Allen Vorschriften liegt der Gedanke zugrunde, dass eine wirtschaftliche 45 Betätigung auf dem Territorium von Nachbargemeinden insoweit erlaubt sein soll, wie berechtigte Interessen der Gemeinde, auf deren Territorium die Betätigung stattfindet („Zielgemeinde“), nicht entgegenstehen. Das bedeutet, dass die Gemeinde durch wirtschaftliche Betätigung nicht solche Aufgaben an sich ziehen darf, die öffentliche Aufgaben der Nachbargemeinde sind und (auch) von dieser wahrgenommen werden. Täte sie dies, griffe sie in deren Wirkungskreis ein. Die Interessenklausel wahrt somit das Selbstverwaltungsrecht der betroffenen Zielgemeinde in horizontaler Hinsicht113. Soweit die Nachbargemeinde jedoch keine öffentlichen Aufgaben wahrnimmt oder wenn die wirtschaftlich tätig werdende Gemeinde mit Zustimmung der betroffenen Gebietskörperschaft handelt, sind keine berechtigten Interessen dieser Gemeinde betroffen114. Redu-
109 Nierhaus in Mann/Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 2, § 40 Rz. 47. Eine dezidiert liberale Auffassung vertritt hingegen Wolff, DÖV 2011, 721. 110 Vgl. etwa Guckelberger, BayVBl. 2006, 293 (299); Burmeister/Staebe, EuR 2005, 810; Schwintowski in Büdenbender/Kühne, FS für Baur, 2002, 339 (348). 111 Guckelberger, BayVBl. 2006, 293 (299). 112 Jarass, DVBl 2006, 1 (9). 113 Kühling, NJW 2001, 177 (180). 114 Ebenso etwa der Landesgesetzgeber Rh.-Pf., LT-Drs. 15/3032, 9 zu § 85 Abs. 2 GemO Rh.-Pf. n.F.; a.A. Becker, DÖV 2000, 1032 (1036 u. 1038 f.): Es stehe einer Gemeinde frei, bestimmte örtliche Aufgaben nicht wahrzunehmen und diese aus ordnungspolitischen Gründen im Gemeindegebiet allein privater Initiative zu überlassen. Diese Entscheidung dürfe nicht durch die Zulassung der Konkurrenz anderer kommunaler Unternehmen auf dem Gemeindegebiet konterkariert werden. Der Auffassung von Becker wird man jedoch entgegenhalten müssen, dass keine Kompetenz der Gemeinde zu derartigen „ordnungspolitischen“ Grundentscheidungen ersichtlich ist, durch die sie es einer anderen Gemeinde verwehren dürfte, sich in an sich erlaubtem Umfang wirtschaftlich zu betätigen. Uechtritz/Otting/Olgemöller
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Kommunalrechtliche Voraussetzungen für die wirtschaftliche Betätigung
ziert werden lediglich deren (wirtschaftlichen) Erwerbschancen, die jedoch verfassungsrechtlich nicht geschützt sind115. 46 Ausdrücklich dürfen die Zielgemeinden in Bayern und Thüringen bei Tätigkeiten im Bereich der Versorgung mit Strom und Gas nur diejenigen Einwände geltend machen, die nach den Vorschriften des Energiewirtschaftsgesetzes eine Beschränkung des Wettbewerbs zulassen. Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 EnWG kann ein Betreiber von Elektrizitätsversorgungsnetzen den Netzzugang verweigern, wenn ihm die Durchleitung aus betriebsbedingten oder sonstigen Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Es darf sich dabei nicht allein um Gründe wirtschaftlicher Rentabilität handeln. Die fehlende Zumutbarkeit muss technisch oder betrieblich bedingt sein116. Ersichtlich will der Gesetzgeber hier die Wettbewerbsfähigkeit der kommunalen Stadtwerke auf dem Energieversorgungsmarkt stärken, indem er die kommunalen Zulässigkeitsschranken für die überörtliche wirtschaftliche Betätigung mit den Anforderungen des Energiewirtschaftsrechts an die Durchleitung von Strom durch fremde Netze harmonisiert117. Dieselben Zwecke verfolgen die Bundesländer, die den Zielgemeinden in den liberalisierten Wirtschaftszweigen nur eine Berufung auf bundesgesetzlich statuierte Wettbewerbsbeschränkung zubilligen. 47 Es stellt sich die Frage, wer darüber zu entscheiden hat, ob die entgegenstehenden Interessen der Nachbargemeinde „berechtigt“ sind. Dem Gesetz, das im wirtschaftlich wichtigsten Bereich der Energieversorgung die geltend zu machenden Interessen ausdrücklich beschränkt, wird man den Grundgedanken entnehmen können, dass nicht jede Interessenbekundung der Nachbargemeinde zum Verbot der Betätigung führen soll. Letztlich soll ein objektiver Maßstab entscheidend sein. Berechtigt sind jedenfalls aber alle Interessen, die mit dem verfassungsrechtlich durch Art. 28 Abs. 2 GG geschützten Interesse an einer eigenen Aufgabenerfüllung durch die Zielgemeinde begründet werden118. Dieses Interesse wiegt angesichts der Möglichkeit demokratischer Teilhabe der Gemeindeeinwohner an der Aufgabenwahrnehmung schwerer als das regelmäßig allein wirtschaftlich motivierte Interesse der expandierenden Gemeinde119. Generell wird man auch hier wie bei der Beurteilung des öffentlichen 115 Vgl. Otting, Neues Steuerungsmodell, S. 197 f. 116 Held, NWVBl. 2000, 201 (202), nennt als Beispiele berechtigter Interessen Fälle eines Preisdumpings oder die Gefährdung der Wirtschaftlichkeit der Kraft-Wärme-Kopplung. 117 Die dadurch bedingte Reduzierung des Schutzraumes der betroffenen Zielgemeinde wird in der Literatur für verfassungsrechtlich problematisch gehalten, vgl. Kühling, NJW 2001, 177 (181); Neutz in Wurzel/Schraml/Becker, Rechtspraxis der kommunalen Unternehmen, Teil C, Rz. 183. 118 Cronauge in Rehn/Cronauge/von Lennep/Knirsch, Gemeindeordnung NW, § 107 Anm. VIII 4. 119 Kühling, NJW 2001, 177 (180); Lübking in Vogelsang/Lübking/Ulbrich, Kommunale Selbstverwaltung, Rz. 418.
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C. Öffentlicher Zweck
Zwecks der betroffenen Gemeinde einen gewissen Beurteilungsspielraum zugestehen können. Der Widerspruch der betroffenen Gemeinde indiziert damit die Unzulässigkeit, ihre Zustimmung die Zulässigkeit der jeweiligen überörtlichen Betätigung. Nur bei Überschreitungen dieses Spielraums ist die Kommunalaufsicht zum Einschreiten berufen. Da das Gesetz die Interessen der Nachbargemeinden ausdrücklich 48 schützt, wird man diesen auch das Recht zugestehen müssen, sich mit einer verwaltungsgerichtlichen Klage gegen eine grenzüberschreitende Tätigkeit zu wehren120. Dieses subjektive Abwehrrecht der betroffenen Gemeinde kann auch direkt aus Art. 28 Abs. 2 GG abgeleitet werden121.
C. Öffentlicher Zweck Zentrale Zulässigkeitsvoraussetzung in allen landesrechtlichen Regelun- 49 gen ist der öffentliche Zweck, der die Betätigung rechtfertigen bzw. erfordern muss. Mit diesem Erfordernis soll sichergestellt werden, dass eine ordnungspolitische Balance zwischen privater und kommunaler Wirtschaft gewahrt wird122.
I. Historischer Hintergrund Bereits § 67 DGO enthielt das Erfordernis eines öffentlichen Zwecks. In 50 der amtlichen Begründung zu dieser Vorschrift hieß es apodiktisch, es könne einer Gemeinde „nie erlaubt sein, zu wirtschaften, wenn ihr einziges Ziel dabei das der Gewinnerzielung ist“. Der öffentliche Zweck müsse durch die Leistungen und Lieferungen des gemeindlichen Unternehmens selbst, also unmittelbar, verwirklicht werden. Dem „Übergreifen der Gemeindewirtschaft auf sonstige Gebiete, die bisher ausschließlich privater Wirtschaftsbetätigung vorbehalten waren“, solle ein Riegel vorgeschoben werden. Im Anschluss daran stellte 1953 der nordrheinwestfälische Erlass des Innenministers zur wirtschaftlichen Betätigung der Gemeinden kurz und bündig fest, ein dringender öffentlicher Zweck rechtfertige eine Betätigung „keinesfalls“, „wenn das einzige Ziel . . . das der Gewinnerzielung ist“123.
120 Lux, NWVBl. 2000, 7 (9). 121 Kühling, NJW 2001, 177 (180); Jarass, DÖV 2002, 489 (500); Schink, NVwZ 2002, 129 (136). 122 Scharpf, VerwArch 96 (2005), 485 (490), für Bayern: LT-Drs. 13/10828, 16. 123 Runderlass des Innenministers v. 23.6.1953 – III B 5/701, 332/53, SMBl.NW 6411. Uechtritz/Otting/Olgemöller
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II. Auslegung des Begriffsmerkmals in Rechtsprechung und Literatur 1. Ausschluss „reiner“ Erwerbswirtschaft 51 Die Regelungsfunktion des Tatbestandsmerkmals des öffentlichen Zwecks wird in Rechtsprechung und Literatur dementsprechend zunächst ganz überwiegend darin gesehen, „reine“ Erwerbswirtschaft aus dem Bereich zulässiger gemeindlicher Betätigung auszugrenzen124. Es soll der Gemeinde nicht erlaubt sein, zu wirtschaften, wenn damit ausschließlich Gewinninteressen verfolgt werden. Unzweifelhaft wird zwar durch den Beitrag eines kommunalen Unternehmens zur Finanzierung des Gemeindehaushalts eine öffentliche Zwecksetzung verwirklicht – denn die Kommunen dürfen die erzielten Gewinne nur im öffentlichen Interesse verwenden. Ein solcher mittelbarer Gemeinwohlnutzen soll nach herrschender Ansicht jedoch zur Legitimation gemeindlicher Wirtschaftsbetätigung nicht ausreichen. Erforderlich sei, dass das Unternehmen selbst unmittelbar durch seine Tätigkeit öffentlichen Zwecken dient. 52 Die Auffassung, dass sich in Sondersituationen kommunaler Unterfinanzierung ausnahmsweise auch „reine“ Erwerbswirtschaft als zur Verfolgung eines öffentlichen Zwecks notwendig interpretieren lässt125, hat sich nicht durchsetzen können126. 53 Begründet wird der Ausschluss reiner Erwerbswirtschaft überwiegend mit einem systematischen Argument: Aus der besonderen Normierung des Ertragsgebotes für kommunale Unternehmen – etwa in § 109 Abs. 1 Satz 2 GO NW oder § 102 Abs. 3 Halbs. 2 GO BW – ergebe sich, dass die Gewinnerzielungsabsicht als solche keinen öffentlichen Zweck darstellen könne. Die besondere gesetzliche Anordnung, durch das Unterneh124 OLG Düsseldorf v. 29.5.2001 – 20 U 152/00, GewArch 2001, 370 (372); Hidien, Gemeindliche Betätigungen rein erwerbswirtschaftlicher Art und „öffentlicher Zweck“ kommunaler wirtschaftlicher Unternehmen, S. 138 ff.; Ehlers, JZ 1990, 1089 (1091); Berg, GewArch 1990, 225 (228); Henneke, NdsVBl. 1999, 1 (3); Ruffert, VerwArch 92 (2001), 27 (41); Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 260; Dazert in Gabler u.a., Kommunalverfassungsrecht Rheinland-Pfalz, § 85 GemO, Anm. 3.3.3; Oebbecke in Mann/Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 2, § 41 Rz. 29; Erdmann in Ipsen, Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz, § 136 Rz. 9. 125 Otting, Neues Steuerungsmodell, S. 161–219; Otting, DVBl 1997, 1258; Cronauge, AfK 1999, 24 (34) will die Gewinnerzielungsabsicht vor dem Hintergrund der notwendigen Rentabilität kommunaler Einrichtungen im Rahmen einer „dynamischen Auslegung“ des geltenden Rechts grds. als öffentliche Zwecksetzung anerkennen. Weitergehend hält Steckert, Kommunalwirtschaft im Wettbewerb, S. 89 u. passim, jegliche Gewinnerzielung für ein legitimes Ziel kommunaler Wirtschaft. 126 VerfGH Rh.-Pf. v. 28.3.2000 – VGH N 12/98, DVBl 2000, 992 (994 f.). Vgl. auch Ehlers, DVBl 1998, 497 (499); Schink, NVwZ 2002, 129 (133 f.); Papier, DVBl 2003, 686 (689).
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C. Öffentlicher Zweck
men (auch) einen Ertrag für den Haushalt zu erwirtschaften, soweit dadurch der öffentliche Zweck nicht beeinträchtigt werde, sei tautologisch, wenn das Erwerbsmotiv selbst bereits vom öffentlichen Zweck erfasst sei127. 54
In Bayern regelt Art. 87 Abs. 1 Satz 2 BayGO jetzt ausdrücklich: „Alle Tätigkeiten oder Tätigkeitsbereiche, mit denen die Gemeinde oder ihre Unternehmen an dem vom Wettbewerb beherrschten Wirtschaftsleben teilnehmen, um Gewinn zu erzielen, entsprechen keinem öffentlichen Zweck.“
Unklar ist, ob es sich hierbei um eine Änderung der bis dahin bestehenden Rechtslage oder nur um eine Klarstellung128 handelt. Für die erste Annahme könnte Art. 87 Abs. 1 Satz 3 BayGO sprechen, wonach Unternehmen, die vor dem 1.9.1998 errichtet oder übernommen wurden, entgegen Art. 87 Abs. 1 Satz 2 BayGO – d.h. entgegen dem Verbot der reinen Gewinnerzielung – weiterbetrieben werden dürfen. Es scheint schwer vorstellbar, dass der Gesetzgeber durch diese Regelung zum Bestandsschutz den Betrieb zuvor illegal errichteter Unternehmen nachträglich legalisieren wollte. Demnach scheint zumindest in Bayern der Ausschluss reiner Gewinnerzielungsabsicht aus dem öffentlichen Zweck früher nicht zwingend geboten gewesen zu sein. Mit ähnlichen Worten wie Art. 87 Abs. 1 Satz 2 BayGO positivieren § 116 55 Abs. 1 Satz 2 GO LSA für Sachen-Anhalt und § 91 Abs. 2 Nr. 1 BbgKVerf in Brandenburg das Verbot ausschließlicher Gewinnerzielung. Der Landesgesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern hat das Verbot im Jahre 2011 in § 68 Abs. 2 Satz 2 KV MV aufgenommen und zur Begründung ausgeführt, es handele sich um „eine allgemein anerkannte Klarstellung im Hinblick auf das durch einen öffentlichen Zweck zu rechtfertigende Handeln der Kommunen“129. Nach § 101 Abs. 1 Nr. 1 GO Schl.-Holst. muss auch für die Kommunen in Schleswig-Holstein die Erfüllung des öffentlichen Zwecks im Vordergrund der Unternehmung stehen, um zulässig zu sein. Auch diese Formulierung zielt darauf ab, die reine Erwerbswirtschaft als öffentlichen Zweck auszuschließen130. Das Verbot der reinen Erwerbswirtschaft statuiert auch § 108 Abs. 3 56 Satz 3 KSVG im Saarland. Sind an einem Unternehmen allerdings auch Private beteiligt, reicht es gem. § 103 Abs. 3 Satz 2 KSVG aus, wenn ein 127 Hidien, Gemeindliche Betätigungen rein erwerbswirtschaftlicher Art und „öffentlicher Zweck“ kommunaler wirtschaftlicher Unternehmen S. 160 ff.; Schmidt-Jortzig, Kommunalrecht, Rz. 689; Schmidt-Jortzig in Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 5, S. 50 (58 f.). 128 So Sodan in Ziekow, Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft, S. 35 (60). 129 LT-Drs. 5/4173, 146. 130 Dehn in Bracker/Dehn, Gemeindeordnung Schleswig-Holstein, § 101 zu Abs. 1 Erl. 4. Uechtritz/Otting/Olgemöller
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Anteil von Leistungen an den Gesamtleistungen des Unternehmens, der der Höhe der kommunalen Beteiligung entspricht, durch den öffentlichen Zweck gerechtfertigt ist. In Höhe des privaten Anteils gilt das Verbot der reinen Gewinnerzielung also nicht. 57 Nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung stünde es dem Landesgesetzgeber frei, die Gemeinden von der unmittelbaren Bindung kommunaler Wirtschaftsbetätigung an einen öffentlichen Zweck zu dispensieren131. Anderen erscheint dagegen die unmittelbare Verwirklichung eines öffentlichen Zwecks durch wirtschaftliche Betätigung schon von Verfassungs wegen geboten132. Dies mag indes dahinstehen. In allen Gemeindeordnungen ist die Bindung an den öffentlichen Zweck positiviert. Und nach ganz herrschender Auffassung ist eine rein gewinnerzielungsmotivierte Wirtschaftsbetätigung mit dem Erfordernis des öffentlichen Zwecks unter allen Umständen unvereinbar. 2. Positive Begriffsbestimmung und Einschätzungsprärogative 58 Über den Ausschluss des bloßen Gewinnerzielungsmotivs hinaus ist die eingrenzende Funktion des Tatbestandsmerkmals jedoch unklar. Einigkeit besteht darüber, dass eine Einschätzungsprärogative der kommunalen Vertretungskörperschaft hinsichtlich der Bestimmung eines öffentlichen Zweckes besteht133. Es ist – so das BVerwG – zunächst eine „Frage sachgerechter Kommunalpolitik“, zu entscheiden, ob und auf welchen Gebieten sich eine Kommune wirtschaftlich betätigen will134. Die Zweckbestimmung ist somit nur begrenzt justitiabel und nur eingeschränkt von der Kommunalaufsicht überprüfbar135. Deshalb wird zum Teil sogar konstatiert, dass der „Aufgabenerfindungsfreude“ der Gemeinden „praktisch kaum Grenzen gesetzt“ sind136. 59 Selbstverständlich kann sich die Einschätzungsprärogative nur in dem verfassungsrechtlich und einfachgesetzlich bestimmten Rahmen bewegen, der ihre Grenze bestimmt137. Der Verweis auf die Einschätzungsprärogative des Gemeinderates löst also nicht die Schwierigkeiten bei der Be-
131 Möstl, BayVBl. 1999, 547 (552). 132 Berg, WiVerw 2000, 141 (149). 133 BVerwG v. 22.2.1972 – I C 24.69, BVerwGE 39, 329 (334); OVG NW v. 1.4.2008 – 15 B 122/08, NVwZ 2008, 1031 (1035); Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 261, 406; Dazert in Gabler u.a., Kommunalverfassungsrecht Rheinland-Pfalz, § 85 GemO, Anm. 3.3.2. 134 BVerwG v. 22.2.1972 – I C 24.69, BVerwGE 39, 329 (334). Ebenso z.B. OVG LSA v. 17.2.2011 – 2 L 126/09, juris Rz. 33. 135 BVerwG v. 22.2.1972 – I C 24.69, BVerwGE 39, 329 (334). 136 Oebbecke in Mann/Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 2, § 41 Rz. 29. 137 Das betont Ruffert, VerwArch 92 (2001), 27 (40), Scharpf, VerwArch 96 (2005), 485 (506).
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C. Öffentlicher Zweck
stimmung der Grenzen öffentlicher Zwecksetzung, der Zulässigkeit überörtlicher Betätigung und ähnlicher Fragen. Versuche, positiv zu definieren, was unter einem öffentlichen Zweck zu 60 verstehen ist, stoßen auf Schwierigkeiten, die in der Unbestimmtheit des Begriffs angelegt sind. Zuweilen wird der öffentliche Zweck mit dem Begriff der „Daseinsvorsorge“ identifiziert138. Bei dem von Forsthoff geprägten Begriff der Daseinsvorsorge139 handelt es sich jedoch eher um ein politisches Leitziel oder einen soziologischen Terminus als um einen Rechtsbegriff, an den bestimmte Rechtsfolgen geknüpft werden könnten140. Als Daseinsvorsorge werden nämlich „alle Leistungen der Verwaltung an die Staatsgenossen“ verstanden, wobei das Leistungsspektrum nicht auf die Erfüllung elementarer Bedürfnisse beschränkt sein soll141. Den gleichen Bedenken mangelnder Bestimmtheit begegnet die Definition, ein öffentlicher Zweck werde jedenfalls gefördert, wenn Leistungen und Lieferungen eines kommunalen Unternehmens im Rahmen des Aufgabenbereiches einer Gemeinde eine im öffentlichen Interesse gebotene Versorgung ihrer Einwohner zum Ziel habe142. Mit dieser Definition wird lediglich ein unbestimmter Terminus („öffentlicher Zweck“ oder „Daseinsvorsorge“) durch einen anderen („öffentliches Interesse“) ersetzt. Mindestens wird eine „Gemeinwohlorientierung“ der Tätigkeit verlangt. 61 Lieferungen und Leistungen des kommunalen Unternehmens müssten dazu dienen, Bedürfnisse der Gemeindeeinwohner zu befriedigen143. Über die „Daseinsvorsorge“ gehe der Begriff des öffentlichen Zwecks jedoch hinaus144. Beschränkt man die Legitimation auf die Befriedigung örtlicher Bedürfnisse, wird der Streit um die räumliche Begrenzung kommunalen Wirtschaftens (dazu oben Rz. 24 ff.) in die Interpretation des öffentlichen Zwecks inkorporiert145. Bei restriktiver Sicht kann es keinen öffentlichen
138 So Pagenkopf, Kommunalrecht, Band 2, S. 150. 139 Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Band 1, Allgemeiner Teil, S. 368 ff. 140 So Hill, BB 1997, 425 (427); Ruffert, VerwArch 92 (2001), 27 (41); Olgemöller, Kommunale Anschluss- und Benutzungszwänge im Dienste privatisierter Daseinsvorsorge, S. 18 ff. 141 Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Band 1, Allgemeiner Teil, S. 370; Scholz/Pitschas, Gemeindewirtschaft zwischen Verwaltungs- und Unternehmensstruktur, S. 14. 142 So etwa Cronauge in Rehn/Cronauge/von Lennep/Knirsch, Gemeindeordnung NW, § 107 Anm. III.2, sowie Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 260, 406; ähnlich Reinhard, DÖV 1990, 500 (505). 143 Dazert in Gabler u.a., Kommunalverfassungsrecht Rheinland-Pfalz, § 85 GemO, Anm. 3.3.1. 144 Cronauge in Rehn/Cronauge/von Lennep/Knirsch, Gemeindeordnung NW, § 107 Anm. III.2. 145 So Ruffert, VerwArch 92 (2001), 27 (39), der den öffentlichen Zweck mit dem Rahmen der örtlichen Gemeinschaft gleichsetzt. Uechtritz/Otting/Olgemöller
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Kommunalrechtliche Voraussetzungen für die wirtschaftliche Betätigung
Zweck für gemeindliches Wirtschaften geben, wenn nicht gerade ein örtliches Bedürfnis für die jeweilige Tätigkeit besteht146. 62 Kann die reine Gewinnerzielungsabsicht keinen öffentlichen Zweck begründen, so vermag das allein betriebswirtschaftlich motivierte Bestreben zur besseren Auslastung von Kapazitäten oder zur Schaffung wirtschaftlicherer Betriebsgrößen eine Expansion in neue Tätigkeitsfelder ebenfalls nicht zu rechtfertigen147. 63 Als öffentlichen Zwecken dienend sind schließlich nicht nur Betätigungen akzeptiert worden, die der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung der Gemeindeeinwohner dienen, sondern auch Aktivitäten, mit denen sozialpolitische, umweltpolitische oder wettbewerbspolitische Zwecke gefördert wurden148. Der öffentliche Zweck sei nicht auf Leistungen der Daseinsvorsorge beschränkt, sondern umfasse vielmehr auch Leistungen zur Befriedigung sonstiger Bedürfnisse der Einwohner149. Rechtfertigendes Schlagwort ist oftmals die „Kompensation von Marktversagen“. Schon aus dem Markteintritt der öffentlichen Hand folgende wirtschaftsfördernde und arbeitsmarktsichernde Auswirkungen sollen nach einer weiten Auslegung genügen150. Zum Teil wird der Begriff des öffentlichen Zwecks daher für völlig konturenlos gehalten; alle Definitionsversuche seien notwendig zum Scheitern verurteilt151. Beispielweise lässt das OVG Nordrhein-Westfalen für das Einrichten einer Kfz-Schilderprägestelle in dem Gebäude der Zulassungsstelle bereits die Beschleunigung des Verwaltungsvorgangs und die Erleichterung der Schilderbeschaffung für den Bürger als rechtfertigenden öffentlichen Zweck genügen152, um die Absicht der reinen Gewinnerzielungsabsicht auszuschließen. 64 Teilweise haben die Landesgesetzgeber auch positiv festgestellt, welche Tätigkeiten der Erfüllung eines öffentlichen Zwecks dienen. So heißt es in § 116 Abs. 2 Satz 1 GO LSA, dass Betätigungen in den Bereichen Strom-, Gas- und Wärmeversorgung, der Wasserversorgung, der Abfallentsorgung und der Abwasserbeseitigung, der Wohnungswirtschaft und des öffentlichen Verkehrs einem öffentlichen Zweck dienen; damit ist in Sachsen-Anhalt eine nähere Überprüfung der Zweckrichtung bei diesen Tätigkeitsfeldern entbehrlich153. § 68 Abs. 2 Satz 3 KV MV stellt für die Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern klar, dass die wirtschaftliche Betätigung in den Bereichen Strom-, Gas- und Wärmeversorgung auch außerhalb des Gemeindegebiets einem öffentlichen Zweck dient. Bayern verweist zur Positivierung anerkannter öffentlicher Zwecke in Art. 87 146 147 148 149 150 151 152 153
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Badura, DÖV 1998, 818 (822). Badura, DÖV 1998, 818 (821). Cronauge, AfK 1999, 24 (32); Ruffert, VerwArch 92 (2001), 27 (41). OVG LSA v. 17.2.2011 – 2 L 126/09, juris Rz. 33. Vgl. Hill, BB 1997, 425 (429); Wilke/Schachel, WiVerw 1978, 95 (106). So Emmerich, Der unlautere Wettbewerb der öffentlichen Hand, S. 19. OVG NW v. 21.9.2004 – 15 B 1709/04, NVwZ-RR 2005, 198. Zur Wohnungswirtschaft vgl. auch § 97 Abs. 1 Satz 2 SächsGemO.
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§6
C. Öffentlicher Zweck
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayGO auf Art. 83 Abs. 1 der Landesverfassung und Art. 57 BayGO mit der Folge, dass etwa im Hinblick auf Tätigkeiten im Bereich des öffentlichen Verkehrs außer Frage steht, dass diese einem öffentlichen Zweck dienen. Als öffentlichen Zwecken dienend sind Maßnahmen anerkannt worden, 65 die folgenden Zwecken dienen: – Ausbau der öffentlichen Infrastruktur – Wirtschaftsförderung – Wettbewerbssicherung – Arbeitsplatzsicherung – Gewährleistung einer krisensicheren Versorgung der Bevölkerung154. Das OLG Düsseldorf ist einer allzu ausufernden Bestimmung des öffent- 66 lichen Zweckes entgegengetreten155. Das Argument der Arbeitsplatz- und Wettbewerbssicherung könne keinen öffentlichen Zweck begründen; dies widerspreche dem durch die kommunalrechtlichen Zulässigkeitstatbestände statuierten Vorrang der Privatwirtschaft. Letztlich verberge sich hinter solchen allgemeinen Formeln stets ein rein erwerbswirtschaftlicher, finanzieller Zweck. Bei dem Rückgriff auf diese Rechtfertigungsgründe ist also Zurückhaltung geboten156.
III. Prozedurale Anforderungen Auf den Beurteilungsspielraum der Gemeindevertretung bei der Bestim- 67 mung des öffentlichen Zwecks wurde bereits hingewiesen. Da dieser jedoch nur außerordentlich schwer positiv zu konkretisieren ist, werden Überschreitungen des Beurteilungsspielraums entsprechend schwierig festzustellen sein. Zum Ausgleich dieser materiellen Unsicherheit sind prozedurale Min- 68 destanforderungen an die Bejahung des öffentlichen Zwecks durch die kommunale Vertretungskörperschaft zu stellen157. Das Vorliegen eines öffentlichen Zwecks darf kein bloßes „inneres Motiv“ sein158. Der Gemeinderat muss sich und den Gemeindeeinwohnern in nachvollziehbarer 154 Aufzählung nach Cronauge in Rehn/Cronauge/von Lennep/Knirsch, Gemeindeordnung NW, § 107 Anm. III.2. 155 OLG Düsseldorf v. 29.5.2001 – 20 U 152/00, NVwZ 2002, 248 (250). 156 In diesem Sinne auch Oebbecke in Mann/Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 2, § 41 Rz. 29. 157 Verfahrensrechtliche Konsequenzen der materiellen gemeindewirtschaftsrechtlichen Anforderungen unterstreicht auch Ehlers, Gutachten E zum 64. Deutschen Juristentag, S. 83; vgl. auch Scharpf, VerwArch 96 (2005), 485 (508) m.w.N. 158 Scharpf, VerwArch 96 (2005), 485 (509). Uechtritz/Otting/Olgemöller
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Kommunalrechtliche Voraussetzungen für die wirtschaftliche Betätigung
Form Rechenschaft darüber ablegen, zu welchem Zweck ein kommunales Unternehmen gegründet und betrieben werden soll. Nur eine hinreichend exakte Zielbestimmung bei der Unternehmensgründung ermöglicht das in den neueren Gemeindeordnungen explizit festgeschriebene Beteiligungscontrolling, d.h. die Kontrolle der Zielerreichung. 69 Die Erwägungen des Gemeinderates, die ihn zur Gründung eines Unternehmens bewogen haben, sind offen zu legen und mit der Darlegung von Alternativen zu begründen, so dass sich ein plausibler und nachvollziehbarer Abwägungsvorgang ergibt159. Diese Verfahrensanforderungen dienen als Kompensation dafür, dass die materielle Entscheidung des Gemeinderates nur auf Überschreitungen des Beurteilungsspielraums – also offenkundige Ermittlungsdefizite, Fehleinschätzungen und sonstige Abwägungsfehler – hin überprüfbar ist160. 70 Ergänzend ist in Nordrhein-Westfalen das Erfordernis des sog. Branchendialogs161 in § 107 Abs. 5 GO NW aufgenommen worden. Vor der Entscheidung über die Gründung von oder Beteiligung an wirtschaftlichen Unternehmen hat der Rat den örtlichen Selbstverwaltungsorganen von Handwerk, Industrie und Handel sowie den zuständigen Gewerkschaften Gelegenheit zur Stellungnahme zu den vorab einzuholenden Marktanalysen zu geben. In abgeschwächter Form sieht § 107a Abs. 4 GO NW dies auch in Fällen der energiewirtschaftlichen Betätigung vor. Durch diese explizit normierte verfahrensrechtliche Anforderung kann ein Beitrag zur Versachlichung der Diskussion vor Aufnahme neuer Tätigkeitsfelder geleistet werden. Vor diesem Hintergrund schreibt auch Hessen in § 121 Abs. 6 HGO ein entsprechendes Vorverfahren mit Mitsprachemöglichkeiten der betroffenen Kreise vor. Eine ähnliche Regelung existiert im Saarland (§ 108 Abs. 5 KSVG). Baden-Württemberg beschränkt die Verpflichtung zur Anhörung der örtlichen Selbstverwaltungsorganisationen von Handwerk, Industrie und Handel auf Tätigkeiten „außerhalb der Daseinsvorsorge“ (§ 102 Abs. 2 GemO BW). In Thüringen ist ein sog. Markterkundungsverfahren durchzuführen (§ 71 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 ThürKO). Nach § 68 Abs. 7 GO MV müssen in MecklenburgVorpommern bei der Entscheidung über die wirtschaftliche Betätigung die Interessen der mittelständischen Wirtschaft und des Handwerks berücksichtigt werden; die zuständigen Wirtschaftskammern sollen von den Gemeinden in die Entscheidungsfindung einbezogen werden dürfen, eine Pflicht soll aus Gründen der Deregulierung aber nicht festgeschrieben werden162. 71 In Brandenburg dient ein gem. § 91 Abs. 6 BbgKVerf regelmäßig zu erstellender Beteiligungsbericht speziell dem Nachweis, dass auch nach Auf159 160 161 162
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Hill, BB 1997, 425 (430). Hill, BB 1997, 425 (430). Held, NWVBl. 2000, 201 (203). LT-Drs. 5/4173, 148.
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§6
C. Öffentlicher Zweck
nahme von Tätigkeiten stets ein öffentlicher Zweck verfolgt, das Subsidiaritätsgebot beachtet und die Zulässigkeit für Annextätigkeiten gewahrt wird. Im Saarland tritt neben die Verfahrensregelungen vor Aufnahme der Tätigkeiten die Pflicht, auch nach deren Aufnahme regelmäßig zu prüfen, ob noch immer ein öffentlicher Zweck verfolgt und die Subsidiarität beachtet wird (§ 108 Abs. 6 KSVG).
IV. Die Prüfung der Subsidiarität im Rahmen des „öffentlichen Zwecks“ Zuweilen wird der Versuch unternommen, in die Voraussetzung des öf- 72 fentlichen Zwecks eine Subsidiaritätsklausel eigener Art „hineinzulesen“163. Der öffentliche Zweck rechtfertige eine wirtschaftliche Betätigung nicht, wenn Private den gleichen Zweck ebenso gut sicherstellen können164. Dagegen lassen sich indes systematische Einwände vortragen: Die Sub- 73 sidiaritätsklausel als eigenständiges Zulässigkeitsmerkmal liefe leer, wenn ihre Voraussetzungen bereits im Rahmen des „öffentlichen Zwecks“ geprüft werden müssten165. Die Regelungsziele beider Kriterien sind nicht identisch166. Auch entstehungsgeschichtliche Argumente können gegen die Verknüpfung von öffentlichem Zweck und Subsidiarität ins Feld geführt werden: So hatte der Gesetzgeber in Nordrhein-Westfalen 1994 die Subsidiaritätsklausel ersatzlos gestrichen mit dem dezidierten Ziel, die kommunale Selbstverwaltung zu stärken167. Mit dieser legislatorischen Intention wäre eine Auslegung, die im Ergebnis die Voraussetzungen der Subsidiarität – womöglich in verschärfter Form – im Rahmen des öffentlichen Zwecks prüft, nicht zu vereinbaren168. Mit dem (zwischenzeitlich erneuten) Wegfall der zusätzlichen Anforde- 74 rung eines „dringenden“ öffentlichen Zwecks in § 107 GO NW ist der Rechtsprechung, die in dieser zusätzlichen Anforderung eine Betonung der Subsidiarität gesehen hatte169, der Boden entzogen worden170. Dass nur „subsidiäres“ Handeln einen öffentlichen Zweck erfülle, wird 75 gelegentlich aus dem angeblich verfassungsrechtlich vorgegebenen Sub-
163 So etwa Hösch, GewArch 2000, 1 (4). 164 In diesem Sinne OLG Düsseldorf v. 10.10.1996 – 2 U 65/96, NJW-RR 1997, 1470 (1472). 165 Cronauge in Rehn/Cronauge/von Lennep/Knirsch, Gemeindeordnung NW, § 107 Anm. III.4.; Otting, SächsVBl. 1998, 93 (95). 166 Ruffert, VerwArch 92 (2001), 27 (44). 167 LT-Drs. 11/4983, Seiten 1 und 24 f. der Gesetzesbegründung. 168 Cronauge, AfK 1999, 24 (36). 169 OLG Düsseldorf v. 10.10.1996 – 2 U 65/96, NJW-RR 1997, 1470 (1472). 170 Cronauge in Rehn/Cronauge/von Lennep/Knirsch, Gemeindeordnung NW, § 107 Anm. III.5.; vgl. auch Köhler, WRP 1999, 1205 (1207 ff.). Uechtritz/Otting/Olgemöller
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sidiaritätsprinzip im Sinne einer Nachrangigkeit staatlichem gegenüber privatautonomem Handeln abgeleitet. Ganz überwiegend wird indessen unter Hinweis auf die wirtschaftspolitische Neutralität des Grundgesetzes171 ein verfassungsrechtlich verankerter Subsidiaritätsgrundsatz abgelehnt172.
D. Kommunale Leistungsfähigkeit 76 Zulässig ist die wirtschaftliche Betätigung einer Kommune nur, wenn das Unternehmen nach Art und Umfang in angemessenem Verhältnis zur Leistungsfähigkeit der Gemeinde steht. Ergänzend heißt es etwa in Art. 87 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BayGO, dass das Unternehmen nach Art und Umfang in angemessenem Verhältnis zum voraussichtlichen Bedarf stehen muss. Diese Klausel soll die Gemeinde im eigenen Interesse vor Überforderung ihrer Verwaltungs- und Finanzkraft bewahren173. 77 Eine besondere eigenständige Bedeutung kommt diesem Zulässigkeitsmerkmal kaum zu. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dirigiert ohnehin jedes Verwaltungshandeln und gilt auch ohne spezielle Normierung. Immerhin ist dem Tatbestandsmerkmal der Leistungsfähigkeit zu entnehmen, dass das kommunale Vertretungsorgan bei seiner Entscheidung über die Aufnahme einer wirtschaftlichen Betätigung die Frage der Leistungsfähigkeit zur Erfüllung eines voraussichtlichen Bedarfs besonders sorgfältig prüfen muss174. Das kommunale Vertretungsorgan hat auch hier einen weiten Beurteilungsspielraum. Die getroffene Entscheidung ist – wie die Bejahung eines öffentlichen Zwecks – von Rechtsaufsicht und Verwaltungsgerichtsbarkeit nur auf offenkundige Fehleinschätzungen, Ermittlungsdefizite oder Abwägungsfehler zu überprüfen. 78 Nach Maßgabe einiger Gemeindeordnungen sollen prozedurale Vorschriften die Entscheidungsfindung versachlichen (vgl. dazu oben unter Rz. 67 ff.).
171 Kritisch zu dieser seit BVerfGE 4, 7 (17 f.) in ständiger Rechtsprechung verwendeten Formel Sodan in Ziekow, Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft, S. 35 ff. 172 Cronauge, AfK 1999, 24 (30); Ruffert, NVwZ 2000, 763 (764); Ruffert, VerwArch 92 (2001), 27 (44); vgl. auch BVerwG v. 22.2.1972 – I C. 24.69, BVerwGE 39, 329 (338); Neutz in Wurzel/Schraml/Becker, Rechtspraxis der kommunalen Unternehmen, Teil C Rz. 126. 173 OVG LSA v. 17.2.2011 – 2 L 126/09, juris Rz. 37; Ruffert, VerwArch 92 (2001), 27 (43); Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 262. 174 Knemeyer/Kempen in Achterberg/Püttner/Württenberger, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 2, § 17 Rz. 48.
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E. Subsidiarität gegenüber privaten Wirtschaftsaktivitäten
E. Subsidiarität gegenüber privaten Wirtschaftsaktivitäten Zentrale Bedeutung hat in der ordnungspolitischen und rechtlichen Aus- 79 einandersetzung um die Zulässigkeit wirtschaftlicher Betätigung von Kommunen die so genannte Subsidiaritätsklausel.
I. Historischer Hintergrund § 67 DGO knüpfte die Zulässigkeit wirtschaftlicher Betätigung an das Er- 80 fordernis, dass der verfolgte Zweck nicht besser und wirtschaftlicher von anderen erreicht werden kann. Traditionell – wenn auch zu Unrecht – wird diese Formulierung seither als „Subsidiaritätsklausel“ bezeichnet. Eine echte Subsidiaritätsklausel liegt hierin nicht. Unter Subsidiarität versteht man ein Prinzip, das der jeweils niedrigeren Ebene den Vorrang vor der höheren Ebene bei der Aufgabenerfüllung zuweist175. Im strengen Sinne subsidiär wäre kommunale Aufgabenwahrnehmung also dann, wenn das Engagement der Kommune zurückzutreten hätte, wenn die niedrigere Ebene – unterhalb der untersten staatlichen Organisationsform der Gemeinde also nichtstaatliche Handlungsträger, mit anderen Worten: Private – die wahrgenommene Aufgabe ebenso gut und wirtschaftlich erfüllen können wie die Gemeinde176. § 67 DGO erlaubte der Gemeinde jedoch bei gleich gutem Niveau der Aufgabenerfüllung durchaus ein Tätigwerden. Ein Unterschied zum Subsidiaritätsprinzip im eigentlichen Sinne ergibt 81 sich auch hinsichtlich des „anderen“ Aufgabenträgers, demgegenüber die Gemeinde zurückzutreten hat. Subsidiarität bedeutet den Vorrang der unteren vor der höheren Ebene. In ihrer ursprünglichen Formulierung in § 67 DGO bezog sich die „Subsidiaritätsklausel“ jedoch auf die Erfüllung der Aufgabe durch „andere“, also auch andere – und höhere – staatliche Ebenen, nicht nur durch Private. Die Gemeinde dürfte sich demnach auch dann nicht wirtschaftlich betätigen, wenn die jeweilige Aufgabe ef175 Vgl. m.w.N. Pieper, Subsidiarität, Diss. S. 45 ff. Seine klassische Formulierung erhielt das aus der katholischen Soziallehre stammende Subsidiaritätsprinzip in der Enzyklika Quadragesimo anno des Papstes Pius XII. 1931: „. . . Wie dasjenige, was der Einzelmensch aus eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten kann, ihm nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit zugewiesen werden darf, so verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen können, für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen; zugleich ist es überaus nachteilig und verwirrt die ganze Gesellschaftsordnung“. 176 Einen in diesem Sinne „echten“ Ausdruck des Subsidiaritätsgedankens enthält etwa § 4 Abs. 2 SGB VIII, der die Zuständigkeit von Trägern der freien und der öffentlichen Jugendhilfe abgrenzt; danach soll die öffentliche Jugendhilfe von eigenen Maßnahmen absehen, soweit die freie Jugendhilfe geeignete Einrichtungen, Dienste oder Veranstaltungen betreiben oder schaffen kann. Uechtritz/Otting/Olgemöller
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fizienter durch einen zentralen staatlichen Aufgabenträger wahrgenommen werden könnte. 82 Im Lichte der „Rastede“-Rechtsprechung des BVerfG177, nach der ein Wirtschaftlichkeitsgewinn durch Aufgabenhochzonung verfassungsrechtlich gerade nicht ausreicht, um eine Aufgabenverlagerung auf die höhere Ebene zu rechtfertigen, wird man den Anwendungsbereich verfassungskonform reduzieren müssen: Zurücktreten muss die gemeindliche Aufgabenwahrnehmung nur, wenn Private die Aufgabe besser und wirtschaftlicher erledigen können. Dies gilt erst recht, wenn eine „echte“ Subsidiarität angeordnet wird. Dementsprechend schränkt etwa § 85 Abs. 1 Nr. 3 GemO Rh.-Pf. die Zulässigkeit nur ein, wenn der öffentliche Zweck nicht ebenso gut und wirtschaftlich durch einen privaten Dritten erfüllt werden kann.
II. Durchführung des Qualitätsvergleichs der Leistungen zwischen privaten und kommunalen Unternehmen 83 Um beurteilen zu können, ob ein Privater besser und wirtschaftlicher arbeitet als die Gemeinde, müssen die Leistungen verglichen werden. 84 Unterschiedlich geregelt ist die Frage, wie dieser Qualitätsvergleich zwischen privaten und kommunalen Unternehmen angestellt werden muss. Zum Teil finden sich in den Gemeindeordnungen ausdrückliche Regelungen zum Verfahren. 85 Die Überprüfung von Wirtschaftlichkeitserwägungen der Gemeinde durch die Kommunalaufsicht birgt die Gefahr des Umschlagens einer reinen Rechts- in eine Zweckmäßigkeitskontrolle in sich. Dem lässt sich nur durch eine gewisse Reduzierung der Kontrolldichte Rechnung tragen178. Daher besteht auch hier eine Einschätzungsprärogative der kommunalen Vertretungskörperschaft. Die aufsichtliche Überprüfung ist im Kern auf eine Vertretbarkeitskontrolle reduziert – allerdings bei Abwägungs- und Begründungsobliegenheit der Gemeinde für ihre Entscheidung179. 86 Bei der Auslegung der Subsidiaritätsklausel kommt es nicht nur auf wirtschaftliche Kriterien, sondern auch auf Qualitätskriterien („gut bzw. besser“) an180. Der Private muss die Aufgabe nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch qualitativ mindestens ebenso gut bzw. besser erfüllen können. Nicht entscheidend ist daher, ob der Private die Leistung billiger erbringt. Qualitätskriterium ist vor allem die Nachhaltigkeit, d.h. die Dauerhaftig177 178 179 180
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BVerfG v. 23.11.1988 – 2 BvR 1619/83, 1628/83, BVerfGE 79, 127. Ruffert, VerwArch 92 (2001), 27 (45 f.). Ruffert, VerwArch 92 (2001), 27 (46). Vgl. VerfGH Rh.-Pf. v. 28.3.2000 – VGH N 12/98, DVBl 2000, 992. Ausführlich zu den in Frage kommenden Kriterien Meyer, WiVerw 2003, 57 (70 f.).
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E. Subsidiarität gegenüber privaten Wirtschaftsaktivitäten
keit und Zuverlässigkeit der Leistung181. Die notwendige Kontinuität der Aufgabenerfüllung kann es rechtfertigen, dass ein privater Dritter nach der rechtlich vertretbaren Einschätzung der Gemeinde die Aufgabe nicht „ebenso gut“ erfüllt wie sie, da der Private unter stärkerem betriebswirtschaftlichem Erfolgszwang als die Gemeinde steht182. Bei einem Wirtschaftlichkeitsvergleich ist das gesamte Unternehmen, nicht nur die einzelne Sparte zu betrachten183. Durch Bildung von Verbundunternehmen kann die Wirtschaftlichkeit gesichert werden; die Gemeinden sind nicht verpflichtet, rentierliche Unternehmensteile zu veräußern und sich auf die defizitären zu beschränken. Die Betonung des Qualitätsaspekts führt zu praktischen Schwierigkeiten 87 bei der Durchführung des Vergleichs: Während private Unternehmen regelmäßig der Gewinnmaximierung verpflichtet sind, sollen kommunale Unternehmen primär den öffentlichen Zweck nachhaltig erfüllen184. Es muss also ein Vergleich zwischen Unternehmen mit unterschiedlichen Zielhierarchien erfolgen185. Wegen eben dieser praktischen Schwierigkeiten hatte der Gesetzgeber die Subsidiaritätsklausel 1994 in NordrheinWestfalen gestrichen186. Man wird auch wegen dieser Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Erfüllung der Subsidiaritätsanforderung der Gemeinde einen gewissen Wertungs- und Beurteilungsspielraum einräumen müssen187.
III. Unterschiedliche landesrechtliche Regelungen Nordrhein-Westfalen, Sachsen, und Schleswig-Holstein sehen eine ein- 88 fache oder unechte Subsidiaritätsklausel vor („nicht besser und wirtschaftlicher“). Hier genügt Leistungsparität zwischen kommunalen und privaten Anbietern, damit kommunale Wirtschaftstätigkeit zulässig ist. Gleiches gilt für Mecklenburg-Vorpommern, wo Unternehmen der Gemeinde zulässig sind, wenn die Gemeinde die Aufgabe „ebenso gut und wirtschaftlich“ wie Dritte erfüllen kann. Demgegenüber haben Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersach- 89 sen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Thüringen eine verschärfte („nicht 181 VerfGH Rh.-Pf. v. 28.3.2000 – VGH N 12/98, DVBl 2000, 992 (995). 182 VerfGH Rh.-Pf. v. 28.3.2000 – VGH N 12/98, DVBl 2000, 992 (995); OVG LSA v. 17.2.2011 – 2 L 126/09, juris Rz. 42. 183 VerfGH Rh.-Pf. v. 28.3.2000 – VGH N 12/98, DVBl 2000, 992 (995). 184 Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 263. 185 Cronauge, AfK 1999, 24 (32) hält daher die Durchführung des Vergleichs für unmöglich und empfiehlt die Streichung dieser Klauseln. 186 LT-Drs. 11/4983, 25. 187 VerfGH Rh.-Pf. v. 28.3.2000 – VGH N 12/98, DVBl 2000, 992 (995); Ehlers, DVBl 1998, 497 (502); Henneke, NdsVBl. 1999, 1 (2); Neutz in Wurzel/ Schraml/Becker, Rechtspraxis der kommunalen Unternehmen, Teil C Rz. 136; Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 263. Uechtritz/Otting/Olgemöller
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ebenso gut und wirtschaftlich“) Klausel, die auch als echte Subsidiaritätsklausel bezeichnet wird. Gleiches gilt in Sachsen-Anhalt, wo die wirtschaftliche Betätigung nur zulässig ist, wenn die Gemeinde nachweisen kann, den öffentlichen Zweck „besser und wirtschaftlicher“ als ein anderer zu erfüllen. In diesen Bundesländern dürfen die Kommunen bei bloßer Leistungsparität nicht tätig werden. 90 Brandenburg hat als einziges Bundesland keine klassische Subsidiaritätsklausel. § 91 Abs. 3 BbgKVerf a.F. sah noch vor, dass Leistungen, die von privaten Anbietern „in mindestens gleicher Qualität und Zuverlässigkeit bei gleichen oder geringeren Kosten erbracht werden können“, diesen übertragen werden, „sofern dies mit dem öffentlichen Interesse vereinbar ist“. Im Ergebnis stellte sich das als echte Subsidiaritätsklausel dar, die allerdings unter dem Korrektiv des öffentlichen Interesses stand188. Durch das am 10.1.2012 in Kraft getretene Gesetz zur Stärkung der kommunalen Daseinsvorsorge wollte der Gesetzgeber die Subsidiaritätsklausel „abschaffen“189. In § 91 Abs. 3 Satz 1 BbgKVerf findet sich seitdem statt einer echten oder qualifizierten Subsidiaritätsklausel eine einfache Subsidiaritätsklausel190. 91 Einige Bundesländer haben den Anwendungsbereich der Subsidiaritätsklausel beschränkt. So soll die Subsidiaritätsklausel in Nordrhein-Westfalen nur greifen, wenn nicht eine Tätigkeit auf dem Gebiet der Wasserversorgung, des öffentlichen Verkehrs sowie des Betriebes von Telekommunikationsleitungsnetzen einschließlich Telefondienstleistungen in Rede steht (§ 107 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GO NW). Der Bereich der Energieversorgung wurde mit Wirkung zum 19.12.2010 aus dem Anwendungsbereich der Subsidiaritätsklausel ausgenommen, indem mit § 107a Abs. 1 GO NW eine Sondervorschrift für die Strom-, Gas- und Wärmeversorgung geschaffen wurde, die auf jedes Subsidiaritätserfordernis verzichtet191. In Hessen gilt die Subsidiaritätsklausel unter den spezifischen Bedingungen des § 121 Abs. 1a HGO nicht für die wirtschaftliche Betätigung im Bereich der erneuerbaren Energien. In Rheinland-Pfalz sind die Energie- und Wasserversorgung sowie der öffentliche Personennahverkehr vom Geltungsbereich der Subsidiaritätsklausel ausgeschlossen. In Niedersachsen schränkt § 136 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 NKomVG den Anwendungsbereich der Subsidiaritätsklausel entgegen § 108 Abs. 1 Satz 2 188 189 190 191
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Seeberg in Muth, Kommunalrecht in Brandenburg, § 91 KVerf Rz. 50 ff. LT-Drs. 5/3023, S. 4 der Begründung. Vgl. Pogoda, LKV 2012, 159, 160. Vgl. S. 10 der Begründung des Änderungsantrags der SPD, beigefügt an die Beschlussempfehlung und den Bericht des Kommunalausschusses, LT-Drs. 15/867.
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E. Subsidiarität gegenüber privaten Wirtschaftsaktivitäten
Nr. 3 NGO nun ein und stellt wie Rheinland-Pfalz die Energie- und Wasserversorgung sowie den öffentlichen Personennahverkehr von deren Geltungsbereich frei, ergänzt um den Betrieb von Telekommunikationsnetzen einschließlich der Telefondienstleistungen. Dadurch soll nach dem Willen des Gesetzgebers die wirtschaftliche Tätigkeit der Kommunen in diesen Wirtschaftssektoren, die der Daseinsvorsorge zuzurechnen seien, ohne vorherigen Vergleich mit der wirtschaftlichen Tätigkeit Privater ermöglicht werden192. Sachsen-Anhalt stellt durch die Privilegierung in § 116 Abs. 2 Satz 1 GO LSA die Bereiche der Strom-, Gas-, Wärme- und Wasserversorgung ebenso von der Subsidiaritätsklausel frei wie die Abfallentsorgung, die Abwasserbeseitigung, die Wohnungswirtschaft und den öffentlichen Verkehr. Demgegenüber wenden Baden-Württemberg, Bayern und Thüringen die Subsidiaritätsklausel nur auf Tätigkeiten „außerhalb der kommunalen Daseinsvorsorge“ an. Für die Auffassung, die den „öffentlichen Zweck“ von vornherein mit dem Begriff der „Daseinsvorsorge“ identifiziert, liefe die Subsidiaritätsklausel in diesen Bundesländern praktisch leer. Für die großzügigere Auffassung ergeben sich Interpretationsschwierigkeiten: Welche Tätigkeiten unterfallen dem unbestimmten Begriff der Daseinsvorsorge im Einzelnen? Ist z.B. der Ausnahmebereich in Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen weiter oder enger gefasst als in Baden-Württemberg und Bayern? Soll die Subsidiaritätsklausel überhaupt einen nennenswerten Anwendungsbereich haben, wird man die Ausnahmevorschriften eng auszulegen und auf einen Kernbereich privilegierter Tätigkeiten zu reduzieren haben. Gerade die umstrittenen „Annexdienstleistungen“ der Stadtwerke dürften dann nicht aus dem Anwendungsbereich der Subsidiaritätsklauseln ausgenommen werden. Gegen die „echte“ oder verschärfte Subsidiaritätsklausel sind verfas- 92 sungsrechtliche Bedenken erhoben worden, da der Kommune der durch Art. 28 Abs. 2 GG eingeräumte Spielraum genommen werde, unter anderem aus Kostenerwägungen über die Wahrnehmung einer örtlichen Aufgabe zu entscheiden193. Art. 28 Abs. 2 GG schütze nicht nur vor der Hochzonung von Aufgaben, sondern auch vor deren Privatisierung. Zudem verstießen echte Subsidiaritätsklauseln gegen das Bestimmtheitsgebot. Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz ist diesen Bedenken nicht 93 gefolgt194. Denn die verschärfte Subsidiaritätsklausel verletze den Kernbereich des Selbstverhaltungsrechts nicht. Der Verfassungsgerichtshof führt vier Argumente an: 192 LT-Drs. 16/3147, 22; vgl. dazu nun auch Erdmann in Ipsen, Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz, § 136 Rz. 19. 193 Vgl. Cronauge, Gemhlt 1998, 131 (133 f.); Cronauge, AfK 1999, 24 (30), unter Hinweis auf ein Gutachten von Püttner für den Verband kommunaler Unternehmen (VKU). 194 VerfGH Rh.-Pf. v. 28.3.2000 – VGH N 12/98, DVBl 2000, 992. Uechtritz/Otting/Olgemöller
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(1) Wesentliche kommunale Tätigkeitsfelder blieben von den Anforderungen der Klausel gänzlich unberührt, insbesondere die als nichtwirtschaftlich fingierten Tätigkeitsbereiche (vgl. etwa § 85 Abs. 4 GemO Rh.-Pf.). (2) Bestehende Unternehmen genössen Bestandsschutz, da § 85 Abs. 1 GemO Rh.-Pf. nur die Errichtung, Übernahme und wesentliche Erweiterung betreffe. (3) Rein erwerbswirtschaftliche Betätigungen seien den Kommunen unabhängig von der Erfüllung der Anforderungen der Subsidiaritätsklausel untersagt. (4) Schließlich helfe in den verbleibenden Fällen eine verfassungskonforme Auslegung der Norm, um eine Verletzung des Selbstverwaltungsrechts auszuschließen. So könne im Rahmen der Qualitätsprüfung auch die „Kontinuität der Aufgabenerfüllung“ den Ausschlag dafür geben, dass ein Privater nach der rechtlich vertretbaren Entscheidung der Gemeinde den öffentlichen Zweck nicht „ebenso gut“ verwirklichen könne wie sie selbst.
F. Hilfsbetriebe und Annextätigkeiten 94 Auch wenn die klassischen Voraussetzungen der Schrankentrias nicht erfüllt werden, hält eine verbreitete Auffassung bestimmte kommunale Wirtschaftsunternehmen unter dem Gesichtspunkt der Nebentätigkeit für erlaubt. Gemeint sind damit zwei Fallgruppen:
I. Randnutzungen und Annextätigkeiten 95 Unter so genannten „Randnutzungen“ oder „Annextätigkeiten“ versteht man die Erbringung von Nebenleistungen zusätzlich zu der einem öffentlichen Zweck dienenden Hauptleistung195. Problematisch daran ist, dass die Annextätigkeit selbst keinem öffentlichen Zweck dient. Solange sie aber lediglich als Ergänzung neben die Hauptsache tritt, soll sie aufgrund des kommunalrechtlich normierten Rentabilitätsgebots (vgl. etwa § 109 Abs. 1 Satz 2 GO NW oder § 97 Abs. 3 SächsGemO) ohne weiteres statthaft und vom Zweck der Einrichtung bzw. des kommunalen Unternehmens gedeckt sein. Das Prinzip der Wirtschaftlichkeit der Verwaltung legitimiere derartige Aktivitäten196. Mit diesem Argument wird etwa die
195 Scharpf, DÖV 2006, 23 (25). 196 Rocke, Nebentätigkeiten kommunaler wirtschaftlicher Unternehmen, Diss., S. 86 ff.; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 95; Schmidt-Jortzig in Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 5, S. 50 (63).
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F. Hilfsbetriebe und Annextätigkeiten
Werbung im kommunalen Amtsblatt gerechtfertigt. Auch soll die Vermietung freier und nicht für Drittnutzung geschaffener Kapazitäten im Bereich der Telekommunikation etwa zulässig sein, soweit dies quantitativ und betriebswirtschaftlich eindeutig eine „Randerscheinung“ bleibt197. Genutzt wird also die Möglichkeit, die Rentabilität ohnehin benötigter Einrichtungen durch Vermarktung eines „Nebenprodukts“ zu erhöhen. Annextätigkeiten dienen der „Abrundung“ oder „Ergänzung“ der Haupt- 96 leistung. Unter diesem Aspekt soll es zulässig sein, wenn etwa ein kommunales Energieversorgungsunternehmen sein Angebot durch Zusatzdienstleistungen wie Beratung und Installation zu einer wettbewerbsfähigen Gesamtleistung abrundet198. Tätigkeiten im Facility-Management sind nach Auffassung des OLG Düsseldorf hingegen keine privilegierten Annextätigkeiten eines kommunalen Energieversorgungsunternehmens199. Für Annextätigkeiten soll dann auch das Regionalprinzip nicht gelten. Es bestünden keine Bedenken, etwa eine nur für die Gemeindeverwaltung entwickelte Software an andere Gemeinden, außerhalb des Gemeindegebietes wohnende Private oder gar ins Ausland zu veräußern200.
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Es ist freilich nicht ganz frei von rechtlichen Bedenken, unter Hinweis auf die „Abrundung“ einer Haupttätigkeit Annextätigkeiten von der Prüfung freizustellen, ob sie für sich betrachtet einem öffentlichen Zweck dienen. Vielfach wird daher ein enges Verständnis des Begriffs der Annextätigkeit gefordert201.
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Vorgeschlagen wird, die Bindung derartiger Aktivitäten an die kom- 99 munalrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen in Relation zu deren Gewicht, Dauer und Intensität zu setzen: Je unerheblicher die Nutzung und je geringer Aufwand und Dauer, umso lockerer seien die Anforderungen an den Bezug zum öffentlichen Zweck202. Die Grenze überhaupt zulässiger Annextätigkeit dürfte da erreicht sein, wo die Zusatzleistung ein selbständiges neues Geschäftsfeld darstellt, das nicht mehr im funktionalen Zusammenhang mit der Hauptmaterie steht bzw. eine substantielle Erweiterung dieser Haupttätigkeit bewirkt. Im praktisch relevanten Bereich der Energieversorgung wäre diese Grenze beispielsweise überschritten, wenn ein Stadtwerk zur Förderung von So197 So der Erlass des Innenministeriums NW – auf der Grundlage der alten Rechtslage nach der Gemeindeordnung in der Fassung des Jahres 1994 – v. 21.10.1996 – III B 4-5/701-4147/96, S. 2. 198 So explizit VerfGH Rh.-Pf. v. 28.3.2000 – VGH N 12/98, DVBl 2000, 992 (994). 199 OLG Düsseldorf v. 29.5.2001 – 20 U 152/00, GewArch 2001, 370 (372). 200 So – ohne nähere Begründung – Oster in Gabler u.a., Kommunalverfassungsrecht Rheinland-Pfalz, Vorbem. zu §§ 85–92 GemO, Anm. 2.2.1.5. 201 Z.B. Meyer, WiVerw 2003, 57 (83). 202 Ruffert, VerwArch 92 (2001), 27 (42). Uechtritz/Otting/Olgemöller
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larstrom die entsprechenden Anlagen zum Einkaufspreis anbietet, so dass es einem privaten Anbieter erschwert wird, diese mit marktüblichem Gewinn zu vertreiben203. 100 Mittlerweile existieren in einigen Gemeindeordnungen ausdrückliche Regelungen zu Annextätigkeiten. In Hessen lautet beispielsweise § 121 Abs. 4 HGO: „Ist eine Betätigung zulässig, sind verbundene Tätigkeiten, die üblicherweise im Wettbewerb zusammen mit der Haupttätigkeit erbracht werden, ebenfalls zulässig; mit der Ausführung dieser Tätigkeiten sollen private Dritte beauftragt werden, soweit das nicht unwirtschaftlich ist.“
§ 108 Abs. 3 Satz 1 KSVG enthält für das Saarland eine inhaltlich identische Regelung. Der Saarländische Gesetzgeber ging davon aus, dass in den liberalisierten Bereichen der Daseinsvorsorge Hauptprodukte bzw. Hauptleistungen vielfach nur noch im Rahmen von Leistungspaketen nachgefragt und die Zulässigkeit von Annextätigkeiten daher erforderlich sei, um die Chancengleichheit kommunaler Unternehmen im Wettbewerb zu sichern. Mit derartigen Annextätigkeiten seien aber soweit möglich Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft zu beauftragen204. Da die Anordnung zur Beauftragung Privater jedoch nur als Soll-Vorschrift ausgestaltet ist und auch hinsichtlich der Übertragung von Nebentätigkeiten ein Beurteilungsspielraum der Kommunen anzuerkennen sein wird, dürfte die Vorschrift in der Praxis eher Appellcharakter haben. 101 Nordrhein-Westfalen verfügt eine ausdrückliche Regelung nur im Zusammenhang mit der energiewirtschaftlichen Betätigung der Gemeinden. Mit den Bereichen Strom-, Gas- und Wärmeversorgung verbundene Dienstleistungen sind gem. § 107a Abs. 2 GO NW zulässig, wenn sie den Hauptzweck fördern. Die Gemeinden haben sicherzustellen, dass bei der Erbringung dieser Dienstleistungen die Belange kleinerer Unternehmen, insbesondere des Handwerks, berücksichtigt werden. 102 In Brandenburg sind nach § 91 Abs. 5 Nr. 1 BbgKVerf solche Nebenleistungen erlaubt, die im Wettbewerb üblicherweise zusammen mit der Hauptleistung angeboten werden und den öffentlichen Hauptzweck nicht beeinträchtigen. Der Gesetzgeber wollte davon die bessere Auslastung vorhandener Ressourcen erfasst wissen205. Mit dem vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der kommunalen Daseinsvorsorge soll die Regelung geändert werden206: Danach entfällt künftig die Beschränkung auf Annextätigkeiten von untergeordneter Bedeutung, weil die Maßstäbe (Gewinn, Umsatz, Personaleinsatz oder Zahl der Nutzer), an denen die Bedeutung zu beurteilen ist, unklar geblieben 203 204 205 206
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Scharpf, DÖV 2006, 23 (26). LT-Drs. 12/918, 19. LT-Drs. 4/5056, 266. Vgl. dazu auch nachfolgend unter Rz. 110. LT-Drs. 5/3023, insb. S. 7 f. der Begründung.
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seien207. Mit den im Wettbewerb üblicherweise erbrachten Nebenleistungen sollen künftig aber nach Möglichkeit private Anbieter beauftragt werden. Eine sehr differenzierte Regelung hat zwischenzeitlich Sachsen-Anhalt 103 eingeführt: Mit der Strom-, Gas- und Wärmeversorgung verbundene Dienstleistungen sind gem. § 116 Abs. 2 Satz 2 GO LSA zulässig, wenn ihnen im Vergleich zur Hauptleistung eine untergeordnete Bedeutung zukommt und die Gemeinde den Zweck genauso gut und wirtschaftlich erfüllen kann wie ein anderer. Mit den Bereichen der Wasserversorgung, der Abfallentsorgung, der Abwasserbeseitigung, der Wohnungswirtschaft und dem öffentlichen Personenverkehr verbundene Dienstleistungen sind hingegen gem. § 116 Abs. 2 Satz 3 GO LSA nur zulässig, wenn ihnen eine untergeordnete Bedeutung zukommt und die Gemeinde nachweist, dass sie den Zweck besser und wirtschaftlicher erfüllen kann als ein anderer. Angesichts dieser detaillierten Regelung bestimmter Annextätigkeiten stellt sich die Frage, ob mit anderen Bereichen verbundene Annextätigkeiten den Gemeinden in Sachsen-Anhalt überhaupt noch erlaubt sind. Jedenfalls aber sollen nach dem Willen des Gesetzgebers verbundene Dienstleistungen nur im Gemeindegebiet angeboten werden dürfen, weil ihnen nach dem Willen des Gesetzgebers die Lockerung des Örtlichkeitsprinzips nach § 116 Abs. 3 GO LSA nicht zugutekommt208. Der Landesgesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern hat auf eine gesetz- 104 liche Regelung der Nebentätigkeiten bewusst verzichtet209. Dort bleibt es folglich wie in den übrigen Bundesländern bei den durch die Rechtsprechung festgelegten Grenzen von Nebentätigkeiten. Diese sind jedenfalls dann tendenziell weiter gezogen als in den Bundesländern mit einer gesetzlichen Regelung, wenn die gesetzlichen Regelungen als abschließend angesehen werden und Nebentätigkeiten dann letztlich nur noch im Zusammenhang mit solchen Hauptleistungen zulässig wären, die im Wettbewerb erbracht werden. Auch fehlt es in den übrigen Bundesländern an der Vorgabe, Nebentätigkeiten nur dann selbst zu erfüllen, wenn die Übertragung auf private Unternehmen unwirtschaftlich ist oder sich kein Privater zur Übernahme bereit erklärt.
II. Freie Kapazitäten Unter der Nutzung von freien Kapazitäten versteht man die planmäßige wirtschaftliche Ausschöpfung bereits vorhandener unternehmerischer Ressourcen, die das kommunale Unternehmen bei Gelegenheit seiner Erfüllung öffentlicher Aufgaben nutzt, um die Rentabilität zu steigern, 207 Vgl. dazu etwa die anschauliche Darstellung von Seeberg in Muth, Kommunalrecht in Brandenburg, § 91 KVerf Rz. 49. 208 LT-Drs. 5/697, 6. 209 Amtl. Begründung zum Gesetzesentwurf, LT-Drs. 5/4173, 146. Uechtritz/Otting/Olgemöller
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ohne dass die Nutzung als solche von einem besonderen öffentlichen Zweck getragen wird210. Über die Frage der Zulässigkeit von Annextätigkeiten hinausgehend wird vertreten, ganz allgemein könnten vorübergehend freie und für die öffentliche Zwecksetzung nicht benötigte Kapazitäten ausgenutzt werden, um einen Ertrag für das kommunale Unternehmen zu erwirtschaften. 106 Auch diese Aktivitäten sollen durch das Wirtschaftlichkeitsgebot legitimiert sein. Es geht hierbei nicht um eine Annextätigkeit oder Randnutzung im soeben beschriebenen Sinne, sondern um die Nutzung der eigentlich für den Hauptzweck vorgesehenen wirtschaftlichen Kapazität, die vorübergehend nicht zur Deckung des öffentlichen Bedarfs benötigt wird. Eine „Randnutzung“ liegt vor, wenn die Außenflächen städtischer Busse für Werbezwecke vermarktet würden. Wenn hingegen für den eigentlichen Zweck des Verkehrsbetriebes vorübergehend nicht benötigte Busse für andere Zwecke – etwa für kommerzielle Reiseveranstaltungen – genutzt würden, läge eine Ausnutzung freier Kapazitäten vor. Insbesondere geht es hierbei um Hilfsbetriebe der Verwaltung, die im Grunde ausschließlich zur Deckung des Eigenbedarfs der Gemeinde bestimmt sind. Sofern – vorübergehend – die vorhandenen Kapazitäten nicht zur Deckung des Eigenbedarfs erforderlich seien, könne Fremdbedarf gedeckt werden. Eine Erweiterung des Betriebes soll demgegenüber die Aufnahme einer wirtschaftlichen Betätigung darstellen und nicht statthaft sein211. 107 Dieser Ansicht lässt sich entgegenhalten, dass eine scharfe Abgrenzung zwischen der Ausnutzung vorhandener Kapazitäten und der Betriebserweiterung nicht durchführbar ist. Immerhin ist denkbar, dass der Eigenbedarf der Gemeinde rückläufig ist oder von Privaten gedeckt wird. Es ist dann nicht mehr erforderlich, die im kommunalen Betrieb vorhandenen Kapazitäten weiter vorzuhalten. Sie müssten im Grunde abgebaut werden. Ihre weitere Benutzung für die Deckung externen Bedarfs ist zwar nach der ökonomischen Kalkulation des Betriebes zweckmäßig, kommt de facto aber einer Ausweitung des Betriebsauftrags über die Deckung des Eigenbedarfs der Gemeinde hinaus gleich. Ob die Expansion in Drittmärkte Folge des Ausbaus der Kapazitäten oder des Nichtabbaus desselben ist, ist für deren Auswirkungen irrelevant212. Auch die Befürworter des Rechtsgedankens der Kapazitätsausnutzung weisen darauf hin, dass dauernd entbehrlich gewordene Kapazitäten nicht aufrechterhalten wer-
210 BVerwG v. 21.4.1989 – 7 C 48.88, BVerwGE 82, 29 (34); Scharpf, DÖV 2006, 23. 211 Ganz in diesem Sinne etwa auch die Begründung zur angestrebten Novellierung des § 91 Abs. 5 BbgKVerf nach dem Entwurf der Landesregierung Brandenburg zu einem Gesetz zur Stärkung der kommunalen Daseinsvorsorge, LTDrs. 5/3023, S. 8 der Begründung. 212 Vgl. Otting, Neues Steuerungsmodell, S. 106.
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den dürfen, um außerhalb des eigentlichen Unternehmenszwecks Gewinne zu erwirtschaften213. Auch eine an der Größenordnung der wirtschaftlichen Tätigkeit orien- 108 tierte Differenzierung begegnet praktischen Bedenken. Es lässt sich keine klare Aussage darüber treffen, wann noch eine „Randtätigkeit“ vorliegen soll. Im Gesetz finden sich Anhaltspunkte für eine derartige Bagatellgrenze ohnehin nicht. Auch Bagatell- oder Randtätigkeiten müssen sich daher an den Anforderungen des § 107 Abs. 1 GO NW bzw. der sonstigen landesrechtlichen Vorschriften messen lassen. Das OVG Nordrhein-Westfalen hat sich mit der Zulässigkeit von Rand- 109 nutzungen anlässlich der Frage auseinander gesetzt, ob eine Gemeinde bzw. eine kommunale Eigengesellschaft Räumlichkeiten in einem Parkhaus zur Nutzung als Fitness-Studio vermieten darf214. Dies bejaht das Gericht mit der Begründung, bei der Vermietung handle es sich um ein noch zulässiges Nebengeschäft zum Betrieb des Parkhauses. Für die Zulässigkeit spräche das Gebot der wirtschaftlichen Verwaltung und der Umstand, dass die Vermietung an ein Fitness-Studio, dessen Benutzer Parkplätze benötigten, zu einer besseren Auslastung des Parkhauses in nachfrageschwachen Stunden führe. Selbst dürfte die Kommune aber ein Fitness-Studio zur Ressourcennutzung nicht betreiben215. Eine ausdrückliche Regelung zu freien Kapazitäten besteht nun erstmals 110 in Brandenburg. Nach § 91 Abs. 5 Nr. 2 BbgKVerf dürfen Nebenleistungen im Rahmen wirtschaftlicher Betätigung künftig erbracht werden, die der Ausnutzung bestehender, sonst brachliegender Kapazitäten bei der Gemeinde oder ihren Unternehmen dienen. Die Gesetzesbegründung betont, dass neue Kapazitäten auf Grundlage dieser Vorschrift nicht aufgebaut werden dürfen, äußert sich aber nicht zu der Frage, wie lange brachliegende Kapazitäten aufrecht erhalten werden dürfen216.
G. Reichweite und dauerhafte Sicherstellung der Kriterien Die Vorschriften der Gemeindeordnungen gelten in klassischer Weise 111 nur für die Aufnahme einer wirtschaftlichen Betätigung bzw. für die wesentliche Erweiterung eines kommunalen Unternehmens. Gegenstand der Regelungen ist die „Errichtung, Übernahme und (wesentliche) Erweiterung“ von Unternehmen. An diese und ähnlich formulierte Tatbestände knüpfen noch heute die Gemeindeordnungen in Baden-Würt-
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VerfGH Rh.-Pf. v. 28.3.2000 – VGH N 12/98, DVBl 2000, 992 (994). OVG NW v. 13.8.2003 – 15 B 1137/03, NVwZ 2003, 1520. Kritisch zu dieser Entscheidung etwa Grooterhorst/Törnig, DÖV 2004, 685. LT-Drs. 5/3023, insb. S. 8 der Begründung. Uechtritz/Otting/Olgemöller
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temberg, Bayern, Niedersachsen217, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, im Saarland und in Thüringen an. 112 „Errichtung“ ist die Gründung eines wirtschaftlichen Unternehmens, das bislang nicht bestand. Wenn – wie bei einem Regiebetrieb – ein bestimmter gesellschaftsrechtlicher Gründungsakt nicht erforderlich ist, kommt es auf das tatsächliche Verhalten an, etwa die tatsächliche Zusammenfassung von sächlichen Mitteln in einem selbständigen Betrieb durch die Gemeinde zum Zweck der Aufnahme wirtschaftlicher Tätigkeiten. 113 „Übernahme“ ist die Überführung eines bestehenden fremden Unternehmens in kommunale Trägerschaft. Hierzu zählt auch der Kauf des Energieversorgungsnetzes eines Stromversorgers durch die Gemeinde218. 114 Eine „Erweiterung“ liegt bei einem Ausweiten der unternehmerischen Tätigkeit über den bestehenden Unternehmensauftrag hinaus vor. Häufig stellen die Vorschriften auf die „wesentliche“ Erweiterung ab. Was wesentlich ist, kann nicht pauschal bestimmt werden. Der Aufbau einer neuen Leistungssparte durch den Betrieb wird immer als wesentlich zu beurteilen sein. Auch eine quantitative Vergrößerung des Unternehmens um 10–20 % dürfte die Wesentlichkeitsschwelle überschreiten219. 115 Ein einmal bestehendes Unternehmen wird grds. nicht fortlaufend kontrolliert, sie können sich auf einen Bestandsschutz berufen. Für Rheinland-Pfalz hat der Verfassungsgerichtshof hervorgehoben, dass bestehende Unternehmen vom Anwendungsbereich der verschärften Subsidiaritätsklausel ausgenommen sind; sie dürfen also auch dann fortgeführt und sogar „unwesentlich“ erweitert werden, wenn der von ihnen verfolgte Zweck ebenso gut von einem privaten Dritten erfüllt werden könnte220. In Bayern regelt Art. 87 Abs. 1 Satz 3 BayGO ausdrücklich, dass Unternehmen, die entgegen dem jetzt in Satz 2 der Vorschrift explizit normierten Verbot alleiniger Gewinnerzielungsabsicht errichtet wurden, weiterbetrieben werden dürfen. In ähnlicher Weise erlaubt in Thüringen § 66 Abs. 2 ThürKO, Unternehmensbeteiligungen unter Umständen beizubehalten, selbst wenn die Unternehmen keinen öffentlichen Zweck mehr verfolgen. § 108 Abs. 6 KSVG verpflichtet allerdings die Gemeinden im Saarland, in regelmäßigen Abständen die Möglichkeit materieller Privatisierungen zu prüfen. Im Übrigen wird davon auszugehen sein, dass 217 Das ergibt sich sowohl im Hinblick auf § 108 NGO als auch im Hinblick auf § 136 NKomVG trotz der missverständlichen Anknüpfung an die Betätigung in Abs. 1 Satz 1 aus dem jeweiligen Abs. 1 Satz 2, vgl. Wefelmeier in Blum u.a., Kommentar zur NGO in Kommunalverfassungsrecht Niedersachsen, § 108 Rz. 21. 218 Dazert in Gabler u.a., Kommunalverfassungsrecht Rheinland-Pfalz, § 85 GemO, Anm. 3.2. 219 Dazert in Gabler u.a., Kommunalverfassungsrecht Rheinland-Pfalz, § 85 GemO, Anm. 3.2. 220 VerfGH Rh.-Pf. v. 28.3.2000 – VGH N 12/98, DVBl 2000, 992 (994).
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die gemeinderechtlichen Vorschriften in der Regel die Weiterführung des Bestandes als zulässig voraussetzen und sich auf die Regelung neuer wirtschaftlicher Engagements beschränken221. Dementsprechend könnte ein traditionell bestehendes Unternehmen – etwa eine kommunale Brauerei – auch bei Fehlen der Voraussetzungen der kommunalen wirtschaftsrechtlichen Bestimmungen ohne Beanstandung weiter betrieben werden können. Insoweit besteht Bestandsschutz222. Ob und in welchen Grenzen dieser Bestandsschutz erlaubt, Tätigkeiten zu verändern und auszuweiten, ist weitestgehend ungeklärt223. Von diesem Prinzip der Kontrolle der Errichtung eines kommunalen Un- 116 ternehmens gehen verschiedene Gemeindeordnungen mittlerweile zu einer Betätigungskontrolle über. Ausgangspunkt ist die Regelung in Nordrhein-Westfalen. § 107 GO NW spricht seit dem Jahre 1994 nicht mehr von der Zulässigkeit der Errichtung wirtschaftlicher Unternehmen, sondern von der Zulässigkeit wirtschaftlicher Betätigung. Die Vorschrift ist somit auf eine Dauerkontrolle der Einhaltung der Zulässigkeitsvoraussetzungen angelegt. Dem wird zwar entgegengehalten, im Gesetzgebungsverfahren gebe es für diese Erweiterung des Überprüfungsspielraums keine Stütze. Die Verwendung des Begriffs Betätigung habe nur dem besseren Verständnis dienen, nicht aber eine Dauerprüfung jeder kommunalwirtschaftlichen Betätigung ermöglichen sollen224. Der Wortlaut der Vorschrift steht dieser Auffassung jedoch entgegen. Nach der klaren Formulierung des Gesetzestextes darf die Gemeinde sich nur betätigen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Auch ein Umkehrschluss mit der bis zum Jahre 1994 geltenden Fassung (§ 88 GO NW a.F.), die an die Errichtung, Übernahme oder wesentliche Erweiterung anknüpfte, spricht dafür, dass die Rechtslage in Nordrhein-Westfalen für bestehende Unternehmen verschärft worden ist225.
221 Oebbecke, Der Schutz der kommunalen Aufgaben Wahrnehmung durch die Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 II GG, in Henneke, Kommunale Aufgabenerfüllung in Anstaltsform, S. 11 (18); im selben Sinne Stern in Kirchhof/ Papier/Schäffer, FS für Detlef Merten, S. 293 (303). Für Baden-Württemberg etwa Katz in Kunze/Bronner/Katz, Gemeindeordnung für Baden-Württemberg, § 102 Rz. 26; für Brandenburg etwa Seeberg in Muth, Kommunalrecht in Brandenburg, § 91 KVerf Rz. 10 ff.; Erdmann in Ipsen, Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz, § 136 Rz. 22. 222 Oebbecke, ZHR 164 (2000), 375 (383). 223 Zum Bestandsschutz am Beispiel der GO NW etwa Stiel, NWVBl. 2009, 46; Stern in Kirchhof/Papier/Schäffer, FS für Detlef Merten, S. 293 (303), schlägt als Orientierungsmaßstab die Entwicklungsgarantie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vor. 224 Cronauge in Rehn/Cronauge/von Lennep/Knirsch, Gemeindeordnung NW, § 107 Anm. II.1. 225 Im Ergebnis ebenso Erichsen, Kommunalrecht Nordrhein-Westfalen, S. 279. Uechtritz/Otting/Olgemöller
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117 Auch jenseits von Nordrhein-Westfalen wird von einer fortwährenden Kontrolle der wirtschaftlichen Tätigkeit ausgegangen, wenn die Vorschriften des Gemeindewirtschaftsrechts an die Betätigung als solche anknüpfen226. Das gilt namentlich für die Gemeindeordnungen von Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt. Für Sachsen folgt dies aus der Formulierung des § 97 Abs. 1 SächsGemO, wonach nicht nur die Errichtung, Übernahme, wesentliche Veränderung, sondern auch die Unterhaltung wirtschaftlicher Unternehmen der Schrankentrias unterliegt. Um die Verpflichtung zur dauerhaften Prüfung zu formalisieren, verpflichtet § 91 Abs. 6 BbgKVerf die Gemeinden in Brandenburg zur Aufstellung eines Beteiligungsberichts in bestimmten zeitlichen Abständen. Dort ist darzulegen, dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Tätigkeit noch vorliegen. In Hessen werden die Konsequenzen der fortwährenden Betätigungskontrolle entschärft, indem bei der Novelle des Gemeindewirtschaftsrechts im Jahre 2005 die rückwirkende Geltung der verschärften Subsidiaritätsklausel aus Gründen des Bestandsschutzes in § 121 Abs. 1 Satz 2 HGO auf einen Stichtag beschränkt wird227. Auch der Gesetzgeber in Nordrhein-Westfalen hat mit der Novelle im Jahre 2007 eine Bestandsschutzregelung getroffen228.
H. Wirtschaftliche oder nichtwirtschaftliche Betätigung 118 Im Anschluss an § 67 DGO verknüpfen die meisten Bundesländer den Geltungsanspruch der Schrankentrias mit der wirtschaftlichen Betätigung oder beschränken den Geltungsanspruch auf die wirtschaftlichen Unternehmen der Gemeinden. Bayern und Thüringen verfolgen ein abweichendes Konzept. 119 Als wirtschaftliche Betätigung definiert § 107 Abs. 1 Satz 3 GO NW den Betrieb von Unternehmen, die als Hersteller, Anbieter oder Verteiler von Gütern oder Dienstleistungen am Markt tätig werden, sofern die Leistung ihrer Art nach auch von einem Privaten mit der Absicht der Gewinnerzielung erbracht werden könnte. Ganz ähnliche Definitionen finden sich etwa in § 91 BbgKVerf und § 68 KV MV. In den Ländern, in de226 Nierhaus in Mann/Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 2, § 40 Rz. 37. Ausdrücklich geht etwa der Landesgesetzgeber in Mecklenburg-Vorpommern davon aus, dass die Gemeinden wegen des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gem. Art. 20 Abs. 3 GG die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen auch im Bereich der wirtschaftlichen Betätigung dauerhaft gewährleisten müssen, weshalb ein „dauerhafter Prüfungsansatz“ bestehe, LT-Drs. 5/4173, 146. Andererseits besteht zum Beispiel in Sachsen-Anhalt gleichwohl ein gewisser Bestandsschutz, vgl. § 153 Abs. 1 GO LSA. 227 Amtl. Begründung zum Gesetzesentwurf, LT-Drs. 16/2463, 59. 228 Art. XI § 1 des Gesetzes zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung v. 9.10.2007, NWGVBl. S. 380; dazu näher etwa OVG NW v. 1.4.2008 – 15 B 122/08, NVwZ 2008, 1031 (1033).
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nen eine solche ausdrückliche Definition fehlt, wird der Begriff der wirtschaftlichen Betätigung in eben diesem Sinne verstanden229. Dem Gemeindewirtschaftsrecht unterfallen damit grds. alle Betätigungen der kommunalen Leistungsverwaltung230. Die große Bedeutung, die den Vorschriften in der Verwaltungspraxis und immer wieder auch in der rechtspolitischen Diskussion zukommt, resultiert daraus, dass nahezu der gesamte Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge von ihnen erfasst wird. An diese Grenzen sind die Gemeinden auch im Rahmen verschiedener Public Private Partnership-Modelle gebunden231. Angesichts des weitgreifenden Umfangs der wirtschaftlichen Betätigung 120 verbleibt für nicht-wirtschaftliche Betätigung an sich nur wenig Raum. Nicht wirtschaftliche Betätigungen existieren daher zumeist nur in dem Umfang, in dem die Landesgesetzgeber bestimmte Tätigkeiten ausdrücklich als nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten festlegen, d.h. gesetzliche Fiktionen schaffen232. In Baden-Württemberg gelten kraft § 102 Abs. 4 GemO BW Unternehmen, zu deren Betrieb die Gemeinde gesetzlich verpflichtet ist, sowie Einrichtungen des Unterrichts-, Erziehungs- und Bildungswesens, der Kunstpflege, der körperlichen Ertüchtigung, der Gesundheitsund Wohlfahrtspflege sowie öffentliche Einrichtungen ähnlicher Art und schließlich Hilfsbetriebe, die ausschließlich der Deckung des Eigenbedarfs dienen, als nicht-wirtschaftliche Unternehmen. Dieselbe Funktion erfüllen § 121 Abs. 2 HGO, § 68 Abs. 2 KV MV, § 108 Abs. 3 NGO bzw. § 136 Abs. 3 NKomVG, § 85 Abs. 4 GemO Rh.-Pf., § 108 Abs. 2 KSVG, § 97 Abs. 2 SächsGemO, § 101 Abs. 4 GO Schl.Holst. Die dort aufgeführten Tätigkeitskataloge unterscheiden sich im Einzelnen durchaus erheblich. Ein besonders umfangreicher Katalog findet sich in § 107 Abs. 2 GO NW. Wo ein solcher Katalog fehlt, wie etwa in § 91 BbgKVerf, beanspruchen die Regelungen über die wirtschaftliche Betätigung weitreichende Geltung. Wesentliche Konsequenz der Unterscheidung zwischen wirtschaftlicher 121 und nicht-wirtschaftlicher Betätigung ist, dass die Gemeinden im Bereich der nicht-wirtschaftlichen Tätigkeiten nicht an die klassische Schrankentrias öffentlicher Zweck – Leistungsfähigkeit – Subsidiarität gebunden sind. Die Unterscheidung verschwimmt allerdings, wenn der Gesetzgeber die Gemeinden selbst für bestimmte wirtschaftliche Tätigkeiten von der Beachtung der Schrankentrias (teilweise) dispensiert wie etwa in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz, wo der 229 Eingehend zu Definitionsversuchen und zur Rechtslage in Baden-Württemberg etwa Katz in Kunze/Bronner/Katz, Gemeindeordnung für Baden-Württemberg, § 102 Rz. 17 ff. 230 Nierhaus in Mann/Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 2, § 40 Rz. 5. 231 Vgl. dazu etwa Shirvani, DÖV 2011, 865, 868 ff. 232 Zum Charakter als Fiktion vgl. etwa OVG NW v. 12.10.2004 – 15 B 1873/04, NVwZ 2005, 1211 (1212). Uechtritz/Otting/Olgemöller
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Subsidiaritätsgrundsatz für alle oder einzelne Tätigkeiten im Bereich der Daseinsvorsorge nicht gilt. 122 In der Rechtsprechung kommt der Unterscheidung zwischen wirtschaftlicher und nicht-wirtschaftlicher Betätigung immer wieder Bedeutung zu. So hat das OLG Düsseldorf im Jahre 1996 Nachhilfeunterricht durch eine kommunale Volkshochschule als unzulässig beurteilt. Nach Ansicht des Gerichts ging diese Betätigung über die der Gemeinde gesetzlich zugewiesenen Aufgaben hinaus und unterfiel daher nicht den Privilegien nichtwirtschaftlicher Tätigkeiten233. Später hat das Gericht den Begriff „Einrichtungen der Abfallentsorgung“ hingegen extensiv ausgelegt und damit Aktivitäten im Bereich des Altautorecyclings als nicht-wirtschaftliche und damit zulässige Betätigung beurteilt. Es komme nicht darauf an, ob die konkrete Tätigkeit Bestandteil der kommunalen Pflichtaufgaben nach dem KrW-/AbfG sei, sondern allein darauf, ob die (Abfallentsorgungs-) Einrichtung als solche betrieben werden dürfe234. Ähnlich beurteilte das OVG Rheinland-Pfalz die Betätigung einer Kommune im Bereich der Sammlung von Leichtverpackungen235. Mit ähnlichen Erwägungen hat das OVG Nordrhein-Westfalen später den Betrieb eines Fitness-Studios als zulässige wirtschaftliche Annextätigkeit zu einer nicht-wirtschaftlichen Betätigung angesehen236. 123 Bayern verzichtet seit der Novelle des kommunalen Wirtschaftsrechts im Jahre 1998 auf die Unterscheidung zwischen wirtschaftlicher und nicht-wirtschaftlicher Betätigung. Die klassische Schrankentrias gilt danach für jedwede Betätigung der Gemeinde mittels eines Unternehmens i.S.d. Art. 86 BayGO, d.h. für Tätigkeiten von Eigenbetrieben, Kommunalunternehmen in der Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts oder in den Rechtsformen des privaten Rechts. Tätigkeiten, die dem Bereich der Daseinsvorsorge zugerechnet werden können, unterliegen gem. Art. 87 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BayGO nicht dem Subsidiaritätsgrundsatz. Wegen der Aufgabe der Unterscheidung von wirtschaftlicher und nicht-wirtschaftlicher Betätigung wurde die Schrankentrias um ein viertes Kriterium ergänzt. Unternehmen i.S.d. Art. 86 BayGO dürfen die Gemeinden gem. Art. 87 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BayGO nur errichten, übernehmen oder wesentlich erweitern, wenn die dem Unternehmen zu übertragenden Aufgaben für die Wahrnehmung außerhalb der allgemeinen Verwaltung geeignet sind. Insbesondere Aufgaben des übertragenen Wir233 OLG Düsseldorf v. 10.10.1996 – 2 U 65/96, NJW-RR 1997, 1470 (1471). 234 OLG Düsseldorf v. 28.10.1999 – 2 U 7/99, NWVBl. 2000, 75 m. krit. Anm. Otting, NWVBl. 2000, 206. 235 OVG Rh.-Pf. v. 21.3.2006 – 2 A 11124/05, DÖV 2006, 611. 236 OVG NW v. 12.10.2004 – 15 B 1873/04, NVwZ 2005, 1211.
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kungskreises oder sonstige kraft Gesetzes von den Gemeinden wahrzunehmende Aufgaben sollen hiernach nicht auf Unternehmen ausgegliedert werden dürfen237 und unterliegen somit auch nicht den Beschränkungen des Art. 87 BayGO. Thüringen ist dem Bayerischen Vorbild gefolgt. Anknüpfungspunkt bildet 124 damit auch hier nicht mehr die wirtschaftliche Betätigung, sondern die Gründung, Übernahme oder Erweiterung eines Unternehmens. Die Thüringer Kommunalverfassung definiert den Begriff des Unternehmens jedoch nicht. Gleichwohl wird – ähnlich wie bei Art. 86 BayGO – von einem formalen Unternehmensbegriff auszugehen sein, der jede gemeindliche Einrichtung außerhalb der allgemeinen Verwaltung umfasst, d.h. Eigenbetriebe, GmbHs und Aktiengesellschaften238. Wie Art. 86 BayGO verlangt § 71 Abs. 1 Nr. 3 ThürKO, dass die einem solchen Unternehmen übertragene Aufgabe geeignet sein muss, außerhalb der allgemeinen Verwaltung wahrgenommen zu werden. Den Geltungsbereich der Subsidiaritätsklausel schränkt § 71 Abs. 1 Nr. 4 ThürKO auf Tätigkeiten außerhalb des Bereichs der kommunalen Daseinsvorsorge ein. Wirtschaftliche und nicht-wirtschaftliche Betätigung sind schließlich ab- 125 zugrenzen von der reinen Vermögensverwaltung. So kann es an einer unternehmerischen Tätigkeit etwa fehlen, wenn eine Gemeinde Immobilien239 oder Dächer gemeindeeigener Gebäude an Betreiber von Photovoltaikanlagen verpachtet.
J. Rechtliche Überprüfbarkeit Aus der Sicht privater Konkurrenten wird häufig beklagt, dass sich kom- 126 munale öffentliche Unternehmen nicht mehr im Rahmen der gesetzlich eingeräumten Spielräume bewegen, sondern diese – vermeintlich oder tatsächlich – überschreiten. Es stellt sich dann die Frage nach dem Rechtsschutz privater Konkurrenten gegen die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden. Rechtsschutz können private Konkurrenten vor den Verwaltungsgerichten oder den ordentlichen Gerichten suchen. Umstritten ist, ob ein Verstoß gegen das Kommunalwirtschaftsrecht im Rahmen von vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren geltend gemacht werden kann.
237 Amtl. Begründung, LT-Drs. 13/10828, S. 19. 238 Wachsmuth u.a., Thüringer Kommunalrecht, § 71 Erl. 31. 239 Vgl. Seeberg in Muth, Kommunalrecht in Brandenburg, § 91 KVerf Rz. 16. Uechtritz/Otting/Olgemöller
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I. Rechtsschutz privater Konkurrenten vor den Verwaltungsgerichten 127 Vor den Verwaltungsgerichten müssen private Konkurrenten gem. § 40 VwGO klagen, wenn sie sich gegen die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand wenden und die Verletzung ihrer subjektiven öffentlichen Rechte geltend machen. Eine solche Klage könnte zum einen auf die Wirtschaftsgrundrechte, insbesondere Art. 12 GG, gestützt werden. Zum anderen könnten die kommunalrechtlichen Vorschriften über die Zulässigkeit wirtschaftlicher Betätigung als Grundlage für Abwehransprüche Dritter in Betracht kommen. In der früheren Rechtsprechung waren die Erfolgsaussichten solcher Klagen gering. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung ist beiden Ansätzen zur Begründung subjektiv-rechtlicher Abwehransprüche lange nicht gefolgt. Zwischenzeitlich erkennen eine Reihe von Verwaltungsgerichten die kommunalrechtlichen Vorschriften allerdings als drittschützend an, so dass Konkurrentenrechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten durchaus Aussicht auf Erfolg haben kann. 1. Abwehransprüche aus Grundrechten (Art. 12 GG) 128 Die ständige Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte geht davon aus, dass die Grundrechte nicht vor Konkurrenz, auch nicht vor Konkurrenz der öffentlichen Hand, schützen240. Art. 12 GG schützt die Freiheit des Marktzugangs, nicht den Besitzstand auf einem bestimmten Markt oder zukünftige Erwerbsmöglichkeiten. Auch staatliche Konkurrenz verkürzt nach herrschender Ansicht den grundrechtlich gewährleisteten Freiheitsraum nicht, sondern ist als systemimmanent hinzunehmen241. 129 Diese Auffassung begegnet zwar in der Literatur zum Teil Kritik242: Private Unternehmen müssten sich gegen jede – sei es rechtliche, sei es fak240 BVerwG v. 22.1.1972 – I C 24.69, BVerwGE 39, 329 (336); v. 21.3.1995 – 1 B 211.94, NJW 1995, 2938 (2939); BayVGH v. 23.7.1976 – 32 V 75, BayVBl. 1976, 641 (643); VGH BW v. 15.8.1994 – 1 S 1613/93, NJW 1995, 274; HessVGH v. 17.1.1996 – 6 TG 4316/95, DÖV 1996, 476 (477); OVG NW v. 21.9.2004 – 15 B 1709/04, NVwZ-RR 2005, 198 (200); OVG LSA v. 29.10.2008 – 4 L 146/05, NVwZ-RR 2009, 347 (348 f.). 241 Manssen in Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, Band 1, Art. 12 Rz. 83. 242 Die Vorstellung, ein Privater müsse Konkurrenz durch die öffentliche Hand prinzipiell in gleicher Weise hinnehmen wie seitens anderer Privater, wird in der Literatur z.T. heftig kritisiert, vgl. nur Sodan in Ziekow (Hrsg.), Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft, S. 35, 62 („verfehlt“); Hösch, GewArch 2000, 1 (3); Hösch, WiVerw 2000, 159 (177 ff.); Pünder/Dittmar, Jura 2005, 760 (762); Teuteberg, LKV 2008, 150 (150 ff.); differenzierter Kluth, WiVerw 2000, 184; vgl. bereits Hoffmann-Becking, Die Begrenzung der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand durch Subsidiaritätsprinzip und Übermaßverbot, in Menger, Fortschritte des Verwaltungsrechts, FS für H. J. Wolff, S. 445 (453 ff.).
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tische – Reduzierung ihrer wirtschaftlichen Betätigungsmöglichkeiten durch den Staat unter Berufung auf Art. 12 GG zur Wehr setzen können. Die kommunale Wirtschaftstätigkeit sei aufgrund ihrer Auswirkungen auf die private Konkurrenz einer Berufsausübungsregelung gleichzusetzen, denn es bestehe ein struktureller Unterschied zwischen privater und staatlicher Konkurrenz243. Die Überzeugungskraft dieser Kritik ist jedoch begrenzt244: Die Berufsfrei- 130 heit gewährleistet nur das Recht, sich auf einem bestimmten Markt wirtschaftlich zu betätigen, sichert also eine Chance. Der jeweilige wirtschaftliche Besitzstand auf diesem Markt wird durch Art. 12 GG nicht geschützt. Mit – auch zunehmender – Konkurrenz muss jeder Marktteilnehmer rechnen; der Konkurrenzmechanismus ist ein systemimmanentes Merkmal der Wirtschaftsfreiheit. Durch das Hinzutreten neuer Marktteilnehmer wird der Schutzbereich des Grundrechts daher nicht berührt. Aus der grundrechtlichen Schutzperspektive macht es keinen Unterschied, ob der hinzutretende Konkurrent in privatem oder öffentlichem Eigentum steht. Der inneren Logik des ständigen Leitsatzes des BVerwG, dass die Grundrechte nicht vor Konkurrenz, auch nicht vor Konkurrenz der öffentlichen Hand, schützen, ist daher für den Regelfall kommunaler Wettbewerbsteilnahme nichts entgegenzuhalten245. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung ist derart gefestigt246, dass von allein auf Grundrechte gestützten Konkurrentenklagen abzuraten ist. Die Berufung auf Art. 12 GG führt nur in extremen Ausnahmefällen wei- 131 ter, etwa wenn durch die kommunale Wettbewerbsteilnahme privaten Konkurrenten der Markteintritt faktisch unmöglich gemacht würde, unzumutbar beeinträchtigt würde oder eine unerlaubte Monopolstellung entsteht (Erdrosselungswirkung)247. Selbst dieser derart eingeschränkte Schutzumfang wurde in einer Entscheidung des OVG Nordrhein-Westfalen248 noch restriktiver interpretiert. Danach schützt Art. 12 GG Konkurrenten nur in Fällen einer freiwilligen wirtschaftlichen Betätigung der Gemeinde. Bewegt sich die Kommune dagegen im Rahmen ihrer Pflichtaufgaben, besteht überhaupt keine Verpflichtung, darauf zu achten, dass private Konkurrenz möglich bleibt. 243 Faber, DVBl 2003, 761 (762); Wendt in Mann/Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 2, § 42 Rz. 47 ff. 244 Die Kritiker ausführlich widerlegend Pieroth/Hartmann, DVBl 2002, 421. 245 Nach Auffassung von Jarass soll dagegen der Schutzbereich des Art. 12 GG „unschwer zu bejahen“ sein. Auch ein „faktischer“ Eingriff durch Konkurrenz liege regelmäßig vor, der jedoch durch Gemeinwohlgründe verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden könne, Jarass, DÖV 2002, 489 (492 ff.). 246 OVG NW v. 23.3.2005 – 15 B 123/05, NVwZ-RR 2005, 738 (738 f.); OVG LSA v. 17.2.2011 – 2 L 126/09, juris Rz. 76. 247 Vgl. BVerwG v. 23.3.1982 – 1 C 157.79, GewArch 1982, 341; Pieroth/Hartmann, DVBl 2002, 421 (423 f.); zurückhaltender Jarass in Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 12 Rz. 23. 248 OVG NW v. 23.5.2005 – 15 B 123/05, NVwZ-RR 2005, 738. Uechtritz/Otting/Olgemöller
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2. Abwehransprüche aus einfachem Recht 132 Da die Grundrechte privater Konkurrenten durch kommunalwirtschaftliche Betätigung regelmäßig nicht beeinträchtigt werden, steht dem Gesetzgeber ein letztlich nur durch das Recht der kommunalen Selbstverwaltung begrenzter und damit weiter Regelungsspielraum für die Ausgestaltung des einfachen Rechts zu. Von Verfassungs wegen ist es nicht geboten, die gemeindewirtschaftlichen Regelungen so auszugestalten, dass diese zumindest auch dem Schutz der Konkurrenten dienen. Fehlt es aber daran, können private Konkurrenten einen Verstoß gegen die gemeindewirtschaftsrechtlichen Vorschriften nicht mit Aussicht auf Erfolg vor den Verwaltungsgerichten geltend machen, weil die Klage entweder mangels Klagebefugnis unzulässig oder die Klage jedenfalls mangels Verletzung subjektiver Rechte unbegründet ist. 133 Die Verwaltungsgerichte sprachen den Vorschriften über die Gemeindewirtschaft in der Vergangenheit den Drittschutzcharakter regelmäßig ab249. Die Kompetenzschranken des Gemeindewirtschaftsrechts bestünden allein im öffentlichen Interesse, ein einzelner Konkurrent könne die Einhaltung der kompetentiellen Grenzen durch die Kommunalwirtschaft gerichtlich nicht durchsetzen. Die Vorschriften intendierten zwar den Schutz der Privatwirtschaft, aber nur mit objektiv-rechtlicher Wirkung, nicht als subjektiv-öffentliches Recht einzelner Gewerbetreibender250. Soweit private Dritte aus diesen Normen Vorteile zögen, sei dies nicht Regelungsintention, sondern nur Reflex ihrer objektiv-rechtlichen Wirkung. Dies gelte unabhängig von der konkreten Formulierung der jeweiligen Kompetenznorm – ob mit oder ohne Subsidiaritätsklausel251. Durch jüngere Entscheidungen ist diese Ansicht jedoch zumindest in einigen Bundesländern überholt, sodass dort die Erfolgsaussichten einer solchen Klage gestiegen sind. Diese Entscheidungen können sich oftmals auf den in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers berufen. Zum Teil gehen die Landesgesetzgeber so weit, die Frage der konkurrentenschützenden Wirkung ausdrücklich zu regeln. So wird die Frage für Niedersachsen durch § 136 Abs. 1 Satz 3 NKomVG ausdrücklich bejaht, in Brandenburg demgegenüber durch § 91 Abs. 1 Satz 2 BbgKVerf ausdrücklich verneint.
249 BVerwG v. 21.3.1995 – 1 B 211.94, NJW 1995, 2938 (2939); v. 22.2.1972 – I C 24.69, BVerwGE 39, 329 (336); VGH BW. v. 21.7.1982 – 1 S 746/82, NJW 1984, 251 (252); VGH BW v. 15.8.1994 – 1 S 1613/93, NJW 1995, 274; BayVGH v. 23.7.1976 – 32 V 75, JZ 1976, 641 (642). 250 Badura, DÖV 1998, 818 (821). 251 Auch nach Wiedereinfügung einer modifizierten Subsidiaritätsklausel in § 107 GO NW wurde die drittschützende Wirkung der Norm überwiegend verneint, so etwa Lux, NWVBl. 2000, 7 (8 f.).
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a) Entscheidung des VerfGH Rheinland-Pfalz Ihren Anfang nahm die Entwicklung, den Schutznormcharakter der kom- 134 munalwirtschaftsrechtlichen Vorschriften anzuerkennen, mit einem Beschluss des rheinland-pfälzischen VerfGH vom 28.3.2000 zur Verfassungsmäßigkeit des § 85 Abs. 1 Nr. 3 GemO Rh.-Pf.252. Rheinland-Pfalz hatte statt einer einfachen eine qualifizierte Subsidiaritätsklausel eingeführt. Die novellierte Subsidiaritätsklausel, so das Gericht, sei eine drittschützende Norm i.S. des § 42 Abs. 2 VwGO253. Sie sei zumindest auch dem Schutz von Individualinteressen derart zu dienen bestimmt, dass private Konkurrenten die Einhaltung des Rechtssatzes verlangen dürften. Das Gericht konnte sich dazu auf die Gesetzesmaterialien berufen, denen es entnahm, dass der Gesetzgeber mit der Verschärfung der Subsidiaritätsklausel ausdrücklich bezweckt habe, die Privatwirtschaft vor einer Beeinträchtigung ihrer Interessen zu schützen254. Auch der gemeindliche Beurteilungsspielraum ändere am Individualschutzcharakter der Norm nichts; ob dieser Spielraum überschritten sei, sei eine gerichtlich voll überprüfbare Rechtsfrage. b) Entscheidung des OVG Nordrhein-Westfalen Die erste Entscheidung eines Verwaltungsgerichts traf im Anschluss an 135 den rheinland-pfälzischen Verfassungsgerichtshof das OVG NordrheinWestfalen255: Dem sog. Fitness-Studio-Beschluss vom 13.8.2003 lag der Antrag des Betreibers eines Fitnesscenters und dessen Vermieters zugrunde, der Stadt zu untersagen, Räume an einen konkurrierenden FitnessStudio-Betreiber zu vermieten. Diese Vermietung stelle sich als eine unzulässige Subventionierung des Konkurrenten dar. Gestützt wurde das Unterlassungsbegehren auf die kommunalwirtschaftsrechtliche Unzulässigkeit. Das OVG bejahte im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Antragsbefugnis des Antragstellers wegen des drittschützenden Charakters des § 107 GO NW. Dass der Antrag gleichwohl ohne Erfolg blieb, war dem Umstand geschuldet, dass nach Ansicht des Gerichts die Vo252 VerfGH Rh.-Pf. v. 28.3.2000 – VGH N 12/98, DVBl 2000, 992 (995); dazu Ruffert, NVwZ 2000, 763 (764). 253 Zustimmend Ehlers, Gutachten E zum 64. Deutschen Juristentag, S. 84, und Schink, NVwZ 2002, 129 (138), der sich dieser Beurteilung auch für § 107 GO NW anschließt. 254 Ob dieser Hinweis des VerfGH auf die Gesetzesmaterialien trägt, erscheint zweifelhaft: Zweifellos dient jede gemeindewirtschaftsrechtliche Kompetenznorm der abstrakten Abgrenzung des Zuständigkeitsbereichs der öffentlichen und der privaten Wirtschaft. Es ist ja gerade eine vom Gesetzgeber zu entscheidende politische Frage, wieviel öffentliche Konkurrenz er gestatten will. Auf der anderen Seite ist damit aber noch nicht dargetan, dass individuelle Dritte einen Klageanspruch haben sollen, vgl. VGH BW v. 15.8.1994 – 1 S 1613/93, NJW 1995, 274. 255 OVG NW v. 13.8.2003 – 15 B 1137/03, NVwZ 2003, 1520.; Grooterhorst/Törnig, DÖV 2004, 685; Antweiler, NVwZ 2003, 1466; Faßbender, DÖV 2005, 89. Uechtritz/Otting/Olgemöller
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raussetzungen des § 107 GO NW erfüllt waren und es somit an einer Verletzung der subjektiven Rechte des Antragstellers fehlte, der Antrag also unbegründet war. 136 Anders als der rheinland-pfälzische Verfassungsgerichtshof leitete das OVG Nordrhein-Westfalen den Drittschutz allerdings nicht aus der Subsidiaritätsklausel ab, sondern knüpfte an das Erfordernis des öffentlichen Zwecks und an die in der GO Nordrhein-Westfalen vorgesehene Marktanalyse an256. Das Urteil ist vielfach begrüßt worden257. Andere lehnen die Eigenschaft des § 107 GO NW als Schutznorm nach wie vor ab258. Das OVG Nordrhein-Westfalen hat seine Rechtsprechung trotz der Kritik zwischenzeitlich bestätigt259, so dass von einer gefestigten Rechtsprechung auszugehen ist. Des Weiteren hat das OVG Nordrhein-Westfalen klargestellt, dass die drittschützende Wirkung auch für solche Konkurrenten gilt, die nicht im Gebiet der sich betätigenden Gemeinde ansässig sind, sofern das Konkurrenzverhältnis im Geltungsbereich der GO NW besteht260. c) Situation in den einzelnen Bundesländern 137 Da es an einer klaren verfassungsrechtlichen Verpflichtung zur konkurrentenschützenden Ausgestaltung der kommunalwirtschaftsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen fehlt, bedarf es in jedem Bundesland einer gesonderten Auslegung, um die Frage nach dem Drittschutz zu beantworten. Neben dem Willen des Gesetzgebers ist vor allem auf den Wortlaut der jeweiligen Norm abzustellen. Nimmt der Landesgesetzgeber in der Subsidiaritätsklausel etwa ausdrücklich auf „private Anbieter“ oder „private Dritte“ Bezug, kann dies als Indiz für das Recht privater Konkurrenten angesehen werden, Verstöße gegen die Subsidiaritätsklausel gerichtlich geltend zu machen. Auch aus der Bezugnahme auf (jeden) „anderen“ soll auf die drittschützende Wirkung geschlossen werden können, weil dem Gesetzgeber andernfalls die Schaffung „sinnloser Vorschriften“ unterstellt werde261. 138 In Baden-Württemberg heißt es in der Begründung der zum 1.1.2006 in Kraft getretenen Neufassung des § 102 Nr. 3 GemO BW, dass die Verschärfung der Subsidiaritätsklausel der Stärkung von Mittelstand und Handwerk dienen solle und ihr daher Drittschutz für private Anbieter zu256 OVG NW v. 13.8.2003 – 15 B 1137/03, NVwZ 2003, 1520 (1521). 257 Grooterhorst/Törnig, DÖV 2004, 685; Faßbender, DÖV 2005, 89; Pünder/Dittmar, Jura 2005, 760. 258 Cronauge in Rehn/Cronauge/von Lennep/Knirsch, Gemeindeordnung NW, § 107 Anm. I.8. 259 Vgl. nur OVG NW v. 12.10.2004 – 15 B 1873/04, NVwZ 2005, 1211 (1212), sowie durch OVG NW v. 1.4.2008 – 15 B 122/07, NVwZ 2008, 1031 (1032). 260 OVG NW v. 12.10.2004 – 15 B 1873/04, NVwZ 2005, 1211 (1212). 261 Poppen in Gloy/Loschelder/Erdmann, Handbuch des Wettbewerbsrechts, § 66 Rz. 53; Teuteberg, LKV 2008, 150 (153); Jungkamp, NVwZ 2010, 546 (548 f.).
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kommen solle262. Der VGH Baden-Württemberg hat die drittschützende Wirkung anerkannt263. Die Rechtslage in Bayern ist ungewiss264. Der Bayerische VGH hat die 139 drittschützende Wirkung im Jahre 1976 verneint265. Die Gesetzesbegründung aus dem Jahre 1998 geht ebenfalls davon aus, dass die Klausel private Konkurrenten nicht schützt, und begründet dies mit den Möglichkeiten des Rechtsschutzes vor den ordentlichen Gerichten266. Da dieser Rechtsschutz seit der Entscheidung des BGH im Jahre 2002 ausgeschlossen ist267, wird die Frage nach dem Drittschutz in der Kommentarliteratur als ungeklärt angesehen268. Das VG Ansbach konnte sich im Jahre 2005 einer Entscheidung über die drittschützende Wirkung des öffentlichen Zwecks und der Subsidiaritätsklausel enthalten269. Das VG München brauchte die Frage im Jahr 2007 ebenfalls nicht entscheiden270. 140
§ 91 Abs. 1 Satz 2 BbgKVerf stellt klar: „Die nachfolgenden Regelungen dienen ausschließlich dem Schutz der Leistungsfähigkeit der Gemeinden.“
Damit ist die Durchsetzung der kommunalwirtschaftsrechtlichen Bestimmungen allein Sache der Aufsichtsbehörden, deren Tätigkeit wiederum allein im öffentlichen Interesse liegt271. In Brandenburg können private Konkurrenten also weder ein Einschreiten der Aufsichtsbehörden verlangen, noch können sie einen Verstoß gegen § 91 BbgKVerf vor den Verwaltungsgerichten geltend machen. In Hessen hat der Gesetzgeber in der Begründung zur Kommunalrechts- 141 novelle 2005 klargestellt, dass die Neuregelung der Subsidiaritätsklausel Drittschutz für private Anbieter entfalten soll272. Seit Dezember 2011 ist dies nun auch in § 121 Abs. 1b HGO ausdrücklich verankert. Dementsprechend erkennen die Verwaltungsgerichte die konkurrentenschützende Wirkung der Klausel an – vorausgesetzt, sie wenden sich gegen
262 LT-Drs. 13/4767, 1, 9. 263 VGH BW v. 6.3.2006 – 1 S 2490/05, NVwZ-RR 2006, 714 (715); zuvor bereits etwa Stehlin/Grabolle, VBlBW 2007, 41 (42). 264 Für Drittschutz des Art. 87 BayGO Scharpf, GewArch 2004, 317 (319). 265 BayVGH v. 23.7.2976 – Nr. 32 V 75, BayVBl. 1976, 628 (629). 266 LT-Drs. 13/10828, 19. 267 BGH v. 25.4.2002 – I ZR 250/00 – Elektroarbeiten, NVwZ 2002, 1141. 268 Glaser/Hermann/Marcic-Schaller/Scharpf in Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische Gemeindeordnung, Art. 87 Rz. 75. 269 VG Ansbach v. 7.7.2005 – AN 4 K 04.03378. 270 VG München v. 27.9.2007 – M 12 K 06.2141. 271 Oebbecke in Mann/Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 2, § 41 Rz. 47. Kritisch unter Hinweis auf verfassungsrechtliche Bedenken Seeberg in Muth, Kommunalrecht in Brandenburg, § 91 KVerf Rz. 26. 272 LT-Drs. 16/2463, 59. Dazu auch Pegatzky/Sattler, NVwZ 2005, 1376 (1376 f.). Uechtritz/Otting/Olgemöller
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eine Tätigkeit, die nicht als nicht-wirtschaftliche Betätigung fingiert wird273. 142 Für Mecklenburg-Vorpommern kann dem Wortlaut nach von einer konkurrentenschützenden Wirkung der Subsidiaritätsklausel ausgegangen werden, wenn darauf abgestellt wird, dass die Gemeinde die Aufgabe ebenso gut und wirtschaftlich „wie Dritte“ erfüllen muss. 143 In Niedersachsen wurde mit Gesetz vom 15.12.2005 die bis dahin geltende unechte durch eine echte Subsidiaritätsklausel ersetzt. Ob damit der Schutz der privaten Konkurrenz bezweckt wurde, war der Gesetzesbegründung nicht eindeutig zu entnehmen274. Das OVG Lüneburg hat daraufhin offen gelassen, ob der Subsidiaritätsklausel drittschützende Wirkung zukommt275. In § 136 Abs. 1 Satz 3 NKomVG hat der Gesetzgeber nunmehr klargestellt, dass die Subsidiaritätsklausel drittschützende Wirkung entfaltet276. 144 Die Rechtslage in Nordrhein-Westfalen ändert sich seit Jahren regelmäßig. Das OVG Nordrhein-Westfalen hat eine drittschützende Wirkung der Subsidiaritätsklausel nach § 107 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GO NW bisher nicht anerkannt277. Konkurrenten kommunaler Unternehmen können sich nur darauf stützen, dass die wirtschaftliche Betätigung entgegen § 107 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GO NW keinem öffentlichen Zweck dient278. 145 Die drittschützende Wirkung der Subsidiaritätsklausel des § 85 Abs. 1 Nr. 3 GemO Rh.-Pf. hatte der Verfassungsgerichtshof des Landes Rheinland-Pfalz im Jahre 2000 anerkannt279 und damit einen Wandel in der Rechtsprechung eingeleitet. Das ist etwa durch das OVG Rheinland-Pfalz im Jahre 2006 bestätigt worden280. 146 Ob die Subsidiaritätsklausel des § 108 Abs. 1 Nr. 2 KSVG drittschützend ist, hat das OVG des Saarlandes im Jahre 2008 offen lassen können. Das
273 VG Frankfurt a. M. v. 22.10.2008 – 7 L 2444/08.F, NVwZ-RR 2009, 396 (397). Weil er im Betrieb eines Friedhofs keine wirtschaftliche Betätigung sah, enthielt sich der HessVGH v. 18.6.2009 – 8 C 2265/08.N, NVwZ-RR 2009, 852, einer Stellungnahme zur drittschützenden Wirkung der Subsidiaritätsklausel. 274 LT-Drs. 15/1680, 15/2324. 275 OVG Lüneburg v. 14.8.2008 – 10 ME 280/08, NVwZ 2009, 258. Kritisch dazu etwa Roling, NVwZ 2009, 226; Freese, NdsVBl. 2009, 192; Henke, NordÖR 2010, 335. Für Drittschutz auch Wefelmeier in Blum u.a., Kommentar zur NGO in Kommunalverfassungsrecht Niedersachsen, § 108 Rz. 41 ff. 276 Vgl. dazu auch die Gesetzesbegründung: LT-Drs. 16/3147, 22. 277 Diese Frage ausdrücklich offen lassend etwa VG Köln v. 6.4.2009 – 4 K 4737/08, juris Rz. 39. 278 Ständige Rechtsprechung seit OVG NW v. 13.8.2003 – 15 B 1137/03, NVwZ 2003, 1520 (1521); zur Diskussion Cronauge in Rehn/Cronauge/von Lennep/ Knirsch, Gemeindeordnung NW, § 107 Erl. I.8. 279 VerfGH Rh.-Pf. v. 28.3.2000 – N 12/98, NVwZ 2001, 806. 280 OVG Rh.-Pf. v. 21.3.2006 – 2 A 11124/05, DÖV 2011, 611.
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Gericht hat aber zu erkennen gegeben, dass es wohl von einem drittschützenden Charakter der Norm ausgeht281. In Sachsen entfaltet die in § 97 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SächsGemO enthal- 147 tene Subsidiaritätsklausel nach der Gesetzesbegründung drittschützende Wirkung282. Der Landesgesetzgeber von Sachsen-Anhalt hat im Jahre 2003 eine ver- 148 schärfte Subsidiaritätsklausel eingeführt, die vom OVG Sachsen-Anhalt gleichwohl nicht als drittschützend anerkannt wurde283. In einem jüngeren Urteil konnte sich das Gericht einer Stellungnahme enthalten284. In der Literatur wird die drittschützende Wirkung der Subsidiaritätsklausel in Sachsen-Anhalt bejaht285. Die Rechtslage in Schleswig-Holstein ist nicht geklärt. Da § 101 Abs. 1 149 Nr. 3 GO Schl.-Holst. weder auf „Private“ noch „andere“ Bezug nimmt, spricht der Wortlaut eher gegen eine drittschützende Wirkung der Subsidiaritätsklausel286. In Thüringen hat der Landesgesetzgeber in der Gesetzesbegründung be- 150 reits im Jahre 1993 klargestellt, dass die Subsidiaritätsklausel die Privatwirtschaft schützen solle287. Die Rechtsschutzmöglichkeiten des Privaten vor den Verwaltungsgerich- 151 ten sind in den letzten Jahren zumindest deutlich gestiegen. Abzuwarten bleibt, wie sich die Judikatur zur Frage der Drittgerichtetheit der gemeindewirtschaftlichen Vorschriften in den verschiedenen Bundesländern im Einzelnen entwickeln wird. In der Literatur sind die Auffassungen uneinheitlich288. Richtigerweise ist eine Entscheidung im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände für jedes Bundesland erforderlich. Keinesfalls möglich erscheint es, Rechtsprechung und Argumentationsstrukturen zu spezifisch landesrechtlichen Normen pauschal auf die Regelungen anderer Bundesländer zu übertragen. Der ausdrückliche Wille des Gesetzgebers, der die Gemeindewirtschaftsnormen ausschließlich zum Schutz 281 OVG Saarl. v. 22.10.2008 – 3 B 279/08, LKRZ 2009, 477. Die drittschützende Wirkung noch ablehend Wohlfarth, Kommunalrecht für das Saarland, Rz. 260. 282 LT-Drs. 3/7625; Schmid in Quecke u.a., Gemeindeordnung für Sachsen, § 97 Rz. 69; Sollondz, LKV 2003, 297 (298). 283 OVG LSA v. 29.10.2008 – 4 L 146/05, NVwZ-RR 2009, 347 (347 f.). 284 OVG LSA v. 17.2.2011 – 2 L 126/09. 285 R. Mann, DVBl 2009, 817 (821). 286 Ohne Stellungnahme insb. Dehn in Bracker/Dehn, Gemeindeordnung Schleswig-Holstein, § 101 Erl. 4. 287 LT-Drs. 1/2149, dort zu § 71 Abs. 1 Nr. 3 ThürKO. Dem folgend Wachsmuth u.a., Thüringer Kommunalrecht, § 71 Erl. 4.6. 288 Gegen Drittgerichtetheit beispielsweise: Meyer, NVwZ 2002, 1075 (1076); Antweiler, NVwZ 2003, 1466. Für Drittgerichtetheit mit ausführlicher Begründung Diefenbach, WiVerw 2003, 115; Scharpf, GewArch 2004, 317 (319 f.); Grooterhorst/Törnig, DÖV 2004, 685; Faßbender, DÖV 2005, 89; Pünder/Dittmar, Jura 2005, 760. Uechtritz/Otting/Olgemöller
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der Kommune vor sich selbst und finanzieller Überforderung eingerichtet hat, muss ebenso beachtet werden wie der anders lautende Wille, die Privatwirtschaft zu stärken und ihr wehrfähige Rechte gegen staatliche Konkurrenz einzuräumen. Gegen die Drittgerichtetheit von Wirtschaftsklauseln im Rahmen der Auslegung sprechen weiterhin die systematische Stellung der Klauseln im kommunalwirtschaftlichen Teil der Gemeindeordnungen und der sachliche Zusammenhang mit den Grundsätzen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit. Ergibt sich nach einer Gesamtschau aller Umstände kein eindeutiges Ergebnis, ist im Zweifel von einer Drittgerichtetheit der Wirtschaftsklauseln auszugehen289, was sich aus einer Auslegungsregel des BVerfG ergibt, wonach aus der „Gesamtansicht des Grundgesetzes vom Verhältnis des einzelnen zum Staat folgt, dass im Zweifel diejenige Interpretation des Gesetzes den Vorzug verdient, die dem Bürger einen Rechtsanspruch einräumt“290.
II. Rechtsschutz privater Konkurrenten jenseits der Verwaltungsgerichte 152 Private Konkurrenten können Rechtsschutz gegen die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden vor den ordentlichen Gerichten suchen. Umstritten ist, ob sie sich in Vergabenachprüfungsverfahren auf Verstöße gegen das Kommunalwirtschaftsrecht wenden können. 1. Rechtsschutz vor den ordentlichen Gerichten 153 Die von den Verwaltungsgerichten lange Zeit verweigerte Anerkennung einer konkurrentenschützenden Wirkung der gemeindewirtschaftlichen Vorschriften führte dazu, dass die Konkurrenten vielfach Rechtsschutz vor den ordentlichen Gerichten suchten. Die ordentlichen Gerichte erkannten ihnen Unterlassungsansprüche gestützt auf § 1 UWG a.F. zu. Hierauf gestützt untersagte beispielsweise das OLG Düsseldorf die Erteilung kommerziellen Nachhilfeunterrichts durch eine Volkshochschule291. Das OLG Hamm untersagte in seiner so genannten Gelsengrün-Entscheidung einem kommunalen Gartenbaubetrieb, Privatpersonen grünpflegerische Arbeiten anzubieten292. 154 Dieser Rechtsprechung ist der BGH in seinem Grundsatzurteil vom 25.4.2002 entgegen getreten. Das Gericht wies die Klage eines Elektrikers gegen eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung zurück, deren alleinige 289 So auch Diefenbach, WiVerw 2003, 115. 290 BVerfG v. 5.2.1963 – 2 BvR 21/61, BVerfGE 15, 275 (281 f.); BVerwG v. 21.10.1986 – 1 C 44.84, NJW 1987, 856 (857). 291 OLG Düsseldorf v. 10.10.1996 – 2 U 65/96, NJW-RR 1997, 1470. 292 OLG Hamm v. 23.9.1997 – 4 U 99/97, NJW 1998, 3504 f.
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Gesellschafterin die Landeshauptstadt München war und die auch für Private Auftraggeber Elektroarbeiten ausführte. Selbst wenn diese Tätigkeiten gegen Art. 87 BayGO verstoßen sollten, so das Gericht, begründe das nicht zugleich die Sittenwidrigkeit i.S.d. § 1 UWG a.F. Gem. seiner beschränkten Zielsetzung sei § 1 UWG a.F. nur anwendbar, wenn ein beanstandetes Verhalten gegen ein Gesetz verstößt und von diesem Gesetzesverstoß eine unlautere Störung des Wettbewerbs auf dem Markt ausgeht. Das gelte auch bei Verstößen gegen Vorschriften, die den Zutritt zum Markt regeln. Ein Anspruch nach § 1 UWG a.F. sei daher nicht immer schon dann gegeben, wenn ein Wettbewerber Vorschriften verletzt, bei deren Einhaltung er aus dem Markt ausscheiden müsste. Auch bei einem Verstoß gegen Vorschriften über den Marktzutritt müsse anhand einer am Schutzzweck des § 1 UWG a.F. auszurichtenden Würdigung des Gesamtcharakters des Verhaltens geprüft werden, ob es durch den Gesetzesverstoß das Gepräge eines wettbewerbsrechtlich unlauteren Verhaltens erhalte. Der Gesetzesverstoß allein könne dazu nicht genügen, wenn die verletzte Norm nicht zumindest eine sekundäre wettbewerbsbezogene, d.h. eine auf die Lauterkeit des Wettbewerbs bezogene Schutzfunktion habe. Daran fehle es bei kommunalrechtlichen Vorschriften über den Marktzutritt wie Art. 87 BayGO. Sinn und Zweck des § 1 UWG a.F. können insbesondere nicht sein, Wettbewerbern kommunaler Unternehmen Ansprüche zur Verwirklichung des Schutzzwecks der kommunalrechtlichen Vorschriften zu gewähren, die nach öffentlichem Recht gegebene Ansprüche ergänzen oder hiernach bestehende Schutzlücken auffüllen könnten. Ohne Bedeutung bleibe, ob der Verstoß vorsätzlich oder planmäßig begangen werde oder ob die Kommunalaufsicht die wirtschaftliche Betätigung bereits beanstandet habe. Der BGH stellte klar, dass sich die Kontrolle nach § 1 UWG a.F. auf die Art und Weise der Beteiligung am Wettbewerb beschränke. Davon sei die Frage zu unterscheiden, ob sich die öffentliche Hand überhaupt am Wettbewerb beteiligen darf und welche Grenzen ihr dabei gesetzt sind oder gesetzt sein sollten. Aus denselben Gründen verneint der BGH quasinegatorische Unterlassungsansprüche wegen Verletzung eines Schutzgesetzes (§ 1004 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB)293. Diese Rechtsprechung hat der BGH zwischenzeitlich mehrfach bestä- 155 tigt294. Ihr folgen die Instanzgerichte295. Der Gesetzgeber hat bei der Novellierung des UWG vom 3.7.2004296 auf diese Rechtsprechung ausdrück293 BGH v. 25.4.2002 – I ZR 250/00 – Elektroarbeiten, NVwZ 2002, 1141 (1143). 294 BGH v. 26.9.2002 – I ZR 293/99 – Altautoverwertung, NVwZ 2003, 246 (247); v. 4.11.2003 – KZR 16/02 – Strom und Telefon I, GRUR 2004, 255 (258); v. 4.11.2003 – KZR 38/02 – Strom und Telefon II, GRUR 2004, 259 (262). 295 OLG Stuttgart v. 30.8.2007 – 2 U 17/07, juris Rz. 32 f.; OLG Frankfurt a. M. v. 6.12.2007 – 6 U 37/07, NVwZ-RR 2008, 559 (560); OLG Nürnberg v. 29.9.2009 – 1 U 264/09, GRUR-RR 2010, 99 (100 f.). 296 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb v. 3.7.2004, BGBl. I S. 1414, dazu etwa Ohly, GRUR 2004, 889. Uechtritz/Otting/Olgemöller
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lich Bezug genommen und sich im Ergebnis bewusst gegen eine Ausdehnung des neuen § 4 Nr. 11 UWG auch auf Verstöße gegen Vorschriften über den Marktzutritt entschieden297. Ein Verstoß gegen die kommunalrechtlichen Vorschriften kann daher nicht als Verstoß gegen § 4 Nr. 11 UWG angesehen werden. Denn die kommunalrechtlichen Vorschriften sind keine gesetzlichen Vorschriften, die auch dazu bestimmt sind, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Das ist zwischenzeitlich allgemein anerkannt298. 156 Zugleich klargestellt hat der BGH jedoch, dass die öffentliche Hand im Falle einer wirtschaftlichen Betätigung wie jeder andere private Unternehmer an das Lauterkeitsrecht gebunden ist. Insofern kann sich die Unlauterkeit der wirtschaftlichen Betätigung einer Gemeinde gerade auch aus ihrer Eigenschaft als öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaft und der damit verbundenen Stellung gegenüber anderen Marktteilnehmern, insbesondere den Verbrauchern, ergeben. Das liege etwa nahe, wenn öffentlich-rechtliche Aufgaben mit der erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit verquickt werden, die amtliche Autorität oder das Vertrauen in die Objektivität und Neutralität der Amtsführung missbraucht oder der Bestand des Wettbewerbs auf dem einschlägigen Markt gefährdet wird299. 2. Rechtsschutz vor den Vergabenachprüfungsinstanzen 157 Konkurrenzsituationen zwischen kommunalen und privaten Unternehmen können entstehen, wenn ein öffentlicher Auftraggeber einen öffentlichen Auftrag ausschreibt. Es stellt sich dann die Frage, ob der Zuschlag auf das Angebot des kommunalen Unternehmens erteilt werden darf, wenn dieses Unternehmen durch Aufnahme der zu beauftragenden Tätigkeit gegen die Grenzen des Kommunalwirtschaftsrechts verstieße. Namentlich das OLG Düsseldorf reklamiert für die öffentlichen Auftraggeber und die Vergabenachprüfungsinstanzen nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, die Tätigkeit kommunaler Unternehmen auf ihre Vereinbarkeit mit der Gemeindeordnung vollumfänglich zu prüfen und bei festgestelltem Verstoß das Angebot auszuschließen300. Zur Rechtfer297 BT-Drs. 15/1487, 31, 41. 298 Vgl. nur Poppen in Gloy/Loschelder/Erdmann, Handbuch des Wettbewerbsrechts, § 66 Rz. 73 ff.; Ohly in Ohly/Sosnitza, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, § 4.11 Rz. 11/18, 11/20. 299 BGH v. 25.4.2002 – I ZR 250/00 – Elektroarbeiten, NVwZ 2002, 1141, 1142; bestätigt etwa durch BGH v. 21.7.2005 – I ZR 170/02 – Friedhofsruhe, NJW-RR 2005, 1562 (1563 ff.). Zu diesen und weiteren Fallgruppen näher etwa Poppen in Gloy/Loschelder/Erdmann, Handbuch des Wettbewerbsrechts, § 66 Rz. 72 ff.; Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, § 4 UWG Kapitel 13 Rz. 13.30 ff. 300 OLG Düsseldorf v. 12.1.2000 – Verg 3/99 – AWISTA, NZBau 2000, 155 (156); v. 17.6.2002 – Verg 18/02 – DAR, NZBau 2002, 626 (628 ff.); v. 13.8.2008 – Verg 42/07, juris Rz. 21 ff.; v. 4.5.2009 – Verg 68/08, VergabeR 2009, 905 (916 f.); v. 2.3.2011 – Verg 48/10, NZBau 2011, 244 (252). Im selben Sinne OLG
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§6
J. Rechtliche Überprüfbarkeit
tigung beruft das Gericht sich auf das vergaberechtliche Wettbewerbsprinzip. Auch sei das kommunale Unternehmen als nicht geeignet anzusehen, weil es ihm wegen Verstoßes gegen die Vorschriften der Gemeindeordnung an der rechtlichen Leistungsfähigkeit fehle. Das OVG Nordrhein-Westfalen hingegen verweist auf die Rechtsprechung des BGH zum Verhältnis von Kommunal- und Wettbewerbsrecht301. Das Wettbewerbsrecht, zu dem das Vergaberecht zu rechnen sei, habe nicht über die Zulässigkeit des Marktzutritts zu entscheiden und zwar auch nicht, indem dies zur Vorfrage der Auftragsvergabe gemacht werde. Verstöße gegen das Gemeindewirtschaftsrecht seien – allenfalls mit Ausnahme offensichtlicher Verstöße – auf dem Verwaltungsrechtsweg geltend zu machen.
III. Ausblick In den vergangenen Jahren fokussierte die Diskussion auf die Möglichkei- 158 ten privater Unternehmen, die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden zu unterbinden. Ausgelöst durch die Rechtsprechung des VerfGH Rheinland-Pfalz und der nachfolgenden Entscheidung des BGH zur Reichweite des Wettbewerbsrechts haben die Verwaltungsgerichte in den meisten Bundesländern ihre Rechtsprechung zwischenzeitlich geändert und gewähren privaten Konkurrenten Rechtsschutz. Eine jüngere und noch nicht abgeschlossene Diskussion ist um die Frage entstanden, ob (vermeintliche) Verstöße gegen das Kommunalwirtschaftsrecht im Rahmen vergaberechtlicher Nachprüfungsverfahren geltend gemacht werden können. Vereinzelt wird ein Verbandsklagerecht vorgeschlagen302, um die von den Landesgesetzgebern gezogenen Grenzen kommunaler Wirtschaftstätigkeit effektiver durchsetzen zu können. Doch hier zögern die Landesgesetzgeber noch. Den Kontrollmaßstab modifizieren die Landesgesetzgeber hingegen umso 159 fleißiger. Vielfach drängt sich der Eindruck auf, die Regelungen des kommunalen Wirtschaftsrechts werden geradezu als Paradebeispiel genutzt, um die jeweilige ordnungspolitische Überzeugung zu dokumentieren. Bei aller Vielfalt zeichnet sich die Tendenz ab, die Kommunen in den traditionellen Kernbereichen kommunaler Daseinsvorsorge von allzu strengen Bindungen freizustellen. Unterschiede bestehen zwischen den Ländern gleichwohl, weil der Kreis der zur Daseinsvorsorge zählenden Aufgaben durchaus differenziert bestimmt wird. Hinzu tritt das Bemühen Celle v. 9.4.2009 – 13 Verg 7/08, NZBau 2009, 394 (394 ff.). Zustimmend etwa Hertwig, NZBau 2008, 355, sowie Ortner, VergabeR 2009, 850. 301 OVG NW v. 1.4.2008 – 15 B 211/08, NVwZ 2008, 1031. Zustimmend etwa Ennuschat, NVwZ 2008, 966; Schneider, NZBau 2009, 352; Mann, NVwZ 2010, 857; Oebbecke in Mann/Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 2, § 41 Rz. 53 ff. 302 Oebbecke in Mann/Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 2, § 41 Rz. 48. Uechtritz/Otting/Olgemöller
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Kommunalrechtliche Voraussetzungen für die wirtschaftliche Betätigung
der meisten Landesgesetzgeber, den Kommunen im Bereich der liberalisierten Wirtschaftszweige und insbesondere im Energiesektor den Rücken zu stärken. Die kommunalen Stadtwerke sollen auf diesen Märkten ihre Chancen suchen. Doch ist auch dieser Trend nicht ungebrochen, wie die aktuelle Diskussion um die Novelle der Gemeindeordnung in Hessen belegt. Die Bemühungen um eine Rekommunalisierung der in den Vorjahren vielfach formell, funktional oder sogar materiell privatisierten Tätigkeiten stellt sich hingegen bisher noch als ein Prozess dar, den die Kommunen allein im Rahmen des geltenden Rechtsrahmens gestalten. Gesetzgeberische Initiativen auf dem Gebiet des kommunalen Wirtschaftsrechts lassen sich insoweit noch verzeichnen. 160 Abzuwarten bleibt, wie sich der Einfluss des Europarechts auf die kommunale Wirtschaftstätigkeit entwickelt. In der kommunalen Praxis machen sich die Bindungen des Beihilfen- und Vergaberechts seit langem bemerkbar. Für die Kommunen verbinden sich gewisse beihilfenrechtliche Privilegien mit dem Begriff der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse303. Die weitere Entwicklung hängt vor allem von den Ergebnissen ab, die die laufende Überarbeitung des sog. Monti-Pakets aus dem Jahre 2005 mit sich bringen werden304. Die Grundfreiheiten und die europäischen Grundrechte haben hingegen bisher keinen maßgeblichen Einfluss auf die Diskussion um die grds. Zulässigkeit und Grenzen kommunalwirtschaftlicher Betätigung gewinnen können. Zwar hat der am 1.12.2009 in Kraft getretene Vertrag von Lissabon nun die Charta der Grundrechte in das europäische Primärrecht inkorporiert305. Dass sich hieraus Restriktionen ergeben, die über den Rahmen der durch das Grundgesetz garantierten Grundrechte hinausgehen, erscheint jedoch angesichts der Neutralität des Europarechts gegenüber privater und öffentlicher Wirtschaftstätigkeit, die Art. 345 AEUV betont, eher zweifelhaft.
303 Vgl. dazu etwa Jung in Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 106 AEUV Rz. 33 ff. 304 Vgl. dazu etwa Mitteilung der Kommission zur Reform der EU-Beihilfenvorschriften über Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse v. 23.3.2011, KOM(2011) 146 endg. 305 Vgl. dazu etwa Pache/Rösch, NVwZ 2008, 473 (474).
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§7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung von Prof. Dr. Johannes Hellermann
A. Grundlagen . . . . . . . . . . . I. Die Ausdifferenzierung der Handlungsformen und -instrumente kommunalwirtschaftlicher Betätigung . . . . . . . . 1. Historische Entwicklung und heutige Situation . . . . 2. Das Spannungsfeld von öffentlicher Zweckbindung und wirtschaftlicher Effizienz . . . . . . . . . . . . . . II. Die kommunale Wahlfreiheit hinsichtlich Organisationsund Handlungsformen . . . . . 1. Die Wahlfreiheit der Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutz der kommunalen Wahlfreiheit durch die Selbstverwaltungsgarantie . III. Aspekte der kommunalen Organisations- und Handlungsformenwahl . . . . . . . . . . . B. Rechtsformen gemeindeeigener Unternehmen . . . . I. Öffentlich-rechtliche Organisationsformen . . . . . . . . . 1. Regiebetrieb . . . . . . . . . a) Kennzeichen des Regiebetriebs . . . . . . . . . . b) Gestaltungsspielräume zur Optimierung des Regiebetriebs . . . . . . c) Exkurs: Die kostenrechnende Einrichtung . . . 2. Eigenbetrieb und eigenbetriebsähnliche Einrichtung . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsgrundlagen . . . . b) Anwendungsbereich . .
Rz. 1
1 1
5
10 10 13
16
. 21 . 22 . 23 . 23 . 29 . 31 . 32 . 35 . 39
Rz. aa) Anwendung auf wirtschaftliche und nichtwirtschaftliche Unternehmungen . . . . (1) Das Unternehmen bzw. die Einrichtung als Eigenbetrieb . . . . (2) Die eigenbetriebsähnliche Einrichtung . . . . . . . . bb) Zusammenfassung von Eigenbetrieben . . c) Rechtliche Unselbständigkeit im Verhältnis zur Trägerkommune . . . . . d) Organisatorische Verselbständigung/Organisationsstruktur . . . . . . . . aa) Werk-/Betriebsleitung bb) Rechte des Hauptverwaltungsbeamten und des Kämmerers . cc) Werks-/Betriebsausschuss und Rat . . . . e) Finanzwirtschaftliche Verselbständigung . . . . 3. Rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts (Kommunalunternehmen) . a) Rechtsgrundlagen . . . . . b) Anwendungsbereich . . . c) Entstehung von Kommunalunternehmen . d) Verhältnis zur Kommune e) Innere Unternehmensverfassung . . . . . . . . . f) Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten . . .
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39
39 42 45
47
50 51
54 56 59
63 65 66 68 72 74 79
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung Rz. aa) Die Übertragung gemeindlicher Aufgaben . . . . . . . . . . bb) Öffentlich-rechtliche Handlungsbefugnisse . cc) Beteiligung an anderen Unternehmen . . 4. Stiftungen des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . II. Privatrechtliche Rechtsformen 1. Allgemeine Aspekte der Wahl der Privatrechtsform . a) Gründe für die Wahl der Privatrechtsform . . . . . b) Folgen für die kommunalen Handlungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . 2. Die einzelnen Unternehmensformen des Privatrechts . . . . . . . . . . . . . a) Kapitalgesellschaften . . . aa) Die Aktiengesellschaft . . . . . . . . . bb) Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung b) Sonstige Rechtsformen . . aa) Personengesellschaften . . . . . . . . . . . (1) Die BGB-Gesellschaft . . . . . . . (2) Die Offene Handelsgesellschaft . . (3) Die Kommanditgesellschaft . . . . bb) Verein . . . . . . . . . cc) Genossenschaft . . . . dd) Stiftung . . . . . . . .
79 82 87 88 91 95 96 99
104 106 107 114 120 120 121 123 125 127 130 133
C. Rechtsformen interkommunaler wirtschaftlicher Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . 134 I. Öffentlich-rechtliche Organisationsformen . . . . . . . . . . 137 1. Beteiligung mehrerer Kommunen an Unternehmen öffentlich-rechtlicher Rechtsform . . . . . . . . . . 137 2. Öffentlich-rechtliche Formen kommunaler Zusammenarbeit – Insbesondere: Der Zweckverband . . . . . . 139
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Rz. a) Die verschiedenen öffentlich-rechtlichen Formen interkommunaler Zusammenarbeit . . . . . b) Der Zweckverband . . . . aa) Rechtsnatur . . . . . . bb) Entstehung . . . . . . cc) Verfassung und Wirtschaftsführung . . . . (1) Die Organe des Zweckverbands und ihre Zuständigkeiten . . . . . (2) Sonderregelungen für wirtschaftlich tätige Zweckverbände . . . . . . . . dd) Aufgabenwahrnehmung und Handlungsbefugnisse . . . . ee) Finanzierung . . . . . II. Gemischt-öffentliche Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . D. Rechtsformen der Einbeziehung Privater in die kommunale Aufgabenerfüllung (Public Private Partnership) . . I. Allgemeine Rahmenbedingungen von Public Private Partnership . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff und Varianten von Public Private Partnership . 2. Gründe der Einbeziehung Privater und Anwendungsfelder . . . . . . . . . . . . . . 3. Öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Rechtsformen . . . . . . . . . . . . . a) Ungeeignetheit öffentlich-rechtlicher Organisationsformen . . . . . . . . b) Privatrechtliche Organisations- und Handlungsformen . . . . . . . . . . . 4. Möglichkeiten und Grenzen der Einbeziehung Privater in die gemeindliche Aufgabenwahrnehmung . . . . . . . . a) Grundsätzliche Gestaltungsmöglichkeiten der Einbeziehung Privater . . aa) Beleihung . . . . . . .
140 144 144 147 150
150
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168 168 172 173 173 176
177 177 178
§7
Literatur Rz. bb) Private als Verwaltungshelfer . . . . . . b) Anforderungen aus der Natur der gemeindlichen Aufgabe . . . . . . . . . . aa) Einbeziehung Privater in die Wahrnehmung gemeindlicher Pflichtaufgaben . . . . (1) Fachgesetzliche Begründung von Pflichtaufgaben . . (2) Fachgesetzliche Privatisierungsmöglichkeiten . . bb) Privater Betrieb öffentlicher Einrichtungen . . . . . . . . . II. Einzelne Rechtsformen der Kooperation von Kommunen und Privaten . . . . . . . . . . . 1. Gesellschaftsrechtliche Kooperation . . . . . . . . . .
180 182
182 184 186 187
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Rz. 2. Modelle der Beteiligung Privater an der Durchführung gemeindlicher Aufgaben . . . a) Betreibermodell . . . . . . b) Betriebsführungsmodell . c) Betriebsüberlassungsmodell . . . . . . . . . . . d) Kurzzeit-Betreibermodell/BOT-Modell . . . e) Management- und Beratungsmodelle . . . . . . . f) Kooperationsmodell . . . g) Konzessionsmodelle . . . 3. Mobilisierung privaten Kapitals . . . . . . . . . . . . a) Leasingfinanzierung kommunaler Investitionen . . . . . . . . . . . . . b) Cross-Border-Leasing . . . c) Sale-and-lease-back . . . . d) Factoring . . . . . . . . . .
192 193 195 197 198 200 203 206 209 210 212 215 217
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Literatur: Battis/Kersten, Public Private Partnership in der Städtebauförderung, LKV 2006, 442; Bauer, Hartmut, Privatisierungsimpulse und Privatisierungspraxis in der Abwasserentsorgung – Eine Zwischenbilanz, VerwArch 90 (1999), 561; Bauer, Hartmut, Verwaltungsrechtliche und verwaltungswissenschaftliche Aspekte der Gestaltung von Kooperationsverträgen bei Public Private Partnership, DÖV 1998, 89; Bauer, Thomas, Privatisierung der Abwasserbeseitigung – das sog. „Niedersächsische Betreibermodell“, BayVBl. 1990, 292; Bockamp/Tesfaiesus, Die Gebietskörperschaft als Stifterin, KommJur 2009, 88; Bodanowitz, Organisationsformen für die kommunale Abwasserbeseitigung, 1993; Bohne/Heinbuch, Die Dienstleistungskonzession als Privatisierungsmodell in der kommunalen Abwasserbeseitigung, NVwZ 2006, 489; Brüning, Der Verwaltungsmittler – eine neue Figur bei der Privatisierung kommunaler Aufgaben, NWVBl. 1997, 286; Brüning, (Re-)Kommunalisierung von Aufgaben aus privater Hand, VerwArch 100 (2009), 453; Büch, Das kommunale Unternehmen als Stifter, DVBl 2010, 1115; Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.), Bericht der Arbeitsgruppe „Private Finanzierung öffentlicher Infrastruktur“, 1991; Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (Hrsg.), Kreislaufwirtschaft – ein Leitfaden zur Privatisierung der Abfallwirtschaft und zur Einbeziehung Privater in die kommunale Abfallentsorgung, 1998; Bundesumweltministerium (Hrsg.), Privatwirtschaftliche Realisierung der Abwasserentsorgung – Erfahrungsbericht, 1993; Chamakou, Die Öffentlich-Private Partnerschaft als neues Handlungsinstrument zwischen öffentlichem Recht und Zivilrecht, 2011; Dahlen, Sonderformen kommunaler Verwaltungsorganisation, KommunalPraxis 2008, 50; Dedy, Rechtliche Rahmenbedingungen der Organisation der kommunalen Abwasserbeseitigung in Nordrhein-Westfalen, NWVBl. 1993, 245; Ehlers, Das neue Kommunalwirtschaftsrecht in Nordrhein-Westfalen, NWVBl. 2000, 1; Ehlers, Rechtsprobleme der Kommunalwirtschaft, DVBl 1998, 497; Ehlers, Die Entscheidung der Kommunen für eine öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Organisation ihrer Einrichtungen und Unternehmen, DÖV 1986,
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung 897; Ehlers, Anmerkung, DVBl 2009, 1456; Elicker, Aufsichtsrechtliche Fragen des Kommunalleasing, DÖV 2004, 875; Epping/Fischer/Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Brücken bauen und begehen. Festschrift für Knut Ipsen zum 65. Geburtstag, 2000; Erbguth/Stollmann, Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch private Rechtssubjekte? – Zu den Kriterien bei der Wahl der Rechtsform, DÖV 1993, 798; Erps, Kommunale Kooperationshoheit und europäisches Vergaberecht, 2010; Fettig/Späth (Hrsg.), Privatisierung kommunaler Aufgaben, 1997; Geis u.a. (Hrsg.), Staat, Kirche, Verwaltung. Festschrift für Hartmut Maurer zum 70. Geburtstag, 2001; Gröning, Public Private Partnerships unter den Zwängen des Vergabe-, Gemeindewirtschafts- und Wettbewerbsrechts, ZIP 2001, 497; Gröpl, Neue Wege der Verwaltung staatlichen Vermögens?, DStZ 1999, 113; Große-Wilde, Public-PrivatePartnership – kommunale Wirklichkeit?, NWVBl. 1994, 165; Habersack, Private public partnership: Gemeinschaftsunternehmen zwischen Privaten und der öffentlichen Hand – Gesellschaftsrechtliche Analyse, ZGR 1996, 544; Hoffmann/Kromberg/Roth/Wiegand (Hrsg.), Kommunale Selbstverwaltung im Spiegel von Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht, 1995; Hofmann-Hoeppel, Das Kommunalunternehmen, KommunalPraxis 2008, 61; Hogewege, Fünf Jahre kommunale Anstalten in Niedersachsen, NdsVBl. 2008, 33; Jahndorf, Alternative Finanzierungsformen des Staates. Leasingmodelle, Liegenschaftsmodelle, Parklösungen: Verwaltungsschulden, Veräußerungserlöse oder Krediteinnahmen? Zur Auslegung des Kreditbegriffs i.S. Art. 115 I GG, NVwZ 2001, 620; Janson, Rechtsformen öffentlicher Unternehmen in der Europäischen Gemeinschaft, 1980; Kaluza, Die Stiftung privaten Rechts als öffentlich-rechtliches Organisationsmodell, 2010; Kirchgäßner/ Knemeyer/Schulz, Das Kommunalunternehmen, 1997; Kirchhoff/Müller-Godeffroy, Finanzierungsmodelle für kommunale Investitionen, 6. Aufl. 1996; Knemeyer, Kommunale Wirtschaftsunternehmen zwischen Eigenverantwortlichkeit und Kontrollen, der städtetag 1992, 317; Koch, Thorsten, Der rechtliche Status kommunaler Unternehmen in Privatrechtsform, 1994; Kruhl, Erfolgsfaktoren für das Outsourcing von Gebäudebewirtschaftungsleistungen durch Kommunen und kommunale Unternehmen, NZBau 2005, 121; Kühne, Das Konzessionsmodell in der Abwasserbeseitigung, LKV 2006, 489; Laudenklos/Pegatzky, US-Leasingfinanzierungen – innovative Finanzierungsformen oder zweifelhafte Geschäfte?, NVwZ 2002, 1299; Libbe/Hanke, Rekommunalisierung – neue alte Wege der Daseinsvorsorge, Gemhlt 2011, 108; Löwer, Der Staat als Wirtschaftssubjekt und Auftraggeber, VVDStRL 60 (2001), 416; Lux, Das neue kommunale Wirtschaftsrecht in Nordrhein-Westfalen, NWVBl. 2000, 7; Mann, Das ,Kommunalunternehmen‘ – Rechtsformalternative im kommunalen Wirtschaftsrecht, NVwZ 1996, 557; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011; Müller, Friederike, Kommunalrechtliche Grenzen beim Sale-and-lease-back, 2009; Müller, Jürgen, Die Neufassung der nordrhein-westfälischen Eigenbetriebsverordnung durch das NKF-Gesetz, Gemhlt 2006, 129; Müller, Michael, Die Entwicklung der Zweckverbände in Nordrhein-Westfalen, DÖV 2010, 931; Neumann/Schulz-Nieswandt (Hrsg.), Sozialpolitik und öffentliche Wirtschaft. In memoriam Theo Thiemeyer, 1995; Oebbecke, Die kommunale Beteiligung nach der Reform des nordrhein-westfälischen Kommunalrechts, StuGR 1995, 387; Oldiges (Hrsg.), Daseinsvorsorge durch Privatisierung – Wettbewerb oder staatliche Gewährleistung, 2001; Peine, Grenzen der Privatisierung – verwaltungsrechtliche Aspekte, DÖV 1997, 353; Pitschas/Schoppa, Rechtsformen kommunaler Unternehmenswirtschaft, DÖV 2009, 469; Püttner, Zur Wahl der Privatrechtsform für kommunale Unternehmen und Einrichtungen, Beiträge zur kommunalen Versorgungswirtschaft Heft 80, 1993; Redbrake/Theuffel-Werhahn, Die öffentliche Hand als Stifter, ZStV 2010, 154; Rehm, Neue Wege zur Finanzierung öffentlicher Investitionen, ZögU 1994, Beiheft 18; Reinhardt, Neue kommunale Finanzierungsmodelle und ihre Bewertung durch die Obersten Kommunalaufsichtsbehörden der Bundesländer – Die aufsichtsrechtliche Würdigung des Einsatzes von Leasingkonstruktionen und des Erwerbs von Derivaten
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A. Grundlagen
durch kommunale Gebietskörperschaften: Eine Bestandsaufnahme, LKV 2005, 333; Riener, Betreibermodelle – ein lohnendes Konzept für Kommunen?, ZfgK 1996, 662; Rudolph, Zur privaten Finanzierung öffentlicher Investitionen, Wirtschaftsdienst 1994, 92; Rudolph/Gellert, Das niedersächsische Betreibermodell zur kommunalen Abwasserbeseitigung – Erfahrungen aus technischer und ökonomischer Sicht, Gemhlt 1988, 121; Säcker, Die kartellrechtliche Missbrauchskontrolle über Wasserpreise und Wassergebühren, NJW 2012, 1105; Schacht, Probleme und Risiken der „Cross-Border-Leasinggeschäfte“, KStZ 2001, 229; Schmidt, Reiner, Der Übergang öffentlicher Aufgabenerfüllung in private Rechtsformen, ZGR 1996, 345; Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997; Schoch, Das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht gemäß Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG als Privatisierungsverbot?, DVBl 2009, 1533; Schoepke, Gesichtspunkte zur Rechtsformfrage bei der Organisation der Abfallentsorgung, VBlBW 1995, 417; Schoepke, Zur Problematik der Gesellschaftsform für kommunale Unternehmen, VBlBW 1994, 81; Schulz, Norbert, Neue Entwicklungen im kommunalen Wirtschaftsrecht Bayerns, BayVBl. 1996, 97 und 129; Sester, Tatbestand und rechtliche Struktur des Cross-Border-Leasings, ZBB 2003, 94; Siekmann, Die verwaltungsrechtliche Anstalt – eine Kapitalgesellschaft des öffentlichen Rechts?, NWVBl. 1993, 361; Stargardt, Stadtverwaltungen gehen neue Wege – Organisationsmodelle weisen in die Zukunft, Gemhlt 1994, 86; Stehlin/Gebhardt, Public Private Partnership – ein Modell für Kommunen?, VBlBW 2005, 90; Störr, Der Staat als Unternehmer, 2001; Thode/Peres, Die Rechtsform Anstalt nach dem kommunalen Wirtschaftsrecht des Freistaates Bayern, BayVBl. 1999, 6; Tiemann, Organisation der Abwasserbeseitigung, StuGR 1991, 77; Tomerius/Huber, Anstalt des öffentlichen Rechts oder kommunale GmbH, Gemhlt 2009, 145; Tomerius/Huber, Die Qual der Wahl – Anstalt des öffentlichen Rechts oder kommunale GmbH?, Gemhlt 2009, 126; Twehues, Rechtsfragen kommunaler Stiftungen, 1996; Waldmann, Das Kommunalunternehmen als Rechtsformalternative für die wirtschaftliche Betätigung von Gemeinden, NVwZ 2008, 284; Wallerath (Hrsg.), Kommunen im Wettbewerb, 2001; Winkler, Anmerkung, JZ 2009, 1169; Wolf, Anstalt des öffentlichen Rechts als Wettbewerbsunternehmen, 2002; Wolfers, Privatisierung unter Wahrung der öffentlich-rechtlichen Rechtsform: Der Modellfall Berliner Wasserbetriebe, NVwZ 2000, 765; Zacharias, Privatisierung der Abwasserbeseitigung, DÖV 2001, 454; ; Ziekow (Hrsg.), Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft, 2000; Ziekow/Windoffer, Public Private Partnership als Verfahren – Struktur und Erfolgsbedingungen von Kooperationsarenen, NZBau 2005, 665.
A. Grundlagen I. Die Ausdifferenzierung der Handlungsformen und -instrumente kommunalwirtschaftlicher Betätigung 1. Historische Entwicklung und heutige Situation Die Handlungsformen und -instrumentarien der wirtschaftlichen Betäti- 1 gung der Kommunen haben im Laufe der Zeit eine zunehmende Ausdifferenzierung erfahren. In der Anfangszeit gemeindlicher Daseinsvorsorge in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vollzog diese sich – soweit die Kommunen sich nicht auf der Grundlage von Konzessionsverträgen privater Unternehmen zur Gas-, Wasser- oder Stromversorgung bedienten, sondern selbst wirtschaftlich tätig wurden – im Wesentlichen ohne jede Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung organisatorische Verselbständigung im Rahmen der allgemeinen Kommunalverwaltung1. Bis in die 1930er Jahre hinein behielten die wirtschaftlichen Unternehmen der Kommunen, etwa die Versorgungs- und Verkehrsbetriebe, im Wesentlichen diese Organisationsform des so genannten Regiebetriebs2 (vgl. dazu mit Blick auf die heutige Rechtslage Rz. 23 ff.). Seit Anfang des 20. Jahrhunderts zeigten sich allerdings erste Tendenzen zur organisatorischen und haushaltsmäßigen Verselbständigung; in der Kooperation mit anderen, privatwirtschaftlichen Partnern wurden bereits vereinzelt gemischt-wirtschaftliche Unternehmen in den Rechtsformen des Handelsrechts gebildet und andere Wege der Kooperation versucht, so die Verpachtung kommunaler Unternehmen oder die Bildung von Zwillingsgesellschaften, bestehend aus einer mehrheitlich kommunal gehaltenen Gesellschaft mit Herrschaft über die Sachwerte und einer mehrheitlich privat gehaltenen Gesellschaft mit der Aufgabe der Betriebsführung3. 2 Auf die Weimarer Zeit gehen dann die entscheidenden Ansätze zur Herausbildung einer öffentlich-rechtlichen Organisationsform mit einer stärkeren Verselbständigung der kommunalen Unternehmungen gegenüber ihren Trägerkörperschaften zurück. Seit 1922 gab es in Gestalt des so genannten „Dresdner Systems“ sowie des „Leipziger Systems“ Organisationsmodelle, die kommunalen Betrieben ein größeres Maß an unternehmerischer Autonomie mit eigenen Organen in Form eines Vorstandes sowie ein eigenes Rechnungswesen gaben4. Hieran anknüpfend sah die auf lange Vorarbeiten in der Weimarer Zeit zurückgehende Deutsche Gemeindeordnung von 1935 für die Gemeindeunternehmen die neue Organisationsform des Eigenbetriebs vor; auf dieser Grundlage erging 1938 die Eigenbetriebsverordnung, die von nachhaltiger Bedeutung für die Rechtslage in der Bundesrepublik geworden ist (zum Eigenbetriebsrecht vgl. Rz. 32 ff.). Die Wahl privater Rechtsformen für gemeindliche Unternehmungen wurde in dem sog. „Königsberger Modell“, in dem erstmals eine Umwandlung eines kommunalen Unternehmens in eine GmbH in ausschließlich städtischem Eigentum erfolgte, zwar erprobt, jedoch noch kaum übernommen5. Hingegen verbreitete sich diese Rechtsform für Gemeinschaftsunternehmen mehrerer Kommunen und gemischtwirtschaft-
1 Püttner, Die Rechtsformen kommunaler Unternehmen. A. Überblick über die Rechtsformen, in Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 5, S. 119 (121). 2 Stern/Püttner, Die Gemeindewirtschaft, S. 35. 3 Püttner, Die Rechtsformen kommunaler Unternehmen. A. Überblick über die Rechtsformen, in Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 5, S. 119 (121 f.). 4 Vgl. Stern/Püttner, Die Gemeindewirtschaft, S. 36; Püttner, Die Rechtsformen kommunaler Unternehmen. A. Überblick über die Rechtsformen, in Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 5, S. 119 (122). 5 Stern/Püttner, Die Gemeindewirtschaft, S. 36; Knemeyer, BayVBl. 1999, 1 (2).
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liche Unternehmen unter Beteiligung von Kommunen und privaten Teilhabern6. Die Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland knüpfte hinsicht- 3 lich der öffentlich-rechtlichen Organisationsformen gemeindlicher Unternehmen an die Weimarer Rechtslage an. Seit dem Ende der 1950er Jahre hat sich jedoch ein deutlicher Trend zur Umwandlung gemeindlicher Unternehmen, die bis dahin als Regie- bzw. Eigenbetrieb, d.h. zumindest rechtlich unselbständig, geführt worden waren, in Rechtsformen des Privatrechts herausgebildet. Die Entwicklung hat insoweit – auch auf Grund unterschiedlicher gesetzgeberischer Reaktionen – in einzelnen Bundesländern einen tendenziell unterschiedlichen Verlauf genommen. So hat sich in Bayern, das sich diesem Trend mit einer gesetzlichen Vorrangregel zugunsten der öffentlich-rechtlichen Organisationsform und einem Genehmigungsvorbehalt für die Wahl privater Rechtsformen entgegengestellt hat, die öffentlich-rechtliche Organisationsform des Eigenbetriebs als Regelform des kommunalen Wirtschaftsunternehmens länger erhalten; in Nordrhein-Westfalen hingegen, dessen Gemeindewirtschaftsrecht besonders organisationsprivatisierungsfreundlich gestaltet gewesen ist, ist schon früher ganz überwiegend eine Umwandlung in Eigengesellschaften erfolgt7. Auch für kommunalwirtschaftsrechtlich als nichtwirtschaftlich qualifizierte Betätigungen haben die Kommunen zunehmend auf privatrechtliche Organisationsformen zurückgegriffen, etwa für Abfallbeseitigungsanlagen, Kongress- und Stadthallen, Theater, Museen, Volkshochschulen etc.8. Zu Anfang dieses Jahrtausends sollen die kommunalen Beteiligungen in Städten mit über 50 000 Einwohnern zu 73,4 % in der Rechtsform der Gesellschaft mit beschränkter Haftung, zu 9,2 % als Eigenbetriebe und eigenbetriebsähnliche Einrichtungen, zu 4,9 % als Aktiengesellschaften, und zu 4,4 % in den Rechtsformen von Zweckverbänden, Genossenschaften, eingetragenen Vereinen, Stiftungen und Anstalten geführt worden sein; zu Recht ist resümiert worden, dass das Erscheinungsbild zwar facettenreich, aber doch von privatrechtlichen Organisationsformen dominiert ist9. Die aktuellen Randbedingungen der Organisations- und Handlungsformenwahl haben vornehmlich von zwei Seiten her Veränderungen erfahren. Zum einen besteht, ausgelöst vor allem durch die mit gewissen Schwankungen seit Jahren anhaltende Finanzknappheit der Gemeinden,
6 Stern/Püttner, Die Gemeindewirtschaft, S. 36. 7 Vgl. Ehlers, DÖV 1986, 897 (899). Knemeyer, BayVBl. 1999, 1 (3 mit Fn. 21); Kostenbader, Neue Wege der Organisation in der Kommunalwirtschaft am Beispiel Bayerns, in Ziekow, Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft, S. 93 (93 f.); Pitschas/Schoppa, DÖV 2009, 469 (470). 8 Ehlers, DÖV 1986, 897 (900). 9 Pitschas/Schoppa, DÖV 2009, 469 (469). Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung ein erheblicher interner Veränderungs- oder Modernisierungsdruck10. Zum anderen hat die Privatisierungs- und Deregulierungspolitik auf europäischer und staatlicher Ebene, die wichtige kommunale Betätigungsfelder wie insbesondere die Energieversorgung in Wettbewerbsmärkte überführt hat, die äußeren Rahmenbedingungen der kommunalwirtschaftlichen Betätigung wesentlich verändert11. Beide Faktoren bewirken nicht nur Veränderungen in der sachlichen Ausrichtung kommunalwirtschaftlicher Betätigung, sondern haben damit zugleich auch Auswirkungen auf die Wahl der Handlungsformen und -instrumentarien, in denen bzw. durch die die wirtschaftliche Betätigung sich vollzieht; unter diesen Bedingungen hat sich der Druck auf die Kommunen, nach möglichst effizienten Organisationsstrukturen und Handlungsinstrumentarien für die kommunale Verwaltungs- und Wirtschaftstätigkeit zu suchen, erheblich verstärkt. Daraus resultieren nicht nur Ansätze zu einer effizienteren Organisation der gemeindeeigenen Unternehmungen und Einrichtungen, sondern insbesondere auch die Entwicklung neuer Formen der Einbeziehung Privater in die Durchführung oder Finanzierung öffentlicher Aufgabenwahrnehmung (vgl. dazu Rz. 165 ff.). 2. Das Spannungsfeld von öffentlicher Zweckbindung und wirtschaftlicher Effizienz 5 Der kommunalwirtschaftlichen Betätigung ist – als Wahrnehmung von Selbstverwaltungsaufgaben mit dem Mittel wirtschaftlicher Betätigung – insgesamt eine spezifische Zwischenstellung zwischen Verwaltung und Wirtschaft eigen12; sie soll einerseits der gemeinwohlgebundenen Wahrnehmung von Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, d.h. von Selbstverwaltungsaufgaben, dienen und findet darin ihre verfassungsrechtliche Gewährleistung durch Art. 28 Abs. 2 GG, verfolgt diesen Zweck andererseits aber gerade mit dem Mittel der wirtschaftlichen Betätigung, damit u.U. auch im wirtschaftlichen Wettbewerb insbesondere mit privatwirtschaftlichen Anbietern. Hierin gründet das vielfach diskutierte Dilemma von – schlagwortartig zusammengefasst – Demokratie und Effizienz, in dem die Kommunalwirtschaft sich bewegt und das grundlegend auch die Regelung bzw. die Wahl der Handlungsinstrumentarien und Organisationsstrukturen kommunalwirtschaftlicher Betäti-
10 Vgl. etwa Knemeyer, BayVBl. 1999, 1 (1). 11 Vgl. dazu etwa Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, S. 46 ff.; Britz, NVwZ 2001, 380 (380 f.). 12 Vgl. etwa Stern/Püttner, Die Gemeindewirtschaft, S. 160; Held, WiVerw 1998, 264 (265 f.). Ausführlich dazu, mit kritischer Stellungnahme zur vorherrschenden Sichtweise, die die Kommunalwirtschaft insgesamt als Verwaltungstätigkeit ansehen will, Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, S. 145 ff.
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gung prägt13. Auch die Handlungsinstrumente und Organisationsformen stehen unter den gegenläufigen Anforderungen der Bindung an einen öffentlichen Zweck und der ihr korrespondierenden politisch-demokratischen Steuerung und Kontrolle einerseits, der gebotenen wirtschaftlichen Effizienz und der von ihr geforderten unternehmerischen Selbständigkeit andererseits14. Die zuletzt vereinzelt geäußerte Ansicht, wegen der Unauflösbarkeit dieser Spannung und der Unmöglichkeit einer dem Demokratieprinzip gerecht werdenden Steuerung öffentlicher Unternehmen sei der öffentlichen Hand eine unternehmerische Betätigung generell untersagt15, hat zu Recht Widerspruch erfahren16. Vielmehr müssen die aus dem Demokratieprinzip abgeleiteten Anforderungen ihrerseits den besonderen Funktionsbedingungen der wirtschaftlichen Betätigung Rechnung tragen und insoweit eine aufgaben- oder funktionsgerechte Organstruktur zulassen17. Die so begründete Spannungslage stellt die Organisation der kommuna- 6 len Unternehmungen und Einrichtungen vor das prinzipielle Problem, zwischen möglichst weitgehender Integration in die Gemeindeverwaltung und Gewährung unternehmerischer Autonomie an die einzelnen Unternehmen und Einrichtungen einen angemessenen Ausgleich zu finden. Für das erstgenannte Anliegen streiten die damit verbundenen Einwirkungsmöglichkeiten der Trägerkörperschaft auf die Tätigkeit des gemeindlichen Unternehmens, die eine intensive Steuerung und Kontrolle der wirtschaftlichen Betätigung durch die demokratisch legitimierten Instanzen, insbesondere die Gemeindevertretung, zulassen. Andererseits soll aber eine gewisse organisatorische Distanz der gemeindlichen Unternehmungen zur Kommune gerade der wirtschaftlichen Effizienz ihrer Aufgabenwahrnehmung dienen. Dieser Gesichtspunkt wird bereits angeführt für eine Autonomisierung von Unternehmen in alleiniger gemeindlicher Trägerschaft durch die Wahl von Unternehmensformen, die eine
13 Vgl. dazu u.a. Scholz/Pitschas, Die Rechtsformen kommunaler Unternehmen – Kriterien für die Wahl der Rechtsform, in Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 5, S. 128 (142); Knemeyer, der städtetag 1992, 317 (317); Püttner, Zur Wahl der Privatrechtsform für kommunale Unternehmen und Einrichtungen, S. 23; Wahl, Organisation kommunaler Aufgabenerfüllung im Spannungsfeld von Demokratie und Effizienz, in Henneke, Organisation kommunaler Aufgabenerfüllung, S. 15; Pielow, Zwischen Flexibilität und demokratischer Legitimität: Neue Rechtsformen für kommunale Unternehmen (dargestellt am Beispiel des bayerischen Rechts), in Epping/Fischer/Heintschel von Heinegg, FS f. Knut Ipsen, S. 725 (728 f., 735). 14 Vgl. dazu etwa Knemeyer, der städtetag 1992, 317 (317). 15 Gersdorf, Öffentliche Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Demokratieund Wirtschaftlichkeitsprinzip, S. 488 ff. 16 Löwer, VVDStRL 60 (2001), 416 (443 Fn. 125); Hellermann, Privatisierung und kommunale Selbstverwaltung, in Oldiges, Daseinsvorsorge durch Privatisierung – Wettbewerb oder staatliche Gewährleistung, S. 19 (28 f.); Ehlers, Gutachten E zum 64. Deutschen Juristentag, S. E 45. 17 Vgl. Löwer, VVDStRL 60 (2001), 416 (443). Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung größere Selbständigkeit gewährleisten und damit vor allem der politischen, von außerökonomischen Gesichtspunkten geleiteten Einflussnahme auf die kommunalwirtschaftliche Betätigung wehren18; darüber hinaus gilt er auch und erst recht für die Eröffnung mehr oder minder weitreichender Möglichkeiten der Privatisierung, also der Einbeziehung Privater in die Wahrnehmung von gemeindlichen Aufgaben unter Einbringung privaten Know-hows oder Kapitals. 7 Diese altbekannte Spannungslage gewinnt noch erhöhte Relevanz unter den aktuellen Randbedingungen kommunalwirtschaftlicher Betätigung (vgl. Rz. 4). Da diese den inneren und äußeren Druck auf die Kommunen, ihre Unternehmen und Einrichtungen in wirtschaftlich effizienter Arbeitsweise zu betreiben, wesentlich verstärkt haben, hat sich zugleich die Spannung zwischen den beiden aufgezeigten Anforderungen an die Organisation der Kommunalwirtschaft verschärft. Es stellen sich insoweit neue Herausforderungen an die Ausgestaltung und Wahl adäquater Organisationsformen der Kommunalwirtschaft, um einerseits die demokratisch gebotene Anbindung an die Trägerkommune zu wahren und andererseits den erforderlichen unternehmerischen Betätigungsspielraum organisatorisch zu sichern. 8 In den zurückliegenden Jahren hat es deshalb Reform- und Modernisierungsbemühungen sowohl auf der Ebene der Gesetzgebung wie auch in den einzelnen Kommunen gegeben, um diesen Herausforderungen unter den veränderten Randbedingungen der Kommunalwirtschaft gerecht zu werden. Die Landesgesetzgeber haben vielfach ihr jeweiliges Kommunalwirtschaftsrecht novelliert und dabei in unterschiedlicher Weise auf die Entwicklung reagiert, vor allem durch Neuregelungen überkommener öffentlich-rechtlicher Unternehmensformen wie etwa des Eigenbetriebs (vgl. Rz. 37), durch die Eröffnung neuer öffentlich-rechtlicher Unternehmensformen namentlich in Gestalt der rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts (vgl. Rz. 63 ff.) sowie durch Neuregelungen des Zugangs zu privatrechtlichen Unternehmensformen und der näheren Ausgestaltung von Steuerung und Kontrolle privatrechtsförmiger Unternehmen der Kommunen. Innerhalb des gesetzlich eröffneten Rahmens haben auch einzelne Kommunen sich um eine Neuorganisation der kommunalwirtschaftlichen Aufgabenwahrnehmung bemüht, sei es durch Nutzung organisatorischer Spielräume in der Ausgestaltung überkommener öffentlichrechtlicher Unternehmensformen (vgl. etwa zum optimierten Regiebetrieb Rz. 29 f.), sei es durch Überführung ihrer Unternehmungen in andere, insbesondere auch privatrechtliche Unternehmensformen, die größere wirtschaftliche Effizienz versprechen. 9 Wie darin schon deutlich geworden ist, stehen in organisatorischer Hinsicht grundsätzlich die beiden unterschiedlichen Strategien der Binnenmodernisierung oder der Ausgliederung zur Verfügung, um den gewandel18 Vgl. etwa Ehlers, DÖV 1986, 897 (901).
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ten organisatorischen Anforderungen an die Kommunalwirtschaft durch die Schaffung flexiblerer Unternehmensformen Rechnung zu tragen19. Die erste Strategie der Binnenmodernisierung strebt eine Flexibilisierung innerhalb der öffentlich-rechtlichen Rechtsformen durch Übernahme einzelner Elemente eines modernen, als für privatwirtschaftliche Unternehmen typisch angesehenen Managements an20. Die zweite Strategie zielt auf die rechtliche Ausgliederung insbesondere durch Gründung von Gesellschaften privater Rechtsform, um auf diese Weise die Vorteile der als flexibler, insbesondere für eine wirtschaftliche Betätigung der Kommunen besser geeignet beurteilten privaten Rechtsformen nutzbar zu machen21.
II. Die kommunale Wahlfreiheit hinsichtlich Organisations- und Handlungsformen 1. Die Wahlfreiheit der Verwaltung Die prinzipielle Zulässigkeit der Verwendung auch privatrechtlicher 10 Rechtsformen durch die Verwaltung zur Erfüllung ihrer Aufgaben ist heute allgemein anerkannt22. Die Auffassung, der Staat einschließlich der Kommunen sei ganz auf das Sonderrecht des öffentlichen Rechts verwiesen und ihm sei die Inanspruchnahme des Privatrechts ganz verwehrt23, ist vereinzelt geblieben. Allenfalls über mögliche Begrenzungen des Rechts zur Wahl der prinzipiell offen stehenden Handlungs- und Organisationsformen des Privatrechts besteht im Einzelnen keine völlige Einigkeit. Nach h.M. besteht insoweit grundsätzlich eine Wahlfreiheit der Verwal- 11 tung, die insbesondere auch die Freiheit der Wahl zwischen öffentlichrechtlichen und privatrechtlichen Rechtsformen für die Erledigung ihrer
19 Vgl. Schoch, DVBl 1994, 1 (10); Püttner, Die Wahl der Rechtsform – Vom Eigenbetrieb zur Eigengesellschaft, in Wallerath, Kommunen im Wettbewerb, S. 55 (60); Bull, Über Formenwahl, Formwahrheit und Verantwortungsklarheit in der Verwaltungsorganisation, in Geis u.a., FS f. Hartmut Maurer, S. 545 (552). 20 Vgl. Stargardt, Gemhlt 1994, 86 (86); Kuban, Erfahrungen mit dem Konzept eines optimierten Regiebetriebs in Duisburg, in Budäus, Organisationswandel öffentlicher Aufgabenwahrnehmung, S. 357 (372). 21 Vgl. Eichhorn, Ausgliederung als Instrument zur Flexibilisierung kommunaler Aufgabenerfüllung, in Fettig/Späth, Privatisierung kommunaler Aufgaben, S. 96 (97). 22 Vgl. etwa Erbguth/Stollmann, DÖV 1993, 798 (799); Reiner Schmidt, ZGR 1996, 345 (349, 356 f.). 23 Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, S. 185. Krit. dazu Wahl, Privatorganisationsrecht als Steuerungsinstrument bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben, in Schmidt-Aßmann/Hoffmann-Riem, Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, S. 301 (329 Fn. 68). Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung Aufgaben einschließt24. Diese Auffassung von der Rechtsformenwahlfreiheit der Verwaltung ist in den zurückliegenden Jahren zwar einer – wohl auch zunehmenden – Kritik im rechtswissenschaftlichen Schrifttum ausgesetzt, die nicht die prinzipielle Möglichkeit der Wahl der Privatrechtsform, wohl aber die Annahme eines freien Organisationsermessens der Verwaltung in Frage stellt. Sie will der Verwaltung nur subsidiär oder in begrenztem Umfang zugestehen, dem eigens für sie geschaffenen Regime des öffentlichen Rechts zu entfliehen und auf die Möglichkeiten des Privatrechts auszuweichen25. Daraus folgt im Ergebnis die Annahme eines Vorrangs des öffentlichen Rechts für den Fall, dass nach den im Einzelfall vorgebrachten bzw. vorzubringenden Gründen die öffentlich-rechtliche Organisationsform sich genauso gut wie die privatrechtliche eignet26. Diese restriktivere Beurteilung hat sich insgesamt jedoch bislang nicht durchsetzen können27. 12 Diese Wahlfreiheit der Verwaltung bezieht sich insbesondere auf die Wahl der Organisationsformen sowie der Handlungsformen für ihre Aufgabenwahrnehmung28. Danach hat die Verwaltung zunächst grundsätzlich die Freiheit, unter den ihr speziell zur Verfügung stehenden öffentlich-rechtlichen Organisationsformen sowie den allgemein zur Verfügung stehenden Unternehmensformen des Privatrechts die ihr für das jeweilige Unternehmen bzw. die Einrichtung angemessen erscheinende Organisationsform zu wählen. Weiter wird der Verwaltung auch Wahlfreiheit hinsichtlich der Handlungsformen zugestanden. Danach besteht für öffentlich-rechtlich organisierte Verwaltungseinrichtungen bzw. Unternehmen die Möglichkeit, zwischen öffentlich- oder privatrechtlichen Handlungsformen für ihr Tätigwerden zu wählen. Soweit eine privatrechtliche Organisationsform gewählt worden ist, kommt hingegen nur ein privatrechtliches Handeln in Betracht29, sofern nicht – ausnahmsweise – ein Fall der Beleihung gegeben ist; ohne solche Beleihung haben privatrechtsförmige Unternehmen oder Einrichtungen des Staates bzw. der Kommunen nicht die Rechtsmacht, sich öffentlich-rechtlicher Handlungsformen zu bedienen.
24 Knemeyer, der städtetag 1992, 317 (321 f.); Püttner, Zur Wahl der Rechtsform für kommunale Unternehmen und Einrichtungen, S. 18 ff.; Erbguth/Stollmann, DÖV 1993, 798 (799); Tettinger, DÖV 1996, 764 (768); Reiner Schmidt, ZGR 1996, 345 (349); Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rz. 9; Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 605 ff. 25 Vgl. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 375 ff.; Ehlers, DÖV 1986, 897 (902 f.); Ehlers, Gutachten E zum 64. Deutschen Juristentag, S. E 105 ff.; Bull, Über Formenwahl, Formwahrheit und Verantwortungsklarheit in der Verwaltungsorganisation, in Geis u.a., FS f. Hartmut Maurer, S. 545 (551 f.). 26 Ehlers, DVBl 1997, 137 (141); Ehlers, DVBl 1998, 497 (505). 27 Vgl. Reiner Schmidt, ZGR 1996, 345 (356 f.). 28 Vgl. etwa Püttner, Zur Wahl der Rechtsform für kommunale Unternehmen und Einrichtungen, S. 19; Tettinger, DÖV 1996, 764 (768). 29 Erbguth/Stollmann, DÖV 1993, 798 (799).
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2. Schutz der kommunalen Wahlfreiheit durch die Selbstverwaltungsgarantie Die danach allgemein anzunehmende Formenwahlfreiheit der Verwal- 13 tung ist für die Kommunen durch die Garantie der Eigenverantwortlichkeit der Wahrnehmung von Selbstverwaltungsaufgaben, die durch die Selbstverwaltungsgarantie in Art. 28 Abs. 2 GG und den korrespondierenden landesverfassungsrechtlichen Gewährleistungen verbürgt ist, verfassungsrechtlich besonders abgesichert. Insbesondere garantiert die als ein Element der eigenverantwortlichen Er- 14 ledigung von Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft gewährleistete Organisationshoheit den Kommunen das Recht, eigenverantwortlich über die organisatorische Ausgestaltung der gemeindlichen Einrichtungen und Unternehmungen zu befinden. Das schließt insbesondere das Recht der Kommunen ein, sich für ihre Unternehmen und Einrichtungen auch der Organisationsformen des Privatrechts zu bedienen30; dafür spricht bereits die – für die Bestimmung des Gewährleistungsumfangs der Selbstverwaltungsgarantie besonders bedeutsame – historische Entwicklung, die bereits seit langem eine Inanspruchnahme privatrechtlicher Unternehmensformen durch die Kommunen zeigt31. Die verfassungsrechtlich garantierte Organisationswahlfreiheit gilt im Übrigen gleichermaßen für Neugründungen und für Organisationsänderungen, also namentlich die Umwandlung zunächst als Regie- oder Eigenbetriebe in die Verwaltung eingegliederter Unternehmen in Unternehmen privater Rechtsform. Da das Selbstverwaltungsrecht nur im Rahmen der Gesetze garantiert ist, 15 sind gesetzgeberische Beschränkungen der kommunalen Formenwahlfreiheit, insbesondere auch der Freiheit zur Wahl privater Rechtsformen, grundsätzlich möglich, jedoch verfassungsrechtlich rechtfertigungsbedürftig (vgl. § 8 Rz. 2 f.). In dem verfassungsrechtlich zugelassenen Rahmen hat zunächst der Gesetzgeber die Ausübung der Formenwahlfreiheit in seiner Hand; kraft des Vorrangs des Gesetzes sind seine Vorgaben für die Kommunen verbindlich. Den Kommunen verbleibt die
30 BVerwG v. 26.2.2010 – 8 B 91.09; OVG NW v. 26.10.2010 – 15 A 440/08, DVBl 2011, 45 (47); Hauser, Die Wahl der Organisationsform kommunaler Einrichtungen, S. 1, 4; Knemeyer, der städtetag 1992, 317 (319); Schoch, Privatisierung der Abfallentsorgung, S. 44 f.; Bodanowitz, Organisationsformen für die kommunale Abwasserbeseitigung, S. 65 f.; Püttner, Zur Wahl der Privatrechtsform für kommunale Unternehmen und Einrichtungen, S. 20; Oebbecke, StuGR 1995, 387 (387); Schulze-Fielitz, Die kommunale Selbstverwaltung zwischen Diversifizierung und Einheit der Verwaltung, in Henneke, Organisation kommunaler Aufgabenerfüllung, S. 223 (239); Held, WiVerw 1998, 264 (270); Ehlers, ZHR 167 (2003), 546 (548). 31 Vgl. dazu Ehlers, DÖV 1986, 897 (898 Fn. 6); Bodanowitz, Organisationsformen für die kommunale Abwasserbeseitigung, S. 65; Püttner, Zur Wahl der Privatrechtsform für kommunale Unternehmen und Einrichtungen, S. 19. Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung Wahlfreiheit in dem zulässigerweise gesetzlich vorgegebenen Rahmen32; es liegt dann im Ermessen der jeweiligen Kommune, ob sie mit den Gestaltungsmitteln des öffentlichen Rechts oder in den Formen des Privatrechts tätig werden will33.
III. Aspekte der kommunalen Organisations- und Handlungsformenwahl 16 Bei der von der Kommune zu treffenden Wahl der jeweiligen Organisations- und Handlungsformen verdient eine Vielzahl unterschiedlicher Aspekte Beachtung. 17 Vorrangig sind danach die gesetzlichen Grenzen der Rechtsformenwahl zu beachten. Solche Grenzen können sich prinzipiell vor allem aus drei Regelungskomplexen ergeben34. Zunächst sind die spezifisch auf die kommunalwirtschaftliche Betätigung abzielenden Regelungen zu beachten, also insbesondere die Gemeindeordnungen mit den auf die Kommunalwirtschaft bezogenen organisationsrechtlichen Vorgaben sowie das Kommunalhaushaltsrecht. Weiter können sich Begrenzungen möglicher Organisations- und Handlungsformen aus dem auf die wahrzunehmende Aufgabe bezogenen, jeweiligen Fachrecht ergeben35. Schließlich können die kommunalwirtschaftlichen Gestaltungsmöglichkeiten durch das Wettbewerbsrecht, das auf die Abwehr von Wettbewerbsbeeinträchtigungen durch Missbrauch wirtschaftlicher Macht abzielt und insoweit auch die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand erfasst, beschränkt sein. 18 Innerhalb des verbleibenden Gestaltungsspielraums verlangt eine Vielzahl unterschiedlicher, teils gegenläufiger Faktoren Beachtung, deren Beurteilung und Gewichtung im Einzelfall im Ermessen der kommunalen Aufgabenträger liegt. Insoweit ist eine – wenn auch nicht als umfassende und abschließende Aufzählung zu verstehende – Checkliste vorgeschlagen worden36. Als jedenfalls zu beachtende Aspekte nennt sie
32 Püttner, Zur Wahl der Privatrechtsform für kommunale Unternehmen und Einrichtungen, S. 19 f. 33 Vgl. OVG NW v. 15.1.1994 – 9 A 2251/93, NVwZ 1995, 1238 (1240). 34 Vgl. Tettinger, DÖV 1996, 764 (769). 35 Erbguth/Stollmann, DÖV 1993, 798 (800). 36 Tettinger, DÖV 1996, 764 (770); ihm folgend Wahl, Organisation kommunaler Aufgabenerfüllung im Spannungsfeld von Demokratie und Effizienz, in Henneke, Organisation kommunaler Aufgabenerfüllung, S. 15 (37). Vgl. auch allgemein zu Kriterien für Organisationswahlentscheidungen Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 616 ff.
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erstens in Bezug auf die spezifische, zu erbringende Leistung selbst – Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung, – zielbezogene Effektivität der Leistungserbringung, – Sicherung der Dauerhaftigkeit der Leistungserbringung, – gleichberechtigten Zugang aller Einwohner, – adäquaten Verbraucherschutz, – Dringlichkeit von Leistungssteigerungen durch zusätzliche Investitionen, zweitens in Bezug auf die Finanzierung – das veranschlagte Investitionsvolumen, – Art und Weise der Finanzierung, – die Entlastung des kommunalen Haushalts, – steuerliche Unterschiede, – Angemessenheit der Entgelte, – Zumutbarkeit zu zahlender Nutzerentgelte, drittens in Bezug auf die Stellung der Kommune insgesamt – Umfang und Intensität kommunaler Einwirkungsmöglichkeiten auf Sachentscheidungen, – Umfang und Intensität kommunaler Kontrollmöglichkeiten, – Begrenzung haftungs- und strafrechtlicher Verantwortlichkeiten, – Möglichkeiten des Querverbundes mit anderen Daseinsvorsorgeleistungen, – Möglichkeiten des Ausstiegs aus dem gewählten Modell durch Kündigung etc., – Belange des Personals, schließlich viertens in Bezug auf sonstige Rahmenbedingungen – Vermeidung von Wettbewerbsbeschränkungen, – Berücksichtigung von – auch längerfristigen – Umweltschutzbelangen. In der Gewichtung dieser unterschiedlichen Aspekte lässt sich zuletzt 19 eine gewisse Trendwende feststellen. Über Jahrzehnte haben viele Kommunen, vor allem aus Gründen erhoffter Effizienzsteigerung und Kostensenkung, eine Strategie mehr oder weniger weitreichender (formeller oder funktionaler) Privatisierung durch die Wahl privater Rechtsformen oder die Einbeziehung Privater in die Aufgabenerfüllung favorisiert. In den Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung letzten Jahren wird ein Trend zur Rekommunalisierung konstatiert37. Damit wird dem Anliegen einer verstärkten kommunalen Steuerung und einer besseren Absicherung der Verfolgung von Gemeinwohlzwecken, etwa von ökologischen Belangen (wieder) höheres Gewicht beigemessen. 20 Ungeachtet solcher allgemeiner Entwicklungstendenzen bedarf die unter Anlegung der genannten und möglicher weiterer Kriterien zu treffende Entscheidung jeweils einer sorgfältigen Einzelfallbeurteilung. Sie ist mit Blick auf die jeweils wahrzunehmende Sachaufgabe, der die Organisations- und Handlungsformen zu dienen haben, zu treffen. Da aber die Randbedingungen der Aufgabenwahrnehmung in verschiedenen Kommunen höchst unterschiedlich sein können, können die jeweiligen Organisations- und Handlungsinstrumente sachgerecht nur unter Würdigung aller konkreten Umstände des Einzelfalls ausgewählt werden38.
B. Rechtsformen gemeindeeigener Unternehmen 21 Den möglichen Organisationsformen gemeindlicher Unternehmen soll zunächst mit Blick auf Unternehmen in der alleinigen Trägerschaft einer einzelnen Kommune nachgegangen werden. In dieser Konstellation kommunalwirtschaftlicher Betätigung sind der Träger der zu verfolgenden öffentlichen Aufgabe – sei es eine pflichtige, sei es eine freiwillige kommunale Aufgabe – und der Träger des ihr dienenden, wirtschaftlich tätigen Unternehmens identisch, und es treten noch nicht die besonderen Probleme der Einbeziehung anderer staatlicher Verwaltungsträger (dazu Rz. 134 ff.) bzw. privater Unternehmen (dazu Rz. 165 ff.) in die Wahrnehmung von Aufgaben einer Kommune auf.
I. Öffentlich-rechtliche Organisationsformen 22 Die rechtliche Ausgestaltung öffentlich-rechtlicher Organisationsformen für gemeindliche Unternehmen ist originäre Aufgabe des Landesrechts. Das kommunale Organisationsrecht ist nach Art. 70 Abs. 1 GG Gegenstand der Landesgesetzgebung39. Soweit der Vorbehalt des Gesetzes reicht, sind die Kommunen daher auf landesgesetzliche Ermächtigung angewiesen; im Übrigen kann der Landesgesetzgeber – unter Beachtung der verfassungsrechtlich garantierten Organisationshoheit der Kommunen (vgl. Rz. 13 ff.) – Regelungen über die den Kommunen zur Verfügung stehenden öffentlich-rechtlichen Rechtsformen treffen. 37 Vgl. Brüning, VerwArch 100 (2009), 453; Libbe/Hanke, Gemhlt 2011, 108; Säcker, NJW 2012, 1105 (1106). 38 Schoch, DÖV 1993, 377 (381); Schoch, DVBl 1994, 1 (8); Erbguth/Stollmann, DÖV 1993, 798 (809); Püttner, Die Wahl der Rechtsform – Vom Eigenbetrieb zur Eigengesellschaft, in Wallerath, Kommunen im Wettbewerb, S. 55 (56). 39 Erichsen, Kommunalrecht des Landes Nordrhein-Westfalen, S. 2.
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B. Rechtsformen gemeindeeigener Unternehmen
1. Regiebetrieb a) Kennzeichen des Regiebetriebs Der historische Ausgangstypus der kommunalen Wahrnehmung wirt- 23 schaftlicher Betätigungen ist – wie gesehen (Rz. 1) – der so genannte Regiebetrieb. Kennzeichnend für den Regiebetrieb ist, dass er Teil der Kommunalver- 24 waltung ohne rechtliche oder leitungs- und haushaltsmäßige Verselbständigung ist40. Er unterliegt damit den allgemein für die Kommunalverwaltung geltenden Regelungen. Er verfügt über keine eigenen Organe; seine Personalwirtschaft ist in den Stellenplan der Gemeinde eingebunden. Auch seine Haushaltsführung richtet sich grundsätzlich nach den Vorschriften über das kommunale Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen; er verfügt über kein eigenständiges Rechnungswesen. So genannte Nettoregiebetriebe, die über eine eigene Haushaltsrechnung verfügen und nur mit ihrem Endergebnis, ihren Gewinnen oder Verlusten in den Gemeindehaushalt eingehen, sind kommunalwirtschaftsrechtlich grundsätzlich nicht zugelassen (vgl. allerdings § 139 NKomVG); eine derartige haushaltsmäßige Verselbständigung ermöglicht erst die Rechtsform des Eigenbetriebs (vgl. Rz. 32 ff.) bzw. die Zulassung der teilweisen Anwendung von Eigenbetriebsrecht auf nichtwirtschaftliche Einrichtungen (vgl. Rz. 42 ff.). Ob überhaupt Regiebetriebe als kommunale Unternehmen zu qualifizie- 25 ren sind, wird unterschiedlich beurteilt und ist davon abhängig, ob und inwieweit für den Begriff des kommunalen Unternehmens eine organisatorische Selbständigkeit im Verhältnis zur Kommune vorausgesetzt wird. Danach wird der Regiebetrieb, der die wirtschaftliche Betätigung organisatorisch innerhalb der Ämterverwaltung belässt, teils gerade als Alternative zur Unternehmensgründung41, teils aber auch als eine mögliche Organisationsform kommunaler Unternehmen angesehen42. Es dürfte sich dabei freilich kaum um mehr als ein Problem sachgerechter Terminologie handeln. Die Begriffsverwendung in den einzelnen Gemeindeordnungen ist insoweit nicht ganz eindeutig und einheitlich. Während manche Gemeindeordnungen zwischen der wirtschaftlichen Betätigung und einzelnen Organisationsformen kommunaler Unternehmen differenzieren (vgl. §§ 91, 92 BbgKVerf), sprechen andere Gemeindeordnungen überhaupt nur von wirtschaftlichen Unternehmen bzw. von deren Errichtung, Übernahme, Erweiterung und der Beteiligung daran (vgl. § 102 Abs. 1 GemO BW; § 68 Abs. 1 und 2 KV MV; § 85 Abs. 1 GemO Rh.-Pf.; § 108 Abs. 1 KSVG 40 Vgl. Stargardt, Gemhlt 1994, 86 (88); Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 30. 41 Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 24 f., 86 f. 42 BVerwG v. 22.2.1972 – I C 24.69, BVerwGE 39, 329 (333); Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 59; Erichsen, Kommunalrecht des Landes NordrheinWestfalen, S. 270. Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung Saarl.; § 101 Abs. 1 GO Schl.-Holst.) und setzen damit die wirtschaftliche Betätigung insgesamt mit dem Begriff des kommunalen Unternehmens gleich, ohne nähere Aussage darüber, ob diese Betätigung organisatorisch und haushaltsmäßig in die Gemeindeverwaltung integriert oder aber in einer besonders geregelten, verselbständigten Rechtsform stattfindet; einzelne machen explizit deutlich, dass Unternehmen auch innerhalb der Gemeindeverwaltung, d.h. als Regiebetriebe, geführt werden können (vgl. § 95 Abs. 1 Nr. 1 SächsGemO; Art. 86, 88 Abs. 1 und 6 BayGO43; § 76 Abs. 1 Satz 1 ThürKO). In der Sache löst sich diese begriffliche Uneinheitlichkeit regelmäßig dadurch auf, dass die Gemeindeordnungen besondere Regelungen für organisatorisch verselbständigte Unternehmensformen enthalten und im Übrigen auch die in Regiebetrieben ausgeübte gemeindliche Wirtschaftstätigkeit als – den materiellrechtlichen Beschränkungen unterfallende – kommunalwirtschaftliche Betätigung ansehen. 26 Da es wegen der Anwendung der allgemein für die Kommunalverwaltung geltenden Regelungen besonderer Bestimmungen nicht bedarf, finden sich in den Gemeindeordnungen keine oder nur rudimentäre gesetzliche Regelungen über den Regiebetrieb. So enthält die Bayerische Gemeindeordnung nur die Legaldefinition des Regiebetriebs als „Einrichtung innerhalb der allgemeinen Verwaltung“ (Art. 88 Abs. 6 BayGO), und die Sächsische Gemeindeordnung setzt seine Zulässigkeit voraus mit der Formulierung, dass Unternehmen der Gemeinde nach den Vorschriften der Gemeindeordnung über die Haushaltswirtschaft geführt werden können (§ 95 Abs. 1 Nr. 1 SächsGemO). 27 Für den Anwendungsbereich der Organisationsform des Regiebetriebs gilt, dass er zunächst und vor allem herkömmlich die typische Organisationsform der nichtwirtschaftlichen Einrichtungen der Kommunen etwa in den Bereichen der Abfallentsorgung und Abwasserbeseitigung ist; auch insoweit ist allerdings vereinzelt schon gesetzlich die Rechtsform des Eigenbetriebs vorgeschrieben (vgl. § 86 Abs. 2 Sätze 2 und 3 GemO Rh.-Pf.). Im Übrigen steht die Rechtsform des Regiebetriebs rechtlich – soweit die Gemeindeordnungen diese Differenzierung weiterhin vornehmen – grundsätzlich auch für wirtschaftliche Betätigungen zur Verfügung. Regelungen, wonach die gemeindlichen wirtschaftlichen Unternehmen ohne Rechtspersönlichkeit (Eigenbetriebe) nach den Regelungen des Eigenbetriebsrechts (§ 114 Abs. 1 GO NW; § 106 GO Schl.-Holst.) geführt werden, sollen damit kein Verbot des Betriebs von Regiebetrieben begrün-
43 Vgl. Bauer/Böhle/Masson/Samper, Bayerische Kommunalgesetze, Art. 86 GO Rz. 9 f.
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den. Auch die Bayerische Gemeindeordnung untersagt mit der Regelung, dass die Gemeinde Unternehmen außerhalb ihrer allgemeinen Verwaltung in den Rechtsformen des Eigenbetriebs, des selbständigen Kommunalunternehmens und in privatrechtlichen Rechtsformen betreiben könne (Art. 86 BayGO), nicht Regiebetriebe als Unternehmen innerhalb der allgemeinen Verwaltung44. Baden-Württemberg hat 1991 die bis dahin bestehende Verpflichtung von Gemeinden mit mehr als 10 000 Einwohnern zur Führung ihrer wirtschaftlichen Unternehmen in Eigenbetriebsform im Interesse größerer Flexibilität gestrichen45. In dem oben dargestellten Spannungsfeld von politisch-demokratischer 28 Steuerung und wirtschaftlicher Effizienz (vgl. Rz. 5 ff.) ist die Organisationsform des Regiebetriebs dem Grundsatz nach jedoch auf eine umfassende politische Steuerung, nicht auf die Gewährung von unternehmerischer Autonomie der wirtschaftlichen Betätigung angelegt. Aus diesem Grunde gilt sie zu Recht als einer wirtschaftlichen Betätigung auf (Wettbewerbs-)Märkten nicht angemessen. Tatsächlich findet sich die Organisationsform des Regiebetriebs daher heute vor allem noch bei nichtwirtschaftlichen Betätigungen im Bereich der so genannten kommunalen Hilfsbetriebe, die den Eigenbedarf der Kommunalverwaltung decken46. b) Gestaltungsspielräume zur Optimierung des Regiebetriebs Vereinzelt eröffnen die Gemeindeordnungen dem Verordnungsgeber bzw. 29 den einzelnen Gemeinden die Möglichkeit, für bestimmte organisatorisch in die allgemeine Gemeindeverwaltung integrierte Einrichtungen vorzusehen, dass sie hinsichtlich ihrer Haushaltswirtschaft ganz oder teilweise nach kaufmännischen Grundsätzen geführt werden (vgl. § 139 NKomVG). Es ist auch bereits auf die vielfach eröffnete Möglichkeit hinzuweisen, Regiebetriebe ganz oder teilweise entsprechend den Eigenbetriebsvorschriften als so genannte eigenbetriebsähnliche Einrichtungen zu führen (vgl. Rz. 42 ff.). Im Übrigen hat es im Zuge der Bemühungen um eine Modernisierung der 30 Kommunalverwaltung unter dem Stichwort des so genannten optimierten Regiebetriebs Versuche gegeben, innerhalb der rechtlich vorgegebenen Organisationsstrukturen dem Regiebetrieb effizientere Strukturen
44 Bauer/Böhle/Masson/Samper, Bayerische Kommunalgesetze, Art. 86 GO Rz. 9 ff. 45 Vgl. LT-Drs. 10/5918, S. 10, 42. 46 Erichsen, Kommunalrecht des Landes Nordrhein-Westfalen, S. 270; Cronauge/ Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 30. Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung im Sinne einer wirtschaftlicheren Aufgabenerfüllung zu geben47, insbesondere um auf diese Weise eine Alternative zur Organisationsprivatisierung zu schaffen. Ansatzpunkte dafür sind Veränderungen in der Organisations- und Aufgabenstruktur, im Betriebsablauf, in der Personalwirtschaft und im Rechnungswesen des Regiebetriebs, die – ungeachtet der Unterschiede im Einzelnen – tendenziell eine gewisse Annäherung an Strukturen des Eigenbetriebs aufweisen48. Als mögliche Maßnahmen werden insbesondere genannt49: – Einrichtung eines besonderen Ausschusses, der – vergleichbar dem für Eigenbetriebe vorgeschriebenen Werksausschuss des Rates (vgl. Rz. 56 f.) – alle Funktionen des Rates im Hinblick auf den jeweiligen Regiebetrieb in sich vereinigt; – Neuverteilung der Zuständigkeiten zwischen dem Rat sowie dem der Amtsleitung vorgesetzten Dezernenten und der jeweiligen Amtsleitung im Sinne einer Zurücknahme der politischen Steuerung, die sich auf die Festlegung strategischer Zielsetzungen etwa im Rahmen eines jährlich zu erstellenden, zur politischen Beschlussfassung vorzulegenden Wirtschaftsplans beschränken soll; – Ausgliederung aller so genannten Behördenfunktionen aus dem Regiebetrieb; – weitreichende Übertragung von bislang außerhalb des Amtes wahrgenommenen Querschnittsaufgaben in den Regiebetrieb im Interesse einer möglichst umfassenden Ressourcenverantwortung des jeweiligen Betriebes; – Stärkung der Amtsleitung durch das Konzept einer doppelten Amtsleitung durch einen kaufmännischen und einen technischen Amtsleiter; – Intensivierung der Kostenrechnung und Ausbau eines Controllingsystems.
47 Vgl. zur Umorganisation des – inzwischen allerdings aus haushaltsrechtlichen Gründen in einen Eigenbetrieb umgewandelten – Amtes für Stadtentsorgung und Wasserwirtschaft der Stadt Duisburg Kuban, Erfahrungen mit dem Konzept eines optimierten Regiebetriebs in Duisburg, in Budäus, Organisationswandel öffentlicher Aufgabenwahrnehmung, S. 357, sowie zur Schaffung des Optimierten Regiebetriebs Gartenbau in Heidelberg Weber, Optimierter Regiebetrieb Gartenbau – Ein Modellprojekt der Stadt Heidelberg, in Budäus, Organisationswandel öffentlicher Aufgabenwahrnehmung, S. 375. 48 Schink, Abfallwirtschaft, in Henneke, Organisation kommunaler Aufgabenerfüllung, S. 45 (59 f.). 49 Vgl. zum Folgenden Stargardt, Gemhlt 1994, 86 (89 f.); Kuban, Erfahrungen mit dem Konzept eines optimierten Regiebetriebs in Duisburg, in Budäus, Organisationswandel öffentlicher Aufgabenwahrnehmung, S. 357 (364 ff.).
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c) Exkurs: Die kostenrechnende Einrichtung Regelmäßig als Regiebetrieb werden auch die so genannten kostenrech- 31 nenden Einrichtungen geführt50. Sie stellen kein eigenständiges, vom Regiebetrieb zu unterscheidendes Handlungsinstrument der Kommunalwirtschaft und keine besondere Form organisatorischer oder auch nur haushaltsmäßiger Verselbständigung kommunaler Unternehmungen oder Einrichtungen dar; vielmehr bleiben kostenrechnende Einrichtungen ein Teil des gemeindlichen Haushalts ohne eigene Rechnungslegung, eigenen Abschluss und eigene Kreditermächtigung. Es handelt sich dabei um kommunale Einrichtungen, die in der Regel und überwiegend aus Entgelten finanziert werden. Beispiele für derartige kostenrechnende Einrichtungen finden sich etwa in den Bereichen der Abwasserbeseitigung, der Abfallentsorgung sowie der Friedhöfe und Bestattungseinrichtungen51. Solche kostenrechnenden Einrichtungen, die auch als Gebührenhaushalte bezeichnet werden, unterliegen besonderen abgabenrechtlichen Anforderungen; insbesondere gilt grundsätzlich, dass sie für ihre Leistungen kostendeckende Abgaben erheben müssen (Kostendeckungsgebot), die betriebswirtschaftlich ansatzfähigen Kosten dabei jedoch nicht überschreiten dürfen (Kostenüberschreitungsverbot)52. 2. Eigenbetrieb und eigenbetriebsähnliche Einrichtung Die Organisationsform des Eigenbetriebs ist durch die Deutsche Gemein- 32 deordnung von 1935 und die Eigenbetriebsverordnung aus dem Jahre 1938 erstmals zur Verfügung gestellt worden. Sie ist – wenn der Regiebetrieb herkömmlich die typische Organisationsform der nichtwirtschaftlichen Einrichtungen der Kommunen etwa in den Bereichen der Abfallentsorgung und Abwasserbeseitigung ist – der herkömmliche Organisationstyp für die wirtschaftlichen Unternehmen der Kommunen gewesen. Das Recht des Eigenbetriebs – und der so genannten eigenbetriebsähn- 33 lichen Einrichtung, soweit diese insbesondere für den Bereich der nichtwirtschaftlichen Betätigung landesrechtlich vorgesehen ist – begründet die Rechtsform eines gegenüber der Trägerkörperschaft partiell verselbständigten kommunalen Unternehmens. Es stellt damit den Versuch dar, einerseits im Vergleich zum Regiebetrieb ein größeres Maß an Verselbständigung gegenüber der unmittelbaren Kommunalverwaltung zu gewähren, um dadurch den Notwendigkeiten einer wirtschaftlichen Unternehmensführung unter Berücksichtigung kaufmännischer Gesichtspunkte organisatorisch Rechnung zu tragen, andererseits aber gegenüber den Unternehmensformen mit eigener Rechtspersönlichkeit, insbeson50 Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 31; Dahlen, KommunalPraxis 2008, 50 (51). 51 Vgl. Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 32. 52 Dahlen, KommunalPraxis 2008, 50 (51). Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung dere des Privatrechts, doch ein größeres Maß an Einflussnahme und Kontrolle durch die Trägerkommune sicherzustellen53. 34 Für das Wesen des Eigenbetriebs finden sich gesetzliche Umschreibungen; danach sind Eigenbetriebe gemeindliche Unternehmen (oder Einrichtungen), die außerhalb der allgemeinen Verwaltung als Sondervermögen ohne eigene Rechtspersönlichkeit geführt werden (Art. 88 Abs. 1 BayGO; vgl. auch § 92 Abs. 2 Nr. 1 BbgKVerf; § 114 Abs. 1 GO NW; § 86 Abs. 1 GemO Rh.-Pf.). Dem Organisationstypus nach handelt es sich damit beim Eigenbetrieb um eine nichtrechtsfähige öffentlich-rechtliche Anstalt54. a) Rechtsgrundlagen 35 Die Errichtung von Eigenbetrieben unterfällt, da ihnen keine eigene Rechtspersönlichkeit zukommt, zwar nicht dem für die Begründung rechtlich selbständiger Verwaltungsträger bestehenden Vorbehalt des Gesetzes, bedarf jedoch schon wegen der gewollten Abweichung von sonst anwendbaren gemeinderechtlichen Regelungen einer besonderen landesgesetzlichen Regelung. 36 Die einschlägigen Regelungen, die die Möglichkeit zur Führung gemeindlicher Unternehmen als Eigenbetriebe eröffnen, finden sich in den Gemeindeordnungen oder in besonderen Eigenbetriebsgesetzen der Länder. Hinzu treten auf dieser gesetzlichen Grundlage ergangene Eigenbetriebsverordnungen der Länder, die die nähere Ausgestaltung der Eigenbetriebsform vornehmen. 37 Das ursprünglich stark durch die Eigenbetriebsverordnung von 1938 vereinheitlichend geprägte Eigenbetriebsrecht der Länder hat sich im Laufe der Zeit stärker auseinander entwickelt. So hat beispielsweise BadenWürttemberg im Jahre 1991 einschneidende Änderungen seines Eigenbetriebsrechts vorgenommen, um eine Flexibilisierung dieser öffentlichrechtlichen Unternehmensform zu erreichen und damit eine Alternative zur Organisationsprivatisierung kommunaler Unternehmen und Einrichtungen zu schaffen55; zu diesem Zweck ist u.a. vorgesehen worden, dass Betriebsleitung und Betriebsausschuss nur fakultative Organe des Eigenbetriebs sind, dem Betriebsausschuss entweder nur beratende oder aber auch weitreichende beschließende Funktionen übertragen werden können und schließlich der Betriebssatzung weiter reichende Gestaltungsspielräume hinsichtlich der Struktur des Eigenbetriebs eingeräumt wer-
53 Erichsen, Kommunalrecht des Landes Nordrhein-Westfalen, S. 270; Cronauge/ Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 141 f. 54 Schraffer, Der kommunale Eigenbetrieb, S. 123. 55 Vgl. die Amtliche Begründung in LT-Drs. 10/5918, S. 21 ff., 45 f.
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den56. Auch das nordrhein-westfälische Eigenbetriebsrecht hat jüngst nicht unerhebliche Veränderungen mit dem Ziel einer Modernisierung und Attraktivitätssteigerung erfahren57. Die nähere Regelung findet sich dann in der Betriebssatzung des jeweili- 38 gen Eigenbetriebs, deren Erlass die Gemeindeordnungen bzw. Eigenbetriebsgesetze mit der Errichtung eines Eigenbetriebs von der Gemeinde verlangen (vgl. etwa § 114 Abs. 1 GO NW). Sie muss eine Reihe notwendiger Bestimmungen enthalten, so insbesondere über die Festsetzung des Stammkapitals des Eigenbetriebs (vgl. § 9 Abs. 2 EigVO NW), und kann im Übrigen im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung weitere Regelungen enthalten, etwa zur näheren Abgrenzung der Zuständigkeiten von Werkleitung, Werksausschuss und Rat58. b) Anwendungsbereich aa) Anwendung auf wirtschaftliche und nichtwirtschaftliche Unternehmungen (1) Das Unternehmen bzw. die Einrichtung als Eigenbetrieb Der Eigenbetrieb hat seinen herkömmlichen Anwendungsbereich als Or- 39 ganisationsform für wirtschaftliche Unternehmen der Kommune. Entsprechend beschränken einzelne Landesrechte die Eigenbetriebsform nach wie vor auf diese wirtschaftlichen Unternehmen (vgl. § 127 Abs. 1 HGO; § 114 Abs. 1 GO NW, § 106 GO Schl.-Holst.), so dass nichtwirtschaftliche Einrichtungen bzw. Unternehmen nicht als Eigenbetriebe organisiert werden können59. Jedoch kann dann die vollständige oder teilweise entsprechende Anwendung von Eigenbetriebsrecht auf die Führung dieser nichtwirtschaftlichen Einrichtungen zugelassen sein (vgl. § 107 Abs. 2 Sätze 2 und 3 GO NW; § 101 Abs. 4 Satz 3 GO Schl.-Holst.); diese werden dann als so genannte eigenbetriebsähnliche Einrichtungen bezeichnet (vgl. Rz. 42 ff.). Insgesamt ist allerdings in der Entwicklung der einzelnen Landesrechte eine deutliche Tendenz erkennbar, die Eigenbetriebsform auch für nichtwirtschaftliche Unternehmen bzw. Einrichtungen zu öffnen60. In diesem Sinne lassen die meisten Bundesländer, die in ihrem Kommunalwirtschaftsrecht nach wie vor explizit zwischen wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Betätigung der Kommunen unterscheiden, die Eigen56 Schoch, DVBl 1994, 1 (10). Mit deutlich kritischer Bewertung dazu Püttner, Die Wahl der Rechtsform – Vom Eigenbetrieb zur Eigengesellschaft, in Wallerath, Kommunen im Wettbewerb, S. 55 (61). 57 Vgl. dazu Jürgen Müller, Gemhlt 2006, 129. 58 Vgl. etwa Held in Held/Becker u.a., Kommunalverfassungsrecht NordrheinWestfalen, § 114 GO Anm. 4. 59 Held in Held/Becker u.a., Kommunalverfassungsrecht Nordrhein-Westfalen, § 114 GO Anm. 2. 60 Vgl. Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 109, 141. Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung betriebsform sowohl für wirtschaftliche Unternehmen wie auch für nichtwirtschaftliche Einrichtungen zu (vgl. § 1 EigBG BW; § 136 Abs. 4 NKomVG; § 86 Abs. 2 GemO Rh.-Pf.; § 109 Abs. 1 KSVG Saarl.; § 95 Abs. 1 Nr. 2 SächsGemO), wenn auch teils mit gewissen Beschränkungen (vgl. § 1 SächsEigBG: „wenn Art und Umfang der Tätigkeit eine selbstständige Wirtschaftsführung rechtfertigen“). 41 Im Ergebnis Ähnliches gilt nach einer Aufgabe der kommunalwirtschaftsrechtlichen Differenzierung zwischen wirtschaftlichen und nichtwirtschaftlichen Unternehmen, wie die Bayerische Gemeindeordnung sie 1998 vorgenommen hat61. Da zugleich die Eigenbetriebsform umfassend zugelassen worden ist (Art. 86 Nr. 1, 88 BayGO), steht sie sowohl für wirtschaftliche Unternehmen wie auch für nichtwirtschaftliche Einrichtungen früheren Rechts zur Verfügung62. (2) Die eigenbetriebsähnliche Einrichtung 42 Einzelne Gemeindeordnungen eröffnen – durch im Einzelnen leicht voneinander abweichende Regelungen (vgl. Art. 88 Abs. 6 BayGO; § 121 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 HGO; § 107 Abs. 2 Sätze 2 und 3 GO NW; § 86 Abs. 2 GemO Rh.-Pf.; § 109 Abs. 4 KSVG Saarl.) – die Möglichkeit, wirtschaftliche Unternehmen, vor allem aber auch nichtwirtschaftliche Einrichtungen unter entsprechender Anwendung des Eigenbetriebsrechts zu führen. Von besonderer Bedeutung ist das für Gemeindeordnungen, die die Eigenbetriebsform selbst dem Bereich wirtschaftlicher Betätigung der Kommunen vorbehalten und für nichtwirtschaftliche Einrichtungen verschlossen halten; sie können dann unter entsprechender Anwendung von Eigenbetriebsrecht als so genannte eigenbetriebsähnliche Einrichtungen63 geführt werden. Der bereits erwähnten allgemeinen Tendenz zur Öffnung des Eigenbetriebsrechts auch für nichtwirtschaftliche Betätigungen entsprechend eröffnet die Organisationsform der eigenbetriebsähnlichen Einrichtung die Möglichkeit zu einer mehr oder minder weitreichenden Gewährung organisatorischer, vor allem aber haushaltswirtschaftlicher Selbständigkeit auch an diese Einrichtungen. 43 Die entsprechende Anwendung des Eigenbetriebsrechts kann fakultativ oder obligatorisch sein. Nichtwirtschaftlich tätige Einrichtungen können danach nach den Vorschriften über die Eigenbetriebe geführt werden (vgl. etwa Art. 88 Abs. 6 BayGO); sie müssen so geführt werden, soweit dies bereits im Gesetz (vgl. § 86 Abs. 2 Satz 2 GemO Rh.-Pf.) oder durch Rechtsverordnung vorgeschrieben ist (vgl. § 107 Abs. 2 Sätze 2 und 3 GO NW). Verpflichtend ist die entsprechende Anwendung der Vorschriften 61 Vgl. dazu Bauer/Böhle/Masson/Samper, Bayerische Kommunalgesetze, Art. 86 GO Rz. 1 ff. 62 Bauer/Böhle/Masson/Samper, Bayerische Kommunalgesetze, Art. 86 GO Rz. 11, Art. 88 GO Rz. 3. 63 Tiemann, StuGR 1991, 77 (77).
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des Eigenbetriebsrechts auf der Grundlage entsprechender Ermächtigungen der Gemeindeordnungen (vgl. § 107 Abs. 2 Satz 3 GO NW), etwa vorgeschrieben durch die Gemeindekrankenhausbetriebsverordnung NW für den Betrieb gemeindlicher Krankenhäuser64. Kommunalrechtlich kann eine partielle oder vollständige Anwendung 44 des Eigenbetriebsrechts vorgeschrieben bzw. zugelassen sein. Die danach in Betracht kommenden Organisationsmöglichkeiten können von Minimallösungen, die sich auf die Bildung eines Sondervermögens und die Herauslösung aus dem allgemeinen Haushalt beschränken und die organisatorische Einbindung in die Gemeindeverwaltung bestehen lassen, bis hin zu Maximallösungen reichen, die auch die Organisationsstruktur des Eigenbetriebs mit der Bestellung einer Werk- oder Betriebsleitung und der Bildung eines Werks- oder Betriebsausschusses vorsehen65. Einrichtungen, auf die das Eigenbetriebsrecht nur partiell angewandt wird, nehmen eine gewisse Zwischenstellung zwischen den Regiebetrieben und den Eigenbetrieben ein, da sie ihrer Grundstruktur nach unselbständiger Bestandteil der Gemeindeverwaltung sind, jedoch auf Grund von Vorschriften der einschlägigen Gemeindeordnung teilweise unter Anwendung von Vorschriften des Eigenbetriebsrechts verwaltet werden. Wird das Eigenbetriebsrecht insgesamt entsprechend angewandt, so stehen die so geführten Einrichtungen bzw. Unternehmen im Ergebnis ihrer Organisationsform nach Eigenbetrieben gleich, ohne damit freilich zu echten Eigenbetrieben zu werden66. bb) Zusammenfassung von Eigenbetrieben Die Eigenbetriebsform kann auch gewählt werden zur organisatorischen 45 Verbindung mehrerer Unternehmen bzw. Einrichtungen in einem zusammengesetzten Eigenbetrieb. Die kommunalrechtliche Zulässigkeit eines so genannten Querverbundes ergibt sich aus den Regelungen der Eigenbetriebsgesetze bzw. -verordnungen der Länder (vgl. etwa § 2 EigBG BW; § 8 EigVO NW; § 9 Abs. 1 EigAnVO Rh.-Pf.). Teilweise wird im Hinblick auf eine wechselseitige wirtschaftlich-technische Verflechtung angeordnet, dass eine solche Zusammenfassung in einem Eigenbetrieb erfolgen soll (vgl. etwa § 4 EBV Bay.; ähnlich § 2 Halbs. 2 SächsEigBG; § 8 EigVO NW; § 9 Abs. 1 Sätze 1 und 2 EigAnVO Rh.-Pf. mit Blick auf die Versorgungs- sowie die Verkehrsbetriebe). Soweit die Eigenbetriebsform auch für so genannte nichtwirtschaftliche Unternehmen bzw. Einrichtungen offen steht, ist kommunalrechtlich 64 Vgl. Held in Held/Becker u.a., Kommunalverfassungsrecht Nordrhein-Westfalen, § 107 GO Anm. 12. 65 Tiemann, StuGR 1991, 77 (82). 66 Held in Held/Becker u.a., Kommunalverfassungsrecht Nordrhein-Westfalen, § 114 GO Anm. 2. Anders möglicherweise Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 110. Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung auch die Zusammenfassung von wirtschaftlich und nichtwirtschaftlich tätigen Eigenbetrieben nicht zu beanstanden67. Eine solche organisatorische Zusammenfassung kann sinnvoll sein, wenn die verschiedenen Tätigkeiten in der Sache miteinander verflochten sind; aus solchen Gründen kann etwa eine Zusammenfassung von Abwasserbeseitigung und Wasserversorgung in einem als Eigenbetrieb organisierten Querverbundunternehmen in Betracht kommen68. Der kommunalrechtlichen Zulässigkeit dieser Organisation steht die fehlende steuerrechtliche Anerkennung eines Querverbunds von Hoheitsbetrieben, die gemäß §§ 1 Abs. 1 Nr. 6, 4 Abs. 5 KStG nicht körperschaftsteuerpflichtig sind, und Gewerbebetrieben, die der Körperschaftsteuer unterfallen, nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (vgl. § 11 Rz. 189 ff.) nicht entgegen; sie lässt allerdings einen wichtigen finanziellen Vorteil eines solchen Querverbundes entfallen. c) Rechtliche Unselbständigkeit im Verhältnis zur Trägerkommune 47 Im Verhältnis zur Trägerkommune kennzeichnet – wie den Regiebetrieb – auch den Eigenbetrieb die fehlende eigene Rechtsfähigkeit (vgl. z.B. § 114 Abs. 1 GO NW). Der Eigenbetrieb verfügt also über keine rechtliche Selbständigkeit gegenüber der Kommune, sondern ist rechtlich Teil derselben. 48 Im Innenverhältnis von Kommune und Eigenbetrieb sind deshalb keine außenrechtlichen Beziehungen, insbesondere keine vertraglichen Rechtsbeziehungen wie etwa der Abschluss eines Konzessionsvertrages möglich, wenngleich in der Praxis nicht selten ein so genannter unechter – rechtsgeschäftlich unbeachtlicher – Konzessionsvertrag geschlossen worden ist. Soweit eine Regelung der internen Rechtsverhältnisse zwischen der Kommune und ihrem Eigenbetrieb erfolgt, sind die tauglichen rechtlichen Instrumente dafür interne Verwaltungsanweisungen bzw. ggf. schlichte Ratsbeschlüsse69. 49 Im Verhältnis zu Dritten folgt aus der fehlenden Rechtsfähigkeit des Eigenbetriebs, dass sein Handeln rechtlich der Kommune zuzurechnen ist; es liegt ein Handeln der Kommune vor. Aus der mangelnden rechtlichen Selbständigkeit des Eigenbetriebs folgt weiter, dass die Kommune auch mit ihrem Vermögen für dessen Handeln haftet70. Die Kommune soll freilich im Rechtsverkehr unter dem Namen des Eigenbetriebs nach außen auftreten dürfen71, und als teilrechtsfähige Verwaltungseinheit soll der Ei67 Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 175. 68 Bodanowitz, Organisationsformen für die kommunale Abwasserbeseitigung, S. 18. 69 Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 142. 70 Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 142. 71 Held in Held/Becker u.a., Kommunalverfassungsrecht Nordrhein-Westfalen, § 114 GO Anm. 3.
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genbetrieb Immaterialgüterrechte, namentlich Markenrechte erwerben können mit der Folge, dass ihre Firmenbezeichnung als Wortmarke geschützt sein kann72. d) Organisatorische Verselbständigung/Organisationsstruktur Das Eigenbetriebsrecht begründet eine gewisse organisatorische Verselb- 50 ständigung, aber auch Verkoppelung mit der Kommune. Insgesamt folgt die Organisationsstruktur des Eigenbetriebs danach einem Grundsatz der „funktionellen Kompetenzverflechtung“, in der Geschäftsführung und Kontrolle zwischen Werkleitung, Werksausschuss, Bürgermeister und Rat aufgeteilt sind73. Das Maß an Verselbständigung oder aber Rückbindung an die Kommune kann dabei je nach landesrechtlicher Ausgestaltung und nach Wahrnehmung der gemeindlichen Gestaltungsspielräume variieren. aa) Werk-/Betriebsleitung Für die Gewährleistung einer gewissen unternehmerischen Autonomie 51 des Eigenbetriebs wesentlich ist zunächst die Werk- oder Betriebsleitung als eigenes Organ des Eigenbetriebs; das Eigenbetriebsrecht ist in organisatorischer Hinsicht grundsätzlich darauf angelegt, der Werkleitung sowohl gegenüber der Kommunalverwaltung wie auch gegenüber dem Rat ein relativ großes Maß an Eigenständigkeit hinsichtlich der Leitung des Eigenbetriebs einzuräumen74. Regelmäßig schreibt das Eigenbetriebsrecht deshalb die Bestellung einer Werk- oder Betriebsleitung zwingend vor (vgl. etwa Art. 88 Abs. 2 BayGO; § 114 Abs. 2 Satz 1 GO NW). Nach manchen Landesrechten ist die Einrichtung einer Betriebsleitung allerdings fakultativ; ist eine solche nicht bestellt, werden ihre Aufgaben vom Bürgermeister als dem Hauptverwaltungsbeamten wahrgenommen (vgl. §§ 4 Abs. 1 Satz 1, 10 Abs. 3 EigBG BW). Die – vom Rat zu bestellende (vgl. etwa § 4 lit. a EigVO NW) – Werklei- 52 tung besteht aus einem oder mehreren Werkleitern, von denen einer zum Ersten Werkleiter bestellt werden kann. Grundsätzlich können auch Bedienstete der Gemeinde selbst der Werkleitung eines Eigenbetriebs der Gemeinde angehören. Die Personalunion zwischen Hauptverwaltungsbeamten und Werkleiter wird allerdings unterschiedlich beurteilt, teilweise für unzulässig erklärt (vgl. § 4 Abs. 4 Satz 1 EigAnVO Rh.-Pf.), teilweise auch zugelassen (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 2 EigVO Saarl.), teils auch nicht besonders geregelt. Im Interesse der intendierten Selbständigkeit 72 BPatG v. 15.9.2009 – 27 W (pat) 166/09 – Stadtwerke Dachau, DVBl 2010, 64. 73 Scholz/Pitschas, Die Rechtsformen kommunaler Unternehmen – Kriterien für die Wahl der Rechtsform, in Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 5, S. 128 (142 f.). 74 Schoepke, VBlBW 1995, 417 (419); Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 145. Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung des Eigenbetriebs, für die in organisatorischer Hinsicht die von der Gemeindeverwaltung unterschiedene Werkleitung von zentraler Bedeutung ist, sprechen jedoch jedenfalls gute tatsächliche Gründe für den Verzicht auf eine solche Personalunion75. 53 Die Funktion der Werkleitung liegt in der selbständigen Leitung des Eigenbetriebs, soweit nicht nach Maßgabe der gesetzlichen Grundlagen, ggf. der jeweiligen Eigenbetriebsverordnung und der Betriebssatzung, andere Organe, namentlich der Werksausschuss oder der Gemeinderat, zuständig sind (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 EigVO NW). Insbesondere obliegt der Werkleitung die unentziehbare Zuständigkeit für die laufende Betriebsführung (vgl. etwa § 5 Abs. 1 Satz 2 EigBG BW, § 2 Abs. 1 Satz 2 EigVO NW). Die Abgrenzung dieses Zuständigkeitsbereichs wird in Anlehnung an die Definition des gemeinderechtlichen Begriffs der (einfachen) Geschäfte der laufenden Verwaltung vorgenommen76. Danach sollen darunter alle im täglichen Betrieb ständig wiederkehrenden Maßnahmen fallen, die zur Aufrechterhaltung des Betriebs notwendig sind; es kommt somit auf die Regelmäßigkeit und Häufigkeit der Geschäfte, nicht hingegen auf die Schwierigkeit oder finanzielle Bedeutung der Geschäfte an77. Die Werkleitung vertritt weiter in Angelegenheiten des Eigenbetriebs, soweit ihre Geschäftsleitungsbefugnis reicht, die Gemeinde auch nach außen (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 EigVO NW mit einer umfassenden Vertretungsbefugnis der Betriebsleitung in Angelegenheiten des Eigenbetriebs). Auch eine Übertragung von weiteren, über diese gesetzlich zugewiesenen Aufgaben hinausreichenden Zuständigkeiten auf die Werk- bzw. Betriebsleitung kann gesetzlich zugelassen sein. So erlaubt das 1991 reformierte baden-württembergische Eigenbetriebsrecht auch die Übertragung der Zuständigkeit für Personalentscheidungen, die Verfügung über Betriebsvermögen und den Abschluss von Verträgen durch die Betriebssatzung (§ 8 Abs. 3 Nr. 2 EigBG BW); damit wird im Ergebnis eine der Geschäftsführung nach GmbH-Recht vergleichbare Betriebsleitung ermöglicht78. bb) Rechte des Hauptverwaltungsbeamten und des Kämmerers 54 Relativiert wird die organisatorische Verselbständigung des Eigenbetriebs im Sinne einer organisatorischen Rückkoppelung an die Gemeindeverwaltung durch die im Eigenbetriebsrecht vorgesehenen Rechte des Hauptverwaltungsbeamten, die ihm eine wesentliche Koordinations- und Überwachungsfunktion zuweisen. Zu diesem Zweck stehen ihm zunächst In75 Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 146. 76 Schraffer, Der kommunale Eigenbetrieb, S. 37, 42; Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 148. 77 Vgl. Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 149 ff.; Held in Held/Becker u.a., Kommunalverfassungsrecht Nordrhein-Westfalen, § 114 GO Anm. 5. 78 Schoch, DVBl 1994, 1 (10); Schoepke, VBlBW 1994, 81 (84).
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formationsrechte zu, etwa gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Halbs. 1 EigVO NW in Gestalt einer Unterrichtungsverpflichtung der Werkleitung hinsichtlich aller wichtigen Angelegenheiten des Eigenbetriebs und eines eigenen Auskunftsanspruchs. Weiter gibt das Eigenbetriebsrecht dem Hauptverwaltungsbeamten ein – allerdings nicht zu Übergriffen in die zwingend der Werkleitung zustehende laufende Betriebsführung ermächtigendes79 – Weisungsrecht gegenüber der Werkleitung insbesondere zur Wahrung der Einheitlichkeit der Gemeindeverwaltung (vgl. etwa § 10 Abs. 1 EigBG BW; § 6 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 EigVO NW). Teilweise sieht das Eigenbetriebsrecht darüber hinaus zur Wahrung der 55 fiskalischen Gemeindeinteressen auch besondere Rechte des Kämmerers vor. Namentlich kann ihm ein Unterrichtungsrecht über den Entwurf des Wirtschaftsplans und des Jahresabschlusses, die Vierteljahresübersichten, die Ergebnisse der Betriebsstatistik und die Selbstkostenrechnungen sowie darüber hinaus ein umfassender Anspruch auf Erteilung aller angeforderten finanzwirtschaftlichen Auskünfte eingeräumt sein (§ 7 EigVO NW). cc) Werks-/Betriebsausschuss und Rat Ein organisatorisches Merkmal des Eigenbetriebsrechts ist herkömmlich 56 auch der Werks- oder Betriebsausschuss als ein besonderer Ausschuss des Rats mit Zuständigkeit für die Angelegenheiten des Eigenbetriebs. Seine Einrichtung ist regelmäßig vorgeschrieben (vgl. etwa § 114 Abs. 2 GO NW, § 5 Abs. 1 EigVO NW), teilweise aber auch in das Ermessen der Gemeinde gestellt (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 EigBG BW). Regelmäßig erlauben die Gemeindeordnungen die Bildung eines gemeinsamen Werksausschusses für mehrere, d.h. ggf. auch für alle Eigenbetriebe einer Kommune (vgl. etwa § 7 Abs. 2 EigBG BW, § 5 Abs. 1 Satz 2 EigVO NW; anders jedoch § 86 Abs. 4 GemO Rh.-Pf.80). Dem Werksausschuss kommen regelmäßig Unterrichtungsrechte sowie 57 beratende und beschließende Funktionen zu. Er hat zunächst Anspruch auf Unterrichtung über alle wichtigen Angelegenheiten durch die Werksleitung und den Hauptverwaltungsbeamten (vgl. § 5 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EigVO NW). Er hat sodann beratende und beschließende Funktion. In ersterer Hinsicht dient der Werksausschuss der Vorberatung von Beschlüssen des Rats, womit das Eigenbetriebsrecht sich den Vorteil eines mit sachverständigen, mit der Angelegenheit ständig befassten Mitgliedern besetzten Beratungsgremiums zunutze machen will81. Entscheidungs79 Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 156. 80 Zur Änderung des rheinland-pfälzischen Rechts vgl. insoweit LT-Drs. 13/2306, S. 37, mit dem Hinweis auf praktische Schwierigkeiten bei der Bildung eines gemeinsamen Werksausschusses für mehrere Betriebe bei einer eventuellen Mitarbeiterbeteiligung. 81 Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 158. Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung befugnisse können ihm zum einen als Eilbeschlussrecht in Dringlichkeitsfällen in den der Beschlussfassung des Rats unterliegenden Angelegenheiten (vgl. § 5 Abs. 6 EigVO NW) und zum anderen als reguläre eigene Entscheidungsbefugnisse nach Maßgabe der Zuweisung durch Gesetz bzw. Verordnung und Betriebssatzung zustehen (vgl. § 5 Abs. 5 EigVO NW). Gemäß § 7 Abs. 1 EigBG BW kann auch ein bloß beschließender Betriebsausschuss gebildet werden82. 58 Nach den Gemeindeordnungen bzw. Eigenbetriebsgesetzen bestehen schließlich auch Kontroll- und Entscheidungsbefugnisse des Rats der Gemeinde im Hinblick auf den Eigenbetrieb. Einzelne, besonders wichtige den Eigenbetrieb betreffende Entscheidungen sind ihm vorbehalten, so etwa nach nordrhein-westfälischem Recht die über die Bestellung der Werksleitung, die Feststellung und Änderung des Wirtschaftsplans, die Feststellung des Jahresabschlusses und die Verwendung des Jahresgewinns oder die Deckung eines Verlusts sowie die Rückzahlung von Eigenkapital an die Gemeinde (§ 4 EigVO NW). e) Finanzwirtschaftliche Verselbständigung 59 Ein für die Tauglichkeit als Instrument kommunalwirtschaftlicher Betätigung wesentlicher Unterschied zum Regiebetrieb liegt darin, dass der Eigenbetrieb über finanzwirtschaftliche Selbständigkeit als Sondervermögen der Kommune verfügt, das als solches gesondert im gemeindlichen Haushalt auszuweisen und zu verwalten ist (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 1 EigVO NW). Der Eigenbetrieb ist mit einem in der Betriebssatzung festzusetzenden Stammkapital auszustatten (vgl. § 12 Abs. 2 EigBG BW; § 9 Abs. 2 EigVO NW). 60 In den Haushaltsplan der Trägerkommune gehen danach nur noch Eigenkapitalbewegungen sowie die voraussichtlichen Gewinne und Verluste ein; Einnahmen und Ausgaben des Eigenbetriebs scheiden hingegen aus der Haushaltswirtschaft der Kommune aus83. Für den Eigenbetrieb werden damit für seinen Unternehmenszweck ein getrenntes Sondervermögen und ein eigenes Finanzierungssystem begründet mit der Folge, dass durch die Benutzungsgebühren für die Einrichtung erwirtschaftete Abschreibungen dort verbleiben und auch die Kreditwirtschaft des Eigenbetriebs unabhängig gestellt wird84. 61 An die Stelle des gemeindlichen Haushaltsplans tritt der jeweils vor dem Wirtschaftsjahr aufzustellende, aus dem Erfolgsplan, dem Vermögensplan und der Stellenübersicht bestehende Wirtschaftsplan des Eigenbetriebs
82 Zu Recht für die Bildung eines beschließenden Ausschusses spricht sich aus Schoepke, VBlBW 1995, 417 (419). 83 Schink, Abfallwirtschaft, in Henneke, Organisation kommunaler Aufgabenerfüllung, S. 45 (73). 84 Schoepke, VBlBW 1995, 417 (417).
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(§ 14 Abs. 1 EigVO NW). Er erlaubt eine betriebswirtschaftlich orientierte Wirtschaftsführung, die der Wirtschaftsführung eines Privatunternehmens angenähert ist. Die im Vergleich zum Haushaltsplan geringere Bindungswirkung des Wirtschaftsplans, namentlich des vergleichsweise grob gegliederten Erfolgsplans, erlaubt eine flexiblere, damit häufig auch wirtschaftlichere Betriebsführung, die auf aktuelle, auf wirtschaftlichen oder politischen Gegebenheiten beruhende Bedürfnisse leichter ad hoc eingehen kann85. Im Rechnungswesen schließlich ist für den Eigenbetrieb eine Sonderrech- 62 nung nach der kaufmännischen doppelten Buchführung mit einem eigenen Jahresabschluss vorgesehen. Sie erhöht die Transparenz der Finanzierung und der Wirtschaftsführung des Eigenbetriebs, indem sie einen genaueren Überblick über die Ertragslage sowie über das Vermögen bzw. die Schulden des Unternehmens gewährt86. 3. Rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts (Kommunalunternehmen) In der Literatur ist immer wieder die Forderung nach der gesetzlichen Be- 63 gründung einer speziellen öffentlich-rechtlichen Rechtsform für öffentliche Unternehmen erhoben worden, die den vorhandenen Rechtsformen eine weitere, den Kapitalgesellschaften des Privatrechts nachgebildete Organisationsform zur Seite stellt, um so u.a. den Kommunen eine Alternative zu dem Übergang zu privatrechtlichen Rechtsformen zu bieten87. Das Anliegen dieser Forderung ist es, den Kommunen eine Unternehmensform anzubieten, die einerseits mehr an Autonomie und Flexibilität bietet als der Eigenbetrieb, andererseits aber auch eine bessere Steuerung ermöglicht als die privatrechtlichen Unternehmensformen88. Zur Entwicklung einer solchen neuartigen, besonderen Rechtsform der öffentlich-rechtlichen Gesellschaft ist es nicht gekommen89. Die Rechtsordnung hält jedoch schon herkömmlich in Gestalt der rechts- 64 fähigen Anstalt des öffentlichen Rechts das Angebot einer Rechtsform bereit, die besser als die des Regiebetriebs oder Eigenbetriebs geeignet scheint, den gerade (Rz. 63) genannten Anforderungen zu genügen. Diese 85 Schoepke, VBlBW 1995, 417 (417 f.); Schink, Abfallwirtschaft, in Henneke, Organisation kommunaler Aufgabenerfüllung, S. 45 (73). 86 Schoepke, VBlBW 1995, 417 (418); Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 165. 87 Vgl. Janson, Rechtsformen öffentlicher Unternehmen in der Europäischen Gemeinschaft, S. 325 ff., mit einem Überblick über weitere Vorschläge; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 383 ff. Vgl. auch den Überblick bei Schraffer, Der kommunale Eigenbetrieb, S. 97 ff. 88 Norbert Schulz, BayVBl. 1996, 97 und 129 (129); Ehlers, ZHR 167 (2003), 546 (553). 89 Skeptisch zum Bedarf daran angesichts der Rechtsform der rechtsfähigen Anstalt Reiner Schmidt, ZGR 1996, 345 (358). Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung Unternehmensform ist bereits seit langem gebräuchlich im Bereich des Sparkassenrechts (vgl. § 1 Abs. 1 SpkG NW). Weiter sind in Berlin und Hamburg einzelne Unternehmen der Stadtstaaten unmittelbar durch Gesetz in die Rechtsform einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts überführt worden90. Zuletzt haben die Länder Bayern, das insoweit eine Vorreiterrolle übernommen hat, sowie Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Brandenburg die Möglichkeit, die Rechtsform der rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts zu wählen, umfassend in das Kommunalwirtschaftsrecht eingeführt91; die Gemeindeordnungen Bayerns, Nordrhein-Westfalens, Sachsen-Anhalts und Schleswig-Holsteins haben dafür die – hier im Folgenden allgemein verwandte – Bezeichnung Kommunalunternehmen gewählt. Das Kommunalunternehmen soll die Vorteile öffentlich-rechtlicher Unternehmensformen mit einer größeren Autonomie und Flexibilität, wie sie sonst nur privaten Organisationsformen eigen ist, verbinden92. In der Praxis scheint es inzwischen gute Verbreitung gefunden zu haben93. a) Rechtsgrundlagen 65 Die Wahl dieser Unternehmensform kommt nur in Betracht, soweit sie gesetzlich vorgesehen ist, da insoweit der Vorbehalt des Gesetzes eingreift94. Die Schaffung der erforderlichen Rechtsgrundlagen für diese spezifisch für die Kommunen bestimmte Unternehmensform fällt – anders als die der Gesellschaftsformen des Privatrechts – in die Landesgesetzgebungskompetenz und ist damit Sache des Kommunalwirtschaftsrechts des jeweiligen Landes95. Die nähere Ausgestaltung des jeweiligen An90 Vgl. das Berliner Eigenbetriebsreformgesetz vom 9.7.1993 (GVBl. S. 319), das Gesetz über die Stadtreinigung in Hamburg vom 9.3.1994 (GVBl. I S. 79) sowie das Gesetz über die Hamburger Stadtentwässerung vom 20.1.1994 (GVBl. I S. 435). 91 Vgl. für Bayern das Gesetz zur Änderung des kommunalen Wirtschaftsrechts vom 26.7.1995 (GVBl. S. 376); für Rheinland-Pfalz das Vierte Landesgesetz zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften vom 2.4.1998 (GVBl. S. 108); für Nordrhein-Westfalen das Erste Gesetz zur Modernisierung von Regierung und Verwaltung in Nordrhein-Westfalen vom 15.6.1999 (GVBl. S. 386); für SachsenAnhalt das Gesetz über das kommunale Unternehmensrecht vom 3.4.2001 (GVBl. S. 136); für Schleswig-Holstein das Gesetz zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung vom 25.6.2002 (GVOBl. S. 126); für Niedersachsen das Gesetz zur Änderung des kommunalen Unternehmensrechts vom 27.1.2003 (GVBl. S. 36); für Brandenburg das Kommunalrechtsreformgesetz vom 18.12.2007 (GVBl. I S. 286). 92 Waldmann, NVwZ 2008, 284 (284). 93 Vgl. Waldmann, NVwZ 2008, 284 (284); Hogewege, NdsVBl. 2008, 33 (34 f.); Tomerius/Huber, Gemhlt 2009, 126 (126 f.). 94 Mann, NVwZ 1996, 557 (558); Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rz. 51. 95 Ehlers, ZHR 167 (2003), 546 (554); nicht überzeugend a.A. Wolf, Anstalt des öffentlichen Rechts als Wettbewerbsunternehmen, S. 382.
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staltsrechts ist dann im Wesentlichen nicht durch Verfassungs- oder allgemeines Verwaltungsrecht vorgegeben, sondern dem Landesgesetzgeber überlassen96. Die vorliegenden gemeindewirtschaftsrechtlichen Regelungen weisen jedoch weitreichende Übereinstimmung auf. b) Anwendungsbereich Die einschlägigen gemeindewirtschaftsrechtlichen Regelungen sprechen 66 der Rechtsform des Kommunalunternehmens im Allgemeinen umfassende Anwendbarkeit für den gesamten Tätigkeitsbereich kommunaler Unternehmen bzw. Einrichtungen zu. Allein die niedersächsische Regelung ist insoweit etwas differenzierter und restriktiver (vgl. §§ 136 Abs. 4, 141 Abs. 1 Satz 1 NKomVG). Die rheinland-pfälzische, die nordrheinwestfälische und die schleswig-holsteinische Gemeindeordnung, die an der überkommenen Unterscheidung zwischen wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Betätigung der Kommunen festhalten, lassen ausdrücklich zu, sowohl wirtschaftliche Unternehmen wie auch nichtwirtschaftliche Einrichtungen in dieser Rechtsform zu errichten bzw. in diese Rechtsform umzuwandeln (vgl. § 86a Abs. 1 Satz 1 GemO Rh.-Pf.; § 114a Abs. 1 Satz 1 GO NW; § 106a Abs. 1 Satz 1 GO Schl.-Holst.). Die Bayerische Gemeindeordnung hat 1998 diese Unterscheidung insgesamt aufgegeben, so dass sie die neue Organisationsform des Kommunalunternehmens auch für die bislang als nichtwirtschaftlich qualifizierten Tätigkeitsbereiche zur Verfügung stellt97. Entsprechendes gilt auch für die Gemeindeordnung und das Anstaltsgesetz Sachsen-Anhalts sowie die Kommunalverfassung des Landes Brandenburg. Hinsichtlich der – über die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen 67 wirtschaftlicher Betätigung hinausgehenden (vgl. ausdrücklich §§ 114a Abs. 1 Satz 2, 108 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GO NW; § 1 Abs. 1 Satz 2 AnstG LSA; § 106a Abs. 1 Satz 4 GO Schl.-Holst.; §§ 136, 141 Abs. 1 Satz 1 NKomVG) – näheren materiellrechtlichen Voraussetzungen für die Wahl dieser Unternehmensform bestehen kleinere Unterschiede zwischen den verschiedenen Landesrechten. Während die bayerische Gemeindeordnung, das Anstaltsgesetz Sachsen-Anhalts, die schleswig-holsteinische Gemeindeordnung, das niedersächsische Kommunalverfassungsgesetz sowie die Kommunalverfassung des Landes Brandenburg keine besonderen Voraussetzungen statuieren, verlangt die nordrhein-westfälische Gemeindeordnung hinsichtlich nichtwirtschaftlicher Einrichtungen einschränkend insbesondere, dass ein wichtiges Interesse an der Errichtung besteht (§§ 114a Abs. 1 Satz 2, 108 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GO NW), und die rheinland-pfälzische Gemeindeordnung fordert allgemein, dass der öffentliche Zweck diese Rechtsform rechtfertigt (§ 86a Abs. 1 Satz 1 GemO Rh.-Pf.). 96 Siekmann, NWVBl. 1993, 361 (367); Wolfers, NVwZ 2000, 765 (765). 97 Knemeyer, BayVBl. 1999, 1 (3). Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung c) Entstehung von Kommunalunternehmen 68 Die Entscheidung über die Errichtung, Übernahme, Erweiterung, Einschränkung, Auflösung oder Umwandlung der Anstalt ist eine Aufgabe des Rats. Sie gehört zu den nicht übertragbaren Angelegenheiten98 (vgl. § 41 Abs. 1 Satz 2 lit. l und m GO NW). 69 Kommunalunternehmen können entstehen durch Neuerrichtung oder Umwandlung bestehender Regie- oder Eigenbetriebe bzw. eigenbetriebsähnlicher Einrichtungen in rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts im Wege der Gesamtrechtsnachfolge (vgl. Art. 89 Abs. 1 Satz 1 BayGO; § 86a Abs. 1 Satz 1 GemO Rh.-Pf.; § 114a Abs. 1 Satz 1 GO NW; § 1 Abs. 1 Satz 1 AnstG LSA; § 106a Abs. 1 Satz 1 GO Schl.-Holst.; § 141 Abs. 1 Sätze 1 und 2 NKomVG; § 94 Abs. 1 BbgKVerf; § 141 Abs. 1 Satz 4 NKomVG); eine Umwandlung von privatrechtsförmigen Unternehmen der Gemeinde ist nur ausnahmsweise vorgesehen (Art. 89 Abs. 2a BayGO; § 94 Abs. 1 BbgKVerf; § 141 Abs. 1 Satz 4 NKomVG)99. Auf die Umwandlung in ein Kommunalunternehmen findet § 168 UmwG, der die Ausgliederung eines in kommunaler Hand befindlichen Unternehmens allein zur Aufnahme dieses Unternehmens in bestimmte privatrechtsförmige Unternehmen bzw. zu entsprechenden Neugründungen regelt, keine Anwendung. Jedoch eröffnet § 1 Abs. 2 UmwG ausdrücklich die Möglichkeit, eine Umwandlung im Sinne von § 1 Abs. 1 UmwG auch in einem anderen Bundesgesetz oder einem Landesgesetz vorzusehen und zu regeln. Eine solche landesgesetzliche Regelung enthalten die genannten Vorschriften über die Begründung von Kommunalunternehmen durch Umwandlung bestehender Regie- oder Eigenbetriebe100. Die Umwandlung erfolgt im Hinblick sowohl auf Eigenbetriebe wie auch auf Regiebetriebe101 im Wege der Gesamtrechtsnachfolge. Der Umfang des umgewandelten Vermögens ergibt sich bei Eigenbetrieben aus dem Jahres- oder Zwischenabschluss, bei Regiebetrieben aus einer Eröffnungsbilanz im Sinne
98 Bauer/Böhle/Masson/Samper, Bayerische Kommunalgesetze, Art. 89 GO Rz. 8. 99 Zur Unzulässigkeit einer Umwandlung kommunaler Eigengesellschaften (oder sonstiger Privatrechtssubjekte) in ein Kommunalunternehmen im Übrigen vgl. Ehlers, ZHR 167 (2003), 546 (556). 100 Norbert Schulz, BayVBl. 1996, 97 und 129 (130); Norbert Schulz, Das Kommunalunternehmen, in Kirchgäßner/Knemeyer/Schulz, Das Kommunalunternehmen, S. 18 (26); Lux, NWVBl. 2000, 7 (11). Vgl. auch die Begründung zum Gesetzentwurf der Landesregierung Rheinland-Pfalz in LT-Drs. 13/2306, S. 37. 101 Norbert Schulz, Das Kommunalunternehmen, in Kirchgäßner/Knemeyer/ Schulz, Das Kommunalunternehmen, S. 18 (26); hinsichtlich der Regiebetriebe wenden Bauer/Böhle/Masson/Samper, Bayerische Kommunalgesetze, Art. 89 GO Rz. 9, ein, dass aus der Sicht der Gemeinde keine Gesamtrechtsnachfolge, sondern nur ein Übergang der vorhandenen, im konkreten Fall zur Aufgabenerfüllung erforderlichen technischen und sonstigen Anlagenteile stattfinde.
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von § 242 Abs. 1 HGB, die dem Beschluss über die Umwandlung jeweils zugrunde zu legen sind102 (vgl. auch § 141 Abs. 1 Satz 3 NKomVG). Alle einschlägigen Gemeindeordnungen schreiben verbindlich den Erlass 70 einer Unternehmenssatzung für das Kommunalunternehmen vor (vgl. Art. 89 Abs. 3 Satz 1 BayGO; § 86a Abs. 2 Satz 1 GemO Rh.-Pf.; § 114a Abs. 2 Satz 1 GO NW; § 2 AnstG LSA; § 106a Abs. 2 Satz 1 GO Schl.Holst.; § 142 NKomVG; § 94 Abs. 2 BbgKVerf). Diese wird von der Gemeinde erlassen; die Organkompetenz für den Erlass der Satzung liegt nach den allgemeinen gemeinderechtlichen Kompetenzregeln bei der Vertretungskörperschaft (vgl. z.B. § 41 Abs. 1 Satz 2 lit. f GO NW). Diese ist damit auch für eventuelle spätere Änderungen zuständig; somit bleibt die Verantwortung für die Unternehmensverfassung bei dem kommunalen Organ und geht – anders als bei Kapitalgesellschaften des Privatrechts – nicht auf die Unternehmensorgane über103. Die Unternehmenssatzung muss nach allen einschlägigen Gemeindeordnungen zwingend Regelungen treffen über den Namen und die Aufgaben des Unternehmens, die Anzahl der Mitglieder des Vorstands und des Verwaltungsrates sowie die Höhe des Stammkapitals (Art. 89 Abs. 3 Satz 2 BayGO; § 114a Abs. 2 Satz 2 GO NW; § 2 Satz 2 AnstG LSA; § 142 NKomVG; § 94 Abs. 2 Satz 2 BbgKVerf; vgl. auch, leicht abweichend, § 86a Abs. 2 Satz 2 GemO Rh.-Pf. sowie § 106a Abs. 2 Satz 2 GO Schl.-Holst.), teils darüber hinaus auch über die Wirtschaftsführung, die Vermögensverwaltung und die Rechnungslegung (§ 114a Abs. 2 Satz 2 GO NW; § 106a Abs. 2 Satz 2 GO Schl.Holst.). Über diese obligatorischen Regelungen der Unternehmenssatzung hinaus bedarf es – nach näherer, im Einzelnen unterschiedlicher landesrechtlicher Regelung – besonderer Satzungsregelungen, soweit dem Kommunalunternehmen Satzungsgewalt verliehen werden soll (so ausdrücklich Art. 89 Abs. 2 Satz 3 BayGO; § 86a Abs. 3 Satz 2 GemO Rh.-Pf.; § 114a Abs. 3 Satz 2 GO NW; § 3 Satz 3 AnstG LSA; § 106a Abs. 3 Satz 2 GO Schl.-Holst.; § 143 Abs. 1 Satz 3 NKomVG), zu seinen Gunsten ein Anschluss- und Benutzungszwang begründet werden soll (Art. 89 Abs. 2 Satz 2 BayGO; § 86a Abs. 3 Satz 2 GemO Rh.-Pf.; § 114a Abs. 3 Satz 2 GO NW; § 3 Satz 2 AnstG LSA; § 106a Abs. 3 Satz 2 GO Schl.-Holst.; § 143 Abs. 1 Satz 2 NKomVG), teils auch wenn ihm die Beteiligung an anderen Unternehmen eröffnet (Art. 89 Abs. 1 Satz 2 BayGO; § 114a Abs. 4 Satz 1 GO NW; § 1 Abs. 1 Satz 3 AnstG LSA; § 106a Abs. 1 Satz 2 GO Schl.Holst.) oder die Dienstherreneigenschaft verliehen werden soll (§ 86b Abs. 4 Satz 1 GemO Rh.-Pf.). Die Unternehmenssatzung kann weitere Regelungen enthalten, etwa über den Umfang der Entscheidungskompetenz des Verwaltungsrats (§ 86b Abs. 2 Satz 2 GemO Rh.-Pf.; § 114a Abs. 7 Satz 6 GO NW) oder den Umfang von Weisungsrechten des Gemeinderats (Art. 90 Abs. 2 Satz 5 BayGO; § 5 Abs. 3 Satz 5 AnstG LSA) 102 Norbert Schulz, BayVBl. 1996, 97 und 129 (130); Oster in Gabler u.a., Kommunalverfassungsrecht Rheinland-Pfalz, § 86a GO Anm. 3.2. 103 Norbert Schulz, BayVBl. 1996, 97 und 129 (133). Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung bzw. von Zustimmungsvorbehalten zugunsten des Rats bei Entscheidungen von grundsätzlicher Bedeutung (§ 86b Abs. 2 Satz 3 GemO Rh.-Pf.; § 114a Abs. 7 Satz 7 GO NW; § 106a Abs. 2 Satz 3 GO Schl.-Holst.). 71 Die Errichtung eines Kommunalunternehmens bedarf keiner aufsichtsbehördlichen Genehmigung104. Lediglich eine Pflicht zur Anzeige der Errichtung, wesentlichen Erweiterung sowie Auflösung einer Anstalt an die Aufsichtsbehörde bzw. eine Vorlagepflicht sind vorgesehen (Art. 96 BayGO; § 92 Abs. 2 Nr. 5 GemO Rh.-Pf.; § 115 Abs. 1 Satz 1 lit. h GO NW; § 123 Abs. 2 GO LSA; §§ 106a Abs. 2 Satz 4, 108 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 GO Schl.-Holst.; § 152 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 NKomVG). d) Verhältnis zur Kommune 72 Im Verhältnis zur Kommune zeichnet sich das Kommunalunternehmen als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts im Unterschied zu Regieund Eigenbetrieb zunächst durch die eigene Rechtsfähigkeit und damit die rechtliche Verselbständigung gegenüber der Trägerkommune aus. Das hat zur Folge, dass das Kommunalunternehmen selbst Träger von Rechten und Pflichten ist, insbesondere Eigentum erwerben kann und Vertragspartner wird sowie Parteifähigkeit im Prozess besitzt. 73 Anders als für die rechtlich der Gemeinde zuzurechnenden Regie- und Eigenbetriebe haftet die Gemeinde nicht unmittelbar für die aus dem Handeln des Kommunalunternehmens entstehenden Verbindlichkeiten. Der Trägerkommune obliegen im Allgemeinen jedoch Gewährträgerhaftung und Anstaltslast. Ausdrücklich regeln die einschlägigen kommunalwirtschaftsrechtlichen Bestimmungen mit Ausnahme von § 106a GO Schl.Holst., § 144 Abs. 2 NKomVG die so genannte Gewährträgerhaftung, d.h. die unbeschränkte Haftung der Gemeinde für die Verbindlichkeiten des Kommunalunternehmens, soweit nicht Befriedigung aus dessen Vermögen zu erlangen ist (Art. 89 Abs. 4 BayGO; § 86a Abs. 4 GemO Rh.-Pf.; § 114a Abs. 5 Satz 1 GO NW; § 4 Satz 1 AnstG LSA; § 94 Abs. 5 BbgKVerf)105. Mit Ausnahme von § 4 Satz 2 AnstG LSA verzichten sie hingegen für das Kommunalunternehmen auf eine ausdrückliche Regelung der so genannten Anstaltslast, die der Gemeinde als Gewährträger auferlegt, die Anstalt für die gesamte Dauer ihres Bestehens funktionsfähig
104 Vgl. Oster in Gabler u.a., Kommunalverfassungsrecht Rheinland-Pfalz, § 86a GO Anm. 1, mit dem Hinweis, dass sonst eine Benachteiligung gegenüber privatrechtlichen Rechtsformen eingetreten wäre. 105 Vgl. Norbert Schulz, Das Kommunalunternehmen, in Kirchgäßner/Knemeyer/Schulz, Das Kommunalunternehmen, S. 18 (20), der dies als zwingende Folge aus dem Umstand sieht, dass die Gemeinde Aufgaben, auch Pflichtaufgaben, auf das Kommunalunternehmen übertragen kann, da sie sich ihren gesetzlichen Pflichten entziehen könnte, wenn sie nicht subsidiär in vollem Umfang auch finanziell verpflichtet bliebe.
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zu erhalten und etwaige finanzielle Lücken auszugleichen106; § 106a Abs. 4 GO Schl.-Holst. trifft insoweit eine besondere, auf kaufmännische Grundsätze rekurrierende Regelung, und § 144 Abs. 1 NKomVG statuiert eine allgemeine Unterstützungspflicht der Gemeinde unter ausdrücklichem Ausschluss eines Anspruchs des Kommunalunternehmens auf Zurverfügungstellung von Finanzmitteln107. Die vorherrschende – freilich durchaus zweifelhafte – Auffassung geht allerdings für die Sparkassen im Besonderen, aber auch für rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts im Allgemeinen davon aus, dass diese Anstaltslast der Kommune als Anstaltsherr auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung kraft eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes des Verwaltungsrechts oder des Rechtsstaatsprinzips zwingend auferlegt ist108. e) Innere Unternehmensverfassung Die innere Verfassung des Kommunalunternehmens ergibt sich aus Ge- 74 setz, ggf. konkretisierender Rechtsverordnung und Unternehmenssatzung. Da die kommunalwirtschaftsrechtlichen Vorschriften dem Satzungsgeber beträchtlichen Spielraum lassen, lässt die Rechtsform des Kommunalunternehmens unterschiedliche Ausgestaltungen nach Maßgabe der politischen Entscheidung der einzelnen Kommune zu. Insbesondere kann damit die Kommune das jeweils gewollte Maß an politischer Steuerung bzw. an unternehmerischer Unabhängigkeit beeinflussen109. Vorgeschrieben ist regelmäßig – in Anlehnung an das Recht der GmbH – 75 ein Vorstand als Leitungs- und Vertretungsorgan des Kommunalunternehmens (Art. 90 Abs. 1 BayGO; § 86b Abs. 1 GemO Rh.-Pf.; § 114a Abs. 6 GO NW; § 5 Abs. 1 und 2 AnstG LSA; § 145 Abs. 1 NKomVG; § 95 Abs. 1 Sätze 1 bis 4 BbgKVerf; § 106a GO Schl.-Holst. enthält kein gesetzliches Gebot). Diesem Vorstand obliegt zum einen, soweit keine abweichende Regelung im Gesetz oder in der Unternehmenssatzung vorgesehen ist, die Funktion der Leitung der Anstalt; er hat damit – sofern nicht die Unternehmenssatzung den gesetzgeberischen Intentionen zuwiderlaufende, erhebliche Restriktionen vorsieht – deutlich weiter reichende Kompetenzen als etwa die Werksleitung eines Eigenbetriebs, die grundsätzlich auf die Führung der laufenden Geschäfte beschränkt ist. Zum anderen vertritt der Vorstand das Kommunalunternehmen gerichtlich wie 106 Lux, NWVBl. 2000, 7 (12). 107 Vgl. dazu Ehlers, ZHR 167 (2003), 546 (574); Hogewege, NdsVBl. 2008, 33 (34), die auf den Hintergrund des Beihilfenstreits mit der Europäischen Kommission um die Gewährträgerhaftung im Sparkassenbereich hinweisen. 108 Norbert Schulz, Das Kommunalunternehmen, in Kirchgäßner/Knemeyer/ Schulz, Das Kommunalunternehmen, S. 18 (20); Lux, NWVBl. 2000, 7 (12, m.w.N. auch zur abweichenden Auffassung in Fn. 71). 109 Vgl. dazu, mit positiver Bewertung, Mann, NVwZ 1996, 557 (558); Ehlers, NWVBl. 2000, 1 (2). Den Charakter als Gratwanderung betont Knemeyer, BayVBl. 1999, 1 (3 f. mit Fn. 33). Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung außergerichtlich nach außen. Dieses Außenvertretungsrecht des Vorstandes ist – anders als die Geschäftsführungsbefugnis – nicht disponibel, so dass insoweit in der Unternehmenssatzung nur organisatorische Details, etwa die Frage der Einzelvertretung oder der gemeinsamen Vertretung durch mehrere Vorstandsmitglieder oder der Übertragbarkeit der Vertretungsmacht, zu regeln sind110. 76 Weiter vorgesehen ist regelmäßig (vgl. allerdings § 106a GO Schl.-Holst.) ein Verwaltungsrat, der – vergleichbar dem Aufsichtsrat im GmbHRecht111 – vorwiegend als Überwachungsorgan konzipiert ist. Er bestellt zunächst die Mitglieder des Vorstands (Art. 90 Abs. 2 Satz 2 BayGO; § 114a Abs. 7 Satz 2 GO NW; § 5 Abs. 3 Satz 2 AnstG LSA; § 145 Abs. 3 Satz 2 NKomVG; § 95 Abs. 1 Satz 6 BbgKVerf; § 86 b Abs. 2 Satz 1 GemO Rh.-Pf.) und überwacht dessen Geschäftsführung (Art. 90 Abs. 2 Satz 1 BayGO; § 114a Abs. 7 Satz 1 GO NW; § 86b Abs. 2 Satz 2 GemO Rh.-Pf.; § 5 Abs. 3 Satz 1 AnstG LSA; § 145 Abs. 3 Satz 1 NKomVG; § 95 Abs. 1 Satz 5 BbgKVerf). Darüber hinaus sind ihm bestimmte Entscheidungen, u.a. der Erlass von Satzungen, schon kraft Gesetzes übertragen (vgl. Art. 90 Abs. 2 Satz 3 BayGO; § 114a Abs. 7 Satz 3 GO NW; § 5 Abs. 3 Satz 3 AnstG LSA; § 145 Abs. 3 Satz 3 NKomVG; § 95 Abs. 1 Satz 7 BbgKVerf) bzw. können ihm durch die Unternehmenssatzung bestimmte Entscheidungsbefugnisse vorbehalten werden; dies ist teils speziell angeordnet (§ 114a Abs. 7 Satz 6 GO NW; § 86b Abs. 2 Satz 2 GemO Rh.-Pf.) und ergibt sich im Übrigen daraus, dass die eigenverantwortliche Unternehmensleitung durch den Vorstand unter den Vorbehalt abweichender gesetzlicher oder satzungsmäßiger Regelung gestellt ist (Art. 90 Abs. 1 Satz 1 BayGO; § 114a Abs. 6 Satz 1 GO NW; § 86b Abs. 1 Satz 1 GemO Rh.-Pf.; § 5 Abs. 2 Satz 1 AnstG LSA; § 145 Abs. 2 Satz 1 NKomVG; § 95 Abs. 1 Satz 1 BbgKVerf). Auf dieser Grundlage können in der Unternehmenssatzung etwa auch Zustimmungsvorbehalte zugunsten des Verwaltungsrats für Rechtsgeschäfte oberhalb bestimmter Wertgrenzen vorgesehen werden112. 77 Schließlich sind in leicht divergierendem Umfang Zustimmungsvorbehalte und Weisungsrechte zugunsten des Rats der Gemeinde vorgesehen. Teils soll in der Satzung festgelegt werden können, dass bestimmte Entscheidungen der Organe der Anstalt von grundsätzlicher Bedeutung der Zustimmung des Rates bedürfen (§ 114a Abs. 7 Satz 7 GO NW; § 86b Abs. 2 Satz 3 GemO Rh.-Pf.; § 106a Abs. 2 Satz 3 GO Schl.-Holst.; vgl. auch § 145 Abs. 3 Satz 4 NKomVG). Teils werden Weisungsrechte des Rats gegenüber dem Verwaltungsrat bzw. dessen Mitgliedern für bestimmte Fälle, insbesondere den des Satzungserlasses durch das Kommunalunternehmen, gesetzlich begründet (Art. 90 Abs. 2 Satz 4 BayGO;
110 Norbert Schulz, BayVBl. 1996, 97 und 129 (132). 111 Held, WiVerw 1998, 264 (293). 112 Norbert Schulz, BayVBl. 1996, 97 und 129 (132).
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§ 114a Abs. 7 Satz 4 GO NW; § 5 Abs. 3 Satz 4 AnstG LSA) bzw. für bestimmte Fälle auf der Grundlage einer Regelung der Unternehmenssatzung zugelassen (Art. 90 Abs. 2 Satz 5 BayGO; § 5 Abs. 3 Satz 5 AnstG LSA; § 145 Abs. 3 Satz 5 NKomVG). Dass diese Einwirkungsbefugnisse des Rats einer gesetzlichen oder satzungsmäßigen Grundlage bedürfen, sichert den Unternehmensorganen jedenfalls – anders als etwa im Falle einer generellen Weisungsabhängigkeit der Verwaltungsratsmitglieder – eine gewisse Unabhängigkeit von tagespolitisch motivierten Eingriffen in die Unternehmensführung113. Die landesgesetzlichen Regelungen lassen – wie gesehen – einen be- 78 trächtlichen Regelungsspielraum für die Kommunen als Unternehmenssatzungsgeber. Sie können diesen nutzen, um die unternehmerische Selbständigkeit und Flexibilität des Kommunalunternehmens zu reduzieren, indem sie die Befugnisse des Vorstands im Verhältnis zum Verwaltungsrat beschränken oder auch die Befugnisse des Gemeinderats im Verhältnis zu den Unternehmensorganen erweitern114, oder aber großzügig bemessen. Der gesetzgeberischen Absicht, dem Kommunalunternehmen größere Selbständigkeit einzuräumen als dem Regie- oder Eigenbetrieb115, dürfte es entsprechen, wenn die Kommunen von dieser Gestaltungsmöglichkeit so Gebrauch machen, dass die Entscheidungsbefugnisse der Unternehmensleitung nicht zu stark beschränkt werden116. f) Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten aa) Die Übertragung gemeindlicher Aufgaben Die gesetzlichen Regelungen über das Kommunalunternehmen erlauben 79 der Gemeinde die vollständige oder teilweise Übertragung einzelner Aufgaben oder auch aller Aufgaben, die mit einem bestimmten Zweck verbunden sind, auf die Anstalt (Art. 89 Abs. 2 Satz 1 BayGO; § 114a Abs. 3 Satz 1 GO NW; § 86a Abs. 3 Satz 1 GemO Rh.-Pf.; § 3 Satz 1 AnstG LSA; § 106a Abs. 3 Satz 1 GO Schl.-Holst.; § 143 Abs. 1 Satz 1 NKomVG; § 94 Abs. 4 Satz 1 BbgKVerf).
113 Mann, NVwZ 1996, 557 (558). 114 Norbert Schulz, Das Kommunalunternehmen, in Kirchgäßner/Knemeyer/ Schulz, Das Kommunalunternehmen, S. 18 (23). 115 Vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf der Landesregierung Rheinland-Pfalz in LT-Drs. 13/2306, S. 37, sowie die Begründung zum Gesetzentwurf der nordrhein-westfälischen Landesregierung in LT-Drs. 12/3730, S. 107. 116 Mann, NVwZ 1996, 557 (558); Knemeyer, Das selbständige Kommunalunternehmen des öffentlichen Rechts, in Kirchgäßner/Knemeyer/Schulz, Das Kommunalunternehmen, S. 9 (16); Pielow, Zwischen Flexibilität und demokratischer Legitimität: Neue Rechtsformen für kommunale Unternehmen (dargestellt am Beispiel des bayerischen Rechts), in Epping/Fischer/Heintschel von Heinegg, FS f. Knut Ipsen, S. 725 (742); Ehlers, ZHR 167 (2003), 546 (561): Unzulässigkeit einer Aushöhlung der Eigenverantwortlichkeit des Vorstandes. Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung 80 Diese Befugnis erstreckt sich auf alle gemeindlichen Aufgaben, also sowohl auf die freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben als auch auf die Pflichtaufgaben und die Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung bzw. die übertragenen Aufgaben117. 81 Sie erlaubt weiter die bloß teilweise Aufgabenübertragung, insbesondere die Beschränkung auf die bloße Durchführung der Aufgabe bei fortbestehender Aufgabenträgerschaft der Kommune oder auch die vollständige Übertragung der Aufgabe auf das Kommunalunternehmen118. Diese letztere Möglichkeit begründet einen wesentlichen Unterschied zu den privatrechtlich organisierten Unternehmen der Kommunen, die – vorbehaltlich der regelmäßig gesetzlich nicht ermöglichten Beleihung – hoheitliche Aufgaben nicht insgesamt übernehmen, sondern nur als Erfüllungsgehilfe oder Verwaltungshelfer der Kommune in die kommunale Aufgabenwahrnehmung eingeschaltet werden können119 (vgl. Rz. 99 ff.). bb) Öffentlich-rechtliche Handlungsbefugnisse 82 Zur Wahrnehmung der ihnen übertragenen gemeindlichen Aufgaben können den Kommunalunternehmen als juristischen Personen des öffentlichen Rechts einzelne, weitreichende öffentlich-rechtliche Handlungsbefugnisse verliehen werden120. Dadurch unterscheiden sich auch ihre Handlungsmöglichkeiten wesentlich von denen privatrechtsförmiger Unternehmen der Gemeinde121, die grundsätzlich über solche öffentlichrechtlichen Befugnisse nicht verfügen; sie können ihnen allein kraft gesetzlicher Beleihungstatbestände zuerkannt werden, an denen es jedoch regelmäßig fehlt (vgl. Rz. 100). 83 Im Einzelnen zählt zu diesen öffentlich-rechtlichen Befugnissen, deren Verleihung an die Kommunalunternehmen gesetzlich zugelassen ist, zunächst die Befugnis zur Satzungsgebung anstelle der Gemeinde (Art. 89 Abs. 2 Satz 3 BayGO; § 86a Abs. 3 Satz 2 GemO Rh.-Pf.; § 114a Abs. 3 Satz 2 GO NW; § 3 Satz 3 AnstG LSA; § 106a Abs. 3 Satz 2 GO Schl.Holst.; § 143 Abs. 1 Satz 3 NKomVG; § 94 Abs. 4 Satz 3 BbgKVerf). Auch
117 Bauer/Böhle/Masson/Samper, Bayerische Kommunalgesetze, Art. 89 GO Rz. 14. 118 Oster in Gabler u.a., Kommunalverfassungsrecht Rheinland-Pfalz, § 86a GO Anm. 4. 119 Norbert Schulz, Das Kommunalunternehmen, in Kirchgäßner/Knemeyer/ Schulz, Das Kommunalunternehmen, S. 18 (19); Lux, NWVBl. 2000, 7 (12); Hofmann-Hoeppel, KommunalPraxis 2008, 61 (62). 120 Zu rechtlichen Problemen im Verhältnis von Aufgaben- und Befugnisübertragung vgl. Hofmann-Hoeppel, KommunalPraxis 2008, 61 (64 ff.). 121 Kostenbader, Neue Wege der Organisation in der Kommunalwirtschaft am Beispiel Bayerns, in Ziekow, Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft, S. 93 (94); Ehlers, ZHR 167 (2003), 546 (568).
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§7
B. Rechtsformen gemeindeeigener Unternehmen
Anstaltssatzungen mit Eingriffscharakter, also z.B. Abgabensatzungen sind danach zulässig122. Weiter sehen die einschlägigen Bestimmungen die Möglichkeit der An- 84 ordnung von Anschluss- und Benutzungszwang zugunsten des Kommunalunternehmens vor (Art. 89 Abs. 2 Satz 2 BayGO; § 86a Abs. 3 Satz 2 GemO Rh.-Pf.; § 114a Abs. 3 Satz 2 GO NW; § 3 Satz 2 AnstG LSA; § 106a Abs. 3 Satz 2 GO Schl.-Holst.; § 143 Abs. 1 Satz 2 NKomVG; § 94 Abs. 4 Satz 2 BbgKVerf). Außerdem ist auch die Gebührenerhebung durch das Kommunalunter- 85 nehmen im eigenen Namen zulässig, sofern eine entsprechende Abgabensatzung für die Benutzung einer von dem Kommunalunternehmen betriebenen Einrichtung besteht123 (vgl. § 143 Abs. 2 NKomVG). Schließlich ist das Kommunalunternehmen zur Verwaltungsvollstre- 86 ckung befugt (vgl. ausdrücklich Art. 91 Abs. 4 BayGO, § 7 Abs. 4 AnstG LSA, § 143 Abs. 2 NKomVG; vgl. auch § 114a Abs. 9 Satz 1 GO NW zur Ausübung hoheitlicher Befugnisse auf Grund einer Aufgabenübertragung nach Abs. 3). cc) Beteiligung an anderen Unternehmen Im Interesse einer den privaten Rechtsformen vergleichbaren Flexibili- 87 tät124 in ihrer wirtschaftlichen Betätigung erlauben Art. 89 Abs. 1 Satz 2 BayGO, § 86a Abs. 5 GemO Rh.-Pf.; § 114a Abs. 4 GO NW, § 1 Abs. 1 Satz 3 AnstG LSA, § 106a Abs. 1 Satz 2 GO Schl.-Holst., § 141 Abs. 3 Satz 1 NKomVG, § 94 Abs. 3 BbgKVerf dem Kommunalunternehmen ausdrücklich, sich nach Maßgabe der Unternehmenssatzung an anderen Unternehmen zu beteiligen, sofern dies dem Unternehmenszweck dient. Das schließt auch die Befugnis zur Gründung von Tochterunternehmen ein125. Die Entscheidung über die Beteiligung an einem anderen Unternehmen ist im Allgemeinen dem Verwaltungsrat vorbehalten (Art. 90 Abs. 2 Satz 3 Nr. 4 BayGO; § 114a Abs. 7 Satz 3 Nr. 2 GO NW; § 5 Abs. 3 Satz 3 Nr. 4 AnstG LSA; § 145 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 NKomVG). 4. Stiftungen des öffentlichen Rechts Öffentlich-rechtliche, kommunale Stiftungen kommen als Instrumente kommunalwirtschaftlicher Betätigung kaum in Betracht.
122 Ehlers, ZHR 167 (2003), 546 (567). 123 Bauer/Böhle/Masson/Samper, Bayerische Kommunalgesetze, Art. 89 GO Rz. 20 f.; Oster in Gabler u.a., Kommunalverfassungsrecht Rheinland-Pfalz, § 86a GO Anm. 2. 124 Vgl. die Gesetzentwurfsbegründung der nordrhein-westfälischen Landesregierung in LT-Drs. 12/3730, S. 110. 125 Ehlers, ZHR 167 (2003), 546 (557). Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung 89 Ein Grund dafür liegt bereits darin, dass in den meisten Ländern gemeinderechtliche Beschränkungen des Einbringens von kommunalem Vermögen in Stiftungen bestehen; Gemeindevermögen darf danach nur eingebracht werden, wenn der Stiftungszweck im Rahmen der Aufgabenerfüllung der Gemeinde liegt und der verfolgte Zweck auf andere Weise nicht erreicht werden kann126 (vgl. etwa § 100 Abs. 3 GO NW). Die Errichtung kommunaler Stiftungen unter Einsatz von Gemeindevermögen für kommunalwirtschaftliche Zwecke kommt danach schwerlich in Betracht. 90 Die Errichtung rechtsfähiger Stiftungen des öffentlichen Rechts unterliegt weiter dem Vorbehalt des Gesetzes; sie setzt die Begründung durch einen staatlichen Hoheitsakt, genauer die Begründung durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes voraus127. An entsprechenden gesetzlichen Ermächtigungen für die Errichtung von rechtsfähigen Stiftungen des öffentlichen Rechts fehlt es derzeit jedoch128, so dass Neugründungen rechtsfähiger Stiftungen des öffentlichen Rechts zu kommunalwirtschaftlichen Zwecken praktisch nicht in Betracht kommen.
II. Privatrechtliche Rechtsformen 91 Die Organisationshoheit der Kommunen schließt – wie gesehen (vgl. Rz. 14) – auch das Recht ein, sich für ihre Einrichtungen und Unternehmen der Rechtsformen des Privatrechts zu bedienen. Es kommen insoweit grundsätzlich sämtliche privatrechtlichen Organisationsformen in Betracht129. 92 Gemeindeeigene Unternehmen privater Rechtsform werden als kommunale Eigengesellschaften bezeichnet. Als solche Eigengesellschaften definieren einzelne Gemeindeordnungen alle Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit, deren sämtliche Anteile den Gemeinden gehören (vgl. die Legaldefinition in § 92 Abs. 2 Nr. 3 BbgKVerf; § 136 Abs. 2 Nr. 2 NKomVG). Eigengesellschaften werden unterschieden von den so genannten gemischt-öffentlichen Unternehmen, d.h. den privatrechtsförmigen Unternehmen unter Beteiligung anderer Kommunen (vgl. dazu Rz. 161 ff.), sowie den so genannten gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen, d.h. den privatrechtsförmigen Unternehmen unter Beteiligung Privater (vgl. dazu Rz. 188 ff.).
126 Vgl. Twehues, Rechtsfragen kommunaler Stiftungen, S. 210 f. mit Fn. 197; Bockamp/Tesfaiesus, KommJur 2009, 88 (88 ff.), die für eine restriktive Interpretation dieser Vorgabe, insbesondere ihre Unanwendbarkeit auf die Stiftungsgründung, plädieren. 127 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rz. 55. 128 Twehues, Rechtsfragen kommunaler Stiftungen, S. 202; Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 112. 129 Ehlers, DÖV 1986, 897 (898).
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B. Rechtsformen gemeindeeigener Unternehmen
Im Gegensatz zu den besonderen öffentlich-rechtlichen Unternehmensformen des Kommunalrechts, die im Landesrecht ihre Rechtsgrundlage haben, unterliegen die privatrechtlichen Unternehmensformen grundsätzlich bundesrechtlicher Regelung. Die kompetenzrechtliche Grundlage dafür ist die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes für das Bürgerliche Recht gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG.
93
Der landesrechtlichen Regelung im Kommunalwirtschaftsrecht bleiben 94 danach nur noch Spielräume für ergänzende, spezifisch auf die kommunale Wirtschaftstätigkeit bezogene Regelungen (zu dem Verhältnis von Kommunalrecht und bundesrechtlich geregeltem Gesellschaftsrecht vgl. näher § 9 Rz. 1 ff.). Diese kommunalwirtschaftsrechtlichen Regelungen wollen insbesondere der Aufgabe bzw. übermäßigen Lockerung der öffentlichen Zweckbindung gemeindlicher Wirtschaftsbetätigung durch die Wahl privatrechtlicher Unternehmensformen wehren. Dabei bieten sich dem Landesgesetzgeber im Grundsatz zwei Regelungsansätze, von denen der erste auf die Wahl der Unternehmensform und dabei insbesondere auf die Beschränkung des Zugangs zu privatrechtlichen Organisationsformen zielt (vgl. dazu § 8 Rz. 9 ff.) und der zweite auf die nähere Ausgestaltung kommunaler Unternehmen privater Rechtsform insbesondere im Hinblick auf die Steuerung und Kontrolle durch die Kommune (vgl. dazu § 8 Rz. 32 ff.). 1. Allgemeine Aspekte der Wahl der Privatrechtsform Die Wahl einer privatrechtlichen Organisationsform, welche es auch sei, 95 hat die rechtliche Verselbständigung des Unternehmens und seine prinzipielle Unterstellung unter das Regime des Privatrechts zur Folge. Diese Verselbständigung in privatrechtlicher Rechtsform wird in verschiedenen Hinsichten wirksam; sie macht einerseits gerade die Gründe für die Wahl der Privatrechtsform aus und hat andererseits spezifische Folgen für die kommunalwirtschaftlichen Handlungsmöglichkeiten. a) Gründe für die Wahl der Privatrechtsform Zu den wesentlichen für die Wahl der Privatrechtsform geltend gemach- 96 ten Gründen zählen gerade Aspekte, die im Kern eine Vermeidung bestimmter rechtlicher Restriktionen des öffentlichen Rechts durch den Wechsel des rechtlichen Regimes anstreben. Insoweit geht es zum einen um die Zurückdrängung von Bindungen vor allem durch das öffentliche Organisations-, Personal-, Haushalts- und Vergaberecht130, zum anderen auch um die mögliche steuerrechtliche Vorteilhaftigkeit der Privatrechtsform131.
130 Vgl. dazu Schoch, Privatisierung der Abfallentsorgung, S. 82 ff. 131 Vgl. Schoch, Privatisierung der Abfallentsorgung, S. 97 ff. Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung 97 Als Folge des Wechsels zur privatrechtlichen Organisationsform wird eine größere unternehmerische Selbständigkeit und Flexibilität erwartet, die im Ergebnis zu einer wirtschaftlich effizienteren Betätigung führen soll. In diesem Sinne ist mit der Wahl der Privatrechtsform die Zurückdrängung des politischen Einflusses der kommunalen Vertretungskörperschaft und der Verwaltungsspitze gerade intendiert132. 98 Schließlich wird nicht zu Unrecht auch auf einen überschießenden atmosphärischen oder psychologischen Aspekt hingewiesen, der mit der Wahl der Privatrechtsform verbunden sei. Danach soll mit dem Wechsel zur privaten Rechtsform auch im Bewusstsein der Öffentlichkeit und der Manager eine stärkere Ausrichtung an privatwirtschaftlichen Handlungsmustern und Erfolgsvorstellungen einhergehen133. b) Folgen für die kommunalen Handlungsmöglichkeiten 99 Auf der anderen Seite bedingt die Wahl der Privatrechtsform eine Veränderung im Rechtscharakter der Unternehmenstätigkeit. Zwar soll, weil die Eigengesellschaft ausschließlich von der öffentlichen Hand gesteuert wird, ihre Tätigkeit nach h.M. – insbesondere sub specie des Demokratieprinzips – als Ausübung von Staatsgewalt gelten134. Das privatrechtsförmig organisierte kommunale Unternehmen ist jedoch jedenfalls nicht mehr Inhaber der kommunalen Aufgabe und der öffentlich-rechtlichen Handlungsbefugnisse der Kommune, wie insbesondere mit Blick auf die kommunalen Pflichtaufgaben deutlich wird (vgl. insoweit, zur Einbeziehung Privater, Rz. 182 ff.) und sich in den ausdrücklichen Ermächtigungen zur Aufgabenübertragung auf die rechtsfähigen Kommunalunternehmen des öffentlichen Rechts bestätigt (vgl. Rz. 79 ff.). Mit der Gründung einer Eigengesellschaft entsteht ein rechtlich selbständiges und von der Kommune zu unterscheidendes Unternehmen, dessen Handeln nicht unmittelbar der Kommune selbst zuzurechnen, sondern von deren Handeln und Aufgabenwahrnehmung zu unterscheiden ist. Das Handeln des privatrechtsförmigen kommunalen Unternehmens ist deshalb nicht mehr ohne weiteres als kommunale Aufgabenwahrnehmung zu qualifizieren und ist grundsätzlich auf die privatrechtlichen Handlungsmöglichkeiten beschränkt.
132 Schoch, DÖV 1993, 377 (381). 133 Knemeyer, der städtetag 1992, 317 (318); Püttner, Zur Wahl der Privatrechtsform für kommunale Unternehmen und Einrichtungen, S. 22; Reiner Schmidt, ZGR 1996, 345 (348); Pielow, Zwischen Flexibilität und demokratischer Legitimität: Neue Rechtsformen für kommunale Unternehmen (dargestellt am Beispiel des bayerischen Rechts), in Epping/Fischer/Heintschel von Heinegg, FS f. Knut Ipsen, S. 725 (733). 134 Vgl. zuletzt etwa Storr, Der Staat als Unternehmer, S. 86 f.; kritisch dazu Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, S. 229 ff.
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§7
B. Rechtsformen gemeindeeigener Unternehmen
Die Gemeindeordnungen sehen regelmäßig auch keine gesetzliche Er- 100 mächtigung zur Beleihung von Eigengesellschaften vor, die den Kommunen die Befugnis gibt, diese mit der hoheitlichen Wahrnehmung bestimmter Verwaltungsaufgaben im eigenen Namen zu betrauen135. Eine Ausnahme stellt insoweit die Beleihungsermächtigung des § 85 Abs. 6 GemO Rh.-Pf. dar, wonach die Gemeinde durch – genehmigungsbedürftige – Satzung juristischen Personen, an denen nur sie oder andere kommunale Körperschaften beteiligt sind, das Recht verleihen kann, an ihrer Stelle tätig zu werden, wenn Gründe des Gemeinwohls nicht entgegenstehen136. Ungeachtet der Alleininhaberschaft ihres kommunalen Eigners kann des- 101 halb auch die Eigengesellschaft regelmäßig nur als Verwaltungshelfer oder Erfüllungsgehilfe in die Wahrnehmung der kommunalen Aufgaben einbezogen werden137 (vgl. dazu näher, mit Blick auf die Einbeziehung Privater, Rz. 177 ff.). Insbesondere für das Tätigkeitsfeld von Eigengesellschaften bedeutsam 102 ist insoweit, dass Rechtsprechung und Literatur davon ausgehen, dass die Kommunen sich auch privatrechtsförmiger Unternehmen als Träger von öffentlichen Einrichtungen im Sinne des Gemeinderechts bedienen können138. Daraus folgt, dass die Kommune bestimmte öffentlich-rechtliche Pflichten in Bezug auf die Eigengesellschaft als Trägerin der öffentlichen Einrichtung hat, namentlich die Pflicht zur Einwirkung zur Durchsetzung des gegen die Kommune gerichteten kommunalrechtlichen Anspruchs auf Zulassung zur Nutzung der gemeindlichen öffentlichen Einrichtung (vgl. z.B. § 8 Abs. 2 GO NW); andererseits sollen sich daraus auch öffentlich-rechtliche Handlungsbefugnisse der Kommune in Bezug auf die Eigengesellschaft ergeben. So lassen die Rechtsprechung und die vorherrschende Auffassung in der 103 Literatur es zu, dass die Gemeinde auf der Grundlage der ihr verliehenen Satzungsermächtigung auch einen Anschluss- und Benutzungszwang im Hinblick auf öffentliche Einrichtungen in privater Trägerschaft begründet; Voraussetzung dafür soll sein, dass die Gemeinde durch geeignete Maßnahmen dafür sorgt, dass das dem Anschluss- und Benutzungszwang entsprechende Anschluss- und Nutzungsrecht, also die Versorgung in gleichem Umfang gesichert ist, als wenn sie durch die öffentliche Hand
135 Zur Beleihung vgl. allgemein Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rz. 56. 136 Vgl. Oster in Gabler u.a., Kommunalverfassungsrecht Rheinland-Pfalz, § 85 GO Anm. 5. 137 Näher dazu Hellermann, Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung, S. 229 ff. 138 Vgl. etwa VGH BW v. 23.9.1980 – I 3895/78, DVBl 1981, 220 (222); BGH v. 10.12.1986 – VIII 349/85, NJW 1987, 831 (832); BVerwG v. 29.5.1990 – 7 B 30.90, NVwZ 1991, 59. Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung selbst erfolgte139. Diese nötige Versorgungssicherheit soll die Gemeinde durch verschiedenartige Einwirkungs- und Kontrollrechte bewirken können, z.B. – wie namentlich bei der Eigengesellschaft – durch gesellschaftliche Beteiligung, aber auch durch Maßnahmen der Vertragsgestaltung wie z.B. Selbsteintritts-, Übernahme- oder Vetorechte der Gemeinde, Genehmigungs- und Abstimmungspflichten bezüglich etwa der Preisgestaltung oder des Ausbaus der Anlage etc.140. Sind entsprechend wirksame Kontroll- und Einwirkungsmöglichkeiten vorhanden, soll auch unschädlich sein, wenn die Gemeinde dem privatrechtsförmigen Betreiber der öffentlichen Einrichtung deren Betrieb einschließlich der Rechtsbeziehungen zum Benutzer übertragen hat141. Auch insoweit wird eine zweistufige Gestaltung der Rechtsbeziehungen für zulässig gehalten, bei der die Satzung sich als so genannte Rumpfsatzung auf die Festlegung des Anschluss- und Benutzungszwangs beschränkt und für die weitere Regelung des Anschlusses und des Versorgungsverhältnisses auf die privatrechtliche Regelung im Versorgungsvertrag des Nutzers mit dem privatrechtsförmigen Träger der öffentlichen Einrichtung verweist142. 2. Die einzelnen Unternehmensformen des Privatrechts 104 Für die kommunalwirtschaftliche Betätigung kommen zunächst grundsätzlich alle privatrechtlichen Organisationsformen in Betracht, die auch den privaten Unternehmen offen stehen. Anders als im privatwirtschaftlichen Bereich, wo in zurückliegenden Jahren auch die Wahl ausländischer Rechtsformen, namentlich der englischen Limited als Alternative zur GmbH, vielfach diskutiert worden ist, spielen im kommunalen Bereich – soweit ersichtlich – allerdings nur die Unternehmensformen des deutschen Rechts eine Rolle. 105 Die Kommunen müssen freilich die besonderen kommunalwirtschaftsrechtlichen Regelungen über den Zugang zu Organisationsformen des Privatrechts für ihre wirtschaftlichen Unternehmungen bzw. als nichtwirtschaftlich qualifizierten Einrichtungen beachten (vgl. näher zu diesen Zugangsregelungen § 8 Rz. 9 ff.). Für die Frage, ob bestimmte einzelne privatrechtliche Organisationsformen überhaupt für die kommunale Wirtschaftstätigkeit in Betracht kommen, ist von zentraler Bedeutung insoweit die von den Gemeindeordnungen im Wesentlichen übereinstimmend aufgestellte Forderung, nur solche privaten Unternehmensformen zu wählen, die keine der Höhe nach unbeschränkte Haftung der Gemeinde auslösen (vgl. näher § 8 Rz. 45 ff.). 139 BVerwG v. 6.4.2005 – 8 CN 1.04, BVerwGE 123, 159 (161 f., 164). Vgl. Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rz. 605; Erichsen, Kommunalrecht des Landes Nordrhein-Westfalen, S. 259 f. Krit. dazu Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 176. 140 BVerwG v. 6.4.2005 – 8 CN 1.04, BVerwGE 123, 159 (165). 141 BVerwG v. 6.4.2005 – 8 CN 1.04, BVerwGE 123, 159 (164). 142 Erichsen, Kommunalrecht des Landes Nordrhein-Westfalen, S. 260.
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§7
B. Rechtsformen gemeindeeigener Unternehmen
a) Kapitalgesellschaften Die mit Abstand größte Bedeutung für die kommunalwirtschaftliche Be- 106 tätigung haben unter den privatrechtlichen Rechtsformen die so genannten Kapitalgesellschaften in der Rechtsform der Aktiengesellschaft und der Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Die Erklärung dafür findet sich zum einen darin, dass diese Unternehmensformen die angestrebte rechtliche und in gewissem Umfang auch faktische Verselbständigung im Verhältnis zur Trägerkommune leisten; zum anderen genügen sie ihrer Rechtsform nach der erwähnten kommunalwirtschaftsrechtlichen Forderung, nur private Unternehmensformen mit der Höhe nach begrenzter Haftung zu wählen143. aa) Die Aktiengesellschaft Die Aktiengesellschaft ist ihrer Rechtsnatur nach eine Gesellschaft mit 107 eigener Rechtspersönlichkeit, also eine juristische Person, die den Gläubigern nur mit ihrem Gesellschaftsvermögen haftet (§ 1 Abs. 1 AktG). Sie hat ein in Aktien zerlegtes Grundkapital (§ 1 Abs. 2 AktG) und ist, da die Aufbringung und Erhaltung dieses Kapitals, nicht die Persönlichkeit der Mitglieder, ihren Charakter bestimmen, typische Kapitalgesellschaft. Durch die Einfügung des § 2 AktG mit dem Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts vom 2.8.1994144 ist auch die Gründung einer Aktiengesellschaft durch eine einzelne Person ermöglicht worden. Gesellschaftsrechtlich ist damit auch die Gründung einer kommunalen Eigengesellschaft in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft zugelassen.
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Das Recht der Aktiengesellschaft enthält eine weitgehend zwingende Re- 109 gelung der Unternehmensverfassung, die im Ergebnis eine weitreichende Verselbständigung des Unternehmens gegenüber der Trägerkommune bewirkt. Nach der im Aktiengesetz vorgesehenen Unternehmensverfassung 110 kommt dem Vorstand eine herausgehobene, unabhängige Stellung zu. Er leitet unter eigener Verantwortung die Gesellschaft (§ 76 Abs. 1 AktG) und vertritt sie unbeschränkt nach außen (§§ 78 Abs. 1, 82 AktG). In seiner Geschäftsführung ist der Vorstand frei von jeglicher Weisung. Zuständigkeitsverlagerungen auf andere Organe der Aktiengesellschaft, namentlich auf den Aufsichtsrat, sind auch durch Satzung oder Hauptversammlungsbeschluss nicht zulässig. Möglich ist allein die Bindung bestimmter Arten von Geschäften an die Zustimmung des Aufsichtsrats bzw. an einen Beschluss der Hauptversammlung, wenn der Vorstand dies verlangt,
143 Kraft, Eigengesellschaften, in Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 5, S. 168 (172). 144 BGBl. I S. 1961. Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung nachdem der Aufsichtsrat die Zustimmung verweigert hat (§ 111 Abs. 4 Sätze 2 bis 5 AktG). 111 Dem – obligatorischen – Aufsichtsrat sind nach dem Aktiengesetz Maßnahmen der Geschäftsführung verschlossen (§ 111 Abs. 4 Satz 1 AktG). Seine Hauptaufgabe besteht vielmehr zum einen in der Bestellung und Abberufung des Vorstandes (§ 84 AktG) und zum anderen in der Überwachung der Geschäftsführung durch den Vorstand (§ 111 Abs. 1 AktG). In dieser Funktion sind die Mitglieder des Aufsichtsrats allein auf das Wohl der Gesellschaft verpflichtet und unabhängig und weisungsfrei145 (zu Weisungsrechten gegenüber Vertretern der Gemeinde vgl. näher § 9 Rz. 40 ff.). 112 In der Hauptversammlung als dem obersten Organ der Aktiengesellschaft üben die Aktionäre ihre Rechte in den Angelegenheiten der Gesellschaft aus (§ 118 Abs. 1 AktG). Bei einer Eigengesellschaft in der Rechtsform der Aktiengesellschaft bestimmt allein die jeweilige Trägerkommune – unter Beachtung der zulässigen kommunalwirtschaftsrechtlichen Vorgaben (vgl. § 9 Rz. 22 ff.) – die Zusammensetzung der Hauptversammlung146. Der Hauptversammlung kommen die in § 119 AktG umschriebenen Aufgaben zu147. Die dort begründeten Befugnisse vermitteln den Anteilseignern, auch dem Alleinaktionär nach dem zwingenden Recht des Aktiengesetzes jedoch keine unmittelbare Einflussnahme auf die Unternehmenstätigkeit148. 113 Diese gesellschaftsrechtlich vorgegebene, weitreichende Verselbständigung der Aktiengesellschaft, die ihre kommunale Steuerung im Sinne der Erfüllung des öffentlichen Zwecks erschwert, ist der Grund für eher kritische Beurteilungen der Aktiengesellschaft als Organisationsform kommunaler Eigengesellschaften149. Einzelne Gemeindeordnungen haben aus dieser Erwägung heraus einen Nachrang gegenüber anderen privatrechtlichen Organisationsformen statuiert (vgl. § 8 Rz. 22 ff.). Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass die Aktiengesellschaft auf kommunaler Ebene vornehmlich für größere Betriebe und damit für größere Städte in Be-
145 Reiner Schmidt, ZGR 1996, 345 (353 f.). 146 Vgl. Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 212. 147 Zur eng umgrenzten Erweiterung der Zuständigkeit der Hauptversammlung über den Gesetzeswortlaut hinaus durch die sog. „Holzmüller-Rechtsprechung“ in Fällen, in denen Umstrukturierungspläne des Vorstands an die Kernkompetenz der Hauptversammlung zur Bestimmung über die Verfassung der Aktiengesellschaft rühren, vgl. BGH v. 22.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122 (128 ff.); BGH v. 24.4.2004 – II ZR 155/02, BGHZ 159, 30 (37 ff.). 148 Vgl. etwa Thorsten Koch, Der rechtliche Status kommunaler Unternehmen in Privatrechtsform, S. 153 ff. 149 Vgl. etwa Ehlers, DVBl 1997, 137 (139); Oster in Gabler u.a., Kommunalverfassungsrecht Rheinland-Pfalz, § 87 GO Anm. 3. In der Tendenz anders Knemeyer, der städtetag 1992, 317 (320 f.).
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B. Rechtsformen gemeindeeigener Unternehmen
tracht kommt150 und dabei weniger für Eigengesellschaften als für Unternehmen mit Beteiligung Privater. bb) Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung Die GmbH ist der Aktiengesellschaft ihrer Rechtsnatur nach verwandt. 114 Auch die GmbH ist Gesellschaft mit körperschaftlicher Organisation und eigener Rechtspersönlichkeit, die ihren Gläubigern nur mit dem Gesellschaftsvermögen haftet (§ 13 Abs. 1 und 2 GmbHG). Die GmbH kann auch durch nur eine Person, also auch durch eine Kommune allein errichtet werden (§ 1 GmbHG). Hinsichtlich der Ausgestaltung der Unternehmensverfassung unterschei- 115 det sich das GmbH-Recht jedoch beträchtlich von dem der Aktiengesellschaft. Es weist eine deutlich größere Gestaltungsoffenheit der Unternehmensverfassung auf, die es erlaubt, die Zuständigkeiten zwischen den Organen je nach den Bedürfnissen im Gesellschaftsvertrag sehr unterschiedlich zu verteilen. Das GmbH-Gesetz schreibt zwingend vor, dass die GmbH einen oder 116 mehrere Geschäftsführer hat (§ 6 GmbHG). Der Geschäftsführer vertritt die GmbH gerichtlich und außergerichtlich (§ 35 Abs. 1 GmbHG). Seine Bestellung und auch – jederzeitige – Abberufung unterliegt jedoch der Bestimmung der Gesellschafter (§ 46 Nr. 5 GmbHG), und seine Vertretungsbefugnis kann im Innenverhältnis zur Gesellschaft durch den Gesellschaftsvertrag oder nach dessen Maßgabe durch Gesellschafterbeschluss beschränkt werden (§ 37 Abs. 1 GmbHG). Das GmbH-Recht lässt damit anders als das Aktienrecht Regelungen zu, die die Geschäftsführung der Gesellschaft einer weitgehenden Einflussnahme der Gesellschafter unterwerfen, erlaubt aber auch eine weitreichende Entscheidungsfreiheit der Geschäftsführung151. Das zweite zwingend vorgeschriebene Organ der GmbH ist die Gesellschafterversammlung, die die Gesamtheit der Gesellschafter umfasst (§§ 45 ff. GmbHG). Ihre Rechte bestimmen sich weitgehend nach dem Gesellschaftsvertrag (§ 45 GmbHG) und können – wie soeben gesehen – weit in die Geschäftsführung hineinreichen.
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Die Einrichtung eines Aufsichtsrats ist nach dem GmbH-Gesetz – anders 118 als bei der Aktiengesellschaft – grundsätzlich fakultativ; wird er eingerichtet, gelten für ihn aktienrechtliche Regelungen entsprechend, jedoch vorbehaltlich abweichender gesellschaftsvertraglicher Regelung (§ 52 GmbHG), die auch ein Weisungsrecht soll vorsehen können152. Anderes gilt, wenn auf Grund mitbestimmungsrechtlicher Regelungen der Aufsichtsrat obligatorisch ist (vgl. § 9 Rz. 41). 150 Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 129, 204. 151 Vgl. Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 230 f. 152 Reiner Schmidt, ZGR 1996, 345 (354). Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung 119 Indem das GmbH-Recht erhebliche Spielräume für die Verteilung der Entscheidungs- und Handlungskompetenzen insbesondere zwischen Gesellschafterversammlung und Geschäftsführer lässt, ermöglicht es im Hinblick auf kommunale Eigengesellschaften zugleich einen Ausgleich zwischen politisch-demokratischer Steuerung und Kontrolle der Gesellschaft und unternehmerischer Autonomie nach Maßgabe der jeweiligen örtlichen Bedürfnisse. b) Sonstige Rechtsformen aa) Personengesellschaften 120 Unter den sonstigen Rechtsformen des Privatrechts sind zunächst die verschiedenen Erscheinungsformen der Personengesellschaft, namentlich die Gesellschaft des Bürgerlichen Rechts, die Offene Handelsgesellschaft und die Kommanditgesellschaft, in Betracht zu ziehen. Im Gegensatz zu den bislang erörterten Kapitalgesellschaften kommen sie allerdings schon deshalb nicht als Unternehmensform von Eigengesellschaften in Betracht, weil sie als vertraglich begründete Personengesellschaften mindestens zwei Mitglieder voraussetzen. (1) Die BGB-Gesellschaft 121 Ansonsten kommt die Gesellschaft des Bürgerlichen Rechts, die so genannte BGB-Gesellschaft, ihrer Struktur und möglichen Funktion nach zwar als Instrument kommunalwirtschaftlicher Betätigung in Betracht. Sie ist eine auf Vertrag beruhende Personenvereinigung ohne Rechtsfähigkeit, bei der die Gesellschafter sich durch den Gesellschaftsvertrag gegenseitig verpflichten, die Erreichung eines gemeinsamen Zweckes in der durch den Vertrag bestimmten Weise zu fördern, insbesondere die vereinbarten Beiträge zu leisten (§ 705 BGB). Diese Organisationsform kommt zur gemeinsamen Verfolgung vielfältiger Zwecke in Betracht, etwa kultureller oder gesellschaftlicher, aber auch wirtschaftlicher Zwecke. In Form der BGB-Gesellschaft ist deshalb auch eine gemeinsame wirtschaftliche Betätigung mit Gewinnerzielungsabsicht möglich, solange nicht ein Handelsgewerbe oder überhaupt ein Gewerbe im Sinne des Gesetzes betrieben wird; das Betreiben eines Handelsgewerbes ist der Offenen Handelsgesellschaft (vgl. Rz. 123 f.) und der Kommanditgesellschaft (vgl. Rz. 125 f.) vorbehalten. 122 Als Instrument kommunalwirtschaftlicher Betätigung scheidet die BGBGesellschaft jedoch wegen der gesetzlich angeordneten unbeschränkten Haftung der Gesellschafter für die Gesellschaftsschulden (§§ 714, 427, 431 BGB) grundsätzlich aus. Diese unbeschränkte Haftung ist unvereinbar mit dem in allen Gemeindeordnungen grundsätzlich übereinstim-
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mend enthaltenen Verbot von Privatrechtsformen mit unbegrenzter Haftung der Gemeinde153. (2) Die Offene Handelsgesellschaft Die Offene Handelsgesellschaft (§§ 105 ff. HGB), die so genannte OHG, 123 stellt eine gesetzlich geregelte Sonderform der BGB-Gesellschaft dar, deren Anwendungsbereich das gemeinsame Betreiben eines Handelsgewerbes ist (vgl. §§ 1 ff. HGB). Bereits die Beschränkung hierauf kann u.U. den Spielraum für eine Anwendung im kommunalwirtschaftlichen Bereich verengen154. Im Übrigen scheidet auch diese handelsrechtliche Gesellschaftsform wie 124 die BGB-Gesellschaft wegen der der Höhe nach nicht begrenzten Haftung der Gesellschafter, die mit den kommunalwirtschaftsrechtlichen Vorgaben für die Wahl privatrechtlicher Organisationsformen nicht vereinbar ist, als Unternehmensform für kommunale Unternehmen aus155. (3) Die Kommanditgesellschaft Bei der Kommanditgesellschaft (§§ 161 ff. HGB), der so genannten KG, 125 sind hinsichtlich der auch hier kommunalwirtschaftsrechtlich bedeutsamen Haftungsfrage (vgl. Rz. 105) zwei Arten von Gesellschaftern, Komplementäre und Kommanditisten, zu unterscheiden. Während die Komplementäre, von denen mindestens einer im Gesellschafterkreis der KG vorhanden sein muss, als persönlich haftende Gesellschafter den Gesellschaftsgläubigern unbeschränkt haften (§§ 161, 128 HGB), haften die Kommanditisten zwar auch grundsätzlich unmittelbar und persönlich, jedoch der Höhe nach begrenzt auf den Betrag einer bestimmten Vermögenseinlage (§§ 171 ff. HGB). Wegen des kommunalwirtschaftsrechtlichen Verbots der Beteiligung an privatrechtsförmigen Gesellschaften, die eine der Höhe nach unbegrenzte Haftung auslöst, scheidet daher die Beteiligung der Gemeinde an einer KG als Komplementär aus. Rechtlich zulässig erscheint danach allein eine Beteiligung der Gemeinde an einer KG als Kommanditist; wegen der beschränkten Befugnisse des Kommanditisten insbesondere im Hinblick auf Geschäftsführung und Vertretung der KG, wonach seine Stellung weitgehend auf eine kapitalmäßige Beteiligung reduziert erscheint, spricht hiergegen jedoch die verminderte Möglichkeit der unternehmerischen Steuerung durch die Gemeinde. Aus die-
153 Oster in Gabler u.a., Kommunalverfassungsrecht Rheinland-Pfalz, § 87 GO Anm. 2.4.1.1. 154 Vgl. Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 115. 155 Oster in Gabler u.a., Kommunalverfassungsrecht Rheinland-Pfalz, § 87 GO Anm. 2.4.1.2. Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung sem Grunde spielt die Unternehmensform der KG mit der Gemeinde als Gesellschafter kaum eine Rolle156. 126 Noch weiter den Kapitalgesellschaften angenähert ist die gesellschaftsrechtlich anerkannte Möglichkeit der Bildung einer GmbH & Co. KG. Dabei handelt es sich um eine Gesellschaft in der Rechtsform der KG, deren – regelmäßig einziger – Komplementär und damit persönlich unbegrenzt haftender Gesellschafter eine GmbH ist; die Haftung der GmbH als einer Kapitalgesellschaft ist dann auf ihr Gesellschaftsvermögen beschränkt (§ 13 Abs. 2 GmbHG). Diese Gesellschaftsform eröffnet der Gemeinde rechtlich die Möglichkeit, sich über eine ihr gehörende Komplementär-GmbH mittelbar auch in der Komplementärstellung an einer KG zu beteiligen und darüber hinaus auch ohne weitere, fremde Gesellschafter eine KG zu betreiben, deren Gesellschafter eine der Gemeinde gehörende GmbH als Komplementär und die Gemeinde selbst als Kommanditist sind; das kommunalwirtschaftsrechtliche Verbot der Eingehung unbegrenzter Haftungsrisiken bleibt dann gewahrt. Im Übrigen erlauben die gesellschaftsvertraglichen Gestaltungsfreiheiten bei der GmbH sowie im Innenverhältnis der KG eine Anpassung an die Bedürfnisse des jeweiligen Einzelfalls157. Dennoch spielt die GmbH & Co. KG in der kommunalwirtschaftlichen Praxis – soweit ersichtlich – keine nennenswerte Rolle. bb) Verein 127 Die privatrechtliche Organisationsform des Vereins (§§ 21 ff. BGB) ist auf mehrere Beteiligte in Gestalt seiner Mitglieder zugeschnitten. Sie bietet sich schon aus diesem Grunde als Instrument kommunalwirtschaftlicher Betätigung einer einzelnen Gemeinde nicht an158. 128 Darüber hinaus ist die kommunale Betätigung in der Organisationsform des nichtrechtsfähigen Vereins wiederum zumindest stark eingeschränkt wegen des gemeindewirtschaftsrechtlichen Verbots von privatrechtlichen Organisationsformen mit der Höhe nach nicht begrenzter Haftung der Gemeinde159. Nach § 54 Satz 1 BGB finden auf den nichtrechtsfähigen Verein die Vorschriften über die Gesellschaft Anwendung, woraus auch hier grundsätzlich die unbegrenzte Haftung der Vereinsmitglieder folgt. Auch die von der Rechtsprechung beim so genannten Idealverein, dessen Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist (§ 21 BGB), anerkannte Haftungsbeschränkung auf das Vereinsvermögen160 hat dem nichtrechtsfähigen Verein insoweit keine nennenswerte Verbreitung gebracht. 156 Vgl. Kraft, Eigengesellschaften, in Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 5, S. 168 (172). 157 Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 117. 158 Ehlers, DÖV 1986, 897 (900). 159 Ehlers, DÖV 1986, 897 (898). 160 Vgl. BGH v. 6.10.1964 – VI ZR 176/63, BGHZ 42, 210 (216).
