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German Pages 1830 Year 2014
Runkel/Schmidt (Hrsg.) Anwalts-Handbuch Insolvenzrecht
Anwalts-Handbuch
Insolvenzrecht herausgegeben von
Hans P. Runkel Rechtsanwalt und
Dr. Jens M. Schmidt Rechtsanwalt bearbeitet von
RA Dr. Dirk Andres RA Dr. Christian Brünkmans, LL.M. RA Michael Dahl RiinLG Dr. Vera Drees RA Robert Fliegner RA Achim Frank RA Dr. Ulrich Graf RA Silvio Höfer RA Dr. Thomas Hoffmann RA Dr. Guido Krüger RiAG a.D. Manfred Ley RA Prof. Dr. Klaus Pannen RA Dr. Andreas Ringstmeier RAin Dr. Susanne Riedemann RAin Dr. Anne Deike Riewe RA Hans P. Runkel RA Dr. Jens M. Schmidt RA Dr. Sven-Holger Undritz RAin Dr. Irene Wunsch
3., völlig neu bearbeitete Auflage 2015
Zitierempfehlung: Bearbeiter in Runkel/Schmidt (Hrsg.), AHB Insolvenzrecht, 3. Aufl., § … Rz. …
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-18054-6 ©2015 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zu gelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Verviel fältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umwelt freundlich. Einbandgestaltung: Jan P. Lichtenford, Mettmann Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany
Vorwort Seit dem Erscheinen der 2. Auflage im Jahre 2008 hat das Insolvenzrecht wiederum erhebliche Änderungen erfahren, naturgemäß in erster Linie durch den Gesetzgeber. Zu erwähnen ist zunächst das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) und vor allem das am 1.3.2012 in Kraft getretene Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG). Ein gutes Jahr vorher (1.1.2011) hatte das Haushaltsbegleitgesetz Neuerungen in § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO und § 55 Abs. 4 InsO gebracht. Ganz aktuell sind schließlich die seit dem 1.7.2014 geltenden Änderungen im Privatinsolvenzrecht (Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte). Nicht zu vernachlässigen sind jedoch auch die Änderungen im Rahmen der höchstrichterlichen Rechtsprechung, hier vor allem von Seiten des BGH und des BFH. Darüber hinaus sorgen Wissenschaftler und Praktiker für neue Impulse, so auf dem Gebiet des Insolvenzanfechtungsrechts und das zur Zeit im Gesetzgebungsverfahren befindliche Konzerninsolvenzrecht. Versucht man, innerhalb dieser umfangreichen Neuerungen und Änderungen nach der jeweiligen Bedeutung für die Insolvenzpraxis und damit für diese Neuauflage zu differenzieren, so muss das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) als besonderer „Meilenstein“ der vergangenen Jahre ausgemacht werden. Das Gesetzgebungsverfahren und seine intensive Begleitung durch die Literatur bis zum Inkrafttreten am 1.3.2012 erinnerten an die Zeit vor der Einführung der Insolvenzordnung – eine Zeit, die der „Seniorherausgeber“ im Vorwort zur 1. Auflage beschrieben hatte mit „Der Ruf nach einem modernen Insolvenzrecht wurde laut“. Nach bereits vierzehn Jahren also die neuerliche (Auf-)Forderung der Insolvenzpraxis zur Modernisierung einerseits und eine nach Ansicht der Herausgeber grundlegende Reaktion des Gesetzgebers andererseits – teilweise sicherlich zu Themenbereichen (z.B. zwangsweiser Eingriff in Gesellschafterrechte), die schon im Gesetzgebungsverfahren zur Einführung der Insolvenzordnung als immanenter Bestandteil eines modernen Insolvenzrechts gefordert und nunmehr nachgebessert worden sind. Im Kern jedoch greifen Insolvenzpraxis und Gesetzgebung mit dem ESUG (Rechts-)Entwicklungen aus der Zeit seit Inkrafttreten der Insolvenzordnung auf. Benennt man mit den Einflussmöglichkeiten der Gläubiger auf die Verwalterauswahl (u.a. §§ 22a, 56a InsO) und die Stärkung der Schuldnerrechte (u.a. §§ 270a, 270b InsO) die Regelungsschwerpunkte, so zeigt sich die Gewichtigkeit der Reform in rechtsdogmatischer und auch praktischer Hinsicht. Ohne dies – wie nicht selten zu lesen und hören ist – als Paradigmenwechsel bezeichnen zu wollen, muss gleichwohl festgehalten werden, dass das ESUG mehr als nur ein neuer Anstrich ist. Nach den ersten beiden Jahren seit seinem Inkrafttreten bleibt das Gesetz als „Chance“ und „Risiko“ zugleich in Erinnerung. Als „Chance“, um das Sanierungs- und Reorganisationspotential eines deutschen Insolvenzverfahrens an das (internationale) Licht zu führen und außergerichtlichen Sanierungen selbstbewusst gegenüber zu stellen. Als „Gefahr“, wenn hierbei das Primat der Gläubigerbefriedigung Schaden nimmt. Diese Bewertung des ESUG, die zahlreichen weiteren aufgezeigten Neuerungen in der Gesetzgebung und Rechtsprechung sowie ein unvergleichlich großes Interesse der Literatur am Insolvenzrecht riefen nach einer Neuauflage des Handbuchs, die dann auch Anlass für eine teilweise Veränderung und vor allem Verjüngung, nicht nur beim Autorenteam, sondern auch auf Herausgeberseite war. Folgende Autoren sind neu hinzugekommen: RA Dr. Dirk Andres und RAin Dr. Susanne Riedemann für die Eingangskapitel (Schuldner-, Geschäftsführer- und Gesellschafterberatung, Risiken der Gesellschafterfinanzierung, §§ 1–4) und RA Dr. Christian Brünkmans mit einem neuen Unterkapitel zum Konzerninsolvenzrecht „in spe“, RA Dr. Guido Krüger und RAin Dr. Anne Deike Riewe für die steuerrechtliche Beratung sowie schließlich RA Silvio Höfer für die Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren. Die großen Veränderungen, die das Insolvenzrecht durch Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur in den zurückliegenden 6 Jahren erfahren hat, stellten für die
V
Vorwort bisherigen und neuen Autoren eine große Herausforderung dar, zunächst einmal bei ihrer täglichen Berufsarbeit, dann aber um so mehr bei ihrer zusätzlichen Autorentätigkeit. Es besteht deshalb für uns als Herausgeber aller Anlass zu besonders herzlichem Dank, den der „Seniorherausgeber“ auch der tatkräftigen Unterstützung durch die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Bonn, Frau Navideh Maleki schuldet. Unverändert wichtig war, wie schon bei den Vorauflagen auch, die sachkundige sowie hilfsbereite Tätigkeit des Lektors Rüdiger Donnerbauer, der das Buch seit jetzt mehr als 10 Jahren engagiert gefördert hat. Wuppertal im September 2014
VI
Hans Peter Runkel
Jens M. Schmidt
Inhaltsübersicht Seite
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXV
Literaturübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXXV
§ 1 Schuldnerberatung (Andres/Brünkmans) Rz.
Seite
I. Mandatssituation (Andres) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
3
1. Tatsächliche Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
3
2. Honorar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
4
3. Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
9
II. Insolvenzeröffnungsgründe (Andres) . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
18
1. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
42
18
2. Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
20
3. Drohende Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
107
35
4. Überschuldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
114
37
III. Beseitigung der Insolvenzgründe (Andres) . . . . . . . . . . . . . .
163
49
1. Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . .
164
49 54
2. Beseitigung der Überschuldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
183
IV. Besonderheiten der Schuldnerberatung im Konzern (Brünkmans)
215
63
1. Mandatssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
215
63
2. Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen
224
65
3. Besonderheiten bei der Prüfung der Insolvenzgründe konzernverbundener Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
234
68
4. Vorbereitung eines einheitlichen Konzerninsolvenzgerichtsstandes
255
72
5. „Corporate Governance Strukturen“ zur Bewältigung von Gruppeninsolvenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
282
77
6. Einbeziehung nicht insolventer Gruppen-Gesellschaften . . . . . .
336
86
7. Konzernsanierung durch Insolvenzplanverfahren . . . . . . . . . .
342
88
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
95
II. Dienstvertragliche und organschaftliche Befugnisse vor Insolvenzantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2
96
§ 2 Geschäftsführerberatung (Andres) I. Überblick
III. Anzeigepflicht gemäß § 49 Abs. 3 GmbHG . . . . . . . . . . . . . .
7
98
IV. Sanierungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
98
V. Insolvenzantragspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
99
1. Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
99
2. Erfüllung der Antragspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16
101
VII
Inhaltsbersicht Rz.
Seite
3. Konsequenzen der Säumnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
102
VI. Rechte und Pflichten nach Insolvenzantrag . . . . . . . . . . . .
22
102
1. Verfahrensrechtliche Stellung des Schuldners . . . . . . . . . . .
22
102
2. Organschaftliche Stellung des Geschäftsführers . . . . . . . . . .
36
105
VII. Haftung des Geschäftsführers wegen Insolvenzverschleppung . .
41
107
1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
107
2. Außenhaftung nach der Rechtsprechung zu § 15a Abs. 1 InsO . .
43
107
3. Innenhaftung nach der Rechtsprechung zu § 64 S. 1 GmbHG . . .
67
115
4. Haftungsmodelle der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
122
5. Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
102
126
6. Zurückbehaltungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
108
127
7. § 64 S. 3 GmbHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
115
129
8. Gesamtverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
120
130
9. Faktischer Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
121
131
10. Darlegungs- und Beweislast, Schiedsverfahren . . . . . . . . . . .
124
131
11. Weisung, Verzicht, Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
129
133
12. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
131
133
13. Haftung ohne Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . .
132
133
VIII. Culpa in contrahendo, Aufklärungspflicht . . . . . . . . . . . . .
133
134
IX. Haftung für Verfahrenskosten gemäß § 26 Abs. 3, 4 InsO . . . . .
138
135
X. Haftung wegen Betruges und Untreue . . . . . . . . . . . . . . .
140
136
XI. Haftung für Sozialabgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
148
138
1. Strafrechtliche Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
148
138
2. Zivilrechtliche Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
152
140
XII. Haftung wegen sittenwidriger Schädigung . . . . . . . . . . . . .
162
141
XIII. Haftung wegen Existenzvernichtung . . . . . . . . . . . . . . . .
164
142
XIV. Steuerrechtliche Haftung gemäß § 69 AO . . . . . . . . . . . . . .
168
144
1. Grundsatz der anteiligen Tilgung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
170
145
2. Tatsächliche Unmöglichkeit, keine Steuerminderungspflicht . . .
178
146
3. Abzugsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
182
147
4. Vorsteuerkorrektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
183
148
5. Geschäftsführerwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
184
148
6. Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
186
149
XV. Haftung bei anderen Gesellschaftsformen . . . . . . . . . . . . .
188
149
XVI. Geschäftsführerhaftung bei ausländischen Gesellschaften . . . .
191
150
I. Mandatssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
154
II. Überblick über die Änderungen durch das „MoMiG“ . . . . . . .
3
154
1. Kapitalaufbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
154
§ 3 Gesellschafterberatung (Andres)
VIII
Inhaltsbersicht Rz.
Seite
2. Kapitalerhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
155
3. Unternehmensbestattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8
155
. . . .
9
156
1. Gründung der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10
156
2. Kapitalerhöhung der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50
168
3. Kapitalerhaltung der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
173
IV. Existenzvernichtung, Unternehmensbestattung . . . . . . . . . .
85
179
1. Gesellschafterhaftung wegen Existenzvernichtung . . . . . . . . .
85
179
2. Unternehmensbestattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
182
V. Besonderheiten im Kapitalschutzsystem der AG . . . . . . . . . .
98
184
1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
184
2. Kapitalaufbringung, Nachgründung, Wandlungsrechte . . . . . . .
100
184
3. Einlagenrückgewähr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
106
186
4. Ausfallhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
107
186
VI. Haftung des Personengesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . .
109
187
III. Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung
1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
109
187
2. Unbeschränkte Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
114
188 195
3. Kommanditistenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
136
VII. Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren . . . . . . . .
170
206
1. Beteiligtenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
170
206
2. Informationsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
171
206
3. Bilanzerstellungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
174
207
4. Stimm- und Weisungsrechte der Gesellschafter . . . . . . . . . . .
176
208
5. Unternehmensvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
198
214
6. Steuerrechtliche Stellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
208
217
§ 4 Risiken der Gesellschafterfinanzierung (Riedemann) I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
225
II. Das Reformkonzept des MoMiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
228
1. Rechtslage bis zum MoMiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
228
2. Das neue Eigenkapitalersatzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
229
3. Rechtfertigung des neuen Eigenkapitalersatzrechts . . . . . . . .
16
230
III. Nachrangigkeit von Gesellschafterdarlehen im Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
231 231
1. Nachrang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
2. Sanierungs- und Kleinbeteiligungsprivileg . . . . . . . . . . . . . .
28
232
IV. Anfechtbarkeit der Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen . . .
30
233
1. Anfechtbare Rechtshandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
233
2. Gläubigerbenachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
234
3. Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
234
IX
Inhaltsbersicht Rz.
Seite
4. Anfechtung der Befriedigung eines gesellschafterbesicherten Darlehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
234
5. Konkurrenz mit anderen Anfechtungstatbeständen . . . . . . . .
40
235
6. Anfechtung nach dem Anfechtungsgesetz
236
. . . . . . . . . . . . .
44
V. Durchsetzbarkeit von Sicherheiten für Gesellschafterdarlehen .
50
237
1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
50
237
. .
51
237
3. Aus-/Absonderungsrechte für besicherte Gesellschafterdarlehen .
54
238
2. Verhältnis der Anfechtungstatbestände des § 135 Abs. 1 InsO
VI. Nutzungsüberlassung durch einen Gesellschafter . . . . . . . . .
57
238
1. Aussonderungssperre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
238
2. Ausgleichanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
239
3. Konkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
239
VII. Gesicherte Darlehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
239
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
239
2. Doppelsicherung durch Gesellschaft und Gesellschafter . . . . .
65
240
VIII. Geschäftsführerhaftung nach § 64 Satz 3 GmbHG . . . . . . . . .
69
240
IX. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
241
I. Die Beratung und Vertretung der am Insolvenzverfahren beteiligten Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
244
1. Vertretung des Schuldners/Schuldnervertreters . . . . . . . . . .
4
245
§ 5 Insolvenzstrafrecht (Ringstmeier)
2. Vertretung des Schuldnerberaters . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
259
3. Vertretung des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
261
4. Vertretung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters . . . . . . . . .
62
261
. . . . . . . . . . . . . .
80
265
1. Allgemeine Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
265
II. Überblick über die einzelnen Straftaten
2. Insolvenzstrafrecht im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . .
90
268
3. Allgemeines Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
177
288
4. Straftatbestände außerhalb des StGB . . . . . . . . . . . . . . . .
211
296
III. Strafprozessuale Probleme der Mitwirkungspflichten nach § 97 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
228
301
§ 6 Beratung des ungesicherten Gläubigers (Runkel)
X
I. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
307
1. Beratungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
307
2. Gläubigerarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2
308
3. Absicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
308
II. Der ungesicherte Gläubiger im Vorfeld der Insolvenz . . . . . . .
5
309
1. Allgemeines – Krisenerkennung und typisches Schuldnerverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
309
Inhaltsbersicht Rz.
Seite
2. Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8
309
III. Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren . . . . . .
27
315
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
315
2. Insolvenzfähigkeit des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
316
3. Antragsberechtigung des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
318
4. Inhalt und Form des Insolvenzantrages . . . . . . . . . . . . . . . .
48
324
5. Gerichtszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
327
6. Zulassung des Antrages und Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
331
7. Maßnahmen des Insolvenzgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
331
8. Rücknahme des Insolvenzantrages und Erledigungserklärung . . .
111
348
9. Auskunftsrechte der Beteiligten, insbesondere des antragstellenden Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
117
350
10. Akteneinsichtsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
118
350
11. Haftung bei unberechtigtem Gläubigerantrag . . . . . . . . . . . .
120
351
12. Vor- und Nachteile eines Insolvenzantragsverfahrens für den antragstellenden Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
121
351
13. Abschließende Entscheidung des Insolvenzgerichts und Konsequenzen für den ungesicherten Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . .
124
352
IV. Beratung im eröffneten Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
142
358
1. Eröffnungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
142
358
2. Rechtsfolgen des Eröffnungsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . .
147
361
3. Bestellung des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . .
156
366
4. Bestellung eines Gläubigerausschusses . . . . . . . . . . . . . . . .
222
394
5. Gläubigerversammlungen und Rechtsstellung der Insolvenzgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
249
402
6. Gläubigerforderungen im eröffneten Verfahren . . . . . . . . . . . .
263
407
V. Beratung nach Beendigung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . .
340
433
1. Beendigungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
341
433
2. Konsequenzen der Verfahrensbeendigung für ungesicherte Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
362
440
VI. Beratung bei Ablehnung der Verfahrenseröffnung . . . . . . . . . .
379
445
1. Juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
380
445
2. Natürliche Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
383
446
I. Allgemeines (Drees/Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
449
1. Beratungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
449
2. Die Sicherungsrechte und die Insolvenzrechtsreform . . . . . . . .
8
451
3. Die gesetzlichen Änderungen im Überblick . . . . . . . . . . . . . .
11
451
4. Rechtsentwicklung seit Inkrafttreten der InsO . . . . . . . . . . . .
15
452
5. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16
454
II. Aussonderungsfragen (Drees/Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . .
17
454
1. Die Aussonderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
454
§ 7 Beratung des gesicherten Gläubigers (Drees/Schmidt/Hoffmann)
XI
Inhaltsbersicht Rz.
Seite
2. Aussonderungsrechte (§ 47 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
455
3. Realisierung der Aussonderungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . .
89
476
III. Absonderungsfragen (Drees/Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . .
135
491
1. Die Absonderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
135
491
2. Absonderungsrechte (§§ 49 ff. InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . .
138
492
3. Realisierung der Absonderungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . .
203
521
IV. Sicherheitenpool (Drees/Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
414
593
V. Personalsicherheiten (Drees/Schmidt) . . . . . . . . . . . . . . . .
419
596
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
419
596
2. Realisierung der Personalsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . .
420
596 615
VI. Drittsachsicherheiten (Hoffmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
488
VII. Aufrechnung und Zurückbehaltungsrecht (Hoffmann) . . . . . . .
496
617
1. Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
497
617
2. Aufrechnungslage
619
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
507
3. Aufrechnungsverbote nach § 96 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . .
519
622
4. Aufrechnungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
530
624
5. Wirkungen der Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
531
624
6. Zurückbehaltungsrechte in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . .
534
625
§ 8 Beratung bei gegenseitigen Verträgen (Dahl) I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
628
1. Allgemeines/Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
628
2. Anwendungsbereich der §§ 103 ff. InsO . . . . . . . . . . . . . . . .
7
629
II. Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO . . . . . .
10
629
1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10
629
2. Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
631
3. Wahlrecht des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
636
4. Rechtsfolgen des Erfüllungsverlangens . . . . . . . . . . . . . . . .
47
640
5. Rechtsfolgen der Erfüllungsablehnung . . . . . . . . . . . . . . . .
54
642
6. Praxistipp/Musterschreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
649
III. Einfluss der Insolvenzeröffnung auf Fixgeschäfte und Finanzleistungen, § 104 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
650
1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
650
2. Fixgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
651 652
3. Finanzleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80
IV. Besonderheiten bei Verträgen über teilbare Leistungen, § 105 InsO
91
656
1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
656
2. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
657
3. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
658
4. Ausschluss des Rückgabeanspruchs, § 105 Satz 2 InsO . . . . . . .
107
659
5. Praxistipp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
111
659
XII
Inhaltsbersicht Rz.
Seite
V. Einfluss der Insolvenzeröffnung auf vorgemerkte Ansprüche, § 106 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
114
660
1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
114
660
2. Vormerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
115
660
3. Zeitpunkt des Entstehens der Vormerkung . . . . . . . . . . . . .
127
662
4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
136
663
5. Rechtliche Bedeutung des § 106 Abs. 1 Satz 2 InsO
. . . . . . . .
141
664
6. Praxistipp/Musterschreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
142
664
VI. Besonderheiten bei unter Eigentumsvorbehalt geschlossenen Kaufverträgen, § 107 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
144
664
1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
144
664
2. Insolvenz des Vorbehaltsverkäufers, § 107 Abs. 1 InsO . . . . . . .
148
665
3. Insolvenz des Vorbehaltskäufers, § 107 Abs. 2 InsO . . . . . . . . .
152
666
4. Praxistipp/Musterschreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
172
669
VII. Sonderregelungen für die Behandlung von Dauerschuldverhältnissen, insbesondere bei Miete und Pacht, §§ 108–112 InsO . . . .
174
669
1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
174
669
2. Fortbestehen bestimmter Dauerschuldverhältnisse, § 108 Abs. 1 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
181
670
3. Rang der Ansprüche, § 108 Abs. 3 InsO (§ 108 Abs. 2 InsO a.F.) . .
193
674
4. Insolvenz des Mieters oder Pächters, § 109 InsO . . . . . . . . . .
203
678
5. Insolvenz des Vermieters oder Verpächters, § 110 InsO . . . . . .
228
688
6. Veräußerung des Miet- oder Pachtobjekts, § 111 InsO . . . . . . .
238
693
7. Kündigungssperre, § 112 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
250
698
8. Zwischenvermietung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
268b
704
9. Praxistipp/Musterschreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
269
706
VIII. Erlöschen von Aufträgen und Geschäftsbesorgungsverträgen, §§ 115, 116 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
273
708
1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
273
708
2. Tatbestandsvoraussetzungen, §§ 115 Abs. 1, 116 Satz 2 InsO . . .
275
708
3. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
280
711
4. Notgeschäftsführung, §§ 115 Abs. 2, 116 InsO . . . . . . . . . . . .
285
712
5. Unverschuldete Unkenntnis der Eröffnung, §§ 115 Abs. 3, 116 Satz 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
288
712 713
6. Praxistipp/Musterschreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
289
IX. Erlöschen von Vollmachten, § 117 InsO . . . . . . . . . . . . . . .
292
713
1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
292
713
2. Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
294
714
3. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
299
714
4. Notgeschäftsführung und Insolvenzunkenntnis . . . . . . . . . .
302
716
X. Unwirksamkeit abweichender Vereinbarungen, § 119 InsO . . . .
308
717
1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
308
717
2. Lösungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
309
717
XIII
Inhaltsbersicht
§ 9 Beratung von Banken (Hoffmann) Rz.
Seite
I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
723
II. Kreditgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
724
1. Kreditgeschäft in der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
725
2. Kreditgeschäft im Insolvenzeröffnungsverfahren . . . . . . . . . . .
40
734
3. Kreditgeschäft im eröffneten Insolvenzverfahren . . . . . . . . . .
60
739
4. Kreditgeschäft im Insolvenzplanverfahren . . . . . . . . . . . . . .
61a
740
III. Sicherheitenbestellung in der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
740
1. Nachbesicherung bestehender Kredite . . . . . . . . . . . . . . . .
63
741
2. Besicherung neu ausgereichter Kredite . . . . . . . . . . . . . . . .
73
743
IV. Sicherheiten in der Krise und Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . .
76
744
1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76
744
2. Sicherungsübereignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
747
3. Globalzessionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
747
4. Immobiliarsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
750
5. Bürgschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
750
6. Vertragliche Pfandrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
751
7. Wertpapiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
103
752
8. Atypische Sicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
104
752
9. Sicherheiten-Poolverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
111
754
V. Geschäfts- und Kontobeziehung in der Insolvenz . . . . . . . . . .
114
755
1. Geschäftsbeziehung im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . .
115
755
2. Girovertrag
756
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
118
3. Kontokorrentvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
120
757
4. Sonderkonten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
126
759
VI. Zahlungsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
138
762
1. Überweisungsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
139
762
2. Lastschriftverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
152
764
3. Cash-Pool . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
167
767
§ 10 Insolvenzanfechtung (Graf/Wunsch) I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
771
1. Zweck der Insolvenzanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
771
2. Rechtsnatur und Ausübung der Insolvenzanfechtung . . . . . . . .
2
771
3. Anwendungsbereich, Abgrenzung und Konkurrenzen . . . . . . . .
16
774
4. Übersicht über die Anfechtungstatbestände . . . . . . . . . . . . .
21
776
5. Gegenstand der Insolvenzanfechtung: die gläubigerbenachteiligende Rechtshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
777
6. Typische Beratungskonstellationen für den Rechtsanwalt . . . . .
52
785
XIV
Inhaltsbersicht Rz.
Seite
II. Anfechtung der Sicherung oder Befriedigung eines Insolvenzgläubigers (kongruente oder inkongruente Deckung, §§ 130, 131 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
786
1. Sicherung oder Befriedigung eines Insolvenzgläubigers . . . . . .
55
786
2. Abgrenzung zwischen kongruenter und inkongruenter Deckung .
62
788
3. Anfechtung einer kongruenten Deckung, § 130 InsO . . . . . . . .
86
795
4. Anfechtung einer inkongruenten Deckung, § 131 InsO . . . . . . .
119
803
5. Sonderproblem: Anfechtung einer Aufrechnung nach §§ 130, 131 InsO, insbesondere bei Verrechnung durch Banken . . . . . .
128
805
III. Anfechtung unmittelbar gläubigerbenachteiligender Rechtsgeschäfte des Schuldners, § 132 InsO . . . . . . . . . . . . . . . .
145
809
1. Anwendungsbereich und Überblick über die Tatbestandsalternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
145
809
2. Rechtsgeschäfte des Schuldners, die die Gläubiger unmittelbar benachteiligen, § 132 Abs. 1 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
147
809
3. Andere Rechtshandlungen des Schuldners i.S.d. § 132 Abs. 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
157
811
4. Anfechtungszeiträume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
163
812
IV. Anfechtung bei vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung, § 133 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
168
813
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
168
813
2. Rechtshandlungen des Schuldners, § 133 Abs. 1 InsO . . . . . . .
170
813
3. Entgeltliche Verträge mit nahe stehenden Personen, § 133 Abs. 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
195
819
V. Anfechtung unentgeltlicher Leistungen des Schuldners, § 134 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
202
820
1. Unentgeltliche Leistung des Schuldners, § 134 Abs. 1 InsO . . . .
202
820
2. Ausnahme: gebräuchliche Gelegenheitsgeschenke geringen Werts, § 134 Abs. 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
221
824
3. Anfechtungszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
224
825
VI. Anfechtung der Rückgewähr und Besicherung von Gesellschafterdarlehen und gleichgestellten Forderungen, § 135 InsO . . . .
228
825
VII. Stille Gesellschaft: Anfechtung der Einlagenrückgewähr und des Erlasses eines Verlustanteils, § 136 InsO . . . . . . . . . . . . . .
229
825
1. Anwendungsbereich und Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . .
229
825
2. Anfechtbare Rechtshandlungen: Einlagenrückgewähr und Erlass eines Verlustanteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
234
826
3. Anfechtungszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
242
828
4. Ausschluss der Anfechtung nach § 136 Abs. 2 InsO . . . . . . . . .
244
828
VIII. Zeitpunkt, in dem eine Rechtshandlung als vorgenommen gilt, § 140 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
246
828
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
246
828
2. Die Grundregel des § 140 Abs. 1 InsO: Maßgeblichkeit des Eintretens der Rechtswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
247
829
3. Eintragungsbedürftige mehraktige Rechtsgeschäfte, § 140 Abs. 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
253
831
XV
Inhaltsbersicht Rz.
Seite
4. Bedingte und befristete Rechtshandlungen, § 140 Abs. 3 InsO . . .
259
831
IX. Unanfechtbarkeit von Bargeschäften, § 142 InsO . . . . . . . . . .
263
832
1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
263
832
2. Der Begriff des Bargeschäfts i.S.d. § 142 InsO . . . . . . . . . . . . .
266
833
X. Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . .
288
838
1. Rückgewähranspruch der Masse, §§ 143, 145, 146 InsO
. . . . . . .
288
838
2. Gegenansprüche des Anfechtungsgegners, § 144 InsO . . . . . . . .
341
846
1
850
§ 11 Steuerrechtliche Beratung (Krüger/Riewe) I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Steuerliche Fragestellungen bei Sanierungslösungen . . . . . . . .
6
851
1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
851
2. Verluste von Verlust- und Zinsvorträgen auf Grund von Gestaltungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8
851
3. Steuerliche Wirkung eines Forderungsverzichts und Sanierungserlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
14
852
4. Besonderheiten des Forderungsverzichts durch einen Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
857
5. Weitere Gestaltungsvarianten: Rangrücktritt und Forderungsverzicht mit Besserungsschein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
859
6. Sanierungsbesteuerung bei Liquidation
54
860
. . . . . . . . . . . . . . .
III. Steuerforderungen und Einleitung des Insolvenzverfahrens . . . .
57
861
1. Steuerforderungen als Auslöser eines Insolvenztatbestandes . . . .
57
861
2. Der Fiskus als antragstellender Gläubiger . . . . . . . . . . . . . .
60
861
3. Forderungsanmeldung durch den Fiskus . . . . . . . . . . . . . . .
73
864
IV. Steuerrechtliche Fragestellungen im Insolvenzantragsverfahren .
78
865
1. Steuerrechtliche Stellung und steuerliche Pflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
865
2. Sonderregelung für Steuerforderungen zur Begründung von Masseverbindlichkeiten im Insolvenzantragsverfahren . . . . . . .
85
866
3. Steuerrechtliche Besonderheiten im Schutzschirmverfahren und bei vorläufiger Eigenverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
867
V. Steuerrechtliche Fragestellungen im eröffneten Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92
867
1. Schuldner als Steuersubjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92
867
2. Steuerrechtliche Stellung, steuerliche Pflichten und Haftung des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
94
868
3. Die Steuerforderung als Insolvenzforderung oder Masseverbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
103
870
4. Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
108
871
5. Aufrechnung mit Steuerforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . .
125
874
6. Steuerliche Folgen besonderer insolvenzrechtlicher Verfahrensgestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
135
876
XVI
Inhaltsbersicht Rz.
Seite
VI. Besonderheiten einzelner Steuerarten in der Insolvenz . . . . . .
151
878
1. Einkommensteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
151
878
2. Körperschaftsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
169
881
3. Gewerbesteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
175
882
4. Lohnsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
178
883
5. Bauabzugssteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
182
884
6. Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
188
885
7. Kfz-Steuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
221
891
8. Erbschaftsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
226
892
VII. Haftungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
227
893
1. Haftung von Geschäftsführern für Steuerverbindlichkeiten . . . .
229
893
2. Haftung des Eigentümers für Steuerforderungen . . . . . . . . . .
240
894
3. Haftung der Organgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
246
895
4. Haftung des Steuerberaters des Insolvenzschuldners . . . . . . . .
247
896
5. Haftung des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
255
897
§ 12 Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren (Höfer) I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
900
1. Wirkungen des Insolvenzantrages und der Insolvenzeröffnung . . .
1
900
2. Betriebsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
901
II. Das vorläufige Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
902
1. Der Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 22 Abs. 1 Satz 1 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
902
2. Der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Hs. 2 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
907
3. Der vorläufige Sachwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
909
III. Das Arbeitsverhältnis im eröffneten Insolvenzverfahren – Bestand und Beendigung der Dienstverhältnisse . . . . . . . . . .
59
910
1. Kündigungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
910
2. Beteiligungsrechte des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . . . . .
65
911
3. Interessenausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
912
4. Gerichtliche Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung (§ 122 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
105
923
5. Beschlussverfahren nach § 126 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . .
121
925
6. Sozialplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
159
931
IV. Sozialplan vor Verfahrenseröffnung (§ 124 InsO) . . . . . . . . . .
230
947
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
230
947
2. Widerruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
231
947
3. Widerrufsberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
235
948
V. Kündigung der Dienstverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . .
250
950
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
250
950
2. Bestand und Beendigung der Dienstverhältnisse . . . . . . . . . .
251
950
XVII
Inhaltsbersicht Rz.
Seite
3. Schadensersatz (§ 113 Satz 3 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . .
324
965
4. Zeugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
327
966
VI. Massenentlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
332
967
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
332
967
2. Betriebsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
340
968
3. Unwirksamkeit der Entlassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
343
969
4. Sperrfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
347
970
5. Freifrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
349
970
6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
350
971
VII. Klagefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
351
971
1. § 4 Satz 1 KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
351
971
2. Nachträgliche Zulassung der Klage nach § 5 KSchG . . . . . . . .
361
972
VIII. Vergütungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
374
974
1. Zeiten nach Insolvenzeröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
374
974
2. Freistellung von der Arbeitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . .
375
974
3. Arbeitsentgeltansprüche bei Masseunzulänglichkeit . . . . . . . .
380
976
4. Zeiten vor Insolvenzeröffnung (Insolvenzgeld) . . . . . . . . . . .
387
978
5. Altersversorgung
583
1011
IX. Der Betriebsübergang in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . .
613
1016
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
613
1016
2. Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses . . . .
636
1021
3. Haftung des Betriebserwerbers
. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
645
1023
4. Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . .
651
1024
5. Betriebsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
659
1025
6. § 128 InsO
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
660
1025
7. Prozessuales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
667
1026
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 13 Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung (Frank) I. Beratung bei Insolvenzplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1031
1. Das Grundverständnis des Insolvenzplans . . . . . . . . . . . . .
1
1031
2. Allgemeine strategische Überlegungen zum Planverfahren . . . .
34
1041
3. Der Schuldner/Insolvenzverwalter als Planersteller . . . . . . . .
85
1055
4. Der Gläubiger als Planbetroffener . . . . . . . . . . . . . . . . . .
256
1110
5. Die Einbeziehung der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte . . . . .
295
1118
6. Das Insolvenzgericht in der Notarfunktion . . . . . . . . . . . . .
309
1121
7. Antragsgebundener Rechtsschutz der Planbeteiligten . . . . . . .
401
1143
8. Folgen des rechtskräftigen Insolvenzplans . . . . . . . . . . . . .
441
1151
9. Haftungsfragen im Insolvenzplanverfahren . . . . . . . . . . . . .
512
1169
10. Schema: Zeitlicher Ablauf des Insolvenzplanverfahrens . . . . . .
518
1171
II. Beratung bei Eigenverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
520
1174
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
520
1174
XVIII
Inhaltsbersicht Rz.
Seite
2. Das Verhältnis der Eigenverwaltung zum Insolvenzplan-, Verbraucher- und Restschuldbefreiungs- sowie den sonstigen besonderen Arten des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . .
531
1177
3. Anwendbare Vorschriften im Eigenverwaltungsverfahren . . . . . .
537
1179
4. Das Antragsrecht des Schuldners und seine Stellung im Verfahren
549
1182
5. Die Gläubiger im Eigenverwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . .
620
1206
6. Die Entscheidungen des Gerichts zur Eigenverwaltung . . . . . . .
660
1213
7. Die Mitwirkung des Sachwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
699
1223
8. Rechtsschutz der Betroffenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
737
1232
9. Haftungsfragen im Eigenverwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . .
746
1233
10. Schema: Zeitlicher Ablauf der Eigenverwaltung . . . . . . . . . . .
751
1235
§ 14 „Unechte“ und „echte“ Masseverbindlichkeiten (Pannen) 1
1239
II. Vorläufiger Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8
1241
1. „Starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . . . .
11
1242
2. „Schwacher“ vorläufiger Verwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
1249
3. Sonderproblem: Erfüllung von Altverbindlichkeiten – „Erpressungsfälle“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
91
1266
III. Vorläufiger Sachwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92
1267
1. Vorläufiges Eigenverwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . .
92f
1268
2. „Schutzschirmverfahren“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
92n
1269
IV. Begründung von Verbindlichkeiten durch Insolvenzverwalter . . .
93
1270
1. Ermessen des Verwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
99
1271
2. Entstehen der Verbindlichkeit nach Verfahrenseröffnung . . . . . .
100
1271
3. Keine reine Rückabwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
103
1272
4. Unwirksame Handlungen des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . .
106
1272
5. Problem: Haftet die Masse auch für Sekundäransprüche? . . . . .
111
1273
6. Fehlerhafte Behandlung von Masseverbindlichkeiten . . . . . . . .
113
1273
7. Persönliche Haftung des Insolvenzverwalters
. . . . . . . . . . . .