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Der rechtsfähige Verein ist als juristische Person rechtlich verselbstän- 129 digt; die Haftung der Mitglieder ist auf das Vereinsvermögen beschränkt. Hinsichtlich der Erlangung der Rechtsfähigkeit ist zu differenzieren zwischen Idealverein und wirtschaftlichem Verein. Der so genannte Idealverein erlangt die Rechtsfähigkeit durch Eintragung in das Vereinsregister (§ 21 BGB); er hat im kommunalen Bereich eine begrenzte Bedeutung im Bereich nichtwirtschaftlicher, insbesondere kultureller oder sozialer Aufgaben erlangt, etwa zum Betrieb von Volkshochschulen, Musikschulen oder Museen161. Für eine kommunalwirtschaftliche Betätigung käme nur ein wirtschaftlicher Verein (vgl. § 22 BGB) in Betracht, der nur auf Grund einer staatlichen Verleihung Rechtsfähigkeit erlangen kann; da diese Verleihung gegenüber anderen zur Verfügung stehenden Organisationsformen subsidiär ist, insbesondere die Rechtsformen der Kapitalgesellschaft daher vorrangig sind, bleibt für den wirtschaftlichen Verein kaum ein kommunaler Anwendungsbereich162. cc) Genossenschaft Die Genossenschaft, die ihre Rechtsgrundlage in dem Gesetz betreffend 130 die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (Genossenschaftsgesetz) hat, kommt im Hinblick auf die Haftung für Verbindlichkeiten als Organisationsform kommunaler Betätigung in Betracht. Für die Verbindlichkeiten einer eingetragenen Genossenschaft, die diese Rechte mit der Eintragung in das Genossenschaftsregister erlangt (§ 13 Genossenschaftsgesetz), haftet den Gläubigern nur das Vermögen der Genossenschaft (vgl. §§ 2, 23 Abs. 1 Genossenschaftsgesetz). Das kommunalrechtliche Verbot der Wahl privater Rechtsformen, die eine der Höhe nach unbegrenzte Haftung auslösen, ist deshalb gewahrt, solange die Nachschusspflicht der Genossen der Höhe nach begrenzt ist; kommunalwirtschaftsrechtlich ausgeschlossen ist jedoch die Genossenschaft mit unbeschränkter Nachschusspflicht163. Allerdings muss nach § 4 Genossenschaftsgesetz die Genossenschaft aus 131 mindestens drei Genossen bestehen. Ebenso wie der Verein ist also auch die Genossenschaft auf mehrere Beteiligte zugeschnitten und schon deshalb als Instrument kommunalwirtschaftlicher Betätigung der einzelnen Gemeinde nicht geeignet164. Im Übrigen steht der in § 1 Abs. 1 Genossenschaftsgesetz definierte 132 Zweck der Genossenschaft ihrem kommunalwirtschaftlichen Einsatz entgegen. Die Genossenschaft hat danach die Förderung des Erwerbes 161 Oster in Gabler u.a., Kommunalverfassungsrecht Rheinland-Pfalz, § 87 GO Anm. 2.4.2.1. 162 Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 120. 163 Ehlers, DÖV 1986, 897 (898). 164 Ehlers, DÖV 1986, 897 (900); Oster in Gabler u.a., Kommunalverfassungsrecht Rheinland-Pfalz, § 87 GO Anm. 2.4.1.1. Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung oder der Wirtschaft ihrer Mitglieder mittels gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebes zum Zweck; charakteristisch für die Genossenschaft ist deshalb, dass sie gerade keinen eigenen Gewinn anstrebt, sondern eine bloße Hilfsorganisation für die wirtschaftliche Betätigung ihrer Mitglieder ist165. dd) Stiftung 133 Keine nennenswerte Rolle spielen rechtsfähige Stiftungen des Privatrechts als Instrument kommunalwirtschaftlicher Betätigung166. Zwar genießen auch die Kommunen als öffentlich-rechtliche Körperschaften richtigerweise die so genannte Stifterfreiheit167. Schon wegen der Abhängigkeit von der Zweckbindung durch den Stifterwillen und der gemeinderechtlichen Beschränkungen des Einbringens gemeindlichen Vermögens in Stiftungen (vgl. bereits Rz. 89) erscheinen sie jedoch für kommunalwirtschaftliche Zwecke ungeeignet168.
C. Rechtsformen interkommunaler wirtschaftlicher Zusammenarbeit 134 Die Selbstverwaltungsgarantie umfasst auch die so genannte Kooperationshoheit, also das Recht der Kommunen, für einzelne Aufgaben mit anderen Stellen, insbesondere anderen Kommunen, zusammenzuarbeiten, gemeinschaftliche Handlungsinstrumente zu schaffen, sich mit anderen Stellen zusammenzuschließen und gemeinsame Einrichtungen zu betreiben169. Die Gemeindeordnungen verweisen die Gemeinden teilweise ausdrücklich darauf, Aufgaben in kommunaler Zusammenarbeit zu erfüllen, wenn die Leistungsfähigkeit einer Gemeinde zu deren Erfüllung nicht hinreicht (vgl. Art. 57 Abs. 3 BayGO). Eine solche interkommunale Zusammenarbeit kommt insbesondere auch zur Wahrnehmung von Aufgaben auf wirtschaftlichem Gebiet in Betracht. 165 Oster in Gabler u.a., Kommunalverfassungsrecht Rheinland-Pfalz, § 87 GO Anm. 2.4.1.1. 166 Vgl. dazu Püttner, Die Rechtsformen kommunaler Unternehmen. A. Überblick über die Rechtsformen, in Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 5, S. 119 (120); Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 125. 167 Redbrake/Theuffel-Werhahn, ZStV 2010, 154 (154 f.); Büch, DVBl 2010, 1115 (1117); Kaluza, Die Stiftung privaten Rechts als öffentlich-rechtliches Organisationsmodell, S. 62 ff. 168 Tendenziell a.A. Bockamp/Tesfaiesus, KommJur 2009, 88. 169 BVerfG v. 27.11.1986 – 2 BvR 1241/82, NVwZ 1987, 123 (124); OVG NW v. 26.10.2010 – 15 A 440/08, DVBl 2011, 45 (47); Stober, Kommunalrecht in der Bundesrepublik Deutschland, S. 87, 251; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rz. 922. Näher dazu Oebbecke, Gemeindeverbandsrecht Nordrhein-Westfalen, Rz. 55 ff.; Erps, Kommunale Kooperationshoheit und europäisches Vergaberecht, S. 62 ff.
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Die Entscheidung über eine gemeinschaftliche Wahrnehmung bestimm- 135 ter Aufgaben muss die spezifischen Vor- und Nachteile interkommunaler Zusammenarbeit in Rechnung stellen. Die Kooperation kann einerseits angezeigt sein, weil die Finanz- und Verwaltungskraft einer einzelnen Kommune allein nicht ausreicht oder die Zusammenarbeit Synergieeffekte erzeugt, insbesondere Koordinierungsvorteile, Größenvorteile oder Vorteile auf Grund der Internalisierung externer Effekte, insbesondere bei Mitbenutzung einer kommunalen Einrichtung durch Einwohner von Nachbargemeinden; angesichts der schwierigen kommunalen Haushaltslage dürfte dies der interkommunalen Kooperation weiter steigende Bedeutung verleihen170. Andererseits begründet die Zusammenarbeit aber auch gewisse Schwächungen der kommunalen Selbstverwaltung, weil die Kommune nicht mehr unmittelbar und uneingeschränkt selbst über die Aufgabenwahrnehmung befinden kann und entsprechend der Verantwortungsbereich der örtlichen Volksvertretung geschmälert wird171. Den Kommunen steht prinzipiell Wahlfreiheit hinsichtlich der Organisa- 136 tions- und Handlungsformen auch der interkommunalen Kooperation zu. Mit Rücksicht darauf sind diese gesetzlich nicht abschließend vorgegeben172. Insbesondere stehen den Kommunen sowohl öffentlich-rechtliche wie auch privatrechtliche Rechtsformen zur Verfügung; die Landesgesetze über die kommunale Gemeinschaftsarbeit lassen sämtlich die Möglichkeit unberührt, zum Zwecke der gemeinsamen Aufgabenwahrnehmung durch mehrere Kommunen auch die Organisationsformen des Privatrechts in Anspruch zu nehmen (vgl. z.B. Art. 1 Abs. 3 Satz 1 KommZG Bay.; § 1 Abs. 3 GkG NW).
I. Öffentlich-rechtliche Organisationsformen 1. Beteiligung mehrerer Kommunen an Unternehmen öffentlich-rechtlicher Rechtsform Das Kommunalwirtschaftsrecht stellt herkömmlich keine für eine Zu- 137 sammenarbeit mehrerer Kommunen geeignete öffentlich-rechtliche Unternehmensform zur Verfügung; vielmehr sind die kommunalrechtlich geregelten Organisationsformen im Allgemeinen für Unternehmen (oder Einrichtungen) jeweils einer einzelnen Gemeinde vorgesehen. Für den Regiebetrieb als integralen Bestandteil der jeweiligen Stadtverwaltung versteht sich das zunächst von selbst. Auch der Eigenbetrieb als organisatorisch und haushaltsmäßig zwar verselbständigtes, rechtlich aber unselbständiges Unternehmen kann immer nur das Unternehmen der einen Gemeinde sein, der er rechtlich zugehört; auch eine Zusammenfassung 170 Michael Müller, DÖV 2010, 931 (931). 171 Ehlers, DVBl 1997, 137 (139). 172 Vgl. Stober, Kommunalrecht in der Bundesrepublik Deutschland, S. 252 („gesetzlich nicht abschließend fixierbar“). Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung mehrerer, verschiedenen Gemeinden gehörender Eigenbetriebe ist deshalb ausgeschlossen173. 138 Die Konstruktion des Kommunalunternehmens als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts ermöglicht es hingegen, gesetzlich nicht nur einen, sondern auch mehrere Anstaltsträger zuzulassen. Mehrere Landesrechte erlauben inzwischen auch die Bildung eines gemeinsamen Kommunalunternehmens durch mehrere kommunale Körperschaften (§ 3 NKomZG; Art. 49 KommZG Bay.; § 27 f. GkG NW). Noch scheint es solche gemeinsamen Kommunalunternehmen kaum zu geben, doch wird angenommen, dass diese Unternehmensform der gemeinsamen kommunalen Aufgabenwahrnehmung in Gestalt insbesondere des Zweckverbandes (vgl. dazu Rz. 144 ff.) zukünftig erheblich Konkurrenz machen wird174. 2. Öffentlich-rechtliche Formen kommunaler Zusammenarbeit – Insbesondere: Der Zweckverband 139 Besondere öffentlich-rechtliche Rechtsgrundlagen für interkommunale Kooperationen bieten die jeweiligen Landesgesetze über die kommunale Zusammenarbeit. Sie ermöglichen insbesondere auch die gemeinsame Wahrnehmung von kommunalen Aufgaben im Wege wirtschaftlicher Betätigung. a) Die verschiedenen öffentlich-rechtlichen Formen interkommunaler Zusammenarbeit 140 Die einzelnen Landesrechte enthalten ein Angebot bestimmter, unterschiedlicher Kooperationsformen an die Gemeinden. Dabei interessieren in vorliegendem Zusammenhang nicht näher die in einzelnen Landesrechten vorgesehenen Zusammenschlüsse zu Gesamtgemeinden (Verwaltungsgemeinschaften, Verbandsgemeinden etc.), die einen besonders engen organisatorischen Zusammenschluss der beteiligten, in der Regel kleineren Gemeinden zur Stärkung ihrer Leistungs- und Verwaltungskraft unter Wahrung der rechtlichen Selbständigkeit ermöglichen sol-
173 Püttner, Die Rechtsformen kommunaler Unternehmen. A. Überblick über die Rechtsformen, in Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 5, S. 119 (124); Zeiss, Eigenbetriebe, in Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 5, S. 153 (159). 174 Tomerius/Huber, Gemhlt 2009, 145 (149), unter Hinweis auf die größere Schwerfälligkeit des Zweckverbandskonstrukts; Michael Müller, DÖV 2010, 931 (935 f.). Vgl. auch Erps, Kommunale Kooperationshoheit und europäisches Vergaberecht, S. 83 ff.
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len175; sie sind kein taugliches Instrument einzelner kommunalwirtschaftlicher Betätigungen der Kommunen. Insoweit verdienen allein die in den Landesgesetzen über die kommunale Zusammenarbeit geregelten Formen punktueller kommunaler Kooperation, namentlich die kommunale Arbeitsgemeinschaft, die öffentlich-rechtliche (Zweck-)Vereinbarung sowie der Zweckverband, Beachtung. Dabei ist die – nicht in allen Landesrechten besonders geregelte – kom- 141 munale Arbeitsgemeinschaft als lockerste Form der kommunalen Gemeinschaftsarbeit regelmäßig auf eine bloß unverbindliche Kooperation zugeschnitten176; nur einzelne Landesrechte sehen auch verbindliche Beschlüsse nach Zustimmung der zuständigen Organe aller Beteiligten vor (vgl. die so genannte besondere Arbeitsgemeinschaft gemäß Art. 5 KommZG Bay.). Auf der Grundlage eines öffentlich-rechtlichen, koordinationsrechtlichen Vertrages hat die Arbeitsgemeinschaft allein beratende, vorbereitende und unterstützende Funktion, überlässt die Aufgabenwahrnehmung aber den einzelnen Mitgliedern177. Auch die öffentlich-rechtliche Vereinbarung bzw. Zweckvereinbarung (vgl. etwa §§ 25 ff. GKZ BW; Art. 7 ff. KommZG Bay.; §§ 23 ff. GkG NW) hat ihre Grundlage in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag, durch den einer der Beteiligten einzelne Aufgaben der übrigen Beteiligten in seine Zuständigkeit übernimmt oder sich zur Durchführung solcher Aufgaben für die übrigen Beteiligten verpflichtet. Für die Organisations- und Handlungsformen, in denen diese – ggf. auch kommunalwirtschaftliche – Betätigung sich vollzieht, ergeben sich daraus keine besonderen Probleme.
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Eine organisatorisch gegenüber den Beteiligten verselbständigte, öffent- 143 lich-rechtliche Organisationsform der Zusammenarbeit mehrerer Kommunen bietet schließlich der im Recht der kommunalen Zusammenarbeit geregelte Zweckverband. Er ist die bis in das 19. Jahrhundert zurückzuverfolgende, typische Organisationsform interkommunaler Zusammenarbeit, von der auf verschiedenen Gebieten wirtschaftlicher und – im kommunalwirtschaftsrechtlichen Sinne – nichtwirtschaftlicher Betätigung, beispielsweise in der Trinkwasserversorgung oder der Abfallund Abwasserbeseitigung, Gebrauch gemacht wird178. Auf diese öffentlich-rechtliche Organisationsform ist deshalb näher einzugehen.
175 Vgl. den Überblick über die verschiedenen landesrechtlichen Regelungen bei Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rz. 948 ff. 176 Ehlers, DÖV 1986, 897 (902). 177 Erichsen, Kommunalrecht des Landes Nordrhein-Westfalen, S. 327 f. 178 Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 241. Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung b) Der Zweckverband aa) Rechtsnatur 144 Der Zweckverband ist eine durch Zusammenschluss mehrerer Gemeinden bzw. Gemeindeverbände (zu den möglichen Mitgliedern vgl. näher Rz. 145) begründete Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 5 Abs. 1 Satz 1 GkG NW). Er ist damit im Verhältnis zu seinen Mitgliedern rechtlich verselbständigt. 145 Zu einem Zweckverband können sich – zumindest in erster Linie – Gemeinden und Gemeindeverbände als dessen Mitglieder zusammenschließen (§ 4 Abs. 1 GkG NW). Neben mindestens einer solchen kommunalen Körperschaft lassen die Gesetze über die kommunale Zusammenarbeit jedoch auch die Mitgliedschaft des Bundes, eines Bundeslandes oder anderer Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts zu, soweit deren Rechtsgrundlagen eine solche Beteiligung nicht ausschließen; unter diesen Voraussetzungen kann der Zweckverband in Einzelfällen also als Instrument nicht nur interkommunaler, sondern auch kommunal-staatlicher Zusammenarbeit in Betracht gezogen werden. Darüber hinaus kann unter einschränkenden Voraussetzungen auch die Mitgliedschaft natürlicher Personen oder juristischer Personen des Privatrechts zugelassen sein (zum Zweckverband als Instrument der Einbeziehung Privater in die kommunale Aufgabenwahrnehmung vgl. Rz. 175). 146 Der Zweckverband kann als Körperschaft des öffentlichen Rechts als Träger eines Unternehmens insbesondere auch öffentlich-rechtlicher Organisationsform auftreten. In ihm können sich deshalb mehrere Kommunen zusammenschließen, um mittelbar, durch ihn als Unternehmensträger, ein gemeinsames Unternehmen zu begründen. Hingegen ist der Zweckverband nicht etwa selbst eine besondere Unternehmensform des öffentlichen Rechts. bb) Entstehung 147 Zweckverbände können entstehen als Freiverband oder Pflichtverband. Als Pflichtverband werden Zweckverbände bezeichnet, zu denen Gemeinden zusammengeschlossen werden (vgl. §§ 4 Abs. 1, 13 GkG NW). Eine solche zwangsweise Bildung von Zweckverbänden auf Betreiben der staatlichen Aufsichtsbehörden ist nach dem Landesrecht regelmäßig nur zulässig, wenn sie zur Durchführung gesetzlich aufgegebener Pflichtaufgaben aus Gründen des öffentlichen Wohls dringend geboten ist (§ 13 Abs. 1 GkG NW); ausnahmsweise ist sie jedoch auch zur Durchführung von freiwilligen gemeindlichen Aufgaben zugelassen (§ 22 GkG NW). Als Freiverband bezeichnet das Gesetz die durch freiwilligen Zusammenschluss zustande gekommenen Zweckverbände (§§ 4 Abs. 1, 9 Abs. 1 GkG NW).
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Das Zustandekommen eines Freiverbandes, der hier als Instrument kom- 148 munalwirtschaftlicher Betätigung näher interessiert, setzt eine von den künftigen Verbandsmitgliedern vereinbarte und von der Rechtsaufsichtsbehörde genehmigte Verbandssatzung voraus. Der notwendige Inhalt dieser Verbandssatzung ist gesetzlich festgelegt; sie muss danach mindestens Regelungen enthalten über die Verbandsmitglieder, die Aufgaben, den Namen und den Sitz des Verbandes, die Form der öffentlichen Bekanntmachungen sowie den Maßstab, nach dem die Verbandsmitglieder zur Deckung des Finanzbedarfs beizutragen haben (vgl. § 9 Abs. 2 Satz 1 GkG NW). Bereits die Bildung eines Zweckverbandes im Zusammenwirken mehre- 149 rer Kommunen begründet einen erheblichen Aufwand, der dem sinnvollen Einsatz dieses Instruments interkommunaler Zusammenarbeit Grenzen setzt. Der Zweckverband eignet sich danach insbesondere dort, wo eine auf längere Dauer angelegte gemeinsame Aufgabenerfüllung zu organisieren ist, die einen größeren Kapitaleinsatz oder die Notwendigkeit der Vorhaltung eigenen Personals bedingt179; je nach Aufgabenstellung mögen auch die spezifischen öffentlich-rechtlichen Handlungsbefugnisse, die dem Zweckverband als einer eigenständigen juristischen Person des öffentlichen Rechts anders als gemeinschaftlichen Unternehmen privater Rechtsform zukommen (vgl. Rz. 156 ff., 164), eine Rolle spielen können. cc) Verfassung und Wirtschaftsführung (1) Die Organe des Zweckverbands und ihre Zuständigkeiten Im Zweckverband liegen die wesentlichen Entscheidungsbefugnisse bei 150 der Verbandsversammlung, die sich aus Vertretern der Verbandsmitglieder zusammensetzt. Teilweise ist ausdrücklich geregelt, dass die Verbandsmitglieder ihren Vertretern Weisungen erteilen dürfen (§ 13 Abs. 5 GKZ BW; Art. 33 Abs. 2 Satz 4 KommZG Bay.)180. Der Verbandsversammlung obliegt eine Reihe von zwingenden Zuständigkeiten, so etwa die Satzungsgebung und die Wahl ihres Vorsitzenden sowie des Verbandsvorstehers. Der Verbandsvorsteher ist grundsätzlich aus dem Kreis der Hauptverwal- 151 tungsbeamten der dem Zweckverband angehörenden Gemeinden oder Gemeindeverbände zu wählen (vgl. § 16 Abs. 1 GkG NW). Ihm obliegt die Führung der laufenden Geschäfte; darunter fallen die nach Regelmäßigkeit und Häufigkeit üblichen Geschäfte, deren Erledigung nach
179 Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 243. 180 Nach Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 245, soll das auch gelten, wenn es an einer expliziten Regelung fehlt (so z.B. in § 15 GkG NW); ebenso Oebbecke, Gemeindeverbandsrecht Nordrhein-Westfalen, Rz. 427, unter Hinweis auf Regelungen der Gemeindeordnung bzw. Kreisordnung. Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung feststehenden Grundsätzen erfolgt181. Außerdem führt er die Verwaltung des Zweckverbandes im Übrigen nach Maßgabe der gesetzlichen Vorgaben, der Verbandssatzung sowie der Beschlüsse der Verbandsversammlung und vertritt den Zweckverband. 152 Teilweise ist weiter vorgesehen die Möglichkeit, einen Verwaltungsrat einzurichten (vgl. § 12 Abs. 2 GKZ BW; § 51 Abs. 2 KommZG Sachsen). Hiervon wird vor allem dann Gebrauch zu machen sein, wenn die Verbandsversammlung als Lenkungsorgan zu groß ist182. 153 In der Verwaltungspraxis wird gelegentlich auch noch ein Beirat als ein gesetzlich nicht vorgesehenes Gremium gebildet. In ihm sollen Vertreter von an dem Zweckverband nicht beteiligten Organisationen und Verbänden mitwirken, um durch Einbringung externen Sachverstandes die Erledigung der kommunalen Aufgabe zu fördern183. 154 Insgesamt wird die Eignung dieser Organisationsstruktur für eine interkommunale Kooperation eher ungünstig beurteilt. Insbesondere die Schwerfälligkeit der Entscheidungsprozesse und der Umstand, dass der aus dem Kreis der Hauptverwaltungsbeamten zu wählende Verbandsvorsteher neben seinem Hauptamt kaum noch ein vom Verband getragenes Unternehmen professionell wird führen können, werden kritisch vermerkt184. (2) Sonderregelungen für wirtschaftlich tätige Zweckverbände 155 Für Zweckverbände mit dem Hauptzweck des Betriebs eines wirtschaftlichen Unternehmens bzw. einer nichtwirtschaftlichen Einrichtung, die der Anwendung von Eigenbetriebsrecht zugänglich ist, sehen die einschlägigen Landesgesetze im Einzelnen unterschiedliche Sonderregelungen vor, die eine dieser Aufgabe entsprechende Wirtschaftsführung ermöglichen sollen. Regelmäßig ist vorgesehen, dass in diesem Falle auf den Zweckverband selbst die Vorschriften des Eigenbetriebsrechts über die Wirtschaftsführung und Rechnungslegung Anwendung finden können (vgl. etwa § 20 GKZ BW; Art. 40 Abs. 2 KommZG Bay.; § 18 Abs. 3 GkG NW). dd) Aufgabenwahrnehmung und Handlungsbefugnisse 156 Hinsichtlich der dem Zweckverband gestellten Aufgaben findet kraft Gesetzes ein vollständiger Aufgabenübergang von der abgebenden Gemeinde auf den Zweckverband statt (vgl. etwa § 4 Abs. 1 GKZ BW; § 6 Abs. 1 181 182 183 184
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Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 246. Stober, Kommunalrecht in der Bundesrepublik Deutschland, S. 256. Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 244. Ehlers, DVBl 1997, 137 (140 f.); Schink, Abfallwirtschaft, in Henneke, Organisation kommunaler Aufgabenerfüllung, S. 45 (70). Positiver wohl Schoch, Privatisierung der Abfallentsorgung, S. 33.
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C. Rechtsformen interkommunaler wirtschaftlicher Zusammenarbeit
GkG NW)185. Die abgebende Gemeinde wird insoweit insgesamt von ihrer Aufgabenverantwortung befreit. Umgekehrt obliegt dem Zweckverband die kommunale Aufgabe insgesamt, nicht etwa nur deren Ausführung als Verwaltungshelfer, wie das bei privatrechtsförmiger Zusammenarbeit grundsätzlich nur möglich ist (vgl. Rz. 164). Diese Kompetenzverlagerung auf den Zweckverband ist im gesamten Be- 157 reich kommunaler Aufgaben möglich. Sie kann also sowohl freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben wie auch Pflichtaufgaben bzw. Aufgaben des übertragenen Aufgabenkreises erfassen186, soweit nicht durch Gesetz die gemeinsame Form der Aufgabenerfüllung ausgeschlossen ist oder eine besondere Rechtsform vorgeschrieben ist (vgl. § 1 Satz 2 GKZ BW). Zur Wahrnehmung der auf ihn übergegangenen Aufgaben verfügt der 158 Zweckverband über hoheitliche Befugnisse, insbesondere auch das Satzungsrecht für sein Aufgabengebiet, das ihm ausdrücklich gesetzlich verliehen wird (vgl. etwa § 5 Abs. 3 GKZ BW). Außerdem steht dem Zweckverband zu Zwecken seiner Aufgabenwahr- 159 nehmung das Recht zur wirtschaftlichen Betätigung nach Maßgabe der kommunalwirtschaftsrechtlichen Vorgaben zu187. Der Zweckverband kann daher als Unternehmensträger (vgl. bereits Rz. 146) auf die öffentlich-rechtlichen Organisationsformen zurückgreifen, die das Gemeindewirtschaftsrecht den einzelnen Kommunen zur Verfügung stellt, da die den Zweckverbänden zugrunde liegenden Gesetze die entsprechende Anwendung der gemeinderechtlichen Bestimmungen anordnen (vgl. § 8 Abs. 1 GkG NW). Auch ein Zweckverband kann zunächst im Wege des Regiebetriebs durch seine eigene Verwaltung, ohne organisatorische und haushaltsmäßige Verselbständigung eines Unternehmens, wirtschaftlich tätig werden. Weiter kann auch der Zweckverband Eigenbetriebe errichten188, ebenso auch Kommunalunternehmen in der Rechtsform der selbständigen Anstalt des öffentlichen Rechts. Im Übrigen kann der Zweckverband sich aber auch privatrechtsförmiger Unternehmen zur Ausführung der ihm übertragenen Aufgaben bedienen189. ee) Finanzierung Der Zweckverband finanziert sich, soweit sonstige Erträge zur Deckung 160 der Aufwendungen nicht zureichen, durch eine von den Mitgliedern erhobene Umlage (vgl. § 19 Abs. 1 und 2 GkG NW). Die nach vorab festgelegten transparenten Kriterien ausschließlich zur Finanzierung von ge-
185 Vgl. BVerwG v. 6.4.1992 – 7 B 47.92, NVwZ-RR 1992, 428; Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 248. 186 Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rz. 935. 187 Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rz. 940. 188 Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 108. 189 Stober, Kommunalrecht in der Bundesrepublik Deutschland, S. 257. Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung meinwirtschaftlichen Aufgaben des Zweckverbandes erhobene Umlage ist keine Beihilfe im Sinne des Gemeinschaftsrechts190.
II. Gemischt-öffentliche Gesellschaften 161 Eine bereits seit der Weimarer Zeit gebräuchliche Alternative zur Zusammenarbeit in öffentlich-rechtlicher Organisationsform stellen privatrechtsförmige Unternehmen in der Trägerschaft mehrerer Kommunen, so genannte gemischt-öffentliche Unternehmen, dar. 162 Insoweit kommen grundsätzlich sämtliche Organisationsformen des Privatrechts in Betracht, die auch für Eigengesellschaften der einzelnen Gemeinde zur Verfügung stehen (vgl. Rz. 104 ff.). Tatsächlich spielen in der kommunalen Praxis im Wesentlichen nur die Rechtsformen der Aktiengesellschaft (AG) sowie der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) eine größere Rolle. Daneben ist auch an die Rechtsform des eingetragenen (Ideal-) Vereins im kulturellen Bereich, etwa beim gemeinsamen Betrieb von Volkshochschulen, Musikschulen etc. durch mehrere Kommunen, sowie der eingetragenen Genossenschaft mit beschränkter Haftung bzw. Nachschusspflicht zu denken191. 163 Eine kommunalrechtliche Beschränkung der Zulässigkeit solcher Kooperation erfolgt nicht durch die Gesetze über die kommunale Gemeinschaftsarbeit, die sämtlich die Möglichkeit der Wahl privatrechtlicher Organisationsformen unberührt lassen (vgl. Rz. 136). Allerdings müssen auch im Hinblick auf gemischt-öffentliche Unternehmen die einzelnen Gemeinden die zulässigen kommunalwirtschaftsrechtlichen Beschränkungen des Rechts zur Errichtung privatrechtsförmiger Unternehmen bzw. zur Beteiligung daran beachten. Kommunalrechtlich ist insbesondere auch die Errichtung privatrechtsförmiger Dienstleistungsgesellschaften, die (ausschließlich) der Deckung des Eigenbedarfs mehrerer Kommunen dienen, zulässig192. 164 Im Unterschied zur Kooperation in der öffentlich-rechtlichen Form eines Zweckverbandes und eines von diesem getragenen Unternehmens öffentlich-rechtlicher Rechtsform erlaubt die interkommunale Kooperation durch ein privatrechtsförmiges Unternehmen grundsätzlich keine vollständige Übertragung kommunaler Aufgaben auf dieses Unternehmen. Das gemischt-öffentliche, von mehreren Kommunen getragene Unternehmen kann eine kommunale Aufgabe nicht insgesamt übernehmen, sondern nur in die Durchführung der in der Trägerschaft und Verantwortung der einzelnen Gemeinde verbleibenden Aufgabe einbezogen werden,
190 BVerwG v. 16.12.2010 – 3 C 44.09, DVBl 2011, 486. 191 Stober, Kommunalrecht in der Bundesrepublik Deutschland, S. 257. 192 OVG NW v. 26.10.2010 – 15 A 440/08, DVBl 2011, 45 (46 f.), zu § 108 Abs. 1 Nr. 2 GO NW a.F.
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D. Rechtsformen der Einbeziehung Privater
und es verfügt über keine hoheitlichen Eingriffsbefugnisse (vgl. bereits Rz. 99 ff.). Die hoheitliche Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe im eigenen Namen wäre nur möglich auf der Grundlage einer Beleihung, für die es regelmäßig an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage fehlt; die Vorschrift des § 85 Abs. 6 GemO Rh.-Pf., die eine Beleihung auch von gemischt-öffentlichen Unternehmen privater Rechtsform durch genehmigungsbedürftige Satzung erlaubt, stellt insoweit eine Ausnahme dar.
D. Rechtsformen der Einbeziehung Privater in die kommunale Aufgabenerfüllung (Public Private Partnership) Die Gemeinden haben im Rahmen der ihnen verfassungsrechtlich garan- 165 tierten Eigenverantwortlichkeit in der Wahrnehmung ihrer Aufgaben grundsätzlich auch das Recht, sich zur Erfüllung ihrer Aufgaben Dritter zu bedienen193. Dieses Recht wird vereinzelt, ohne dass dies konstitutive Bedeutung hätte, auch kommunalrechtlich ausdrücklich verbürgt (vgl. § 101 Abs. 5 GO Schl.-Holst.). Grenzen kann es im einfachen Gesetzesrecht finden (zur Einbeziehung Privater in die Wahrnehmung gemeindlicher Pflichtaufgaben vgl. Rz. 182 ff.); jenseits solcher einfachgesetzlichen Grenzen kann aus der Garantie kommunaler Selbstverwaltung – abgesehen allenfalls von Extremfällen – kein Verbot der (materiellen oder auch funktionalen) Privatisierung kommunaler Aufgabenwahrnehmung abgeleitet werden194. Die Einbeziehung Dritter in die Erfüllung gemeindlicher Aufgaben wirft 166 jedoch spezifische Probleme hinsichtlich der in Betracht kommenden und angemessenen Organisations- und Handlungsformen auf. Das Grundproblem ist darin begründet, dass die Kommune als gemeinwohlgebundener, öffentlicher Aufgabenträger in die Aufgabenwahrnehmung einen nicht derart gemeinwohlgebundenen, sondern regelmäßig allein gewinnorientierten Privaten einbezieht195 und insofern ein Moment echter Privatisierung in die Aufgabenwahrnehmung einführt. Die Organisations- und Handlungsformen müssen deshalb den rechtlich und tatsächlich angemessenen Ausgleich finden zwischen der Sicherstellung der gemeinwohlorientierten öffentlichen Aufgabenwahrnehmung und der gewollten Inanspruchnahme privater Ressourcen. Für solche Kooperation von staatlichen bzw. kommunalen Aufgabenträgern einerseits, privaten Unternehmen andererseits hat sich der Begriff 193 Schoch, Privatisierung der Abfallentsorgung, S. 147; Brüning, NWVBl. 1997, 286 (291). 194 A.A. BVerwG v. 27.5.2009 – 8 C 10.08, NVwZ 2009, 1305. Krit. dazu etwa Schoch, DVBl 2009, 1533; Winkler, JZ 2009, 1169; Ehlers, DVBl. 2009, 1456. 195 Vgl. etwa – mit Blick auf gesellschaftsrechtliche Probleme in gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen – von Danwitz, AöR 120 (1995), 595 (611 f.); Habersack, ZGR 1996, 544 (548 f.). Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung der Public Private Partnership (PPP) – oder auch der Öffentlich Privaten Partnerschaft (ÖPP) – fest eingebürgert. Er umschließt vielfältige Formen der Kooperation, in denen nach Maßgabe der rechtlichen Vorgaben dieser jeweils angemessene Ausgleich gesucht wird.
I. Allgemeine Rahmenbedingungen von Public Private Partnership 1. Begriff und Varianten von Public Private Partnership 168 Nicht ausschließlich, aber vor allem für den Bereich der gemeindlichen Pflichtaufgaben, wo eine vollständige Privatisierung ausgeschlossen ist, ist eine Vielzahl einzelner Formen der kommunalen Kooperation mit Privaten entwickelt worden. Sie streben deren mehr oder minder weitreichende Einbeziehung in die Durchführung einer gemeindlichen Aufgabe an, ohne damit die Aufgabenverantwortung der Gemeinde zu übertragen, die diese behalten will oder – bei Pflichtaufgaben – aus Rechtsgründen muss. Alle diese verschiedenen Formen der Kooperation werden unter dem übergreifenden Begriff der Public Private Partnership zusammengefasst. 169 Angesichts dieser Formenvielfalt wird mit Recht konstatiert, dass es keine allgemein gültige, trennscharfe Definition von Public Private Partnership gibt196. Juristisch erscheint dies hinnehmbar, weil der Begriff der Public Private Partnership kein Rechtsbegriff ist197, an den bestimmte Rechtsfolgen geknüpft wären; vielmehr erscheint Public Private Partnership als ein Begriff bzw. ein Konzept, der bzw. das ohne spezifischen rechtstechnischen Gehalt verschiedenste Formen der Kooperation im Verhältnis von öffentlicher Hand (Bund, Ländern, Kommunen etc.) und privaten Wirtschaftssubjekten einschließt198 und damit für die rechtswissenschaftliche Beurteilung allenfalls heuristische Funktion erfüllt. Nach dem Versuch einer allgemeinen Definition soll in diesem Sinne unter Public Private Partnership die auf vertraglicher Basis und längerfristig angelegte Zusammenarbeit zwischen Trägern öffentlicher Aufgaben und privaten Einrichtungen oder Unternehmen zur Verfolgung gemeinsamer wirtschaftlicher Ziele auf der Grundlage von gesellschaftsrechtlichen Vereinbarungen, Kooperationsvereinbarungen oder Finanzierungsverträ-
196 Budäus/Brüning, Public Private Partnership – Konzeption und Probleme eines Instruments zur Verwaltungsreform aus Sicht der Public Choice-Theorie, in Budäus/Eichhorn, Public Private Partnership, S. 25 (40). 197 Zur mangelnden Tauglichkeit als Rechtsbegriff vgl. etwa Tettinger, DÖV 1996, 764 (764); Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, S. 99. 198 Vgl. etwa Gröning, ZIP 2001, 497 (497).
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gen zu verstehen sein199. Jedoch wird dem Begriff der Public Private Partnership bei genauerer Betrachtung eine unterschiedliche Reichweite beigemessen, insbesondere im Hinblick auf die organisatorische Verfestigung und Dauerhaftigkeit der Partnerschaft. So wird teilweise nur die Zusammenarbeit im Rahmen gemischtwirtschaftlicher Unternehmen darunter gefasst200, während andere auch sonstige Formen vertraglich begründeter, formeller Zusammenarbeit darunter fassen wollen201 und dabei teils auch bloße Leistungsaustauschbeziehungen wie Kauf- oder Werkverträge einbeziehen202; schließlich findet der Begriff auch als Oberbegriff für jegliche Form der Zusammenarbeit zwischen Privaten und öffentlicher Hand Verwendung203. Ein derart weites, damit eine erhebliche Bandbreite von Formen der Kooperation umfassendes Verständnis des Begriffs soll hier zugrunde gelegt werden. Innerhalb dieses weiten Begriffsverständnisses hat sich inzwischen die 170 Unterscheidung verschiedener Typen von Public Private Partnership etabliert. Abgesehen von den gelegentlich so genannten „HandschlagPPP“204, die im Bereich des Informellen verbleiben und hier nicht näher interessieren, werden vor allem die beiden Grundtypen der „VertragsPPP“ und der „institutionellen PPP“ unterschieden205. Diese „institutionelle PPP“ kennzeichnet, dass die Zusammenarbeit zwischen Kommune und Privatem innerhalb eines gemeinsam getragenen Rechtssubjekts erfolgt (vgl. näher Rz. 188 ff.), während bei der „Vertrags-PPP“ die Kooperation allein auf vertraglichen Beziehungen zwischen Kommune und Privatem beruht. Ungeachtet der Unsicherheiten über die genaue Begriffsbestimmung 171 kann als spezifische Eigenart von Public Private Partnership jedenfalls gelten, dass sie Ausdruck von partieller, so genannter funktionaler Privatisierung im Vor- oder Zwischenbereich der materiellen Privatisierung einerseits und der formellen Privatisierung andererseits ist206. Von der materiellen Privatisierung unterscheidet sie sich dadurch, dass die Ge199 Vgl. Eichhorn, Public Private Partnership – Praxis, Probleme, Perspektiven, in Neumann/Schulz-Nieswandt, Sozialpolitik und öffentliche Wirtschaft. In memoriam Theo Thiemeyer, S. 173 (174); ähnlich Brüggemann, Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) im kommunalen Bereich, S. 20. 200 Gröpl, Möglichkeiten und Grenzen der Privatisierung kommunaler Aufgaben, in Hoffmann u.a., Kommunale Selbstverwaltung im Spiegel von Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht, S. 99 (103); Habersack, ZGR 1996, 544 (546); Zacharias, DÖV 2001, 454 (456). 201 Große-Wilde, NWVBl. 1994, 165 (165); Tettinger, DÖV 1996, 764 (764); Hartmut Bauer, DÖV 1998, 89 (90). 202 Tettinger, DÖV 1996, 764 (765). 203 Große-Wilde, NWVBl. 1994, 165 (165); Tettinger, DÖV 1996, 764 (764 f.); Brüning, NWVBl. 1997, 286 (287). 204 Ziekow/Windoffer, NZBau 2005, 665 (665). 205 Vgl. Tettinger, NWVBl. 2005, 1 (2 ff.); Battis/Kersten, LKV 2006, 442 (443). 206 Tettinger, DÖV 1996, 764 (764 f.); Brüggemann, Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) im kommunalen Bereich, S. 7 f. Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung meinde im Rahmen von Public Private Partnership Trägerin der jeweiligen (Verwaltungs-)Aufgabe bleibt, von der formellen oder Organisationsprivatisierung dadurch, dass an der Wahrnehmung der jeweiligen Aufgabe nicht allein in private Organisationsformen überführte gemeindliche Einrichtungen oder Unternehmen beteiligt werden, sondern eine Beteiligung von privaten Wirtschaftssubjekten stattfindet. Im Übrigen ist das Maß an Einbeziehung Privater in die Aufgabenwahrnehmung und damit das Maß an partieller Privatisierung je nach Gestaltung der Public Private Partnership sehr unterschiedlich. 2. Gründe der Einbeziehung Privater und Anwendungsfelder 172 Als Grund für eine mehr oder minder weitreichende Einschaltung Privater in die öffentliche Aufgabenerfüllung wird im Allgemeinen insbesondere die Einbeziehung privaten Know-hows und/oder privaten Kapitals genannt. Sie wird deshalb vor allem dort in Erwägung gezogen, wo kommunale Aufgaben einen besonders hohen Kapitalbedarf erzeugen oder aber besonderes, bei Privaten vorhandenes Management- oder Technikwissen erfordern207. Folgerichtig findet Public Private Partnership gerade auch auf kommunaler Ebene, wo ein Großteil der staatlichen Investitionen getätigt wird und eine Vielzahl unterschiedlicher Einrichtungen zu betreiben ist, ein wichtiges potentielles Anwendungsfeld. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf der Errichtung und dem Betrieb öffentlicher Infrastruktureinrichtungen unter Beteiligung Privater. Im Einzelnen werden als mögliche Anwendungsfelder etwa genannt Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung und Abfallentsorgung, Kultur- und Freizeiteinrichtungen, Krankenhäuser, Sport- und Kultureinrichtungen, Schulgebäudesanierung und so genanntes Facilitymanagement208 oder auch die Städtebauförderung209. 3. Öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Rechtsformen a) Ungeeignetheit öffentlich-rechtlicher Organisationsformen 173 Im Ergebnis erscheint eine Beteiligung Privater in öffentlich-rechtlichen Organisationsformen der Kommunalwirtschaft nicht möglich. Die insoweit zur Verfügung stehenden Rechtsformen scheiden entweder schon aus Rechtsgründen aus oder sind jedenfalls nicht geeignet für eine Zusammenarbeit der Kommune mit Privaten. 174 Die öffentlich-rechtlichen Unternehmensformen gewähren keine Möglichkeit der Einbeziehung Privater als Teilhaber. Das gilt zunächst für die 207 Vgl. Große-Wilde, NWVBl. 1994, 165 (165), zum Bereich des Städtebaus. 208 Vgl. Tettinger, NWVBl. 2005, 1 (7 ff.); Stehlin/Gebhardt, VBlBW 2005, 90 (90); Kruhl, NZBau 2005, 121; Brüggemann, Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) im kommunalen Bereich, S. 23. 209 Battis/Kersten, LKV 2006, 442.
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Formen rechtlich nicht verselbständigter gemeindlicher Unternehmen, also den Regie- und den Eigenbetrieb210, aber auch – soweit gesetzlich zugelassen – für das Kommunalunternehmen als im Verhältnis zur Kommune rechtlich selbständiges Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit. Eine Beteiligung Privater an einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts wird zwar teils schon verfassungsrechtlich, namentlich im Hinblick auf das Demokratieprinzip, als problematisch angesehen211, gilt jedoch mit Recht als nicht von vornherein unzulässig212. Zutreffend wird jedoch angenommen, dass sie jedenfalls einer ausdrücklichen gesetzlichen Zulassung bedürfte213. Da es aber in allen einschlägigen Gemeindeordnungen an der gesetzlichen Regelung einer Beteiligung Privater an der Trägerschaft des Kommunalunternehmens fehlt, erscheint eine solche jedenfalls nach der bislang geltenden Rechtslage ausgeschlossen214. Eine Einbeziehung Privater in einen – als Träger eines Unternehmens 175 fungierenden – Zweckverband ist nach den gesetzlichen Grundlagen zwar nicht durchweg ausgeschlossen, sondern kann in gewissen Grenzen zugelassen sein, wenn nämlich die Erfüllung der Verbandsaufgaben dadurch gefördert wird und Gründe des öffentlichen Wohls nicht entgegenstehen (vgl. etwa § 2 Abs. 2 Satz 2 GKZ BW; Art. 17 Abs. 2 Satz 2 KommZG Bay.; § 4 Abs. 2 Satz 2 GkG NW)215; sie ist in der Sache jedoch kaum praktikabel. Schon wegen seiner relativ schwerfälligen, privatwirt210 Schink, Abfallwirtschaft, in Henneke, Organisation kommunaler Aufgabenerfüllung, S. 45 (74); Ehlers, ZHR 167 (2003), 546 (553). 211 Mann, NVwZ 1996, 557 (558); Püttner, Die Wahl der Rechtsform – Vom Eigenbetrieb zur Eigengesellschaft, in Wallerath, Kommunen im Wettbewerb, S. 55 (61). 212 Vgl. zur Teilprivatisierung der Berliner Wasserbetriebe VerfGH Berlin v. 21.10.1999 – VerfGH 42/99, NVwZ 2000, 794 (795), sowie dazu Wolfers, NVwZ 2000, 765 (765 f.). Vgl. weiter mit Blick auf das Kommunalunternehmen Thode/Peres, BayVBl. 1999, 6 (7); Held in Held/Becker u.a., Kommunalverfassungsrecht Nordrhein-Westfalen, § 114a GO Anm. 4; Pielow, Zwischen Flexibilität und demokratischer Legitimität: Neue Rechtsformen für kommunale Unternehmen (dargestellt am Beispiel des bayerischen Rechts), in Epping/Fischer/Heintschel von Heinegg, FS f. Knut Ipsen, S. 725 (751); Waldmann, NVwZ 2008, 284 (285). 213 Pielow, Zwischen Flexibilität und demokratischer Legitimität: Neue Rechtsformen für kommunale Unternehmen (dargestellt am Beispiel des bayerischen Rechts), in Epping/Fischer/Heintschel von Heinegg, FS f. Knut Ipsen, S. 725 (751); Hogewege, NdsVBl. 2008, 33 (34). 214 Vgl. Held in Held/Becker u.a., Kommunalverfassungsrecht Nordrhein-Westfalen, § 114a GO Anm. 4. 215 Die Auffassung von Püttner, Die Rechtsformen kommunaler Unternehmen. A. Überblick über die Rechtsformen, in Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 5, S. 119 (126), dass an einem Zweckverband mindestens zwei kommunale Partner beteiligt sein müssten, so dass diese Rechtsform als Unternehmensträger für ein Gemeinschaftsunternehmen einer Gemeinde und eines Privaten von vornherein nicht zur Verfügung stehe, überzeugt nicht; vgl. Oebbecke, Gemeindeverbandsrecht Nordrhein-WestHellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung schaftlichen Handlungsmaximen wenig zugänglichen Organisationsstruktur kommt der Zweckverband praktisch für eine Kooperation mit Privaten kaum in Betracht; Private werden sich deshalb zu einer Kooperation im Rahmen eines Zweckverbandes schwerlich bereitfinden216. b) Privatrechtliche Organisations- und Handlungsformen 176 Eine Einbeziehung Privater kann sich deshalb praktisch nur in den Organisations- und Handlungsformen des Privatrechts vollziehen. Hierfür stehen grundsätzlich die privatrechtlichen Organisationsformen der Kommunalwirtschaft (vgl. Rz. 104 ff.), soweit es um die gemeinsame Gründung von Unternehmen bzw. die Beteiligung an Unternehmen geht, sowie die weiteren vertraglichen Handlungsformen des Privatrechts zur Verfügung. 4. Möglichkeiten und Grenzen der Einbeziehung Privater in die gemeindliche Aufgabenwahrnehmung a) Grundsätzliche Gestaltungsmöglichkeiten der Einbeziehung Privater 177 Für eine funktionale Einbeziehung Privater in die staatliche Aufgabenwahrnehmung kommen verschiedene rechtliche Gestaltungen in Betracht, zu deren Erfassung nach wie vor und sogar wieder verstärkt auf tradierte dogmatische Institute des Verwaltungsrechts zurückgegriffen wird217. Genannt werden insbesondere die Beleihung, das Mandat und die Verwaltungshilfe218. Im Zusammenhang kommunalwirtschaftlicher Kooperation mit Privaten interessieren vor allem die Beleihung und die Verwaltungshilfe. aa) Beleihung 178 Nach der vorherrschenden so genannten Rechtstellungstheorie gelten als Beliehene – in einer allgemeinen Definition der Beleihung – Privatpersonen (Einzelpersonen oder juristische Personen des Privatrechts), die mit der hoheitlichen Wahrnehmung bestimmter Verwaltungsaufgaben im eigenen Namen betraut sind. Durch die Beleihung werden sie, die statusmäßig Private bleiben, funktional in die (mittelbare) Staatsverwaltung einbezogen und damit im Rahmen ihres hoheitlichen Kompetenzbereichs zum Verwaltungsträger, da sie selbständig tätig werden und im eigenen
falen, Rz. 413, wonach mindestens eine Kommune als Mitglied des Zweckverbandes ausreicht. 216 Schink, VerwArch 85 (1994), 251 (275 f.); Schink, Abfallwirtschaft, in Henneke, Organisation kommunaler Aufgabenerfüllung, S. 45 (70 f.); Ehlers, DVBl 1997, 137 (140 f.). 217 Vgl. etwa Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), 266 (299 ff.). 218 Ehlers, Die Erledigung von Gemeindeaufgaben durch Verwaltungshelfer, S. 16.
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Namen handeln219. Entscheidend soll dabei die Übertragung öffentlichrechtlicher Befugnisse sein. Die Beleihung unterfällt, da sie die Übertragung von Hoheitsrechten be- 179 inhaltet, dem Vorbehalt des Gesetzes und bedarf deshalb der Begründung durch Gesetz oder auf Grund Gesetzes220. Soweit sich nicht im jeweiligen Fachrecht Beleihungsregelungen finden, fehlt es den Kommunen an dieser erforderlichen gesetzlichen Grundlage für eine Beleihung privater Unternehmen; auch die Regelung des § 85 Abs. 6 GemO Rh.-Pf., die eine allgemeine Beleihungsermächtigung enthält, erfasst nur privatrechtsförmige Gesellschaften in ausschließlich kommunaler Hand (vgl. Rz. 100, 164). bb) Private als Verwaltungshelfer Mit der zunehmenden Einbeziehung Privater in die staatliche, hier kom- 180 munale Aufgabenwahrnehmung – ohne dass eine Beleihung vorläge – gewinnt vor allem die Rechtsfigur der Verwaltungshilfe erheblich an Bedeutung221. Von Verwaltungshilfe wird übereinstimmend gesprochen, wenn der von privater Seite geleistete Teilbeitrag in einem funktionalen Bezug zu einer Staatsaufgabe steht222; die nähere Charakterisierung erfolgt jedoch nicht ganz einheitlich und hat auch gewisse Wandlungen erfahren. Vorzudringen scheint zuletzt ein – weites – Begriffsverhältnis, wonach Verwaltungshelfer ein Privater ist, der freiwillig, im hoheitlichen Auftrag, jedoch ohne Einräumung von Hoheitsbefugnissen die Verwaltung bei der Wahrnehmung der ihr (gesetzlich) weiterhin zugewiesenen Aufgaben unterstützt223. Diese Definition verzichtet auf das – jedenfalls bislang – häufig verwandte einschränkende Merkmal der Unselbständigkeit. Verwaltungshelfer sollte danach nur der Private sein, der nicht selbständig tätig wird, sondern bloße Hilfstätigkeiten im Auftrag und nach Weisung der Behörde wahrnimmt, sozusagen als Werkzeug oder Erfüllungsgehilfe in die Erledigung hoheitlicher Aufgaben eingeschaltet ist224. Das Innenverhältnis von staatlichem Aufgabenträger und privatem Verwaltungshelfer und das Außenverhältnis zum Bürger sollte insoweit zu unterscheiden sein; im Außenverhältnis zum Bürger sollte danach – durch den privaten Verwaltungshelfer – die Behörde handeln, während eine 219 Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, S. 80; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rz. 56. 220 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rz. 58. 221 Zu Recht wird deshalb von Ehlers, DVBl 1998, 497 (508), mehr Aufmerksamkeit für diese Rechtsfigur gefordert; vgl. hierzu Ehlers, Die Erledigung von Gemeindeaufgaben durch Verwaltungshelfer; Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe; Schuppert, Verwaltungswissenschaft, S. 839 ff. 222 Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, S. 89, 146 f. 223 Vgl. Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, S. 145 ff.; Voßkuhle, VVDStRL 62 (2003), 266 (299 Fn. 138). 224 Ehlers, Die Erledigung von Gemeindeaufgaben durch Verwaltungshelfer, S. 18 ff. Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung Rechtsbeziehung zwischen dem privaten Verwaltungshelfer und dem Bürger nicht zustande kommen sollte225. Voraussetzung für die Zulässigkeit solcher Verwaltungshilfe sollte sein, dass das Direktionsrecht des für die Aufgabenerfüllung zuständigen Verwaltungsträgers im Verhältnis zum privaten Verwaltungshelfer gesichert ist226. Mit einem Verzicht auf dieses Definitionsmerkmal der Unselbständigkeit verliert zugleich die Unterscheidung, ob die Privaten in solcher Weise in die staatliche Aufgabenwahrnehmung integriert werden, dass sie an der Ausübung von Staatsgewalt beteiligt werden227, oder ob eine bloße Heranziehung Privater zu privaten Betätigungen im öffentlichen Interesse vorliegt, insoweit ihre Bedeutung. Für diese Unterscheidung ist wiederum maßgeblich auf die (Un-)Selbständigkeit des Handelns abgestellt worden. Auch wenn die Privaten im Rahmen ihres Auftrags selbständig handeln, insbesondere auf der Grundlage privatrechtlicher Verträge bestimmte, von der Gemeinde zur Wahrnehmung ihrer Verwaltungsaufgaben benötigte Leistungen erbringen, liegt danach Verwaltungshilfe vor, solange ein funktionaler Bezug zu einer staatlichen bzw. kommunalen Aufgabe besteht. 181 Die Einschaltung Privater als Verwaltungshelfer unterfällt nach h.M. nicht dem Vorbehalt des Gesetzes und bedarf daher keiner gesetzlichen Ermächtigung. Eventuell gegebene gesetzliche Regelungen über die Zulässigkeit einer solchen Einbeziehung Privater haben danach nur deklaratorischen Charakter228. b) Anforderungen aus der Natur der gemeindlichen Aufgabe aa) Einbeziehung Privater in die Wahrnehmung gemeindlicher Pflichtaufgaben 182 Die Frage nach den rechtlichen Möglichkeiten der Einbeziehung Privater stellt sich in besonderer Weise im Hinblick auf gemeindliche Pflichtaufgaben, also solche Aufgaben, zu deren Erfüllung die Gemeinden gesetzlich verpflichtet sind. 183 Unternehmen, zu deren Betrieb die Gemeinde gesetzlich verpflichtet ist, weil sie der Erfüllung von Pflichtaufgaben dienen, sind zwar in den Gemeindeordnungen nach wie vor vielfach als nichtwirtschaftliche Betätigung im kommunalwirtschaftsrechtlichen Sinne definiert (vgl. etwa § 102 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 GemO BW; § 107 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GO NW). Gleichwohl geht es auch insoweit um Aufgaben, die der Sache nach durch wirtschaftliche Betätigung wahrgenommen werden, so dass sich 225 Peine, DÖV 1997, 353 (357). 226 Tettinger, DÖV 1996, 764 (769); Peine, DÖV 1997, 353 (357). 227 Vgl. Ehlers, Die Erledigung von Gemeindeaufgaben durch Verwaltungshelfer, S. 16. 228 Vgl. Peine, DÖV 1997, 353 (357), mit krit. Anmerkung hierzu für den Bereich gesetzlicher Pflichtaufgaben der Entsorgung; Ehlers, Die Erledigung von Gemeindeaufgaben durch Verwaltungshelfer, S. 30.
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auch hier die Frage nach der möglichen Einbeziehung privater Wirtschaftssubjekte stellt. (1) Fachgesetzliche Begründung von Pflichtaufgaben Das insoweit maßgebliche, die jeweilige Aufgabe regelnde Fachrecht be- 184 gründet gemeindliche Pflichtaufgaben insbesondere im Bereich der Entsorgung, wo sich die Frage der Einbeziehung Privater wegen des hohen Aufwands der Leistungserbringung in besonderer Weise stellt, aber auch auf anderen Tätigkeitsfeldern. Im Bereich gemeindlicher Pflichtaufgaben gibt es grundsätzlich keine 185 vollständige Übertragung der kommunalen Aufgaben, sondern nur eine Einbeziehung Privater in die Durchführung der gemeindlichen (Pflicht-)Aufgaben. Einer vollständigen Aufgabenübertragung steht entgegen, dass über die gesetzliche Zuweisung öffentlicher Aufgaben an die Kommunen nicht im Verhältnis von Kommune und privaten Dritten disponiert werden kann229; vielmehr muss grundsätzlich die gesetzlich begründete gemeindliche Aufgabenverantwortlichkeit gewahrt bleiben. Private können deshalb nur unter Wahrung dieser gemeindlichen Aufgabenverantwortlichkeit als Verwaltungshelfer oder Erfüllungsgehilfen (vgl. Rz. 177 ff.) in die Durchführung der gemeindlichen (Pflicht-)Aufgaben einbezogen werden230. Ein wichtiges, schon lange praktiziertes Anwendungsbeispiel dafür ist die – früher schon in § 3 Abs. 2 Satz 2 AbfG und § 16 Abs. 1 KrW-/AbfG, jetzt in § 22 KrWG ausdrücklich zugelassene – so genannte Drittbeauftragung privater Unternehmer mit Aufgaben der Abfallentsorgung, etwa dem Einsammeln des Hausmülls231. Auch im Bereich der Abwasserbeseitigung besteht die Möglichkeit, sich der Mithilfe Dritter bei der Erfüllung der gesetzlichen Pflichtaufgabe zu bedienen (vgl. die ausdrückliche Regelung in § 18a Abs. 2 Satz 3 WHG a.F., § 56 Satz 3 WHG n.F.). (2) Fachgesetzliche Privatisierungsmöglichkeiten Einzelne Fachgesetze sehen weiter gehende Möglichkeiten der Aufgaben- 186 übertragung auf Private vor. So ist es im Bereich der Abfallwirtschaft seit In-Kraft-Treten des KrW-/AbfG rechtlich möglich gewesen, abfallwirtschaftliche Aufgaben der Kommunen vollständig auf einen privaten Dritten oder ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen zu übertragen (§ 16
229 Schoch, DÖV 1993, 377 (378). Vgl. OVG Rh.-Pf. v. 9.5.1984 – 2 A 64/83, DVBl 1985, 176 (177). 230 Vgl. Schoch, Privatisierung der Abfallentsorgung, S. 39 f.; Ahmann, Öffentlich- und privatrechtliche Organisationsformen kommunaler Einrichtungen der Daseinsvorsorge, S. 141 f. 231 Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Kreislaufwirtschaft, S. 17, 37 f. Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung Abs. 2–4 KrW-/AbfG)232; diese Möglichkeit ist in dem am 1.7.2012 in Kraft getretenen Kreislaufwirtschaftsgesetz nicht mehr vorgesehen. Eine Privatisierungsmöglichkeit schafft jedoch für den Bereich der Abwasserbeseitigung die bundesrechtliche Regelung des § 56 Satz 2 WHG (früher bereits § 18a Abs. 2a WHG a.F.), die die Landesgesetzgeber zu Regelungen darüber ermächtigt, unter welchen Voraussetzungen die gesetzliche Abwasserbeseitigungspflicht Dritten obliegt; von dieser bundesgesetzlichen Ermächtigung hat etwa Baden-Württemberg in § 45c WG BW Gebrauch gemacht. Im Bereich der Wasserversorgung erlaubt § 57 Abs. 3 Sätze 2 bis 4 SächsWG nach Maßgabe einer Rechtsverordnung die Übertragung der gemeindlichen Wasserversorgungspflicht auf Private. Weiter zu nennen ist § 124 Abs. 1 BauGB, der die vertragliche Übertragung der Erschließung auf einen Dritten zulässt233. bb) Privater Betrieb öffentlicher Einrichtungen 187 Auch außerhalb des Bereichs gemeindlicher Pflichtaufgaben ergeben sich spezifische Anforderungen, wenn eine Gemeinde einem Privaten den Betrieb einer Einrichtung unter Bewahrung ihres Rechtscharakters als öffentliche Einrichtung i.S.d. Gemeinderechts übertragen will, so dass insbesondere die Möglichkeit der Begründung eines Anschluss- und Benutzungszwangs erhalten bleibt. Nach der Rechtsprechung234 ist das auch bei Übertragung auf einen Privaten möglich, sofern die Gemeinde – durch gesellschaftliche Beteiligung oder auch durch Maßnahmen der Vertragsgestaltung wie z.B. Selbsteintritts-, Übernahme- oder Vetorechte der Gemeinde, Genehmigungs- und Abstimmungspflichten bezüglich etwa der Preisgestaltung oder des Ausbaus der Anlage etc. – die Versorgungssicherheit in gleichem Umfang gewährleistet, als wenn sie durch die öffentliche Hand selbst erfolgte; dies gilt selbst dann, wenn die Gemeinde dem privatrechtsförmigen Betreiber der öffentlichen Einrichtung deren Betrieb einschließlich der Rechtsbeziehungen zum Benutzer übertragen hat (vgl. Rz. 103).
232 Vgl. Schink, Abfallwirtschaft, in Henneke, Organisation kommunaler Aufgabenerfüllung, S. 45 (54 f.); Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Kreislaufwirtschaft, S. 38 ff.; Frenz, Privatisierung in der Abfallwirtschaft, in Ziekow, Wirtschaft und Verwaltung vor den Herausforderungen der Zukunft, S. 137 (143 ff.). 233 Vgl. BVerwG v. 1.12.2010 – 9 C 8.09, NVwZ 2011, 690 (692 ff.), wonach eine von der Gemeinde (ganz oder mehrheitlich) beherrschte so genannte Eigengesellschaft kein Dritter im Sinne der Bestimmung ist. 234 Vgl. insbesondere BVerwG v. 6.4.2005 – 8 CN 1.04, BVerwGE 123, 159 (161 ff.).
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II. Einzelne Rechtsformen der Kooperation von Kommunen und Privaten 1. Gesellschaftsrechtliche Kooperation Als jedenfalls intensivste Form von Public Private Partnership235 gilt die 188 so genannte „institutionelle PPP“. Sie erfolgt durch die Gründung eines gemischtwirtschaftlichen Unternehmens, d.h. eines von Kommune und Privaten gemeinsam getragenen Unternehmens. Die Kooperation erfolgt in diesem Falle auf der Ebene der Unternehmensträgerschaft, wo sich die Kommune als öffentlicher Aufgabenträger und private Teilhaber begegnen. Da für die Begründung gemischtwirtschaftlicher Unternehmen geeignete 189 öffentlich-rechtliche Rechtsformen praktisch nicht zur Verfügung stehen (vgl. Rz. 173 ff.), kommen allein privatrechtliche Unternehmensformen in Betracht. Alle für die Organisationsprivatisierung eigener Unternehmen der Gemeinde in Betracht kommenden privatrechtlichen Unternehmensformen (vgl. Rz. 104 ff.) können insoweit auch für die gesellschaftsrechtliche Kooperation mit Privaten herangezogen werden. Ganz im Vordergrund stehen die Rechtsformen der Kapitalgesellschaften, also der Gesellschaft mit beschränkter Haftung und der Aktiengesellschaft. Möglich sind grundsätzlich aber auch sonstige Privatrechtsformen. So besitzt der eingetragene nichtwirtschaftliche Verein im kommunalen Bereich eine gewisse Bedeutung im Bereich nichtwirtschaftlicher, insbesondere kultureller oder sozialer Aufgaben, etwa zum Betrieb von Volkshochschulen, Musikschulen oder Museen236 (vgl. bereits Rz. 129). In der Trägerschaft eines gemischtwirtschaftlichen Unternehmens treffen 190 typischerweise unterschiedliche Motive und Interessen, das auf öffentliche Aufgabenerfüllung gerichtete Interesse der öffentlichen Hand und das auf Gewinnmaximierung gerichtete Interesse des privaten Teilhabers, aufeinander237. Diese Gemengelage von öffentlicher Aufgabenstellung und privatem Erwerbsinteresse begründet eine besondere Problematik gemischtwirtschaftlicher Unternehmen. Kritisch wird hingewiesen auf die hybriden Organisationsverhältnisse mit einer Diffusion kommunaler und privater Steuerung bzw. Verantwortung238. Den – gewiss nicht einfachen – Ausgleich zwischen den divergierenden Zielen und Interessen müssen insbesondere die Regelungen über die Einflussnahme der jeweili235 Große-Wilde, NWVBl. 1994, 165 (165). 236 Oster in Gabler u.a., Kommunalverfassungsrecht Rheinland-Pfalz, § 87 GO Anm. 2.4.2.1. 237 Vgl. dazu Habersack, ZGR 1996, 544 (548 f.). 238 Ehlers, Gutachten E zum 64. Deutschen Juristentag, S. E 110, der die Errichtung gemischtwirtschaftlicher Unternehmen deshalb nur dann als ordnungsgemäße Ausübung des Organisationsermessens ansehen will, wenn ein wichtiger Grund vorliegt und eine Zusammenarbeit in Gestalt der Verwaltungshilfe nicht mindestens ebenso geeignet erscheint. Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung gen Teilhaber auf das Unternehmen und seine Tätigkeit leisten. Daraus gewinnt die nähere Regelung des kommunalen Verhaltens in Bezug auf Beteiligungsgesellschaften ihre besondere Bedeutung (vgl. dazu näher § 9). 191 Das gemischtwirtschaftliche Unternehmen ist selbst nicht Träger kommunaler Aufgaben; es ist allein eine Einbeziehung seiner Unternehmenstätigkeit in die Durchführung kommunaler Aufgaben möglich. Hierfür kommen die verschiedenen, auch mit Blick auf rein private Unternehmen entwickelten Modelle der Beteiligung Privater an der kommunalen Aufgabendurchführung in Betracht239, für die bei Beteiligung gemischtwirtschaftlicher Unternehmen teils noch Modifikationen vorgeschlagen werden (vgl. Rz. 192 ff., insbes. Rz. 203 ff. zum so genannten Kooperationsmodell). 2. Modelle der Beteiligung Privater an der Durchführung gemeindlicher Aufgaben 192 Wie gesehen (vgl. Rz. 182 ff.) ist im Bereich der kommunalen Pflichtaufgaben, namentlich der Abwasserbeseitigung und der Abfallentsorgung, eine Übertragung oder Überlassung der Aufgabe an private Unternehmen oder auch an Unternehmen im Eigentum oder unter Beteiligung der Gemeinde grundsätzlich, soweit nicht das jeweilige Fachgesetz dies zulässt, ausgeschlossen. Mit der gesetzlichen Begründung gemeindlicher Pflichtaufgaben ist es jedoch, auch soweit ausdrückliche Regelungen dazu fehlen, vereinbar, in die Wahrnehmung der Aufgabe Dritte einzuschalten. Insbesondere für diesen Bereich haben sich – ohne dass damit die möglichen organisatorischen Gestaltungsformen einheitlich und widerspruchsfrei herausgearbeitet wären240 und bereits vollständig ausgelotet schienen241 – verschiedene, die Aufgabenträgerschaft der Kommune wahrende Grundmodelle der Beteiligung Privater an der Durchführung der Aufgabe herausgebildet242.
239 Tettinger, DÖV 1996, 764 (766); Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Kreislaufwirtschaft, S. 44. 240 Tettinger, DÖV 1996, 764 (765). 241 So zu Recht Ehlers, DVBl 1998, 497 (506). 242 Überblicke bei Schoch, DVBl 1994, 1 (10 f.); Tettinger, DÖV 1996, 764 (765 f.); Landsberg, Rechtliche und politische Probleme der Privatisierung in der Abwasser- und Entsorgungswirtschaft – aus kommunaler Perspektive, in Fettig/ Späth, Privatisierung kommunaler Aufgaben, S. 29 (37 ff.); Tettinger, NWVBl. 2005, 1 (2 f.). Teils abweichende Unterscheidung verschiedener Modelle etwa bei Brüggemann, Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) im kommunalen Bereich, S. 25 ff.
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a) Betreibermodell Eine erste Form solcher Public Private Partnership stellt das – zunächst 193 in Niedersachsen für den Bereich der Abwasserbeseitigung entwickelte243, dann insbesondere nach der Wiedervereinigung in den neuen Ländern erprobte – so genannte Betreibermodell dar. Es erlaubt eine weitreichende Einbeziehung Privater in die Erledigung gemeindlicher Aufgaben durch die Übertragung von Planung, Bau, Finanzierung, Betrieb etc. einer Einrichtung, etwa einer Abwasserentsorgungsanlage. Das Kennzeichen dieses Modells244 liegt darin, dass der Private dabei die Funktion sowohl des Bauherrn als auch des Anlagenbetreibers übernimmt; er finanziert und baut die Anlage auf einem Grundstück, an dem er von der Gemeinde das Eigentum oder ein Erbbaurecht erwirbt. Der Private übernimmt in der Regel die vorhandenen Altanlagen, im Bereich der Abwasserbeseitigung allerdings – soweit ersichtlich – nur beschränkt auf einzelne Kläranlagen, während das Kanalisationsnetz in gemeindlichem Eigentum bleibt245. Zwischen privatem Betreiber und Kommune wird eine langfristige, häufig der Lebensdauer der Anlage angepasste vertragliche Bindung – mit einer Laufzeit von etwa 20 bis 30 Jahren246 – begründet. Dabei gibt es vor allem zwei Varianten des Betreibermodells: Wenn der Projektgegenstand während der Laufzeit im Eigentum des privaten Betreibers steht und ein Übergang des Eigentums auf den kommunalen Partner am Ende der Vertragslaufzeit vereinbart ist, spricht man vom Erwerbermodell, verbleibt das Eigentum während der Vertragslaufzeit bei diesem, vom Inhabermodell247. In dem Betreibervertrag muss sich die Kommune insbesondere die nötigen Kontroll- und Zugriffsrechte sichern, um den gebotenen Einfluss auf die Aufgabenwahrnehmung zu wahren. Das Betreibermodell wird zumeist so beschrieben, dass im Außenverhältnis der private Betreiber Leistungen im Namen und auf Rechnung der Kommune erbringt, so dass insoweit unmittelbare Rechtsbeziehungen nur zwischen der Kommune und den Anlagennutzern entstehen248; in dieser Konstellation geht das von der Gemeinde an den Betreiber zu entrichtende Entgelt für den Betrieb der Anlage, das sich aus einem mengenbezogenen Arbeitspreis und einem festen, zur Deckung der Kapitalkosten bestimmten Grundpreis zusammensetzen kann249, als Kostenposition in die Gebühr ein, die die Ge-
243 Vgl. Rudolph/Gellert, Gemhlt 1988, 121; Thomas Bauer, BayVBl. 1990, 292. 244 Vgl. dazu etwa Tettinger, DÖV 1996, 764 (765); Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Kreislaufwirtschaft, S. 42; Zacharias, DÖV 2001, 454 (457 f.). 245 Landsberg, Rechtliche und politische Probleme der Privatisierung in der Abwasser- und Entsorgungswirtschaft – aus kommunaler Perspektive, in Fettig/ Späth, Privatisierung kommunaler Aufgaben, S. 29 (38). 246 Schoch, DVBl 1994, 1 (10). 247 Chamakou, Die Öffentlich-Private Partnerschaft als neues Handlungsinstrument zwischen öffentlichem Recht und Zivilrecht, S. 75 f. 248 Vgl. etwa Tettinger, NWVBl. 2005, 1 (3); Kühne, LKV 2006, 489 (489). 249 Riener, ZfgK 1996, 662 (663). Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung meinde von den Benutzern der Anlage erhebt. Das Bundesverwaltungsgericht geht jedoch davon aus, dass im Rahmen eines Betreibermodells auch der Betrieb der Einrichtung einschließlich der Rechtsbeziehungen zu den Benutzern einem privaten Unternehmen übertragen werden kann250. 194 In die Entscheidung über die Wahl des Betreibermodells sind spezifische Vor- und Nachteile einzustellen. Als zu erreichende Vorteile werden genannt251: – die Finanzierung der Investitionsmaßnahme durch den privaten Betreiber, nicht durch die Kommune, so dass deren Vermögenshaushalt entlastet wird, Liquiditätsvorteile entstehen und Mittel für andere investive Maßnahmen frei werden; – die Vergabe zum Festpreis, die der Kommune das Risiko von Kostensteigerungen während der Bauphase nimmt; – mögliche Kosteneinsparungen durch die Auswahl eines wirtschaftlich arbeitenden Betreibers im Ausschreibungsverfahren mit der Folge, dass z.B. die Abwassergebühren auf niedrigem Niveau gehalten werden können; – die Möglichkeit der Sicherung hinreichenden kommunalen Einflusses auf die Aufgabendurchführung durch entsprechende Vertragsgestaltung; – die Vermeidung von Zielkonflikten, die bei kommunalem Betrieb von Anlagen auftreten können, durch die reine Überwachungsfunktion der Kommune. Dagegen stehen als mögliche Probleme und Nachteile: – das Problem der Anpassung der vertraglich vereinbarten Leistung an veränderte Mengen oder an geänderte, weiter gehende Anforderungen, so dass eventuell Nachtragsverhandlungen nötig werden können; – die im Rahmen von kommunalen Pflichtaufgaben einer Ausfallbürgschaft vergleichbare Position der Kommune, die bei Ausfall des gewählten Betreibers entweder Ersatz finden oder aber selbst den Betrieb übernehmen muss; – eine mögliche Verteuerung der Leistungen wegen anfallender Umsatzsteuer252.
250 BVerwG v. 6.4.2005 – 8 CN 1.04, BVerwGE 123, 159 (164). 251 Vgl. Rudolph, Erfahrungen mit Betreiber- und Kooperationsmodellen im Abwasserbereich, in Fettig/Späth, Privatisierung kommunaler Aufgaben, S. 175 (183 f.). 252 Schoch, DVBl 1994, 1 (11).
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b) Betriebsführungsmodell Das später aufgekommene so genannte Betriebsführungsmodell253 unter- 195 scheidet sich vom Betreibermodell dadurch, dass die Kommune selbst Eigentümerin und Betreiberin der Anlage bleibt. Allein die Betriebsführung nach Weisung der Kommune, in ihrem Namen und für ihre Rechnung wird vertraglich auf ein privates Unternehmen übertragen. Die Betriebsführung umfasst dabei regelmäßig Betrieb, Wartung und Instandhaltung der Anlagen sowie technische und kaufmännische Verwaltung. Für diese seine Leistungen erhält das mit der Betriebsführung beauftragte Unternehmen von der Kommune ein Entgelt. Im Außenverhältnis tritt es als bevollmächtigter Vertreter der Kommune auf; unmittelbare Rechtsbeziehungen zwischen den Anlagennutzern und dem Betriebsführer kommen deshalb nicht zustande, sie bestehen nur zwischen den Nutzern und der jeweiligen Gemeinde. Die im Innenverhältnis an den Betriebsführer für seine Leistungen zu entrichtenden Entgelte gehen auch hier als Kostenpositionen in die Berechnung der kommunalen Gebühren ein254. Diese Konstruktion hat im Vergleich zum Betreibermodell ambivalente 196 Folgen255. Einerseits wird die steuernde und kontrollierende Funktion der Kommune gestärkt, da der Betriebsführungsvertrag auf eine kürzere Zeit geschlossen werden kann, so dass der Betriebsführer in kürzeren Zeitabständen ausgewechselt werden kann und sich in Ausschreibungen dem Wettbewerb stellen muss256. Erkauft werden diese Vorteile andererseits mit dem Verlust der Vorteile aus der privaten Planung, Finanzierung und Bauausführung, da die Kommune weiterhin die Investitionen für die Erneuerung und ggf. Erweiterung ihrer Anlagen trägt. c) Betriebsüberlassungsmodell Als eine Zwischenform zwischen Betreiber- und Betriebsführungsmodell ist das so genannte Betriebsüberlassungsmodell zu charakterisieren257. Es unterscheidet sich von dem Betriebsführungsmodell durch einen weiteren Rückzug der Gemeinde aus dem laufenden Betrieb der Anlage und weiter gehende Gestaltungsspielräume des privaten Betriebsführers, u.U. auch durch ergänzende, punktuelle Ermächtigungen auch zu außenwirksamem Handeln258.
253 Vgl. dazu etwa Dedy, NWVBl. 1993, 245 (250); Tettinger, DÖV 1996, 764 (765); Zacharias, DÖV 2001, 454 (455). 254 Tettinger, DÖV 1996, 764 (765). 255 Vgl. Schoch, DVBl 1994, 1 (11); Hartmut Bauer, VerwArch 90 (1999), 561 (569). 256 Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 386. 257 Vgl. Dedy, NWVBl. 1993, 245 (250); Tettinger, DÖV 1996, 764 (765). 258 Dedy, NWVBl. 1993, 245 (250). Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung d) Kurzzeit-Betreibermodell/BOT-Modell 198 Das Kurzzeit-Betreibermodell, auch unter der Bezeichnung BOT (Build, Operate, Transfer) geläufig, bezeichnet die schlüsselfertige Erstellung von Anlagen einschließlich Finanzierung der Vorlaufkosten und umfassendem Projektmanagement und die Betriebsübernahme für eine Anlaufphase259. 199 Ein Blick auf Vor- und Nachteile dieses Modells zeigt einerseits den Vorteil der Fremdfinanzierung sowie eines qualifizierten Projektmanagements und der Vermeidung von Anlaufschwierigkeiten beim Betrieb der Anlage. Andererseits dürften diese Vorteile mit einer entsprechenden Kostenhöhe erkauft sein260. e) Management- und Beratungsmodelle 200 Von den dargestellten Beteiligungsmodellen unterscheiden sich Management- und Beratungsmodelle durch den Umfang der übertragenen Aufgaben; es geht allein um die Vergabe einzelner, konkreter Dienstleistungen an Dritte. Es handelt sich damit um ein stärker kommunalzentriertes Modell der Einschaltung Privater. Die Kommune bleibt in der Sache dominierend, trägt aber auch das wirtschaftliche Risiko, während der private Beitrag in der Einbringung von speziellem Know-how und Managementkapazitäten in jeweils vergüteten Einzelleistungen besteht261. 201 Bei Managementmodellen geht es darum, nur einzelne Funktionen des Projektmanagements auf Dritte zu übertragen, um auf diese Weise bei privaten Unternehmen vorhandenen, spezialisierten Sachverstand gewinnen zu können262. 202 Beratungsmodelle sehen vor, dass Dritte mit einzelnen, konkreten Beratungsaufgaben z.B. hinsichtlich konzeptioneller Entscheidungen oder hinsichtlich der Kontrolle von Planung, Bau oder Betrieb von Anlagen betraut werden263. f) Kooperationsmodell 203 Das so genannte Kooperationsmodell, das insbesondere als Modifikation des Betreibermodells264 oder des Betriebsführungsmodells265 präsentiert 259 Vgl. Bundesumweltministerium, Privatwirtschaftliche Realisierung der Abwasserentsorgung – Erfahrungsbericht, S. 38; Tettinger, DÖV 1996, 764 (765). 260 Tettinger, DÖV 1996, 764 (765). 261 Große-Wilde, NWVBl. 1994, 165 (165). 262 Tettinger, DÖV 1996, 764 (765). 263 Tettinger, DÖV 1996, 764 (765 f.). 264 Zacharias, DÖV 2001, 454 (458). 265 Landsberg, Rechtliche und politische Probleme der Privatisierung in der Abwasser- und Entsorgungswirtschaft – aus kommunaler Perspektive, in Fettig/ Späth, Privatisierung kommunaler Aufgaben, S. 29 (39 f.).
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wird, unterscheidet sich von den bislang vorgestellten Modellen dadurch, dass nicht ein rein privates Unternehmen, sondern ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen unter Beteiligung der jeweiligen Kommune als Betreiber oder Betriebsführer fungiert. Daraus folgt als besonderes Kennzeichen des Kooperationsmodells, dass über die im Betreiber- oder Betriebsführungsvertrag geregelten vertraglichen Bindungen hinaus der Kommune als Teilhaberin des Unternehmens zusätzliche gesellschaftsrechtliche Steuerungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen266. Spezifische Vorteile werden ihm deshalb vor allem zugeschrieben, wenn 204 eine vertraglich nicht exakt zu definierende Leistung zu vergeben ist. Beispielsweise wird in diesem Zusammenhang hingewiesen auf die Schwierigkeit der Leistungsabgrenzung bei Kanalinvestitionen und Kanalbetrieb, da hier über den Zustand der Kanalisation in der Regel nur unvollständige Informationen bestehen und deshalb im Wege der Ausschreibung kaum eine fest umschriebene Leistung vergeben werden kann267. In solchen Konstellationen kann das Kooperationsmodell die mangelnde Steuerbarkeit der Leistungsverpflichtung im Vertragswerk, d.h. sozusagen im Außenverhältnis von Besteller und Leistungserbringer, ein Stück weit durch die gesellschaftsrechtliche Steuerung des Betreiberunternehmens im Binnenverhältnis von Anteilseigner und Unternehmen kompensieren. Vorgeschlagen wird mitunter noch als eine weitere Modifikation das so 205 genannte Besitzermodell268. Es zeichnet sich aus durch die Trennung zwischen einer Eigentumsgesellschaft und einer Betreibergesellschaft, der Besitzrechte eingeräumt werden. g) Konzessionsmodelle Zunehmende Bedeutung haben in den zurückliegenden Jahren die so ge- 206 nannten Konzessionsmodelle gewonnen269. Auch hier bleibt die eigentliche Aufgabenverantwortung bei der Gemeinde. Auf der Grundlage vertraglicher Vereinbarungen betreibt jedoch ein privater Dritter, der hierfür 266 Bundesministerium der Finanzen, Bericht der Arbeitsgruppe „Private Finanzierung öffentlicher Infrastruktur“, S. 77; Habersack, ZGR 1996, 544 (549); Hartmut Bauer, DÖV 1998, 89 (91). Skeptisch und das Kooperationsmodell insgesamt kritisch beurteilend Bodanowitz, Organisationsformen für die kommunale Abwasserbeseitigung, S. 161 f. 267 Kirchhoff/Müller-Godeffroy, Finanzierungsmodelle für kommunale Investitionen, S. 104 f.; Rudolph, Erfahrungen mit Betreiber- und Kooperationsmodellen im Abwasserbereich, in Fettig/Späth, Privatisierung kommunaler Aufgaben, S. 175 (184 f.). 268 Schoch, DVBl 1994, 1 (11); Tettinger, DÖV 1996, 764 (766); Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Kreislaufwirtschaft, S. 44. 269 Vgl. etwa zur Anwendung in der Wasserversorgung bzw. Abwasserbeseitigung Kühne, LKV 2006, 489; Bohne/Heinbuch, NVwZ 2006, 489. Gegen die Qualifizierung von Konzessionsmodellen als Erscheinungsform von Public Private Partnership Brüggemann, Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) im kommunalen Bereich, S. 27 f. Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung regelmäßig eine Konzessionsabgabe an den staatlichen bzw. kommunalen Aufgabenträger zu leisten hat, als Konzessionär die fragliche Einrichtung oder Anlage im eigenen Namen und auf eigene Rechnung. Es entstehen unmittelbare Leistungs- und Rechtsbeziehungen zwischen dem privaten Betreiber und den Nutzern; das Entgelt für die Nutzung wird unmittelbar in diesem Rechtsverhältnis erhoben bzw. entrichtet270. Der eigentlich bedeutsame Unterschied insbesondere zum Betreibermodell (vgl. Rz. 193) liegt darin, dass der private Konzessionär grundsätzlich das wirtschaftliche Risiko eines hinreichenden Erlöses aus den von ihm erzielten Entgelten trägt. 207 Weil Konzessionsmodelle damit eine besonders weit reichende Verlagerung in den privaten bzw. privatrechtlichen Bereich vornehmen, ist ihre Zulässigkeit im Bereich kommunaler Pflichtaufgaben sowie beim Betrieb von Einrichtungen mit Anschluss- und Benutzungszwang streitig diskutiert worden. Weder die privatrechtliche Ausgestaltung des Benutzungsverhältnisses noch das Zustandekommen unmittelbarer Leistungsbeziehungen zwischen dem privaten Konzessionär und den Nutzern271 dürften jedoch auch insoweit der Wahl eines Konzessionsmodells entgegenstehen272, solange die Kommune durch geeignete Einwirkungs- und Kontrollinstrumente die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung, insbesondere die Versorgungssicherheit, sicherstellen kann (vgl. Rz. 182 ff.). 208 Als ein Vorzug der Konzessionsmodelle gilt, dass sie vergaberechtlich nicht als Dienstleistungsauftrag, sondern als Dienstleistungskonzession zu qualifizieren sind und als solche ohne förmliches Vergabeverfahren i.S.d. §§ 97 ff. GWB bzw. der EG-Vergaberichtlinien durchgeführt werden können273. Allerdings sollen schon aus dem EG-Primärrecht, namentlich aus Art. 49, 56 AEUV (früher Art. 43, 49 EG) sowie den Grundsätzen der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung und Transparenz, Anforderungen an die Vergabe öffentlicher Dienstleistungskonzessionen folgen können, die das Absehen von einer vorherigen Ausschreibung ausschließen274.
270 Zur Beschreibung der Konzessionsmodelle vgl. etwa Tettinger, NWVBl. 2005, 1 (3 f.); Kühne, LKV 2006, 489 (489); Bohne/Heinbuch, NVwZ 2006, 489 (489). 271 Vgl. hierzu BVerwG v. 6.4.2005 – 8 CN 1.04, BVerwGE 123, 159 (164). 272 Kühne, LKV 2006, 489 (490 f.); Bohne/Heinbuch, NVwZ 2006, 489 (490 ff.); Ahmann, Öffentlich- und privatrechtliche Organisationsformen kommunaler Einrichtungen der Daseinsvorsorge, S. 159 ff., jeweils m.w.N. 273 Kühne, LKV 2006, 489 (490 f.); Bohne/Heinbuch, NVwZ 2006, 489 (496). Zur Vergaberechtsfreiheit von Dienstleistungskonzessionen vgl. etwa EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C-458/03, NZBau 2005, 644 (647); OLG Celle v. 5.2.2004 – 13 Verg 26/03, NZBau 2005, 51 (51). 274 EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C-458/03, NZBau 2005, 644 (648).
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3. Mobilisierung privaten Kapitals Unter den Bedingungen einer hohen Verschuldung der kommunalen 209 Haushalte können der Finanzierung kommunaler Investitionen – auch in rentierliche Projekte – über Kommunalkredite beträchtliche Widerstände entgegenstehen275. Vor diesem Hintergrund liegt ein wesentliches Motiv der Einbeziehung Privater auch in der Mobilisierung privaten Kapitals für Zwecke der gemeindlichen Aufgabenwahrnehmung. Es geht dabei namentlich um die Vorfinanzierung von Investitionen in Anlagen der gemeindlichen Daseinsvorsorge. Im Zusammenhang mit den verschiedenen Formen von Public Private Partnership sind dafür verschiedene alternative Finanzierungsmodelle entwickelt worden, die auf andere Weise als durch Aufnahme eines Kommunalkredits das zur Vorfinanzierung nötige private Kapital aufbringen sollen276. Sie interessieren im vorliegenden Zusammenhang als Instrumente kommunaler Aufgabenwahrnehmung insoweit, wie sie noch einen Bezug auf konkrete kommunale Investitionen oder vorhandene Objekte haben, während allein allgemein haushaltswirtschaftlich relevante Finanzierungsinstrumente ohne solchen konkreten Bezug277 hier außer Betracht bleiben sollen. a) Leasingfinanzierung kommunaler Investitionen Leasingmodelle sind im Kern durch die Finanzierung und Errichtung der 210 von der Kommune benötigten und für ihre Zwecke projektierten Anlagen und die anschließende Anmietung durch die Kommune gekennzeichnet278. Die Anmietung tritt damit wirtschaftlich an die Stelle der Eigenherstellung. Neben die klassische Leasingfinanzierung, bei der das privat errichtete Investitionsobjekt Eigentum einer Leasinggesellschaft wird und von dieser der Gemeinde überlassen wird, ist auch die Variante der Leasingfondsfinanzierung getreten, bei der anstelle der Leasinggesellschaft ein Immobilienfonds als Eigentümer des Objekts fungiert279. Ob und inwieweit Leasingfinanzierungen, die bei wirtschaftlicher Betrachtung zu einer Kreditfinanzierung öffentlicher Einrichtungen führen, als Kreditaufnahme im Sinne des Haushaltsverfassungsrechts zu qualifizieren sind, ist im Einzelnen nicht unumstritten280. Leasingverträge sind jedoch jedenfalls wirtschaftlich einer Kreditaufnahme gleichkommende Rechtsgeschäfte, die den hierfür geltenden gemeindehaushaltsrechtlichen 275 Rudolph, Wirtschaftsdienst 1994, 92 (92 f.). 276 Vgl. dazu im Überblick Rehm, ZögU 1994, Beiheft 18, S. 23 ff.; Kirchhoff/Müller-Godeffroy, Finanzierungsmodelle für kommunale Investitionen, S. 47 ff. 277 Vgl. etwa Reinhardt, LKV 2005, 333 (334), zum kommunalen Einsatz derivativer Finanzierungsinstrumente. 278 Tettinger, DÖV 1996, 764 (766); Reinhardt, LKV 2005, 333 (333). 279 Reinhardt, LKV 2005, 333 (334). 280 Vgl. dazu BVerfG v. 17.9.1998 – 2 BvK 1/98, BVerfGE 99, 57; VerfGH Rh.-Pf. v. 20.11.1996 – VGH N 3/96, NVwZ-RR 1998, 145 (147); Gröpl, DStZ 1999, 113 (119 ff.); Jahndorf, NVwZ 2001, 620 (622 ff.). Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung Bestimmungen, insbesondere allfälligen Genehmigungsvorbehalten (vgl. § 86 Abs. 4 GO NW), genügen müssen281. b) Cross-Border-Leasing 212 Ein einige Jahre lang auch von Kommunen und kommunalen Unternehmen genutztes grenzüberschreitendes Sonderfinanzierungsinstrument sind die so genannten US-Cross-Border-Leasingtransaktionen. Sie zielen darauf, durch langfristige Vermietung vorhandener Wirtschaftsgüter wie Messehallen, Müllverwertungs- oder Kläranlagen oder Einrichtungen des ÖPNV – unter Ausnutzung von Steuervergünstigungen des US-amerikanischen Steuerrechts – Haushaltsmittel zu erwirtschaften und ggf. auch die Finanzierung solcher Anlagen effizient zu gestalten. Die Transaktion282 beruht zunächst auf einem Hauptmietvertrag, durch den die Kommune bzw. das kommunale Unternehmen das kommunale Wirtschaftsgut für eine Laufzeit von regelmäßig 99 Jahren an einen – von einem US-amerikanischen Investor gegründeten – US-amerikanischen Trust vermietet. Zugleich wird zwischen den Vertragspartnern ein Rückmietvertrag über einen Zeitraum von etwa 20 bis 35 Jahren geschlossen, so dass die Kommune bzw. das kommunale Unternehmen für diesen Zeitraum das Nutzungsrecht an dem Objekt behält. Der Rückmietvertrag räumt der Kommune bzw. dem kommunalen Unternehmen zum Vertragsende die Option ein, die Rechtsposition des Trusts aus dem Hauptmietvertrag zu einem zu Beginn der Transaktion festgelegten Optionspreis zurückzuerwerben, was zur Beendigung der Vertragsbeziehung führt. Wird die Option nicht ausgeübt, schließt sich – ggf. bis zum Ende der Hauptmietvertragslaufzeit – die so genannte Servicekontraktphase an, für die der US-Trust mit dem kommunalen Vertragspartner oder einem Dritten einen – ebenfalls schon zu Beginn der Transaktion vorstrukturierten – Servicekontrakt abschließt, der den gemeinwohlgerechten, dabei die Betreiberkosten und die Gewinnerwartungen des Trusts deckenden Betrieb der jeweiligen Einrichtung zu sichern hat. Der US-Trust leistet die gesamten Mietzahlungsverpflichtungen aus dem Hauptmietvertrag zu Beginn der Transaktion in einer Vorauszahlung. Die Kommune bzw. das kommunale Unternehmen wiederum zahlt einen großen Teil dieser Mittel an Finanzinstitute, die sich verpflichten, sowohl die Mietzahlungen nach dem Rückmietvertrag wie auch den bei Ausübung der Rückerwerbsoption fälligen Preis gegenüber dem Trust zu erbringen. Die Differenz zwischen der Zahlung des Trusts einerseits und den Leistungen an diese Finanzinstitute sowie sonstigen Transaktionskosten andererseits verbleibt als der so genannte Barwertvorteil bei dem kommunalen Ver281 Kirchhoff/Müller-Godeffroy, Finanzierungsmodelle für kommunale Investitionen, S. 51; Elicker, DÖV 2004, 875 (876); Reinhardt, LKV 2005, 333 (335); Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 387. 282 Zum Folgenden vgl. etwa Laudenklos/Pegatzky, NVwZ 2002, 1299 (1300); Sester, ZBB 2003, 94 (95 ff.).
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tragspartner. Dass die Transaktion einen solchen Barwertvorteil zu seinen Gunsten hervorbringen kann, beruht darauf, dass das US-amerikanische Steuerrecht wegen der langen Laufzeit des Hauptmietvertrages dem Trust ähnlich einem Eigentümer die steuerliche Abschreibung des Objekts erlaubt und damit zugleich auch den US-Investoren eine günstige Eigenkapitalrendite ermöglicht hat (vgl. Rz. 214). Dieses Finanzierungsinstrument ist Gegenstand intensiver, auch kriti- 213 scher Diskussion gewesen283. Die Kritik hat ihren Grund sicher zunächst darin, dass der kommunale Vorteil hier allein durch das US-amerikanische Steuerrecht begünstigten Finanztransaktionen entstammt284. Weiter werfen US-Cross-Border-Leasingtransaktionen in der Tat eine ganze Reihe von – hier im Einzelnen nicht zu behandelnden – rechtlichen Problemen auf, nicht nur hinsichtlich der Vertragsgestaltung zwischen den Partnern, sondern etwa auch mit Blick auf die kommunale Beschlussfassung über solche Geschäfte und ihre kommunalaufsichtliche Genehmigungsbedürftigkeit285 oder mit Blick auf die mögliche gebührenrechtliche Bindung der Verwendung des erzielten Barwertvorteils286. Festzuhalten ist jedenfalls, dass die insbesondere aus dem Umfang der abzuschließenden Verträge, ihrer englischsprachigen Abfassung und dem anzuwendenden US-amerikanischen Recht folgende Komplexität der Transaktion einen sehr erheblichen Beratungsbedarf begründet. Inzwischen finden sich keine aktuellen Cross-Border-Leasing-Finanzie- 214 rungsangebote mehr. Auf Grund einer Änderung der maßgeblichen Regelungen des US-amerikanischen Leasing-Steuerrechts sind die bislang zu erzielenden Steuervorteile zukünftig nicht mehr zu erlangen. US-CrossBorder-Leasingkonstruktionen werden deshalb inzwischen nicht mehr angeboten. Auch sonstige Cross-Border-Leasing-Gestaltungen sind auf dem Markt nicht präsent287. c) Sale-and-lease-back Das so genannte „sale-and-lease-back“-Modell beruht auf dem Prinzip 215 der Veräußerung und anschließenden Wiederanmietung von Gegenständen, insbesondere Liegenschaften des kommunalen Vermögens288. Das Modell hat vor allem die Funktion, der Kommune bzw. dem kommunalen Unternehmen durch den Veräußerungsgewinn notwendige liquide Mittel zuzuführen, die ansonsten auf dem Kapitalmarkt besorgt werden 283 Betont kritisch etwa Schacht, KStZ 2001, 229; dagegen Laudenklos/Pegatzky, NVwZ 2002, 1299. 284 So zu Recht Sester, ZBB 2003, 94 (94). 285 Laudenklos/Pegatzky, NVwZ 2002, 1299 (1302 ff.). 286 Laudenklos/Pegatzky, NVwZ 2002, 1299 (1304 ff.). 287 Vgl. Bayerischer Landtag, LT-Drs. 15/2599, S. 4. 288 Jahndorf, NVwZ 2001, 620 (624). Ausführlich zu Grundstrukturen von Saleand-lease-back-Geschäften Friederike Müller, Kommunalrechtliche Grenzen beim Sale-and-lease-back, S. 21 ff. Hellermann
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§ 7 Handlungsformen und Handlungsinstrumentarien wirtschaftlicher Betätigung müssten. Die Anwendung von „sale-and-lease-back“-Modellen ist deshalb vor allem auf Haushaltsengpässe zurückzuführen289. Es gibt jedoch auch „sale-and-lease-back“-Finanzierungen, bei denen der private Investor darüber hinaus auch die Sanierung des übereigneten Objekts vornimmt und dieses in saniertem Zustand wieder der Gemeinde überlässt290. 216 Die kommunalhaushaltsrechtliche Zulässigkeit von „sale-and-leaseback“-Geschäften wirft ein besonderes Problem auf wegen der möglichen Kollision mit dem gemeinderechtlichen Verbot der Veräußerung von Vermögensgegenständen, die zur Aufgabenerfüllung benötigt werden291. Die Beurteilung insbesondere auch durch die zuständigen Kommunalaufsichtsbehörden ist uneinheitlich; sie reicht von der Annahme grundsätzlicher Unzulässigkeit über das Abstellen darauf, ob nennenswerte Investitionen des Leasinggebers in das Objekt vorgenommen werden sollen, bis hin zu der Annahme der Zulässigkeit, wenn für die gemeindliche Aufgabenerfüllung auch die aus der Leasingvereinbarung folgende Rechtsstellung hinreicht292. Eine besondere für „sale-and-lese-back“ Geschäfte relevante Beschränkung kann zudem aus dem neugefassten Art. 72 Abs. 4 Satz 2 BayGO folgen, der Rechtsgeschäfte verbietet, die keine Investition zum Gegenstand haben, sondern auf die Erzielung wirtschaftlicher Vorteile dadurch gerichtet sind, dass die Gemeinde einem Dritten inländische steuerliche Vorteile verschafft. d) Factoring 217 Factoring-Modelle sind Finanzierungsmodelle unter Beteiligung der Kommune, eines privaten Unternehmens und einer kreditgewährenden Bank. Das private Unternehmen errichtet dabei in eigenem Namen und für eigene Rechnung in Abstimmung mit der Kommune das Investitionsobjekt und übernimmt auch – im Rahmen von Betreiber-, Konzessions- oder Kooperationsverträgen293 – den künftigen Betrieb als Erfüllungsgehilfe der Kommune. Es verkauft seine (zukünftigen) Entgeltforderungen gegenüber der Kommune, die auf der Errichtung der jeweiligen Anlage für die Kom-
289 Jahndorf, NVwZ 2001, 620 (624 f.). 290 Reinhardt, LKV 2005, 333 (334). 291 Elicker, DÖV 2004, 875 (876 f.); Friederike Müller, Kommunalrechtliche Grenzen beim Sale-and-lease-back, S. 56 ff. 292 Vgl. Reinhardt, LKV 2005, 333 (336 f.). 293 Kirchhoff/Müller-Godeffroy, Finanzierungsmodelle für kommunale Investitionen, S. 74.
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mune beruhen, global an eine Bank. Mit dem hieraus erzielten Verkaufserlös finanziert das private Unternehmen die Erstellung der Anlage für die Kommune294. Als besonderer Vorzug gilt, dass bei der Finanzierung über Factoring auch 218 kleineren und mittleren Entsorgungsunternehmen die Übernahme von Anlageninvestitionen ermöglicht wird, die sie sonst wegen fehlenden Eigenkapitals bzw. mangelnder Sicherheiten nicht finanzieren könnten295.
294 Kirchhoff/Müller-Godeffroy, Finanzierungsmodelle für kommunale Investitionen, S. 70 f.; Tettinger, DÖV 1996, 764 (766). 295 Bundesumweltministerium, Privatwirtschaftliche Realisierung der Abwasserentsorgung – Erfahrungsbericht, S. 48. Hellermann
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Dritter Teil: Grundlagen und Rahmenbedingungen kommunalen Gesellschaftsrechts §8 Rechtliche Vorgaben für die Gründung kommunaler Gesellschaften von Prof. Dr. Janbernd Oebbecke
A. Vorbemerkungen . . . . . . . . B. Zulässigkeit der Rechtsform . I. Zulässigkeit der Aufgabenwahrnehmung . . . . . . . . . II. Öffentliches Interesse an der Gesellschaftsgründung . . . . III. Subsidiaritätsregeln . . . . . .
.
Rz. 1 9
. 10 . 13 . 19
C. Vorgaben für die Ausgestaltung der gesellschaftsrechtlichen Grundlagen . . . . . . . . . . . 32 I. Ausrichtung auf den öffentlichen Zweck . . . . . . . . . . 37
Rz. II. Begrenzung des wirtschaftlichen Risikos . . . . . . . . . III. Sicherstellung kommunalen Einflusses . . . . . . . . . . . IV. Wirtschaftsplan und Rechnungslegung . . . . . . . . . . V. Sonstiges . . . . . . . . . . . .
. 43 . 55 . 65 . 76
D. Errichtungsvorgang . . . . . . . 78 I. Gemeindliche Willensbildung und Vertretung . . . . . . . . . 79 II. Aufsichtliche Mitwirkung . . . 82
Literatur: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Band 2, 2. Aufl. 2000; Altmeppen, Die Einflussrechte der Gemeindeorgane in einer kommunalen GmbH, NJW 2003, 2561 ff.; App, Umwandlung von Krankenhäusern und anderen kommunalen Betrieben in eine GmbH, Gemhlt 1994, 255; Bauer/ Böhle/Masson/Samper, Bayerische Kommunalgesetze, Loseblatt; Becker, Grenzenlose Kommunalwirtschaft, DÖV 2000, 1032 ff.; Bennemann/Daneke/Meiß u.a. (Hrsg.), Kommunalverfassungsrecht Hessen, Loseblatt; Blum/Beckhof u.a., Niedersächsische Gemeindeordnung, Loseblatt; Böttcher/Krömker, Abschied von der kommunalen AG in NW?, NZG 2001, 590 ff.; Borchert u.a. (Hrsg.), Kommunalverfassungsrecht Schleswig-Holstein, Kommentare, Band 1, Loseblatt; Borgmann, Gehaltsobergrenzen für Geschäftsführer kommunaler Eigen- und Beteiligungsgesellschaften?, BayVBl. 1997, 654 ff.; Braun, Führungsorganisation kommunaler Unternehmen, 2004; Brenner, Die Neugestaltung gemeindlicher Einwirkungs- und Kontrollrechte auf privatrechtliche Unternehmen in Thüringen und die kommunale Selbstverwaltungsgarantie, LKV 2002, 7 ff.; Breyer, Umwandlung eines kommunalen Krankenhauses in eine GmbH – Der Weg zu mehr Wirtschaftlichkeit?, Gemhlt 1993, 272 ff.; Brüggemeier/Damm, Kommunale Einwirkung auf gemischtwirtschaftliche Energieversorgungsunternehmen am Beispiel des RWE/ VKA-Konflikts, 1988; Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, 5. Aufl. 2006; von Danwitz, Vom Verwaltungsprivat- zum Verwaltungsgesellschaftsrecht, AöR 120 (1995), 595 ff.; Darsow/Gentner/Glaser/Meyer, Schweriner Kommentie-
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A. Vorbemerkungen
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A. Vorbemerkungen Die Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG und der entspre- 1 chenden Vorschriften der Landesverfassungen schützt im Rahmen der Organisationshoheit auch die Befugnis der Kommunen, Aufgaben durch zu diesem Zweck von ihnen errichtete privatrechtliche Gesellschaften wahrzunehmen oder sich an Gesellschaften zu beteiligen1. Die Kommunen können also zwischen öffentlich-rechtlichen Formen – traditionell dem Eigenbetrieb, seit einigen Jahren in manchen Ländern auch der Anstalt des öffentlichen Rechts – und privatrechtlichen wählen. Diese Wahlfreiheit2 besteht allerdings nur „im Rahmen der Gesetze“, 2 Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG. Gesetzliche Beschränkungen dieses Rechts, sei es materieller Art, sei es durch Verfahrensbestimmungen, enthält vor allem das kommunale Wirtschaftsrecht, das in den Gemeindeordnungen der Länder geregelt ist3. Für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit solcher Beschränkungen gel- 3 ten die auch sonst bei Regelungen im Schutzbereich der Selbstverwaltungsgarantie zu beachtenden Grenzen. Gegen die Regelungsziele4 – Konzentration der gemeindlichen Verwaltungskraft auf die Kernaufgaben,
1 Held in Held u.a., Kommunalverfassungsrecht Nordrhein-Westfalen, § 108 GO NRW Anm. 2.1; Oster in Gabler/Höhlein/Klöckner u.a. Kommunalverfassungsrecht Rheinland-Pfalz, § 87 GemO Rh.-Pf. Anm. 2.1; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rz. 720; Rehn/Cronauge/von Lennep, § 108 Anm. I 2; Schmid in Quecke/Schmid, § 96 Rz. 2; Schneider/Dreßler/Lüll, § 122 Anm. 2 m.w.N. 2 Zum Bestehen dieser Wahlfreiheit etwa Schmidt, ZGR 1996, 345 (349 und 356 f.); Klang/Gundlach, Vorbem. zu § 116 GO LSA Rz. 3; Oebbecke, StuGR 1995, 387 ff.; relativierend Ehlers, DÖV 1986, 897 (903); Schoch, DVBl 1994, 962 ff. (970); von Danwitz, AöR 120 (1995), 595 (600); Ehlers, Gutachten E für den 64. Deutschen Juristentag 2002, S. E 105 ff.; weitere Nachweise zur Kritik und rechtstheoretische Auseinandersetzung damit bei Schnapp, DÖV 1990, 826 ff. 3 Nimmt man einen institutionellen Gesetzesvorbehalt für Organisationsprivatisierungen an (etwa Gross, S. 275 m.w.N.), stellen diese Bestimmungen zugleich die notwendigen gesetzlichen Grundlagen für die Verselbständigung in Privatrechtsform dar. 4 Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rz. 722. Oebbecke
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– Sicherung von Einfluss und Kontrolle durch die gewählten Räte, – Schutz der privaten Wirtschaftsbetätigung vor öffentlicher Konkurrenz und – Verhinderung wirtschaftlicher Risiken und Verluste der Gemeinde als solche dürften sich verfassungsrechtliche Bedenken schwerlich geltend machen lassen5. Allerdings muss die konkrete Ausgestaltung der jeweiligen Regelung den Anforderungen des Übermaßverbots genügen; sie muss geeignet, erforderlich und angemessen sein6. 4 Das kommunale Gesellschaftsrecht umfasst die kommunalrechtlichen Regeln über Eigengesellschaften und gemischt-wirtschaftliche Unternehmen. Unter einer Eigengesellschaft wird eine Gesellschaft verstanden, deren sämtliche Anteile einer Gemeinde gehören. Als gemischt-wirtschaftliches Unternehmen wird eine Gesellschaft bezeichnet, an der sowohl eine oder mehrere Gemeinden wie auch Private Anteile halten7. 5 Die Gründung einer kommunalen Eigengesellschaft oder eines gemischtwirtschaftlichen Unternehmens unterscheidet sich gesellschaftsrechtlich nicht von der Gründung einer Gesellschaft in privater Hand. Das Kommunalrecht enthält jedoch Vorgaben dafür, ob die Kommune überhaupt eine Gesellschaft gründen darf (dazu Rz. 9 ff.) und wie bei der Gestaltung des Gesellschaftsvertrages (GmbH) oder der Satzung (AG) die Spielräume auszufüllen sind, die das Gesellschaftsrecht eröffnet (dazu Rz. 32 ff.). Außerdem sind bei der Errichtung der Gesellschaft die Regeln über die Willensbildung in der Kommune und die Mitwirkung der Kommunalaufsicht (dazu Rz. 78 ff.) zu beachten. 6 Der sachliche Anwendungsbereich dieser kommunalrechtlichen Bestimmungen erstreckt sich zum guten Teil über die Errichtung einer Gesellschaft durch die Kommune allein oder unter ihrer Beteiligung hinaus in gleicher Weise auf den Erwerb einer Beteiligung durch die Kommune, aber auch auf die wesentliche Erweiterung einer Beteiligung. 7 Nicht einheitlich beurteilt wird, ob die Bestimmungen des Gemeindewirtschaftsrechts über die Zulässigkeit kommunaler Beteiligungen auch anwendbar sind, wenn die kommunale Beteiligung nicht der unmittelbaren Erfüllung öffentlicher Aufgaben dient, sondern etwa der Kapitalanlage. Ob die Beteiligung an einer Gesellschaft zum Zwecke der Kapitalanlage von Rechts wegen in Betracht kommt, hängt jedenfalls auch von
5 VerfGH Rh.-Pf. v. 28.3.2000 – VGH N 12/98, DVBl 2000, 992 ff.; s. auch Schoch, DVBl 1994, 962 (973); Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rz. 723. 6 Oebbecke, Der Schutz der kommunalen Aufgabenwahrnehmung durch die Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 II GG, in Henneke, Kommunale Aufgabenerfüllung in Anstaltsform, S. 11 ff. 7 Zur Terminologie Hölzl/Hien/Huber, Art. 92 BayGO Anm. 2; Wiegand/Grimberg, § 117 Rz. 5; Schneider/Dreßler/Lüll, § 122 Anm. 1.
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den dafür geltenden Bestimmungen etwa des kommunalen Haushaltsrechts ab8. Anders als das Gesellschaftsrecht, das der Bund auf Grund seiner konkur- 8 rierenden Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG erlässt, fallen das kommunale Organisationsrecht und das Recht der kommunalen Aufgabenerfüllung in die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder. Die folgende Darstellung muss also vom Recht der dreizehn Flächenländer ausgehen. Die Regelungen der Länder für den hier interessierenden Sachbereich stimmen schon deshalb in manchen Teilen überein, weil sie historisch auf die Deutsche Gemeindeordnung von 1935 zurückgehen. In den letzten Jahrzehnten hat sich das kommunale Wirtschaftsrecht allerdings unterschiedlich und zum Teil recht schnell entwickelt; hier wird versucht, wenigstens die wichtigen Varianten darzustellen9. Bei der Beantwortung konkreter Rechtsfragen ist in jedem Falle die gründliche Analyse der jeweils vor Ort geltenden landesrechtlichen Regelung in ihrer aktuellen Fassung, der dazu ergangenen Rechtsprechung und der aufsichtlichen Praxis unerlässlich. Das gilt vor allem auch für die wichtige Frage, ob und wieweit neue Vorschriften auf bereits bestehende Beteiligungen anzuwenden sind.
B. Zulässigkeit der Rechtsform Die Zulässigkeit der Errichtung einer Gesellschaft durch die Kommune 9 setzt stets voraus, dass die Kommune sich der Aufgaben, die die Gesellschaft erfüllen soll, überhaupt annehmen darf (dazu Rz. 10). Nach dem Kommunalrecht aller Länder muss ein öffentliches Interesse gerade an der Aufgabenwahrnehmung in dieser gesellschaftsrechtlichen Form bestehen (dazu Rz. 13). Einige Länder haben diese Voraussetzung gesetzgeberisch näher entfaltet (dazu Rz. 19 ff.).
I. Zulässigkeit der Aufgabenwahrnehmung Schon der Zusammenhang der gesetzlichen Bestimmungen, in denen die 10 Betätigung in gesellschaftsrechtlicher Form als Sonderform der wirtschaftlichen oder nicht-wirtschaftlichen Betätigung geregelt ist, macht in den meisten Landesrechten deutlich, dass die Gesellschaft nur Aufgaben
8 Siehe dazu etwa Bauer/Böhle/Masson/Samper, Art. 92 BayGO Rz. 7; Oster in Gabler/Höhlein/Klöckner u.a., Kommunalverfassungsrecht Rheinland-Pfalz, § 87 GemO Rh.-Pf. Anm. 1.1; Schneider/Dreßler/Lüll, § 122 Anm. 4; Sprenger in Borchert u.a., Kommunalverfassungsrecht Schleswig-Holstein, § 102 SHGO Rz. 2. 9 Einen Eindruck von den Varianten gibt die tabellarische Übersicht bei Schönershofen/Binder-Falcke, VR 1997, 109 (116 f.). Oebbecke
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Rechtliche Vorgaben für die Gründung kommunaler Gesellschaften
wahrnehmen darf, die zulässigerweise auch von der Gemeinde wahrgenommen werden dürfen10. Diese Voraussetzung folgt aber auch aus einer allgemeinen organisationsrechtlichen Überlegung11: Ein Träger öffentlicher Verwaltung kann nicht durch die Wahl der Form seiner Aktivitäten seinen Zuständigkeitsbereich ausweiten: Nemo plus iuris transferre potest quam ipse habet. 11 Praktisch ist diese Restriktion vor allem in zwei Richtungen von Bedeutung: – Die Gesellschaft darf bei ihren Aktivitäten den örtlichen Zuständigkeitsbereich der Gemeinde nicht überschreiten12. Wegen einfach-gesetzlicher Öffnungsklauseln oder etwa der grundsätzlichen Zulässigkeit interkommunaler Zusammenarbeit in den Formen des Gesellschaftsrechts ist damit eine die kommunalen Grenzen überschreitende Gesellschaftstätigkeit indessen nicht in jedem Fall ausgeschlossen13. 12 – Die Kommunen müssen die rechtlichen Grenzen für die Zulässigkeit wirtschaftlicher Betätigung auch beachten, wenn sie Gesellschaften errichten oder sich daran beteiligen.
II. Öffentliches Interesse an der Gesellschaftsgründung 13 Zu dem allgemeinen öffentlichen Interesse an der Wahrnehmung der jeweiligen Aufgabe muss ein spezifisches öffentliches Interesse treten, dies gerade in gesellschaftsrechtlicher Form zu tun. Ein rechtlicher Grund dafür ist die Gemeinwohlbindung jeder Verwaltungstätigkeit. Dieses Erfordernis gilt also in allen Ländern. 14 Eine ganze Reihe von Ländern betont oder konkretisiert diese Anforderung durch ausdrückliche Regelungen im Zusammenhang mit der Gesellschaftsgründung. Geschieht dies nicht generell (siehe etwa § 87 Abs. 1 Satz 1 GemO Rh.-Pf., § 102 Abs. 1 Nr. 1 GO Schl.-Holst.), sondern nur für bestimmte Fälle wie den der Mehrheits- oder einer Schachtelbeteiligung (§ 117 Abs. 2 GO LSA, § 69 Abs. 2 KV MV ) kann daraus nicht geschlossen werden, das öffentliche Interesse sei in anderen Fällen entbehrlich; solche Bestimmungen unterstreichen das Erfordernis vielmehr in vom Gesetzgeber für vergleichsweise eher problematisch gehaltenen Fällen oder erhöhen die Anforderungen, indem sie etwa ein „wichtiges“ In-
10 Bauer/Böhle/Masson/Samper, Art. 92 BayGO Rz. 6. 11 Ehlers, DVBl 1997, 137 (138). 12 Ehlers, DVBl 1997, 137 (138); VG Leipzig v. 13.4.2000 – 6 K 193/00, LKV 2001, 327 (328 f.); a.A. Schwintowski, NVwZ 2001, 607 ff. (610); Wittig, VR 2002, 90 ff.; zu den Problemen der Durchsetzung des Regionalprinzips bei einer Aktiengesellschaft s. Hansen, Gemhlt 1990, 270 ff. 13 Oebbecke, ZHR 164 (2000), 375 ff.; Kühling, NJW 2001, 177 ff.; kritisch zu diesen Öffnungsklauseln: Becker, DÖV 2000, 1032 ff.
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teresse verlangen (§ 102 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GO Schl.-Holst.). Auf Gesichtspunkte, die bei der Feststellung des öffentlichen Interesses zu berücksichtigen sind, wird unten unter Rz. 19 ff. hingewiesen. Wenn Art. 87 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BayGO verlangt, die Aufgabe müsse für „die Wahrnehmung außerhalb der allgemeinen Verwaltung geeignet“ sein14, wird damit nicht die Grenze enger gezogen, sondern eine Selbstverständlichkeit besonders hervorgehoben. Bei der Feststellung des öffentlichen Interesses kommt es stets entschei- 15 dend auf die Perspektive dessen an, der diese Feststellung trifft. Hier kann die Sicht der Gemeinde sich von der des Landes unterscheiden. Eine große Rolle für die Frage, ob eine Gesellschaft errichtet werden soll, spielen beispielsweise steuerliche Gesichtspunkte. Steuerersparnisse der Gemeinde sind stets Einnahmeausfälle anderer staatlicher Ebenen. Das Beispiel der steuerlichen Folgen der kommunalen Organisationsentscheidung macht deutlich, dass bei der Feststellung des öffentlichen Interesses die gemeindliche Perspektive ausschlaggebend sein muss, auch bei der Beurteilung durch die Kommunalaufsicht des Landes. Kommunale Selbstverwaltung ist nicht nur Ermächtigung, sondern auch Verpflichtung zur Gemeinwohlbestimmung aus örtlicher Perspektive. Manche Gesetze sprechen deshalb ausdrücklich vom „Interesse der Kommune“ (siehe etwa § 136 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 NKomVG.). Bei der Unbestimmtheit von Begriffen wie „öffentliches Interesse“ oder 16 „öffentliches Wohl“ kann es auch zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen, wenn man diese örtliche Perspektive wählt; das zeigen die in manchen Fällen kontroversen Diskussionen in den kommunalen Vertretungen. Bei der aufsichtlichen oder gerichtlichen Kontrolle muss der Gemeinde deshalb eine Einschätzungsprärogative zugebilligt werden; wenn ihre Beurteilung nachvollziehbar ist, dürfen die Kommunalaufsichtsbehörde oder das Gericht nicht ihre Einschätzung an deren Stelle setzen15. Nach § 103 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GemO BW darf die Gemeinde vorbehalt- 17 lich von der Aufsichtsbehörde zugelassener Ausnahmen (siehe § 103 Abs. 1 Satz 2 GemO BW) eine Gesellschaft nur errichten oder sich daran beteiligen, wenn das Unternehmen seine Aufwendungen nachhaltig mindestens zu 25 % aus Umsatzerlösen decken kann. Es handelt sich um eine Sonderregelung für die Bestimmung des öffentlichen Interesses. Die von der Gemeinde dazu erstellte Prognose muss nachvollziehbar sein.
14 Siehe dazu Held, WiVerw 1998, 264 (290). 15 Ehlers, DÖV 1986, 897 (905); Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rz. 768; Möller, S. 31 f.; Rehn/Cronauge/von Lennep, § 108 Anm. III 2; Schneider/Dreßler/ Lüll, § 122 Anm. 5; Zahradnik in Bennemann/Daneke/Meiß u.a. Kommunalverfassungsrecht Hessen, § 122 HGO Rz. 10; OVG NW v. 15.12.1994 – 9 A 2251/93, StuGR 1995, 191. Oebbecke
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18 Mecklenburg-Vorpommern schränkt die Wahlfreiheit der Gemeinde stark, aber wohl noch verfassungskonform ein, indem die Aktiengesellschaft als Rechtsform für neue Gesellschaften gesetzlich ausgeschlossen wird16.
III. Subsidiaritätsregeln 19 Das Gemeinwohlerfordernis bezieht sich auf die Wahl der handelsrechtlichen Organisationsform für die Aufgabenwahrnehmung durch die Gemeinde. Die Wahl der Gesellschaftsform muss im Vergleich zu den bestehenden Alternativen für die Organisation unter gemeindlichen Gemeinwohlaspekten gerechtfertigt sein. Alternative Organisationsformen, mit denen verglichen wird, sind vor allem die öffentlich-rechtlichen Formen des Regiebetriebs, des Eigenbetriebs und der auch als Kommunalunternehmen bezeichneten (siehe etwa Art. 89 ff. BayGO) rechtsfähigen Anstalt. 20 Dieser Gedanke hat in einer Reihe von Gesetzen seinen spezifischen normativen Ausdruck in Subsidiaritätsregeln gefunden17. Sie dürfen nicht mit den aktivitätsbezogenen Subsidiaritätsbestimmungen verwechselt werden, die für die Zulässigkeit einer wirtschaftlichen Betätigung gelten. 21 Bei den organisationsformbezogenen Subsidiaritätsregeln lassen sich materielle und prozedurale Bestimmungen unterscheiden: 22 Materielle Subsidiaritätsregeln treten in verschiedenen Formen auf: 23 – Im Gesetz können Vorteile oder wenigstens die Gleichrangigkeit der gewählten privatrechtlichen Form gegenüber allen öffentlich-rechtlichen Formen verlangt werden (siehe § 136 Abs. 4 Satz 4 Halbs. 2 NKomVG, § 102 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GO Schl.-Holst.); hier kann man von genereller Subsidiarität sprechen. 24 – Das Gemeinderecht kann ausdrücklich vorschreiben, die Wahl einer bestimmten gesellschaftsrechtlichen Form müsse im Vergleich zu sonst in Betracht kommenden Formen Vorteile aufweisen. Solche Regelungen treffen einige Bundesländer wegen der erschwerten kommunalen Einwirkung18 für die Aktiengesellschaft19; sie darf nur ge-
16 § 68 Abs. 4 Satz 2 KV MV; Schwartz, NordÖR 2011, 421 ff. (424). 17 Zur Verfassungsmäßigkeit Hellermann, S. 237 f.; das Subsidiaritätserfordernis gilt nach § 69 Abs. 1 Nr. 2 KV MV nur für „Einrichtungen“, also nicht für Unternehmen (dazu Schwartz, NordÖR 2011, 421 ff. [425]). 18 Zu den Besonderheiten der Einwirkung auf die Aktiengesellschaft s. Gross, S. 144 ff. 19 Siehe § 103 Abs. 2 GemO BW, § 108 Abs. 4 GO NW, § 87 Abs. 2 GemO Rh.-Pf.; dazu etwa Oster in Gabler/Höhlein/Klöckner u.a., Kommunalverfassungsrecht Rheinland-Pfalz, § 87 GemO Rh.-Pf. Anm. 3; F.-W. Held, NWVBl. 2000, 201 (204); B. Held, Gemhlt 2000, 11 (15 f.); Böttcher/Krömker, NZG 2001, 590 ff.
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B. Zulässigkeit der Rechtsform
wählt werden, wenn andere öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Formen nicht ebenso gut geeignet sind. Man kann solche Subsidiaritätsregeln als speziell privatrechtsorientiert bezeichnen. – Die gewählte privatrechtliche Form kann aber auch mit einer be- 25 stimmten öffentlich-rechtlichen Form verglichen werden. Solche Subsidiaritätsregeln bestehen in einigen Ländern zugunsten des Eigenbetriebs, der öffentlich-rechtlichen Anstalt oder auch des Zweckverbandes; danach kommt die Gesellschaftsgründung nur in Betracht, wenn der öffentliche Zweck damit ebenso gut oder besser als durch einen Eigenbetrieb erfüllt werden kann20. Die Gesellschaftsform muss also teils Vorteile gegenüber dem Eigenbetrieb oder der Anstalt aufweisen, teils wenigstens gleichwertig sein. Es handelt sich um spezielle öffentlich-rechtlich orientierte Subsidiaritätsregeln21. Diese Subsidiaritätsregeln verlangen jeweils eine „gewichtende Gegen- 26 überstellung“22 der in Betracht kommenden Formen. Mit Rücksicht auf die kommunale Organisationshoheit wird man der Gemeinde bei ihrer Anwendung allerdings eine Einschätzungsprärogative (dazu s. oben Rz. 16) zubilligen müssen23. Die Entscheidung des Rates ist immer dann maßgeblich, wenn sie von der Aufsichtsbehörde nicht eindeutig falsifiziert werden kann. Die thüringische Regelung sieht eine Ausnahme von der Subsidiarität 27 dort vor, wo Private beteiligt werden sollen und sich die Aufgabe dafür eignet (siehe § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ThürKO). Die hier vom Gesetzgeber ausdrücklich formulierte Fallgruppe stellt der Sache nach keine Ausnahme, sondern einen Anwendungsfall der Subsidiarität dar und ist auch in den anderen Ländern einschlägig; in der Regel können Private bei einer öffentlich-rechtlichen Organisationsform nicht beteiligt werden; wo dies, wie in einigen Ländern beim Zweckverband, möglich ist (Siehe etwa § 4 Abs. 2 Satz 2 GkG NW), werden die Privaten aus nachvollziehbaren Gründen häufig die private Organisationsform vorziehen24. Die Absicht,
20 Siehe § 117 Abs. 1 Nr. 1 GO LSA, § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ThürKO; zu der früheren bayerischen Regelung und ihrer Abschaffung Hölzl/Hien/Huber, Art. 92 BayGO Anm. 2 S. 3; Süß, BayVBl. 1986, 257 ff.; Schulz, BayVBl. 1996, 97 (98 f.); zum früheren baden-württembergischen Recht Schoepke, VBlBW 1994, 81 (84 f.). 21 Zu ihrer Effektivität Wahl, Organisation kommunaler Aufgabenerfüllung im Spannungsfeld von Demokratie und Effizienz, in Henneke, Organisation kommunaler Aufgabenerfüllung, S. 15 (27 ff.). 22 Klang/Gundlach, § 117 GO LSA Rz. 2. 23 Ehlers, DÖV 1986, 897 (905); Sprenger in Borchert u.a., Kommunalverfassungsrecht Schleswig-Holstein, § 102 SHGO Rz. 4; Ehlers, DVBl 1997, 137 (141 f.). 24 Koch, DVBl 1994, 667 (668). Oebbecke
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gemischtwirtschaftlich tätig zu werden, rechtfertigt deshalb regelmäßig die Wahl der privaten Form25. 28 Inzwischen treffen verschiedene Landesrechte prozedurale Subsidiaritätsregelungen. Das niedersächsische Recht etwa sichert das materielle Erfordernis des „wichtigen Interesses der Gemeinde an der Gründung und Beteiligung“ ab, indem § 136 Abs. 4 Satz 4 Halbs. 2 NKomVG verlangt, in einem Bericht zur Vorbereitung des entsprechenden Ratsbeschlusses unter umfassender Abwägung der Vor- und Nachteile darzulegen, dass die Aufgabe in der gewählten gesellschaftsrechtlichen Form wirtschaftlicher durchgeführt werden kann als in einer Organisationsform des öffentlichen Rechts. Nicht nur um wirtschaftliche Aspekte geht es nach § 92 Abs. 1 Satz 1 GemO Rh.-Pf., der verlangt, eine Analyse „über die Vorund Nachteile der öffentlichen und privatrechtlichen Organisationsformen im konkreten Einzelfall“ zu erstellen. Die Notwendigkeit, hinreichend substantiiert und präzise zu argumentieren, wird nicht selten zeigen, dass bei Ausschöpfung der bestehenden Gestaltungsmöglichkeiten und unter Berücksichtigung der spezifischen kommunalen Anforderungen26 auch eine öffentliche Rechtsform in Betracht kommt. 29 § 92 Abs. 1 Satz 2 GemO Rh.-Pf. nennt ausdrücklich die Punkte, auf die dabei einzugehen ist: – organisatorische Unterschiede – personalwirtschaftliche Unterschiede27 – mitbestimmungsrechtliche Unterschiede – gleichstellungsrechtliche Unterschiede – wirtschaftliche Unterschiede – finanzielle Unterschiede – steuerliche Unterschiede – Auswirkungen auf den kommunalen Haushalt – Auswirkungen auf die Entgeltgestaltung. 30 Diese Aufzählung kann als Mindestprüfprogramm auch für die anderen Länder angesehen werden; der Kreis der in Betracht kommenden Krite-
25 Held in Held u.a., Kommunalverfassungsrecht Nordrhein-Westfalen, § 108 GO NRW Anm. 2.2 und 4.3; Rehn/Cronauge/von Lennep, § 108 Anm. III 2; Schoch, DVBl 1994, 962 (974). 26 Dazu F.–W. Held, WiVerw 1998, 264 (292). 27 Siehe dazu Borgmann, BayVBl. 1997, 654 ff.
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rien ist damit aber keineswegs erschöpft28. Schleswig-Holstein etwa verlangt in der dort vom Bürgermeister vorzulegenden Analyse zum Beispiel u.a. Aussagen zur sozialen Ausgewogenheit von Gebühren- und Beitragsregelungen (siehe § 102 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GO Schl.-Holst.). Mit solchen Verfahrensbestimmungen wird nicht nur eine informierte 31 Ratsentscheidung ermöglicht, sondern auch sichergestellt, dass überhaupt eine umfassende Prüfung stattfindet. Die Erstellung von Bericht bzw. Analyse ist aufwendig und wird vielfach von der Gemeindeverwaltung wohl nur unter Beiziehung externer Hilfe geleistet werden können. Man darf vermuten, dass allein dieser Aufwand in gewissem Umfang prohibitiv wirkt; durch die zwangsweise Erzeugung von Transaktionskosten wird damit also eine bestimmte Sachentscheidung nahegelegt. Umgekehrt erleichtert die Aufbereitung durch Bericht bzw. Analyse der Kommunalaufsicht ihre Mitwirkung.
C. Vorgaben für die Ausgestaltung der gesellschaftsrechtlichen Grundlagen Das zivilrechtliche Gesellschaftsrecht räumt den Beteiligten Spielräume 32 bei der Ausgestaltung der Verfassung einer Gesellschaft – etwa des Gesellschaftsvertrages der GmbH29 oder der Satzung der Aktiengesellschaft – ein. Allerdings sind diese Spielräume bei der GmbH deutlich größer als bei der Aktiengesellschaft30 (siehe § 16 Rz. 34 f.). Bei der GmbH besteht, soweit nicht mitbestimmungsrechtliche Sonderregeln eingreifen31, Freiraum für die Schaffung eines Aufsichtsrats als zusätzliches Organ, vor allem aber für die Verteilung der Entscheidungskompetenzen auf die Organe Gesellschafterversammlung, Geschäftsführer und gegebenenfalls Aufsichtsrat. Die gesetzlichen Bestimmungen über die innere Organisation der GmbH sind weitgehend dispositiv32.
28 Siehe dazu auch Ehlers, DÖV 1986, 897 (900 ff.); Erbguth/Stollmann, Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch private Rechtssubjekte?, DÖV 1993, 798 ff.; Engellandt, S. 6 ff.; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rz. 762 ff.; Klang/Gundlach, Vorbem. vor § 116 GO LSA Rz. 7; für den Spezialfall Krankenhaus: Breyer, Gemhlt 1993, 272 ff.; Pitschas/Schoppa, § 43 Kriterien für die Wahl der Rechtsform, in: Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 2, S. 105 ff.; Poll, LKV 1995, 176 ff.; Rochold, SächsVBl. 1995, 279 ff.; für die Abfallwirtschaft: Schink, VerwArch 85 (1994), 251 (267 ff.); Schoepke, VBlBW 1995, 417 ff.; Tomerius, Gemhlt 2000, 49 (52 ff.); Tomerius/Huber, Gemhlt 2009, 145 ff.; für Verkehrsunternehmen: Klein/Köhler, Der Landkreis 1994, 76 ff. 29 Muster bei Cronauge/Westermann, Rz. 432. 30 Dazu s. auch Gross, S. 147 f. 31 Klang/Gundlach, Vorbem. vor § 119 GO LSA Rz. 5. 32 Brüggemeier/Damm, S. 12. Oebbecke
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33 Das Kommunalrecht gibt den beteiligten Kommunen für eine Reihe von Fragen vor, wie sie von diesen Spielräumen Gebrauch zu machen haben. Dabei geht es um die dauerhafte Ausrichtung auf den öffentlichen Zweck (siehe Rz. 37 ff.), die Begrenzung des wirtschaftlichen Risikos, das für die Kommune mit der Beteiligung an der Gesellschaft verbunden ist (siehe Rz. 43 ff.), die dauerhafte Sicherstellung des kommunalen Einflusses (siehe Rz. 55 ff.), die Wirtschaftsplanung und Rechnungslegung des Unternehmens (siehe Rz. 65 ff.) und einige andere Fragen (siehe Rz. 76 ff.). 34 Ist die Kommune Alleingesellschafterin oder sind nur Kommunen an der Gesellschaft beteiligt, kann sie solche Ausgestaltungsregeln ohne weiteres befolgen. Sind auch nicht-kommunale Gesellschafter, besonders Private, beteiligt, kommt es darauf an, ob diese einverstanden sind, dass die Gesellschaft diesen Regeln entsprechend verfasst wird. Andernfalls kann sich die Kommune nicht an der Gesellschaft beteiligen, wenn die Ausgestaltungsregeln strikt verbindlich sind. 35 Vielfach sind die Ausgestaltungsregeln deshalb als Hinwirkensverpflichtungen ausgestaltet. Die Kommune muss also mit den anderen Beteiligten in Verhandlungen mit dem Ziel eintreten, eine entsprechende Ausgestaltung zu erreichen33. Bei der aufsichtlichen und gerichtlichen Handhabung solcher Bemühensregeln wird es darum gehen müssen, ob das Ergebnis, also die ausgehandelte Verfassung der Gesellschaft, unter Würdigung der beteiligten Interessen nachvollziehbar ist. Die Gemeinde trifft eine entsprechende Darlegungslast34. Nicht nur wenn Private beteiligt sind, wird man auch darauf abstellen können, ob die erzielte Vereinbarung bei vergleichbaren Beteiligungsverhältnissen zwischen wirtschaftlich vernünftig handelnden Privaten ebenso hätte getroffen werden können. Die Nachvollziehbarkeit der getroffenen Regelung indiziert, dass die Gemeinde auf die gesetzlich nahegelegte Regelung hingewirkt hat. 36 Dass die Verfassung der Gesellschaft so ausgestaltet sein muss, dass die Vorteile für die Aufgabenerfüllung und damit das öffentliche Wohl, die dafür im Hinblick auf die Gesellschaftsgründung und die Wahl gerade dieser Rechtsform angeführt werden, auch tatsächlich eintreten können, ergibt sich aus den dazu angeführten Bestimmungen. Wird als Vorteil etwa eine Flexibilisierung der unternehmerischen Entscheidungsprozesse und eine Abkoppelung der Willensbildung von der Kommune angeführt, muss der GmbH-Vertrag so ausgestaltet werden, dass diese Vorteile wirklich eintreten35.
33 Ähnlich Darsow in Darsow/Gentner/Glaser/Meyer, § 73 Rz. 2; Thiele, § 111 Anm. 5. 34 Petri in Thieme, § 111 Rz. 8. 35 Zu den Möglichkeiten s. Haibt, S. 85 ff.
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I. Ausrichtung auf den öffentlichen Zweck Kommunale Gesellschaften unterliegen der Gefahr der Verselbständi- 37 gung36. In dem Bestreben, Erträge zu erwirtschaften, können sie ihre Aktivitäten so ausrichten, dass sie zwar wirtschaftlich erfolgreich sind, aber die Aufgaben, um deren Willen sie von der Kommune errichtet worden sind, vernachlässigen oder aus den Augen verlieren. Dieser Gefahr kann u.a. dadurch vorgebeugt werden, dass sie durch ihre Verfassung auf den öffentlichen Zweck ausgerichtet werden, zu dessen Erfüllung die Kommune die Beteiligung eingegangen ist37. Unverkennbar verliert die Gesellschaft damit aber zugleich insoweit den Vorteil der Flexibilität, der häufig als ein Grund für die Wahl privatrechtlicher Organisationsform angesehen wird. Diese wie andere gesetzliche Ausgestaltungsregeln stehen in einem nicht zu verkennenden Konflikt zu den Intentionen, die mit dem Übergang in die Privatrechtsform häufig verfolgt werden38. Die meisten Gemeindeordnungen schreiben vor, dass in der Gesell- 38 schaftsverfassung die Erfüllung des öffentlichen Zwecks sichergestellt sein muss39. Teilweise wird präziser von der Erfüllung der gemeindlichen Aufgaben gesprochen (siehe § 96 Abs. 1 Nr. 1 BbgKVerf, § 96 Abs. 1 Nr. 1 SächsGemO). Das Saarland beschränkt diese Satzungsvorgabe als striktes Gebot auf Mehrheitsbeteiligungen; dann muss der Gegenstand des Unternehmens aber „konkret bezeichnet und nachhaltig auf den öffentlichen Zweck ausgerichtet“ sein40. Im Übrigen gilt nur eine Hinwirkenspflicht. Andere Länder beschränken auch die Hinwirkenspflicht auf Mehrheitsbeteiligungen41. Bei der Umsetzung dieser kommunalrechtlichen Vorgaben ist zu beach- 39 ten, dass gesellschaftsrechtlich das Verhältnis zwischen Unternehmens-
36 Dazu Gross, S. 271 ff.; Held, Änderungsnotwendigkeiten und Änderungsmöglichkeiten des Gemeindewirtschaftsrechts, in Henneke (Hrsg.), Organisation kommunaler Aufgabenerfüllung, S. 113 (126 ff.); Pielow, Zwischen Flexibilität und demokratischer Legitimität; Neue Rechtsformen kommunaler Unternehmen, in Epping/Fischer/Heintschel von Heinegg, FS f. Knut Ipsen, S. 725 (734 ff.); Schoch, DVBl 1994, 962 (972); plastisch auch Schoepke, VBlBW 1994, 81 (82 f.); F.-W. Held, WiVerw 1998, 264 ff. (288 f.); Eichhorn, Eild LKT NW 1989, 71 ff. 37 Ehlers, DÖV 1986, 897 (904); Mann, § 46 Kapitalgesellschaften, in: Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Rz. 11. 38 Siehe dazu Schoch, DÖV 1993, 377 (382). 39 Siehe § 103 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GemO BW, § 69 Abs. 1 Nr. 2 KV MV, § 137 Abs. 1 Nr. 5 NKomVG, § 108 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 GO NW, § 87 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GemO Rh.-Pf., § 117 Abs. 1 Nr. 3 GO LSA, Art. 92 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayGO; s. dazu Schulz, BayVBl. 1996, 97 f. 40 Siehe § 111 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 KSVG Saarl. 41 Siehe § 122 Abs. 4 Nr. 2 HGO, § 108 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GO NW. Oebbecke
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gegenstand und Unternehmenszweck nicht unproblematisch ist42. Es wird bezweifelt, ob beide unterscheidbar sind, und für möglich gehalten, dass sie zusammenfallen. Die Ausrichtung auf den öffentlichen Zweck, den die Gemeinde verfolgt, sollte zweckmäßigerweise vor allem durch eine entsprechende Festlegung des Unternehmensgegenstandes erfolgen. Teilweise werden auch Vorkehrungen gegen spätere Änderungen verlangt43. 40 Dem Ziel der Forderung nach der Ausrichtung auf den öffentlichen Zweck wird nur durch eine so präzise Formulierung entsprochen, dass eine Erfolgskontrolle möglich ist44. Die Formulierung muss aber auch aus gesellschaftsrechtlichen Gründen eindeutig sein; bei unklarer Fassung ist von einer ausschließlichen Gewinnorientierung auszugehen45. Werden Ertragsorientierung und Gemeinwohlorientierung verbunden, muss die Priorität der Ausrichtung auf den öffentlichen Zweck deutlich herausgestellt werden46; bloße „und“-Formulierungen erfüllen diese Anforderung nicht. 41 Beispielhaft sei eine mögliche Formulierung für eine GmbH zitiert, die Aufgaben des öffentlichen Nahverkehrs wahrnehmen soll47: Formulierungsbeispiel: „Gegenstand des Unternehmens ist eine preiswerte und sichere Versorgung der Bevölkerung der Stadt XY mit Leistungen des öffentlichen Personennahverkehrs. Dabei soll die Gesellschaft in der Regel einen Gewinn erwirtschaften, der so hoch ist, dass außer den für die technische und wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens notwendigen Rücklagen mindestens eine marktübliche Verzinsung des Eigenkapitals erzielt wird. Die Gewinnerzielung ist jedoch nicht der primäre Zweck der Gesellschaft. Die Durchführung verlustbringender Geschäfte und Maßnahmen ist zur Förderung des Gemeinwohls zulässig, sofern die Rentabilität des Unternehmens insgesamt nicht entfällt. Im Einzelfall sind auch Maßnahmen zulässig, die zu einem zeitweiligen Verlust der Rentabilität des Unternehmens führen, wenn dies zum Wohle der Bevölkerung der Stadt XY unerlässlich ist.“
42 In den meisten Ländern sind diese Bestimmungen strikt formuliert und Ausnahmen sind nicht vorgesehen. Sie bilden damit eine schwer überwindbare Hürde beim Erwerb von Beteiligungen48 und schränken den kommunalen Handlungsspielraum insoweit deutlich ein. Das gilt auch dann, wenn die Regelung auf Mehrheitsbeteiligungen beschränkt ist. 42 Zum Problem Brüggemeier/Damm, S. 20 ff.; Schön, ZGR 1996, 429 (440 ff.); Mann, § 46 Kapitalgesellschaften, in: Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Rz. 8. 43 Thiele, § 109 Anm. 5. 44 Schulz, BayVBl. 1996, 97 (98 und 100). 45 Möller, S. 167 m.w.N. 46 Dafür auch Ehlers, DVBl 1997, 137 (142). 47 Das Beispiel stammt von Haibt, S. 199. 48 Zu diesem Problem s. B. Held, Gemhlt 2000, 11 (16 f.).
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Nach dem Gesellschaftsrecht beträgt die Mindestkapitalmehrheit für eine Satzungsänderung, bei der es um den Gegenstand der Gesellschaft geht, 75 % (siehe § 53 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 GmbHG, § 179 Abs. 2 Satz 1 AktG); die einfache Mehrheit genügt also nicht, um entsprechende Änderungen durchzusetzen. In Schleswig-Holstein wird die Ausrichtung der Gesellschaftsverfassung auf den öffentlichen Zweck dementsprechend erst bei einer Mehrheit von 75 % verlangt. Hessen verzichtet ganz auf eine solche Bestimmung.
II. Begrenzung des wirtschaftlichen Risikos Mit der Beteiligung an der Gesellschaft geht die Kommune wirtschaftli- 43 che Risiken in verschiedene Richtungen ein: Sie verpflichtet sich zu Einzahlungen oder Sacheinlagen. Dieses Kapital 44 ist damit in der Gesellschaft gebunden und steht für andere Zwecke nicht zur Verfügung (Kapitalbindungsrisiko). Bei wirtschaftlichem Misserfolg der Gesellschaft kann es verloren gehen (Kapitalverlustrisiko). Das Kapitalbindungs- und das Kapitalverlustrisiko können als gesellschaftstypisch zwar nicht ausgeschlossen, aber dem Betrage nach begrenzt werden. Deshalb enthalten die meisten Gemeindeordnungen eine Bestimmung, wonach die Einzahlungsverpflichtung in einem angemessenen Verhältnis zur Leistungsfähigkeit der Gemeinde stehen muss49. Um darüber hinausgehende Risiken geht es bei den landesrechtlichen 45 Verboten unbegrenzter Haftung. Die Haftung der Gemeinde muss nach allen Gemeindeordnungen auf einen ihrer Leistungsfähigkeit angemessenen oder wenigstens der Höhe nach bestimmten Betrag begrenzt werden (siehe § 103 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GemO BW, § 96 Abs. 1 Nr. 3 BbgKVerf, § 122 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HGO, § 69 Abs. 1 Nr. 5 KV MV, § 137 Abs. 1 Nr. 2 NKomVG, § 87 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GemO Rh.-Pf., § 110 Abs. 1 Nr. 2 KSVG Saarl., § 96 Abs. 1 Nr. 3 SächsGemO, § 117 Abs. 1 Nr. 4 GO LSA, § 102 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GO Schl.-Holst., § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 ThürKO). In Bayern muss die Haftungsbegrenzung betragsmäßig festgelegt sein 46 (siehe Art. 92 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BayGO). Das Verbot unbegrenzter Haftung sichert die Haushaltskompetenz der kommunalen Vertretung. Treten Defizite auf, die den vorgegebenen Rahmen überschreiten, kann sie frei entscheiden, ob sie Nachschüsse zur Verfügung stellt oder nicht. Welcher Haftungsumfang angemessen ist, richtet sich nach der gegenwärti-
49 Siehe § 122 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HGO, § 69 Abs. 1 Nr. 6 KV MV, § 137 Abs. 1 Nr. 3 NKomVG, § 108 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GO NW, § 110 Abs. 1 Nr. 2 KSVG Saarl., § 102 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GO Schl.-Holst., § 117 Abs. 1 Nr. 5 GO LSA; dazu etwa Rehn/Cronauge/von Lennep, § 108 Anm. IV 3. Oebbecke
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gen Haushaltslage sowie der bisherigen und absehbaren Entwicklung50, aber auch nach dem gemeindlichen Interesse an der Aufgabe51. 47 Wenn Nordrhein-Westfalen für die kommunale Beteiligung an „Unternehmen der Telekommunikation einschließlich von Telefondienstleistungen“ eine deutlich strengere Sonderregelung über den zulässigen Haftungsumfang der Gemeinde als für Unternehmen in anderen Tätigkeitsbereichen getroffen hat, ist diese Bestimmung unter Gleichbehandlungsaspekten verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt. 48 Die Kommune darf nach den erwähnten Bestimmungen keine gesellschaftsrechtlichen Bindungen eingehen, die eine unbegrenzte Haftung auslösen. Dieses Verbot wirkt in verschiedene Richtungen: Es ergibt sich daraus erstens ein Verbot gesellschaftsrechtlicher Positionen mit unbegrenzter Haftung; einige Länder kennen es als ausdrückliches Verbot von Rechtsformen mit unbegrenzter Haftung52. Der Kommune ist es also etwa verwehrt, sich an einer OHG zu beteiligen oder Komplementär einer KG zu werden53. An einer BGB-Gesellschaft dürfen sich Kommunen nur beteiligen, wenn die Haftung durch Begrenzung der Vertretungsmacht beschränkt ist. Bei der GmbH und der AG ist die Haftungsbegrenzung dagegen durch die Rechtsform gewährleistet54; dasselbe gilt für die Beteiligung als Aktionär an einer KGaA, als stiller Gesellschafter, als Kommanditist oder an einer Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht55. 49 Sekundär folgt aus diesen Bestimmungen die Pflicht, auch in der Gründungsphase und später alles zu vermeiden, was eine unbegrenzte Haftung auslösen kann. Die Kommune ist deshalb kommunalrechtlich gehalten, auf die rechtzeitige Eintragung entsprechender Regelungen im Handelsregister zu achten, und sie muss sicherstellen, dass es im laufenden Betrieb nicht zu einem Haftungsdurchgriff etwa wegen bewusster Vermögensverschiebungen kommt56. 50 Drittens dürfen Nachschussverpflichtungen nur im Einklang mit diesen Bestimmungen, also jedenfalls nicht unbegrenzt, begründet werden57. 50 Thiele, § 109 Anm. 4. 51 Schmid in Quecke/Schmid u.a., § 96 Rz. 30. 52 Siehe § 108 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GO NW, § 87 Abs. 1 Nr. 4 GemO Rh.-Pf. Überblick zu den privatrechtlichen Organisationsformen und dem jeweiligen Haftungsregime bei Oster in Gabler/Höhlein/Klöckner u.a., Kommunalverfassungsrecht Rheinland-Pfalz, § 87 GemO Rh.-Pf. Anm. 2.4.1. 53 Bauer/Böhle/Masson/Samper, Art. 92 BayGO Rz. 4 und 10. 54 Klang/Gundlach, Vorbem. zu § 116 GO LSA Rz. 5. 55 Hölzl/Hien/Huber, Art. 92 BayGO Anm. 2 S. 4; von Mutius/Rentsch, § 102 GO Schl.-Holst. Rz. 4; Sprenger in Borchert u.a., Kommunalverfassungsrecht Schleswig-Holstein, § 102 SHGO Rz. 14. 56 Darsow in Darsow/Gentner/Glaser/Meyer, § 69 Rz. 11. 57 Zur Gleichstellung von Nachschusspflicht und Haftung s. etwa Hörr, Gemhlt 1984, 282 f.; Seeberg, LKV 1995, 353 (357).
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Weil viele kommunale Aufgaben dauerhaft nur unter Inkaufnahme von Defiziten wahrgenommen werden können, kommt diesem Gesichtspunkt große Bedeutung zu. Einige Gemeindeordnungen stellen ihn deshalb besonders heraus58 oder beziehen ausdrücklich die Pflicht zur Verlustübernahme ein59. Danach kommt eine Bestimmung „Die Gemeinde übernimmt den im Jahresabschluss festgestellten Verlust“ nicht in Betracht60, weil sie die Nachschusspflicht nicht begrenzt oder wenigstens eine Begrenzung zulässt. Schließlich ist mit dem Verbot unbegrenzter Haftung ein Gebot der Ver- 51 meidung konzernrechtlicher Haftung verbunden61 (siehe § 13 Rz. 164 ff.). Darauf wird im Zusammenhang mit der Sicherstellung kommunalen Einflusses zurückzukommen sein (s. unten Rz. 64). Auch im Interesse der Haftungsbegrenzung muss das Unternehmen jedenfalls klar auf den öffentlichen Zweck ausgerichtet werden62. Angesichts der Weite des Begriffs der „Haftung“ sprechen gute Gründe dafür, dass die Haftungsbegrenzung auch Einzahlungs- oder Nachschussverpflichtungen umfasst, wo das Landesrecht dazu keine ausdrücklichen Regelungen vorsieht63.
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Man kann alle genannten Bestimmungen als Anwendungsfälle des 53 Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit ansehen64. Auch wenn in vielen Fällen nicht ganz leicht zu konkretisieren sein wird, wann von einem „angemessenen Verhältnis“ gesprochen werden kann, ist diese ausdrückliche Begrenzung der Einzahlungsverpflichtungen bei der Rechtsanwendung deutlich leichter konkretisierbar als der allgemeine Grundsatz. Einige Länder sehen die Möglichkeit vor, Ausnahmen vom Gebot der 54 Haftungsbegrenzung zuzulassen (siehe Art. 92 Abs. 1 Nr. 3 BayGO, § 73 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 ThürKO).
58 Siehe § 69 Abs. 1 Nr. 6 KV MV; § 137 Abs. 1 Nr. 3 NKomVG, § 87 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 GemO Rh.-Pf. 59 Siehe § 137 Abs. 1 Nr. 4 NKomVG, § 108 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 GO NW, § 87 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 GemO Rh.-Pf. 60 Beispiel nach Beckhof in Blum/Beckhof, § 109 Rz. 5. 61 Darsow in Darsow/Gentner/Glaser/Meyer, § 69 Rz. 11; Noack, StuGR 1995, 379 (382 f.); a.A. Koch, DVBl 1994, 667 (670 f.), der im Abschluss eines Beherrschungsvertrages ein nach den Gemeindeordnungen genehmigungspflichtiges bürgschaftsähnliches Geschäft sieht; Ehlers, DVBl 1997, 137 (140); Ehlers (2002) S. E 108 f.; Schwintowski, NVwZ 2001, 607 ff. (611), und Parmentier, ZIP 2001, 551 ff., nehmen eine Durchgriffshaftung auch für den Fall der Unterkapitalisierung an; zu Umgehungsstrategien s. Mann, § 46 Kapitalgesellschaften, in: Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Rz. 59. 62 Haibt, S. 125 f. 63 So für NW Rehn/Cronauge/von Lennep, § 108 IV 1. 64 Klang/Gundlach, § 117 GO LSA Rz. 2. Oebbecke
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Rechtliche Vorgaben für die Gründung kommunaler Gesellschaften
III. Sicherstellung kommunalen Einflusses 55 Von der Gefahr einer Verselbständigung der kommunalen Gesellschaft war schon im Zusammenhang mit der Bindung der Gesellschaft an den öffentlichen Zweck die Rede (s. oben Rz. 37 ff.). Die gemeinderechtlichen Vorschriften der Länder tragen dem Interesse an der dauerhaften Bindung der Gesellschaft an die Willensbildung der Kommune und an einer einheitlichen Steuerung65 dadurch Rechnung, dass sie entsprechende Gestaltungsregeln treffen. Unmittelbar soll damit den Steuerungsinteressen der Kommune Rechnung getragen werden. Mittelbar sichern diese Bestimmungen auch die Erfüllung der kommunalen Aufgaben und die demokratische Legitimation66 der Verwaltung in privatrechtlichen Organisationsformen. Schließlich sichern sie die Durchsetzung von Rechten des Bürgers, etwa des gemeinderechtlichen Benutzungsanspruchs, der gegen eine Eigengesellschaft nicht geltend gemacht werden kann67. 56 Die Notwendigkeit, der Gemeinde einen angemessenen Einfluss zu sichern, begründet einen gewissen Vorteil der GmbH als Gesellschaftsform gegenüber der Aktiengesellschaft, weil das GmbH-Recht sehr viel flexibler – im Schrifttum wird von der gutmütigen GmbH gesprochen68 – in Bezug auf die Einräumung von Einflussmöglichkeiten für die Gesellschafter ist69 (siehe § 16 Rz. 34 f.). Ob bei einer als GmbH geführten Eigengesellschaft allerdings der Gemeinderat als Gesellschafterversammlung fungieren darf, ist umstritten70. 57 Vielfach wird verlangt, dass die Gemeinde einen angemessenen Einfluss, insbesondere im Aufsichtsrat oder einem entsprechenden Überwachungsorgan, erhält (siehe § 103 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GemO BW, § 96 Abs. 1 Nr. 2 BbgKVerf, § 122 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 HGO, § 110 Abs. 1 Nr. 3 KSVG Saarl., § 96 Abs. 1 Nr. 2 SächsGemO, § 117 Abs. 1 Nr. 3 GO LSA, § 102 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GO Schl.-Holst., Art. 92 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BayGO). Andere heben zusätzlich hervor, dieser Einfluss müsse durch die 65 Rehn/Cronauge/von Lennep, § 108 Anm. I 1; empirische Befunde zur Steuerung kommunaler (Versorgungs-)Unternehmen bei Braun, insb. S. 145 ff., 213 ff. 66 Dazu Gross, S. 271 f.; von Danwitz, AöR 120 (1995), 595 (604 ff.); Möller, S. 34; Wahl, Organisation kommunaler Aufgabenerfüllung im Spannungsfeld von Demokratie und Effizienz, in Henneke, Organisation kommunaler Aufgabenerfüllung, S. 15 (29 ff.); Ehlers, DVBl 1997, 137 (142); Spannowsky, ZGR 1996, 400 (406 ff.). 67 Grundlegend Püttner, DVBl 1975, 353 ff. 68 Noack, StuGR 1995, 379 (380); Keßler, GmbHR 2000, 71 spricht von „signifikanten Anpassungsvorteilen“. 69 Siehe den Überblick bei Darsow in Darsow/Gentner/Glaser/Meyer, § 69 Rz. 7 ff.; s. auch Hassel, Gemhlt 1992, 77 ff.; Katz, Gemhlt 2002, 54 ff.; Altmeppen, NJW 2003, 2561 ff.; Mann, VBlBW 2010, 7 (16). 70 Oster in Gabler/Höhlein/Klöckner u.a., Kommunalverfassungsrecht Rheinland-Pfalz, § 88 GemO Rh.-Pf. Anm. 3.1; dazu auch Gundlach/Frenzel/ Schmidt, LKV 2001, 246 ff. (249).
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C. Vorgaben für die Ausgestaltung der gesellschaftsrechtlichen Grundlagen
Gesellschaftsverfassung abgesichert sein (siehe § 69 Abs. 1 Nr. 3 KV MV, § 137 Abs. 1 Nr. 6 NKomVG, § 108 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 GO NW, § 87 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GemO Rh.-Pf.). Für die Bestimmung dessen, was „angemessen“ ist, gelten ähnliche Maßstäbe, wie sie im Zusammenhang mit den Hinwirkenspflichten (oben Rz. 35) erörtert worden sind71. Maßgeblich ist vor allem die Höhe des gemeindlichen Anteils an der Gesellschaft72. Auch hier wird in gewissem Umfang ein Einschätzungsspielraum der Gemeinde anzuerkennen sein73. Die Annahme, die Stellung als Kommanditist einer KG scheide stets aus, 58 weil diese Beteiligungsform der Kommune keinen mitbestimmenden Einfluss auf das Unternehmen gebe74, wäre nur dann richtig, wenn der „mitbestimmende“ Einfluss stets der angemessene wäre. Bei einem geringen kommunalen Anteil kommt deshalb auch die kommunale Beteiligung mit einem Kommanditanteil in Betracht. Die Form des gemeindlichen Einflusses kann ganz unterschiedlich sein. 59 Neben dem Stimmrecht in der Gesellschafter- oder Hauptversammlung kommen hier etwa Entsenderechte75, Regeln über die Notwendigkeit qualifizierter Mehrheiten, Vetorechte, Sperrminoritäten, Stimmbindungsregeln, aber auch die Möglichkeit in Betracht, die Gesellschaft zu wirtschaftlich annehmbaren Bedingungen zu verlassen76. Wird ein „Letztentscheidungsrecht“ der Gemeinde verlangt, wie dies § 137 Abs. 1 Nr. 7 NKomVG für nicht-wirtschaftliche Aktivitäten tut77, muss die Gemeinde aber nicht nur ein Vetorecht, sondern auch ein Durchsetzungsrecht besitzen; ein Zustimmungsvorbehalt der Gemeinde genügt dieser Anforderung nicht78.
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Für Kapitalgesellschaften statuieren einige Länder die Pflicht der Ge- 61 meinden, darauf hinzuwirken, dass ihnen das Recht eingeräumt wird, Mitglieder in den Aufsichtsrat zu entsenden (siehe § 138 Abs. 3 Satz 1 NKomVG, § 113 Abs. 3 Satz 1 GO NW, Art. 93 Abs. 2 Satz 1 BayGO). 71 Siehe dazu auch Schön, ZGR 1996, 429 (446 f.). 72 Held in Held u.a., § 108 GO NRW Anm. 4.4; Hölzl/Hien/Huber, Art. 92 BayGO Anm. 2 S. 4; Rehn/Cronauge/von Lennep, § 108 Anm. IV 5; Beckhof in Blum/ Beckhof, § 109 Rz. 7; Thiele, § 109 Anm. 5; Schulz, BayVBl. 1996, 97 (100 f.); a.A. Petri in Thieme, § 109 Rz. 8, wonach sich die Angemessenheit nicht nur nach dem Kapitalanteil, sondern auch nach dem öffentlichen Zweck richten soll; danach sollen Minderheitsbeteiligungen häufig nur zulässig sein, wenn der Gemeinde spezielle Entscheidungsvorrechte eingeräumt sind. 73 Klang/Gundlach, § 117 GO LSA Rz. 2; Schneider/Dreßler/Lüll, § 122 Anm. 7. 74 Gern, Sächsisches Kommunalrecht, Rz. 862; ähnlich Schneider/Dreßler/Lüll, § 122 Anm. 6. 75 Zur Möglichkeit, Entsenderechte in das Geschäftsführungsorgan vorzusehen, Oster in Gabler/Höhlein/Klöckner u.a., Kommunalverfassungsrecht Rheinland-Pfalz, § 88 GemO Rh.-Pf. Anm. 3.3. 76 Schneider/Dreßler/Lüll, § 122 Anm. 7. 77 Zweifel an der Praktikabilität bei Petri in Thieme, § 109 Rz. 9. 78 So aber Klang/Gundlach, § 118 GO LSA Rz. 4. Oebbecke
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Rechtliche Vorgaben für die Gründung kommunaler Gesellschaften
Von Bedeutung ist ein Entsenderecht vor allem dann, wenn die Kommune nicht über die Mehrheit in der Gesellschaft verfügt und deshalb die Zusammensetzung des Aufsichtsrates nicht ohnehin bestimmen kann79. Das Entsenderecht darf bei der Aktiengesellschaft für höchstens ein Drittel der Aufsichtsratssitze eingeräumt werden (siehe § 101 Abs. 2 Satz 4 AktG ); die entsandten Aufsichtsratsmitglieder können jederzeit abberufen werden (siehe § 103 Abs. 2 AktG ). 62 Die genannten Bestimmungen betreffen die Frage der Besetzung des Aufsichtsrates und ähnlicher Gremien. Man wird sie dahin verstehen müssen, dass damit ein angemessener Einfluss verlangt wird, wo es einen Aufsichtsrat gibt, nicht aber im Sinne einer Pflicht zur Einrichtung eines Aufsichtsrats80 auch dort, wo er rechtlich nicht notwendig und aus anderen Gründen nicht zweckmäßig ist. Das ist für die kleinere GmbH von Bedeutung. Wenn Niedersachsen die Hinwirkenspflicht im Falle der kommunalen Mehrheitsbeteiligung bei nicht-wirtschaftlichen Unternehmen auf die Statuierung eines Letztentscheidungsrechts des Aufsichtsrates in allen wichtigen Angelegenheiten (siehe § 137 Abs. 1 Nr. 7 NKomVG ) erstreckt, zielt diese Vorschrift aber auf eine bestimmte Organisationsstruktur der GmbH und damit auf die Einrichtung eines Aufsichtsrates (zur Reichweite der Hinwirkenspflichten s. oben Rz. 35). 63 Für die Einflussnahme der Gemeinde auf die Gesellschaft spielt die Möglichkeit, den Vertretern der Gemeinde in den Gesellschaftsorganen Weisungen zu erteilen, eine wichtige Rolle. Diese Möglichkeit besteht im Aufsichtsrat aus gesellschaftsrechtlichen Gründen anders als in der Gesellschafterversammlung nur begrenzt. Auch die Zuständigkeitsverteilung zwischen den Gesellschaftsorganen ist also von Interesse81. Der Sicherung des kommunalen Einflusses dienen deshalb auch Regelungen, nach denen die kommunale Beteiligung an einer GmbH nur zulässig ist, wenn bestimmte Entscheidungskompetenzen, wie die Beteiligung an anderen Unternehmen oder die Bestellung des Geschäftsführers, bei der Gesellschafterversammlung liegen oder in gesellschaftsrechtlich zulässigem Umfang auch den Aufsichtsratsmitgliedern Weisungen erteilt werden können82. Art. 92 Abs. 1 Satz 2 BayGO trifft eine ähnliche Regelung als Sollbestimmung. 64 Besonderer Sorgfalt bedarf die Ausgestaltung der gesellschaftsrechtlichen Grundlagen auch im Hinblick auf die Gefahr einer unbegrenzten Haftung 79 Hölzl/Hien/Huber, Art. 93 BayGO Anm. 3. 80 Bauer/Böhle/Masson/Samper, Art. 93 BayGO Rz. 15; Rehn/Cronauge/von Lennep, § 108 Anm. IV 5. 81 Bauer/Böhle/Masson/Samper, Art. 92 BayGO Rz. 12. 82 Siehe § 103a GemO BW, § 108 Abs. 4 GO NW, § 87 Abs. 3 GemO Rh.-Pf., § 111 Abs. 1 Nr. 2 KSVG Saarl.; zur nordrhein-westfälischen Regelung Lux, NWVBl. 2000, 7 (11); zu den mitbestimmungsrechtlichen Grenzen Mann, § 46 Kapitalgesellschaften, in Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Rz. 21.
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C. Vorgaben für die Ausgestaltung der gesellschaftsrechtlichen Grundlagen
nach Konzernrecht (siehe § 13 Rz. 164 ff.). Weitgehende Einflussmöglichkeiten können nämlich zur Bildung eines faktischen KonzernsKommune/Gesellschaft führen83. Die kommunalrechtliche Forderung nach der dauerhaften Sicherstellung kommunalen Einflusses kann deshalb praktisch mit der bereits erwähnten nach der Sicherstellung einer nur begrenzten Haftung in Konflikt geraten84. In gewissem Umfang mag die Einschaltung einer Holding-GmbH hier einen Ausweg bieten85; ein unbegrenzter Einfluss auf die Holding-GmbH kann aber wegen der Konzernhaftung nicht sichergestellt werden.
IV. Wirtschaftsplan und Rechnungslegung Als präventives Steuerungsinstrument für die von ihnen selbst wahr- 65 genommene Verwaltungstätigkeit ist den Gemeinden verpflichtend die Haushaltsplanung vorgegeben, die in eine fünfjährige Finanzplanung eingebunden sein muss. Sei es durch Erträge, sei es durch Zuweisungsbedarf wirkt sich aber auch das wirtschaftliche Geschehen in den kommunalen Gesellschaften auf die Gemeindefinanzen und deren Planung aus. Die Einbindung der kommunalen Gesellschaften in die Planung kann dadurch erreicht werden, dass sie einen Wirtschaftsplan aufstellen. Über eine zeitliche Ausdehnung dieser Planungspflicht auf fünf Jahre kann die Gesellschaft auch in die mittelfristige Finanzplanung der Gemeinden eingebunden werden. Bei Beteiligungen bestimmten Umfangs muss deshalb nach einigen landesrechtlichen Bestimmungen durch die Verfassung der Gesellschaft sichergestellt sein, dass ein Wirtschaftsplan aufgestellt und der Wirtschaftsführung eine fünfjährige Finanzplanung zu Grunde gelegt wird; dabei werden die Vorschriften für die Eigenbetriebe sinngemäß angewandt (siehe § 103 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 lit. a GemO BW, § 87 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 1 Nr. 7 lit. a GemO Rh.-Pf., § 111 Abs. 1 Nr. 3 KSVG Saarl., § 99 Abs. 1 Nr. 1 SächsGemO). Außerdem muss sichergestellt sein, dass der Gemeinde die Rechnungs- 66 informationen der Gesellschaft zur Verfügung stehen (siehe § 103 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 lit. c und f GemO BW, § 87 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 lit. b GemO Rh.-Pf., § 111 Abs. 1 Nr. 3 KSVG Saarl., § 96 Abs. 2 Nr. 5, 7 und 10 SächsGemO). Neben der Einbindung in die Gesamtpolitik der Kommune ge-
83 Zur grundsätzlichen Anwendbarkeit dieser Bestimmungen auf die Kommune s. etwa Sprenger in Borchert u.a., Kommunalverfassungsrecht Schleswig-Holstein, § 104 SHGO Rz. 1. 84 Darsow in Darsow/Gentner/Glaser/Meyer, § 69 Rz. 11; Oster in Gabler/Höhlein/Klöckner u.a., Kommunalverfassungsrecht Rheinland-Pfalz, § 88 GemO Rh.-Pf. Anm. 8. 85 Noack, StuGR 1995, 379 (383); zu den Problemen solcher Konstruktionen Schulz, BayVBl. 1996, 97 (101); F.-W. Held, WiVerw 1998, 264 (290). Oebbecke
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Rechtliche Vorgaben für die Gründung kommunaler Gesellschaften
währleisten diese Bestimmungen auch die Einhaltung gewisser Mindestanforderungen an die vorausschauende Planung der Gesellschaft selbst86. 67 Die Vorgaben für die Rechnungslegung in den Gemeindeordnungen sind durch die Verweise auf das Haushaltsgrundsätzegesetz des Bundes und eine starke Differenzierung alles andere als übersichtlich87. Hier kann deshalb nur eine kursorische Darstellung gegeben werden88. 68 Ein Mindestniveau der Informationsgewinnung und -übermittlung an die Gemeinde stellt bei alleiniger Mehrheitsbeteiligung oder gemeinschaftlicher Mehrheitsbeteiligung mehrerer Gebietskörperschaften für die Beteiligten mit einem Anteil von mindestens einem Viertel § 53 HGrG sicher89. Nach dieser bundesrechtlichen Bestimmung kann die Gemeinde in diesen Fällen verlangen, dass im Rahmen der Abschlussprüfung auch die Ordnungsgemäßheit der Geschäftsführung geprüft wird (siehe § 53 Abs. 1 Nr. 1 HGrG), im Bericht bestimmte wichtige Informationen enthalten sind (siehe § 53 Abs. 1 Nr. 2 HGrG) und ihr der Prüfungsbericht nach Eingang unverzüglich zugesandt wird (siehe § 53 Abs. 1 Nr. 3 HGrG). 69 Die Gemeindeordnungen versuchen die Informationsmöglichkeiten teilweise noch deutlich weiter zu erstrecken. Aus der Sicht der Gemeinde sollen die Gesellschaften ja vor allem die ihnen übertragenen Aufgaben erfüllen. Ihre Rechnungslegung und Prüfung muss die Informationen liefern, nach denen beurteilt werden kann, ob die finanziellen Voraussetzungen dafür auch künftig gegeben sind. 70 Die handelsrechtlichen Bestimmungen, nach denen die Rechnungslegung und Prüfung erfolgt, sind dagegen auf Gesellschaften zugeschnitten, die auf Gewinnerzielung ausgerichtet sind; sie bezwecken vor allem den Schutz der Gläubiger und der Gesellschafter. Bei kleineren Gesellschaften begrenzt das Zivilrecht wegen des dafür erforderlichen Aufwandes die Anforderungen. Das Gemeinderecht verlangt deshalb weitergehend beispielsweise, dass die Gesellschaftsverfassung die Erstellung eines Jahresabschlusses und eines Lageberichts in Anwendung der Vorschriften des Dritten Buchs des HGB für große Kapitalgesellschaften verbindlich
86 Rehn/Cronauge/von Lennep, § 108 Anm. VI 2. 87 Siehe etwa das Flussdiagramm bei Zahradnik in Bennemann/Daneke/Meiß u.a., Kommunalverfassungsrecht Hessen, § 123 HGO Rz. 3. 88 Eine ausführliche Darstellung bei Albers, § 48 Rechnungslegung und Prüfung kommunaler Unternehmen, in: Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis. 89 Dazu Lutter/Grunewald, WM 1984, 385 (387 ff.); Spannowsky, ZHR 1996, 560 (583 ff.).
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C. Vorgaben für die Ausgestaltung der gesellschaftsrechtlichen Grundlagen
auch für Fälle vorsieht, in denen diese Voraussetzungen nicht vorliegen90. Jahresabschluss, Lagebericht und Prüfungsbericht müssen der Gemeinde zur Kenntnis gegeben werden (siehe § 103 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 lit. c GemO BW ). Die Erledigung einer kommunalen Aufgabe durch eine Gesellschaft ent- 71 zieht die Erledigung dieser Aufgabe auch dem unmittelbaren Zugriff der gemeindlichen Rechnungsprüfung und der überörtlichen Prüfung. Um bei der Rechnungsprüfung die kommunale Aufgabenerledigung auch weiterhin umfassend in den Blick nehmen zu können, wird eine rechtliche Absicherung der Prüfungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Aktivitäten der Gemeinde in der Gesellschaft durch das Rechnungsprüfungsamt der Gemeinde (siehe § 103 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 lit. d GemO BW, § 111 Abs. 1 Nr. 4 lit. b KSVG Saarl.) und hinsichtlich der Tätigkeit des Unternehmens durch die überörtliche Prüfung91 verlangt. § 54 Abs. 1 HGrG eröffnet in den Fällen der kommunalen Mehrheits- 72 beteiligung im Sinne des § 53 HGrG die Möglichkeit, mit Dreiviertelmehrheit in der Gesellschaftsverfassung vorzusehen, dass das Rechnungsprüfungsamt in bestimmten Fällen Informationsrechte unmittelbar gegenüber der Gesellschaft eingeräumt erhält92. Soweit die Gemeindeordnungen entsprechende Hinwirkenspflichten enthalten (siehe § 112 Abs. 1 Nr. 2 GO NW, § 123 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HGO, § 89 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 GemO Rh.-Pf., § 75 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ThürKO, Art. 94 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BayGO), verdichten sich diese bei kommunaler Dreiviertelmehrheit zu Handlungspflichten93. Von diesen Bestimmungen kann die Aufsichtsbehörde nach einzelnen Landesrechten in unterschiedlichem Umfang Ausnahmen zulassen (siehe § 103 Abs. 1 Satz 2 GemO BW, § 122 Abs. 1 Satz 2 HGO, § 102 Abs. 1 Satz 2 GO Schl.-Holst.).
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Soweit die Landesgesetzgeber die Regelungen des § 53 HGrG und des 74 Handelsrechts in deren Anwendungsbereich als ausreichend ansehen, kennen sie für Fälle geringerer Beteiligung als Hinwirkenspflicht ausgestaltete Gestaltungsvorschriften (siehe Art. 94 Abs. 2 BayGO, § 96 Abs. 3 BbgKVerf, § 123 Abs. 2 HGO, § 89 Abs. 7 GemO Rh.-Pf., § 96 90 Siehe § 103 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 lit. b GemO BW, § 122 Abs. 1 Satz Nr. 4 HGO, § 108 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 GO NW, § 96 Abs. 2 Nr. 6 SächsGemO, § 102 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GO Schl.-Holst.; zur Entwicklung dieser Bestimmungen Zahradnik in Bennemann/Daneke/Meiß u.a., Kommunalverfassungsrecht Hessen, § 122 HGO Rz. 13; dazu auch Held in Held u.a., Kommunalverfassungsrecht Nordrhein-Westfalen, § 108 GO NRW Anm. 4.7. 91 Siehe § 103 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 lit. e GemO BW, § 87 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 lit. c GemO Rh.-Pf., § 111 Abs. 1 Nr. 4 lit. b KSVG Saarl.; zur Verfassungsmäßigkeit s. Sächs. VerfGH v. 20.5.2005 – Vf. 34-VIII-04, NVwZ 2005, 1057 ff. 92 Dazu Lutter/Grunewald, WM 1984, 385 (393 ff.); Spannowsky, ZHR 1996, 560 (585). 93 Rehn/Cronauge/von Lennep, § 112 Anm. III 3. Oebbecke
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Abs. 3 SächsGemO). Für die Fälle höherer Beteiligungen werden Verhaltenspflichten statuiert; auf sie wird zurückzukommen sein (s. unten § 9 Rz. 18 ff.). 75 In Nordrhein-Westfalen muss die Verfassung der Gesellschaft vorsehen, dass die Einzel- und die Gesamtbezüge jedes Mitglieds der Geschäftsführung und des Aufsichtsrats im Anhang zum Jahresabschluss in einer § 285 Nr. 9 lit. a HGB entsprechenden Aufgliederung angegeben werden (siehe im Einzelnen § 108 Abs. 1 Nr. 9 und Abs. 2 GO NW). Selbstverständlich kann die Gesellschaft nicht unter Berufung auf solche Ausgestaltungs- und Hinwirkungspflichten kommunaler Gesellschafter in laufende Verträge mit Mitgliedern der Geschäftsführung eingreifen. Darüber hinaus sind verfassungsrechtliche Bedenken gegen solche Transparenzvorgaben aber nicht ersichtlich94.
V. Sonstiges 76 Nach rheinland-pfälzischem Recht muss in der Satzung oder im Gesellschaftsvertrag die entsprechende Anwendung bestimmter Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes sichergestellt sein (siehe § 87 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 GemO Rh.-Pf.). Hier wird also über das Verfassungsrecht der Gesellschaft sichergestellt, dass sich die Gemeinde nicht durch die vollständige oder teilweise Betrauung von Eigengesellschaften mit Aufgaben der gebührenrechtlichen Bindungen entzieht. Im Ergebnis erzielt die Rechtsprechung zum Gebührenrecht inzwischen ähnliche Wirkungen, indem sie die Kalkulation kommunaler Gesellschaften vergleichbaren Anforderungen unterwirft wie die der Kommunen selbst95. 77 Das OVG Münster hatte über die Frage zu entscheiden, ob vorgesehen werden kann, dass die Aufsichtsratssitzungen einer GmbH öffentlich stattfinden. Es hat diese Frage auch für die GmbH mit fakultativem Aufsichtsrat verneint96. Für die Aktiengesellschaft trifft § 109 AktG eine klare Regelung. Als gesellschaftsrechtlich problematisch wird auch ein unbeschränktes Anwesenheitsrecht von Ratsmitgliedern angesehen, die dem Aufsichtsrat nicht angehören97. Auch die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft und die Gesellschafterversammlung der GmbH sind 94 Pommer, NWVBl. 2010, 459 (461 f.); a.A. Dietlein/Riedel, NWVBl. 2010, 453 ff.; Keller, StuGR 2010, 9 ff. 95 Dazu s. Oebbecke, Entwicklungen im Gebührenrecht, in Oebbecke/Ehlers/ Schink/Pünder, Kommunalfinanzen, S. 119 (123 ff.). 96 OVG NW v. 21.12.1995 – 15 B 3199/95, NWVBl. 1997, 67 ff.; Schmidt, ZGR 1996, 345 (351 f.); Cronauge/Westermann, Rz. 233; Müller, Gemhlt 1999, 35; Thiele, § 111 Anm. 5; dazu s. auch Held in Held u.a., § 113 GO NRW Anm. 9; a.A. Meiski, NVwZ 2007, 1355 (1357 f.); s. zum Problem auch Schoepke, VBlBW 1994, 81 (82); F.-W. Held, WiVerw 1998, 264 (288); Katz, Gemhlt 2002, 54 (56). 97 Cronauge/Westermann, Rz. 233; Meier, NZG 2001, 1127 f.
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D. Errichtungsvorgang
grundsätzlich nicht öffentlich; anders als beim Aufsichtsrat kann die Öffentlichkeit hier aber ganz oder beschränkt auf bestimmte Gruppen wie etwa Pressevertreter zugelassen werden98.
D. Errichtungsvorgang Die Errichtung einer privatrechtlichen Gesellschaft kann zivilrechtlich 78 nicht allein dadurch erfolgen, dass die Gesellschaft gegründet und dann gegebenenfalls Vermögensgegenstände wie Grundstücke, Gebäude, Geräte auf sie übertragen werden, sondern auch durch Ausgliederung bei gleichzeitiger Neugründung einer Kapitalgesellschaft nach §§ 168 ff. UmwG vorgenommen werden99. Die Nutzung dieser umwandlungsrechtlichen Möglichkeit kann wegen der dabei eintretenden partiellen Gesamtrechtsnachfolge von Interesse sein. Bei der Überführung etwa eines Regiebetriebes in eine GmbH gehen beispielsweise bestehende Vertragsverhältnisse zu Dritten mit Rechten und Pflichten über, ohne dass es einer Mitwirkung der Dritten bedarf. Soweit ersichtlich schließt kein Landesrecht diese Möglichkeit aus.
I. Gemeindliche Willensbildung und Vertretung In allen Ländern ist die Entscheidung über die Gründung von privatrecht- 79 lichen Gesellschaften und den Erwerb von Gesellschaftsanteilen nach den Bestimmungen über die Willensbildung in der Kommune der unmittelbar gewählten Vertretung vorbehalten; sie gehört in allen Ländern zu den Geschäften, die weder auf einen Ausschuss noch auf den Bürgermeister oder Gemeindevorstand übertragen werden können; allerdings ist die Reichweite des Vertretungsvorbehalts in den Ländern unterschiedlich. In zwei Ländern ordnen die Gemeindeordnungen wie bereits erwähnt (s. 80 oben Rz. 19 ff.) ausdrücklich eine besondere inhaltliche Aufbereitung der Entscheidung über die Gesellschaftsgründung an (siehe § 136 Abs. 4 Satz 4 NKomVG, § 92 Abs. 1 GemO Rh.-Pf.). Von der Entscheidung über die Errichtung der Gesellschaft oder den Er- 81 werb eines Gesellschaftsanteils ist die eigentliche Durchführung der entsprechenden Geschäfte zu unterscheiden. Sie ist im Rahmen der rechtlichen Vertretung der Gemeinde Sache des Bürgermeisters. Hier gelten die üblichen Regeln für solche Geschäfte, die nicht zur laufenden Verwaltung gehören.
98 Dazu Meier/Wieseler, Gemhlt 1993, 174 f. 99 Steuck, NJW 1995, 2887 ff.; App, Gemhlt 1994, 255 ff.; zu den Möglichkeiten des Umwandlungsgesetzes für die Auflösung von Eigengesellschaften s. Stopp, SächsVBl. 1999, 197 ff. Oebbecke
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II. Aufsichtliche Mitwirkung 82 In unterschiedlichen Formen sehen die Landesrechte eine präventive kommunalaufsichtliche Kontrolle der Errichtung von Gesellschaften oder des Erwerbs von Beteiligungen durch die Kommunen vor. 83 Der präventive Charakter der Aufsichtsmaßnahmen wird dadurch erzwungen, dass ex post eine effektive Kontrolle wegen der dann gesellschaftsrechtlich geschaffenen vollendeten Tatsachen nicht mehr möglich ist. 84 Es finden sich die Vorlage- oder Anzeigepflicht100, aber auch der Genehmigungsvorbehalt101. Die Anzeige hat möglichst früh zu erfolgen; bis zum Ablauf der im Gesetz vorgesehenen Frist hat die Gemeinde alle Vollzugsakte zu unterlassen102. Die Anzeige muss alle für eine rechtliche Beurteilung durch die Aufsichtsbehörde notwendigen Angaben enthalten103. Die Frist ist von dem Zeitpunkt zu berechnen, in dem die Gemeinde rechtlich gebunden ist104. Sie läuft erst, wenn die Gemeinde dieser Pflicht nachgekommen ist; weitergehende Informationsverlangen hemmen den Ablauf der Pflicht dagegen nicht105. Die Anzeige ist ein Informationsmittel; der Kommunalaufsichtsbehörde stehen die üblichen kommunalaufsichtlichen Mittel zur Verfügung106. Darauf, dass der Gemeinde bei der Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe ein kommunalpolitischer Entscheidungsspielraum einzuräumen ist107, wurde schon hingewiesen (s. oben Rz. 16). 85 Die rechtsaufsichtliche Mitwirkung der Kommunalaufsicht dient nicht nur dem von den Ländern wahrzunehmenden öffentlichen Interesse, die Gemeinden funktionsfähig zu erhalten, sondern mindestens auch den Interessen der Kommunen; sie sollen davor geschützt werden, Risiken zu übernehmen, die ihre Handlungsfähigkeit beeinträchtigen können. Bei verschuldeten Pflichtverstößen der Aufsichtsbehörden besteht deshalb ein Anspruch aus Amtshaftung. 100 Siehe § 108 GemO BW, § 100 BbgKVerf, § 127a HGO, § 77 KV MV, § 152 Abs. 1 NKomVG, § 115 GO NW, § 92 Abs. 1 GemO Rh.-Pf., § 118 KSVG Saarl., § 108 Abs. 1 GO Schl.-Holst., Art. 96 BayGO; dazu Lübking/Vogelgesang, Rz. 163 ff. 101 § 152 Abs. 2 NKomVG, § 73 Abs. 1 Satz 4 ThürKO; dazu Lübking/Vogelgesang, Rz. 171 ff. 102 Etwa Hölzl/Hien/Huber, Art. 96 BayGO Anm. 2. 103 Dazu etwa Decker in Held u.a., § 115 GO Anm. 2.2; Hölzl/Hien/Huber, Art. 96 BayGO Anm. 4; Klang/Gundlach, § 123 GO LSA Rz. 2; bei Lübking/ Vogelgesang, Rz. 165 Abdruck einer Verfügung des Regierungspräsidenten Düsseldorf zum Umfang der Vorlagepflicht. 104 Schulz, BayVBl. 1996, 97 (102). 105 Lübking/Vogelgesang, Rz. 166. 106 Lübking/Vogelgesang, Rz. 167. 107 Gern, Sächsisches Kommunalrecht, Rz. 873; Schmid in Quecke/Schmid u.a., § 96 Rz. 97; Schulz, BayVBl. 1996, 97 (102).
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§9 Rechtliche Vorgaben für die Führung kommunaler Gesellschaften von Prof. Dr. Janbernd Oebbecke
A. Vorbemerkungen . . . . . . . . B. Wirtschaftsgrundsätze . . . . I. Wirtschaftliche Zweckerfüllung . . . . . . . . . . . . II. Ertragserzielung . . . . . . . . III. Verbot des Machtmissbrauchs und Konkurrenzschutz . . . .
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Rz. 1 5
. 7 . 10 . 14
C. Wirtschaftsplan und Rechnungslegung . . . . . . . . . . . 18 D. Die Entsendung und Abberufung kommunaler Vertreter in Gesellschaftsgremien . . . . . . 22
Rz. E. Verhalten kommunaler Vertreter in Gesellschaftsgremien . . I. Informationspflichten . . . . . II. Weisungsrechte . . . . . . . . . III. Inhaltliche Bindungen . . . . . IV. Rückbindungsvorbehalte . . . . V. Abführungspflicht . . . . . . . . VI. Haftungsfragen . . . . . . . . .
30 33 40 47 51 56 58
F. Veräußerung von Beteiligungen . . . . . . . . . . . . . . . . 61 G. Berichtspflichten . . . . . . . . 64 H. Haftung der Gemeinde für die Gesellschaft . . . . . . . . . . . 72
Literatur: S. Literatur zu § 8.
A. Vorbemerkungen Eines der lange sehr umstrittenen Probleme im Recht der kommunalen 1 Gesellschaften betrifft die Frage, ob diese mit ihrer Errichtung ausschließlich dem bundesrechtlich geregelten Gesellschaftsrecht – gegebenenfalls auch bundesrechtlichen Sonderregelungen wie dem § 53 HGrG – unterliegen oder ob das landesrechtliche Kommunalrecht davon abweichende Regelungen treffen kann. Die Frage ist von erheblicher praktischer Bedeutung, weil es in der eigengesellschaftlichen Praxis zu Konflikten zwischen gesellschaftsrechtlichen und kommunalrechtlichen Vorgaben kommen kann. Sie treten nicht bei der Vertretung in der Hauptoder Gesellschafterversammlung auf, weil das Gesellschaftsrecht dort die Wahrnehmung von Gesellschafterinteressen zulässt1. Probleme wirft in-
1 Rehn/Cronauge/von Lennep, § 113 IV 2. Oebbecke
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sofern hingegen die Tätigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern auf2, vor allem bei der Aktiengesellschaft, aber auch bei der GmbH. Auch entsandte Aufsichtsratsmitglieder einer AG haben sich wie die von der Hauptversammlung gewählten ausschließlich an den Interessen der Gesellschaft zu orientieren. 2 Die Vertreter einer Dominanz des Kommunalrechts standen auf dem Standpunkt, dass bei Regelungsdifferenzen das Kommunalrecht Vorrang genießt3. Demgegenüber geht die praktisch ganz herrschende Auffassung zu Recht vom Vorrang des Gesellschaftsrechts aus4. Das ist auch die Linie, die viele Landesgesetzgeber zu Grunde legen, wenn sie entsprechende Vorbehalte für abweichendes Gesellschaftsrecht in die kommunalrechtlichen Regelungen einfügen. Der Landesgesetzgeber kann im Rahmen des bundesrechtlichen Gesellschaftsrechts Regeln darüber aufstellen, wie die Kommune als Gesellschafter und ihre Vertreter in den Organen der Gesellschaft von den ihnen nach Gesellschaftsrecht zustehenden Möglichkeiten Gebrauch machen, den gesellschaftsrechtlichen Rahmen kann er nicht verändern5. Die gesetzlichen Vorbehalte für abweichendes Gesellschaftsrecht ziehen daraus die Konsequenz. Kritik, damit seien die bestehenden Rechtsunsicherheiten auf die kommunale Praxis vor Ort verschoben6, ist nicht unberechtigt; man wird aber bezweifeln dürfen, ob die Landesgesetzgeber angesichts der schwierigen und teilweise umstrittenen gesellschaftsrechtlichen Fragen eine andere Möglichkeit hatten. Wo ausdrückliche Vorbehalte fehlen, wird man entsprechende Bestimmungen also gegebenenfalls bundesrechtskonform restriktiv auszulegen haben. Soweit das möglich ist, sind verfassungsrechtliche Bedenken nicht berechtigt7. 3 Von dieser Möglichkeit, unter Beachtung der gesellschaftsrechtlichen Restriktionen Vorgaben für die Ausfüllung der danach bestehenden Spielräume zu machen, haben die Länder in beachtlichem und für die eigengesellschaftliche Praxis durchaus relevantem Umfang Gebrauch gemacht.
2 Geerlings, § 52 Das kommunale Aufsichtsratsmandat, in: Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, insb. Rz. 36 ff. 3 Etwa Quack, DVBl 1965, 345 ff. 4 Püttner, DVBl 1986, 748 (751); Schmidt, ZGR 1996, 345 (350 f.); Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rz. 764; Darsow in Darsow/Gentner/Glaser/Meyer, § 69 Rz. 7; Hölzl/Hien/Huber, Art. 93 BayGO Anm. 3 S. 3; Klang/Gundlach, Vorbem. vor § 119 GO LSA Rz. 1 ff.; Meier/Wieseler, Gemhlt 1993, 174; von Mutius/Rentsch, § 102 GO Schl.-Holst. Rz. 5; Rehn/Cronauge/von Lennep, § 113 Anm. IV 1; Möller, S. 41 ff. m.w.N.; Schwintowski, NJW 1990, 1009 (1013 f.); Schwintowski, NJW 1995, 1316 (1317); kritisch etwa von Danwitz, AöR 120 (1995), 594 (609 ff.); Hellermann, S. 240 ff.; Grams, LKV 1997, 397 (400 f.); Mann, VBlBW 2010, 7 (8). 5 Gundlach/Frenzel/Schmidt, LKV 2001, 246 f. 6 Doose in Dieckmann/Heinrichs, Gemeindeordnung für das Land NordrheinWestfalen, § 108 Rz. 4 und § 113 Rz. 1; ähnlich Sprenger in Borchert u.a., Kommunalverfassungsrecht Schleswig-Holstein, § 102 SHGO Rz. 24. 7 Etwa Rehn/Cronauge/von Lennep, § 113 Anm. IV 1.
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B. Wirtschaftsgrundsätze
Sie erklären Wirtschaftsgrundsätze für verbindlich (Rz. 5 ff.), treffen Bestimmungen über die Handhabung der Rechnungslegung und Prüfung (Rz. 18 ff.), regeln die Entsendung und Abberufung (Rz. 22 ff.) sowie das Verhalten und die rechtliche Stellung der kommunalen Vertreter in den Gesellschaftsorganen (Rz. 30 ff.), treffen Bestimmungen über die Veräußerung von Beteiligungen (Rz. 61 ff.) und statuieren Berichtspflichten (Rz. 64 ff.). Schließlich bestimmen die Regeln über die Haftung der Kommune das Bild der rechtlichen Vorgaben für die Führung einer kommunalen Gesellschaft mit (Rz. 72 ff.). Zunehmend sieht das Kommunalrecht auch Bindungen vor, die bei der Errichtung von Tochter- und Enkelunternehmen zu beachten sind8. Auch abgesehen vom Kommunalrecht gelten in manchen Fragen für Ei- 4 gengesellschaften andere Regeln als für privat getragene Gesellschaften, weil die organisatorische Verselbständigung rechtlich ignoriert wird9. So können informationsrechtlich für eine kommunale GmbH dieselben Regeln wie für die Kommune gelten10 und aus dem Abgabenrecht kann sich ein Verbot ergeben, Abgabenschuldner auch mit Gewinnanteilen in Leistungsentgelten kommunaler Eigengesellschaften zu belasten11.
B. Wirtschaftsgrundsätze Das Kommunalrecht der Länder enthält an die Gemeinde gerichtete oder 5 gar nicht näher adressierte Vorgaben für die Führung der kommunalen Gesellschaft bzw. den Umgang mit der kommunalen Beteiligung. Man wird diesen Bestimmungen eine Ermessensbindung für alle im Zusammenhang mit der Beteiligung anstehenden Entscheidungen zu entnehmen haben, die sich unter den Organen der Gemeinde jeweils an den richten, den es angeht12. Das kann der Gemeinderat sein, wenn er die Beteiligung betreffende Entscheidungen trifft, das kann der Bürgermeister bei der Vorbereitung solcher Entscheidungen, das können aber auch die jeweiligen Vertreter der Gemeinden in Organen der Gesellschaft sein13. Es soll nicht zuletzt auch sichergestellt werden, dass die Gemeinden von
8 Etwa § 108 Abs. 6 GO NW, § 117 Abs. 2 GO LSA; dazu Schibold/Doms, VBlBW 2010, 453 ff. 9 Oebbecke, VBlBW 2010, 1 ff. 10 So für den presserechtlichen Informationsanspruch LG München I v. 11.10.2006 – 9 S 8ß16/06, JZ 2007, 307 f. mit Anm. Zieglmeier; anders für den Anspruch aus IFG NW VG Düsseldorf v. 3.2.2006 – 26 K 1585/04, NWVBl. 2006, 305 f.; zu Informationsansprüchen auch Kühne/Czarnecki, LKV 2005, 481 ff.; Sydow/Gebhardt, NVwZ 2006, 987 (990). 11 So OVG NW v. 22.11.2005 – 15 A 873/04, NWVBl. 2006, 231 ff.; dazu Glückert/ Franßen, NWVBl. 2007, 465 ff. 12 Sprenger in Borchert u.a., Kommunalverfassungsrecht Schleswig-Holstein, § 107 SHGO Rz. 2. 13 Decker/Held in Held u.a., § 109 GO NRW Anm. 2. Oebbecke
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den ihnen zu Gebote stehenden Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Gesellschaft überhaupt Gebrauch machen. Man kann diese Bestimmungen als Einflussnahmerichtlinien bezeichnen; in ihrer Verbindlichkeit entsprechen sie Hinwirkenspflichten (s. oben § 8 Rz. 35). Inzwischen finden sich ausdrückliche Regelungen, welche die Gemeinden zum Beteiligungsmanagement verpflichten; Unternehmen und Beteiligungen müssen im Sinne der von der Gemeinde angestrebten öffentlichen Zwecke koordiniert und überwacht werden (§ 150 NKomVG). 5a
Thüringen sieht jetzt in den Bestimmungen über die Vermögenswirtschaft die Möglichkeit vor, durch einen von der Aufsichtsbehörde genehmigten Gemeinderatsbeschluss festzustellen, dass der öffentliche Zweck eines Unternehmens entfallen ist14. Die Gemeinde darf diese Anteile weiterhin besitzen; sie darf für ein solches Unternehmen aber nicht bürgen oder es finanziell unterstützen. Durch den Beschluss wird das Unternehmen explizit vom Instrument der Kommunalpolitik zum ausschließlichen Anlageobjekt, während dieser Übergang sonst regelmäßig implizit bei der Veräußerung von Unternehmen stattfand. Zugleich entfallen die gemeindewirtschaftsrechtlichen Restriktionen für die Tätigkeit des Unternehmens. Bedenken aus Art. 28 Abs. 2 GG15 bestehen dagegen nicht. Welche Anlageformen die Gemeinde nutzen kann, ist Gegenstand des einfachen Rechts. Es ist nicht ersichtlich, warum für die kommunale Vermögenswirtschaft nur Grundbesitz oder Geldanlagen in Betracht kommen sollten.
6 Einflussnahmerichtlinien betreffen im Hinblick auf die Tätigkeit der Gesellschaft die Erreichung des von ihr wahrzunehmenden Zwecks (dazu Rz. 7 ff.), die Erzielung von Erträgen (dazu Rz. 10 ff.) und das Verhalten gegenüber Dritten, also Konkurrenten und Abnehmern (dazu Rz. 14 ff.).
I. Wirtschaftliche Zweckerfüllung 7 Die nachhaltige Erfüllung des öffentlichen Zwecks ist das Ziel, auf das die Gesetze die Gemeinde bei der Führung der Gesellschaft verpflichten (siehe § 122 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HGO, § 75 Abs. 1 Satz 1 KV MV, § 109 Abs. 1 Satz 1 GO NW, § 116 Satz 1 KSVG Saarl., § 97 Abs. 3 Halbs. 1 SächsGemO, § 102 Abs. 4 Nr. 3 i.V.m. 107 GO Schl.-Holst.). Unter der „Führung“ der Gesellschaft hat man, so die Formulierung anderer Gesetze (siehe etwa § 103 Abs. 3 GemO BW), die „Steuerung und Überwachung“ zu verstehen. Die Forderung nach „nachhaltiger“ Zweckerfüllung korrespondiert mit dem vor allem im Haushaltsrecht maßgeblichen Grundsatz der stetigen Aufgabenerfüllung16.
14 § 66 Abs. 2 Satz 1 ThürKO. 15 Dazu Vetzberger, LKV 2003, 345 (349 f.). 16 Rehn/Cronauge/von Lennep, § 109 Anm. II 1.
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B. Wirtschaftsgrundsätze
Dieses Ziel soll, so in einigen Fällen die ausdrückliche Formulierung, „wirtschaftlich“ erfüllt werden, also unter Optimierung des Verhältnisses von Kosten und Nutzen (siehe § 87 Abs. 4 Satz 1 GemO Rh.-Pf.). Es umfasst auch die Pflicht, Repräsentationsaufwand in einem angemessenen Rahmen zu halten17. Gelegentlich wird das Element der Wirtschaftlichkeit noch um das der Sparsamkeit und die betriebswirtschaftlichen Grundsätze ergänzt (siehe Art. 95 Abs. 1 Satz 1 BayGO). Die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sind allerdings auch ohne eine solche ausdrückliche Hervorhebung für die Kommunen verbindlich.
8
Die Möglichkeit der Gemeinde, die nachhaltige Erfüllung des öffent- 9 lichen Zwecks zu erreichen, hängt von ihren Einflussmöglichkeiten ab; bei Minderheitsbeteiligungen kann deshalb nur eine Hinwirkenspflicht bestehen (siehe § 103 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 GemO BW, § 87 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 GemO Rh.-Pf., Art. 95 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BayGO). Aber auch eine Mehrheitsposition gestattet es nicht in jedem Fall, die Ziele der Gemeinde vollständig durchzusetzen. Wenn deshalb für Beteiligungen über 50 % eine strikte Handlungspflicht statuiert wird (siehe § 103 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 GemO BW, § 87 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 GemO Rh.-Pf., Art. 95 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BayGO), reicht diese Pflicht nicht weiter als die Einflussmöglichkeiten der Gemeinde; sind sie ausgeschöpft, ist die Pflicht erfüllt.
II. Ertragserzielung Die Probleme der kommunalrechtlichen Regelung der Gemeindewirt- 10 schaft zeigen sich nicht zuletzt an der verbreiteten Forderung, die Gesellschaft solle nach Möglichkeit einen Ertrag für den kommunalen Haushalt abwerfen; häufig wird die Höhe dieses Ertrages noch präzisiert, etwa auf die Erwirtschaftung der notwendigen Rücklagen und die marktübliche Verzinsung des Eigenkapitals (siehe § 92 Abs. 4 BbgKVerf, § 75 Abs. 2 KV MV, § 149 Abs. 2 NKomVG , § 109 Abs. 2 GO NW, § 102 Abs. 4 Nr. 3 i.V.m. § 107 Satz 2 GO Schl.-Holst., § 75 Abs. 1–3 ThürKO.). Dort, wo zuverlässig angemessene Erträge zu erwirtschaften sind, wird es häufig an dem öffentlichen Interesse fehlen, das im gesetzlichen Regelfall für die wirtschaftliche Betätigung der Kommune streiten muss. Deshalb setzen die meisten Gemeindeordnungen klare Prioritäten: die 11 Ertragserzielungspflicht ist der Zweckerreichung fast überall schon durch die gesetzliche Formulierung klar nachgeordnet18. Auch wo ein solcher 17 Beckhof in Blum/Beckhof, § 114 Rz. 2. 18 Siehe § 122 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 121 Abs. 8 Satz 1 HGO, § 149 Abs. 1 NKomVG, § 109 Abs. 1 Satz 2 GO NW, § 116 Satz 2 KSVG Saarl., § 97 Abs. 3 Halbs. 2 SächsGemO; dazu Knemeyer/Kempen, Kommunales Wirtschaftsrecht, in Achterberg/Püttner/Würtenberger, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 2, Rz. 96. Oebbecke
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Rechtliche Vorgaben für die Führung kommunaler Gesellschaften
ausdrücklicher Hinweis fehlt, muss diese Priorität der Zweckerreichung gelten, weil die Beteiligung sonst nicht sinnvoll ist; wenn die Zuschüsse zu hoch werden, wird die Gemeinde überprüfen, ob sie diese Aufgabe weiter wahrnehmen soll und kann. In einigen Gesetzen sind die Ertragsziele zurückhaltender formuliert, indem gefordert wird, den Zuschuss so gering wie möglich zu halten (siehe § 103 Abs. 3 Satz 2 GemO BW, § 87 Abs. 4 Satz 2 GemO Rh.-Pf.). 12 Der Ertragserzielung kann nicht nur der eigentliche Unternehmenszweck übergeordnet werden; die kommunalrechtlichen Bestimmungen schließen auch die Berücksichtigung weiterer öffentlicher Zwecke nicht aus. Ein Stromversorgungsunternehmen, dessen Zweck die Versorgung mit elektrischem Strom ist, darf auch aus ökologischen Gründen auf eine Absatzmaximierung und damit auf einen Teil des möglichen Ertrages verzichten. 13 Selbstverständlich ist auch diese Forderung nicht unmittelbar an die Gesellschaft gerichtet, sondern es handelt sich auch hier um eine Einflussnahmerichtlinie im oben (Rz. 5 f.) skizzierten Sinne.
III. Verbot des Machtmissbrauchs und Konkurrenzschutz 14 Immer noch verfügen die kommunalen Unternehmen in weiten Bereichen über eine Alleinstellung im Wettbewerb. Die Versorgung mit Wasser, der öffentliche Nahverkehr, Sport- oder Kultureinrichtungen liegen vielfach allein in den Händen der Kommunen oder ihrer Gesellschaften, weithin auch noch die Energieversorgung. Daraus hat schon der Gesetzgeber der Deutschen Gemeindeordnung von 1935 die Konsequenz gezogen und mit § 73 DGO eine Vorschrift in das Gesetz aufgenommen, die es verbot, den Bezug von Leistungen, bei denen kein Wettbewerb bestand, davon abhängig zu machen, dass auch andere Leistungen abgenommen werden. Derartige Bestimmungen sind auch heute noch in einer Reihe von Gemeindeordnungen enthalten19. 15 Soweit Eigengesellschaften Inhaber dieser Monopole sind, sind sie aus verfassungsrechtlichen Gründen20, weil die Länder nämlich gesellschaftsrechtliche Regelungen nicht erlassen dürfen, als Einflussnahmerichtlinien in dem unter Rz. 5 f. erläuterten Sinne zu verstehen21. Sie stellen insoweit deshalb keine Verbotsgesetze im Sinne des § 134 BGB oder ähnlicher kommunalrechtlicher Bestimmungen (siehe etwa § 130 Abs. 2 GO NW) dar. 19 Siehe § 102 Abs. 6 GemO BW, § 110 GO NW, § 127b HGO, § 68 Abs. 6 KV MV, § 85 Abs. 6 GemO Rh.-Pf., § 120 GO LSA, § 109 GO Schl.-Holst., § 77 ThürKO; für Sonderregelungen im Rahmen der Corporate Governance Schwintowski, NVwZ 2001, 607 ff. (610). 20 Decker in Held u.a., § 110 GO NRW Anm. 1. 21 Rehn/Cronauge/von Lennep, § 110 Anm. I 1.
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C. Wirtschaftsplan und Rechnungslegung
Die effektive Bedeutung dieser Vorschriften ist heute sehr weit reduziert, 16 weil die Bestimmungen der §§ 19 ff. GWB inzwischen wirksamen Schutz gegen den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung gewähren (siehe § 15 Rz. 113 ff.). Allerdings eröffnen sie den Betroffenen eine zusätzliche Rechtsschutzmöglichkeit vor den Verwaltungsgerichten, die aber wegen der im Vergleich häufig langen Verfahrensdauer manchmal wenig attraktiv ist. Eine praktische Anwendung kommt etwa im Bereich der Versorgungsunternehmen in Betracht; diese sollen die Belieferung nicht davon abhängig machen dürfen, dass etwa auch Geräte gekauft oder Installationsleistungen abgenommen werden22. Darauf, ob ein sachlicher Zusammenhang mit der Hauptleistung besteht, kommt es nicht an23. Einen der wichtigen Diskussionspunkte bei der Ausgestaltung des kom- 17 munalrechtlichen Rahmens in den Ländern wie in der einzelnen Kommune machen die Wirkungen der kommunalen Wirtschaftsbetätigung auf die private Konkurrenz aus. Diesem Gesichtspunkt tragen die Gemeindeordnungen meistens bei den Bestimmungen über die Zulässigkeit der Betätigung als solcher Rechnung. Zusätzlich ordnen Bayern und Thüringen sehr plastisch an, dass gemeindliche Unternehmen „keine wesentliche Schädigung und keine Aufsaugung selbständiger Betriebe in Landwirtschaft, Handwerk, Handel, Gewerbe und Industrie bewirken“ dürfen (siehe Art. 95 Abs. 2 BayGO; § 71 Abs. 2 ThürKO); die Bestimmung soll allerdings keine subjektiven Rechte für die Betroffenen begründen24.
C. Wirtschaftsplan und Rechnungslegung Oben (§ 8 Rz. 68) war bereits die Rede von der bundesrechtlichen Sonder- 18 regelung des § 53 HGrG für Unternehmen mit einer Mehrheitsbeteiligung von Gebietskörperschaften. Viele Gemeindeordnungen verpflichten die Gemeinden, die ihnen nach § 53 HGrG zustehenden Rechte auch tatsächlich auszuüben (siehe § 105 Abs. 1 Nr. 1 GemO BW, § 123 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HGO, § 158 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 NKomVG, § 89 Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 GemO Rh.-Pf., § 75 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ThürKO, Art. 94 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BayGO), enthalten eine entsprechende Soll-Vorschrift (siehe § 121 Abs. 3 GO LSA, § 112 Abs. 1 Nr. 1 GO NW) oder weisen auf diese Bestimmung hin (siehe § 73 Abs. 3 KV MV). Daneben kennt das Kommunalrecht der Länder auch Einflussnahme- 19 richtlinien, die sich auf das Rechnungswesen und die Prüfung der Gesellschaft beziehen (siehe § 105 Abs. 1 Nr. 2 GemO BW, § 96 Abs. 1 BbgKVerf., § 123 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HGO, § 73 Abs. 1 KV MV, § 121 GO
22 Rehn/Cronauge/von Lennep, § 110 Anm. II 1. 23 A.A. Decker in Held u.a., § 110 GO NRW Anm. 5. 24 Hölzl/Hien/Huber, Art. 95 BayGO Anm. 2; s. dazu auch Meyn, Kommunalrecht, in Huber, Thüringer Staats- und Verwaltungsrecht, S. 197 ff. Rz. 147. Oebbecke
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Rechtliche Vorgaben für die Führung kommunaler Gesellschaften
LSA, § 102 Abs. 4 Nr. 1 und 2 GO Schl.-Holst., § 75 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ThürKO, Art. 94 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 BayGO), sie ergänzen die erwähnten Vorgaben für die Errichtung der Gesellschaft (s. oben § 8 Rz. 65 ff.). Soweit die Gesellschaftsverfassung entsprechende Regelungen vorsieht, beschränkt sich die aus diesen Einflussnahmerichtlinien resultierende Verpflichtung der Kommune und ihrer Vertreter darauf, auf die Einhaltung dieser Bestimmungen zu achten. 20 Nach einigen Landesrechten kann die Aufsichtsbehörde Ausnahmen von diesen Bestimmungen zulassen (siehe § 123 Abs. 1 Satz 2 HGO, § 75 Abs. 4 Satz 2 ThürKO, Art. 94 Abs. 1 Satz 2 BayGO). 21 Unabhängig von der Prüfung der Gesellschaft durch Wirtschaftsprüfer ist die sog. Betätigungsprüfung25 durch das Rechnungsprüfungsamt der Gemeinde bzw. die überörtliche Prüfung, bei der es darum geht, wie die Gemeinde mit ihrer Beteiligung umgeht; soweit die Verfassung der Gesellschaft dies vorsieht (s. oben § 8 Rz. 72), kann die prüfende Stelle dabei auch Informationen der Gesellschaft nutzen. Die Gesellschaft selbst unterliegt aber nicht der Rechnungsprüfung26.
D. Die Entsendung und Abberufung kommunaler Vertreter in Gesellschaftsgremien 22 Damit sie ihre Rechte als Gesellschafterin ausüben kann, muss sich die Kommune in den Gremien der Gesellschaft, Haupt- oder Gesellschafterversammlung, vertreten lassen27. Jedenfalls bei einem entsprechenden Gesellschaftsanteil kann sie aber auch Einfluss auf die Besetzung des Aufsichtsrats oder ähnlicher Gremien nehmen, sei es durch Vorschläge für die Wahl oder durch die Ausübung eines durch die Gesellschaftsverfassung begründeten Entsenderechts28. Die auch hier praktizierte Benutzung des Begriffs „Vertreter der Gemeinde im Aufsichtsrat“ darf nicht darüber täuschen, dass es sich bei der Wahrnehmung des Aufsichtsratsmandats nicht eigentlich um eine Vertretung der Gemeinde, sondern um die Wahrnehmung einer Organmitgliedschaft der Gesellschaft handelt29.
25 Dazu etwa Schmidt, Gemhlt 1983, 56 ff.; Müller-Prothmann, BWVP 1994, 83 ff. 26 Zum Problem s. Glauben, ZG 1997, 148 ff. 27 Zur Wahrnehmung der Mitgliedschaftsrechte in Genossenschaften s. Bauer/ Böhle/Masson/Samper, Art. 93 BayGO Rz. 6. 28 Zu den verschiedenen Möglichkeiten Stüer, StuGR 1981, 243 (245). 29 Richtig Beckhof in Blum/Beckhof, § 111 Rz. 5.
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D. Kommunale Vertreter in Gesellschaftsgremien
Nach dem Recht der meisten Länder vertritt der Bürgermeister die Ge- 23 meinde in der Gesellschafter- oder Hauptversammlung, er kann sich durch einen Mitarbeiter der Verwaltung vertreten lassen30. Weitere Vertreter und Vertreter etwa im Aufsichtsrat werden vom Gemeinderat bestimmt31, wobei die meisten Länder Regelungen treffen, die bei mehreren Vertretern eine Berücksichtigung der Minderheit (siehe § 104 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 GemO BW, § 97 Abs. 1 Satz 4 BbgKVerf, § 71 Abs. 1 Satz 4 KV MV, § 50 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 GO NW, § 88 Abs. 1 Satz 5 GemO Rh.Pf., § 114 Abs. 2 Satz 2 und 3 KSVG Saarl., § 119 Abs. 1 Satz 4 GO LSA) sicherstellen. Auch dass unter mehreren Vertretern der Bürgermeister sein muss, wird verbindlich vorgeschrieben32. Nach hessischem Recht ist die Vertretung in der Gesellschaft ausschließlich Sache des Gemeindevorstandes (siehe § 125 Abs. 1 und 2 HGO), nach schleswig-holsteinischem des Gemeinderates (siehe §§ 28 Nr. 20, 104 Abs. 1 GO Schl.Holst.). In Sachsen-Anhalt sollen die weiteren Vertreter über die „jeweils notwendige wirtschaftliche Erfahrung und Sachkunde“ verfügen33. Versäumt der Rat es, über die Bestellung zu entscheiden, wird man ergänzend auf die allgemeinen Regeln zurückgreifen können34. In jedem Fall ist zwischen dem Verfahren der kommunalen Willensbil- 24 dung zur Auswahl der vorgeschlagenen oder benannten Aufsichtsratsmitglieder nach den genannten Vorschriften des Kommunalrechts und der Verlautbarung gegenüber der Gesellschaft zu unterscheiden, die in jedem Fall Sache des Bürgermeisters als gesetzlichen Vertreters der Gemeinde ist35. § 119 Abs. 1a GO LSA erklärt die Vertretung der Gemeinde durch die- 25 selbe Person in Geschäftsführungs- und Aufsichtsorganen einer Gesellschaft für unvereinbar; diese Bestimmung soll der Gefahr von Interessenkollisionen vorbeugen36. Für die Aktiengesellschaft ergibt sich dasselbe 30 Siehe § 104 Abs. 1 Satz 1 GemO BW, § 97 Abs. 1 Satz 1 BbgKVerf, § 71 Abs. 1 Satz 2 KV MV, § 88 Abs. 1 Satz 1–4 GemO Rh.-Pf., § 114 Abs. 1 KSVG Saarl., § 98 Abs. 1 Satz 1 und 2 SächsGemO, § 119 Abs. 1 Satz 1 GO LSA, § 31 Abs. 1 ThürKO, Art. 93 Abs. 1 Satz 1 BayGO; dazu Grziwotz, BayVBl. 2006, 357 (359 f.). 31 Siehe § 104 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 GemO BW, § 97 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Satz 6 BbgKVerf, § 71 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 3 KV MV, § 138 Abs. 1 Satz 1 NKomVG, § 113 Abs. 2 Satz 1 GO NW, § 88 Abs. 1 Satz 5, Abs. 3 GemO Rh.Pf., § 114 Abs. 2 Satz 1 KSVG Saarl., § 98 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 SächsGemO, § 119 Abs. 1 Satz 2 GO LSA, § 26 Abs. 2 Nr. 14 ThürKO; für Bayern Hölzl/ Hien/Huber, Art. 93 BayGO Anm. 2; Lohner/Zieglmeier, BayVBl. 2007, 581 ff. 32 Siehe § 113 Abs. 2 Satz 2 GO NW; die Bestimmung ist nicht disponibel (VG Münster v. 6.5.2011 – 1 K 508/10, NVwZ-RR 2011, 741 ff.; zu solchen Bestimmungen s. auch Elster, NdsVBl. 1997, 73 [78 ff.]). 33 Siehe § 119 Abs. 1 Satz 2 GO LSA; zur Qualifikation der Aufsichtsratsmitglieder auch Gotzen, VR 2001, 163 ff. 34 Püttner, DVBl 1986, 748 (750). 35 Keßler, GmbHR 2000, 71 (75 f.). 36 Klang/Gundlach, § 119 GO LSA Rz. 5; Wiegand/Grimberg, § 119 Rz. 3. Oebbecke
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Rechtliche Vorgaben für die Führung kommunaler Gesellschaften
aus § 105 AktG; auch die sonstigen gesellschaftsrechtlichen Inkompatibilitätsbestimmungen, etwa das Verbot der Überkreuzverflechtung, sind zu beachten37. 26 Die vom Rat ausgewählten Vertreter der Gemeinde können nach einigen Gemeindeordnungen abberufen oder zur Niederlegung des Amtes aufgefordert werden oder es kann ihre Bestellung widerrufen oder zurückgenommen werden (siehe § 104 Abs. 1 Satz 2 GemO BW, § 113 Abs. 1 Satz 3 GO NW, § 114 Abs. 2 Satz 1 KSVG Saarl., § 119 Abs. 1 Satz 3 GO LSA). Bei der Aktiengesellschaft können die entsandten Vertreter jederzeit vom Entsendungsberechtigten abberufen werden (siehe § 103 Abs. 2 AktG); andere Aufsichtsratsmitglieder können nur durch Beschluss der Hauptversammlung abberufen werden, der grundsätzlich einer Dreiviertelmehrheit bedarf (siehe § 103 Abs. 1 AktG), bei Vorliegen eines wichtigen Grundes auch auf Beschluss des Aufsichtsrates38. 27 Mangels anderweitiger Regelung im Gesellschaftsvertrag gilt für die Aufsichtsratsmitglieder der GmbH dasselbe wie bei der Aktiengesellschaft39. Ist eine Abberufung nach Gesellschaftsrecht nicht möglich, begründet ein entsprechender Beschluss des zuständigen Gemeindeorgans lediglich die Verpflichtung zur Niederlegung des Mandats in der Gesellschaft, bringt die Rechtsstellung als Aufsichtsratsmitglied aber nicht zum Erlöschen. Ohne ausdrückliche gesellschafts- oder kommunalrechtliche Regelung kommt eine Abberufung nicht in Betracht40. Ob ein Ratsbeschluss, der zur Niederlegung des Mandats auffordert, einen wichtigen Grund für eine Abberufung im Sinne des Gesellschaftsrechts darstellt, wird unterschiedlich gesehen41. 28 Die Abberufung oder entsprechende Entscheidungen42 dürfen nur aus sachlichen Gründen erfolgen43; eine Änderung der Mehrheitsverhältnisse wird in der Regel keinen sachlichen Grund darstellen44. Regelungen über den Minderheitenschutz dürfen nicht über das Abberufungsrecht aus-
37 Dazu Möller, S. 87 ff. 38 Gundlach/Frenzel/Schmidt, LKV 2001, 248. 39 BVerwG v. 31.8.2011 – 8 C 16.10, NJW 2011, 3735 (3736) mit Anmerkung Altmeppen; a.A. Bäcker, Weisungsfreiheit und Verschwiegenheitspflicht kommunalgeprägter Aufsichtsräte, in Grundmann/Kirchner u.a., Festschrift für Eberhard Schwark zum 70. Geburtstag, S. 105 ff. 40 A.A. offenbar Darsow in Darsow/Gentner/Glaser/Meyer, § 71 Rz. 8. 41 Dafür Noack, StuGR 1995, 379 (381) m.w.N. 42 Zur praktischen Bedeutung Möller, S. 74 f. 43 Held in Held u.a., § 113 GO NRW Anm. 10; Klang/Gundlach, Vorbem. vor § 119 GO LSA Rz. 5; Rehn/Cronauge/von Lennep, § 113 Anm. III 3; Cronauge/ Westermann, Rz. 235; Müller, NWVBl. 1997, 172 ff. (174); Schwintowski, NJW 1995, 1316 (1320 f.). 44 Schwintowski, NJW 1995, 1316 (1320 f.).
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gehebelt werden45. Aus gesellschaftsrechtlicher Perspektive ist für entsandte Aufsichtsratsmitglieder zweifelhaft, ob darüber hinausgehend ein wichtiger Grund für die Abberufung verlangt werden kann46. In jedem Fall sei die Nichtbefolgung einer Weisung nicht ausreichend47. In einigen Ländern bestimmt das Gemeinderecht, dass die Mitgliedschaft 29 von Vertretern in Gesellschaftsgremien mit ihrem Ausscheiden aus dem hauptberuflichen oder ehrenamtlichen Dienst der Gemeinde endet (siehe § 125 Abs. 2 Satz 3 HGO, § 74 Abs. 4 ThürKO). Man wird diese Bestimmung als Verpflichtung der Betreffenden zur Niederlegung des Mandats in der Gesellschaft, bei entsandten Aufsichtsratsmitgliedern als Verpflichtung des Rates zur Abberufung verstehen müssen48. Eine unmittelbar gesellschaftsrechtlich wirksame Regelung können die Länder nämlich nicht treffen49. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte (Gesellschaftsverfassung, Befristung bei der Bestellung) wird man die Bestellung auch ohne eine solche gesetzliche Bestimmung entsprechend auszulegen haben50.
E. Verhalten kommunaler Vertreter in Gesellschaftsgremien Anders als die unter A. und B. erörterten gesetzlichen Einflussnahme- 30 richtlinien, welche die Gemeinde verpflichten, betreffen die jetzt zu erörternden Bestimmungen das Verhältnis zwischen der Gemeinde und ihren Vertretern in den Organen der Gesellschaft. Es handelt sich um Modifikationen des bestehenden öffentlich-rechtlichen Auftragsverhältnisses. Die Bestimmungen betreffen Informationspflichten gegenüber der Kommune (dazu Rz. 33 ff.) und Weisungsrechte der Kommune (dazu Rz. 40 ff.), Abführungspflichten (dazu Rz. 56 ff.) und Sonderregelungen für eventuelle Haftungsfälle (dazu Rz. 58 ff.). Die unter Rz. 47 ff. behandelten inhaltlichen Bindungen lassen sich als materielle, die unter Rz. 51 ff. behandelten Vorbehalte einer Rückbindung an die Kommune als prozedurale gesetzliche Weisungen an die kommunalen Vertreter verstehen.
45 OVG NW, v. 12.2.1990 – 15 B 35/90, DVBl 1990, 834 ff.; für Niedersachsen: Beckhof in Blum/Beckhof, § 111 Rz. 10; a.A. Petri in Thieme, § 111 Rz. 5; Thiele, § 111 Anm. 4; in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung räumt das OVG NW dem betroffenen Vertreter jetzt keine wehrfähige Position mehr ein (OVG NW v. 21.5.2002 – 15B 238/02, DÖV 2002, 917 f.). 46 Möller, S. 130 ff. 47 Möller, S. 135. 48 Zu den Problemen s. Janitschek, VR 1993, 115 (121 ff.); Brenner, LKV 2002, 7 ff. (9); weitergehend halten Gundlach/Frenzel/Schmidt, LKV 2001, 246 ff. (249), diese Bestimmung für „schlicht unwirksam“. 49 Klang/Gundlach, § 119 GO LSA Rz. 6. 50 A.A. Püttner, DVBl 1986, 748 (750); wohl auch Bauer/Böhle/Masson/Samper, Art. 93 BayGO Rz. 17. Oebbecke
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31 Die kommunalrechtlichen Befangenheitsvorschriften gelten für die Tätigkeit in den Gesellschaftsorganen nicht51; umgekehrt kann sich aus der Tätigkeit in einem Gesellschaftsorgan ein Mitwirkungsausschluss in den kommunalen Organen ergeben, wenn nicht Sondervorschriften eingreifen, die eine Befangenheit für den Fall ausschließen, dass die Tätigkeit in der Gesellschaft für die Kommune wahrgenommen wird (siehe etwa § 31 Abs. 2 Nr. 2 Halbs. 2 GO NW). 32 Vertreter der Gemeinde im Sinne dieser Bestimmungen sind regelmäßig nicht nur die von der Gemeinde entsandten und von ihr selbst gewählten Mitglieder der Gesellschaftsorgane, sondern auch die auf ihren Vorschlag von Gesellschaftsorganen gewählten52. Sollen Streitigkeiten zwischen den Vertretern der Gemeinde gerichtlich ausgetragen werden, sind die Verwaltungsgerichte zuständig53.
I. Informationspflichten 33 Nach vielen Gemeindeordnungen sind die gemeindlichen Vertreter ausdrücklich verpflichtet, den Rat oder den Hauptausschuss über alle Angelegenheiten von besonderer Bedeutung54 zu unterrichten (siehe § 97 Abs. 7 Satz 1 BbgKVerf, § 71 Abs. 4 Satz 1 KV MV, § 138 Abs. 4 Satz 1 NKomVG, § 113 Abs. 5 Satz 1 GO NW, § 115 Abs. 1 Satz 1 KSVG Saarl., Art. 93 Abs. 2 Satz 2 BayGO). Einige Gesetze enthalten ausdrücklich nicht auf wichtige Angelegenheiten beschränkte Auskunftsrechte dieser Gremien (siehe § 97 Abs. 7 Satz 2 BbgKVerf, § 71 Abs. 4 Satz 2 KV MV, § 115 Abs. 1 Satz 2 KSVG Saarl.). Der unterschiedlich formulierte, wegen des Vorrangs der bundesrechtlichen Regelung insoweit nur deklaratorische Vorbehalt abweichender gesetzlicher Regelung (siehe etwa § 97 Abs. 7 Satz 4 BbgKVerf, § 71 Abs. 4 Satz 3 KV MV, § 138 Abs. 4 Satz 3 NKomVG, § 113 Abs. 5 Satz 2 GO NW, § 115 Abs. 1 Satz 3 KSVG Saarl.) trägt dem Umstand Rechnung, dass das Gesellschaftsrecht der Informationsweitergabe Grenzen setzt55. 34 Einige Gemeindeordnungen sehen keine ausdrückliche Informationspflicht vor. Da nach ihren Bestimmungen der Bürgermeister in jedem Fall zu den Vertretern der Gemeinde gehört und er ohnehin verpflichtet ist, den Gemeinderat zu informieren56, ist eine solche besondere Informationspflicht entbehrlich. Wie schon das Weisungsrecht zeigt (siehe etwa § 104 Abs. 1 Satz 3 GemO BW), wird auch in diesen gesetzlichen Rege-
51 Grawert, NWVBl. 1998, 209 (211). 52 von Mutius/Rentsch, § 102 GO Schl.-Holst. Rz. 11; zum Begriff des Vertreters der Gemeinde auch Koch, VerwArch 102 (2011), 1 ff. 53 LG Deggendorf v. 13.12.2004 – 3 O 520/04, BayVBl. 2006, 315. 54 Beispiele bei Darsow in Darsow/Gentner/Glaser/Meyer, § 71 Rz. 10. 55 Siehe auch Kühne/Czarnecki, LKV 2005, 481 ff. 56 OVG Nds. v. 3.6.2009 – 10 LC 217/07, DVBl 2009, 920 ff.
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lungen eine Information des Rates vorausgesetzt. Eine Informationspflicht ergibt sich schließlich in jedem Fall aus dem bestehenden Auftragsverhältnis57. Die landesrechtlichen Regelungen unterscheiden sich also nicht im 35 grundsätzlichen Bestehen eines Auskunftsrechts gegenüber dem Vertreter, sondern darin, welchem Gemeindeorgan dieses Recht zusteht und wie weit die Pflicht der Vertreter reicht, von sich aus Informationen weiterzugeben. Die Grenzen dieses Informationsrechts ergeben sich aus den gesell- 36 schaftsrechtlichen Bestimmungen58: Im Verhältnis zum Alleingesellschafter Gemeinde, dem Rat und seinen Mitgliedern entfalten sie bei der GmbH allerdings keine restriktive Wirkung59. Im Übrigen sind die Aufsichtsratsmitglieder zur Verschwiegenheit über „vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft“ verpflichtet60; für die GmbH mit fakultativem Aufsichtsrat kann im Gesellschaftsvertrag eine abweichende Regelung getroffen werden61. Maßstab ist die Sorgfalt eines „ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“. Dieselben Restriktionen gelten natürlich für die Weitergabe von Aufsichtsratsunterlagen62. Die unbefugte Offenbarung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen der 37 Aktiengesellschaft durch Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder ist strafbar (siehe § 404 AktG); dasselbe gilt für die unbefugte Verletzung der Geheimhaltungspflicht bei der GmbH63. Abweichend von der allgemeinen Regel bestimmt § 394 AktG64, dass Ver- 38 treter einer Gebietskörperschaft im Aufsichtsrat „hinsichtlich der Berichte, die sie der Gebietskörperschaft zu erstatten haben“, keiner Verschwiegenheitspflicht unterliegen; der Kreis der möglichen Adressaten einer Information ergibt sich aus § 395 Abs. 1 AktG; ob kommunale 57 Nach Rehn/Cronauge/von Lennep, § 113 Anm. III 3 aus der allgemeinen kommunalrechtlichen Treuepflicht. 58 Siehe § 116 i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG; § 52 Abs. 1 GmbHG i.V.m. § 116 i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG; dazu Klang/Gundlach, Vorbem. vor § 119 GO LSA Rz. 4; Darsow in Darsow/Gentner/Glaser/Meyer, § 71 Rz. 13 f. 59 BGH v. 11.11.2002 – II ZR 125/02, BGHZ 151, 339 (344 ff.); Meiski, BayVBl. 2006, 300 ff. 60 Dazu etwa Möller, S. 140 ff.; Meier/Wieseler, Gemhlt 1993, 174 (175 ff.); aus gesellschaftsrechtlicher Sicht Säcker, NJW 1986, 803 ff.; Schwintowski, NJW 1990, 1009 (1011 ff.). 61 Siehe § 52 Abs. 1 Halbs. 2 GmbHG; dazu BVerwG v. 31.8.2011 – 8 C 16.10, NJW 2011, 3735 (3736), VG Regensburg v. 2.2.2005 – 3 K 04.01.408, LKV 2005, 365 (368 ff.); a.A. Bäcker, Weisungsfreiheit und Verschwiegenheitspflicht kommunalgeprägter Aufsichtsräte, in Grundmann/Kirchner u.a. (Hrsg.), Festschrift für Eberhard Schwark zum 70. Geburtstag, S. 105 ff. 62 Zu möglichen Konflikten Meier, Gemhlt 1994, 248 ff. 63 Siehe dazu Meier/Wieseler, Gemhlt 1993, 174 (176). 64 Dazu ausführlich Schmidt-Aßmann/Ulmer, BB 1988, Beilage 13 zu Heft 27, 1 ff.; s. auch Schoepke, VBlBW 1994, 81 (87). Oebbecke
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Vertretungen dazu gehören können, ist umstritten65; die Bedenken ergeben sich aus ihrer Größe und erfahrungsgemäß zu erwartenden „Inkontinenz“. Eine analoge Anwendung auf die GmbH66 kommt wegen der dort ohnehin bestehenden Informationsbefugnisse (s. oben Rz. 36) nicht in Betracht. 39 Die gesellschaftsrechtliche Literatur verlangt für § 394 AktG eine gesetzliche Grundlage für die Berichtspflicht; soweit entsprechende gesetzliche Bestimmungen in den Gemeindeordnungen nicht enthalten sind, steht das Gesellschaftsrecht einer Weitergabe von Informationen häufig auch da entgegen, wo sie kommunalrechtlich geboten wäre. Teilweise wird der Anwendungsbereich der Bestimmung durch zusätzliche Voraussetzungen wie die einer „ins Gewicht fallenden“67 Beteiligung oder einer Mehrheitsbeteiligung weiter eingeschränkt68. Wie § 395 AktG zeigt, entbindet § 394 AktG im Übrigen nicht von der Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Gesellschaft; insbesondere wird die Verschwiegenheitspflicht auf diejenigen erstreckt, denen zu berichten ist.
II. Weisungsrechte 40 Das in fast allen Gemeindeordnungen ausdrücklich enthaltene (siehe § 97 Abs. 1 Satz 6 BbgKVerf, § 125 Abs. 1 Satz 4 HGO, § 71 Abs. 1 Satz 6 KV MV, § 137 Abs. 1 Satz 2 NKomVG, § 113 Abs. 1 Satz 2 GO NW, § 88 Abs. 1 Satz 6 GemO Rh.-Pf., § 98 Abs. 1 Satz 5 SächsGemO, § 119 Abs. 1 Satz 5 Halbs. 1 GO LSA, § 104 Abs. 2 i.V.m. § 25 Abs. 1 GO Schl.-Holst.) oder doch vorausgesetzte Weisungsrecht69 soll dem Rat ermöglichen, die Vertreter der Gemeinde in ihrem Verhalten auf die von der Gemeinde für richtig gehaltene Linie festzulegen. Es bezieht sich vom Umfang her auf den Gebrauch aller Rechte, die der Vertreter in dem Gesellschaftsorgan hat, also auch auf Informationsrechte70. Weil das Weisungsrecht der
65 Für den Rat ablehnend etwa Schmidt-Aßmann/Ulmer, BB 1988, Beilage 13 zu Heft 27, S. 1 (9); Klang/Gundlach, Vorbem. vor § 119 GO LSA Rz. 7; Noack, StuGR 1995, 379 (385 f.); Schwintowski, NJW 1990, 1009 (1014); bejahend von Danwitz, AöR 120 (1995), 594 (623 f.); sogar für die Fraktionen Meier/Wieseler, Gemhlt 1993, 174 (176); s. auch Schmidt, ZGR 1996, 345 ff. (352 f.); kritisch zu § 395 AktG F.-W. Held, WiVerw 1998, 264 (288). 66 Umstritten; s. dazu Möller, S. 236 ff.; gegen eine Verschwiegenheitspflicht im Verhältnis von Aufsichtsratsmitgliedern und dem gesetzlichen Vertreter des Gesellschafters Keßler, GmbHR 2000, 71 (77 f.); für Einmann-Gesellschaften s. Altmeppen, NJW 2003, 2561 ff. (2566) und jetzt BGH v. 11.11.2002 – II ZR 125/02, BGHZ 151, 339 (344 ff.). 67 Schmidt-Aßmann/Ulmer, BB 1988, Beilage 13 zu Heft 27, S. 1 (7); Vogel, StuGR 1996, 252 (254). 68 Etwa Möller, S. 153 m.w.N. 69 Siehe § 74 Abs. 1 Satz 2 ThürKO, Art. 93 Abs. 3 Satz 2 BayGO; Beispielsfälle bei Möller, S. 76 f. 70 Petri in Thieme, § 111 Rz. 3; Beckhof in Blum/Beckhof, § 111 Rz. 4.
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Steuerung der Gesellschaft durch die Gemeinde dienen soll, können die Vertreter der Gemeinde nur zu einer einheitlichen Stimmabgabe angewiesen werden71. Als solches rechtlich unproblematisch ist das Weisungsrecht für die Ver- 41 treter in den Anteilseignerorganen Hauptversammlung bzw. Gesellschafterversammlung72. Die Mitglieder der Aufsichtsräte von Aktiengesellschaften73 und GmbHs mit obligatorischem Aufsichtsrat74 müssen sich bei ihrer Tätigkeit dagegen ausschließlich am Wohl der Gesellschaft75 orientieren76; sie haben dabei aber auch die Gesellschafterinteressen einzubeziehen77. Bei der GmbH mit fakultativem Aufsichtsrat kann das Weisungsrecht im Gesellschaftsvertrag vorgesehen werden78; zu entsprechenden kommunalrechtlichen Gestaltungsvorschriften s. oben Rz. 64. Im Übrigen kann es also zu Konflikten kommen, wenn dem Vertreter Weisungen erteilt werden, die nach seiner Überzeugung nicht – wenigstens auch – dem Wohl der Gesellschaft entsprechen79, darüber hinausgehend will ein Teil des Schrifttums auch unternehmensfreundliche Weisungen für unzulässig halten80. Wenn in diesem Zusammenhang von gesellschaftsrechtlichen Grenzen 42 des kommunalen Weisungsrechts gesprochen wird, ist das jedoch nicht ganz präzise. Solche Grenzen sind dem Verhalten der Vertreter in den Organen der Gesellschaft gezogen; sie dürfen dagegen verstoßende Weisungen nicht befolgen. Tun sie es trotzdem, müssen sie dafür einstehen.
71 Mann, § 46 Kapitalgesellschaften, in Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Rz. 31. 72 Bauer/Böhle/Masson/Samper, Art. 93 BayGO Rz. 12; Engellandt, S. 4; zu Grenzen der Einflussnahme in der Hauptversammlung Schön, ZGR 1996, 429 ff. (447 f.). 73 Brüggemeier/Damm, S. 64. 74 Siehe dazu etwa Treder, Gemhlt 1986, 145 ff.; Weiblen/May, Gemhlt 1987, 169 ff.; Meier, VR 1998, 217 ff. 75 OVG NW v. 12.12.2006 – 15 B 2625/06, NVwZ 2007, 609; zu den Problemen der Bestimmung dieses Begriffs Möller, S. 37 ff. 76 Darsow in Darsow/Gentner/Glaser/Meyer, § 69 Rz. 8; Möller, S. 94 ff.; großzügiger für Einmann-Gesellschaften Altmeppen, NJW 2003, 2561 ff. (2565). 77 Lutter/Grunewald, WM 1984, 385 ff. (395); Schwintowski, NJW 1995, 1316 (1318); zurückhaltend dagegen Schön, ZGR 1996, 429 (450). 78 BVerwG v. 31.8.2011 – 8 C 16.10, NJW 2011, 3735 (3736); Schmidt, ZGR 1996, 345 (354 f.); dazu auch Engellandt, S. 3 Fn. 3; Möller, S. 224 ff.; Keßler, GmbHR 2000, 71 (76 f.); Bäcker, Weisungsfreiheit und Verschwiegenheitspflicht kommunalgeprägter Aufsichtsräte, in Grundmann/Kirchner u.a., Festschrift für Eberhard Schwark zum 70. Geburtstag, S. 105 ff. 79 § 88 Abs. 2 GemO Rh.-Pf. schreibt die einheitliche Stimmabgabe vor; zur Frage der Notwendigkeit einheitlicher Stimmabgabe im Übrigen Darsow in Darsow/ Gentner/Glaser/Meyer, § 71 Rz. 3; Schmid in Quecke/Schmid u.a., § 98 Rz. 21 ff.; Stüer, StuGR 1981, 243 ff. (250). 80 Schön, ZGR 1996, 429 (450 f.); Möller, S. 99 ff. m.w.N.; wie hier etwa Lutter/ Grunewald, WM 1984, 385 (396); Schwintowski, NJW 1990, 1009 (1013 f.). Oebbecke
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43 Daraus resultierende Haftungsfolgen werden ihnen wiederum durch den in diesen Fällen bestehenden Freistellungsanspruch abgenommen81 (s. unten Rz. 59). Nur soweit das Weisungsrecht in der Gemeindeordnung ausdrücklich unter den Vorbehalt entgegenstehender gesetzlicher Regelung gestellt ist (siehe § 125 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 1 HGO, § 71 Abs. 1 Satz 6 Halbs. 2 KV MV, § 113 Abs. 1 Satz 4 GO NW, § 119 Abs. 1 Satz 5 GO LSA), wird man einen entsprechenden Beschluss des Gemeinderates als rechtswidrig ansehen können82 mit der Folge, dass er kommunalaufsichtlich beanstandet werden kann. 44 Auf die Wirksamkeit der Erklärungen des Vertreters in der Gesellschaft bleibt auch ein Verstoß gegen eine wirksame Weisung ohne Einfluss83; der Vertreter kann aber zur Rechenschaft gezogen werden84. Die Erteilung von Weisungen als solche verstößt also nicht gegen das Gesellschaftsrecht85; ein solcher Verstoß liegt nur vor, wenn der Vertreter sich aufgrund einer Weisung zu einem nicht am Wohl der Gesellschaft orientierten Verhalten entschließt. 45 Allerdings muss die Gemeinde das Konzernrecht (siehe § 13 Rz. 164 ff.) beachten; für die Gesellschaft nachteilige Weisungen können die unbeschränkte Konzernhaftung auslösen, die die Gemeinde nach den Vorgaben der Gemeindeordnungen vermeiden muss. Aus diesem Grund sind auch Vorschläge, die gesellschaftsrechtlichen Restriktionen des Weisungsrechts etwa durch einen Beherrschungsvertrag zu lösen86, kommunalrechtlich ungeeignet87 (siehe § 8 Rz. 51). 46 Mit diesen Vorbehalten ist nach dem erwähnten Vorrang des Gesellschaftsrechts als Grenze des kommunalen Weisungsrechts das Wohl der Gesellschaft anzusehen; es bestimmt sich seinerseits nach dem Gesellschaftszweck. Je deutlicher die Gesellschaft durch ihren Gesellschaftsvertrag oder ihre Satzung auf andere Zwecke als die Gewinnerzielung ausgerichtet ist, umso seltener wird es zu solchen Konflikten kommen88.
81 So auch Schön, ZGR 1996, 429 (451). 82 Für grundsätzliche Zulässigkeit der Weisung schon Lutter/Grunewald, WM 1984, 385 (396). 83 Etwa Müller, NWVBl. 1997, 172 (174). 84 Held in Held u.a., § 113 GO NRW Anm. 8.2; Klang/Gundlach, § 119 GO LSA Rz. 4; Rehn/Cronauge/von Lennep, § 113 Anm. IV 4. 85 Etwa Müller, NWVBl. 1997, 172 (174). 86 So etwa Schmid in Quecke/Schmid, § 98 Rz. 45 ff.; ähnlich Schneider/Dreßler/ Lüll, § 122 Anm. 3 und 7; skeptisch Cronauge/Westermann, Rz. 225. 87 So auch Möller, S. 263 ff.; Gundlach/Frenzel/Schmidt, LKV 2001, 246 ff. (248 f.); entsprechende Bedenken auch bei Schmidt, ZGR 1996, 345 (360 f.); einschränkend Spannowsky, ZHR 1996, 560 (583). 88 So auch Mann, VBlBW 2010, 7 (14 und 17).
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III. Inhaltliche Bindungen Mit derselben Formulierung verpflichten die Gemeindeordnungen von 47 Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz die Vertreter der Gemeinde im Aufsichtsrat oder einem anderen Überwachungsorgan, „auch die besonderen Interessen der Gemeinde zu berücksichtigen“ (siehe § 104 Abs. 3 GemO BW, § 88 Abs. 4 GemO Rh.-Pf.). Diese Interessenberücksichtigungspflicht ergibt sich auch ohne ausdrückliche gesetzliche Begründung aus dem Auftragsverhältnis zur Gemeinde. Die beiden Gesetze stellen aber die Bedingtheit dieser Pflicht klar heraus. 48 Durch das „auch“ macht die Formulierung deutlich, dass die Berücksichtigung der Gemeindeinteressen nur soweit in Betracht kommt, wie die Gesellschaftsinteressen, auf die die Vertreter im Aufsichtsrat verpflichtet sind, dies zulassen; „berücksichtigen“ bedeutet im Gegensatz zu „beachten“ keine strikte Bindung, sondern lediglich die Verpflichtung, die gemeindlichen Interessen in die eigenen Abwägungen einzubeziehen89. Eine inhaltliche Bindung für die Entscheidung in den Gesellschaftsgre- 49 mien enthalten auch Bestimmungen, nach denen die Gemeinde einer Beteiligung der Gesellschaft (mittelbare Beteiligung) nur unter denselben oder ähnlichen Bedingungen zustimmen darf, unter denen sie selbst Beteiligungen erwerben darf (siehe § 105a Abs. 1 GemO BW, § 108 Abs. 5 Satz 1 GO NW, § 112 Abs. 1 KSVG Saarl., § 91 Abs. 1 GemO Rh.-Pf., § 102 Abs. 5 Satz 1 GO Schl.-Holst., Art. 92 Abs. 2 BayGO). Wenn die Bestimmungen davon sprechen, die „Gemeinde“ dürfe der mittelbaren Beteiligung nur unter den dort genannten Bedingungen zustimmen, erstreckt sich diese Bindung selbstverständlich auch auf ihre Vertreter (s. oben Rz. 47). Mit Ausnahme Nordrhein-Westfalens und Bayerns gelten diese Bestim- 50 mungen nur für Gesellschaften mit kommunaler Mehrheitsbeteiligung. Die Gesetze dieser beiden Länder lassen allerdings offen, welche Rechtsfolge eintritt, wenn die Kommune sich bei der Entscheidung über eine mittelbare Beteiligung nicht durchsetzen kann. Die Annahme, die Gemeinde sei dann verpflichtet, sich aus der Gesellschaft zurückzuziehen90, findet in den gesetzlichen Vorschriften keine Stütze; dagegen spricht auch, dass sie den anderen Gesellschaftern ein Mittel in die Hand gäbe, die Kommune aus der Gesellschaft zu drängen.
89 Die Notwendigkeit, sich höchstpersönlich ein Urteil zu bilden, betont in Anlehnung an das gesellschaftsrechtliche Schrifttum zu Recht Gross, S. 89. 90 Hölzl/Hien/Huber, Art. 92 BayGO Anm. 2 S. 5. Oebbecke
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IV. Rückbindungsvorbehalte 51 Ein Mittel, mit dem Gesetzgeber in den Ländern in den letzten Jahren versucht haben, ein Auseinanderdriften der Gesellschaftstöchter im „Konzern Stadt“ zu verhindern, ist die engere Anbindung der Vertreter der Kommune in den Gesellschaftsgremien an die Willensbildung der Kommune vor allem bei solchen Geschäften, die als besonders problematisch angesehen werden91. 52 Das allgemeine Weisungsrecht setzt auch bei Vorliegen der notwendigen Informationen voraus, dass die Kommune von sich aus aktiv wird. Den erforderlichen Aufwand werden die Beteiligten im für sie meistens unproblematisch aussehenden Normalfall in der Regel vermeiden. Deshalb binden einige Gemeindeordnungen92 die Vertreter in den Gesellschaftsgremien, solchen Maßnahmen erst zuzustimmen, wenn der Rat zugestimmt oder doch mindestens über die Maßnahme beraten hat93. Die ohne diese Beteiligung der Gemeinde erfolgte Zustimmung ist gesellschaftsrechtlich wirksam, kann aber eine Haftpflicht des Vertreters gegenüber der Kommune auslösen94 oder kommunalrechtliche Sanktionen gegen den Vertreter nach sich ziehen95. Auf diesem Wege wird die Kommune gezwungen, den nötigen Beratungs- und Entscheidungsaufwand zu erbringen und sich mit den Gründen und Auswirkungen der jeweiligen Entscheidungen auseinander zu setzen. Die gesetzlichen Regelungen sind vor allem hinsichtlich der Anforderungen an die Höhe der Beteiligung recht unterschiedlich ausgestaltet. 53 Als Geschäfte der Gesellschaft, die aus der Sicht der Gemeinde einen solchen Rückbindungsvorbehalt rechtfertigen, werden wegen des finanziellen Risikos Kreditaufnahmen (siehe § 71 Abs. 4 Satz 2 KV MV, § 138 Abs. 5 NKomVG) angesehen. Diese Bestimmungen setzen eine kommunale Mehrheitsbeteiligung an der Gesellschaft voraus und sollen der Kontrolle der mittelbaren Verschuldung dienen96; sie kommen nur zum Zuge, wenn die entsprechenden Organe für Entscheidungen über die Kreditaufnahme zuständig sind97. 54 Wegen der im mehrstufigen Konzern wachsenden Steuerungsprobleme und Risiken bestehen Rückbindungsvorbehalte auch für den Erwerb oder die Errichtung mittelbarer Beteiligungen. Sie stehen in allen Fällen neben den oben (Rz. 49) erwähnten materiellen Bindungen, die dadurch eine Absicherung und Verstärkung erfahren. Während § 88 Abs. 5 Satz 1 GO Rh.Pf. eine Beratungspflicht der „zuständigen Organe der Gemeinde“, aber 91 92 93 94 95 96 97
Zur Vereinbarkeit mit der Selbstverwaltungsgarantie s. Brenner, LKV 2002, 7 ff. Siehe § 108 Abs. 6 GO NW, § 138 Abs. 5 NKomVG, § 74 Abs. 1 ThürKO. Siehe dazu Engellandt, DÖV 1996, 71 ff. Rehn/Cronauge/von Lennep, § 113 Anm. II 1. Darsow in Darsow/Gentner/Glaser/Meyer, § 72 Rz. 4. Beckhof in Blum/Beckhof, § 111 Rz. 7. Thiele, § 111 Anm. 6.
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nur die Möglichkeit der Beschlussfassung vorsieht, verlangen § 108 Abs. 5 Satz 1 GO NW und § 102 Abs. 5 Satz 1 GO Schl.-Holst. eine ausdrückliche Zustimmung des Rates. Bedenken begegnet die Auffassung, die Vertreter der Gemeinde dürften sich der Stimme enthalten, ohne die Genehmigung des Rates einzuholen, wenn aufgrund der Mehrheitsverhältnisse in der Gesellschaft feststeht, dass die Entscheidung über die mittelbare Beteiligung positiv getroffen wird98. Der Schutzzweck der Rückbindungsvorbehalte gebietet es anzunehmen, 55 dass sie nicht erst bei den Erfüllungsgeschäften, sondern bereits beim Eingehen der entsprechenden schuldrechtlichen Verpflichtungen eingreifen99.
V. Abführungspflicht Die Mitglieder von Aufsichtsräten und ähnlichen Organen erhalten in 56 der Regel eine Vergütung. Die meisten Gemeindeordnungen treffen dazu keine ausdrückliche Regelung. Einige Länder ordnen die Abführung solcher Vergütungen an die Gemeinde an (siehe § 97 Abs. 8 Satz 1 BbgKVerf, § 125 Abs. 1 Satz 7 HGO, § 71 Abs. 5 KV MV, § 138 Abs. 7 NKomVG), allerdings wird diese Abführungspflicht in Brandenburg und Niedersachsen auf den Teil beschränkt, der eine angemessene Aufwandsentschädigung übersteigt. Insoweit dürften diese Regelungen deklaratorisch sein; der Ausgleich für den tatsächlichen Aufwand muss dem Vertreter belassen werden. Für seine Bemessung kann auf die Entschädigungsvorschriften zurückgegriffen werden100. Soweit die Länder keine ausdrücklichen Bestimmungen treffen, verblei- 57 ben Vergütungen bei den Organmitgliedern, falls diese nicht hauptamtlich bei der Gemeinde tätig sind. Im Übrigen ist zu differenzieren, ob es sich um eine im Rahmen des Hauptamtes oder als Nebentätigkeit wahrzunehmende Aufgabe handelt101. Bei Nebentätigkeiten ist der die landesrechtlichen Freigrenzen jährlich übersteigende Betrag abzuführen; für hauptamtlich wahrgenommene Tätigkeiten wird eine Pflicht zur vollständigen Abführung angenommen102.
98 Held in Held u.a., § 108 GO NRW Anm. 6.2. 99 von Mutius/Rentsch, § 103 GO Schl.-Holst. Rz. 2. 100 Darsow in Darsow/Gentner/Glaser/Meyer, § 71 Rz. 15; Thiele, § 111 Anm. 8; a.A. Petri in Thieme, § 111 Rz. 13, der auf die Größe des Unternehmens abstellen will. 101 § 71 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 KV MV stellt ausdrücklich klar, dass der Bürgermeister im Hauptamt tätig wird. 102 Oster in Gabler/Höhlein/Klöckner u.a., Kommunalverfassungsrecht Rheinland-Pfalz, § 88 GemO Rh.-Pf. Anm. 4. Oebbecke
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VI. Haftungsfragen 58 Die Organmitglieder von Gesellschaften haben der Gesellschaft gegenüber für die ordnungsgemäße Aufgabenwahrnehmung einzustehen. Die Haftung richtet sich nach den allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Regeln103. 59 Für den Fall, dass die Vertreter der Gemeinde wegen ihrer Tätigkeit haftbar gemacht werden, sieht das Gemeinderecht aller Länder Rückgriffsmöglichkeiten gegen die Gemeinde vor (siehe § 97 Abs. 6 BbgKVerf, § 125 Abs. 3 HGO, § 71 Abs. 3 KV MV, § 138 Abs. 6 NKomVG, § 113 Abs. 6 GO NW, § 88 Abs. 6 GemO Rh.-Pf., § 114 Abs. 5 KSVG Saarl., § 98 Abs. 3 SächsGemO, § 119 Abs. 3 GO LSA, § 25 Abs. 3 GO Schl.-Holst., § 74 Abs. 3 ThürKO, Art. 93 Abs. 3 BayGO); der Rückgriff ist ausgeschlossen bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit, es sei denn, das haftungsauslösende Verhalten beruhte auf einer Weisung der Gemeinde. 60 Soweit es sich bei den Vertretern um gemeindliche Beamte handelt, bestehen daneben Freistellungs- oder Ersatzansprüche aus Beamtenrecht.
F. Veräußerung von Beteiligungen 61 In Parallele zu Vorschriften über die Veräußerung kommunalen Vermögens104 treffen die Gemeindeordnungen Regelungen über die Veräußerung von Beteiligungen. Als Risiken, die bei der Veräußerung einer Beteiligung auftreten können, sehen sie vor allem eine Gefährdung der Aufgabenerledigung an; wird diese beeinträchtigt, ist die Veräußerung einer Beteiligung (siehe § 100 SächsGemO) oder auch andere Rechtsgeschäfte, durch die eine Gemeinde ihre Einflussmöglichkeiten auf eine Gesellschaft vermindert105, unzulässig (siehe § 124 Abs. 1 HGO, § 111 Abs. 1 GO NW, § 113 KSVG Saarl., § 122 Abs. 1 GO LSA, § 103 Abs. 1 GO Schl.Holst.). 62 Diese Regelung wird teilweise auf Gesellschaften erstreckt, an denen die Gemeinde mehrheitlich beteiligt ist (siehe § 124 Abs. 2 HGO, § 111 Abs. 2 GO NW, § 103 Abs. 2 GO Schl.-Holst.); insoweit handelt es sich um inhaltliche Leitlinien im Sinne von Rz. 47 ff. Sie sollen auch eine gründliche Abwägung der für und gegen die vorgesehene Entscheidung sprechenden Argumente in der Kommune sicherstellen106; dabei ist etwa
103 Dazu etwa Kau/Kukat, BB 2000, 1045 ff. 104 Decker in Held u.a., § 111 GO NRW Anm. 1; Rehn/Cronauge/von Lennep, § 111 Anm. I 1. 105 Dazu etwa Decker in Held u.a., § 111 GO NRW Anm. 2. 106 Rehn/Cronauge/von Lennep, § 111 Anm. II 2.
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G. Berichtspflichten
an die Veräußerung von Entsorgungs- oder Verkehrsunternehmen an Private mit den daraus resultierenden Risiken gedacht107. Recht verstanden gelten diese Bestimmungen nur für Pflichtaufgaben; 63 freiwillige Aufgaben darf die Gemeinde aufgeben, und es ist kein Grund ersichtlich, warum sie dies nicht auch durch die Veräußerung einer Beteiligung tun dürfte108. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass in der Regel die Liquidation einer Gesellschaft nicht geregelt ist109. Auch die niedersächsische Formulierung, wonach die Veräußerung von Anteilen usw. „im wichtigen Interesse der Gemeinde“ liegen muss (siehe § 148 Abs. 1 Satz 1 NKomVG), ist bei freiwilligen Aufgaben verfassungskonform dahin auszulegen, dass irgendein Interesse ausreicht. Wegen der nicht nur hier vorgesehenen aufsichtlichen Beteiligung (siehe etwa § 152 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8, Abs. 2 NKomVG, § 115 Abs. 1 Satz 1 lit. c GO NW) kommt dieser Frage auch praktisch erhebliche Bedeutung zu. Auch bei Pflichtaufgaben schließt nicht jede Aufgabenbeeinträchtigung die Aufgabe einer Beteiligung aus; die Gemeinde muss vielmehr eine umfassende Abwägungsentscheidung treffen, bei der die Auswirkungen auf ihre gesamte Aufgabenerfüllung ins Auge gefasst werden110. Anderweit eintretende Vorteile können also Nachteile bei der durch die Gesellschaft wahrgenommenen Aufgabe kompensieren.
G. Berichtspflichten Im Zusammenhang mit der Steuerungsdiskussion der letzten Jahre sind 64 in vielen Ländern Berichtspflichten der Kommunen über ihr gesellschaftsrechtliches Engagement gesetzlich begründet oder deutlich ausgedehnt worden111. Diese Beteiligungsberichte sollen den Gemeinderat und die Einwohner der Gemeinde informieren. Sie werden in leicht unterschiedlicher Form öffentlich zugänglich gemacht. Teilweise besteht die Pflicht zur Vorlage bei der Aufsichtsbehörde (siehe 65 § 82 Abs. 5 Satz 3 i.V.m. Abs 2 Satz 2 Nr. 5 BbgKVerf). Soweit in der gesetzlichen Regelung nicht ausdrücklich etwas anderes vorgesehen ist, ist über alle, auch kleinste Beteiligungen zu berichten112. Der unterschiedli-
107 Beispiele etwa bei Schmid in Quecke/Schmid, § 100 Rz. 8 ff. 108 Ähnlich Darsow in Darsow/Gentner/Glaser/Meyer, § 74 Rz. 3. 109 von Scheliha/Sprenger in Borchert u.a. Kommunalverfassungsrecht SchleswigHolstein, § 103 SHGO Rz. 1. 110 Klang/Gundlach, § 122 GO LSA Rz. 5. 111 Siehe § 105 Abs. 2–4 GemO BW, §§ 82 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5, 83 Abs. 4 Satz 2 Nr. 5 BbgKVerf, § 73 Abs. 3 KV MV, § 151 NKomVG, § 117 GO NW, § 90 Abs. 2 GemO Rh.-Pf., § 115 Abs. 2 KSVG Saarl., Art. 94 Abs. 3 BayGO, § 118 Abs. 2 GO LSA; zur Verfassungsmäßigkeit VerfGH Rh.-Pf. v. 28.3.2000 – VGH N 12/98, NVwZ 2000, 801 (805 f.); zur Praxis Schefzyk, S. 286 ff. 112 A.A. Rehn/Cronauge/von Lennep, § 112 Anm. V 2. Oebbecke
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chen Bedeutung der Beteiligung kann durch unterschiedliche Ausführlichkeit der Darstellung Rechnung getragen werden. 66 Die landesrechtlichen Regelungen unterscheiden sich danach, ob die Berichtspflicht für alle Beteiligungen gilt oder nur für Beteiligungen bestimmter Höhe. Auch der gesetzlich vorgeschriebene Mindestinhalt differiert. Als obligatorische Berichtspunkte bei Mehrheitsbeteiligungen werden in den ausführlichsten Vorschriften (siehe § 105 Abs. 2 Satz 2 GemO BW, § 90 Abs. 2 Satz 2 GemO Rh.-Pf., § 118 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 GO LSA) genannt: – Gegenstand des Unternehmens – Beteiligungsverhältnisse – Organbesetzung (Mangels einer ausdrücklichen Beschränkung der Berichtspflicht auf bestimmte Mindestbeteiligungen hat der Bericht insoweit alle Organe zu erfassen; eine Beschränkung auf das Geschäftsführungsorgan genügt nicht. Der Zweck des Berichts, auch die Bürger zu unterrichten, verlangt gerade auch eine Information über die Besetzung der Aufsichtsorgane.)113 – Beteiligungen des Unternehmens – Stand der Zweckerfüllung – Grundzüge des Geschäftsverlaufs – Lage des Unternehmens – Kapitalzuführungen und -entnahmen durch die Gemeinde – Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach Gruppen – wichtigste Kennzahlen der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage – die Gesamtbezüge114 jeweils für die Mitglieder der Geschäftsführung und des Aufsichtsrates; nach einzelnen Landesrechten sind nach Möglichkeit die Einzelbezüge zu publizieren115 (diese Bestimmung wird durch eine Einflussnahmerichtlinie abgesichert)116 – Rheinland-Pfalz verlangt darüber hinaus noch Ausführungen zum Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die wirtschaftliche Betätigung (siehe § 90 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 GemO Rh.-Pf.). 67 Der Bericht muss den Grundsätzen der Richtigkeit, Klarheit, Vollständigkeit, Vergleichbarkeit, Wirtschaftlichkeit und Wesentlichkeit genügen117.
113 114 115 116 117
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A.A. Rehn/Cronauge/von Lennep, § 112 Anm. V 3. Zum Begriff Hölzl/Hien/Huber, Art. 90 BayGO Anm. 1. Siehe Art. 94 Abs. 3 Satz 2 und 3 BayGO; § 123 HGO. Siehe Art. 94 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayGO. Schefzyk, S. 156 ff. m.w.N.
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G. Berichtspflichten
Im Schrifttum werden Vorschläge für den Aufbau und den Inhalt der Berichte gemacht. Danach kommt etwa folgender Aufbau in Betracht118:
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A. Vorbericht 1. Trägerprofil 2. Rahmenbedingungen und Unternehmenssteuerung 3. Unternehmensübersicht B. Einzelbericht 1. Beteiligungsverhältnisse und Beteiligungen des Unternehmens 2. Unternehmensorgane 3. Personalausstattung 4. Öffentliche Zweckerfüllung 5. Wirtschaftliche Lage 6. Zukünftige Entwicklung 7. Finanzielle Auswirkungen auf die Kommune C. Konzernbericht 1. Allgemeine Angaben 2. Wirtschaftliche Lage des Konzerns 3. Zukünftige Entwicklung 4. Finanzielle Auswirkungen auf die Kommune. Auch wenn das nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist, sprechen gute Gründe dafür, auch rechtlich verselbständigte Unternehmen in einer Rechtsform des öffentlichen Rechts in die Berichterstattung einzubeziehen.
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Die Berichtspflicht verfolgt primär den Zweck der besseren Unterrich- 70 tung der Öffentlichkeit und des Rates; sie hat den Nebeneffekt, dass die für die Erstellung des Berichts verantwortliche Verwaltungsleitung genötigt wird, sich zur Erstellung des Berichts die nötigen Informationen zu beschaffen und sich Rechenschaft über den Stand der jeweiligen Beteiligung zu geben. Die Berichtspflicht verbessert auch damit die Steuerung und Kontrolle der Gesellschaften119. Nordrhein-Westfalen sieht ergänzend vor, dass Jahresabschluss, Lagebericht und Bericht über die Einhaltung des öffentlichen Zwecks der Gesell-
118 Nach Schefzyk, S. 137 ff. 119 Rehn/Cronauge/von Lennep, § 112 Anm. V 1. Oebbecke
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schaften, an denen eine Mehrheitsbeteiligung besteht, dem Haushaltsplan beizufügen sind120.
H. Haftung der Gemeinde für die Gesellschaft 72 Die kommunale Eigengesellschaft ist insolvenzfähig121. Die Frage nach der Haftung stellt sich im Insolvenzfall im Verhältnis zwischen Kommune und Gesellschaft oder zwischen Kommune und Dritten. 73 Besondere öffentlich-rechtliche Haftungsregeln greifen in beide Richtungen nicht: Amtshaftungsregeln sind in der Regel nicht anwendbar, weil es an der Drittbezogenheit der entsprechenden Pflichten fehlt. Spezifische öffentlich-rechtliche Einstandspflichten nach Art der früher geltenden sparkassenrechtlichen Gewährträgerhaftung (im Verhältnis zu Dritten) und Anstaltslast (im Verhältnis zur Gesellschaft) sind nach zutreffender Auffassung bei privatrechtlichen Gesellschaften nicht anzuerkennen122. In vielen Fällen mag es ein Gebot der Vernunft sein, die Insolvenz einer Eigengesellschaft zu verhindern123: Eine Rechtspflicht dazu besteht schon wegen des gemeinderechtlichen Gebots der Haftungsbegrenzung grundsätzlich nicht124. Das gilt auch dann, wenn die Kommune durch die Gesellschaft eine Pflichtaufgabe wahrgenommen hat, ist sie doch frei darin, dies künftig auf anderem Wege zu tun. 74 Nach den allgemeinen zivilrechtlichen Haftungsregeln haftet die Gemeinde für ihre Vertreter nach § 831 BGB, für den Bürgermeister als verfassungsmäßig berufenen Vertreter nach §§ 31, 89 BGB. 75 Nach § 117 Abs. 1 AktG haftet die Gemeinde der Gesellschaft und ihren Aktionären, wenn sie vorsätzlich ihren Einfluss auf die Gesellschaft dazu benutzt hat, ein Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied zu gesellschaftsschädlichen Handlungen zu bestimmen. Tatbestandliche Voraussetzungen sind125: – Einfluss auf die Gesellschaft; dieser Einfluss kann auch im Einfluss auf ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied bestehen. – punktuelle Einflussnahme auf die Gesellschaft. Die Einflussnahme muss rechtswidrig sein. Wer seinen Einfluss lediglich benutzt, um si-
120 Siehe § 108 Abs. 2 Satz 2 GO NW; dazu Rehn/Cronauge/von Lennep, § 108 Anm. VI 3. 121 Kuhl/Wagner, ZIP 1995, 433 (434 f.); Gundlach, LKV 2000, 58 (59). 122 Zum Streitstand Kuhl/Wagner, ZIP 1995, 433 (435 ff.); Haibt, S. 20 ff.; Schwintowski, NVwZ 2001, 607 ff. (609). 123 Schneider/Dreßler/Lüll, § 122 Anm. 6; zu beihilferechtlichen Fragen eines Verlustausgleichs Jeschke/Scholz, VR 2009, 249 ff. 124 Gundlach, LKV 2000, 58 (59 f.). 125 Brüggemeier/Damm, S. 68 ff.
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H. Haftung der Gemeinde für die Gesellschaft
cherzustellen, dass die Gesellschaft sich satzungsgemäß verhält, handelt nicht rechtswidrig. Deshalb kommt der satzungsrechtlichen Ausrichtung der Gesellschaft auf den von der Gemeinde verfolgten Zweck auch haftungsrechtlich große Bedeutung zu. – Maßnahme der Gesellschaft – Schaden der Gesellschaft – doppelte Kausalität. Die Einfluss nehmende Stelle muss keinen wirtschaftlichen Vorteil durch die Einflussnahme erzielen oder auch nur erzielen wollen. Bei der GmbH wie bei der AG kommt bei der Einflussnahme durch einen 76 Gesellschafter die Haftung aus Verletzung einer gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht in Betracht126. Selbstverständlich haftet die Kommune Dritten im Übrigen nach den allgemeinen Regeln für die Durchgriffshaftung127. Daneben spielt vor allem das Konzernrecht eine wichtige Rolle für die 77 kommunale Beteiligungsverwaltung128 (siehe § 13). Regelmäßig wird kein Beherrschungsvertrag zwischen der Kommune und der Aktiengesellschaft bestehen (s. oben § 8 Rz. 51, 64). Deshalb finden die Regeln über den faktischen Konzern (siehe §§ 311 ff. AktG) Anwendung129 (siehe § 13 Rz. 164 ff.). Die Grundidee besteht darin, beim Vorliegen eines faktischen Beherrschungsverhältnisses das herrschende Unternehmen, das auch eine Körperschaft des öffentlichen Rechts sein kann130, zum Ausgleich für nachteilige Einflussnahmen auf die abhängige Gesellschaft zu verpflichten (siehe § 311 AktG). Erfolgt der Ausgleich nicht, richtet sich die Haftung nach § 317 AktG: das herrschende Unternehmen ist der Gesellschaft und den Aktionären zum Schadensersatz verpflichtet. Die Bestimmungen der §§ 302 f. AktG werden auf den sog. qualifiziert-faktischen Konzern analog angewandt. Daneben haften die gesetzlichen Vertreter. Im Einzelnen ist hier manches, auch das Verhältnis zwischen den §§ 117 78 und 317 AktG, umstritten. Teilweise andere Voraussetzungen gelten für die Haftung im sog. GmbH-Konzern131. Die vorliegende Rechtsprechung
126 Möller, S. 121 ff. 127 Gundlach, LKV 2000, 58 (62 f.). 128 Siehe die Darstellungen bei Oster in Gabler/Höhlein/Klöckner u.a., Kommunalverfassungsrecht Rheinland-Pfalz, § 88 GemO Rh.-Pf. Anm. 8; Haibt, S. 23 ff.; Koch, DVBl 1994, 667 ff.; Kuhl/Wagner, ZIP 1995, 433 (443 ff.); Gundlach, LKV 2000, 58 ff. (60 ff.); Noack, StuGR 1995, 379 (383 f.); Oebbecke, VBlBW 2010, 1 ff. (3 f.). 129 Brüggemeier/Damm, S. 74 ff.; Möller, S. 251 ff. m.w.N. 130 von Mutius/Nesselmüller, NJW 1976, 1878 f.; Koch, DVBl 1994, 667 (668 ff.); Noack, StuGR 1995, 379 ff. (382); Ehlers, DVBl 1997, 137 (139 f.); Oebbecke, VBlBW 2010, 1 ff. (2). 131 Dazu Haibt, S. 27 ff. Oebbecke
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Rechtliche Vorgaben für die Führung kommunaler Gesellschaften
nimmt eine Haftung nur bei Missbrauch der Leitungsmacht an132. Eine sachgerechte Festlegung der Gesellschaftsaufgaben in Satzung oder Gesellschaftsvertrag schließt einen Missbrauch von Einfluss und damit die Haftung aber insoweit aus133 (s. oben § 8 Rz. 38 ff.).
132 OLG Celle v. 12.7.2000 – 9 U 125/99, NVwZ-RR 2000, 754 ff.; LG Hannover v. 9.3.1999 – 24 O 68/94, NdsVBl. 1999, 221 ff.; s. auch Gundlach, LKV 2000, 58 (60); Koch, DVBl 1994, 667 ff. (673 f.); Koch, NdsVBl. 1999, 206 ff.; Oebbecke, VBlBW 2010, 1 ff. (3 f.). 133 Siehe etwa Noack, StuGR 1995, 379 (384).
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Vierter Teil: Relevante Rechtsgebiete für wirtschaftliche Betätigung von Kommunen § 10 Wettbewerbsrecht von Rechtsanwalt Dr. Herwig Lux1 Rz. A. Wettbewerbsrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Problemaufriss; Einführung . . II. Lauterkeits- und Kartellrecht .
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III. Die geschäftliche Handlung . . 1. Geschäftliche Handlung als Verhalten „einer Person“ . . 2. Geschäftliche Handlung als Verhalten zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens (Unternehmensbezug) . . . . . . . . . . 3. Objektiver Zusammenhang mit Förderung des Absatzes oder Bezugs von Waren oder Dienstleistungen (Absatzförderungszusammenhang) . . . 4. Vorliegen einer geschäftlichen Handlung bei der öffentlichen Hand und öffentlichen Unternehmen . . . . . a) Tätigwerden in Erfüllung gesetzlicher Pflichten . . b) Art der zugrunde liegenden Normen . . . . . . . . c) Art der Ausgestaltung der Beziehungen zu Mitgliedern oder Benutzern . . . d) Art der Organisation der Tätigkeit durch die öffentliche Hand . . . . . . e) Einseitige Nennungen und Empfehlungen von Unternehmen . . . . . . .
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Rz. f) Auskünfte oder Empfehlungen . . . . . . . . . . . g) Bloße Nachfragetätigkeit . h) Zurücktreten der Wettbewerbsförderungsabsicht (des Absatzförderungszusammenhangs) hinter die Aufgabe der Sorge für Sicherheit . . . . . . . . . IV. Rechtsweg . . . . . . . . . . . . 1. Problemaufriss . . . . . . . . 2. Rechtswegabgrenzung . . . . B. Grenzen der Aufnahme wirtschaftlicher Tätigkeit: Durchsetzung durch das Wettbewerbsrecht? . . . . . . . . . . I. Keine Durchsetzung des Kommunalrechts über § 3 Abs. 1 UWG . . . . . . . . . . . . . . . II. Keine Erweiterung der Rechtsschutzmöglichkeiten . . . . . . III. Prozessuale Möglichkeiten . . . C. Fallgruppen wettbewerbswidrigen Verhaltens . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . II. Pflicht zur generellen Zurückhaltung? . . . . . . . . . . . . . III. Verquickung von Funktionen . 1. Ausgangslage; Grundauffassung . . . . . . . . . . . . . . 2. Beispiele für unzulässige Verquickungen . . . . . . . .
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1 Der Verfasser dankt Frau Linda Bittner, LL.M. für ihre Unterstützung bei der Aktualisierung für die vorliegende Auflage. Lux
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Wettbewerbsrecht Rz.
a) Doppelaufgabe einer Stelle . . . . . . . . . . . . b) Räumliche Nähe . . . . . c) Leistungserbringung durch Dritte . . . . . . . . d) Sonstige Verquickung . . IV. Missbrauch von Autorität oder Hoheitsbefugnissen . . . . . . . 1. Missbrauch von Hoheitsbefugnissen . . . . . . . . . . 2. Inanspruchnahme hoheitlicher Autorität . . . . . . . . . a) Inanspruchnahme öffentlicher Autorität nicht generell wettbewerbswidrig; Neutralitätspflicht . .
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Rz. b) Auskünfte und Empfehlungen . . . . . . . . . . . c) Äußerungen Dritter . . . 3. Prozessuales . . . . . . . . . V. Preisunterbietung . . . . . . . . VI. Faktische Bevorzugung bestimmter Unternehmen . . . . VII. Abwehr unlauteren Verhaltens Dritter . . . . . . . . . . . . . .
81 87 88 93 96 97
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Literatur: Alexander, Öffentliche Auftragsvergabe und unlauterer Wettbewerb – Zum Rechtsschutz des Bieters im fehlerhaften Vergabeverfahren nach Vergaberecht und UWG, WRP 2004, 700; Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/Plaß, Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2005; Fezer, Lauterkeitsrecht, Kommentar zum Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), Bände 1 und 2, 2. Aufl. 2010; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Band 1, Allgemeiner Teil, 10. Aufl. 1973; Frenz, Kommunalwirtschaft außerhalb des Wettbewerbsrechts?, WRP 2002, 1367; Frenz, Wettbewerb in der Abfallwirtschaft, WRP 2003, 455; von Gamm, Verfassungs- und wettbewerbsrechtliche Grenzen des Wettbewerbs der öffentlichen Hand, WRP 1984, 303; Gloy/Loschelder/Erdmann, Handbuch des Wettbewerbsrechts, 4. Aufl. 2010; Gomille, Äußerungsfreiheit und geschäftliche Handlung, WRP 2009, 525; Gröning, Kommunalrechtliche Grenzen der wirtschaftlichen Betätigung der Gemeinden und Drittschutz auf dem ordentlichen Rechtsweg, WRP 2002, 17; Harms, Unlauterer Wettbewerb durch wirtschaftliche Aktivitäten öffentlicher Hände, BB 1986, Beilage 17, 2; Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), 2. Aufl. 2009; Haslinger, Schutzlos gegen rechtswidrigen Marktzutritt der öffentlichen Hand? – „Erwünschte Belebung des Wettbewerbs“?, WRP 2002, 1023; Hauck, Dabeisein ist alles . . . – Der Rechtsschutz privater Unternehmen gegen die Teilnahme der öffentlichen Hand am Wettbewerb, WRP 2006, 323; Hauck, Der „Standortvorteil“ im Wettbewerb, Problematik der Chancengleichheit zwischen kommunalen und privaten Anbietern, GRUR 2008, 665; Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 27. Aufl. 2008; Köhler, Die UWG-Novelle 2008, WRP 2009, 109; Köhler, Ein Jahr nach der UWG-Reform – Der Einfluss der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken auf das UWG, GRUR Prax. 2009, 47; Köhler, Unzulässige geschäftliche Handlung bei Abschluss und Durchführung eines Vertrags, WRP 2009, 898; Köhler, Wettbewerbsverstoß durch rechtswidrigen Marktzutritt?, GRUR 2001, 777; Köhler/Bornkamm, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 30. Aufl. 2012; Mand, Erwerbswirtschaftliche Betätigung öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten außerhalb des Programms, 2002; Otting, Die Aktualisierung öffentlich-rechtlicher Schranken kommunalwirtschaftlicher Betätigung durch das Wettbewerbsrecht, DÖV 1999, 549; Otting, Hebel der Privaten, Der Gemeinderat 1998, 46; Otting, Sittenwidriger Nachhilfeunterricht in der Volkshochschule? Anmerkungen zu einem Urteil des OLG Düsseldorf, in SächsVBl. 1998, 93; Otting, Unlauterer Wettbewerb zwischen Kommunen und privaten Unternehmen, KommunalPraxis
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§ 10
A. Wettbewerbsrechtliche Grundlagen
SW 1999, 148; Pagenkopf, Einige Betrachtungen in den Grenzen für die privatwirtschaftliche Betätigung der Gemeinden – Grenzen für die Grenzzieher?, GewArch 2000, 177; Piper, Zum Wettbewerb der öffentlichen Hand, GRUR 1986, 574; Piper/ Ohly, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 4. Aufl. 2006; Piper/Ohly/Sosnitza, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 5. Aufl. 2010; Rittner/Kulka, Wettbewerbs- und Kartellrecht, 8. Aufl. 2011; Schliesky, Öffentliches Wettbewerbsrecht, Verhaltensrechtliche Determinanten von wirtschaftsbezogenem Staatshandeln, Schriften zum Öffentlichen Recht, Band 732, 1997; Schliesky, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2008; Schultz-Süchting, Der Rechtsschutz bei erwerbswirtschaftlicher Betätigung der öffentlichen Hand – Bemerkungen zu den Urteilen „Schilderverkauf“ des BGH und „Bestattungsordner“ des BVerwG, GRUR 1974, 700; Schünemann, Die wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand zwischen öffentlichem und privatem Wettbewerbsrecht, WRP 2000, 1001; Stober, Eigenwirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, BB 1989, 716; Storr, Der Staat als Unternehmer: Öffentliche Unternehmen in der Freiheits- und Gleichheitsdogmatik des nationalen Rechts und des Gemeinschaftsrechts, 2001; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 10. Aufl. 2011; Tieben, Die Einflussnahme der öffentlichen Hand auf den Wettbewerb, WRP 2011, 1101; Ulmer, Die Anwendbarkeit von Wettbewerbs- und Kartellrecht auf die wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand beim Angebot von Waren oder Dienstleistungen, ZHR 146 (1982), 466; Volhard, Anmerkung zu BGH 19.6.1986 – I ZR 53/84 – Kommunaler Bestattungswirtschaftsbetrieb II, GRUR 1987, 122; Wolf, Anstalt des öffentlichen Rechts als Wettbewerbsunternehmen, 2002; Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 12. Aufl. 2007.
A. Wettbewerbsrechtliche Grundlagen I. Problemaufriss; Einführung Kommunale Unternehmen nehmen in gewissem Sinn eine Zwitterstel- 1 lung ein. Zum einen sind sie „Unternehmen“, betätigen sich also regelmäßig in erwerbswirtschaftlichem Umfeld und treten als Wettbewerber zu rein privaten Anbietern auf dem Markt auf. Auf der anderen Seite sind sie mit einer Kommune, also einem Träger öffentlicher Gewalt, verbunden. Insbesondere diese „Zwitterstellung“ wirft eine Reihe wettbewerbsrechtlicher Fragestellungen auf. Diese betreffen zum einen das kommunale Unternehmen selbst, zum anderen aber auch dessen Träger, die Kommune. Für Letztere ist beispielsweise relevant, ob und ggf. in welchen Grenzen sie als Hoheitsträgerin „ihr“ Unternehmen im Wettbewerb fördern darf. Damit untrennbar verbunden ist die Frage, wann eine unzulässige Benachteiligung konkurrierender Unternehmen beginnt. Die Untersuchung darf dabei nicht bei den wettbewerbsrechtlichen Grenzen für kommunale Unternehmen selbst stehen bleiben, sondern muss weiter gefasst allgemein fragen, was der öffentlichen Hand im Wettbewerb erlaubt ist und was nicht. Die Gründe für gesteigerte Vorsicht liegen auf der Hand: Die öffentliche 2 Hand kann nicht nur öffentlich finanzierte Ressourcen in Anspruch nehmen, sondern auch hoheitliche Autorität. Werden die Bereiche privater
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Wettbewerbsrecht
Erwerbswirtschaft und hoheitlicher Über- und Unterordnung nicht sauber getrennt, kann es zu Wettbewerbsvorteilen kommen, die das Wettbewerbsrecht verhindern will. Wegen dieser Besonderheiten ist die öffentliche Hand (und mit ihr kommunale Unternehmen) nicht nur den gleichen Handlungsbeschränkungen wie private Unternehmen unterworfen. An sie werden vielmehr weitere, besondere Anforderungen gestellt, deren Nichterfüllung wettbewerbsrechtliche Konsequenzen nach sich zieht. Diese besonderen Anforderungen führten dazu, dass im Wettbewerbsrecht Fallgruppen entwickelt wurden, die speziell unlauteres Verhalten der öffentlichen Hand erfassen. Problematisch war darüber hinaus lange, wieweit das Wettbewerbsrecht von Konkurrenten dazu benutzt werden kann, sich aus öffentlichem Recht ergebende Verbote der wirtschaftlichen Betätigung von Kommunen durchzusetzen.
II. Lauterkeits- und Kartellrecht 3 Soweit in der vorliegenden Untersuchung von „Wettbewerbsrecht“ die Rede ist, wird regelmäßig das Lauterkeitsrecht gemeint, das im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) normiert ist. Klassischerweise befasst sich das Lauterkeitsrecht damit, den bestehenden Wettbewerb gegen Auswüchse in der Form (das „wie“ des Wettbewerbs) zu sichern, wohingegen das Kartellrecht, das teilweise ebenfalls als Wettbewerbsrecht bezeichnet wird, dafür sorgen soll, dass Wettbewerb als Institution überhaupt (das „ob“ des Wettbewerbs) erhalten bleibt. Durch die letzte UWGNovelle von 2008 (siehe dazu unten) hat sich der Anwendungsbereich des UWG in der Weise erweitert, dass jetzt nicht mehr nur Verhalten im Wettbewerb reguliert wird, sondern auch das Verhalten bei und nach Abschluss eines Vertrags, also im nachwettbewerblichen Bereich2. 4 Das UWG unterliegt anhaltend starken Liberalisierungstendenzen, die gewandelten Vorstellungen von geschäftlich „lauterem“ Handeln sowie politischen Zielvorgaben geschuldet sind. Im Jahr 2004 wurde das Gesetz erstmals umfassend novelliert; die Änderungen traten am 8.7.2004 in Kraft und lösten das UWG vom 7.6.1909 ab. Auch das UWG vom 8.7.2004 enthielt eine bereits für das alte UWG charakteristische Generalklausel (die sich nach der UWG-Novelle 2004 nicht mehr in § 1 UWG, sondern in § 3 UWG befand), stellte aber in seinem § 4 UWG eine Reihe von Tatbeständen auf, bei deren Vorliegen in jedem Fall unlauteres Handeln vorliegen soll. Im Jahr 2008 gab es im Zuge der Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken (UGP-Richtlinie) eine weitere Novelle des UWG. Sie trat am 28.12.2008 in Kraft. Durch die UWG-Novelle 2008 wurde insbesondere § 3 UWG umgestaltet und der Anwendungsbereich des UWG auf „geschäftliche Handlungen“ (davor Wettbewerbshandlungen) erweitert. Die Definition der geschäftli2 Köhler in Köhler/Bornkamm, § 2 UWG Rz. 31.
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chen Handlung in § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG wurde an die Anforderungen der UGP-Richtlinie angepasst. Ein wesentlicher Unterschied zur früheren Definition der Wettbewerbshandlung in § 2 Abs. 1 Nr. 1 des UWG 2004 ist, dass das bisher bestehende ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsförderungsabsicht im Rahmen der UWG-Novelle 2008 durch die Voraussetzung des objektiven Zusammenhangs mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss und der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen ersetzt wurde. Des Weiteren wurde die Definition auf Handlungen „vor, bei oder nach einem Geschäftsabschluss“ erstreckt. Wie zu zeigen sein wird, hat sich im Ergebnis durch die Novellen für die Frage, wann sich die öffentliche Hand und kommunale Unternehmen unlauter verhalten und wettbewerbsrechtlichen Angriffen ausgesetzt werden können, nichts Entscheidendes geändert. Daher kann weitgehend auch auf die einschlägige Rechtsprechung aus der Zeit vor den beiden UWG-Novellen der Jahre 2004 und 2008 zurückgegriffen werden3.
III. Die geschäftliche Handlung Schutzobjekt des Wettbewerbsrechts im hier verstandenen Sinn ist die 5 lautere geschäftliche Handlung. Dieser Zweck wird in § 1 UWG auch explizit genannt: „Dieses Gesetz dient dem Schutz der Mitbewerber, der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie der sonstigen Marktteilnehmer vor unlauteren geschäftlichen Handlungen. Es schützt zugleich das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb.“
Der Begriff der geschäftlichen Handlung ist der zentrale Begriff des Lauterkeitsrechts. Sie tritt an die Stelle der im früheren Gesetzestext verwendeten Wettbewerbshandlungen. Als eine geschäftliche Handlung definiert § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG jedes Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens vor, bei oder nach einem Geschäftsabschluss, das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt; als Waren gelten auch Grundstücke, als Dienstleistungen auch Rechte und Verpflichtungen. Grundvoraussetzung für ein Vorgehen auf der Grundlage des Wett- 6 bewerbsrechts ist also stets das Vorliegen einer geschäftlichen Handlung. Vom Vorliegen dieser Voraussetzung hängt entscheidend ab, ob das ge3 In materiellrechtlicher Hinsicht ging der BGH stets davon aus, dass Fälle des Wettbewerbs der öffentlichen Hand unter der Generalklausel § 1 UWG bzw. § 3 UWG zu prüfen sind (BGH v. 18.10.2001 – I ZR 193/99 – Elternbriefe, WRP 2002, 527). An dieser Beurteilung hält der BGH auch nach der Novelle 2008 fest (BGH v. 22.4.2009 – I ZR 176/06 – Auskunft der IHK, GRUR 2009, 1080). Lux
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samte Wettbewerbsrecht überhaupt anwendbar ist. Dies gilt auch und gerade gegenüber der öffentlichen Hand, bei der die Differenzierung im Einzelfall besonders gründlich vorgenommen werden muss. 1. Geschäftliche Handlung als Verhalten „einer Person“ 7 Lange Zeit umstritten war, ob die öffentliche Hand überhaupt wettbewerbsrechtlichen Regeln unterworfen sein kann und unter welchen Voraussetzungen dies möglich ist. Die Problematik wird dadurch eröffnet, dass das Lauterkeitsrecht keine § 130 Abs. 1 GWB entsprechende Vorschrift kennt. Diese Norm bestimmt, dass das GWB auch Anwendung auf Unternehmen findet, die ganz oder teilweise im Eigentum der öffentlichen Hand stehen oder von dieser verwaltet oder betrieben werden. Lediglich die Bundesbank und die Kreditanstalt für Wiederaufbau werden ausgenommen. 8 Dass die öffentliche Hand und damit öffentliche Unternehmen nicht völlig aus dem Anwendungsbereich des UWG herausfallen können, zeigt indes schon der Wortlaut der relevanten Vorschriften. Die Vorschriften richten sich nicht nur an „private Unternehmen“, der Adressatenkreis ist vielmehr gar nicht eingegrenzt4. Angeknüpft wird allein an die Vornahme einer unlauteren geschäftlichen Handlung, ohne danach zu fragen, von wem diese vorgenommen wird. Die Definition der geschäftlichen Handlung spricht im Gegenteil unspezifisch von „jede[m] Verhalten einer Person . . .“. Diese Formulierung schließt juristische Personen des Privatrechts und des öffentlichen Rechts und damit die öffentliche Hand und öffentliche Unternehmen mit ein. Die öffentliche Hand kann auch nicht deshalb eine generelle Vorzugsstellung für sich in Anspruch nehmen, weil sie öffentliche Aufgaben und Zwecke verfolgt5. Dies wird im Ergebnis mittlerweile auch praktisch nicht mehr bestritten6. Fraglich und oftmals problematisch ist jedoch, ob im Einzelfall eine „geschäftliche Handlung“ vorliegt. 2. Geschäftliche Handlung als Verhalten zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens (Unternehmensbezug) 9 Eine geschäftliche Handlung zeichnet sich zunächst dadurch aus, dass sie sich auf das eigene oder ein fremdes Unternehmen bezieht, also einen Unternehmensbezug aufweist (§ 2 UWG: „. . . zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens . . .“)7.
4 Vgl. zum gleichen Ergebnis unter dem alten UWG in der Fassung von 1909: Schünemann, WRP 2000, 1001 (1007). 5 So generell OLG Köln v. 20.3.1985 – 6 U 196/84, WRP 1985, 511 (512). 6 Vgl. jetzt auch Schliesky, Öffentliches Wirtschaftsrecht, S. 176. 7 Köhler in Köhler/Bornkamm, § 2 UWG Rz. 17.
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Der Begriff des Unternehmens ist dabei weit auszulegen: Erforderlich ist eine auf Dauer angelegte, selbstständige wirtschaftliche Betätigung, die darauf gerichtet ist, Waren oder Dienstleistungen gegen Entgelt zu vertreiben8. Dabei ist weder erforderlich, dass der Handelnde mit seiner Tätigkeit Gewinn erzielt, noch dass er dies überhaupt anstrebt9. Auch gemeinnützige Unternehmen unterliegen dem Wettbewerbsrecht. Die öffentliche Hand kann sich also nicht darauf berufen, dass sie mit der fraglichen Tätigkeit gar keinen Gewinn erzielen – sondern beispielsweise soziale Belange verfolgen – wollte. Der BGH weist regelmäßig darauf hin, dass bereits die konkrete Zielsetzung, sich am Wettbewerb zu beteiligen, genügt10. Allerdings ist erforderlich, dass die Tätigkeit auf den Absatz von Waren oder Dienstleistungen gerichtet ist. Das Vorliegen bloßer Beschaffungstätigkeit, in wie großem Umfang auch immer (oft der Fall gerade bei der öffentlichen Hand), ist nicht ausreichend, den Unternehmensbegriff zu erfüllen11. Nimmt die öffentliche Hand erwerbswirtschaftlich (fiskalisch) am Wirt- 10 schaftsleben teil, handelt sie zugunsten eines Unternehmens, meist des eigenen12. Dies ist häufig der Fall, wenn sie selbst Leistungen erbringt. Dass dies im Rahmen der Daseinsvorsorge13 geschieht, ist ohne Belang; entscheidend ist, dass sich die öffentliche Hand auf die Ebene der Gleichordnung mit privatwirtschaftlichen Unternehmen begibt und ebenso wie diese am Wettbewerb, d.h. am Kampf um Kunden, teilnimmt14. Die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben schließt also nicht aus, dass zugleich ein geschäftlicher Betrieb vorliegt15. Die öffentliche Hand kann eine Doppelstellung einnehmen (siehe dazu auch noch unten, Rz. 33). Zu beobachten ist dies etwa auf den liberalisierten Märkten. Eine Reihe von Gemeinden bietet selbst wenigstens „klassisch“ die Versorgung mit Energie an, manche auch weitere Leistungen. Aufgrund der Liberalisierung stehen sie nun insoweit im Wettbewerb mit anderen Anbietern. Aber auch in anderen Bereichen erbringt die öffentliche Hand im Wettbewerb Leistungen, sei es durch städtische Theater, Altenpflegeeinrich-
8 BGH v. 12.7.1995 – I ZR 85/93, GRUR 1995, 697 (699); Köhler in Köhler/Bornkamm, § 2 UWG Rz. 21. 9 BGH v. 26.4.1974 – I ZG 8/83 – Schilderverkauf, GRUR 1974, 733 (734); v. 18.12.1981 – I ZR 34/80 – Brillen-Selbstabgabestellen, BGHZ 82, 375 (395 f.); v. 8.7.1993 – I ZR 174/91 – Abrechnungs-Software für Zahnärzte, GRUR 1993, 917 (919). 10 BGH v. 18.12.1981 – I ZR 34/80 – Brillen-Selbstabgabestellen, BGHZ 82, 375 (395). 11 Köhler in Köhler/Bornkamm, § 2 UWG Rz. 25. 12 Köhler in Köhler/Bornkamm, § 4 UWG Rz. 13.9. 13 Zu diesem Begriff s. Forsthoff, S. 368 ff. 14 Krit. zu diesem Abgrenzungskriterium Schliesky, Öffentliches Wettbewerbsrecht, S. 281 ff. 15 So bereits RG v. 18.10.1932 – I 774/32, RGSt 66, 380; BGH v. 13.5.1952 – 1 StR 670/51, BGHSt 2, 397 (403). Lux
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tungen oder kommunale Gartenbauämter, die neben der Pflege von Grünanlagen auch Gärtnerarbeiten für Private durchführen16. 11 Die Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts wird aber ganz wesentlich dadurch erweitert, dass auch die Förderung eines fremden Unternehmens ausreichend ist, um eine geschäftliche Handlung zu bejahen. Hiervon ist gerade die öffentliche Hand betroffen. Fördert sie den Wettbewerb eines Dritten (beispielsweise eines einzelnen Unternehmens innerhalb der Gemeinde), kann sie im geschäftlichen Verkehr handeln17, also eine Handlung zugunsten eines Unternehmens vornehmen. Wenn dabei auch ein „objektiver Zusammenhang mit der Förderung des Absatzes oder Bezugs von Waren oder Dienstleistungen“ besteht (siehe dazu unter Rz. 12 f.), ist Wettbewerbsrecht auf sie anwendbar, auch wenn sie selbst keinerlei Leistungen oder Waren angeboten hat. Insbesondere kann das der Fall sein, wenn das Verhalten der öffentlichen Hand zugunsten eines öffentlichen Unternehmens erfolgt, an dem die Kommune beteiligt ist oder durch die sie Leistungen erbringt. 3. Objektiver Zusammenhang mit Förderung des Absatzes oder Bezugs von Waren oder Dienstleistungen (Absatzförderungszusammenhang) 12 Weitere Voraussetzung für das Vorliegen einer geschäftlichen Handlung ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG ein „Verhalten [. . .], das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen [. . .] objektiv zusammenhängt“. Ein solcher objektiver Absatzförderungszusammenhang liegt nur dann vor, wenn das Verhalten objektiv darauf gerichtet ist, eine geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers zu beeinflussen18. Die Handlung muss also objektiv zur Absatzförderung geeignet sein. 13 Nicht mehr relevant ist demnach eine bestimmte subjektive Absicht. Voraussetzung für das Vorliegen einer Wettbewerbshandlung nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG a.F. war, dass sie mit dem Ziel vorgenommen wurde, zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens den Absatz oder Bezug von Waren oder die Erbringung oder den Bezug von Dienstleistungen zu fördern. Dies forderte nach herrschender (und zutreffender), aber nicht völlig unumstrittener Meinung eine subjektive Zielsetzung des Handelnden, d.h. eine darauf gerichtete Absicht (Wettbewerbsförderungsabsicht)19.
16 So in der seinerzeit bahnbrechenden, mittlerweile aber überholten Entscheidung „Gelsengrün“ (OLG Hamm v. 23.9.1997 – 4 U 99/1997, DVBl. 1998, 792). 17 BGH v. 20.12.1955 – I ZR 24/54 – Bad Ems, BGHZ 19, 299 (303); v. 20.2.1997 – I ZR 12/95 – Emil-Grünbär-Klub, GRUR 1997, 907; v. 10.4.1997 – I ZR 3/95 – Branchenbuch-Nomenklatur, GRUR 1997, 909 (910). 18 Köhler, WRP 2009, 898 (899); Gomille, WRP 2009, 525 (529). 19 Köhler in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, § 2 UWG Rz. 24 (der davon ausgeht, dass eine sachliche Änderung gegenüber dem früheren „Handeln zu Zwecken
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Die auf Absatz- oder Bezugsverbesserung gerichtete Absicht musste zwar nicht die einzige oder wesentliche Zielsetzung für die Handlung sein. Sie durfte aber auch nicht als völlig nebensächlich hinter die anderen Beweggründe zurücktreten20. 4. Vorliegen einer geschäftlichen Handlung bei der öffentlichen Hand und öffentlichen Unternehmen Die Feststellung einer geschäftlichen Handlung stellt in der weit über- 14 wiegenden Mehrzahl der wettbewerbsrechtlichen Streitigkeiten kein Problem dar, da üblicherweise Kaufleute handeln, bei denen nicht nur ein Verhalten zugunsten des eigenen Unternehmens auf der Hand liegt, sondern auch der Zusammenhang mit der Förderung des Absatzes von Waren oder Dienstleistungen. Dies ist ebenso, wenn ein kommunales Unternehmen handelt, das wie ein rein privatwirtschaftliches Unternehmen seine Dienstleistungen anbietet, etwa ein kommunaler Energieversorger. Die öffentliche Hand wird zwar häufig zu Zwecken der Daseinsvorsorge tätig, doch verfolgt sie, wenn sie Anbieter von Leistungen neben anderen Unternehmen ist, regelmäßig Wettbewerbszwecke und handelt mithin zugunsten des eigenen Unternehmens. Nicht in allen Fällen, in denen die öffentliche Hand handelt, kann aber 15 eine geschäftliche Handlung ohne weiteres angenommen werden. Insbesondere der Absatzförderungszusammenhang kann beim Tätigwerden der öffentlichen Verwaltung fehlen. Zum alten Recht formulierte der BGH zum damals erforderlichen Tatbestandsmerkmal der Wettbewerbsförderungsabsicht: „Bei Handlungen von Gemeindeverwaltungen außerhalb eines erwerbswirtschaftlichen Tätigkeitsbereichs besteht keine tatsächliche Vermutung für eine Wettbewerbsförderungsabsicht21.“
Ähnliches wird im Ergebnis auch unter neuem Recht in Bezug auf den 16 Absatzförderungszusammenhang zu gelten haben22. Für die Bestimmung
des Wettbewerbs“ insoweit nicht verbunden sei); Keller in Harte-Bavendamm/ Henning-Bodewig, § 2 Rz. 28, 32, 38; Meckel in Ekey/Klippel/Kotthoff/Meckel/ Plaß, § 2 UWG Rz. 10; Ohly in Piper/Ohly, Einf. D. Rz. 24; Piper in Piper/Ohly, § 2 UWG Rz. 22 ff. 20 BGH v. 26.10.1951 – I ZR 8/51 – Geschäftsschädigende Werturteile, BGHZ 3, 270 (277); v. 17.3.1953 – I ZR 118/52, GRUR 1953, 293. 21 BGH v. 21.9.1989 – I ZR 27/88 – Firmenrufnummer, GRUR 1990, 463. 22 Keller in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, § 2 UWG Rz. 69 weist darauf hin, dass es nach neuem Recht keine Vermutung eines objektiven Absatzförderungszusammenhangs für bestimmte Regelkonstellationen gibt. Allerdings seien an die Feststellung eines objektiven Absatzförderungszusammenhangs bei typischerweise absatzfördernden Tätigkeiten nur geringe Anforderungen zu stellen, so dass insoweit von einer „Regel-Annahme“ gesprochen werden könne. Dem ist zuzustimmen. Lux
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dieses Zusammenhangs wird dabei zu Recht darauf hingewiesen, dass auch im Rahmen der Bestimmung des Absatzförderungszusammenhangs subjektive Momente nicht völlig irrelevant sind23. Ob ein (objektiver) Absatzförderungszusammenhang besteht, wird sich häufig gerade danach bemessen, welche Zweckrichtung, d.h. welches Ziel, die fragliche Handlung aufweist; diese Zweckrichtung lässt sich zwar aufgrund objektiver Umstände rückschließen, ist letztlich aber ein subjektiver Umstand24. Unter diesem Gesichtspunkt ähnelt die Bestimmung des Absatzförderungszusammenhangs der Bestimmung der früheren Wettbewerbsabsicht, deren Vorliegen ebenfalls aufgrund der objektiven Umstände zu bestimmen war25. Die alte Rechtsprechung zur Abgrenzung des wettbewerbsrechtlich relevanten Handelns der öffentlichen Hand (heute: Vorliegen einer geschäftlichen Handlung) von ihrem hoheitlichen Handeln kann daher auch für die nach neuem Recht erforderliche Abgrenzung relevant sein26. Dabei verbieten sich schematische Lösungen. Die folgenden Leitlinien und Beispiele aus der Rechtsprechung können dabei nach wie vor Orientierung geben: a) Tätigwerden in Erfüllung gesetzlicher Pflichten 17 Wird die öffentliche Hand in Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen tätig, handelt sie rein hoheitlich. Es wird dann am Absatzförderungszusammenhang fehlen. Das Gleiche gilt, wenn zwar keine gesetzliche Verpflichtung besteht, der Hoheitsträger aber von einem Gesetz ausdrücklich zu der betreffenden Handlung ermächtigt wurde27 oder wenn er selbst gesetzgeberisch tätig wird. Nicht rein hoheitlich ist eine Tätigkeit aber schon allein deswegen, weil ein Verwaltungsakt erlassen wird; auch der Erlass von Verwaltungsakten kann zugunsten eines Unternehmens erfolgen. Freilich kann ein Zivilgericht auf der Grundlage von § 3 Abs. 1 UWG nicht die Aufhebung von Verwaltungsakten oder anderen hoheitlichen Maßnahmen als solche anordnen28. Ebenso sind solche Handlungen keine geschäftlichen Handlungen, die den Binnenbereich der öffentlichen Hand gar nicht erst verlassen. Hierzu zählt etwa der Betrieb einer gemeindeeigenen Reparaturwerkstätte für kommunale Fahrzeuge oder Maschinen ebenso wie eine innerbehördliche Anweisung. Es dürfte dann so23 24 25 26 27 28
Keller in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, § 2 UWG Rz. 68. Keller in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, § 2 UWG Rz. 68. Keller in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, § 2 UWG Rz. 73. Keller in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, § 2 UWG Rz. 74. Keller in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, § 2 UWG Rz. 25. Vgl. BayObLG v. 7.12.1981 – RReg. 2 Z 248/80 – Randsortiment, GRUR 1982, 500 (502). Dort wollte sich ein Mitglied einer Apothekerkammer gegen Beanstandungen seiner Kammer wenden, die diese in wettbewerblichem Verhalten des Apothekers gesehen hatte. Das BayObLG bejahte den Verwaltungsrechtsweg, da es um berufsständische Maßnahmen gehe. Vgl. auch Pagenkopf, GewArch 2000, 177 und Köhler in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, § 4 UWG Rz. 13.16.
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wohl am Unternehmensbezug fehlen, als auch an einem unmittelbaren Bezug zur Förderung des Absatzes von Waren oder Dienstleistungen. Angegriffen werden kann dann nicht die Anweisung als solche, sondern allenfalls deren wettbewerblich relevante Auswirkungen29. b) Art der zugrunde liegenden Normen Ob auf der Grundlage öffentlich-rechtlicher oder zivilrechtlicher Normen 18 gehandelt wird, ist unerheblich, solange ein Unternehmensbezug vorliegt. Erbringt beispielsweise eine AOK selbst unmittelbar eine Sachleistung an ihre Versicherten, handelt diese zwar auf der Grundlage öffentlich-rechtlicher Normen – nämlich des SGB –, setzt sich aber mit ihrer direkten Sachleistung – anders als bei einer bloßen Kostenübernahme – in direkten Wettbewerb zu den herkömmlichen Leistungserbringern, also etwa Optikern, orthopädischen Schuhmachern, Hörgeräteakustikern usw.30. Der BGH bejahte daher ein Handeln im geschäftlichen Verkehr wegen der Gleichordnung zu herkömmlichen Leistungserbringern. Nach neuerer Systematik würde man ein Handeln zugunsten des eigenen Unternehmens annehmen. Auch die gesetzlichen Krankenkassen werden nach wohl h.M. als Unternehmen im wettbewerbsrechtlichen Sinn angesehen, soweit sie nicht lediglich in Wahrnehmung ihres gesetzlichen Versorgungsauftrags handeln, sondern – z.B. durch Werbemaßnahmen – um Kunden kämpfen31. c) Art der Ausgestaltung der Beziehungen zu Mitgliedern oder Benutzern Gleichfalls unerheblich ist in den Fällen einer wirtschaftlichen Betäti- 19 gung, wie die Beziehungen der öffentlichen Hand zu ihren Mitgliedern oder Benutzern ausgestaltet sind, d.h. öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich. Maßgeblich ist das Verhältnis zum Anspruchsteller. Auch wenn die Verwaltung also im Wettbewerb stehende Leistungen aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Benutzungsverhältnisses erbringt (wie z.B. Rundfunkdienstleistungen), kann sie für mit dieser Leistung zusammenhängende Handlungen doch den Vorschriften des UWG unterstehen32.
29 BGH v. 26.5.1987 – KZR 13/85 – Krankentransporte, GRUR 1987, 829 (830). 30 BGH v. 18.12.1981 – I ZR 34/80 – Brillen-Selbstabgabestellen, BGHZ 82, 375. 31 OLG Celle v. 9.9.2010 – 13 U 173/09, WRP 2010, 1548; OLG Celle v. 2.4.2009 – 13 W 16/09, GRUR-RR 2010, 86. 32 BGH v. 22.2.1990 – I ZR 78/88 – Werbung im Programm, GRUR 1990, 611 (613); v. 18.12.1981 – I ZR 34/80 – Brillen-Selbstabgabestellen, BGHZ 82, 375 (382 f.). Lux
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d) Art der Organisation der Tätigkeit durch die öffentliche Hand 20 Schließlich ist auch nicht entscheidend, in welcher Weise die öffentliche Hand ihre derartige Tätigkeit organisiert. Ein geschäftlicher Betrieb kann sowohl privatrechtlich organisiert sein (etwa in Form einer Kapitalgesellschaft, GmbH oder AG), als auch öffentlich-rechtlich (Anstalt des öffentlichen Rechts, Eigenbetrieb, Regiebetrieb etc.33). Es ist der öffentlichen Hand nicht grundsätzlich verboten, am geschäftlichen Verkehr teilzunehmen34. Im Umkehrschluss bedeutet dies jedoch, dass sie sich immer dann, wenn sie dies tut, auch den für diese geltenden Regeln unterstellen muss. Dabei kann es keinen Unterschied machen, welcher Rechtsform sie sich für ihre Tätigkeit bedient35. e) Einseitige Nennungen und Empfehlungen von Unternehmen 21 Häufig wehren sich kommerzielle Unternehmen dagegen, dass die öffentliche Hand einen bestimmten Wettbewerber bevorzugt, insbesondere durch einseitige Nennungen oder Empfehlungen. Vor der Frage, ob eine einseitige Empfehlung wettbewerbsrechtlich bedenklich ist, steht die Frage, ob die Verwaltung überhaupt eine geschäftliche Handlung vornahm oder rein hoheitlich handelte. Bei der hier erforderlichen Abgrenzung ist zu berücksichtigen, dass sich die öffentliche Hand häufig auch auf Informations- oder Aufklärungspflichten berufen kann36. Es muss dann im jeweiligen Einzelfall untersucht werden, ob etwa bei Nennung einzelner Unternehmen überhaupt eine geschäftliche Handlung bestand. Zu dieser Konstellation äußerte sich der BGH u.a. in der Entscheidung „Bad Ems“37. In dieser wurde das Bundesland Rheinland-Pfalz aus dem damaligen § 1 UWG in Anspruch genommen (heute § 3 UWG). Dem Land gehörten ein Staatsbad und zwei Kurhotels. Die Staatliche Kurverwaltung empfahl auf Anfrage von Kurinteressenten hin die staatlichen Hotels und einzelne ausgewählte Hotels Dritter. Diese Auswahl nur Einzelner wollten Konkurrenten unterbinden. Der BGH stellte fest, dass in den Fällen, in denen die Staatliche Kurverwaltung auf Anfragen hin lediglich Unterkünfte, die bestimmte Kriterien erfüllen, benennt, ohne diese 33 Vgl. überblicksartig zu den möglichen Handlungsformen auch Schliesky, Öffentliches Wettbewerbsrecht, S. 28 ff. 34 BVerwG v. 22.2.1972 – I C 24.69, BVerwGE 39, 329 (336 f.); BGH v. 20.12.1955 – I ZR 24/54 – Bad Ems, BGHZ 19, 299; v. 12.2.1965 – Ib ZR 42/63 – Blockeis II, GRUR 1965, 373 (375); v. 4.12.1970 – I ZR 96/69 – Ärztekammer, GRUR 1971, 168 (169). 35 Zu Fragen im Zusammenhang damit, in welchem Umfang und unter welchen Bedingungen eine Gemeinde für Handlungen einer Beteiligungsgesellschaft wettbewerbsrechtlich haftet vgl. OLG Düsseldorf v. 29.5.2001 – 20 U 152/00, WRP 2001, 1086. 36 Dies versuchte die Beklagte – dort erfolglos – im Fall BGH v. 21.9.1989 – I ZR 27/88 – Firmenrufnummer, GRUR 1990, 463. 37 BGH v. 20.12.1955 – I ZR 24/54 – Bad Ems, BGHZ 19, 299.
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zu empfehlen, kein Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs vorliegt38. Allerdings müssten in solchen Fällen alle Häuser, die die gewünschten Eigenschaften aufweisen, genannt werden. Anderenfalls liege eine sachlich nicht gerechtfertigte Bevorzugung Einzelner vor, die für eine Wettbewerbsförderungsabsicht spreche. Gebe die Staatliche Kurverwaltung jedoch Empfehlungen ab, d.h. bewerte sie die von ihr genannten Hotels positiv, läge bereits von vornherein ein Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs vor. Damit ist jedoch noch nicht indiziert, dass eine Empfehlung zugleich auch in jedem Fall sittenwidrig i.S.v. § 1 UWG a.F., bzw. unlauter i.S.v. § 3 UWG n.F. ist. Dies muss wiederum im Einzelfall festgestellt werden (siehe dazu weiter unten Rz. 81 ff.). f) Auskünfte oder Empfehlungen Eine Wettbewerbsabsicht bei der Erteilung von Auskünften oder Empfeh- 22 lungen wurde in der Rechtsprechung etwa in dem Fall bejaht, dass eine (öffentlich-rechtliche) Krankenkasse einen bestimmten Anbieter von Hilfsmitteln empfahl39. Die dortige beklagte Kasse hatte in einem Rundschreiben an ihre betroffenen Mitglieder einen bestimmten Anbieter von Inkontinenzartikeln als „schnell, zuverlässig, diskret und nicht unerheblich kostengünstiger“ empfohlen. Gleichfalls im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs – und sittenwidrig – handelte eine Sozialhilfebehörde, die in einem Schreiben einem Sozialhilfeempfänger gegenüber eine Kaufhausbrille (d.h. eine nicht individuell angepasste Fertigbrille) „befürwortete“ und darum bat, „in einem Kaufhaus Ihrer Wahl“ eine Fertigbrille zu kaufen40. g) Bloße Nachfragetätigkeit Nicht als Förderung von Wettbewerb wurde es dagegen angesehen, dass 23 das Beschaffungsamt eines Landes als Großbesteller von Büchern einen Preisnachlass von 5 % auf den Ladenpreis von den Verlegern und Buchhändlern verlangte. Dem Amt sei es dabei wie jedem Endverbraucher ausschließlich darum gegangen, billig einzukaufen41. Hinsichtlich solcher bloßer Nachfragetätigkeit wird in der Literatur formuliert, dass diese nur dann ein Handeln im geschäftlichen Verkehr sei, wenn die nachgefragten Güter entweder für einen weiteren Umsatz bestimmt sind (die öffentliche Hand also nicht Letztverbraucher ist) oder die Beschaffung dem Zweck dient, die Geschäftstätigkeit eines Dritten zu fördern42. Relevant
38 BGH v. 20.12.1955 – I ZR 24/54 – Bad Ems, BGHZ 19, 299 (304). 39 OLG Frankfurt/M. v. 10.7.1997 – 6 U 23/97 – Empfehlung der Krankenkasse, WRP 1997, 1205. 40 OLG Frankfurt a.M. v. 15.9.1997 – 6 W 133/97 – Fertigbrille für Sozialhilfeempfänger, WRP 1997, 1206. 41 BGH v. 26.4.1967 – 1b ZR 22/65 – Büchereinachlass, GRUR 1968, 95 (97). 42 Köhler in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, § 4 UWG Rz. 13.18. Lux
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wird dies auch bei öffentlichen Ausschreibungen. Es stellt sich die Frage, ob Fehler im Ausschreibungsverfahren, die zu einem Vorteil für einen bestimmten Bewerber führen, von einem unterlegenen Bewerber auf wettbewerbsrechtlicher Grundlage angegriffen werden können. Dies ist für den Regelfall zu verneinen, weil es sich auch bei Ausschreibungen lediglich um Beschaffungstätigkeit handelt. Lediglich wenn die öffentliche Hand einen Bewerber gezielt bevorzugen möchte, liegt eine Wettbewerbshandlung vor43. h) Zurücktreten der Wettbewerbsförderungsabsicht (des Absatzförderungszusammenhangs) hinter die Aufgabe der Sorge für Sicherheit 24 Gleichfalls nicht in Wettbewerbsabsicht handelte die Zentralstelle für Unfallverhütung und Arbeitsmedizin, die bestimmte Lärmmessungen für die EWG-Baumusterprüfung unentgeltlich durchführte. Hauptaufgabe der Zentralstelle war die Sicherheitsüberprüfung von technischen Arbeitsmitteln und die Vergabe des GS-Zeichens nach § 3 Abs. 2 Gerätesicherheitsgesetz (GSG). Daneben bot sie jedoch auch – kostenlos – eine EWG-Baumusterprüfung über die Einhaltung bestimmter Geräuschemissionspegel an. Dieses kostenlose Angebot benachteiligte zwar die freien Prüfstellen, die die anfallenden Kosten in Rechnung stellten. Der BGH verneinte aber die Wettbewerbsförderungsabsicht unter dem Gesichtspunkt, dass die Zentralstelle die EWG-Baumusterprüfung nur im Zusammenhang mit der GS-Prüfung anbot und durchführte. Die Baumusterprüfung war außerdem identisch mit der Lärmmessung, die die Zentralstelle im Rahmen der GS-Prüfung ohnehin vorzunehmen hatte. Der BGH urteilte daher, dass eine Wettbewerbsförderungsabsicht hinter der Wahrnehmung der öffentlichen Aufgabe, mit allen geeigneten Mitteln für die Verhütung von Arbeitsunfällen zu sorgen, zurücktrat44.
IV. Rechtsweg 1. Problemaufriss 25 Praktisch im Ergebnis meist unproblematisch, dogmatisch jedoch nicht unumstritten ist die Frage der Rechtswegzuständigkeit gegenüber wettbewerblichem Verhalten der öffentlichen Hand. Geht ein Wettbewerber gegen das Verhalten der öffentlichen Hand vor den Zivilgerichten vor, kann die Situation eintreten, dass diese die Tätigkeit der Gemeinden überprüfen können. Die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Handelns der Verwaltung zählt jedoch zu den Kernaufgaben der Verwaltungsgerich43 LG Mannheim v. 1.4.2005 – 7 O 404/04, NZBau 2006, 199 (200), Alexander, WRP 2004, 700 (704). 44 BGH v. 8.10.1992 – I ZR 205/90 – EWG-Baumusterprüfung, GRUR 1993, 125 (126); verneint auch in BGH v. 2.7.1987 – I ZR 167/85 – Leichenaufbewahrung, GRUR 1988, 38 (39).
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te. Die Frage, welcher Rechtsweg beschritten werden kann, ist aber nicht nur von theoretischer Bedeutung. Es ist eine allgemein festzustellende Tatsache, dass Verwaltungs- und Sozialgerichte dazu tendieren, die wettbewerbliche Betätigung der öffentlichen Hand allein an öffentlich-rechtlichen Normen zu messen, ohne das Wettbewerbsrecht anzuwenden45. Diese bisweilen als Rechtsschutzverweigerung interpretierte Praxis46 führt dazu, dass von der Frage des Rechtswegs das Ergebnis des Rechtsstreits in hohem Maße abhängen kann47. Hinzu kommt, dass – zumindest in der Vergangenheit – Verwaltungs- 26 und Zivilgerichte in einem wichtigen Bereich zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen. Die Verwaltungsgerichte sahen die kommunalrechtlichen Vorschriften, die die Voraussetzungen für erwerbswirtschaftliche Betätigung von Kommunen aufstellen, als nicht drittschützend an – mit der Konsequenz, dass Klagen privater Konkurrenten als unzulässig, wenigstens aber unbegründet angesehen wurden48 (vgl. dazu ausführlich § 6 Rz. 127 ff.). Die zivilgerichtliche Rechtsprechung hat demgegenüber zunächst, angestoßen durch die Entscheidungen „Nachhilfeunterricht“49 und „Gelsengrün“50, den Individualschutzzweck der gemeindewirtschaftsrechtlichen Normen bejaht. Die Zivilgerichte gewährten daher über mehrere Jahre in Fällen der kommunalrechtlich unzulässigen erwerbswirtschaftlichen Betätigung von Kommunen Konkurrenten einen Unterlassungsanspruch über § 1 UWG a.F. Dieses Abweichen der Zivilgerichte von der ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte und die damit einhergehende Verschärfung der Rechtslage für die betroffenen kommunalen Unternehmen wurde jedoch von manchen als unbefriedigendes „Hineinjudizieren“ empfunden51.
45 Vgl. etwa BVerwG v. 22.2.1972 – I C 24.69, BVerwGE 39, 329 (337 f.). Weitere Beispiele finden sich bei Harms, BB 1986, Beilage 17, S. 2 (6) m.w.N. 46 Schliesky, Öffentliches Wettbewerbsrecht, S. 285 f. m.w.N. 47 Deutlicher formuliert dies Harms, BB 1986, Beilage 17, 2 (6), der die in der Literatur vertretene Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit für die Anwendung des Wettbewerbsrechts auf die Wirtschaftstätigkeit öffentlicher Hände als „Vorwand, materielles Recht durch Rechtswegzuweisung auszuschalten“ bezeichnet. 48 BVerwG v. 21.3.1995 – 1 B 211.94, NJW 1995, 2938 (2939); v. 18.4.1985 – 3 C 34.84, BVerwGE 71, 183 (193); v. 1.3.1978 – 7 B 144.76, BayVBl. 1978, 375 (376); v. 22.1.1972 – I C 24.69, BVerwGE 39, 329 (336); OVG Münster v. 2.12.1985 – 4 A 2214/84, DÖV 1986, 339 (341); v. 22.9.1982 – 4 A 989/81, NVwZ 1984, 522 (524); BayVGH v. 23.7.1976 – 32 V 75, BayVBl. 1976, 641 (643); HessVGH v. 17.1.1996 – 6 TG 4316/95, DÖV 1996, 476 (477); VGH Mannheim v. 21.7.1982 – 1 S 746/82, NJW 1984, 251 (253); VGH Mannheim v. 15.8.1994 – 1 S 1613/93, NJW 1995, 274. 49 OLG Düsseldorf v. 10.10.1996 – 2 U 65/96, WRP 1997, 42; vgl. dazu Otting, SächsVBl. 1998, 93. 50 OLG Hamm v. 23.9.1997 – 4 U 99/97, DVBl. 1998, 792; dazu Otting, Der Gemeinderat 3 1998, S. 46. 51 Vgl. Pagenkopf, GewArch 2000, 177. Lux
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Seit der Entscheidung „Elektroarbeiten“ des BGH vom 25.4.200252 ist letztinstanzlich geklärt, dass ein bloßer Verstoß gegen kommunalrechtliche Vorschriften, die der erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit von Gemeinden Grenzen setzen, nicht zugleich sittenwidrig i.S.d. § 1 UWG a.F. (= unlauter i.S.v. § 3 Abs. 1 UWG n.F.) ist. Konkurrenten können somit Verstöße gegen solche Vorschriften nicht über den Umweg des Wettbewerbsrechts auf zivilrechtlichem Weg durchsetzen (siehe ausführlich hierzu oben § 6 Rz. 153 ff.; vgl. auch noch unten Rz. 33 ff.). Diese Rechtsprechung wurde mittlerweile bestätigt53. Sie hat auch unter der neuen Rechtslage Bestand, siehe dazu noch unten Rz. 38. 2. Rechtswegabgrenzung 27 Maßgeblich – aber wenig hilfreich – für die Abgrenzung der Rechtswege zueinander ist § 13 GVG. Danach gehören vor die ordentlichen (d.h. Zivil-)Gerichte alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, für die nicht die Zuständigkeit von Verwaltungsgerichten begründet ist. Vor das Verwaltungsgericht gehören nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art, soweit die Streitigkeiten nicht gesetzlich einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. 28 Die Abgrenzung des Verwaltungs- vom Zivilrechtsweg ist in der Rechtsprechung zumindest im Prinzip geklärt. Der BGH formuliert – inhaltlich übereinstimmend mit dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes54: „Maßgeblich für die Frage, ob eine bürgerliche oder öffentliche Rechtsstreitigkeit vorliegt, [ist] die rechtliche Natur des Klageanspruchs, wie er sich aus den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen ergibt55.“
29 Maßgeblich ist also zunächst nicht die Rechtsnatur der begehrten Rechtsfolge. Gleichfalls nicht maßgebend ist, ob sich der Klageanspruch auf bürgerlich-rechtliche Vorschriften stützt oder auf öffentlich-rechtliche. Allerdings ist die Tatsache, dass sich ein Kläger auf wettbewerbsrechtliche
52 BGH v. 25.4.2002 – I ZR 250/00 – Elektroarbeiten, WRP 2002, 943. 53 BGH v. 26.9.2002 – I ZR 293/99 – Altautoverwertung, WRP 2003, 262, wo der BGH ausführt, dass ein Verstoß gegen § 107 GO NW, der erwerbswirtschaftlichen Tätigkeiten der Gemeinden Grenzen setzt, keinen Anspruch privater Wettbewerber aus § 1 UWG a.F. begründet. Die Vorschrift reguliere zwar den Wettbewerb durch die Beschränkung des Marktzutritts der Gemeinden, diene jedoch nicht der Kontrolle der Lauterkeit des Marktverhaltens der Gemeinden. Die Vorschrift sei auch kein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB; v. 4.11.2004 – KZR 16/02 – Strom und Telefon I, GRUR 2004, 255 (258); v. 4.11.2004 – KZR 38/02 – Strom und Telefon II, GRUR 2004, 259 (262); OLG Nürnberg v. 29.9.2009 – 1 U 264/09 – Städtische Musikschule, GRUR-RR 2010, 99 (100 f.). 54 BSG v. 4.6.1974 – GemS-OGB 2/73, BSGE 37, 292. 55 BGH v. 18.12.1981 – I ZR 34/80 – Brillen-Selbstabgabestellen, BGHZ 82, 375 (382) m.w.N.; OLG Hamburg v. 13.9.2011 – 3 W 50/11, WRP 2012, 232, 234.
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Vorschriften stützt, ein starkes Indiz dafür, dass die „wahre Natur des Klageanspruchs“ zivilrechtlich ist. Nach der herrschenden Subjektionstheorie ist die rechtliche Natur des 30 Klageanspruchs zivilrechtlicher Art, wenn sich das Streitverhältnis aus einer Gleichordnung ergibt, sich die öffentliche Hand also in ein Wettbewerbsverhältnis begeben hat, das bürgerlichem Recht unterfällt56. Die sog. Subjektstheorie57, die danach differenzieren will, ob berechtigtes oder verpflichtetes Zurechnungssubjekt ausschließlich ein Träger hoheitlicher Gewalt ist, konnte sich nicht durchsetzen. Für die Tätigkeit öffentlicher Unternehmen bedeutet dies, dass sie privat- 31 rechtlichen Unternehmen hinsichtlich des Rechtswegs bei erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit gleichgestellt sind. Da sie gleichgeordnet zu ihren Konkurrenten um Abnehmer kämpfen, entscheiden über Rechtsstreitigkeiten im wettbewerblichen Bereich die Zivilgerichte nach Wettbewerbsrecht. Dies gilt wiederum unabhängig davon, wie das Rechtsverhältnis zwischen dem öffentlichen Unternehmen und dem Nutzer ausgestaltet ist. Auch wenn dieses öffentlich-rechtlicher Natur ist, sind für Klagen von Wettbewerbern die Zivilgerichte zuständig. Das Handeln der öffentlichen Hand weist dann insoweit eine Doppelnatur auf. Klagt ein Nutzer aus dem (öffentlich-rechtlichen) Nutzungsverhältnis, sind die Verwaltungsgerichte zuständig58. Klagt jedoch ein Mitbewerber des öffentlichen Unternehmens wegen einer Wettbewerbsverletzung, muss er dies vor den Zivilgerichten tun. Für Streitigkeiten einer klagebefugten Einrichtung (§ 8 Abs. 3 Nr. 2 32 UWG) und einer gesetzlichen Krankenkasse bezüglich ihrer Mitgliederwerbung sind demnach die ordentlichen Gerichte zuständig, wenn sich die wettbewerbsrechtlichen Ansprüche ausschließlich auf Normen aus dem Wettbewerbsrecht beziehen, deren Einhaltung auch jeder private
56 BGH v. 27.2.1962 – I ZR 118/60 – AKI, BGHZ 37, 1 (14 ff.); v. 18.12.1981 – I ZR 34/80 – Brillen-Selbstabgabestellen, BGHZ 82, 375 (382); v. 19.6.1986 – I ZR 54/84 – Kommunaler Bestattungswirtschaftsbetrieb I, GRUR 1987, 116 (117); v. 4.10.1990 – I ZR 299/88 – Gebührenausschreibung, GRUR 1991, 540; v. 22.9.1972 – I ZR 73/71 – Crailsheimer Stadtblatt, GRUR 1973, 530. 57 Zur älteren und neueren Subjektstheorie vgl. Wolff/Bachof/Stober/Kluth, § 22 Rz. 25. 58 Dies führt zu nicht immer klaren Abgrenzungen, vgl. HessVGH v. 15.10.2002 – 8 TG 2579/02, WRP 2003, 112, wo das Gericht für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit dem einem Landkreis untersagt werden sollte, Räume im Gebäude der Kfz-Zulassungsstelle zum Zweck der Herstellung und des Vertriebs von Kfz-Kennzeichen an Dritte zu überlassen, den Verwaltungsrechtsweg für einschlägig hielt. Der dortige Antragsteller hatte sich nicht auf sein Wettbewerbsverhältnis und unlauteres Verhalten des Landkreises gestützt, sondern auf Verstöße gegen Kommunal- und Verfassungsrecht. Lux
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Mitbewerber unterliegt (und sich die Ansprüche nicht auf Vorschriften des SGB V stützen)59.
B. Grenzen der Aufnahme wirtschaftlicher Tätigkeit: Durchsetzung durch das Wettbewerbsrecht? I. Keine Durchsetzung des Kommunalrechts über § 3 Abs. 1 UWG 33 Den Gemeinden werden durch die Gemeindeordnungen sämtlicher Bundesländer Voraussetzungen für die Aufnahme erwerbswirtschaftlicher Betätigung vorgegeben (öffentlicher Zweck, kommunale Leistungsfähigkeit und Subsidiarität), vgl. dazu ausführlich oben, § 6 Rz. 2 ff. Sind diese nicht erfüllt, ist die wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand nicht zulässig. Es handelt sich dabei um Anforderungen des öffentlichen Rechts. Das Wettbewerbsrecht selbst formuliert keine speziellen Anforderungen für das „Ob“ der wirtschaftlichen Tätigkeit, sondern regelt das „Wie“60. Es gewann jedoch eine nicht zu unterschätzende Bedeutung bei der gerichtlichen Durchsetzung der öffentlich-rechtlichen Normen der Gemeindeordnungen. 34 Die einschlägigen Vorschriften der Gemeindeordnungen wurden von der verwaltungsgerichtlichen Judikatur regelmäßig nicht als drittschützend angesehen. Deswegen blieben Klagen von Wettbewerbern wegen Verstoßes gegen die Gemeindeordnungen wegen angeblich kommunalrechtswidriger Aufnahme wirtschaftlicher Betätigung i.d.R. erfolglos61. Seit den in dieser Hinsicht bahnbrechenden Urteilen „Nachhilfeunterricht“62 und „Gelsengrün“63 bot sich Wettbewerbern jedoch die Möglichkeit, auf dem Zivilrechtsweg gegen die unerwünschte Konkurrenz vorzugehen. Die da-
59 OLG Celle v. 9.9.2010 – 13 U 173/09, WRP 2010, 1548; v. 2.4.2009 – 13 W 16/09, GRUR-RR 2010, 86; BGH v. 30.1.2008 – I ZB 8/07 – Treuebonus, GRUR 2008, 447 (448). 60 Allerdings ist die Tätigkeit der öffentlichen Hand etwa dann unlauter, wenn sie den Leistungswettbewerb in seinem Bestand gefährdet, vgl. unten Rz. 89. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine Voraussetzung, die speziell die öffentliche Hand trifft. Auch die Tätigkeit Privater ist wettbewerbswidrig, wenn sie sich gegen den Bestand des Leistungswettbewerbs richtet. 61 BVerwG v. 21.3.1995 – 1 B 211.94, NJW 1995, 2938 (2939); v. 22.2.1972 – I C 24.69, BVerwGE 39, 329 (336); VGH Mannheim v. 21.7.1982 – 1 S 746/82, NJW 1984, 251 (252); v. 15.8.1994 – 1 S 1613/93, NJW 1995, 274; BayVGH v. 23.7.1976 – 32 V 75, JZ 1976, 641 (642). 62 OLG Düsseldorf v. 10.10.1996 – 2 U 65/96, WRP 1997, 42 = NWVBl. 1997, 353 m. Anm. Moraing; vgl. dazu auch Otting, SächsVBl. 1998, 93. 63 OLG Hamm v. 23.9.1997 – 4 U 99/97, DVBl. 1998, 792; vgl. dazu Otting, Der Gemeinderat 3/1998, S. 46.
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raufhin herrschende, wenngleich nicht durchgängige64 Zivilrechtsprechung65 sah in einer Übertretung der die wirtschaftliche Betätigung der Kommunen regelnden Vorschriften stets einen Verstoß gegen § 1 UWG a.F., bejahte also den Individualschutzzweck der Normen. Dadurch war die Möglichkeit eröffnet, auf dem Umweg über das Wettbewerbsrecht die Einhaltung öffentlich-rechtlicher Vorschriften durch die öffentliche Hand zu erzwingen. Die Entscheidung „Elektroarbeiten“66 des BGH bereitete dieser Möglich- 35 keit jedoch ein Ende. Sie stellte klar, dass nicht jeder Verstoß gegen gemeinderechtliche Vorschriften, die der erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit der Gemeinden Grenzen setzen, zugleich sittenwidrig i.S.d. § 1 UWG a.F. ist67. Der für Wettbewerbsrecht zuständige I. Senat des BGH hielt in dieser Entscheidung fest, dass ein kommunales Unternehmen auch dann nicht sittenwidrig i.S.v. § 1 UWG a.F. handelt, wenn es selbst (oder die das Unternehmen tragende Kommune) bei der Übernahme von Aufträgen privater Unternehmen gegen die Schranken verstoßen sollte, die sich aus kommunalrechtlichen Vorschriften für die erwerbswirtschaftliche Tätigkeit von Gemeinden ergeben. Es sei nicht Sinn des § 1 UWG a.F., den Anspruchsberechtigten zu ermöglichen, Wettbewerber unter Berufung darauf, dass ein Gesetz ihren Marktzutritt verbiete, vom Markt fern zu halten, wenn das betreffende Gesetz den Marktzutritt nur aus Gründen verhindern wolle, die den Schutz des lauteren Wettbewerbs nicht berührten (kein genereller Schutz von Marktzugangsregeln über das Wettbewerbsrecht). Das Gericht wiederholte mehrfach, dass § 1 UWG a.F. nicht den Erhalt bestimmter Marktstrukturen bezwecke. Ein Anspruch aus § 1 UWG a.F. sei nicht immer schon dann gegeben, wenn ein Wettbewerber Vorschriften verletze, bei deren Einhaltung er aus dem Markt ausscheiden müsste. § 1 UWG a.F. sei vielmehr bei Vorliegen eines Gesetzesvorstoßes nur dann anwendbar, wenn von diesem Gesetzesverstoß zugleich eine unlautere Störung des Wettbewerbs auf dem Markt ausgehe. Der Gesetzesverstoß müsse die Handlung in der Weise prägen, dass diese gerade auch als Wettbewerbsverhalten sittenwidrig i.S.d. § 1 UWG a.F. sei68 (wettbewerblicher Schutz nur von Marktverhaltensregeln). Dies aber sei im Fall des konkret geprüften Art. 87 BayGO nicht der Fall. Diese Vorschrift habe den Zweck, die Kommunen vor den Gefahren überdehn64 Vgl. OLG Karlsruhe v. 16.11.2000 – 4 U 171/99 – Landschaftsgärtnerische Arbeiten, WRP 2001, 426: § 102 GemO BW ist nicht drittschützend; ein Verstoß kann daher auch nicht über § 1 UWG a.F. angegriffen werden. 65 Vgl. die Nachweise unter § 6 Rz. 129 ff.; aus jüngerer Zeit wieder LG Düsseldorf v. 26.7.2000 – 34 O 15/2000 – Gebäudemanagement, WRP 2001, 61. 66 BGH v. 25.4.2002 – I ZR 250/00 – Elektroarbeiten, WRP 2002, 943; vgl. auch v. 26.9.2002 – I ZR 293/99 – Altautoverwertung, WRP 2003, 262. 67 Im dortigen Fall rügte der Kläger einen Verstoß gegen Art. 87 BayGO. 68 BGH v. 25.4.2002 – I ZR 250/00 – Elektroarbeiten, WRP 2002, 943, 944 unter Verweis auf BGH v. 5.10.2000 – I ZR 224/98 – Verbandsklage gegen Vielfachabmahner, GRUR 2001, 354. Lux
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ter unternehmerischer Tätigkeit zu schützen und zugleich einer „ungezügelten Erwerbstätigkeit der öffentlichen Hand zu Lasten der Privatwirtschaft“ vorzubeugen. Zweck sei nicht die Kontrolle der Lauterkeit des Marktverhaltens, sondern die Einflussnahme auf das unternehmerische Verhalten der Gemeinden und ggf. der Schutz der Privatwirtschaft vor einem Wettbewerb durch die öffentliche Hand69. 36 Eine wettbewerbsbezogene, d.h. eine auf die Lauterkeit des Wettbewerbs bezogene Schutzfunktion sieht der BGH etwa bei Vorschriften, die als Voraussetzung für die Ausübung bestimmter Tätigkeiten – etwa ärztlicher Behandlungen – im Interesse des Schutzes der Allgemeinheit den Nachweis besonderer fachlicher Fähigkeiten fordern70. Explizit für gegeben hält der I. Senat in seiner Entscheidung einen Wettbewerbsverstoß nach § 1 UWG a.F. auch nach wie vor in den Fallkonstellationen, die seiner früheren Entscheidung Sterbegeldversicherung71 zugrunde lagen. In diesem Fall hatte eine Ersatzkasse ihren Mitgliedern eine sog. Zusatzsterbegeldversicherung im Zusammenwirken mit einer „Ersatzkassengemeinschaft“ sowie mit einem Konsortium von Lebensversicherungsgesellschaften angeboten. Dies stellte eine Überschreitung des ihnen durch § 30 Abs. 1 SGB IV zugewiesenen Aufgabenbereichs dar und wurde nach § 1 UWG a.F. verboten. 37 Der BGH führte aus, dass in jenem Fall der Marktzutritt der Ersatzkassen gegen ein Gesetz verstieß, das im Interesse der privaten Versicherungen ein ganz bestimmtes Handeln auf dem Markt – nämlich den Abschluss von Sterbegeldversicherungsverträgen – untersagte. Eine Zuwiderhandlung gegen dieses Verbot soll, so der BGH in „Elektroarbeiten“, auch unter der neuen Rechtsprechung nach dem Normzweck des § 30 Abs. 1 SGB IV als unlauteres Wettbewerbsverhalten gelten, das nach § 1 UWG a.F., also § 3 Abs. 1 UWG n.F. angreifbar ist. In jenem Fall habe die verletzte Norm also die geforderte wettbewerbsbezogene, d.h. auf die Lauterkeit des Wettbewerbs bezogene Schutzfunktion (Vgl. zu dem Themenkomplex schon ausführlich oben § 6 Rz. 153 ff.). Ebenfalls als dazu bestimmt, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, wurde eine Vorschrift des Brandenburgischen Schulgesetzes angesehen, die den Warenabsatz, das Sammeln von Bestellungen, die Werbung sowie den Abschluss von Geschäften auf dem Schulgelände ohne Ausnahmegenehmigung verbietet (wobei im dortigen konkreten Fall ein Verstoß jedoch verneint wurde)72.
69 BGH v. 25.4.2002 – I ZR 250/00 – Elektroarbeiten, WRP 2002, 943, 945. 70 BGH v. 25.4.2002 – I ZR 250/00 – Elektroarbeiten, WRP 2002, 943, 945; Köhler, GRUR 2001, 777 (781). 71 BGH v. 19.1.1995 – I ZR 41/93 – Sterbegeldversicherung, WRP 1995, 475; s. zu einem ganz ähnlichen Fall OLG Stuttgart v. 15.6.2001 – 2 U 201/00, WRP 2001, 1245 und OLG Braunschweig v. 16.12.2008 – 2 U 9/08, GRUR-RR 2009, 182. 72 BGH v. 20.10.2005 – I ZR 1112/03 – Schulfotoaktion, GRUR 2006, 77.
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Die Grundsätze der „Elektroarbeiten“-Rechtsprechung haben auch unter 38 der Geltung des novellierten UWG Bestand73. Der Katalog von Beispielstatbeständen unlauteren Wettbewerbs in § 4 UWG n.F. enthält in seiner Nr. 11 bereits seit der UWG-Novelle von 2011 eine gesetzliche Ausgestaltung der „Elektroarbeiten“-Grundsätze. Unlauter im Sinne von § 3 Abs. 1 UWG handelt danach insbesondere, wer „einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln.“
Bereits der Gesetzentwurf der Bundesregierung74 zur UWG-Novelle des Jahres 2004 betonte ausdrücklich, dass diese Regelung der damals neueren Rechtsprechung zu § 1 UWG (in der Fassung von 1909) entspreche und zitiert die Elektroarbeiten-Entscheidung des BGH.
II. Keine Erweiterung der Rechtsschutzmöglichkeiten Die Anwendung von Wettbewerbsrecht bedeutet zunächst eine Erweite- 39 rung des Rechtsschutzes der Konkurrenten. Zum einen ist es dadurch Wettbewerbern möglich, die Rechtmäßigkeit von Verwaltungshandeln (zivil-)gerichtlich zu überprüfen. Zum anderen findet aber auch eine Ausweitung des Kreises der potenziellen Kläger statt: Im Wettbewerbsrecht sind nicht nur unmittelbare Konkurrenten klagebefugt, sondern auch bestimmte Dritte. § 8 Abs. 3 UWG erweitert die Aktivlegitimation auch auf bestimmte Wettbewerbsverbände (etwa die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V., § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG) und Kammern (IHKs, Handwerkskammern, § 8 Abs. 3 Nr. 4 UWG). Auch so genannte „qualifizierte Einrichtungen“ (bestimmte Verbraucherverbände) sind unter bestimmten Voraussetzungen aktivlegitimiert (§ 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG). Diese Verbände können zwar keine Schadenersatzansprüche geltend machen, wohl aber Unterlassung verlangen. Sie haben in bestimmten (praktisch aber nur wenig relevanten) Fällen aber einen Anspruch auf Gewinnabschöpfung an den Bundeshaushalt, § 10 Abs. 1 UWG. Im Verwaltungsprozess wären diese Verbände hingegen mangels möglicher Verletzung eigener Rechte (§ 42 Abs. 2 VwGO) nicht klagebefugt. Verbände wurden – vor „Elektroarbeiten“ – auch als gegenüber der unzulässigen wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand wettbewerbsrechtlich klagebefugt angesehen75. Umgekehrt hat bereits die UWG-Novelle von 2004 die Klagemöglichkeiten an einer Stelle auch eingeschränkt: Während § 13 Abs. 2 Nr. 1 UWG a.F. auch nur sog. mittelbare Konkurrenten (Gewerbebetreibende, die Waren oder gewerbliche Leistungen gleicher oder verwandter 73 BGH v. 2.12.2009 – I ZR 152/07 – Zweckbetrieb, GRUR 2010, 655; vgl. Schliesky, Öffentliches Wirtschaftsrecht, S. 184 f. 74 BT-Drs. 15/1487 v. 22.8.2003, dort S. 19. 75 LG Düsseldorf v. 26.7.2000 – 34 O 15/2000 – Gebäudemanagement, WRP 2001, 61. Dort klagte u.a. eine Innung; das Gericht wies Einwände gegen deren Klagebefugnis aus § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG zurück. Lux
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Art auf demselben Markt vertreiben) als aktivlegitimiert ansah, weist § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG die Klagebefugnis nur noch „jedem Mitbewerber“ zu. Mitbewerber sind nach der Legaldefinition in § 2 Abs. 1 Nr. 3 UWG nur Unternehmer, zu denen ein konkretes Wettbewerbsverhältnis besteht.
III. Prozessuale Möglichkeiten 40 In einer Vielzahl wettbewerbsrechtlicher Streitigkeiten wird der Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt. Oft wird bereits dadurch der Streit praktisch entschieden. Viele Wettbewerbsgerichte erlassen schnell einstweilige Verfügungen im Beschlussweg, also ohne den Gegner vorher anzuhören. Dem Kläger kommt dabei im Wettbewerbsprozess die Vorschrift des § 12 Abs. 2 UWG zugute, der den Antragsteller von der Darlegung und Glaubhaftmachung der Voraussetzungen der §§ 935, 940 ZPO entbindet und damit die Dringlichkeit (allerdings widerleglich) vermutet. 41 Ein weiterer Vorteil für den Kläger des Wettbewerbsprozesses besteht im sog. fliegenden Gerichtsstand: Der unmittelbar Verletzte kann nicht nur im allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten klagen, sondern auch im locus delicti, also überall dort, wo Verletzungshandlungen stattfinden (§ 14 Abs. 2 UWG). Bei bundesweit auftretenden öffentlichen Unternehmen ist damit also die Zuständigkeit jedes Landgerichts in Deutschland begründet. Bei einem Vorgehen gegen kommunale Unternehmen bringt der fliegende Gerichtsstand jedoch aufgrund deren regelmäßig auf die Gemeinde beschränkten räumlichen Tätigkeitsbereichs nicht viel.
C. Fallgruppen wettbewerbswidrigen Verhaltens I. Überblick 42 Dass das Verhalten der öffentlichen Hand – und damit auch der kommunalen Unternehmen – im Wettbewerb nicht privilegiert ist, wurde bereits ausgeführt. Die Verfolgung öffentlicher Zwecke allein suspendiert nicht von der Beachtung der Wettbewerbsgesetze. Nur der Gesetzgeber könnte die öffentliche Hand von der Bindung an die für alle geltenden Gesetze im Wettbewerb befreien. Es gilt also zunächst der Grundsatz, dass auch öffentliche Unternehmen und die öffentliche Hand selbst nichts tun dürfen, was auch anderen Unternehmen wettbewerbsrechtlich versagt ist. 43 Die öffentliche Hand und mit ihr öffentliche Unternehmen werden wettbewerbsrechtlich in mehrfacher Hinsicht sogar strenger behandelt als private Unternehmen. Grund hierfür ist die Nähe zum Staat, dessen hoheitliche Befugnisse und vielfach die erhöhte finanzielle Kapazität, die aus
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C. Fallgruppen wettbewerbswidrigen Verhaltens
Steuergeldern gespeist wird. Rechtsprechung und Literatur haben daher zusätzliche Fallgruppen im Rahmen der Generalklausel des § 1 UWG a.F. entwickelt, die wettbewerbswidriges Verhalten speziell der öffentlichen Hand erfassen. Die meisten dieser Fallgruppen lassen sich mehr oder weniger auf eine unsaubere Trennung der hoheitlichen von der wirtschaftlichen Sphäre der öffentlichen Hand zurückführen. Sie haben auch unter dem § 3 Abs. 1 UWG n.F. Geltung76. Für die Fälle einer unsachlichen Einwirkung auf Verbraucher oder andere Marktteilnehmer stellt das neue UWG in § 4 Nr. 1 und 2 UWG spezielle Beispielstatbestände auf, unter die auch entsprechende Handlungsweisen der öffentlichen Hand fallen, so dass ein Rückgriff auf die Generalklausel allein insoweit auch beim Handeln der öffentlichen Hand nicht notwendig ist77. In der neueren Literatur wird z.T. auch darüber hinaus die Ansicht vertreten, dass nach neuem UWG die Fälle des Wettbewerbs der öffentlichen Hand unter die Beispielstatbestände des § 4 Nr. 1, 10 oder 11 UWG und nicht unter die Generalklausel des § 1 UWG zu subsumieren sind78. Für das praktische Ergebnis ist die Frage der Rechtsgrundlage nicht von Belang. Die Rechtsprechung stützt Ansprüche regelmäßig auf die Generalklausel des § 3 Abs. 1 UWG. Daneben stellt sich die Frage, ob die öffentliche Hand – und damit kommunale Unternehmen – unabhängig von diesen für sie geltenden Fallgruppen einer allgemeinen Zurückhaltungspflicht in wettbewerblicher Hinsicht unterliegt.
II. Pflicht zur generellen Zurückhaltung? Zurückhaltung von öffentlichen Unternehmen fordert der BGH sowohl 44 innerhalb des Rechts des unlauteren Wettbewerbs als auch außerhalb des Wettbewerbsrechts (im Rahmen der Auslegung von § 826 BGB). Er entschied, dass es der öffentlichen Hand nicht stets gestattet sei, ihre Interessen im Wirtschaftsleben mit denselben Mitteln und Geschäftspraktiken zu verfolgen, die bei einer Privatperson noch hingenommen werden können79. Aus der amtlichen Autorität und der damit verbundenen Vertrauensstellung resultiere eine Pflicht zur maßvolleren Interessenverfolgung. Er betonte wiederholt, „dass sich die öffentliche Hand auch bei ihrem privatrechtlichen Handeln daran orientieren muss, dass es eine öffentliche Aufgabe ist, die sie erfüllt und dass es ihr deshalb nicht ohne weiteres gestattet ist, ihre Interessen im Wirtschaftsleben 76 So ausdrücklich BGH v. 21.7.2005 – I ZR 170/02 – Friedhofsruhe, GRUR 2005, 960 (961); Ohly in Piper/Ohly, Einf. D. Rz. 31. 77 Ohly in Piper/Ohly/Sosnitza, Einf. D. Rz. 31, 36; Köhler in Köhler/Bornkamm, § 4 UWG Rz. 13.36; a.A. OLG Saarbrücken v. 3.11.2004 – 1 U 125/04-23 – Brandschutzwerbung, GRUR-RR 2005, 283 (284). 78 Tieben, WRP 2011, 1101. 79 BGH v. 2.6.1981 – VI ZR 28/80, WM 1981, 905, LS 2. Lux
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mit denselben Mitteln und Praktiken zu verfolgen, die bei einer Privatperson noch hingenommen werden können (BGH NJW 1977, 628, 630 – Willkürverbot; NJW 1983, 2184, 2186 – Gebot der objektiven und neutralen Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben; vgl. auch BGHZ 19, 299, 303 – Staatliche Kurverwaltung/Bad Ems – und GRUR 1974, 733, 734 – Kfz-Schilderverkauf – zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit)“80.
45 Umgekehrt wird betont, dass die öffentliche Hand andererseits auch nicht generell besonderen Verhaltensanforderungen unterworfen sei81. Es werden aber stets die wettbewerbliche Ausgangslage und die Auswirkung des Handelns auf den Leistungswettbewerb zu berücksichtigen sein. Häufig wird nämlich zwischen dem privaten und dem öffentlichen Unternehmen eine ungleiche Wettbewerbslage bestehen, aus der eine besondere Zurückhaltungspflicht zu Lasten des kommunalen Unternehmens fließt82, insbesondere kann eine marktbeherrschende Stellung des öffentlichen Unternehmens bestehen. 46 So wurde beispielsweise die massive Bewerbung eines kommunalen Energieversorgungsunternehmens als sittenwidrig i.S.v. § 1 UWG a.F. angesehen. Der Energieversorger kündigte in seiner Werbung ein „Aktionspaket“ an, das die Betreiber von Heizungsanlagen für feste Brennstoffe und Öl zur Umstellung auf – von dem Unternehmen angebotene – leitungsgebundene Energien veranlassen sollte. Das Paket bestand u.a. aus einer drastischen Senkung der Anschlusskosten, der Finanzierung der Anschluss- und Installationskosten zu stark ermäßigten Zinsen (Anbieterin des Kredits war die gleichfalls kommunale Sparkasse), dem Ausbau der alten Tanks zu günstigen Preisen und der Vergütung der Restölmengen sowie umfangreicher kostenloser Beratung. Das OLG Köln83 sah eine solch massive Werbekampagne als wettbewerbswidrig zu Lasten der Anbieter von festen Brennstoffen und Öl sowie entsprechender Heizungsanlagen an. Auch wenn die einzelnen Maßnahmen für sich genommen nicht nach § 1 UWG a.F. zu beanstanden wären, seien sie doch in ihrer Gesamtheit wettbewerbswidrig. Es sei insbesondere die wettbewerbliche Ausgangslage und die Auswirkungen des Handelns auf den Leistungswettbewerb zu beachten: Das kommunale Versorgungsunternehmen hatte auf dem Gebiet der Leitungsenergie eine Monopolstellung, die ihm gegenüber Anbietern anderer Energieträger eine ungleich stärkere Position verlieh. Dadurch war ihr das notwendige Finanzierungsvolumen von 2 Mio. bis 2,5 Mio. DM überhaupt erst möglich. Auch wegen der Verbindungen zur Stadtsparkasse, die die verbilligten Kredite anbot, sei eine Vorzugsstellung gegenüber Konkurrenten gegeben. Das Gericht wertete daher das Angebot des Aktionspakets als übermäßiges Anlocken (eine 80 BGH v. 11.5.1989 – I ZR 91/87 – Kommunaler Bestattungswirtschaftsbetrieb III, GRUR 1989, 603 (605). 81 Köhler in Köhler/Bornkamm, § 4 UWG Rz. 13.31. 82 Vgl. BGH v. 18.12.1981 – I ZR 34/80 – Brillen-Selbstabgabestellen, BGHZ 82, 375 (395 f.). 83 OLG Köln v. 20.3.1985 – 6 U 196/84, WRP 1985, 511.
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der Standard-Fallgruppen des § 1 UWG a.F.) unter Ausnutzung ihrer Sonderstellung. In einer etwas neueren, von der Konstellation her ähnlichen Entscheidung verneinte der BGH andererseits ein übermäßiges Anlocken durch die Gewährung eines Bonus in Höhe von damals 1 000 DM durch kommunale Stadtwerke für die Umstellung auf eine moderne Brennwerttechnik (die Gesamtinvestitionen i.H.v. ca. 14 000 DM bis 16 000 DM erforderten)84. Ob die Entscheidung so auch heute noch getroffen würde, ist allerdings 47 fraglich. Die Fallgruppe des übermäßigen Anlockens ist in der Rechtsprechung weitestgehend zurückgedrängt worden85. Auch sind die alten Versorgungsmonopole gefallen. Es sind aber stets alle Umstände des konkreten Einzelfalls in die Betrachtung einzubeziehen.
III. Verquickung von Funktionen Die wichtigste und auch praktisch relevanteste Fallgruppe wettbewerbs- 48 widrigen Handelns öffentlicher Unternehmen ist die Verquickung hoheitlicher und erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit. Es handelt sich dabei um die „Grundform“ des wettbewerbswidrigen Verhaltens der öffentlichen Hand; auch die meisten anderen Fallgruppen lassen sich direkt oder indirekt auf eine nicht saubere Trennung der beiden Bereiche zurückführen. 1. Ausgangslage; Grundauffassung Die öffentliche Hand hat, wenn sie sich erwerbswirtschaftlich betätigt, 49 gegenüber privaten Wettbewerbern vielerlei Vorteile. Sie hat – unabhängig von der Rechtslage – zumindest die faktische Möglichkeit, ihre Tätigkeit mit öffentlichen Mitteln durchzuführen. Sie kann oft sowohl sachliche Betriebsmittel der öffentlichen Hand (Räumlichkeiten, Fahrzeuge, Büroausstattung) verwenden, als auch auf deren personelle Ressourcen zurückgreifen. Diese werden von jedermann aus öffentlichen Steuern und Abgaben finanziert, nicht nur von denjenigen, die die erwerbswirtschaftlich angebotenen Waren oder Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Dadurch können Wettbewerbsverzerrungen eintreten. Ein Vorteil besteht in ihrer rechtlichen oder tatsächlichen Autorität. Sie 50 verfügt über eine Reihe von Zwangs- und Eingriffsbefugnissen dem Bürger (und damit dem potenziellen Kunden) gegenüber, die die Wettbewerber nicht haben. Oft ist der Bürger auch gezwungen, die öffentliche Hand als Hoheitsträger in Anspruch zu nehmen, z.B. zur Erlangung von Genehmigungen usw. Dieser erzwungene Kontakt kann dann zur Anbahnung von Geschäftsverbindungen genutzt werden. Auch abgesehen von rechtlichen Aspekten verfügt die öffentliche Hand über eine gewisse tatsäch84 BGH v. 26.3.1998 – I ZR 222/95 – 1 000 DM Umwelt-Bonus, GRUR 1999, 256. 85 Siehe dazu auch Sosnitza in Piper/Ohly/Sosnitza, § 4.1 Rz. 1/80. Lux
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liche Autorität. Selbst wenn diese tendenziell wohl zurückgeht, bringen die meisten Bürger ihr immer noch besonderes Vertrauen entgegen. Dies hängt damit zusammen, dass die öffentliche Hand gerade nicht der Erzielung von Gewinnen verpflichtet ist, sondern öffentlichen Zwecken. Sie ist außerdem unmittelbare Adressatin u.a. von Art. 3 Abs. 1 GG, weswegen sie als unparteiisch mehreren Anbietern gegenüber angesehen wird. 51 Es ist jedoch zu beachten, dass das bloße nicht vermeidbare Bestehen von Vorteilen gegenüber privaten Unternehmen hinzunehmen ist86. Der öffentlichen Hand kann nicht verwehrt werden, „auf die ihr zur Verfügung stehenden Mittel, auch der finanziellen, – im Rahmen der Gesetze und etwaiger weiterer sie bindender Rechtsvorschriften – in dem erforderlichen Umfang und in angemessener Weise zurückzugreifen. Eine dadurch hervorgerufene Benachteiligung des Wettbewerbs von Mitbewerbern, die sich aus vergleichbaren Gründen auch aus dem Konkurrenzverhältnis privater Unternehmen ergeben kann, folgt aus der grundsätzlichen Zulässigkeit des Wettbewerbs der öffentlichen Hand auch in dem in Rede stehenden Sachbereich. Sie muss dementsprechend auch wettbewerbsrechtlich grundsätzlich hingenommen werden87.“
52 Betreibt daher eine Gemeinde zulässigerweise beispielsweise einen privatwirtschaftlichen Bestattungswirtschaftsbetrieb, der gegen Entgelt Beerdigungsdienstleistungen ausführt, ist es nicht per se wettbewerbswidrig, wenn sie für diese Tätigkeit städtische Bedienstete ihres Friedhofsamts (die so genannten Bestattungsordner) benutzt oder wenn sie ihren gewerblichen Bestattungsdienst im Friedhofsgebäude auf dem Gelände des städtischen Friedhofs unterbringt88. Unlauterkeit i.S.v. § 3 Abs. 1 UWG ist erst gegeben, wenn weitere, die Unlauterkeit begründende Umstände hinzukommen, sie ihre Stellung als öffentlich-rechtliche Körperschaft also missbraucht oder sie sonst aus der Verbindung hoheitlicher und privatwirtschaftlicher Interessen einen unzulässigen Vorsprung vor ihren Mitbewerbern erlangt oder erstrebt89. Auch die Verwendung öffentlicher Mittel im Wettbewerb wird regelmäßig erst durch das Hinzutreten weiterer Umstände, die den Einsatz dieser Mittel als rechts- oder zweckwidrig erscheinen lassen, unlauter90.
86 Piper, GRUR 1986, 574 (579); krit. dagegen Volhard, GRUR 1987, 122 (123); Köhler in Köhler/Bornkamm, § 4 UWG Rz. 13.47. 87 BGH v. 19.6.1986 – I ZR 54/84 – Kommunaler Bestattungswirtschaftsbetrieb I, GRUR 1987, 116 (118). 88 BGH v. 21.7.2005 – I ZR 170/02, GRUR 2005, 960 (961 f.). 89 BGH v. 19.6.1986 – I ZR 54/84 – Kommunaler Bestattungswirtschaftsbetrieb I, GRUR 1987, 116 (118); v. 30.10.1963 – Ib ZR 72/62 – Landwirtschaftsausstellung, WRP 1964, 85 (87); v. 26.4.1974 – I ZR 8/73 – Kfz-Schilderverkauf, NJW 1974, 1333. 90 BGH v. 19.6.1986 – I ZR 54/84 – Kommunaler Bestattungswirtschaftsbetrieb I, GRUR 1987, 116 (118); v. 25.2.1982 – I ZR 175/79 – Kinderbeiträge, WRP 1982, 460 (462 f.).
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2. Beispiele für unzulässige Verquickungen a) Doppelaufgabe einer Stelle Die öffentliche Hand darf nicht öffentliche und private Leistungen in Per- 53 sonalunion durch ein und dieselbe Stelle erbringen. Bürger, die sich an die öffentliche Stelle wenden, werden sonst schon aus Gründen der Bequemlichkeit schnell dazu bereit sein, auch die „aus einer Hand“ angebotenen privaten Dienstleistungen von der öffentlichen Hand in Anspruch zu nehmen. Dies stellt eine unzulässige Verquickung amtlicher und privatwirtschaftlicher Tätigkeit dar91. Ein „klassisches“, aber umstrittenes Beispiel ist der Verkauf von Kfz- 54 Nummernschildern durch die Straßenverkehrsämter. Gerade für diese Fälle hat jedoch der BGH – allerdings bereits Mitte der 70er Jahre – entschieden, dass es wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden sei, wenn ein Landkreis Nummernschilder in den Diensträumen seiner Kfz-Zulassungsstelle zum Verkauf bereithält. Voraussetzung sei allerdings, dass er den Haltern die Wahl des Erwerbs bei einem „externen“ privaten Unternehmen lässt und er auf die am Ort vorhandenen anderen Bezugsquellen „in geeigneter Weise“ hinweist92. Der BGH ging dabei zwar auch vom anerkannten Grundsatz aus, dass die Ausnutzung amtlicher Beziehungen zur Werbung oder zum Abschluss von Verträgen sittenwidrig ist. Er hielt aber eine andere Beurteilung für möglich, wenn die wirtschaftliche Betätigung der Erfüllung amtlicher Aufgaben in der Weise dient, dass sie nur als eine Art Hilfstätigkeit der öffentlichen Verwaltung erscheint, wie etwa bei der Abgabe von Formularen für Kraftfahrzeugscheine durch die Zulassungsstellen. Dies bejahte das Gericht auch beim Verkauf von KfzSchildern93. Diese Argumentation ist indes fraglich. Es kann bereits bezweifelt wer- 55 den, ob es sich beim Verkauf von Kfz-Nummernschildern wirklich nur um untergeordnete „Hilfstätigkeiten“ der öffentlichen Hand handelt. Hiergegen spricht, dass es eine Reihe kommerzieller Anbieter gibt, die 91 Köhler in Köhler/Bornkamm, § 4 UWG Rz. 13.47. 92 BGH v. 26.4.1974 – I ZR 8/73 – Schilderverkauf, GRUR 1974, 733; vgl. zu diesem Urteil und zu BVerwG Bestattungsordner Schultz-Süchting, GRUR 1974, 700. 93 Die bekannte und weitgehend anerkannte Argumentation mit einer Hilfstätigkeit wiederholte und festigte der BGH in jüngerer Zeit in der Entscheidung „Altautoverwertung“ (BGH v. 26.9.2002 – I ZR 293/99 – Altautoverwertung, WRP 2003, 262). Dort führte er aus, dass in solchen Fällen die gebotene Interessenabwägung dazu führen könne, dass wettbewerbsrechtliche Bedenken zurückzutreten hätten. In solchen Fällen habe die öffentliche Hand allerdings das jeweils schonendste Mittel zu wählen, das einerseits den zu wahrenden öffentlichen Interessen genüge, andererseits aber auch die Belange des privaten Gewerbes so wenig wie möglich beeinträchtige. Vgl. zu Hilfstätigkeiten auch unten Rz. 73. Vgl. weiter (auch zur Frage des Rechtswegs) HessVGH v. 15.10.2002 – 8 TG 2579/02, WRP 2003, 112, wo für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung der Verwaltungsrechtsweg für anwendbar erklärt wurde. Lux
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ihr Einkommen gerade aus dieser Haupttätigkeit ziehen. Es handelt sich bei Nummernschildern nicht um ganz geringwertige Gegenstände, die keinen nennenswerten wirtschaftlichen Wert verkörpern. Darüber hinaus kann die Behörde so ihren Informationsvorsprung nutzen (vgl. dazu unten, Rz. 67). 56 Es ist daher nicht sicher, ob der BGH heute noch an seiner Entscheidung aus dem Jahr 1974 festhalten würde94. In seinem Urteil „Kommunaler Bestattungswirtschaftsbetrieb I“ sprach er deutlich aus, dass die Erbringung von hoheitlichen und privatwirtschaftlichen Leistungen durch ein und dieselbe Stelle (dort durch ein und denselben Bestattungsordner) gegen § 1 UWG a.F. verstoße95. Der BGH billigte darin die Entscheidung des Landgerichts Stuttgart, die es der beklagten Gemeinde untersagte, in denselben Räumen, in denen sie zugleich hoheitliche Bestattungsverwaltungshandlungen vornahm, für gewerbliche Bestattungsaufträge zu werben oder hierüber Verträge abzuschließen. Die Instanzrechtsprechung sieht demgemäß auch ähnliche Gestaltungen, bei denen die Straßenverkehrsämter die Schilder nicht auf eigene Rechnung ausgeben, sondern im Namen und für Rechnung von Dritten, als wettbewerbswidrig an96. Bei dieser Ausgestaltung handle es sich nicht um ein „Weniger“ gegenüber der Selbstabgabe durch die Ämter – mit der Folge, dass sie nach der alten BGH-Rechtsprechung zulässig wäre –, sondern um ein aliud, das eine andere Behandlung rechtfertigte. Danach haben sich jedoch der Kartellsenat des BGH97 und das OLG Hamburg98 auf die alte BGH-Entscheidung berufen, wenn auch jeweils nur obiter. 57 In Abgrenzung zum „Schilderverkauf“-Urteil beanstandete das OLG Karlsruhe dagegen die Anweisung einer Universität an ein mit der Vermietung von Werbeflächen in den Gebäuden der Universität beauftragtes Unternehmen, zukünftig keine Werbeflächen mehr an gewerbliche Repetitorien zu vermieten, nicht99. Verneint wurde auch eine Pflicht der Universität – anders als im BGH-Urteil „Schilderverkauf“ – auf konkurrierende Angebote (gewerbliche Repetitorien) hinzuweisen. Denn im BGHUrteil „Schilderverkauf“ gehe es um eine wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, die als Nebengeschäft/Hilfstätigkeit anzusehen sei, da es sich nicht um den Betrieb der Kfz-Zulassungsstelle handele. Beim Sachverhalt, den das OLG Karlsruhe zu entscheiden hatte, gehe es hin-
94 Zweifelnd auch OLG Köln v. 26.10.1990 – 6 U 84/90 – Kfz-Schilder, GRUR 1991, 381 (384); abl. auch Otting, KommunalPraxis SW 1999, 148; SchultzSüchting, GRUR 1974, 700 (702); Harms, BB 1986, Beilage 17, 24. 95 BGH v. 19.6.1986 – I ZR 54/84 – Kommunaler Bestattungswirtschaftsbetrieb I, GRUR 1987, 116 (118). 96 OLG Köln v. 26.10.1990 – 6 U 84/90 – Kfz-Schilder, GRUR 1991, 381. 97 BGH v. 14.7.1998 – KZR 1/97, WRP 1999, 105 (108). 98 OLG Hamburg v. 11.3.1999 – 3 U 40/98, S. 9 des Urteilsumdrucks. 99 OLG Karlsruhe v. 13.5.2009 – 6 U 50/08, GRUR-RR 2009, 275.
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gegen um die Lehrtätigkeit der Universität und somit um den Kernbereich ihrer Aufgabe. b) Räumliche Nähe Es kann nun versucht werden, das Verbot, amtliche und privatwirtschaft- 58 liche Tätigkeiten aus einer Hand anzubieten, zu umgehen, indem die beiden Tätigkeiten nicht an derselben Stelle ausgeübt werden, sondern eine gewisse räumliche Trennung erfolgt, aber die beiden Bereiche doch in unmittelbarer Nähe zueinander angeboten werden. In dem den Entscheidungen „Kommunaler Bestattungswirtschaftsbetrieb I und II“100 zugrunde liegenden Sachverhalt hatten die auch privatwirtschaftliche Tätigkeiten vornehmenden Bestattungsordner ihre Räume im gleichen Stockwerk des Rathauses der beklagten Gemeinde, in dem auch das Friedhofsamt untergebracht war. In diesem nahm die Gemeinde hoheitliche Bestattungsverwaltung (Entgegennahme von Todesbescheinigungen, Anmeldungen zur Bestattung, Zuteilung einer Grabstelle, Festlegung von Ort und Zeit der Bestattung usw.) vor. Amtliche und privatwirtschaftliche Tätigkeit wurden also nicht am selben Schalter vorgenommen, aber doch innerhalb desselben Gebäudes auf demselben Stockwerk angeboten. Der BGH lehnte eine auf noch größere räumliche Trennung101 gerichtete 59 Klage ab. Zwar würden durch die räumliche Nähe Wettbewerbsvorteile zu Gunsten der öffentlichen Hand begründet. Aufgrund der besonderen Umstände – der besonderen Situation, in der sich Hinterbliebene befinden – akzeptierte er jedoch die entstehenden Wettbewerbsvorteile. Es sei der Gemeinde erlaubt gewesen, den Hinterbliebenen, die sie mit der gewerblichen Bestattungsvorbereitung betrauen wollten, besondere Aufwendungen an Zeit und Mühe zu ersparen. Er wies jedoch zugleich darauf hin, dass Standortvorteile der öffentlichen Hand nicht allein durch Umstände gerechtfertigt würden, die lediglich der Bequemlichkeit des Publikums dienen und die dieses davon abhalten, Güte und Preiswürdigkeit eines Angebots zu prüfen102. Diese Grundsätze führen dazu, dass eine Interessenabwägung vorzuneh- 60 men ist. Dient die räumliche Nähe lediglich dazu, den Besuchern des Amtes mehr Bequemlichkeit zu bieten und Wege zu ersparen, überwiegt das Interesse der privaten Konkurrenten der öffentlichen Hand. Besteht 100 BGH v. 19.6.1986 – I ZR 53/84 – Kommunaler Bestattungswirtschaftsbetrieb II, GRUR 1987, 119. 101 Beantragt war eine Verlegung des privatwirtschaftlichen Bestattungswirtschaftsbetriebs vom selben Stockwerk des Rathausflügels, in dem die Hoheitsverwaltung untergebracht war, auf ein anderes Stockwerk oder hilfsweise, den Bestattungswirtschaftsbetrieb nur in einer größeren Entfernung als 50 Meter von der Bestattungshoheitsverwaltung auszuüben. 102 BGH v. 19.6.1986 – I ZR 54/84 – Kommunaler Bestattungswirtschaftsbetrieb I, GRUR 1987, 116 (119); v. 10.2.1956 – I ZR 61/54 – Städtisches Reisebüro, GRUR 1956, 227 (228). Lux
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jedoch im Einzelfall ausnahmsweise ein anerkennenswertes sachliches Interesse an der räumlichen Nähe, ist Sittenwidrigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 UWG zu verneinen. Dies dürfte jedoch nicht sehr häufig vorkommen. 61 Wann eine „besondere räumliche Nähe“ vorliegt, ist nicht genau zu definieren. Eine Bestimmung in Metern (wie zum Teil in Klageanträgen versucht) ist nicht sinnvoll103. Richtigerweise ist darauf abzustellen, ob für den Kunden bzw. Besucher des Amtes ein gegenüber den Möglichkeiten privater Anbieter erhöhter Anlockeffekt erzielt wird. Dies wird regelmäßig dann der Fall sein, wenn die privatwirtschaftliche Leistung in demselben Gebäude angeboten wird, in dem auch die Hoheitsverwaltung sitzt. Anders kann es sein, wenn in dem betreffenden Gebäude auch andere private Unternehmen ihre gewerblichen Leistungen anbieten und die fragliche Fläche daher auch privaten Konkurrenten in gleicher Weise offen stünde. Es wird hier auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls abzustellen sein. c) Leistungserbringung durch Dritte 62 Regelmäßiger Streitpunkt in der Rechtsprechung sind Auseinandersetzungen um die Vermietung von Räumlichkeiten, die durch eine besondere Nähe zu Ämtern privilegiert sind und dadurch einen Standortvorteil im Wettbewerb bieten. Als praxisrelevant haben sich die „Schilderpräger im Landratsamt“ erwiesen, die Problematik ist aber nicht darauf beschränkt. Eine Reihe von Ämtern vermietet an private Schilderprägebetriebe Räume in den Gebäuden, in denen sich auch die Kfz-Zulassungsstellen befinden. Es stellen sich neben den lauterkeitsrechtlichen auch kartellrechtliche Fragestellungen. Diese sind insbesondere dadurch bedingt, dass Gewerberaum in unmittelbarer Nähe der Zulassungsstellen – nämlich in den betreffenden Gebäuden selbst – in der Regel nur von den Ämtern zu erhalten ist. Die Gebietskörperschaften haben insoweit eine Monopolstellung inne. Diese können sie durch Vermietung an Dritte weitergeben. Dadurch greifen die Gebietskörperschaften durch die Auswahl des privaten Unternehmens und die Ausgestaltung des Vertrags mittelbar in den Wettbewerb zwischen den privaten Unternehmen ein104. 63 § 20 Abs. 1 GWB verbietet es marktbeherrschenden Unternehmen, Dritte unbillig zu behindern oder zu diskriminieren. In der in Rz. 60 geschilderten Praxis der Behörden sieht die Rechtsprechung jedoch nur vereinzelt eine unbillige Behinderung i.S.v. § 20 GWB105. Der weit überwiegende 103 Vgl. aber OLG Stuttgart v. 12.12.1995 – 2 W (Kart) 62/95, NJW-RR 1996, 1003; VGH BW v. 6.3.2006 – 1 S 2490/05, DÖV 2006, 831. 104 Hauck, GRUR 2008, 665. 105 OLG Karlsruhe v. 13.12.1995 – 6 U 203/95 (Kart), WRP 1996, 447 (448); vgl. auch OLG Stuttgart v. 12.12.1995 – 2 W (Kart) 62/95, NJW-RR 1996, 1003; VGH BW v. 6.3.2006 – 1 S 2490/05, DÖV 2006, 831.
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Teil der Rechtsprechung lehnte bisher Ansprüche aus unterschiedlichen Gründen ab106. Auch der Kartellsenat des BGH wies in einem solchen Fall die Klage eines privaten Schilderprägebetriebs ab107. Aus der Begründung des BGH lassen sich Gestaltungshinweise für zuläs- 64 sige Vermietungen ableiten. Der BGH hält zunächst fest, dass die Behörde Normadressatin des alten § 26 Abs. 2 GWB (heute § 20 Abs. 1 GWB) sei, da sie auf dem relevanten Markt für Räumlichkeiten in unmittelbarer Nähe der Zulassungsstelle über eine marktbeherrschende Stellung verfüge108. Der Ausschluss dritter Unternehmen habe objektiv nachteilige Auswirkungen für die Betroffenen und sei daher auch eine Behinderung i.S.v. § 26 Abs. 2 GWB a.F.109. Entscheidendes Kriterium ist jedoch die Unbilligkeit. Zu berücksichtigen sind für diese Wertung insbesondere drei Aspekte: Erstens erkennt der Kartellsenat das Interesse der Behörde daran an, den Kunden durch Aufnahme eines Schilderprägers im Gebäude der Zulassungsstelle entgegenzukommen; der „Bequemlichkeitsaspekt“ wird entgegen der Rechtsprechung des I. Zivilsenats hier also anerkannt. Zweitens werde der Standortvorteil durch eine regelmäßig höhere Miete oder Pacht wieder ausgeglichen. Im dort entschiedenen Fall war dies auch tatsächlich so. Und drittens fordert das Gericht, dass der ausgeschlossene Wettbewerber die Möglichkeit haben müsse, auf sein Angebot – insbesondere auf die von ihm verlangten Preise – „an geeigneter Stelle hinzuweisen“. In seiner jüngsten Entscheidung hierzu bestätigte der Kartellsenat seine Rechtsprechung und konkretisierte sie etwas110. Danach können eventuelle Ansprüche von Wettbewerbern der Mieter nicht auf die Vornahme eines positiven Tuns durch die öffentliche Hand – insbesondere nicht auf die Anbringung eines bestimmten Hinweisschilds oder dessen Duldung – gerichtet sein. Die Kommune könne lediglich dazu verpflichtet werden, es zu unterlassen, Geschäftsräume an Schilderpräger zu vermieten, ohne gleichzeitig anderen Schilderprägern, die sich ebenfalls um die Kunden der Zulassungsstelle bemühen, deren Geschäftsräume aber außerhalb der vermieteten Räume liegen, Gelegenheit zu geben, auf ihr Angebot hinzuweisen. Einer solchen (Unterlassungs-)Verpflichtung könne die Kommune aber auf unterschiedliche Weise nachkommen, nämlich indem sie dem Wettbewerber gestatte, ein 106 OLG Stuttgart v. 12.12.1995 – 2 W (Kart) 62/95, WRP 1996, 369; OLG Rostock v. 18.10.1995 – 2 U 49/95, WRP 1996, 465; OLG Schleswig v. 1.8.1995 – 6 U Kart 35/95, NJW-RR 1997, 292; OLG Düsseldorf v. 19.3.1996 – W (Kart) 1/96, NJW-RR 1997, 294; OLG München v. 7.11.1996 – U (K) 5870/95, NJW-RR 1997, 296; OLG Dresden v. 18.4.1996 – 7 U 2422/95, NJW-RR 1997, 299. 107 BGH v. 14.7.1998 – KZR 1/97 – Schilderpräger im Landratsamt, GRUR 1999, 278 (als Revisionsinstanz zu OLG München v. 7.11.1996 – U (K) 5870/95, NJW-RR 1997, 296). 108 Insoweit bestätigt durch BGH v. 24.9.2002 – KZR 4/01 – Kommunaler Schilderprägebetrieb, WRP 2003, 73. 109 BGH v. 14.7.1998 – KZR 1/97 – Schilderpräger im Landratsamt, GRUR 1999, 278 (280). 110 BGH v. 8.11.2005 – KZR 21/04, WRP 2006, 902 (904). Lux
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entsprechendes Werbeschild anzubringen, aber auch dadurch, dass sie selbst in geeigneter Form auf die Angebote der verschiedenen Anbieter hinweise und damit die Besucher der Zulassungsstelle darüber informiere, dass es in unmittelbarer Nähe noch andere Anbieter als die in den vermieteten Räumlichkeiten angesiedelten gebe. 65 Wesentliches Kriterium für die Zulässigkeit der Vermietung behördlicher Flächen an exponierter Stelle an private Unternehmen ist jedoch, dass die Auswahl des Mieters „unter angemessenen und fairen Bedingungen erfolgt“. Mittel der Wahl sind Ausschreibungen. Die Vertragsdauer darf dabei nicht übermäßig lang sein, um nicht berücksichtigten Interessenten die Möglichkeit zu geben, sich demnächst wieder um die Räume zu bemühen111. Bei Schilderprägebetrieben liegt diese Zeitspanne bei fünf Jahren112. Sind die objektiven Vergabebedingungen eingehalten, liegt auch kein Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht vor113. Die Wertungen im Rahmen der Prüfung der Unbilligkeit i.S.v. § 20 Abs. 1 GWB entsprechen insoweit denen bei der Bestimmung der Sittenwidrigkeit i.S.v. § 3 Abs. 1 UWG. Das OLG Düsseldorf hat den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung gemäß § 19 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 1 GWB bei einem Schilderpräger bejaht, der sein Gewerbe in den Räumen der örtlichen Kfz-Zulassungsstelle betreibt und durch den Abschluss eines mehrjährigen Mietvertrags das einzige für einen Konkurrenzbetrieb zur Verfügung stehende Grundstück blockiert114. Aufgrund des Mietvertrags könne der Schilderprägebetrieb über Jahre das Entstehen von Wettbewerb auf dem örtlichen Schilderprägemarkt rund um die Kfz-Zulassungsstelle verhindern. In dem vorliegenden Urteil hielt das OLG Düsseldorf eine Zeitspanne von fünf Jahren (bei Gelingen einer Folgeanmietung durch Vertragsverlängerung würde die Zeitspanne sogar zehn Jahre betragen) gekoppelt mit einer vertraglich vereinbarten Konkurrenzschutzklausel für ausreichend, um einen Marktbeherrschungsmissbrauch zu bejahen115. 66 Als Quintessenz lässt sich damit festhalten, dass die öffentliche Verwaltung ihren Standortvorteil im Regelfall nicht selbst nutzen darf, wohl aber mittelbar durch Vermietung oder Verpachtung der Räume an private dritte Unternehmen. Dabei ist jedoch die absolute Objektivität der Vergabebedingungen und die absolute Chancengleichheit Voraussetzung. 111 BGH v. 14.7.1998 – KZR 1/97 – Schilderpräger im Landratsamt, GRUR 1999, 278 (281); Hauck, GRUR 2008, 665 (670). 112 BGH v. 8.4.2003 – KZR 39/99 – Konkurrenzschutz für Schilderpräger, WRP 2003, 988 (990). 113 BGH v. 14.7.1998 – KZR 1/97 – Schilderpräger im Landratsamt, GRUR 1999, 278 (281). 114 OLG Düsseldorf v. 17.12.2008 – VI-U (Kart) 15/08 – Schilderprägermietvertrag, GRUR-RR 2009, 270. 115 OLG Düsseldorf v. 17.12.2008 – VI-U (Kart) 15/08 – Schilderprägermietvertrag, GRUR-RR 2009, 270 (271).
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Nicht möglich ist also die bevorzugte Vergabe von privilegierten Standorten an ausgewählte, beispielsweise an mit der öffentlichen Hand in Verbindung stehende öffentliche Unternehmen. Letzteres machte der BGH in einer Entscheidung nochmals eindeutig klar: Der Kartellsenat sieht es als unbillige Behinderung an, wenn eine Gemeinde im selben Gebäude, in dem sie die Kfz-Zulassungsstelle eingerichtet hat, mehrere Räume an ein eigenes Schilderprägeunternehmen vergibt, das sich nicht an dem für die anderen Räume durchgeführten Ausschreibungsverfahren beteiligen musste116. d) Sonstige Verquickung Weitere Fälle, in denen amtliche und privatwirtschaftliche Sphären nicht 67 strikt getrennt werden, sind vielgestaltig. So können beispielsweise amtliche Informationen ausgenutzt werden. In der Literatur wird auch aus diesem Grund die Abgabe von Kfz-Nummernschildern durch die Straßenverkehrszulassungsämter als wettbewerbswidrig angesehen: Da die Ämter aufgrund ihrer Kenntnis der Zulassungsdaten genau wüssten, welche Zulassungsnummern noch frei sind, könnten sie gerade diese Nummern (und nur diese) vorrätig halten. Dadurch werde einerseits unnötiger Lager- und Zeitaufwand durch unnützes Prägen vermieden und andererseits könnten die jeweils benötigten Nummernschilder sofort angeboten werden117. Ebenso ist es beispielsweise unzulässig, wenn eine Gemeinde Sterbefallanzeigen an ein gemeindeeigenes Bestattungsunternehmen weiterleitet, damit dieses im Wettbewerb um Bestattungsaufträge Vorteile hat118. Als zulässig hat es der BGH dagegen angesehen, wenn eine Gemeinde 68 den Verkauf von gemeindeeigenen Grundstücken in einem Neubaugebiet mit der Verpflichtung verknüpft, den Heizenergiebedarf durch ein von einer gleichfalls gemeindeeigenen Gesellschaft betriebenes Blockheizkraftwerk zu decken119. Die Kommune mache damit nur von privatrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten Gebrauch, die ebenso auch etwa einem privaten Erschließungsunternehmen, das für ein Neubaugebiet eine Fernwärmeversorgung vorsieht, zu Gebote stehen. Es liege weder ein Verstoß gegen § 1 UWG unter dem Gesichtspunkt des unzulässigen Wettbewerbs der öffentlichen Hand, noch unter dem Gesichtspunkt der Kopplungen verschiedener Leistungen oder Waren vor. Auch kartellrechtliche Bedenken verneinte der (Kartell-)Senat.
116 BGH v. 24.9.2002 – KZR 4/01 – Kommunaler Schilderprägebetrieb, WRP 2003, 73. 117 Schultz-Süchting, GRUR 1974, 700 (792). 118 Piper, GRUR 1986, 574 (579). 119 BGH v. 9.7.2002 – KZR 30/00 – Fernwärme für Börnsen, WRP 2002, 1426. Lux
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IV. Missbrauch von Autorität oder Hoheitsbefugnissen 69 Eine Steigerung der Ausnutzung amtlicher Informationen ist es, wenn die öffentliche Hand amtliche Einflussmöglichkeiten oder amtliche Autorität120 unlauter ausnutzt. In der Regel geht es in solchen Fällen darum, den Wettbewerb Dritter zu fördern. Dabei macht es für die Bewertung als sittenwidrig keinen Unterschied, ob der geförderte Dritte mit der öffentlichen Hand in irgendeiner Weise (etwa durch gesellschaftsrechtliche Beteiligungsverhältnisse) verbunden ist oder nicht. Im Grunde handelt es sich dabei um eine Unterfallgruppe der unzulässigen Verquickung von hoheitlicher und privatwirtschaftlicher Sphäre. Die Abgrenzung kann im Einzelfall schwierig sein. 1. Missbrauch von Hoheitsbefugnissen 70 Eindeutig ist ein Verstoß gegen die guten Sitten, wenn Hoheitsbefugnisse sachwidrig eingesetzt werden, um Vorteile im privatwirtschaftlichen Verkehr zu erlangen. Krasses Beispiel wäre die Erteilung einer Genehmigung als „Gegenleistung“ für die Inanspruchnahme einer privatwirtschaftlichen Leistung etwa eines kommunalen Unternehmens. 71 Einen Fall der wettbewerbswidrigen Ausnutzung amtlicher Einflussmöglichkeiten sah der BGH auch in der Entscheidung „Landwirtschaftsausstellung“ als gegeben an121. Die Landwirtschaftskammer Bremen, eine Körperschaft des Öffentlichen Rechts, beteiligte sich an einer privatwirtschaftlichen Gesellschaft für Werbung und Ausstellung mbH. Diese veranstaltete vor allem landwirtschaftliche Ausstellungen im Raum Bremen. Die Landwirtschaftskammer förderte auf verschiedene Weise den Wettbewerb der Gesellschaft, an der sie beteiligt war. Insbesondere nahm sie darauf Einfluss, dass das einzige in Bremen für landwirtschaftliche Ausstellungen zur Verfügung stehende Gelände mehrfach an die Gesellschaft vermietet wurde und ein Konkurrenzunternehmen nicht bedacht wurde. In dieser Einflussnahme auf eine Entscheidung, mit der der Wettbewerb praktisch entschieden wird, sah der BGH die Besonderheit des Falles. Er verurteilte die Landwirtschaftskammer nicht nur zum Unterlassen der Einflussnahme, sondern bestätigte das Berufungsurteil, nach dem die Kammer aus der Gesellschaft auszutreten hatte. Der BGH schätzte aufgrund dieser Einflussmöglichkeit die Gefahr einer Wett120 Dem OLG Hamburg (OLG Hamburg v. 11.3.1999 – 3 U 40/98 – n.v., Urteilsumdruck S. 10), ist zwar zuzugeben, dass nach dem Ruf, den Behörden vielfach genießen, mancher Bürger der hoheitlichen Autorität nicht unbedingt weit trauen wird. Darauf, ob der Bürger der Behörde im Einzelfall tatsächlich eine besondere Autorität beigemessen hat, kommt es aber nicht an. Es schadet bereits die Gefahr, dass ein Kunde aufgrund hoheitlicher Autorität angelockt wird. 121 BGH v. 30.10.1963 – Ib ZR 72/62 – Landwirtschaftsausstellung, GRUR 1964, 210.
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bewerbsverzerrung so hoch ein, dass er einer Klage auf Unterlassung der Beteiligung an der Gesellschaft selbst stattgab. Es verhalte sich aufgrund der Besonderheiten anders als bei sonstigen Beteiligungen an privatwirtschaftlichen Unternehmen, wie etwa an Verkehrsunternehmen, Wohnbaugesellschaften, Banken, Hotels usw., bei denen eine solch extreme Einflussnahmemöglichkeit der öffentlichen Hand nicht gegeben sei. 2. Inanspruchnahme hoheitlicher Autorität Fälle des Autoritätsmissbrauchs sind dagegen häufig nicht so eindeutig.
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a) Inanspruchnahme öffentlicher Autorität nicht generell wettbewerbswidrig; Neutralitätspflicht So billigte der BGH den Auftritt von Vertretern für bestimmte pädago- 73 gisch wertvolle Jugendzeitschriften in Schulklassen mit Billigung der Schulen und Lehrer122. Der BGH geht zwar davon aus, dass allein schon die Duldung der Werbung in Klassenräumen durch die Schule und Lehrer geeignet sein kann, den Absatz der beworbenen Produkte zu fördern. Es stelle aber nicht von vorneherein und ausnahmslos einen Verstoß gegen die guten Sitten im Wettbewerb dar, wenn ein Unternehmen (beklagt war nicht das Land als Träger der Schulen, sondern der die Werbung betreibende Verlag) fremde Autorität einsetze. Es komme auf die Umstände des Einzelfalls an. Bei der Bewerbung von Jugendzeitschriften sei zu beachten, dass Eltern durchaus auf die besondere pädagogische Sachkenntnis von Lehrern über den Wert der Zeitschriften vertrauen dürften. Sittenwidrig sei eine solche Aktion jedoch stets dann, wenn der öffentlichen Hand bestimmte Vergünstigungen gemacht oder in Aussicht gestellt würden, die deren Neutralität beeinflussen könnten. Dies könne den sachlichen Wert der Empfehlung in Frage stellen und die Gleichbehandlung der Mitbewerber beeinträchtigen123. Außerdem dürfe nicht der Eindruck erweckt werden, eine Nichtinanspruchnahme der durch öffentliche Autorität beworbenen Leistung könne irgendwelche nachteiligen Folgen haben, etwa für das schulische Fortkommen des Kindes, das die Jugendzeitschriften nicht abonniert. Nicht ohne weiteres sittenwidrig soll es auch sein, wenn ein Hersteller von Zahnpflegemitteln Schulen mit deren Einverständnis Zahnpflegeprodukte zur Verfügung stellt, die der Erziehung zur Zahnhygiene dienen124. 122 BGH v. 4.4.1984 – I ZR 9/82 – Werbung in Schulen, GRUR 1984, 665. In seiner Entscheidung Kindergarten-Malwettbewerb (v. 3.11.1978 – I ZR 90/77, GRUR 1979, 157 [158]) hatte der BGH noch ausdrücklich offen gelassen, ob durch die Einschaltung von Kindergärtnerinnen öffentliche Autorität in Anspruch genommen werde, so dass eine Werbeaktion allein dadurch wettbewerbswidrig werde. 123 BGH v. 4.4.1984 – I ZR 9/82 – Werbung in Schulen, GRUR 1984, 665 (667). 124 OLG Frankfurt a.M. v. 7.12.2000 – 6 U 38/00 – Schulprogramm als Werbeträger, WRP 2001, 294. Lux
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74 Die Inanspruchnahme hoheitlicher Autorität für die Bewerbung privatwirtschaftlicher Leistungen – sei es durch die öffentliche Hand selbst oder durch dritte Unternehmen – ist jedoch nur in wenigen Ausnahmefällen nicht wettbewerbswidrig. Der öffentlichen Hand wird nämlich besonderes Vertrauen entgegengebracht, das sich insbesondere auch auf die wettbewerbliche Neutralität mehreren Anbietern gegenüber erstreckt. Werden einzelne Anbieter durch die öffentliche Hand hervorgehoben oder gefördert, wird dieses Neutralitätsgebot in aller Regel verletzt. Ein Missbrauch dieses Vertrauens in die Neutralität des Staates ist aber stets wettbewerbswidrig125. 75 Eine Ausnahme kann aber anzunehmen sein, wenn es gerade zu den typischen Aufgaben der in Anspruch genommenen Autorität gehört, die „Untergebenen“ beim Bezug bestimmter Waren zu beraten, ihnen günstige Einkaufsmöglichkeiten zu beschaffen oder wenn ein enger Zusammenhang zwischen der hoheitlichen Tätigkeit und der Teilnahme am Wirtschaftsleben besteht und letztere nur als eine Art Hilfstätigkeit der öffentlichen Verwaltung erscheint126. Die durchzuführende Interessenabwägung kann dann dazu führen, dass wettbewerbsrechtliche Bedenken zurückstehen müssen127. So sah das OLG Frankfurt etwa keinen Wettbewerbsverstoß darin, dass ein Unternehmen, dessen Stand auf der Hannovermesse vom damaligen Bundeskanzler besucht worden war, mit dem Foto dieses Besuchs warb. Solche Besuche gehörten zum Aufgabenkreis von Politikern und stellten keine Förderung einzelner Unternehmen dar. Sie seien lediglich „Hilfstätigkeiten“ ihrer Repräsentationspflichten und dienten allenfalls der Förderung der Wirtschaft allgemein. Es müsse allerdings aus dem Foto deutlich werden, dass es sich um einen „allgemeinen“ Messebesuch gehandelt habe. 76 Der BGH hielt das Verhalten eines Standesamtes, das sich gegenüber einem Verlag verpflichtete, allen Heiratswilligen bei Anmeldung der Eheschließung ein von dem Verlag herausgegebenes Kochbuch zu übergeben, an sich nicht für wettbewerbswidrig128. Die Unlauterkeit könne sich jedoch daraus ergeben, dass dem Verlag durch die Hilfe der Behörde ein Vorsprung im Wettbewerb verschafft werde, indem das Standesamt Wettbewerbern des Verlags, die auch an einer Zusammenarbeit dieser Art interessiert seien, diese Möglichkeit verwehre. In diesem Fall verneinte der BGH die Unlauterkeit, da nicht ersichtlich sei, dass sich die Wettbewer-
125 BGH v. 30.10.1963 – Ib ZR 72/62 – Landwirtschaftsausstellung, GRUR 1964, 210 (213); OLG Düsseldorf v. 28.12.99 – 20 U 70/90 – Postwerbung, GRUR 1992, 182 (184), m. krit. Anm. Lehmann. 126 Vgl. dazu auch BGH v. 26.9.2002 – I ZR 293/99 – Altautoverwertung, WRP 2003, 262. 127 OLG Frankfurt a.M. v. 8.6.1993 – 6 U 183/92 – Einspannen von Autoritäten, NJW-RR 1994, 364 (365). 128 BGH v. 26.2.2009 – I ZR 106/06 – Buchgeschenk vom Standesamt, WRP 2009, 611.
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ber des Verlags vergeblich beim Standesamt um entsprechende Werbemöglichkeiten bemüht hätten. Die Anlehnung einer Werbung an die staatliche Autorität muss ebenfalls 77 nicht zwingend eine wettbewerbswidrige Ausnutzung dieser darstellen und ist deshalb an sich nicht ohne weiteres zu beanstanden. In dem Urteil „Elternbriefe“ hatte der BGH über die Wettbewerbswidrigkeit der gemeinsamen Versendung von Elternbriefen einer staatlichen Stelle und Werbung einer Landesbausparkasse gegen Übernahme der Portokosten zu entscheiden129. Darin stellte der BGH klar, dass eine unlautere Randnutzung einer öffentlichen Einrichtung dann vorliege, wenn die mit dem Elternbrief und der Werbung jeweils verfolgten Interessen dieselbe Zielrichtung – Appellieren an die Verantwortung der angeschriebenen Eltern für die Zukunft ihrer Kinder – hätten. Das OLG Brandenburg hat im Rahmen der Versendung von Gehalts- 78 abrechnungen zusammen mit Werbeflyern eines Bankinstituts durch die Stadtverwaltung an ihre Mitarbeiter eine Anlehnung an die staatliche oder amtliche Autorität und ein wettbewerbswidriges Verhalten des Bankinstituts verneint130. Dieses Urteil dient der Abgrenzung zum vorstehend beschriebenen BGH-Urteil „Elternbriefe“131. Wie bereits der BGH in seiner Entscheidung „Elternbriefe“ vertritt das OLG Brandenburg die Auffassung, dass sich das Bankinstitut nicht an die Autorität der Stadtverwaltung anlehne, indem diese den Werbeflyer des Bankinstituts zusammen mit den Gehaltsabrechnungen versende. Die Stadtverwaltung übersende die Gehaltsabrechnungen nicht als Behörde, sondern als Arbeitgeber. Das unterscheide den Fall von dem BGH-Urteil „Elternbriefe“, denn dort liege Handeln als staatliche Behörde in Erfüllung der amtlichen Aufgaben vor. Bei der OLG-Entscheidung „Werbeflyer mit Gehaltsabrechnung“ habe sich das Bankinstitut – anders als in der Entscheidung „Elternbriefe“ – auch nicht inhaltlich an die von der Stadtverwaltung übersandten Gehaltsabrechnungen angehängt. Es sei nicht der Eindruck erweckt worden, dass mit den Gehaltsbescheinigungen und dem Werbeflyer eine gemeinsame Zielrichtung verfolgt werde. Die Stadtverwaltung sei lediglich ihren Arbeitgeberverpflichtungen nachgekommen, ohne an die Verantwortung der Mitarbeiter (wie in dem Urteil „Elternbriefe“) zu appellieren. Ebenfalls für zulässig erklärte der BGH eine Schulfotoaktion, bei der ein 79 gewerbliches Fotounternehmen einer Schule einen PC dafür übereignete, dass die Schule für einen oder zwei Tage Räumlichkeiten für Schulfotos zur Verfügung stellte und die Abwicklung der Aktion (z.B. Einsammeln des Geldes) übernahm. Der BGH hielt dies – entgegen der Berufungs129 BGH v. 18.10.2001 – I ZR 193/99 – Elternbriefe, WRP 2002, 527. 130 OLG Bbg. v. 7.10.2008 – 6 U 157/07 – Werbeflyer mit Gehaltsabrechnung, GRUR-RR 2009, 239. 131 BGH v. 18.10.2001 – I ZR 193/99 – Elternbriefe, WRP 2002, 527. Lux
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instanz – für zulässig, da erstens ein legitimes, anerkennenswertes Interesse an solchen Schulfotoaktionen bestehe, die auch bereits seit Generationen durchgeführt würden, und zweitens die Tatsache allein, dass sich die Schule für die aufwendige Organisation eine Gegenleistung gewähren ließ, noch nicht unlauter sei. Sollte eine für solche kommerziellen Aktivitäten nach dem Brandenburgischen Schulgesetz notwendige Ausnahmegenehmigung des Schulträgers nicht vorgelegen haben, so habe es sich dabei nur um einen verwaltungsinternen Fehler gehandelt, auf den sich Dritte nicht stützen könnten und der die Unlauterkeit nicht begründete. Entscheidend war aber, dass die Gestaltung der Leistungen so war, dass in Bezug auf die Fotos keinerlei Abnahmeverpflichtung bestand und die Schule auch keinen dahingehenden Einfluss auf die Schüler oder deren Eltern nehmen sollte; der PC wurde bereits am Tag der Aufnahmen übergeben. 80 Als unzulässige, die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher durch unangemessenen unsachlichen Einfluss beeinträchtigende Maßnahme (§ 4 Nr. 1 UWG n.F.), sah das Saarländische OLG dagegen die Bewerbung von Brandschutzartikeln durch einen Baumarkt mit dem Hinweis auf eine Informationsveranstaltung durch die ortsansässige Feuerwehr an132. b) Auskünfte und Empfehlungen 81 Die Grenze zur sittenwidrigen Inanspruchnahme öffentlicher Autorität ist im Einzelfall schwer zu bestimmen. Es ist zu berücksichtigen, dass es der öffentlichen Hand nicht ohne Ausnahme versagt ist, Empfehlungen auszusprechen. Das Publikum kann ein schutzwürdiges Interesse daran haben, nicht nur unkommentierte Informationen, sondern auch Wertungen der öffentlichen Hand zu erhalten133. Dabei werden aber nur solche Empfehlungen wettbewerbsrechtlich zu akzeptieren sein, an denen der Kunde tatsächlich ein Interesse haben kann. Dies ist nur dann der Fall, wenn sich die Behörde innerhalb des ihr zugedachten Aufgabenkreises bewegt134. Darüber hinaus muss die gemachte Empfehlung – ebenso wie bloß nicht wertende Auskünfte – unparteiisch und ausschließlich nach sachlichen Gesichtspunkten erteilt werden. Andernfalls liegt ein Missbrauch der Vertrauensstellung und damit der der öffentlichen Hand entgegengebrachten Autorität vor. Empfiehlt eine Kurverwaltung auf Anfrage hin einzelne Unterkunftsmöglichkeiten, weil diese den Bedürfnissen des Kunden am besten entsprechen, ist dies daher nicht zu beanstanden, solange es objektiv und unparteiisch geschieht. Dies gilt auch dann, wenn staatseigene Betriebe empfohlen werden. Das Gleiche 132 OLG Saarl. v. 3.11.2004 – 1 U 125/04-23, WRP 2005, 759 (761 ff.). 133 BGH v. 20.12.1955 – I ZR 24/54 – Bad Ems, BGHZ 19, 299 (305 ff.). 134 BGH v. 10.7.1986 – I ZR 59/84 – Innungskrankenkassenwesen, GRUR 1986, 905 (907 f.); vgl. weiter BGH v. 4.4.1984 – I ZR 9/82 – Werbung in Schulen, GRUR 1984, 665 (666); BGH v. 20.12.1955 – I ZR 24/54 – Bad Ems, BGHZ 19, 299.
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gilt für die Äußerung einer Handwerkskammer, wonach die Innungskrankenkasse für das Handwerk besser als andere Kassen geeignet sei, da die Aussage noch im Aufgabenbereich der Kammer liegt und sachlich zutreffend ist135. Diese Grundsätze gelten für die Erteilung von bloßen Auskünften durch 82 die öffentliche Hand entsprechend136. Wird beispielsweise ein kommunales Energieversorgungsunternehmen nach Namen und Anschriften von Elektriker-Notdiensten gefragt, darf es nicht einzelne Unternehmen in sachwidriger Weise benennen, andere jedoch nicht. Für die Vollständigkeit reicht es auch nicht aus, einige Mitbewerber namentlich zu benennen und der Vollständigkeit halber für die anderen Mitbewerber lediglich pauschal auf ein Branchenfernsprechbuch hinzuweisen. Die Nennung muss vollständig alle in Betracht kommenden Unternehmen erfassen137. Auch hier kommt es nicht darauf an, ob die öffentliche Hand selbst mit den einseitig genannten Unternehmen in Beziehung steht oder nicht. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die öffentliche Hand stets alle Anbieter 83 benennen müsste. Der Bürger vertraut lediglich darauf, dass ihm die öffentliche Hand eine objektive, neutrale und sachgerechte Auskunft geben wird. Wird daher beispielsweise speziell nach einem billigen Notdienst gefragt, ist es zulässig, teure Dienste nicht zu benennen; würde dies anders gehandhabt, würde die öffentliche Hand ihrer Vertrauensstellung gleichfalls nicht gerecht werden. Je nach den Umständen kann die öffentliche Hand auch ein eigenes schützenswertes Interesse daran haben, mitunter ein bestimmtes anderes Unternehmen allein zu benennen138. Die öffentliche Hand darf Auskünfte lediglich nicht bewusst unvollständig erteilen und damit eine sachlich nicht gerechtfertigte Bevorzugung bestimmter Wettbewerber gegenüber den nicht genannten beabsichtigen. Das OLG Stuttgart bejahte in einem Urteil139 einen Verstoß gegen § 3 84 UWG dadurch, dass eine Gemeinde in ihrem Amtsblatt unter „Wichtige Rufnummern“ die Telefonnummer ihrer Sozialstation veröffentlichte und einem Mitbewerber mit vergleichbarem Leistungsangebot (Pflegedienst) eine gleichartige Erwähnung im Amtsblatt verwehrte. Wenn eine Gemeinde konkrete Auskünfte oder allgemeine Informationen gebe, müsse sie das Gebot der Sachlichkeit/Sachgerechtigkeit und das der Neutralität einhalten. Eine Gemeinde handele unlauter, wenn das ihr ent135 BGH v. 10.7.1986 – I ZR 59/84 – Innungskrankenkassenwesen, GRUR 1986, 905 (907 f.). 136 BGH v. 20.12.1955 – I ZR 24/54 – Bad Ems, BGHZ 19, 299 (304 ff.); v. 24.2.1994 – I ZR 59/92 – Auskunft über Notdienste, GRUR 1994, 516 (517 f.). 137 BGH v. 24.2.1994 – I ZR 59/92 – Auskunft über Notdienste, GRUR 1994, 516 (518); vgl. dazu auch v. 21.9.1989 – I ZR 27/88 – Firmenrufnummer, GRUR 1990, 463 (464). 138 BGH v. 24.2.1994 – I ZR 59/92 – Auskunft über Notdienste, GRUR 1994, 516 (518). 139 OLG Stuttgart v. 5.8.2010 – 2 U 53/10. Lux
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gegengebrachte Vertrauen in die Objektivität und Neutralität ihrer Amtsführung missbraucht werde. Eine Empfehlung oder Information müsse sachlich und unparteiisch sein und dürfe nicht von geschäftlichen Interessen bestimmt werden, die die gebotene Gleichbehandlung von Mitbewerbern beeinträchtigt. 85 Der BGH hat in seinem Urteil „Auskunft der IHK“ festgestellt, dass eine IHK, die einerseits als Prüfungsbehörde fungiert und andererseits Vorbereitungskurse zu den Prüfungen anbietet, dann wettbewerbswidrig handelt, wenn sie gegenüber einem Prüfungsbewerber, den sie über das eigene Leistungsangebot informiert und dieser sich nach Konkurrenzangeboten erkundigt, erklärt, dass sie von keinen weiteren Angeboten wisse, obwohl sie ein privater Wettbewerber über sein Angebot informiert hat140. In diesem Verhalten liege eine missbräuchliche Ausnutzung der amtlichen (Vertrauens-)Stellung durch die IHK. 86 Schwierig kann dabei die Feststellung sein, ob überhaupt eine Empfehlung vorliegt. Der BGH verneinte dies in einem Fall, in dem so genannten Elternbriefen zu pädagogischen Themen kommentarlos Werbung für eine Landesbausparkasse beigelegt wurde (die dafür das Porto der Sendungen übernahm)141. Auch ein Autoritätsmissbrauch läge in einem solchen Fall nicht vor, da zwar die Angabe der Behörde als Absender erhöhte Aufmerksamkeit hervorrufe, dies aber noch keinen Missbrauch von Autorität darstelle, solange keine psychische Zwangslage oder sonstiger Druck ausgeübt werde. Die Aktion war aber im entschiedenen Fall mit einer nicht leicht nachzuvollziehenden Abgrenzung (m.E. im Ergebnis zu Recht) dennoch als unzulässig angesehen worden, u.a. weil für die Sendungen das Datenmaterial (d.h. die Adressen) der Behörde benutzt worden waren und eben doch mit einer erhöhten Aufmerksamkeit auch für die Werbung zu rechnen war. Damit wurde staatliche Autorität wenn auch nicht missbräuchlich eingesetzt, so doch wenigstens unlauter ausgenutzt (unlautere Randnutzung einer öffentlichen Einrichtung), da die mit dem Elternbrief und der Werbung jeweils verfolgten Interessen dieselbe Zielrichtung – Appellieren an die Verantwortung der angeschriebenen Eltern für die Zukunft ihrer Kinder – hätten. c) Äußerungen Dritter 87 Keine Anwendung können die genannten Grundsätze finden, wenn sich die öffentliche Hand Äußerungen Dritter gar nicht zu Eigen macht. Dies ist der Fall, wenn lediglich Reklameflächen der öffentlichen Hand an Dritte vermietet werden oder Gewerbematerial in Räumen der öffent-
140 BGH v. 22.4.2009 – I ZR 176/06 – Auskunft der IHK, GRUR 2009, 1080. 141 BGH v. 18.10.2001 – I ZR 193/99 – Elternbriefe, WRP 2002, 527.
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lichen Hand geduldet wird142. Hier können sich allerdings Fragen der Gleichbehandlung mit anderen Gewerbebetreibenden stellen143. 3. Prozessuales Werden einzelne Unternehmen von der öffentlichen Hand in unsachge- 88 mäßer Weise bevorzugt, weil auf sie den Bürgern gegenüber besonders hingewiesen wird, besteht zunächst ein Anspruch gegenüber der öffentlichen Hand. Da diese nicht dazu verpflichtet ist, generell stets alle Anbieter von Leistungen in ihrem Hoheitsgebiet zu benennen, kann der Anspruch jedoch nicht auf positive Nennung in jedem Einzelfall gerichtet werden. Der Sache nach handelt es sich um einen Unterlassungsanspruch, gerichtet darauf, dass die öffentliche Hand es zu unterlassen habe, bestimmte einzelne Anbieter ungerechtfertigt zu bevorzugen. Die konkrete Fassung des Antrags hängt von den Umständen des Einzelfalls ab144. Die Wiederholungsgefahr nach einer erfolgten Zuwiderhandlung kann 89 auch bei der öffentlichen Hand nur durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung145 ausgeräumt werden, nicht durch bloße Erklärung, die Zuwiderhandlung nicht mehr vornehmen zu wollen (zumindest dann, wenn die öffentliche Hand nicht anders als ein privates Unternehmen am Geschäftsverkehr teilnimmt). Hiergegen kann nicht eingewandt werden, es bestehe bei der öffentlichen Hand eine Vermutung, sie werde als gesetzeswidrig erkannte Handlungen von sich aus unterlassen. Fraglich ist, ob in Fällen der Bevorzugung eines Unternehmens durch die 90 öffentliche Hand ein Anspruch auch gegen das bevorzugte Unternehmen gerichtet werden kann. Adressat eines Unterlassungsanspruchs war bisher neben dem Täter/Mittäter und dem Teilnehmer einer rechtswidrigen Handlung auch der sog. Störer. Rechtsprechung und Literatur befanden sich im Fluss; jedoch war noch von einer Störerhaftung auszugehen146. Störer war, wer willentlich und adäquat kausal an der Herbeiführung eines Zustandes mitgewirkt hat, der die rechtswidrige Beeinträchtigung zur Folge hat147. Störer war danach auch, 142 RG v. 10.5.1929 – II 459/28, RGZ 124, 239, 250. 143 Siehe hierzu etwa OLG Hamburg v. 13.9.2011 – 3 W 50/11, WRP 2012, 232 (234). 144 Vgl. BGH v. 24.2.1994 – I ZR 59/92 – Auskunft über Notdienste, GRUR 1994, 516 (517). 145 Vgl. statt aller Teplitzky, 8. Kap. 146 Siehe die Wiedergabe der Rechtsprechungsentwicklung und des gegenwärtigen Stands bei Köhler in Köhler/Bornkamm, § 8 UWG Rz. 2.2c ff.; Ohly in Piper/ Ohly/Sosnitza, § 8 UWG Rz. 121 ff.; BGH v. 22.7.2010 – I ZR 139/08 – Kinderhochstühle im Internet, GRUR 2011, 152 (156). 147 Vgl. aus jüngerer Zeit etwa BGH v. 3.2.1994 – I ZR 321/91 – Kosmetikstudio, GRUR 1994, 441; v. 10.10.1996 – I ZR 129/94 – Architektenwettbewerb, WRP 1997, 325 (326); Teplitzky, 14. Kap. Rz. 4 m.w.N. Lux
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„wer eine unzulässige Wettbewerbshandlung eines aus eigenem Antrieb und selbstverantwortlich Handelnden [unterstützt] und es trotz bestehender rechtlicher Möglichkeit [unterlässt], den Dritten an der Störerhandlung zu hindern. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. BGHZ 14, 163, 174 – Constanze II; BGH GRUR 1976, 256, 258 = WRP 1976, 162, 165 – Rechenscheibe; BGH GRUR 1988, 829, 830 = WRP 1988, 668, 669 – Verkaufsfahrten II).“148
91 Hatte das durch die öffentliche Hand beworbene Unternehmen diese bei der Werbung in irgendeiner Weise unterstützt – was der BGH weit auslegte – und unterließ das Unternehmen dann bestehende Einflussmöglichkeiten auf die öffentliche Hand, konnte das Unternehmen als Störer mithaften. Eine solche Mithaftung wurde vom BGH in einem Fall bejaht, in dem ein Unternehmen sich vertraglich zwei Gemeinden gegenüber dazu verpflichtet hatte, die diesen obliegenden hoheitlichen Bestattungsaufgaben wahrzunehmen. Die Verwaltungen beider Gemeinden wiesen auf ihren Anrufbeantwortern außerhalb der Amtszeiten auf das betreffende Unternehmen hin, ohne auch andere Beerdigungsunternehmen namentlich zu benennen. Der BGH bejahte die Störereigenschaft des Unternehmens aufgrund der mit den Gemeinden geschlossenen Verträge. Dies sei eine ausreichende und adäquat kausale Handlung für die spätere wettbewerbswidrige Handlung durch die Gemeinden. Dem Unternehmen sei es jedoch nicht zuzumuten, seine gegenüber den Gemeinden bestehenden (als Nebenpflicht aus den Verträgen fließenden) Unterlassungsansprüche gerichtlich geltend zu machen. Es müsse die Gemeinden jedoch wenigstens dazu auffordern, die Ansagetexte zu ändern149. 92 Die vorstehend erläuterte Rechtsprechung zur Störerhaftung war jedoch zunehmender Kritik ausgesetzt. Es wurde eingewandt, eine analoge Anwendung des § 1004 BGB sei unstatthaft, da es sich um die Verletzung von Verkehrspflichten handle und die lauterkeitsrechtliche Haftung auf Personen ausgeweitet werde, die nicht zu den Adressaten des UWG gehörten150. Der BGH hat sich in seiner Entscheidung „Jugendgefährdende Medien bei eBay“ aus dem Jahr 2007 dieser Kritik angenommen und eine Täterhaftung aufgrund der Verletzung lauterkeitsrechtlicher Verkehrspflichten – ohne die Thematisierung der Störerhaftung – geprüft151. Gemäß dieser Täterhaftung muss derjenige, der „durch sein Handeln im geschäftlichen Verkehr die Gefahr schafft, dass Dritte durch das Wettbewerbsrecht geschützte Interessen von Marktteilnehmern verletzen, [. . .] diese Gefahr [aufgrund wettbewerbsrechtlicher Verpflichtung] im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren [. . .] begrenzen“152.
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BGH v. 21.9.1989 – I ZR 27/88 – Firmenrufnummer, GRUR 1990, 463 (464). BGH v. 21.9.1989 – I ZR 27/88 – Firmenrufnummer, GRUR 1990, 463 (464 f.). Ohly in Piper/Ohly/Sosnitza, § 8 UWG Rz. 121. BGH v. 12.7.2007 – I ZR 18/04 – Jugendgefährdende Medien bei eBay, GRUR 2007, 890 (893). 152 BGH v. 12.7.2007 – I ZR 18/04 – Jugendgefährdende Medien bei eBay, GRUR 2007, 890 (893).
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An dieser Wende der Rechtsprechung hält der BGH auch in seiner „Halzband“-Entscheidung fest153. Somit dürfte das Rechtsinstitut der Störerhaftung zumindest im Lauterkeitsrecht entbehrlich geworden sein154.
V. Preisunterbietung Dass der öffentlichen Hand privatwirtschaftliche Betätigung nicht von 93 vornherein verboten ist und ihr im Wettbewerb notwendig zukommende Vorteile hinzunehmen sind, wurde bereits ausgeführt (s.o., Rz. 54). Das Tätigwerden der öffentlichen Hand auf wettbewerblich strukturierten Märkten kann jedoch gerade aufgrund dieser Vorteile zu grundlegenden Änderungen des Wettbewerbsgefüges führen. Es ist daher anerkannt, dass Maßnahmen der öffentlichen Hand mit wettbewerblichen Auswirkungen unlauter i.S.v. § 3 Abs. 1 UWG sein können, wenn dadurch der Bestand oder die Grundlagen des Leistungswettbewerbs der privaten Anbieter gefährdet werden155. Soweit die öffentliche Hand ihr von Gesetzes wegen obliegende Aufgaben wahrnimmt, kann das Unwerturteil allerdings nicht allein damit begründet werden, dass sich das Verwaltungshandeln auf den Wettbewerb auswirkt. Der öffentlichen Hand ist es unbenommen, auch ohne zwingende Gründe der Daseinsvorsorge ihr Verwaltungshandeln nach wirtschaftlich vernünftigen Erwägungen zu gestalten. Allerdings darf sie dabei die sachlich berechtigten Interessen privater Wettbewerber nicht außer Acht lassen156. Dies führt dazu, dass es der öffentlichen Hand verwehrt ist, über das sachlich gebotene und verfassungsrechtlich Zulässige hinaus in den Bereich der privaten beruflichen Betätigung Dritter zu deren Nachteil einzugreifen. Ist also beispielsweise eine Preisunterbietung oder eine sonstige Maßnahme der öffentlichen Hand nicht nach der Aufgabe des Hoheitsträgers sachlich geboten und wird dadurch der Wettbewerbsbestand privater Anbieter gefährdet, ist seine Maßnahme wettbewerbswidrig. Bejaht wurde dies etwa bei der kostenlosen Abgabe und Wartung von Ab- 94 rechnungssoftware für Zahnärzte durch eine kassenzahnärztliche Ver-
153 BGH v. 11.3.2009 – I ZR 114/06 – Halzband, GRUR 2009, 597. 154 Zustimmend: Köhler in Köhler/Bornkamm, § 8 UWG Rz. 2.3b; noch differenzierend Ohly in Piper/Ohly/Sosnitza, § 8 UWG Rz. 122; BGH v. 22.7.2010 – I ZR 139/08 – Kinderhochstühle im Internet, GRUR 2011, 152. 155 Vgl. BGH v. 18.12.1981 – I ZG 34/80 – Brillen-Selbstabgabestellen, BGHZ 82, 375 (390); v. 19.6.1986 – I ZR 54/84 – Kommunaler Bestattungswirtschaftsbetrieb I, GRUR 1987, 116 (118); v. 12.7.1990 – I ZR 62/89 – Kreishandwerkerschaft I, GRUR 1991, 53 (55 f.); v. 8.7.1993 – I ZR 174/91 – AbrechnungsSoftware für Zahnärzte, GRUR 1993, 917 (919). 156 Vgl. bereits BGH v. 26.4.1974 – I ZR 8/73 – Schilderverkauf, GRUR 1974, 733 (735); v. 8.7.1993 – I ZR 174/91 – Abrechnungs-Software für Zahnärzte, GRUR 1993, 917 (919). Lux
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einigung157 und für die Selbstabgabe von Heil- und Hilfsmitteln durch eine Allgemeine Ortskrankenkasse. Die Maßnahme im letztgenannten konkreten Fall gefährdete den Wettbewerb um das private Angebot von Heil- und Hilfsmitteln und wurde nicht als notwendig angesehen158. Verneint wurde eine Bestandsgefährdung hingegen etwa beim Betrieb einer Inkassostelle durch eine Kreishandwerkerschaft159 oder die Veröffentlichung gewerblicher Anzeigen in einem Amtsblatt160. 95 Wird eine Preisunterbietung aus Mitteln finanziert, die der öffentlichen Hand lediglich für die Erfüllung anderer Zwecke zustehen, macht dies die Unterbietung wettbewerbswidrig161. Das Gleiche gilt, wenn die öffentliche Hand private Gewerbetreibende mit öffentlichen Mitteln im Preis unterbietet und diese Unterbietung dadurch ermöglicht, die Verlustgefahr auf den Steuer- und Beitragszahler oder sonst auf die Allgemeinheit abzuwälzen162.
VI. Faktische Bevorzugung bestimmter Unternehmen 96 Eine weitere Erscheinungsform der Ungleichbehandlung ist die faktische Bevorzugung einzelner Unternehmen. Die öffentliche Hand kann einzelne Unternehmen – ob mit ihr verbunden oder nicht – auch faktisch bevorzugen. Gegen § 3 Abs. 1 UWG verstößt es danach etwa, wenn die öffentliche Hand einzelne Unternehmen sachwidrig bevorzugt, um deren Stellung im Wettbewerb zu verbessern. So untersagte das OLG Stuttgart163 nach altem UWG in der Fassung von 1909 einer Gemeinde, die Hälfte der Kosten von Schulbüchern nur dann zu übernehmen, wenn diese bei Buchhandlungen in ihrem Stadtgebiet gekauft würden. Weder das Interesse an der Stärkung des örtlichen Buchhandels noch das Gewer-
157 BGH v. 8.7.1993 – I ZR 174/91 – Abrechnungs-Software für Zahnärzte, GRUR 1993, 917. 158 BGH v. 18.12.1981 – I ZR 34/80 – Brillen-Selbstabgabestellen, BGHZ 82, 375. 159 BGH v. 12.7.1990 – I ZR 62/89 – Kreishandwerkerschaft I, GRUR 1991, 53. 160 BGH v. 22.9.1972 – I ZR 73/71 – Crailsheimer Stadtblatt, GRUR 1973, 530. Für weitere Beispiele verneinter Bestandsgefährdung vgl. KG v. 7.5.1985 – 5 U 5451/83 – Gruppenreisen für Senioren, WRP 1986, 207 (209); BGH v. 19.6.1986 – I ZR 54/84 – Kommunaler Bestattungswirtschaftsbetrieb I, GRUR 1987, 116 (118). 161 BGH v. 8.10.1992 – I ZR 205/90 – EWG-Baumusterprüfung, WRP 1993, 106 (108). 162 RG v. 4.11.1932 – II 130/32 – Haus der Jugend, RGZ 138, 174 (178 f.); BGH v. 25.2.1982 – I ZR 175/79 – Kinderbeiträge, GRUR 1982, 433 (436); vgl. auch v. 13.7.1966 – Ib ZR 80/64 – Rollkostenzuschüsse, GRUR 1967, 36 (38). 163 OLG Stuttgart v. 26.10.1979 – 2 U 76/79, WRP 1980, 101.
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besteuerinteresse der Kommune rechtfertige eine solche Bevorzugung örtlicher Unternehmen164.
VII. Abwehr unlauteren Verhaltens Dritter Selbstverständlich wirkt das UWG auch in umgekehrter Richtung: Auch kommunale Unternehmen können sich – wie jedes andere Unternehmen auch – nach den allgemeinen Regeln gegen unlautere geschäftliche Handlungen von Mitbewerbern wehren. Einige Beispiele:
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Verschiedentlich wurde durch private Energieversorgungsunternehmen 98 mit der Bezeichnung „Stadtwerke“ geworben, und zwar entweder im Internet mit Aussagen wie „damit sind wir ein modernes Stadtwerk“165 oder als Teil ihrer Firmierung166. Selbst ein Buchstabenkürzel kann unter bestimmten Bedingungen die Vorstellung eines Stadtwerks hervorrufen, so im Fall der Umfirmierung der Stadtwerke Bremen in „swb“167. Die Verwendung des Begriffs „Stadtwerke“ durch rein private Unternehmen stellt jedoch typischerweise eine Irreführung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 3 UWG dar. Die angesprochenen Verkehrskreise – im Regelfall der durchschnittliche Letztverbraucher – assoziiert mit einem „Stadtwerk“ „immer noch ein kommunales Unternehmen oder zumindest einen gemeindenahen Betrieb [. . .], der mit städtischer Beteiligung die Grundversorgung mit Strom, Wasser und Gas und oft auch die Abwasserentsorgung abdeckt. [. . .] ,Stadtwerke‘ werden somit nicht allgemein als Synonym für Versorgungsunternehmen aller Art angesehen. Es wird durchaus zwischen Stadtwerken und sonstigen (privaten) Versorgungsunternehmen unterschieden168.“
Da ein nicht unerheblicher Teil der potentiellen Kunden mit einem kommunalen Unternehmen ein im besonderen Maße vertrauenswürdiges Unternehmen verbindet169, wird in der Rechtsprechung in der angemaßten Bezeichnung „Stadtwerke“ eine wettbewerbsrechtlich relevante Irrefüh-
164 OLG Stuttgart v. 26.10.1979 – 2 U 76/79, WRP 1980, 101 (102); vgl. jedoch auch OLG Düsseldorf v. 19.3.1996 – W (Kart) 1/96, NJW-RR 1997, 294 (296), wo das Gericht im Zusammenhang mit kartellrechtlichen Fragestellungen die Förderung der heimischen Wirtschaft durch Bevorzugung örtlicher Bewerber nicht für ein sachfremdes Kriterium hielt. Zu Recht krit. dagegen Otting, KommunalPraxis SW 1999, 148 (149). 165 Siehe Urt. des OLG Hamm v. 8.12.2009 – 4 U 128/09. 166 LG Kiel, v. 27.7.2009 – 15 O 47/09; LG Nürnberg-Fürth v. 9.12.2008 – 3 O 10286/08, IR 2009, 40 (nur Leitsatz und Kurzwiedergabe); OLG Frankfurt v. 24.11.2001 – 6 U 277/10; OLG Bremen v. 22.10.2009 – 2 W 92/09, GRUR-RR 2010, 2018. 167 OLG Bremen v. 22.10.2009 – 2 W 92/09, GRUR-RR 2010, 218. Siehe aber zur Verwendung der Abkürzung „SW“ ohne Hinweis auf eine konkrete Gemeinde das klageabweisende Urteil des LG Braunschweig v. 1.6.2011 – 22 O 2137/10. 168 OLG Hamm v. 8.12.2009 – 4 U 128/09, Rz. 43. 169 So etwa OLG Bremen v. 22.10.2009 – 2 W 92/09, GRUR-RR 2010, 2018; OLG Frankfurt v. 24.11.2011 – 6 U 277/10, Rz. 18 f. Lux
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rung gesehen, gegen die sich konkrete Mitbewerber wehren können. Doch wird dies nicht grundsätzlich und unter allen Umständen anzunehmen sein. Das OLG Frankfurt verneinte in einem Fall, in dem die fragliche Firmierung seit mehr als 35 Jahren von einem privaten Unternehmen benutzt wurde und bei dem jeweils der Zusatz gemacht wurde „Stadtwerke X – ein Unternehmen der . . .“, eine Irreführung. Auch die Benutzung der Internetdomain „stadtwerke-x“ wurde unter diesen konkreten Voraussetzungen als nicht irreführend beanstandet, weil aufgrund der bestehenden Marktsituation davon auszugehen sei, dass die überwiegende Mehrheit der angesprochenen Verkehrskreise von der Zugehörigkeit zur (privaten) Unternehmensgruppe wisse170. 100 Ebenfalls und erst recht irreführend sind gar nicht so selten vorkommende Praktiken, bei denen sich Vermittler von Stromunternehmen als Mitarbeiter der Stadtwerke ausgeben, um dann in den Wohnungen Versorgungsverträge mit dem vertretenen Unternehmen abzuschließen. Solche Methoden sind bisweilen auch mit weiteren gezielten Irreführungen verbunden, wie etwa das Ausgeben des Antragsformulars als Zählerstandsprotokoll oder die Behauptung, der Stromverkauf erfolge durch die Stadtwerke171. Auch hiergegen können sich kommunale Unternehmen selbstverständlich wettbewerbsrechtlich wehren172. 101 Offen stehen kommunalen Unternehmen auch Angriffe gegen sonstige in vielfältiger Weise vorkommende Wettbewerbsverstöße. Voraussetzung ist freilich stets, dass auch die weiteren allgemeinen Voraussetzungen gegeben sind, die das UWG für die Geltendmachung von Ansprüchen aufstellt, insbesondere dass es sich bei den Parteien um Mitbewerber handelt. So können sich beispielsweise kommunale Unternehmen, die (zumindest auch) auf dem Gebiet der Stromversorgung tätig sind, gegen irreführende Werbung im Zusammenhang mit Stromangeboten zur Wehr setzen. Einige Beispiele: 102 Gemäß § 42 EnWG haben Energieversorgungsunternehmen die Pflicht, in bestimmten Werbematerialien den Anteil der einzelnen Energieträger an ihrem Gesamtenergieträgermix sowie Informationen über bestimmte Umweltauswirkungen anzugeben. Dabei handelt es sich um eine Vorschrift, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, so dass Verstöße hiergegen – insbesondere das Unterlassen der Angaben – stets auch Verstöße gegen § 4 Nr. 11 UWG darstellen und von Mitbewerbern angegriffen werden können173. 103 Auch die in vielfältiger Ausprägung vorkommenden Irreführungen im Bereich der Stromwerbung können durch kommunale (Stromversor170 OLG Frankfurt v. 24.11.2011 – 6 U 277/10. 171 LG Hannover v. 18.2.2009 – 22 O 13/09. 172 Siehe etwa LG Hamburg v. 18.6.2010 – 406 O 97/09, n.v.; LG Hannover v. 18.2.2009 – 22 O 13/09; OLG Hamm v. 5.4.2011 – I-4 U 193/10. 173 OLG Frankfurt v. 31.3.2009 – 11 U 77/08 (Kart).
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C. Fallgruppen wettbewerbswidrigen Verhaltens
gungs-)Unternehmen angegriffen werden. Aus der Praxis bekannt sind, als ein Beispiel unter vielen, Tarifvergleiche, bei denen ein günstiger Ökostromtarif einem teuren Normaltarif eines Mitbewerbers gegenübergestellt wird, ohne anzugeben, dass auch der Wettbewerber über einen – gegenüber beiden Vergleichstarifen – günstigeren Ökostromtarif verfügt174. In Betracht kommen schließlich auch sonstige Wettbewerbsverstöße, wie 104 z.B. solche gegen eine ordnungsgemäße Preisangabe nach § 3 PreisangabenVO175. Auch solche sonstigen Verstöße können gerügt werden.
174 OLG Frankfurt v. 24.7.2008 – 6 U 73/08 – Ökostrom billiger als Atomstrom. 175 Beispielsweise LG München I v. 1.2.2007 – 17 HKO 22001/06. Lux
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§ 11 Steuerrecht von Rechtsanwältin und Steuerberaterin Dr. Stefanie Beinert, LL.M. und Regierungsrätin Anna Kostic
Rz. A. Überblick über die Steuerpflicht der öffentlichen Hand . B. Betrieb gewerblicher Art (BgA). I. Begriff des BgA . . . . . . . . . . 1. Einheitliche Begrifflichkeit im Ertragsteuer- und Umsatzsteuerrecht? . . . . . 2. BgA mit und ohne eigene Rechtspersönlichkeit . . . . 3. Unterscheidung zwischen Eigen- und Regiebetrieben . II. Merkmale eines BgA . . . . . . 1. Einrichtung . . . . . . . . . . 2. Nachhaltigkeit . . . . . . . . 3. Einnahmeerzielungsabsicht . 4. Gewerbliche Art . . . . . . . 5. Wirtschaftliche Bedeutsamkeit . . . . . . . . . . . . . . . 6. Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr nicht erforderlich . . . . . . . III. Abgrenzung zwischen BgA und Hoheitsbetrieb . . . . . . . . . . 1. Abgrenzung nach Auffassung der Finanzverwaltung . a) Aufgabenzuweisung an die juristische Person des öffentlichen Rechts . . . . b) Aufgabenübertragung auf private Dritte . . . . . . . 2. Abgrenzung nach Auffassung der Rechtsprechung . . 3. Abgrenzung bei Verpachtung eines Hoheitsbetriebs . . . . 4. Abgrenzung bei Beistandsleistungen . . . . . . . . . . . 5. Abgrenzung bei gemischten Tätigkeiten . . . . . . . . . . IV. Abgrenzung zwischen BgA und Vermögensverwaltung . . . . . V. Verpachtung eines BgA . . . . .
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Beinert/Kostic
1 5 5 5 6 7 8 9 13 14 15 16 17 18 20 21 23 25 29 32 37 39 45
C. I. II. III.
Körperschaftsteuer . . . . . . . Steuerpflicht . . . . . . . . . . . Einkunftsart . . . . . . . . . . . Gewinnermittlung und Buchführungspflichten . . . . . . . . 1. Gewinnermittlung . . . . . . 2. Buchführungspflichten . . . a) Eigenbetriebe . . . . . . . b) Regiebetriebe . . . . . . . c) Freiwillige Aufstellung einer Handelsbilanz . . . IV. Besonderheiten der Gewinnermittlung bei BgA . . . . . . . 1. Gesonderte Gewinnermittlung . . . . . . . . . . . . . . 2. Leistungsbeziehungen zur Trägerkörperschaft . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . b) Vereinbarungen zwischen BgA und Trägerkörperschaft . . . . . . . . . . . . c) Vermietung/Verpachtung wesentlicher Betriebsgrundlagen . . . . . . . . . d) Darlehen einer Trägerkörperschaft an ihren BgA . . e) Aufwendungen der Trägerkörperschaft . . . . 3. Verlustabzug . . . . . . . . . 4. Begrenzung des Zinsabzugs durch die Zinsschranke . . . 5. Betriebsvermögen des BgA . 6. Öffentliche Zuschüsse, Ausgleichszahlungen . . . . V. Dauerdefizitäre Tätigkeiten . . 1. Hintergrund . . . . . . . . . . 2. Begriff des Dauerverlustgeschäfts . . . . . . . . . . . . a) Dauerverlust . . . . . . . b) Begünstigtes Dauerverlustgeschäft . . . . . . . .
Rz. 46 46 47 48 48 51 52 54 60 61 61 62 62 65 66 71 74 76 77 82 90 93 93 102 104 109
§ 11
Steuerrecht Rz. 3. Rechtsfolgen eines Dauerverlusts bei Nichtvorliegen eines begünstigten Dauerverlustgeschäfts . . . . . . 4. Besonderheiten bei Kapitalgesellschaften . . . . . . . . a) Stimmrechtsmehrheit . b) Verlusttragung . . . . . . 5. Beteiligung an einer Personengesellschaft . . . .
. 111 . 114 . 115 . 117 . 126
D. Kapitalertragsteuer, § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. a, b EStG . . . . . . . 129 I. Besteuerungssystematik . . . . 129 II. BgA mit eigener Rechtspersönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . 132 III. BgA ohne eigene Rechtspersönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . 1. Fallgruppen . . . . . . . . . . 2. Besteuerungsgegenstand . . . 3. Gewinnbegriff . . . . . . . . 4. Berücksichtigung von Verlusten früherer Jahre . . . 5. Rücklagenbildung . . . . . . a) Auffassung der Finanzverwaltung . . . . . . . . . b) Auffassung der Rechtsprechung . . . . . . . . . c) Anschaffung von Wirtschaftsgütern . . . . . . . d) Ergänzende Liquiditätsbetrachtung der Finanzverwaltung . . . . . . . . . 6. Verdeckte Gewinnausschüttungen . . . . . . . . . . . . . 7. Auflösung von Rücklagen . . 8. Einlagenrückgewähr, „Auskehr“ von Nennkapital . . . 9. Zeitpunkt der Einkünfteerzielung . . . . . . . . . . . . . 10. Zeitpunkt der Entstehung der Kapitalertragsteuer . . .
135 136 141 146 148 153 154 160 165 166 167 168 169 174 177
E. Steuerbelastungsvergleich: BgA oder GmbH? . . . . . . . . 179 I. Steuerbelastung eines BgA . . . 179 II. Steuerbelastung einer Beteiligung an einer GmbH . . 181 1. Beteiligung wird in einem BgA gehalten . . . . . . . . . 181 2. Beteiligung wird im Hoheitsbereich gehalten . . . 184
Rz. 3. Verlustsituation . . . . . . . 186 F. Steuerlicher Querverbund . . . I. Zusammenfassung von BgA . . 1. Gleichartige BgA (§ 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 KStG) . . . . . . 2. Enge wechselseitige technisch-wirtschaftliche Verflechtung (§ 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 KStG) . . . . . . . . . . 3. Versorgungs- und Verkehrsbetriebe (§ 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 KStG) . . . . . . . . . . 4. Kettenzusammenfassung . . 5. Besonderheiten bei Verpachtungs-BgA . . . . . . . . . . . 6. Durchführung der Zusammenfassung . . . . . . . . . . 7. Verlustnutzung bei zusammengefassten BgA . . . . . . II. Zusammenfassung in einer Kapitalgesellschaft . . . . . . . 1. Grundsätze zur Spartentrennung . . . . . . . . . . . . . . 2. Veränderungen im Tätigkeitsumfang . . . . . . . . . . 3. Ergebnisermittlung . . . . . III. Zusammenfassung mittels Organschaft . . . . . . . . . . . 1. BgA als Organträger . . . . . 2. Regelungen zum steuerlichen Querverbund in Organschaftsfällen . . . . . . IV. Steuerlicher Querverbund bei Beteiligung eines Dritten . . . . 1. Organschaft . . . . . . . . . . 2. Personengesellschaft . . . . . a) Joint-Venture Gesellschaft in der Rechtsform einer Personengesellschaft . . . . . . . . . . . . b) Organträger in der Rechtsform einer Personengesellschaft . . . . . 3. Weitere Gestaltungen . . . .
188 189 193
194 196 200 204 205 206 211 213 216 220 224 227 231 236 237 239
240 243 244
G. Ausblick (Körperschaftsteuer, Kapitalertragsteuer) . . . . . . . 245 H. I. II. III.
Gewerbesteuer . . . BgA . . . . . . . . . Kapitalgesellschaft Organschaft . . . .
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246 246 251 252
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J. Umsatzsteuer . . . . . . . . . . I. Unternehmereigenschaft einer juristischen Person des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . 1. § 2 Abs. 3 UStG . . . . . . . . 2. MwStSystRL . . . . . . . . . a) Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit . . b) Ausübung einer Tätigkeit im Rahmen der öffentlichen Gewalt . . . . . . . c) Vorliegen von größeren Wettbewerbsverzerrungen . . . . . . . . . . . . . d) Anhang I MwStSystRL . . 3. Auffassung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . a) Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit . . b) Ausübung einer Tätigkeit im Rahmen der öffentlichen Gewalt . . . . . . . c) Vorliegen von größeren Wettbewerbsverzerrungen . . . . . . . . . . . . . 4. Auffassung der Finanzverwaltung . . . . . . . . . . 5. Abweichungen zum Körperschaftsteuerrecht . . . . . . . 6. Konkurrentenklage . . . . . a) Klage auf Auskunftserteilung . . . . . . . . . . b) Konkurrentenklage . . . . 7. Berufung der öffentlichen Hand auf Art. 13 MwStSystRL . . . . . . . . . II. Steuerbare Umsätze . . . . . . . 1. Lieferungen und sonstige Leistungen . . . . . . . . . . 2. Innenumsätze . . . . . . . . . 3. Unentgeltliche Wertabgabe . 4. Heranziehung Dritter zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . 5. Umsatzsteuerliche Behandlung von Fördermitteln . . . a) Zuschüsse als Entgelt für Leistungen an den Zuschussgeber (Zahlenden) .
Rz. 253
253 254 258 260 262 265 269 270 272 276 280 289 294 297 298 305 316 317 317 318 319 326 329 331
Rz. b) Zuschüsse als zusätzliches Entgelt eines Dritten („unechter Zuschuss“) . . . . . . . . . . c) Echte Zuschüsse . . . . . III. Umsatzsteuerliche Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . IV. Vorsteuerabzug . . . . . . . . . 1. Vorsteuerabzugsberechtigung . . . . . . . . . . . . . a) Verwendungsabsicht im Zeitpunkt des Leistungsbezugs . . . . . . . . . . . b) Aufteilungsgebot vs. Zuordnungswahlrecht . . c) Neue Sichtweise der Rechtsprechung . . . . . . 2. Neue Sichtweise der Finanzverwaltung . . . . . . . . . . a) Nichtwirtschaftliche Tätigkeiten i.e.S. . . . . . b) (Gemischte) Verwendung für unternehmerische und nichtwirtschaftliche Tätigkeiten i.e.S. . . . . . c) (Gemischte) Verwendung für wirtschaftliche und unternehmensfremde Tätigkeiten . . . . . . . . d) Übergangsregelungen . . . 3. Vorschaltgesellschaften . . . 4. Exkurs: Vorsteuerabzugsberechtigung einer privatrechtlichen Erschließungsgesellschaft . . . . . . . . . . a) Errichtung von Erschließungsanlagen auf fremdem Grund und Boden . . b) Errichtung von Erschließungsanlagen auf eigenem Grund und Boden mit anschließender entgeltlicher Übertragung . . c) Errichtung von Erschließungsanlagen auf eigenem Grund und Boden mit anschließender unentgeltlicher Übertragung V. Ausblick (Umsatzsteuer) . . . .
338 339 340 343 343 344 347 352 355 355
356
363 365 372
375 376
377
378 380
Literatur: Baldamus, Gestaltungsspielraum bei Art und Maß von Ausgleichszahlungen nach § 304 AktG, Ubg 2010, 483; Baldauf, Kommunale Hoheitsbetriebe im
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Literatur
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freiungsverzicht, innergemeinschaftliche Lieferungen, KÖSDI 2012, 17856; Kraeusel, Richtlinienkonforme Besteuerung der öffentlichen Hand, UR 2010, 480; von Krahn, Die ersten Urteile des Bundesfinanzhofs zur Kapitalertragsteuer bei Betrieben gewerblicher Art – Licht und Schatten – Teil I und II, ZKF 2009, 25, 53; Kronawitter, Betriebsvermögen eines Betriebs gewerblicher Art – Abgrenzung vom Hoheitsvermögen einer Gemeinde, KStZ 2011, 81; Kronawitter, Der steuerliche Querverbund bei Körperschaften des öffentlichen Rechts – herkömmliche und besondere Gestaltungen zur Ergebnisverrechnung, ZKF 2010, 97; Kronawitter, Die Zinsschranke nach § 4h EStG, § 8a KStG n.F. beim kommunalen doppischen Konzernabschluss – Eine Bedrohung auch nach Inkrafttreten des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes, KommJur 2010, 9; Küffner, Anmerkung zu BFH vom 10.11.2011 – VR 41/10, UR 2012, 277; Küffner, Anmerkung zum Urteil des EuGH v. 16.9.2008 – Rs. C-288/07 – Isle of Wight Council, UR 2008, 823; Küffner/von Streit, Anmerkung zu BFH v. 1.12.2011 – V R 1/11, DStR 2012, 355; Küffner/von Streit, Der Vorsteuerabzug unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung zur Zuordnung und Verwendung von Eingangsleistungen – Kritische Anmerkungen zum BMFSchreiben vom 2.1.2012, DStR 2012, 636; Küffner/von Streit, Zuordnung und Verwendung von Eingangsleistungen – Auswirkungen auf den Vorsteuerabzug unter Berücksichtigung des Unternehmensbegriffs – Eine Zusammenfassung vor dem Hintergrund der jüngeren Rechtsprechung von EuGH und BFH, DStR 2012, 581; Kußmaul/Henkes/Pinkos, Vom drohenden Ende der Einnahmen-Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG für kommunale Betriebe gewerblicher Art, WPg 2008, 978; Leippe, Das BMF-Anwendungsschreiben zum steuerlichen Querverbund aus der Sicht der kommunalen Praxis, DStZ 2010, 106; Leippe, Gewinnminderung bei einem kommunalen Betrieb gewerblicher Art durch Anerkennung des Abzugs von Sondernutzungsentgelten als Betriebsausgaben, DStZ 2009, 729; Leippe/Baldauf, Steuerrechtliche Betrachtung der interkommunalen Kooperation, DStZ 2012, 283; Lippross, Tätigkeitsbereiche des Unternehmers: Von der Zwei-Sphären-Theorie zur Drei-Sphären-Theorie – Auswirkungen der VNLTO-Entscheidung des EuGH, DStZ 2012, 320; Maier, Steuerliche Behandlung kommunaler Stadt- und Mehrzweckhallen, DStR 2010, 198; Mann/Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 2 Kommunale Wirtschaft, 3. Aufl. 2011; Meurer, Vorsteuerabzug bei teilweiser Verwendung für nichtwirtschaftliche Tätigkeiten im engeren Sinne, NWB 2012, 1811; Meyer, Besteuerung von Beistandsleistungen – Zugleich eine differenzierte Betrachtung der Folgen des BFH-Urteils 10.11.2011 – V R 41/10, KommJur 2012, 131; Mössner/Seeger (früher: Gail/Goutier/Grützner), KStG, Kommentar, Stand: April 2012; Müller-Gatermann, Die Besteuerung der Kommunen – Eine Bestandsaufnahme, FR 2009, 314; Ortmann-Babel/Stelzer/Zipfel, Übersicht über die wesentlichen Änderungen des Jahressteuergesetzes 2009 – Regierungsentwurf, BB 2008, 1760; Pinkos, Erläuterungen zum BMF-Schreiben zum steuerlichen Querverbund, DStZ 2010, 96; Plückebaum, UStG, Kommentar, Stand: April 2012; Rau/Dürrwächter, UStG, Kommentar, Stand: Juni 2012; Reiß, Vorsteuerabzug, Berichtigung des Vorsteuerabzugs und Besteuerung der Entnahme und Verwendung für „unternehmensfremde Zwecke“ bei „gemischter“ Verwendung von Grundstücken und anderen Gegenständen, UR 2010, 797; Richter/ Kruczynski/Kurz, E-Bilanz: Überarbeiteter BMF-Entwurf des Anwendungsschreibens vom 1.7.2011 – Update zu BB 2010, 2489 ff., BB 2011, 1963; Rüsken, Auskunftsanspruch des privaten Konkurrenten eines gemeindlichen Betriebs – Anmerkung zum BFH-Urteil vom 5.10.2006 – VII R 24/03, NWB Fach 2, 9465; Scheunemann/Bauersfeld, BMF: Ausgleichszahlungen an außenstehende Anteilseigner (Anwendung des BFH-Urteils – I R 1/08 vom 4.3.2009), BB 2010, 1582; Schiffers, Ertragsteuerliche Behandlung des Schulschwimmens in einem kommunalen Bad – Darstellung und Analyse der Verfügung der OFD Niedersachsen vom 12.01.2012, DStZ 2012, 258; Schiffers, Aktuelle Bilanzierungsfragen bei Betrieben der öffentlichen Hand, DStZ 2012, 310; Schiffers, Betriebe gewerblicher Art und
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A. Überblick über die Steuerpflicht der öffentlichen Hand
Kapitalertragsteuer: Bemessungsgrundlage der Kapitalertragsteuer bei Investitionen, DStZ 2010, 378; Schiffers, Betriebe gewerblicher Art (BgA) und Eigengesellschaften – Gesetzliche Festschreibung des steuerlichen Querverbundes durch das JStG 2009 und BFH-Rechtsprechung zur Kapitalertragsteuer, GmbH-StB 2009, 67; Schneider/Dreßler/Lüll, HessGO, Kommentar, Stand: April 2010; Seer/Klemke, Abgrenzung des Betriebs gewerblicher Art vom Hoheitsbetrieb, BB 2010, 2015; Semmler/Zimmermann, Ausgewählte Fragen zur Führung des Einlagekontos bei Betrieben gewerblicher Art, DB 2005, 2153; Sinewe/Frase, Die Praxis der steuerrechtlichen Konkurrentenklage, BB 2011, 1567; Sölch/Ringleb, UStG, Kommentar, Stand: September 2011; Sterzinger, Unternehmereigenschaft der öffentlichen Hand – Plädoyer für eine gesetzliche Änderung, DStR 2010, 2217; Storg, Die Beteiligung von juristischen Personen des öffentlichen Rechts an Personengesellschaften, DStZ 2011, 784; Strahl, Update zur Besteuerung juristischer Personen des öffentlichen Rechts im Allgemeinen und staatlicher Hochschulen im Besonderen, KÖSDI 2011, 17546; Strahl, Wirtschaftliche Tätigkeiten der öffentlichen Hand – Anmerkungen zum BMF-Schreiben vom 12.11.2009, DStR 2010, 193; Strahl, Gewinnermittlung bei Betrieben gewerblicher Art, NWB 2009, 2732; Streck, KStG, Kommentar, 7. Aufl. 2008; Thieme, Neueste EuGH-Rechtsprechung zur Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand, BB 2009, 1900; Tipke/Kruse, AO/FGO, Kommentar, Stand: März 2012; Vochsen, Ertragsteuerliche Beurteilung der Überlassung einzelner Wirtschaftsgüter durch Kommunen an Betriebe gewerblicher Art, DStZ 2011, 360; Wäger, Weniger ist mehr: Verwirklichung des Normzwecks einer Vorschrift durch ihre Aufhebung – Plädoyer für die ersatzlose Streichung von Art. 26 Abs. 1 Buchst. a und Art. 168a MwStSystRL (§ 3 Abs. 9a Nr. 1 und § 15 Abs. 1b UStG), UR 2012, 25; Wäger, Umfang und Grenzen des Vorsteuerabzugs, DStR 2011, 433; Wallenhorst/Halaczinsky, Die Besteuerung gemeinnütziger Vereine, Stiftungen und der juristischen Personen des öffentlichen Rechts, 6. Aufl. 2009; Weitemeyer, Verdeckte Gewinnausschüttungen bei der öffentlichen Hand nach dem JStG 2009 und die Schranken des europäischen Beihilfenrechts, FR 2009, 1; Widmann, „BFH toleriert die jahrzehntelange Nichtbesteuerung öffentlich-rechtlicher Beistandsleistungen nicht länger“, BB 2012, 1074; Widmann, Beschränkung auf Teilentgelte schließt die wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen Hand nicht aus – Zum EuGH-Urteil vom 29.10.2009 in der Rechtssache C-246/08 – Kommission Finnland, UR 2010, 221.
A. Überblick über die Steuerpflicht der öffentlichen Hand Die öffentliche Hand (Bund, Länder, Gemeinden und die sonstigen juris- 1 tischen Personen des öffentlichen Rechts) ist grundsätzlich nicht steuerpflichtig. Erfüllen juristische Personen des öffentlichen Rechts allerdings nicht nur hoheitliche Aufgaben, sondern nehmen sie am Wirtschaftsleben teil, kommt es insoweit zur Besteuerung. Einer Besteuerung bedarf es vor allem, um Wettbewerbsneutralität zwi- 2 schen der Tätigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts und privaten Unternehmen herzustellen. Hinzu kommt der Gedanke des Finanzausgleichs. Die von den kommunalen Unternehmen entrichtete Körperschaftsteuer fließt dem Bund und den Ländern zu, die demzufolge
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durch die wirtschaftliche Tätigkeit der Gemeinden keine „Mindereinnahmen“ zu befürchten haben1. 3 Die Besteuerung juristischer Personen des öffentlichen Rechts hängt entscheidend davon ab, in welcher Weise sie sich wirtschaftlich betätigen. Betreibt eine juristische Person des öffentlichen Rechts ein Unternehmen in einer Rechtsform des privaten Rechts (z.B. in einer GmbH), so wird dieses Unternehmen nach den für die jeweilige Rechtsform geltenden Vorschriften besteuert. Wird die juristische Person des öffentlichen Rechts dagegen unmittelbar wirtschaftlich tätig, so ist sie nur mit ihren Betrieben gewerblicher Art (BgA) i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. § 4 KStG steuerpflichtig. Obwohl es sich bei einem BgA zivil- und verwaltungsrechtlich um einen unselbständigen Teilbereich der juristischen Person des öffentlichen Rechts handelt2, wird der BgA steuerrechtlich weitgehend als eigenständiges Gewinnermittlungssubjekt angesehen. Seine Stellung zu „seiner“ Trägerkörperschaft ähnelt dem Verhältnis einer Kapitalgesellschaft zu ihrem Anteilseigner3. Der im Rahmen eines BgA erzielte Gewinn unterliegt dem allgemeinen Körperschaftsteuersatz von 15 % (§ 23 Abs. 1 KStG). Hinzu kommen Solidaritätszuschlag sowie ggf. Gewerbesteuer. Soweit der Gewinn nicht den Rücklagen des BgA zugeführt wird, gilt er grundsätzlich als an die Trägerkörperschaft „ausgeschüttet“ mit der Folge, dass Kapitalertragsteuer i.H.v. 15 % der „Ausschüttung“ anfällt zzgl. Solidaritätszuschlag (§§ 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b, 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7c, 43a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). 4 Die Steuerpflicht wirkt nicht stets zum Nachteil der juristischen Personen des öffentlichen Rechts. So eröffnet z.B. die Umsatzsteuerpflicht, die nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 3 UStG ebenfalls an das Vorliegen eines BgA geknüpft ist, die Möglichkeit des Vorsteuerabzugs, was bei größeren Investitionsvorhaben von entscheidender Bedeutung sein kann.
B. Betrieb gewerblicher Art (BgA) I. Begriff des BgA 1. Einheitliche Begrifflichkeit im Ertragsteuer- und Umsatzsteuerrecht? 5 Dem Begriff des BgA kommt eine entscheidende Bedeutung für die Besteuerung der öffentlichen Hand zu. Dies gilt für Ertragsteuerzwecke, nach der Gesetzeskonzeption aber auch für Umsatzsteuerzwecke. Das
1 Zur ratio legis der Steuerpflicht der öffentlichen Hand vgl. Hüttemann, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2002, S. 5 ff. 2 Sofern es sich nicht um einen BgA mit eigener Rechtspersönlichkeit handelt (§ 4 Abs. 2 KStG). 3 Vgl. H 33 „Vereinbarungen“ KStH 2008 m.w.N. aus der Rechtsprechung.
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B. Betrieb gewerblicher Art (BgA)
Umsatzsteuergesetz (§ 2 Abs. 3 UStG) verweist zur Bestimmung steuerbarer Tätigkeiten auf den Begriff des BgA i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. § 4 KStG4. Für Umsatzsteuerzwecke sind allerdings auch die Vorgaben der Mehrwertsteuersystem-Richtlinie (MwStSystRL)5 zu beachten. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass es wirtschaftliche Tätigkeiten juristischer Personen des öffentlichen Rechts gibt, die als unternehmerisch anzusehen sind, auch wenn sie keinen BgA im Sinne des Körperschaftsteuergesetzes begründen (vgl. Rz. 270 ff). In diesem Kapitel wird der BgA im Sinne des Körperschaftsteuergesetzes dargestellt. 2. BgA mit und ohne eigene Rechtspersönlichkeit Der Gesetzgeber unterscheidet zwischen BgA mit eigener Rechtspersön- 6 lichkeit (§ 4 Abs. 2 KStG), die selbst juristische Personen des öffentlichen Rechts sind6, und BgA, die rechtlich unselbständig in eine juristische Person des öffentlichen Rechts eingegliedert sind. Diese Differenzierung ist allerdings von eher untergeordneter Bedeutung, da rechtlich unselbständige BgA für steuerliche Zwecke „verselbständigt“ werden (vgl. Rz. 48, 61). Im Folgenden wird der rechtlich unselbständige BgA zugrunde gelegt. 3. Unterscheidung zwischen Eigen- und Regiebetrieben Zunehmend bedeutsam wird die Unterscheidung zwischen Eigen- und 7 Regiebetrieben. Ein Eigenbetrieb ist ein wirtschaftlich und organisatorisch selbständiges Unternehmen, das jedoch nicht über eine eigene Rechtspersönlichkeit verfügt. Er stellt Sondervermögen der betroffenen Trägerkörperschaft dar7. Ein Regiebetrieb ist demgegenüber ein wirtschaftlich und organisatorisch unselbständiger Teil der Trägerkörperschaft, der eng in die öffentliche Verwaltung eingebunden ist8. Anders als bei Eigenbetrieben werden bei Regiebetrieben im Haushaltsplan der Trägerkörperschaft nicht die erwirtschafteten Ergebnisse, sondern die unsaldierten Einnahmen und Ausgaben erfasst. Im Folgenden wird jeweils darauf hingewiesen, wenn und soweit sich diese Unterscheidung auswirkt.
II. Merkmale eines BgA Nach der Legaldefinition in § 4 Abs. 1 KStG handelt es sich bei BgA um „Einrichtungen, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Er-
4 Vgl. auch den Verweis in Abschn. 2.11 Abs. 4 UStAE (Stand: 19.6.2012) auf R 6 KStR 2004. 5 Richtlinie 2006/112/EG v. 28.11.2006. 6 Beispiele für BgA mit eigener Rechtspersönlichkeit sind die öffentlich-rechtlichen Kreditanstalten, Sparkassen und Versicherungsanstalten. 7 Vgl. für Hessen Schneider/Dreßler/Lüll, HessGO, § 121 Rz. 3. 8 Schneider/Dreßler/Lüll, HessGO, § 121 Rz. 3. Beinert/Kostic
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zielung von Einnahmen außerhalb der Land- und Forstwirtschaft dienen und die sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person wirtschaftlich herausheben. Die Absicht, Gewinn zu erzielen, und die Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr sind nicht erforderlich.“ Dazu im Einzelnen: 1. Einrichtung 9 Nach Auffassung der Rechtsprechung ist unter einer Einrichtung jede Betätigung zur Erzielung von Einnahmen zu verstehen, die sich von der sonstigen Tätigkeit funktionell abgrenzen lässt. Es ist nicht notwendig, dass die wirtschaftliche Tätigkeit im Rahmen einer organisatorisch verselbständigten Abteilung ausgeübt wird. Andernfalls stünde die Annahme eines BgA zur Disposition der juristischen Person des öffentlichen Rechts, die durch mangelnde organisatorische Abgrenzung ihrer Tätigkeiten die Besteuerung vermeiden könnte. Die Einbeziehung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in einen überwiegend mit hoheitlichen Aufgaben betrauten Betrieb schließt es daher nicht aus, die einbezogene Tätigkeit gesondert zu beurteilen9. Für das Vorliegen einer Einrichtung bedarf es aber einer gewissen Abtrennung der wirtschaftlichen Tätigkeit. Dies kann sich z.B. daraus ergeben, dass getrennte Einnahmen-AusgabenRechnungen erstellt werden oder ohne Weiteres erstellt werden könnten10. Eine Einrichtung kann sich aber auch aus folgenden Merkmalen ergeben: – besondere Leitung, – geschlossener Geschäftskreis oder – eigene Buchführung11. Demgegenüber erfordert eine Einrichtung weder eigenes Personal noch eigene Arbeitsmittel12. 10 Die Finanzverwaltung geht ebenfalls von diesen Grundsätzen aus13. Daneben spielt auch der Umfang der wirtschaftlichen Tätigkeit eine Rolle: Die Finanzverwaltung geht vom Vorliegen einer Einrichtung aus, wenn der Jahresumsatz i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG aus der Tätigkeit den Betrag von 130 000 Euro übersteigt14. 9 10 11 12
BFH v. 3.2.2010 – I R 8/09, BStBl. II 2010, 502 m.w.N. BFH v. 3.2.2010 – I R 8/09, BStBl. II 2010, 502. BFH v. 26.5.1977 – V R 15/74, BStBl. II 1977, 813. Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 27 (Dezember 2010). 13 R 6 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 KStR 2004; H 6 „Einrichtung“ KStH 2008. 14 R 6 Abs. 4 Satz 2 KStR 2004. Liegt der Umsatz unter 130 000 Euro kann im Einzelfall dennoch ein steuerpflichtiger BgA vorliegen, nämlich dann, wenn sich die „Einrichtung“ anderweitig, z.B. aus einer organisatorischen Verselbständigung, ergibt.
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B. Betrieb gewerblicher Art (BgA)
Werden mehrere gleichartige Betriebe einheitlich verwaltet, z.B. die kommunalen Bäder durch ein Bäderamt, so bilden sie eine Einrichtung und damit einen BgA15.
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Im Schrifttum wird zum Teil gefordert, das Tatbestandsmerkmal der Ein- 12 richtung zugunsten einer rein tätigkeitsbezogenen Betrachtung aufzugeben. Danach soll jede wirtschaftliche Tätigkeit der juristischen Person des öffentlichen Rechts für sich einen BgA begründen, die als wettbewerbsrelevante Tätigkeit steuerrechtlich gesondert beurteilt werden kann, egal, ob sie im oben beschriebenen Sinne abgetrennt ist oder nicht16. Dies hätte aus Sicht der juristischen Personen des öffentlichen Rechts ggf. den Vorteil, dass viele einzelne BgA vorliegen würden, die unter der Aufgriffsgrenze der Finanzverwaltung blieben (vgl. Rz. 16). Dagegen spricht aber der insoweit eindeutige Gesetzeswortlaut des § 4 Abs. 1 KStG, der im Rahmen der Legaldefinition des BgA das Vorliegen einer Einrichtung verlangt. 2. Nachhaltigkeit Die wirtschaftliche Tätigkeit ist nachhaltig, wenn sie während eines be- 13 stimmten Zeitraums mit der Absicht der Wiederholung ausgeübt wird. Besteht von vornherein Wiederholungsabsicht, so genügt bereits das erstmalige Tätigwerden17. Es reicht dagegen nicht aus, wenn durch eine einmalige Tätigkeit lediglich ein Dauerzustand geschaffen wird, infolgedessen für längere Zeit Einnahmen anfallen. Denn das Merkmal der Nachhaltigkeit bezieht sich auf die Tätigkeit18. 3. Einnahmeerzielungsabsicht Die Tätigkeit muss mit der Absicht ausgeübt werden, Einnahmen zu er- 14 zielen. Es spielt keine Rolle, ob solche Einnahmen in öffentlich-rechtlicher Form, d.h. als Gebühren oder Beiträge, oder in privatrechtlicher
15 Vgl. BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 8. 16 Vgl. u.a. Hüttemann, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2002, S. 50, 57. 17 Vgl. BFH v. 26.4.1979 – V R 46/72, BStBl. II 1979, 530; Krämer in Dötsch/Jost/ Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 39 (Dezember 2010); Bott in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz. 62 (Juli 2011). 18 Vgl. die Beispiele bei BFH v. 14.11.1963 – IV 6/60, BStBl. III 1964, 139 (zur Gewerbesteuer): Einmaliges Herausgeben eines Buches, einmalige Vermittlungstätigkeit mit anschließenden Provisionen über Jahre. Vgl. u.a. auch Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 39 (Dezember 2010); Bott in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz. 62 (Juli 2011). Zu den Kriterien, die für die Nachhaltigkeit einer Tätigkeit sprechen sowie zu Einzelfällen vgl. H 15.2 „Nachhaltigkeit – Einzelfälle“ EStR 2008; Abschn. 2.3 Abs. 5 UStAE (Stand: 19.6.2012); OFD Magdeburg v. 21.12.2011 – S 2706-167-St 217, KSt-Kartei ST § 4 KStG Karte 1.23. Beinert/Kostic
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Form anfallen19. Da keine Gewinnerzielungsabsicht erforderlich ist, werden auch strukturell dauerdefizitäre BgA in den steuerlich relevanten Bereich einbezogen. Sofern ein BgA ein begünstigtes Dauerverlustgeschäft betreibt (vgl. Rz. 93 ff.) und eine Zusammenfassung des BgA mit einem gewinnerzielenden BgA möglich ist, können die Verluste steuerlich wirksam genutzt werden (steuerlicher Querverbund, vgl. Rz. 188 ff.). 4. Gewerbliche Art 15 Die Einrichtung muss sowohl von der Art der Tätigkeit als auch von deren Umfang her dem äußeren Bild eines Gewerbebetriebs entsprechen20. Das bedeutet, dass die reine Vermögensverwaltung (vgl. Rz. 39 ff.) keinen BgA begründet. 5. Wirtschaftliche Bedeutsamkeit 16 Die Einrichtung muss sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person des öffentlichen Rechts wirtschaftlich herausheben. Es muss sich also um eine Tätigkeit von einigem wirtschaftlichen Gewicht handeln21. Dies setzt voraus, dass die Tätigkeit Wettbewerbsrelevanz hat22. Die Finanzverwaltung geht aus Vereinfachungsgründen von einer wirtschaftlich bedeutsamen Tätigkeit aus, wenn der Jahresumsatz i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG den Betrag von 30 678 Euro nachhaltig übersteigt23. Bei der Prüfung dieser Grenze sind nur Umsätze einzubeziehen, die an Dritte gegen Entgelt erbracht werden24. Unterhalb dieser Grenze wird die Finanzverwaltung von sich aus – auch bei eindeutig wirtschaftlicher Tä-
19 Vgl. u.a. BFH v. 3.2.2010 – I R 8/09, BStBl. II 2010, 502; Krämer in Dötsch/Jost/ Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 40, 96 (Dezember 2010); Bott in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz. 54 (Juli 2011) jeweils m.w.N. 20 Vgl. u.a. H 6 „Allgemeines“ KStH 2008; Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 38 (Dezember 2010). 21 Vgl. H 6 „Wirtschaftliches Gewicht“ KStH 2008. Kritisch u.a. Hüttemann, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2002, S. 50, 57. 22 Das Merkmal „wirtschaftliche Bedeutsamkeit“ weist insoweit Überschneidungen zum Begriff der Einrichtung auf, vgl. Bott in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz. 64 (Juli 2011). 23 R 6 Abs. 5 Satz 1 KStR 2004. Vgl. dazu u.a. Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 32 ff. (Dezember 2010); Bott in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz. 69 (Juli 2011). 24 Bei einem Selbstversorgungsbetrieb wird ertragsteuerlich allerdings auch auf die Innenumsätze mit der Trägerkörperschaft abgestellt, so u.a. Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 41 (Dezember 2010). Umsatzsteuerlich sind Selbstversorgungsbetriebe dagegen nach Auffassung der Finanzverwaltung nur dann BgA, wenn sie bezüglich der Umsätze an Dritte die Voraussetzungen von R 6 Abs. 5 KStR 2004 erfüllen, vgl. Abschn. 2.11 Abs. 16 UStAE (Stand: 19.6.2012).
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B. Betrieb gewerblicher Art (BgA)
tigkeit – keinen BgA annehmen25. Die Rechtsprechung orientiert sich demgegenüber nicht an starren Umsatzgrenzen, da eine wettbewerbsrelevante Tätigkeit auch bei geringen Umsätzen vorliegen kann26. 6. Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr nicht erforderlich Da es keiner Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr be- 17 darf, können auch Selbstversorgungsbetriebe BgA sein, d.h. Betriebe, die ausschließlich oder fast ausschließlich Lieferungen oder Leistungen gegenüber ihrer Trägerkörperschaft erbringen27. (Körperschaftsteuerpflichtige) Überschüsse können bei Abrechnung auf Selbstkostenbasis allerdings nicht entstehen.
III. Abgrenzung zwischen BgA und Hoheitsbetrieb Die hoheitliche Tätigkeit wird grundsätzlich aus der steuerbaren Tätig- 18 keit ausgespart. Zu den BgA gehören daher nach § 4 Abs. 5 Satz 1 KStG keine Betriebe, die überwiegend der Ausübung öffentlicher Gewalt dienen (Hoheitsbetriebe). Versorgungs-, Verkehrs- und Hafenbetriebe erfüllen Aufgaben der Da- 19 seinsvorsorge und dienen damit öffentlichen Zwecken. Gemäß § 4 Abs. 3 KStG werden diese Versorgungs-, Verkehrs- und Hafenbetriebe aber kraft Gesetz als BgA eingestuft28. Die besondere Stellung der Versorgungs-, Verkehrs- und Hafenbetriebe im Steuerrecht resultiert insbesondere aus der erleichterten Möglichkeit ihrer Zusammenfassung zu einem einheitlichen BgA (vgl. Rz. 196 ff.).
25 Vgl. R 6.5 Abs. 5 Satz 4 KStR 2004 („Wird ein nachhaltiger Jahresumsatz von 30 678 Euro im Einzelfall nicht erreicht, ist ein BgA nur anzunehmen, wenn hierfür besondere Gründe von der Körperschaft vorgetragen werden.“). Damit wird den juristischen Personen des öffentlichen Rechts unterhalb dieser Grenze im Prinzip ein Wahlrecht eingeräumt, besondere Gründe vorzutragen und als BgA behandelt zu werden oder nicht. Vgl. zu der Umsatzgrenze u.a. auch Meier/Semelka in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 4 KStG Rz. 27 (März 2009) m.w.N.; Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 34 (Dezember 2010). 26 Vgl. zur Umsatzsteuer BFH v. 11.1.1979 – V R 26/74, BStBl. II 1979, 746; v. 25.10.1989 – V R 111/85, BStBl. II 1990, 868; v. 17.3.2010 – XI R 17/08, BFH/NV 2010, 2359. 27 Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 41 (Dezember 2010). 28 Vgl. zu § 4 Abs. 3 KStG im Detail u.a. Pinkos, DStZ 2010, 96 (98); Leippe, DStZ 2010, 106; Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 60 ff. (Dezember 2010); Bott in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz. 83 ff. (Juli 2011). Beinert/Kostic
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1. Abgrenzung nach Auffassung der Finanzverwaltung 20 Die Finanzverwaltung grenzt im BMF-Schreiben v. 11.12.200929 zwischen BgA und Hoheitsbetrieb eher formal ab: a) Aufgabenzuweisung an die juristische Person des öffentlichen Rechts 21 Kennzeichnend für eine hoheitliche Tätigkeit ist nach Auffassung der Finanzverwaltung die Erfüllung einer der juristischen Person des öffentlichen Rechts gesetzlich zugewiesenen Aufgabe. Es kann sich dabei um Bundes- oder um Landesrecht handeln. Unschädlich ist es, wenn eine derart zugewiesene Aufgabe von der juristischen Person des öffentlichen Rechts auf eine andere juristische Person des öffentlichen Rechts übertragen wird. 22 Trotz einer Aufgabenzuweisung an die juristische Person des öffentlichen Rechts liegt keine hoheitliche Tätigkeit vor, wenn kein öffentlich-rechtlicher Benutzungszwang besteht, so dass die Leistung auch von einem privaten Dritten vorgenommen werden kann, der keine juristische Person des öffentlichen Rechts ist. Dies gilt ausnahmsweise nicht (Rückausnahme), wenn der Markt für die von der juristischen Person des öffentlichen Rechts ausgeübte Tätigkeit so eingeschränkt ist, dass eine Wettbewerbsbeeinträchtigung steuerpflichtiger Unternehmen im In- und Ausland ausgeschlossen werden kann30. b) Aufgabenübertragung auf private Dritte 23 Eine der juristischen Person des öffentlichen Rechts zugewiesene Aufgabe ist ferner dann keine hoheitliche Tätigkeit, wenn die juristische Person des öffentlichen Rechts die Aufgabe als solche auf einen privaten Dritten pflichtbefreiend übertragen kann. Eine Übertragung auf einen privaten Dritten in diesem Sinne liegt allerdings nicht vor, wenn sich die juristische Person des öffentlichen Rechts lediglich zur Durchführung der Aufgabenerledigung eines Erfüllungsgehilfen bedient31.
29 BMF v. 11.12.2009 – IV C 7 - S 2706/07/10006, 2009/0833347, BStBl. I 2009, 1597. 30 BMF v. 11.12.2009 – IV C 7 - S 2706/07/10006, 2009/0833347, BStBl. I 2009, 1597. 31 BMF v. 11.12.2009 – IV C 7 - S 2706/07/10006, 2009/0833347, BStBl. I 2009, 1597. Im Fall der Abwasserentsorgung ist zum Teil vertreten worden, dass bereits wegen der bundesgesetzlich eingeräumten Möglichkeit der Pflichtenübertragung (§ 18a Abs. 2a WHG a.F.) keine hoheitliche Tätigkeit vorliege, vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 2 Rz. 1345 (Juli 2011). Die Rechtsprechung ging demgegenüber von einer hoheitlichen Tätigkeit aus, solange keine Übertragung im jeweiligen Bundesland stattgefunden hat, vgl. BFH v. 8.1.1998 – V R 32/97, BStBl. II 1998, 410; v. 1.7.2004 – V R 64/02, BFH/NV 2005, 252. Mit Streichung des § 18a Abs. 2a WHG kommt es nun auf die jeweilige landesrechtliche Regelung an.
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Eine Ausnahme gilt, wenn (i) die Übertragung auf den privaten Dritten 24 nur im Wege der Beleihung möglich ist und (ii) ein öffentlich-rechtlicher Benutzungszwang besteht, so dass die Leistung nur von juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder von Beliehenen erbracht werden kann. In diesem Fall bleibt es bei der Annahme einer hoheitlichen Tätigkeit. Eine Beleihung setzt voraus, dass der private Dritte die ihm übertragene Aufgabe nach Maßgabe öffentlich-rechtlicher Handlungsformen zu erfüllen hat. Besteht in einem Bundesland ein öffentlich-rechtlicher Benutzungszwang, so ist die Tätigkeit der juristischen Person des öffentlichen Rechts bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 4 KStG hoheitlich, selbst wenn in anderen Bundesländern andere Regelungen gelten32. 2. Abgrenzung nach Auffassung der Rechtsprechung Die Rechtsprechung33 stellt bei der Abgrenzung zwischen BgA und Ho- 25 heitsbetrieb im ersten Schritt auf die Zielsetzung und den Gegenstand der Tätigkeit ab und wendet damit die sog. „Staatsaufgabenlehre“ an34. Im zweiten Schritt wird geprüft, ob die Tätigkeit Wettbewerbsrelevanz hat. Im ersten Schritt fragt die Rechtsprechung danach, ob die Tätigkeit Erfüllung spezifisch öffentlich-rechtlicher Aufgaben dient, die aus Staatsgewalt abgeleitet sind und staatlichen Zwecken dienen und ob Leistungsempfänger zu deren Annahme aufgrund gesetzlicher oder hördlicher Anordnung verpflichtet ist35.
der 26 der der be-
Im zweiten Schritt prüft die Rechtsprechung, ob sich die Tätigkeit ihrem Inhalt nach von der Tätigkeit eines privaten Unternehmens wesentlich unterscheidet. Ist das nicht der Fall, bewegt sich die juristische Person des öffentlichen Rechts in Bereichen, in denen private Unternehmen durch den Wettbewerb mit juristischen Personen des öffentlichen Rechts nicht benachteiligt werden dürfen36. In dem Fall ist die Tätigkeit nicht
32 Vgl. zum Ganzen BMF v. 11.12.2009 – IV C 7 - S 2706/07/10006, 2009/0833347, BStBl. I 2009, 1597. 33 BFH v. 25.1.2005 – I R 63/03, BStBl. II 2005, 501; v. 29.10.2008 – I R 51/07, BStBl. II 2009, 1022; v. 3.2.2010 – I R 8/09, BStBl. II 2010, 502. 34 Seer/Klemke, BB 2010, 2015 (2016). 35 BFH v. 25.1.2005 – I R 63/03, BStBl. II 2005, 501; v. 29.10.2008 – I R 51/07, BStBl. II 2009, 1022; v. 3.2.2010 – I R 8/09, BStBl. II 2010, 502; v. 3.4.2012 – I R 22/11. 36 BFH v. 25.1.2005 – I R 63/03, BStBl. II 2005, 501 m.w.N.; v. 3.4.2012 – I R 22/11. Zu den Merkmalen einer hoheitlichen Tätigkeit i.S.d. Rechtsprechung vgl. Seer/Klemke, BB 2010, 2015 (2016); Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 87 f. (Dezember 2010); Bott in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz. 121 (Juli 2011); Baldauf, DStZ 2011, 35 (39). Beinert/Kostic
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mehr hoheitlich. Das Vorliegen potentiellen Wettbewerbs genügt dabei37. Auf die Frage, ob sich die juristische Person des öffentlichen Rechts bei ihrem Handeln des Privatrechts oder des öffentlichen Rechts bedient, kommt es demgegenüber nicht an38. 28 Es ist denkbar, wenngleich wohl eher selten, dass die Auffassung der Finanzverwaltung und die Auffassung der Rechtsprechung im Einzelfall zu einem unterschiedlichen Ergebnis gelangen39. 3. Abgrenzung bei Verpachtung eines Hoheitsbetriebs 29 Ein Sonderfall bei der Abgrenzung zwischen BgA und Hoheitsbetrieb ist der Fall der Verpachtung eines Hoheitsbetriebs, also eines Betriebs, der bei der juristischen Person des öffentlichen Rechts im Falle des Betreibens in eigener Regie einen Hoheitsbetrieb darstellen würde. Nach herkömmlicher Ansicht führt die Verpachtung eines solchen Hoheitsbetriebs nicht dazu, dass bei der Verpächterin eine unternehmerische Tätigkeit (BgA) entsteht. Es fehle an einer der Natur nach wirtschaftlichen Tätigkeit40. 30 Es mehren sich aber die Stimmen im Schrifttum, die aus der Möglichkeit der Verpachtung schließen, dass gerade kein Hoheitsbetrieb vorliege, da die Aufgabe ersichtlich nicht der juristischen Person des öffentlichen Rechts „eigentümlich und vorbehalten“ sei. Die Verpachtung könne daher als Gestaltungsinstrument genutzt werden. Jedenfalls aber könne die
37 BFH v. 17.3.2005 – I B 245/04, BFH/NV 2005, 1135 (1136); v. 3.2.2010 – I R 8/09, BStBl. II 2010, 502. Dazu u.a. Meier/Semelka in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 4 KStG Rz. 72 (September 2010); Krämer in Dötsch/Jost/Pung/ Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 86 (Dezember 2010). Ausführlich zum Wettbewerbsbegriff im Steuerrecht Seer/Klemke, BB 2010, 2015 (2017). 38 BFH v. 3.4.2012 – I R 22/11. 39 Seer/Klemke, BB 2010, 2015 (2024) gehen demgegenüber davon aus, dass es keine relevanten Unterschiede gibt. Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 88 (Dezember 2010) sieht Unterschiede bei der Frage, ob im Fall einer Beleihung eine Wettbewerbssituation zwischen der juristischen Person des öffentlichen Rechts und dem Beliehenen geprüft werden müsse (so die Rechtsprechung, nicht aber die Finanzverwaltung). Unseres Erachtens besteht dieser Unterschied nicht. Die Finanzverwaltung geht bei einer Beleihung nur dann von einer hoheitlichen Tätigkeit aus, wenn ein Benutzungszwang vorliegt. Besteht ein Benutzungszwang, geht aber wohl auch der BFH davon aus, dass kein Wettbewerbsverhältnis zwischen der juristischen Person des öffentlichen Rechts und dem Beliehenen vorliegt, vgl. BFH v. 29.10.2008 – I R 51/07, BStBl. II 2009, 1022 mit Hinweis auf BFH v. 25.1.2005 – I R 63/03, BStBl. II 2005, 501. 40 Vgl. FG Bbg. v. 15.4.2002 – 1 K 2642/99, EFG 2002, 1124 (Errichtung und Verpachtung einer Kläranlage). Zustimmend Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 68 (Dezember 2010).
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Verpachtung eines Hoheitsbetriebs ein Indiz dafür bilden, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit – und damit ein BgA – vorliege41. Unseres Erachtens bleibt es bei einem Hoheitsbetrieb, wenn der Pächter 31 lediglich in die Durchführung der Aufgabenerledigung eingeschaltet wird. Die Regelung in § 4 Abs. 4 KStG, wonach (nur) die Verpachtung eines BgA einen BgA (Verpachtungsbetrieb) begründet, spricht dafür, dass die Verpachtung eines Hoheitsbetriebs grundsätzlich keinen BgA begründet. 4. Abgrenzung bei Beistandsleistungen Unklar ist, wann Beistandsleistungen, die zwischen juristischen Per- 32 sonen des öffentlichen Rechts gegen Entgelt erbracht werden, als nicht steuerbar anzusehen sind und wann sie bei der die Leistung ausführenden juristischen Person des öffentlichen Rechts einen steuerpflichtigen BgA begründen. Die ältere Rechtsprechung sah in Beistandsleistungen generell keine 33 steuerbare Tätigkeit, solange mit ihr öffentlich-rechtliche Ziele verfolgt wurden und sie nicht aufgrund eines Unterordnungsverhältnisses zu leisten waren42. In der Folgezeit ging die Rechtsprechung aber davon aus, dass Beistandsleistungen steuerpflichtig sein können43. Nach Auffassung der Finanzverwaltung44 werden Tätigkeiten, die bei ei- 34 ner juristischen Person des öffentlichen Rechts als hoheitliche Tätigkeiten oder als dem hoheitlichen Bereich dienende Hilfstätigkeiten anzusehen sind, nicht allein durch ihre Auslagerung auf eine andere juristische Person des öffentlichen Rechts dort zu einem BgA. Der hoheitliche Charakter bleibe auch bei der übernehmenden juristischen Person des öffentlichen Rechts erhalten, wenn und soweit die Beistandsleistungen an den Hoheitsbereich der die Leistung empfangenden juristischen Person des öffentlichen Rechts erbracht werden45. Dieses weite Verständnis der nicht steuerbaren Beistandsleistungen durch die Finanzverwaltung ist auf heftige Kritik besonders des Bundes-
41 Vgl. Heger in Gosch, KStG, 2. Aufl. 2009, § 4 Rz. 111; Baldauf, DStZ 2010, 523 (525, 533); Baldauf, DStZ 2011, 35 (40). 42 BFH v. 6.7.1967 – V 76/64, BStBl. III 1967, 582; v. 12.12.1968 – V 213/65, BStBl. II 1969, 280. 43 BFH v. 14.3.1990 – I R 156/87, BStBl. II 1990, 866. Vgl. zur Umsatzsteuer BFH v. 21.9.1989 – V R 89/85, BStBl. II 1990, 95. 44 H 9 „Beistandsleistung“ KStH 2008; OFD Frankfurt a. M. v. 15.8.2011 – S 7106 A – 119 St 110, USt-Kartei HE § 2 UStG S 7106 Karte 14G Rz. 2.1. Ausführlich dazu Leippe/Baldauf, DStZ 2012, 283 (292 f.). 45 OFD Frankfurt a. M. v. 15.8.2011 – S 7106 A - 119 - St 110, USt-Kartei HE § 2 UStG S 7106 Karte 14G Rz. 3.5. Beinert/Kostic
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rechnungshofs gestoßen46. Der Bundesrechnungshof forderte das Bundesministerium der Finanzen auf, bei den obersten Finanzbehörden der Länder darauf hinzuwirken, dass eine gleichmäßige und EU-konforme Besteuerung sichergestellt wird. Eine Reaktion des Bundesministeriums der Finanzen blieb aus47. 36 Im Schrifttum wird darauf hingewiesen, dass bereits die Möglichkeit der Auslagerung der Tätigkeit die Wettbewerbssituation verdeutliche und damit den wirtschaftlichen Charakter der Tätigkeit begründe48. Der überwiegende Teil der Literatur spricht sich daher für eine isolierende Betrachtungsweise aus, so dass Tätigkeiten (wie z.B. die Datenverarbeitung), die ohne weiteres auch ein privater Dritter ausüben könnte, nach ihrer Auslagerung auf eine andere juristische Person des öffentlichen Rechts dort grundsätzlich eine wirtschaftliche Tätigkeit und damit einen BgA begründen49. Es bleibt offen, ob die Auffassung der Finanzverwaltung Bestand haben wird. Die geänderte Auffassung des BFH zur umsatzsteuerrechtlichen Behandlung der Beistandsleistungen (vgl. Rz. 285) dürfte zu einer Überarbeitung der gesamten Materie durch die Finanzverwaltung führen50. 5. Abgrenzung bei gemischten Tätigkeiten 37 Umfasst die Tätigkeit einer juristischen Person des öffentlichen Rechts sowohl hoheitliche als auch wirtschaftliche Elemente, unterbleibt grundsätzlich eine Besteuerung, wenn die Tätigkeit überwiegend der Ausübung öffentlicher Gewalt dient (§ 4 Abs. 5 Satz 1 KStG). Es bedarf einer Prüfung in zwei Schritten: – Im ersten Schritt ist zu prüfen, ob die hoheitliche und die wirtschaftliche Tätigkeit sich voneinander trennen lassen51. Ist dies der Fall, stellt die wirtschaftliche Tätigkeit einen BgA dar.
46 Vgl. Bemerkungen des Bundesrechnungshofs 2002 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung, BT-Drs. 15/60, S. 36, 240; Bericht des Bundesrechnungshofs v. 2.11.2004, BT-Drs. 15/4081, S. 7 f. 47 Vgl. Leippe/Baldauf, DStZ 2012, 283 (293). 48 Vgl. Müller-Gatermann, FR 2009, 314 (318). 49 Vgl. u.a. Meier/Semelka in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 4 KStG Rz. 74 (September 2010); Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 105 (Dezember 2010); Leippe/Baldauf, DStZ 2012, 283 (293). 50 Vgl. Leippe/Baldauf, DStZ 2012, 283 (293). 51 Die Möglichkeit, den hoheitlichen und den wirtschaftlichen Bereich zu unterscheiden und zu trennen, hat der BFH für den Fall bejaht, bei dem eine gesetzliche Krankenversicherung auch private Zusatzversicherungen anbot, vgl. BFH v. 3.2.2010 – I R 8/09, BStBl. II 2010, 502. Eine Trennbarkeit soll nach einer Auffassung im Schrifttum bereits dann möglich sein, wenn sich die Nutzung von Personal und Sachmitteln zeitlich abgrenzen lässt, vgl. Heger in Gosch, KStG, 2. Aufl. 2009, § 4 Rz. 106.
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B. Betrieb gewerblicher Art (BgA)
– Ist die wirtschaftliche Tätigkeit unlösbar mit der hoheitlichen Tätigkeit verbunden, ist im zweiten Schritt zu prüfen, ob die wirtschaftliche Tätigkeit eine Art Nebentätigkeit im Rahmen einer einheitlichen, dem Wesen nach hoheitlichen Tätigkeit darstellt. Dann liegt eine nicht steuerbare hoheitliche Tätigkeit vor52. Überwiegt hingegen die wirtschaftliche Tätigkeit, liegt ein BgA vor. Die Grenzen zwischen BgA und Hoheitsbetrieben sind letztlich fließend, unterliegen dem Wandel der Zeit und können auch örtlich verschieden verlaufen53.
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IV. Abgrenzung zwischen BgA und Vermögensverwaltung Die Vermögensverwaltung begründet keinen BgA. Vermögensverwaltung 39 liegt in der Regel vor, wenn Vermögen genutzt, z.B. Kapitalvermögen verzinslich angelegt wird oder (unbewegliches) Vermögen vermietet oder verpachtet wird. Die bloße Vermietung oder Verpachtung von Grundbesitz stellt damit keinen BgA dar. Dass die Vermögensverwaltung keinen BgA begründet, lässt sich zum einen damit begründen, dass der Wortlaut von § 4 Abs. 1 KStG dem Wortlaut von § 14 AO (wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb) ähnelt und § 14 Satz 3 AO die Vermögensverwaltung ausdrücklich aus der Steuerplicht ausklammert. Zum anderen erklärt § 4 Abs. 4 KStG die Verpachtung eines Betriebs ausdrücklich zum BgA. Hieraus lässt sich im Umkehrschluss folgern, dass die sonstige Vermögensverwaltung keinen BgA begründen kann54. Wann der Rahmen der Vermögensverwaltung überschritten wird und 40 eine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt, kann nach den Grundsätzen des § 15 EStG ermittelt werden55. Nimmt die Leistung der juristischen Person des öffentlichen Rechts gewerblichen Charakter an, etwa bei ständig wechselnder kurzfristiger Vermietung von Sälen oder bei Erbringung von Leistungen, die über eine reine Vermietungstätigkeit hinausgehen56, wird
52 Vgl. BFH v. 10.7.1962 – I 164/59 S, BStBl. III 1962, 448; v. 26.5.1977 – V R 15/74, BStBl. II 1977, 813; v. 23.10.1996 – I R 1-2/94, BStBl. II 1997, 139; H 6 „Überwiegende Zweckbestimmung“ KStH 2008. 53 Vgl. u.a. Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 85 (Dezember 2010); Bott in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz. 121 (Juli 2011). 54 So auch Seer/Klemke, BB 2010, 2015 Fn. 55. 55 Vgl. u.a. Seer/Klemke, BB 2010, 2015 Fn. 55; Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 48 (Dezember 2010); Bott in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz. 58 (Juli 2011). 56 Vgl. u.a. R 15.7 Abs. 2 EStR 2008, H 15.7 Abs. 2 „Gewerblicher Charakter der Vermietungstätigkeit“ EStR 2008. Bayerisches Landesamt für Steuern v. 13.2.2008 – S 711 - 6034M, DStR 2008, 619; Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 109 „Vermietung von Räumen (z.B. von Hörsälen)“ (Dezember 2010). Beinert/Kostic
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der Bereich der Vermögensverwaltung überschritten und liegt eine einen BgA begründende wirtschaftliche Tätigkeit vor. 41 Auch der Besitz und die Verwaltung von Anteilen an Kapitalgesellschaften ist grundsätzlich der Vermögensverwaltung zuzuordnen57. Hiervon gibt es zwei Ausnahmen: Zum einen liegt nach Auffassung der Finanzverwaltung ein BgA vor, wenn die juristische Person des öffentlichen Rechts tatsächlich entscheidenden Einfluss auf die laufende Geschäftsführung der Kapitalgesellschaft ausübt58. Zum anderen liegt in den Fällen einer Betriebsaufspaltung ein BgA vor. Verpachtet beispielsweise eine juristische Person des öffentlichen Rechts U-Straßenbahnanlagen (und damit eine wesentliche Betriebsgrundlage) an ihre Tochterkapitalgesellschaft, die im Bereich des ÖPNV tätig ist, liegt eine Betriebsaufspaltung vor. Dies hat zur Folge, dass die Verpachtungstätigkeit der juristischen Person des öffentlichen Rechts einen steuerrelevanten BgA bildet59, zu dessen notwendigem Betriebsvermögen die Anteile an der Tochterkapitalgesellschaft gehören. 42 Die Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft i.S.v. § 15 EStG begründet immer einen BgA60. 43 Eine Personengesellschaft, die keine Gewinnerzielungsabsicht hat, ist keine Mitunternehmerschaft i.S.v. § 15 EStG. Die Beteiligung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts an einer solchen Personengesellschaft ist gleichwohl ein BgA, da es für die Annahme eines BgA keiner Gewinnerzielungsabsicht bedarf61. 44 Übt eine Personengesellschaft eine Tätigkeit aus, die würde sie von der juristischen Person des öffentlichen Rechts selbst ausgeübt, als hoheitlich zu beurteilen wäre, kommt es für das Vorliegen eines BgA darauf an, wer an der Personengesellschaft beteiligt ist. Ist neben der juristischen Person des öffentlichen Rechts eine Kapitalgesellschaft beteiligt, stellt die Beteiligung der juristischen Person des öffentlichen Rechts einen BgA dar. Schließen sich dagegen zwei juristische Personen des öffentlichen 57 Vgl. R 6 Abs. 2 Satz 6 KStR 2004. 58 In H 6 „Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft“ KStH 2008 wird u.a. auf R 16 Abs. 5 Satz 4 KStR 2004 verwiesen, der somit entsprechende Anwendung findet. Ablehnend Hüttemann, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2002, S. 69; sowie Bott in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz. 57 (Juli 2011). Die Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung i.S.v. § 17 EStG führt nicht zur Annahme eines BgA, vgl. u.a. Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 56 f. (Dezember 2010). 59 Baldauf, DStZ 2010, 523 (528). 60 BFH v. 9.5.1984 – I R 25/81, BStBl. II 1984, 726. 61 Bei gemeinnützigen Körperschaften begründet die Beteiligung an einer gewerblich geprägten, aber vermögensverwaltenden Personengesellschaft keinen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb i.S.v. § 14 AO, vgl. BFH v. 25.5.2011 – I R 60/10, DStR 2011, 1460. Die Frage des Vorliegens eines BgA ist aber ausschließlich nach § 4 KStG zu beurteilen; eine abgabenrechtliche Beurteilung kann dem nicht gegenübergestellt werden, vgl. Storg, DStZ 2011, 784 (787).
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C. Körperschaftsteuer
Rechts zur gemeinsamen Ausübung von hoheitlichen Tätigkeiten zu einer Personengesellschaft zusammen, ist regelmäßig nicht von einem BgA auszugehen62.
V. Verpachtung eines BgA Die Verpachtung eines BgA gilt nach § 4 Abs. 4 KStG selbst als BgA (Ver- 45 pachtungsbetrieb)63. Die unentgeltliche Verpachtung begründet allerdings keinen BgA i.S.v. § 4 Abs. 4 KStG64. Entscheidend für das Vorliegen eines Verpachtungsbetriebs ist, ob bei einer Bewirtschaftung durch die juristische Person des öffentlichen Rechts selbst die Begriffsmerkmale eines BgA erfüllt wären, wobei maßgebend die Umsätze des Pächters sind65. Die Verpachtung eines Betriebs, dessen Führung größeres Inventar erfordert, stellt nur dann einen Verpachtungsbetrieb dar, wenn Inventarstücke vom Verpächter beschafft und dem Pächter zur Nutzung überlassen werden. Dies gilt auch, wenn das mitverpachtete Inventar nicht vollständig ist, jedoch die Führung eines bescheidenen Betriebs gestattet66. Damit kann die juristische Person des öffentlichen Rechts das Entstehen eines steuerrelevanten Verpachtungsbetriebs verhindern, indem sie die beweglichen Wirtschaftsgüter an den Pächter verkauft, sodass allein mit dem mitverpachteten Inventar keine Betriebsfortführung möglich ist67.
C. Körperschaftsteuer I. Steuerpflicht Körperschaftsteuerpflichtig gem. § 1 Abs. 1 Nr. 6 KStG und damit Steuer- 46 rechtssubjekt ist die juristische Person des öffentlichen Rechts, nicht ihre (unselbständigen) BgA68. Die Ergebnisse der verschiedenen BgA einer
62 R 6 Abs. 2 Sätze 2–5 KStR 2004. 63 Ausführlich zur Verpachtung u.a. Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 63 ff. (Dezember 2010); Bott in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz. 97 ff. (Juli 2011). 64 OFD Nds. v. 13.1.2011 – S 2706 - 290 - St 241, KSt-Kartei ND § 4 KStG Karte D 2. Eine entgeltliche Verpachtung ist auch dann zu verneinen, wenn die verpachtende juristische Person des öffentlichen Rechts dem Pächter einen Zuschuss gewährt, der das Pachtentgelt übersteigt. 65 R 6 Abs. 5 Sätze 6, 7 KStR 2004. Vgl. dazu u.a. Bott in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz. 100, 106 (Mai 2007); Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 67 (Dezember 2010). 66 H 8 „Inventar“ KStH 2008. 67 Vgl. Baldauf, DStZ 2010, 523 (525). 68 Vgl. BFH v. 13.3.1974 – I R 7/71, BStBl. II 1974, 391; v. 12.1.2011 – I R 112/09, BFH/NV 2011, 1194. Ein BgA mit eigener Rechtspersönlichkeit (§ 4 Abs. 2 KStG) ist demgegenüber selbst Körperschaftsteuersubjekt. Beinert/Kostic
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juristischen Person des öffentlichen Rechts dürfen allerdings grundsätzlich nicht zusammengerechnet werden (zu den Ausnahmen vgl. Rz. 188 ff.). Für jeden einzelnen BgA ist das Einkommen vielmehr gesondert zu ermitteln und die Körperschaftsteuer gesondert gegen die Trägerkörperschaft festzusetzen69.
II. Einkunftsart 47 Obwohl ein BgA nicht alle Tatbestandsmerkmale des § 15 Abs. 2 EStG erfüllen muss70, sind die Einkünfte eines BgA stets als gewerbliche Einkünfte i.S.v. § 15 EStG zu behandeln71.
III. Gewinnermittlung und Buchführungspflichten 1. Gewinnermittlung 48 Für Zwecke der Einkommensermittlung gelten BgA als verselbständigt. Sie nehmen aufgrund dieser fiktiven Selbständigkeit eine ähnliche Stellung zu ihrer Trägerkörperschaft ein wie eine Kapitalgesellschaft zu ihrem Alleingesellschafter. Der Gewinn eines BgA wird durch Betriebsvermögensvergleich nach §§ 4 Abs. 1, 5 EStG ermittelt, wenn die Trägerkörperschaft mit ihrem BgA aufgrund gesetzlicher Vorschriften verpflichtet ist, Bücher zu führen und regelmäßig Abschlüsse zu erstellen oder dies freiwillig tut (§§ 140, 141 AO). In den übrigen Fällen wird der Gewinn durch Gegenüberstellung der Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 3 EStG (Einnahmen-Überschussrechnung) ermittelt72. 49 Die Gewinnermittlungsmethoden unterscheiden sich vor allem hinsichtlich des Zeitpunkts, in dem Einnahmen und Ausgaben zu erfassen sind.
69 BFH v. 13.3.1974 – I R 7/71, BStBl. II 1974, 391. Vgl. u.a. auch BFH v. 8.11.1989 – I R 187/85, BStBl. II 1990, 242; v. 9.7.2003 – I R 48/02, BStBl. II 2004, 425; H 6 „Allgemeines“ KStH 2008. Kritisch Stein in Mössner/Seeger, KStG, § 4 Rz. 127 (2005); Ortmann-Babel/Stelzer/Zipfel, BB 2008, 1760 (1762); Drüen in Tipke/ Kruse, AO/FGO, § 33 AO Rz. 65 (Januar 2010). 70 Die Absicht, Gewinn zu erzielen, und die Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr sind nicht erforderlich, § 4 Abs. 1 Satz 2 KStG. 71 H 33 „Einkunftsart“ KStH 2008. 72 Wird der Gewinn nach §§ 4 Abs. 1, 5 EStG ermittelt, gelten grundsätzlich ab dem Kalenderjahr 2012 (vgl. § 52 Abs. 15a EStG i.V.m. § 1 AnwZpvV) auch die Regelungen über die sog. E-Bilanz nach § 5b EStG, so dass die Datensätze durch Datenfernübertragung und nicht mehr in Papierform zu übermitteln sind. Bei BgA wird es aber nicht beanstandet, wenn die Datensätze erstmals für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2014 beginnen, durch Datenfernübertragung übermittelt werden. In der Übergangszeit können die Bilanzen und die Gewinnund Verlustrechnungen in Papierform eingereicht werden, vgl. BMF v. 28.9.2011 – IV C 6 - S 2133-b/11/10009, BStBl. I. 2011, 855, Rz. 6, 7. Vgl. auch Richter/Kruczynski/Kurz, BB 2011, 1963.
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Während bei der Ermittlung des Gewinns durch Betriebsvermögensvergleich der Realisationszeitpunkt maßgeblich ist, also der Zeitpunkt, in dem eine Forderung oder eine Verbindlichkeit entsteht, kommt es bei der Einnahmen-Überschussrechnung auf den Zu- bzw. Abflusszeitpunkt an. Daher hat der BgA bei der Einnahmen-Überschussrechnung größere Gestaltungsmöglichkeiten: Der BgA kann z.B. den Abflusszeitpunkt dadurch beeinflussen, dass er eine Rechnung früher oder später zahlt73. Die Gewinnermittlungsmethoden können aber auch Einfluss auf die 50 Frage haben, ob Kapitalertragsteuer anfällt, wenn der Gewinn als an die Trägerkörperschaft ausgeschüttet gilt (§ 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b EStG). Kapitalertragsteuer fällt nicht an, wenn der BgA seinen Gewinn nicht mittels Betriebsvermögensvergleichs, sondern mittels Einnahmen-Überschussrechnung ermittelt, sofern er gewisse Schwellenwerte unterschreitet (vgl. Rz. 136). 2. Buchführungspflichten Ob (steuerliche) Buchführungs- und Bilanzierungspflichten bestehen, 51 hängt maßgebend davon ab, ob der BgA als sog. Eigen- oder als Regiebetrieb geführt wird. a) Eigenbetriebe Ein Eigenbetrieb ist ein wirtschaftlich und organisatorisch selbständiges Unternehmen, das jedoch nicht über eine eigene Rechtspersönlichkeit verfügt. Es stellt Sondervermögen der Gemeinde dar74. Für einen Eigenbetrieb ist nach Maßgabe des jeweiligen landesspezifischen Eigenbetriebsrechts in der Regel eine kaufmännische Buchführung einzurichten und sind Jahresabschlüsse i.S.v. §§ 238 ff. HGB zu erstellen (vgl. für Hessen §§ 20, 22 EigBGes).
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Die sich aus dem landesspezifischen Eigenbetriebsrecht ergebenden 53 Buchführungspflichten sind gemäß § 140 AO auch für steuerliche Zwecke zu erfüllen. Die steuerliche Gewinnermittlung für den Eigenbetrieb ist folglich durch Betriebsvermögensvergleich nach §§ 4 Abs. 1, 5 EStG vorzunehmen75.
73 Vgl. zum Ganzen Schiffers, DStZ 2012, 310 (312). 74 Vgl. für Hessen Schneider/Dreßler/Lüll, HessGO, § 121 Rz. 3 (2010). 75 Vgl. u.a. Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 176 (Dezember 2010); Bott in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz. 294 (Mai 2011). Für Sachsen-Anhalt OFD Magdeburg v. 21.3.2012 – S 2706 - 58 - St 217, KStKartei ST § 4 KStG Karte 1.9 Rz. 1. Beinert/Kostic
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b) Regiebetriebe 54 Ein Regiebetrieb ist ein wirtschaftlich und organisatorisch unselbständiger Teil der Gemeinde, der eng in die öffentliche Verwaltung eingebunden ist76. Anders als bei Eigenbetrieben werden bei Regiebetrieben im Haushaltsplan der Trägerkörperschaft nicht die erwirtschafteten Ergebnisse, sondern die unsaldierten Einnahmen und Ausgaben erfasst. 55 In seltenen Fällen besteht eine Buchführungs- und Bilanzierungspflicht nach HGB77, nämlich dann, wenn ein Gewerbebetrieb vorliegt, bei dem nach Art und Umfang ein in kaufmännischer Weise eingerichteter Geschäftsbetrieb erforderlich ist (§ 1 Abs. 2 HGB). Die größenabhängige Befreiung von der Buchführungs- und Bilanzierungspflicht nach § 241a HGB (nicht mehr als 500 000 Euro Umsatz und 50 000 Euro Jahresüberschuss in zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren) greift bei BgA nicht. Nach § 263 HGB können allerdings landesrechtliche Vorschriften Erleichterungen von der Buchführungs- und Bilanzierungspflicht nach §§ 238 ff. HGB vorsehen. Dies ist der Fall, wenn die Kameralistik gilt78. 56 Die Kameralistik erfasst lediglich Liquiditätsströme und ermöglicht daher keinen Betriebsvermögensvergleich. 57 Oft bestehen aber steuerliche Buchführungspflichten nach § 141 AO. Steuerliche Buchführungspflichten nach § 141 AO bestehen, wenn bei einem gewerblichen Unternehmen gewisse Umsatz- bzw. Gewinngrenzen (500 000 Euro Umsatz im Kalenderjahr oder 50 000 Euro Gewinn aus Gewerbebetrieb im Wirtschaftsjahr) überschritten werden. Die Buchführungspflicht besteht allerdings erst, wenn das Finanzamt auf den Beginn der Buchführungspflicht hingewiesen hat. Von Beginn des auf den Hinweis folgenden Jahres an ist die Buchführungspflicht zu erfüllen79. In der Vergangenheit ist ein solcher Hinweis trotz des Überschreitens der Umsatz- und Gewinngrenzen häufig unterblieben. Da Voraussetzung für eine steuerliche Buchführungspflicht nach § 141 AO das Vorliegen eines gewerblichen Unternehmens ist, muss der Regiebetrieb alle Tatbestandsmerkmale des § 15 Abs. 2 EStG, einschließlich der Gewinnerzielungsabsicht, erfüllen80. Für strukturell dauerdefizitäre BgA, bei denen es an der Gewinnerzielungsabsicht fehlt, kann sich folglich keine Buchführungspflicht aus § 141 AO ergeben81.
76 Schneider/Dreßler/Lüll, HessGO, § 121 Rz. 3 (2010). 77 Bott in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz. 294 (Mai 2011). Vgl. auch Schiffers, DStZ 2012, 310 (311), der darauf hinweist, dass für Dauerverlust-BgA keine handelsrechtliche Bilanzierungspflicht besteht. 78 Vgl. OFD Magdeburg v. 21.3.2012 – S 2706 – 58 – St 217, KSt-Kartei ST § 4 KStG Karte 1.9 Rz. 2.1. 79 Nach § 148 AO kann die Finanzverwaltung Erleichterungen bewilligen. 80 AEAO Nr. 1 zu § 141 AO. 81 BMF v. 9.2.2012 – IV C 2 - S 2706/09/10005, BStBl. I 2012, 184 Rz. 2.
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Nach Landesrecht kann eine Bilanzierungspflicht für den Gesamthaus- 58 halt bestehen (Doppik). Gilt die Doppik, war bisher unklar, ob daraus eine steuerliche Buchführungspflicht für die einzelnen BgA erwächst. Das BMF hat im Schreiben vom 9.2.2012 klargestellt, dass eine juristische Person des öffentlichen Rechts auch nach Einführung der Doppik bei ihren einzelnen BgA weiterhin das Wahlrecht hat, den Gewinn mittels Einnahmen-Überschussrechnung zu ermitteln82. Entsprechendes gilt für Sachverhalte, bei denen eine juristische Person des öffentlichen Rechts für ihren Gesamthaushalt freiwillig Bücher führt und Abschlüsse erstellt. Dem ist zu folgen83. Der Gesamthaushalt kann als eine Art Konzern betrachtet werden. Wird für den Konzern ein Abschluss aufgestellt, bedeutet dies nicht, dass auch für die zum Konzern gehörenden Einzelunternehmen Abschlüsse erstellt werden müssen. Es bedarf dafür eigenständiger Vorschriften. Folglich sind Buchführungsvorschriften, die sich ausdrücklich nur auf den Gesamthaushalt beziehen, keine Vorschriften, die auch für die einzelnen BgA gelten. Die Ermittlung des Gewinns durch Einnahmen-Überschussrechnung 59 kann vorteilhaft sein, da die Gewinnermittlungsart Einfluss darauf haben kann, ob der BgA Kapitalertragsteuer einzubehalten und abzuführen hat (§ 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b EStG i.V.m. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7c EStG). Wenn die Schwellenwerte nach § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b EStG (Umsatz 350 000 Euro, Gewinn 30 000 Euro) unterschritten werden, der BgA also nicht bereits wegen seiner Größe zur Einbehaltung von Kapitalertragsteuer verpflichtet ist, kann mittels Gewinnermittlung durch Einnahmen-Überschussrechnung der Anfall von Kapitalertragsteuer vermieden werden. c) Freiwillige Aufstellung einer Handelsbilanz Ist ein BgA kapitalertragsteuerpflichtig, etwa weil die genannten Schwel- 60 lenwerte (Umsatz 350 000 Euro, Gewinn 30 000 Euro) überschritten werden, hat die freiwillige Aufstellung einer Handelsbilanz neben dem steuerlichen Rechenwerk möglicherweise Vorteile für die juristische Person des öffentlichen Rechts. Die Kapitalertragsteuer knüpft an den handelsrechtlichen Jahresüberschuss an; durch die freiwillige Aufstellung einer Handelsbilanz können etwaige handelsbilanzielle Spielräume genutzt werden (z.B. bei Rückstellungen oder Abschreibungen)84.
82 BMF v. 9.2.2012 – IV C 2 - S 2706/09/10005, BStBl. I 2012, 184 Rz. 2. Dies bedeutet auch, dass die Regelungen zur E-Bilanz nach § 5b EStG nicht anwendbar sind, vgl. auch Schiffers, DStZ 2012, 310 (316). 83 Vgl. zu dieser Argumentation Kußmaul/Henkes/Pinkos, WPg 2008, 978 (983). Vgl. im Ergebnis auch Bott, DStZ 2009, 710 (718). 84 Vgl. hierzu ausführlich Schiffers, DStZ 2012, 310 (313). Beinert/Kostic
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IV. Besonderheiten der Gewinnermittlung bei BgA 1. Gesonderte Gewinnermittlung 61 Die Maßgabe, für jeden einzelnen BgA das Einkommen gesondert zu ermitteln und die Körperschaftsteuer gesondert gegen die Trägerkörperschaft festzusetzen, führt zu einer fiktiven steuerrechtlichen Verselbständigung des BgA85. 2. Leistungsbeziehungen zur Trägerkörperschaft a) Allgemeines 62 Ein BgA kann Leistungsbeziehungen mit seiner Trägerkörperschaft eingehen. Das Verhältnis zwischen BgA und Trägerkörperschaft wird steuerrechtlich ähnlich behandelt wie das Verhältnis zwischen einer Kapitalgesellschaft und ihrem Alleingesellschafter. Die öffentliche Hand soll gegenüber der Privatwirtschaft nicht begünstigt werden. Daraus folgt, dass ungeachtet der Tatsache, dass das Einkommen des BgA der Trägerkörperschaft zugerechnet wird und von dieser zu versteuern ist, bei der Ermittlung des Einkommens des BgA so verfahren wird, als ob der BgA ein selbständiges Steuerrechtssubjekt in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft und die Trägerkörperschaft deren Alleingesellschafter ist86. Folglich gelten die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur verdeckten Gewinnausschüttung auch für die Beziehungen zwischen einem BgA und seiner Trägerkörperschaft87. Diese Behandlung findet ihre Grenze allerdings dort, wo die Besonderheiten des BgA eine andere Behandlung gebieten88. 63 Für Leistungen des BgA an den Hoheitsbereich seiner Trägerkörperschaft ist grundsätzlich ein im Geschäftsverkehr übliches Entgelt zu bezahlen89. Wird auf einen Gewinnaufschlag verzichtet, weil aufgrund spezialgesetz-
85 R 33 Abs. 1 KStR 2004. 86 Vgl. u.a. BFH v. 9.8.1989 – I R 4/84, BStBl. II 1990, 237; v. 10.7.1996 – I R 108-109/95, BStBl. II 1997, 230; v. 17.5.2000 – I R 50/98, BStBl. II 2001, 558; v. 6.11.2007 – I R 72/06, BStBl. II 2009, 246; vgl. auch H 33 „Vereinbarung“ KStH 2008; H 36 „BgA“ KStH 2008. 87 BFH v. 1.9.1982 – I R 52/78, BStBl. II 1983, 147; v. 28.2.1990 – I R 137/86, BStBl. II 1990, 647; v. 8.10.2008 – I R 3/06, BStBl. II 2010, 186. 88 BFH v. 14.3.1984 – I R 223/80, BStBl. II 1984, 496; v. 24.4.2002 – I R 20/01, BStBl. II 2003, 412; v. 22.8.2007 – I R 32/06, BStBl. II 2007, 961; vgl. auch Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 235 ff. (Dezember 2010); Bott in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz. 302 (Mai 2011) mit Beispielen. 89 Zu Konzessionsabgaben vgl. BFH v. 6.4.2005 – I R 15/04, BStBl. II 2006, 196. Zur Tätigkeit eines BgA für den Hoheitsbereich der Trägerkörperschaft ohne Deckung der Vollkosten (Hebedatenüberlassung durch Wasserversorgungsunternehmen) vgl. BFH v. 28.1.2004 – I R 87/02, BFH/NV 2004, 736; FG Düsseldorf v. 1.2.2005 – 6 K 2099/04, EFG 2005, 972.
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licher Regelung die Erzielung von Gewinnen ausgeschlossen ist, so führt dies nicht zum Vorliegen einer verdeckten Gewinnausschüttung 90. Liegt eine verdeckte Gewinnausschüttung vor, so führt dies zum einen 64 zur Korrektur des steuerlichen Einkommens des BgA nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG, zum anderen fällt ggf. Kapitalertragsteuer an (§ 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b EStG)91. b) Vereinbarungen zwischen BgA und Trägerkörperschaft Geht der BgA eine Leistungsbeziehung zu seiner Trägerkörperschaft ein, 65 muss diese üblich und angemessen ausgestaltet sein. Es müssen klare und eindeutige, im Voraus getroffene und tatsächlich durchgeführte Vereinbarungen vorliegen92. Von den allgemeinen Regeln zur verdeckten Gewinnausschüttung wird nur insoweit abgewichen, als die Vereinbarungen nicht zivilrechtlich wirksam sein müssen93. Denn eine juristische Person des öffentlichen Rechts kann als Trägerin des BgA keine Vereinbarungen mit sich selbst schließen; diese werden lediglich fingiert. An die Klarheit und Eindeutigkeit der Vereinbarungen werden hohe Anforderungen gestellt94; ein nur buchmäßiger Ansatz von Einnahmeposten im Haushaltsplan der Trägerkörperschaft oder von Ausgaben in den Büchern des BgA ist nicht ausreichend95. c) Vermietung/Verpachtung wesentlicher Betriebsgrundlagen Vereinbarungen, aufgrund derer eine Trägerkörperschaft ihren BgA mit 66 Nutzungsentgelten für Wirtschaftsgüter belastet, die zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen des BgA gehören, dürfen der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden. Andernfalls würde die öffentliche Hand gegen-
90 BFH v. 17.11.1999 – I R 4/99, BFH/NV 2000, 1502; v. 29.3.2000 – I R 32/99, BStBl. II 2000, 496; FG Köln v. 24.3.2004 – 13 K 5107/00, EFG 2004, 1156. 91 Für den Fall der Bezahlung überhöhter Miet- oder Pachtzinsen vgl. OFD Frankfurt a. M. v. 18.8.2006 – S 2706a A - 6 - St 54, DB 2006, 1983. 92 R 33 Abs. 1 Satz 3 KStR 2004. 93 BFH v. 14.3.1984 – I R 223/80, BStBl. II 1984, 496; v. 24.2.2002 – I R 20/01, BStBl. II 2003, 412; Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 205 (Dezember 2010); Bott in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz. 299 (Mai 2011); eine zivilrechtlich wirksame Vereinbarung fordernd aber Heger in Gosch, KStG, 2. Aufl. 2009, § 4 Rz. 126. 94 R 33 Abs. 1 Satz 3 KStR 2004; Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 206 (Dezember 2010); Bott in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz. 299 (Mai 2011). Als Darlehensvereinbarungen werden Gemeinderatsbeschlüsse akzeptiert, in denen die Zinsmodalitäten sowie die Rückzahlungstermine festgehalten werden, vgl. Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 207 (Dezember 2010). 95 BFH v. 29.11.1960 – I 145/60 U, BStBl. III 1961, 67; v. 17.5.2000 – I R 50/98, BStBl. II 2001, 558. Beinert/Kostic
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über der Privatwirtschaft steuerlich begünstigt96. Im Falle einer Kapitalgesellschaft würde sich zwar deren Einkommen um die Miet- oder Pachtzinsen mindern; diese müssten aber von dem Gesellschafter nach den Grundsätzen der Betriebsaufspaltung als Einkünfte aus Gewerbebetrieb versteuert werden. Bei der Überlassung einer wesentlichen Betriebsgrundlage durch eine Trägerkörperschaft an ihren BgA nimmt man aus Vereinfachungsgründen97 keine Betriebsaufspaltung an. Stattdessen ist das Wirtschaftsgut als notwendiges Betriebsvermögen des BgA zu erfassen98. Im Ergebnis wird die Differenz zwischen den Miet- oder Pachtzinsen und den hinsichtlich des Wirtschaftsguts auf Ebene der Trägerkörperschaft angefallenen Aufwendungen dem steuerlichen Einkommen des BgA als verdeckte Gewinnausschüttung hinzugerechnet99 und gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b EStG ggf. der Kapitalertragsteuer unterworfen100. 67 Das Wirtschaftsgut ist als notwendiges Betriebsvermögen des BgA zu aktivieren. Fraglich ist, welche Gegenbuchung vorzunehmen ist. Wurde das Wirtschaftsgut von der Trägerkörperschaft fremdfinanziert, so muss auch das Darlehen beim BgA passiviert werden101. Unklar ist die Gegenbuchung aber dann, wenn das Wirtschaftsgut nicht (vollständig) fremdfinanziert wurde. Nach Auffassung der Finanzverwaltung kann das Wirtschaftsgut beim BgA zu Lasten des verzinslichen Verrechnungskontos eingebucht werden102. Da der BgA die Zinsen grundsätzlich als Betriebsausgaben steuerlich geltend machen kann, hat er im Ergebnis statt Mietaufwand Zinsaufwand (sowie die Abschreibungen auf das Wirtschaftsgut). Im Schrifttum stößt genau das auf Kritik103. Unseres Erachtens ist der Auffassung der Finanzverwaltung zu folgen104. Für die steuerliche Anerkennung von Darlehensbeziehungen zwischen dem BgA und seiner Trägerkörperschaft gelten eigene Regeln (vgl. Rz. 71 ff.). Solange diese Regeln eingehalten werden, kann das Wirtschaftsgut dem BgA so zugeord96 BFH v. 14.3.1984 – I R 223/80, BStBl. II 1984, 496; v. 17.5.2000 – I R 50/98, BStBl. II 2001, 558. 97 Vgl. BFH v. 6.11.2007 – I R 72/06, BStBl. II 2009, 246. 98 H 33 „Betriebsvermögen“ KStR 2004. 99 BFH v. 14.3.1984 – I R 223/80, BStBl. II 1984, 496; v. 24.4.2002 – I R 20/01, BStBl. II 2003, 412; vgl. auch OFD Koblenz v. 19.1.2004 – S 2706 A - St 33 1, DStR 2004, 727. 100 OFD Frankfurt a. M. v. 18.8.2006 – S 2706a A - 6 - St 54, DB 2006, 1983; vgl. auch Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 319a (Juni 2011). 101 So OFD Koblenz v. 19.1.2004 – S 2706 A - St 33 1, DStR 2004, 727 für den Fall der Bilanzierung von Büro- und Verwaltungsgebäuden. Die in der Verfügung der OFD Koblenz niedergelegten Grundsätze lassen sich unseres Erachtens auf andere dem BgA von der Trägerkörperschaft zur Verfügung gestellte Wirtschaftsgüter übertragen. 102 OFD Koblenz v. 19.1.2004 – S 2706 A - St 33 1, DStR 2004, 727 für den Fall, dass der BgA über kein eigenes Geldkonto in der Bilanz verfügt. 103 Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 75 (Dezember 2010). 104 Ebenso Vochsen, DStZ 2011, 360 (368).
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net werden als habe dieser es gekauft, finanziert durch ein Darlehen seiner Trägerkörperschaft. Das Wirtschaftsgut ist nach unseres Erachtens zutreffender Auffassung 68 der Finanzverwaltung allerdings dann nicht als notwendiges Betriebsvermögen des BgA zu erfassen, wenn die Trägerkörperschaft es dem BgA unentgeltlich zur Nutzung überlässt. In einem solchen Fall droht keine Verlagerung von Einkünften in den nicht steuerbaren Bereich der Trägerkörperschaft105. Das betroffene Wirtschaftsgut kann weiterhin im Bereich der Vermögensverwaltung der Trägerkörperschaft geführt werden, so dass es zu keiner steuerlichen Verstrickung des Wirtschaftsguts kommt. Bei der Frage, ob eine entgeltliche oder eine unentgeltliche Nutzungsüberlassung vorliegt, sind auch seitens der Trägerkörperschaft an ihren (defizitären) BgA gewährte Zuschüsse zu berücksichtigen. Ergibt sich bei einheitlicher Betrachtung eine Belastung der Trägerkörperschaft, weil der Zuschuss das Nutzungsentgelt übersteigt, liegt eine unentgeltliche Nutzungsüberlassung vor106. Gehört das Wirtschaftsgut zum Hoheitsbereich der Trägerkörperschaft, 69 ist infolge der Widmung des Wirtschaftsguts zu hoheitlichen Zwecken eine Einordnung als Betriebsvermögen des BgA nicht möglich107. Ggf. kommt eine Aufteilung des Wirtschaftsguts in Betracht (vgl. Rz. 87). Abweichend von seiner früheren Rechtsprechung108 entschied der BFH im 70 Jahr 2007109, dass Sondernutzungsentgelte, die ein BgA für die Nutzung öffentlicher Flächen an seine Trägerkörperschaft entrichtet, keine verdeckte Gewinnausschüttung darstellen. Zwar handelt es sich auch bei Sondernutzungsentgelten um eine Art „Miete“ für die Benutzung öffentlicher Straßen, so dass an sich eine verdeckte Gewinnausschüttung vorliegen müsste, wenn es sich bei der öffentlichen Straße um eine wesentliche Betriebsgrundlage des BgA handelt. Der BFH entschied aber, dass eine verdeckte Gewinnausschüttung dann nicht in Betracht kommt, wenn die Erteilung der Sondernutzungserlaubnis dem hoheitlichen und nicht dem fiskalischen Bereich der Trägerkörperschaft zuzurechnen ist. Dieses Prinzip gilt allerdings nur insoweit, wie die Sondernutzungsentgelte dem Grunde und der Höhe nach auch von privaten Dritten erhoben
105 OFD Nds. v. 13.1.2011 – S 2706 - 290 - St 241, KSt-Kartei ND § 4 KStG Karte D 2. Zweifelnd Vochsen, DStZ 2011, 360 (364) mit dem Hinweis darauf, dass eine Begünstigung gegenüber der Privatwirtschaft deshalb entstehe, weil es nicht zu einer Steuerverhaftung der sich in dem Wirtschaftsgut bildenden stillen Reserven kommt. 106 OFD Nds. v. 13.1.2011 – S 2706 - 290 - St 241, KSt-Kartei ND § 4 KStG Karte D 2. Zustimmend Vochsen, DStZ 2011, 360 (364). 107 BFH v. 17.5.2000 – I R 50/98, BStBl. II 2001, 558; H 33 „Betriebsvermögen“ KStH 2008. 108 Vgl. u.a. BFH v. 17.5.2000 – I R 50/98, BStBl. II 2001, 558. 109 BFH v. 6.11.2007 – I R 72/06, BStBl. II 2009, 246. Beinert/Kostic
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werden, die Trägerkörperschaft dem BgA also keine weitergehenden Entgelte berechnet110. d) Darlehen einer Trägerkörperschaft an ihren BgA 71 Grundsätzlich steht es einer Trägerkörperschaft frei, ob sie ihrem BgA Kapital als Fremdkapital oder als Eigenkapital überlässt111. Ein Darlehen wird steuerlich allerdings nur dann anerkannt, wenn das Darlehensverhältnis üblich und angemessen ausgestaltet ist und die allgemeinen Anforderungen an Vereinbarungen zwischen einem BgA und seiner Trägerkörperschaft (vgl. Rz. 65) erfüllt. 72 Voraussetzung für die steuerliche Anerkennung eines Darlehens ist darüber hinaus eine angemessene Eigenkapitalausstattung (Widmungskapital und offene Reserven) des BgA112. Die dem BgA in Rechnung gestellten Zinsen sind insoweit verdeckte Gewinnausschüttungen, als die Darlehensmittel eine unzureichende Kapitalausstattung des BgA ausgleichen. Von einer unzureichenden Kapitalausstattung ist auszugehen, wenn das Eigenkapital des BgA einen bestimmten Prozentsatz seines Aktivvermögens unterschreitet. Diese Abweichung zur steuerlichen Behandlung von Kapitalgesellschaften, bei denen es keine entsprechende Grenze gibt, wurzelt in der Tatsache, dass ein BgA keine eigene Rechtspersönlichkeit hat113. Nach Ansicht des BFH bestimmt sich der geforderte Prozentsatz nach der Kapitalstruktur gleichartiger Unternehmen der Privatwirtschaft im maßgebenden Zeitraum. Der BFH weist dabei darauf hin, dass die Eigenkapitalquote privater Unternehmen zwangsläufig Veränderungen in Abhängigkeit von den gesamtwirtschaftlichen und den branchenspezifischen Bedingungen unterliege. Daher könne der Prozentsatz nicht festgeschrieben werden; er sei vielmehr an die Verhältnisse der jeweils streitbefangenen Zeiträume anzupassen114. Die Finanzverwaltung fordert zwar grundsätzlich ein Eigenkapital von mindestens 30 % des Aktivvermögens115, verweist im Hinweisteil der KStR 2004116 aber ergänzend auf 110 Heger, jurisPR-SteuerR 20/2008, Anm. 5; Leippe, DStZ 2009, 729 (734); Vochsen, DStZ 2011, 360 (366). 111 BFH v. 1.9.1982 – I R 52/78, BStBl. II 1983, 147; v. 24.4.2002 – I R 20/01, BStBl. II 2003, 412. Zur Kritik vgl. Hüttemann, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2002, S. 150, allerdings unter der Prämisse der Aufgabe der Selbständigkeitsfiktion für BgA. 112 BFH v. 1.9.1982 – I R 52/78, BStBl. II 1983, 147; v. 24.4.2002 – I R 20/01, BStBl. II 2003, 412; v. 9.7.2003 – I R 48/02, BStBl. II 2004, 425; R 33 Abs. 2 KStR 2004; Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 210 (Dezember 2010); Bott in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz. 307 ff. (Mai 2011). 113 BFH v. 9.7.2003 – I R 48/02, BStBl. II 2004, 425. 114 BFH v. 9.7.2003 – I R 48/02, BStBl. II 2004, 425. 115 R 33 Abs. 2 Satz 3 KStR 2004. Zur Berechnung der Eigenkapitalquote vgl. R 33 Abs. 2 Sätze 4–7 KStR 2004. 116 H 33 „Angemessene Eigenkapitalausstattung“ KStH 2008.
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die BFH-Rechtsprechung, was nur so verstanden werden kann, dass auch die Finanzverwaltung im Einzelfall den Nachweis zulässt, dass die für den BgA maßgebende Eigenkapitalquote privater Unternehmen unter 30 % liegt117. Dabei können sowohl gesamtwirtschaftliche Statistiken (Deutsche Bundesbank, Statistisches Bundesamt) herangezogen werden als auch branchenspezifische Kennzahlen. Das Erfordernis einer angemessenen Eigenkapitalausstattung hat sich un- 73 seres Erachtens nicht durch die Einführung der Zinsschranke erübrigt (vgl. Rz. 77)118. e) Aufwendungen der Trägerkörperschaft Aufwendungen der Trägerkörperschaft können auch ohne besondere Ver- 74 einbarung zwischen dem BgA und seiner Trägerkörperschaft als Betriebsausgaben des BgA berücksichtigt werden, soweit die Aufwendungen durch den BgA veranlasst sind (§ 4 Abs. 4 EStG) und einen angemessenen Rahmen nicht überschreiten119. Damit wird der zivil- und verwaltungsrechtlich bestehenden Einheit zwischen dem BgA und seiner Trägerkörperschaft Rechnung getragen. Können die Kosten nicht eindeutig zugeordnet werden, muss nach unseres Erachtens zutreffender (wohl) h.M. aufgeteilt werden120. Als Betriebsausgaben können auch Beträge geltend gemacht werden, die 75 dem BgA für die Inanspruchnahme des hoheitlichen Bereichs seiner Trägerkörperschaft (z.B. für die Inanspruchnahme des Schreibdienstes oder des Rechenzentrums) in Rechnung gestellt werden. Ein Gewinnaufschlag darf dabei allerdings nicht angesetzt werden121. 3. Verlustabzug Die Regelungen zur Berücksichtigung eines Verlustabzugs (§ 8 Abs. 1 76 KStG i.V.m. § 10d EStG) gelten grundsätzlich auch für BgA. Sollten BgA zusammengefasst sein, gelten ab dem Veranlagungszeitraum 2009 die Regelungen des § 8 Abs. 8 KStG (vgl. Rz. 206 ff.)122.
117 Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 211 (Dezember 2010). 118 Zweifelnd Bott in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz. 331.2 (Mai 2011). 119 R 33 Abs. 3 KStR 2004. 120 Vgl. Hüttemann, Die Besteuerung der öffentlichen Hand, 2002, S. 144 ff.; Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 194 (Dezember 2010); Bott in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz. 301 (Mai 2011); Strahl, KÖSDI 2011, 17546 (17552); Schiffers, DStZ 2012, 258 (264); Schiffers, DStZ 2012, 310 (313). 121 Strahl, NWB 2009, 2732 (2734). 122 Vgl. dazu BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, 2009/0742398, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 64 f. Beinert/Kostic
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4. Begrenzung des Zinsabzugs durch die Zinsschranke 77 Der Zinsabzug wird durch die sog. Zinsschranke begrenzt. Nach der Zinsschranke (§ 4h EStG, § 8a KStG) sind Zinsaufwendungen eines Betriebs nur in Höhe des Zinsertrags desselben Wirtschaftsjahres und darüber hinaus in Höhe von 30 % des steuerlichen EBITDA123 abziehbar124. Keine Zinsaufwendungen in diesem Sinne sind Zinsen, die – beispielsweise wegen nicht ausreichender Eigenkapitalausstattung des BgA (vgl. Rz. 72) – als verdeckte Gewinnausschüttungen zu beurteilen sind. Nicht abzugsfähige Zinsaufwendungen werden in die folgenden Wirtschaftsjahre vorgetragen (§ 4h Abs. 1 Satz 2 EStG). 78 Die Zinsschranke findet dann keine Anwendung, wenn der Betrag der Zinsaufwendungen abzüglich der Zinserträge weniger als 3 Mio. Euro p.a. beträgt. Eine weitere Ausnahme gilt nach § 4h Abs. 2 Satz 1 lit. b EStG wenn (i) der Betrieb zu keinem Konzern gehört und (ii) keine schädliche Gesellschafter-Fremdfinanzierung i.S.v. § 8a Abs. 2 KStG vorliegt (sog. „Stand-Alone-Klausel“). 79 Nach Ansicht des Finanzausschusses bilden Gebietskörperschaften und Kirchen mit ihren BgA und ihren Beteiligungen an anderen Unternehmen keinen Konzern125. Dem ist unseres Erachtens zu folgen, da auch ein Einzelunternehmen mit mehreren Betrieben keinen Konzern darstellt126. Ein Konzern kann allerdings dann vorliegen, wenn Beteiligungen an anderen Unternehmen in einem BgA gehalten werden oder eine Holdinggesellschaft verwendet wird127. 80 Betriebe unterliegen trotz Nichtzugehörigkeit zu einem Konzern allerdings dann der Zinsschranke, wenn eine schädliche GesellschafterFremdfinanzierung vorliegt. Das ist der Fall, wenn die Zinsen, die (i) an einen zu mehr als 25 % (unmittelbar oder mittelbar) beteiligten Anteils123 Gewinn vor Zinsertrag, Zinsaufwand, Steuern und Abschreibungen. 124 § 4h EStG und § 8a KStG wurden durch das UntStRefG 2008 eingeführt und gelten erstmals für Wirtschaftsjahre, die nach dem 25.5.2007 beginnen und nicht vor dem 1.1.2008 enden. Nach Auffassung des FG Bln.-Bbg. bestehen ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Zinsschranke. Unklar ist derzeit, ob Aussetzung der Vollziehung gewährt werden muss, vgl. einerseits FG Bln.-Bbg. v. 13.10.2011 – 12 V 12089/11, EFG 2012, 358 und andererseits FG München v. 1.6.2011 – 7 V 822/11, EFG 2011, 1830. Der BFH hat die Frage, ob generelle Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Zinsschranke bestehen, offen gelassen, vgl. BFH v. 13.3.2012 – I B 111/11, BFH/NV 2012, 1073. 125 BT-Drs. 16/5491, S. 11. 126 Vgl. BMF v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2742-a/07/10001, 2008/0336202, BStBl. I 2008, 718 Rz. 91; Möhlenbrock/Pung in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 8a KStG (URef 2008) Rz. 80 (Juli 2010). Nach Kronawitter, KommJur 2010, 9 (11 f.) besteht demgegenüber die Gefahr, dass eine durch die kommunale Doppik eintretende Konsolidierung zur Annahme eines Konzerns führt. 127 BMF v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2742-a/07/10001, 2008/0336202, BStBl. I 2008, 718 Rz. 91, 92.
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eigner, (ii) an eine diesem nahe stehende Person oder (iii) an einen Dritten, der auf den zu mehr als 25 % beteiligten Anteilseigner oder auf eine diesem nahe stehende Person zurückgreifen kann, gezahlt werden, mehr als 10 % aller die Zinserträge übersteigenden Zinsaufwendungen ausmachen. Eine Rückgriffsmöglichkeit in diesem Sinne ist gegeben, wenn der Anteilseigner oder die ihm nahe stehende Person dem Dritten gegenüber für die Erfüllung der Schuld einsteht128. Da ein BgA keine Anteilseigner hat, scheidet bei ihm unseres Erachtens das Vorliegen einer schädlichen Gesellschafter-Fremdfinanzierung aus129. Im Übrigen gewährt die Finanzverwaltung der öffentlichen Hand inso- 81 weit eine Sonderbehandlung, als Bürgschaften und andere Sicherheiten bei der Finanzierung von Gesellschaften, an denen eine juristische Person des öffentlichen Rechts zu mindestens 50 % unmittelbar oder mittelbar beteiligt ist, grundsätzlich nicht die Voraussetzungen einer Gesellschafter-Fremdfinanzierung erfüllen130. Schädlich sind allein sog. „Back to back“-Finanzierungen, also Fälle, in denen die juristische Person des öffentlichen Rechts einen ihrer Tochtergesellschaft gewährten Kredit absichert und selbst eine Forderung gegen den Darlehensgeber hat (z.B. Konten bei der kreditgewährenden Bank in Höhe des gesicherten Kredits)131. Hintergrund dieser Privilegierung ist nach den Gesetzgebungsmaterialien132, dass ansonsten eine effektive Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben, wie die Daseinsvorsorge, behindert würde. 5. Betriebsvermögen des BgA Es ist zwischen dem notwendigen und dem gewillkürten Betriebsver- 82 mögen eines BgA sowie dem Hoheitsvermögen zu unterscheiden. Zum notwendigen Betriebsvermögen eines BgA gehören solche Wirtschaftsgüter, die ausschließlich und unmittelbar für eigenbetriebliche Zwecke des BgA genutzt werden oder dafür bestimmt sind133. Wirtschaftsgüter, die zu mehr als 50 % betrieblich genutzt werden, können ebenfalls notwendiges Betriebsvermögen sein134. Es müssen allerdings nur die Wirtschaftsgüter zwingend einem BgA zuge- 83 ordnet werden, die für diesen eine wesentliche Betriebsgrundlage bilden (vgl. Rz. 66 ff.). Diese Wirtschaftsgüter gelten als zu Teilwerten (§ 6
128 Förster in Gosch, KStG, 2. Aufl. 2009, § 8a Rz. 47. 129 Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/GewStG/UmwStG, § 8a KStG Rz. 91 (November 2008). A.A. Förster in Gosch, KStG, 2. Aufl. 2009, § 8a Rz. 37. 130 BMF v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2742-a/07/10001, 2008/0336202, BStBl. I 2008, 718 Rz. 93. 131 BMF v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2742-a/07/10001, 2008/0336202, BStBl. I 2008, 718 Rz. 93. Vgl. dazu u.a. Heger in Gosch, KStG, 2. Aufl. 2009, § 4 Rz. 146 b. 132 BT-Drs. 16/5491, S. 11. 133 R 4.2 Abs. 1 Satz 1 EStR 2008. 134 R 4.2 Abs. 1 Satz 4 EStR 2008. Beinert/Kostic
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Abs. 1 Nr. 5 EStG)135 in den BgA eingelegt. Bei anderen Wirtschaftsgütern besteht keine Zuordnungspflicht. Die Trägerkörperschaft hat vielmehr die Wahl, ob sie die Wirtschaftsgüter dem BgA als (notwendiges) Betriebsvermögen zuordnet oder ihm diese nur durch (steuerlich grundsätzlich anzuerkennende) Miet- oder Pachtverträge zur Nutzung überlässt136. 84 Ein zum Hoheitsbereich gehörendes Wirtschaftsgut kann nicht als Betriebsvermögen des BgA eingeordnet werden. Ggf. kommt eine Aufteilung des Wirtschaftsguts in Betracht (vgl. Rz. 87). 85 Ein BgA kann auch gewillkürtes Betriebsvermögen haben, sofern der dafür erforderliche objektive Zusammenhang des Wirtschaftsguts mit dem BgA gegeben ist und das Wirtschaftsgut zu mindestens 10 % betrieblich genutzt wird137. Die Zuordnung eines Wirtschaftsguts zum gewillkürten Betriebsvermögen des BgA (Widmung) setzt eine unmissverständliche Dokumentation durch zeitnah erstellte Aufzeichnungen voraus (wie z.B. die Aufnahme in das betriebliche Bestandsverzeichnis des BgA)138. 86 Demzufolge können auch Beteiligungen an Kapitalgesellschaften einem (ggf. verlustbringenden) BgA als gewillkürtes Betriebsvermögen zugeordnet werden139. Der für das Vorliegen von gewillkürtem Betriebsvermögen erforderliche objektive Zusammenhang der Beteiligung mit dem BgA ist gegeben, wenn die Beteiligung der Finanzierung von Betriebsvermögen des BgA dient oder das Betriebsvermögen des BgA aus anderen Gründen verstärken soll140. Die Zuordnung einer Beteiligung zum Betriebsvermögen eines BgA setzt unseres Erachtens nicht voraus, dass die Voraus135 BFH v. 1.7.1987 – I R 197/83, BStBl. II 1987, 865. 136 Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 186 (Dezember 2010). 137 Vgl. BFH v. 25.7.2002 – I B 52/02, BFH/NV 2002, 1341; BMF v. 5.12.1988 – IV B 7 - S 2706 - 67/88, DB 1988, 2602; R 4.2 Abs. 1 Sätze 3, 5 EStR 2008; Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 185 (Dezember 2010); Bott in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz. 312 (Mai 2011). Dies gilt auch in Fällen der Einnahmen-Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG, vgl. BFH v. 2.10.2003 – IV R 13/03, BStBl. II 2004, 985. Vgl. auch BFH v. 16.6.2004 – XI R 17/03, BFH/NV 2005, 173; BMF v. 17.11.2004 – IV B 2 - S 2134 - 2/04, BStBl. I 2004, 1064; R 4.2 Abs. 1 Satz 3 EStR 2008. 138 H 4.2 Abs. 1 „Gewillkürtes Betriebsvermögen“ EStH 2008. 139 An der Möglichkeit der Zuordnung einer Beteiligung zum gewillkürten Betriebsvermögens zweifelnd FG Düsseldorf v. 29.6.2010 – 6 K 2990/07 K, EFG 2010, 1732. Zu den aus einer Zuordnung der Beteiligung zum gewillkürten Betriebsvermögen resultierenden Vorteilen vgl. Rz. 186 f. Nach Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 156 (Dezember 2010) ist § 42 AO zu prüfen, falls Wert und Jahresumsatz des BgA in keinem Verhältnis zum Wert und den Gewinnausschüttungen der eingelegten Anteile stehen. 140 BFH v. 14.7.2004 – I R 9/03, BFH/NV 2004, 1689. Beteiligungen, die erkennbar nur Verluste bringen, dürfen nicht eingelegt werden, H 4.2 Abs. 1 „Wertpapiere“ EStH 2008. Eingelegt wird zum Teilwert; § 6 Abs. 1 Nr. 5 b EStG findet keine Anwendung, vgl. Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 156, 224 (Dezember 2010).
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setzungen für die Zusammenfassung von BgA gem. § 4 Abs. 6 KStG (vgl. Rz. 188 ff.) vorliegen. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn die Beteiligung ausnahmsweise selbst als BgA qualifiziert, etwa weil die Trägerkörperschaft laufend auf das Tagesgeschäft einwirkt (vgl. Rz. 41)141. Fraglich ist, wie Wirtschaftsgüter zu behandeln sind, die sowohl im be- 87 trieblichen als auch im hoheitlichen Bereich genutzt werden. Bei unbeweglichen Wirtschaftsgütern (Grundstück sowie Gebäude), deren Nutzung räumlich trennbar ist, kommt eine Aufteilung des Wirtschaftsguts in Betracht. Die Finanzverwaltung geht noch einen Schritt weiter und lässt bei einer fehlenden räumlichen Trennung eine „virtuelle“ Aufteilung des Wirtschaftsguts zu. So kann ein Bad, das teilweise für den (hoheitlichen) Schulsport und teilweise für den öffentlichen Badebetrieb (BgA) genutzt wird, beim BgA (nur) mit dem auf den BgA entfallenden virtuellen Anteil angesetzt werden. Im Wege der Vereinfachung kann das Bad allerdings voll dem BgA zugeordnet werden, wenn das Schulschwimmen höchstens 50 % der Gesamtnutzung des Bads ausmacht. In dem Fall kann auch die volle Abschreibung in der steuerlichen Gewinnermittlung des BgA als Aufwand gebucht werden; der auf die Nutzung des Schulschwimmens entfallende Anteil muss dann allerdings außerbilanziell herausgerechnet werden142. Für körperschaftsteuerliche Zwecke macht diese Vereinfachung (Buchung der vollen Abschreibung als Aufwand und außerbilanzielle Hinzurechnung) keinen Unterschied. Da bei der Kapitalertragsteuer aber an das bilanzielle Ergebnis angeknüpft wird (vgl. Rz. 146), wird durch die Buchung der vollen Abschreibung die Bemessungsgrundlage für die Kapitalertragsteuer gemindert. Die außerbilanzielle Hinzurechnung wird nicht berücksichtigt143. Bei beweglichen Wirtschaftsgütern kommt eine Aufteilung anders als bei 88 unbeweglichen Wirtschaftsgütern nicht in Betracht. Die Zuordnung von beweglichen Wirtschaftsgütern richtet sich nach dem Umfang der Nutzung für den betrieblichen und den hoheitlichen Bereich144: – Beträgt die betriebliche Nutzung mehr als 50 %, ist das Wirtschaftsgut dem BgA als notwendiges Betriebsvermögen zuzuordnen.
141 So auch Eversberg/Baldauf, DStZ 2010, 358 (366); Krämer in Dötsch/Jost/ Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 164 (Dezember 2010). Abweichend zu der hier vertretenen Auffassung wird für den Fall, dass die Beteiligung 100 % beträgt, zum Teil die Einhaltung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 6 KStG verlangt, vgl. OFD Münster, Arbeitshilfe v. 1.8.2009, Rz. 9.3.2; Kronawitter, ZKF 2010, 97 (100). 142 OFD Nds. v. 12.1.2012 – S 2706-219-St 241, S 7100-801-St 171, KSt-Kartei ND § 4 KStG Karte E 5. Vgl. ausführlich und kritisch dazu Schiffers, DStZ 2012, 258; Schiffers, DStZ 2012, 310 (314). 143 Schiffers, DStZ 2012, 258 (260). 144 Vgl. zu der entsprechenden Abgrenzung von Hoheits- und Privatvermögen R 4.2 Abs. 1 Sätze 4–6 EStR 2008. Beinert/Kostic
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– Liegt die betriebliche Nutzung zwischen 10 % und 50 %, kann das Wirtschaftsgut dem BgA als gewillkürtes Betriebsvermögen zugeordnet werden. – Bei einer betrieblichen Nutzung von weniger als 10 % handelt es sich um notwendiges Hoheitsvermögen. 89 Wird ein dem BgA zugeordnetes Wirtschaftsgut von dem BgA ohne entsprechende Gegenleistung auf einen anderen BgA derselben Trägerkörperschaft oder in den hoheitlichen oder vermögensverwaltenden Bereich der Trägerkörperschaft überführt, liegt eine verdeckte Gewinnausschüttung beim überführenden BgA vor145. Dies führt zur Aufdeckung der stillen Reserven in dem betroffenen Wirtschaftsgut auf Ebene des BgA und löst grundsätzlich Kapitalertragsteuer nach § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b EStG aus. Um den Anfall von Kapitalertragsteuer zu vermeiden, kann die Überführung des Wirtschaftsguts entgeltlich ausgestaltet werden. Dies verhindert zwar nicht die Aufdeckung und Besteuerung der stillen Reserven. Bei Einstellung des Gewinns in zulässige Rücklagen des BgA kann aber die (kapitalertragsteuerpflichtige) „Ausschüttung“ des Gewinns an die Trägerkörperschaft vermieden werden146. 6. Öffentliche Zuschüsse, Ausgleichszahlungen 90 Von erheblicher Bedeutung ist die Frage, ob öffentliche Zuschüsse sowie Ausgleichszahlungen zur Verlustabdeckung steuerfrei vereinnahmt werden können oder ob es sich um steuerpflichtige Betriebseinnahmen des BgA handelt. Sollten steuerpflichtige Betriebseinnahmen vorliegen, würden die Verluste des betroffenen BgA kompensiert und könnten folglich nicht mehr im Rahmen eines steuerlichen Querverbundes (vgl. Rz. 188 ff.) gegen die Gewinne eines anderen BgA gerechnet werden. 91 Nach Auffassung der Rechtsprechung sind zweckgebundene Zuschüsse der öffentlichen Hand in der Regel durch die betriebliche Tätigkeit des BgA bedingt. Sie stellen daher keine einkommensneutralen Kapitalzufüh-
145 OFD Magdeburg v. 28.12.2004 – S 2706 - 52 - St 216, DB 2005, 367. Für den Fall der Überführung eines Wirtschaftsguts von einem BgA in den Hoheitsbereich der Trägerkörperschaft vgl. u.a. BFH v. 24.4.2002 – I R 20/01, BStBl. II 2003, 412; für den Fall der Überführung eines Wirtschaftsguts von einem BgA auf einen anderen BgA derselben Trägerkörperschaft vgl. u.a. BMF v. 11.9.2002 – IV A 2 - S 1910 - 194/02, BStBl. I 2002, 935 Rz. 27; H 33 „Überführung von Wirtschaftsgütern“ KStH 2008. Ausführlich zu Vermögensüberführungen Stein in Mössner/Seeger, KStG, § 4 Rz. 156 (2005). 146 Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 219 (Dezember 2010). Zur Möglichkeit einer entgeltlichen Übertragung vgl. Schiffers, DStZ 2012, 310 (314).
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rungen dar, sondern sind steuerpflichtige Betriebseinnahmen147. Die Trägerkörperschaft hat auch nicht die Möglichkeit, derartige Zuschüsse zunächst selbst im außerbetrieblichen Bereich zu vereinnahmen, um diese anschließend steuerneutral dem BgA zuzuführen. Für Investitionszuschüsse wird dem BgA allerdings das Wahlrecht zugestanden, die Sofortbesteuerung dadurch zu vermeiden, dass er die Anschaffungs- oder Herstellungskosten der bezuschussten Wirtschaftsgüter um den Zuschuss mindert148. Dadurch mindert sich entsprechend die künftige Abschreibung. Die Finanzverwaltung hat allerdings klargestellt, dass sie an ihrer abwei- 92 chenden Verwaltungspraxis festhält, wonach sowohl eigene Zuschüsse der Trägerkörperschaft an ihren BgA als auch zweckgebundene, von der Trägerkörperschaft an den BgA weitergeleitete Zuschüsse als einkommensneutrale Kapitalzuführungen (d.h. Einlagen) behandelt werden. Dies gelte bis zur Veröffentlichung des BFH-Urteils149 im Bundesteuerblatt und einer begleitenden Übergangsregelung150. Auch Verluste können so auf gesellschaftsrechtlicher Basis durch steuerneutrale Einlagen „ausgeglichen“ werden, ohne dass dadurch die steuerliche Verrechenbarkeit der Verluste mit Gewinnen aus anderen Tätigkeiten (steuerlicher Querverbund) gefährdet würde.
V. Dauerdefizitäre Tätigkeiten 1. Hintergrund Durch das JStG 2009151 wurde der steuerliche Querverbund gesetzlich ge- 93 regelt. Nach § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 KStG sind bei einem BgA die Rechtsfolgen einer verdeckten Gewinnausschüttung nicht bereits deshalb zu ziehen, weil er ein sog. Dauerverlustgeschäft betreibt. Bei einer Kapitalge-
147 BFH v. 27.4.2000 – I R 12/98, BFH/NV 2000, 1365; v. 3.8.2005 – I B 242/04, BFH/NV 2005, 2210. Vgl. zur Behandlung von Zuschüssen bei der Einkommensermittlung insbesondere auch Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 197 ff. (Dezember 2010); Erhard in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 4 KStG Rz. 115 „Investitionszuschüsse“ (April 2011); Bott in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz. 321 ff. (Mai 2011). 148 BFH v. 27.4.2000 – I R 12/98, BFH/NV 2000, 1365; v. 11.6.2010 – IV S 1/10, BFH/NV 2010, 1851; vgl. auch R 6.5 Abs. 2 EStR 2008. 149 BFH v. 27.4.2000 – I R 12/98, BFH/NV 2000, 1365. 150 Vgl. OFD Cottbus v. 13.1.2004 – S 2706 - 28 - St 224, DStR 2004, 459; Bayerisches Landesamt für Steuern v. 21.8.2006 – S 2706 - 27 St 31 N, BB 2006, 44. Zur ertragsteuerlichen Behandlung von Zuwendungen und Ausgleichszahlungen der Gesellschafter bzw. Träger öffentlicher Verkehrsunternehmen vgl. BMF v. 12.2.2010 – IV C 2 - S 2706/07/10002, 2010/0095359; Bayerisches Landesamt für Steuern v. 11.2.2010 – S 2706.1.1 - 13/12 St 31, DStR 2010, 980; OFD Nds. v. 17.2.2010 – S 2742 - 74 - St 241, KSt-Kartei ND § 4 KStG Karte A 8. 151 BGBl. I 2008, S. 2794. Beinert/Kostic
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sellschaft gilt dies unter der Voraussetzung, dass die Stimmrechte mehrheitlich bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts liegen und nur diese die Verluste aus dem Dauerverlustgeschäft tragen (§ 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 KStG). 94 Hintergrund der Regelung des § 8 Abs. 7 KStG ist, dass der BFH – entgegen der Verwaltungspraxis – im Betreiben einer dauerhaft verlustbringenden Tätigkeit im Interesse des Gesellschafters eine verdeckte Gewinnausschüttung sah152. Die Finanzverwaltung reagierte mit einem Nichtanwendungserlass153. Anschließend wurden die bisherigen Verwaltungsgrundsätze durch das JStG 2009 gesetzlich verankert. 95 § 8 Abs. 7 KStG besagt nicht, dass keine verdeckte Gewinnausschüttung vorliegt; deren Rechtsfolgen sollen aber nicht eintreten, wenn ein Dauerverlustgeschäft vorliegt. Die Regelung geht gedanklich davon aus, dass ein BgA oder eine von der öffentlichen Hand beherrschte Kapitalgesellschaft ausschließlich Dauerverlustgeschäfte betreibt. Ist das nicht der Fall, sondern werden daneben gewinnbringende Tätigkeiten ausgeübt, stellt sich die ergänzende Frage, ob ein Ausgleich der Verluste aus den Dauerverlustgeschäften mit den Gewinnen aus den anderen Tätigkeiten möglich ist. Grundsätzlich ist dies nicht möglich. Die Ausnahmen werden für BgA in §§ 4 Abs. 6, 8 Abs. 8 KStG und für Kapitalgesellschaften in § 8 Abs. 9 KStG geregelt (vgl. Rz. 188 ff.). 96 Die Regelung des § 8 Abs. 7 KStG ist komplex. Die Finanzverwaltung hat am 12.11.2009 ein ausführliches Anwendungsschreiben154 herausgegeben („Anwendungsschreiben zu § 8 Abs. 7 KStG“), das vieles klärt, aber auch einige Fragen offen lässt. 97 Die Komplexität der Regelung ist u.a. darauf zurückzuführen, dass im Hinblick auf ein mögliches Beihilfeverfahren nach Art. 108 AEUV155 der bisherige Rechtszustand möglichst „eins zu eins“ ins Gesetz übernommen werden sollte. Nach Art. 108 Abs. 3 Satz 2 AEUV ist die Europäische Kommission von jeder beabsichtigten Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen so rechtzeitig zu unterrichten, dass sie sich dazu äußern kann. Liegt ihrer Meinung nach ein Verstoß gegen das Beihilfeverbot gem. Art. 107 AEUV vor, leitet sie ein Beihilfeverfahren nach Art. 108 AEUV ein. Vor einem abschließenden Beschluss der Europäischen Kommission darf der Mitgliedsstaat die Mittel nicht gewähren. § 8 Abs. 7 KStG ist nach Auffassung der erstinstanzlichen Rechtsprechung nicht als Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen in diesem Sinne zu verstehen, da es sich um eine sog. Altbeihilfe handelt, also um eine bloße Festschrei152 BFH v. 22.8.2007 – I R 32/06 BStBl. II 2007, 961. 153 BMF v. 7.12.2007 – IV B 7 - S 2706/07/0011, 2007/0570512, BStBl. I 2007, 905; vgl. auch OFD Rheinland v. 21.8.2008 – S 2742 - 1013 - St 134, DB 2008, 2055. 154 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, 2009/0742398, BStBl. I 2009, 1303. 155 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union.
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bung eines Rechtszustands, der bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des EWG-Vertrags156 am 1.1.1958 bestand157. Es steht zu erwarten, dass der BFH dies bestätigen wird. § 8 Abs. 7 KStG ist nach § 34 Abs. 6 Satz 4 KStG bereits für Veranla- 98 gungszeiträume vor 2009 anzuwenden. § 8 Abs. 7 KStG wird für von der öffentlichen Hand beherrschte Kapital- 99 gesellschaften durch § 8 Abs. 9 KStG ergänzt, der eine sog. Spartentrennung vorsieht. Durch die Spartentrennung soll verhindert werden, dass die Ergebnisse aus Gewinn- und Verlusttätigkeiten, die unter dem Dach einer Kapitalgesellschaft erbracht werden, wegen dieses „Dachs“ unbeschränkt verrechnet werden können. § 8 Abs. 9 KStG ist gemäß § 34 Abs. 6 Satz 9 KStG allerdings erstmals für den Veranlagungszeitraum 2009 anzuwenden. Nach dem Gesetzeswortlaut könnten Verluste einer Kapitalgesellschaft aus Dauerverlustgeschäften in den Zeiträumen vor 2009 folglich unbeschränkt mit Gewinnen aus anderen Tätigkeiten verrechnet werden. Vor diesem Hintergrund legt die Finanzverwaltung die Rückwirkungsregel einschränkend aus: Danach findet § 8 Abs. 7 KStG bei Kapitalgesellschaften nur dann rückwirkend Anwendung, wenn die Tätigkeiten der Kapitalgesellschaft nach der bis einschließlich Veranlagungszeitraum 2008 geltenden Verwaltungsauffassung (R 7 Abs. 2 KStR 2004) zulässigerweise zusammengefasst werden durften. Ergänzt wird dies durch eine Billigkeitsregelung. Danach wird auf Antrag des Steuerpflichtigen in Fällen einer unzulässigen Zusammenfassung von Tätigkeiten vom Ansatz einer verdeckten Gewinnausschüttung abgesehen, wenn auf eine Ergebnisverrechnung verzichtet wird. Die Verluste der Kapitalgesellschaft, die so nicht verrechnet werden, werden in die ab dem Veranlagungszeitraum 2009 zu bildenden Sparten vorgetragen158. Es bleibt abzuwarten, wie sich der BFH dazu stellen wird159. Die Trägerkörperschaft 156 Der AEUV hieß bei der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft noch „Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft“. 157 FG Köln v. 9.3.2010 – 13 K 3181/05, EFG 2010, 1345; Sächs. FG v. 9.12.2010 – 1 K 184/07 (Rev. eingelegt, Az. des BFH: I R 58/11); Sächs. FG v. 15.12.2010 – 4 K 635/08. Kritisch Gosch in Gosch, KStG, 2. Aufl. 2009, § 8 Rz. 1043, der darauf hinweist, dass die Finanzverwaltung in Nordrhein-Westfalen in dem Fall, der zu der Entscheidung des BFH vom 22.8.2007 (I R 32/06, BStBl. II 2007, 961) führte, für eine der bisherigen Verwaltungspraxis entgegengesetzte Rechtauffassung kämpfte. Nach Heger in Gosch, KStG, 2. Aufl. 2009, § 4 Rz. 70 handelt es sich um eine neue Beihilfe, die von der Europäischen Kommission hätte genehmigt werden müssen. Wohl auch Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/GewStG/UmwStG, § 8 KStG Rz. 244a (Januar 2011), der die Regelung für zulässig hält, da Dauerverlustgeschäfte im öffentlichen Interesse unterhalten würden und nicht geeignet seien, den Wettbewerb im Handel zwischen Mitgliedstaaten zu verfälschen. 158 OFD Rheinland v. 22.1.2010 (aktualisiert am 21.12.2011) – S 2706-1025-St 134, KSt-Kartei NW § 8 KStG Karte F 33. 159 Revision gegen das Urteil des Sächs. FG v. 9.12.2010 – 1 K 184/07 (Az. des BFH: I R 58/11). Vgl. auch Sächs. FG v. 15.12.2010 – 4 K 635/08. Beinert/Kostic
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muss abwägen, ob sie die Billigkeitsregelung der Finanzverwaltung in Anspruch nimmt oder die – vielleicht günstigere – Entscheidung des BFH abwartet. 100 Bei BgA gibt es kein gemeinsames „Dach“, so dass sich hier keine vergleichbare Frage stellt. Eine Zusammenfassung muss ausdrücklich „erlaubt“ werden. Erstmals für den Veranlagungszeitraum 2009 schreibt § 4 Abs. 6 KStG vor, welche BgA zusammengefasst werden dürfen. Für Veranlagungszeiträume vor 2009 gilt die damalige Verwaltungsauffassung, die § 4 Abs. 6 KStG entspricht160. 101 Das Gesetz berücksichtigt, dass in der Vergangenheit in Einzelfällen eine andere Rechtsauffassung zugrunde gelegt wurde. Sofern im Einzelfall vor dem 18.6.2008, also vor Inkrafttreten des § 8 Abs. 7 KStG, zu Gunsten des Steuerpflichtigen bei der Einkommensermittlung nach anderen Grundsätzen als nach § 8 Abs. 7 KStG verfahren wurde, sollen diese Grundsätze weiter gelten, aber letztmals für den Veranlagungszeitraum 2011 (§ 34 Abs. 6 Satz 5 KStG)161. 2. Begriff des Dauerverlustgeschäfts 102 Nach § 8 Abs. 7 KStG sind die Rechtsfolgen einer verdeckten Gewinnausschüttung162 bei – BgA i.S.v. § 4 KStG nicht bereits deshalb zu ziehen, weil diese ein Dauerverlustgeschäft betreiben; – Kapitalgesellschaften nicht bereits deshalb zu ziehen, weil diese ein Dauerverlustgeschäft betreiben. Dies gilt allerdings nur bei solchen Kapitalgesellschaften, bei denen die Mehrheit der Stimmrechte unmittelbar oder mittelbar auf juristische Personen des öffentlichen Rechts entfällt und nachweislich ausschließlich diese Gesellschafter die Verluste aus dem Dauerverlustgeschäft tragen. 103 Im Zentrum der Regelung steht der Begriff des Dauerverlustgeschäfts. Er wird in § 8 Abs. 7 Satz 2 KStG definiert. Danach liegt ein Dauerverlustgeschäft vor, soweit aus verkehrs-, umwelt-, sozial-, kultur-, bildungsoder gesundheitspolitischen Gründen eine wirtschaftliche Betätigung ohne kostendeckendes Entgelt unterhalten wird oder – im Fall von Kapitalgesellschaften – das Geschäft Ausfluss einer Tätigkeit ist, die bei juris-
160 Vgl. BT-Drs. 16/11108, S. 29. 161 Ausführlich zu den sich dabei stellenden Fragen u.a. Frotscher in Frotscher/ Maas, KStG/GewStG/UmwStG, § 8 KStG Rz. 262 (Januar 2011); Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 8 Abs. 7 KStG Rz. 43 (Juni 2011). 162 Einschließlich des Anfalls von Kapitalertragsteuer nach § 20 EStG, vgl. BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, 2009/0742398, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 23, 25.
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tischen Personen des öffentlichen Rechts zu einem Hoheitsbetrieb gehört. Die Prüfung erfolgt in zwei Schritten: – Im ersten Schritt ist zu prüfen, ob ein Dauerverlust vorliegt. – Im zweiten Schritt ist zu klären, ob ein begünstigtes Dauerverlustgeschäft vorliegt. a) Dauerverlust Das Anwendungsschreiben zu § 8 Abs. 7 KStG konkretisiert die Voraus- 104 setzungen, die für die Annahme eines Dauerverlustes vorliegen müssen. Eine wirtschaftliche Betätigung ohne kostendeckendes Entgelt i.S.v. § 8 Abs. 7 KStG wird danach unterhalten, wenn „aufgrund einer Prognose nach den Verhältnissen des jeweiligen Veranlagungszeitraums nicht mit einem positiven oder ausgeglichenen Ergebnis oder nicht mit einem steuerlichen Totalgewinn zu rechnen ist“163. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist für die Prognose ausschließ- 105 lich das Ergebnis aus der Geschäftstätigkeit selbst, d.h. unter Berücksichtigung des hierfür notwendigen Betriebsvermögens, maßgeblich. Bei der Prognose sind steuerfreie Betriebsvermögensmehrungen (z.B. zu erwartende Investitionszulagen oder Dividenden, die unter § 8b KStG fallen) hinzuzurechnen und nicht abzugsfähige Aufwendungen gewinnmindernd zu berücksichtigen164. Da bei der Prognose allein das notwendige Betriebsvermögen berücksichtigt wird, kann ein Dauerverlust nicht dadurch vermieden werden, dass dem BgA (oder der Kapitalgesellschaft) gewinnträchtige Beteiligungen als gewillkürtes Betriebsvermögen zugeordnet werden165. Mögliche Aufgabe- oder Veräußerungsgewinne werden nicht in die Prognose einbezogen166. Unklar ist, über welchen Zeitraum sich die Prognose zu erstrecken hat. 106 Unseres Erachtens sollte der Prognosezeitraum, gestützt auf die Rechtsprechung zur „Liebhaberei bei Kapitalgesellschaften“, nicht mehr als drei bis fünf Jahre betragen167.
163 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7-S 2706/08/10004, 2009/0742398, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 36; FG Köln v. 9.3.2010 – 13 K 3181/05, EFG 2010, 1345. 164 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, 2009/0742398, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 36. 165 So auch Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/UmwStG, § 8 KStG Rz. 257 (Januar 2011); Bott in: Ernst & Young, KStG, § 8 Rz. 1498 (Februar 2011); Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 8 Abs. 7 KStG Rz. 28 (Juni 2011). 166 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, 2009/0742398, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 36, 37. 167 So auch Strahl, DStR 2010, 193 (196); Meier/Semelka in Herrmann/Heuer/ Raupach, EStG/KStG, § 8 KStG Rz. 520 (Dezember 2010); Bott in Ernst & Young, KStG, § 8 Rz. 1497 (Februar 2011). Beinert/Kostic
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107 Von einer wirtschaftlichen Betätigung ohne kostendeckendes Entgelt ist eine unentgeltliche Tätigkeit zu unterscheiden. Nach unseres Erachtens zutreffender Auffassung im Schrifttum liegt in einer unentgeltlichen Tätigkeit keine wirtschaftliche Tätigkeit. Dies hat folgende Auswirkungen: Übt eine juristische Person des öffentlichen Rechts die unentgeltliche Tätigkeit unmittelbar aus, begründet dies – mangels Einnahmeerzielungsabsicht – keinen BgA mit der Folge, dass das Vorliegen einer verdeckten Gewinnausschüttung (aber auch einer Verlustverrechnungsmöglichkeit) schon mangels BgA ausscheidet168. Übt die juristische Person des öffentlichen Rechts die unentgeltliche Tätigkeit dagegen über eine Kapitalgesellschaft aus, so liegt regelmäßig eine verdeckte Gewinnausschüttung vor. Da § 8 Abs. 7 KStG auf die unentgeltliche Tätigkeit keine Anwendung findet, werden die Rechtsfolgen der verdeckten Gewinnausschüttung auch gezogen169. 108 Ist das Entgelt kostendeckend, liegt dem Gesetzeswortlaut des § 8 Abs. 7 KStG nach („wirtschaftliche Betätigung ohne kostendeckendes Entgelt“) kein Dauerverlust vor. Es würde sich daher die Frage stellen, ob im Verzicht auf einen Gewinnaufschlag eine verdeckte Gewinnausschüttung liegt. Der BFH hatte dies in dem Urteil, das zum § 8 Abs. 7 KStG führte, offen gelassen170. Die Finanzverwaltung stellt im Anwendungsschreiben zu § 8 Abs. 7 KStG klar, dass Tätigkeiten, die zu einem ausgeglichenen Ergebnis führen, wie ein Dauerverlustgeschäft i.S.v. § 8 Abs. 7 KStG behandelt werden171. Es handelt sich um eine analoge Anwendung des § 8 Abs. 7 KStG, was durch einen Erst-Recht-Schluss gerechtfertigt ist: Wenn die Rechtsfolgen einer verdeckten Gewinnausschüttung bei Vorliegen einer nicht kostendeckenden Tätigkeit nicht gezogen werden, muss dies erst recht für kostendeckende Tätigkeiten ohne Gewinnaufschlag gelten172.
168 Bracksiek, FR 2009, 15 (18); Meier/Semelka in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8 KStG Rz. 529 (Dezember 2010); Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/UmwStG, § 8 KStG Rz. 257 (Januar 2011); Bott in: Ernst & Young, KStG, § 8 Rz. 1493 (Februar 2011); Rengers in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 8 KStG Rz. 1121 (April 2011). A.A. (verdeckte Gewinnausschüttung kann vorliegen) Gosch in Gosch, KStG, 2. Aufl. 2009, § 8 Rz. 1043c. 169 Vgl. Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/UmwStG, § 8 KStG Rz. 257 (Januar 2011); Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 8 Abs. 7 KStG Rz. 48 (Juni 2011). 170 BFH v. 22.8.2007 – I R 32/06, BStBl. II 2009, 961. 171 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, 2009/0742398, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 36. 172 Vgl. im Ergebnis Meier/Semelka in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8 KStG Rz. 530 (Dezember 2010); Rengers in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 8 KStG Rz. 1121 (April 2011). A.A. Gosch in Gosch, KStG, 2. Aufl. 2009, § 8 Rz. 1043c, der dann eine verdeckte Gewinnausschüttung annimmt, wenn kostendeckende Entgelte verlangt werden und trotzdem Dauerverluste erwirtschaftet werden, sowie Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/GewStG/UmwStG, § 8 KStG Rz. 257 (Januar 2011).
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b) Begünstigtes Dauerverlustgeschäft Es bleibt die Frage, welche Tätigkeiten ihrer Art nach zu den begünstig- 109 ten Dauerverlustgeschäften zählen. Bei der Auslegung von § 8 Abs. 7 Satz 2 KStG und den dort genannten Gemeinwohlgründen ist unseres Erachtens großzügig zu verfahren, um den Bedürfnissen der öffentlichen Hand bei der Wahrnehmung der ihr übertragenen Aufgaben gerecht zu werden173. Das Anwendungsschreiben zu § 8 Abs. 7 KStG nennt Beispielsfälle174. 110 Nicht dazu zählt z.B. die kommunale Wirtschaftsförderung175. Auch der Unterhalt von Technologiezentren soll nicht dazu gehören176. Zu beachten ist, dass nach Verwaltungsauffassung nur solche Tätigkeiten zu den Dauerverlustgeschäften zählen, die der BgA „selbst“ erledigt. Die Überlassung von Multifunktions- oder Mehrzweckhallen an verschiedene Veranstalter begründet daher zwar grundsätzlich einen BgA, ist aber kein begünstigtes Dauerverlustgeschäft177. Um die Rechtsfolgen einer verdeckten Gewinnausschüttung zu verhindern, kann die Überlassung als „Verpachtungsbetrieb“ ausgestaltet werden (vgl. Rz. 45), etwa indem auch das Inventar mitvermietet wird. Da die Verpachtung von dem BgA „selbst“ erledigt wird, kann so ein begünstigtes Dauerverlustgeschäft begründet werden. 173 Vgl. Sächs. FG v. 15.12.2010 – 4 K 635/08. Aus dem Schrifttum vgl. u.a. Fiand/ Klaiber, KStZ 2009, 41 (43); Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 8 Abs. 7 KStG Rz. 20 (März 2010); Pinkos, DStZ 2010, 96 (102). Andere als die im Gesetz genannten Gründe für Dauerverlustgeschäfte werden nicht von § 8 Abs. 7 KStG erfasst, vgl. FG Köln v. 9.3.2010 – 13 K 3181/05, EFG 2010, 1345; Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 8 Abs. 7 KStG Rz. 20 (März 2010); Meier/Semelka in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8 KStG Rz. 521 (Dezember 2010); Bott in Ernst & Young, KStG, § 8 Rz. 1480 (Februar 2011). 174 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, 2009/0742398, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 41 ff. 175 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, 2009/0742398, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 43. Teilweise a.A. FG Düsseldorf v. 9.3.2010 – 6 K 3720/06, K, G, F, EFG 2010, 1443. 176 Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 8 Abs. 7 KStG Rz. 21 (März 2010). 177 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, 2009/0742398, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 47; ebenso u.a. Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/GewStG/ UmwStG, § 8 KStG Rz. 256a (Januar 2011); Bürstinghaus, DStZ 2011, 345 (355 ff.). Nach Bracksiek, FR 2009, 15 (18), findet § 8 Abs. 7 KStG keine Anwendung auf Tätigkeiten, die das Dauerverlustgeschäft nur mittelbar fördern, wie z.B. Reinigungsleistungen für einen Bäderbetrieb. So auch Gosch in Gosch, KStG, 2. Aufl. 2009, § 8 Rz. 1043c. Kritisch zur Auffassung der Finanzverwaltung u.a. Maier, DStR 2010, 198 (199); Leippe, DStZ 2010, 106 (112 f.); Meier/Semelka in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8 KStG Rz. 521 (Dezember 2010); Eckerle/Hofstetter, VW 2011, 93 (98): Die Einschränkung der Finanzverwaltung sei aus dem Gesetz nicht erkennbar und entspreche auch nicht der bisherigen Verwaltungspraxis, so dass es zu einer nicht sachgerechten, unbilligen Härte für die Gemeinden komme. Beinert/Kostic
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3. Rechtsfolgen eines Dauerverlusts bei Nichtvorliegen eines begünstigten Dauerverlustgeschäfts 111 Liegt ein Dauerverlust, aber kein begünstigtes Dauerverlustgeschäft vor, findet § 8 Abs. 7 KStG keine Anwendung und werden die Rechtsfolge einer verdeckten Gewinnausschüttung gezogen178. 112 Dem steuerlichen Querverbund (vgl. Rz. 188 ff) wird in diesen Fällen der Boden entzogen, da bei einem zusammengefassten BgA die Verluste des dauerdefizitären Betriebsteils nicht gegen die Erträge des gewinnbringenden Betriebsteils gerechnet werden können. Darüber hinaus fällt Kapitalertragsteuer an, sofern der BgA seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt oder die Umsätze 350 000 Euro im Kalenderjahr übersteigen179 (§ 43a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 43 Abs. 1 Nr. 7c und § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b EStG). 113 Es stellt sich die Frage, ob die Rechtsfolgen einer verdeckten Gewinnausschüttung dadurch abgemildert werden können, dass eine Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft dem BgA als gewillkürtes Betriebsvermögen zugeordnet wird. Nach Auffassung der Finanzverwaltung mindern Vermögenszugänge, die nicht der Besteuerung unterliegen (wie z.B. Dividenden, die unter § 8b KStG fallen), die Bemessungsgrundlage der verdeckten Gewinnausschüttung 180. Dem Anwendungsschreiben zu § 8 Abs. 7 KStG ist aber nicht zu entnehmen, ob dies nur für Dividenden aus Beteiligungen gilt, die zum notwendigen Betriebsvermögen gehören oder auch für Dividenden aus Beteiligungen, die zum gewillkürten Betriebsvermögen gehören. Bei der Frage, ob ein Dauerverlustgeschäft vorliegt, werden nur Dividenden aus Beteiligungen berücksichtigt, die zum notwendigen Betriebsvermögen gehören (vgl. Rz. 105). Es ist offen, ob daraus folgt, dass dann auch bei der Höhe der verdeckten Gewinnausschüttung Dividenden aus Beteiligungen, die zum gewillkürten Betriebsvermögen gehören, nicht zu berücksichtigen sind181.
178 Und zwar in Höhe des Verlusts, vgl. BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, 2009/0742398, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 52. Dies bedeutet, dass der Ansatz eines Gewinnaufschlags unterbleibt. Zustimmend u.a. Meier/Semelka in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8 KStG Rz. 511 (Dezember 2010); Bott in: Ernst & Young, KStG, § 8 Rz. 1528 (Februar 2011). A.A. Rengers in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 8 KStG Rz. 1162 (April 2011); Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 8 Abs. 7 KStG Rz. 39 (Juni 2011). 179 Die ebenfalls eine Kapitalertragsteuerpflicht auslösende Fallgestaltung, dass der Gewinn mehr als 30 000 Euro im Wirtschaftsjahr beträgt, ist demgegenüber in einer Verlustsituation nicht denkbar. 180 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, 2009/0742398, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 52. 181 So Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 8 Abs. 7 KStG Rz. 39 (Juni 2011), der folgendes Beispiel bringt: Ein BgA „Stadthalle“ erzielt (inkl. einer Dividende aus einer zum gewillkürten Betriebsvermögen gehören-
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4. Besonderheiten bei Kapitalgesellschaften Unterhält eine Kapitalgesellschaft ein begünstigtes Dauerverlustgeschäft, 114 sind nach § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 KStG die Rechtsfolgen einer verdeckten Gewinnausschüttung wegen des Dauerverlustes nicht zu ziehen, vorausgesetzt, die Mehrheit der Stimmrechte entfällt unmittelbar oder mittelbar auf juristische Personen des öffentlichen Rechts und es tragen nachweislich ausschließlich diese Gesellschafter die Verluste aus dem Dauerverlustgeschäft. a) Stimmrechtsmehrheit Erforderlich ist die (einfache)182 Mehrheit der Stimmrechte, nicht die 115 Mehrheit der Kapitalanteile. Stimmrechtsvereinbarungen sind bei der erforderlichen Stimmrechtsmehrheit ebenso zu beachten183 wie unwiderrufliche Stimmrechtsvollmachten184. Die Mehrheit der Stimmrechte muss nicht bei einer juristischen Person des öffentlichen Rechts liegen; es reicht aus, wenn mehrere juristische Personen des öffentlichen Rechts zusammen die Mehrheit der Stimmrechte haben185. Im Falle einer mittelbaren Beteiligung muss nach Auffassung der Finanz- 116 verwaltung auf jeder Stufe der Beteiligungskette eine Mehrheit der Stimmrechte gegeben sein186. b) Verlusttragung Weitere Voraussetzung des § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 KStG ist, dass die juris- 117 tische Person des öffentlichen Rechts den Verlust aus dem Dauerverlustgeschäft „ausschließlich“, also zu 100 %, trägt. Sind mehrere juristische Personen des öffentlichen Rechts an der Kapital- 118 gesellschaft beteiligt, ist es nicht erforderlich, dass alle juristischen Personen des öffentlichen Rechts den Verlust (anteilig) tragen. Es reicht aus,
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den Beteiligung in Höhe von 200) einen Gewinn in Höhe von 120. Für die Frage, ob die Stadthalle eine dauerdefizitäre Tätigkeit darstellt, ist die Dividende außer Betracht zu lassen. Aufgrund des danach verbleibenden jährlichen Verlusts in Höhe von -80 ist die Stadthalle dauerdefizitär. In Höhe dieses Verlusts liege eine verdeckte Gewinnausschüttung vor. Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/GewStG/UmwStG, § 8 KStG Rz. 248 (Januar 2011). Nach a.A. bedarf es einer solchen Mehrheit der Stimmrechte, die eine Beherrschung der Gesellschaft ermöglicht, vgl. Meier/Semelka in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8 KStG Rz. 515 (Dezember 2010); Rengers in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 8 KStG Rz. 1112 (April 2011). Vgl. BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 26. Meier/Semelka in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8 KStG Rz. 515 (Dezember 2010); Rengers in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 8 KStG Rz. 1112 (April 2011). Vgl. BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 26. BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 27. Beinert/Kostic
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Steuerrecht
wenn eine oder mehrere der juristischen Personen des öffentlichen Rechts den Verlust tragen; diese „Gruppe“ muss dann allerdings auch die Mehrheit der Stimmrechte an der Kapitalgesellschaft innehaben187. Die Zusammenfassung zu einer Gruppe darf nicht willkürlich geschehen, sondern muss auf nachprüfbaren wirtschaftlichen Gründen beruhen188. 119 Das „Tragen“ der Verluste bedingt nicht jährliche Einlagen in die Kapitalgesellschaft. Es reicht aus, wenn die Verluste durch die juristische Person des öffentlichen Rechts (oder die Gruppe) wirtschaftlich getragen werden189, so dass es unseres Erachtens z.B. bei Vorhandensein mehrerer juristischer Personen des öffentlichen Rechts, von denen nur einige den Verlust tragen, reicht, wenn der Verlustausgleich im Hoheitsbereich durch entsprechende Ausgleichszahlungen durchgeführt wird190. Im Fall von Einlagen in die Kapitalgesellschaft muss sichergestellt werden, dass diese im Falle einer Liquidation der Kapitalgesellschaft nicht an die verlusttragenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts ausgekehrt werden191. 120 Das Gesetz verlangt nicht, dass die Verlusttragung „sichergestellt ist“, fordert also keine satzungsmäßige oder vertragliche Verankerung der Verlusttragungspflicht. Fehlt eine solche Verankerung der Verlusttragungspflicht, werden die Verluste also nur rein faktisch übernommen, muss der Verlustausgleich allerdings zeitnah geschehen, d.h. bis zur Feststellung der Bilanz für das betroffene Wirtschaftsjahr192. 121 Im Fall einer Gruppe bemisst sich die jeweilige Verlusttragungspflicht nach Auffassung der Finanzverwaltung grundsätzlich nach der Beteiligungsquote193. Mit ergänzender Verwaltungsanweisung vom 18.10.2010194 hat die Finanzverwaltung klargestellt, dass im Verkehrsbereich eine von der Beteiligungsquote abweichende disquotale Verlusttragung der Gruppenmitglieder möglich ist, sofern die Vereinbarung zur Verlusttragung auf nachprüfbaren vernünftigen Gründen beruht, also bei 187 Bayerisches Landesamt für Steuern v. 18.10.2010 – S 2706.1.1 - 14/2 St31, KStKartei BY § 4 KStG Karte 2.1.1. 188 Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 8 Abs. 7 KStG Rz. 62d (Juni 2011). 189 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 28. 190 Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 8 Abs. 7 KStG Rz. 62e (Juni 2011). 191 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 30, letzter Satz. 192 Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/GewStG/UmwStG, § 8 KStG Rz. 253 (Januar 2011). 193 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, 2009/0742398, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 28. Nach Pinkos, DStZ 2010, 96 (101) ist das Verhältnis der Stimmrechte entscheidend. Für eine freie Verteilung demgegenüber Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/GewStG/UmwStG, § 8 KStG Rz. 251 (Januar 2011). 194 Bayerisches Landesamt für Steuern v. 18.10.2010 – S 2706.1.1 - 14/2 St31, KStKartei BY § 4 KStG Karte 2.1.1.
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C. Körperschaftsteuer
wirtschaftlicher Betrachtung als sachgerecht erscheint. Unseres Erachtens muss dies auch für andere Bereiche gelten195. Hat die Gesellschaft auch profitable Bereiche und müssen/dürfen nicht 122 alle Gesellschafter die Verluste aus dem Dauerverlustgeschäft tragen (etwa weil auch private Gesellschafter beteiligt sind), müssen die an den Dritten zu leistenden Dividenden unter Außerachtlassung der Verluste aus dem Dauerverlustgeschäft berechnet werden (Tracking Stock-Struktur). Zu denken ist z.B. an eine Kapitalgesellschaft, die neben der gewinnträchtigen Versorgung auch den ÖPNV durchführt und an der neben der Gemeinde auch ein Energieversorger beteiligt ist. Gesellschaftsvertraglich ist eine Tracking Stock-Struktur ohne weiteres möglich196. Steuerlich stellt sich die Frage, ob durch die Tracking Stock-Struktur be- 123 dingte disquotale Gewinnausschüttungen anzuerkennen sind. Nach dem BMF-Schreiben vom 7.12.2000197 können disquotale Gewinnausschüttungen dann steuerlich anzuerkennen sein, wenn für eine vom gesetzlichen Verteilungsschlüssel abweichende Gewinnverteilung besondere Leistungen eines Gesellschafters für die Kapitalgesellschaft ursächlich sind. Die für die abweichende Gewinnverteilung sprechenden Gründe müssen im Verhältnis zwischen der den Gewinn ausschüttenden Kapitalgesellschaft und den begünstigten Gesellschaftern bestehen. Das soll beispielsweise der Fall sein, wenn ein Gesellschafter der Kapitalgesellschaft ein Grundstück unentgeltlich zur Nutzung überlässt. Unseres Erachtens muss auch eine Tracking Stock-Struktur zulässig sein, bei der sich die Dividende des privaten Minderheitsgesellschafters nur nach dem Ergebnis des Gewinnbereichs richtet. Denn nur so wird sichergestellt, dass der private Gesellschafter nicht durch einen „Gewinnverzicht“ wirtschaftlich doch einen Teil der Verluste trägt198. Nach ständiger Auffassung der Rechtsprechung sind disquotale Gewinnausschüttungen ohnehin steuerlich grundsätzlich anzuerkennen, sofern sie zivilrechtlich wirksam sind, d.h. auch in Fällen, in denen keine Gesellschaftersonderleistung vorliegt199.
195 So auch Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 8 Abs. 7 KStG Rz. 62c (Juni 2011). Wohl auch Bott in Ernst & Young, KStG, § 8 Rz. 1462 (Februar 2011). 196 Vgl. Cichy/Heins, AG 2010, 181. 197 BMF v. 7.12.2009 – IV A 2 - S 2810 - 4/00, BStBl. I 2001, 47. Im BMF-Schreiben v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, 2009/0742398, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 32 wird auf dieses BMF-Schreiben verwiesen. 198 Vgl. auch Fiand, KStZ 2009, 10 (11); Pinkos, DStZ 2010, 96 (101); Bott in Ernst & Young, KStG, § 8 Rz. 1459 (Februar 2011); Krämer in Dötsch/Jost/Pung/ Witt, Die Körperschaftsteuer, § 8 Abs. 7 KStG Rz. 63 (Juni 2011). Zu TrackingStock-Fällen aus der Praxis vgl. Bayer/Hoffmann, AG 2010, R180. 199 BFH v. 19.8.1999 – I R 77/96, BStBl. II 2001, 43; v. 28.6.2006 – I R 97/05, BFH/NV 2006, 2207; v. 27.5.2010 – VIII B 146/08, BFH/NV 2010, 1865. Die Rechtsprechung wird auch von den Finanzgerichten angewandt, vgl. Hess. FG Beinert/Kostic
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Steuerrecht
125 Sofern die Verluste aus dem Dauerverlustgeschäft durch Gewinne eines anderen Geschäftsfelds der Gesellschaft kompensiert werden, ist darauf zu achten, dass die juristische Person des öffentlichen Rechts (bzw. die Gruppe) die Verluste aus dem Dauerverlustgeschäft vor deren Verrechnung mit den Gewinnen des anderen Tätigkeitsbereichs trägt200. Unseres Erachtens ist dabei der aus der Verlustverrechnung resultierende Steuervorteil abzuziehen. 5. Beteiligung an einer Personengesellschaft 126 Die Beteiligung einer juristischen Person der öffentlichen Hand an einer Personengesellschaft begründet einen BgA (vgl. Rz. 42 ff.). Dies gilt auch dann, wenn die Personengesellschaft ein Dauerverlustgeschäft unterhält. Zwar handelt es sich bei einer solchen Personengesellschaft mangels Gewinnerzielungsabsicht nur dann um eine Mitunternehmerschaft i.S.v. § 15 EStG, wenn die Personengesellschaft gewerblich geprägt ist; ein BgA ist aber immer anzunehmen, da es dafür (nur) einer Einnahme- und keiner Gewinnerzielungsabsicht bedarf. Auf diesen BgA sind grundsätzlich die Regelungen des § 8 Abs. 7 KStG anzuwenden201. 127 Unterhält die Personengesellschaft neben dem Dauerverlustgeschäft auch eine andere Tätigkeit, bilden das Dauerverlustgeschäft und die andere (Gewinn)tätigkeit trotz ihrer „Zusammenfassung“ in einer Personengesellschaft jeweils einen gesonderten BgA. Auf diesen BgA sind die Zusammenfassungsgrundsätze des § 4 Abs. 6 KStG anzuwenden202. 128 Ist die juristische Person des öffentlichen Rechts nicht unmittelbar an der Personengesellschaft beteiligt, sondern über eine Holding, so soll die Beteiligung nach Auffassung der Finanzverwaltung steuerlich irrelevant sein203, d.h. es kommt steuerlich zu keiner Vermögensminderung204 und demnach zu keiner verdeckten Gewinnausschüttung. Die tatsächlich eintretende Vermögensminderung ist steuerlich quasi „neutral“. Nach unseres Erachtens zutreffender Auffassung der Literatur ist dem nicht zu folgen. Da eine Kapitalgesellschaft keinen „steuerlich irrelevanten“ Bereich hat, ist das Dauerverlustgeschäft der Personengesellschaft anteilig der Holding zuzurechnen und bildet bei ihr ein Dauerverlustgeschäft, auf
200 201 202 203 204
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v. 25.2.2008 – 9 K 577/03, NZG 2009, 320; FG BW v. 7.5.2008 – 13 K 146/04, EFG 2008, 1206. BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 29. BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 61. BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 62. BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 63. Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 8 Abs. 7 KStG Rz. 75 (Juni 2011).
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D. Kapitalertragsteuer, § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. a, b EStG
das § 8 Abs. 7 KStG anwendbar ist205. Demzufolge steht der Verlust auch zur Verrechnung mit anderweitigen Gewinnen zur Verfügung.
D. Kapitalertragsteuer, § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. a, b EStG I. Besteuerungssystematik Gewinne, die eine Kapitalgesellschaft erzielt, werden seit dem 1.1.2008 129 grundsätzlich mit 15 % Körperschaftsteuer zzgl. Solidaritätszuschlag und Gewerbesteuer besteuert. Schüttet die Kapitalgesellschaft Gewinne aus, wird ein weiterer Besteuerungstatbestand ausgelöst. Auf Ebene der Gesellschafter (natürliche Person) wird die Dividende nach dem sog. Teileinkünfteverfahren (§§ 20 Abs. 1 Nr. 1, 3 Nr. 40 i.V.m. § 20 Abs. 8 EStG) zu 60 % steuerlich erfasst, wenn die natürliche Person die Anteile im Betriebsvermögen hält. Hält sie die Anteile im Privatvermögen, tritt an die Stelle des Teileinkünfteverfahrens die sog. Abgeltungsteuer (§ 32d EStG), wonach die Dividende pauschal mit einem Steuersatz von 25 % zzgl. Solidaritätszuschlag versteuert wird. Ein BgA hat keine Gesellschafter im vorgenannten Sinne. Gleichwohl 130 kommt es auch hier zu Vermögensübertragungen an die Trägerkörperschaft. Aus Gründen der steuerlichen Gleichbehandlung werden diese Vermögensübertragungen steuerlich erfasst (§ 20 Abs. 1 Nr. 10 EStG) und mit Kapitalertragsteuer in Höhe von 15 % zzgl. Solidaritätszuschlag belastet, die von dem BgA einzubehalten und abzuführen ist (§§ 43 Abs. 1 Nr. 7c, 43a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 44 Abs. 6 Satz 4 i.V.m. Abs. 1 Satz 3 EStG). Die Steuerpflicht des Leistungsempfängers wird durch die Kapitalertragsteuer abgegolten (§ 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG). Die Finanzverwaltung hat zur Auslegung von § 20 Abs. 1 Nr. 10 EStG 131 mit BMF-Schreiben vom 11.9.2002206 sowie ergänzend mit BMF-Schreiben vom 8.8.2005207 Stellung genommen. In diesem Zusammenhang ist auch auf ein neues Urteil des BFH zu Eigenbetrieben hinzuweisen (vgl. Rz. 160 ff.)208.
205 Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/GewStG/UmwStG, § 8 KStG Rz. 246 (Januar 2011); Bott in Ernst & Young, KStG, § 8 Rz. 1511 (Februar 2011); Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 8 Abs. 7 KStG Rz. 75 (Juni 2011). 206 BMF v. 11.9.2002 – IV A 2 - S 1910 - 194/02, BStBl. I 2002, 935. 207 BMF v. 8.8.2005 – IV B 7 - S 2706a - 3/05, BStBl. I 2005, 831. 208 BFH v. 16.11.2011 – I R 108/09, BFH/NV 2012, 643. Beinert/Kostic
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II. BgA mit eigener Rechtspersönlichkeit 132 Es ist zwischen BgA mit eigener und BgA ohne eigene Rechtspersönlichkeit zu unterscheiden. Eigene Rechtspersönlichkeit bedeutet, dass der BgA selbst eine juristische Person des öffentlichen Rechts i.S.v. § 4 Abs. 2 KStG ist. 133 Nach § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. a EStG gehören zu den Einkünften der Trägerkörperschaft aus Kapitalvermögen die „Leistungen“ eines BgA mit eigener Rechtspersönlichkeit209, die mit Gewinnausschüttungen i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG wirtschaftlich vergleichbar sind. Dies schließt verdeckte Gewinnausschüttungen mit ein (§ 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. a i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG)210. 134 § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. a EStG hat auch Relevanz für BgA ohne eigene Rechtspersönlichkeit. Nach Auffassung der Finanzverwaltung findet § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. a EStG Anwendung, wenn eine juristische Person des öffentlichen Rechts aus ihrem BgA ohne eigene Rechtspersönlichkeit „Leistungen“ an eine andere juristische Person des öffentlichen Rechts (insbesondere an deren BgA) erbringt211. Dahinter steht die Überlegung, dass § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. a EStG alle Leistungen erfassen soll, die an einen anderen Rechtsträger erbracht werden, der dann auch die (Kapitalertrag)steuerlast zu tragen hat212.
III. BgA ohne eigene Rechtspersönlichkeit 135 Nach § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b EStG gehören zu den Einkünften der Trägerkörperschaft aus Kapitalvermögen bestimmte Erträge, die bestimmte BgA ohne eigene Rechtspersönlichkeit erzielen. 1. Fallgruppen 136 § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b EStG findet nicht auf jeden BgA ohne eigene Rechtspersönlichkeit Anwendung. Die erste und wichtigste Fallgruppe des § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b EStG bilden solche BgA, die ihren Gewinn
209 Zur Fallgestaltung, dass die Leistungen aus dem steuerlichen Einlagekonto i.S.v. § 27 KStG finanziert werden oder aus einer Herabsetzung des Nennkapitals vgl. Bott in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz. 435 ff. (März 2012). 210 Vgl. auch BMF v. 11.9.2002 – IV A 2 - S 1910 - 194/02, BStBl. I 2002, 935 Rz. 8. 211 BMF v. 11.9.2002 – IV A 2 - S 1910 - 194/02, BStBl. I 2002, 935 Rz. 7. Zu denkbaren Leistungsbeziehungen vgl. Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 266 (Juni 2011). 212 Kritisch Semmler/Zimmermann, DB 2005, 2153, die einen Widerspruch zum Gesetzeswortlaut sehen, da bei dem BgA keine eigene Rechtspersönlichkeit vorliege.
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D. Kapitalertragsteuer, § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. a, b EStG
durch Betriebsvermögensvergleich213 ermitteln oder alternativ einen der beiden folgenden Schwellenwerte überschreiten: Umsätze von mehr als 350 000 Euro im Kalenderjahr, Gewinn von mehr als 30 000 Euro im Wirtschaftsjahr. Diese Schwellenwerte stimmten ursprünglich mit den Wertgrenzen nach § 141 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AO zur Bestimmung einer originär steuerlichen Buchführungspflicht überein. Durch Gesetz vom 22.8.2006 wurde die Buchführungsgrenze in § 141 Abs. 1 Nr. 1 AO aber von bisher 350 000 Euro auf 500 000 Euro angehoben, damit kleinere gewerbliche Betriebe aus der Buchführungspflicht fallen und zur Gewinnermittlung durch Einnahmen-Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG übergehen können. Eine entsprechende Anpassung der Schwellenwerte des § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b EStG ist nicht erfolgt. Die Schwellenwerte gelten für jeden einzelnen BgA einer Trägerkörper- 137 schaft. Ob die Schwellenwerte überschritten werden, kann die Trägerkörperschaft über die Zusammenfassung oder Trennung von Einrichtungen in gewissem Maße beeinflussen. Organisiert eine Trägerkörperschaft z.B. verschiedene Bäder in verschiedenen Bäderämtern und damit in verschiedenen Einrichtungen214, fällt keine Kapitalertragsteuer an, wenn die verschiedenen Bäder jeweils die Schwellenwerte unterschreiten, da jedes Bad einen eigenen BgA darstellt. Werden die Bäder dagegen in einem gemeinsamen Bäderamt verwaltet, liegt nur eine Einrichtung und damit ein BgA vor215. Überschreitet dieser BgA die Schwellenwerte, fällt Kapitalertragsteuer an. Die zweite Fallgruppe zielt auf Einbringungsvorgänge, nämlich auf die 138 Einbringung eines BgA zu Buchwerten in eine Kapitalgesellschaft gegen Gewährung von Anteilen. Wenn die juristische Person des öffentlichen Rechts die für die Einbringung erhaltenen Anteile an der Kapitalgesellschaft innerhalb eines Zeitraums von sieben Jahren nach der Einbringung veräußert, gilt nach § 22 Abs. 4 Nr. 1 UmwStG der Gewinn aus der Veräußerung der Anteile als in einem BgA entstanden. § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b Satz 1 EStG verweist auf diese Vorschrift und damit auf den Gewinn aus der Veräußerung der Anteile, aber auch nur darauf. Technisch führt die Veräußerung der Anteile innerhalb des Siebenjahreszeitraums allerdings dazu, dass die Einbringung des BgA rückwirkend steuerpflichtig wird (sog. Einbringungsgewinn I nach § 22 Abs. 1 UmwStG). Dieser Einbringungsgewinn I erhöht die Anschaffungskosten der juristischen Person des öffentlichen Rechts für die erhaltenen Anteile und reduziert so 213 Bei einer Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft (vgl. Rz. 42 ff.) gelten die auf eine juristische Person des öffentlichen Rechts entfallenden Gewinnanteile als durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt, wenn die Mitunternehmerschaft ihren Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt, vgl. Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 281 (Juni 2011). 214 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 2. 215 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 8. Beinert/Kostic
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den Gewinn aus der Veräußerung der Anteile. Da § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b Satz 1 EStG nicht auf den Einbringungsgewinn I verweist, bliebt dieser unseres Erachtens kapitalertragsteuerfrei216. 139 Kein Fall der zweiten Fallgruppe liegt vor, wenn die als Gegenleistung für die Einbringung des BgA erhaltenen Anteile zum Betriebsvermögen eines verbleibenden „Rest-BgA“ gehören, etwa weil nur ein Teilbetrieb des BgA in die Kapitalgesellschaft eingebracht wurde217. Dann wird der Veräußerungsvorgang als laufender Geschäftsvorfall des „Rest-BgA“ erfasst und es gelten die allgemeinen Regelungen zur Kapitalertragsteuer. 140 Als dritte Fallgruppe werden BgA erfasst, die sich aus der Veranstaltung von Werbesendungen durch öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten ergeben, § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b Satz 3 EStG. 2. Besteuerungsgegenstand 141 Besteuerungsgegenstand der ersten und wichtigsten Fallgruppe des § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b EStG ist der nicht den Rücklagen zugeführte Gewinn, verdeckte Gewinnausschüttungen sowie die Auflösung von Rücklagen für Zwecke außerhalb des BgA. § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b EStG enthält eine Ausschüttungsfiktion, da aufgrund der fehlenden rechtlichen Selbständigkeit des BgA eine tatsächliche Gewinnausschüttung an die Trägerkörperschaft nicht erfolgen kann. 142 Besteuerungsgegenstand der zweiten Fallgruppe ist der Gewinn aus der Veräußerung der für die Einbringung des BgA erhaltenen Anteile i.S.v. § 22 Abs. 4 Nr. 1 UmwStG. Es ist zu vermuten, dass die Finanzverwaltung an ihrer bisherigen Auffassung zu § 21 Abs. 3 UmwStG a.F. (der Vorgängervorschrift von § 22 Abs. 4 Nr. 1 UmwStG) festhalten wird. Danach wird eine steuermindernde Bildung von Rücklagen nicht zugelassen218. 143 Zu beachten ist, dass bei der Einbringung eines BgA zu Buchwerten in eine Kapitalgesellschaft gegen Gewährung von Anteilen die Rücklagen des BgA als aufgelöst gelten und dadurch – im Rahmen der ersten Fallgruppe – der Kapitalertragsteuer unterliegen (vgl. § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b Satz 2, 2. Halbs. EStG). Dahinter steht die Überlegung, dass die Einbringung des BgA in eine Kapitalgesellschaft eine Verwendung der Rücklagen für Zwecke außerhalb des BgA darstellt. Die Rücklagen stehen nunmehr
216 Ebenso im Ergebnis Bott in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz. 463.3 ff. (März 2012). A.A. Patt in Dötsch/Patt/Pung/Möhlenbrock, Umwandlungssteuerrecht, 7. Aufl. 2012, § 22 Rz. 59c. 217 Vgl. Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 293 (Juni 2011). 218 So auch Bott in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz. 463 (März 2012). Zur Rechtslage vor dem SEStEG v. 7.12.2006 vgl. Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 320 (März 2010).
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D. Kapitalertragsteuer, § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. a, b EStG
der aufnehmenden Kapitalgesellschaft zur Verfügung (dort werden sie auf dem steuerlichen Einlagekonto verbucht) und nicht mehr dem BgA219. Besteuerungsgegenstand der dritten Fallgruppe sind 75 % des nach § 8 144 Abs. 1 Satz 2 KStG ermittelten Einkommens. 145
Im Folgenden wird nur auf die erste Fallgruppe eingegangen. 3. Gewinnbegriff
Besteuerungsgegenstand der ersten, wichtigsten Fallgruppe des § 20 146 Abs. 1 Nr. 10 lit. b EStG sind der nicht den Rücklagen zugeführte Gewinn, verdeckte Gewinnausschüttungen sowie die Auflösung von Rücklagen für Zwecke außerhalb des BgA. Der Begriff des nicht den Rücklagen zugeführten „Gewinns“ ist gesetzlich nicht definiert. Die wohl h.M. hält den handelsrechtlichen Jahresüberschuss für maßgebend (§ 275 HGB)220. Dieser kann mal niedriger liegen als das Ergebnis der Steuerbilanz (z.B. bei Bildung von Drohverlustrückstellungen), mal höher (z.B. bei Aktivierung selbst geschaffener immaterieller Wirtschaftsgüter). Zu Unsicherheiten führt die Aussage, dass sich die Besteuerungspraxis der Finanzverwaltung dahingehend entwickeln könnte, dass diese grundsätzlich den höheren handelsrechtlichen Jahresüberschuss, in Betriebsprüfungsfällen aber den höheren Steuerbilanzgewinn als Bemessungsgrundlage für die Kapitalertragsteuer ansetzen will221. Eine Rechtfertigung dafür ist nicht ersichtlich. Es wäre wünschenswert, wenn hier durch Verfügung der Finanzverwaltung schnell Klarheit geschaffen würde. Geht man vom handelsrechtlichen Jahresüberschuss aus, bleiben außer- 147 bilanzielle steuerliche Korrekturen außer Ansatz222. Daraus folgt, dass der für die Bemessung der Kapitalertragsteuer maßgebende Gewinn (i) der Gewinn nach Abzug der auf den Gewinn des BgA geschuldeten Steuern und anderer steuerlich nicht abziehbarer Aufwendungen ist und (ii) steu-
219 Zu Umwandlungsvorgängen vgl. Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 293 ff. (Juni 2011). 220 Vgl. u.a. Hess. FG v. 7.10.2009 – 4 K 3240/06, EFG 2010, 1319; Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 288 (Juni 2011); Bott in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz. 449 (März 2012). Wird nur eine Steuerbilanz aufgestellt, ist auf den Gewinn i.S.v. § 4 Abs. 1 EStG abzustellen, vgl. BMF v. 11.9.2002 – IV A 2 - S 1910 - 194/02, BStBl. I 2002, 935 Rz. 22. Fällt ein BgA unter die Kapitalertragsteuerpflicht, weil er die Umsatz- oder Gewinngrenzen überschreitet, ermittelt er seinen Gewinn aber zulässigerweise nach § 4 Abs. 3 EStG (Einnahmen-Überschussrechnung), ist der Gewinn für Zwecke der Kapitalertragsteuer durch Betriebsvermögensvergleich zu schätzen, vgl. BMF v. 11.9.2002 – IV A 2 - S 1910 - 194/02, BStBl. I 2002, 935 Rz. 17. 221 So vermutet Bürstinghaus, DStZ 2011, 345 (346). 222 Stuhrmann in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 20 EStG Rz. 343 (März 2011); Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 289 (Juni 2011). Beinert/Kostic
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erfreie Erträge (z.B. Beteiligungserträge nach § 8b KStG) Bestandteil des Gewinns sind. 4. Berücksichtigung von Verlusten früherer Jahre 148 Für Zwecke der Kapitalertragsteuer ist nach h.M. auf den handelsrechtlichen Jahresüberschuss abzustellen, also auf eine Rechengröße vor Berücksichtigung eines etwaigen Verlustvortrags. Es stellt sich daher die Frage, wie etwaige Verlustvorträge des BgA berücksichtigt werden. Dabei ist zwischen Eigen- und Regiebetrieben zu unterscheiden223. 149 Ein Eigenbetrieb ist ein wirtschaftlich und organisatorisch selbständiges Unternehmen, das jedoch nicht über eine eigene Rechtspersönlichkeit verfügt. Er stellt Sondervermögen der betroffenen Trägerkörperschaft dar224. Bei Eigenbetrieben kann ein Verlust auf neue Rechnung vorgetragen werden, soweit zu erwarten ist, dass er in den folgenden Jahren durch Gewinne ausgeglichen wird (handelsrechtlicher Verlustvortrag). Die in den folgenden Jahren erzielten Gewinne werden zunächst zur Verlustdeckung verwendet und stehen daher der Trägerkörperschaft nicht zur Verwendung im hoheitlichen Bereich zur Verfügung. Für Zwecke der Kapitalertragsteuer wird der Verlustvortrag vom Jahresüberschuss abgezogen und mindert so die Bemessungsgrundlage der Kapitalertragsteuer (§ 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b EStG)225. 150 Die Möglichkeit eines Verlustvortrags ist einem Regiebetriebe verwehrt. Ein Regiebetrieb ist ein wirtschaftlich und organisatorisch unselbständiger Teil der Trägerkörperschaft226. Anders als bei Eigenbetrieben werden bei Regiebetrieben im Haushaltsplan der Trägerkörperschaft nicht die erwirtschafteten Ergebnisse, sondern die unsaldierten Einnahmen und Ausgaben erfasst, d.h. Einnahmen des Regiebetriebs fließen unmittelbar in den Haushalt der Trägerkörperschaft ein und Ausgaben werden unmittelbar aus dem Haushalt der Trägerkörperschaft bestritten. Vor diesem Hintergrund ist ein separater „Verlustvortrag“ eines Regiebetriebs nicht denkbar. Vielmehr gelten Verluste im Verlustentstehungsjahr als durch die Trägerkörperschaft ausgeglichen und führen zu einem Zugang in entsprechender Höhe im steuerlichen Einlagekonto des Regiebetriebs (§ 27 223 Diese Frage ist von der Nutzung eines Verlustvortrags für körperschaftsteuerliche Zwecke nach § 10d EStG (vgl. Rz. 76) zu unterscheiden, vgl. auch OFD Magdeburg v. 28.1.2009 – S 2706 a - 3 - St 217, KSt-Kartei ST § 4 KStG Karte 1.19. 224 Vgl. für Hessen Schneider/Dreßler/Lüll, HessGO, § 121 Rz. 3 (2010). 225 Vgl. BFH v. 23.1.2008 – I R 18/07, BStBl. II 2008, 573; FG Düsseldorf v. 16.11.2010 – 6 K 3643/09 F; vgl. hierzu auch OFD Magdeburg v. 28.1.2009 – S 2706 a - 3 - St 217, KSt-Kartei ST § 4 KStG Karte 1.19. Noch ohne Differenzierung nach Eigen- und Regiebetrieb BMF v. 11.9.2002 – IV A 2 - S 1910 - 194/02, BStBl. I 2002, 935 Rz. 22; OFD Frankfurt a. M. v. 17.12.2003 – S 2706a A - 3 St II 1.04, DStR 2004, 355. 226 Schneider/Dreßler/Lüll, HessGO, § 121 Rz. 3 (2010).
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KStG)227. Dies gilt unabhängig davon, ob die Trägerkörperschaft auch tatsächlich die Verluste ausgleicht228. Nach unseres Erachtens zutreffender Auffassung des FG Düsseldorf gilt 151 dies unabhängig davon, ob der Regiebetrieb bilanziert oder seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt229. Im Falle einer Einnahmen-Überschussrechnung ist der Gewinn für Zwecke der Berücksichtigung von Verlusten als Zugang im steuerlichen Einlagekonto nach den Grundsätzen des Betriebsvermögensvergleichs zu schätzen230. Kapitalerträge aus künftigen Gewinnen des Regiebetriebs werden aus die- 152 sem erhöhten steuerlichen Einlagekonto gespeist. Wegen der Nichtsteuerbarkeit einer Einlagenrückgewähr (vgl. Rz. 169 ff.) fällt insoweit keine Kapitalertragsteuer an. Im Ergebnis bestehen daher zwischen einem Regiebetrieb und einem Eigenbetrieb zwar erhebliche verfahrensrechtliche Unterschiede; die Höhe des kapitalertragsteuerpflichtigen Gewinntransfers ist aber gleich231. 5. Rücklagenbildung Kapitalertragsteuer nach § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b EStG fällt nicht an, so- 153 weit der Gewinn des BgA den Rücklagen zugeführt wird, weil dieser Gewinn der Trägerkörperschaft nicht zur Verwendung im hoheitlichen Bereich zur Verfügung steht232. Entscheidend ist daher die Frage, welche Rücklagen gebildet werden dürfen. Das Gesetz sieht keine Einschränkungen bei der Rücklagenbildung vor. Es ist abermals zwischen Eigen- und Regiebetrieben zu unterscheiden. a) Auffassung der Finanzverwaltung Die Finanzverwaltung geht davon aus, dass Rücklagen nicht schrankenlos gebildet werden dürfen. Sie vertrat ursprünglich die Auffassung, dass sich die Zulässigkeit der Rücklagenbildung nach haushaltsrechtlichen
227 Vgl. BFH v. 23.1.2008 – I R 18/07, BStBl. II 2008, 573; FG Düsseldorf v. 16.11.2010 – 6 K 3643/09 F; FG Düsseldorf v. 18.10.2011 – 6 K 4267/09 K, F, H (Rev. eingelegt, Az. des BFH: I R 77/11); OFD Nds. v. 23.8.2010 – S 2836 - 17 St 241, KSt-Kartei ND § 27 KStG Karte 3. 228 FG Düsseldorf v. 18.10.2011 – 6 K 4267/09 K, F, H (Rev. eingelegt, Az. des BFH: I R 77/11). 229 FG Düsseldorf v. 18.10.2011 – 6 K 4267/09 K, F, H (Rev. eingelegt, Az. des BFH: I R 77/11). 230 OFD Nds. v. 23.8.2010 – S 2836 - 17 - St 241, KSt-Kartei ND § 27 KStG Karte 3. 231 Vgl. BFH v. 23.1.2008 – I R 18/07, BStBl. II 2008, 573; FG Düsseldorf v. 18.10.2011 – 6 K 4267/09 K, F, H (Rev. eingelegt, Az. des BFH: I R 77/11); Bott in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz. 450 (März 2012). 232 BFH v. 23.1.2008 – I R 18/07, BStBl. II 2008, 573. Beinert/Kostic
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Vorschriften richte233. Damit wäre eine Rücklagenbildung aber nur bei Eigenbetrieben und nicht auch bei Regiebetrieben zulässig gewesen. Mit BMF-Schreiben vom 8.8.2005234 kam es zu einer Korrektur: Bei Eigen- wie bei Regiebetrieben können Rücklagen gebildet werden, wenn die Zwecke des BgA ohne die Rücklagenbildung nachhaltig nicht erfüllt werden können. Die Mittel müssen für bestimmte Vorhaben (z.B. für die Anschaffung von Anlagevermögen) angesammelt werden, für deren Durchführung bereits konkrete Zeitvorstellungen bestehen. 155 Wie diese Voraussetzungen nachzuweisen sind, wird durch das BMFSchreiben vom 8.8.2005 nicht beantwortet. Die praktische Handhabung durch die Finanzämter ist unterschiedlich235. Sehr weitgehend scheint uns die Forderung, an den Nachweis künftiger Investitionen die gleichen Anforderungen zu stellen wie im Bereich des § 7g EStG. Danach wäre es erforderlich, die für bestimmte Vorhaben benötigten Wirtschaftsgüter und deren geplanten Anschaffungszeitpunkt hinreichend genau zu benennen. Die Höhe der voraussichtlichen Anschaffungskosten wäre anhand von Angeboten, Preislisten oder Kostenschätzungen darzulegen. Unseres Erachtens reicht es dagegen aus, die Grundsätze heranzuziehen, die nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 KStG für die Rücklagenbildung bei Organgesellschaften gelten. Nach R 60 Abs. 5 Nr. 3 KStR 2004 muss die Rücklagenbildung nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung wirtschaftlich begründet sein. 156 Die Durchführung der Investition muss glaubhaft dargelegt werden und finanziell in einem angemessenen Zeitraum möglich sein236. Welcher Zeitraum angemessen ist, wird durch das BMF-Schreiben vom 8.8.2005 nicht konkretisiert. § 7g Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. a EStG sieht einen Zeitraum von bis zu drei Jahren vor. Nach unseres Erachtens zutreffender Auffassung der Literatur kann der Zeitraum bei § 20 EStG aber abhängig vom Einzelfall durchaus länger sein237. 157 Im Schrifttum wird unseres Erachtens zutreffend davon ausgegangen, dass auch Rücklagen zur Tilgung betrieblicher Verbindlichkeiten gebildet werden können238. Eine weitergehende Rücklagenbildung ist nach dem BMF-Schreiben vom 8.8.2005 nicht vorgesehen. Damit ist insbesondere eine Rücklagenbildung zur Abdeckung laufender, regelmäßig wiederkeh233 234 235 236 237
BMF v. 11.9.2002 – IV A 2 - S 1910 - 194/02, BStBl. I 2002, 935 Rz. 23. BMF v. 8.8.2005 – IV B 7 - S 2706a - 4/05, BStBl. I 2005, 831. Bürstinghaus, DStZ 2011, 345 (347). BMF v. 8.8.2005 – IV B 7 - S 2706a - 4/05, BStBl. I 2005, 831 Rz. 23. Bürstinghaus, DStZ 2011, 345 (347) meint, dass z.B. im Bereich von U-BahnAnlagen eines Verkehrs-BgA ein Zeitraum von zehn oder mehr Jahren noch angemessen sei, weil sich allein das planungsrechtliche Genehmigungsverfahren über einen solchen Zeitraum erstrecke. 238 Schiffers, DStZ 2010, 378 (380); Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 308 (Juni 2011); Bürstinghaus, DStZ 2011, 345 (347).
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render Aufwendungen oder künftiger Verluste ausgeschlossen239. Unseres Erachtens sollte die Rechtsprechung zur Organschaft (§ 14 Abs. 1 Nr. 4 KStG) übertragen werden. Der BFH hat für Organgesellschaften entschieden, dass ein besonderer betrieblicher Anlass im Sinne eines konkreten Investitionsvorhabens zwar in der Regel als Begründung für die Rücklagenbildung ausreiche, aber die Rücklagenbildung nicht auf diese Fälle beschränkt werden könne. Es komme auf die Umstände des Einzelfalls an, so dass ggf. auch die Ansammlung von Risikokapital als Puffer für etwaige Verluste anzuerkennen sei240. Soweit Vorhaben betroffen sind, deren Umsetzung einen Beschluss durch 158 das zuständige Entscheidungsgremium der juristischen Person des öffentlichen Rechts erfordert, ist nach Auffassung der Finanzverwaltung Voraussetzung, dass ein solcher Beschluss bereits zum Ende des Wirtschaftsjahrs vorliegt, dessen Gewinn in die Rücklagen eingestellt werden soll241. Soweit eine Rücklagenbildung nicht anzuerkennen ist, wird nach Auffas- 159 sung der Finanzverwaltung auch eine darlehensweise Überlassung liquider Mittel des BgA an seine Trägerkörperschaft nicht anerkannt242. Andernfalls könnten die Voraussetzungen, die für eine Rücklagenbildung nach Auffassung der Finanzverwaltung gegeben sein müssen, leicht umgangen werden. b) Auffassung der Rechtsprechung Der BFH hat sich mit Urteil vom 16.11.2011243 zur Zulässigkeit der Rück- 160 lagenbildung bei Eigenbetrieben geäußert. Der BFH stellt entscheidend darauf ab, dass – abweichend von einem Regiebetrieb – die Trägerkörperschaft bei einem Eigenbetrieb nicht unmittelbar auf die erzielten Gewinne zugreifen kann. Denn es handelt sich bei einem Eigenbetrieb um eine organisatorisch und haushaltsmäßig verselbständigte Einrichtung, die finanzwirtschaftlich Sondervermögen der Trägerkörperschaft ist. Erst wenn das hierfür zuständige Gremium (im Streitfall der Kreistag) beschließt, den Gewinn ganz oder teilweise in den allgemeinen Haushalt der Trägerkörperschaft zu überführen, kann die Trägerkörperschaft hierüber verfügen.
239 Vgl. u.a. Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 305 (Juni 2011). 240 BFH v. 29.10.1980 – I R 61/77, BStBl. II 1981, 336. 241 Vgl. für den Fall der nachträglichen Bildung einer Rücklage OFD Chemnitz v. 29.11.2010 – S 2407 - 3/20 - St21. 242 BMF v. 8.8.2005 – IV B 7 - S 2706a - 4/05, BStBl. I 2005, 831. Vgl. auch OFD Münster v. 18.8.2010 – S 2706 – 73 - St 13 – 33 (u.a. zur Thesaurierung von Gewinnen aus der Auftragsforschung). 243 BFH v. 16.11.2011 – I R 108/09, BFH/NV 2012, 643. Beinert/Kostic
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161 Hieraus folgt der BFH, dass Gewinne eines Eigenbetriebs, deren Überführung in den allgemeinen Haushalt noch nicht beschlossen wurde und die auch nicht ohne einen entsprechenden Beschluss tatsächlich an die Trägerkörperschaft geleistet wurden (verdeckte Gewinnausschüttungen), noch nicht zu Einkünften i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b EStG führen, sondern als den Rücklagen zugeführt gelten. 162 Der BFH244 lehnt damit die Auffassung der Finanzverwaltung, eine Rücklagenbildung nur zuzulassen, wenn die Zwecke des BgA ohne die Rücklagenbildung nicht nachhaltig erfüllt werden können, für Eigenbetriebe ausdrücklich ab. § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b EStG, dessen Wortlaut eine solche Einschränkung nicht enthalte, bezwecke, die juristische Person des öffentlichen Rechts mit ihrer wirtschaftlichen Betätigung durch den BgA im Ergebnis derselben Steuerbelastung zu unterwerfen wie Anteilseigner, die sich wirtschaftlich über eine Kapitalgesellschaft betätigen. Der im BgA erzielte Gewinn werde daher einer zusätzlichen Kapitalertragsteuerbelastung unterworfen. Solange der in einem Eigenbetrieb erzielte Gewinn der Trägerkörperschaft aber nicht zur Verwendung im allgemeinen Haushalt zur Verfügung gestellt werde, könne diese hierauf ebenso wenig zugreifen wie in der vergleichbaren Situation der Anteilseigner einer Kapitalgesellschaft auf den Gewinn der Gesellschaft. 163 Es bestehen daher beim Eigenbetrieb klare Steuerungsmöglichkeiten. Der BFH245 macht deutlich, dass demgegenüber bei einem Regiebetrieb die Trägerkörperschaft unmittelbar über die Gewinne verfügen kann. Dies rechtfertige es, die Bildung von Rücklagen nur zuzulassen, soweit dies „betrieblich erforderlich“ sei246. Auf die Frage, was „betrieblich erforderlich“ ist, geht der BFH nicht ein. Insbesondere sagt er nicht, ob insoweit dem BMF-Schreiben vom 8.8.2005 (ganz oder teilweise) zu folgen ist. Unseres Erachtens gelten die unter lit. a) angeführten Überlegungen247. Es bleibt abzuwarten, wie die Finanzverwaltung auf das Urteil des BFH vom 16.11.2011 reagieren wird. 164 Unklar ist auch, ob die Beteiligung an einer Personengesellschaft, die einen BgA begründet, als Eigen- oder als Regiebetrieb zu behandeln ist. Unseres Erachtens liegt es näher, hier einen Eigenbetrieb anzunehmen, da eine Personengesellschaft Entnahmebeschränkungen aufweisen kann, was einer fingierten Vollausschüttung des Gewinns entgegensteht248.
244 BFH v. 16.11.2011 – I R 108/09, BFH/NV 2012, 643; vgl. bereits zuvor Bott, DStZ 2009, 710 (724). 245 BFH v. 16.11.2011 – I R 108/09, BFH/NV 2012, 643. 246 BFH v. 16.11.2011 – I R 108/09, BFH/NV 2012, 643. 247 Bott in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz. 452.6 (März 2012) geht demgegenüber davon aus, dass bei Regiebetrieben eine Rücklagenbildung ausscheide. 248 Die Finanzverwaltung vertrat bislang die Auffassung, dass ein Zufluss erst zum Zeitpunkt und in der Höhe angenommen wird, in dem der Gewinn tatsächlich aus der Mitunternehmerschaft entnommen wird. Diese als Billig-
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D. Kapitalertragsteuer, § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. a, b EStG
c) Anschaffung von Wirtschaftsgütern Im Schrifttum wird die Auffassung vertreten, dass sich die Bemessungs- 165 grundlage für die Kapitalertragsteuer erhöhen muss, wenn mit den zurückgestellten Mitteln Wirtschaftsgüter angeschafft werden, die anschließend abgeschrieben werden. Andernfalls würden sich die Anschaffungskosten doppelt auswirken: einmal durch Nichtanfall von Kapitalertragsteuer wegen der Rücklagenbildung und einmal durch künftige Gewinnminderungen in Höhe der Abschreibungen249. Dem ist unseres Erachtens entgegenzuhalten, dass es an einer gesetzlichen Regelung einer solchen Kapitalertragsteuerpflicht fehlt. Aus § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b EStG ergibt sich das gewünschte Ergebnis nicht250. Es kann unseres Erachtens auch nicht von einer gesetzgeberisch nicht gewollten Regelungslücke ausgegangen werden. d) Ergänzende Liquiditätsbetrachtung der Finanzverwaltung Die Finanzverwaltung ergänzt die Frage der Rücklagenbildung durch eine 166 Betrachtung der Liquidität. Gewinne des BgA, die keine Liquidität vermitteln, der Trägerkörperschaft also auch nicht zufließen können, lösen keine Kapitalertragsteuer aus. Dies betrifft nach Auffassung der Finanzverwaltung folgende Fälle: – Mittel des BgA, die bereits im laufenden Wirtschaftsjahr reinvestiert werden251; – Mittel des BgA, mit denen betriebliche Verbindlichkeiten getilgt werden252; – Buchgewinne, die sich beim Tausch von Wirtschaftsgütern des BgA ergeben253; – Gewinnausschüttungen aus einer Beteiligung, die der BgA im Zuge einer Kapitalerhöhung wieder in die Kapitalgesellschaft einlegt (Schüttaus-hol-zurück)254.
249 250 251 252 253 254
keitsregelung bezeichnete Auffassung soll aber für nach 2012 erzielte Gewinne nicht mehr gelten (vgl. OFD Münster v. 17.7.2009 (aktualisiert am 5.9.2011) – S 2706a-107-St 13-33). Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 309a (Juni 2011); Schiffers, DStZ 2010, 378 (380). Bürstinghaus, DStZ 2011, 345 (348). BMF v. 8.8.2005 – IV B 7 - S 2706a - 4/05, BStBl. I 2005, 831 Tz. 23. BMF v. 8.8.2005 – IV B 7 - S 2706a - 4/05, BStBl. I 2005, 831 Tz. 23. BMF v. 9.8.2005 – IV B 7 - S 2706a - 5/05, DB 2005, 1935 Rz. 2. BMF v. 9.8.2005 – IV B 7 - S 2706a - 5/05, DB 2005, 1935 Rz. 3. Beinert/Kostic
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6. Verdeckte Gewinnausschüttungen 167 Verdeckte Gewinnausschüttungen lösen ebenfalls Kapitalertragsteuer aus. Im Verhältnis zwischen Trägerkörperschaft und BgA sind verdeckte Gewinnausschüttungen insbesondere in folgenden Fällen denkbar: – Vereinnahmung eines zu geringen Entgelts für Leistungen an die Trägerkörperschaft (vgl. Rz. 62 ff.); – Zahlung eines Entgelts für die Verpachtung oder Vermietung wesentlicher Betriebsgrundlagen (vgl. Rz. 66 ff.); – Zinszahlungen bei unangemessener Eigenkapitalausstattung (vgl. Rz. 72); – unentgeltliche Überführung von Wirtschaftsgütern vom BgA auf einen anderen BgA derselben Trägerkörperschaft oder in den hoheitlichen oder vermögensverwaltenden Bereich der Trägerkörperschaft (vgl. Rz. 89); – Betreiben dauerdefizitärer Tätigkeiten, sofern die Voraussetzungen des § 8 Abs. 7 KStG nicht vorliegen (vgl. Rz. 93 ff.). 7. Auflösung von Rücklagen 168 Eine Auflösung von Rücklagen für Zwecke außerhalb des BgA löst – soweit es sich nicht um Altrücklagen, d.h. mit dem früheren, höheren Körperschaftsteuersatz besteuerte Rücklagen handelt – ebenfalls Kapitalertragsteuer aus255. 8. Einlagenrückgewähr, „Auskehr“ von Nennkapital 169 In welcher Höhe die juristische Person des öffentlichen Rechts Einkünfte i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b EStG erzielt, hängt auch von den Beständen des steuerlichen Einlagekontos des BgA ab. Denn steuerpflichtige Einkünfte liegen nicht vor, soweit für die Ausschüttung Beträge aus dem steuerlichen Einlagekonto des BgA i.S.v. § 27 KStG als verwendet gelten (§ 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b Satz 5 i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG).
255 Die Auflösung der Altrücklagen führt nicht zu kapitalertragsteuerpflichtigen Einkünften i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b EStG (vgl. BMF v. 11.9.2002 – 2002 09 - 11 IV A 2 - S 1910 - 194/02, BStBl. I 2002, 935 Rz. 8, 13). Altrücklagen sind Rücklagen, die im Zeitpunkt des Systemwechsels, also bei der Umstellung des Anrechnungsverfahrens auf das Halbeinkünfteverfahren (jetzt Teileinkünfteverfahren), bereits bestanden. Unseres Erachtens ist die Auflösung und Abführung der Altrücklagen ohne Entstehung von Kapitalertragsteuer jederzeit möglich; die Finanzverwaltung wendet demgegenüber offenbar die Verwendungsreihenfolge des § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG an, vgl. Krämer in Dötsch/ Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 317 (Juni 2011).
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D. Kapitalertragsteuer, § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. a, b EStG
Gemäß § 27 KStG ist der Bestand des steuerlichen Einlagekontos des BgA zum Schluss eines jeden Wirtschaftsjahres gesondert festzustellen.
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„Leistungen“ eines BgA (mit Ausnahme der Rückzahlung von Nennkapi- 171 tal) mindern das steuerliche Einlagekonto nur, soweit die Summe der im Wirtschaftsjahr erbrachten Leistungen den auf den Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs ermittelten ausschüttbaren Gewinn übersteigt (§ 27 Abs. 1 Satz 3 KStG). Als ausschüttbarer Gewinn gilt das um das gezeichnete Kapital geminderte, in der Steuerbilanz ausgewiesene Eigenkapital abzüglich des Bestands des steuerlichen Einlagekontos (§ 27 Abs. 1 Satz 4 KStG). Diese Rechengröße bezeichnet die Finanzverwaltung auch als „Neurücklagen“256. Die Neurücklagen müssen auf Grundlage der Steuerbilanz ermittelt werden; wurden sie auf Grundlage der Handelsbilanz ermittelt, sind ggf. Korrekturen vorzunehmen257. Unter Leistungen sind alle Auskehrungen an die Trägerkörperschaft zu 172 verstehen, die ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis haben. Das sind alle Transferleistungen an die Trägerkörperschaft, die nicht auf der Grundlage eines steuerlich anzuerkennenden (fiktiven) gegenseitigen Vertrags geleistet werden. Maßgebend ist bei Eigenbetrieben deren tatsächlicher Abfluss258. Haben Eigenbetriebe auf der Grundlage landesrechtlicher Regelungen259 173 ein Nennkapital oder eine hiermit vergleichbare Größe, so führt deren „Herabsetzung“ und anschließende „Rückzahlung“ ebenfalls nicht zu kapitalertragsteuerpflichtigen Einnahmen i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b EStG. Voraussetzung ist allerdings, dass solche Maßnahmen nach den landesrechtlichen Regelungen auch zulässig sind260. Sie sind in der Regel nicht zulässig, wenn der nach „Herabsetzung“ und „Rückzahlung“ verbleibende Betrag für die zukünftige Entwicklung des Eigenbetriebs nicht als ausreichend anzusehen ist. Hierfür kann der Umstand sprechen, dass es alsbald nach der „Rückzahlung“ wieder zu einer Kapitalzuführung kommt261. Ist die Herabsetzung des Nennkapitals nach den landesrechtlichen Regelungen nicht erlaubt, handelt es sich bei der Rückzahlung des Kapitals um eine kapitalertragsteuerpflichtige „Ausschüttung“262.