116
1273
8. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
120
1274
I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§ 15 Unternehmenskauf in der Insolvenz (Undritz) I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1276
1. Der Sanierungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
1278
2. Definition des Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12
1279
3. Übertragungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
1280
4. Besondere Formen der Unternehmensübernahme . . . . . . . . . .
27
1282
II. Haftungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
1283
1. Haftung des Verkäufers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
1283
2. Haftung des Erwerbers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
1289
XIX
Inhaltsbersicht Rz.
Seite
III. Typischer Ablauf eines Unternehmenskaufes . . . . . . . . . . . .
105
1303
1. Motivermittlung und Strategieentwicklung . . . . . . . . . . . . .
105
1303
2. Suche nach geeigneten Zielobjekten bzw. Erwerbern . . . . . . . .
179
1315
3. Bewertung/Kaufpreisfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
186
1316
4. Ermittlung der Zustimmungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . .
204
1319
5. Informationsgewinnung (Due Diligence) . . . . . . . . . . . . . . .
259
1329
6. Signing/Closing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
311
1339
IV. Vertragsgestaltung (Vertragsmuster mit Kommentierung) . . . .
326
1342
§ 16 Insolvenz und Entschuldung der natürlichen Person (Ley) I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1353
II. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
1354
1. Gesetzliche Grundlage und Nebengesetze . . . . . . . . . . . . . .
5
1354
2. Ziele des Verbraucherinsolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . .
35
1363
3. Die Insolvenz der natürlichen Person – Verfahrensvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
1364
4. Die Verfahrensgrundsätze des Insolvenzverfahrens der natürlichen Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
1371
5. Verfahrensbeteiligte und Antragsberechtigte . . . . . . . . . . . .
74
1371
III. Eröffnungsantrag und Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
1374
1. Antragsrecht und Antragspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
1374
2. Wahl der Verfahrensart durch den Schuldner . . . . . . . . . . . .
89
1374
3. Antrag des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
105
1377
4. Antrag des Schuldners – natürliche Person – im Regelinsolvenzverfahren und Antrag auf Restschuldbefreiung . . . . . . . . . . .
124
1381
5. Der Verbrauchereröffnungsantrag mit Antrag auf Restschuldbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
133
1384
6. Vorhandensein eines Eröffnungsgrunds . . . . . . . . . . . . . . .
137
1385
7. Entgegennahme des Antrags und Sachbehandlung durch das Insolvenzgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
139
1385
8. Prüfung durch das Gericht
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
149
1387
9. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
158
1389
IV. Sicherungsmaßnahmen (§§ 304 Abs. 1 Satz 1, 21 InsO) . . . . . . .
189
1395
V. Verfahrensablauf des Verbraucherinsolvenzverfahrens in Altfällen bis zum 30.6.2014 (§§ 304 ff. InsO) – Die drei Stufen des Verbraucherinsolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
199a
1398
1. Stufe 1: Der außergerichtliche Einigungsversuch . . . . . . . . . .
201
1399
2. Stufe 2: Das Schuldenbereinigungsplanverfahren . . . . . . . . . .
239
1408
3. Stufe 3: Das vereinfachte Insolvenzverfahren (§§ 311 ff. InsO) mit Restschuldbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
424
1449
VI. Die Restschuldbefreiung der natürlichen Person . . . . . . . . . .
503
1466
1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
503
1466
2. Entscheidung, Wirkung, Widerruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
589
1487
XX
Inhaltsbersicht Rz.
Seite
VII. Verfahrenskostenstundung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
597
1488
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
597
1488
2. Die Stundung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
603
1490
3. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts . . . . . . . . . . . . . . . .
617
1492
4. Die Wirkungen der Stundung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
624
1494
5. Der Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
625
1494
6. Die Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
632
1496
7. Die Rückzahlung und Anpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
635
1497
8. Die Aufhebung der Stundung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
639
1498
VIII. Gebühren, Kosten und Vergütungen . . . . . . . . . . . . . . . .
645
1499
1. Streitwert/Gegenstandswert, Wertberechnung, Rechtsanwaltsgebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
645
1499
2. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
660
1503
3. Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
666
1504
. . . . . . . . .
687
1509
X. Rechtsmittel (§ 6 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
711
1514
1. Sofortige Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IX. Mitteilungen, Zustellungen, Bekanntmachungen
711
1514
2. Entscheidungen des Amtsgerichts und Beschwerdegerichts nach Einlegung der sofortigen Beschwerde . . . . . . . . . . . . .
759
1520
3. Rechtsbeschwerde
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
764
1521
4. Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Rechtspflegers, gegen die nach der Insolvenzordnung ein Rechtsmittel vorgesehen ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
770
1522
5. Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Rechtspflegers und des Kostenbeamten, gegen die nach der Insolvenzordnung kein Rechtsmittel vorgesehen ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
771
1522
6. Einwendungen und Erinnerungen gem. § 766 ZPO . . . . . . . . .
776
1523
7. Antrag auf richterliche Entscheidung zur Feststellung des Stimmrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
779
1524
8. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand . . . . . . . . . . . . . . .
780
1524
XI. Akteneinsicht und Auskünfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
781
1524
XII. Das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.7.2013 . . . . . . .
799a
1528
1. Literatur und Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
799a
1528
2. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
800
1529
3. Die Änderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
807
1530
§ 17 Beratung in der Freiberuflerinsolvenz (Runkel) I. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1565
5
1566
III. Erhalt oder Wegfall der Berufszulassung . . . . . . . . . . . . . .
9
1567
1. Ärzte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10
1568
II. Ausgangslage
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XXI
Inhaltsbersicht Rz.
Seite
2. Psychotherapeuten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
1569
3. Rechtsanwälte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
16
1569
4. Patentanwälte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
1570
5. Notare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18
1570
6. Wirtschaftsprüfer und Steuerberater . . . . . . . . . . . . . . . .
20
1570
7. Architekten
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
1571
8. Apotheker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
1571
9. Abschließende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
1571
IV. Verwertungsrecht des Verwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
1572
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
1572
2. Verwertung beweglicher Gegenstände . . . . . . . . . . . . . . . .
30
1572
3. Forderungsverwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
1574
V. Praktische Ausgestaltung der „Betriebsfortführung“ bei einem Freiberufler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
1578
1. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
1578
2. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
1578
3. Problemlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
1579
VI. Rechtliche Stellung der Neugläubiger . . . . . . . . . . . . . . . .
73
1580
1. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
1580
2. Gesetzeswortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
1581
3. Lösungsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79
1581
VII. Verfahrensabkürzung durch Insolvenzplan . . . . . . . . . . . . .
95
1584
VIII. Der Selbständige in der Wohlverhaltensperiode . . . . . . . . . .
100
1585
1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
100
1585
2. Konsequenzen für den weiterhin tätigen Selbständigen . . . . . .
102
1585
IX. Zeitraum zwischen Schlussrechnungslegung und Beginn der Wohlverhaltensperiode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
108
1586
§ 18 Internationales Insolvenzrecht (Pannen) I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
1590
II. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
1591
1. Rechtsquellen des internationalen Insolvenzrechts . . . . . . . .
7
1592
2. Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
1606
III. Ausländisches Insolvenzverfahren im Inland: EuInsVO und deutsche Ausführungsbestimmungen, Art. 102 EGInsO n.F. . . .
68
1608
1. Regelungsbereich der EuInsVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
1608
2. Eröffnungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
140
1630
3. Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
149
1631
4. Insolvenzmasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
170
1634
5. Insolvenzverwalter
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
194
1637
6. Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . .
263
1645
XXII
Inhaltsbersicht Rz.
Seite
7. Erfüllung von laufenden Verträgen im Inland . . . . . . . . . . . .
285
1648
8. Verfahrensbeendigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
302
1651
IV. Ausländisches Insolvenzverfahren im Anwendungsbereich der §§ 335 ff. InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
305
1651
1. Grundsätzliche Anerkennung des ausländischen Insolvenzverfahrens und anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
310
1651
2. Voraussetzungen der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
318
1652
3. Eröffnungsverfahren, öffentliche Bekanntmachung und Grundbucheintragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
350
1656
4. Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
364
1658
5. Insolvenzmasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
375
1659
6. Rechte des ausländischen Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . .
400
1661
7. Wirkungen der Verfahrenseröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . .
418
1663
8. Gegenseitige Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
438
1666
9. Beendigung des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . .
449
1667
V. Auslandswirkung eines inländischen Insolvenzverfahrens . . . . .
453
1668
1. Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
463
1669
2. EuInsVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
468
1669
3. Auslandswirkung eines inländischen Insolvenzverfahrens im Verhältnis zu Drittstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
516
1675
VI. Territorialinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
585
1683
1. Partikularinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
596
1685
2. Sekundärinsolvenzverfahren
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
622
1688
VII. Wortlaut der EuInsVO (mit den Anhängen A, B und C) . . . . . .
679
1694
1
1718 1718
§ 19 Beratung bei Nachlassinsolvenz (Fliegner) I. Beratungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
1718
2. Nachlasssonderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
1719
II. Erbenhaftung und Haftungsbeschränkung 1. Grundlagen der Erbenhaftung
3. Mittel erbrechtlicher Haftungsbeschränkung . . . . . . . . . . . .
7
1719
4. Exkurs: Inventar und Aufgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
1724
5. Kumulatives Hinzutreten weiterer Haftungstatbestände . . . . . .
45
1726
III. Prüfung von Insolvenzgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
1727
1. Ziel: Finden der bestmöglichen Handlungsoption . . . . . . . . . .
51
1727
2. Ermittlung des Nachlasses
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
1728
3. Prüfung von Zahlungsunfähigkeit (§ 1 Rz. 51 ff.) und drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 1 Rz. 107 ff.) . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
1729
4. Nachlassspezifische Überschuldungsprüfung . . . . . . . . . . . .
63
1730
5. Antragspflicht bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes . . . . . . . .
104
1738
IV. Nachlassinsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
105
1738
1. Verfahrenszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
106
1738
XXIII
Inhaltsbersicht Rz.
Seite
2. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
107
1739
3. Rechtsfolgen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
115
1740
4. Haftungsbeschränkende Einrede nach Verfahrensbeendigung (§ 1989 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
119
1742
5. Exkurs: Zusammentreffen von Nachlass- und Erbeninsolvenz . . . .
122
1742
6. Exkurs: Der Tod des Schuldners in Insolvenz- und Insolvenzeröffnungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
123
1742
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1745
XXIV
Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. abgedr. Abh. Abk. abl. ABlEG Abs. Abschn. abw. AcP a.E. a.F. AFG AFRG Ag AG AGB AID AktG allg. Alt. a.M. amtl. ÄndG Anf. AnfG Anh. Anm. AnwBl. AO AP ArbG ArbGG ArbuR ArplSchG Art. Auff. Aufl. AÜG ausf. Az.
andere(r) Ansicht am angegebenen Ort abgedruckt Abhandlungen Abkommen ablehnend Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Absatz Abschnitt abweichend Archiv für die civilistische Praxis am Ende alte Fassung Arbeitsförderungsgesetz Arbeitsförderungs-Reformgesetz Antragsgegner/in Amtsgericht, Aktiengesellschaft Allgemeine Geschäftsbedingungen Arbeitskreis der Insolvenzverwalter Deutschlands Aktiengesetz allgemein Alternative andere/r Meinung amtlich Änderungsgesetz Anfechtung AnfechtungsG Anhang Anmerkung Anwaltsblatt Abgabenordnung Arbeitsrechtliche Praxis Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbeit und Recht (Zeitschrift) Arbeitsplatzschutzgesetz Artikel Auffassung Aufl. Arbeitnehmerüberlassungsgesetz ausführlich Aktenzeichen
BAföG BAG BAGE BAnz Bay., bay. BayObLG BayObLGZ(St)
Bundesausbildungsförderungsgesetz Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bundesanzeiger Bayern, bayerisch/e Bayerisches Oberstes Landesgericht Entscheidungssammlung des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Zivilsachen (Strafsachen) Betriebsberater Brandenburg, brandenburgisch (e) Berufsbildungsgesetz
BB Bbg., bbg. BBiG
XXV
Abkrzungsverzeichnis Bd. bearb. Bearb. Begr. Bek. BErzGG bes. Beschl. Beschw. BeschwGer Bespr. bestr. betr. BetrAVG BetrVG BezG BfA BFH BFHE BFH/NV BGB BGBl. BGH BGHZ (St) BilMoG BKR BMJ BörsG BPatG BR BRAGO BRAK-Mitt. Braun/Bearbeiter BRD BR-Drucks. BReg BR-Prot. BSG BSGE BSHG BStBl. BTag BT-Drucks. BtPrax BT-Prot. BuB BUrlG BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE BW, bw. bzgl. bzw.
XXVI
Band bearbeitet Bearbeiter, Bearbeitung Begründung Bekanntmachung Bundeserziehungsgeldgesetz besonders Beschluss Beschwerde Beschwerdegericht Besprechung bestritten betreffend/betrifft Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersvorsorge Betriebsverfassungsgesetz Bezirksgericht Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Bundesfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des BFH Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen (Strafsachen) Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Bundesministerium der Justiz Börsengesetz Bundespatentgericht Bundesrat Bundesrechtsanwalts-Gebührenordnung Mitteilungen der Bundesrechtsanwaltskammer Braun, Kommentar zur Insolvenzordnung Bundesrepublik Deutschland Bundesratsdrucksache Bundesregierung Ständige Berichte des Bundesrates Bundessozialgericht Entscheidungen des BSG Bundessozialhilfegesetz Bundessteuerblatt Bundestag Bundestagsdrucksache Betreuungsrechtliche Praxis (Zeitschrift) Ständige Berichte des Bundestages Bankrecht und Bankpraxis, herausgegeben von Hellner/ Steuer, Loseblatt Bundesurlaubsgesetz Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des BVerfG Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des BVerwG Baden-Württemberg, baden-württembergisch(e) bezüglich beziehungsweise
Abkrzungsverzeichnis ca. COMI
circa Center of Main Interest (i.S.d. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO)
DB DGVZ d.h. DiskE Diss. DJ DJT DJZ DNotZ DÖV DRiZ DRZ DStr dt. DtZ DVBl. DVO DZWIR
Der Betrieb Deutsche Gerichtsvollzieher-Zeitung das heißt Diskussionsentwurf Disseration Deutsche Justiz Deutscher Juristentag Deutsche Juristen-Zeitung Deutsche Notar-Zeitschrift Die öffentliche Verwaltung Deutsche Richter-Zeitung Deutsche Rechts-Zeitschrift Deutsche Strafrechts-Zeitung deutsch Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift Deutsches Verwaltungsblatt Durchführungsverordnung Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
EDV EFG EFTA
Elektronische Datenverarbeitung Entscheidungen der Finanzgerichte (Zeitschrift) European Free Trade Association (Europäische Freihandelszone) Einführungsgesetz; Europäische Gemeinschaften Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einführung Einigungsvertrag Einleitung einschließlich einschränkend Entwurf der Insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung Europäische Menschenrechtskonvention Entscheidung entsprechend Verordnung über das Erbbaurecht ergänzend Ergänzung; Ergebnis Erläuterung European State Aid Law (Zeitschrift) Einkommensteuergesetz Sammlung der Entscheidungen des hessischen und des baden-württembergischen VGH et cetera Europäische Union Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Sammlung der Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren europäisch(e)
EG EGBGB EGInsO EGMR Einf. EinigungsV Einl. einschl. einschr. E-InsVV EMRK Entsch. entspr. ErbbauVO erg. Erg. Erl. EStAL EStG ESVGH etc. EU EuGH EuGHE EuGVV
EuInsVO europ.
XXVII
Abkrzungsverzeichnis EuZW eV evtl. EWiR EWIV EzA
Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht eingetragener Verein eventuell Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht
f. FamG FamR FamRZ ff. FK-InsO Fn. FS
folgende Familiengericht Familienrecht Zeitschrift für das gesamte Familienrecht fortfolgende Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung Fußnote Festschrift
G GA GBA GBO GBl. GbR GebrMG gem. GenG GeschmMG GeschO GesO ggf. GK-ArbGG GKG GmbH & Co GmbHG
Gericht; Gesetz Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Grundbuchamt Grundbuchordnung Gesetzblatt Gesellschaft bürgerlichen Rechts Gebrauchsmustergesetz gemäß Genossenschaftsgesetz Geschmacksmustergesetz Geschäftsordnung Gesamtvollstreckungsordnung gegebenenfalls Gemeinschaftskommentar zum Arbeitsgerichtsgesetz Gerichtskostengesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung und Compagnie Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau Gemeinsames Ministerialblatt Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichte des Bundes grundlegend; Grundlage grundsätzlich Großer Senat Großer Senat in Zivilsachen (Strafsachen) Gerichtsvollzieher Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsvollziehergesetz Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher
GmbHR GMBl. GmSOGB grdl.; Grdl. grds. GS GSZ (St) GV GVBl. GVG GVGA h.A. HAG Hbg.; hbg. Hdb. HdwO Hess.; hess. HGB HK-InsO HK-KSchG h.L. h.M. XXVIII
herrschende Ansicht Heimarbeitsgesetz Hamburg; hamburgisch Handbuch Handwerksordnung Hessen; hessisch(e) Handelsgesetzbuch Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung Heidelberger Kommentar zum Kündigungsschutzgesetz (Dorndorf/Weller/Hauck Hrsg.) herrschende Lehre herrschende Meinung
Abkrzungsverzeichnis Hrsg. Hs.
Herausgeber Halbsatz
i.d.F. i.d.R. i.E. i.e.S. i.F. IGH insb. InsO InsOÄndG
in der Fassung in der Regel im Ergebnis im engeren Sinne im Fall Internationaler Gerichtshof insbesondere Insolvenzordnung Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze International insolvency review: journal of the International Association of Insolvency Practioners Insolvenzrecht Insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung international Insolvenz und Vollstreckung (Praktikerzeitschrift) Internationales Privatrecht Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiet des internationalen Privatrechts im Rahmen der/des im Rahmen von im Sinne im Sinne der/des im Sinne von im Übrigen in Verbindung mit Internationaler Währungsfond im weiteren Sinne
INSOL InsR InsVV int. InVo IPR IPRax IPRspr i.R.d. i.R.v. i.S. i.S.d. i.S.v. i.Ü. i.V.m. IWF i.w.S. JA Jb. JFG JMBl. JR Jura JurBüro JuS Justiz JVBl. JW JZ KAGG Kap. KG KGaA KO Komm. KR KreisG krit. KSchG
Juristische Arbeitsblätter Jahrbuch Jahrbuch für Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Grundbuchrechts Justizministerialblatt Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Das Juristische Büro Juristische Schulung Die Justiz Justizverwaltungsblatt Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften Kapitel Kammergericht; Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Konkursordnung Kommentar KR Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz (Hrsg: Becker/Etzel) Kreisgericht kritisch Kündigungsschutzgesetz XXIX
Abkrzungsverzeichnis KTS KWG LAG Lfg. LG lit. Lit. LM LOI LöschG LReg LS LT-Drucks. LuftfRG LVerf LZ m. MarkenG
Konkurs, Treuhand, Sanierung – Zeitschrift für Insolvenzrecht Gesetz über das Kreditwesen Landesarbeitsgericht; Lastenausgleichsgesetz Lieferung Landgericht Buchstabe Literatur Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, hrsg. v. Lindenmaier, Möhring u.a. Letter of Intend Gesetz über die Auflösung und Löschung von Gesellschaften Landesregierung Leitsatz Landtagsdrucksache Gesetz über Rechte an Luftfahrzeugen Landesverfassung Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht
MünchKommBGB MuSchG m.w.N. m.W.v.
mit Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen Materialien mit anderen Worten Management Buy In Ministerialblatt Management Buy Out Monatsschrift für Deutsches Recht meines Erachtens möglicherweise Mitteilungen der Rheinischen Notarkammer Allgemeine Verfügung über Mitteilungen in Zivilsachen Münchener Kommentar mit Nachweisen Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Mißbräuchen Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch Mutterschutzgesetz mit weiteren Nachweisen mit Wirkung vom
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Mat. m.a.W. MBI MBl. MBO MDR m.E. mglw. MitRhNotK Mizi MK m.N. MoMiG
XXX
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österreichisch(e/er) oben angegeben(e) oder Ähnlich(e) Österreichisches Bankarchiv (Jahr, Seite) Oberfinanzdirektion Oberster Finanzhof oben genannte(n) Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte OLG-Report (getrennt für jedes OLG) Rechtsprechung der OLG in Zivilsachen (Strafsachen) Oberverwaltungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen der OVG Lüneburg und Münster
PartGG PatG PKH PKW Prot. PSV PSVaG
Gesetz über die Partnerschaftsgesellschaft Patentgesetz Prozesskostenhilfe Personenkraftwagen Protokoll Pensions-Sicherungsverein Pensions-Sicherungsverein auf Gegenseitigkeit
RA RabelsZ
RhPf.; rhpf. RIW Rn. ROHG Rpfleger RPflG RRG Rspr. RT-Drucks. RVG Rz.
Rechtsanwalt Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Reichsarbeitsgericht Referentenentwurf Regierungsentwurf Reichsgericht Reichsgesetzblatt Kommentar zum BGB, hrsg. von Reichsgerichtsräten und Bundesrichtern Amtliche Sammlung der Entscheidungen des RG in Zivilsachen (Strafsachen) Rheinland-Pfalz; rheinland-pfälzisch(e) Recht der internationalen Wirtschaft Randnummer Entscheidungen des Reichsoberhandelsgerichts Der Deutsche Rechtspfleger Rechtspflegergesetz Rentenreformgesetz Rechtsprechung Reichtagsdrucksache Rechtsanwaltsvergütungsgesetz Randzeichen
S.; s. SachenRBerG SchiffsregO SchuRModG SeuffArch SG SGB s.o. sog.
Seite, Satz (bei Rechtsnormen); siehe Sachenrechtsbereinigungsgesetz Schiffsregisterordnung Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts Seufferts Archiv Sozialgericht Sozialgesetzbuch siehe oben so genannte
RAG RefE RegE RG RGBl. RGRK RGZ (St)
XXXI
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Gesetz über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten (Sprecherausschussgesetz) Staatsanwalt; Staatsanwaltschaft Der Steuerberater, Zeitschrift für Beruf und Praxis Steuerberatungsgesetz Staatsgerichtshof streitig ständige Rechtsprechung Straßenverkehrsgesetz siehe unten Sachverständiger Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht
TV tw.
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u.a. u.Ä. u.a.m. überw. umstr. UN UNCITRAL unstr. UrhG Urt. usw. u.U. UVG UVR
unter anderem; und andere und Ähnliches und anderes mehr überwiegend umstritten Vereinte Nationen (United Nations) United Nations Commission on International Trade Law unstreitig Urheberrechtsgesetz Urteil und so weiter unter Umständen Unfallversicherungsgesetz Umsatzsteuer- und Verkehrsteuerrecht (Zeitschrift)
v. VAG Var. VbrInsVV VerbrKG Verf. VerfGH VerglO vern. VG VGH vgl. VJSchrStFr VO Vorb. vorl. VormG VVG
von; vom Versicherungsaufsichtsgesetz Variante Verbraucherinsolvenzvordrucksverordnung Verbraucherkreditgesetz Verfahren; Verfasser; Verfassung Verfassungsgerichtshof Vergleichsordnung verneinend Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Vierteljahresschrift für Steuer- und Finanzrecht Verordnung Vorbemerkung vorläufig Vormundschaftsgericht Versicherungsvertragsgesetz
WEG wiss. wistra WM WPg WPK-Mitt.
Wohnungseigentumsgesetz wissenschaftlich Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Wertpapier-Mitteilungen Die Wirtschaftsprüfung Mitteilungen der Wirtschaftsprüferkammer
XXXII
Abkrzungsverzeichnis WRV WuB
Weimarer Reichsverfassung Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht
ZAkDR z.B. ZDG ZEV ZflR ZGR ZHR ZInsO ZIP zit. ZMR ZPO ZPO-RG ZRP ZS ZSEG
Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht zum Beispiel Zivildienstgesetz Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge Zeitschrift für Insolvenzrecht Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht zitiert Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zivilprozessordnung Zivilprozessreformgesetz Zeitschrift für Rechtspolitik Zivilsenat Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswirtschaft zum Teil Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht zustimmend Zustellungsreformgesetz zutreffend Zwangsversteigerungsgesetz Zeitschrift für Verbraucher- und Privatinsolvenzrecht zweifelhaft zurzeit Zeitschrift für Zivilprozess Zeitschrift für Zivilprozess International
ZStW z.T. ZUM zust. ZustRG zutr. ZVG ZVI zw. zz. ZZP ZZPInt
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Literaturübersicht Achenbach/Ransiek (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 3. Aufl. 2012 Aderhold, Auslandskonkurs im Inland, 1992 Arbeitskreis für Insolvenz- und Schiedsgerichtswesen e.V. (Hrsg.), Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. 2000 Arbeitskreis für Insolvenz- und Schiedsgerichtswesen e.V. (Hrsg.), Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 3. Aufl. 2009 Arnold/Meyer-Stolte/Herrmann/Rellermeyer/Hintzen, Kommentar zum RPflG, 7. Aufl. 2009 Azara, Das Eigenkapitalersatzrecht der GmbH nach dem Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), 2010 Bader/Dörner/Mikosch/Schleusener/Schütz/Vossen, Gemeinschaftskommentar zum Arbeitsgerichtsgesetz, GK-ArbGG, Stand Juni 2014 Bassenge/Roth, FamFG/RPflG, 12. Aufl. 2009 Baumbach/Hopt, HGB, 36. Aufl. 2014 Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 20. Aufl. 2013 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 72. Aufl. 2014 Beck, Unternehmensbewertungen bei Akquisitionen, 1996 Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, 2. Aufl. 2010 Behringer, Unternehmensbewertung der Mittel- und Kleinbetriebe, 5. Aufl. 2012 Beisel/Klumpp, Der Unternehmenskauf, 6. Aufl. 2009 Benz, Verdeckte Sacheinlage und Einlagenrückzahlung im reformierten GmbH-Recht (MoMiG), 2010 Bickel, Bundes-Bodenschutzgesetz, Kommentar, 4. Aufl. 2004 Biehl, Insider im Insolvenzverfahren, 2000 Binz/Hess/Binz, Der Insolvenzverwalter, 2004 Bittmann, Praxishandbuch Insolvenzstrafrecht, 2004 Blersch/Goetsch/Haas, Berliner Kommentar Insolvenzrecht, Loseblatt Stand Juli 2014 Bley/Mohrbutter, Vergleichsordnung, 4. Aufl. 1979/1981 Böhle-Stamschräder, Vergleichsordnung, 11. Aufl. 1998 Borchard/Frind, Betriebsfortführung im Insolvenzverfahren, 2. Aufl. 2014 Bork, Einführung in das neue Insolvenzrecht, 4. Aufl. 2005 Bork, Zahlungsverkehr in der Insolvenz, 2002 Brand, Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – SGB III, 6. Aufl. 2012 Braun, InsO, 6. Aufl. 2014 Braun/Riggert/Kind, Schwerpunkte des Insolvenzverfahrens, 4. Aufl. 2009 Braun/Uhlenbruck, Muster eines Insolvenzplans: leistungswirtschaftlicher Reorganisationsplan gem. § 217 ff. InsO; Beispiel mit Erläuterungen, Anlagen zum Plan, Arbeitspapieren und Fragebogen zur Erhebung der notwendigen Daten, 1998 Braun/Uhlenbruck, Unternehmensinsolvenz: Grundlagen, Gestaltungsmöglichkeiten, Sanierung mit der Insolvenzordnung, 1997 Breuer, Insolvenzrechts-Formularbuch mit Erläuterungen, 3. Aufl. 2007 Büchting/Heussen, Beck’sches Rechtsanwalts-Handbuch, 10. Aufl. 2011 Bülow, Recht der Kreditsicherheiten – Sachen und Rechte, Personen, 8. Aufl. 2012 Bülow/Artz, Verbraucherkreditrecht, 8. Aufl. 2014 Bunjes, Umsatzsteuergesetz, 13. Aufl. 2014 Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, 4. Aufl. 2014 Canaris, Bankvertragsrecht – Band 5 Teil 1, Großkommentar HGB, 4. Aufl. 2005 Dannecker/Knierim/Hagemeier, Insolvenzstrafrecht, 2. Aufl. 2012 Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, 7. Aufl. 2013 Drukarczyk/Schüler, Unternehmensbewertung, 6. Aufl. 2009 Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Europäische Insolvenzverordnung, Kommentar, 2002 XXXV
Literaturbersicht Eidenmüller, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, 1996 Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz; Mechanismen der Unternehmensreorganisation und Kooperationspflichten im Reorganisationsrecht, 1999 Erman, BGB, 14. Aufl. 2014 Fink, Die Behandlung der Auslandsinsolvenz in Deutschland und Frankreich – Anerkennung und Rechtswirkungen, 1993 Firsching/Graf, Nachlassrecht, 10. Aufl. 2014 Fischer, StGB und Nebengesetze, 61. Aufl. 2014 Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG mit Wahlordnung, 27. Aufl. 2014 Frank, Die Überwachung der Insolvenzplanerfüllung, 2002 Franken/Dahl, Mietverhältnisse in der Insolvenz, 2. Aufl. 2006 Frenz/Fischer/Franßen, Kreislaufwirtschafts-, Abfall- und Bodenschutzrecht, Kommentar, Loseblatt, Stand September 2014 Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 8. Aufl. 2014 Gagel, Sozialgesetzbuch III, Grundsicherung und Arbeitsförderung, Loseblatt Stand Oktober 2014 Gerhardt/Haarmeyer/Kreft, Insolvenzrecht im Wandel der Zeit, Festschrift für HansPeter Kirchhof zum 65. Geburtstag, 2003 v. Gerkan/Hommelhoff, Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002 Germelmann/Matthes/Prütting, Arbeitsgerichtsgesetz, 8. Aufl. 2013 Gilles, Die Beteiligung des Betriebsrates im Insolvenzplanverfahren, 2009 Goette, Die GmbH, 2. Aufl. 2002 Goette/Habersack, Das MoMiG in Wissenschaft und Praxis, 2009 Goette/Kleindiek, Gesellschafterfinanzierung nach MoMiG, 6. Aufl. 2010 Gottwald, Grenzüberschreitende Insolvenzen, 1997 Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2010 Graf-Schlicker, Kommentar zur Insolvenzordnung, 4. Aufl. 2014 Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, 7. Aufl. 2012 Haarmeyer/Buchalik, Sanieren statt Liquidieren, 2012 Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch der vorläufigen Insolvenzverwaltung, 2010 Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur Insolvenzordnung, 4. Aufl. 2013 Haarmeyer/Wutzke/Förster, Insolvenzordnung, Kommentar, 2. Aufl. 2012 Haarmeyer/Wutzke/Förster, Insolvenzrechtliche Vergütung, 5. Aufl. 2014 Habscheid, Grenzüberschreitendes (internationales) Insolvenzrecht der Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland (1998) Häger/Reschke, Checkbuch Unternehmenskauf, 2. Aufl. 2002 Hartmann, Kostengesetze, 44. Aufl. 2014 Hartung/Schons/Enders, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 2. Aufl. 2013 Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl. 2007 Haus, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997 Hegmanns, Der Gläubigerausschuss, 1986 Hellner/Steuer (Hrsg.), Bankrecht und Bankpraxis, Loseblattwerk in 6 Bänden, Stand Lfg. 111 (2014) Henckel, Aktuelle Probleme der Warenlieferanten im Konkurs, 1984 Henckel, Insolvenzanfechtung, in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. 2000 Henckel/Jaeger, Insolvenzordnung, Bd. 1, 2004 Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht, Kommentar, 6. Aufl. 2014 Hess, Insolvenzrecht, Kommentar in zwei Bänden, 2. Aufl. 2013 Hess/Groß/Reill-Ruppe, Insolvenzplan, Sanierungsgewinn, Restschuldbefreiung und Verbraucherinsolvenz, 4. Aufl. 2014 Hess/Kropshofer, Kommentar zur Konkursordnung, zuletzt als Hess, Kommentar zur KO in 6. Aufl. 1998 bis zur Ablösung der KO durch die InsO 1999 erschienen und abgelöst durch den Kommentar zur InsO XXXVI
Literaturbersicht Hess/Obermüller, Insolvenzplan, Restschuldbefreiung und Verbraucherinsolvenz, 3. Aufl. 2003 Hess/Weis, Anfechtungsrecht – Kommentar der §§ 129–147 InsO, §§ 1–20 AnfG, 2. Aufl. 1999 Hess/Weis, Insolvenzrecht – Tipps und Taktik, 3. Aufl. 2005 Heussen, Letter of Intent, 2. Aufl. 2014 Hirte, Das neue Insolvenzrecht nach dem ESUG, 2012 Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, 14. Aufl. 2010 Holzer/Kleine-Cosack/Prütting, Die Bestellung des Insolvenzverwalters, 2001 Hopt/Wiedemann, Großkommentar zum AktG, 4. Aufl. 2002 Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung (AO, FGO), Kommentar, Loseblatt, Stand Juli 2014 Hüffer, Aktiengesetz, 11. Aufl. 2014 Huth, Kreditsicherungsrecht im Lichte der neuen Insolvenzordnung, Frankfurt 2000 IDW, WP Handbuch 2012 Band I, Wirtschaftsprüfung, Rechnungslegung, Beratung, 14. Aufl. 2012 IDW, WP Handbuch 2014 Band II, Wirtschaftsprüfung, Rechnungslegung, Beratung, 14. Aufl. 2014 Jaeger/Henckel, Konkursordnung, 9. Aufl. 1997 Jahn/Saam, Insolvenzen in Europa, 13. Aufl. 2004 Jauernig/Berger, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, 23. Aufl. 2010 Jochum/Pohl, Nachlasspflegschaft, 5. Aufl. 2014 Joecks/Miebach, Münchner Kommentar zum StGB, Band 1 (§§ 1–37 StGB), 2. Aufl. 2011 Joecks/Miebach, Münchner Kommentar zum StGB, Band 2 (§§ 38–79b StGB), 2. Aufl. 2012 Joecks/Miebach, Münchner Kommentar zum StGB, Band 5 (§§ 263–358 StGB), 2. Aufl. 2014 Kaligin, Unternehmenskauf – Grundsatzfragen und Strategien für eine optimale steuerliche Gestaltung, 1995 Kießner, Kreditbetrug und § 265b StGB, 1985 Kindhäuser, Lehr- und Praxiskommentar, 4. Aufl. 2010 Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, Band 2 (§§ 146–358), 4. Aufl. 2013 Kirchhof/Stürner/Eidenmüller, Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 3. Aufl. 2013 Klein, Abgabenordnung, Kommentar, 12. Aufl. 2014 Kleine-Cosack, Bundesrechtsanwaltsordnung, 6. Aufl. 2009 Kolmann, Schutzschirmverfahren, 2014 Kommission für Insolvenzrecht, Erster Bericht 1985 Kraemer/Vallender/Vogelsang, Handbuch zur Insolvenz, Recht – Steuern – Betriebswirtschaft, Loseblatt in 2 Ordnern, Stand 2014 Krause, Ordnungsgemäßes Wirtschaften und Erlaubtes Risiko, 1995 Kreft, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 7. Aufl. 2014 Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, 2. Aufl. 2000 Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur Insolvenzordnung, Loseblatt, Stand Oktober 2014 Kudlich/Oglakcioglu, Wirtschaftsstrafrecht, 2. Aufl. 2014 Kummer/Schäfer/Wagner, Insolvenzanfechtung – Fallgruppenkommentar, 2. Aufl. 2014 Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl. 2014 Lampe, Der Kreditbetrug, 1980 Lange/Kuchinke, Erbrecht, 5. Aufl. 2001 Lauer, Die Bank in der Kundeninsolvenz, 3. Aufl. 2003 Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts – Zivilrecht, Öffentliches Recht, Vertragsarztrecht, Krankenhausrecht, Strafrecht, 4. Aufl. 2010 XXXVII
Literaturbersicht Leonhardt/Smid/Zeuner, Internationales Insolvenzrecht, 2. Aufl. 2012 Liersch, Sicherungsrechte im Internationalen Insolvenzrecht unter besonderer Berücksichtigung der Vereinbarkeit von Art. 5 und 7 der EG-Verordnung über Insolvenzverfahren (EuInsVO) mit dem deutschen Insolvenzrecht, 2001 Lüke, Die persönliche Haftung des Konkursverwalters, Schriften des Institutes für Arbeits- und Wirtschaftsrecht der Universität Köln, Bd. 52, 1986 Lutter, Der Letter of Intent, 3. Aufl. 1998 Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz, 18. Aufl. 2012 Marotzke, Das Unternehmen in der Insolvenz: Fortführung und Veräußerung zwischen Eröffnungsantrag und Berichtstermin, 2000 Marotzke, Gegenseitige Verträge im neuen Insolvenzrecht, 3. Aufl. 2001 Martinez Ferber, European Insolvency Regulation, Substantive Consolidation, the threat of Forum Shopping on a German point of view, 2004 Maus, Steuerrechtliche Probleme im Insolvenzverfahren, 2. Aufl. 1995 Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010 Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch der Insolvenzverwaltung, 8. Aufl. 2007 Möhring/Nicolini, Urheberrecht, Kommentar, 3. Aufl. 2014 Mönning, Betriebsfortführung in der Insolvenz, 2. Aufl. 2013 Moosmayer, Aufklärungspflichten beim Unternehmenskauf, 2000 Moss/Fletche/Isaacs, The EC Regulation on Insolvency Proceedings: A Commentary and Annotated Guide, 2002 Müller, Die echte Freigabe durch den Insolvenzverwalter im Spannungsfeld von gesetzlicher Prozessstandschaft und Parteiwechsel, 2007 Müller/Schnitzerling, Kaufen statt Gründen, 1999 Müller/Winkeljohann, Beck’sches Handbuch der GmbH, 4. Aufl. 2009 Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 14. Aufl. 2014 Müller-Gugenberger/Bieneck (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, 5. Aufl. 2011 Musielak, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 11. Aufl. 2014 Nerlich/Römermann, InsO, Loseblatt, Stand 26. Ergänzungslieferung 2014 Niesert, Aus- und Absonderungsrechte in der Insolvenz, unter Mitarbeit von M. Baumhauer und M. Sundermann, 1999 Obermüller, Ersatzsicherheiten im Kreditgeschäft, 1987 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 8. Aufl. 2011 Offerhaus/Söhn/Lange, Umsatzsteuer, Kommentar, Loseblatt Stand Juni 2014 Onusseit, Umsatzsteuer im Konkurs, 1988 Onusseit/Kunz, Steuern in der Insolvenz, 1997 Oppenländer/Trölitzsch, Handbuch der GmbH-Geschäftsführung, 2. Aufl. 2011 Palandt, BGB, 73. Auflage 2014 Pannen, Krise und Insolvenz bei Kreditinstituten, 3. Aufl. 2010 Pape/Uhländer, NWB Kommentar zum Insolvenzrecht, 2013 Pape/Uhlenbruck/Voigt-Salus, Insolvenzrecht, Handbuch, 2. Aufl. 2010 Park, Kapitalmarktstrafrecht, 2. Aufl. 2008 Pech, Die Einbeziehung des Neuerwerbs in die Insolvenzmasse, 1999 Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 4. Aufl. 2012 Pelka/Niemann, Praxis der Rechnungslegung in Insolvenzverfahren, 5. Aufl. 2002 Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz, 2. Aufl. 2011 Picot, Unternehmenskauf und Restrukturierung, 4. Aufl. 2013 Pohlmann, Befugnisse und Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, 1998 Potthast, Probleme des Europäischen Konkursübereinkommens, 1995 Priester/Mayer/Wicke, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 3, Gesellschaft mit beschränkter Haftung, 4. Aufl. 2012 Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 28. Aufl. 2010 Prusko, Die Gesellschafterhaftung in der Insolvenz, 2013 Prütting/Helms, FamFG, 3. Aufl. 2013 XXXVIII
Literaturbersicht Rau/Dürrwächter, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, Loseblatt, Stand 2014 Reck, Insolvenzstraftaten und deren Vermeidung, 1999 Rendels, Insolvenzplan nach ESUG, 2013 Reul/Heckschen/Wienberg, Insolvenzrecht in der Kautelarpraxis, 2006 Richardi, Betriebsverfassungsgesetz mit Wahlordnung, 14. Aufl. 2014 Röhricht/Graf v. Westphalen, Handelsgesetzbuch, Kommentar, 4. Aufl. 2014 Römermann/Praß, Das neue Sanierungsrecht, 2012 Roth/Altmeppen, Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 7. Aufl. 2012 Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbH-Gesetz, Kommentar, 5. Aufl. 2013 Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 15. Aufl. 2013 Schiessler, Der Insolvenzplan, 1997 Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechtshandbuch, 4. Aufl. 2011 Schmidt, A., Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 4. Aufl. 2012 Schmidt, A., Privatinsolvenz, 4. Aufl. 2014 Schmidt, J., Die Bürgschaft des persönlich haftenden Gesellschafters in der Insolvenz der Personengesellschaft, 2006 Schmidt, J./Rodine, Unternehmergesellschaften in der Insolvenz, 2013 Schmidt, K., Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002 Schmidt, K., Insolvenzordnung mit EuInsVO, Kommentar, 18. Aufl. 2013 (im Anschluss an die im Jahre 1997 erschienene 17. Auflage von Kilger/Schmidt, Insolvenzgesetze) Schmidt, K., Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, 1990 Schmidt, K./Lutter, Aktiengesetz, Kommentar, 2. Aufl. 2010 Schmidt, K./Uhlenbruck, W., Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 4. Aufl. 2009 Schmidt, L., Einkommensteuergesetz, Kommentar, 33. Aufl. 2014 Schmolke, Kapitalerhaltung in der GmbH nach dem MoMiG, Kommentar zu §§ 30, 31 GmbHG, 2009 Schollmeyer, Gegenseitige Verträge im internationalen Insolvenzrecht, 1997 Scholz, Haftung im Gründungsstadium der GmbH, 1974 Scholz, Kommentar zum GmbH-Gesetz, 10. Aufl. 2010 Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014 Schulte, Die europäische Restschuldbefreiung. Zu den rechtsvergleichenden und kollisionsrechtlichen Aspekten der Restschuldbefreiung im europäischen Insolvenzrecht, 2001 Schultze, Methoden der Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2003 Schwörer, Lösungsklauseln für den Insolvenzfall, 2000 Sernetz/Haas, Kapitalaufbringung und -erhaltung in der GmbH, 2. Aufl. 2013 Sieder, Cash Pooling im GmbH-Konzern, 2011 Smid, Deutsches und Europäisches Internationales Insolvenzrecht, Kommentar, 2004 Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, 3. Aufl. 2012 Spiecker, Die Unternehmensveräußerung in der Insolvenz, 2001 Staub, HGB, Großkommentar, 5. Aufl. 2012 Stöber, Forderungspfändung, 16. Aufl. 2013 Stoll, Vorschläge und Gutachten zur Umsetzung des EU-Übereinkommens über Insolvenzverfahren im deutschen Recht, 1997 Teller/Steffan, Rangrücktrittsvereinbarungen zur Vermeidung der Überschuldung bei der GmbH, 3. Aufl. 2003 Temme, Die Eröffnungsgründe der Insolvenzordnung, 1997 Thomas/Putzo, ZPO, 35. Aufl. 2014 Tiedemann, Insolvenz-Strafrecht, 2. Aufl. 1996 Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht BT, 3. Aufl., 2011 Tillmann/Mohr, GmbH-Geschäftsführer, 10. Aufl. 2013 Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Loseblatt Stand Juni 2014
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Literaturbersicht Tipke/Lang, Steuerrecht, 21. Aufl. 2013 Trunk, Internationales Insolvenzrecht – Systematische Darstellung des deutschen Rechts mit rechtsvergleichenden Bezügen, 1998 Uhlenbruck, Das neue Insolvenzrecht, 1994 Uhlenbruck, Insolvenzordnung Kommentar, 13. Aufl. 2010 Uhlenbruck/Delhaes, HRP: Konkurs- und Vergleichsverfahren, 5. Aufl. 1990 Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, Großkommentar in drei Bänden, Band I 2. Aufl. 2013, Band II 2. Aufl. 2014, Band III 1. Aufl. 2008 Vallender/Undritz, Praxis des Insolvenzrechts, 2012 Völkel/Karg, Umsatzsteuer, 20. Aufl. 2009 Volken, Kommentar zum IPRG, 2. Aufl. 2004 Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- u. Steuerstrafrechts, 4. Aufl. 2014 Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern. Konkurs, Vergleich, Gesamtvollstreckung im Steuerrecht, 9. Aufl. 2012 Weinbörner, Das neue Insolvenzrecht mit EU-Übereinkommen, 1997 Welzel, Die Umsatzsteuer als Masseverbindlichkeit: Ein Vergleich der Konkursordnung mit der ab 1.1.1999 geltenden Insolvenzordnung, 1997 Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, 8. Aufl. 2010 Wimmer, Das neue Insolvenzrecht nach der ESUG-Reform, 2012 Wimmer, Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, 6. Aufl. 2012 Wimmer/Dauernheim/Wagner/Gietl, Handbuch des Fachanwalts Insolvenzrecht, 6. Aufl. 2014 Wittinghofer, Der nationale und internationale Insolvenzverwaltungsvertrag – Koordination paralleler Insolvenzverfahren durch ad hoc-Vereinbarungen, 2004 Wöhe, Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 25. Aufl. 2013 Zeuner, Die Anfechtung in der Insolvenz, 2. Aufl. 2007 Zöller, ZPO, 30. Aufl. 2014 Zugehör/Fischer, Handbuch der Anwaltshaftung, 3. Aufl. 2011 Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, 4. Aufl. 2010 van Zwoll, Die Arztpraxis in Krise und Insolvenz, 2007
XL
§1 Schuldnerberatung
I. Mandatssituation . . . . . . . . . . . . . . . 1. Tatsächliche Umstände . . . . . . . . . . 2. Honorar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bemessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zahlungsmodalitäten . . . . . . . . . . c) Praxisempfehlung . . . . . . . . . . . . . 3. Haftung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vertragliche Haftung . . . . . . . . . . aa) Vertrag zugunsten und mit Schutzwirkung zugunsten Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Drittschadensliquidation. . . . cc) Auskunftsvertrag . . . . . . . . . . dd) Haftung als Sachwalter oder Verhandlungsgehilfe. . . . . . . . ee) Praxishinweise . . . . . . . . . . . . b) Deliktische Haftung . . . . . . . . . . . II. Insolvenzeröffnungsgründe . . . . . . . 1. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . a) Überblick, praktische Relevanz . . b) Objektive Verhältnisse . . . . . . . . . c) Zahlungspflichten . . . . . . . . . . . . . aa) Keine anderen Leistungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vorläufig titulierte Verbindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . d) Fälligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) „Zwangskredite“ der Lieferanten . . . . . . . . . . . . . . . bb) Behördliche Schonfristen . . . cc) Kontoüberziehung . . . . . . . . . dd) Nachrangige Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern (§ 39 InsO) . . . . . . . . . . . . e) Geringfügigkeitsausnahmen . . . . aa) Zeitliche Geringfügigkeit (Zahlungsstockung) . . . . . . . . bb) Quantitative Geringfügigkeit cc) Qualitative Geringfügigkeit . . f) Vermutungswirkung der Zahlungseinstellung . . . . . . . . . . . . . . g) Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einzelheiten . . . . . . . . . . . . . . (1) Zahlungsmittelbestand . . . . . (2) Auszahlungen . . . . . . . . . . . . . (3) Zahlungsprognose . . . . . . . . . cc) Muster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Praxishinweise . . . . . . . . . . . . . . . 3. Drohende Zahlungsunfähigkeit . . . . a) Praktische Relevanz . . . . . . . . . . . b) Maßgebender Betrachtungszeitraum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Praxishinweise . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . .
1 1 5 5 10 21 22 22
. . .
25 29 30
. . . . . . . . .
31 34 38 42 42 51 51 55 56
.
56
. .
57 65
. . .
69 72 73
. .
76 79
. . .
81 82 85
.
90
. . . . . . . . . .
92 92 97 97 98 100 102 105 107 107
. 108 . 112
4. Überschuldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick, praktische Relevanz . . . b) Feststellung der sog. rechnerischen Überschuldung (1. Stufe) . . aa) Prüfungsreihenfolge . . . . . . . . . bb) Bilanzwerte. . . . . . . . . . . . . . . . cc) Liquidationswerte . . . . . . . . . . c) Fortführungsprognose . . . . . . . . . . aa) Prognosegegenstand: Ertrags- oder Zahlungsfähigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Prognosemethode . . . . . . . . . . cc) Prognosezeitraum . . . . . . . . . . dd) Fortführungswille. . . . . . . . . . . ee) Abhängigkeit von Dritten . . . . ff) Zusammenfassung . . . . . . . . . . d) Einzelheiten zum Überschuldungsstatus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Stichtagsprinzip . . . . . . . . . . . . (1) Insolvenzbedingte Kosten . . . . (2) Bewertungsbedingte Kosten . . (3) Geplante Kosten . . . . . . . . . . . bb) Einzelne Aktiva . . . . . . . . . . . . (1) Forderungen gegen Gesellschafter/Geschäftsführer . . . . . (2) Ansprüche gemäß §§ 92, 93 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Keine Ausnahme für GmbH & Co. . . . . . . . . . . . . . . . (4) Immaterielle Vermögensgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . (5) Schwebende Geschäfte und Roh, Hilfs- und Betriebsstoffe (RHB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Derivativer Firmenwert . . . . . . (7) Wert der Firma . . . . . . . . . . . . . (8) Sicherungs- und aufrechnungsbelastete Vermögensgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . (9) Insolvenzanfechtung . . . . . . . . cc) Einzelne Passiva . . . . . . . . . . . . (1) Darlehen der Gesellschafter . . (2) Rückstellungen . . . . . . . . . . . . e) Dokumentation, Sachverständigengutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beseitigung der Insolvenzgründe . . . . 1. Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit a) Stundung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kreditaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . aa) Insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sittenwidrigkeit . . . . . . . . . . . . c) Gesellschafterfinanzierung . . . . . . d) Verkauf von Aktiva, Anzahlungen . 2. Beseitigung der Überschuldung . . . . . a) Maßnahmen Aktiva. . . . . . . . . . . . . aa) Verkauf von Aktiva . . . . . . . . . .
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114 114 116 116 117 118 120
120 122 129 130 131 132 133 134 136 137 139 140 141 142 145 147
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1
§1
IV. 1. 2.
3.
4.
2
Schuldnerberatung bb) Wertgarantie . . . . . . . . . . . . . . . cc) Erhöhung des Stammkapitals (Registerpublizität) . . . . . . . . . dd) Kapitalerhöhung ohne Registerpublizität . . . . . . . . . . . . . . . b) Maßnahmen Passiva . . . . . . . . . . . . aa) Besserungsschein, Rangrücktrittsvereinbarung . . . . . . . . . . (1) Gestaltungsmöglichkeiten . . . (2) Auswirkungen auf Sicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Auswirkungen auf die (Steuer-)Bilanz, Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Auswirkungen auf den Überschuldungsstatus . . . . . . . . . . . (5) Formulierungshinweise . . . . . . (6) Muster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Verzichtsvereinbarung mit Besserungsversprechen . . . . . . (b) Rangrücktrittsvereinbarung . . bb) Forderungsbeschränkungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Gleichbehandlung bei außergerichtlicher Sanierung? . . . . . c) Praxishinweise . . . . . . . . . . . . . . . . Besonderheiten der Schuldnerberatung im Konzern. . . . . . . . . . . . . . Mandatssituation . . . . . . . . . . . . . . . . Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen . . . . . a) Stand des Gesetzgebungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zielrichtung und Konzeption des neuen Konzerninsolvenzrechts . . . c) Anwendungsbereich des neuen Konzerninsolvenzrechts . . . . . . . . . Besonderheiten bei der Prüfung der Insolvenzgründe konzernverbundener Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Separate Prüfung von Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unter Beachtung der Konzerneinbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Besonderheiten im Cash-Pool . . . . aa) Funktion des Cash-Pools . . . . . bb) Pflichten der Geschäftsführer einer im Cash-Pool angebundenen Gesellschaft . . . . . . . . . . cc) Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit anhand eines Liquiditätsstatus . . . . . . . . . . . . . . . dd) Konzernliquiditätsplanung und Zahlungsfähigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rolle der Konzernspitze . . . . . . . . . Vorbereitung eines einheitlichen Konzerninsolvenzgerichtsstandes . . . a) Strategische Bedeutung eines Konzerngerichtsstandes für das Gelingen einer Konzernsanierung im Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . b) Der Gruppen-Gerichtsstand nach (§§ 3a–3d InsO-E) . . . . . . . . . . . . . .
Andres
184 185 186 188 188 189 190
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aa) Konzept der Wahlfreiheit. . . . . bb) Voraussetzungen für die Begründung eines GruppenGerichtsstandes . . . . . . . . . . . . (1) Zulässigkeit des GruppenAntrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Zulässiger Insolvenzantrag . . . (b) Berechtigung des Antragsstellers für einen GruppenAntrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Zwingende Angaben im Gruppen-Antrag. . . . . . . . . . . . (2) Begründetheit . . . . . . . . . . . . . (a) Schuldner von nicht offensichtlich untergeordneter Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Verfahrenskonzentration im Interesse der Gläubiger . . . . . . c) Entscheidung und Wirkung . . . . . . d) Nachträgliche Verweisung an den Gruppen-Gerichtsstand . . . . . . . . . 5. „Corporate Governance Strukturen“ zur Bewältigung von Gruppeninsolvenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Strategische Erwägungen . . . . . . . b) Der Gruppen-Insolvenzverwalter/ Gruppen-Sachwalter . . . . . . . . . . . aa) Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Voraussetzung . . . . . . . . . . . . . cc) Abweichung vom Gläubigerausschussvotum, § 56a Abs. 2 InsO-E. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gruppen-Gläubigerausschuss . . . . d) Kooperationspflichten zwischen den Verfahrensorganen . . . . . . . . . aa) Kooperationspflichten Insolvenzverwalter/Eigenverwalter und Sachwalter . . . . . . . . . . . . bb) Kooperationspflichten der Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Das Koordinationsverfahren . . . . . aa) Voraussetzungen für die Einleitung eines Koordinationsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Antrag beim Koordinationsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Materielle Voraussetzung . . . . bb) Einleitung des Koordinationsverfahrens/Bestellung des Koordinationsverwalters . . . . . cc) Aufgabe und Funktion des Koordinationsverwalters bei der Gruppen-Insolvenz . . . . . . dd) Koordinationsplan . . . . . . . . . . 6. Einbeziehung nicht insolventer Gruppen-Gesellschaften . . . . . . . . . . . 7. Konzernsanierung durch Insolvenzplanverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Koordinierte Insolvenzpläne in den Einzelverfahren . . . . . . . . . . . . aa) Ableitung koordinierter Insolvenzpläne aus dem Konzernsanierungskonzept . . . . . . . . . .
258
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Mandatssituation bb) Umsetzung koordinierter Insolvenzpläne . . . . . . . . . . . . . (1) Einreichen koordinierter Insolvenzpläne beim Insolvenzgericht . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Erörterungs- und Abstimmungstermin . . . . . . . . . . . . . . (3) Gerichtliche Bestätigung/Verknüpfung der koordinierten Insolvenzpläne . . . . . . . . . . . . . b) Der Koordinationsplan nach § 269h InsO-E als „Masterplan“ der Konzernsanierung . . . . . . . . . . aa) Zustandekommen eines Koordinationsplans . . . . . . . . .
Rz. 3
350
350 353
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356
bb) Rechtsnatur und Bindungskraft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . c) Regelung von Drittsicherheiten einer Konzerntochter im Insolvenzplanverfahren . . . . . . . . . . . . aa) § 254 Abs. 2 S. 1 InsO: Kein Eingriff in Drittsicherheiten durch Insolvenzplan. . . . . . . . bb) § 22 Schuldverschreibungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Fortbestand von Unternehmensverträgen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§1
. 361 . 363
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358
I. Mandatssituation 1. Tatsächliche Umstände Mit der Einführung der Insolvenzordnung hat der Gesetzgeber 1999 die drohende 1 Zahlungsunfähigkeit eingeführt, um dem Schuldner einen frühzeitigen Insolvenzantrag zu ermöglichen. Er wollte damit die Chancen einer Sanierung verbessern – dies ist bislang nur in Ausnahmefällen genutzt worden. Im März 2012 ist das ESUG in Kraft getreten. Der Gesetzgeber gewährt dem Schuldner mit dem jetzt eingeführten Schutzschirmverfahren in größerem Umfang Freiheiten im Rahmen des Insolvenzverfahrens, wenn er einen Insolvenzantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit stellt. Im Rahmen des dann möglichen Schutzschirmverfahrens kann der Schuldner sich in Eigenverwaltung sanieren und die Person des Sachwalters auswählen. Die typische Beratungssituation ist aber nach wie vor wie zu Zeiten der Konkursordnung dadurch gekennzeichnet, dass der Schuldner erst zum Anwalt kommt, wenn längst Zahlungsunfähigkeit und erst recht Überschuldung eingetreten sind. Das kann für den Anwalt gefährlich sein. Ein Honorarverlust ist noch der geringste Schaden. Viel brisanter ist eine Haftung wegen Beihilfe zur Insolvenzverschleppung, zu einem Bankrottdelikt oder gar zum Betrug gegenüber künftigen Gläubigern. Der strafrechtlichen Verantwortlichkeit (siehe dazu § 5 Rz. 23 und Rz. 39) folgt die zivilrechtliche Haftung auf dem Fuße. Der beratende Anwalt sollte deshalb stets die besonderen Rahmenbedingungen der 2 Krisenberatung vor Augen haben. Wirtschaftlich geht es um die Existenz des Mandanten, der psychologisch „von Hause aus“ Optimist ist, sonst wäre er nicht Unternehmer geworden. Er neigt dazu, Risiken zu bagatellisieren. Das gilt jedenfalls für den Gesellschafter-Geschäftsführer oder den Inhaber einer Einzelfirma. Aber auch der angestellte Manager ist an einer Erhaltung seiner Position interessiert und stellt die Verhältnisse positiver als ein unbefangener Dritter dar. Die Verdrängung unerwünschter Informationen ist ein alltägliches Phänomen, das umso massiver auftritt, je nachteiliger die Informationen sind. Der Mandant ist kein bewusster Lügner, sondern ein unbewusster „Verdränger“. Das ist für den Anwalt gefährlich. Geht es später einmal um Haftungsansprüche, wird der Mandant zwischen seinem Wissen und dessen Verdrängung nicht mehr unterscheiden. Plötzlich ist es der Anwalt, der alles gekannt und schlecht beraten haben soll. In der Krise ist äußerste Eile geboten. Will der Anwalt Erfolg haben, muss er sich die 3 erforderlichen Informationen schnellstens beschaffen. Dazu sollte er neben den Informationen der Geschäftsführung neutrale Personen einbeziehen. Das kann im Unternehmen die „zweite Reihe“ sein, aber auch ein kompetenter Sachbearbeiter oder der Steuerberater/Wirtschaftsprüfer. Da der Geschäftsführer oftmals noch nicht weitere Mitarbeiter einbeziehen will, wird oftmals der Steuerberater/Wirtschaftsprüfer der sachkundigste und objektive Ansprechpartner sein. Die Aussagen des Geschäftsführers sind mit den Angaben des Steuerberaters/Wirtschaftsprüfers zu verproben. Daneben sollten die Aussagen für eine zukünftige, ggf. auch kurzfristig positiv gesehene Andres
3
§1
Rz. 4
Schuldnerberatung
Entwicklung des Unternehmens mit Planungen und erreichten Werten der Vergangenheit abgeglichen werden. Je weiter sich hierbei eine Diskrepanz ergibt, desto kritischer sollten die Aussagen des Mandanten gesehen werden. 4 Durch die Neuregelungen des ESUG wird in Zukunft häufiger die Beratung des schuldnerischen Unternehmens vor dem Hintergrund einer möglichen Sanierung im Rahmen eines Schutzschirm- oder Eigenverwaltungsverfahrens stellen. Bei einer solchen Beratung steht neben den rechtlichen Voraussetzungen für den Mandanten auch immer die Frage der Erfolgschancen einer Sanierung des Unternehmens mithilfe dieser Instrumente im Vordergrund. Dies ist in wesentlichen Zügen auch eine betriebswirtschaftliche Frage. Rechtsanwälte, die in diesem Umfeld beraten sollten daher im Rahmen der Mandatsvereinbarung genau abgrenzen, welche Leistungen sie erbringen und welche Leistungen ggf. durch einen betriebswirtschaftlichen Berater erbracht werden, der gesondert vergütet wird. Diese Abgrenzung ist insbesondere für spätere Haftungsfragen, wenn der gewünschte Erfolg nicht eintritt erheblich. 2. Honorar a) Bemessung 5 Nach § 34 RVG soll der Rechtsanwalt für eine Beratung oder ein Gutachten auf eine Gebührenvereinbarung hinwirken, soweit in Teil 2 Abschnitt 1 VV keine Gebühren bestimmt sind. Wird keine Vereinbarung getroffen, soll der Anwalt Gebühren nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts erhalten. 6 Die Tätigkeit des Anwalts geht bei Insolvenzmandanten meist weit über die rechtliche Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts hinaus und umfasst deren Ermittlung und Gestaltung sowie Verhandlungen mit Lieferanten und Kunden. Das RVG enthält ebenso wenig wie die frühere BRAGO Honorarvorschriften zur Krisenberatung. Soweit es die Mitwirkung an dem Insolvenzantrag auf der Grundlage eines feststehenden Sachverhalts betrifft, ist die Beratung über die Insolvenzgründe und die damit zusammenhängende Insolvenzverschleppungshaftung mit der Gebühr der Nr. 3313 RVG-Vergütungsverzeichnis abgegolten. Insbesondere bei der Überschuldung ist der Sachverhalt aber häufig erst mit anwaltlicher Hilfe zu ermitteln. Das kann weit über eine Vorbereitungstätigkeit i.S.v. § 19 RVG hinausgehen und ist gesondert zu vergüten. Einen Gebührentatbestand sucht man dafür im RVG bzw. im zugehörigen Vergütungsverzeichnis vergebens. Das gilt erst recht für die Planung von Sanierungsmaßnahmen und die Beteiligung an Sanierungsverhandlungen. Auch zum Gegenstandswert gibt es im RVG keine spezielle Vorschrift. § 28 Abs. 1 RVG bestimmt zwar i.V.m. § 58 GKG den Wert der Insolvenzmasse als Berechnungsgrundlage, gilt aber nur für die dort genannten Tätigkeiten, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dem gerichtlichen Insolvenzverfahren stehen, nicht jedoch für die außergerichtliche Sanierung. § 28 Abs. 3 RVG verweist auf die allgemeine Wertvorschrift in § 23 Abs. 3 RVG und gilt damit ebenfalls nur für die Tätigkeiten im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens1 einschließlich Eröffnungsverfahren. Die außergerichtlichen Verhandlungen mit Gläubigern wird man schwerlich mit den Gebühren der Nrn. 2000 und 2400 des RVG-Vergütungsverzeichnisses für jeden einzelnen Gläubiger nach der jeweiligen Nominalforderung abrechnen dürfen; denn dessen Forderung ist nicht streitbefangen. Vielmehr geht es um Stundung oder Erlass, so dass gemäß § 23 Abs. 3 RVG höchstens der begehrte Erlassbetrag zugrunde gelegt werden darf. Die positiv-rechtlichen Vergütungsbestimmungen sind also unbefriedigend. 7 Wenn ausnahmsweise die Vergleichsverhandlungen in einer Versammlung aller Gläubiger zusammenfassend geführt werden, liegt eine Analogie zu den Vorschriften über die Vertretung des Schuldners im Insolvenzverfahren nahe, Nrn. 3313 ff. RVG-Vergütungsverzeichnis. Wegen der Konzentration aller Beteiligter auf ein Verfahren gibt es dort auch nur eine – gegebenenfalls erhöhte – Gebühr, die unabhängig von der Anzahl der Gläubiger ist. Sie berechnet sich teilweise nach der Insolvenzmasse, z.B. Nr. 3317 RVG-Vergütungsverzeichnis i.V.m. § 28 Abs. 1 RVG, teilweise nach billigem 1 Bräuer in Bischof/Jungbauer, RVG, § 28 Rz. 8, 14 f.
4
Andres
Mandatssituation
Rz. 11
§1
Ermessen, §§ 28 Abs. 3, 23 Abs. 2 RVG. Das gilt insbesondere für die Vertretung des Schuldners im Insolvenzplanverfahren, Nr. 3319 RVG-Vergütungsverzeichnis. Da der Schuldner durch den Plan gemäß § 245 Abs. 2 Nr. 2 InsO aber keinen „wirtschaftlichen Wert“ erhalten darf, will er nicht die Ablehnung des Plans riskieren, bleibt die Bestimmung des Gegenstandswertes auch für die ein Insolvenzplanverfahren vorbereitende Tätigkeit schwierig. Eine Analogie zur insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung scheitert an § 1 Abs. 2 8 RVG. Zwar kann der Sanierungsberater schnell in die Rolle des Sanierungsmanagers schlüpfen müssen. Damit verlässt er jedoch den Bereich der anwaltlichen Berufstätigkeit (§ 1 Abs. 1 RVG), so dass er nicht mehr die taxmäßige Vergütung des RVG abrechnen darf, sondern auf die übliche rekurrieren muss, § 612 Abs. 2 BGB. Dann allerdings kommt je nach dem Umfang des Auftrages eine entsprechende Anwendung der insolvenzrechtlichen Vergütungsordnung durchaus in Betracht. Das gilt insbesondere für den Liquidator1. Wegen der erheblichen Unsicherheiten über die Höhe der gesetzlichen Gebühren ist 9 eine Honorarvereinbarung unbedingt zu empfehlen. § 4 RVG nennt Pauschal- und Zeitvergütungen. Eine Pauschalvergütung ist schwer zu kalkulieren. Der Arbeitsaufwand hängt wesentlich vom Vorbereitungsstand des Mandanten und dem „Verärgerungsstand“ der Gläubiger ab, wenn nicht nur über den Insolvenzantrag beraten, sondern auch der Insolvenzgrund beseitigt werden soll. Das ist zwar auch in anderen Beratungsangelegenheiten der Fall, potenziert sich hier jedoch, weil die Krisenberatung das gesamte Unternehmen umfasst. Eine Zeitvergütung ist deshalb vorzuziehen. b) Zahlungsmodalitäten Der Anwalt muss jederzeit einen Insolvenzantrag gegen seinen Mandanten befürch- 10 ten, wird doch das Ersuchen der Gläubiger um eine Stundung oder einen Forderungsverzicht häufig mit dem Hinweis verbunden, anderenfalls zahlungsunfähig bzw. überschuldet zu bleiben. Einfacher als durch eine solche Aussage kann der Weg für einen Gläubiger nicht bereitet werden, den Eröffnungsgrund bei einem Insolvenzantrag glaubhaft zu machen, § 14 Abs. 1 InsO2. Deshalb sollte zu Beginn einer Krisenberatung immer ein Honorarvorschuss gezahlt werden. Zwar ist eine Vergütung theoretisch auch noch nach dem Insolvenzantrag zulässig, sofern sich die Zahlung noch als Bargeschäft darstellt3. Häufig ordnet das Gericht jedoch alsbald Sicherungsmaßnahmen der in § 21 InsO bestimmten Art an, so dass der Schuldner nicht mehr allein verfügungsbefugt ist. Allerdings kann die Honorarzahlung der insolvenzrechtlichen Anfechtung unterlie- 11 gen. Zu unterscheiden ist die erleichtert anfechtbare inkongruente von der nur unter besonderen subjektiver Voraussetzungen anfechtbaren kongruenten Deckung (vgl. § 10 Rz. 55 ff.). Eine inkongruente Deckung liegt vor, wenn der Anwalt eine Leistung erhält, „die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte“, § 131 Abs. 1 InsO. Das ist insbesondere der Fall bei Erfüllungssurrogaten wie der Übergabe von Kundenschecks oder der Abtretung von Forderungen des Mandanten, es sei denn, dies wird von vornherein bei Begründung des Mandatsverhältnisses konkret so vereinbart. Besser ist, konkrete Forderungen oder Vermögensgegenstände als Sicherheit zu bestellen. Werden diese Sicherheiten später durch eine inkongruente Leistung abgelöst, fehlt es im Ablösezeitpunkt an einer Gläubigerbenachteiligung, die Voraussetzung jeder Anfechtung ist, § 129 InsO. Deshalb empfiehlt es sich, derartige Sicherheiten bei einer vermutlich länger dauernden Beratung sofort und nicht erst später, wenn Leistungen bereits erbracht sind, hereinzunehmen.
1 Bischof in Bischof/Jungbauer, RVG, § 1 Rz. 53. 2 BGH v. 4.10.2001 – IX ZR 81/99, ZIP 2001, 2097; BGH v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222; LG Berlin v. 3.5.2004 – 86 T 385/04, ZInsO 2004, 875; Kirchhof in HK-InsO, § 14 Rz. 21. 3 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 480/00, DZWIR 2003, 31 = KTS 2003, 134.
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§1
Rz. 12
Schuldnerberatung
12 Inkongruent ist auch eine Honorarzahlung, die vom RVG nicht gedeckt ist, soweit es sich um anwaltliche Tätigkeiten i.S.v. § 1 Abs. 1 RVG handelt und nicht um eine reine betriebswirtschaftliche Beratung. Dabei ist der Anwendungsbereich für die Anwaltstätigkeit recht weit zu fassen, ist der Rechtsanwalt gemäß § 3 Abs. 1 BRAO doch der „berufene unabhängige Berater … in allen Rechtsangelegenheiten.“ Nicht vom RVG gedeckt ist es, wenn noch ein Vorschuss verlangt wird (§ 9 RVG), obwohl die Angelegenheit beendet und deshalb die Vergütung gemäß § 8 RVG fällig ist. Allein der Umstand, dass die nach § 10 RVG erforderliche Abrechnung bei einem umfangreichen Mandat noch geraume Zeit in Anspruch nimmt, gibt dem Anwalt nicht das Recht auf einen (weiteren) Vorschuss, wenn der Auftrag rechtlich beendet ist. Wird er gleichwohl vom Mandanten entrichtet, erhält der Anwalt etwas, worauf er keinen Anspruch hat, was die Tatbestandsmerkmale der inkongruenten Deckung erfüllt1. Das gilt auch dann, wenn der „Auftrag“ mehrere „Angelegenheiten“ betrifft, da die endgültige Vergütung laut § 8 Abs. 1 RVG für jede Angelegenheit gesondert fällig wird, sobald sie abgeschlossen ist. Inkongruent ist auch eine Honorarzahlung, wenn die Vergütungsvereinbarung nicht den formellen Anforderungen des § 4 RVG entspricht. Zwar muss der Anwalt den Betrag schuldrechtlich nicht erstatten, § 4 Abs. 1 Satz 3 RVG. Er hatte darauf aber keinen durchsetzbaren Anspruch, so dass die Voraussetzungen des § 131 InsO erfüllt sind2. 13 All das zeigt: Bei Mandatserteilung getroffene formwirksame Vereinbarungen über Höhe, Fälligkeit und Besicherung des Honorars reduzieren das Anfechtungsrisiko. Sie beseitigen es aber nicht. So liegt es auf der Hand, dass das Schuldnervermögen unter dem Deckmantel der anwaltlichen Beratung nicht gemindert werden darf, wenn dem keine adäquate Leistung gegenüber steht. Unmittelbar nachteilige Rechtsgeschäfte sind gemäß § 132 InsO anfechtbar und die daraufhin erbrachten Honorarzahlungen zu erstatten. Unmittelbar nachteilig ist eine unangemessen hohe Honorarvereinbarung, wobei der „richtige“ Stundensatz eine große Bandbreite aufweist3. Außerdem haben die Parteien analog § 315 Abs. 3 BGB einen erheblichen Beurteilungsspielraum; denn was bei einseitiger Leistungsbestimmung nach dieser Vorschrift rechtmäßig ist, kann auch anfechtungsrechtlich nicht unmittelbar benachteiligend sein. Das gilt insbesondere auch für ein Pauschalhonorar, selbst wenn sich nachträglich herausstellt, dass sich der Auftrag früher erledigt als ursprünglich geplant, indem beispielsweise kurzfristig ein Insolvenzantrag gestellt werden muss. Es ist das Wesen des Pauschalhonorars, dass es sich sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Mandanten auswirken kann. Allerdings darf es nicht unvertretbar hoch sein, also eine Größenordnung nicht wesentlich überschreiten, die üblicherweise bei Mandaten der beauftragten Art anfallen. Ist eine Vergütung unangemessen hoch, kann sie schuldrechtlich gemäß § 4 Abs. 4 RVG auf den angemessenen Teil reduziert werden. Ob das auch für die insolvenzrechtliche Anfechtung in dem Sinne gilt, dass nur der den angemessenen Teil überschreitende Betrag zur Insolvenzmasse erstattet werden muss, ist eine Frage der Teilanfechtung. Grundsätzlich ist eine einheitliche Rechtshandlung nur im Ganzen anfechtbar4, wobei es auch höchstrichterliche Entscheidungen gibt, die bei wirt-
1 BGH v. 13.4.2006 – IX ZR 158/05, NJW 2006, 2701, wobei der BGH nicht erörtert, ob es an einer Gläubigerbenachteiligung fehlen könnte, wenn der derselbe Betrag statt als Vorschuss auch als Schlusszahlung hätte beansprucht werden können. Zwar sind hypothetische Kausalverläufe i.d.R. nicht zu berücksichtigen. Nach BGH v. 9.6.2005 – IX ZR 152/03, ZIP 2005, 1243 kommt es jedoch nicht nur auf die Kausalität an, sondern es ist im Rahmen wertender Betrachtungsweise auch noch die Zurechenbarkeit zu prüfen, die im Urteilsfall aus 2006 hätte verneint werden können. 2 Vgl. Kreft in HK-InsO, § 131 Rz. 8. 3 BGH v. 27.1.2005 – IX ZR 273/05, NJW 2005, 2142 hat unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit – nicht der Anfechtbarkeit – ausgesprochen, dass eine Überschreitung der gesetzlichen Gebühren – die es, wie dargelegt, für eine umfassende Insolvenz- und Sanierungsberatung nicht gibt – als das Fünffache für regelmäßig unangemessen. 4 BGH v. 13.3.2008 – IX ZB 39/05, ZInsO 2008, 558 (Rz. 16); BGH v. 13.7.1995 – IX ZR 81/94, ZIP 1995, 1364.