256 OFD Nds. v. 20.8.2010 – S 2706 - 73 - St 241, KSt-Kartei ND § 4 KStG Karte A 2. 257 OFD Nds. v. 20.8.2010 – S 2706 - 73 - St 241, KSt-Kartei ND § 4 KStG Karte A 2. 258 BFH v. 16.11.2011 – I R 108/09, BFH/NV 2012, 643. 259 Vgl. z.B. § 10 Abs. 2 Hess.EigBGes. 260 Vgl. BFH v. 16.11.2011 – I R 108/09, BFH/NV 2012, 643. 261 BMF v. 9.8.2005 – IV B7 - S 2706a - 5/05, DB 2005, 1935 Rz. 4; diese Frage offenlassend BFH v. 16.11.2011 – I R 108/09, BFH/NV 2012, 643. 262 BFH v. 16.11.2011 – I R 108/09, BFH/NV 2012, 643. Beinert/Kostic
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9. Zeitpunkt der Einkünfteerzielung 174 Die Trägerkörperschaft ist nach § 2 Nr. 2 KStG mit den nach § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b EStG steuerpflichtigen Einkünften (beschränkt) steuerpflichtig. Die Steuererhebung geschieht durch den Kapitalertragsteuerabzug, der in §§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7c, 43a Abs. 1 Nr. 2 EStG zu einem Kapitalertragsteuersatz von 15 % zzgl. Solidaritätszuschlag angeordnet ist. Die Kapitalertragsteuer wird vom BgA für Rechnung seiner Trägerkörperschaft einbehalten und an das Finanzamt abgeführt (§ 44 Abs. 6 Satz 4 i.V.m. Abs. 1 Satz 3 EStG). Die Steuerpflicht der Trägerkörperschaft wird durch die Kapitalertragsteuer abgegolten (§ 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG). 175 Auch hinsichtlich des Zeitpunkts der Einkünfteerzielung ist zwischen Eigen- und Regiebetrieben zu unterscheiden. Nach Auffassung des BFH263 erzielt die Trägerkörperschaft bei einem Regiebetrieb die Einkünfte i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b EStG zum selben Zeitpunkt, in dem der BgA seinen Gewinn erzielt, nämlich mit Ablauf des jeweiligen Wirtschaftsjahres. Die Finanzverwaltung folgt dieser Auffassung264. 176 Mit Urteil vom 16.11.2011265 hat der BFH klargestellt, dass für Eigenbetriebe etwas anderes gilt. Da die Trägerkörperschaft auf die Gewinne, die ein Eigenbetrieb erzielt, nicht unmittelbar zugreifen könne, sei § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b EStG erst erfüllt, wenn die Überführung der Gewinne in den allgemeinen Haushalt beschlossen werde oder Gewinne ohne einen entsprechenden Beschluss tatsächlich an die Trägerkörperschaft geleistet werden (verdeckte Gewinnausschüttungen). Dem ist unseres Erachtens zu folgen. Die Reaktion der Finanzverwaltung bleibt abzuwarten. 10. Zeitpunkt der Entstehung der Kapitalertragsteuer 177 Nach § 44 Abs. 6 Satz 2 EStG entsteht die Kapitalertragsteuer grundsätzlich, auch soweit sie auf verdeckte Gewinnausschüttungen entfällt, im Zeitpunkt der Bilanzerstellung266, spätestens aber acht Monate nach Ablauf des jeweiligen Wirtschaftsjahres267. Der Einwand, dass nach einigen landesrechtlichen Regelungen eine Feststellung des Jahresabschlusses auch noch zu einem späteren Zeitpunkt zulässig sei, trägt nicht. Die Fi263 BFH v. 11.7.2007 – I R 105/05, BStBl. II 2007, 841. 264 Thür. Landesfinanzdirektion v. 19.3.2008 – S 2706a A - 04 - A 2.18. Kritisch zur Vorgehensweise von Finanzverwaltung und Rechtsprechung v. Krahn, ZKF 2009, 25 (27), der insbesondere an der Vereinbarkeit mit dem Gesetz zweifelt. 265 BFH v. 16.11.2011 – I R 108/09, BFH/NV 2012, 643. 266 Unter dem Zeitpunkt der Bilanzerstellung ist der Zeitpunkt der Bilanzfeststellung zu verstehen. Dies gilt auch für verdeckte Gewinnausschüttungen im abgelaufenen Wirtschaftsjahr, vgl. BMF v. 11.9.2002 – IV A 2 - S 1910 - 194/02, BStBl. I 2002, 935 Rz. 32. 267 Der Gewinn ist dann zu schätzen und nach Bilanzerstellung ggf. eine geänderte Kapitalertragsteueranmeldung einzureichen, vgl. OFD Münster v. 21.10.2002 – S 2706 - 107 - St 13 - 33, FR 2002, 1380.
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§ 11
E. Steuerbelastungsvergleich: BgA oder GmbH?
nanzverwaltung weist diesbezüglich darauf hin, dass es den feststellenden Gremien nicht verwehrt sei, die Feststellung des Jahresabschlusses so rechtzeitig vorzunehmen, dass die Kapitalertragsteueranmeldung fristgerecht vor Ablauf der Achtmonatsfrist abgegeben werden kann268. In den Fällen, in denen die Steuerpflicht an die Auflösung von Rücklagen anknüpft, entsteht die Kapitalertragsteuer am Tag nach der Beschlussfassung über die Verwendung, § 44 Abs. 6 Satz 2 EStG. Gewinne eines als Eigenbetrieb geführten BgA, deren Überführung in den 178 allgemeinen Haushalt der Trägerkörperschaft noch nicht beschlossen wurde und die auch nicht ohne einen entsprechenden Beschluss tatsächlich an die Trägerkörperschaft geleistet wurden (verdeckte Gewinnausschüttungen), führen nach Auffassung des BFH noch nicht zu Einkünften i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b EStG, sondern gelten als den Rücklagen zugeführt. Dementsprechend dürfte die Kapitalertragsteuer nur insoweit im Zeitpunkt der Bilanzerstellung (spätestens aber acht Monate nach Ablauf des jeweiligen Wirtschaftsjahres) entstehen, wie eine Vorabausschüttung des Gewinns beschlossen oder eine tatsächliche Leistung an die Trägerkörperschaft erbracht wurde. Im Übrigen dürfte es gemäß § 44 Abs. 6 Satz 2 EStG auf den Ausschüttungsbeschluss ankommen, da allein dieser zu einem Abfluss der entsprechenden Leistung beim Eigenbetrieb führt.
E. Steuerbelastungsvergleich: BgA oder GmbH?269 I. Steuerbelastung eines BgA Das zu versteuernde Einkommen des BgA wird mit 15 % Körperschaft- 179 steuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. § 23 KStG), zzgl. Solidaritätszuschlag und ggf. Gewerbesteuer besteuert. Hinzu kommt ggf. Kapitalertragsteuer in Höhe von 15 % zzgl. Solidaritätszuschlag, die vom BgA einzubehalten und abzuführen ist (§§ 43 Abs. 1 Nr. 7c, 43a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 44 Abs. 6 Satz 4 i.V.m. Abs. 1 Satz 3 EStG). Hinsichtlich der Fallgruppen, bei denen Kapitalertragsteuer anfällt, wird auf Rz. 136 ff. verwiesen. Es ergibt sich folgende Rechnung:
268 BMF v. 9.8.2005 – IV B 7 - S 2706a - 5/05, DB 2005, 1935 Rz. 7. 269 Zu beachten ist, dass der Belastungsvergleich die Freibetragsregelung nach § 24 KStG nicht berücksichtigt, die sich bei einem geringeren Gewinn grundsätzlich stärker auswirkt als bei einem hohen Gewinn. § 24 KStG kann dazu führen, dass eine wirtschaftliche Betätigung im Rahmen eines BgA ertragsteuerlich günstiger ist als die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft. Auch der gewerbesteuerliche Freibetrag aus § 11 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 GewStG bleibt unberücksichtigt. Beinert/Kostic
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§ 11
Steuerrecht Voll„entnahme“
Gewinn
Rücklagenbildung
100.000,00
100.000,00
./. GewSt (Hebesatz 400 %)
14.000,00
14.000,00
./. KSt (15 %)
15.000,00
15.000,00
825,00
825,00
70.175
70.175
./. SolZ (5,5 %) = rücklagenfähiger Gewinn ./. einbehaltene KapESt (15 %) ./. einbehaltener SolZ (5,5 %) Auszahlung an jPöR Steuerlast
10.526,25 578,94 59.069,81 40,93 %
29,83 %
180 Wird der Gewinn im Wege der Einnahmen-Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt und wird die Gewinn- oder Umsatzgrenze des § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b EStG nicht überschritten, fällt keine Kapitalertragsteuer an. Die Steuerbelastung beträgt in diesem Fall lediglich 29,83 %. Es können sich daher deutliche Belastungsunterschiede in Abhängigkeit von der Gewinnermittlungsart ergeben.
II. Steuerbelastung einer Beteiligung an einer GmbH 1. Beteiligung wird in einem BgA gehalten 181 Die Beteiligung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts an einer Kapitalgesellschaft wird grundsätzlich dem steuerlich unbeachtlichen Bereich der Vermögensverwaltung zugeordnet. Sie kann allerdings auch einem BgA als gewillkürtes Betriebsvermögen zugeordnet werden (vgl. Rz. 86). Unter Umständen kann die Beteiligung auch selbst einen BgA begründen. 182 Ist die Beteiligung einem BgA als gewillkürtes Betriebsvermögen zugeordnet, so gilt: Die GmbH versteuert ihren Gewinn mit 15 % (§ 23 Abs. 1 KStG) zzgl. Solidaritätszuschlag und Gewerbesteuer. Die GmbH hat bei Ausschüttung von Dividenden an den BgA Kapitalertragsteuer in Höhe von 25 % zzgl. Solidaritätszuschlag einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen270. Beim BgA werden die Dividenden im Ergebnis zu 5 % der Körperschaftsteuer unterworfen, § 8b Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 KStG. Der BgA ist nach h.M. gewerbesteuerpflichtig, wenn er mit Gewinnerzielungsabsicht geführt wird. Ist dies der Fall, unterliegen die Dividenden zu 100 % 270 Die Regelungen zum Kapitalertragsteuerabzug finden sich in verschiedenen Vorschriften des EStG: § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG ordnet an, dass von Dividenden Kapitalertragsteuer einzubehalten ist. § 43a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG bestimmt den Steuersatz in Höhe von 25 %. Dass die GmbH die Kapitalertragsteuer einzubehalten und abzuführen hat, ergibt sich aus § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG.
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Beinert/Kostic
§ 11
E. Steuerbelastungsvergleich: BgA oder GmbH?
der Gewerbesteuer, sofern nicht das sog. „Schachtelprivileg“ des § 9 Nr. 2a i.V.m. § 8 Nr. 5 GewStG eingreift, welches Dividendeneinkünfte ab einer Beteiligungshöhe von mindestens 15 % korrespondierend zur Körperschaftsteuer im Ergebnis zu 95 % von der Gewerbesteuer freistellt. Die von der GmbH einbehaltene Kapitalertragsteuer (samt Solidaritätszuschlag) wird dem BgA im Rahmen der Steuerfestsetzung angerechnet bzw. erstattet, so dass zwar ein Liquiditätsnachteil, aber kein Steuernachteil entsteht. Sofern der BgA die erhaltenen Dividenden nicht (zulässig) in eine Rücklage einstellt, fällt nach § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b EStG grundsätzlich Kapitalertragsteuer an271. Es ergibt sich folgende Rechnung: Voll„entnahme“
Rücklagenbildung
Thesaurierung
GmbH: Gewinn
100.000,00
100.000,00
100.000,00
./. GewSt (Hebesatz 400 %)
14.000,00
14.000,00
14.000,00
./. KSt (15 %)
15.000,00
15.000,00
15.000,00
825,00
825,00
825,00
= Bruttodividende
70.175,00
70.175,00
70.175,00
./. einbehaltene KapESt (25 %)
17.543,75
17.543,75
964,91
964,91
51.666,34
51.666,34
491,23
491,23
526,31
526,31
./. SolZ (5,5 %)
./. einbehaltener SolZ (5,5 %) Auszahlung an BgA BgA: ./. GewSt (Hebesatz 400 %)272 KSt (auf 5 %)
273
274
SolZ
+ Erstattung KapESt
28,95
28,95
17.017,44
17.017,44
271 Sofern eine der in Rz. 136 ff. genannten Fallgruppen vorliegt. 272 Es wird im Folgenden davon ausgegangen, dass das Schachtelprivileg des § 9 Nr. 2a i.V.m. § 8 Nr. 5 GewStG eingreift, so dass im Ergebnis lediglich 5 % der Bruttodividende (5 % x 70 175 = 3 508,75) steuerpflichtig sind, § 8b Abs. 5 KStG i.V.m. § 7 GewStG. 273 Steuerpflichtig sind im Ergebnis 5 % der Bruttodividende. Da die Körperschaftsteuer geringer ist als die bereits einbehaltene Kapitalertragsteuer, ist keine Körperschaftsteuer zu zahlen. Vielmehr kommt es zur Erstattung eines Teils der einbehaltenen Kapitalertragsteuer. 274 Da der Solidaritätszuschlag geringer ist als der bereits im Kapitalertragsteuerverfahren einbehaltene Solidaritätszuschlag, ist kein Solidaritätszuschlag zu zahlen. Vielmehr kommt es zur Erstattung eines Teils des einbehaltenen Solidaritätszuschlags. Beinert/Kostic
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§ 11
Steuerrecht
Voll„entnahme“ + Erstattung SolZ
Rücklagenbildung
935,96
935,96
= rücklagefähiger Gewinn
69.128,51
69.128,51
./. einbehaltene KapESt (15 %)275
10.369,28
./. einbehaltener SolZ (5,5 %) Auszahlung an jPöR Steuerbelastung
Thesaurierung
570,31 58.188,92 41,81 %
30,87 %
29,83 %
183 Wird durch das Halten der Beteiligung selbst ein BgA begründet (vgl. Rz. 41), so ist ebenfalls nach der angewandten Gewinnermittlungsmethode dieses (fiktiven) BgA zu unterscheiden. Im Falle eines Betriebsvermögensvergleichs gilt der Belastungsvergleich unter Rz. 182 entsprechend. Im Falle einer Einnahmen-Überschussrechnung fällt, sofern nicht die Umsatz- oder Gewinngrenze des § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b EStG überschritten wird, im Verhältnis zwischen BgA und Trägerkörperschaft keine Kapitalertragsteuer an. Die Steuerbelastung beträgt in diesem Fall lediglich 30,87 %. 2. Beteiligung wird im Hoheitsbereich gehalten 184 Die GmbH versteuert ihren Gewinn mit 15 % (§ 23 Abs. 1 KStG) zzgl. Solidaritätszuschlag und Gewerbesteuer. Die juristische Person des öffentlichen Rechts ist bezüglich der Dividenden beschränkt körperschaftsteuerpflichtig (§ 2 Nr. 2 KStG i.V.m. §§ 20 Abs. 1 Nr. 1, 43 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Von der GmbH wird Kapitalertragsteuer in Höhe von 15 % zzgl. Solidaritätszuschlag einbehalten und abgeführt (§ 43a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 44a Abs. 8 EStG)276. Die Körperschaftsteuerpflicht der juristischen Per-
275 Der Kapitalertragsteuerabzug wird in Höhe von 15 % vorgenommen, §§ 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b, 43 Abs. 1 Nr. 7 lit. c, 43 a Abs. 1 Nr. 2, 44 Abs. 6 EStG. Die Körperschaftsteuer gilt nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG durch den Abzug als abgegolten, vgl. BMF v. 11.9.2002 – IV A 2 - S 1910 - 194/02, BStBl. I 2002, 935 Rz. 4. 276 Nach § 43a Abs. 1 Nr. 1 EStG beträgt die Kapitalertragsteuer 25 %. Die Kapitalertragsteuer wird bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts als Gläubiger nach § 44a Abs. 8 Satz 1 EStG jedoch nur in Höhe von drei Fünfteln (im Ergebnis also in Höhe von 15 %) erhoben. Voraussetzung ist die Vorlage einer Nichtveranlagungsbescheinigung (§ 44a Abs. 8 Satz 3 EStG). Wird keine Nichtveranlagungsbescheinigung vorgelegt, kann die Kapitalertragsteuer letztlich nur noch im Wege der Billigkeit erstattet werden (OFD Chemnitz v. 4.2.2004 – S 2405 - 15/1 - St 21, DB 2004, 461). Bezieht die juristische Person des öffentlichen Rechts Dividenden aus Inhaberpapieren oder börsennotierten Namenspapieren einer AG, wird zunächst 25 % Kapitalertragsteuer abgeführt;
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Beinert/Kostic
§ 11
E. Steuerbelastungsvergleich: BgA oder GmbH?
son des öffentlichen Rechts ist mit dem Steuerabzug abgegolten (§ 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG). Es ergibt sich folgende Rechnung: Vollausschüttung
Thesaurierung
GmbH: Gewinn
100.000,00
100.000,00
./. GewSt (Hebesatz 400 %)
14.000,00
14.000,00
./. KSt (15 %)
15.000,00
15.000,00
825,00
825,00
= Bruttodividende
70.175,00
70.175,00
./. einbehaltene KapESt (15 %)
10.526,25
./. SolZ
./. einbehaltener SolZ (5,5 %) Auszahlung an jPöR Steuerbelastung
578,94 59.069,81 40,93 %
29,83 %
Die Berechnungen unter 1. und 2. zeigen, dass das Halten einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft im Hoheitsbereich vorteilhaft sein kann. In einer Verlustsituation kann sich dieses Ergebnis allerdings ins Gegenteil verkehren (vgl. Rz. 186 f.).
185
3. Verlustsituation Die Berechnung unter 1. geht davon aus, dass der BgA die Dividenden als 186 Gewinn vereinnahmt, d.h. sie nicht gegen anderweitige Verluste verrechnet. In der Praxis wird es demgegenüber häufig so sein, dass eine Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft in einen verlustbringenden BgA eingebracht wird. Es sind folgende Fallgruppen zu unterscheiden: – Stellen die Verluste des BgA verdeckte Gewinnausschüttungen dar, wird die Höhe der verdeckten Gewinnausschüttung eventuell nicht durch die Dividendenerträge gemindert (vgl. Rz. 113). – Handelt es sich bei der verlustbringenden Tätigkeit des BgA dagegen um ein (begünstigtes) Dauerverlustgeschäft i.S.v. § 8 Abs. 7 KStG, kommt es zur Erstattung der von der Kapitalgesellschaft einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragsteuer. § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b EStG findet keine Anwendung, da der BgA insgesamt keinen (ausschüttbaren) Gewinn erzielt.
anschließend kann eine Erstattung in Höhe von zwei Fünfteln im Sammelantragsverfahren nach § 44b Abs. 6 EStG beantragt werden, § 44a Abs. 8 Satz 2 EStG. Beinert/Kostic
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§ 11
Steuerrecht
– Wird die Beteiligung im Hoheitsbereich gehalten, kommt es zu einer definitiven Steuerbelastung in Höhe der durch die Kapitalgesellschaft einzubehaltenden Kapitalertragsteuer (§ 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG). 187 Die Einlage einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft in einen BgA, der ein begünstigtes Dauerverlustgeschäft betreibt, führt also zur Einsparung von Kapitalertragsteuer277. Zum Teil wird erwogen, ob ggf. § 42 AO (Gestaltungsmissbrauch) eingreift. Nach in der Literatur vertretener Auffassung muss wegen § 42 AO der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben, d.h. der Teilwert der Beteiligung dürfe im Vergleich zum Wert des Betriebsvermögens des BgA und die Dividenden dürften im Vergleich zum Jahresumsatz des BgA nicht völlig außer Verhältnis stehen278. Unseres Erachtens kann § 42 AO nur im Einzelfall greifen und nicht generell von einer Verhältnisrechnung abhängen.
F. Steuerlicher Querverbund 188 Im JStG 2009 hat der Gesetzgeber in § 4 Abs. 6 KStG normiert, unter welchen Voraussetzungen BgA zusammengefasst werden dürfen. Für Kapitalgesellschaften gilt nach § 8 Abs. 9 KStG eine sog. Spartentrennung, damit es nicht zu einer „automatischen“ Verlustverrechnung zwischen Gewinn- und Verlusttätigkeiten kommt, wenn diese in einer Kapitalgesellschaft oder in vergleichbaren Gestaltungen (z.B. Organschaftsfälle) zusammengefasst werden. Zu den Regelungen liegt ein umfangreiches Anwendungsschreiben des BMF279 vor („Anwendungsschreiben zu § 8 Abs. 7 KStG“), das aber auch einige Fragen unbeantwortet lässt.
I. Zusammenfassung von BgA 189 Nach § 4 Abs. 6 KStG kann ein BgA mit einem oder mehreren anderen BgA zusammengefasst werden, wenn – sie gleichartig sind (§ 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 KStG); – zwischen ihnen nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse objektiv eine enge wechselseitige technisch-wirtschaftliche Verflechtung von einigem Gewicht besteht (§ 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 KStG) oder
277 Kapitalertragsteuer kann auch eingespart werden, wenn die Beteiligung selbst zu einem BgA ausgestaltet wird, vorausgesetzt, die Dividenden übersteigen nicht die Grenzen des § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. b EStG, so dass bei Weitergabe der Mittel an die Trägerkörperschaft keine Kapitalertragsteuer anfällt (vgl. Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 164 (Dezember 2010)). 278 Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 156 (Dezember 2010) – allerdings noch zum Zeitraum bis zum Veranlagungszeitraum 2008. 279 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303.
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Beinert/Kostic
§ 11
F. Steuerlicher Querverbund
– Versorgungs- oder Verkehrsbetriebe vorliegen (§ 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 KStG). Mit einem Hoheitsbetrieb kann ein BgA nicht zusammengefasst werden 190 (§ 4 Abs. 6 Satz 2 KStG). Die Frage, nach welcher Vorschrift BgA zusammengefasst werden, spielt bei der Verlustnutzung eine maßgebende Rolle (vgl. Rz. 206 ff.). Wegen der sog. Spartentrennung spielt sie auch bei Kapitalgesellschaften eine entscheidende Rolle (vgl. Rz. 211 ff.). § 4 Abs. 6 KStG ist nach § 34 Abs. 1 KStG erstmals für den Veranlagungs- 191 zeitraum 2009 anzuwenden. Zunächst wurde teilweise gerügt, es läge eine Neubeihilfe i.S.v. Art. 108 Abs. 3 AEUV vor280. Erstinstanzliche Rechtsprechung und Literatur lehnen dies jedoch überwiegend ab: Bereits im Urteil des BFH v. 20.3.1956281 sei gesagt worden, dass nur gleichartige BgA oder solche mit enger wechselseitiger technisch-wirtschaftlicher Verknüpfung zusammengefasst werden können282. Da die Finanzverwaltung dieses Rechtsverständnis am 1.1.1958, also zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des EWG-Vertrags, anwandte, liegt in dessen gesetzlicher Festschreibung keine Neubeihilfe (vgl. Rz. 97). Einer Zusammenfassung bedarf es nicht, wenn bereits nur eine Einrichtung – und damit nur ein BgA – vorliegt283. Werden z.B. die kommunalen Bäder durch ein Bäderamt einheitlich verwaltet, bilden sie einen BgA284.
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1. Gleichartige BgA (§ 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 KStG) Gleichartige BgA können nach § 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 KStG mit steuerlicher Wirkung zu einem BgA zusammengefasst werden. Im Anwendungsschreiben zu § 8 Abs. 7 KStG wird der Begriff der Gleichartigkeit nicht näher erläutert. Nach unseres Erachtens zutreffender Auffassung sind Betätigungen gleichartig, wenn sie im gleichen Gewerbezweig ausgeübt werden oder wenn sie sich zwar unterscheiden, aber einander ergänzen285.
280 Erhard in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 4 KStG Rz. 101 (April 2011). 281 BFH v. 20.3.1956 – 317/55 U, BStBl. III 1956, 166. 282 FG Köln v. 9.3.2010 – 13 K 3181/05, EFG 2010, 1345. Vgl. aus dem Schrifttum u.a. Weitemeyer, FR 2009, 1 (15); Hüttemann, FR 2009, 308; Müller-Gatermann, FR 2009, 314 (320); Meier/Semelka in Hermann/Heuer/Raupach, EStG/ KStG, § 4 KStG Rz. 80 (September 2010); Bott in Ernst & Young, KStG, § 8 Rz. 1405 (Februar 2011). 283 Vgl. Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 113 (Dezember 2010); Eckerle/Hofstetter, VW 2011, 93 (95). 284 Vgl. auch die Beispiele in BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 2, 8. 285 BFH v. 11.2.1997 – I R 161/94, BFH/NV 1997, 625; v. 4.9.2002 – I R 42/01, BFH/NV 2003, 511; Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 115 (Dezember 2010); Bott in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz. 147 (Mai 2011). Beinert/Kostic
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Steuerrecht
2. Enge wechselseitige technisch-wirtschaftliche Verflechtung (§ 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 KStG) 194 Nicht gleichartige BgA können nach § 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 KStG mit steuerlicher Wirkung zu einem BgA zusammengefasst werden, „wenn zwischen diesen Betrieben nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse objektiv eine enge wechselseitige technisch-wirtschaftliche Verflechtung von einigem Gewicht besteht“. Der Begriff der engen wechselseitigen technisch-wirtschaftlichen Verflechtung wird im Anwendungsschreiben zu § 8 Abs. 7 KStG nicht näher erläutert. Nach der Rechtsprechung hängt das Vorliegen einer solchen Verflechtung im jeweiligen Einzelfall von dem Gesamtbild der Verhältnisse ab. Auch wenn kein notwendiger Funktionszusammenhang in der Weise erforderlich sei, dass die BgA in ihrer Betätigung gegenseitig aufeinander angewiesen seien, bedürfe es eines wirtschaftlichen Zusammenhangs, der nach der Verkehrsanschauung die Zusammenfassung zu einer wirtschaftlichen Einheit rechtfertige286. Von dieser Begrifflichkeit ist auszugehen. 195 Darüber hinaus muss die enge wechselseitige technisch-wirtschaftliche Verflechtung von einigem Gewicht sein. Vorgaben, wie dies zu prüfen ist, enthält das Anwendungsschreiben zu § 8 Abs. 7 KStG nicht. Die Diskussion um dieses Merkmal zeigt sich besonders an dem gängigen Fall einer engen wechselseitigen technisch-wirtschaftlichen Verflechtung, dem Blockheizkraftwerk (BHKW). Ein BHKW hat eine Doppelfunktion. Es erzeugt Wärme, z.B. für einen Bäderbetrieb, und Strom – insoweit stellt es isoliert betrachtet einen Versorgungsbetrieb dar oder ist Teil eines Versorgungsbetriebs. Zwischen dem Versorgungsbetrieb und dem Bäderbetrieb kann daher eine Verflechtung i.S.v. § 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 KStG vorliegen287. Diese Verflechtung muss jedoch gemäß § 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 KStG von einigem Gewicht sein. Im Schrifttum wird zum Teil verlangt, dass das BHKW den überwiegenden Anteil des Wärmebedarfs des Bades deckt und der Wert des erzeugten Stroms wirtschaftlich von Bedeutung ist288. In einigen Bundesländern wird dem Vernehmen nach zur Beurteilung der engen wechselseitigen technisch-wirtschaftlichen Verflechtung eine Vergleichsberechnung zwischen dem wirtschaftlichen Vorteil der BHKW-Lösung und dem steuerlichen Vorteil der Einbeziehung des Bäderbetriebs in den Querverbund vorgenommen. Nur wenn der wirtschaftliche Vorteil über einen Zeitraum von fünf Jahren mindestens 10 % des
286 BFH v. 20.3.1956 – I 317/55 U, BStBl. III 1956, 166; v. 19.5.1967 – III S 50/61, BStBl. III 1967, 510; v. 4.9.2002 – I R 42/01, BFH/NV 2003, 511. Eine Auflistung anerkannter Fälle der engen wechselseitigen technisch-wirtschaftlichen Verflechtung aus Rechtsprechung und Finanzverwaltung findet sich bei Eckerle/Hofstetter, VW 2011, 93 (96). 287 BFH v. 16.1.1967 – GrS 4/66, BStBl. III 1967, 240; BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303, Rz. 7 f. 288 Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 125 (Dezember 2010).
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F. Steuerlicher Querverbund
steuerlichen Vorteils ausmache, sei die Verflechtung anzuerkennen289. Da es jeweils auf die Verhältnisse im Einzelfall ankommt290, sind verallgemeinernde Aussagen unseres Erachtens nicht möglich. 3. Versorgungs- und Verkehrsbetriebe (§ 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 KStG) Gleichartige BgA können nach § 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 KStG zusammenge- 196 fasst werden. Nach Auffassung der Finanzverwaltung sind Versorgungsbetriebe untereinander gleichartig. Gleichartig sind unseres Erachtens auch Verkehrsbetriebe, z.B. ein Straßenbahn- und ein Bus-VerkehrsBgA291. Umstritten ist dagegen die Gleichartigkeit von Versorgungs- und Verkehrsbetrieben. Während die Rechtsprechung Versorgungs- und Verkehrsbetriebe als gleichartig erachtet, da sie trotz ihrer Verschiedenheit der Versorgung der Bevölkerung dienen292, erkennt die Finanzverwaltung die Zusammenfassung von Versorgungs- und Verkehrsbetrieben wegen Gleichartigkeit nicht an293. Ungeachtet des Bestehens oder Nichtbestehens von Gleichartigkeit kön- 197 nen Versorgungs- und Verkehrsbetriebe nach § 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 KStG zusammengefasst werden. Die Frage nach der Gleichartigkeit ist deshalb aber nicht obsolet. Denn zum einen ergeben sich Auswirkungen beim Verlustabzug (vgl. Rz. 206 ff.), zum anderen im Falle einer Kapitalgesellschaft, die eine neue Tätigkeit aufnimmt (vgl. Rz. 211 ff.). Das Anwendungsschreiben zu § 8 Abs. 7 KStG enthält Erläuterungen 198 zum Begriff des „Versorgungsbetriebs“294. Danach werden alle Wertschöpfungsstufen (Erzeugung, Transport und Handel bzw. Vertrieb) erfasst. Es reicht aus, wenn der BgA mindestens eine der Wertschöpfungsstufen erfasst. Eine Definition des Verkehrsbetriebs enthält das Anwendungsschreiben zu § 8 Abs. 7 KStG dagegen nicht. Im Schrifttum wird unseres Erachtens zu Recht vorgeschlagen, jede Tätigkeit, die dem öffentlichen Verkehr dient, genügen zu lassen295.
289 Bracksiek, FR 2010, 859 (861). 290 So Pinkos, DStZ 2010, 96 (98). 291 Vgl. das Beispiel in BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 64; vgl. auch Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 132 (Dezember 2010). 292 Vgl. BFH v. 12.7.1967 – I 267/63, BStBl. III 1967, 679; v. 8.11.1989 – I R 187/85, BStBl. II 1990, 242; v. 4.9.2002 – I R 42/01, BFH/NV 2003, 511. Zustimmend Weitemeyer, FR 2009, 1 (3); Meyer in Mann/Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 2, 3. Aufl. 2011, § 49 Rz. 102. 293 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 4. 294 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 9 ff. 295 Eckerle/Hofstetter, VW 2011, 93 (96). Beinert/Kostic
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4. Kettenzusammenfassung 200 Sind BgA mit steuerlicher Wirkung zusammengefasst worden, so kann dieser (zusammengefasste) BgA mit einem weiteren, gegebenenfalls auch zusammengefassten, BgA weiter zusammengefasst werden. Dabei reicht es aus, wenn die Zusammenfassungsvoraussetzungen nur zwischen diesem BgA und einem der „BgA“ des zusammengefassten BgA vorliegen (sog. „Mitschlepptheorie“)296. Dabei gilt nach Auffassung der Finanzverwaltung Folgendes: 201 Beruht die Zusammenfassung des zusammengefassten BgA mit einem weiteren BgA auf Gleichartigkeit (§ 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 KStG), setzt dies nach Auffassung der Finanzverwaltung voraus, dass beide BgA (also der zusammengefasste BgA und der weitere BgA) als gleichartig anzusehen sind297. Unklar ist, ob die Gleichartigkeit nach Auffassung der Finanzverwaltung zu einer Tätigkeit bestehen muss, die dem zusammengefassten BgA das Gepräge gegeben hat298. 202 Beruht die Zusammenfassung des zusammengefassten BgA mit einem weiteren BgA auf enger wechselseitiger technisch-wirtschaftlicher Verflechtung (§ 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 KStG), muss die Voraussetzung „von einigem Gewicht“ (vgl. Rz. 195) im Verhältnis des weiteren BgA zum zusammengefassten BgA vorliegen299. 203 Beruht die Zusammenfassung des zusammengefassten BgA mit einem weiteren BgA auf der Tatsache, dass beide Versorgungs- oder Verkehrsbetriebe sind (§ 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 KStG), muss der zusammengefasste BgA von dem Tätigkeitsbereich als Versorgungs- oder Verkehrsbetrieb ge-
296 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 5. Zustimmend Leippe, DStZ 2010, 106; Pinkos, DStZ 2010, 96 (98); Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 134 (Dezember 2010). Nach a.A. geht dies zu weit, da so die gesetzlichen Voraussetzungen des § 4 Abs. 6 Satz 1 KStG nicht mehr erfüllt würden, vgl. Bracksiek, FR 2009, 15 (16); Schiffers, GmbH-StB 2009, 67 (68); Erhard in Blümich, EStG/KStG/ GewStG, § 4 KStG Rz. 102 (April 2011). 297 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 6. 298 Sollte das Gepräge erforderlich sein, würde es z.B. bei einem durch ein Blockheizkraftwerk (BHKW) zusammengefassten Bäder- und Versorgungsbetrieb, der mit einem neuen, räumlich getrennten Bad zusammengefasst werden soll, davon abhängen, ob die Bäder dem zusammengefassten BgA das Gepräge geben. Wenn ja, könnte das weitere Bad einbezogen werden, vgl. Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 134 (Dezember 2010). Weitergehend demgegenüber aber Pinkos, DStZ 2010, 96 (103), nach dem ein zusammengefasster ÖPNV-Versorgungsbetrieb (Busverkehr, Stromversorgung), der eine weitere Verkehrs-(Straßenbahn) und Versorgungstätigkeit (Gasversorgung) aufnimmt, als gleichartig anzusehen sei, da sich der Charakter als integrierter Versorgungs-/Verkehrsbetrieb nicht ändere. 299 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 5.
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prägt sein300. Unklar ist, wann von einer Prägung gesprochen werden kann. Nach einer im Schrifttum geäußerten Auffassung setzt dies ein „Dominieren“ und nicht bloß ein „Überwiegen“ voraus301. Unseres Erachtens sollten an die Prägung keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Als mögliche Kriterien kommen unseres Erachtens z.B. das Verhältnis der Umsätze oder des Anlagevermögens oder die Anzahl der Arbeitnehmer in Betracht. 5. Besonderheiten bei Verpachtungs-BgA Sollen Verpachtungs-BgA i.S.v. § 4 Abs. 4 KStG untereinander oder mit 204 anderen BgA zusammengefasst werden, so kommt es für das Vorliegen der Zusammenfassungsvoraussetzungen nicht auf die Verpachtungstätigkeit, sondern auf die Tätigkeit des Pächters an302. Unklar ist, ob die frühere Auffassung der Finanzverwaltung, bei Verpachtungs-BgA komme eine Zusammenfassung nur bei Gleichartigkeit in Betracht303, weiter aufrecht erhalten bleibt. Das Anwendungsschreiben zu § 8 Abs. 7 KStG ist insoweit nicht eindeutig. Unseres Erachtens können Verpachtungsbetriebe untereinander oder Verpachtungsbetriebe mit selbst bewirtschafteten Betrieben nicht nur dann zusammengefasst werden, wenn sie gleichartig sind, sondern auch bei enger wechselseitiger technisch-wirtschaftlicher Verflechtung (§ 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 KStG) oder als Versorgungs- oder Verkehrsbetriebe (§ 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 KStG)304. 6. Durchführung der Zusammenfassung Die juristische Person des öffentlichen Rechts hat ein Wahlrecht, ob und 205 ggf. in welchem Umfang sie BgA nach den Grundsätzen des § 4 Abs. 6 KStG zusammenfassen oder eine bestehende Zusammenfassung beibehalten will305. Die Ausübung des Wahlrechts setzt keine organisatorische
300 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 6. Wenn z.B. ein durch ein Blockheizkraftwerk (BHKW) zusammengefasster Bäder- und Versorgungsbetrieb mit einem Verkehrsbetrieb zusammengefasst werden soll, hängt es davon ab, ob die Bäder dem zusammengefassten BgA das Gepräge gegeben haben. Wenn ja, ist die weitere Einbeziehung des Verkehrsbetriebs nicht möglich. 301 Vgl. Pinkos, DStZ 2010, 96 (98 f.). 302 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 16. 303 H 7 „Zusammenfassung von Betrieben gewerblicher Art“ KStH 2008. Zweifelnd auch Meyer in Mann/Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 2, 3. Aufl. 2011, § 49 Rz. 114. 304 Vgl. Mai in Frotscher/Maas, KStG/GewStG/UmwStG, § 4 KStG Rz. 31 (August 2009); Pinkos, DStZ 2010, 96 (99). A.A. Baldauf, DStZ 2010, 523 (528); Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 142 (Dezember 2010). 305 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 1. Beinert/Kostic
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Zusammenfassung voraus306. Es können daher auch solche BgA zusammengefasst werden, die z.B. von verschiedenen Ämtern verwaltet werden. Ausreichend, aber auch erforderlich, ist die Ermittlung des steuerlichen Gewinns für den zusammengefassten BgA307. 7. Verlustnutzung bei zusammengefassten BgA 206 § 8 Abs. 8 KStG regelt, in welchem Umfang im Falle einer nach § 4 Abs. 6 KStG zulässigen Zusammenfassung von BgA ein Verlustabzug möglich ist. 207 Den Regelungen in § 8 Abs. 8 Sätze 2–4 KStG liegt der Grundsatz zugrunde, dass in einem bestimmten BgA erwirtschaftete Verluste grundsätzlich nur von diesem BgA genutzt werden können. Bei einer Zusammenfassung von BgA kommt es zu einer betriebsbezogenen „Einkapselung“ und „Reservierung“ bestehender Verluste. Dies bedeutet im Einzelnen: Nach § 8 Abs. 8 Satz 2 KStG können Verluste der einzelnen BgA aus der Zeit vor der Zusammenfassung nicht beim zusammengefassten BgA abgezogen werden. Ein bei einem BgA vor der Zusammenfassung festgestellter Verlustvortrag kann nur von den Einkünften abgezogen werden, die der BgA nach seinem Ausscheiden aus dem zusammengefassten BgA erzielt (§ 8 Abs. 8 Satz 4 KStG)308. 208 Nach § 8 Abs. 8 Satz 3 KStG ist ein Rücktrag von Verlusten des zusammengefassten BgA auf die einzelnen BgA vor der Zusammenfassung nicht zulässig. 209 Diese Einschränkungen des § 8 Abs. 8 Sätze 2–4 KStG gelten nicht, wenn gleichartige BgA (§ 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 KStG) zusammengefasst werden, § 8 Abs. 8 Satz 5 KStG. Deswegen kommt der Frage, auf welcher Vor-
306 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 1. A.A. Schiffers, GmbH-StB 2009, 67 (68), der das Erfordernis einer organisatorischen Zusammenfassung aus der Formulierung „zusammengefasst werden“ in § 4 Abs. 6 Satz 1 KStG entnimmt. 307 Vgl. BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 3. 308 Vgl. OFD Niedersachsen v. 27.4.2012 – S 2706 – 341 – St 241; KSt-Kartei ND § 4 KStG Karte A9. Zur Frage, wie die bei Ausscheiden eines Betriebs aus einem zusammengefassten BgA (oder nach Beendigung der Zusammenfassung insgesamt) noch nicht abgezogenen Verluste des zusammengefassten BgA verwertet werden können vgl. BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 64: Die Regelungen für die Verlustnutzung gelten entsprechend, d.h. die Verluste aus dem zusammengefassten BgA werden eingefroren und können nach Beendigung der Zusammenfassung erst dann wieder genutzt werden, wenn es zu einer erneuten entsprechenden Zusammenfassung kommt. Aus dem Schrifttum vgl. u.a. Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 8 Abs. 8 KStG Rz. 8 (März 2010); Meier/Semelka in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8 KStG Rz. 558 (Dezember 2010); Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/GewStG/UmwStG, § 8 KStG Rz. 267 (Januar 2011).
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schrift eine Zusammenfassung beruht (vgl. Rz. 193 ff.), in der Praxis erhebliche Bedeutung zu. Vor dem Hintergrund, dass die Einschränkungen zur Verlustnutzung bei 210 der Zusammenfassung gleichartiger BgA nicht gelten, ist nach Auffassung der Finanzverwaltung auch die Erweiterung des Tätigkeitsbereichs eines BgA unschädlich, wenn es sich bei der neuen Tätigkeit um eine gleichartige Tätigkeit handelt (z.B. Erweiterung eines U-Bahn-Betriebs um Straßenbahnen)309. Handelt es sich bei der neuen Tätigkeit dagegen um eine Tätigkeit, die „nur“ aufgrund der § 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 und 3 KStG mit der bisherigen Tätigkeit des BgA zusammengefasst werden kann, ist eine Neubildung des BgA durch Zusammenfassung gegeben. Die zuvor angefallenen Verluste werden „eingefroren“ und können in den Folgejahren von dem neuen BgA nicht genutzt werden310.
II. Zusammenfassung in einer Kapitalgesellschaft § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 KStG bestimmt, dass bei Dauerverlustgeschäften 211 einer Kapitalgesellschaft die Rechtsfolgen einer verdeckten Gewinnausschüttung nicht zu ziehen sind, wenn die Mehrheit der Stimmrechte bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts liegt und ausschließlich juristische Personen des öffentlichen Rechts die Verluste tragen. Hierdurch können sich erhebliche Verlustvorträge aufbauen. Damit es 212 nicht zu Verlustverrechnungen zwischen Gewinn- und Verlusttätigkeiten kommt, die im Falle ihrer Ausübung in der „Rechtsform“ von BgA nicht zusammengefasst werden könnten, sieht § 8 Abs. 9 KStG für Kapitalgesellschaften mit begünstigten Dauerverlustgeschäften i.S.v. § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 KStG eine sog. Spartentrennung vor. Verlustausgleich und -abzug sind nur innerhalb der jeweiligen Sparte möglich; ein spartenübergreifender Verlustausgleich oder -abzug ist ausgeschlossen. 1. Grundsätze zur Spartentrennung 213
Nach § 8 Abs. 9 KStG sind folgende Sparten zu bilden: – Dauerdefizitäre Tätigkeiten der Kapitalgesellschaft, die bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu einem Hoheitsbetrieb gehören (sog. „hoheitliche Dauerverlustgeschäfte“), sind einer gesonderten Sparte zuzuordnen. Verschiedene hoheitliche Dauerverlustgeschäfte
309 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 64. 310 Vgl. Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/GewStG/UmwStG, § 8 KStG Rz. 265 (Januar 2011) für die Fallgruppe der engen wechselseitigen technisch-wirtschaftlichen Verflechtung. Beinert/Kostic
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(z.B. Abfallentsorgung und Abwasserbeseitigung) bilden dabei jeweils gesonderte Sparten311. – Tätigkeiten, die nach § 4 Abs. 6 Satz 1 KStG zusammenfassbar sind oder sonstige begünstigte Dauerverlustgeschäfte sind jeweils gesonderten Sparten zuzuordnen, wobei zusammenfassbare Tätigkeiten jeweils eine einheitliche Sparte bilden. So hat z.B. eine Kapitalgesellschaft, die Bäder sowie einen Versorgungsbetrieb unterhält, der mit den Bädern nicht (technisch-wirtschaftlich) verflochten ist, zwei Sparten: die (wegen Gleichartigkeit zusammenfassbaren) Bäder sowie den Versorgungsbetrieb312. Sofern verschiedene Möglichkeiten der Zusammenfassung nach § 4 Abs. 6 Satz 1 KStG bestehen313, kann die Kapitalgesellschaft unseres Erachtens wählen, welche Zusammenfassungsmöglichkeit sie der Spartenrechnung zugrunde legt314. – Alle übrigen Tätigkeiten sind einer einheitlichen Sparte zuzuordnen („übrige Sparte“). Diese Sparte umfasst auch etwaige dauerdefizitäre Tätigkeiten, die kein Dauerverlustgeschäft sind und daher nicht von § 8 Abs. 7 KStG begünstigt sind. Insoweit wird keine Ergebnisverrechnung ermöglicht, da verdeckte Gewinnausschüttungen in Höhe der jeweiligen Verluste anzusetzen sind. 214 Hilfsgeschäfte (wie z.B. die Veräußerung von Betriebsvermögen) und Nebengeschäfte von untergeordneter Bedeutung teilen das Schicksal der Haupttätigkeit315.
311 Vgl. u.a. Dötsch/Pung/Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 8 Abs. 9 KStG Rz. 7 (Juni 2011). 312 Vgl. (auch zu weiteren Einzelheiten) Dötsch/Pung/Krämer in Dötsch/Jost/ Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 8 Abs. 9 KStG Rz. 8 f. (Juni 2011). 313 Wenn z.B. die Kapitalgesellschaft zwei Bäder (Bad A und Bad B) und einen Versorgungsbetrieb unterhält und nur zwischen einem der beiden Bäder (dem Bad A) und dem Versorgungsbetrieb eine enge wechselseitige technisch-wirtschaftliche Verflechtung besteht, kann die Kapitalgesellschaft entweder die beiden Bäder (wegen Gleichartigkeit nach § 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 KStG) zusammenfassen und den Versorgungsbetrieb als eigenständige Sparte führen oder das Bad A mit dem Versorgungsbetrieb (wegen enger wechselseitiger technisch-wirtschaftlicher Verflechtung nach § 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 KStG) zusammenfassen und das Bad B als eigenständige Sparte führen, vgl. Dötsch/Pung/ Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 8 Abs. 9 KStG Rz. 5 (Juni 2011). 314 So auch Bracksiek, FR 2009, 15 (21); Bott in Ernst & Young, KStG, § 8 Rz. 1569 (Februar 2011). A.A. (größtmögliche Zusammenfassung) Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/GewStG/UmwStG, § 8 KStG Rz. 271 (Januar 2011); Rengers in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 8 KStG Rz. 1137 (April 2011). Unklar Dötsch/Pung/Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 8 Abs. 9 KStG Rz. 5, 9 (Juni 2011). 315 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 76.
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Während BgA nach § 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 bis 3 KStG zusammengefasst 215 werden können, aber nicht müssen (vgl. Rz. 205), sind bei einer Kapitalgesellschaft316 die oben beschriebenen Grundsätze der Spartentrennung zwingend zu beachten. Ein Wahlrecht besteht insoweit nicht317. 2. Veränderungen im Tätigkeitsumfang Die Anzahl der Sparten ist nicht festgeschrieben, sondern verändert sich ggf., wenn sich die Tätigkeiten der Kapitalgesellschaft ändern.
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Dabei werden bei jeder Sparte – abgesehen vom Hinzukommen oder der 217 Aufgabe gleichartiger Tätigkeiten – die zum Zeitpunkt der Aufnahme der jeweiligen Tätigkeit vorliegenden Verhältnisse festgeschrieben. Nimmt die Kapitalgesellschaft eine weitere Tätigkeit auf, die (nur) nach § 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 oder 3 KStG mit einer bereits bestehenden Sparte zusammenfassbar ist, mit der bereits bestehenden Sparte also nicht gleichartig ist, so führt dies nach § 8 Abs. 9 Satz 3 KStG nicht etwa zur Fortführung der erweiterten Sparte, sondern zur Entstehung einer neuen Sparte318. Dies hat Auswirkungen auf etwaige Verlustvorträge. Der für die wegfallende Sparte festgestellte Verlustvortrag kann von der neuen Sparte nicht genutzt werden. Er wird vielmehr „eingefroren“ und ist erst dann wieder nutzbar, wenn es künftig wieder zu einer Tätigkeitsstruktur kommt, die der Sparte entspricht, die den Verlust verursacht hat319. Wird dagegen zu einer bestehenden Sparte eine gleichartige Tätigkeit (§ 4 218 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 KStG) aufgenommen oder fällt eine solche weg, wird die nämliche Sparte in ihrer veränderten Form fortgeführt320, d.h. der Verlustvortrag bleibt nutzbar. Dementsprechend kommt der Frage, ob der Zusammenfassungsgrund „Gleichartigkeit“ vorliegt, eine erhebliche Bedeutung zu.
316 Sofern die Voraussetzungen des § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 KStG erfüllt sind (vgl. Rz. 114 ff.). 317 Vgl. BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 68. 318 Vgl. u.a. Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 8 Abs. 9 KStG Rz. 20 (Juni 2011). Wenn z.B. eine Kapitalgesellschaft einen Verkehrsbetrieb unterhält und einen Versorgungsbetrieb hinzu erwirbt, bilden diese wegen ihrer Zusammenfassbarkeit nach § 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 KStG zwingend eine Sparte. Da die neu aufgenommene Tätigkeit mit der früheren Tätigkeit nicht gleichartig ist, entsteht durch die (zwingende) Zusammenfassung eine neue Sparte. 319 Vgl. BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 75. Kritisch für den Fall, dass stille Reserven in Wirtschaftsgütern gehoben werden, die zur „alten“ Sparte gehörten (diese Gewinne sollten durch die „alten“ Verlustvorträge neutralisiert werden können) Leippe, DStZ 2010, 106 (115); Meier/Semelka in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8 KStG Rz. 552 (Dezember 2010). 320 Vgl. BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 73. Beinert/Kostic
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219 Veränderungen bei der übrigen Sparte sind grundsätzlich unerheblich, d.h. die Sparte wird schlicht in veränderter Form fortgeführt321. 3. Ergebnisermittlung 220 Für jede der Sparten wird der Gesamtbetrag der Einkünfte getrennt ermittelt (§ 8 Abs. 9 Satz 2 KStG). In die Steuerveranlagung der Kapitalgesellschaft gehen als Summe nur die Ergebnisse derjenigen Sparten ein, die jeweils einen positiven Gesamtbetrag der Einkünfte erzielt haben322. 221 Für die Ermittlung der Spartenergebnisse sind die Wirtschaftsgüter bzw. Geschäftsvorfälle sowie die Kosten (wie z.B. allgemeine Verwaltungsund Servicekosten) den einzelnen Sparten in sachgerechter Weise rechnerisch zuzuordnen323. Einer eigenen Buchführung bedarf es hierfür nicht324. In der Praxis ergeben sich Zuordnungsprobleme, insbesondere im Hinblick auf die Zuordnung von „neutralen“ Wirtschaftsgütern, wie Finanzmitteln, oder Overhead- und Gemeinkosten. Die Finanzverwaltung fordert für die Overhead- und Gemeinkosten eine „sachgerechte“ Zuordnung325. 222 Die spartenweise Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte wird in Bezug auf die Verlustverrechnung fortgesetzt. Verlustrück- oder -vortrag ist nur innerhalb der jeweiligen Sparte möglich326. 223 Die Zinsschranke des § 4h EStG ist ebenfalls spartenbezogen zu ermitteln, d.h., dass die nicht abziehbaren Zinsen sachgerecht den einzelnen Sparten zugeordnet werden müssen327.
321 Vgl. BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 74. Vgl. u.a. auch Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 8 Abs. 9 KStG Rz. 25 (Juni 2011) zur Frage, was gilt, wenn zu der übrigen Sparte ein Dauerverlustgeschäft zählt oder ein Dauerverlustgeschäft hinzu kommt. 322 Vgl. BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 88. 323 Vgl. BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 80, 83. 324 Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 8 Abs. 9 KStG Rz. 16 (Juni 2011). 325 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 80, 83. OFD Nds. v. 12.1.2012 – S 2706-219-St 241, S 7100-801-St 171, KSt-Kartei ND § 4 KStG Karte E 5, lässt bei Bädern „z.B.“ nutzerabhängige oder zeitabhängige Aufteilungsschlüssel für die Kosten zu. 326 Die betragsmäßigen Beschränkungen für Verlustrück- und -vortrag von 511 500 Euro bzw. 1 Mio. Euro gelten für jede Sparte, vgl. BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 88. 327 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 85. Zur Frage, was „sachgerecht“ sein könnte, vgl. u.a. Meier/Semelka in Herrmann/ Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8 KStG Rz. 578 (Dezember 2010).
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III. Zusammenfassung mittels Organschaft Zur steuerlichen Ergebnisverrechnung kommen auch Organschafts- 224 modelle in Betracht, sofern die aus einem Ergebnisabführungsvertrag (EAV) resultierende Verlustübernahmeverpflichtung nicht gegen Grundsätze des kommunalen Haushaltsrechts verstößt328. Dabei sind insbesondere folgende Modelle denkbar: Eine verlustbringende GmbH wird direkt mit einer gewinnerzielenden GmbH organschaftlich verbunden (Mutter-/ Tochterverhältnis). Alternativ werden die verlustbringende GmbH und die gewinnerzielende GmbH indirekt über eine gemeinsame Holding, die als Organträger fungiert, verbunden (Schwesternverhältnis).
Bei einer Organschaft wird das Ergebnis der Organgesellschaft beim Or- 225 ganträger erfasst (§ 14 KStG), was eine Verlustverrechnung ermöglicht329. Eine Organschaft setzt zum einen die finanzielle Eingliederung der Organgesellschaft in den Organträger und zum anderen einen EAV sowie dessen tatsächliche Durchführung voraus. Die finanzielle Eingliederung bedingt, dass der Organträger die Mehrheit 226 der Stimmrechte an der Organgesellschaft hat (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG). Zudem hat der Organträger aufgrund des EAV die Verluste vollumfänglich zu tragen. Damit sind auch die Voraussetzungen des § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 KStG erfüllt, so dass sichergestellt ist, dass bei Vorliegen eines begünstigten Dauerverlustgeschäfts die Verluste der Organgesellschaft verrechnet werden können330.
328 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 90 ff. 329 Zu weiteren mit einer Organschaft verbundenen Vorteilen, wie etwa der Vermeidung von § 8b Abs. 5 KStG, vgl. Dötsch/Witt in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 14 KStG Rz. 31 ff. (Oktober 2008). 330 Eversberg, DStZ 2012, 278 (282). Beinert/Kostic
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1. BgA als Organträger 227 Eine Organschaft kann auch unmittelbar mit der juristischen Person des öffentlichen Rechts errichtet werden. Ein BgA kann Organträger (nicht aber Organgesellschaft) sein. Etwas anderes gilt allerdings, wenn der BgA dauerdefizitär ist. Ein Dauerverlust-BgA kann kein Organträger sein331, weil er kein dafür erforderliches gewerbliches Unternehmen unterhält (§ 14 Abs. 1 KStG)332. Es fehlt an einer positiven Totalgewinnprognose333. 228 Es stellt sich die Frage, ob bei der Totalgewinnprognose allein auf das Ergebnis der eigenen Geschäftstätigkeit des BgA abzustellen ist oder ob auch Erträge aus Beteiligungen einzubeziehen sind. Dies hängt davon ab, ob die Beteiligung zum notwendigen oder zum gewillkürten Betriebsvermögen des BgA gehört. Erträge aus einer Beteiligung, die zum notwendigen Betriebsvermögen gehört (z.B. Fallgruppe einer Betriebsaufspaltung), sind bei der Totalgewinnprognose zu berücksichtigen334. Noch nicht endgültig geklärt ist, ob dies auch dann gilt, wenn der BgA überhaupt erst durch die Beteiligung an der Organgesellschaft ein gewerbliches Unternehmen begründet335. Erträge aus einer Beteiligung, die zum gewillkürten Betriebsvermögen gehört, können nach Auffassung des FG Düsseldorf bei der Totalgewinnprognose dagegen nicht berücksichtigt werden336.
331 BFH v. 2.9.2009 – I R 20/09, BFH/NV 2010, 391; BMF v. 26.8.2003 – IV A 2 - S 2770 - 18/03, BStBl. I 2003, 437 Rz. 5; v. 12.11.2009 – IV C 7 – S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 94; A.A. Olbing in Streck, KStG, 7. Aufl. 2008, § 14 Rz. 7; Walter in Ernst & Young, KStG, § 14 Rz. 194 (Mai 2011) mit der Begründung, § 4 KStG beschränke als lex specialis zu § 15 Abs. 2 EStG das Erfordernis der Gewinnerzielungsabsicht. 332 Auch ein Verpachtungsbetrieb kann nicht Organträger sein. Er ist zwar qua Fiktion des § 4 Abs. 4 KStG BgA, erfüllt aber nicht die Voraussetzungen eines gewerblichen Unternehmens i.S.v. § 2 Abs. 1 GewStG, vgl. Eversberg, DStZ 2012, 278 (289). 333 Vgl. Kolbe in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 14 KStG Rz. 58 (Mai 2006); Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/GewStG/UmwStG, § 14 KStG Rz. 89 (August 2011). 334 Vgl. zur Betriebsaufspaltung BFH v. 2.9.2009 – I R 20/09, BFH/NV 2010, 391. Weitergehend auch für andere Fallgruppen notwendigen Betriebsvermögens Eversberg, DStZ 2012, 278 (281). 335 Nach FG Düsseldorf v. 29.6.2010 – 6 K 2990/07 K, EFG 2010, 1732, muss der BgA bereits vor der Begründung der Organschaft durch die Beteiligung an der Kapitalgesellschaft ein gewerbliches Unternehmen unterhalten. Vgl. zum Urteil des FG Düsseldorf Eversberg, DStZ 2012, 278 (281). 336 FG Düsseldorf v. 29.6.2010 – 6 K 2990/07 K, EFG 2010, 1732. Die hiergegen eingelegte Revision wurde aus formalen Gründen als unzulässig verworfen, BFH v. 31.3.2011 – I R 74/10, BFH/NV 2011, 1371. Zustimmend Eversberg, DStZ 2012, 278 (281).
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Denkbar wäre es, den Dauerverlust-BgA in eine Kapitalgesellschaft „umzuwandeln“, die wegen ihrer Rechtsform stets organträgerfähig ist337.
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Falls ein BgA Organträger ist, ist unklar, ob der EAV mit dem BgA oder 230 mit seiner Trägerkörperschaft abzuschließen ist. Da Steuerrechtssubjekt nicht der BgA, sondern die Trägerkörperschaft ist, wird zum Teil empfohlen, den EAV mit der Trägerkörperschaft abzuschließen338. Da ein BgA für Zwecke der Einkommensermittlung als verselbständigt gilt, ist es unseres Erachtens aber auch möglich, den EAV mit dem BgA selbst abzuschließen339. Es empfiehlt sich jedoch, diese Frage im Vorfeld einer Organschaft mit dem zuständigen Finanzamt abzuklären. 2. Regelungen zum steuerlichen Querverbund in Organschaftsfällen Die Möglichkeit der Zusammenfassung wirtschaftlicher Tätigkeiten der 231 öffentlichen Hand darf in Organschaftsfällen nicht weiter gehen als wenn die juristische Person des öffentlichen Rechts in der Form eines BgA oder einer einzigen Kapitalgesellschaft handelte. Die Vorschriften zur Spartentrennung (§ 8 Abs. 9 KStG) gelten daher grundsätzlich auch im Rahmen einer Organschaft. Die Zusammenfassungsgrundsätze sind auch dann zu prüfen, wenn der Organträger nicht 100 % der Anteile an der Organgesellschaft hält. Nach § 15 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 KStG ist die Spartentrennung i.S.v. § 8 232 Abs. 9 KStG (vgl. Rz. 211 ff.) erst auf der Ebene des Organträgers durchzuführen. Dies hat nach Verwaltungsauffassung auch zur Folge, dass ein Organträger, der isoliert betrachtet nicht unter die Spartentrennung fallen würde, eine Spartentrennung durchführen muss. Dies gilt auch, wenn der Organträger keine Kapitalgesellschaft i.S.v. § 8 Abs. 9 KStG, sondern ein BgA ist340. Diese Auffassung ist vor dem Hintergrund nicht ganz klar, dass § 8 Abs. 9 233 KStG nur für Kapitalgesellschaften, nicht aber für BgA gilt. § 15 Abs. 1 Nr. 5 KStG ordnet die Anwendung des § 8 Abs. 9 KStG für alle Organträger an, ohne zu unterscheiden, ob es sich um Kapitalgesellschaften oder BgA handelt. Es stellt sich daher die Frage, ob die Vorschrift des § 15 Abs. 1 Nr. 5 KStG insoweit den Anwendungsbereich des § 8 Abs. 9 KStG
337 Vgl. u.a. Kolbe in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 14 KStG Rz. 58 (Mai 2006); Erle/Heurung in Erle/Sauter, KStG, 3. Aufl. 2010, § 14 Rz. 98; Dötsch in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 14 KStG Rz. 83 (Juni 2011). 338 Eversberg, DStZ 2012, 278 (282 f.). 339 Vgl. auch FG Nds. v. 2.10.1986 – VI 85/84, ZKF 1987, 281. In dem dort geschilderten Sachverhalt hat ein Eigenbetrieb mit einer GmbH einen EAV geschlossen. 340 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Tz. 92 f. Beinert/Kostic
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erweitert mit der Folge, dass eine Organgesellschaft den BgA „infiziert“341. Der BFH wird diese Frage zu entscheiden haben. 234 Unklar sind die Rechtsfolgen, wenn eine Personengesellschaft Organträger ist342. 235 Hinzuweisen ist auf den praktisch wichtigen Fall von Servicegesellschaften. Wird eine konzernzugehörige Kapitalgesellschaft mit der entgeltlichen Erbringung von Serviceleistungen (z.B. Buchführungsarbeiten) beauftragt, ist diese Tätigkeit bei der die Leistung erbringenden Kapitalgesellschaft der sog. übrigen Sparte (vgl. Rz. 213) zuzuordnen. Sind die einzelnen Gesellschaften in eine Organschaft eingebunden, führt die Spartentrennung nach Auffassung der Finanzverwaltung regelmäßig dazu, dass der Gewinn aus der Servicetätigkeit voll der Besteuerung unterliegt, wogegen der Aufwand bei den die Servicetätigkeit nachfragenden Gesellschaften teilweise den nicht verrechenbaren Verlustsparten zuzuordnen ist343.
IV. Steuerlicher Querverbund bei Beteiligung eines Dritten 236 Oftmals sind private Dritte an einer gewinnträchtigen Gesellschaft beteiligt (sog. Joint-Venture Gesellschaft), die kommunal beherrscht wird (z.B. Versorgungsunternehmen). Die Gemeinde wird daran interessiert sein, die auf sie entfallenden Gewinne im Rahmen eines steuerlichen Querverbunds gegen ihre Verluste aus Dauerverlustgeschäften (z.B. Verkehrsbetrieb) verrechnen zu können. Hierzu bieten sich verschiedene Möglichkeiten an. 1. Organschaft 237 Da die Gemeinde Mehrheitsgesellschafter der Joint-Venture Gesellschaft ist, ist eine Organschaft zwischen der Gemeinde als herrschendem Unternehmen344 und der Joint-Venture Gesellschaft als beherrschter Gesell341 Diese Frage bejahend: Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/GewStG/UmwStG, § 15 KStG Rz. 148 (Mai 2011). A.A. Erle/Heurung in Erle/Sauter, KStG, 3. Aufl. 2010, § 15 Rz. 123; Heurung/Seidel, BB 2009, 1786 (1789) (für eine Anwendung von § 4 Abs. 6 und § 8 Abs. 8 KStG); Krämer in Dötsch/Jost/Pung/ Witt, Die Körperschaftsteuer, § 15 KStG Rz. 75 (Juli 2010) (unzulässige Ausweitung des Anwendungsbereichs des § 8 Abs. 9 KStG). 342 Vgl. u.a. Neumann in Gosch, KStG, 2. Aufl. 2009, § 15 Rz. 44 i.V.m. Rz. 41; Herlinghaus in Herrmann/Heuer/Rauapch, EStG/KStG, § 15 KStG Rz. 88 i.V.m. Rz. 81 (Juli 2009); Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 15 KStG Rz. 75 i.V.m. Rz. 69 (Juli 2010). 343 Bayerisches Landesamt für Steuern v. 18.10.2010 – S 2706.1.1-14/2 St31, KStKartei BY § 4 KStG Karte 2.1.1. Kritisch u.a. Meier/Semelka in Herrmann/ Heuer/Rauapch, EStG/KStG, § 8 KStG Rz. 577 (Dezember 2010). 344 Es kann sich hierbei um einen BgA handeln, sofern dieser Organträger sein kann. Häufiger wird eine kommunal beherrschte Zwischenholding als Organträger verwendet.
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schaft denkbar. Für eine solche Organschaft muss die Gemeinde die Mehrheit der Stimmrechte an der Joint-Venture Gesellschaft haben; daneben bedarf es eines Ergebnisabführungsvertrags (EAV), der auch tatsächlich durchgeführt wird (§§ 14, 17 KStG). Der private Dritte ist an der Organschaft nicht beteiligt, er ist außenstehender Gesellschafter. Als solcher erhält er von der Joint-Venture Gesellschaft oder der Gemeinde als herrschendem Unternehmen einen angemessenen Ausgleich durch eine auf seinen Anteil bezogenen wiederkehrende Geldleistung (Ausgleichszahlung), § 304 AktG. Fraglich ist, ob die Ausgleichszahlungen so berechnet werden können, dass sie im Ergebnis dem hypothetischen Gewinnanspruch des privaten Dritten entsprechen, also dem Gewinnanspruch, wie er ohne EAV bestünde. Der BFH vertritt die Auffassung, dass es der steuerrechtlichen Anerken- 238 nung eines EAV entgegenstehe, wenn neben einem bestimmten Festbetrag ein zusätzlicher Ausgleich in jener Höhe vereinbart wird, um die der hypothetische Gewinnanspruch des privaten Dritten ohne die Gewinnabführung den Festbetrag übersteigen würde345. Abweichend hiervon lässt die Finanzverwaltung Vereinbarungen zu, nach denen sich der dem Dritten gezahlte Zuschlag an dem Gewinn der Organgesellschaft orientiert, sofern der Festbetrag den Mindestausgleich des § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG nicht unterschreitet346. Zu dem Urteil des BFH erging demzufolge ein Nichtanwendungserlass347. Da § 304 AktG die Möglichkeit eines variablen Zuschlags vorsieht, ist unseres Erachtens der Auffassung der Finanzverwaltung zu folgen. Der als Mindestausgleich zu zahlende Festbetrag darf allerdings auch bei einem schlechten Ergebnis der Organgesellschaft nicht unterschritten werden348. Teile der Finanzverwaltung verlangen offenbar, dass der variable Zuschlag über mehrere Jahre hinweg nicht mehr als ein Drittel der Gesamtausgleichszahlung ausmachen dürfe, da es sich lediglich um ein Korrektiv des vereinbarten Festbetrags handele349. Eine rechtliche Grundlage für diese Einschränkung ist allerdings nicht erkennbar350.
345 BFH v. 4.3.2009 – I R 1/08, BStBl. II 2010, 407. 346 BMF v. 13.9.1991 – IV B 7 - S 2770 - 11/91. Zustimmend u.a. Baldamus, Ubg 2010, 483 (486). Kritisch u.a. Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/GewStG/ UmwStG, § 16 KStG Rz. 31 (Mai 2011); Walter in Ernst & Young, KStG, § 16 Rz. 12 (Juli 2011). 347 BMF v. 20.4.2010 – IV C 2 - S 2770/8/10006, 2010/0216002, BStBl. I 2010, 372; dazu Scheunemann/Bauersfeld, BB 2010, 1582. 348 Vgl. BMF v. 13.9.1991 – IV B 7 - S 2770 - 34/91, DB 1991, 2110. 349 So Dötsch, Der Konzern 2006, 64. 350 Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/GewStG/UmwStG, § 16 KStG Rz. 31 (Mai 2011); Walter in Ernst & Young, KStG, § 16 Rz. 12 (Juli 2011). Beinert/Kostic
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2. Personengesellschaft 239 Die Beteiligung eines privaten Dritten kann auch so strukturiert werden, dass die Joint-Venture Gesellschaft die Rechtsform einer Personengesellschaft bekommt. Dies setzt voraus, dass das kommunale Haushaltsrecht der Gemeinde die Beteiligung an einer Personengesellschaft nicht untersagt. Sofern die Joint-Venture-Gesellschaft nicht neu errichtet wird, sondern der private Dritte an einer bereits bestehenden kommunalen Gesellschaft beteiligt werden soll, kommen insbesondere zwei Wege in Betracht: Zum einen kann die kommunale Gesellschaft in eine Personengesellschaft umgewandelt werden, an der dann der private Dritte beteiligt wird. Zum anderen können die Anteile an der kommunalen Gesellschaft in eine (neue) Personengesellschaft eingebracht werden, die als Organträger fungiert. An diesem Organträger könnte der private Dritte beteiligt werden. a) Joint-Venture Gesellschaft in der Rechtsform einer Personengesellschaft 240 Hat die Joint-Venture Gesellschaft die Rechtsform einer Personengesellschaft, wird der auf die Gemeinde entfallende Ergebnisanteil von dieser besteuert (§ 15 EStG). Eine Saldierung dieses Ergebnisanteils mit Verlusten aus Dauerverlustgeschäften kommt allerdings nur in Betracht, wenn die betroffenen Betriebe auch als BgA hätten zusammengefasst werden können351. Gewerbesteuerrechtlich bleiben die Gewinne und Verluste auf Ebene der Joint-Venture-Gesellschaft „hängen“. 241 Zu berücksichtigen sind die Steuerfolgen der Umwandlung der kommunalen Gesellschaft in eine Personengesellschaft. Auch steuerliche Nachteile der Rechtsform einer Personengesellschaft im Falle eines späteren Verkaufs (Exits) sind zu beachten. Der Verkauf einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft ist im Regelfall steuerlich günstiger als der Verkauf einer Beteiligung an einer Personengesellschaft. 242 Die Zahlung von Konzessionsabgaben352 an eine Gemeinde, die gleichzeitig Mitunternehmerin der (zahlenden) Personengesellschaft ist, führt nicht zu Sonderbetriebseinnahmen der Gemeinde i.S.v. § 15 Abs. 1 Nr. 2 351 Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 294 (Juni 2011). 352 Juristische Personen des öffentlichen Rechts erhalten Konzessionsabgaben zum Ausgleich für die Einräumung von Monopol- und Ausschlussrechten, für die Inanspruchnahme öffentlicher Flächen u.Ä. Zu Konzessionsabgaben vgl. BMF v. 9.2.1998 – IV B 7 - S 2744 - 2/98, BStBl. I 1998, 209; v. 27.9.2002 – IV A 2-S 2744-5/02, BStBl. I 2002, 940; OFD Magdeburg v. 22.6.2009 – S 2742-167-St 215, KSt-Kartei ST § 8 KStG Karte 2.33; Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 238 ff. (Dezember 2010); Bott in Ernst & Young, KStG, § 4 Rz. 333 ff. (Mai 2011); Brüning in Mann/Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 2, 3. Aufl. 2011, § 44 Rz. 74 ff.
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G. Ausblick (Körperschaftsteuer, Kapitalertragsteuer)
EStG, sondern ist dem hoheitlichen Bereich zuzuordnen. Dies hat zur Folge, dass die Konzessionsabgaben den steuerpflichtigen Gewinn der Joint-Venture Gesellschaft mindern und gleichzeitig die entsprechenden Einnahmen bei der Gemeinde steuerfrei sind353. b) Organträger in der Rechtsform einer Personengesellschaft Die Anteile an der kommunalen Gesellschaft können auch in eine Per- 243 sonengesellschaft eingebracht werden, an der sich der private Dritte beteiligt. Die Personengesellschaft wird Organträgerin. Hierbei sind insbesondere die Anforderungen zu beachten, die an die Organträgereigenschaft von Personengesellschaften gestellt werden. Zur Begründung der Organträgereigenschaft ist eine originär gewerbliche Tätigkeit gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG erforderlich (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 KStG)354. Auch bei diesem Modell sind die Steuerfolgen im Einzelnen zu prüfen. 3. Weitere Gestaltungen Neben den genannten Gestaltungen gibt es eine Reihe weiterer Gestal- 244 tungen, um private Dritte an kommunalen Gesellschaften zu beteiligen. Zu nennen sind insbesondere Tracking Stock-Strukturen (vgl. Rz. 123) oder stille Beteiligungen.
G. Ausblick (Körperschaftsteuer, Kapitalertragsteuer) Die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand ist wegen ihrer (an- 245 geblichen) steuerrechtlichen Privilegierung in den letzten Jahren zunehmend in die Kritik geraten355. Die gesetzlichen Regelungen zu dauerdefizitären Tätigkeiten und der Möglichkeiten ihrer Zusammenfassung haben trotz ihrer Komplexität weitgehende Klarheit gebracht, stehen derzeit aber noch unter dem „Damoklesschwert“, dass darin eine europarechtlich unzulässige Neubeihilfe liegen könnte. Positiv aus Sicht der juristischen Personen des öffentlichen Rechts ist, dass die Rücklagenbildung bei Eigenbetrieben durch die Rechtsprechung erweitert wurde (vgl. Rz. 160 ff.). Offen ist die künftige Behandlung der Beistandsleistungen (vgl. Rz. 32 ff.), die im Zuge einer möglichen umsatzsteuerlichen Neuregelung mit überarbeitet werden könnten. Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten.
353 Vgl. OFD Frankfurt a. M. v. 21.1.2003 – S 2241 A - 71 - St II 21, ESt-Kartei HE § 15 EStG Fach 2 Karte 15. 2002; OFD Hannover v. 27.1.2003 – S 2744 - 6 StH 231, S 2744 - 5 - StO 214, KSt-Kartei ND § 8 KStG Karte E 10. 354 Vgl. BMF v. 10.11.2005 – IV B 7 - S 2770 - 24/05, BStBl. I 2005, 1038. 355 Vgl. Bemerkungen des Bundesrechnungshofs 2002 zur Haushalts- und Wirtschaftsführung, BT-Drs. 15/60, S. 36, 240; Bericht des Bundesrechnungshofs v. 2.11.2004, BT-Drs. 15/4081. Beinert/Kostic
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H. Gewerbesteuer I. BgA 246 BgA unterliegen neben der Körperschaftsteuer auch der Gewerbesteuer, wenn zusätzlich zu den Kriterien für die Annahme eines BgA (§ 4 KStG) auch die Voraussetzungen eines Gewerbebetriebs (§ 15 Abs. 2 EStG) erfüllt sind356. Dafür bedarf es der Gewinnerzielungsabsicht357 sowie der Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr. Gewinnerzielungsabsicht ist die Absicht einer nachhaltigen Mehrung des Betriebsvermögens. 247 Unterhält die Trägerkörperschaft einen strukturell dauerdefizitären Betrieb (z.B. Bäderbetrieb), der nicht mit Gewinnerzielungsabsicht betrieben wird und der nach der Art seiner Betriebsführung auch objektiv zur Erzielung von Gewinnen nicht geeignet ist, so ist dieser nicht als Gewerbebetrieb anzusehen358. Zur Frage der Gewinnerzielungsabsicht nach Einlage gewinnbringender Finanzanlagen vgl. Rz. 105. 248 Bei zusammengefassten BgA kommt es entscheidend darauf an, ob der zusammengefasste BgA mit Gewinnerzielungsabsicht betrieben wird359. 249 Die Verpachtung eines BgA ist grundsätzlich nicht gewerbesteuerpflichtig360. 250 Jeder BgA wird einzeln veranlagt, sofern nicht mehrere BgA zu einem einheitlichen Betrieb zusammengefasst wurden (vgl. Rz. 189 ff.)361. Steuerschuldner ist gemäß § 5 Abs. 1 GewStG die jeweilige Trägerkörperschaft.
II. Kapitalgesellschaft 251 Eine Kapitalgesellschaft hat kraft Rechtsform einen Gewerbebetrieb (§ 2 Abs. 2 GewStG); auf das Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht
356 BFH v. 27.6.1990 – I R 166/85, BFH/NV 1991, 628; v. 17.3.2005 – I B 245/04, BFH/NV 2005, 11354; BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I S. 1303 Rz. 95. 357 Zu dieser vgl. z.B. BFH v. 25.1.2005 – I R 8/04, BStBl. II 2006, 190; FG Düsseldorf v. 10.7.2003 – 10 K 2561/00 G, EFG 2003, 1408. 358 FG Düsseldorf v. 22.6.2006 – 15 K 2567/03 BB, EFG 2006, 1769. 359 BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 98. Kritisch Hüttemann, DB 2009, 2629 (2633), da keine Rechtsgrundlage für eine derartige Einschränkung vorhanden sei. 360 R. 2.2 GewStR 2009. Die Verpachtung unterliegt aber in den Fällen einer Betriebsaufspaltung der Gewerbesteuer. Eine Betriebsaufspaltung liegt vor, wenn die Trägerkörperschaft an ihre Eigengesellschaft eine wesentliche Betriebsgrundlage verpachtet, vgl. hierzu Baldauf, DStZ 2010, 523 (531). 361 § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStDV; BMF v. 12.11.2009 – IV C 7 - S 2706/08/10004, BStBl. I 2009, 1303 Rz. 98.
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J. Umsatzsteuer
kommt es nicht an. Findet bei der Kapitalgesellschaft für körperschaftsteuerliche Zwecke eine Spartentrennung statt (vgl. Rz. 211 ff.), gilt dies auch für die Gewerbesteuer (§ 7 Satz 5 GewStG).
III. Organschaft In § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG wird die gewerbesteuerliche Organschaft an 252 das Vorliegen einer körperschaftsteuerlichen Organschaft geknüpft. Rechtsfolge der Organschaft ist die Fiktion der Organgesellschaft als Betriebsstätte des Organträgers (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG). Die Ermittlung des Gewerbeertrags des Organkreises erfolgt in zwei Schritten: – Im ersten Schritt werden die Gewerbeerträge des Organträgers und der Organgesellschaft getrennt ermittelt362. Die getrennte Ermittlung dient nicht nur der Vereinfachung, sondern ist auch materiell von Bedeutung (z.B. können Organträger und Organgesellschaft den Freibetrag nach § 8 Nr. 1 GewStG jeweils eigenständig in Anspruch nehmen)363. – Im zweiten Schritt wird der Gewerbeertrag der Organgesellschaft dem Organträger zugerechnet. Dabei sind jedoch Korrekturen vorzunehmen, z.B. wenn die Organgesellschaft dem Organträger Zinsen gezahlt hat364.
J. Umsatzsteuer I. Unternehmereigenschaft einer juristischen Person des öffentlichen Rechts § 2 Abs. 3 UStG regelt, wann eine juristische Person des öffentlichen 253 Rechts umsatzsteuerlicher Unternehmer ist. Da das Umsatzsteuerrecht in Europa harmonisiert ist, spielt bei der Unternehmereigenschaft auch die Mehrwertsteuersystem-Richtlinie (MwStSystRL) eine entscheidende Rolle (vgl. Rz. 258 ff.). Vor diesem Hintergrund hat sich auch die Rechtsprechung stets weiter entwickelt. 1. § 2 Abs. 3 UStG Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind nach § 2 Abs. 3 Satz 1 254 UStG nur im Rahmen ihrer BgA und ihrer land- und forstwirtschaftlichen
362 R 2.3 Abs. 1 Satz 4 GewStR 2009. 363 Vgl. Drüen in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 7 GewStG Rz. 97 (Februar 2012). 364 Vgl. Drüen in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 7 GewStG Rz. 101 f., 148 (Februar 2012). Beinert/Kostic
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Betriebe unternehmerisch und damit wirtschaftlich tätig365. Maßgebend für die Frage, ob ein BgA vorliegt, sind nach § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG die Vorschriften des Körperschaftsteuergesetzes366. Ein BgA ist nach § 1 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. § 4 KStG eine Einrichtung, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen dient und die sich innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person des öffentlichen Rechts wirtschaftlich heraushebt. Übersteigt der Jahresumsatz nachhaltig den Betrag von 30 678 Euro, wird nach Verwaltungsauffassung davon ausgegangen, dass sich eine Tätigkeit innerhalb der Gesamtbetätigung der juristischen Person des öffentlichen Rechts wirtschaftlich heraushebt367. Zu den BgA gehören die Versorgungs-, Verkehrs- und Hafenbetriebe (§ 4 Abs. 3 KStG). Nicht dazu gehören Betriebe, die überwiegend der Ausübung der öffentlichen Gewalt dienen (Hoheitsbetriebe), § 4 Abs. 5 KStG. 255 Ausgehend vom Gesetzeswortlaut des § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG richtet sich die umsatzsteuerliche Behandlung folglich nach dem Körperschaftsteuerrecht. Liegt für Körperschaftsteuerzwecke kein BgA vor, fällt auf die maßgebliche Tätigkeit auch keine Umsatzsteuer an. 256 Einige Tätigkeiten gelten nach § 2 Abs. 3 Satz 2 UStG stets als unternehmerisch: – die Tätigkeit der Notare im Landesdienst und der Ratschreiber im Land Baden-Württemberg, soweit Leistungen ausgeführt werden, für die nach der Bundesnotarordnung die Notare zuständig sind; – die Abgabe von Brillen und Brillenteilen einschließlich der Reparaturarbeiten durch Selbstabgabestellen der gesetzlichen Träger der Sozialversicherung; – die Leistungen der Vermessungs- und Katasterbehörden bei der Wahrnehmung von Aufgaben der Landesvermessung und des Liegenschaftskatasters mit Ausnahme der Amtshilfe; – die Tätigkeit der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, soweit Aufgaben der Marktordnung, der Vorratshaltung und der Nahrungsmittelhilfe wahrgenommen werden. 257 Im Gegensatz zur Körperschaftsteuer (und Gewerbesteuer) findet keine Trennung zwischen den verschiedenen Tätigkeiten einer juristischen Person des öffentlichen Rechts statt. Die Gesamtheit aller BgA (sowie aller land- und forstwirtschaftlichen Betriebe) bildet das Unternehmen einer 365 Betreibt eine juristische Person des öffentlichen Rechts einen Betrieb in privatrechtlicher Form (z.B. in Form einer AG oder einer GmbH), so ist diese Gesellschaft ohne Rücksicht auf den staatlichen Anteilseigner unter den allgemeinen Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 UStG selbst Unternehmer, vgl. Abschn. 2.11 Abs. 20 Sätze 1 und 2 UStAE (Stand: 19.6.2012). 366 Abschn. 2.11 Abs. 4 Satz 1 UStAE (Stand: 19.6.2012). 367 R 6 Abs. 5 KStR 2004; Abschn. 2.11 Abs. 4 UStAE (Stand: 19.6.2012).
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juristischen Person des öffentlichen Rechts368. Daher findet die körperschaftsteuerrechtliche Problematik der Zusammenfassung von BgA (vgl. Rz. 189 ff.) umsatzsteuerrechtlich keine Entsprechung. 2. MwStSystRL § 2 Abs. 3 UStG ist unter Berücksichtigung von Art. 9, 13 MwStSystRL 258 richtlinienkonform auszulegen. Im europäischen Recht gibt es keine Definition des Unternehmens. Es wird vielmehr die steuerpflichtige Person oder der Steuerpflichtige bestimmt. Das ist jemand, der wirtschaftliche Tätigkeiten ausübt, d.h. Tätigkeiten, die in den Anwendungsbereich der MwStSystRL fallen. 259
In der MwStSystRL ist ein mehrstufiges Prüfungsverfahren angelegt: – Zunächst gilt nach Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL als „Steuerpflichtiger“ und damit als Unternehmer, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt (vgl. Rz. 260 f.). – In einem zweiten Schritt regelt Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL, dass juristische Personen des öffentlichen Rechts – in der Diktion von Art. 13 Abs. 1 MwStSystRL „Einrichtungen des öffentlichen Rechts“ – nicht als Steuerpflichtige gelten, soweit sie Tätigkeiten ausüben oder Umsätze bewirken, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Umsätzen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben (vgl. Rz. 262 ff.). – Wenn solche Tätigkeiten ausgeübt oder Umsätze bewirkt werden, so gilt die juristische Person des öffentlichen Rechts nach Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL für diese Tätigkeiten oder Umsätze dennoch als steuerpflichtig, sofern eine Nichtsteuerbarkeit zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde (vgl. Rz. 265 ff.). – Nach Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 3 MwStSystRL gelten juristische Personen des öffentlichen Rechts in Bezug auf die in Anhang I MwStSystRL genannten Tätigkeiten in jedem Fall als steuerpflichtig, sofern der Umfang dieser Tätigkeiten nicht unbedeutend ist (vgl. Rz. 269). – Schließlich gibt Art. 13 Abs. 2 MwStSystRL den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, Tätigkeiten, die von der Mehrwertsteuer befreit sind, als Tätigkeiten zu behandeln, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Ge-
368 Abschn. 2.11 Abs. 2 Satz 1 UStAE (Stand: 19.6.2012). Beinert/Kostic
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walt obliegen. Dies setzt allerdings eine ausdrückliche Regelung des jeweiligen Mitgliedstaats voraus369, die in Deutschland derzeit fehlt370. Im Einzelnen: a) Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit 260 Als wirtschaftliche Tätigkeiten gelten nach Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 1 MwStSystRL alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden, einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. 261 Nach der Rechtsprechung des EuGH wird eine Tätigkeit als wirtschaftlich angesehen, wenn sie nachhaltig ist und gegen Entgelt ausgeübt wird371. In zwei jüngeren Entscheidungen ist der EuGH davon ausgegangen, dass keine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt, wenn zwar ein Entgelt vereinbart wird, dieses aber nicht kostendeckend oder unzureichend ist372. Im Schrifttum sind diese Entscheidungen auf Kritik gestoßen373. Unseres Erachtens liegt auch bei dauerdefizitären BgA eine wirtschaftliche Tätigkeit vor, da es dafür nur der Einnahmeerzielungsabsicht bedarf und nicht auch der Gewinnerzielungsabsicht. Die weitere Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH muss insoweit beobachtet werden374. b) Ausübung einer Tätigkeit im Rahmen der öffentlichen Gewalt 262 Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL enthält eine Sonderregelung für Einrichtungen der öffentlichen Hand, die zusätzlich zu Art. 9 MwStSystRL zu prüfen ist. Danach gelten die Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts nicht als Steuerpflichtige, soweit sie Tätigkeiten ausüben oder Umsätze bewirken, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen. Dies gilt auch dann, wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Umsätzen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben. 263 Es müssen also zwei Voraussetzungen nebeneinander erfüllt sein, nämlich die Ausübung von Tätigkeiten durch eine öffentliche Einrichtung
369 EuGH v. 4.6.2009 – Rs. C-102/08 – SALIX, Slg. 2009, I-4629. 370 Vgl. BFH v. 20.8.2009 – V R 70/05, BFH/NV 2009, 2077; v. 15.4.2010 – V R 10/09, BFH/NV 2010, 1574. 371 EuGH v. 26.3.1987 – Rs. C-235/85 – Kommission/Niederlande, Slg. 1987, 1485; v. 13.12.2007 – Rs. C-408/06 – Götz, Slg. 2007, I-11295. 372 EuGH v. 6.10.2009 – Rs. C-267/08 – SPÖ Landesorganisation Kärnten, Slg. 2009, I-9781; v. 29.10.2009 – Rs. C-246/08 – Kommission/Finnland, Slg. 2009, I-10605. 373 Vgl. Huschens, UVR 2010, 61; Widmann, UR 2010, 221 (223); Kraeusel, UR 2010, 480 (483); Korn in Bunjes, UStG, 10. Aufl. 2011, § 2 Rz. 189. 374 So auch Kraeusel, UR 2010, 480 (483).
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und die Vornahme dieser Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt375. Während § 4 Abs. 5 KStG den Begriff der öffentlichen Gewalt inhaltlich 264 zu bestimmen sucht (vgl. Rz. 18 ff.), ist nach dem Gemeinschaftsrecht die Handlungsform entscheidend. Eine Tätigkeit im Rahmen der öffentlichen Gewalt liegt danach (nur dann) vor, wenn die Einrichtung des öffentlichen Rechts auf der Grundlage besonderer Regeln des öffentlichen Rechts tätig wird376. Wesentliches Kriterium für ein solches Tätigwerden ist das Gebrauchmachen von hoheitlichen Befugnissen377. Dafür sprechen insbesondere Genehmigungsrechte und Sanktionsbefugnisse378. c) Vorliegen von größeren Wettbewerbsverzerrungen379 Übt eine Einrichtung des öffentlichen Rechts eine Tätigkeit im Rahmen 265 der öffentlichen Gewalt aus, so gilt sie nach Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL gleichwohl als Unternehmer, wenn die Nicht-Steuerbarkeit zu „größeren Wettbewerbsverzerrungen“ führen würde. Dies setzt voraus, dass die hoheitliche Tätigkeit auch von Privaten ausgeübt werden könnte380.
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Zu der Frage, wann „größere Wettbewerbsverzerrungen“ anzunehmen sind, hat der EuGH im Jahr 2008 in der Isle of Wight-Entscheidung381 ausführlich Stellung genommen.
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– Bei der Bestimmung der Wettbewerbssituation ist auf die fragliche Tätigkeit als solche abzustellen. 375 EuGH v. 25.7.1991 – Rs. C-202/90 – Ayuntamiento de Sevilla, Slg 1991, I-4247, Rz. 1; v. 14.12.2000 – Rs. C-446/98 – Câmara Municipal do Porto, Slg. 2000, I-11435, Rz. 15; v. 16.9.2008 – Rs. C-288/07 – Isle of Wight Council, Slg. 2008, I-7203, Rz. 19. 376 EuGH v. 17.10.1989 – Rs. C-231/87, 129/88 – Comune di Carpaneto di Piacentino u.a., Slg. 1989, 3233; v. 6.2.1997 – Rs. C-247/95 – Marktgemeinde Welden, Slg. 1997, I-779; v. 12.9.2000 – Rs. C-408/97 – Kommission/Niederlande, Slg. 2000, I-6417; v. 14.12.2000 – Rs. C-446/98 – Câmara Municipal do Porto, Slg. 2000, I-11435 m.w.N. aus der Rechtsprechung; v. 16.9.2008 – Rs. C-288/07 – Isle of Wight Council, Slg. 2008, I-7203. 377 EuGH v. 14.12.2000 – Rs. C-446/98 – Câmara Municipal do Porto, Slg. 2000, I-11435. Nach den Vorgaben des § 4 Abs. 5 Satz 2 KStG reichen Zwangsrechte zur Begründung eines Hoheitsbetriebs hingegen nicht aus. 378 EuGH v. 14.12.2000 – Rs. C-446/98 – Câmara Municipal do Porto, Slg. 2000, I-11435, der diese Befugnisse in dem vorgelegten Fall mit der Möglichkeit der betroffenen Stadtverwaltung begründete, „das Abstellen auf einer dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Straße zu genehmigen oder zu beschränken oder die Überschreitung der erlaubten Abstellzeit mit einer Geldbuße zu belegen“. 379 Nach § 4 Abs. 5 KStG wird, jedenfalls für Körperschaftsteuerzwecke, das Kriterium der „Wettbewerbsverzerrungen“ bereits für die Frage herangezogen, ob eine hoheitliche Tätigkeit vorliegt, vgl. Rz. 22, 27. 380 Vgl. BFH v. 15.4.2010 – V R 10/09, BFH/NV 2010, 1574. 381 EuGH v. 16.9.2008 – Rs. C-288/07 – Isle of Wight Council, Slg. 2008, I-7203. Beinert/Kostic
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– Geschützt ist nicht nur der gegenwärtige, sondern auch der potentielle Wettbewerb. Letzterer ist anzunehmen, wenn ein privater Wirtschaftsteilnehmer die (reale und nicht rein hypothetische) Möglichkeit hat, in den relevanten Markt einzutreten382. – Bei der Beurteilung des Wettbewerbs ist nicht lediglich auf die Verhältnisse auf dem jeweiligen „lokalen Markt“ abzustellen, sondern auf das gesamte Erhebungsgebiet. Wörtlich heißt es: Die Frage der Wettbewerbsverzerrungen ist „in Bezug auf die fragliche Tätigkeit als solche zu beurteilen . . ., ohne dass sich diese Beurteilung auf einen lokalen Markt im Besonderen bezieht“383. – Ergeben sich bei dieser Prüfung Wettbewerbsverzerrungen, sind diese nur dann unbeachtlich, wenn sie lediglich unbedeutend sind384. Es ist nicht erforderlich, dass „erhebliche“ oder „außergewöhnliche“ Wettbewerbsverzerrungen vorliegen385. 268 Die Isle of Wight-Entscheidung des EuGH hat erhebliche Konsequenzen für die BFH-Rechtsprechung gehabt (vgl. Rz. 280 ff.). d) Anhang I MwStSystRL 269 In Anhang I MwStSystRL werden Tätigkeiten genannt, bei denen die öffentliche Hand in jedem Fall als Unternehmer gilt, sofern der Umfang der Tätigkeiten nicht unbedeutend ist. Hierzu zählen folgende Tätigkeiten: – Telekommunikationswesen; – Lieferung von Wasser386, Gas, Elektrizität und thermischer Energie; – Güterbeförderung; – Hafen- und Flughafendienstleistungen; – Personenbeförderung; – Lieferung von neuen Gegenständen zum Zwecke ihres Verkaufs;
382 EuGH v. 16.9.2008 – Rs. C-288/07 – Isle of Wight Council, Slg. 2008, I-7203, Rz. 65. 383 EuGH v. 16.9.2008 – Rs. C-288/07 – Isle of Wight Council, Slg. 2008, I-7203, Rz. 53. 384 EuGH v. 16.9.2008 – Rs. C-288/07 – Isle of Wight Council, Slg. 2008, I-7203, Rz. 76. Kritisch im Hinblick auf die Unbestimmtheit Korf, IStR 2008, 738 (739); Thieme, BB 2009, 1900 (1903). 385 EuGH v. 16.9.2008 – Rs. C-288/07 – Isle of Wight Council, Slg. 2008, I-7203, Rz. 74. 386 Der BFH hat aufgrund von Anhang I Nr. 2 MwStSystRL entschieden, dass ein kommunaler Zweckverband, der eine Wasserversorgungsanlage betreibt und das Wasser entgeltlich an die Verbandsmitglieder, wenn auch nicht an Endkunden liefert, Unternehmer ist, vgl. BFH v. 2.3.2011 – XI R 65/07, BFH/NV 2011, 1454.
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– Umsätze der landwirtschaftlichen Interventionsstellen aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen, die in Anwendung der Verordnungen über eine gemeinsame Marktorganisation für diese Erzeugnisse bewirkt werden; – Veranstaltung von Messen und Ausstellungen mit gewerblichem Charakter; – Lagerhaltung; – Tätigkeiten gewerblicher Werbebüros; – Tätigkeiten der Reisebüros; – Umsätze von betriebseigenen Kantinen, Verkaufsstellen und Genossenschaften und ähnlichen Einrichtungen; – Tätigkeiten der Rundfunk- und Fernsehanstalten sofern sie nicht nach Art. 132 Abs. 1 Buchstabe q steuerbefreit sind. 3. Auffassung der Rechtsprechung Nach der Rechtsprechung des BFH ist § 2 Abs. 3 UStG aufgrund der 270 Rechtsprechung des EuGH zu Art. 13 MwStSystRL richtlinienkonform auszulegen. Dies geschieht, indem § 4 KStG im Rahmen der Verweisung in § 2 Abs. 3 UStG umsatzsteuerrechtlich ausgelegt wird387. Das kann sich zugunsten wie zuungunsten der juristischen Person des öffentlichen Rechts auswirken388. Nach der Rechtsprechung des BFH ergibt sich folgende Prüfungsreihenfolge: – Im ersten Schritt ist zu prüfen, ob die allgemeinen Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Tätigkeit vorliegen. – Im zweiten Schritt ist zu prüfen, ob sich die juristische Person des öffentlichen Rechts den Mitteln des Privatrechts oder des öffentlichen Rechts bedient. – Handelt die juristische Person des öffentlichen Rechts auf öffentlichrechtlicher Grundlage, ist im dritten Schritt zu prüfen, ob größere Wettbewerbsverzerrungen vorliegen.
387 Vgl. BFH v. 17.3.2010 – XI R 17/08, BFH/NV 2010, 2359; v. 15.4.2010 – V R 10/09, BFH/NV 2010, 1574; v. 10.11.2011 – V R 41/10, BFH/NV 2012, 670. Zustimmend Kraeusel, UR 2010, 480 (486 ff.); Ismer/Keyser, UR 2011, 81 (87); Radeisen in Plückebaum/Widmann, UStG, § 2 Rz. 372 (November 2011). Zweifelnd Bollweg, UR 2010, 652 (653); Klenk in Sölch/Ringleb, UStG, § 2 Rz. 232 (April 2011). Sterzinger, DStR 2010, 2217 (2221) zieht der richtlinienkonformen Auslegung eine gesetzliche Klarstellung vor. 388 Vgl. u.a. Kraeusel, UR 2010, 480; Ismer/Keyser, UR 2011, 81 (84). Beinert/Kostic
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Im Einzelnen: a) Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit 272 Eine wirtschaftliche Tätigkeit wird ausgeübt, wenn die juristische Person des öffentlichen Rechts über mehrere Jahre gegen Entgelt und damit nachhaltig mit Einnahmeerzielungsabsicht tätig wird. Ob sie in der Absicht handelt, Gewinn zu erzielen, ist gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 KStG unerheblich. Ebenso kommt es weder darauf an, ob sie ihre Entgelte mit oder ohne Umsatzsteuer kalkuliert, noch ob sie sich selbst als Unternehmer ansieht und fristgerecht Umsatzsteuererklärungen abgibt389. 273 Die wirtschaftliche Tätigkeit muss sich aus der Gesamttätigkeit der juristischen Person des öffentlichen Rechts „herausheben“. Dies ist nach Auffassung des BFH der Fall, wenn die juristische Person des öffentlichen Rechts zu anderen Unternehmen unmittelbar in Wettbewerb tritt und sich die wirtschaftliche Tätigkeit von ihrer übrigen Betätigung deutlich abgrenzt390. Ein wirtschaftliches Herausheben ist nicht erforderlich, so dass den Umsatzgrenzen, wie sie in R 6 Abs. 4 KStR 2008 vorgesehen sind, keine eigenständige Bedeutung zukommt. Solche Umsatzgrenzen seien – so der BFH – weder mit dem Erfordernis der Gleichmäßigkeit der Besteuerung noch mit dem notwendigen Ausschluss von Wettbewerbsverzerrungen im Verhältnis zu privaten Unternehmen vereinbar391. Umsatzsteuerbare Leistungen sind danach auch dann anzunehmen, wenn die Umsatzgrenzen nicht überschritten werden. Dem ist unseres Erachtens zu folgen, zumal die Einheitlichkeit des Unternehmens, also die Tatsache, dass die Gesamtheit der unternehmerischen Tätigkeiten der juristischen Person des öffentlichen Rechts ihr Unternehmen bildet, eine BgAbezogene Prüfung anhand einer Umsatzgrenze ausschließt. 274 Ein Herausheben der wirtschaftlichen Tätigkeit hat der BFH z.B. für die entgeltliche Nutzungsüberlassung einer kommunalen Mehrzweckhalle, die im Übrigen für hoheitliche Schulzwecke genutzt wurde392, sowie für die Parkplatzüberlassung bejaht393. 275 Da § 2 Abs. 3 UStG an den Begriff des BgA i.S.v. § 4 KStG anknüpft, ging die Rechtsprechung früher davon aus, dass eine rein vermögensverwaltende Tätigkeit einer juristischen Person des öffentlichen Rechts nicht
389 BFH v. 10.11.2011 – V R 41/10, BFH/NV 2012, 670. 390 BFH v. 25.10.1989 – V R 111/85, BStBl. II 1990, 868; v. 1.12.2011 – V R 1/11, BFH/NV 2012, 534. 391 BFH v. 17.3.2010 – XI R 17/08, BFH/NV 2010, 2359; v. 15.4.2010 – V R 10/09, BFH/NV 2010, 1574; v. 10.11.2011 – V R 41/10, BFH/NV 2012, 670; v. 1.12.2011 – V R 1/11, BFH/NV 2012, 534. 392 BFH v. 28.11.1991 – V R 95 86, BStBl. II 1992, 569. 393 BFH v. 1.12.2011 – V R 1/11, BFH/NV 2012, 534.
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ausreicht, um ihre Unternehmereigenschaft zu begründen394. Diese restriktive Auslegung des Unternehmerbegriffs ließ sich aber spätestens seit der sog. SALIX-Entscheidung des EuGH395 nicht aufrechterhalten. Denn zu den wirtschaftlichen Tätigkeiten i.S.v. Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 1 MwStSystRL gehören auch die Vermietung und Verpachtung in privatrechtlicher Form. Im Anschluss an die SALIX-Entscheidung des EuGH entschied der BFH, dass eine juristische Person des öffentlichen Rechts auch dann umsatzsteuerlicher Unternehmer ist, wenn ihre Vermietungsoder Verpachtungstätigkeit körperschaftsteuerlich bloße Vermögensverwaltung darstellt und daher nicht die Voraussetzungen des § 4 Abs. 4 KStG erfüllt396. Dem Begriff der Vermögensverwaltung kommt damit umsatzsteuerlich keine Bedeutung zu. Dies erzwingt eine Änderung der bisherigen Verwaltungspraxis, die früher vermögensverwaltende Tätigkeiten aus der Umsatzsteuerpflicht ausgenommen hatte. Eine Behandlung der Vermögensverwaltung als hoheitliche Tätigkeit kommt künftig nur noch in Betracht, wenn Deutschland von Art. 13 Abs. 2 MwStSystRL Gebrauch macht, also mittels gesetzlicher Regelung die Umsatzsteuerfreiheit anordnen würde. b) Ausübung einer Tätigkeit im Rahmen der öffentlichen Gewalt Der Form des Tätigwerdens kommt eine entscheidende Bedeutung zu. 276 Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten nach Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL grundsätzlich nicht als Steuerpflichtige, soweit sie Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Leistungen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben. Der BFH entschied: Erfolgt die Leistung auf privatrechtlicher Grundlage, 277 ist die juristische Person des öffentlichen Rechts stets als Unternehmer tätig, ohne dass es auf weitere Voraussetzungen, wie z.B. ein Wettbewerbsverhältnis zu anderen Unternehmen, ankommt397. 394 BFH v. 21.3.1995 – XI R 33/94, BFHE 177, 534; v. 11.6.1997 – XI R 33/94, BStBl. II 1999, 418. Trotz der SALIX-Entscheidung des EuGH vertritt dies auch heute noch Bollweg, UR 2010, 652 (653). 395 EuGH v. 4.6.2009 – Rs. C-102/08 – SALIX, Slg. 2009, I-4629. 396 BFH v. 20.8.2009 – V R 70/05, BFH/NV 2009, 2077 (Grundstücksvermietung durch IHK). Vgl. auch BFH v. 15.4.2010 – V R 10/09, BFH/NV 2010, 1574 (Automatenaufstellung); Sächs. FG v. 16.3.2010 – 3 K 2115/05 (Rev. eingelegt; Az. des BFH: XI R 8/10) (Konzession an ein Energieversorgungsunternehmen). 397 BFH v. 15.4.2010 – V R 10/09, BFH/NV 2010, 1574; v. 3.3.2011 – V R 23/10, BStBl. II 2012, 74; v. 10.11.2011 – V R 41/10, BFH/NV 2012, 670; v. 1.12.2011 – V R 1/11, BFH/NV 2012, 534. Nach Meyer, KommJur 2012, 131 (132) ist trotz Handelns in privatrechtlicher Form dann keine unternehmerische Tätigkeit anzunehmen, wenn die Tätigkeit der juristischen Person des öffentlichen Rechts eigentümlich und vorbehalten ist, wobei Meyer auf das BMF-Schreiben vom 11.12.2009 (IV C 7 – S 2706/07/10006) verweist. Beinert/Kostic
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278 Erfolgt die Leistung demgegenüber auf öffentlich-rechtlicher Grundlage, z.B. durch Verwaltungsakt, ist die juristische Person des öffentlichen Rechts nur dann als Unternehmer tätig, wenn eine Behandlung als Nichtunternehmer zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde398. 279 Vermögensverwaltung geschieht nach den Regeln des Privatrechts und ist keine Leistung auf öffentlich-rechtlicher Grundlage. Sie ist daher steuerbar ohne dass es darauf ankommt, ob die juristische Person des öffentlichen Rechts mit solchen Leistungen im Wettbewerb zu Dritten steht. c) Vorliegen von größeren Wettbewerbsverzerrungen 280 Ein Tätigwerden auf öffentlich-rechtlicher Grundlage schlägt bei Vorliegen von größeren Wettbewerbsverzerrungen in eine unternehmerische Tätigkeit um. Der BFH stellt dabei – entsprechend der Isle of Wight-Entscheidung des EuGH399 – auf die fragliche Tätigkeit ab. 281 Damit kann jedes Tätigwerden einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, bei dem „Gebühren“ oder ein sonstiges Entgelt verlangt werden, in eine unternehmerische Tätigkeit umschlagen. Da die fragliche Tätigkeit als solche zu beurteilen ist, spielte die öffentliche Widmung des Parkraums in dem BFH-Urteil vom 1.12.2011400 ebenso wenig eine Rolle wie die straßen- und wegerechtlichen Beurteilung. Entscheidend war allein, dass bei einer nach der Art der Leistung vorzunehmenden Wettbewerbsprüfung nicht zwischen Tiefgaragen, Parkhäusern und anderen selbständigen Parkplatzflächen zu differenzieren ist. 282 Eine Wettbewerbsverzerrung scheidet aus, wenn die Leistungen privater Anbieter steuerfrei sind. Die Nichtbesteuerung der juristischen Personen des öffentlichen Rechts kann für den Fall, dass die Leistungen privater Anbieter steuerfrei sind, nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung führen401. 283 Etwas anderes gilt allerdings, wenn die Leistungen privater Anbieter nach § 4 Nr. 12 UStG steuerfrei sind (wie z.B. im Falle der Vermietung), so dass sich eine Steuerpflicht der durch private Anbieter erbrachten Leis-
398 BFH v. 15.4.2010 – V R 10/09, BFH/NV 2010, 1574; v. 3.3.2011 – V R 23/10, BStBl. II 2012, 74; v. 10.11.2011 – V R 41/10, BFH/NV 2012, 670; v. 1.12.2011 – V R 1/11, BFH/NV 2012, 534. 399 EuGH v. 16.9.2008 – Rs. C-288/07 – Isle of Wight Council, Slg. 2008, I-7203. 400 BFH v. 1.12.2011 – V R 1/11, BFH/NV 2012, 534 zum Fall einer als öffentlichen Straße gewidmeten Tiefgarage. A.A. noch BFH v. 27.2.2003 – V R 78/01, BStBl. II 2004, 431, wonach es keinen wettbewerbsrelevanten Markt zu privaten Parkplatzbetreibern gibt, da diese keine Kurzzeit-Parkplätze nach Maßgabe von § 45 StVO zur Verfügung stellen könnten. In seinem Urteil vom 1.12.2011 hat der BFH es allerdings offen gelassen, ob ein Wettbewerbsverhältnis zu privaten Anbietern zu bejahen wäre, wenn es sich um unselbständige Parkplatzflächen auf öffentlich-rechtlich gewidmeten Straßen handelt, die dem allgemeinen Verkehr dienen. 401 BFH v. 15.4.2010 – V R 10/09, BFH/NV 2010, 1574.
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tungen aufgrund eines Verzichts auf die Steuerfreiheit gemäß § 9 UStG ergeben könnte402. Hier liegt nach Auffassung des BFH eine Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der betroffenen juristischen Person des öffentlichen Rechts vor, weil diese bei einer Behandlung als nichtsteuerpflichtig von der Option zur Steuerpflicht und damit vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist. Entsprechendes gilt unseres Erachtens für alle anderen Steuerbefreiungen, bei denen es die Möglichkeit der Option zur Steuerpflicht gibt. Es muss eine „größere“ Wettbewerbsverzerrung vorliegen. Nach der 284 neuen BFH-Rechtsprechung sind – entsprechend der Isle of Wight-Entscheidung des EuGH403 – „größere“ Wettbewerbsverzerrungen nur dann zu verneinen, wenn die Nichtbesteuerung der öffentlichen Hand lediglich zu unbedeutenden Wettbewerbsverzerrung führen würde404. Es ist also nicht erforderlich, dass „erhebliche“ oder „außergewöhnliche“ Wettbewerbsverzerrungen vorliegen. Betroffen sind auch Beistandsleistungen, die zwischen juristischen Per- 285 sonen des öffentlichen Rechts gegen Entgelt erbracht werden. Im Streitfall, der dem BFH-Urteil vom 10.11.2011405 zugrunde lag, begehrte eine Gemeinde den Vorsteuerabzug für die Errichtung einer Sport- und Freizeithalle. Die Gemeinde nutzte die Halle für den Schulsport, überließ die Halle aber auch gegen Entgelt an private Nutzer sowie an eine Nachbargemeinde für Zwecke des dortigen Schulsports. Der BFH bejahte die Umsatzsteuerpflicht der Tätigkeiten mit Ausnahme der Nutzung für den eigenen Schulsport. Die Überlassung von Räumlichkeiten der Halle gegen Entgelt erfolge bereits nach der Art ihrer Tätigkeit im Wettbewerb zu privaten Anbietern. Auf die Verhältnisse auf dem lokalen Markt komme es dabei nicht an. Im Übrigen sei nicht davon auszugehen, dass eine Nichtbesteuerung zu lediglich unbedeutenden Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Dies gelte auch für die entgeltliche Nutzungsüberlassung der Halle an die Nachbargemeinde. Auch eine sog. Beistandsleistung, die zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts gegen Entgelt erbracht werde, sei steuerbar und bei Fehlen besonderer Befreiungstatbestände steuerpflichtig, wenn sie im Wettbewerb zu privaten Dritten erbracht werde. Eine größere Wettbewerbsverzerrung liegt auch bei Preisgleichheit vor. Der BFH entschied im Urteil vom 1.12.2011, dass es unerheblich sei, wenn eine juristische Person des öffentlichen Rechts ihre Leistungen 402 BFH v. 3.3.2011 – V R 23/10, BStBl. II 2012, 74 (zur Standplatzüberlassung beim Marktbetrieb). Das Urteil ist das einzige Urteil des BFH zur Unternehmereigenschaft der öffentlichen Hand, das im Bundessteuerblatt veröffentlicht wurde; vermutlich, weil sich das Urteil auch mit dem Vorsteuerabzug beschäftigt. 403 EuGH v. 16.9.2008 – Rs. C-288/07 – Isle of Wight Council, Slg. 2008, I-7203. 404 BFH v. 10.11.2011 – V R 41/10, BFH/NV 2012, 670; v. 1.12.2011 – V R 1/11, BFH/NV 2012, 534. 405 BFH v. 10.11.2011 – V R 41/10, BFH/NV 2012, 670. Beinert/Kostic
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zum gleichen Preis wie private Wettbewerber anbiete. Blieben die Leistungen unbesteuert, ergebe sich auch bei Preisgleichheit eine Wettbewerbsverzerrung zulasten der privaten Wettbewerber406. 287 In der Literatur ist die Befürchtung geäußert worden, dass ausgehend von dem tätigkeitsbezogenen Wettbewerbsverständnis des EuGH auch (hoheitliche) Entsorgungsleistungen407 von juristischen Personen des öffentlichen Rechts in Zukunft der Umsatzsteuer unterliegen408. Unseres Erachtens sollten solche Entsorgungsleistungen nicht der Umsatzsteuer unterliegen409. Die Möglichkeit für einen privaten Wirtschaftsteilnehmer, in den Markt einzutreten, muss real und nicht rein hypothetisch sein410. Eine Markteintrittsmöglichkeit besteht aber dann nicht, wenn die Leistungen trotz Aufgabenübertragung auf einen privaten Dritten hoheitlich bleiben oder der Dritte nur zur Durchführung der Aufgabenerledigung eingeschaltet wird (vgl. Rz. 23). 288 Eine Wettbewerbssituation besteht unseres Erachtens nicht, wenn private Anbieter keine vergleichbare Leistung erbringen können, etwa weil die öffentlich-rechtlichen Regelungen keine privaten Anbieter zulassen. Ein lediglich abstrakter Wettbewerb, der aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen überhaupt nicht möglich ist, ist nicht geschützt411. Es bedarf vielmehr einer realistischen Wettbewerbssituation, wobei es ausreicht, wenn die (reale) Möglichkeit des Marktzutritts eines Konkurrenten besteht. 4. Auffassung der Finanzverwaltung 289 Unklar ist, wie die Finanzverwaltung auf die neuen BFH-Urteile reagieren wird. Die Regelungen im Anwendungserlass zur Umsatzsteuer (Abschn. 2.11 UStAE (Stand: 19.6.2012)) entsprechen nicht mehr der Rechtsprechung des BFH. Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten. Derzeit gelten die Aussagen in Abschn. 2.11 UStAE (Stand: 19.6.2012) weiter. 290 Nach Abschn. 2.11 Abs. 4 UStAE (Stand: 19.6.2012) stellt die Finanzverwaltung bei der Prüfung der Frage, ob eine juristische Person des öffentlichen Rechts unternehmerisch tätig ist, auf das Vorliegen eines BgA im
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BFH v. 1.12.2011 – V R 1/11, BFH/NV 2012, 534. Z.B. Hausmüllbeseitigung und Abwasserbeseitigung. Küffner, UR 2008, 823 (825); Seer/Klemke, BB 2010, 2015 (2023). Vgl. im Ergebnis ebenso Widmann, BB 2012, 1074. EuGH v. 16.9.2008 – Rs. C-288/07 – Isle of Wight Council, Slg. 2008, I-7203, Rz. 65. 411 So im Ergebnis auch Thieme, BB 2009, 1900 (1902 f.); Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 2 Rz. 1322 (Juli 2011).
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Sinne des Körperschaftsteuergesetzes ab. Dabei weist sie auch auf die Umsatzgrenzen von 130 000 Euro und 30 678 Euro hin (vgl. Rz. 10, 16)412. Zur vermögensverwaltenden Tätigkeit hat die Finanzverwaltung aller- 291 dings gesondert Stellung genommen. Nach einer Entscheidung der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder kann sich eine juristische Person des öffentlichen Rechts bereits jetzt auf die SALIX-Entscheidung des EuGH berufen mit der Folge, dass ihre Vermietungs- oder Verpachtungstätigkeit dem unternehmerischen Bereich zugeordnet wird, obwohl sie keinen (körperschaftsteuerrechtlichen) BgA i.S.v. § 4 KStG begründet. Die juristische Person des öffentlichen Rechts kann sich allerdings nur für ihre gesamte vermögensverwaltende Tätigkeit auf die SALIX-Entscheidung berufen, die dann insgesamt dem unternehmerischen Bereich zugeordnet wird413. Eine juristische Person des öffentlichen Rechts muss daher sorgfältig prüfen, wie sich eine Berufung auf die EuGH-Rechtsprechung auswirken würde. Zwar wird durch die Zuordnung zum unternehmerischen Bereich die Möglichkeit zum Vorsteuerabzug eröffnet, es wird aber auch die Steuerbarkeit für die gesamten vermögensverwaltenden Tätigkeiten begründet. Besonders im Fokus der Aufmerksamkeit stehen die Beistandsleistungen, 292 die zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts gegen Entgelt erbracht werden. Nach dem BFH-Urteil vom 10.11.2011 ist es mit der europarechtlichen Auslegung von § 2 Abs. 3 UStG nicht zu vereinbaren, Beistandsleistungen auch dann von der Umsatzbesteuerung auszunehmen, wenn diese zwar auf öffentlich-rechtlicher Grundlage, aber im Wettbewerb zu Leistungen privater Dritter erbracht werden414. Nach derzeit noch geltender Auffassung der Finanzverwaltung sind Beistandsleistungen hoheitlich, wenn und soweit sie an den Hoheitsbereich der die Leistung empfangenden juristischen Person des öffentlichen Rechts erbracht werden415. Die OFD Niedersachsen hat dies am 12.1.2012 für das Schulschwimmen noch einmal bestätigt416. Die Finanzverwaltung prüft derzeit die Konsequenzen der neuen BFH-Ur- 293 teile, wie z.B. der Entscheidung des BFH vom 10.11.2011417. Soweit die Rechtsprechung eine verschärfte Rechtsanwendung nach sich ziehen
412 Abschn. 2.11 Abs. 4 UStAE (Stand: 24.4.2012); vgl. auch OFD Frankfurt a. M. v. 15.8.2011 – S 7106 A-119-St 110, USt-Kartei HE § 2 UStG S 7106 Karte 14G Rz. 2.1. 413 OFD Nds. v. 26.1.2011 – S 7106 - 283 - St 171, DStR 2011, 525; OFD Karlsruhe v. 28.2.2012 – S 7100, USt-Kartei BW § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG S 7100 Karte 16 Rz. 2.1. 414 BFH v. 10.11.2011 – V R 41/10, BFH/NV 2012, 670. 415 OFD Frankfurt a. M. v. 15.8.2011 – S 7106 A - 119 - St 110, USt-Kartei HE § 2 UStG S 7106 Karte 14G Rz. 3.5. 416 OFD Nds. v. 12.1.2012 – S 2706-04/01 ST 242, KSt-Kartei ND § 4 KStG Karte E 5. 417 BFH v. 10.11.2011 – V R 41/10, BFH/NV 2012, 670. Beinert/Kostic
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wird, wird sich das Bundesministerium der Finanzen für eine Übergangsregelung einsetzen418. Auch im Schrifttum wird angenommen, dass die Finanzverwaltung Vertrauensschutz gewähren wird, d.h. keine rückwirkende Steuerpflicht anordnen, sondern eine (großzügige) Übergangsregelung schaffen wird419. Bei Investitionsmaßnahmen kann sich die neue Sichtweise auch zugunsten der juristischen Personen des öffentlichen Rechts auswirken, da ihnen so die Möglichkeit zum Vorsteuerabzug eröffnet wird. 5. Abweichungen zum Körperschaftsteuerrecht 294 Der BFH legt § 2 Abs. 3 UStG richtlinienkonform aus (vgl. Rz. 270). Dies hat unter Umständen zur Folge, dass eine Tätigkeit mangels Vorliegen eines (körperschaftsteuerrechtlichen) BgA zwar nicht der Körperschaftsteuer, wohl aber der Umsatzsteuer unterliegt. 295 Bei der Frage, ob eine Tätigkeit als hoheitlich anzusehen und infolgedessen nichtsteuerbar ist, gibt es in vielen Fällen keine Abweichungen zwischen Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer. So ist die klassische Eingriffsverwaltung (insbesondere die Ordnungsverwaltung, aber auch Teile der Wirtschaftsverwaltung wie z.B. die Wirtschaftsaufsicht) ein Bereich, der dem Staat „eigentümlich und vorbehalten“ ist und daher keinen (körperschaftsteuerrechtlichen) BgA begründet. Da die Eingriffsverwaltung auf öffentlich-rechtlicher Grundlage geschieht und größere Wettbewerbsverzerrungen schon deshalb nicht vorliegen, weil private Anbieter keine vergleichbare Leistung erbringen können, ist die Tätigkeit auch nicht umsatzsteuerbar420. Der Gegenpart, die klassische entgeltliche Leistungsverwaltung wird hingegen in der Regel dem steuerbaren Bereich zuzuordnen sein, sowohl hinsichtlich der Körperschaftsteuer als auch hinsichtlich der Umsatzsteuer. 296 Die neue BFH-Rechtsprechung macht aber deutlich, dass sich Körperschaftsteuer- und Umsatzsteuerrecht deutlich auseinander entwickeln. So weist der umsatzsteuerliche Unternehmerbegriff in Bezug auf juristische Personen des öffentlichen Rechts im Vergleich zum körperschaftsteuerlichen BgA insbesondere folgende Unterschiede auf: – Die Vermögensverwaltung kann – auch ohne Vorliegen eines (körperschaftsteuerlichen) BgA (vgl. Rz. 39 ff.) – zum unternehmerischen Bereich der juristischen Person des öffentlichen Rechts gehören.
418 BMF v. 2.3.2012 – IV D 2 S 7106/11/10004, ZKF 2012, 85. 419 Küffner, UR 2012, 277 (278). Vgl. allgemein Korn, KÖSDI 2012, 17856 (17864). 420 Es ließen sich ggf. bereits die allgemeinen Voraussetzungen der Unternehmereigenschaft (§ 2 Abs. 1 UStG bzw. Art. 9 MwStSystRL) verneinen, da klassische Tätigkeiten der Eingriffsverwaltung nicht die Voraussetzungen einer wirtschaftlichen Tätigkeit, d.h. der Tätigkeit eines Dienstleistenden, erfüllen.
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– Umsatzsteuerlich kommt es jedenfalls nach der BFH-Rechtsprechung grundsätzlich auf die Form des Tätigwerdens an, also darauf, ob die juristische Person des öffentlichen Rechts auf privatrechtlicher oder auf öffentlich-rechtlicher Grundlage tätig wird. Für Zwecke der Körperschaftsteuer ist demgegenüber entscheidend, ob eine der juristischen Person des öffentlichen Rechts gesetzlich zugewiesenen Aufgabe erfüllt wird (dann hoheitliche Tätigkeit) oder nicht (vgl. Rz. 20 ff.). – Die Umsatzgrenzen, die bei der Körperschaftsteuer relevant sind (vgl. Rz. 10, 16), spielen jedenfalls nach der BFH-Rechtsprechung umsatzsteuerlich keine Rolle421. Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten. 6. Konkurrentenklage Bei der Frage, ob eine juristische Person des öffentlichen Rechts Unter- 297 nehmer ist, spielt die Frage, ob eine Nichtbesteuerung zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde, eine große Rolle. Damit hat das Umsatzsteuerrecht auch die (privaten) Konkurrenten der juristischen Person des öffentlichen Rechts im Blick. Für einen Konkurrenten kann es zu einem Wettbewerbsnachteil führen, wenn die juristische Person des öffentlichen Rechts die gleichen Leistungen wie er selbst anbietet, diese Leistungen bei der juristischen Person des öffentlichen Rechts aber nicht der Umsatzsteuer unterworfen werden. Eine Konkurrentenklage kann hier ggf. Abhilfe schaffen. a) Klage auf Auskunftserteilung Um eine Konkurrentenklage anstrengen zu können, muss der Konkur- 298 rent der juristischen Person des öffentlichen Rechts erst einmal wissen, ob er überhaupt benachteiligt sein kann, ob also – und ggf. wie viel – Umsatzsteuer die juristische Person des öffentlichen Rechts abführt. Der Konkurrentenklage ist daher eine Klage auf Auskunftserteilung vorgeschaltet. Der BFH422 hat sich 2006 im Anschluss an ein EuGH-Urteil423 mit der Klage auf Auskunftserteilung näher auseinandergesetzt.
421 BFH v. 17.3.2010 – XI R 17/08, BFH/NV 2010, 2359; v. 15.4.2010 – V R 10/09, BFH/NV 2010, 1574. Zustimmend Ismer/Keyser, UR 2011, 81 (87); Kohlhepp, DStR 2011, 145 (149); Radeisen in Plückebaum/Widmann, UStG, § 2 Rz. 401 (November 2011). A.A. die Finanzverwaltung: Abschn. 2.11 Abs. 4 Satz 3 UStAE (Stand: 19.6.2012). 422 BFH v. 5.10.2006 – VII R 24/03, BStBl. II 2007, 243; vgl. auch FG Münster v. 7.12.2010 – 15 K 3614/07 U, EFG 2011, 1383. Vgl. auch zur Besteuerung der konkurrierenden Leistungen eines gemeinnützigen Vereins BFH v. 16.1.2012 – VII R 4/11, DStR 2012, 1029. 423 EuGH v. 8.6.2006 – Rs.-C 430/04 – Feuerbestattungsverein Halle, Slg. 2006, I-4999. Beinert/Kostic
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299 Klagegegner ist das Finanzamt, Klageart die allgemeine Leistungsklage nach § 40 Abs. 1 FGO. 300 Rechtsgrundlage für die Auskunftserteilung ist ein sog. verfassungsunmittelbarer Auskunftsanspruch, der sich aus dem Rechtsstaatsprinzip i.V.m. mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) sowie aus dem Prozessgrundrecht des Art. 19 Abs. 4 GG ergibt424. Voraussetzung eines Auskunftsanspruchs ist, dass der Konkurrent „substantiiert und glaubhaft“ darlegen kann, dass (i) eine unzutreffende Besteuerung oder Nichtbesteuerung der juristischen Person des öffentlichen Rechts aufgrund von Tatsachen zu vermuten oder zumindest mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht auszuschließen ist, (ii) er dadurch selbst Wettbewerbsnachteile erleidet und (iii) mit Aussicht auf Erfolg ein subjektives öffentliches Recht auf steuerlichen Drittschutz geltend machen kann425. 301 Der Konkurrent muss durch die Nichtbesteuerung Wettbewerbsnachteile erleiden. Hierbei lässt der BFH es genügen, wenn die Wettbewerbsnachteile des Konkurrenten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, wobei der BFH auf das Vorliegen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses abstellt. Der juristischen Person des öffentlichen Rechts müssen durch die (angebliche) Nichtbesteuerung ihrer Umsätze gegenüber dem Konkurrenten fühlbare Wettbewerbsvorteile verschafft werden, die erwarten lassen, dass sie sich auf die vom Konkurrenten erzielbaren Umsätze konkret auswirken426. 302 Schließlich muss der Konkurrent mit Aussicht auf Erfolg ein subjektives öffentliches Recht auf steuerlichen Drittschutz geltend machen können. Eine Norm ist drittschützend, wenn sie nicht nur Allgemeininteressen, sondern auch den Konkurrenten individuell schützt. Der BFH hat – basierend auf dem EuGH-Urteil vom 8.6.2006427 – „ernstlich in Betracht“ gezogen, dass § 2 Abs. 3 UStG drittschützend ist428, also die Norm, die die Umsatzsteuerpflicht der juristischen Person des öffentlichen Rechts anordnet. Letztlich entschieden hat der BFH die Frage nicht. Vereinzelt wird der Drittschutz mit dem Hinweis verneint, § 2 Abs. 3 UStG schränke lediglich die allgemeine Regel des § 2 Abs. 1 UStG ein und solle daher nicht Einzelne schützen429. Dem steht unseres Erachtens aber ent-
424 BFH v. 5.10.2006 – VII R 24/03, BStBl. II 2007, 243; FG Münster v. 7.12.2010 – 15 K 3614/07 U, EFG 2011, 1383; zustimmend Englisch, StuW 2008, 43 (59); Krämer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 4 KStG Rz. 99 (Dezember 2010); Kohlhepp, DStR 2011, 145 (146). 425 BFH v. 5.10.2006 – VII R 24/03, BStBl. II 2007, 243; FG Münster v. 7.12.2010 – 15 K 3614/07 U, EFG 2011, 1383. So auch die Finanzverwaltung, vgl. AEAO Nr. 4.7 zu § 30 AO. 426 BFH v. 5.10.2006 – VII R 24/03, BStBl. II 2007, 243. 427 EuGH v. 8.6.2006 – Rs.-C 430/04 – Feuerbestattungsverein Halle, Slg. 2006, I-4999. 428 BFH v. 5.10.2006 – VII R 24/03, BStBl. II 2007, 243. 429 Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 2 Rz. 1171 (Juli 2011).
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gegen, dass juristische Personen des öffentlichen Rechts für den Fall des Entstehens „größerer Wettbewerbsverzerrungen“ besteuert werden. Durch das Abstellen auf diese Wettbewerbsverzerrungen wird § 2 Abs. 3 UStG drittschützend430. Alternativ kann sich der Konkurrent auch direkt auf Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL berufen431. Dem Auskunftsanspruch steht das Steuergeheimnis dann nicht entgegen, 303 wenn die Auskunft der Durchführung eines Verfahrens in Steuersachen dient (vgl. § 30 Abs. 4 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 AO)432. Der BFH lehnt einen Auskunftsanspruch daher nur ab, wenn eine spätere Konkurrentenklage offensichtlich unzulässig wäre, wenn also feststeht, dass dem Konkurrenten die behaupteten Rechte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zustehen können433. Die betroffene juristische Person des öffentlichen Rechts ist zu dem Auskunftsverfahren hinzuzuziehen (§ 30 Abs. 3 AO)434. Besteht ein Auskunftsanspruch, ist im Einzelnen unklar, welche Infor- 304 mationen herausgegeben werden müssen. Das FG Münster beschränkt die Herausgabe auf solche Informationen, die für die anschließende Durchführung einer Konkurrentenklage notwendig sind435. Auch die Finanzverwaltung beschränkt die Auskunft auf das für die Rechtsverfolgung notwendige Maß. In der Auskunft dürfen deshalb nur Angaben über die Art und Weise der Besteuerung der für die Konkurrenzsituation relevanten Umsätze der fraglichen juristischen Person des öffentlichen Rechts gemacht werden, nicht aber über die Höhe dieser Umsätze und der hierauf festgesetzten Steuer436. Nach unseres Erachtens zutreffender Auffassung der Literatur dürfen Informationen, deren Weitergabe berechtigte Interessen Dritter oder Geschäftsgeheimnisse beeinträchtigen würden, nicht herausgegeben werden437.
430 So im Ergebnis auch Englisch, StuW 2008, 43 (46); Seer in Tipke/Kruse, AO/ FGO, § 40 FGO Rz. 83 (Mai 2010). 431 EuGH v. 8.6.2006 – Rs. C-430/04 – Feuerbestattungsverein Halle, Slg. 2006, I-4999; BFH v. 5.10.2006 – VII R 24/03, BStBl. II 2007, 243. 432 BFH v. 5.10.2006 – VII R 24/03, BStBl. II 2007, 243; FG Münster v. 7.12.2010 – 15 K 3614/07 U, EFG 2011, 1383; BFH v. 26.1.2012 – VII R 4/11, DStR 2012, 1029. Vgl. dazu auch Sinewe/Frase, BB 2011, 1567 (1568). Kritisch Rüsken, NWB Fach 2, 9465 (9466). 433 BFH v. 5.10.2006 – VII R 24/03, BStBl. II 2007, 243; v. 26.1.2012 – VII R 4/11, DStR 2012, 1029. Englisch, StuW 2008, 43 (61) weist unseres Erachtens zutreffend darauf hin, dass in dieser Situation bereits kein Auskunftsanspruch gegeben ist, so dass die Einschränkung irrelevant ist. 434 Vgl. auch AEAO Nr. 4.7 zu § 30 AO. 435 Das FG Münster v. 7.12.2010 – 15 K 3614/07 U, EFG 2011, 1383 macht die Herausgabe von Informationen vom Einzelfall abhängig und hat in dem zu entscheidenden Fall nur eine Auskunft darüber, ob der Regelsteuersatz oder der ermäßigte Steuersatz angewendet wurde, zugesprochen. 436 AEAO Nr. 4.7 zu § 30 AO. 437 Englisch, StuW 2008, 43 (60). Beinert/Kostic
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b) Konkurrentenklage 305 Im zweiten Schritt kann der private Wirtschaftsteilnehmer Konkurrentenklage erheben. Hierbei stellen sich insbesondere folgende Fragen: 306 Zunächst stellt sich die Frage nach der Klageart. Der BFH hat sich 2007 in einem Beschluss zur Klageart geäußert438. Danach steht einem Konkurrenten die Verpflichtungsklage zur Verfügung, wenn er substantiiert geltend machen kann, die Nichtbesteuerung der wirtschaftlichen Tätigkeit der juristischen Person des öffentlichen Rechts beeinträchtige sein Recht auf Teilnahme am Wettbewerb. Die Verpflichtungsklage ist darauf gerichtet, das Finanzamt zu verpflichten, die juristische Person des öffentlichen Rechts hinsichtlich ihrer unternehmerischen Tätigkeit i.S.v. § 2 Abs. 3 UStG zu besteuern439. 307 Der BFH differenzierte in dem Beschluss nicht danach, ob gegen die juristische Person des öffentlichen Rechts bereits ein Steuerbescheid erlassen wurde oder nicht. Unseres Erachtens ist die Auffassung des BFH nur dann zutreffend, wenn noch kein Steuerbescheid vorliegt. Wurde bereits ein Steuerbescheid erlassen, ist die statthafte Klageart unseres Erachtens die auf Abänderung des vorliegenden Steuerbescheids gerichtete Anfechtungsklage440, § 40 Abs. 1 i.V.m. § 100 Abs. 2 FGO441. 308 Eine Feststellungsklage scheitert unseres Erachtens demgegenüber im Regelfall an ihrer Subsidiarität (§ 40 Abs. 2 FGO). Eine Ausnahme besteht allerdings dann, wenn die Feststellungsklage rechtsschutzintensiver ist. Dies ist zum Beispiel denkbar, wenn es dem Konkurrenten um die Korrektur einer Verwaltungspraxis geht, die systematisch eine Vielzahl von juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder dieselbe juristische Person des öffentlichen Rechts in einer Vielzahl von Fällen begünstigt442. Da die Frage der statthaften Klageart derzeit noch nicht endgültig geklärt ist, erscheint es sinnvoll, einen Verpflichtungs- oder Anfechtungsantrag mit einem hilfsweisen Feststellungsantrag zu kombinieren443.
438 BFH v. 18.9.2007 – I R 30/06, BStBl. II 2009, 126. 439 Der BFH verweist zur Begründung auf ein älteres BFH-Urteil (BFH v. 15.10.1997 – I R 10/92, BStBl. II 1998, 63). In diesem Urteil differenziert der BFH danach, ob bereits ein Steuerbescheid erlassen wurde oder nicht. Wurde bereits ein Steuerbescheid erlassen, ist die Anfechtungsklage die statthafte Klageart. Liegt noch kein Steuerbescheid vor, ist die Feststellungsklage die statthafte Klageart. Die Verpflichtungsklage hält der BFH demgegenüber für unzulässig. Die Auffassung, die Verpflichtungsklage sei unzulässig, hat der BFH unseres Erachtens mit Beschluss vom 18.9.2007 – I R 30/06, BStBl. II 2009, 126 aufgegeben. 440 Vgl. auch BFH v. 15.10.1997 – I R 10/92, BStBl. II 1998, 63; Englisch, StuW 2008, 43 (44 f.); Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 40 FGO Rz. 85 (Mai 2010). 441 Englisch, StuW 2008, 43 (45). 442 Englisch, StuW 2008, 43 (45); Sinewe/Frase, BB 2011, 1567 (1569). 443 Vgl. auch Sinewe/Frase, BB 2011, 1567 (1568).
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Der Klageantrag des Konkurrenten muss unseres Erachtens weder bei der 309 Verpflichtungs- noch bei der Anfechtungsklage die begehrte Steuerfestsetzung der Höhe nach genau beziffern. Für die Verpflichtungsklage ergibt sich dies aus der Möglichkeit eines Bescheidungsurteils nach § 101 Satz 2 FGO444. Danach kann das Gericht das Finanzamt verpflichten, einen Steuerbescheid unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erlassen. Bei der auf Abänderung zielenden Anfechtungsklage ergibt sich dies aus § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO. Die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit, dass das Gericht dem Finanzamt die konkrete Berechnung der Steuer auftragen kann, entbindet unseres Erachtens auch den Konkurrenten davon, die Höhe der begehrten Steuerfestsetzung genau zu beziffern445. Der Konkurrent muss klagebefugt i.S.v. § 40 Abs. 2 FGO sein. Das setzt 310 voraus, dass (i) der Konkurrent sich auf eine drittschützende Norm berufen kann und (ii) der Konkurrent in einer konkreten Wettbewerbssituation zu der juristischen Person des öffentlichen Rechts steht. Im ersten Schritt wird – mit höheren Anforderungen als bei dem Beste- 311 hen eines Auskunftsanspruchs – geprüft, ob eine drittschützende Norm verletzt sein könnte, d.h. eine Norm, die nicht nur Allgemeininteressen, sondern auch den Konkurrenten individuell schützt. Im zweiten Schritt wird geprüft, ob der Konkurrent in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis zur juristischen Person des öffentlichen Rechts steht446. Die Anforderungen an das Wettbewerbsverhältnis entsprechen unseres Erachtens denen, die auch für das Vorliegen des Auskunftsanspruchs erforderlich sind447. Der Konkurrent muss also im Rahmen der Zulässigkeit der Konkurrentenklage das Vorliegen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses substantiiert darlegen448. 444 Vgl. auch Englisch, StuW 2008, 43 (45). 445 Vgl. auch Englisch, StuW 2008, 43 (45); Kohlhepp, DStR 2011, 145 (148). 446 BFH v. 5.10.2006 – VII R 24/03, BStBl. II 2007, 243. Vgl. auch Englisch, StuW 2008, 43 (47); Kohlhepp, DStR 2011, 145 (148); Sinewe/Frase, BB 2011, 1567 (1569). 447 Der BFH stellt darauf ab, dass Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Konkurrentenklage ebenfalls ist, dass der Konkurrent zu der juristischen Person des öffentlichen Rechts tatsächlich in einem Wettbewerbsverhältnis steht und der juristischen Person des öffentlichen Rechts durch die (angebliche) Nichtbesteuerung gegenüber dem Konkurrenten fühlbare Wettbewerbsvorteile verschafft werden, die erwarten lassen, dass sie sich auf die vom Kläger erzielbaren Umsätze konkret auswirken, BFH v. 5.10.2006 – VII R 24/03, BStBl. II 2007, 243. 448 Ebenfalls von einer substantiierten Darlegung ausgehend (für den Fall einer Konkurrentenklage) BFH v. 15.10.1997 – I R 10/92, BStBl. II 1998, 63 sowie (allgemein) Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 40 FGO Rz. 92 (Mai 2010). Unklar ist die Aussage bei Kohlhepp, DStR 2011, 145 (148), die Abgrenzung zwischen prozessualen Fragen und materiell-rechtlichen Fragen sei nicht trennscharf. Die Anforderungen an die Intensität der Wettbewerbsbeeinträchtigung seien für die Begründetheit der Klage nochmals höher. Beinert/Kostic
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312 Die Klage ist begründet, wenn eine unternehmerische Tätigkeit der juristischen Person des öffentlichen Rechts i.S.v. § 2 Abs. 3 UStG vorliegt, die bislang nicht der Umsatzsteuer unterworfen wurde und dadurch eine Wettbewerbsbeeinträchtigung zu Lasten des Konkurrenten vorliegt. 313 Unklar ist, ob – und ggf. wann – die juristische Person des öffentlichen Rechts Vertrauensschutz für sich in Anspruch nehmen kann. Vertrauensschutz kommt unter folgenden Gesichtspunkten in Betracht: 314 Zum einen weiß die juristische Person des öffentlichen Rechts möglicherweise nicht, dass es einen Wettbewerber und somit ein Wettbewerbsverhältnis gibt. Teilweise wird erwogen, dass die Umsatzsteuerpflicht der juristischen Person des öffentlichen Rechts erst dann beginnt, wenn der Konkurrent der juristischen Person des öffentlichen Rechts die Aufnahme seiner Tätigkeit anzeigt oder die juristische Person des öffentlichen Rechts anderweitig vom Bestehen des Wettbewerbsverhältnisses Kenntnis erlangt449. Dem ist unseres Erachtens nicht zu folgen. Eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist bereits dann umsatzsteuerpflichtig, wenn eine potentielle Wettbewerbssituation besteht (vgl. Rz. 267). Vertrauensschutz besteht daher nur, wenn und solange das Vorliegen potentiellen Wettbewerbs ausgeschlossen werden kann. 315 Zum anderen ist möglicherweise gegenüber der juristischen Person des öffentlichen Rechts bereits ein Steuerbescheid ergangen. Dieser Steuerbescheid wird regelmäßig nur der juristischen Person des öffentlichen Rechts und nicht dem Konkurrenten bekanntgegeben. Es besteht daher die Möglichkeit, dass der Konkurrent Klage einreicht, nachdem die Einspruchs- bzw. Klagefrist für die juristische Person des öffentlichen Rechts bereits abgelaufen ist, der Steuerbescheid also im Verhältnis zu der juristischen Person des öffentlichen Rechts formell bestandskräftig wurde. Denn für den Konkurrenten hat die Einspruchs- bzw. Klagefrist mangels Bekanntgabe noch nicht zu laufen begonnen. Der BFH erwähnt, dass in der Vergangenheit eingetretene Wettbewerbsverzerrungen nicht im Wege der Konkurrentenklage rückgängig gemacht werden könnten, die Konkurrentenklage vielmehr darauf gerichtet sei, künftige Wettbewerbsnachteile abzuwehren450. Im Schrifttum wird aus dieser Aussage zum Teil gefolgert, dass der BFH davon ausgehe, dass einer Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage das Rechtsschutzbedürfnis fehle451. Der BFH führt aber auch aus, dass wenn der Konkurrent den letzten noch anfechtbaren Umsatzsteuerbescheid der juristischen Person des öffentlichen Rechts anfechte, die Anfechtung erkennbar darauf gerichtet sei, künftige Wett-
449 Kohlhepp, DStR 2011, 145 (150). 450 BFH v. 5.10.2006 – VII R 24/03, BStBl. II 2007, 243. 451 Vgl. Englisch, StuW 2008, 43 (58), der davon ausgeht, dass der BFH damit unausgesprochen das Rechtschutzbedürfnis in Frage stellt, wobei Englisch diese Auffassung aber im Ergebnis ablehnt. Vgl. auch die Diskussion zur Klageart bei Kohlhepp, DStR 2011, 145 (148).
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bewerbsnachteile abzuwehren452. Unseres Erachtens folgt hieraus, dass eine Anfechtungsklage gegen den letzten (aus Sicht des privaten Konkurrenten) noch anfechtbaren Umsatzsteuerbescheid möglich ist. 7. Berufung der öffentlichen Hand auf Art. 13 MwStSystRL In der SALIX-Entscheidung453 hat der EuGH ausdrücklich klargestellt, 316 dass Wettbewerbsverzerrungen auch zu Lasten der juristischen Person des öffentlichen Rechts möglich sind. Damit kann sich auch die öffentliche Hand auf Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL berufen.
II. Steuerbare Umsätze 1. Lieferungen und sonstige Leistungen Qualifiziert eine juristische Person des öffentlichen Rechts als Unterneh- 317 mer, unterliegen ihre steuerbaren und steuerpflichtigen (d.h. nicht steuerbefreiten) Umsätze der Umsatzsteuer. Umsatzsteuerbar sind insbesondere Lieferungen und sonstige Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG). Sowohl eine Lieferung als auch eine sonstige Leistung setzen einen Leistungsaustausch voraus, d.h. Leistung und Gegenleistung (Entgelt) müssen in einem wechselseitigen Zusammenhang stehen454. Neben den Lieferungen und sonstigen Leistungen unterliegen die Einfuhr von Gegenständen im Inland (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 UStG) sowie der innergemeinschaftliche Erwerb im Inland gegen Entgelt (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG) der Umsatzsteuer. Bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts gibt es folgende Besonderheiten: 2. Innenumsätze Da die gesamte unternehmerische Tätigkeit einer juristischen Person des 318 öffentlichen Rechts ein Unternehmen bildet455, sind Umsätze innerhalb dieses Unternehmensbereichs als Innenumsätze nicht steuerbar. 3. Unentgeltliche Wertabgabe Von der Regel, dass ein steuerbarer Umsatz einen Leistungsaustausch und damit ein Entgelt voraussetzt, macht das Umsatzsteuergesetz im Fall der unentgeltlichen Wertabgabe eine Ausnahme. Unentgeltliche Wertabgaben sind insbesondere:
452 453 454 455
BFH v. 5.10.2006 – VII R 24/03, BStBl. II 2007, 243. EuGH v. 4.6.2009 – Rs. C-102/08 – „SALIX“, Slg. 2009, I-4629. Abschn. 1.1 Abs. 1 Satz 2 UStAE (Stand: 19.6.2012). Abschn. 2.11 Abs. 2 Satz 1 UStAE (Stand: 19.6.2012). Beinert/Kostic
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– Die Entnahme eines Gegenstands durch einen Unternehmer aus seinem Unternehmen für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen (§ 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 1 UStG); – die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands, der zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt hat, durch einen Unternehmer für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen (§ 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG). Die unentgeltliche Wertabgabe setzt in beiden Fällen voraus, dass der Gegenstand (oder seine Bestandteile) zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt hat (§ 3 Abs. 1b Satz 2, Abs. 9a Nr. 1 UStG). 320 In der Vergangenheit konnte eine juristische Person des öffentlichen Rechts einen Gegenstand auch dann ihrem Unternehmen zuordnen und war bei Bezug dieses Gegenstands auch dann zum Vorsteuerabzug berechtigt, wenn sie beabsichtigte, den Gegenstand teilweise für hoheitliche Zwecke zu verwenden oder ihn nach einer gewissen Zeit der unternehmerischen Nutzung in den Hoheitsbereich zu entnehmen. Im Gegenzug führte die Entnahme des Gegenstands aus dem BgA in den Hoheitsbereich (bzw. die Verwendung des Gegenstands für den Hoheitsbereich) unter bestimmten Voraussetzungen zur Annahme einer unentgeltlichen Wertabgabe. 321 Die Entnahme eines Gegenstands, der zum vollen (oder teilweisen) Vorsteuerabzug berechtigt hatte, aus dem BgA in den Hoheitsbereich stellte eine nach § 3 Abs. 1b UStG steuerpflichtige unentgeltliche Wertabgabe dar. Die unentgeltliche Wertabgabe bemaß sich gem. § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG nach dem Einkaufspreis (zzgl. Nebenkosten) für den Gegenstand oder für einen gleichartigen Gegenstand oder mangels Einkaufspreises nach den Selbstkosten jeweils zum Zeitpunkt der Entnahme456. 322 Die Verwendung eines Gegenstands, der zum vollen (oder teilweisen) Vorsteuerabzug berechtigt hatte, für den Hoheitsbereich stellte eine nach § 3 Abs. 9a UStG steuerpflichtige unentgeltliche Wertabgabe dar. Bemessungsgrundlage war nach § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG die bei der Verwendung des Gegenstands entstandenen Ausgaben des BgA, zu denen auch die (anteiligen) Anschaffungskosten für den Gegenstand gehörten. Dabei waren Anschaffungskosten von mindestens 500 Euro gleichmäßig auf einen Zeitraum zu verteilen, der dem für den Gegenstand maßgeblichen Berichtigungszeitraum nach § 15a UStG entsprach. Dementsprechend war eine unentgeltliche Wertabgabe unseres Erachtens nur innerhalb des Berichtigungszeitraums nach § 15a UStG möglich457. Der Berichtigungszeitraum nach § 15a UStG beträgt bei beweglichen Wirtschaftsgütern fünf Jahre und bei Grundstücken sowie deren wesentlichen Bestandteilen zehn Jahre. 456 Abschn. 10.6 Abs. 1 Satz 1 UStAE (Stand: 19.6.2012). 457 In diesem Sinne auch Lippross, DStZ 2012, 320 (331).
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Nach nunmehr geltender Auffassung der BFH-Rechtsprechung458, der sich 323 die Finanzverwaltung459 angeschlossen hat, ist die Zuordnung eines Gegenstands zum Unternehmen und damit der Vorsteuerabzug ausgeschlossen, soweit eine juristische Person des öffentlichen Rechts bei Bezug des Gegenstands beabsichtigt, diesen teilweise für hoheitliche Zwecke zu verwenden (vgl. im Einzelnen Rz. 343 ff.). Da eine unentgeltliche Wertabgabe voraussetzt, dass der Gegenstand dem Unternehmen zugeordnet ist, kann in der unentgeltlichen Verwendung des Gegenstands für den Hoheitsbereich dann keine unentgeltliche Wertabgabe mehr liegen. Etwas anderes gilt, wenn sich die dem Vorsteuerabzug zugrunde gelegten 324 Umstände ändern – also der Gegenstand in den Hoheitsbereich entnommen oder in höherem Maße hoheitlich genutzt wird als ursprünglich beabsichtigt. Dann liegt nach Verwaltungsauffassung insoweit eine unentgeltliche Wertabgabe nach § 3 Abs. 9a Nr. 1 UStG vor460. Beabsichtigt eine juristische Person des öffentlichen Rechts also z.B. zunächst, einen Gegenstand vollständig unternehmerisch zu nutzen, ist dieser Gegenstand voll ihrem unternehmerischen Bereich zuzuordnen und die juristische Person des öffentlichen Rechts zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt. Wird der Gegenstand anschließend dennoch in den Hoheitsbereich entnommen, liegt unseres Erachtens auch weiterhin eine unentgeltliche Wertabgabe nach § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 1 UStG vor461. Die neue Auffassung ist ab dem 31.12.2012 anzuwenden. Für Gegenstän- 325 de, die vor dem 31.12.2012 dem vollen Vorsteuerabzug unterlegen haben, hat die juristische Person des öffentlichen Rechts auch in Zukunft unentgeltliche Wertabgaben nach den in der Vergangenheit geltenden Regeln (vgl. Rz. 320 ff.) zu versteuern462. 4. Heranziehung Dritter zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben Bedient sich eine juristische Person des öffentlichen Rechts zur Durch- 326 führung ihrer Aufgaben eines Erfüllungsgehilfen, ist für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung der Leistungsbeziehungen entscheidend, wie der
458 BFH v. 3.3.2011 – V R 23/10, BStBl. II 2012, 74; v. 10.11.2011 – V R 41/10, BFH/NV 2012, 670. 459 BMF v. 2.1.2012 – IV D 2-S 7300/11/10002, BStBl. I 2012, 60. 460 Vgl. BMF v. 2.1.2012 – IV D 2-S 7300/11/10002, BStBl. I 2012, 60 Rz. III.4.; Abschn. 3.4 Abs. 2 Satz 4, Abs. 5a Satz 4 UStAE (Stand: 19.6.2012). Zustimmend Wäger, UR 2012, 25 (29). A.A. Reiß, UR 2010, 797 (807 f., 811); Küffner/ von Streit, DStR 2012, 636 (639), die eine Berichtigung der Vorsteuern nach § 15a UStG statt einer „Entnahmebesteuerung“ für zutreffend halten. 461 Vgl. auch BMF v. 2.1.2012 – IV D 2-S 7300/11/10002, BStBl. I 2012, 60 Rz. IV – Schaubild. Dort wird bei späterer nichtunternehmerischer Verwendung eine unentgeltliche Wertabgabe angenommen, allerdings nicht zwischen § 3 Abs. 1b und Abs. 9a UStG differenziert. 462 BMF v. 2.1.2012 – IV D 2-S 7300/11/10002, BStBl. I 2012, 60 Rz. VI, ergänzt durch BMF v. 24.4.2012 – IV D 2 - S 7300/11/10002. Beinert/Kostic
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private Dritte nach außen gegenüber dem Bürger auftritt. Tritt der Dritte im eigenen Namen und für eigene Rechnung auf, so erbringt er seine Leistung unmittelbar an den Bürger463. Zwischen der juristischen Person des öffentlichen Rechts und dem Bürger bestehen in diesen Fällen keine Leistungsbeziehungen464. 327 Tritt der Dritte dagegen nach außen im Namen der juristischen Person des öffentlichen Rechts auf, erbringt diese eine (nicht steuerbare) Leistung an den Bürger. Der Dritte erbringt seine Leistung ausschließlich gegenüber dem Aufgabenträger (also der juristischen Person des öffentlichen Rechts). 328 In der Praxis findet sich häufig die Konstellation, dass einem solchen Dritten zur Durchführung der Aufgabe seitens der juristischen Person des öffentlichen Rechts bei ihr angestelltes Personal überlassen wird, das z.B. vormals mit der Erfüllung dieser Aufgaben im Rahmen eines Eigenbetriebs betraut war. Aus Sicht der juristischen Person des öffentlichen Rechts stellt sich die Frage, ob sie dadurch eine steuerbare Leistung erbringt. Dies ist nicht der Fall, wenn sie mit der Personalbeistellung an der Erbringung der Leistung des Dritten mitwirkt und keine eigene Leistung der juristischen Person des öffentlichen Rechts an den Dritten vorliegt. Dafür muss sichergestellt sein, dass das Personal nicht für Umsätze an Drittkunden eingesetzt wird465. 5. Umsatzsteuerliche Behandlung von Fördermitteln 329 Die umsatzsteuerliche Behandlung von Fördermitteln ist durch drei grundlegende Aussagen charakterisiert: – Entscheidend ist der jeweilige Einzelfall. – Ein Entgelt für eine Leistung an die juristische Person des öffentlichen Rechts liegt vor, wenn ein Leistungsaustauschverhältnis zwischen dem Unternehmer (Zahlungsempfänger) und der zahlenden juristischen Person des öffentlichen Rechts besteht; dies wird weit ausgelegt. – Die Zuwendungen aus öffentlichen Kassen, die ausschließlich auf Grundlage des Haushaltsrechts und den dazu erlassenen Allgemeinen
463 BFH v. 2.12.1999 – V B 81/99, BFH/NV 2000, 403; Sächs. FG v. 28.6.2001 – 2 K 2261/98, 556/98, EFG 2001, 1577; BFH v. 28.2.2002 – V R 19/01, BStBl. II 2003, 950. Vgl. auch OFD Frankfurt a. M. v. 24.6.2010 – S 7100 A - 228 - St 110, UStKartei HE § 1 UStG S 7100 Karte 59. 464 Der Dritte erbringt gegenüber der juristischen Person des öffentlichen Rechts in der Regel eine sonstige Leistung, vgl. BFH v. 28.2.2002 – V R 19/01, BStBl. II 2003, 950; Abschn. 2.11 Abs. 3 Satz 3 UStAE (Stand: 19.6.2012). 465 BFH v. 6.12.2007 – V R 42/06, BStBl. II 2009, 493; FG Nds. v. 20.7.2006 – 16 K 574/04, EFG 2007, 146. Vgl. zu den Voraussetzungen der nichtsteuerbaren Personalbeistellung im Einzelnen Abschn. 1.1 Abs. 6 UStAE (Stand: 19.6.2012).
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Nebenbestimmungen vergeben werden, sind in der Regel als echte Zuschüsse zu beurteilen. Im Anwendungserlass Umsatzsteuer (Abschn. 10.2 UStAE (Stand: 330 19.6.2012)) werden drei voneinander abzugrenzende Gruppen gebildet: – Zuschüsse als Entgelt für eine Leistung an den Zuschussgeber (Zahlenden), – Zuschüsse als zusätzliches Entgelt eines Dritten („unechter Zuschuss“), – „echte Zuschüsse“. a) Zuschüsse als Entgelt für Leistungen an den Zuschussgeber (Zahlenden) Nach Auffassung der Rechtsprechung ist höchstrichterlich geklärt, nach 331 welchen Grundsätzen zu entscheiden ist, ob Fördermittel einer Körperschaft des öffentlichen Rechts als unechte Zuschüsse der Umsatzsteuer unterliegen. Es gilt Folgendes466: Übernimmt ein Unternehmer die Erfüllung der Aufgaben einer juristi- 332 schen Person des öffentlichen Rechts und erhält er im Zusammenhang damit Geldzahlungen, so bestimmt sich in erster Linie nach den Vereinbarungen des Leistenden mit dem Zahlenden, ob die Leistung des Unternehmers derart mit der Zahlung („Zuschuss“) verknüpft ist, dass sie sich auf die Erlangung einer Gegenleistung (Zahlung) richtet. Zahlungen der öffentlichen Hand können Entgelt für eine steuerbare Leistung sein, wenn der Unternehmer im Auftrag der juristischen Person des öffentlichen Rechts eine Aufgabe aus deren Kompetenzbereich übernimmt und die Zahlung damit zusammenhängt. Kein Entgelt liegt vor, wenn die Zahlung lediglich der Förderung des Unternehmers im allgemeinen Interesse dienen soll und nicht der Gegenwert für eine steuerbare Leistung an die juristische Person des öffentlichen Rechts sein soll467. Diese Grundsätze gelten auch im Falle einer Weiterleitung von Fördergeldern468. Die Besteuerung setzt das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der erbrachten Leistung und der Zahlung voraus. Die juristische Person des öffentlichen Rechts muss einen Vorteil haben, der zu einem Verbrauch im Sinne des gemeinsamen Mehrwertsteuerrechts führt469. 466 BFH v. 14.11.2011 – XI B 66/11, BFH/NV 2012, 460. 467 BFH v. 8.11.2007 – V R 20/05, BStBl. II 2009, 483 m.w.N.; v. 28.12.2010 – XI B 109/09, BFH/NV 2011, 858; v. 14.11.2011– XI B 66/11, BFH/NV 2012, 460. 468 BFH v. 18.7.2000 – V B 35/00, BFH/NV 2001, 71. 469 EuGH v. 18.12.1997 – Rs. C-384/95 – Landboden, Slg. 1997, I-7387; BFH v. 18.1.2005 – V R 17/02, BFH/NV 2005, 1394; v. 14.11.2011 – XI B 66/11, BFH/NV 2012, 460. Beinert/Kostic
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334 Ob die Leistung des Unternehmers derart mit der Zahlung verknüpft ist, dass sie sich auf die Erlangung einer Gegenleistung (Zahlung) richtet und zwischen der erbrachten Leistung und der Zahlung ein unmittelbarer Zusammenhang besteht, ist nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse zu bestimmen; dies ist in erster Linie eine Frage der tatrichterlichen Würdigung der Umstände des Einzelfalls, die dem Finanzgericht als Tatsacheninstanz obliegt470. 335 Nach Auffassung der Finanzverwaltung sind Zuschüsse dann Entgelt für eine Leistung an die juristische Person des öffentlichen Rechts, – wenn ein Leistungsaustauschverhältnis zwischen dem Unternehmer (Zahlungsempfänger) und der zahlenden juristischen Person des öffentlichen Rechts besteht; – wenn ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der erbrachten Leistung und dem Zuschuss besteht, d.h. wenn der Unternehmer seine Leistung – insbesondere bei gegenseitigen Verträgen – erkennbar um der Gegenleistung willen erbringt; – wenn die juristische Person des öffentlichen Rechts einen Gegenstand oder einen sonstigen Vorteil erhält, aufgrund dessen sie als Empfänger einer Lieferung oder sonstigen Leistung angesehen werden kann; – wenn (bei der juristische Person des öffentlichen Rechts oder am Ende der Verbraucherkette) ein Verbrauch im Sinne des gemeinsamen Mehrwertsteuerrechts vorliegt471. 336 Die Anforderungen an ein Leistungsaustauschverhältnis sind nicht besonders hoch. Oftmals schalten Gemeinden privatrechtlich organisierte Unternehmen in die Durchführung hoheitlicher Aufgaben ein (z.B. die Abwasserversorgung), unter anderem damit diese Unternehmen bei Investitionsvorhaben den Vorsteuerabzug geltend machen können. Finanziert werden die Unternehmen durch Zuwendungen der juristischen Person des öffentlichen Rechts, einschließlich weitergeleiteter Zuwendungen. Es stellt sich die Frage, wie die Ausreichung und Weiterleitung dieser Fördermittel steuerlich zu würdigen ist. 337 Die Finanzverwaltung geht davon aus, dass wenn eine juristische Person des öffentlichen Rechts Fördermittel an das von ihm eingeschaltete Unternehmen ausreicht oder weiterleitet, die Ausreichung oder Weiterleitung geschieht, damit das Unternehmen die hoheitliche Aufgabe erfüllt. Daher liege in der Regel ein Leistungsaustausch zwischen der juristischen Person des öffentlichen Rechts und dem Unternehmen vor. Die 470 BFH v. 11.7.2007 – IX B 94/07, BFH/NV 2007, 2081; v. 28.12.2010 – XI B 109/09, BFH/NV 2011, 858; v. 14.11.2011 – XI B 66/11, BFH/NV 2012, 460. 471 Abschn. 10.2 Abs. 2 UStAE (Stand: 19.6.2012); OFD Frankfurt a. M. v. 15.8.2011 – S. 7106 A-119-St-110, USt-Kartei HE § 2 UStG S 7106 Karte 14G Rz. 7.1.
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Fördermittel stellen umsatzsteuerpflichtiges Entgelt für die Ausführung der konkreten Leistung (Durchführung der hoheitlichen Aufgabe) dar472. Die Finanzverwaltung beruft sich auf die Rechtsprechung473. Die Zuwendungen aus öffentlichen Kassen, die ausschließlich auf Grundlage des Haushaltsrechts und den dazu erlassenen Allgemeinen Nebenbestimmungen vergeben werden, sind dagegen in der Regel als echte Zuschüsse zu beurteilen. Für ein Leistungsaustauschverhältnis spricht aber, wenn die Bewilligung der Fördermittel mit besonderen Nebenbestimmungen verknüpft ist474. Auflagen und insbesondere Vorbehalte des Zuwendungsgebers hinsichtlich der Verwendung des Tätigkeitsergebnisses lassen auf einen Leistungsaustausch schließen475. b) Zuschüsse als zusätzliches Entgelt eines Dritten („unechter Zuschuss“) Die sog. „unechten Zuschüsse“ beschreiben Zahlungen, die dem leisten- 338 den Unternehmer für eine von ihm erbrachte Lieferung oder sonstige Leistung von einem anderen als dem Leistungsempfänger gewährt werden. Es handelt sich um zusätzliches Entgelt eines Dritten i.S.v. § 10 Abs. 1 Satz 3 UStG. Ein solcher unechter Zuschuss liegt nach Auffassung der Finanzverwaltung dann vor, wenn der „Zuschuss“ die Zahlung des Leistungsempfängers ergänzt und damit preisauffüllenden Charakter hat476. Nicht zum zusätzlichen Entgelt gehören hingegen Zahlungen eines Dritten, wenn sie dem leistenden Unternehmer (Zahlungsempfänger) zu dessen Förderung und nicht überwiegend im Interesse des Leistungsempfängers gewährt werden.
472 Vgl. BMF v. 27.12.1990 – IV A 2-S 7300-66/90, BStBl. I 1991, 81 (Einschalterlass I); v. 10.12.2003 – IV B 7-S 7106-100/03, BStBl. I 2003, 785 (Einschalterlass II). 473 Zur Abwasserversorgung vgl. BFH v. 20.12.2001 – V R 81/99, BStBl. II 2003, 213; v. 8.11.2007 – V R 20/05, BStBl. II 2009, 483 m.w.N.; v. 28.12.2010 – XI B 109/09, BFH/NV 2011, 858. 474 Der Zuwendungsbescheid lässt ggf. darauf schließen, ob im Einzelfall aufgrund zusätzlicher Auflagen oder Bedingungen des Zuwendungsgebers oder sonstiger Umstände ein steuerbarer Leistungsaustausch zwischen dem Zuwendungsgeber und dem Zuwendungsempfänger, ein Entgelt von dritter Seite oder eben ein echter Zuschuss vorliegt, vgl. „Leitfaden EG-Beihilfenrechtskonforme Finanzierung von kommunalen Leistungen der Daseinsvorsorge“ des Landes Nordrhein-Westfalen v. Mai 2008; Abschn. 10.2 Abs. 9, 10 UStAE (Stand: 19.6.2012). 475 Abschn. 10.2 Abs. 9 UStAE (Stand: 19.6.2012). 476 Abschn. 10.2 Abs. 5 UStAE (Stand: 19.6.2012); OFD Frankfurt a. M. v. 15.8.2011 – S 2706 A-119-St 110, USt-Kartei HE § 2 UStG S 7106 Karte 14G Rz. 7.2. Beinert/Kostic
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c) Echte Zuschüsse 339 „Echte Zuschüsse“ liegen vor, wenn die Zahlungen der juristischen Person des öffentlichen Rechts nicht aufgrund eines Leistungsaustauschverhältnisses erbracht werden. Dies ist der Fall, wenn die Zahlungen nicht an bestimmte Umsätze anknüpfen, sondern unabhängig von einer bestimmten Leistungserbringung gewährt werden. Die Zuwendungen aus öffentlichen Kassen, die ausschließlich auf Grundlage des Haushaltsrechts und den dazu erlassenen Allgemeinen Nebenbestimmungen vergeben werden, sind in der Regel als echte Zuschüsse zu beurteilen477.
III. Umsatzsteuerliche Organschaft 340 Die gesetzliche Grundlage der umsatzsteuerlichen Organschaft bildet § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG. Im Gegensatz zur ertragsteuerlichen Organschaft ist bei der umsatzsteuerlichen Organschaft der Abschluss eines EAV nicht erforderlich. Es reicht aus, wenn die Organgesellschaft nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert wird (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG). BgA können Organträger sein478, nicht aber Organgesellschaft479. Denn die Eigenschaft als Organträger setzt allein die Unternehmereigenschaft voraus, wohingegen die Eigenschaft als Organgesellschaft eine bestimmte Rechtsform – (juristische Person des Privatrechts) – erfordert. 341 Die finanzielle Eingliederung liegt vor, wenn der Organträger an der Organgesellschaft die Anteilsmehrheit hat, so dass er seinen Willen in der Organgesellschaft durchsetzen kann480. Für die organisatorische Eingliederung wird verlangt, dass die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Organgesellschaft durch den Organträger in der laufenden Geschäftsführung tatsächlich wahrgenommen wird. Der Organträger muss die Organgesellschaft durch die Art und Weise der Geschäftsführung beherrschen oder aber zumindest durch die Gestaltung der Beziehungen zur Organgesellschaft sicherstellen, dass eine von seinem Willen abweichende Willensbildung bei der Organgesellschaft nicht stattfindet481. Die wirtschaftliche Eingliederung liegt vor, 477 Abschn. 10.2 Abs. 8 Satz 2 UStAE (Stand: 19.6.2012); OFD Frankfurt a. M. v. 15.8.2011 – S 2706 A-119-St 110, USt-Kartei HE § 2 UStG S 7106 Karte 14G Rz. 7.3. 478 BFH v. 9.10.2002 – V R 64/99, BStBl. II 2003, 375; Abschn. 2.8 Abs. 2 Satz 6 UStAE (Stand: 19.6.2012). 479 Abschn. 2.8 Abs. 2 Satz 1 UStAE (Stand: 19.6.2012). 480 Abschn. 2.8 Abs. 5 Satz 1 UStAE (Stand: 19.6.2012). 481 Der BFH hat es im Urteil v. 7.7.2011 – V R 53/10, BFH/NV 2011, 2195 demgegenüber ausdrücklich offen gelassen, ob es für eine organisatorische Eingliederung auseicht, dass bei der Organgesellschaft eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung ausgeschlossen ist.
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wenn die Organgesellschaft im Rahmen des Gesamtunternehmens, und zwar in engem wirtschaftlichem Zusammenhang mit diesem, tätig wird482. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass bloße administrative und kaufmännische Leistungen des Organträgers in den Bereichen Buchhaltung, Personalwesen, Gehaltsabrechnung und Steuerberatung eine Organschaft nicht begründen, wenn sie für die Organgesellschaft nur von untergeordneter Bedeutung sind483. Erforderlich sind vielmehr entgeltliche Leistungen des Organträgers, denen für das Unternehmen der Organgesellschaft mehr als nur unwesentliche Bedeutung zukommt484. Je ausgeprägter die Leistungsbeziehungen sind, desto größere Sicherheit besteht, dass die Finanzbehörden eine wirtschaftliche Eingliederung anerkennen werden. Folge des Vorliegens einer Organschaft ist, dass die Umsätze zwischen 342 dem Organträger und der Organgesellschaft nicht steuerbar sind. In einem obiter dictum hat der BFH für Fälle der öffentlichen Hand klargestellt, dass es für das Vorliegen nichtsteuerbarer Binnenleistungen unerheblich ist, ob der BgA bzw. die öffentliche Hand die Leistungen der Organgesellschaft für unternehmerische oder für nichtunternehmerische Zwecke nutzt485. Anderenfalls käme es zu einer „Aufteilung“, die mit der vom EuGH vorgegebenen Behandlung der juristischen Person des öffentlichen Rechts als ein Unternehmer und ein Steuerpflichtiger nicht zu vereinbaren sei486.
IV. Vorsteuerabzug 1. Vorsteuerabzugsberechtigung Vorsteuern, die einer juristischen Person des öffentlichen Rechts in Rech- 343 nung gestellt werden, führen nur dann zum Vorsteuerabzug, wenn die zugrunde liegende Leistung an ihr Unternehmen i.S.v. § 2 Abs. 3 UStG erbracht wird. Wird eine juristische Person des öffentlichen Rechts unternehmerisch tätig, so steht ihr grundsätzlich das Recht zu, die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für ihr Unternehmen ausgeführt worden sind, abzuziehen (Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG). Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt u.a. voraus, dass die juristische Person des öffentlichen Rechts eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt.
482 Abschn. 2.8 Abs. 6 Satz 1 UStAE (Stand: 19.6.2012). 483 BFH v. 20.8.2009 – V R 30/06, BStBl. II 2010, 863. 484 BFH v. 18.6.2009 – V R 4/08, BStBl. II 2010, 310; v. 20.8.2009 – V R 30/06, BStBl. II 2010, 863. 485 BFH v. 20.8.2009 – V R 30/06, BStBl. II 2010, 863. 486 EuGH v. 22.5.2008 – Rs. C-162/07 – Ampliscientifica Srl und Amplifin SpA, Slg. 2008, I-4019. Beinert/Kostic
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a) Verwendungsabsicht im Zeitpunkt des Leistungsbezugs 344 Der BFH geht – basierend auf EuGH-Rechtsprechung487 – davon aus, dass der Vorsteuerabzug nur dann eröffnet ist, soweit die Lieferung oder sonstige Leistung zur (beabsichtigten) Verwendung im unternehmerischen Bereich bezogen wird488. Zwischen Eingangs- und Ausgangsumsatz muss ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang bestehen; nur mittelbar verfolgte Zwecke sind unerheblich. Fehlt ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem Eingangs- und einem oder mehreren (steuerpflichtigen) Ausgangsumsätzen, kann ein Unternehmer dennoch zum Vorsteuerabzug berechtigt sein, wenn die Kosten für die Eingangsleistungen zu seinen allgemeinen Aufwendungen gehören und als solche Bestandeile des Preises der von ihm erbrachten entgeltlichen Leistungen sind489. Derartige Kosten hängen direkt und unmittelbar mit seiner wirtschaftlichen Gesamttätigkeit zusammen490. 345 Aufgrund der neuen BFH-Rechtsprechung zur Umsatzbesteuerung von juristischen Personen des öffentlichen Rechts491 (vgl. Rz. 270 ff.) wird sich die Praxis darauf einstellen müssen, dass Tätigkeiten juristischer Personen des öffentlichen Rechts zukünftig in größerem Umfang der Umsatzsteuer unterworfen werden als dies derzeit noch der Fall ist. Dementsprechend ist es denkbar, dass eine juristische Person des öffentlichen Rechts irrtümlich davon ausgeht, ihre Leistungen seien (teilweise) nicht steuerpflichtig. Dies ist unerheblich. Der BFH weist darauf hin, dass sich die für den Vorsteuerabzug maßgebliche Verwendungsabsicht darauf beziehe, dass ein Unternehmer das Erbringen entgeltlicher Leistungen beabsichtige, die objektiv zum Vorsteuerabzug berechtigen. Es komme nicht darauf an, ob der Unternehmer seine Leistung subjektiv in rechtlicher Hinsicht zutreffend beurteile492. Konsequenterweise wird der Vorsteuerabzug nicht ausgeschlossen, wenn die juristische Person des öffentlichen Rechts ihre Leistungen (irrtümlich) nicht der Umsatzsteuer unterwirft493.
487 EuGH v. 29.10.2009 – Rs. C-29/08 – SKF, Slg. 2009, I-10413. 488 Vgl. zu juristischen Personen des öffentlichen Rechts BFH v. 3.3.2011 – V R 23/10, BStBl. II 2012, 74; v. 10.11.2011 – V R 41/10, BFH/NV 2012, 670. Vgl. auch zuletzt BFH v. 15.12.2011 – V R 48/10, BFH/NV 2012, 808 m.w.N. 489 BFH v. 27.1.2011 – V R 38/09, BStBl. II 2012, 68. 490 EuGH v. 8.6.2000 – Rs. C-98/98 – Midland Bank, Slg. 2000, I-4177; BFH v. 6.5.2010 – V R 29/09, BStBl. II 2010, 885. 491 Vgl. zuletzt BFH v. 10.11.2011 – V R 41/10, BFH/NV 2012, 670; v. 1.12.2011 – V R 1/11, BFH/NV 2012, 534. 492 BFH v. 10.11.2011 – V R 41/10, BFH/NV 2012, 670. 493 Sächs. FG v. 16.3.2010 – 3 K 2115/05 (Rev. eingelegt, Az. des BFH: XI R 8/10). Nach Ansicht des Sächs. FG lässt sich aus einer unterbliebenen Versteuerung aber bei einer Vermietung der Schluss ziehen, dass der Unternehmer nicht die Absicht hatte, zur Umsatzsteuer zu optieren (§ 4 Nr. 12 lit. a UStG i.V.m. § 9 Abs. 1 UStG). Daher sei der Vorsteuerabzug ausgeschlossen, soweit der Eingangsumsatz für den vermieteten Teil verwendet werden sollte.
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Daraus folgt aber umgekehrt auch, dass rechtliche Fehlvorstellungen 346 über eine nicht gegebene Steuerpflicht kein Recht auf Vorsteuerabzug begründen. Geht eine juristische Person des öffentlichen Rechts irrtümlich davon aus, dass ihre Leistungen steuerpflichtig sind, während sie bei zutreffender rechtlicher Beurteilung steuerfrei sind, ist die juristische Person des öffentlichen Rechts nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt494. b) Aufteilungsgebot vs. Zuordnungswahlrecht Beabsichtigt ein Unternehmer bei Bezug einer Leistung, diese ausschließ- 347 lich für nichtunternehmerische Tätigkeiten zu verwenden, ist der Vorsteuerabzug grundsätzlich zu versagen495. Beabsichtigt ein Unternehmer bei Bezug einer Leistung, diese teilweise für unternehmerische Tätigkeiten und teilweise für nichtunternehmerische Tätigkeiten zu verwenden, ist aufzuteilen. Der Unternehmer ist nur im Umfang der beabsichtigten Verwendung für seine unternehmerische Tätigkeit zum Vorsteuerabzug berechtigt496.
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Anders ist es bei Bezug eines Gegenstands. Bezieht ein Unternehmer ei- 349 nen Gegenstand sowohl für den unternehmerischen Bereich als auch für unternehmensfremde Zwecke (gemischte Nutzung), hat der Unternehmer ein Zuordnungswahlrecht, vorausgesetzt, die unternehmerische Nutzung beträgt mindestens 10 % (§ 15 Abs. 1 Satz 2 UStG). Er kann den Gegenstand insgesamt seinem Unternehmen zuordnen oder ihn in vollem Umfang in seinem Privatvermögen belassen oder den Gegenstand entsprechend dem geschätzten unternehmerischen Nutzungsanteil seinem Unternehmen und im Übrigen seinem nichtunternehmerischen Bereich zuordnen. Die Zuordnung des Gegenstands erfordert eine durch Beweisanzeichen gestützte Zuordnungsentscheidung des Unternehmers, die zeitnah zu dokumentieren ist. Sie ist schon bei Anschaffung oder Herstellung des Gegenstandes zu treffen. Eine zeitnahe Dokumentation der Zuordnungsentscheidung liegt nur vor, wenn diese bis spätestens 31. Mai des Folgejahrs des Leistungsbezugs dem Finanzamt gegenüber mitgeteilt wird; eine etwaige Fristverlängerung für die Abgabe von Steuererklärungen führt zu keiner Verlängerung der Dokumentationspflicht497. Ordnet ein Unternehmer einen Gegenstand vollständig seinem Unter- 350 nehmen zu, ist die Vorsteuer vollständig abzugsfähig. Soweit der Gegenstand allerdings später entnommen oder für unternehmensfremde Zwecke genutzt wird, kommt es zur unentgeltlichen Wertabgabe i.S.v. § 3 Abs. 1b oder Abs. 9a UStG (vgl. Rz. 319 ff.).
494 BFH v. 10.11.2011 – V R 41/10, BFH/NV 2012, 670. 495 BFH v. 9.12.2010 – V R 17/10, BStBl. II 2012, 53. 496 Abschn. 15.2 Abs. 21 Nr. 1 UStAE (Stand: 19.6.2012). Zweifelnd Küffner/von Streit, DStR 2012, 581 (585). 497 BFH v. 15.12.2011 – V R 48/10, BFH/NV 2012, 808 m.w.N. Beinert/Kostic
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351 Für juristische Personen des öffentlichen Rechts haben sich in letzter Zeit Verschiebungen ergeben, da der Hoheitsbereich nicht mehr als unternehmensfremder Zweck gilt, so dass das Zuordnungswahlrecht ausscheidet. Im Einzelnen siehe Rz. 352 ff. c) Neue Sichtweise der Rechtsprechung 352 Der BFH498 geht – in Anlehnung an die VNLTO-Entscheidung des EuGH499 – davon aus, dass die Verwendung von Gegenständen für z.B. ideelle Zwecke eines Vereins oder den Hoheitsbereich einer juristischen Person des öffentlichen Rechts keine Verwendung für „unternehmensfremde“ Zwecke ist. Dies steht einer vollständigen Zuordnung eines Gegenstands zum Unternehmen entgegen. 353 Im Fall VNLTO ging es um eine Vereinigung (VNLTO), die die Interessen ihrer im Agrarsektor tätigen Mitglieder in bestimmten Gebieten der Niederlande förderte. Daneben erbrachte die VNLTO entgeltliche Dienstleistungen an ihre Mitglieder. Der EuGH ging davon aus, dass es sich bei den Tätigkeiten der VNLTO, die in der Wahrnehmung der allgemeinen Interessen ihrer Mitglieder bestand, um „nicht besteuerte Umsätze“ der VNTLO handelte. Soweit Eingangsleistungen für Zwecke dieser nicht besteuerten Umsätze bezogen wurden, komme ein Vorsteuerabzug nicht in Betracht. Weder flössen die Eingangsleistungen in „besteuerte Umsätze“ ein, noch würden sie zu „unternehmensfremden Zwecken“ genutzt500. 354 Nach dem EuGH ist folglich danach zu unterscheiden, inwieweit Leistungen (i) für wirtschaftliche, dem Unternehmenszweck entsprechende Zwecke, (ii) für nichtwirtschaftliche, dem Unternehmenszweck aber nicht vollkommen fremde Zwecke oder (iii) für unternehmensfremde Zwecke bezogen werden. Werden Leistungen für nichtwirtschaftliche, dem Unternehmenszweck aber nicht vollkommen fremde Zwecke bezogen, scheidet ein Vorsteuerabzug aus501. Es stellt sich die Frage, ob hoheitliche Zwecke zu den nichtwirtschaftlichen, dem Unternehmenszweck aber nicht vollkommen fremden Zwecken gehören. Der BFH geht hiervon aus.
498 BFH v. 3.3.2011 – V R 23/10, BStBl. II 2012, 74; v. 10.11.2011 – V R 41/10, BFH/NV 2012, 670. 499 EuGH v. 12.2.2009 – Rs. C-515/07 – VNLTO, Slg. 2009, I-839. Vgl. hierzu auch Wäger, DStR 2011, 433 (436 f.); Reiß, UR 2010, 797 (803 ff.). 500 EuGH v. 12.2.2009 – Rs. C-515/07 – VNLTO, Slg. 2009, I-839. 501 Vgl. Reiß, UR 2010, 797 (805 f.); Boos, DStZ 2012, 267 (271).
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2. Neue Sichtweise der Finanzverwaltung a) Nichtwirtschaftliche Tätigkeiten i.e.S. Mit BMF-Schreiben vom 2.1.2012502 hat die Finanzverwaltung die neue 355 BFH-Rechtsprechung aufgegriffen. Der bisherige Bereich der nichtunternehmerischen Tätigkeiten wird aufgespalten in nichtwirtschaftliche Tätigkeiten im engeren Sinne (nichtwirtschaftliche Tätigkeit i.e.S.) und unternehmensfremde Tätigkeiten. Unternehmensfremde Tätigkeiten sind Entnahmen für den privaten Bedarf des Unternehmers als natürliche Person, für den privaten Bedarf seines Personals oder für private Zwecke des Gesellschafters. Nichtwirtschaftliche Tätigkeiten i.e.S. sind alle nichtunternehmerischen Tätigkeiten, die nicht unternehmensfremd (privat) sind, wie z.B. die hoheitlichen Tätigkeiten einer juristischen Person des öffentlichen Rechts. Dies hat ganz erhebliche Auswirkungen für juristische Personen des öffentlichen Rechts. b) (Gemischte) Verwendung für unternehmerische und nichtwirtschaftliche Tätigkeiten i.e.S. Bezieht eine juristische Person des öffentlichen Rechts Leistungen, die 356 sowohl im unternehmerischen als auch im hoheitlichen Bereich (also nichtwirtschaftliche Tätigkeit i.e.S.) verwendet werden sollen, sind diese – wie schon bisher – entsprechend dem Verwendungszweck in einen abziehbaren und einen nicht abziehbaren Teil aufzuteilen (vgl. Rz. 348)503. Bezieht eine juristische Person des öffentlichen Rechts einen Gegen- 357 stand, der sowohl im unternehmerischen als auch im hoheitlichen Bereich verwendet werden soll, hatte sie früher die Wahl, den Gegenstand ihrem Unternehmen ganz oder nur hinsichtlich des unternehmerisch genutzten Teils zuzuordnen. Eine Zuordnung zum Unternehmen war allerdings nur bei einer unternehmerischen Nutzung von mindestens 10 % möglich (§ 15 Abs. 1 Satz 2 UStG)504. Entschied sich die juristische Person 502 BMF v. 2.1.2012 – IV D 2-S 7300/11/10002, BStBl. I 2012, 60. Das BMF-Schreiben enthält neben den allgemeinen Erläuterungen verschiedene Änderungen des UStAE. 503 OFD Frankfurt a. M. v. 15.8.2011 – S 7106 A-119-St 110, USt-Kartei HE § 2 UStG S 7106 Karte 14G Rz. 6; Abschn. 15.19 Abs. 3 Nr. 2 UStAE (Stand: 19.6.2012). 504 Der EU-Ministerrat hat Deutschland am 13.5.2004 ermächtigt, das von Art. 168 Abs. 2 MwStSystRL abweichende Vorsteuerabzugsverbot nach § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG für Gegenstände, deren unternehmerischer Verwendungsanteil unter 10 % liegt, über den 31.12.2002 hinaus bis zum 1.7.2004 beizubehalten. Eine weitere Ermächtigung zur Verlängerung bis zum 1.1.2010 wurde am 19.11.2004 erteilt und noch mal verlängert bis zum 31.12.2012, OFD Koblenz v. 12.2.2010 – S 7300 A - St 44 5. Kritisch zur Anwendung der 10 %-Grenze bei Verwendung von mehr als 90 % der Eingangsleistung für nichtwirtschaftliche Tätigkeiten i.e.S. Küffner/von Streit, DStR 2012, 636 (638). Beinert/Kostic
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des öffentlichen Rechts für die Zuordnung des gemischt genutzten Gegenstands zum Unternehmen, unterlag die Verwendung im hoheitlichen Bereich einer unentgeltlichen Wertabgabe (vgl. Rz. 319 ff.)505. Im Ergebnis führte diese Möglichkeit des vollumfänglichen Vorsteuerabzugs bei nachgelagerter Wertabgabebesteuerung zu Zins- und Liquiditätsvorteilen, zumal z.B. beim Schulschwimmen als Bemessungsgrundlage für die unentgeltliche Wertabgabe nicht sämtliche (umsatzsteuerbelasteten) Kosten zu Grunde gelegt wurden, sondern aus Billigkeitsgründen nur die Vergleichseintrittsgelder aus dem öffentlichen Badebetrieb506. 358 Nunmehr gilt ein Aufteilungsgebot. Beabsichtigt die juristische Person des öffentlichen Rechts im Zeitpunkt des Leistungsbezugs den Gegenstand sowohl für unternehmerische Tätigkeiten als auch für den Hoheitsbereich zu verwenden, ist der Vorsteuerabzug nur insoweit zulässig, wie der Gegenstand dem unternehmerischen Bereich zuzuordnen ist, vorausgesetzt, die 10 %-Grenze nach § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG wird überschritten. 359 Das heißt, dass wenn eine juristische Person des öffentlichen Rechts ein Schwimmbad errichtet, das sie einerseits selbst nutzt (Schulschwimmen, Vereinsschwimmen) und andererseits dem öffentlichen Badebetrieb zugänglich macht, ihr der Vorsteuerabzug aus den Herstellungs- und Unterhaltungskosten des Schwimmbads nur noch insoweit gewährt wird, wie diese auf die Verwendung für den öffentlichen Badebetrieb entfallen507. Überschreitet der Umfang der Nutzung für Zwecke des (hoheitlichen) Schulschwimmens bzw. Vereinsschwimmens 90 % der Gesamtnutzung, ist ein Vorsteuerabzug gänzlich ausgeschlossen508. Konsequenterweise entfällt bei der Nutzung für den Hoheitsbereich eine Besteuerung nach den Grundsätzen der unentgeltlichen Wertabgabe509. 360 Es stellt sich die Frage nach dem Aufteilungsmaßstab. Die Mitgliedstaaten können jeweils nach eigenem Ermessen darüber entscheiden, wie die Vorsteuerbeträge zwischen wirtschaftlichen (unternehmerischen) und nicht wirtschaftlichen (nicht unternehmerischen) Tätigkeiten aufzuteilen sind. Dabei ist Zweck und Systematik der MwStSystRL zu berücksichtigen und daher eine Berechnungsweise vorzusehen, die objektiv widerspiegelt, welcher Teil der Aufwendungen jedem dieser beiden Bereiche
505 Die unentgeltliche Wertabgabe ist begrenzt auf den nach § 15a UStG maßgeblichen Korrekturzeitraum, fünf Jahre bei beweglichen Wirtschaftsgütern und zehn Jahre bei Grundstücken. 506 Abschn. 2.11 Abs. 18 „Beispiel“ Satz 6 UStAE (Stand: 22.6.2011). 507 OFD Nds. v. 12.1.2012 – S 2706 A 129 St 241, KSt-Kartei ND § 4 KStG Karte E 5. 508 Das schließt die Finanzverwaltung offenbar aus § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG, vgl. Abschn. 15a. 1 Abs. 7 Satz 1 UStAE (Stand: 19.6.2012). 509 Abschn. 3.4 UStAE (Stand: 19.6.2012); OFD Karlsruhe v. 28.2.2012 – S 7100, USt-Kartei BW § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG S 7100 Karte 16 Rz. 2.3 unter lit. b).
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tatsächlich zuzurechnen ist510. In Deutschland besteht insoweit eine Regelungslücke. Nach Auffassung des BFH ist § 15 Abs. 4 UStG analog anzuwenden, sodass eine juristische Person des öffentlichen Rechts den abzugsfähigen Vorsteueranteil im Wege einer sachgerechten und von der Finanzverwaltung zu überprüfenden Schätzung zu ermitteln hat511. Auch die Finanzverwaltung sieht eine entsprechende Anwendung der Grundsätze des § 15 Abs. 4 UStG vor512. Dabei ist eine Aufteilung nach dem Verhältnis der Umsätze gemäß § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG nur zulässig, wenn keine andere Aufteilung möglich ist. Nach Auffassung der Finanzverwaltung kommt bei Gebäuden regelmäßig eine Aufteilung nach Nutzfläche in Betracht513, bei Schwimmbädern dürfte ergänzend eine zeitliche Komponente zu berücksichtigen sein (wann wird das Schwimmbad für hoheitliche Zwecke genutzt, wann für den öffentlichen Badebetrieb)514. Zu beachten ist, dass die Frage der Europarechtskonformität von § 15 Abs. 4 UStG derzeit Gegenstand eines Verfahrens vor dem EuGH ist515, weshalb derzeit (noch) der jeweils günstigste Schlüssel zugrunde gelegt werden kann. Es stellt sich die Frage, wie mit Nutzungsänderungen umzugehen ist. 361 Verringert sich die unternehmerische Quote, ist nach Verwaltungsauffassung516 eine unentgeltliche Wertabgabe nach § 3 Abs. 9a UStG zu besteuern. Erhöht sich die unternehmerische Quote, lässt die Finanzverwaltung aus sachlichen Billigkeitsgründen eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 15a Abs. 1 UStG zu, sofern die Bagatellgrenzen des § 44 UStDV überschritten sind517. Nach § 44 UStDV entfällt die Berichtigung, wenn die Vorsteuer aus der Anschaffung oder Herstellung 1 000 Euro nicht übersteigt oder sich bei einem Wirtschaftsgut in einem Kalenderjahr die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse um 510 EuGH v. 13.3.2008 – Rs. C-437/06 – Securenta, Slg. 2008, I-1597. 511 BFH v. 3.3.2011 – V R 23/10, BStBl. II 2012, 74. 512 BMF v. 2.1.2012 – IV D 2-S 7300/11/10002, BStBl. I 2012, 60 Rz. II.3.b); Abschn. 15.2 Abs. 15a, 6 ff. UStAE (Stand: 19.6.2012). Nach Keyser, UVR 2012, 126 (128) sollte der Aufteilungsmaßstab „im Wege einer sachgerechten Schätzung“ als vorgesehene Methode der Vorsteueraufteilung noch klarer festgelegt werden. 513 Abschn. 15.17 Abs. 7 Satz 4 UStAE (Stand: 19.6.2012). 514 Boos, DStZ 2012, 267 (274). 515 Az. Rs. C-511/10. 516 BMF v. 2.1.2012 – IV D 2-S 7300/11/10002, BStBl. I 2012, 60 Rz. III.4.; Abschn. 3.4 Abs. 2 Satz 4, Abs. 5a Satz 4, Abschn. 15a.1 Abs. 7 UStAE (Stand: 19.6.2012). Zustimmend Wäger, UR 2012, 25 (29); A.A. Reiß, UR 2010, 797 (807 f., 811); Küffner/von Streit, DStR 2012, 636 (639), die eine Berichtigung der Vorsteuern nach § 15a UStG statt einer „Entnahmebesteuerung“ für zutreffend halten. 517 BMF v. 2.1.2012 – IV D 2-S 7300/11/10002, BStBl. I 2012, 60 Rz. III.4.; Abschn. 3.4 Abs. 2 Satz 5, Abs. 5a Satz 5, Abschn. 15a.1 Abs. 7 UStAE (Stand: 19.6.2012). Nach Reiß, UR 2010, 797 (807 f., 811); Wäger, UR 2012, 25 (29) und Küffner/von Streit, DStR 2012, 636 (639) ist § 15a UStG unmittelbar anwendbar. Beinert/Kostic
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weniger als zehn Prozentpunkte geändert haben und der zu berichtigende Vorsteuerbetrag für das Wirtschaftsgut im betreffenden Kalenderjahr 1 000 Euro nicht übersteigt. 362 Beabsichtigt eine juristische Person des öffentlichen Rechts bei Leistungsbezug den Gegenstand ausschließlich für den Hoheitsbereich zu verwenden, ist der Vorsteuerabzug nach Verwaltungsauffassung grundsätzlich zu versagen518. Bei einer späteren unternehmerischen Verwendung (Einlage des Gegenstands in das Unternehmen) ist kein Vorsteuerabzug und keine Vorsteuerkorrektur möglich519. c) (Gemischte) Verwendung für wirtschaftliche und unternehmensfremde Tätigkeiten 363 Handelt es sich bei der nichtunternehmerischen Tätigkeit eines Unternehmers um eine unternehmensfremde Tätigkeit (privat), gelten andere Grundsätze. In diesem Fall kann der Unternehmer den bezogenen Gegenstand insgesamt (sofern die 10 %-Grenze nach § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG überschritten wird) seinem unternehmerischen Bereich zuordnen. Der Unternehmer kann dann – sofern die unternehmerische Tätigkeit grundsätzlich zum Vorsteuerabzug berechtigt – 100 % des Vorsteuerabzugs geltend machen. Hinsichtlich der unternehmensfremden Tätigkeit ist in diesem Fall eine unentgeltliche Wertabgabe nach § 3 Abs. 1b oder Abs. 9a UStG zu versteuern. 364 Für die öffentliche Hand spielt die teilweise Verwendung für unternehmensfremde Tätigkeiten allerdings keine wesentliche Rolle. Eine Verwendung für den Hoheitsbereich einer juristischen Person des öffentlichen Rechts stellt nach Auffassung des BFH sowie der Finanzverwaltung keine unternehmensfremde Tätigkeit dar. d) Übergangsregelungen 365 In der Vergangenheit hat es die Finanzverwaltung zugelassen, dass eine juristische Person des öffentlichen Rechts einen Gegenstand, den sie sowohl für unternehmerische Zwecke als auch für hoheitliche Zwecke zu nutzen beabsichtigte, voll ihrem Unternehmen zuordnet und den Vorsteuerabzug zu 100 % in Anspruch nimmt. Durch das BMF-Schreiben vom 2.1.2012520 hat sich diese Auffassung geändert. Vor diesem Hintergrund sah bereits das BMF-Schreiben vom 2.1.2012 eine Übergangsregelung vor, die nachträglich noch einmal erweitert wurde.
518 BMF v. 2.1.2012 – IV D 2-S 7300/11/10002, BStBl. I 2012, 60 Rz. II.1.b); kritisch Küffner/von Streit, DStR 2012, 636 (639 f.). 519 BMF v. 2.1.2012 – IV D 2-S 7300/11/10002, BStBl. I 2012, 60 Rz. IV – Schaubild. Dort heißt es, es gebe keine „Einlageentsteuerung“. 520 BMF v. 2.1.2012 – IV D 2-S 7300/11/10002, BStBl. I 2012, 60.
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Das BMF-Schreiben vom 2.1.2012 ist zwar auf alle offenen Fälle anzu- 366 wenden. Es wird aber nicht beanstandet, wenn sich eine juristische Person des öffentlichen Rechts für Eingangsleistungen, die vor dem 31.12.2012 bezogen werden, auf die bisher geltende Verwaltungsauffassung beruft („Nichtbeanstandungsregelung“)521. Allerdings ist eine nur partielle, ausschließlich auf den ungekürzten Abzug der Vorsteuer beschränkte Berufung auf die bisherige Verwaltungsauffassung nicht zulässig. Soweit eine juristische Person des öffentlichen Rechts von der Nichtbeanstandungsregelung Gebrauch macht, hat sie über den gesamten Zeitraum der Nutzung des Gegenstands die zutreffende Belastung eines Endverbrauchs über die Grundsätze der unentgeltlichen Wertabgabe nach § 3 Abs. 1b oder Abs. 3a UStG herzustellen. Für Grundstücke (einschließlich Gebäude) gibt es die Sonderregelung des 367 § 15 Abs. 1b UStG522, wonach der Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist, soweit das Grundstück für nichtunternehmerische Zwecke verwendet wird. Die Sonderregelung des § 15 Abs. 1b UStG und die neuen Grundsätze der Finanzverwaltung zum Vorsteuerabzug unterscheiden sich in folgendem Punkt: Während es nach § 15 Abs. 1b UStG möglich ist, das Grundstück auch insoweit dem Unternehmen zuzuordnen, wie es nichtunternehmerisch genutzt wird, schließen die neuen Grundsätze der Finanzverwaltung zum Vorsteuerabzug eine Zuordnung des Grundstücks zum Unternehmen insoweit aus, wie es für eine nichtwirtschaftliche Tätigkeit i.e.S. genutzt wird. Kommt es zur Nutzungsänderung, droht sich dieser Unterschied auszuwirken. Im Falle von § 15 Abs. 1b UStG könnte der Vorsteuerabzug über § 15a Abs. 6a UStG korrigiert werden. Im Falle der Anwendung der neuen Grundsätze der Finanzverwaltung zum Vorsteuerabzug wäre – wegen der fehlenden 100 % Zuordnung des Grundstücks zum Unternehmen – § 15a Abs. 6a UStG nicht anwendbar523. Die Finanzverwaltung524 löst dies, indem sie aus sachlichen Billigkeitsgründen eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 15a Abs. 1 UStG zugunsten der juristischen Person des öffentlichen Rechts zulässt, sofern die Bagatellgrenzen des § 44 UStDV überschritten sind (vgl. Rz. 361). Für alle Grundstücke/Gebäude, die vor dem 1.1.2011 angeschafft oder 368 hergestellt wurden, galt die Sonderregelung des § 15 Abs. 1b UStG gemäß 521 BMF v. 2.1.2012 – IV D 2-S 7300/11/10002, BStBl. I 2012, 60 Rz. VI, ergänzt durch BMF v. 24.4.2012 – IV D 2 - S 7300/11/10002. 522 § 15 Abs. 1b UStG gilt gem. § 27 Abs. 16 UStG nicht für Grundstücke, die aufgrund eines vor dem 1.1.2011 rechtswirksam abgeschlossenen obligatorischen Vertrags oder gleichstehenden Rechtsakts angeschafft worden sind oder mit deren Herstellung vor dem 1.1.2011 begonnen worden ist. 523 Vgl. Abschn. 15a.1 Abs. 6 Satz 1 UStAE (Stand: 19.6.2012). 524 BMF v. 2.1.2012 – IV D 2-S 7300/11/10002, BStBl. I 2012, 60 Rz. III.4.; Abschn. 3.4 Abs. 2 Satz 5, Abs. 5a Satz 5, Abschn. 15a.1 Abs. 7 UStAE (Stand: 19.6.2012). Nach Reiß, UR 2010, 797 (807 f., 811); Wäger, UR 2012, 25 (29) und Küffner/von Streit, DStR 2012, 636 (639) ist § 15a UStG unmittelbar anwendbar. Beinert/Kostic
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§ 27 Abs. 16 UStG noch nicht, d.h. es konnte noch die volle Vorsteuer abgezogen werden. Dieser Bestandsschutz wurde auch juristischen Personen des öffentlichen Rechts gewährt und gilt damit z.B. auch für kommunale Schwimmbäder525. Im Ergebnis gilt in Bezug auf Grundstücke/ Gebäude damit grundsätzlich Folgendes526: – Für Grundstücke, die vor dem 1.1.2011 angeschafft worden sind oder mit deren Herstellung vor dem 1.1.2011 begonnen wurde, kann auch bei nur teilweiser unternehmerischer Nutzung der volle Vorsteuerabzug geltend gemacht werden. Im Gegenzug ist die Verwendung des Grundstückes für nichtunternehmerische Zwecke, also insbesondere für den hoheitlichen Bereich, als unentgeltliche Wertabgabe nach § 3 Abs. 9a UStG zu versteuern (§ 27 Abs. 16 UStG)527. Die Besteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe gilt auch über die in den nachfolgenden Punkten genannten Stichtage hinaus bis zum Ablauf des Berichtigungszeitraums des § 15a UStG, d.h. bis zum Ablauf von zehn Jahren seit Anschaffung/Herstellung528. – Für Grundstücke, die nach dem 31.12.2010, aber vor dem 31.12.2012 angeschafft worden sind oder mit deren Herstellung in diesem Zeitraum begonnen wurde, gilt die Sonderregelung des § 15 Abs. 1b UStG529.
525 BMF v. 2.1.2012 – IV D 2-S 7300/11/10002, BStBl. I 2012, 60 Rz. VI; Abschn. 2.11 Abs. 18 „Beispiel“ Satz 4 UStAE (Stand: 22.6.2011). 526 Vgl. Boos, DStZ 2012, 267 (276 f.); Lippross, DStZ 2012, 320 (331). 527 Wegen der bei Einführung des § 15 Abs. 1b UStG geschaffenen gesetzlichen Übergangsregelung des § 27 Abs. 16 UStG ist in allen Fällen einer nur teilweise unternehmerischen Grundstücksnutzung eine Berufung auf die Nichtbeanstandungsregelung des BMF-Schreibens vom 2.1.2012 nicht zulässig, vgl. BMF v. 2.1.2012 – IV D 2-S 7300/11/10002, BStBl. I 2012, 60 Rz. VI. Diese Aussage ist unseres Erachtens so auszulegen, dass eine Berufung auf die Nichtbeanstandungsregelung für die Fälle nicht zulässig ist, die nicht unter die Übergangsregelung des § 27 Abs. 16 UStG fallen, d.h. für Gebäude, die nach dem 31.12.2010 angeschafft oder hergestellt wurden, vgl. Boos, DStZ 2012, 267 (276). Führt § 27 Abs. 16 UStG zur zeitlichen Nichtanwendbarkeit des § 15 Abs. 1b UStG für das Grundstück, ist es bei zeitlich gestreckten Herstellungsvorgängen nicht zu beanstanden, wenn sich der Unternehmer auch für solche die Herstellung des Grundstücks betreffenden Eingangsleistungen, die nach dem 31.12.2012 bezogen werden, noch auf die bisher geltende Verwaltungsauffassung beruft, vgl. BMF v. 24.4.2012 – IV D 2 - S 7300/11/10002. 528 Vgl. Lippross, DStZ 2012, 320 (331). 529 Die Regelung des § 15 Abs. 1b UStG galt nach bisheriger Verwaltungsauffassung in allen Fällen der teilweise nichtunternehmerischen Verwendung, d.h. der Verwendung auch für unternehmensfremde (private) Zwecke oder für nichtwirtschaftliche Tätigkeiten i.e.S., vgl. BMF v. 2.1.2012 – IV D 2-S 7300/11/10002, BStBl. I 2012, 60 Rz. VI; Abschn. 2.11 Abs. 18 „Beispiel“ Satz 3 UStAE (Stand: 22.6.2011).
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J. Umsatzsteuer
– Für Grundstücke, die nach dem 30.12.2012 angeschafft werden oder mit deren Herstellung nach dem 30.12.2012 begonnen wurde, gelten die neuen Grundsätze der Finanzverwaltung530. Da nach den neuen Grundsätzen der Finanzverwaltung der Vorsteuerabzug bereits nach § 15 Abs. 1 UStG ausgeschlossen ist, soweit ein Grundstück hoheitlich genutzt wird, bleibt für die Anwendung des § 15 Abs. 1b UStG kein Raum531. Unklar ist, wie (Sanierungs-)Leistungen für Gebäude zu behandeln sind, 369 die vor dem 1.1.2011 angeschafft oder hergestellt wurden. Nach dem Wortlaut der Nichtbeanstandungsregelung des BMF-Schreibens vom 2.1.2012532 wären die neuen Grundsätze der Finanzverwaltung zum Vorsteuerabzug anwendbar, wenn die Sanierungsleistungen nach dem 31.12.2012 bezogen werden. Die Vorsteuer auf solche Leistungen müsste also aufgeteilt werden. Im Schrifttum533 wird demgegenüber differenziert: Entsteht durch die Sa- 370 nierungsleistungen ein neues Wirtschaftsgut, sind die neuen Grundsätze der Finanzverwaltung zum Vorsteuerabzug anwendbar. Entsteht durch die Sanierung dagegen kein neues Wirtschaftsgut, gilt die Nichtbeanstandungsregelung des BMF-Schreibens vom 2.1.2012, kann also der volle Vorsteuerabzug geltend gemacht werden. Die juristische Person des öffentlichen Rechts habe für das Gebäude eine Zuordnungsentscheidung in der Vergangenheit getroffen, an die sie gebunden sei und die durch die Sanierungsleistungen nicht berührt werde. Nach Auffassung des Schrifttums sprechen für diese Auffassung auch die Verfügungen der OFD Niedersachsen534 und der OFD Karlsruhe535, die ebenfalls allein auf den Zeitpunkt der Anschaffung oder Herstellung des Gebäudes abstellten und nicht auf den Zeitpunkt des Leistungsbezugs. Unseres Erachtens kann die Argumentation des Schrifttums nicht über 371 den Wortlaut des BMF-Schreibens vom 2.1.2012 hinweghelfen. Das Bundesministerium der Finanzen hat klargestellt, dass ein Leistungsbezug nach dem 31.12.2012 nur dann nicht zur Anwendung der neuen Regeln führt, wenn es sich bei zeitlich gestreckten Herstellungsvorgängen um
530 Der Wortlaut des BMF-Schreibens ist missverständlich. Einerseits wird auf den Bezug der Leistung vor dem 31.12.2012 und andererseits auf den Bezug nach dem 31.12.2012 abgestellt, vgl. BMF v. 24.4.2012 – IV D 2 – S 7300/II/10002. 531 Abschn. 15.6a Abs. 1 Satz 4 UStAE (Stand: 19.6.2012). 532 BMF v. 2.1.2012 – IV D 2-S 7300/11/10002, BStBl. I 2012, 60 Rz. VI. 533 Boos, DStZ 2012, 267 (277). 534 OFD Nds. v. 12.1.2012 – S 2706-219-St 241, S 7100-801-St 171, KSt-Kartei ND § 4 KStG Karte E 5. 535 OFD Karlsruhe v. 28.2.2012 – S 7300, USt-Kartei BW § 15 UStG S 7300 Karte 5, Beispiel 11. Beinert/Kostic
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die Herstellung des Gebäudes betreffende Eingangsleistungen handelt536. Hierunter fallen Sanierungsleistungen gerade nicht. 3. Vorschaltgesellschaften 372 Juristische Personen des öffentlichen Rechts drängen oftmals aus dem Hoheitsbereich in die Umsatzsteuerpflicht, um in den Genuss des Vorsteuerabzugs zu gelangen. Mit körperschaftsteuerlichen Nachteilen ist dies dann nicht verbunden, wenn die Tätigkeit defizitär ist, d.h. durch sie ohnehin kein steuerpflichtiges Einkommen erwirtschaftet wird537. Oftmals werden auch (privatrechtliche) Tochtergesellschaften gegründet, die die jeweiligen Investitionen unter Geltendmachung des Vorsteuerabzugs vornehmen und diese an die juristische Person des öffentlichen Rechts vermieten oder verleasen. Häufig sind diese Gesellschaften auf Zuwendungen der juristischen Person des öffentlichen Rechts angewiesen. Es stellt sich die Frage, ob das „Vorschalten“ einer solchen Gesellschaft zur Erlangung des Vorsteuerabzugs nach § 42 AO rechtsmissbräuchlich ist, wenn für die Gestaltung keine vernünftigen außersteuerlichen Gründe dargelegt werden können538. 373 Der EuGH hat mit Urteil vom 22.12.2010539 klargestellt, dass es nicht per se missbräuchlich ist, wenn ein Stundungseffekt dadurch angestrebt wird, dass Investitionen von nicht vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmen auf eine Tochtergesellschaft verlagert werden. Der EuGH hatte gegen diese Gestaltung keine Bedenken, wenn die Nutzungsüberlassung einem Drittvergleich standhält. Dem ist zuzustimmen, da die (nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte) juristische Person des öffentlichen Rechts statt den Anlagegegenstand zu kaufen, jederzeit auch Nutzungsüberlassungsverträge mit fremden Dritten abschließen könnte. Die Haltung der Finanzverwaltung ist unklar540. 374 Das Recht zum Vorsteuerabzug hat die Vorratsgesellschaft nur, wenn die Tochtergesellschaft keine Organgesellschaft i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG ist, sondern umsatzsteuerrechtlich selbständiger Unternehmer. Das 536 BMF v. 24.4.2012 – IV D 2 - S 7300/11/10002; vgl. auch Meurer, NWB 2012, 1811. 537 Handelt es sich nicht um ein begünstigtes Dauerverlustgeschäft, liegt aber eine ggf. kapitalertragsteuerpflichtige verdeckte Gewinnausschüttung vor (vgl. Rz. 93 ff.). 538 Vgl. zur Einschaltung einer GmbH durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts FG Rh.-Pf. v. 12.2.1998 – 6 K 1490/97, EFG 1998, 849. Vgl. zur Einschaltung von Personengesellschaften durch Kreditinstitute BMF v. 29.5.1992 – IV A 2-7300 - 63/92, BStBl. I 1992, 378; BFH v. 9.11.2006 – V R 43/04, BStBl. II 2007, 344. Vgl. zur Vermietung durch einen Ehegatten BFH v. 16.3.2000 – V R 9/99, BFH/NV 2000, 1254. 539 EuGH v. 22.12.2010 – Rs. C-103/089 – Weald Leasing, Abl EU 2011, Nr. C 55,6. 540 Sie verweist in Abschn. 15.2 Abs. 22 Nr. 6 UStAE (Stand: 19.6.2012) lediglich auf das BMF-Schreiben v. 29.5.1992 – IV A 2-7300 - 63/92, BStBl. I 1992, 378.
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Recht zum Vorsteuerabzug hat die Vorratsgesellschaft nicht, wenn es um Immobilien-Investitionen geht, weil die Tochtergesellschaft diese Immobilien nur umsatzsteuerfrei vermieten könnte. Eine Option zur Umsatzsteuerpflicht nach § 9 Abs. 2 UStG scheidet aus, wenn die juristische Person des öffentlichen Rechts das Grundstück für Umsätze verwendet, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigen. 4. Exkurs: Vorsteuerabzugsberechtigung einer privatrechtlichen Erschließungsgesellschaft Wird ein Grundstück zum ersten Mal bebaut, setzt dies baurechtlich vo- 375 raus, dass die Erschließung gesichert ist. Dies bedeutet, dass ein Grundstück z.B. an das Straßennetz sowie an die Wasserver- und -entsorgung angebunden wird. Führt die Gemeinde die Erschließungsmaßnahmen in eigener Regie durch oder bedient sie sich hierfür einer Erschließungsgesellschaft als Erfüllungsgehilfen, wird sie insoweit hoheitlich tätig, so dass sie in der Regel schon nicht Unternehmer und damit auch nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist541. Häufig wird die Erschließung von einer privatrechtlichen Erschließungsgesellschaft (in der Regel einer GmbH) übernommen, die die öffentlichen Erschließungsanlagen herstellt. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die GmbH aus den für die Erschließung in Anspruch genommenen Bauleistungen zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Es sind verschiedene Gestaltungen möglich, zwischen denen im Einzelfall abgewogen werden muss. Denkbar sind insbesondere542: a) Errichtung von Erschließungsanlagen auf fremdem Grund und Boden Verpflichtet sich die GmbH gegenüber der Gemeinde gegen Entgelt zur 376 Herstellung von Erschließungsanlagen (z.B. öffentlicher Straßen) auf öffentlichen Flächen der Gemeinde, erbringt der Unternehmer gegenüber der Gemeinde eine entgeltliche Werklieferung543. Die GmbH ist daher zum Vorsteuerabzug berechtigt544. Hat die GmbH daneben auch mit ande541 BMF v. 7.6.2012 – IV D 2 - S 7300/07/10001:001 Rz. I. Soweit die Gemeinde allerdings einen BgA unterhält (z.B. Elektrizitäts-, Gas-, Wärme- oder Wasserversorgung), sind die hierauf entfallenden Anschluss- und Baukostenbeiträge, die die Grundstückseigentümer für die Herstellung des betreffenden öffentlichen Versorgungsnetzes entrichten, Entgelte für eine steuerpflichtige Leistung. Insoweit steht dem BgA aus den Entschließungsanlagen für die Elektrizitäts-, Gas-, Wärme- oder Wasserversorgungsanlagen unter den sonstigen Voraussetzungen des § 15 UStG der Vorsteuerabzug zu, BMF v. 7.6.2012 – IV D 2 - S 7300/07/10001:001 Rz. I. 542 Vgl. Wäger, DStR 2011, 433 (439). Weitere denkbare Konstellationen stellt Clemens, UR 2010, 357 (359) dar. 543 BFH v. 22.7.2010 – V R 14/09, BStBl. II 2012, 428; BMF v. 7.6.2012 – IV D 2 – S 7300/07/10001:001 Rz. II. 2. 544 Vgl. BMF v. 7.6.2012 – IV D 2 – S 7300/07/10001:001 Rz. IV.1 Vgl. auch Wäger, DStR 2011, 433 (439). Beinert/Kostic
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ren Grundstückseigentümern privatrechtliche Verträge über die Herstellung der Erschließungsanlagen gegen Entgelt abgeschlossen, liegt neben der Lieferung nicht auch noch eine sonstige Leistung gegenüber den anderen Grundstückseigentümern vor. Das von den anderen Grundstückseigentümern gezahlt Entgelt ist Entgelt Dritter für die Werklieferung an die Gemeinde nach § 10 Abs. 1 Satz 3 UStG545. b) Errichtung von Erschließungsanlagen auf eigenem Grund und Boden mit anschließender entgeltlicher Übertragung 377 Werden die Erschließungsanlagen durch die GmbH auf eigenem Grund und Boden errichtet und nach Fertigstellung mit dem Grundstück auf die Gemeinde gegen Entgelt übertragen, liegt ein nach § 4 Nr. 9 lit. a UStG steuerfreier Umsatz vor, bei dem eine Option zur Steuerpflicht gemäß § 9 UStG nicht in Betracht kommt, da die Gemeinde die Straßen nicht für ihren unternehmerischen, sondern für den hoheitlichen Bereich bezieht. Wegen der beabsichtigten steuerfreien Lieferung an die Gemeinde hat die GmbH nach § 15 Abs. 2 UStG kein Recht zum Vorsteuerabzug aus den für die Erschließung in Anspruch genommenen Bauleistungen546. c) Errichtung von Erschließungsanlagen auf eigenem Grund und Boden mit anschließender unentgeltlicher Übertragung 378 Stellt die GmbH die Erschließungsanlagen her und überträgt sie diese anschließend unentgeltlich auf die Gemeinde, liegt in der Übertragung eine unentgeltliche Zuwendung i.S.v. § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 3 UStG. Beabsichtigt ein Unternehmer bereits bei Leistungsbezug, die bezogene Leistung nicht für seine wirtschaftliche Tätigkeit, sondern ausschließlich und unmittelbar für eine unentgeltliche Wertabgabe i.S.v. § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 1–3 UStG zu verwenden, ist er nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt547. 545 BFH v. 22.7.2010 – V R 14/09, BStBl. II 2012, 428; BMF v. 7.6.2012 – IV D 2 - S 7300/07/10001:001 Rz. III. Ein Entgelt von dritter Seite liegt demgegenüber nicht vor, wenn ein Grundstückserwerber aufgrund eines Grundstückskaufvertrags für ein erschlossenes Grundstück einen höheren Kaufpreis zu zahlen hat. Der erhöhte Kaufpreis ist nur Entgelt für die Übertragung des Grundstücks, BFH v. 13.1.2011 – V R 12/08, BStBl. II 2012, 61; BMF v. 7.6.2012 – IV D 2 - S 7300/07/10001:001 Rz. III. 546 Anders ist es nur insoweit, als sich die Übertragung auf Betriebsvorrichtungen bezieht. Die Übertragung ist insoweit steuerpflichtig (§ 4 Nr. 9 lit. a UStG i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 GrEStG). Vgl. auch BMF v. 7.6.2012 – IV D 2 – S 7300/07/10001:001 Rz. II, 1; IV.1; Wäger, DStR 2011, 433 (439). 547 BFH v. 13.1.2011 – V R 12/08, BStBl. II 2012, 61; BMF v. 7.6.2012 – IV D 2 - S 7300/07/10001:001 Rz. IV. Etwas anderes gilt, wenn die unentgeltliche Erschließung als Werkleistung zu qualifizieren ist (z.B. weil die Gemeinde die Hauptstoffe für die Erschließung beistellt) und die Erschließung aus unternehmerischen Gründen unentgeltlich erfolgt (z.B. weil die Erschließung Voraussetzung dafür ist, dass die GmbH die ihr gehörenden Baugrundstücke ver-
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J. Umsatzsteuer
Unter Liquiditätsgesichtspunkten ist für die GmbH eine Errichtung der 379 Erschließungsanlagen auf fremden Grund und Boden am günstigsten. Denn in dieser Variante ist sie zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt, kann also gleich bei Bezug der Eingangsleistungen die Vorsteuer geltend machen. Für die Gemeinde hat dies auf den ersten Blick allerdings den Nachteil, dass sie die Leistungen der GmbH inklusive Umsatzsteuer bezahlen muss, ohne zum Vorsteuerabzug berechtigt zu sein. Dieser Nachteil ist unseres Erachtens aber nur ein scheinbarer Nachteil. Denn auch wenn die GmbH die Grundstücke mitsamt der Erschließungsanlagen kauft (Variante der Errichtung der Erschließungsanlage auf eigenem Grund und Boden mit anschließender entgeltlicher Übertragung), wird die GmbH die für sie nicht abziehbaren Vorsteuern in den Kaufpreis, den die Gemeinde zu zahlen hat „einpreisen“.
V. Ausblick (Umsatzsteuer) Die Rechtsprechung des BFH kann zu einer erheblichen Ausweitung der 380 Umsatzsteuerpflicht für die öffentliche Hand führen. Ausgenommen sind nur solche Tätigkeiten auf öffentlich-rechtlicher Grundlage, deren Behandlung als nicht steuerbar zu keinen oder nur zu unbedeutenden Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Die Frage, ob ein BgA im Sinne des Körperschaftsteuerrechts vorliegt, könnte für Umsatzsteuerzwecke relativ bedeutungslos werden. Die BFH-Urteile sind noch nicht im Bundessteuerblatt veröffentlicht548. 381 Es gelten derzeit noch die Regelungen im UStAE, die auf den Begriff des BgA im Sinne des Körperschaftsteuergesetzes verweisen. Es stellt sich allerdings die Frage, wie die Finanzverwaltung auf die BFH-Rechtsprechung reagieren wird. Angesichts der mittlerweile als gefestigt anzusehenden Rechtsprechung des BFH ist davon auszugehen, dass die bisherige Verwaltungsauffassung modifiziert werden wird. Möglich und erstrebenswert wäre unseres Erachtens allerdings eine Neuformulierung des § 2 Abs. 3 UStG. Formulierungsvorschläge hierzu finden sich im Schrifttum549.
äußern kann). In diesem Fall ist die GmbH zum Vorsteuerabzug berechtigt, soweit sie steuerpflichtige Umsätze erbringt. Erbringt die GmbH die Erschließungsleistungen auf Flächen der Gemeinde unentgeltlich, damit sie die in ihrem Eigentum befindlichen Baugrundstücke veräußern kann, und veräußert die GmbH 50 % der im Erschließungsgebiet liegenden Baugrundstücke steuerfrei und 50 % nach zulässiger Option steuerpflichtig, ist sie zu 50 % zum Vorsteuerabzug berechtigt, vgl. BMF v. 7.6.2012 – IV D 2 - S 7300/07/10001:001 Rz. IV.2. 548 Mit Ausnahme des Urteils v. 3.3.2011 (BFH v. 3.3.2011 – V R 23/10, BStBl. II 2012, 74), das offenbar wegen seiner Aussagen zum Vorsteuerabzug veröffentlicht wurde. 549 Sterzinger, DStR 2010, 2217 (2221). Beinert/Kostic
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382 Es ist davon auszugehen, dass Vertrauensschutz gewährt wird in Form einer (großzügigen) Übergangsregelung550. 383 Auch wenn noch nicht klar ist, wie die Reaktion der Finanzverwaltung ausfallen wird, sollten juristische Personen des öffentlichen Rechts bereits jetzt ihre Strukturen auf den Prüfstand stellen551. 384 Im Einzelfall kann die Ausweitung der Umsatzsteuerpflicht auch zugunsten der öffentlichen Hand wirken, nämlich bei Investitionsmaßnahmen, für die dann der Vorsteuerabzug eröffnet ist. Der Vorsteuerabzug wurde durch die BFH-Rechtsprechung neu geregelt; die Finanzverwaltung hat sich dem angeschlossen und so Rechtssicherheit auf diesem Gebiet geschaffen. Im Kern ist danach kein Vorsteuerabzug mehr möglich, soweit gemischt-genutzte Gegenstände im Hoheitsbereich genutzt werden.
550 Küffner, UR 2012, 277 (278). Vgl. allgemein Korn, KÖSDI 2012, 17856 (17864). 551 Küffner, UR 2012, 277 (278); Keyser, UVR 2012, 126 (128).
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§ 12 Arbeitsrecht von Rechtsanwältin Dr. Doris-Maria Schuster und Prof. Dr. Stefanie Lorenzen
Rz. A. Arbeitsrecht in kommunalen Unternehmen . . . . . . . . . .
1
I. Öffentlicher Dienst . . . . . . .
1
II. Angehörige des öffentlichen Dienstes . . . . . . . . . . . . .
2
III. Rechtsquellen des Dienst- und Arbeitsrechts im öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . . . 1. Dienstrecht im öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . . 2. Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst . . . . . . . . . . . . .
5 5 6
B. Privatisierung und Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . 12 I. Privatisierung . . . . . . . . . . 13 II. Arten der Privatisierung . . . . 1. Organisationsprivatisierung . a) Rechtsgeschäftliche Übertragung . . . . . . . . b) Umwandlung . . . . . . . aa) Ausgliederung zur Aufnahme, §§ 168 ff. UmwG . . . . . . . . . bb) Vermögensübertragung, §§ 174 ff. UmwG . . . . . . . . . cc) Formwechsel, §§ 301 ff. UmwG . . . dd) Privatisierungen nach dem UmwG und Anwendung des § 613a BGB . . . . . . . . . . 2. Übertragung von Dienststellen oder öffentlichen Betrieben auf einen privaten Erwerber . . . . . . . . . . . . a) Rechtsgeschäftliche Übertragung . . . . . . . .
14 15 16 17 18 19 20
21
22 23
b) Umwandlung . . . . . . . aa) Ausgliederung zur Aufnahme, §§ 168 ff. UmwG . . . . . . . . . bb) Formwechsel, §§ 301 ff. UmwG . . . cc) Anwendung des § 613a BGB . . . . . . 3. Privatisierung von Eigengesellschaften oder Beteiligungsgesellschaften . III. Arbeitsrechtliche Probleme – Überblick . . . . . . . . . . . . . C. Einzelne Privatisierungsarten und arbeitsrechtliche Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . I. Privatisierung mit Betriebsübergang . . . . . . . . . . . . . 1. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB – Tatbestandsvoraussetzungen a) Übergang eines Betriebes oder Betriebsteils . . . . . b) Übergang auf einen neuen Betriebsinhaber . . c) Übergang durch Rechtsgeschäft . . . . . . . . . . d) Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer . . . . . . . aa) Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer bei § 613a BGB . . . . . . bb) Umwandlungsrecht: Kein Widerspruchsrecht bei Erlöschen des übertragenden Rechtsträgers . . . . . 2. Übergang der Arbeitsverhältnisse – Individualrechtliche Rechtsfolgen des § 613a BGB . . . . . . . . . .
Schuster/Lorenzen
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Rz. 24 25 26 27 28 30
32 32 33 33 38 40 44 44
51
52
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§ 12
Arbeitsrecht Rz.
a) Übergang der Rechte und Pflichten gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB . . . . . b) Kündigungsschutz der Arbeitnehmer . . . . . . . aa) § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB . . . . . . . . . . bb) Besonderheiten des Umwandlungsrechts . c) Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst . . . . 3. Rechtsfolgen für die betriebliche Altersversorgung . . . . a) Betriebliche Altersversorgung – allgemein . . . . . b) Problemstellung: Zusatzversorgung . . . . . . . . . aa) Grundlagen und Neuordnung der betrieblichen Altersversorgung im öffentlichen Dienst . . . . . bb) Probleme bei der Privatisierung . . . . . (1) Erweiterte Beteiligtenfähigkeit . . (2) Lösungen für Erwerber ohne Beteiligtenfähigkeit . . . . . . . . . (a) Das Verbleibemodell . . . . . . . . (b) Das Vollausstiegsmodell . . . . . . . (c) Das Zäsurmodell . cc) Fazit . . . . . . . . . . 4. Schicksal von Kollektivnormen beim Betriebsübergang . a) Fortgeltung von Kollektivnormen . . . . . . . . . aa) Kollektivrechtliche Fortgeltung . . . . . . bb) Fortgeltung durch Transformation – § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB . . . . . . . . . . b) Ablösung durch einen anderen Kollektivvertrag – § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB . c) Besonderheiten des Umwandlungsrechts . . .
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Schuster/Lorenzen
52 56 56 58 60 61 61 70
70 73 74
76 77 80 85 87 88 89 90
92
100 106
Rz. 5. Haftungsverteilung zwischen kommunalem Veräußerer und privatem Erwerber . . . . . . . . . . . . 108 a) Haftungssystem des § 613a BGB . . . . . . . . 109 b) Besonderheiten im Umwandlungsrecht . . . . 111 6. Gestaltungsmöglichkeiten übergehender Arbeitsverhältnisse . . . . . . . . . . 116 a) Aufhebungsverträge und Eigenkündigungen vor dem Betriebsübergang . . 117 b) Änderungskündigungen nach dem Betriebsübergang . . . . . . . . . . . . . 120 c) Verschlechternde Änderungsverträge zwischen Betriebserwerber und Arbeitnehmern . . . . . . 121 d) Keine vorherige Abdingbarkeit durch Vereinbarungen zwischen Erwerber und Veräußerer . 122 e) Ergänzende und verbessernde Änderungsverträge – Personalüberleitungsverträge . . . . . . 123 aa) Gestaltung der individualvertraglichen Rechtsfolgen . . . . . 124 bb) Gestaltung des Kollektivrechts . . . . 125 cc) Vertragliche Verpflichtungen zwischen öffentlichem Veräußerer und privatem Erwerber . . 126 II. Besonderheiten der Organisationsprivatisierung ohne Betriebsübergang . . . . . . . . 127 1. Kein Betriebsübergang bei Formwechsel . . . . . . . . . 128 2. Auswirkungen des Formwechsels auf die Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . 132 a) Betriebsverfassung . . . . 133 b) Auswirkungen auf Kollektivnormen . . . . . 134 c) Zusatzversorgung . . . . . 138 d) Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst . . . . 139
§ 12
Arbeitsrecht Rz. III. Privatisierung von Eigengesellschaften oder Beteiligungsgesellschaften . . . . . . . . . . 1. Privatisierung durch Asset Deal/Umwandlung . . . . . . 2. Veräußerung von Gesellschaftsanteilen („share deal“) . . . . . . . . . . . . . a) Kollektivrechtliche Auswirkungen des Anteilsverkaufs . . . . . . . . . . b) Problem: Zusatzversorgung . . . . . . . . . . . .
141 141 142 143 147
D. Die Rolle von Personalrat und Betriebsrat bei Privatisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . 150 I. Beteiligungsrechte des Personalrats bei der Privatisierung 1. Länder mit ausdrücklichen Beteiligungsregelungen bei Privatisierungen . . . . . . . a) Mitbestimmungsrechte . b) Mitwirkungsrechte . . . . c) Sonstige ausdrückliche Beteiligungsrechte bei Privatisierungen . . . . . d) Keine Möglichkeit der Verhinderung der Privatisierung . . . . . . . . . . . 2. Länder ohne ausdrücklich geregelte Beteiligungsrechte des Personalrats bei Privatisierung . . . . . . . . . . . . . 3. Weitere generelle Beteiligungsrechte . . . . . . . . . II. Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei Privatisierungen . . . . . . . . . . . . . . 1. Flankierende Beteiligung des Betriebsrats bei der Übertragung von Dienststellen oder Organisationsprivatisierungen . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beteiligung des Betriebsrats bei der Privatisierung von Eigen- bzw. Beteiligungsgesellschaften . . . . . . . . . a) Anteilsverkauf . . . . . . b) Betriebsübergang . . . . . aa) Unterrichtungs- und Informationsrechte . .
151 152 153 154 155 156
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Rz. (1) Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses . . . . . . (2) Sonstige Informationsrechte . . . . bb) Beteiligungsrechte bei Betriebsänderungen, §§ 111 ff. BetrVG . . . cc) Sonstige Beteiligungsrechte . . . . . . . . . c) Umwandlungen . . . . . . III. Organkontinuität der Vertretungsgremien – Fortbestand und Übergangsmandate . . . . . 1. Schicksal des Betriebsrats und seiner Mitglieder . . . . a) Anteilsverkauf . . . . . . b) Asset Deal und Umwandlung . . . . . . . . . . . . . 2. Fortbestand des Personalrats 3. Arbeitnehmervertretung bei gemischten öffentlichprivaten Gruppen von Arbeitgebern . . . . . . . . . IV. Gestaltung durch Tarifverträge und Dienst- bzw. Betriebsvereinbarungen . . . . . . . . . E. Personaleinsatz im Rahmen von Privatisierungen . . . . . . I. Personalgestellung – Personaleinsatz bei einem Privaten ohne oder neben einer Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . 1. Zulässigkeit der Personalgestellung . . . . . . . . . . . a) Frühere Rechtslage . . . . b) Tarifvertragliche Regelung der Personalgestellung in § 4 Abs. 3 TVöD . aa) Verlagerung von Aufgaben auf einen Dritten . . . . . . . . . . . bb) Auf Dauer angelegte Beschäftigung bei einem Dritten unter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses . cc) Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Drittem . . . . . . 2. Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Drittem . . Schuster/Lorenzen
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Arbeitsrecht Rz.
a) Übertragung von Dienstleistungen . . . . . . . . . b) Arbeitnehmerüberlassung . . . . . . . . . . . aa) Ausnahme von der Erlaubnispflicht – Konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung . . . . . . . . . bb) Keine Erlaubnispflicht – Fehlende wirtschaftliche Tätigkeit des Arbeitgebers . cc) Schranken erlaubnisfreier bzw. erlaubnispflichtiger, aber erlaubter Arbeitnehmerüberlassung . . . . dd) Fazit . . . . . . . . . . 3. Personalgestellung und Kündigung . . . . . . . . . . . . . a) Gestellungspflicht? . . . . b) Stellungnahme . . . . . . 4. Beteiligung der Arbeitnehmervertretungen bei der Personalgestellung . . . . . . a) Beteiligung an der Personalgestellungsvereinbarung und der Gestellung der einzelnen Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . b) Interessenvertretung während der Personalgestellung beim privatisierten Unternehmen . . 5. Personalgestellungsvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Drittem . . . . . . II. Die Beschäftigung von Beamten in privatisierten Unternehmen . . . . . . . . . . 1. Zuweisung nach § 20 Abs. 2 BeamtStG – Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . a) „Umwandlung“ einer Dienststelle . . . . . . . . b) Privatrechtliche Einrichtung der öffentlichen Hand . . . . . . . . . . . . c) Öffentliche Interessen . .
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Rz. d) Dauerhafte Zuweisung einer dem Amt entsprechenden Tätigkeit . . . . 224 e) Zustimmungserfordernisse . . . . . . . . . . . . 226 f) Ermessen . . . . . . . . . . 227 Allgemeine Dienstleistungsüberlassung – Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . 228 a) Privatisierung einer öffentlichen Einrichtung nicht erforderlich . . . . . 231 b) Öffentliche Interessen . . 232 Rechtsfolgen der Zuweisung nach § 20 Abs. 2 BeamtStG und der allgemeinen Dienstleistungsüberlassung . . . . . 233 a) Fortführung des Dienstverhältnisses . . . . . . . 234 aa) Rechtsstellung der Beamten . . . . . . . . 234 bb) Weisungsrechte des privaten Unternehmens . . . . . . . . . . 235 cc) Widerspruch gegen die Zuweisungs- bzw. Überlassungsverfügung 239 b) Begründung eines Arbeitsverhältnisses . . . 241 c) Anwendbarkeit kollektivrechtlicher Normen . . . 243 d) Betriebliche Interessenvertretung . . . . . . . . . 248 aa) Zuweisung nach § 20 Abs. 2 BeamtStG . . . 249 bb) Dienstleistungsüberlassung . . . . . . . . . 252 Vertragliche Gestaltung von Zuweisung und Dienstleistungsüberlassung . . . . . . . 254 a) Zusätzlicher Arbeitsvertrag . . . . . . . . . . . . . 254 b) Überlassungsvertrag . . . 256 Andere Gestaltungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . 257 a) Entlassung des Beamten und Einstellung als Angestellter . . . . . . . . . . . 258 b) Sonderurlaub . . . . . . . 259 c) Abordnung und Versetzung nach §§ 14, 15 BeamtStG . . . . . . . . . 260 d) Zuweisung nach § 20 Abs. 1 BeamtStG? . . . . . 261
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Literatur
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Arbeitsrecht
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A. Arbeitsrecht in kommunalen Unternehmen
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A. Arbeitsrecht in kommunalen Unternehmen I. Öffentlicher Dienst Beleuchtet man die wirtschaftliche Betätigung kommunaler Unterneh- 1 men aus arbeitsrechtlicher Sicht, rückt der Begriff des öffentlichen Dienstes in den Mittelpunkt. Trotz seiner Erwähnung in Art. 33 GG ist der Begriff nicht legal definiert. Es war deshalb auch streitig, ob er sich materiell danach abgrenzen sollte, ob die ausgeübten Tätigkeiten im öffentlichen Interesse liegen oder formell danach, ob sie für einen Hoheitsträger ausgeübt werden1. Letzteres hat sich durchgesetzt. Danach umfasst der öffentliche Dienst alle Tätigkeiten von Personen, die bei einer juristischen Person des öffentlichen Rechtes beschäftigt sind2. Zum öffentlichen Dienst zählen demnach Tätigkeiten für die Gebietskörperschaften Bund, Länder und Gemeinden sowie der weiteren juristischen Personen des öffentlichen Rechtes wie Anstalten, Stiftungen und Körperschaften.
II. Angehörige des öffentlichen Dienstes Das Personal des öffentlichen Dienstes teilt sich in zwei Gruppen: Be- 2 schäftigte, die wie Art. 33 Abs. 4 GG es ausdrückt, in einem öffentlichrechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen und Beschäftigte, die mit dem Hoheitsträger ein privatrechtliches Vertragsverhältnis begründet haben. Zur ersten Gruppe zählen Richter, Soldaten und Personen in einem öf- 3 fentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis sowie – für das kommunale Unternehmen am relevantesten – Beamte. Beamte nehmen wegen des Funktionsvorbehalts in Art. 33 Abs. 4 GG in öffentlichen Einrichtungen hoheitliche Aufgaben wahr. Andere Aufgaben dürfen ihnen nur übertra-
1 Zur historischen Entwicklung des Begriffs öffentlicher Dienst: Pfennig, Der Begriff des öffentlichen Dienstes und seiner Angehörigen, 1960, pass. 2 BVerfG v. 20.2.1957 – 1 BvR 441/53, BVerfGE 6, 257 (267); BVerwG v. 27.6.1968 – VIII C 10.67, BVerwGE 30, 81 (87); Jachmann in von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 33 Abs. 4 Rz. 30; Bernd Müller, Rz. 5. Schuster/Lorenzen
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gen werden, wenn sie zur Sicherung des Staates oder des öffentlichen Lebens nicht allein von privatrechtlich verpflichteten Personen wahrgenommen werden sollen. 4 Die zweite Gruppe der Angehörigen des öffentlichen Dienstes sind Arbeitnehmer – Angestellte und Arbeiter – sowie Auszubildende. Sie stehen mit der kommunalen Einrichtung in einem privaten Vertragsverhältnis.
III. Rechtsquellen des Dienst- und Arbeitsrechts im öffentlichen Dienst 1. Dienstrecht im öffentlichen Dienst 5 Das Dienstrecht der Beamten der Gemeinden ist geprägt vom Gesetzesrecht. Hauptrechtsquellen sind neben der Verfassung somit Gesetze und Rechtsverordnungen. Neben den Bundesgesetzen für Beamte, Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) und Bundesbeamtengesetz (BBG), gelten für die Beamten der Gemeinden die Landesbeamtengesetze und die entsprechenden Rechtsverordnungen. Vielfach konkretisieren diese Rechtsquellen die Grundsätze aus Art. 33 Abs. 4 und Abs. 5 GG. 2. Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst 6 Die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes unterfallen den allgemeinen Vorschriften des Arbeitsrechts. Die Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer regeln daher die Verfassung, Gesetze, Kollektivverträge, Individualverträge sowie das Direktionsrecht des Arbeitgebers. Die prominenteste Rechtsquelle im Arbeitsrecht des öffentlichen Dienstes sind Tarifverträge. Sie gestalten das Gros der Arbeitsbedingungen. 7 Seit dem 1.10.2005 gilt einheitlich für alle Arbeitnehmer (Arbeiter und Angestellte) der Gemeinden und des Bundes in Ost und West der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD). Er hat die bisherigen Regelungen des BAT-O, MTArb-O und BMT-G-O für Angestellte und Arbeitnehmer des Bundes und der Gemeinden abgelöst. Neben dem TVöD gelten zudem noch einzelne ergänzende Tarifverträge weiter3. Mit dem 3 Gemäß § 25 TVöD richtet sich der Anspruch auf betriebliche Altersversorgung weiterhin nach dem Tarifvertrag Altersversorgung (ATV) bzw. dem Altersvorsorge-TV.Kommunal (ATV-K) in der jeweils geltenden Fassung, so dass diese Regelungen fortgelten. Gemäß der Protokollerklärung zu § 36 TVöD (Anwendung weiterer Tarifverträge, VKA) sollten die Tarifvertragsparteien bis zum 30.6.2006 regeln, welche den BAT/BAT-O/BAT-Ostdeutsche Sparkassen, BMT-G/BMT-G-O ergänzenden Tarifverträge und Tarifvertragsregelungen für Beschäftigte im Geltungsbereich dieses Tarifvertrages – ggf. nach ihrer Anpassung an diesen Tarifvertrag – weiter anzuwenden sind. Bis dahin finden alle den BAT/BAT-O/BATOstdeutsche Sparkassen, BMT-G/BMT-G-O ergänzenden Tarifverträge oder Tarifvertragsregelungen der VKA in ihrem bisherigen Geltungsbereich weiter
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TVöD sollte das inzwischen als undurchsichtig und veraltet geltende bisherige Tarifrecht im öffentlichen Dienst grundlegend reformiert werden4. Vertragsparteien des TVöD sind auf der Arbeitgeberseite für den Bund das Ministerium des Inneren und für die Gemeinden die Vereinigung kommunaler Arbeitgeber (VKA) sowie auf der Arbeitnehmerseite die Gewerkschaft ver.di5 und die dbb Tarifunion6. Die Tarifgemeinschaft der Länder ist dagegen nicht Vertragspartei des TVöD geworden. Sie schied im Mai 2004 aus den Tarifverhandlungen aus. Ziel des neu geschaffenen Tarifsystems ist die Deregulierung und Flexibi- 8 lisierung der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Insbesondere soll die Konkurrenzfähigkeit der staatlichen Einrichtungen gefördert werden, um dadurch dem Privatisierungstrend entgegenzuwirken. Der TVöD enthält beispielsweise Regelungen zur Flexibilisierung der Arbeitszeit sowie Regelungen über eine leistungsabhängige Vergütung. Außerdem gibt es zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit auch eine neue Entgeltgruppe auf niedrigem Lohnniveau. Systematisch ist der TVöD in einen Allgemeinen und einen Besonderen Teil aufgegliedert. In dem Allgemeinen Teil sind die Beschäftigungsbedingungen festgelegt, die für alle Arbeitnehmer des Bundes und der Gemeinden einheitlich gelten (TVöD)7. In dem Besonderen Teil sind sodann für einzelne Sparten spezifische Regelungen enthalten, die den jeweiligen Besonderheiten Rechnung tragen8. Um den Übergang der am 30.9.2005 bestehenden Beschäftigungsverhältnisse in das neue Tarifsystem zu erleichtern und Besitzstände abzusichern, wurden für die Beschäftigten von Bund
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Anwendung, S. 2. Mangels anderweitiger Regelungen finden somit außerdem neben dem TVöD weiterhin der Tarifvertrag über die Entgeltumwandlung (TVEUmw/VKA), der Tarifvertrag über die Altersteilzeit (TV ATZ) sowie der Rationalisierungsschutzvertrag Anwendung. Der Tarifvertrag zur sozialen Absicherung wurde am 13.9.2005 neu vereinbart, so dass es auf die Regelung des § 36 TVöD insoweit nicht ankommt. Vgl. dazu ausführlich Dassau/Langenbrinck, S. 175 ff. Im Einzelnen von Steinau-Steinrück/Schmidt, NZA 2006, 518 ff. Die Gewerkschaft ver.di handelt zugleich im Namen der Gewerkschaft der Polizei, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt und des Marburger Bundes; vgl. Bredendiek, S. 15; Hümmerich/Mäßen, NZA 2005, 961 (962 f.). Bredendiek, S. 15; Hümmerich/Mäßen, NZA 2005, 961 (962). Der Allgemeine Teil enthält beispielsweise Regelungen über allgemeine Arbeitsbedingungen (§ 3), Arbeitszeit (§§ 6 ff.), Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (§ 22), Urlaub (§§ 26 ff.). Die Regelungen im Besonderen Teil betreffen die Sparten Verwaltung (BT-V), Krankenhäuser (BT-K), Sparkassen (BT-S), Flughäfen (BT-F) und Entsorgung (BT-E). Für die öffentlichen Bereiche der Versorgungsunternehmen existieren unabhängig vom TVöD ebenfalls flexible Spartentarifverträge mit dem Tarifvertrag für die Versorgungsbetriebe (TV-V) und den auf landesbezirklicher Ebene geltenden Tarifverträgen für die Nahverkehrsbetriebe (TV-N). Dazu Dassau/Langenbrinck, S. 1 f.; von Steinau-Steinrück/Schmidt, NZA 2006, 518 (518). Schuster/Lorenzen
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und Gemeinden jeweils Überleitungstarifverträge geschaffen (TVÜ-Bund bzw. TVÜ-VKA). 9 Als weiteres kollektives Regelungsinstrument bestehen in kommunalen Einrichtungen Dienstvereinbarungen. Sie werden zwischen Dienststelle und Personalvertretung geschlossen und gelten für die Beschäftigten der Dienststelle. Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG)9 – bzw. den entsprechenden landespersonalvertretungsrechtlichen Bestimmungen – sind Dienstvereinbarungen nur in den gesetzlich aufgezählten Fällen zulässig. In den Fällen der §§ 75 Abs. 3 und 76 Abs. 2 BPersVG ist zudem der Abschluss von Dienstvereinbarungen ausgeschlossen, soweit bereits abschließende gesetzliche oder tarifvertragliche Regelungen bestehen und diese keine Öffnungsklauseln zugunsten der Dienstvereinbarungsparteien enthalten. Die Regelungsdichte der Dienstvereinbarungen ist daher meist geringer als die der Tarifverträge des öffentlichen Dienstes. 10 Individualarbeitsverträge im öffentlichen Dienst nehmen typischerweise die einschlägigen Tarifverträge inhaltlich in Bezug10. Eine Erhebung vom 30.6.1990 ergab, dass von ca. 2,96 Mio. Angestellten im öffentlichen Dienst nur ca. 3040 außertariflich beschäftigt waren11. Die Anzahl der individuell ausgehandelten Arbeitsverträge ist auch heute – obwohl die Anzahl steigen mag – verschwindend gering. 11 Das Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst ist somit stark vereinheitlicht und im Wesentlichen von Tarifverträgen geprägt, die für Mitglieder der tarifschließenden Gewerkschaft normativ gelten, für gewerkschaftliche Außenseiter kraft Bezugnahme im Arbeitsvertrag.
B. Privatisierung und Arbeitsrecht 12 Im öffentlichen Dienst besteht ein festes Gefüge der Beschäftigten und der Rechtsquellen, die die Arbeitsbedingungen beherrschen. Es gerät dann in Bewegung, wenn eine kommunale Einrichtung ihre wirtschaftliche Betätigung flexibilisieren oder ihre Personalstruktur ändern möchte, etwa um Kosten zu sparen. Gängig sind Maßnahmen, die „im System“ bleiben. Dies sind etwa Organisationsänderungen durch Veränderungen der Behördenstruktur (Zusammenlegung oder Auflösung von Dienststel-
9 Entsprechende landespersonalvertretungsrechtliche Normen bei Grabendorff u.a. zu § 73 vor Rz. 1. 10 Da der TVöD die bisherigen Tarifverträge ersetzt, findet er bei entsprechender arbeitsvertraglicher Vereinbarung auch auf die Beschäftigungsverhältnisse der nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer des Bundes und der Kommunen Anwendung. Zu den verschiedenen Bezugnahmeklauseln Hümmerich/Mäßen, NZA 2005, 961 ff. 11 Vgl. Hofmann, ZTR 1993, 234 (236).
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len etc.), durch Anpassung von Arbeitsabläufen oder durch Rationalisierungsmaßnahmen wie Arbeitszeitverkürzung oder Entlassungen12. Denkbar sind aber auch Maßnahmen, die das System des öffentlichen Dienstes verlassen, nämlich Privatisierungen. Ihre Auswirkungen auf die Position der Beschäftigten sollen im Folgenden näher dargestellt werden.
I. Privatisierung Der Staat nimmt seine öffentlichen Aufgaben in verschiedenen Organisa- 13 tionsformen wahr: durch unmittelbare Staatsverwaltung des Bundes und der Länder sowie mittelbar durch selbständige juristische Personen des öffentlichen Rechts (Körperschaften, Anstalten, Stiftungen). Er kann aber auch durch privatrechtliche Rechtssubjekte tätig werden, die beliehen oder von einem Hoheitsträger beherrscht sind. Eine Privatisierung kann alle diese Verwaltungsträger betreffen. Sollen kommunale Aufgaben privatisiert werden, sind meist Einheiten betroffen, die noch stark in die unmittelbare öffentliche Verwaltung eingegliedert und selbst nicht rechtsfähig sind. Zu denken ist dabei insbesondere an Regie- und Eigenbetriebe, etwa für den öffentlichen Personennahverkehr o.Ä13. Am Ende einer Privatisierung steht jedenfalls ein Rechtsträger, der privatrechtlich organisiert ist, vor allem als GmbH, möglicherweise aber auch als AG, als Stiftung, Anstalt privaten Rechts, GbR bzw. nicht eingetragener Verein. Stimmrechte oder Gesellschaftsanteile an diesem Rechtsträger kann entweder ein Privatrechtssubjekt halten oder aber noch der privatisierende Hoheitsträger.
II. Arten der Privatisierung Aus arbeitsrechtlicher Sicht lassen sich drei grundsätzliche Typen der 14 Privatisierung unterscheiden: die Organisationsprivatisierung, die Privatisierung durch Übertragung von Dienststellen oder öffentlichen Betrieben auf einen privaten Erwerber und die Privatisierung von Eigen- oder Beteiligungsgesellschaften. 1. Organisationsprivatisierung Am häufigsten bedient sich die öffentliche Hand der Organisationspriva- 15 tisierung um ihre Einrichtungen in private Unternehmensformen umzuwandeln. Eine Organisationsprivatisierung liegt vor, wenn ein Hoheits-
12 Siehe dazu Thannheiser, Rationalisierung und Organisationsänderung in öffentlich-rechtlichen Institutionen. 13 Die einzelnen öffentlich rechtlichen Betriebsformen, wie z.B. Regie- und Eigenbetriebe sind in § 7 dieses Buches näher behandelt. Vgl. insbesondere § 7 Rz. 22 ff. Schuster/Lorenzen
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träger Teile seiner öffentlichen Aufgaben auf eine Eigen- oder Beteiligungsgesellschaft überführt, die privatrechtlich organisiert ist. Der Hoheitsträger behält dabei eine Anteilsmehrheit an der Gesellschaft oder beherrschenden Einfluss auf die Gesellschaft kraft Gesellschaftsvertrag14. Die öffentliche Hand entlässt bei dieser Privatisierungsform die kommunale Einrichtung nicht vollständig aus ihrem Einflussbereich, sondern kann über ihre Gesellschafterrechte oder aber über die ihr eingeräumten gesellschaftsvertraglichen Befugnisse weiterhin Einfluss auf die privatisierte Gesellschaft ausüben. Umsetzen lässt sich eine solche Organisationsprivatisierung durch rechtsgeschäftliche Übertragung, Umwandlung oder Gesetz. a) Rechtsgeschäftliche Übertragung 16 Grundlage einer Organisationsprivatisierung kann eine rechtsgeschäftliche Übertragung einzelner Wirtschaftsgüter, Rechte und Verpflichtungen sein, etwa durch Veräußerung oder Überlassung aufgrund Nutzungsvertrag, so genannter asset deal. Diese Übertragungsform stellt arbeitsrechtlich einen Betriebsübergang i.S.d. § 613a BGB dar und führt zu einem Arbeitgeberwechsel kraft Gesetzes. Das Schicksal der Arbeitsverhältnisse regelt § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB. Er gilt zum Schutz der Arbeitnehmer. Danach tritt der Erwerber im Rahmen der Einzelrechtsnachfolge in die bestehenden Arbeitsverhältnisse ein und wird so durch gesetzlichen Übergang zum neuen Arbeitgeber. b) Umwandlung 17 Denkbar ist auch eine Organisationsprivatisierung durch Umwandlung. Das Umwandlungsgesetz sieht vier verschiedene Umwandlungsmöglichkeiten vor: die Verschmelzung (§§ 2 ff. UmwG), die Spaltung (§§ 123 ff. UmwG), die Vermögensübertragung (§§ 174 ff. UmwG) sowie den Formwechsel (§§ 190 ff. UmwG). Die Anwendbarkeit der verschiedenen Umwandlungstypen im Rahmen einer Privatisierung ist wegen der Besonderheiten im öffentlichen Recht allerdings eingeschränkt. So kann eine Privatisierung beispielsweise nicht durch eine Verschmelzung stattfinden15. Bei der Verschmelzung wird das Vermögen eines übertragenden (alten) Rechtsträgers an einen übernehmenden (neuen) Rechtsträger abgegeben. Der übertragende (alte) Rechtsträger erlischt. Als Gegenleistung erhalten die Anteilseigner des alten Rechtsträgers Anteile an dem neuen Rechtsträger. Diese Umwandlungskonstellation passt für die Privatisierung 14 Exemplarisch: Hartmut Bauer, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1994), 243 (252 in Fn. 41); Landerer, PersR 1993, 340 (341). 15 Anderes gilt allerdings dann, wenn zuvor bereits eine Organisationsprivatisierung stattgefunden hat und bereits ein Unternehmen der öffentlichen Hand in privater Rechtsform geführt wird, dass sodann in einem zweiten Schritt durch Verschmelzung auf einen privaten Rechtsträger übergeht.
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nicht. Der übertragende öffentliche Rechtsträger kann nicht ohne weiteres erlöschen. Außerdem gibt es auch keine Anteilseigner an öffentlichen Einrichtungen, denen Anteile an dem neuen privaten Rechtsträger übertragen werden könnten. Ähnliches gilt für die Spaltungsformen der Aufspaltung und der Abspaltung. Der Gesetzgeber hat diesen Besonderheiten bei Privatisierungen zum einen dadurch Rechnung getragen, dass er die für die Privatisierung in Betracht kommenden Umwandlungstypen im Umwandlungsgesetz gesondert hervorgehoben hat, vgl. §§ 168 ff., 174 ff., 301 ff. UmwG. Zum anderen hat er – soweit eine Anwendung der entsprechenden Umwandlungsart nicht in Betracht kommt – die öffentliche Hand nicht in die abschließenden Kataloge der beteiligungsfähigen Rechtsträger aufgenommen, vgl. §§ 3, 124 UmwG. aa) Ausgliederung zur Aufnahme, §§ 168 ff. UmwG Ausdrücklich geregelt ist die Anwendbarkeit des Umwandlungsrechts 18 auf öffentliche Einrichtungen für den Fall der Ausgliederung zur Aufnahme. Die Ausgliederung ist ein Unterfall der Spaltung. Bei einer Ausgliederung gehen Vermögensteile des übertragenen Rechtsträgers vollständig auf bestehende oder neu gegründete Rechtsträger über. Als Gegenleistung erhält der übertragende Rechtsträger Anteile an dem übernehmenden Unternehmen16. Die §§ 168 ff. UmwG enthalten explizite Regelungen zur Ausgliederung aus dem Vermögen von Gebietskörperschaften oder Zusammenschlüssen von Gebietskörperschaften. An einer Ausgliederung können Gebietskörperschaften und Zusammenschlüsse von Gebietskörperschaften ausdrücklich nur als übertragende (nicht als übernehmende oder neu gegründete) Rechtsträger zur Aufnahme beteiligt sein, § 168 Abs. 1 UmwG17. § 168 UmwG präzisiert zudem, dass Ausgliederungsgegenstand einer Gebietskörperschaft nur ein „Unternehmen“ sein kann. Gemeint sind vor allem Regiebetriebe, Eigenbetriebe und Zweckverbände18. bb) Vermögensübertragung, §§ 174 ff. UmwG Bei der Vermögensübertragung wird dem übertragenden Rechtsträger 19 bzw. seinen Anteilseignern keine Beteiligung an dem übernehmenden Rechtsträger gewährt, sondern eine Gegenleistung wird in anderer, näm-
16 Kallmeyer in Kallmeyer, § 123 UmwG Rz. 1 ff., 11 ff. 17 Schipp/Schipp, Arbeitsrecht und Privatisierung, Rz. 237. 18 Heckschen in Widmann/Mayer, § 168 UmwG Rz. 123; weiter Schmidt in Lutter, § 168 UmwG Rz. 10, der neben Eigen- und Regiebetrieben auch nicht rechtsfähige Anstalten sowie alle Organisationsformen als Unternehmen i.S.d. § 168 UmwG versteht, die ihre öffentlich-rechtliche Aufgabe auch in einer privaten Rechtsform betreiben können. Schuster/Lorenzen
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lich in der Form eines Entgeltes geleistet (§ 174 UmwG)19. Dies gilt sowohl bei der Vollübertragung (ähnlich der Verschmelzung) als auch bei der Teilübertragung (ähnlich der Abspaltung und der Ausgliederung). Nach § 175 Nr. 1 UmwG kann nur auf der Seite des übernehmenden Rechtsträgers eine öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaft uneingeschränkt beteiligt sein. Als übertragender Rechtsträger kommen öffentlich-rechtliche Körperschaften generell nicht in Betracht. Eine Ausnahme gilt – sowohl auf der übertragenden als auch auf der übernehmenden Seite – für öffentlich-rechtliche Versicherungsunternehmen (§ 175 Nr. 2 UmwG). Praktische Bedeutung kann die Vermögensübertragung bei der Überführung von kommunalen Eigen- oder Beteiligungsgesellschaften in Eigen- oder Regiebetriebe erlangen20. Bei der Privatisierung kommt ihr daher keine Bedeutung zu. cc) Formwechsel, §§ 301 ff. UmwG 20 Eine Privatisierung öffentlicher Rechtsträger ist zudem durch Formwechsel möglich. Der Formwechsel ist in den §§ 190 ff. UmwG geregelt. Einschränkende Sondervorschriften für den Formwechsel öffentlicher Rechtsträger finden sich in den §§ 301 ff. UmwG. Bei einem Formwechsel ändert sich nur die Rechtsform des Rechtsträgers, die rechtliche und wirtschaftliche Identität bleiben erhalten21. Der Formwechsel ist nur den Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts vorbehalten. Nach § 301 Abs. 1 UmwG kann eine Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts zudem durch Formwechsel nur die Rechtsform einer Kapitalgesellschaft erlangen. Nach § 301 Abs. 2 UmwG ist der Formwechsel nur möglich, wenn die Körperschaft oder Anstalt rechtsfähig ist und das für sie maßgebende Bundes- oder Landesrecht einen Formwechsel vorsieht oder zulässt. Regie- und Eigenbetriebe können nicht durch Formwechsel privatisiert werden, weil es ihnen an der Rechtsfähigkeit fehlt. dd) Privatisierungen nach dem UmwG und Anwendung des § 613a BGB 21 Bei einer Umwandlung nach dem Umwandlungsgesetz gehen die Rechtsverhältnisse mit der Eintragung kraft Gesetzes und damit durch Gesamtrechtsnachfolge über, vgl. §§ 20 Abs. 1 Nr. 1, 131 Abs. 1 Nr. 1 UmwG22. Die Vorschrift des § 613a BGB über den Betriebsübergang bezieht sich hingegen nur auf die Übertragung durch Rechtsgeschäft und damit auf den Fall der Einzelrechtsnachfolge23. Bei Vorliegen einer Gesamtrechts19 Schmidt in Lutter, § 174 UmwG Rz. 6 ff. 20 Schmidt in Lutter, § 175 UmwG Rz. 5. 21 Decher in Lutter, § 190 UmwG Rz. 3 ff.; Meister/Klöcker in Kallmeyer, § 190 UmwG Rz. 6 f. 22 Dazu Marsch-Barner in Kallmeyer, § 20 UmwG Rz. 4 f., 11; Schaub, HdB ArbeitsR, § 117, Rz. 94. 23 BAG v. 20.6.2002 – AZR 459/01, NZA 2003, 318 (321); Schipp/Schipp, Arbeitsrecht und Privatisierung, Rz. 31.
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nachfolge ist § 613a BGB grundsätzlich nicht anwendbar. Deshalb stellt § 324 UmwG klar, dass § 613a Abs. 1, 4 bis 6 BGB auch bei Umwandlungen nach dem Umwandlungsgesetz Anwendung findet, soweit die Voraussetzungen des Betriebsübergangs vorliegen24. Das bedeutet zugleich, dass die Voraussetzungen des § 613a BGB auch im Umwandlungsrecht selbständig zu prüfen sind25. 2. Übertragung von Dienststellen oder öffentlichen Betrieben auf einen privaten Erwerber Seltener als die Fälle der Organisationsprivatisierung sind Privatisierun- 22 gen, bei denen ein Hoheitsträger Aufgaben bzw. Teile einer Dienststelle oder eines öffentlichen Betriebs oder Unternehmens auf einen nicht hoheitlich beherrschten Rechtsträger überträgt und damit aus dem staatlichen Einflussbereich entlässt. Für die Durchführung einer solchen Privatisierung stehen mehrere Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung. a) Rechtsgeschäftliche Übertragung Die Übertragung von Dienststellen oder öffentlichen Betrieben auf einen 23 privaten, nicht staatlich beherrschten Erwerber kann ebenfalls durch eine rechtsgeschäftliche Übertragung der Vermögensgüter auf den Erwerber vollzogen werden. Bei der rechtsgeschäftlichen Übertragung wird der Tatbestand des § 613a BGB erfüllt und seine Rechtsfolgen sind zu beachten. Insoweit kann im Wesentlichen auf die vorstehenden Ausführungen (siehe Rz. 16) verwiesen werden. b) Umwandlung Weiterhin kommt eine Übertragung von Dienststellen oder öffentlichen Betrieben auf einen privaten Erwerber auch durch Umwandlung in Betracht. Bei den einzelnen Umwandlungstypen, die bei Privatisierungen Anwendung finden, gilt es – im Vergleich zur Organisationsprivatisierung – allerdings folgende Besonderheiten zu berücksichtigen:
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aa) Ausgliederung zur Aufnahme, §§ 168 ff. UmwG Bei der Ausgliederung zur Aufnahme kann die vollständige Übertragung auf einen Privaten nur durch Ausgliederung auf einen bereits bestehenden privaten Rechtsträger erreicht werden. Eine Ausgliederung zur Neu-
24 Es handelt sich um eine Rechtsgrundverweisung. Zu den Voraussetzungen der Anwendbarkeit des § 613a BGB im Umwandlungsrecht BAG v. 25.5.2000 – 8 AZR 416/99, NZA 2000, 1115. 25 BAG v. 25.5.2000 – 8 AZR 416/99, NZA 2000, 1115; Willemsen in Willemsen, Umstrukturierung, G Rz. 90 ff.; Boecken, Unternehmensumwandlungen und Arbeitsrecht, Rz. 56 ff.; Willemsen in Kallmeyer, § 324 UmwG Rz. 2. Schuster/Lorenzen
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gründung durch den öffentlichen Rechtsträger kommt hingegen nicht in Betracht. An der neu gegründeten Gesellschaft hielte der ausgliedernde öffentliche Rechtsträger sämtliche Anteile, so dass es sich letztlich um eine Organisationsprivatisierung handeln würde. bb) Formwechsel, §§ 301 ff. UmwG 26 Da beim Formwechsel die Identität des Rechtsträgers gewahrt wird und nur die Rechtsform sich ändert, ist die Übertragung einer kommunalen Einrichtung von einem öffentlichen Hoheitsträger auf einen privatrechtlich organisierten und beherrschten Erwerber durch Formwechsel nicht möglich. Oftmals wird die Übertragung einer kommunalen Einrichtung von der öffentlichen Hand auf einen privaten Rechtsträger aber durch einen Formwechsel vorbereitet, so dass die durch den Formwechsel entstandene Eigengesellschaft in einem zweiten Schritt auf den privaten Erwerber übergeht (dazu sogleich unter Rz. 28 ff.)26. cc) Anwendung des § 613a BGB 27 Auch bei der Übertragung einer öffentlichen Einrichtung auf einen privaten Erwerber nach dem Umwandlungsrecht können über § 324 UmwG die Rechtsfolgen des § 613a BGB eingreifen. 3. Privatisierung von Eigengesellschaften oder Beteiligungsgesellschaften 28 Die dritte Art der Privatisierung ist die von Eigengesellschaften oder Beteiligungsgesellschaften. Hierbei werden die Eigen- und Beteiligungsgesellschaften bereits in privater Rechtsform geführt. Oftmals hat zuvor eine Organisationsprivatisierung stattgefunden. Es handelt sich hier also nicht mehr um eine Privatisierung im eigentlichen Sinne. An Eigengesellschaften hält die öffentliche Hand alle Anteile, an Beteiligungsgesellschaften nur einen geringeren Prozentsatz. Bei der Privatisierung gibt die öffentliche Hand die Mehrheitsbeteiligung bzw. den beherrschenden Einfluss an der schon privatrechtlich organisierten Gesellschaft an einen privaten Erwerber ab. Umsetzen lässt sich dies gesellschaftsrechtlich sowohl durch Veräußerung der Gesellschaftsanteile, sog. share deal, als auch durch Umwandlung (hier kommen sowohl Verschmelzung, Spaltung als auch Vermögensübertragung in Betracht, da es sich nicht mehr um öffentliche Einrichtungen handelt). 29 Bei der Veräußerung von Gesellschaftsanteilen durch die öffentliche Hand an einen privaten Erwerber findet kein Wechsel der Rechtspersönlichkeit des Betriebsinhabers statt. Damit kommt die Regelung zum Be26 Vgl. zu den Vorteilen der Möglichkeit eines Formwechsel öffentlicher Einrichtungen H. Schmidt in Lutter, UmwG, vor § 201 Rz. 3 mit Beispielen.
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triebsübergang in § 613a BGB nicht zur Anwendung. Bei einer Privatisierung von Eigen- oder Beteiligungsgesellschaften durch Verschmelzung, Spaltung oder Vermögensübertragung ist § 613a BGB hingegen aufgrund der Verweisung in § 324 UmwG anwendbar. In beiden Konstellationen entfallen aber möglicherweise – wie bei der Organisationsprivatisierung durch Formwechsel – die Mitgliedschaftsvoraussetzungen des Arbeitgebers in den tarifschließenden Verbänden des öffentlichen Dienstes. Zudem kann auch die Mitgliedschaft in den Zusatzversorgungskassen des öffentlichen Dienstes betroffen sein.
III. Arbeitsrechtliche Probleme – Überblick Im Zusammenhang mit der Privatisierung kommunaler Unternehmen 30 ergibt sich eine Vielzahl arbeitsrechtlicher Probleme. Sie beruhen im Wesentlichen auf dem Zusammentreffen des öffentlichen Dienstrechts mit den anders konzipierten Regelungen des privaten Arbeitsrechts. Denn das Recht des öffentlichen Dienstes (Leitlinie: „Gesetze und Interessen der Bürger achten“27) geht oftmals in das private Arbeitsrecht (Leitlinie: „den Gesetzen des Marktes genügen und Gewinn optimieren“28) über. Dies betrifft nicht nur den Übergang und die Ausgestaltung der einzelnen Arbeitsverhältnisse, sondern auch die Geltung kollektiver Normen und Regelungen sowie das Recht der betrieblichen Mitbestimmung der Arbeitnehmer. Für die Arbeitnehmer einer kommunalen Einrichtung entstehen also praktisch relevante Fragen dazu, ob ein Arbeitgeberwechsel stattfindet, ob und mit welchem Inhalt ihre Arbeitsverhältnisse auf den neuen Arbeitgeber übergehen, ob und wie die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst weiterhin gelten, wie sich ein eventuelles Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst auswirkt und welche Folgen die Privatisierung auf die Zusatzversorgung der Mitarbeiter hat. Auf diesen Auswirkungen für die Arbeitnehmer kommunaler Einrichtungen liegt der Schwerpunkt dieses Kapitels. Im Einzelnen lassen sich die Fragen anhand der bereits beschriebenen Privatisierungstypen systematisieren. Bei der arbeitsrechtlichen Untersuchung der einzelnen Privatisierungstypen (dazu unten Rz. 32 ff.) bietet sich folgende Differenzierung an: (1) Privatisierung mit Betriebsübergang gem. § 613a BGB unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Umwandlungsrechts (s. dazu sogleich Rz. 33 ff.) (2) Besonderheiten der Organisationsprivatisierung ohne Betriebsübergang (s. dazu unten Rz. 127 ff.)
27 Schaub, ZTR 1999, 250 (254). 28 Schaub, ZTR 1999, 250 (254). Schuster/Lorenzen
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(3) Privatisierung durch Übertragung von Gesellschaftsanteilen (s. dazu unten Rz. 142 ff.) Um die Untersuchung abzurunden, sollen nicht nur die Rechtsfolgen der Privatisierung für die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer beleuchtet werden. Auch die Beteiligung von Personal- und Betriebsrat sowie die Beschäftigung von Arbeitern/Angestellten und Beamten in einem privatisierten Betrieb werfen vielfache arbeitsrechtliche Fragen auf. Daher soll in den folgenden Abschnitten auch auf die Rolle von Personal- und Betriebsrat bei Privatisierungen (dazu unten Rz. 150 ff.) sowie auf die verschiedenen Beschäftigungsmöglichkeiten von Arbeitnehmern und Beamten im Rahmen von Privatisierungen (dazu unten Rz. 186 ff. und 215 ff.) eingegangen werden.
C. Einzelne Privatisierungsarten und arbeitsrechtliche Auswirkungen I. Privatisierung mit Betriebsübergang 32 Bei der Übernahme eines Unternehmens, sei es durch Rechtsgeschäft („asset deal“) oder Umwandlung, werden sämtliche oder bestimmte Vermögensgegenstände und Verpflichtungen auf einen anderen Rechtsträger übertragen. Denkbar ist dies, bei – der Veräußerung/Umwandlung eines öffentlichen Betriebs oder einer Dienststelle an/in eine öffentlich beherrschte Gesellschaft privaten Rechts (Organisationsprivatisierung) (siehe dazu oben Rz. 15 ff.) oder – der Veräußerung/Umwandlung eines öffentlichen Betriebs oder einer Dienststelle an/in eine privat beherrschte Gesellschaft, etwa GmbH (dazu siehe oben Rz. 22 ff.), – der Veräußerung/Umwandlung einer öffentlich beherrschten Eigen-/ oder Beteiligungsgesellschaft an/in eine private Gesellschaft (siehe dazu oben Rz. 28 f.). In jedem dieser Fälle steht es dem Erwerber offen, nur bestimmte Teile des Ausgangsunternehmens zu erwerben. Bis auf wenige Ausnahmen haben alle diese Privatisierungsarten gemeinsam, dass sie die Tatbestandsvoraussetzungen eines Betriebsübergangs im Sinne des § 613a BGB erfüllen und die entsprechenden Rechtsfolgen nach sich ziehen. 1. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB – Tatbestandsvoraussetzungen a) Übergang eines Betriebes oder Betriebsteils 33 Voraussetzung für das Vorliegen eines Betriebsübergangs ist nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB der Übergang eines Betriebes oder Betriebsteils. Eine 464
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C. Einzelne Privatisierungsarten und arbeitsrechtliche Auswirkungen
Definition der Begriffe „Betrieb“ und „Betriebsteil“ bietet das Gesetz nicht. Die Terminologie richtet sich an den Verhältnissen der Privatwirtschaft aus und verwendet die einschlägigen Begriffe des öffentlichen Dienstes wie Dienststelle oder Verwaltung nicht. Eine Vielzahl von Entscheidungen des EuGH und des BAG hat in den ver- 34 gangenen Jahren in der Praxis eine erhebliche Verunsicherung über die Reichweite des Begriffs des Betriebsübergangs ausgelöst. Auslöser der Verwirrung war die berühmte Entscheidung des EuGH in der Sache „Christel-Schmidt“ aus dem Jahr 199429. Der EuGH hatte dort die Weiterführung einer Gebäudereinigungsaufgabe durch ein neues Reinigungsunternehmen als Betriebsübergang eingeordnet. Die vertragliche Übernahme einer Dienstleistungsfunktion sollte danach für die Bejahung eines Betriebsübergangs ausreichend sein, während es eines Übergangs materieller oder immaterieller Betriebsmittel nicht bedurfte. Im Anschluss modifizierte der EuGH seine Rechtsprechung zu den Voraussetzungen eines Betriebsübergangs. Zudem wurden die Voraussetzungen eines Betriebsübergangs in der Änderungsrichtlinie 98/50/EG zur Betriebsübergangsrichtlinie 77/187/EWG definiert. An die Stelle des früheren Betriebsbegriffs ist das Merkmal der „auf Dauer angelegten wirtschaftlichen Einheit“ getreten30. Den Begriff der Einheit definiert der EuGH dabei als organisierte Zusammenfassung von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung31. Ein Betriebsübergang liegt vor, wenn die wirtschaftliche Einheit beim Erwerber ihre Identität behält. Das BAG hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen32. Der EuGH33 und das BAG34 nehmen bei der Prüfung, ob ein Übergang ei- 35 ner ihre Identität bewahrenden Einheit vorliegt, eine Gesamtbetrachtung aller den Sachverhalt betreffenden bestimmenden Tatsachen vor. In diese Gesamtbetrachtung sollen vor allem folgende sieben Kriterien einfließen: – Art des übergehenden Betriebs oder Unternehmens; – etwaiger Übergang materieller Betriebsmittel (z.B. Produktionsmaschinen, Gebäude etc.);
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EuGH v. 14.4.1994 – Rs. C-392/92 – „Christel Schmidt“, NZA 1994, 545. EuGH v. 11.3.1997 – Rs. C-13/95 – „Ayse Süzen“, NZA 1997, 433. EuGH v. 11.3.1997 – Rs. C-13/95 – „Ayse Süzen“, NZA 1997, 433 (434). BAG v. 24.4.1997 – 8 AZR 848/94, NZA 1998, 253; zuletzt BAG v. 7.4.2011 – 8 AZR 730/09, NZA 2011, 1231; BAG v. 13.6.2006 – 8 AZR 271/05, NZA 2006, 1101. 33 EuGH v. 11.3.1997 – Rs. C-13/95 – „Ayse Süzen“, NZA 1997, 433, (434); im Anschluss an EuGH v. 18.3.1986 – Rs. C-24/85 – „Spijkers“, Slg. 1986, 1119, Rz. 12; v. 19.5.1992 – Rs. C-29/91 – „Redmond Stichting“, NZA 1994, 207. 34 BAG v. 11.9.1997 – 8 AZR 555/95 – „Tausendundeine Nacht“, DB 1997, 2540. Aktuell zuletzt BAG v. 4.5.2006 – 8 AZR 299/05, NZA 2006, 1096. Schuster/Lorenzen
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– Wert der immateriellen Aktiva (beispielsweise „Know-how“, „Good will“, Marken, Lizenzen etc.); – etwaige Übernahme des nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teils des Personals; – etwaiger Übergang der Kundschaft; – Ähnlichkeitsgrad zwischen den vor und nach dem Übergang ausgeübten Tätigkeiten der Einheit; – Dauer der etwaigen Unterbrechung dieser Tätigkeit. Diese Kriterien werden je nach ausgeübter Tätigkeit und je nach Produktions- und Betriebsmethoden unterschiedlich gewichtet. In so genannten betriebsmittelgeprägten Betrieben kann ein Betriebsübergang auch ohne Übernahme von Personal vorliegen. Dies gilt auch dann, wenn die vom neuen Unternehmer übernommenen Betriebsmittel nicht seinem Vorgänger gehören, sondern vom Auftraggeber zur Verfügung gestellt werden35. 36 Ein Betriebsteil ist eine organisatorische Untergliederung des Gesamtbetriebs, der einen eigenen Teilzweck verfolgt. Ein Betriebsteil i.S.d. § 613a BGB muss jedoch kein selbstständiger Betriebsteil nach den Voraussetzungen des § 4 BetrVG sein36. 37 Auch öffentlich-rechtlich organisierte Einheiten, die öffentliche Aufgaben erfüllen, können Betriebe oder Betriebsteile i.S.v. § 613a BGB sein37. Die Bezeichnung der Betriebstätigkeit als „wirtschaftliche“ Tätigkeit und des Betriebs als „wirtschaftliche“ Einheit setzt weder einen tätig werdenden Bereich der „Wirtschaft“ noch eine Gewinnerzielungsabsicht oder materielle Wertschöpfung voraus. Es wird damit nur ausgedrückt, dass dem Betrieb materielle und/oder immaterielle Wirtschaftsgüter ein35 Ein Betriebsübergang kann danach vorliegen, wenn ein Auftraggeber, der einen ersten Unternehmer mit der gesamten Verpflegung in einem Krankenhaus betraut hatte, diesen Vertrag beendet und über dieselbe Leistung einen neuen Vertrag mit einem zweiten Unternehmer abschließt, wenn der zweite Unternehmer zuvor von dem ersten Unternehmer benutzte und beiden nacheinander vom Auftraggeber zur Verfügung gestellte wesentliche materielle Betriebsmittel benutzt, und dies auch dann, wenn der zweite Unternehmer zum Ausdruck gebracht hat, dass er die Arbeitnehmer des ersten Unternehmers nicht übernehmen will. So EuGH v. 20.11.2003 – Rs. C-340/01 „Carlitto Abler/Sodexho“, NZA 2003, 1385; BAG v. 6.4.2006 – 8 AZR 222/04, NZA 2006, 723. 36 BAG v. 24.4.1997 – 8 AZR 848/94, NZA 1998, 253; Edenfeld in Erman, § 613a BGB Rz. 15. 37 BAG v. 25.9.2003 – 8 AZR 421/02 –, AP BGB § 613a Nr. 261; v. 20.3.1997 – 8 AZR 856/95 – „Öffentlicher Rundfunk“, BAGE 85, 312 (320 f.); v. 7.9.1995 – 8 AZR 928/93 – „Öffentliche Schulen“, AP BGB § 613a Nr. 131; v. 23.9.1999 – 8 AZR 750/98 – „Erziehungseinrichtung eines Landkreises“, n.v.; v. 30.6.1994 – 8 AZR 544/92 – „Gemeindliche Wohnwirtschaft“, BAGE 77, 174 (180 ff.); LAG Nds. v. 31.8.2001 – 10 Sa 2899/98, NZA-RR 2002, 630, 631; v. 8.6.2001 – 10 Sa 2848/98, LAGE Nr. 81 zu § 613a BGB.
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schließlich der menschlichen Arbeitskraft zugeordnet sind, die der Betriebsinhaber für seine Tätigkeit nutzt. Dies kann ohne weiteres auch auf öffentlich-rechtliche Einrichtungen zutreffen38. Unproblematisch ist die Subsumtion unter den arbeitsrechtlichen Betriebsbegriff, wenn der öffentliche Rechtsträger selbst schon einen privatrechtlich organisierten Betrieb führt, etwa als Eigengesellschaft (Stadtwerke AG, Verkehrsbetriebe GmbH). Auch Eigenbetriebe, die keine eigenen Rechtsträger sind, aber als wirtschaftliche Unternehmen einer Gebietskörperschaft auftreten, lassen sich meist unter den arbeitsrechtlichen Betriebsbegriff fassen. Schwieriger wird es bei Teilen der öffentlichen Verwaltung, beispielsweise Dienststellen. Eine Dienststelle im personalvertretungsrechtlichen Sinne ist eine tatsächliche Verwaltungseinheit, die organisatorisch verselbstständigt ist, der ein sachlich und örtlich abgegrenztes Aufgabengebiet zugewiesen ist und die ihre internen Abläufe eigenverantwortlich bestimmt39. Es wird deshalb vertreten, dass dieser Dienststellenbegriff dem Betrieb im arbeitsrechtlichen Sinne entspreche40. Allerdings kann stets nur eine Einzelfallbetrachtung der Dienststelle am Maßstab des vom EuGH und BAG entwickelten Kriterienkatalogs zeigen, ob die Dienststelle als Betrieb oder Betriebsteil einzuordnen ist41. b) Übergang auf einen neuen Betriebsinhaber Zweite Voraussetzung für das Vorliegen eines Betriebsübergangs ist der 38 Übergang des Betriebes oder Betriebsteils auf einen neuen Inhaber. Ehemaliger oder neuer Betriebsinhaber können sein natürliche Personen, Personengesellschaften sowie juristische Personen des privaten und öffentlichen Rechts42. An die Stelle des bisherigen Betriebsinhabers muss ein anderer Rechtsträger treten, der den Betrieb tatsächlich im eigenen Namen fortführt43. Bleibt das Rechtssubjekt hingegen identisch, fehlt es an einem Betriebsübergang44. Bei einem identitätswahrenden Formwechsel sowie einer Übertragung 39 von Gesellschaftsanteilen auf einen andern Rechtsträger („share deal“) bleibt der bisherige Betriebsinhaber identisch. Der identitätswahrende Formwechsel nach §§ 190 ff. UmwG, der gem. §§ 301 ff. UmwG auch auf 38 BAG v. 27.4.2000 – 8 AZR 260/99 – „Truppenübungsplatz“, n.v. Im Gemeinschaftsrecht ist entsprechend der bisherigen Rechtsprechung des EuGH nunmehr in Teil I, Art. 1c der Richtlinie 98/50/EG ausdrücklich klargestellt, dass sich die Regelungen der Betriebsübergangsrichtlinie auf öffentliche Unternehmen erstrecken, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben. 39 BVerwG v. 6.4.1984 – 6 P 39.83, Buchholz 238.36 Nr. 4 zu § 78 Nds. PersVG; v. 13.8.1986 – 6 P 7.85, NVwZ 1987, 807. 40 BAG v. 18.1.1990 – 6 AZR 386/89, AP 16 zu § 15 BAT; Etzel in Etzel/Bader/Fischermeier, KR, § 1 KSchG Rz. 137. 41 I.d.S. auch Wollenschläger/v. Harbou, NZA 2005, 1081 (1084). 42 BAG v. 25.5.2000 – 8 AZR 416/99, NZA 2000, 1115 (1117). 43 BAG v. 6.2.1985 – 5 AZR 411/83, AP BGB 613 a Nr. 44. 44 Preis in Erfurter Kommentar, § 613a BGB Rz. 43. Schuster/Lorenzen
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öffentliche Rechtsträger anwendbar ist, führt lediglich zu einem Wechsel der Rechtsform. Beim Anteilsverkauf ändern sich zwar die Beherrschungsverhältnisse, der Betrieb wird jedoch in der Regel vom bisherigen Inhaber fortgeführt. In diesen beiden Ausnahmefällen sind somit die Voraussetzungen für einen Betriebsübergang nicht gegeben. c) Übergang durch Rechtsgeschäft 40 Der Übergang des Betriebes oder Betriebsteils muss durch Rechtsgeschäft erfolgt sein, ansonsten ist § 613a BGB nicht anwendbar. Diese Formulierung dient der Abgrenzung zum Arbeitgeberwechsel durch Gesamtrechtsnachfolge, Gesetz (z.B. Gesetz zur Gründung der Deutschen Bahn AG) oder Hoheitsakt. Typischer Fall der (gesetzlichen) Gesamtrechtsnachfolge ist die Erbfolge (§§ 1922, 1967 BGB). Hier übernimmt ein Rechtsnachfolger das Vermögen als Ganzes. Bestehen Arbeitsverhältnisse, tritt er auch in diese automatisch ein. 41 Soweit ein Fall der Privatisierung durch Rechtsgeschäft vorliegt, bestehen hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 613a BGB keine Bedenken. Kausale Rechtsgeschäfte, die einem Betriebsübergang häufig zugrunde liegen, sind Kaufverträge, Verpachtung und Vermietung, Nießbrauch oder andere Formen der Nutzungsüberlassung. Mit der Regelung des § 324 UmwG hat der Gesetzgeber verdeutlicht, dass § 613a Abs. 1, 4 bis 6 BGB auch auf die in der Vorschrift genannten Umwandlungsarten Anwendung findet, soweit die Voraussetzungen eines Betriebsübergangs im Einzelfall vorliegen. Der Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages nach §§ 54 ff., 62 Satz 2 VwVfG stellt ebenfalls ein Rechtsgeschäft im Sinne des § 613a BGB dar, so dass die Regelung zum Betriebsübergang auch hier gilt45. 42 Beruht der Inhaberwechsel bzw. die Übertragung der öffentlichen Einrichtung auf Gesetz oder Hoheitsakt, ist nach allgemeiner Ansicht § 613a BGB nicht anwendbar46. 43 Zeitpunkt des rechtsgeschäftlichen Betriebsübergangs ist der Übergang der Leitungsmacht auf den Erwerber47.
45 Trümner, PersR 1993, 473 (476); BAG v. 7.9.1995 – 8 AZR 928/93, NZA 1996, 424; Schaub, HdB ArbeitsR, § 118 Rz. 37; Müller-Glöge in MünchKomm, § 613a BGB Rz. 68. 46 BAG v. 2.3.2006 – 8 AZR 124/05, DB 2006, 1680; v. 8.5.2001 – 9 AZR 95/00, NZA 2001, 1200 (1202); Edenfeld in Erman, § 613a BGB Rz. 29; eine analoge Anwendung noch erwägend BAG v. 5.10.1993 – 3 AZR 586/92, NZA 1994, 848 (850); v. 25.1.2001 – 8 AZR 336/00, NZA 2001, 840 (842). 47 Bauer/von Steinau-Steinrück/Thees in Hölters, HdB Unternehmenskauf, Teil V, Rz. 70 m.w.N.
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d) Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer aa) Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer bei § 613a BGB Die nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB zwingende Rechtsfolge bei einem Be- 44 triebsübergang – der Übergang der Arbeitsverhältnisse auf den neuen Betriebsinhaber – bedarf keiner Mitwirkungshandlung, also keiner Zustimmung des Arbeitnehmers48. Mit Gesetz vom 23.3.200249 hat der Gesetzgeber jedoch ein Widerspruchsrecht zugunsten der Arbeitnehmer in § 613a Abs. 6 BGB normiert und mit einer Unterrichtungspflicht verknüpft, § 613a Abs. 5 BGB. Die Regelung ist am 1.4.2002 in Kraft getreten und setzt Art. 7 der Richtlinie 2001/23/EG um50. Während die Richtlinie eine Informationspflicht vor allem gegenüber den Arbeitnehmervertretungen vorsieht, ist nach § 613a Abs. 5 BGB eine allgemeine Unterrichtungspflicht gegenüber den einzelnen Arbeitnehmern statuiert, die außerdem mit dem Widerspruchsrecht verknüpft ist. Im EG-Recht war eine Information der Arbeitnehmer nur in betriebsratslosen Betrieben vorgesehen. Nach § 613a Abs. 5 BGB müssen Betriebsveräußerer und/oder -erwerber 45 den Arbeitnehmer in Textform über Zeitpunkt, Grund, rechtliche, wirtschaftliche und soziale Folgen des Übergangs sowie hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommener Maßnahmen unterrichten. Im Anschluss daran kann der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses innerhalb von einem Monat schriftlich widersprechen, § 613a Abs. 6 BGB. Der Lauf der Frist beginnt nach Zugang einer ordnungsgemäßen Unterrichtung51. Erhält ein Arbeitnehmer die nach § 613a Abs. 5 BGB vorgesehene Information vom Betriebsveräußerer und/oder -erwerber nicht oder nicht vollständig, beginnt die einmonatige Frist für den Ausspruch des Widerspruchs nicht zu laufen. Konsequenz ist dabei grundsätzlich, dass der Arbeitnehmer ein zeitlich unbegrenztes Widerspruchsrecht erhält52. Er könnte also noch Jahre nach dem Betriebsübergang – etwa bei drohender Insolvenz des privaten Erwerbers – das Widerspruchsrecht ausüben, um so sein Arbeitsverhältnis auf den Veräußerer rückzuleiten. Dieser trüge dann das volle Risiko einer Beendigung solcher Arbeitsverhältnisse53. Zudem kann die Verletzung der Unterrich48 BAG v. 30.10.1986 – 2 AZR 101/85, BAGE 53, 251, NZA 1987, 524. 49 Gesetz zur Änderung des Seemannsgesetzes und anderer Gesetze, BGBl. I, 2002, 1163 (1167 ff.). 50 Diese Richtlinie vom 12.3.2001 fasst die Richtlinie 98/50/EG neu, die ihrerseits die erste Betriebsübergangsrichtlinie 77/187/EWG geändert hat. 51 Widersprüchliche Informationen zu einem Betriebsübergang hemmen allerdings den Lauf der Widerspruchsfrist. Vgl. LAG BW v. 4.4.2011 – 9 Sa 96/10 BeckRS 2011, 74248. 52 Bauer/von Steinau-Steinrück, ZIP 2002, 457; Nach Preis in Erfurter Kommentar, § 613a BGB Rz. 97 müsse man allerdings davon ausgehen, dass das Widerspruchsrecht (ohne starre zeitliche Grenze) nach den konkreten Umständen des Einzelfalles verwirkt werden könne. 53 Siehe ausführlich Bauer/von Steinau-Steinrück, ZIP 2002, 457. Schuster/Lorenzen
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tungspflicht Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers gemäß § 280 Abs. 1 BGB auslösen. Der Arbeitnehmer, der geltend macht, nicht oder nicht vollständig über den Betriebsübergang unterrichtet worden zu sein, ist dabei so zu stellen, wie er gestanden hätte, wenn er richtig und vollständig informiert gewesen wäre54. 46 Um diese unkalkulierbare Gefahr zu vermeiden, müssen Veräußerer und Erwerber äußerst genau auf eine vollständige Unterrichtung achten. Die Informationsinhalte sind durch den Gesetzeswortlaut alles andere als klar vorgegeben. Richtlinienkonform ist wohl eine restriktive Auslegung55. Genannt werden muss zum einen der Zeitpunkt oder der geplante Zeitpunkt des Betriebsübergangs sowie die Firmenbezeichnung und die Anschrift des Betriebsübernehmers56. Mit dem Grund des Betriebsübergangs ist in erster Linie die Angabe des Rechtsgrundes für den Betriebsübergang wie Kaufvertrag, Pachtvertrag, Umwandlung etc. gemeint57. Daneben müssen den Arbeitnehmern aber zumindest schlagwortartig auch die unternehmerischen Motive und Erwägungen für den Betriebsübergang mitgeteilt werden, die sich im Falle seines Widerspruchs auf den Arbeitsplatz auswirken können58. Hierzu zählt zum Beispiel die Erwägung, Kosteneinsparungen durch Personalabbau erzielen zu wollen. Zu den unterrichtungspflichtigen rechtlichen Folgen gehören die sich unmittelbar aus dem Betriebsübergang als solchem ergebenden Rechtsfolgen. Dies beinhaltet einen Hinweis auf den Eintritt des Übernehmers in die Rechte und Pflichten aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis (§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB) und grundsätzlich auch auf die kündigungsrechtliche Situation, so denn Kündigungen im Raum stehen. Unterrichtet werden müssen die Arbeitnehmer auch über die weitere Anwendbarkeit tariflicher Normen einschließlich der Frage, inwieweit beim Veräußerer geltende Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen durch beim Erwerber geltende Tarifverträge abgelöst werden. Zu der erforderlichen Unterrichtung über die rechtlichen Folgen des Betriebsübergangs für den Arbeitnehmer gehört schließlich auch der Hinweis auf das Haftungssystem, welches sich aus dem Zusammenspiel der Regelungen in § 613a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BGB ergibt. Die gebotene Information beinhaltet auch die Darstellung der begrenzten gesamtschuldnerischen
54 BAG v. 31.1.2008 – 8 AZR 1116/06, NZA 2008, 642 (644); v. 13.7.2006 – 8 AZR 382/05, NJW 2007, 250 (255); vgl. bereits Gaul/Otto, DB 2002, 634 (639). 55 Siehe dazu ausführlich Bauer/von Steinau-Steinrück, ZIP 2002, 457. 56 Die allgemeine Bezeichnung, es werde eine GmbH tätig, genügt dem Erfordernis der Angabe der Firmenbezeichnung des Betriebsübernehmers nicht. Vgl. BAG v. 21.8.2008 – 8 AZR 407/07, NZA-RR 2009, 62 (65). 57 BAG v. 23.7.2009 – 8 AZR 538/08, AP Nr. 10 zu § 613a BGB Unterrichtung. Dagegen soll es einem der arbeitsrechtlichen Literatur zufolge genügen, wenn die zum Übergang führenden unternehmerischen Erwägungen genannt werden. Vgl. Annuß in Staudinger, § 613a BGB, Rz. 272. 58 BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, NZA 2006, 1268; Willemsen/Lembke, NJW 2002, 1159 (1162).
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Nachhaftung gemäß § 613a Abs. 2 BGB59. Sämtliche Hinweise über die rechtlichen Folgen müssen präzise sein und dürfen keine juristischen Fehler beinhalten60. Zu den unmittelbaren wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Betriebsübergangs zählen insbesondere Veränderungen in der betriebsverfassungsrechtlichen Struktur. Die Unterrichtungspflicht erstreckt sich aber darüber hinaus grundsätzlich auch auf mittelbare (Sekundär-)Folgen des Betriebsübergangs. Die Arbeitnehmer sind danach unter anderem darüber zu informieren, ob sie im Fall eines Widerspruchs mit einer Kündigung rechnen müssen und ob ihnen in diesem Fall gegebenenfalls Sozialplanansprüche zustehen61. Daneben sind sie auch auf Maßnahmen hinzuweisen, die erst umgesetzt werden, wenn eine Vielzahl von Arbeitnehmern dem Übergang des Arbeitsverhältnisses widerspricht. Hinsichtlich der „in Aussicht genommenen Maßnahmen“ erstreckt sich die Informationspflicht laut Gesetzesbegründung vor allem auf Weiterbildungs- und andere Maßnahmen, die die berufliche Entwicklung der Arbeitnehmer betreffen62. In der Praxis sinnvoll, aber wohl nicht obligatorisch ist es, über den Erwerber und das Widerspruchsrecht an sich zu informieren. Nach § 613a Abs. 5 BGB muss die Information vor dem Übergang statt- 47 finden. Außerdem muss in Textform gemäß § 126b BGB unterrichtet werden. Danach genügt eine in Schriftzeichen lesbare Erklärung ohne Unterschrift, die die Person des Erklärenden nennt. Das Widerspruchsrecht kann der Arbeitnehmer gegenüber dem Erwerber 48 oder dem Veräußerer ausüben. Hierzu muss er den Widerspruch in gesetzlicher Schriftform gemäß § 126 BGB erklären. In den Privatisierungsverträgen zwischen dem öffentlichen Arbeitgeber 49 und dem privaten Erwerber empfiehlt es sich genau festzulegen, wer die Arbeitnehmer über welche Einzelheiten informiert. Gleichermaßen sollte vereinbart werden, wie die Risiken unvollständiger Informationen, vor allem also eines eventuell zeitlich unbegrenzten Widerspruchsrechts, verteilt werden. Denkbar ist beispielsweise, ein Rücktrittsrecht bei einer bestimmten Anzahl widersprechender Arbeitnehmer oder die Vereinbarung von Schadensersatz bzw. einer Vertragsstrafe, sofern Arbeitnehmer später aufgrund der unvollständigen Information erfolgreich widersprechen.
59 60 61 62
Vgl. zuletzt BAG v. 26.5.2011 – 8 AZR 18/10, BeckRS 2011, 75483. BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, NZA 2006, 1268. BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 303/05; NZA 2006, 1268, 1273. BR-Drs. 831/01, S. 42. Schuster/Lorenzen
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50 Nach bisheriger Rechtslage können die Arbeitnehmer in vertraglichen Abreden wie Personalüberleitungsverträgen auf ihr Widerspruchsrecht verzichten63. Offen war, ob sich das Widerspruchsrecht allgemein oder nur konkret für einen bestimmten Betriebsübergang ausschließen lässt64. Aufgrund der seit 1.1.2002 geltenden AGB-Kontrolle von Arbeitsverträgen ist es nunmehr wahrscheinlich unwirksam, das Widerspruchsrecht vertraglich pauschal auszuschließen65. bb) Umwandlungsrecht: Kein Widerspruchsrecht bei Erlöschen des übertragenden Rechtsträgers 51 Das Widerspruchsrecht, wie es nunmehr in § 613a Abs. 5 und 6 BGB geregelt ist, besteht grundsätzlich auch in Umwandlungsfällen. Bei Verschmelzungen, Aufspaltungen und Vermögensvollübertragungen erlischt allerdings das übertragende Unternehmen. Die Ausübung des Widerspruchs geht hier ins Leere66. Letztlich kommt das Widerspruchsrecht deshalb nur bei der Abspaltung, der Ausgliederung und der Vermögensteilübertragung zum Tragen. 2. Übergang der Arbeitsverhältnisse – Individualrechtliche Rechtsfolgen des § 613a BGB a) Übergang der Rechte und Pflichten gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB 52 Der rechtsgeschäftliche Betriebsübergang zieht die gesetzliche Folge des § 613a BGB nach sich. Der neue Arbeitgeber tritt also gem. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB in das Arbeitsverhältnis ein und übernimmt damit alle Rechte und Pflichten aus dem einzelnen Arbeitsvertrag. Hier gilt der Grundsatz „pacta sunt servanda“. Das Arbeitsverhältnis ist als Vertragsverhältnis so fortzuführen wie es vertraglich geregelt ist67. Insbesondere ist der private Erwerber verpflichtet, die bisherigen Löhne und Gehälter zu zahlen und auch alle sonstigen übertariflichen oder freiwilligen Leistungen, die der Betriebsveräußerer gewährt hat, sowie rückständige Lohnzahlungen68 zu erbringen. Sind die bisherigen Löhne niedriger als die Entgelte der Arbeitnehmer des Erwerbers, besteht kein Anspruch auf Aus-
63 BAG v. 19.3.1998 – 8 AZR 139/97, BAGE 88, 196, NZA 1998, 750 (751). Ebenso Preis in Erfurter Kommentar, § 613a BGB Rz. 97; Müller-Glöge in MünchKomm, § 613a BGB Rz. 115, 121. 64 Pietzko, ZIP 1990, 1105 (1116); Moll, NJW 1993, 2016 (2022). 65 So Bauer/von Steinau-Steinrück, ZIP 2002, 457; Hauck in Hümmerich/Boecken/Düwell, Nomos Kommentar Arbeitsrecht, § 613a BGB Rz. 223; Pietzko, ZIP 1990, 1105 (1116); Moll, NJW 1993, 2016 (2022). 66 BT-Drs. 14/7760, S. 20; vgl. aber auch Bauer/Lingemann, NZA 1994, 1057 (1061); Schipp/Schipp, Arbeitsrecht und Privatisierung, Rz. 240; Bauer/von Steinau-Steinrück, ZIP 2002, 457. 67 Annuß in Staudinger, § 613a BGB Rz. 130 ff. 68 BAG v. 18.8.1976 – 5 AZR 95/75, NJW 1977, 1168.
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gleichung nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz69. Außerdem zählen zu den Verbindlichkeiten, die der private Erwerber übernehmen muss, insbesondere folgende: – Versorgungsanwartschaften (dazu siehe gesondert unten Rz. 61 ff.); – Vermögenswerte Ansprüche, die auf betrieblicher Übung beruhen70; – Anrechnung der bisherigen Betriebszugehörigkeit; – Andere Anwartschaften71 (Dagegen können die notwendigen Zeiten für Tätigkeits- oder Bewährungsaufstiege nach einem privatisierenden Betriebsübergang nicht mehr erfüllt werden. Ansprüche hieraus können beim Erwerber also nicht mehr entstehen); – Gestaltungsrechte wie Kündigung, Widerruf, Rücktrittsrecht usw. stehen dem Erwerber zu, wie sie beim Veräußerer im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestanden; – Bei Werkswohnungen und Arbeitgeberdarlehen hängt die Verpflichtung des privaten Erwerbers davon ab, ob die Ansprüche jeweils als direkte Gegenleistung der Arbeitsleistung einzuordnen sind72. Da sie keine Rechte begründen, sind Amtstitel nicht Inhalt der überge- 53 henden Rechte und Pflichten. Gleichermaßen gehen etwa handelsrechtliche Vollmachten nicht mit über, die nicht direkter Bestandteil des Arbeitsverhältnisses sind73. Beim Übergang von Arbeitsverhältnissen des öffentlichen Dienstes stellt 54 sich vor allem die Frage, ob die Arbeitsverhältnisse mit dem zum Teil typisch vom öffentlichen Dienst geprägten Inhalt auf den privaten Erwerber übergehen können. Insbesondere hinsichtlich der allgemeinen Arbeitnehmerpflichten, dem Nebentätigkeitsrecht, der Alterssicherung durch ordentliche Unkündbarkeit sowie der Anrechnung von Tätigkeitszeiten im öffentlichen Dienst können sich jedoch inhaltliche Änderungen der Arbeitsbedingungen ergeben.
69 BAG v. 31.8.2005 – 5 AZR 517/04, NZA 2006, 265. 70 Eine bereits vor Betriebsübergang bestehende betriebliche Übung bindet auch den neuen Arbeitgeber, vgl. Preis in Erfurter Kommentar, § 613a BGB Rz. 74; bestätigend BAG v. 3.11.2004 – 5 AZR 73/04, BeckRS 2004, 3034 5778. 71 Besonderheiten gelten allerdings in der Insolvenz. Hier tritt der Erwerber nicht in die vor Insolvenzeröffnung erdienten Anwartschaftsteile ein. Im Einzelnen dazu Bauer/von Steinau-Steinrück/Thees in Hölters, HdB Unternehmenskauf, Teil V, Rz. 280 ff. 72 Zur Werkswohnung siehe Annuß in Staudinger, § 613a BGB Rz. 240; zu Arbeitgeberdarlehen BAG v. 21.1.1999 – 8 AZR 373/97, n.v. 73 Zu dem gesamten Themenkomplex übergehender Rechte und Pflichten Bauer/ von Steinau-Steinrück/Thees in Hölters, HdB Unternehmenskauf, Teil V, Rz. 158–228. Schuster/Lorenzen
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55 Den gesetzlichen Eintritt in den Arbeitsvertrag gem. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB kann die Vereinbarung eines Personalüberleitungsvertrages ausgestalten und konkretisieren. Dazu siehe unten Rz. 123 ff. b) Kündigungsschutz der Arbeitnehmer aa) § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB 56 Der gesetzliche Übergang der Arbeitsverhältnisse wird in § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB von einem Kündigungsverbot begleitet. Zur Sicherung der Arbeitsplätze sind Kündigungen wegen des Betriebs- oder Betriebsteilübergangs unwirksam. Die Regelung wird als eigenständiges Kündigungsverbot für den Arbeitgeber i.S.d. §§ 13 Abs. 3 KSchG, 134 BGB verstanden und findet daher auch Anwendung, wenn der Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes nicht eröffnet ist74. Daneben lässt § 613a Abs. 4 Satz 2 BGB allerdings die Kündigung aus anderen Gründen weiterhin zu. Hierdurch stellen sich in der Praxis vielfach Abgrenzungsfragen dazu, wann eine Kündigung unzulässigerweise wegen des Betriebsübergangs ausgesprochen wird und wann sie aus anderen – insbesondere betriebsbedingten – Gründen gem. § 1 Abs. 2 KSchG zulässig ist. Das BAG stellt zur Abgrenzung darauf ab, ob der Betriebsübergang tragender Grund für die Kündigung gewesen ist oder nur äußerlicher Anlass75. § 613a Abs. 1 BGB schütze den Arbeitnehmer nicht vor Risiken, die sich auch unabhängig von einem Betriebsübergang immer verwirklichen könnten76. Der Hauptabgrenzungsfall tritt auf, wenn die Stilllegung eines Betriebes geplant ist, Kündigungen ausgesprochen werden und dann später der Betrieb oder Betriebsteil doch noch veräußert wird. Betriebsstilllegung und Betriebsübergang schließen sich aus. Während der Übergang kein eigener Kündigungsgrund ist, bestehen bei einer Stilllegung des Betriebs dringende betriebliche Erfordernisse, die eine Kündigung aus anderem Grunde rechtfertigen. Ausschlaggebend ist die Perspektive zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung. Die Rechtsprechung hält eine betriebsbedingte Kündigung dann für gerechtfertigt, wenn zu diesem Zeitpunkt nach vernünftiger betriebswirtschaftlicher Betrachtung davon auszugehen war, dass die Stilllegung unumgänglich sei, die beabsichtigte Stilllegung also schon greifbare Formen der Verwirklichung angenommen hat. Kommt es dann später doch zu einem Betriebsübergang, werden die
74 Vgl. BAG v. 31.1.1985 – 2 AZR 530/83, NZA 1985, 593; v. 5.12.1985 – 2 AZR 3/85, NZA 1986, 522; v. 18.7.1996 – 8 AZR 127/94, BAGE 83, 302, NZA 1997, 148; ebenso Pfeiffer in Etzel/Bader/Fischermeier, KR, § 613a BGB Rz. 178 f. 75 BAG v. 26.5.1983 – 2 AZR 477/81, BAGE 43, 13 (21 f.); v. 27.9.1984 – 2 AZR 309/83, BAGE 47, 13 (21); v. 19.5.1988 – 2 AZR 596/87, BAGE 59, 12; zuletzt BAG v. 18.7.1996 – 8 AZR 127/94, BAGE 83, 302, NZA 1997, 148 (149). 76 BAG v. 26.5.1983 – 2 AZR 477/81, BAGE 43, 13 (21 f.); v. 19.5.1988 – 2 AZR 596/87, BAGE 59, 12; v. 18.7.1996 – 8 AZR 127/94, BAGE 83, 302, NZA 1997, 148.
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Kündigungen hierdurch nicht unwirksam77. Allerdings hat der Arbeitnehmer dann – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – einen Wiedereinstellungsanspruch gegen den Betriebsübernehmer78. Wird eine solche Kündigung streitig, muss der Arbeitnehmer im Prozess 57 darlegen und beweisen, dass die Voraussetzungen des § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB vorliegen. Die Gerichte haben hier zugunsten des Arbeitnehmers eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast eingeführt. Legt der Arbeitnehmer dar, dass ein Betrieb oder ein Betriebsteil von einem privaten Erwerber fortgesetzt wird, ist es Sache des Arbeitgebers darzutun, dass die Kündigung aus anderen Gründen gerechtfertigt ist79. bb) Besonderheiten des Umwandlungsrechts Bei einer privatisierenden Ausgliederung gilt gegenüber § 613a Abs. 4 58 BGB der speziellere § 323 Abs. 1 UmwG. Danach darf sich die „kündigungsrechtliche Stellung“ eines Arbeitnehmers für die Dauer von zwei Jahren ab der Umwandlung nicht verschlechtern. Umstritten ist, ob die kündigungsrechtliche Stellung dabei weiter greift als die kündigungsschutzrechtliche Vorschrift des § 613a Abs. 4 BGB. Nach einer Auffassung sollen alle kündigungsrechtlichen Bedingungen aus dem bisherigen Arbeitsvertrag gesichert sein, beispielsweise eine tarifrechtliche ordentliche Unkündbarkeit. Dies gelte selbst dann, wenn aufgrund der Tarifkollisionsregelung des § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB eine schlechtere Regelung beim privaten Erwerber die bisherige verdrängen würde80. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass nach der Gesetzesbegründung die Vorschrift vor allem dazu dient, den Kündigungsschutz auch dann zu garantieren, wenn die Beschäftigtenzahl des § 23 Abs. 1 KSchG beim übernehmenden Rechtsträger nicht erreicht wird. Weiter sollte die Vorschrift nicht reichen81. Selbst nach der Ansicht, dass § 323 Abs. 1 UmwG den Kündigungsschutz über § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB hinaus verstärkt, gilt dies jedoch nur anlässlich der Umwandlung. Kündigungen aus anderem Grund – auch Änderungskündigungen – sind auch hier nicht ausgeschlossen.
77 BAG v. 19.6.1991 – 2 AZR 127/91, NZA 1991, 891; v. 19.5.1988 – 2 AZR 596/87, BAGE 59, 12. 78 BAG v. 6.8.1997 – 7 AZR 557/96, BAGE 86, 194; v. 28.6.2000 – 7 AZR 904/98, NZA 2000, 1097; dazu auch Zwanziger in Kittner, Einleitung, Rz. 390a ff., § 613a BGB Rz. 125 ff. 79 BAG v. 5.12.1986 – 2 AZR 3/85, NZA 1986, 522. 80 So Trümner, AiB 1995, 309 ff.; Joost in Lutter, § 323 UmwG Rz. 10; a.A. Willemsen in Kallmeyer, § 323 UmwG Rz. 16. 81 Bauer/Lingemann, NZA 1994, 1057 (1060 f.). Schuster/Lorenzen
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c) Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst 60 Eine weitere Rechtsfolge des Betriebsübergangs betrifft den Status der übergehenden Arbeitnehmer: Wird eine kommunale Einrichtung auf einen privaten Rechtsträger übertragen, scheiden die Arbeitnehmer begrifflich aus dem öffentlichen Dienst aus. Sofern nicht tarifvertragliche oder einzelvertragliche Abreden bestehen (oder ein Personalüberleitungsvertrag geschlossen wird, der dieses regelt), wird die bei dem neuen privaten Arbeitgeber verbrachte Betriebszugehörigkeit nicht als Dienstzeit, Bewährungszeit etc. behandelt. Nimmt der Arbeitnehmer später wieder eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst auf, bleibt die Anrechnung der Betriebszugehörigkeit letztlich Verhandlungssache82. 3. Rechtsfolgen für die betriebliche Altersversorgung a) Betriebliche Altersversorgung – allgemein 61 Die Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst sind in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert. Daneben können ferner verschiedene Formen der betrieblichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung bestehen. Der häufigste Fall ist die Zusatzversorgung. Hierbei werden die Arbeitnehmer durch den öffentlichen Arbeitgeber bei einer Zusatzversorgungseinrichtung pflichtversichert. Auf diese Versorgungsform ist das Betriebsrentengesetz mit einigen Besonderheiten anwendbar, § 18 BetrAVG. Bei einem Übergang von Arbeitsverhältnissen nach § 613a BGB gelten die allgemeinen Grundsätze für die Behandlung der betrieblichen Altersversorgung im Betriebsübergang83: 62 Der private Erwerber tritt somit nicht in die Versorgungsansprüche von Mitarbeitern ein, deren Arbeitsverhältnisse zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs bereits beendet sind. Allein der Veräußerer ist Schuldner der entsprechenden Versorgungsleistungen84. 63 Nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB tritt der Erwerber jedoch für bestehende Arbeitsverhältnisse voll in die Versorgungsansprüche und -anwartschaften ein, unabhängig davon, welche Vereinbarung ihnen zugrunde liegt. Da der Erwerber auch die sich noch entwickelnden verfallbaren Anwartschaften übernimmt, wird er für diese zukünftigen finanziellen Lasten meist einen Abschlag im Kaufpreis verhandeln wollen. 64 Auch bei kommunalen Unternehmen kommt es vor, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmern anstelle oder neben der gängigen Zusatzversorgung so genannte mittelbare Versorgungszusagen gewährt. Bei mittelbaren
82 Schipp/Schipp, Arbeitsrecht und Privatisierung, Rz. 67. 83 Dazu im einzelnen Gockel, Der Übergang von Ansprüchen, S. 1 ff.; Schnitker in Willemsen, Umstrukturierung, J 1 ff. 84 BAG v. 24.3.1977 – 3 AZR 649/76, BAGE 29, 98, AP 6 zu § 613a BGB; v. 15.3.1979 – 3 AZR 859/77, AP 15 zu § 613a BGB.
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Versorgungszusagen schaltet der Arbeitgeber zur Leistungsgewährung rechtlich selbständige Versorgungsträger ein. Als Versorgungsträger kommen nach § 1b Abs. 2 bis 4 BetrAVG Versicherungsunternehmen (Direktversicherung), Pensionskassen, Pensionsfonds oder Unterstützungskassen in Betracht. Die Rechtsprechung unterscheidet bei den Versorgungszusagen zwischen 65 einem „Grundverhältnis“ zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und einem „Deckungsverhältnis“ zwischen dem Arbeitgeber und der Versorgungseinrichtung. Nur der Anspruch des Arbeitnehmers aus dem Grundverhältnis geht gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB mit über. Danach hat der Arbeitnehmer gegenüber dem Erwerber einen Anspruch, ihm eine der bisherigen Versorgung wertgleiche Versorgung zu verschaffen. Wie der Erwerber dies bewerkstelligt, bleibt letztlich seine Entscheidung. Er kann versuchen, die Anwartschaften bei dem bisherigen Versorgungsträger fortzuführen oder einen neuen Durchführungsweg wählen. Gelingt eine externe Versorgung nicht, schuldet der Erwerber den Arbeitnehmern die Versorgung unmittelbar als Direktzusage85. Hiervon unabhängig entwickelt sich das „Deckungsverhältnis“. Sofern 66 Versorgungsträger eine Unterstützungskasse, eine Pensionskasse oder ein Pensionsfond ist, wird er beim Betriebsübergang von den Ansprüchen der übergehenden Arbeitnehmer frei. Die Versorgungseinrichtung selbst verbleibt beim Veräußerer, wo sie weiterhin für die ausgeschiedenen Rentner und Anwärter des Veräußerers aufkommen muss. Die Ansprüche der übergehenden Mitarbeiter gegen den Versorgungsträger erlöschen. Etwas anders ist die Situation bei der Versorgung über eine Direktver- 67 sicherung. Hier ist ausschlaggebend, ob Veräußerer und Erwerber mit Zustimmung des Versicherungsträgers vereinbaren, dass der Erwerber als Versicherungsnehmer in den Versicherungsvertrag eintritt. Er setzt die Versicherung dann nach der bestehenden Police fort. Ausgeschlossen ist dies allerdings in den Fällen, in denen der Erwerber nicht in die Verträge eintreten kann, da es sich um Gruppenversicherungen handelt86. Treffen der Veräußerer und der Erwerber keine Regelung über einen Eintritt, kann der Veräußerer die Lebensversicherung zurückkaufen. Der Lebensversicherungsanspruch des Arbeitnehmers erlischt und der Erwerber muss eine neue wertgleiche Versorgung einrichten. Eine abweichende Regelung, nach der der Veräußerer Schuldner der Ver- 68 sorgungsansprüche bleibt, können Veräußerer und Erwerber – entgegen gängiger Praxis – im Außenverhältnis nicht wirksam treffen, § 4 BetrAVG. Arbeitsverhältnis und Versorgungsanspruch sollen mit einigen Ausnahmen nicht auseinander fallen. Hintergrund ist, dass der insol85 Bauer/von Steinau-Steinrück/Thees in Hölters, HdB Unternehmenskauf, Teil V, Rz. 223. 86 Grundlegend BAG v. 5.5.1977 – 3 ABR 34/76 und v. 15.3.1979 – 3 AZR 859/77, AP 7, 15 zu § 613a BGB. Schuster/Lorenzen
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venzsichernde Pensionssicherungsverein nicht unnötig belastet werden soll87. Denkbar sind allerdings Vereinbarungen im Innenverhältnis, nach denen der Betriebsveräußerer weiter die Versorgungslast tragen soll. Im Außenverhältnis bleibt allerdings der Erwerber für alle mit der Versorgung in Zusammenhang stehenden Pflichten, etwa der Bildung von Rückstellungen oder dem Beitrag zum Pensionssicherungsverein, verantwortlich. 69 Schließlich taucht beim Betriebsübergang auch immer wieder die Überlegung auf, Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung abzufinden. § 3 Abs. 1 BetrAVG regelt für unverfallbare Anwartschaften und laufende Leistungen ein Abfindungsverbot, das nur in begrenzten Ausnahmefällen nach § 3 Abs. 2 ff. BetrAVG nicht greift88. Dieses gilt allerdings nur, sofern ein Arbeitsverhältnis beendet wird. Wird es jedoch gemäß § 613a BGB de lege fortgeführt, greift das Verbot grundsätzlich nicht, so dass Versorgungsansprüche vom Erwerber kapitalisiert und ausgezahlt werden können89. b) Problemstellung: Zusatzversorgung aa) Grundlagen und Neuordnung der betrieblichen Altersversorgung im öffentlichen Dienst 70 Ein besonderes Problem stellt die Zusatzversorgung der Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes dar90. Der Anspruch auf Zusatzversorgung ergibt sich aus Tarifverträgen, auf die bereits die Manteltarifverträge des öffentlichen Dienstes verwiesen haben (siehe § 46 BAT, § 44 MTArb, § 12 BMT-G II) und nunmehr auch § 25 TVöD verweist. Ursprünglich war insbesondere der Tarifvertrag über die Versorgung der Arbeitnehmer des Bundes und der Länder sowie von Arbeitnehmern kommunaler Verwaltungen und Betriebe vom 4.11.1966 (VersTV) von 87 Bauer/von Steinau-Steinrück/Thees in Hölters, HdB Unternehmenskauf, Teil V, Rz. 226. 88 Die Regelung des § 3 BetrAVG wurde im Rahmen des Alterseinkünftegesetzes mit Geltung ab dem 1.1.2005 reformiert. Die bis dahin bereits bestehende Möglichkeit, geringfügige unverfallbare Anwartschaften auf eine betriebliche Altersvorsorge abzufinden, wurde weiter eingeschränkt und auch auf laufende Leistungen erstreckt. Nach der Neuregelung hat nur der Arbeitgeber ein Abfindungsrecht, der Arbeitnehmer hat keinen Anspruch. Zu beachten ist, dass die Neuregelung des § 3 BetrAVG zwar ab dem 1.1.2005 gilt. In § 30g Abs. 2 BetrAVG findet sich jedoch eine Übergangsvorschrift, wonach die Neufassung nicht für laufende Leistungen gilt, die vor dem 1.1.2005 erstmals gezahlt wurden. 89 So Bauer/von Steinau-Steinrück/Thees in Hölters, HdB Unternehmenskauf, Teil V, Rz. 227; allerdings hat das BAG in seiner Entscheidung vom 12.5.1992 – 3 AZR 247/91, NZA 1992, 1080, einen entschädigungslosen Verzicht auf die Versorgung als Umgehung des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB angesehen. Ob eine Abfindungslösung in Zukunft also noch möglich sein wird, bleibt abzuwarten. 90 Siehe hierzu auch Pühler, PersV 2005, 204 ff.