6
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Mandatssituation
Rz. 18
§1
schaftlicher Teilbarkeit die Rückgewähr auf den überschießenden Teil beschränken1. Nach einem älteren Urteil des früher für das Konkursrecht zuständigen VIII. Zivilsenats gilt das auch für ein überhöhtes Anwaltshonorar2. Ein anderes Anfechtungsrisiko kann sich daraus ergeben, dass der Mandant von 14 vornherein seine Zahlungsunfähigkeit einräumt oder der Anwalt die Zahlungsunfähigkeit sofort erkennt und erst anschließend sein Honorar erhält. Dann sind die Voraussetzungen der Anfechtung wegen kongruenter Deckung erfüllt. Helfen kann ihm nur noch das Bargeschäftsprivileg gemäß § 142 InsO (vgl. § 10 Rz. 263 ff.). Nach dem Wortlaut des § 142 InsO liegt ein Bargeschäft vor, wenn in das Vermögen 15 des Schuldners unmittelbar eine seiner Zahlung gleichwertige Gegenleistung gelangt. Daran bestehen bei Beratungstätigkeiten Zweifel, weil sie nicht „in sein Vermögen“ gelangen, die verteilungsfähige Masse also nicht im Umfang der Honorarzahlungen erhöhen. Trotzdem akzeptiert die Rechtsprechung grundsätzlich das Bargeschäftsprivileg mit der Begründung, dass die Unterstützung bei einer Sanierung oder einem ordnungsgemäßen Insolvenzantrag auch den Gläubigern diene3. Diese Überlegung beschränkt zugleich den Anwendungsbereich des Bargeschäfts in 16 zeitlicher und wertmäßiger Hinsicht: Darf ein Schuldner seinen Insolvenzantrag nicht mehr verzögern, ist zunächst nur die Beratung über die Antragsvoraussetzungen (vgl. § 28 RVG i.V.m. Nr. 3313 Vergütungsverzeichnis) anfechtungsresistent – aber nur, soweit der Antrag nicht auch alleine von dem Schuldner hätte gestellt werden können4. Während der Verschleppungsphase erbrachte Leistungen sind hingegen rechtlich nicht als im Interesse der Gläubiger liegend geschützt5. Damit ist der Mandant nicht beistandslos. Ist ein Antrag gestellt, dürfen Sanierungsmaßnahmen sowie Gläubigerverhandlungen mit Hilfe des Anwalts fortgesetzt und – solange keine Verfügungsbeschränkungen angeordnet sind – zeitnah bezahlt werden. Vor wie nach dem Antrag gilt jedoch, dass diese Maßnahmen nicht von vornherein aussichtslos sein dürfen6 und die vom Anwalt erbrachten Tätigkeiten sachgerecht sind7. Die bargeschäftliche Gleichwertigkeit des Leistungsaustausches liegt bei sachge- 17 rechten Tätigkeiten immer vor, wenn nach den gesetzlichen Gebühren abgerechnet wird oder das Zeit- bzw. Pauschalhonorarhonorar vertretbar ist. Dafür gilt das oben zur Gläubigerbenachteiligung Gesagte entsprechend. Für die bargeschäftliche Unmittelbarkeit ist zu berücksichtigen, dass die Vergütung 18 erst „nach der Leistung der Dienste zu entrichten“ ist, § 614 BGB. Deshalb hat der BGH eine Zahlung für wirksam gehalten, die sogar erst nach dem Insolvenzantrag erfolgte8. Allerdings muss der zeitliche Zusammenhang gewahrt bleiben, der für jedes Bargeschäfts gefordert wird. Ein Abstand von drei Wochen9 ist noch zulässig, zwei Monate hingegen sind zu lang10. Schien die Frist in den früheren Entscheidungen wegen § 614 BGB noch mit der Fälligkeit des Honoraranspruchs zu beginnen, stellt der BGH nunmehr auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise ab. Es komme nicht auf die formaljuristische Fälligkeit an, sondern auf die tatsächliche Leistungserbringung. Wenn zwischen dem Beginn der anwaltlichen Tätigkeit und der Vergütungszahlung mehr als 30 Tage liegen, sei der Bargeschäftszusammenhang nicht mehr gewahrt. 1 Vgl. Kreft in HK-InsO, § 129 Rz. 80 f. 2 BGH v. 11.6.1980 – VIII ZR 62/79, NJW 1980, 1962. 3 BGH v. 11.6.1980 – VIII ZR 62/79, NJW 1980, 1963; Hölzle, DStR 2003, 2075 (2077) für den Steuerberater. 4 BGH v. 6.12.2007 – IX ZR 113/06, ZIP 2008, 232. 5 Vgl. BGH v. 26.10.2000 – IX ZR 289/99, ZIP 2001, 33; BGH v. 11.6.1980 – VIII ZR 62/79, NJW 1980, 1962. 6 Vgl. OLG Bdb. v. 21.3.2002 – 8 U 71/01, ZIP 2002, 1902 (1907) zur Besicherung eines aussichtslosen Sanierungskredits. 7 BGH v. 26.10.2000 – IX ZR 289/99, ZIP 2001, 33 (35); BGH v. 17.11.1958 – II ZR 224/57, BGHZ 28, 344 ff. 8 BGH v. 11.6.1980 – VIII ZR 62/79, NJW 1980, 1962 (1963). 9 BGH v. 17.11.1958 – II ZR 224/57, BGHZ 28, 347. 10 BGH v. 18.7.2002 – IX 480/00, ZIP 2002, 1540 f.
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§1
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Schuldnerberatung
Diese Grenze entnimmt der BGH dem Rechtsgedanken des § 286 Abs. 3 BGB. Gleiches soll auch für den umgekehrten Fall eines Vorschusses gelten: Übersteigt er die wertäquivalente Vergütung für die nächsten 30 Tage, fehlt es ebenfalls an den Voraussetzungen des Bargeschäfts1. In der Praxis sollte zunächst vor Beginn der Beratung ein Vorschuss vereinbart und gezahlt werden. In der Folge sollte dann zumindest im 14-tägigen Rhythmus eine Abrechnung stattfinden. Erfahrungsgemäß benötigt der Schuldner immer einige Tage, um die gestellte Rechnung zu begleichen. Verlängert man das Abrechnungsintervall über zwei Wochen hinaus, besteht die Gefahr, aus dem 30-Tages-Zeitraum heraus zu fallen. 19 Unabhängig von der Anfechtbarkeit muss bei den Zahlungsterminen auch die Organhaftung berücksichtigt werden2. Nach Eintritt des Insolvenzgrundes getätigte Zahlungen sind in sämtlichen beschränkt haftenden Gesellschaften von den Organen auszugleichen, es sei denn, dass sie mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar sind (unten § 2 Rz. 82 ff.). Diese Sorgfalt ist insolvenzbezogen zu interpretieren. Mit ihr stehen nur diejenigen Zahlungen im Einklang, die die spätere Insolvenzmasse wertmäßig zu erhalten helfen. Darunter wird man zwar mit denselben Überlegungen wie beim Bargeschäft auch Beratungsleistungen subsumieren dürfen – aber nur, soweit sich die Zahlung nicht als Befriedigung einer schon bestehenden Verbindlichkeit darstellt. Ebenso wie bei der Anfechtung ist auch hier die wirtschaftliche Betrachtungsweise maßgebend. Die formaljuristische Fälligkeit des Honorars spielt keine Rolle. Vielmehr kommt es darauf an, ob bereits erbrachte oder neue Leistungen bezahlt werden sollen. Ob auch bei § 64 S. 1 GmbHG der bargeschäftliche Zusammenhang gilt, so dass eine vor dem Eintritt des Insolvenzgrundes entstandene Verbindlichkeit noch zeitnah bezahlt werden darf, ist zwar zweifelhaft3. Andererseits würde der bisherige Anwalt mangels Zahlung seine Tätigkeit einstellen und die Mandatierung eines neuen Büros Verzögerungen und Mehrkosten mit sich bringen. Deshalb ist bei einer längeren Beratung nicht jede Zahlung haftungsschädlich, die kalkulatorisch auf Tätigkeiten vor Eintritt des Insolvenzgrundes entfällt. Bleibt der Altanteil unter den Mehrkosten einer hypothetischen Neubeauftragung, ist die Zahlung noch von der geschäftsmännischen Sorgfalt des § 64 S. 2 GmbHG gedeckt. Auf die nach Eintritt des Insolvenzgrundes erbrachten Leistungen wird man hingegen den Bargeschäftsgedanken analog anwenden können, so dass hinsichtlich der Geschäftsführerhaftung das oben bei Rz. 11 f. zur Anfechtung Gesagte auch hier gilt. 20 Ob ein Honorarvorschuss auch die Beratung des Schuldners nach dem Insolvenzantrag gegenüber einem vorläufigen Insolvenzverwalter (anfechtungsfrei) abgelten darf, ist fraglich. Da durch die Beratungstätigkeit die Insolvenzmasse nicht erhöht wird, kann die von § 142 InsO verlangte Vermögensneutralität nur normativ verstanden werden als eine Beratung im Interesse aller (künftigen) Verfahrensbeteiligten. Die Beratung gegenüber dem Verwalter gehört nicht dazu. Sie dient regelmäßig nur noch dem Schuldner- bzw. Geschäftsführerinteresse. Zwar hat ein Schuldner Anspruch auf einen Anwalt, so dass angemessene Zahlungen an ihn nicht etwa ein Bankrottdelikt begründen4. Das durchbricht jedoch nicht die insolvenzrechtlichen Masseerhaltungs- und Verteilungsvorschriften. Ist der Schuldner eine natürliche Person, sind die Kosten aus dem gemäß § 100 InsO (die Vorschrift spielt allerdings in der Praxis keine Rolle) zu bewilligenden Unterhalt aufzubringen, also aus dem, was ohnehin nicht in der Masse verbleibt. Ist der Schuldner hingegen eine Gesellschaft, gibt es keinen Anspruch auf „Unterhalt“ der Geschäftsführung. Ihre Ansprüche richten sich allein nach der insolvenzrechtlichen Behandlung des Dienstvertrages einschließlich der (Beratungs-)Auslagen. Hinsichtlich der GmbH als der Insolvenzschuldnerin obliegt es nunmehr dem vorläufigen Verwalter, die Masse im Interesse der Gläubiger zu sichern. Für eine weitere ebenfalls im Interesse der Gläubiger durchgeführte Bera-
1 BGH v. 15.12.2011 – IX ZR 118/11, ZInsO 2012, 241 (Rz. 25); BGH v. 13.4.2006 – IX ZR 158/05, ZIP 2006, 1261; BGH v. 6.12.2007 – IX ZR 113/06, ZIP 2008, 232. 2 S. ausführlich § 2 Rz. 41 ff. u. 67 ff.; s. ferner: Schmittmann, ZInsO 2011, 545 (552). 3 Vgl. BGH v. 31.3.2003 – II ZR 150/02, ZIP 2003, 1005. 4 BGH v. 29.9.1988 – 1 StR 332/88, NJW 1989, 1167 (1168).
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Mandatssituation
Rz. 23
§1
tungstätigkeit eines Schuldner-Anwalts ist daneben kein Raum, es sei denn, dass dies in Abstimmung mit dem vorläufigen Verwalter geschieht. Das gilt sogar für die Ausarbeitung eines Insolvenzplans, weil der Schuldner keinen verfahrensrechtlichen Anspruch auf professionelle Beratung hat1. Hat das Insolvenzgericht überdies eine Verfügungsbeschränkung als vorläufige Sicherungsmaßnahme angeordnet, unterliegt dem auch der im Vorschusswege erworbene Leistungsanspruch. Er kann nicht mehr durch Leistung an den Schuldner erfüllt werden, §§ 24, 82 InsO. Der Anwaltsvertrag endet außerdem gemäß §§ 115, 116 InsO (vgl. § 8 Rz. 273 ff.) spätestens mit dem Tage der Insolvenzeröffnung und ist analog § 628 Abs. 1 BGB abzurechnen. § 628 Abs. 2 BGB (Schadensersatz wegen Kündigung bei vertragswidrigem Verhalten) findet keine Anwendung2, da man §§ 115 f. InsO (Erlöschen von Aufträgen und Geschäftsbesorgungsverträgen) nicht nur auf den Auftrag, sondern auch auf den zugrunde liegenden Dienstvertrag erstreckt3 und dies keine vertragswidrige Kündigung ist. c) Praxisempfehlung Zusammenfassend kann für die Praxis nur dringend empfohlen werden, 21 – eine möglichst zeitbezogene Honorarvereinbarung zu treffen – mit kurzen Abrechnungsintervallen und Zahlungsintervallen von 14 Tagen, maximal 30 Tagen – gegen Vorschuss zumindest in Höhe der für das nächste Abrechnungsintervall erwarteten Vergütung – sowie Besicherung des anschließend voraussichtlich anfallenden Vergütungsanspruchs – und Einholung der Zustimmung eines vorläufigen Verwalters für den Verbrauch eines Vorschusses nach Insolvenzantrag. Dies gilt auch für die Eigenverwaltung. 3. Haftung4 a) Vertragliche Haftung Der Mandant, der einen Rechtsanwalt in der wirtschaftlichen Krise aufsucht, erwar- 22 tet eine umfassende Aufklärung über die Handlungsmöglichkeiten und Haftungsrisiken5. Der Auftrag mag sich in einem einzigen Beratungsgespräch erschöpfen, in dem regelmäßig nur allgemeine Wenn-Dann-Aussagen getroffen werden können. Häufig ist es aber so, dass die rechtsrelevanten Informationen erst beschafft werden müssen. Eine Überschuldung beispielsweise ergibt sich nicht unmittelbar aus der handelsrechtlichen Buchführung. Vielmehr sind u.a. die Verkehrswerte zu ermitteln. Das kann bei komplexen Verhältnissen geraume Zeit in Anspruch nehmen. Parallel werden dann meist schon Verhandlungen mit den Geschäftspartnern des Mandanten begonnen, um sie für eine Beteiligung an der Sanierung zu gewinnen. Während der Dauer seiner Tätigkeit ist der Anwalt verpflichtet, ständig auf die Auswirkungen neuer Erkenntnisse über die Vermögens- und Finanzlage des Schuldners hinzuweisen. Zumeist wird die Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzgrund sein, der dem Mandanten droht. Insoweit obliegt es dem Rechtsanwalt den Mandanten darauf hinzuweisen, dass dieser in einer Krisensituation dazu verpflichtet ist, sich ständig, ggf. auch täglich, einen Überblick über seine Zahlungsfähigkeit zu verschaffen. Die Insolvenz- und Sanierungsberatung erfolgt im Weges eines Dienstvertrages (§ 611 23 BGB), auf den gemäß § 675 BGB die Vorschriften über die Geschäftsbesorgung ergänzend Anwendung finden, wenn sich die Tätigkeit nicht nur auf das interne Bera1 2 3 4
BGH v. 6.12.2007 – IX ZR 113/06, ZIP 2008, 232. Uhlenbruck/Sinz, InsO, §§ 115, 116 Rz. 12. BGH v. 18.1.2007 – IX ZR 202/05, ZIP 2007, 543; BGH v. 6.7.2006 – IX ZR 121/05, ZIP 2006, 1781. Überblick bei: Schmittmann, ZInsO 2011, 545; Ganter, Die Rechtsprechung des IX. Zivilsenats des BGH zur Anwaltshaftung seit 1984, WM 2001, Sonderbeilage 6; zur vertraglichen Haftung des Steuerberaters gegenüber Dritten: Zugehör, DStR 2007, 723 ff. Für den Anwalt gilt das entsprechend. 5 Zu den Anforderungen an die Krisenberatung vgl. Frege, NZI 2006, 545 (547 ff.).
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Rz. 24
Schuldnerberatung
tungsgespräch beschränkt, sondern der Anwalt Aufgaben wahrnimmt, deren Erfüllung dem Mandanten bzw. dem Geschäftsführer obliegt1. Ein bestimmter Erfolg wie beispielsweise die Beseitigung des Insolvenzgrundes ist nicht geschuldet, wohl aber kann ein bestimmtes Arbeitsergebnis wie z.B. ein Gutachten über das Bestehen eines Insolvenzgrundes geschuldet sein. Dann tritt an Stelle des Dienstvertrages das Werkvertragsrecht, §§ 675, 631 BGB. 24 Verletzt der Anwalt seine Beratungspflicht, schuldet er Schadensersatz, § 280 Abs. 1 BGB. Eine Fristsetzung zur Nacherfüllung gemäß § 281 Abs. 2 BGB ist entbehrlich, weil der Schaden gerade durch die nicht rechtzeitige Aufklärung über die mit den jeweiligen Entwicklungen verbundenen Risiken eintritt2. Allerdings mindert die unterlassene Aufklärung über Haftungsrisiken nicht das Vermögen des Schuldners. Vielmehr sind es die Geschäftsführer und Vertragspartner, die den Anwalt später für Nachteile verantwortlich machen. Bei der Krisenberatung steht deshalb die Frage nach der Haftung gegenüber Dritten im Vordergrund. Außer der noch zu erörternden deliktischen Haftung kommt in Betracht ein Vertrag unmittelbar zugunsten Dritter oder mittelbar mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, eine Drittschadensliquidation, ein Auskunftsvertrag sowie schließlich die Sachwalter- bzw. Vertrauenshaftung des Verhandlungsgehilfen, die in § 311 Abs. 3 BGB angesprochen wird. aa) Vertrag zugunsten und mit Schutzwirkung zugunsten Dritter 25 Bei einem Vertrag zugunsten Dritter hat der Dritte ein eigenes Forderungsrecht auf die primäre Leistung, während er beim Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter nur einen eigenen (sekundären) Schadensersatzanspruch aus einer Verletzung der primären Leistungspflicht herleiten kann. Verträge zugunsten Dritter sind bei der Sanierung keine Seltenheit. So kommt es vor, dass der Schuldner als vertrauensbildende Maßnahme sein Vermögen ganz oder zur Abwicklung bestimmter Aufträge teilweise einem Treuhänder überträgt, der es im Interesse der Gläubiger verwenden soll3. Dem Treuhänder können daraus unmittelbar Erfüllungspflichten gegenüber dem Dritten erwachsen4. Aber auch jenseits solcher Treuhandvereinbarungen empfiehlt es sich, bei Mandanten, deren Bearbeitung auch im Interesse Dritter liegt, den Begünstigten, den Tätigkeitsumfang und die Haftung im Vertrag genau zu regeln. Ohne eine gesonderte Vereinbarung erhält der begünstigte Dritte nicht mehr Rechte als der Auftraggeber5, so dass der Anwalt ihm die Einwände aus dem Vertragsverhältnis entgegenhalten kann, § 334 BGB. 26 Der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter begründet zwar kein eigenes Forderungsrecht, aber ähnliche Schutzpflichten wie ein Vertrag zugunsten Dritter. Grundlage ist auch hier die Vereinbarung mit dem Auftraggeber. Findet sich in ihm keine Regelung, ist durch Auslegung6 zu klären, in welchem Umfang die Beratungstätigkeit des Anwalts im Interesse des Dritten erbracht werden soll. Voraussetzung dafür ist, dass dem Anwalt ein berechtigtes Interesse des Mandanten an der Einbeziehung des Dritten erkennbar ist7. Das ist der Fall, wenn die anwaltliche Leistung typischerweise auch Rechtsgüter des Dritten berührt. Er muss ein Schutzbedürfnis haben, weil er den Gefahren einer Leistungsstörung ebenso intensiv ausgesetzt ist
1 BGH v. 25.10.1988 – XI ZR 3/88, NJW 1989, 1216. 2 Anders mag es liegen, wenn der Anwalt z.B. einen Überschuldungsstatus erstellen soll und dies nicht mit der Unverzüglichkeit erledigt, die der Geschäftsführer in der Krise beachten muss. 3 Zur Kollision mit Bankrottdelikten – z.B. §§ 283 Abs. 1 Nr. 1, 283c StGB für den Schuldner, § 283d StGB für den Treuhänder – s. § 5 Rz. 171 ff. 4 Vgl. BGH v. 12.10.1989 – IX ZR 184/88, ZIP 1989, 1466 (1468) zum sog. Treuhandkontenmodell bei der Fertigstellung eines Bauvorhabens durch einen insolventen Schuldner, sowie BGH v. 10.7.1997 – IX ZR 234/96, ZIP 1997, 1551 (1553); BGH v. 24.1.2002 – IX ZR 180/99, ZIP 2002, 535. 5 BGH v. 15.6.1971 – VI ZR 262/69, BGHZ 56, 269, 272. 6 BGH v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, ZInsO 2012, 1312 (Rz. 14); BGH v. 15.6.1971 – VI ZR 262/69, BGHZ 56, 269, 273; BGH v. 2.11.1983 – IVa ZR 20/82, NJW 1984, 355 (356). 7 BGH v. 2.7.1996 – X ZR 104/94, NJW 1996, 2927 (2928); BGH v. 17.9.2002 – X ZR 237/01, DStR 2003, 170; zur Steuerberaterhaftung: BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, ZInsO 2013, 826 (Rz. 25).
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Mandatssituation
Rz. 28
§1
wie der Vertragspartner1. Daran fehlt es beispielsweise, wenn der Dritte einen inhaltsgleichen vertraglichen Anspruch gegen einen anderen Berater hat2. Die Voraussetzungen einer Schutzwirkung sind regelmäßig erfüllt bei einem Anwalts- 27 vertrag mit einer GmbH im Hinblick auf den Schutz ihres Geschäftsführers. Die Mandatierung in der Krise, die naturgemäß durch die vertretungsberechtigten Personen erfolgt, dient regelmäßig sogar vorrangig der Vermeidung ihrer persönlichen Haftung3. Ebenso können die Gesellschafter in den Schutzbereich einbezogen werden4 wie umgekehrt die GmbH im Schutzbereich eines mit dem Gesellschafter geschlossenen Vertrages stehen kann5. Entwirft der Anwalt zur Verbesserung der Liquidität beispielsweise einen sale-and-lease-back-Vertrag zwischen der GmbH und ihrer Konzernmutter, ohne über das Risiko der Anfechtung eines Unter-Preis-Verkaufs oder die Rechtsfolgen der Nutzungsüberlassung in der Insolvenz aufzuklären, wird er auch gegenüber dem Gesellschafter haften müssen. Bei Satzungsänderungen und insbesondere bei Kapitalmaßnahmen anlässlich einer Sanierung besteht für den Anwalt immer das Risiko der Schutzbereichsausweitung auf Gesellschaft, Gesellschafter und Geschäftsführer. Allerdings darf das Verbot, widerstreitende Interessen zu vertreten, nicht durch eine großzügige Anerkennung drittschützender Pflichten unterlaufen werden. Besteht zwischen Mandant und Vertragspartner (= Drittem) ein Interessengegensatz, fehlt es jenem an der berechtigten Schutzerwartung6. Deshalb gehören Vertragsgegner7 oder Insolvenzgläubiger8 regelmäßig nicht zu dem privilegierten Personenkreis. Der Steuerberater einer GmbH hat grds. nicht die Pflicht, bei einer Unterdeckung in der Handelsbilanz die Geschäftsführung darauf hinzuweisen, das Vorliegen einer Insolvenzreife zu prüfen9. Eine entsprechende drittschützende Pflicht trifft ihn auch gegenüber der Geschäftsführung nicht10. Das kann anders zu beurteilen sein, wenn sich das Mandat ausdrücklich auf die Prüfung der Insolvenzreife bezieht11. Unter dem Schlagwort Expertenhaftung wird der Sonderfall behandelt, dass der 28 Berater über besondere Kenntnisse verfügt und das Ergebnis seiner Tätigkeit erkennbar (auch) für Dritte bestimmt ist. Paradigma ist das Gutachten eines Sachverständigen12. In der Beratungspraxis kommt es häufig vor, dass die wesentlichen Gläubiger ihr Verhalten in der Krise des Schuldners von einer Prüfung der Sanierungsaussichten durch einen Sachverständigen abhängig machen. Er wird im allseitigen Einvernehmen benannt, aber allein von dem Schuldner beauftragt und – teilweise aus einem zweckbestimmten Kredit – bezahlt. Stellt sich später heraus, dass sein Gutachten nicht mit der berufsüblichen Sorgfalt erstellt wurde, kann der Sachverständige gegenüber denjenigen haften, die ihre Entscheidungen von dem Ergebnis seines Gutachtens abhängig gemacht haben. Umstritten ist zwar, ob der Haftungsgrund in § 311 Abs. 3 BGB oder im Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter liegt13. Einigkeit besteht aber darüber, dass der Experte nicht als Interessenvertreter 1 Zugehör in Zugehör/Fischer, Handbuch der Anwaltshaftung, Rz. 1661. 2 BGH v. 2.7.1996 – X ZR 104/94, NJW 1996, 2927 (2929). 3 Ein Vertrag zugunsten Dritter mit eigenem Forderungsrecht der Geschäftsführer wird jedenfalls dann nicht anzunehmen sein, wenn die Geschäftsführer auch Gesellschafter sind und in der Krise die Bezahlung von Leistungen für die Gesellschafter eine unzulässige Einlagenrückgewähr darstellen kann, §§ 30 f. GmbHG. 4 BGH v. 2.12.1999 – IX ZR 415/98, NJW 2000, 725 für einen Vertrag mit der GmbH zugunsten der Gesellschafter bei verdeckter Sacheinlage. BGH v. 10.10.1985 – IX ZR 153/84, NJW 1986, 581 (582). 5 BGH v. 10.10.1985 – IX ZR 153/84, NJW 1986, 581 (582). 6 BGH v. 17.5.1990 – IX ZR 85/89, NJW 1991, 32 (33). 7 BGH v. 17.5.1990 – IX ZR 85/89, NJW 1991, 32 (33). 8 BGH v. 18.2.1987 – IVa ZR 230/85, VersR 1988, 178 (179). 9 BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, ZInsO 2013, 826 (Rz. 15 f.). 10 BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, ZInsO 2013, 826 (Rz. 26 f.). 11 BGH v. 14.6.2012 – IX ZR 145/11, ZInsO 2012, 1312 (Rz. 12 f.). 12 BGH v. 19.12.1996 – IX ZR 327/95, NJW 1997, 1235; BGH v. 17.10.2000 – X ZR 169/99, NJW 2001, 514; BGH v. 2.4.1998 – III ZR 245/96, BGHZ 138, 257. 13 Palandt/Grüneberg, BGB, § 311 Rz. 60 a.E.
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Rz. 29
Schuldnerberatung
des Schuldners, sondern als neutraler Gutachter tätig werden muss, was beim Wirtschaftsprüfer näher liegt1 als beim Anwalt. Für ihn gilt auch als „Experte“ der obige Grundsatz, dass Vertragsgegner wegen der vorrangigen Pflicht, die Mandanteninteressen zu wahren, ohne besondere Anhaltspunkte keine berechtigte Schutzerwartung haben dürfen. bb) Drittschadensliquidation 29 Beim Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter hat der Geschädigte einen eigenen vertraglichen Haftungsanspruch. Demgegenüber wird bei der Drittschadensliquidation der Schaden eines Dritten geltend gemacht. Beim Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter wird die vertragliche Anspruchsgrundlage zum Schaden und bei der Drittschadensliquidation der Schaden zur vertraglichen Anspruchsgrundlage gezogen. In der insolvenzrechtlichen Beratung spielt die Drittschadensliquidation keine Rolle. Es fehlt regelmäßig an dem Auseinanderfallen von Vertragspartner und Inhaber des nach dem Vertragszweck geschützten Rechtsgutes2. Bezieht der Anwaltsvertrag von vornherein Dritte als Begünstigte ein, sind die soeben unter (aa) dargestellten Ansprüche vorrangig. cc) Auskunftsvertrag 30 Bei Sanierungsverhandlungen kommt es häufig darauf an, wie die Gläubiger mit und ohne Insolvenzverfahren stünden, namentlich, ob ein außergerichtlicher Erlassvergleich vorteilhafter ist als eine spätere Insolvenzquote. Natürlich kann wegen des dringenden Handlungsbedarfs nicht jeder Gesprächspartner eigene Untersuchungen der wirtschaftlichen Verhältnisse seines Schuldners anstellen. Vielmehr ist er auf dessen Informationen angewiesen. Sie werden häufig vom Anwalt erteilt. Erweisen sie sich später als falsch, wird schnell an seine Haftung aus einem konkludent geschlossenen Auskunftsvertrag gedacht. In der Praxis spielt ein solcher Vertrag vor allem bei Bankauskünften eine Rolle. Natürlich kann er auch in allen anderen Geschäftsbeziehungen relevant werden3. Er wird angenommen, wenn eine Information für den Empfänger von erkennbar wesentlicher Bedeutung ist, weil er Vermögensdispositionen darauf stützen will4. Weiterhin ist erforderlich, dass der Auskunftsgeber entweder besonders sachkundig ist – insofern gibt es Überschneidungen zur Expertenhaftung – oder ein eigenes wirtschaftliches Interesse verfolgt5. Die Entscheidungsrelevanz der den Gesprächspartnern bei Sanierungsverhandlungen übermittelten Daten wird regelmäßig bestehen, ist doch gerade Ziel der Verhandlungen, Rechte aufzugeben und/ oder künftige Geschäfte einzugehen. Auch wird man die besondere Sachkunde bei einem Sanierungsberater voraussetzen können. Hinzu kommen muss jedoch, dass er auch zu erkennen gibt, die Informationen eigenverantwortlich überprüft zu haben und nicht nur auf die vom Mandanten bereitgestellten Daten zurückzugreifen. Das wird dem Rechtsberater des Schuldners nicht ohne konkrete Anhaltspunkte unterstellt werden können. Im Übrigen gilt wie bei den Verträgen im Drittinteresse, dass der Anwalt allein die Belange seines Mandanten wahrnehmen muss und Dritte regelmäßig keinen Schutz erwarten dürfen6. Wird den Verhandlungspartnern allerdings auf konkrete Fragen eine bewusst falsche Auskunft oder eine Auskunft ins Blaue erteilt, kommt eine deliktische Haftung auch des Anwalts unter dem Gesichtspunkt des § 263 StGB i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB in Betracht (zur Betrugsstrafbarkeit des Schuldnerberaters vgl. § 5 Rz. 57, 197 ff.). Es sollte jedoch möglichst immer ein Hin-
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WP-Hdb. II, 2002, 331; vgl. § 43 Abs. 1 WPO. Vgl. die Fallgruppen bei Palandt/Grüneberg, BGB, Vorb. v. § 249 Rz. 108 ff. Palandt/Sprau, BGB, § 675 Rz. 48 ff. BGH v. 18.12.2008 – IX ZR 12/05, NJW 2009, 1141 (Rz. 10); BGH v. 8.12.1998 – XI ZR 50/98, ZIP 1999, 275; BGH v. 13.1.2004 – XI ZR 355/02, ZIP 2004, 452. 5 BGH v. 18.12.2008 – IX ZR 12/05, NJW 2009, 1141 (Rz. 10, 11); BGH v. 13.2.1992 – III ZR 28/90, NJW 1992, 2080 (2082); BGH v. 15.6.1993 – XI ZR 111/92, NJW 1993, 3073 (3075). 6 Vgl. BGH v. 24.1.1978 – VI ZR 105/76, WM 1978, 576; BGH v. 13.2.1992 – III ZR 28/90, NJW 1992, 2080 (2083) zur Bonitätsauskunft des Anwalts im Zusammenhang mit Vertragsverhandlungen.
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Rz. 32
§1
weis erfolgen, dass die Informationen, die weitergegeben werden aus dem Unternehmen kommen und nicht eigene Erkenntnisse des Rechtsanwalts sind. dd) Haftung als Sachwalter oder Verhandlungsgehilfe Sanierungsverhandlungen stoßen regelmäßig auf großes Misstrauen der Gesprächspartner. Die Versuchung ist groß, für den Mandanten eine „Ehrenerklärung“ abzugeben. Sie reicht von subjektiven Aussagen zur persönlichen Integrität der Geschäftsführer über Erklärungen zu den tatsächlichen Verhältnissen bis hin zu der Versicherung, man habe die Sanierungschancen positiv geprüft, worauf sich die Gesprächspartner verlassen könnten. Scheitert die Sanierung, suchen die Gläubiger ihr „Glück“ in der Haftung des Beraters, der ihr Vertrauen enttäuscht hat.
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Soweit es unzutreffende Auskünfte anbetrifft, wurde soeben schon aufgezeigt, dass 32 eine Haftung aus einem konkludent geschlossenen Auskunftsvertrag nur mit großer Zurückhaltung angenommen werden darf. Nicht anders verhält es sich mit der Haftung als Verhandlungsgehilfe. Zwar scheint einem enttäuschten Gläubiger § 311 Abs. 3 BGB auf dem ersten Blick Recht zu geben. Danach kommt ein Schuldverhältnis mit einem Verhandlungsgehilfen schon dann zustande, wenn er in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch genommen und dadurch den Vertragsschluss gefördert hat. Dieses Vertrauen muss jedoch ein „besonderes“ sein. Es wird dem Anwalt des Schuldners regelmäßig nicht entgegen gebracht. Er ist Parteivertreter. Seine Aufgabe ist es nicht, die Interessen der Gegenseite zu wahren. Allein die Übernahme der Verhandlungsführung, die stets einer gewissen Vertrauensbasis bedarf, genügt dafür ebenso wenig1 wie der Hinweis auf die eigene Sachkunde2. Ihrer bedarf es schon zur ordnungsgemäßen Auftragserledigung gegenüber dem eigenen Mandanten. Hinzu kommen muss deshalb ein Verhalten, das als Ausdruck der Übernahme persönlicher Gewähr für die Seriosität des Mandanten3 oder die ordnungsgemäße Durchführung der Sanierung4 gewertet werden darf. Die Haftung eines Unternehmenssanierers hat der BGH bisher nur einmal unter dem Gesichtspunkt der Sachwalterhaftung bejaht5. Auch in dieser Entscheidung aus dem Jahr 1990 betont der BGH jedoch, dass der Hinweis auf die besondere Sachkunde allein keine Haftung begründet. Der Urteilsfall wies jedoch die Besonderheit auf, dass der Sanierer die laufenden Geschäfte führte. Zudem hatte er durch Hinweise auf seine Sanierungserfolge besonderes Vertrauen in Anspruch genommen, obwohl er Zeugnisse darüber gefälscht hatte, wegen Betruges verurteilt worden war und die eidesstattliche Versicherung abgegeben hatte. Zu Recht hat der BGH gemeint, dass Derartiges nicht hätte verschwiegen werden dürfen. Dieses Urteil wird für die Anwaltshaftung wohl kaum relevant sein. Selbst für den Geschäftsführer hat der BGH 1994 die Haftungsvoraussetzungen erheblich eingeengt6. Danach reicht es nicht aus, dass er auf seine Sachkenntnis hinweist und am Erfolg der Sanierung großes (mittelbares) wirtschaftliches Interesse hat, etwa weil er der Gesellschaft Darlehen gegeben oder für deren Verbindlichkeiten gebürgt hat. Das Urteil erging zwar lange vor der Schuldrechtsreform. Nach der Begründung zum Entwurf des § 311 Abs. 3 BGB soll sich an den bisherigen Rechtsprechungsgrundsätzen jedoch nichts ändern7. Auch wenn der Wortlaut des § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB insbesondere auf die Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens und die Beeinflussung von Vertragsverhandlungen abstellt, wird von der Rechtsprechung zusätzlich gefordert, dass der Verhandlungsführer ein unmittelbares
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BGH v. 7.12.1992 – II ZR 179/91, ZIP 1993, 363. BGH v. 17.10.1989 – XI ZR 173/88, NJW 1990, 506. BGH v. 6.2.2003 – IX ZR 77/02, NJW-RR 2003, 1064. Vgl. BGH v. 26.9.2000 – X ZR 94/98, NJW 2001, 360 zur Einstandspflicht für die ordnungsgemäße Abwicklung eines Vertrages; zur Haftung des Rechtsanwalts bei zusätzlicher Gewährsübernahme s. auch BGH v. 9.11.1992 – II ZR 141/91, NJW 1993, 199; des Wirtschaftsprüfers BGH v. 26.9.2000 – X ZR 94/98, NJW 2001, 360; Henssler/Dedek, WPK-Mitt. 2002, 278 (281). 5 BGH v. 3.4.1990 – XI ZR 206/88, NJW 1990, 1907. 6 BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181. 7 Vgl. Canaris, JZ 2001, 499 ff.
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Schuldnerberatung
eigenes wirtschaftliches Interesse am Ergebnis haben muss1. Ein mittelbares Interesse wie z.B. die Vermeidung einer Bürgenhaftung reicht nicht aus, namentlich genügt es nicht, wenn der Anwalt nur sein eigenes Honorar retten will. Vielmehr müssen die Verhältnisse so liegen, dass der Vertreter gleichsam in eigener Sache handelt, die Gesellschaft also nur vorgeschoben wird. Bei einem Beratungsmandat sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt. 33 Die Zurückhaltung bei der Annahme einer persönlichen Haftung des Sachwalters wird durch ein Obiter dictum des BGH in einem Urteil zur Insolvenzverwalterhaftung bestätigt. Allein die Aussage, die Zahlung aller Lieferungen und Leistungen sei gesichert, reiche noch nicht aus, um eine persönliche Haftung des Verwalters zu begründen. Vielmehr müsse er klar zum Ausdruck bringen, dass er eine über die gesetzliche Haftung hinausgehende Einstandspflicht übernehmen wolle2. Was für den Insolvenzverwalter gilt, muss erst recht für den Anwalt gelten, der vorrangig die Interessen seines Mandanten und nicht die des Verhandlungsgegners zu vertreten hat. ee) Praxishinweise 34 Wegen der Komplexität des Sachverhalts ist eine Krisenberatung haftungsträchtiger als ein Prozessmandat. Die Praxis zeigt, dass neben einer falschen Interpretation der Insolvenzgründe insbesondere Haftungstatbestände aus dem Gesellschafts-, Sozialversicherungs- und Steuerrecht leicht übersehen werden. Aber auch die insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit von Vermögensverfügungen und Verträgen kann sich anders darstellen, wenn ein Insolvenzverwalter den vom Berater gestalteten Sachverhalt später in Ruhe mit den ex post gewonnenen Erkenntnissen in einer Ausführlichkeit untersucht, die vorher bei der kurzfristig in der Drei-Wochen-Frist des § 15a Abs. 1 InsO aufzustellenden Sanierungsplanung kaum möglich ist. Deshalb ist die Vereinbarung einer Haftungsbeschränkung sinnvoll3. Ferner sollte sowohl gegenüber dem Mandanten als auch den Verhandlungspartnern und weiteren Beratern des Mandanten die Aufgabenverteilung klargestellt werden. Das gilt insbesondere, wenn der Anwalt nicht mit der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung beauftragt ist, sondern seine Beratung auf die Angaben des Mandanten zu den tatsächlichen Verhältnissen stützt. Über die typischen Risiken kann der Mandant mit folgendem Zehn-PunkteMerkblatt aufgeklärt werden, dessen Aushändigung dokumentiert wird: 35 Pflichten des GmbH-Geschäftsführers in der Krise 1. Ein Geschäftsführer ist verpflichtet, unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung einen Insolvenzantrag zu stellen. Versäumt er die Frist, haftet er gegenüber den sogenannten Neugläubigern, die durch Lieferungen oder Leistungen nach Ablauf der Insolvenzantragsfrist einen Schaden erleiden. 2. Zahlungsunfähigkeit ist eingetreten, wenn 10 % oder mehr der fälligen Verbindlichkeiten nicht bezahlt werden können. Sie müssen noch nicht angemahnt oder gar vollstreckt worden sein. Nur die mit aller Sorgfalt gebildete und durch Fakten unterlegte Überzeugung, dass eine Zahlungsunfähigkeit innerhalb von drei Wochen seit ihrem Beginn beseitigt wird, ist eine die Antragspflicht nicht auslösende Zahlungsstockung. 3. Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich. Dies muss anhand einer Prognoserechnung dargelegt werden, die eine nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen durchzuführende Ertrags- und Finanzrechnung fordert. Ergibt sich eine positive Ertragsplanung muss diese auf tauglichen Annahmen beruhen und die Finanzierung gesichert sein. Ist die Ertragsplanung negativ, muss die Verlustfinanzierung gesichert sein, um eine Überschuldung zu vermeiden. Sowohl für die Aktiva als 1 S. Beispiele bei Palandt/Grüneberg, BGB, § 311 Rz. 61. 2 BGH v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, ZIP 2004, 1107 (1113). 3 Zu den Anforderungen s. Rinkler in Zugehör/Fischer, Handbuch der Anwaltshaftung, Rz. 475 ff.; Kleine-Cosack, BRAO, § 51a; Ganter, WM 2001, Sonderbeilage 6, 28.
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Mandatssituation
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§1
auch für die Passiva sind nicht die handelsrechtlichen Buch-, sondern die tatsächlichen Verkehrswerte maßgebend. Letzteres ist in einem späteren Haftungsprozess vom Geschäftsführer zu beweisen. Ein Geschäftsführer ist bei Anzeichen einer Krise zur ständigen Prüfung des Insolvenzgrundes verpflichtet. Prüfungsdurchführung und -ergebnis sollten dokumentiert und erläutert werden. Es wird empfohlen, bei komplexeren Verhältnissen Sachverständige heranzuziehen, die über sämtliche erheblichen Umstände informiert werden müssen. Selbst dann bleibt der Geschäftsführer zu einer Plausibiliätskontrolle verpflichtet. Die Zahlungsfähigkeit ist ggf. täglich zu überprüfen. Ab Eintritt des Insolvenzgrundes – nicht erst nach Ablauf der in Ziff. 1 genannten Antragsfrist – müssen die Geschäftsführer sämtliche Zahlungen und Verfügungen über Vermögensgegenstände unterlassen, die nicht unbedingt erforderlich sind, um das Aktivvermögen bzw. das Unternehmen zu erhalten. Dabei kommt es auf einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Vermögensminderung und dem Vermögensvorteil an. Insbesondere die Bezahlung von Verbindlichkeiten für bereits erfolgte Lieferungen oder Leistungen ist unzulässig, soweit nicht werthaltige Sicherungsrechte abgelöst werden. Die Zahlung darf auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass die Krise verheimlicht werden soll, um die Geschäftstätigkeit nicht zu erschweren. Zulässig ist beispielsweise der Einkauf von Rohstoffen zur Aufrechterhaltung einer – auch verkäuflichen – Produktion. Die unter Verstoß gegen dieses Verbot geleisteten Zahlungen hat der Geschäftsführer persönlich zu erstatten, soweit sie nicht zur Vermeidung einer persönlichen Haftung für Sozialabgaben und Steuern gemäß der nachfolgenden Ziff. 6 und 7 getätigt werden. Der Geschäftsführer haftet gegenüber dem Sozialversicherungsträger für die Abführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung mit Ausnahme derjenigen, die während der in Ziff. 1 genannten Insolvenzantragsfrist fällig werden. Für die Haftung kommt es nicht darauf an, ob Löhne und Gehälter gezahlt werden. Es reicht aus, dass die Arbeitsleistung erbracht wird. Gegenüber dem Fiskus trifft den Geschäftsführer eine persönliche Haftung, soweit er die fälligen Steuerschulden nicht im selben Umfang zahlt wie andere Verbindlichkeiten (Beispiel: Die fälligen Verbindlichkeiten betragen 100 000 Euro, an nützliche Gläubiger werden die „letzten“ 20 000 Euro gezahlt. Statt dessen hätte auch das Finanzamt mit ca. 20 % berücksichtigt werden müssen.). Für die Lohnsteuer haftet der Geschäftsführer in voller Höhe, soweit sie rechnerisch auf den ausbezahlten Lohn entfällt. Sind nicht genügend Mittel vorhanden, vermeidet er die Haftung nur, indem er Nettolohn- sowie Lohnsteuer um denselben Prozentsatz kürzt und die Steuer an das Finanzamt abführt. Gleiches gilt für andere Auszahlungen, von denen eine Steuer einzubehalten und abzuführen ist. Eine Gesellschafterversammlung ist bereits dann einzuberufen, wenn das Reinvermögen der Gesellschaft die Hälfte des Stammkapitals unterschreitet. Maßgebend dafür sind – im Gegensatz zum Überschuldungsstatus – die handelsrechtlichen Buchwerte. Über danach eintretende wesentliche Entwicklungen müssen die Gesellschafter informiert werden. Die Geschäftsführer haben ein Sanierungskonzept zu erarbeiten. Die vorgenannten Verantwortlichkeiten treffen auch den ressortfremden Geschäftsführer. Jeder muss sich ständig vergewissern, ob die Gesellschaft ihren grundliegenden Pflichten nachkommt. Werden ihm Informationen vorenthalten, muss er zur Vermeidung der Haftung sein Amt niederlegen, falls die Gesellschafter in angemessen kurzer Frist keine Abhilfe schaffen. Besteht ein Insolvenzgrund, muss jeder Geschäftsführer auch ohne Mitwirkung der anderen einen Insolvenzantrag stellen. Neben die zivilrechtliche Haftung tritt die strafrechtliche. Verstöße gegen die Pflicht zur Einberufung einer Gesellschafterversammlung bei Verlust des halben Stammkapitals oder zur fristgerechten Einreichung eines Insolvenzantrages sind strafbar. Die Inanspruchnahme eines Geld- oder Lieferantenkredits in Kenntnis Andres
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Schuldnerberatung
der eigenen Zahlungsunfähigkeit ist Betrug. Die Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung ist regelmäßig strafbar. Vermögensgegenstände dürfen nicht verheimlicht und Gläubiger nicht begünstigt werden. Die Buchführungspflichten müssen eingehalten werden, es sei denn, dass die Hilfe externer Fachleute erforderlich ist und nicht mehr bezahlt werden kann. 36 Diese Hinweise bieten nur eine erste Orientierung, die die Beratung im konkreten Einzelfall nicht ersetzt. 37 Die Einzelheiten werden in den Rz. 30 ff. und in § 2 Rz. 7 ff. eingehend erläutert. b) Deliktische Haftung 38 In der Krise neigen einige Mandanten zur Handlungsunfähigkeit, so dass der Anwalt leicht in die Rolle des Entscheiders bis hin zum faktischen Geschäftsführer gedrängt wird. In dieser Situation kann er als unmittelbarer Täter sämtliche Straftatbestände erfüllen, die unter § 5 Rz. 7 ff. für den Schuldner bzw. dessen Geschäftsführer erläutert werden. Dem folgt die zivilrechtliche Haftung. Die schleichende Übernahme von Geschäftsführungsaufgaben ist für den Anwalt jedoch die Ausnahme. Berufstypisch relevant ist eher die Verletzung eines Schutzgesetzes im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB durch die Beteiligung an einer fremden Tat des Mandanten1. Im Vordergrund steht die Beihilfe zur Insolvenzverschleppung. Die Insolvenzantragspflicht des § 15a InsO bzw. entsprechender Vorschriften für die Organe anderer Gesellschaften ist strafbewehrt, § 15a Abs. 4 InsO, und zugleich ein Schutzgesetz gemäß § 823 Abs. 2 BGB2 (vgl. § 5 Rz. 211 ff.). Nach allgemeinen Grundsätzen reicht sowohl für die strafrechtliche3 als auch für die zivilrechtliche4 Haftung bereits eine psychische Beihilfe aus. Die zuständigen Staatsanwaltschaften prüfen in einem sprunghaft gestiegenen Umfang unter diesem Gesichtspunkt auch die Rolle der Anwälte. Zu einer Haftung kann nicht erst die Empfehlung führen, den Insolvenzantrag zu verzögern5, sondern schon die Unterstützung der Geschäftsführung beispielsweise in Sanierungsverhandlungen während dieses Zeitraumes. Ein Hinweis darauf, dass eine Überschreitung der Insolvenzantragsfrist allein im Risikobereich des Mandanten liegt, reicht nicht aus, wenn das mit dem Optimismus des vermeintlich erfolgreichen Anwalts verknüpft wird, man „kriege eine Sanierung trotzdem hin“. Andererseits muss dem Mandanten in dieser Phase nicht jede Unterstützung versagt werden. Hat er pflichtwidrig keinen Antrag gestellt und ergibt sich doch noch die Möglichkeit zu Verhandlungen mit den Gläubigern, muss der Anwalt seine Beteiligung nicht gänzlich ablehnen. Der BGH stellt an den Beihilfevorsatz strenge Anforderungen6. Die Abgrenzung zwischen psychischer Beihilfe zur Tat des anderen und der erlaubten Wahrnehmung eigener Beratungspflichten bleibt jedoch mit einer erheblichen Rechtsunsicherheit7 verbunden. Dieses Risiko der strafrechtlichen Haftung strahlt auf das der zivilrechtlichen Haftung wegen der Beteiligung an einer Verletzung des § 64 Satz 1 GmbHG als Schutzgesetz zugunsten derjenigen Gläubiger aus, die während des Verschleppungszeitraums neue Verluste erlitten haben. Strafrechtlich enden Anschuldigungen meist mit einem Strafbefehl, der de facto eine Präjudizwirkung für die zivilrechtliche Haftung entfaltet. 39 Ein anderes typisches Haftungsrisiko ist die Teilnahme an einem Bankrottdelikt, namentlich im Zusammenhang mit Vermögensverlagerungen. Geschieht dies ohne Verschleierung und zur gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger in Form einer treu-
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Überblick zu den strafrechtlichen Risiken bei Leibner, ZInsO 2002, 1020 ff. S. unten § 2 Rz. 43 ff. BGH v. 24.10.2001 – 3 StR 257/01, NStZ 2002, 139. BGH v. 29.10.1974 – VI ZR 182/73, NJW 1975, 49. BGH v. 26.6.1989 – II ZR 289/88, BGHZ 108, 134. BGH v. 20.9.1999 – 5 StR 729/89, NStZ 2000, 34. Zur vermeintlichen Privilegierung „neutraler“ Beihilfehandlungen am Beispiel der Bankenhaftung vgl. Smid, ZIP 2006, 1973 (1974 ff.).
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Mandatssituation
Rz. 40
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händerischen Vermögensübernahme, ist das unbedenklich1. Zivilrechtlich fehlt es bereits an einem Schaden. Strafrechtlich fehlt es an einem Beiseiteschaffen i.S.d. § 283 Abs. 1 Nr. 1, 288 Abs. 1 StGB2. Die Übertragung des Vermögens auf eine Auffanggesellschaft ist zwar ebenfalls nicht unbedingt ein Beiseiteschaffen. In der Praxis liegt ihr Zweck jedoch gerade darin, unbelastet von den alten Gläubigeransprüchen weiterzumachen, die übertragenen Vermögensgegenstände also dem Gläubigerzugriff zu entziehen. Fließt dafür unmittelbar ein gleichwertiger Kaufpreis in das Vermögen des Schuldners, ist das anfechtungs-, straf- und haftungsrechtlich unbedenklich, solange der Verkauf nicht deshalb erfolgt, um das Geld leichter den Gläubigern zu entziehen. Häufig ist jedoch schon die Gegenleistung weder äquivalent noch präsent. Statt dessen erhalten die Gläubiger des Schuldners nur einen „Hoffnungswert“ in Form des Kaufpreisanspruches gegen die Auffanggesellschaft, oder es werden in Anrechnung auf den Kaufpreis Verbindlichkeiten besonders nützlicher oder der dem Schuldner nahestehender Personen übernommen. In diesen Fällen steht nicht mehr nur ein Bankrottdelikt in Rede. Wenn z.B. der Auffanggesellschaft Vorteile ohne angemessene Vergütung eingeräumt werden, kann es sich bei personellen Verflechtungen um einen Verstoß gegen § 30 GmbHG in der übertragenden Gesellschaft handeln, weil solche Vorteile den Gesellschaftern zugerechnet werden. Da die Gesellschafter im Schutzbereich des § 30 GmbHG nicht über das Gesellschaftsvermögen disponieren dürfen, ist seine Verletzung zugleich eine Untreue i.S.d. § 266 StGB3 (s. § 5 Rz. 198). Selbst die Bilanzneutralität der Maßnahme, wenn der Schuldnerin ein Kaufpreisanspruch in angemessener Höhe gegen die Auffanggesellschaft eingeräumt wird, beseitigt den Verstoß gegen § 30 GmbHG nicht; denn eine Forderung gegen einen Gesellschafter bedeutet oft nur „funny money“. Ihre Realisierung hängt von der Bonität der Auffanggesellschaft ab. Ihre anderen Gläubiger können ebenfalls auf die übertragenen Vermögensgegenstände zugreifen. Plötzlich konkurrieren also die Gläubiger der schuldnerischen Gesellschaft indirekt mit denen der Auffanggesellschaft. Das soll durch § 30 GmbHG vermieden werden4. Etwas anderes könnte möglicherweise5 gelten, wenn der Kaufpreisanspruch im Vermögen der Auffanggesellschaft oder durch Dritte vollständig besichert ist. Das ist jedoch die Ausnahme. Die Haftungsrisiken bei Vermögensverlagerungen sind nicht auf den bei der Schuld- 40 nerin eintretenden Verlust begrenzt. Mit dem „Bremer Vulkan“-Urteil6 hat der BGH die analoge Anwendung der aktienrechtlichen Konzernvorschriften auf die Haftung des GmbH-Gesellschafters endgültig aufgegeben und dies durch die Haftung für einen existenzvernichtenden Eingriff ersetzt. Relevant wurde das zuerst im „KBV“-Urteil7. Dort hatten die Gesellschafter Vermögensgegenstände auf eine ihnen (teilweise) gehörende Auffanggesellschaft übertragen, die als Gegenleistung einen Teil der Schulden übernahm. Zwischen dem Wert des Vermögens und der Schulden klaffte eine Lücke von 380 000 DM. Ein wenig später gestellter Insolvenzantrag wurde mangels Masse abgewiesen8. Nach Auffassung des BGH müssen die Gesellschafter nicht nur 1 OLG München v. 29.8.2000 – Ws 991/00, ZIP 2000, 1841. 2 Schönke/Schröder/Heine/Schuster, StGB, § 283 Rz. 4: Beiseiteschaffen nur bei nicht ordnungsgemäßer Wirtschaftsführung. 3 „Bremer Vulkan“: BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, NJW 2001, 3622; s. ferner: BGH v. 30.8.2011 – 3 StR 228/11, NZG 2011, 1238 (Rz. 12, 13); BGH v. 6.5.2008 – 5 StR 34/08, NStZ 2009, 153 (Rz. 15). 4 BGH v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, DStR 2004, 427 zur Kreditgewährung an Gesellschafter; dazu Helmreich, GmbHR 2004, 457 ff.; Schilmar, DB 2004, 1411 ff.; Saenger/Saenger, NZG 2004, 271 ff. 5 Ausdrücklich offen gelassen von BGH v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, DStR 2004, 427, 429; dazu Wessels, ZIP 2004, 793 ff. 6 BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, NJW 2001, 3622. 7 BGH v. 24.6.2002 – II ZR 300/00, NJW 2002, 3024 = ZIP 2002, 1578. 8 Das ist häufig auch das Ziel derartiger Maßnahmen, das in der Praxis aber selten eintritt. Bei „KBV“ war die insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit evident. Es fehlte nicht nur an der Äquivalenz, sondern auch an der Unmittelbarkeit des Vermögenszuflusses für ein der Anfechtung entzogenes Bargeschäft. Eine die Verfahrenskosten deckende Masse wäre vorhanden gewesen, falls die Anfechtungsansprüche zumindest teilweise werthaltig gewesen wären. Zwar mag in
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Rz. 41
Schuldnerberatung
diese Lücke ausgleichen, sondern den Gläubigern unbeschränkt haften; denn der Gesellschaft sei unter Umgehung der Liquidationsvorschriften Vermögen entzogen und dadurch ihre Fähigkeit zur Erfüllung der Verbindlichkeiten gröblich beeinträchtigt worden. Die genauen Haftungsvoraussetzungen nach dieser Rechtsprechung sind umstritten1. Sie betrifft insbesondere die „kalte Liquidation“, also der Vermögensübertragung auf eine Auffanggesellschaft unter Hinterlassung einer insolventen Gesellschaftshülle. Die schlagwortartige Bezeichnung als Existenzvernichtungshaftung darf nicht darüber hinweg täuschen, dass es sich nicht um eine Haftung für die Vernichtung der häufig längst schon gescheiterten Existenz der GmbH handelt, sondern um eine solche für Vermögensverlagerung (s. ergänzend § 2 Rz. 164 ff.). 41 Die Haftung der Gesellschafter folgte beim existenzvernichtenden Eingriff bisher aus einer teleologischen Reduktion des § 13 Abs. 2 GmbH und wird nunmehr unter Beibehaltung der Haftungsvoraussetzungen auf § 826 BGB gestützt. Sie verlieren das Recht, sich auf das Privileg der Haftungsbegrenzung zu berufen. Zugleich kann in derartigen Vorgängen aber auch eine Untreue zu Lasten der Gesellschaft und eine sittenwidrige Schädigung der Gläubiger liegen2. Der Anwalt haftet dann für seine Beteiligung an derartigen Vorgängen gegenüber den Gläubigern gemäß §§ 826, 830, 840 BGB. Zwar muss der Gläubiger zur Kausalität zwischen Beratung, Vermögensentzug und Schaden vortragen. Zu berücksichtigen ist jedoch die sekundäre Behauptungslast der „Insider“ wie Geschäftsführer, Gesellschafter und Berater3. Gibt es für eine sittenwidrige Schädigung genügend Anhaltspunkte, ist es an dem beklagten Anwalt, dies substantiiert zu entkräften. Kann er den Schadensumfang nicht begrenzen, ist künftig zu befürchten, dass den Berater eine Schadensersatzpflicht in Höhe des vollen Gläubigeranspruchs trifft. II. Insolvenzeröffnungsgründe 1. Bedeutung 42 Das Gesetz kennt die drei Insolvenz(eröffnungs)gründe der – Zahlungsunfähigkeit, § 17 InsO, – drohenden Zahlungsunfähigkeit, § 18 InsO, – Überschuldung, § 19 InsO. 43 Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ist nur zulässig, wenn ein Eröffnungsgrund vorliegt, § 16 InsO. Zunächst einmal dient das dem Schutz des Schuldners; denn die Eröffnung stellt einen schweren Eingriff in seine Grundrechte dar. Er verliert die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein bestehendes und künftiges Vermögen, §§ 35, 80, 148 InsO. Ihn treffen Auskunfts- und Mitwirkungspflichten4, §§ 97 ff. InsO. Sogar eine Postsperre kann in begründeten Fällen angeordnet werden. 44 Die abschließende Aufzählung der Insolvenzgründe dient des Weiteren dem Schutz vor gesellschaftsrechtlichen Sonderinteressen. So darf die Liquidation der Gesellschaft ohne Insolvenzgrund nur nach den dafür maßgebenden gesellschaftsrechtlichen Vorschriften durchgeführt werden, nicht aber durch einen eilig unter Umgehung der Gesellschafterversammlung gestellten Insolvenzantrag. Deshalb muss über einen Antrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit im Innenverhältnis analog
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diesem Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung die Liquidität gefehlt haben. Das aber steht einer Massekostendeckung nicht unbedingt entgegen, vgl. AG Hamburg v. 2.2.2000 – 67c IN 157/99, NZI 2000, 140. S. unten § 2 Rz. 164 ff. BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, NJW 2002, 1803 lehnte im konkreten Fall § 826 BGB unter denselben Voraussetzungen wie die Existenzvernichtungshaftung ab, was auf die Identität der Tatbestandsvoraussetzungen hindeutet. Vgl. hinsichtlich der Gesellschafter die nach wie vor noch gültigen Ausführungen des BGH im „TBB“-Fall, dem letzten Konzernhaftungsurteil, BGH v. 29.3.1993 – II ZR 265/91, BGHZ 122, 123 = NJW 1993, 1200. LG Potsdam v. 30.5.2002 – 5 T 124/02, ZInsO 2002, 885; BGH v. 18.9.2003 – IX ZB 75/03, NZI 2004, 21.
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Rz. 49
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§ 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG die Gesellschafterversammlung entscheiden (siehe unten Rz. 107 ff.). Und deshalb können ihn – anders als den Antrag wegen eingetretener Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung (s. aber § 15 Abs. 2 S. 1 InsO) – nur die in der erforderlichen Anzahl vertretungsberechtigten Personen stellen, § 18 Abs. 3 InsO. Schließlich dient die Begrenzung der Insolvenzgründe dem Schutz der Gläubiger. Sie 45 verlieren ihre Durchsetzungsbefugnis für die Forderungen, §§ 38, 87, 174 InsO (vgl. § 6 Rz. 278 ff.), und ihr Recht zur Verwertung von Sicherheiten, §§ 166 ff. InsO (vgl. § 7 Rz. 29 ff.). Außerdem sehen sie sich bei schwebenden Verträgen mannigfachen Gestaltungsrechten des späteren Verwalters ausgesetzt, §§ 103 ff. InsO (vgl. § 8 Rz. 10 ff.). All das gilt es, durch den Insolvenzgrund als Voraussetzung für die Verfahrenseinleitung zu vermeiden. Zwar eröffnet die drohende Zahlungsunfähigkeit dem Schuldner einen erheblichen Gestaltungsspielraum. Aber zumindest konkurrierende Gläubiger werden davon abgehalten, über einen unberechtigten Insolvenzantrag die Rechtsverfolgung anderer zu erschweren. Die bei einem Insolvenzverfahren stattfindenden Eingriffe in die Rechtspositionen 46 sowohl des Schuldners und seiner Gesellschafter als auch der Gläubiger dürfen mithin nur zulässig sein, wenn sie durch einen besonderen Grund legitimiert werden. Er liegt vor, falls eine Befriedigung sämtlicher Gläubiger entweder nicht zum geschuldeten Termin (Zahlungsunfähigkeit) oder voraussichtlich nicht in der geschuldeten Höhe (Überschuldung) erfolgen kann. Die Überschuldung kommt allerdings nur bei einer beschränkten Haftung in Betracht1, während die Zahlungsunfähigkeit der für alle Schuldner geltende Eröffnungsgrund ist. Wesentlich für das Verständnis der Insolvenzgründe ist, dass sie im angemessenen 47 Verhältnis zur Schwere des Eingriffs stehen müssen. Deshalb wird bei der Zahlungsunfähigkeit zu erörtern sein, ob ein nur vorübergehender Liquiditätsengpass oder eine Säumnis bei nur einem kleinen Teil der Verbindlichkeiten ausreicht. Ebenso ist diese Verhältnismäßigkeit bei der Überschuldung zu berücksichtigen. Zwar gibt es keine Insolvenzausnahme für nur ein „bisschen überschuldete“ Gesellschaften. Der Schwere des Eingriffs ist jedoch bei dem Verfahren zur Feststellung der Überschuldung Rechnung zu tragen. Eine Bewertung des Vermögens, bspw. das aus Vereinfachungsgründen bei den Buchwerten ansetzt oder die künftige Entwicklung unberücksichtigt lässt, wird der Bedeutung des Insolvenzgrundes als Legitimationsgrundlage für den Entzug der Verfügungsbefugnis nicht gerecht. Dem entspricht es, dass nach neuem Recht allein die positive Fortführungsprognose eine Überschuldung verhindert, § 19 Abs. 2 S. 1 InsO. Eine Zwitterstellung hat der Eröffnungsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit. 48 Er verlangt keine akute Gläubigerbeeinträchtigung. Deshalb vermag er auch keine Insolvenzeröffnung gegen den Willen des Schuldners zu rechtfertigen. Hier steht der Sanierungsgedanke des betroffenen Unternehmens im Vordergrund, den der Gesetzgeber in § 1 InsO als ein Verfahrensziel aufgenommen hat. Immerhin ist aber erforderlich, dass der Schuldner „voraussichtlich“ (§ 18 Abs. 2 InsO) nicht in der Lage sein wird, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Das formaljuristische Verhältnis der drei Insolvenzgründe zueinander ist so, dass die 49 Zahlungsunfähigkeit „allgemeiner Ero ¨ffnungsgrund“ (§ 17 Abs. 1 InsO) ist, der einen Gläubigerantrag gegen sowohl natürliche als auch juristische Personen zulässt. Die Überschuldung ist hingegen nur dort relevant, wo die Haftung auf ein Sondervermögen beschränkt ist (§§ 19 Abs. 1 und 3, 320 InsO). Das ist de facto zwar auch bei natürlichen Personen der Fall. Der Anwendung dieses Insolvenzgrundes nur auf juristisch beschränkt haftende Vermögensmassen liegt ein überkommener statischer
1 Die Begrenzung dieses Insolvenzgrundes ist bei einer ökonomischen Betrachtung nicht nachvollziehbar; denn auch bei unbeschränkt haftenden Personen (Gesellschaften) gibt es eine Vermögensinsuffizienz, die es angezeigt erscheinen lässt, den Wettlauf einzelner Gläubiger um die beste Position im Wege der Einzelzwangsvollstreckung durch einen concursus creditorum unter dem Gebot der Gleichbehandlung zu ersetzen, vgl. K. Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, 1990, S. 57 ff.
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Schuldnerberatung
Vermögensbegriff zugrunde. Die Überschuldung hielt man bei natürlichen Personen u.a. deshalb für kein Insolvenzkriterium, weil sie mit ihrer Arbeitskraft über die Quelle künftiger Wertschöpfung verfügen, die sie in die Lage versetzen könnte, ihre Verbindlichkeiten irgendwann einmal auszugleichen. Demgegenüber wurde die Ertragskraft eines Unternehmens als ein Kriterium der Vermögensbewertung über viele Jahrzehnte nicht akzeptiert. Bis vor ungefähr 25 Jahren war der so genannte Substanzwert in Rechtsprechung und Literatur der herrschende Bewertungsansatz1. Noch heute beeinflusst er die Überschuldungsdiskussion wesentlich. 50 Die drohende Zahlungsunfähigkeit berechtigt nur den Schuldner, einen Eröffnungsantrag zu stellen. Sie hat eine Brückenfunktion zwischen dem allgemeinen Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit und dem besonderen der Überschuldung. Jede Überschuldung impliziert eine (mindestens) drohende Zahlungsunfähigkeit, so dass auf diese Weise auch natürliche Personen mittelbar wegen Überschuldung das Verfahren einleiten können. 2. Zahlungsunfähigkeit a) Überblick, praktische Relevanz 51 „Der Schuldner ist zahlungsunfa ¨ hig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen“, § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO. Der Wortlaut ist auf den ersten Blick eindeutig. Für Irritation sorgt allenfalls Satz 2: „Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat.“ Die Zahlungseinstellung ist mithin eine Indiztatsache („in der Regel“) für die Zahlungsunfähigkeit. Was aber ist der Unterschied, bedeutet doch schon die Zahlungsunfähigkeit nach Satz 1, dass der Schuldner zwangsläufig einige Zahlungen nicht leisten kann, also einstellen muss? Er liegt in der Außenwirkung. Die Zahlungsunfähigkeit ist ein schuldnerinternes Phänomen2, dessen Eintritt sich nur anhand der Geschäftsunterlagen ermitteln lässt. Demgegenüber ist die Zahlungseinstellung die nach außen hervorgetretene Zahlungsunfähigkeit3. Dafür genügt es nicht, dass der eine oder andere Gläubiger kein Geld erhält, solange es sich um keine wesentliche Verbindlichkeit handelt. Das ist die typische Situation der Einzelzwangsvollstreckung. Gesamtvollstreckungsrechtlich wird das erst relevant, wenn aus der Anzahl oder der Bedeutung der Verbindlichkeiten für die beteiligten Verkehrskreise erkennbar ist, dass die Nichtzahlung keine Einzel-, sondern eine Gesamtwirkung hat, d.h. der Eindruck der Zahlungsunfähigkeit muss sich mindestens für die beteiligten Verkehrskreise aufdrängen4. Dann kann auch schon die Nichtzahlung einer einzigen Schuld, die für das Unternehmen oder die Geschäftsführer wegen der persönlichen Haftung insbesondere gegenüber Sozialversicherungsträgern oder dem Finanzamt von wesentlicher Bedeutung ist, eine Zahlungseinstellung bedeuten5. 52 Rundschreiben an Gläubiger, in denen der Schuldner um Stundung und/oder teilweisen Erlass seiner Verbindlichkeiten bittet mit der Begründung, sie nicht zeitgerecht bzw. vollständig erfüllen zu können, sind eine deutliche Dokumentation der Zahlungseinstellung6. Der Anwalt hat den Schuldner darüber aufzuklären, dass jeder Gläubiger daraufhin problemlos einen Insolvenzantrag stellen kann. 53 Die Bedeutung der Zahlungseinstellung als Manifestation der Zahlungsunfähigkeit liegt darin, dass sie zugunsten des Gläubigers eine Glaubhaftmachung des Eröff1 Temme, Die Eröffnungsgründe der Insolvenzordnung, 1997, S. 129 ff.; Möhlmann, DStR 1998, 1843 (1846 f.). 2 Vgl. Mönning in Nerlich/Römermann, InsO, 25. EL 2013, § 17 Rz. 8. 3 BGH v. 24.1.2012 – II ZR 119/10, ZInsO 2012, 648 (Rz. 13); BGH v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, ZInsO 2011, 1410 (Rz. 12); BGH v. 20.12.2007 – IX ZR 93/06, ZInsO 2008, 273 (Rz. 21). 4 BGH v. 15.3.2012 – IX ZR 239/09, ZInsO 2012, 696 (Rz. 9); BGH v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, ZInsO 2011, 1410 (Rz. 12); BGH v. 20.12.2007 – IX ZR 93/06, ZInsO 2008, 273 (Rz. 21). 5 BGH v. 24.1.2012 – II ZR 119/10, ZInsO 2012, 648 (Rz. 13); BGH v. 11.2.2010 – IX ZR 104/07, ZInsO 2010, 673 (Rz. 39); BGH v. 24.4.2008 – II ZR 51/07, ZInsO 2008, 1019 (Rz. 5). 6 BGH v. 6.12.2012 – IX ZR 3/12, ZInsO 2013, 190 (Rz. 23); BGH v. 20.12.2007 – IX ZR 93/06, ZInsO 2008, 273 (Rz. 21).