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Bedeutung. Nach dessen Bestimmungen waren die tarifgebundenen Arbeitgeber verpflichtet, ihre Arbeitnehmer bei der wichtigsten öffentlichen Versorgungseinrichtung zu versichern, der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) in Karlsruhe, § 5 VersTV. Der Arbeitnehmer sollte bei der VBL eine Anwartschaft auf eine dynamische Versorgungsrente als Gesamtversorgung erwerben, § 4 VersTV. Die materielle Ausgestaltung des Zusatzversorgungsanspruchs im Einzelnen war dann in der Satzung der Versorgungseinrichtung geregelt91. Neben der VBL bestehen ca. 30 weitere, meist regionale Versorgungskassen. Die bisherige Finanzierung der Zusatzversorgung beruht nicht wie in der 71 Privatwirtschaft auf einem Kapitaldeckungsverfahren, für das der Arbeitgeber Rückstellungen bildet. Die Zusatzversorgung finanziert sich vielmehr nach dem Prinzip des Generationenvertrages. Die Arbeitgeber führen eine Umlage ab. Deren Höhe richtet sich nach dem Versorgungsaufwand für die derzeitigen Versorgungs- und Versicherungsrentner92. Bis 1998 trugen die Arbeitgeber die Umlage allein. Seit dem 1.1.1999 wurde der 5,2 % des zusatzversorgungspflichtigen Entgelts übersteigende Umlagenanteil von Arbeitnehmern und Arbeitgebern je zur Hälfte getragen. Im Jahre 2001 betrug die Arbeitgeberumlage 6,45 %, die Selbstbeteiligung der Arbeitnehmer 1,25 % des zusatzversorgungspflichtigen Entgelts in den alten Bundesländern. In den neuen Bundesländern lag der Umlagesatz bei 1 %. Am 1.3.2002 haben die Tarifvertragsparteien den Tarifvertrag über die be- 72 triebliche Altersversorgung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes unterzeichnet93. Dieser Tarifvertrag Altersversorgung (ATV bzw.- ATV-K) ersetzt rückwirkend zum 1.1.2001 den VersTV. Er setzt den so genannten „Altersvorsorgeplan 2001“ um, mit dem die Tarifvertragsparteien am 13.11.2001 im Nachgang zur sog. Halbanrechnungsentscheidung des BVerfG94 entschieden hatten, das bisherige Gesamtversorgungssystem auf ein Punktemodell ähnlich der gesetzlichen Rentenversicherung umzu91 Zu den Voraussetzungen und Leistungen der Zusatzversorgungseinrichtungen nach dem VersTV und der VBL-Satzung siehe Beckmann, Zusatzversorgung für Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes nach dem VBL-Satzungsrecht. 92 Zur Finanzierung der Zusatzversorgung Beckmann, S. 132 ff. 93 Für die Arbeitgeberseite haben unterschrieben die Bundesrepublik Deutschland, die Tarifgemeinschaft deutscher Länder und die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände. Für die Arbeitnehmerseite hat die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di unterschrieben. 94 BVerfG vom 22.3.2000 – 1 BvR 1136/96 – „Halbanrechnung“, ZTR 2000, 256. In diesem Beschluss hatte das BVerfG entschieden, dass die Satzung der VBL insoweit verfassungswidrig sei, als sie bei der Berechnung der Gesamtversorgung versicherungspflichtige Zeiten außerhalb des öffentlichen Dienstes (sog. Vordienstzeiten) nur zur Hälfte anrechnete, die auf diese Zeit entfallende gesetzliche Rente aber voll berücksichtigte. Hierdurch wurde die von der VBL zu tragende Zusatzversorgung, die Differenz zwischen der gesetzlichen Grundversorgung und der Gesamtversorgung, relativ geringer. Siehe dazu auch Stephan, ZTR 2002, 49 (50). Schuster/Lorenzen
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stellen. Maßgebend für die Leistungen der Zusatzversorgung sind nach dem ATV/-K nicht mehr gesamtversorgungsfähige Zeit und gesamtversorgungsfähiges Entgelt, sondern erworbene Versorgungspunkte, § 7 Abs. 1 ATV/-K. Diese wiederum ergeben sich aus dem zusatzversorgungspflichtigen Jahresentgelt im Verhältnis zu einem Referenzentgelt, multipliziert mit einem Altersfaktor. Laut „Altersvorsorgeplan 2001“ sollen die Arbeitnehmer im Punktemodell so gestellt werden, als ob für jeden Versicherten ein Beitrag von 4 % seines zusatzversorgungspflichtigen Entgelts entrichtet und am Kapitalmarkt angelegt worden sei95. Mit dem neuen Tarifvertrag soll den Zusatzversorgungseinrichtungen auch der Weg ermöglicht werden, von dem Umlageverfahren auf ein Kapitaldeckungsverfahren umzustellen96. Zur Deckung des Finanzbedarfs infolge der Schließung des Gesamtversorgungssystems darf die Zusatzversorgungseinrichtung vom Arbeitgeber pauschale und steuerfreie Sanierungsgelder erheben, § 17 ATV/-K. Die Regelungen des „Altersvorsorgeplans 2001“ und des ATV/-K sind in der Satzung der VBL ansatzweise umgesetzt worden. Die VBL hat den Umlagesatz von bisher 7,7 % auf 7,86 % erhöht. Dies beruht auf der jetzt tarifvertraglich festgelegten Selbstbeteiligung der Arbeitnehmer ab 1.1.2002 in Höhe von 1,41 %, § 37 ATV97. Mit dieser tarifrechtlichen Festlegung entfällt die Regelung über die anteilige Beitragslast für Umlagen über 5,2 %98. bb) Probleme bei der Privatisierung 73 Die Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst stellt im Rahmen der Privatisierung generell ein Problem dar. In § 613a Abs. 1 Satz 1 bzw. 2 BGB ist vorgesehen, dass der tarifliche Versorgungsanspruch aus dem Dienstverhältnis in das Arbeitsverhältnis zwischen dem privaten Arbeitgeber und dem übergehenden Arbeitnehmer durch den Betriebsübergang übernommen wird. Der neue private Arbeitgeber haftet damit dem Arbeitnehmer auf Versorgung im bisherigen Umfang99. In den Zusatzversorgungseinrichtungen des öffentlichen Dienstes sind private Arbeitgeber jedoch meist nur eingeschränkt mitgliedsfähig. Problematisch ist daher, ob und wie der private Arbeitgeber die Versorgung weiterhin über die Zusatzversorgungseinrichtung erbringen kann100.
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Zur Funktionsweise des Punktemodells siehe Stephan, ZTR 2002, 49 (52 f.). Stephan, ZTR 2002, 49, 150 (153). Für Pflichtversicherte im Tarifgebiet West. So die Änderungen des § 76 VBL-Satzung in Nr. 3 der 41. Änderung der Satzung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder vom 1.2.2002. 99 Schipp, NZA 1994, 865 (866); Schipp, RdA 2001, 150 (152). 100 Schaub, ZTR 1999, 250 (254); Lassner, PersR 1998, 286 (290 f.); Wegner-Wahnschaffe, ZTR 1998, 485 (488 f.).
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(1) Erweiterte Beteiligtenfähigkeit Die Mitgliedschaft in den Zusatzversorgungseinrichtungen, die sog. Be- 74 teiligtenfähigkeit, stand zunächst ausschließlich juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu. Durch die Privatisierung verlor der öffentliche Arbeitgeber meist die Beteiligteneigenschaft bei der VBL101. Die Zusatzversorgungskassen haben dieses Problem als Hemmschuh für Privatisierungen erkannt und mit Satzungsänderungen darauf reagiert. Durch Einfügung der §§ 19 Abs. 4, 20a Abs. 1 bis 3 VBL-Satzung, nunmehr als Ausführungsbestimmungen zu § 19 Abs. 2 Satz 1 lit. e bzw. § 20 Abs. 3 VBL-Satzung geregelt, ist zwar nun die Möglichkeit der Beteiligung juristischer Personen des Privatrechts geschaffen. Die Konsequenzen bei einer Privatisierung sind dennoch (finanziell) unattraktiv und lösen das Problem nicht befriedigend. Nach § 19 Abs. 2 lit. e VBL-Satzung kann eine juristische Person des Pri- 75 vatrechts beteiligt werden, wenn sie das für einen öffentlichen Arbeitgeber geltende Tarifrecht oder ein Tarifrecht wesentlich gleichen Inhalts (§ 19 Abs. 3 VBL-Satzung) anwendet. Durch Eintritt in den kommunalen Arbeitgeberverband wäre diese Tarifgeltung zu erzielen. Eine Verbandsmitgliedschaft ohne Tarifbindung (Gastmitgliedschaft) genügt den Anforderungen dabei nicht, da es gerade auf die Anwendung des Tarifrechts ankommt. Ob Tarifbindung des Arbeitgebers notwendig ist oder die Inbezugnahme des öffentlichen Tarifrechts in seinen Arbeitsverträgen ausreicht, bestimmt die VBL-Satzung nicht. Abs. 1 der Ausführungsbestimmungen zu § 19 Abs. 2 Satz 1 lit. e VBL-Satzung klärt allerdings, dass eine Beteiligung mit juristischen Personen des Privatrechts grundsätzlich nur für die Organisationsprivatisierung gedacht ist. Gem. Abs. 1 Nr. 1, 2 der Ausführungsbestimmungen zu § 19 Abs. 2 Satz 1 lit. e VBLSatzung kann eine Beteiligung nur mit Unternehmen und Einrichtungen vereinbart werden, an denen juristische Personen des öffentlichen Rechts überwiegend beteiligt sind oder auf die juristische Personen des öffentlichen Rechts nach der Satzung oder dem Gesellschaftsvertrag maßgeblichen Einfluss ausüben, wenn das Unternehmen oder die Einrichtung – überwiegend Aufgaben wahrnimmt, die sonst der juristischen Person des öffentlichen Rechts obliegen würden, und – mindestens 20 Beschäftigte bei der Anstalt zu versichern hat102. Eine Beteiligung kann außerdem nach Abs. 1 Nr. 2 vereinbart werden, wenn das Unternehmen wirtschaftlich dem öffentlichen Sektor zuzuordnen ist, weil es beispielsweise mehr als die Hälfte seiner Haushaltsmittel 101 Escher, ZTR 1997, 394 (395). 102 Nach Abs. 3 der Ausführungsbestimmungen zu § 19 Abs. 2 Satz 1 lit. e der VBL-Satzung kann von dieser Voraussetzung mit Zustimmung des Vorstands abgewichen werden, wenn die Beteiligung mit Rücksicht auf Aufgabenstellung und Personalstruktur erforderlich erscheint. Schuster/Lorenzen
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aus Zuwendungen des Bundes und der Länder empfängt. Bei einer Privatisierung, mit der eine kommunale Einrichtung auf einen privat beherrschten Träger übertragen wird, kommt eine Beteiligung gem. § 19 VBL-Satzung somit nicht in Betracht. (2) Lösungen für Erwerber ohne Beteiligtenfähigkeit 76 Auch dieses Problem haben die Versorgungseinrichtungen erkannt und bieten daher drei Lösungsmöglichkeiten für einen neuen privaten Arbeitgeber an. Diese sollen hier am Beispiel der VBL103 und der ZVK Wiesbaden für die Gemeinden und Gemeindeverbände104 erläutert werden: (a) Das Verbleibemodell 77 Unter den in § 20 Abs. 3 VBL-Satzung geregelten Voraussetzungen kann die privat getragene Erwerbergesellschaft mit der Versorgungseinrichtung eine besondere Vereinbarung über den Verbleib in der VBL/ZVK schließen105. Die Erwerbergesellschaft wird bei dieser Variante Beteiligter der Versorgungseinrichtung. Die Pflichtversicherungen der bisherigen Arbeitnehmer werden fortgeführt und neu angestellte Arbeitnehmer sind in der Versorgungseinrichtung pflichtversichert. Voraussetzung für den Verbleib ist zunächst, dass die Versorgungseinrichtung zustimmt. Ob sie zustimmt, liegt in ihrem freien Ermessen. Einen Anspruch hat die privatisierte Gesellschaft nicht. Wegen des bisherigen Umlagesystems ist zudem satzungsmäßig festgelegt, dass die Beiträge, die die privatisierte Gesellschaft zahlt, besonders gesichert werden müssen, da sie – anders als die Gemeinden oder Länder – in Insolvenz gehen kann. Dazu muss die Gesellschaft alternativ eines der folgenden Sicherungsmodelle wählen: 78 – Nur bei der VBL geregelt: Die Gesellschaft bringt eine unwiderrufliche Verpflichtungserklärung einer oder mehrerer Personen des öffentlichen Rechts bei, deren Konkursfähigkeit durch Gesetz ausgeschlossen ist. Der Hoheitsträger muss für alle bei einer Beendigung der Beteiligung entstehenden finanziellen Verpflichtungen des Arbeitgebers gegenüber der VBL einstehen106.
103 Die im Folgenden genannten Regelungen der VBL-Satzung entstammen der Satzung auf dem Stand der 5. Satzungsänderung. 104 Die im Folgenden genannten Regelungen der Satzung der ZVK Wiesbaden für die Gemeinden und Gemeindeverbände entstammen der Satzung in der Fassung vom 25.6.2002 nach der 4. Satzungsänderung vom 7.12.2005. 105 § 12 Abs. 4, 1 Satzung ZVK Wiesbaden. 106 Abs. 1 lit. a der Ausführungsbestimmungen zu § 20 Abs. 3 VBL-Satzung. Die Satzung der ZVK Wiesbaden enthält zur Vereinbarung weiterer Mitgliedschaftsbedingungen eine offene Formulierung, § 12 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 11 Abs. 3 Satzung ZVK Wiesbaden, wonach von der Kasse für den Erwerb der Mitgliedschaft weitere Bedingungen gesetzt werden können.
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– Nur bei der VBL geregelt: Die Gesellschaft bringt eine unwiderrufliche Deckungszusage eines im Inland zum Geschäftsbetrieb zugelassenen Versicherungsunternehmens mit dem unter Nr. (1) angegebenen Inhalt bei. – Nur bei der VBL geregelt: Die Gesellschaft bringt eine unwiderrufliche Bankbürgschaft einer im Inland zum Geschäftsbetrieb zugelassenen Bank mit dem unter Nr. (1) angegebenen Inhalt bei107. – Die Gesellschaft verpflichtet sich, zur jeweiligen Umlage einen Zuschlag von 15 % zu zahlen108. Damit erhöht sich z.B. bei der VBL der Umlagesatz West von derzeit 7,86 % auf 9,039 % und der Umlagesatz Ost von 1 % auf 1,15 % (§ 64 Abs. 2 VBL-Satzung). Das Verbleibemodell umzusetzen, ist allerdings nicht ganz unproblema- 79 tisch. Eine Deckungszusage wird die veräußernde Gemeinde nur ungern erteilen. Bei einer Insolvenz des privaten Erwerbers haftet sie für den Ausgleichsbetrag bei Ausscheiden aus der Zusatzversorgungskasse (siehe dazu unten Rz. 81). Will die Gemeinde diese Inanspruchnahme vermeiden, müsste sie sich verpflichten, die privatisierte Einrichtung zurückzunehmen109. Die latente Rücknahmeverpflichtung würde aber auch die Handlungsfreiheit des privaten Erwerbers einschränken. Denn die Gemeinde würde sich für den Fall der Weiterveräußerung des Betriebes wohl ein Mitspracherecht sichern. Somit bleibt dem Erwerber neben der sperrigen Lösung über eine Deckungszusage nur die Möglichkeit, eine Bankbürgschaft zu erlangen oder die finanziell wenig attraktive Variante, die erhöhten Umlagen zu entrichten. (b) Das Vollausstiegsmodell Viele private Erwerber werden deshalb erwägen, keine besondere Betei- 80 ligungsvereinbarung mit der Zusatzversorgungskasse zu schließen. Löst sich der private Erwerber von dem Zusatzversorgungssystem des öffentlichen Dienstes, ist er dennoch gem. § 613a Abs. 1 Satz 1 bzw. 2 BGB verpflichtet, die Versorgungsverbindlichkeiten der übernommenen Arbeitnehmer zu erfüllen. Er muss hier also eine andere Versorgung bereitstellen110 und gegebenenfalls die Versorgungsansprüche direkt bezahlen111. Nach dem Haftungssystem des § 613a BGB haftet der Erwerber nicht für 107 Abs. 1 Satz 2 der Ausführungsbestimmungen zu § 20 Abs. 3 VBL-Satzung. Die Satzung der ZVK Wiesbaden enthält zur Vereinbarung weiterer Mitgliedschaftsbedingungen eine offene Formulierung, § 12 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 11 Abs. 3 Satzung ZVK Wiesbaden (s.o. Fn. 141). 108 Abs. 1 lit. b der Ausführungsbestimmungen zu § 20 Abs. 3 VBL-Satzung, § 12 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 Satzung ZVK Wiesbaden. 109 Schipp, NZA 1994, 865 (866). 110 Dazu ausführlich Schipp, RdA 2001, 150 (152 f.). 111 Zuletzt BAG v. 24.7.2001 – 3 AZR 660/00, AP 18 zu § 1 BetrAVG Betriebsveräußerung. Schuster/Lorenzen
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Arbeitnehmer, die bereits eine Rente erhalten oder ausgeschiedene Arbeitnehmer mit unverfallbaren Anwartschaften, sondern nur für die Versorgungsverbindlichkeiten der übernommenen Arbeitnehmer. Ein Teil dieser Ansprüche bleibt durch die Zusatzversorgungskasse abgesichert mit einer relativ geringen und statischen Versicherungsrente. Der private Erwerber muss diese Leistung bis zur vollen Höhe der dynamischen tariflichen Versorgungsrente aufstocken112. Problematisch für ihn ist, dass er wegen der Versorgungsansprüche kein Deckungskapital hat113. Auch muss der private Arbeitgeber, wenn er die Versorgungslasten selbst aufbringt, plötzlich die dafür notwendigen Rückstellungen bilden114. Der Vorteil für den Erwerber liegt darin, dass er künftige Arbeitnehmer nicht mehr in einer Zusatzversorgungseinrichtung pflichtversichern muss. Ihm bleibt sogar die Wahl, ob er neuen Mitarbeitern überhaupt eine betriebliche Altersversorgung zukommen lässt oder nicht. 81 Der Ausstieg aus der Zusatzversorgung kann aber noch einen gravierenden Nachteil mit sich bringen, der allerdings hauptsächlich die veräußernde kommunale Einrichtung trifft. Entfallen die Beteiligungsvoraussetzungen der kommunalen Einrichtung etwa, weil sie nach einer Organisationsprivatisierung als Eigengesellschaft durch eine weitere Veräußerung nicht mehr 20 zu versichernde Arbeitnehmer beschäftigt115, kann die VBL die Beteiligung ordentlich kündigen, § 22 Abs. 2 Satz 1 VBL-Satzung. Die VBL kann sogar fristlos kündigen, wenn ein Beteiligter den wesentlichen Teil der über ihn pflichtversicherten Arbeitnehmer auf einen anderen Arbeitgeber übertragen hat, der nicht an der VBL beteiligt ist, § 22 Abs. 3 Satz 3 VBL-Satzung. Die rechtmäßige Kündigung hat zur Folge, dass der kommunale Veräußerer aus der VBL ausscheidet und die Pflichtversicherungen der Arbeitnehmer dort enden, § 23 Abs. 1 VBL-Satzung. Der aus der Beteiligung ausscheidende Arbeitgeber muss dann gemäß § 23 Abs. 2 VBL-Satzung, § 15 Abs. 1 Satzung ZVK Wiesbaden einen Ausgleichsbetrag an die bisherige Versorgungseinrichtung zahlen. Dieser orientiert sich am Barwert aller nicht ausfinanzierten Rentenversicherungen und unverfallbaren Anwartschaften, die aus der Beteiligung hervorgegangen sind und für die die Versorgungseinrichtung noch Leistungen erbringen muss. 82 Die Ausgleichspflicht entfällt nur ganz oder anteilig, sofern die Pflichtversicherung der Arbeitnehmer (oder eines Teils der Belegschaft) spätestens drei Monate nach Beendigung der Beteiligung des bisherigen Arbeitgebers durch einen anderen VBL-Beteiligten fortgesetzt wird, § 23 Abs. 3 Satz 1 und 2 VBL-Satzung, § 15 Abs. 3 Satzung ZVK Wiesbaden. Sie entfällt also dann, wenn der Erwerber in der VBL verbleibt. 112 113 114 115
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Schipp, NZA 1994, 865 (866). Schaub, ZTR 1999, 250 (254). Schipp, NZA 1994, 865 (867). Vgl. Abs. 1 Nr. 1 lit. b der Ausführungsbestimmungen zu § 19 Abs. 2 Satz 2 lit. e VBL-Satzung.
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Da die Versorgungseinrichtungen ihre Versicherungsleistungen im Umla- 83 gesystem erbringen, wird aus den eingezahlten Beträgen keine Rendite gewonnen. Daher kann die Ausgleichszahlung je nach Einzelfall sehr hoch sein. So betrug beispielsweise bei einem Betrieb, der über die Jahre hinweg immer rund 100 bis 150 Beschäftigte hatte, der Ausgleichsbetrag ca. 2,5 Mio. Euro, die innerhalb eines Monats nach Mitteilung zu zahlen sind (§ 23 Abs. 4 Satz 1 VBL-Satzung, § 15 Abs. 4 Satz 1 Satzung ZVK Wiesbaden). Selbst wenn der kommunale Veräußerer im Außenverhältnis zur Versorgungseinrichtung den Gesamtausgleichsbetrag schuldet, kann er allerdings im Innenverhältnis zum privaten Erwerber nach der Haftungsverteilung des § 613a BGB verlangen, dass der Erwerber den auf die Anwartschaften übernommener Arbeitnehmer entfallenden Teil des Ausgleichsbetrags erstattet116. Der Vollausstieg verteuert den Erwerb einer kommunalen Einrichtung für den privaten Interessenten. Er wird deshalb versuchen, dies vom Kaufpreis abzuziehen. Kommen Kaufpreisabzug und Ausgleichsverpflichtung beim kommunalen Veräußerer zusammen, wird der Vollausstieg für ihn oft kein gangbarer Weg sein. Er wird voraussichtlich versuchen, den Erwerber zum Verbleib in der VBL zu verpflichten und eine entsprechende Beteiligungsvereinbarung mit dem VBL-Gesamtvorstand vorbereiten.
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(c) Das Zäsurmodell Beim sog. Zäsurmodell gemäß Abs. 2 der Ausführungsbestimmungen zu 85 § 20 Abs. 3 VBL-Satzung wird ebenfalls die besondere Beteiligungsvereinbarung nach den Voraussetzungen des Verbleibemodells geschlossen. Jedoch führt die Erwerbergesellschaft nur die alten Versicherungen fort und versichert neu eintretende Arbeitnehmer anderweitig117. Das Zäsurmodell ist daher der Mittelweg zwischen Vollausstieg und Verbleib. Wie beim Verbleibemodell ist auch hier die Zustimmung der Versor- 86 gungseinrichtung notwendig. Ebenso sind die weitergeführten Versicherungen wegen des Insolvenzrisikos der privaten Erwerbergesellschaft nach einem der vorgegebenen Sicherungsmodelle (siehe oben Rz. 78) zu sichern. Da aber keine neuen Versicherten hinzukommen, ist auch hier zur Sicherung des Umlagesystems ein Ausgleichsbetrag zu zahlen, Abs. 2 Satz 1 lit. b der Ausführungsbestimmungen/§ 12 Abs. 2 ZVK Wiesbaden. Dieser ist wegen der sich noch entwickelnden Anwartschaften sogar meist höher als bei einem Vollausstieg. Bei dem oben (Rz. 83) angesprochenen Fall mit 100 bis 150 Beschäftigten war mit einer Ausgleichssumme von bis zu 5 Mio. Euro zu rechnen. Diesen Ausgleichsbetrag schuldet der private Arbeitgeber. Er muss sich nach der Satzung der VBL dann auch anteilig an Verpflichtungen für ausgeschiedene Arbeitnehmer 116 So wohl auch Schipp, RdA 2001, 150 (152 f.). 117 Abs. 2 der Ausführungsbestimmungen zu § 20 Abs. 3 VBL-Satzung, § 12 Abs. 2 Satzung ZVK Wiesbaden. Schuster/Lorenzen
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beteiligen, Abs. 2 Satz 1 lit. b der Ausführungsbestimmungen zu § 20 Abs. 3 VBL-Satzung. cc) Fazit 87 Die Weiterversicherung eines privaten Erwerbers bei der VBL bzw. einer anderen öffentlichen Zusatzversorgungskasse ist zwar möglich, aber nicht problemlos. Schließlich steht sie auch im Ermessen der Versorgungseinrichtung. Durch Zahlung von Ausgleichsbeträgen oder durch Deckungszusagen verteuert sich die Privatisierung – entweder für den privaten Arbeitgeber oder für die Kommune beträchtlich. Daran kann oftmals die Privatisierung auf Seiten des privaten Interessenten scheitern oder in der Kommune politisch nicht mehr durchsetzbar sein. Der einzig relativ unproblematische Fall ist die Weiterversicherung der Arbeitnehmer in der Zusatzversicherung nach einer Organisationsprivatisierung, sofern das Tarifrecht des öffentlichen Dienstes angewendet wird. In diesem Fall ist die Beteiligtenfähigkeit nach § 19 Abs. 2 Satz 1 lit. e, Satz 2 in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 1 der Ausführungsbestimmungen zu § 19 Abs. 2 Satz 1 lit. e VBL-Satzung/§ 11 Abs. 1 lit. e, Abs. 2 Satzung ZVK Wiesbaden in der Regel weiter gegeben. 4. Schicksal von Kollektivnormen beim Betriebsübergang 88 Die Arbeitsverhältnisse im öffentlichen Dienst sind maßgebend von Tarifverträgen und zum Teil von Dienstvereinbarungen geprägt. Besonders interessieren deshalb die gesetzlichen Regelungen zur Fortgeltung von Kollektivnormen beim privatisierenden Betriebsübergang. a) Fortgeltung von Kollektivnormen 89 Kollektivnormen können nach dem Betriebsübergang sowohl kollektivrechtlich als auch kraft Transformation in individualrechtliche Rechte und Pflichten nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB fortgelten118.
118 Das Bundesarbeitsgericht hat außerdem eine dynamische Fortgeltung der tarifvertraglichen Regelungen auf der Grundlage einer Vereinbarung im Unternehmenskaufvertrag als Vertrag zugunsten Dritter, bejaht; vgl. BAG Urteil v. 20.4.2005 – 4 AZR 292/04, NZA 2006, 281. In dieser Einzelfallentscheidung hatte die Klägerin als Krankenschwester in einem Kreiskrankenhaus gearbeitet. Das Krankenhaus wurde sodann vom mittelbar tarifgebundenen Kreis an eine nicht tarifgebundene Erwerberin (die Beklagte) veräußert. In dem Kaufvertrag wurde unter anderem festgelegt, dass die für den Landkreis am Stichtag geltenden Tarifverträge (BAT-Kommunal, BMT-G II) sowie diese ergänzenden oder ersetzenden Tarifverträge weiterhin auf die Arbeitsverträge anzuwenden sind. Das BAG sprach der Klägerin den begehrten Vergütungsanspruch aufgrund einer Tariflohnerhöhung zu, weil der Klinikkaufvertrag als Vertrag zugunsten Dritter auszulegen sei. Die Klägerin habe daraus auch nach der Veräußerung einen unmittelbaren Anspruch auf die jeweilige Vergütung nach
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aa) Kollektivrechtliche Fortgeltung Tarifverträge gelten kollektiv fort, wenn der Erwerber hinsichtlich dessel- 90 ben Tarifvertrags wie der Veräußerer tarifgebunden ist, § 3 Abs. 1 TVG, der sachliche Geltungsbereich den Betrieb weiterhin erfasst, § 4 Abs. 1 TVG oder der Tarifvertrag allgemeinverbindlich ist119. Die kollektive Fortgeltung der Verbandstarifverträge des öffentlichen Dienstes ist bei der Veräußerung öffentlicher Einrichtungen praktisch irrelevant. Zwar ändert sich die Tarifzuständigkeit auf Gewerkschaftsseite aufgrund des Betriebsübergangs nicht, so dass die organisierten Arbeitnehmer weiterhin der tarifschließenden Gewerkschaft angehören. Die kollektivrechtliche Fortgeltung scheitert aber regelmäßig an der fehlenden Tarifgebundenheit des Arbeitgebers. Zudem sind die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes nicht allgemeinverbindlich. Auch Haustarifverträge gelten bei einem Betriebsübergang außerhalb des Umwandlungsgesetzes nicht kollektiv weiter. Da Partei eines Haustarifvertrages nicht der Inhaber des jeweiligen Betriebs oder Betriebsteils ist, sondern der Rechtsträger, der ihn abgeschlossen hat, geht mit Übergang der betrieblichen Einheit nicht auch die Parteistellung automatisch auf den privaten Erwerber über120. Ob Dienstvereinbarungen i.S.d. § 73 Abs. 1 BPersVG (oder entsprechen- 91 der Bestimmungen der Landespersonalvertretungsgesetze)121 bei einem privaten Erwerber kollektivrechtlich fortgelten können, ist rechtlich zweifelhaft. Dienstvereinbarungen sind das kollektivrechtliche Pendant der Betriebsvereinbarung im öffentlichen Dienst. Sie werden als öffentlich-rechtliche Verträge zwischen der Dienststelle und der Personalvertretung zu den in § 75 Abs. 3, 5 BPersVG und § 76 Abs. 2 BPersVG aufgezählten Angelegenheiten vereinbart. Sie gelten kollektivrechtlich fort, sofern die betriebliche Einheit gewahrt bleibt122. Wann dies der Fall ist, ist auch für die Fortgeltung von Betriebsvereinbarungen streitig. Nach einer Auffassung reicht eine Sachmittelidentität aus, bei der die arbeitsorganisatorische Einheit, der Betrieb, als Ganzes übergeht123. Nach einer ande-
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dem geltenden Tarifvertrag. Zu dieser Entscheidung Hohenstatt/Schramm, NZA 2006, 251 ff.; Möller, NZA 2006, 579 (580 f.). BAG v. 20.6.2001 – 4 AZR 295/00, ZIP 2002, 583; Preis in Erfurter Kommentar, § 613a BGB Rz. 113. BAG v. 20.6.2001 – 4 AZR 295/00, ZIP 2002, 583. § 73 LPersVG BW; Art. 73 LPersVG Bay.; §§ 74, 93 LPersVG Berlin; § 70 LPersVG Bbg.; § 62 LPersVG Bremen; § 83 LPersVG Hamburg; §§ 113, 114 LPersVG Hess.; § 66 LPersVG MV; § 78 LPersVG Nds.; §§ 70, 111 LPVG NW LPersVG NW; § 76 LPersVG Rh.-Pf.; § 76 LPersVG Saarl.; § 84 Abs. 1–5 LPersVG Sachs.; § 70 LPersVG LSA;§ 57 LPersVG Schl.-Holst.; § 72 LPersVG Thür. Vgl. Altvater, § 73 Rz. 16. BAG v. 24.6.1998 – 4 AZR 208/97, NZA 1998, 1346 (1347); v. 25.10.1994 – 3 AZR 279/94, NZA 1995, 373; v. 5.2.1991 – 1 ABR 32/90, AP 89 zu § 613a BGB; Annuß in Staudinger, § 613a BGB Rz. 261; a.A. Wank in Münchener ArbRHdB, § 124 Rz. 199; Röder, DB 1981, 1980. Müller-Glöge in MünchKomm, § 613a BGB Rz. 149 Kreutz in Fabricius/Kraft/ Thiele, GK-BetrVG, § 77 BetrVG Rz. 392. Schuster/Lorenzen
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ren Auffassung kommt es entscheidend darauf an, ob die Identität der Betriebsparteien gewahrt ist124. Mit dem Übergang auf einen privaten Betriebserwerber verliert der Personalrat sein Amt, da gem. § 130 BetrVG eine neue Betriebsverfassung gilt. Eine Parteiidentität ist danach nicht möglich. Sieht man den Gremienwechsel vom Personalrat zum Betriebsrat als Indiz für ein gänzlich unterschiedliches gesetzgeberisches Konzept einer „Betriebs“verfassung, kann der Übergang der betrieblichen Organisation allein für die kollektive Fortgeltung von Dienstvereinbarungen nicht ausreichen. Mangels Parteiidentität gehen Dienstvereinbarungen also beim Betriebsübergang nicht kollektivrechtlich über125. bb) Fortgeltung durch Transformation – § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB 92 Gelten die Kollektivnormen nach der Privatisierung beim privaten Erwerber nicht kollektiv fort, greift die Auffangnorm des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB126. Insoweit Kollektivnormen nach dem Gesetzeswortlaut „Inhalt des Arbeitsverhältnisses“ zwischen dem Erwerber und dem Arbeitnehmer werden, war lange umstritten, ob die transformierten Regelungen dabei ihren kollektivrechtlichen Charakter beibehalten oder sich in einzelvertragliche Vereinbarungen umwandeln127. Die aktuelle Rechtsprechung hat sich dafür entschieden, dass die transformierten Normen auch beim Betriebserwerber ihren kollektiv-rechtlichen Charakter behalten128. Daraus folgt insbesondere, dass die transformierten Regelungen ebenso wie ein kollektiv geltender Tarifvertrag durch günstigere Einzelabreden, die mitunter auch eine Bezugnahme auf einen anderen Tarifvertrag enthalten können, verdrängt werden können (Günstigkeitsprinzip)129. Die nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB transformierten Regelungen fallen dagegen ersatzlos weg, wenn eine Nachwirkung des transformierten Tarifvertrags ausgeschlossen ist130. Um ihren Inhalt für eine Übergangszeit zu sichern, gilt eine gesetzliche Veränderungssperre von einem Jahr, in der die Bedingungen nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden 124 BAG v. 5.2.1991 – 1 ABR 32/90, BAGE 67, 168 (188 f.). 125 Gaul, ZTR 1995, 387; Schipp/Schipp, Arbeitsrecht und Privatisierung, Rz. 213; Willemsen, Arbeitsrechtliche Fragen der Privatisierung und Umstrukturierung öffentlicher Rechtsträger, in Oetker/Preis/Rieble, FS 50 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 287 (306); a.A. Frohner, PersR 1995, 108 ff.; Widmaier, ZfPR 2001, 119 (124); differenzierend Vogelgesang, PersV 2005, 4 (10). 126 BAG v. 24.6.1998 – 4 AZR 208/97, NZA 1998, 1346 (1347); Rieble, EzA § 20 UmwG Nr. 1. 127 Vgl. Annuß in Staudinger, § 613a BGB Rz. 249 f. m.w.N. 128 BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41 (46); vgl. auch Preis in Erfurter Kommentar, § 613a BGB Rz. 112; Gussen in Rolfs et al, Beck’scher OnlineKommentar, Stand 1.9.2011, § 613a BGB Rz. 237; Hohenstatt, NZA 2010, 23 (26). 129 BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41 (43); Preis in Erfurter Kommentar, § 613a BGB Rz. 112. 130 BAG v. 22.4.2009 – 4 AZR 100/08, NZA 2010, 41 (46) vgl. dazu Preis in Erfurter Kommentar, § 613a BGB Rz. 112.
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dürfen. § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB erfasst nur die sog. Inhaltsnormen eines Tarifvertrages131. Anders als betriebsverfassungsrechtliche Betriebs- oder Abschlussnormen regeln sie die Rechte und Pflichten der bestehenden Arbeitsverhältnisse132. Die transformierten Arbeitsbedingungen gelten mit dem Inhalt, der zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs galt. Da § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB keine dynamische Verweisung enthält, entwickeln sie sich nicht mehr fort133. Fraglich ist, ob § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB auch dann Anwendung findet, 93 wenn die öffentliche Einrichtung mit dem privatisierenden Betriebsübergang den betrieblichen Geltungsbereich der Tarifverträge des öffentlichen Dienstes verlässt. Dieser Fall tritt häufig ein. Im Tarifwerk des öffentlichen Dienstes knüpft die Definition des Geltungsbereichs an die Verbandsmitgliedschaft an, vgl. § 1 Abs. 1 TVöD, § 1 Abs. 1 lit. a–c BAT. Kann der private Erwerber also – wie ausgeführt – nicht Mitglied in den kommunalen Arbeitgeberverbänden der VKA werden, verlässt die privatisierte Einrichtung auch den Geltungsbereich des bisherigen Tarifwerks. In der Literatur ist die Behandlung dieses Falles umstritten. Zum Teil wird vertreten, dass bei einem Branchenwechsel das Tarifrecht gemäß § 3 Abs. 3 TVG fortgelte134 oder gem. § 4 Abs. 5 TVG nachwirke135. Nach herrschender Meinung allerdings überwindet § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nicht nur die fehlende Tarifbindung des Erwerbers sondern auch ein Herauswachsen aus dem fachlichen Geltungsbereich des bisherigen Tarifvertrags136. Bleibe bei einem Betriebsübergang die Tarifidentität – persönlich und fachlich – nicht erhalten, bestehe keine Grundlage für eine kollektive Fortgeltung des Tarifwerks. Genau für diesen Fall bilde § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB aber eine Auffangnorm. Einer Analogie zu § 3 Abs. 3 TVG oder § 4 Abs. 5 TVG bedürfe es nicht. Galt ein Tarifvertrag für gewerkschaftliche Außenseiter nicht normativ, 94 sondern durch individualvertragliche Bezugnahme, findet eine Transformation gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nicht statt. Vielmehr geht die Bezugnahmeklausel auf den Erwerber gem. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB über. Die Reichweite der Verweisung ist dann eine Frage der Auslegung. Ist der Erwerber nicht tarifgebunden, ist bei der Auslegung vor allem die vom
131 BAG v. 24.8.2011 – 4 AZR 566/09, NJOZ 2012, 690; BAG v. 26.8.2009 – 4 AZR 280/08, NZA 2010, 238, 241. 132 Preis in Erfurter Kommentar, § 613a BGB Rz. 114; Hattesen in Kasseler Handbuch, 6.7, Rz. 188; Röder, DB 1981, 1980. 133 BAG v. 26.8.2009 – 5 AZR 969/08, NZA 2010, 173 (175); BAG v. 29.1.2008 – 3 AZR 426/06, NZA 2008, 541 (545); BAG v. 20.6.2001 – 4 AZR 295/00, ZIP 2002, 583; v. 4.8.1999 – 5 AZR 642/98, NZA 2000, 154; v. 13.11.1985 – 4 AZR 309/84, NZA 1986, 422; Hattesen in Kasseler Handbuch, 6.7, Rz. 193. 134 Däubler, Tarifvertragsrecht, Rz. 271. 135 Dörner in Kasseler Handbuch Kap. 8.1 Rz. 220. 136 BAG v. 5.10.1993 – 3 AZR 586/92, AP 42 zu § 1 BetrAVG Zusatzversorgungskassen; vgl. dazu Preis in Erfurter Kommentar, § 613a BGB Rz. 113 m.w.N. Schuster/Lorenzen
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4. Senat des BAG in seinem Urteil vom 14.12.2005 – 4 AZR 536/04 – angekündigte Rechtsprechungsänderung zur Auslegung dynamischer Bezugnahmeklauseln zu beachten137, die sich mit Blick auf die neuere Rechtsprechung etabliert hat138. Danach soll die bisherige Rechtsprechung des 4. Senats, wonach die zwischen einem Außenseiter und einem tarifgebundenen Arbeitgeber vereinbarte einzelvertragliche Bezugnahme eines Tarifvertrages generell als Gleichstellungsabrede auszulegen ist, nur noch für sog. „Altverträge“ bis zum 31.12.2001 gelten. Bezugnahmeklauseln, denen der Gleichstellungszweck nicht ausdrücklich zu entnehmen ist, sollen nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes insbesondere wegen der Unklarheitenregelung in § 305c Abs. 2 BGB und dem Transparenzgebot in § 307 Abs. 1 BGB nunmehr generell als dynamische Bezugnahmeklauseln auszulegen sein. Lasse sich dem Wortlaut der vertraglichen Regelung ein Gleichstellungszweck nicht entnehmen, könne der Arbeitnehmer, unabhängig von der Tarifbindung des Arbeitgebers, darauf vertrauen, dass eine dynamische Tarifbindung fortbestehe139. 95 Unter Berücksichtigung dieser Entscheidung ergeben sich bei der Auslegung von Bezugnahmeklauseln in Außenseiterverträgen bei einem Betriebsübergang auf einen nicht tarifgebundenen Arbeitgeber für Alt- und Neuverträge Unterschiede: Wurde die Bezugnahmeklausel in einem Altvertrag zum Zweck der Gleichstellung zwischen einem tarifgebundenen Arbeitgeber und einem Außenseiter vereinbart und tritt nach einem Betriebsübergang ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber in den Arbeitsvertrag ein, so gilt die in Bezug genommene Tarifvereinbarung nach der alten Rechtsprechung nur noch statisch fort. Wegen des ursprünglichen Gleichstellungszwecks sollen die Außenseiter auf der Grundlage der Vereinbarung nicht mehr erhalten, als die tarifgebundenen Arbeitnehmer, für die die bisherigen Tarifvereinbarungen nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ebenfalls nur statisch fortgelten140. Da die Veränderungssperre des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nur für transformiertes Recht gilt, bezieht sie sich nicht auf den Übergang der Arbeitsbedingungen der tariflichen Außenseiter141. 96 Für die Auslegung von Bezugnahmeklauseln in sog. „Neuverträgen“, soll hingegen nicht mehr auf den ursprünglichen Vereinbarungszweck 137 BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, DB 2006, 1322 f.; vgl. dazu Bauer/Haußmann, DB 2005, 2815 ff. 138 BAG v. 17.11.2010 – 4 AZR 391/09, NZA 2011, 356 (358); BAG v. 22.8.2007 – 4 AZR 784/07, NZA 2009, 151 (152); BAG v. 29.8.2007 4 AZR 767/06, NZA 2008, 364 (365). 139 BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, DB 2006, 1322 f. 140 BAG v. 4.8.1999 – 5 AZR 642/98, NZA 2000, 154; v. 30.8.2000 – 4 AZR 581/99, NZA 2001, 510; Preis in Erfurter Kommentar, § 613a BGB Rz. 123; BAG v. 20.6.2001 – 4 AZR 295/00, ZIP 2002, 583; Vogelgesang, PersV 2005, 4 (6). 141 Vgl. zum Ganzen Meyer, NZA 2003, 1126 ff.; Thüsing, NZA 2003, 1184 ff.
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(Gleichstellung), sondern streng auf den Wortlaut der vertraglichen Vereinbarung abgestellt werden142. Dies folge aus den in den §§ 305c Abs. 2 BGB (Unklarheitenregel) und 307 Abs. 1 BGB (Transparenzgebot) geregelten Grundsätzen, die seit der Schuldrechtsreform generell auch auf Arbeitsverträge anzuwenden seien. Beinhalteten Arbeitsverträge eine ungenaue allgemeine Bezugnahmeklausel auf den jeweils geltenden Tarifvertrag, sei anzunehmen, dass es sich um eine dynamische Bezugnahmeklausel handele143. In einer neueren Entscheidung hat das BAG zur weiteren Begründung hierfür ausgeführt, dass sich die Gleichstellung in solchen Fällen mangels gegenteiliger Anhaltspunkte auf das benannte Tarifwerk beschränke144. Daher gelte der in Bezug genommene Tarifvertrag in seiner jeweiligen Fassung, unabhängig von dem – außerhalb des Vertrages liegenden – Umstand der Tarifbindung des Arbeitgebers. Da der Arbeitnehmer in der Regel nicht wisse, ob der Arbeitgeber tarifgebunden sei, gehe diese Unklarheit zu Lasten des Arbeitgebers als Verwender145. Anders als bei den Altfällen führt diese Auslegung bei Betriebsübergängen auf nicht tarifgebundene Arbeitgeber dazu, dass die ungenaue vertragliche Klausel nicht mehr nur statisch auf den Tarifvertrag in der Fassung zum Zeitpunkt des Übergangs verweist, sondern dynamisch auf den Tarifvertrag in seiner jeweiligen Fassung. Etwas anderes gelte nur dann, wenn der Gleichstellungszweck eindeutig aus der Vereinbarung hervorgehe. Nach Ansicht des 4. Senats hätten die Arbeitgeber diese Grundsätze bereits seit Inkrafttreten der Schuldrechtsreform bei der Vereinbarung von Arbeitsverträgen beachten können und müssen, so dass die neue Rechtsprechung auf Verträge ab dem 1.1.2002 anzuwenden sei146. Ist der Erwerber hingegen tarifgebunden, stellt sich unter Berücksichti- 97 gung der angekündigten Rechtsprechungsänderung ebenfalls die Frage, wie in diesem Fall eine einzelvertragliche ungenaue Bezugnahmeklausel auszulegen ist. Auch mit Blick auf die neuere Rechtsprechung kann eine Vertragsklausel, die spezifisch auf einen Tarifvertrag eines bestimmten Wirtschaftszweiges in seiner jeweiligen Fassung verweist (sog. kleine dynamische Verweisungsklausel), nur in Ausnahmefällen bei Vorliegen „besonderer Umstände“ über ihren Wortlaut hinaus als Bezugnahme auf den jeweils für den Betrieb fachlich/betrieblich geltenden Tarifvertrag (sog.
142 BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, DB 2006, 1322 f. 143 Vgl. aus der neueren Rspr. auch BAG v. 17.11.2010 – 4 AZR 391/09, NZA 2011, 356 (358); BAG v. 22.8.2007 – 4 AZR 784/07, NZA 2009, 151 (152); BAG v. 29.8.2007 – 4 AZR 767/06, NZA 2008, 364 (365). 144 BAG v. 22.8.2007 – 4 AZR 784/07, NZA 2009, 151 (152). 145 BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, DB 2006, 1322 f. 146 BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, DB 2006, 1322 f. Schuster/Lorenzen
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große dynamische Verweisungsklausel) ausgelegt werden147. Dies gelte auch dann, wenn die Bezugnahmeklausel die Gleichstellung nicht tarifgebundener Arbeitnehmer mit den tarifgebundenen bezweckt, da sich die Gleichstellung mangels gegenteiliger Anhaltspunkte auf das benannte Tarifwerk beziehe148. Ohne Vorliegen besonderer Umstände erfasst somit eine kleine dynamische Verweisungsklausel nicht den Tarifwechsel auf einen beim Erwerber geltenden Tarifvertrag eines anderen Wirtschaftszweiges. Der bisherige Tarifvertrag bleibt in diesem Fall trotz der Änderung des Wirtschaftszweiges anwendbar. Sofern die Vertragsklausel hingegen ohne konkrete Bezugnahme auf eine Branche auf den jeweils geltenden Tarifvertrag verweist, soll sie grundsätzlich als Verweisung auf den Tarifvertrag zu verstehen sein, an den der Erwerber kraft Verbandszugehörigkeit gebunden ist149. Unter Berücksichtigung des BAG-Urteils vom 14.12.2005 findet diese Rechtsprechung zumindest für sog. Altverträge (bis zum 31.12.2001) weiterhin Anwendung150. Für Verträge, die ab dem 1.1.2002 geschlossen wurden, dürfte hingegen auch hier die angekündigte Rechtsprechungsänderung vor dem Hintergrund der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB zu beachten sein151. Danach kommt bei einer kleinen dynamischen Bezugnahmeklausel auch bei abweichender Verbandsmitgliedschaft des Erwerbers allein der Tarifvertrag des in der Klausel genannten Wirtschaftszweiges zur Anwendung. Eine Auslegung als große dynamische Bezugnahmeklausel ist nicht mehr möglich. 98 Trotz anhaltender Kritik hat sich die Rechtsprechungsänderung zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln mittlerweile durchgesetzt152. Für die künftige praktische Umsetzung von Privatisierungsvorhaben ist daher zu 147 BAG v. 17.11.2010 – 4 AZR 391/09, NZA 2011, 356 (358); v. 22.8.2007 – 4 AZR 784/07, NZA 2009, 151 (152); v. 29.8.2007 – 4 AZR 767/06, NZA 2008, 364 (365); v. 30.8.2000 – 4 AZR 581/99, NZA 2001, 510; v. 25.10.2000 – 4 AZR 506/99, DB 2001, 1891; v. 21.2.2001 – 4 AZR 18/00, DB 2001, 1837 mit Anmerkung Haußmann; v. 25.9.2002 – 4 AZR 294/01, NZA 2003, 807; v. 27.11.2002 – 4 AZR 663/01, NZA 2003, 805; v. 19.3.2003 – 4 AZR 331/02, NZA 2003, 1207; v. 1.12.2004 – 4 AZR 50/04, NZA 2005, 478; vgl. hierzu Besprechung Hanau, RdA 2005, 376 f. 148 BAG v. 22.8.2007 4 – AZR 784/07, NZA 2009, 151 (152). 149 BAG v. 4.9.1996 – 4 AZR 135/95, DB 1996, 2550; Müller-Glöge in MünchKomm, § 613a BGB Rz. 144 ff.; Edenfeld in Erman, § 613a BGB Rz. 94. 150 BAG v. 17.11.2010 – 4 AZR 391/09, NZA 2011, 356 (358); v. 22.8.2007 – 4 AZR 784/07, NZA 2009, 151 (152); v. 29.8.2007 – 4 AZR 767/06, NZA 2008, 364 (365). 151 Vgl. dazu auch Gaul/Naumann, DB 2006, 1054 (1058). 152 Zur Kritik vgl. Giesen, NZA 2006, 625 ff.; von Vogel/Oelkers, NJW-Spezial 2006, 369 (370); Klebeck, NZA 2006, 15 ff.; Meinel/Herms, DB 2006, 1429 ff. sehen die Rechtsprechungsänderung im Widerspruch zur Wehrhof-Entscheidung des EuGH vom 9.3.2006 – C 499/04, NZA 2006, 376. Darin hat der EuGH die bisherige Gleichstellungsrechtsprechung des 4. Senats bestätigt. Vgl. dazu auch Melot de Beauregard, NJW 2006, 2522 ff. A.A. Thüsing, NZA 2006, 473 f., der die Rechtsprechungsänderung auch insgesamt befürwortet.
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erwarten, dass sich ein Tarifausstieg für den nicht tarifgebundenen Arbeitgeber nur noch schwer erreichen lässt, wenn die Bezugnahmeklauseln generell dynamisch fortgelten. Die Arbeitnehmer werden sich kaum darauf einlassen, ungenaue Bezugnahmeklauseln kraft Änderungsvereinbarung zu konkretisieren. Änderungskündigungen erscheinen ebenfalls ungeeignet153. Die Rechtsprechungsänderung wird Privatisierungsvorhaben somit wohl verteuern und für nicht organisierte Erwerber unattraktiver machen. Dienstvereinbarungen erfasst der Wortlaut des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB 99 nicht. Da ihr Charakter durch die unmittelbare und zwingende Wirkung auf betrieblicher Ebene den Betriebsvereinbarungen jedoch sehr nahe ist, wird im Allgemeinen eine analoge Anwendung befürwortet154. Auch sie werden bei einem Betriebsübergang in einzelvertragliche Regelungen transformiert. b) Ablösung durch einen anderen Kollektivvertrag – § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB Bestehen beim privaten Erwerber Tarifverträge oder Betriebsvereinbarun- 100 gen, schließen sie die Transformation der Kollektivnormen des kommunalen Veräußerers unter den Voraussetzungen des § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB aus. Diejenigen Arbeitsbedingungen des bisherigen Kollektivvertrags werden ersetzt, für die die Kollektivordnung des Erwerbers eine eigene Regelung enthält155. Der Vorrang der Kollektivordnung des Erwerbers erstreckt sich also nur auf solche Rechte und Pflichten, die auch in den bisherigen Kollektivverträgen der übernommenen Arbeitnehmer geregelt waren. Decken sich die Regelungsbereiche nicht, bleibt es bei der einzelvertraglichen Fortgeltung nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB156. Bei der Ablösung gilt das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG nicht157. Regelungsidentische Vorschriften beim privaten Erwerber gelten auch dann, wenn sie für die Arbeitnehmer (erheblich) ungünstiger sind. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, dem Betriebserwerber eine Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen zwischen der neuen und der bestehenden Belegschaft zu vereinfachen158. Die Voraussetzungen der Ablösung bei Tarifverträgen sind allerdings um- 101 stritten. Nach einer Auffassung gelten die Tarifverträge des Erwerbers 153 Bauer/Haußmann, DB 2005, 2815 (2816). 154 Edenfeld in Erman, § 613a BGB Rz. 71; Schipp, NZA 1994, 865 (870); Schuster/Beckerle NZA 1985, 16; Opolony, ZTR 2004, 338 (341); Vogelgesang, PersV 2005, 4 (10). 155 Müller-Glöge in MünchKomm, § 613a BGB Rz. 142; BAG v. 20.4.1994 – 4 AZR 342/93, NZA 1994, 1140. 156 Preis, in: Erfurter Kommentar, § 613a BGB, Rz. 121. 157 BAG v. 11.5.2005 – 4 AZR 288/04, 1360 (1362); v. 16.5.1995 – 3 AZR 535/94, DB 1995, 2074. 158 Vgl. Müller-Glöge in MünchKomm, § 613a BGB Rz. 142. Schuster/Lorenzen
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schon dann, wenn er allein als Mitglied des entsprechenden Arbeitgeberverbandes an das neue Tarifwerk gebunden ist159. Nach wohl herrschender Meinung wird der alte Tarifvertrag in dieser Konstellation nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB transformiert. Die Ablösung nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB setzt hingegen beiderseitige Tarifgebundenheit voraus160. Die Fälle ablösender Tarifverträge dürften in Zukunft bei privatisierenden Betriebsübergängen steigen. War bislang die beiderseitige Tarifgebundenheit meist davon abhängig, dass die Arbeitnehmer aus der Gewerkschaft ÖTV in eine neue Gewerkschaft übertreten, sind sie als Mitglieder der branchenmäßig breiter zuständigen Gewerkschaft ver.di möglicherweise auch nach einem Betriebsübergang noch „richtig“ organisiert161. Veräußert eine Gemeinde beispielsweise eine Druckerei, wäre für die Mitarbeiter bei der Kommune die ÖTV, beim Privaten jedoch die Gewerkschaft IG Medien zuständig gewesen. Jetzt ist ver.di in beiden Fällen die zuständige Gewerkschaft. Fehlt die beiderseitige Tarifgebundenheit dennoch, kann der private Erwerber mit den übernommenen Arbeitnehmern individualvertraglich vereinbaren, dass der neue Tarifvertrag gilt. Dies ist gemäß § 613a Abs. 1 Satz 4 Alt. 2 BGB auch schon vor Ablauf der einjährigen Veränderungssperre möglich. In der Praxis problematisch dürfte allerdings sein, ob Arbeitnehmer einem ungünstigeren Tarifvertrag zustimmen. 102 Galten die tarifrechtlichen Arbeitsbedingungen bei der kommunalen Einrichtung kraft einzelvertraglicher Bezugnahme, gehen sie einzelvertraglich gem. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB über (dazu oben Rz. 94). In diesem Fall kommt eine Ablösung nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB auch in analoger Anwendung dieser Vorschrift nicht in Betracht162. Nach aktueller Rechtsprechung des BAG bezieht sich § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB nach dem ausdrücklichen Wortlaut ausschließlich auf das Ersetzen ursprünglich normativ begründeter Besitzstände, deren Weitergeltung im Fall eines Betriebsübergangs gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB angeordnet werde. Vertragliche Rechtspositionen, auch wenn sie in einer privatautonomen Einbeziehung von Tarifnormen ihren Grund haben, gingen aber ohne Weiteres und uneingeschränkt nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB über. Es fehle insoweit an einer Gesetzeslücke, die durch eine analoge Anwendung des § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB zu schließen wäre163. Ein anderes Verständnis stünde im Übrigen auch im Widerspruch zu Art. 3 Abs. 1 der Be159 Zöllner, DB 1995, 1401 (1405); sowie für eine analoge Anwendung Röder, DB 1981, 1980 (1982). 160 BAG v. 7.7.2010 – 4 AZR 1023/08, BeckRS 2010, 71019; v. 30.8.2000 – 4 AZR 581/99, NZA 2001, 510; v. 21.2.2001 – 4 AZR 18/00, DB 2001, 1837 mit Anmerkung Haussmann; Preis, in Erfurter Kommentar, § 613a BGB, Rz. 121. 161 Dazu BAG v. 11.5.2005 – 4 AZR 315/04, NZA 2005, 1362 (Tarifwechsel nach ver.di-Gründung). 162 BAG v. 17.11.2010 – 4 AZR 391/09, NZA 2011, 356 (358); v. 29.8.2007 – 4 AZR 767/06, NZA 2008, 364 (366). 163 BAG v. 29.8.2007 – 4 AZR 767/06, NZA 2008, 364 (366).
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triebsübergang-Richtlinie 2001/23/EG vom 12.3.2001, wonach Rechte und Pflichten aus einem Arbeitsvertrag ohne Weiteres auf den Erwerber übergehen164. Ähnlich wie bei der Transformation erwähnt § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB 103 nicht die Ablösung durch andere Dienstvereinbarungen, sondern nur durch „andere Betriebsvereinbarungen“. Hier wird man eine analoge Anwendung jedoch annehmen dürfen165. Ungünstigere Betriebsvereinbarungen beim Erwerber können also günstigere Dienstvereinbarungen des Veräußerers ersetzen. Allerdings hat das BAG wie im Falle der vertraglichen Ablösung einer älteren Betriebsvereinbarung durch eine jüngere Betriebsvereinbarung166 auch bei der gesetzlichen Ablösung gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB eine Billigkeitskontrolle angesetzt167. Verschlechtert die ablösende Betriebsvereinbarung die Arbeitsbedingungen, sind die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes zu berücksichtigen. Insbesondere bei der betrieblichen Altersversorgung wendet das BAG ein „Dreistufenmodell“ an, nach dem nur ein abgestufter Eingriff in erworbene Besitzstände zulässig ist. Ein Argument für die Billigkeitskontrolle ablösender Betriebsvereinbarungen ist, dass Mitglieder des Betriebsrats nicht gänzlich unabhängig vom Arbeitgeber seien und ihnen – anders als den Tarifparteien – ein Streikrecht zur Durchsetzung ihrer Ziele nicht zur Verfügung stehe. Berücksichtigt man dies, müsste die Kontrolle wohl auch für den Fall greifen, dass eine ungünstigere betriebliche Altersversorgung beim privaten Erwerber den tariflichen Anspruch auf Zusatzversorgung nach dem VersorgungsTV bzw. jetzt AltersvorsorgeTV ablöst. Denn bei Regelungsidentität kann auch eine Betriebsvereinbarung beim privaten Erwerber ohne Verletzung des § 77 Abs. 3 BetrVG einen Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes ablösen168. Gleichermaßen könnte ein entsprechender Haustarifvertrag die verbandstariflichen Regelungen zur Zusatzversorgung verdrängen169. Unerheblich ist dabei, ob die ablösenden Kollektivverträge schon beim 104 Betriebsübergang im vorhandenen Betrieb des Erwerbers galten oder erst
164 BAG v. 17.11.2010 – 4 AZR 391/09, NZA 2011, 356 (358). 165 Schipp, NZA 1994, 865 (870). 166 BAG v. 22.5.1990 – 3 AZR 128/89, NZA 1990, 813; v. 26.8.1997 – 3 AZR 213/96, NZA 1998, 605 (606 f.); v. 26.8.1997 – 3 AZR 235/96, BAGE 86, 216 (221 f.); vgl. auch Höfer/Reiners/Wüst, Betriebliche Altersversorgung, Rz. 372 ff. 167 BAG v. 24.7.2001 – 3 AZR 660/00, ZIP 2002, 773 (775); ebenso Annuß in Staudinger, § 613a BGB Rz. 283 f. 168 Edenfeld in Ermann, § 613a BGB Rz. 87; Müller-Glöge in MünchKomm, § 613a BGB Rz. 143; Preis in Erfurter Kommentar, § 613a BGB Rz. 122; Kreitner in Küttner, Betriebsübergang, Rz. 62; zur sog. „Über-Kreuz-Ablösung“ BAG v. 1.8.2001 – 4 AZR 82/00, NZA 2002, 41, grundsätzlich wohlwollend, aber in der Entscheidung offen gelassen. 169 So auch Bauer/von Steinau-Steinrück/Thees in Hölters, HdB Unternehmenskauf, Teil V, Rz. 368. Schuster/Lorenzen
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später geschlossen werden bzw. durch Verbandsbeitritt des privaten Erwerbers zur Anwendung gelangen. Bei Regelungsidentität verdrängen auch sie die bisherigen Kollektivnormen170. 105 Die Regelungen über die Ablösung von Kollektivverträgen bieten dem privaten Erwerber insbesondere durch Haustarifverträge und Betriebsvereinbarungen einigen Spielraum, die Arbeitsbedingungen der übernommenen Mitarbeiter zu gestalten. Gleichzeitig besteht für die Arbeitnehmer die Gefahr, dass sich ihre Arbeitsbedingungen durch den Betriebsübergang verschlechtern. c) Besonderheiten des Umwandlungsrechts 106 Bei Umwandlungen gilt über den Verweis in § 324 UmwG der § 613a Abs. 1 Sätze 2 und 3 BGB zur Fortgeltung von Kollektivnormen entsprechend171. 107 Ein Unterschied gilt für die kollektivrechtliche Fortgeltung von Haustarifverträgen. Anders als beim Betriebsübergang tritt der Erwerber durch gesetzliche Rechtsnachfolge auch als Partei in einen bestehenden Haustarifvertrag ein. Dieser gilt deshalb kollektivrechtlich fort172. Mit derselben Begründung wird vertreten, dass bei einer Gesamtrechtsnachfolge durch Umwandlung auch Dienstvereinbarungen kollektiv weitergelten. Anknüpfungspunkt sei nämlich die Gesamtrechtsnachfolge und nicht die intakte Übernahme der alten Dienststelle173. 5. Haftungsverteilung zwischen kommunalem Veräußerer und privatem Erwerber 108 Schließlich sei als Rechtsfolge des Betriebsübergangs bzw. einer ausgliedernden Umwandlung noch die gesetzliche Haftungsverteilung erwähnt. a) Haftungssystem des § 613a BGB 109 Für alle – auch rückständigen – Ansprüche aus den übergehenden Arbeitsverhältnissen haftet der private Erwerber nach § 613a Abs. 1, 2 BGB unbeschränkt174. Ansprüche auf ausstehende Sozialversicherungsbeiträge oder Lohnsteuer sind allerdings nicht geschuldet, weil sie nicht Forderungen „aus dem Arbeitsverhältnis“ sind; ansonsten ist die Haftung aller-
170 171 172 173 174
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BAG v. 20.4.1994 – 4 AZR 342/93, NZA 1994, 1140. Schipp/Schipp, Arbeitsrecht und Privatisierung, Rz. 248. Däubler, RdA 1995, 136 (140); a.A. Kreßel, BB 1995, 925 (930). Bieback, ZTR 1998, 396 (400). Annuß in Staudinger, § 613a BGB Rz. 298.
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dings zeitlich unbegrenzt. Sie erfasst demnach auch sämtliche Ansprüche aus betrieblicher Altersversorgung175. Für die Ansprüche aus beim Betriebsübergang beendeten Arbeitsverhält- 110 nissen haftet allein der kommunale Veräußerer. Für Ansprüche übergehender Arbeitnehmer, die vor dem Betriebsübergang entstanden und fällig geworden sind oder vor Ablauf eines Jahres danach fällig werden, haftet er gem. § 613a Abs. 2 Satz 1 BGB neben dem Erwerber als Gesamtschuldner. Für Verbindlichkeiten, die erst nach dem Betriebsübergang fällig werden, haftet er nur zeitanteilig pro rata temporis, § 613a Abs. 2 Satz 2 BGB176. b) Besonderheiten im Umwandlungsrecht Treffen arbeitsrechtlicher Betriebsübergang und Unternehmensumwand- 111 lung aufeinander, ist fraglich, ob auch hier die Haftungsregelungen des § 613a BGB anzuwenden sind. § 324 UmwG bietet einen ersten Anhaltspunkt. Danach bleiben bei der Umwandlung nur § 613a Abs. 1 und 4 bis 6 BGB unberührt. Dies spricht dafür, dass die Haftungsregelung des § 613a Abs. 2 BGB bei Umwandlungen nicht gilt177. § 613a Abs. 3 BGB ordnet an, dass Abs. 2 nicht gilt, wenn ein Unternehmen durch Umwandlung erlischt. Hieraus haben einige Autoren den Gegenschluss gezogen, dass die Haftungsregelung des § 613a Abs. 2 BGB in allen anderen Umwandlungsfällen anwendbar ist178. Da die umwandlungsrechtlichen Haftungsregelungen die Arbeitnehmer jedoch begünstigen, hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass sie als Spezialgesetze Vorrang vor den Regelungen des § 613a BGB haben. Danach gilt folgendes: Für den Sonderfall der Ausgliederung zur Aufnahme durch eine Gebiets- 112 körperschaft oder einen Zweckverband ist zunächst zu beachten, dass im Umwandlungsrecht spezielle Haftungsnormen in den Sonderregelungen der §§ 168 ff. UmwG enthalten sind. Gemäß § 172 Satz 1 UmwG wird die Körperschaft oder der Zweckverband durch den Übergang der Verbindlichkeiten auf den übernehmenden oder neuen Rechtsträger nicht von den Verbindlichkeiten befreit. Nach § 173 UmwG i.V.m. § 157 UmwG ist die Haftung für die im Ausgliederungs- und Übernahmevertrag aufgeführten Verbindlichkeiten allerdings zeitlich begrenzt. Sie tritt nur ein, wenn sie vor Ablauf von fünf Jahren fällig und daraus Ansprüche gegen die Körperschaft gerichtlich geltend gemacht worden sind oder wenn die Ansprüche schriftlich anerkannt worden sind. Mit „aufgeführte Verbindlichkeiten“ sind in § 173 UmwG die Verbindlichkeiten gemeint, die auf den 175 Vgl. BAG v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, AP 18 zu § 613a BGB unter II. der Gründe; v. 26.3.1996 – 3 AZR 965/94, AP 148 zu § 613a BGB. 176 Siehe dazu ausführlich Bauer/von Steinau-Steinrück/Thees in Hölters, HdB Unternehmenskauf, Teil V, Rz. 263–266. 177 Schipp/Schipp, Arbeitsrecht und Privatisierung, Rz. 241. 178 Boecken, Unternehmensumwandlungen und Arbeitsrecht, Rz. 227 ff. m.w.N. Schuster/Lorenzen
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übernehmenden Rechtsträger ausgegliedert werden. Die Regelungen in §§ 172, 173 UmwG haben vor allem klarstellenden Charakter und ergänzen die allgemeinen Vorschriften zur Haftung im Spaltungsrecht in §§ 133, 134 UmwG179. 113 Bei Spaltungen und Vermögensteilübertragungen, bei denen sich die Haftungsmasse ändert, haften die an der Spaltung beteiligten Rechtsträger gemäß § 133 Abs. 1 UmwG gesamtschuldnerisch für Verbindlichkeiten des übertragenden Rechtsträgers, die vor dem Wirksamwerden der Spaltung begründet worden sind. Nach § 133 Abs. 3, 5 UmwG haften diejenigen Rechtsträger, denen die Verbindlichkeiten nach Abs. 1 Satz 1 im Spaltungs- und Übernahmevertrag nicht zugewiesen worden sind, wenn sie vor Ablauf von fünf Jahren nach der Spaltung fällig und daraus Ansprüche gegen den Rechtsträger gerichtlich geltend gemacht oder die Ansprüche schriftlich anerkannt worden sind. § 133 Abs. 3, 5 UmwG regelt für die Gebietskörperschaften und Zweckverbände letztlich die gleiche Rechtsfolge wie §§ 172, 173 UmwG. In beiden Fällen ist die Haftung für ausgegliederte („aufgeführte“) bzw. der Körperschaft im Spaltungs- und Übernahmevertrag nicht zugewiesene Verbindlichkeiten zeitlich auf fünf Jahre beschränkt. Für die Verbindlichkeiten, die bei der Körperschaft verblieben sind, haftet sie zeitlich uneingeschränkt. 114 Für den Fall der Betriebsaufspaltung in eine Besitz- und Betriebsgesellschaft regelt § 134 UmwG eine verschärfte Haftung der Besitzgesellschaft zum Schutz der Arbeitnehmer der Betriebsgesellschaft. Die Besitzgesellschaft haftet für Forderungen der Arbeitnehmer der Betriebsgesellschaft aufgrund der §§ 111 ff. BetrVG, vor allem also aus Sozialplänen oder auf Nachteilsausgleich, §§ 112, 113 BetrVG, sofern diese Forderungen fünf Jahre nach dem Wirksamwerden der Spaltung begründet werden. Binnen 10 Jahren nach der Spaltung müssen die Forderungen fällig und gerichtlich geltend gemacht werden180. Relevant wird dies bei Privatisierungen etwa, wenn eine Kommune ein Stadttheater ausgliedert, dabei das Anlagevermögen behält und den Spielbetrieb von einem (eigenen) privatrechtlich organisierten Unternehmen betreiben lässt. Die Haftung nach den vorstehenden umwandlungsrechtlichen Sondervorschriften begünstigt die Arbeitnehmer gegenüber der Regelung in § 613a BGB dadurch, dass sie die zeitliche Haftungsbeschränkung von einem Jahr in § 613a Abs. 2 Satz 1 BGB erweitert, und geht daher in Umwandlungsfällen stets vor. 115 Die umwandlungsrechtliche Haftung bei Verschmelzungen und Vermögensvollübertragungen ist in den §§ 22 und 45 UmwG geregelt. Sie 179 Zu den Sonderregelungen für die Haftung von Gebietskörperschaften bei der Ausgliederung zur Aufnahme nach dem UmwG ausführlich Schmidt in Lutter, § 172 UmwG Rz. 1 ff., § 173 Rz. 1 ff.; Blanke/Trümner, Handbuch Privatisierung, Rz. 848 ff. 180 Zum Verhältnis der Haftungsregelung bei Betriebsübergang und Umwandlung siehe Bauer/von Steinau-Steinrück/Thees in Hölters, HdB Unternehmenskauf, Teil V, Rz. 267 ff.
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kommt jedoch nur bei der Privatisierung von Eigengesellschaften in Betracht181. 6. Gestaltungsmöglichkeiten übergehender Arbeitsverhältnisse Die vorhergehenden Abschnitte gaben einen Überblick über die gesetzli- 116 chen Rechtsfolgen des § 613a BGB. In der Praxis stellt sich jedoch sowohl für Erwerber und Veräußerer als auch für die Arbeitnehmer oftmals die Frage, inwieweit hiervon abweichende Gestaltungen zulässig und sinnvoll sind. a) Aufhebungsverträge und Eigenkündigungen vor dem Betriebsübergang Um eine öffentliche Einrichtung für einen privaten Investor wirtschaft- 117 lich interessanter zu machen, könnte der Veräußerer versuchen, mit einigen seiner Arbeitnehmer noch vor einem Betriebsübergang Aufhebungsverträge zu schließen. Diese sind ebenso wie Eigenkündigungen jedenfalls dann wirksam, wenn sie nicht zu einer Umgehung des Schutzes des § 613a BGB führen und die Willenserklärung des Arbeitnehmers nicht unter Täuschung oder Drohung zustande gekommen ist. Die Erklärung muss eindeutig und unmissverständlich auf die dauerhafte Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichtet sein182. Unzulässig ist es hingegen, Arbeitnehmer vor dem Betriebsübergang zum 118 Abschluss von Aufhebungsverträgen oder zur Erklärung von Eigenkündigungen mit dem Hinweis zu veranlassen, sie würden beim Erwerber zu schlechteren Konditionen wieder eingestellt (sog. „Lemgoer Modell“). Trotz einiger Kritik in der Literatur183 sieht das BAG dieses Vorgehen als Umgehung des § 613a BGB an. Der Erwerber veranlasse die Arbeitnehmer nämlich kausal, Kündigungen auszusprechen. Durch sein Verhalten vermeide er, unter Verstoß gegen § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB selbst zu kündigen184. Vereinbarungen nach dem „Lemgoer Modell“ sind gem. § 613a BGB i.V.m. § 134 BGB nichtig. Gegenüber dem Erwerber kann sich der Arbeitnehmer später auf die Arbeitsbedingungen aus seinem Arbeitsverhältnis beim Veräußerer berufen185.
181 Siehe dazu Bauer/von Steinau-Steinrück/Thees in Hölters, HdB Unternehmenskauf, Teil V, Rz. 269 ff. 182 BAG v. 29.10.1975 – 5 AZR 444/74, BAGE 27, 291 (298 f.); v. 14.10.1982 – 2 AZR 811/79, DB 1984, 1306 (1307). Zu den Besonderheiten des Abschlusses eine Aufhebungsvertrages unter der Prämisse der vorübergehenden Weiterbeschäftigung in einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft BAG v. 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, DB 2006, 107. 183 Willemsen, RdA 1987, 327 ff.; Pietzko, ZIP 1990, 1105 (1107). 184 BAG v. 29.11.1988 – 3 AZR 250/87, BB 1989, 558; v. 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, DB 2006, 107. 185 BAG v. 29.10.1985 – 3 AZR 485/83, BAGE 50, 62 (72 ff.). Schuster/Lorenzen
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119 Das BAG hat hingegen Aufhebungsverträge als wirksam anerkannt, die zunächst eine Beschäftigung der Arbeitnehmer in einer sog. Beteiligungsund Qualifizierungsgesellschaft vorsahen und die Arbeitnehmer lediglich eine mehr oder weniger begründete Erwartung der Beschäftigung beim Erwerber hatten. Wurden die Arbeitnehmer der Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft in der Folgezeit dennoch wieder beim Erwerber eingestellt, so ist der zuvor mit dem Veräußerer geschlossene Aufhebungsvertrag wirksam, wenn ihnen keine verbindliche Zusage für eine Beschäftigung beim Erwerber gemacht wurde186. b) Änderungskündigungen nach dem Betriebsübergang 120 Eine einseitige Verschlechterung der Arbeitsbedingungen durch Änderungskündigung des Erwerbers ist für transformiertes Recht aus Kollektivvereinbarungen während der Veränderungssperre von einem Jahr nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ausgeschlossen. Auch nach Ablauf dieser Frist und hinsichtlich anderer Arbeitsbedingungen ist die Änderungskündigung kaum erfolgversprechend. Zum Beispiel hält das BAG sie zur Herabsetzung des Vergütungsniveaus grundsätzlich nur bei Existenzgefährdung des Betriebes für gerechtfertigt187. c) Verschlechternde Änderungsverträge zwischen Betriebserwerber und Arbeitnehmern 121 Auch Änderungsverträge, mit denen der Erwerber die Arbeitsbedingungen der übernommenen Belegschaft nach Betriebsübergang „herunterregulieren“ will, sind nicht uneingeschränkt zulässig188. Stehen der Vereinbarung etwa günstigere Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen entgegen, sind die Abreden gem. §§ 4, 5 TVG, § 77 BetrVG unwirksam. Gleichermaßen unwirksam sind Abreden, mit denen transformierte Rechte aus Kollektivvereinbarungen während der einjährigen Veränderungssperre gem. § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB verschlechtert werden sollen, sofern nicht die Ausnahmen des § 613a Abs. 1 Satz 4 BGB greifen. Selbst für einzelvertragliche Arbeitsbedingungen, die gem. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB übergehen, hat das BAG für die Verschlechterung nach einem Betriebsübergang sachliche Gründe189 gefordert. Insbesondere während einer
186 BAG v. 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, NZA 1999, 422; v. 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, DB 2006, 107. 187 BAG v. 12.11.1998 – 2 AZR 91/98, DB 1999, 536. 188 Anders Bauer/von Steinrück/Thees in Hölters, HdB Unternehmenskauf, Teil V, Rz. 231. 189 BAG v. 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, DB 2006, 107; v. 18.8.1976 – 5 AZR 95/75, DB 1977, 310; v. 26.1.1977 – 5 AZR 302/75, DB 1977, 1192 (1193); v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, DB 1980, 308. Ein sachlicher Grund soll insbesondere dann vorliegen, wenn durch die Maßnahme Arbeitsplätze erhalten werden können, BAG v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, DB 1980, 308.
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Ein-Jahres-Frist nach Betriebsübergang, die der Veränderungssperre entspricht, ist bei solchen Vereinbarungen Vorsicht geboten190. d) Keine vorherige Abdingbarkeit durch Vereinbarungen zwischen Erwerber und Veräußerer Erwerber und Veräußerer können bei einem Betriebsübergang die Rechts- 122 folgen des § 613a BGB auch nicht im Voraus abbedingen. Grundsätzlich steht es ihnen jedoch frei, Abreden zu treffen, die dem Schutzzweck der Norm entgegenlaufen. So können sie beispielsweise vereinbaren, dass der Veräußerer bis zur Übertragung der Leitungsmacht sich von einer bestimmten Anzahl Mitarbeiter durch Aufhebungsverträge oder Kündigungen trennt, damit diese nicht auf den Erwerber übergehen. Solche Abreden sind weder sittenwidrig noch unwirksam191. e) Ergänzende und verbessernde Änderungsverträge – Personalüberleitungsverträge Unbenommen bleibt die Möglichkeit, die Wirkungen des § 613a BGB ver- 123 traglich zu konkretisieren und die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Möglich sind hier einzelvertragliche Vereinbarungen zwischen dem Erwerber und den Arbeitnehmern. Gängig und häufig praktischer als viele Einzelverträge sind so genannte Personalüberleitungsverträge192 zwischen Veräußerer und Erwerber gegebenenfalls unter Beteiligung der zuständigen Gewerkschaft oder der Personalräte. Meist räumen diese Verträge den Beschäftigten als echte Verträge zugunsten Dritter unmittelbar einklagbare Rechte ein193. aa) Gestaltung der individualvertraglichen Rechtsfolgen Viele Aspekte sind regelungsfähig. In der Praxis werden veräußernder 124 und erwerbender Arbeitgeber häufig Maximalforderungen ausgesetzt, die Vertreter der Beschäftigten in Verhandlungen und in Veröffentlichungen immer wieder propagieren. Dazu zählen: – Festlegung, wie das Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer gegen den Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse ausgeübt werden soll; Abhängigkeit des Personalübergangs von der vorherigen Zustimmung der Mitarbeiter.
190 Zur Gestaltung von Änderungsverträgen unter Berücksichtigung eines rechtfertigenden Sachgrundes Meyer, NZA 2002, 246–255. 191 So auch Bauer/von Steinrück/Thees in Hölters, HdB Unternehmenskauf, Teil V, Rz. 234. 192 Ausführlich dazu Blanke/Gebhardt/Heuermann, Leitfaden Privatisierungsrecht, Rz. 89 ff.; Blanke, PersR 1996, 49–59; Ebert, ArbRB 2002, 236. 193 Blanke/Gebhardt/Heuermann, Leitfaden Privatisierungsrecht, Rz. 303. Schuster/Lorenzen
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– Einräumung einer Erprobungszeit beim Erwerber mit zeitlich befristetem Rückkehrrecht zum öffentlichen Veräußerer. – Rückübernahmegarantie des öffentlichen Veräußerers für frühere Mitarbeiter bei Auflösung, Stilllegung oder Insolvenz des privaten Erwerbers oder bei personenbedingten Kündigungen wegen Krankheit oder fehlender gesundheitlicher Eignung. – Anerkennung der Betriebszugehörigkeitszeiten beim privaten Arbeitgeber als Dienst- und Beschäftigungszeiten im öffentlichen Dienst für den Fall der Rückkehr zum öffentlichen Veräußerer. – Vertragliche Sicherung der Fortführung bisheriger Tätigkeitsfelder, Verantwortungs- und Aufgabenbereiche. – Einschränkung oder Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen. – Einschränkung oder Ausschluss personenbedingter Kündigungen. – Festlegung des Arbeitsortes; eventuell Einschränkung des örtlichen Versetzungsrechts. – Ausdrückliche Übernahme bislang gewährter freiwilliger Sozialleistungen und Gesamtzusagen (z.B. Job-Tickets, Essenszuschüsse, Arbeitgeberdarlehen, Gruppenversicherungen). – Verpflichtung des Erwerbers, den Besitzstand der Arbeitnehmer zu wahren, durch einzelvertragliche Regelung nach Maßgabe der geltenden und auch lediglich nachwirkenden Tarifverträge, Dienst- oder Betriebsvereinbarungen und freiwilligen Sozialleistungen. Dynamisierung dieses Besitzstandes dahin, dass die Arbeitnehmer auch für die Zukunft so zu stellen sind, als hätte der Betriebsübergang nicht stattgefunden. – Fortführung und Kostenübernahme für Aus-, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen im bisherigen Umfang. bb) Gestaltung des Kollektivrechts 125 Da speziell § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB die kollektivrechtlichen Arbeitsbedingungen ungünstig beeinflussen kann, haben die Arbeitnehmer ein besonderes Interesse, dies abzuwenden. Häufig wird deshalb folgendes gefordert: – Eintritt des Erwerbers in den kommunalen Arbeitgeberverband (meist nur für organisationsprivatisierte Gesellschaften möglich) oder Verpflichtung zum Abschluss inhaltsgleicher Haustarifverträge. Ansonsten Eintritt in sämtliche für den alten Arbeitgeber im Zeitpunkt des Betriebsübergangs geltenden Haustarifverträge und etwaige Dienstvereinbarungen. Gelingt es, durch eine vereinbarte Weitergeltung der kollektiven Regelungen die Tariftransformation in die einzelnen Arbeits502
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verträge zu verhindern, kann dies für den neuen Arbeitgeber vorteilhaft sein. Denn diese kollektiven Regelungen sind sofort änderbar, während die einzelvertraglich weitergeltenden Regelungen der einjährigen Veränderungssperre gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB unterliegen. – Vertragliche Verpflichtung des neuen Arbeitgebers, Betriebsvereinbarungen mit dem Inhalt der bislang geltenden Dienstvereinbarungen neu abzuschließen. – Verzicht des privaten Arbeitgebers, Rechte aus § 112a BetrVG herzuleiten; also Sozialplanpflicht trotz Neugründung. – Beitritt zur betreffenden Zusatzversorgungseinrichtung und Weiterversicherung der übernommenen Arbeitnehmer nach Maßgabe der jeweiligen Tarifverträge und der Satzung der Zusatzversorgungskasse. – Einführung eines rechtlich möglicherweise unwirksamen Übergangsmandats des Personalrats und Verzicht auf die Geltendmachung rechtlicher Bedenken194 (zu dieser Problematik ausführlich unten Rz. 183 ff.). cc) Vertragliche Verpflichtungen zwischen öffentlichem Veräußerer und privatem Erwerber Nicht nur im Verhältnis zu den Arbeitnehmern, sondern auch zwischen Veräußerer und Erwerber ist es sinnvoll, gewisse Punkte vertraglich zu regeln. Einige Beispiele: – Regelung des Innenverhältnisses für die gesamtschuldnerische Haftung des alten und neuen Arbeitgebers für Ansprüche aus den übergegangenen Arbeitsverhältnissen. – Regelung der Rechtsfolgen nicht durchgeführter oder unvollständiger Unterrichtung gem. § 613a Abs. 5 BGB (z.B. Rücktrittsrecht des Erwerbers, Schadensersatzansprüche, Vertragsstrafe etc.). – Ausgleichsregelung für Vergütungszahlung und Beendigungskosten widersprechender Arbeitnehmer. – Etwaige Freistellungsregelungen für Ausgleichsforderungen der Zusatzversorgungseinrichtungen bei Beendigung der Mitgliedschaft hinsichtlich der übergehenden/nicht übergehenden Arbeitsverhältnisse. – Präzisierung der Wirkungen des Personalüberleitungsvertrags, gegebenenfalls als echter Vertrag zugunsten Dritter; Aushändigung einer Ausfertigung an alle übernommenen Arbeitnehmer.
194 Zu den Risiken, die eine solche Vereinbarung mit sich bringen kann, insbesondere mit Blick auf die Anfechtbarkeit der vom Personalrat vorgenommenen Handlungen, Kast/Freihube, DB 2004, 2530 (2533). Schuster/Lorenzen
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II. Besonderheiten der Organisationsprivatisierung ohne Betriebsübergang 127 Von Organisationsprivatisierung spricht man, wenn ein öffentlicher Rechtsträger Teile seiner öffentlichen Aufgaben an ein Privatrechtssubjekt – meist eine Gesellschaft – überträgt. Der Hoheitsträger behält jedoch Anteils- oder Stimmenmehrheit an der Gesellschaft oder beherrschenden Einfluss auf sie kraft Satzung195 (dazu bereits oben Rz. 16 ff.). 1. Kein Betriebsübergang bei Formwechsel 128 Die überwiegende Zahl der für die Organisationsprivatisierung zur Verfügung stehenden gesellschaftsrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten lösen einen Betriebsübergang i.S.v. § 613a BGB aus. Dies gilt sowohl für eine Veräußerung einzelner Wirtschaftsgüter im Wege des Asset Deals, für eine Spaltung in Form der Ausgliederung, §§ 123, 168 UmwG als auch für eine Vermögensübertragung nach den §§ 174 ff. UmwG. Die in § 613a BGB geregelten Arbeitnehmerschutzvorschriften kommen in diesen Fällen zur Anwendung. 129 Anders ist die Rechtslage hingegen bei der Organisationsprivatisierung durch Formwechsel. Bei ihr findet kein Betriebsübergang nach § 613a BGB statt. Der Formwechsel erfolgt vielmehr identitätswahrend, da der Ausgangsrechtsträger – wenn auch in anderer Rechtsform – fortbesteht196. 130 Die Arbeitsverhältnisse bestehen ebenfalls grundsätzlich unverändert fort. Der Anwendungsbereich der Organisationsprivatisierung durch Formwechsel ist allerdings eng begrenzt. Nach §§ 191 Abs. 1 Nr. 6, 301 Abs. 1 UmwG muss der Ausgangsrechtsträger einer solchen Privatisierung eine Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts sein. 131 Wegen § 301 Abs. 1 UmwG sind grundsätzlich als Zielform nur Kapitalgesellschaften möglich. Schließlich erfordert der Formwechsel von Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts auch eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage. 2. Auswirkungen des Formwechsels auf die Arbeitsbedingungen 132 Trotz der Fiktion der Identität der Rechtsträger wirkt sich auch die Organisationsprivatisierung durch Formwechsel ohne Betriebsübergang verschiedentlich auf die Arbeitsverhältnisse aus.
195 Exemplarisch: Hartmut Bauer, Privatisierung von Verwaltungsaufgaben, VVDStRL 54 (1994), 243 ff.; Landerer, PersR 1993, 340 (341). 196 Vossius in Widmann/Mayer, § 302 UmwG Rz. 40.
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a) Betriebsverfassung Mit der privatrechtlichen Form des Arbeitgebers richten sich die Mit- 133 bestimmungsrechte der Belegschaft nicht mehr nach dem Personalvertretungsrecht, sondern nach dem Betriebsverfassungs- oder Mitbestimmungsrecht. Diese formale Abgrenzung regeln §§ 1, 95 BPersVG und § 130 BetrVG gesetzlich. Zu den Mitbestimmungsrechten auch bei der Organisationsprivatisierung siehe im Einzelnen unten Rz. 151 ff.197. b) Auswirkungen auf Kollektivnormen Da der Arbeitgeber fortbesteht, liegt es nahe, dass sich auch an der kol- 134 lektiven Geltung der einschlägigen Tarifverträge nichts ändert. Voraussetzung bleibt allerdings die Tarifbindung der Arbeitsparteien. Für die Tarifbindung des Arbeitgebers stellt sich hierbei vor allem die Frage, ob die privatrechtlich organisierte Gesellschaft noch Mitglied in einem der Verbände des öffentlichen Dienstes sein kann. Die meisten Satzungen der kommunalen Arbeitgeberverbände erlauben die Mitgliedschaft privatrechtlicher Gesellschaften, sofern weiterhin ein Hoheitsträger wesentlichen Einfluss auf die Gesellschaft ausübt198. Es bleibt dann bei der normativen Wirkung des öffentlichen Tarifwerks für Gewerkschaftsmitglieder und der individualrechtlichen Anwendbarkeit kraft Bezugnahme für nicht organisierte Mitarbeiter. Der Eintritt in das Branchensystem der Privatwirtschaft kann allerdings 135 dazu führen, dass neben den öffentlichen Tarifverträgen nunmehr auch branchenspezifische Tarifverträge einschlägig sind. Sofern sie allgemeinverbindlich sind oder der Arbeitgeber einem weiteren Verband beitritt und auch die Arbeitnehmer bei der entsprechenden Gewerkschaft organisiert sind, sind im selben Betrieb und auch auf die einzelnen Arbeitsverhältnisse jeweils unterschiedliche Tarifverträge anwendbar. Es können also Fälle der Tarifpluralität und der Tarifkonkurrenz entstehen. Hierauf sind wohl die vom BAG entwickelten Grundsätze der Tarifeinheit und der Tarifspezialität anwendbar. Es würde dann der für den betrieblichen Zweck des Unternehmens spezifischere Tarifvertrag die anderen Tarifver-
197 Becker, ZögU, 2001, 1–19 meint, diese formale Abgrenzung der Arbeitnehmermitbestimmung verstoße gegen verfassungsrechtliche Vorgaben. Der Staat sei auch bei der Wahl privater Rechtsformen an das Erfordernis demokratischer Legitimation gebunden, sofern er weiterhin öffentliche Aufgaben durchführe. Becker fordert deshalb, das Mitbestimmungsrecht von Eigengesellschaften so an die Erfordernisse demokratischer Legitimation anzupassen, dass die Vertreter der Arbeitnehmerseite nicht von der Arbeitnehmerschaft gewählt werden, sondern von dem demokratischen Vertretungsorgan der das Unternehmen tragenden staatlichen Einheit bestellt und abberufen werden. 198 Sehen die Arbeitgeberverbände die Mitgliedschaft nicht vor, entsteht tarifrechtlich eine Situation wie bei der Privatisierung von Eigengesellschaften. Siehe dazu unten Rz. 144 ff. Schuster/Lorenzen
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träge verdrängen199. Das wäre wohl meist der fachlich bestimmte Tarifvertrag der Privatwirtschaft. Auch hierdurch könnte die Anwendung der öffentlichen Tarifverträge für die gewerkschaftlich organisierten Mitarbeiter ein Ende finden. Wird dagegen in dem Arbeitsvertrag nur auf einen Tarifvertrag Bezug genommen, ist bei einer statischen Verweisung der in Bezug genommene Tarifvertrag anwendbar. Eine kleine oder große dynamische Verweisung war dagegen nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG als Gleichstellungsklausel auszulegen, durch die das gelten sollte, was auch für die tarifgebundenen Arbeitnehmer galt200. Danach wäre auch für die Nichtorganisierten der spezifischere Tarifvertrag der Privatwirtschaft anwendbar. Das BAG hat die Reichweite von Bezugnahmeklauseln beim Branchenwechsel eingeschränkt (siehe oben Rz. 95 ff.). Man muss deshalb nunmehr davon ausgehen, dass die Gerichte zumindest kleine dynamische Verweisungen nur auf den ohne Tarifwechsel in Bezug genommenen Tarifvertrag beziehen. Will man sicher gehen, bedarf es – gerade vor dem Hintergrund der angekündigten Rechtsprechungsänderung – zumindest in Verträgen nach dem 1.1.2002 einer ausdrücklichen Tarifwechselklausel. 136 Unabhängig von der Fortgeltung des bisherigen Tarifrechts ist fraglich, ob der Inhalt der tariflichen Arbeitsbedingungen sich vollständig aufrechterhalten lässt. Gegebenenfalls müssen bestimmte typische Verpflichtungen der öffentlichen Tarifverträge wie die allgemeinen Verhaltenspflichten nach § 41 TVöD-BT-V (ex. § 8 Abs. 1 BAT) oder der Umfang des Weisungsrechts in organisationsprivatisierten Betrieben anders ausgelegt werden, je nachdem, ob und in welchem Umfang hier noch öffentliche Aufgaben wahrgenommen werden. 137 Durch den Wechsel von der Personalverfassung in die Betriebsverfassung gem. § 130 BetrVG besteht gemäß der hier vertretenen Auffassung auch nach einer Organisationsprivatisierung mangels Identität der Betriebsparteien die betriebliche Einheit nicht fort. Somit ist hier eine kollektive Fortgeltung der Dienstvereinbarungen nicht denkbar201. c) Zusatzversorgung 138 Probleme bei der Fortführung der zusätzlichen tariflichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung können bei der Organisationsprivatisierung vermieden werden. Die organisationsprivatisierte Eigengesellschaft kann nämlich Mitglied der Zusatzversorgungseinrichtung bleiben, wenn sie das für einen öffentlichen Arbeitgeber geltende Tarifrecht oder ein Tarif199 BAG v. 24.9.1975 – 4 AZR 471/74, AP Nr. 11 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz; v. 5.9.1990 – 4 AZR 59/90, NZA 1991, 202; v. 23.3.2005 – 4 AZR 203/04, NZA 2005, 1003; Wank in Wiedemann, § 4 TVG Rz. 297. 200 BAG v. 4.9.1996 – 4 AZR 135/95, BAGE 84, 97. 201 Schipp/Schipp, Arbeitsrecht und Privatisierung, Rz. 213; a.A. Frohner, PersR 1995, 108 ff.; Widmaier, ZfPR 2001, 119 (124).
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recht wesentlich gleichen Inhalts weiter anwendet202. Am besten ist dies durch den Verbleib im kommunalen Arbeitgeberverband zu erreichen (vgl. dazu oben Rz. 74 ff.). d) Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst Da nach herrschender Meinung der öffentliche Dienst allein dadurch be- 139 stimmt ist, dass Tätigkeiten für eine juristische Person des öffentlichen Rechts ausgeführt werden203, scheidet der Arbeitnehmer auch bei einer Organisationsprivatisierung grundsätzlich aus dem öffentlichen Dienst aus. Da es für Leistungen und Besitzstände der Beschäftigten im öffentlichen Dienst bislang aber oft auf die Dienstzugehörigkeit ankam, ergab sich in diesem Zusammenhang das Problem, dass Dienstzeiten bei der Eigen- bzw. Beteiligungsgesellschaft der Kommune grundsätzlich nicht angerechnet wurden, wenn der Arbeitnehmer später in den öffentlichen Dienst zurückkehrte. Diese Rechtsfolge wurde in den Haupttarifverträgen des öffentlichen Dienstes abgeschwächt. § 20 Abs. 2 Unterabs. 2 Buchstabe a) BAT sah beispielsweise vor, dass als Dienstzeit auch Beschäftigungszeiten bei einem Arbeitgeber anzurechnen waren, der Mitglied bei einem der Arbeitgeberverbände ist, die der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) angehören, auch wenn er in privater Rechtsform geführt wird. Nach der Protokollerklärung zu § 20 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchstabe a) und c) BAT war aber Voraussetzung für die Anrechnung als Dienstzeit, dass am Einstellungstag die Mitgliedschaft bei der VKA bzw. einem Mitgliedsverband bestand204. Die nunmehr seit dem 1.10.2005 maßgeblichen Regelungen des TVöD 140 enthalten keine Bestimmungen zur Dienstzeit und davon abhängige Leistungen. Auf die Länge der Dienstzeit kommt es nicht mehr an. Der TVöD enthält in § 34 TVöD im Zusammenhang mit der Normierung der Kündigung nur noch eine Regelung über die Beschäftigungszeit. In § 14 TVÜ-VKA findet sich eine entsprechende Übergangsregelung. Für die Berechnung der Beschäftigungszeit ist nach § 34 Abs. 3 Satz 2 TVöD maßgebend, wie lange ein Arbeitsverhältnis mit demselben Arbeitgeber bestand. Die Zugehörigkeit zum öffentlichen Dienst spielt somit nur noch eine untergeordnete Rolle. In § 34 Abs. 3 Satz 2 TVöD ist der Fall geregelt, dass Beschäftigte zwischen zwei Arbeitgebern wechseln. Werden die beiden Arbeitgeber vom Geltungsbereich des TVöD erfasst, werden auch hier die Zeiten bei dem anderen Arbeitgeber als Beschäftigungszeit anerkannt. Das gilt nach Satz 3 auch dann, wenn der Wechsel von einem öffentlichen Arbeitgeber vollzogen wird.
202 Siehe beispielsweise § 19 Abs. 2 lit. e VBL-Satzung. 203 BVerfG v. 20.2.1957 – 1 BvR 441/53, BVerfGE 6, 257 (267); BVerwG v. 27.6.1968 – VIII C 10.67, BVerwGE 30, 81 (87); Jachmann in von Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Art. 33 Abs. 4 Rz. 30, Bernd Müller, Rz. 5. 204 Ähnliche Regelungen in § 7 BMT-G II und § 6 MTArb. Schuster/Lorenzen
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Bei der Organisationsprivatisierung einer kommunalen Einrichtung durch Formwechsel läuft die Beschäftigungszeit gem. § 34 Abs. 3 Satz 1 TVöD weiter, weil der Rechtsträger bzw. der Arbeitgeber identisch bleibt.
III. Privatisierung von Eigengesellschaften oder Beteiligungsgesellschaften 1. Privatisierung durch Asset Deal/Umwandlung 141 Betreibt eine Kommune eine Verkehrsbetriebe GmbH oder eine Wasserwerke AG bereits in privater Rechtsform – also je nach Anteilsgrad als Eigen- oder Beteiligungsgesellschaft – könnte sie dennoch Interesse daran haben, die Gesellschaft an einen Privaten zu veräußern. Die Privatisierung205 von Eigen- bzw. Beteiligungsgesellschaften kann erneut durch Veräußerung aller Wirtschaftsgüter der Gesellschaft („Asset Deal“) umgesetzt werden. Auch eine Umwandlung führt zum Ziel. Anders als bei der Umwandlung öffentlich rechtlicher Einheiten stehen bei der Umwandlung privatrechtlich organisierter Gesellschaften alle übertragenden Umwandlungsarten zur Verfügung mit Ausnahme des Formwechsels, durch den das Vermögen der Kommune in der Eigengesellschaft nicht auf einen privaten Eigentümer übertragen werden kann. Sowohl die Veräußerung der Wirtschaftsgüter des Unternehmens als auch die Umwandlung (§ 324 UmwG) führen arbeitsrechtlich zu einem Betriebsübergang im Sinne des § 613a BGB mit den genannten Folgen, soweit sie nicht schon durch die vorherige Organisationsprivatisierung eingetreten sind (siehe dazu oben Rz. 33 ff.). 2. Veräußerung von Gesellschaftsanteilen („share deal“) 142 Ein öffentlicher Träger kann eine Eigen- bzw. Beteiligungsgesellschaft aber auch privatisieren, indem er die Mehrheit oder sämtliche Anteile („shares“) an der Gesellschaft an einen privaten Erwerber verkauft und abtritt. Die Identität des Unternehmens bleibt dabei gewahrt, der Arbeitgeber wechselt nicht, § 613a BGB greift daher nicht ein. Das mag als Vorteil begriffen werden, weil sich arbeitsrechtlich wenig ändert. Für den Erwerber ist dies insbesondere dann günstig, wenn er den Bestand der Belegschaft möglichst erhalten möchte206. Es besteht kein Risiko, dass
205 Da Eigen- und Beteiligungsgesellschaften bereits in privater Rechtsform geführt werden, hat hier genau genommen bereits eine Privatisierung stattgefunden. Diese Art der Privatisierung wird als formelle Privatisierung bezeichnet. Bei der (weiteren) Privatisierung von Eigen- und Beteiligungsgesellschaften, findet dann die sog. materielle Privatisierung statt, wodurch die Gesellschaft letztlich von einem privaten Rechtsträger beherrscht wird. Zur Terminologie in diesem Buch § 2 Rz. 19 ff. 206 Bauer/von Steinau-Steinrück/Thees in Hölters, HdB Unternehmenskauf, Teil V Rz. 3.
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Mitarbeiter dem Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse widersprechen. Jedoch übernimmt der Erwerber nicht nur alle guten, sondern auch alle „schlechten Eigenschaften“207 und führt alle individual- und kollektivrechtlich geltenden Rechte und Pflichten grundsätzlich so weiter, wie sie bisher gegolten haben. Gerade bei der privatisierenden Übertragung von Gesellschaftsanteilen können jedoch tarifrechtlich einige typische Probleme auftreten: a) Kollektivrechtliche Auswirkungen des Anteilsverkaufs Da in den Eigengesellschaften bereits Betriebsvereinbarungen und nicht 143 mehr Dienstvereinbarungen bestehen, ist deren Fortgeltung beim Gesellschafterwechsel – anders als bei der Organisationsprivatisierung – unproblematisch. Anders sieht es aus bei der Fortgeltung des Tarifrechts des öffentlichen 144 Dienstes. Sofern das Tarifrecht bei der Eigengesellschaft noch kraft Tarifbindung galt, verliert die Gesellschaft mit der Veräußerung der Anteile an einen rein privaten Gesellschafter nach den meisten Satzungen der kommunalen Arbeitgeberverbände die Mitgliedschaftsfähigkeit. Gleichzeitig verlässt die Gesellschaft den Geltungsbereich dieser Tarifverträge (siehe oben Rz. 93). Auch ohne die Anwendung des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ist heftig umstritten, ob und wie die tariflichen Regelungen fortgelten. Mit Ausscheiden aus dem Arbeitgeberverband bleibt die Tarifgebundenheit gem. § 3 Abs. 3 TVG bestehen, bis sie durch Fristablauf – oder nach Kündigung des Tarifvertrags mit Ablauf der Kündigungsfrist – endet. Nach einer Auffassung soll dies auch hier gelten. Nach Ablauf des § 3 Abs. 3 TVG gälten die Tarifverträge gem. § 4 Abs. 5 TVG so lange weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt würden208. Übersehen wird dabei allerdings, dass die private Gesellschaft nicht nur aus dem tarifschließenden Verband ausscheidet, sondern auch der fachliche Geltungsbereich nicht mehr einschlägig ist. § 3 Abs. 3 TVG führt aber nur eine früher bestehende Tarifgebundenheit fort. Er kann nicht die Legitimation der normativen Wirkung eines Tarifvertrages gem. § 4 Abs. 1 TVG außerhalb des Zuständigkeitsbereichs herbeiführen209. Mit einem ähnlichen Argument soll nach einer anderen Auffassung auch § 4 Abs. 5 TVG nicht gelten, wenn ein Betrieb nicht mehr dem Geltungsbereich des nachwirkenden Tarifvertrages angehört210. Dennoch wendet das BAG den § 4 Abs. 5 TVG auch dann an, wenn neben der Beendigung weitere Voraussetzungen der Tarifgeltung entfallen, damit bestehende Arbeitsverhält-
207 208 209 210
Vgl. Liebs, Der Unternehmenskauf, S. 21 ff. Schipp/Schipp, Arbeitsrecht und Privatisierung, Rz. 251. Bauer/Haußmann, DB 1999, 1114 (1115). Lieb, NZA 1994, 337 (338). Schuster/Lorenzen
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nisse nicht „inhaltsleer“ werden211. Danach wirken wohl auch die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes gem. § 4 Abs. 5 TVG nach der privatisierenden Anteilsveräußerung nach, sofern sie zuvor kraft Tarifbindung galten212. 145 Die Nachwirkung endet durch eine „andere Abmachung“, die konkret auf die jeweiligen Arbeitsverhältnisse anwendbar ist. Sofern die Gesellschaft nach der Anteilsveräußerung also Teil einer Branche der Privatwirtschaft ist, für die ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag gilt, verdrängt dieser die nachwirkenden Tarifverträge des öffentlichen Dienstes. Denkbar ist dies beispielsweise, wenn die Anteile an einer Bauhof GmbH der Gemeinde veräußert werden und dann die Tarifverträge der privaten Bauwirtschaft anwendbar werden. Das bisherige Tarifrecht wird gleichermaßen verdrängt, sofern ein Tarifvertrag einer privaten Branche durch beiderseitige kongruente Tarifbindung normativ gilt213. Ohne Gewerkschaftswechsel der Arbeitnehmer ist dies zumindest in allen Branchen denkbar, in denen der Arbeitgeber einem Verband beitritt, der mit der Gewerkschaft ver.di kontrahiert hat. Fehlt die kongruente Tarifbindung, erlangt der neue Tarifvertrag der Privatwirtschaft hier allerdings auch keine Geltung wegen Tarifpluralität und der auf sie anzuwendenden Grundsätze der Tarifeinheit. Das BAG hat nämlich wiederholt entschieden, dass ein Fall der Tarifpluralität nur dann vorliegt, wenn ein Arbeitgeber gem. § 3 Abs. 1 oder § 3 Abs. 3 TVG an zwei oder mehrere Tarifverträge gebunden ist, während die Arbeitnehmer jeweils nur an einen tarifgebunden sind214. Treffen jedoch ein nachwirkender Tarifvertrag und ein Tarifvertrag aufeinander, an den der Arbeitgeber durch Verbandszugehörigkeit gebunden ist, soll ein Fall der Tarifpluralität nicht bestehen. Vielmehr finden dann beide Tarifverträge nebeneinander im Betrieb Anwendung215. 146 Galten die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes bei der Eigengesellschaft kraft individualvertraglicher Bezugnahme, gilt auch eine kleine dynamische Verweisungsklausel nach der neueren BAG Rechtsprechung bei einem Tarifwechsel nur „unter besonderen Umständen“ als Verweisung auf den dann einschlägigen Tarifvertrag der Privatwirtschaft (s. dazu
211 BAG v. 18.3.1992 – 4 AZR 339/91, NZA 1992, 700 (701); v. 13.7.1994 – 4 AZR 555/93, NZA 1995, 478; siehe auch Dörner in Kasseler Handbuch, Kap. 8.1 Rz. 220. 212 So auch Willemsen, Arbeitsrechtliche Fragen der Privatisierung und Umstrukturierung öffentlicher Rechtsträger, in Oetker/Preis/Rieble, FS 50 Jahre Bundesarbeitsgerichtsbarkeit, S. 287 (307 f.). 213 BAG v. 28.5.1997 – 4 AZR 546/95, DB 1997, 2229; v. 21.2.2001 – 4 AZR 18/00, DB 2001, 1837. 214 BAG v. 5.9.1991 – 4 AZR 59/90, NZA 1991, 202 (203); v. 28.5.1997 – 4 AZR 546/95, NZA 1998, 40. 215 BAG v. 28.5.1997 – 4 AZR 546/95, NZA 1998, 40; v. 21.2.2001 – 4 AZR 18/00, DB 2001, 1837.
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D. Die Rolle von Personalrat und Betriebsrat bei Privatisierungen
oben Rz. 94 ff.)216. Diese Rechtsprechung gilt wegen der angekündigten Rechtsprechungsänderung im Urteil des BAG vom 14.12.2005 zur Auslegung von Bezugnahmeklauseln allerdings nur noch für Altverträge vor dem 1.1 2002. In Neuverträgen bedarf es sogar einer ausdrücklich als Tarifwechselklausel ausgestalteten großen dynamischen Verweisungsklausel217. b) Problem: Zusatzversorgung Insbesondere ist daran zu denken, dass mit dem Übergang der Anteile auf 147 einen privaten Gesellschafter auch die Voraussetzungen einer „normalen“ Beteiligung an den Zusatzversorgungskassen des öffentlichen Dienstes entfallen. Es entstehen also auch hier die genannten erheblichen Probleme bei der Fortführung der Zusatzversorgungsansprüche der Mitarbeiter (siehe oben Rz. 74 ff.). Gemäß § 22 Abs. 2 VBL-Satzung kann die Anstalt eine Beteiligung eines 148 Mitglieds mit einer Frist von sechs Monaten zum Schluss eines Kalenderjahres kündigen, wenn bei ihm die Voraussetzungen für eine reguläre Mitgliedschaft/Beteiligung entfallen und keine besonderen Vereinbarungen getroffen werden. Es entsteht dann die oben genannte Ausgleichsforderung der VBL gegenüber der Gesellschaft, § 23 Abs. 2 VBL-Satzung. Der frühere öffentlich-rechtliche Anteilseigner muss hierfür grundsätzlich nicht mehr einstehen, sofern Alt- und Neugesellschafter im Innenverhältnis keine andere Regelung treffen. Der Vollausstieg ist damit für den privaten Erwerber ein kostspieliger 149 Weg. Er wird deshalb versuchen, den Ausgleichsbetrag (zumindest anteilig) vom Kaufpreis abzuziehen.
D. Die Rolle von Personalrat und Betriebsrat bei Privatisierungen Das Thema Privatisierung ist nicht mit der Frage erschöpft, wie sich die 150 Arbeitsbedingungen der einzelnen Beschäftigten entwickeln. Auch die Rolle der Interessenvertretungen, Personalrat und Betriebsrat ist bei einer Privatisierung für alle Seiten bedeutsam. Zu untersuchen bleibt insbesondere, welche Beteiligungsrechte den Interessengremien zustehen (dazu unter Rz. 151 ff.) und welche Folge die verschiedenen Privatisierungsmaßnahmen für ihren Bestand haben (dazu unten Rz. 170 ff.).
216 BAG v. 30.8.2000 – 4 AZR 581/99, NZA 2001, 510; v. 25.10.2000 – 4 AZR 506/99, DB 2001, 1891; v. 21.2.2001 – 4 AZR 18/00, DB 2001, 1837 mit Anmerkung Haußmann. 217 BAG v. 14.12.2005 – 4 AZR 536/04, DB 2006, 1322 f. Schuster/Lorenzen
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I. Beteiligungsrechte des Personalrats bei der Privatisierung 151 Die Bundesländer haben die Beteiligungsrechte des Personalrats bei Privatisierungen nicht einheitlich geregelt. Ein großer Teil der Landespersonalvertretungsgesetze sowie das BPersVG enthalten zudem überhaupt keine ausdrücklichen Bestimmungen zur Beteiligung bei Privatisierungen. Art und Umfang der Mitsprache sind somit fast in jedem Bundesland unterschiedlich. 1. Länder mit ausdrücklichen Beteiligungsregelungen bei Privatisierungen 152 In Baden-Württemberg (§ 80 Abs. 3 Nr. 6), Brandenburg (§ 68 Abs. 2 Nr. 2), Hessen (§ 81 Abs. 1 Satz 1), Niedersachsen (§ 75 Abs. 1 Nr. 12), Nordrhein-Westfalen (§ 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 22), Rheinland-Pfalz (§ 84 Satz 1 Nr. 7), dem Saarland (§ 84 Nr. 7), und Sachsen (§ 77 Abs. 1 Nr. 3) sehen die Landespersonalvertretungsgesetze Beteiligungsrechte des Personalrats bei Privatisierungen vor. Privatisierungen können dabei nur Organisationsprivatisierungen sein oder Fälle, in denen eine Dienststelle oder ein öffentlicher Betrieb auf einen privatrechtlich organisierten und beherrschten Erwerber übertragen wird. Ausgangseinrichtung muss also ein öffentlicher Rechtsträger sein. Denn beteiligt wird der Personalrat. Er wird aber nur in Verwaltungen und juristischen Personen des öffentlichen Rechts gebildet, § 1, § 95 BPersVG. Dagegen ist in allen Betrieben mit privater Rechtsform nicht der Personalrat, sondern der Betriebsrat zuständig, § 130 BetrVG. Die Kompetenzverteilung richtet sich allein nach der formellen Rechtsform218. Sinn der Beteiligung des Personalrats bei Privatisierungen ist es, die vorhandenen Arbeitsplätze der Dienststelle zu schützen219. Welche Maßnahmen beteiligungsbedürftig sind, formulieren die einzelnen Gesetze unterschiedlich. Ihrem Wortlaut nach unterscheiden sie nicht zwischen den Fällen der Organisationsprivatisierung und der vollständigen Übertragung an einen privaten Erwerber. Vielmehr wird der Personalrat etwa beteiligt an der „Vergabe oder Privatisierung von Arbeiten oder Aufgaben, die bisher durch Beschäftigte der Dienststelle wahrgenommen werden“220 oder der „Übertragung von Dienststellenaufgaben an Privatpersonen oder wirtschaftliche Einrichtungen“221. Auch der Umfang der Beteiligungsrechte variiert: a) Mitbestimmungsrechte 153 In nur zwei Bundesländern ist die Beteiligung des Personalrats vor und während der Privatisierung als Mitbestimmungsrecht bezeichnet, näm218 219 220 221
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Fitting, § 130 BetrVG Rz. 4; Annuß in Richardi, § 130 BetrVG Rz. 3 ff. BVerwG v. 15.10.2003 – 6 P 8.03, NVwZ 2004, 887. § 80 Abs. 3 Nr. 6 LPersVG BW. § 77 Abs. 1 Nr. 3 LPersVG Sachs.
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D. Die Rolle von Personalrat und Betriebsrat bei Privatisierungen
lich in Nordrhein-Westfalen222 und im Saarland223. Bei einem echten Mitbestimmungsrecht ist der Dienststellenleiter an die Zustimmung des Personalrats gebunden. Einigen sich Dienststelle und Personalrat nicht, besteht die Möglichkeit, die Einigungsstelle anzurufen, die dann in der Sache verbindlich entscheidet (exemplarisch §§ 69, 70 BPersVG)224. Ob dies auch für die Beteiligung an Privatisierungsmaßnahmen gelten kann, war schon seit langem umstritten225. Das BVerfG hat wiederholt festgestellt, dass das Letztentscheidungsrecht der Einigungsstelle in bestimmten Angelegenheiten mit dem Demokratieprinzip aus Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG nicht zu vereinbaren ist226. Diesen Grundsatz konkretisiert § 104 Satz 3 BPersVG, der über § 94 BPersVG in den Ländern unmittelbar gilt. Danach dürfen Entscheidungen, die wegen ihrer Auswirkungen auf das Gemeinwesen wesentlicher Bestandteil der Regierungsgewalt sind, nicht den Stellen entzogen werden, die der Volksvertretung verantwortlich sind. Zu solchen Entscheidungen zählen insbesondere organisatorische Angelegenheiten. Da Privatisierungen öffentlicher Einrichtungen meist aber Entscheidungen über organisatorische Angelegenheiten sind227, kommt zwar nach Landesrecht eine Anrufung der Einigungsstelle in Betracht, ihr Spruch ist dann aber möglicherweise nur eine unverbindliche Empfehlung. Die endgültige Entscheidungskompetenz verbleibt also bei der Dienststelle228. Diesem Regierungs- und Parlamentsvorbehalt entsprechen auch die Regelungen der Landespersonalvertretungsgesetze Nordrhein-Westfalen und Saarland. Obwohl hier von Mitbestimmung die Rede ist, sehen beide Gesetze einschränkend vor, dass die Einigungsstelle nur eine Empfehlung an die endgültig entscheidende Stelle ausspricht, §§ 66 Abs. 7 Satz 3, 68 LPersVG Nordrhein-Westfalen und §§ 84 Nr. 7, 73 Abs. 6 LPersVG Saarland.
222 § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 22 i.V.m. § 66 Abs. 1 LPersVG NW; vgl. BVerwG, NZA-RR 2004, 276 zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der entsprechenden Vorgängerregelung § 72 Abs. 3 Nr. 7 LPersVG NW. Mit Wirkung vom 17.10.2007 wurde der § 72 Abs. 3 LPersVG NW und damit die frühere Beteiligungsregelung bei Privatisierungen in Nr. 7 erstatzlos gestrichen. Mit der Novellierung des LPersVG von NW vom 16.7.2011 durch Gesetz vom 5.7.2011 wurde der § 72 neu gefasst und die Regelung zur Mitbestimmung bei der Privatisierung in den neuen § 72 Abs. 4 Satz 1 Nr. 22 wieder mit aufgenommen. 223 § 84 Nr. 7 i.V.m. § 73 Abs. 1 LPersVG Saarl. 224 Baden in Privatisierung, Teil 5, Rz. 74; Wollenschläger/von Harbou, NZA 2005, 1081 (1086). 225 Vgl. Schipp, NZA 1994, 865 (870); m.w.N. Baden in Privatisierung, Teil 5, Rz. 43. 226 BVerfG v. 27.4.1959 – 2 BvF 2/58, BVerfGE 9, 268 (281 ff.); v. 24.5.1995 – 2 BvF 1/92, BVerfGE 93, 37 (66 ff., 70 ff.), DÖV 1996, 74 (75 f.). 227 Baden in Privatisierung, Teil 5, Rz. 9. 228 BVerfG v. 24.5.1995 – 2 BvF 1/92, BVerfGE 93, 37 (72 f.), DÖV 1996, 74 (76), Koch in Schaub, HdB ArbeitsR, § 119, Rz. 67; Baden in Privatisierung, Teil 5, Rz. 77. Schuster/Lorenzen
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b) Mitwirkungsrechte 154 Zum Teil sind die Beteiligungsrechte von vornherein nur als Mitwirkungsrechte ausgestaltet (so § 80 Abs. 3 Nr. 6 LPersVG BW; § 68 Abs. 2 Nr. 2 LPersVG Bbg.; § 81 Abs. 1 Satz 1, i.V.m. § 72 Abs. 1 LPersVG Hess.; §§ 77 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. 76 Abs. 1 LPersVG Sachs.; § 84 Satz 1 Nr. 7 LPersVG Rh.-Pf.; § 75 Abs. 1 Nr. 12 LPersVG Nds.). Im hessischen (§ 81 Abs. 1 Satz 1), sächsischen (§ 77 Abs. 1 Nr. 3), brandenburgischen (§ 68 Abs. 2 Nr. 2) Personalvertretungsrecht ist geregelt, dass der Personalrat bei Privatisierungen mitwirkt. In Brandenburg ist bei Privatisierungen auf Gemeindeebene allerdings § 92 Abs. 1 LPersVG Brandenburg zu beachten. Da gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 23 BbgKVerf der Gemeindevertretung die Entscheidung über die Umwandlung der Rechtsform von öffentlichen Einrichtungen und Eigenbetrieben sowie die Umwandlung der Rechtsform von privatrechtlichen Unternehmen, an denen die Gemeinde beteiligt ist, vorbehalten ist, entfällt gemäß § 92 Abs. 1 Satz 1 LPersVG Brandenburg das Mitwirkungsrecht des Personalrats. Gemäß § 92 Abs. 1 Satz 2 bis 4 LPersVG Brandenburg ist der Personalrat in diesen Fällen lediglich von der Dienststellenleitung über die Maßnahme unverzüglich zu informieren und dem Vorsitzenden des Personalrats steht zu der Angelegenheit ein Erörterungsrecht in der Ratssitzung zu229. Mitwirkung im Sinne der Personalvertretungsgesetze bedeutet die umfassende Erörterung der beabsichtigten Maßnahme vor ihrer Durchführung mit dem Ziel einer Verständigung zwischen Dienststellenleiter und Personalrat. Der Personalrat ist rechtzeitig, umfassend und fortlaufend über die geplante Maßnahme zu informieren und ihm sind alle Umstände mitzuteilen, die für die Entscheidung der Dienststelle maßgebend sind230. Führt die Erörterung zu keiner Einigung zwischen der Dienststelle und dem Personalrat, kann der Personalrat die übergeordnete Dienststelle bzw. oberste Dienstbehörde um Entscheidung bitten. Diese entscheidet sodann nach Verhandlung mit der Stufenvertretung bzw. dem Gesamtpersonalrat verbindlich über die Angelegenheit231. Zur Anrufung der Einigungsstelle kommt es bei Bestehen eines bloßen Mitwirkungsrechts nicht. Das Mitwirkungsverfahren ist in § 72 BPersVG bzw. den entsprechenden landespersonalvertretungsrechtlichen Vorschriften geregelt (§ 72 LPersVG Baden-Württemberg; § 67 LPersVG Brandenburg; § 72 LPersVG Hessen; § 76 LPersVG Niedersachsen; § 69 LPersVG Nordrhein-West-
229 Dazu Baden in Privatisierung, Teil 5 Rz. 148; Wollenschläger/von Harbou, NZA 2005, 1081 (1086 f.). 230 Ausführlich Wollenschläger/von Harbou, NZA 2005, 1081 (1086); Baden in Privatisierung, Teil 5, Rz. 76. 231 Wollenschläger/von Harbou, NZA 2005, 1081 (1086); Baden in Privatisierung, Teil 5, Rz. 74. Vgl. § 67 Abs. 3 Satz 2 LPersVG Bbg.; § 72 Abs. 5, 6 LPersVG Hess.; § 76 Abs. 4 Satz 2, 3 i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 8 LPersVG Sachs.; § 69a Abs. 4 Satz 2, 3 i.V.m. § 69 Abs. 7 Satz 1 LPersVG Thür.
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falen; § 83 LPersVG Rheinland-Pfalz; § 74 LPersVG Saarland; § 76 LPersVG Sachsen). c) Sonstige ausdrückliche Beteiligungsrechte bei Privatisierungen Neben den genannten Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechten sind 155 in einigen Bundesländern Beteiligungsrechte des Personalrats bei Privatisierungen geregelt, die sich speziell auf Anhörung (§ 80 Abs. 3 Nr. 6 LPersVG Baden-Württemberg), Erörterung (§ 84 Satz 1 Nr. 7 LPersVG Rheinland-Pfalz) oder auf Herstellung des Benehmens (§ 75 Abs. 1 Nr. 12 LPersVG Niedersachsen) richten232. Gemäß § 75a Abs. 2 Nr. 4 LPersVG Thüringen wirkt der Personalrat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, gegebenenfalls durch Abschluss von Dienstvereinbarungen bei der Privatisierung von Dienststellen mit. d) Keine Möglichkeit der Verhinderung der Privatisierung Obwohl die Beteiligungsverfahren in den einzelnen Ländern unterschied- 156 lich ausgestaltet sind, ist ihnen allen gemein, dass die Entscheidungskompetenz über eine anstehende Privatisierungsmaßnahme letztlich bei der Dienststellenleitung liegt233. Der Personalrat kann in diesen Fällen die Entscheidung der Dienststelle nur verzögern, nicht aber gänzlich blockieren234. Dennoch ist die Mitwirkung des Personalrats ernst zu nehmen und bei einem Privatisierungsverfahren auch zeitlich einzuplanen. Denn die Verletzung von Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechten kann dazu führen, dass die getroffene Entscheidung unwirksam oder ein auf ihr beruhender Verwaltungsakt anfechtbar ist235, 236.
232 Dazu im Einzelnen Wollenschläger/von Harbou, NZA 2005, 1081 (1087); Baden in Privatisierung, Teil 5, Rz. 14. 233 Widmaier, ZfPR 2001, 119 (119 f.). 234 Schipp/Schipp, Arbeitsrecht und Privatisierung, Rz. 333; anders für die Privatisierung von Sozialeinrichtungen wie Kantinen, Kindergärten oder Wohn- und Ferienheimen Widmaier, ZfPR 2001, S. 119 (121). Da hier nur die innere Organisation der Dienststelle und Vorteile für die dort Beschäftigten betroffen sei, komme ein echtes Mitbestimmungsrecht des Personalrats in Betracht, das sich auf das „Ob“ und auch das „Wie“ der Privatisierung beziehe. Vgl. hierzu auch Vogelgesang, PersV 2005, 4 (8 f.). 235 Dazu im Einzelnen: Gerhold in Lorenzen, BPersVG, § 69 Rz. 55 f. 236 Mit der Privatisierung können weitere Maßnahmen einhergehen, die mitbestimmungspflichtig sind. Zu denken ist hierbei an mitbestimmungspflichtige Versetzungen oder Umsetzungen oder ähnliche Maßnahmen gem. § 75 Abs. 1 Nr. 3 und § 76 Abs. 1 Nr. 3–6 BPersVG sowie die Gestaltung von Arbeitsplätzen gem. § 75 Abs. 3 Nr. 16 BPersVG. Das Mitbestimmungsverfahren ist in § 69 BPersVG ausgestaltet. Schuster/Lorenzen
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2. Länder ohne ausdrücklich geregelte Beteiligungsrechte des Personalrats bei Privatisierung 157 Die Landespersonalvertretungsgesetze von Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein regeln keine derartigen Beteiligungsrechte. Das heißt jedoch nicht, dass die Interessenvertretungen dort bei Privatisierungen überhaupt nicht zu beteiligen sind. Zum Teil wird vertreten, dass in Ländern ohne aufgezählte Beteiligungsrechte der Personalrat aufgrund des dort geregelten „Allzuständigkeitsprinzips“ sogar ein umfassendes Mitbestimmungsrecht habe237. Angesichts der vorstehend erörterten Rechtsprechung des BVerfG muss allerdings wohl auch hier einschränkend die Letztentscheidungskompetenz bei der Dienstelle liegen. 3. Weitere generelle Beteiligungsrechte 158 Neben den speziell geregelten Beteiligungsrechten bei Privatisierungen stehen sämtlichen Personalvertretungen außerdem die allgemeinen Beteiligungsrechte aus den jeweiligen Personalvertretungsgesetzen zu, wenn ihre Voraussetzungen im Zuge einer Privatisierung ebenfalls erfüllt sind. So ist beispielsweise anerkannt, dass dem Personalrat bei einer bevorstehenden Privatisierung das allgemeine Informationsrecht gem. § 68 Abs. 1, 2 BPersVG bzw. nach den entsprechenden landespersonalvertretungsrechtlichen Bestimmungen zusteht238. Ferner kommt als Beteiligungstatbestand auch die Mitwirkung bei der Auflösung und Einschränkung von Dienststellen nach § 78 Abs. 1 Nr. 2 BPersVG (bzw. der entspre-
237 So auch Wollenschläger/von Harbou, NZA 2005, 1081 (1086) unter zusätzlichem Verweis auf § 51 Abs. 1 Satz 1 SchlHMBG; ebenso Goez, ZTR 2004, 75 (76). Vgl. auch Vogelgesang, PersV 2005, S. 4 (7 f.), der zusätzlich auf Niedersachsen (§ 64 Abs. 1 LPersVG Nds.) und Rheinland-Pfalz (§ 73 Abs. 1 LPersVG Rh.-Pf.) verweist. 238 § 68 Abs. 2 Satz 1, 2 LPersVG BW; Art. 69 Abs. 2 Satz 1, 2 LPersVG Bay.; § 73 Abs. 1 Satz 1, 2 LPersVG Berlin.; § 60 Abs. 1, 2, 5, 6 LPersVG Bbg.; § 54 Abs. 3 Satz 1 LPersVG Bremen; § 78 Abs. 2 Satz 1, 2 LPersVG Hamburg; § 62 Abs. 2 Satz 1–3 LPersVG Hess.; § 60 Abs. 1, 2, 5 LPersVG MV; § 60 Abs. 1, 2 Satz 1 LPersVG Nds.; § 65 Abs. 1, 2 LPersVG NW; § 69 Abs. 2, Abs. 3 Satz 7, Abs. 4 LPersVG Rh.-Pf.; § 69 Abs. 3 Satz 1, 2 LPersVG Saarl.; § 73 Abs. 2 Satz 1, 2 LPersVG Sachs.; § 57 Abs. 2 Satz 1, 2 LPersVG LSA; § 49 Abs. 1, 2, 5 LPersVG Schl.-Holst.; § 68 Abs. 2 Satz 1–3 LPersVG Thür. Widmaier, ZfPR, 2001, 119 (122); zum Umfang des Informationsrechts ausführlich Schipp/Schipp, Arbeitsrecht und Privatisierung, Rz. 260 ff.; Baden in Privatisierung, Teil 5, Rz. 81 ff.; Köstling, PersR 2007, 21; Thannheiser, PersR 2007, 364; Krenz, PersR 2007, 367; Wollenschläger/von Harbou, NZA 2005, 1081 (1087) sind der Ansicht, dass dem Personalrat bei einer Ausgliederung zudem ein Unterrichtungsrecht gemäß § 126 Abs. 3 UmwG analog zustehe, so dass ihm, wie auch dem Betriebsrat, der Spaltungsvertrag oder sein Entwurf zuzuleiten sei.
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D. Die Rolle von Personalrat und Betriebsrat bei Privatisierungen
chenden landesrechtlichen Vorschriften) in Betracht239. Auflösung einer Dienststelle oder eines wesentlichen Teils bedeutet, dass die in einer Organisationseinheit des öffentlichen Dienstes wahrzunehmende Aufgabe völlig endet240. Die Einschränkung einer Dienststelle bedeutet, dass nicht das gesamte Aufgabengebiet der Dienstelle – oder eines wesentlichen Teils – wegfällt, sondern hier noch bestimmte Aufgaben verbleiben241. Beides ist bei Privatisierungen denkbar. Zum Teil wird die Auffassung vertreten, dass dieses Mitwirkungsrecht durch § 613a BGB verdrängt werde242. Dies kann jedoch nicht überzeugen. § 613a BGB schützt die einzelnen Arbeitsverhältnisse. Mit der Übertragung von Aufgaben einer öffentlich-rechtlichen Dienststelle auf einen privaten Träger werden aber öffentliche Aufgaben aus dem staatlichen Bereich verabschiedet. Hierin liegt eher eine Parallele zur Betriebsänderung. Die damit einhergehenden Beteiligungsrechte gemäß §§ 111 ff. BetrVG werden auch nicht von § 613a BGB verdrängt. Ähnlich wie der gänzliche Wegfall einer Dienststelle hat dies für die Dienststellenorganisation Folgen, die nach der gesetzlichen Konzeption eine Beteiligung des Personalrats notwendig machen243. Weiterhin kann ein Mitbestimmungsrecht auf der Grundlage des § 75 Abs. 3 Nr. 5 BPersVG (bzw. den entsprechenden Personalvertretungsgesetzen der Länder244) gegeben sein, wenn eine Sozialeinrichtung privatisiert oder im Rahmen einer Privatisierung eine Sozialeinrichtung aufgelöst wird245. Sozialeinrichtung ist eine Ansammlung von Mitteln, die auf eine gewisse Dauer berechnet ist und die von einer Dienststelle allein 239 § 80 Abs. 1 Nr. 2 LPersVG BW; Art. 76 Abs. 2 Nr. 4 LPersVG Bay.; § 90 Nr. 4 LPersVG Berlin; § 68 Abs. 2 Nr. 1 LPersVG Bbg.; § 66 Abs. 1 Buchst. a LPersVG Bremen; § 80 Abs. 1 Nr. 30 LPersVG Hamburg; § 81 Abs. 2 LPersVG Hess.; § 70 Abs. 1 Nr. 11 LPersVG MV; § 75 Abs. 1 Nr. 13 Satz 1 LPersVG Nds.; § 73 Nr. 3 LPersVG NW; § 80 Abs. 2 Nr. 12 LPersVG Rh.-Pf.; § 83 Abs. 1 Nr. 9 LPersVG Saarl.; § 77 Nr. 2 LPersVG Sachs.; § 69 Nr. 8 LPersVG LSA; – LPersVG Schl.-Holst.; § 75a Abs. 2 Nr. 4 LPersVG Thür. Dazu ausführlich Baden in Privatisierung, Teil 5, Rz. 184 ff.; Wollenschläger/von Harbou, NZA 2005, S. 1081 (1088 f.). 240 Lorenzen in Lorenzen, BPersVG, § 78 Rz. 25; Altvater, § 78 BPersVG Rz. 24; Schipp/Schipp, Arbeitsrecht und Privatisierung, Rz. 270. 241 Lorenzen in Lorenzen, BPersVG, § 78 Rz. 26; Altvater, § 78 BPersVG Rz. 25. 242 Zander, PersR 1991, 322. 243 So auch Lorenzen in Lorenzen, BPersVG, § 78 BetrVG Rz. 25; Schipp/Schipp, Arbeitsrecht und Privatisierung, Rz. 270 ff.; Wollenschläger/von Harbou, NZA 2005, S. 1081 (1088 f.) mit ausführlicher Darstellung des Streitstandes. 244 § 79 Abs. 1 Nr. 6 LPersVG BW; Art. 75 Abs. 4 Nr. 5 LPersVG Bay.; § 85 Abs. 1 Nr. 8 LPersVG Berlin; § 64 Nr. 4 LPersVG Bbg.; § 63 Abs. 1 Buchst. l LPersVG Bremen; § 86 Abs. 1 Nr. 14 LPersVG Hamburg; § 74 Abs. 1 Nr. 12 LPersVG Hess.; § 69 Nr. 4 LPersVG MV; § 66 Abs. 1 Nr. 4 LPersVG Nds.; § 72 Abs. 2 Nr. 4 LPersVG NW; § 80 Abs. 1 Nr. 1 LPersVG Rh.-Pf.; § 78 Abs. 1 Nr. 5 LPersVG Saarl.; § 80 Abs. 3 Nr. 5 LPersVG Sachs.; § 65 Abs. 1 Nr. 6 LPersVG LSA; §§ 51 Abs. 1, 54 Abs. 4 Satz 3 Nr. 7 LPersVG Schl.-Holst.; § 74 Abs. 2 Nr. 4 LPersVG Thür. 245 BVerwG v. 28.6.2000 – 6 P 1.00, DÖV 2001, 124; dazu Vogelgesang, PersV 2005, S. 4 (8). Schuster/Lorenzen
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oder mit den Beschäftigten gemeinsam mit dem Ziel betrieben wird, den Beschäftigten einen Vorteil zu verschaffen (z.B. Kantinen, Betriebskindergärten, Wohnheime)246. Im Zusammenhang mit Privatisierungen ist ein Mitbestimmungsrecht des Personalrats auch wegen einzelner Personalmaßnahmen denkbar, soweit im Einzelfall die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, vgl. § 75 Abs. 1 Nr. 3–4a BPersVG bzw. die länderspezifischen Vorschriften247, 248.
II. Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei Privatisierungen 159 Gem. § 130 BetrVG ist der Betriebsrat nur für betriebliche Vorgänge eines privatrechtlichen Rechtsträgers zuständig. Fraglich ist, ob er begleitende Rechte wahrnehmen kann, wenn eine öffentlich-rechtliche Einrichtung gänzlich auf einen privaten Erwerber übertragen wird bzw. organisationsprivatisiert wird oder ob sich die Beteiligungsrechte auf den Fall beschränken, dass eine schon in privater Rechtsform betriebene Eigen- oder Beteiligungsgesellschaft auf einen auch privat beherrschten Betreiber übertragen wird. 1. Flankierende Beteiligung des Betriebsrats bei der Übertragung von Dienststellen oder Organisationsprivatisierungen 160 In der öffentlichen Einrichtung als übertragende Stelle gilt bis zum Privatisierungsstichtag das Personalvertretungsrecht. Beteiligungsrechte des Betriebsrats scheiden hier aus. Denkbar bleibt jedoch, dass Rechte eines im aufnehmenden Betrieb existierenden Betriebsrats betroffen sind. Wird die öffentliche Einrichtung in einen bestehenden Betrieb eingegliedert, liegt hierin meist ein beteiligungspflichtiger Betriebszusammenschluss gem. § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG. Der Erwerber muss dann bei Erreichen der Schwellenwerte mit dem Betriebsrat ein Interessenausgleichs- und Sozialplanverfahren durchführen249. Das Gleiche gilt, wenn der Erwerber etwa einen durch Betriebsübergang übernommenen öffentlichen Betrieb
246 Altvater, § 75 BPersVG Rz. 156. 247 § 75 Abs. 1 Nr. 3, 8, 9 LPersVG BW; Art. 75 Abs. 1 Nr. 3, 6, 7, 14 LPersVG Bay.; § 86 Abs. 3 Nr. 1–2 LPersVG Berlin; § 63 Abs. 1 Nr. 2, 7, 10–15 LPersVG Bbg.; § 65 Abs. 1 lit. c, d LPersVG Bremen; § 87 Abs. 1 Nr. 2, 4–11 LPersVG Hamburg; § 77 Abs. 1 Nr. 2 lit. c–e HessPersVG; § 68 Abs. 1 Nr. 6, 9, 10 LPersVG MV; § 65 Abs. 2 Nr. 3, 6, 7, 10 LPersVG Nds.; § 72 Abs. 1 Nr. 5, 6 LPersVG NW; § 78 Abs. 2 Nr. 6, 7 LPersVG Rh.-Pf.; § 80 Abs. 1 lit. b Nr. 4–6 LPersVG Saarl.; § 80 Abs. 1 Nr. 3, 4 LPersVG Sachs.; § 67 Abs. 1 Nr. 2–6 LPersVG LSA; § 75 Abs. 1 Nr. 4, 5 LPersVG Thür. 248 Dazu Wollenschläger/von Harbou, NZA 2005, 1081 (1087 f.); Vogelgesang, PersV 2005, S. 4 (9) weist darauf hin, dass eine Beteiligung bei Versetzungen und Abordnungen im Zusammenhang mit Privatisierung ausscheide, weil diese nur zu öffentlichen-rechtlichen Dienstherren erfolgen könnten. 249 Annuß in Richardi, § 111 Rz. 2.
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oder Betriebsteil stilllegt. Auch dann treffen ihn die Verpflichtungen aus § 111 ff. BetrVG. 2. Beteiligung des Betriebsrats bei der Privatisierung von Eigen- bzw. Beteiligungsgesellschaften Ansonsten beschränken sich die Beteiligungsrechte des Betriebsrats auf die Privatisierung von Eigen- bzw. Beteiligungsgesellschaften.
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a) Anteilsverkauf Werden Eigen- bzw. Beteiligungsgesellschaften privatisiert, indem die Ge- 162 sellschaftsanteile an einen privaten Träger verkauft und abgetreten werden, lässt dies die betriebliche Ordnung unberührt. Der Gesellschafterwechsel löst deshalb keine Mitbestimmungsrechte aus250. b) Betriebsübergang Wird eine Eigen- oder Beteiligungsgesellschaft durch Betriebsübergang 163 privatisiert, greifen die Beteiligungsrechte, die auch unter Privaten gelten. aa) Unterrichtungs- und Informationsrechte (1) Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses Besteht im Unternehmen des Veräußerers ein Wirtschaftsausschuss, ist 164 er gem. § 106 Abs. 3 Nr. 10 BetrVG von der bevorstehenden Veräußerung zu unterrichten251. Die Unterrichtung muss nach dem Wortlaut des Gesetzes vor Abschluss des Veräußerungsvertrags erfolgen. Weil es sich bei Unternehmensveräußerungen regelmäßig um sensible und oft auch geheimhaltungsbedürftige Vorgänge handelt, wird diese Regel in der Praxis häufig verletzt und der Wirtschaftsausschuss erst nach Abschluss der Veräußerungsverträge informiert. Im Extremfall kann ein derartiger Verstoß nach § 121 BetrVG mit einer Geldbuße von bis zu 10 000 Euro geahndet werden. Entsprechende Strafanzeigen des Betriebsrats oder Wirtschaftsausschusses sind in der Praxis allerdings recht selten. (2) Sonstige Informationsrechte Selbst wenn kein Wirtschaftsausschuss besteht, trifft den Veräußerer 165 wohl eine Pflicht, den Betriebsrat gem. §§ 2 Abs. 1, 74 Abs. 1 BetrVG, 250 BAG v. 27.6.2006, AP 14 zu BetrVG 1972 § 112a; Willemsen in Willemsen, Umstrukturierung, B, 6 f.; Fitting, § 111 Rz. 50, 56;; Annuß in Richardi, § 111 Rz. 124. 251 BAG v. 22.1.1991 – 1 ABR 38/39, NZA 1991, 649 (650); Kania in Erfurter Kommentar, § 106 BetrVG Rz. 17. Schuster/Lorenzen
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eventuell auch § 92 BetrVG zu informieren252. Bestehen beim Erwerber Wirtschaftsausschuss oder Betriebsrat, sollen auch ihn diese Unterrichtungspflichten betreffen, da der Betriebsübergang sich betriebsverfassungsrechtlich auswirken kann253. bb) Beteiligungsrechte bei Betriebsänderungen, §§ 111 ff. BetrVG 166 Bei der Veräußerung eines gesamten Betriebes sind Beteiligungsrechte nach den §§ 111 ff. BetrVG grundsätzlich nicht einschlägig. Es liegt keine Betriebsänderung i.S.d. §§ 111 ff. BetrVG vor254. Diese Bestimmungen greifen nur ein, wenn sich an der Struktur des Betriebes etwas ändert. Daran fehlt es, wenn ein Betrieb als Ganzes auf eine andere juristische Person übertragen wird. Wie das BAG mehrfach entschieden hat, wird der Schutz der Arbeitnehmer bei einem solchen Vorgang ausschließlich durch § 613a BGB gewährleistet255. Erschöpft sich der Betriebsübergang aber nicht im bloßen Betriebsinhaberwechsel, sondern ist er mit Maßnahmen verbunden, die als solche einen der Tatbestände des § 111 BetrVG erfüllen, sind die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats im Interessenausgleichs- und Sozialplanverfahren nach §§ 111, 112 BetrVG zu beachten. Die Veräußerung eines Betriebs- oder Dienststellenteils ist für den Veräußerer als Spaltung von Betrieben, für den Erwerber gegebenenfalls als Zusammenschluss mit anderen Betrieben gem. § 111 Satz 3 Nr. 3 BetrVG eine sozialplanpflichtige Betriebsänderung256. Der auszuhandelnde Sozialplan nach § 112 BetrVG soll die wirtschaftlichen Nachteile für die betroffenen Arbeitnehmer ausgleichen. Bestehen aber die Arbeitsverhältnisse der im Veräußererbetrieb verbleibenden Arbeitnehmer unverändert fort und werden die Arbeitsverhältnisse der übergehenden Arbeitnehmer durch § 613a BGB geschützt, entstehen oftmals keine wirtschaftlichen Nachteile. Grundsätzlich müssten dann sog. „Nullsozialpläne“ vereinbart werden257. Das Bedürfnis der übergehenden Arbeitnehmer, einen Ausgleich für die veränderte Insolvenzund Haftungssituation beim privaten Arbeitgeber gegenüber dem organisationsprivatisierten Arbeitgeber zu erlangen, hinter dem als Gesellschaf-
252 Kania in Erfurter Kommentar, § 111 Rz. 4. 253 Preis in Erfurter Kommentar, § 613a BGB Rz. 132. 254 BAG v. 17.3.1987 – 1 ABR 47/85, NZA 1987, 523; v. 17.2.1981 – 1 ABR 101/78, DB 1981, 1190 (1191); v. 21.10.1980 AP 8 zu § 111 BetrVG 1972; 16.6.1987 AP 19 zu § 111 BetrVG 1972; BAG v. 24.7.1979 – 1 AZR 219/77, DB 1980, 164; Annuß in Richardi, § 111 BetrVG Rz. 132. 255 BAG v. 4.12.1979 – 1 AZR 843, 76, DB 1980, 743; BAG v. 17.3.1987 – 1 ABR 47/85, NZA 1987, 523; Annuß in Richardi, § 111 BetrVG Rz. 132. 256 BAG v. 10.12.1996 – 1 ABR 32/96, NZA 1997, 898 (899); LAG Düsseldorf v. 17.2.2011 – 11 Sa 1542/10. 257 Bauer/von Steinau-Steinrück in Hölters, HdB Unternehmenskauf, Teil V Rz. 317.
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ter die öffentliche Hand stand, bleibt dabei unberücksichtigt258. Hält der Arbeitgeber das Interessenausgleichs- und Sozialplanverfahren nicht ein, muss er mit einer Unterlassungsverfügung des Betriebsrats, Nachteilsausgleichsansprüchen der Arbeitnehmer gem. § 113 BetrVG und möglichen Bußgeldern nach § 121 BetrVG rechnen. cc) Sonstige Beteiligungsrechte Weitere Beteiligungsrechte des Betriebsrats können auftreten für Maß- 167 nahmen, die die Privatisierung von Eigen- oder Beteiligungsgesellschaften begleiten, etwa das Beteiligungsrecht vor Kündigungen nach § 102 BetrVG, vor Versetzungen gem. § 99 BetrVG oder die Anhörung bei Änderung der Arbeitsverfahren und Arbeitsplätze gem. § 90 BetrVG. c) Umwandlungen Schließlich kann die Privatisierung von Eigen- oder Beteiligungsgesellschaften auch durch umwandlungsrechtliche Gestaltungen erfolgen.
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Das Umwandlungsgesetz regelt eigenständige Unterrichtungspflichten 169 gegenüber dem Betriebsrat. In dem gesellschaftsrechtlichen Vertrag über die Umwandlung müssen die Folgen der Umwandlung für die Arbeitnehmer und ihre Vertretungen sowie die insoweit vorgesehenen Maßnahmen angegeben werden259. Ausgeführt werden müssen die unmittelbaren sowie die nur mittelbaren Folgen der Umwandlung260. Dem Betriebsrat muss der Entwurf des Umwandlungsvertrags mit den genannten Folgen spätestens einen Monat vor der Anteilsinhaberversammlung zugehen, die über den Vertrag beschließt261. Da die Umwandlung nur in das Handelsregister eingetragen wird, sofern diese Unterrichtung des Betriebsrats nachgewiesen wird, ist sie als echte Wirksamkeitsvoraussetzung besonders zu beachten262. Die Verzahnung dieses Verfahrens mit den Beteiligungsrechten aus § 111 ff. BetrVG bereitet im Einzelfall erhebliche Schwierigkeiten263.
258 BAG v. 10.12.1996 – 1 ABR 32/96, NZA 1997, 898 (900); LAG Hamm v. 16.6.2008 – 10 TaBV 59/08. 259 Für die Verschmelzung § 5 Abs. 1 Nr. 9 UmwG, für die Spaltung § 126 Abs. 1 Nr. 11 UmwG, für die Vermögensübertragung §§ 176, 177 UmwG, für den Formwechsel § 194 Abs. 1 Nr. 7 UmwG. 260 Vgl. hierzu Bauer/Lingemann/Diller/Haußmann, Anwalts-Formularbuch Arbeitsrecht, Muster 43.9; Willemsen in Willemsen, Umstrukturierung, C, Rz. 363 ff. 261 §§ 5 Abs. 3, 126 Abs. 3, 176 Abs. 1 i.V.m. 5 Abs. 3, 194 Abs. 2 UmwG. 262 Vgl. Willemsen in Willemsen, Umstrukturierung, C, Rz. 353 ff., 356. 263 Dazu Willemsen in Willemsen, Umstrukturierung, C, 381 ff. Schuster/Lorenzen
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III. Organkontinuität der Vertretungsgremien – Fortbestand und Übergangsmandate 170 Aus Arbeitnehmersicht ist häufig von besonderer Bedeutung, ob der Personalrat bzw. der Betriebsrat durch die Privatisierung ihr Amt verlieren oder zumindest für eine Übergangszeit fortbestehen. 1. Schicksal des Betriebsrats und seiner Mitglieder 171 Die Frage nach dem Schicksal des Betriebsrats im Zusammenhang mit Privatisierungen öffentlicher Einrichtungen stellt sich allein bei „materiellen“ Privatisierungen, also Privatisierungen von Eigen- oder Beteiligungsgesellschaften. Nur dann kann die öffentliche Einrichtung bereits vor der Veräußerung in privater Rechtsform betrieben werden und zudem auch über einen Betriebsrat verfügen. a) Anteilsverkauf 172 Werden nur die Geschäftsanteile an einer Eigen- oder Beteiligungsgesellschaft, z.B. einer Stadtwerke AG, an einen privaten Gesellschafter veräußert, ändert sich durch den Trägerwechsel an der betrieblichen Struktur nichts. Der Betriebsrat besteht demnach in seiner bisherigen Zusammensetzung fort. b) Asset Deal und Umwandlung 173 Ebenfalls keine Auswirkungen auf den Betriebsrat haben Transaktionen im Wege des Asset Deals oder durch Umwandlung, in deren Anschluss der Betrieb ohne organisatorische Veränderungen durch den Erwerber als neuen Betriebsinhaber weitergeführt wird. Da in diesen Fällen die Betriebsidentität nicht angetastet wird, bleibt der zuvor im veräußerten Betrieb gewählte Betriebsrat im Amt264. 174 Berührt eine Umstrukturierung jedoch die bisherige organisatorische Einheit auf Betriebsebene, kann der Betriebsrat grundsätzlich nur aufgrund eines besonderen Übergangs- oder Restmandats fortbestehen. Dieses regeln §§ 21a und 21b BetrVG. Mit Einfügung des § 21a BetrVG durch das Betriebsverfassungsreformgesetz265 ist in dessen Abs. 3 nunmehr klargestellt, dass ein Übergangsmandat unabhängig davon bestehen kann, ob die Umstrukturierung auf einer rechtsgeschäftlichen Veräußerung und ei-
264 Fitting, § 21a BetrVG Rz. 7; Maschmann, NZA-Beil. 2009, 32 (33). 265 Art. 1 Nr. 18 des Gesetzes zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes vom 27.7.2001, BGBl. I, 1852 (1855).
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nem Betriebsübergang gem. § 613a BGB oder auf einer Umwandlung nach dem UmwG beruht266. Zu einer Änderung der organisatorischen Einheit, die ein Übergangsman- 175 dat des Betriebsrats begründen kann, kommt es im Fall der Spaltung (§ 21a Abs. 1 BetrVG) und Zusammenfassung von Betrieben (§ 21a Abs. 2 BetrVG). Werden aus einem Ursprungsbetrieb Teile ausgegliedert (Abspaltung) oder der Ursprungsbetrieb in mindestens zwei Betriebe aufgelöst (Aufspaltung), können die daraus gebildeten neuen Organisationseinheiten als eigenständige neue Betriebe fortgeführt werden. Hier bleibt dann der bisherige Betriebsrat kraft Übergangsmandat im Amt. Dasselbe gilt, wenn die auf- oder abgespaltenen Betriebsteile in einen beim Erwerber bereits bestehenden Betrieb eingegliedert werden, jedoch nur, sofern dort kein eigener Betriebsrat besteht, § 21a Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Voraussetzung für das Übergangsmandat ist weiterhin, dass nach der Spaltung eine gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG betriebsratsfähige Einheit mit mindestens fünf ständig wahlberechtigten Arbeitnehmern entsteht. Bei der Zusammenfassung von Betrieben oder Betriebsteilen entsteht ein 176 Übergangsmandat im umgekehrten Fall der Aufspaltung. Werden mehrere Betriebe oder Betriebsteile zu einer neuen Einheit zusammengefasst, nimmt der Betriebsrat des nach der Zahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer größten Betriebes das Übergangsmandat wahr. Wird ein Betrieb/Betriebsteil in einen bestehenden Betrieb aufgenommen, der seine Identität wahrt und bei dem ein Betriebsrat besteht, nimmt – wie bei der Spaltung – nur dieser die Vertretung der übernommenen Arbeitnehmer wahr, § 21a Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Eines Übergangsmandates bedarf es nicht267. Der Betriebsrat mit Übergangsmandat muss die Gründung eines neuen 177 Betriebsrats vorbereiten. Er hat nur eine Überbrückungsfunktion. Er muss daher unverzüglich Wahlvorstände bestellen. Sein Übergangsmandat endet, sobald ein neuer Betriebsrat gewählt und das Wahlergebnis bekannt gegeben ist, spätestens jedoch sechs Monate nach Wirksamwerden der Spaltung oder der Zusammenfassung, § 21a Abs. 1 Satz 2 und 3 BetrVG. Durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung kann das Übergangsmandat um weitere sechs Monate verlängert werden, § 21a Abs. 1 Satz 4 BetrVG. Neben dem Übergangsmandat kann dem im Ursprungsbetrieb gewählten Betriebsrat auch ein Restmandat gem. § 21b BetrVG zustehen. Es ent266 Ursprünglich war in § 321 UmwG ein Übergangsmandat des Betriebsrates geregelt. Die Regelungen sind durch Art. 3 Nr. 1 des Betriebsverfassungsreformgesetzes vom 27.7.2001 (BGBl. I, 1852, 1863) aufgehoben worden und in §§ 21a und 21b BetrVG aufgegangen. 267 LAG Hess. v. 23.10.2008 – 9 TaBV 155/08; Fitting, § 21a BetrVG Rz. 14; zu den im Einzelnen differenzierten Ansichten Thüsing in Richardi, § 21a BetrVG Rz. 9 ff. Schuster/Lorenzen
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steht etwa dann, wenn aus einer Aufspaltung des Ursprungsbetriebs nicht betriebsratsfähige Einheiten hervorgehen oder wenn abgespaltene oder aufgespaltene Betriebsteile in Betriebe eingegliedert werden, die schon einen Betriebsrat haben268. Gegenüber dem Inhaber des Ursprungsbetriebs bleibt der Betriebsrat – zeitlich unbegrenzt – so lange im Amt, wie die zur Wahrnehmung der Stilllegung, Spaltung oder Zusammenlegung der Betriebe notwendigen Beteiligungsrechte es erfordern. 2. Fortbestand des Personalrats 179 Rechtlich weit weniger geklärt ist das Schicksal des Personalrats bei Privatisierungen. Grundsätzlich erlischt bei einem Wechsel von einer öffentlich-rechtlichen in eine privatrechtliche Organisationsform mit der Privatisierung das Amt des Personalrats269. Gem. § 130 BetrVG ist nunmehr der Betriebsrat zuständig. Hierdurch entsteht mit der Privatisierung eine Vertretungslücke, die erst durch die Wahl eines neuen Betriebsrats nach einigen Monaten geschlossen wird. Um diesen Effekt zu vermeiden, wird in der Literatur vertreten, dass auch dem Personalrat ein generelles Übergangsmandat bis zur Wahl eines Betriebsrats, längstens für sechs Monate, zuzugestehen ist270. Gleichermaßen soll der Personalrat schon vor der Privatisierung das Wahlverfahren zum Betriebsrat einleiten können. Begründet wurde dies mit der Analogie zu bestehenden Regelungen eines Übergangsmandats des Betriebsrats etwa nach § 13 SpTrUG und § 6b IX VermG, sowie den spezialgesetzlichen Regelungen bei der Privatisierung von Bahn und Post, § 15 DBGrG, § 25 PostPersRG271. Seit Einführung des § 21a BetrVG wird auch diese Vorschrift als Grundlage einer Analogie herangezogen272. 180 Dem ist entgegenzuhalten, dass der Gesetzgeber trotz der seit Jahren währenden Diskussion um das Übergangsmandat auch bei Privatisierungen nie eine Generalnorm geschaffen hat, sondern jeweils Spezialvorschriften für besondere Sachverhalte einsetzte. Gerade die Einführung des § 21a BetrVG, der nicht für den Personalrat gilt, deutet darauf hin, dass der nationale Gesetzgeber ein solches Übergangsmandat bewusst nicht schaffen wollte. Damit wäre aber jeglicher Analogie der Grund ent-
268 Thüsing in Richardi § 21b BetrVG Rz. 3 f.; Fitting, § 21b BetrVG Rz. 5 ff.; Koch in Erfurter Kommentar, § 21b BetrVG Rz. 2. 269 BVerwG v. 9.12.1980 – 6 P 23.79, PersV 1981, 506 ff.; BAG v. 9.2.1982 – 1 ABR 36/80, BB 1982, 924; Baden in Privatisierung, Teil 5, Rz. 218. 270 Fitting, § 130 BetrVG Rz. 15 ff.; Trümner in Däubler/Kittner/Klebe, § 130 BetrVG Rz. 1 ff.; Krisam, PersV 2003, 44 (45); Altvater, § 1 BPersVG Rz. 9d; Baden in Privatisierung, Teil 5, Rz. 241. 271 Überblick und weitere Nachweise bei Trümner in Däubler/Kittner/Klebe, § 130 BetrVG Rz. 1 ff.; Baden in Privatisierung, Teil 5, Rz. 225 ff. 272 Fitting, § 130 BetrVG Rz. 15.
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zogen273. Zu bedenken bleibt allerdings, ob dieses Verhalten des nationalen Gesetzgebers bei Betriebsübergängen in Einklang steht mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht274. Gem. Art. 6 der Richtlinie 2001/23/EG275 sollten die Mitgliedsstaaten bei Unternehmensumstrukturierungen ein Übergangsmandat der Arbeitnehmervertretungen vorsehen. Die Privatisierung als Betriebsübergang ist vom sachlichen Geltungsbereich der Richtlinie erfasst276 und der Personalrat zählt zu den betroffenen Arbeitnehmervertretungen. Gem. Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 4 der Richtlinie 2001/23/EG müsste dementsprechend auch ein Übergangsmandat des Personalrats während des Zeitraums bestehen, der für die Neubildung oder Neubenennung der Arbeitnehmervertretung erforderlich ist, sofern die Ursprungseinheit ihre Selbstständigkeit nicht behält277. Die Frist zur Umsetzung der Richtlinie ist am 17.7.2001 abgelaufen. Lässt der nationale Gesetzgeber bei seiner Umsetzung des Gemeinschaftsrechts einen Teilaspekt wie hier außer Betracht, können Personalräte dennoch die Anwendung der Richtlinie nicht von der Dienststellenleitung fordern. Eine solche „horizontale Drittwirkung“ unter Privaten hat der EuGH immer wieder abgelehnt278. Ob und in welchem Umfang die Gerichte ein richt-
273 So auch LAG Köln v. 11.2.2000 – 4 TaBV 2/00, NZA-RR 2001, 87; ArbG Berlin v. 19.2.2001 – 60 BVGa 4065/01, NZA-RR 2002, 92; Annuß in Richardi, § 130 BetrVG Rz. 13; Besgen/Langner, NZA 2003, 1239 (1240 f.); Kast/Freihube, DB 2004, 2530 (2531); Ebert, ArbRB 2005, 58 (59); Opolony, ZTR 2004, 338 (341); Wollenschläger/von Harbou, NZA 2005, 1081 (1091); Andelewsky/Brachmann, NZA 2010, 1103 (1108); Willemsen, Arbeitsrechtliche Fragen der Privatisierung und Umstrukturierung öffentlicher Rechtsträger, in Oetker/Preis/ Rieble, FS 50 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 306; Vogelgesang, PersV 2005, 4 (11); Wlotzke/Preis, BetrVG § 21a Rz. 7; Baden in Privatisierung, Teil 5, Rz. 229; ablehnend vor Änderung des BetrVG LAG Köln, NZA-RR, 2001, 87 und LAG Köln, NZA-RR 2001, 445; zur früheren Rechtslage Schipp, NZA 1994, 865 (869). 274 Baden in Privatisierung, Teil 5, Rz. 238; Pawlak/Leydecker, ZTR 2008, 74; Für einen Verstoß Krisam, PersV 2003, 44 (45). Sie schlägt als Lösung vor, einen Übergangspersonalrat in Anlehnung an § 44 LPersVG NW zu schaffen. Auch diese Ansicht ist aus den bereits genannten Gründen abzulehnen. 275 Vom 12.3.2001, ABl. EG-Vertrag 2001, Nr. L82, S. 18; sie entspricht inhaltlich unverändert dem Art. 5 der Richtlinie 98/50/EG des Rates vom 29.6.1998, NZA 98, 1211 ff., mit der die Betriebsübergangsrichtlinie 77/181/EG geändert wurde. 276 Teil I, Art. 1c der Richtlinie 98/50/EG stellt entsprechend der bisherigen Rechtsprechung des EuGH ausdrücklich klar, dass sich die Regelungen der Betriebsübergangsrichtlinie auf öffentliche Unternehmen erstrecken, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben; zu öffentlichen Rechtsträgern als Unternehmen, EuGH v. 23.4.1991 – Rs. C-41/90, NZA 1991, 447. 277 Trümner in Däubler/Kittner/Klebe, § 130 BetrVG Rz. 1a; Widmaier, ZfPR 2001, 119 (124). 278 Exemplarisch: EuGH v. 14.7.1994 – Rs. C-91/92 – Faccini Dori, Slg. 1994, I-3325; BAG v. 18.2.2003 – 1 ABR 2/02; a.A. Blanke, ZfPR 2001, 242 (249); Blanke schon in PersR 2000, 349 (356 f.); dazu auch von Roetteken, NZA 2001, 414 (421); Trümner in Däubler/Kittner/Klebe, § 130 BetrVG Rz. 1a eine Schuster/Lorenzen
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linienkonformes Übergangsmandat des Personalrats anerkennen – oder dem EuGH vorlegen werden – bleibt allerdings abzuwarten. 3. Arbeitnehmervertretung bei gemischten öffentlich-privaten Gruppen von Arbeitgebern 181 Privatisierungen können auch zu „Public Private Partnerships“ führen. Hierunter versteht man diverse Formen der Kooperation zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Arbeitgebern. Denkbar ist beispielsweise die gemeinsame Führung eines Betriebes, sogenannter Mischbetrieb, etwa wenn aus den kommunalen Stadtwerken eine VerwaltungsGmbH ausgegliedert wird, Gas- und Wasserversorgung aber als Eigenbetriebe fortbestehen. Denkbar ist aber auch das Nebeneinander öffentlich-rechtlich und privatrechtlich verfasster Unternehmen in einem Konzern, sogenannter Mischkonzern279. Dass privatisierte Unternehmen und juristische Personen des öffentlichen Rechts einen gemeinsamen Betrieb unterhalten können, hat das BAG inzwischen auch anerkannt280. Umstritten ist allerdings, ob für einen solchen gemeinsamen Mischbetrieb Betriebsverfassungs- oder Personalvertretungsrecht Anwendung findet. Eine gesetzliche Regelung hierzu existiert nicht. Das BetrVG enthält in § 1 Abs. 2 zwar Bestimmungen zum gemeinsamen Betrieb, aber keine Regelung zum Mitbestimmungsstatut in Mischbetrieben. 182 Grundsätzlich richtet sich das anwendbare Mitbestimmungsrecht allein nach der Rechtsform des Betriebsinhabers. Inhaber eines Mischbetriebs ist jedoch sowohl ein privatrechtlicher als auch ein öffentlich-rechtlicher Rechtsträger. Es werden daher verschiedene Lösungen vorgeschlagen. Zu einer ausschließlichen Anwendung des Personalvertretungsrechts gelangt derzeit keine der Auffassungen281. Zum Teil wird vertreten, dass Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsrecht nebeneinander bestehen mit unterschiedlichem Adressatenkreis. Praktikabel mag dies noch im Mischkonzern sein, wo beispielsweise ein Konzernbetriebsrat dann nur für die Beschäftigten der privatrechtlichen Konzernunternehmen zuständig ist282. Im Mischbetrieb könnte die Differenzierung nach dem Adressatenkreis allerdings zu Informationsverlusten und Spannungen zwischen den verschiedenen Gremien führen und deren Zusammenarbeit mit dem
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direkte Anwendung der Richtlinien ablehnend Besgen/Langen, NZA 2003, 1239 (1241 f.); Ebert, ArbRB 2005, 58 (59); Vogelgesang, PersV 2005, 4 (11). BAG v. 27.10.2010 – 7 ABR 85/09, DB 2011, 769. BAG v. 24.1.1996 – 7 ABR 10/95, NZA 1996, 1110; BVerwG v. 13.6.2001 – 6 P 8.00, BVerwGE 114, 313. Wegen der Unbilligkeit, die eingeschränkten Beteiligungsrechte des Personalvertretungsrechts auf die gesamte Belegschaft anzuwenden, etwa ablehnend Wiedenfels, PersV 2001, 110 (113 f.). So Plander, PersR 1999, 190 (195); Trümner in Däubler/Kittner/Klebe, § 130 BetrVG Rz. 4; Annuß in Richardi, § 54 Rz. 7; Fitting, § 54 Rz. 12; Koch, in Erfurter Kommentar, § 54 BetrVG Rz. 2.
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Arbeitgeber äußerst kompliziert machen. Wohl überwiegend besteht deshalb die Auffassung, dass in öffentlich-privaten Mischbetrieben das BetrVG Anwendung findet283. Das BAG begründet dies damit, dass der Mischbetrieb zwar keinen einheitlichen Rechtsträger habe, aufgrund eines einheitlichen Leitungsapparats jedoch eine BGB-Innengesellschaft entstanden sei, die gem. § 130 BetrVG dessen Geltungsbereich unterfalle284.
IV. Gestaltung durch Tarifverträge und Dienst- bzw. Betriebsvereinbarungen Vor dem Hintergrund des beschränkten Umfangs der Beteiligungsrechte 183 des Personalrats bei der Privatisierung als auch dem Erlöschen des Personalrats ohne Übergangsmandat sowie der unklaren mitbestimmungsrechtlichen Rechtslage bei öffentlich-privaten Mischbetrieben und -konzernen stellt die Arbeitnehmerseite im Zusammenhang mit Privatisierungsvorhaben häufig Forderungen nach einer tarifvertraglichen oder betrieblichen Konkretisierung und Erweiterung ihrer Mitbestimmungsrechte285. Entsprechende Regelungen sind jedoch nur in engen Grenzen zulässig. Gem. §§ 3, 97 BPersVG dürfen Tarifverträge oder Dienstvereinbarungen 184 im Personalvertretungsrecht keine Abweichungen vom Gesetz regeln. Zum Teil wird vertreten, dass dies konkretisierende und erklärende Tarifverträge nicht ausschließe286. Nach herrschender Auffassung können jedoch weder durch Tarifvertrag noch durch Dienstvereinbarung neue Mitbestimmungsrechte des Personalrats geschaffen werden287. Es ist somit ausgeschlossen, dass im öffentlichen Dienst kollektivrechtlich Mitbestimmungsrechte des Personalrats eingeführt werden, die eine Privatisierung verhindern würden. Ebenso ausgeschlossen wäre wohl die tarifvertragliche Einführung eines Übergangsmandates des Personalrats288.
283 BAG v. 24.1.1996 – 7 ABR 10/95, NZA 1996, 1110; Däubler, Der Gemeinschaftsbetrieb im Arbeitsrecht, in Bettermann/Löwisch/Otto/Schmidt, FS für Zeuner, S. 30; Fitting, § 130 Rz. 6; wegen der Beamten in Mischbetrieben gegen eine Anwendung des BetrVG Wiedenfels, PersV 2001, 110 (115); BAG v. 27.10.2010 – 7 ABR 85/09, DB 2011, 769. 284 BAG v. 24.1.1996 – 7 ABR 10/95, NZA 96, 1110; v. 27.10.2010 – 7 ABR 85/09, DB 2011, 769. 285 Pawlak/Leydecker, ZTR 2008, 74. 286 Altvater, § 3 BPersVG Rz. 1 f. 287 BAG v. 10.10.2006 – 1 AZR 811/05, NZA 2007, 637; v. 15.7.1986, BAGE 52, 279, (285 ff.); v. 20.3.1974 – 4 AZR 266/73, PersV 1974, 389 (392); Faber in Lorenzen, BPersVG, § 3 Rz. 3; Edenfeld, PersR 2001, 14 (18). 288 Das BAG hat eine vertragliche Vereinbarung über ein Übergangsmandat des Personalrats bei der Privatisierung eines Krankenhauses nicht von vornherein Schuster/Lorenzen
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185 Anders dagegen im Betriebsverfassungsrecht. Da dort ergänzende oder vom BetrVG abweichende tarifvertragliche Regelungen zum Teil zulässig sind, geht man überwiegend davon aus, dass die Befugnisse des Betriebsrats tarifvertraglich erweitert werden können289. Ein tarifliches Übergangsmandat des gewählten Personalrats wäre aber wohl selbst mit den erweiterten Organisationsformen des § 3 BetrVG nicht vereinbar290. Mit Unterstützung der Tarifparteien können dem Betriebsrat allerdings personalvertretungsrechtliche Mitspracherechte eingeräumt werden, durch die die Beschäftigten nicht gänzlich ihre bekannte personalvertretungsrechtliche Interessenvertretung verlieren.
E. Personaleinsatz im Rahmen von Privatisierungen I. Personalgestellung – Personaleinsatz bei einem Privaten ohne oder neben einer Privatisierung 186 Eine Personalgestellung liegt vor, wenn ein Arbeitgeber die Arbeitskraft seiner Mitarbeiter einem privaten Dritten überlässt, ohne dabei selbst seine Arbeitgeberposition aufzugeben291. Sie ermöglicht zum einen die Verlagerung von öffentlichen Aufgaben durch den Hoheitsträger auf ein in privater Rechtsform betriebenes Unternehmen, ohne dass eine Privatisierung der öffentlichen Einrichtung tatsächlich vollzogen werden müsste. Hierdurch werden die typischen Nachteile der Organisationsprivatisierung, etwa bei der Zusatzversorgung der Arbeitnehmer vermieden.
als unwirksam erachtet, ohne sich allerdings näher zu der Problematik zu äußern, BAG v. 25.5.2000 – 8 AZR 406/99. Mangels rechtlicher Begründung und weiterer Bestätigung des Urteils nach Schaffung der §§ 21a, b BetrVG kann diese Entscheidung nicht als richtungsweisend angesehen werden. Kritisch dazu ebenso Besgen/Langner, NZA 2003, 1239 (1242); Kast/Freihube, DB 2004, 2530 (2531 f.); Wollenschläger/von Harbou, NZA 2005, 1081 (1091); dagegen Baden in Privatisierung, Teil 5, Rz. 242; Die Verleihung eines Übergangsmandats an einen Personalrat durch Landesgesetz ist hingegen möglich, vgl. BAG v. 23.11.2004 – 9 AZR 639/03. 289 BAG v. 18.8.1987 – 1 ABR 30/86, BAGE 56, 18 (34 ff.); v. 10.2.1988 – 1 ABR 70/86, BAGE 57, 317, 323 ff.; v. 31.1.1995 – 1 ABR 35/94, AP 56 zu § 118 BetrVG 1972; Fitting, § 1 BetrVG Rz. 255 f.; Edenfeld, PersR 2001, 14 (17). 290 S. Gesetzesbegründung zu § 3 in der Fassung des Betriebsverfassungsreformgesetzes, BT-Drs. 14/5741, S. 33 ff.; Besgen/Langner, NZA 2003, 1239 (1242); Kast/Freihube, DB 2004, 2530 (2532); Wollenschläger/von Harbou, NZA 2005, 1081 (1091); zweifelnd auch Willemsen Arbeitsrechtliche Fragen der Privatisierung und Umstrukturierung öffentlicher Rechtsträger, in Oetker/Preis/Rieble, FS 50 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 307; a.A. Blanke, PersR 2000, 349 (353 ff.). 291 Gronimus/Kröll in Privatisierung, Teil 6, Rz. 321; Gerdom, öAT 2011, 150; zur uneinheitlichen tarifrechtlichen, beamtenrechtlichen und praktischen Begrifflichkeit bei drittbezogenem Personaleinsatz, s. Gronimus/Kröll in Privatisierung, Teil 6, Rz. 550 ff.
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Praktisch relevanter ist die Personalgestellung jedoch bei einer Privatisierung mit Betriebsübergang nach § 613a BGB, wenn Mitarbeiter dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf einen privatrechtlich organisierten Erwerber widersprochen haben oder ihr Arbeitsverhältnis nach Ausübung eines Rückkehrrechts erneut mit dem Veräußerer begründet wurde. Veräußert eine Gemeinde beispielsweise ein Freizeitbad, ein Rechenzentrum oder ein Krankenhaus, kann sie die Mitarbeiter, die dem Betriebsübergang auf die Erwerber-GmbH widersprechen, möglicherweise nicht mehr einsetzen. Ihnen drohen somit betriebsbedingte Kündigungen. Gerade bei unkündbaren Arbeitnehmern, die nur unter sehr engen Voraussetzungen entlassen werden können292, hat die Gemeinde ein Interesse, die Dienste dieser Arbeitnehmer der GmbH zu überlassen und in Rechnung zu stellen. Für die Arbeitnehmer stellt sich dann die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen sie ihre Dienste beim Erwerber erbringen müssen. Die Personalgestellung ist als Zuweisung bzw. Dienstleistungsüberlassung überdies eine Möglichkeit, Beamte der kommunalen Einrichtung beim Erwerber einzusetzen. Zu den Voraussetzungen hierfür siehe unten Rz. 215 ff. 1. Zulässigkeit der Personalgestellung Die rechtlichen Möglichkeiten zur Personalgestellung sind durch die Ein- 187 führung des TVöD erheblich ausgeweitet worden. Änderungen haben sich insbesondere im Hinblick auf die Zustimmungsbedürftigkeit der Gestellung ergeben. Einschränkungen für die Zulässigkeit der Personalgestellung können jedoch auch aus dem Rechtsverhältnis zwischen Veräußerer und Erwerber resultieren. a) Frühere Rechtslage Nach der bisherigen Rechtslage – und auch heute noch – ist die Personal- 188 gestellung ohne weiteres dann zulässig, wenn der Einsatz des Arbeitnehmers bei einem Dritten vom Weisungsrecht des Arbeitgebers umfasst ist. Soweit die Anweisung zur Tätigkeit am neuen Arbeitsplatz aber außerhalb des Weisungsrechts liegt, weil z.B. der Firmensitz des Dritten außerhalb des vertraglich festgelegten Arbeitsortes liegt, bedurfte es bislang der Zustimmung des Arbeitnehmers zur Personalgestellung. Zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer war also eine vertragliche Regelung über die Personalgestellung notwendig293. Diese Rechtslage hat sich mit Inkraft-
292 BAG v. 2.3.2006 – 2AZR 64/05; v. 6.10.2005 – 2 AZR 362/04, NZA-RR 2006, 879; v. 17.9.1998 – 2 AZR 419/97, NZA 1999, 258; LAG Hamm v. 18.11.2010 – 8 Sa 483/10, PersR 2011, 173. 293 Gronimus/Kröll in Privatisierung, Teil 6, Rz. 586. Schuster/Lorenzen
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treten von § 4 Abs. 3 TVöD für die Mitarbeiter der Kommunen und des Bundes geändert294. b) Tarifvertragliche Regelung der Personalgestellung in § 4 Abs. 3 TVöD 189 In § 4 TVöD ist, neben den bereits in § 12 BAT vorhandenen arbeitgeberseitigen Weisungsmöglichkeiten der Versetzung, Abordnung und Zuweisung, nunmehr zusätzlich die Personalgestellung geregelt. Durch die tarifvertragliche Regelung in § 4 Abs. 3 TVöD bedarf die Personalgestellung im Anschluss an kommunale Privatisierungsmaßnahmen bei Vorliegen der normierten Voraussetzungen generell keiner Zustimmung des Arbeitnehmers mehr295. Das bisherige und auch weiterhin bestehende Weisungsrecht des Arbeitsgebers wurde also tarifvertraglich auf die Personalgestellung gemäß § 4 Abs. 3 TVöD ausgeweitet296. Ein Arbeitnehmer, der sich weigert, auf Verlangen des öffentlichen Arbeitgebers beim privaten Übernehmer tätig zu werden, riskiert vielmehr eine Abmahnung oder eine verhaltensbedingte Kündigung297. Damit sind die Beschäftigungsmöglichkeiten im Rahmen der Ausgliederung kommunaler Einrichtungen ausgeweitet und flexibilisiert worden. Gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 TVöD ist auf Verlangen des Arbeitgebers bei weiter bestehendem Arbeitsverhältnis die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung bei dem Dritten zu erbringen, wenn Aufgaben der Beschäftigten zu einem Dritten verlagert werden. Die hier geregelte Form der Personalgestellung ist in Satz 1 der Protokollerklärung zu Abs. 3 zudem näher definiert. Danach ist Personalgestellung die auf Dauer angelegte Beschäftigung bei einem Dritten unter Fortsetzung des bestehenden Arbeitsverhältnisses. Satz 2 der Protokollerklärung legt fest, dass die Modalitäten der Gestellung zwischen dem Arbeitgeber und dem Dritten vertraglich geregelt werden. Die Regelung in § 613a BGB, sowie die gesetzlichen Kündigungsrechte bleiben nach § 4 Abs. 3 Satz 2 TVöD unberührt. 190 Im Gegensatz zu den bereits bestehenden Möglichkeiten der Versetzung, Abordnung und Zuweisung ermöglicht die Neuregelung in § 4 Abs. 3 TVöD dem Arbeitgeber nunmehr einseitig, den Arbeitnehmer anzuwei-
294 Für die Bundesländer gilt mit Ausnahme von Berlin und Hessen seit 1.11.2006 eine Parallelvorschrift im TV-L. Hessen hat in seinem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst ebenfalls entsprechende Vorschriften übernommen. Die entsprechende Rechtsgrundlage für Ärztinnen und Ärzte kommunaler Krankenhäuser im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände findet sich in § 5 Abs. 3 TV-Ärzte/VKA vom 17.8.2006. 295 Gronimus/Kröll in Privatisierung, Teil 6, Rz. 343, 377, 386 ff. 296 Zur Zulässigkeit der tarifrechtlichen Direktionsrechtserweiterung, im Ergebnis bejahend: Lorenzen, Inhaltskontrolle beim Betriebsübergang, S. 156 ff. 297 Däubler in Däubler/Kittner/Zwanziger, KSchR, § 1 KSchG, Rz. 154 ff.; Gronimus/Kröll in Privatisierung, Teil 6, Rz. 389 f.
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sen, dauerhaft seine Arbeitsleistung bei einem Dritten zu erbringen298. Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 TVöD in Verbindung mit Satz 1 der Protokollerklärung ist die Personalgestellung an drei Voraussetzungen gebunden: aa) Verlagerung von Aufgaben auf einen Dritten Erste Voraussetzung ist, dass der Arbeitgeber Aufgaben der Beschäftigten 191 auf einen Dritten verlagert hat. Eine Aufgabenverlagerung ist gegeben, wenn bestimmte Aufgaben nicht mehr oder nicht mehr alleine von der Dienststelle bzw. dem öffentlichen Unternehmen, sondern von einem Dritten erbracht werden sollen299. Der Tatbestand der Personalgestellung erfasst also die typischen Fälle der Privatisierung durch Ausgliederung von Aufgabenbereichen. Im Rahmen eines Betriebsübergangs, bei dem der Arbeitnehmer dem Übergang des Arbeitsverhältnisses widersprochen hat, kann der Arbeitgeber nunmehr anordnen, dass der Arbeitnehmer seine bisherige Tätigkeit fortan bei dem Dritten (Erwerber) auszuüben hat300. Mit der Voraussetzung der vorherigen Auslagerung von Aufgabenbereichen wird sichergestellt, dass der Arbeitnehmer bei dem Dritten vergleichbare Arbeiten erledigt wie bisher. Die Stellung des Arbeitnehmers soll sich bei der Personalgestellung nicht dadurch verschlechtern, dass ihm bei dem Dritten eine minderwertige Tätigkeit übertragen wird301. Eine Personalgestellung ist ferner ausgeschlossen, sofern nur unbedeutende Tätigkeiten des Beschäftigten an Dritte verlagert werden302. Wie sich aus § 4 Abs. 3 Satz 1 TVöD ausdrücklich ergibt, hat der Arbeitnehmer nach wie vor auch bei dem Dritten nur seine arbeitsvertraglich geschuldete Leistung zu erbringen303. Eine Anpassung der Tätigkeit des Arbeitnehmers an Betriebsabläufe und möglicherweise erweiterte Betriebs-
298 Die Versetzung erfasst nur die dauerhafte Tätigkeit bei einer anderen Dienststelle oder einem anderen Betrieb desselben Arbeitgebers; die Abordnung regelt die vorübergehende Tätigkeit bei einer anderen Dienststelle oder einem anderen Betrieb desselben oder eines anderen Arbeitgebers, der an den TVöD gebunden ist; die Zuweisung erfasst den vorübergehenden Einsatz bei einem Dritten außerhalb des Geltungsbereichs des TVöD. Zur Abgrenzung Breier, TVöD, § 4 Rz. 10; Preis/Greiner, ZTR 2006, 290 (291). 299 Breier, TVöD, § 4 Rz. 41; Sponer/Steinherr, TVöD, § 4 Rz. 130. 300 Lorenzen, Inhaltskontrolle beim Betriebsübergang, S. 154. Nach Satz 2 der Protokollerklärung bleibt die Regelung des § 613a BGB unberührt. Das bedeutet, dass bei Vorliegen eines Betriebsüberganges eine Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD nur dann möglich ist, wenn der Arbeitnehmer widerspricht. Andernfalls geht sein Arbeitsverhältnis bereits gemäß § 613a Abs. 1 BGB über. Zum Verhältnis von § 613a BGB zu § 4 Abs. 3 TVöD ausführlich Preis/Greiner, ZTR 2006, 290 (293 f.). 301 Preis/Greiner, ZTR 2006, 290 (292). 302 Görg/Hamer/Guth/Pieper, TVöD, § 4 Rz. 43; Gronimus/Kröll in Privatisierung, Teil 6, Rz. 373. 303 Görg/Hamer/Guth/Pieper, TVöD, § 4 Rz. 42. Schuster/Lorenzen
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zwecke beim Dritten ist jedoch zulässig304. Andernfalls wäre die Personalgestellung kaum praktikabel. bb) Auf Dauer angelegte Beschäftigung bei einem Dritten unter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses 192 Gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Satz 1 der Protokollerklärung zu Abs. 3 TVöD muss die Personalgestellung als auf Dauer angelegte Beschäftigung bei dem Dritten unter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erfolgen. Bereits vor Einsatz des Arbeitnehmers beim Dritten muss für den Arbeitgeber absehbar sein, dass die Gestellung dauerhaft ist. Da der Arbeitnehmer sein bisheriges Arbeitsverhältnis fortsetzt, ist das Merkmal der auf Dauer angelegten Beschäftigung in Relation zu der voraussichtlichen Dauer des jeweiligen Arbeitsverhältnisses zu sehen und nicht objektiv zur möglichen Lebensarbeitszeit305. Daher ist zum Beispiel eine Dauerhaftigkeit in einem befristeten Arbeitsverhältnis dann gegeben, wenn die Beschäftigung bei dem Dritten für die restliche Dauer des Arbeitsverhältnisses geplant ist, auch wenn dieses nur noch zwei Monate dauert. Die Vereinbarung einer Kündigungsmöglichkeit des Dritten gegenüber dem Arbeitnehmer steht der Dauerhaftigkeit ebenfalls nicht entgegen306. Kann der Arbeitgeber hingegen voraussehen, dass die Beschäftigung bei dem Dritten nur vorübergehender Natur sein wird, sind die Tatbestandvoraussetzungen für eine Personalgestellung nicht erfüllt. Es ist dann zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Abordnung oder Zuweisung vorliegen, die einen vorübergehenden Fremdeinsatz des Beschäftigten ermöglichen. cc) Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Drittem 193 Weitere Voraussetzung für eine Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD ist gemäß Satz 2 der Protokollerklärung zu Abs. 3, dass die Modalitäten der Personalgestellung zwischen dem Arbeitgeber und dem Dritten vertraglich geregelt werden. Damit soll Rechtssicherheit für die Durchführung der Personalgestellung hergestellt werden. Außerdem lässt sich anhand der Vereinbarung klären, welcher Rechtsnatur das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Drittem ist. Den Vertragsparteien stehen insoweit verschiedene vertragliche Regelungsmöglichkeiten offen307. Es kann sich bei dem Gestellungsvertrag um einen Dienst- oder Werkvertrag oder auch um eine Vereinbarung über Arbeitnehmerüberlassung handeln308. Je nach vertraglicher Grundlage können sich aus dem Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Drittem jedoch weitere Einschränkungen für die 304 So auch Preis/Greiner, ZTR 2006, 290 (292). 305 Gronimus/Kröll in Privatisierung, Teil 6, Rz. 376. 306 Görg/Hamer/Guth/Pieper, TVöD, § 4 Rz. 46; Preis/Greiner, ZTR 2006, 290 (292 f.). 307 Lorenzen, Inhaltskontrolle beim Betriebsübergang, S. 155. 308 Gerdom, öAT 2011, 150.
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Zulässigkeit der Personalgestellung ergeben. Für die Gestellungsvereinbarung ist keine besondere Form vorgeschrieben. Aus Beweisgründen empfiehlt sich jedoch eine schriftliche Festlegung der Vereinbarung. 2. Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Drittem Das Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Drittem hängt davon ab, 194 welche Vereinbarungen zwischen den beiden, insbesondere in Bezug auf die Übertragung von Weisungsbefugnissen auf den Dritten, getroffen werden. Es sind im Wesentlichen zwei Fälle und ihre Rechtsfolgen für die Zulässigkeit der Personalgestellung zu unterscheiden. a) Übertragung von Dienstleistungen Der erste Fall betrifft den Umstand, dass die kommunale Einrichtung als 195 Arbeitgeber ihre Mitarbeiter Tätigkeiten für Dritte erbringen lässt, das Direktionsrecht jedoch in vollem Umfang behält. Es handelt sich dann um eine bloße Dienstleistungsüberlassung. Ihr kann sowohl ein Dienstals auch ein Werkvertrag zwischen Arbeitgeber und Drittem zugrunde liegen, bei dem der Arbeitnehmer als Erfüllungsgehilfe des Arbeitgebers tätig wird309. Weitere, besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen oder Beschränkungen ergeben sich hierbei für die Personalgestellung nicht. Dieser Fall dürfte bei den geschilderten Privatisierungen – oder zu deren Vermeidung – kaum je relevant werden, da die kommunale Einrichtung meist gerade die Verwaltung und Fortführung des veräußerten Betriebs oder Betriebsteils ganz einstellen will. b) Arbeitnehmerüberlassung Im zweiten Fall überträgt der Veräußerer dem Erwerber das volle Wei- 196 sungsrecht, etwa die Bestimmung der Arbeitszeit, die Gewährung von Urlaub oder die Entscheidung über die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses310. Hier ist die bloße Dienstleistungsüberlassung überschritten. Es handelt sich dann um einen Fall der Arbeitnehmerüberlassung, für den das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) anwendbar ist. Bei der Arbeitnehmerüberlassung verleiht ein Arbeitgeber seine Arbeitnehmer an einen Dritten, der ihnen gegenüber weisungsberechtigt ist und sie vollständig in seinen Betrieb eingliedern kann311. Diese Übertragung des Wei309 BAG v. 13.8.2008 – 7 AZR 269/07 – AP Nr. 19 zu § 10 AÜG; v. 24.5.2006 – 7 AZR 365/05, EzAÜG § 10 Fiktion Nr. 14; v. 6.8.2003 – 7 AZR 180/03, AP Nr. 6 zu § 9 AÜG; LAG Hamburg v. 29.10.2010 – 6 Sa 62/10; Görg/Hamer/ Guth/Pieper, TVöD, § 4 Rz. 57; Preis/Greiner, ZTR 2006, 290 (295 f.). 310 BAG v. 6.8.2003 – 7 AZR 180/03, AP Nr. 6 zu § 9 AÜG. 311 BAG v. 13.8.2008 – 7 AZR 269/07 – AP Nr. 19 zu § 10 AÜG; v. 24.5.2006 – 7 AZR 365/05, EzAÜG § 10 Fiktion Nr. 14; v. 19.1.2000 – 7 AZR 6/99, EzS 15/62; v. 3.12.1997 – 7 AZR 764/96, DB 1998, 1520; v. 26.4.1995 – 7 AZR 850/94, DB 1995, 2427; Ulber, § 1 AÜG, Rz. 16 ff. Schuster/Lorenzen
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sungsrechts ist nunmehr aufgrund § 4 Abs. 3 TVöD einseitig durch den Arbeitgeber möglich und bedarf keiner Zustimmung des Arbeitnehmers mehr312. Nach dem AÜG ist Arbeitnehmerüberlassung nur eingeschränkt zulässig und erlaubnispflichtig. Die AÜG-Reform von 2011313 dehnt die Erlaubnispflicht noch aus, um Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung zu verhindern. Nunmehr bedarf grundsätzlich jeder Arbeitskräfteverleih im Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeit des Verleihers gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG einer behördlichen Erlaubnis. aa) Ausnahme von der Erlaubnispflicht – Konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung 197 Unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG ist eine Arbeitnehmerüberlassung nach wie vor erlaubnisfrei, sofern sie zwischen Konzernunternehmen erfolgt. Anstelle des Merkmals vorübergehender Konzernleihe ist das Merkmal getreten, „der Arbeitnehmer[dürfe] nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt“ werden. Die Vorschrift verweist auf § 18 AktG. Danach muss der Konzern aus mindestens zwei rechtlich selbständigen Unternehmen unter einheitlicher Leitung bestehen. Denkbar ist sowohl ein Unterordnungs- als auch ein Gleichordnungskonzern314. Über den Wortlaut hinaus wird überwiegend angenommen, dass die Konzernleihe auch auf Unternehmen außerhalb der Rechtsform der AG oder KGaA anwendbar ist315. Unternehmen i.S.d. § 18 AktG können vielmehr auch Gebietskörperschaften und andere Träger öffentlicher Gewalt sein316. Entsteht also durch eine Privatisierung – vor allem eine Organisationsprivatisierung – ein öffentlich-privatrechtlicher Mischkonzern, ist auch dort die Konzernleihe grundsätzlich privilegiert317. Der Arbeitnehmer darf allerdings nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt oder beschäftigt werden. Damit reagierte der Gesetzgeber auf Entwicklungen der privaten Leiharbeitsbranche, die sich 312 Gronimus/Kröll in Privatisierung, Teil 6, Rz. 343. 313 Gesetz zur Änderung der Arbeitnehmerüberlassung v. 28.4.2011, BGBl. I, 642. Das Gesetz transformiert die europäische Richtlinie Leiharbeit 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.11.2008 ABl. L 327 v. 5.12.2008, S. 9 in nationales Recht. Die Neufassung trat gem. Art. 2 Abs. 1 des Reformgesetzes zum Teil zum 30.4.2011 und zum Teil zum 1.12.2011 in Kraft. 314 Boemke/Lembke, AÜG, § 1 Rz. 195, 197. 315 Hamann in Schüren, § 1 AÜG Rz. 490; BAG v. 5.5.1988 – 2 AZR 795/87, NZA 1989, 18, AP 8 zu § 1 AÜG; LAG Schl.-Holst. v. 2.7.2008 – 6 TaBV 11/08; differenzierend Ulber, § 1 AÜG Rz. 251. 316 BGH v. 17.3.1997 – II ZB 3/96, NJW 1997, 1855; BGH v. 13.10.1977 – II ZR 123/76, BGHZ 69, 334. 317 Zu den verschiedenen Konfigurationen öffentlich-privatrechtlicher Mischkonzerne siehe Plander, PersR 1999, 190 (191); BGH v. 17.3.1997 – II ZB 3/96, NJW 1997, 1855.
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zunehmend Konzernkonstruktionen zunutze machte, ausschließlich um sich auf die gesetzliche Privilegierung der Konzernleihe zu berufen318. Bei kommunalen Privatisierungen liegen jedoch andere Fälle zugrunde. Arbeitnehmer widersprechen dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses bei einer Organisationsprivatisierung oder werden mit verlagerten öffentlichen Aufgaben in der Privatwirtschaft eingesetzt. Eingestellt waren sie, um Aufgaben ihres öffentlichen Arbeitgebers zu erfüllen und nicht als Leiharbeitnehmer. Sofern also eine öffentlich-privatrechtliche Konzernstruktur auf einer Privatisierung beruht, wird regelmäßig auch die Erlaubnisfreiheit gem. § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG vorliegen. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob die Privilegierung der konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung Bestand hat. Da die Leiharbeitsrichtlinie keine entsprechende Regelung enthält, wird die Ausnahme in der Literatur für gemeinschaftsrechtswidrig gehalten319. Liegt eine Konzernstruktur nicht vor, liegt eine vom Konzernprivileg 198 nicht mehr gedeckte illegale Arbeitnehmerüberlassung vor. Soweit sie eine wirtschaftliche Tätigkeit verwirklicht und damit erlaubnispflichtig ist, entsteht kraft Gesetzes gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis des Leiharbeitnehmers mit dem Entleiher. bb) Keine Erlaubnispflicht – Fehlende wirtschaftliche Tätigkeit des Arbeitgebers Erlaubnispflichtig war bislang nur die gewerbsmäßige Arbeitnehmerüber- 199 lassung, § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG a.F. Gewerbsmäßig ist eine Tätigkeit, die nicht nur gelegentlich, sondern auf eine gewisse Dauer angelegt ist und mit der unmittelbar oder mittelbar wirtschaftliche Vorteile erzielt werden sollen320. Somit setzte die Gewerbsmäßigkeit eine Gewinnerzielungsabsicht voraus. Der § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG n.F. nimmt dagegen von der Erlaubnispflicht nur noch Arbeitnehmerüberlassungen aus, die der Arbeitgeber nicht im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit vornimmt. Typischerweise verfolgt eine veräußernde öffentlich-rechtliche Einrichtung mit der Verleihung widersprechender Arbeitnehmer an den Erwerber keinerlei Gewinnabsicht. Erstattet der Erwerber die Personalkosten, also Bruttoarbeitsentgelt und Verwaltungskosten, soll dies nur verhindern, dass ein Schaden entsteht, nämlich dass der Veräußerer Mitarbeiter vergüten muss, die er nicht einsetzen kann. Darin liegt zwar keine gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung, voraussichtlich jedoch eine wirt318 Hamann, RdA 2011, 321–332; Wank in Erfurter Kommentar, § 1 AÜG Rz. 60. 319 Wank in Erfurter Kommentar, § 1 AÜG Rz. 57; Lembke, NZA 2011, 319 (320); Ulber, AuR 2010, 1 (12); Wank, RdA 2010, 193 (203). 320 BAG v. 25.1.2005 – 1 ABR 61/03, NZA 2005, 1199; v. 15.4.1999 – 7 AZR 437/97, DB 1999, 2315; v. 15.6.1983 – 5 AZR 111/81, DB 1983, 2420; v. 21.3.1990 – 7 AZR 198/89, DB 1991, 282 LAG Hess. v. 5.4.2000 – 13 Sa 1716/99, EzAÜG § 1 AÜG Arbeitsvermittlung Nr. 23; ArbG Essen v. 14.12.2010 – 2 BV 47/10, EzA-SD 2011, Nr. 9, 13. Schuster/Lorenzen
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schaftliche Tätigkeit321. Hierunter versteht die Richtlinie nämlich allgemein „jede Tätigkeit, die darin besteht, Güter- oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten“322. Nach überwiegender Auffassung kommt es auf Gewinnerzielungsabsicht nicht mehr an323. Danach werden auch gemeinnützige, karitative, wissenschaftliche und künstlerische Entleiher erfasst. Es gibt auch keine Anhaltspunkte, dass öffentliche Rechtsträger keine „wirtschaftliche Tätigkeit“ i.S.d. § 1 AÜG ausüben können. Im Gegenteil werden europarechtlich sowohl privat- als auch öffentlich-rechtliche Arbeitgeber erfasst324. Ferner schließt die Begründung des nationalen Gesetzgebers nur hoheitliche Tätigkeiten als nicht wirtschaftlich aus. Diese sind aber gerade einer Privatisierung nicht zugänglich325. Die Gestellung der einem Betriebsübergang widersprechenden Arbeitnehmer im Bereich der Bildung, Kultur, Infrastruktur, allgemein der Daseinsvorsorge wäre somit nach neuer Rechtslage voraussichtlich erlaubnispflichtig. Schon früher traf dies auf Gestaltungen zu, bei denen ein öffentlicher Arbeitgeber zur Vermeidung einer organisatorischen oder gesellschaftsrechtlichen Privatisierung die gesamte Belegschaft einer Dienststelle oder eines Betriebes einem privaten Dritten überlässt. Damit sollte nämlich meist kein Schaden abgewendet, sondern ein – wenn auch nur mittelbares – wirtschaftliches Ziel verfolgt werden. Die Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit, die für den Verleiherbetrieb zuständig ist, stellt die Erlaubnis aus. Als Folge der Arbeitnehmerüberlassung ohne die erforderliche Erlaubnis kann der Arbeitnehmer seine Leistung beim Dritten verweigern, ohne seinen Entgeltanspruch zu verlieren. Außerdem liegt eine Ordnungswidrigkeit gem. § 16 AÜG vor. Ferner sind ohne die Erlaubnis die Überlassungsverträge, sowie die Arbeitsverträge der verliehenen Mitarbeiter gem. § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam und nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG wird ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem Entleiher fingiert. Es ist jedoch nahezu ausgeschlossen, dass in den hier relevanten Fällen die in § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG geregelte Rechtsfolge tatsächlich eintreten würde. Das Fehlen einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung kann entgegen § 9 Nr. 1 AÜG nichts an dem Bestand der Arbeitsverhältnisse zwischen der öffentlichen Hand und ihren Arbeitnehmern ändern. Ansonsten hätte die öffentlich-rechtliche Einrichtung die Möglichkeit, durch Gestellung ihres gesamten Personals die Unwirksamkeit der Arbeitsverträge aller Arbeitnehmer selbst herbeizuführen. Überdies ha321 BAG v. 20.4.2005 – 7 ABR 20/04, NZA 2005, 1006 für konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung; Gronimus/Kröll in Privatisierung, Teil 6, Rz. 444 f.; Blanke, PersR 1996, 49 (55 f.); Plander, NZA 2002, 69 (71). 322 EuGH, Slg. 2006, I – 325, EuZW 2006, 306 – Cassa di Risparmio Firenze. 323 Wank in Erfurter Kommentar, § 1 AÜG Rz. 31; Lembke, NZA 2011, 1 (3); Leuchten, NZA 2011, 608; Gerdom, öAT 2011, 150; a.A. Hamann, RdA 2011, 321. 324 EuGH, NZA 2000, 1279 – Collino und Chiappero; Gerdom, öAT 2011, 150. 325 Gerdom, öAT 2011, 150.
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ben die im öffentlichen Dienst Beschäftigten typischerweise kein Interesse an der Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem privaten Dritten und nicht das übliche Schutzbedürfnis von Leiharbeitnehmern. Das trifft insbesondere für die Arbeitnehmer zu, die einem Betriebsübergang widersprechen oder von einer Rückkehrregelung Gebrauch machen. Die in § 10 Abs. 1 AÜG vorgesehene Rechtsfolge würde sie damit sogar entgegen dem Schutzzweck des Gesetzes benachteiligen326. cc) Schranken erlaubnisfreier bzw. erlaubnispflichtiger, aber erlaubter Arbeitnehmerüberlassung Selbst die nicht wirtschaftliche – erlaubnisfreie – Arbeitnehmerüberlas- 200 sung, sowie die Arbeitnehmerüberlassung im Rahmen wirtschaftlicher Tätigkeit mit Erlaubnis unterliegen weiteren Schranken. Insbesondere darf die Arbeitnehmerüberlassung nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG n.F. nur vorübergehend sein. Überwiegend wird vertreten, eine dauerhafte Leihe sei damit nunmehr generell verboten327. Die Auslegung des Merkmals „vorübergehend“ ist jedoch unklar und stark umstritten. Nach dem neuen Wortlaut ist keine maximale Laufzeit festgelegt328. Zum Teil wird deshalb auf die Auslegung des früheren Konzernprivilegs § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG a.F. zurückgegriffen329. Dort wurde „vorübergehend“ weit ausgelegt330. Selbst ein mehrjähriger Verleih sollte noch vorübergehend sein, solange die Rückkehr geplant war331. Zum Teil wird zur Konkretisierung einer zeitlichen Begrenzung darauf abgestellt, dass der Leiharbeitsvertrag für längere Zeit abgeschlossen ist als die konkrete Überlassung332. Dennoch widerspricht dies § 4 Abs. 3 TVöD, wonach eine Personalgestellung gerade auf Dauer angelegt sein muss. Inhaltlich kann es allerdings nicht überzeugen, die Arbeitnehmerüberlassung für die Personalgestellung nach Privatisierungen auszuschließen. Wie geschildert, ist hier die Interessenlage anders. Die Tätigkeit des gestellten Arbeitnehmers ändert sich nicht. Durch seinen Widerspruch hat er zudem das Interesse bekundet, bei dem öffentlichen Arbeitgeber vertraglich angestellt zu bleiben. Fiele diese Möglichkeit weg, wäre der Bestand dieser Arbeitsverhältnisse unsicher. Das aber widerspricht grundlegend dem gesetzgeberischen Ziel des
326 Gronimus/Kröll in Privatisierung, Teil 6, Rz. 449 f. 327 Hamann, RdA 2011, 321; Schüren/Wank, RdA 2011, 1; Düwell/Dahl DB 2010, 1759; vgl. auch Leuchten, NZA 2011, 608 (609). 328 Leuchten, NZA 2011, 608 (609). 329 Wank in Erfurter Kommentar, Einleitung § 1 AÜG Rz. 12; Schüren/Wank, RdA 2011, 1 (3); a.A. Lembke, NZA 2011, 609. 330 BAG v. 5.5.1988 – 2 AZR 795/87, NZA 1989, 18 (20); LAG Schl.-Holst. v. 2.7.2008 – 6 TaBV 11/08, NZA-RR 2009, 75, AP 8 zu § 1 AÜG. 331 BAG v. 5.5.1988 – 2 AZR 795/87, NZA 1989, 18 (20); LAG Schl.-Holst. v. 2.7.2008 – 6 TaBV 11/08, NZA-RR 2009, 75, AP 8 zu § 1 AÜG; Hamann in Schüren, § 1 AÜG Rz. 508. 332 Hamann, RdA 2011, 321 (326); Wank in Erfurter Kommentar, § 1 AÜG Rz. 37. Schuster/Lorenzen
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reformierten AÜG333. Insofern muss auch in dieser Konstellation nach unserer Auffassung eine Arbeitnehmerüberlassung weiterhin möglich sein. Relativiert wird die Beschränkung der Arbeitnehmerüberlassung auf „vorübergehende“ Überlassung allerdings durch die ausgelöste Rechtsfolge. Denn ist das Merkmal „vorübergehend“ überschritten, handelt es sich nicht um eine Arbeitnehmerüberlassung. Konsequenterweise kann die Erlaubnis versagt oder widerrufen werden334. Eine weitere Sanktion sieht die Regelung indes nicht vor335. Vielmehr handelt es sich dann wohl um eine Arbeitsvermittlung, was für die beteiligten Arbeitgeber weitgehend folgenlos bleibt. Liegt keine Arbeitnehmerüberlassung vor, weil sie nicht „vorübergehend“ ist oder übernimmt der Überlassende nicht die üblichen Arbeitgeberpflichten oder das Arbeitgeberrisiko im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 AÜG, löst dies gem. § 1 Abs. 2 AÜG die Vermutung aus, dass Arbeitsvermittlung vorliegt. Streitig ist allerdings, welche Rechtsfolgen die Vermutung der Arbeitsvermittlung hat: 201 Gem. § 291 Abs. 1 SGB III war auch die – dauerhafte – Arbeitsvermittlung erlaubnispflichtig. Wie bei der unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung entstanden außerdem nach dem früheren § 13 AÜG auch hier gesetzliche Arbeitsverhältnisse zwischen dem Entleiher und dem vermittelten Arbeitnehmer336. Sowohl § 13 AÜG a.F. als auch § 291 Abs. 1 SGB III sind inzwischen aufgehoben337. Das BAG hat grundsätzlich entschieden, dass ohne Rechtsgrundlage keine analoge Anwendung des § 10 Abs. 1 AÜG und damit kein gesetzliches Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und überlassenem Arbeitnehmer in Betracht komme338. In der Literatur wird jedoch weiterhin vertreten, dass dies notwendig sei339. In der Regel wird auch davon auszugehen sein, dass die kommunalen Arbeitgeber die Anforderungen aus § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 AÜG erfüllen, so dass zumindest aus diesem Grund keine Vermutung der Arbeitsvermittlung auftritt und
333 So auch Gerdom, öAT 2011, 150. 334 Hamann, RdA 2011, 321 (326); Wank in Erfurter Kommentar, Einleitung § 1 AÜG Rz. 12. 335 Hamann, RdA 2011, 321 (326); Wank in Erfurter Kommentar, Einleitung § 1 AÜG Rz. 12; Leuchten, NZA 2011, 608 (609). 336 BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 100/99, NZA 2000, 1160. 337 Aufhebung des § 13 AÜG durch Art. 63 Nr. 9 Arbeitsförderungsreformgesetz (AFRG) v. 24.3.1997, BGBl. I, 594 (715); Aufhebung des § 291 Abs. 1 SGB III durch Gesetz zur Vereinfachung der Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat v. 23.3.2002, BGBl. 2002, I, 1130 ff. 338 BAG v. 28.6.2000 – 7 AZR 100/99, NZA 2000, 1160; so auch Boemke/Lembke, AÜG, § 1 Rz. 166 ff.; Gronimus/Kröll in Privatisierung, Teil 6, Rz. 450 f.; Hamann, RdA 2011, 321 (326). 339 Feuerborn/Hamann, BB 1997, 2530; Schaub, BB 1998, 2106; Ulber, Einleitung D Rz. 47 ff.
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sich diese rechtliche Diskussion in Privatisierungsfällen auf die nicht vorübergehende Überlassung beschränkt. dd) Fazit Im Ergebnis bedeutet dies nach unserer Auffassung, dass eine öffentlich- 202 rechtliche bzw. kommunale Einrichtung Arbeitnehmer, die dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber widersprochen haben, trotz des Erfordernisses „vorübergehender“ Überlassung gemäß § 4 Abs. 3 TVöD auf Dauer gestellen darf, sofern ein öffentlich-privatrechtlicher Mischkonzern entstanden ist oder der kommunale Arbeitgeber eine Erlaubnis für die Überlassung einholt. Dasselbe gilt jedenfalls für die vorübergehende Überlassung des Personals ganzer Dienststellen/Betriebe ohne Privatisierung. 3. Personalgestellung und Kündigung Ist die Gestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD nunmehr grundsätzlich zulässig, 203 stellt sich kündigungsrechtlich außerdem die Frage, ob der Veräußerer verpflichtet ist, statt dem widersprechenden Arbeitnehmer zu kündigen, ihn dem Erwerber zu überlassen. Ein Anhaltspunkt für die kündigungsrechtlichen Auswirkungen könnte sich nunmehr aus § 4 Abs. 3 Satz 2 TVöD ergeben, wonach die Tarifparteien vereinbart haben, dass gesetzliche Kündigungsrechte unberührt bleiben. a) Gestellungspflicht? Schon vor der Regelung in § 4 Abs. 3 TVöD wurde diskutiert, ob der Ver- 204 äußerer statt einer betriebsbedingten Beendigungskündigung eine Gestellung zum Erwerber anbieten oder als Änderungskündigung durchsetzen muss. Dafür spricht, dass die Beendigungskündigung ultima ratio sein soll und mildere Mittel vorrangig sind. Mit dieser Begründung hat auch das BAG die vorübergehende Gestellung an eine ausgegliederte GmbH für geeignet gehalten, eine außerordentliche Kündigung zu vermeiden340. Für eine Gestellungspflicht des Arbeitgebers wird außerdem eine Parallele zur Rechtsprechung des BAG bei vertraglichen Konzernversetzungsklauseln angeführt341. Danach hat der Arbeitgeber vor Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung im Falle der Vereinbarung einer konzernweiten Versetzungsklausel auch eine konzernweite Weiterbeschäftigungsmöglichkeit zu prüfen. Nur wenn diese nicht vorliegt, soll er be-
340 Für eine Gestellungspflicht bei tariflich unkündbaren Arbeitnehmern: BAG v. 6.10.2005 – 2 AZR 362/04, NZA-RR 2006, 879; v. 27.6.2002 – 2 AZR 367/01, PersR 2004, 118; LAG Hamm v. 18.11.2010 – 8 Sa 483/10. Dagegen LAG Hamburg v. 27.1.2000 – 1 Sa 28/99, n.v. 341 Preis/Greiner, ZTR 2006, 290 (295); ähnlich Plander, NZA 2002, 69 (72 ff.). Schuster/Lorenzen
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rechtigt sein, betriebsbedingt zu kündigen342. Ebenso soll es auch dem Arbeitgeber ergehen, der zur Personalgestellung berechtigt ist. Auch er soll für den Fall, dass der Arbeitnehmer bei einem Betriebsübergang von seinem Widerspruchsrecht aus § 613a BGB Gebrauch macht, verpflichtet sein, vor Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung bei dem Dritten zu prüfen. Die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit zu einer solchen Gestellung wäre bei einer Organisationsprivatisierung durch die Beherrschung des erwerbenden Unternehmens dann regelmäßig anzunehmen343. 205 Gegen eine Gestellungspflicht vor Ausspruch der Kündigung kann angeführt werden, dass das ultima ratio Prinzip bei der betriebsbedingten Kündigung bereits gesetzlich konkretisiert ist. Eine betriebsbedingte Kündigung ist nur sozial gerechtfertigt, sofern nicht eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens besteht, § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1b KSchG. Die Personalgestellung ermöglicht in der Regel jedoch gerade eine Beschäftigung in einem anderen Unternehmen. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, zur Vermeidung einer Kündigung freie Arbeitsplätze zu schaffen344. Schließlich würde eine Gestellungspflicht auch den Betriebsübergang bei der Privatisierung öffentlicher Einrichtungen ad absurdum führen. Bestünde neben dem Widerspruchsrecht auch eine Gestellungspflicht an den privaten Erwerber, wäre damit zu rechnen, dass die Mehrzahl der Arbeitnehmer bei einer Privatisierung es vorzieht, ohne jedes Risiko die kommunale Einrichtung als Arbeitgeber zu behalten und nur tatsächlich bei dem Erwerber beschäftigt zu sein. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass für den Arbeitgeber auch bei Konzernversetzungsklauseln eine konzernweite Weiterbeschäftigungspflicht nur insoweit besteht, wie die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit von dem Arbeitgeber überhaupt rechtlich und faktisch durchgeführt werden kann345. 206 Gegen eine Gestellungspflicht spricht zudem § 4 Abs. 3 Satz 2 TVöD, wonach trotz des Bestehens der tariflichen Gestellungsmöglichkeit die Regelungen über den Kündigungsschutz unberührt bleiben. Die Tarifparteien wollten ausdrücklich klarstellen, dass die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung nicht davon abhängt, ob der Arbeitnehmer im Wege der Personalgestellung auf einem anderen Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden kann. Widerspricht der Arbeitnehmer im Fall eines Betriebsübergangs dem Übergang des Arbeitsverhältnisses, soll ihm bei Vor-
342 BAG v. 23.4.2008 – 2 AZR 1110/06, NZA 2008, 939; BAG v. 23.3.2006 – 2 AZR 162/05, DB 2006, 2351. 343 Gronimus/Kröll in Privatisierung, Teil 6, Rz. 419. 344 Oetker in Erfurter Kommentar, § 1 KSchG Rz. 250; Meyer, NZA 2005, 9 (11 f.). 345 BAG v. 23.4.2008 – 2 AZR 1110/06, NZA 2008, 939; BAG v. 23.3.2006 – 2 AZR 162/05, DB 2006, 2351.
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liegen der übrigen Voraussetzungen gekündigt werden können346. Selbst wenn es sich bei der Regelung in § 4 Abs. 3 Satz 2 TVöD nur um eine deklaratorische Verweisung auf den grundsätzlichen Unternehmensbezug der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit handeln sollte347, muss eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im Wege der Personalgestellung im Rahmen von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG nicht berücksichtigt werden. Die Tarifparteien tragen dem Umstand Rechnung, dass die Arbeitnehmer durch den Unternehmensbezug der Weiterbeschäftigungspflicht nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bereits hinreichend geschützt und nach Ausübung ihres Widerspruchsrechts auch weniger schutzbedürftig sind348. Nach dem Willen der Tarifparteien besteht keine Notwendigkeit, die unternehmerische Handlungsfreiheit im Zusammenhang mit Unternehmensumstrukturierungen zusätzlich einzuschränken. b) Stellungnahme Nach unserer Auffassung sprechen – auch mit Blick auf die praktischen 207 Auswirkungen – die besseren Argumente gegen eine grundsätzliche Gestellungspflicht. Ein kommunaler Arbeitgeber kann nicht verpflichtet sein, mit einem Privatisierungserwerber die Überlassung widersprechender oder anderer Arbeitnehmer zu vereinbaren. Nimmt man bei einer Organisationsprivatisierung an, dass die veräußernde Kommune und die privatisierte Gesellschaft in einem Konzernverhältnis stehen, mag die kommunale Einrichtung in Einzelfällen der Konzernversetzungsklausel gehalten sein, auch in der privatisierten Gesellschaft freie Arbeitsplätze zu identifizieren349. Eine darüber hinaus gehende Verpflichtung lässt sich mit den Grundsätzen des Kündigungsschutzrechts jedoch nicht vereinbaren350. Weiter ist auch zu bedenken, dass der Arbeitgeber außerhalb von Konzernrechtsverhältnissen auch kaum die rechtliche Möglichkeit zur Umsetzung einer Gestellungspflicht hat.
346 Breier, TVöD, § 4 Rz. 44. Hingegen halten es Preis/Greiner, ZTR 2006, 290 (295) für möglich, dass das BAG, parallel zu den Einschränkungen des Kündigungsrechts bei vertraglich festgelegten Konzernversetzungsklauseln, eine Gestellungspflicht bejahen könnte, so dass die günstigere tarifvertragliche Regelung das allgemeine Kündigungsschutzrecht verdrängen würde. 347 So Preis/Greiner, ZTR 2006, 290 (295). 348 Lingemann, Weiterbeschäftigung im Konzern – Ein Beitrag zum unternehmensübergreifenden Kündigungsschutz, in Baeck et al, FS für Bauer 2010, 661 (666). 349 So auch Meyer, NZA 2005, 9 (12). 350 Lingemann, Weiterbeschäftigung im Konzern – Ein Beitrag zum unternehmensübergreifenden Kündigungsschutz, in Baeck et al, FS für Bauer 2010, 661 (666). Schuster/Lorenzen
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4. Beteiligung der Arbeitnehmervertretungen bei der Personalgestellung 208 Beabsichtigt der öffentliche Arbeitgeber eine Personalgestellung in Form der Arbeitnehmerüberlassung, stellt sich die Frage, ob der Personalrat an der Personalgestellungsentscheidung gegenüber dem Dritten zu beteiligen ist und inwiefern Arbeitnehmervertretungen bei der Überlassung der einzelnen Arbeitnehmer einzubeziehen sind. a) Beteiligung an der Personalgestellungsvereinbarung und der Gestellung der einzelnen Arbeitnehmer 209 Die Landespersonalvertretungsgesetze sehen mehrheitlich keine Beteiligung des Personalrats vor bei der Entscheidung, Personal an das privatisierte Unternehmen zu gestellen. Ausnahmen sind § 66 Nr. 14 LPersVG Brandenburg und der wiedereingeführte § 72 Abs. 4 Nr. 20 LPersVG Nordrhein-Westfalen. Beide sehen ausdrücklich ein Mitbestimmungsrecht des Personalrats für die Arbeitnehmerüberlassungs- oder Gestellungsverträge mit dem aufnehmenden Unternehmen vor351. Allerdings erfassen wohl die allgemeinen Konsultationsrechte bei Privatisierungen eine hinsichtlich der Arbeitnehmer geplante Personalgestellungsvereinbarung. Für die personelle Einzelmaßnahme der Gestellung eines Arbeitnehmers an ein privatisiertes Unternehmen sehen weder das BPersVG noch die Landesvorschriften ein eigenes Beteiligungsrecht vor. Die dauerhafte tarifvertragliche Personalgestellung nach § 4 Abs. 3 TVöD gilt allerdings materiell als Gegenstück zur beamtenrechtlichen Zuweisung gem. § 20 Abs. 2 BeamtStG. Diese ist gem. § 75 Abs. 1 Nr. 4a BPersVG und der entsprechenden Landesnormen352 mitbestimmungspflichtig. Insofern wird vertreten, dass dies auch für die individuelle Personalgestellung gelten muss353. b) Interessenvertretung während der Personalgestellung beim privatisierten Unternehmen 210 Während der Tätigkeit bei dem privatisierten Unternehmen wirkt sich die aufgespaltene Arbeitgebersituation auch auf die Interessenvertretung aus. Zu unterscheiden sind die aktive und passive Wahlberechtigung zum Personalrat bzw. zum Betriebsrat und der Umfang der Zuständigkeit des Personalrats bzw. des Betriebsrats für die personalgestellten Arbeitnehmer. 351 Teilweise wird darüber hinaus aus Art. 7 Abs. 2 der Betriebsübergangs-Richtlinie 2001/23/EG ein allgemeines Konsultationsrecht der Personalräte abgeleitet, Gronimus/Kröll in Privatisierung, Teil 6, Rz. 473 ff. 352 Überblick bei Altvater, § 75 BPersVG, Synopse zu § 75 Abs. 1, 1134. 353 Altvater, § 75 BPersVG Rz. 78; Gronimus, PersR 2010, 474 (476); Gronimus/ Kröll in Privatisierung, Teil 6, Rz. 488 ff.
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Die personalgestellten Arbeitnehmer verlieren nach Bundesrecht und ei- 211 nigen Landesgesetzen, wie etwa dem hessischen oder dem thüringischen PersVG, nach drei Monaten in den Personalvertretungen der alten Dienststelle ihre aktive Wahlberechtigung, sofern sie nicht binnen weiterer sechs Monate dorthin zurückkehren, § 13 Abs. 2 Satz 4 i.V.m. Satz 1 und 3 BPersVG354. Da das passive Wahlrecht gem. § 14 BPersVG das aktive voraussetzt, endet es ebenfalls. In anderen Ländern wie Berlin fehlt eine vergleichbare Regelung355. Hier behalten die Arbeitnehmer grundsätzlich das Wahlrecht für die Personalvertretung ihrer Dienststelle. Für den Betriebsrat des aufnehmenden Einsatzbetriebs waren die Arbeit- 212 nehmer des öffentlichen Dienstes bis vor kurzem gem. § 7 Satz 2 BetrVG zwar aktiv wahlberechtigt, konnten sich jedoch wegen § 14 Abs. 2 Satz 1 AÜG nicht in den Betriebsrat wählen lassen. Seit dem 4.8.2009 hat sich dies jedoch geändert. Mit der Einführung des § 5 Abs. 1 Satz 3 BetrVG gelten Beamte, Soldaten und Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes, die in Betrieben privatrechtlich organisierter Unternehmen tätig sind, als deren Arbeitnehmer356. Das ist jedenfalls für diejenigen Arbeitnehmer vorauszusetzen, die dem Weisungsrecht des privaten Arbeitgebers unterliegen. Solche gestellten Arbeitnehmer sind jetzt, unstreitig auch hinsichtlich des passiven Wahlrechts, den Arbeitnehmern des Betriebs vollwertig gleichgestellt357. In welchem Umfang Personalrat bzw. Betriebsrat für die gestellten Ar- 213 beitnehmer zuständig sind, bestimmt sich allerdings unabhängig davon, ob ein Wahlrecht zu dem jeweiligen Gremium besteht358. Ausschlaggebend ist hier vielmehr, ob das arbeitsvertragliche „Grundverhältnis“ betroffen ist, das weiterhin zum öffentlichen Arbeitgeber besteht oder das tagtägliche Weisungsrecht, das auf den privaten Arbeitgeber übertragen wurde359. Insofern obliegt die Mitbestimmung etwa bezüglich Versetzun354 Vgl. § 9 Abs. 2 PersVG Hess., § 13 Abs. 2 PersVG Thür., § 11 Abs. 4 PersVG Nds., § 13 Abs. 2 PersVG Sachs. Wahlrechtlich wird die Personalgestellung wie eine Zuweisung bzw. Abordnung behandelt, Altvater, § 13 BPersVG Rz. 20; VG Köln vom 28.6.2011 – 33 Kk 1198/11.PVB wendet § 13 Abs. 2 BPersVG analog an für die gesetzliche Zuweisung an ein Job-Center gem. § 44g SGB II. 355 Vgl. § 12 Abs. 2 PersVG Berlin. 356 Art. 9 des Gesetzes zur Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung und zur Änderung und Anpassung weiterer Vorschriften v. 29.7.2009, BGBl. I, 2424. 357 LAG Schl.-Holst. v. 5.4.2011 – 2 TaBV 35/10, PersV 2012, 31; LAG Berlin v. 16.2.2011 – 15 TaBV 2347/10; LAG Stuttgart v. 21.9.2010 – 14 TaBV 3/10, hinsichtlich § 38 Abs. 1 BetrVG bestätigt durch BAG v. 15.12.2011 – 7 ABR 65/10, NZA 2012, 519; Heise/Fedder, NZA 2009, 1069; Thüsing, BB 2009, 2036. 358 von Roetteken, PersR 2011, 366 f. 359 BAG v. 9.6.2011 – 6 AZR 132/10, PersR 2011, 396; LAG Hannover v. 8.3.2011 – 3 TaBV 118/09; Fitting, § 5 BetrVG Rz. 311a; Hamann, jurisPR-ArbR 33/2011 Anm. 7; von Roetteken, PersR 2011, 366 (368), Löwisch, BB 2009, 2316; Heise/Fedder, NZA 2009, 1069; Thüsing, BB 2009, 2036. Schuster/Lorenzen
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gen, Abmahnungen oder Kündigungen weiterhin dem Personalrat der Stammdienststelle des gestellten Arbeitnehmers360. Dagegen richten sich die Entscheidungen über die Lage der Arbeitszeit, Anordnung von Überstunden, technische Kontrollen oder Arbeitsschutz nach den Beteiligungsrechten des Betriebsverfassungsrechts361. Werden die Zuständigkeiten vertraglich zwischen dem öffentlichen Arbeitgeber und Dritten anders verteilt, ändert sich die Zuständigkeit der Arbeitnehmervertretungen wohl entsprechend362. 5. Personalgestellungsvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Drittem 214 Nach Satz 2 der Protokollerklärung zu § 4 Abs. 3 TVöD werden die Modalitäten der Personalgestellung zwischen Arbeitgeber und Drittem vereinbart. Zwischen der öffentlich-rechtlichen Einrichtung und der Erwerbergesellschaft müssen daher zumindest folgende Punkte geregelt werden: – Erstattungsanspruch der kommunalen Einrichtung für alle Lohn- und Gehaltskosten einschließlich etwaiger Steuern und der Kosten für die Erstellung der Abrechnungen. – Keine Verpflichtung der kommunalen Einrichtung, Ersatzkräfte zu stellen, sofern überlassene Arbeitnehmer ausfallen. – Haftungsausschluss der kommunalen Einrichtung für Schäden, die ihre Arbeitnehmer verursachen, soweit sie nicht auf ihren Weisungen beruhen. – Freistellung der kommunalen Einrichtung von etwaigen Ansprüchen Dritter gegen die gestellten Arbeitnehmer. – Anzeigepflicht des Erwerbers gegenüber der kommunalen Einrichtung bei Arbeitsunfällen. – Regelung des Umfangs des übertragenen Weisungsrechts und Verpflichtung zur Erteilung der hierfür erforderlichen Vollmachten. – Mögliche Verpflichtung der privaten Gesellschaft, die personalvertretungsrechtlichen Bestimmungen über die Mitbestimmungsrechte des Personalrats einzuhalten.
360 BAG v. 9.6.2011 – 6 AZR 132/10, PersR 2011, 396; von Roetteken, PersR 2011, 366 (368). 361 BAG v. 9.6.2011 – 6 AZR 132/10, PersR 2011, 396; LAG Hannover v. 8.3.2011 – 3 TaBV 118/09; Fitting, § 5 BetrVG Rz. 311a; Hamann, jurisPR-ArbR 33/2011 Anm. 7; von Roetteken, PersR 2011, 366 (368), Löwisch, BB 2009, 2316; Heise/Fedder, NZA 2009, 1069; Thüsing, BB 2009, 2036; Gronimus/ Kröll in Privatisierung, Teil 6, Rz. 456 ff. 362 BAG v. 23.6.2009 – 1 ABR 30/08, NZA 2009, 1162; Fitting, § 5 BetrVG Rz. 311a.
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– Verpflichtung der privaten Gesellschaft, die für die Einstellung neuen Personals erforderlichen Ausschreibungen zu veranlassen und Vorschläge zur Einstellung geeigneter Personen zu machen. – Verbleib der Entscheidung über die Einstellung von Personal bei der kommunalen Einrichtung. – Entsprechende Regelung für die Kündigung, Änderungskündigung oder Abmahnung von Mitarbeitern.
II. Die Beschäftigung von Beamten in privatisierten Unternehmen Bei der Privatisierung von kommunalen Einrichtungen können auch 215 Dienststellen mit Beamten betroffen sein. Im Gegensatz zu den Angestellten sind Beamte keine Arbeitnehmer. Sie stehen in keinem Arbeitsverhältnis und gehen daher auch bei einer Umwandlung oder einem Betriebsübergang nicht gemäß § 324 UmwG, § 613a BGB de lege über363. Beamte unterliegen einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treuever- 216 hältnis zu ihrem Dienstherrn. Die Möglichkeit, Dienstherr eines Beamten zu sein, haben wegen Art. 33 Abs. 4 und 5 GG nach § 2 BeamtStG364 neben dem Bund, den Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbänden nur diejenigen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, denen diese Möglichkeit durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes verliehen wird. Deshalb können Beamte nach einer Organisationsprivatisierung grundsätzlich nicht von einer privaten Gesellschaft weiterbeschäftigt werden365. Das gilt erst recht, wenn eine öffentlich-rechtliche Einheit vollständig auf einen privaten Arbeitgeber übergeleitet wird. Mit der aufkommenden Privatisierung und den „Testfällen“ Bahn und 217 Post wurden die ersten Modelle einer dauerhaften Überleitung von Beamten bei privatisierten Unternehmen entwickelt. Eine erste allgemeine Regelung schuf der Gesetzgeber mit der Zuweisung in § 123a BRRG366 Der bei Privatisierungen vor allem relevante § 123a Abs. 2 BRRG wurde im Jahr 1997 eingeführt367. Er regelt eine Zuweisung ohne Zustimmung des Beamten, die auf organisatorische Änderungen durch Privatisierung zugeschnitten ist. Mit der Föderalismusreform im Jahr 2006368 haben sich die Zuständigkeiten im Beamtenrecht geändert. Das Beamtenrechtsrahmen363 BAG v. 25.2.1998 – 7 ABR 11/97, NZA 1998, 832 (839). 364 Zuvor § 121 BRRG. 365 BVerfG v. 27.4.1959 – 2 BvF 2/58, BVerfGE 9, 268 (281), NJW 1959, 1171 (1172); StGH Bremen v. 15.1.2002 – St 1/01, NVwZ 2003, 81. 366 Mit Gesetz v. 28.5.1990, BGBl. I, 967. 367 Art. 1 Nr. 20 Nr. 1 des Gesetzes zur Reform des öffentlichen Dienstrechts (Reformgesetz) vom 24.2.1997, BGBl. I, 322. Ausführlich zum Gesetz Battis, NJW 1997, 1033 ff.; Schnellenbach, NVwZ 1997, 521 ff. 368 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 28.8.2006, BGBl. I, 2034. Schuster/Lorenzen
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gesetz (BRRG) wurde in weiten Teilen aufgehoben. § 123a BRRG gilt nur noch als Rechtsgrundlage für frühere Zuweisungen fort369. Für alle Zuweisungen ab dem 1.4.2009 gilt für Landesbeamte der § 20 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG)370. Insbesondere § 20 Abs. 2 BeamtStG, der die Zuweisung zu organisationsprivatisierten Unternehmen regelt, stimmt weitestgehend mit der Vorgängerregelung, § 123a Abs. 2 BRRG, überein371. Für Bundesbeamte gilt nunmehr der § 29 BBG372. Wie die vorige Regelung ist die Zuweisung in § 20 Abs. 2 BeamtStG jedoch nicht umfassend, so dass auch frühere Überleitungsmodelle weiterhin Bedeutung haben. 1. Zuweisung nach § 20 Abs. 2 BeamtStG – Voraussetzungen 218 Die Vorschrift des § 20 Abs. 2 BeamtStG regelt einen speziellen Fall der Dienstleistungsüberlassung. Damit können Beamte unter Verlust ihres konkreten Aufgabenbereichs (des konkret-funktionellen Amts oder Dienstpostens) in einer privatisierten Einheit dauerhaft eingesetzt werden, obwohl sie bei ihrem bisherigen Dienstherrn beschäftigt bleiben. Es werden nur beschäftigungsbezogene, fachlich-betriebliche Weisungsbefugnisse übertragen, nicht aber Dienstherrnbefugnisse373. Die Norm ist in den Gemeinden direkt anwendbar. Sie ist zur Klarstellung jedoch auch in landesrechtliche Beamtengesetze wie etwa § 87 Abs. 5 des LBG Brandenburg aufgenommen worden. Die rechtmäßige Zuweisung eines Beamten nach § 20 Abs. 2 BeamtStG unterliegt dabei folgenden Voraussetzungen: – „Umwandlung“ einer Dienststelle – Zuweisungsobjekt ist eine privatrechtliche Einrichtung der öffentlichen Hand – Öffentliche Interessen für die Zuweisung – Zuweisung einer dem bisherigen Amt entsprechenden Tätigkeit Dauerhaft – Beachtung etwaiger Mitbestimmungsrechte – Pflichtgemäße Ermessensausübung
369 BVerwG v. 25.10.2007 – 2 C 30.07, ZBR 2008, 128. § 123a Abs. 2 wurde 1997 eingeführt mit Art. 1 Nr. 20 Nr. 1 des Gesetzes zur Reform des öffentlichen Dienstrechts (Reformgesetz) vom 24.2.1997, BGBl. I, 322. Ausführlich zum Gesetz Battis, NJW 1997, 1033 ff.; Schnellenbach, NVwZ 1997, 521 ff. 370 Gesetz zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten in den Ländern v. 17.6.2008, BGBl. I, 2010. 371 Baßlsperger, PersV 2008, 404 (410). 372 BBG i.d.F. vom 5.2.2009 aufgrund des Dienstrechtneuordnungsgesetzes v. 5.2.2009, BGBl. I, 160. 373 Schönrock, ZBR 2010, 222 (227).
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Dazu im Einzelnen: a) „Umwandlung“ einer Dienststelle Die erste Voraussetzung ist, dass eine Dienststelle in eine privatrechtlich 219 organisierte Einheit umgewandelt wird374. Dies erfasst nicht nur eine vollständige Ausgliederung, sondern auch eine teilweise Umbildung der Dienststelle375. § 20 Abs. 2, 2. Alt. BeamtStG376 ist somit nur Grundlage für die Zuweisung von Beamten aus der zu privatisierenden in die privatisierte Einheit in zeitlichem Zusammenhang mit der Umbildung377. Er kann nicht als Grundlage für eine spätere Zuweisung an die privatisierte Einheit oder für die Zuweisung an andere privatrechtliche Gesellschaften dienen378. b) Privatrechtliche Einrichtung der öffentlichen Hand Das Unternehmen, dem der Beamte zugewiesen werden soll, muss pri- 220 vatrechtlich organisiert sein, etwa eine GmbH nach Umwandlung eines kommunalen Eigenbetriebs. Gleichzeitig muss es sich um eine privatrechtlich organisierte Einrichtung der öffentlichen Hand handeln, § 20 Abs. 2, 2. Alternative BeamtStG. Die Vorschrift erfasst damit nur Fälle der Organisationsprivatisierung, nicht aber Fälle der materiellen Privatisierung. Die Gemeinde muss in der privatisierten Einrichtung eine beherrschende Stellung innehaben379. Dies kann durch eine Mehrheitsbeteiligung oder einen entsprechenden Zusatz im Gesellschaftsvertrag er374 In der bis zum 30.6.2002 gültigen Fassung des § 123a Abs. 2 BRRG war Tatbestandsmerkmal, dass eine Dienstelle „umgebildet wird“. Die auf das Besoldungsstrukturgesetz vom 21.6.2002 zurückgehende Änderung soll aber ausweislich ihrer Begründung in BT-Drs. 14/6390, 17 die Fälle möglicher Zuweisung erweitern. Es ist deshalb davon auszugehen, dass hier nicht alle Umbildungen ausgeschlossen werden sollten, die auf Rechtsgeschäft beruhen. „Umwandeln“ ist damit nicht im rechtstechnischen Sinne des Umwandlungsgesetzes zu verstehen, sondern umfasst auch andere Umbildungen. 375 Steuck, ZBR 1999, 150 (151). 376 Schon durch Art. 2 Nr. 2 lit. a BesStruktG; Begründung in BT-Drs. 14/6390, 17 wurde 2002 in § 123a Abs. 2 BRRG eingefügt. Danach konnten Beamte auch einer öffentlich-rechtlich organisierten Einrichtung ohne Dienstherreneigenschaft zugewiesen werden, also vornehmlich Stiftungen oder Anstalten des öffentlichen Rechts. Diese Möglichkeit hat auch § 20 Abs. 2 erste Alternative BeamtStG übernommen. Da es sich hierbei um behördliche Umorganisation handelt und nicht um eine Privatisierung, wird auf diese erste Alternative nicht weiter eingegangen. 377 Schönrock, ZBR 2002, 306 (306); Kröll, PersR 1998, 62. 378 Eine vorübergehende Zuweisung mit Zustimmung des Beamten an eine private Einrichtung ist nunmehr auf der Grundlage der § 20 Abs. 1 Nr. 2 BeamtStG bzw. § 29 Abs. 1 Nr. 2 BBG möglich; Battis, § 29 BBG Rz. 5. 379 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses v. 25.6.1996, BTDrs. 13/5057, 64; Kathke, Versetzung, ZBR 1999, 325 (341); Sterzel in Privatisierung, Teil 6, Rz. 215; Schönrock, ZBR 2010, 222 (228). Schuster/Lorenzen
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reicht werden380. Der Dienstherr soll verhindern können, dass Weisungen durch die Gesellschafter und die Gehorsamspflicht des Beamten gegenüber dem Dienstherrn auseinander fallen381. 221 Sofern die Gemeinde nach der Privatisierung keine beherrschende Kontrolle mehr über die privatisierte Einheit hat, kann ein Beamter ihr nicht nach § 123a Abs. 2 BRRG zugewiesen werden. In diesem Fall kommt eventuell eine allgemeine Dienstleistungsüberlassung in Betracht (dazu unten Rz. 228 ff.). c) Öffentliche Interessen 222 Als weitere Voraussetzung nennt § 20 Abs. 2 BeamtStG „öffentliche Interessen“. Hierbei handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum, der voll der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt382. Nach wie vor fehlen jedoch höchstrichterliche Entscheidungen zur Auslegung dieses Begriffs. Das öffentliche Interesse besteht regelmäßig, wenn wichtige öffentliche Aufgaben wahrgenommen werden383. Ein öffentliches Interesse kann aber auch darin liegen, dass das private Unternehmen die Aufgabe durch qualifiziertes Personal zuverlässig und flexibel erfüllen soll384. 223 Das Bedürfnis musste nach § 123a BRRG außerdem dringlich sein. Dies sollte dann der Fall sein, wenn die zuverlässige Aufgabenerfüllung nur durch Überleitung der Beamten zu gewährleisten ist385. Die Anwendung machte Schwierigkeiten. Das Interesse sei auch dann dringend, wenn für die von der Privatisierung betroffenen Beamten auf Lebenszeit keine andere Beschäftigungsmöglichkeit besteht, sie aber auch nicht entlassen werden durften386. Ferner wurde vertreten, dass ein dringendes Interesse bestehe, wenn ein Bundesgesetz zur Gründung privatisierter Einheiten verpflichtet und diese ohne Übergangsfrist öffentliche Aufgaben erfüllen müssen. Es sei dann in der Startphase die Zuweisung von Beamten dringlich, um das Gesetz umzusetzen387. Indem das Merkmal „dringend“ in § 20 Abs. 2 BeamtStG entfallen ist, ergibt sich der gesetzgeberische Wille, an das öffentliche Interesse keine besonders hohen Anforderungen zu stellen. Da die Zuweisung nach § 20 Abs. 2 BeamtStG jedoch beamten380 381 382 383 384
Mikisch, DöD 2004, 189 (190); Vogelgesang, PersV 2005, 4 (6). Ausführlich dazu Schönrock, Beamtenüberleitung, S. 39 f. Steuck, ZBR 1999, 150 (151). Steuck, ZBR 1999, 150 (151); Sterzel in Privatisierung, Teil 6, Rz. 216. Kathke, ZBR 1999, 325 (342); Battis, § 29 BBG Rz. 5; Schönrock, ZBR 2002, 306 (307). 385 Kathke, ZBR 1999, 325 (342); OVG Berlin v. 27.5.2003 – 4 S 7.03, n.v. 386 Schönrock, Beamtenüberleitung, S. 52 f.; VG Sigmaringen v. 8.3.2000 – 2 K 482/00, n.v.; OVG Berlin v. 27.5.2003 – 4 S 7.03, n.v. 387 So diskutiert für die ARGE i.S.d. § 44b SGB II: Mikisch, DöD 2004, 189 (190); Ruge/Vorholz, DVBl 2005, 403 (410) bejaht ein solches dringendes öffentliches Interesse gem. § 123a Abs. 1 Satz 2 BRRG.
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rechtlich weiterhin eine Ausnahme darstellt, dürften etwa rein fiskalische Erwägungen als öffentliches Interesse noch nicht reichen388. Insbesondere das Interesse, Beamte weiterzubeschäftigen, für die es beim öffentlichen Dienstherrn keine Verwendung mehr gibt, wird jedoch im Regelfall im öffentlichen Interesse liegen389. d) Dauerhafte Zuweisung einer dem Amt entsprechenden Tätigkeit Anders als § 20 Abs. 1 BeamtStG ist für die Zuweisung nach Abs. 2 tat- 224 bestandlich nicht vorausgesetzt, dass sie „vorübergehend“ sein muss. Ihrer Funktion entsprechend, Beamte auf organisationsprivatisierte Unternehmen „überzuleiten“, kann die Zuweisung nach § 20 Abs. 2 BeamtStG also auf Dauer erfolgen390. Den Beamten muss eine ihrem statusrechtlichen Amt entsprechende Tätigkeit zugewiesen werden. Ergänzend stellt § 20 Abs. 3 BeamtStG klar, dass die Rechtsstellung des zugewiesenen Beamten unberührt bleibt. Durch die Regelungen soll erreicht werden, dass die übergeleiteten Beamten nicht längerfristig unterwertig beschäftigt werden391. Maßgebend ist dabei die Zugehörigkeit zu Laufbahn, Laufbahngruppe, Amtsbezeichnung und Besoldungsgruppe, durch die das statusrechtliche Amt definiert wird392. Der Zugewiesene hat Anspruch auf einen Aufgabenbereich, der seinem Amt im abstrakt- und konkret-funktionellen Sinne entspricht393. Die Zuweisung nach § 20 Abs. 2 BeamtStG ist in dieser Hinsicht enger als die Abordnung nach § 14 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG394, mit der Beamten vorübergehend auch eine nicht ihrem Amt entsprechende Tätigkeit zugewiesen werden kann. Da in der Privatwirtschaft keine Dienstposten zur Verfügung stehen, müssen die Tätigkeiten bei dem privaten Unternehmen letztlich Besoldungsgruppen zugeordnet werden, um im Einzelfall sicherzustellen, dass sie dem bisherigen Amt entsprechen395.
388 Sterzel in Privatisierung, Teil 6, Rz. 216. 389 Steuck, ZBR 1999, 150 (152); Schönrock, ZBR 2010, 222 (228); vgl. auch Battis, § 29 BBG Rz. 7. 390 Schönrock, ZBR 2010, 222 (228); Altvater, § 76 BPersVG Rz. 61. 391 Vgl. BVerwG v. 25.10.2007, NVwZ-RR 2008, 268 für eine behördliche Reorganisation. 392 BVerwG v. 24.1.1991 – 2 C 16.88, BVerwGE 87, 310 (313), NJW 1991, 2980; VGH BW v. 20.4.1995 – 4 S 3134/94, DÖD 1996, 114; Schönrock, ZBR 2002, 306 (307); Mikisch, DÖD 2004, 189 (190). 393 BVerwG v. 22.6.2006 – 2 C 26.05, NVwZ 2007, 101; Schönrock, ZBR 2008, 230. 394 Entspricht § 27 Abs. 2 Satz 1 BBG für Bundesbeamte. 395 Schönrock, ZBR 2002, 306 (307); Mikisch, DÖD 2004, 189 (190). Schuster/Lorenzen
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e) Zustimmungserfordernisse 226 Die Zustimmung des Beamten ist nach § 20 Abs. 2 BeamtStG nicht erforderlich396. Erfolgt die Zuweisung für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten, besteht ein Mitbestimmungsrecht des Personalrats der abgebenden Dienststelle nach § 76 Abs. 1 Nr. 5a BPersVG und den vergleichbaren landesrechtlichen Vorschriften397. Dieses Mitbestimmungsrecht ist aber gemäß §§ 69 Abs. 4 und 104 Satz 3 BPersVG bzw. dem entsprechenden Landespersonalvertretungsrecht dahin eingeschränkt, dass bei fehlender Einigung die oberste Dienstbehörde die letzte Entscheidung trifft. f) Ermessen 227 Bei der Zuweisung nach § 20 Abs. 2 BeamtStG muss der Dienstherr sein Ermessen korrekt ausüben. Sofern die Zuweisung eines Beamten gegen dessen Willen erfolgt, muss sie zweckmäßig, erforderlich und angemessen sein. Im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist das Erfordernis der Zuweisung sorgfältig gegen die schutzwürdigen Interessen des jeweils betroffenen Beamten abzuwägen398. 2. Allgemeine Dienstleistungsüberlassung – Voraussetzungen 228 Bei der allgemeinen Dienstleistungsüberlassung überlässt die Gemeinde dem privaten Unternehmen nur die Dienstleistungen des Beamten. Der Beamte übt weiterhin seinen Dienstposten aus und stellt dem privaten Unternehmen die Ergebnisse der Tätigkeit zur Verfügung399. Seine Zustimmung ist auch für die Dienstleistungsüberlassung nicht erforderlich. 229 Vor Inkrafttreten des § 123a Abs. 2 BRRG wurden Beamte bei privaten Unternehmen auf der Grundlage allgemeiner Dienstleistungsüberlassung eingesetzt. Die Rechtsprechung hat die Figur grundsätzlich anerkannt400, im Einzelnen blieb sie jedoch umstritten401. Diese Form der Überlassung diente neben den Erfahrungen der Postreform bei der Schaffung des § 123a Abs. 2 BRRG als Vorbild402. Ob die allgemeine Dienstleistungsüberlassung trotz gesetzlicher Regelung der Zuweisung anwendbar bleibt,
396 Zur Verfassungsmäßigkeit des fehlenden Zustimmungserfordernis Sterzel in Privatisierung, Teil 6, Rz. 224 ff., im Ergebnis verneinend für die dauerhafte Zuweisung. 397 Altvater, § 76 BPersVG Rz. 61 ff., Synopse zu § 76 Abs. 1, S. 1215. 398 Zur Ermessensausübung hinsichtlich der Beendigung einer Zuweisung gem. § 123a Abs. 2 BRRG: OVG Berlin v. 27.5.2003 – 4 S 7.03, n.v. 399 Sterzel in Privatisierung, Teil 6, Rz. 279. 400 BVerwG v. 7.6.1984 – 2 C 84.81, BVerwGE 69, 303, NVwZ 1985, 197; VG Wiesbaden v. 22.11.2006 – 8 E 873.06. 401 Kritisch etwa Lecheler, NVwZ 1989, 834 (837). 402 Hofmann, ZTR 1996, 493 (494).
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ist streitig403. Der Gesetzgeber führt mit § 123a Abs. 2 BRRG bzw. jetzt § 20 Abs. 2 BeamtStG eine recht einschneidende Rechtsfolge für den Beamten ein, nämlich dass er (dauerhaft) das konkret-funktionelle Amt verliert. Deshalb ist diese Zuweisung an enge Voraussetzungen gebunden, etwa dass sie nur bei Organisationsprivatisierungen und im öffentlichen Interesse zulässig ist. Demgegenüber ist die allgemeine Dienstleistungsüberlassung eine weniger weitreichende Maßnahme, die außerhalb des Regelungsbereichs des § 20 Abs. 2 2. Alt. BeamtStG liegt. Die Überlassung von Dienstleistungsergebnissen unter Erhalt des konkret-funktionellen Amts muss somit unter den bislang anerkannten Voraussetzungen auch weiterhin gültig sein. Der Anwendungsbereich der allgemeinen Dienstleistungsüberlassung bleibt damit vor allem für materielle Privatisierungen von Interesse. Rechtsgrundlage ist das allgemeine Anweisungsrecht aus § 35 Satz 2 BeamtStG404. Die Voraussetzungen der allgemeinen Dienstleistungsüberlassung entsprechen weitgehend den Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 2. Alt. BeamtStG. Dennoch gibt es einige wesentliche Unterschiede:
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a) Privatisierung einer öffentlichen Einrichtung nicht erforderlich Im Gegensatz zu § 20 Abs. 2 BeamtStG muss der Beamte nicht aus einer 231 Dienststelle stammen, die gerade umgeformt wird, noch muss überhaupt eine Einrichtung privatisiert werden. Darüber hinaus werden nicht nur die Fälle der Organisationsprivatisierung erfasst, sondern auch Fälle der vollständigen Übertragung an einen privaten Erwerber. Insofern ist der Anwendungsbereich der allgemeinen Dienstleistungsüberlassung wesentlich weiter als der des § 20 Abs. 2 BeamtStG. Dies wird damit erkauft, dass nur eine geringere Übertragung des Weisungsrechts zulässig ist405. b) Öffentliche Interessen Für eine Dienstleistungsüberlassung ist kein öffentliches Interesse not- 232 wendig. Es ist bei § 20 Abs. 2 BeamtStG erforderlich, weil der Beamte 403 Eine vertragliche Dienstleistungsüberlassung sieht etwa auch das materiell privatisierende baden-württembergische Landesgesetz über die Bewährungsund Gerichtshilfe sowie die Sozialarbeit im Justizvollzug (LBGS) v. 13.7.2004 vor. Es ist allerdings wegen der geregelten materiellen Privatisierung der genannten sozialen Justizdienste umstritten. Ablehnend Vogelgesang, PersV 2005, 4 (7); Bauschke, ZTR 2005, 338 (343); Sterzel in Privatisierung, Teil 6, Rz. 282 ff.; VG Sigmaringen v. 8.3.2000 – 2 K 482/00, n.v.; offen gelassen VG Wiesbaden v. 22.11.2006 – 8 E 873.06. 404 Bzw. § 62 Abs. 1 Satz 2 BBG; BVerwG v. 7.6.1984 – 2 C 84.81, BVerwGE 69, 303, NVwZ 1985, 197 (198). 405 BVerwG v. 7.6.1984 – 2 C 84.81, BVerwGE 69, 303, NVwZ 1985, 197; im konkreten Fall ging es allerdings um ein privatrechtlich organisiertes Unternehmen der öffentlichen Hand; VG Wiesbaden v. 22.11.2006 – 8 E 873.06. Schuster/Lorenzen
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sein konkret-funktionelles Amt verliert und dies nicht ohne wichtigen Grund geschehen soll. Im Fall der Dienstleistungsüberlassung behält der Beamte aber das konkret-funktionelle Amt406. 3. Rechtsfolgen der Zuweisung nach § 20 Abs. 2 BeamtStG und der allgemeinen Dienstleistungsüberlassung 233 Die Rechtsfolgen einer Zuweisung nach § 20 Abs. 2 2. Alt. BeamtStG und einer Dienstleistungsüberlassung sind weitgehend identisch. Aus dem grundsätzlichen Unterschied hinsichtlich Erhalt bzw. Verlust des konkret-funktionellen Amts des überlassenen Beamten ergeben sich jedoch einige Abweichungen. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich daher auf beide Formen, weisen aber auf die Unterschiede hin. a) Fortführung des Dienstverhältnisses aa) Rechtsstellung der Beamten 234 Die Rechtsstellung der übergeleiteten Beamten bleibt unberührt. Für die Zuweisung ist dies ausdrücklich in § 20 Abs. 3 BeamtStG geregelt. Hiervon ist jedenfalls umfasst, dass mit der Überleitung kein Dienstherrenwechsel einhergeht. Der Dienstherr übt auch weiterhin seine Dienstherrenbefugnisse als Dienstvorgesetzter aus. Ferner bleibt den Beamten beim privaten Unternehmen ihr Amt im statusrechtlichen Sinne (Laufbahn, Laufbahngruppe, Besoldungsgruppe, Amtsbezeichnung) erhalten. Damit bleiben insbesondere die Vorzüge des Beamtenstatus bestehen, wie etwa die Alimentation, die Fürsorgepflicht des Dienstherrn und der Grundsatz der Beschäftigung auf Lebenszeit407. Gleichzeitig obliegen dem Beamten die gleichen beamtenrechtlichen Pflichten wie zuvor. Eindeutig ist auch, dass ein Beamter bei der allgemeinen Dienstleistungsüberlassung sein konkret-funktionelles Amt behält (individuell übertragene Aufgaben, Dienstposten)408. Abweichend davon verlieren gem. § 20 Abs. 2 BeamtStG zugewiesene Beamte das Amt im konkret-funktionellen Sinne und haben keinen Anspruch, die bisher ausgeübte Tätigkeit fortzusetzen409.
406 Vgl. BVerwG v. 7.6.1984 – 2 C 84.81, BVerwGE 69, 303, NVwZ 1985, 197 (198 f.); VG Wiesbaden v. 22.11.2006 – 8 E 873.06. 407 Sterzel in Privatisierung, Teil 6, Rz. 289; Schönrock, Beamtenüberleitung, S. 90. 408 BVerwG v. 7.6.1984 – 2 C 84.81, BVerwGE 69, 303, NVwZ 1985, 197 (198 f.); OVG Greifswald v. 5.7.2011 – 2 M 64.11; VG Wiesbaden v. 22.11.2006 – 8 E 873.06. 409 BAG v. 12.8.1997 – 1 ABR 7/97, NZA 1998, 273 (278); Battis, § 29 BBG Rz. 8 f.; Pechstein, ZBR 2004, 293; Für den Erhalt des „Amts im funktionellen Sinn“ Schönrock, ZBR 2002, 306 (309 f.).
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bb) Weisungsrechte des privaten Unternehmens Weder bei der Zuweisung nach § 20 Abs. 2 2. Alt. BeamtStG noch bei der 235 allgemeinen Dienstleistungsüberlassung werden Dienstherrenbefugnisse auf das private Unternehmen übertragen. Eine personenbezogene Kontrolle des privaten Unternehmens gegenüber dem Beamten scheidet damit aus410. Die Kompetenz, personalrechtliche Entscheidungen zu treffen, bleibt beim Dienstherrn. Dies betrifft nicht nur eine mögliche Entlassung, sondern auch Versetzung, Beförderung und alle Maßnahmen, die das Beamtenverhältnis betreffen. Bei der Zuweisung gem. § 20 Abs. 2 2. Alt. BeamtStG übt der Beamte 236 beim privaten Unternehmen gegebenenfalls eine neue Tätigkeit aus. Insofern wird das fachliche Weisungsrecht auf die privatisierte Einrichtung übertragen, soweit es die Dienstausübung im Betrieb erfordert411. Der Vorgesetzte i.S.d. § 35 Satz 1 BeamtStG412, der dem Beamten für seine Tätigkeit fachliche Anordnungen erteilt, kommt bei der Zuweisung also aus der privatisierten Einrichtung. Da bei der allgemeinen Dienstleistungsüberlassung das konkret-funktio- 237 nelle Amt erhalten bleibt, liegt die Verantwortlichkeit für die Tätigkeit der überlassenen Beamten beim Dienstherrn413. Das private Unternehmen hat keinen Anspruch auf die Dienstleistung i.S.d. § 611 BGB, sondern ihm wird nur ein Anspruch auf das Ergebnis der Dienstleistung übertragen414. Das private Unternehmen hat deshalb auch kein umfassendes fachliches Direktionsrecht. Ihm steht lediglich ein sachbezogenes Kontrollrecht des Dienstleistungsergebnisses zu415. Dienstrechtliche Maßnahmen und Weisungen werden von dem privaten Unternehmen an den Dienstherrn weitergeleitet, der diese dann nach Prüfung gegenüber dem Beamten ausspricht. Auf diese Art und Weise ist sichergestellt, dass das dienstliche Weisungsrecht unbeeinträchtigt bleibt. Die Dienstpläne sind daher dem Dienstherrn zur Genehmigung vorzulegen. Der Dienstherr kann dem Unternehmen allerdings solche Befugnisse übertragen, die nur auf Antrag oder mit Zustimmung des Beamten vorgenommen werden, wie etwa die Gewährung von Urlaub oder Dienstbefreiung. Sofern vom Antrag abgewichen werden soll, ist aber wiederum eine Entschei410 BVerwG v. 7.6.1984 – 2 C 84.81, BVerwGE 69, 303, NVwZ 1985, 197 (199); OVG Greifswald v. 5.7.2011 – 2 M 64.11; Schönrock, ZBR 2002, 306 (310 f.). 411 OVG Greifswald v. 5.7.2011 – 2 M 64.11; VG Sigmaringen v. 26.6.2008 – 6 K 512.07; Steuck, ZBR 1999, 150 (153); Vogelgesang, PersV 2005, 4 (6); Schönrock, ZBR 2002, 306 (311); Mikisch, DÖD 2004, 189 (191); VGH BW v. 26.1.1995 – 4 S 3368/94, NVwZ-RR 1996, 540 f. zur Privatisierung der Bahn; m.w.N. Sterzel in Privatisierung, Teil 6, Rz. 290, Fn. 501. 412 Bzw. § 3 Abs. 3 BBG und entsprechende landesbeamtenrechtliche Normen. 413 VG Wiesbaden v. 22.11.2006 – 8 E 873.06; so auch Hofmann, ZTR 1996, 493. 414 BVerwG v. 7.6.1984 – 2 C 84.81, BVerwGE 69, 303, NVwZ 1985, 197 (199); VG Wiesbaden v. 22.11.2006 – 8 E 873.06. 415 BVerwG v. 7.6.1984 – 2 C 84.81, BVerwGE 69, 303, NVwZ 1985, 197 (199); VG Wiesbaden v. 22.11.2006 – 8 E 873.06. Schuster/Lorenzen
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dung des Dienstherrn notwendig. Auch ein Leiharbeitsverhältnis liegt nicht vor416. 238 Von der Rechtsprechung wurde anerkannt, dass in besonderen Situationen vorläufige Weisungen durch das private Unternehmen ausgesprochen werden dürfen. Diese sind dann aber unverzüglich dem Dienstherrn zu melden und zu dessen Disposition zu stellen417. cc) Widerspruch gegen die Zuweisungs- bzw. Überlassungsverfügung 239 Statthaftes Rechtsmittel gegen die Zuweisungsverfügung ist der Widerspruch, § 54 Abs. 2 BeamtStG, §§ 68 ff. VwGO. Der Widerspruch des Beamten hat aufschiebende Wirkung418. Die Ausnahmeregelung des § 54 Abs. 4 BeamtStG, § 126 Abs. 3 Nr. 3 BRRG betrifft nach ihrem Wortlaut nur die Abordnung und die Versetzung. Bei § 20 Abs. 2 BeamtStG handelt es sich jedoch um eine Zuweisung. Da § 54 Abs. 4 BeamtStG eine Ausnahme zu § 80 Abs. 1 VwGO regelt, ist diese Vorschrift eng auszulegen; eine analoge Anwendung kommt daher nicht in Betracht. Der Dienstherr müsste also im Falle eines Widerspruchs die sofortige Vollziehung anordnen und gesondert begründen419. 240 Die Dienstleistungsüberlassung ist eine Anweisung an den Beamten, das Amt in gewissen Räumlichkeiten auszuüben und das Ergebnis der Tätigkeit einer bestimmten juristischen Person zur Verfügung zu stellen. Die Überlassungsverfügung betrifft nicht das Außenverhältnis und wird deshalb üblicherweise nicht als Verwaltungsakt eingeordnet. Vielmehr handelt es sich um eine interne Anweisung gem. § 35 Satz 2 BeamtStG420, gegen die nicht der Widerspruch, sondern die Remonstration der richtige Rechtsbehelf ist421. Soweit der Beamte eine Verletzung seiner Grundrechtspositionen geltend machen kann, sind allerdings der Widerspruch und eine anschließende Feststellungsklage zulässig. b) Begründung eines Arbeitsverhältnisses 241 Das beamtenrechtliche Dienstverhältnis und ein Arbeitsverhältnis schließen einander nicht aus422. Ob bei einer Zuweisung nach § 20 Abs. 2 BeamtStG oder einer Dienstleistungsüberlassung zusätzlich ein Arbeitsverhältnis begründet wird, ist eine Frage des Einzelfalls. Letztlich ist ein 416 BVerwG v. 7.6.1984 – 2 C 84.81, BVerwGE 69, 303, NVwZ 1985, 197 (199); VG Wiesbaden v. 22.11.2006 – 8 E 873.06. 417 BVerwG v. 7.6.1984 – 2 C 84.81, BVerwGE 69, 303, NVwZ 1985, 197 (199); VG Wiesbaden v. 22.11.2006 – 8 E 873.06. 418 Steuck, ZBR 1999, 150 (153). 419 Mikisch, DÖD 2004, 189 (191). 420 BVerwG v. 7.6.1984 – 2 C 84.81, BVerwGE 69, 303, NVwZ 1985, 197 (199). 421 Wind/Schimana/Wichmann/Langer, Öffentliches Dienstrecht, Rz. 211. 422 BAG v. 9.12.1992 – 5 AZR 143/92, n.v.; v. 4.12.1991 – 7 AZR 344/90, DB 1992, 948; v. 25.5.2005 – 7 AZR 402/04, NZA 2006, 858.
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Arbeitsverhältnis nur denkbar, sofern die Pflichten daraus nicht mit den Pflichten aus dem Dienstverhältnis in Konflikt geraten können. Das BAG hat eine Pflichtenkollision im Fall eines beurlaubten Beamten, der bei einer privatisierten Gesellschaft tätig wurde, ausdrücklich verneint. Ein mit seinem Einverständnis beurlaubter Beamter unterliegt gegenüber seinem öffentlichen Dienstherrn keiner Dienstleistungspflicht mehr. Es führt deshalb nicht zu einer Pflichtenkollision, wenn der Beamte ein Arbeitsverhältnis eingeht und sich zur Arbeitsleistung verpflichtet423. Im Falle einer Zuweisung nach § 20 Abs. 2 2. Alt. BeamtStG wird das konkret-funktionelle Amt ersetzt von einer Tätigkeit bei dem privaten Unternehmen, dessen fachlichem Direktionsrecht der Beamte unterworfen ist. Insofern ist hier ähnlich wie bei der Beurlaubung eine Pflichtenkollision nicht zu erwarten und ein zusätzliches Arbeitsverhältnis denkbar424. Bei einer Dienstleistungsüberlassung bleibt die Dienstleistung dem Dienstherrn geschuldet. Ein gleichzeitiges Arbeitsverhältnis mit dem privaten Unternehmen kann durchaus zu einer Pflichtenkollision führen. In diesem Fall ist daher, wenn überhaupt, nur ein subsidiäres Arbeitsverhältnis denkbar, bei dem die Regelungen aus dem Dienstverhältnis vorgehen. Sofern eine Pflichtenkollision nicht vorliegt, ist zur Begründung eines 242 Arbeitsverhältnisses entscheidend, ob ein entsprechender Parteiwille vorliegt425. Dieser Wille wird nicht immer ausdrücklich erklärt werden. Er ergibt sich aber dann, wenn das private Unternehmen mit dem Beamten arbeitsrechtliche Regelungen vereinbart, die eine der beiden Seiten zu einer Leistung verpflichtet, die über das hinausgeht, was durch das fachliche Weisungsrecht gedeckt ist426. Der Arbeitsvertrag umfasst dann auch nur die Regelungen, die über das Dienstverhältnis hinausgehen, wie z.B. das höhere Gehalt oder die erweiterte Arbeitszeit. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn die Gesellschaft den Beamten „befördert“, ohne dass vorher eine Einigung mit der Gemeinde erzielt wurde. Der Beamte bleibt dann statusrechtlich in seinem alten Amt, während er im Arbeitsverhältnis mit der Gesellschaft die höhere Position bekleidet. Das Schicksal dieses zusätzlichen Arbeitsverhältnisses folgt den allgemeinen Regeln427.
423 BAG v. 27.6.2001 – 5 AZR 424/99, AP 20 zu BGB § 611 Faktisches Arbeitsverhältnis; v. 25.5.2005 – 7 AZR 402/04, NZA 2006, 858. 424 BAG v. 27.6.2001 – 5 AZR 424/99, AP 20 zu BGB § 611 Faktisches Arbeitsverhältnis. 425 BAG v. 27.6.2001 – 5 AZR 424/99, AP 20 zu BGB § 611 Faktisches Arbeitsverhältnis. 426 BAG v. 27.6.2001 – 5 AZR 424/99, AP 20 zu BGB § 611 Faktisches Arbeitsverhältnis. 427 BAG v. 25.5.2005 – 7 AZR 402/04, NZA 2006, 858: Hier hat das BAG die Befristung des zusätzlichen Arbeitsverhältnisses anhand des TzBfG kontrolliert. Schuster/Lorenzen
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Pflichtverletzungen aus dem Arbeitsverhältnis können ein außerdienstliches Dienstvergehen begründen428. c) Anwendbarkeit kollektivrechtlicher Normen 243 Fraglich ist, ob auf Beamte in einer privatisierten kommunalen Einrichtung die dortigen Kollektivverträge, wie Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträge, anwendbar sind. 244 Betriebsvereinbarungen erstrecken sich in persönlicher Hinsicht grundsätzlich auf alle Arbeitnehmer des Betriebs i.S.d. § 5 Abs. 1 BetrVG. Hierzu zählten Beamte lange Zeit nicht, da und solange sie kein Arbeitsverhältnis mit dem Betriebsinhaber hatten429. Für das betriebsverfassungsrechtliche Arbeitsverhältnis wird allgemein jedoch nicht auf die vertragliche Bindung zum Betriebsinhaber abgestellt, sondern darauf, ob zu diesem ein arbeitsrechtliches Weisungsverhältnis besteht. Es wurde deshalb die Auffassung vertreten, dass Beamte, die so in den Betrieb des privaten Arbeitgebers eingegliedert sind, dass diesem ein Weisungsrecht zusteht, wie dessen Belegschaft unter das BetrVG fallen430. Diese unsichere Rechtslage hat der Gesetzgeber nunmehr behoben. Seit 2009431 stellt § 5 Abs. 1 Satz 3 BetrVG klar, dass als Arbeitnehmer des Betriebes auch Beamte gelten, die in organisationsprivatisierten Unternehmen tätig sind432. Bei der allgemeinen Dienstleistungsüberlassung ist eine Übertragung des fachlichen Weisungsrechts allerdings gerade nicht vorgesehen. Eine betriebsverfassungsrechtliche Eingliederung in den Betrieb der privaten Gesellschaft liegt deshalb nicht vor. Dies spricht dafür, dass die Neuregelung des § 5 Abs. 1 Satz 3 BetrVG die aufgrund Dienstleistungsüberlassung im Betrieb tätigen Beamten nicht erfasst433. Ferner verlieren sie nicht wie bei einer Zuweisung von länger als drei Monaten ihr aktives
428 BVerwG v. 7.6.2000 – 1 D 4.99, DVBl 2001, 122; Sterzel in Privatisierung, Teil 6, Rz. 301 ff. 429 BAG v. 25.2.1998 – 7 ABR 11/97, NZA 1998, 838; v. 28.3.2001 – 7 ABR 21/00, DB 2002, 221 = ZTR 2001, 431; Löwisch/Kaiser, § 5 BetrVG, Rz. 5. Sonderregelungen sehen die Gesetze zur Privatisierung der ehemals staatseigenen Unternehmen Deutsche Bahn und Deutsche Post vor. Nach § 19 Abs. 1 DBGrG, § 24 Abs. 2 Satz 1 PostPersRG wird der Arbeitnehmerstatus der dort beschäftigen Beamten für den Bereich des Betriebsverfassungsrechts fingiert. 430 Fitting, § 5 BetrVG Rz. 310 und § 7 BetrVG Rz. 10; Richardi in Richardi, § 5 BetrVG Rz. 113 und Richardi/Thüsing, ebenda, § 7 BetrVG Rz. 12; Trümner in Däubler/Kittner/Klebe, § 5 BetrVG Rz. 111 und Schneider, ebenda, § 7 BetrVG Rz. 9. 431 Art. 9 des Gesetzes zur Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung und zur Änderung und Anpassung weiterer Vorschriften v. 29.7.2009, BGBl. I, 2424. 432 Blanke, PersR 2009, 249 (250); Sterzel in Privatisierung, Teil 6, Rz. 317. 433 Vgl. unten Rz. 248; LAG Schl.-Holst. v. 15.4.2011 – 2 TaBV 35/10, PersV 2012, 31; LAG Stuttgart v. 21.9.2010 – 14 TaBV 3/10.
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und passives Wahlrecht zum Personalrat der Dienststelle434. Es fehlt ihnen demnach ein Schutzbedürfnis an der betriebsverfassungsrechtlichen Vertretung. Im Ergebnis ist bei der Dienstleistungsüberlassung nach unserer Auffassung davon auszugehen, dass Betriebsvereinbarungen auf die Beamten nicht anzuwenden sind435. Hiermit ist der Umfang der betriebsverfassungsrechtlichen Teilhabe von 245 Zuweisungsbeamten (§ 20 Abs. 2 BeamtStG) noch nicht geklärt. Der Gesetzgeber hat die Eingliederung in den Beschäftigungsbetrieb als Anknüpfungspunkt des betriebsverfassungsrechtlichen Schutzes anerkannt. Dies spricht unseres Erachtens dafür, § 5 Abs. 1 Satz 3 BetrVG so auszulegen, dass für Zuweisungsbeamte in organisationsprivatisierten Unternehmen alle betriebsverfassungsrechtlichen Regelungen anzuwenden sind, die das fachliche Weisungsrecht des privaten Arbeitgebers ausgestalten, etwa Betriebsvereinbarungen zu Arbeits- und Pausenzeiten, zu Dienstkleidung, Dienstplänen, Anweisungen über die Verwendung von Mitteln des Betriebs, oder die dem sozialbetrieblichen Bereich angehören, etwa Regeln der Kindergarten- oder Kantinennutzung. Anders dürfte dies bei personalen Fragen des Gehalts, der Dauer des Urlaubs, Sonderzahlungen, Versorgungsleistungen oder der Beendigung sein, da dieser Bereich noch immer vom öffentlich-rechtlichen Dienstherren umfassend wahrgenommen wird. Hier verdrängen die gesetzlichen Regelungen des Beamtenrechts die kollektivvertraglichen Regelungen auf Betriebsebene436. Ein ähnliches Problem ergibt sich bei der Anwendung von Tarifvertrags- 246 recht auf die im privatisierten Betrieb beschäftigten Beamten. Während Beamte persönlich nicht tarifgebunden sein können, § 3 Abs. 1 TVG, und deshalb die Inhaltsnormen von Tarifverträgen für sie nicht gelten, ist eine Anwendung von Betriebsnormen i.S.d. § 3 Abs. 2 TVG auf die überlassenen Beamten denkbar. Danach gelten Normen eines Tarifvertrags für alle gewerkschaftlich organisierten oder nicht organisierten Arbeitnehmer eines Betriebs, dessen Arbeitgeber tarifgebunden ist. Berücksichtigt man, dass Betriebsnormen nur deshalb auch auf gewerkschaftlich nicht organisierte Arbeitnehmer anzuwenden sind – und der Gesetzgeber hiermit eine Legitimitätslücke in Kauf nimmt – weil es Bereiche gibt, die im Betrieb einer notwendig einheitlichen Regelung bedürfen, müsste auch dies ausreichen, jedenfalls die dem Betrieb gem. § 20 Abs. 2 BeamtStG zugewiesenen Beamten nach § 5 Abs. 1 Satz 3 BetrVG diesen Re434 §§ 13 Abs. 2 Satz 4, 14 BPersVG, bzw. der entsprechenden Vorschriften der Landespersonalvertretungsgesetze; a.A. OVG Münster v. 15.12.1999 – 1 A 5174/97.PVL, PersV 2000, 416. 435 Das BAG stellt im Beschluss v. 15.12.2011 – 7 ABR 65/10, NZA 2012, 519 (523 f.), jedenfalls für die Teilhabe an den organisatorischen Vorschriften des BetrVG entscheidend darauf ab, dass die Beamten vollständig in die Arbeitsabläufe des privaten Betriebs eingegliedert sind. 436 BAG v. 9.6.2011 – 6 AZR 132/10, PersR 2011, 396; LAG Hannover v. 8.3.2011 – 3 TaBV 118/09; Fitting, § 5 BetrVG Rz. 311a; Löwisch, BB 2009, 2316; Hamann, jurisPR-ArbR 33/2011 Anm. 7. Schuster/Lorenzen
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gelungen zu unterwerfen. Denn Arbeitsschutzregelungen oder Bestimmungen zur Arbeitsplatzgestaltung betreffen die Beamten als Beschäftigte im privaten Betrieb genauso wie die dortigen Arbeitnehmer. 247 Umstritten ist ferner, ob den nach § 20 Abs. 2 BeamtStG zugewiesenen Beamten ein Streikrecht zusteht. Das Streikverbot für Beamte findet seinen Ursprung in den „hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums“, Art. 33 Abs. 5 GG. Da die Beamten nach einer Zuweisung nach § 20 Abs. 2 BeamtStG kein Amt im konkret-funktionellen Sinne ausüben, sondern eine berufliche Tätigkeit wie Arbeitnehmer, soll nach einer Literaturmeinung das Streikverbot entfallen437. Die Rechtsprechung vertritt dagegen weiterhin, dass die Beamten immer an ihre dienstlichen Treuepflichten und damit an das Streikverbot gebunden sind438. d) Betriebliche Interessenvertretung 248 Die Brisanz der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung überlassener Beamter zeigt sich insbesondere bei der betrieblichen Mitbestimmung. In dem privatrechtlich organisierten Unternehmen wird die Mitbestimmung durch Betriebsräte sichergestellt (vgl. § 130 BetrVG und § 1 BPersVG). aa) Zuweisung nach § 20 Abs. 2 BeamtStG 249 Nach § 5 Abs. 1 Satz 3 BetrVG sind nunmehr zugewiesene Beamten, die dem Weisungsrecht des organisationsprivatisierten Unternehmers unterliegen, den Arbeitnehmern des Betriebs vollwertig gleichgestellt. Sie sind deshalb nach den allgemeinen Regeln der §§ 7, 8 BetrVG wahlberechtigt und wählbar für die Betriebsratswahlen, wenn sie das 18. Lebensjahr vollendet haben (§ 7 Satz 1 BetrVG) und mindestens sechs Monate dem Betrieb angehören (§ 8 Abs. 1 BetrVG)439. Hierdurch sind die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes – zugewiesene Beamte und gestellte Arbeitnehmer – besser gestellt als Leiharbeitnehmer in der Privatwirtschaft, die
437 Sterzel in Privatisierung, Teil 6, Rz. 292. 438 So BVerwG v. 20.8.1996 – 1 D 80.95, BVerwGE 103, 375, NVwZ 1997, 584 für die Anwendung von Disziplinargewalt gegenüber einem zugewiesenen Beamten; vgl. auch Schönrock, Beamtenüberleitung, S. 99; Schönrock, ZBR 2002, 306 (312); dagegen gesteht BVerwG v. 7.6.2000 – 1 D 4.99, DVBl. 2001, 122 zumindest den beurlaubten Beamten bei den privatisierten Bahn- und Postunternehmen ein Streikrecht zu. 439 LAG Schl.-Holst. v. 15.4.2011 – 2 TaBV 35/10, PersV 2012, 31; LAG Berlin v. 16.2.2011 – 15 TaBV 2347/10; LAG Stuttgart v. 21.9.2010 – 14 TaBV 3/10, hinsichtlich § 38 Abs. 1 BetrVG bestätigt durch BAG v. 15.12.2011 – 7 ABR 65/10, NZA 2012, 519; Heise/Fedder, NZA 2009, 1069; Thüsing, BB 2009, 2036.
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gem. § 7 Satz 2 BetrVG zwar aktiv, aufgrund von § 14 Abs. 2 Satz 1 AÜG aber nicht passiv wahlberechtigt sind440. Die Beamten verlieren nach Bundesrecht und einigen Landesgesetzen, wie etwa dem hessischen oder dem thüringischen PersVG, nach drei Monaten in den Personalvertretungen der alten Dienststelle ihr Wahlrecht, sofern sie nicht binnen weiterer sechs Monate dorthin zurückkehren, § 13 Abs. 2 Satz 4 i.V.m. Satz 1 und 3 BPersVG, § 14 BPersVG441. Es bereitet – wie erwähnt – gewisse Schwierigkeiten den Umfang der Be- 250 teiligungsrechte des Betriebsrats hinsichtlich der zugewiesenen Beamten zu bestimmen (siehe dazu oben Rz. 245). Dem „gewöhnlichen“ Betriebsrat einer privaten Gesellschaft stehen gerade hinsichtlich der beamtenrechtlichen Maßnahmen, die das Grunddienstverhältnis betreffen, keine Rechte zu442. Hierfür bleibt wohl zum Schutze der Zugewiesenen der Personalrat der Dienststelle zuständig, welche die Personalangelegenheiten der übergeleiteten Beamten bearbeitet443. Dies widerspricht auch nicht dem Verlust des Wahlrechts zu dieser Personalvertretung, da zumindest die rechtliche Dienststellenzugehörigkeit fortbesteht444. Etwas anderes ergibt sich nur in einigen Ländern wie etwa Berlin. Dort 251 fehlt eine dem § 13 Abs. 2 Satz 4 BPersVG entsprechende Regelung (vgl. § 12 Abs. 2 PersVG Berlin). Hier behalten die Beamten sogar das Wahlrecht für die Personalvertretung ihrer Dienststelle. bb) Dienstleistungsüberlassung Ob vertraglich zur Dienstleistung überlassene Beamten ebenfalls ein ak- 252 tives und passives Wahlrecht zum Betriebsrat haben, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt445. Die jüngste Rechtsprechung der Instanzgerichte erwähnt einerseits, dass § 5 Abs. 1 Satz 3 BetrVG sowohl bei beamtenrechtlichen Zuweisungen, Personalgestellung von Arbeitnehmern gem. § 4 Abs. 3 TVöD „oder einer Vereinbarung zwischen dem öffentlichen Arbeitgeber und dem Beamten/Soldaten/Arbeitnehmer“ gilt446. Andererseits
440 Koch in Erfurter Kommentar, § 5 BetrVG Rz. 3; Thüsing, BB 2009, 2036; Hamann, jurisPR-ArbR 33/2011 Anm. 7. 441 Vgl. § 9 Abs. 2 PersVG Hess., § 13 Abs. 2 PersVG Thür., § 11 Abs. 4 PersVG Nds., § 13 Abs. 2 PersVG Sachs. 442 BAG v. 9.6.2011 – 6 AZR 132/10, PersR 2011, 396; Heise/Fedder, NZA 2009, 1069; Thüsing, BB 2009, 2036; a.A. Löwisch, BB 2009, 2316. 443 Schönrock, Beamtenüberleitung, S. 105 f. 444 von Roetteken, PersR 2011, 366 (367); BVerwG v. 12.11.2006 – 6 P 1.06 – Beurlaubung, NVwZ 2007, 472. 445 Vgl. BAG v. 15.12.2011 – 7 ABR 65/10, NZA 2012, 519. 446 LAG Schl.-Holst. v. 15.4.2011 – 2 TaBV 35/10, PersV 2012, 31; LAG Stuttgart v. 21.9.2010 – 14 TaBV 3/10; Koch in Erfurter Kommentar, § 5 BetrVG Rz. 3; Heise/Fedder, NZA 2009, 1069; Thüsing, BB 2009, 2036. Schuster/Lorenzen
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stellen die Entscheidungen inhaltlich darauf ab, dass die fachlich nötigen Direktionsbefugnisse auch übertragen wurden447. Die Dienstleistungsüberlassung beruht aber begrifflich darauf, dass gerade diese Direktionsbefugnisse nicht weitergereicht werden. Die so überlassenen Beamten sind gerade nicht durch Weisungsunterworfenheit in den Betrieb eingegliedert. Wir meinen deshalb, dass § 5 Abs. 1 Satz 3 BetrVG hier eng auszulegen ist und bei bloßer Dienstleistungsüberlassung kein Wahlrecht zum Betriebsrat begründet wird. Die Rechtsprechung geht zum Teil auch bei der Dienstleistungsüberlassung davon aus, dass der Beamte nach drei Monaten sein Wahlrecht bei der Dienststelle verliert, der er zugeordnet ist448. Dies wird damit begründet, dass der Beamte sein Wahlrecht nach § 13 BPersVG bei der Zuweisung nach § 20 BeamtStG und auch bei einer Abordnung nach § 27 BBG nach drei Monaten verliert. Die Dienstleistungsüberlassung sei zwischen diesen beiden Instituten angesiedelt und daher gleich zu behandeln. Die dadurch entstehende Lücke habe der Gesetzgeber unverständlicherweise, aber bewusst in Kauf genommen449. 253 Diese Rechtsprechung überzeugt nicht. Die Dienstleistungsüberlassung ist keine Mischung aus Abordnung und Zuweisung. In den Fällen der Abordnung und Zuweisung wird zumindest das fachliche Weisungsrecht auf einen anderen übertragen und die Bindung zur alten Dienststelle sehr gelockert. Im Falle der Dienstleistungsüberlassung ist der Beamte aber – zumindest rechtlich – voll in seine alte Dienststelle eingebunden und empfängt nur von ihr Weisungen450. Es erscheint deshalb richtig, den Beamten weiterhin an der Personalvertretung seiner Dienststelle zu beteiligen, jedoch nicht am Betriebsrat des organisationsprivatisierten Betriebs. Es besteht hier kein Grund für eine Analogie zur Zuweisung. Der Rechtsprechung muss zugestanden werden, dass in den zu entscheidenden Fällen die Dienstleistungsüberlassung nicht korrekt durchgeführt wurde und die Beamten ihre Weisungen über eine Sachkontrolle hinaus direkt von der Gesellschaft erhielten. Die dadurch entstehende faktische Eingliederung in den Betrieb und die Ausgliederung aus der Dienststelle ist aber rechtswidrig und deshalb ungeeignet, eine Analogie zu begründen.
447 LAG Schl.-Holst. v. 15.4.2011 – 2 TaBV 35/10, PersV 2012, 31; LAG Stuttgart v. 21.9.2010 – 14 TaBV 3/10. 448 OVG Münster v. 15.12.1999 – 1 A 5174/97.PVL, PersV 2000, 416; BayVGH v. 16.6.1999 – 17 P 98.2843, PersR 1999, 503. 449 OVG Münster v. 15.12.1999 – 1 A 5174/97.PVL, PersV 2000, 416. 450 Ähnlich BayVGH v. 16.6.1999 – 17 P 98.2843, PersR 1999, 503.
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4. Vertragliche Gestaltung von Zuweisung und Dienstleistungsüberlassung a) Zusätzlicher Arbeitsvertrag Auf Zuweisungsbeamte ist nunmehr auch ohne Abschluss eines zusätzli- 254 chen Arbeitsvertrags grundsätzlich das BetrVG anwendbar. Der Zugewiesene könnte dennoch Interesse an einem solchen Arbeitsvertrag haben, um besondere Vergütungsvereinbarungen zu treffen, oder tarifgebunden zu sein. Wie ausgeführt, bleibt durch die rechtliche Ausgangslage bei der Dienstleistungsüberlassung jedoch grundsätzlich kein Raum, um durch einen Arbeitsvertrag die Anwendung des BetrVG sicherzustellen. Ein zusätzlicher Arbeitsvertrag für Zuweisungsbeamte würde sich von den üblichen Verträgen erheblich unterscheiden. Folgende Klauseln müssten wohl aufgenommen werden: – Der Beamte wird sich den Vorrang seines Dienstverhältnisses vor- 255 behalten müssen. Er schließt den Arbeitsvertrag zwar mit Wissen und Wollen seines Dienstherrn, aber nicht, um das Dienstverhältnis zu ersetzen. Dagegen sollte – wenn auch wohl nur deklaratorisch – dem Arbeitgeber ein Kündigungsrecht eingeräumt werden, falls der Beamte wegen der Verpflichtungen aus dem Dienstverhältnis seinen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen kann. – Die Leistung des Beamten liegt darin, dass er sich den Weisungen des Arbeitgebers unterwirft. – Als Leistungen des Arbeitgebers kommen über die beamtenrechtlichen Ansprüche hinausgehende Leistungen in Betracht, insbesondere eine höhere Vergütung. b) Überlassungsvertrag Im Überlassungsvertrag zwischen Dienstherr und Gesellschaft müssen 256 Leistung und Gegenleistung unter Beachtung der Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer Zuweisung oder Dienstleistungsüberlassung geregelt werden. Der Dienstherr verpflichtet sich in dem Vertrag, entweder die Beamten zuzuweisen oder zur Dienstleistung zu überlassen. – Die übertragenen Weisungsrechte sollten dabei definiert werden (§ 20 Abs. 2 2. Alt. BeamtStG), bzw. sollte klargestellt werden, wie die Arbeitsergebnisse kontrolliert werden (allgemeine Dienstleistungsüberlassung). – Hinzu kommen Regelungen, welche die Koordination der dienstlichen Anweisungen betreffen. – Der Dienstherr wird sich regelmäßig verpflichten müssen, von der Gesellschaft gewünschte Weisungen, die nicht vom übertragenen WeiSchuster/Lorenzen
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sungsrecht gedeckt sind, nach einer rechtlichen Prüfung gegenüber dem Beamten auszusprechen. – Die Gesellschaft wird sich im Gegenzug verpflichten müssen, Bezüge und sonstige Leistungen des Beamten zu übernehmen. Der Regelung bedürfen insbesondere auch die Pensionskosten, Beihilfe und ähnliche Leistungen, die dem Beamten während und nach seiner Beschäftigungszeit zustehen. 5. Andere Gestaltungsmöglichkeiten 257 Neben der Zuweisung nach § 20 Abs. 2 BeamtStG und der allgemeinen Dienstleistungsüberlassung finden sich in der Literatur noch weitere früher diskutierte Modelle für eine Überleitung von Beamten in privatwirtschaftliche Unternehmen. Sie haben jedoch sämtlich gravierende praktische Nachteile. a) Entlassung des Beamten und Einstellung als Angestellter 258 Um Beamte bei dem privaten Erwerber einzusetzen, ist denkbar, dass jener seinen Beamtenstatus aufgibt und als Angestellter neu eingestellt wird. Abgesehen davon, dass die Entlassung nur auf Antrag des betroffenen Beamten geschehen kann, ist diese Lösung weder für den Dienstherrn noch für den Beamten aus finanzieller Sicht lukrativ. Der Dienstherr müsste den Beamten für seine Dienstzeit gemäß §§ 8, 181 Abs. 5 SGB VI nachversichern und dabei die Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile allein tragen451. Eine etwaige Nachversicherung in den Zusatzversorgungskassen des öffentlichen Dienstes ist nicht möglich. Der Beamte verliert durch diese Regelung alle bisher erworbenen Vorteile, wie etwa die Anstellung auf Lebenszeit. b) Sonderurlaub 259 Unter der Voraussetzung, dass der Beamte dies beantragt, kann ihm Sonderurlaub entsprechend § 13 Abs. 2 SUrlVO452 gewährt werden. Danach schließt die Gesellschaft mit dem Beamten einen Arbeitsvertrag. Auch diese Lösung funktioniert also nur so lange, wie der Beamte dies wünscht. Bedenklich ist hier auch, dass die Beurlaubung grundsätzlich nur eine vorübergehende Lösung ist, deren zeitlicher Umfang von Anfang an festgelegt werden soll. In Literatur und Rechtsprechung ist höchst umstritten, ob eine längerfristige Beurlaubung zulässig ist453.
451 Vgl. dazu Sterzel in Privatisierung, Teil 6, Rz. 206 f.; Bolck, ZTR 1994, 14 (15); Vogelgesang, PersV 2005, 4 (7). 452 Des Bundes; die Länder haben entsprechende SUrlVO erlassen. 453 Sterzel in Privatisierung, Teil 6, Rz. 278 m.w.N.; Vogelgesang, PersV 2005, 4 (11).
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c) Abordnung und Versetzung nach §§ 14, 15 BeamtStG Eine Abordnung oder Versetzung entsprechend §§ 14, 15 BeamtStG454 260 kann nur an eine andere Dienststelle erfolgen. Dies ist aber eine privatrechtliche Gesellschaft gerade nicht. In vereinzelten Fällen einer „Abordnung“ an eine private Gesellschaft hat die Rechtsprechung zwar diese Zeit als Beschäftigungs- und Dienstzeit angesehen455; hierdurch sollten aber nur Unbilligkeiten des Einzelfalls vermieden werden. Diese Rechtsprechung kann deshalb nicht als Grundlage für ein geordnetes Privatisierungsverfahren dienen456. d) Zuweisung nach § 20 Abs. 1 BeamtStG? Nach § 20 Abs. 1 BeamtStG (früher § 123a Abs. 1 BRRG) kann einem Be- 261 amten mit seiner Zustimmung vorübergehend eine Tätigkeit bei einer öffentlichen (Nr. 1) oder anderen Einrichtung (Nr. 2) zugewiesen werden. § 20 Abs. 1 Nr. 1 BeamtStG ist wie ihr Vorgänger § 123a Abs. 1 BRRG ursprünglich für eine Versetzung ins Ausland gedacht457. § 20 Abs. 1 Nr. 2 BeamtStG soll nach der Gesetzesbegründung den Personalaustausch zwischen öffentlichem Dienst und der privaten Wirtschaft verbessern458. Insofern sind nunmehr „andere Einrichtungen“ klar als private Einrichtungen im In- und Ausland zu verstehen459. Letztlich bleibt die Vorschrift für Privatisierungsfälle uninteressant. Schon weil diese Form der Zuweisung die Zustimmung des Beamten erfordert und zeitlich begrenzt ist, scheint sie für eine Überleitung der Beamten nicht geeignet.
454 455 456 457 458 459
Entsprechend §§ 27, 28 BBG für Bundesbeamte. BAG v. 24.3.1993 – 4 AZR 291/92, DB 1994, 482. Vgl. dazu Bauschke, ZTR 2005, 338 (339 ff.). Schönrock, Beamtenüberleitung, S. 48. BT-Drs. 16/4027, 27. Vgl. Battis, § 29 BBG Rz. 5. Schuster/Lorenzen
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§ 13 Konzernrecht von Rechtsanwalt und Steuerberater Dr. Jörg Siegels, Dipl.-Kfm.
A. Einleitung . . . . . . . . . . . . B. Grundbegriffe des Konzernrechts . . . . . . . . . . . . . . . I. Kein besonderes Konzernrecht kommunaler Unternehmen . . II. Definitionsnormen des Konzernrechts . . . . . . . . . . 1. Unternehmensbegriff . . . . 2. Formen der verbundenen Unternehmen . . . . . . . . . 3. Vermutungskette des Konzernrechts . . . . . . . . 4. Rechtsfolgen von Abhängigkeit und Konzernierung . . . C. Kommunen als herrschende Unternehmen . . . . . . . . . . I. Keine Privilegierung öffentlich-rechtlicher Körperschaften II. Ausdehnung des Unternehmensbegriffs . . . . . . . . . . . III. Anwendbarkeit der Rechtsprechung auf Kommunen . . . IV. Einzelfragen der Unternehmenseigenschaft von Kommunen . . . . . . . . . . . 1. Beherrschung einer Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . 2. Beherrschung aufgrund der Kapital- oder Stimmrechtsmehrheit . . . . . . . . . . . a) Grundsatz der einfachen Mehrheit . . . . . . . . . . b) Berücksichtigung eigener Anteile der Gesellschaft . c) Zurechnung von Anteilen nach § 16 Abs. 4 AktG . . 3. Beherrschung bei Minderheitsbeteiligung . . . . . . . a) Minderheitsbeteiligungen ohne sonstigen Einfluss .
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Rz. 1 6 6 10 11 15 19 20 21 21 23 27
30 31 32 32 36 38 41 41
Rz. b) Sonstige Einflussfaktoren neben der Beteiligungshöhe . . . . . . . . . . . . aa) Recht zur Besetzung der Geschäftsführung bb) Besetzung des Aufsichtsrats . . . . . . . cc) Schuldrechtliche Beziehungen mit der Gesellschaft . . . . . dd) Permanente Hauptversammlungspräsenzmehrheit . . . V. Vermeidung der Unternehmenseigenschaft der Kommunen . . . . . . . . . . . 1. Holding-Konstruktionen . . a) Ausgangspunkt . . . . . . b) Holding-Konstruktionen für Kommunen . . . . . . 2. Sonstige Vermeidungsstrategien . . . . . . . . . . . D. Abhängigkeit kommunaler Unternehmen und ihre Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . I. Begründung und Beendigung von Abhängigkeitsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsfolgen der Abhängigkeit 1. Aktiengesellschaft . . . . . . a) Ausgleichs- und Haftungspflichten der herrschenden Kommune . . . b) Abhängigkeitsbericht nach § 312 AktG . . . . . c) Sonstige Rechtsfolgen . . 2. GmbH . . . . . . . . . . . . . 3. Personengesellschaft . . . . .
43 46 47 51 53
56 57 57 60 64
69
70 75 75 76 77 85 88 90
E. Begründung und Beendigung von Konzernverhältnissen . . . 93 I. Faktische Konzerne . . . . . . . 93
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Konzernrecht Rz. 1. Begriff des „einfachen“ faktischen Konzerns . . . . . 2. Einheitliche Leitung durch die Kommune . . . . . . . . . 3. Beginn und Ende des faktischen Konzerns . . . . . 4. Zulässigkeit faktischer Konzerne . . . . . . . . . . . II. Qualifiziert faktische Konzerne . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff des qualifiziert faktischen Konzerns . . . . . 2. Beginn und Ende qualifiziert faktischer Konzerne . . . . . 3. Zulässigkeit qualifiziert faktischer Konzerne . . . . . III. Vertragskonzerne . . . . . . . . 1. Begriff des Vertragskonzerns 2. Kommunalrechtliche Zulässigkeit von Vertragskonzernen . . . . . . . . . . . 3. Gestaltungsalternative bei kommunalrechtlicher Unzulässigkeit . . . . . . . . IV. Begründung von Vertragskonzernen . . . . . . . . . . . . 1. Abschluss des Unternehmensvertrages . . . . . . . . 2. Wirksamkeitsvoraussetzungen bei der Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . a) Zustimmung der Hauptversammlung . . . . . . . b) Bericht über den Unternehmensvertrag . . . . . . c) Prüfung des Unternehmensvertrages, Prüfungsbericht . . . . . . . . . . . d) Handelsregistereintragung . . . . . . . . . . . . 3. Wirksamkeitsvoraussetzungen bei der GmbH . . . . . . a) Zustimmung der Gesellschafterversammlung . . b) Weitere Formerfordernisse . . . . . . . . . . . . c) Handelsregistereintragung . . . . . . . . . . . . 4. Wirksamkeitsvoraussetzungen bei Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kommunalrechtliche Wirksamkeitserfordernisse . . . .
93 94 99 101 105 105 107 108 109 109 116 121 122 124 126 126 128 130 132 133 134 140 141 142 144
Rz. V. Änderung von Unternehmensverträgen . . . . . . . . . . . . . 1. Aktiengesellschaft . . . . . . 2. GmbH . . . . . . . . . . . . . 3. Kommunalrechtliche Erfordernisse . . . . . . . . . . . . VI. Beendigung von Unternehmensverträgen . . . . . . . . . . 1. Aktiengesellschaft . . . . . . 2. GmbH . . . . . . . . . . . . . 3. Kommunalrechtliche Erfordernisse . . . . . . . . . . . . F. Haftung im faktischen Konzern . . . . . . . . . . . I. Aktiengesellschaft . . . . . 1. Übersicht . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen der Haftung . . . . . . . . . . . . II. GmbH . . . . . . . . . . . . III. Personengesellschaft . . . .
149 150 151 152 154 155 159 163
. . 164 . . 165 . . 165 . . 169 . . 178 . . 187
G. Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs . . . . . . I. Übersicht . . . . . . . . . . . . . 1. Abschied von der Haftung im qualifiziert faktischen Konzern . . . . . . . . . . . . 2. Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs . . . . . II. GmbH . . . . . . . . . . . . . . 1. Haftungsvoraussetzungen . . a) Vermögensabzug aus der Gesellschaft . . . . . . . . b) Herbeiführen oder Vertiefen der Insolvenz der Gesellschaft . . . . . . . . c) Vorsatz hinsichtlich der sittenwidrigen Schädigung . . . . . . . . . . . . d) Ergänzung der §§ 30, 31 GmbHG . . . . . . . . . . e) Darlegungs- und Beweispflichten . . . . . . . . . . 2. Rechtsfolgen . . . . . . . . . III. Aktiengesellschaft . . . . . . . IV. Personengesellschaft . . . . . .
188 188 188 190 192 193 194 198 199 202 203 204 206 208
H. Haftungs- und Ausgleichspflichten im Vertragskonzern . 209 I. Aktiengesellschaft . . . . . . . 209 II. GmbH/Personengesellschaft . . 211 Siegels
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Konzernrecht Rz.
J. Persönliche Verantwortung der für die Kommune Handelnden . I. Aktiengesellschaft . . . . . . . 1. Haftung der gesetzlichen Vertreter der Kommune im faktischen Konzern . . . . . 2. Haftung der Organe der abhängigen Gesellschaft . . . 3. Haftung der gesetzlichen Vertreter der Kommune im Vertragskonzern . . . . . . . II. GmbH . . . . . . . . . . . . . . 1. Faktischer GmbH-Konzern . 2. GmbH in Vertragskonzernen . . . . . . . . . . . . . . . III. Einfluss des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . .
212 213 213 217 219 222 222 223 224
K. Besonderheiten bei Public Private Partnerships . . . . . . 227
I. Übersicht . . . . . . . . . . . . . II. Grundlagen des Gemeinschaftsunternehmens . . . . . . III. Voraussetzungen der gemeinsamen Beherrschung . . . . . . IV. Gemeinsame einheitliche Leitung . . . . . . . . . . . . . . V. Mehrfache Konzernzugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Mehrheitsbeteiligung der Kommune an einem Gemeinschaftsunternehmen . . . . . . VII. Paritätische (50:50-)Beteiligung der Kommune an einem Gemeinschaftsunternehmen . VIII. Minderheitsbeteiligung der Kommune an einem Gemeinschaftsunternehmen . . . . . .
Rz. 227 231 236 241 245
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250
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Literatur: Achterberg/Püttner/Würtenberger (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Band 2, 2. Aufl. 2000; Altmeppen, Ausfall- und Verhaltenshaftung des Mitgesellschafters in der GmbH, ZIP 2002, 961; Altmeppen, Die Einflussrechte der Gemeindeorgane in einer kommunalen GmbH, NJW 2003, 2561; Altmeppen, Gesellschafterhaftung und „Konzernhaftung“ bei der GmbH, NJW 2002, 321; Altmeppen, Grundlegend Neues zum „qualifiziert faktischen“ Konzern und zum Gläubigerschutz in der Einmann-GmbH, ZIP 2001, 1837; Bartl/Fichtelmann/Schlarb/Schulze, Heidelberger Kommentar zum GmbH-Recht, 6. Aufl. 2009 (zit. als Bartl, HK GmbH-Recht); Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch, 35. Aufl. 2012; Beck’scher Bilanzkommentar, 7. Aufl. 2010; Beck’sches Handbuch der GmbH, 4. Aufl. 2009; Bender, Kommentar zu BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, GmbHR 2002, 552; Bezzenberger/Schuster, Die öffentliche Anstalt als abhängiges Unternehmen, ZGR 1996, 481; Britz, Funktion und Funktionsweise öffentlicher Unternehmen im Wandel: Zu den jüngsten Entwicklungen im Recht der kommunalen Wirtschaftsunternehmen, NVwZ 2001, 380; Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, 5. Aufl. 2006; Ehinger, Die juristischen Personen des öffentlichen Rechts als herrschende Unternehmen, Diss. Göttingen 1999; Emmerich/Habersack, Aktienund GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl. 2010; Emmerich/Habersack, Konzernrecht, 9. Aufl. 2008; Engellandt, Die Einflussnahme der Kommunen auf ihre Kapitalgesellschaften über das Anteilseignerorgan, Diss. Kiel 1995 (zit. als Engellandt, Einflussnahme der Kommunen); Gehrlein, Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs im Einzelfall, BB 2005, 613; Gratzel, Zur konzernrechtlichen Haftung der Gebietskörperschaften aus Ingerenz, BB 1998, 175; Hansen, Der Aktienbesitz in Deutschland, AG 1997, R 415; Henze, Ausfallhaftung des GmbH-Gesellschafters, BB 2002, 1011; Heuer, Kommentar zum Haushaltsrecht, Band 2, Loseblatt, 34. Ergänzungslieferung Stand: 2011; Hölzl/Hien, Gemeindeordnung mit Verwaltungsgemeinschaftsordnung, Landkreisordnung und Bezirksordnung für den Freistaat Bayern, Kommentar, Loseblatt, 49. Ergänzungslieferung Stand: August 2011 (zit. als Hölzl/Hien, Bayerische Gemeindeordnung); Hölzle, Materielle Unterkapitalisierung und Existenzvernichtungshaftung – Das Phantom als Fallgruppe der Durchgriffshaftung, ZIP 2004, 1729; Keßler, Die Konzernhaftung kommunaler Ge-
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Literatur
bietskörperschaften, GmbHR 2001, 320; Keßler, Kapitalerhaltung und normativer Gläubigerschutz in der Einpersonen-GmbH – zum „beiläufigen“ Ende des „qualifiziert faktischen“ GmbH-Konzerns, GmbHR 2001, 1095; Koch, Der rechtliche Status kommunaler Unternehmen in Privatrechtsform, Diss. Osnabrück 1993; Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, Band 2/1, 3. Aufl. 2010; Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, Band 1, 3. Aufl. 2011; Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, Band 6, 3. Aufl. 2004; Kropff, Aktiengesetz 1965; Kropff, Zur Anwendung des Rechts der verbundenen Unternehmen auf den Bund, ZHR 144 (1980), 74; Kuhl/Wagner, Das Insolvenzrisiko der Gläubiger kommunaler Eigengesellschaften, ZIP 1995, 433; Leo, Einheitliche Konzernleitung durch mehrere Obergesellschaften?, WPg 1968, 395; Liebscher, GmbH-Konzernrecht, 2006; Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz, 17. Aufl. 2009; Lutter/Timm, Konzernrechtlicher Präventivschutz, NJW 1982, 409; Meinen, Konzernrecht im kommunalen Bereich, Diss. Bochum 2005; Mischke, Haftungsfragen bei der Ausgliederung kommunaler Aufgaben und ihre Konsequenzen für die Kommunalaufsicht, Diss. Berlin 2005; Mülbert, Unternehmensbegriff und Konzernorganisationsrecht, ZHR 163 (1999), 1; Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 1, 3. Aufl. 2009; Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 4, 3. Aufl. 2007; Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, Band 5, 3. Aufl. 2010; Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, Band 1, 3. Aufl. 2008; Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 2, 5. Aufl. 2007; Paschke, Die kommunalen Unternehmen im Lichte des GmbH-Konzernrechts, ZHR 152 (1988), 263; Raiser, Konzernverflechtungen unter Einschluss öffentlicher Unternehmen, ZGR 1996, 458; Rittner, Der Staat – ein Unternehmen im Sinne des Aktiengesetzes?, Festschrift für Flume, Band 2, 1978, S. 241; Römermann/ Schröder, Aufgabe des qualifiziert faktischen GmbH-Konzerns – Das „Bremer Vulkan“-Urteil des BGH vom 17.9.2001, GmbHR 2001, 1015; Rowedder/Fuhrmann/ Koppensteiner u.a., Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), 4. Aufl. 2002 (zit. als Rowedder, GmbHG); Schiessl, Abhängigkeitsbericht bei Beteiligungen der öffentlichen Hand, ZGR 1998, 871; Karsten Schmidt, Gesellschafterhaftung und „Konzernhaftung“ bei der GmbH, NJW 2001, 3577; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002; Karsten Schmidt, Konzernhaftung oder mitgliedschaftliche Haftung des privaten GmbHGesellschafters?, ZIP 1986, 146; Schnaudigel, Der Betrieb nichtwirtschaftlicher kommunaler Unternehmen in Rechtsformen des Privatrechts, Diss. Konstanz 1995 (zit. als Schnaudigel, Nichtwirtschaftliche kommunale Unternehmen); Schneider/Dreßler/Lüll, Hessische Gemeindeordnung, Kommentar, Loseblatt, 15. Lieferung Stand: Oktober 2002; Scholz, Kommentar zum GmbH-Gesetz, Band 2, 10. Aufl. 2007; Siegels, Die Privatperson als Konzernspitze, Diss. Köln 1997; Staub, Handelsgesetzbuch, 12. Lieferung, 4. Aufl. 1989; Stober, Kommunalrecht in der Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl. 1996, (zit. als Stober, Kommunalrecht); Ulmer, Von „TBB“ zu „Bremer Vulkan“ – Revolution oder Evolution?, ZIP 2001, 2021; Wehrstedt, Die Beteiligung von Gemeinden an Gesellschaften des Privatrechts in NRW, MittRhNotK 2000, 269; Wiedemann/Hirte, Die Konkretisierung der Pflichten des herrschenden Unternehmens, ZGR 1986, 163; Wilhelm, Zurück zur Durchgriffshaftung – das „KBV“-Urteil des II. Zivilsenats des BGH vom 24.6.2002, NJW 2003, 175; Wirtschaftsprüfer-Handbuch 2000, Band 1, 12. Aufl. 2000 (zit. als WP-Handbuch 2000); Zündorf, Zum Begriff des Gemeinschaftsunternehmens in § 310 HGB, BB 1987, 1910.
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A. Einleitung 1 „Konzernrecht“ ist die schlagwortartige Bezeichnung für das „Recht der verbundenen Unternehmen“ als Bestandteil des Gesellschaftsrechts. Es ist in seinem historischen Ursprung ein Schutzrecht zugunsten abhängiger oder beherrschter Gesellschaften des Privatrechts1. Dieser Schutzzweck prägt das Konzernrecht bis heute. Dementsprechend behandelt es Fragen, die sich aus der gesellschaftsrechtlichen Verbindung zwischen einem herrschenden Unternehmen und mindestens einer abhängigen oder beherrschten Gesellschaft sowie den Auswirkungen dieser Verbindung, insbesondere auf die abhängige Gesellschaft, ihre Minderheitsgesellschafter und Gläubiger, ergeben2. Der Regelungsbereich des Konzernrechts wird jedenfalls stets dann berührt, wenn zumindest das abhängige Unternehmen eine privatrechtliche Gesellschaft, z.B. eine Aktiengesellschaft, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder eine Personengesellschaft, ist. Das herrschende Unternehmen kann hingegen jedwede Rechtsform haben, insbesondere auch die einer Gebietskörperschaft3. 2 Seit Jahren ist eine Tendenz bei den Kommunen festzustellen, bislang rechtlich unselbständige (Regie- oder Eigen-) Betriebe in privatrechtlich verselbständigte Gesellschaften zu überführen. Daneben begründen die Kommunen neue wirtschaftliche Betätigungen vielfach unmittelbar in privatrechtlicher Form durch Gründung von Eigengesellschaften, also Gesellschaften, deren Alleingesellschafterin die Kommune ist4. Oftmals wird damit eine Beteiligung privater Investoren an der Gesellschaft im Rahmen einer „Public Private Partnership“ vorbereitet. Ein Grund für diese Entwicklungen mag darin liegen, dass in den letzten Jahren die Vorschriften in den Gemeindeordnungen der Länder über die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen in privatrechtlicher Form geändert wurden5 und dadurch ein Wandel in der Bedeutung rechtlich selbständiger kommunaler Unternehmen eintrat6. Zur historischen Entwicklung der wirtschaftlichen Betätigung von Gemeinden vgl. oben § 7 Rz. 1 ff. 3 Zuverlässiges empirisches Material über die Beteiligungen von Kommunen an privatrechtlichen Gesellschaften existiert nicht; Umfang und
1 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 486 ff.; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, Schlussanhang Konzernrecht, Rz. 7. 2 Vgl. Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 17 Rz. 6; Emmerich in Scholz, GmbHG, Anhang Konzernrecht, Rz. 1. 3 BGH v. 13.10.1977 – II ZR 123/76 – VEBA/Gelsenberg, BGHZ 69, 334 (338). 4 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 31 f.; Engellandt, Einflussnahme der Kommunen, Diss. S. 1 m.w.N.; Keßler, GmbHR 2001, 320 (321); Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 15 Rz. 26. 5 Vgl. Stober, Kommunalrecht, S. 335; Schnaudigel, Nichtwirtschaftliche kommunale Unternehmen, Diss. S. 48. 6 Vgl. beispielhaft Britz, NVwZ 2001, 380 ff.
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Bedeutung dürfen jedoch nicht unterschätzt werden7. Die Bereiche, in denen sich Kommunen engagieren, sind breit gefächert und umfassen insbesondere die öffentliche Daseinsvorsorge8. Zudem existiert trotz der Privatisierungen auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene nach wie vor eine große Zahl von Beteiligungen der Gebietskörperschaften an Gesellschaften der Privatwirtschaft9. Die bekannt gewordenen Fälle zeigen auch, dass die Komplexität der Gesellschaftsbeteiligungen von Kommunen und anderen Gebietskörperschaften denen in der Privatwirtschaft nicht nachsteht10. Aufgrund der skizzierten Entwicklungen sind die Gebietskörperschaften 4 und insbesondere die Kommunen mit ihrer wirtschaftlichen Betätigung in den Fokus wissenschaftlicher Betrachtungen und gerichtlicher Entscheidungen zum Konzernrecht geraten. Dabei hat sich in der Rechtsprechung und in der Wissenschaft die Ansicht durchgesetzt, dass sich bei der Beteiligung von Kommunen an Gesellschaften Situationen ergeben können, die denen von abhängigen Unternehmen in privatrechtlichen Konzernen entsprechen. Daher sieht die herrschende Meinung konzernrechtlichen Regelungsbedarf, wenn Gesellschaften unter dem Einfluss von Kommunen oder anderen Gebietskörperschaften stehen11. Im Folgenden werden die konzernrechtlichen Fragen skizziert, die sich 5 aus der Beteiligung von Kommunen an privatrechtlichen Gesellschaften in der Rechtsform vor allem der Aktiengesellschaft und der GmbH, aber auch der Personengesellschaft, ergeben. Dabei steht die Darstellung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) im Vordergrund, um einen Überblick über die gegenwärtige Entwicklung und den Stand der Praxis zu geben.
B. Grundbegriffe des Konzernrechts I. Kein besonderes Konzernrecht kommunaler Unternehmen Es gibt kein besonderes Konzernrecht für Gesellschaften in kommunalem Anteilsbesitz. Das Gesetzesrecht stellt keine zusammenhängenden 7 Nach Altmeppen, NJW 2003, 2561, ist der Anteil der in privater Rechtsform geführten kommunalen Betrieben in den letzten 50 Jahren von ca. 5 % auf deutlich über 50 % gestiegen. 8 Knemeyer/Kempen, Kommunales Wirtschaftsrecht, in Achterberg/Püttner/ Würtenberger, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 2, § 17 Rz. 9; Stober, Kommunalrecht, S. 165 f.; Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 396 ff. 9 Nach Hansen, AG 1997, R 415 (R 418), hielten die öffentlichen Hände im Jahr 1997 Aktien im Gesamtwert von DM 5,5 Milliarden. Hinzu kommen die nicht erfassten Anteile an Gesellschaften anderer Rechtsform, insbesondere der GmbH. 10 Vgl. exemplarisch Raiser, ZGR 1996, 458 (459 ff.). 11 Raiser, ZGR 1996, 458 ff.; Schnaudigel, Nichtwirtschaftliche kommunale Unternehmen, Diss. S. 187; Stober, Kommunalrecht, S. 345. Siegels
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konzernrechtlichen Normen für das Verhältnis zwischen Kommunen und privatrechtlichen Gesellschaften zur Verfügung12. Damit steht das Konzernrecht kommunaler Unternehmen nicht allein. Weder für das in der Praxis herausragend wichtige Konzernrecht der GmbH noch für das Konzernrecht der Personengesellschaften hat der Gesetzgeber Vorschriften geschaffen. Das Aktienrecht ist die bislang einzige gesetzliche konzernrechtliche Regelungsmaterie und wird es auf absehbare Zeit auch bleiben. 7 Das Aktiengesetz (AktG) enthält lediglich in den §§ 394, 395 AktG dürftige „Sondervorschriften bei Beteiligungen von Gebietskörperschaften“. Sie sind nicht spezifisch konzernrechtlich und beschränken sich auf Fragen der Verschwiegenheitspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern, die auf Veranlassung einer Gebietskörperschaft in den Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft gewählt worden sind. 8 Im öffentlichen Recht sind die §§ 65 f. Bundeshaushaltsordnung über die Beteiligung des Bundes an privatrechtlichen Unternehmen sowie die §§ 53 ff. Haushaltsgrundsätzegesetz über die Prüfungsrechte gegenüber privatrechtlichen Unternehmen wichtig. Die wesentlichen Grundsätze der Bundeshaushaltsordnung sind auch in den jeweiligen Landeshaushaltsordnungen festgeschrieben13. Auf Landesebene stehen aber die Wirtschaftsbestimmungen der Gemeindeordnungen im Mittelpunkt, in denen die Möglichkeiten, Voraussetzungen und Grenzen der Beteiligung von Kommunen an privatrechtlichen Gesellschaften geregelt werden. Die Vorschriften bilden damit zwar den öffentlich-rechtlichen Rahmen für die Beteiligung der Kommunen an Gesellschaften, sagen aber nichts über die Rechtsfolgen solcher Beteiligungen aus. 9 Es ist deshalb die Aufgabe der Rechtsprechung, die gesetzlich nicht geregelten Rechtsgebiete mit Unterstützung durch die Wissenschaft fortzuentwickeln. Dabei zeigt sich, dass das aktienrechtliche Konzernrecht wegen der unterschiedlichen Strukturen der Gesellschaftstypen keinen Vorbildcharakter für die konzernverbundenen Gesellschaften anderer Rechtsform hat14. Für GmbH und Personengesellschaft haben Rechtsprechung und Wissenschaft deshalb abweichende Strukturen eines eigenständigen Konzernrechts entwickelt15. Für privatrechtliche Gesellschaften in kommunalem Anteilsbesitz gibt es bislang noch kein geschlosse12 Schnaudigel, Nichtwirtschaftliche kommunale Unternehmen, Diss. S. 187; Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 32; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 15, Rz. 26; Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 15 Rz. 42; Liebscher, GmbH-Konzernrecht, B Rz. 65. 13 Vgl. Synopse der Gesetzestexte in Heuer, Kommentar zum Haushaltsrecht, Band 2, Abteilung IV/0. 14 Vgl. Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, Schlussanhang Konzernrecht, Rz. 9; Emmerich in Scholz, GmbHG, Anhang Konzernrecht, Rz. 12 f. 15 Vgl. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1210 ff., 1292 f.; Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, Vorb. § 15 Rz. 13 ff.
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nes konzernrechtliches Konzept. Allerdings kann aus den vorhandenen Entscheidungen die Tendenz der Gerichte abgeleitet werden, das Konzernrecht kommunaler Unternehmen in den Regelungsbereich des Konzernrechts einzubetten, das für die jeweils beherrschte Gesellschaft (z.B. Aktiengesellschaft oder GmbH) gilt.
II. Definitionsnormen des Konzernrechts Ein „allgemeines Konzernrecht“ existiert nicht. Allerdings enthält das 10 Aktiengesetz (AktG) in den §§ 15 ff. AktG Definitionsnormen für das Recht der verbundenen Unternehmen. Sie sind zum einen Grundlage und Anknüpfungspunkt der aktienrechtlichen Vorschriften über verbundene Unternehmen. Zum anderen bilden sie den Ausgangspunkt der richterlichen Rechtsfortbildung des Konzernrechts außerhalb des Aktiengesetzes. Diese Normen gelten deshalb inzwischen als der „Allgemeine Teil“ des deutschen Konzernrechts16. 1. Unternehmensbegriff Die §§ 15 ff. AktG stellen auf den Unternehmensbegriff als den Zentral- 11 begriff des deutschen Konzernrechts ab. Die Beteiligung eines Gesellschafters an einer Gesellschaft ist für das Konzernrecht nur dann relevant, wenn es sich bei dem Gesellschafter um ein „Unternehmen“ handelt. Der Gesetzgeber des Aktiengesetzes hat allerdings angesichts der von ihm selbst eingestandenen „praktischen Schwierigkeiten17“ darauf verzichtet, diesen Begriff zu definieren, und diese Aufgabe der Wissenschaft und der Rechtsprechung überlassen. Nach jahrelanger Diskussion hat sich der teleologische Unternehmens- 12 begriff durchgesetzt18, der vom Schutzzweck des Konzernrechts ausgeht. Grundlegend für den teleologischen Unternehmensbegriff ist das VEBA/ Gelsenberg-Urteil des BGH aus dem Jahre 1977, in dem streitig war, ob die Bundesrepublik Deutschland ein herrschendes Unternehmen im konzernrechtlichen Sinne ist. Als Regelungszweck der konzernrechtlichen Vorschriften sieht der BGH in der Urteilsbegründung den Schutz der Minderheiten in der abhängigen Gesellschaft gegen die Folgen fremdbestimmter wirtschaftlicher Machtausübung19. Für die Feststellung der
16 Vgl. Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 24; Emmerich in Scholz, GmbHG, Anhang Konzernrecht, Rz. 12 ff.; Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, Vorb. § 15 Rz. 7. 17 Begründung Regierungsentwurf zu § 15 AktG 1965, zitiert bei Kropff, AktG 1965, S. 27. 18 Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 15 Rz. 10; Emmerich in Emmerich/ Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 15 Rz. 8 ff.; Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 15 Rz. 9 ff. 19 BGH v. 13.10.1977 – II ZR 123/76 – VEBA/Gelsenberg, BGHZ 69, 334 (338). Siegels
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Unternehmenseigenschaft eines Rechtssubjekts sei entscheidend darauf abzustellen, ob durch die Beteiligung eines Gesellschafters an der Gesellschaft der vom Konzernrecht vorausgesetzte besondere Interessenkonflikt zwischen der Gesellschaft und dem Gesellschafter, der so genannte „Konzernkonflikt“, ausgelöst werden könne. Der Konzernkonflikt besteht nach Auffassung des BGH immer dann, wenn der Gesellschafter auch außerhalb der Gesellschaft wirtschaftliche Interessen verfolgt, die stark genug sind, um die ernsthafte Besorgnis zu begründen, er könne um ihretwillen seinen Einfluss zum Nachteil der Gesellschaft geltend machen20. 13 Als Unternehmen im konzernrechtlichen Sinne kommen nach Auffassung des BGH in Übereinstimmung mit der Gesetzesbegründung zu § 15 AktG21 nicht nur Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften jeglicher Art, sondern Genossenschaften, sonstige juristische Personen des Privatrechts, natürliche Personen und auch juristische Personen des öffentlichen Rechts in Betracht22. 14 Herrschendes Unternehmen ist nach dem teleologischen Unternehmensbegriff somit jedes Rechtssubjekt, das maßgeblich an einer privatrechtlichen Gesellschaft beteiligt ist und aufgrund sonstiger wirtschaftlicher oder unternehmerischer Interessen außerhalb dieser Gesellschaft den Konzernkonflikt in sich verkörpert23. Dies gilt unabhängig von der Rechtsform des herrschenden Unternehmens24. Diese Auffassung gilt inzwischen als allgemeine Meinung im Konzernrecht25. 2. Formen der verbundenen Unternehmen 15 Verbundene Unternehmen sind nach § 15 AktG rechtlich selbständige Unternehmen, die im Verhältnis zueinander in Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen und mit Mehrheit beteiligte Unternehmen, abhängige und herrschende Unternehmen, Konzernunternehmen oder Vertragsteile eines Unternehmensvertrages sind. 16 Gehört die Mehrheit der Anteile eines rechtlich selbständigen Unternehmens einem anderen Unternehmen oder steht einem anderen Unternehmen die Mehrheit der Stimmrechte zu (Mehrheitsbeteiligung), so ist das 20 BGH v. 13.10.1977 – II ZR 123/76 – VEBA/Gelsenberg, BGHZ 69, 334 (338). 21 Zitiert bei Kropff, AktG 1965, S. 27. 22 BGH v. 13.10.1977 – II ZR 123/76 – VEBA/Gelsenberg, BGHZ 69, 334 (338); Mischke, Haftungsfragen bei der Ausgliederung kommunaler Aufgaben und ihre Konsequenzen für die Kommunalaufsicht, Diss. S. 49. 23 Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 15 Rz. 13; Emmerich in Emmerich/ Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 Rz. 5 ff.; Emmerich in Scholz, GmbHG, Anhang Konzernrecht Rz. 22 ff. 24 BGH v. 13.10.1997 – II ZR 123/76 – VEBA/Gelsenberg, BGHZ 69, 334 (338) unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung zu § 15 AktG. 25 Vgl. Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 15 Rz. 16; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, Schlussanhang Konzernrecht Rz. 12, 21 f.
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Unternehmen ein in Mehrheitsbesitz stehendes Unternehmen, das andere Unternehmen ein an ihm mit Mehrheit beteiligtes Unternehmen, § 16 Abs. 1 AktG. Abhängige Unternehmen sind nach § 17 AktG rechtlich selbständige Un- 17 ternehmen, auf die ein anderes Unternehmen (herrschendes Unternehmen) unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Für die Abhängigkeit kommt es nicht darauf an, dass das andere Unternehmen tatsächlich beherrschenden Einfluss ausübt. Es genügt bereits die Möglichkeit, Einfluss nehmen zu können, falls dies vom herrschenden Unternehmen gewünscht ist26. Sind ein herrschendes und ein oder mehrere abhängige Unternehmen un- 18 ter einheitlicher Leitung des herrschenden Unternehmens zusammengefasst, so bilden sie einen Konzern; die einzelnen Unternehmen sind Konzernunternehmen, § 18 Abs. 1 Satz 1 AktG. Wann einheitliche Leitung vorliegt, ist trotz jahrelanger Diskussion nach wie vor umstritten. Der Streit knüpft an die Frage an, welche betrieblichen Bereiche von der einheitlichen Leitung des Konzerns umfasst sein müssen. Im Wesentlichen stehen sich der enge und der weite Konzernbegriff gegenüber. Nach dem engen Konzernbegriff muss die einheitliche Leitung in den zentralen unternehmerischen Bereichen Einkauf, Organisation, Personalwesen, Vertrieb und insbesondere Finanzen gegeben sein27. Nach dem weiten Konzernbegriff genügt die einheitliche Leitung in einem dieser maßgeblichen unternehmerischen Bereiche, sofern diese begrenzte Koordination beider Unternehmen Auswirkung auf das Gesamtunternehmen hat28. Im Ergebnis stimmen beide Konzernauffassungen darin überein, dass die einheitliche Leitung im Bereich der Finanzen zur Begründung eines Konzerns ausreicht29. 3. Vermutungskette des Konzernrechts Im Konzernrecht gilt die so genannte „Vermutungskette“ der §§ 17 19 Abs. 2, 18 Abs. 1 Satz 3 AktG: Nach § 17 Abs. 2 AktG wird von einem in Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmen vermutet, dass es von dem herrschenden Unternehmen abhängig ist. Von einem abhängigen Unternehmen wird vermutet, dass es mit dem herrschenden Unternehmen unter einheitlicher Leitung zusammengefasst ist und deshalb mit ihm einen 26 Vgl. Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, Schlussanhang Konzernrecht Rz. 22 f.; Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 17 Rz. 11; Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 17 Rz. 19 ff. 27 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 57 f.; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, Schlussanhang Konzernrecht Rz. 22. 28 Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 18 Rz. 30; Emmerich in Emmerich/ Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 18 Rz. 11 ff. 29 Emmerich in Scholz, GmbHG, Anhang Konzernrecht Rz. 33; Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 18 Rz. 31; Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 18 Rz. 25. Siegels
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Konzern bildet, § 18 Abs. 1 Satz 3 AktG. Im Ergebnis wird daher von einer Mehrheitsbeteiligung auf das Konzernverhältnis geschlossen. Das herrschende Unternehmen kann die Vermutungen allerdings widerlegen30 (vgl. hierzu im Einzelnen unten Rz. 65). 4. Rechtsfolgen von Abhängigkeit und Konzernierung 20 Die meisten Rechtsfolgen im Recht der verbundenen Unternehmen knüpfen an die Abhängigkeit an31. Die Konzernsituation zwischen herrschendem und abhängigem Unternehmen kann demgegenüber zwar nur wenige, dafür jedoch gravierende zusätzliche Rechtsfolgen auslösen. Die wichtigste ist die Konzernhaftung des herrschenden Unternehmens für die Verbindlichkeiten der abhängigen Gesellschaft. Sie stand und steht im Mittelpunkt der Diskussion des Konzernrechts der letzten 25 Jahre (vgl. hierzu ausführlich unten Rz. 164 ff.).
C. Kommunen als herrschende Unternehmen I. Keine Privilegierung öffentlich-rechtlicher Körperschaften 21 Vor und auch noch nach dem VEBA/Gelsenberg-Urteil des BGH wurde eine intensive Diskussion darüber geführt, ob der konzernrechtliche Unternehmensbegriff auf Gebietskörperschaften wegen ihrer öffentlichrechtlichen Gemeinwohlbindung (vgl. hierzu oben § 7 Rz. 5 ff.) überhaupt angewendet werden könne32. Der BGH hat in VEBA/Gelsenberg entschieden, dass öffentlich-rechtliche Körperschaften mit Aktienbesitz, wie die Bundesrepublik Deutschland, trotz ihrer Gemeinwohlbindung nicht grundsätzlich von der konzernrechtlichen Unternehmenseigenschaft im Sinne der §§ 15 ff. AktG und den Rechtsfolgen des Konzernrechts auszunehmen seien. Die spezifische Aufgabenstellung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft könne durchaus mit dem wirtschaftlichen Interesse der Privataktionäre am Gedeihen der abhängigen Gesellschaft kollidieren. Die Gemeinwohlbindung stelle kein Privileg von der Anwendung des Konzernrechts dar und verbiete die Anwendung von Konzernrecht nicht. Aktienrechtliche Schutzvorschriften seien jedenfalls dann „ein sachgerechtes und unentbehrliches Mittel zur Konfliktlösung, wenn die 30 Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 17 Rz. 21 ff.; Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 17 Rz. 90 ff., § 18 Rz. 48; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 Rz. 35 ff., § 18 Rz. 23 f. 31 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 39; Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 17 Rz. 2; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 Rz. 2. 32 Vgl. die Darstellung des Meinungsstreits bei Ehinger, Die Juristischen Personen des öffentlichen Rechts als herrschende Unternehmen, Diss. S. 2; weitere Nachweise zum damaligen Meinungsstand bei Bezzenberger/Schuster, ZGR 1996, 481 und Keßler, GmbHR 2001, 320, Fn. 15, 16.
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öffentliche Hand sich privatwirtschaftlich in einem Umfang betätigt, dass sich hieraus allein schon für private Aktionäre die Gefahr ergibt, das Interesse der Gesellschaft und damit ihr eigenes einem für sie fremden Unternehmensziel aufgeopfert zu sehen33“. Die Rechtsprechung der Instanzgerichte ist der Auffassung des BGH aus dem VEBA/Gelsenberg-Urteil weitgehend gefolgt34. Nach der bereits skizzierten allgemeinen Definition des teleologischen 22 Unternehmensbegriffs (vgl. oben Rz. 12) ist eine Gebietskörperschaft jedenfalls dann herrschendes Unternehmen, wenn sie beispielsweise an zwei Gesellschaften maßgeblich beteiligt ist. Die zweite Beteiligung stellt hinsichtlich der jeweils anderen Gesellschaft eine „anderweitige wirtschaftliche Interessenbindung“ im Sinne des teleologischen Unternehmensbegriffs dar.
II. Ausdehnung des Unternehmensbegriffs Mit dem Volkswagen-Beschluss vom 17.3.1997, der zweiten Leitentscheidung zur Unternehmenseigenschaft von Gebietskörperschaften, ist der BGH über die Grundsätze in der VEBA/Gelsenberg-Entscheidung sogar noch hinausgegangen. Der dritte Leitsatz der Entscheidung lautet:
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„Eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist bereits dann als Unternehmen im konzernrechtlichen Sinne anzusehen, wenn sie lediglich ein in privater Rechtsform organisiertes Unternehmen beherrscht35.“
Diese Ausdehnung des konzernrechtlichen Unternehmensbegriffs für 24 den Bereich der privatwirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand sei erforderlich, um der „Gefahr einer einseitigen Förderung öffentlicher Aufgaben und politischer Ziele zu Lasten von Minderheitsaktionären36“ begegnen zu können. Bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften sei „im Regelfall“ davon auszugehen, dass sie sich bei der Ausübung ihres gesellschaftsrechtlichen Einflusses auf die beherrschte Aktiengesellschaft „nicht nur von typischen Aktionärsinteressen, sondern auch von anderen Interessen leiten lassen, nämlich solchen, die aus ihrer öffentlich-rechtlichen Aufgabenstellung herrühren.“ Diese öffentlich-rechtliche Aufgabenstellung berge für die Minderheit ebenso große Gefahren in sich wie eine anderweitige wirtschaftliche Betätigung37. Zuletzt hat der BGH
33 BGH v. 13.10.1977 – II ZR 123/76 – VEBA/Gelsenberg, BGHZ 69, 334 (338). 34 OLG Köln v. 22.12.1977 – 2 W 32/76 – Lufthansa AG, AG 1978, 171; OLG Hamburg v. 17.8.1979 – 11 W 2/79 – Hamburger Hochbahn, DB 1980, 77; v. 24.7.1987 – 11 U 182/86 – Hamburger Stahlwerke (HSW/Hamburger Staatsbank), AG 1988, 22; bestätigt durch BGH v. 19.9.1988 – II ZR 255/87, BGHZ 105, 168. 35 BGH v. 17.3.1997 – II ZB 3/96 – Volkswagen, BGHZ 135, 107 (113 f.). 36 BGH v. 17.3.1997 – II ZB 3/96 – Volkswagen, BGHZ 135, 107 (113 f.). 37 BGH v. 17.3.1997 – II ZB 3/96 – Volkswagen, BGHZ 135, 107 (113 f.). Siegels
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seine Rechtsprechung im Jahre 2008 in der UMTS-Entscheidung bestätigt38. 25 Der BGH stützt die Unternehmenseigenschaft der Gebietskörperschaften somit auf den Umstand, dass öffentlich-rechtliche Körperschaften sich im Regelfall bei der Ausübung ihres Einflusses auf die beherrschte Gesellschaft nicht nur von den typischen Gesellschafterinteressen, sondern auch von Interessen leiten lassen, die sich aus der öffentlich-rechtlichen Aufgabenstellung, insbesondere der Allgemeinwohlbindung, ergeben39. Die öffentlich-rechtlichen Aufgabenstellungen beschränken sich nicht auf wirtschaftliche Interessen. Sie umfassen vielmehr auch Aspekte der öffentlichen Daseinsvorsorge oder der Strukturförderung40. 26 Dieser Meinungswandel verdient festgehalten zu werden: In der VEBA/ Gelsenberg-Entscheidung aus dem Jahr 1977 reichte die Gemeinwohlbindung nach Ansicht des BGH nicht aus, die Privilegierung der Gebietskörperschaften von konzernrechtlichen Vorschriften zu rechtfertigen. In dem 20 Jahre später ergangenen Volkswagen-Beschluss dient die Gemeinwohlbindung bereits als Begründung dafür, dass der teleologische Unternehmensbegriff in seiner Anwendung auf öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaften gegenüber herrschenden Unternehmen anderer Rechtsform sogar noch verschärft wird.
III. Anwendbarkeit der Rechtsprechung auf Kommunen 27 Bislang gibt es keine ausdrückliche Entscheidung des BGH zum „Konzernrecht für kommunale Unternehmen“ und zu der Frage, ob eine Kommune herrschendes Unternehmen im konzernrechtlichen Sinne sein könne. Die vorhandenen Entscheidungen beziehen sich auf die Bundesrepublik Deutschland bzw. auf das Land Niedersachsen. Der allgemein gehaltene teleologische Ansatz des BGH und die Betonung der öffentlichrechtlichen Körperschaften oder Gebietskörperschaften als Oberbegriffe für Bund, Länder und Kommunen lassen jedoch keinen Zweifel daran, dass die Grundsätze der Entscheidungen auch auf Kommunen und Kommunalverbände anwendbar sind41. 28 Soweit ersichtlich, hat das OLG Celle mit seinem Urteil vom 12.7.200042 zum ersten Mal nach dem Volkswagen-Beschluss des BGH ausdrücklich entschieden, dass eine Gemeinde als öffentlich-rechtliche Gebietskörper38 BGH v. 3.3.2008 – II ZR 124/06 – UMTS, BGHZ 175, 365, NJW 2008, 1583. 39 BGH v. 17.3.1997 – II ZB 3/96 – Volkswagen, BGHZ 135, 107. 40 Knemeyer/Kempen, Kommunales Wirtschaftsrecht, in Achterberg/Püttner/ Würtenberger, Besonderes Verwaltungsrecht, Band 2, § 17 Rz. 16 ff. 41 Allgemeine Meinung, vgl. Raiser, ZGR 1996, 458 (464); Keßler, GmbHR 2001, 320 (323); Engellandt, Einflussnahme der Kommunen, Diss. S. 38 ff. m.w.N. 42 OLG Celle v. 12.7.2000 – 9 U 125/99, NVwZ-RR 2000, 754; rechtskräftig durch Nichtannahmebeschluss des BGH v. 15.7.2002 – II ZR 250/00.
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C. Kommunen als herrschende Unternehmen
schaft Unternehmen im Sinne der konzernrechtlichen Haftung entsprechend den §§ 302, 303 AktG sein könne43. Dies gelte auch dann, wenn die Gemeinde lediglich ein in privater Rechtsform organisiertes Unternehmen betreibe44. Das Gericht schließt sich der Auffassung des BGH an, wonach die Verfolgung öffentlich-rechtlicher Aufgabenstellungen durch die Kommunen die Gefahr eines Konzernkonflikts heraufbeschwören könne. Als – erstaunliche – zweite Argumentationslinie führt das OLG Celle an, dass insbesondere kleinere öffentlich-rechtliche Körperschaften aus dem Konzernrecht herausfielen, wenn sie ihre vielfältigen wirtschaftlichen Aktivitäten in nur einer Gesellschaft zusammenfassen und damit den Regelungsbereich des Konzernrechts verlassen könnten45. Auf diesen Aspekt der Begründung des OLG Celle ist im Zusammenhang mit der Tauglichkeit von Holding-Konstruktionen näher einzugehen (vgl. unten Rz. 60). Die heute ganz herrschende Meinung in der Literatur stimmt mit dem 29 BGH darin überein, dass Kommunen als öffentlich-rechtliche Körperschaften Unternehmen im konzernrechtlichen Sinne sein können46. Bedenken werden allerdings nach wie vor gegen die in der Rechtsprechung des BGH angelegte uneingeschränkte Einbeziehung öffentlich-rechtlicher Körperschaften in den Unternehmensbegriff angemeldet47.
IV. Einzelfragen der Unternehmenseigenschaft von Kommunen Die Rechtsprechung des BGH zur Unternehmenseigenschaft der Gebiets- 30 körperschaften kann als hinreichend gefestigt angesehen werden. Dies dürfte auch für die Ausdehnung des Unternehmensbegriffs durch den Volkswagen-Beschluss gelten. Eine grundlegende Änderung der Rechtsprechung ist trotz vereinzelter Kritik in der Literatur nicht zu erwarten. Kommunen als öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaften sind daher Unternehmen im konzernrechtlichen Sinne, wenn sie mindestens eine privatrechtliche Gesellschaft beherrschen. Nachfolgend werden Einzelaspekte der Beherrschung einer privatrechtlichen Gesellschaft als Voraussetzung der Unternehmenseigenschaft einer Kommune erörtert.
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OLG Celle v. 12.7.2000 – 9 U 125/99, NVwZ-RR 2000, 754. OLG Celle v. 12.7.2000 – 9 U 125/99, NVwZ-RR 2000, 754. OLG Celle v. 12.7.2000 – 9 U 125/99, NVwZ-RR 2000, 754 (757). Vgl. Hüffer, AktG, § 15 Rz. 13 f. m.w.N.; Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 15 Rz. 38; Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 15 Rz. 70 ff., 84 f. 47 Vgl. Mülbert, ZHR 163 (1999), 1 (15 ff.); Schiessl, ZGR 1998, 871 (878); Gratzel, BB 1998, 175 f. Siegels
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1. Beherrschung einer Gesellschaft 31 Beherrschung im Sinne von § 17 Abs. 1 AktG liegt immer dann vor, wenn eine Kommune auf eine Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann48. Auf die tatsächliche Ausübung des Einflusses kommt es hingegen nicht an49. Der BGH hatte es im Volkswagen-Beschluss ausreichen lassen, dass das Land Niedersachsen die Möglichkeit einer beständigen und umfassenden Einflussnahme auf die Volkswagen AG besaß50. Die Beherrschung einer Gesellschaft durch die Kommune wird bei Mehrheitsbeteiligung widerleglich vermutet. Die Vermutungskette der §§ 17, 18 AktG gilt auch für die Beteiligung von Kommunen an Gesellschaften51. Hält eine Kommune die Mehrheit der Anteile an einer Gesellschaft, wird allein aufgrund dieses Umstandes vermutet, dass die Gesellschaft von der Kommune beherrscht wird und von ihr abhängig ist. Dies wiederum löst die Konzernvermutung aus, wonach die abhängige Gesellschaft unter einheitlicher Leitung der Kommune steht und deshalb mit der Kommune einen Konzern bildet. Auf die Frage, ob die Kommune diese Vermutungen widerlegen kann, wird später einzugehen sein (vgl. unten Rz. 64 ff.). 2. Beherrschung aufgrund der Kapital- oder Stimmrechtsmehrheit a) Grundsatz der einfachen Mehrheit 32 In Kapitalgesellschaften genügt die einfache Mehrheit der Gesellschaftsanteile oder der Stimmrechte, damit eine Kommune herrschendes Unternehmen wird. Eine qualifizierte Mehrheit, etwa die Drei-Viertel-Mehrheit, ist nicht erforderlich. 33 In Aktiengesellschaften werden Beschlüsse der Hauptversammlung nach § 133 Abs. 1 AktG grundsätzlich mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen (sog. „einfache Stimmenmehrheit“) gefasst, soweit nicht das Aktiengesetz oder die Satzung der Aktiengesellschaft eine größere Mehrheit oder weitere Erfordernisse bestimmen. Dies gilt auch für Beschlüsse der Gesellschafterversammlung einer GmbH. Dort reicht ebenfalls die Zustimmung der Mehrheit der abgegebenen Stimmen grundsätzlich aus, § 47 Abs. 1 GmbHG. Der Gesellschaftsvertrag kann eine höhere Stimmenmehrheit festsetzen, beispielsweise, um den nach den kommunalen Vorschriften erforderlichen „angemessenen Einfluss“ der Gemeinde (vgl. oben § 8 Rz. 55 ff. und unten Rz. 43 ff.) sicherzustellen. 48 Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 Rz. 5; Emmerich in Scholz, GmbHG, Anhang Konzernrecht Rz. 22 ff.; Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 17 Rz. 11. 49 Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 17 Rz. 11; Emmerich in Emmerich/ Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 Rz. 8; BGH v. 4.3.1974 – II ZR 89/72 – Seitz, BGHZ 62, 193 (201). 50 BGH v. 17.3.1997 – II ZB 3/96 – Volkswagen, BGHZ 135, 107 (115). 51 Vgl. Raiser, ZGR 1996, 458 (475).
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Zwar bedürfen grundlegende Beschlüsse, wie etwa über die Änderung der 34 Satzung einer Aktiengesellschaft oder des Gesellschaftsvertrages einer GmbH, einer Mehrheit von drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Kapitals, § 179 Abs. 2 AktG, § 53 Abs. 2 GmbHG. Diese sog. satzungsändernde Mehrheit ist aber keine Voraussetzung der Beherrschung einer Aktiengesellschaft oder GmbH52. Der Grund dafür liegt darin, dass eine Gesellschaft bereits dann von einem Unternehmen beherrscht wird, wenn das Unternehmen in den wesentlichen Fragen des „laufenden“ Geschäfts, insbesondere in den Personalfragen für die Leitungsorgane, seinen Willen durchsetzen kann53. Im Recht der Personengesellschaften gilt der Grundsatz der Einstimmig- 35 keit. Einem Gesellschafterbeschluss müssen nach dem gesetzlichen Leitbild des § 119 Abs. 1 HGB alle zur Mitwirkung bei der Beschlussfassung berufenen Gesellschafter zustimmen. Allerdings kann von dem Einstimmigkeitserfordernis nach § 119 Abs. 2 HGB durch den Gesellschaftsvertrag abgewichen werden54. In der Praxis wird in den Gesellschaftsverträgen zumeist geregelt, dass Gesellschafterbeschlüsse über einzeln aufgeführte Beschlussgegenstände mit Mehrheit getroffen werden55. Die Kommune benötigt für die Beherrschung der Personengesellschaft dann die nach dem Gesellschaftsvertrag vorgesehene Regel-Mehrheit für Gesellschafterbeschlüsse, die einen sicheren Einfluss auf die wichtigen Entscheidungen der Personengesellschaft vermitteln56. b) Berücksichtigung eigener Anteile der Gesellschaft Aktiengesellschaften und GmbH dürfen eigene Anteile erwerben und 36 halten, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, § 71 AktG, § 33 GmbHG. Der Aktiengesellschaft stehen aus den eigenen Anteilen keine Rechte, insbesondere kein Stimmrecht, zu, § 71b AktG. Entsprechendes gilt für eigene Anteile der GmbH57. Für die Berechnung der Mehrheit der Anteile oder der Stimmrechte an einer Aktiengesellschaft oder GmbH bleiben diese Anteile außer Betracht. Daraus kann sich die Gefahr für die beteiligte Kommune ergeben, in eine Mehrheitsbeteiligung „hineinzuwachsen“, falls die Aktiengesellschaft 52 So ausdrücklich BGH v. 17.3.1997 – II ZB 3/96 – Volkswagen, BGHZ 135, 107 (114). 53 Vgl. Emmerich in Scholz, GmbHG, Anhang Konzernrecht Rz. 23; Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 17 Rz. 25 ff. 54 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 453 f.; Happ/Möhrle in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 1, § 5 Rz. 49. 55 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 454; Baumbach/Hopt, HGB, § 119, Rz. 34. 56 Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, Schlussanhang Konzernrecht Rz. 18; Koppensteiner in Rowedder, GmbHG, Anh. nach § 52 Rz. 12. 57 Baumbach/Hueck, GmbHG, § 33 Rz. 24; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 33 Rz. 39. Siegels
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oder GmbH eigene Anteile erwirbt. War die Kommune bislang nicht als herrschendes Unternehmen zu qualifizieren, kann sie als Folge des Erwerbs der eigenen Anteile durch die Gesellschaft möglicherweise die Anteils- und Stimmenmehrheit erlangen und damit herrschendes Unternehmen werden. c) Zurechnung von Anteilen nach § 16 Abs. 4 AktG 38 Für die Frage, ob die Kommune in einer Gesellschaft die Kapital- oder Stimmrechtsmehrheit hat, werden zunächst die der Kommune selbst gehörenden Anteile betrachtet. Daneben werden nach dem allgemeinen Rechtsgedanken des § 16 Abs. 4 AktG alle Anteile berücksichtigt, die entweder einem anderen von der Kommune abhängigen Unternehmen gehören oder von einem Dritten für Rechnung der Kommune gehalten werden. Zuzurechnen sind (selbstverständlich) auch Beteiligungen, die einem kommunalen Betrieb gehören58. Mittelbare Beteiligungen über eine andere Gesellschaft sind zu berücksichtigen, wenn sie in einer Kette von Mehrheitsbeteiligungen gehalten werden59. Nach der neuesten Rechtsprechung des BGH ist eine Zurechnung von Anteilen nach § 16 Abs. 4 AktG allerdings nicht zulässig, wenn dadurch die Unternehmenseigenschaft erst begründet würde60. Vielmehr setze die Zurechnung voraus, dass der Gesellschafter bereits ein Unternehmen ist. Die Zurechnung von Anteilen kann die Unternehmenseigenschaft der Kommune selbst deshalb nicht begründen. Ist die Kommune jedoch bereits wegen der Beherrschung einer Gesellschaft als herrschendes Unternehmen zu qualifizieren, kommt für die Frage, ob eine andere Gesellschaft ebenfalls von der Kommune abhängig ist, eine Zurechnung von Anteilen nach § 16 Abs. 4 AktG in Betracht. 39 Neben den Fällen des § 16 Abs. 4 AktG kann auch aufgrund bestimmter schuldrechtlicher Vereinbarungen mit anderen Gesellschaftern eine Situation eintreten, in der einer Kommune neben den eigenen Anteilen an der Gesellschaft weitere Anteile oder Stimmen anderer Gesellschafter zugerechnet werden. Aus der Minderheitsbeteiligung der Kommune kann dann eine Mehrheitsbeteiligung werden. Dies gilt grundsätzlich unabhängig von der Rechtsform der Gesellschaft, an der die Beteiligung besteht. 40 Als Mitglied eines Aktionärskonsortiums mit anderen Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts oder auch mit privatrechtlichen Gesellschaftern kann eine Kommune herrschendes Unternehmen sein, wenn sie aufgrund der Konsortialvereinbarung im Konsortium ihren Willen durchsetzen kann. Verfügt die Kommune über die Mehrheit im Kon58 Hüffer, AktG, § 16 Rz. 13; Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 16 Rz. 33; Bayer in Müchener Komm. zum AktG, § 16 Rz. 50. 59 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 37 f., 44; Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 16 Rz. 29. 60 BGH v. 18.6.2001 – II ZR 212/99 – MLP, BGHZ 148, 123.
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sortium, sind ihr die Stimmen der übrigen Konsorten in der Hauptversammlung in der Regel zuzurechnen61. Die eigene Minderheitsbeteiligung der Kommune kann dann durch die Zurechnung zu einer unternehmensrelevanten Mehrheitsbeteiligung aufgewertet werden. Das gilt auch, wenn die Kommune mit anderen Gesellschaftern einen Stimmbindungsvertrag geschlossen hat und die anderen Gesellschafter sich darin verpflichten, wie die Kommune abzustimmen. 3. Beherrschung bei Minderheitsbeteiligung a) Minderheitsbeteiligungen ohne sonstigen Einfluss Die Gemeindeordnungen enthalten kein Verbot für die Kommunen, Min- 41 derheitsbeteiligungen an Gesellschaften des Privatrechts zu erwerben. Vielmehr nehmen zahlreiche Normen in den Gemeindeordnungen minderheitliche Beteiligungen ausdrücklich in Bezug (Art. 95 Abs. 1 BayGO; §§ 92 Abs. 1 Nr. 4, 96 Abs. 3 BbgKVerf; § 73 Abs. 1 KV MV; § 137 NKomVG; § 108 Abs. 2 GO NW; §§ 87 Abs. 4, 90 Abs. 2 GemO Rh.-Pf.; § 111 Abs. 3 KSVG Saarl.; § 99 Abs. 2 SächsGemO). Gleichwohl sind die Gemeinden nach den kommunalrechtlichen Vorschriften verpflichtet, ihren „angemessenen Einfluss“ auf die Beteiligungsgesellschaft sicherzustellen (vgl. hierzu sogleich unten Rz. 43 ff.). Eine Minderheitsbeteiligung ohne sonstige Einflussmöglichkeiten auf die 42 Beteiligungsgesellschaft qualifiziert die Kommune nicht als herrschendes Unternehmen. Die Vorschriften des Rechts der verbundenen Unternehmen sind in diesem Fall auf die Kommune nicht anzuwenden. Dies gilt auch für § 20 AktG, der eine Mitteilungspflicht statuiert, falls einem Unternehmen mehr als der vierte Teil der Aktien einer Aktiengesellschaft („Sperrminorität“) gehört. Eine Kommune ist aber, anders als etwa eine Kapitalgesellschaft, nicht Unternehmen „an sich“, sondern wird erst unter bestimmten Umständen zu einem Unternehmen. Eine Sperrminorität allein reicht jedoch im Regelfall nicht aus. b) Sonstige Einflussfaktoren neben der Beteiligungshöhe Die Gemeindeordnungen gestatten die Gründung einer Gesellschaft oder 43 die Beteiligung einer Kommune an einer bestehenden Gesellschaft oftmals nur dann, wenn sichergestellt ist, dass die Kommune in der Gesellschaft einen „angemessenen Einfluss“ erhält (vgl. hierzu oben § 8 Rz. 55 ff.; § 103 Abs. 1 Nr. 1 GemO BW; Art. 92 Abs. 1 Nr. 2 BayGO; § 96 Abs. 1 Nr. 2 BbgKVerf; § 122 Abs. 1 Nr. 3 HGO; § 69 Abs. 1 Nr. 4 KV MV; § 137 Abs. 1 Nr. 6 NKomVG; § 108 Abs. 1 Nr. 6 GO NW; § 87 Abs. 1 Nr. 3 GemO Rh.-Pf.; § 110 Abs. 1 Nr. 3 KSVG Saarl.; § 96 Abs. 1 Nr. 2
61 Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 Rz. 17; Emmerich in Scholz, GmbHG, Anhang Konzernrecht Rz. 25. Siegels
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SächsGemO; § 117 Abs. 1 Nr. 3 GO LSA; § 102 Abs. 1 Nr. 3 GO Schl.Holst.). 44 Zwar bedeutet der angemessene Einfluss im Sinne der öffentlich-rechtlichen Ingerenzpflicht nicht ohne weiteres die „Beherrschung“ der Beteiligungsgesellschaft durch die Kommune im konzernrechtlichen Sinne. Angemessener Einfluss ist weniger als die Beherrschungsmöglichkeit. Beherrschungsmöglichkeit setzt voraus, dass die Kommune in der Gesellschaft ihren Willen durchsetzen kann, falls sie es wünscht. Dem gegenüber liegt ein angemessener Einfluss schon dann vor, wenn die Kommune Minderheiten-Schutzrechte ausüben kann62. 45 Fraglich ist, wie sich sonstige Einflussfaktoren auf die Unternehmenseigenschaft der Kommunen auswirken. Ausgangspunkt der Überlegungen ist der Grundsatz des § 17 Abs. 1 AktG, wonach eine Gesellschaft abhängig ist, wenn das herrschende Unternehmen die beständige, umfassende und gesellschaftsrechtlich vermittelte Möglichkeit der Einflussnahme auf das abhängige Unternehmen besitzt63. Bei einer Minderheitsbeteiligung sind nach der Rechtsprechung des BGH neben dem gesellschaftsrechtlichen Einfluss weitere verlässliche Umstände rechtlicher oder tatsächlicher Art erforderlich64. Im Folgenden sollen deshalb die sonstigen Einflussfaktoren dargestellt werden, die eine Kommune mit Minderheitsbeteiligung an einer Gesellschaft zum Unternehmen werden lassen können. aa) Recht zur Besetzung der Geschäftsführung 46 Denkbar ist, dass der Kommune im Gesellschaftsvertrag oder in Vereinbarungen mit den Mitgesellschaftern das Recht eingeräumt wurde, den oder die Geschäftsführer zu bestimmen oder Mandatsträger oder andere Personen des Vertrauens in die Geschäftsleitung zu entsenden. Dies verstärkt den Einfluss der Kommune, der ihr aufgrund des Stimmrechts in der Gesellschafterversammlung zusteht. Es ist anerkannt, dass die Möglichkeit der Besetzung der Geschäftsleitung „mit eigenen Leuten“ ein Umstand sein kann, der eine minderheitliche Beteiligung zu einer unternehmensrelevanten Beteiligung aufwertet65. Von der Geschäftsleitung kann dann im Allgemeinen erwartet werden, dass sie die Wünsche und Planungsvorstellungen der Kommune berücksichtigt. Dies gilt insbesondere, wenn die Kommune eigenes Personal für die Geschäftsleitung der abhängigen Gesellschaft stellt. Aber auch dann, wenn die Kommune be62 Vgl. Schneider/Dreßler/Lüll, Hessische Gemeindeordnung, § 122 Anm. 7; Hölzl/Hien, Bayerische Gemeindeordnung, Art. 93 GO Anm. 3. 63 BGH v. 26.3.1984 – II ZR 171/83 – BuM-AG, BGHZ 90, 381 (397); v. 17.3.1997 – II ZB 3/96 – Volkswagen, BGHZ 135, 107 (114). 64 BGH v. 13.10.1977 – II ZR 123/76 – VEBA/Gelsenberg, BGHZ 69, 334 (347), zuletzt v. 18.6.2001 – II ZR 212/99 – MLP, ZIP 2001, 1323. 65 Vgl. nur Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 40 f.
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sonderen Einfluss auf die Besetzung der Geschäftsleitung mit Fremdgeschäftsleitern hat, werden diese sich im Interesse des Erhalts ihrer eigenen Position regelmäßig nicht in grundsätzliche Opposition zur Kommune begeben. bb) Besetzung des Aufsichtsrats In der Aktiengesellschaft bestellt der Aufsichtsrat den Vorstand, § 84 47 Abs. 1 AktG. Die Hauptversammlung hat keinen direkten Einfluss auf die Zusammensetzung des Vorstandes; sie wählt allerdings ihrerseits die Aufsichtsratsmitglieder mit einfacher Mehrheit, § 101 Abs. 1 AktG. Somit ist der sonstige Einfluss der Kommune auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrates entscheidend, um auf diese vermittelte Weise Einfluss auf die Personalpolitik für den Vorstand nehmen zu können. Bei Minderheitsbeteiligung fehlt der Kommune die erforderliche einfache Stimmenmehrheit in der Hauptversammlung, um den Aufsichtsrat allein bestimmen zu können. Ein Recht der Kommune, als Minderheitsgesellschafterin eine bestimmte Zahl von Aufsichtsratsmitgliedern entsenden zu dürfen, verstärkt deshalb ihren Einfluss auf die Gesellschaft. In der Volkswagen-AG verfügt das Land Niedersachsen lediglich über 48 zwei von zwanzig Aufsichtsratsmandaten. Gleichwohl hat der BGH66 dies zusammen mit der „permanenten Hauptversammlungspräsenzmehrheit“ (dazu sogleich unten Rz. 53 ff.) als einen Umstand angesehen, der die Einflussmöglichkeiten in der Volkswagen-AG wesentlich verstärkt. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass die permanente Hauptversammlungspräsenzmehrheit des Landes faktisch eine Stimmenmehrheit bedeutet. Bei einer Minderheitsbeteiligung der Kommune hat das Recht zur Ent- 49 sendung von Aufsichtsratsmitgliedern (vgl. oben § 8 Rz. 61 f.) nur dann konzernrechtliche Bedeutung, wenn damit mittelbar das exklusive Recht verbunden ist, die Mitglieder der Geschäftsleitung zu benennen. Die Geschäftsleitung wird auch in diesem Fall gegenüber der Kommune als Minderheitsgesellschafterin positiv eingestellt sein. Dies verstärkt die Einflussmöglichkeiten der Kommune aufgrund der Kapital- und Stimmrechtsbeteiligung. Anders als bei der Aktiengesellschaft muss in einer GmbH nach den ge- 50 setzlichen Vorschriften nur dann zwingend ein Aufsichtsrat eingerichtet werden, wenn sie mit mehr als in der Regel 500 Arbeitnehmern der Mitbestimmung nach dem Drittelbeteiligungsgesetz oder, mit in der Regel mehr als 2000 Arbeitnehmern, der Mitbestimmung nach dem Mitbestimmungsgesetz 1976 unterliegt.
66 BGH v. 17.3.1997 – II ZB 3/96 – Volkswagen, BGHZ 135, 107. Siegels
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cc) Schuldrechtliche Beziehungen mit der Gesellschaft 51 Oftmals gewährt die Kommune der Gesellschaft ein dringend benötigtes Darlehen oder ist wesentlicher Abnehmer ihrer Leistungen. Solche schuldrechtlichen Beziehungen zwischen der Kommune und der Beteiligungsgesellschaft reichen regelmäßig nicht aus, um die Kommune mit einer Minderheitsbeteiligung als herrschendes Unternehmen zu qualifizieren67. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Minderheitsbeteiligung nur eine geringe Höhe ausmacht. Die Rechtsfigur der bloßen „wirtschaftlichen Abhängigkeit“ ohne gesellschaftsrechtliche Grundlage wird von der herrschenden Meinung abgelehnt68. Für den Fall der Minderheitsbeteiligung an einer Aktiengesellschaft von weniger als 25 % hat der BGH entschieden, dass selbst solche wirtschaftlichen Beziehungen, die für die Gesellschaft existenzwichtig sind, eine geringfügige Minderheitsbeteiligung nicht zu einer unternehmensrelevanten Beteiligung aufwerten können69. Allerdings schließt die Rechtsprechung des BGH nicht aus, dass ein ohnehin schon bestehender gesellschaftsrechtlicher Einfluss der Kommune aufgrund der Beteiligungshöhe durch außergesellschaftsrechtliche Einflusselemente zu einem beherrschenden Einfluss im Sinne des § 17 AktG werden könne70. Eine „maßgebliche“ Minderheitsbeteiligung kann daher im Zusammenwirken mit der wirtschaftlichen Abhängigkeit der Gesellschaft zur Unternehmenseigenschaft der Kommune führen71. 52 Unklar ist jedoch, wann eine Minderheitsbeteiligung maßgeblich ist. Zu denken ist insbesondere an Fälle, in denen Satzung oder Gesellschaftsvertrag für Gesellschafterbeschlüsse eine erhöhte Mehrheit vorsehen und die Kommune deshalb in der Lage ist, Gesellschafterbeschlüsse mit ihrer Sperrminorität zu blockieren. Eine Sperrminorität genügt zwar grundsätzlich nicht, um einen Minderheitsgesellschafter zum herrschenden Unternehmen zu machen und die Abhängigkeit einer Gesellschaft zu begründen – es gibt keine „negative Beherrschung“72. Kommt zu der Sperrminorität der Kommune jedoch hinzu, dass die Gesellschaft wirtschaftlich von der Kommune abhängig ist, kann sich eine andere Einschätzung ergeben. In diesem Fall könnte die wirtschaftliche Abhängigkeit die Gesellschaftermehrheit dazu bewegen, den „Wünschen“ der Kommune nachzugeben. Eine Sperrminorität birgt jedenfalls im Zusammenwirken 67 Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 17 Rz. 59; Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 17 Rz. 29; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktienund GmbH-Konzernrecht, § 17 Rz. 15 f. 68 Vgl. Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 17 Rz. 58 ff.; Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 17 Rz. 29; Hüffer, AktG, § 17 Rz. 8 m.w.N., auch zur Gegenmeinung. 69 BGH v. 26.3.1984 – II ZR 171/83 – BuM-AG, BGHZ 90, 381 (397). 70 BGH v. 26.3.1984 – II ZR 171/83 – BuM-AG, BGHZ 90, 381 (397). 71 BGH v. 18.6.2001 – II ZR 212/99 – MLP, BGHZ 148, 123. 72 Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 17 Rz. 42; Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 17 Rz. 24, 43; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 Rz. 25; Hüffer, AktG, § 17 Rz. 10 m.w.N.
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mit der wirtschaftlichen Abhängigkeit der Gesellschaft von der Kommune die Gefahr, eine maßgebliche Minderheitsbeteiligung darzustellen. dd) Permanente Hauptversammlungspräsenzmehrheit In seinem Volkswagen-Beschluss73 hat der BGH das Land Niedersachsen 53 als herrschendes Unternehmen qualifiziert, obwohl es nur mit 20 % der stimmberechtigten Aktien an der Volkswagen AG beteiligt war74. Mit dieser Beteiligungshöhe verfügte das Land über eine sog. „permanente Hauptversammlungspräsenzmehrheit“. Die Präsenz der Aktionäre in der Hauptversammlung der Volkswagen AG war mehrere Jahre hintereinander so gering, dass das Land mit seinem Stimmanteil für einen längeren Zeitraum Beschlüsse mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen durchsetzen konnte. Der BGH erachtete dies in Verbindung mit den beiden Mandaten des Landes im Aufsichtsrat als hinreichend für die Möglichkeit einer beständigen und umfassenden Einflussnahme auf die Volkswagen AG75. Bei der Beteiligung einer Kommune an einer Publikums-Aktiengesell- 54 schaft ist somit relevant, ob die Kommune in der Hauptversammlung über einen längeren Zeitraum die Stimmrechtsmehrheit ausüben kann. Verfestigt sich das Stimmengewicht der Kommune zu einer permanenten Hauptversammlungspräsenzmehrheit, besteht jedenfalls dann die Gefahr, als herrschendes Unternehmen qualifiziert zu werden, wenn weitere Aspekte der Beherrschungsmöglichkeit hinzukommen. Hierzu zählen – wie bereits oben dargestellt – insbesondere Aufsichtsratsmandate der Kommune. Eine permanente Hauptversammlungspräsenzmehrheit ist ein Spezifi- 55 kum der Aktiengesellschaft. Sie ist in aller Regel auf die Beteiligung an einer Publikums-Aktiengesellschaft beschränkt. In Gesellschaften mit begrenztem Gesellschafterkreis kann nicht davon ausgegangen werden, dass bereits eine Minderheitsbeteiligung zu einer dauerhaften Stimmrechtsmehrheit in der Gesellschafterversammlung führt.
V. Vermeidung der Unternehmenseigenschaft der Kommunen Ist eine Kommune nach den dargestellten Kriterien ein herrschendes Un- 56 ternehmen im Sinne des Konzernrechts, ist sie zahlreichen Schutzvorschriften zugunsten des abhängigen Unternehmens unterworfen, insbesondere der Konzernhaftung (vgl. dazu unten Rz. 164). Im Folgenden 73 BGH v. 17.3.1997 – II ZB 3/96 – Volkswagen, BGHZ 135, 107. 74 Vgl. Gesetz über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private Hand vom 21.7.1960, BGBl. I 1960, 585. 75 BGH v. 17.3.1997 – II ZB 3/96 – Volkswagen, BGHZ 135, 107 (115). Siegels
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sollen denkbare Strategien zur Vermeidung der Unternehmenseigenschaft der Kommune und damit der konzernrechtlichen Haftung auf ihre Tauglichkeit untersucht werden. 1. Holding-Konstruktionen a) Ausgangspunkt 57 Teilweise wird empfohlen, die Beteiligungsgesellschaften der Kommune in einer Holding-Gesellschaft zusammenzufassen 76. Die Unternehmenseigenschaft einer Kommune wird sich im Ergebnis damit allerdings wohl nicht vermeiden lassen. 58 Über die Wirksamkeit von Holding-Konstruktionen wurde bereits im Zusammenhang mit der Unternehmenseigenschaft natürlicher Personen aufgrund mehrfacher Beteiligung77 in der Literatur ausführlich diskutiert. Viele Autoren haben empfohlen, eine Holdinggesellschaft zwischen die natürliche Person und ihre Beteiligungsgesellschaften zwischenzuschalten78. 59 Die Befürworter der so genannten „Abschirmwirkung“ der Holding vertreten die Auffassung, dass eine Qualifikation des hinter der Holding stehenden Rechtssubjekts als Unternehmen im konzernrechtlichen Sinne nicht erforderlich sei, wenn eine Kapitalgesellschaft als Holding zwischengeschaltet ist, deren Unternehmenseigenschaft nicht in Frage steht. Bündele beispielsweise die natürliche Person ihre sämtlichen Beteiligungen in einer Holding, betätige sie sich nur noch mittels der Holding. Der Interessenwiderstreit zwischen mehreren gesellschaftsrechtlichen Beteiligungen als Anlass für die Einbeziehung natürlicher Personen in den Unternehmensbegriff entfalle dann. Die Gegner der Holding-Lösung führen hingegen überwiegend Umgehungsargumente an, um die Abschirmwirkung der Holding in Frage zu stellen79. Der BGH hat in seinem MLP-Urteil vom 18.6.2001 die Wirksamkeit der Holding-Konstruktion für eine natürliche Person im Grundsatz nunmehr anerkannt80. b) Holding-Konstruktionen für Kommunen 60 Aufgrund des weiten Unternehmensbegriffs des BGH für Gebietskörperschaften dürfte die Zwischenschaltung einer Holding kein geeignetes 76 Vgl. Schneider/Dreßler/Lüll, Hessische Gemeindeordnung, § 122, Anm. 7; Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 223 ff. 77 BGH v. 16.9.1985 – II ZR 275/84 – Autokran, BGHZ 95, 330. 78 Vgl. die Darstellung des Meinungsstandes bei Siegels, Die Privatperson als Konzernspitze, Diss. S. 209 ff.; Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 15 Rz. 30; Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 15 Rz. 35 ff. 79 Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 15 Rz. 15 ff., 17; Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 15 Rz. 38 ff. 80 BGH v. 18.6.2001 – II ZR 212/99 – MLP, BGHZ 148, 123.
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Mittel sein, um die Unternehmenseigenschaft der Kommune und ihre Einbeziehung in das Konzernrecht zu vermeiden81. Für eine Gebietskörperschaft stellt die Rechtsprechung gerade nicht da- 61 rauf ab, ob diese neben ihrer Beteiligung an einer Gesellschaft noch eine weitere wirtschaftliche Tätigkeit ausübt oder an einer weiteren Gesellschaft beteiligt ist. Nach den Grundsätzen des Volkswagen-Beschlusses reicht es aus, dass die Kommune eine privatrechtliche Gesellschaft beherrscht82. Auch wenn die Kommune nur an einer städtischen Holding als Allein- oder Mehrheitsgesellschafterin beteiligt ist, beherrscht die Kommune diese Gesellschaft und erfüllt damit die Kriterien des Volkswagen-Beschlusses zur Unternehmenseigenschaft. Dies dürfte selbst dann gelten, wenn eine nicht operativ tätige Betei- 62 ligungsholding zwischen die Kommune und die Beteiligungsgesellschaften eingefügt wird. Eine solche Beteiligungsholding hält ausschließlich die Beteiligungen und übt ihre Gesellschafterrechte aus. Sie nimmt, anders als die Managementholding, keinen Einfluss auf die operative Tätigkeit der Beteiligungsgesellschaften. Zu Recht wird in der Literatur jedoch darauf hingewiesen, dass zumindest eine Holding in der Rechtsform der GmbH einer Kommune weitgehende Einwirkungsmöglichkeiten auf die Tochtergesellschaften eröffne83. Abhängigkeit und Beherrschung setzen keine aktuelle Einflussnahme voraus. Vielmehr genügt die Möglichkeit, dass die Kommune die Holding jederzeit von einer passiven Beteiligungsholding in eine aktive Managementholding umwandeln und dann Einfluss auf die Beteiligungsgesellschaften nehmen kann. Die Kommune ist nach den Kriterien der BGH-Rechtsprechung schließ- 63 lich selbst dann Unternehmen, wenn sie keinen Einfluss auf die Holding ausübt, der über die Wahrnehmung von Gesellschafterrechten hinausgeht. Für die Beherrschung der Holding als Grundlage der Unternehmenseigenschaft der Kommune ist die tatsächliche Einflussnahme auf die Holding nicht erforderlich84. Die Kommune hat jederzeit die Möglichkeit, auf die Holding und damit mittelbar auf die wirtschaftlichen Angelegenheiten der Beteiligungsunternehmen einzuwirken. Diese „potentielle“ Einflussnahme genügt. Der Nachweis, dass die Kommune die Holding und damit die Beteiligungsunternehmen nicht beherrscht, wird kaum zu erbringen sein. Der Unternehmensbegriff des BGH ist so angelegt, dass eine Holding für die Kommunen keine Abschirmwirkung von der Unter-
81 So schon Raiser, ZGR 1996, 458 (464), vor der „Volkswagen“-Entscheidung des BGH. 82 BGH v. 17.3.1997 – II ZB 3/96 – Volkswagen, BGHZ 135, 107 (113). 83 Schneider/Dreßler/Lüll, Hessische Gemeindeordnung, § 122 Anm. 7 a.E.; Engellandt, Einflussnahme der Kommunen, Diss. S. 40 f.; Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 223, 225. 84 Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 Rz. 8; Emmerich in Scholz, GmbHG, Anhang Konzernrecht Rz. 24. Siegels
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nehmenseigenschaft entfaltet. Wie die Entscheidung des OLG Celle zeigt85, ist diese Konsequenz von der Rechtsprechung auch gewünscht (vgl. oben Rz. 28). 2. Sonstige Vermeidungsstrategien 64 Aufgrund des weiten Unternehmensbegriffs des BGH einerseits und der Pflicht zur Einflussnahme aufgrund des kommunalrechtlichen Ingerenzgebotes andererseits stehen den Kommunen wohl keine Möglichkeiten zur Verfügung, die Unternehmenseigenschaft zu vermeiden. 65 Im allgemeinen Konzernrecht werden zur Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung beispielsweise Entherrschungsverträge diskutiert86, mit denen sich der herrschende Gesellschafter verpflichtet, keinen beherrschenden Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen. Eine solche Entherrschung ist allerdings nur möglich, wenn an der Gesellschaft weitere Gesellschafter beteiligt sind. Entherrschungsverträge dürften zudem wegen des kommunalrechtlichen Gebots der Einflussnahme aufgrund der Ingerenzpflicht87 für Kommunen gerade nicht in Betracht kommen88. 66 Dies gilt auch für andere Maßnahmen, Umstände und Mittel, mit denen die Möglichkeit der Beherrschung der Gesellschaften ausgeschlossen werden soll, wie insbesondere Stimmrechtsbeschränkungen und Stimmbindungen89. 67 Die Kommunen sind verpflichtet, ihren „angemessenen Einfluss“ auf die Beteiligungsgesellschaft sicherzustellen (vgl. oben § 8 Rz. 55 ff.). Der angemessene Einfluss bezieht sich nicht nur auf die Beteiligungsquote und die daraus erwachsenen Stimmrechte in der Gesellschaftsversammlung der Beteiligungsgesellschaft. Vielmehr sind die Kommunen gehalten, bei der Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrages einer Kapitalgesellschaft darauf hinzuwirken, dass der Kommune das Recht eingeräumt wird, Mitglieder in den Aufsichtsrat zu entsenden (vgl. § 96 Abs. 1 Nr. 2 BbgVerf; § 113 Abs. 3 GO NW; §§ 137 Abs. 1 Nr. 6, 138 Abs. 3 NKomVG; Art. 93 Abs. 2 Satz 1 BayGO; vgl. oben § 8 Rz. 61 f.). Die Kommunen sind somit aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften verpflichtet, ihren Einfluss auf die Gesellschaft sicherzustellen. 68 Zwar bedeutet der „angemessene Einfluss“ weniger als die Beherrschungsmöglichkeit (vgl. oben Rz. 44). Kann die Kommune jedoch einen
85 OLG Celle v. 12.7.2000 – 9 U 125/99, NVwZ-RR 2000, 754. 86 Vgl. dazu Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 17 Rz. 99 ff.; Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 17 Rz. 109 ff.; Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 51 f. m.w.N. 87 Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 268; Stober, Kommunalrecht, S. 345. 88 Vgl. Raiser, ZGR 1996, 458 (476): „unzulässig“. 89 Vgl. Hüffer, AktG, § 17 Rz. 21 f.
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D. Abhängigkeit kommunaler Unternehmen und ihre Rechtsfolgen
beherrschenden Einfluss ausüben, wird sie die Konzernvermutungen gerade wegen ihrer bestehenden Verpflichtung zur Einflussnahme nur schwerlich widerlegen können.
D. Abhängigkeit kommunaler Unternehmen und ihre Rechtsfolgen Von den Unternehmensverbindungen, die § 15 AktG nennt (vgl. hierzu 69 oben Rz. 15 ff.), haben in der kommunalen Praxis das Abhängigkeitsverhältnis und vor allem das Konzernverhältnis die größte Bedeutung. Beide Formen der Unternehmensverbindungen zwischen Kommunen und Gesellschaften werden nach den Regeln beurteilt, die jeweils für die Rechtsform der abhängigen Gesellschaft gelten. Für eine Aktiengesellschaft im Anteilsbesitz der Kommune gilt das Konzernrecht des AktG, für eine abhängige oder konzernierte GmbH das richterrechtliche GmbH-Konzernrecht und für die Beteiligung der Kommune an einer Personengesellschaft das richterrechtliche Konzernrecht der Personengesellschaften90. Bei einem gemischten Beteiligungsportefeuille einer Kommune sind daher unterschiedliche Regelungssysteme zu beachten.
I. Begründung und Beendigung von Abhängigkeitsbeziehungen Nach § 17 Abs. 1 AktG ist eine Gesellschaft von einer Kommune abhän- 70 gig, wenn diese unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss auf die Gesellschaft ausüben kann. Eine tatsächliche Einflussnahme ist nicht erforderlich. Abhängigkeit wird daher anschaulich als „potenzielle Konzernierung“ bezeichnet91. Obwohl der Abhängigkeitstatbestand in der Theorie des Rechts der verbundenen Unternehmen die zentrale Rolle einnimmt92, wird er in seiner praktischen Bedeutung vom Konzerntatbestand überlagert. Der Grund dafür liegt in der Konzernvermutung des § 18 Abs. 1 Satz 3 AktG, wonach von einem abhängigen Unternehmen vermutet wird, dass es mit dem herrschenden Unternehmen einen Konzern bildet. Gelingt es dem herrschenden Unternehmen nicht, diese Vermutung zu widerlegen, überlagert die Konzernierung gleichsam die Abhängigkeit und erweitert den Kreis der anwendbaren Rechtsnormen. Die möglichen Mittel der Begründung der Abhängigkeit einer Gesellschaft sind vielfältig. Sie entsprechen denjenigen Beherrschungsinstru-
90 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 34. 91 Vgl. Hüffer, AktG, § 17 Rz. 4; Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 17 Rz. 18. 92 Hüffer, AktG, § 17 Rz. 1; Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 17 Rz. 2; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 Rz. 2. Siegels
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menten, die im Zusammenhang mit der Unternehmenseigenschaft der Kommune bereits dargestellt wurden (vgl. oben Rz. 31 ff.). Wichtigstes Mittel ist die Mehrheitsbeteiligung, weil sie einen umfassenden Einfluss auf die Gesellschaft gewährt. Daher statuiert § 17 Abs. 2 AktG die Abhängigkeitsvermutung, wonach von einem in Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmen vermutet wird, dass es von dem an ihm mit Mehrheit beteiligten Unternehmen abhängig ist. Daneben kommen alle Mittel in Betracht, die einen beständigen und umfassenden Einfluss vermitteln, sofern sie ihre Wurzel in der gesellschaftsrechtlichen Beziehung haben93. 72 Festzuhalten ist, dass dieselben Herrschaftsmittel über eine Beteiligungsgesellschaft, die die Kommune als Unternehmen qualifizieren, zugleich zur Abhängigkeit der Beteiligungsgesellschaft führen. Diese rechtsdogmatische Besonderheit der Verbindung zwischen Unternehmensbegriff und Abhängigkeitstatbestand wurde in der Literatur teilweise kritisiert94. Der BGH nimmt sie allerdings hin; praktische Auswirkung hat sie zudem nicht. 73 Die Abhängigkeit beginnt, sobald die Beherrschungsmöglichkeit gegeben ist, im Regelfall also mit dem Erwerb der Mehrheitsbeteiligung durch die Kommune. Beruht die Abhängigkeit auf einer Minderheitsbeteiligung in Verbindung mit weiteren, verstärkenden Umständen, beginnt die Abhängigkeit, sobald der letzte Einflussfaktor vorliegt, der im Zusammenspiel mit anderen Einflussmöglichkeiten für die Abhängigkeit erforderlich ist. 74 Die Abhängigkeit endet, sobald die Beherrschungsmöglichkeiten entfallen. Die Veräußerung der Mehrheitsbeteiligung durch die Kommune wird der Regelfall sein. Gründet sich die Abhängigkeit auf die Minderheitsbeteiligung der Kommune und weitere Einflussfaktoren, endet die Abhängigkeit bereits mit Fortfall eines der erforderlichen Einflussfaktoren.
II. Rechtsfolgen der Abhängigkeit 1. Aktiengesellschaft 75 Die Rechtsfolgen der Abhängigkeit einer Aktiengesellschaft von einem herrschenden Unternehmen sind theoretisch vielfältig. In der Praxis der Abhängigkeit einer Aktiengesellschaft von einer Kommune sind viele Normen des Konzernrechts jedoch nicht relevant. a) Ausgleichs- und Haftungspflichten der herrschenden Kommune 76 Große Bedeutung haben die Bestimmungen der §§ 311–318 AktG über die Verantwortlichkeit des herrschenden Unternehmens bei Fehlen eines 93 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 41 ff.; Hüffer, AktG, § 17 Rz. 8; Bayer in Münchener Komm., § 17 Rz. 21 ff. 94 Vgl. z.B. Karsten Schmidt, ZIP 1986, 146 (147).
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Beherrschungsvertrages. Diese Regelungen stehen im Zusammenhang mit dem Ausgleichs- und Haftungssystem im faktischen Konzern; sie werden daher weiter unten dargestellt (vgl. unten Rz. 165 ff.). b) Abhängigkeitsbericht nach § 312 AktG Wichtiger Teil der Regelungen zur Abhängigkeit ist der Abhängigkeits- 77 bericht gemäß § 312 AktG. Besteht kein Beherrschungsvertrag, so hat der Vorstand einer abhängigen Aktiengesellschaft in den ersten drei Monaten des Geschäftsjahres einen Bericht über die Beziehungen der Gesellschaft zu verbundenen Unternehmen aufzustellen. Nach dem Wortlaut des § 312 Abs. 1 AktG sind in dem Bericht alle Rechtsgeschäfte aufzuführen, die die abhängige Aktiengesellschaft im vergangenen Geschäftsjahr mit dem herrschenden Unternehmen oder einem mit ihm verbundenen Unternehmen oder auf Veranlassung oder im Interesse dieser Unternehmen vorgenommen hat. Daneben ist über alle anderen Maßnahmen zu berichten, die die abhängige Aktiengesellschaft auf Veranlassung oder im Interesse dieser Unternehmen im vergangenen Geschäftsjahr getroffen oder unterlassen hat. Das Aktiengesetz bestimmt weiter, dass bei den Rechtsgeschäften Leis- 78 tung und Gegenleistung, bei den sonstigen Maßnahmen die Gründe der Maßnahme und deren Vorteile und Nachteile für die abhängige Gesellschaft anzugeben sind, § 312 Abs. 1 Satz 3 AktG. Darüber hinaus ist bei einem Ausgleich von Nachteilen für die abhängige Gesellschaft im Einzelnen darzulegen, wie der Ausgleich während des Geschäftsjahres tatsächlich erfolgt ist oder auf welche Vorteile der Gesellschaft ein Rechtsanspruch gewährt wurde. Der Vorstand der abhängigen Aktiengesellschaft hat am Schluss des Abhängigkeitsberichts zu erklären, ob die Gesellschaft nach den Umständen, die dem Vorstand in dem Zeitpunkt bekannt waren, in dem das Rechtsgeschäft vorgenommen oder die Maßnahme getroffen oder unterlassen wurde, bei jedem Rechtsgeschäft eine angemessene Gegenleistung erhielt und dadurch, dass die Maßnahme getroffen oder unterlassen wurde, nicht benachteiligt wurde. Wurde die abhängige Gesellschaft benachteiligt, so hat der Vorstand außerdem zu erklären, ob die Nachteile ausgeglichen worden sind. Diese Erklärung ist auch in den Lagebericht als Teil des Jahresabschlusses aufzunehmen. Der Bericht hat den Grundsätzen einer gewissenhaften und getreuen Rechenschaft zu entsprechen, § 312 Abs. 2 AktG. In seinem VEBA/Gelsenberg-Urteil hat der BGH nur am Rande angedeu- 79 tet, dass eine Aktiengesellschaft auch dann einen Abhängigkeitsbericht erstellen müsse, wenn herrschendes Unternehmen eine Gebietskörperschaft ist95. Im Volkswagen-Beschluss standen Rechtsfragen des Abhängigkeitsberichts im Mittelpunkt. Der BGH hat ausdrücklich die Ver95 BGH v. 13.10.1977 – II ZR 123/76 – VEBA/Gelsenberg, BGHZ 69, 334 (343). Siegels
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pflichtung der abhängigen Volkswagen-AG zur Aufstellung eines Abhängigkeitsberichts nach § 312 AktG statuiert. Für die Praxis ist daher davon auszugehen, dass Aktiengesellschaften, die von einer Kommune oder einer anderen Gebietskörperschaft abhängig sind, in gleicher Weise wie sonstige abhängige Aktiengesellschaften einen Abhängigkeitsbericht zu erstellen haben. 80 Der BGH ging im Volkswagen-Beschluss ausführlich auf formale Fragen des Verhältnisses zwischen Abhängigkeitsbericht und Jahresabschluss ein. Die Verpflichtung der abhängigen Aktiengesellschaft, einen Abhängigkeitsbericht zu erstellen, endet nicht mit der Feststellung des Jahresabschlusses. Vielmehr sei der Abhängigkeitsbericht als gesonderter Teil der Berichtspflicht des Vorstands der abhängigen Aktiengesellschaft zu betrachten. Die Berichterstattung im Rahmen des Abhängigkeitsberichts diene der Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen gegen das herrschende Unternehmen. Daher entfalle sein Regelungszweck nicht mit Feststellung des Jahresabschlusses96. 81 Da die Volkswagen-AG keinen Abhängigkeitsbericht erstellt hatte, gab es für den BGH in dieser Entscheidung keinen Anlass, inhaltliche Aspekte oder eventuelle Besonderheiten des Abhängigkeitsberichts zu entscheiden. 82 In seinem VEBA/Gelsenberg-Urteil hat der BGH hingegen angedeutet, dass der Inhalt des Abhängigkeitsberichts wohl je nach der Eigenart der jeweiligen Körperschaft ggf. auf das nach dem Zweck der Vorschrift „tatsächlich Erforderliche“ beschränkt werden könne97. 83 In der Literatur wird deshalb nach Kriterien gesucht, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen98. Die Einzelheiten der damit verbundenen Fragen sind jedoch ungeklärt. Bei Drittgeschäften, also Rechtsgeschäften, die auch mit Nichtgesellschaftern vorgenommen werden können, soll es demnach ausreichen, über solche Rechtsgeschäfte zu berichten, die von der herrschenden Gebietskörperschaft veranlasst wurden oder bei denen Zweifel bestehen, ob der Vorstand einer unabhängigen Aktiengesellschaft das Geschäft unter Beachtung seiner Sorgfaltspflichten ebenfalls abgeschlossen hätte99. Bei Austauschgeschäften (Kauf, Tausch, etc.) genüge es, wenn darauf hingewiesen werde, dass keine Rabatte oder sonstigen Vorzugskonditionen gewährt wurden, die einem anderen Vertragspartner nicht gewährt worden wären. Darüber hinaus sei aufzunehmen, ob die abhängige Aktiengesellschaft frei war, mit dem Vertragspartner ihrer Wahl abzuschließen oder ob die Gebietskörperschaft ihren Einfluss dahin geltend gemacht hat, dass mit einem Vertragspartner abgeschlossen werden soll, der ebenfalls unter ihrer Kontrolle steht. Im 96 97 98 99
BGH v. 17.3.1997 – II ZB 3/96 – Volkswagen, BGHZ 135, 107 (111 f.). BGH v. 13.10.1977 – II ZR 123/76 – VEBA/Gelsenberg, BGHZ 69, 334 (343). Vgl. Schiessl, ZGR 1998, 871 (880). Schiessl, ZGR 1998, 871 (880), m.w.N.
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Kommunalbereich wird dies beispielsweise relevant, wenn die Versorgung mit elektrischer Energie durch das örtliche Energieversorgungsunternehmen in Frage steht. Gleiches gilt für die Inanspruchnahme von Diensten durch die Telekommunikationsgesellschaft, an der die Stadt beteiligt ist, etc. Bei „Maßnahmen“, die nicht den Charakter von Rechtsgeschäften haben, 84 sei zu berichten, ob und wie die Gebietskörperschaft ihren Einfluss in der Gesellschaft ausgeübt habe. Insbesondere die Ausübung von Einfluss der herrschenden Gebietskörperschaft im Aufsichtsrat der abhängigen Gesellschaft sei zu dokumentieren100. Beispielhaft führt Schiessl die Entscheidung über Investitionen oder Desinvestitionen in politisch sensiblen Bereichen an101. c) Sonstige Rechtsfolgen Neben den genannten Vorschriften ist die bereits erwähnte Zurechnungs- 85 norm des § 16 Abs. 4 AktG auch für Kommunen wichtig (vgl. hierzu oben Rz. 38). Demgegenüber sind andere abhängigkeitsrechtliche Vorschriften in der kommunalen Praxis jedenfalls im Verhältnis der herrschenden Kommune zur Beteiligungsgesellschaft weniger oder gar nicht von Bedeutung. Sie seien daher nur kurz erwähnt. § 56 Abs. 2 AktG statuiert das Verbot der Beteiligung eines abhängigen 86 Unternehmens an der Gründung oder Kapitalerhöhung des herrschenden Unternehmens. Die Norm ist im Falle der Abhängigkeit von einer Kommune ebenso wenig relevant wie § 71d Satz 2 AktG, der die Möglichkeit des Erwerbs eigener Aktien des herrschenden Unternehmens durch abhängige Gesellschaften beschränkt. § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AktG regelt die Unvereinbarkeit der Aufsichtsratstätigkeit im herrschenden Unternehmen mit der Vorstandstätigkeit in der abhängigen Aktiengesellschaft. Diese Norm passt ebenfalls nicht auf die Situation einer herrschenden Kommune. Bedeutung hat sie demgegenüber aber auf den Ebenen unterhalb der Kommune in der mehrstufigen Beteiligungsstruktur, beispielsweise für das Verhältnis einer kommunalen Holding zur Beteiligungsgesellschaft. Gleiches gilt für die anderen Normen des Abhängigkeitsrechts, wie § 134 Abs. 1 Satz 4 AktG über Anteilszurechnungen für Zwecke der Stimmrechtsbeschränkungen, § 136 Abs. 2 Satz 1 AktG über den Ausschluss des Stimmrechts in der Hauptversammlung, § 145 Abs. 3 AktG für die Rechte von Sonderprüfern gegenüber abhängigen Gesellschaften und § 160 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AktG über Angaben im Anhang. Sie haben aber keinen spezifischen Gehalt für Kommunen. Einschlägig sein könnte § 89 Abs. 2 Satz 2 AktG, wonach eine abhängige Gesellschaft Kredite an gesetzliche Vertreter des herrschenden Unterneh100 Schiessl, ZGR 1998, 871 (880 f.). 101 Schiessl, ZGR 1998, 871 (881). Siegels
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mens nur mit Einwilligung des Aufsichtsrats des herrschenden Unternehmens gewähren darf. Eine entsprechende Regelung für Aufsichtsratsmitglieder enthält § 115 Abs. 1 Satz 2 AktG. Diese Regelungen werden allerdings durch kommunalrechtliche Bestimmungen ergänzt (§ 87 GemO BW; Art. 71 BayGO; § 103 HGO; § 54 KV MV; § 138 Abs. 5 NKomVG; § 85 GO NW; § 103 GemO Rh.-Pf.; § 92 KSVG Saarl.; § 82 SächsGemO; § 100 GO LSA; § 85 GO Schl.-Holst.; § 63 ThürKO.). 2. GmbH 88 Das GmbH-Recht kennt keine eigenen Vorschriften über Abhängigkeit. Daher wendet die Rechtsprechung zahlreiche aktienrechtliche Regelungen über die Abhängigkeit beziehungsweise die in ihnen niedergelegten allgemeinen Rechtsgedanken auf die abhängige GmbH entsprechend an102. Wie bei der Aktiengesellschaft sind viele Normen im Verhältnis der herrschenden Kommune zur abhängigen GmbH nicht relevant. Diese Vorschriften behalten aber ihre Bedeutung auf den nachgeordneten Stufen einer mehrstufigen Beteiligungskette. 89 Im Übrigen ist die Abhängigkeit bei der GmbH ebenso wie bei der Aktiengesellschaft ein „Durchgangsstadium“ zur Konzernierung. Wichtig ist die Frage, ob eine abhängige GmbH einen Abhängigkeitsbericht entsprechend § 312 AktG zu erstellen hat. Grundsätzlich sind die Vorschriften der §§ 311–318 AktG auf die abhängige GmbH nach der überwiegenden Meinung nicht entsprechend anwendbar103. Dies betrifft auch die Bestimmung des § 312 AktG104. In der GmbH hat jeder Gesellschafter ein Auskunftsrecht nach § 51a GmbHG. Dieses Auskunftsrecht erstreckt sich auch auf die Verhältnisse des herrschenden Unternehmens105. Die herrschende Meinung sieht darin ein ausreichendes Instrumentarium, um den Informationsbedarf der Gesellschafterminderheit in der abhängigen GmbH zu befriedigen106. 3. Personengesellschaft 90 Im Recht der Personen(handels)gesellschaften, also OHG, KG und Kapitalgesellschaft & Co. KG, insbesondere GmbH & Co. KG, gelten andere konzernrechtliche Regeln als im Recht der Kapitalgesellschaften. Rechtsprechung und Wissenschaft haben aus dem gesetzlichen Wettbewerbs102 Emmerich in Scholz, GmbHG, Anhang Konzernrecht Rz. 8 ff.; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, Schlussanhang Konzernrecht Rz. 5. 103 Emmerich in Scholz, GmbHG, Anhang Konzernrecht Rz. 12; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, Schlussanhang Konzernrecht Rz. 5. 104 Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, Schlussanhang Konzernrecht Rz. 5. 105 Vgl. Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 51a Rz. 12; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 51a Rz. 15. 106 Die Geschäftsführung einer kommunalen GmbH muss deshalb keinen Abhängigkeitsbericht erstellen.
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verbot der Gesellschafter nach § 112 Abs. 1 HGB einerseits und den Treuepflichten der Gesellschafter andererseits ein flexibles Schutzsystem zugunsten der Minderheitsgesellschafter einer abhängigen Personengesellschaft entwickelt. Dieser Schutz gilt in erster Linie den Mitgesellschaftern. Sie können durch Zustimmung auf den Schutz vor der Abhängigkeit und den Folgen der Abhängigkeit verzichten107. Das Schutzsystem ist im vorliegenden Zusammenhang dann relevant, 91 wenn an der Personengesellschaft neben der Kommune andere Gesellschafter beteiligt sind, die der Kommune fremd gegenüberstehen. Eine derartige Konstellation dürfte in der kommunalen Praxis selten sein. Sämtliche Gemeindeordnungen sehen vor, dass die Gemeinde zur Erfüllung ihrer Aufgaben ein privatrechtliches Unternehmen nur gründen, übernehmen oder sich daran beteiligen darf, wenn Einzahlungsverpflichtung und Haftung der Kommune auf einen ihrer Leistungsfähigkeit angemessenen Betrag begrenzt werden (§ 103 Abs. 1 Nr. 4 GemO BW; Art. 92 Abs. 1 Nr. 3 BayGO; § 96 Abs. 1 Nr. 3 BbgKVerf; § 122 Abs. 1 Nr. 2 HGO; § 69 Abs. 1 Nr. 5 KV MV; § 137 Abs. 1 Nr. 3 NKomVG; § 108 Abs. 1 Nr. 5 GO NW; § 87 Abs. 1 Nr. 5 GemO Rh.-Pf.; § 110 Abs. 1 Nr. 2 KSVG Saarl.; § 96 Abs. 1 Nr. 3 SächsGemO; § 117 Abs. 1 Nr. 4 GO LSA; § 102 Abs. 1 Nr. 2 GO Schl.-Holst.; § 73 Abs. 1 Nr. 3 ThürKO; vgl. im Einzelnen oben § 8 Rz. 43 ff.). Vielfach bestimmen die Gemeindeordnungen, dass die Kommune sich nicht zur Übernahme von Verlusten in unbestimmter oder unangemessener Höhe verpflichten darf (§ 137 Abs. 1 Nr. 4 NKomVG; § 108 Abs. 1 Nr. 5 GO NW; § 87 Abs. 1 Nr. 6 GemO Rh.-Pf.; § 117 Abs. 1 Nr. 6 GO LSA). Wegen der unbeschränkten Haftung der Gesellschafter scheiden die BGB-Gesellschaft und OHG als Rechtsform für kommunale Unternehmen aus. Lediglich die KG, insbesondere die GmbH & Co. KG kommt als Rechtsform für kommunale Unternehmen in Betracht (ausführlich hierzu § 7 Rz. 124 f.). Gleichwohl ist auch die GmbH & Co. KG in der kommunalen Praxis die Ausnahme. Wenn Kommunen sich maßgeblich an einer Personengesellschaft betei- 92 ligen, handelt es sich überwiegend um Zweckgesellschaften, zum Beispiel zur Verwaltung kommunalen Grundbesitzes. An diesen Gesellschaften sind entweder keine weiteren Gesellschafter108 oder nur ein strategischer Partner beteiligt, der mit der Kommune parallele Interessen verfolgt. Fragen der Abhängigkeit einer Personengesellschaft von einer Kommune sind deshalb bislang kaum bearbeitet worden und sollen auch hier wegen ihrer geringen praktischen Bedeutung nicht vertieft werden. Zur grundsätzlichen Bedeutung der Personengesellschaften als Hand-
107 Zur Personengesellschaft als abhängiges Unternehmen vgl. Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 513 ff.; zur Befreiung vom Wettbewerbsverbot vgl. Wiedemann/Hirte, ZGR 1986, 163 (173). 108 Die Kommune ist dann Alleingesellschafterin der Komplementär-GmbH und alleinige Kommanditistin. Siegels
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lungsform kommunaler wirtschaftlicher Betätigung siehe oben § 7 Rz. 120 ff.
E. Begründung und Beendigung von Konzernverhältnissen I. Faktische Konzerne 1. Begriff des „einfachen“ faktischen Konzerns 93 Ein faktischer Konzern besteht immer dann, wenn ein herrschendes Unternehmen und eine oder mehrere abhängige Gesellschaften unter einheitlicher Leitung des herrschenden Unternehmens zusammengefasst sind, § 18 Abs. 1 AktG, ohne dass zwischen ihnen ein Unternehmensvertrag (vgl. hierzu unten Rz. 109) geschlossen wurde109. Der faktische Konzern knüpft entgegen seinem Wortlaut nicht an rein faktische, tatsächliche Gegebenheiten, sondern an die rechtlich begründete Möglichkeit des herrschenden Unternehmens an, die abhängige Gesellschaft kraft der Gesellschafterstellung ohne Unternehmensvertrag zu beherrschen110. 2. Einheitliche Leitung durch die Kommune 94 Hält eine Kommune die Mehrheit der Anteile oder Stimmen an einer Beteiligungsgesellschaft, wird die einheitliche Leitung und damit der Konzerntatbestand nach der Vermutungskette der §§ 17, 18 AktG vermutet. Auf die tatsächlich ausgeübte einheitliche Leitung kommt es dann nicht mehr an. 95 Die tatsächliche einheitliche Leitung ist für den Konzernsachverhalt nur konstitutiv, wenn die Kommune als Minderheitsgesellschafter beteiligt ist und die Abhängigkeit der Gesellschaft auf der Minderheitsbeteiligung zusammen mit weiteren Einflussmöglichkeiten der Kommune beruht (vgl. oben Rz. 43 ff.). Die Konzernvermutung der einheitlichen Leitung greift dann nicht ein. 96 In diesen Fällen stellt sich die Frage, wie die einheitliche Leitung zwischen privatrechtlichen Gesellschaften und Kommunen hergestellt werden kann. Oft wird die Beteiligung an der Gesellschaft in einem Regieoder Eigenbetrieb gehalten, in der steuerlichen Terminologie also in einem Betrieb gewerblicher Art als einer dauerhaften Einrichtung zur wirtschaftlichen Betätigung mit der Absicht der Einnahmeerzielung, die sich 109 Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, Schlussanhang Konzernrecht Rz. 44, der allerdings von „Nichtvertragskonzernen“ spricht; Emmerich in Scholz, GmbHG, Anhang Konzernrecht Rz. 65; Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 18 Rz. 9, 15. 110 Vgl. Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, Schlussanhang Konzernrecht Rz. 44; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 499 f.; Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 18 Rz. 9, 15.
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innerhalb der Kommune besonders hervorhebt111. In diesem Fall ist auf die einheitliche Leitung zwischen dem Betrieb gewerblicher Art und der Beteiligungsgesellschaft abzustellen. Ein Konzern liegt jedenfalls dann vor, wenn die wesentlichen wirtschaftlichen Entscheidungen über den kommunalen Betrieb und die Gesellschaft im Rahmen einer einheitlichen Planung getroffen werden. Im Übrigen bedarf es in diesen Fällen nicht der Erweiterung des teleologischen Unternehmensbegriffs durch den BGH für Gebietskörperschaften (vgl. hierzu oben Rz. 21 ff.). Der Betrieb gewerblicher Art ist eine unternehmerische Betätigung der Kommune außerhalb der Beteiligung an der Gesellschaft. Die Kommune wird deshalb bereits nach dem allgemeinen teleologischen Unternehmensbegriff als „Unternehmen“ qualifiziert. Steht die Beteiligung nicht im Zusammenhang mit einem Betrieb der 97 Kommune, muss die einheitliche Leitung der Beteiligungsgesellschaft in Bezug auf die Kommune selbst hergestellt werden. Dabei stellt sich die Frage, worauf die einheitliche Leitung sich bezieht, da die Kommune selbst kein Wirtschaftsunternehmen ist, das nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen geführt wird. Zwar reicht nach dem weiten Konzernbegriff die einheitliche Leitung auf finanziellem Gebiet aus, um einen Konzern zu begründen112. Der BGH scheint demgegenüber einen anderen Ansatz zu verfolgen. Er wendet den teleologischen Unternehmensbegriff auf Gebietskörperschaften auch dann an, wenn sie nur eine Gesellschaft beherrschen (vgl. oben Rz. 23). Als Begründung dient ihm die Erkenntnis, dass die Gebietskörperschaften sich gegenüber der Beteiligungsgesellschaft „im Regelfall“ auch von Interessen leiten lassen, die aus ihrer öffentlich-rechtlichen Aufgabenstellung herrühren113. Darin sieht der BGH eine dem Konzernkonflikt vergleichbare Gefahr für die Gesellschaft. Die Konzernierung bedeutet in Fortführung dieser Überlegung des BGH, 98 dass die Gesellschaft tatsächlich in die öffentlich-rechtlichen Aufgaben und Ziele eingebunden wird, gleichsam für diese Ziele „instrumentalisiert“ wird. Ein Konzern zwischen der Kommune als herrschendem Unternehmen und der Gesellschaft liegt dann vor, wenn die Kommune bei der Ausübung ihres Einflusses und bei den Entscheidungen über Angelegenheiten der Gesellschaft regelmäßig nicht nur wirtschaftliche Erwägungen anstellt, sondern die „öffentlich-rechtliche Aufgabenstellung“ zur Richtschnur ihrer Entscheidungen macht. Beispiele können sein, dass die Gesellschaft gezwungen wird, eine unrentable Produktion aus arbeitsmarktpolitischen Gründen aufrechtzuerhalten oder eine wirtschaftlich aussichtsreiche Produktion nicht aufzunehmen, weil dies nicht mit
111 Vgl. die Definition des steuerlichen Begriffs des Betriebes gewerblicher Art in § 4 Abs. 1 Körperschaftsteuergesetz (KStG). 112 Vgl. Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 58. 113 BGH v. 17.3.1997 – II ZB 3/96 – Volkswagen, BGHZ 135, 107 (114). Siegels
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den Leitvorstellungen der politischen Mehrheit in der Kommune übereinstimmt114. 3. Beginn und Ende des faktischen Konzerns 99 Ein faktischer Konzern mit einer Kommune als herrschendem Unternehmen aufgrund einer Mehrheitsbeteiligung entsteht, sobald die Kommune die Mehrheit an einer bereits bestehenden Gesellschaft erwirbt und die Gesellschafterrechte daraus ausüben kann oder sich als Mehrheitsgesellschafter an der Gründung einer neuen Gesellschaft beteiligt. Von diesem Zeitpunkt an greifen die Vermutungen der §§ 17, 18 AktG ein. Die Widerlegung dieser Vermutung der einheitlichen Leitung wird der Kommune kaum gelingen, weil sie aufgrund kommunalrechtlicher Vorschriften über die Einflussnahme auf Beteiligungen in privatrechtlicher Form über die Herrschaftsinstrumente der Stimmenmehrheit oder anderer Einflussmöglichkeiten115 verfügt. Stützt sich die Konzernierung auf eine Minderheitsbeteiligung der Kommune in Verbindung mit weiteren Einflussfaktoren, beginnt der faktische Konzern mit der tatsächlichen Aufnahme der einheitlichen Leitung. Das ist der Beginn der koordinierten Entscheidungsfindung116. 100 Beruht der Tatbestand des faktischen Konzerns nicht auf der Mehrheitsbeteiligung, endet der faktische Konzern, sobald die tatsächliche einheitliche Leitung aufgegeben wird. 4. Zulässigkeit faktischer Konzerne 101 Im Aktienrecht ist die Zulässigkeit faktischer Konzerne nach wie vor umstritten, wird aber von der ganz herrschenden Meinung bejaht117. Der Grund liegt in der gesetzlich festgelegten Unabhängigkeit des Vorstandes einer AG. Nach § 76 Abs. 1 AktG hat der Vorstand die AG unter eigener Verantwortung zu leiten. Die Hauptversammlung, einzelne Aktionäre und der Aufsichtsrat dürfen keine Weisungen an den Vorstand erteilen und weder auf die Geschäftsführung des Vorstandes einwirken noch die Geschäfte selbst führen118. § 76 Abs. 1 AktG lässt eine Beherrschung der AG ohne den Abschluss eines Beherrschungsvertrages deshalb nicht zu119. 114 Vgl. die Beispiele bei Schiessl, ZGR 1998, 880 f. 115 Hierzu gehören insbesondere Entsendungsrechte zur Geschäftsführung oder in den Aufsichtsrat. 116 Vgl. Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, Schlussanhang Konzernrecht Rz. 22 f. 117 Habersack in Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 24 Rz. 14; Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 18 Rz. 8 ff.; Hüffer, AktG, § 18 Rz. 4 f., § 311 Rz. 6 ff. 118 Ausnahmen sind nur in den engen Grenzen der § 119 Abs. 2, § 111 Abs. 4 AktG zulässig. 119 Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 18 Rz. 20; Emmerich in Emmerich/ Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 18 Rz. 16.
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Der Gesetzgeber ging wohl davon aus, dass eine Aktiengesellschaft nur aufgrund eines Unternehmensvertrages in einen Konzern eingebunden wird120. Heute herrscht allerdings die Interpretation vor, dass der Gesetzgeber die Errichtung faktischer Konzerne dulde121. In der Konzernrechtspraxis der GmbH stellen faktische Konzerne die 102 Mehrheit der Unternehmensverbindungen dar. Die Zulässigkeit faktischer Konzerne mit einer abhängigen GmbH ist nicht streitig. Die Gesellschafterversammlung einer GmbH darf der Geschäftsführung in sehr weitem Umfang Weisungen erteilen, die bis in den Bereich des Tagesgeschäftes reichen können122. Ist der Mehrheits- oder Alleingesellschafter einer GmbH ein Unternehmen im konzernrechtlichen Sinne, entsteht mit der Beteiligung an der GmbH ein faktischer Konzern. Einheitliche Leitung ist nicht erforderlich, falls die Konzernvermutungen eingreifen; sie ist durch Beschlüsse der Gesellschafterversammlung jedoch leicht zu erreichen. Die GmbH ist somit die ideale Rechtsform für abhängige Konzerngesellschaften123. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Gesellschafterbeschlüsse in einer Ein-Personen-Gesellschaft grundsätzlich ohne Beachtung besonderer Formen, sogar mündlich und ad hoc, gefasst werden können124. Etwas anderes gilt selbstverständlich, wenn der Beschlussgegenstand notarieller Beurkundung bedarf, wie beispielsweise die Kapitalerhöhung. Die Zulässigkeit der Einbeziehung von Personengesellschaften in Kon- 103 zernstrukturen war lange Zeit umstritten125. Die grundlegende Entscheidung des BGH zum Personengesellschaftskonzern, die sog. Gervais-Danone-Entscheidung aus dem Jahre 1979, erlaubt dies hingegen126. Die Frage der Zulässigkeit faktischer Konzerne stellt sich nicht nur aus 104 gesellschaftsrechtlicher, sondern auch aus kommunalrechtlicher Sicht. Sie ist zu bejahen. Die Gemeindeordnungen sehen durchgehend die Möglichkeit einer Kommune vor, sich mehrheitlich an Gesellschaften des Privatrechts zu beteiligen. Sie stellen diese Möglichkeit der wirtschaftlichen Betätigung der Kommunen in Kenntnis der gesellschaftsrechtlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen für den faktischen Konzern und in Kenntnis der Vermutungskette der §§ 17, 18 AktG zur Verfügung. Dies 120 Vgl. Begründung Regierungsentwurf zu § 18 AktG 1965, zitiert bei Kropff, AktG 1965, S. 33. 121 Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 18 Rz. 10; Krieger in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 4, § 69 Rz. 22. 122 Vgl. Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 37 Rz. 6 ff.; Schneider in Scholz, GmbHG, § 37 Rz. 30 ff. 123 Vgl. Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 17 Rz. 123 f. 124 Zwar besteht die Verpflichtung zur anschließenden Niederschrift und deren Unterzeichnung nach § 48 Abs. 3 GmbHG, ein Verstoß dagegen führt aber nicht zur Nichtigkeit des Beschlusses, Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 48 Rz. 46; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 48 Rz. 32 ff. 125 Vgl. Ulmer in Staub, HGB, Anhang § 105 Rz. 12 ff. 126 BGH v. 5.2.1979 – II ZR 210/76 – Gervais-Danone, NJW 1980, 231. Siegels
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bedeutet, dass die Landesgesetzgeber die Bildung faktischer Konzerne durch die Kommune gebilligt haben. Dem lässt sich auch nicht entgegen halten, dass die Rechtsprechung des BGH den teleologischen Unternehmensbegriff in der Anwendung auf Kommunen erst mit dem Volkswagen-Beschluss aus dem Jahr 1997 wesentlich verschärft hat. Spätestens seit dem VEBA/Gelsenberg-Urteil des BGH war bekannt, dass eine Gebietskörperschaft jedenfalls bei Mehrheitsbeteiligung an mindestens zwei Gesellschaften Unternehmen im konzernrechtlichen Sinne sein kann. Gleichwohl enthält keine Gemeindeordnung das Verbot für eine Kommune, gleichzeitig Mehrheitsbeteiligungen an zwei Gesellschaften zu halten.
II. Qualifiziert faktische Konzerne 1. Begriff des qualifiziert faktischen Konzerns 105 Der qualifiziert faktische Konzern stellt eine Steigerung des „einfachen“ faktischen Konzerns dar. Im qualifiziert faktischen Konzern fehlt ebenfalls eine unternehmensvertragliche Bindung zwischen dem herrschenden Unternehmen und der beherrschten Gesellschaft. Das Maß und die Dichte der Einflussnahme des herrschenden Unternehmens auf die abhängige Gesellschaft kann im qualifiziert faktischen Konzern eine Qualität erreichen, die der im Vertragskonzern vergleichbar ist127 oder sie sogar übersteigt. Die abhängige Gesellschaft bleibt zwar rechtlich selbständig. Wirtschaftlich wird sie von dem herrschenden Unternehmen jedoch in besonders intensiver Weise, gleichsam „an der kurzen Leine“, geführt. Schlagwortartig ausgedrückt liegt ein qualifiziert faktischer Konzern typischerweise vor, wenn das herrschende Unternehmen die abhängige Gesellschaft wie eine Betriebsabteilung behandelt128. 106 Aufgrund der Häufigkeit und der Schwere von Eingriffen des herrschenden Unternehmens in die Geschäftsführung der abhängigen Gesellschaft entstehen für die abhängige Gesellschaft, eventuelle Minderheitsgesellschafter und ihre Gläubiger ganz erhebliche Gefahren. Dies kann dazu führen, dass die abhängige Gesellschaft regelrecht „ausgeplündert“ wird, ohne dass sich einzelne schädigende Maßnahmen des herrschenden Unternehmens gegenüber der abhängigen Gesellschaft identifizieren und nach den allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Schutzregeln ausgleichen lassen. Aufgrund dieses Befundes hatte der BGH in zahlreichen Entscheidungen vor allem zur qualifiziert faktisch konzernierten GmbH besondere Ausgleichsmechanismen in Anlehnung an die Regeln über den aktienrechtlichen Vertragskonzern, §§ 302, 303 AktG, geschaffen, die nach 127 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 964 f.; Emmerich in Scholz, GmbHG, Anhang Konzernrecht Rz. 92. 128 Lutter/Timm, NJW 1982, 409 (412); Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 964 f.; Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 18 Rz. 11.
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der Rechtsprechung des BGH durch die Haftung aus existenzvernichtendem Eingriff ersetzt werden (vgl. unten Rz. 189). Aufgrund dieser Änderung der Rechtsprechung ist zu erwarten, dass die Rechtsfigur des qualifiziert faktischen Konzerns keine weitere Bedeutung mehr haben wird. 2. Beginn und Ende qualifiziert faktischer Konzerne Ein qualifiziert faktischer Konzern beruht, wie der einfache faktische 107 Konzern, auf der gesellschaftsrechtlich vermittelten Einflussnahme des herrschenden Unternehmens. Hinzukommen muss die gesteigerte Dichte der einheitlichen Leitung zwischen herrschendem und beherrschtem Unternehmen, die abstrakt allerdings nur schwer zu definieren ist129. Der Zeitpunkt, ab dem ein qualifiziert faktisches Konzernverhältnis vorliegt, lässt sich daher nicht präzise bestimmen. Der Zustand, bei dem sich einzelne schädigende Maßnahmen des herrschenden Unternehmens bei der abhängigen Gesellschaft nicht mehr voneinander isolieren lassen, wird in der Praxis daher erst in der Rückschau feststellbar sein. Die bislang bekannt gewordenen Fälle qualifiziert faktischer Konzerne endeten durchweg durch die Insolvenz der Konzernunternehmen. Bislang ist noch kein Fall qualifiziert faktischer Konzernierung bekannt geworden, in dem das herrschende Unternehmen freiwillig die besondere Dichte der einheitlichen Leitung aufgegeben hätte. Theoretisch ist dies jedoch durchaus denkbar. Der qualifiziert faktische Konzern endet dann mit dem nachweisbaren Verzicht des herrschenden Unternehmens auf die gesteigerte Einflussnahme. 3. Zulässigkeit qualifiziert faktischer Konzerne Qualifiziert faktische Konzerne bilden nach wohl überwiegender Auffas- 108 sung gesellschaftsrechtlich einen konzernrechtlichen „Unrechtstatbestand“130. Die Frage der Zulässigkeit stellt sich dann eigentlich nicht. Kommunalrechtlich ist zu beachten, dass qualifiziert faktische Konzerne ein gesteigertes Risiko der unbegrenzten Haftung der Kommune für die Verbindlichkeiten der abhängigen Gesellschaft in sich bergen. Die Übernahme eines solchen Haftungsrisikos bedarf kommunalrechtlich zumindest der aufsichtsrechtlichen Genehmigung. Dies gilt unabhängig davon, dass der Erwerb einer Beteiligung an einer privatrechtlichen Gesellschaft der Kommunalaufsicht anzuzeigen ist. Es ist kaum vorstellbar, dass die Aufsichtsbehörde die Intention einer Kommune zur Begründung eines qualifiziert faktischen Konzerns billigen wird.
129 Vgl. Zöllner im Baumbach/Hueck, GmbHG, Schlussanhang Konzernrecht Rz. 31, 134; Emmerich in Scholz, GmbHG, Anhang Konzernrecht Rz. 92. 130 Habersack in Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 28 Rz. 11; Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 18 Rz. 14. Siegels
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III. Vertragskonzerne 1. Begriff des Vertragskonzerns 109 Ein Vertragskonzern liegt nach § 15 AktG vor, wenn eine Gesellschaft mit einem Unternehmen durch einen Unternehmensvertrag im Sinne der §§ 291, 292 AktG verbunden ist. In den §§ 291, 292 AktG werden Beherrschungs-, Gewinnabführungs-, Gewinngemeinschafts-, Teilgewinnabführungs-, Betriebspacht- und Betriebsüberlassungsverträge genannt. Wichtigste Unternehmensverträge sind der Beherrschungsvertrag und der Gewinnabführungsvertrag gemäß § 291 Abs. 1 AktG. 110 Mit dem Beherrschungsvertrag unterstellt die abhängige Gesellschaft sich der Leitung durch das herrschende Unternehmen. Das herrschende Unternehmen ist uneingeschränkt berechtigt, der Geschäftsleitung der abhängigen Gesellschaft Weisungen für die Geschäftsführung zu erteilen131. Der Vertrag regelt oftmals die Einzelheiten der Weisungserteilung132. 111 Besondere Bedeutung hat der Beherrschungsvertrag wegen der Unabhängigkeit des Vorstands nach § 76 Abs. 1 AktG im Wesentlichen für die Aktiengesellschaft. Ohne einen Beherrschungsvertrag darf das herrschende Unternehmen die abhängige Aktiengesellschaft nicht dazu veranlassen, ein für sie nachteiliges Rechtsgeschäft vorzunehmen oder Maßnahmen zum Nachteil der Aktiengesellschaft zu treffen, es sei denn, dass die Nachteile ausgeglichen werden, § 311 Abs. 1 AktG. Nur der Beherrschungsvertrag berechtigt das herrschende Unternehmen, umfassenden Einfluss auf die abhängige Aktiengesellschaft zu nehmen. 112 Im GmbH-Recht stellt sich die Situation anders dar. Die Gesellschafterversammlung kann in weitem Umfang Einfluss auf die Geschäftsführung der abhängigen GmbH nehmen, indem sie den Geschäftsführern Weisungen erteilt. Aus diesem Grund ist der Abschluss eines Beherrschungsvertrages mit einer abhängigen GmbH grundsätzlich nicht erforderlich133, um die rechtlich zulässige Einflussnahme sicherzustellen134. 113 Im Recht der Personengesellschaft spielt der Beherrschungsvertrag wohl keine Rolle. Die Zulässigkeit eines Beherrschungsvertrages mit einer abhängigen Personengesellschaft ist allerdings für den Fall anerkannt, dass 131 Hüffer, AktG, § 291 Rz. 9 ff.; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 291 Rz. 7. 132 Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 291 Rz. 20 ff.; Krieger in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 4, § 70 Rz. 4 ff. 133 Beherrschungsverträge mit abhängigen GmbH hatten bis vor einigen Jahren den Zweck, die sog. organisatorische Eingliederung der abhängigen GmbH im Rahmen ertragsteuerlicher Organschaften zu dokumentieren, vgl. § 14 Abs. 1 Nr. 2 KStG a.F. Für die körperschaftsteuerliche Organschaft ist ab dem Jahr 2001 eine organisatorische Eingliederung nicht mehr erforderlich. 134 Zur Frage der nachteiligen Einflussnahme, vgl. Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, Schlussanhang Konzernrecht Rz. 76 ff.
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die Personengesellschaft keine natürliche Person als unbeschränkt haftenden Gesellschafter hat135. In der Praxis wird ein Beherrschungsvertrag aus steuerlichen Gründen 114 oftmals mit einem Gewinnabführungsvertrag zu einem Beherrschungsund Gewinnabführungsvertrag (sog. „Organschaftsvertrag“) verbunden. Wesentlicher Bestandteil des Gewinnabführungsvertrages ist die Verpflichtung der abhängigen Gesellschaft, während der Vertragsdauer ihren gesamten Gewinn an das herrschende Unternehmen abzuführen. Aufgrund der ausdrücklichen Regelung in § 301 AktG ist eine abhängige Aktiengesellschaft nur berechtigt, als ihren Gewinn höchstens den ohne die Gewinnabführung entstehenden Jahresüberschuss, vermindert um einen Verlustvortrag aus dem Vorjahr und vermindert um den Betrag, der in die gesetzliche Rücklage nach § 300 AktG einzustellen ist, abzuführen. Sind während der Dauer des Gewinnabführungsvertrages Beträge in andere Gewinnrücklagen als die gesetzliche Rücklage nach § 300 AktG eingestellt worden, so können diese Beträge den anderen Gewinnrücklagen entnommen und als Gewinn abgeführt werden, § 301 Satz 2 AktG. Wesentliche rechtliche Konsequenz des Vertragskonzerns für das herr- 115 schende Unternehmen ist die unbeschränkte und verschuldensunabhängige Verlustausgleichspflicht. Besteht ein Beherrschungsvertrag oder Gewinnabführungsvertrag, so hat der begünstigte Vertragsteil (grundsätzlich das herrschende Unternehmen) jeden während der Vertragsdauer sonst entstehenden Jahresfehlbetrag auszugleichen (Verlustausgleichspflicht), soweit dieser nicht dadurch ausgeglichen wird, dass den anderen Gewinnrücklagen der zur Gewinnabführung verpflichteten Gesellschaft Beträge entnommen werden, die während der Vertragsdauer in sie eingestellt worden sind, § 302 Abs. 1 AktG. Die Pflicht des herrschenden Unternehmens zum Ausgleich der Verluste ist der „Preis“ für das Recht, die abhängige Gesellschaft zu beherrschen und/oder ihren Gewinn zu erhalten. 2. Kommunalrechtliche Zulässigkeit von Vertragskonzernen Die Frage, ob eine Kommune Vertragspartner eines Unternehmensvertra- 116 ges und damit herrschendes Unternehmen eines Vertragskonzerns sein darf, ist umstritten. Rechtsprechung zu der Frage der Zulässigkeit von Vertragskonzernen der herrschenden Kommune existiert – soweit ersichtlich – noch nicht. In der Literatur werden zur Zulässigkeit des Vertragskonzerns unterschiedliche Auffassungen vertreten. Während ein
135 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 518 f. Siegels
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Teil der Literatur den Abschluss eines Vertragskonzerns als unzulässig erachtet136, sehen andere Autoren den Vertragskonzern uneingeschränkt als zulässig an137. 117 Gegen die Zulässigkeit der Beteiligung von Kommunen an Vertragskonzernen werden im Wesentlichen kommunalrechtliche Bedenken vorgetragen. Die Gemeindeordnungen aller Länder enthalten das Verbot der Beteiligung an privatrechtlichen Unternehmen mit unbegrenzter Haftung der Gemeinde (vgl. oben Rz. 91; § 103 Abs. 1 Nr. 4 GemO BW; Art. 92 Abs. 1 Nr. 3 BayGO; § 97 Abs. 1 Nr. 3 BbgKVerf; § 122 Abs. 1 Nr. 2 HGO; § 69 Abs. 1 Nr. 5 KV MV; § 137 Abs. 1 Nr. 2 NKomVG; § 108 Abs. 1 Nr. 4 GO NW; § 87 Abs. 1 Nr. 6 GemO Rh.-Pf.; § 110 Abs. 1 Nr. 2 KSVG Saarl.; § 96 Abs. 1 Nr. 3 SächsGemO; § 117 Abs. 1 Nr. 6 GO LSA; § 102 Abs. 1 Nr. 2 GO Schl.-Holst.; § 73 Abs. 1 Nr. 4 ThürKO). Zur Begrenzung des wirtschaftlichen Risikos der Gemeinde im Einzelnen siehe oben § 8 Rz. 43 ff. 118 Der Abschluss eines Gewinnabführungs- oder Beherrschungsvertrages hat jedoch für die Kommune zur Folge, dass sie zur Übernahme sämtlicher Verluste der abhängigen Gesellschaft verpflichtet ist, § 302 Abs. 1 AktG. Daraus wird teilweise gefolgert, dass der Abschluss eines Unternehmensvertrages und damit die Begründung eines Vertragskonzerns unzulässig sei138. 119 Die Gegenauffassung wendet ein, dass die Kommune auch bei der Führung eines Eigenbetriebs unbeschränkt für dessen Verbindlichkeiten einzustehen habe. Das wirtschaftliche Risiko aus der Beteiligung an einem Vertragskonzern sei für die Kommune dadurch beherrschbar, dass sie einen Unternehmensvertrag nur dann abschließe, wenn sie Herrschaftsmacht in der abhängigen Gesellschaft ausüben könne. In diesem Fall habe sie jedoch auch die Kontrolle über das wirtschaftliche Gebaren der abhängigen Gesellschaft und könne Risiken steuern139. 120 Tatsächlich dürfte die wirtschaftliche Belastung aus einem bedeutenden Eigenbetrieb oftmals größer sein als das Risiko aus der Verlustübernahmepflicht gegenüber einer Eigengesellschaft. Die Möglichkeit, auf eine durch Beherrschungsvertrag gebundene Gesellschaft Einfluss zu nehmen, kann in der Praxis den strengen Erfordernissen eines Eigenbetriebs im Einzelfall entsprechend ausgestaltet sein. Ein Unterschied besteht zwar insoweit, als sich die Kommune der Verlustausgleichspflicht nicht kurz136 Paschke, ZHR 152 (1988), 263 (277); Rittner, Der Staat – ein Unternehmen im Sinne des Aktiengesetzes?, in Jakobs u.a., FS f. Flume, S. 241 (252); w. N. bei Meinen, Konzernrecht im kommunalen Bereich, Diss. S. 181. 137 Kuhl/Wagner, ZIP 1995, 433 (444); Kropff, ZHR 144 (1980), 74 (97) m.w.N.; Meinen, Konzernrecht im kommunalen Bereich, Diss. S. 213, 181 m.w.N. 138 Vgl. Wehrstedt, MittRhNotK, 2000, 269 (275 f.). 139 Vgl. Koch, Der rechtliche Status kommunaler Unternehmen in Privatrechtsform, Diss. S. 175 ff.
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fristig entziehen kann (zur Verlustausgleichspflicht vgl. unten Rz. 209 f.). In der Praxis dürfte sich allerdings die hinsichtlich der wirtschaftlichen Folgen vergleichbare Schließung eines Eigenbetriebes ebenfalls nicht kurzfristig realisieren lassen. Übrig bleibt somit das formale rechtliche Verbot vieler Gemeindeordnungen, Unternehmen und Einrichtungen in privater Rechtsform zu gründen oder sich daran zu beteiligen, wenn die Haftung der Gemeinde nicht auf einen bestimmten Betrag begrenzt ist. 3. Gestaltungsalternative bei kommunalrechtlicher Unzulässigkeit Sofern der Abschluss eines Unternehmensvertrages nach den jeweiligen 121 landesgesetzlichen Regelungen als unzulässig erachtet oder die Genehmigung der Kommunalaufsicht verweigert wird, könnte die Kommune sich durch die Gründung einer Holdinggesellschaft und den Abschluss von Unternehmensverträgen zwischen der Holding und den Beteiligungsgesellschaften behelfen. Die Kommune kann ihre Beteiligungen an den Gesellschaften in eine neu zu errichtende oder bereits bestehende Holding einbringen140. Diese schließt dann die Unternehmensverträge mit den Beteiligungsgesellschaften. Als Rechtsform einer solchen Holdinggesellschaft kommt insbesondere die GmbH in Betracht, die zum einen die begrenzte Haftung der Gemeinde sicherstellt und dieser zum anderen weitreichende Einflussmöglichkeiten bietet. Es ist grundsätzlich auch denkbar, dass die Holding in der Rechtsform der GmbH & Co. KG gegründet wird. Der Vorteil dieser Rechtsform liegt darin, dass das wirtschaftliche Ergebnis der GmbH & Co. KG steuerlich unmittelbar der Kommune zugerechnet wird. Dabei ist zu beachten, dass die Beteiligung der Kommune an einer GmbH & Co. KG als Personengesellschaft regelmäßig zu einem steuerlichen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb der Kommune und damit zu ihrer partiellen Steuerpflicht führt.
IV. Begründung von Vertragskonzernen Ein Vertragskonzern entsteht durch den wirksamen Abschluss eines Un- 122 ternehmensvertrags141. Er wird wirksam, wenn die Gesellschafterversammlung der abhängigen Gesellschaft ihm zugestimmt hat und der Vertrag in das Handelsregister der abhängigen Gesellschaft eingetragen ist, §§ 293 Abs. 1, 294 Abs. 2 AktG. Die Voraussetzungen für den wirksamen Abschluss von Unternehmens- 123 verträgen richten sich nach der Rechtsform der an ihnen beteiligten Rechtssubjekte. Im Einzelnen ergeben sich rechtsformspezifische Unterschiede für die Aktiengesellschaft und die GmbH, die nachfolgend zu-
140 Dabei sind die steuerlichen Auswirkungen der Einbringung, u.a. Fragen des Umwandlungssteuerrechts, zu berücksichtigen. 141 Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 18 Rz. 6; Hüffer, AktG, § 18 Rz. 3. Siegels
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sammen mit den kommunalrechtlichen Besonderheiten dargestellt werden sollen. Darüber hinaus ergeben sich unterschiedliche formelle Erfordernisse für Gesellschaften, an denen eine Kommune allein oder aber nur mehrheitlich beteiligt ist. 1. Abschluss des Unternehmensvertrages 124 Der Unternehmensvertrag mit einer Aktiengesellschaft wird in schriftlicher Form abgeschlossen, § 293 Abs. 3 AktG. Dies gilt auch dann, wenn abhängiges Unternehmen eine GmbH ist142. Zuständig für den Abschluss des Vertrages ist auf Seiten der abhängigen Gesellschaft die Geschäftsleitung, d.h. Geschäftsführer oder Vorstand. 125 Die Zuständigkeit zur Vertretung der Kommune ergibt sich aus der jeweiligen Kommunalverfassung. Zuständig ist daher in der Regel der Bürgermeister (§ 104 Abs. 1 Satz 1 GemO BW; Art. 93 Abs. 1 Satz 1 BayGO; §§ 51 Abs. 2 Nr. 4, 57 Abs. 1 BbgKVerf; § 125 Abs. 1 Satz 2 HGO; § 71 Abs. 1 Satz 1 KV MV; § 88 Abs. 1 Satz 1 GemO Rh.-Pf.; § 114 Abs. 1 Satz 1 KSVG Saarl.; § 98 Abs. 1 Satz 1 SächsGemO; § 119 Abs. 1 Satz 1 GO LSA). 2. Wirksamkeitsvoraussetzungen bei der Aktiengesellschaft a) Zustimmung der Hauptversammlung 126 Nach § 293 Abs. 1 AktG wird ein Unternehmensvertrag mit einer Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien nur mit Zustimmung der Hauptversammlung wirksam. Der Beschluss bedarf einer Mehrheit von drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals. Die Satzung kann eine größere Kapitalmehrheit und weitere Erfordernisse bestimmen. Der Zustimmungsbeschluss der Hauptversammlung bedarf stets der notariellen Niederschrift, § 130 Abs. 1 AktG i.V.m. § 293 Abs. 1 AktG. 127 Im Zusammenhang mit dem Beschluss der Hauptversammlung über die Zustimmung zum Unternehmensvertrag müssen eine Reihe von Formalien eingehalten werden, die sogleich zu skizzieren sind. Auf die formellen Erfordernisse im Zusammenhang mit dem Zustimmungsbeschluss können die Aktionäre durch notariell beglaubigte oder beurkundete Erklärungen verzichten. Daher ist die Zustimmung der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft zu dem Abschluss eines Unternehmensvertrages unproblematisch, wenn die Kommune alleinige Aktionärin ist. Die folgenden Erläuterungen haben deshalb insbesondere für den Fall Bedeutung, dass an der Aktiengesellschaft außen stehende Aktionäre, d.h. sol-
142 Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, Schlussanhang Konzernrecht Rz. 53; Emmerich in Scholz, GmbHG, Anhang Konzernrecht Rz. 151.
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che Aktionäre beteiligt sind, die der Kommune nicht nahe stehen und nicht mit ihr kooperieren. b) Bericht über den Unternehmensvertrag Der Vorstand der Aktiengesellschaft hat nach § 293a Abs. 1 AktG einen 128 ausführlichen schriftlichen Bericht zu erstatten. Darin sind der Abschluss des Unternehmensvertrags, der Vertrag im Einzelnen und insbesondere Art und Höhe von Ausgleichsleistungen für außen stehende Aktionäre (Minderheitsaktionäre) nach § 304 AktG143 sowie eine Abfindung nach § 305 AktG, die an ausscheidende Aktionäre zu zahlen ist, rechtlich und wirtschaftlich zu erläutern und zu begründen. In den Bericht brauchen solche Tatsachen nicht aufgenommen zu werden, deren Bekanntwerden geeignet ist, einer Vertragspartei oder einem verbundenen Unternehmen einen nicht unerheblichen Nachteil zuzufügen, § 293a Abs. 2 AktG. Der Bericht ist nicht erforderlich, wenn alle Anteilsinhaber aller beteilig- 129 ten Unternehmen auf seine Erstattung durch öffentlich beglaubigte Erklärung verzichten. In der Praxis bedeutet dies, dass auf einen Bericht nur dann verzichtet werden kann, wenn die Kommune allein oder zusammen mit anderen, der Kommune nahe stehenden Beteiligten Aktionärin der Aktiengesellschaft ist. Handelt es sich um eine Publikumsgesellschaft, wird ein solcher Verzicht nicht zu erreichen sein. c) Prüfung des Unternehmensvertrages, Prüfungsbericht Der Unternehmensvertrag ist für jede beteiligte Aktiengesellschaft durch 130 einen oder mehrere sachverständige Prüfer (Vertragsprüfer) zu prüfen, § 293b AktG. Die Vertragsprüfer haben über das Ergebnis der Prüfung schriftlich zu berichten, § 293e AktG. Im Mittelpunkt der Prüfung stehen insbesondere die Ermittlung und die Angemessenheit der vorgeschlagenen Ausgleichs- und Abfindungsleistungen sowie die Methoden zur Ermittlung der Angemessenheit. Die Prüfung des Unternehmensvertrages ist dann nicht erforderlich, wenn sich alle Aktien der abhängigen Aktiengesellschaft in der Hand des herrschenden Unternehmens befinden, § 293b Abs. 1 AktG, oder sämtliche Aktionäre der abhängigen Gesellschaft auf seine Erstattung verzichten, § 293b Abs. 2 AktG i.V.m. § 293a Abs. 3 AktG. In der Praxis wird ein Verzicht nur bei begrenztem Aktionärskreis zu erreichen sein.
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d) Handelsregistereintragung Der Unternehmensvertrag ist zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden, nachdem die Hauptversammlung unter Beachtung aller Form143 Vgl. zu den Einzelheiten z.B. Hüffer, AktG, § 304 Rz. 2 ff. Siegels
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und Mehrheitserfordernisse zugestimmt hat. Nach § 294 Abs. 2 AktG wird der Vertrag erst wirksam, wenn sein Bestehen in das Handelsregister des Sitzes der beherrschten AG eingetragen worden ist. 3. Wirksamkeitsvoraussetzungen bei der GmbH 133 Auf die abhängige GmbH als Vertragspartner eines Unternehmensvertrages finden die Regelungen der §§ 293 ff. AktG keine unmittelbare Anwendung144. Dementsprechend waren die Wirksamkeitsvoraussetzungen für einen Unternehmensvertrag mit einer abhängigen GmbH lange Zeit umstritten145. Die Rechtsprechung des BGH hat die meisten Aspekte für die Praxis mit den beiden Entscheidungen Supermarkt146 und Siemens147 jedoch inzwischen geklärt. a) Zustimmung der Gesellschafterversammlung 134 Aus Sicht der abhängigen GmbH stellt der Abschluss eines Unternehmensvertrages seinem materiellen Gehalt nach eine Satzungsänderung dar148. Durch den Unternehmensvertrag ändert sich das Wesen der bisher unabhängigen Gesellschaft; sie wird Teil des „Gesamtunternehmens“ Konzern. Wegen dieses gravierenden Eingriffs in die Selbstständigkeit der abhängigen GmbH ist der Abschluss eines Unternehmensvertrages nicht mehr allein von der Geschäftsführungsbefugnis der Geschäftsführer der abhängigen GmbH gedeckt. Vielmehr bedarf der Unternehmensvertrag wie bei der Aktiengesellschaft der Zustimmung der Gesellschafterversammlung149. Dies gilt auch dann, wenn der Gesellschaftsvertrag der GmbH eine Zustimmungspflicht der Gesellschafterversammlung zum Abschluss eines Unternehmensvertrages nicht ausdrücklich vorsieht. Kommt ein Zustimmungsbeschluss der Gesellschafterversammlung nicht zustande, ist der von der Geschäftsführung der abhängigen GmbH abgeschlossene Unternehmensvertrag unwirksam; Rechte können aus ihm nicht hergeleitet werden150.
144 Emmerich in Scholz, GmbHG, Anhang Konzernrecht Rz. 139; für entsprechende Anwendung Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. § 13 Rz. 41, 47 ff. 145 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. § 13 Rz. 47; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, Vor § 291 Rz. 8 f. 146 BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88 – Supermarkt, BGHZ 105, 324. 147 BGH v. 30.1.1992 – II ZB 15/91 – Siemens, NJW 1992, 1452. 148 BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88 – Supermarkt, BGHZ 105, 324 (338); bestätigend FG Köln, v. 22.6.2005 – 13 K 244/04, Rz. 41, EFG 2005, 1556, allerdings aufgehoben durch BFH, v. 22.2.2006 – I R 74/05, DStR 2006, 1224. 149 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. § 13 Rz. 49; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, Schlussanhang Konzernrecht Rz. 54; Emmerich in Scholz, GmbHG, Anhang Konzernrecht Rz. 148. 150 Vgl. Vogt in Beck’sches Handbuch der GmbH, § 17 Rz. 25, 39; Emmerich in Scholz, GmbHG, Anhang Konzernrecht Rz. 163 ff.
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Ein Zustimmungsbeschluss der Gesellschafterversammlung der abhängi- 135 gen GmbH ist auch dann erforderlich, wenn die Kommune alleinige Gesellschafterin der GmbH ist151. Nach wie vor umstritten ist die Frage, mit welcher Mehrheit die Gesell- 136 schafterversammlung der abhängigen GmbH dem Abschluss des Unternehmensvertrages zustimmen muss. Diskutiert werden sowohl die Einstimmigkeit als auch eine Drei-Viertel-Mehrheit. Der BGH hat die Frage bislang nicht entschieden152. Die Auffassungen in der Literatur sind gespalten. Ein gewichtiger Teil der Literatur fordert die Einstimmigkeit. Für die Praxis ist zu empfehlen, die einstimmige Zustimmung der Gesellschafterversammlung der abhängigen GmbH herbeizuführen. Ungeklärt ist nach wie vor die Frage, ob das herrschende Unternehmen 137 (z.B. die Kommune) bei der Abstimmung über die Zustimmung zum Unternehmensvertrag vom Stimmrecht ausgeschlossen ist. § 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG sieht vor, dass ein Gesellschafter dann kein Stimmrecht hat, wenn ein Beschluss über die Vornahme eines Rechtsgeschäfts mit diesem Gesellschafter gefasst werden soll. Die Rechtsprechung des BGH wendet diese Vorschrift allerdings nicht an, wenn es sich um eine EinPersonen-GmbH handelt153. Nicht entschieden sind Fälle, in denen neben dem Gesellschafter, mit dem der Unternehmensvertrag geschlossen werden soll, weitere Gesellschafter beteiligt sind. Die herrschende Meinung in der Literatur geht davon aus, dass § 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG in diesem Fall nicht eingreift, weil es sich bei dem Unternehmensvertrag um einen organisationsrechtlichen Vertrag handelt, für den der Stimmrechtsausschluss nicht gedacht sei154. Es darf allerdings nicht übersehen werden, dass die Auffassung der herrschenden Meinung insoweit mit dem Erfordernis der Einstimmigkeit korrespondiert. Wenn das herrschende Unternehmen mitstimmen darf, ist die Zustimmung aller anderen Gesellschafter der abhängigen GmbH erforderlich. Die Kommune als Alleingesellschafterin der abhängigen GmbH kann so- 138 mit allein über den Abschluss des Unternehmensvertrages beschließen. Sind an dem abhängigen Unternehmen weitere Gesellschafter beteiligt, darf die Kommune zwar mitstimmen. Es ist jedoch die Zustimmung sämtlicher Mitgesellschafter erforderlich. Der Zustimmungsbeschluss der Hauptversammlung einer abhängigen 139 Aktiengesellschaft bedarf stets der notariellen Beurkundung (vgl. hierzu oben Rz. 126). Für Gesellschafterversammlungen einer GmbH besteht zwar keine entsprechende gesetzliche Verpflichtung. Da der BGH den Unternehmensvertrag materiell wie eine Satzungsänderung behandelt, muss der Zustimmungsbeschluss der Gesellschafterversammlung der ab151 152 153 154
BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88 – Supermarkt, BGHZ 105, 324. BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88 – Supermarkt, BGHZ 105, 324. BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88 – Supermarkt, BGHZ 105, 324. Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, Schlussanhang Konzernrecht Rz. 55. Siegels
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hängigen GmbH entsprechend den Regeln für Satzungsänderungen in der GmbH jedoch ebenfalls notariell beurkundet werden155. b) Weitere Formerfordernisse 140 Noch nicht geklärt ist die Frage, ob die weiteren formalen Erfordernisse des Aktiengesetzes, insbesondere die Berichtspflicht des Vorstandes und die Pflicht, den Unternehmensvertrag prüfen zu lassen, auch im GmbHRecht Anwendung finden. Relevant wird die Problematik nur, wenn neben der Kommune als herrschendem Unternehmen noch weitere Gesellschafter an der abhängigen GmbH beteiligt sind. In diesem Falle empfiehlt es sich, vorsorglich sämtliche formalen Erfordernisse zu beachten, die auch im Aktienrecht gelten und die oben skizziert wurden (vgl. oben Rz. 126 ff.). Bei überschaubarem Gesellschafterkreis der abhängigen GmbH sollten insbesondere die erforderlichen Erklärungen über den Verzicht auf den Bericht der Geschäftsführung der abhängigen GmbH und auf die Prüfung des Unternehmensvertrages notariell beglaubigt oder beurkundet werden. c) Handelsregistereintragung 141 Wirksam wird der Unternehmensvertrag erst mit der Eintragung im Handelsregister, worauf insbesondere unter steuerlichen Gesichtspunkten der Organschaft zu achten ist (Vgl. § 14 Nr. 3 Satz 2 KStG). 4. Wirksamkeitsvoraussetzungen bei Personengesellschaften 142 Die Frage, ob ein Unternehmensvertrag mit einer abhängigen Personengesellschaft geschlossen werden darf, ist umstritten156. Rechtlich unproblematisch ist der Abschluss eines Unternehmensvertrages mit einer Personengesellschaft, an der keine natürliche Person beteiligt ist157. Zu denken ist etwa an eine kommunale Zweckgesellschaft in Form einer GmbH & Co. KG, deren einzige persönlich haftende Gesellschafterin eine eigens zu diesem Zweck gegründete GmbH und deren einzige Kommanditistin die Kommune ist. Gerade in solchen Fallgestaltungen stellt sich allerdings die Frage nach der (insbesondere steuerlichen) Notwendigkeit eines Unternehmensvertrages mit dieser GmbH & Co. KG. Die Einzelheiten sollen hier nicht weiter vertieft werden. 143 De facto spielen Unternehmensverträge im Recht der Personengesellschaft aus steuerlichen Gründen und wegen der gesellschaftsrechtlichen Einflussmöglichkeiten der Gesellschafter kaum eine Rolle. Weil Per155 BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88 – Supermarkt, BGHZ 105, 324; v. 30.1.1992 – II ZB 15/91 – Siemens, NJW 1992, 1452. 156 Zum Meinungsstand s. Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 519 m.w.N. 157 Vgl. BayObLG v. 10.12.1992 – 3 Z BR 130/92, NJW 1993, 1804; Baumbach/ Hopt, HGB, § 105 Rz. 105; sowie Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 519.
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sonengesellschaften im kommunalen Bereich, an denen mehrere weitere Gesellschafter beteiligt sind, nur selten vorkommen, wird auf eine Darstellung des Vertragskonzerns mit Personengesellschaften verzichtet158. 5. Kommunalrechtliche Wirksamkeitserfordernisse Bei Abschluss eines Unternehmensvertrages zwischen zwei Gesellschaf- 144 ten bedarf der Unternehmensvertrag sowohl auf Seiten der herrschenden als auch der abhängigen Gesellschaft der Zustimmung der jeweiligen Gesellschafterversammlung. Kommunen haben keine Gesellschafterversammlung. In der Praxis sollten Unternehmensverträge, insbesondere bei kommunalpolitisch sensiblen Vorhaben, aber mit Einverständnis des Gemeinde- oder Stadtrates bzw. Kreistages abgeschlossen werden. Rechtliche Zustimmungserfordernisse ergeben sich zudem aus kommunalrechtlichen Vorschriften. Unternehmensverträge werden als Rechtsgeschäfte qualifiziert, die einer 145 Bürgschaft oder einem Gewährvertrag wirtschaftlich gleichkommen159. Die Gemeindeordnungen der Länder sehen regelmäßig vor, dass derartige Rechtsgeschäfte der Genehmigung durch die Kommunalaufsichtsbehörde bedürfen (§ 88 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 GemO BW; Art. 72 Abs. 2 BayGO; § 75 Abs. 2 Satz 2 BbgKVerf; § 104 Abs. 2 HGO; § 121 Abs. 2 NKomVG; § 86 Abs. 2 GO NW; § 104 GemO Rh.-Pf.; § 93 KSVG Saarl.; § 83 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 SächsGemO; § 101 GO LSA; § 86 GO Schl.-Holst.; § 64 Abs. 2 ThürKO). Aus Gründen der Haushaltssicherheit unterliegen diesem Genehmigungserfordernis sämtliche Rechtsgeschäfte, die eine Einstandspflicht für künftige Verluste der Gesellschaft begründen (vgl. im Einzelnen oben § 8 Rz. 82 ff.). Das OLG Celle hatte in seinem Urteil vom 12.7.2000 einen Sachverhalt 146 zu entscheiden, in dem ein Ratsbeschluss der herrschenden Kommune herbeigeführt wurde, wonach die Kommune das erwirtschaftete Defizit aus dem Betrieb der Eigengesellschaft abdecken sollte. Gestützt auf diesen Ratsbeschluss wurde ein entsprechender Beschluss der Gesellschafterversammlung der Eigengesellschaft gefasst. Die Kommune suchte die Genehmigung der Kommunalaufsicht für den Ratsbeschluss. Nachdem deutlich wurde, dass die Genehmigung nicht erteilt werden würde, nahm die Kommune den Antrag auf Genehmigung des Ratsbeschlusses zurück und fasste in der Gesellschafterversammlung der Eigengesellschaft einen Beschluss, der den vorangegangenen Beschluss zur Defizitabdeckung aufhob160.
158 Vgl. wegen der Formerfordernisse, die denen bei der abhängigen GmbH entsprechen, Emmerich in Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 34 Rz. 17. 159 Vgl. OLG Celle v. 12.7.2000 – 9 U 125/99, NVwZ-RR 2000, 754 (755). 160 OLG Celle v. 12.7.2000 – 9 U 125/99, NVwZ-RR 2000, 754 (755), inzwischen rechtskräftig durch Beschluss des BGH v. 15.7.2002 – II ZR 250/00. Siegels
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147 Das OLG Celle wertete die Erklärung der Kommune über die Defizitübernahme als ein der Bürgschaft oder dem Gewährvertrag wirtschaftlich gleichkommendes Rechtsgeschäft, das nach § 93 Abs. 3 NGO (jetzt: § 121 Abs. 2 NKomVG) der Genehmigung durch die kommunale Aufsichtsbehörde bedurfte. Als Argument für die Genehmigungsbedürftigkeit einer Defizitübernahme durch eine Kommune führt das Gericht die Aspekte der Haushaltssicherheit und der aufsichtsrechtlichen Kontrolle möglicherweise unabsehbarer Risiken für die Kommune aus privatwirtschaftlicher Betätigung an. Diese Aspekte gelten auch für Rechtsgeschäfte zugunsten von Unternehmen, an denen die Kommune alleine oder zusammen mit weiteren Gesellschaftern beteiligt sei161. Da die Kommunalaufsicht die Genehmigung der Kommune zur Übernahme des Defizits der Eigengesellschaft nicht erteilt hatte, brauchte sich das OLG Celle nicht mit der Frage zu beschäftigen, ob die Aufsichtsbehörde eine solche Genehmigung überhaupt erteilen durfte. 148 Das Zustimmungserfordernis entfällt nicht etwa deshalb, weil die Kommune an der abhängigen Gesellschaft gesellschaftsrechtlich beteiligt ist. Weiterhin führt der Umstand, dass die Kommunalaufsicht die Beteiligung der Kommune an der abhängigen Gesellschaft nicht beanstandet hat, nicht dazu, dass der Abschluss eines Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsvertrages nicht der zusätzlichen Genehmigung der Kommunalaufsicht bedarf.
V. Änderung von Unternehmensverträgen 149 Ebenso wie bei dem Abschluss eines Unternehmensvertrages sind auch bei dessen Änderung zahlreiche Formerfordernisse zu beachten. 1. Aktiengesellschaft 150 Ein Unternehmensvertrag mit einer Aktiengesellschaft kann nach § 295 Abs. 1 AktG nur mit Zustimmung der Hauptversammlung geändert werden. Die formellen Erfordernisse, die im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Unternehmensvertrages skizziert wurden (vgl. oben Rz. 126 ff.), insbesondere die Bestimmungen der §§ 293–294 AktG, gelten für die Änderung sinngemäß, § 295 Abs. 1 Satz 2 AktG. 2. GmbH 151 Der Unternehmensvertrag wird durch Vereinbarung zwischen der Kommune und der Geschäftsführung der abhängigen GmbH geändert. Die Bemerkungen zum Abschluss eines Unternehmensvertrages mit einer
161 OLG Celle v. 12.7.2000 – 9 U 125/99, NVwZ-RR 2000, 754 (755).
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GmbH (vgl. oben Rz. 133 ff.) gelten auch für die Änderung, die Aufhebung und die Kündigung eines solchen Vertrages162. 3. Kommunalrechtliche Erfordernisse Fraglich ist, ob eine erneute kommunalaufsichtsrechtliche Genehmigung 152 des geänderten Vertrages erforderlich ist. Die Genehmigung einer Änderung ist jedenfalls dann erforderlich, falls der geänderte Vertrag zusätzliche oder weiter gehende Verpflichtungen der Kommune mit sich bringt. Da sowohl der Gewinnabführungs- als auch der Beherrschungsvertrag der Kommune die Verpflichtung auferlegt, sämtliche Verluste der abhängigen Gesellschaft während der Vertragsdauer auszugleichen, ist eine Verschärfung der Haftung der Kommune nur schwer vorstellbar. Änderungen, die zu einer Übernahme weiterer Verpflichtungen durch die Kommune führen, dürften sich in der Regel außerhalb des eigentlichen Vertragsgegenstandes eines Gewinnabführungs- oder Beherrschungsvertrages bewegen. Ein Fall der Übernahme zusätzlicher Verpflichtungen ist allerdings die Verlängerung der ursprünglichen Laufzeit eines geschlossenen Unternehmensvertrages. Dadurch verlängert sich die Zeitdauer, während der die Kommune zum Verlustausgleich verpflichtet ist, und damit das wirtschaftliche Gesamtrisiko für die Kommune. Deshalb ist die erneute Genehmigung der Kommunalaufsicht unumgänglich. Aber auch dann, wenn die Kommune als herrschendes Unternehmen mit 153 der Vertragsänderung im Ergebnis keine zusätzlichen Verpflichtungen gegenüber der abhängigen Gesellschaft übernimmt, ist eine erneute Genehmigung erforderlich. Zwar könnte die Änderung des Unternehmensvertrages von der ursprünglichen Genehmigung der Aufsichtsbehörde bei Abschluss des Vertrages gedeckt sein. Letztlich kann jedoch die Frage, ob die Kommune aufgrund der Änderung zusätzliche Verpflichtungen übernimmt, im Einzelfall schwierig zu beantworten sein. Damit die Aufsichtsbehörde diese Frage entscheiden kann, ist ihr der Änderungsvertrag vorzulegen.
VI. Beendigung von Unternehmensverträgen Unternehmensverträge können grundsätzlich durch einvernehmliche 154 Aufhebung, ordentliche Kündigung oder Kündigung aus wichtigem Grund beendet werden. Auch bei der Beendigung von Unternehmensverträgen bestehen formelle Erfordernisse, die im Folgenden kurz dargestellt werden sollen.
162 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 502 ff.; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, Schlussanhang Konzernrecht Rz. 61. Siegels
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1. Aktiengesellschaft 155 Die einvernehmliche Aufhebung eines Unternehmensvertrages durch die Kommune oder die Aktiengesellschaft ist nur zum Ende des Geschäftsjahres der abhängigen Gesellschaft oder des sonst vertraglich bestimmten Abrechnungszeitraumes möglich, § 296 Abs. 1 Satz 1 AktG. Rückwirkend kann ein Unternehmensvertrag nicht aufgehoben werden. Die Aufhebung bedarf der Schriftform, § 296 Abs. 1 Satz 3 AktG. 156 Die einseitige Kündigung eines Unternehmensvertrages ist unter Beachtung der im Unternehmensvertrag festgesetzten Kündigungsfristen möglich. Ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kann der Unternehmensvertrag gekündigt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. § 297 Abs. 1 AktG nennt als wichtigen Grund ausdrücklich nur den Umstand, dass das herrschende Unternehmen voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, seine aufgrund des Vertrages bestehenden Verpflichtungen zu erfüllen. Daneben sind weitere wichtige Gründe anerkannt, wie zum Beispiel schwerwiegende Vertragsverletzungen einer Vertragspartei in der Vergangenheit, die der anderen Vertragspartei ein weiteres Festhalten an dem Unternehmensvertrag unzumutbar macht, oder die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Vertragspartners163. Die wirtschaftliche „Lästigkeit“ des Verlustausgleichs ist hingegen kein wichtiger Grund zur Kündigung164. 157 Änderung, Aufhebung und Kündigung von Unternehmensverträgen bedürfen jeweils der Zustimmung außen stehender Aktionäre, wenn die Kommune als herrschendes Unternehmen im Unternehmensvertrag zur Leistung eines Ausgleichs an diese außen stehenden Aktionäre oder zum Erwerb ihrer Aktien verpflichtet ist, § 297 Abs. 2 AktG. 158 Der Vorstand der abhängigen Aktiengesellschaft hat die Beendigung des Unternehmensvertrages, den Grund für seine Beendigung und den Zeitpunkt der Beendigung unverzüglich zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden, § 298 AktG. 2. GmbH 159 Für die einvernehmliche Aufhebung oder die einseitige Kündigung eines Unternehmensvertrages gelten nach der Rechtsprechung des BGH im GmbH-Recht die aktienrechtlichen Bestimmungen der §§ 296 ff. AktG165.
163 Vgl. Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 297 Rz. 17 ff.; Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 297 Rz. 21 ff.; Hüffer, AktG, § 297 Rz. 6 m.w.N. 164 Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 297 Rz. 21; Hüffer, AktG, § 297 Rz. 5. 165 Emmerich in Scholz, GmbHG, Anhang Konzernrecht, Rz. 190 ff. (Kündigung), Rz. 195 ff. (Vertragsaufhebung), jeweils mit weiterführenden Angaben.
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Nicht abschließend geklärt ist die Frage, unter welchen Umständen eine 160 außerordentliche Kündigung des Unternehmensvertrages aus wichtigem Grund zulässig ist. Die Diskussion über diese Frage ist insbesondere im Zusammenhang mit der Beendigung von Gewinnabführungsverträgen zu sehen. Im Steuerrecht ist anerkannt, dass die Veräußerung der Beteiligung an der abhängigen Gesellschaft einen wichtigen Grund zur Beendigung der Organschaft darstellt166. Im Gesellschaftsrecht ist die Frage umstritten167. Aus Sicht der Praxis ist daher dringend zu empfehlen, die wichtigen Gründe für die vorzeitige Beendigung des Unternehmensvertrages ausdrücklich in den Vertrag aufzunehmen. Dies vermeidet Streitigkeiten über die Wirksamkeit einer Kündigung aus wichtigem Grund. Es sollten vor allem folgende Ereignisse als wichtige Gründe definiert werden: – Veräußerung von Anteilen an der abhängigen GmbH, die zum Verlust der Mehrheit der Kommune an der Gesellschaft führen; – Einbringung der abhängigen GmbH in eine andere Gesellschaft; – Verschmelzung der abhängigen GmbH mit einem anderen Unternehmen; – wesentliche GmbH168.
Verschlechterung
der
Ertragslage
der
abhängigen
Fraglich ist, ob Änderungen der Verhältnisse bei der Kommune eine hin- 161 reichende Rechtfertigung für die Vereinbarung eines Kündigungsgrundes darstellen können. Im Steuerrecht ist anerkannt, dass die Verschmelzung des herrschenden Unternehmens (dort als Organträger bezeichnet) einen wichtigen Grund zur Kündigung des Organschaftsvertrages darstellt169. Bezogen auf das Kommunalrecht ist daran zu denken, eine kommunale Neuordnung als vergleichbaren Fall zu behandeln. Eine Verschlechterung der finanziellen Situation der Kommune dürfte hingegen nur in ganz besonderen Ausnahmefällen ein Grund für die Kündigung sein. Die Aufhebung und die Kündigung eines Unternehmensvertrages bedür- 162 fen der Zustimmung der Gesellschafterversammlung der abhängigen GmbH. Umstritten ist die Frage der erforderlichen Mehrheit. Ebenso wie bei der Zustimmung zum Abschluss eines Unternehmensvertrages wird der Streit über die Frage geführt, ob eine Drei-Viertel-Mehrheit ausreicht
166 Vgl. Abschn. 60 Abs. 6 Satz 2 Körperschaftsteuer-Richtlinien (KStR) 2004. 167 Vgl. Vogt in Beck’sches Handbuch der GmbH, § 17 Rz. 229 f. m.w.N. 168 Die Zulässigkeit derjenigen Kündigungsgründe ist umstritten, mit denen sich das herrschende Unternehmen (die Kommune) der Verlustausgleichsverpflichtung entziehen kann. Für die Praxis ist davon auszugehen, dass jedenfalls eine missbräuchliche Ausübung vertraglich eingeräumter Kündigungsmöglichkeiten die Gefahr in sich birgt, dass die Kündigung einer gerichtlichen Nachprüfung nicht standhält. 169 Vgl. Abschn. 60 Abs. 6 Satz 2 KStR 2004. Siegels
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oder ob sämtliche Gesellschafter der abhängigen GmbH zustimmen müssen. Relevant wird die Frage selbstverständlich nur dann, wenn neben der Kommune noch andere Gesellschafter an der abhängigen GmbH beteiligt sind. Da eine höchstrichterliche Entscheidung zu der erforderlichen Form und der Mehrheit des Zustimmungsbeschlusses zur Aufhebung oder Kündigung nicht existiert, ist zu empfehlen, den Zustimmungsbeschluss notariell zu beurkunden und den Konsens sämtlicher Gesellschafter herbeizuführen. 3. Kommunalrechtliche Erfordernisse 163 Nicht geklärt ist, ob die Aufhebung oder Kündigung eines Unternehmensvertrages der Zustimmung der Kommunalaufsicht bedarf. Es sind Fälle denkbar, in denen die Beendigung eines Unternehmensvertrages zu einem Zeitpunkt, in dem sich die abhängige GmbH in schlechter wirtschaftlicher Verfassung befindet, für die Kommune zu besonders umfangreichen Ansprüchen der Gläubiger der abhängigen Gesellschaft führen kann. Eine wirtschaftlich möglicherweise schmerzhafte Verpflichtung zur Sicherstellung der Gläubiger der abhängigen GmbH ist jedoch nur Folge der bereits bei Abschluss des Unternehmensvertrages übernommenen Verpflichtungen der Kommune. Bei Beendigung des Vertrages realisiert sich somit nur, was latent bereits vorhanden war. Die erneute Zustimmung der Kommunalaufsicht ist daher nicht erforderlich.
F. Haftung im faktischen Konzern 164 Im Folgenden sind die möglichen Haftungsrisiken für eine Kommune als herrschendes Unternehmen im faktischen Konzern als der in der Praxis häufigsten Fallgestaltung zu skizzieren. Die Haftungsfolgen ergeben sich wiederum aus dem Recht, das auf die beherrschte Gesellschaft anzuwenden ist.
I. Aktiengesellschaft 1. Übersicht 165 Das Aktiengesetz enthält in den §§ 311–318 AktG detaillierte Regeln über die Verantwortlichkeit des herrschenden Unternehmens bei Fehlen eines Beherrschungsvertrages. Die herrschende Kommune darf dann, wenn kein Beherrschungsvertrag mit der abhängigen Aktiengesellschaft geschlossen wurde, ihren Einfluss nicht dazu benutzen, die abhängige Aktiengesellschaft (oder Kommanditgesellschaft auf Aktien) zu veranlassen, ein für diese nachteiliges Rechtsgeschäft vorzunehmen oder Maßnahmen zu ihrem Nachteil zu treffen oder zu unterlassen. Verstößt die herrschende Kommune gegen dieses Verbot nachteiliger Einflussnahme 616
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auf die abhängige Aktiengesellschaft, so muss die herrschende Kommune die eingetretenen Nachteile bis zum Ende des Geschäftsjahres der abhängigen Gesellschaft, in dem die Nachteile eingetreten sind, tatsächlich ausgleichen, § 311 Abs. 1 AktG. Auf den Nachteilsausgleich hat die abhängige Aktiengesellschaft allerdings keinen durchsetzbaren Rechtsanspruch. Werden die Nachteile nicht während des Geschäftsjahres ausgeglichen, 166 muss spätestens am Ende des Geschäftsjahres, in dem der Nachteil zugefügt worden ist, bestimmt werden, wann und durch welche Vorteile der Nachteil ausgeglichen werden soll, § 311 Abs. 2 Satz 1 AktG. Auf diese zum Ausgleich bestimmten Vorteile muss der abhängigen Aktiengesellschaft ein Rechtsanspruch eingeräumt werden, § 311 Abs. 2 Satz 2 AktG. Nach § 317 Abs. 1 AktG hat die abhängige Aktiengesellschaft einen Schadenersatzanspruch, wenn der Nachteil bis zum Ende des Geschäftsjahres nicht tatsächlich ausgeglichen wurde und der abhängigen Aktiengesellschaft kein Rechtsanspruch auf einen zum Ausgleich bestimmten Vorteil gewährt wurde. Die Kommune als herrschendes Unternehmen ist auch den (außen stehenden) Aktionären zum Ersatz des ihnen daraus entstehenden Schadens verpflichtet, soweit sie, abgesehen von einem Schaden, der ihnen (mittelbar) durch Schädigung der Gesellschaft zugefügt worden ist, selbst geschädigt worden sind, § 317 Abs. 1 Satz 2 AktG. Die Ersatzpflicht nach § 317 AktG tritt nicht ein, wenn auch ein ordent- 167 licher und gewissenhafter Vorstand einer unabhängigen Aktiengesellschaft das Rechtsgeschäft vorgenommen oder die Maßnahmen getroffen oder unterlassen hätte. Diesen Zusammenhang hat der BGH in seiner UMTS-Entscheidung170 klargestellt. Danach komme eine Haftung des herrschenden Unternehmens – im entschiedenen Fall war es die Bundesrepublik Deutschland – nach § 317 AktG nicht in Betracht, wenn auch ein gewissenhafter Geschäftsleiter eines unabhängigen Unternehmens das Rechtsgeschäft unter sonst gleichen Umständen ebenfalls vorgenommen hätte. Eine Haftung greife demgegenüber nur ein, wenn der Geschäftsleiter der abhängigen Gesellschaft wegen der Einflussnahme des herrschenden Unternehmens den Bereich des ausschließlich am Unternehmenswohl orientierten, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhenden unternehmerischen Handelns „deutlich überschreite“ und die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt worden oder das Verhalten des Vorstands der abhängigen Gesellschaft aus anderen Gründen pflichtwidrig ist171. Neben der Kommune als herrschendem Unternehmen haften als Ge- 168 samtschuldner die gesetzlichen Vertreter der Kommune, die die abhän-
170 BGH v. 3.3.2008 – II ZR 124/06 – UMTS, BGHZ 175, 365. 171 BGH v. 3.3.2008 – II ZR 124/06 – UMTS, BGHZ 175, 365 (369). Siegels
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gige Aktiengesellschaft zu dem Rechtsgeschäft oder der Maßnahme veranlasst haben, § 317 Abs. 3 AktG (vgl. dazu unten Rz. 213). 2. Voraussetzungen der Haftung 169 Das Regelungsgefüge der §§ 311, 317 AktG mit den eskalierenden Rechtsfolgen: Nachteilsausgleich, Einräumung eines Ersatzanspruchs und schließlich Verpflichtung zum Schadensersatz setzt voraus, dass die Aktiengesellschaft von der Kommune abhängig ist und die Kommune die abhängige Aktiengesellschaft zu einem für sie nachteiligen Rechtsgeschäft oder einer nachteiligen Maßnahme veranlasst hat. Die Voraussetzungen der Vorschrift sind im Einzelnen undeutlich formuliert; die Norm wird in der Literatur vor allem wegen der praktischen Probleme bei der Anwendung stark kritisiert172. 170 Die Abhängigkeit bestimmt sich nach den allgemeinen Regeln, die oben dargelegt wurden (vgl. oben Rz. 70 ff.). Die §§ 311, 317 AktG gelten auch im Unterordnungskonzern, der die Abhängigkeit voraussetzt. 171 Einigkeit besteht darüber, dass der Begriff der Veranlassung weit auszulegen ist173. Veranlassung umfasst sämtliche Arten und Formen der Einflussnahme der Kommune als herrschendes Unternehmen auf die Vorstände, aber auch auf Aufsichtsräte oder Mitarbeiter der abhängigen Aktiengesellschaft mit dem Ziel, deren Verhalten und somit die geschäftlichen Maßnahmen der abhängigen Aktiengesellschaft zu beeinflussen174. Es genügt auch, dass die Vertreter der Kommune in Aufsichtsrat oder Vorstand im Rahmen ihrer Organstellung und -tätigkeit Einfluss ausüben175. Die plakativste Form der Veranlassung ist sicherlich die direkte Weisung176. Darüber hinaus erfüllen aber auch „subtilere“ Mittel der Einflussnahme den Veranlassungsbegriff, wenn sie mit einem gewissen Befolgungsdruck versehen werden und die Geschäftsleitung der abhängigen Gesellschaft deshalb keine Entscheidungsfreiheit hat. 172 Schwierigkeiten bereiten die §§ 311, 317 AktG hinsichtlich der Frage, ob die Einflussnahme bei der abhängigen Aktiengesellschaft zu einem Nachteil geführt hat. Ein Anspruch der abhängigen Gesellschaft besteht nur insoweit, als ihre Vermögenssituation sich aufgrund des Rechtsgeschäfts 172 Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 317 Rz. 3. 173 Altmeppen in Münchener Komm. zum AktG, § 311 Rz. 76; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 311 Rz. 22 ff.; Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 311 Rz. 2 ff. m.w.N. 174 Vgl. Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 422 f.; Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 311 Rz. 2; Altmeppen in Münchener Komm. zum AktG, § 311 Rz. 75 ff. 175 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 423 f. 176 Zu Recht wird zur Auslegung des Begriffs der „Veranlassung“ auf den Begriff der Weisung in § 308 AktG verwiesen; vgl. Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 422.
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oder der Maßnahme schlechter darstellt als ohne die vom herrschenden Unternehmen „erzwungene“ Handlung. Maßstab ist das Handeln eines ordentlichen und gewissenhaften Vorstands einer unabhängigen Aktiengesellschaft (siehe oben, Rz. 167). Das Handeln eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters 173 stellt einen normativen Sorgfaltsmaßstab dar, der sich an den jeweiligen Anforderungen der konkreten Aufgabe orientiert. Verschuldensmaßstab ist die Sorgfalt, die von einem ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter in der konkreten Situation erwartet werden muss177. Abweichende tatsächliche Übung im Unternehmen findet ebenso wenig Berücksichtigung wie die persönlichen Eigenschaften des Geschäftsleiters178. Bei mangelnder Erfahrung oder fehlenden Kenntnissen angesichts einer bestimmten Aufgabe muss das Vorstandsmitglied grundsätzlich sachkundigen Rat einholen179. Hätte der ordentliche und gewissenhafte Vorstand einer unabhängigen 174 Gesellschaft in der gegebenen Situation in gleicher Weise gehandelt und das fragliche Rechtsgeschäft vorgenommen oder die Maßnahme ergriffen, scheidet die Verantwortung der herrschenden Kommune aus. Dies gilt selbst dann, wenn die konkrete Handlung zu einer Vermögenseinbuße der abhängigen Gesellschaft geführt hat. Die §§ 311, 317 AktG haben nicht die Aufgabe, die abhängige Gesellschaft vor allgemeinen Marktrisiken oder vor unternehmerischen Fehlentscheidungen zu schützen180. Die abhängige Gesellschaft soll aber vor Nachteilen geschützt werden, die nur wegen der Abhängigkeit entstehen, weil die herrschende Kommune entweder wirtschaftliche Vorteile an anderer Stelle erwartet oder die Nachteile aus „übergeordneten Gesichtspunkten“, beispielsweise aus Gründen des Gemeinwohls, in Kauf nimmt. Als Beispiele im kommunalen Bereich sind insbesondere „verdeckte 175 Quersubventionen“ zwischen kommunalen Gesellschaften untereinander oder mit Eigenbetrieben denkbar, zwischen denen Liefer- und Leistungsbeziehungen bestehen. Wird eine kommunale Gesellschaft veranlasst, zu einem Preis an die andere kommunale Gesellschaft zu liefern, der unter Marktniveau liegt, kann dies jedenfalls dann zur Haftung der Kommune nach den §§ 311, 317 AktG führen, wenn ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einen solchen Vertrag nicht geschlossen hätte. Spiegelbildlich gilt dies, wenn das Einkaufsverhalten einer kommunalen Gesellschaft entgegen wirtschaftlichen Gesichtspunkten beeinflusst wird, um eine kommunale Schwestergesellschaft auszulasten. 177 Mertens/Cahn in Kölner Komm. zum AktG, § 136 f. Rz. 98; Hüffer, AktG, § 93 Rz. 4. 178 Hüffer, AktG, § 93 Rz. 4; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 43 Rz. 11. 179 Mertens/Cahn in Kölner Komm. zum AktG, § 93 Rz. 137. 180 Vgl. zur Ersteigerung von UMTS-Lizenzen: BGH v. 3.3.2008 – II ZR 124/06 – UMTS, BGHZ 175, 365; vgl. allgemein auch Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 426; Altmeppen in Münchener Komm. zum AktG, § 311 Rz. 5. Siegels
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176 Diese schlichten Beispiele zeigen, dass die Interessen der Kommune an der wirtschaftlichen und insbesondere auch an der steuerlichen Optimierung des „Konzerns Kommune“ einerseits und der einzelnen abhängigen Gesellschaften andererseits durchaus verschieden sein können. Bei Austauschverträgen ist die Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung als Maßstab zu nehmen181. Weil es jedoch stets um die Frage geht, ob die Abhängigkeit der Gesellschaft und damit die Einflussnahme der Kommune zu einer Entscheidung bei der abhängigen Gesellschaft außerhalb der vertretbaren Grenzen unternehmerischer Beurteilung geführt haben, sollte kein mechanischer Maßstab angelegt werden. Vielmehr sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, die im Zeitpunkt der Entscheidung bekannt waren182. 177 Problematischer als Liefer- und Leistungsbeziehungen sind die Fälle der sonstigen Maßnahmen. Im allgemeinen Konzernrecht werden als Beispiele die Aufgabe von Märkten zugunsten eines anderen Konzernunternehmens, Produktionseinstellungen sowie Investitions-, Personal- und Organisationsentscheidungen und ähnliche Handlungen angeführt183. Beurteilungsmaßstab muss auch dabei das angemessene unternehmerische Handeln des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters sein184. Die Schwierigkeiten vergrößern sich nochmals, wenn Aspekte des politischen Handelns und Entscheidens einbezogen werden.
II. GmbH 178 Das von der Rechtsprechung entwickelte Konzept der Haftungs- und Ausgleichspflichten eines herrschenden Unternehmens im faktischen GmbH-Konzern weicht von den aktienrechtlichen Regelungen deutlich ab. Die Rechtsprechung hat die Regeln für die Konzernverantwortlichkeit des herrschenden Unternehmens im faktischen Konzern mit einer Aktiengesellschaft als abhängigem Unternehmen nicht für den faktischen GmbH-Konzern übernommen. 179 In der rechtswissenschaftlichen Literatur zum faktischen GmbH-Konzern wurden verschiedene Haftungsmodelle entwickelt, um die Besonderheiten in der konzernverbundenen GmbH zu berücksichtigen185. Die Ansätze der verschiedenen Modelle unterschieden sich zwar in der dogmatischen Begründung; sie glichen sich jedoch insoweit, als die aktienrechtlichen Vorschriften der §§ 311 ff. AktG nicht entsprechend angewendet werden sollten.
181 182 183 184 185
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Vgl. Hüffer, AktG, § 311 Rz. 30. H.M., vgl. Hüffer, AktG, § 311 Rz. 28. Vgl. Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 431 f. Ganz einhellige Meinung, vgl. statt aller Hüffer, AktG, § 311 Rz. 34. Vgl. die Übersicht bei Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 404 f., 417.
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In der Praxis ist deshalb heute das von der Rechtsprechung des BGH ent- 180 wickelte Haftungsmodell maßgebend, das auf der Treuepflicht des GmbH-Gesellschafters gegenüber seiner Gesellschaft aufbaut186. Der BGH hat dieses Modell mit der grundlegenden ITT-Entscheidung vom 5.6.1975 eingeführt187. Ausgangspunkt der Überlegungen der Rechtsprechung ist die allgemeine 181 gesellschaftsrechtliche Treuepflicht eines jeden GmbH-Gesellschafters, die sowohl einen Förderaspekt188 als auch einen Unterlassungsaspekt189 aufweist. Der Förderaspekt kann als das allgemeine Gebot verstanden werden, die Belange der Gesellschaft im Rahmen der Gesellschafterstellung aktiv zu unterstützen190. Der – hier wichtigere – Unterlassungsaspekt fordert vom Gesellschafter, sich nachteiliger Einflussnahme auf die Gesellschaft zu enthalten. Bei einem Unternehmensgesellschafter steigert sich das Maß der Treuepflicht angesichts des Umstandes, dass er anders als ein „Privatgesellschafter“ weitreichende Möglichkeiten hat, die Ressourcen der abhängigen GmbH für seine übergeordneten Konzernzwecke einzusetzen. Das aus dem Unterlassungsaspekt abgeleitete Schädigungsverbot umfasst 182 sämtliche Formen einer nachteiligen Einflussnahme auf die betroffene Gesellschaft191. Neben nachteiligen Gesellschafterbeschlüssen sind dem Gesellschafter auch nachteilige Weisungen an die Geschäftsführung der GmbH und alle anderen Formen der Einflussnahme auf die Organe der Gesellschaft untersagt, die zu einer Schädigung der Gesellschaft führen oder führen können. Die Rechtsfolge einer Verletzung der Treuepflicht besteht in erster Linie in der Verpflichtung zum Schadensersatz. Nach den allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen kann das herrschende Unternehmen im einfachen faktischen Konzern auf Schadenersatz in Anspruch genommen werden, wenn es gegen die Gesellschaftsinteressen der abhängigen GmbH verstößt und der Gesellschaft dadurch einen Schaden zufügt192. Daneben kommt – bei drohenden Eingriffen – auch ein Anspruch auf Unterlassung in Betracht.
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Wie bei jeder Verpflichtung zum Schadensersatz besteht auch bei der ge- 184 sellschafterlichen Treuepflicht die Schwierigkeit, einen Schaden der GmbH zu ermitteln. Die ganz herrschende Meinung wendet zur Lösung
186 Vgl. Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 467 f. 187 BGH v. 5.6.1975 – II ZR 23/74 – ITT, BGHZ 65, 15. 188 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 14 Rz. 20 ff.,22; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 13 Rz. 27. 189 Winter/Seibt in Scholz, GmbHG, § 14 Rz. 59 f.; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 14 Rz. 24. 190 Vgl. Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 587, 588. 191 Vgl. Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 471 ff. 192 BGH v. 5.6.1975 – II ZR 23/74 – ITT, BGHZ 65, 15. Siegels
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des Problems die Maßstäbe an, die bei den aktienrechtlichen Vorschriften der §§ 311, 317 AktG gelten und die bereits skizziert wurden (Rz. 172 ff.). Im Ergebnis nähern sich die Haftungsregime beider Gesellschaftsformen daher zumindest teilweise wieder an. Ausschlaggebend ist die Frage, ob die Einflussnahme des herrschenden Gesellschafters, beispielsweise der Kommune, zu einem Verhalten der Geschäftsführung der abhängigen GmbH geführt hat, das von dem Verhalten eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführers einer unabhängigen GmbH abweicht. Der Sorgfaltsmaßstab entspricht dem eines ordentlich und gewissenhaft handelnden Vorstands einer Aktiengesellschaft193. 185 Auch bei der abhängigen GmbH tritt insbesondere das Problem der „erzwungenen Quersubventionierung“ zwischen verschiedenen kommunalen Gesellschaften auf. Wird eine kommunale GmbH veranlasst, in ihren Liefer- und Leistungsbeziehungen mit anderen Gesellschaften der Kommune Bedingungen zu akzeptieren, die sie im Geschäftsverkehr mit Dritten nicht eingegangen wäre, drängt sich der herrschende Einfluss der Kommune auf. 186 Im deutlichen Gegensatz zum Konzernrecht der Aktiengesellschaft führen schädigende Einflussnahmen des herrschenden Unternehmens auf die abhängige GmbH allerdings nur unter verschiedenen einschränkenden Voraussetzungen zur „Konzernhaftung“. Zum einen entfällt die Verpflichtung zum Schadensersatz, wenn sämtliche Mitgesellschafter mit der Maßnahme einverstanden waren. Dies bedeutet, dass eine Kommune, die bestimmte Eingriffe mit Zustimmung eines etwaigen Mitgesellschafters vorgenommen hat, keine Konzernhaftung zu gewärtigen hat. Zum anderen hat der BGH in seinem Bremer-Vulkan-Urteil vom 17.9.2001 entschieden, dass der Alleingesellschafter einer GmbH außerhalb der Grenzen der Erhaltung des Stammkapitals der GmbH nach den §§ 30, 31 GmbHG überhaupt nicht hafte194.
III. Personengesellschaft 187 In der Personengesellschaft unterliegen sämtliche Gesellschafter einem umfassenden Schädigungsverbot. Dieses Verbot entspringt der Pflicht der Gesellschafter zur gemeinsamen Förderung der Gesellschaftsbelange, die sich ihrerseits aus der gemeinsamen Zweckverfolgung als Grundlage jeder Gesellschaft ergibt, § 705 BGB. Maßstab der Pflichtverletzung kann auch hier nur das Verhalten in einer unverbundenen, nicht abhängigen Personengesellschaft sein. Rechtsfolge einer Verletzung ist die Verpflichtung zum Schadensersatz.
193 Zöller in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 43 Rz. 7. 194 BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99 – Bremer Vulkan, NJW 2001, 3622 (3623).
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G. Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs I. Übersicht 1. Abschied von der Haftung im qualifiziert faktischen Konzern Die Fragen der Haftung des herrschenden Unternehmens im qualifiziert 188 faktischen GmbH-Konzern haben die Rechtsprechung seit Mitte der 80er Jahre wie kein anderes konzernrechtliches Thema beschäftigt und zu einigen teilweise spektakulären Entscheidungen des BGH geführt, die unter den Schlagworten Autokran, Tiefbau, Video, Stromlieferung sowie TBB bekannt geworden sind195. Diese Entscheidungen haben eine bis dahin nie da gewesene Flut von Stellungnahmen in der Literatur ausgelöst196. Die Entwicklung der Rechtsprechung und der sie begleitenden Literatur schwankte dabei zwischen zwei Haftungskonzepten, die schlagwortartig als „Verhaltenshaftung“ und als „Strukturhaftung“ bezeichnet werden können. In der Praxis zumindest der höchstrichterlichen Rechtsprechung selbst hat sich die Haftung im qualifiziert faktischen Konzern letztlich aber als ein wenig relevantes Rechtsinstitut erwiesen197. Mit dem Bremer-Vulkan-Urteil des BGH vom 17.9.2001198 wurde hin- 189 sichtlich der GmbH der Abschied von der Haftung im qualifiziert faktischen Konzern eingeleitet199. Mit Urteil vom 25.2.2002 hat der BGH klargestellt, dass er die Rechtsprechung zur Haftung aus qualifiziert faktischem Konzern aufgibt200. An ihre Stelle ist die Ausfallhaftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs getreten201. Diese neue Rechtsprechung wurde mit Urteil vom 24.6.2002 bekräftigt202 und mit Entscheidungen vom 20.9.2004 und 13.12.2004 sowie vom 25.7.2005 ausgebaut203. Mit dem Trihotel-Urteil des BGH vom 16.7.2007204 hat das Gericht erneut seine Rechtsprechung geändert und ordnet die Haftung wegen existenz-
195 Vgl. die Kurzbeschreibungen der Urteile bei Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 455 f. 196 Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, Schlussanhang Konzernrecht Rz. 132 f. 197 Vgl. die Zusammenstellung der Entscheidungen des BGH, in denen das Gericht die Konzernhaftung abgelehnt hat, bei Mülbert, DStR 2001, 1937, in Fn. 6. 198 BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99 – Bremer Vulkan, NJW 2001, 3622, BGHZ 149, 10. 199 Vgl. Römermann/Schröder, GmbHR 2001, 1015; Keßler, GmbHR 2001, 1095; Altmeppen, ZIP 2001, 1837; Altmeppen, NJW 2002, 321; zurückhaltender: Karsten Schmidt, NJW 2001, 3577; Mischke, S. 61. 200 BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, BB 2002, 1012. 201 BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, BB 2002, 1012. 202 BGH v. 24.6.2002 – II ZR 300/00 – KBV, BB 2002, 1823. 203 BGH v. 13.12.2004 – II ZR 206/02, BB 2005, 232; v. 13.12.2004 – II ZR 256/02, BB 2005, 286; v. 20.9.2004 – II ZR 302/02; v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, BGHZ 164, 50. 204 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04 – Trihotel, BGHZ 173, 246, NJW 2007, 2689. Siegels
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vernichtenden Eingriffs nunmehr als Fallgruppe der sittenwidrigen Schädigung nach § 826 BGB ein. Diese Linie setzt das Gericht mit seinem GAMMA-Urteil vom 28.4.2008205 und seinem Sanitary-Urteil vom 9.2.2009206 fort. 2. Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs 190 Der Schutz einer Gesellschaft gegen Eingriffe ihrer Gesellschafter folgt im Rahmen der Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs nicht dem Haftungssystem des Konzernrechts des Aktienrechts (§§ 291 ff., 311 ff. AktG), sondern versteht sich als Ergänzung der Gesellschafterhaftung nach §§ 30 f. GmbHG207. 191 Die Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs knüpft zwar an die Gesellschafterstellung an. Das Vorliegen eines Konzerns ist aber – anders als bei der Rechtsfigur des qualifiziert faktischen Konzerns – nicht mehr erforderlich. Das neue Haftungsregime setzt daher auch nicht mehr voraus, dass der Gesellschafter ein Unternehmen im konzernrechtlichen Sinne ist. Streng genommen stellt die neue Haftungsfigur daher kein konzernrechtliches Haftungsinstitut mehr dar. Gleichwohl dürfte die Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs insbesondere in Konzernsituationen relevant werden, weil ein Gesellschafter, dessen Beteiligung an der betroffenen Gesellschaft seine einzige wirtschaftliche Basis darstellt, diese Gesellschaft vernünftigerweise nicht bis zur Existenzvernichtung schädigen wird. Ein Gesellschafter wird vielmehr typischerweise nur dann schädigenden Einfluss auf eine Gesellschaft nehmen, wenn und soweit er diese Maßnahme im Rahmen eines Unternehmensverbundes kompensieren kann oder aus übergeordneten Gesichtspunkten hinnimmt. Nur dann schädigt er mit der betroffenen Gesellschaft nicht gleichzeitig auch sich selbst. Dieser Umstand sowie die Bedeutung für Konzernsituationen rechtfertigen es, die Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs im Zusammenhang mit dem Konzernrecht darzustellen.
II. GmbH 192 Die Voraussetzungen der Haftung sind auch nach der nochmaligen Rechtsprechungsänderung des BGH nicht im Einzelnen geklärt. Im Folgenden soll versucht werden, im Hinblick auf die Konzernsituation die
205 BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06 – GAMMA, BGHZ 176, 204, NJW 2008, 2437. 206 BGH v. 9.2.2009 – II ZR 292/07 – Sanitary, BGHZ 179, 344, NJW 2009, 2127. 207 BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99 – Bremer Vulkan, NJW 2001, 3622, BGHZ 149, 10.
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Voraussetzungen der Haftung aus existenzvernichtendem Eingriff anhand der bisherigen Rechtsprechung zu skizzieren. 1. Haftungsvoraussetzungen Der BGH bezeichnet die Rechtsfigur des existenzvernichtenden Eingriffs als eine Haftung des Gesellschafters einer GmbH für „mißbräuchliche, zur Insolvenz der Gesellschaft führende oder diese vertiefende „kompensationslose“ Eingriffe in deren der Zweckbindung zur vorrangigen Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger dienendes Gesellschaftsvermögen“208. Nach der Rechtsprechung des BGH knüpft die Existenzvernichtungshaftung an die „mißbräuchliche Schädigung des im Gläubigerinteresse zweckgebundenen Gesellschaftsvermögens an“209.
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Bildhaft spricht der BGH im Trihotel-Urteil von einer Haftungssanktionierung wegen einer „rechtsmißbräuchlichen „Ausplünderung“ des Gesellschaftsvermögens durch den Gesellschafter“210. Der existenzvernichtende Eingriff in das Gesellschaftsvermögen liege dann vor, wenn der Gesellschafter eine die Gesellschaftsinsolvenz auslösende oder vertiefende, sittenwidrige „Selbstbedienung“ hinsichtlich des Gesellschaftsvermögens vorgenommen hat211. Den „planmäßige Entzug von Gesellschaftsvermögen im Sinne der Verringerung der Zugriffsmasse zu Lasten der Gläubiger und zum eigenen Vorteil des Gesellschafters“ erachtet der BGH „als dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widersprechend und damit sittenwidrig“212. Der BGH betont, dass der existenzvernichtende Eingriff sich nicht auf Managementfehler bei der Betriebsführung bezieht, sondern einen gezielten, betriebsfremden Zwecken dienenden Entzug von Vermögenswerten voraussetzt, welche die Gesellschaft zur Begleichung ihrer Verbindlichkeiten benötigt. Danach ist eine Haftung beispielsweise begründet, wenn Vermögenswerte ohne angemessene Vergütung verlagert werden213. a) Vermögensabzug aus der Gesellschaft Das System der auf das Gesellschaftsvermögen beschränkten Haftung der 194 GmbH setzt voraus, dass die Gesellschafter auf das der Gesellschaft überlassene und als Haftungsfonds erforderliche Vermögen nicht zugreifen. Verstoßen sie dagegen und bringen sie die Gesellschaft damit um die Möglichkeit, ihre Verbindlichkeiten gegenüber ihren Gläubigern nicht
208 209 210 211 212 213
BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04 – Trihotel, NJW 2007, 2690. BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04 – Trihotel, NJW 2007, 2690. BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04 – Trihotel, NJW 2007, 2690. BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04 – Trihotel, NJW 2007, 2691. BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04 – Trihotel, NJW 2007, 2691. Gehrlein, BB 2005, 613; BGH v. 13.12.2004 – II ZR 206/02, BB 2005, 232; Liebscher, GmbH-Konzernrecht, F Rz. 505. Siegels
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mehr oder nur noch in geringerem Maße erfüllen zu können, missbrauchen sie die Rechtsform der GmbH und verlieren damit grundsätzlich die Berechtigung, sich auf die Haftungsbeschränkung des § 13 Abs. 2 GmbHG zu berufen214. 195 Der Begriff des Vermögensabzugs ist wie bei der Gesellschafterhaftung aus §§ 30, 31 GmbHG weit auszulegen. Dazu gehören nicht nur Geldzahlungen, sondern offene und verdeckte Leistungen aller Art, die das Vermögen verringern, wie z.B. verdeckte Gewinnausschüttungen und insbesondere auch Leistungen an mit dem Gesellschafter verbundene Unternehmen215. Der BGH stellte fest, dass ein Vermögensentzug im Sinne des existenzvernichtenden Eingriffs auch dann vorliegen kann, wenn der Gesellschaft Geschäftschancen entzogen werden mit dem Ziel, sie auf die Gesellschafter zu verlagern216. 196 Fälle der fehlenden angemessenen Rücksicht auf die eigenen Gesellschaftsbelange der abhängigen GmbH sind beispielsweise wirtschaftliche Umstrukturierungsmaßnahmen zu Lasten der GmbH, die Einstellung erfolgreicher Produktlinien, die Schließung von Betrieben oder ein unangemessener Entzug von Liquidität217, jedenfalls dann, wenn die Gesellschaft keine Kompensation erhält. 197 Im Rahmen der Verwirklichung der Zwecke der Gesellschaft ist dann zu prüfen, ob die Gesellschaft die in Frage stehenden geschäftlichen Maßnahmen auch ohne den Einfluss der herrschenden Kommune ergriffen oder unterlassen hätte. b) Herbeiführen oder Vertiefen der Insolvenz der Gesellschaft 198 Zwischen dem Eingriff des Gesellschafters und dem Ausfall des Gläubigers muss ein Ursachenzusammenhang bestehen218. Die Haftung aus existenzvernichtendem Eingriff greift nur dann ein, wenn die Insolvenz der Gesellschaft durch den Eingriff herbeigeführt oder eine bestehende Insolvenz im Sinne eines weiteren Entzugs von Gesellschaftsmitteln vertieft wurde. Dabei genügt es nicht, wenn sich die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft durch das Verhalten der Gesellschafter lediglich verschlechtert, sich z.B. die Überschuldung erhöht hat. Das Verhalten der Gesellschafter muss ursächlich für die Zahlungsunfähigkeit der GmbH
214 So schon BGH v. 13.12.2004 – II ZR 206/02, BB 2005, 232 (233). 215 Siehe im Einzelnen Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 30 Rz. 16 ff.; ausführlich Liebscher, GmbH-Konzernrecht, F Rz. 511 ff. 216 BGH v. 13.12.2004 – II ZR 206/02, BB 2005, 232 (233). 217 Vgl. für die Haftung aus qualifiziert faktischem Konzern Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, Schlussanhang Konzernrecht, Rz. 140. 218 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 486; Liebscher, GmbH-Konzernrecht, F Rz. 519.
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gewesen sein. Dies gilt auch, wenn die Insolvenz später aus anderen Gründen eingetreten ist219. c) Vorsatz hinsichtlich der sittenwidrigen Schädigung Die neue rechtliche Grundlage für die alte Rechtsfigur des existenzver- 199 nichtenden Eingriffs sieht der BGH nunmehr in § 826 BGB, der eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung (hier des Gesellschaftsvermögens) verlangt. Das Gericht stellt fest, dass eine solche sittenwidrige Schädigung jedenfalls bei einem „planmäßigen“ Entzug von Gesellschaftsvermögen zum unmittelbaren oder mittelbaren Vorteil des Gesellschafters oder eines Dritten vorliegt220. Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung liegt aber auch dann vor, wenn 200 dem Gesellschafter bewusst ist, dass durch die von ihm selbst oder mit seiner Zustimmung veranlassten Maßnahmen die Gesellschaft sittenwidrig geschädigt wird. Erforderlich ist nur die Kenntnis der Tatsachen, die den Eingriff sittenwidrig machen; ein Bewusstsein der Sittenwidrigkeit verlangt der BGH nicht. Als sittenwidrig erachtet das Gericht nicht nur Fälle des Vermögensentzugs in der Absicht, es den Gläubigern vorzuenthalten – eine solche Absicht wird im kommunalen Bereich regelmäßig auszuschließen sein. Sittenwidrig ist der Abzug aber bereits dann, wenn die Fähigkeit der Ge- 201 sellschaft, ihre Verbindlichkeiten zu erfüllen, faktisch dauerhaft beeinträchtigt wird, dies die „voraussehbare Folge des Eingriffs“ ist und der Gesellschafter diese Rechtsfolge in Kenntnis ihres möglichen Eintritts billigend in Kauf genommen hat221. Dies kann bei konzerninternen Vorgängen durchaus relevant werden, wenn aufgrund des Entzugs der Mittel die Gesellschaft erkennbar in ihrer wirtschaftlichen Existenz zugunsten einer anderen Konzerngesellschaft beeinträchtigt wird. d) Ergänzung der §§ 30, 31 GmbHG Die Haftung aus existenzvernichtendem Eingriff ergänzt die „lückenhaf- 202 ten“ gesetzlichen Vorschriften der §§ 30, 31 GmbHG über den Vermögensschutz der GmbH222. Nach § 31 GmbHG sind Gesellschafter zur Erstattung von Zahlungen verpflichtet, die unter Verstoß gegen die Kapitalerhaltungspflicht des § 30 GmbHG erfolgt sind. § 30 GmbHG schützt das Vermögen der Gesellschaft, soweit es zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlich ist. Ist der verpflichtete Gesellschafter zur Erstattung nicht in der Lage, haften auch die übrigen Gesellschafter den Gesellschaftsgläubigern. 219 220 221 222
BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, BB 2002, 1012 (1014). BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04 – Trihotel, NJW 2007, 2691. BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04 – Trihotel, NJW 2007, 2691. BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04 – Trihotel, NJW 2007, 2691. Siegels
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Der Ausgleich von Eingriffen entgegen den §§ 30, 31 GmbHG setzt voraus, dass sich die einzelnen Eingriffe isoliert nachweisen lassen223. Dies wird jedoch oftmals im Einzelnen nicht mehr möglich sein. Insbesondere sind Eingriffe denkbar, wie die Verlagerung von Geschäftschancen, die sich bilanziell nicht niederschlagen. Obwohl die Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs nicht nachrangig ist gegenüber der allgemeinen Haftung nach GmbH-Recht, wird sie oft erst dann eingreifen, wenn die allgemeinen Haftungsansprüche nicht durchgesetzt werden können, nicht den vollen Schadensumfang abdecken oder nicht mehr in der Lage sind, die Insolvenz zu beseitigen. e) Darlegungs- und Beweispflichten 203 Weil die geschädigte Gesellschaft und nicht mehr ihre Gläubiger nach der neuen Dogmatik des BGH selbst anspruchsberechtigt ist, hat diese die Darlegungs- und Beweislast für alle objektiven (unmittelbare Auslösung oder Vertiefung der Insolvenz) und subjektiven (mindestens Eventualvorsatz hinsichtlich der Sittenwidrigkeit der Schädigung) Tatbestandsmerkmale des Ersatzanspruchs224. Im Zweifel wird dies in der Praxis regelmäßig bedeuten, dass diese Pflichten den Insolvenzverwalter treffen. 2. Rechtsfolgen 204 Die Gesellschafter, deren Verhalten einen existenzvernichtenden Eingriff darstellt, haben der betroffenen Gesellschaft den durch ihre sittenwidrige Schädigung entstandenen Schaden zu ersetzen. Die Haftung aus existenzvernichtendem Eingriff trifft darüber hinaus auch die Gesellschafter, die durch ihr Einverständnis mit dem Vermögensabzug an der Existenzvernichtung der Gesellschaft mitgewirkt haben, ohne selber Leistungen empfangen zu haben225. 205 Die Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs hat der BGH nunmehr als reine Innenhaftung ausgestaltet; Ansprüche aus existenzvernichtendem Eingriff hat nur noch die geschädigte Gesellschaft; die Ersatzansprüche geltend zu machen, ist mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft Sache des Insolvenzverwalters.
223 Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, Schlussanhang Konzernrecht Rz. 141; Emmerich in Scholz, GmbHG, Anhang Konzernrecht, Rz. 106 ff., 112, jeweils zur Haftung im qualifiziert faktischen Konzern. 224 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04 – Trihotel, NJW 2007, 2691. 225 BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, BB 2002, 1012 (1014).
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H. Haftungs- und Ausgleichspflichten im Vertragskonzern
III. Aktiengesellschaft Das Aktienkonzernrecht hatte die Rechtsfigur der Haftung aus qualifi- 206 ziert faktischem Konzern hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen und der Rechtsfolgen übernommen226. Nachdem die Rechtsprechung hinsichtlich der GmbH dieses Haftungsinstitut aufgegeben hat, dürfte die Haftung aus qualifiziert faktischem Konzern auch für abhängige Aktiengesellschaften der Vergangenheit angehören. Ob die Haftung aus existenzvernichtendem Eingriff von der Rechtsprechung übernommen werden wird, bleibt abzuwarten. In der Literatur wird auf das Versagen des Einzelausgleichssystems der §§ 311, 317 AktG abgestellt und eine analoge Anwendung der, unmittelbar bei Unternehmensverträgen geltenden, §§ 302 ff. AktG vertreten227. Lassen sich einzelne schädigende Einflussnahmen des herrschenden Un- 207 ternehmens isolieren, greifen die Ausgleichsnormen der §§ 311, 317 AktG.
IV. Personengesellschaft Ob die Überlegungen zur Haftung aus existenzvernichtendem Eingriff 208 von der Rechtsprechung auch bei der abhängigen Personengesellschaft herangezogen werden, bleibt ebenfalls abzuwarten. Die Haftung aus qualifiziert faktischem Konzern fand grundsätzlich auch auf die Personengesellschaft Anwendung228.
H. Haftungs- und Ausgleichspflichten im Vertragskonzern I. Aktiengesellschaft Als Konsequenz der Beherrschung einer abhängigen Gesellschaft auf- 209 grund eines Beherrschungsvertrages oder der Gewinnabführung aufgrund eines Gewinnabführungsvertrages ist das herrschende Unternehmen verpflichtet, jeden während der Vertragsdauer sonst entstehenden Jahresfehlbetrag auszugleichen, soweit dieser nicht dadurch ausgeglichen wird, dass den anderen Gewinnrücklagen Beträge entnommen werden, die
226 Vgl. zum alten Meinungsstand Emmerich/Sonnenschein/Habersack, Konzernrecht, 7. Aufl. 2001, S. 439, m.w.N. in Fn. 9, zum aktuellen Stand Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 457 f. 227 Vgl. Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 459 ff.; kritisch hierzu Meinen, S. 242 ff. 228 Vgl. zum alten Meinungsstand Emmerich/Sonnenschein/Habersack, Konzernrecht, 7. Aufl. 2001, S. 512, zurückhaltender Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 517 f. Siegels
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während der Vertragsdauer in sie eingestellt worden sind, § 302 Abs. 1 AktG. Sowohl der Beherrschungs- als auch der Gewinnabführungsvertrag verpflichtet somit die Kommune als herrschendes Unternehmen Fehlbeträge auszugleichen. Diese Pflicht zum Ausgleich von Fehlbeträgen, die ohne diese Verpflichtung entstanden wären229, begründet eine Zahlungsverpflichtung der herrschenden Kommune. Die Pflicht zur Verlustübernahme des herrschenden Unternehmens besteht nicht nur im Interesse eventueller Minderheitsgesellschafter, sondern vor allem auch im Interesse der Gläubiger der abhängigen Gesellschaft230. Die Verlustübernahme greift daher zwingend auch dann ein, wenn die Kommune alleiniger Gesellschafter der abhängigen Gesellschaft ist. Aufgrund eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages übernimmt die herrschende Kommune somit ein wirtschaftlich nicht unerhebliches Risiko. Sie hat während der Vertragsdauer ohne Einschränkung jedes negative wirtschaftliche Ergebnis der abhängigen Gesellschaft auszugleichen. 210 Darüber hinaus regelt § 303 AktG einen weiteren Aspekt des Gläubigerschutzes bei Beendigung eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages. Endet ein solcher Vertrag, ist die Kommune als herrschendes Unternehmen verpflichtet, den Gläubigern der abhängigen Gesellschaft Sicherheit zu leisten, wenn die Gläubiger sich binnen sechs Monaten bei der Kommune melden und ihre Ansprüche geltend machen, nachdem die Eintragung der Vertragsbeendigung im Handelsregister bekannt gemacht wurde. Die Kommune hat allen Gesellschaftsgläubigern Sicherheit zu leisten, deren Forderungen begründet worden sind, bevor die Eintragung in das Handelsregister als bekannt gemacht gilt, § 303 Abs. 1 AktG. Mit dieser Regelung will das Gesetz verhindern, dass nach Beendigung des Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages eine nicht mehr überlebensfähige, wirtschaftlich „ausgeblutete“ Gesellschaft übrig bleibt, die nicht in der Lage ist, ihre vertraglichen Verpflichtungen und Verbindlichkeiten gegenüber Dritten zu erfüllen231. Auch diese Regelung stellt für die herrschende Kommune als Vertragspartner eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages ein nicht unerhebliches wirtschaftliches Risiko dar. Die Kommune kann sich der Finanzierungsverantwortung für die abhängige Gesellschaft nicht durch Beendigung des Vertrages entledigen.
229 Die Ausgleichsverpflichtung des herrschenden Unternehmens sorgt dafür, dass in der Bilanz des abhängigen Unternehmens kein Fehlbetrag entsteht. Es ist daher auf den hypothetischen Fehlbetrag abzustellen. 230 Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 302 Rz. 2; Hüffer, AktG, § 302 Rz. 1 f. 231 Hüffer, AktG, § 303 Rz. 1; Altmeppen in Münchener Komm. zum AktG, § 303 Rz. 1 ff.
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J. Persönliche Verantwortung der für die Kommune Handelnden
II. GmbH/Personengesellschaft Die Regeln über die Verantwortlichkeit des herrschenden Unternehmens im Vertragskonzern, §§ 302 und 303 AktG, gelten auch im Vertragskonzern mit einer abhängigen GmbH232 und einer abhängigen Personengesellschaft233.
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J. Persönliche Verantwortung der für die Kommune Handelnden Eine wichtige Frage ist, ob und in welchem Umfang die persönlich für die 212 Kommune handelnden Personen sich konzernrechtlichen Schadensersatz- oder sonstigen Ansprüchen aussetzen können. Diese Frage soll im Folgenden skizziert werden.
I. Aktiengesellschaft 1. Haftung der gesetzlichen Vertreter der Kommune im faktischen Konzern § 317 Abs. 3 AktG schreibt vor, dass im faktischen Konzern neben dem 213 herrschenden Unternehmen als Gesamtschuldner die gesetzlichen Vertreter des herrschenden Unternehmens haften, die die abhängige Aktiengesellschaft zu dem schädlichen Rechtsgeschäft oder der nachteiligen Maßnahme veranlasst haben. Eine mögliche Haftung trifft nur die gesetzlichen Vertreter, also die Mitglieder des nach der jeweiligen Rechtsform zur Geschäftsführungsvertretung berufenen Organs. Damit sind in erster Linie Vorstandsmitglieder einer herrschenden Aktiengesellschaft, Geschäftsführer einer herrschenden GmbH oder vertretungsberechtigte Gesellschafter der herrschenden Personengesellschaft gemeint234. Bei Gebietskörperschaften als herrschenden Unternehmen ist unklar, ob 214 die privatrechtlichen Vorschriften über die persönliche Verantwortung von Organmitgliedern auf die Vertreter der Kommune Anwendung finden. Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass die privatrechtlichen Normen durch die Regeln über die Amtshaftung überlagert werden235.
232 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 501. 233 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 521. 234 Vgl. Hüffer, AktG, § 317 Rz. 13; § 309 Rz. 3; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 309 Rz. 14 ff.; Altmeppen in Münchener Komm. zum AktG, § 317 Rz. 99. 235 Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 309 Rz. 32 m.w.N.; Hüffer, AktG, § 309 Rz. 6; a.A. Altmeppen in Münchener Komm. zum AktG, § 309 Rz. 20 f.; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 309 Rz. 18. Siegels
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Auch zu § 317 Abs. 3 AktG findet sich die Ansicht, dass die Vorschrift nicht anzuwenden sei, wenn das herrschende Unternehmen eine Gebietskörperschaft oder eine andere öffentliche Hand ist236. Zur Begründung wird auf das Recht der Beamtenhaftung und das Staatshaftungsrecht in einer Gesamtschau verwiesen237. Dieser Hinweis erscheint zweifelhaft, weil fraglich ist, ob die Kommune in diesem Zusammenhang überhaupt hoheitlich tätig wird und nicht wie ein beliebiger Privater zu behandeln ist. Rechtsprechung zu diesen Fragen existiert nicht. Es ist daher Vorsicht geboten. Im Zweifel ist von der Anwendbarkeit des § 317 Abs. 3 AktG auf die gesetzlichen Vertreter der Kommune auszugehen. 215 Voraussetzung der Haftung ist die Veranlassung einer schädlichen Maßnahme durch den gesetzlichen Vertreter der Kommune. Der Begriff der Veranlassung ist weit auszulegen; es genügt jede Einflussnahme, die zu dem gewünschten Ergebnis geführt hat (vgl. oben Rz. 171). Die Haftungsnorm des § 317 AktG setzt kein Verschulden der gesetzlichen Vertreter voraus238. Nach § 317 Abs. 2 AktG tritt die Ersatzpflicht nicht ein, wenn auch ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer unabhängigen Gesellschaft das Rechtsgeschäft vorgenommen oder die Maßnahme getroffen oder unterlassen hätte. Auch hierin kommt der Zweck der Haftungsnormen zum Ausdruck, nur konzernbedingte Einflussnahmen zu sanktionieren. 216 Neben § 317 AktG greifen die allgemeinen Haftungsnormen für nachteilige Einflussnahmen ein, die außerhalb der Konzernsituation gelten239. Bedeutung hat insbesondere § 117 Abs. 1 AktG. Danach ist schadenersatzpflichtig, wer vorsätzlich unter Benutzung seines Einflusses auf die Gesellschaft ein Mitglied des Vorstandes oder des Aufsichtsrats, einen Prokuristen oder einen Handlungsbevollmächtigten dazu bestimmt, zum Schaden der Gesellschaft oder ihrer Aktionäre zu handeln. Die Vorschrift setzt Vorsatz voraus. Sie ist deshalb in ihrem Anwendungsbereich wesentlich enger als § 317 AktG (vgl. auch oben § 9 Rz. 75). 2. Haftung der Organe der abhängigen Gesellschaft 217 Nach § 318 Abs. 1 AktG haften die Mitglieder des Vorstands der Gesellschaft neben den nach § 317 AktG Ersatzpflichtigen als Gesamtschuldner, falls sie es pflichtwidrig unterlassen haben, nachteilige Rechtsgeschäfte oder nachteilige Maßnahmen in den Abhängigkeitsbericht aufzunehmen, die Aktiengesellschaft durch die Maßnahme benachteiligt 236 Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 317 Rz. 46. 237 Vgl. statt aller Hüffer, AktG, § 309 Rz. 6; Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 309 Rz. 32. 238 Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 317 Rz. 5, 7. 239 Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 317 Rz. 34.
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J. Persönliche Verantwortung der für die Kommune Handelnden
wurde und der Nachteil nicht ausgeglichen worden war. Falls streitig ist, ob die Vorstandsmitglieder die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters (vgl. hierzu oben Rz. 173) angewandt haben, so trifft sie die Beweislast, § 318 Abs. 1 Satz 2 AktG. Entsprechendes gilt für Mitglieder des Aufsichtsrats der abhängigen Gesellschaft hinsichtlich der Prüfung des Abhängigkeitsberichts, § 318 Abs. 2 AktG. Neben dieser auf den Abhängigkeitsbericht und seine Prüfung bezogenen 218 Haftung kommt auch die Anwendung allgemeiner Haftungsnormen für den Vorstand der abhängigen Gesellschaft nach § 93 AktG und für den Aufsichtsrat der abhängigen Gesellschaft nach § 116 AktG i.V.m. § 93 AktG in Betracht240. Nach § 93 Abs. 1 AktG haben die Vorstandsmitglieder bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten verletzen, sind der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet, wobei sie im Zweifel die Beweislast dafür trifft, dass sie die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt haben, § 93 Abs. 2 AktG. Sinngemäß gilt diese Vorschrift auch für die Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder im Rahmen ihrer Tätigkeit, § 116 AktG. 3. Haftung der gesetzlichen Vertreter der Kommune im Vertragskonzern § 309 Abs. 1 und 2 AktG bestimmen, dass die gesetzlichen Vertreter des 219 herrschenden Unternehmens gegenüber der abhängigen Aktiengesellschaft bei Bestehen eines Beherrschungsvertrages die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters (vgl. hierzu oben Rz. 173) anzuwenden haben, wenn sie der abhängigen Aktiengesellschaft Weisungen erteilen. Verletzen die gesetzlichen Vertreter ihre Pflichten, so sind sie der Aktiengesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet. Ist streitig, ob sie die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt haben, so trifft sie die Beweislast, § 309 Abs. 2 Satz 2 AktG. Nach § 310 AktG haften die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichts- 220 rats der abhängigen Gesellschaft neben den Ersatzpflichtigen nach § 309 AktG als Gesamtschuldner, wenn sie unter Verletzung ihrer Pflichten gehandelt haben. Eine Ersatzpflicht besteht allerdings insoweit nicht, als die schädigende Handlung auf einer bindenden Weisung des herrschenden Unternehmens nach § 308 Abs. 2 AktG beruhte, § 310 Abs. 3 AktG. Ist streitig, ob die Mitglieder der Verwaltung der Aktiengesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt haben, so trifft sie die Beweislast, § 310 Abs. 1 Satz 2 AktG.
240 Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 318 Rz. 10 ff. Siegels
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221 Die Problematik der Anwendbarkeit dieser Norm auf die gesetzlichen Vertreter von Gebietskörperschaften, insbesondere Kommunen, stellt sich in gleicher Weise wie bei der Haftung der gesetzlichen Vertreter im faktischen Konzern (vgl. dazu oben Rz. 214). Aus Gründen der Vorsicht ist auch hier im Zweifel von einer Anwendbarkeit des § 310 AktG auf die gesetzlichen Vertreter der Kommune auszugehen.
II. GmbH 1. Faktischer GmbH-Konzern 222 Die Regelung des § 317 Abs. 3 AktG ist auf den faktischen GmbH-Konzern nicht, nach herrschender Meinung auch nicht entsprechend, anwendbar241. Andere Rechtsgrundlagen für eine Haftung der gesetzlichen Vertreter der Kommune kommen nicht in Betracht242. Im faktischen GmbH-Konzern haftet der gesetzliche Vertreter der Kommune daher nicht gegenüber der abhängigen Gesellschaft. 2. GmbH in Vertragskonzernen 223 §§ 309, 310 AktG werden auf die GmbH als abhängiges Unternehmen im Vertragskonzern entsprechend angewendet243. Daher stellt sich im GmbH-Vertragskonzern insoweit die gleiche Problematik, wie sie zu den §§ 309, 310 AktG dargestellt wurde (Rz. 219 ff.).
III. Einfluss des öffentlichen Rechts 224 Die Gemeindeordnungen sehen regelmäßig vor, dass eine Kommune ihrem Vertreter in Organen von juristischen Personen oder Personenvereinigungen, an denen die Kommune beteiligt ist, den Schaden zu ersetzen hat, wenn der Vertreter der Kommune aus seiner Tätigkeit in einem Organ haftbar gemacht wird (Rückgriffsmöglichkeit gegenüber der Gemeinde; § 104 Abs. 4 GemO BW; Art. 93 Abs. 3 Satz 1 BayGO; § 97 Abs. 6 Satz 1 BbgKVerf; § 125 Abs. 3 HGO; § 71 Abs. 3 KV MV; § 138 Abs. 6 Satz 1 NKomVG; § 113 Abs. 6 GO NW; § 88 Abs. 6 GemO Rh.-Pf.; § 114 Abs. 4 KSVG Saarl.; § 98 Abs. 3 SächsGemO; § 119 Abs. 3 GO LSA; § 74 Abs. 2 ThürKO; GO Schl.-Holst. enthält keine entsprechende Regelung.). Diese Schadenersatzverpflichtung der Kommune besteht allerdings nicht, 241 Vgl. Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, Anh. § 318 Rz. 6 m.w.N. Fn. 10. 242 Demgegenüber soll der Geschäftsführer einer herrschenden GmbH gegenüber der abhängigen Gesellschaft aus seinen organisationsrechtlichen Pflichten analog § 43 Abs. 2 GmbHG haften, vgl. Schneider in Scholz, GmbHG, § 43 Rz. 418 ff. 243 Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 309 Rz. 7, § 310 Rz. 5; Altmeppen in Münchener Komm. zum AktG, § 309 Rz. 11.
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wenn der Vertreter der Kommune den Schaden in der Gesellschaft vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. In diesem Fall ist die Kommune nur dann schadenersatzpflichtig, wenn ihr Vertreter nach Weisung des Rates oder eines Ausschusses gehandelt hat (§ 104 Abs. 4 Satz 2 GemO BW; Art. 93 Abs. 3 Satz 2 BayGO; § 97 Abs. 6 Satz 2 BbgKVerf; § 125 Abs. 3 Satz 2 HGO; § 71 Abs. 3 Satz 2 KV MV; § 138 Abs. 6 Satz 2 NKomVG; § 113 Abs. 6 Satz 2 GO NW; § 88 Abs. 6 Satz 2 GemO Rh.-Pf.; § 114 Abs. 4 Satz 2 KSVG Saarl.; § 98 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 SächsGemO; § 119 Abs. 3 Satz 2 GO LSA; § 74 Abs. 2 Satz 2 ThürKO ). Die Einstandspflicht der Kommunen für ihre Vertreter in Beteiligungs- 225 gesellschaften ist somit an die folgenden Voraussetzungen gebunden: Der Vertreter der Kommune wird aus seiner Tätigkeit in einem Organ der Beteiligungsgesellschaft haftbar gemacht. Organe der Beteiligungsgesellschaft sind die Geschäftsleitung (Vorstand der AG, Geschäftsführung der GmbH) und der Aufsichtsrat in der AG sowie der (ggf. freiwillig eingerichtete) Aufsichtsrat bei der GmbH. – Ausgeschlossen ist damit eine Einstandspflicht der Kommune, wenn der Vertreter der Kommune außerhalb der Organtätigkeit gehandelt hat. Zu denken ist beispielsweise an Einflussnahmen, die außerhalb des gesetzlichen Machtgefüges in einer Aktiengesellschaft oder einer GmbH erfolgten. – Der Vertreter der Kommune darf den Schaden nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben. Selbst wenn die vorsätzliche Schädigung ausgeschlossen werden kann, 226 verbleibt als Risiko für den Vertreter der Kommune, dass er grob fahrlässig einen Schaden bei der Beteiligungsgesellschaft verursacht. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonderem Maße außer Acht lässt und nicht beachtet, was jedem verständigen Menschen sofort einleuchtet244. In diesem Fall trifft ihn eine persönliche Einstandspflicht gegenüber dem abhängigen Unternehmen. Einen Anspruch gegen die Gemeinde auf Schadenersatz hat er demgegenüber nur, wenn er nach Weisung des Rates oder eines Ausschusses gehandelt hat.
K. Besonderheiten bei Public Private Partnerships I. Übersicht Seit mehreren Jahren etablieren Kommunen im Rahmen von Teilprivati- 227 sierungen vielfach sog. „Public Private Partnerships“ (gemischtwirtschaftliche Unternehmen) mit privaten Investoren. Die Kommunen gründen dabei neue (Kapital-) Gesellschaften zusammen mit dem Investor, 244 Grundmann in Münchener Komm. zum BGB, § 276 Rz. 94 ff. Siegels
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der regelmäßig durch eine Ausschreibung gefunden wurde. In diese Gesellschaft bringen die Kommunen dann ihre bislang in rechtlich unselbständiger Form geführte wirtschaftliche Betätigung ein. Alternativ wird ein privater Investor an einer bereits bestehenden kommunalen Kapitalgesellschaft im Rahmen einer Kapitalerhöhung oder der Veräußerung von Anteilen beteiligt (zum Begriff der Public Private Partnership vgl. oben § 7 Rz. 168 ff.). 228 Der private Partner erhält in der Regel eine Minderheitsbeteiligung von bis zu 49,9 % (Kooperationsmodell). Die Kapital- oder Stimmenmehrheit verbleibt regelmäßig bei der Kommune; Mehrheitsbeteiligungen des privaten Partners sind bislang eher die Ausnahme. Die Kommunen überlassen dem privaten Investor jedoch häufig die operative Führung der Gesellschaft. In der Praxis bedeutet dies insbesondere, dass der Investor die Geschäftsführung oder die Mehrheit einer mehrköpfigen Geschäftsführung stellt. 229 Die Kommunen erhoffen sich von der Aufnahme eines privaten Investors die Stärkung der wirtschaftlichen Basis der Gesellschaft. Im Mittelpunkt des Interesses der Kommune steht deshalb neben der Zuführung zusätzlichen Eigenkapitals insbesondere die Einbringung von Branchen-Knowhow des Investors245. Beispiele finden sich in den Bereichen der Energieversorgung, der Wasserversorgung, der Abwasser- und der Abfallentsorgung, des Nahverkehrs, teilweise auch des Wohnungswesens. Public Private Partnerships stellen eine Form des Gemeinschaftsunternehmens zwischen der Kommune und dem privaten Investor dar. Im Folgenden soll die Auswirkung solcher Gemeinschaftsunternehmen auf die Unternehmenseigenschaft der Kommune behandelt werden. 230 Nur dann, wenn die Kommune nach den darzustellenden Kriterien ein herrschendes Unternehmen ist, finden die konzernrechtlichen Regeln Anwendung.
II. Grundlagen des Gemeinschaftsunternehmens 231 Außerhalb von Gemeinschaftsunternehmen sind Beherrschung und einheitliche Leitung einer Gesellschaft eng mit der Beteiligungshöhe verknüpft. Der Mehrheitsgesellschafter ist regelmäßig gegenüber anderen Gesellschaftern nicht vertraglich gebunden. Seine Anteils- und Stimmenmehrheit vermittelt die Beherrschungsmöglichkeit und ist Grundlage der einheitlichen Leitung des Unternehmens (vgl. oben Rz. 31 ff.). 232 Demgegenüber wird ein Gemeinschaftsunternehmen oder Joint Venture von in der Regel zwei und höchstens drei Partnern gegründet, die unabhängig von ihrer Beteiligungshöhe jeweils großes Interesse daran haben,
245 Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 382 ff.
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die Entwicklung des Gemeinschaftsunternehmens in den wesentlichen wirtschaftlichen und rechtlichen Aspekten aktiv und maßgeblich mitzugestalten. Aufgrund dieser besonderen Interessenlage können die Partner ihre unternehmerischen Ziele zumeist nur im Einvernehmen erreichen. Das Zustandekommen einer Public Private Partnership ist ohne Einigung 233 der Partner über die wesentlichen wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen bereits im Vorfeld der Gründung des Gemeinschaftsunternehmens kaum denkbar. Die wichtigsten wirtschaftlichen Daten und Ziele legen die Partner üblicherweise gemeinsam in einem mehrjährigen Business-Plan fest. Den rechtlichen Rahmen bildet oftmals eine Gesellschaftervereinbarung („Joint-Venture-Agreement“, „Co-Investment-Agreement“ oder „Konsortialvertrag“), ergänzt durch entsprechende Regelungen im Gesellschaftsvertrag des Gemeinschaftsunternehmens. Sollten Kommune und Investor in den wesentlichen Punkten bereits bei 234 den Verhandlungen im Vorfeld keinen Konsens erzielen, wird es im Regelfall nicht zur Gründung des Gemeinschaftsunternehmens kommen. Die Geschäftsführung eines Gemeinschaftsunternehmens ist typischer- 235 weise durch ein Zusammenwirken der Partner gekennzeichnet. Daher kann der beherrschende Einfluss auf das Gemeinschaftsunternehmen im Regelfall keinem der Partner allein zugeschrieben werden kann, so dass oft nur eine gemeinsame Beherrschung des Gemeinschaftsunternehmens in Betracht kommt.
III. Voraussetzungen der gemeinsamen Beherrschung Der BGH hat mit der Seitz-Entscheidung246 erstmals über die Möglichkeit 236 der gemeinsamen Beherrschung einer Gesellschaft entschieden. Diese ist seitdem allgemein anerkannt247. Die gemeinsame Beherrschung setzt ein koordiniertes Vorgehen der Gesellschafter (Kommune und Investor) im Sinne einer beständigen Interessenkopplung voraus, die eine ausreichend
246 BGH v. 4.3.1974 – II ZR 89/72 – Seitz, BGHZ 62, 193. 247 Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 17 Rz. 77; Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 17 Rz. 83 ff.; Bartl, HK GmbH-Recht/Fichtelmann, Teil II Konzernrecht Rz. 36; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 Rz. 26, 28 f.; Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 47 f. m.w.N. und dem Hinweis auf die Abkehr von der vorausgegangenen Rechtsprechung des BFH im Steuerrecht. Siegels
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sichere Grundlage für die gemeinsame Herrschaft, gleichsam eine etablierte unternehmerische Mehrheit, schafft248. 237 Die Partner können ihr gemeinsames Vorgehen auf unterschiedliche Weise koordinieren. Als stärkste Form kommt die Gründung einer BGBGesellschaft mit dem Zweck der Interessenkoordination249 oder der Abschluss mehrerer koordinierter Beherrschungsverträge250 in Betracht. Dies ist aber nicht erforderlich. Neben derartigen vertraglichen oder organisatorischen Bindungen kommen auch rechtliche und tatsächliche Umstände sonstiger Art als die Grundlage für eine gemeinsame Beherrschung in Betracht, wenn diese in ihrem Bestand gesichert sind251. 238 Ein rein faktischer Einigungszwang oder ein zufälliger Interessengleichlauf der Gesellschafter reicht für eine gemeinsame Beherrschung jedoch nicht aus252. 239 Eine Interessendivergenz im Einzelfall schadet nicht, wenn eine grundsätzliche Einigung der Gesellschafter besteht und hinreichende Bindungen das koordinierte Vorgehen der Partner auch gewährleisten253. 240 Bei einem Gemeinschaftsunternehmen sind die Voraussetzungen einer gemeinsamen Beherrschung regelmäßig erfüllt. Die gemeinsame Beherrschung führt zur Abhängigkeit des Gemeinschaftsunternehmens von beiden oder allen Partnern. Dies bedeutet für die Kommune, dass sie grundsätzlich herrschendes Unternehmen hinsichtlich des Gemeinschaftsunternehmens ist.
IV. Gemeinsame einheitliche Leitung 241 Die tatsächliche einheitliche Leitung des Gemeinschaftsunternehmens ist konzernrechtlich dann relevant, wenn die Konzernvermutung nicht eingreift, weil weder die Kommune noch der Investor die Mehrheit hält (paritätische Beteiligung, vgl. unten Rz. 250) oder der Mehrheitsgesell-
248 Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 17 Rz. 78; Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 48 f.; Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 17 Rz. 83 ff.; für das Kartellrecht, BGH v. 8.5.1974 – KVR 1/78 – WAZ, BGHZ 74, 359 (367). 249 Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 17 Rz. 83 ff.; Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 17 Rz. 83; Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 47. 250 Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 18 Rz. 43; Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 48 f. 251 BGH v. 4.3.1974 – II ZR 89/72 – Seitz, BGHZ 62, 193 (199); Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 17 Rz. 78. 252 Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 17 Rz. 31; Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 17 Rz. 79. 253 Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 17 Rz. 79 ff.
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schafter aufgrund der vertraglichen Bindungen gegenüber dem jeweiligen Partner keine Alleinherrschaft ausüben kann (vgl. unten Rz. 246 ff.). Nach allgemeiner Ansicht können die Partner die einheitliche Leitung 242 des Gemeinschaftsunternehmens ebenso wie den beherrschenden Einfluss gemeinsam ausüben254. Dafür ist wiederum ein koordiniertes Vorgehen der beteiligten Partner erforderlich, das der Interessenkoordination bei der gemeinsamen Beherrschung entspricht255. In der Regel wird die Interessenkoordination für die gemeinsame Beherrschung auch das koordinierte Vorgehen der Partner bezüglich der einheitlichen Leitung sichern. Für die einheitliche Leitung im Konzern kommen nach allgemeiner An- 243 sicht alle Formen der Führung in Betracht256. Ein Weisungsrecht ist nicht erforderlich257. Die möglichen Formen der einheitlichen Leitung reichen von einer zentralen Leitung mit laufender Abstimmung und häufigen Anweisungen an die Geschäftsführer des Gemeinschaftsunternehmens bis zu einer dezentralen Führung, beschränkt auf die Erstellung und Überwachung von grundsätzlichen Richtlinien über die Unternehmenspolitik258. Auf welche unternehmerischen Bereiche sich die tatsächliche einheitli- 244 che Leitung zur Herstellung der Unternehmenseinheit erstrecken muss, ist für Gemeinschaftsunternehmen ebenso unklar wie im „normalen“ Unterordnungskonzern (vgl. hierzu oben Rz. 18). Sowohl nach dem engen Konzernbegriff als auch nach dem weiten Konzernbegriff reicht aber die einheitliche Leitung des Finanzbereichs aus259.
V. Mehrfache Konzernzugehörigkeit Die Zusammenfassung des Gemeinschaftsunternehmens mit den betei- 245 ligten Partnern aufgrund der gemeinsamen einheitlichen Leitung führt nach allgemeiner Ansicht in der konzernrechtlichen Literatur zur Begründung einer mehrfachen Konzernzugehörigkeit des Gemeinschafts-
254 Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 18 Rz. 43; Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 61. 255 Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 18 Rz. 18; Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 18 Rz. 43. 256 Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 18 Rz. 34 ff.; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 18 Rz. 16; Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 18 Rz. 38. 257 Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 18 Rz. 34; Hüffer, AktG, § 18 Rz. 12; Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 18 Rz. 35. 258 Begründung Regierungsentwurf zu § 18 AktG 1965, zitiert bei Kropff, AktG 1965, S. 33; Fichtelmann, Teil II Konzernrecht, in Bartl, HK GmbH-Recht, Rz. 40; Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 18 Rz. 38. 259 Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 18 Rz. 10. Siegels
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unternehmens260. Das Gemeinschaftsunternehmen gehört dann zu den jeweiligen Konzernen der Mutterunternehmen (Kommune und Investor), ohne dass zwischen diesen ein Konzernverhältnis besteht261. Demgegenüber ist in der bilanzrechtlichen Literatur umstritten, ob ein Gemeinschaftsunternehmen überhaupt konzernzugehörig sein kann262.
VI. Mehrheitsbeteiligung der Kommune an einem Gemeinschaftsunternehmen 246 Hält die Kommune eine Mehrheitsbeteiligung an dem Gemeinschaftsunternehmen, vermittelt ihr die damit grundsätzlich verbundene Stimmenmehrheit bereits unter allgemeinen konzernrechtlichen Gesichtspunkten die Möglichkeit der Beherrschung und der einheitlichen Leitung (vgl. oben Rz. 31 ff., 70 ff.). 247 Die Kommune kann die einheitliche Leitung über das Gemeinschaftsunternehmen allein ausüben, sofern sich der private Minderheitsgesellschafter keine besonderen Minderheitsrechte vorbehalten hat. Unter diesen Voraussetzungen bildet das Gemeinschaftsunternehmen mit der Kommune einen Konzern. 248 Dies dürfte jedoch aufgrund der oben (Rz. 231 ff.) dargestellten besonderen Interessenlage bei einem Gemeinschaftsunternehmen die Ausnahme sein. In den meisten Fällen wird sich der Investor als Minderheitsgesellschafter in den für ihn wesentlichen Bereichen Mitspracherechte sichern. Haben die Partner eine entsprechende Einigung getroffen, üben Kommune und Minderheitsgesellschafter die tatsächliche Beherrschung und einheitliche Leitung gemeinsam aus. Auch in diesem Fall bilden die Kommune und das Gemeinschaftsunternehmen einen Konzern. 249 Dies gilt auch dann, wenn die Kommune nicht die Geschäftsführung des Gemeinschaftsunternehmens stellt, aber in der Gesellschafterversammlung über die Stimmenmehrheit verfügt. Zwar bedürfen wesentliche Beschlussgegenstände nach den Vereinbarungen zwischen der Kommune und dem Investor regelmäßig auch der Zustimmung des Investors. Dies schließt jedoch so lange die Beherrschung durch beide Partner nicht aus, wenn eine grundsätzliche Einigung über die wesentlichen Fragen des Gemeinschaftsunternehmens besteht. Es kann dann von einem gleichgerichteten Abstimmungsverhalten ausgegangen werden.
260 Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 18 Rz. 43; Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 18 Rz. 34. 261 Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 18 Rz. 43; Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 18 Rz. 34; Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 61. 262 Vgl. Winkeljohann/Böcker in Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 310 Rz. 6 f.; Schruff in WP-Handbuch 2000, Abschn. M Rz. 72 m.w.N.
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VII. Paritätische (50 : 50-)Beteiligung der Kommune an einem Gemeinschaftsunternehmen Da bei einer paritätischen Beteiligung keiner der Partner über die Anteils- 250 und Stimmenmehrheit verfügt, kann sich die für die Beherrschung erforderliche Mehrheit hier nur aufgrund einer Anteilszurechnung ergeben. Die Anteilszurechnung kommt nur dann in Betracht, wenn die Kom- 251 mune unabhängig von der Beteiligung an dem Gemeinschaftsunternehmen bereits Unternehmen ist, also neben dem Gemeinschaftsunternehmen ein anderes Unternehmen beherrscht (vgl. oben Rz. 38). Die Regelung des § 16 Abs. 4 AktG unterstellt, dass das Unternehmen, 252 dem die Anteile zugerechnet werden, über die Ausübung der Rechte aus diesen Anteilen entscheiden kann263. Darüber hinaus ist eine Zurechnung der Anteile nach Ansicht des BGH aber auch möglich, wenn rechtliche oder tatsächliche Umstände sonstiger Art vorliegen, die zu einer Unterstützung führen, die „auf ausreichend sicherer Grundlage von vornherein und beständig gesichert ist“264. Die gegenseitige Zurechnung der Anteile erfolgt im Gemeinschaftsunter- 253 nehmen aufgrund der im Vorfeld geschlossenen Vereinbarungen (JointVenture-Agreement) zwischen den Partnern. Soweit die Partner die Geschäfte des Gemeinschaftsunternehmens im Einvernehmen führen und ihr Handeln ihm gegenüber koordinieren, werden die Anteile der Kommune und des Investors zusammengerechnet. In diesem Fall ist das Erfordernis der Anteilsmehrheit erfüllt. Der rein faktische Einigungszwang, der sich bei einer 50 : 50-Beteiligung 254 aufgrund der jederzeit möglichen Patt-Situation ergibt, reicht für eine gemeinsame Beherrschung nicht aus. Auch eine Einigung der Partner auf Ad-hoc-Entscheidungen im Einzelfall genügt nicht, um eine Abhängigkeit des Gemeinschaftsunternehmens zu begründen265. Im Vergleich zur Mehr- und Minderheitsbeteiligung machen die ausgeglichenen Anteilsund Stimmenverhältnisses der Partner aber weitaus weniger Vereinbarungen über die Entscheidungsbefugnisse jedes Gesellschafters erforderlich. Bei Meinungsverschiedenheiten könnten sich die Partner in einem Ge- 255 meinschaftsunternehmen bei paritätischer Beteiligung grundsätzlich gegenseitig blockieren (sog. „Dead-Lock-Situation“). In diesem Fall eines „Patts“ könnte keiner von ihnen einen beherrschenden Einfluss auf das Gemeinschaftsunternehmen ausüben266. Das Gemeinschaftsunterneh263 264 265 266
Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 16 Rz. 43. BGH v. 16.2.1981 – II ZR 168/79 – Süssen, BGHZ 80, 69 (73). Vgl. Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 17 Rz. 77. Vgl. Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 17 Rz. 81; Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 17 Rz. 93. Siegels
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men wäre dann von keinem der Mutterunternehmen abhängig, und es besteht auch keine einheitliche Leitung267. Da ein Gemeinschaftsunternehmen aber von der gemeinsamen Zielsetzung der Partner geprägt ist, erscheint eine Dead-Lock-Situation jedoch zumindest als Dauerzustand eher unwahrscheinlich. 256 Eine Anteilszurechnung kommt nicht in Betracht, wenn einem der Partner ein Entscheidungsübergewicht, z.B. ein so genanntes casting vote, eingeräumt wurde. In diesem Fall ist keine gemeinsame Beherrschung, sondern Mehrheits- und Minderheitsbeteiligung gegeben. 257 Kommt es zu einer Krise des Gemeinschaftsunternehmens, ist zu unterscheiden, ob die Partner noch auf der Grundlage eines koordinierten Vorgehens agieren, das durch eine Meinungsverschiedenheit in einer Einzelfrage nicht erschüttert wird, oder ob das Gemeinschaftsunternehmen gescheitert ist. Nur wenn das koordinierte Vorgehen der Partner weiterhin gesichert ist, können die Anteile gegenseitig zugerechnet werden. Für die Abgrenzung kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. 258 Die Zurechnung hat zur Folge, dass die Anteile beiden Unternehmen gleichermaßen zugeordnet werden. Eine Absorption findet nicht statt268. Aufgrund dieser doppelten Zuordnung kann ein Unternehmen im Mehrheitsbesitz zweier anderer Unternehmen stehen269. Auf diese Weise besteht auch bei paritätischer Beteiligung eine gemeinsame Beherrschung und Ausübung der gemeinsam einheitlichen Leitung. In diesem Fall bildet das Gemeinschaftsunternehmen sowohl mit der Kommune als auch mit dem Investor einen Konzern.
VIII. Minderheitsbeteiligung der Kommune an einem Gemeinschaftsunternehmen 259 Ist die Kommune lediglich Minderheitsgesellschafter, ist sie nur dann Unternehmen im konzernrechtlichen Sinn, wenn sie das Gemeinschaftsunternehmen aufgrund entsprechender Vereinbarungen mit dem Investor gemeinsam mit diesem beherrscht und die einheitliche Leitung ausübt. In diesem Fall werden die Anteile der Kommune und des Mehrheitsgesellschafters zusammengezählt. 260 Die Kommune kann als Minderheitsgesellschafter nur dann beherrschenden Einfluss auf das Gemeinschaftsunternehmen ausüben, wenn sie mit
267 Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 17 Rz. 93; Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 17 Rz. 77. 268 Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 16 Rz. 35 f.; Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 16 Rz. 45. 269 Koppensteiner in Kölner Komm. zum AktG, § 16 Rz. 36; Bayer in Münchener Komm. zum AktG, § 16 Rz. 45.
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dem Investor eine Vereinbarung getroffen hat, die ihr Mitspracherechte über den bloßen Minderheitenschutz hinaus gewährt. Ein Mitspracherecht der Kommune wird typischerweise zumindest die 261 wesentlichen Beschlussgegenstände erfassen, wie z.B. Fragen der Satzungsänderung, insbesondere Kapitalanpassungen (sofern nicht bereits aufgrund ihrer Sperrminorität die Zustimmung der Kommune erforderlich ist), Beschlüsse über die Erweiterung oder Einschränkung des Geschäftsbetriebes, seine Liquidation und insbesondere Regelungen über die Besetzung der Geschäftsführung. Stehen der Kommune dagegen nur bestimmte Minderheitenrechte (Veto- 262 rechte für bestimmte Beschlussgegenstände, Sperrminorität etc.) zu, ist die Kommune nicht an der einheitlichen Leitung des Gemeinschaftsunternehmens beteiligt. Zu derartigen Minderheitenrechten zählt neben dem Vetorecht für bestimmte Beschlussgegenstände und der Sperrminorität auch der Vorbehalt der Kommune, etwa die Tarifgestaltung eines Versorgungsunternehmens entscheidend mitgestalten zu können.
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§ 14 Vergaberecht von Rechtsanwalt Dr. Olaf Otting, Rechtsanwalt Dr. Frank Peter Ohler und Rechtsanwalt Dr. Udo H. Olgemöller
A. Überblick . . . . . . . . . . . . . B. Kommunale Unternehmen als öffentliche Auftraggeber . . . . I. Kommunen und kommunale Unternehmen als öffentliche Auftraggeber nach § 98 GWB . 1. Kommunen als öffentliche Auftraggeber nach § 98 Nr. 1 GWB . . . . . . . . . . . . . . 2. Kommunale Eigengesellschaften als öffentliche Auftraggeber nach § 98 Nr. 2 GWB . . . . . . . . . . . . . . 3. Überblick über die weiteren Anwendungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . 4. Überblick über das Vergabeverfahren . . . . . . . . . 5. Umwelt- und Sozialkriterien . . . . . . . . . . . . II. Rechtsbindungen der Kommunen und kommunaler Unternehmen unterhalb der Schwellenwerte des § 100 Abs. 1 GWB . . . . . . . . . . . III. Sonstige Rechtsbindungen . . .
Rz. 1 5
5 5
7 14 23 27
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Rz. C. Grenzen des Vergaberechts: Inhouse-Vergaben und andere Formen öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit . . . . . . . . I. Beauftragung kommunaler Unternehmen (Inhouse-Vergaben). 1. Kontrollkriterium . . . . . . 2. Wesentlichkeitskriterium . . II. Nichtinstitutionalisierte Zusammenarbeit . . . . . . . . 1. Horizontale Zusammenarbeit zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben . . . . . . . . 2. Mandatierende und delegierende Aufgabenübertragung . 3. Bildung von Einkaufsgemeinschaften . . . . . . . . III. Auftragsvergaben von kommunalen Unternehmen . . IV. Risiken unzulässiger de factoVergaben . . . . . . . . . . . . .
36 37 40 47 52 53 56 59 61 63
D. Beteiligung kommunaler Unternehmen an Vergabeverfahren . . . . . . . . . . . . . 64
Literatur: Ax/Ottenströer, Die kommunale Einkaufskooperation: Zulässigkeit und Vergaberechtsschutz, IBR online 2011, 1236; Bechtold, GWB Kommentar, 6. Aufl. 2010; Byok/Dierkes, Dienstleistungskonzessionen in der Wasserwirtschaft, RdE 2011, 126 ff.; Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 3. Aufl. 2011; von Donat, IÖPP zwischen Vergaberecht und EU-Beihilferecht, EuZW 2010, 812 ff.; Dreher, Mietverträge mit Neubau- und Umbauverpflichtungen im Kartellvergaberecht, NZBau 2009, 542 ff.; Dreher/Stockmann, Kartellvergaberecht, Aufl. 2008; Dunckheim/Bremke, Zum Wesentlichkeitskriterium bei In-House-Geschäften und zur vergaberechtlichen Relevanz von Vertragsänderungen, KommJur 2012, 128 ff.; Elbel, Reichweite der vergaberechtlichen Figur des „In-House-Geschäfts“ im öffentlich-rechtlichen „Konzern“, VergabeR 2011, 185 ff.; Fritz/Seidler, Vergabe von Konzessionen, EuZW 2010, 933 ff.; Greb, Das Konzernprivileg für Sektorenauftraggeber, VergabeR 2009, 140 ff.; Greb, Interkommunale Kooperationen – ein konsolidierter Stand der Rechtsentwicklung?, VergabeR 2008, 409 ff.; Hausmann/ Mutschler-Siebert, Nicht mehr als eine Klarstellung – Interkommunale Koope-
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Otting/Ohler/Olgemöller
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Literatur
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Auftraggeberbegriff des § 98 Nr. 2 GWB, VergabeR 2003, 483; Ziekow/Völling, Vergaberecht, 2011.
A. Überblick 1 Das Vergaberecht als eigenständiges Rechtsgebiet hat seit den 1990er Jahren enorme Bedeutung erlangt. Der erste Anstoß zu einer rechtlichen und tatsächlichen Fortentwicklung des Vergaberechts zu dieser Zeit kam – wie in manch anderen Rechtsbereichen – aus Europa. Mit der Vollendung des Binnenmarktes 1992 hatte sich die Kommission das ehrgeizige Ziel gesetzt, diesen Binnenmarkt auch im Bereich des öffentlichen Auftragswesens herzustellen. Öffentliche Aufträge sollten europaweit diskriminierungsfrei und nach transparenten Verfahren vergeben werden. Hierzu hatte der europäische Gesetzgeber die ersten Legislativakte aus den 1970er Jahren1 zu Beginn der 1990er Jahren grundlegend überarbeitet und eine Vielzahl von Richtlinien geschaffen2, mit deren Umsetzung sich Deutschland – wie viele andere Mitgliedstaaten auch – eher schwer getan hatte3. Erst mit Inkrafttreten des Vergaberechtsänderungsgesetzes am 1.1.1999 wurde mit den §§ 97 ff. GWB ein Rechtsschutzsystem geschaffen, das den europarechtlichen Vorgaben im Grundsatz gerecht wurde und erstmals in Deutschland die effektive Nachprüfung eines Vergabeverfahrens ermöglicht hat. Das Vergaberecht war vom reinen Haushaltsrecht zum Teil des Wirtschafts- und Wettbewerbsrechts geworden.
1 Richtlinie des Rates vom 26.7.1971 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (71/305/EWG), ABl. L 158 v. 16.8.1971, S. 5–14; Richtlinie des Rates vom 21.12.1976 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge (77/62/EWG), Abl. L 13 v. 15.1.1977, S. 1–14. 2 Richtlinie 89/665/EWG des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge, Abl. L 395 v. 30.12.1989, S. 33 (Rechtsmittelrichtlinie); Richtlinie 92/13/EWG des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor, Abl. L 76 v. 23.3.1992, S. 7 (Sektorenrechtsmittelrichtlinie); Richtlinie 90/531/EWG des Rates zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor, Abl. L 297 v. 29.10.1990, S. 1 (Sektorenkoordinierungsrichtlinie – SKR); Richtlinie 92/50/EWG des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge, Abl. L 209 v. 24.7.1992, S. 1 (Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie – DKR); Richtlinie des Rates 93/37/EWG zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Abl. L 199 v. 9.8.1993, S. 54 (Baukoordinierungsrichtlinie – BKR); Richtlinie des Rates 93/36/EWG zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, Abl. L 199 v. 9.8.1993, S. 1 (Lieferkoordinierungsrichtlinien – LKR). Die Richtlinien wurden vielfach geändert; Nachweise und konsolidierte Fassungen können im Internet abgerufen werden unter http://eur-lex.europa.eu. 3 Vgl. dazu Otting in Bechtold, GWB Kommentar, Vor § 97 Rz. 6 ff.
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A. Überblick
Kommission, Europäisches Parlament und Rat haben nach einer langjährigen und schwierigen Diskussion dann im Jahre 2004 die europarechtlichen Grundlagen des Vergaberechts auf eine neue Basis gestellt und das sog. EU-Legislativpaket verabschiedet4. Dieses bildet die Grundlage des geltenden Vergaberechts in Deutschland. Seitdem wurde das europäische Regelwerk durch eine Reihe speziellere Legislativakte fortentwickelt. Zu nennen sind im hier interessierenden Zusammenhang insbesondere die Richtlinie für saubere Straßenfahrzeuge5, die auch vergaberechtliche Vorgaben enthält, sowie die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007, die die Vergabe von Aufträgen im Bereich der öffentlichen Personenverkehrsdienstleistungen auf Straße und Schiene regelt6. Diese Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 ist vor allem aus Sicht der Kommunen zu beachten, die nach Maßgabe der ÖPNV-Gesetze der Länder ÖPNV-Aufgabenträger sind. Die Verordnung enthält spezifische Vorgaben für die Ausgestaltung sämtlicher Aufträge in diesem Bereich und daneben unmittelbar geltende Sonderregeln für die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen bei Bussen und Straßenbahnen (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung). Im Dezember 2011 hat die Kommission drei Vorschläge zur Novellierung des europäischen Rechtsrahmens veröffentlicht7.
4 Richtlinie 2004/18/EG des europäischen Parlamentes und des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge, ABl. L 134 v. 30.4.2004, S. 114 (Vergabekoordinierungsrichtlinie) und Richtlinie 2004/17/EG des europäischen Parlamentes und des Rates zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste, ABl. L 134 v. 30.4.2004, S. 1 (Sektorenkoordinierungsrichtlinie). Die Richtlinien wurden vielfach geändert; Nachweise und konsolidierte Fassungen können im Internet abgerufen werden unter http://eur-lex.europa.eu. 5 Richtlinie 2009/33/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.4.2009 über die Förderung sauberer und energieeffizienter Straßenfahrzeuge, ABl. L 210 v. 15.5.2009, S. 5–12; dazu etwa Homann/Büdenbender, VergabeR 2012, 1 ff. 6 Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates, ABl. L 315 v. 3.12.2007, S. 1–13. Einen Überblick dazu bietet etwa Nettesheim, NVwZ 2009, 1449 ff. Eingehend dazu Kaufmann/Lübbig/Prieß/Pünder, VO (EG) 1370/2007 – Kommentar. 7 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die öffentliche Auftragsvergabe, KOM(2011) 896/2 – diese Richtlinie soll die Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG ersetzen; Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste, KOM(2011) 895 endg – diese Richtlinie soll die Sektorenkoordinierungsrichtlinie 2004/17/EG ersetzen; Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Konzessionsvergabe, KOM(2011) 897 endg – diese Richtlinie soll erstmals die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen regeln. Vgl. dazu auch die Pressemitteilung der Kommission: IP/11/1580. Otting/Ohler/Olgemöller
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2 Wenngleich sie rechtlich nicht verbindlich sind, bieten die von der Kommission zu verschiedenen Fragen veröffentlichten Mitteilungen und Leitfäden in der Praxis doch immerhin Orientierung im Umgang mit einzelnen Fragen8. In einem Leitfaden aus/von Dezember 2010 hat die Kommission klargestellt, dass die beihilfen- und vergaberechtlichen Regelungen grundsätzlich vollumfänglich auch auf Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse (sog. DAWI) einschließlich Sozialdienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse (sog. SDAI) Anwendung finden9. 3 Deutschland hat die europarechtlichen Vorgaben vor allem durch die §§ 97 bis 129b GWB umgesetzt. Diese gesetzlichen Vorschriften wurden zuletzt vor allem mit dem sog. Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 200910 sowie im Dezember 2011 mit dem Gesetz zur Änderung des Vergaberechts für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit11 novelliert. Hierneben ist ein umfangreiches untergesetzliches Regelwerk zu beachten: Für Aufträge im Zusammenhang mit den sog. Sektorenfähigkeiten, d. h. nicht für Sektorenauftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 4 GWB, finden sich nähere Regelungen über die Ausgestaltung des Vergabeverfahrens in der Sektorenverordnung (SektVO)12. Speziell für die Beschaffung sicherheitsrelevanter Leistungen wird künftig eine Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit (VSVgV) Geltung beanspruchen (vgl. § 127 Nr. 3 GWB)13. Jenseits dessen ist die Vergabeverordnung (VgV)14 zu beachten, die ihrerseits auf die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen – Teil A
8 Vgl. dazu etwa die Nachweise in den Fn. 9, 18, 20, 67, 87, 89, 147, 172. 9 Kommission, Leitfaden zur Anwendung der Vorschriften der Europäischen Union über staatliche Beihilfen, öffentliche Aufträge und den Binnenmarkt auf Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse inklusive Sozialdienstleistungen v. 7.12.2010, SEC(2010) 1545 endg. 10 Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts v. 20.4.2009, BGBl. 2009 I 790. 11 Gesetz zur Änderung des Vergaberechts für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit v. 7.12.2011, BGBl. 2011 I 2570. 12 Verordnung über die Vergabe von Aufträgen im Bereich des Verkehrs, der Trinkwasserversorgung und der Energieversorgung (Sektorenverordnung – SektVO) v. 23.9.2009, BGBl. I 3110, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes v. 7.12.2011, BGBl. I 2570. 13 Das dient der Umsetzung der Richtlinie 2009/81/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit und zur Änderung der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG, ABl. L 216 v. 20.8.2009. S. 76–136. Dazu hat die Kommission Leitfäden zu verschiedenen Aspekten veröffentlicht, die im Internet abgerufen werden können (bisher nur auf englisch). 14 Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergabeverordnung – VgV) in der Fassung der Bekanntmachung v. 11.2.2003, BGBl. I 169, zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes v. 7.12.2011, BGBl. I 2570.
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A. Überblick
(VOB/A)15, die Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen – Teil A (VOL/A)16 sowie die Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen (VOF)17 verweist. Das europäische Primärrecht, d.h. insbesondere die Grundfreiheiten und das Diskriminierungsverbot, können vor allem bei der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen, der Vergabe von Aufträgen unterhalb der europäischen Schwellenwerte sowie bei der Vergabe der Dienstleistungen, die im Anhang I Teil B des 2. Abschnitts der VOL/A aufgeführt sind, zur Ausschreibung des zu vergebenden Auftrages verpflichten18. Für Aufträge unterhalb der Schwellenwerte bleibt es bei den haushaltsrechtlichen Vorschriften von Bund und Ländern. Die Länder haben zudem vielfach Vergabe-, Tariftreue- und/oder Mittelstandförderungsgesetze19 und Verwaltungsvorschriften (sog. Vergabeerlasse) erlassen, die Beachtung beanspruchen. Kommen vergaberechtliche Vorschriften nicht zur Anwendung, sollte stets geprüft werden, ob das Rechtsgeschäft beihilfenrechtlich relevant ist. Namentlich im Zusammenhang mit Grundstücks- oder Anteilsverkäufen verlangt grundsätzlich auch das Beihilfenrecht nach einem bedingungsfreien, offenen und transparenten Auswahlverfahren20. Die Durchführung eines Vergabeverfahrens indiziert die Vereinbarkeit des Rechtsgeschäfts mit den beihilfenrechtlichen Vorschriften21. Kommunale Unternehmen sind bedeutende öffentliche Auftraggeber. Für 4 sie stellen sich im Vergaberecht spezifische Rechtsfragen. Allem voran ist die Auftraggebereigenschaft nicht nur der Kommunen selbst, sondern auch ihrer Unternehmen zu klären. Die Reichweite des sog. Inhouse-Privilegs ist entscheidend für die Möglichkeiten, Aufträge im „kommunalen“ Konzern auch ohne Durchführung wettbewerblicher Vergabeverfahren durchführen zu können. Daneben stellt sich die Frage nach weiteren Möglichkeiten öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit. Schließlich un15 Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB Teile A und B) v. 31.7.2009, Bundesanzeiger Nr. 155 v. 15.10.2009. 16 Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen – Teil A (VOL/A), Ausgabe 2009 v. 20.11.2009, Bundesanzeiger Nr. 196a v. 29.12.2009. 17 Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen – VOF – Ausgabe 2009 v. 18.11.2009, Bundesanzeiger Nr. 185a v. 8.12.2009. 18 Die Rechtsprechung des EuGH zusammenfassend: Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht, das für die Vergabe öffentlicher Aufträge gilt, die nicht oder nur teilweise unter die Vergaberichtlinien fallen. ABl. C 179 v. 1.8.2006, S. 2–7. Die von der Bundesrepublik Deutschland gegen diese Mitteilung angestrengte Nichtigkeitsklage wurde zurückgewiesen: EuG v. 20.5.2010 – T-258/06 – Deutschland ./. Kommission, NZBau 2010, 512 ff. 19 Überblick dazu bpsw. bei Fehling in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 97 GWB Rz. 32. 20 Mitteilung der Kommission betreffend Elemente staatlicher Beihilfe bei Verkäufen von Bauten oder Grundstücken durch die öffentliche Hand, ABl. C 209 v. 10.7.1997, S. 3–5. 21 Zum Verhältnis von Vergabe- und EU-Beihilferecht von Donat, EuZW 2010, 812 ff. Otting/Ohler/Olgemöller
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terliegen kommunale Unternehmen besonderen Bindungen, wenn sie sich ihrerseits als Bieter an Vergabeverfahren beteiligen wollen. Diesen Fragen soll im Folgenden nachgegangen werden.
B. Kommunale Unternehmen als öffentliche Auftraggeber I. Kommunen und kommunale Unternehmen als öffentliche Auftraggeber nach § 98 GWB 1. Kommunen als öffentliche Auftraggeber nach § 98 Nr. 1 GWB 5 Kommunen sind als Gebietskörperschaften öffentliche Auftraggeber nach § 98 Nr. 1 GWB. Sie sind „klassische“ öffentliche Auftraggeber, die seit jeher nach Haushaltsrecht verpflichtet sind, Aufträge in förmlichen Vergabeverfahren zu vergeben. Zur Beachtung des Vergaberechts sind auch die Landkreise und kommunalen Zweckverbände, Landschaftsverbände oder Verwaltungsgemeinschaften – sei es als Gebietskörperschaften nach § 98 Nr. 1 GWB oder als von diesen gebildeten Verbänden nach § 98 Nr. 3 GWB – verpflichtet. 6 Zu den institutionellen öffentlichen Auftraggebern gehören auch die Sondervermögen der Gebietskörperschaften. Sondervermögen sind Vermögensmassen, die haushaltsrechtlich und organisatorisch, nicht aber rechtlich verselbständigt sind. Sie sind nicht selbst Auftraggeber. Ihr Handeln wird ihrem Rechtsträger zugerechnet. Zu den Sondervermögen einer Kommune gehören ihre Eigenbetriebe. Eigenbetriebe sind wirtschaftliche Unternehmen einer Gemeinde ohne eigene Rechtspersönlichkeit, denen aber eigene Personal- und Sachmittel zugewiesen sind. Kommunale Eigenbetriebe fallen daher schon unter den institutionellen Auftraggeberbegriff des § 98 Nr. 1 GWB22. Gleiches gilt für die rechtlich unselbständigen Regiebetriebe oder nicht rechtsfähige Stiftungen. Die Körperschaft kann einen Dritten – sei es eine andere Behörde oder einen privaten Dritter – mit der Durchführung eines Vergabeverfahrens beauftragen. Dieser Dritte ist dann Stellvertreter. Auftraggeber bleibt die Körperschaft selbst. Das Handeln des Dritten wird der Körperschaft zugerechnet23 – und zwar selbst dann, wenn ein Fall mittelbarer Stellvertretung vorliegt24.
22 Otting in Bechtold, GWB Kommentar, § 98 Rz. 7. 23 Vgl. zu diesen Konstellationen etwa Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 98 Rz. 60 ff. 24 VK Bund v. 8.6.2010 – VK 2-114/05, ZfBR 2007, 194 ff.
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B. Kommunale Unternehmen als öffentliche Auftraggeber
2. Kommunale Eigengesellschaften als öffentliche Auftraggeber nach § 98 Nr. 2 GWB Ein differenziertes Bild ergibt sich bei der Einordnung von kommunalen 7 Eigengesellschaften in den Auftraggeberbegriff. Eigengesellschaften sind wirtschaftliche Unternehmen in privater Rechtsform, die von den Kommunen selbst getragen werden oder an denen Kommunen maßgeblich beteiligt sind. Typischer Fall ist die „Stadtwerke GmbH“. Maßgeblich für die Anwendung des europäischen Vergaberechts ist der funktionale Auftraggeberbegriff des § 98 Nr. 2 GWB25. Die Vergaberichtlinien sprechen von der Einrichtung des öffentlichen Rechts26. Der Begriff ist dem deutschen Recht fremd geblieben. Dies mag vor allem an der nach deutschem Verständnis missverständlichen Begrifflichkeit liegen. Unter § 98 Nr. 2 GWB fallen nämlich auch Auftraggeber, die in einer privatrechtlichen Rechtsform organisiert sind und daher nicht dem „Öffentlichen Recht“ angehören27. § 98 Nr. 2 GWB definiert öffentliche Auftraggeber als juristische Per- 8 sonen des öffentlichen oder privaten Rechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen. Weiter muss eine besondere Staatsgebundenheit gegeben sein. Körperschaften im Sinne der § 98 Nr. 1 oder Nr. 3 GWB müssen die Einrichtung (einzeln oder gemeinsam) durch Beteiligung oder auf sonstige Weise überwiegend finanzieren oder über ihre Leitung die Aufsicht ausüben oder mehr als die Hälfte der Mitglieder eines ihrer zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organe bestimmt haben. Diese Staatsgebundenheit ist bei kommunalen Eigengesellschaften regelmäßig gegeben. Anteilseigner einer kommunalen Eigengesellschaft ist die jeweilige Gebietskörperschaft, so dass eine mehrheitliche Beteiligung eines Auftraggebers im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB gegeben ist28. Schwierig ist jedoch die Auslegung der Begriffsmerkmale „Allgemeininteresse“ und „nichtgewerblicher Art“. Im Anhang III zur Richtlinie 2004/18/EG findet sich eine Liste mit „Einrichtungen des öffentlichen Rechts“, die regelmäßig als öffentlicher Auftraggeber anzusehen sein sollen. Dort sind als Auftraggeber „einschließlich kommunaler Versorgungsunternehmen“ etwa die Bereiche Gesundheitswesen, Kultur, Soziales, Sport, Bildung und Entsorgung genannt. Die Liste ist jedoch
25 EuGH v. 20.9.1988 – Rs. C 31/87 – Slg. 1988, 4635 (Rz. 11). 26 So die jeweils gleichlautenden Bestimmungen der Art. 1 Abs. 9 der Richtlinie 2004/18/EG bzw. Art. 2 Abs. 1 lit. a) der Richtlinie 2004/17/EG. 27 Ziekow, VergabeR 2003, 483 (485). 28 Die Qualifikation gemischtwirtschaftlicher Unternehmen als öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB hängt von der Ausgestaltung im Einzelfall ab, vgl. dazu etwa OLG Düsseldorf v. 30.4.2003 – Verg 67/02, VergabeR 2003, 435, Otting in Bechtold, GWB Kommentar, § 98 Rz. 23 f.; Reider in Montag/Säcker, Münchener Kommentar – Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht (Kartellrecht), Band 3, Beihilfen- und Vergaberecht, § 98 Rz. 23 ff. Otting/Ohler/Olgemöller
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weder verbindlich noch abschließend29. Entscheidend ist, ob im Einzelfall alle Voraussetzungen des § 98 Nr. 2 GWB erfüllt sind. Rechtsprechung und Literatur haben die insoweit zu stellenden Anforderungen präzisiert. Da es sich um einen Rechtsbegriff aus dem europäischen Richtlinienrecht handelt, ist vor allem die Rechtsprechung des EuGH maßgeblich. Diese Rechtsprechung ist durch die Entscheidungen der deutschen Vergabenachprüfungsinstanzen zwischenzeitlich stark konkretisiert30. 9 Nach der Rechtsprechung des EuGH sind im Allgemeininteresse liegende Aufgaben solche, die zum einen auf andere Art als durch das Angebot von Waren oder Dienstleistungen auf dem Markt erfüllt werden und die der Staat zum anderen aus Gründen des Allgemeininteresses selbst erfüllen oder auf deren Erfüllung er einen entscheidenden Einfluss nehmen möchte31. Im gleichen Sinne sind nach der deutschen vergaberechtlichen Rechtsprechung im Allgemeininteresse liegende Aufgaben solche, die hoheitliche Befugnisse, die Wahrnehmung der Belange des Staates und damit letztlich Aufgaben betreffen, welche der Staat selbst erfüllen oder bei denen er einen entscheidenden Einfluss behalten möchte32. Insbesondere Aufgaben der sog. Daseinsvorsorge werden hierzu gezählt33. Unerheblich ist, ob derartige Aufgaben auch von Privatunternehmen erfüllt werden oder erfüllt werden können. Denn Aufgaben, die in keinem Fall von Privatunternehmen erfüllt werden können, sind kaum vorstellbar; wäre die Nichterfüllung oder Nichterfüllbarkeit durch Private Voraussetzung, um eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe zu bejahen, liefe dieses Tatbestandsmerkmal weitestgehend leer34. Unerheblich ist des Weiteren, welchen Anteil an der Gesamttätigkeit eines Unternehmens die Erfüllung im Allgemeininteresse liegender Aufgaben hat35. Selbst wenn nur ein relativ geringer Teil der Tätigkeiten des Unternehmens im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art sind, unterfällt das Unternehmen als Ganzes – soweit die übrigen Voraussetzungen
29 EuGH v. 11.7.2009 – Rs. C-300/07 – Oymanns, NJW 2009, 2427 (Rz. 40 ff.). 30 Eingehend dazu etwa Werner in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 98 GWB Rz. 26 ff. 31 EuGH v. 10.5.2001 – Rs. C-223/99 und C-260/99 – Agora, NVwZ 2002, 197 (Rz. 37); v. 27.2.2003 – C-373/00 – Truley, NZBau 2003, 287 (Rz. 50). 32 VK Rh.-Pf. v. 1.2.2005 – VK 1/05, unter Hinweis auch auf BayObLG, v. 24.5.2004 – Verg 6/04. 33 Reider in Montag/Säcker, Münchener Kommentar – Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht (Kartellrecht), Band 3, Beihilfen- und Vergaberecht, § 98 GWB Rz. 38; Koenig/Hentschel, ZfBR 2005, 442 (444). 34 EuGH v. 10.11.1998 – Rs. C-360/96 – BFI, NJW 1999, 1699 (Rz. 44 und 53); v. 10.4.2008 – Rs. C-393/06 – Aigner, NZBau 2008, 393 (Rz. 40). 35 EuGH v. 15.1.1998 – Rs. C-44/96 – Mannesmann, EuZW 1998, 120 (Rz. 26, 34); v. 22.5.2003 – Rs. C-18/01 – Korhonen, NZBau 2003, 396 (Rz. 58); dem folgend etwa VK Bund v. 12.12.2002 – VK 1-83/02, oder auch OLG Düsseldorf v. 9.4.2003 – Verg 66/02.
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gegeben sind – der Auftraggebereigenschaft (sog. Infizierungstheorie)36. Innerhalb eines Konzerns allerdings, der aus mehreren juristischen Personen besteht, ist jedes Tochterunternehmen gesondert zu bewerten37. Der weit gefasste Begriff der Erfüllung im Allgemeininteresse liegender 10 Aufgaben stellt vielmehr einen Oberbegriff für gewerbliche und nicht gewerbliche Aufgaben dar38. Auf die nichtgewerbliche Erfüllung im Allgemeininteresse liegender Aufgaben sollen die vergaberechtlichen Bestimmungen Anwendung finden, um eine Diskriminierung bei der Auftragsvergabe zu vermeiden, die zu entstehen droht, wenn sich eine von der öffentlichen Hand kontrollierte Stelle bei der Auftragsvergabe von anderen als wirtschaftlichen Überlegungen leiten lässt39. Nach der Rechtsprechung des EuGH ergibt sich die Gewerblichkeit einer Aufgabe allerdings nicht schon aus dem bloßen Umstand, dass sie auch von Privatunternehmen im Wettbewerb erfüllt wird oder werden kann. Das Vorliegen eines entwickelten Wettbewerbs allein lässt nicht auf das Nichtvorliegen einer im Allgemeininteresse liegende Aufgabe nicht gewerblicher Art schließen. Für die Annahme einer gewerblichen Erfüllung im Allgemeininteresse liegender Aufgaben müssen vielmehr zusätzliche Gesichtspunkte vorliegen40. Das Vorliegen eines entwickelten Wettbewerbs kann aber darauf hinweisen, dass es sich nicht um eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe nichtgewerblicher Art handelt, wenn das betreffende Unternehmen auf dem betreffenden Markt im Wettbewerb steht41. Entscheidend sind die konkreten Voraussetzungen, unter denen ein Unternehmen seine Tätigkeit ausübt. Dabei sind alle erheblichen rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte wie etwa die Umstände, die zur Gründung des betreffenden Unternehmens geführt haben, und die Voraussetzungen, unter denen das Unternehmen seine Tätigkeit ausübt, zu beurteilen42. Dazu gehören im Einzelnen also insbesondere (i) die Umstände, die zur Gründung des Unternehmens geführt haben, (ii) die Intensität des Wettbewerbs, dem sich das Unternehmen zu stellen 36 Vgl. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 98 Rz. 116 ff., oder Diehr in Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, § 98 Rz. 29 f. – dort jeweils auch zur Diskussion um eine Geringfügigkeitsschwelle. 37 EuGH v. 10.11.1998 – Rs. C-360/96 – BFI, NJW 1999, 1699 (Rz. 55 ff.). 38 EuGH v. 10.11.1998 – Rs. C-360/96 – BFI; NJW 1999, 1699 (Rz. 36); OLG Naumburg v. 17.2.2004 – 1 Verg 15/03. 39 EuGH v. 3.10.2000 – Rs. C-380/98 – Cambridge, NZBau 2001, 218 (Rz. 17); v. 27.2.2003 – Rs. C-373/00 – Truley, NZBau 2003, 287 (Rz. 42); v. 13.12.2007 – Rs. C-337/06 – Bayerischer Rundfunk, NVwZ 2008, 182 (Rz. 36). 40 EuGHv. 22.5.2003 – Rs. C-18/01 – Korhonen, NZBau 2003, 396 (Rz. 50). 41 EuGH v. 27.2.2003 – Rs. C-373/00 – Truly, NZBau 2003, 287 (Rz. 60); v. 22.5.2003 – Rs. C-18/01 – Korhonen, NZBau 2003, 396 (Rz. 51); ebenso EuGH v. 16.10.2003 – Rs. C-283/00 – Kommission ./. Spanien, NZBau 2004, 223 (Rz. 82); dem folgend: OLG Karlsruhe v. 17.4.2008 – 8 U 228/06. 42 EuGH v. 22.5.2003 – Rs. C-18/01 – Korhonen, NZBau 2003, 396 (Rz. 48); v. 10.4.2008 – Rs. C-393/06 – Aigner, NZBau 2008, 393 (Rz. 40). Otting/Ohler/Olgemöller
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hat, (iii) das Vorhandensein einer Gewinnerzielungsabsicht, wobei unter anderem zu prüfen ist, ob die Geschäftsführung an Leistungs-, Effizienzund Wirtschaftlichkeitskriterien ausgerichtet ist, (iv) die Übernahme der mit der Tätigkeit verbundenen Risiken und schließlich (v) die etwaige Finanzierung der Tätigkeit aus öffentlichen Mitteln43. Speziell für die Beurteilung, ob das Unternehmen das Risiko seiner Tätigkeit und damit das Insolvenzrisiko trägt, kommt es nicht darauf an, ob das Unternehmen satzungsgemäß unter Beachtung erwerbswirtschaftlicher Grundsätze zu arbeiten hat oder ob ein offizieller Mechanismus zum Ausgleich etwaiger Verluste vorgesehen ist. Es genügt, wenn den Gesamtumständen nach wenig wahrscheinlich ist, dass das Unternehmen die mit seiner Tätigkeit verbundenen wirtschaftlichen Risiken selbst trägt, weil im Zweifel die öffentliche Hand die zur Abwendung einer Insolvenz erforderlichen Maßnahmen ergreifen wird44. Im Ergebnis zeichnet sich eine nichtgewerbliche Tätigkeit also durch eine staatlich geschaffene marktbezogene Sonderstellung aus45. Dieser Befund trifft für kommunale Unternehmen vielfach zu. Kommunale Unternehmen sind dann im Sinne des Vergaberechts nichtgewerblich tätig und damit öffentliche Auftraggeber nach § 98 Nr. 2 GWB. 11 Des Weiteren müssen die juristischen Personen im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB zu dem besonderen Zweck gegründet sein, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen. Der Normtext stellt damit auf die Zwecksetzung bei Gründung ab. Allerdings hat der EuGH zwischenzeitlich entschieden, dass auch eine entsprechende Zwecksetzung nach Gründung des Unternehmens berücksichtigt werden muss, weil andernfalls die praktische Wirksamkeit der Vergabebestimmungen nicht vollständig gewährleistet wäre46. Im umgekehrten Fall, d.h. bei Reduzierung der Tätigkeiten des Unternehmens ungeachtet des weiterreichenden Satzungszwecks, ist allerdings umstritten47, ob es ebenfalls auf die tatsächlich ausgeübten Unternehmenstätigkeiten ankommt48 oder ob das Unternehmen an seinem satzungsgemäßen Tätigkeitsspektrum festzuhalten ist49.
43 EuGH v. 10.5.2001 – Rs. C-23/99 und C-260/99 – Agora, NVwZ 2002, 197 (Rz. 43); v. 16.10.2003 – Rs. C-283/00 – Kommission ./. Spanien, NZBau 2004, 223 (Rz. 81); dem folgend OLG Karlsruhe v. 17.4.2008 – 8 U 22/06, sowie OLG Hamburg v. 25.1.2007 – 1 Verg 5/06. 44 EuGH v. 16.10.2003 – Rs. C-283/00 – Kommission ./. Spanien, NZBau 2004, 223 (Rz. 91); KG v. 27.7.2006 – 2 Verg 5/06. 45 Vgl. nur VK Bbg. v. 22.9.2008 – VK 27/08. 46 EuGH v. 12.12.2002 – Rs. C-470/99 – Universale-Bau, NZBau 2003, 162 (Rz. 56 f.); OLG Düsseldorf v. 9.4.2003 – Verg 66/02. 47 Dies offen lassend: KG v. 11.11.2004 – 2 Verg 16/04. 48 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 98 Rz. 111; Dieher in Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, § 98 Rz. 25. 49 Dreher in Dreher/Stockmann, Kartellvergaberecht, § 98 Rz. 48.
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Als öffentliche Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB sind in der 12 Entscheidungspraxis der Gerichte und Vergabekammern zwischenzeitlich beispielsweise Gesellschaften anerkannt worden, die im Bereich des sozialen Wohnungsbaus50 oder als kommunale Wohnungsbaugesellschaft51 tätig sind. Gerade bei den Wohnungsbaugesellschaften verbietet sich jedoch eine generalisierende Betrachtung, es kommt sehr auf die Umstände des Einzelfalls an52. Auftraggeber können auch kommunale Messegesellschaften53 und Wirtschaftsförderungsgesellschaften54 sein. Auch Betreibergesellschaften für (gemeinnützige) Krankenhäuser oder kommunale Rechenzentren55 können öffentliche Auftraggeber sein56. Sparkassen sind hingegen keine öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB57. Für kommunale Verkehrsunternehmen wird z.T. vertreten, diese handelten gewinnorientiert und erfüllten daher die Voraussetzungen des § 98 Nr. 2 GWB nicht58. Ungeachtet der Frage, ob die Voraussetzungen nach § 98 Nr. 2 GWB vor- 13 liegen, ist in den Bereichen der Trinkwasser- und Energieversorgung sowie des Verkehrs stets zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer Auftraggebereigenschaft nach § 98 Nr. 4 GWB vorliegen und die Gesellschaft im Zusammenhang mit solchen Sektorentätigkeiten tätig wird. Ist das zu bejahen, findet das Vergaberecht der Sektorenauftraggeber nach Maßgabe der Sektorenverordnung Anwendung59. Der Bundesverband der Energieund Wasserwirtschaft e.V. hat im Oktober 2011 gem. Art. 30 Abs. 5 der Richtlinie 2004/17/EG die Freistellung von Erzeugung und Großhandel von Strom in Deutschland von den Bindungen des Sektorenvergaberechts beantragt60. Bescheidet die Kommission diesen Antrag positiv, entfallen insoweit die vergaberechtlichen Bindungen.
50 EuGH v. 1.2.2001 – Rs. C 237/99 – Kommission/Frankreich, NZBau 2001, 215 (217; Rz. 45). 51 VK Nds. v. 25.2.2010 – VgK 82/2009. 52 Die Notwendigkeit einer Beurteilung der Umstände des Einzelfalls betont etwa OLG Karlsruhe v. 17.4.2008 – 8 U 228/06. 53 EuGH v. 10.5.2001 – verb Rs. C 223/99 u. C 260/99 – Agora, EuZW 2001, 382 (Rz. 33); OLG Hamburg v. 25.1.2007 – 1 Verg 5/06; KG v. 27.7.2006 – 2 Verg 5/06. 54 VK BW v. 6.6.2001 – VK 6/01, NZBau 2002, 173 (174); OLG Naumburg v. 15.3.2007 – 1 Verg 14/0. 55 OLG Celle v. 14.9.2006 – 13 Verg 3/06. 56 VK Nds. v. 20.9.2011 – VgK 41/2011; VK BW v. 17.6.2011 – 1 VK 29/11. 57 OLG Rostock v. 15.6.2005 – 17 Verg 3/05, VergabeR 2005, 629 ff. 58 VK Lüneburg v. 17.4.2009 – VgK-11/2009. 59 EuGH v. 10.4.2008 – Rs. C-393/06 – Aigner, NZBau 2008, 393 (Rz. 49 ff.); VK Bund v. 6.5.2010 – VK 2-26/10; Reider in Montag/Säcker, Münchener Kommentar – Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht (Kartellrecht), Band 3, Beihilfen- und Vergaberecht, § 98 GWB Rz. 68. 60 ABl. C 337 v. 18.11.2011, S. 7. Otting/Ohler/Olgemöller
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3. Überblick über die weiteren Anwendungsvoraussetzungen 14 Kann die Auftraggebereigenschaft nach § 98 GWB bejaht werden, finden die §§ 97 ff. GWB und das untergesetzliche Regelwerk nur Anwendung, wenn drei weitere Voraussetzungen erfüllt sind. Zum einen muss ein öffentlicher Auftrag im Sinne des § 99 GWB vergeben werden. Zum anderen muss der vor Einleitung des Vergabeverfahrens geschätzte Auftragswert die europäischen Schwellenwerte erreichen oder überschreiten. Schließlich darf kein Ausnahmetatbestand nach §§ 100 ff. GWB einschlägig sein. 15 Die Frage, ob ein öffentlicher Auftrag vorliegt, hat die Praxis in jüngerer Zeit vor allem mit dem Verkauf von Grundstücken durch kommunale Auftraggeber beschäftigt. Nach der sog. Ahlhorn-Rechtsprechung des OLG Düsseldorf unterfielen Verträge, durch die eine Gemeinde Grundstücke mit einer Bauverpflichtung an einen privaten Investor veräußerte, in weitem Umfang dem Vergaberecht61. Das betraf neben Konversionsprojekten oft auch Fälle, in denen die Gemeinde aus städtebaulichen Gründen Einfluss auf die Bebauung und die Gestaltung der Bauwerke nahm. Dieser Rechtsprechung ist der Gesetzgeber mit dem Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 ausdrücklich entgegen getreten und hat in § 99 Abs. 3 Alt. 3 GWB betont, dass die Bauleistung dem Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugute kommen müsse62. Mit Urteil vom 25.3.2010 hat der EuGH dieses restriktive Verständnis bestätigt, so dass die Ahlhorn-Rechtsprechung überholt ist. Ein öffentlicher Bauauftrag liegt nach der EuGH-Rechtsprechung vor, wenn ein Vertrag geschlossen werden soll, der eine rechtlich durchsetzbare Bauverpflichtung begründet und die Gemeinde ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse an der Bauleistung hat63. Findet das Vergaberecht im Einzelfall keine Anwendung auf den Verkauf von Grundstücken, so bestehen doch Bindungen, die sich aus dem Unionsrecht ergeben. Die Anwendung der Grundfreiheiten – insbesondere der Dienstleistungsfreiheit – und des Diskriminierungsverbotes setzen kein Beschaffungselement voraus. Sie stehen einer willkürlichen Privilegierung einzelner Interessenten entgegen. Daraus wird regelmäßig eine Verpflichtung zur Durchführung eines fairen und transparenten Veräuße-
61 OLG Düsseldorf v. 13.6.2007 – Verg 2/07 – Ahlhorn, NZBau 2007, 530 ff.; dem folgend dann OLG Düsseldorf v. 12.12.2007 – Verg 30/07 – Wuppertal Wohwinkel, NZBau 2008, 138 ff.; OLG Düsseldorf v. 6.2.2008 – Verg 37/07 – Oer-Erkenschwick, NZBau 2008, 271 ff. OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – Verg 25/08 – Wildeshausen, NZBau 2008, 727 ff. – Beschluss zur Vorlage an den EuGH. 62 BT-Drs. 16/10117, 18. 63 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NJW 2010, 2189 ff. Dem folgend nun insbesondere auch OLG Düsseldorf v. 9.6.2010 – Verg 9/10, ZfBR 2010, 602 ff., oder auch VK BW v. 12.1.2011 – 1 VK 67/10. Aus der Literatur etwa Scharen, ZWeR 2011, 422 ff.; Otting, NJW 2010, 2167 ff.
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B. Kommunale Unternehmen als öffentliche Auftraggeber
rungsverfahrens abzuleiten sein64. Diese können als strukturierte Bietverfahren bezeichnet werden. Orientierungshilfe für die Strukturierung eines solchen Verfahrens bietet insbesondere die sog. Unterschwellenmitteilung der Kommission sowie die Grundstücksmitteilung der Kommission65. Die Durchführung eines solchen Verfahrens erhöhte zugleich die Rechtssicherheit im Hinblick auf die Vereinbarkeit des Geschäfts mit dem Beihilfenrecht, weil ein solches Verfahren den Verkauf zum Marktwert zumindest indiziert. Ebenso wenig wie der Verkauf von Grundstücken unterliegt der isolierte 16 Verkauf von Gesellschaftsanteilen dem Vergaberecht. Doch sollten auch Gesellschaftsanteile zur Sicherstellung der primär- und beihilfenrechtlichen Anforderungen im Regelfall in fairen und transparenten Verfahren veräußert werden66. Im Bereich der Dienstleistungen und Lieferungen, die nach Maßgabe der 17 VOL/A zu vergeben sind, eröffnet das Instrument der Rahmenvereinbarung flexible Möglichkeiten, noch nicht genau feststehende Bedarfe zu decken (§ 4 EG VOL/A). Rahmenvereinbarungen können mit einem oder mehreren Unternehmen geschlossen werden. Beim Abschluss mit mehreren Unternehmen können formlose Mini-Wettbewerbe durchgeführt werden, um das Unternehmen auszuwählen, das die Leistung erbringen soll67. Öffentliche Dienstleistungsaufträge sind gem. § 99 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 18 GWB entgeltliche Verträge von öffentlichen Auftraggebern mit Unternehmen über die Beschaffung von Dienstleistungen. Davon abzugrenzen sind Dienstleistungskonzessionen. Sie unterliegen – anders als Baukonzessionen – den §§ 97 ff. GWB nicht68. Das Verfahren zur Vergabe von Dienstleistungskonzessionen hat sich allein an den primärrechtlichen Maßgaben zu orientieren, die sich aus der Rechtsprechung des EuGH ergeben69. Für die Nachprüfung von Entscheidungen über die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen sind nicht die Vergabenachprüfungsinstanzen zuständig. Es gelten vielmehr die allgemeinen Regeln zur Abgren-
64 Kühling in 11. Düsseldorfer Vergaberechtstag v. 10.6.2010, S. 59 ff.; Hertwig, NZBau 2011, 9 ff. 65 Vgl. dazu oben Fn. 18 und Fn. 20. 66 Vgl. dazu Otting, VergabeR 2002, 11 ff.; Prieß/Gabriel, NZBau 2007, 617 ff. 67 Näher dazu etwa Kommission, Erläuterungen – Rahmenvereinbarung – Klassische Richtlinie, Dokument CC/2005/03_rev1 v. 14.7.2005. 68 BGH v. 8.2.2011 – X ZB 4/10, NZBau 2011, 175 Rz. 29; v. 23.1.2011 – X ZB 5/11. 69 Vgl. dazu wiederum die sog. Unterschwellenmitteilung der Kommission oben Fn. 18. Otting/Ohler/Olgemöller
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zung des ordentlichen Rechtswegs vom Verwaltungsrechtsweg70. Eine Definition des Begriffs Dienstleistungskonzession kennt das deutsche Recht nicht71. Heranzuziehen sind daher die Legaldefinitionen in Art. 1 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2004/17/EG und Art. 1 Abs. 4 der Richtlinie 2004/18/EG. Diesen zufolge sind Dienstleistungskonzessionen Verträge, die von Dienstleistungsaufträgen nur insoweit abweichen, als die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistungen ausschließlich in dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung oder in diesem Recht zuzüglich der Zahlung eines Preises besteht. Um eine Dienstleistungskonzession annehmen zu können, hat der EuGH gelegentlich die Feststellung genügen lassen, dass die Leistung zumindest teilweise über Benutzerentgelte finanziert wird. Diese Art einer mittelbaren Vergütung des Verkehrsunternehmens sei charakteristisch für eine öffentliche Dienstleistungskonzession72. Nach jüngerer Rechtsprechung ist die Art der Vergütung jedoch nur eines der Kriterien für die Einordnung als Dienstleistungskonzession73. Entscheidend ist die Übernahme eines Betriebsrisikos durch den Leistungserbringer74. Dem folgt die deutsche Rechtsprechung und Entscheidungspraxis75. 19 Strom- und Gaskonzessionen, die gem. § 46 EnWG zu vergeben sind, unterfallen dem Vergaberecht der §§ 97 ff. GWB nach überwiegender Ansicht ebenfalls nicht. Hier fehlt es an einer Beschaffung von Waren, Bauoder Dienstleitungen, da jedenfalls der Schwerpunkt der Verträge auf der Verpachtung von Straßen, Wegen und sonstigen kommunalen Grundstücken liegt. Ungeachtet dessen müssen die Kommunen die allgemeinen, aus vorrangigem europäischen Primärrecht folgenden Vergabeprinzipien beachten. Demnach muss eine Bekanntmachung in geeigneter Form erfolgen und die Vergabe transparent und nichtdiskriminierend durchgeführt werden; die Entscheidung ist zu begründen und es muss Rechts-
70 BGH v. 23.1.2012 – X ZB 5/11. Zu den Besonderheiten im Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 vgl. OLG Düsseldorf v. 2.3.2011 – Verg 48/10, NZBau 2011, 244 ff. und dem folgend OLG München v. 22.6.2011 – Verg 6/11, NZBau 2011, 701 ff. 71 Zu der facettenreichen Geschichte des Begriffs der Konzession etwa Storr, Konfusion um die Konstruktion der Konzession in Kluth/Müller/Peilert, FS für Rolf Stober, S. 417 ff. Zur Entwicklung des Begriffs in der Rechtsprechung des EuGH etwa Fritz/Seidler, EuZW 2010, 933 ff. 72 EuGH v. 6.4.2006 – Rs. C-410/04 – ANAV, NZBau 2006, 326 (Rz. 16); vgl. dazu auch die Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón v. 7.7.2011 – Rs. C-348/10 – Norma-A SIA, Rz. 45. 73 EuGH v. 10.11.2011 – Rs. C-348/10 – Norma-A SIA, NVwZ 2012, 236 (Rz. 44). 74 Die Rechtsprechung zusammenfassend etwa EuGH v. 10.11.2011 – Rs. C-348/10 – Norma-A SIA, NVwZ 2012, 236 (Rz. 45 ff.). 75 Am Beispiel des Schienenpersonennahverkehrs etwa BGH v. 8.2.2011 – X ZB 4/10, NZBau 2011, 175 (Rz. 29 ff.). Zum Beispiel der Wasserwirtschaft vgl. etwa Byok/Dierkes, RdE 2011, 126 ff.
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schutz gewährt werden. Die Schwelle für eine Binnenmarktrelevanz dieser Konzessionen wird als niedrig anzusetzen sein76. Die §§ 97 ff. GWB beanspruchen weiterhin nur dann Geltung, wenn die 20 europäischen Schwellenwerte überschritten sind. Die Schwellenwerte überprüft die Kommission gem. Art. 68 der Richtlinie 2004/17/EG und Art. 78 der Richtlinie 2004/18/EG alle zwei Jahre und setzt sie ggf. durch eine Verordnung neu fest, zuletzt durch die Verordnung (EG) Nr. 1251/2011 vom 30.11.2011 mit Wirkung zum 1.1.201277. § 2 VgV soll hieran durch die 5. VgV-Änderungsverordnung angepasst werden78. Hiernach beträgt der Schwellenwert für Bauaufträge 5 Mio. Euro. Für Lieferund Dienstleistungsaufträge, die nicht von einer oberen oder obersten Bundesbehörde vergeben werden, beträgt der Schwellenwert hiernach 200 000 Euro. Die Sektorenverordnung enthält in § 1 Abs. 2 SektVO zwischenzeitlich eine dynamische Verweisung auf die jeweils aktuelle europäische Verordnung über die Schwellenwerte; für Sektorenauftraggeber gilt nach der Verordnung (EG) Nr. 1251/2011 ebenfalls der Schwellenwert von 5 Mio. Euro für Bauaufträge. Für Liefer- und Dienstleistungsaufträge liegt er im Sektorenbereich bei 400 000 Euro. Schließlich finden die §§ 97 ff. GWB keine Anwendung in den Fällen, die 21 in den §§ 100 ff. GWB aufgeführt werden. Diese Ausnahmetatbestände befanden sich bis zur Änderung des GWB im Dezember 2011 zusammengefasst in § 100 Abs. 2 GWB. Im Zusammenhang mit der Umsetzung der Richtlinie 2009/81/EG über die Vergabe von Aufträgen in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit wollte der Gesetzgeber die Ausnahmetatbestände übersichtlicher gestalten und hat aus diesem Grund die §§ 100 bis 100c GWB eingeführt. Wenig erfolgversprechend sind Versuche, die eng auszulegenden Ausnahmetatbestände umgehen zu wollen. Ein prominenter Fall war der Abschluss eines Vertrages über die Anmietung der Kölner Messe79. Der EuGH ließ nicht genügen, dass der geschlossene Vertrag als Mietvertrag bezeichnet wurde, um diesen Vertrag dem Ausnahmetatbestand über die Anmietung vorhandener Gebäude (nun § 100 Abs. 5 GWB) zuzuordnen. Das Gericht stellte vielmehr auf die detaillierten Vorgaben für die bauliche Gestaltung der anzumietenden Gebäude ab 76 Vgl. zu alldem insbesondere den gemeinsamen Leitfaden von Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur zur Vergabe von Strom- und Gaskonzessionen und zum Wechsel des Konzessionsnehmers v. 15.12.2010, oder Deutscher Städtetag/Deutscher Städte- und Gemeindebund / Verband kommunaler Unternehmen e.V. (VKU), Konzessionsverträge – Handlungsoptionen für Kommunen und Stadtwerke, sowie die Hinweise der Niedersächsischen Landeskartellbehörde zur Durchführung eines wettbewerblichen Konzessionsvergabeverfahrens nach § 46 EnWG, März 2010. Aus der Literatur etwa Kahl/Schmidtchen, RdE 2012, 1 ff.; Hofmann, NZBau 2012, 11 ff.; Tischmacher, IR 2011, 246 ff. 77 ABl. L 319 v. 2.12.2011, S. 43–44. 78 BR-Drs. 859/11 v. 21.12.2011. 79 EuGH v. 29.10.2009 – Rs. C-537/07 – Kommission ./. Deutschland („Kölner Messe“), EuZW 2010, 58 ff. Otting/Ohler/Olgemöller
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und qualifizierte den Vertrag daher als öffentlichen Bauauftrag im Sinne des § 99 Abs. 3 GWB80. 22 Erforderlich wird eine Ausschreibung wegen wesentlicher Vertragsänderungen. Das Recht von Auftraggeber und Auftragnehmer, einmal geschlossene Verträge im Laufe der Vertragsabwicklung anzupassen, wird beschränkt durch das Verbot, durch Vertragsänderungen die Pflicht zur Ausschreibung zu umgehen. Überschritten wird die Grenze, wenn ein geschlossener Vertrag wesentlich geändert wird81. Entscheidend ist, ob der geänderte Vertrag andere Merkmale aufweist als der ursprüngliche Auftrag und damit den Willen der Parteien zur Neuverhandlung wesentlicher Bestimmungen dieses Vertrags erkennen lässt. Die Änderung eines öffentlichen Auftrags während seiner Laufzeit kann als wesentlich angesehen werden, wenn sie Bedingungen einführt, die die Zulassung anderer als der ursprünglich zugelassenen Bieter oder die Annahme eines anderen als des ursprünglich angenommenen Angebots erlaubt hätten, wenn sie Gegenstand des ursprünglichen Vergabeverfahrens gewesen wären. Gleiches gilt, wenn der Auftrag in großem Umfang auf ursprünglich nicht vorgesehene Leistungen erweitert wird. Eine Änderung kann auch dann als wesentlich angesehen werden, wenn sie das wirtschaftliche Gleichgewicht des Vertrags in einer im ursprünglichen Auftrag nicht vorgesehenen Weise zu Gunsten des Auftragnehmers ändert. Speziell im Hinblick auf die Ausdehnung des ursprünglichen Auftrags wurde vielfach eine Ergänzung um ca. 10 % toleriert82. In ihren Vorschlägen zur Novellierung der Vergaberichtlinien hat die Kommission einen Wert von nur 5 % angesetzt83; hier wird abzuwarten sein, ob sich diese restriktive Haltung durchsetzt. Keine Vertragsänderung stelle es dar, wenn Leistungserweiterungen z.B. in Form von Optionen bereits in dem ursprünglichen Vertrag angelegt waren und davon zu einem Zeitpunkt nach Vertragsschluss wie vorgesehen Gebrauch gemacht wird. Solche Klauseln müssen allerdings hinreichend bestimmt sein, unbestimmte Blanko-Klauseln genügen nicht, weil Änderungen andernfalls in das Belieben des Auftraggebers gestellt wären84. 4. Überblick über das Vergabeverfahren 23 Die unterschiedlichen Vergabeverfahren sind in § 101 GWB aufgeführt. Unterschieden werden dort das offene Verfahren, das nicht offene Verfah80 Zu Neu- und Umbauverpflichtungen etwa Dreher, NZBau 2009, 542 ff. 81 EuGH v. 19.6.2008 – Rs. C-454/06 – pressetext Nachrichtenagentur, NJW 2008, 3341 ff.; EuGH v. 13.4.2010 – Rs. C-91/08 – Wall-AG, NZBau 2010, 382 ff. Vgl. dazu auch Wagner/Jurschik, VergabeR 2012, 401 ff. 82 Vgl. OLG Celle v. 20.10.2009 – 13 Verg 8/09, NZBau 2010, 194 (196); Kulartz/ Duikers, VergabeR 2008, 728 (735). 83 Vgl. Art. 72 Abs. 4 des Vorschlags zur Änderung der Vergabekoordinierungsrichtlinie, KOM(2011) 896/2. 84 OLG Düsseldorf v. 28.7.2011 – Verg 20/11, ZfBR 2012, 198 (203 f.).
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ren, das Verhandlungsverfahren und der Wettbewerbliche Dialog. Die Vergabe von Bauaufträgen wird näher ausgestaltet durch die Bestimmungen im 2. Abschnitt der VOB/A. Vergaben von Dienstleistungs- und Lieferaufträgen richten sich im Einzelnen nach den Vorschriften des 2. Abschnitts der VOL/A (sog. EG-Paragraphen). Die Vergabe freiberuflicher Leitungen ist in der VOF geregelt. Die SektVO enthält Sonderbestimmungen für Vergabeverfahren, die von Sektorenauftraggebern im Sinne des § 98 Nr. 4 GWB durchzuführen sind. Das offene Verfahren beginnt mit der Bekanntmachung im EU-Amts- 24 blatt. Interessenten sind aufgerufen, bis zum Ablauf der Angebotsfrist verbindliche Angebote auszuarbeiten und bei dem Auftraggeber einzureichen. Diese Angebote werden bewertet, auf ihrer Grundlage wird über den Zuschlag entschieden. Gespräche und Verhandlungen zwischen Auftraggebern und Bietern sind grundsätzlich unzulässig. Das offene Verfahren eignet sich für Beschaffungen standardisierter Leistungen und ist gem. § 101 Abs. 7 GWB zugleich das Verfahren, das durchzuführen ist, wenn nicht ausnahmsweise die Wahl einer anderen Verfahrensart gestattet ist (sog. Vorrang des offenen Verfahrens). Das nicht offene Verfahren unterscheidet sich vom offenen Verfahren vor allem durch einen zwischengeschalteten Teilnahmewettbewerb: Auf Grundlage der Bekanntmachung wird eine beschränkte Anzahl von Bewerbern ausgewählt. Nur diese werden zur Abgabe eines Angebotes aufgefordert. Das Verhandlungsverfahren wird ebenfalls durch eine Bekanntmachung 25 im EU-Amtsblatt eingeleitet. Interessenten werden eingeladen, sich um die Teilnahme zu bewerben (Teilnahmewettbewerb). Die ausgewählten Bewerber werden aufgefordert, ein unverbindliches oder indikatives Angebot zu erarbeiten85. Über dieses verhandeln Auftraggeber und Bieter. Im Laufe der Verhandlungen kann die Anzahl der Bieter, mit denen verhandelt wird, verringert werden (sog. Abschichtung). Das Verfahren endet, indem der Auftraggeber die Bieter zur Abgabe verbindlicher Angebote auffordert. Auf dieser Grundlage entscheidet der Auftraggeber über den Zuschlag. In eng begrenzten Ausnahmefällen kann ein Verhandlungsverfahren ohne vorangehende Bekanntmachung durchgeführt werden. Im Anwendungsbereich der VOF ist das Verhandlungsverfahren das einzig zulässige Verfahren (§ 3 VOF). Im Rahmen der SektVO besteht die Besonderheit, dass die Sektorenauftraggeber ohne Weiteres auf dieses Verfahren zugreifen dürfen; sie sind an den Vorrang des offenen Verfahrens nicht gebunden, wenngleich ihnen frei steht, statt eines Verhandlungsverfahren gleichwohl ein offenes oder nicht offenes Verfahren durchzuführen (§ 6 Abs. 2 SektVO)86.
85 Eingehend zum indikativen Angebot etwa Michel/Braun, NZBau 2009, 688 ff. 86 Näher dazu etwa Pooth/Sudbrock, KommJur 2010, 446 ff.; Müller-Wrede, Sektorenverordnung; Trautner/Schwab, Praxishandbuch Sektorenverordnung. Otting/Ohler/Olgemöller
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26 Ein relativ junges Verfahren stellt der Wettbewerbliche Dialog dar. Er steht den Sektorenauftraggebern im Sinne des § 98 Nr. 4 GWB nicht zur Verfügung, wie § 101 Abs. 4 GWB klarstellt. Die Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 1 bis Nr. 4 GWB dürfen auf das Verfahren zur Vergabe besonders komplexer Aufträge zurückgreifen. Das sind nach den Vorstellungen der EU-Kommission etwa Verkehrsinfrastrukturprojekte, große Computernetzwerke oder Vorhaben mit komplexer Finanzierungsstruktur, deren rechtliche und finanzielle Konstruktion im Voraus nicht beschrieben werden kann87. In der kommunalen Praxis hat sich das Verfahren im Zusammenhang mit Städtebauprojekten bewährt88. Das Verfahren orientiert sich am Ablauf des Verhandlungsverfahrens: Es wird durch eine Bekanntmachung im EU-Amtsblatt eingeleitet. Mit den ausgewählten Bewerbern tritt der Auftraggeber in die Dialogphase ein, in der alle Einzelheiten des Auftrages erörtert werden dürfen. Kann keine Lösung gefunden werden, die den Bedürfnissen und Anforderungen des Auftraggebers genügt, kann er das Verfahren beenden. Wird eine solche Lösung gefunden, fordert der Auftraggeber die Bieter zur Abgabe verbindlicher Angebote auf. Auf das wirtschaftlichste Angebot ist der Zuschlag zu erteilen. 5. Umwelt- und Sozialkriterien 27 Früh wurde das Potential der Auftragsvergabe erkannt, zum Umweltschutz beizutragen („Green Procurement“). Bereits im Jahre 2001 veröffentliche die Kommission eine Mitteilung über die Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Umweltbelangen bei der Auftragsvergabe89. Im Jahre 2008 folgte die Mitteilung der Kommission zum Thema „Umweltorientiertes Beschaffungswesen“90. Im Jahre 2011 wurde eine Neuauflage des Handbuchs für ein umweltorientiertes öffentliches Beschaffungswesen veröffentlicht91. Die Publikationen zeigen eine Vielzahl von Möglichkeiten auf, Aspekten des Umweltschutzes, insbesondere im Rahmen der Leistungsbeschreibung, der Bieterauswahl und bei der Festlegung der Zuschlagskriterien, besonderes Gewicht zu verleihen. Anknüpfungspunkte schafft seit jüngerem auch § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB. Hiernach dürfen die Auftraggeber zusätzliche Anforderungen an die Auftragsausführung stellen, die Gegenstand der jeweiligen Leistungsbeschreibung sein müssen und damit zu auftragsbezogenen Mindestanforderungen an die Angebote werden. Der Gesetzgeber wollte den Aufgabenträgern damit ermöglichen, Innovations- und Umweltaspekte zu verfolgen und von den 87 Kommission, Erläuterungen – Wettbewerblicher Dialog – klassische Richtlinie, Dokument CC/2005/04_rev1 v. 5.10.2005. 88 Otting/Olgemöller, NVwZ 2011, 1225 ff. 89 Interpretierende Mitteilung über das auf das Öffentliche Auftragswesen anwendbare Gemeinschaftsrecht und die Möglichkeiten zur Berücksichtigung von Umweltbelangen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge v. 4.7.2011, KOM(2001) 274 endg. 90 KOM(2008) 400 endg. 91 Abrufbar auf der Internetseite der Kommission (derzeit nur auf englisch).
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Auftragnehmern etwa verlangen zu können, sich für die Auftragsausführung Strom aus erneuerbaren Energiequellen oder Recyclingpapiers zu bedienen92. Für die Beschaffung technischer Geräte und Ausrüstung und speziell für die Beschaffung von Straßenfahrzeugen sind zwischenzeitlich besondere Vorschriften in der Vergabeverordnung und der Sektorenverordnung zwingend zu beachten93. Zunehmend wird das Vergaberecht zur Durchsetzung sozialer Ziele in- 28 strumentalisiert. Ansatzpunkt hierfür ist vor allem § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB, der es dem Bundesgesetzgeber als auch den Landesgesetzgebern erlaubt, „andere oder weitergehende Anforderungen“ an Auftragnehmer zu stellen. Davon machen insbesondere die Landesgesetzgeber Gebrauch und verankern dort etwa Tariftreuepflichten oder Regelungen zur Frauenförderung94. Unabhängig davon können auch insoweit gem. § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB zusätzliche Anforderungen an die Auftragsausführung gestellt werden. Der Gesetzgeber verweist etwa auf die Forderung nach einer angemessenen Bezahlung von Sicherheitspersonal oder auf die Einhaltung der Kernarbeitsnormen der ILO bei der Herstellung von Materialien im Ausland sowie die Sicherstellung der Entgeltgleichheit von Frauen und Männern im Rahmen der Ausführung des konkreten Auftrags95.
II. Rechtsbindungen der Kommunen und kommunaler Unternehmen unterhalb der Schwellenwerte des § 100 Abs. 1 GWB Unterhalb der europäischen Schwellenwerte bestehen die Bindungen der 29 §§ 97 ff. GWB und des untergesetzlichen Regelwerks nicht. Kommunen sind gleichwohl regelmäßig zur Ausschreibung verpflichtet. Die Ausschreibungspflicht ergibt sich insoweit aus dem kommunalen Haushaltsrecht, in der Regel aus den Gemeindehaushaltsverordnungen der Länder96. Die danach anzuwendenden „Vergabegrundsätze“ werden durch Verwaltungsvorschriften konkretisiert, die zumeist als Runderlass ergehen und dann als Vergabeerlasse bezeichnet werden97. Dort werden auch die für die Praxis wichtigen Wertgrenzen festgelegt, bis zu denen freihändige und beschränkte Vergaben durchgeführt werden dürfen. Diese wur-
92 BT-Drs. 16/10117, 16. 93 Vgl. zur Fahrzeugbeschaffung etwa Schrotz/Mayer, KommJur 2011, 81 ff.; Homann/Büdenbender, VergabeR 2012, 1 ff. Allgemein zur energieeffizienten Beschaffung Zeiss, NZBau 2011, 658 ff. 94 Vgl. dazu die Übersicht bei Meßner, VergabeR 2012, 301 ff. 95 BT-Drs. 16/10117, 16. 96 Vgl. nur § 29 Abs. 2 Gemeindehaushaltsordnung-Verwaltungsbuchführung Hessen und § 29 Abs. 2 Gemeindehaushaltsverordnung-Doppik Hessen. 97 Die jeweils aktuelle Fassung des hessischen Runderlasses ist beispielsweise abrufbar auf der Internetseite der Hessischen Ausschreibungsdatenbank (www.had.de). Otting/Ohler/Olgemöller
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den insbesondere im Zuge des sog. Konjunkturpakets II zu Beginn des Jahres 2009 erhöht98. An diesen erhöhten Wertgrenzen halten die Erlassgeber weitgehend fest. Die haushaltsrechtliche Anwendungsverpflichtung des Vergaberechts gilt auch für kommunale Eigenbetriebe99. 30 Die unterhalb der Schwellenwerte lediglich haushaltsrechtlich vorgegebene Bindung an das Vergaberecht hat wichtige Konsequenzen für den Rechtsschutz. Für Auftragsvergaben oberhalb der Schwellenwerte schaffen die §§ 103 ff. GWB ein effektives Rechtsschutzsystem. Danach kann ein Bieter die zuständige Vergabekammer bzw. im Verfahren der Sofortigen Beschwerde den Vergabesenat beim OLG anrufen, um zu verhindern, dass das als fehlerhaft beanstandete Vergabeverfahren nicht mit einem Zuschlag an einen Konkurrenten beendet wird (Primärrechtsschutz). Jenseits des Anwendungsbereichs der §§ 97 ff. GWB – und damit insbesondere für Aufträge unterhalb der Schwellenwerte – gelten die §§ 103 ff. GWB nicht. Es ist aus Verfassungsgründen auch nicht geboten, diesen Primärrechtsschutz auf Vergaben unterhalb der Schwellenwerte zu erstrecken100. Rechtsschutz suchende Bieter sind auf die allgemeinen Vorschriften außerhalb des GWB angewiesen. Sie müssen vor den ordentlichen Gerichten und damit regelmäßig vor den Landgerichten versuchen, im Wege einer einstweiligen Verfügung nach §§ 935 ff. ZPO zu erreichen, dass das Gericht dem Auftraggeber untersagt, den Zuschlag auf ein konkurrierendes Angebot zu erteilen101. Das ist nicht zuletzt wegen der allgemeinen zivilrechtlichen Darlegungs- und Beweislastregeln mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden und entwertet den Primärrechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte erheblich102. Die ordentlichen Gerichte sind aber – sowohl oberhalb als auch unterhalb der Schwellenwerte – für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen zuständig (Sekundärrechtsschutz), die geltend gemacht werden können, wenn der Auftraggeber vergaberechtliche Verfahrensvorschriften missachtet und einem Bieter hieraus ein Schaden entsteht103; insbesondere nutzlos aufgewandte Anwaltskosten können als Schaden liquidiert werden104. 31 Kommunale Eigengesellschaften, die in privatrechtlicher Rechtsform organisiert sind, unterliegen den haushaltsrechtlichen Vorgaben nicht105.
98 99 100 101 102
Kritisch dazu etwa Thormann, NZBau 2010, 14 ff. Ohler, ZVgR 1998, 424 (425). BVerfG v. 13.6.2006 – 1 BvR 1160/03, VergabeR 2006, 871 (Rz. 64). BVerwG v. 2.5.2007 – 6 B 10.07, VergabeR 2007, 337. Vgl. dazu BGH v. 30.8.2011 – X ZR 55/10, VergabeR 2012, 26 „Regenentlastung“; zur Rechtsprechung ausführlich vgl. Scharen, VergabeR 2011, 653 (655 ff.); Krist, VergabeR 2011, 163 (164 ff.). 103 Vgl. dazu im Einzelnen die Kommentierungen zu § 126 GWB. 104 BGH v. 9.6.2011 – X ZR 143/10, VergabeR 2011, 703. 105 Zu anderweitigen Bindungen vgl. aber Rz. 32.
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Das kommunale Haushaltsrecht erfasst grundsätzlich nur die Kommunen selbst, nicht aber deren privatisierte Ausgliederungen106. Auch über das Verwaltungsprivatrecht und die Grundsätze des öffentlich-rechtlichen Finanzgebarens lässt sich keine Anwendungsverpflichtung des Vergaberechts begründen107. Im nationalen Vergaberecht fehlt der funktionale Auftraggeberbegriff des § 98 Nr. 2 GWB.
III. Sonstige Rechtsbindungen Ungeachtet der Frage, ob die Schwellenwerte über- oder unterschritten 32 sind, verlangt das europäische Primärrecht Beachtung. Daraus kann sich die Verpflichtung ableiten, ein transparentes und faires Vergabeverfahren durchzuführen. Voraussetzung ist ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse an dem zu vergebenden Vertrag. Das ist bei Aufträgen unterhalb der Schwellenwerte oft nicht gegeben. Anders kann sich die Lage im Hinblick auf Verträge darstellen, die aus anderen Gründen nicht in den Anwendungsbereich der §§ 97 ff. GWB fallen, insbesondere Dienstleistungskonzessionen und Aufträge über Leistungen, die im Anhang I Teil B zur VOL/A aufgeführt sind. Zu diesen sog. I-B-Leistungen zählen etwa die Rechtsberatung, das Unterrichtswesen und die Berufsausbildung sowie das Gesundheits-, Veterinärs- und Sozialwesen. Stets sorgfältig zu prüfen ist, welche Anforderungen die Landesgesetz- 33 geber an die Vergabe von Aufträgen stellen. Hier blüht inzwischen ein großer Strauß föderaler Vielfalt. Die Landesgesetze enthalten insbesondere Regelungen über Tariftreuepflichten in verschiedenen Sektoren, aber zum Teil auch weitergehende Verfahrensanforderungen. Zum Teil beanspruchen diese Gesetze, wie etwa das Tariftreue- und Vergabegesetz Nordrhein-Westfalen vom 10.1.2012108 gemäß seinem § 2 Abs. 4, Geltung für alle Auftraggeber im Sinne des § 98 GWB; dann gelten die Gesetze ohne Rücksicht auf den geschätzten Auftragswert auch für Eigengesellschaften, die Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB sind. Damit ist eine empfindliche Ausdehnung vergaberechtlicher Bindungen unterhalb der Schwellenwerte auch auf kommunale Unternehmen verbunden. Auch das rheinland-pfälzische Landesgesetz zur Gewährleistung von Tariftreue und Mindestentgelten bei öffentlichen Auftragsvergaben109 wendet sich nach seinem § 2 Nr. 3 auch an die öffentlichen Auftraggeber i.S.d. § 98 Nr. 2, 4 und 5 GWB. Im Übrigen schreibt das Landesrecht vielfach vor, dass die kommunalen Gesellschafter ihre Einflussrechte in
106 Zur Rechtslage in den einzelnen Bundesländern näher etwa Glahs in Reidt/ Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, Einleitung Rz. 15 ff. 107 Ohler, ZVgR 1998, 424 (430). 108 GV. NW v. 26.1.2012, S. 15. Erläuternd dazu etwa Köster, DÖV 2012, 474 ff. 109 GVBl. 2010, S. 426. Otting/Ohler/Olgemöller
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kommunalen Eigengesellschaften dahingehend auszuüben haben, dass diese Gesellschaften bestimmte Vergabegrundsätze einhalten110. 34 Im Einzelfall können sich Rechtsbindungen aus dem Kartellrecht ergeben. Denn dieses – und insbesondere das Verbot der Diskriminierung und des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung gem. §§ 19, 20 GWB – bleibt neben dem Vergaberecht anwendbar111. Diese Bindungen entfalten nicht zuletzt dort Wirkung, wo das Vergaberecht mangels Vergabe eines öffentlichen Auftrags nicht gilt. Bedeutung hat in den vergangenen Jahren etwa die kartellrechtlich begründete Verpflichtung zur Durchführung eines fairen Auswahlverfahrens für Kfz-Schilderprägebetriebe erlangt112. 35 Nach zutreffender Auffassung sind kommunale Eigengesellschaften auch bei der Vergabe öffentlicher Aufträge an die Grundrechte, insbesondere an den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebunden. Die Wahl privatrechtlicher Handlungs- und Organisationsformen entlässt die öffentliche Hand nicht aus ihrer Bindung an die Grundrechte. Selbst Unternehmen, an denen Private beteiligt sind, unterliegen dieser Bindung, wenn die öffentliche Hand über eine Mehrheitsbeteiligung verfügt113. Unklar ist indessen nach wie vor, welche konkreten Konsequenzen aus der Anwendbarkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 GG zu ziehen sind. In seiner grundlegenden Entscheidung zum Rechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte hat das BVerfG ausgeführt, dass Art. 3 Abs. 1 GG verwehre, das Verfahren oder die Kriterien der Vergabe willkürlich zu bestimmen. Darüber hinaus könne die tatsächliche Vergabepraxis zu einer Selbstbindung an verwaltungsinterne Vorschriften führen (m.a.W.: an die VOB/A und VOL/A). Jeder Mitbewerber müsse eine faire Chance erhalten, nach Maßgabe der für den spezifischen Auftrag wesentlichen Kriterien und des vorgesehenen Verfahrens berücksichtigt zu werden. Eine Abweichung von solchen Vorgaben könne eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG bedeuten114. Daraus haben die Gerichte für den Rechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte durchaus unterschiedliche Kon-
110 Bspw. § 22 Abs. 6 des Baden-Württembergeschen Gesetzes zur Mittelstandsförderung oder Art. 18 Abs. 5 des Bayerischen Mittelstandsförderungsgesetzes. 111 Zu den kartellrechtlichen Bindungen öffentlicher Auftraggeber etwa Hertwig, Praxis der öffentlichen Auftragsvergabe, Rz. 332 ff.; Dietlein/Fandrey in Byok/ Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, Einl. Rz. 110 f.; Dreher in Dreher/ Stockmann, Kartellvergaberecht, Vor §§ 97 ff. Rz. 85 ff. Zur Bildung von Einkaufsgemeinschaften vgl. auch die Nachweise bei Rz. 59. Zur kartellrechtlich begründeten Ausschreibungspflicht im Zusammenhang mit Konzessionen nach § 46 EnWG vgl. die Nachweise in Fn. 76. Zu den kartellrechtlichen Anforderungen auf den Außenwerbemärkten vgl. auch das Eckpunktepapier des Bundeskartellamts zu den Ergebnissen der Sektorenuntersuchung im Bereich Außenwerbung v. 26.11.2009 112 Statt aller m.w.N. etwa Bechtold in Bechtold, GWB Kommentar, § 20 Rz. 63. 113 BVerfG v. 22.2.2011 – 1 BvR 699/06, NJW 2011, 1201 ff. (Fraport AG). 114 BVerfG v. 13.6.2006 – 1 BvR 1160/03, NJW 2006, 3701 (Rz. 65).
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sequenzen gezogen. Allerdings stellen die Gerichte zwischenzeitlich vielfach zur Begründung der Ansprüche der Bieter nicht mehr auf die (Selbst-) Bindung der Auftraggeber ab, sondern gehen von den Bindungen aus, die mit einem vorvertraglichen Schuldverhältnis nach § 311 Abs. 2 BGB verbunden sind, das durch die Einleitung eines Vergabeverfahrens begründet wird115.
C. Grenzen des Vergaberechts: Inhouse-Vergaben und andere Formen öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit Die Bedeutung des Vergaberechts hat in den vergangenen Jahren stetig zu- 36 genommen. Dazu hat die konsequente Anwendung der vergaberechtlichen Vorschriften und die enge Auslegung verbliebener Ausnahmen in der Spruchpraxis der Gerichte und Vergabekammern ganz wesentlich beigetragen. Andererseits ist es gerade auch die Rechtsprechung des EuGH, die einer allzu extensiven Anwendung des Vergaberechts immer wieder Grenzen zieht116. Die wohl folgenreichste Einschränkung des Anwendungsbereichs ist die sog. Inhouse-Rechtsprechung, die der EuGH seit seiner grundlegenden Teckal-Entscheidung vom 18.11.1999 fortführt117. Fast genau 20 Jahre später hat der EuGH am 9.6.2009 in seiner Entscheidung Stadtreinigung Hamburg Zulässigkeit und Grenzen der öffentlichöffentlichen Zusammenarbeit konkretisiert118. Auf Grundlage dieser Rechtsprechung hat die Kommission im Oktober 2011 ein sog. Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen über die Anwendung des EU-Vergaberechts im Fall von Beziehungen zwischen öffentlichen Auftraggebern (öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit) veröffentlicht119. Diese Mitteilung ist nicht rechtsverbindlich, bietet der Praxis aber eine Reihe von Anhaltspunkten, um im Einzelfall möglichst rechtssichere Entscheidungen treffen zu können. Die Inhouse-Ausnahme hat der BGH früh für die Auslegung des deutschen Vergaberechts übernommen120. Vor diesem Hintergrund sollen nachfolgend Zulässigkeit und Grenzen von Gestaltungs115 Gegen eine bloße Willkürkontrolle etwa LG Saarbrücken v. 19.8.2011 – 7 O 33/11 und OLG Düsseldorf v. 13.1.2010 – I-27 U 1/09, NZBau 2010, 328 ff. Demgegenüber für Rechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte nur bei Vorsatz oder Willkür: LG Koblenz v. 18.1.2011 – 10 O 9/11, ZfBR 2011, 794 ff. Zur jüngeren Rechtsprechung eingehend Scharen, VergabeR 2011, 653 (656 ff.). 116 Vgl. dazu im Zusammenhang mit Grundstücksgeschäften etwa oben Rz. 15. 117 EuGH v. 18.11.1999 – C-107/98 – Teckal, NZBau 2000, 90. 118 EuGH v. 9.6.2009 – C-480/06 – Kommission ./. Deutschland („Stadtreinigung Hamburg“), EuZW 2009, 529 ff. 119 Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen über die Anwendung des EU-Vergaberechts im Fall von Beziehungen zwischen öffentlichen Auftraggebern (öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit), SEK (2011) 1169 endg. v. 4.10.2011. 120 Vgl. nur BGH v. 12.6.2001 – X ZB 10/01, NZBau 2001, 517 (519); v. 3.7.2008 – I ZR 145/05, NZBau 2008, 664 (Rz. 22 ff.); v. 8.2.2011 – X ZB 4/10, NZBau 2011, 175 (Rz. 17). Otting/Ohler/Olgemöller
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optionen skizziert werden, in denen das Vergaberecht keine Geltung beansprucht.
I. Beauftragung kommunaler Unternehmen (Inhouse-Vergaben) 37 Öffentlichen Stellen, die öffentliche Auftraggeber sind, steht das Recht zu, ihre Aufgaben mit ihren eigenen administrativen, technischen und sonstigen Mitteln zu erfüllen, ohne gezwungen zu sein, sich an externe Einrichtungen zu wenden, die nicht zu ihren Dienststellen gehören121. Dazu zählt namentlich die Erfüllung der kommunalen Aufgaben durch einen rechtlich unselbständigen Eigenbetrieb. Solche Beauftragungen eigener Dienststellen lassen sich als Inhouse-Vergaben im engeren Sinne bezeichnen. Sie unterfallen dem Vergaberecht nicht122. 38 Erstmals in seiner Teckal-Entscheidung hat der EuGH anerkannt, dass es weitere Umstände geben kann, unter denen eine Ausschreibung nicht geboten ist123. Der Inhouse-Vergabe im engeren Sinne wurden die Fälle einer Inhouse-Vergabe im weiteren Sinne gleichgestellt. Gemeint sind Konstellationen, in denen ein öffentlicher Auftrag zwar an eine andere rechtsfähige Person erteilt wird, diese aber funktional wie eine eigene Dienststelle anzusehen ist124. Der EuGH akzeptierte damit eine teleologische Reduktion des Begriffs des öffentlichen Auftrags125. Ein öffentlicher Auftrag liege grundsätzlich vor, wenn eine Vereinbarung zwischen zwei verschiedenen Personen getroffen werde; ausreichend sei zwar grundsätzlich, dass beide Personen sich formal rechtlich voneinander unterscheiden126. Etwas anderes könne aber gelten, wenn die Gebietskörperschaft über die fragliche Person eine Kontrolle ausübt wie über ihre eigene Dienststelle und wenn diese Person zugleich ihre Tätigkeit im Wesentlichen für die Gebietskörperschaft oder die Gebietskörperschaften verrichtet, die ihre Anteile innehaben127. Juristisch verselbständigte Personen wie kommunale Eigengesellschaften können von öffentlichen Auftraggebern wie den Kommunen also ohne Ausschreibung beauftragt werden, wenn beide sog. Teckal-Kriterien – d.h. das Kontroll- und das Wesentlichkeitskriterium – kumulativ erfüllt sind. Eine allgemeine Freistellung für die Vergabe von Aufträgen zwischen öffentlichen Auftraggebern und/oder 121 EuGH v. 11.1.2005 – Rs. C-26/03 – Stadt Halle, NZBau 2005, 111 (Rz. 48); zuvor bereits Generalanwalt Cosmas, Schlussanträge v. 1.7.1999 – C-107/98 – Teckal, Rz. 54. 122 Vgl. OLG Düsseldorf v. 6.7.2011 – Verg 39/11, NZBau 2011, 769 (770); OLG Düsseldorf v. 2.3.2011 – Verg 48/10, NZBau 2011, 244 (247). 123 So die Formulierung bei EuGH v. 11.1.2005 – Rs. C-26/03 – Stadt Halle, NZBau 2005, 111 (Rz. 49). 124 Vgl. OLG Düsseldorf v. 6.7.2011 – Verg 39/11, NZBau 2011, 769 (770); v. 2.3.2011 – Verg 48/10, NZBau 2011, 244 (247). 125 Vgl. nur BGH v. 8.2.2011 – X ZB 4/10, NZBau 2011, 175 (Rz. 17). 126 EuGH v. 18.11.1999 – Rs. C-107/98 – Teckal, NZBau 2000, 90 (Rz. 49–51). 127 EuGH v. 18.11.1999 – Rs. C-107/98 – Teckal, NZBau 2000, 90 (Rz. 50).
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anderen Stellen der öffentlichen Verwaltung („Interstate-Vergaben“) gibt es nicht128. Ob die Teckal-Kriterien im Einzelfall erfüllt sind, wird üblicherweise unter dem Stichwort Inhouse-Vergabe diskutiert. Allein für diese Inhouse-Vergabe im weiten Sinne wird nachfolgend der Begriff der Inhouse-Vergabe verwendet. Die Teckal-Kriterien wendet der EuGH auf die Vergabe öffentlicher Auf- 39 träge (im Sinne des § 99 GWB) ebenso an129 wie auf die vom europäischen Richtlinienrecht und den §§ 97 ff. GWB (derzeit noch) nicht erfasste Vergabe von Dienstleistungskonzessionen 130. Besonderheiten gelten für die Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 im Bereich der öffentlichen Personenverkehrsdienste. Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung regelt die Vergabe solcher Aufträge an den sog. internen Betreiber. Diese Situation entspricht der Inhouse-Vergabe. Die in Art. 5 Abs. 2 der Verordnung aufgeführten Voraussetzungen weichen allerdings von denen ab, die der EuGH aus den Teckal-Kriterien ableitet. Es handelt sich um eine bereichsspezifische Regelung zu den Inhouse-Vergaben131, auf die an dieser Stelle nicht im Einzelnen eingegangen werden kann. Es muss auf die insoweit einschlägige Literatur verwiesen werden132. 1. Kontrollkriterium Erste Voraussetzung einer Inhouse-Vergabe ist somit die Feststellung, 40 dass ein Auftrag an eine juristisch verselbständigte Einheit vergeben wird, der Auftraggeber über die fragliche Einheit aber eine Kontrolle ausübt wie über eine eigene Dienststelle. Bei dieser Beurteilung sind alle Rechtsvorschriften und maßgebenden Umstände zu berücksichtigen. Die Prüfung muss zu dem Ergebnis führen, dass die zu beauftragende oder konzessionierende Einrichtung einer Kontrolle unterworfen ist, die es dem Auftrag- bzw. Konzessionsgeber ermöglicht, auf die Entscheidungen dieser Einrichtung einzuwirken. Es muss sich dabei um die Möglichkeit handeln, sowohl auf die strategischen Ziele als auch auf die wichtigen
128 EuGH v. 13.1.2005 – Rs. C-84/03 – Kommission ./. Spanien, NZBau 2004, 223 (Rz. 37 ff.). 129 Vgl. nur EuGH v. 18.11.1999 – Rs. C-107/98 – Teckal, NZBau 2000, 90; v. 11.1.2005 – Rs. C-26/03 – Stadt Halle, NZBau 2005, 111. 130 Vgl. nur EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C-458/03 – Parking Brixen, NZBau 2005, 644; v. 6.4.2006 – Rs. C-410/04 – ANAV, NZBau 2006, 326; v. 13.11.2008 – Rs. C-324/07 – Coditel Brabant, NZBau 2009, 54. Die insoweit bestehende Irrelevanz der Unterscheidung von Auftrag und Konzession betonend EuGH v. 10.9.2009 – Rs. C-573/07 – Sea, NZBau 2009, 797 (Rz. 35 ff.), ebenso EuGH v. 15.10.2009 – Rs. C-196/08 – Acoset, NZBau 2009, 804 (Rz. 51 f.). 131 OLG München v. 22.6.2011 – Verg 6/11, NZBau 2011, 701 (704). 132 Vgl. die Nachweise oben in Fn. 6. Otting/Ohler/Olgemöller
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Entscheidungen ausschlaggebenden Einfluss zu nehmen133. Daran fehlt es, wenn die Einrichtung eine Marktausrichtung erreicht hat, die eine Kontrolle durch den Auftraggeber schwierig macht134. 41 Ein Kriterium zur Beurteilung der Kontrolldichte ist die Rechtsform der Einrichtung. Bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung stehen den Gesellschaftern bereits von Gesetzes wegen weitreichende Einflussrechte zu. Im Hinblick auf eine Eigengesellschaft, die als GmbH verfasst ist, kann daher regelmäßig davon ausgegangen werden, dass die Anforderungen des Kontrollkriteriums erfüllt werden. Das gilt erst recht, wenn die Gesellschafter sich weitergehende Informations-, Weisungs- und Kontrollrechte vorbehalten haben, z.B. durch Einrichtung eines Aufsichtsrates135. Eine Aktiengesellschaft ist stärker gegenüber ihren Aktionären verselbstständigt. Das schließt die erforderliche Kontrolle nicht per se aus, macht aber eine genauere Prüfung der Umstände des Einzelfalls erforderlich136. Bedeutung ist insofern der Zusammensetzung der Beschlussorgane und dem Umfang der Befugnisse der Organe beizumessen, in denen die öffentlichen Stellen repräsentiert sind137. Die privatrechtlichen Rechtsformen der GmbH und Aktiengesellschaft sind zwischenzeitlich geradezu die klassischen Rechtsformen für kommunale Unternehmen. Die Landesgesetzgeber wollen den Kommunen jedoch zunehmend eine öffentlich-rechtlich ausgestaltete Alternative in Form der rechtsfähigen kommunalen Anstalt des öffentlichen Rechts eröffnen138. Bei solchen Anstalten ist das Kontrollkriterium regelmäßig erfüllt139. Auch ein Zweckverband ist eine juristisch eigenständige Person, der Aufgaben ohne Ausschreibung jedenfalls bei Vorliegen beider TeckalKriterien übertragen werden können140.
133 EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C-458/03 – Parking Brixen, NZBau 2005, 644 (Rz. 65); bestätigt etwa durch EuGH v. 11.5.2006 – Rs. C-340/04 – Carbotermo, NZBau 2006, 452 (Rz. 36); v. 13.11.2008 – Rs. C-324/07 – Coditel Brabant, NZBau 2009, 54 (Rz. 28); v. 10.9.2009 – Rs. C-573/07 – Sea, NZBau 2009, 797 (Rz. 65). 134 EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C-458/03 – Parking Brixen, NZBau 2005, 644 (Rz. 67); v. 10.9.2009 – Rs. C-573/07 – Sea, NZBau 2009, 797 (Rz. 66). 135 Vgl. BGH v. 12.6.2001 – X ZB 10/01, NZBau 2001, 517 (519); OLG Düsseldorf v. 28.7.2011 – Verg 20/11, NZBau 2012, 50 (51); OLG Hamburg v. 14.12.2010 – 1 Verg 5/10, NZBau 2011, 185 (186). 136 Kritisch zur Aktiengesellschaft nach italienischem Recht etwa EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C-458/03 – Parking Brixen, NZBau 2005, 644 (Rz. 67). 137 EuGH v. 13.11.2008 – Rs. C-324/07 – Coditel Brabant, NZBau 2009, 54 (Rz. 29 ff.). 138 Seit Dezember 2011 steht diese Möglichkeit auch den Kommunen in Hessen offen, vgl. § 126a HGO. 139 Vgl. etwa von Strenge, NordÖR 2011, 216 (217). 140 Zur Diskussion um die Notwendigkeit die Inhouse-Kriterien auf die Gründung von Zweckverbänden anzuwenden etwa OLG Düsseldorf v. 21.6.2006 – VII Verg 17/06, NZBau 2006, 662 (666). Aus der Literatur etwa Krajewski/ Wethkamp, DVBl 2008, 355 (361 f.).