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nungsgrundes, zu seinen Lasten aber auch die insolvenzrechtliche Anfechtung des späteren Insolvenzverwalters (siehe § 10 Rz. 87 ff.) erleichtert. Für die Beratung des Schuldners ist sie ohne Bedeutung, wenn es um die Prüfung des Insolvenzgrundes geht; denn die Zahlungsunfähigkeit ist nicht nur wesentlich früher als die Zahlungseinstellung gegeben, sondern der Berater hat auch Einblick in die Geschäftsunterlagen. Die Vermutungswirkung der Zahlungseinstellung benötigt er deshalb nicht. Sie ist nur für außen stehende Gläubiger relevant, denen ein Einblick in die internen Verhältnisse regelmäßig verwehrt ist. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO liegt Zahlungsunfähigkeit vor, wenn – objektiv – Zahlungspflichten – bei Fälligkeit nicht erfüllt werden können – und, so der ungeschriebene Zusatz, deshalb die Eröffnung des Insolvenzverfahrens angemessen ist.
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b) Objektive Verhältnisse Das Merkmal der Objektivität bedeutet, dass es weder auf die Kenntnis noch auf den 55 Willen des Schuldners ankommt1. Zahlungsunfähig ist auch derjenige, der es noch nicht weiß, derjenige hingegen nicht, der nur zahlungsunwillig ist, etwa weil er meint, dass er sich gegen eine Inanspruchnahme erfolgreich wehren kann. c) Zahlungspflichten aa) Keine anderen Leistungspflichten Das Merkmal der Zahlungspflicht schließt die nicht durch Zahlung zu erfüllenden 56 Schulden aus2. Verbindlichkeiten auf Lieferungen oder Leistungen einschließlich Gewährleistungen bleiben unberücksichtigt. Ein Bauunternehmen beispielsweise kann noch zahlungsfähig sein, auch wenn es fällige Mängelbeseitigungen schon längst nicht mehr durchführen kann. Solange diese Verbindlichkeiten nicht in Zahlungspflichten übergegangen sind, mögen sie eine Überschuldung begründen, nicht jedoch eine Zahlungsunfähigkeit. bb) Vorläufig titulierte Verbindlichkeiten Nach einer verlorenen Instanz stellt sich häufig die Frage, ob die Zahlungsunfähigkeit 57 allein daraus folgt, dass der Schuldner nach entsprechender Sicherheitsleistung des Gläubigers einen vorläufig vollstreckbaren Zahlungstitel nicht bedienen kann, auch wenn er – vermeintlich – zu Unrecht verurteilt wurde. Nach dem Wortlaut des § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO kommt es nur auf die „Zahlungspflicht“ an. Sie besteht unabhängig davon, ob ein Titel materiell-rechtlich zutreffend ist. Deshalb wurde in der Vorauflage die Auffassung vertreten, dass auch vorläufig 58 vollstreckbare Zahlungstitel die Zahlungsunfähigkeit begründen können, sobald die Vollstreckungsvoraussetzungen erfüllt sind, insbesondere also eine etwa erforderliche Sicherheitsleistung erbracht ist. Demgegenüber will Uhlenbruck3 zwischen materiell-rechlicher und vollstreckungsrechtlicher Fälligkeit unterscheiden. Auch wenn das vorläufig vollstreckbare Urteil dem Kläger einen Anspruch zubillige, stehe damit materiell-rechtlich keineswegs fest, dass dieser Anspruch auch tatsächlich existiere. Es werde lediglich eine vollstreckungsrechtlich formelle Fälligkeit fingiert. Daraus folge aber nicht, dass eine materiell fällige Verbindlichkeit existiere. Für eine Stellungnahme kommt es zunächst darauf an, ob aus der Vollstreckbarkeit 59 überhaupt eine Zahlungspflicht folgt; denn gemäß § 803 Abs. 1 ZPO findet die Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen durch Pfändung, also durch Belastung (Verstrickung) von Vermögensgegenständen statt, die anschließend verwertet wer1 S. Wortlaut des § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO. 2 Kirchhof in HK-InsO, § 17 Rz. 6. 3 Uhlenbruck, ZInsO 2006, 338, 341; Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, § 14 Rz. 140 ff.
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den, § 814 ZPO. Daraus könnte der Schluss gezogen werden, dass ein vollstreckbarer Titel genauso wenig eine fällige Zahlungspflicht begründet wie eine Verbindlichkeit, die zur Erbringung einer Lieferung oder Leistung verpflichtet. Andererseits spricht auch Uhlenbruck von einer „formellen Fälligkeit“. Sehr plastisch hat das Landgericht Dresden den Vergleich zur Erbenhaftung gezogen. Zwar sei der Erbe persönlicher Schuldner, seine Haftung beschränke sich jedoch auf eine Duldung der Zwangsvollstreckung in den Nachlass, §§ 19, 75 BGB, 780 ZPO. Gleichwohl sei die Zahlungsunfähigkeit für den Nachlass ein Insolvenzgrund, § 320 InsO1. Also müsse ein Zahlungstitel auch dann die Zahlungsunfähigkeit herbeiführen können, wenn aus ihm nur die Zwangsvollstreckung in Vermögensgegenstände betrieben werden dürfe2. 60 Allerdings ist diese Begründung nicht zwingend. Eine Zahlungspflicht des Erben als Schuldner ist trotz der auf den Nachlass beschränkten Haftung denkbar, so dass die Frage bleibt, ob diese Zahlungspflicht schon durch einen vorläufig vollstreckbaren oder erst durch einen rechtskräftigen Titel begründet wird. Die Antwort könnte dem Wortlaut des § 17 Abs. 2 InsO zu entnehmen sein. Danach kommt es für die Beurteilung der Liquidität nur auf die Zahlungspflichten an. Die von Uhlenbruck vertretene Differenzierung zwischen formeller und materieller Fälligkeit nimmt das Gesetz nicht vor. Nach dem Wortlaut kommt es nur darauf an, ob gezahlt werden muss, egal aus welchem Grund. Die Zahlungspflicht aber wird durch das Urteil festgestellt, wenn auch nur vorläufig. Maßgebend sind die Fälligkeiten und nicht die Fälligkeitsgründe, was aus dem umgekehrten Fall deutlich wird, dass ein Aktivprozess vorläufig verloren geht. Auch dann fehlt es dem Gläubiger an den eingeklagten Zahlungsmitteln, was ihn zu einem Insolvenzantrag zwingen könnte. 61 Der BGH hat eine Entscheidung der Frage bisher ausdrücklich offen gelassen3. Gleichwohl ist Uhlenbruck unter Aufgabe der in der Vorauflage vertretenen Auffassung zu folgen. Das ergibt sich aus einem Vergleich mit der Situation beim Überschuldungsstatus4. Dort kommt es nämlich auf die Verkehrswerte der einzelnen Vermögensgegenstände an (vgl. Rz. 114 ff.). Rechtlich definierte Werte wie insbesondere die Bilanzansätze spielen keine Rolle. Dem entsprechend darf auch allein die Vollstreckbarkeit eines Titels die Höhe der Verbindlichkeit nicht definieren. Stets kommt es auf den wahren Wert an. Er ist mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes (§ 43 Abs. 1 GmbHG) zu schätzen. Daraus folgt für die Zahlungsunfähigkeit: Käme es auf die Verkehrswertbetrachtung nur beim Überschuldungs-, nicht hingegen beim Liquiditätsstatus an, könnte es passieren, dass eine vorläufig vollstreckbar titulierte Verbindlichkeit zwar in dem einen nicht passiviert wird, gleichwohl in dem anderen aber zur Zahlungsunfähigkeit führt – ein nicht akzeptabler Wertungswiderspruch. Deshalb ist entscheidend, ob eine Zahlungspflicht unabhängig von dem noch nicht rechtskräftigen Titel besteht. 62 Für diese Betrachtungsweise spricht schließlich auch die Rechtsprechung zur Zulässigkeit eines Gläubigerantrages. Es ist nicht der Sinn eines Insolvenzverfahrens, den Streit über eine Verbindlichkeit des Schuldners de facto durch die Verfahrenseröffnung zu entscheiden, wenn der Insolvenzgrund allein von dieser streitigen Verbindlichkeit abhängt. Vielmehr muss dann die Forderung vom antragstellenden Gläubiger bewiesen und nicht nur i.S.v. § 14 InsO glaubhaft gemacht werden5. 63 Gegen eine Berücksichtigung streitiger Verbindlichkeiten im Liquiditätsplan mit dem Schätzwert lässt sich allerdings einführen, dass dadurch einer Insolvenzverschleppung Tür und Tor geöffnet wird. Um den subjektiven Entscheidungsspielraum zu reduzieren, schlagen Schmidt/Roth6 vor, streitige Verbindlichkeiten voll zu passivieren, wenn das schuldnerische Unternehmen ohnehin liquidiert werden müsse. Dann gebühre im Insolvenzverfahren der Vorzug vor dem außergerichtlichen Liquidationsverfahren, 1 2 3 4 5 6
Vgl. zur Antragspflicht § 1980 BGB. LG Dresden v. 7.3.2005 – 5 T 889/04, ZIP 2005, 955 (957). BGH v. 14.7.2011 – IX ZB 57/11, ZInsO 2011, 1742. Zu Rückstellungen für Prozessrisiken: Osterloh-Konrad, DStR 2003, 1631 ff. (1675 ff.). BGH v. 14.12.2005 – IX ZR 207/04, ZIP 2006, 247. Schmidt/Roth, ZInsO, 2006, 236.
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Rz. 66
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weil Manipulationen vermieden werden. Sei hingegen die Fortführung möglich, würde die volle Passivierung der streitigen Verbindlichkeit einen unangemessenen Vergleichsdruck auf den Schuldner ausüben, falls nur durch eine Vergleichszahlung die Insolvenz vermieden werden könne. Deshalb schlagen sie bei einer positiven Fortführungsprognose bestimmte Bewertungspauschalen je nach Prozessstand vor. Dem ist nicht zu folgen. Der Vorrang der Insolvenz vor der außergerichtlichen Liquidation ergibt sich weder aus dem Gesetz noch entspricht er dem grundrechtlichen Eigentumsschutz sowohl für Schuldner als auch für Gläubiger, deren Vollstreckungsmöglichkeiten beschnitten werden. Voraussetzung dafür ist ein Insolvenzgrund. Er darf nicht umgekehrt von der gewünschten Verfahrensart (Fortführung insolvenzfrei, Liquidation insolvenzgebunden) abhängig gemacht werden. Auch darf die sorgfältige Einschätzung der Prozessaussichten nicht durch Pauschalen ersetzt werden. Sie muss zwar auch das Prozessstadium berücksichtigen, z.B. weil ein neuer Vortrag in der nächsten Instanz ausgeschlossen sein kann. Das ist aber nur ein Kriterium neben anderen. Eine streitige Verbindlichkeit nur deshalb mit 10 % zu passivieren, weil es noch keinen Prozess gibt, macht keinen Sinn, wenn die Risiken gering sind. Das gilt selbst bei einer verlorenen I. Instanz. Also kann auch pauschal von vornherein verzichtet werden. Es bleibt bei der Einschätzung mit der auch für den Überschuldungsstatus maßgebenden Sorgfalt. Somit ist eine Verbindlichkeit mit derselben Quote, mit der sie im Überschuldungs- 64 status angesetzt wird, auch bei den Auszahlungen im Liquiditätsplan zu berücksichtigen1. Existiert ein vorläufig vollstreckbarer Titel, kann die Bewertungsunsicherheit schnell verschwinden: Hat nämlich der Gläubiger so viel Vertrauen in dessen Bestand, dass er trotz der Haftungsgefahr aus § 717 Abs. 2 ZPO die Zwangsvollstreckung betreibt und auf diese Weise z.B. die Konten pfändet, kann als Folge die Zahlungsunfähigkeit eintreten. Jetzt ist es für den Schuldner nicht mehr zulässig einzuwenden, dass der Titel zu Unrecht ergangen sei und die Vollstreckungsmaßnahmen später aufgehoben werden würden; denn die Zahlungsunfähigkeit ist ein Factum, auch wenn sie zu Unrecht herbeigeführt wurde, sei es durch Zahlungsverweigerung eines Kunden, sei es durch Vollstreckung eines Gläubigers aus einem später aufgehobenen Titel. d) Fälligkeit Das Merkmal der Fälligkeit entsprach nach bisher überwiegender Ansicht in der Li- 65 teratur demjenigen der §§ 271, 286 BGB2. Bei Schuldnern herrscht demgegenüber immer noch die Meinung vor, der Eröffnungsgrund erfordere eine finanzielle Notlage – und eine Not sei erst gegeben, wenn die Gläubiger drängen würden. Das war zwar lange Zeit konkursrechtliches Gemeingut, hat sich aber mit der InsO geändert. Eines ernsthaften Einforderns durch die Gläubiger bedarf es nicht3. Allerdings ist der BGH auch nicht den Stimmen gefolgt, die eine bloße Fälligkeit im 66 zivilrechtlichen Sinn ausreichen lassen. Vielmehr fordert er zusätzlich den Willen des Gläubigers, vom Schuldner Erfüllung zu verlangen4. Das ist jedoch nicht so zu verstehen, dass der Gläubiger – wie unter der Konkursordnung – neben der Fälligkeit noch einmal ausdrücklich auf die Zahlungspflicht hinweisen muss. Die Übersendung einer Rechnung beispielsweise genügt. Der BGH zieht die Grenze eher negativ: Nur der Gläubiger, „der in eine spätere oder nachrangige Befriedigung eingewilligt hat, darf … nicht berücksichtigt werden, auch wenn keine rechtlich bindende Vereinbarung getroffen worden ist …“5. Die zivilrechtliche Fälligkeit, die insbesondere für den Verzug und den Verjährungsbeginn erforderlich ist, bleibt von dieser insolvenzrechtlichen Betrachtung unberührt.
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A.A., soweit es um einen nur quotalen Ansatz geht, Uhlenbruck, ZInsO 2006, 338 (341 f.). Kirchhof in HK-InsO, § 17 Rz. 9; MünchKommInsO/Eilenberger, 2013, § 17 Rz. 7. BGH v. 25.1.2001 – IX ZR 6/00, ZIP 2001, 524; Kirchhof in HK-InsO, § 17 Rz. 10. BGH v. 14.7.2011 – IX ZB 57/11, ZInsO 2011, 1742 (Rz. 9); BGH v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07, ZIP 2007, 1666 m. zust. Anm. von Erdmann, NZI 2007, 695; Tetzlaff, ZInsO 2007, 133. 5 BGH v. 22.11.2012 – IX ZR 62/10, ZInsO 2013, 76 (Rz. 8); BGH v. 14.2.2008 – IX ZR 38/04, ZInsO 2008, 378 (Rz. 21); BGH v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07, ZIP 2007, 1666 (Rz. 18.).
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Rz. 67
Schuldnerberatung
67 Eine solche „insolvenzrechtliche Stundung“ kann sich auch aus den Umständen ergeben, z.B. aus einer ständigen Übung dahingehend, dass die zivilrechtliche Fälligkeit stets überschritten wird. Ist die Forderung aber fällig, bedarf es zur Vermeidung der insolvenzrechtlichen Fälligkeit eindeutiger Abreden, wie z.B. eines Stillhalteabkommens, auch wenn das keine zivilrechtliche Stundung sein muss, sondern der – noch nicht einmal bindende1 – Verzicht auf die zwangsweise Durchsetzung ausreicht2. Der Schuldner tut dann gut daran, entsprechende Abreden zu dokumentieren. Hierzu sollte beispielsweise eine mündlich getroffene Absprache noch einmal per Brief oder E-Mail dem Gläubiger bestätigt werden. 68 Diese Rechtsprechung birgt für die Praxis erhebliche Gefahren3, zu groß ist die Versuchung bei Schuldnern, einen nachrangigen Willen des Gläubigers zu unterstellen. Als Ausnahme vom gesetzlichen Normalfall trägt der Schuldner dafür jedoch die Beweislast. Auch ist unklar, welche Qualitäten diese „insolvenzrechtliche Stundung“ haben muss. Im Ausgangsfall4 war der Insolvenzgrund dauerhaft – jedenfalls bis zum Ende des Verfahrens beim BGH – beseitigt worden. Haftungs- und anfechtungsrelevant wird das erst, wenn die Zahlungsunfähigkeit alsbald (wieder) eintritt. Nach ständiger Rechtsprechung wird die einmal gegebene Zahlungsunfähigkeit nur beseitigt, wenn der Schuldner die Zahlung im Allgemeinen wieder aufnimmt5. In quantitativer Hinsicht gehört dazu, dass die Liquidität ausreicht zur Befriedigung aller anderen Gläubiger, die keine „insolvenzrechtliche Stundung“ gewährt haben. Sie muss darüber hinaus auch tatsächlich zur Befriedigung dieser Gläubiger und nicht etwa des Stundungsgläubigers verwendet werden. Ob die allgemeine Wiederaufnahme der Zahlung auch in zeitlicher Hinsicht nachhaltig sein muss, wie der 2. Zivilsenat für die Beseitigung einer Finanzierungskrise i.R.d. – inzwischen abgeschafften – Eigenkapitalersatzrechts verlangt6, ist unklar. Da der BGH noch nicht einmal eine rechtliche Bindung verlangt, kann es erst recht nicht auf eine Mindestlaufzeit der „insolvenzrechtlichen Stundung“ ankommen. Nach der unten zur Zeitpunktilliquidität noch darzustellenden Entscheidung des BGH vom 24.5.2005 liegt eine insolvenzrechtlich unbeachtliche Zahlungsstockung vor, wenn eine Zahlungslücke spätestens innerhalb von drei Wochen beseitigt wird7. Dieser Zeitraum sollte bei einer wertenden Betrachtungsweise auch für die Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit durch eine „insolvenzrechtliche Stundung“ herangezogen werden. Tritt sie danach wieder ein, weil der Aufschub nur befristet ist, handelt es sich bis dahin um eine nur drohende Zahlungsunfähigkeit. aa) „Zwangskredite“ der Lieferanten 69 Für die Praxis hat das enorme Auswirkungen. In einigen Branchen gehört es zum sozialadäquaten Verhalten, Zwangskredite der Lieferanten in Anspruch zu nehmen. Im Baugewerbe wird selten bei Fälligkeit gezahlt. Der Auftraggeber lässt seinen Auftragnehmer warten, der Auftragnehmer seinen Subunternehmer und dieser seine Lieferanten etc. Das geht häufig über Jahre gut, und erst ein über diese Zwangskreditlinie hinausgehender Liquiditätsbedarf wird als Zahlungsunfähigkeit interpretiert. Ob sich der Mandant trotz dieses sozialadäquaten Verhaltens später sagen lassen muss, dass er schon seit mehreren Jahren zahlungsunfähig ist und sich einer Insolvenzverschleppung schuldig gemacht hat, wurde höchstrichterlich noch nicht entschieden. Sofern die jeweilige Handhabung nicht nachweisbar allgemeiner Usus in der betroffenen Branche ist, muss jedoch im Zweifelsfall davon ausgegangen werden, dass die Rechtsprechung diese Sachverhalte eng sehen wird. Anderenfalls ist der 1 2 3 4 5
BGH v. 7.2.2008 – IX ZR 47/06, n.v. BGH v. 20.12.2007 – IX ZR 93/06, ZIP 2008, 420. Tetzlaff, ZInsO 2007, 133. BGH v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07, ZIP 2007, 166. BGH v. 6.12.2012 – IX ZR 3/12, ZInsO 2013, 190 (Rz. 33); BGH v. 11.2.2010 – IX ZR 104/07, ZInsO 2010, 673 (Rz. 44); BGH v. 20.11.2008 – IX ZR 188/07, ZInsO 2009, 145 (Rz. 12). 6 BGH v. 19.9.2005 – II ZR 229/03, ZIP 2005, 2016 zur Beseitigung der Unterbilanz. 7 BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426; BGH v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222.
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Insolvenzerçffnungsgrnde
Rz. 73
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Schutz des Rechtsverkehrs vor nicht leistungsfähigen Vertragspartnern nicht gewährleistet. Als einen Handelsbrauch im Sinne von § 346 HGB wird die Zwangskreditierung wohl 70 nicht anzusehen sein; denn gemäß § 353 HGB werden vom Tage der Fälligkeit an Zinsen geschuldet, auf die ein Verzicht über die Fiktion der hinausgeschobenen Fälligkeit nicht unterstellt werden darf. Das gilt erst recht in Anbetracht der verzugsbegründenden Bedeutung der Fälligkeit gemäß § 286 Abs. 3 BGB. Dennoch sollte man auch unterhalb eines Handelsbrauchs für die Verhältnisse des 71 Schuldners in langjähriger Übung unbeanstandete Zahlungsfristen akzeptieren1; denn das Insolvenzverfahren soll die Befriedigung der Gläubiger verbessern. Solange die Gläubiger aber de facto – trotz formaljuristisch eingetretenen Verzugs – noch keine Befriedigung erwarten, macht es keinen Sinn, das Verfahren durch eine enge Interpretation des Insolvenzgrundes aufzulösen2 in seinen grundlegenden Entscheidungen vom 24.5.20053 und 12.10.20064 will der BGH in Übernahme der konkursrechtlichen Handhabung nur die fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten berücksichtigen, ohne diese über den Wortlaut des § 17 Abs. 2 InsO hinausgehende Ergänzung zu erläutern. Ein Indiz gegen die Einforderung ist die Ausführung weiterer Lieferungen und Leistungen trotz fälliger Forderungen. Rechtlicher Anknüpfungspunkt kann die sogleich noch darzustellende qualitative Geringfügigkeitsausnahme sein. Bis zu einer Entscheidung des BGH gilt für die Praxis jedoch vorsorglich, dass allein eine Stundung die Fälligkeit beseitigt5. Dabei ist gegenüber konkludenten Vereinbarungen Zurückhaltung geboten. Meist ist es nur die fehlende Mahnung, die der Mandant als konkludente Stundung missversteht. bb) Behördliche Schonfristen Behördliche Schonfristen wie bspw. im Steuerrecht diejenige gemäß § 240 Abs. 3 AO 72 suspendieren die Fälligkeit nicht6. Sehr gefährlich ist die „technische Stundung“ des Finanzamtes. Ganz im Sinne des Wortes handelt es sich hierbei um eine Dateneingabe in den Computer, so dass keine automatischen Mahnungen an den Schuldner verschickt werden. Eine formelle Stundung gemäß § 222 AO stellt dies nicht dar7. Sie wäre ein Verwaltungsakt, der wegen verwaltungsinterner Zustimmungsvorbehalte bis – bei sehr hohen Forderungen – hin zum Finanzministerium von den Beteiligten gerne vermieden wird. Die „technische Stundung“ wird regelmäßig nur kurzfristig gewährt, insbesondere dann, wenn in den nächsten Tagen eine Steuererklärung eingehen soll, aus der sich eine Verrechnungsmöglichkeit mit Steuerschulden ergibt. Gelegentlich wird die „technische Stundung“ aber auch über Monate aufrechterhalten. Insbesondere bei politisch bedeutsamen Unternehmenskrisen kommen langfristige informelle „technische“ Umsatzsteuerstundungen schon einmal vor. Die technische Dauerstundung beseitigt die Fälligkeit nicht, weil nur auf das ernsthafte Einfordern (Mahnung), verzichtet wird. cc) Kontoüberziehung Eine typisches Problem bei der Zahlungsunfähigkeitsprüfung ist der überzogene 73 Kontokorrentkredit. Für ihn ist die Abgrenzung zur konkludenten Kreditgewährung schwieriger als bei Forderungen der Lieferanten, denen regelmäßig kein Stundungswille unterstellt werden darf (oben Rz. 64). Die Bank kann jederzeit den Ausgleich einer Überziehung verlangen. Deshalb hat der BGH unter dem Gesichtspunkt der insolvenzrechtlichen Anfechtung auch keinen Zweifel daran gelassen, dass zur Rück-
1 Kirchhof in in HK-InsO, § 17 Rz. 9, 13, 43. 2 Scholz/K. Schmidt/Bitter, GmbHG, vor § 64 Rz. 13. So jetzt ausdrücklich BGH v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07, ZIP 2007, 1666; BGH v. 20.12.2007 – IX ZR 93/06, ZIP 2008. 3 BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426. 4 BGH v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222. 5 Kirchhof in in HK-InsO, § 17 Rz. 9 stellt auf die Verkehrsüblichkeit ab; IDW PS 800, S. 5. 6 Umkehrschluss aus § 240 Abs. 1 AO, s. auch Klein/Rüsken, AO, § 240 Rz. 27 ff. 7 Klein/Rüsken, AO, § 222 Rz. 39.
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Rz. 74
Schuldnerberatung
führung der Überziehung an die Bank geleistete Zahlungen kongruente, dem fälligen Anspruch entsprechende Deckungen darstellen1 (siehe unten § 10 Rz. 60 ff. und 127 ff.). 74 Noch nicht entschieden hat er bisher, wann eine geduldete Überziehung zu einer konkludenten Kreditvereinbarung wird. Konkret geht es darum, ab wann das Verhalten der Bank den Schluss zulässt, dass für die Rückführung des Überziehungskredits eine vorherige Kündigung erforderlich ist. Zwar ist in Nr. 19 Abs. 2 AGB-Banken bzw. Nr. 26 Abs. 1 AGB-Sparkassen keine Kündigungsfrist vorgesehen, wenn es an einer Laufzeitvereinbarung fehlt. Diese Regelung wird auch AGB-rechtlich trotz der – dispositiven – Dreimonatsfrist des § 489 Abs. 2 BGB für zulässig gehalten, weil die jeweiligen Vorschriften als Korrektiv ausdrücklich bestimmen, dass auf die Belange des Kunden Rücksicht zu nehmen ist2. Entscheidend für die Zahlungsunfähigkeit ist aber nicht die Länge der Kündigungsfrist, sondern allein die Tatsache, dass eine konkludente Erhöhung des Kreditrahmens erst nach einer Kündigung zurückgeführt werden muss und bis dahin keine fällige Zahlungspflicht besteht. Ein Kriterium für die Erhöhung der Kreditlinie ist die Dauer der Überziehung. Wer sie nur gelegentlich und kurzfristig in Anspruch nimmt, sieht sie nicht als dauerhafte Kreditgewährung an. Umgekehrt ist es für die Bank überflüssig, jeweils eine Kündigung auszusprechen. Voraussetzung einer konkludenten Kreditvereinbarung ist also die regelmäßige Inanspruchnahme der höheren Linie über einen Zeitraum, der beim Kunden die berechtigte Erwartung weckt, erst nach einer Kündigung zur Rückzahlung verpflichtet zu sein3. Angesichts der Kürze der Kündigungsfrist kommt es für die Auslegung des Verhaltens der Bank darauf an, ab wann sie bei der Rückforderung auf die besonderen Belange des Kunden i.S.d. oben genannten Banken- bzw. Sparkassen-AGB Rücksicht nehmen muss. Dies wird man schon bei einer nachhaltigen Überziehung für die Dauer von 60 Tagen annehmen müssen4. Der Zeitraum könnte sogar kürzer sein, wenn die Bank nicht nur die Überziehung unbeanstandet lässt, sondern sogar noch weitere Verfügungen gestattet („Überziehung der Überziehung“). Natürlich ist ein entgegenstehender Wille der Bank zu berücksichtigen. Er muss aber ausdrücklich erklärt werden. Äußerungen des Kundenbetreuers wie „darüber müssen wir einmal reden“ reichen bei einer dauerhaft geduldeten Überziehung wegen des Verbots widersprüchlichen Verhaltens nicht aus. Den zuständigen Bearbeitern des Kreditinstituts werden Überziehungen täglich gemeldet. Sie unterliegen standardisierten Handlungsanweisungen. Wird die Rückführung der Überziehung nicht deutlich verlangt, muss die Differenz zwischen der durchschnittlich nachhaltig in Anspruch genommenen und der ausdrücklich vereinbarten Linie nicht in die fälligen Zahlungen einbezogen werden. 75 Im umgekehrten Fall der ausdrücklichen Kündigung des Kredites rechtfertigt es die Zulassung weiterer Verfügungen dagegen nicht, darin die Zurücknahme der Kündigung oder die Stundung der Rückzahlungspflicht zu sehen5. dd) Nachrangige Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern (§ 39 InsO) 76 Gemäß dem durch das MoMiG zum 1.11.2008 abgeschafften Eigenkapitalersatzrecht waren entsprechend verstrickte Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern aufgrund der Auszahlungssperre der §§ 30, 31 GmbHG a.F. nicht fällig6. Die nun vorgesehenen Rechtsfolgen (§§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 Abs. 1, 2 InsO) treten erst nach einer Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein, entfalten aber vorher keine Wirkung. Daher sind
1 BGH v. 7.7.2011 – IX ZR 100/10, ZInsO 2011, 1500 (Rz. 6). 2 Baumbach/Hopt, HGB, § 19 AGB-Banken, Rz. 2; OLG Köln v. 22.1.1999 – 6 U 70/98, WM 1999, 1004. 3 Steinhoff, ZIP 2000, 1141 (1144). 4 Lwowski, FS Uhlenbruck, 2000, S. 229, 314. 5 BGH v. 25.1.2001 – IX ZR 6/00, NZI 2001, 247 (248). 6 BGH v. 14.5.2009 – IX ZR 63/08, ZInsO 2009, 1254 (Rz. 20).
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diese Zahlungsansprüche von Gesellschaftern im Liquiditätstatus zu passivieren1. Das gilt somit auch für die übrigen in § 39 Abs. 1 InsO genannten Verbindlichkeiten, die im Fall der Insolvenz nachrangig werden. Rangrücktrittserklärungen enthalten regelmäßig nur die Formulierung, dass die zu- 77 rückgetretene Forderung aus einem die anderen Verbindlichkeiten übersteigenden Vermögen im Rang nach § 39 Abs. 2 InsO zu bedienen ist. Sie zielen auf die Vermögens- und nicht die Liquiditätsverhältnisse ab. Sollte es ausnahmsweise einmal so sein, dass ein freies Vermögen vorhanden ist, aus dem die im Rang zurückgetretene Verbindlichkeit bedient werden muss, durch diese Zahlung aber eine Illiquidität eintreten würde, wird man die im Rang zurückgetretenen Verbindlichkeiten ausklammern dürfen; denn der Zweck der Rangrücktrittserklärung ist die Vermeidung der Insolvenz, die nicht über die „Hintertür“ der bei der Formulierung übersehenen Zahlungsunfähigkeit eingeführt werden soll. Der durch das MoMiG neu eingefügte Tatbestand einer Organhaftung in § 64 S. 3 78 GmbHG (bzw. § 92 Abs. 2 S. 3 AktG, § 130a Abs. 1 S. 3 HGB) begründet ein Leistungsverweigerungsrecht der Gesellschaft, d.h. Zahlungen an die Gesellschafter können verweigert werden, wenn diese zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen2. Sofern dem eine fällige Forderung eines Gesellschafters zu Grunde liegt, ändert das Leistungsverweigerungsrecht aber nichts daran, dass solche Zahlungspflichten in der Liquiditätsbilanz zur Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit zu berücksichtigen sind3. Wenn auf dieser Grundlage bereits Zahlungsunfähigkeit vorliegt kann sie nicht mehr i.S. dieser Vorschrift verursacht werden. Damit ist der Anwendungsbereich dieses Haftungstatbestandes klein, was dem Gesetzgeber aber bewusst war4. e) Geringfügigkeitsausnahmen Das Merkmal der Geringfügigkeit ist dem Wortlaut des § 17 Abs. 2 InsO nicht zu ent- 79 nehmen. Andererseits spricht das Gesetz auch nicht davon, dass der Schuldner „jede“ seiner fälligen Zahlungspflichten „sofort“ erfüllen können muss, um nicht als illiquide zu gelten. Dementsprechend heißt es in der Regierungsbegründung zur zeitlichen Komponente: „Dass eine vorübergehende Zahlungsstockung keine Zahlungsunfähigkeit begründet, braucht im Gesetzestext nicht besonders zum Ausdruck gebracht zu werden; es versteht sich von selbst, dass ein Schuldner, dem in einem Zeitpunkt liquide Mittel fehlen – etwa, weil eine erwartete Zahlung nicht eingegangen ist –, der sich die Liquidität aber kurzfristig wieder beschaffen kann, im Sinne der Vorschrift ‚in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen’“5.
Zur quantitativen Komponente, also zur Höhe der Unterdeckung, wird ausgeführt, auch hier sei es „selbstverständlich, dass ganz geringfügige Liquiditätslücken außer Betracht bleiben müssen“6. Das führt zu der Überlegung, ob der Wortlaut des § 17 Abs. 2 InsO durch Verhältnismäßigkeitserwägungen (oben Rz. 73 f.) einschränkend ausgelegt werden muss. Dafür kann zwischen zeitlicher, quantitativer und qualitativer Geringfügigkeit unterschieden werden.
1 BGH v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, ZIP 2012, 2391 (Rz. 12, 15); BGH v. 19.5.2011 – IX ZB 214/10, ZInsO 2011, 1063 (Rz. 11); s. zum Ganzen auch: Vallender/Undritz/Henkel, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 4 Rz. 37 f. 2 BGH v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, ZIP 2012, 2391 (Rz. 18); Poertzgen, ZInsO 2012, 249 (253); entgegen: OLG München v. 6.5.2010 – 23 U 1564/10, ZIP 2010, 1236 (1237). 3 BGH v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, ZIP 2012, 2391 (Rz. 7 f.); Henkel, EWiR 2010, 745 (746); Spliedt, ZIP 2009, 149 (160). 4 BGH v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, ZIP 2012, 2391 (Rz. 13). 5 Begr. RegE, RWS Dok 18, 171. 6 Begr. RegE, RWS Dok 18, 171.
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Schuldnerberatung
aa) Zeitliche Geringfügigkeit (Zahlungsstockung) 81 Über die Ausfüllung dieser Kriterien gab es eine erhebliche Unsicherheit1 bis zum richtungsweisenden Urteil des BGH am 24.5.20052, an dem sich die Rechtsprechung seither orientiert3: Bei der zeitlichen Geringfügigkeit hält der BGH drei Wochen für ausreichend. Kann eine Zahlungsunfähigkeit während dieses Zeitraumes beseitigt werden, liegt eine bloße Zahlungsstockung vor, die keinen Insolvenzgrund darstellt. Wirtschaftlich rechtfertigt der Senat die Länge der Frist damit, dass sie ausreiche, um bei bestehender Bonität eine Liquiditätslücke durch eine (Bank-)Kreditaufnahme zu schließen. Die Praxis bestätigt diese Einschätzung zwar nicht. Der BGH war jedoch in der Zwickmühle, weil der Gesetzgeber mit der InsO den bisher für eine unbeachtliche Zahlungsstockung angesetzten Zeitraum verkürzen wollte. Unter Geltung der Konkursordnung wurde ein Monat noch als unschädlich angesehen. Die verkürzte Frist entlehnt er aus der Insolvenzantragspflicht des § 15a InsO. bb) Quantitative Geringfügigkeit 82 Aber nicht nur bei der wirtschaftlichen Geringfügigkeit befand sich der BGH in der Zwickmühle, sondern auch bei der Festlegung der quantitativen und qualitativen Geringfügigkeit; denn in der Regierungsbegründung4 wird ein starrer Prozentsatz ausdrücklich abgelehnt. Andererseits dient er der Rechtsicherheit, die gerade bei so wesentlichen Einschnitten wie der Insolvenzeröffnung dringend geboten ist. Der BGH behilft sich mit einer flexiblen Vermutungsregel, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalles ergänzend berücksichtigt werden. Der zweite Leitsatz des Urteils vom 24.5.2005 lautet: „Beträgt eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners weniger als 10 % bei fälligen Gesamtverbindlichkeiten, ist regelmäßig von Zahlungsfähigkeit auszugehen, es sei denn, es ist bereits absehbar, dass die Lücke demnächst mehr als 10 % erreichen wird.“
Zum umgekehrten Fall heißt es im dritten Leitsatz: „Beträgt die Liquiditätslücke des Schuldners 10 % oder mehr, ist regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalles zuzumuten ist“5.