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Der geographische Tätigkeitsbereich der Gesellschaft kann von Bedeu- 42 tung sein. Erstreckt sich dieser weit über die Grenzen der Gemeinde hinaus, kann dies für eine Marktausrichtung sprechen, die eine Kontrolle durch den Auftraggeber schwierig macht. Beschränkt sich der geographische Wirkungsbereich hingegen auf das Gebiet der Gemeinden, die die Kontrolle ausüben, und soll die Gesellschaft zudem ihrem Zweck nach öffentliche Dienstleistungen gerade für die Gemeinden erbringen, spricht das gegen eine Marktausrichtung, die einer Inhouse-Vergabe entgegensteht141. Im Übrigen ist die Befugnis des Unternehmens, Geschäftsbeziehungen mit Unternehmen des Privatsektors einzugehen, im Rahmen des Kontrollkriteriums grundsätzlich unerheblich; die maßgebliche Grenze zieht insoweit das Wesentlichkeitskriterium142. Das Kontrollkriterium kann erfüllt sein, wenn mehrere öffentliche Stel- 43 len gemeinsam die Kontrolle über die zu beauftragende bzw. zu konzessionierende Gesellschaft ausüben. Es kommt nicht darauf an, in welcher Höhe die einzelnen Gesellschafter beteiligt sind143, selbst eine Beteiligung von 0,25 % vermag für einzelne Gesellschafter die Kontrolle im Sinne des ersten Teckal-Kriteriums zu begründen144. Der EuGH erkennt an, dass anderes mit der Systematik der Gemeinschaftsvorschriften unvereinbar wäre. Eine öffentliche Stelle muss die Möglichkeit haben, zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht nur auf ihre eigenen Ressourcen zurückzugreifen. Sie muss auch die Möglichkeit haben, mit anderen öffentlichen Stellen zusammenzuarbeiten145. Die erforderliche Kontrolle kann mittelbar ausgeübt werden. Steht zwi- 44 schen der öffentlichen Stelle, die den Auftrag oder die Konzession vergibt, und der Einheit, die den Auftrag oder die Konzession erhalten soll, eine Holdinggesellschaft, kann dies je nach den Umständen des Einzelfalls die Kontrolle schwächen. Es ist aber nicht ohne Weiteres ausgeschlossen, dass der Auftrag oder die Konzession ohne Ausschreibung an das Enkelunternehmen vergeben werden darf146. Ausgeschlossen ist eine Kontrolle im Sinne des ersten Teckal-Kriteriums, 45 wenn am Kapital der Gesellschaft ein privates Unternehmen beteiligt ist – und zwar unabhängig von der Höhe dieser Beteiligung147. Bagatell- oder
141 EuGH v. 10.9.2009 – Rs. C-573/07 – Sea, NZBau 2009, 797 (Rz. 73, 76). 142 EuGH v. 10.9.2009 – Rs C-573/07 – Sea, NZBau 2009, 797 (Rz. 73, 79 f.). 143 EuGH v. 11.5.2006 – Rs C-340/04 – Carbotermo, NZBau 2006, 452 (Rz. 37); v. 22.10.2010 – Rs C-215/09 – Mehiläinen Oy, NZBau 2011, 312 (Rz. 31). Näher dazu etwa Krohn, NZBau 2009, 222 ff. 144 EuGH v. 19.4.2007 – Rs C-295/05 – Asemfo, EuZW 2007, 416 (Rz. 56 ff.). 145 EuGH v. 13.11.2008 – Rs C-324/07 – Coditel Brabant, NZBau 2009, 54 (Rz. 31, 47 ff.); v. 10.9.2009 – Rs C-573/07 – Sea, NZBau 2009, 797 (Rz. 54 ff.). 146 EuGH v. 11.5.2006 – Rs C-340/04 – Carbotermo, NZBau 2006, 452 (Rz. 39 f.); OLG Hamburg v. 14.12.2010 – 1 Verg 5/10, NZBau 2011, 185 (186). 147 EuGH v. 11.1.2005 – Rs C-26/03 – Stadt Halle, NZBau 2005, 111 (Rz. 49); bestätigt etwa durch EuGH v. 6.4.2006 – Rs C-410/04 – ANAV, NZBau 2006, 326 Otting/Ohler/Olgemöller
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Toleranzschwellen akzeptiert der EuGH nicht. Soll ein Auftrag oder eine Konzession an ein gemischt-wirtschaftliches Unternehmen vergeben werden – d.h. an eine Gesellschaft, an der öffentliche Stellen und Private beteiligt sind – ist dies ein ausschreibungspflichtiger Vorgang. Die Vergabe an ein gemischt-wirtschaftliches Unternehmen unter Verzicht auf eine Ausschreibung widerspräche dem Ziel eines freien und unverfälschten Wettbewerbs und dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Interessenten, weil dem am Kapital der Gesellschaft beteiligten privaten Unternehmen ein Vorteil gegenüber seinen Konkurrenten verschafft würde148. Das gilt auch, wenn die gesellschaftsrechtliche Beteiligung und die Beauftragung oder Konzessionierung zeitlich zusammenfallen, wie dies bei der Gründung von Public Private Partnership-Projekten der Fall ist. Zwar ist die Übertragung von Anteilen oder Aktien kein Beschaffungsvorgang, der in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fällt. Das befreit aber nicht von der Verpflichtung zur Ausschreibung im Falle der Vergabe eines Auftrags oder einer Konzession. Anteilsverkauf und Beauftragung bzw. Konzessionierung können aus Gründen der Verfahrensökonomie aber gemeinsam ausgeschrieben werden149. Diese Grundsätze sind entsprechend auf die Rekommunalisierung von Aufgaben anzuwenden150: Zieht eine Kommune eine Aufgabe, die zuvor von einem privaten Dritten oder einem gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen erfüllt wurde, wieder an sich, unterfällt das nur dann nicht dem Vergaberecht, wenn die Aufgabe künftig entweder von der Kommune mit eigenen Mitteln (also z.B. durch einen Eigenbetrieb) erfüllt wird oder von einer Gesellschaft, für die sowohl das Kontroll- als auch das Wesentlichkeitskriterium bejaht werden können. Ist im Zeitpunkt der Vergabe ein privates Unternehmen an der Gesellschaft (noch) nicht beteiligt, ist eine Inhouse-Vergabe grundsätzlich möglich. Anderes gilt, wenn die Umstände des Einzelfalls konkret erkennen lassen, dass eine solche Beteiligung während der Laufzeit des Vertrages zu erwarten ist151. Die Ausschreibungspflicht kann nicht umgangen wer-
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(Rz. 30 f.) oder durch EuGH v. 13.11.2008 – Rs C-324/07 – Coditel Brabant, NZBau 2009, 54 (Rz. 30); v. 15.10.2009 – Rs C-196/08 – Acoset, NZBau 2009, 804 (Rz. 53). Aus der deutschen Rechtsprechung etwa OLG Naumburg v. 29.4.2010 – 1 Verg 2/20, ZfBR 2010, 722 (723). EuGH v. 15.10.2009 – Rs C-196/08 – Acoset, NZBau 2009, 804 (Rz. 56). EuGH v. 15.10.2009 – Rs C-196/08 – Acoset, NZBau 2009, 804 (Rz. 58 ff.); zuvor bereits Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf die Anwendung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften für öffentliche Aufträge auf Institutionalisierte Öffentlich Private Partnerschaften (IÖPP) v. 5.2.2008, ABl. 2008 C 91/4. OLG Frankfurt a. M. v. 30.8.2011 – 11 Verg 3/11, ZfBR 2012, 77 (80). EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C-458/03 – Parking Brixen, NZBau 2005, 644 (Rz. 67); v. 10.9.2009 – Rs C-573/07 – Sea, NZBau 2009, 797 (Rz. 51). Zu restriktiv insoweit BGH v. 3.7.2008 – I ZR 145/05, NZBau 2008, 664 (Rz. 25), der jede „Beteiligungsmöglichkeit“ Privater als Hindernis einer Inhouse-Vergabe ansieht.
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den, indem die Gesellschaft zunächst beauftragt wird und kurz darauf die Anteile an einen privaten Dritten übertragen werden. Erscheint dies als „künstliche Konstruktion“, liegt darin keine zulässige Inhouse-Vergabe152. Erfolgt eine Inhouse-Vergabe in zulässiger Weise, stellt es sich als eine wesentliche Änderung der Bedingungen dieses Vertrages dar, wenn innerhalb der Gültigkeitsdauer des Vertrages eine Beteiligung Privater am Kapital der Gesellschaft erfolgt153. Ein solcher zur Neuausschreibung verpflichtender Fall liegt aber nicht vor, wenn der Auftrag ursprünglich im Wettbewerb vergeben wurde und sich später lediglich der Gesellschafterkreis ändert154. Das Kontrollkriterium muss also während der gesamten Vertragslaufzeit erfüllt sein. Nicht abschließend geklärt ist, ob eine mittelbare Beteiligung Privater an 46 der zu beauftragenden oder zu konzessionierenden Gesellschaft der Inhouse-Fähigkeit dieser Gesellschaft entgegensteht. Der BGH hat im Jahre 2008 festgestellt, eine Unterscheidung zwischen unmittelbarer und mittelbarer privater Beteiligung könne der Rechtsprechung des EuGH nicht entnommen werden. Ebenso wie das Kontrollkriterium durch eine Kette mittelbarer Beteiligungen öffentlicher Auftraggeber erfüllt werden könne, werde es ausgeschlossen, wenn sich Private mittelbar mit Stimmrecht an der Gesellschaft beteiligen oder Mitglied werden können155. Die Entscheidung betraf die Vergabe von Sachversicherungen an einen Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit. Das OLG Frankfurt a. M. sah sich im Jahre 2011 gleichwohl nicht gehindert, die Frage aufzuwerfen, ob „Splitterbesitz in privater Hand auf der vierten Beteiligungsebene“ das Kontrollkriterium ausschließt156. Das Gericht verwies seinerseits auf die Rechtsprechung des EuGH und betonte, dass hiernach maßgeblich sei, ob die öffentlichen Auftraggeber ausschlaggebenden Einfluss auf die strategischen Ziele und die wichtigen Entscheidungen der Gesellschaft haben. Das hielt das OLG Frankfurt a. M. für möglich, ließ die Frage aber letztlich offen.
152 EuGH v. 10.11.2005 – Rs C-29/04 – Kommission ./. Österreich („Mödlingen“), NZBau 2005, 704 (Rz. 39 ff.). 153 EuGH v. 10.9.2009 – Rs C-573/07 – Sea, NZBau 2009, 797 (Rz. 53). 154 OLG Naumburg v. 29.4.2010 – 1 Verg 2/20, ZfBR 2010, 722 (723 f.). 155 BGH v. 3.7.2008 – I ZR 145/05, NZBau 2008, 664 (Rz. 28). 156 OLG Frankfurt a. M. v. 30.8.2011 – 11 Verg 3/11, ZfBR 2012, 77 (80 f.). In diesem Sinne ist wohl auch zu verstehen das Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen über die Anwendung des EU-Vergaberechts im Fall von Beziehungen zwischen öffentlichen Auftraggebern (öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit), SEK(2011) 1169 endg v. 4.10.2011, S. 14. Otting/Ohler/Olgemöller
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2. Wesentlichkeitskriterium 47 Im Mittelpunkt der Diskussion um die Inhouse-Fähigkeit kommunaler Gesellschaften stand lange Zeit das Kontrollkriterium. Die Diskussion um das Wesentlichkeitskriterium gewinnt erst in jüngerer Zeit an Dynamik. Grundlegend sind nach wie vor die Ausführungen des EuGH in der Rechtssache Carbotermo157. Hiernach soll das Wesentlichkeitskriterium insbesondere sicherstellen, dass eine Ausschreibungspflicht besteht, wenn ein von einer oder mehreren Körperschaften kontrolliertes Unternehmen auf dem Markt tätig ist und daher mit anderen Unternehmen in Wettbewerb treten kann. In einer solchen Wettbewerbsposition besteht kein Grund, das Unternehmen durch Inhouse-Vergaben gegenüber seinen Wettbewerbern zu privilegieren158. Das Unternehmen müsse hauptsächlich für seine Gesellschafter tätig werden und jede andere Tätigkeit nur rein nebensächlich sein. Um dies zu beurteilen, seien alle qualitativen und quantitativen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen159. Maßgeblich ist demzufolge vor allem der Umsatz, den das Unternehmen aufgrund der Vergabeentscheidung der kontrollierenden Körperschaft erzielt, und zwar einschließlich des Umsatzes, der in Ausführung solcher Entscheidungen mit Nutzern erzielt wird. Zu berücksichtigen seien alle Tätigkeiten, die das Unternehmen als Auftraggeber im Rahmen einer Vergabe verrichtet, ohne dass die Person des Begünstigten – sei es der öffentliche Auftraggeber selbst oder die Nutzer der Leistung – von Bedeutung ist. Es komme auch nicht darauf an, ob Auftraggeber oder Nutzer das Unternehmen vergüten, und ebenso wenig spiele eine Rolle, in welchem Gebiet die Leistungen erbracht werden. Kontrollieren mehrere öffentliche Stellen das Unternehmen, kann das Wesentlichkeitskriterium erfüllt sein, wenn das Unternehmen seine Tätigkeit im Wesentlichen für alle diese öffentlichen Stellen insgesamt verrichtet160. 48 In welcher Höhe Umsätze mit Dritten zulässig sind, um von einem rein nebensächlichen Drittgeschäft ausgehen zu können, ist in der Rechtsprechung nicht abschließend geklärt. Der EuGH hat einen Umsatz von 90 % mit den die Kontrolle ausübenden öffentlichen Stellen genügen lassen, um das Wesentlichkeitskriterium zu bejahen161. Der BGH hat die Erfüllung des Wesentlichkeitskriteriums im Hinblick auf ein Unternehmen in Zweifel gezogen, das satzungsgemäß bis zu 10 % Drittgeschäft machen durfte162. Zu diesen Drittumsätzen zählen Umsätze, die eine kommunale
157 EuGH v. 11.5.2006 – Rs C-340/04 – Carbotermo, NZBau 2006, 452 (Rz. 60 ff.). 158 OLG Hamburg v. 14.12.2010 – 1 Verg 5/10, NZBau 2011, 185 (186). 159 Hiervon ausgehend etwa auch OLG Celle v. 29.10.2009 – 13 Verg 8/09, NZBau 2010, 194 (Rz. 44), sowie OLG Hamburg v. 14.12.2010 – 1 Verg 5/10, NZBau 2011, 185 (186 f.). 160 Ebenso später EuGH v. 13.11.2008 – Rs C-324/07 – Coditel Brabant, NZBau 2009, 54 (Rz. 44). 161 EuGH v. 19.4.2007 – Rs C-295/05 – Asemfo, EuZW 2007, 416 (Rz. 63). 162 BGH v. 3.7.2008 – I ZR 145/05, NZBau 2008, 664 (Rz. 31).
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Gesellschaft mit einem Zweckverband und/oder dessen Mitgliedern macht, soweit der Zweckverband und/oder dessen Mitglieder keine Kontrolle über die Gesellschaft ausüben, d.h. nicht am Kapital der Gesellschaft beteiligt sind163. Im Übrigen ist in konsequenter Fortführung der Rechtsprechung des EuGH zu den Konsequenzen eines nachträglichen Eintritts eines privaten Gesellschafters davon auszugehen, dass die Wesentlichkeitsschwelle während der gesamten Vertragslaufzeit nicht überschritten werden darf. Anderes stellt eine wesentliche Änderung der Bedingungen der Auftragsvergabe dar, die regelmäßig eine (Neu-) Ausschreibung des Vertrages erforderlich macht164. Das OLG Celle ist von einer wesentlichen Tätigkeit für Dritte in einem 49 Fall ausgegangen, in dem das Unternehmen 7,5 % seines Umsatzes mit Dritten erwirtschaftet hat165. In einer Entscheidung hat das OLG Celle für die Berechnung des Umsatzes mit Dritten nicht nur auf den Umsatz der zu beauftragenden Gesellschaft abgestellt, sondern dieser die Drittumsätze einer Tochtergesellschaft zugerechnet166. Diese Rechtsprechung dürfte den besonderen Umständen des Einzelfalls geschuldet gewesen sein. Mutter- und Tochtergesellschaft nutzten einen einheitlichen Internetauftritt, es wurde ein konsolidierter Jahresabschluss erstellt und die Tochtergesellschaft war ohne die personelle und sachliche Ausstattung der Muttergesellschaft nicht arbeitsfähig167. Jenseits solcher Umgehungskonstellationen ist daran festzuhalten, rechtlich verselbständigte Gesellschaften jeweils eigenständig auf ihre Inhouse-Fähigkeit zu beurteilen168. Denn für die Beurteilung, ob eine zu beauftragende oder zu konzessionierende Gesellschaft auf dem Markt tätig ist, kann es grundsätzlich nur auf deren Stellung im Markt ankommen. Anderes hieße, dass kommunale Konzernstrukturen künftig nur noch in sehr eingeschränktem Umfang zulässig wären, da stets zu prüfen wäre, ob und in welchem Umfang einzelne Gesellschaften Drittumsatz tätigen. Diese Gesellschaften müssten dann aus dem Konzern ausgegliedert werden und entweder direkt an die Kommune angebunden oder in eine separate Konzernstruktur eingebunden werden. Im Ergebnis blieben die Gesellschaften – die (insbesondere kommunalwirtschaftsrechtliche) Zulässigkeit ihrer Tätigkeit im Übrigen unterstellt – am Markt tätig. Die Zurechnung von Drittumsatz im kommunalen Konzern führt somit regelmäßig nur zu Umstrukturierungs-
163 OLG Düsseldorf v. 28.7.2011 – Verg 20/11, NZBau 2012, 50 (52). 164 OLG Düsseldorf v. 28.7.2011 – Verg 20/11, NZBau 2012, 50 (53) unter Hinweis auf EuGH v. 10.9.2009 – Rs C-573/07 – Sea, NZBau 2009, 797 (Rz. 53). Dazu etwa auch Dunckhein/Bremke, KommJur 2012, 128 ff. 165 OLG Celle v. 14.9.2006 – 13 Verg 2/06, VergabeR 2007, 79 (81). 166 OLG Celle v. 29.10.2009 – 13 Verg 8/09, NZBau 2010, 194 (Rz. 44 ff.). 167 Auf fehlendes Personal abstellend auch, die Frage der Zurechnung im Ergebnis aber offen lassend OLG Düsseldorf v. 28.7.2011 – Verg 20/11, NZBau 2012, 50 (52). 168 Schröder NVwZ 2011, 776 (778 f.). Otting/Ohler/Olgemöller
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bedarf, der – da er auf die Marktsituation ohne Auswirkungen bleibt – als sachlich nicht gerechtfertigt anzusehen ist. 50 Ein besonders restriktives Verständnis leitet die jüngere Rechtsprechung aus der Formulierung des EuGH in der Carbotermo-Entscheidung ab, wonach der Umsatz maßgebend sein soll, den das Unternehmen aufgrund der Vergabeentscheidung der kontrollierenden Körperschaft erzielt169. Daraus hat erstmals das OLG Hamburg auf das Erfordernis eines Kausalitätszusammenhangs zwischen der Vergabeentscheidung und dem Umsatz des Unternehmens geschlossen, der nicht als (schädlicher) Drittumsatz angesehen werden soll170. An einem solchen Zusammenhang fehle es jedenfalls bei der Belieferung von Privatkunden mit Strom. Infolge der Liberalisierung des Energiemarktes könnten diese zwischen einer Vielzahl von Anbietern wählen. Erbringe das Unternehmen Leistungen gegenüber den Privatkunden, beruhe das nicht auf der Vergabeentscheidung der Kommune, sondern auf der autonomen Entscheidung der Privatkunden. Konsequenz dieser Rechtsprechung ist, dass viele Stadtwerke nicht mehr Inhouse-fähig sind, die Kommunen ihren Bedarf an Strom also ausschreiben müssten. Erste Reaktionen in der Literatur sehen die Entscheidung kritisch. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass das OLG Hamburg sich nicht mit dem Umstand auseinander gesetzt hat, dass das kommunale Stromversorgungsunternehmen zumeist die Grundversorgungspflicht mit Energie nach §§ 36 ff. EnWG erfülle. Angesichts dessen könne sehr wohl davon ausgegangen werden, dass die Kunden, die sich nicht bewusst für ein anderes Energieversorgungsunternehmen entschieden haben, sich doch für das von der Kommune ausgewählte Unternehmen entschieden haben. Damit wäre der Kausalitätszusammenhang jedenfalls im Hinblick auf die Privatkunden gegeben, die innerhalb des Gebiets der Kommune mit Strom beliefert werden171. Das OLG Frankfurt a. M. ist der Rechtsprechung des OLG Hamburg gefolgt und hat ebenfalls festgestellt, dass die Umsätze, die auf den liberalisierten Energiemärkten erzielt werden, der die Gesellschaft kontrollierenden Kommunen nicht zugerechnet werden können. Anderes gelte jedoch im Bereich der Trinkwasserversorgung. Dieser Bereich sei nicht liberalisiert. Umsätze, die eine Gesellschaft insoweit erwirtschafte, seien der beauftragenden oder konzessionierenden Kommune zuzurechnen und stellten daher keine Drittumsätze im Sinne des Wesentlichkeitskriteriums dar172. 51 Schließlich spielt im Rahmen des Wesentlichkeitskriteriums keine Rolle, ob die Gesellschaft die Leistungen, die sie zur Erbringung ihrer Leistungen benötigt, selbst erbringt oder diese am Markt beschafft. Dem zweiten Teckal-Kriterium kann kein Eigenleistungsgebot oder Untervergabeverbot entnommen werden. Das gilt jedenfalls dann, wenn keine 169 170 171 172
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EuGH v. 11.5.2006 – Rs C-340/04 – Carbotermo, NZBau 2006, 452 (Rz. 65). OLG Hamburg v. 14.12.2010 – 1 Verg 5/10, NZBau 2011, 185 (187). Schröder, NVwZ 2011, 776 (779). OLG Frankfurt a. M. v. 30.8.2011 – 11 Verg 3/11, ZfBR 2012, 77 (81).
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Umgehung von Ausschreibungspflichten droht, etwa weil die inhouse-beauftragte Gesellschaft ihrerseits ausschreibungspflichtig ist, sei es als Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB oder als Sektorenauftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 4 GWB173.
II. Nichtinstitutionalisierte Zusammenarbeit Inhouse-Vergaben setzen die Gründung einer rechtlich verselbstständig- 52 ten Stelle voraus, sei es als juristische Person des privaten oder des öffentlichen Rechts. Inhouse-Vergabe lässt sich daher als institutionelle Zusammenarbeit bezeichnen174. Öffentliche Stellen können auch ohne Gründung einer gemeinsam kontrollierten Inhouse-Einrichtung zusammenarbeiten. Diese Konstellationen werden unter dem Stichwort der nichtinstitutionalisierten Zusammenarbeit diskutiert175. 1. Horizontale Zusammenarbeit zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben Eine Zusammenarbeit öffentlicher Auftraggeber auf vertraglicher Grund- 53 lage hat der EuGH in seiner Entscheidung Stadtreinigung Hamburg für zulässig erachtet176. Vier Landkreise aus dem Hamburger Umland hatten mit der Stadtreinigung Hamburg – einer Anstalt des öffentlichen Rechts und als solche ihrerseits öffentlicher Auftraggeber – einen Vertrag über die Entsorgung ihrer Abfälle in einer neu errichteten Müllverbrennungsanlage abgeschlossen, ohne dass dem eine Ausschreibung vorangegangen war. Nicht Gegenstand des Vertrages war der Betrieb der Müllverbrennungsanlage. Den Betrieb hatte die Stadtreinigung Hamburg einer Gesellschaft übertragen, an deren Kapital Private beteiligt waren. Der EuGH stellte eingangs klar, dass sich die Frage einer ausschreibungsfreien Zusammenarbeit nur auf den Vertrag zwischen den Landkreisen und der Stadtreinigung beziehe, nicht auf den Vertrag zwischen der Stadtreinigung und dem Betreiber. Letzterer ist grundsätzlich ausschreibungspflichtig. Weiterhin stellte der EuGH (zutreffend) fest, dass im Verhältnis der Landkreise und der Stadtreinigung untereinander die Inhouse-Kriterien nicht vorlagen.
173 Vgl. OLG Düsseldorf v. 2.3.2011 – Verg 48/10, NZBau 2011, 244 ff. 174 Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen über die Anwendung des EUVergaberechts im Fall von Beziehungen zwischen öffentlichen Auftraggebern (öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit), SEK(2011) 1169 endg v. 4.10.2011, S. 7. 175 Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen über die Anwendung des EUVergaberechts im Fall von Beziehungen zwischen öffentlichen Auftraggebern (öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit), SEK(2011) 1169 endg v. 4.10.2011, S. 15. 176 EuGH v. 9.6.2009 – Rs C-480/06 – Kommission ./. Deutschland („Stadtreinigung Hamburg“), EuZW 2009, 529 (insb. Rz. 31 ff.). Otting/Ohler/Olgemöller
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Der EuGH verwies jedoch auf seine ständige Rechtsprechung zur Rechtfertigung des Inhouse-Privilegs177. Den öffentlichen Stellen müsse es möglich sein, die ihnen obliegenden Aufgaben mit ihren eigenen Mitteln und auch in Zusammenarbeit mit anderen öffentlichen Stellen zu erfüllen, ohne gezwungen zu sein, sich an externe Einrichtungen zu wenden. Eine spezielle Rechtsform schreibe das Unionsrecht dazu nicht vor. Entscheidend sei, dass die Ziele der unionsrechtlichen Vorschriften über die öffentliche Auftragsvergabe – der freie Dienstleistungsverkehr und die Eröffnung eines unverfälschten Wettbewerbs in allen Mitgliedstaaten – nicht in Frage gestellt werden. Deshalb sei eine Gleichbehandlung aller Interessenten an einem öffentlichen Auftrag zu gewährleisten, kein privates Unternehmen dürfe besser gestellt werden als seine Wettbewerber. Das Vergaberecht dürfe durch öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit nicht umgangen werden. Der EuGH legte eingehend die zwischen den Landkreisen und der Stadtreinigung vertraglich vereinbarten Bedingungen der Zusammenarbeit dar178. So sei die Abfallentsorgung eine öffentliche Aufgabe, deren Erfüllung allen Vertragspartnern obliege. Der Vertrag sei zudem Ergebnis einer gemeinsamen Initiative zur kommunalen Zusammenarbeit, da die Errichtung der Anlage erst nach Vertragsschluss beschlossen und durchgeführt wurde. Das von den Landkreisen an die Stadtreinigung zu zahlende Entgelt beschränkte sich zudem auf eine anteilige Erstattung der Kosten. Die Vertragspartner hätten weiterhin eine Reihe von Regelungen getroffen, die mit dem Gegenstand der öffentlichen Aufgabe unmittelbar im Zusammenhang stünden, etwa der Verzicht auf nicht genutzte Kapazitäten zugunsten der Stadtreinigung oder die Verpflichtung zur Rücknahme von Müllverbrennungsschlacke. Auch müssten die Landkreise bei temporärer Überlastung der Anlage die anzuliefernden Abfallmengen reduzieren und somit „in Notfällen Beistand“ bei der Erfüllung der Entsorgungspflicht leisten. Schließlich sei ausschlaggebend, dass der Vertrag ausschließlich zwischen öffentlichen Stellen ohne Beteiligung Privater geschlossen wurde. 54 Die Kommission geht in ihrem Arbeitspapier zur öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit davon aus, dass eine nichtinstitutionalisierte öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit auch in anderen Fällen nach Maßgabe der Stadtreinigung Hamburg-Rechtsprechung zulässig ist179. Entscheidend ist nach Ansicht der Kommission, dass (i) die Vereinbarung nur zwi177 EuGH v. 9.6.2009 – Rs C-480/06 – Kommission ./. Deutschland („Stadtreinigung Hamburg“), EuZW 2009, 529 (Rz. 44 ff.). 178 EuGH v. 9.6.2009 – Rs C-480/06 – Kommission ./. Deutschland („Stadtreinigung Hamburg“), EuZW 2009, 529 (Rz. 37 ff.). 179 Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen über die Anwendung des EUVergaberechts im Fall von Beziehungen zwischen öffentlichen Auftraggebern (öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit), SEK(2011) 1169 endg v. 4.10.2011, S. 15.
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schen öffentlichen Auftraggebern und ohne Beteiligung privaten Kapitals geschlossen wird, (ii) die Vereinbarung auf einer „echten Zusammenarbeit“ mit dem Ziel einer gemeinsamen Erfüllung einer gemeinsamen Aufgabe beruhe und sich insoweit von einem normalen öffentlichen Auftrag unterscheide und (iii) die Zusammenarbeit nur durch Überlegungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse bestimmt sei. Auf dieser Linie bewegt sich auch die zwischenzeitlich ergangene vergaberechtliche Rechtsprechung. Sie stellt maßgeblich auf die Umstände des Einzelfalls ab und bejaht eine ausschreibungsfreie Zusammenarbeit auf vertraglicher Grundlage nur, wenn der fragliche Vertrag sich im Ergebnis nicht als klassischer Vertrag über die Beschaffung einer Leistung am Markt darstelle180. Ein solcher Vertrag ist auch dann ausschreibungspflichtig, wenn er zwischen öffentlichen Auftraggebern abgeschlossen werden soll181. Die ausführliche Prüfung der Umstände des Einzelfalls, die der EuGH in 55 seiner Stadtreinigung Hamburg-Entscheidung vorgenommen hat, lässt es ratsam erscheinen, bei Verallgemeinerungen der Entscheidung grundsätzlich Vorsicht walten zu lassen. So hat der EuGH in einer nur wenige Wochen später ergangenen Entscheidung, in der es ebenfalls um einen Vertrag zwischen öffentlichen Stellen ging, seine Rechtsprechung in Sachen Stadtreinigung Hamburg nicht einmal erwähnt182. Auch in seiner nachfolgenden Rechtsprechung hat der EuGH das Urteil Stadtreinigung Hamburg bisher nicht aufgegriffen oder die darin entwickelten Maßstäbe konkretisiert. Entscheidend wird sein, im Einzelfall feststellen zu können, dass die Interessenslage zwischen den kooperierenden Stellen eine andere ist als die der Parteien eines Liefer-, Bau- oder Dienstleistungsvertrages. Ein bedeutendes Indiz wird dabei die Art der Vergütung sein. Diese sollte lediglich kostendeckend kalkuliert werden. Für eine Zusammenarbeit spricht auch, wenn allen Beteiligten die Erfüllung derselben öffentlichen Aufgabe obliegt. Andernfalls liegt die Annahme eines marktüblichen Austauschverhältnisses vor. Entscheidend ist schließlich, dass eine Beteiligung Privater ausgeschlossen wird183.
180 OLG Celle v. 29.10.2009 – 13 Verg 8/09, NZBau 2010, 194 (Rz. 49) (ebenfalls zu einem Entsorgungsvertrag). Zum Begriff der öffentlichen Aufgabe in diesem Zusammenhang OLG Düsseldorf v. 28.7.2011 – Verg 29/11, NZBau 2012, 50 (52). 181 Vgl. nur EuGH v. 13.1.2005 – Rs C-84/03 – Kommission ./. Spanien, NZBau 2005, 232 (Rz. 37 ff.). 182 EuGH v. 15.10.2009 – Rs C-275/08 – Kommission ./. Deutschland (Kfz-Zulassungssoftware), NZBau 2010, 63 ff. 183 Vgl. zu alldem auch Hövelberndt, NWVBl. 2011, 161 (165 f.); Hausmann/ Mutschler-Seibert, VergabeR 2010, 427 ff. Otting/Ohler/Olgemöller
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2. Mandatierende und delegierende Aufgabenübertragung 56 Nach den Gesetzen der Länder über kommunale Zusammenarbeit steht kommunalen Körperschaften vielfach die Möglichkeit offen, öffentlichrechtliche Verträge über die Erfüllung bestimmter Aufgaben zu schließen. Dabei kann zwischen mandatierenden und delegierenden Vereinbarungen unterschieden werden. Mandatierende Vereinbarungen begründen lediglich die Verpflichtung, einzelne Aufgaben für die Beteiligten durchzuführen184. Delegierende Vereinbarungen gehen darüber hinaus und führen zur Übernahme einer Aufgabe durch einen Beteiligten mit der Folge des Zuständigkeitswechsels185. Die Rechtsprechung hat mandatierende Vereinbarungen regelmäßig als ausschreibungspflichtige Aufträge angesehen, weil sie sich ihrem Charakter nach von einer entgeltlichen Beschaffung nicht unterscheiden186. Vereinzelt wurden darüber hinaus delegierende Vereinbarungen als ausschreibungspflichtig angesehen187. Ganz überwiegend wird eine Ausschreibungspflicht delegierender Vereinbarungen mit der Begründung verneint, dass es sich bei der Delegation um einen innerstaatlichen Organisationsakt handele. Wesen und Inhalt der Delegation sei die vollständige Aufgabenübertragung mit dem Ziel, die Aufgaben in kommunaler Zuständigkeit zu belassen und sie eben nicht auf dem Markt einem privaten Dritten zu übertragen. Es fehle am Marktbezug, weil es um die Zuständigkeitsübertragung keinen Wettbewerb gebe188. 57 Mit Vorlagebeschluss vom 6.7.2011 hat das OLG Düsseldorf den EuGH mit der Frage nach der Reichweite der Gesetze über kommunale Zusammenarbeit befasst189. Ohne Ausschreibung hatten ein Landkreis und eine im Landkreis gelegene Stadt einen Vertrag über die Reinigung von Gebäuden geschlossen, die im Besitz des Landkreises stehen und im Gebiet der Stadt gelegen sind. Die Übernahme der Aufgabe sollte befreiende Wirkung für den Landkreis haben, die Stadt eine Kostenerstattung erhalten. Die Durchführung der Arbeiten sollte einer Tochtergesellschaft der Stadt übertragen werden. Das OLG Düsseldorf bezweifelt, dass derartige Hilfsgeschäfte zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben, die wirtschaftlich praktisch identisch mit öffentlichen Aufträgen im Sinne der Richtlinien bzw. des § 99 GWB sind, aus dem Anwendungsbereich des Vergaberechts fallen. 184 Vgl. etwa § 23 Abs. 1 Alt. 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes über kommunale Gemeinschaftsarbeit des Landes Nordrhein-Westfalen. 185 Vgl. etwa § 23 Abs. 1 Alt. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über kommunale Gemeinschaftsarbeit des Landes Nordrhein-Westfalen. 186 OLG Düsseldorf v. 5.5.2004 – VII Verg 78-03, NZBau 2004, 398 ff.; OLG Frankfurt a. M. v. 7.9.2004 – Verg 11/04, NZBau 2004, 692 ff. 187 OLG Naumburg v. 3.11.2005 – 1 Verg 9/05, NZBau 2006, 58 ff. und v. 2.3.2006 – 1 Verg 1/06, NZBau 2006, 667 ff. 188 Krajewski/Wethkamp, DVBl 2008, 355 (362); nach dem Umfang der vorbehaltenen Rechte differenzierend bereits Greb, VergabeR 2008, 409 (414). 189 OLG Düsseldorf v. 6.7.2011 – Verg 39/11, NZBau 2011, 769 ff.
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Bis zur Entscheidung des EuGH über die Vorlage des OLG Düsseldorfs 58 bietet das Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen über öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit Anhaltspunkte für eine rechtssichere Ausgestaltung190. Dort erkennt die Kommission an, dass die Organisation der nationalen Verwaltung als solche nicht in den Zuständigkeitsbereich der EU falle. Es obliegt hiernach den Mitgliedstaaten, ihre Verwaltung umzustrukturieren und als Teil dieser Umstrukturierung eine Übertragung von Zuständigkeiten für bestimmte öffentliche Aufgaben von einer öffentlichen Behörde auf eine andere zu ermöglichen – sofern keine Stellen mit privatem oder gemischtem Kapital beteiligt sind. Die Übertragung der Zuständigkeit für eine bestimmte öffentliche Aufgabe von einer öffentlichen Stelle auf die andere bedeute, dass sowohl die öffentliche Gewalt als auch jegliche damit zusammenhängende Wirtschaftstätigkeiten übertragen werden. Daran fehle es insbesondere, wenn (i) die öffentliche Einrichtung, die ursprünglich zuständig war, zuständig bleibt, weil die Aufgabe rechtlich nicht übertragbar ist, (ii) die neue Einrichtung erst nach Genehmigung durch die bisher zuständige Stelle die rechtlich relevante Tätigkeit wahrnehmen kann und (iii) die neue Einrichtung für die Erfüllung ihrer Aufgabe von der ursprünglich zuständigen Stelle finanziert wird, so dass ihr kein Handlungsspielraum verbleibt. Das entscheidende Merkmal einer Übertragung sei die Vollständigkeit der Übertragung. Der übertragenden Stelle dürfe keine Verantwortung verbleiben – die neue Stelle müsse die Zuständigkeit unabhängig und in eigener Verantwortung wahrnehmen. 3. Bildung von Einkaufsgemeinschaften In ihrer Mitteilung über die öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit hat 59 die Kommission ausdrücklich gemeinsame oder zentrale Beschaffungsvereinbarungen benannt191. In der Tat spricht das geltende Richtlinienrecht diese Option ausdrücklich an192 und daran halten die Vorschläge der Kommission zur Novellierung des europäischen Rechtsrahmens aus Dezember 2011 fest193. Die Kommission unterscheidet zwei Modelle: Die Stelle, die das zentrale Beschaffungsverfahren durchführt, könne als Großhändler tätig sein, der für andere Auftraggeber erwirbt. Alternativ könne die Stelle als Zwischenhändler agieren, durch den andere Auftrag190 Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen über die Anwendung des EUVergaberechts im Fall von Beziehungen zwischen öffentlichen Auftraggebern (öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit), SEK(2011) 1169 endg. v. 4.10.2011. 191 Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen über die Anwendung des EUVergaberechts im Fall von Beziehungen zwischen öffentlichen Auftraggebern (öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit), SEK(2011) 1169 endg. v. 4.10.2011, S. 26 f. 192 Vgl. nur Art. 1 Abs. 9 und Art. 11 der Richtlinie 2004/18/EG. 193 Art. 35 des Vorschlags der Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die öffentliche Auftragsvergabe, KOM(2011) 896/2. Otting/Ohler/Olgemöller
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geber Waren und Leistungen erwerben. Nach deutschem Zivilrecht umschreibt das die unmittelbare und mittelbare Stellvertretung. In beiden Fällen, so die Kommission, müsse kein Vergabeverfahren hinsichtlich der Beziehungen zwischen der zentralen Beschaffungsstelle und den hinter ihr stehenden Auftraggebern durchgeführt werden, wenn die zentrale Beschaffungsstelle ihre Aufträge im Einklang mit dem für die Auftraggeber geltenden Vergaberecht vergeben. Die Weitergabe der zentral beschafften Waren und Dienstleistungen im Innenverhältnis ist also frei von vergaberechtlichen Bindungen. 60 Die Bildung kommunaler Einkaufsgemeinschaften oder Einkaufskooperationen stellt grundsätzlich keinen Verstoß gegen das Kartellverbot nach § 1 GWB dar. Die Gemeinden können sich auf § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 GWB berufen194. Ob die Einkaufsgemeinschaft im Einzelfall zulässigerweise gebildet wurde oder nicht, kann nicht im Vergabenachprüfungsverfahren überprüft werden. Die behauptete Unzulässigkeit muss vor den ordentlichen Gerichten geltend gemacht werden. Ein Verstoß gegen das Kartellverbot nach § 1 GWB ist kein Verstoß gegen bieterschützende Vorschriften im Sinne des § 97 Abs. 7 GWB195.
III. Auftragsvergaben von kommunalen Unternehmen 61 Kommunale Unternehmen stellen sich vielfach als öffentliche Auftraggeber dar. Sind sie rechtlich nicht verselbständigt, greift § 98 Nr. 1 GWB. Sind sie rechtlich verselbständigt können sie § 98 Nr. 2 GWB unterfallen. Hierneben kommt vor allem ihre Qualifikation als Sektorenauftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 4 GWB in Betracht. Als öffentliche Auftraggeber können sich auch kommunale Unternehmen auf die Inhouse-Rechtsprechung berufen, um Aufträge an Tochtergesellschaften zu vergeben. Sie können sich an nichtinstitutionalisierten Formen der Zusammenarbeit beteiligen und grundsätzlich auch Einkaufsgemeinschaften bilden. 62 Sektorenauftraggeber können sich auf das sog. Konzernprivileg des § 100b Abs. 6 bis 9 GWB berufen, das die Flexibilität der Vergabe von Aufträgen zwischen konzernangehörigen Gesellschaften vereinfacht196. Inwieweit Unternehmen, die keine Sektorenauftraggeber und deshalb an die Grundsätze der Inhouse-Vergaben gebunden sind, Aufträge an Mutter- und Schwestergesellschaften vergeben können, ist ungeklärt197. Die Kommis-
194 Vgl. BGH v. 12.11.2002 – KZR 11/01, NVwZ 2003, 1012 ff. (noch zur Vorgängerreglung des § 4 Abs. 2 GWB a.F.). 195 VK Bund v. 1.2.2011 – VK 3-135/10; v. 20.3.2009 – VK 3-34/09; Ax/Ottenströer, IBR online 2011, 1236. Vgl. dazu auch Fehling in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 97 GWB Rz. 33, oder Bunte in Langen/Bunte, GWB-Kommentar, Band 1, 2011, § 1 GWB Rz. 159 ff. 196 Näher dazu etwa Greb, VergabeR 2009, 140 ff. 197 Zu Lösungsansätzen in der Literatur etwa Elbel, VergabeR 2011, 185 ff.
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sion hat sich in ihrem Arbeitsdokument über die öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit für die Zulässigkeit von Auftragsvergaben durch ein kontrolliertes Unternehmen an die Muttergesellschaft ausgesprochen. Im Falle einer solchen Bottom-up-Auftragsvergabe gelte die Logik der Inhouse-Rechtsprechung. Inhouse-Vergaben zwischen Schwesterunternehmen sieht die Kommission wegen der fehlenden Kontrolle des einen über das andere Unternehmen als kritisch. Es könne allerdings formal der Inhouse-Rechtsprechung entsprechen, wenn z.B. ein öffentlicher Auftraggeber über zwei Inhouse-Unternehmen die Kontrolle ausübe und bestimmte Waren oder Leistungen bei einem dieser Unternehmen mit der Maßgabe bestellt, diese direkt an das andere Unternehmen zu leisten. Dem ist zuzustimmen. Denn wird das Kontrollkriterium über die Muttergesellschaft erfüllt, stellt sich auch die Auftragsvergabe unter Schwestergesellschaften grundsätzlich als Verwaltungsinternum dar198. Anspruchsvoll ist dann ebenso regelmäßig die Prüfung, ob das Wesentlichkeitskriterium in derartigen Dreieck-Konstellationen erfüllt ist.
IV. Risiken unzulässiger de facto-Vergaben Erteilt ein öffentlicher Auftraggeber einen öffentlichen Auftrag unmittel- 63 bar an einen Auftragnehmer, ohne andere Unternehmen an dem Vergabeverfahren zu beteiligen und ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist, ist ein solcher Vertrag von Anfang an unwirksam, wenn dieser Verstoß in einem Nachprüfungsverfahren festgestellt worden ist (§ 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB). Der Tatbestand einer solchen de facto-Vergabe ist erfüllt, wenn ein Auftrag unter Berufung auf die Inhouse-Kriterien direkt vergeben werden soll, ohne dass das Kontroll- und das Wesentlichkeitskriterium erfüllt sind199. Die Unwirksamkeit kann gem. § 101b Abs. 2 Satz 1 GWB allerdings nur festgestellt werden, wenn ein Nachprüfungsantrag innerhalb von 30 Kalendertagen ab Kenntnis des Verstoßes, jedoch nicht später als sechs Monate nach Vertragsschluss gestellt wird. Wird im EU-Amtsblatt eine Bekanntmachung über vergebene Aufträge veröffentlicht, verkürzt sich die Frist für die Geltendmachung der Unwirksamkeit gem. § 101b Abs. 2 Satz 2 GWB auf 30 Kalendertage ab Veröffentlichung der ex post Bekanntmachung.
198 Wie hier etwa Just, EuZW 2009, 879 (884), oder Krajewski/Wethkamp, DVBl 2008, 355 (359). 199 Vgl. nur Braun in Ziekow/Völling, Vergaberecht, § 101b GWB Rz. 49 f. Otting/Ohler/Olgemöller
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D. Beteiligung kommunaler Unternehmen an Vergabeverfahren 64 Beteiligen sich kommunale Unternehmen als Bieter an einem Vergabeverfahren, stellt sich die Frage, ob spezifische Ausschlusstatbestände bestehen, die für private Konkurrenten keine Geltung beanspruchen. Einen solchen spezifischen Ausschlusstatbestand begründen § 19 EG Abs. 7 VOL/A und § 16a Abs. 2 VOB/A zwar nicht. Sie verpflichten den jeweiligen Auftraggeber, Angebote auszuschließen, die aufgrund einer staatlichen Beihilfe ungewöhnlich niedrig sind, falls das Unternehmen nach Aufforderung nicht die Rechtmäßigkeit der ihm gewährten Beihilfe nachweisen kann. Die Vorschriften unterscheiden nicht danach, ob es sich um einen öffentlichen oder privaten Bieter handelt. Doch kann bei öffentlichen Bietern das Risiko höher sein, dass sie Beihilfen erhalten, etwa wenn sie originär in Bereichen tätig sind, die typischerweise in großem Umfang durch öffentliche Gelder gefördert sind. 65 Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A sind Justizvollzugsanstalten, Einrichtungen der Jugendhilfe, Aus- und Fortbildungsstätten und ähnliche Einrichtungen sowie Betriebe der öffentlichen Hand und Verwaltungen nicht zum Wettbewerb mit gewerblichen Unternehmen zugelassen. Die Vorschrift ist für die Vergabe öffentlicher Bauaufträge zu beachten. Ihr Zweck wird darin gesehen, Wettbewerbsverzerrungen zulasten privater Unternehmen zu verhindern, ohne dass es des Nachweises einer konkreten Wettbewerbsverzerrung bedarf200. Zu den Betrieben der öffentlichen Hand werden rechtlich unselbständige Einheiten wie Regie- und Eigenbetriebe ebenso gerechnet wie rechtlich verselbständige Einheiten wie Eigengesellschaften in der Rechtsform der GmbH oder AG201. Die Rechtsprechung hat die Vereinbarkeit der Vorschrift mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit bejaht202. Mit Blick auf die Vergabe von Bauaufträgen oberhalb der Schwellenwerte wird indes die Vereinbarkeit mit dem Europarecht bezweifelt. Hintergrund ist die jüngere Rechtsprechung des EuGH: Dieser hat entschieden, dass öffentliche Einrichtungen wie Universitäten und Forschungseinrichtungen, die nach den mitgliedstaatlichen Gesetzen bestimmte Leistungen erbringen dürfen, nicht allein deshalb vom Wettbewerb um öffentliche Aufträge ausgeschlossen werden dürfen, weil sie nicht in erster Linie Gewinnerzielung anstreben203. Der generelle Ausschluss der in § 6 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A genannten Einrichtungen vom Wettbewerb wird daher als europarechtswidrig angesehen204. Andere wollen die grundsätzliche Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung der in § 6 200 OLG Düsseldorf v. 17.11.2004 – Verg 46/04; VK BW v. 16.1.2009 – 1 VK 65/08. 201 Schranner in Vygen/Krautzberg, VOB Teile A und B Kommentar, § 6 VOB/A Rz. 57. 202 OLG Düsseldorf v. 17.11.2004 – Verg 46/04. 203 EuGH v. 23.12.2009 – Rs C-305/08 – CoNISMa, NZBau 2010, 188. 204 Tomerius in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 6 VOB/A Rz. 25.
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D. Beteiligung kommunaler Unternehmen an Vergabeverfahren
Abs. 1 Nr. 3 VOB/A genannten Einrichtungen weiterhin anerkennen, verweisen aber darauf, dass der EuGH in anderen Konstellationen den Auftraggebern die Verpflichtung auferlegt hat, einem Bieter vor seinem Ausschluss Gelegenheit zu geben, nachzuweisen, dass seine weitere Berücksichtigung im Vergabeverfahren zu keiner Wettbewerbsverzerrung führe205. Für Liefer- und Dienstleistungsaufträge gilt § 6 Abs. 7 VOL/A. Hiernach sind allein Justizvollzugsanstalten vom Wettbewerb mit gewerblichen Unternehmen auszuschließen. Im Gegensatz zur VOL/A 2006 erstreckt sich die aktuelle Fassung der Vorschrift nicht mehr auf Einrichtungen der Jugendhilfe, Aus- und Fortbildungseinrichtungen und ähnliche Einrichtungen. Aufgrund der klaren Intention des Normgebers scheidet eine entsprechende Anwendung auf diese Einrichtungen oder kommunale Unternehmen mangels planwidriger Regelungslücke aus206. Ungeachtet dessen beansprucht die Regelung nur für Auftragsvergaben unterhalb der Schwellenwerte Geltung, weil sie sich im 1. Abschnitt der VOL/A befindet. Schlussendlich stellt sich die Frage, ob private Konkurrenten die Markt- 66 zutrittsschranken des kommunalen Wirtschaftsrechts instrumentalisieren können, um den Zuschlag auf ein konkurrierendes Angebot eines kommunalen Unternehmens zu verhindern. Näher dazu unter § 6 Rz. 157207.
205 Dittmann in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VOB/A, § 6 Rz. 70 unter Hinweis auf EuGH v. 3.3.2005 – Rs C-21/03 und 34/03 – Fabricom, NZBau 2005, 351 ff. (zur sog. Projektantenproblematik; vgl. dazu nun etwa die Umsetzung dieser Rechtsprechung durch § 6a Abs. 9 VOB/A). 206 Müller-Wrede in Müller-Wrede, Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen VOL/A Kommentar, § 6 Rz. 18; Tomerius in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 6 VOL/A Rz. 26. 207 Eingehend dazu etwa auch Hertwig, Praxis der öffentlichen Auftragsvergabe, Rz. 11 ff. Otting/Ohler/Olgemöller
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§ 15 Kartellrecht von Rechtsanwalt Dr. Matthias Karl, LL.M. und Rechtsanwalt Dr. Martin Beutelmann, LL.M.
Rz. A. Überblick – die kartellrechtlichen Regime und ihre Instrumente . . . . . . . . . . . . . . .
1
B. Wettbewerbsbeschränkende Verhaltensabstimmung . . . . .
8
I. Abgrenzung der Anwendungsbereiche des deutschen und des europäischen Kartellrechts. 8 1. Überblick . . . . . . . . . . . 8 2. Zwischenstaatlichkeitsklausel . . . . . . . . . . . . . 12 3. Vorrang des Europäischen Rechts . . . . . . . . . . . . . 16 4. Normenkonflikte mit Normen außerhalb des Kartellrechts . . . . . . . . . . . . . 19 II. Europäisches Recht . . . . . . . 1. Adressat . . . . . . . . . . . . a) Unternehmen . . . . . . . b) Unternehmensvereinigung . . . . . . . . . . . . 2. Mittel der Verhaltensabstimmung . . . . . . . . . a) Vereinbarung . . . . . . . b) Aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen . . . . . c) Beschluss einer Unternehmensvereinigung . . . 3. Wettbewerbsbeschränkung . a) Horizontale und vertikale Beschränkungen, aktueller und potentieller Wettbewerb, Wettbewerbsparameter . . . . . . . . . b) Bezweckte oder bewirkte Wettbewerbsverhinderung, -beschränkung oder -verfälschung . . . . . . . c) Grenzen des Tatbestandes . . . . . . . . . . . . . d) Spürbarkeit . . . . . . . .
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Karl/Beutelmann
20 21 21 28 30 30 33 35 36
Rz. 4. Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV . . . . . . . . . a) Vorbemerkungen . . . . . b) Gruppenfreistellungsverordnungen . . . . . . . . . c) Die Voraussetzungen von Art. 101 Abs. 3 AEUV im Einzelfall . . . . . . . . . . 5. Ausnahme nach Art. 106 Abs. 2 AEUV . . . . . . . . . 6. Rechtsfolgen und Verfahren . III. Nationales Recht . . . . . . . . 1. Adressat . . . . . . . . . . . . a) Der Unternehmensbegriff des GWB . . . . . . . . . . b) Leistungs- und Wettbewerbsbeziehungen von Unternehmen der öffentlichen Hand . . . . . . . . c) Kommunale Unternehmen . . . . . . . . . . . . . d) Einzelfälle . . . . . . . . . 2. Sonstige Voraussetzungen von §§ 1 und 2 GWB . . . . . 3. Freistellung nach § 3 GWB . 4. Ausnahmebereiche und Sonderregeln, insbesondere die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben . . . . . . . . . . . 5. Rechtsfolgen und Verfahren .
51 51 52 55 60 65 68 69 69
73 78 81 83 85
89 95
C. Missbrauch von Marktmacht . 100 I. Das Verhältnis des deutschen zum europäischen Kartellrecht 100 37
41 44 50
II. Europäisches Recht . . . . . . . 103 III. Deutsches Recht . . . . . . . 1. § 19 GWB . . . . . . . . . . a) Marktbeherrschung . . . b) Missbrauch . . . . . . . c) Rechtsfolgen . . . . . . . 2. § 20 GWB . . . . . . . . . . a) § 20 Abs. 1 und 2 GWB .
. . . . . . .
113 114 115 119 124 126 127
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Literatur
b) § 20 Abs. 3 GWB . . . . . c) § 20 Abs. 4 GWB . . . . . d) § 20 Abs. 6 GWB . . . . . 3. § 21 GWB . . . . . . . . . . . 4. Sonderprobleme ausgewählter Wirtschaftsbereiche . . . D. Zusammenschlusskontrolle . . I. Verhältnis der deutschen zur europäischen Fusionskontrolle II. Europäisches Recht . . . . . . . 1. Anwendungsbereich . . . . . a) Zusammenschluss . . . . b) Gemeinschaftsweite Bedeutung . . . . . . . . . 2. Materiellrechtliche Prüfung . 3. Verfahren . . . . . . . . . . .
Rz. 134 136 137 138 145 150 150 152 152 152 156 164 167
III. Deutsches Recht . . . . . . . . 1. Anwendungsbereich . . . . . a) Zusammenschluss . . . . b) Schwellenwerte . . . . . . 2. Materiellrechtliche Prüfung . 3. Verfahren . . . . . . . . . . .
Rz. 168 168 169 176 181 183
E. Der nicht-unternehmerische Staat als Adressat des europäischen Wettbewerbsrechts . . . 185 I. Art. 106 Abs. 1 AEUV i.V.m. Art. 102 AEUV: Der Staat als Adressat . . . . . . . . . . . . . 185 II. Art. 4 Abs. 3, 101 AEUV: die „neue Norm“ . . . . . . . . 191
Literatur: Andresen, Die Pflichten der EU-Mitgliedstaaten zum Abbau versorgungspolitisch motivierter Marktinterventionen, 2005; Bechtold, GWB, 6. Aufl. 2010; Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, 2. Aufl. 2009; Becker, Kartellrechtliche Kontrolle von Strompreisen, ZNER 2008, 289; Becker/Kammin, Die Durchsetzung von kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen: Rahmenbedingungen und Reformansätze, EuZW 2011, 503; Behrens, Der Wettbewerb im Vertrag von Lissabon, EuZW 2008, 193; Bremer/Höppner, Zum Verhältnis von Kartellrecht und Eisenbahnrecht, WuW 2009, 1271; de Bronnett, Kommentar zum europäischen Kartellverfahrensrecht 2005; Brüning, Rechtswege zur Abwehr kartellbehördlicher Maßnahmen für kommunale Verwaltungsträger, NVwZ 2011, 985; Büdenbender, Das kartellrechtliche Preismissbrauchsverbot in der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung, ZWeR 2006, 233; Bunte, Langfristige Gaslieferverträge nach nationalem und europäischem Kartellrecht, 2003; Burmeister/ Staebe, Räumliche Beschränkungen für kommunale Wirtschaftsunternehmen – ein Verstoß gegen Europäisches Recht, EuR 2004, 810; Daiber, Für wirksame Kontrolle der Wasserpreise durch die Kartellbehörden, WuW 2010, 1141; Daiber, Wasserpreise und Kartellrecht, WuW 2000, 352 ; Deichfuß, Anmerkung zum Beschluss des BGH in Sachen Niederbarnimer Wasserverband vom 18.10.2011, jurisPRWettbR 2/2012 Anm. 2; Dittrich, Relikt eines eigenständigen nationalen Kartellrechts die Freistellung für Mittelstandskartelle gem. 3 GWB, WuW 2009, 1006; Dreher, Die einzelstaatliche Regulierung des Wettbewerbs und das europäische Recht, WuW 1994, 193; Faustmann/Raapke, Zur Neuregelung des Preismissbrauchs im Energie- und Lebensmittelsektor Fortschritte für den Wettbewerb, WRP 2008, 67; Gaßner/Eggert, Wettbewerb in der GKV – Kartellrecht versus Sozialrecht, NZS 2011, 249; Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 40. Aufl. 2009; von der Groeben/Schwarze, Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 6. Aufl. 2003; Hainz/ Scharfenberg, Fusionskontrolle bei Zusammenschlüssen im Zuge von Gebietsreformen, WuW 2011, 369; Haus/Jansen, Zum Preismissbrauch marktbeherrschender Unternehmen nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs im Fall Stadtwerke Mainz, ZWeR 2006, 77; Hellriegel, Anmerkung zur Entscheidung des BGH vom 18.10.2011 (KVR 9/11) – Zur Missbrauchskontrolle eines Wasserversorgers, NuR 2012, 118; Hellriegel/Schmitt, Planerischer Störfallschutz und Flugverfahren, NuR 2011, 109; Hirsch/Montag/Säcker (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Europäi-
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Kartellrecht
schen und Deutschen Wettbewerbsrecht (Kartellrecht), Band 1, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2007, Band 2, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen: GWB, 2008, zit. Münchener Kommentar, Band 1, Europäisches Wettbewerbsrecht bzw. Münchener Kommentar Band 2, GWB; Holzmüller, Kartellrecht in der GKV nach dem AMNOG – Praktische Auswirkungen und erste Erfahrungen, NZS 2011, 485; Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG-Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2007; Immenga/ Mestmäcker (Hrsg.), GWB, 4. Aufl. 2007; Jaeger/Pohlmann/Rieger/Schroeder (Hrsg.), Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, 74. ErgLfg. 2011; Kahlenberg/ Haellmigk, Aktuelle Änderungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BB 2008, 174; Kessler, Die gesetzliche Krankenversicherung als Ausnahmebereich im deutschen und europäischen Wettbewerbsrecht im Lichte der neueren Rechtsprechung, WRP 2006, 1283; Kirchhoff, Fusionskontrolle im Krankenhaussektor, GRUR 2009, 284; Klaue, Einige Bemerkungen zu dem Urteil des BGH Entega II, ZNER 2011, 278; Klaue, Einige Bemerkungen zur kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht in der Wasserwirtschaft, ZNER 2010, 233; Klaue, Preishöhenkontrolle, Wärmemarkt und Umkehrschluss aus § 19 Abs. 4 Nr. 3 GWB auf den Gasmärkten, ZNER 2009, 359; Klaue/Schwintowski, Die Abgrenzung des räumlich-relevanten Marktes bei Strom und Gas nach deutschem und europäischem Kartellrecht, BB Spezial 1 zu Heft 14, 2010, 1; Koenig/Neumann/Schellberg, Neue Spielregeln für den Zugang zur Eisenbahninfrastruktur als Voraussetzung für chancengleichen Wettbewerb auf der Schiene, WuW 2006, 139; Koenig/Neumann/ Schellberg, Unbundling-Regulierung im Eisenbahnsektor, WuW 2007, 981; Köhler, Zur Kontrolle der Nachfragemacht nach dem neuen GWB und dem neuen UWG, WRP 2006, 139; Kolpatzik/Berg, Gasversorger in der Zwickmühle oder was taugen die Preismissbrauchsverfahren, WuW 2011, 712; König/Kühling/Müller, Marktfähigkeit, Arbeitsgemeinschaften und das Kartellrecht, WuW 2005, 126; Kuhn, Preishöhenmissbrauch (excessive pricing) im deutschen und europäischen Kartellrecht – Kartellbehörden auf dem Weg zur Preiskontrolle und -gestaltung?, WuW 2006, 578; Lagemann, Postkartellrecht, ZWeR 2006, 196; Lange, Die Kartellrechtspraxis des Bundeskartellamtes im ÖPNV, ZWeR 2007, 447; Langen/Bunte (Hrsg.), Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Band 1, Deutsches Kartellrecht, 11. Aufl. 2011; Langen/Bunte (Hrsg.), Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, Band 2, Europäisches Kartellrecht, 11. Aufl. 2010; Liebscher/Flohr/Petsche, Handbuch der EU-Gruppenfreistellungsverordnung, 2003; Loewenheim/Meesen/Riesenkampff (Hrsg.), Kartellrecht, 2. Aufl. 2009; Lotze/Reinhardt, Die kartellrechtliche Missbrauchskontrolle bei Wasserpreisen; Anforderungen und Grenzen aus verfassungsrechtlicher, kartellrechtlicher und umweltverwaltungsrechtlicher Sicht, NJW 2009, 3273; Ludwigs, Die Rolle der Kartellbehörde im Recht der Regulierungsverwaltung, WuW 2008, 534; Mestmäcker/Schweitzer, Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2004; Reinhardt, Die kartellrechtliche Kontrolle der Wasserpreise aus rechtswissenschaftlicher Sicht, Öffentliche Abgaben unter Kartellkontrolle? – Zum Verhältnis der neueren BGH-Rechtsprechung und der verwaltungsgerichtlichen Gebührenkontrolle, LKV 2010, 145 ff. und 296 ff.; Rißmann, Kartellverbot und Kooperation zwischen kleinen und mittleren Unternehmen nach der 7. GWB-Novelle, WuW 2006, 881; Säcker, Die kartellrechtliche Missbrauchskontrolle über Wasserpreise und Wassergebühren, NJW 2012, 1105; Schalast/Sibbel, Zusammenschlusskontrolle als Wettbewerbshindernis auf den regulierten Infrastrukturmärkten, WuW 2008, 560; Schindler, Wettbewerbsrechtlicher Unternehmensbegriff des EuGH im Rahmen des Art. 101 AEUV, KommJur 2011, 126; Schnichels, Marktabschottung durch langfristige Gaslieferverträge, EuZW 2003, 171; Schröter/Jakob/Mederer (Hrsg.), Kommentar zum Europäischen Wettbewerbsrecht, 2003; Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Aufl. 2009; Schwarze, Der Staat als Adressat des europäischen Wettbewerbsrechts, EuZW 2000, 613; Terhechte (Hrsg.), Internationales Kartell- und Fusionskontrollverfahrensrecht, 2007; Topel, Das Verhältnis zwischen Regulierungsrecht und all-
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A. Überblick – die kartellrechtlichen Regime und ihre Instrumente
gemeinem Wettbewerbsrecht nach dem europäischen Rechtsrahmen in der Telekommunikation und dem TKG, ZWeR 2006, 27; Wachinger, Finanzierung öffentlicher Dienstleistungen und Europäisches Wettbewerbsrecht – Der beihilfenrechtliche Prüfungsmaßstab nach dem EuGH-Urteil in der Rechtssache „Altmark Trans“, ZögU 2004, 56; Westermann, Einkaufskooperationen der öffentlichen Hand nach der Feuerlöschzüge-Entscheidung des BGH, ZWeR 2003, 481; Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 2. Aufl. 2008; Wiemer, Der reine Preishöhenmissbrauch das unbekannte Wesen, WuW 2011, 723; Wiemer/Schultheiß, Entega I und II – Zu Mehrmarkenstrategien von Marktbeherrschern, ZWeR 2011, 218; Wolf, Unternehmensbegriff, Zuständigkeit der Kartellämter und Rechtsweg bei öffentlich-rechtlichen Leistungsbeziehungen, BB 2011, 648; Zuber, Praxishinweis zur Entscheidung des OLG Düsseldorf v. 8.12.2010 (Wasserversorger), KommJur 2011, 63.
A. Überblick – die kartellrechtlichen Regime und ihre Instrumente Zum Kartellrecht gehören alle diejenigen Regeln für die wirtschaftliche 1 Betätigung von Unternehmen, deren vorrangiges Ziel es ist, die Freiheit und Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs zu sichern. Aus dieser Zielsetzung lässt sich entnehmen, dass auch der Staat Adressat kartellrechtlicher Normen sein muss, wenn er sich als wirtschaftliches Unternehmen betätigt und sich dabei am Wettbewerb mit privaten Unternehmen beteiligt. Nur so kann das Kartellrecht dem genannten Zweck gerecht werden. Das Kartellrecht sagt dabei nichts über die Zulässigkeit der wirtschaftlichen Betätigung des Staates an sich aus. Die Fragen, ob und in welchem Umfang der Staat am Wirtschaftsleben teilnehmen darf, sind nicht Gegenstand kartellrechtlicher Untersuchung, sondern sind anderen, verfassungs- und europarechtlichen, oder auch einfachgesetzlichen Normen zu entnehmen. Es gelten in Deutschland zwei konkurrierende Kartellrechtsordnungen, 2 eine deutsche und eine europäische1. Das deutsche Kartellrecht ist in erster Linie im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) geregelt. Daneben finden sich vereinzelte nationale Kartellrechtsnormen im Strafgesetzbuch, im Energiewirtschaftsgesetz, im Telekommunikationsgesetz, im Postgesetz, im Allgemeinen Eisenbahngesetz und im Rundfunkstaatsvertrag2. Die europäische Kartellrechtsordnung beruht auf Art. 101–106 AEUV 3 (ehemals Art. 81–86 EG-Vertrag). Materiell-rechtlich sind dabei Art. 101 und 102 AEUV von herausragender Bedeutung. Zur Konkretisierung des häufig generalklauselartig formulierten Primärrechts haben die Europäische Kommission und der Rat der Europäischen Union sekundärrecht1 Zum Verhältnis des deutschen und des europäischen Kartellrechts, vgl. Rz. 8 ff. 2 Zu deren Rolle im Gefüge der kartellrechtlichen Normen, vgl. Bunte in Langen/ Bunte, Band 1, Deutsches Kartellrecht, Einführung zum GWB Rz. 41 ff. Karl/Beutelmann
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liche Verordnungen erlassen und Bekanntmachungen veröffentlicht. EUVerordnungen sind für alle Rechtssubjekte bindendes Recht. Bekanntmachungen der Kommission sind rechtlich für den Einzelnen grds. unverbindliche Äußerungen, in der die Grundsätze der europäischen Kommission für die Anwendung von Art. 101 und 102 AEUV zusammengefasst werden. Den Bekanntmachungen kommt rechtliche Relevanz aufgrund des Grundsatzes der Selbstbindung der Verwaltung zu. Darüber hinaus sollte die faktische Bedeutung von Bekanntmachungen nicht unterschätzt werden. Sie spielen bei der Beurteilung kartellrechtlicher Sachverhalte eine große Rolle. Abweichungen davon sind in der behördlichen oder gerichtlichen Praxis auf europäischer und nationaler Ebene selten3. 4 Die Relevanz des europäischen Kartellrechts ist auch für öffentliche Unternehmen, die nur in Deutschland tätig sind, groß. Zum einen sind auch kommunale Unternehmen in der Praxis der Europäischen Kommission und der Gerichte nicht selten als Adressaten der europäischen Normen angesehen worden. Zum anderen wurde im Zuge der Harmonisierungsbemühungen des deutschen Gesetzgebers das deutsche Kartellrecht sehr weitgehend an das europäische Recht angenähert, um eine Konsistenz der Regelungen herzustellen. Entsprechend kann auch bei der Anwendung nationalen Rechts häufig auf die bereits erwähnten Bekanntmachungen und auf Entscheidungen zu europarechtlichen Normen zurückgegriffen werden, wenn diese identische oder vergleichbare Regelungen betreffen4. 5 Die deutsche und die europäische Kartellrechtsordnung enthalten jeweils drei kartellrechtliche Instrumente zum Schutz des Wettbewerbs. Sie sehen erstens Regeln vor, die eine Verhaltenskoordinierung zwischen Unternehmen durch Vereinbarungen, durch abgestimmte Verhaltensweisen oder durch Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen5 begrenzen (Art. 101 AEUV bzw. §§ 1 ff. GWB). Zweitens wird das Verhalten von Unternehmen, die eine herausgehobene Position auf ihrem Markt haben, besonderen Schranken unterworfen. Diese sollen ihre wirtschaftliche Macht nicht missbrauchen dürfen (Art. 102 AEUV bzw. §§ 19 ff. GWB). Und drittens werden Veränderungen der Marktstruktur dadurch kontrolliert, dass Unternehmenszusammenschlüsse, die eine gewisse wirtschaftliche Relevanz haben, vor ihrem Vollzug von einer Kartellbehörde geprüft und freigegeben werden müssen (VO 139/2004 bzw. §§ 35 ff. GWB). 3 Vgl. dazu Bunte in Langen/Bunte, Band 2, Europäisches Kartellrecht, Einführung zum EG-Kartellrecht Rz. 24 ff. 4 Dies gilt vor allem für den Bereich der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen, vgl. dazu Rz. 68. 5 Wenn im Folgenden von wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen oder wettbewerbsbeschränkender Koordination die Rede ist, so sind damit stets auch die anderen Koordinationsformen des Art. 101 AEUV/§ 1 GWB gemeint, es sei denn, dies ist ausdrücklich anderweitig bestimmt.
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B. Wettbewerbsbeschränkende Verhaltensabstimmung
Die vorliegende Darstellung wird sich an diesen Kategorien orientieren. 6 Die Besprechung der Regeln zu wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensabstimmungen zwischen unabhängigen Unternehmen findet sich im Abschnitt B. (Rz. 8 ff.), Ausführungen zur Kontrolle des Verhaltens von Unternehmen, die ihre wirtschaftliche Macht missbrauchen, sind im Abschnitt C. (Rz. 100 ff.) dargestellt und die Regeln zur Fusionskontrolle werden im Abschnitt D. (Rz. 150 ff.) erläutert. Eine Besonderheit des europäischen Rechts wird in Abschn. E. besprochen. Unter den dort genannten Voraussetzungen können auch hoheitliche Maßnahmen, die in den Wettbewerb eingreifen, Gegenstand kartellrechtlicher Regeln sein. Innerhalb der Abschnitte B. bis D. wird jeweils zunächst der Anwen- 7 dungsbereich des europäischen Kartellrechts von dem des deutschen Kartellrechts abgegrenzt, um sodann zunächst die europarechtlichen Normen und anschließend die nationalen Normen darzustellen. Zwar ähneln sich das deutsche und das europäische Kartellrechtsregime erheblich. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Kontrolle wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen, nachdem im Jahr 2005 der Wortlaut und die Systematik des europäischen Rechts vom deutschen Gesetzgeber in das GWB weitgehend übernommen wurden. Dennoch bleiben einige signifikante Abweichungen.
B. Wettbewerbsbeschränkende Verhaltensabstimmung I. Abgrenzung der Anwendungsbereiche des deutschen und des europäischen Kartellrechts 1. Überblick Die Abgrenzung der Anwendungsbereiche des deutschen und des euro- 8 päischen Kartellrechts ist deshalb erforderlich, weil diese sich überschneiden, die jeweiligen Normen aber nicht notwendigerweise zum selben Ergebnis kommen. Das beruht vor allem darauf, dass das deutsche Kartellrecht Vorschriften enthält (z.B. § 3 GWB, § 69 SGB V), die im europäischen Recht keine Entsprechung haben. Der Anwendungsbereich des deutschen Rechts wird durch § 130 Abs. 2 9 GWB bestimmt. Danach müssen sich alle Maßnahmen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland auswirken, an den Vorschriften des GWB messen lassen. Dieses so genannte Auswirkungsprinzip knüpft nicht an den Ort der Veranlassung der Maßnahme, sondern an denjenigen Ort an, an dem die wettbewerblichen Wirkungen der Maßnahme auftreten. Eine Auswirkung in Deutschland ist etwa dann anzunehmen, wenn die Geschäftstätigkeit eines Dritten, die von der Maßnahme beeinflusst wird, in
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Deutschland ausgeübt wird6. Das gilt auch dann, wenn gleichzeitig der Anwendungsbereich des europäischen Kartellrechts eröffnet ist. 10 Hinweise zum Anwendungsbereich des europäischen Kartellrechts und zu dessen Verhältnis zu nationalen Kartellrechtsordnungen ergeben sich bereits aus der Natur der Normen des europäischen Kartellrechts. Art. 101 AEUV und die auf seiner Grundlage erlassenen Rechtsakte sind Teil des Rechtes der Europäischen Union. Als solche leisten sie neben dem Schutz des Wettbewerbs auch einen Beitrag zur Herstellung und Bewahrung eines einheitlichen europäischen Binnenmarktes. Es ist ihr Ziel, die von Privaten errichteten Schranken für den zwischenstaatlichen Handel zu beseitigen und die Errichtung neuer Schranken zu verhindern7. Aus dieser Zielsetzung können zwei Schlussfolgerungen gezogen werden. 11 Erstens gilt der „effet utile“-Grundsatz des europäischen Rechts auch für die Vorschriften des europäischen Kartellrechts. Dieser besagt, dass die Mitgliedstaaten keine Maßnahmen treffen dürfen, die der praktischen Wirksamkeit des europäischen Kartellrechts entgegen stehen8. Sie dürfen also die Wertungen des europäischen Kartellrechts nicht durch widersprechende nationale Vorschriften in Frage stellen. Das europäische Kartellrecht muss im Falle eines Normenkonflikts also Vorrang genießen (dazu ausführlich unten Rz. 16 ff). Zweitens muss der Anwendungsbereich des europäischen Kartellrechts immer dann eröffnet sein, wenn Aktivitäten von Unternehmen eine potentielle Gefahr für den zwischenstaatlichen Handel darstellen (dazu sogleich unten). 2. Zwischenstaatlichkeitsklausel 12 Der Anwendungsbereich von Art. 101 AEUV ist eröffnet, wenn die zu beurteilende Maßnahme geeignet ist, den zwischenstaatlichen Handel spürbar zu beeinträchtigen. Diese so genannte Zwischenstaatlichkeitsklausel ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift. Zur Konkretisierung ihrer weit gefassten Voraussetzungen hat die Europäische Kommission eine Bekanntmachung erlassen9. Dabei unterscheidet die Kommission drei Tatbestandsvoraussetzungen, die qualitativer und quantitativer Natur sind. 13 Erstens muss die zu beurteilende Handlung Relevanz für den Handel zwischen Mitgliedstaaten haben. Dieser umfasst jede grenzüberschreitende wirtschaftliche Tätigkeit, die mindestens zwei Mitgliedstaaten betrifft. 6 Bechtold, GWB, § 130 Rz. 13 ff. 7 Immenga/Mestmäcker in Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, Einleitung C. Rz. 8 ff. 8 Zum Grundsatz des „effet utile“, der praktischen Wirksamkeit, vgl. Bumiller in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 62 Rz. 16. 9 Bekanntmachung der Kommission, Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, ABl. 2004 Nr. C 101, S. 81.
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B. Wettbewerbsbeschränkende Verhaltensabstimmung
Der Begriff Handel erfasst dabei nicht nur den Handel mit Waren und Dienstleistungen, sondern auch die wirtschaftliche Tätigkeit in Ausübung der Freizügigkeit, der Niederlassungs-, Kapital- oder Zahlungsverkehrsfreiheit10. Des Weiteren muss die Maßnahme geeignet sein, den so definierten zwi- 14 schenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen. Dies ist nach der Rechtsprechung des EuGH gegeben, „wenn sich anhand objektiver Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen lässt, dass die Vereinbarung unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell den zwischenstaatlichen Handel beeinflussen kann“11.
Es ist also eine Prognose über die tatsächlichen oder möglichen Wirkungen der Maßnahme anzustellen. Dabei muss keine tatsächliche negative Auswirkung auf den zwischenstaatlichen Handel nachgewiesen werden. Es genügt jede, auch vorteilhafte Auswirkung, die zudem nicht tatsächlich vorliegen muss. Eine Eignung zur Beeinflussung des Handels genügt12. Zur Feststellung, ob eine Eignung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, sind alle objektiven, qualitativen und quantitativen, tatsächlichen und rechtlichen Umstände heranzuziehen. Dazu gehören die Art der Vereinbarung oder des Verhaltens, die Marktstellung der Beteiligten, die üblichen Handelsströme auf den betroffenen Märkten, das typische Nachfrageverhalten der Abnehmer, und vieles mehr. Demnach ist eine Vereinbarung insbesondere dann geeignet, den zwischenstaatlichen Handels zu beeinträchtigen, wenn sich die Vereinbarungen auf die Ein- und Ausfuhr von Waren zwischen Mitgliedstaaten bezieht. Umgekehrt wird es an einer Eignung zur Beeinträchtigung fehlen, wenn die Parteien der Vereinbarung auf einem räumlich begrenzten Markt tätig sind, der nur einen Teil eines Mitgliedstaates umfasst13. Dieses weite Verständnis der Zwischenstaatlichkeit wird durch das Krite- 15 rium der „Spürbarkeit“ begrenzt14. Dieses quantitative Merkmal soll solche Maßnahmen von der Anwendbarkeit europäischen Rechts ausschließen, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Bedeutung nur geringfügige Handelsbeeinträchtigungen verursachen können. Nach ständiger und gefestigter Praxis der Europäischen Kommission ist eine Maßnahme dann nicht geeignet den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen, wenn – kumulativ – erstens der Marktanteil der Parteien auf keinem von der Maßnahme betroffenen relevanten Markt innerhalb der Gemeinschaft 5 % überschreitet, und wenn zweitens der Wert der von der Verein10 Bunte in Langen/Bunte, Band 2, Europäisches Kartellrecht, Art. 81 EG-Vertrag, Generelle Prinzipien, Rz. 145. 11 EuGH v. 10.12.1985 – Rs. 240/82 u.a. – Stichting Sigarettenindustrie, Slg. 1985, 3831. 12 Bekanntmachung der Kommission, ABl. 2004 Nr. C 101, S. 81, Rz. 28 ff. 13 Bunte in Langen/Bunte, Band 2, Europäisches Kartellrecht, Art. 81 EG-Vertrag, Generelle Prinzipien, Rz. 123a. 14 Bekanntmachung der Kommission, ABl. 2004 Nr. C 101, S. 81, Rz. 44 ff. Karl/Beutelmann
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barung erfassten Waren den Betrag von 40 Mio. Euro nicht überschreitet15. 3. Vorrang des Europäischen Rechts 16 Ist nach den Kriterien im vorherigen Kapitel eine Verhaltensweise, die von Art. 101 AEUV erfasst wird, geeignet, den zwischenstaatlichen Handel zu beeinflussen, so ist der Anwendungsbereich des europäischen Kartellrechts eröffnet. Das Schicksal parallel anwendbarer Normen des nationalen Rechts (insbesondere der §§ 1 ff. GWB, zur Anwendbarkeit von §§ 19 ff. GWB vgl. unten Rz. 100) bestimmt sich nach Art. 3 der VO 1/2003 und § 22 GWB. Maßgeblich ist dabei zunächst Art. 3 Abs. 1 der VO 1/200316. Danach sind nationale Behörden und Gerichte (die Art. 101 und Art. 102 AEUV selbst unmittelbar anwenden können) verpflichtet, stets neben dem nationalen Kartellrecht auch europäisches Kartellrecht anzuwenden, wenn die Zwischenstaatlichkeitsklausel erfüllt ist. Sollte dies zu unterschiedlichen Rechtsfolgen führen, so bestimmt Art. 3 VO 1/2003, wie dieser Normenkonflikt zu lösen ist. 17 Art. 3 Abs. 2 Satz 1 VO 1/2003 kodifiziert den für das Verhältnis des europäischen zum nationalen Kartellrecht geltenden Grundsatz für die Beurteilung wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen: Das europäische Recht genießt innerhalb seines Anwendungsbereiches Vorrang. Das bedeutet zum einen, dass eine Vereinbarung, die zwischenstaatliche Wirkungen hat, nicht vom nationalen Kartellrecht untersagt werden darf, wenn sie das europäische Kartellrecht für zulässig hält. Umgekehrt darf das nationale Kartellrecht eine Vereinbarung nicht zulassen, wenn diese gegen europäisches Kartellrecht verstößt. 18 Damit kann nationales Kartellrecht auf Vereinbarungen, die den zwischenstaatlichen Handel spürbar beeinträchtigen können, nur angewendet werden, wenn es in dem betreffenden Fall zum selben Ergebnis (zulässig/unzulässig) führt. In den meisten Fällen wird dann die Anwendung beider Normen (§ 1 GWB und Art. 101 AEUV) entbehrlich sein, vielmehr genügt es, sich auf den vorrangigen Art. 101 AEUV zu beschränken. Da sich auch die Rechtsfolgen einer Verletzung von Art. 101 AEUV und § 1
15 Zu Einzelheiten hinsichtlich der Anwendung dieser Kriterien auf horizontale und vertikale Vereinbarungen, vgl. Bekanntmachung der Kommission, ABl. 2004 Nr. C 101, S. 81, Rz. 52 ff., insbesondere Rz. 56 zu Netzen gleichartiger Vereinbarungen. 16 Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates v. 16.12.2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. 2003, Nr. L 1, S. 1 („Kartellverfahrensverordnung“).
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B. Wettbewerbsbeschränkende Verhaltensabstimmung
GWB weitgehend entsprechen, ist eine parallele Anwendung deutschen Rechts in aller Regel entbehrlich17. 4. Normenkonflikte mit Normen außerhalb des Kartellrechts Art. 3 Abs. 3 letzter Halbs. der VO 1/2003 schränkt den Grundsatz des 19 Vorranges des europäischen Rechts ein. Danach dürfen nationale Vorschriften unabhängig von der Bewertung nach europäischem Kartellrecht angewendet werden, wenn diese „überwiegend ein von Art. 101 und 102 AEUV abweichendes Ziel verfolgen“. Das sind solche Normen, die nicht den Schutz der Freiheit und Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs bezwecken18. Diese Ausnahme betrifft insbesondere die Vorschriften zum Schutz vor unlauterem Wettbewerb, aber auch Konzentrationsbeschränkungen wie z.B. für den Medienbereich oder die öffentliche Sicherheit (Rüstung). Mittels solcher Vorschriften darf sich ein Staat allerdings nicht über zwingende Grundsätze primären Gemeinschaftsrechts hinweg setzten. Der nationale Gesetzgeber kann diese Normen also nicht dazu verwenden, unter dem Deckmantel einer abweichenden Zielsetzung (Umweltschutz, strukturpolitische Maßnahmen, Steuerpolitik etc.) das europäische Kartellrecht seiner Wirksamkeit zu berauben. In diesem Zusammenhang können sich schwierige rechtliche und politische Abgrenzungsfragen stellen. Dabei stehen sich einerseits die nationale Autonomie in vielen Politikbereichen, wie z.B. der Steuerpolitik oder der inneren Sicherheit, und andererseits die Wirksamkeit des Wettbewerbs als alles umfassendes Prinzip des europäischen Binnenmarktes gegenüber. Auf die damit zusammenhängenden Erwägungen ist an anderer Stelle ausführlicher einzugehen (siehe unten Rz. 60 ff., 92).
II. Europäisches Recht Art. 101 Abs. 1 AEUV untersagt Vereinbarungen und abgestimmte Ver- 20 haltensweisen von Unternehmen sowie Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen, die eine Beschränkung, Verhinderung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken.
17 Die parallele Anwendung von § 1 GWB neben Art. 101 AEUV kann jedoch dann erforderlich sein, wenn neben dem Unternehmen auch Einzelpersonen, z.B. Geschäftsführer, mit einem Bußgeld belegt werden sollen. Dies erlaubt nur das deutsche Ordnungswidrigkeitenrecht, nicht aber das europäische Recht. 18 Siehe dazu Erwägungsgrund 9 zur VO 1/2003, ABl. 2003 Nr. L 1, S. 1. Karl/Beutelmann
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1. Adressat a) Unternehmen 21 Art. 101 AEUV richtet sich an Unternehmen. Dieser Begriff wird in der Praxis der Europäischen Kommission und der europäischen Gerichte wirtschaftlich-funktional verstanden. Er knüpft an die jeweilige Tätigkeit an, die Gegenstand kartellrechtlicher Untersuchung ist. Als Unternehmen handelt demnach jede natürliche oder juristische Person, die dadurch wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, dass sie Waren oder Dienstleistungen auf einem Markt anbietet19. 22 Von einer wirtschaftlichen Tätigkeit kann ausgegangen werden, wenn es tatsächlich privat-wirtschaftliche Wettbewerber gibt, die konkurrierende Waren oder Dienstleistungen anbieten. Umgekehrt ist das Fehlen solch aktuellen Wettbewerbs nicht ausreichend, um anzunehmen, eine Tätigkeit erfülle den Unternehmensbegriff nicht. Vielmehr wird von einer wirtschaftlichen Tätigkeit eines Unternehmens immer dann auszugehen sein, wenn die fragliche wirtschaftliche Leistung von privaten Wettbewerbern auf einem Markt vorgenommen werden könnte20. 23 Auch Tätigkeiten des Staates, die diese Voraussetzungen erfüllen, sind als Tätigkeiten eines Unternehmens anzusehen. Ausdrücklich wurde in der bisherigen Praxis des EuGH festgestellt, dass die Rechtsform des Tätigwerdens und die Art der Finanzierung keine Rolle spielen, solange der Staat keine hoheitlichen21, sondern wirtschaftliche Tätigkeiten industrieller oder kommerzieller Art vornimmt22. Nicht erforderlich ist es auch, dass mit der betreffenden Tätigkeit eine Gewinnerzielungsabsicht verfolgt wird. Ohne Bedeutung ist des Weiteren der Umfang der wirtschaftlichen Tätigkeit. 24 Eine auch in der Praxis wichtige Einschränkung des weit gefassten Unternehmensbegriffs besteht für die Tätigkeit als Nachfrager von Waren und Dienstleistungen. Die europäischen Gerichte haben zwar die Tätigkeit als Anbieter von Waren und Dienstleistungen als wirtschaftliche Tätigkeit angesehen, nicht aber die Tätigkeit als Nachfrager an sich23.
19 Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, Art. 81 EG-Vertrag Rz. 8 ff. 20 Sog. Möglichkeits-(„Potentiality-“)Test, EuGH v. 23.4.1991 – Rs. C-41/90 – Höfner & Elser/Macrotron, Slg. 1991, I-1979, Rz. 21. 21 Maßnahmen in Form marktregulierender, hoheitlicher Rechtssetzung (z.B. durch Gesetz oder Verordnung) wird also nicht von den Wettbewerbsvorschriften erfasst, vgl. Schwarze, EuZW 2000, 613 (617) m.w.N. 22 EuGH v. 23.4.1991 – Rs. C-41/90 – Höfner&Elser/Macrotron, Slg. 1991, I-1979, Rz. 21; EuGH v. 18.3.1997 – Rs. C-343/95 – Diego Cali, Slg. 1997, I-1649, Rz. 16. 23 EuG v. 4.3.2003 – Rs. 319/99 – FENIN, Slg 2003, II-361, Rz. 37 m.w.N.; bestätigt durch EuGH v. 11.7.2006 – Rs. C-205/03 P – FENIN, Slg. 2006, I-6295, Rz. 25 ff.
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B. Wettbewerbsbeschränkende Verhaltensabstimmung
„Kauft eine Einrichtung ein Erzeugnis – auch in großen Mengen – nicht ein, um Güter oder Dienstleistungen im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit anzubieten, sondern um es im Rahmen einer anderen, z.B. einer rein sozialen, Tätigkeit zu verwenden, so wird sie demnach nicht schon allein deshalb als Unternehmen tätig, weil sie als Käufer auf einem Markt agiert. Zwar trifft es zu, dass eine solche Einrichtung eine erhebliche Wirtschaftsmacht auszuüben vermag, die ggf. zu einem Nachfragemonopol führen kann. Das ändert jedoch nichts daran, dass sie, soweit die Tätigkeit, zu deren Ausübung sie Erzeugnisse kauft, nichtwirtschaftlicher Natur ist, nicht als Unternehmen i.S.d. Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft handelt und daher nicht unter die in Artikel [101 Absatz 1 AEUV und 102 AEUV] vorgesehenen Verbote fällt.“
Die Tätigkeit des Staates als Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen ist somit nur dann Gegenstand des europäischen Wettbewerbsrechts, wenn die Beschaffung im Zusammenhang mit einer wirtschaftlichen Angebotstätigkeit im oben beschriebenen Sinne steht. Der Bezug von Waren zur internen Verwendung, zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben, die nicht auch von Privaten durchgeführt werden oder werden könnten, unterfällt somit nicht den Schranken des Art. 101 AEUV. Demnach unterliegen beispielsweise Einkaufsgemeinschaften für Güter, mit denen keine wirtschaftliche Tätigkeit auf einem nachfolgenden Angebotsmarkt ausgeübt wird, nicht den Beschränkungen des europäischen Kartellrechts. Insofern besteht ein Unterschied zur Behandlung von Einkaufsgemeinschaften im deutschen Recht24. Eine wirtschaftliche Tätigkeit eines Unternehmens liegt auch dann nicht 25 vor, wenn die fragliche Tätigkeit eine typisch hoheitliche Maßnahme ist. Dies wurde beispielsweise für die Kontrolle des Luftraums durch ein staatlich beauftragtes Unternehmen angenommen, das dafür von den Luftverkehrsgesellschaften ein Entgelt verlangen durfte. Aufgrund des hoheitlichen Charakters der Maßnahme sah der EuGH hierin keine Tätigkeit wirtschaftlicher Art. Hinzu kam in diesem Fall, dass das betreffende Unternehmen nicht in der Lage war, die Höhe der Gegenleistung zu bestimmen, die von den „Kunden“, also den Luftfahrtgesellschaften, verlangt wurde25. Eine staatliche Aufgabe ohne wirtschaftlichen Charakter wurde vom EuGH auch für die Überwachung des Hafens von Genua auf Wasserverschmutzungen angenommen. Der EuGH ging davon aus, dass diese Tätigkeit im Allgemeininteresse stehe, der Staat damit seine Aufgabe auf dem Gebiet des Umweltschutzes wahrnehme, und er dies durch typischerweise hoheitliche Befugnisse tue, weshalb die Tätigkeit keinen wirtschaftlichen Charakter habe26. Beide genannten Fälle haben
m.w.N. und v. 26.3.2009 – Rs. C-113/07 P – SELEX, Slg. 2009, I-2207, Rz. 102; dazu auch v. 16.3.2004 – Rs. C-264/01 etc. – AOK Bundesverband u.a., Slg. 2004, I-2493. 24 Vgl. unten Rz. 82 zu Einkaufsgemeinschaften im deutschen Recht. 25 EuGH v. 19.1.1994 – Rs. C-364/92 – Eurocontrol, Slg. 1994, I-43, Rz. 30 f. 26 EuGH v. 18.3.1997 – Rs. C-343/95 – Diego Cali, Slg. 1997, I-1649, Rz. 21 ff. Karl/Beutelmann
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gemeinsam, dass Gegenstand der erbrachten Leistung öffentliche Güter waren. Luftsicherheit und Sauberkeit des Hafengewässers sind keine Güter, die im wirtschaftlichen Verkehr gehandelt werden. Sie stellen vielmehr die Sicherheit des Wirtschaftsverkehrs her und betreffen Kosten, die aus Sicht der betroffenen „Kunden“ (in den genannten Fällen also der Fluggesellschaften und der Schiffbetreiber) externe Kosten darstellen. Die Internalisierung dieser Kosten durch den Staat stellt auch dann eine hoheitliche Maßnahme dar, wenn er sich dabei Privater bedient. Dies gilt auch für die Wahrnehmung dieser Aufgaben durch diese Privaten. Nimmt also der Staat selbst oder durch Dritte eine Tätigkeit wahr, die zwar privatwirtschaftlich angeboten werden kann, die aber für die „Kunden“ einen hoheitlichen Charakter hat, weil die Tätigkeit in der Erfüllung staatlicher Aufgaben besteht, dann ist die Vornahme der Handlung nicht als wirtschaftliche Tätigkeit anzusehen, auch wenn sie im Einzelfall durch private Unternehmen im Auftrag des Staates durchgeführt wird. 26 Ebenso wurde der Abschluss eines Vertrages zwischen einer Gemeinde und einem Bestattungsunternehmen, wonach das Unternehmen das ausschließliche Recht hat, die Bestattungsdienstleistungen auf einem kommunalen Friedhof zu erbringen, nicht als unternehmerische Tätigkeit angesehen. Das Übertragen einer hoheitlichen Aufgabe auf einen Privaten wurde als hoheitliche Tätigkeit angesehen. Art. 101 AEUV war deshalb nicht anwendbar. Der EuGH bejahte in diesem Fall aber die Anwendbarkeit von Art. 106 Abs. 1 AEUV i.V.m. Art. 102 AEUV27. 27 Schwierige Abgrenzungsfragen wirft die Bestimmung der Qualität von Maßnahmen von Sozialversicherungsträgern auf. Dabei wird eine Reihe von Aspekten berücksichtigt, mittels derer ermittelt werden soll, ob der Tätigkeit des jeweiligen Sozialversicherungsträgers vornehmlich soziale, oder vornehmlich wirtschaftliche Prinzipien zugrunde liegen. Die sozialen Funktionen werden insbesondere dann überwiegen, wenn das System auf die Umverteilung finanzieller Mittel innerhalb einer Sozialgemeinschaft angelegt ist. Kennzeichen solcher Systeme ist die verpflichtende Mitgliedschaft mindestens eines Teils der betroffenen Personen. Auch das Fehlen eines Zusammenhanges zwischen der Beitragsleistung und der Höhe der später ausgezahlten Leistungen an den Versicherten spricht für ein überwiegend soziales Anliegen des Systems. Fehlt es dagegen an den genannten Aspekten, handelt es sich insbesondere um freiwillige Zusatzversicherungen, die im Wettbewerb mit privaten Anbietern vom Staat aufgelegt werden, so kann das europäische Wettbewerbsrecht auf
27 EuGH v. 4.5.1988 – Rs. 30/87 – Bodson, Slg. 1988, 2479, Rz. 18; zu Art. 106 Abs. 1 AEUV, vgl. unten Rz. 185 ff.
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die Handlungen dieser als Unternehmen anzusehenden Sozialversicherungsträger angewandt werden28. b) Unternehmensvereinigung Auch Handlungen von Unternehmensvereinigungen können Gegenstand 28 kartellrechtlicher Untersuchung sein. Wenn diese selbst eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, sind sie schon deshalb als „Unternehmen“ Adressat des Kartellrechts. Darüber hinaus und unabhängig davon können sie Einfluss auf das Verhalten der in ihr organisierten Unternehmen ausüben. Auch deshalb sind sie – als Unternehmensvereinigung i.S.d. Art. 101 AEUV – aus kartellrechtlicher Sicht bedenklich. Ebenso wie der Begriff des Unternehmens ist auch der Begriff der Unter- 29 nehmensvereinigung weit auszulegen. Im Hinblick auf Sinn und Zweck der Norm muss jede Form der Zusammenarbeit oder des Zusammenschlusses zwischen Unternehmen erfasst sein, auch wenn es nicht unmittelbar zwischen diesen zum Kontakt kommt, sondern eine weitere Einrichtung zwischengeschaltet ist. Jede wie auch immer gestaltete Organisation von Unternehmen kann als Unternehmensvereinigung angesehen werden, solange sie nur Einfluss auf die Willensbildung der in ihr organisierten Unternehmen haben kann. Dies ist dann der Fall, wenn es Zweck der Vereinigung ist, gemeinsame wirtschaftliche Interessen der Mitglieder zu formulieren und wahrzunehmen. Es ist dabei unerheblich, ob die Vereinigung privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich verfasst ist29. 2. Mittel der Verhaltensabstimmung a) Vereinbarung Art. 101 AEUV untersagt jede Verhaltensabstimmung zwischen unabhän- 30 gigen Unternehmen. Der vom AEUV verwendete Begriff der Vereinbarung ist dabei weiter zu fassen als der zivilrechtlich verstandene Vertragsbegriff. Unabhängig von der Form, der rechtlichen oder faktischen Verbindlichkeit oder der Durchsetzbarkeit ist es ausreichend, wenn die Parteien ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck bringen, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten. Auch Absprachen in der Form eines sog. „gentlemen’s agreement“ werden hiervon erfasst. Ausreichend ist das Vorliegen einer objektiven Willensübereinstimmung. Der Einwand, man habe unter Zwang, nur zum Schein oder mit Widerwillen zugestimmt, bleibt unberücksichtigt. Auch der Umstand, dass die Vereinbarung nicht in die Tat umgesetzt wurde, ist irrelevant, da schon das 28 EuGH v. 17.2.1993 – Rs. C-159, 160/91 – Poucet & Pistre, Slg. 1993, I-637, Rz. 18, 19; v. 12.9.2000 – Rs. C-180-184/98 – Pavlov, Slg. 2000, I-6451. Dazu Schwarze, EuZW 2000, 613 (615 f.) m.w.N. 29 Zu Einzelfällen, vgl. Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, Art. 81 EG-Vertrag Rz. 25 ff. Karl/Beutelmann
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Treffen der Vereinbarung tatbestandsmäßig i.S.d. Art. 101 Abs. 1 AEUV ist30. 31 Es ist des Weiteren nicht erforderlich, dass ausdrücklich ein bestimmtes Verhalten abgestimmt wird. Es genügt, wenn das zukünftige Marktverhalten in groben Zügen abgesprochen wird. Auch bei der Teilnahme an Treffen mit anderen Unternehmen, z.B. im Rahmen von Verbandstagungen, ist die Schwelle für das Vorliegen einer Vereinbarung i.S.d. Art. 101 AEUV sehr niedrig. Es ist in diesem Fall nicht erforderlich, dass der Vertreter des Unternehmens aktiv an der Abstimmung beteiligt war. Vielmehr genügt die Teilnahme an einem Kartelltreffen, wenn der Betreffende nicht ausdrücklich und ernsthaft zum Ausdruck bringt, er wolle sich von den während des Treffens getroffenen Kartellvereinbarungen distanzieren31. 32 Die Abgrenzung des Begriffs der Vereinbarung von einseitigen Maßnahmen war in der Vergangenheit mehrfach Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidung, ohne dass sich dabei in der Praxis einfach handhabbare Grundsätze entwickelt hätten. Diese Abgrenzung ist von Bedeutung, weil einseitige Maßnahmen nur von Art. 102 AEUV und auch von dieser Vorschrift nur im Falle des Vorliegens einer marktbeherrschenden Stellung erfasst werden, sie mitunter aber Wirkungen entfalten können, die denen einer Vereinbarung nahekommen. Insbesondere im Rahmen von Vertriebssystemen versuchen Hersteller bisweilen, durch einseitige Maßnahmen einen Zustand herbeizuführen, der in seinen Wirkungen einer verbotenen Vereinbarung nach Art. 101 Abs. 1 AEUV entspricht. Solche Maßnahmen können beispielsweise Lieferverweigerungen oder die Aufforderung zu einem bestimmten Vertriebsverhalten sein. In solchen Konstellationen liegt nur dann eine Vereinbarung i.S.d. Art. 101 AEUV vor, wenn beide Parteien ihren entsprechenden Willen zum Ausdruck bringen. Da es in diesen Konstellationen oft an ausdrücklichen Absprachen fehlen wird, ist es zum einen erforderlich, dass der Lieferant mindestens den Versuch unternimmt, den Empfänger der einseitigen Maßnahme zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen. Dies kann beispielsweise mittels der Androhung von Sanktionen geschehen. An einem „Angebot“ zu einer Vereinbarung i.S.d. Art. 101 AEUV fehlt es aber dann, wenn die Mitwirkung des Empfängers zum Erreichen des vom Anbietenden bezweckten Erfolges nicht erforderlich ist. Von Seiten des Empfängers wird verlangt, dass er die ihm kommunizierte Wettbewerbsbeschränkung ausdrücklich oder konkludent billigt. Dies kann beispielsweise
30 Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, Art. 81 EG-Vertrag Rz. 17; Bunte in Langen/Bunte, Band 2, Europäisches Kartellrecht, Art. 81 EGVertrag, Generelle Prinzipien Rz. 17. 31 EuGH v. 6.4.1995 – Rs. T-141/89 – Trefileurope, Slg. 1995, II-791, Rz. 85; v. 17.12.1991 – Rs. T-7/89 – Hercules Chemicals, Slg. 1991, II-1711, Rz. 232.
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durch das Befolgen der Aufforderung geschehen32. Von einer Zustimmung kann auch dann ausgegangen werden, wenn sich die Maßnahme des Herstellers in eine vertragliche Rahmenbeziehung einfügt, die dem Vertriebssystem zugrunde liegt33. b) Aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen Unterhalb der Schwelle der Vereinbarung im oben dargestellten Sinn wird auch jede Form der Verhaltenskoordinierung von Art. 101 AEUV untersagt, mittels derer die Abstimmenden das unternehmerische Risiko ihres zukünftigen Verhaltens verringern oder ausschalten wollen. Dieser Auffangtatbestand erfasst jede Form der Koordinierung,
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„die zwar noch nicht bis zum Abschluss eines Vertrages im eigentlichen Sinne gediehen ist, jedoch bewusst eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten lässt“34.
Die Verhaltensabstimmung in diesem Sinne ist abzugrenzen vom bewussten, aber autonomen Parallelverhalten. Für die Unternehmen im selben Markt, die mit denselben externen Bedingungen konfrontiert sind (Veränderungen der Rohstoffpreise, der Nachfrage, neue technische Entwicklungen) werden regelmäßig dieselben Handlungsalternativen zur Verfügung stehen. Dies wird nicht selten zu einem gleichförmigen Verhalten führen. Eine kartellrechtlich relevante Verhaltensabstimmung ist darin jedoch nicht zu sehen. Gleiches gilt für den Fall, dass ein Unternehmen sich an die Vorgaben eines Preisführers im Markt anschließt. Das Parallelverhalten allein ist deshalb auch noch kein hinreichender Beleg für das Vorliegen einer Verhaltensabstimmung. Insbesondere wenn sich das Verhalten durch Markteinflüsse erklären lässt, sind weitere Belege für Koordinationsmaßnahmen erforderlich, um einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV darzulegen35. Ein wichtiger Anwendungsfall dieser Regel betrifft den Austausch von In- 34 formationen zwischen Wettbewerbern. In ihrer Mitteilung zu horizontalen Vereinbarungen aus dem Jahr 2011 fasst die Kommission ihre Praxis zur Zulässigkeit des Informationsaustauschs zusammen36. Sie erkennt 32 Vgl. EuGH v. 26.10.2000 – Rs. T-41/96 – Bayer, Slg. 2000, II-3383, Rz. 70 ff.; bestätigt durch EuGH v. 6.1.2004 – Rs. C-2, 3/01 – BAI, WuW/E EU-R 769 (771) Rz. 78 ff. 33 Dazu Bunte in Langen/Bunte, Band 2, Europäisches Kartellrecht, Art. 81 EGVertrag, Generelle Prinzipien, Rz. 25b m.w.N. 34 EuGH v. 14.7.1972 – Rs. 48/69 – ICI, Slg. 1972, 619, Rz. 64, 67. 35 Zur Beweislastverteilung, vgl. § 2 VO 1 /2003. Die Beweislast trägt stets derjenige, der sich auf einen Kartellverstoß nach Art. 101 Abs. 1 AEUV beruft. Im Rahmen von Bußgeldverfahren gilt die Unschuldsvermutung, vgl. Bechtold/ Bosch/Brinker/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, Art. 81 EG-Vertrag Rz. 50. 36 Ausführlich dazu die Mitteilung der Kommission, Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. C 11 v. 14.1.2011, S. 1, Rz. 55 ff. Karl/Beutelmann
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dabei an, dass der Austausch von Informationen in Grenzen zulässig und sogar wettbewerbsfördernd sein kann. Unzulässig ist der Austausch von Informationen aber dann, wenn er Aufschluss über die zukünftigen Marktstrategien eines Unternehmens geben kann. In solchen Fällen kann er als Mittel zur Abstimmung des Marktverhaltens dienen. Ob dies tatsächlich der Fall ist, muss nach der Europäischen Kommission anhand verschiedener Kriterien geprüft werden. Ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV wird etwa dann als wahrscheinlich angesehen, wenn die Informationen sich auf das Preisverhalten, das Absatzverhalten, die Innovationsstrategie oder ähnliche wesentliche Wettbewerbsparameter beziehen, wenn sie bestimmte Unternehmen identifizieren und wenn sie Aussagekraft auch für die Zukunft haben können. Umgekehrt können Daten, die Informationen über mehrere Unternehmen aggregieren, oder die ohnehin z.B. in Marktstudien frei zugänglich sind, oder die veraltet sind, meist unproblematisch ausgetauscht werden. Insbesondere bei der Arbeit in Verbänden, etwa bei der Erstellung von Marktstatistiken, spielen diese Regeln eine große Rolle37. c) Beschluss einer Unternehmensvereinigung 35 Ein Beschluss i.S.d. Art. 101 AEUV muss ebenso wie die oben dargestellte Vereinbarung den gemeinsamen Willen der Parteien zum Ausdruck bringen, das Verhalten auf dem Markt zu koordinieren. Dabei werden neben dem Beschluss durch die Mitglieder der Vereinigung auch solche Maßnahmen erfasst, die von der Unternehmensvereinigung ausgehen. Diese an die Mitglieder gerichteten Maßnahmen müssen jedoch für diese wenigstens faktisch verbindlich sein38. Bloße unverbindliche Empfehlungen werden dann erfasst, wenn die Unternehmen diese befolgen39. 3. Wettbewerbsbeschränkung 36 Art. 101 AEUV untersagt alle Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Im Folgenden ist zunächst der Wettbewerb mit seinen Ausformungen darzustellen, wie er von den kartellrechtlichen Regelungen geschützt wird (dazu unten Rz. 37 ff.). Sodann sind die Begriffe „bezwecken“ und „bewirken“ zu erläutern (dazu Rz. 41 ff.). Anschließend sollen die Grenzen des Kartellverbots aufgezeigt werden, wie sie sich insbesondere aus dem Sinn und Zweck der Norm ergeben (dazu Rz. 44 ff.).
37 Zur niedrigen Schwelle der Beteiligung an einem unzulässigen Informationsaustausch anlässlich einer Verbandssitzung, vgl. EuGH v. 8.7.1999 – Rs. C-199/92 P – Polypropylen, Slg. 1999, I-4287, Rz. 152 ff. 38 Sehr weitgehend: Kommission v. 5.6.1996 – Fenex, ABl. 1996 Nr. L 181, S. 28, Rz. 32 ff. 39 EuGH v. 29.10.1980 – Rs. 209/78 – Van Landewyck, Slg. 1980, 3125, Rz. 88 f.; v. 8.11.1983 – Rs. 96/92 – IAZ, Slg. 1983, 3369, Rz. 20.
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B. Wettbewerbsbeschränkende Verhaltensabstimmung
Schließlich wird auf das Kriterium der Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung (Rz. 50 ff.) eingegangen. a) Horizontale und vertikale Beschränkungen, aktueller und potentieller Wettbewerb, Wettbewerbsparameter Das europäische Wettbewerbsrecht sieht es als wesentliches Kennzei- 37 chen funktionierenden Wettbewerbs an, dass jedes im Wettbewerb tätige Unternehmen sein Marktverhalten unabhängig von seinen Wettbewerbern bestimmt (sog. Selbständigkeitspostulat)40. Dies ist dann nicht mehr gewährleistet, wenn Unternehmen ihre strategischen Entscheidungen hinsichtlich einzelner oder mehrerer Wettbewerbsparameter (z.B. Preissetzung, Absatzpolitik, Innovationspolitik, Produktpolitik, etc.) in Abstimmung mit anderen Unternehmen treffen, und dadurch sich oder andere Marktteilnehmer wettbewerblicher Handlungsalternativen berauben. Der Schutz des Wettbewerbs gilt umfassend. Er gilt insbesondere für alle 38 Marktstufen (z.B. Zulieferer-Hersteller-Großhändler-Einzelhändler). Es werden Verhaltensabstimmungen zwischen Mitgliedern derselben Marktstufe, also Wettbewerbern, erfasst (sog. horizontale Vereinbarungen). Ebenso sind Wettbewerbsbeschränkungen erfasst, die von zwei Unternehmen vereinbart werden, die jeweils auf vor- bzw. nachgelagerten Marktstufen tätig sind (sog. vertikale Vereinbarungen). Funktionierender Wettbewerb führt zu besseren Produkten, niedrigeren 39 Preisen und mehr Auswahl für die Abnehmer. Dies ist jedenfalls dann gegeben, wenn mehrere Unternehmen um denselben Kunden werben, indem sie versuchen, ihn dazu zu bringen, ihr Produkt – und nicht stattdessen dasjenige eines anderen Unternehmens – zu erwerben. Solange Unternehmen also befürchten müssen, der Kunde werde sich für das Angebot eines anderen Unternehmens entscheiden, haben diese Unternehmen den Anreiz, ihr Angebot soweit es geht zu verbessern. Sie werden deshalb versuchen, die Qualität oder den Preis des Produkts zu verbessern. Dieser Anreiz hängt davon ab, ob es Unternehmen gibt, die für den Kunden eine Bezugsalternative darstellen, die also – aus Sicht des Kunden – ein vergleichbares Produkt anbieten. Man bezeichnet solche Unternehmen als aktuelle Wettbewerber, die per Definition auf demselben sachlich, räumlich und zeitlich relevanten Markt tätig sind41. Ein vergleichbarer, in seiner Intensität aber geringerer Anreiz, das eigene Angebot zu verbessern, geht von solchen Unternehmen aus, die zwar zur Zeit keine vergleichbaren Produkte anbieten, die aber ohne nennenswerte zusätzliche Kosten oder Risiken in der Lage wären, solche Produkte kurzfristig anzubieten. Solche Unternehmen werden potentielle Wettbewerber genannt. Je nahe-
40 EuGH v. 16.12.1975 – Rs. 40/73 etc. – Suiker Unie, Slg. 1975, S. 1663, 2024. 41 Eine ausführliche Beschreibung dieser Begriffe erfolgt unten Rz. 104. Karl/Beutelmann
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liegender deren Markteintritt ist, desto erheblicher sind die wettbewerblichen Restriktionen, die von diesen Unternehmen auf die aktuellen Wettbewerber ausgehen42. Vereinbaren diese Unternehmen, dass sie im Wettbewerb nicht alle ihnen eigentlich zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen (Produktverbesserung, Preissenkung, Innovation etc.), dann beschränken sie die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs durch eine sog. horizontale Vereinbarung. 40 Auch eine Vereinbarung zwischen Unternehmen, die nicht Wettbewerber sind, sondern auf einander vor- bzw. nachgelagerten Marktstufen tätig sind (sog. vertikale Vereinbarungen), kann den Wettbewerb beschränken. So kommt es in Vertriebsverträgen nicht selten vor, dass der Vertriebsmittler gegenüber dem Lieferanten bestimmte Verpflichtungen übernimmt, die sein Bezugs- oder Absatzverhalten beeinflussen. Verspricht z.B. der Vertriebsmittler, die Produkte zu bestimmten Preisen zu verkaufen, dann wird der Preiswettbewerb auf der Marktstufe des Vertriebsmittlers eingeschränkt. Eine vertikale Wettbewerbsbeschränkung liegt auch im umgekehrten Fall vor, wenn der Lieferant sich gegenüber seinem Vertriebsmittler bestimmter Handlungsalternativen begibt, sich z.B. verpflichtet, den Vertriebsmittler exklusiv zu beliefern. b) Bezweckte oder bewirkte Wettbewerbsverhinderung, -beschränkung oder -verfälschung 41 Gegenstand der Verhaltensabstimmung muss die Verhinderung, Beschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs sein. Dabei wird in der Praxis nicht streng zwischen diesen Begriffen unterschieden. Maßgeblich ist, ob die wirtschaftlichen Handlungsmöglichkeiten der Beteiligten durch die Vereinbarung verringert werden. Dies muss nicht den Wettbewerb zwischen den an der Vereinbarung Beteiligten betreffen, ausreichend ist es auch, wenn nur die wirtschaftliche Handlungsfreiheit eines Beteiligten gegenüber einem Dritten oder ausschließlich die Marktstellung Dritter, z.B. von Lieferanten auf der vorgelagerten Marktstufe, beschränkt wird43. 42 Die so definierte Wettbewerbsbeschränkung muss durch die Vereinbarung entweder bezweckt oder bewirkt werden. Ob eine Vereinbarung eine Beschränkung des Wettbewerbs bezweckt, ergibt sich regelmäßig aus deren Inhalt44. Wenn zwei Unternehmen das Marktgebiet untereinander aufteilen oder Preise absprechen, dann wird damit eine Wettbewerbsbeschränkung „bezweckt“. Nur wenn die Vereinbarung nicht die Be42 Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, Art. 81 EG-Vertrag Rz. 66 m.w.N. 43 Dazu ausführlich etwa Bunte in Langen/Bunte, Band 2, Europäisches Kartellrecht, Art. 81 EG-Vertrag, Generelle Prinzipien, Rz. 79 ff. 44 Vgl. dazu Bekanntmachung der Kommission, Leitlinien zur Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag, ABl. Nr. C 101 v. 27.4.2004, S. 97, Rz. 21 ff.
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B. Wettbewerbsbeschränkende Verhaltensabstimmung
schränkung des Wettbewerbs bezweckt, ist weiter zur prüfen, ob die Vereinbarung eine solche Wettbewerbsbeschränkung bewirkt45. Dazu ist eine Prognose über die wirtschaftlichen Wirkungen der Vereinbarung erforderlich. Es muss überprüft werden, ob die Vereinbarung den gegenwärtigen oder potentiellen Wettbewerb in einem solchen Ausmaß beeinträchtigen kann, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit negative Auswirkungen auf Preise, Produktionsmengen, Innovationen oder Vielfalt bzw. Qualität von Waren und Dienstleistungen erwartet werden können46. Insbesondere die folgenden Kriterien spielen dabei eine Rolle: die Art und Menge der von der Vereinbarung erfassten Erzeugnisse, die Marktstellung der Beteiligten, Marktzutrittsschranken für Dritte sowie das rechtliche und wirtschaftliche Umfeld der Vereinbarung. Zum Umfeld der Vereinbarung gehören insbesondere sog. Netzwerke 43 gleichartiger Verträge. Dabei wird berücksichtigt, dass zum Beispiel ein einzelner Vertriebsvertrag regelmäßig keine oder nur geringe Wirkungen auf den Wettbewerb haben wird. Ist dieser Vertrag aber Teil einer Gesamtheit gleichartiger im Markt vorhandener Vereinbarungen, so sind die Wirkungen dieses Vertrages im Zusammenhang mit den Verhältnissen auf dem Markt gänzlich andere47. c) Grenzen des Tatbestandes Ein Verhalten kann nur dann nach Art. 101 AEUV untersagt sein, wenn 44 es zu einer Wettbewerbsbeschränkung zwischen zwei unabhängigen Unternehmen führt. Nicht erfasst sind deshalb solche Vereinbarungen, die sich nur innerhalb einer wirtschaftlichen Einheit auswirken. Sind mehrere Unternehmen derart miteinander verbunden, dass sie unter einheitlicher Leitung stehen, Wettbewerb zwischen ihnen also schon aufgrund gesellschaftsrechtlicher Strukturen nicht stattfindet, so sind Vereinbarungen, die deren Verhalten im Wettbewerb beeinflussen, nicht von Art. 101 AEUV erfasst48. Die Grundsätze der wirtschaftlichen Einheit liefern auch die dogmati- 45 sche Begründung dafür, dass Handelsvertreter von ihrem Geschäftsherrn genaue Vorgaben für den Absatz der Produkte erhalten können, ohne dass dies kartellrechtlich verboten wäre. Sofern sie bestimmte, aus Sicht der Europäischen Kommission händlertypische Absatzrisiken nicht zu tragen haben, werden sie als Teil der wirtschaftlichen Einheit des Prinzipals an-
45 EuGH v. 28.3.1984 – Rs. 29, 30/83 – Rheinzink u.a., Slg. 1984, S. 1679, Rz. 26. 46 Bekanntmachung der Kommission, Leitlinien zur Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag, ABl. Nr. C 101 v. 27.4.2004, S. 97, Rz. 24 ff. 47 EuGH v. 28.2.1991 – Rs. C-234/89 – Delimitis/Henninger Bräu, Slg. 1991, I-935, Rz. 19 ff. 48 Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, Art. 81 EG-Vertrag Rz. 51 m.w.N. Karl/Beutelmann
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gesehen, innerhalb der Vorgaben für die Absatztätigkeit des Handelsvertreters kartellrechtlich nicht überprüft werden können49. 46 Art. 101 AEUV ist auch dann nicht anwendbar, wenn den Unternehmen aufgrund hoheitlicher Regelung ein anderes Verhalten im Wettbewerb nicht möglich war. Soweit nämlich die wirtschaftliche Handlungsfreiheit von Unternehmen nicht gegeben ist, kann dieses Verhalten auch nicht dem Kartellverbot unterfallen. In diesen Fällen fehlt es am von Art. 101 Abs. 1 AEUV vorausgesetzten Handlungsspielraum der Unternehmen. Der davon nicht angetastete, dem Unternehmen verbleibende Wettbewerb bleibt jedoch geschützt50. 47 In der Praxis haben sich einige weitere Fallgruppen herausgebildet, in denen zwar eine Einschränkung der Handlungsfreiheit von Unternehmen vorliegt, die Maßnahmen insgesamt aber als wettbewerbsfördernd angesehen werden. Dogmatisch handelt es sich dabei um Restriktionen des Tatbestands von Art. 101 Abs. 1 AEUV. In der Praxis bedeutsam ist insbesondere der sog. Arbeitsgemeinschaftsgedanke. Eine Arbeitsgemeinschaft zwischen Wettbewerbern verstößt dann nicht gegen das Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV, wenn die Unternehmen alleine nicht in der Lage wären, ein Angebot für ein konkretes Projekt abzugeben, bzw. wenn das konkrete Projekt das technische oder finanzielle Risiko für das einzelne Unternehmen übersteigt. In diesen Fällen wird erst durch die Zusammenarbeit der Wettbewerber ein marktfähiges Angebot möglich51. 48 Auch wettbewerbsbeschränkende Nebenvereinbarungen zu Unternehmenskaufverträgen werden als nicht von Art. 101 Abs. 1 AEUV erfasst angesehen, wenn sie für die Umsetzung des Zusammenschlusses „notwendig“ und mit diesem „unmittelbar verbunden“ sind. Dies wird von der Kommission für solche Wettbewerbsbeschränkungen angenommen, die im Interesse des Käufers den Wert des veräußerten Unternehmens gegen Maßnahmen des Verkäufers absichern. Dies geschieht typischerweise mittels befristeter Wettbewerbsverbote zu Lasten des Verkäufers. Der Verkäufer soll daran gehindert werden, nachträglich den Wert des veräußerten Unternehmens dadurch zu verringern, dass er z.B. die bestehenden Kundenkontakte weiter nutzt52. 49 Mitteilung der Kommission, Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. C 130 v. 19.5.2010, S. 1, Rz. 12 ff.; EuGH v. 11.9.2008 – Rs. C-279/06 – CEPSA II, EuZW 2008, 668. 50 EuGH v. 16.12.1975 – Rs. C-40/73 et al. – Suiker Unie, Slg. 1975, 1663, 1943; v. 11.9.2003 – Rs. C-207/01 – Altair Chimica, Slg. 2003, 8875, 8908; v. 18.9.1996 – Rs. T-387/94 – Asia Motor France, Slg. 1996, II-961, 990; Kommission v. 20.10.2004, COMP. 38.238 – Spanischer Rohtabak, Rz. 349 m.w.N. 51 Vgl. dazu Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, Art. 81 EGVertrag Rz. 117 ff.; König/Kühling/Müller, WuW 2005, 126. 52 Ausführlich dazu: Bekanntmachung der Kommission über Einschränkungen des Wettbewerbs, die mit der Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen unmittelbar verbunden und für diese notwendig sind, ABl. Nr. C 56 v. 5.3.2005, S. 24.
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B. Wettbewerbsbeschränkende Verhaltensabstimmung
Nicht von Art. 101 Abs. 1 AEUV erfasst werden schließlich bestimmte, eigentlich wettbewerbsbeschränkende Vertriebs- oder Lizenzverträge sowie Zuliefervereinbarungen53.
49
d) Spürbarkeit Art. 101 AEUV erfasst nur solche Vereinbarungen, die zu einer spürbaren 50 Wettbewerbsbeschränkung führen. Das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung darf nicht mit dem Kriterium der Spürbarkeit der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels im oben beschriebenen Sinne (Rz. 15) verwechselt werden54. Das Kriterium der Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung wird von der Europäischen Kommission in ihrer De-minimis-Bekanntmachung ausführlich besprochen. Die darin genannten Kriterien sollen es ermöglichen, diejenigen Vereinbarungen von der Anwendbarkeit des Art. 101 AEUV auszunehmen, die hinsichtlich ihrer Bedeutung für den Wettbewerb als geringfügig oder unbedeutend eingestuft werden können. Hierzu werden sowohl quantitative als auch qualitative Kriterien herangezogen. Vom Fehlen der Spürbarkeit kann dann ausgegangen werden, wenn im Falle horizontaler Vereinbarungen die betroffenen Unternehmen auf den relevanten Märkten einen gemeinsamen Marktanteil von weniger als 10 % haben, im Falle von Vereinbarungen zwischen NichtWettbewerbern der Marktanteil keines der beiden Unternehmen auf einem der betroffenen relevanten Märkte 15 % überschreitet. Unabhängig von diesen Schwellen ist eine Vereinbarung dann spürbar, wenn die Unternehmen besonders schwerwiegende, sog. Kernbeschränkungen in ihre Absprachen aufnehmen. Die Zusammenstellung der Kernbeschränkungen ist dabei den Gruppenfreistellungsverordnungen für vertikale Vereinbarungen bzw. Spezialisierungsvereinbarungen entnommen55. Ist eine der dort genannten Kernbeschränkungen enthalten, so ist die Wettbewerbsbeschränkung unabhängig vom Marktanteil der Parteien als spürbar anzusehen. Darüber hinaus können im Einzelfall eine Vielzahl weiterer Kriterien, etwa eine bereits bestehende Marktkonzentration oder das Vorliegen von Vertragsbündeln, herangezogen werden, um auch unterhalb der genannten Marktanteilsschwellen die Spürbarkeit einer Wettbewerbsbeschränkung zu begründen56. 53 Zu Vertriebsvereinbarungen, vgl. Bunte in Langen/Bunte, Band 2, Europäisches Kartellrecht, Art. 81 EG-Vertrag, Generelle Prinzipien, Rz. 93 ff.; zu Zuliefervereinbarungen, vgl. Bekanntmachung der Kommission über die Beurteilung von Zulieferverträgen, ABl. Nr. C 1 v. 3.1.1979, Nr. C 1, S. 2. 54 Bekanntmachung der Kommission, Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Art. 81 und 82 des Vertrages, ABl. Nr. C 101 v. 27.4.2004, S. 81, Rz. 4. 55 Zu Gruppenfreistellungsverordnungen und deren Funktionsweise, vgl. unten Rz. 52. 56 Vgl. dazu Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, Art. 81 EGVertrag Rz. 100, 101. Karl/Beutelmann
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4. Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV a) Vorbemerkungen 51 Der Verbotsbereich von Art. 101 AEUV ist sehr weit gefasst. Mit Ausnahme der erwähnten tatbestandlichen Restriktionen wird nicht berücksichtigt, ob Vereinbarungen, die die wettbewerbliche Handlungsfreiheit von Unternehmen beschränken, im Einzelfall auch wirtschaftliche Vorteile haben. In der Möglichkeit, solche vorteilhaften Umstände zu berücksichtigen, besteht die Funktion von Art. 101 Abs. 3 AEUV. Dort werden vier Voraussetzungen genannt, unter denen Vereinbarungen, die gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV verstoßen, freigestellt und damit rechtmäßig sind. Diese Voraussetzungen sind jedoch generalklauselartig und damit unscharf formuliert. Eine Bewertung im Einzelfall kann erhebliche Rechtsunsicherheit bergen. Um dies abzumildern, wurden sog. Gruppenfreistellungsverordnungen erlassen, die jeweils solche Arten von Vereinbarungen freistellen, die typischerweise die Voraussetzungen von Art. 101 Abs. 3 AEUV erfüllen (dazu unten Rz. 52 ff.). Nur wenn eine solche Gruppenfreistellungsverordnung für die zu prüfende Vereinbarung nicht vorhanden oder nicht anwendbar ist, muss auf die Voraussetzungen von Art. 101 Abs. 3 AEUV im Einzelnen eingegangen werden (dazu unten Rz. 55 ff.). b) Gruppenfreistellungsverordnungen 52 Gruppenfreistellungsverordnungen werden von der Europäischen Kommission für solche wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen i.S.d. Art. 101 Abs. 1 AEUV erlassen, die im Wirtschaftsverkehr von erheblicher Bedeutung sind, die typischerweise die Freistellungsvoraussetzungen von Art. 101 Abs. 3 AEUV erfüllen und deren Verwendung deshalb als grds. wünschenswert angesehen wird. Die seit dem Jahr 2000 erlassenen Gruppenfreistellungsverordnungen weisen alle die folgende Struktur auf. Zunächst werden die für die jeweilige Gruppenfreistellungsverordnung maßgeblichen Begrifflichkeiten definiert. Anschließend wird der sachliche Anwendungsbereich bestimmt und damit der äußere Rahmen der Freistellung gezogen. Die darauf folgenden Vorschriften enthalten meist eine Marktanteilsschwelle, unter der die beteiligten Unternehmen liegen müssen, um in den Genuss der Gruppenfreistellungsverordnung zu kommen. Außerdem werden sog. schwarze Klauseln genannt, deren Vorliegen die Freistellung für die gesamte Vereinbarung entfallen lässt. Schließlich werden sog. rote Klauseln aufgezählt, die selbst nicht von der Freistellung erfasst werden, aber die Freistellbarkeit der Vereinbarung im Übrigen unberührt lassen. Die übrigen Vorschriften der Gruppenfreistellungsverordnung sehen die Möglichkeit des Entzugs einer Freistellung im Einzelfall durch die Kommission und durch die nationalen Kartellbehörden vor und treffen Regelungen technischer Natur zur Anwendbarkeit der Gruppenfreistellungsverordnung. 708
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B. Wettbewerbsbeschränkende Verhaltensabstimmung
Die folgenden Gruppenfreistellungsverordnungen sind die in der Praxis 53 wichtigsten: Nr. 330/2010 für vertikale Vereinbarungen (Vertriebsverträge)57, Nr. 461/2010 für vertikale Vereinbarungen im Kraftfahrzeugsektor58, Nr. 772/2004 über Technologietransfer-Vereinbarungen59, Nr. 1218/2010 über Spezialisierungsvereinbarungen60, Nr. 1217/2010 über Forschungsund Entwicklungsvereinbarungen61, Nr. 267/2010 über Vereinbarungen im Versicherungssektor62, Nr. 906/2009 für Vereinbarungen zwischen Seeschiffahrtsunternehmen63 und Nr. 1459/06 für bestimmte Vereinbarungen betreffend den Luftverkehr64. Fällt eine Vereinbarung zwar in den Anwendungsbereich einer Gruppen- 54 freistellungsverordnung, erfüllt sie aber nicht alle ihre Freistellungsvoraussetzungen, so bedeutet das nicht zwangsläufig, dass die Vereinbarung unwirksam ist. Vielmehr ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Vereinbarung die Freistellungsvoraussetzungen nach Art. 101 Abs. 3 AEUV erfüllt. Von den Gruppenfreistellungsverordnungen sind aber Rückschlüsse auf die Freistellung im Einzelfall möglich. Insbesondere das Vorliegen von Kernbeschränkungen (sog. schwarze Klauseln, z.B. Art. 4 der VO Nr. 330/2010) wird auch die Freistellung im Einzelfall im Grundsatz verhindern. Andererseits wird ein nur geringfügiges Überschreiten von Marktanteilsschwellen dann unproblematisch sein, wenn im Übrigen nur Wettbewerbsbeschränkungen geringer Intensität verwendet werden. c) Die Voraussetzungen von Art. 101 Abs. 3 AEUV im Einzelfall Art. 101 Abs. 3 AEUV stellt Vereinbarungen vom Verbot des Art. 101 55 Abs. 1 AEUV frei, wenn die folgenden vier Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: – Die Vereinbarung trägt zur Verbesserung der Warenerzeugung oder Warenverteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts bei (so genannte Effizienzvorteile). – Die Verbraucher werden an dem entstehenden Gewinn angemessen beteiligt.
57 ABl. L 102 v. 20.4.2010, S. 1. Vgl. dazu Bekanntmachung der Kommission, Leitlinien für vertikale Beschränkungen, ABl. C 130 v. 19.5.2010, S. 1. 58 ABl. L 129 v. 28.5.2010, S. 52. 59 ABl. Nr. L 123 v. 27.4.2004, S. 11. Vgl. dazu Bekanntmachung der Kommission, Leitlinien über Technologietransfervereinbarungen, ABl. Nr. C 101 v. 27.4.2004, S. 2. 60 ABl. L 355 v. 18.12.2010, S. 43. Vgl. dazu Bekanntmachung der Kommission, Leitlinien für horizontale Beschränkungen, ABl. C 11 v. 14.1.2011, S. 1. 61 ABl. L 355, S. 36. Vgl. dazu Bekanntmachung der Kommission, Leitlinien für horizontale Beschränkungen, ABl. C 11 v. 14.1.2011, S. 1. 62 ABl. L 83 v. 30.3.2010, S. 8. 63 ABl. L 256 v. 29.9.2009, S. 31. 64 ABl. Nr. L 272 v. 3.10.2006, S. 3. Karl/Beutelmann
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– Die enthaltenen Beschränkungen sind für die Verwirklichung der genannten Ziele unerlässlich. – Den beteiligten Unternehmen wird nicht ermöglicht, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschließen. In einer Bekanntmachung aus dem Jahr 2004 hat die Europäische Kommission diese Voraussetzungen erläutert65. 56 Eine Vereinbarung erzielt Effizienzvorteile, wenn zu erwarten ist, dass die mit ihr bezweckte Zusammenarbeit zwischen Unternehmen objektive Vorteile ökonomischer Art bewirken wird. Diese können in Kosteneinsparungen, in der Verbesserung der Produkte, aber auch im Erschließen neuer Ressourcen bestehen. Erforderlich ist darüber hinaus ein kausaler Zusammenhang zwischen der Vereinbarung und den Effizienzvorteilen66. 57 Die Vereinbarung muss die Verbraucher an den erzielten Effizienzgewinnen angemessen beteiligen. Für die Verbraucher müssen also beispielsweise günstigere Preise oder ein verbessertes Produktangebot in Aussicht stehen. Dabei muss das Ausmaß der Vorteile die zu befürchtenden negativen Auswirkungen mindestens ausgleichen67. 58 Die Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV setzt weiter voraus, dass die in einer Vereinbarung enthaltenen Wettbewerbsbeschränkungen unerlässlich sind, um die Effizienzgewinne zu erzielen. Es ist also zu prüfen, ob es möglich ist, die Vereinbarung ohne oder mit weniger einschneidenden Wettbewerbsbeschränkungen abzuschließen, und dennoch die angestrebten Effizienzgewinne zu erzielen. Ist eine solche alternative Gestaltung der Vereinbarung unter Berücksichtigung der Marktverhältnisse und der unternehmerischen Gegebenheiten tatsächlich wirtschaftlich machbar, und nicht nur hypothetisch denkbar, so ist jede weitergehende Beschränkung nicht freigestellt68. 59 Schließlich darf die Vereinbarung nicht dazu führen, dass die beteiligten Unternehmen für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb ausschalten. Dies bringt zum Ausdruck, dass der Schutz des Wettbewerbs Vorrang vor eventuell zu erzielenden Effizienzgewinnen hat. Unter Berücksichtigung der Marktgegebenheiten (wesentliche Wettbewerber, tatsächliches Marktverhalten der Parteien und ihrer wichtigs65 Bekanntmachung der Kommission, Leitlinien zur Anwendung Abs. 3 EG-Vertrag, ABl. C 101 v. 27.4.2004, S. 97. 66 Bekanntmachung der Kommission, Leitlinien zur Anwendung Abs. 3 EG-Vertrag, ABl. C 101 v. 27.4.2004, S. 97, Rz. 48 ff. 67 Bekanntmachung der Kommission, Leitlinien zur Anwendung Abs. 3 EG-Vertrag, ABl. C 101 v. 27.4.2004, S. 97, Rz. 83 ff. 68 Bekanntmachung der Kommission, Leitlinien zur Anwendung Abs. 3 EG-Vertrag, ABl. C 101 v. 27.4.2004, S. 97, Rz. 73 ff.
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von Art. 81 von Art. 81 von Art. 81 von Art. 81
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B. Wettbewerbsbeschränkende Verhaltensabstimmung
ten Wettbewerber, Marktzutrittsschranken, Marktmacht der Abnehmer, Entwicklung des Marktes in der Vergangenheit) ist eine Aussage darüber zu treffen, ob auch nach Abschluss der Vereinbarung mit wesentlichem Wettbewerb zu rechnen ist69. 5. Ausnahme nach Art. 106 Abs. 2 AEUV In aller Regel dient die wirtschaftliche Tätigkeit des Staates nicht allein 60 der Gewinnerzielung. Vielmehr werden auch originär staatliche Zwecke verfolgt, nämlich die Erfüllung hoheitlicher Aufgaben. Dies allein hindert grds. nicht die Anwendbarkeit von Art. 101 AEUV. Die uneingeschränkte Anwendung von Art. 101 Abs. 1 AEUV kann aber dazu führen, dass dem Staat die Wahrnehmung seiner hoheitlichen Aufgaben unmöglich gemacht oder erschwert wird. Dieser Konflikt wird im europäischen Recht von Art. 106 Abs. 2 AEUV geregelt, der „das Interesse der Mitgliedstaaten am Einsatz bestimmter Unternehmen, insbesondere solcher des öffentlichen Sektors, als Instrument der Wirtschafts- oder Fiskalpolitik mit dem Interesse der Gemeinschaft an der Einhaltung der Wettbewerbsregeln und der Wahrung der Einheit des Gemeinsamen Marktes in Einklang bringen“
soll70. Über seinen unmittelbaren Wortlaut hinaus dient Art. 106 Abs. 2 AEUV nicht nur der Rechtfertigung von durch den Staat beeinflusstem Handeln privater Unternehmen (vgl. dazu unten Rz. 185 ff.), sondern auch der Rechtfertigung der staatlichen Maßnahme, die zu diesem Verstoß führt. Daneben regelt Art. 106 Abs. 2 AEUV auch die beihilferechtliche Zulässigkeit von staatlichen Entschädigungszahlungen für die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse71. Voraussetzung für das Eingreifen der Ausnahmevorschrift ist, – dass das fragliche Handeln in der Wahrnehmung einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse besteht, – dass ein Unternehmen mit der Durchführung dieser Dienstleistung betraut wurde,
69 Bekanntmachung der Kommission, Leitlinien zur Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EG-Vertrag, ABl. C 101 v. 27.4.2004, S. 97, Rz. 105 ff. 70 EuGH v. 19.3.2001 – Rs. 202/88 – Frankreich/Kommission, Slg. 1991, I-1263, Rz. 12. 71 Gundel in Münchener Kommentar, Band 1, Europäisches Wettbewerbsrecht, Art. 86 EG Rz. 75 f.; Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, Art. 86 EG-Vertrag Rz. 36. Die Zulässigkeit staatlicher Entschädigungszahlungen nach dem europäischen Beihilferecht war Gegenstand von Reformbemühungen der Europäischen Kommission. Ende des Jahres 2011 ist die Veröffentlichung eines entsprechenden Reformpakets bestehend aus vier Instrumenten erfolgt, das über die Website der Europäischen Kommission, Generaldirektion Wettbewerb, abzurufen ist. Karl/Beutelmann
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– dass deren Erfüllung durch die Anwendung der Wettbewerbsregeln verhindert würde und – dass der Handelsverkehr nicht in einem den Interessen der Gemeinschaft zuwider laufenden Ausmaß beeinträchtigt wird. 61 Gegenstand der Ausnahmevorschrift sind Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse72. Der Begriff der Dienstleistung ist dabei nicht in seinem engen Wortsinn zu verstehen; er kann auch jede andere wirtschaftliche Tätigkeit, insbesondere die Bereitstellung von Waren, erfassen. Die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse werden von der Europäischen Kommission auch als Leistungen der Daseinsvorsorge bezeichnet, deren Kennzeichen es ist, dass sie nicht nur private oder Partikularinteressen, sondern mindestens auch Interessen einer breiteren Öffentlichkeit repräsentieren. Sie zeichnen sich außerdem dadurch aus, dass sie in den Augen des Staates auch dann flächendeckend und zu angemessenen Preisen erbracht werden müssen, wenn der Markt nicht genügend Anreize für deren Erbringung bietet. Der Staat hat hinsichtlich des Umfanges und der Ausgestaltung der Dienstleistung eine Gestaltungsfreiheit, die von der Kommission und den Gerichten nicht vollständig überprüft werden kann73. In Literatur und Praxis nicht abschließend geklärt ist die Frage, wie das Kriterium des „wirtschaftlichen“ Interesses auszulegen ist, ob davon insbesondere auch rein kulturelle, karitative, religiöse oder soziale Zwecke umfasst sein können. Im Ergebnis wird es hierauf jedoch häufig nicht ankommen, weil Einrichtungen mit den genannten Zwecken in der Regel schon die Unternehmenseigenschaft fehlt, so dass die Wettbewerbsregeln gar keine Anwendung finden. Umgekehrt wird verbreitet angenommen, dass aus der Eigenschaft als Unternehmen im oben definierten Sinne definitionsgemäß folge, dass eine Dienstleistung im „wirtschaftlichen“ Interesse erbracht wird74. 62 Für die Anwendbarkeit von Art. 106 Abs. 2 AEUV ist es nicht ausreichend, dass ein Unternehmen eine Leistung im soeben definierten Sinne erbringt. Das Unternehmen muss mit dieser Leistung durch die öffent-
72 Art. 106 Abs. 2 AEUV nennt außerdem Finanzmonopole. Diese sind jedoch in der Praxis von geringer Bedeutung. Vgl. dazu Mestmäcker/Schweitzer in Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, Art. 31, 86 EGV, D. Rz. 60 ff. 73 EuGH v. 23.10.1997 – Rs. C-157/94 – Niederlande/Kommission, Slg. 1997, I-5699, Rz. 37 ff. Dazu auch Mitteilung der Kommission, Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, ABl. Nr. C 17 v. 19.1.2001, S. 4, Rz. 22 sowie Protokoll Nr. 26 zum AEUV, ABl. 115 v. 9.5.2008, S. 308. Beispiele solcher Dienstleistungen aus der Kommissionspraxis nennt z.B. Stadler in Langen/Bunte, Band 2 Europäisches Kartellrecht, Art. 86 EG-Vertrag Rz. 52. 74 Zum Streitstand, vgl. etwa Stadler in Langen/Bunte, Band 2 Europäisches Kartellrecht, Art. 86 EG-Vertrag Rz. 47 ff.
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liche Hand betraut sein75. Dies erfordert einen Hoheitsakt der öffentlichen Gewalt, entweder im Einzelfall oder mittels abstrakt-genereller Rechtsvorschrift, auf der die Tätigkeit zumindest mittelbar beruht76. Die besondere Beziehung des Unternehmens zu der von ihm erbrachten Leistung muss in diesem Akt zum Ausdruck kommen. Nicht als ausreichend wurde es deshalb angesehen, wenn die betreffende Tätigkeit lediglich unter Erlaubnisvorbehalt steht, und der Staat diese erlaubnispflichtige Tätigkeit überprüft. Kennzeichnend dürfte es insofern sein, dass die Betrauung mit einer Verpflichtung verbunden ist, die Tätigkeit vorzunehmen77. Die Tätigkeit muss im Akt der Betrauung möglichst detailliert bestimmt sein, um den Inhalt der Dienstleistung und damit den Umfang der Freistellung durch Art. 106 Abs. 2 AEUV bestimmen zu können78. Die Anwendung des Wettbewerbsrechts kann gem. Art. 106 Abs. 2 AEUV 63 nur ausgeschlossen sein, wenn und soweit dies die Erfüllung der übertragenen Leistung rechtlich oder tatsächlich unmöglich machen würde oder diese wesentlich erschwert würde. Dieses Kriterium, das auch als Erforderlichkeit bezeichnet wird, soll solche Fälle dem Wettbewerbsrecht unterwerfen, in denen die Aufgabenerfüllung auch ohne Wettbewerbsverstoß möglich wäre. Maßgeblich ist hier, welche Belastungen das betraute Unternehmen durch die Aufgabenerfüllung erleidet, und wie diese Belastungen zu kompensieren sind, um für das Unternehmen wirtschaftlich annehmbare Bedingungen zu schaffen. Dabei muss sich die Wettbewerbsbeschränkung grds. auf den Markt beschränken, auf dem die besondere Leistung erbracht wird. Nur in Ausnahmefällen wurde eine Quersubventionierung gestattet79. Schließlich erfordert Art. 106 Abs. 2 Satz 2 AEUV, dass die fragliche 64 Handlung nicht zu einer übermäßigen Beeinträchtigung des Handelsverkehrs führt. Die Funktion und der Inhalt dieses Tatbestandsmerkmals werden nicht einheitlich beurteilt. Nach h.M. handelt es sich um eine Ausprägung der im Rahmen dieser Norm vorzunehmenden Verhältnis75 Erhält das Unternehmen besondere finanziellen Zuwendungen für das Erbringen der Leistung, so ist zu prüfen, ob es sich hierbei um Beihilfen handelt, vgl. dazu EuGH v. 24.7.2003 – Rs. C-280/00 – Altmark Trans, Slg. 2003, I-7747; dazu im Hinblick auf den ÖPNV, Tätigkeitsbericht 2003/2004, S. 33/34; vgl. außerdem Wachinger, ZögU 2004, 56; Mestmäcker/Schweitzer, Wettbewerbsrecht, § 43 Rz. 2 ff. 76 Hochbaum in Schröter/Jakob/Mederer, Kommentar zum Europäischen Wettbewerbsrecht, Art. 86 EG-Vertrag Rz. 54. 77 So EuGH v. 23.10.1997 – Rs. C-159/94 – Kommission/Frankreich, Slg. 1997, I-5815, Rz. 60–89. 78 Mitteilung der Kommission, Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, ABl. Nr. C 17 v. 19.1.2001, S. 4, Rz. 37 ff. Formale Voraussetzungen sind auch in dem von der Kommission für Ende des Jahres 2011 vorgesehenen Gesetzgebungspaket enthalten, in dem die Zulässigkeit von Entschädigungszahlungen für die Erbringung solcher Dienstleistungen geregelt werden soll. 79 Zu Nachweisen aus der Praxis der Europäischen Gerichte, vgl. Stadler in Langen/Bunte, Band 2, Europäisches Kartellrecht, Art. 86 EG-Vertrag Rz. 59 ff. Karl/Beutelmann
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mäßigkeitsprüfung, die eine Abwägung zwischen den mitgliedstaatlichen Interessen an der Erfüllung einer staatlichen Aufgabe und dem Interesse der Gemeinschaft erfordert. Die Interessen der Gemeinschaft finden sich insbesondere in den Zielen der Europäischen Union, zu denen aber auch Art. 14 AEUV zählt, der das Funktionieren der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zum Gegenstand hat80. 6. Rechtsfolgen und Verfahren 65 Enthält eine Vereinbarung wettbewerbsbeschränkende Klauseln, die gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV verstoßen, aber nicht nach Art. 101 Abs. 3 AEUV freigestellt oder von Art. 106 Abs. 2 AEUV erfasst sind, so sind diese Klauseln nach Art. 101 Abs. 2 AEUV nichtig. Ob dies bei trennbaren Vereinbarungen auch den Rest der Vereinbarung erfasst, bestimmt sich nach nationalem Recht, in Deutschland also unter Berücksichtigung von § 139 BGB81. Ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV kann auch Grundlage eines Unterlassungs- oder Schadensersatzanspruchs sein. Ob es einen europarechtlichen Schadenersatzanspruch unmittelbar aus Art. 101 Abs. 1 AEUV gibt, ist in der Literatur gegenwärtig umstritten82. Jedenfalls besteht aber nach deutschem Recht ein solcher Anspruch unter den Voraussetzungen von § 33 Abs. 1 GWB (dazu unten Rz. 95). 66 Daneben sind auf der Grundlage europäischen Rechts83 verwaltungsrechtliche und bußgeldrechtliche Maßnahmen der Kommission möglich. Sie kann eine Zuwiderhandlung feststellen und die Abstellung der Zuwiderhandlung anordnen84. Daneben kann die Europäische Kommission Geldbußen verhängen, die bis zu 10 % des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes der Unternehmensgruppe betragen kann, der das gegen das Kartellverbot verstoßende Unternehmen angehört (vgl. Art. 23 VO 1/2003). 67 Das Bedürfnis nach Rechtssicherheit (etwa in Form einer rechtsverbindlichen Feststellung der Zulässigkeit einer Maßnahme), das Unternehmen insbesondere bei Vereinbarungen mit erheblichem Investitionsvolumen haben, wird von der Kommission in der Regel nicht befriedigt. Zwar be80 Ehemals Art. 16 EG-Vertrag. Vgl. dazu auch das Protokoll Nr. 26 zum AEUV über Dienste von allgemeinem Interesse, ABl. 115 v. 9.5.2008, S. 308. Zur Abwägung, vgl. etwa Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, Art. 86 EG-Vertrag Rz. 50 f. 81 Zum Ganzen Bunte in Langen/Bunte, Band 2 Europäisches Kartellrecht, Art. 81 EG-Vertrag, Generelle Prinzipien, Rz. 251 ff. 82 EuGH v. 20.9.2001 – Rs. C-453/99 – Courage/Crehan, Slg. 2001, I-6297; v. 13.7.2006 – Rs. C-295-298/04 – Manfredi, Slg. 2006, I-6619; zur Rechtsentwicklung in diesem Bereich, vgl. Becker/Kammin, EuZW 2011, 503. 83 Verstöße gegen Art. 81 EG-Vertrag können auch von nationalen Behörden geahndet werden, vgl. im deutschen Recht §§ 32 ff., 81GWB und unten Rz. 97 ff. 84 Vgl. Art. 7 VO 1/2003. Für nationale Kartellbehörden enthält Art. 5 VO 1/2003 eine vergleichbare Ermächtigung.
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steht die Möglichkeit, gem. Art. 10 VO 1/2003 die Nichtanwendbarkeit von Art. 101 AEUV von der Kommission feststellen zu lassen, auf eine entsprechende Feststellung besteht jedoch kein Anspruch, und die Kommission wird von diesem Instrument auch nur in Ausnahmefällen Gebrauch machen. Es obliegt damit den betroffenen Unternehmen zu prüfen, ob ihr Verhalten den Voraussetzungen von Art. 101 AEUV entspricht. Dies wird in der Praxis mittels sogenannter Selbstveranlagungen durchgeführt, die zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung durch die Parteien bzw. im Kartellrecht kundige Spezialisten im Auftrag der Parteien erstellt werden, und eine gutachterliche Prüfung der kartellrechtlichen Zulässigkeit zum Gegenstand haben. Damit dokumentieren die Unternehmen einander, den Kartellbehörden und Dritten, dass sie ihre kartellrechtlichen Sorgfaltspflichten erfüllt haben und von der Rechtmäßigkeit ihrer Vereinbarung ausgehen durften.
III. Nationales Recht Seit der Siebten GWB-Novelle, die zum 1.7.2005 in Kraft trat, sind die 68 Vorschriften des deutschen Rechts zu wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensabstimmungen hinsichtlich Inhalt und Struktur eng an das europäische Recht angelehnt. Es wurde zwar darauf verzichtet, einen ausdrücklichen Hinweis ins GWB aufzunehmen, dass das deutsche Recht mit Rücksicht auf die Praxis der Europäischen Kommission und der Europäischen Gerichte auszulegen ist. Dies beruht aber eher darauf, dass man die auf einer solchen Auslegungsnorm beruhenden Rechtsunsicherheiten, wie sie in anderen Mitgliedstaaten aufgetreten sind, vermeiden wollte. Da das gesetzgeberische Ziel der Novelle ausdrücklich in der Anpassung des deutschen an das europäische Recht bestand, um die Differenzen der Regelungen „oberhalb“ und „unterhalb“ der Zwischenstaatlichkeitsschwelle (vgl. dazu oben Rz. 12) zu minimieren, wird im Ergebnis zur Auslegung der Vorschriften des GWB insbesondere im hier besprochenen Bereich der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen (Art. 101 AEUV, §§ 1 ff. GWB), auf die europäische Praxis zurückgegriffen, soweit es sich nicht um eine ausdrücklich abweichende Regelung handelt85. Für die folgenden Ausführungen bedeutet dies, dass weitgehend auf die obigen Ausführungen Bezug genommen werden kann. Im Folgenden werden vor allem die Besonderheiten der deutschen Rechtslage herausgestellt.
85 Bechtold, GWB, § 1 Rz. 4. Karl/Beutelmann
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1. Adressat a) Der Unternehmensbegriff des GWB 69 Das GWB richtet sich an „Unternehmen“ und „Vereinigungen von Unternehmen“. Diese Begriffe bilden den persönlichen Anwendungsbereich des GWB. In der Vergangenheit hat sich insbesondere zum Begriff des Unternehmens eine umfangreiche deutsche Praxis herausgebildet, die sich im Ergebnis nur selten, in der Herangehensweise aber durchaus vom europäischen Recht unterscheidet. Es ist noch nicht abzusehen, ob die zukünftige Rechtsprechung des BGH an die europäische Praxis angeglichen wird, weshalb der traditionelle Unternehmensbegriff des GWB hier zu skizzieren ist. Hinsichtlich des Begriffs der Unternehmensvereinigung kann auf die Ausführungen zum europäischen Recht (Rz. 28 f.) verwiesen werden. 70 Das GWB enthält keine Definition, was unter einem Unternehmen zu verstehen ist. Auf Grundlage des Gesetzeszwecks geht man davon aus, dass das GWB einen funktionalen Unternehmensbegriff fordert. Demzufolge ist ein Rechtssubjekt bei jedem selbständigen Handeln im geschäftlichen Verkehr als Unternehmen i.S.d. GWB anzusehen86. Ein Handeln im geschäftlichen Verkehr umfasst das Anbieten oder Nachfragen von Waren oder gewerblichen Leistungen in der Erwartung einer Gegenleistung. An einer unternehmerischen Tätigkeit fehlt es nur dann, wenn die Teilnahme am geschäftlichen Verkehr nur zur Deckung eines privaten Bedarfs erfolgt. Ebenso wenig kann als Unternehmen angesehen werden, wer als Arbeitnehmer und damit in unselbständiger Weise auftritt. Allerdings kann deren Verhalten unter Umständen dem Arbeitgeber zugerechnet werden, dessen Unternehmenseigenschaft separat festzustellen ist. 71 Ohne Einfluss auf den Unternehmensbegriff ist die Gewinnerzielungsabsicht, weshalb auch gemeinnützige Organisationen als Unternehmen anzusehen sein können. Darüber hinaus ist es irrelevant, ob die fragliche Tätigkeit dauerhaft und planmäßig ausgeführt wird. Auch die nur gelegentliche wirtschaftliche Tätigkeit ist somit dem GWB unterworfen. Ebenso ist die vorübergehende Stilllegung der Tätigkeit unerheblich, solange eine künftige Teilnahme am Wettbewerb anzunehmen ist und die zu beurteilende Tätigkeit gerade auf dieses zukünftige Tätigwerden gerichtet ist. Man spricht insoweit von potentiellen Unternehmen. Des Weiteren ist es unerheblich, ob die Teilnahme am geschäftlichen Verkehr die einzige Tätigkeit des betreffenden Rechtssubjektes darstellt. Auch der Umstand, dass es sich dabei um eine unbedeutende Nebentätigkeit han-
86 Bechtold, GWB, § 1 Rz. 6 ff.; Zimmer in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 1 Rz. 24 ff.
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delt, ändert an der funktionell verstandenen Unternehmenseigenschaft nichts87. Schließlich ist auch die Rechtsform des Handelnden irrelevant. Erfasst 72 sind somit neben den auch im allgemeinen Sprachgebrauch als Unternehmen eingestuften Personen- und Kapitalgesellschaften eingetragene Vereine, natürliche Personen und ggf. Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts. Ausführlich ist im Folgenden auf die Unternehmenseigenschaft der öffentlichen Hand und ihrer Unternehmen einzugehen. b) Leistungs- und Wettbewerbsbeziehungen von Unternehmen der öffentlichen Hand Der Grundsatz, dass auch die wirtschaftliche Tätigkeit der öffentlichen 73 Hand diejenige eines Unternehmens i.S.d. GWB ist, wird durch § 130 Abs. 1 Satz 1 GWB klargestellt. Wenn eine Tätigkeit die oben genannten Voraussetzungen erfüllt, dann ist sie den Schranken des GWB unterworfen. Dies gilt auch dann, wenn die handelnde Rechtsperson im Eigentum der öffentlichen Hand steht, von ihr betrieben oder von ihr verwaltet wird88. Die gerichtliche Praxis zum GWB hat jedoch eine wichtige Ausnahme 74 herausgearbeitet, wonach bestimmte öffentlich-rechtlich geregelte Sachverhalte nicht in den Anwendungsbereich des auf private Rechtsverhältnisse zugeschnittenen Wettbewerbs- und Kartellrechts fallen sollen89. Diese sind hinsichtlich des Rechtswegs den Verwaltungs- oder Sozialgerichten vorbehalten und materiellrechtlich dem Kartellrecht entzogen. Es handelt sich dabei um Bereiche, in denen Wettbewerb aufgrund gesetzlicher Regelung nicht stattfindet. Der Ausschluss von Marktkräften in diesen Fällen wird in aller Regel damit begründet, dass der Wettbewerb nicht in der Lage wäre, die der gesetzlichen Regelung zugrunde liegenden öffentlichen Zwecke ebenso gut zu erfüllen, wie es der Staat unter Beschränkung des Wettbewerbs kann. Zur Bestimmung der Anwendbarkeit des Kartellrechts auf öffentlich- 75 rechtliche Unternehmen wird zunächst zwischen den Leistungsbeziehungen zwischen dem öffentlich-rechtlichen Unternehmen und seinen Vertragspartnern einerseits und den Wettbewerbsbeziehungen zwischen dem öffentlich-rechtlichen Unternehmen und seinen Konkurrenten anderer-
87 Vgl. hierzu Bunte in Langen/Bunte, Band 1, Deutsches Kartellrecht, § 1 Rz. 18 ff. 88 Weisser in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, GWB 2005, § 130 Abs. 1 Rz. 24 ff. 89 Teilweise wird vertreten, diese Frage sei dogmatisch derjenigen vorgeschaltet, ob ein „Unternehmen“ i.S.d. GWB vorliegt, vgl. die Darstellung bei Stadler in Langen/Bunte, Band 1, Deutsches Kartellrecht, § 130 Rz. 23. Karl/Beutelmann
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seits unterschieden90. Unerheblich für die Frage, ob das GWB auf eine Tätigkeit der öffentlichen Hand anwendbar ist, ist die Qualität der Leistungsbeziehungen zu den Abnehmern. Es spielt keine Rolle, ob die öffentliche Hand ihre Leistung in privatrechtlicher oder in öffentlich-rechtlicher Form erbringt. Angesichts der Wahlfreiheit der öffentlichen Hand hinsichtlich der Rechtsform ihres Handelns kann so verhindert werden, dass sich die öffentliche Hand über die Rechtsformwahl dem GWB entzieht. Somit kann auch das Erbringen von Leistungen in hoheitlicher Form dem GWB unterfallen. Es wird dabei hingenommen, dass dieselbe Handlung sowohl öffentlich-rechtlich als auch privatrechtlich zu qualifizieren ist. Man spricht insofern von einer „Doppelqualifizierung“91. 76 Maßgeblich für die Anwendbarkeit des GWB ist allein die Qualität der Wettbewerbsbeziehungen der fraglichen Aktivitäten der öffentlichen Hand zu ihren Konkurrenten. Das GWB ist danach anwendbar, wenn die öffentliche Hand Waren oder gewerbliche Leistungen auf einem Markt erbringt, an dem auch private Wettbewerber teilnehmen, selbst wenn die Leistungsbeziehungen öffentlich-rechtlich geregelt sind. Deren Schutz erfordert die Anwendung des GWB. Dies gilt auch dann, wenn es zwar aktuell keine Wettbewerber gibt, diese aber zumindest denkbar sind92. 77 Das GWB ist unanwendbar, wenn der Staat rein hoheitliche Tätigkeiten wahrnimmt93. Dies ist jedenfalls dann gegeben, wenn es Sonderregeln zugunsten der öffentlichen Hand gibt, die es ihr ermöglichen, die Wettbewerbsverhältnisse einseitig öffentlich-rechtlich zu regeln, oder die dem Entstehen von Wettbewerb gesetzliche Riegel vorschieben, weil sie die Handlungsfreiheit der Betroffenen einschränken. Die Anwendbarkeit des GWB würde in diesen Fällen keinen Sinn ergeben, weil der Wettbewerb aufgrund gesetzlicher Regelungen ohnehin ausgeschlossen oder beschränkt ist. Dies kann darauf beruhen, – dass die öffentliche Hand befugt ist, die Wettbewerbsbeziehungen zu regeln, insbesondere Preise auf einem Markt festzusetzen, – dass aufgrund gesetzlicher Ermächtigung durch Bereitstellen finanzieller Mittel in den Wettbewerb eingegriffen wird, oder – dass für ein bestimmtes Produkt ein Anschluss- und Benutzungszwang besteht. 90 Dabei wird in Kauf genommen, dass für ein und dieselbe Maßnahme im Einzelfall eine Doppelqualifikation denkbar ist, d.h. eine Maßnahme kann zur selben Zeit öffentlich-rechtlich (im Verhältnis zum Abnehmer) und privatrechtlich (im Verhältnis zum Wettbewerber) sein, vgl. etwa GmS-OGB v. 29.10.1987 – 1/86 (BSG), BGHZ 102, 280 (283). 91 Emmerich in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 130 Abs. 1 Rz. 7 ff., 13 f. 92 Bechtold, GWB, § 130 Rz. 6 m.w.N. 93 Weisser in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, GWB 2005, § 130 Rz. 27 f., 38 ff. m.w.N. Ausführlich dazu auch BKartA v. 10.3.2005 – B 10-123/04 – Rhön-Grabfeld, WuW DE-V 1087, Rz. 45 ff.
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c) Kommunale Unternehmen Bei der Anwendung des GWB auf kommunale Unternehmen ist zunächst 78 zu prüfen, ob die Wettbewerbsbeziehungen zu den Konkurrenten privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Natur sind, ob es also Sonderregeln gibt, die den Wettbewerb ausschließen oder beschränken, und das Verhältnis der Gemeinde zu ihren Konkurrenten somit öffentlich-rechtlich zu beurteilen ist. Nur wenn solche Sonderregeln nicht bestehen, wenn die Wettbewerbsbeziehungen also privatrechtlich sind, stellt sich die weitere Frage, ob auch der Unternehmensbegriff des GWB erfüllt ist. Die wirtschaftliche Tätigkeit einer Gemeinde wird im Allgemeinen dem 79 GWB unterfallen, wenn die Gemeinde selbst oder durch Eigen- oder Regiebetriebe Waren oder gewerbliche Leistungen nachfragt oder absetzt. Dies gilt auch dann, wenn die Gemeinde damit Zwecke verfolgt, die der Allgemeinheit zugutekommen. Nur wenn gesetzliche Pflichten (also Pflichtaufgaben) bestehen, deren Erfüllung durch Anwendung des GWB verhindert würde, ist das GWB insoweit unanwendbar. Auch kann die Gemeinde zu einem gewissen Grad die Anwendbarkeit 80 des GWB selbst beeinflussen. Wenn sie einen Anschluss- und Benutzungszwang vorsieht, dann bestimmt sich dessen Rechtmäßigkeit nach der einschlägigen Gemeindeordnung. Das GWB kann die daraus folgende Exklusivität nicht zu Fall bringen94. Ist ein Anschluss- und Benutzungszwang allerdings nicht erlassen worden, so kann die Gemeinde beispielsweise privaten Bestattungsunternehmen und Gärtnereien die Betätigung auf dem kommunalen Friedhof zugunsten ihres eigenen Bestattungs- und Gärtnereibetriebes nicht untersagen. Durch eine jüngere Entscheidung des OLG Düsseldorf zu einem auf § 59 GWB gestützten Auskunftsverlangen gegenüber einem kommunalen Wasserversorgungsunternehmen, dessen Tätigkeit im Rahmen eines Anschluss- und Benutzungszwangs als nicht-unternehmerisch angesehen wurde, sind eine Vielzahl von Fragen in diesem Zusammenhang aktuell geworden. Insbesondere wirft diese Entscheidung die Frage auf, inwiefern sich eine Gemeinde durch einen zulässigen Anschluss- und Benutzungszwang auch einer Preiskontrolle durch kartellrechtliche Vorschriften entziehen kann95. Der BGH hat der Auffassung des OLG Düsseldorf zwischenzeitlich widersprochen, ohne die eigentlich brennenden Fragen jedoch abschließend zu beantworten.
94 Stadler in Langen/Bunte, Band 1, Deutsches Kartellrecht, § 130 Rz. 29. 95 OLG Düsseldorf v. 8.12.2010 – VI-2 Kart 1/10 (V) – Wasserversorger, WuW/E DE-R 3170, bzw. Stadler in Langen/Bunte, Band 1 Deutsches Kartellrecht, § 130 Rz. 29. Kritische Anmerkungen zum Beschluss des OLG Düsseldorf machen Wolf, BB 2011, 648; Zuber, KommJur 2011, 63; Hellriegel/Schmitt, NuR 2011, 109. Karl/Beutelmann
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Für die Zwecke des Auskunftsbeschlusses qualifizierte der BGH den kommunalen Wasserversorger als Unternehmen. Er verwies in diesem Zusammenhang auf den Grundsatz der „Doppelqualifikation“, wonach die Qualifikation der Leistungsbeziehungen zum Abnehmer als öffentlich-rechtlich nicht ausschließt, dass eine kartellrechtlich zu bewertende Wettbewerbsbeziehung zu einem anderen Unternehmen besteht. Da Gegenstand des Auskunftsbeschlusses nicht die Überprüfung der Angemessenheit der Preise des Auskunftspflichtigen war, sah der BGH dessen öffentlich-rechtliche Tätigkeit durch diese Auskunft nicht beeinträchtigt. Ausdrücklich offen ließ der BGH die Frage, ob das Kartellrecht entsprechend der bisherigen Rechtsprechung des BGH auch dann vollständig ausgeschlossen ist, wenn der öffentlich-rechtliche Wasserversorger seine Leistungsbeziehungen zwar öffentlich-rechtlich ausgestaltet hat, diese Ausgestaltung jedoch mit einer privatrechtlichen Ausgestaltung weitgehend austauschbar ist. Insofern entzieht sich der BGH einer klaren Aussage zu der Frage, ob eine „Flucht ins Gebührenrecht“ möglich ist96. d) Einzelfälle 81 Kaum ein Bereich kommunaler Tätigkeit ist von der Anwendung des Kartellrechts ausgenommen. Beispielhaft seien die folgenden Bereiche genannt, die Gegenstand wettbewerbs- und kartellrechtlicher Auseinandersetzung waren, weil der Staat bei der Wahrnehmung der jeweiligen Tätigkeit als anbietendes oder nachfragendes Unternehmen angesehen wurde: Rettungsdienst, Krankentransporte, Krankenhäuser, Altenheime, Öffentlicher Personennahverkehr, Volkshochschulen, Kindergärten, Schulen (z.B. Nachfrage nach Büchern), Universitäten, Straßenreinigung, Müllentsorgung (auch die Vergabe der Müllabfuhr an private Unternehmen), Elektrizitäts- und Wasserversorgung (vgl. dazu aber unten 4.), Friedhofswesen, Büchereien, Museen, Theater, Sportanlagen, Versicherungswesen, Betreiben von Veranstaltungszentren und Märkten, Vermietung von Wohn- und Geschäftsräumen, Vermieten von Werbeflächen, Verkauf von Bauland, Immobilienvermittlung, Gebäudemanagement, Gartenbaubetriebe, Molkereien, Schlachthöfe, Immobilienvermittlung97. 82 Zu beachten ist, dass nicht nur das Anbieten von Leistungen auf einem Markt im Wettbewerb mit Privaten vom Unternehmensbegriff erfasst wird. Auch die Nachfragetätigkeit, z.B. nach Schauspielern für Theater, nach Musiklehrern für Musikschulen, nach orthopädischen Hilfsmitteln für Krankenkassen oder nach Ausrüstungsgegenständen für Feuerwehr96 BGH v. 18.10.2011 – KVR 9/11 – Niederbarnimer Wasserverband, WuW/E DE-R 3497; Anmerkung dazu: Deichfuß, jurisPR-WettbR 2/2012 Anm. 2; Säcker, NJW 2012, 1105; Hellriegel, NuR 2012, 118. 97 Nachweise aus der Rechtsprechung finden sich bei Weisser in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, GWB 2005, § 130 Rz. 18; Stadler in Langen/Bunte, Band 1, Deutsches Kartellrecht, § 130 Rz. 33 ff.; Emmerich in Immenga/ Mestmäcker, GWB, § 130 Abs. 1 Rz. 19 ff., 36 f.
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fahrzeuge kann unternehmerische Tätigkeit sein. Insoweit unterscheidet sich der deutsche Ansatz von der oben geschilderten europäischen Praxis. Der BGH bezog auf Grundlage von § 1 GWB a.F. auch das Einkaufsverhalten von Gemeinden grds. als Handeln eines Unternehmens in den Anwendungsbereich des GWB ein. Unerheblich war dabei auch, dass die Gemeinden nicht unmittelbar miteinander in Kontakt traten. Das Beauftragen eines Verbandes, der die Einkäufe der Gemeinden bündelte, wurde als vergleichbare, mittels sogenannter Sternverträge durchgeführte Wettbewerbsbeschränkung zwischen Wettbewerbern angesehen98. Anders als in der europäischen Praxis kommt es nach diesem in Deutschland gebräuchlichen Ansatz nicht darauf an, ob die Waren auf einem nachgeordneten Markt angeboten werden oder ob sie für andere, nicht-wirtschaftliche Zwecke verwendet werden. Auf Grundlage des funktionalen Unternehmensbegriffs wird die wirtschaftliche Betätigung in der Nachfrage der Gemeinden nach Waren und Dienstleistungen gesehen. Ausdrücklich spielt es dabei keine Rolle, ob diese Gegenstände im Zusammenhang mit der hoheitlichen Tätigkeit stehen, oder ob der Staat Endverbraucher ist99. Damit ist die Nachfragetätigkeit des Staates auch außerhalb der im vorherigen Absatz genannten (erwerbs-) wirtschaftlichen Bereiche vom Unternehmensbegriff erfasst. Es bleibt abzuwarten, ob sich künftig eine Annäherung an die Position im europäischen Recht durchsetzen wird100 (vgl. oben Rz. 24, 68). 2. Sonstige Voraussetzungen von §§ 1 und 2 GWB Ist der Anwendungsbereich des GWB eröffnet, so sind folgende weitere, 83 auch bei Art. 101 Abs. 1 AEUV relevante Voraussetzungen zu prüfen: die Verhaltensabstimmung muss mittels einer Vereinbarung, im Wege einer abgestimmten Verhaltensweise oder durch den Beschluss einer Unternehmensvereinigung erfolgen; dies muss eine Wettbewerbsbeschränkung, -verfälschung oder -verhinderung bezwecken oder bewirken; und diese wettbewerbliche Wirkung muss spürbar sein. Da die Auslegung dieser Tatbestandsmerkmale an die identischen Tatbestandsmerkmale des Art. 101 Abs. 1 AEUV angelehnt ist, kann auf die obigen Ausführungen (Rz. 30 ff.) verwiesen werden. Auch hinsichtlich der Freistellung wettbewerbsbeschränkender Verein- 84 barungen kann vollumfänglich auf die Ausführungen zu Art. 101 Abs. 3 AEUV (Rz. 51 ff.) verwiesen werden. Es gelten mittels der dynamischen 98 BGH v. 12.11.2002 – KZR 11/01 – Einkaufsgemeinschaft für Feuerwehrausrüstungen, WuW/E DE-R 1087. 99 BGH v. 12.11.2002 – KZR 11/01 – Ausrüstungsgegenstände für Feuerlöschzüge, WuW/E DE-R 1087, 1089; dazu Westermann, ZWeR 2003, 481 (485); zu einem Fall, der eine Kooperation zwischen der Hansestadt Hamburg und dem Land Niedersachsen zur Beschaffung von Polizeikleidung betraf, vgl. Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamts 2003/2004, S. 40, 90 f. 100 Bechtold, GWB, § 1 Rz. 7 und § 130 Rz. 7. Karl/Beutelmann
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Verweisung in § 2 Abs. 2 GWB die jeweils gültigen Gruppenfreistellungsverordnungen auch für solche Vereinbarungen, die nicht in den Anwendungsbereich des europäischen Kartellrechts fallen. § 2 Abs. 1 GWB enthält die vier oben beschriebenen Freistellungsvoraussetzungen des Art. 101 Abs. 3 AEUV. Auf diese Weise wird ein weitestgehender Gleichlauf der kartellrechtlichen Regeln oberhalb und unterhalb der Zwischenstaatlichkeitsschwelle erzielt. 3. Freistellung nach § 3 GWB 85 Kleine und mittlere Unternehmen werden traditionell im deutschen Kartellrecht weniger streng behandelt als Großunternehmen. Kooperationen von kleinen und mittleren Unternehmen werden deshalb mittels § 3 GWB dadurch gefördert, dass sie unter weniger strengen Voraussetzungen von den Bindungen des Kartellrechts befreit sind, als dies im Allgemeinen vom Gesetz vorgesehen ist. Es soll ihnen dadurch möglich werden, ihre vornehmlich in der geringeren Finanzkraft begründeten Wettbewerbsnachteile gegenüber größeren Unternehmen auszugleichen101. Diese Norm hat im europäischen Recht keine Entsprechung. Kleine und mittlere Unternehmen können somit nur dann die Bevorzugung nach § 3 GWB erfahren, wenn die betreffende Kooperation den zwischenstaatlichen Handel nicht spürbar beeinträchtigt, weil sich andernfalls die strengeren europäischen Regeln in Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV gegenüber der milderen deutschen Regelung durchsetzen (zum Vorrang europäischen Rechts, vgl. oben Rz. 16). 86 § 3 GWB kommt nur kleinen oder mittleren Unternehmen zugute102. Welche Unternehmen dies sind, ist für jeden Markt gesondert zu bestimmen. Dabei ist ein Vergleich mit den im jeweiligen Markt tätigen Wettbewerbern und mit denjenigen auf der Marktgegenseite vorzunehmen. Eine eventuelle Konzernzugehörigkeit ist zu berücksichtigen. Als Maßstab wird üblicherweise der Gesamtumsatz oder die Finanzkraft herangezogen. Bleiben diese Parameter bei den betreffenden Unternehmen deutlich hinter den größten Unternehmen im Markt zurück (vorgeschlagen wird z.B. 50 % des Umsatzstärksten), dann können diese Unternehmen § 3 GWB in Anspruch nehmen. Zulässig ist im Einzelfall aber auch die Beteiligung eines Großunternehmens, wenn dies erforderlich ist, um die Wettbewerbsfähigkeit der kleinen und mittleren Unternehmen zu fördern103. 101 Zu Kooperationsmöglichkeiten für kleine und mittlere Unternehmen, vgl. Rißmann, WuW 2006, 881; Dittrich, WuW 2009, 1006. 102 Schneider in Langen/Bunte, Band 1, Deutsches Kartellrecht, § 3 Rz. 40 ff.; Nordemann in Loewenheim/Meesen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 3 GWB Rz. 11 m.w.N.; Bundeskartellamt, Merkblatt über die Kooperationserleichterungen für kleine und mittlere Unternehmen, Rz. 11 ff. 103 Schneider in Langen/Bunte, Band 1, Deutsches Kartellrecht, § 3 Rz. 47 ff.; BGH v. 30.9.1986 – KVR 8/85 – Mischguthersteller, BGHZ 99, 1.
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B. Wettbewerbsbeschränkende Verhaltensabstimmung
Die weiteren Voraussetzungen des § 3 GWB sind: Die Kooperation muss 87 zwischen aktuellen oder potentiellen Wettbewerbern, also in einem Horizontalverhältnis vereinbart werden. Ihr Gegenstand muss die innerbetriebliche Zusammenarbeit sein, ohne dass es darauf ankäme, welcher betriebliche Bereich von der Zusammenarbeit betroffen ist104. Weiter muss die Zusammenarbeit die Rationalisierung wirtschaftlicher Vorgänge zum Gegenstand haben, d.h. die Parteien müssen eine Verbesserung der wirtschaftlichen Effizienz durch Verbesserung des Produkts oder durch Senkung der Kosten erwarten können. Nicht ausreichend ist es deshalb, wenn die Parteien lediglich den Wettbewerb untereinander ausschließen. Zulässig ist die Kooperation schließlich nur dann, wenn diese Rationalisierungsvorteile dazu dienen, die Wettbewerbsfähigkeit der beteiligten kleinen und mittleren Unternehmen zu verbessern, und wenn der Wettbewerb auf dem Markt durch die Kooperation nicht wesentlich beeinträchtigt wird105. Auch die öffentliche Hand kann § 3 GWB in Anspruch nehmen. Der 88 BGH hielt die Vorgängernorm von § 3 GWB auch auf Einkaufsgemeinschaften von Gemeinden unterschiedlicher Größe für anwendbar, wenn diese Kooperation auf dem betroffenen Nachfragemarkt zu einer Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Nachfrager führt106. 4. Ausnahmebereiche und Sonderregeln, insbesondere die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben Früher enthielt das GWB eine ganze Reihe von Ausnahmebereichen. Im 89 Zuge der Angleichung an das Europäische Recht wurden viele davon gestrichen. Geblieben sind zum einen die Ausnahmen für die deutsche Bundesbank und die Kreditanstalt für Wiederaufbau. In der Praxis umstritten ist die Rechtslage im Bereich des Sozialversicherungsrechts hinsichtlich der Unternehmenseigenschaft der gesetzlichen Krankenkassen. Die Regelung des § 69 SGB V, die zum 1.1.2010 durch das sog. AMNOG107 geändert wurde, erweiterte den Anwendungsbereich kartellrechtlicher Vorschriften auf bestimmte Tätigkeiten gesetzlicher Krankenkassen. Insbesondere die Rechtsverhältnisse zu Leistungserbringern und damit auch die Beschaffung von Arzneimitteln im Rahmen sogenannter Rabattverträge unterfallen seitdem den Vorschriften des GWB. Dabei wird die „entsprechende“ Anwendbarkeit vom Gesetz angeordnet, um der unterschiedlichen Bewertung der Unternehmenseigenschaft von Krankenkas104 Bechtold, GWB, § 3 Rz. 8. 105 Üblicherweise wird als Grenze ein Marktanteil von 15 % verwendet, Bechtold, GWB, § 3 Rz. 10. 106 BGH v. 12.11.2002 – KVR 11/01 – Einkaufsgemeinschaft für Feuerwehrausrüstungen, WuW/E DE-R 1087; dazu Westermann, ZWeR 2003, 481 (487 ff.). 107 Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes, BGBl. 2010, S. 2262. Vgl. dazu Holzmüller, NZS 2011, 485; Gaßner/Eggert, NZS 2011, 249. Karl/Beutelmann
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sen im europäischen Recht Rechnung zu tragen. Relevant wurde die Anwendbarkeit des Kartellrechts auf gesetzliche Krankenkassen auch im Zusammenhang mit einem Verfahren des Bundeskartellamts, das ein abgestimmtes Verhalten mehrerer Krankenkassen bei der Erhebung von Zusatzbeiträgen untersuchen wollte. Zwischenzeitlich hat das Bundessozialgericht die Zuständigkeit der Sozialgerichte für Beschwerden gegen den Auskunftsbeschluss des Bundeskartellamts bestätigt. Das Landessozialgericht Hessen kam in der Folge zu dem Ergebnis, das Kartellrecht sei auf die Wettbewerbsbeziehungen der Krankenkassen im Verhältnis zu den gesetzlich Versicherten nicht anwendbar, weil die gesetzlichen Krankenkassen in diesem Zusammenhang nicht wirtschaftlich tätig seien108. Der Gesetzgeber wird darauf möglicherweise reagieren und die Anwendbarkeit des Kartellrechts auf Krankenkassen im Rahmen der nächsten GWBNovelle ausdrücklich anordnen. 90 Ausgenommen vom Anwendungsbereich des § 1 GWB sind jedenfalls bestimmte Verträge im Bereich der Wasserversorgung (§ 131 Abs. 6 GWB i.V.m. § 103a Abs. 1 GWB a.F.), insbesondere Demarkations- und Konzessionsverträge, sowie bestimmte Formen der Preisbindung109. Wie bereits erwähnt findet darüber hinaus das GWB dann nur eingeschränkt Anwendung, wenn ein Anschluss- und Benutzungszwang das Entstehen von Wettbewerb verhindert, wie dies im Bereich der Wasserversorgung zur Zeit der Fall ist110. Zu beachten ist, dass trotz Anschluss- und Benutzungszwangs die Missbrauchsaufsicht über die Preisgestaltung möglich bleibt (dazu unten Rz. 148). 91 Sonderregeln gibt es auch im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs nach dem Personenbeförderungsgesetz111. Nach § 8 Abs. 3 PBefG ist von den Betreibern eine ausreichende Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen und die wirtschaftliche Verkehrsgestaltung sicherzustellen. Zu diesem Zweck ist eine integrierte Nahverkehrsbedienung zu errichten, zu der insbesondere Verkehrskooperationen im Hinblick auf die Beförderungsentgelte und die Fahrpläne gehören. Auf die dafür erforderlichen Verhaltensabstimmungen zwischen Nahverkehrsunternehmen ist § 1 GWB nach § 8 Abs. 3 Satz 7 PBefG nicht anwendbar. Diese Vereinbarungen müssen aber bei der Genehmigungsbehörde angemeldet wer-
108 BSG v. 28.9.2010 – B1 SF 1/10 R, GesR 2011, 38; LSG Hess. v. 15.9.2011 – L 1 KR 89/10 KL, KrV 2011, 304. Zur Frage des Rechtsweges für die Beschwerde gegen kartellbehördliche Maßnahmen, vgl. Brüning, NVwZ 2011, 985. 109 Dazu Zuber in Loewenheim/Meesen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 131 GWB Rz. 8 ff. 110 Vgl. OLG Düsseldorf v. 8.12.2010 – VI-2 Kart 1/10 (V) – Wasserversorger, WuW/E DE-R 3170. Zum Wettbewerb im Bereich der Wasserwirtschaft, vgl. auch Diskussionspapier des Bundeskartellamtes „Ausnahmebereiche des Kartellrechts“ v. 29.9.2003, zugänglich über die Website www.bundeskartellamt.de., S. 29 ff. 111 Ausführlich dazu Lange, ZWeR 2007, 447.
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den. Eine vergleichbare Regelung enthält auch § 12 Abs. 7 AEG für Vereinbarungen von Eisenbahnverkehrsunternehmen hinsichtlich Absprachen im öffentlichen Personennahverkehr. Im Übrigen ist das GWB aber uneingeschränkt anwendbar112. Das Wettbewerbsrecht ist auch dann ausgeschlossen, wenn einem öffent- 92 lichen Unternehmen durch Gesetz eine öffentliche Aufgabe übertragen wurde, und die Beachtung des GWB die Erfüllung dieser Aufgabe verhindern würde. Zwar gibt es eine dem Art. 106 Abs. 2 AEUV vergleichbare ausdrückliche Regelung im deutschen Recht nicht. Dennoch ist man sich einig, dass auch das GWB nicht dazu führen darf, dass dem Staat die sinnvolle Erfüllung seiner Aufgaben unmöglich gemacht wird. Voraussetzung ist aber, dass die Erfüllung einer bestimmten öffentlichen Aufgabe nur unter Durchbrechung des GWB möglich ist. Die ganz h.M. in der Literatur verweist diesbezüglich auf die engen Voraussetzungen des Art. 106 Abs. 2 AEUV113. Für die Energiewirtschaft bestand ebenso wie für die Wasserversorgung 93 eine umfassende Ausnahme vom Kartellverbot. Diese wurde jedoch 1998 aufgehoben. Seitdem unterfallen zuvor übliche Vereinbarungen wie Gebietsschutzabsprachen, Ausschließlichkeits- und Gesamtbedarfsdeckungsabreden dem Kartellrecht. Gleichzeitig wurden außerhalb des GWB Regelungen zu den Energiewirtschaftsmärkten getroffen. Diese hindern jedoch die Anwendbarkeit des § 1 GWB nicht114. Einer kartellrechtlichen Prüfung unterzogen hat das Bundeskartellamt 94 langfristige Gaslieferverträge zwischen Ferngasunternehmen und Regional- und Ortsgasunternehmen. Das Bundeskartellamt hatte festgestellt, dass die Verträge zum einen langfristig (also vier und mehr Jahre) liefen und zum anderen (nahezu) den ganzen Bedarf des jeweiligen Gasweiterverteilers umfassten. Ein Wettbewerb um die Belieferung von Regionalund Ortsgasunternehmen habe deshalb nach Auffassung des Bundeskartellamtes faktisch nicht stattgefunden. Langfristige, bedarfsdeckende Verträge verstießen aufgrund der von ihnen verursachten Abschottungseffekte gegen Art. 101 und 102 AEUV und gegen §§ 1, 19, 20 GWB. Nach der nunmehr etablierten Praxis des Bundeskartellamts sind Verträge kartellrechtlich nur zulässig, wenn sie einer der drei folgenden Mengen-/ Laufzeitbegrenzungen entsprechen:
112 So ausdrücklich BKartA v. 9.6.2994 – B9-16/04 – ÖPNV Saarland, WuW/E DE-V 937 (938 ff.), zu den Vorschriften über die Fusionskontrolle. 113 Vgl. nur Stadler in Langen/Bunte, Band 1, Deutsches Kartellrecht, § 130 Rz. 31 f.; Stockmann in Loewenheim/Meesen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 130 GWB Rz. 20. 114 Ausführlich zu diesem Themenkomplex Scholz in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 34 Rz. 106 ff. Karl/Beutelmann
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– Bedarfsdeckung von über 80 %/Laufzeit von höchstens zwei Jahren; – Bedarfsdeckung von über 50 % bis 80 %/Laufzeit von nicht mehr als vier Jahren; – Bedarfsdeckung von bis zu 50 %/keine explizite Laufzeitbegrenzung115. Diese Kriterien hat das Bundeskartellamt in den Beurteilungsgrundsätzen zu langfristigen Gaslieferverträgen116 entwickelt und in der Entscheidung „E.ON Ruhrgas“ vom 13.2.2006 angewandt117. Das OLG Düsseldorf und der BGH haben die Auffassung des Bundeskartellamtes zwischenzeitlich bestätigt118. 5. Rechtsfolgen und Verfahren 95 Verstöße gegen § 1 GWB haben die folgenden zivilrechtlichen Rechtsfolgen. Zum einen sind wettbewerbsbeschränkende Vertragsklauseln gem. § 1 GWB i.V.m. § 134 BGB nichtig. Die Nichtigkeit einer Klausel – und unter Berücksichtigung von § 139 BGB eventuell eines gesamten Vertrages – kann in Rechtsstreitigkeiten geltend gemacht werden. Von zunehmender Bedeutung sind daneben Ansprüche anderer Marktteilnehmer gegen die Unternehmen, die gegen kartellrechtliche Vorschriften verstoßen haben. Diese Ansprüche können auf Unterlassung oder Beseitigung, aber auch auf Schadensersatz gerichtet sein. Insbesondere Schadensersatzansprüchen wird rechtspolitische Bedeutung bei der Durchsetzung von Kartellverstößen beigemessen (sog. „private enforcement“). Der Gesetzgeber hat deshalb mit § 33 GWB in der Fassung nach der Siebten GWBNovelle 2005 eine Anspruchsgrundlage geschaffen, die Kartellgeschädigten eine einfachere Geltendmachung von Schadensersatz ermöglichen soll, insbesondere sollen dabei die Nachteile der auf § 823 Abs. 2 BGB gestützten Rechtsprechung zum kartellbedingten Schadensersatz vermieden werden. Von besonderer Bedeutung sind die Tatbestandswirkung von Verfügungen der Kartellbehörden, die Definition des Kreises der Berechtigten sowie die Vereinfachungen hinsichtlich der Schadensberechnung119. 115 Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamtes 2009/2010, BT-Drs. 17/6640, S. 120 f.; BGH v. 10.2.2009 – KVR 67/07 – Gaslieferverträge, WuW/E DE-R 2679. 116 BKartA v. 13.1.2006 – B8-113/03 - 1 – E.ON Ruhrgas, WuW/E DE-V 1147; Veröffentlichung des Bundeskartellamts: „Bericht über die Evaluierung der Beschlüsse zu langfristigen Gaslieferverträgen“, v. 15.6.2010, einsehbar über die Website des Bundeskartellamtes. 117 BKartA v. 13.1.2006 – B8-113/03 - 1 – E.ON Ruhrgas, WuW/E DE-V 1147 ff. 118 OLG Düsseldorf v. 4.10.2007 – 2 Kart 1/06 – Gaslieferverträge, WuW/E DE-R 1757 ff.; BGH v. 10.2.2009 – KVR 67/07 – Gaslieferverträge, WuW/E DE-R 2679. 119 Vgl. ausführlich zu dieser Norm die Kommentierungen etwa von Bechtold, GWB, § 33 und Bornkamm in Langen/Bunte, Band 1, Deutsches Kartellrecht, § 33.
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B. Wettbewerbsbeschränkende Verhaltensabstimmung
Solche und andere „bürgerliche Rechtsstreitigkeiten“ nach dem GWB 96 oder Art. 101, 102 AEUV weist § 87 Abs. 1 GWB unabhängig vom Streitwert den Landgerichten zu. Dies gilt auch für Streitigkeiten mit kartellrechtlicher Vorfrage. Auch Klagen der öffentlichen Hand oder gegen diese sind auf dem ordentlichen Rechtsweg zulässig, soweit sie auf privatrechtliche Ansprüche bezogen sind, die auf dem GWB beruhen. Findet das GWB materiell auf das Verhalten der öffentlichen Hand Anwendung, dann kann dieses von den Zivilgerichten auf Grundlage des GWB eingeschränkt werden, selbst wenn damit auch das hoheitliche Tätigwerden des Staates beeinflusst wird120. Das gilt zwischenzeitlich auch für (kartellrechtliche) Streitigkeiten zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und den Leistungserbringern, die durch § 69 Abs. 2 SGB V in der Fassung vom 1.1.2011 dem ordentlichen Rechtsweg zugewiesen sind121. Die §§ 32–32e GWB enthalten die verwaltungsrechtlichen Instrumente, 97 die dem Bundeskartellamt und den Landeskartellbehörden zur Durchsetzung des deutschen (und des europäischen) Kartellrechts zur Verfügung stehen. Von besonderer Relevanz sind Verfügungen der Kartellbehörden zur Beendigung eines Verstoßes oder zum Feststellen eines Verstoßes. Unternehmen können auch so genannte Verpflichtungszusagen gegenüber den Kartellbehörden abgeben, deren Befolgung für die Zukunft einen Kartellverstoß ausschließen soll. Diese Zusagen der Unternehmen können gem. § 32b GWB von den Kartellbehörden für bindend erklärt werden. Schließlich kann die Kartellbehörde auch den durch einen Kartellverstoß erzielten Mehrerlös zugunsten des Bundeshaushalts abschöpfen, wenn der fragliche Verstoß vorsätzlich oder fahrlässig begangen wurde. Bei vorsätzlichem Verstoß kann das Abschöpfen des Mehrerlöses zugunsten des Bundeshaushalts auch von im Gesetz näher bestimmten Verbänden und Einrichtungen verlangt werden122. Entsprechend dem europäischen Recht können die Beteiligten an einer Kooperation, die kartellrechtliche Zweifelsfragen aufwirft, nur in Ausnahmefällen eine Entscheidung einer Kartellbehörde über die Zulässigkeit ihrer Vereinbarung erlangen. Zu Beginn der Zusammenarbeit sollten die Parteien deshalb eine kartellrechtliche Selbstveranlagung erstellen oder erstellen lassen (vgl. dazu oben Rz. 67). Bei vorsätzlichen oder fahrlässigen Verstößen gegen § 1 GWB (und 98 Art. 101 AEUV) kann das Bundeskartellamt Bußgelder bis zu 1 Mio. Euro gegen Unternehmen oder Privatpersonen (insoweit anders als im europäischen Recht) verhängen. Im Falle von Bußgeldern gegen Unternehmen
120 Karsten Schmidt in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 87 Rz. 6 m.w.N. 121 Holzmüller, NZS 2011, 485 (492). 122 §§ 34 und 34a GWB. Dazu etwa die Kommentierung bei Bechtold, GWB oder Bornkamm in Langen/Bunte, Band 1, Deutsches Kartellrecht. Karl/Beutelmann
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können die Bußgelder über den genannten Betrag hinaus bis zu 10 % des im vorangegangen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes betragen123. 99 Die zuständige Kartellbehörde kann Verfügungen und Bußgelder auch gegen staatliche Unternehmen erlassen. Das ist offensichtlich, wenn das Unternehmen eigene Rechtspersönlichkeit hat, aber vom Staat kontrolliert wird. Es gilt aber auch, wenn der Staat selbst unternehmerisch tätig wird. Problematisch ist allein der Fall, dass die Kartellbehörde Verfügungen gegen andere Behörden desselben Rechtsträgers erlässt. Diesen Verfügungen fehlt es an Außenwirkung. Dennoch wird auch dies im Interesse der effektiven Kartellrechtsdurchsetzung für möglich gehalten124.
C. Missbrauch von Marktmacht I. Das Verhältnis des deutschen zum europäischen Kartellrecht 100 Kartellrechtliche Vorschriften über die Kontrolle von Marktmacht enthalten die §§ 19 ff. GWB sowie Art. 102 AEUV. Auf Maßnahmen von in Deutschland tätigen, kommunalen Unternehmen sind die §§ 19 ff. GWB grds. anwendbar. Deren Entsprechung im europäischen Recht, Art. 102 AEUV, ist dann anwendbar, wenn das fragliche Verhalten geeignet ist, den zwischenstaatlichen Handel spürbar zu beeinträchtigen. Zu den dafür maßgeblichen Kriterien kann auf die Ausführungen oben sowie auf die Ausführungen der europäischen Kommission in ihrer Bekanntmachung zur Zwischenstaatlichkeitsklausel verwiesen werden125. Ergibt diese Prüfung, dass sowohl die europäische Norm des Art. 102 AEUV anwendbar ist, als auch eine der nationalen Normen zur Missbrauchsaufsicht, so gilt hier jedoch nicht der oben beschriebene weitgehende Vorrang des europäischen Rechts in seinem Anwendungsbereich, vielmehr sind die entsprechenden Normen des deutschen und europäischen Kartellrechts gem. der folgenden Ausführungen parallel anwendbar. 101 Art. 3 Abs. 2 Satz 2 VO 1/2003 lässt eine parallele Anwendung nationaler Vorschriften neben dem europäischen Kartellrecht zu, sofern Gegenstand der Vorschrift die Kontrolle sogenannter „einseitiger Maßnahmen“ ist. Darunter fallen in erster Linie die Vorschriften zur Missbrauchskontrolle, aber auch die Anwendung sonstiger Normen aus anderen Rechtsberei-
123 Zu den Zweifeln hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Wirksamkeit dieser Norm, vgl. Bechtold, GWB, § 81 Rz. 25 f.; dort Rz. 27 f. auch zur Bestimmung des relevanten Umsatzes, insbesondere im Hinblick auf die Unterschiede zum europäischen Recht. 124 Siehe Emmerich in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 130 Rz. 86 ff., 91; Stadler in Langen/Bunte, Band 1, Deutsches Kartellrecht, § 130 Rz. 97 ff. 125 Vgl. oben Rz. 12 ff.; Bekanntmachung der Kommission, Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, ABl. Nr. C 101 v. 27.4.2004, S. 81.
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chen wird damit ermöglicht. Art. 3 Abs. 2 Satz 2 VO 1/2003 lässt es zu, dass einseitige Maßnahmen, die zwar die Voraussetzungen der Zwischenstaatlichkeitsklausel erfüllen, aber von Art. 102 AEUV aus anderen Gründen nicht untersagt werden, strengerem nationalem Recht unterworfen werden. Das nationale Recht kann dabei hinsichtlich der Gruppe der Normadressaten weiter und hinsichtlich der untersagten Verhaltensweisen strenger gefasst sein als das europäische Recht. §§ 19–21 GWB machen davon Gebrauch, indem sie beispielsweise nicht nur das Verhalten marktbeherrschender Unternehmen beschränken (wie Art. 102 AEUV), sondern auch nur marktstarke Unternehmen erfassen. Auch besondere Missbrauchstatbestände für die Energie- und Wasserwirtschaft können deshalb unabhängig von der Anwendbarkeit des Art. 102 AEUV zur Anwendung kommen. Somit können die nationalen Vorschriften neben den europäischen angewendet werden. Das jeweils strengere Recht setzt sich durch. Darüber hinaus gilt auch hier die Einschränkung des Art. 3 Abs. 3 letzter 102 Halbs. der VO 1/2003, wonach nationale Vorschriften auch entgegen den Normen des europäischen Kartellrechts zur Anwendung kommen können, wenn sie andere Ziele als Art. 101 und 102 AEUV verfolgen (vgl. dazu oben Rz. 19 f.).
II. Europäisches Recht Art. 102 AEUV verbietet das missbräuchliche Ausnutzen einer beherr- 103 schenden Stellung auf dem gemeinsamen Markt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen. Hinsichtlich des Adressatenkreises kann auf den im vorherigen Abschnitt definierten Unternehmensbegriff im europäischen Recht verwiesen werden (vgl. Rz. 21 ff.). Art. 102 AEUV ist jedoch nur auf solche Unternehmen anwendbar, die eine marktbeherrschende Stellung innehaben. Um zu bestimmen, ob ein Unternehmen in einer marktbeherrschenden 104 Stellung ist, hat zunächst die Definition des relevanten Marktes zu erfolgen, auf den sich die Marktbeherrschung bezieht. Zu diesem Zweck wird vor allem das so genannte Bedarfsmarktkonzept herangezogen. Danach besteht der relevante Markt aus denjenigen Produkten, die aus Sicht der Marktgegenseite denselben Bedarf befriedigen, die um die Gunst der Marktgegenseite konkurrieren und von dieser als Bezugsalternativen und damit als gegeneinander austauschbar angesehen werden. Dabei sind drei Dimensionen der Marktabgrenzung zu unterscheiden: die sachliche, die geografische und die zeitliche. Zum sachlich relevanten Markt gehören diejenigen Produkte, die aufgrund ihrer Merkmale und spezifischen Charaktereigenschaften als austauschbar angesehen werden. Solche Eigenschaften können der Verwendungszweck, die Einsatzmöglichkeiten, der Preis oder andere Charakteristika sein, so lange sie vom Abnehmerkreis
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als für die Erwerbsentscheidung wesentlich empfunden werden. Der geografisch relevante Markt umfasst dasjenige räumliche Territorium, in dem die Produkte vertrieben werden, und in dem die Wettbewerbsbedingungen homogen sind. Dabei spielt die Transportfähigkeit des Produkts, aber auch das Einkaufsverhalten der Abnehmer eine wesentliche Rolle. Ein Indikator für die Annahme, dass unterschiedliche geografische Märkte vorliegen, kann sich aus dem Vorliegen von Preisunterschieden zwischen Gebieten ergeben. Nur in Ausnahmefällen ist auch ein zeitlich relevanter Markt zu bilden. Dies kann bei zeitlich befristeten Angeboten der Fall sein. Die europäische Kommission hat in einer Bekanntmachung ausführlich zum Vorgehen bei der Abgrenzung des relevanten Marktes Stellung genommen126. 105 Auf Grundlage des so definierten Marktes ist zu ermitteln, ob das betreffende Unternehmen auf diesem eine marktbeherrschende Stellung innehat. Das ist dann der Fall, wenn das Unternehmen auf dem Markt eine wirtschaftliche Machtstellung einnimmt, die es ihm ermöglicht, sich gegenüber seinen Wettbewerbern, seinen Abnehmern und letztlich den Verbrauchern unabhängig zu verhalten, und dadurch in der Lage ist, die Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs auf dem betreffenden Markt zu verhindern127. Diese wirtschaftliche Machtposition kann sich sowohl beim Auftreten als Anbieter von Waren, aber auch bei der Tätigkeit als Nachfrager ergeben. Insbesondere wenn den anbietenden Unternehmen auf der Marktgegenseite ein Ausweichen auf andere Abnehmer praktisch nicht möglich ist, diese also in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen, liegt eine marktbeherrschende Stellung i.S.d. Art. 102 AEUV vor128. 106 Man spricht von „Einzelmarktbeherrschung“, wenn ein einzelnes Unternehmen alleine die soeben beschriebene herausgehobene Marktposition einnimmt. Als Indiz für das Vorliegen einer Einzelmarktbeherrschung kann der Marktanteil des betreffenden Unternehmens herangezogen werden129. Bei einem Marktanteil von 50 % oder mehr wird in der europäischen Praxis ohne weiteres davon ausgegangen, dass das betreffende Unternehmen marktbeherrschend ist. Nur in Ausnahmefällen, beim Vorliegen besonderer Umstände, wird davon noch abzuweichen sein. Liegt der 126 Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes i.S.d. Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. Nr. C 372 v. 9.12.1997, S. 5; speziell zu Art. 82 EG-Vertrag: „DG Competition discussion paper on the application of Article 82 of the Treaty to exclusionary abuses“, S. 6 ff., abzurufen über die Website der Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission, http://ec.europa.eu/competition. 127 Ständige Rechtsprechung, EuGH v. 23.5.1978 – Rs. 85/76 – Hoffmann-La Roche, Slg. 1979, 461, Rz. 38 f. 128 Siehe Bergmann in Loewenheim/Meesen/Riesenkampff, Kartellrecht, Art. 82 Rz. 90 m.w.N.; EuG v. 21.10.1997 – Rs. T-229/94 – Deutsche Bahn, Slg. 1997, II-1689, Rz. 57. 129 Bunte in Langen/Bunte, Band 2, Europäisches Kartellrecht, Art. 82 EG-Vertrag Rz. 48 ff.
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Marktanteil unter der genannten Schwelle, so ist in einer Gesamtschau der Charakteristika des Marktes zu ermitteln, inwiefern das Unternehmen tatsächlichem Wettbewerb seiner Konkurrenten ausgesetzt ist. Folgende Aspekte sind dabei zu berücksichtigen: der Marktanteilsabstand des betreffenden Unternehmens zu seinen Wettbewerbern, die Stärke und Zahl der Wettbewerber, der Einfluss potentiellen Wettbewerbs, das Bestehen eines wettbewerblichen Vorsprungs durch gewerbliche Schutzrechte oder durch den alleinigen oder besseren Zugang zu Schlüsseltechnologien oder -produkten, die Wirtschafts- und Finanzkraft der Marktbeteiligten, die Entwicklung der Marktverhältnisse in den letzten Jahren. Liegt der Marktanteil jedoch unter 25 %, so wird in aller Regel eine Einzelmarktbeherrschung nicht begründbar sein130. Auch mehrere Unternehmen gemeinsam können eine marktbeherr- 107 schende Stellung einnehmen. Diese sogenannte oligopolistische oder kollektive Marktbeherrschung setzt voraus, dass zwischen den Mitgliedern des Oligopols kein wesentlicher Wettbewerb besteht (Fehlen von Binnenwettbewerb) und dass diese in ihrer Gesamtheit keinem wesentlichen Wettbewerb von außerhalb des Oligopols (fehlender Außenwettbewerb) ausgesetzt sind. Vom Fehlen des Binnenwettbewerbs kann ausgegangen werden, wenn Anzeichen dafür sprechen, dass die betreffenden Unternehmen auch ohne eine Abstimmung untereinander auf dem Markt in gleicher Weise vorgehen. Insbesondere durch Verbindungen zwischen den Unternehmen, wie beispielsweise durch gesellschaftsrechtliche Strukturen, kann eine gemeinsame beherrschende Stellung erzeugt werden, aber auch dadurch, dass die Unternehmen als Mitglieder eines engen Oligopols auf einem transparenten Markt reaktionsverbunden sind131. Die Marktbeherrschung i.S.d. Art. 102 AEUV muss sich auf den gemein- 108 samen Markt oder einen wesentlichen Teil desselben beziehen. Maßgeblich dafür ist die räumliche Ausdehnung des von der Marktbeherrschung betroffenen relevanten Marktes. Das ist jedenfalls dann gegeben, wenn der betroffene Markt mindestens mehrere Mitgliedstaaten als hinreichend homogenen Marktraum umfasst. Aber auch das Gebiet eines einzelnen Mitgliedstaats und selbst Teile eines Mitgliedstaates können als wesentlicher Teil des Gesamtmarktes angesehen werden, wenn die Struktur des Marktes und dessen sonstige wirtschaftliche Charakteristika dafür sprechen, dass der Markt Bedeutung für den gemeinsamen Markt hat. Dies wird insbesondere bei Infrastruktureinrichtungen wie Häfen oder Flughäfen der Fall sein, in denen sich die Verbindung zum ge-
130 Zu den Kriterien, vgl. Bergmann in Loewenheim/Meesen/Riesenkampff, Kartellrecht, Art. 82 Rz. 97 ff. m.w.N. 131 Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, Art. 82 EG-Vertrag Rz. 25; Bunte in Langen/Bunte, Band 2, Europäisches Kartellrecht, Art. 82 EGVertrag Rz. 65 ff. Karl/Beutelmann
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meinsamen Markt dadurch ergibt, dass die Dienstleistungen auch von Nutzern aus anderen Mitgliedstaaten in Anspruch genommen werden132. 109 Art. 102 AEUV ist verletzt, wenn ein Unternehmen, das in einer alleinigen oder kollektiven marktbeherrschenden Stellung ist, diese Marktmacht missbraucht. Der Begriff des Missbrauchs wird in Art. 102 AEUV nicht definiert. Er ist seit einigen Jahren Gegenstand eines Reformprozesses, der von der europäischen Kommission im Jahr 2005 angestoßen wurde und zu einem größeren Einfluss ökonomischer Erwägungen bei der Beurteilung der Frage führen soll, wie Art. 102 AEUV auszulegen ist133. Die vom EuGH regelmäßig verwendete Definition des Missbrauchsbegriffs orientiert sich an den Zielen der europäischen Gemeinschaft134. Insbesondere die Aufrechterhaltung eines Systems unverfälschten Wettbewerbs sowie des zwischenstaatlichen Handels soll berücksichtigt werden. Dabei ist nicht das Innehaben einer marktbeherrschenden Stellung selbst tatbestandsmäßig, erfasst sind nur solche Maßnahmen, welche von den Mitteln eines normalen Produkt- oder Dienstleistungswettbewerbs auf der Grundlage der Leistungen der Marktbeteiligten abweichen135. Maßgeblich ist grds. allein der objektive Gehalt der Maßnahme, ohne dass es auf ein Verschulden oder andere subjektive Elemente ankäme136. Ein Anhaltspunkt, was als verbotene Maßnahme anzusehen ist, kann Art. 102 Satz 2 AEUV entnommen werden, der einige Regelbeispiele nennt, die jedoch zur Ausgestaltung des Tatbestandes nur wenig beitragen. 110 In der Praxis haben sich zwei Fallgruppen herausgebildet, denen die in großer Vielzahl bestehenden und terminologisch oft uneinheitlichen Missbrauchstatbestände zugeordnet werden können137. Das ist zum einen der Ausbeutungsmissbrauch, der diejenigen Fälle erfasst, in denen das marktbeherrschende Unternehmen sich besondere Vorteile versprechen 132 Vgl. Nachweise bei Bulst in Langen/Bunte, Band 2, Europäisches Kartellrecht, Art. 82 EG-Vertrag Rz. 84. 133 In der Praxis von Bedeutung ist die im Jahr 2009 veröffentlichte Mitteilung der Kommission – Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Artikel 82 des EG-Vertrags auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen, ABl. Nr. C 45 v. 24.2.2009, S. 7 ff. 134 EuGH v. 21.2.2973 – Rs. 6-72 – Continental Can, Slg. 1973, 215 (244); dazu auch Bulst in Langen/Bunte, Band 2, Europäisches Kartellrecht, Art. 82 EGVertrag Rz. 85 ff. 135 Bulst in Langen/Bunte, Band 2, Europäisches Kartellrecht, Art. 82 EG-Vertrag Rz. 89 ff. m.w.N. 136 Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, Art. 82 EG-Vertrag Rz. 31 ff. m.w.N., dort auch zur Bedeutung subjektiver Elemente beim Verdrängungswettbewerb durch Kampfpreisunterbietung. 137 Teilweise wird auch von drei Gruppen ausgegangen, vgl. etwa Bulst in Langen/Bunte, Band 2, Europäisches Kartellrecht, Art. 82 EG-Vertrag Rz. 89 ff. m.w.N. Letztlich sind diese Gruppen aber lediglich ein Versuch der Kategorisierung der vielgestaltigen Missbrauchseinzelfälle.
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lässt, die es ohne die ihm zur Verfügung stehende wirtschaftliche Macht nicht erlangen könnte. Darunter fällt der Preishöhenmissbrauch, bei dem das marktbeherrschende Unternehmen eine Gegenleistung verlangt, die in keinem angemessenen Verhältnis zu seiner eigenen Leistung steht. Von größerer praktischer Bedeutung ist die zweite Fallgruppe, der Behinderungsmissbrauch. Dieser bezeichnet alle diejenigen Fälle, in denen das marktbeherrschende Unternehmen aktuelle oder potentielle Wettbewerber mit Mitteln zu behindern versucht, die nicht dem normalen Produktoder Dienstleistungswettbewerb entsprechen. Hierzu gehören insbesondere Kampfpreisunterbietungen, Ausschließlichkeitsbindungen, Koppelungsgeschäfte oder bestimmte Formen von Treuerabatten138. Ein Behinderungsmissbrauch kann auch in einer Geschäfts- und Lieferverweigerung zu sehen sein. Da jedes Unternehmen grds. frei darin ist zu entscheiden, mit wem es Geschäfte machen will, setzt der Missbrauch durch Geschäfts- oder Lieferverweigerung das Vorliegen besonderer Umstände voraus, wie z.B. das Bestehen langjähriger Geschäftsverbindungen, die plötzlich abgebrochen werden, oder das Unterbinden eines zusätzlichen, neuartigen Angebots139. Besondere Schwierigkeiten wirft in diesem Zusammenhang die Frage auf, 111 unter welchen Voraussetzungen ein Unternehmen anderen Unternehmen den Zugang zu seinen wesentlichen Einrichtungen, sog. „essential facilities“, gewähren muss. Darunter werden solche Einrichtungen verstanden, die für den Eintritt in einen nachgelagerten Markt erforderlich sind und von den betroffenen Unternehmen aus rechtlichen oder wirtschaftlichen Gründen nicht dupliziert werden können. Die Zugangsverweigerung zu dieser wesentlichen Einrichtung verstößt gegen Art. 102 AEUV, wenn sich die Zugangsverweigerung als Beschränkung des Absatzes, der Produktion oder der technischen Entwicklung zum Nachteil des Verbrauchers auswirkt, wenn der Wettbewerb auf einem Sekundärmarkt ausgeschlossen oder dem Inhaber vorbehalten wird und wenn dieses Verhalten nicht sachlich gerechtfertigt ist140. Folgende Rechtsfolgen knüpfen an die Verletzung von Art. 102 AEUV an. 112 Die europäische Kommission kann auf Grundlage der Verordnung 1/2003 unter anderem die Missbräuchlichkeit des gegen Art. 102 AEUV verstoßenden Verhaltens feststellen und das betreffende Unternehmen verpflichten, dieses abzustellen. Sie kann darüber hinaus Geldbußen verhän-
138 Vgl. dazu die Mitteilung der Kommission – Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Artikel 82 des EG-Vertrags auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen, ABl. Nr. C 45 v. 24.2.2009, S. 7 ff. 139 Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, Art. 82 EG-Vertrag Rz. 47 ff. 140 Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, Art. 82 EG-Vertrag Rz. 52 ff. m.w.N.; Bulst in Langen/Bunte, Band 2, Europäisches Kartellrecht, Art. 82 EG-Vertrag Rz. 252 ff. Karl/Beutelmann
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gen (Art. 7 und 23 VO 1/2003). Zivilrechtliche Rechtsfolgen umfassen die Nichtigkeit von auf das missbräuchliche Verhalten des Marktbeherrschers zurückzuführenden Rechtsgeschäften nach §§ 134, 138 BGB. Darüber hinaus können Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden, für die § 33 GWB gilt. (Vgl. dazu oben Rz. 95).
III. Deutsches Recht 113 Die Vorschriften des deutschen Rechts zur Missbrauchsaufsicht sind – mit Ausnahme einiger sondergesetzlicher Regelungen – in §§ 19–21 GWB enthalten. Diese gehen in vielerlei Hinsicht über Art. 102 AEUV hinaus. Insbesondere unterfallen nicht nur marktbeherrschende Unternehmen, sondern auch so genannte marktstarke Unternehmen der deutschen Missbrauchskontrolle (vgl. dazu unten § 20 GWB). Die nationalen Vorschriften sind dabei unabhängig davon anwendbar, ob die zu prüfende einseitige Maßnahme in den Anwendungsbereich des europäischen Kartellrechts fällt oder nicht (vgl. dazu oben Rz. 100 ff.). Für die öffentliche Hand stellen die §§ 19 ff. GWB eine häufig zu beachtende Hürde dar, weil die öffentliche Hand als Anbieter oder Nachfrager in vielen Bereichen über eine herausgehobene Position verfügt. Dies kann darauf beruhen, dass sie über Einrichtungen verfügt, die Gewerbetreibende zur Ausübung ihres Gewerbes nutzen möchten und für die es keine gleichwertigen Ausweichmöglichkeiten gibt (z.B. Märkte und Messen), oder darauf, dass die öffentliche Hand Waren oder Dienstleistungen bestimmter Art nachfragt, die von Privaten in der Regel nicht oder in viel geringerem Umfang nachgefragt werden (z.B. Abschleppdienstleistungen, Krankentransporte, Müllabfuhr, Straßenbau, etc.). 1. § 19 GWB 114 § 19 Abs. 1 GWB verbietet das missbräuchliche Ausnutzen einer marktbeherrschenden Stellung durch ein oder mehrere Unternehmen. Hinsichtlich des Unternehmensbegriffs kann auf die Ausführungen zu § 1 GWB (Rz. 69 ff.) verwiesen werden. Von § 19 GWB werden Unternehmen erfasst, wenn sie marktbeherrschend sind. Um zu ermitteln, ob ein Unternehmen marktbeherrschend ist, ist zunächst der relevante Markt zu definieren. Die Methodik der Marktabgrenzung im Rahmen des nationalen Rechts entspricht dabei weitestgehend derjenigen, wie sie bei Art. 102 AEUV (vgl. oben Rz. 104; zu für öffentliche Unternehmen relevanten Einzelfällen aus der deutschen Rechtspraxis vgl. unten Rz. 182) dargestellt wurde. Sodann ist zu prüfen, ob das fragliche Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung einnimmt. Anschließend ist zu prüfen, ob dieses Unternehmen seine Marktstellung missbraucht (dazu unten b.).
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C. Missbrauch von Marktmacht
a) Marktbeherrschung Die Kriterien der Marktbeherrschung sind für private und öffentliche Un- 115 ternehmen identisch. Insbesondere werden Unternehmen der öffentlichen Hand nicht allein aufgrund ihrer Verbindung zum Staat als besonders marktstark angesehen141. Anders als Art. 102 AEUV enthält § 19 GWB in Abs. 2 und 3 Anhaltspunkte, was unter einer marktbeherrschenden Stellung zu verstehen ist. Gem. § 19 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GWB ist ein Unternehmen marktbeherrschend, wenn es ohne Wettbewerber ist, oder es keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist. In diesen Fällen besteht für das marktbeherrschende Unternehmen gegenüber seinen Wettbewerbern und Abnehmern ein vom Wettbewerb nicht hinreichend kontrollierter Verhaltensspielraum142. Gem. § 19 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GWB ist ein Unternehmen auch dann marktbeherrschend, wenn es im Verhältnis zu den Wettbewerbern über eine überragende Marktstellung verfügt. In § 19 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GWB werden eine Reihe von Kriterien genannt, mittels deren Hilfe festzustellen ist, ob eine solche überragende Marktstellung vorliegt. Neben dem Marktanteil und der Marktstruktur sind dabei vor allem die Finanzkraft, die Zugangsmöglichkeiten zu den Beschaffungs- und Absatzmärkten und das Bestehen von Marktzutrittsschranken zu berücksichtigen. § 19 Abs. 2 Satz 2 GWB definiert die kollektive oder oligopolistische 116 Marktbeherrschung. Eine solche liegt vor, wenn zwischen den am Oligopol beteiligten zwei oder mehr Unternehmen kein wesentlicher Wettbewerb besteht, und die Gesamtheit dieser Unternehmen auch keinem Wettbewerb von außerhalb des Oligopols ausgesetzt ist143. § 19 Abs. 3 GWB enthält widerlegbare Vermutungen für das Bestehen 117 von Einzel- und Oligopolmarktbeherrschung. Danach ist ein Unternehmen als marktbeherrschend anzusehen, wenn es einen Marktanteil von mindestens einem Drittel hat. Drei oder weniger Unternehmen sind als kollektiv marktbeherrschend anzusehen, wenn sie zusammen einen Marktanteil von 50 % oder mehr haben, fünf oder weniger Unternehmen sind als kollektiv marktbeherrschend anzusehen, wenn sie zusammen einen Marktanteil von zwei Dritteln oder mehr haben. Die Unternehmen können die Vermutungen dadurch widerlegen, dass sie Umstände darlegen und beweisen, die wesentlichen Wettbewerb erwarten lassen144. In der Praxis wurde die öffentliche Hand zum Beispiel bei den folgenden Tätigkeiten als marktbeherrschend angesehen: ein Schulträger beim Ein-
141 142 143 144
Stadler in Langen/Bunte, Band 1, Deutsches Kartellrecht, § 130 Rz. 75 ff. Bechtold, GWB, § 19 Rz. 28 ff. m.w.N. Bechtold, GWB, § 19 Rz. 52 ff. Zu den teilweise umstrittenen Folgen für die Beweislast im Zivil- und im Verwaltungsverfahren, vgl. Bechtold, GWB, § 19 Rz. 65, 67, 70. Karl/Beutelmann
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kauf von Schulbüchern145, eine Kommunalbehörde bei der Vergabe von Straßenbauaufträgen146, die Polizei bei der Vergabe von Abschleppaufträgen147, eine Gemeinde beim Betrieb eines Großmarktes148, ein Landratsamt beim Vermieten von Räumlichkeiten für Kfz-Schilderpräger149, Stadtwerke bei der Belieferung von Kleinkunden im eigenen Netzgebiet mit Strom sowie für letztverbrauchende Großkunden mit Gas150, Stadtwerke bei Beförderungsdienstleistungen im öffentlichen Personennahverkehr nach dem PBefG151. Dabei fällt auf, dass die Praxis oft zu einer engen sachlichen (z.B. Personenbeförderung) oder räumlichen (z.B. Schilderpräger) Marktabgrenzung tendiert. b) Missbrauch 119 Das Verhalten eines marktbeherrschenden Unternehmens wird von § 19 GWB untersagt, wenn dieses als Missbrauch seiner marktbeherrschenden Stellung anzusehen ist. Das Gesetz enthält ebenso wie Art. 102 AEUV keine generelle Definition des Missbrauchsbegriffs. § 19 Abs. 4 GWB enthält nur eine nicht-abschließende Aufzählung von Missbrauchstatbeständen. Im Zusammenhang mit der von § 20 GWB erfassten Diskriminierung (dazu sogleich unten Rz. 131) stellen die vier genannten Fallgruppen in § 19 Abs. 4 GWB jedoch die wesentlichen Anwendungsbereiche der Missbrauchsaufsicht dar, so dass es eines Rückgriffs auf eine allgemeine Definition in der Regel nicht bedarf152. § 19 Abs. 4 GWB enthält die in den folgenden Randnummern beschriebenen vier Fallgruppen. Bei diesen handelt es sich aber nicht um Per-se-Verbote. Vielmehr steht es dem Marktbeherrscher stets frei darzulegen, dass es objektive, sachliche Rechtfertigungsgründe gibt, die sein Verhalten im Einzelfall nicht als missbräuchlich erscheinen lassen. 120 Einen Missbrauch stellt es nach § 19 Abs. 4 Nr. 1 GWB dar, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen die Wettbewerbsmöglichkeiten anderer Unternehmen in einer für den Wettbewerb auf dem Markt erheblichen Weise ohne sachlich gerechtfertigten Grund beeinträchtigt (sog. Behinderungsmissbrauch). Dies bringt zum Ausdruck, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen zusätzliche Rücksichtnahmepflichten 145 OLG Düssledorf v. 28.6.1985 – U (Kart) 10/84 – Schulbücher, WuW/E OLG 3513. 146 LG Kiel v. 18.5.1983 – 10 O 190/82, WuW/E LG/AG 510. 147 OLG Düsseldorf v. 14.4.1981 – U (Kart) 31/80 – Abschleppdienste, WuW/E OLG 2495; vgl. aber auch OLG Düsseldorf v. 4.10.1988 – U (Kart) 17/83, WuW/E OLG 4391. 148 OLG Karlsruhe v. 27.1.1988 – 6 U 208/86 Kart, WuW/E OLG 4260. 149 BGH v. 14.7.1998 – KZR 1/97, WuW/E DE-R 201. 150 BKartA v. 20.11.2003 – B8-84/03, WuW/E DE-V 837, 843. 151 BKartA v. 2.12.2003 – B9-91/03, WuW/E DE-V 891; es wurden unterschiedliche Märkte für die Beförderung im Nahverkehr auf der Straße einerseits und auf der Schiene andererseits angenommen. 152 So auch Bechtold, GWB, § 19 Rz. 75.
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gegenüber seinen Wettbewerbern und Geschäftspartnern hat. Bestimmte Maßnahmen, die „normalen“ Unternehmen möglich sind, müssen von marktbeherrschenden Unternehmen unterlassen werden. Dazu gehören beispielsweise langfristige ausschließliche Bezugsverpflichtungen, die zu einer Beeinträchtigung der Absatzmöglichkeiten von Wettbewerbern führen können. Ähnliche Effekte können von Geschäften ausgehen, die sachlich nicht zusammengehörende Produkte zu einem Paket verknüpfen (sog. Koppelungsgeschäfte) oder die Rabatte in einer Weise gestalten, dass Abnehmer kein Interesse haben, auf andere Anbieter als den Marktbeherrscher zurückzugreifen153. All diese Maßnahmen sind aber dann zulässig, wenn sich ein sachlicher Grund anführen lässt, der die betreffende Handlung im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung rechtfertigt154. Missbräuchlich handelt ein marktbeherrschendes Unternehmen auch 121 dann, wenn es Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen fordert, die bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gefordert werden könnten (sog. Ausbeutungsmissbrauch, § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB). Diese Fallgruppe schützt die Interessen der Marktgegenseite vor auf Marktmacht beruhender Übervorteilung durch den Marktbeherrscher. Um festzustellen, ob die Preise tatsächlich überhöht sind, ist anhand einer „als-ob-Betrachtung“ zu ermitteln, ob das Verhalten des Marktbeherrschers auch in dem hypothetischen Fall möglich wäre, dass in dem Markt funktionsfähiger Wettbewerb herrscht. Zu diesem Zweck nimmt die Kartellbehörde entweder eine Analyse der Preiskalkulation des marktbeherrschenden Unternehmens vor, oder zieht räumliche, sachliche oder zeitliche Vergleichsmärkte heran, die Rückschlüsse auf das Preis- oder Konditionenniveau im Falle funktionierenden Wettbewerbs zulassen. Dabei sind Sicherheitszuschläge zu machen, deren Umfang vom Grad der Vergleichbarkeit der herangezogenen Märkte abhängt155. Zu den Spezialproblemen im Zusammenhang mit der Überprüfung von Preisen in der Energie- und Wasserwirtschaft, vgl. unten Rz. 146 ff. Gem. § 19 Abs. 4 Nr. 3 GWB ist es auch missbräuchlich, wenn das markt- 122 beherrschende Unternehmen ungünstigere Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen von der Marktgegenseite fordert, als es das marktbeherrschende Unternehmen selbst auf vergleichbaren Märkten von gleichartigen Abnehmern fordert (sog. Preis- und Konditionenspaltung). Die Fallgruppe wird in der Rechtsprechung als besonderer Fall des Ausbeutungsmissbrauchs nach § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB behandelt, der relevante Vergleichswert ergibt sich hier allerdings nicht aus einem fiktiven 153 Dazu Götting in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 19, Rz. 69 und 71 m.w.N. 154 Vgl. dazu Bechtold, GWB, § 19 Rz. 81 ff., 87, 95, 108 ff. 155 BGH v. 28.6.2005 – WuW-E DE-R 1513 ff. – Stadtwerke Mainz; zum Preishöhenmissbrauch, vgl. Kuhn, WuW 2006, 578; Wiemer, WuW 2011, 723; zum Urteil des BGH, Büdenbender, ZWeR 2006, 233. Karl/Beutelmann
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Markt, sondern aus dem Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens selbst. Diesem steht es allerdings frei, Umstände vorzutragen, die diese Spaltung der Preise und Konditionen rechtfertigen156. 123 § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB kodifiziert die auch im Rahmen des Art. 102 AEUV besprochene „essential facilities doctrine“. Missbräuchlich ist es danach, wenn das marktbeherrschende Unternehmen sich weigert, einem anderen Unternehmen gegen angemessenes Entgelt Zugang zu den eigenen Netzen oder Infrastruktureinrichtungen (z.B. Telefon-, Straßen-, Schienennetz, wohl auch Vertriebsnetz, außerdem Hafenanlagen157 etc.) zu gewähren, und es diesem Unternehmen damit unmöglich macht, auf einem vor- oder nachgelagerten Markt tätig zu werden158. Die Reichweite dieser Norm wird insbesondere durch den Begriff der „Infrastruktureinrichtung“ bestimmt. Das Bundeskartellamt fasst darunter alle diejenigen Einrichtungen, die in Anspruch genommen werden müssen, um Wettbewerbshandlungen auf einem sonst verschlossenen räumlichen oder sachlichen Markt vorzunehmen159. Die Weigerung der Zulassung muss nicht ausdrücklich und unbedingt erfolgen. Es ist ausreichend, wenn beispielsweise durch ein überhöhtes Entgelt der Zugang wirtschaftlich verhindert wird. Eine bloße Erschwerung genügt jedoch nicht160. Ein Missbrauch liegt dann nicht vor, wenn die Zugangsverweigerung durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist. Die entsprechenden technischen oder wirtschaftlichen Umstände der Rechtfertigung sind vom Inhaber der wesentlichen Einrichtung nachzuweisen161. Auch die Unmöglichkeit aus betriebsbedingten oder sonstigen Gründen führt dazu, dass kein Missbrauch vorliegt162. c) Rechtsfolgen 124 Verstößt ein Unternehmen gegen § 19 GWB, so können die Kartellbehörden durch Verfügung das Abstellen der Zuwiderhandlung anordnen. Darüber hinaus können dem Unternehmen positive Maßnahmen aufgegeben werden, die zu einer Beendigung des Verstoßes führen (§ 32 Abs. 1 und Abs. 2 GWB). Im Falle eines Verstoßes gegen § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB, also einer missbräuchlichen Zugangsverweigerung, kann die Verpflich156 BGH v. 7.12.2010 – KZR 5/10, WuW/E DE-R 3145 – ENTEGA II; dazu Wiemer/Schultheiß, ZWeR 2011, 218. 157 Vgl. BKartA v. 27.1.2010 – B9-188/05 – Puttgarden, WuW/E DE-V 1879. 158 Zu den Begriffen, Wiedemann in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 23 Rz. 68. 159 Dazu Bechtold, GWB, § 19 Rz. 100 m.w.N.; BKartA v. 27.1.2010 – B9-188/05 – Puttgarden, WuW/E DE-V 1879, 1886 ff. 160 Nothdurft in Langen/Bunte, Band 1, Deutsches Kartellrecht, § 19 Rz. 178 m.w.N. 161 Auf die Anwendbarkeit dieser Vorschriften auf die Netze der Energie- und Wasserwirtschaft wird unten Rz. 145 ff. eingegangen werden. 162 Darunter fällt auch die rechtliche Unmöglichkeit, vgl. OLG Düsseldorf v. 7.12.2011 – VI Kart 1/10 (V), WuW/E DE-R 3468, 3470 – Puttgarden.
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tung ausgesprochen werden, dem anderen Unternehmen den Zugang zu den wesentlichen Einrichtungen gegen ein vom Kartellamt zu bestimmendes Höchstentgelt zu ermöglichen163. Im Falle eines Verstoßes gegen § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB, also eines Preishöhenmissbrauchs, können Preissenkungsverfügungen erlassen werden, die statische oder dynamische Preisobergrenzen vorsehen164. Ein Verstoß gegen § 19 Abs. 1 GWB ist zudem gem. § 81 GWB ordnungswidrig und kann von den Kartellbehörden mit einem Bußgeld geahndet werden. Auch eine Vorteilsabschöpfung nach §§ 34 und 34a GWB ist möglich (vgl. oben Rz. 97). Zivilrechtliche Rechtsfolgen ergeben sich zum einen aus § 134 BGB. Rechtsgeschäfte, die einen Verstoß gegen § 19 GWB unmittelbar enthalten oder seine Marktwirkungen herbeiführen, sind nichtig165. Darüber hinaus können Betroffene i.S.d. § 33 GWB Beseitigungs-, Unterlassungsund Schadensersatzansprüche geltend machen. Im Falle des Verstoßes gegen § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB kann sich der Unterlassungsanspruch dahin verdichten, dass das marktbeherrschende Unternehmen auf Zulassung zum Netz oder zur Infrastruktureinrichtung in Anspruch genommen werden kann. Dieser Anspruch kann unter Umständen auch im einstweiligen Verfügungsverfahren durchgesetzt werden166.
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2. § 20 GWB § 20 GWB enthält ein über § 19 GWB und Art. 102 AEUV sachlich wie 126 persönlich hinausgehendes Diskriminierungs- und Behinderungsverbot. Damit soll es marktbeherrschenden und so genannten marktstarken Unternehmen, aber auch Unternehmen, von denen kleine und mittlere Unternehmen abhängig sind, untersagt werden, sich aufgrund ihrer wettbewerblichen Macht Vorteile gegenüber anderen zu verschaffen. Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 20 GWB sind dabei identisch mit denen von § 19 GWB (dazu oben Rz. 124 f.). Von besonderer Bedeutung ist in der Praxis die aus § 20 Abs. 1 und 2 GWB folgende Lieferpflicht, die von einem Nachfrager im Wege der Leistungsklage geltend gemacht werden kann167.
163 OLG Düsseldorf v. 2.8.2000 – Kart 3/00 (V), Kart 3/00 – Puttgarden, WuW/E DE-R 559 ff., 572 ff.; vgl. auch BKartA v. 27.1.2010 – B9-188/05 – Puttgarden, S. 50 ff., wo das Bundeskartellamt nur die Verpflichtung ausgesprochen hat, Verhandlungen über bestimmte Zulassungsmodalitäten aufzunehmen und diese anschließend zu formulieren. 164 Vgl. Nothdurft in Langen/Bunte, Band 1, Deutsches Kartellrecht, § 19 Rz. 193 ff. m.w.N. 165 Nothdurft in Langen/Bunte, Band 1, Deutsches Kartellrecht, § 20 Rz. 207 m.w.N. 166 Bornkamm in Langen/Bunte, Band 1, Deutsches Kartellrecht, § 33 Rz. 95 ff.; Bechtold, GWB, § 19 Rz. 116. 167 Bechtold, GWB, § 20 Rz. 66. Dort auch Rz. 64 und 67 zur Frage der Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts wegen Verstoßes gegen § 20 Abs. 1 und 2 GWB. Karl/Beutelmann
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a) § 20 Abs. 1 und 2 GWB 127 § 20 Abs. 1 GWB verbietet die unbillige Behinderung und die sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Unternehmen in einem Geschäftsverkehr, der gleichartigen Unternehmen üblicherweise zugänglich ist. Neben den marktbeherrschenden Unternehmen i.S.d. § 19 Abs. 2 und 3 GWB wendet sich § 20 GWB zum einen an Kooperationen zwischen Wettbewerbern, die von den Freistellungs- und Ausnahmevorschriften nach §§ 2, 3 und 28 Abs. 1 GWB Gebrauch machen (vgl. zu §§ 2, 3 GWB oben Rz. 84 ff.). Normadressaten von § 20 GWB sind auch solche Unternehmen, die aufgrund §§ 28 Abs. 2, 30 Abs. 1 Satz 1 GWB ausnahmsweise Preisbindungen der zweiten Hand vereinbaren dürfen. Schließlich gelten die Vorschriften des § 20 GWB gem. § 8 Abs. 3 Satz 9 PBefG und § 12 Abs. 7 Satz 3 AEG für Unternehmen, die Personenbeförderungsdienstleistungen nach dem PBefG bzw. nach dem AEG erbringen und zulässigerweise Absprachen treffen dürfen, die von der Geltung des § 1 GWB gesetzlich ausgenommen sind (vgl. dazu oben Rz. 91). 128 § 20 Abs. 2 GWB erweitert den Kreis der Normadressaten auf diejenigen Unternehmen und Vereinigungen von Unternehmen, von denen kleine oder mittlere Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager in der Weise abhängig sind, dass sie keine ausreichenden und zumutbaren Ausweichmöglichkeiten im geschäftlichen Verkehr haben (so genannte relative Marktmacht). Gem. § 20 Abs. 2 Satz 2 GWB wird die Abhängigkeit eines Anbieters von einem Nachfrager widerleglich vermutet, wenn der Nachfrager über die verkehrsüblichen Leistungen hinaus besondere Vergünstigungen erlangt, die gleichartigen Nachfragern nicht gewährt werden. Über diese Vermutung hinaus werden in der Praxis die folgenden Fallgruppen der Abhängigkeit unterschieden: sortimentsbedingte, unternehmensbedingte (z.B. aufgrund langjähriger Geschäftsverbindung), knappheitsbedingte und nachfragebedingte Abhängigkeit168. In allen Fällen besteht für das abhängige Unternehmen keine zumutbare, gleichwertige Ausweichmöglichkeit. Eine Abhängigkeit wurde beispielsweise angenommen für ein Abschleppunternehmen, das mit der Polizei einen langfristigen Rahmenvertrag über die Beauftragung mit Abschleppdienstleistungen geschlossen hat. Die Polizei konnte diesen Vertrag nur unter der Voraussetzung kündigen, dass dies sachlich gerechtfertigt und angemessen war169. 129 Eine Diskriminierung oder unbillige Behinderung durch die genannten Unternehmen wird von § 20 Abs. 1 GWB erfasst, wenn sie auf einen Ge-
168 Im Einzelnen zu diesen Begriffen, vgl. etwa die Kommentierung bei Loewenheim in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 20 GWB Rz. 24 ff., 31 ff. 169 OLG Düsseldorf v. 14.4.1981 – U (Kart) 31/80 – Abschleppdienste, WuW/E 2495, Unzulässigkeit der Kündigung eines langfristigen Vertrages wegen einmaligen Fehlverhaltens.
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schäftsverkehr bezogen ist, der gleichartigen Unternehmen üblicherweise zugänglich ist. Ist dies nicht der Fall, so wird die kartellrechtliche Aufsicht des betreffenden Rechtsverhältnisses für unangebracht gehalten. Dieses Tatbestandsmerkmal, das in der Praxis zu großen Unsicherheiten führt, dient lediglich als Grobraster, durch das nur eindeutige Fälle fehlender Rechtswidrigkeit ausgeschlossen werden sollen170. Ein Geschäftsverkehr ist nicht üblicherweise zugänglich, wenn eine Beschränkung des Zugangs von den in Betracht kommenden Kreisen als der allgemeinen Übung entsprechend und als angemessen angesehen wird. Ist ein Geschäftsverkehr zugänglich, allerdings nur für eine bestimmte Kategorie an Unternehmen, dann ist nur gleichartigen Unternehmen Zugang zu gewähren. Die Gleichartigkeit der Unternehmen ist im Hinblick auf ihre wirtschaftliche Funktion innerhalb des Marktes zu ermitteln. Eine Maßnahme ist als Behinderung i.S.d. § 20 Abs. 1 GWB anzusehen, 130 wenn sie objektiv nachteilig für den Betroffenen ist. Im Rahmen der Bestimmung der Unbilligkeit dieser Behinderung ist eine Abwägung der Interessen aller Beteiligten vorzunehmen. Neben den Interessen des behinderten Unternehmens und der anderen Marktbeteiligten ist auch das Interesse des marktbeherrschenden oder marktstarken Unternehmens an der ungehinderten Teilnahme am Wettbewerb zu berücksichtigen. Ebenso ist die Freiheit des Wettbewerbs als Zielsetzung des Gesetzes zu berücksichtigen. Ist die öffentliche Hand Normadressat des § 20 GWB, so kann auch berücksichtigt werden, dass sie mit ihrer Handlung öffentliche Interessen verfolgt. Diesen Interessen ist jedoch nicht stets Priorität einzuräumen. Dies mag jedoch dann anders zu beurteilen sein, wenn das öffentliche Interesse sich in einer gesetzlichen Wertung wiederfindet171. Neben dem Behinderungsverbot ist es den oben genannten Normadressa- 131 ten nach § 20 Abs. 1 und 2 GWB auch untersagt, wirtschaftlich gleich gelagerte Sachverhalte ungleich zu behandeln (Diskriminierung). Insbesondere die Bestimmung der Gleichartigkeit der Sachverhalte ist dabei von wesentlicher Bedeutung. Eine Ungleichbehandlung solcher Sachverhalte ist zulässig, wenn sie sachlich gerechtfertigt ist. Es ist dazu eine Interessenabwägung vorzunehmen, bei der sowohl der unternehmerische Freiraum des marktbeherrschenden oder marktstarken Unternehmens zu berücksichtigen ist, vor allem aber die Zielsetzung des Gesetzes, nämlich die Freiheit des Wettbewerbs. Die sachliche Rechtfertigung ist vom Diskriminierenden darzulegen und zu beweisen172. Häufige Fälle der sachlich nicht gerechtfertigten Diskriminierung betreffen das Verlangen unterschiedlicher Preise von vergleichbaren Abnehmern, Lieferverweigerun170 Zu Einzelfällen, vgl. Bechtold, GWB, § 20 Rz. 31 ff. 171 Zur Interessenabwägung und zur Berücksichtigung öffentlicher Interessen, vgl. Nothdurft in Langen/Bunte, Band 1, Deutsches Kartellrecht, § 20 Rz. 121 ff., insbesondere Rz. 139; Bechtold, GWB, § 20 Rz. 42 ff. 172 Insoweit unterscheidet sich die Rechtslage von der Beweispflicht der „unbilligen Behinderung“, vgl. Bechtold, GWB, § 20 Rz. 65. Karl/Beutelmann
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gen gegenüber einzelnen Nachfragern oder die Kündigung langfristiger Lieferbeziehungen. Für die öffentliche Hand kann sich aus § 20 Abs. 1 GWB die Pflicht ergeben, eine Ausschreibung nach den Grundsätzen des öffentlichen Vergaberechts durchzuführen, obwohl dessen Anwendungsvoraussetzungen nicht erfüllt sind. In diesem Fall ist ein transparentes und an sachlichen Kriterien orientiertes Auswahlverfahren durchzuführen. In der Praxis sind dafür die Kfz-Schilderprägerfälle beispielhaft. 132 Einer Entscheidung des BGH lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Landratsamt vermietete Räumlichkeiten in unmittelbarer Nähe zur KfzZulassungsstelle an ein Unternehmen, das Kfz-Schilder prägt. Konkurrierende Schilderpräger wollten ebenfalls Zugang zu diesen Räumlichkeiten haben. Der BGH ging davon aus, dass die öffentliche Hand in diesem Fall als Unternehmen handelt, wenn sie die Räumlichkeiten an Schilderpräger vermietet. Da nur begrenzte Räumlichkeiten zur Verfügung standen, diese aber einen erheblichen Vorteil im Wettbewerb um Kunden darstellten, urteilte der BGH, dass das Landratsamt die Räumlichkeiten in regelmäßigen Abständen (hier fünf Jahre) in einem transparenten und diskriminierungsfreien Auswahlverfahren vergeben müsse, um dem Vorwurf eines Verstoßes gegen § 20 GWB zu entgehen173. Außerdem müsse sie konkurrierenden Unternehmen die Möglichkeit eröffnen, an geeigneter Stelle auf ihr Angebot hinzuweisen174. Diese Rechtsprechung kann auf all diejenigen Fälle übertragen werden, in denen die öffentliche Hand über Einrichtungen verfügt, die Unternehmen den Zugang zum Markt ermöglichen oder einen wettbewerblichen Vorteil verschaffen, die aber nicht in unbegrenzter Zahl und für alle Wettbewerber gleichermaßen zur Verfügung stehen. Öffnet die Gemeinde diese Einrichtungen für private Unternehmen, so unterliegt sie dabei den Bindungen der §§ 19, 20 GWB. 133 Das gilt auch dann, wenn die Gemeinde ihre Einrichtungen im Wettbewerb mit privaten Unternehmen selbst nutzt. In einem weiteren Schilderprägerfall175 vermietete die Gemeinde die Flächen zwar nach einer Ausschreibung, an dieser musste sich die von der Gemeinde gehaltene Gesellschaft jedoch nicht beteiligen, die obendrein günstigere Bedingungen als private Mieter erhielt. Nach Auffassung des BGH ist es grds. keine unbillige Behinderung, wenn die Gemeinde Geschäfte mit ihren Tochterunternehmen zu günstigeren Konditionen durchführt, als sie das mit privaten Dritten tut. Im fraglichen Fall lag jedoch dennoch eine unbillige Behinderung vor. Diese leitete der BGH daraus ab, dass die öffentliche Hand „die durch die Verwaltungstätigkeit erzeugte Nachfrage nach Gütern unter Verdrängung leistungsbereiter privater Wettbewerber befriedigt, um auf diese Weise für sich den größten wirtschaftlichen Vorteil zu 173 BGH v. 14.7.1998 – KZR 1/97, WuW/E DE-R 201 ff., 205. Zu den abweichenden Auffassungen in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte, vgl. Bechtold, GWB, § 20 Rz. 63. 174 BGH v. 8.11.2005 – KZR 21/04, WuW/E DE-R 1724. 175 BGH v. 24.9.2002 – KZR 4/01, WuW/E DE-R 1003, 1005 f.
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erzielen“. Darin sah der BGH eine unzulässige Verquickung der öffentlich-rechtlichen Aufgabe mit einer erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit176. b) § 20 Abs. 3 GWB Gem. § 20 Abs. 3 GWB dürfen die in § 20 Abs. 1 und 2 GWB genannten 134 Normadressaten den Wettbewerb nicht dadurch verzerren, dass sie andere Unternehmen (im Fall des § 20 Abs. 2 GWB die abhängigen Unternehmen) auffordern oder dazu veranlassen, ihnen ohne sachlich gerechtfertigten Grund besondere Vorteile zu gewähren. Nach überwiegender Auffassung bezweckt diese Norm nicht in erster Linie den Schutz der Unternehmen, von denen besondere Vorteile verlangt werden. Vielmehr soll verhindert werden, dass das marktbeherrschende oder marktstarke Unternehmen im Verhältnis zu seinen Mitbewerbern ungerechtfertigt Vorteile im Wettbewerb erlangt177. Ein Vorteil i.S.d. Gesetzes besteht in jeder vermögenswerten Leistung, 135 die weder markt- noch leistungsbedingt ist. Zu diesem Zweck ist eine qualitativ-vergleichende Bewertung mit den Bedingungen vorzunehmen, die das Vorteile gewährende Unternehmen gegenüber Dritten eingeht178. Ein Vorteil liegt jedenfalls dann vor, wenn der Normadressat Leistungen für einen in der Vergangenheit abgeschlossenen Sachverhalt verlangt, auf die er zivilrechtlich keinen Anspruch hat. Umstritten ist, ob es ausreicht, dass der Normadressat verlangt, ebenso behandelt zu werden wie andere gleichartige Unternehmen. Dies stellt zwar keinen Vorteil gegenüber den Mitbewerbern dar, ist somit vom eingangs genannten Gesetzeszweck nicht gedeckt, verbessert aber die Position des Normadressaten. Es erscheint sachgerecht, diesen letztgenannten Fall auf der Ebene der sachlichen Rechtfertigung zu entscheiden179. Die Frage der sachlichen Rechtfertigung ist wiederum anhand einer Interessenabwägung vorzunehmen, die einerseits die Zielsetzung des GWB, andererseits die Privatautonomie der Unternehmen berücksichtigt. c) § 20 Abs. 4 GWB § 20 Abs. 4 GWB vermittelt kleinen und mittleren Unternehmen einen 136 besonderen Schutz gegen Unternehmen, die – unabhängig von der Frage, ob sie Normadressaten i.S.d. Abs. 1 und 2 sind – über überlegene Markt-
176 BGH v. 24.9.2002 – KZR 4/01, WuW/E DE-R 1003, 1005. 177 Vgl. zum Normzweck Nothdurft in Langen/Bunte, Band 1, Deutsches Kartellrecht, § 20 Rz. 208 ff. 178 Bechtold, GWB, § 20 Rz. 76. 179 Vgl. Köhler, WRP 2006, 139 (141 f.) m.w.N. Karl/Beutelmann
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macht im Verhältnis zu diesen kleinen und mittleren Wettbewerbern180 verfügen. Um festzustellen, ob das behindernde und das behinderte Unternehmen zu den von dieser Norm erfassten Unternehmen gehören, ist nicht an absoluten Größenkriterien festzuhalten, vielmehr ist ein Vergleich mit den anderen Wettbewerbern auf dem betroffenen Markt maßgeblich181. Ein Unternehmen verstößt gegen § 20 Abs. 4 GWB, wenn es seine Marktmacht dazu ausnutzt182, kleine und mittlere Wettbewerber unmittelbar oder mittelbar unbillig zu behindern. Sowohl das „Behindern“ als auch die „Unbilligkeit“ sind entsprechend § 20 Abs. 1 GWB auszulegen. Als Regelbeispiel nennt das Gesetz in § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB das Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis. Danach ist es den Normadressaten gem. Satz 1 untersagt, Waren oder gewerbliche Leistungen „nicht nur gelegentlich“ unter Einstandspreis anzubieten. Dies gilt nicht, wenn das Verhalten sachlich gerechtfertigt ist183. § 20 Abs. 5 GWB enthält eine Beweiserleichterung, wonach das möglicherweise behindernde Unternehmen den Anschein eines Verstoßes gegen § 20 Abs. 4 GWB widerlegen und die anspruchsbegründenden Umstände aus seinem Geschäftsbereich aufklären muss184. d) § 20 Abs. 6 GWB 137 Schließlich enthält § 20 Abs. 6 GWB eine Verpflichtung von Wirtschaftsund Berufsvereinigungen sowie von Gütezeichengemeinschaften, bei der Aufnahme von Unternehmen keine sachlich nicht gerechtfertigten Differenzierungen oder unbilligen Benachteiligungen vorzunehmen. 3. § 21 GWB 138 Auch § 21 GWB, der ein Boykottverbot und das Verbot sonstigen wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens enthält, knüpft an einseitige Maßnahmen von Unternehmen an. Anders als bei §§ 19 und 20 GWB ist es jedoch nicht erforderlich, dass das betroffene Unternehmen über eine besondere wirtschaftliche Machtstellung verfügt. Jedes Unternehmen i.S.d. 180 Der Normadressat und das benachteiligte Unternehmen müssen also auf demselben Markt tätig sein, vgl. dazu BGH v. 9.7.2002 – KZR 30/00, WuW/E DE-R 1006, 1009 f. zu einem Koppelungsangebot einer Gemeinde hinsichtlich Hausverkauf und Fernwärmebezug. 181 Bechtold, GWB, § 20 Rz. 80; Loewenheim in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 20 GWB Rz. 131 ff. 182 Zum Tatbestandsmerkmal des „Ausnutzens“, vgl. Loewenheim in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 20 GWB Rz. 135. 183 Zu den Auslegungsproblemen dieser Norm, vgl. BGH v. 12.11.2002 – KVR 5/02 – Wall Mart, WuW/E DE-R 1042; BKartA, v. 25.10.2007 – B 9 - 77/07 – Netto Marken-Discount, WuW/E DE-V 1481; OLG Düsseldorf v. 12.11.2009 – VI-2 Kart 9/08 OWi – Rossmann, GRUR-Prax 2010, 208; Nothdurft in Langen/ Bunte, Band 1, Deutsches Kartellrecht, § 20 Rz. 245 ff. 184 Zum – engen – Anwendungsbereich, vgl. Nothdurft in Langen/Bunte, Band 1, Deutsches Kartellrecht, § 20 Rz. 258 ff.
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GWB (vgl. oben Rz. 69 ff.) sowie jede Unternehmensvereinigung kann Normadressat des § 21 GWB sein. Die Absätze 1 bis 4 enthalten vier verschiedene Verbotstatbestände. § 21 Abs. 1 GWB setzt voraus, dass ein Unternehmen („Verrufer“) ein an- 139 deres Unternehmen („Adressat“ oder „Boykottierender“) dazu auffordert, ein drittes Unternehmen („Verrufener“ oder „Boykottierter“) nicht zu beliefern oder nicht von diesem zu beziehen. Ausreichend für das Erfüllen des objektiven Tatbestands ist die Aufforderung an den Adressaten. Dieser muss die Aufforderung nicht befolgen. Die Liefer- oder Bezugssperre kann sich auf jede Ware oder Dienstleistung beziehen. Auch der Erwerb einer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung kann Gegenstand eines Boykotts sein185. Eine Vertragsklausel, wonach Anteile am Unternehmen des Adressaten nicht an bestimmte Dritte veräußert werden dürfen, ist somit als Liefersperre in diesem Sinne anzusehen. Ebenso sind Kooperationssperren erfasst186. Die beabsichtigten Liefer- oder Bezugssperren müssen nicht umfassend sein, es genügt, wenn sie sich auf einzelne Produkte beziehen. § 21 Abs. 1 GWB setzt weiter voraus, dass der Verrufer die Absicht ver- 140 folgt, bestimmte Unternehmen unbillig zu beeinträchtigen. Das verrufene Unternehmen muss also hinreichend bestimmbar sein, zudem muss der Boykottzweck ein bestimmender, wenn auch nicht der alleinige Zweck des Handelns sein. Es genügt, wenn der Verrufer in Kenntnis der Umstände handelt, die die Unbilligkeit begründen. Ob eine Maßnahme unbillig ist, ist anhand einer Interessenabwägung zu bestimmen. § 21 Abs. 2 GWB verbietet es Unternehmen und Vereinigungen von Un- 141 ternehmen, durch das Androhen oder Zufügen von Nachteilen oder das Versprechen oder Gewähren von Vorteilen andere Unternehmen zu einem Verhalten zu veranlassen, das nach dem GWB oder einer aufgrund des GWBs erlassenen Verfügung einer Kartellbehörde nicht zum Gegenstand einer vertraglichen Bindung gemacht werden darf. Damit soll verhindert werden, dass ein Unternehmen durch die Anwendung von positivem oder negativem Druck die Verbote des GWB umgeht. Dies bezieht sich nicht nur auf das Verbot des § 1 GWB, sondern auch auf die Missbrauchsverbote nach §§ 19 und 20 GWB. Dabei ist auch das Androhen von an sich zulässigen rechtlichen Maßnahmen (z.B. eines Gerichtsverfahrens) verboten, wenn dieses Verhalten mit einem dem GWB widersprechenden Zweck verbunden wird187. In der Praxis ist diese Norm häufig im Zusammenhang mit dem Versuch von Markenartikelherstellern, durch Anreize oder Druck Einfluss auf die Preissetzung des Handels zu nehmen, von Relevanz. 185 BGH v. 28.9.1999 – KZR 18/98, WuW/E DE-R 395. 186 Vgl. zu Fällen mit Bezug zur öffentlichen Hand, Weisser in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, GWB 2005, § 130 Rz. 147 m.w.N. 187 Vgl. Bechtold, GWB, § 21 Rz. 15. Karl/Beutelmann
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142 Einen Schritt weiter geht § 21 Abs. 3 GWB. Die Vorschrift knüpft an zwar wettbewerbsbeschränkende, aber kartellrechtlich zulässige Maßnahmen an (z.B. freigestellte Kartellvereinbarungen nach §§ 2, 3 GWB oder nach § 28 Abs. 1 GWB, Unternehmenszusammenschlüsse gem. § 37 GWB). Wird ein solches Verhalten von einem Unternehmen oder einer Vereinigung von Unternehmen gegenüber anderen Unternehmen erzwungen, so ist dieses Vorgehen als Verstoß gegen § 21 Abs. 3 GWB anzusehen. 143 Schließlich verbietet § 21 Abs. 4 GWB, dass einem Unternehmen, das das Einschreiten der Kartellbehörde beantragt oder angeregt hat, ein wirtschaftlicher Nachteil zugefügt wird. 144 Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die Tatbestände des § 21 GWB entsprechen weitgehend denjenigen von § 19 GWB. Es bestehen also zivilrechtliche (soweit im jeweiligen Fall passend), verwaltungsrechtliche und bußgeldrechtliche Rechtsfolgen (vgl. oben Rz. 124 f.). 4. Sonderprobleme ausgewählter Wirtschaftsbereiche 145 Die in den §§ 19 und 20 GWB geregelten Fragen spielen gerade in denjenigen Wirtschaftsbereichen eine Rolle, in denen der Marktzugang nur mittels vorhandener, aber meist im Eigentum eines Einzelnen stehender Netzwerke möglich ist. Dies ist in der Energiewirtschaft (Strom und Gas) besonders augenfällig. Weil die Frage des Netzzugangs im Zuge der Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte von erheblicher Bedeutung war, sehen die §§ 20–28a EnWG zur Frage des Netzzugangs und den Bedingungen des Netzzugangs abschließende Regelungen vor. § 111 EnWG in der seit 2005 geltenden Fassung schließt deshalb die Anwendung der §§ 19 und 20 GWB aus, soweit Gegenstand des Verhaltens der Zugang zu einem Netz bzw. die Netzzugangsbedingungen sind. Diese Fragen beurteilen sich allein nach dem EnWG. Anwendbar sind die Vorschriften der §§ 19 und 20 GWB jedoch auf alle übrigen Fragen in diesen Wirtschaftsbereichen. Insbesondere Preismissbrauchskontrollen mittels § 19 GWB treten in der Praxis häufig auf188. Dabei wird mittels § 19 GWB/Art. 102 AEUV die Höhe der von den Versorgungsunternehmen geforderten Entgelte von den Kartellbehörden kontrolliert189. Im Ergebnis wird von marktbeherrschenden Energieversorgungsunternehmen aber nicht erwartet, dass sie einen günstigen Tarif stets allen Abnehmern anbieten. Vielmehr lässt es der BGH zu, dass auf unterschiedliche Marktbedingungen differenziert reagiert wird190. Das Bundeskartellamt hat auch Missbräuche von Versorgungsunternehmen verfolgt, die auf der Androhung von Lieferverweige188 Vgl. dazu Bechtold, GWB, vor § 28 Rz. 26; außerdem oben Rz. 121. 189 Dazu Haus/Jansen, ZWeR 2006, 77 und Büdenbender, ZWeR 2006, 233 jeweils mit Bezug zum Preismissbrauch durch Stromversorger. 190 BGH v. 7.12.2010 – KZR 5/10 – ENTEGA II, WuW/E DE-R 3145; dazu Wiemer/Schultheiß, ZWeR 2011, 218.
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rungen zur Durchsetzung von Preiserhöhungen beruhen. Das Bundeskartellamt sieht darin ein missbräuchliches Verhalten, solange die Billigkeit der Preiserhöhung nicht nachgewiesen ist. Den Verbrauchern fehle es an Bezugsalternativen, weshalb sie vor der Sperrandrohung durch die faktischen Monopolisten geschützt werden müssten191. Bei diesen Verfahren ist die Bundesnetzagentur zu beteiligen und das Energiewirtschaftsgesetz zu berücksichtigen (§ 50 EnWG). Zur Ergänzung der Missbrauchsaufsicht im Bereich der Energiewirtschaft 146 wurde im Jahr 2007 § 29 ins GWB aufgenommen192. Die Vorschrift sieht für Anbieter von Elektrizität oder leitungsgebundenem Gas (so genannte Versorgungsunternehmen) eine Missbrauchsaufsicht vor, die über §§ 19 und 20 GWB hinausgeht. Die Anwendbarkeit der Vorschrift ist bis zum 31.12.2012 zeitlich befristet, eine Verlängerung dieser Frist um 5 Jahre im Rahmen der 8. GWB-Novelle wird derzeit diskutiert. Mit § 29 GWB sollen Nachteile der kartellbehördlichen Durchsetzung des Preishöhenmissbrauchs in § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB vermieden werden. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 GWB soll es im Verwaltungsverfahren ausreichen, wenn die Kartellbehörde ein anderes Vergleichsunternehmen im selben oder einem vergleichbaren Markt identifiziert, das ungünstigere Entgelte oder Geschäftsbedingungen verlangt. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers soll es dann dem Versorgungsunternehmen obliegen, darzulegen und zu beweisen, dass die Abweichung sachlich gerechtfertigt ist. Anders als in § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB soll also die Kartellbehörde die Vergleichbarkeit nicht selbst darlegen und beweisen müssen193, allerdings wird in der Literatur zumindest eine funktionale Vergleichbarkeit verlangt, die darin besteht, dass das Vergleichsunternehmen auf dem gleichen sachlichen Markt tätig ist194. Umstritten ist, ob die Abweichung vom Vergleichsunternehmen erheblich sein muss195. Schließlich ist im Rahmen von § 29 Abs. 1 Nr. 1 GWB ausführlich zu prüfen, ob die geforderten Entgelte oder Geschäftsbedingungen tatsächlich ungünstiger sind, und ob die ungünstigen Entgelte oder Geschäftsbedingungen sachlich gerechtfertigt werden können196.
191 Vgl. Pressemitteilungen des Bundeskartellamtes v. 25.9.2006 und v. 2.11.2006, zugänglich über die Website www.bundeskartellamt.de. 192 Dazu Kahlenberg/Haellmigk, BB 2008, 174 (177); Faustmann/Raapke, WRP 2008, 67; Kolpatzik/Berg, WuW 2011, 712; Becker, ZNER 2008, 289. 193 Kritisch im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieser Beweislastumkehr Bechtold, GWB, § 29 Rz. 10 m.w.N. In einem Verfahren aus dem Jahr 2010 hat das OLG Düsseldorf den Vergleich mit vier Unternehmen als ausreichend angesehen, um zu einer Beweislastumkehr zu kommen, vgl. OLG Düsseldorf v. 20.5.2010 – VI-2 Kart 9/09 (V), 2 Kart 9/09 IR 2010, 201. 194 Lücke in Langen/Bunte, Band 1, Deutsches Kartellrecht, § 29 Rz. 16. 195 So etwa Lücke in Langen/Bunte, Band 1, Deutsches Kartellrecht, § 29 Rz. 27 f.; a.A. Kolpatzik/Berg, WuW 2011, 712 (713). 196 Zu den Methoden der Missbrauchsfeststellung, vgl. Kolpatzik/Berg, WuW 2011, 712 (716 ff.). Karl/Beutelmann
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147 § 29 Abs. 1 Nr. 2 GWB begründet einen Missbrauch nicht mit dem Vergleich mit einem dritten Unternehmen, sondern eröffnet der Kartellbehörde die Möglichkeit, den Missbrauchsvorwurf mit einem erheblichen Abstand zwischen Kosten und Preis zu begründen. Es wird vorausgesetzt, dass dieser Abstand „unangemessen“ ist. Dabei soll es jedoch nicht ausgeschlossen sein, dass ein Unternehmen Gewinne erzielt. Insbesondere Effizienzsteigerungen und künftige Investitionen können eine hohe Gewinnspanne im Einzelfall rechtfertigen197. Im Heizstromsektor hat das Bundeskartellamt von seinen Befugnissen aus §§ 19, 20 und 29 GWB umfassend Gebrauch gemacht. Nachdem im Herbst 2009 diverse Verfahren eröffnet worden waren, veröffentlichte das Bundeskartellamt im September 2010 einen umfassenden Bericht über den Markt und die laufenden Verfahren, die zum ganz großen Teil damit zu Ende gingen, dass sich die Versorgungsunternehmen zu marktöffnenden Maßnahmen und teilweise zur Rückerstattung von Entgelten verpflichteten. Im März 2012 erließ das Bundeskartellamt eine Missbrauchsverfügung gegen einen Energieversorger, in dem angeordnet wurde, dass dieser insgesamt etwa 5 Mio. Euro an seine Heizstromkunden zurückerstatten muss198. 148 In anderen Wirtschaftsbereichen, in denen Netzwerke eine Rolle spielen (Telekommunikation199, Wasser, Post200, Eisenbahn) sind die §§ 19 und 20 GWB uneingeschränkt anwendbar201. Es gelten die oben genannten allgemeinen Grundsätze (Rz. 113 ff.). Dies gilt auch für die Vergabe von wegerechtsbezogenen Konzessionen im Strom- und Gassektor, bei denen die Gemeinden als marktbeherrschend angesehen werden, und sie deshalb neben kommunalaufsichtsrechtlichen und energierechtlichen Vorgaben auch kartellrechtliche Schranken einhalten müssen202. Hinsichtlich des Missbrauchs im Zusammenhang mit der Wasserversorgung ist § 103 Abs. 5 Satz 2 GWB a.F. zu berücksichtigen, der nach wie vor gilt und besondere Fälle des Missbrauchs kodifiziert. Von praktischer Bedeutung ist 197 Bechtold, GWB, § 29 Rz. 28. 198 Der Bericht „Heizstrom – Marktüberblick und Verfahren“ aus dem September 2010 ist ebenso über die Website des Bundeskartellamtes abrufbar wie die Pressemitteilungen des Bundeskartellamtes v. 29.9.2010 und v. 20.3.2012. 199 Zum Verhältnis zwischen Regulierungsrecht für Telekommunikation und Kartellrecht, Topel, ZWeR 2006, 27. 200 Vgl. etwa OLG Düsseldorf v. 13.4.2005 – VI-KArt 3/05 (V), WuW/E DE-R 1473; zum Verhältnis zwischen Postrecht und Kartellrecht, Lagemann, ZWeR 2006, 196. 201 Einen Überblick über das Verhältnis verschiedener Regelungsbereiche zum Kartellrecht gibt Ludwigs, WuW 2008, 534. 202 Dazu gibt es einen „Gemeinsamen Leitfaden von Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur“ v. 15.12.2010. Außerdem hat das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg Leitlinien dazu in ein am 5.12.2011 veröffentlichtes „Positionspapier Konzessionsvergabe zur Beteiligung von Gemeinden an Gemeinschaftsunternehmen mit Energieversorgungsunternehmen sowie zu Pachtmodellen im Zusammenhang von wegerechtsbezogenen Konzessionsvergaben im Strom- und Gassektor“ aufgenommen.
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C. Missbrauch von Marktmacht
insbesondere § 103 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 GWB a.F., der es Versorgungsunternehmen untersagt, ungünstigere Preise oder Geschäftsbedingungen als gleichartige Versorgungsunternehmen zu fordern, es sei denn, das Versorgungsunternehmen ist in der Lage nachzuweisen, dass der Unterschied auf abweichenden Umständen beruht, die ihm nicht zurechenbar sind. Diese Norm sieht eine Beweislastumkehr zulasten des Versorgungsunternehmens vor. Die Kartellbehörde muss lediglich die Gleichartigkeit der preislich von ihr verglichenen Unternehmen belegen. Das Versorgungsunternehmen muss dann seine Kalkulation rechtfertigen. In einer Entscheidung aus dem Jahr 2010 hat der BGH eine Verfügung der Landeskartellbehörde Hessen gebilligt, mit der diese dem Unternehmen Enwag aufgegeben hatte, seine Wasserpreise in Wetzlar um knapp 30 % zu senken203. Der BGH hat dabei einerseits die Anforderungen an die Vergleichbarkeit von Unternehmen sehr weit gefasst, indem lediglich solche Unternehmen als nicht vergleichbar ausgeschlossen wurden, mit denen sich ein Vergleich „schon auf erste Sicht“ verbietet. Andererseits wurden die Anforderungen an die Rechtfertigung durch das Unternehmen sehr hoch angesetzt. So darf das Unternehmen grds. nur solche Umstände zur Rechtfertigung heranziehen, die auch jedes andere Unternehmen in der Lage des Betroffenen vorfinden würde und nicht beeinflussen könnte. Die Folgen dieser Entscheidung werden von der Versorgungsindustrie als dramatisch geschildert. Andere Landeskartellbehörden haben zwischenzeitlich ebenfalls Verfahren eingeleitet, stützen sich dabei aber teilweise auf § 19 GWB204. Betreiber von Bahnnetzen unterliegen – neben den kartellrechtlichen Schranken der §§ 19 ff. GWB (vgl. § 14b Abs. 2 AEG) – der Verpflichtung, angrenzenden Eisenbahnunternehmen den Anschluss an ihre Infrastruktur zu gestatten, sowie die diskriminierungsfreie Benutzung der Eisenbahninfrastruktur zu gewähren (§§ 13 und 14 AEG)205.
203 BGH v. 2.2.2010 – KVR 66/08 – Wasserpreise Wetzlar, NJW 2010, 2573. Vgl. dazu Daiber, WuW 2010, 1141; Lotze/Reinhardt, NJW 2009, 3273; Reinhardt, LKV 2010, 145 ff. und 296 ff. 204 OLG Stuttgart v. 25.8.2011 – 201 Kart 2/11, erfolgreiche Beschwerde gegen eine Verfügung der Landeskartellbehörde BW, die auf § 32 GWB i.V.m. § 19 Abs. 1, 4 Nr. 2 GWB gestützt war; aufgehoben durch den BGH v. 15.5.2012 – KVR 51/11. Anders als das OLG lässt der BGH verschiedene, aus Sicht der Behörde geeignete Berechnungsmethoden zur Ermittlung eines Preishöhenmissbrauchs zu. 205 Vgl. Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamts, 2003/2004, S. 32/33. Zur Entgeltregulierung ausführlich unter Berücksichtigung der Rechtslage nach dem 27.4.2005 Koenig/Neumann/Schellberg, WuW 2006, 139; zum Nebeneinander von GWB und AEG, vgl. Bremer/Höppner, WuW 2009, 1271; Ludwigs, WuW 2008, 534 (546 f.). Daneben gibt es aber auch Spezialbereiche, die über die kartellrechtlichen Möglichkeiten des GWB hinausgehen, wie z.B. die §§ 9, 9a AEG zum Unbundling. Vgl. dazu Koenig/Neumann/Schellberg, WuW 2007, 981. Karl/Beutelmann
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D. Zusammenschlusskontrolle I. Verhältnis der deutschen zur europäischen Fusionskontrolle 150 Sowohl das deutsche als auch das europäische Recht enthalten Vorschriften, die bestimmte Änderungen von Unternehmensstrukturen (so genannte Zusammenschlüsse) einer kartellrechtlichen Kontrolle unterwerfen. Für die Abgrenzung der Anwendungsbereiche der Fusionskontrollregime gilt der Vorrang der europäischen Fusionskontrollvorschriften vor denen der Mitgliedstaaten. Gem. Art. 21 Abs. 3 der VO 139/2004206 ist die Anwendung des Kartellrechts der Mitgliedstaaten auf Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung ausgeschlossen. Der Anwendungsbereich der europäischen Fusionskontrolle wird somit definiert durch den Begriff des Zusammenschlusses i.S.d. Art. 3 der VO 139/2004 und den Begriff der gemeinschaftsweiten Bedeutung i.S.d. Art. 1 Abs. 2 und 3 der VO 139/2004207. Sind diese Tatbestandsmerkmale erfüllt, dann findet die deutsche Fusionskontrolle keine Anwendung (vgl. auch § 35 Abs. 3 GWB). 151 Das europäische Recht lässt nur in einigen Wirtschaftsbereichen Ausnahmen von diesem Grundsatz zu. Wenn „berechtigte Interessen“ dies verlangen, können Zusammenschlüsse mit gemeinschaftsweiter Bedeutung auch Schranken der nationalen Rechtsordnung unterworfen sein (Art. 21 Abs. 4 VO 139/2004). Das Gesetz nennt ausdrücklich den Schutz der öffentlichen Sicherheit und der Medienvielfalt. Erfasst werden daneben solche Interessen, die durch Aufsichtsregeln geschützt werden, wie z.B. im Bank-, Börsen- oder Versicherungsgeschäft. Schließlich können – nach Anerkennung durch die europäische Kommission – weitere berechtigte Interessen berücksichtigt werden (Art. 21 Abs. 4 Unterabs. 3 VO 139/2004). In all diesen Fällen können die nationalen Rechtsordnungen zusätzliche Schranken für Zusammenschlussvorhaben errichten. Allerdings können diese nicht solchen Zusammenschlüssen zur Zulässigkeit verhelfen, die vom Gemeinschaftsrecht untersagt werden208.
206 Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates v. 20.1.2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. Nr. L 24 v. 29.1.2004, S. 1. 207 Zu diesen Begriffen ausführlich, Berichtigung der Konsolidierten Mitteilung der Kommission zu Zuständigkeitsfragen gemäß der Verordnung (EG) 139/2004 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. C 43 v. 21.2.2009, S. 10 ff. (im Folgenden „Konsolidierte Mitteilung der Kommission“). 208 Eine Auslegungshilfe zu dieser Norm bietet die Protokollerklärung zur VO 4064/89, der Vorgängerverordnung zur VO 139/2004, WuW 1990, 240 f. Vgl. auch Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, VO 139/2004 Art. 21 Rz. 11 ff.
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D. Zusammenschlusskontrolle
II. Europäisches Recht 1. Anwendungsbereich a) Zusammenschluss Der Begriff des Zusammenschlusses i.S.d. Art. 3 VO 139/2004 umfasst 152 Änderungen von Unternehmensstrukturen, aus denen sich nach Auffassung des europäischen Gesetzgebers eine Gefahr für den Wettbewerb ergeben kann. Davon umfasst ist die Fusion von zwei oder mehr unabhängigen Unternehmen ebenso wie die Übernahme eines Unternehmens durch ein anderes. Letzteres ist als so genannter Kontrollerwerb ausgestaltet, der dadurch begründet wird, dass ein209 Unternehmen aufgrund von Rechten, Verträgen oder anderer Mittel in die Lage versetzt wird, einen bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit eines anderen Unternehmens oder Unternehmensteils auszuüben210. Ein Zusammenschluss wird außerdem bewirkt, wenn zwei oder mehr 153 Unternehmen ein Gemeinschaftsunternehmen gründen. Dies gilt jedoch nur, wenn dieses Gemeinschaftsunternehmen auf Dauer alle Funktionen einer selbständigen wirtschaftlichen Einheit ausführt (sog. Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmen)211. In dieser zuletzt genannten Einschränkung besteht einer der wesentlichen inhaltlichen Unterschiede des europäischen zum deutschen Zusammenschlussbegriff (vgl. § 37 GWB sowie unten Rz. 169 ff.). Im deutschen Recht wird auch die Gründung von anderen als Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmen im Grundsatz erfasst. Trotz Vorliegens der gemeinschaftsweiten Bedeutung sind Gemeinschaftsunternehmen, die nicht vollfunktional sind, deshalb in Deutschland anzumelden, soweit die Aufgreifvoraussetzungen der nationalen Fusionskontrolle erfüllt sind. Auch öffentliche Unternehmen, die von Mitgliedstaaten, Bundesländern 154 und sonstigen öffentlich-rechtlichen Körperschaften betrieben, verwaltet oder gehalten werden, sind von diesen Regeln erfasst. Dies gilt nicht nur bei einem Zusammenschluss eines solchen Unternehmens mit einem privaten Unternehmen, sondern auch, wenn zwei öffentliche Unternehmen einen Zusammenschluss im oben genannten Sinne eingehen212. Ge-
209 Erwirbt das erwerbende Unternehmen die Kontrolle alleine, dann spricht man entsprechend vom Erwerb alleiniger Kontrolle. Können als Resultat der Transaktion mehrere Unternehmen gemeinschaftlich die Kontrolle ausüben, spricht man von gemeinsamer Kontrolle, vgl. Konsolidierte Mitteilung der Kommission, ABl. C 43 v. 21.2.2009, S. 10, Rz. 54 ff. 210 Vgl. dazu Art. 3 Abs. 1 lit. b, Abs. 2 und 3 VO 139/2004 sowie die Konsolidierte Mitteilung der Kommission, ABl. C 43 v. 21.2.2009, S. 10 ff., insbes. Rz. 11 ff. 211 Art. 3 Abs. 4 VO 139/2004 sowie die Konsolidierte Mitteilung der Kommission, ABl. C 43 v. 21.2.2009, S. 10 ff., Rz. 91 ff. 212 Vgl. dazu Konsolidierte Mitteilung der Kommission, ABl. C 43 v. 21.2.2009, S. 10 ff., Rz. 12, 52 f. m.w.N. Karl/Beutelmann
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hören alle Zusammenschlussbeteiligten demselben Staat oder derselben öffentlich-rechtlichen Körperschaft an, so ist zu prüfen, ob die Beteiligten unabhängige Unternehmen sind, oder ob sich die geplante Transaktion nur als konzerninterne Reorganisation darstellt, die dem Fusionskontrollrecht entzogen ist. Die VO 139/2004 greift dann nicht ein, wenn alle Zusammenschlussbeteiligten derselben wirtschaftlichen Einheit angehören, und diese auch nicht unterschiedlichen autonomen Entscheidungsträgern unterliegen oder eine solche autonome Entscheidungsbefugnis selbst haben. Dabei ist die Zugehörigkeit zur selben staatlichen Holdinggesellschaft ein – allerdings allein nicht unbedingt ausreichender – Anhaltspunkt dafür, dass die Beteiligten derselben wirtschaftlichen Einheit angehören. Im Einzelfall kann das vom Staat gehaltene Unternehmen ermächtigt sein, sein Marktverhalten und seine Geschäftspolitik autonom zu gestalten. Dann ist es als selbständige wirtschaftliche Einheit anzusehen, dessen Zusammenschluss mit einem anderen vom selben Staat gehaltenen Unternehmen fusionskontrollpflichtig ist213. Ein Zusammenschluss i.S.d. Art. 1 VO 139/2004 entfällt zudem auch dann, wenn der Staat nicht als Gesellschafter des Unternehmens auftritt, sondern seine hoheitsrechtlichen Befugnisse zum Schutz des Gemeininteresses wahrnimmt. Dies soll nach Auffassung der Kommission jedenfalls soweit gelten, als mit diesen Befugnissen weder bezweckt noch bewirkt wird, dass der Staat einen bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit des Unternehmens ausübt214. 155 Eine in der Praxis wesentliche Ausnahme vom Zusammenschlussbegriff der VO 139/2004 besteht für Kredit- und sonstige Finanzinstitute sowie Versicherungsgesellschaften, deren übliche Tätigkeit den Handel mit Wertpapieren umfasst. Wenn diese im Wege eines Anteilserwerbs einen Zusammenschlusstatbestand gem. Art. 3 Abs. 1–4 VO 139/2004 verwirklichen, so haben sie dennoch kein Fusionskontrollverfahren durchzuführen, wenn sie die Anteile nur vorübergehend erwerben und die Stimmrechte der Anteile nicht oder nur beschränkt ausüben215. Dasselbe gilt gem. Art. 3 Abs. 5 lit. c VO 139/2004 auch für Beteiligungsgesellschaften, soweit diese ihre Stimmrechte nicht dazu ausnutzen, das Wettbewerbsverhalten des betroffenen Unternehmens zu beeinflussen. b) Gemeinschaftsweite Bedeutung 156 Der Begriff der gemeinschaftsweiten Bedeutung hat die Funktion, diejenigen Zusammenschlussvorhaben zu identifizieren, die am sinnvollsten von der Europäischen Kommission (und nicht den nationalen Kartell213 Baron in Langen/Bunte, Band 2, Europäisches Kartellrecht, FKVO Art. 3 Rz. 2; Konsolidierte Mitteilung der Kommission, ABl. C 43 v. 21.2.2009, S. 10 ff., Rz. 52 f. 214 Konsolidierte Mitteilung der Kommission, ABl. C 43 v. 21.2.2009, S. 10 ff., Rz. 53. 215 Zu Einzelheiten, vgl. Art. 3 Abs. 5 lit. a VO 139/2004.
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D. Zusammenschlusskontrolle
behörden) geprüft werden sollten. Dies wird anhand der Umsätze (weltweit, EU-weit und national) der Beteiligten ermittelt. Übersteigen diese bestimmte Schwellenwerte (vgl. Art. 1 Abs. 2 und 3 VO 139/2004), so hat das Zusammenschlussvorhaben gemeinschaftsweite Bedeutung. Es ist also zunächst in Abhängigkeit vom jeweiligen Zusammenschluss- 157 tatbestand zu bestimmen, welches die beteiligten Unternehmen sind216. Beteiligte Unternehmen in diesem Sinne sind bei einer Fusion die sich zusammenschließenden Unternehmen, im Falle des Kontrollerwerbs sind dies jedenfalls der Erwerber und das erworbene Unternehmen bzw. der erworbene Unternehmensteil. Auch der oder die Verkäufer sind als beteiligte Unternehmen anzusehen, wenn sie nach Abschluss der Transaktion noch an der gemeinschaftlichen Kontrolle über das Zielunternehmen teilhaben217. Im nächsten Schritt sind die Umsätze der beteiligten Unternehmen im 158 letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr zu bestimmen218. Dabei ist zu berücksichtigen, ob die Beteiligten einer Unternehmensgruppe angehören. Ist dies der Fall, so sind die Umsätze der jeweiligen Unternehmensgruppe zu ermitteln219. Im Falle staatlicher Beteiligung an einem beteiligten Unternehmen ist zur Ermittlung des relevanten Umsatzes auf die Regeln der verwaltungsmäßigen Zuordnung der Unternehmen abzustellen, die eine mit einer autonomen Entscheidungsbefugnis ausgestattete wirtschaftliche Einheit bilden. Eine bloße staatliche Beteiligung reicht somit noch nicht aus. Daraus folgert die Kommission, dass ein staatliches Unternehmen als unabhängig anzusehen ist, wenn es keiner Koordinierung mit anderen vom Staat kontrollierten Holdings/Unternehmen unterliegt. Wenn allerdings für mehrere staatliche Unternehmen Geschäftsentscheidungen von derselben unabhängigen Stelle getroffen werden, dann gelten diese Geschäftsbereiche als dem Konzern des beteiligten Unternehmens i.S.d. Art. 4 der Verordnung 139/2004 angehörig220. Auf der Grundlage der so bestimmten Umsätze hat ein Zusammenschluss gemeinschaftsweite Bedeutung, wenn eine der beiden folgenden Alternativen erfüllt ist:
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Art. 1 Abs. 2 VO 139/2004
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– der weltweite Gesamtumsatz aller Beteiligten zusammen beträgt mehr als 5 Mrd. Euro und 216 Vgl. dazu die Konsolidierte Mitteilung der Kommission, ABl. C 43 v. 21.2.2009, S. 10 ff., Rz. 129 ff. sowie Art. 5 VO 139/2004. 217 Konsolidierte Mitteilung der Kommission, ABl. C 43 v. 21.2.2009, S. 10 ff., Rz. 139 ff. mit weiteren Hinweisen zur Umsatzberechnung in diesem Fall. 218 Konsolidierte Mitteilung der Kommission, ABl. C 43 v. 21.2.2009, S. 10 ff., Rz. 157 ff. 219 Art. 5 Abs. 4 VO 139/2004; Konsolidierte Mitteilung der Kommission, ABl. C 43 v. 21.2.2009, S. 10 ff., Rz. 175 ff. 220 Konsolidierte Mitteilung, ABl. C 43 v. 21.2.2009, S. 10 ff., Rz. 192 ff. Karl/Beutelmann
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– der gemeinschaftsweite Gesamtumsatz von mindestens zwei Beteiligten beträgt jeweils mehr als 250 Mio. Euro oder 161 Art. 1 Abs. 3 VO 139/2004 – der weltweite Gesamtumsatz aller Beteiligten zusammen beträgt mehr als 2,5 Mrd. Euro und – der Gesamtumsatz aller beteiligten Unternehmen zusammen in mindestens drei Mitgliedstaaten beträgt jeweils mehr als 100 Mio. Euro und – in jedem von mindestens drei vom vorherigen Spiegelstrich erfassten Mitgliedstaaten beträgt der Gesamtumsatz von mindestens zwei beteiligten Unternehmen jeweils mehr als 25 Mio. Euro und – der gemeinschaftsweite Gesamtumsatz von mindestens zwei beteiligten Unternehmen beträgt jeweils mehr als 100 Mio. Euro. 162 Es fehlt an der gemeinschaftsweiten Bedeutung in beiden genannten Fällen, wenn die Beteiligten jeweils mehr als zwei Drittel ihres gemeinschaftsweiten Gesamtumsatzes in ein und demselben Mitgliedstaat erzielen. Dann liegt der Schwerpunkt des Vorhabens auf diesem Mitgliedstaat, und es ist sachnäher, dieses dort zu untersuchen. 163 Dieses starre, an formale Voraussetzungen geknüpfte System der Bestimmung des Anwendungsbereichs der europäischen Fusionskontrolle wird durch diverse Verweisungsmöglichkeiten durchbrochen. Art. 4 Abs. 4 und Art. 9 VO 139/2004 sehen Verweisungsmöglichkeiten von der Kommission an einen oder mehrere Mitgliedstaaten vor, Art. 4 Abs. 5 und Art. 22 VO 139/2004 behandeln den umgekehrten Fall221. 2. Materiellrechtliche Prüfung 164 Die von der Kommission im Rahmen der Fusionskontrollverordnung zu treffende Entscheidung ist eine Prognoseentscheidung, deren Grundlage eine von der Kommission zu entwickelnde Aussage über die zukünftige Marktentwicklung ist. Nachdem mit der Einführung der VO 139/2004 zum 1.5.2004 der davor allein gültige sogenannte „Marktbeherrschungstest“ zum bloßen Regelbeispiel herabgestuft wurde, beruht die Prüfung seitdem auf dem so genannten „SIEC-Test“ (significant impediment of effective competition). Damit sollte es besser möglich werden, mittels ökonometrischer Modellrechnungen genauere Aussagen über die zukünftige Marktentwicklung zu treffen. Auch die Berücksichtigung von Effizienzvorteilen eines Zusammenschlusses soll damit überzeugender möglich sein.
221 Zu den Verweisungsmöglichkeiten, vgl. Karl in Terhechte (Hrsg.), Internationales Kartell- und Fusionskontrollverfahrensrecht, 3. Kapitel, § 2.
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D. Zusammenschlusskontrolle
Dieser von der Kommission anzuwendende materielle Prüfungsmaßstab 165 für Zusammenschlussvorhaben ist in Art. 2 der VO 139/2004 enthalten. Danach sind Zusammenschlüsse, durch die wirksamer Wettbewerb im gemeinsamen Markt oder in einem wesentlichen Teil desselben erheblich behindert würde, für mit dem gemeinsamen Markt unvereinbar zu erklären (Art. 2 Abs. 3 VO 139/2004). Eine erhebliche Behinderung des Wettbewerbs im gemeinsamen Markt wird vom Gesetz insbesondere dann angenommen, wenn der Zusammenschluss zu einer Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung auf einem betroffenen Markt führt. Führt der Zusammenschluss nicht zu einer erheblichen Behinderung des Wettbewerbs, so ist der Zusammenschluss für mit dem gemeinsamen Markt vereinbar zu erklären (Art. 2 Abs. 2 VO 139/2004). Bei dieser Prüfung sind die in Art. 2 Abs. 1 lit. a und b VO 139/2004 genannten Kriterien heranzuziehen. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Struktur der betroffenen Märkte, die Marktstellung der Beteiligten, Wahlmöglichkeiten von Lieferanten und Abnehmern, die Zugangsmöglichkeiten zu Beschaffungs- und Absatzmärkten, das Bestehen von Marktzutrittsschranken sowie die Entwicklung von Angebot und Nachfrage. Von zunehmender praktischer Bedeutung sind auch die Kriterien „Interessen der Zwischen- und Endverbraucher“ und „Entwicklung des wirtschaftlichen und technischen Fortschritts“ (sogenannte Effizienzgewinne)222. Eine Sonderregelung für die Prüfung von Gemeinschaftsunternehmen 166 enthalten Art. 2 Abs. 4 und 5 VO 139/2004. Die Prüfung umfasst in diesem Fall nicht nur die unmittelbaren Auswirkungen der Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens, sondern bezieht auch die Koordinierung des Wettbewerbsverhaltens zwischen den unabhängig bleibenden Mutterunternehmen ein. Dies beruht auf der Befürchtung, dass die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens dazu führt, dass die Gründerunternehmen dieses Gemeinschaftsunternehmen als Instrument benutzen, um ihr sonstiges Verhalten entgegen den Vorschriften des Art. 101 Abs. 1 AEUV zu koordinieren. Wird dies mit der Gründung des Gemeinschaftsunternehmens bezweckt oder bewirkt, so kann auch dies Grundlage einer Untersagungsentscheidung der Europäischen Kommission im Rahmen des Fusionskontrollverfahrens sein223.
222 Vgl. dazu die Erläuterungen der Kommission, Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, ABl. Nr. C 31 v. 5.2.2004, S. 5 ff.; Leitlinien zur Bewertung nicht-horizontaler Zusammenschlüsse, ABl. Nr. C 265 v. 18.10.2008, S. 6; Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, Art. 2 FKVO Rz. 8 ff. 223 Vgl. dazu Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, Art. 2 FKVO Rz. 83 ff. Karl/Beutelmann
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3. Verfahren 167 Zusammenschlussvorhaben im oben dargestellten Sinne sind vor ihrem Vollzug bei der Europäischen Kommission anzumelden. Die Anmeldung hat auf einem von der Kommission entworfenen Formblatt (sogenanntes Formblatt CO224) zu erfolgen. In bestimmten, als weniger problematisch empfundenen Fällen steht ein vereinfachtes Formblatt CO225 zur Verfügung. Mit vollständigem Einreichen dieser sehr umfangreichen Materialien (im Original mit 37 Kopien)226 bei der Kommission beginnen die für das Verfahren maßgeblichen Fristen zu laufen. Innerhalb von 25 Arbeitstagen nach Eingang der vollständigen Anmeldung muss die Kommission darüber entscheiden, ob der Zusammenschluss in den Anwendungsbereich der FKVO fällt, und ob er Anlass zu ernsthaften Bedenken hinsichtlich seiner Vereinbarkeit mit dem gemeinsamen Markt gibt und deshalb ein Hauptprüfungsverfahren (Phase II-Verfahren) einzuleiten ist. Entscheidet die Kommission, dass ein solches Hauptprüfungsverfahren einzuleiten ist, so hat sie weitere 90 Arbeitstage, um abschließend über die Vereinbarkeit mit dem gemeinsamen Markt zu entscheiden. Innerhalb des Verfahrens gibt es einige weitere, hinsichtlich der Dauer aber begrenzte Möglichkeiten, die Fristen zur Beendigung des Verfahrens zu verlängern. Sowohl im Vorprüfverfahren als auch im späteren Hauptprüfverfahren kann die Europäische Kommission ihre Entscheidung mit Auflagen und Bedingungen verknüpfen, die die Parteien zur Abwendung von wettbewerblichen Bedenken der Europäischen Kommission anbieten können. Sieht die Kommission auch die angebotenen Maßnahmen nicht als ausreichend an, so hat sie den Zusammenschluss zu untersagen. Die Parteien unterliegen vor und während des Verfahrens einem so genannten Vollzugsverbot, d.h. sie dürfen den Zusammenschluss nur vollziehen, wenn und sobald er von der Europäischen Kommission freigegeben wurde227.
III. Deutsches Recht 1. Anwendungsbereich 168 Der Anwendungsbereich der deutschen Fusionskontrolle wird durch den Begriff des Zusammenschlusses i.S.d. § 37 GWB und durch die Umsatzschwellen in § 35 GWB bestimmt.
224 Abgedruckt in ABl. Nr. L 133 v. 30.4.2004, S. 9. 225 ABl. Nr. L 133 v. 30.4.2004, S. 22. 226 Fünf Papierkopien, im Übrigen als elektronische Kopie, vgl. ABl. Nr. C 251 v. 17.7.2006, S. 2; seit dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens sind zwei mehr als die dort genannten 35 einzureichen. 227 Ausführlich zum europäischen Fusionskontrollverfahrensrecht, Karl in Terhechte, Internationales Kartell- und Fusionskontrollverfahrensrecht, 3. Kapitel, § 2.
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D. Zusammenschlusskontrolle
a) Zusammenschluss Der Zusammenschlussbegriff des GWB gem. § 37 GWB unterscheidet 169 vier Grundtatbestände, die wiederum in eine Reihe von Alternativen unterteilt sind. Ein Zusammenschluss liegt danach vor, wenn ein Unternehmen das Vermögen eines anderen Unternehmens ganz oder zu einem wesentlichen Teil erwirbt. Um einen wesentlichen Teil eines Unternehmens handelt es sich, wenn der übertragene Vermögenswert tragende Grundlage der Stellung des Veräußerers auf dem Markt und geeignet ist, diese Stellung auf den Erwerber zu übertragen228. In der Praxis von großer Bedeutung ist der Fall des § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB, 170 der sogenannte Kontrollerwerb. Dies umfasst den Erwerb der unmittelbaren oder mittelbaren Kontrolle durch ein oder mehrere Unternehmen über die Gesamtheit oder Teile eines oder mehrerer anderer Unternehmen. Der Kontrollerwerb kann durch Rechte an dem Unternehmen, aber auch durch vertragliche oder andere Mittel begründet werden (z.B. langfristige Pacht). Auch die Umwandlung von alleiniger Kontrolle in gemeinsame Kontrolle oder umgekehrt wird hiervon erfasst. Zudem erfüllt jede Änderung im Kreis der gemeinschaftlich kontrollierenden Unternehmen diesen Zusammenschlusstatbestand229. Ein Zusammenschluss wird auch dadurch verwirklicht, dass ein Unter- 171 nehmen mehr als 25 %, bzw. mehr als 50 % an einem anderen Unternehmen erwirbt. Das Überschreiten jeder der beiden Stufen ist ein eigenständiger Zusammenschlusstatbestand (§ 37 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 und 2 GWB). Diese Norm führt unter anderem dazu, dass die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens, bei dem zwei oder mehr Unternehmen die genannten Schwellen überschreiten, Zusammenschlüsse zwischen den Mutterunternehmen und dem Gemeinschaftsunternehmen darstellen. Satz 3 dieser Norm erweitert dies insofern, als er für diejenigen Märkte, auf denen das Gemeinschaftsunternehmen tätig ist, auch einen Zusammenschluss der sich beteiligenden Mutterunternehmen fingiert230. Als Auffangtatbestand erfasst § 37 Abs. 1 Nr. 4 GWB jede sonstige Verbin- 172 dung, aufgrund derer ein oder mehrere Unternehmen unmittelbar oder mittelbar einen wettbewerblich erheblichen Einfluss auf ein anderes Unternehmen ausüben können. Mit diesem Zusammenschlusstatbestand, der im europäischen Recht keine Entsprechung hat, sollen insbesondere Anteilserwerbe unterhalb der Schwellen des § 37 Abs. 1 Nr. 4 GWB erfasst werden, die aber aufgrund so genannter Plus-Faktoren von besonderer wettbewerblicher Relevanz sind. Ein wettbewerblich erheblicher Einfluss liegt dann vor, wenn beispielsweise durch besondere satzungsmäßige Rechte eine Stellung geschaffen wird, die mit derjenigen eines 228 BGH v. 10.10.2006 – KVR 32/05 – National Geographic, WuW/E DE-R 1979. 229 Str. ist der Fall, dass die gemeinsame Kontrolle sich verengt, also z.B. von 3 auf 2 kontrollierende Unternehmen, vgl. dazu Bechtold, GWB, § 37 Rz. 16. 230 Vgl. dazu Bechtold, GWB, § 37 Rz. 33 ff. Karl/Beutelmann
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Anteilsinhabers mit 25 % vergleichbar ist231. Ein Plus-Faktor ist auch der Umstand, dass das sich beteiligende Unternehmen auf demselben oder einem verwandten Markt des Unternehmens tätig ist, an dem es sich beteiligt. 173 Ein Zusammenschluss i.S.d. § 37 GWB liegt nicht vor, wenn die beteiligten Unternehmen bereits vorher zusammengeschlossen waren. Dies erfasst insbesondere konzerninterne Umstrukturierungen, die grds. fusionskontrollfrei sind. Allerdings bürdet das Gesetz den Beteiligten die Beweislast dafür auf, dass der Zusammenschluss nicht zu einer wesentlichen Verstärkung der Unternehmensverbindung führt232. Auch der Anteilserwerb von Kreditinstituten, Finanzinstituten oder Versicherungsunternehmen an anderen Unternehmen wird nicht als Zusammenschluss vom Gesetz erfasst, solange die genannten Erwerber das Stimmrecht aus den erworbenen Anteilen nicht ausüben, wenn sie die Anteile zum Zwecke der Veräußerung erwerben und wenn diese Veräußerung innerhalb eines Jahres erfolgt (§ 37 Abs. 3 GWB). 174 Die Fusionskontrollvorschriften des GWB wenden sich, wie die anderen Vorschriften des GWB auch, grds. nur an Unternehmen. Damit unterliegt auch die öffentliche Hand den Vorschriften der §§ 35 ff. GWB, wenn sie sich unternehmerisch betätigt233. § 36 Abs. 3 GWB, die sogenannte „Flick-Klausel“, erweitert dies auch auf Personen oder Personenvereinigungen, die nicht Unternehmen i.S.d. GWB sind. Auch solche Nicht-Unternehmen gelten unwiderleglich als Unternehmen, wenn sie die Mehrheitsbeteiligung an einem Unternehmen halten. Damit sind Zusammenschlüsse, an denen Körperschaften des öffentlichen Rechts beteiligt sind, die zwar nicht unternehmerisch tätig sind, aber Mehrheitsbeteiligungen an Unternehmen halten, als Zusammenschluss an den Vorschriften der §§ 35 ff. GWB zu messen. 175 Sonstige Ausnahmen für bestimmte Wirtschaftsbereiche gibt es nicht. Insbesondere sind – trotz der Freistellung von Kooperationen von Personenbeförderungsunternehmen im Nahverkehr vom Verbot des § 1 GWB – Zusammenschlüsse zwischen diesen Unternehmen nicht vom Anwendungsbereich der §§ 35 ff. GWB ausgenommen234. Selbst Zusam-
231 Dazu Ruppelt in Langen/Bunte, Band 1, Deutsches Kartellrecht, § 37 Rz. 45 ff. m.w.N. 232 Vgl. dazu Bechtold, GWB, § 37 Rz. 49 m.w.N. 233 Zum Unternehmensbegriff des GWB, vgl. oben Rz. 69 ff. Ruppelt in Langen/ Bunte, Band 1, Deutsches Kartellrecht, § 35 Rz. 9 ff. m.w.N. 234 Vgl. BGH v. 7.2.2006 – KVR 5/05, WuW/E DE-R 1681 ff., 1684 f.; weitere Zusammenschlüsse im Bereich des Nahverkehrs bzw. des Gasvertriebs betreffen die Entscheidungen des BKartA v. 3.7.2002 – B9-164/01 – ÖPNV Göppingen, WuW/E DE-V 603 ff.; v. 2.12.2003 – B9-91/03 – ÖPNV Hannover, WuW/E DE-V 891 ff.; v. 9.6.2004 – B9-16/04 – ÖPNV Saarland, WuW/E DE-V 937 ff.; v. 22.7.2004 – B8-27/04 – Mainova/Aschaffenburger Versorgungs GmbH, WuW/E DE-V 983 ff.
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D. Zusammenschlusskontrolle
menlegungen von Gemeinden im Zuge kommunaler Gebietsreformen können fusionskontrollpflichtig sein, wenn die relevanten Schwellenwerte erreicht werden235. b) Schwellenwerte Die Fusionskontrolle des GWB greift nur dann ein, wenn der Zusammen- 176 schluss von nicht unerheblicher wirtschaftlicher Bedeutung ist. Dies wird davon abhängig gemacht, ob die am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen bestimmte Umsatzschwellen erreichen. Zu diesem Zweck ist, vergleichbar dem europäischen Recht, der Kreis der beteiligten Unternehmen zu ermitteln und deren Umsätze im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr zu ermitteln. Welche Unternehmen beteiligt sind, hängt dabei vom jeweiligen Zusammenschlusstatbestand ab. Grds. beteiligt sind der Erwerber und das erworbene Unternehmen. Falls nach Vollzug des Zusammenschlusses mehrere Unternehmen die Kontrolle am erworbenen Unternehmen innehaben werden, so sind alle dann an der Kontrolle beteiligten Unternehmen auch Beteiligte des Zusammenschlussvorhabens. Der Veräußerer ist grds. nicht beteiligtes Unternehmen i.S.d. Fusionskontrollrechts, es sei denn, er hat auch nach dem Vollzug noch Mitkontrolle. Im Falle der Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens i.S.d. § 37 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 GWB ist auch jedes Unternehmen, das mehr als 25 % am Gemeinschaftsunternehmen hält, als beteiligtes Unternehmen anzusehen. Für die Berechnung des Umsatzes der beteiligten Unternehmen gilt § 38 177 GWB. Maßgeblich sind danach die Umsatzerlöse i.S.d. § 277 Abs. 1 HGB. Sogenannte Innenumsätze, also solche Umsätze, die aus Geschäften mit verbundenen Unternehmen entstehen, sowie Verbrauchssteuern bleiben dabei außer Betracht. Sonderregelungen für die Umsatzberechnung bestehen auch für den Handel mit Waren, für den Pressebereich, sowie für Banken und Versicherungen236. Auch Einnahmen aus öffentlich-rechtlich erhobenen Gebühren können für die Bestimmung, ob die Umsatzschwellen überschritten sind, herangezogen werden. Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn sie Ausdruck der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der beteiligten Unternehmen sind und damit die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Unternehmens im Wettbewerb mit privatwirtschaftlichen Unternehmen einzuschätzen ermöglichen237. Es sind nicht nur die Umsätze des jeweiligen Rechtssubjekts zu ermitteln, vielmehr müssen alle Umsätze zusammengerechnet werden, die von dem jeweiligen Mutterrechtsträger erwirtschaftet werden. Dazu gehören nach § 36 Abs. 2 GWB alle diejeni-
235 Hainz/Scharfenberg, WuW 2011, 369; Weisser in Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, GWB 2005, § 130 Abs. 1 Rz. 150 ff. 236 Vgl. zu Handel: § 38 Abs. 2 GWB; Pressewesen: § 38 Abs. 3 GWB; Banken und Versicherungen: § 38 Abs. 4 GWB. 237 KG v. 26.6.1991 – Kart 23/89, WuW/E OLG 4811, 4824 f. Karl/Beutelmann
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gen Unternehmen, die von diesem abhängig sind (§ 17 AktG) oder einheitlicher Leitung unterliegen (§ 18 AktG). Darüber hinaus wird im Falle der öffentlichen Hand zumindest eine formlose Koordination der Geschäftspolitik der verschiedenen Unternehmen gefordert. Bei Städten und Gemeinden wird die einheitliche Leitung aller von ihnen kontrollierten Unternehmen in aller Regel zu bejahen sein, bei Bundes- und Landesbeteiligungen besteht hier häufig mehr Spielraum, weil diese Unternehmen oft größere wettbewerbliche Freiheit gegenüber ihrem Muttergemeinwesen haben. Zur Bestimmung der Fusionskontrollpflicht ist die Summe aller aus wirtschaftlicher Betätigung erwirtschafteten Umsätze heranzuziehen238. 178 Auf der Grundlage der so bestimmten Umsätze unterfällt ein Zusammenschluss den Vorschriften der §§ 35 ff. GWB, wenn – die Summe der weltweiten Umsatzerlöse aller beteiligten Unternehmen im vorherigen Geschäftsjahr mehr als 500 Mio. Euro beträgt und – mindestens eines der beteiligten Unternehmen in Deutschland im vorangegangenen Geschäftsjahr einen Umsatz von mehr als 25 Mio. Euro erzielt hat und – mindestens ein anderes beteiligtes Unternehmen in Deutschland im vorangegangenen Geschäftsjahr einen Umsatz von mehr als 5 Mio. Euro erzielt hat. 179 § 35 Abs. 2 GWB enthält zwei Bagatellausnahmen, wann trotz Überschreitens der soeben genannten Umsatzschwellen die Vorschriften über die Zusammenschlusskontrolle nicht anwendbar sind. Dies ist dann der Fall, wenn eines der sich zusammenschließenden Unternehmen vor dem Zusammenschluss keiner Unternehmensgruppe angehörte und es im letzten Geschäftsjahr Umsatzerlöse von nicht mehr als 10 Mio. Euro erzielt hat (sog. Anschlussklausel)239. Eine Ausnahme vom Anwendungsbereich der Zusammenschlusskontrolle enthält auch § 35 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GWB. Die so genannte Bagatellmarktklausel greift dann ein, wenn das Gesamtmarktvolumen der vom Zusammenschluss betroffenen Märkte jeweils weniger als 15 Mio. Euro im vorangegangenen Kalenderjahr betrug und diese Märkte schon seit mindestens fünf Jahren bestehen. 238 Stadler in Langen/Bunte, Band 1, Deutsches Kartellrecht, § 130 Rz. 92 m.w.N. 239 Vgl. zur Auslegung von § 35 Abs. 2 Nr. 1 GWB, Bechtold, GWB, § 35 Rz. 34 ff. Ausdrücklich erfasst das Gesetz nur Unternehmen, die „nicht im Sinne des § 36 Abs. 2 abhängig“ sind. Dieses Tatbestandsmerkmal bringt zum Ausdruck, dass das Bagatellunternehmen nicht einem größeren Unternehmensverbund angehörig sein darf, bevor es den zu prüfenden Zusammenschluss eingeht. Es ist in der Praxis anerkannt, dass über den Wortlaut hinaus auch abhängige Unternehmen von § 35 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GWB erfasst werden können, wenn die gesamte Unternehmensgruppe, der das sich anschließende Unternehmen bisher angehörte, einen weltweiten Umsatz von weniger als 10 Mio. Euro erzielt hat.
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Hat der Zusammenschluss zwar keine gemeinschaftsweite Bedeutung 180 i.S.d. VO 139/2004, ist er aber nach dem Wettbewerbsrecht mindestens dreier Mitgliedstaaten fusionskontrollrechtlich zu prüfen, so können die betroffenen Unternehmen vor einer Anmeldung bei den zuständigen Behörden einen begründeten Antrag (auf dem Formblatt RS)240 bei der Kommission stellen, dass der Zusammenschluss von der Kommission geprüft werden soll. Dieser Antrag wird unverzüglich an alle Mitgliedstaaten weitergeleitet. Diese müssen innerhalb von 15 Arbeitstagen nach Erhalt des Antrags ihre Ablehnung mitteilen, falls sie eine solche wünschen. Lehnt nur ein Mitgliedstaat die beantragte Verweisung ab, so wird der Fall nicht verwiesen241. 2. Materiellrechtliche Prüfung Anders als das europäische Fusionskontrollverfahren hält das deutsche 181 Recht in § 36 Abs. 1 GWB noch242 am sogenannten Marktbeherrschungstest fest. Danach ist ein Zusammenschluss dann zu untersagen, wenn er eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt. Der Begriff der marktbeherrschenden Stellung kann § 19 Abs. 2 GWB entnommen werden. Die Marktbeherrschungsvermutungen des § 19 Abs. 3 GWB gelten auch für die Prüfung im Rahmen des § 36 Abs. 1 GWB. Anhand einer umfassenden Bewertung der gegenwärtigen und der zu erwartenden Marktentwicklung ist anhand konkreter Umstände aufzuzeigen, dass alsbald und mit hoher Wahrscheinlichkeit eine marktbeherrschende Stellung begründet oder eine bereits bestehende Marktbeherrschung verstärkt wird243. Die Begründung einer marktbeherrschenden Stellung setzt voraus, dass zwischen dem Zusammenschluss und der Veränderung der Marktstruktur hin zur Marktbeherrschung ein Kausalzusammenhang besteht, und dass ohne den Zusammenschluss eine marktbeherrschende Stellung nicht bestehen würde. Eine Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung liegt vor, wenn es dem oder den marktbeherrschenden Unternehmen ermöglicht wird, den Wettbewerbsdruck der Konkurrenten besser zu kontrollieren244. Dies wird beim Zuwachs von Marktanteilen anzunehmen sein245. Die besondere Finanzkraft der öffentlichen Hand kann bei der Prüfung der Marktbeherrschung Berücksichtigung finden, falls sie tatsächlich gegeben ist. Verbesserungen der Wettbewerbsbedin240 Abgedruckt in ABl. Nr. L 133 v. 30.4.2004, S. 31; dazu Erläuterungen der Kommission im ABl. Nr. C 251 v. 17.6.2006, S. 2. 241 Vgl. Art. 4 Abs. 5 VO 139/2004; außerdem Art. 22 VO 139/2004. Ausführlich zu den Verweisungsverfahren, vgl. Karl in Terhechte, Internationales Kartellund Fusionskontrollverfahrensrecht, 3. Kapitel, § 2. 242 Im Zuge der derzeit laufenden Planungen zur 8. GWB-Novelle, die möglicherweise Anfang 2013 in Kraft treten soll, ist die Übernahme des SIEC-Tests aus dem europäischen Kartellrecht (vgl. oben Rz. 164 f.) vorgesehen. 243 Zum Begriff der marktbeherrschenden Stellung vgl. oben Rz. 115 ff. 244 Vgl. dazu Bechtold, GWB, § 36 Rz. 7 ff. m.w.N. 245 Ruppelt in Langen/Bunte, Band 1, Deutsches Kartellrecht, § 36 Rz. 26 m.w.N. Karl/Beutelmann
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gungen, die von den Beteiligten vorgetragen werden, können – wenn sie den wettbewerblichen Nachteilen entgegenstehen und diese überwiegen – zur Begründung der Nicht-Untersagung herangezogen werden246. Diese Verbesserungen müssen ebenfalls durch den Zusammenschluss herbeigeführt werden. Dabei ist es nicht unbedingt erforderlich, dass die Verbesserungen auf denselben Märkten auftreten, auf denen auch die wettbewerblichen Bedenken bestehen247. 182 Zentrale Bedeutung im Rahmen der Beurteilung von Zusammenschlüssen kommt der Marktabgrenzung zu. Dabei wird methodisch auf die auch bei Art. 102 AEUV/§§ 19 ff. GWB dargestellte Vorgehensweise zurückgegriffen (vgl. oben Rz. 104). Im Folgenden sind einige, im Rahmen von Zusammenschlusskontrollverfahren von der Praxis entwickelte Beispiele zu nennen, die für öffentliche Unternehmen von besonderer Bedeutung sind. Dabei wird deutlich werden, dass tendenziell von recht engen Märkten ausgegangen wird. – Personenbeförderung: es ist zwischen den Aufgabenträgermärkten, auf denen Verkehrsunternehmen sich um staatliche Aufträge oder Genehmigungen zum Erbringen von Verkehrsleistungen im Nahverkehr bewerben, und zwischen den Fahrgastmärkten, auf denen Verkehrsunternehmen gegenüber Fahrgästen Verkehrsleistungen erbringen, zu unterscheiden. Auf den Aufgabenträgermärkten ist weiter zwischen straßen- und schienengebundenen Verkehrsleistungen zu unterscheiden. Räumlich ist der Aufgabenträgermarkt für straßengebundene Verkehrsleistungen regional, der für schienengebundene bundesweit abzugrenzen. Bei den Fahrgastmärkten ist zwischen der liniengebundenen Personenbeförderung auf der Schiene nach AEG und auf der Straße nach PBefG zu unterscheiden. Räumlich werden die Fahrgastmärkte nach den jeweiligen Linien unterschieden248. – Entsorgung: sachlich eigenständige Märkte für Sammeln und Abtransport von: Restmüll, Altpapier, Bioabfall und Sperrmüll; räumlich umfassen diese Märkte ein Gebiet von 100 km um den Ort, wo der Müll gesammelt werden soll/bzw. das jeweilige Bundesland249.
246 Entgegen der gesetzlichen Formulierung wird teilweise auch ein „Aufwiegen“ (anstatt eines Überwiegens) für ausreichend gehalten, vgl. Bechtold, GWB, § 36 Rz. 29 m.w.N. 247 Richter in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 20 Rz. 163 f.; Bechtold, GWB, § 36 Rz. 32 ff. m.w.N. 248 BGH v. 7.2.2006 – KVR 5/05 – DB Regio/üstra, WuW/E DE-R 1681 ff., 1685 ff. 249 BKartA v. 16.11.2004 – B10-74/04 – Rethmann/GfA Köthen, WuW/E DE-V 995, 996, 998; v. 22.6.2006 – B 10-155/05 – Remondis/Awista, Rz. 22 ff. (abrufbar über die Website des Bundeskartellamtes). In einer älteren Entscheidung zu § 26 Abs. 2 GWB a.F. (jetzt § 20 GWB) des OLG Koblenz (v. 23.6.1983 – 6 U 889/82, WuW/E OLG 3136) wurde ein Landkreis als marktbeherrschend als Nachfrager nach Abfalldienstleistungen und Anbieter des Rechts zur Abfallbeseitigung angesehen. Weitere Entsorgungsmärkte ergeben sich aus BKartA
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– Gasversorgung: die Praxis unterscheidet zwischen den vertikalen Marktstufen der sog. Importstufe (d.h. Erschließung, Förderung und Absatz von Erdgas), der Belieferung der regionalen Ferngasversorger durch überregionale Ferngasunternehmen, der Belieferung von lokalen und regionalen Weiterverteilern (insbesondere Stadtwerken) und der Belieferung von Gasendkunden. Bei den Gasendkunden ist zwischen Haushalts- und Kleingewerbekunden einerseits und industriellen und Großabnehmern andererseits zu unterscheiden. Die räumlichen Märkte ergeben sich auf diesen Marktstufen in Abhängigkeit von den zur Verfügung stehenden Netzen250. – Stromversorgung: das Bundeskartellamt geht in jüngerer Praxis von einem sogenannten Erstabsatzmarkt für Strom aus, auf dem Erzeuger und Stromimporteure tätig sind. Diesem Markt nachgelagert ist ein Markt für die Weiterverteilung von Strom durch Unternehmen, die diesen nicht selbst verbrauchen. Schließlich unterscheidet das Bundeskartellamt auf der Einzelhandelsstufe zwischen dem Vertrieb von Strom an nach dem Standardlastprofil aus dem Niederspannungsnetz belieferte Kleinkunden sowie an leistungsgemessene sog. Stromgroßkunden. Mit Ausnahme der Belieferung von Kleinkunden, bei denen der räumlich relevante Markt auf die jeweiligen Netzgebiete beschränkt ist, wird in räumlicher Hinsicht von bundesweiten Märkten ausgegangen251. Auf dem Erstabsatzmarkt hat das Bundeskartellamt erkennen lassen, es erwäge, Österreich in den räumlichen Markt einzubeziehen. Außerdem erwägt das Bundeskartellamt, sowohl für Strom aus erneuerbaren Energiequellen als auch für die so genannte Regelenergie jeweils eigene sachlich relevante Erstabsatzmärkte anzunehmen252. Beim Vertrieb von Strom an Haushaltskunden ist zu beachten, dass die Praxis von einem separaten Markt für Heizstrom/Wärmestrom (so genannter Strom zum Betrieb unterbrechbarer Ver-
v. 28.2.2005 – B10-122/04 – Remondis/RWE Umwelt, S. 16 ff. (abrufbar über die Website des Bundeskartellamtes). 250 Ausführlich dazu das Bundeskartellamt im Zusammenhang mit seiner Entscheidung in Sachen Gazprom / VNG v. 31.1.2012, vgl. insbesondere die Pressemitteilung auf der Website des Bundeskartellamtes; vgl. außerdem: OLG Düsseldorf v. 4.10.2007 – VI-2 Kart 1/06 (V) – Eon Ruhrgas, WuW/E DE-R 2197, Rz. 100; BKartA v. 22.7.2004 – B8-27/04 – Mainova/Aschaffenburger Versorgungs GmbH, WuW/E DE-V 983, 985 ff.; v. 12.3.2007 – B8-62/06 – RWE/ Saar Ferngas, WuW/E DE-V 1357, Kapitel V. A., 1; Klaue/Schwintowski, BB Spezial 1 zu Heft 14 2010, 1 (5). Das Bundeskartellamt hat seine Auffassung zur Weiterverteiler- und Endkundenmarktstufe zuletzt bestätigt in seiner Entscheidung in Sachen Enovos / ESW GasVertrieb v. 21.3.2012 (derzeit noch unveröffentlicht). 251 BGH v. 11.11.2008 – KVR 60/07 – E.ON/Stadtwerke Eschwege, WuW/E DE-R 2451 m.w.N.; Scholz in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 34 Rz. 156 ff.; Klaue/Schwintowski, BB Spezial 1 zu Heft 14 2010, 1 (4 f.). 252 Ausführlich zu aktuellen Entwicklungen, vgl. Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamtes 2009/2010, BT-Drs. 17/6640, 112 ff. Karl/Beutelmann
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brauchseinrichtungen) ausgeht, auf dem nach Auffassung des Bundeskartellamtes besondere Marktbedingungen herrschen253. – Wasserversorgung: die Märkte für die Endversorgung mit Wasser sind räumlich auf die Leitungsnetze beschränkt254. – Krankenhaus: der Krankenhausmarkt enthält in sachlicher Hinsicht den Angebotsmarkt für stationäre medizinische Dienstleistungen (auch „Akutkrankenhäuser“ genannt), der Allgemeinkrankenhäuser und Fachkliniken umfasst. Von diesem sind die Märkte für Alten- und Pflegeheime sowie für Rehabilitation abzugrenzen. Auch reine Privatkliniken gehören in der Regel nicht dazu255. 3. Verfahren 183 Ein Zusammenschlussvorhaben ist vor dem Vollzug durch die Beteiligten256 beim Bundeskartellamt anzumelden. Der erforderliche Inhalt der Anmeldung ergibt sich aus § 39 Abs. 3 GWB. Auf der Website des Bundeskartellamts findet sich ein Anmeldeformular sowie der Vorschlag einer Gliederung einer Anmeldung, die den anmeldenden Parteien das Zusammenstellen der relevanten Informationen erleichtern sollen. Die dort vorgesehenen Informationen gehen über das hinaus, was nach § 39 Abs. 3 GWB zum zwingenden Inhalt einer Anmeldung gehört. Deshalb können insbesondere materiell unproblematische Zusammenschlussvorhaben ohne den Aufwand des vollständigen Ausfüllens des Formblatts bzw. ohne die Übermittlung der in der Gliederung vorgesehenen Informationen angemeldet werden. 184 Nach Eingang der vollständigen Anmeldung prüft das Bundeskartellamt innerhalb einer Frist von einem Monat, ob es eine ausführliche Prüfung des Zusammenschlusses im Rahmen eines Hauptprüfverfahrens für erforderlich hält. In einfach gelagerten Fällen wird das Bundeskartellamt innerhalb der vier Wochen mittels eines Abschlussschreibens vor Ablauf
253 In diesem Bereich wurden im Jahr 2009 vom Bundeskartellamt diverse Verfahren eröffnet. Eine ausführliche Begründung der Marktabgrenzung findet sich im Beschluss des BKartA v. 26.9.2011 – B10-31/10 – Stadtwerke Kassel, Rz. 12 ff. (abzurufen über die Website des Bundeskartellamtes). 254 BKartA v. 28.2.2001 – B8-243/00 – Wasserwerke Westfalen, WuW/E DE-V 453, 454. Es wurde in diesem Fall ausdrücklich offen gelassen, ob es daneben eigenständige Märkte für die Weiterverteilung von Wasser gibt. 255 BGH v. 16.1.2008 – KVR 26/07 – Kreiskrankenhaus Bad Neustadt, WuW/E DE-R 232; Kirchhoff, GRUR 2009, 284; BKartA v. 6.6.2006 – B 10-24/06 – Marienhaus (abzurufen über die Website des Bundeskartellamtes); v. 18.6.2009 – B3-215/08 – Gesundheit Nordhessen/Werra-Meißner, WuW/E DE-V 1734; v. 23.3.2005 – B 10-109/04 – Rhön Klinikum/Krankenhaus Eisenhüttenstadt, Rz. 65 ff. (abzurufen über die Website des Bundeskartellamtes); Schalast/Sibbel, WuW 2008, 560 (564). 256 Vgl. dazu § 39 Abs. 2 GWB.
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E. Der nicht-unternehmerische Staat als Adressat des Wettbewerbsrechts
der Monatsfrist das Zusammenschlussvorhaben freistellen257. Eröffnet das Bundeskartellamt das Hauptprüfverfahren durch den so genannten Monatsbrief, so hat es insgesamt vier Monate ab Eingang der vollständigen Anmeldung, um eine abschließende Entscheidung über die Zulässigkeit des Zusammenschlusses zu treffen. Die Entscheidung am Ende des Hauptprüfverfahrens ist gem. § 61 Abs. 1 Satz 1 GWB zu begründen und den Beteiligten zuzustellen. Sie kann mit Bedingungen und Auflagen versehen werden und kann durch Beschwerde gem. §§ 63 ff. GWB angefochten werden.