83 Das bedeutet: – Eine Liquiditätsunterdeckung, gleich welcher Höhe, über einen Zeitraum von weniger als drei Wochen ist irrelevant. – Bei einer Unterdeckung von länger als drei Wochen ist der Schwellenwert von 10 % entscheidend. – Sind es weniger als 10 %, besteht Zahlungsfähigkeit, falls keine Vergrößerung der Lücke „absehbar“ ist. – Sind es 10 % oder mehr, muss die Lücke „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ fast vollständig – also nicht nur bis auf 10 % – geschlossen werden können und den Gläubigern ein Abwarten zumutbar sein. Sonst besteht Zahlungsunfähigkeit. 84 Jedes der vorgenannten Szenarien erfordert eine Prognose: Zunächst muss prognostiziert werden, ob eine Unterdeckung überhaupt länger als drei Wochen dauert. Wird das bejaht, muss geprüft werden, ob es nach Ablauf der drei Wochen mehr als 10 %
1 Vgl. die Nachweise in § 1 Rz. 52 ff. der 2. Aufl. 2 BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426. 3 BGH v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1124 (Rz. 10); BGH v. 14.7.2011 – IX ZB 57/11, ZInsO 2011, 1742 (Rz. 7); BGH v. 14.5.2009 – IX ZR 63/08, ZInsO 2009, 1254 (Rz. 37); BGH v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07, ZInsO 2007, 939 (Rz. 30). 4 Begr. RegE., BT-Drucks. 12/2443, S. 114. 5 BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426; Hervorh. d. Verf.
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sind. Wird auch das bejaht, bedarf es einer Prognose darüber, ob diese Lücke während eines den Gläubigern zumutbaren Zeitraums geschlossen wird. Dabei werden an die Prognosesicherheit hohe Anforderungen gestellt: Sie muss sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erfüllen. Erfüllt sie sich nicht, wird ein Geschäftsführer Schwierigkeiten haben, die Prognosesicherheit später nachzuweisen. Da er sich auf eine Ausnahme von der Vermutung beruft, dass bei mehr als 10 % Zahlungsunfähigkeit gegeben ist, trifft ihn, so der BGH, die Beweislast. Sind es hingegen weniger als 10 %, ist es nicht der Geschäftsführer, der sich zur Absehbarkeit einer Vergrößerung der Lücke äußern muss, sondern derjenige, der sich auf die Zahlungsunfähigkeit beruft. cc) Qualitative Geringfügigkeit Bei einer Liquiditätslücke ab 10 % ist, wie dargelegt, eine Zahlungsunfähigkeit auch 85 dann zu verneinen, wenn sie sich erst nach mehr als drei Wochen schließt, falls den Gläubigern ein Abwarten zumutbar ist. Gemeint ist damit, dass in bestimmten Branchen wie z.B. der Bauwirtschaft, dem Fremdenverkehr oder bei Herstellern typischer Saisonartikel (Bademoden, Wintersportartikel) saisonale Flauten von teilweise mehreren Monaten überbrückt werden müssen. Wer sich dort betätige, müsse, so der BGH, immer wieder mit Liquiditätsengpässen rechnen. Ob auch individuelle Umstände jedes einzelnen Gläubigers bei der Zumutbarkeit berücksichtigt werden müssen, erörtert der BGH nicht. Denkbar wäre z.B., dass der Gläubiger die Saisonabhängigkeit des Geschäftsbetriebes kennt, oder dass er selbst durch das Abwarten nicht in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät. Eine solche Einzelfallbetrachtung ist für die Auslösung eines Gesamtvollstreckungsverfahrens, bei dem die Gläubiger eine Solidargemeinschaft bilden, jedoch ungeeignet. Ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass die Zahlungsfähigkeit vollständig wiederhergestellt wird, ist jedem Gläubiger ein Abwarten nur dann unzumutbar, wenn die Befriedigung im Insolvenzverfahren schneller erfolgen würde1. Mit einer Verteilung kann erst nach dem allgemeinen Prüfungstermin begonnen werden, § 187 InsO, der regelmäßig mit oder nach dem Berichtstermin stattfindet, § 29, Abs. 1 Nr. 2, 28 Abs. 1 InsO. Vor dem Ablauf von drei Monaten ist eine (Abschlags-)Verteilung in der Praxis außerordentlich selten. Deshalb liegt es nahe, die Zumutbarkeit des Abwartens an diesen drei Monaten zu orientieren, und zwar für alle Gläubiger einheitlich. Voraussetzung ist nur, dass eine Beseitigung der Lücke – und zwar vollständig – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. In der Praxis wird das äußerst selten sein. Bei einer Unterdeckung von weniger als 10 % ist eine absehbare Vergrößerung dieser 86 Lücke nur einer von mehreren „besonderen Umständen“, die es rechtfertigen, trotzdem eine Zahlungsunfähigkeit anzunehmen. Da der BGH die Vermutungsregel gerade nicht als starre Grenze verstehen will, gibt es auch Raum für andere „besondere Umstände“. Als einen solchen hat es das OLG Rostock angesehen, wenn über eine Zeitspanne von eineinhalb Jahren Sozialversicherungsbeiträge jeweils verspätet gezahlt werden, so dass stets ein Rückstandssaldo bleibt, auch wenn das Defizit bei sämtlichen Verbindlichkeiten der Schuldnerin kleiner als 10 % ist. Ein Unternehmen, dass dauerhaft eine geringfügige Liquiditätslücke aufweise, erscheine nicht erhaltungswürdig2. Ob das allerdings mit dem Grundsatzurteil des BGH im Einklang steht, ist zweifelhaft, weil der BGH eine unter 10 % bleibende Liquiditätslücke auch bei mehr als drei Wochen für akzeptabel hält. Warum ein Unternehmen dann nicht erhaltenswürdig sein soll, begründet das OLG Rostock nicht. Eine vollständige Schließung der Lücke verlangt der BGH hingegen, wenn sie im Be- 87 urteilungszeitraum bereits den Schwellenwert von 10 % überschritten hatte. Warum es nicht ausreicht, dass der Schwellenwert wieder unterschritten wird, begründet der
1 Vgl. BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426, unter III. 3. b) bb) der Entscheidungsgründe. 2 OLG Rostock v. 10.7.2006 – 3 U 158/05, ZInsO 2006, 1109.
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Schuldnerberatung
BGH nicht. Wahrscheinlich ist das auf die Rechtsprechung zurückzuführen, wonach eine einmal eingetretene Zahlungsunfähigkeit erst wieder beseitigt ist, wenn die Zahlungen im Allgemeinen wieder aufgenommen werden1. 88 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der BGH den Schwellenwert ausdrücklich nur als eine Vermutungsregel versteht. „Je näher die konkret festgestellte Unterdeckung dem Schwellenwert kommt, desto geringere Anforderungen sind an das Gewicht der besonderen Umstände zu richten, mit denen die Vermutung entkräftet werden kann. Umgekehrt müssen umso schwerer wiegende Umstände vorliegen, je größer der Abstand der tatsächlichen Unterdeckung von dem Schwellenwert ist“2. 89 In der Literatur wird diskutiert, ob die Zahlungsunfähigkeit eine Zeit- oder eine Zeitraumliquidität ist3. Da eine Prognose über die Liquiditätsentwicklung anzustellen ist, ist sie einerseits Zeitraumliquidität. Andererseits bedarf es der Prognose aber gerade deshalb, weil nicht erst in Ruhe abgewartet werden darf, wie sich die Verhältnisse tatsächlich entwickeln, sondern weil die Erwartungen auf den Zeitpunkt projiziert werden müssen, für den die Zahlungsfähigkeit ermittelt werden muss (Stichtag). Maßgebend ist allein dieser Zeitpunkt. Die Zahlungsunfähigkeit ist mithin eine stichtagsbezogene (prognostische) Zeitraumiliquidität. Auswirkungen hat das, wenn sich die Prognose später als unzutreffend erweist. Dann ist der Schuldner nicht etwa rückwirkend seit dem Stichtag im Rechtssinne zahlungsunfähig – vorausgesetzt natürlich, dass die Prognose mit der erforderlichen Sorgfalt erstellt wurde –, sondern er ist es erst ab dem Zeitpunkt, in dem sich der Irrtum herausstellt. Wird dann erwartet, dass sich die Lücke innerhalb von weiteren drei Wochen schließen lässt, wird das an der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit wohl nichts mehr ändern, weil man sonst die Insolvenzantragspflicht leicht umgehen könnte. Immerhin aber beginnt erst jetzt die dreiwöchige Frist des § 15a InsO bzw. die Masseerhaltungspflicht des § 64 GmbHG. Diese von der Rechtsprechung bisher nicht abgesegnete Addition von Prognose- und Antragszeitraum von jeweils drei Wochen ist sinnvoll, weil bei positiver Prognose noch kein Insolvenzgrund und ohne Insolvenzgrund kein Anlass für Sanierungsmaßnahmen besteht. In der Praxis sollte die angestellte Prognose des Schuldners mit den zugrundeliegenden Prämissen dokumentiert sein, um sie später für den Fall des zivil- oder strafrechtlichen Vorwurfs der Insolvenzverschleppung präsent zu haben. f) Vermutungswirkung der Zahlungseinstellung 90 Hat der Schuldner seine Zahlungen eingestellt, wird die Zahlungsunfähigkeit vermutet, § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO. Eine Zahlungseinstellung liegt vor, wenn nach außen erkennbar wird, dass er seine fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen kann4. Für die Beratung des Schuldners ist die Zahlungseinstellung ohne Bedeutung, weil Zugriff auf die internen Informationen über die Finanzlage besteht, so dass es keiner Vermutungsregel bedarf. Im Außenverhältnis erleichtert sie hingegen dem Gläubiger die Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes. Außerdem hat die Zahlungseinstellung Bedeutung für die Kenntnis des Gläubigers bei der insolvenzrechtlichen Anfechtung, wobei es die Sonderregelung über die Umstandskenntnis in § 130 Abs. 2 InsO gibt. Sie geht über die Vermutungswirkung der Zahlungseinstellung hinaus, weil sie alle Umstände erfasst, die auf eine Zahlungsunfähigkeit schließen lassen, ohne dass die Zahlungen bereits eingestellt worden sein müssen. 91 In der Praxis kommt es kaum vor, dass ein Schuldner vor dem Eröffnungsantrag überhaupt keine Zahlungen mehr tätigt. Die Vermutungswirkung wäre überflüssig, wenn allein der totale Zahlungsstopp Voraussetzung für die Zahlungseinstellung wä-
1 BGH v. 25.10.2012 – IX ZR 117/11, ZInsO 2012, 2244 (Rz. 18); BGH v. 11.2.2010 – IX ZR 104/07, ZInsO 2010, 673 (Rz. 44); BGH v. 20.11.2008 – IX ZR 188/07, ZInsO 2009, 145 (Rz. 12). 2 BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426. 3 Häsemeyer, InsR, 137 f.; Scholz/K. Schmidt/Bitter, GmbHG, § 63 Rz. 10 ff.; K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in der Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 819 m.w.N. 4 S. bereits Rz. 51.
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Insolvenzerçffnungsgrnde
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re1. Vielmehr greift sie schon dann ein, wenn quantitativ2 oder qualitativ wesentliche Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllt werden3. Ein Gläubiger kann sich auf die Vermutungswirkung berufen, wenn auch nur eine einzige, für die Verhältnisse des Schuldners hohe oder wesentliche Verbindlichkeit nicht bezahlt wird4 (quantitativer Aspekt). Eine Darlegung und Feststellung der Höhe der Verbindlichkeiten oder gar einer Unterdeckung von mindestens 10 % bedarf es nicht5. Das OLG Celle6 hat diese Vermutungswirkung auch einer eidesstattlichen Versicherung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens beigemessen. Gleiches gilt für erfolglose Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. Kündigt, um ein anderes Beispiel zu nennen, die einzige Hausbank den Kredit, verlangt sodann von dem Schuldner die unverzügliche Tilgung und lässt keine Verfügungen mehr zu, wird sie regelmäßig wissen, dass der Schuldner keine wesentlichen Zahlungen mehr tätigen kann7. Der qualitative Aspekt stellt auf die Bedeutung der unterlassenen Zahlungen ab8. Sie basiert auf der Überlegung, dass ein Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit nach außen i.S. einer Zahlungseinstellung dokumentiert, wenn er die zur Vermeidung einer persönlichen Haftung oder zur Aufrechterhaltung des Betriebes wesentlichen Verbindlichkeiten nicht bedient9. Ist er z.B. einem Einkaufsverband angeschlossen, der sein größter Lieferant ist, liegt eine Zahlungseinstellung vor, wenn er rückständige Schulden zur Abwendung eines Lieferstopps nicht begleichen kann. Ein anderes Beispiel ist die Nichtzahlung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung, für die ein Geschäftsführer persönlich haftet, § 266a StGB i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB10. Gleiches gilt für die persönliche Haftung bei Steuerverbindlichkeiten nach §§ 69, 380 AO, 26a UStG. g) Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit aa) Verfahren Die Zahlungsunfähigkeit ist, wie dargelegt, eine zeitpunktbezogene Zeitraumiliquidi- 92 tät. Der Zahlungsmittelbestand im Beurteilungszeitraum ist um die prognostizierten Einzahlungen der nächsten drei Wochen zu ergänzen und zu den fälligen sowie während dieses Zeitraums erwarteten Auszahlungen ins Verhältnis zu setzen: Zahlungsmittelbestand + Einzahlungen 21 Tage fällige und fällig werdende Auszahlungen 21 Tage
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× 100 > 90 %?
Der BGH11 will zwar dem Wortlaut seines Urteils vom 24.5.2005 nach nur die am Stichtag „fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten“ berücksichtigen. Dann würden im Zähler neben dem Mittelbestand am Stichtag auch noch der Mittelzufluss im 1 S. dazu das Urteil des BGH v. 17.5.2001 – IX ZR 188/98, ZIP 2001, 1155 ff., allerdings noch zur KO, und BGH v. 20.1.2001 – IX ZR 487/01, ZInsO 2001, 29 ff. 2 Vgl. BGH v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 114; BGH v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, ZInsO 2011, 1410 (Rz. 12); BGH v. 11.2.2010 – IX ZR 104/07, ZInsO 2010, 673 (Rz. 42). 4 BGH v. 24.1.2012 – II ZR 119/10, ZInsO 2012, 648 (Rz. 13); BGH v. 11.2.2010 – IX ZR 104/07, ZInsO 2010, 673 (Rz. 39); BGH v. 24.4.2008 – II ZR 51/07, ZInsO 2008, 1019 (Rz. 5). 5 BGH v. 15.3.2012 – IX ZR 239/09, ZInsO 2012, 696 (Rz. 9); BGH v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, ZInsO 2011, 1410 (Rz. 13). 6 OLG Celle v. 29.10.2001 – 2 W 114/01, ZInsO 2001, 1106. 7 BGH v. 20.12.2007 – IX ZR 93/06, ZInsO 2008, 273 (Rz. 22); BGH v. 21.6.2007 – IX ZR 231/04, ZInsO 2007, 816 (Rz. 31); BGH v. 17.1.2002 – IX ZR 170/00, ZInsO 2002, 200: Das bloße „Einfrieren“ einer Kreditlinie reicht dagegen nicht aus. 8 Beispiele bei BGH v. 13.4.2006 – IX ZB 118/04, ZIP 2006, 1056; BGH v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222. 9 BGH v. 17.2.2004 – IX ZR 318/01, ZIP 2004, 669 (671); OLG Hamm v. 16.10.2007 – 27 U 179/06, ZInsO 2008, 511 (512). 10 BGH v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, ZInsO 2011, 1410 (Rz. 15); BGH v. 17.6.2010 – IX ZR 134/09, ZInsO 2010, 1324 (Rz. 9); BGH v. 13.6.2006 – IX ZB 238/05, ZIP 2006, 1457; BGH v. 10.7.2003 – IX ZR 89/02, ZIP 2003, 1666 (1669). 11 BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426 unter II. 1. c); BGH v. 29.3.2012 – IX ZR 40/10, ZInsO 2012, 976 (Rz. 8); BGH v. 14.5.2009 – IX ZR 63/08, ZInsO 2009, 1254 (Rz. 37); s. zu diesem Problemkreis Vallender/Undritz/Henkel, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 4 Rz. 53.
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Prognosezeitraum erscheinen, im Nenner aber nicht die während dieses Zeitraumes hinzukommenden Verbindlichkeiten (sog. Passiva II). Wegen des stets größeren Zählers würde das die Zahlungsfähigkeit stets zu gut abbilden. Zähler und Nenner müssen jedoch vergleichbar bleiben. Wird „oben“ der Zeitraum angesetzt, muss er es auch „unten“. 95 Für die insolvenzrechtliche Liquiditätsbestimmung können die Liquiditätsgrade in der betriebswirtschaftlichen Bilanzanalyse1 nicht verwendet werden. Die größte Übereinstimmung gibt es zwischen der insolvenzrechtlichen zeitpunktbezogenen Liquiditätskennziffer und der betriebswirtschaftlichen Liquidität 1. Grades, die die Zahlungsmittel ins Verhältnis zu den kurzfristigen – nicht unbedingt schon fälligen – Verbindlichkeiten setzt. Die bilanzanalytische Liquidität 2. Grades ergänzt die Zahlungsmittel um die kurzfristigen Forderungen, die Liquidität 3. Grades zusätzlich auch noch um die Vorräte, während sich an den kurzfristigen Verbindlichkeiten als der jeweiligen Bezugsgröße nichts ändert. 96 Juristisch handelt es sich bei den in der Bilanzanalyse berücksichtigten Umständen um Indiztatsachen: Von bilanziellen Bestandsgrößen wird auf die Liquidität geschlossen, basierend auf der Annahme, dass die in einer Bilanz oder Summen- und Saldenliste ausgewiesenen kurzfristigen Forderungen auch realisierbar und Vorräte kurzfristig liquidierbar sind. Diese Prämisse ist in der Krise jedoch selten gerechtfertigt. Außerdem lassen die bilanzorientierten Liquiditätskennziffern die Wertschöpfung aus der laufenden Geschäftstätigkeit ebenso außer Betracht wie andere Möglichkeiten der Finanzmittelbeschaffung. Das fängt bei einer noch nicht ausgenutzten Kreditlinie an, geht weiter zur Veräußerung von Anlagevermögen (sale-and-leaseback) bis hin zur Außenfinanzierung durch Stundungen, Kredite, Gesellschafterdarlehen oder Kapitalerhöhung. All das kann nur in einem kurzfristigen Finanzplan abgebildet werden. Die Liquiditätskennziffern, die in den monatlichen betriebswirtschaftlichen Auswertungen wiedergegeben werden, bieten nur erste Anhaltspunkte. Auf sie mag in einem späteren Prozess über die insolvenzrechtliche Anfechtung oder Haftung wegen Insolvenzverschleppung als Indiz zurückgegriffen werden, wenn weitere Unterlagen der Schuldnerin verloren gegangen sind. Für die Krisenberatung mit einem Zugriff auf das Rechnungswesen und weitere Informationsquellen sind sie hingegen ungeeignet2. bb) Einzelheiten (1) Zahlungsmittelbestand 97 Der am Stichtag vorhandene Zahlungsmittelbestand setzt sich aus allem zusammen, was nach der Verkehrsauffassung wie Bargeld behandelt wird. Dazu gehören Kassenbestand und Schecks ebenso wie Bankguthaben, Festgeld mit täglicher Kündigung und der noch nicht ausgeschöpfte Teil einer Kreditlinie3. Man spricht hier von Forderungen aus dem reinen Finanzbereich4. Zweckgebundene Mittel dürfen nur zur Bedienung der (künftigen) Verbindlichkeiten herangezogen werden, für die sie vorgesehen sind5. Damit darf keine Liquiditätslücke überbrückt werden. (2) Auszahlungen 98 Für die Auszahlungen gilt Entsprechendes. Außer den fälligen Geldverbindlichkeiten jeder Art sind auch die fälligen Zahlungssurrogate einzubeziehen. Dazu gehören insbesondere unterwegs befindliche Schecks und Überweisungen, falls die zugrunde liegenden Verbindlichkeiten schon als erfüllt gebucht wurden. Schulden, die nicht in Geld, sondern als Lieferung oder Leistung zu erfüllen sind, werden bei der zeitpunkt1 Überblick bei: Wöhe, Einf. in die Allg. Betriebswirtschaftslehre, 895 ff. 2 Zur Vorgehensweise bei der Liquiditätsprüfung der Finanzverwaltung: Maus, ZInsO 2004, 837 ff. 3 OLG Hamm v. 16.10.2007 – 27 U 179/06, ZInsO 2008, 511, 513; Plagens/Wilkens, ZInsO 2010, 2107 (2113); Bork, ZIP 2008, 1749 (1750). 4 Eilenberger in MünchKommInsO, 2013, § 17 Rz. 14. 5 BGH v. 19.4.2007 – 5 StR 505/06, juris.
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bezogenen Liquiditätsprüfung nicht angesetzt. Vielmehr sind die für ihre Erfüllung erforderlichen Zahlungen erst bei der Zeitraumbetrachtung zu berücksichtigen. Ist beispielsweise bei den Zahlungseingängen der Verkaufspreis für eine Warenauslieferung enthalten, muss bei den Zahlungsausgängen der Einkaufspreis berücksichtigt werden, falls die Ware nicht im Lager ist. Ferner sind auch alle neuen, während 30 Tagen entstehenden oder fällig werdenden Auszahlungen einzubeziehen. Die hierfür relevanten Zahlungspflichten und Fälligkeiten wurden oben erläutert. Diejenigen Verbindlichkeiten, die nach ständiger und unbeanstandeter Geschäfts- 99 praxis erst nach der formellen Fälligkeit beglichen werden, sind mit der üblichen Frist anzusetzen. Allerdings ist auf eine Prognosekontinuität zu achten. Auszahlungen unter Hinweis auf die Üblichkeit nach hinten zu verschieben, das Gleiche aber bei den erwarteten Einzahlungen zu unterlassen, führt zu Ermittlungsfehlern. (3) Zahlungsprognose Die für die Folgezeit erwarteten Ein- und Auszahlungen beruhen naturgemäß auf ei- 100 ner subjektiven Schätzung. Sie muss nachprüfbar sein, um die Feststellung des Insolvenzgrundes nicht der Willkür preiszugeben1. Zwar führen konkrete Prozentsätze für die Eintrittswahrscheinlichkeit leicht zu einer Scheingenauigkeit. Der Ausnahmecharakter einer Zahlungsstockung verlangt aber zumindest, dass die erwarteten Zahlungseingänge voraussichtlich stattfinden2. Zum Streit kommt es erst im Nachhinein, wenn die Insolvenz nicht vermieden werden konnte. Dann stellt sich die Frage, ob der Schuldner in vertretbarer Weise einen letztlich doch ausgebliebenen Zahlungseingang für überwiegend wahrscheinlich halten durfte. Theoretisch richtig wäre es zwar, mit mehrwertigen Prognosen zu arbeiten, weil die Entwicklung von vielen sich in unterschiedlicher Weise gegenseitig beeinflussenden Faktoren abhängt3. In der Krisenberatung drängt jedoch die Zeit. Jede zusätzliche Prüfungshandlung schadet durch die damit verbundene Verzögerung mehr, als dass sie nutzt. Deshalb reicht eine zweiwertige Prognose über die überwiegend wahrscheinliche und die nicht überwiegend wahrscheinliche Entwicklung aus4. Hierbei sollte, sofern vorhanden, auf Erfahrungswerte aus der Vergangenheit mit den jeweiligen Vertragspartnern zurückgegriffen werden. Dies hat zudem den Vorteil, dass die zugrunde gelegte Prognose durch die Vergangenheitswerte nachvollziehbar gemacht wird. Somit sind bei den Zahlungsmitteln anzusetzen: – Forderungen des Finanzbereichs, – Forderungen aus schwebenden Geschäften, – sonstige liquidierbare Aktiva, – erwartete Einnahmen aus Neugeschäften, sofern sie innerhalb von 21 Tagen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu Einzahlungen führen.
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cc) Muster Die Ermittlung der Zahlungsfähigkeit vollzieht sich in drei Stufen5. Die erste Stufe ist 102 die Erstellung eines Finanzstatus, in dem die gesamte Liquidität einschließlich der nicht ausgeschöpften Kreditlinien zu einem bestimmten Stichtag erfasst wird. Um die Zahlungsunfähigkeit von der Zahlungsstockung abzugrenzen, muss in einem zweiten Schritt die weitere Entwicklung dieser Anfangsliquidität betrachtet werden. Das geschieht mit Hilfe des Finanzplanes. Die Basis des Finanzplanes ist ein Unternehmenskonzept, in dem die wirtschaftliche und technische Ausrichtung des Unternehmens definiert wird6. Dazu gehören z.B. Umsatz- und Kapazitätsplanungen, Deckungsbeitragsrechnungen, Investitionspläne etc. Das Unternehmenskonzept und
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Götker, Geschäftsführer in der Insolvenz, 1999, Rz. 111 ff.; Bork, ZIP 2000, 1709 (1712). Götker, Geschäftsführer in der Insolvenz, 1999, Rz. 111 ff. („hinreichende Sicherheit“). Groß/Amen, Wpg 2002, 433; Drukarczyk/Schüler, Wpg 2003, 56 (60). Harz, ZInsO 2001, 193 (198 f.). Ein anderes Beispiel bei MünchKommInsO/Drukarczyk, 2013, § 18 Rz. 30 ff. Bork, ZIP 2000, 1709 (1711).
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Rz. 103
Schuldnerberatung
die Finanzplanung stehen im Wechselverhältnis zueinander. Das eine muss jeweils an das andere angepasst werden; denn es hat keinen Sinn, ein Szenario zu entwickeln, das nicht finanzierbar ist, wie umgekehrt die durch die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit bedingten Restriktionen das Unternehmenskonzept verändern. Insofern ist das Unternehmenskonzept eine verbale und rechnerische Darstellung der Prämissen, auf denen die letztlich getroffene Aussage über die Zahlungsfähigkeit beruht. 103 In Ergänzung zum IDW Prüfungsstandard „Empfehlungen zur Prüfung eingetretener oder drohender Zahlungsunfähigkeit bei Unternehmen“1 kann die Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit nach folgendem Muster erfolgen: Anfangsbestand
Wochen 1|2|3|4
I.
Anfangsbestände
1. 1.1 1.2 1.3 2. 3. 3.1 3.2 4.
Zahlungsmittel Kasse Bankguthaben Eingangsschecks Sofort liquidierbare Vermögensgegenstände (z.B. Anleihen) Offene Kreditlinien Bank A Bank B Summe Anfangsbestände
II.
Einzahlungen
1. 2. 2.1 2.2 2.3 3. 3.1 3.2 4. 4.1 4.2 5.
aus Forderungsinkasso aus laufendem Geschäftsbetrieb Barverkäufe Leistungen auf Ziel Anzahlungen aus Desinvestitionen Anlagenverkäufe Auflösung von Finanzinvestitionen aus Finanzerträgen Zinserträge Beteiligungserträge Summe Einzahlungen
III. Auszahlungen 1. 1.1 1.2 1.3 2. 2.1 2.2 3. 3.1 3.2 3.3 3.4 4.
für den laufenden Geschäftsbetrieb Gehälter/Löhne Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe Steuern/Abgaben für Investitionen Sachinvestitionen Ankäufe Vorauszahlungen Restzahlungen Finanzinvestitionen im Rahmen des Finanzverkehrs Kredittilgung Akzepteinlösung Eigenkapitalminderungen (z.B. Privatentnahmen) Zinsen Summe Auszahlungen
1 IDW PS 800 v. 22.1.1999, Wpg 1999, 250 ff.
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Summen
Insolvenzerçffnungsgrnde
Rz. 107 Anfangsbestand
Wochen
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Summen
1|2|3|4 IV. Ermittlung der Über- bzw. Unterdeckung durch I + II ./. III V.
Ausgleichs- und Anpassungsmaßnahmen
1. 1.1 1.2 1.3 1.4 2. 2.1 2.2
Bei Unterdeckung (Einzahlungen) Kreditaufnahme Eigenkapitalerhöhung Rückführung gewährter Darlehen zusätzliche Desinvestitionen Bei Überdeckung (Auszahlungen) Kreditrückführung Anlage in liquiden Mitteln
VI. Zahlungsmittelbestand am Periodenende unter Berücksichtigung der Ausgleichsund Anpassungsmaßnahmen
Das Finanzplanmuster des IDW Prüfungsstandards sieht ergänzend eine tage- und 104 eine monatsweise Erfassung vor. Eine tageweise Planung führt zu Scheingenauigkeiten, weil ein Unternehmen in der Krise regelmäßig keinen eigenen Liquiditätsspielraum mehr hat, sondern von dem Einzahlungsverhalten Dritter abhängig ist, das nicht taggenau prognostiziert werden kann. Eine Erfassung der Monatszeiträume ist nur von Bedeutung für die Ermittlung der drohenden Zahlungsunfähigkeit als dem fakultativen Insolvenzgrund. h) Praxishinweise Für größere Unternehmen empfiehlt sich die Verwendung eines Unternehmenspla- 105 nungsprogramms, bei dem nicht nur die Daten des Liquiditätsplanes miteinander verknüpft sind, sondern auch eine automatische Querverbindung zur Plan-GuV sowie Plan-Bilanz gezogen wird. Die Erfahrung zeigt, dass der Mandant eine Zahlungsunfähigkeit frühestens an- 106 nimmt, wenn er massiv eingeforderte Verbindlichkeiten nicht bezahlen kann. Dann ist es in der Regel zu spät. Jede anwaltliche Beratung führt zu einer Verzögerung des Insolvenzantrages und – für Organe juristischer Personen – meist auch zur persönlichen Haftung bis hin zur strafrechtlichen Verantwortung. Der Mandant sollte nachweisbar über die restriktive Handhabung des Insolvenzgrundes der Zahlungsunfähigkeit informiert werden (s. Checkliste Rz. 35). 3. Drohende Zahlungsunfähigkeit a) Praktische Relevanz Ein „Schuldner droht zahlungsunfähig zu werden, wenn er voraussichtlich nicht in 107 der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen“, § 18 Abs. 2 InsO. Dieser Eröffnungsgrund ist im Zusammenhang mit dem Ziel des Gesetzgebers der InsO zu sehen, die Rahmenbedingungen für ein insolvenzrechtliches Reorganisationsverfahren zu schaffen (vgl. § 1 Satz 1 a.E. InsO), dessen möglichst frühzeitige Einleitung die Erfolgschancen einer Sanierung erhöht. Dieser Ansatz steckt auch hinter der Einführung des sog. Schutzschirmverfahrens in § 270b InsO durch den ESUG-Gesetzgeber (s. § 3 Rz. 169 f.). Danach kann das Insolvenzgericht unter näher bestimmten Voraussetzungen die vorläufige Eigenverwaltung mit dem Ziel der Vorlage eines Insolvenzplans anordnen, wenn der Schuldner lediglich drohend zahlungsunfähig oder überschuldet ist.
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Schuldnerberatung
b) Maßgebender Betrachtungszeitraum 108 Über die Tatbestandsvoraussetzungen herrscht Unsicherheit. Höchstrichterliche Entscheidungen gibt es noch nicht, weil – jedenfalls vor dem ESUG – nur sehr selten von dem Antragsrecht wegen drohender Zahlungsunfähigkeit Gebrauch gemacht wurde – und wenn doch, das kaum zum Streit führte. Man ist sich zwar einig, dass die drohende Zahlungsunfähigkeit natürlich eine Zeitraumilliquidität ist1. Aber schon bei der Länge des Zeitraumes und den berücksichtigungsfähigen Zahlungspflichten bestehen unterschiedliche Auffassungen. Die Ursache ist der Gesetzeswortlaut, der auf die „bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fa ¨ lligkeit“2 abstellt. Daraus wird geschlussfolgert, der Prognosezeitraum erstrecke sich bis zu dem Datum, an dem die zuletzt fällig werdende Verbindlichkeit bezahlt werden müsse3. Dies können mehrere Jahre sein. Das ist zu lang: Der Zahlungsmittelbestand ist ein Saldo, der von der Entwicklung sämtlicher Aktiva genauso abhängt ist wie von derjenigen sämtlicher Passiva. Maßgebend für den Prognosezeitraum kann deshalb nur die Überlegung sein, bis zu welchem Termin sich die Entwicklung sämtlicher Aktiva und Passiva noch voraussehen lässt. Die Laufzeit nur einer einzigen langfristigen Verbindlichkeit ist kein geeignetes Kriterium für die Länge des Prognosezeitraumes. 109 Ebenfalls auf den Gesetzeswortlaut gestützt wird die Begrenzung der berücksichtigungsfähigen Schulden auf die schon begründeten Verbindlichkeiten4. Auch dem kann nicht gefolgt werden. Ein Insolvenzverfahren betrifft den Rechtsträger mit all seinen bei der Eröffnung vorhandenen Aktiva und Passiva. Wenn die Liquidität künftig nicht ausreicht, spielt es keine Rolle, ob das an den schon am Prognosestichtag bestehenden oder an den künftig (zwangsläufig) hinzu kommenden Schulden liegt. 110 Daraus folgt: Die drohende Zahlungsunfähigkeit ist anhand der unternehmensinternen Liquiditätsplanung zu ermitteln. Die einzige insolvenzrechtliche Anforderung ist, dass sie „voraussichtlich“ eintreten wird, also mit einer Wahrscheinlichkeit von über 50 %. Betriebswirtschaftlich erstreckt sich die kurzfristige Finanzplanung üblicherweise auf einen Zeitraum von etwa einem Jahr5. 111 Zwar kann sich eine Krisenentwicklung schon Jahre vor dem Eintritt eines Insolvenzgrundes abzeichnen6. Dem wird man jedoch durch eine außergerichtliche Sanierung begegnen7. Die Hilfe des Insolvenzrechts werden die Schuldner frühestens dann in Anspruch nehmen, wenn sich konkret abzeichnet, dass die außergerichtliche Sanierung zu scheitern droht. In der Praxis werden das, außer bei Saisonbetrieben, Prognosezeiträume von höchstens sechs Monaten sein. Außerhalb dieses Zeitraums wird der Schuldner im Regelfall die Einleitung eines Insolvenzverfahrens vermeiden. Die regelmäßig mit der Einleitung eines Insolvenzverfahrens verbundenen Nachteile werden in solch einem frühen Stadium die Vorteile des Verfahrens nicht überwiegen. c) Praxishinweise 112 Die drohende Zahlungsunfähigkeit ist zwar regelmäßig nur ein vorgeschobener Insolvenzgrund; denn kein Schuldner möchte sich mit der Angabe einer bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit in die Nähe der Insolvenzverschleppung rücken. Mittlerweile nehmen aber die Reorganisationsverfahren in der Kombination von Insolvenzplan und Eigenverwaltung zu (zu dem dann bestehenden Beratungsbedarf vgl. § 13). Hierfür kann sich die drohende Zahlungsunfähigkeit als ein wichtiger An1 Harz, ZInsO 2001, 193. 2 Hervorhebung d. Verf. 3 Humberg in Breutigam/Blersch/Goetsch, InsO, Stand 2011, § 18 Rz. 10; Götker, Geschäftsführer in der Insolvenz, Rz. 164 ff. 4 Burger/Schellberg, BB 1995, 261 (264); Burger/Schellberg, KTS 1995, 563 (567 f.); Jäger, DB 1986, 1441 (1446). 5 Wöhe, Einf. in die Allg. Betriebswirtschaftslehre, 585. 6 Wirtschaftsprüfer-Handbuch Bd. II, Abschn. F Rz. 30. 7 Aus diesem Grund und wegen der Weite des Überschuldungsbegriffs sehen K. Schmidt, Wege zum Insolvenzrecht der Unternehmen, S. 45, und Schüppen, DB 1994, 197 (200), keine große praktische Relevanz der drohenden Zahlungsunfähigkeit.