E. Der nicht-unternehmerische Staat als Adressat des europäischen Wettbewerbsrechts I. Art. 106 Abs. 1 AEUV i.V.m. Art. 102 AEUV: Der Staat als Adressat Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass der Staat Adressat von 185 Art. 101 und 102 AEUV sein kann, wenn er sich im Wettbewerb mit Privaten wirtschaftlich, also als Unternehmen, betätigt. Wenn der Staat nicht selbst, sondern durch ein privatrechtlich organisiertes Unternehmen tätig wird, so ist jedenfalls die vom Staat verschiedene Rechtsperson, die eine wettbewerbsbeschränkende Handlung begeht, Adressat von Art. 101 und 102 AEUV. Aber auch in diesem zuletzt genannten Fall kann der Staat selbst für das Verhalten des unmittelbar betroffenen Unternehmens verantwortlich gemacht werden, wenn es ein bestimmtes Näheverhältnis des Staates zu diesem Unternehmen gibt. Die Voraussetzungen hierfür ergeben sich aus Art. 106 Abs. 1 AEUV. Die unmittelbar anwendbare Norm des Art. 106 Abs. 1 AEUV wendet 186 sich an „Mitgliedstaaten“. Dieser Begriff umfasst nicht nur den Mitgliedstaat unmittelbar, sondern auch dessen Gliederungen wie Länder, Kreise und Gemeinden258. Diesen soll es nicht ermöglicht werden, staatliche Unternehmen dadurch zu bevorzugen, dass diesen Handlungsspielräume eröffnet werden, die ihnen beispielsweise die Art. 101 ff. AEUV eigentlich verschließen sollen. Die von Art. 106 Abs. 1 AEUV erfassten Unternehmen haben eine beson- 187 dere Nähebeziehung zum Staat (zum Unternehmensbegriff vgl. oben Rz. 21 ff.). Das Gesetz nennt einerseits öffentliche Unternehmen. Das sind solche Unternehmen, auf die die öffentliche Hand einwirken kann, ohne auf hoheitliche Mittel angewiesen zu sein. Dies muss sich nicht notwendigerweise aus rechtlichen Gründen ergeben, eine faktische Ein257 Zu dessen Rechtsnatur, vgl. Bechtold, GWB, § 40 Rz. 7 m.w.N. 258 EuGH v. 4.5.1988 – Rs. 30/87 – Bodson/Pompes Funebres, Slg. 1988, 2479, 2516. Karl/Beutelmann
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wirkungsmöglichkeit ist ausreichend259. Andererseits werden solche Unternehmen erfasst, denen „besondere oder ausschließliche Rechte“ gewährt wurden. Diese sog. privilegierten Unternehmen erlangen durch diese ihnen gewährten Rechte eine Sonderstellung, die sie aus dem Kreis der anderen, auf ihrem Markt tätigen Unternehmen heraushebt. Davon umfasst sind zum einen „ausschließliche Rechte“, die zu Gunsten eines einzelnen Unternehmens den Wettbewerb insgesamt ausschließen260. Zum anderen werden „besondere Rechte“ erfasst, die dann vorliegen, wenn ein Mitgliedstaat durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften die Anzahl der Wettbewerber in einem bestimmten Gebiet beschränkt, oder wenn Mitgliedstaaten einem oder mehreren Unternehmen durch Rechtsoder Verwaltungsvorschriften Vorteile einräumen, die andere Unternehmen wesentlich beeinträchtigen. Um Sonderrechte handelt es sich in diesen Fällen aber dann nicht, wenn die Auswahl der Unternehmen auf Grundlage objektiver, angemessener und nicht diskriminierender Kriterien zustande kommt261. 188 Untersagt ist es den Mitgliedstaaten durch Art. 106 Abs. 1 AEUV, in Bezug auf die genannten Unternehmen „Maßnahmen“ zu treffen, die dem AEUV, insbesondere den Art. 18 AEUV und Art. 101–109 AEUV, widersprechen. Der Begriff der Maßnahme262 ist weit auszulegen. Unabhängig von der Rechtsqualität der Maßnahme ist den Mitgliedstaaten jede Einflussnahme auf das Verhalten von Unternehmen untersagt. Die Gewährung der Sonderrechte selbst wird nicht als Maßnahme in diesem Sinne angesehen. Dennoch ist in der Praxis anerkannt, dass sich die Erteilung der Sonderrechte und das spätere Unterlassen der Entziehung der Rechte trotz vorliegender Vertragsverstöße durch das Unternehmen nicht sinnvoll trennen lassen. Deshalb wird Art. 106 Abs. 1 AEUV auch dann angewandt, wenn durch die Erteilung der Sonderrechte eine Situation geschaffen wird, in der der Verstoß gegen Vorschriften des Vertrages schon angelegt ist.
259 Zur Interpretation wird üblicherweise der Begriff des Art. 2 Abs. 1 der Transparenzrichtlinie der Kommission v. 25.6.1980 angewandt, ABl Nr. L 195 v. 25.6.1980, S. 35. Zu Beispielen: Stadler in Langen/Bunte, Band 2, Europäisches Kartellrecht, Art. 86 EG-Vertrag Rz. 21 sowie Voet van Vormizeele in Schwarze, EU-Kommentar, Art. 86 EGV Rz. 15 ff. 260 Zu Beispielen: Stadler in Langen/Bunte, Band 2, Europäisches Kartellrecht, Art. 86 EG-Vertrag Rz. 24 sowie Voet van Vormizeele in Schwarze, EU-Kommentar, Art. 86 EGV Rz. 20 ff. 261 Diese Definition wird entliehen der Richtlinie 94/46, ABl. Nr. L 268 v. 13.10.1994, S. 15. Zur diesbezüglichen Rechtsprechung vgl. Ehricke in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, Art. 86 EG-Vertrag Rz. 53. Dazu weiterhin und kritisch Andresen, Die Pflichten der EU-Mitgliedstaaten zum Abbau versorgungspolitisch motivierter Marktinterventionen, S. 239 ff. 262 Ausführlich dazu Andresen, Die Pflichten der EU-Mitgliedstaaten zum Abbau versorgungspolitisch motivierter Marktinterventionen, S. 243 ff.
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E. Der nicht-unternehmerische Staat als Adressat des Wettbewerbsrechts
In der Praxis von Bedeutung sind Maßnahmen von Mitgliedstaaten, die 189 zum Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung i.S.d. Art. 102 AEUV führen263. Es ist in diesen Fällen zunächst zu prüfen, ob das Sonderrecht das betroffene Unternehmen in eine marktbeherrschende Stellung bringt oder eine solche verstärkt (vgl. dazu oben Rz. 105). Die Schaffung einer marktbeherrschenden Stellung allein ist dabei grds. noch nicht als Verstoß gegen Art. 106 Abs. 1 AEUV anzusehen. Hinzutreten muss, dass durch die staatliche Maßnahme eine Lage geschaffen wird, in der das betroffene Unternehmen veranlasst wird oder es ihm zumindest ermöglicht wird, diese Marktmacht zu missbrauchen i.S.d. Art. 102 AEUV264. Es ist jedoch nicht erforderlich, dass das betroffene Unternehmen einen solchen Verstoß tatsächlich begeht265. Daran wird es nämlich insbesondere dann fehlen, wenn die staatliche Maßnahme das Unternehmen zu einem bestimmten Verhalten zwingt, weil es dem Unternehmen dann an einem wirtschaftlichen Bewegungs- und Entscheidungsspielraum fehlt, so dass ihm dieser Verstoß gegen Art. 102 AEUV nicht vorgeworfen werden kann. Der veranlassende Mitgliedstaat verstößt deshalb schon gegen Art. 106 Abs. 1 AEUV, wenn er nur eine Lage schafft, die es dem privilegierten Unternehmen ermöglicht, seine Marktmacht zu missbrauchen266. Ein Missbrauch wurde beispielsweise darin gesehen, dass das ausschließlich zugelassene Unternehmen nicht in der Lage war, den gesamten vorhandenen Bedarf zu decken, dass ein Unternehmen seine marktbeherrschende Stellung auf andere Märkte übertragen konnte oder dass das Unternehmen notwendigerweise in Interessenskonflikte kam, die es aufgrund seiner herausgehobenen Position zum Nachteil anderer Unternehmen oder diskriminierend lösen konnte. Während Verstöße gegen Art. 101 und 102 AEUV von der Kommission 190 auf der Basis der VO 1/2003 unmittelbar gegenüber den Unternehmen verfolgt und geahndet werden, dient bei staatlichen Verstößen gegen Art. 106 AEUV dessen Abs. 3 als Ermächtigungsgrundlage für die Europäische Kommission. Im Rahmen ihres weiten Entschließungs- und Auswahlermessens kann die Kommission Richtlinien und Entscheidungen, aber auch Empfehlungen und Stellungnahmen erlassen. Sie kann dies als repressive Maßnahme, aber auch präventiv zur Regelung bestimmter 263 Daneben können auch andere, insbesondere auch staatsbezogene Normen verletzt werden, vgl. dazu Stadler in Langen/Bunte, Band 2, Europäisches Kartellrecht, Art. 86 EG-Vertrag Rz. 32 ff. 264 EuGH v. 23.4.1991 – Rs. C-41/90 – Höfner & Elser/Macrotron, Slg. 1991, I-1979, Rz. 27 und 29; v. 10.12.1991 – Rs. C-179/90 – Hafen von Genua, Slg. 1991, I-5889, Rz. 19; v. 25.10.2001 – Rs. 475/99 – Ambulanz Glöckner, Slg. 2001, I-8089, Rz. 39; v. 12.2.1998 – Rs. C-163/96 – Raso, Slg. 1998, I-533. 265 So die überwiegende Ansicht in der Literatur zur sog. Akzessorietät, vgl. Burmeister/Staebe, EuR 2004, 810 (819 f.) m.w.N. Nachweise aus der Rechtsprechung finden sich bei Stadler in Langen/Bunte, Band 2, Europäisches Kartellrecht, Art. 86 EG-Vertrag Rz. 37. 266 Stadler in Langen/Bunte, Band 2, Europäisches Kartellrecht, Art. 86 EG-Vertrag Rz. 37, 40. Karl/Beutelmann
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Märkte tun. Die Befugnis der Kommission, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen einen Mitgliedstaat durchzuführen, bleibt davon unberührt267.
II. Art. 4 Abs. 3, 101 AEUV: die „neue Norm“ 191 Eine weitere rechtliche Beschränkung für staatliches, nicht-unternehmerisches Handeln ergibt sich aus der sogenannten „neuen Norm“. Diese wurde vor Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon aus Art. 10 Abs. 2, 3 Abs. 1 lit. g, 81 EG-Vertrag abgeleitet. Sie sollte sich gegen staatliche Beschränkungen des Wettbewerbs wenden, die nicht Gegenstand von Art. 86 Abs. 1 EG-Vertrag (heute Art. 106 AEUV) sind. Grundlage der Norm war zunächst Art. 10 Abs. 2 EG-Vertrag, der die Mitgliedstaaten verpflichtete, alle Maßnahmen zu unterlassen, die den Zielen der Gemeinschaft zuwider laufen. Eines dieser Ziele war der Schutz des Wettbewerbs, wie sich aus Art. 3 Abs. 1 lit. g EG-Vertrag in genereller, und aus Art. 81 EG-Vertrag in spezieller Form ergab. Daran dürfte sich auch nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon nichts geändert haben. Art. 10 Abs. 2 EG-Vertrag findet sich fast wortgleich in Art. 4 Abs. 3 AEUV. Art. 3 Abs. 1 lit. g EG-Vertrag, wonach ein unverfälschter Wettbewerb zu den Zielen der Gemeinschaft gehört, wurde zwar nicht unmittelbar übernommen, sondern lediglich in eine Protokollerklärung verbannt. Da auch diese als primäres Unionsrecht anzusehen ist, und da mit Art. 101 ff. AEUV die Vorschriften zum Wettbewerbsrecht unverändert geblieben sind, dürfte sich auch insofern materiell nichts geändert haben268. Grundlage der Norm sind demnach nun also die Art. 4 Abs. 3, 101 AEUV. Daraus ergibt sich in den Worten des EuGH269: „Artikel [4 Abs. 3] des Vertrages bestimmt, dass die Mitgliedstaaten alle Maßnahmen unterlassen, welche die Verwirklichung der Ziele des Vertrages gefährden können. Obgleich sich [Art. 102] an die Unternehmen richtet, begründet deshalb der Vertrag doch auch für die Mitgliedstaaten die Verpflichtung, keine Maßnahmen zu treffen oder beizubehalten, die die praktische Wirksamkeit dieser Bestimmung ausschalten können. . . . Desgleichen dürfen die Mitgliedstaaten keine Maßnahmen treffen, die es privaten Unternehmen ermöglichen, sich den durch [Art. 101 bis 109] des Vertrages auferlegten Bindungen zu entziehen.“
192 Diese allgemeine Regel konkretisierte der EuGH im Urteil in der Rechtssache „Van Eycke“270. Danach verstößt ein Mitgliedstaat gegen die Pflicht aus dem Vertrag, wenn er 267 Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, Art. 86 EG-Vertrag Rz. 52 ff. Zu Nachweisen aus der Praxis der Kommission, vgl. Stadler in Langen/Bunte, Band 2, Europäisches Kartellrecht, Art. 86 EG-Vertrag Rz. 88 ff. 268 Behrens, EuZW 2008, 193. 269 EuGH v. 16.11.1977 – Rs. 13/77 – GB-Inno/ATAB, Slg. 1977, 2115, Rz. 30/35. 270 EuGH v. 21.9.1988 – Rs. 267/86 – Van Eycke, Slg. 1988, 4769, Rz. 16. Ausführlich zur Entwicklung der Rechtsprechung Schwarze, EuZW 2000, 613 (618 ff.) m.w.N. So zuletzt EuGH v. 2.12.2010 – Rs. C-225/09, EuZW 2011, 308, Rz. 49.
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§ 15
E. Der nicht-unternehmerische Staat als Adressat des Wettbewerbsrechts
„gegen [Artikel 101] verstoßende Kartellabsprachen vorschreibt, erleichtert oder deren Auswirkungen verstärkt oder wenn er der eigenen Regelung dadurch ihren staatlichen Charakter nimmt, dass er die Verantwortung für in die Wirtschaft eingreifende Entscheidungen privaten Wirtschaftsteilnehmern überträgt“.
Die dem Staat untersagten Handlungen bestehen also im Vorschreiben und Erleichtern/Fördern von Kartellabsprachen, dem Verstärken von Auswirkungen solcher Kartellabsprachen und der Übertragung von Regelungskompetenzen hinsichtlich marktbeeinflussender Maßnahmen auf Marktteilnehmer271. Die Prüfung des Verstoßes des Staates gegen die „neue Norm“ erfolgt nach der Rechtsprechung des EuGH in zwei Schritten: Feststellen eines Wettbewerbsverstoßes durch Unternehmen, Darlegen der Verantwortlichkeit des Staates für diesen Wettbewerbsverstoß272. Erforderlich ist zum einen ein selbständiges Verhalten eines Unterneh- 193 mens, das gegen Art. 101 AEUV verstößt. Dies wird von der überwiegenden Ansicht aus der Systematik der „neuen Norm“ gefolgert, die auf einem Verstoß gegen Wettbewerbsregeln gründet, also solcher Vorschriften, die sich gegen autonomes Verhalten von Wirtschaftsteilnehmern wenden. Ohne ein solches Verhalten sei der Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts nicht eröffnet, vielmehr müsse auf die für solche staatlichen Akte vorgesehenen Vorschriften hinsichtlich der Grundfreiheiten zurückgegriffen werden. Es ist jedoch nicht abschließend geklärt, welche Qualität das Verhalten des Unternehmens haben muss. Teilweise wird von einer umfassenden „Akzessorietät“ ausgegangen, d.h. das Verhalten der Unternehmen muss Art. 101 AEUV vollumfänglich verletzen273. Andere begnügen sich damit, dass die Wirkungen der staatlichen Maßnahme denjenigen einer Kartellabsprache zwischen Unternehmen entsprechen, auch wenn es an einer solchen Absprache tatsächlich fehlt274. Diese Auffassung hat zwar für sich, dass sie an den Wirkungen der staatlichen Maßnahme anknüpft, und damit die zunächst formal und willkürlich erscheinende Differenzierung des strengen Akzessorietätsansatzes vermeidet275. Gegen sie spricht jedoch die Ausweitung des Anwendungsbereiches der Wettbewerbsvorschriften in einen Bereich, der systematisch den Grundfreiheiten vorbehalten ist. Deren weiter Anwendungsbereich macht eine Ausweitung der Wettbewerbsregeln zudem nicht erforderlich. Der EuGH forderte in einem Urteil aus dem Jahr 1993, dass „ein Zusammenhang“ zu einem von Art. 101 Abs. 1 AEUV erfassten Verhalten be271 Vgl. die Prüfung von Generalanwältin Trstenjak v. 18.12.2008 – Rs. C-531/07 – Österreichische Buchpreisbindung, Slg. 2009, I-3717, Rz. 125 ff. 272 Vgl. nur EuGH v. 18.6.1998 – Rs. C-35/96 – Italien/Kommission, Slg. 1998, I-3851, Rz. 33, 45, 52; zu dieser Norm auch von Bogdandy in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, EGV Art. 10 Rz. 58 ff. 273 Vgl. Schwarze, EuZW 2000, 613 (621 ff.) m.w.N. 274 So Generalanwalt Lenz, Rs. 311/85 – Vlaamse Reisbureaus, Slg. 1987, 3801, Rz. 20; vgl. auch Mestmäcker/Schweitzer in Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, Art. 31, 86 EGV, B. Rz. 51 ff. m.w.N. 275 So Dreher, WuW 1994, 193 (202). Karl/Beutelmann
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Kartellrecht
steht276. Dies lässt Raum für ein weiteres Verständnis als das die strenge Akzessorietät verlangt. Die Grenzen dieser Formulierung wurden in der Praxis aber noch nicht ausgelotet. 194 Wenn ein Verstoß gegen Art. 101 AEUV vorliegt, dann ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob der Staat für die genannten Maßnahmen verantwortlich gemacht werden kann. Dabei sind die oben unter Rz. 192 genannten Kategorien der „Van Eycke“-Entscheidung zu berücksichtigen. Eine Erleichterung einer gegen Art. 101 AEUV verstoßenden Maßnahme liegt vor, wenn staatliche Maßnahmen die Unternehmen zu einem entsprechenden Verhalten ermutigen. Eine Verstärkung eines Kartells liegt beispielsweise in der Verbindlicherklärung einer Kartellabsprache durch staatliche Behörden. Darüber hinaus begründet schon das Überlassen der Kompetenz an Private, eine verbindliche Regelung bezüglich der Marktverhältnisse zu treffen, die Verantwortlichkeit des Staates. 195 Typische Beispiele aus der Rechtsprechung betreffen staatlich eingesetzte Kommissionen, die marktbezogene Regelungen, insbesondere zu Preisen, treffen und in denen Marktteilnehmer vertreten sind. In diesen Fällen liegt es nahe anzunehmen, dass der Staat den Unternehmen die Möglichkeit verschafft, wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen unter staatlichem Deckmantel zu schließen. Trägt der Staat aber durch staatliche Genehmigungsvorbehalte, durch das Hinzuziehen von nicht am Wettbewerb beteiligten und damit ohne Eigeninteresse auftretenden Personen oder durch andere Maßnahmen dafür Sorge, dass staatlich eingesetzte Gremien sich an objektiven Kriterien orientieren, und nicht ausschließlich den vertretenen Wettbewerbern nützende Regelungen treffen, dann liegt kein Verstoß gegen die „neue Norm“ vor277. Dann fehlt es nach Auffassung des EuGH an einem autonomen Verhalten eines Unternehmens, das dem Staat zum Vorwurf gemacht werden kann. Allerdings ist dann stets auch ein Verstoß gegen die Vorschriften der Art. 34 ff., 56 ff. etc. AEUV über die Grundfreiheiten zu problematisieren, die dem hoheitlichen Verhalten des Staates Grenzen setzen.
276 EuGH v. 17.11.1993 – Rs. C-2/91 – Meng, Slg. 1993, I-5751, Rz. 22; So auch Generalanwalt Jacobs, Schlussanträge v. 13.3.2003, Rs. C-207/01 – Altair Chimica, Slg. 2003, I-8875; Rz. 39. 277 EuGH v. 17.11.1993 – Rs. C-185/91 – Reiff, Slg. 1993, I-5801; v. 18.6.1998 – Rs. C-35/96 – Italien/Kommission, Slg. 1998, I-3851.
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Fünfter Teil: Kriterien für die Rechtsformwahl § 16 Rechtsform kommunaler Unternehmen: Rechtliche Vorgaben und Entscheidungskriterien von Rechtsanwalt Prof. Dr. Michael Uechtritz und Rechtsanwalt Hans-Joachim Reck1
A. Vorbemerkung . . . . . . . . . .
Rz. 1
B. Rechtliche Vorgaben für die Wahl einer Rechtsform . . . . . 9 I. Der Grundsatz: Kommunales Organisationsermessen . . . . . 9 II. Einfachrechtliche Schranken des Organisationsermessens . . 14 C. Konfligierende Ziele bei der Rechtsformwahl . . . . . . . . . 17 D. Einzelne Kriterien . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . 1. Öffentlich-rechtliche Organisationsformen . . . . . . . 2. Privatrechtliche Organisationsformen . . . . . . . . . . . II. „Flexibilität“ . . . . . . . . . . . 1. Flexibilität bei der Ausgestaltung der Organisationsform . . . . . . . . . . . . a) Öffentlich-rechtliche Organisationsformen . . . b) Privatrechtliche Organisationsformen . . . . . . . 2. Flexibilität des Handelns der Unternehmensleitung . . . . a) Öffentlich-rechtliche Organisationsformen . . . b) Privatrechtliche Organisationsformen . . . . . . . III. Einwirkungsmöglichkeiten der Kommune . . . . . . . . . . . .
23 23 24 25 26 27 27 34 36 37 41 43
Rz. 1. Ambivalenz des Kriteriums . 43 2. Öffentlich-rechtliche Organisationsformen . . . . . . . 47 3. Privatrechtliche Rechtsform 51 IV. Personalwirtschaftliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . 2. Öffentlich-rechtliche Rechtsform . . . . . . . . . . 3. Privatrechtliche Organisationsformen . . . . . . . . . . .
56 56 58 63
V. Haftungsrisiken . . . . . . . . . 65 1. Öffentlich-rechtliche Rechtsform . . . . . . . . . . 66 2. Privatrechtliche Organisationsformen . . . . . . . . . . . 68 VI. Finanzierungsmöglichkeiten . 75 VII. Kooperationsmöglichkeiten . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . 2. Kooperation im Rahmen einer Public Private Partnership . . . . . . . . . . . . . . 3. Kooperationsmöglichkeiten bei öffentlich-rechtlicher Rechtsform . . . . . . . . . . a) Kooperation mit anderen Rechtssubjekten des öffentlichen Rechts . . . . b) Kooperation mit Rechtssubjekten des Privatrechts . . . . . . . . . . . .
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1 Die Verfasser danken Herrn Rechtsanwalt Christian Sudbrak, LL.M. für seine Unterstützung bei der Aktualisierung für die vorliegende Auflage. Uechtritz/Reck
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§ 16
Rechtsform kommunaler Unternehmen
Rz. 4. Kooperationsmöglichkeiten bei privatrechtlicher Rechtsform . . . . . . . . . . . . . . 90 VIII. Haushalts-, Rechnungs- und Prüfungswesen . . . . . . . . . 92 1. Öffentlich-rechtliche Rechtsformen . . . . . . . . . 93
Rz. 2. Privatrechtliche Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . 100 IX. Sonstige Kriterien . . . . . . . . 102
Literatur: Ade (Hrsg.), Handbuch Kommunales Beteiligungsmanagement, 1997; Altenmüller, Privatrechtliche oder öffentlich-rechtliche Form für kommunale Unternehmen?, VBlBW 1984, 61; Brenner, Die Neugestaltung gemeindlicher Einwirkungs- und Kontrollrechte auf privatrechtliche Unternehmen in Thüringen und die kommunale Selbstverwaltungsgarantie, LKV 2002, 7; Britz, Die Mitwirkung Privater an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch Einrichtungen des Öffentlichen Rechts, VerwArch 91 (2000), 418; Britz, Funktion und Funktionsweise öffentlicher Unternehmen im Wandel: Zu den jüngsten Entwicklungen im Recht der kommunalen Wirtschaftsunternehmen, NVwZ 2001, 380; Brüning, (Re-)Kommunalisierung von Aufgaben aus privater Hand – Maßstäbe und Grenzen, VerwArch 100 (2009), 453 ff.; Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, 5. Aufl. 2006; Ehlers, Die Entscheidung der Kommunen für eine öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Organisation ihrer Einrichtungen und Unternehmen, DÖV 1986, 897; Ehlers, Rechtsprobleme der Kommunalwirtschaft, DVBl 1998, 497; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984; Ehricke, Einstandspflicht des Staates in der Krise von kommunalen Energieversorgungsunternehmen, IR 2008, 248; Engel, Public Private Partnership im Bauen – Der Bayerische Weg, GewArch 2006, 179; Engellandt, Die Einflussnahme der Kommune auf ihre Kapitalgesellschaften über das Anteilseignerorgan, 1995; Engelsing, Zahlungsunfähigkeit von Kommunen und anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, 1999; Erbguth/Stollmann, Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch private Rechtssubjekte? Zu den Kriterien bei der Wahl der Rechtsform, DÖV 1993, 798; Ewer, Privatisierung kommunaler Aufgaben, in: 16. Deutscher Verwaltungsgerichtstag, Freiburg 2010, S. 197 ff.; Fabry/Austen, Unternehmen der öffentlichen Hand, 2010; Faiß/ Giebler/Lang/Notheis/Schmid, Kommunales Wirtschaftsrecht in Baden-Württemberg, 7. Aufl. 2002; Gaß, Die Umwandlung gemeindlicher Unternehmen, 2003; Gersdorf, Öffentliche Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Demokratie und Wirtschaftlichkeitsprinzip, 2000; Grziwotz, Zur Vertretung kommunaler Körperschaften in der kommunalen GmbH, BayVBl. 2006, 357 ff.; Habersack, Private public partnership: Gemeinschaftsunternehmen zwischen Privaten und der öffentlichen Hand – Gesellschaftsrechtliche Analyse, ZGR 1996, 544 ff.; Hauser, Die Wahl der Organisationsform kommunaler Einrichtungen, 1987; Hecker, Privatisierung unternehmenstragender Anstalten öffentlichen Rechts, VerwArch 92 (2001), 261 ff.; Held, Die Zukunft der Kommunalwirtschaft im Wettbewerb mit der privaten Wirtschaft, NWVBl. 2000, 201; Henneke (Hrsg.), Kommunale Aufgabenerfüllung in Anstaltsform, 2000; Henneke (Hrsg.), Organisation kommunaler Aufgabenerfüllung, 1998; Katz, Kommunale Wirtschaft, 2004; Klein/Uckel/Ibler, Kommunen als Unternehmer, Loseblatt mit Erläuterungen, Stand April 2006; Knemeyer, Vom kommunalen Wirtschaftsrecht zum kommunalen Unternehmensrecht, BayVBl. 1999, 1; Krüger, Zweckmäßige Wahl der Unternehmensform, 7. Aufl. 2002; Kunze/Bronner/Katz, Gemeindeordnung für Baden-Württemberg, Loseblatt, Stand Juli 2005; Lenk/Hesse, Privatisierung und Rekommunalisierung der Wasserversorgung aus theoretischer und empirischer Perspektive, IR 2010, 293; Libbe/Hanke, Rekommunaliserung – neue alte Wege der öffentlichen Da-
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§ 16
A. Vorbemerkung
seinsvorsorge, Gemhlt 2011, 108; Lindl, Interkommunale Zusammenarbeit – mögliche Rechtsformen sowie deren Vor- und Nachteile, KommunalPraxis BY 2005, 334; Littwin/Schöne, Public Private Partnership im öffentlichen Hochbau, 2006; Machura, Die Kontrolle öffentlicher Unternehmen, 1992; Mann, Die „Kommunalunternehmen“ – Rechtsformalternativen im kommunalen Wirtschaftsrecht, NVwZ 1996, 557; Mann, Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft, 2002; Mann/Püttner (Hrsg.), Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 2, 3. Aufl. 2010; Müller, Die Neuregelungen in der nordrhein-westfälischen Eigenbetriebsverordnung und der Kommunalunternehmensverordnung durch das Gesetz über ein Neues Kommunales Finanzmanagement, DVP 2006, 185; Müller, Rechtsformwahl bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben, 1993; Neusinger/Lindt, Ein Unternehmen auf dem Vormarsch – 7 Jahre bayerisches Kommunalunternehmen, BayVBl. 2002, 689; Papier, Kommunale Daseinsvorsorge im Spannungsfeld zwischen nationalem Recht und Gemeinschaftsrecht, DVBl 2003, 686; Pegatzky/Sattler, Die Änderungen des kommunalen Wirtschafts- und Haushaltsrechts durch die Hessische Kommunalrechtsnovelle 2005, NVwZ 2005, 1376; Reck, Kommunale Unternehmen brauchen fairen Zugang zu Markt und Wettbewerb, DVBl 2009, 1546; Schmidt, Der Übergang öffentlicher Aufgabenerfüllung in private Rechtsform, ZGR 1996, 345; Schoch, Der Beitrag des kommunalen Wirtschaftsrechts, DÖV 1993, 377; Schoch, Das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht gemäß Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG als Privatisierungsverbot, DVBl 2009, 1533 ff.; Schön, Der Einfluss öffentlichrechtlicher Zielsetzungen auf das Statut privatrechtlicher Eigengesellschaften der öffentlichen Hand, ZGR 1996, 429; Schulz, Neue Entwicklungen im kommunalen Wirtschaftsrecht Bayerns, BayVBl. 1996, 97 und 129; Schulz, Wirtschaftliche, nichtwirtschaftliche und nicht wirtschaftliche Unternehmen, BayVBl. 1987, 518; Shirvani, Public Private Partnership und die Subsidiaritätsprüfung bei öffentlichen Unternehmensbeteiligungen, DÖV 2011, 865; Sollondz, Neues kommunales Unternehmensrecht im Freistaat Sachsen, LKV 2003, 297; Storr, Das neue Kommunalunternehmen in Schleswig-Holstein, NordÖR 2005, 94; Strobel, Weisungsfreiheit oder Weisungsgebundenheit kommunaler Vertreter in Eigen- und Beteiligungsgesellschaften?, DVBl 2005, 77; Süß, Eigenbetrieb oder Gesellschaft?, BayVBl. 1986, 257; Tettinger, Public Private Partnership, Möglichkeiten und Grenzen – ein Sachstandsbericht, NWVBl. 2005, 1; Tetzlaff, Strategien zur Bewältigung wirtschaftlicher Krisen in kommunalen Unternehmen, KommJur 2006, 81; Thode/ Peres, Die Rechtsform Anstalt nach dem kommunalen Wirtschaftsrecht, BayVBl. 1999, 6; Uechtritz/Otting, Das ÖPP-Beschleunigungsgesetz: Neuer Name, neuer Schwung für öffentlich-private Partnerschaften, NVwZ 2005, 1105; Weber/Schäfer/Hausmann, Praxishandbuch Public Private Partnership, 2006; Wilke/Schachel, Probleme fiskalischer Betätigung der öffentlichen Hand, WiVerw 1978, 95; Will, Informationszugriff auf AG-Aufsichtsratsmitglieder durch Gemeinden, VerwArch 94 (2003), 248; Wingert/Günther (Hrsg.), Die Öffentlichkeit der Vernunft und die Vernunft der Öffentlichkeit, Festschrift für Jürgen Habermas, 2001; Wolf, Anstalt des öffentlichen Rechts als Wettbewerbsunternehmen 2002; Wolff, Fragen der wirtschaftlichen Betätigung deutscher Kommunen im Ausland, DÖV, 2011, 721; Wurzel/Schraml/Becker, Rechtspraxis der kommunalen Unternehmen, 2010; Zeiß, Das Recht der gemeindlichen Eigenbetriebe, 4. Aufl. 1993; Zugmaier, Gemeindliche Unternehmen in Privatrechtsform, BayVBl. 2001, 233.
A. Vorbemerkung Einer Kommune, die sich wirtschaftlich betätigen möchte, stehen für die- 1 ses Vorhaben verschiedene öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Or-
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§ 16
Rechtsform kommunaler Unternehmen
ganisationsformen zur Verfügung, zwischen denen die Kommune eine Auswahl treffen muss. Im Hinblick auf jede einzelne wirtschaftliche Betätigung steht die Kommune vor der Frage nach der optimalen Rechtsform. Diese vielfältigen Handlungsformen und -instrumentarien kommunalwirtschaftlicher Betätigung behandelt der Beitrag von Hellermann (§ 7) im Detail. 2 Die Diskussion um die Frage nach der optimalen Rechtsform für kommunale Unternehmen ist nicht neu2. Die Frage nach der „richtigen“ bzw. „optimalen“ Rechtsform hat sich in letzter Zeit aber nicht nur im Hinblick auf eine eventuelle Neugründung kommunaler Unternehmen gestellt. Auch bei bestehenden Unternehmen ist zu überprüfen, ob diese noch in der optimalen Rechtsform organisiert sind. Der Beitrag von Hellermann (§ 7 Rz. 16 ff.) nennt verschiedene Gründe für die Erforderlichkeit, die Geeignetheit der Rechtsform zu überprüfen. Zunächst hatte die seit Jahren anhaltende Finanzknappheit der Gemeinden einen erheblichen Veränderungs- und Modernisierungsdruck bewirkt3. Zudem hat eine Deregulierungspolitik auf europäischer, aber auch auf nationaler Ebene zentrale Felder kommunaler wirtschaftlicher Betätigung, wie z.B. die Energieversorgung, in Wettbewerbsmärkte überführt, wodurch sich die äußeren Rahmenbedingungen der kommunalwirtschaftlichen Betätigung grundlegend verändert haben4. Das Bedürfnis, wirtschaftlich „erfolgreich“ tätig zu sein, erhöht somit den Druck, für die wirtschaftliche Betätigung eine Rechtsform zu wählen, die ein möglichst erfolgreiches „unternehmerisches“ Tätigwerden gestattet. 3 Als Reaktion auf die Erwartungen der Gesellschafterkommune und die neue Wettbewerbssituation zu privaten Unternehmen versuchen die Gemeinden ihre wirtschaftliche Betätigung räumlich auszuweiten und neue Märkte außerhalb des Gemeindegebiets oder sogar im Ausland zu erschließen5. Zudem gibt es Bemühungen, auf Märkten tätig zu sein, die jedenfalls traditionell keine typischen Bereiche kommunaler wirtschaftlicher Betätigung darstellen, wie z.B. die Gartenpflege und das Gebäudemanagement; solche Betätigungen stellen allerdings eine Ausnahme dar. Die neuen Wettbewerbssituationen zwischen kommunalen und rein privaten Unternehmen führen zudem zu einer Angleichung und zum Austausch von Handlungsformen und Handlungsmaximen zwischen beiden Unternehmenstypen6. Mit der Angleichung an die Privatwirtschaft, z.B. durch
2 Klein/Uckel/Ibler, Kommunen als Unternehmer, Vorwort; Nachweise zur älteren Diskussion bei Altenmüller, VBlBW 1984, 61 ff. und Ehlers, DÖV 1986, 897 ff. 3 Vgl. hierzu nur Knemeyer, BayVBl. 1999, 1. 4 Britz, NVwZ 2001, 380; Papier, DVBl 2003, 686 ff.; Reck, DVBl 2009, 1546. 5 Wolff, DÖV, 2011, 721 f. 6 Oebbecke, Verfassungsrechtlicher Schutz kommunaler Aufgabenerfüllung, in Henneke (Hrsg.), Kommunale Aufgabenerfüllung in Anstaltsform, S. 13; zum
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§ 16
A. Vorbemerkung
die Einführung des sog. „neuen Steuerungsmodells“, wird ökonomischen Beurteilungsmaßstäben und betriebswirtschaftlichem Denken in Verwaltungen und kommunalen Unternehmen mittlerweile ein hoher Stellenwert eingeräumt; dies gilt auch bei der Rechtsformwahl. Für die Kommune stellt die Möglichkeit, Kooperationen mit anderen Un- 4 ternehmen eingehen zu können, einen wichtigen Aspekt bei der Wahl der Organisationsform für ihre wirtschaftliche Betätigung dar. Im Rahmen von Kooperationen können auch solche Projekte erfolgreich durchgeführt werden, für welche die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des eigenen Unternehmens alleine nicht ausreicht, da es z.B. an den finanziellen Ressourcen fehlt, das technische Know-How nicht vorhanden ist oder die für einen wirtschaftlichen Betrieb erforderlichen Umsätze nicht erreicht werden. Kooperationen können auch mit anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts eingegangen werden, insbesondere in Form von Zweckverbänden, die in den Gesetzen über die kommunale Zusammenarbeit geregelt werden. Einzelheiten zu den Zweckverbänden finden sich im Beitrag von Hellermann (§ 7). Mittlerweile gibt es in einigen Landesgesetzen auch die Möglichkeit, durch mehrere Kommunen getragene Anstalten des öffentlichen Rechts bzw. Kommunalunternehmen zu gründen. Bei Kooperationen mit juristischen Personen des privaten Rechts ist insbesondere auf die in der Praxis etablierten Public Private Partnerships hinzuweisen7, bei denen man zwei Typen unterscheidet: Zum einen das Modell der sogenannten „Vertrags-PPP“, das hauptsächlich bei Beschaffungsvorgängen der öffentlichen Hand Anwendung findet, und die hier im Vordergrund stehende „Organisations-Public Private Partnership“ als Form institutionalisierter öffentlich-privater Partnerschaften in Form eines Gemeinschaftsunternehmens8. Die Kooperation mit Privaten dient aber nicht nur der Erschließung privaten Know-hows (etwa im Bereich des ÖPNV), sondern auch der Mobilisierung fremden Kapitals bei der Gründung eines „Gemeinschaftsunternehmens“ aus Kommune und Privaten.
Strukturwandel innerhalb der Kommunalwirtschaft siehe auch Bremeier, Steuerung von Beteiligungen in Leipzig, in Henneke (Hrsg.), Organisation kommunaler Aufgabenerfüllung, S. 97, 99 f. 7 Hauser, Die Wahl der Organisationsform kommunaler Einrichtungen, S. 219 f.; Gaß, Die Umwandlung gemeindlicher Unternehmen, S. 106 ff.; Shirvani, DÖV 2011, 865 ff. 8 Tettinger, NWVBl. 2005, 1, 3 f.; entsprechend ist auch das Verständnis der EUKommission, Grünbuch, S. 9; für die institutionalisierte öffentlich-private Partnerschaft in Form eines Gemeinschaftsunternehmens findet sich auch die Kennzeichnung „PPP-Gesellschaftsmodell“ oder „PPP-Beteiligungsmodell“; näher hierzu unten Rz. 78 f. Uechtritz/Reck
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Rechtsform kommunaler Unternehmen
5 Beeinflusst wird die Rechtsformwahl letztlich auch vom gesamtgesellschaftlichen Umfeld, in welchem zwischenzeitlich Privatisierungsdiskussionen und neoliberale Vorstellungen dominierten9. Letztere zielten einerseits auf eine Zurückdrängung staatlicher (wirtschaftlicher) Aktivitäten ab und reklamierten andererseits – und dies ist im hier zu erörternden Zusammenhang von Bedeutung – eine größere Effizienz des kommunalen Unternehmens im Fall seiner formalen Privatisierung10. In einem Diskussionsumfeld, das vom „Mythos des Privaten“ geprägt war, bestand die Neigung, privatrechtliche Unternehmensformen per se als vorteilhaft anzusehen. Aber auch heutzutage spricht eine verbreitete Tendenz diesen generell größere Flexibilität, Elastizität und Entbürokratisierung und damit auch eine höhere wirtschaftliche Effizienz11 zu. Die private Rechtsform suggeriert eine größere Unabhängigkeit von der öffentlichen Hand, eine stärkere Ausrichtung an Handlungsmustern und Erfolgsvorstellungen der privaten Wirtschaft und damit die bessere Eignung, sich in der vorstehend geschilderten verschärften Wettbewerbssituation zu behaupten12. 6 In den letzten Jahren kann von einem Trend zu Privatisierungen aber keine Rede mehr sein. Die kommunale Wirtschaft hat sich nach einem Prozess des Umbruchs und der Modernisierung neues Selbstbewusstsein erarbeitet und genießt eine hohe Wertschätzung in der Bevölkerung. Viele Kommunen prüfen daher zurzeit den Wiedereinstieg in das operative Ge9 Vgl. Schoch, DÖV 1993, 377; zu den Gründen Grimm, Bedingungen demokratischer Rechtsetzung, in Wingert/Günther (Hrsg.), Die Öffentlichkeit der Vernunft und die Vernunft der Öffentlichkeit, FS für Jürgen Habermas, S. 489, 495. 10 Zur unterschiedlichen Bedeutung des Terminus Privatisierung, speziell im Zusammenhang mit dem kommunalen Wirtschaftsrecht Schoch, DÖV 1993, 377 (378 f.); im Zusammenhang mit der hier erörterten wirtschaftlichen Betätigung der Kommunen kommt besonders der formellen bzw. der Organisationsprivatisierung besondere Bedeutung zu. Hierunter wird allgemein verstanden, dass sich ein Verwaltungsträger einer bestimmten Aufgabe nicht entledigt, sondern diese in einer privatrechtlichen Rechtsform wahrnimmt (vgl. auch Schmidt, ZGR 1996, 345, [347]). Eine materielle Privatisierung bedeutet, dass sich der Verwaltungsträger einer Aufgabe insgesamt entledigt, damit diese künftig von Privaten wahrgenommen wird. 11 Zur Problematisierung des Effizienzkriteriums im öffentlichen Sektor im Hinblick auf politisch oder gesetzlich vorgegebene Zielsetzungen Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 66 ff. 12 Zu diesem Befund Erbguth/Stollmann, DÖV 1993, 798 (801 ff.); Zugmaier, BayVBl. 2001, 233, 234; Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 292 ff.; Engellandt, Die Einflussnahme der Kommune auf ihre Kapitalgesellschaften über das Anteilseignerorgan, S. 6 ff. und Ade in Ade (Hrsg.), Handbuch Kommunales Beteiligungsmanagement, S. 21 jeweils m.w.N.; siehe auch Wurzel/Schraml, Entscheidungskriterien für die Wahl einer Rechtsform, in: Wurzel/Schraml/Becker, Rechtspraxis der kommunalen Unternehmen, Rz. 5, die von einem „psychologisch motivierten Argument“ sprechen, wonach eine bestimmte (privatrechtliche) Rechtsform per se für eine größere Wirtschaftlichkeit sprechen soll und Mann, Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft, S. 172, der von einer „populären Ökonomisierungsrhetorik“ spricht.
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A. Vorbemerkung
schäft in den Bereichen der Ver- und Entsorgungswirtschaft und diskutieren den Rückkauf der Stadtwerke13. Für die Renaissance der öffentlichen Leistungserbringung gibt es mehrere Gründe. Einerseits haben sich die Hoffnungen der Kommunen, nach der Privatisierung von Unternehmen den Bürgerinnen und Bürgern ein besseres Leistungsangebot im Bereich der Daseinsvorsorge bei niedrigeren Preisen anbieten zu können, häufig nicht erfüllt. Der Verlust kommunaler Steuerungs- und Gestaltungsmöglichkeiten in Folge von Privatisierungen machte sich oft erst im Nachhinein bemerkbar. Im Lauf der Finanz- und Wirtschaftskrise seit dem Jahr 2008 stieg in der Bevölkerung zudem das Interesse an überschaubaren wirtschaftlichen Einheiten und an angemessenen Gewinnerwartungen, die charakteristisch für kommunale Unternehmen sind14. Ein wichtiger Anlass für die zunehmende Aufnahme wirtschaftlicher Betätigungen im Bereich der Energieversorgung ist die Tatsache, dass ein Großteil der Strom- und Gaskonzessionsverträge derzeit ausläuft und neu ausgeschrieben wird. Seit dem Jahr 2007 sind bereits mehr als 140 Konzessionen in die Hand kommunaler Unternehmen gewechselt15. Auch im Rahmen eines solchen Rekommunalisierungsvorgangs stellt die Entscheidung der Kommune für eine geeignete private bzw. öffentlich-rechtliche Rechtsform einen wichtigen Schritt dar. Im Folgenden soll versucht werden, losgelöst von ordnungspolitischen 7 Vorab-Festlegungen Kriterien für die Rechtsformwahl aufzuzeigen, um anhand dieser Kriterien eine Hilfestellung für eine rationale Entscheidung in Bezug auf die Rechtsform zu geben. Die Auswahl der Kriterien orientiert sich an die Topoi, die in der aktuellen Diskussion um die optimale Rechtsform im Vordergrund stehen16. Dabei ist vorab festzuhalten, dass es nicht abstrakt um die Definition einer bestimmten Rechtsform als „die optimale“ Rechtsform gehen kann. Die Frage nach der geeigneten Rechtsform für ein kommunales Unternehmen kann nicht losgelöst vom spezifischen Unternehmenszweck beantwortet werden. Abhängig vom jeweiligen Sachbereich kommt den einzelnen Kriterien bzw. den spezifischen Vor- und/oder Nachteilen der einzelnen Unternehmensformen ein unterschiedliches Gewicht zu. So mag dem Kriterium größerer wirtschaftlicher Flexibilität und Eignung zu unabhängigem wirtschaftlichen Handeln Bedeutung für ein Unternehmen zukommen, das eine wirtschaftliche Tätigkeit auf einem Markt ausübt, in dem es mit privaten Konkurrenten im Wettstreit liegt. Völlig anders kann sich die Situation für ein kommunales Unternehmen darstellen (etwa im Kulturbereich), 13 Lenk/Hesse, IR 2010, 293; Libbe/Hanke, Gemhlt 2011, 108; zu Maßstäben und Grenzen bei der (Re-)Kommunalisierung von Aufgaben aus privater Hand Brüning, VerwArch 100 (2009), 453 ff. 14 TNS Emnid, Umfrage vom August 2009, Kommunale Stadtwerke und Wasserversorger im Spiegelbild der öffentlichen Meinung. 15 VKU, verbandsinterne Recherchen, Stand Oktober 2011. 16 Vgl. Ade, S. 32 ff.; Gaß, 53 ff.; Hauser, passim; Müller, Rechtsformwahl bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben; Klein/Uckel/Ibler, Teil 2, Erl. 20.00. Uechtritz/Reck
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das sich nicht in einer Wettbewerbssituation befindet und bei dem das Kriterium der wirtschaftlichen Flexibilität nur eine geringe Bedeutung besitzt. Zielstellung der Ausführungen in diesem Abschnitt kann daher nur sein, typische Kriterien deutlich zu machen, die bei der Rechtsformwahl des kommunalen Unternehmens zu bedenken sind – dies aber kritisch im Hinblick auf ihre Relevanz in Bezug auf das jeweils spezifisch zu betrachtende Unternehmen. 8 Vorab ist kurz auf die rechtlichen Parameter einzugehen, die auf die Entscheidung der Kommune einwirken (dazu Rz. 9 ff.). Danach folgt die Auflistung und Erörterung der einzelnen Kriterien (Rz. 23 ff.).
B. Rechtliche Vorgaben für die Wahl einer Rechtsform I. Der Grundsatz: Kommunales Organisationsermessen 9 Die Frage, welche Rechtsform Kommunen für ihre Unternehmen wählen können, stellt sich nur, sofern die Rechtsordnung tatsächlich einen Entscheidungsspielraum einräumt. Anders formuliert: Rechtliche Vorgaben können die Entscheidung für bestimmte Rechtsformen im konkreten Einzelfall ausschließen oder zumindest einschränken. Zu klären ist also vorab, ob die Kommunen bei ihrer Entscheidung für eine öffentlich-rechtliche oder eine privatrechtliche Organisationsform rechtliche Vorgaben zu beachten haben, die Präferenzregelungen im Hinblick auf bestimmte Organisationsformen enthalten oder einzelne Organisationsformen gänzlich ausschließen (zu dieser Thematik auch oben § 7 Rz. 10 ff. und § 8 Rz. 9 ff.). 10 Grundsätzlich können die Kommunen die Rechtsform ihrer Unternehmen und Einrichtungen im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen frei wählen. Die herrschende Meinung in Literatur und Rechtsprechung bejaht eine grundsätzliche Wahlfreiheit der öffentlichen Verwaltung bei der Rechtsformenwahl17. Das Prinzip der organisatorischen Wahlfreiheit der Gemeinden ist Bestandteil der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG und der entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Ge-
17 BVerwG v. 18.10.1993 – 5 B 26.93, NJW 1994, 1169; Gaß, S. 54; Pitschas/Schoppa, Kriterien für die Wahl der Rechtsform in Mann/Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 2, S. 105 ff.; Ehlers, DÖV 1986, 898; Ehlers, DVBl 1998, 497 (555); Erbguth/Stollmann, DÖV 1993, 798 (799); Schmidt, ZGR 1996, 345 (356 f.) jeweils m.w.N. und Mann, Die öffentlichrechtliche Gesellschaft, S. 39 ff.; Held, Änderungsnotwendigkeiten nach Änderungsmöglichkeiten des Gemeindewirtschaftsrechts, S. 113, 126 ff., in Henneke, Organisation kommunaler Aufgabenerfüllung, plädiert aus rechtlichen und „kommunalpolitischen“ Gründen für einen Vorrang öffentlicher Organisationsformen.
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B. Rechtliche Vorgaben für die Wahl einer Rechtsform
währleistungen18. Die Gegenauffassung, die dem Staat die Inanspruchnahme des Privatrechts verwehren will und auf das öffentliche Recht als Sonderrecht des Staates verweist, hat sich nicht durchgesetzt und wird auch in der Literatur nicht mehr diskutiert. Im Anschluss an das Urteil des BVerwG zur Privatisierung eines „traditi- 11 onsmäßig bedeutsamen“ Weihnachtsmarktes19 wird die Frage diskutiert, ob aus der verfassungsrechtlichen Garantie kommunaler Selbstverwaltung Schranken für eine (materielle) Privatisierung öffentlicher Einrichtungen abgeleitet werden können. Das BVerwG hat in der genannten Entscheidung aus Art. 28 Abs. 2 GG abgeleitet, dass sich eine Gemeinde im Interesse einer wirksamen Wahrnehmung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft nicht ihrer gemeinwohlorientierten Handlungsspielräume begeben darf und dass der Gemeinde auch die Sicherung und Wahrung ihres Aufgabenbereichs obliegt, um eine wirkungsvolle Selbstverwaltung und Wahrnehmung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zu gewährleisten. Im Schrifttum ist diese Auffassung überwiegend auf Ablehnung gestoßen20. Jedenfalls in Bezug auf die kommunale Leistungsverwaltung ist (anders als in Bezug auf gemeindliche Pflichtaufgaben) geltend gemacht worden, diese seien nicht „privatisierungsfest“. Auch wenn sich das genannte Urteil des BVerwG nicht auf die Frage der Rechtsformwahl kommunaler Unternehmen bezieht, verdienen die Ausführungen des Gerichts zur „wirksamen Wahrnehmung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“ auch insoweit Beachtung. Die organisatorische Wahlfreiheit der Gemeinden wird ergänzt durch die 12 Wahlfreiheit hinsichtlich der Handlungsformen. Öffentlich-rechtlich organisierte Unternehmen haben grundsätzlich die Möglichkeit, zwischen öffentlich- und privatrechtlichen Handlungsformen zu wählen. Bei einer Entscheidung für die privatrechtliche Organisationsform ist allerdings nur ein privatrechtliches Handeln möglich (oben § 7 Rz. 12 m.w.N.). Der Terminus der „Wahlfreiheit der Gemeinden“ darf allerdings nicht 13 missverstanden werden. Sowohl die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden als auch die zugrundeliegende Entscheidung der Gemeinde für eine bestimmte Organisationsform sind als staatliches Handeln zu betrachten. Wahlfreiheit der Gemeinden meint daher stets nur das sachgerechte Ausüben des Organisationsermessens21.
18 Ehlers, DÖV 1986, 897 (898); Hauser, S. 4 und Mann, Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft, S. 42 ff. 19 BVerwG, v. 27.5.2009 – 8C 10.08, DVBl 2009, 1382. 20 Schoch, DVBl 2009, 1533 ff. und Ewer, Privatisierung kommunaler Aufgaben – Ansatzpunkte und Umfang verwaltungsgerichtlicher Kontrolle, in: 16. Deutscher Verwaltungsgerichtstag, S. 197 ff. 21 Ehlers, DVBl 1998, 497 (505); siehe auch Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 85 f. Uechtritz/Reck
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II. Einfachrechtliche Schranken des Organisationsermessens 14 Das Recht der Gemeinden, ihre Betriebe hinsichtlich der Organisationsform eigenverantwortlich auszugestalten, besteht nur im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen. Zu beachten sind also möglicherweise bestehende Präferenzregeln des einfachen Rechts für die Rechtsformwahl. Verschiedene Gemeindeordnungen enthielten in der Vergangenheit spezielle Subsidiaritätsregeln für die Wahl einer privatrechtlichen Organisationsform. Nach diesen Bestimmungen kam die Gründung einer privatrechtlichen Gesellschaft nur dann in Betracht, wenn der öffentliche Zweck hierdurch ebenso gut oder sogar besser als durch einen Eigenbetrieb erfüllt werden konnte (näher hierzu § 8 Rz. 24 f. m.w.N.). Entsprechende Bestimmungen, die sich z.B. in Art. 91 Abs. 1 Nr. 2 BayGO a.F. und in § 103 Abs. 1 Nr. 1 GemO BW a.F. fanden, wurden in den letzten Jahren aber weitgehend gestrichen22. Da nach den einschlägigen gemeinderechtlichen Bestimmungen bereits die Gleichwertigkeit der privatrechtlichen Organisationsform mit dem Eigenbetrieb ausreicht, um die gemeindliche Entscheidung für die privatrechtliche Organisationsform zu legitimieren, und zudem den Kommunen eine Einschätzungsprärogative hinsichtlich der Bewertung der Organisationsformen zuzubilligen ist (vgl. § 8 Rz. 26), haben sich die entsprechenden Subsidiaritätsregeln in der Praxis kaum als spürbare Einschränkung des kommunalen Organisationsermessens erwiesen. Diese Einschätzung wird bestätigt durch Statistiken zur Rechtsform von Mitgliedsunternehmen des Verbandes kommunaler Unternehmen e.V. (VKU). Im Jahr 1996 sah deren Aufteilung entsprechend den unterschiedlichen Organisationsformen wie folgt aus23: 48 % GmbH, 5 % Aktiengesellschaften, 39 % Eigenbetriebe und 8 % sonstige Unternehmensformen (Zweckverband etc.). Im Jahr 2001 hat sich der Trend zur privatrechtlichen Organisationsform weiter verstärkt: 56,5 % der Unternehmen waren als GmbH, 5,4 % als AG und 28,3 % als Eigenbetrieb organisiert24. Im Jahr 2011 waren nach Angaben des VKU 49,9 % der Mitgliedsunternehmen als GmbH organisiert, 4,6 % als AG, 4 % in sonstigen privatrechtlichen Organisationsformen, 22,2 % als Eigenbetriebe und 19,3 % in sonstigen öffentlich-rechtlichen Rechtsformen. Ein neuer Trend hin zu öffentlich-rechtlichen Rechtsformen kann aus den jüngsten Entwicklungen innerhalb der Mitgliedschaft des VKU aber nicht herausgelesen werden. Vielmehr muss berücksichtigt werden, dass viele Neumitglieder des VKU öffentlich-rechtlich organisiert sind.
22 Vgl. hierzu Süß, BayVBl. 1986, 257 und Zugmaier, BayVBl. 2001, 233 (234). 23 Zitiert nach Ade, S. 20; siehe auch den statistischen Überblick über die Entwicklung der Rechtsformen seit 1952 bei Cronauge/Westermann, S. 40. 24 Will, VerwArch 94 (2003), 248; Schmidt, ZGR 1996, 345 (348) spricht davon, dass der „Trend zur Privatisierung“ ungebrochen sei.
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Weitere Vorgaben finden sich in den gemeinderechtlichen Bestimmungen 15 für die Wahl zwischen unterschiedlichen privatrechtlichen Rechtsformen. Zu nennen ist beispielsweise § 103 Abs. 2 GemO BW. Nach dieser Bestimmung darf eine Gemeinde ein Unternehmen in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft nur errichten, übernehmen oder sich daran beteiligen, wenn der öffentliche Zweck des Unternehmens nicht ebenso gut in einer anderen Rechtsform erfüllt wird oder erfüllt werden kann25 (Nachweise zu entsprechenden Bestimmungen in anderen Gemeindeordnungen bei § 8 Rz. 24, 25 Fn. 19 u. 20). Der Sinn einer solchen Subsidiaritätsklausel in Bezug auf die Wahl zwischen verschiedenen privatrechtlichen gesellschaftsrechtlichen Formen liegt darin, die Entscheidung für eine Aktiengesellschaft nur in Ausnahmefällen zuzulassen, da diese Rechtsform kommunale Einwirkungsmöglichkeiten zugunsten einer möglichst weitgehenden Unabhängigkeit des Unternehmens zurückstellt (dazu näher unten Rz. 41, 53 ff.). Noch restriktiver ist z.B. die Regelung in § 68 Abs. 4 Satz 2 der Kommunalverfassung für das Land MecklenburgVorpommern, die die Errichtung von Aktiengesellschaften gänzlich untersagt. Eine weitere Einschränkung der Wahl von Rechtsformen des Privatrechts 16 erfolgt durch Vorgaben des Gemeinderechts, nach denen die Haftung der Gemeinden auf einen bestimmten Betrag begrenzt werden muss, wie z.B. § 103 Abs. 1 Nr. 4 GemO BW und Art. 92 Abs. 1 Nr. 3 BayGO. Aus diesen Bestimmungen ergibt sich daher für Gemeinden das Verbot, sich als Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft, einer OHG oder als persönlich haftender Gesellschafter einer KG bzw. als Mitglied eines nicht rechtsfähigen Vereins wirtschaftlich zu betätigen26. Die geforderten Haftungsbeschränkungen werden insbesondere von der Rechtsform der GmbH und der AG erfüllt. Neben diesen Rechtsformen kommen noch die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaft mit beschränkter Haftung gem. § 1 des Genossenschaftsgesetzes und die GmbH & Co. KG in Betracht, letztere allerdings nur soweit im konkreten Fall die Haftung der Gemeinde begrenzt wird27.
C. Konfligierende Ziele bei der Rechtsformwahl Bereits in der Vorbemerkung wurde der Trend zu privatrechtlichen Unter- 17 nehmensformen angesprochen, der durch die Zahlen zur Organisation der Mitgliedsunternehmen des VKU bestätigt wird. Besondere Überzeugungskraft bei der Rechtsformwahl kommt angesichts des aktuellen ge25 Zur Thematik auch Held, NWVBl. 2000, 201 (204). 26 Vgl. Kunze/Bronner/Katz, Gemeindeordnung für Baden-Württemberg, § 103 Rz. 28 und Cronauge/Westermann, S. 77. 27 Neutz, Kommunalrechtliche Rahmenbedingungen, in Wurzel/Schraml/Becker, Rechtspraxis der kommunalen Unternehmen Rz. 196. Uechtritz/Reck
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sellschaftlichen Umfelds dem Argument der höheren Effizienz der Wirtschaftsführung des privatrechtlich organisierten Unternehmens zu, die aus der Möglichkeit resultiert, losgelöst von den „sachfremden“ Einwirkungen der Politik – konkret der Gemeindevertretungen – unternehmerische Entscheidungen treffen zu können. Gerade für solche kommunale Unternehmen, die sich im Wettbewerb mit privaten Anbietern behaupten müssen, wie z.B. die kommunalen Energieversorgungsunternehmen seit der Liberalisierung der Energiemärkte, kommt dem Kriterium der Effizienz der Wirtschaftsführung ein besonders hohes Gewicht zu28. Zu beachten bleibt aber, dass Unternehmen in privatrechtlicher Organisationsform nicht mehr den unmittelbaren Weisungen der Gemeindeorgane unterliegen und nicht mehr auf „Zuruf“ gelenkt werden können. Gemeinden müssen vielmehr ihre Kontroll- und Mitspracherechte in den Aufsichtsgremien ihres privatrechtlich organisierten Unternehmens unter Beachtung gesellschaftsrechtlicher Vorgaben wahrnehmen. Einflussnahmen der Gemeinden auf ihre Unternehmen in Privatrechtsform werden daher in der Praxis häufig als schwieriger empfunden als bei öffentlich-rechtlich strukturierten Unternehmen29. 18 Die Unabhängigkeit und Flexibilität der privatrechtlich organisierten Unternehmen haben jedoch – wie beschrieben – eine Begrenzung der unmittelbaren Einflussmöglichkeit der demokratisch legitimierten kommunalen Vertretungsorgane auf die Unternehmensleitung zur Folge. Teilweise wird die Unterbindung politischer Einflussnahmen auf wirtschaftliche Entscheidungen auch als demokratisch bedenkliche Reduktion der Effizienz politisch-demokratischer Steuerung und Kontrolle gesehen30. Die Kommune muss daher bei ihrer Entscheidung für eine öffentlich-rechtliche oder eine privatrechtliche Rechtsform die Gebote der demokratischen Legitimation und Effizienz der unternehmerischen Entscheidun28 Pitschas/Schoppa, Kriterien für die Wahl der Rechtsform, Rz. 10. 29 Vgl. Schoch, DÖV 1993, 377 (382); Schulz, BayVBl. 1996, 97 (101); Ehlers, Das selbständige Kommunalunternehmen des öffentlichen Rechts, in Henneke (Hrsg.), Kommunale Aufgabenerfüllung in Anstaltsform, S. 50; Ade, S. 20 f. und Hauser, S. 30; siehe aber auch Gersdorf, Öffentliche Unternehmen im Spannungsfeld zwischen Demokratie- und Wirtschaftlichkeitsprinzip, S. 333 f., der darauf hinweist, das vielfach beklagte Steuerungsdefizit staatlicher oder kommunaler öffentlicher Unternehmen in Privatrechtsform sei keinesfalls in den gesellschaftsrechtlichen Vorgaben selbst angelegt. Vielmehr werde von der Vielfalt der zur Verfügung stehenden Steuerungsmöglichkeiten häufig mit Bedacht kein Gebrauch gemacht, um nicht durch „Gängelei“ der Unternehmensorgane eine effiziente Aufgabenerfüllung zu behindern und damit den mit der Organisationsprivatisierung intendierten Zweck letztlich zu vereiteln. 30 Zur Frage, welche Anforderungen insoweit im Hinblick auf das Demokratieprinzip bestehen, Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 136 f.; Kirchhof in Henneke, Kommunale Aufgabenerfüllung in Anstaltsform, S. 31, 38 ff. und Ewer, in: 16. Deutscher Verwaltungsgerichtstag 2010, S. 197, 213 ff. und grundlegend Gersdorf, S. 222 ff.; zum Erfordernis einer organisatorisch-personellen demokratischen Legitimation in privatrechtlich organisierten Unternehmen überzeugend Mann, Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft, S. 254 ff.
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gen abwägen und angemessen berücksichtigen31 (näher hierzu oben § 7 Rz. 5 f. m.w.N.). Die Notwendigkeit, den scheinbar gegensätzlichen Geboten der demo- 19 kratischen Legitimation und der Effizienz der unternehmerischen Entscheidungen bei der Rechtsformwahl gleichermaßen nachzukommen, führt letztendlich aber nicht zu einem nicht aufzulösenden Spannungsfeld. Dementsprechend fordert z.B. die Vorgabe zu den Wirtschaftsgrundsätzen in § 109 GO NW einerseits eine hinreichende Kontrolle des Unternehmens und andererseits die Erzielung eines angemessenen Gewinns. Deutlich wird somit, dass die Kommune bei der Rechtsformwahl nicht ausschließlich auf Zweckmäßigkeitserwägungen abstellen kann und dass auch in Zeiten kommunaler Finanzknappheit und zunehmenden Wettbewerbs zwischen kommunalen und privaten Unternehmen ein Maximum an Flexibilität und Gewinnstreben für die Kommunalwirtschaft kein Ziel sein kann32. Betont werden muss aber auch, dass es kommunalen Unternehmen 20 durchaus gestattet ist, bei ihrer Tätigkeit eine gewisse Gewinnorientierung zu verfolgen, und dass sie zur Beachtung der Grundsätze der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit verpflichtet sind. Die Gemeindeordnungen erfordern für die wirtschaftliche Betätigung der Kommunen jedoch zusätzlich einen über die Gewinnerzielung hinausgehenden unmittelbaren öffentlichen Zweck33 (oben § 6 Rz. 49 ff.). Für wirtschaftliche Betätigungen im Bereich der Energieversorgung, bei der es sich um ein elementares Grundbedürfnis der Bevölkerung handelt, nehmen § 107a Abs. 1 der GO NW und § 68 Abs. 2 Satz 3 der KV MV stets einen öffentlichen Zweck an. Damit haben diese Länder auf die neuen wettbewerblichen Vorgaben im Energiebereich reagiert und überkommene ordnungspolitische Hürden abgeschafft. Die Möglichkeit einer Kommune, ihre Aufgabe durch privatrechtlich or- 21 ganisierte Unternehmen erfüllen zu lassen, bringt es mit sich, dass diese Unternehmen selbstständig auftreten. Selbstständige kommunale Unternehmen gehören mittlerweile zum Bild der kommunalen Selbstverwaltung im Sinne des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG34. Aus den weiteren Vorschriften des Grundgesetzes lassen sich keine Argumente ableiten, die einer 31 Hierzu Schön, ZGR 1996, 429 (430) und Wahl, Organisation kommunaler Aufgabenerfüllung im Spannungsfeld von Demokratie und Effizienz, in Henneke, Organisation, S. 19, 29 ff. 32 Schmidt-Aßmann, Öffentliche Anstalten zwischen Trägerbindung und Marktfreiheit, S. 203, in Henneke, Kommunale Aufgabenerfüllung in Anstaltsform; siehe auch Ehlers, DVBl 1998, 497 (498 f.); Papier, DVBl 2003, 686, 689 und Mann, Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft, S. 96. 33 Vgl. hierzu nur Britz, NVwZ 2001, 380 (383); Ehlers, DVBl 1998, 497 (499); Reck, DVBl 2009, 1546 (1549). 34 Kritisch: Schoch, DÖV 1993, 377; Ade, S. 21 f.; zur Einwirkungspflicht im Hinblick auf das Demokratieprinzip Gersdorf, S. 166 ff. Uechtritz/Reck
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Wahl privatrechtlicher Rechtsformen bei kommunalen Unternehmen entgegenstehen könnten. 22 Im Ergebnis muss eine Kommune in jedem Einzelfall im Rahmen der Rechtsformwahl bzw. bei der konkreten Ausgestaltung der gewählten Rechtsform eine Abwägungsentscheidung treffen. Bei der Wahl der Rechtsform bzw. bei der konkreten Ausgestaltung der gewählten Rechtsform muss einerseits das jeweilige Unternehmen instandgesetzt werden, sich (soweit erforderlich) auf einem Wettbewerbsmarkt behaupten zu können; andererseits geht es um die Wahrung des Einflusses durch die demokratisch legitimierten gemeindlichen Vertretungskörperschaften auf das Unternehmen, um die Wahrnehmung des öffentlichen Zwecks als Voraussetzung und Legitimierung der kommunalen wirtschaftlichen Tätigkeit zu sichern und andererseits der „Aushöhlung“ des bürgerlichen Elements der kommunalen Selbstverwaltung entgegenzusteuern. Im Einzelfall dürfte die Abwägung leichter fallen als in der Theorie, da sich in der Praxis die Bedürfnisse nach effizientem Wirtschaften und Unabhängigkeit der Unternehmensleitung, die je nach der Wettbewerbssituation, in der sich das Unternehmen befindet, unterschiedlich ausfallen, aber auch die Möglichkeiten einer kommunalen Steuerung und deren Zweckmäßigkeit deutlicher abzeichnen werden und damit gewisse Rahmenbedingungen vorgeben.
D. Einzelne Kriterien I. Allgemeines 23 Wie ausgeführt können die Kommunen grundsätzlich frei wählen, in welcher Organisationsform die gemeindlichen Unternehmen betrieben werden sollen. Im Folgenden werden diejenigen Betriebsformen, die in der Praxis den mit Abstand größten Teil kommunaler Unternehmen ausmachen, anhand der einzelnen Kriterien geprüft. Es sind dies: 1. Öffentlich-rechtliche Organisationsformen 24 – der Regiebetrieb (zu dessen Kennzeichnung oben § 7 Rz. 22 ff.) – der Eigenbetrieb (zu dessen Kennzeichnung oben § 7 Rz. 32 ff.) – die rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts (Kommunalunternehmen) (dazu oben § 7 Rz. 63 ff.) und – der kommunale Zweckverband (oben § 7 Rz. 144 ff.)
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D. Einzelne Kriterien
2. Privatrechtliche Organisationsformen 25
– die Aktiengesellschaft (oben § 7 Rz. 107 ff.) – die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (oben § 7 Rz. 114 ff.)
II. „Flexibilität“ Das wohl am häufigsten genannte Kriterium bei der Wahl der Organisati- 26 onsform kommunaler Unternehmen ist das der „Flexibilität“. Hierunter werden allerdings unterschiedliche Gesichtspunkte verstanden. Teilweise wird allgemein gefragt, welche Rechtsform die größere „Flexibilität“ im Hinblick auf Gründung und Auflösung, Dienst- und Besoldungsrecht, Haushaltsgebaren etc. bietet35. Teilweise findet sich ein engeres Verständnis des Entscheidungskriteriums „Flexibilität“. Gefragt wird, welche Rechtsform der Gemeinde den größten Spielraum bei der Ausgestaltung der internen Unternehmensorganisation gibt. Eng verbunden damit ist die Frage, inwieweit dem Unternehmen selbst „flexibles“ wirtschaftlich orientiertes Handeln ermöglicht werden kann36. 1. Flexibilität bei der Ausgestaltung der Organisationsform a) Öffentlich-rechtliche Organisationsformen Der Regiebetrieb ist Teil der allgemeinen Kommunalverwaltung ohne 27 rechtliche bzw. leitungs- und haushaltsmäßige Verselbstständigung. Aufgrund der Eingliederung in die allgemeine Verwaltung ist dessen Binnenstruktur entsprechend dem allgemeinen hierarchischen Verwaltungsaufbau weitgehend festgelegt. Sein Organisationsgefüge wird daher als „starr“ bezeichnet37. Im Hinblick auf die Eingliederung des Regiebetriebs in die allgemeine Kommunalverwaltung wird dieser im Schrifttum teilweise gerade nicht als eigenständige Unternehmensform, sondern als Alternative zur Unternehmensgründung angesehen38 (näher zur Charakterisierung des Regiebetriebes oben § 7 Rz. 22 ff.). Ein größerer Spielraum besteht bei der Organisation des kommunalen Ei- 28 genbetriebes. Im Schrifttum wird der Eigenbetrieb nicht selten als „Kom-
35 So etwa Erbguth/Stollmann, DÖV 1993, 798 (802 ff.). 36 In diesem Sinne Gaß, S. 58 ff.; ähnlich Ade, S. 39 „Flexibilität der Organisationsform“; der Sache nach auch Hauser, der das Kriterium der Flexibilisierung des Verwaltungshandelns unter dem Stichwort „rechtliche Stellung der Führungs- und Leitungsorgane“ untersucht, a.a.O., S. 33 f. 37 Gaß, S. 59 f. 38 Brüning, Regie- und Eigenbetriebe in Mann/Püttner, Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Band 2, Rz. 2; Cronauge/Westermann, Rz. 30 ff.; auch bei Ade, wird der Regiebetrieb nicht als in Betracht kommende Rechtsform für kommunale Unternehmen geprüft. Uechtritz/Reck
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promiss“ zwischen der als notwendig erachteten kommunalen Einflussnahme und Kontrolle sowie dem Streben nach einer wirtschaftlich orientierten Unternehmensführung gewertet39. Das Recht der Eigenbetriebe war ursprünglich im Wesentlichen durch die Eigenbetriebsverordnung von 1938 bundeseinheitlich geregelt. Inzwischen gibt es aber durch landesrechtliche Änderungen erhebliche Unterschiede von Bundesland zu Bundesland40 (näher hierzu oben § 7 Rz. 36 ff.). 29 Dem Eigenbetrieb fehlt die rechtliche Selbstständigkeit. Er besitzt aber organisatorische Autonomie. Seine Organe, die Werkleitung und der Werkausschuss, leiten den Eigenbetrieb grundsätzlich eigenverantwortlich. Die Ingerenz kommunaler Organe, speziell das Weisungsrecht des Bürgermeisters, ist eingeschränkt41. 30 Die Errichtung eines Eigenbetriebs setzt den Erlass einer Betriebssatzung voraus. Hinsichtlich der Verteilung der Kompetenzen auf Werkleitung und Werkausschuss (und die Gemeindeorgane Gemeinderat und Bürgermeister) besteht für die Kommune ein gewisser Gestaltungsraum über die Betriebssatzung42. 31 Bedingt durch den „Kompromisscharakter“ des Eigenbetriebs zwischen Wahrung der Einheitlichkeit der Verwaltung und wirtschaftlicher Autonomie fällt das Urteil über dessen grundsätzliche Tauglichkeit zur Führung wirtschaftlicher Unternehmen unterschiedlich aus. Teilweise wird betont, die Verteilung der Kompetenzen auf Werkleitung, Werkausschuss, Gemeinderat und Bürgermeister berge „ein hohes Potenzial für politisch bedingte Kompetenzkonflikte, die zu unnötigen Kosten steigernden Reibungsverlusten führen und eine flexible Geschäftsführung erheblich erschweren könnten“43. Teilweise wird der Eigenbetrieb demgegenüber als für die wirtschaftliche Betätigung der Kommunen „besonders sinnvolle und maßgeschneiderte“ Lösung charakterisiert, die einerseits eine Unternehmensführung nach kaufmännischen Gesichtspunkten ermögliche, andererseits aber durch die enge Verbindung zwischen Eigenbetrieb, Verwaltung und Rat die Einheit der Kommunalverwaltung nicht infrage stelle44. 32 Speziell im Hinblick auf das hier geprüfte Kriterium der Flexibilität der Organisationsform im Sinne von Gestaltungsbefugnissen der Kommune 39 So z.B. Süß, BayVBl. 1986, 257 (258) und Cronauge/Westermann, Rz. 141. 40 Zur Entwicklung des Eigenbetriebsrechts Zeiß, Das Recht der gemeindlichen Eigenbetriebe, S. 1 ff. 41 Siehe hierzu den Überblick bei Ade, S. 41 ff. und umfassend Zeiß, S. 44 ff.; Mann, Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft, S. 123 f. hält grundsätzlich beim Eigenbetrieb die verfassungsrechtlich geforderte Ingerenz der kommunalen Organe als gewahrt an. 42 Zum Spielraum für die Gestaltung der Betriebssatzung eines Eigenbetriebs vgl. Klein/Uckel/Ibler, 42.20, Erl. 1 und Zeiß, S. 49 ff. 43 Gaß, S. 63 m.w.N. 44 Siehe z.B. die positive Bewertung von Altenmüller, VBlBW 1984, 61 (62).
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ist aber hervorzuheben, dass auch diejenigen, die die Organisationsform des Eigenbetriebs eher kritisch bewerten, einräumen, dass den Gemeinden in erheblichem Umfang Gestaltungsmöglichkeiten verbleiben, die eine klare Kompetenzverteilung und eine möglichst weit gehende Trennung von Unternehmensleitung und Unternehmenskontrolle ermöglichen – und damit auch die vielfach gewünschte Flexibilität des Handelns der Leitungsorgane45. Einhellig positiv im Hinblick auf das Kriterium „flexible Ausgestaltungs- 33 möglichkeiten der Organisationsform“ wird das rechtlich selbständige Kommunalunternehmen beurteilt, das auch als Anstalt des öffentlichen Rechts oder als kommunale Anstalt bezeichnet wird46. Der Gesetzgeber hat in den Bundesländern, die diese Rechtsform kennen, den Kommunen einen gesetzlichen Rahmen zur Verfügung gestellt, innerhalb dessen sie erhebliche Gestaltungsfreiheit bei der Ausgestaltung der Unternehmenssatzung besitzen47. Konstatiert wird, diese Organisationsform eröffne die Möglichkeit, eine selbständige Organisationseinheit „mit maßgeschneidertem Aufbau und Verfahren und genau dosiertem staatlichem Einfluss“ zu schaffen48. Von allen öffentlich-rechtlichen Organisationsformen ist der Gestaltungsspielraum der Kommunen in Bezug auf die Ausgestaltung der Organisation beim rechtlich selbständigen Kommunalunternehmen in Form einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts zweifelsfrei am größten. Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass die Kommunen ein derartiges Unternehmen nur dann gründen bzw. bestehende Unternehmen nur dann in diese Rechtsform umwandeln können, wenn die jeweils einschlägige Gemeindeordnung diese Möglichkeit ausdrücklich eröffnet, wie dies etwa in Bayern und Nordrhein-Westfalen der Fall ist. In den Bundesländern, deren Gemeindeordnungen die Unternehmensform „rechtlich selbständige Anstalt des öffentlichen Rechts“ nicht kennen, können die Gemeinden diese Rechtsform nicht in ihre Überlegungen zur Wahl der richtigen Unternehmensform einbeziehen. b) Privatrechtliche Organisationsformen Gerade in Bezug auf die Unternehmensorganisation wird oft argumentiert, die kommunalen Entscheidungs- und Gestaltungsbefugnisse seien
45 Gaß, S. 63; hierzu auch Schulz, BayVBl. 1996, 129 (132); vgl. auch Erbguth/ Stollmann, DÖV 1993, 798 (806), die auf die häufige Parallelität zwischen der Ausgestaltung der Geschäftsordnung eines Eigenbetriebs und den Inhalt von GmbH-Verträgen verweisen. 46 Zu dieser Rechtsform Mann, NVwZ 1996, 557; Thode/Peres, BayVBl. 1999, 6 ff. und Ehlers in Henneke, Kommunale Aufgabenerfüllung in Anstaltsform, S. 47 ff.; eine rechtliche Grundlage hierfür findet sich z.B. in Art. 89 Abs. 1 BayGO und in Art. 114a GO NW; siehe auch die Auflistung der Vorteile bei Cronauge/Westermann, Rz. 179. 47 Mann, NVwZ 1996, 557 (558). 48 Thode/Peres, BayVBl. 1999, 6 (7). Uechtritz/Reck
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bei privatrechtlich organisierten Unternehmen generell größer als dies bei der Wahl einer öffentlich-rechtlichen Rechtsform der Fall wäre49. Diese Aussage trifft nur auf die Rechtsform der GmbH zu. Hier ermöglichen die gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen einen weitgehenden Gestaltungsspielraum. Das GmbH-Gesetz enthält nur wenige zwingende Vorschriften für die Gestaltung des GmbH-Vertrages. Obligatorisch sind lediglich zwei Organe: Die Geschäftsführung und die Gesamtheit der Gesellschafter. Ob und in welchem Umfang der Gesellschaftervertrag dem oder den Geschäftsführer(n) Entscheidungsbefugnisse einräumt oder diese der Gesellschafterversammlung als oberstem Organ der GmbH vorbehält, steht weitgehend zur Disposition der gesellschaftsvertraglichen Gestaltung. Denkbar ist also die Stärkung der unternehmerischen Aufgabenerfüllung durch Zurückdrängung der Ingerenzmöglichkeiten der kommunalen Entscheidungsorgane über die Gesellschafterversammlung. Umgekehrt besteht aber auch die Möglichkeit, den autonomen Entscheidungsspielraum der Unternehmensleitung durch Festlegung weit reichender Ingerenzrechte der Gesellschafterversammlung zu beschneiden50. 35 Anders stellt sich die Situation bei der Aktiengesellschaft dar. Die gesellschaftsrechtlichen Regelungen des Aktiengesetzes enthalten in großem Umfang zwingende Vorgaben, die nicht zur Disposition des Satzungsgebers der AG stehen. Insbesondere kommt dem Vorstand der AG zwingend eine autonome Stellung zu. Dieser leitet das Unternehmen eigenverantwortlich. Er ist ausschließlich dem Wohl der Gesellschaft verpflichtet. Die Gemeinde als Anteilseigner hat daher grundsätzlich nicht die Möglichkeit zur Stärkung ihrer Einwirkung auf das kommunale Unternehmen eine Kompetenzverlagerung auf den Aufsichtsrat vorzunehmen51. Die Aktiengesellschaft ist von ihrer rechtlichen Grundstruktur her nicht auf die Berücksichtigung individueller Bedürfnisse der Unternehmensträger (beim kommunalen Unternehmen also auf die Kommune), sondern auf eine Vielzahl von Teilhabern (Aktionäre) und daher
49 Altenmüller, VBlBW 1984, 61. 50 Vgl. nur Ade, S. 55 f. und Klein/Uckel/Ibler, Kommunen als Unternehmer, Teil 5, 53.10. Den großen Gestaltungsspielraum der Kommune bei der Wahl der Rechtsform einer GmbH betonen auch Wurzel/Schraml, Entscheidungskriterien für die Wahl einer Rechtsform, in: Wurzel/Schraml/Becker, Rechtspraxis der kommunalen Unternehmen Rz. 19; Gersdorf, S. 333, betont, das GmbHRecht öffne der öffentlichen Hand prinzipiell genügend Handlungsspielräume, um ihrer verfassungsrechtlichen Verpflichtung zur umfassenden Einwirkung auf die Gesellschaften nachkommen zu können; zu beachten bleibt, dass das jeweils einschlägige Kommunalrecht Vorgaben enthalten kann zur Wahrung der Steuerungs- und Kontrollrechte der kommunalen Anteilseigner und hierdurch die Gestaltungsmöglichkeiten begrenzt sein können; hierzu z.B. Sollondz, LKV 2003, 297, 299 in Bezug auf die Regelungen der SächsGemO. 51 Cronauge/Westermann, Rz. 221.
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eher für wirtschaftliche Unternehmen größeren Umfangs angelegt52. Eine „maßgeschneiderte“ Unternehmensverfassung, die in Bezug auf die spezifische Aufgabenstellung des Unternehmens auf den Einzelfall angepasste Einwirkungsmöglichkeiten der kommunalen Vertretungsorgane auf die Unternehmensleitung ermöglicht, gibt es also nur bei der Rechtsform der GmbH, nicht im Fall einer AG. Dennoch bietet die Tatsache, dass bei der AG nicht alle Regelungen zur Disposition der Unternehmensträger gestellt werden, den Unternehmensträgern auch Vorteile, die sich insbesondere in wettbewerbssensiblen Bereichen auswirken. So weist das Aktiengesetz dem Vorstand, dem Aufsichtsrat und der Hauptversammlung klare Aufgaben und Verantwortungsbereiche zu, vermeidet externe Einflussnahmen und ordnet eindeutige Transparenz- und Compliance-Vorgaben an. 2. Flexibilität des Handelns der Unternehmensleitung Im Ausgangspunkt besteht Einigkeit, dass die Stellung der Führungs- und 36 Leitungsorgane eines Unternehmens für dessen wirtschaftlichen Erfolg von besonderer Bedeutung sind53. Dabei wird die Notwendigkeit einer klaren Kompetenzabgrenzung im Sinne der Trennung zwischen Verantwortung der Unternehmensleitung für die laufenden Geschäfte auf der einen Seite sowie der Übernahme von Kontrollfunktionen durch Vertreter der Kommune in entsprechenden Organen auf der anderen Seite zu Recht betont. Dazu gehört auch eine hinreichende Autonomie der Leitungsebene, um mittels eigener Sachkunde effiziente und marktorientierte Entscheidungen zu ermöglichen54. Prüft man die einzelnen Organisationsformen kommunaler Unternehmen anhand dieses Kriteriums, so gilt: a) Öffentlich-rechtliche Organisationsformen Beim Regiebetrieb fehlt jedwede Selbstständigkeit und Unabhängigkeit der Leitungsebene. Insoweit dürfte diese Organisationsform regelmäßig nur für den Betrieb nicht wirtschaftlicher Einrichtungen der Kommunen in Betracht kommen (vgl. oben § 7 Rz. 25, 27).
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Beim Eigenbetrieb regelt demgegenüber die Werkleitung selbständig die 38 laufenden Geschäfte. Angelegenheiten, die über die laufenden Geschäfte hinausgehen, obliegen dagegen dem Werkausschuss. Darüber hinaus werden grundsätzliche Führungsaufgaben auch vom Gemeinderat wahrgenommen55. Da wesentliche Entscheidungen wie Erlass und Änderung der Betriebssatzung, Beschlussfassung über den Wirtschaftsplan, die Höhe der Tarife und die Festsetzung allgemeiner Lieferbedingungen dem 52 Wurzel/Schraml, Entscheidungskriterien für die Wahl einer Rechtsform, in: Wurzel/Schraml/Becker, Rechtspraxis der kommunalen Unternehmen Rz. 18. 53 Hauser, S. 33; Gaß, S. 61 f. 54 Klein/Uckel/Ibler, Kommunen als Unternehmer, 23.00 Nr. 2.2.2. 55 Näher Hauser, S. 35 f. Uechtritz/Reck
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Gemeinderat bzw. dem Werkausschuss vorbehalten sind, ist die Werkleitung auch als nur „verlängerter Arm der Gemeindevertretung“ charakterisiert worden56. 39 Stellt man die Frage, ob den Führungskräften beim Eigenbetrieb typischerweise eine echte persönliche Gesamtverantwortung für den Betrieb zukommt, ist gerade in Bezug auf Eigenbetriebe das Defizit einer durchgehenden klaren Kompetenzverteilung zwischen Leitungs- und Überwachungsorganen zu konstatieren57, da dem Werkausschuss zugleich Führungs- und Kontrollfunktionen obliegen58. Im Ergebnis wird daher die Tauglichkeit der Rechtsform des Eigenbetriebs im Hinblick auf Selbstständigkeit, Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Leitungskräfte überwiegend kritisch eingeschätzt59. 40 Durchgängig positiv fällt demgegenüber die Bewertung des Kommunalunternehmens als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts aus60. Um eine Unternehmensform zu schaffen, die der Unternehmensleitung ein höheres Maß an Flexibilität einräumt, als dies bei Eigenbetrieben typischerweise gewährleistet ist, wurde dem Kommunalunternehmen eine Vorstandsverfassung gegeben, die sich an Vorbildern im Gesellschaftsund Sparkassenrecht anlehnt und eine zweigliedrige Struktur aufweist. Die Kompetenzen sind zwischen dem Vorstand und dem Verwaltungsrat geteilt. Dem Vorstand stehen die wesentlichen Leitungsfunktionen zu, während der Verwaltungsrat die Funktion eines Überwachungsorgans hat, darüber hinaus aber auch über einzelne Entscheidungsbefugnisse verfügt61. Folgerichtig werden daher die klare Kompetenzabgrenzung beim Kommunalunternehmen und die autonome Stellung sowie die weit reichenden Entscheidungsbefugnisse des Vorstandes hervorgehoben62. Diese Rechtsform entspricht also in hohem Maß dem Kriterium des flexiblen Handelns der Unternehmensleitung.
56 Hauser, S. 37; zur Stärkung der Betriebsleitung in der geänderten nordrheinwestfälischen Eigenbetriebsverordnung Müller, DVP 2006, 185 ff. 57 Dies wird dann evident, wenn eine Personalunion zwischen Hauptgemeindebeamten und Werkleiter gegeben ist; siehe hierzu und den insoweit teilweise bestehenden landesrechtlichen Einschränkungen Cronauge/Westermann, Kommunale Unternehmen, Rz. 146. 58 Klein/Uckel/Ibler, 23.00 Nr. 2.2.3. 59 Hauser, S. 36 f.; Klein/Uckel/Ibler, 23.00 Nr. 2.2.3 und Gaß, S. 63; allerdings bedarf es insoweit einer differenzierenden Betrachtung der jeweiligen landesrechtlichen Regelungen. 60 Mann, NVwZ 1996, 557; Thode/Peres, BayVBl. 1999, 6; Neusinger/Lindt, BayVBl. 2002, 689 und Fabry, Organisationsformen öffentlicher Unternehmen, in: Fabry/Austen, Unternehmen der öffentlichen Hand, S. 41 ff. 61 Näher hierzu Mann, NVwZ 1996, 557 (558) und Neusinger/Lindt, BayVBl. 2002, 689 (692). 62 Gaß, S. 63 f.
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b) Privatrechtliche Organisationsformen Bei den privatrechtlichen Organisationsformen gewährleistet die Aktien- 41 gesellschaft eindeutig das größte Ausmaß an Selbstständigkeit, Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Leitungskräfte. Sie steht im Hinblick auf die in Betracht kommenden Rechtsformen insoweit am „oberen Ende auf der Skala der Autonomie“63. Das Aktiengesetz schreibt für die Aktiengesellschaft zwingend eine zweigliedrige Vorstandsverfassung vor und räumt dem Vorstand eine starke und unabhängige Stellung ein. Der Aufsichtsrat ist auf Kontroll- und Beratungsfunktionen beschränkt. Die Hauptversammlung hat nur Entscheidungsbefugnisse hinsichtlich der Grundlagen der Gesellschaft und der Bestellung des Aufsichtsrates. Entsprechend diesen gesetzlichen Vorgaben gewährleistet diese Rechtsform der Unternehmensleitung ein hohes Maß an unternehmerischer Freiheit. Demgegenüber steht die Reduzierung der Einflussmöglichkeiten des Unternehmensträgers, also der Gemeinde, die sich im Wesentlichen auf die Wahrnehmung ihrer Verantwortung im Aufsichtsrat beschränkt64. Anders stellt sich die Rechtslage bei der GmbH dar. Sie entspricht weit 42 gehend derjenigen beim Kommunalunternehmen65. Auch hier besteht grundsätzlich die Möglichkeit, den Gesellschaftsvertrag der GmbH so zu gestalten, dass eine effektive Trennung zwischen Führungs- und Kontrollfunktionen gewährleistet und folglich die Autonomie und Flexibilität der Führungskräfte gewahrt ist. Da die gesetzlichen Vorgaben des GmbH-Rechts weit gehend zur Disposition stehen, besitzt die Kommune hier – ebenso wie beim Kommunalunternehmen – einen hohen Spielraum, um das Maß der Autonomie der Führung des Unternehmens in der Weise auszugestalten, wie es im Hinblick auf die konkrete Aufgabenstellung des zu beurteilenden Unternehmens als sachgerecht angesehen wird.
III. Einwirkungsmöglichkeiten der Kommune 1. Ambivalenz des Kriteriums Das Kriterium „Einwirkungsmöglichkeiten der Kommune bei der 43 Rechtsformwahl“ besitzt regelmäßig prominente Bedeutung, da sowohl der Umfang wie auch die Instrumente der Einwirkungsmöglichkeiten
63 Gaß, S. 64. 64 Gaß, S 64 f.; tendenziell abweichend die Bewertung von Hauser, S. 39 f.; dessen Bewertung aber schwerlich zugestimmt werden kann; zur Reduktion des kommunalen Einflusses auf die AG siehe auch Cronauge/Westermann, Rz. 221; zu den Möglichkeiten, die kommunalen Steuerungsmöglichkeiten durch Abschluss eines Beherrschungsvertrages zu verbessern Gersdorf, S. 335 f. und – kritisch zu deren Möglichkeit Mann, Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft S. 214 ff. 65 Gaß, S. 64 und Klein/Uckel/Ibler, 23.00 Nr. 2.2.3. Uechtritz/Reck
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maßgeblich durch die Wahl der Rechtsform festgelegt werden. Je nach Rechtsform bestehen für die Kommune unterschiedliche Wege bei der Kontrolle ihres Unternehmens. Gerade bei kommunalen Unternehmen in privatrechtlicher Rechtsform wird häufig eine Tendenz zu mehr Unabhängigkeit konstatiert66 – nicht selten verbunden mit der Kritik, kommunale Unternehmen hätten den Hang zur Verselbständigung bzw. „einer Abkapselung“ gegenüber der allgemeinen Kommunalverwaltung. 44 Das Kriterium „Einwirkungsmöglichkeiten“ ist aber ambivalent – wie die zuvor gemachten Ausführungen zur „Flexibilität des Verwaltungshandelns“ deutlich machen. Ein „Mehr“ an Einwirkungs- bzw. Steuerungsmöglichkeit bedeutet zugleich ein „Weniger“ an Autonomie und Eigenständigkeit der Unternehmensleitung. 45 Je nach der Art des zu beurteilenden kommunalen Unternehmens kann eine effektive Kontrollmöglichkeit politisch in hohem Maße wünschenswert, ja geboten sein, speziell dort, wo die in Rede stehende Aufgabe evidente Auswirkungen auf die Wahrung des öffentlichen Interesses besitzt. Je höher die Bedeutung einer Aufgabe für die Bürger der Gemeinde ist, je mehr Eingriffe in deren Rechtssphäre damit verbunden sein können und je größer die Folgen eines möglichen Fehlverhaltens wären, desto gewichtiger sind die Gründe, die für das Vorhandensein effektiver Kontrollrechte sprechen67. Ebenso wird die Koordination zwischen den Versorgungsbetrieben und der übrigen Kommunalverwaltung als besonders wichtig angesehen, da Versorgungs-, Verkehrs-, Umwelt- und Stadtentwicklungsplanung aufeinander abgestimmt werden müssten68. Diese Erwägungen sprechen zunächst für solche Rechtsformen, die den verantwortlichen Organen der Kommune effektive Kontrollmöglichkeiten einräumen. 46 Eine einseitige Orientierung an dieser Zielsetzung wäre indes verfehlt. Wie bereits ausgeführt, kollidiert das Ziel einer möglichst umfassenden und effektiven Steuerung des gemeindlichen Unternehmens durch die kommunalen Organe mit der ebenfalls außerordentlich wichtigen Zielvorgabe des kommunalen Trägers, der Unternehmensleitung die notwendige Unabhängigkeit einzuräumen und so eine an wirtschaftlichen Grundsätzen ausgerichtete Unternehmensführung zu gewährleisten. Insbesondere in Wettbewerbsbereichen, in denen eine ständige Neuausrichtung des Unternehmens anhand der Marktgegebenheiten erfolgen muss, wird sich ein Unternehmen nur dann behaupten können, wenn die Unternehmensleitung rasch und flexibel eigenständige Entscheidungen treffen kann. Bei einer möglichst weit reichenden, strikten Steuerung des
66 Schulz, BayVBl. 1996, 97 (101) und Gaß, S. 30. 67 Müller, Rechtsformwahl bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben, S. 343; Ade, S. 40; die Prägung der Ausgestaltung der Organisation durch Art und Inhalt der Aufgabe betont (mit Blick auf den ÖPNV) auch Finkenbeiner, Öffentlicher Personenverkehr, in Henneke, Organisation, S. 83. 68 Hauser, S. 65.
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Unternehmens wäre ein marktgerechtes Verhalten des Unternehmens jedoch nicht zu erwarten. Effektive Kontrolle durch die kommunalen Gremien kann sich somit als „politische Gängelung“ auch zum Schaden des Unternehmens auswirken. Auch insoweit wird das Spannungsverhältnis deutlich, das zwischen den widerstreitenden Zielen einer effektiven Einwirkungsmöglichkeit der kommunalen Gremien einerseits und der effizienten, flexiblen und unabhängigen Unternehmensführung andererseits besteht. 2. Öffentlich-rechtliche Organisationsformen Im Grundsatz besteht Einigkeit, dass die Einwirkungsmöglichkeiten der 47 kommunalen Organe bei Unternehmen in öffentlich-rechtlicher Rechtsform grundsätzlich größer sind als bei Unternehmen in Privatrechtsform. In Bezug auf den Regiebetrieb ist diese Feststellung evident, da dieser Teil der allgemeinen Kommunalverwaltung ist und praktisch keinerlei Autonomie besitzt. Demgegenüber kommt dem Eigenbetrieb grundsätzlich organisatorische Selbstständigkeit zu. Je nach der konkreten Ausgestaltung besitzen die Organe des Eigenbetriebs mehr oder minder weitreichende Kompetenzen, die sie in die Lage versetzen, den Eigenbetrieb eigenverantwortlich zu leiten. Ungeachtet dieser organisatorischen Verselbständigung besteht aber weitgehend Übereinstimmung in der Einschätzung, dass die kommunale Gebietskörperschaft bei einem Eigenbetrieb wegen dessen Anbindung an die Kommunalverwaltung einen erheblichen Einfluss besitzt. Zu dessen Organen zählen eben nicht nur die Werkleitung und der Werkausschuss, sondern auch der Hauptverwaltungsbeamte bzw. Bürgermeister und das kommunale Vertretungsorgan. Die zentralen Entscheidungen (etwa die Bestimmung des Werkleiters und die Feststellung und Änderung des Wirtschaftsplans) obliegen nicht den „autonomen“ Organen „Werkleitung“ oder dem „Werkausschuss“, sondern den kommunalen Gremien, die grundsätzlich für alle Angelegenheiten des Eigenbetriebs zuständig sind, die das Grundverhältnis zwischen Kommune und Betrieb gestalten. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, Entscheidungen hinsichtlich solcher Angelegenheiten, über die regelmäßig der Werkausschuss befindet, im Einzelfall an sich zu ziehen. Zutreffend ist daher konstatiert worden, dass der Eigenbetrieb die Möglichkeit bietet, die Unternehmensziele jederzeit mit den allgemeinen kommunalpolitischen Zielen abzustimmen69. Im Hinblick auf die vorstehend erörterten konfligierenden Belange zwi- 48 schen effektiver Einflussnahme durch die kommunalen Organe einerseits und Autonomie der Unternehmensführung andererseits stellt sich beim Eigenbetrieb regelmäßig nicht das Problem der zu schwach ausgestalteten Einwirkungsmöglichkeiten; im Gegenteil: Es besteht hier häufig die 69 Klein/Uckel/Ibler, 25.05, Erl. 3; im Ergebnis ebenso Ade, S. 41; Ehlers, DÖV 1986, 897 (901) und Hauser, S. 67. Uechtritz/Reck
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Gefahr, dass die unternehmerische Entscheidungsbefugnis der Führung des kommunalen Eigenbetriebes eingeschränkt wird und dass in Folge der starken Einbindung in die allgemeine Kommunalverwaltung ein schnelles Reagieren im Sinne einer wirtschaftlichen und effektiven Arbeitsweise des Eigenbetriebes nicht gesichert ist70. 49 Anders ist die Situation bei der selbständigen Anstalt des öffentlichen Rechts, dem Kommunalunternehmen, zu beurteilen. Diese Rechtsform wurde gerade mit der Zielsetzung geschaffen, eine „attraktive“ Rechtsform des öffentlichen Rechts für kommunale Unternehmen bereitzustellen, die einerseits eine größere Selbstständigkeit als der Eigenbetrieb ermöglicht, andererseits aber die Vorteile des öffentlichen Rechts (darunter auch die Kontrolle durch die gewählten Organe der Gemeinde) wahrt71. Nach den gesetzlichen Vorgaben besitzt das Kommunalunternehmen zwar einen Vorstand, der – in grundsätzlicher Anlehnung an die Rechtsform einer Aktiengesellschaft – das Unternehmen in eigener Verantwortung leitet; dies gilt aber nur, sofern nicht durch Gesetz oder Unternehmenssatzung etwas anderes bestimmt ist (vgl. z.B. Art. 89 Abs. 3 Satz 2, Art. 90 Abs. 1 Abs. 2 Satz 2 BayGO). Die Gemeinden haben also – anders als bei der AG – im Einzelfall die Möglichkeit, die kompetenziellen Gewichte zugunsten des Verwaltungsrates zu verschieben – im Interesse einer Intensivierung der kommunalen Einflussnahme und Steuerung72. 50 Soll das entsprechende Unternehmen also Aufgaben wahrnehmen, an denen ein gesteigertes öffentliches Interesse besteht, kann es sich anbieten, die Kompetenzen des Vorstandes bzw. der Geschäftsführung zugunsten des Verwaltungsrates bzw. der Gesellschafterversammlung zu verschieben. Das öffentliche Interesse wird im konkreten Fall abhängig vom Geschäftsbereich des Unternehmens, z.B. im wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Bereich, jeweils unterschiedlich ausfallen. 3. Privatrechtliche Rechtsform 51 Bei der Wahl einer privatrechtlichen Rechtsform muss die Kommune bei Durchführung ihrer Kontroll- und Steuerungsaufgaben gesellschaftsrechtliche Vorgaben berücksichtigen (näher hierzu oben § 9 Rz. 2). Dies gilt zunächst für die Ausgestaltung des konkreten Gesellschaftsvertrages. Auch soweit kommunalrechtliche Bestimmungen den Gemeinden vorgeben, bei Unternehmen in privatrechtlicher Rechtsform einen angemessenen Einfluss sicherzustellen, geschieht dies typischerweise nur „vorbehaltlich entgegenstehender gesetzlicher Vorschriften“ (Art. 93 Abs. 2 Satz 2 70 Klein/Uckel/Ibler, 25.05, Erl. 4; Ehlers, DÖV 1986, 897 (901); siehe auch Knemeyer, BayVBl. 1999, 1 (3). 71 Vgl. insoweit Mann, NVwZ 1996, 557; Mann, Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft, S. 127; Schulz, BayVBl. 1996, 129, Knemeyer, BayVBl. 1999, 1, 3; Thode/ Peres, BayVBl. 1999, 6 und Storr, NordÖR 2005, 94, 96 f. 72 Mann, NVwZ 1996, 557 (558); Thode/Peres, BayVBl. 1999, 6 (7).
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BayGO) bzw. „soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist“ (§ 113 Abs. 1 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 NWGO). Auf diese Weise akzeptiert der Landesgesetzgeber, dass die landesgesetzlichen Regelungen in den Gemeindeordnungen an die Vorgaben des bundesgesetzlichen Gesellschaftsrechts gebunden sind73. Zu beachten ist also der „Vorrang des Gesellschaftsrechts“. Ungeachtet dieser Beschränkung der kommunalen Gestaltungsbefugnis 52 besteht Einigkeit in der Einschätzung, dass die GmbH eine Rechtsform ist, in der die kommunale Trägerkörperschaft regelmäßig ihr Steuerungsinteresse angemessen und zweckmäßig wahren kann74. Die Regelungen des GmbH-Rechts über die Aufgabenverteilung innerhalb der Gesellschaft sind weitgehend dispositiv. Sie ermöglichen also eine Gestaltung des Gesellschaftsvertrages, die der Gemeinde als Gesellschafterin starke Einwirkungsrechte gegenüber der Geschäftsführung auch in einzelnen Angelegenheiten ermöglicht. Die Steuerungsmöglichkeiten entsprechen weitgehend denjenigen, die auch bei einem öffentlich-rechtlichen Kommunalunternehmen gegeben sind75. Anders ist die Aktiengesellschaft zu beurteilen. Die Bestimmungen des 53 Aktiengesetzes zur Aufgabenverteilung in der Aktiengesellschaft stellen weitgehend zwingendes Recht dar. Dies gilt insbesondere für die Bestimmung des § 76 Abs. 1 AktG, nach welcher der Vorstand die Aktiengesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten hat. Der Vorstand ist an Weisungen der Kapitaleigner nicht gebunden. Entscheidungsbefugnisse der Aktionäre über Fragen der Geschäftsführung bestehen nur insoweit, als diese vom Vorstand der Hauptversammlung vorgelegt werden. Eine unmittelbare Kontrolle der Aktivitäten des Vorstandes durch den Unternehmensträger ist bei der Aktiengesellschaft daher zwingend ausgeschlossen76. Zu berücksichtigen ist weiter, dass der kommunale Einfluss bei der Ak- 54 tiengesellschaft auch im Hinblick auf die Tätigkeit der Aufsichtsratsmitglieder beschränkt ist. Diese sind ausschließlich dem Wohl der Gesellschaft verpflichtet, da der Aufsichtsrat nach der Konzeption des Gesetzes 73 Vgl. hierzu nur Brenner, LKV 2002, 7, wegen dieser Problematik findet sich nicht selten die ausdrückliche Regelung, dass die Rechtsform der AG gegenüber anderen (hinsichtlich der Erreichung der Unternehmensziele gleich geeigneten Rechtsformen) nachrangig ist, vgl. z.B. § 103 Abs. 2 GemO BW und § 95 Abs. 2 SächsGemO. 74 Hauser, S. 78; Ade, S. 56 und S. 89 f.; Zugmaier, BayVBl. 2001, 233 (236 f.); zum Weisungsrecht gegenüber kommunalen Aufsichtsratsmitgliedern bei einer GmbH mit fakultativem Aufsichtsrat BVerwG, v. 31.8.2011 – 8 C 16.10, KommJur 2011, 456. 75 Ebenso Wurzel/Schraml, Entscheidungskriterien für die Wahl einer Rechtsform, in: Wurzel/Schraml/Becker, Rechtspraxis der kommunalen Unternehmen Rz. 19. 76 Gaß, S. 71 f. und Zugmaier, BayVBl. 2001, 233 (236); Cronauge/Westermann, Rz. 206 f. Uechtritz/Reck
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ein selbständiges und selbstverantwortliches Kontrollorgan ist. Ein Aufsichtsrat darf bei der Kontrolle des Vorstandes gesellschaftsfremde Interessen regelmäßig nicht berücksichtigen77. „Gesellschaftsfremd“ in diesem Sinne sind aber auch die Belange der Kommune, weil nicht a priori eine Identität der Interessen des Unternehmens und der Trägerkommune gesichert ist. So mag der „öffentliche Zweck“, den eine Gemeinde mit einem bestimmten Unternehmen verfolgt, ein anderes Agieren des Unternehmens erfordern, als es dem „Eigeninteresse“ der AG im Hinblick auf deren wirtschaftlichen Erfolg entspricht. 55 Eine verstärkte Sicherung des kommunalen Einflusses kommt nur durch eine „Instrumentalisierung“ der Aktiengesellschaft im Konzernverhältnis in Betracht78. Besondere Bedeutung kommt dem Abschluss von Beherrschungsverträgen nach § 291 Abs. 1 AktG zu. Durch eine entsprechende rechtliche Gestaltung kann erreicht werden, dass der ansonsten unabhängige Vorstand der Aktiengesellschaft gemäß § 308 Abs. 1 Satz 1 AktG den Weisungen kommunaler Organe unterliegt79.
IV. Personalwirtschaftliche Aspekte 1. Allgemeines 56 Zu den Kriterien, die bei der Rechtsformwahl regelmäßig an prominenter Stelle genannt werden, zählt auch der Aspekt „Flexibilität in der Personalwirtschaft“80. Nicht selten werden die Möglichkeiten des Dienstund Besoldungsrechts genannt, die bei privatwirtschaftlich organisierten Unternehmen eine flexible Personalpolitik bei Einstellung und Beförderung gewährleisten sollen, sowie eine größere Motivation durch Schaffung monetärer Anreize im Rahmen des Besoldungs- und Sanktionssystems81. Weiter wird darauf hingewiesen, dass das Lohngefüge für die Mehrheit der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst regelmäßig über dem des privaten Bereichs liege, sodass die Wahl der privaten Rechtsform zumindest bei einer Neugründung häufig zu niedrigeren Personalkosten
77 Zugmaier, BayVBl. 2001, 233 (236); zum Informationszugriff der Gemeinden auf die von ihnen entsandten Aufsichtsratsmitglieder, Will, VerwArch 94 (2003), 248 ff.; zur Weisungsfreiheit der kommunalen Vertreter im Aufsichtsrat Strobel, DVBl 2005, 77, 79 f. 78 Ehlers, DÖV 1986, 897 (901). 79 Hauser, S. 71 ff. und ausführlich Gaß, S. 401 ff.; hierzu auch Gersdorf, S. 334 ff. und Mann, Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft, S. 217 ff. 80 Hauser, S. 19 ff. und Gaß, S. 130 ff.; ebenso bereits Wilke/Schachel, WiVerw 1978, 95, 101. 81 Altenmüller, VBlBW 1984, 61; siehe auch die Auflistung der in der Diskussion genannten Nachteile des öffentlichen Dienstrechts bei Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 303 ff.; die Vorteile eines privatrechtlichen Unternehmens in Bezug auf personalwirtschaftliche Elemente betonen auch Wurzel/Schraml jedenfalls bei einer Neugründung, Rz. 39 ff.
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führen könne82, wenn es um die Neugründung eines Unternehmens geht. Steht dagegen der Wechsel von einer öffentlich-rechtlichen zu einer privaten Unternehmensform an, so wird der Wechsel vom öffentlichen Dienstrecht zum privaten Arbeitsrecht in der Regel mit erheblichen Kosten verbunden sein, insbesondere aufgrund der Pflicht zur Übernahme der Versorgungsanwartschaften der öffentlich Bediensteten. Vorherrschend bleibt aber die Einschätzung, öffentlich-rechtliche Rechts- 57 formen seien im Hinblick auf personalwirtschaftliche Aspekte regelmäßig nachteilig. Eine andere Ansicht hält es aber für zweifelhaft, ob eine Organisationsprivatisierung, also die Wahl einer privatrechtlichen Rechtsform, tatsächlich zu flexibleren Dienst- und Besoldungsregelungen führt und ob mit dem Verlassen des öffentlichen Dienstrechts tatsächlich dessen (vermeintliche) Nachteile vermieden und Personalkosten reduziert werden können83. 2. Öffentlich-rechtliche Rechtsform Regie- und Eigenbetriebe sind Teil der Kommunalverwaltung. Deren Per- 58 sonal ist daher in das gemeindliche Personalwesen eingegliedert. Die Beschäftigten solcher Unternehmen werden grundsätzlich wie die übrigen in der Kommunalverwaltung Tätigen als kommunale Beamte, Angestellte und Arbeiter geführt. Hinsichtlich der Besoldung unterliegen sie grundsätzlich den gleichen Regeln wie die übrigen Mitarbeiter der Kommunalverwaltung84. Grundsätzlich greifen also bei Beamten die relativ starren Regelungen des Beamtenrechts (Einstellung in der Besoldungsgruppe des Eingangsamts der jeweiligen Laufbahn, allgemeine und besondere Beförderungsverbote). Diese Beschränkungen stehen Leistungsanreizen häufig entgegen. Denn die Besoldung richtet sich in der Regel danach, was am jeweiligen Arbeitsplatz geleistet werden soll, nicht aber danach, was tatsächlich geleistet wird85. Vorteile bietet beim Beamtenverhältnis aus Sicht der Trägergemeinde, 59 dass der Dienstbetrieb in Krisenzeiten eher gewährleistet ist als beim Bestehen von privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen. Die herrschende Meinung geht unverändert davon aus, dass Beamte kein Streikrecht besitzen, da dieses den Grundsätzen des Berufsbeamtentums widerspricht. Gerade in Betrieben der Daseinsvorsorge kann also das Entfallen der Streikmöglichkeit (jedenfalls für die Beamten, die in dieser Einrichtung tätig sind) dem öffentlichen Interesse entsprechen86. Nicht zu verkennen sind auch weitere Vorteile des Beamtenverhältnisses, die es im Einzelfall erleich82 Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 305 f.; Gaß, S. 131. 83 Erbguth/Stollmann, DÖV 1993, 799, 805; Gaß, S. 131; skeptisch gegenüber den Vorteilen der privatrechtlichen Rechtsform auch Hauser, S. 19 ff. 84 Hauser, S. 19, 21. 85 Hauser, S. 22. 86 Hauser, S. 24; vgl. auch Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 88. Uechtritz/Reck
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tern können, qualifiziertes Personal für das kommunale Unternehmen zu gewinnen: Das Beamtenverhältnis gewährt aufgrund der hohen Hürden für eine Entlassung einen sicheren Arbeitsplatz. Hinzu kommt die gesicherte Altersversorgung. Aus Sicht der Trägergemeinde sind diese Vorteile aber ambivalent: Einerseits können sie das Gewinnen von Arbeitskräften erleichtern; andererseits erschweren sie die Flexibilität in der Personalführung, speziell im Hinblick auf den Austausch fachlich ungeeigneten Personals. Letztlich dürften auch die oben bereits geschilderten Restriktionen bei der Beamtenbesoldung dazu führen, dass jedenfalls hoch qualifiziertes Personal eher privatrechtliche Anstellungsverhältnisse anstrebt, bei denen eine größere Flexibilität im Hinblick auf eine höhere Vergütung besteht. 60 Die vorstehend geschilderten Beschränkungen des Beamtenverhältnisses gelten grundsätzlich für Regie- und Eigenbetriebe gleichermaßen. Allerdings bestehen für Werkleiter bei Eigenbetrieben Erleichterungen bei der Anwendung der Stellenobergrenzenverordnung87. 61 Die Restriktionen, die bei der öffentlich-rechtlichen Rechtsform durch das Beamtenrecht bestehen, sind allerdings insoweit zu relativieren, als die Gemeinden nicht gehalten sind, in ihren öffentlich-rechtlich organisierten Unternehmen (Regie- und Eigenbetrieb) nur Beamte zu beschäftigen88. Vielfach werden Mitarbeiter als Angestellte durch privatrechtliche Arbeitsverträge angestellt. Die Regelungen des bis zum 1.10.2005 geltenden Bundesangestelltentarifvertrages (zu dessen Ersetzung durch den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst, TVöD, und den Überleitungstarifverträgen § 12 Rz. 7 ff.) hatten dazu geführt, dass das Arbeitsverhältnis sich dem Beamtenverhältnis weit gehend angenähert hatte. Im Schrifttum wurde daher festgestellt, dass das im öffentlichen Dienst für Angestellte geltende Arbeitsrecht ebenso wenig geeignet sei wie das Beamtenrecht, die Leistungsbereitschaft der Beteiligten zu fördern89. Allerdings bestand seit jeher die Möglichkeit, einzelne Führungskräfte, etwa den Leiter eines Regie- oder Eigenbetriebes, in einem außertariflichen Angestelltenverhältnis zu beschäftigen90. Mit Einführung des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD) zum 1.10.2005 können die besonderen Bedürfnisse einzelner Dienstleistungsbereiche besser berücksichtigt werden. Neu geschaffene Regelungen über flexible Arbeitszeiten und leistungsabhängige Vergütung lockern die Restriktionen des öffentlichen Dienstrechts spürbar. 62 Beim rechtlich selbständigen Kommunalunternehmen besteht die Besonderheit, dass dieses als Anstalt regelmäßig die Dienstherrenfähigkeit be87 Vgl. hierzu Klein/Uckel/Ibler, 44.20, Erl. 5. 88 Zu den rechtlichen Vorgaben, Ämter mit Ausübung hoheitlicher Befugnisse an Beamte zu übertragen, Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, S. 88. 89 Hauser, S. 22 m.w.N. 90 Gaß, S. 131 m.w.N.
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sitzt. Dienstherr des Beamten bzw. Angestellten ist das Kommunalunternehmen, nicht die Trägerkörperschaft91. Die Tatsache, dass die Personalhoheit somit bei der Unternehmensleitung und nicht bei der Trägerkörperschaft liegt, kann sich durchaus positiv auf die Effizienz der Personalpolitik auswirken. Für die Flexibilität bzw. die Restriktionen aus dem Beamtenrechtsverhältnis bzw. dem Öffentlichen Dienstrecht gilt das, was zuvor mit Blick auf Regie- und Eigenbetriebe ausgeführt wurde92. 3. Privatrechtliche Organisationsformen Sind kommunale Unternehmen in privatrechtlicher Rechtsform organi- 63 siert, so können diese wegen fehlender Dienstherreneigenschaft keine Beamten beschäftigen, sondern nur Arbeiter und Angestellte. Die privatrechtlich organisierten Unternehmen sind auch nicht automatisch an die Tarifverträge gebunden, die zwischen den öffentlichen Arbeitgebern und den Gewerkschaften ausgehandelt worden sind. Es gilt das „normale“ Arbeitsrecht (siehe näher hierzu § 12 Rz. 6 ff.). Dieser Vorteil, der eine „freiere“ Gestaltung der Arbeitsverhältnisse ermöglicht, ist aber zu relativieren: In der Praxis orientieren sich die Besoldungs- und Beschäftigungsbedingungen auch von privatrechtlich organisierten kommunalen Unternehmen am Öffentlichen Dienstrecht bzw. an den tarifvertraglichen Bindungen der kommunalen Trägerkörperschaft93. Zum anderen gehören öffentliche Einrichtungen in Privatrechtsform re- 64 gelmäßig Arbeitgeberverbänden an, die ihrerseits Mitglied der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände sind, mit der Folge, dass auch für sie das Dienstrecht für Arbeiter und Angestellte des öffentlichen Dienstes gilt94. Diese Bindungen schließen es allerdings nicht aus, dass das privatrechtlich organisierte kommunale Unternehmen im Einzelfall außertarifliche Zulagen zahlt, die über die tarifvertraglich vereinbarten Normen hinausgehen; auch können – wie bereits ausgeführt – mit einzelnen Personen, insbesondere auf der Führungsebene, die Arbeits- und Gehaltsbedingungen frei ausgehandelt werden95. Vor allem bei Unternehmen, die Leistungen im Wettbewerb erbringen, wird das Unternehmen Vergütungen anbieten müssen, die mit den in der Privatwirtschaft gezahlten Ge91 Ehlers in Henneke, Kommunale Aufgabenerfüllung in Anstaltsform, S. 62 f. 92 Näher zu den Rechtsfragen, die sich in Bezug auf den Status der Mitarbeiter des Kommunalunternehmens im Fall der Umwandlung eines Eigen- bzw. Regiebetriebes in ein rechtlich selbständiges Kommunalunternehmen als Anstalt des öffentlichen Rechts stellen Klein/Uckel/Ibler, 34.10, Erl. 1 f. 93 Augat, Beamten- und Arbeitsrecht, in Wurzel/Schraml/Becker, Kap. F Rz. 28. 94 Hauser, S. 23. 95 Cronauge/Westermann, Rz. 352; die – negative – Kehrseite dieser Flexibilität liegt freilich darin, dass „verdiente“ (Kommunal)politiker bisweilen sehr lukrative Geschäftsführerpositionen oder Ähnliches erlangen, und die Freiheiten des Vergütungssystems also nicht stets dazu genutzt werden, qualifizierte Fachleute in Konkurrenz mit der Privatwirtschaft zu gewinnen; auf diesen Umstand hat bereits Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 308, hingewiesen. Uechtritz/Reck
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hältern vergleichbar sind, um qualifiziertes Personal zu gewinnen. Auch wenn daher insgesamt große Ähnlichkeiten hinsichtlich der Vergütungsbedingungen bei öffentlich-rechtlich organisierten und kommunalen Unternehmen in Privatrechtsform bestehen, kann letztlich nicht verkannt werden, dass die privatrechtliche Rechtsform den kommunalen Unternehmen grundsätzlich größere Spielräume vermittelt.
V. Haftungsrisiken 65 Ein weiteres wichtiges Kriterium, das bei der Rechtsformwahl kommunaler Unternehmen zu beachten ist, ist der Gesichtspunkt der Haftungsbegrenzung. Dabei geht es um die Frage, ob die Trägerkörperschaft im Verhältnis zu Dritten für Verbindlichkeiten des kommunalen Unternehmens einstehen muss. Hier bestehen signifikante Unterschiede zwischen der öffentlich-rechtlichen und der privatrechtlichen Rechtsform. 1. Öffentlich-rechtliche Rechtsform 66 Beim Regie- oder Eigenbetrieb ist die Ausgangslage klar: Es handelt sich hier um rechtlich unselbständige Einheiten der Gemeinde. Die Trägerkörperschaft haftet für alle Verbindlichkeiten des Unternehmens unmittelbar und unbeschränkt. Schulden des Regie- oder Eigenbetriebs sind rechtlich Schulden der Trägerkommune96. 67 Auch beim rechtlich selbständigen Kommunalunternehmen besteht keine Haftungsbegrenzung, auch wenn dieses als rechtlich selbständige Anstalt des öffentlichen Rechts ein eigenständiges Rechtssubjekt ist und insoweit keine Rechtsidentität mit der Trägerkommune besteht. Auch wenn hieraus folgt, dass das Vermögen des Kommunalunternehmens einerseits und das Vermögen der Trägerkörperschaft andererseits auseinander zu halten sind97, besteht im Ergebnis aufgrund der in den landesrechtlichen Regelungen angeordneten Gewährträgerschaft der kommunalen Gebietskörperschaft eine Einstandspflicht der jeweiligen Kommune, die das rechtlich selbständige Kommunalunternehmen errichtet hat. So statuiert z.B. Art. 89 Abs. 4 BayGO eine unbeschränkte Gewährträgerhaftung der Trägerkörperschaft, sofern der Gläubiger keine Befriedigung aus dem Vermögen des Kommunalunternehmens erlangen kann98. Anders als beim rechtlich unselbständigen Regie- oder Eigenbetrieb ist die Haftung des kommunalen Gewährträgers aber nachrangig. Zunächst muss der je96 Allg. Meinung, vgl. nur Klein/Uckel/Ibler, 23.00, Erl. 2.2.4 und Hauser, S. 170; zur Vollstreckung umfassend Engelsing, Zahlungsunfähigkeit von Kommunen und anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, S. 47 ff. 97 Klein/Uckel/Ibler, 33.20, Erl. 1. 98 Ehlers in Henneke, Kommunale Aufgabenerfüllung in Anstaltsform, S. 64; Klein/Uckel/Ibler, 33.20, Erl. 2; näher zur Gewährträgerhaftung Engelsing, S. 166 ff.
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weilige Gläubiger versuchen, sich aus dem rechtlich selbständigen Vermögen des Kommunalunternehmens zu befriedigen. Subsidiär besteht aber die unbeschränkte Haftung der Trägerkörperschaft, wenn sich das Kommunalunternehmen letztlich als zahlungsunfähig erweist. 2. Privatrechtliche Organisationsformen Gerade wegen der unbeschränkten und rechtlich auch nicht beschränk- 68 baren Haftung bei der Wahl einer öffentlich-rechtlichen Organisationsform wird in der privatrechtlichen Organisationsform häufig ein Vorteil gesehen, da bei rechtlich selbständigen Privatrechtssubjekten in Form einer GmbH oder Aktiengesellschaft die Haftung regelmäßig auf das Vermögen der juristischen Person beschränkt ist und keine Zugriffsmöglichkeiten auf das Vermögen der Anteilseigner, konkret also auf das Vermögen der Trägerkörperschaft, bestehen. Gegenüber diesem Vorteil wurde geltend gemacht, dass es sich bei der In- 69 solvenz privatrechtlicher Organisationen der öffentlichen Hand eher um ein rein theoretisches Problem handele99. Dieser Einwand trifft mittlerweile nicht mehr zu, wie die Insolvenzen einer kommunalen GmbH zur Förderung des Fremdenverkehrs aber auch die Insolvenz einer Stadtwerke GmbH zeigen100. Die Finanzknappheit vieler Kommunen und die für kommunale Unternehmen bestehende Notwendigkeit, sich in einem zunehmenden Wettbewerb zu behaupten, sorgen dafür, dass Insolvenzen kommunaler Unternehmen nicht mehr per se ausgeschlossen sind101. Die Haftungsbeschränkung, die bei der privatrechtlichen Rechtsform eines Kommunalunternehmens grundsätzlich besteht, gewinnt als Kriterium für die Rechtsformwahl somit an Bedeutung. Regressansprüche gegen die Trägergemeinde kommen im Fall einer Insol- 70 venz des kommunalen Unternehmens entgegen im Schrifttum vertretener Ansichten102 nicht in Betracht. Eine Einstandspflicht der öffentlichen Hand aus rechtsstaatlichen Erwägungen oder eine haftungsrechtliche Garantenstellung103 sind abzulehnen. Zu Recht hat sich diese Auffassung nicht durchgesetzt. Vielmehr ist die Haftung eines kommunalen Unternehmens in der Form der GmbH oder der AG nach allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen. Ein „Durchgriff“ auf das Vermögen der Trägerkommune findet nicht statt. Es besteht insofern auch kein Anlass, die Gläubiger einer kommunalen GmbH oder einer AG haftungsmäßig gegenüber
99 So Erbguth/Stollmann, DÖV 1993, 798 (807). 100 OLG Celle, ZIP 2000, 1981; BGH NJW 2011, 221. 101 Kennzeichnend insoweit ist, dass im Schrifttum die Insolvenz als Strategie zur Bewältigung wirtschaftlicher Krisen bei kommunalen Unternehmen erörtert wird, hierzu Tetzlaff, KommJur 2006, 81 ff. 102 Nachweise hierzu bei Hauser, S. 171 und Gaß, S. 79. 103 Vgl. z.B. Erbguth/Stollmann, DÖV 1993, 798 (807). Uechtritz/Reck
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den Gläubigern sonstiger Privatrechtssubjekte zu privilegieren und ihnen mit der Kommune einen zusätzlich Haftenden zu benennen. 71 Da eine Kommune mangels Durchgriffshaftung nicht verpflichtet ist, die Solvenz ihres Unternehmens zu erhalten, wird man annehmen müssen, dass eine Kommune, die ihr in finanzielle Schieflage geratenes Unternehmen unterstützt, gegen die Vorschriften des Europäischen Beihilferechts verstoßen würde104. 72 Eine Haftung der Trägerkörperschaft kommt letztendlich nur in Ausnahmefällen in Betracht. Zu verweisen ist hierzu zunächst auf die konzernrechtlichen Grundsätze, nach denen ein Durchgriff auf das Vermögen der Gesellschafter angenommen wird (ausführlich hierzu § 13 Rz. 164 ff.). 73 Darüber hinausgehend stellt sich die Frage einer Einstandspflicht der Kommune in den Fällen, in denen das privatrechtlich organisierte Unternehmen kommunale Pflichtaufgaben erfüllt. In diesen Fällen muss die Gemeinde wegen ihrer Rechtspflicht zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung die Funktionsfähigkeit der jeweiligen Gesellschaft erhalten. Hieraus kann sich eine Verpflichtung zur Abwehr einer drohenden Insolvenz ergeben. Diese besteht aber nur im Verhältnis zwischen Gemeinde und Gesellschaft; sie begründet keine „Durchgriffsansprüche“ der Gläubiger des kommunalen Unternehmens105. 74 Eine andere Bewertung dürfte geboten sein, wenn trotz privatrechtlicher Organisationsform des Unternehmens und entsprechender Ausgestaltung des Nutzungsverhältnisses ein Anschluss- und Benutzungszwang angeordnet worden ist106. Da bei einer solchen Konstellation das Argument der Freiwilligkeit des Vertragsschlusses mit einem privatrechtlich organisierten Unternehmen und der Kenntnis der damit verbundenen Haftungsbeschränkungen nicht herangezogen werden kann, wird jedenfalls im Ergebnis eine Haftung der Trägerkörperschaft zu bejahen sein, wenn in einer derartigen Situation tatsächlich die Insolvenz eines kommunalen Unternehmens eintritt.
VI. Finanzierungsmöglichkeiten 75 Auch die Frage, wie die Organisationsform die Finanzierungsmöglichkeiten eines kommunalen Unternehmens und insbesondere dessen Kredit-
104 Ehricke, IR 2008, 248. 105 Gaß, S. 83; Wurzel/Schraml, Entscheidungskriterien für die Wahl einer Rechtsform, in: Wurzel/Schraml/Becker, Rechtspraxis der kommunalen Unternehmen, Rz. 58. 106 Ob diese rechtliche Möglichkeit besteht, ist umstritten; siehe hierzu nur Klein/Uckel/Ibler, 51.20, Erl. 5 m.w.N. und BVerwG v. 6.4.2005 – 8 CN 1/04, KommJur 2005, 373, mit Anmerkung Antweiler.
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würdigkeit beeinflusst, muss bei der Rechtsformwahl berücksichtigt werden107 und gewinnt in Zeiten der Finanzkrise noch an Bedeutung. Zu beachten ist vor allem der Aspekt, dass bei der Kreditvergabe an Unternehmen in öffentlich-rechtlicher Rechtsform insofern ein verringertes Risiko für den Kreditgeber besteht, als die Kommunen für ihre Regie- und Eigenbetriebe uneingeschränkt haften und bei Kommunalunternehmen als Anstaltsträger zumindest subsidiär in Haftung genommen werden können. Unternehmen in öffentlich-rechtlicher Rechtsform profitieren somit grundsätzlich mittelbar von der Insolvenzunfähigkeit der Kommunen gem. § 12 Insolvenzordnung und den daraus resultierenden günstigeren Konditionen der Kommunalkredite. Die vereinzelt vertretene These, kommunale Unternehmen in der Form des Privatrechts seien eher zur Fremdfinanzierung durch Kredite in der Lage als juristische Personen des öffentlichen Rechts oder Regie- oder Eigenbetriebe, ist daher unhaltbar. Sie ist im Schrifttum auch zutreffend als „überaus fragwürdig“ qualifiziert worden108. Vorteile bei der Unternehmensfinanzierung kann eine privatrechtliche 76 Organisationsform allenfalls im Hinblick auf das formale Verfahren der Kreditaufnahme bieten, da jedenfalls bei Regie- und Eigenbetrieben Verzögerungen in der Entscheidungsfindung und der Genehmigung des Kredits auftreten können. So knüpft das kommunale Haushaltsrecht die Kreditermächtigung regelmäßig an bestimmte Voraussetzungen, wie die Genehmigung der Rechtsaufsichtsbehörde. Die Erteilung einer solchen Genehmigung kann vor allem in finanziellen Notsituationen, insbesondere in Zeiten der Haushaltssicherung oder der vorläufigen Haushaltsführung, problematisch sein. Im Einzelfall kann somit bei einer privatrechtlichen Organisationsform ein Kredit rascher erreicht werden als bei einer öffentlich-rechtlichen Rechtsform109. Dieser Vorteil besteht selbstverständlich nur dann, wenn nicht eine Sicherheit für das kommunale Unternehmen durch die Kommune gestellt werden muss. In diesem Fall knüpfen die formalen Vorgaben des kommunalen Haushaltsrechts an die Sicherheitsgewährung an110. Vorteile bietet eine privatrechtliche Organisationsform auch dann, wenn Eigenkapitel durch die Beteiligung Dritter angeworben werden soll. Auf diesen Aspekt wird im Rahmen der Abhandlung der Kooperationsmöglichkeiten (unten Rz. 77 ff.) näher eingegangen. Was die Unternehmensfinanzierung über Darlehensverträge mit 107 Ausführlich hierzu Hauser, S. 161 f.; siehe auch Gaß, S. 84 ff.; Ade, S. 38 und Klein/Uckel/Ibler, 23.00, Erl. 2.2.8. 108 Erbguth/Stollmann, DÖV 1993, 798 (805); eindeutig ablehnend auch Hauser, S. 164 f. und Gaß, S. 85 („Psychologische Befindlichkeiten anstelle rationaler Gesichtspunkte“). 109 Zur Kreditaufnahme durch ein rechtlich selbständiges Kommunalunternehmen Gaß, S. 86. 110 Wurzel/Schraml, Entscheidungskriterien für die Wahl einer Rechtsform, in: Wurzel/Schraml/Becker, Rechtspraxis der kommunalen Unternehmen, Rz. 65. Uechtritz/Reck
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Kreditinstituten angeht, können öffentlich-rechtlich organisierte Unternehmen aber im Regelfall von günstigeren Konditionen profitieren111.
VII. Kooperationsmöglichkeiten 1. Allgemeines 77 Die Fähigkeit kommunaler Unternehmen mit anderen Kommunen oder Privaten zu kooperieren hat als Kriterium für die Rechtsformwahl in den letzten Jahren eine wachsende Bedeutung erfahren. Zu den Gründen für eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Kommunen bzw. kommunalen Unternehmen gehören in erster Linie die fortschreitende Liberalisierung und Deregulierung traditionell kommunaler Aufgabenfelder wie der Energieversorgung und der Abfallwirtschaft. Kooperationen bieten hier ein probates Mittel, um dem eigenen Unternehmen finanzielle Mittel oder Know-how zuzuführen, um die nötigen Umsatzzahlen zu erreichen, um an Projekten teilzunehmen, die sich durch das Unternehmen allein nicht realisieren ließen und um letztendlich die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. 2. Kooperation im Rahmen einer Public Private Partnership 78 Bei der Erörterung des Themas Zusammenarbeit der Kommunen mit Privaten darf das Schlagwort „Public Private Partnership“ nicht fehlen (näher zur Einbeziehung Privater in die kommunale Aufgabenerfüllung oben § 7 Rz. 165 ff.). Unter Public Private Partnership wird vorrangig die meist langfristige, vertraglich geregelte Zusammenarbeit zwischen der öffentlichen Hand und einem privaten Unternehmen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben verstanden, bei der die erforderlichen Ressourcen (z.B. Know-how, Betriebsmittel, Kapital, Personal) in einen gemeinsamen Organisationszusammenhang eingestellt und vorhandene Projektrisiken entsprechend der Risikomanagment-Kompetenz der Projektpartner angemessen verteilt werden112. Grundsätzlich unterscheidet man bei Public Private Partnerships die so genannten „Vertrags-PPP“, die hauptsächlich bei Beschaffungsvorgängen der öffentlichen Hand Anwendung finden, und die „Organisations-PPP“ als Form institutionalisierter öffentlich-privater Partnerschaften in Form von Gemeinschaftsunterneh-
111 So Erbguth/Stollmann, DÖV 1993, 798 (805); eindeutig ablehnend auch Hauser, S. 164 f.; Gaß, S. 85 („psychologische Befindlichkeiten anstelle rationaler Gesichtspunkte“); Klein/Uckel/Ibler, 23.00, Erl. 2.2 8. und Wurzel/Schraml, Entscheidungskriterien für die Wahl einer Rechtsform, in: Wurzel/Schraml/ Becker, Rechtspraxis der kommunalen Unternehmen, Rz. 62. 112 Uechtritz/Otting, NVwZ 2005, 1105 unter Verweis auf die Definition im Gutachten „PPP im öffentlichen Hochbau“ im Auftrag des Lenkungsausschusses unter Federführung des BMVBW 2003, II, S. 1 (jetzt BMVBS).
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men113. Mit dem Modell der „Organisations-PPP“ können die Kommunen – als Alternative zu einer Kreditaufnahme – zusätzliche Finanzierungsquellen für ihre Unternehmen erschließen. Darüber hinaus kommt die Möglichkeit der Nutzung privaten Sachverstands in Betracht. Bei der „Organisations-PPP“ geht es typischerweise darum, bestimmte 79 Planungs-, Herstellungs-, Sanierungs- und Betriebsleistungen z.B. im öffentlichen Hochbau vom öffentlichen Auftraggeber auf ein privatrechtlich organisiertes Unternehmen als Auftragnehmer zu übertragen. Gegenüber der üblichen „Vertrags-PPP“ liegt die Besonderheit darin, dass die Kommune bzw. der sonstige öffentliche Auftraggeber als Gesellschafter dieses Unternehmens auf Auftragnehmerseite an dem Projekt beteiligt ist. Dabei stehen dem öffentlichen Auftraggeber grundsätzlich sämtliche gesellschaftsrechtlichen Beteiligungsformen offen114. Da PPP-Projekte regelmäßig darauf abzielen, öffentliche Aufgaben auf 80 den Kooperationspartner zu übertragen (bei der „Organisations-PPP“ also auf das gegründete Gemeinschaftsunternehmen), wird die gesellschaftsvertragliche Vereinbarung regelmäßig mit einem Modell der „VertragsPPP“ kombiniert werden115 – und zwar in der Form, dass die jeweilige Aufgabe, die in Partnerschaft wahrgenommen werden soll, auf das gegründete Gemeinschaftsunternehmen übertragen wird. Grundsätzlich kommen hierfür alle praktizierten PPP-Vertragsmodelle in Betracht (Erwerber-, Inhaber-, Leasing-, Meeting-, Contracting- und Konzessionsmodell)116. Gegenüber einer bisweilen unkritischen PPP-Euphorie ist darauf hin- 81 zuweisen, dass stets eine sorgfältige Prüfung angezeigt ist, ob ein PPPModell eine sinnvolle Variante zur konventionellen Beschaffung bzw. „klassischen“ Aufgabenwahrnehmung sein kann. Es ist darauf zu achten, dass die vermuteten Effizienzvorteile eines PPP-Projekts die finanziellen Nachteile (höhere Finanzierungskosten und Transaktionskosten) gegenüber der konventionellen Beschaffung bzw. klassischen Aufgabenwahrnehmung wenigstens ausgleichen. Geboten ist also regelmäßig die Durchführung eines Eignungstests, inwieweit das jeweilige Projekt über113 Tettinger, NWVBl. 2005, 1, 3 f.; von diesem Verständnis geht auch die EUKommission in ihrem Grünbuch, S. 9, aus. 114 Schede/Pohlmann, Vertragsrechtliche Grundlagen in: Weber/Schäfer/Hausmann, Praxishandbuch Public Private Partnership, S. 146 und Schöne, in: Littwin/Schöne, Public Private Partnership im öffentlichen Hochbau, 2006, S. 102. 115 Leitfaden „Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen bei PPP-Projekten“, September 2006, erstellt unter Federführung des Landes Nordrhein-Westfalen durch die Länderarbeitsgruppe zum Thema „Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen bei PPP-Projekten“. 116 Übersicht über die Modelle im Leitfaden „Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen bei PPP-Projekten“, September 2006, S. 40 ff. und bei Schede/Pohlmann, in: Weber/Schäfer/Hausmann, Praxishandbuch Public Private Partnership, S. 102 ff. Uechtritz/Reck
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haupt für eine Realisierung als PPP-Modell in Frage kommt. Grundsätzlich gilt, dass ein hohes Projektvolumen die Eignung als PPP-Projekt begünstigt. Man muss zudem beachten, dass vor der Beauftragung eines privaten Unternehmens grundsätzlich eine europaweite Ausschreibung nach dem Vergaberecht notwendig sein wird. Im Regelfall wird es für die Kommune daher nicht möglich sein, sich das private Unternehmen für die angedachte PPP frei auszuwählen. Darüber hinaus geht etwa der in Bayern entwickelte Leitfaden „Public Private Partnership zur Realisierung öffentlicher Baumaßnahmen in Bayern“117 von folgenden zwingend erforderlichen Projekteigenschaften aus: – Die langfristige Finanzierbarkeit des Projekts muss gesichert sein; – Planungs-, Bau- und Betreiberleistungen werden gemeinsam von einem Auftragnehmer für eine Vertragslaufzeit von 10 bis 30 Jahren erbracht (Lebenszyklusansatz); – die Projektanforderungen an Planung, Bau und Betrieb lassen sich bis zum Beginn des Vergabeverfahrens abschließend festlegen; – für die Einbringung staatlicher Fördermittel muss sich das Investitionsobjekt grundsätzlich im Eigentum des öffentlichen Auftraggebers befinden. Möglich sind auch Nutzungsüberlassungsmodelle; – eine funktionale Leistungsbeschreibung ist möglich. Auf Referenzobjekte vergleichbarer Nutzung, Größenordnung und Qualität der baulichen Ausführung kann Bezug genommen werden; – eine ausreichende Zahl geeigneter Bieter steht für die Teilnahme am Vergabeverfahren zur Verfügung. 82 Ergibt der Eignungstest die grundsätzliche Eignung des Projekts, ist eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung geboten, in der unter Berücksichtigung aller Kosten und (im Fall der Nutzerfinanzierung gegebenenfalls der Erlöse) die wirtschaftlichste Realisierungsvariante untersucht werden soll. Der Wirtschaftlichkeitsvergleich stellt ein zentrales Entscheidungsinstrument dar, da ein PPP-Projekt nur dann umgesetzt werden kann, wenn dieses Effizienzvorteile gegenüber der konventionellen Realisierung bietet118. 3. Kooperationsmöglichkeiten bei öffentlich-rechtlicher Rechtsform a) Kooperation mit anderen Rechtssubjekten des öffentlichen Rechts 83 Zu erörtern ist zunächst die Frage, welche Möglichkeiten sich für Unternehmen in öffentlicher Rechtsform bieten, mit anderen öffentlich-recht117 PPP-Leitfaden zur Realisierung öffentlicher Baumaßnahmen in Bayern, Teil I; siehe auch Engel, GewArch 2006, 179 (182 ff.). 118 Alfen/Daube, in: Littwin/Schöne, Public Private Partnership im öffentlichen Hochbau, Rz. 251 ff.
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lich organisierten Rechtssubjekten zusammenzuarbeiten bzw. sich an solchen zu beteiligen. Für Regie- und Eigenbetriebe scheidet aufgrund der fehlenden Rechtssubjektivität zunächst die Möglichkeit aus, sich an anderen öffentlich-rechtlich organisierten Unternehmen (z.B. einem Kommunalunternehmen) zu beteiligen. Ebenso wenig kommt umgekehrt mangels eigener Rechtspersönlichkeit eine Beteiligung Dritter an Regieund Eigenbetrieben in Betracht; eine Beteiligung an der Trägerkörperschaft, d.h. an der Kommune, ist nicht möglich. Völlig unabhängig von allen sonstigen Fragestellungen kommt als „Subjekt“ einer Beteiligung an einem anderen öffentlich-rechtlich organisierten Rechtsträger nur die Gemeinde selbst, nicht aber der Regie- oder Eigenbetrieb in Betracht119. Als Mittel einer öffentlich-rechtlichen interkommunalen Zusammen- 84 arbeit kommt insbesondere der kommunale Zweckverband in Betracht (siehe hierzu auch oben § 7 Rz. 139 ff.). Bei einem Zweckverband gibt es keine Beteiligung eines kommunalen Unternehmens an dem Unternehmen einer anderen Kommune; vielmehr geht es um ein Kooperationsverhältnis der beteiligten kommunalen Gebietskörperschaften120. Durch Zweckverbände können vielfältige kommunale Aufgaben gemeinsam wahrgenommen werden, so z.B. im Bereich der Wasserver- und -entsorgung, aber auch in der Abfallentsorgung. Der Zweckverband selbst stellt also eine Rechtsform dar, in der wirtschaftliche Unternehmen betrieben werden können121 und damit die „kommunal-typische“ öffentlich-rechtliche Organisationsform für eine interkommunale Zusammenarbeit122 (näher zur Rechtsstruktur des Zweckverbandes oben § 7 Rz. 144 ff.). Auch die Mitwirkung Privater ist im Bereich öffentlich-rechtlicher Zweckverbände nicht grundsätzlich ausgeschlossen123, z.B. im Bereich der Wasser- und Bodenverbände. Auch in Bezug auf Kooperationsmöglichkeiten erweist sich das Kom- 85 munalunternehmen flexibler als der Regie- bzw. Eigenbetrieb. Aufgrund eigener Rechtssubjektivität können sich Kommunalunternehmen an einem Zweckverband beteiligen. Auch die Beteiligung mehrerer Kom119 Zu beachten ist aber, dass Regiebetriebe und Eigenbetriebe in der Praxis doch als Mittel interkommunaler Zusammenarbeit eingesetzt werden können und werden. Und zwar in der Form, dass die Trägerkommune mit einer benachbarten Gebietskörperschaft eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung schließt, wonach sie die von ihrer Einrichtung (z.B. einem Eigenbetrieb) erfüllte Aufgabe für die übrigen Beteiligten erfüllt oder den übrigen Beteiligten die Mitbenutzung gestattet, vgl. Hauser, S. 198. 120 Klein/Uckel/Ibler, 25.05, Erl. 6. 121 Cronauge/Westermann, Rz. 241 und Rz. 250. 122 Cronauge/Westermann, Rz. 241; zu den Vor- und Nachteilen der interkommunalen Zusammenarbeit in Form eines Zweckverbandes Lindl, Interkommunale Zusammenarbeit – mögliche Rechtsformen sowie deren Vor- und Nachteile, Kommunalpraxis BY 2005, 334 ff. 123 Britz, Die Mitwirkung Privater an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch Einrichtungen des Öffentlichen Rechts, VerwArch 91 (2000), S. 418 ff.; zum Problem auch Thode/Peres, BayVBl. 1999, 6, 7 ff. Uechtritz/Reck
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munen an einem Kommunalunternehmen ist mittlerweile in mehreren Bundesländern möglich124. Fehlt eine entsprechende Landesregelung noch, so bleibt es bei der alten Rechtslage, nach der einem gemeinsamen Kommunalunternehmen die „monistische Trägerstruktur“ entgegensteht125. 86 Ungeachtet dessen ist eine interkommunale Zusammenarbeit im Rahmen eines Kommunalunternehmens dergestalt möglich, dass zwischen verschiedenen Kommunen eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung abgeschlossen wird, nach welcher sich eine Kommune verpflichtet, ein Kommunalunternehmen zu errichten, das Aufgaben für die beteiligten Kommunen wahrnimmt. Aber bei dieser Konstruktion würde das Kommunalunternehmen in Trägerschaft lediglich einer Gemeinde verbleiben126. b) Kooperation mit Rechtssubjekten des Privatrechts 87 Auch für die Beteiligung an privatrechtlich organisierten Unternehmen erweisen sich Regie- und Eigenbetriebe aufgrund fehlender Rechtssubjektqualität als grundsätzlich ungeeignet. Nur die Gebietskörperschaft selbst kann sich an privatrechtlich organisierten Unternehmen als alleiniger, als Mehrheits- oder Minderheitsgesellschafter beteiligten (dazu näher sogleich unten). 88 Anders stellt sich die Situation bei einem Kommunalunternehmen dar. Dieses hat grundsätzlich die Möglichkeit, sich als eigenständiges Rechtssubjekt an einer GmbH oder einer Aktiengesellschaft zu beteiligen. Voraussetzung ist aber, dass sich das Kommunalunternehmen bei seinen Beteiligungen an die Beschränkungen und Auflagen hält, die sich für die Kommune aus dem Gemeindewirtschaftsrecht ergeben, z.B. an das Gebot der Haftungsbegrenzung127. 89 Umgekehrt scheidet jedenfalls de lege lata eine Beteiligungsmöglichkeit privater Dritter an einem Kommunalunternehmen aus. Unabhängig von der hier nicht zu vertiefenden Grundsatzfrage, inwieweit im Hinblick auf
124 Vgl. die Regelung in Bayern (Art. 49f KomZG) und in Niedersachsen (§ 3f NKomZG). 125 Gaß, S. 112; ebenso Ehlers in Henneke, Kommunale Aufgabenerfüllung in Anstaltsform, S. 53; dieser wirft auch die Frage auf, ob ein Zweckverband selbst eine Anstalt als öffentliche „Trägerkörperschaft“ zu gründen vermag; siehe auch Storr, NordÖR 2005, 94, 98 und Wurzel/Schraml, Entscheidungskriterien für die Wahl einer Rechtsform, in: Wurzel/Schraml/Becker, Rechtspraxis der kommunalen Unternehmen, Rz. 27; grundsätzlich besteht aber die Möglichkeit, dass der Landesgesetzgeber eine Mehrträgerschaft ausdrücklich für zulässig erklärt, etwa in der Form, dass sich mehrere Gemeinden als gemeinsamer Anstaltsträger eines Kommunalunternehmens bedienen; näher hierzu Schraml, in: Wurzel/Schraml/Becker, Rz. 125. 126 Gaß, S. 112 f. 127 Neusinger/Lindt, BayVBl. 2002, 689, 694.
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das Demokratieprinzip verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Beteiligung Privater an einer öffentlich-rechtlichen Anstalt bestehen128, besteht Konsens darüber, dass die bestehenden gemeinderechtlichen Regelungen von der Konzeption ausgehen, dass ausschließlich eine juristische Person des öffentlichen Rechts Träger eines Kommunalunternehmens sein kann. Ein „Kapitalträger“, an dem sich private Dritte beteiligen könnten, ist nicht vorgesehen129. 4. Kooperationsmöglichkeiten bei privatrechtlicher Rechtsform Wesentlich „kooperationsfreundlicher“ erweist sich die privatrechtliche 90 Organisationsform. Privatrechtlich organisierte kommunale Unternehmen, etwa in der Form einer GmbH oder einer Aktiengesellschaft, können sich an anderen privatrechtlich organisierten Unternehmen beteiligen. Allerdings sind auch bei einer solchen Beteiligung bzw. bei einem vollständigen Erwerb eines Unternehmens dieselben Vorgaben des Gemeindewirtschaftsrechts zu beachten, die auch für die Gebietskörperschaft gelten. Zu diesen Vorgaben gehören regelmäßig die Sicherstellung der Erreichung eines öffentlichen Zwecks, Haftungsbeschränkungen, die Sicherung hinreichenden Einflusses der Gemeindevertretung verbunden mit bestimmten Informationspflichten, die Pflicht zur Aufstellung von Wirtschaftsplänen und die Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit. Auf diese Weise wird verhindert, dass gemeindliche Unternehmen sich durch Gründung von Tochterunternehmen den gemeinderechtlichen Verpflichtungen entziehen können130. Umgekehrt bestehen gleichfalls keine Bedenken dagegen, dass sich ex- 91 terne Dritte an einem privatrechtlich organisierten gemeindlichen Unternehmen beteiligen. Zu beachten bleibt dann allerdings, dass die jeweilige Unternehmensverfassung so auszugestalten ist, dass die kommunalrechtlichen Vorgaben zur Sicherung des Einflusses der Trägerkörperschaft bzw. zur Sicherstellung des öffentlichen Zwecks des Unternehmens gewahrt bleiben (näher hierzu § 8 Rz. 55). Ansonsten steht einer Zusammenarbeit einschließlich einer Beteiligung privatrechtlich organisierter Rechtssubjekte nichts entgegen, auch wenn es sich bei dem Rechtssubjekt, an dem sich Dritte beteiligen wollen, um ein kommunales Unternehmen handelt. Verfolgt eine Kommune also das Ziel, Dritten die Möglichkeit einer Teilhaberschaft am Unternehmen einzuräumen, so kommen hierfür nur
128 Ausführlich hierzu Gaß, S. 118 ff.; zur Problematik siehe auch BerlVerfGH, NVwZ 2000, 795 und Hecker, VerwArch 92 (2001), 261 (278 ff.). 129 Thode/Peres, BayVBl. 1999, 6, 10; näher hierzu Schraml, in: Wurzel/Schraml/ Becker, Rz. 135 ff. 130 Zugmaier, BayVBl. 2001, 233 (235). Uechtritz/Reck
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die privatrechtlichen Organisationsformen der GmbH und der AG in Betracht131.
VIII. Haushalts-, Rechnungs- und Prüfungswesen 92 Zu den Kriterien für die Rechtsformwahl zählen auch die rechtlichen Vorgaben des Haushalts-, Rechnungs- und Prüfungswesens. Speziell in Bezug auf die haushaltsrechtlichen Schranken wird nicht selten reklamiert, bei privatrechtlich geführten Unternehmen bestehe eine größere Flexibilität, die wirtschaftliches Handeln erleichtere. In Bezug auf das Rechnungswesen wird die traditionelle Verwaltungskameralistik als ungeeignet angesehen, den wirtschaftlichen Erfolg eines kommunalen Unternehmens zu belegen. Auch beim Prüfungswesen bestehen Unterschiede im Hinblick auf die Art und die „Dichte“ der bei Unternehmen in unterschiedlicher Rechtsform vorzunehmenden Prüfungshandlungen. 1. Öffentlich-rechtliche Rechtsformen 93 Das kommunale Haushaltsrecht mit seinen allgemeinen Grundsätzen (z.B. dem Grundsatz der Jährlichkeit und dem Grundsatz der Gesamtdeckung)132 gilt uneingeschränkt für den Regiebetrieb als rechtlich unselbständigen Teil der Verwaltung133. 94 Anders sieht die Situation beim Eigenbetrieb aus. Gerade die Absicht, wirtschaftliche Unternehmen der Kommune aus dem „starren“ Haushaltsrecht zu lösen und ihnen eine eigene Haushaltsführung zu ermöglichen, war wesentlicher Anlass zur Schaffung der Rechtsform des Eigenbetriebes134. Der Eigenbetrieb ist ein Sondervermögen der Gemeinde. Einnahmen und Ausgaben eines Eigenbetriebes scheiden daher aus dem Haushaltsplan und der allgemeinen Haushaltswirtschaft der Trägerkommune aus. In den Haushaltsplan der Kommune gehen nur voraussichtliche Gewinne oder Verluste sowie Eigenkapitalbewegungen ein135. Der Eigenbetrieb verfügt über einen eigenen Wirtschaftsplan, der an die Stelle des Haushaltsplans tritt und der aus Erfolgsplan, Vermögensplan und 131 Klein/Uckel/Ibler, 25.10, Erl. 6; zu den typischen gesellschaftsrechtlichen Problemen bei Gemeinschaftsunternehmen zwischen Privaten und der öffentlichen Hand Habersack, ZGR 1996, 544, (545 ff.). 132 Ausführlich hierzu Notheis, Das kommunale Haushaltswesen, in Faiß/Giebler/Lang/Notheis/Schmid, Kommunales Wirtschaftsrecht in Baden-Württemberg, S. 95 ff. 133 Hauser, S. 95 ff.; zur Relativierung der haushaltsrechtlichen Beschränkungen, insbesondere im Hinblick auf den Grundsatz der Jährlichkeit, Erbguth/Stollmann, DÖV 1993, 798, 805. 134 Hauser, S. 104. 135 Cronauge/Westermann, Rz. 162; Rz. 271 ff.; Hauser, S. 104; ausführlich zur Wirtschaftsführung und zum Rechnungswesen des Eigenbetriebs Zeiß, S. 213 ff.
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D. Einzelne Kriterien
Stellenübersicht besteht. Grundsätzlich wird der Wirtschaftsplan nach den gleichen Grundsätzen aufgestellt wie der Haushaltsplan der Trägerkommune. Er stellt aber nur eine Richtlinie für die Betriebsleitung dar und gewährt daher größere Flexibilität. Die Situation beim Kommunalunternehmen entspricht weitgehend derje- 95 nigen beim Eigenbetrieb. Vorgaben zur Aufstellung von Wirtschaftsplan, Erfolgsplan und Vermögensplan finden sich z.B. in §§ 16 ff. der Bayerischen Verordnung über Kommunalunternehmen. Beim Rechnungswesen, das einerseits eine Orientierungsfunktion für die 96 Leitung des Unternehmens erfüllen soll, darüber hinaus aber auch einer wirksamen Kontrolle durch die Trägerkommune dient136, besteht die Möglichkeit der traditionellen Verwaltungskameralistik, die im Grundsatz nur eine Einnahmen- und Ausgabenrechnung darstellt, mit dem Zweck, den Nachweis zu erbringen, ob der Haushaltsplan der Kommune vollzogen wurde137, und als Alternative die Möglichkeit der kaufmännischen doppelten Buchführung, die im Sinne einer kontinuierlichen Rechnung darauf gerichtet ist, den während eines Rechnungsjahres erzielten Gewinn oder Verlust zu ermitteln und einen Einblick in die Liquidität und die Vermögens- und Kapitalstruktur zu ermöglichen138. Einige Bundesländer haben die doppelte Buchführung (Doppik) auch verpflichtend eingeführt. In Bezug auf das Rechnungswesen stellt sich die Situation bei den einzel- 97 nen öffentlich-rechtlichen Unternehmensformen ebenso dar wie in Bezug auf das Haushaltsrecht: Nur der Regiebetrieb als unselbständiger Teil der Verwaltung ist auf das gleiche Rechnungswesen angewiesen wie dessen Trägerkommune. Gegebenenfalls kann sich aus steuerlichen Gründen gem. §§ 140, 141 Abgabenordnung aber auch hier die Pflicht ergeben eine Steuerbilanz aufzustellen. Bei Eigenbetrieben und rechtlich selbständigen Kommunalunternehmen erfolgt die Rechnungslegung entsprechend dem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb durch die kaufmännische doppelte Buchführung139. Einige Bundesländer weisen darauf hin, dass die Buchführung den handelsrechtlichen Grundsätzen oder den für das Neue Kommunale Finanzmanagement geltenden Grundsätzen entsprechen muss.
136 Hauser, S. 106; ausführlich zum kommunalen Rechnungswesen Faiß in Faiß/ Giebler/Lang/Notheis/Schmid, S. 752. 137 Näher zur Kameralistik und den Modifikationen Hauser, S. 107 f. und Faiß in Faiß/Giebler/Lang/Notheis/Schmid, S. 759, S. 761 f. 138 Näher hierzu Hauser, S. 109 ff. und Faiß, in Faiß/Giebler/Lang/Notheis/ Schmid, S. 763 ff.; zur Neuregelung in der Hessischen Gemeindeverordnung die den Kommunen eine Wahlmöglichkeit zwischen der traditionellen Buchführung und der doppelten Buchführung eröffnet Pegatzky/Sattler, NVwZ 2005, 1336 ff. 139 Klein/Uckel/Ibler, 70.00, Erl. 2; dort auch zu den Ausnahmen für „kleine“ Eigenbetriebe; siehe ferner Neusinger/Lindt, BayVBl. 2002, 689, 695. Uechtritz/Reck
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98 In Bezug auf das Prüfungswesen gilt zunächst wiederum, dass der Regiebetrieb als unselbständiger Teil der Trägerkommune uneingeschränkt den Prüfungsgrundsätzen unterliegt, die für die Kommune selbst gelten. Es findet hier also die interne Prüfung durch die kommunalen Organe, regelmäßig auch das Rechnungsprüfungsamt, statt sowie die – typischerweise nicht jährliche – überörtliche Prüfung, die z.B. in Baden-Württemberg durch die Gemeindeprüfungsanstalt (GPA) ausgeübt wird. Beim Eigenbetrieb entspricht die Situation derjenigen beim Regiebetrieb. Teilweise schreiben die Gemeindeordnungen für Eigenbetriebe auch ausdrücklich eine Prüfung der Jahresabschlüsse durch öffentlich bestellte Wirtschaftsprüfer vor140. 99 Anders stellt sich die Situation bei den rechtlich selbständigen Kommunalunternehmen dar. Diese unterliegen nicht der örtlichen oder überörtlichen Rechnungsprüfung nach den einschlägigen gemeinderechtlichen Bestimmungen141. Die jeweils einschlägigen landesrechtlichen Bestimmungen ordnen eine Überprüfung nach den handelsrechtlichen Vorschriften der §§ 316 ff. HGB an142. Den Gemeinden steht es aber frei, durch Satzung eine zusätzliche örtliche Prüfung vorzuschreiben. Die Einführung einer überörtlichen Prüfung scheidet aus, da die Gemeinde eine derartige staatliche Prüfung nicht anordnen kann143. 2. Privatrechtliche Unternehmen 100 Bei kommunalen Unternehmen in privatrechtlicher Form entfallen die Vorgaben des Haushaltsrechts. Das Rechnungs- und Prüfungswesen bestimmt sich nach den einschlägigen zivilrechtlichen Bestimmungen des Aktiengesetzes und des HGB144. 101 Darüber hinaus sehen die gemeinderechtlichen Bestimmungen der Bundesländer für kommunale Unternehmen in privatrechtlicher Rechtsform regelmäßig besondere Prüfungs- und Informationsrechte vor145.
140 Vgl. hierzu Cronauge/Westermann, Rz. 164 und Gaß, S. 138. 141 Neusinger/Lindt, BayVBl. 2002, 689 (695). 142 Gaß, S. 139 und Ehlers in Henneke, Kommunale Aufgabenerfüllung in Anstaltsform, S. 65. 143 Ehlers in Henneke, Kommunale Aufgabenerfüllung in Anstaltsform, S. 65 und Gaß, S. 138; allerdings unterliegt das Kommunalunternehmen als rechtlich selbständige Anstalt der staatlichen Rechtsaufsicht. Die Aufsichtsbehörden haben daher die Möglichkeit, unmittelbar rechtsaufsichtliche Maßnahmen gegenüber der Anstalt zu treffen ohne den „Umweg“ über die Gemeinde gehen zu müssen, Ehlers in Henneke, S. 65 und Neusinger/Lindt, BayVBl. 2002, 689, 695 f. 144 Näher hierzu Hauser, S. 123 ff. 145 Näher hierzu Cronauge/Westermann, Rz. 213 ff. und Rz. 236; diese Prüfungsund Informationsrechte (z.B. besondere Zustimmungsregelungen zur Kreditaufnahme durch wirtschaftliche Unternehmen bzw. besondere Vorgaben für die Abschlussprüfung) richten sich aber nicht unmittelbar an die kommuna-
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D. Einzelne Kriterien
IX. Sonstige Kriterien Neben den vorstehend behandelten Kriterien wird in der Literatur auf 102 weitere Aspekte hingewiesen, die bei der Auswahl der Rechtsform Einfluss auf die Entscheidung gewinnen können. Von zentraler Bedeutung sind neben den vorstehend erörterten Kriterien steuerrechtliche Erwägungen. Die Entscheidung für eine bestimmte Rechtsform hängt auch von den steuerlichen Auswirkungen für das Unternehmen ab, d.h. von der Frage nach einer Erhöhung bzw. Minderung der Steuerlast. Die starke Orientierung an diesem Kriterium hat Anlass zu der Warnung gegeben, neben der Steuerbelastung andere wichtige Aspekte wie Kapitalaufbringung und Haftung nicht zu vernachlässigen146. An dieser Stelle wird auf eine Behandlung der steuerrechtlichen Aspekte, die mit den unterschiedlichen Rechtsformen verbunden sind, verzichtet. Dies zum einen, weil pauschale Hinweise auf die steuerlichen Vorteile einer bestimmten Organisationsform nur beschränkte Aussagekraft besitzen und zu Recht stets eine sorgfältige Prüfung des einzelnen Unternehmens erforderlich sein wird147. Zum anderen wird auf die ausführliche Darstellung der aktuellen Rechtslage (in Form eines – abstrakten – Steuerbelastungsvergleichs) im Beitrag von Beinert/Kostic (§ 11 Rz. 179 ff.) Bezug genommen148. Das Kriterium der Anwendbarkeit des Vergaberechts könnte in Zukunft 103 noch einmal an Bedeutung gewinnen. Mehrheitlich öffentliche Unternehmen, die als Nachfrager auf dem Beschaffungsmarkt auftreten, müssen als öffentliche Auftraggeber regelmäßig die Vorgaben in §§ 97 ff. des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), der Vergabeverordnung (VgV) in Verbindung mit den Vergabe- und Vertragsordnungen für Leistungen bzw. für Bauleistungen bzw. für freiberufliche Leistungen (VOL/A, VOB/A, VOF) oder die Vorgaben der Sektorenverordnung beachten. Kommunale Unternehmen in Privatrechtsform, an denen keine privaten Dritten beteiligt waren, aber auch Kommunalunternehmen können von ihren Trägerkommunen im Wege eines In-House-Geschäfts ohne Anwendbarkeit des Vergaberechts beauftragt werden, soweit die Unternehmen im Wesentlichen für die Kommune tätig sind. Für Aufträge der Kommunen über die Belieferung mit Strom oder Gas sollen derartige InHouse-Geschäfte künftig nicht mehr möglich sein, da die meisten Ener-
len Unternehmen: Adressat der entsprechenden Bestimmungen sind die jeweiligen Trägerkörperschaften, die bei ihren Beteiligungen darauf hinzuwirken haben, dass den gesetzlichen Vorgaben entsprochen wird. 146 Klein/Uckel/Ibler, 90.00; zur Besteuerung kommunaler Unternehmen auch Köhler in Krüger, Zweckmäßige Wahl der Unternehmensform, S. 526 ff. 147 Klein/Uckel/Ibler, 23.00, Erl. 2.2.6; darüber hinaus hat gerade die jüngste Zeit deutlich gemacht, wie rasch der Gesetzgeber Veränderungen vornimmt, die sich auf die steuerliche Belastung der unterschiedlichen Rechtsformen auswirken können. 148 Verwiesen sei weiter auf folgende – aktuelle – Literatur, Gaß, S. 88 ff.; Klein/ Uckel/Ibler, 90.00 und Köhler, Rz. 840 ff. Uechtritz/Reck
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gieversorgungsunternehmen auch eine Vielzahl der Gemeindeeinwohner und andere Privatkunden mit Strom bzw. Gas beliefern und somit nicht mehr im Wesentlichen für die Gemeinde tätig würden149. Für Regie- und Eigenbetriebe stellt sich diese Problematik nicht: Als Sondervermögen der Gemeinde können sie ohne einen Auftrag im Rechtssinne aufgrund interner Weisungen für die Gemeinde tätig werden mit der Folge, dass Vergaberecht grundsätzlich nicht angewendet wird. Eine ausführliche Darstellung des Auftrags- und Vergabewesens enthält der Beitrag von Otting/Ohler/Olgemöller (§ 14). Auf diesen Beitrag wird Bezug genommen. 104 Als letztes Kriterium ist der Aspekt der Mitbestimmung zu nennen, wobei dieser Aspekt teilweise als Unterpunkt unter personalrechtlichen Kriterien geführt wird150. Bezüglich der Mitbestimmung ist zwischen der betrieblichen und der unternehmerischen Mitbestimmung zu differenzieren. Die betriebliche Mitbestimmung bezieht sich auf Organisation, Arbeitslauf und personelle oder soziale Einzelentscheidungen. Für die kommunalen Unternehmen in öffentlich-rechtlicher Rechtsform gelten die jeweils einschlägigen Personalvertretungsgesetze der Länder. Für die Unternehmen in Privatrechtsform gilt das BetrVG151. Zu den Einzelheiten der Mitbestimmungsrechte wird auf den Beitrag von Schuster/Lorenzen, § 12 Rz. 150 ff. Bezug genommen. 105 Die unternehmerische Mitbestimmung ist in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich ausgestaltet152. Diese Mitbestimmung wirft Fragen im Hinblick auf das Demokratieprinzip153 auf, die im Rahmen dieses Überblicks nicht vertieft erörtert werden können.
149 150 151 152 153
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OLG Hamburg, Beschluss vom 14.12.2010 – 1 Verg 5/10. So z.B. bei Gaß, S. 134 ff. Gaß, S. 134 f. Gaß, S. 135. Näher hierzu Mann, Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft S. 139 ff. und S. 258 ff.
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Sachregister Die fett gedruckten Zahlen verweisen auf den mit § bezeichneten Teil; die gewöhnlich gedruckten Zahlen auf die Randziffern.
Abberufung, s. Aufsichtsratsmitglieder – von Vertretern 9 26 f. Abdingbarkeit – Betriebsübergang 12 122 Abfallbeseitigung – Einbeziehung Privater 2 21 Abfallentsorgung – Eigenbetrieb 7 32 – fachgesetzliche Privatisierungsmöglichkeiten 7 186 – horizontale Zusammenarbeit 14 53 – Kartellrecht 15 81 f. – kommunale Zusammenarbeit 14 53 – kostenrechnende Einrichtung 7 31 – Marktabgrenzung bei Zusammenschluss 15 182 – Public Private Partnership 7 172 – Regiebetrieb 7 27 – wirtschaftliche/nichtwirtschaftliche Betätigung 6 122 – Zweckverband 7 143 Abfindungsverbot 12 69 Abführungspflicht – Vergütung 9 56 ff. Abgaben, öffentliche 1 12 Abgrenzung Betrieb gewerblicher Art (BgA) – Hoheitsbetrieb, s. auch Betrieb gewerblicher Art (BgA) 11 18 ff. Abhängigkeit – Abhängigkeitsbericht 13 77 ff. – Aktiengesellschaft 13 77 – Beendigung 13 74 – Begriff 13 69 ff. – Begründung 13 70 ff. – bei abhängiger Aktiengesellschaft 13 75 ff. – bei abhängiger GmbH 13 88 f. – Berichtsinhalt bei Kommunen 13 82 ff. – GmbH 13 89 – Kreditgewährung 13 51, 87 – Mittel 13 71 ff. – Rechtsfolgen 13 20
– Verhältnis zum Jahresabschluss 13 80 – wirtschaftliche 13 51 f. Abhängigkeitsvermutung – Begriff 13 19 – Entherrschungsvertrag 13 65 – Widerlegung 13 65 ff. Ablösung bei Tarifverträgen 12 101 Ablösung durch anderen Kollektivvertrag 12 100 ff. Abordnung und Versetzung nach §§ 14, 15 BeamtStG 12 260 Absatzförderungszusammenhang 10 12 ff. Abschluss von Unternehmensverträgen – Änderung von Unternehmensverträgen 13 149 ff. – Aktiengesellschaft 13 126 ff. – Aktiengesellschaft, Änderung 13 150 – Bericht 13 128 f. – Form 13 124 – GmbH 13 133 ff. – GmbH, Änderung 13 151 – Handelsregistereintragung 13 132 – Personengesellschaft 13 142 f. – Prüfung des Vertrages 13 130 f. – Zuständigkeit 13 124 f. – Zustimmung der Hauptversammlung 13 126 – Zustimmung der Kommunalaufsicht 13 144 ff., 152 f. Abschlussprüfung, s. Rechnungslegung und -prüfung – Informationsmöglichkeiten und -rechte der Gemeinde 8 68 Abspaltung 12 17, 19, 51, 175 Absprachen – Abgrenzung einseitige Maßnahme 15 32 – Kartellrecht 15 30 Abwasserbeseitigung – Betreibermodell 7 193 – Drittbeauftragung 7 185 – Eigenbetrieb 7 32
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Sachregister – Einbeziehung Privater 2 21 – Public Private Partnership 7 172 – Querverbund 7 46 – Regiebetrieb 7 27 – Zweckverband 7 143 Abwehr unlauteren Verhaltens 10 97 ff. Adressat – staatliches Unternehmen 15 21 ff. Adressaten des Wettbewerbsrechts 10 8 Änderungskündigung 12 59, 98, 120, 204 ff. Änderungsverträge – ergänzende und verbessernde 12 123 – verschlechternde 12 121 Aktiengesellschaft – Abgrenzung zur GmbH 7 115 – Abhängigkeit, Rechtsfolgen 13 75 ff. – Abhängigkeitsbericht 13 77 – Aufsichtsrat, Besetzung 13 47 ff. – Aufsichtsrat, gesellschaftsfremde Interessen 16 54 – Ausgleichspflicht 13 76, 111, 209 f. – Beherrschungsvertrag 13 110 – eigene Anteile 13 36 f. – existenzvernichtender Eingriff, Haftung 13 206 f. – faktischer Konzern, Haftung 13 165 ff. – faktischer Konzern, Zulässigkeit 13 101 – gemischt-öffentliche Unternehmen 7 162 – gesetzlicher Ausschluss 8 18 – Haftung 16 68 – Hauptversammlungsbeschlüsse 13 33 – Inhousevergaben 14 41 – kommunaler Einfluss 16 53 f. – kommunalwirtschaftliche Betätigung 7 107 ff. – Konzernverhältnis 16 55 – Kooperationsmöglichkeiten 16 88 f. – Mecklenburg-Vorpommern 8 18 – Nachrang gegenüber anderen privatrechtlichen Organisationsformen 7 113 – permanente Hauptversammlungspräsenzmehrheit 13 48, 53 ff. – Publikumsgesellschaft 13 54
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– qualifiziert faktischer Konzern, Haftung, s. Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs – Rechtsformwahl 16 15 – Reduzierung der Einflussmöglichkeiten 16 41 – Sondervorschriften bei Gebietskörperschaften 13 7 – Unternehmensverfassung 7 109 – Unternehmensvertrag, Abschluss 13 126 ff. – Unternehmensvertrag, Änderung 13 150 – Unternehmensvertrag, Beendigung 13 155 ff. – unternehmerische Freiheit 16 41 – Vertragskonzern, Haftung 13 209 f. – zwingende Vorgaben des Aktiengesetzes 16 35 Allgemeine Dienstleistungsüberlassung 12 221 – Rechtsfolgen 12 233 ff. – Vertragliche Gestaltung 12 254 ff. – Voraussetzungen 12 228 ff. Allgemeine Vorschriften des Arbeitsrechts – Anwendbarkeit im öffentlichen Dienst 12 6 Allgemeines Informationsrecht 12 158 Allzuständigkeit 3 1 ff. Altrücklagen 11 168 Amtshilfe 11 256 Amtstitel 12 53 Angehörige des öffentlichen Dienstes 12 2 ff. Angemessener Einfluss der Kommune – Konzernrecht 13 43, 64, 67 f. Angestellte – Regie- und Eigenbetrieb 16 61 Annextätigkeiten – Abgrenzung öffentlicher Zweck 6 98 – Fitness-Studio 6 123 – kommunale Wirtschaftsbetätigung 6 94 ff. – landesrechtliche Bestimmungen 6 100 ff. – Regionalprinzip 6 97 – Rentabilitätsgebot 6 95 Anrechnungsverfahren 11 92, 170
Sachregister Anschluss- und Benutzungszwang 15 80 – Anstalt des öffentlichen Rechts 7 84 – Konzessionsmodell 7 207 – private Trägerschaft 7 103 – privater Betrieb öffentlicher Einrichtungen 7 187 – Satzungsregeln bei Kommunalunternehmen 7 70 Anschlussklausel – Fusionskontrolle, GWB 15 179 Anstalt, s. auch rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts Anteil an Kapitalgesellschaft – Betrieb gewerblicher Art (BgA) 11 41 Anteilserwerb – Zusammenschluss, Kreditinstitut oder Versicherungsunternehmen 15 173 Anteilsverkauf 12 39, 142 ff., 162, 172 Anwartschaften 12 52, 63, 65, 69, 80 ff., 135 Anzeigepflicht – Errichtung eines Kommunalunternehmens 7 71 Arbeitgeberdarlehen 12 52 Arbeitnehmer 12 4 Arbeitnehmerüberlassung 12 193, 196 ff., 240 Arbeitnehmervertretung bei gemischten öffentlich-privaten Gruppen von Arbeitgebern 12 181 f. Arbeitsbedingungen 12 6 ff., 54 Arbeitsgemeinschaft – Wettbewerbsbeschränkung 15 47 Arbeitsgemeinschaft, kommunale – kommunale Zusammenarbeit 7 141 Arbeitsmarkt – Konzernkonflikt 13 98 Arbeitsplatzsicherung – gemeindeübergreifende Wirtschaftsbetätigung 6 65 Arbeitsrechtliche Probleme bei der Privatisierung 12 30 ff. Arbeitsverhältnis im öffentlichen Dienst – allgemeine Vorschriften des Arbeitsrechts 12 6
Arten der Privatisierung 12 14 ff. Asset Deal 12 16, 32, 128, 141, 173 Aufgaben, gemeindliche 1 3; 8 37 f. – Aufgabenübergang auf den Zweckverband 7 156 – Aufgabenübertragung auf ein Kommunalunternehmen 7 79 ff. – Beteiligungsmodelle von Privaten 7 192 ff. – Betreibermodell 7 193 – freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben 7 80 – Grundrechtsschutz privater Konkurrenz 6 131 – Konzessionsmodell 7 207 – Pflichtaufgaben 7 80; 9 63 – Pflichtaufgaben und Beleihung 7 182 ff. – Pflichtaufgaben und Public Private Partnership 7 165 ff. – Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung 1 6; 7 80 – Sicherstellung kommunalen Einflusses 8 55 – soziale 7 128 f. – übertragene Aufgaben 7 81 – und gemischt-öffentliche Unternehmen 7 164 – und Handeln privatrechtsförmiger kommunaler Unternehmen 7 99 f. – Veräußerung von Beteiligungen 9 61 ff. – Zweckverband 7 145, 156 ff. Aufgaben, öffentliche 1 3 – unverzichtbare Staatszwecke 5 5 Aufgabenbereich, kommunaler 3 1 f. Aufgabenerfüllung 1 8 f. – hoheitliche 1 8 – privatwirtschaftliche 1 8, 13 Aufgabenfinanzierung 1 9 ff. Aufgabenprivatisierung 2 14, 16; 5 15 – Public Private Partnership 7 171 Aufgabensystem 1 3 Aufgabenwahrnehmung 3 1 Aufgabenzuweisung 1 1 Aufhebungsverträge und Eigenkündigungen 12 117 ff. Aufsichtsrat – Aktiengesellschaft 7 111; 13 47 ff.
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Sachregister – Besetzung 8 61; 9 22 f. – GmbH 7 118; 13 50 – Pflicht zur Einrichtung 8 62 Aufsichtsratsmitglieder – Abberufung 8 61; 9 26 ff. – Entsendung 8 61; 9 22 – Inkompatibilitätsvorschriften 9 25, 31 – Interessenkollisionen 9 25, 41 – Konflikt zwischen gesellschaftsrechtlichen und kommunalrechtlichen Vorgaben 9 1 – Niederlegung des Mandats 9 26 ff. – Pflicht zur Berücksichtigung gemeindlicher Interessen, s. unter Interessenberücksichtigungspflicht der gemeindlichen Vertreter – Vergütung, s. Vergütung der Organmitglieder – Weisungen an 8 63; 9 40, 45 f. – Wichtiger Grund für Abberufung 9 26 ff. Aufsichtsratssitzung – Anwesenheit von Ratsmitgliedern 8 77 – Öffentlichkeit 8 77 Aufspaltung 12 17, 51, 175 ff. Aufteilungsgebot – Umsatzsteuer 11 358 f. Aufteilungsmaßstab – Umsatzsteuer 11 360 Auftraggebereigenschaft kommunaler Unternehmen 14 5 ff. – Voraussetzungen nach GWB 14 14 Auftragsangelegenheit 1 3 Auftragsverhältnis, öffentlich-rechtliches – Gemeinde und Gesellschaftsvertreter 9 30 Auftragsverwaltung 1 5 f. Aufwandsentschädigung, angemessene 9 56 Ausbeutungsmissbrauch – marktbeherrschende Stellung 15 110, 121 Ausgleichsleistungen – Daseinsvorsorge 2 6 Ausgleichspflicht 13 76, 209 Ausgleichszahlung 11 90 ff., 237 f.
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Ausgliederung 12 18 f., 25, 51, 58, 112, 128, 189, 191, 219, 251 Auskünfte 10 81 ff. Auskunftsanspruch – Konkurrentenklage 11 300 Auskunftserteilungsklage 11 298 – Informationsgehalt 11 304 – Leistungsklage 11 299 – Steuergeheimnis 11 303 – Wettbewerbsnachteile 11 301 Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst 12 30, 60, 139 Ausschließlichkeitsrechte 3 23 Ausschreibung – fehlende, s. auch de-facto-Vergaben 14 63 – kommunale Zusammenarbeit 14 53 ff. – Rechtsbindung der Kommune 14 29 – wesentliche Vertragsänderung, Vergaberecht 14 22 Außenwerbung 1 8 Austritt aus der Gesellschaft 8 59 Auswirkungen des Formwechsels – auf Arbeitsbedingungen 12 132 ff. – auf Kollektivnormen 12 134 ff. Autorität, hoheitliche 10 69 ff., 72 ff. Back to Back-Finanzierungen 11 81 Baden-Württemberg – Flexibilisierung öffentlich-rechtlicher Unternehmensform 7 37 – Konkurrentenschutz für Private 6 138 – Qualitätsvergleich, private/kommunale Unternehmen 6 89, 91 Bagatellausnahmen – Fusionskontrolle, GWB 15 179 Bananen-Urteil 3 30 Bankunternehmen 4 10 Baumaßnahmen – Public Private Partnership 16 81 Baurecht – öffentlicher Auftrag 14 15 – Schwellenwert 14 20 – Wettbewerb mit gewerblichen Unternehmen 14 65
Sachregister Bayern – Baumaßnahmen, Public Private Partnership 16 81 – Bestandsschutz für Unternehmen 6 115 – gemeindeübergreifende Wirtschaftsbetätigung 6 39 – Haftungsbegrenzung der Gemeinde 8 46 – kommunales Unternehmensrecht 6 9 – Konkurrentenschutz für Private 6 139 – öffentlicher Zweck und reine Erwerbswirtschaft 6 54 – Qualitätsvergleich, private/kommunale Unternehmen 6 89, 91 – wirtschaftliche/nichtwirtschaftliche Betätigung 6 123 Beamte 12 3, 5, 215 ff. – Freistellungs- oder Ersatzansprüche 9 60 Beamtenverhältnis – Rechtsform kommunaler Unternehmen 16 58 f. Bedarfsmarktkonzept 15 104 Beendigung von Unternehmensverträgen – Aktiengesellschaft 13 155 ff. – Gesellschafterversammlung 13 162 – GmbH 13 159 f. – Handelsregistereintragung 13 158 – Hauptversammlung 13 157 – Kommunalaufsicht 13 163 – Kündigung aus wichtigem Grund 13 156 – Kündigung aus wichtigem Grund, GmbH 13 160 – ordentliche Kündigung 13 156 – wichtiger Grund 13 156, 160 f. – Zustimmung 13 157, 162 Behandlung bestehender Beteiligungen – angemessener Einfluss der Gemeinde 8 57 – Hinwirkenspflichten und Beteiligungsumfang 8 72; 9 9 – Mehrheitsbeteiligung 8 38, 42; 9 50 – mittelbare Beteiligung 9 49 – Wirtschaftsgrundsätze, s. dort Beherrschender Einfluss – angemessener Einfluss der Kommune 13 43 ff.
– – – –
Aufsichtsrat, Besetzung 13 47 ff. Begriff 13 31 ff. Darlehen 13 51 Geschäftsführung, Recht zur Besetzung 13 46 – Mittel 13 71 ff. – öffentliche Unternehmen 3 22 – permanente Hauptversammlungspräsenzmehrheit 13 53 ff. – schuldrechtliche Beziehungen 13 51 ff. Beherrschung – Beherrschungsvertrag 13 110 ff. – eigene Anteile 13 36 f. – einheitliche Leitung 13 18 – Entherrschungsvertrag 13 65 – Gewinnabführungsvertrag 13 114 – Mehrheitsbeteiligung 13 16, 32 ff. – Minderheitsbeteiligung 13 41 ff. – Organschaftsvertrag 13 114 – Zurechnung von Anteilen 13 38 ff. Beherrschungsvertrag, s. auch Unternehmensverträge – Aktiengesellschaft 13 111 – Begriff 13 110 ff. – GmbH 13 112 – Organschaftsvertrag 13 114 – Personengesellschaft 13 113 Behinderungsmissbrauch – Interessenabwägung 15 130 f. – marktbeherrschende Stellung 15 110, 120 Beihilfen 3 24 – Begriff 2 6; 3 28 – Beihilfeverbote 3 24, 27 ff. – Gemeinschaftsrecht 2 6 – Vergaberecht 14 3 – Wettbewerb 3 24 Beirat – Zweckverband 7 153 Beistandsleistungen 11 32 ff., 245 – Auffassung der Finanzverwaltung 11 292 f. – Wettbewerbsverzerrungen 11 285 Beleihung 7 12, 164 – Abgrenzung Organisationsprivatisierung 2 17 – Aufgaben, gemeindliche 7 81 – Eigengesellschaft 7 100
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Sachregister – Einbeziehung Privater in staatliche Aufgaben 7 178 ff. – formelle Privatisierung 2 21 f. – Ver- und Entsorgung 2 12 Benachteiligung – Vornahme durch Wirtschafts- und Berufsvereinigungen 15 137 Benchmarking 1 27 Benutzungs-/Zulassungsanspruch, s. Gemeindlicher Benutzungsanspruch Beratungsmodell, s. Management- und Beratungsmodell Berichtspflichten der Gemeinde – Anforderungen an Beteiligungsberichte 9 66 ff. – Ausdehnung auf rechtlich verselbständigte Unternehmen in öffentlicher Rechtsform 9 69 – Beteiligungsberichte 9 64 – gegenüber Kommunalaufsicht 9 65, s. auch Kommunalaufsicht – NRW 9 71 – Zweck 9 70 Berichtspflichten gemeindlicher Vertreter – gesetzliche Grundlage 9 39 – Information der Gemeinde, s. dort – und Umfang der Beteiligung 9 39 Beschäftigung von Beamten in privatisierten Unternehmen 12 215 ff. Besitzermodell 7 205 Besonderheiten der Organisationsprivatisierung ohne Betriebsübergang 12 127 ff. Besonderheiten des Umwandlungsrechts 12 24 ff., 51, 58 f., 106 f., 111 ff. Bestandsschutz – bestehende Unternehmen 6 115 Besteuerungssystematik – Besteuerungsgegenstand 11 141 ff. – Betrieb gewerblicher Art (BgA) 11 130 ff. – BgA mit eigener Rechtspersönlichkeit 11 132 ff. – BgA ohne eigene Rechtspersönlichkeit 11 135 ff. – Einbringung eines BgA 11 138 f. – Gewinnbegriff 11 146 f. – Gewinnermittlung 11 136 f.
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– Kapitalgesellschaft 11 129 – öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten 11 140 – Rücklagenbildung 11 153 ff. – Verluste früherer Jahre 11 148 ff. Betätigung, wirtschaftliche, s. Wirtschaftsbetätigung – Gewinnerzielungsabsicht 4 1, 9 Betätigungskontrolle 6 116 Beteiligteneigenschaft bei der VBL 12 74 Beteiligung 11 42 ff., 228, 236 – an Kapitalgesellschaft 11 86, 113 ff., 181 ff. – an Personengesellschaft 11 126 ff., 164 ff., 181 ff. – Beteiligungsbericht 9 64 ff. – Beteiligungsmodelle von Privaten 7 192 ff. – der Kommune als Kapitalanlage 8 7 – des Kommunalunternehmens an einem anderen Unternehmen 7 86 – Privater 7 1, 4, 113, 143, 173 ff.; 8 34 f. – Veräußerung 9 61 ff. Beteiligungsbericht 9 66 ff. Beteiligungsrechte – allgemeine 12 158 – des Betriebsrats bei Privatisierung 12 159 ff. – des Personalrats bei Privatisierung 12 151 ff. Beteiligungsverhältnisse – eigene Anteile 13 36 f. – Mehrheitsbeteiligung 13 16, 32 ff. – Minderheitsbeteiligung 13 41 ff. – paritätische Beteiligung 13 250 ff. Betreibermodell 2 22 f.; 5 19; 7 193 f., 203 – Public Private Partnership 7 193 f. Betrieb – Begriff 12 33 ff. – Wirtschaftsbetätigung der Gemeinde 4 15 Betrieb gewerblicher Art (BgA) – Abgrenzung bei Beistandsleistungen 11 32 ff. – Abgrenzung bei gemischten Tätigkeiten 11 37 f.
Sachregister – Abgrenzung bei Verpachtung eines Hoheitsbetriebes 11 29 ff. – Abgrenzung nach Finanzverwaltung 11 20 ff. – Abgrenzung nach Rechtsprechung 11 25 ff. – Abgrenzung zum Hoheitsbetrieb 11 18 ff. – Abgrenzung zur Vermögensverwaltung 11 39 ff. – als Organträger 11 227, 340 ff. – Aufgabenübertragung auf private Dritte 11 23 f. – Aufteilung eines Wirtschaftsgutes 11 84 – Bäderamt 11 192 – Begrenzung des Verlustabzuges 11 77 ff. – Besonderheiten bei Gewinnermittlung 11 61 ff. – Besteuerung 11 129 ff. – Besteuerungsgegenstand 11 141 ff. – Beteiligung an Personengesellschaft 11 126 ff., 164 – Betriebsvermögen 11 82 ff. – Blockheizkraftwerk 11 195 – Buchführung 11 46 ff. – Dauerverlust-BgA 11 227 – Dauerverlustgeschäft 11 102 ff. – Eigenbetrieb 11 178 – Eigenkapitalausstattung 11 72 ff. – Einkommensermittlung 11 58 ff. – Einnahmeerzielungsabsicht 11 14 – Einrichtung 11 9 ff. – Einstufung kraft Gesetzes 11 19 – Erweiterung des Tätigkeitsbereichs 11 210 – Gewerbesteuer 11 227 ff. – Gewinnermittlung 11 48 ff. – Gewinnermittlung, Besonderheiten 11 61 ff. – Gewinnerzielungsabsicht 11 14, 43, 57, 93 ff., 182, 227, 246 ff. – gleichartige, s. Gleichartige BgA – Grundsätze zur verdeckten Gewinnausschüttung 11 62 ff. – Grundstücke 11 87 – Handelsbilanz 11 60 – Kapitalertragsteuer 11 59 ff. – Kettenzusammenfassung 11 200 ff.
– Kirchen 11 79 – Konzern, einheitliche Leitung 13 96 – mit eigener Rechtspersönlichkeit 11 132 ff. – Mitschlepptheorie 11 200 – Mitunternehmerschaft 11 28 – Multifunktions-/Mehrzweckhalle 11 110 – Nachhaltigkeit 11 13 – nicht gleichartige, s. Nichtgleichartige BgA – ohne eigene Rechtspersönlichkeit 11 135 ff. – Organträger 11 340 – Rechtsbeziehungen zur Trägerkörperschaft 11 62 ff. – Selbstversorgungsbetrieb 11 17 – strukturell dauerdefizitärer BgA 11 14, 57, 93 ff., 167, 186, 211 ff., 236, 245 ff., 261 – Verlustabzug 11 76 ff. – Vermietung/Verpachtung wesentlicher Betriebsgrundlagen 11 66 ff. – wesentliche Betriebsgrundlagen 11 83 – wirtschaftliche Bedeutsamkeit 11 16 – Zinsschranke 11 77 ff. – Zuordnung von beweglichen Wirtschaftsgütern 11 88 f. – zusammengefasste BgA 11 76, 112, 137, 189 ff., 248 Betriebliche Altersversorgung – allgemein 12 61 ff. – im öffentlichen Dienst 12 70 ff. Betriebliche Einheit 12 91, 137 Betriebliche Interessenvertretung 12 248 Betriebliche Übung 12 52 Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse 9 37 Betriebsänderung 12 166 Betriebsaufspaltung 11 41, 66, 228, 249 Betriebsbedingte Kündigungen 12 56, 186, 204 f. Betriebsführungsmodell 7 195 f., 203 Betriebsrat – Personalgestellung 12 213 Betriebssatzung – Eigenbetrieb 7 38 – Leitung des Eigenbetriebs 7 53
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Sachregister Betriebsteil i.S.d. § 613 a BGB 12 36 Betriebsübergang 12 44, 155 – gem. § 613a BGB 12 16, 21, 27, 33 ff., 142, 163 ff. – Informationspflichten, -rechte beim 12 164 ff. – Rechtsfolgen für betriebliche Altersversorgung 12 61 ff. – Übergang der Arbeitsverhältnisse 12 52 ff. Betriebsüberlassungsmodell 7 197 Betriebsvereinbarungen 12 91, 100 f., 121, 125, 143, 177, 183 ff., 243 ff. Betriebsverfassung 12 91, 133, 137 Betriebsvermögen – gewillkürtes 11 82 ff., 105, 113, 181 ff., 228 – notwendiges 11 41, 66 ff., 82 ff., 105, 113, 228 – Überführung einzelner Wirtschaftsgüter 11 89 Betriebsvermögensvergleich 11 136 Betriebszugehörigkeit 12 52 Beurteilungsspielraum – gemeindeübergreifende Wirtschaftsbetätigung 6 58 ff. – Leistungsfähigkeit der Gemeinde 6 77 – Qualitätsvergleich 6 87 Bevorzugung einzelner Unternehmen 10 96 Bezugnahmeklauseln – dynamische 12 94 ff. Bezugssperre – Boykott, § 21 GWB 15 139 BFH – Rücklagenbildung 11 160 ff. BGB-Gesellschaft – kommunalwirtschaftliche Betätigung 7 120 ff. – unbeschränkte Haftung 7 122 BGH – Elektroarbeiten 10 35 – jugendgefährdende Medien bei ebay 10 92 – kommunaler Bestattungswirtschaftsbetrieb 10 56 ff. – Schilderverkauf 10 57 Billigkeitskontrolle 12 103
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Blockheizkraftwerk – technisch-wirtschaftliche Verflechtung 11 195 Boykottverbot – Boykottzweck 15 140 – einseitige Maßnahmen 15 138 Branchendialog – gemeindeübergreifende Wirtschaftsbetätigung 6 70 Brandenburg – Annextätigkeiten 6 102 – Betätigungskontrolle 6 117 – gemeindeübergreifende Wirtschaftsbetätigung 6 42 – Kapazitätsauslastung 6 110 – Konkurrentenschutz für Private 6 133, 140 – öffentlicher Zweck und reine Erwerbswirtschaft 6 55 – Qualitätsvergleich, private/kommunale Unternehmen 6 90 – Verfahren bei gemeindeübergreifender Wirtschaftsbetätigung 6 71 – wirtschaftliche Betätigung 6 15 Bremer-Vulkan-Entscheidung 13 186, 189 ff. Buchführung – Eigenbetrieb 7 62 – kaufmännische doppelte 16 97 Buchführungspflichten 11 51 ff. Buchwert – Betrieb gewerblicher Art (BgA) 11 138 Budget, produktbezogenes 1 21 Bürgermeister, s. Hauptverwaltungsbeamter Build-Operate-Transfer-Modell 2 23; 7 198 f. Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT), s. Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst 12 7 Business-Plan 13 233 Bußgeld 15 66 – Verstoß gegen deutsches Kartellrecht 15 98 f., 124 f. Carbotermo-Entscheidung – Umsatz bei Inhousevergaben 14 50 Casting Vote 13 256
Sachregister Citizen’s Charter 2 1 Cross-Border-Leasing 7 212 ff. Darlehen – beherrschender Einfluss 13 51 – Kreditgewährung an Vertreter des herrschenden Unternehmens 13 87 Daseinsvorsorge 1 2, 4; 10 10 – aktuelle Situation 2 12 – Anfangszeit 7 1 – Ausgleichsleistungen 2 6 – Finanzierungsmodelle 7 209 ff. – Gewinnerzielungsabsicht 4 9 – öffentlicher Auftraggeber 14 9 – öffentlicher Zweck gemeindeübergreifender Wirtschaftsbetätigung 6 60 – Privatisierung 2 13 – Wettbewerb 2 2 ff. – Wettbewerbsprinzip 3 8, 26 – wirtschaftliche Betätigung 6 119 Dauerdefizitäre Tätigkeiten 11 93 ff. Dauerverlust 11 227 – begünstigtes Dauerverlustgeschäft 11 109 ff. – Beteiligung an Personengesellschaft 11 126 ff. – kostendeckendes Entgelt 11 108 – Prognose 11 105 – Rechtsfolgen 11 111 ff. – selbst erledigte Tätigkeiten 11 110 – Stimmrechtsmehrheit bei Kapitalgesellschaft 11 115 ff. – Tracking Stock-Struktur 11 122 ff. – verdeckte Gewinnausschüttung 11 93 ff., 111 ff. – Zeitraum der Prognose 11 106 Dauerverlustgeschäft – Begriff 11 102 f. Dead-Lock-Situation 13 255 De-facto-Vergaben – Risiken 14 63 Defizite, s. Haftungsbegrenzungen De-minimis-Bekanntmachung – Wettbewerbsbeschränkung 15 50 Deregulierung – Tarifsystem 12 8 Deutsche Gemeindeordnung 1 18; 7 2, 32
Deutsches Kartellrecht – Anschluss- und Benutzungszwang 15 80 – Anwendbarkeit bei Kommunalunternehmen 15 78 ff. – Anwendungsbereich 15 9 – Begriff EG-Kartellrecht 15 150 ff. – Bußgeld 15 98 f., 124 f. – Einkaufsgemeinschaften 15 88 – Freistellung für kleinere/mittlere Unternehmen 15 86 – hoheitliche Tätigkeit 15 77 – Kartellverbot 15 68 ff. – Missbrauchsaufsicht 15 113 ff. – öffentlicher Personennahverkehr 15 91 – Rechtsfolgen bei Verstoß 15 95 ff. – und Fusionskontrolle 15 169 ff. – Unternehmensbegriff des GWB 15 69 – Verfahren bei Verstoß 15 95 ff. – Verhältnis zum europäischen Kartellrecht 15 17 f., 100 ff. – Verhaltensabstimmung 15 83 f. – verwaltungsrechtliche Instrumente 15 97 Dienstherr – Kommunalunternehmen 16 62 Dienstherreneigenschaft – Kommunalunternehmen 7 70 Dienstleistungen – Abgrenzung Auftrag/Konzession 14 18 – Rahmenvereinbarung 14 17 – Vergaberecht 14 17 f. – Wettbewerb mit gewerblichen Unternehmen 14 65 Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse 2 7; 3 26 – Vergaberecht 14 2 Dienstleistungskonzession 7 208 Dienstleistungsüberlassung 12 95 f., 218, 221, 228 ff., 233 ff., 254 ff. Dienstrecht – der Beamten 12 5 – im öffentlichen Dienst 12 5 Dienststelle 12 22 ff., 33, 37 Dienstvereinbarungen 12 9, 91, 99, 103, 107, 125, 137 ff., 143, 155, 183 ff. Direktversicherungen 12 64, 67
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Sachregister Direktzusage 12 65 Diskriminierungsverbot – marktbeherrschender Unternehmen 10 63 Disquotale Verlusttragung – Beteiligung an Kapitalgesellschaft 11 121 ff. Doppelaufgabe, unzulässige 10 53 ff. Doppelnatur hoheitlichen Handelns 10 31 Doppelstellung der Gemeinde 10 10, 31 Doppik 11 58 Dreistufenmodell 12 103 Dresdner System 7 2 Dringende öffentliche Interessen 12 218, 222, 232 Drittbeauftragung – Pflichtaufgaben 7 185 Drittschützende Norm – Konkurrentenklage 11 311 – Leistungsklage 11 302 Durchgriffshaftung – privatrechtliche Unternehmensform 16 70 ff. Durchsetzung des Kommunalrechts über Wettbewerbsrecht 10 33 ff. Dynamische Verweisung 12 92, 94 ff., 135 Eigenbedarf, gemeindlicher – Hilfsbetriebe 4 5, 8 Eigenbetrieb 11 149 ff., 172; 12 37 – Abfallentsorgung, Abwasserbeseitigung 7 27 – Abgrenzung zur rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts 7 63 f., 78 – Anwendung von Eigenbetriebsrecht auf nichtwirtschaftliche Einrichtungen 7 39 ff., 46 – Betrieb gewerblicher Art (BgA) 11 178 – Betriebssatzung 7 38 – BFH 11 131 ff., 160 ff. – Buchführung 11 52 ff. – Buchführung mit Jahresabschluss 7 62 – Drittkonstellationen 11 328 – Eigenbetriebsgesetze 7 35
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– Eigenbetriebsverordnung, s. dort – Eigengesellschaft, Verlustausgleichspflicht 13 120 – Einbeziehung Privater 7 174 – Einwirkungsmöglichkeiten kommunaler Organe 16 47 ff. – Errichtung durch Zweckverband 7 159 – fehlende rechtliche Selbständigkeit 16 29 – Gewinne eines Betriebs gewerblicher Art (BgA) 11 178 – Haftung 16 66 – Haushaltsrecht 16 94 – historische Entwicklung 7 2 f. – Inhousevergaben 14 37 – Innenverhältnis zur Kommune 7 48 – kommunale Zusammenarbeit 7 137 – Kompetenzverteilung zwischen Leitungs- und Überwachungsorganen 16 38 f. – Kontroll- und Entscheidungsbefugnisse des Rates 7 58 – Konzern, einheitliche Leitung 13 96 – Kooperationsmöglichkeiten 16 83 f., 87 – Leitung 7 53 ff. – Organisationsform 7 32 – organisatorische Autonomie 16 31 – partiell verselbständigt 7 33 – Personal des Eigenbetriebs 16 58 – prozentualer Anteil an Kommunalunternehmen 16 14 – Prüfungswesen 16 98 – Rechnungswesen 16 97 – Rechtsfähigkeit 7 47 – Rechtspersönlichkeit 7 27; 14 6 – Reform- und Modernisierungsbemühungen 7 8 – Rücklagen 11 154 – Rücklagenbildung 11 160 ff. – Sondervermögen 7 34 – Tauglichkeit zur Führung wirtschaftlicher Unternehmen 16 31 – Umwandlung in rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts 7 69 – Unterschied zum Regiebetrieb 7 59; 11 7 – Vergaberecht 14 30
Sachregister – Vertragskonzern, wirtschaftliches Risiko 13 119 f. – Zeitpunkt der Einkünfteerzielung 11 176 – Zweckverband 7 155 Eigenbetriebsähnliche Einrichtung 7 29, 32 f., 38 – anwendbare Rechtsvorschriften 7 39 – Eigenbetriebsrecht 7 42 ff. – Umwandlung in rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts 7 69 Eigenbetriebsverordnung 1 18; 4 3; 7 2, 32, 36 f., 53 Eigene Anteile – Berücksichtigung 13 36 f. Eigengesellschaft 12 37 – Alleingesellschafterin 13 2 – als Aktiengesellschaft 7 113 – als öffentlicher Auftraggeber 14 5 ff. – Begriff 7 92; 8 4 – Beleihung 7 100 – Eigenbetrieb, Verlustausgleichspflicht 13 120 – Folgen für die kommunalen Handlungsmöglichkeiten 7 99 ff. – Gewerbesteuer 11 249 – GmbH 7 119 – historische Entwicklung 7 3 – Inhousevergaben 14 37 – kommunaler Einfluss 8 55 – Vergleich der Gesellschaftsformen 8 19 – Vorteile 7 96 f. Eigenkapitalausstattung – angemessene 11 72 ff. – Gewinnausschüttung 11 167 Eigenproduktion – Daseinsvorsorge 2 11 Eigenverantwortlichkeit der Wahrnehmung von Selbstverwaltungsaufgaben, s. Selbstverwaltungsgarantie Einbringung – Besteuerung 11 142 f. – Betrieb gewerblicher Art (BgA) in Kapitalgesellschaft 11 138 f. Einbringungsgeborene Anteile (§ 21 Abs. 3 UmwStG) – Kapitalertragsteuer 11 142
Einfluss der Gemeinde – beherrschender 3 22 – Bestimmung der Angemessenheit 8 57 f. – durch Ausrichtung der Gesellschaftsverfassung, s. Gesellschaftsverfassung – durch Besetzung der Überwachungsorgane 8 57; 9 22 – durch Weisungen an Gesellschaftsorganmitglieder 8 63 – Eigengesellschaft 7 97 – Einfluss als Kommanditist 8 58 – Form des Einflusses 8 59 – Gefahr der unbegrenzten Haftung 8 64 – Hinwirkensverpflichtungen, s. dort – Kurzzeit-Betreiber-/BOT-Modell 7 198 f. Einflussmöglichkeiten auf die Zweckerfüllung 9 9 – Berücksichtigung sonstiger öffentlicher Zwecke 9 12 – Priorität der Zweckerreichung 9 11 – und Ertragserzielung 9 10 f. Einflussnahme – Haftung im faktischen Konzern 13 172 Einflussnahmerichtlinie 9 5 ff., 13, 15 Einheitliche Leitung – Begriff 13 18, 94 ff. – faktischer Konzern 13 94 ff. – Konzern 13 18 – Mehrheitsbeteiligung 13 94 ff. – Minderheitsbeteiligung 13 259 ff. – paritätische Beteiligung 13 250 ff. – Vertragskonzern 13 109 f. Einkapselung – steuerliche Zusammenfassung BgA 11 207 Einkaufsgemeinschaft – deutsches Kartellrecht 15 88 – Kartellrecht 14 60 – kommunale Zusammenarbeit 14 59 f. Einlagen 11 92 f., 119 Einlagenrückgewähr 11 152, 169 f., 192 Einrichtungen 11 9 ff. – kulturelle 4 5, 7
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Sachregister – soziale 4 5, 7 – wirtschaftliche 1 2 Einrichtungsgarantie 3 4 f. Einschätzungsprärogative – Subsidiaritätsregeln 8 26 Einstandspreis – Verkaufsverbot unter Einstandspreis 15 136 Einzelmarktbeherrschung 15 106 Einzelrechtsnachfolge 12 16, 21 Eisenbahn – kartellrechtliche Schranken 15 149 Elektrizitätswirtschaft 1 17 Empfehlungen 10 81 ff. Energieversorgung – Rekommunalisierung 5 22 – Übernahme 6 113 Energiewirtschaft – Kartellverbot 15 93 – Missbrauchsaufsicht 15 146 – Preiskontrolle 15 121 Entgelt – unternehmerische Tätigkeit 11 281 Entherrschungsvertrag 13 65 – s. auch Unternehmensvertrag Entlassung von Beamten und Einstellung als Angestellte 12 258 Entscheidungsübergewicht 13 256 Entsenderechte 8 59, 61; 9 22 Entsorgung – Drittbeauftragung 7 185 – Einbeziehung Privater 2 21 – Privatisierung 5 17 Erfüllungsgehilfe der Kommune, s. Verwaltungshelfer, -hilfe Ergänzende Liquiditätsbetrachtung 11 166 Ergebnisermittlung – Spartentrennung 11 220 ff. Ermessen 12 227 Ertragserzielung – Einflussnahmerichtlinie 9 13 – Erwirtschaftung von Rücklagen 9 10 – marktübliche Verzinsung des Eigenkapitals 9 10 – Priorität der Zweckerreichung 9 11 f.
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Erweiterung – Kommunalunternehmen 6 114 Erwerber 12 16, 22 ff. Erwerbswirtschaftlich-fiskalische Tätigkeit 3 5, 9 – Grundrechtsgeltung 3 7 Essential Facilities – EG-Kartellrecht 15 111 – GWB 15 123 EuGH – Isle of Wight 11 267 – Mehrwertsteuersystem-Richtlinie (MwStSystRL) 11 261 – Rechtssache Van Eycke 15 192 – SALIX-Entscheidung 11 291, 316 ff. – VNLTO-Entscheidung 11 352 ff. – Vorschaltgesellschaften 11 373 EU-Kommission – Ahndung staatlicher Verstöße gegen Art. 106 AEUV 15 190 EU-Recht – Beihilfen 2 6 – Fusionskontrollvorschriften 15 150 ff. – Selbstverwaltungsgarantie 3 14 ff. – Vergaberecht 14 1 – Vergabeverfahren 14 32, 36 Europäische Charta 3 17 Europäisches Kartellrecht – Anwendungsbereich 15 10 ff. – Aufgreifschwellen 15 154 – Begriff EG-Kartellrecht 15 21 ff. – bezweckte/bewirkte Wettbewerbsverhinderung 15 41 ff. – marktbeherrschende Stellung 15 103 – nicht-unternehmerischer Staat 15 185 ff. – Tätigkeit als Unternehmen 15 21 ff. – und Fusionskontrolle 15 150 ff. – Unternehmensvereinigung 15 35 – Vorrang 15 16 ff. – Wettbewerbsbeschränkung 15 36 ff. Existenzvernichtender Eingriff, Haftung, s. Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs Factoring 7 217 ff. Fahrzeuge – Umweltkriterien bei Vergaberecht 14 27
Sachregister Faktischer Konzern – Aktiengesellschaft 13 101 – Beginn 13 99 – Begriff 13 93 – einheitliche Leitung 13 94 ff. – Ende 13 100 – GmbH 13 102 – Haftung, s. Haftung im faktischen Konzern – kommunalrechtliche Zulässigkeit 13 104 – Minderheitsbeteiligung 13 95 f. – Personengesellschaft 13 103 – Zulässigkeit 13 101 ff. Finanzausgleich 11 2 Finanzhoheit 3 4 f. Finanzierung – back to back 11 81 – Organisationsform kommunaler Unternehmen 16 75 ff. – schädliche Gesellschafter-Fremd~ 11 80 Finanzierung der Zusatzversorgung 12 71 Finanzierungsmodelle – Cross-Border-Leasing 7 212 ff. – Factoring 7 217 ff. – gemeindliche Aufgaben und Einbeziehung Privater 7 209 ff. – Leasing 7 210 ff. – sale-and-lease-back 7 215 ff. Finanzkrise 1 20 Finanzplanung – fünfjährige 8 65 – Information der Gemeinde 8 66 – mittelfristige 8 65 – Wirtschaftsplan 8 65 Flexibilisierung – öffentlich-rechtliche Unternehmensform 7 37 – Tarifsystem 12 8 Fördermittel – umsatzsteuerliche Behandlung 11 329 ff. Formwechsel 12 17, 20 ff., 26, 39, 128, 132 ff. Formwechselnde Umwandlung 12 17, 20, 27
Forschungs- und Entwicklungsvereinbarung – Gruppenfreistellungsverordnungen 15 53 Forsthoff 2 3, 11 Fortbestand des Personalrats 12 179 ff. Fortführung des Dienstverhältnisses 12 234 Fortgeltung durch Transformation 12 92 ff. Fortgeltung von Kollektivnormen beim Betriebsübergang 12 89 ff. Freistellung vom Kartellverbot, Ausnahmebereiche 15 156 ff. – EG-Kartellrecht, Art. 101 Abs. 3 AEUV 15 51 ff., 84 – EG-Kartellrecht, Art. 106 Abs. 2 AEUV 15 60 ff. – GWB 15 85 ff., 89 ff. Freistellungsanspruch – gemeindliche Beamte 9 60 Fusionskontrolle, EG-Kartellrecht – Begriff GWB 15 169 ff. – gemeinschaftsweite Bedeutung 15 156, 162 – Maßnahmen innerhalb einer wirtschaftlichen Einheit 15 150 ff. – materiell rechtliche Prüfung 15 164 ff. – Umsatzbestimmung 15 158 f. – Verfahren 15 167 – Voraussetzungen 15 160 ff. Fusionskontrolle, GWB – Auffangtatbestand 15 172 – Bagatellausnahmen 15 179 – Einzelfälle 15 182 – Marktbeherrschung 15 181 – Maßnahmen innerhalb einer wirtschaftlichen Einheit 15 165 ff. – materiell rechtliche Prüfung 15 181 ff. – Schwellenwert 15 176 – Umsatzbestimmung 15 177 – Unternehmensbegriff 15 187 – Zusammenlegung von Kommunen 15 175
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Sachregister Gasversorgung – Kartellverbot 15 94 – Konzession 14 19 – Marktabgrenzung bei Zusammenschluss 15 182 – Wettbewerb 15 145 Gaswerke 1 17 Gebietshoheit 3 4 f. Gebietskörperschaft – Anwendung des Konzernrechts 13 21 f. – Haftung der Organmitglieder, faktischer Konzern 13 214 Gebühren – Betreibermodell 7 193 – Erhebung durch Kommunalunternehmen 7 83 ff. – kostenrechnende Einrichtung 7 31 – unternehmerische Tätigkeit 11 281 Gebührenrecht 8 76 Geheimhaltungs- und Verschwiegenheitspflicht 9 38 f. Gemeindeordnung – erwerbswirtschaftliche Betätigung 10 33 ff. – Kommunalrecht der Länder 6 8 ff. – Regelungen zum Regiebetrieb 7 26 – Schrankentrias 6 2, 5 – Wettbewerbsklagen 10 34 Gemeinderat 7 50 ff., 58 – Einfluss auf Anstalt des öffentlichen Rechts 7 77 – Entstehung von Kommunalunternehmen 7 68 – Führung der Regiebetriebe 7 29 – Weisungsrecht für Kommunalunternehmen 7 70 Gemeindesozialismus 1 17 Gemeindewirtschaft 1 2 – Entwicklungsstufen 1 17 Gemeindewirtschaftsrecht 4 3 Gemeindlicher Benutzungsanspruch – Eigengesellschaft 7 102; 8 55 – öffentliche Einrichtungen i.S.d. Gemeinderechts 7 102 Gemeinschaftsrecht, s. EU-Recht
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Gemeinschaftsunternehmen, s. auch Public Private Partnership – Fusionskontrolle, EG-Kartellrecht 15 166 – Gründung 15 171 – GWB 15 171 – kommunale Zusammenarbeit 16 79 – Maßnahmen innerhalb einer wirtschaftlichen Einheit 15 153 Gemeinwohl – Bestimmung aus örtlicher Perspektive 8 15 – Wahl der Organisationsform 8 19 Gemischt-öffentliche Unternehmen 7 2, 92 – kommunale Zusammenarbeit 7 161 ff. Gemischt-wirtschaftliche Unternehmen 7 1 f., 92 – Begriff 8 4 – Betreiber-/Betriebsführungsmodell 7 203 – institutionelle Public Private Partnership 7 188 ff. – öffentliche Aufgaben und privates Erwerbsinteresse 7 190 Genossenschaft – gemischt-öffentliche Unternehmen 7 162 – Haftung für Verbindlichkeiten 7 130 – kommunalwirtschaftliche Betätigung 7 130 ff. Gentlemen’s agreement 15 30 Gerichtsstand, fliegender 10 41 Gervais-Danone-Entscheidung 13 103 Gesamtgemeinden – kommunale Zusammenarbeit 7 140 Gesamtrechtsnachfolge 12 21, 40, 107 Geschäftliche Handlung 10 5 ff. – Absatzförderung, objektive 10 12 ff. – Ausgestaltungsart 10 19 – Auskünfte und Empfehlungen 10 22 – bei Nachfragetätigkeit 10 23 – einseitige Nennung/Empfehlung 10 21 – Erfüllung gesetzlicher Pflichten 10 17 – Förderung eines eigenen Unternehmens 10 10
Sachregister – Förderung eines fremden Unternehmens 10 11 – Gesamtheitsrecht 10 5 – Lauterkeitsrecht 10 5 ff. – öffentliche Hand 10 6 – Organisationsart der Tätigkeit 10 20 – Unternehmensbezug 10 9 ff. – Verhalten einer Person 10 7 f. – zugrundeliegende Normen 10 18 Geschäftlicher Verkehr, Handeln im 10 9 Geschäftsanteile – Verkauf und Vergaberecht 14 16 Geschäftsbereich, örtlicher 3 1 Geschäftsführer – GmbH 7 116 – Handlungskompetenzen 7 119 Gesellschaft bürgerlichen Rechts, s. BGB-Gesellschaft Gesellschaft mit beschränkter Haftung, s. GmbH Gesellschafter-Fremdfinanzierung 11 80 Gesellschafterversammlung, s. auch Hauptversammlung – Abberufung von Vertretern 9 26 – GmbH 7 117 – Handlungskompetenzen 7 119 – Informationspflichten, s. Information der Gemeinde – Inkompatibilitätsvorschriften 9 25 – Interessenkollisionen 9 25 – Öffentlichkeit 8 77 – Stimmrecht der Gemeinde, s. dort – Stimmrechtsbindung, s. dort – Vertretung der Gemeinde 9 23 ff., 32 – Weisungsrecht gegenüber Vertretern 9 40 ff. Gesellschaftsform, s. Organisationsform Gesellschaftsgründung – Anwendung kommunaler Bestimmungen 8 6 – Beachtung des Kommunalabgabengesetzes 8 76 – innergemeindliche Kompetenzverteilung 8 79 ff. – Kommunalaufsicht 8 82 ff. – öffentliches Interesse 8 13
– öffentliches Interesse an Gesellschaftsgründung, s. dort – umwandlungsrechtliche Möglichkeiten 8 78 – Zulässigkeit der Aufgabenwahrnehmung 8 10 – Zulässigkeit der Rechtsform 8 9 – Zulässigkeit der wirtschaftlichen Betätigung 8 12 Gesellschaftsorgane – Zuständigkeitsverteilung 8 63 Gesellschaftsverfassung – Anforderungen an die Ausgestaltung 8 33, 57 – Ausgestaltung im Hinblick auf fünfjährige Finanzplanung 8 65 – Ausgestaltungsspielräume 8 32 ff. – Ausrichtung auf den öffentlichen Zweck 8 38, 55 – Einfluss der Gemeinde 8 55 ff., s. auch Einfluss der Gemeinde – einheitliche Steuerung 8 55 – Haftungsgefahr 8 64, s. auch Haftungsbegrenzungen für die Gemeinde – Hinwirkensverpflichtung, s. Hinwirkensverpflichtung Gesellschaftsvertrag – BGB-Gesellschaft 7 121 f. – GmbH 7 115 ff. – Kommanditgesellschaft 7 125 f. Gesellschaftswohl 9 41, 46 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), s. Deutsches Kartellrecht Gesetzgebungszuständigkeiten – Gesellschaftsrecht 8 8 – kommunale Gesellschaften 9 1 – kommunales Organisationsrecht 1 64; 7 22; 8 8 – Konflikt zwischen Gesellschaftsrecht und Kommunalrecht 9 1 f. – landesgesetzliche Ausfüllung gesellschaftsrechtlicher Spielräume 9 3 Gesetzliche Rentenversicherung 12 61 Gestaltung – der individualvertraglichen Rechtsfolgen 12 124 – des Kollektivrechts 12 125
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Sachregister – übergehender Arbeitsverhältnisse 12 116 ff. Gestaltungsrechte 12 52 Gestellungspflichten 12 204 ff. – TVöD 12 206 Gesundheitspflege 1 17 Gewerbebetrieb – Querverbund 7 46 Gewerbesteuer 11 246 ff. – Verpachtung Betrieb gewerblicher Art (BgA) 11 249 – Zusammengefasste BgA 11 246 Gewinn 11 141 ff. Gewinnabführungsvertrag 13 114 – s. auch Unternehmensvertrag Gewinnausschüttung – Eigenkapitalausstattung 11 167 Gewinnbegriff – Besteuerungsgegenstand 11 146 f. Gewinnermittlung 11 48 ff. – Darlehensvereinbarungen 11 71 f. – Eigenkapitalausstattung 11 72 – Einlagenrückgewähr 11 169 ff. – Gewinnaufschlag 11 62 – Leistungsbeziehungen zur Trägerkörperschaft 11 62 ff. – Nutzungsüberlassungen 11 63 f. – öffentliche Zuschüsse 11 68, 90 ff. – Verlustabzug 11 76, 197, 206 – Verlustausgleich 11 119 f., 212 – Vermietung/Verpachtung 11 66 f. – Verselbständigungsfiktion 11 48, 61 Gewinnerzielungsabsicht – Abgrenzung Betrieb gewerblicher Art (BgA) 11 43 – Daseinsvorsorge 4 9 – deutsches Kartellrecht 15 71 – hoheitliche Tätigkeit 15 23 – wirtschaftliche Betätigung 4 1 – wirtschaftliche/nichtwirtschaftliche Unternehmen 4 4 Gewinnorientierung 8 40, 41 – kommunaler Unternehmen 16 20 Gewinntransfer 11 152 Gläubigerschutz – Haftung im Vertragskonzern 13 210 Gleichartiger BgA – gleicher Gewerbezweig 11 193
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Gleichbehandlungsgrundsatz – Vergabeverfahren 14 35 Gleichordnung 10 10, 18 GmbH – Abgrenzung zur Aktiengesellschaft 7 115 – Abhängigkeit, Rechtsfolgen 13 88 f. – Abhängigkeitsbericht 13 89 – Auskunftsrecht des Gesellschafters 13 89 – Beschlussfassung 13 33 – eigene Anteile 13 36 f. – existenzvernichtender Eingriff, Haftung 13 192 ff. – faktischer Konzern, Haftung 13 178 ff. – faktischer Konzern, Zulässigkeit 13 102 – gemischt-öffentliche Unternehmen 7 162 – Gestaltungsbefugnisse bei der Unternehmensorganisation 16 34 – Grundzüge 7 114 – Haftung 16 68 – Inhousevergaben 14 41 – Königsberger Modell 7 2 – kommunalwirtschaftliche Betätigung 7 106, 114 ff. – Kontrollmöglichkeiten der kommunalen Trägerkörperschaft 16 52 – Kooperationsmöglichkeiten 16 88 f. – qualifiziert faktischer Konzern, Haftung, s. Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs – Trennung zwischen Führungs- und Kontrollfunktion 16 42 – Unternehmensvertrag, Abschluss 13 133 ff. – Unternehmensvertrag, Änderung 13 151 – Unternehmensvertrag, Beendigung 13 159 ff. – Vertragskonzern, Haftung 13 211 – Weisungsrecht 13 112 GmbH & Co. KG – kommunalwirtschaftliche Betätigung 7 126 Green Procurement – Vergaberecht 14 27
Sachregister Grundrechtsbindung kommunaler Unternehmen 14 35 Grundrechtsschutz – gegen gemeindliche Wirtschaftsbetätigung 6 128 ff. Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit 8 53; 9 8 Grundstück – Verkauf, kommunaler Auftraggeber 14 15 Gruppenfreistellungsverordnungen 15 52 f., 55 Gütezeichengemeinschaften – keine unbilligen Benachteiligungen 15 137 Haftung – Risiken bei Rechtsformwahl 16 65 ff. Haftung der Gemeinde – Begrenzung 8 45 – für die Gesellschaft 9 72 ff. – Haftungsbegriff 8 49 Haftung der Organe der abhängigen Gesellschaft 13 217 f. Haftung gemeindlicher Vertreter – bei Verstößen gegen Gesellschaftsrecht 9 41 f. – bei Verstößen gegen kommunale Weisungen 9 44 – bei Verstößen gegen Rückbindungsvorbehalte 9 52 – GmbH 13 222 f. – im faktischen Konzern 13 213 ff. – im Vertragskonzern 13 219, 223 ff. – Rückgriff auf und Freistellungsanspruch gegen die Gemeinde 9 43, 59 – Rückgriffsmöglichkeit 13 224 – Verstoß gegen Gesellschaftsrecht 9 58 Haftung im faktischen Konzern – Aktiengesellschaft 13 165 ff. – Austauschverträge 13 176 – GmbH 13 178 – Haftung der gesetzlichen Vertreter der Kommune 13 213 ff. – Haftung der Organe der abhängigen Gesellschaft 13 217 f.
– Handeln eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführers 13 173 – ITT-Entscheidung 13 180 – Nachteil 13 172 – Personengesellschaft 13 187 – Quersubventionen, erzwungene 13 185 – Quersubventionen, verdeckte 13 175 – Risiken der Kommune 13 164 ff. – Treuepflicht 13 181 – Veranlassung 13 171 Haftung im qualifiziert faktischen Konzern 13 188 f. Haftung im Vertragskonzern – Aktiengesellschaft 13 209 f. – Beendigung des Vertrages 13 210 – GmbH 13 211 – Haftung der gesetzlichen Vertreter der Kommune 13 219, 223 ff. – Haftungsbeschränkung der Kommune 13 117 ff. – Personengesellschaft 13 211 – Sicherheitsleistung 13 210 – Verlustübernahme 13 209 Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs – Aktiengesellschaft 13 206 f. – Entwicklung 13 189 – GmbH 13 192 ff. – Herbeiführen/Vertiefen der Insolvenz 13 198 – Personengesellschaft 13 208 – qualifiziert faktischer GmbH-Konzern 13 188 ff., 192 ff. – Rücksichtnahme auf Eigenbelange der Gesellschaft 13 194 ff. Haftungsbegrenzungen für die Gemeinde – Ausnahmeregelungen von Haftungsbegrenzungen 8 54 – betragsmäßige Haftungsbegrenzungen 8 46 – Defizite 8 46, 50 – Einzahlungs- und Nachschussverpflichtungen 8 50, 52 – Genossenschaft 7 130 – Haftungsdurchgriff 8 49 – Haftungsumfang 8 46
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Sachregister – konzernrechtliche Haftung 8 51, 64; 9 77 f. – landesrechtliche Regelungen 8 48 – Sonderregelungen für Telekommunikation 8 47 – Verbot der unbegrenzten Haftung 7 104 f., 128; 8 45 ff. – Verbot der unbegrenzten Haftung (BGB-Gesellschaft) 7 122 – Verbot der unbegrenzten Haftung (OHG) 7 123 ff. – Verlustübernahmeregelungen 8 50 Haftungsdurchgriff – Haftungsbegrenzung der Gemeinde 8 49 Haftungspflicht – herrschende Kommune 13 76 Haftungsregeln – aktienrechtliche 9 75 – für Eigenbetriebe 7 49 – GmbH-rechtliche 9 76 – öffentlich-rechtliche (Anstaltslast, Gewährträgerhaftung) 7 73; 9 73 – zivilrechtliche 9 74 Haftungssystem des § 613 a BGB 12 111 Haftungsverteilung zwischen kommunalem Veräußerer und privatem Erwerber 12 108 ff. Halbeinkünfteverfahren 11 129, 170 Handeln eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführers – GmbH 13 184 – Haftung der gesetzlichen Vertreter der Kommune 13 219 – Haftung der Organe der abhängigen Gesellschaft 13 215, 217 ff. – Sorgfaltsmaßstab 13 173 Handeln eines ordentlichen und gewissenhaften Vorstandes – Aktiengesellschaft 13 172 ff. Handelsrechtliche Vollmachten 12 53 Handelsregister – Beendigung von Unternehmensverträgen 13 158 – Unternehmensvertrag, Eintragung 13 132, 141 Hauptversammlung, s. auch Gesellschafterversammlung – Aktiengesellschaft 7 112
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– Öffentlichkeit 8 77 – Stimmrecht der Gemeinde, s. dort – Stimmrechtsbindung, s. dort Hauptverwaltungsbeamter 7 51 ff., 54, 57 – Vertretung der Gemeinde 9 23 f. Haushaltsmäßige Verselbständigung kommunaler Unternehmen 7 1, 24, 31, 42, 44 – Sondervermögen des Eigenbetriebs 7 59 f. Haushaltsplan – Inhalt 7 60 f. Haushaltsplanung 8 65 – s. auch Finanzplanung Haushaltsrecht – Cross-Border-Leasing 7 212 ff. – Eigengesellschaft 7 96 – Factoring 7 217 ff. – Grenzen für die Rechtsformwahl 7 17 – kostenrechnende Einrichtung 7 31 – Leasingfinanzierung 7 210 f. – Regiebetrieb 7 24 – sale-and-lease-back Finanzierung 7 216 Haushaltssicherung – Finanzierung, Kommunalunternehmen 16 76 Haustarifverträge 12 90, 103, 107 Heranziehung Dritter zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben – im Namen der juristischen Person 11 327 – umsatzsteuerliche Leistungsbeziehungen 11 326 Herrschendes Unternehmen – Gebietskörperschaft 13 22 – Konzernkonflikt 13 28, 97 – Stimmrecht, Unternehmensvertrag 13 137 – Unternehmenseigenschaft 13 23 ff. Hessen – Annextätigkeiten 6 100 – Betätigungskontrolle 6 117 – Konkurrentenschutz für Private 6 141 – Verfahren bei gemeindeübergreifender Wirtschaftsbetätigung 6 70 – Wirschaftsbetätigung 6 12
Sachregister Hilfsbetrieb 4 5, 8 – kommunale Wirtschaftsbetätigung 6 94 Hilfsbetrieb, kommunaler – nichtwirtschaftliche Betätigung 7 28 Hilfsgeschäfte 11 213 Hinwirkensverpflichtung – Abhängigkeit vom Beteiligungsumfang 8 72; 9 9 – Einflussmöglichkeiten 9 9 – Einflussnahmerichtlinien 9 5, 15 f. – Gesellschaftsverfassung 8 38, 57, 72 – Inhalt und Reichweite 8 35, 62, 74 – Mitteilung der Bezüge 8 75 – Verdichtung zur Handlungspflicht 8 72; 9 9 Hochbau – kommunale Zusammenarbeit 16 79 Hoheitliche Aufgaben – Verhaltensabstimmung 15 30 ff. Hoheitliche Tätigkeit – Anwendbarkeit des GWB 15 77 – Betrieb gewerblicher Art (BgA) 11 20 ff. – Leistungs- und Wettbewerbsbeziehungen 15 73 ff. – Übertragung auf Private, Kartellrecht 15 26 Hoheitsakt 12 40 Hoheitsbetrieb 11 190 – Abgrenzung zum BgA 11 18 ff. – Auffassung der Finanzverwaltung 11 20 ff. – Auffassung der Rechtsprechung 11 25 ff. – Beistandsleistungen 11 32 ff. – Gemeinschaftsrecht 11 254 – gemischte Tätigkeiten 11 37 ff. – Querverbund 7 46 – Verpachtung 11 29 ff. – Versorgungs-, Verkehrs- und Hafenbetriebe 11 19 Holding – Abschirmwirkung 13 59 – Begriff 13 57 ff. – Beteiligung der öffentlichen Hand, Dauerverlustgeschäft 11 126 ff. – Beteiligungsholding 13 62 – GmbH 8 64
– Kommunen 13 60 ff. – Managementholding 13 62 – Unternehmensverträge 13 121 Immobilien – Kommunalunternehmen und Kartellrecht 15 81 f. Individualarbeitsverträge 12 10 Individualvertragliche Bezugnahmen 12 94 ff. Industrialisierung 1 16 Information der Gemeinde – durch Jahresabschluss und Lagebericht 8 70 – gesellschaftsrechtliche Grenzen des Informationsrechts 9 36 – handelsrechtliche Bestimmungen 8 70 – im Rahmen der Abschlussprüfung 8 68 – Informationspflichten der gemeindlichen Vertreter 9 33 ff. – weitergehende nach Kommunalrecht 8 69 f. Information der Kommunalaufsicht, s. Kommunalaufsicht Information gem. § 613 a Abs. 5 BGB 12 44 ff. Informationsinhalte 12 46 Informationspflichten beim Betriebsübergang 12 164 ff. Informationsrechte – Rechnungslegung privatrechtlicher Unternehmen 16 100 f. Infrastruktur 1 16 – gemeindeübergreifende Wirtschaftsbetätigung 6 65 – Gewährleistung 5 4 Ingerenzpflicht – Konzernrecht 13 44, 64, 67 f. Inhouse-Geschäft – Rechtsformwahl kommunaler Unternehmen 16 103 Inhouse-Vergaben 14 36 – Aktiengesellschaft 14 41 – Beauftragung kommunaler Unternehmen 14 37 f. – Carbotermo-Entscheidung 14 50
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Sachregister – Drittumsatz einer Tochtergesellschaft 14 49 – geographischer Tätigkeitsbereich 14 42 – GmbH 14 41 – institutionelle Zusammenarbeit 14 52 ff. – kein Eigenleistungsgebot 14 51 – kommunale Zusammenarbeit 14 53 ff. – Kontrollkriterium 14 40 – mittelbare Beteiligung Privater 14 46 – Public Private Partnership-Projekt 14 45 – Umsatzhöhe 14 47 f. – Wesentlichkeitskriterium 14 47 f. – Wettbewerb 14 47 – Zweckverband 14 41 Inkompatibilitätsvorschriften für Organmitglieder 9 25, 31 Insolvenz – existenzvernichtender Eingriff, Haftung 13 198 – kommunales Unternehmen 16 70, 75 Insolvenz der Gesellschaft – Haftung der Kommune 9 72 ff. Instrumente – Kartellrecht 15 5 – Verstoß gegen deutsches Kartellrecht 15 97 Interessenausgleichs- und Sozialplanverfahren 12 160, 166 Interessenberücksichtigungspflicht der gemeindlichen Vertreter – aus dem Auftragsverhältnis zur Gemeinde 9 47 – Bedingtheit der Pflicht 9 48 Interessenkollisionen 9 41 – bei Organmitgliedern 9 25 – Gemeindeordnung 9 25 Interkommunale Zusammenarbeit 16 84 ff. – gemischt-öffentliche Unternehmen 7 161 ff. – kommunale Arbeitsgemeinschaft 7 141 – öffentlich-rechtliche Organisationsform 7 137 ff. – Rechtsformen 7 134 ff.
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– Vor- und Nachteile 7 135 – Wirtschaftsbetätigung der Gemeinde 6 33 ff. – Zweckverband 7 139 ff. Investitionen – Kommunalkredit 7 209 ff. Isle of Wight – EuGH 11 267 ff. – Wettbewerbsverzerrungen 11 284 ITT-Entscheidung 13 180 Jahresabschluss, s. Rechnungslegung und -prüfung – Buchführung bei Eigenbetrieb 7 62 – Verhältnis zum Abhängigkeitsbericht 13 78, 80 Joint Venture, s. Public Private Partnership Jugendhilfeeinrichtung – Wettbewerb 14 65 Juristische Personen des öffentlichen Rechts – als Körperschaftsteuersubjekt 11 41 Justizvollzugsanstalt – Wettbewerb 14 65 Kämmerer 7 55 Kameralistik 11 55 f. Kapazitätsauslastung 6 105 ff. – gemeindeübergreifende Wirtschaftsbetätigung 6 62 Kapitalanlage 8 7 Kapitalertragsteuer 11 3, 50, 59 ff., 87 ff., 112, 129 ff. Kapitalgesellschaft – begünstigtes Dauerverlustgeschäft 11 114 ff. – disquotale Verlusttragung 11 121 ff. – Spartentrennung 11 99, 213 ff. – Verlusttragung bei Gruppenbeteiligung 11 117 ff. Kartellabsprachen – Verbot des Art. 106 Abs. 1 AEUV 3 24 Kartellrecht, s. auch Europäisches Kartellrecht und Deutsches Kartellrecht – Abgrenzung deutsches/europäisches Kartellrecht 15 2 f., 9 ff.
Sachregister – Abgrenzung einseitige Maßnahme 15 32 – Arbeitsgemeinschaft 15 47 – aufeinander abgestimmte Verhaltensweise 15 33 ff. – EG-Kartellrecht 15 20 ff., 152 ff. – Instrumente 15 5 – missbräuchliche Absprachen von Mitgliedstaaten 15 192 – Normenkonflikte 15 19 – Unternehmensvereinigungen 15 28 f. – Vergabeverfahren 14 34 – Verhältnis zum Lauterkeitsrecht 10 3 – Verhaltensabstimmung 15 30 – Verweisungsmöglichkeiten 15 156 ff. – wettbewerbsbeschränkende Nebenabrede 15 49 – wirtschaftliche Betätigung von Unternehmen 15 1 Kartellverbot – Bußgeld 15 66 – Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV 15 51 ff., 84 – Gruppenfreistellungsverordnungen 15 52 – GWB 15 68 ff. – Rechtsfolgen 15 65 ff., 95 ff. – Schadensersatzanspruch 15 65 – Selbstveranlagung 15 67 – Unterlassungsanspruch 15 65 – Verfahren 15 65 ff. Kausale Rechtsgeschäfte 12 41 Kettenzusammenfassung 11 200 ff. Kfz-Nummernschild-Verkauf 10 54 ff. Kfz-Schilderpräger 15 131 f. Kirche – Betrieb gewerblicher Art (BgA) 11 79 Kleine und mittlere Unternehmen – Diskriminierung und Behinderung von 15 128 ff. – Kooperation von 15 86 ff. – Schutz nach § 20 Abs. 4 GWB 15 136 Königsberger-Modell 7 2 Körperschaftsteuer 11 2 ff., 46 ff., 179 ff., 245 ff., 294 ff. – Querverbund 7 46 – Zuschüsse 11 68, 90 ff.
Kollektive Marktbeherrschung – EG-Kartellrecht 15 107 ff. – GWB 15 116 ff. Kollektivrechtliche Auswirkungen des Anteilskaufs 12 136 ff. Kommanditgesellschaft – kommunalwirtschaftliche Betätigung 7 120, 125 f. Kommanditistenstellung 7 125 f.; 8 58 Kommunalabgabenrecht 8 76 Kommunalaufsicht – Beendigung von Unternehmensverträgen 13 163 – Berichtspflichten der Gemeinde gegenüber ~ 9 63 – Errichtung eines Kommunalunternehmens 7 71 – Informationspflichten der Gemeinde 8 84 – kommunalaufsichtliche Mittel 8 84 – Mitwirkung 8 31 – Pflichtverstöße der Aufsichtsbehörde 8 85 – präventive Kontrolle bei Gesellschaftsgründung und Beteiligungserwerb 8 82 ff. – Unternehmensvertrag, Änderung 13 152 – Unternehmensvertrag, Genehmigung 13 145 ff. Kommunale Leistungsfähigkeit, s. Leistungsfähigkeit Kommunale Zusammenarbeit, s. auch Interkommunale Zusammenarbeit – Ausschreibung 14 53 ff. – delegierende Vereinbarung 14 56 – Einkaufsgemeinschaften 14 59 f. – Inhousevergaben 14 53 ff. – mandatierende Vereinbarung 14 56 – Müllverbrennung 14 53 Kommunaler Bestattungswirtschaftsbetrieb 10 53 ff. Kommunalkredit – Einbeziehung Privater 7 209 Kommunalunternehmen – Anschluss- und Benutzungszwang und GWB 15 80 – Anwendbarkeit des GWB 15 78 ff. – Auftragsvergaben 14 61 f.
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Sachregister – Beteiligung am Vergabeverfahren 14 64 – Bußgeld, Kartellbehörde 15 99 – de-facto-Vergaben 14 63 – Einzelfälle 15 81 f. – Errichtung 6 112 – historische Entwicklung 7 1 ff. – Konzernprivileg 14 62 – Nachfragetätigkeit 15 82 – Regiebetrieb 7 25 – Stiftungen des öffentlichen Rechts 7 88 ff. – wirtschaftliche/nichtwirtschaftliche Betätigung 7 66 Kommunalunternehmen als Anstalt des öffentlichen Rechts – Abgrenzung zum Eigen- und Regiebetrieb 7 63 ff. – Anschluss- und Benutzungszwang 7 84 – Anwendungsbereich 7 66 f. – Dienstherrenfähigkeit 16 62 – Einbeziehung Privater 7 174 – Entstehung 7 68 – Errichtung durch Zweckverband 7 159 – Flexibilität der Unternehmensleitung 16 40 – flexible Ausgestaltungsmöglichkeit der Organisationsform 16 28 ff. – Gebührenerhebung 7 85 – Gewährträgerhaftung der kommunalen Gebietskörperschaft 16 67 – Haftung der Kommune 7 73 – Haftungsbegrenzung 16 67 – Handlungsbefugnisse 7 82 ff. – Haushaltsrecht 16 95 – innere Unternehmensverfassung 7 74 ff. – kommunale Einflussnahme und Steuerung 16 49 – kommunale Zusammenarbeit 7 138; 16 84 ff. – Neuerrichtung/Umwandlung 7 69 – Prüfungswesen 16 99 – Rechtsfähigkeit 7 72 – Rechtsgrundlage 7 65 – Sparkassenrecht 7 64 – Unternehmensbeteiligungen 7 87 – Verhältnis zur Kommune 7 72
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– Verwaltungsvollstreckung 7 86 – Vorstandsverfassung 16 40 – Weisungsrechte 7 77 – Zustimmungsvorbehalte 7 77 Kommune – Aktiengesellschaft 16 15 – als öffentlicher Auftraggeber 14 5 f. – angemessener Einfluss 13 43, 64, 67 f. – Ausschreibungspflicht 14 29 – Berichtspflichten, Beteiligungsberichte 9 64 ff. – Beteiligungsgesellschaft 13 96 – einheitliche Leitung, Beteiligungsgesellschaft 13 94 ff. – faktischer Konzern 13 94 ff., 104 – Folgen der Privatisierungen 16 6 – Genehmigung von Unternehmensverträgen (Kommunalaufsicht) 13 145 ff. – Haftung gemeindlicher Vertreter, s. dort – Haftungsbeschränkung 13 117 ff. – herrschendes Unternehmen 13 21 ff. – Holding-Konstruktionen 13 60 ff. – Ingerenzpflicht 13 44, 64, 67 f. – Kooperation mit anderen Rechtssubjekten 16 4 – Kooperationsmöglichkeiten 16 77 ff. – mehrstufige Beteiligungsstruktur 13 86 – öffentlich-rechtliche/privatrechtliche Organisationsformen 16 24 f. – persönliche Verantwortung der für die Kommune Handelnden 13 225 f. – Unternehmenseigenschaft 13 27 ff. – Verhältnis zur rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts 7 72 – Vertragskonzern 13 109 ff., 116 ff. – Weisungsrechte gegenüber GmbH 7 118 – Wirtschaftsbetätigung 13 2 f., 227 – Wirtschaftsbetätigung, Historie 6 2 ff. – Zusammenlegung und Fusionskontrolle 15 175 Kommunikation 1 16 Komplementär 7 125 f. Konditionenspaltung – Missbrauch marktbeherrschender Stellung 15 122
Sachregister Konkurrentenklage 11 297 ff., 305 ff. – Drittschutz 11 311 – Klageantrag 11 309 – Klageart 11 306 ff. – Klagebefugnis 11 310 – Wettbewerbsbeeinträchtigung eines Dritten 11 312 Konkurrentenschutz – BGH-Rechtsprechung 6 153 f. – Einflussnahmerichtlinien 9 16 f. – Entwicklung der Rechtsprechung 6 151 – Gemeinschaftsrecht 3 30 – Monopolstellung der Gemeinde, s. dort – ordentliche Gerichtsbarkeit 6 153 ff. – private Konkurrenz 9 17 – Rechtsschutz vor Vergabenachprüfungsinstanzen 6 157 – Situation in einzelnen Bundesländern 6 137 ff. – Vergabeverfahren 3 12 – verwaltungsgerichtlicher 3 11 – Wettbewerbsrecht auf öffentliche Unternehmen 6 153 ff. – Wettbewerbsvorteile der Kommunen 3 10 ff. – Wirtschaftsbetätigung der Gemeinde 6 127 ff. – zivilgerichtlicher 3 12 Konsortialvereinbarung 13 40 Konzern – Begriff 13 18 – beherrschender Einfluss 13 17, 18 – Betrieb gewerblicher Art (BgA) 11 79 – einheitliche Leitung, s. dort – enger Konzernbegriff 13 18 – faktischer Konzern 8 64, s. auch Haftung im faktischen Konzern – kommunale Beteiligungsverwaltung 9 77 – mehrfache Konzernzugehörigkeit 13 245 – mehrstufiger 9 54 – qualifiziert faktischer Konzern, s. dort – verbundene Unternehmen, s. dort – Vermeidungsstrategien 13 57 ff.
– Vertragskonzern, s. auch dort 13 109 ff. – weiter Konzernbegriff 13 18 Konzernhaftung – herrschendes Unternehmen 13 20 Konzernkonflikt – Begriff 13 12 ff. – Gebietskörperschaft 13 28, 97 – Kommune 13 97 Konzernprivileg – kommunale Unternehmen 14 62 Konzernrecht – Begriff 13 6, 10 ff. – kommunale Unternehmen 13 1 ff. – Rechtsgrundlagen 13 7 f. – Regelungsbereich 13 1 – Schutzzweck 13 1, 12 Konzernrechtliche Haftung, s. Haftungsbegrenzungen Konzernvermutung 13 19, 70, 94 Konzernversetzungsklauseln 12 205 Konzessionsabgaben 11 63, 242 Konzessionsmodell – Abgrenzung zum Betreibermodell 7 206 – Anschluss- und Benutzungszwang 7 207 – Bedeutung 7 206 ff. – Pflichtaufgaben 7 207 Konzessionsvertrag 7 1, 48 Kooperationshoheit – kommunale Zusammenarbeit 7 134 ff. Kooperationsmodell 7 203 ff. Kostenrechnende Einrichtungen 7 31 Kraftfahrzeugsektor – Gruppenfreistellungsverordnungen 15 53 Krankenhäuser 7 43 – Marktabgrenzung bei Zusammenschluss 15 182 – Public Private Partnership 7 172 Kredit – Kommunalunternehmen 16 75 f. Kreditaufnahme – Leasingfinanzierung 7 211 – Rückbindungsvorbehalt 9 53
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Sachregister Kreditinstitut – Anteilserwerb und Zusammenschluss 15 173 Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz – fachgesetzliche Privatisierungsmöglichkeiten 7 186 Kündigung aus anderen Gründen 12 56 Kündigungsschutz der Arbeitnehmer 12 56 ff. Kündigungsverbot, eigenständiges 12 56 Kurzzeit-Betreibermodell 7 198 f. Laeken-Bericht 2 10 Länder mit ausdrücklichen Beteiligungsregelungen bei Privatisierung 12 152 ff. Länder ohne ausdrücklich geregelte Beteiligungsrechte des Personalrats bei Privatisierung 12 157 Landesrecht – kommunales Organisationsrecht 7 22 Lauterkeitsrecht – geschäftliche Handlung, s. Geschäftliche Handlung – Verhältnis zum Kartellrecht 10 3 Leasing – Finanzierung kommunaler Investitionen 7 210 f. Leistungen der Daseinsvorsorge 2 8 Leistungen der Zusatzversorgung 12 72 Leistungen i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. a EStG 11 133 ff. Leistungsfähigkeit – als Grenze wirtschaftlicher Betätigung 6 76 ff. – der Gemeinde 4 13 – landesrechtliche Bestimmungen 6 88 ff. Leistungsklage – Auskunftsanspruch 11 300 Leitungsmacht 12 43 Lemgoer Modell 12 118 Letztentscheidungsrecht 8 60 ff. Liefersperre – Veräußerungsverbot von Unternehmensanteilen 15 139
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Lieferverweigerung – Boykott, § 21 GWB 15 139 – Durchsetzung von Preiserhöhungen 15 145 – Missbrauch marktbeherrschender Stellung 15 131 ff. – Netzzugangsbedingungen 15 145 Liquidation 9 63 Liquiditätsbetrachtung 11 166 Machtmissbrauch, s. Monopolstellung der Gemeinde im Wettbewerb Management- und Beratungsmodell 7 200 ff. Mandat – Einbeziehung Privater in staatliche Aufgaben 7 177 Manteltarifvertrag 12 9 Marktabgrenzung – allgemein 15 104 – Verfahren GWB 15 182 Marktanalyse – Verfahren bei gemeindeübergreifender Wirtschaftsbetätigung 6 70 Marktbeherrschende Stellung – der Gemeinde, s. Monopolstellung der Gemeinde im Wettbewerb – EG-Kartellrecht 15 102, 105 ff. – Einzelfälle 15 118 – Fusionskontrolle, GWB 15 181 ff. – GWB 15 115 ff. Marktmacht, überlegene – kleine und mittlere Wettbewerber 15 136 Marktwirtschaft – Affinität der Grundrechte 3 6 – soziale ~ 3 19 f. Marktzugang – Probleme ausgewählter Wirtschaftsbereiche 15 145 ff. Mecklenburg-Vorpommern – Aktiengesellschaft 8 18 – Annextätigkeiten 6 104 – Betätigungskontrolle 6 117 – Konkurrentenschutz für Private 6 142 – Qualitätsvergleich, private/kommunale Unternehmen 6 88
Sachregister – Verfahren bei gemeindeübergreifender Wirtschaftsbetätigung 6 70 – Wahlfreiheit der Gemeinde 8 18 – wirtschaftliche Betätigung 6 16 Mehrheit, qualifizierte 8 59 Mehrheitsbeteiligung, s. auch Beteiligung – Abhängigkeitsende 13 74 – Begriff 13 16 – Beherrschung 13 32 ff. – eigene Anteile 13 36 f. – einheitliche Leitung 13 94 ff. – Konzernvermutung 13 19, 70, 94 – Public Private Partnership, s. dort – Stimmrechtsverhältnisse 13 32 ff. Mehrstufige Unternehmensbeteiligung 13 86 Mehrwertsteuersystem-Richtlinie (MwStSystRL) – Anhang 11 269 – Ausübung Tätigkeit öffentlicher Gewalt 11 262 ff. – Ausübung wirtschaftlicher Tätigkeit 11 260 f. – EuGH 11 261 – größere Wettbewerbsverzerrungen 11 265 ff. – mehrstufiges Prüfungsverfahren 11 259 – Unternehmereigenschaft 11 253 – wirtschaftliche Tätigkeit 11 258 Messen 15 107 Minderheitsbeteiligung 13 95 – beherrschender Einfluss 13 41 ff. – maßgebliche 13 51 – Public Private Partnership, s. dort – Sperrminorität 13 42, 52, 260 ff. – weitere Einflussfaktoren 13 45 ff. Mischbetrieb 12 181 Mischkonzern 12 181 Missbrauch 10 69 ff. – von hoheitlicher Autorität 10 72 ff. – von Hoheitsbefugnissen 10 70 ff. Missbrauch marktbeherrschender Stellung 15 144 – Aufsicht, GWB 15 113 ff. – Ausbeutungsmissbrauch 15 110, 120 – Begriff 15 120 – Behinderungsmissbrauch 15 110,121
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Bußgeld 15 112 Definition EuGH 15 109 durch öffentliche Stelle 10 52, 63 ff. EG-Kartellrecht 15 102 ff. Lieferverweigerung 15 110, 131 ff. Maßnahmen von Mitgliedstaaten 15 189 – Preis- und Konditionenspaltung 15 122 – Rechtsfolgen 15 124 ff. – staatlicher Verstoß 15 190 – Tatbestände 15 119 – Unterlassungs- und Schadensersatzanspruch 15 112 – Verantwortlichkeit des Staates 15 194 Missbrauchsaufsicht – Abstand zwischen Kosten und Preis 15 146 – Energiewirtschaft 15 146 Mitbestimmungsrechte 12 133, 153, 182, 184, 214, 226, 250 – GmbH 7 118 – Rechtsformwahl kommunaler Unternehmen 16 104 f. Mitglieder – Zweckverband 7 145 Mitgliedstaaten – Beeinträchtigung des Handels 15 14 – Handel, Kartellrecht 15 13 – missbräuchliche Kartellabsprachen 15 192 – Wettbewerb bei privatrechtlich organisierten Unternehmen 15 185 ff. Mitschlepptheorie 11 200 Mitunternehmerschaft 11 126 – Betrieb gewerblicher Art (BgA) 11 28, 42 Mitwirkungsrechte 12 154 Monopol – Konkurrentenschutz 3 12 Monopolstellung der Gemeinde im Wettbewerb 9 14 ff. Multifunktions-/Mehrzweckhalle – Betrieb gewerblicher Art (BgA) 11 110 Nennkapital 11 169 ff. Nettoregiebetrieb 7 24
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Sachregister Netzwerke gleichartiger Verträge – Wettbewerbsbeschränkung 15 43 Netzzugang – Preismissbrauchskontrolle 15 144 Neubeihilfe 11 191 Neues Steuerungsmodell 1 21 f. – Kritik 1 26 Neurücklagen 11 171 Neutralitätspflicht 10 73 Nichtgleichartiger BgA – steuerliche Zusammenfassung 11 194 f. Nichtwirtschaftliche Betätigung 6 120 ff. Nichtwirtschaftliche Einrichtungen/ Unternehmen 7 32 f., 38 ff., 104, 128 f., 143, 155, 180 – Abgrenzung wirtschaftliche Unternehmen 4 4 – Entwicklung gemeindlicher Unternehmen 7 3 – Querverbund 7 46 – rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts 7 66 f. – s. auch wirtschaftliche Unternehmen Nichtwirtschaftliche Tätigkeit – Vorsteuerabzug 11 355 Niedersachsen – Konkurrentenschutz für Private 6 133, 143 – Qualitätsvergleich, private/kommunale Unternehmen 6 89, 91 – wirtschaftliche Betätigung 6 14 Nordrhein-Westfalen – Annextätigkeiten 6 101 – Betätigungskontrolle 6 116 f. – Beteiligungsbericht der Kommune 9 71 – Branchendialog 6 70 – Fitness-Studio-Beschluss 6 135 – gemeindeübergreifende Wirtschaftsbetätigung 6 38, 40 – Jahresabschluss und Bezügemitteilung 8 75 – Konkurrentenschutz für Private 6 135, 144 – Qualitätsvergleich, private/kommunale Unternehmen 6 88, 91
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– Verfahren bei gemeindeübergreifender Wirtschaftsbetätigung 6 70 – Wirtschaftsbetätigung 6 118 – Wirtschaftsbetätigung der Gemeinde 6 8 f. Nullsozialpläne 12 166 Öffentlich Private Partnerschaft, s. Public Private Partnership Öffentliche Auftraggeber 14 5 ff. Öffentliche Einrichtung, s. auch Anschluss- und Benutzungszwang, s. auch Gemeindlicher Benutzungsanspruch – kommunale Zusammenarbeit 7 135 – Konzessionsmodell 7 207 – privater Betrieb 7 187 – privatrechtsförmige Unternehmen 7 102 f. Öffentliche Unternehmen – marktbeherrschende Stellung, Einzelfälle 15 118 – Zusammenschluss 15 154 Öffentliche Zuschüsse 11 90 ff., 329 ff. Öffentlicher Dienst – Angehörige des öffentlichen Dienstes 12 2 ff. – Arbeitnehmer 12 4 – Beamte 12 3 – Begriff 12 1 Öffentlicher Zweck – Ausschluss „reiner Erwerbswirtschaft“ 6 51 ff. – Abgrenzung Annextätigkeit 6 98 – Arbeitsplatzsicherung 6 65 f. – Ausbau der Infrastruktur 6 65 – Auslegung 6 51 ff. – Ausrichtung der Gesellschaftsverfassung 8 37 f., 55, s. auch Gesellschaftsverfassung – Beurteilungsspielraum der Gemeinde 6 58 ff. – Daseinsvorsorge 6 60 – Erforderlichkeit der Ausrichtung 8 42 – gemeindeübergreifende Wirtschaftsbetätigung 6 37 ff., 49 ff. – historischer Hintergrund 6 50 – Kapazitätsauslastung 6 60 – Kontrolle der Ausrichtung 8 39
Sachregister – landesrechtliche Regelungen 6 52 ff., 64 f. – Monopolkontrolle 4 12 – „nachhaltige“ Zweckerfüllung 9 7 – prozedurale Anforderungen 6 67 ff. – rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts 7 67 – Schrankentrias 4 11 f. – Steuerung durch Aktiengesellschaft 7 113 – Wettbewerbssicherung 6 65 f. – wirtschaftliche Effizienz 7 5 – wirtschaftliche Zweckerfüllung 9 8 Öffentliches Interesse an der Gesellschaftsgründung – Einschätzungsprärogative 8 16 – Erforderlichkeit 8 13 – Feststellung 8 15 – gemeindliche Perspektive 8 15 – landesgesetzliche Regelungen 8 14 – landesgesetzliche Sonderbestimmung 8 17 – Unbestimmtheit 8 16 Öffentlich-rechtlich organisierte Einheiten 12 37 Öffentlich-rechtlicher Vertrag 12 41 ÖPNV 1 17; 15 91 – Daseinsvorsorge 2 4 – Marktabgrenzung bei Zusammenschluss 15 182 – marktbeherrschende Stellung 15 118 – zulässige Absprachen 15 126 Offene Handelsgesellschaft (OHG) – Handelsgewerbe 7 123 – kommunalwirtschaftliche Betätigung 7 120, 123 f. Oligopolistische Marktbeherrschung – EG-Kartellrecht 15 107 ff. – GWB 15 116 ff. Optimale Rechtsform 16 6 f. Organisationsermessen – Rechtsform kommunaler Unternehmen 16 9 ff. Organisationsform – gesellschaftsrechtliche Grundlagen 8 32 ff. – Vergleich 8 19
Organisationsformen, privatrechtliche 7 2 f. – Aspekte/Gründe für die Wahl 7 95 ff. – ausländische Rechtsformen 7 104 – Bedienung durch Zweckverband 7 159 – Einbeziehung Privater 7 176 – gemeindeeigene Unternehmen 7 90 ff. – gemischt-wirtschaftliche Unternehmen 7 189 – Gesetzgebungszuständigkeit 7 94 – Gestaltungsbefugnis in Bezug auf die Unternehmensorganisation 16 28 ff. – GmbH & Co KG 7 126 – Haftungsrisiken 16 68 ff. – Kapitalgesellschaften 7 106 ff. – Kommanditgesellschaft 7 125 ff. – Kooperationsmöglichkeiten 16 87 ff. – kulturelle, soziale, nichtwirtschaftliche Aufgaben 7 189 – offene Handelsgesellschaft 7 123 ff. – Organisationswahlfreiheit 7 14 f. – Personengesellschaften 7 120 ff. – Rechnungs- und Prüfungswesen 16 100 f. – Tarifverträge 16 63 ff. – Umwandlung 7 69 – Unterschiede zum Kommunalunternehmen 7 81 – Verein 7 127 ff. Organisationsformen, Vergleich – Flexibilität 8 36 f. – Mindestprüfung 8 30 – prozedurale Subsidiarität 8 28 – unter Aspekt der kommunalen Steuerung 8 56 – Vergleichskriterien 8 29 – wirtschaftliche Aspekte 8 28 – Zweck landesgesetzlicher Verfahrensbestimmungen 8 30 f. Organisationshoheit, kommunale 3 4 f. – gesetzliche Beschränkungen 7 15, 21 ff., 164; 8 2 – Organisationswahlfreiheit 7 14 f. – privatrechtliche Gesellschaften 8 1 – verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Beschränkungen 7 15; 8 3
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Sachregister Organisationsprivatisierung 2 14, 17; 12 15 ff., 160 ff., 220 – ohne Betriebsübergang 12 127 ff. Organkontinuität der Vertretungsgremien 12 170 ff. Organschaft 11 224 ff., 340 ff. – Ausgleichszahlung 11 237 f. – finanzielle Eingliederung 11 341 – gewerbesteuerliche Organschaft 11 252 – organisatorische Eingliederung 11 341 – Organträgereigenschaft 11 157 – steuerliche Behandlung 11 342 – steuerlicher Querverbund 11 237 ff. – umsatzsteuerliche Organschaft 11 340 ff. – Wirksamkeit EAV 11 225 – wirtschaftliche Eingliederung 11 341 Organschaftsvertrag 13 114 – s. auch Unternehmensvertrag Organträger 11 224, 227, 340 – Betrieb gewerblicher Art (BgA) 11 340 – BgA als Organträger 11 227, 340 – Personengesellschaft als Organträger 11 239 Paritätische Beteiligung – Begriff 13 250 ff. – Dead-Lock-Situation 13 255 – Public Private Partnership, s. dort Parkraumbewirtschaftung 2 12 Pensionsfonds 12 64 Pensionskassen 12 64 Permanente Hauptversammlungspräsenzmehrheit 13 48, 53 ff. Personal – Aspekte bei der Rechtsformwahl 16 56 ff. Personalgestellung – Begriff 12 186 – Beteiligung 12 208 ff. – Betriebsrat 12 213 – Interessenvertretung 12 210 ff. – Kündigung 12 203 ff. – Personaleinsatz bei einem Privaten ohne oder neben einer Privatisierung 12 186 ff.
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– Personalrat 12 213 – Zulässigkeit 12 187 ff. Personalgestellungsvereinbarung 12 214 Personalgestellungsverträge 12 214 Personalhoheit 3 4 Personalrat – Beteiligungsrechte bei Privatisierung 12 152 ff., 157 – Personalgestellung 12 213 Personalrecht – Eigengesellschaft 7 96 Personalüberleitungsvertrag 12 55, 60, 126 Personengesellschaft 11 239 ff. – abhängiges Unternehmen 13 90 ff. – Beherrschungsvertrag 13 113 – Beschlussfassung 13 35 – Betrieb gewerblicher Art (BgA) 11 126 ff., 164 – existenzvernichtender Eingriff, Haftung 13 208 – faktischer Konzern 13 103 – Haftung im faktischen Konzern 13 187 – qualifiziert faktischer Konzern, Haftung, s. existenzvernichtender Eingriff und Haftung im qualifiziert faktischen Konzern – Vertragskonzern, Haftung 13 211 Pflichtaufgaben, s. auch Aufgaben, gemeindliche – Privatisierung 5 13 Pflichtaufgaben nach Weisung 1 6; 7 80 f. Photovoltaikanlage – Wirtschaftsbetätigung 6 125 Planungshoheit 3 4 Post – Missbrauch bei Konzessionsvergabe 15 148 Preiskontrolle – Energie- und Wasserwirtschaft 15 121 – Netzzugangsbedingungen 15 145 ff. Preisspaltung – Missbrauch marktbeherrschender Stellung 15 122 Preisunterbietung 10 93 ff.
Sachregister Prinzip des Generationenvertrages 12 71 Privatbeteiligung – mittelbare und Inhousevergaben 14 46 Private – Abwehransprüche aus einfachem Recht 6 132 ff. – Abwehransprüche aus Grundrechten 6 128 ff. – Beteiligung 7 173 ff. – Beteiligungsmodelle 7 192 ff. – Beteiligungsmöglichkeiten an Kommunalunternehmen 16 89 ff. – Einbeziehung in staatliche Aufgaben 7 177 ff. – Finanzierungsmodelle, gemeindliche Aufgaben 7 209 ff. – Rechtsschutz bei Konkurrenz 6 127 ff. – Übergang von Vertragsverhältnissen 8 78 – Vergaberecht 14 6 – Vorrang bei besserer Aufgabenerledigung 6 80 ff. Private Erschließungsgesellschaft – Vorsteuerabzug 11 375 ff. Privatisierende Ausgliederung, s. Ausgliederung Privatisierung 12 13 – Abwägung 5 16 – Arbeitsrecht 12 12 – Beteiligungsrechte des Personalrats 12 152 ff., 157 – Betriebsrat 12 159 ff., 171 ff. – Daseinsvorsorge 2 12 f. – echte 2 18 – Erscheinungsformen 2 14 ff. – fakultative 5 11 – formelle 2 18 ff.; 5 12 f.; 7 3, 29 – formelle, funktionale, materielle ~, Public Private Partnership 7 171 – Grenzen 5 12 ff. – haushaltsrechtliche 5 10 – kommunalrechtliche Grenzen 5 13 f. – Kriterien 5 17 – materielle 2 18, 20; 5 15 ff. – mit Betriebsübergang 12 30 f. – nach dem UmwG und Anwendung des § 613 a BGB 12 21
– obligatorische 5 9 f. – ohne Betriebsübergang 12 127 ff. – Organkontinuität der Vertretungsgremien 12 170 ff. – originär staatliche Aufgaben 5 1 – Personalrat 12 151 ff., 179 f. – Rekommunalisierung 2 25 ff.; 5 21 ff. – und Vergaberecht 7 208; 14 31 – unechte 2 18 – verfassungsrechtliche Grenzen 5 12 f. – von Eigen- oder Beteiligungsgesellschaften 12 142 ff. – Voraussetzungen 5 9 ff. – s. auch Public Private Partnership Privatisierungs- und Deregulierungspolitik 7 4; 16 2 Privatisierungsgebot 5 9 Privatisierungsprobleme – Zusatzversorgung 12 73 Privatisierungsverträge 12 49 Privatrechtliche Beteiligung der öffentlichen Hand 12 13, 221 Privatrechtliche Unternehmensformen, s. Organisationsformen, privatrechtliche Privatwirtschaftliche Angebote der öffentlichen Hand 10 10 Produktbereich 1 21 Produkte 1 21 Prognose – für Dauerverlust 11 105 Prozeduale Anforderungen – gemeindeübergreifende Wirtschaftsbetätigung 6 67 ff. Public Private Partnership 12 181 – als Alternative zur Kreditaufnahme 16 78 ff. – Anwendungsfehler 7 172 – Begriff 7 165, 168 ff.; 13 2, 227 ff. – Betreibermodell 7 193 f. – Business-Plan 13 233 – Casting Vote 13 256 – Dead-Lock-Situation 13 255 – Einbeziehung Privater 2 24 – faktischer Einigungszwang 13 238, 254 – Finanzierungsmodelle 7 209 – formelle, funktionale, materielle Privatisierung 7 171
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Sachregister – gemeinsame Beherrschung 13 236 ff. – gemeinsame einheitliche Leitung 13 241 ff. – Gemeinschaftsunternehmen 7 188 ff.; 13 231 ff. – Gesellschaftervereinbarung (JointVenture-Agreement) 13 233 – Gründe der Einbeziehung 7 172 – Inhousevergaben 14 45 – institutionelle Public Private Partnership 7 170, 188 – Joint-Venture-Agreement 13 233 – kommunale Aufgabenerfüllung 7 165 ff. – Krise 13 257 – Mehrheitsbeteiligung 13 246 ff. – Minderheitsbeteiligung 13 259 ff. – paritätische Beteiligung 13 250 ff. – Projekteigenschaften 16 81 – Teilprivatisierung 5 20 – Vertrags-~ 7 170 – wirtschaftliche Betätigung 6 119 Publikumsaktiengesellschaft 13 54 Qualifiziert faktischer Konzern – Beginn 13 107 – Begriff 13 105 ff. – Ende 13 107 – Haftung 13 188 f. – Zulässigkeit 13 108 Qualitätsvergleich – Beurteilungsspielraum der Gemeinde 6 87 – Kriterien 6 86 – praktische Schwierigkeiten 6 87 – private und kommunale Unternehmen 6 83 ff. Querverbund 7 45 f. – Teilprivatisierung 5 18 Rat, s. Gemeinderat Rechnungs- und Prüfungswesen – privatrechtliche Kommunalunternehmen 16 100 – Rechtsform kommunaler Unternehmen 16 92 ff. Rechnungslegung – Eigenbetrieb 16 97
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Rechnungslegung und -prüfung – Abschlussprüfung 8 68; 9 18 – Absicherung der Prüfungsmöglichkeiten 8 71 – Betätigungsprüfung 9 21 – Buchführung bei Eigenbetrieb 7 62 – Informationsmöglichkeiten und -rechte der Gemeinde 8 69, 72; 9 18 – Jahresabschluss 8 70 – Lagebericht 8 70 – Mitteilung der Bezüge 8 75 – Optimierung des Regiebetriebes 7 30 – Regiebetrieb 7 24 – Satzungsregeln bei Kommunalunternehmen 7 70 – Vorgaben im Kommunalrecht 8 67; 9 19 – Zweckverband 7 155 Rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts 7 8, 63 ff. – kommunale Zusammenarbeit 14 53 – Vergleich der Gesellschaftsformen 8 19 – s. auch Kommunalunternehmen als Anstalt des öffentlichen Rechts Rechtsfähigkeit – Anstalt des öffentlichen Rechts 7 72 – Eigenbetrieb 7 49 – Eigengesellschaft 7 91 f. – Regiebetrieb 7 47 – Verein 7 128 f. Rechtsfolgen des Betriebsübergangs für betriebliche Altersversorgung 12 61 ff. Rechtsform – Beamtenverhältnis 16 58 f. – betriebliche Mitbestimmung 16 104 f. – Einschätzungsprärogative der Kommunen 16 9 – Einwirkungsmöglichkeiten der Kommunen 16 43 ff. – Finanzierungsmöglichkeiten 16 75 ff. – Flexibilität bei der Ausgestaltung der Organisationsform 16 24 – Haftungsbegrenzungen 16 14, 65 ff. – Haushalts-, Rechnungs- und Prüfungswesen 16 92 ff. – konfligierende Ziele 16 17 ff. – Kooperation mit anderen Rechtssubjekten 16 4, 77 ff.
Sachregister – Kreditwürdigkeit 16 75 – personalwirtschaftliche Aspekte 16 46 – Präferenzregeln 16 9 – Privatisierungspolitik 16 2 – privatrechtliche Arbeitsverträge 16 61 – Statistiken zur Rechtsform 16 14 – steuerrechtliche Erwägungen 16 102 – Subsidiaritätsklausel 16 14 – unternehmerische Mitbestimmung 16 104 f. – Wahlfreiheit der Kommunen 16 9 ff. – Wettbewerbsmarkt 16 22 Rechtsformwahl – Checkliste 7 18 Rechtsnatur des Klageanspruchs 10 28 ff. Rechtsquellen des Dienst- und Arbeitsrechts im öffentlichen Dienst 12 5 ff. Rechtsschutz – im Vergaberecht 14 30 – Konkurrentenschutz 3 10 ff. – private Konkurrenten 6 127 ff. Rechtsstellung der Beamten 12 234 Rechtsweg 10 25 ff. Rechtswegabgrenzung 10 27 ff. Regelbetrieb – BFH 11 162 Regiebetrieb 7 1; 11 7, 51 ff., 148 ff. – Abgrenzung zur rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts 7 63 f., 78 – Alternative zur Unternehmensgründung 16 27 – Betrieb nicht wirtschaftlicher Einrichtungen der Kommune 16 37 – eigenbetriebsähnliche Einrichtung 7 44 – Einbeziehung Privater 7 174 – Eingliederung in die allgemeine Kommunalverwaltung 16 27 – Einwirkungsmöglichkeiten der kommunalen Organe 16 47 ff. – Gemeindeordnung 7 26 – Gestaltungsspielraum zur Optimierung 7 28 ff. – Haftung 16 66 – Kennzeichen 7 22 ff.
– – – –
kommunale Zusammenarbeit 7 137 kommunales Haushaltsrecht 16 93 Konzern, einheitliche Leitung 13 96 Kooperationsmöglichkeiten 16 83 f., 87 – kostenrechnende Einrichtung 7 31 – Nettoregiebetrieb 7 24 – optimierter Regiebetrieb 7 8, 29 – Personal des Regiebetriebs 16 58 – Prüfungswesen 16 100 f. – Rechnungswesen 16 97 – Rechtsfähigkeit 7 47 – Rechtspersönlichkeit 14 6 – Rücklagenbildung 11 163 – Umwandlung in rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts 7 69 – Unterschied zum Eigenbetrieb 7 59 – Vergleich der Gesellschaftsformen 8 19 – Verselbständigung 7 24 – Zeitpunkt der Einkünfteerzielung 11 175 – Zweckverband 7 159 Regress – Vermögen der Trägerkommune 16 70 Regulierungen, gemeinschaftsrechtliche 3 14 Reine Erwerbswirtschaft – gemeindeübergreifende Wirtschaftsbetätigung 6 51 ff. Rekommunalisierung – Ablauf von Verträgen 2 30 – Abwägungsentscheidung 5 22 – Begriff 2 25 ff. – Funktionsvorbehalt, Art. 33 Abs. 4 GG 5 21 – Gestaltungsspielraum 2 28 – Privatisierung 5 21 ff. – Vergaberecht 14 45 Relevanter Markt 15 104 Rentabilität 8 41 Reservierung von Verlusten – steuerliche Zusammenfassung BgA 11 207 Rheinland-Pfalz – Bestandsschutz für Unternehmen 6 115 – gemeindeübergreifende Wirtschaftsbetätigung 6 40
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Sachregister – Konkurrentenschutz für Private 6 134, 145 – Qualitätsvergleich, private/kommunale Unternehmen 6 89, 91 ff. – wirtschaftliche Betätigung 6 13 Risiko – Kapitalbindungsrisiko 8 44 – Kapitalverlustrisiko 8 44 – Kreditaufnahmen 9 53 – Verhältnis zur Leistungsfähigkeit der Kommune 8 44 – wirtschaftliches 8 43 Rolle von Personalrat und Betriebsrat bei Privatisierungen 12 150 ff. Rückbindungsvorbehalt 9 51 ff. – Haftung des gemeindlichen Vertreters 9 51 – Kreditaufnahmen 9 53 – mittelbare Beteiligung 9 54 – Schutzzweck 9 55 – Vergleich zum Weisungsrecht 9 51 Rücklagen – Abdeckung Liquiditätsbedarf durch Darlehen 11 159 – Altrücklagen 11 168 – Auflösung 11 141 ff., 168, 177 – Bildung 11 89, 153 ff., 178 ff. – Neurücklagen 11 171 – Zulässigkeit der Rücklagenbildung 11 154, 160 Rücklagenauflösung 11 168 Rücktrag – steuerliche Zusammenfassung BgA 11 208 Rundfunkanstalten 11 140, 269 Saarland – Annextätigkeiten 6 100 – Bestandsschutz für Unternehmen 6 115 – Konkurrentenschutz für Private 6 146 – öffentlicher Zweck und reine Erwerbswirtschaft 6 56 – Verfahren bei gemeindeübergreifender Wirtschaftsbetätigung 6 70 f. Sachsen-Anhalt – Annextätigkeiten 6 103 – Betätigungskontrolle 6 117
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– gemeindeübergreifende Wirtschaftsbetätigung 6 41 – Konkurrentenschutz für Private 6 148 – öffentlicher Zweck und reine Erwerbswirtschaft 6 55 – Qualitätsvergleich, private/kommunale Unternehmen 6 88, 91 – überörtliche Betätigung 6 10 Sale-and-lease-back-Modelle 7 215 ff. SALIX-Entscheidung – EuGH 11 291, 316 ff. Satzungsbefugnis, -gebung – Anstalt des öffentlichen Rechts 7 74 ff. – Kommunalunternehmen 7 70, 83 – Zweckverband 7 150, 158 Satzungshoheit 3 4 Schadensersatz – Missbrauch marktbeherrschender Stellung 15 125 – Verstoß gegen Wettbewerbsbeschränkung 15 65 Schilderpräger 10 56, 62 ff. Schleswig-Holstein – Konkurrentenschutz für Private 6 149 – öffentlicher Zweck und reine Erwerbswirtschaft 6 55 – Organisationsform, Vergleich 8 30 – Qualitätsvergleich, private/kommunale Unternehmen 6 88 Schrankentrias – Gemeindeordnung 6 2 – wirtschaftliche Betätigung 6 4 Schriftform gem. § 126 BGB 12 46 Schulen – Public Private Partnership 7 172 Schwellenwerte – Rechtsbindungen der Kommune 14 29 – Vergaberecht 14 14, 20 Schwimmbad – Betrieb gewerblicher Art (BgA) 11 87 Seeling-Modell 11 357 Seitz-Entscheidung 13 236 Selbstveranlagung 15 67 Selbstversorgungsbetriebe – Betrieb gewerblicher Art (BgA) 11 17 Selbstverwaltung 3 1
Sachregister Selbstverwaltungsaufgaben 1 3 – freiwillige 1 3 f.; 7 80 – fremde 1 3 – pflichtige 1 3, 5 – s. auch Aufgaben, gemeindliche Selbstverwaltungsgarantie 3 3 f.; 7 5, 13 f.; 8 1, 3 – Eigenverantwortlichkeit der Wahrnehmung von Selbstverwaltungsaufgaben 7 13 – Europäische Charta 3 17 – „Europafestigkeit“ 3 15 – kommunale Zusammenarbeit 7 134 ff. – Mindestgarantie 3 18 – Subsidiaritätsprinzip 3 16 – Wesensgehalt 3 4 Servicegesellschaften 11 235 Share Deal 12 28, 39, 142 ff. Sicherheitsleistung – Haftung im Vertragskonzern 13 210 SIEC-Test (Significant Impediment to Effective Competition 15 164, 181 Sittenwidrige Schädigung – existenzvernichtender Eingriff, Haftung 13 199 ff. Sondernutzungsentgelte 11 70 Sonderrechte 3 23 Sonderurlaub 12 259 Sondervermögen – Eigenbetrieb 7 34 – eigenbetriebsähnliche Einrichtung 7 44 – Selbständigkeit des Eigenbetriebs 7 59 f. – Vergaberecht 14 6 Soziale Belange 10 9 Sozialkriterien – Vergaberecht 14 27 f. Sozialversicherung 15 89 – Kartellrecht 15 27 Sozialverträglichkeit – Privatisierung 5 17 Spaltung 12 17 ff., 28 f., 51, 113 Sparkassen 4 10 Sparkassenrecht 7 63 – Haftung der Kommune 7 73
Sparte – Dauerverlustgeschäft 11 213 – Entstehung einer neuen ~ 11 217 – Ergebnisermittlung 11 220 ff. – gleichartige Tätigkeit 11 218 – übrige ~ 11 213 – Veränderungen im Tätigkeitsumfang 11 216 ff. – Zinsschranke 11 223 Spartentrennung 11 188, 211 ff., 231 ff. – Hilfsgeschäfte 11 213 – hoheitliche Dauerverlustgeschäfte 11 213 – zusammenfassbare Tätigkeiten 11 213 Sperrminorität 8 59; 13 42, 52, 260 ff. Spitzenverband, kommunaler – Wirtschaftsbetätigung der Gemeinde 63 Spürbarkeit – De-minimis-Bekanntmachung 15 50 – der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels 15 15 Staatliche Leistungen, s. Beihilfen Staatsaufgabe – Privatisierung 5 1 – unverzichtbare 5 2, 5 f. Staatsvorbehalt 5 7 – Aufgabenprivatisierung 2 16 Staatszwecke 5 3 Stadtreinigung Hamburg-Entscheidung – kommunale Zusammenarbeit 14 53 ff. Stadtwerke 10 98 ff. Stadtwerke GmbH – öffentlicher Auftraggeber 14 7 Stand-Alone-Klausel 11 78 Status der übergehenden Arbeitnehmer 12 60 Stellenobergrenze – personalwirtschaftliche Aspekte, Rechtsformwahl 16 60 Stellvertretung – Vergaberecht 14 6 Steuerbare Umsätze – Lieferung und sonstige Leistungen 11 317 ff. Steuerbelastungsvergleich 11 179 ff.
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Sachregister Steuerersparnisse 8 15 Steuergeheimnis 11 303 Steuerlicher Querverbund 7 46; 11 90 ff., 99, 112, 188 ff. – Dauerverlustgeschäft 11 112 Steuerliches Einlagekonto – Anfangsbestand 11 150 ff. – Einlagenrückgewähr 11 169 ff. – Rücklagen 11 143 Steuern, kommunale 1 10 Steuerpflicht der öffentlichen Hand – Finanzausgleich 11 2 – Gewerbesteuer 11 182 – Kapitalertragsteuer 11 129 ff. – Körperschaftsteuer 11 46 ff. – ratio legis 11 1 ff. – Wettbewerbsneutralität 11 2 Steuerrecht – Rechtsformwahl kommunaler Unternehmen 16 102 Steuerung der Gemeinde – Privatisierung 5 17 Steuerung der Gesellschaft – „Führung“ und „Steuerung und Überwachung“ 9 7 – durch Festlegungen in Gesellschaftsvertrag oder Satzung, s. Gesellschaftsverfassung – durch Weisungen an gemeindliche Vertreter 9 40 ff. – Steuerungsprobleme bei mehrstufigem Konzern 9 54 – Vorgaben durch Wirtschaftsgrundsätze, s. Wirtschaftsgrundsätze Steuerung kommunaler Unternehmen 7 5 ff., 29 – Aktiengesellschaft 7 113 – Anstalt des öffentlichen Rechts 7 74 ff. – Eigengesellschaft 7 94, 97 – GmbH 7 119 – Kommanditgesellschaft 7 125 f. – Kooperationsmodell 7 203 f. – Politik und Wirtschaft 7 28 – rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts 7 63 ff. Steuerungsmodell, neues – Angleichung an die Privatwirtschaft 16 3
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Stiftung – Beschränkungen 7 89 – kommunalwirtschaftliche Betätigung 7 88 ff. – Mitglied bei Zweckverband 7 145 Stiftung des Privatrechts 7 133 Stiftung, nicht rechtsfähig – Vergaberecht 14 6 Stille Beteiligung 11 244 Stilllegung des Betriebs 12 56 Stimmrecht der Gemeinde in Hauptbzw. Gesellschafterversammlung 8 59 Stimmrechtsbeschränkungen 13 66 Stimmrechtsbindungen 8 59; 13 40, 66 Stimmrechtsmehrheit – Beherrschung 13 32 ff. Störer 10 90 Störerhaftung 10 90 ff. Streikrecht der Beamten 12 247 Stromversorgung – Inhousevergaben 14 50 – Konzession 14 19 – Marktabgrenzung bei Zusammenschluss 15 182 – marktbeherrschende Stellung 15 118 Stromversorgungsunternehmen – Abwehr unlauteren Verhaltens 10 103 Strukturell dauerdefizitärer BgA 11 14, 57, 93 ff., 245 ff., 261, 372 Subjektionstheorie 10 30 Subjektstheorie 10 30 Subsidiaritätsprinzip 3 16; 6 4 – Beschränkung einiger Bundesländer 6 91 – gegenüber privaten Wirtschaftsaktivitäten 6 79 ff. – landesrechtliche Regelungen 6 88 ff. – öffentlicher Zweck bei gemeindeübergreifender Wirtschaftsbetätigung 6 72 ff. – Qualitätsvergleich 6 83 ff. – wirtschaftliche Betätigung 4 14 Subsidiaritätsregeln – aktivitätsbezogene 8 20 – Einschätzungsprärogative 8 26 – generelle 8 23 – landesgesetzliche Ausnahmen 8 27
Sachregister – – – –
materielle 8 22 ff. organisationsformbezogene 8 21 prozedurale 8 28 speziell öffentlich-rechtlich orientierte 8 25 – speziell privatrechtsorientierte 8 24 Subventionen – Haftung im faktischen Konzern 13 175, 185 Täterhaftung 10 92 Tarifgestaltung – Minderheitsbeteiligung 13 262 Tarifkonkurrenz 12 135 Tarifpluralität 12 135, 145 Tarifverträge 12 6 ff., 88 ff., 125, 143 ff., 183 ff. – Allgemeinverbindlichkeit 12 90, 135, 145 – privatrechtliche Organisationsform 16 63 ff. Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) 12 7, 8 f., 70, 140, 187 ff. TBB-Entscheidung 13 188 Teileinkünfteverfahren 11 129, 170 Teilprivatisierung 5 18 ff. Teilübertragung 12 19 Telekommunikation – Haftungsbegrenzung der Gemeinde 8 47 – Missbrauch bei Konzessionsvergabe 15 148 – Sektorenverordnung 14 13 Textform gem. § 126b BGB 12 45 Thüringen – Bestandsschutz für Unternehmen 6 115 – Konkurrentenschutz für Private 6 150 – Subsidiaritätsregeln 8 27 – Verfahren bei gemeindeübergreifender Wirtschaftsbetätigung 6 70 – wirtschaftliche/nichtwirtschaftliche Betätigung 6 124 Tochtergesellschaft – Umsatzhöhe bei Inhousevergaben 14 49 Tracking Stock-Struktur – Dauerverlust 11 122 ff.
Transaktionskosten 8 31 Transport 1 16 Treuepflicht – Haftung im faktischen Konzern 13 181 ff. Treueverhältnis – Beamte 12 216 Trinkwasserversorgung – Inhousevergaben 14 50 TVöD, s. Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst Übergang der Arbeitsverhältnisse – Betriebsübergang 12 52 ff. – der Rechte und Pflichten 12 52 – eines Betriebs oder Betriebsteils 12 33 Übergangs- oder Restmandat 12 170 ff. Übertragung von Dienstleistungen 12 195 Übertragung von Dienststellen oder öffentlichen Betrieben auf privaten Erwerber 12 22 ff. Überwachungsorgane 8 57, 61 f. Umfang der Beteiligungsrechte 12 152 ff. Umsatz – Fusionskontrolle, EG-Kartellrecht 15 158 f. – Fusionskontrolle, GWB 15 177 ff. – Inhousevergaben 14 47 f. Umsatzsteuer 11 253 ff. – Abweichungen zur Körperschaftsteuer 11 5, 257 – Auffassung der Rechtsprechung 11 270 ff. – Aufteilungsgebot 11 358 f. – Aufteilungsmaßstab 11 360 – Ausblick 11 380 ff. – Fördermittel 11 329 ff. – Heranziehung Dritter zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben 11 326 ff. – Konkurrentenklage 11 297 ff. – Mehrwertsteuersystem-Richtlinie (MwStSystRL) 11 5, 253, 258 ff. – nicht kostendeckende Tätigkeiten 11 261 – Organschaft 11 340 ff. – Prüfungsreihenfolge 11 271 ff.
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Sachregister – – – – – –
steuerbare Umsätze 11 317 ff. Unternehmereigenschaft 11 253 ff. Vorschaltgesellschaften 11 372 ff. Vorsteuerabzug 11 343 ff. Zuschüsse 11 331 ff. Zuwendungen an die öffentliche Hand 11 329, 336 ff. Umstrukturierung – konzernintern und Zusammenschluss 15 173 Umwandlung 7 2 f., 14; 8 78; 12 17, 24 ff., 140, 168 f. – in rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts 7 69 Umwandlung einer Dienststelle 12 219 Umwandlungsrecht und Widerspruchsrecht 12 51 Umwandlungsvorgänge – in Personengesellschaft 11 241 Umweltkriterien – Vergaberecht 14 27 f. Unentgeltliche Tätigkeiten – keine wirtschaftliche Betätigung 11 107 Unentgeltliche Wertabgabe – Entnahme eines Gegenstandes 11 321 – Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstandes 11 322 ff. Universalität, s. Allzuständigkeit Unlauteres Verhalten – Abwehr 10 97 ff. Unterlassungsabsicht – Vermutung 10 89 Unterlassungsanspruch 10 60, 88 – Konkurrentenschutz für Private 6 153 – Missbrauch marktbeherrschender Stellung 15 125 Unterlassungserklärung, strafbewehrte 10 89 Unternehmen, s. auch Kommunalunternehmen – abhängiges 13 17 – Begriff bei Gebietskörperschaften 13 23 ff. – Begriff GWB 15 69 ff. – Begriff, teleologischer 13 11 f. – Betrieb 4 15 – herrschendes 13 14 – hoheitliche Tätigkeit 15 73 ff., 25
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– kartellrechtliche Untersuchungen 15 28 f. – Nachfragetätigkeit 15 24, 92 – Nähebeziehung zum Staat 15 185 ff. – öffentliche 3 21 – öffentliche und Beihilfen 2 6 – Rathaus 1 22 – Rechtsform 13 13 – verbundene 13 15 ff. – wirtschaftliches 1 13; 4 2, 15 – Zugangsverweigerung 15 111 „Unternehmen Rathaus“ 1 22 Unternehmensbezug – geschäftliche Handlung 10 9 ff. Unternehmensgegenstand 8 39 – Formulierungsbeispiel 8 41 Unternehmenskaufvertrag – Nebenabrede und Wettbewerbsbeschränkung 15 50 Unternehmenssatzung – Anstalt des öffentlichen Rechts 7 74 ff. – Kommunalunternehmen 7 70 Unternehmensvereinigung – deutsches Kartellrecht 15 69 – Kartellrecht 15 28 Unternehmensvertrag – Abschluss 13 124 ff. – Änderung von Unternehmensverträgen 13 149 ff. – Aktiengesellschaft 13 126 ff. – Aktiengesellschaft, Änderung 13 150 – Aktiengesellschaft, Beendigung 13 155 f. – Beendigung 13 154 ff. – Beherrschungsvertrag 13 109 – Bericht 13 128 f. – Entherrschungsvertrag 13 65 – Form 13 124 – Genehmigung durch Kommunalaufsichtsbehörde 13 145 ff., 152, 163 – Gewinnabführungsvertrag 13 114 – GmbH, Änderung 13 151 – GmbH, Beendigung 13 159 – Handelsregistereintragung 13 132, 141, 158 – Holding 13 121 – kommunalrechtliche Wirksamkeit 13 144 ff.
Sachregister – kommunalrechtliche Zulässigkeit 13 116 ff. – Organschaftsvertrag 13 114 – Personengesellschaft 13 142 ff. – Prüfung, Prüfungsbericht 13 130 f. – Rechtsfolgen 13 115 – Verlustausgleichspflicht 13 115 – Zuständigkeit für Abschluss 13 124 f. – Zustimmung der Gesellschafterversammlung 13 134 ff., 151, 162 – Zustimmung der Hauptversammlung 13 126, 150, 157 – Zustimmung der Kommunalaufsicht 13 152 f. Unternehmenszusammenschluss 15 5 Unternehmenszweck 8 39 Unternehmer – Mehrwertsteuersystem-Richtlinie (MwStSystRL) 11 253 – öffentliche Hand als ~ 11 269 Unternehmerbegriff 11 275, 296 f. – Abweichungen zwischen EG-Recht und nationalem Recht 11 258 ff. – nationales Recht 11 253 ff. Unternehmerische Tätigkeiten – umsatzsteuerliche Behandlung 11 256 Unterrichtungspflicht gem. § 613 a Abs. 5 BGB 12 44 ff. Unterrichtungspflichten 12 164 ff. Unterstützungskassen 12 64 Urbanisierung 1 16 Urproduktion – wirtschaftliches Unternehmen 4 4 Van Eycke – missbräuchliche Kartellabsprachen 15 192 VBl, s. Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder VEBA/Gelsenberg-Entscheidung 13 12, 21 ff.,79 ff., 104 Veränderungssperre 12 92 Veranlassung – Haftung im faktischen Konzern 13 171 – schädliche Maßnahme 13 215
Veranstaltungszentren – Kommunalunternehmen und Kartellrecht 15 81 f. Verarbeitungsbetrieb – wirtschaftliches Unternehmen 4 4 Verbleibemodell 12 77 ff. Verbot der unbegrenzten Haftung, s. unter Haftungsbegrenzungen Verbotsgesetze – Machtmissbrauch 9 15 Verbundene Unternehmen – Abhängigkeit 13 17 – Begriff 13 15 – Rechtsfolgen 13 20 Verdeckte Gewinnausschüttung 11 62 ff., 99 ff., 146, 160, 167, 186, 211 – bei dauerdefizitären Tätigkeiten 11 93 ff. – Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft 11 113 – Grundsätze 11 62 ff. – Überführung einzelner Wirtschaftsgüter 11 89 – unentgeltliche Tätigkeiten über Kapitalgesellschaft 11 107 – Vermietung/Verpachtung wesentlicher Betriebsgrundlagen 11 167 Verein – gemischt-öffentliche Unternehmen 7 162 – Haftungsbegrenzung 7 128 – kommunalwirtschaftliche Betätigung 7 127 ff. – kulturelle, soziale, nichtwirtschaftliche Aufgaben 7 189 – Rechtsfähigkeit 7 129 – wirtschaftlicher Verein 7 129 Vereinbarung – kommunale Zusammenarbeit 14 56 Verfassungsrecht – gemeindliche Wirtschaftsbetätigung 6 24 ff. Verfassungsstaat 5 3 f. Verflechtung – Betrieb gewerblicher Art (BgA) 11 194 f. Verfügung, einstweilige 10 40 Vergabenachprüfungsinstanz 6 157
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Sachregister Vergaberecht – Beauftragung kommunaler Unternehmen 14 37 f. – Beihilfen 14 3 – Beteiligung kommunaler Unternehmen 14 64 – Dienstleistungen 14 2, 17 f. – Eigengesellschaft 7 96 – eigenständiges Rechtsgebiet 14 1 ff. – europarechtliche Vorgaben 14 1 – Grenzen 14 36 ff. – Grundrechtsbindung 14 35 – Inhousevergaben 14 36 – Kartellrecht 14 34 – Konkurrentenschutz 3 30 – Konkurrentenschutz für Private 6 157 – Konzessionsmodell 7 208 – Rechtsformwahl kommunaler Unternehmen 16 103 – Rechtsschutz 14 30 – Rekommunalisierung von Aufgaben 14 45 – Selbstbindung an verwaltungsinterne Vorschriften 14 35 – Stellvertretung 14 6 – Umwelt- und Sozialkriterien 14 27 f. – Verfahren 14 23 ff. – wesentliche Vertragsänderung 14 22 – wettbewerblicher Dialog 14 26 – Wettbewerbsrecht 14 3 Vergabeverfahren – Konkurrentenschutz 3 12 Vergütung der Organmitglieder – Abführungspflicht 9 56 f. Verhalten – Koordinierung zwischen Unternehmen, Kartellrecht 15 5 Verhaltensabstimmung – aufeinander abgestimmte Verhaltensweise 15 33 ff. – deutsches Kartellrecht 15 83 f. – gemeinsamer Wille 15 30 ff. – Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern 15 34 Verhandlungsverfahren – Vergaberecht 14 25 Verkehr – Sektorenverordnung 14 13
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Verkehrsbetriebe – Begriff 11 199 – wirtschaftliches Unternehmen 4 4 Verkehrsüberwachung 2 12 Verkehrsunternehmen, öffentlichrechtliches – Formulierungsbeispiel des Unternehmensgegenstandes 8 41 – Veräußerung 9 62 Verlustabzug 11 76, 197, 206 – Betrieb gewerblicher Art (BgA) 11 76 ff. – Spartentrennung 11 212 Verlustausgleichspflicht 13 115 Verlustnutzung – steuerliche Zusammenfassung BgA 11 206 ff. Verlustvortrag – Spartentrennung 11 218 Vermietung/Verpachtung von Grundbesitz – Abgrenzung Betrieb gewerblicher Art (BgA) 11 39 f. Vermietung/Verpachtung wesentlicher Betriebsgrundlagen 11 66 ff., 83 f. – verdeckte Gewinnausschüttung 11 167 Vermögensabzug – existenzvernichtender Eingriff, Haftung 13 194 ff. Vermögenserträge 1 13 Vermögensprivatisierung 2 14 f. Vermögensteilübertragung 12 113 Vermögensübertragung 12 17, 19, 28 ff., 128 Vermögensverwaltung 11 181, 291, 296 – Abgrenzung zum BgA 11 15, 39 ff. – Umsatzsteuerpflicht 11 275 ff. – wirtschaftliche/nichtwirtschaftliche Betätigung 6 125 Vermutungskette 13 19, 94 Verpachtung – Betrieb gewerblicher Art (BgA) 11 45, 249 Verpachtungs-BgA – Besonderheiten bei steuerlicher Zusammenfassung 11 204
Sachregister Verquickung 10 48 ff. – sonstige 10 67 – unzulässige 10 53 ff. Verschlechternde Änderungsverträge 12 123 Verschmelzung 12 17, 19, 28 f., 51, 115 Verselbständigung – Gefahr für Kommunalunternehmen 8 37, 55 Verselbständigungsfiktion 11 48, 61 Versicherungssektor – Gruppenfreistellungsverordnungen 15 53 – Kommunalunternehmen und Kartellrecht 15 81 f. – Zusammenschluss 15 155 Versorgung über eine Direktversicherung 12 67 Versorgungs-, Verkehrs- und Hafenbetriebe 11 19, 189, 195 ff., 203 ff., 254 Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) 12 70 – Beteiligteneigenschaft bei der ~ 12 74 Versorgungsanwartschaften 12 52, 61 ff. Versorgungsbetriebe – Begriff 11 198 – Betrieb gewerblicher Art (BgA) 11 19 – steuerliche Zusammenfassung 11 196 ff. – wirtschaftliches Unternehmen 4 4 Versorgungssicherheit – Privatisierung 5 17 Versorgungsunternehmen – Beweislastumkehr 15 148 – Missbrauchsaufsicht 15 146 Vertragliche Gestaltung von Zuweisung und Dienstleistungsüberlassung 12 254 ff. Vertragliche Verpflichtungen zwischen öffentlichem Veräußerer und privatem Erwerber 12 126 Vertragskonzern – Begriff 13 109 ff. – Begründung 13 122 ff. – Beherrschungsvertrag 13 110 ff. – Bericht über Unternehmensvertrag 13 128 ff.
– Gewinnabführungsvertrag 13 114 – Haftung, s. dort – Haftungsbeschränkung der Kommune 13 117 ff. – Handelsregistereintragung 13 132 – Holding 13 121 – kommunalrechtliche Zulässigkeit 13 116 ff. – Organschaftsvertrag 13 114 – Unternehmensverträge 13 122 ff., s. auch dort – Verlustausgleichspflicht 13 115 – Vertretung der Gemeinde 9 23 ff. Vertrauensschutz – der öffentlichen Hand 11 313 ff. Vertretung – Anstalt des öffentlichen Rechts 7 75 Vertretung der Gemeinde – Abberufung von Vertretern innerhalb der Gesellschaft 9 26 – Begriff des Vertreters 9 32 – gegenüber der Gesellschaft 9 23 f. – innerhalb der Gesellschafter- oder Hauptversammlung 9 23 – innerhalb des Aufsichtsrats 9 23 Vertretungsvorbehalt 8 78 Verwaltungshelfer, -hilfe 2 21; 7 81, 154 – Eigengesellschaft 7 101 – Einbeziehung Privater 7 185 – Einbeziehung Privater in staatliche Aufgaben 7 177, 180 f. – Erfüllungsgehilfe der Kommune 7 81, 101 – gemischt-öffentliche Unternehmen 7 164 Verwaltungskameralistik 16 96 Verwaltungsrat – Anstalt des öffentlichen Rechts 7 76 – Unternehmenssatzung 7 70 – Zweckverband 7 152 Verwaltungsrechtsweg – private Konkurrenten 6 127 ff. Verwaltungsvollstreckung – Anstalt des öffentlichen Rechts 7 86 Verwaltungsvorbehalt 5 8 Verweisungsklausel – große dynamische 12 97 – kleine dynamische 12 97, 135 Vetorecht 8 59
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Sachregister VNLTO-Entscheidung – EuGH 11 352 ff. Volkswagen-Entscheidung 13 23 ff., 53 ff., 79 ff. Vollausstiegsmodell 12 80 ff. Vollübertragung 12 19 Vorbehalt des Gesetzes 7 22, 35 – Beleihung 7 179 – rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts 7 65 – Stiftungen des öffentlichen Rechts 7 90 Vorbehalt für abweichendes Gesellschaftsrecht 9 2 Vorrang des Gesellschaftsrechts 9 2 Vorrangregel zugunsten einer öffentlich-rechtlichen Organisationsform 73 Vorschaltgesellschaften – Vorsteuerabzug 11 372 ff. Vorstand – Aktiengesellschaft 7 110 f. – Anstalt des öffentlichen Rechts 7 75 f. – Unternehmenssatzung 7 70 Vorsteuerabzug 11 4, 293, 319 ff., 343 ff., 352 ff. – Auffassung der Rechtsprechung 11 352 ff. – Aufteilung 11 348 – Berechtigung 11 343 ff. – BFH-Rechtsprechung 11 345 – Billigkeit 11 361 – EuGH 11 343 – gemischte Verwendung 11 356, 363 f. – Grundstücke 11 367 ff. – neue Sichtweise der Finanzverwaltung 11 355 ff. – Nichtbeanstandungsregelung 11 366 – nichtwirtschaftliche Tätigkeit 11 355 – Nutzungsänderungen 11 361 – private Erschließungsgesellschaft 11 375 ff. – Sanierungsleistungen für Gebäude 11 369 ff. – Stundungseffekt 11 373 – Übergangsregelungen 11 365 ff. – unternehmensfremde Zwecke 11 350 – Versagung 11 347
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– Verwendungsabsicht im Zeitpunkt des Leistungsbezugs 11 344 ff. – Vorschaltgesellschaften 11 372 ff. – Wettbewerbsverzerrungen 11 283 – Zuordnungswahlrecht 11 349 Vorteile – Begriff 15 135 – Wettbewerbsverzerrung 15 134 Wahlfreiheit der Verwaltung – kommunale Zusammenarbeit 7 135 – Organisations- und Handlungsform 7 10 ff. Wahlrecht – steuerliche Zusammenfassung BgA 11 205 Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben – Freistellung, GWB 15 89 ff. Wasser- und Energieversorgung – Sektorenverordnung 14 13 Wasserhaushaltsgesetz – Drittbeauftragung 7 185 Wasserversorgung 1 17 – Einbeziehung Privater 2 21 – fachgesetzliche Privatisierungsmöglichkeiten 7 186 – Freistellung, GWB 15 90 – Kartellrecht 15 81 f. – Marktabgrenzung bei Zusammenschluss 15 182 – Missbrauch 15 148 – Public Private Partnership 7 172 – Querverbund 7 46 – Zweckverband 7 143 Weihnachtsmarkt – Privatisierung, BVerwG 16 11 Weisungsrecht des privaten Unternehmens – bei der Dienstleistungsüberlassung 12 237 f. – gegenüber den Vertretern 9 40 – nach § 20 Abs. 2 2. Alt. BeamtStG 12 235 f. Weisungsrechte – Anstalt des öffentlichen Rechts 7 77 Weisungsrechte gegenüber gemeindlichen Vertretern – Aktiengesellschaft 7 109 f. – Folgen bei Verstößen 9 44
Sachregister – Gefahr der Konzernhaftung 9 45 – gesellschaftsrechtliche Grenzen 9 41 f., 46 – GmbH 7 118 – Konflikt mit dem Gesellschaftsinteresse 9 41 – Umfang 9 40 – Unternehmenssatzung 7 70 – Zweck 9 40 – Zweckverband 7 150 Werks-/Betriebsausschuss 7 38, 44, 53, 50 ff., 56 f. – Optimierung des Regiebetriebes 7 30 Werks-/Betriebsleitung 7 38, 44, 51 ff., 57 f. Werkswohnungen 12 52 Wertgleiche Versorgung 12 65 ff. Wesensgehalt – Selbstverwaltung 3 4 f. Wesentliche Betriebsgrundlagen 11 66 ff., 83 f. Wettbewerb 2 11 – Beihilfen für öffentliche Unternehmen 2 6 ff. – Beziehung zwischen öffentlich-rechtlichen Unternehmen 15 73 ff. – Daseinsvorsorge 2 1 ff.; 3 8 f. – Einrichtungen der Jugendhilfe 14 65 – hoheitliche Tätigkeit 15 73 ff. – Inhousevergaben 14 47 – Justizvollzugsanstalten 14 65 – Privatisierung 5 17 – soziale Marktwirtschaft 3 20 f. – Spürbarkeit der Beschränkung 15 50 – s. auch Monopolstellung der Gemeinde Wettbewerbsabsicht 10 13 ff. – BGH 10 9 – Vermutung 10 16, 22 ff. Wettbewerbsbeschränkung – bezweckte/bewirkte Verhinderung, Verfälschung 15 41 ff. – EU-Kartellrecht 15 36 ff. – horizontale und vertikale Beschränkung 15 37 ff. – Nebenabrede zu Unternehmenskaufvertrag 15 48 – Spürbarkeit 15 50 – Tatbestandsgrenzen 15 44 ff.
Wettbewerbsförderungsabsicht 10 13 ff. Wettbewerbshandlung 10 4 ff. – als Handlung mit Marktbezug 10 11 – Handlung „einer Person“, s. auch Geschäftliche Handlung 10 6 f. Wettbewerbsneutralität 11 2 Wettbewerbsrecht – Anwendbarkeit auf öffentliche Unternehmen 6 153 ff. – Begriff 10 3 – Beschränkung für staatliches nichtunternehmerisches Handeln 15 191 – Beschränkung, Verhinderung, Verfälschung 15 41 ff. – Grenzen für die Rechtsformwahl 7 17 – hoheitliche Regelungen 15 46 – Konkurrentenschutz für Private 6 153 ff. – nicht-unternehmerischer Staat 15 185 ff. Wettbewerbsrechtliche Abwehransprüche 6 153 ff. Wettbewerbssicherung – gemeindeübergreifende Wirtschaftsbetätigung 6 65 Wettbewerbsverstöße – Abwehr 10 101 – Preisangabenverordnung 10 104 Wettbewerbsverzerrungen 11 259, 265 ff., 280 ff. – Auffassung der Finanzverwaltung 11 289 ff. – Drittschutz 11 302 – hoheitliche Entsorgungsleistung 11 287 – Isle of Wight 11 284 – Konkurrentenklage 11 297 ff. – Mehrwertsteuersystem-Richtlinie (MwStSystRL) 11 265 ff. – Preisgleichheit 11 286 – ungerechtfertigte Vorteile 15 134 – unternehmerische Tätigkeit 11 280 ff. Wettbewerbsvorteile – Interessenabwägung 10 60 – räumliche Nähe 10 58 f. Wichtiger Grund für Abberufung, s. Aufsichtsratsmitglieder
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Sachregister Widerspruch gegen Zuweisungs- bzw. Überlassungsverfügung 12 239 ff. Widerspruchsfrist gem. § 613a Abs. 5 BGB 12 45 Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer 12 44 ff. Wiedereinstellungsanspruch 12 56 Willensbildung der Gemeinde – Anbindung an die Willensbildung, s. Rückbindungsvorbehalt – betreffend Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern 8 79; 9 23 f. Wirkungskreis – eigener 1 3 – örtlicher 1 23 – übertragener 1 3, 8 Wirtschaftliche Abhängigkeit 13 51 f. Wirtschaftliche Einheit – Wettbewerbsverbot 15 44 Wirtschaftliche Tätigkeit – umsatzsteuerliche Behandlung 11 272 ff. Wirtschaftliche Unternehmen 7 27, 32, 104, 129 – Eigenbetrieb 7 39 ff. – Entwicklung gemeindlicher Unternehmen 7 3 – Querverbund 7 46 – Regiebetrieb 7 25 – s. auch nichtwirtschaftliche Unternehmen Wirtschaftliche Zweckerfüllung, s. öffentlicher Zweck Wirtschaftsausschuss 12 164 Wirtschaftsbetätigung 1 8, 14, 16 – Abwehransprüche aus Grundrechten 6 128 ff. – Annextätigkeiten 6 94 ff. – Ausblick/Fortentwicklung 6 158 ff. – Auslandsbetätigung 6 43 f. – Bestandsschutz 6 115 – Betätigungskontrolle 6 116 – Daseinsvorsorge 6 119 – dauerhafte Sicherstellung 6 111 ff. – Definition 6 118 – Errichtung von Wirtschaftsunternehmen 6 112 – Erweiterung 6 114 – Hilfsbetriebe 6 94 ff.
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Kapazitätsauslastung 6 105 ff. Kommune, Historie 6 2 ff. Leistungsfähigkeit 4 13; 6 76 ff. Nordrhein-Westfalen 6 8 f. Public Private Partnership 6 119 Qualitätsvergleich 6 83 ff. Randnutzungen 6 95 ff. rechtliche Überprüfbarkeit 6 126 ff. Rechtsprechung bei Konkurrenz 6 133 ff. – Reichweite 6 111 ff. – Subsidiaritätsprinzip 4 14; 6 80 ff. – Übernahme 6 113 – Verfassungsrecht, Art. 28 Abs. 2 GG 6 24 ff. – Vermögensverwaltung 6 125 – wirtschaftlich/nichtwirtschaftlich 6 118 ff. – Zulässigkeit 8 12; 9 17 Wirtschaftsbetätigung, überörtlich – anerkannte Ausnahmen 6 33 ff. – Arbeitsplatzsicherung 6 65 f. – Ausbau der Infrastruktur 6 65 – Begriff 6 22 ff. – Beschränkung 6 25 – Daseinsvorsorge als öffentlicher Zweck 6 60 – Entwicklung 6 18 ff. – Erleichterungen 6 37 ff. – Expansion und öffentlicher Zweck 6 62 – interkommunale Zusammenarbeit 6 33 ff. – Kapazitätsauslastung 6 62 – Kompensation von Marktversagen 6 63 – landesrechtliche Besonderheiten 6 8 ff. – landesrechtliche Regelungen 6 36 ff. – Marktanalyse 6 70 – öffentlicher Zweck, siehe auch dort 6 37 ff., 49 ff. – prozeduale Anforderungen 6 67 ff. – Subsidiaritätsklausel bei öffentlichem Zweck 6 72 ff. – Unterschiede der einzelnen Gemeindeordnungen 6 38 ff. – verfahrensrechtliche Anforderungen 6 70 ff. – Versorgung der Bevölkerung 6 65
Sachregister – Wettbewerbssicherung 6 65 f. – Wirtschaftsförderung 6 65 Wirtschaftsgrundsätze 9 5 ff. – Ermessensbindung für den, den es angeht 9 3, 5 f. – wirtschaftliche Zweckerfüllung, s. öffentlicher Zweck Wirtschaftsgüter – Betrieb gewerblicher Art (BgA) 11 83 – keine Aufteilung 11 88 – Überführung einzelner Wirtschaftsgüter 11 89 – virtuelle Aufteilung 11 87 Wirtschaftsplan, s. auch Finanzplanung – Eigenbetrieb 7 61 – Einbindung der Kommunalunternehmen 8 65 – Kontroll- und Entscheidungsbefugnisse für Eigenbetrieb 7 58 – Optimierung des Regiebetriebes 7 30 – Unterrichtungsrecht des Kämmerers 7 55 Wirtschaftsvereinigungen – keine unbillige Benachteiligungen 15 137 Wirtschaftsverfassung 3 19 – privatwirtschaftliche Betätigung 3 6 – Rechtfertigung 3 7 ff. Zäsurmodell 12 85 f. Zeitpunkt des Betriebsübergangs 12 43 Zinsen, s. Ertragserzielung Zinsschranke 11 223 – Betrieb gewerblicher Art (BgA) 11 77 ff. Zugangsverweigerung – Missbrauch marktbeherrschender Stellung 15 111 Zulässigkeit der Arbeitnehmerüberlassung 12 196 ff. Zulässigkeit der Personalgestellung 12 187 ff. Zuliefervereinbarung – Wettbewerbsbeschränkung 15 49 Zurechnung von Anteilen 13 38 ff., 85 Zurückhaltungspflicht bei privatwirtschaftlicher Betätigung 10 44 ff.
Zusammenarbeit, interkommunale 7 133 ff. Zusammenfassung – Betrieb gewerblicher Art (BgA) und Hoheitsbetrieb 11 18 ff., 190 – Zusammenfassung in einer Kapitalgesellschaft 11 93 ff. – Zusammenfassung mittels Organschaft 11 224 ff. – Zusammengefasste BgA 11 189 ff. Zusammengefasste BgA – Durchführung 11 205 – Einkapselung/Reservierung 11 207 – Gewerbesteuer 11 246 – Rücktrag 11 208 – Verlustnutzung 11 206 ff. – Verpachtungs-BgA 11 204 Zusammenschluss – Begriff GWB 15 169 ff. – berechtigte Interessen 15 151 – Flick-Klausel 15 174 – gemeinschaftsweite Bedeutung 15 156, 162 – keine gemeinschaftsweite Bedeutung 15 180 – konzerninterne Umstrukturierung 15 173 – Kredit- und Finanzinstitute 15 155 – Missbrauchsaufsicht 15 150 – öffentliche Unternehmen 15 154 – Versicherungsgesellschaften 15 155 Zusammenschlusskontrolle, s. Fusionskontrolle Zusatzversorgung 12 30, 61, 77 ff., 138, 147 ff. Zuschüsse 11 90 ff., 329 ff. – als Entgelt 11 335 – echte ~ 11 339 – umsatzsteuerliche Behandlung 11 331 ff. – unechte ~ 11 331 f., 337 f. Zuständigkeit, örtliche 8 11 Zuständigkeitsverteilung zwischen Gesellschaftsorganen 8 63 Zustimmungserfordernisse der Beamten 12 226 Zustimmungsvorbehalt 8 60 – s. auch Rückbindungsvorbehalt
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Sachregister Zuweisung einer dem Amt entsprechenden Tätigkeit 12 224 Zuweisung nach § 20 Abs. 1 BeamtStG 12 261 Zuweisung nach § 20 Abs. 2 2. Alt BeamtStG – Rechtsfolgen 12 233 ff. – vertragliche Gestaltung 12 254 ff. Zuweisung nach § 123a Abs. 2 BRRG – Voraussetzungen 12 217 ff. Zweck, öffentlicher, s. öffentlicher Zweck Zweckgesellschaft – Beteiligung an Personengesellschaft 13 92 Zweckverband 16 84 – Abfallentsorgung, Abwasserbeseitigung 7 143 – Aufgabenwahrnehmung 7 156 f.
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Einbeziehung Privater 7 175 Entstehung 7 147 ff. Freiverband 7 145 f. Gewinnerzielungsabsicht 4 7 Inhousevergaben 14 41 kommunale Zusammenarbeit 7 138, 144 ff. Mitglieder 7 145 Organe 7 150 ff. Pflichtverband 7 145 Rechtsnatur 7 144 Subsidiaritätsregeln 8 27 Verfassung 7 150 ff. Wirtschaftsführung 7 150 ff.
Zweckvereinbarung, öffentlich-rechtliche 7 142 Zwischenstaatlichkeitsklausel 3 20; 15 12 ff.