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tragsgrund erweisen, wie umgekehrt die Insolvenzverschleppung wegen der in § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO erwähnten Nachteilsbesorgnis ein Hinderungsgrund für die Eigenverwaltung ist. Angesichts großer Haftungsgefahren (§ 2 Rz. 41 ff.) und Anfechtungsrisiken (§ 10 Rz. 88 ff.) für Maßnahmen in der Krise außerhalb eines Insolvenzverfahrens ist immer zu prüfen, ob ein frühzeitiger Antrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit sinnvoll ist. Er ist ein durchaus geeignetes taktisches Kalkül, um dissentierende Gläubiger und 113 Gesellschafter in eine Sanierung einzubinden. Das gilt bei einem bestandsgefährdenden Gerichtsprozess, der bereits in einer Instanz verloren wurde oder zu verloren werden droht1, genauso wie bei bestandsgefährdenden Dauerschuldverhältnissen, die dem Erfüllungswahl- oder Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters unterliegen. Zwar hat die Nichterfüllung Schadensersatzpflichten zur Folge. Diesbezüglich ist der Vertragspartner jedoch nicht mehr Neugläubiger, sondern (alter) Insolvenzgläubiger und als solcher mit allen anderen gleich zu behandeln. Das erleichtert eine Verständigung erheblich2. 4. Überschuldung a) Überblick, praktische Relevanz Während die Zahlungsunfähigkeit der allgemeine Eröffnungsgrund für alle Schuldner 114 ist, kommt die Überschuldung nur bei juristischen Personen zur Anwendung, § 19 Abs. 1 InsO. „Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich“, § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO. Ein solcher Aktiva-Passiva-Vergleich ist aus der Handelsbilanz geläufig: Hier wie dort stellen sich die Fragen nach den berücksichtigungspflichtigen Vermögensgegenständen (Mengengerüst) und – vor allem – nach ihrer Bewertung. Als Reaktion auf die Finanzkrise hat der Gesetzgeber zum 18.10.2008 mit Art. 5 FMStG den Überschuldungsbegriff geändert und ihn an die Rechtslage zu Zeiten der KO angepasst. Zunächst war diese Regelung bis Ende 2010 bzw. 2013 befristet. Die in Art. 6 Abs. 3 FMStG geregelte Befristung wurde aber Ende 2012 aufgehoben3. Danach kann allein die positive Fortführungsprognose eine Überschuldung im Rechtssinn ausschließen4, d.h. die Fortführungsprognose ist ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal. Nach dem ursprünglichen Überschuldungsbegriff der InsO hatte diese Prognose nur Bedeutung dafür, ob die Bewertung der Aktiva und der Passiva nach Liquidations- oder Fortführungswerten vorzunehmen war. In der Praxis ist die erste Stufe der Überschuldung (Passiva L Aktiva) meist offen- 115 kundig. Regelmäßig ist es erst der Druck von außen, der den Schuldner veranlasst, anwaltlichen Rat einzuholen. Dann sind längst Verbindlichkeiten in einer das Vermögen übersteigenden Höhe aufgelaufen. Insbesondere aber bei der rechtzeitigen Beratung großer Unternehmen kann die Überschuldungsprüfung kompliziert sein. Ansonsten werden die nachfolgend dargestellten Einzelheiten insbesondere erst relevant, wenn nach der Eröffnung des Verfahrens Ansprüche gegen die Organe wegen Insolvenzverschleppung geltend gemacht werden. Dann ist ein reichhaltiger „Argumentationshaushalt“ der in Anspruch Genommenen sehr wichtig. b) Feststellung der sog. rechnerischen Überschuldung (1. Stufe) aa) Prüfungsreihenfolge Die Prüfung der Überschuldung erfolgt in zwei Schritten. Zunächst ist auf der 1. Stufe zu prüfen, ob die Passiva die Aktiva übersteigen (sog. rechnerische Überschuldung). Ist das nicht der Fall, scheidet eine rechtliche Überschuldung von vornherein 1 Uhlenbruck, ZInsO 2006, 338 (342). 2 Zur außergerichtlichen versus gerichtlichen Sanierung aus Sicht von Schuldner, Berater und Gläubigern: Ehlers, ZInsO 2005, 169 (170 ff.). 3 Zur Rechtfertigung s. Bitter/Hommerich/Rieß, ZIP 2012, 1201. 4 BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, ZIP 2013, 829 (Rz. 18).
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aus. Andernfalls schließt sich auf der 2. Stufe die Prüfung der Fortführungsprognose an (s. dazu Rz. 120). Ist diese negativ liegt Überschuldung gemäß § 19 InsO vor. Sofern es im Einzelfall einfacher sein sollte, kann selbstverständlich auch die umgekehrte Prüfungsreihenfolge gewählt werden. bb) Bilanzwerte 117 Der von jedem Kaufmann regelmäßig erstellte Vermögensvergleich ist die Handelsbilanz. Sie ist zwar nach wie vor als Krisensignal wichtig. Insbesondere kann sie einer der Anlässe sein, die Überschuldung eingehend zu prüfen. Auf sie kommt es auch an, wenn es um die Anzeige geht, dass die Hälfte des Stammkapitals verloren ist, § 49 Abs. 3 GmbHG. Ansonsten besteht Einigkeit, dass sie wegen der Standardisierung der handelsrechtlichen Rechnungslegung eine gesonderte Überschuldungsbilanz nicht ersetzt1. Insolvenzrechtlich geht es um die Prüfung, ob die Gläubiger aus dem Vermögen des Schuldners befriedigt werden können. Dafür kommt es auf die Verkehrs-, nicht auf die Buchwerte an. Die Überschuldungsbilanz kann jedoch aus der Handelsbilanz entwickelt werden, die insoweit Indizwirkung hat2. cc) Liquidationswerte 118 Bei den Verkehrswerten wird grds. unterschieden zwischen den Liquidations- und den Fortführungswerten. Ein Rechenzentrum beispielsweise besteht aus zahlreichen Einzelgeräten verschiedener Hersteller, Software und speziell mit Klimatisierung sowie Sicherheitsanlagen eingerichteten Räumen. Der Wert dieses Rechenzentrums ergibt sich erst aus dem Zusammenspiel der Komponenten. Die Veräußerung einzelner Gegenstände der Hardware wird nur geringe Erlöse bringen, und die Einbauten werden überhaupt nicht vergütet, falls sich nicht zufällig jemand findet, der dort ein anderes Rechenzentrum betreiben will. Anders ist es, wenn das Rechenzentrum als betriebswirtschaftlich-technische Einheit fortgeführt werden kann. Die Fortführung ist das Szenario für die Ermittlung der Fortführungswerte, die Veräußerung hingegen das Szenario für die Ermittlung der Liquidationswerte. Dabei bedeutet Veräußerung nicht zwingend den Verkauf jedes einzelnen Gerätes. Es können auch Gerätegruppen sein oder gar alle Gegenstände zusammen mit der Software. Von der so genannten Zerschlagungsintensität hängt es ab, in welchem Umfang Einzelwerte oder (teilweise) Gesamtwerte anzusetzen sind3. In der Praxis werden regelmäßig die Einzelwerte zugrunde gelegt, wenn nicht ausnahmsweise die betriebswirtschaftliche Einheit insgesamt an einen Erwerber übertragen werden kann. 119 Nach neuer Rechtslage seit Inkrafttreten des FMStG bzw. dessen Entfristung spielen – wie unter Geltung der KO4 – Fortführungswerte keine Rolle mehr. Es sind stets ausschließlich die Liquidationswerte anzusetzen5. Nach altem Recht war die Bewertung nach Fortführungswerten vorzunehmen, wenn eine positive Fortführungsprognose vorlag6. c) Fortführungsprognose aa) Prognosegegenstand: Ertrags- oder Zahlungsfähigkeit? 120 Das Gesetz stellt in § 19 Abs. 2 S. 1 InsO auf das Vermögen des Schuldners ab. Es kommt also auf die Fortführungsfähigkeit der Gesellschaft und nicht einzelner Teilbereiche an. Zudem stellt sich die Frage, ob die Fortführungsfähigkeit bereits gegeben ist, wenn die Zahlungsfähigkeit besteht oder darüber hinaus eine Ertragsfähig-
1 BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 102/11, ZInsO 2012, 732 (Rz. 5); BGH v. 26.4.2010 – II ZR 60/09, ZInsO 2010, 1396 (Rz. 11); BGH v. 2.4.2009 – IX ZR 236/07, ZInsO 2009, 1060 (Rz. 55). 2 BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 102/11, ZInsO 2012, 732 (Rz. 5); BGH v. 31.5.2011 – II ZR 106/10, ZInsO 2011, 1470 (Rz. 4); BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZInsO 2011, 970 (Rz. 33). 3 Möhlmann, DStR 1998, 1843 (1846 f.); IDW PS 270, 9/2003, S. 2. 4 BGH v. 13.7.1992 – II ZR 269/91, NJW 1992, 2891 (2894). 5 BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZInsO 2011, 970 (Rz. 30, 35). 6 BGH v. 31.5.2011 – II ZR 106/10, ZInsO 2011, 1470 (Rz. 8); BGH v. 27.4.2009 – II ZR 253/07, ZInsO 2009, 1159 (Rz. 12).
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keit gegeben sein muss1. Ziel der Insolvenzordnung ist es den Geschäftsverkehr vor Unternehmen zu schützen, die ihre Gläubiger nicht mehr befriedigen können. Ziel ist aber nicht die dauerhafte Ertragsfähigkeit eines Unternehmens für die Inhaber zu schützen2. Die Ertragsfähigkeit wird dabei als Fähigkeit des Unternehmens aus den erwirtschafteten Erträgen zumindest seine Verbindlichkeiten und Kosten des laufenden Betriebes zu decken definiert. Dem Gläubiger eines Unternehmens wird es aber regelmäßig nicht interessieren, ob er aus den Erträgen des Unternehmens selbst oder sonstigen dem Unternehmen zur Verfügung gestellten Mitteln die Befriedigung seiner Forderung erlangt. Ihm kommt es letztlich nur darauf an Befriedigung zu erlangen. Auf welchem Weg ist für ihn oftmals auch nicht nachzuvollziehen. Daher ist die Fortführungsfähigkeit in aller Regel bereits dann gegeben, wenn die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens besteht3. Etwas anderes kann sich nur in Sonderfällen ergeben, wenn die Ertragsfähigkeit des Unternehmens letztlich als Korrektiv für den zu kurzen Prognosezeitraum erforderlich ist. Dies kann in Ausnahmefällen in denen die zukünftige Entwicklung vorab für eine geraume Zeit feststeht möglich sein. Das AG Hamburg hatte hierzu einen Fall zu entscheiden in dem eine Gesellschaft reine Verwalterin von Kapitalvermögen war und nur über feste Einnahmen verfügte, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die in einigen Jahren anfallenden Pensionsverpflichtungen nicht mehr decken würden4. Als Ergebnis ist festzuhalten: – Gegenstand der Fortführungsprognose ist die Zahlungsfähigkeit der gesamten Unternehmensträgergesellschaft.
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bb) Prognosemethode Ist somit die Zahlungsfähigkeit der Unternehmensträgergesellschaft als primärer 122 Prognosegegenstand identifiziert, stellt sich als nächstes die Frage nach der Prognosemethode. Die Fortführungsprognose ist eine reine Zahlungsfähigkeitsprognose. Jede Einschätzung künftiger Ereignisse ist naturgemäß subjektiv5. Eine objektive 123 Wahrscheinlichkeit gibt es nur bei dem, was als das „Gesetz der großen Zahl“ bezeichnet wird. Dies ist nur bei Vorgängen die in einer hohen wiederholbaren Zahl von ähnlich gelagerten Fällen auftreten der Fall. Entwicklungen hingegen, die nicht auf einer solchen Wiederholung standardisierter Vorgänge beruhen, können nur subjektiv erwartet werden6. Erst hinterher steht objektiv fest, ob die tatsächlichen Verhältnisse den prognostizierten entsprachen. Sollte dem nicht so sein, muss die Prognose nicht fehlerhaft gewesen sein. Eine objektive Prognose von künftigen Ereignissen gibt es nicht7. Es kann immer nur darum gehen, ob sie subjektiv mit der gebotenen Sorgfalt angestellt wurde. Da es zum Streit erst kommt, wenn sich die Erwartungen nicht erfüllt haben, jeder Haftungskläger und jedes Gericht im Nachhinein also „schlauer“ sind, muss die Erstellung der Prognose genau dokumentiert werden. Nur dann lässt sich später die Beachtung der erforderlichen Sorgfalt darlegen. Grundlage ist u.a. ein Finanzplan für das Unternehmen, wie es steht und liegt8. Künf- 124 tige Strukturänderungen dürfen berücksichtigt werden, wenn es dafür konkrete Ansätze gibt, die mit nachvollziehbaren Prämissen unterlegt sind. 1 S. dazu: AG Hamburg v. 2.12.2011 – 67c IN 421/11, ZInsO 2012, 183 (184); Bitter/Kresser, ZIP 2012, 1733; Frystatzki, NZI 2011, 173. 2 Zur Definition der Ertragsfähigkeit s. Bitter/Kresser, ZIP 2012, 1733 (1736). 3 Dies wird in der Literatur unterschiedlich betrachtet. Die herrschende Meinung geht von der hier vertretenen Auffassung aus. Zum Meinungsstand im Einzelnen vgl. Bitter/Kresser, ZIP 2012, 1733 (1736 f.). 4 AG Hamburg, v. 2.12.2011 – 67c IN 421/11, ZInsO 2012, 183 (184). 5 Arbeitskreis „Externe und Interne Überwachung der Unternehmung“ der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e.V., DB 2003, 105 (106); Schüppen, DB 1994, 197 (199), spricht von der Gefahr des Selbstbetrugs. 6 Drukarczyk/Schüler, Wpg 2003, 56 (60). 7 Zur Fortführungsprognose s. Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, § 19 Rz. 42 ff. 8 BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, ZIP 2013, 829 (Rz. 18); Kallmeyer, GmbHR 1999, 16 (17) m.w.N.; Müller/Haas in Kölner Schrift, 2. Aufl. 2000, S. 1799, 1805 Rz. 16, der auf die Zweiteilung in künf-
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125 Die Fortführung muss gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO „überwiegend wahrscheinlich“ sein, also zu mehr als 50 % erwartet werden dürfen1. Um das zu belegen, bedarf es der Darstellung von (mindestens) zwei Szenarien, nämlich der überwiegend und der nicht überwiegend wahrscheinlichen Entwicklung2. Zwar steht der Gesetzeswortlaut einer einwertigen Prognose nicht entgegen. Dann müssen aber die weniger wahrscheinlichen Entwicklungen verbal erläutert werden. Ohne die Zusammenstellung der Liquiditätsauswirkungen in einem Zahlenwerk wird man im Nachhinein, wenn es wider Erwarten doch zur Insolvenz gekommen ist, kaum die Sorgfältigkeit der positiven Prognose belegen können. Daher ist es wichtig, die Annahmen, die der gemachten Planung zugrunde lagen hinreichend zu dokumentieren. Hierbei kann nur empfohlen werden, dies in einer auch für Dritte nachvollziehbaren Art und Weise zu dokumentieren. Die Planung ist bei abweichenden Entwicklungen oder neuen Erkenntnissen ständig zu aktualisieren. 126 Zukünftige Entwicklungen können in so zahlreichen Varianten eintreten, dass schon die nur zweiwertige Prognose eine sehr grobe Vereinfachung ist. Bei großen Unternehmen und einem entsprechend ausgestatteten Sanierungsteam sollten mehr als nur die wahrscheinliche und die weniger wahrscheinliche Alternative aufgezeigt werden3. Scheitert die Fortführung, ist der Vorwurf, bestimmte Entwicklungen bei einer nur zweiwertigen Prognose fahrlässig nicht bedacht zu haben, schnell bei der Hand. Im Regelfall besteht aber weder genügend Zeit noch genügend Geld für die Anwendung einer ausgefeilten Prognosetechnik. Da sich dem Gesetzeswortlaut nichts Gegenteiliges entnehmen lässt, kann man sich mit einem zweiwertigen Verfahren begnügen. Jeder denkbaren Entwicklung ist dabei eine bestimmte Eintrittswahrscheinlichkeit zuzuordnen. 127 Die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit ist eine Ja-Nein-Aussage, für die es nicht darauf ankommt, in welcher Höhe Unter- und Überdeckung ausfallen könnten. Das soll an folgendem Beispiel verdeutlicht werden: Im Szenario 1 ergibt sich eine Liquiditätsüberdeckung von 20 Euro, deren Eintritt die Geschäftsführung eine Wahrscheinlichkeit von 60 % beimisst. Im Szenario 2 wird eine Unterdeckung von 40 Euro erwartet. Dies hält die Geschäftsführung zu 40 % für wahrscheinlich. Daraus sind zwei Schlussfolgerungen denkbar: Entweder werden die + 20 Euro zugrunde gelegt, weil dieses Szenario überwiegend wahrscheinlich ist, oder es wird das arithmetische Mittel beider Erwartungswerte angesetzt: (+ 20 × 60 %) – (40 × 40 %) = – 4. Bei der zweiten Methode wäre die Aufrechterhaltung der Liquidität nicht überwiegend wahrscheinlich. Der Grund liegt darin, dass die hohe Unterdeckung im schlimmsten Fall die geringere Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts kompensiert. Eine solche Betrachtung räumt also den Konsequenzen – 40 Euro sind im schlimmsten Fall wesentlich gravierender als die nur + 20 Euro im best case – dieselbe Bedeutung ein wie der Eintrittswahrscheinlichkeit. Das widerspricht dem Gesetz, dessen Wortlaut nur auf die Eintrittswahrscheinlichkeit abstellt. Das arithmetische Mittel aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Eintrittsfolgen ist deshalb nicht zu bilden4, so dass im Beispiel die Fortführung mit 60 % überwiegend wahrscheinlich ist und demzufolge eine positive Fortführungsprognose gegeben ist. 128 Zu beachten ist auch, dass Grundlage für eine positive Fortführungsprognose ist, dass die geplante Geschäftsentwicklung mit den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln auch möglich ist. In der Praxis wird oftmals eine Geschäftsplanung vorgelegt, die zwar positive Erträge in der Zukunft darstellt, aber die für diese Entwick-
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tige Zahlungsfähigkeit und positive Ertragsentwicklung verweist; a.A., nur auf allgemeine Aussage zur Unternehmenszukunft abstellend, Burger/Schellberg, KTS 1995, 563 (571 f.). MünchKommInsO/Drukarczyk/Schüler, § 19 Rz. 77; OLG Naumburg v. 20.8.2003 – 5 U 67/03, GmbHR 2004, 361; Sikora, ZInsO 2010, 1761 (1766). Möhlmann, DStR 1998, 1843 (1844); Nonnenmacher, Sanierung, Insolvenz und Bilanz, in FS für Moxter, S. 1313 ff., S. 1316 f. und insbes. S. 1326 f. Groß/Amen, Wpg 2002, 225 ff.; Drukarczyk/Schüler, Wpg 2003, 56 ff.; Groß/Amen, Wpg 2003, 67 ff. A.A.: MünchKommInsO/Drukarczyk/Schüler, 2013, § 19 Rz. 64 ff.
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lung erforderliche Finanzierung ist nicht vorhanden. Insoweit ist essentieller Bestandteil der Planung auch die Umsetzung der Geschäftsplanung in einer Finanzplanung1. cc) Prognosezeitraum Als Prognosezeitraum wird das laufende und das folgende Geschäftsjahr für erfor- 129 derlich gehalten2. Das würde für eine im Dezember angestellte Prognose ein, für eine im Januar angestellte hingegen zwei Jahre bedeuten, vorausgesetzt, dass das Geschäftsjahr mit dem Kalenderjahr identisch ist. Da sich die betrieblichen Abläufe nicht an Abschlussstichtagen orientieren, sollten zwölf Monate unabhängig vom Beginn oder Ende des Geschäftsjahres ausreichen3. Ein längerer Zeitraum ist kaum mit einer justiziablen Verlässlichkeit zu beurteilen. Dabei ist zu bedenken, dass ein Unternehmen nur in der Krise Veranlassung hat, eine Fortführungsprognose zu erstellen. Dann hat es schon alle Reserven verbraucht, um Prognosereserven aufzufangen. Es muss deshalb sehr genau gerechnet werden. Das ist nur für einen gut überschaubaren Zeitraum möglich4. Wenn allerdings Ereignisse, die die Liquidität wesentlich beeinflussen, erst danach eintreten werden, dürfen ihre Auswirkungen nicht durch die Wahl des Prognosezeitraums künstlich abgeschnitten werden. Dazu gehört beispielsweise der Ablauf einer wichtigen Lizenz oder einer Betriebsgenehmigung, der Umzug wegen Beendigung des Mietvertrages für das Betriebsgrundstück oder vermehrte Liquiditätsbelastungen durch Pensionszahlungen. Ebenso sind Absatzzyklen zu berücksichtigen. So hat es für einen Eisproduzenten keinen Sinn, die Liquidität vom Juli des ersten bis zum Juli des zweiten Jahres zu planen. dd) Fortführungswille In Haftungsprozessen sind Geschäftsführer naturgemäß bemüht, die Aktiva im Nach- 130 hinein „rosig“ darzustellen. Auf die Fortführungswerte kommt es jedoch nicht mehr an, wenn sie durch ihr eigenes Verhalten dokumentieren, dass sie die Einstellung der Geschäftstätigkeit vorbereiten5. Neben der finanzwirtschaftlichen Überlebensfähigkeit des Schuldners setzt eine günstige Fortführungsprognose auch einen Fortführungswillen voraus6. ee) Abhängigkeit von Dritten Eine Sanierung aus eigener Kraft ist selten. Eine positive Fortführungsprognose ba- 131 siert häufig darauf, dass Gläubiger auf Forderungen verzichten, Kunden einen bestimmten Auftrag erteilen, eine bestimmte Lizenz eingeräumt wird oder mit einem Hersteller z.B. ein Vertragshändlervertrag geschlossen wird. Die gewöhnliche Geschäftstätigkeit basiert zwar auch darauf, dass in Zukunft eine Vielzahl neuer Einund Verkaufsverträge geschlossen werden, was Gegenstand der Prognose ist. Eine verlässliche Prognose von wichtigen Einzelvereinbarungen, mit denen die weitere Geschäftstätigkeit steht und fällt, bedarf hingegen großer Zurückhaltung. Sie dürfen der Planung nur dann zugrunde gelegt werden, wenn es konkrete Indizien dafür gibt, dass eine Beteiligung des Dritten als überwiegend wahrscheinlich i.S.v. § 19 Abs. 2 InsO ist7. Anderenfalls bleiben nur die drei Wochen des § 15a InsO, um die Fortführungsvoraussetzungen herzustellen. Dies gilt auch für Finanzierungsvereinbarungen mit Bankinstituten.
1 S. hierzu auch Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 19 Rz. 44 m.w.N. 2 H.M., Kirchhof in in HK-InsO, § 19 Rz. 11; Hachenburg/Ulmer, GmbHG, § 63 Rz. 37; Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 19 Rz. 40; Müller/Haas in Kölner Schrift, 2. Aufl. 2000, S. 1799, 1805 Rz. 17. 3 Empfehlungen zur Überschuldungsprüfung bei Unternehmen, FAR 1/1996, S. 21. 4 OLG Naumburg v. 20.8.2003 – 5 U 67/03, GmbHR 2004, 361 (362). 5 Vgl. den Fall von KG Berlin v. 1.11.2005 – 7 U 49/05, GmbHR 2006, 374. 6 BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, ZIP 2013, 829 (Rz. 18); BGH v. 18.10.2010 – II ZR 151/09, ZInsO 2010, 2396 (Rz. 13). 7 BGH v. 23.2.2004 – II ZR 207/01, ZIP 2004, 1049; OLG Köln v. 5.2.2009 – 18 U 171/07, ZInsO 2009, 1402 (1404); Sikora, ZInsO 2010, 1761 (1771).
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Rz. 132
Schuldnerberatung
ff) Zusammenfassung 132 Man kann also im Ergebnis festhalten, dass eine juristische Person, bei der die Aktiva die Passiva übersteigen unabhängig von dem Bestehen einer Fortführungsprognose nicht überschuldet ist. Übersteigen die Passiva die Aktiva, muss zur Vermeidung der insolvenzrechtlichen Überschuldung eine positive Fortführungsprognose hinzu kommen. Diese setzt nur die Zahlungsfähigkeit in den kommenden zumindest zwölf Monaten und nicht die Ertragsfähigkeit voraus. Die zugrunde gelegte Geschäftsplanung muss durch eine Finanzplanung abgesichert sein, anderenfalls besteht keine Fortführungsmöglichkeit und damit auch keine positive Fortführungsprognose. d) Einzelheiten zum Überschuldungsstatus 133 Die Wertermittlung muss in jedem Fall nach der gesetzlichen Neuregelung zum Liquidationswert erfolgen. Bei der Wertermittlung sind im Einzelnen die nachfolgenden Punkte zu beachten. aa) Stichtagsprinzip 134 Jede Vermögensermittlung ist stichtagsgebunden. Das gilt für die Handelsbilanz genauso wie für die Bewertung eines Unternehmens zum Zwecke der Einbringung als Sacheinlage1 oder der Abfindung ausscheidender Gesellschafter2 – und das gilt natürlich auch für den Überschuldungsstatus3. Verschlechterungen, die nach dem Stichtag eintreten, begründen allenfalls eine neue Überschuldungssituation, wirken aber nicht zurück. Dennoch ist jede Bewertung zukunftsbezogen. Für das Umlaufvermögen wird untersucht, in welcher Höhe eine Forderung zeitnah realisiert werden kann, ob sich gegebenenfalls Einwände beseitigen lassen, wie hoch bei unfertigen Erzeugnissen der restliche Fertigstellungsaufwand ist, welche Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe für den laufenden Geschäftsbetrieb voraussichtlich noch benötigt werden und welche einen überhöhten Bestand darstellen, der nur noch unter den Einkaufspreisen losgeschlagen werden kann, etc. Beim Anlagevermögen wird überlegt, welche Maschinen nach Maßgabe der Produktions- und Absatzplanung noch betriebsnotwendig sind, ob und in welcher Höhe sich stille Reserven durch den Verkauf einzelner Gegenstände/Grundstücke realisieren lassen, was häufig mit einer Planung neuer Betriebsabläufe in der Zukunft einhergeht. Ein Autohändler beispielsweise, dessen Ausstellungs- und Werkstattgebäude an einer Hauptverkehrsstraße liegt, muss bereits heute bei der Bewertung berücksichtigen, dass in drei Jahren die von der Gemeinde geplante Ortsumgehung fertig gestellt und die vorbeiführende Straße nunmehr eine verkehrsberuhigte Zone wird. 135 Hieraus wird deutlich, dass sich künftige Ereignisse stets im stichtagsbezogenen Verkehrswert abbilden. Naturgemäß ist das bei der Ermittlung des Liquidationswertes wegen der Aktualität weniger relevant als bei der Ermittlung eines Fortführungswertes. Eine für die Überschuldungsprüfung zentrale Frage lautet, welche nach dem Stichtag erwarteten Aufwendungen berücksichtigt werden müssen. Hierbei sollte zwischen den insolvenzbedingten, den bewertungsbedingten sowie den geplanten Kosten unterschieden werden. (1) Insolvenzbedingte Kosten 136 Die Überschuldungsbilanz dient der Prüfung, ob der Eröffnungsgrund vorliegt. Deshalb müssen alle Verbindlichkeiten, die vom Ergebnis dieser Prüfung abhängen, unberücksichtigt bleiben4. Das gilt insbesondere für die Verfahrenskosten, Sozialplanabfindungen oder Leerkosten, die infolge einer Insolvenzeröffnung anfallen. Ein anderes Beispiel ist die Vorsteuerkorrektur gemäß § 17 Abs. 1 UStG (vgl. § 11
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Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, § 5 Rz. 36. Hachenburg/Ulmer, GmbHG, § 34 Rz. 74. Smid/Leonhard in Smid, InsO, § 19 Rz. 23; Mönning in Nerlich/Römermann, InsO, § 19 Rz. 15. Schröder in Hamburger Kommentar zur InsO, § 19 Rz. 39; Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO, § 19 Rz. 98.
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Insolvenzerçffnungsgrnde
Rz. 139
§1
Rz. 222 ff.), die eingreift, wenn die Schuldnerin insolvenzbedingt ihre Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen kann, für die sie Vorsteuer in Anspruch genommen hatte. (2) Bewertungsbedingte Kosten Von den insolvenzbedingten Kosten sind die bewertungsbedingten Kosten zu unter- 137 scheiden. Das sind diejenigen Aufwendungen, die getätigt werden müssen, um den im Überschuldungsstatus angesetzten Wert zu realisieren. Die Frage lautet simpel: Darf bis zur Entstehung der entsprechenden Verbindlichkeit – z.B. bis zur Vereinbarung eines Sozialplans bei Stilllegung der Produktionsstätte – gewartet werden, oder müssen die künftigen Aufwendungen bereits am Stichtag im Überschuldungsstatus als Rückstellung passiviert werden? Das ist zu bejahen, soweit es sich um Kosten handelt, die mit dem Wertungsansatz verbunden sind. Nur dann ist die Bewertung widerspruchsfrei. Es gibt keinen Grund, mit dem Insolvenzantrag so lange zu warten, bis die Liquidationskosten als Verbindlichkeit rechtlich entstanden oder gar fällig geworden sind. In der allgemeinen Begründung zum Regierungsentwurf der InsO heißt es, es werde „allgemein als wünschenswert angesehen, dass insolvente Schuldner früher als heute in das Insolvenzverfahren gelangen“1. Sich auf der einen Seite durch die Realisierung stiller Reserven „reich zu rechnen“ und auf der anderen Seite die mit der Realisierung des Reichtums verbundenen Aufwendungen nicht zu berücksichtigen, wäre ein Weertungswiderspruch. Letztlich ist die Realisierung stiller Reserven nichts anderes als die Prognose des Gewinns aus einem künftigen Geschäft. Für die normale Umsatztätigkeit ist es aber völlig selbstverständlich, dass die Überschüsse aus künftigen Geschäften nur nach Abzug sämtlicher mit ihnen verbundener Aufwendungen ermittelt werden dürfen. Diese Aufwendungen sind, da rechtlich noch nicht entstanden, im Überschuldungs- 138 status als Rückstellung anzusetzen. Der Passivierung eines solchen Aufwandes kann schließlich auch nicht entgegengehalten werden, dass derartige Rückstellungen nicht vom enumerativen Katalog des § 249 HGB erfasst sind. Der Überschuldungsstatus richtet sich nach den Verkehrswerten. Handelsrechtliche Ansatz- und Bewertungsvorschriften spielen keine Rolle. Das gilt sowohl zugunsten – z.B. beim Ansatz immaterieller Vermögensgegenstände (das handelsrechtliche Bilanzierungsverbot wurde durch das BilMoG aber eingeschränkt, § 248 Abs. 2 HGB) – als auch zuungunsten des Schuldners. Stille Reserven sind genauso zu berücksichtigen wie stille Lasten. Etwas anderes gilt nur dann, wenn von der Passivierung der entsprechenden Beträge die Notwendigkeit der Stellung eines Insolvenzantrages abhängt2. (3) Geplante Kosten Von den insolvenz- und den bewertungsbedingten Kosten unterscheiden sich die 139 geplanten Kosten dadurch, dass sie unabhängig vom Insolvenzereignis und auch unabhängig von einer Verwertungsplanung anfallen, die dem Überschuldungsstatus zugrunde liegt. Sie sollen am Beispiel des „Sowieso-Sozialplans“ erläutert werden. Überwiegend3 wird eine Passivierung des Sozialplanaufwandes erst verlangt, wenn die Stilllegungsentscheidung endgültig gefasst wurde. Diese Ansicht beruht auf der Überlegung, dass der Aufwand frühestens anzusetzen ist, wenn er sich durch eine Unternehmerentscheidung konkretisiert hat. Diese Sichtweise entspricht § 249 Abs. 2 HGB, der Rückstellungen „für ihrer Eigenart nach genau umschriebene“ Aufwendungen zulässt. Die handelsrechtlichen Bilanzierungsvorschriften sind für den Überschuldungsstatus jedoch nicht maßgebend. Entscheidend ist der Verkehrswert. Auch die Passiva müssen so angesetzt werden, wie es ein Dritter tun würde, der dem Schuldner das Vermögen einschließlich künftiger Verbindlichkeiten abkaufen würde. Für ihn käme es auf die Unausweichlichkeit des Aufwands an. Seine Erfassung im Überschuldungsstatus kann nicht davon abhängen, ob die Geschäftsleitung den
1 Begr. RegE, RWS Dok. 18, 97. 2 So auch Uhlenbruck/Schmidt, Rz. 5.179. Vgl. zu dem vielfältig hier vertretenen Meinungsstand MünchKommInsO/Drukarczyk/Schüler, § 19 Rz. 120 ff. 3 Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, § 19 Rz. 125.
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Schuldnerberatung
Stilllegungsbeschluss über den Bewertungsstichtag hinaus verzögert. Was also im Unternehmenskonzept, an dem sich die Zahlungsfähigkeitsprognose ausrichtet, als Maßnahme geplant ist, muss im Überschuldungsstatus auch als Rückstellung für die damit verbundenen (Sanierungs-)Kosten erfasst werden. bb) Einzelne Aktiva 140 In der Literatur1 finden sich umfangreiche Hinweise zur Bewertung einzelner Positionen. Hängt die Verwertung des Umlaufvermögens davon ab, ob noch wertverbessernde Maßnahmen unternommen werden – das betrifft insbesondere die Vollendung unfertiger Erzeugnisse und die Mängelbeseitigung zur Durchsetzung einredebehafteter Forderungen –, ist der Aufwand von dem dann erzielbaren Erlös in Abzug zu bringen. Das sind die oben erwähnten bewertungsbedingten Kosten. (1) Forderungen gegen Gesellschafter/Geschäftsführer 141 Forderungen gegen Gesellschafter/Geschäftsführer sind unabhängig davon zu aktivieren, ob sie bisher in der Handelsbilanz berücksichtigt wurden. Das gilt insbesondere für Ansprüche im Zusammenhang mit Verstößen gegen die Gebote der Kapitalaufbringung und -erhaltung oder im Rahmen der Existenzvernichtunghaftung2. Ansprüche gegen die Organe aus § 64 S. 1, 3 GmbHG oder § 92 Abs. 2 S. 1, 3 AktG sind ebenfalls anzusetzen, allerdings sind – bilanzneutral – gleichzeitig die Forderungen der bevorzugt befriedigten Gläubiger bei den Passiva zu erfassen3. (2) Ansprüche gemäß §§ 92, 93 InsO 142 § 93 InsO verpflichtet den Insolvenzverwalter, für die Dauer des Verfahrens die persönliche Haftung eines Gesellschafters geltend zu machen. Das gilt dem Wortlaut nach nur für Gesellschaften ohne eigene Rechtspersönlichkeit. Bei ihnen ist die Überschuldung nur dann ein Insolvenzgrund, wenn keine natürliche Person zu den persönlich haftenden Gesellschaftern gehört, §§ 130a, 177a HGB. 143 Die auf § 93 InsO gestützten Ansprüche sind im Überschuldungsstatus nicht zu aktivieren, weil es sich um Forderungen der Gläubiger handelt, die der Verwalter als eine Art Prozessstandschafter geltend macht4. Sie gehören nicht zum Gesellschaftsvermögen. Überdies greift § 93 InsO erst mit Verfahrenseröffnung ein, kann also die Frage, ob das Verfahren wegen Überschuldung eröffnet werden soll, nicht beantworten. 144 Die unter § 92 InsO fallenden Ansprüche auf Ausgleich so genannter Gesamtgläubigerschäden im Überschuldungsstatus dürfen ebenfalls nicht aktiviert werden, weil es sich nicht um Ansprüche des Schuldners, sondern der Gläubiger handelt, die der Verwalter ebenfalls nur Kraft besonderer Ermächtigung geltend macht. (3) Keine Ausnahme für GmbH & Co. 145 Nach §§ 130a, 177a HGB ist für eine Personengesellschaft des Handelsrechts5 auch bei Eintritt der Überschuldung ein Insolvenzverfahren zu beantragen, falls kein unbeschränkt haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist6. Dem Wortlaut nach kommt es für die Auslösung der Antragspflicht einzig und allein auf die Vermögensverhältnisse der Personengesellschaft an. Die Bonität der beschränkt haftenden Gesellschafter ist unbeachtlich. Es ist demnach kein konsolidierter Status zu erstellen,
1 Vallender/Undritz/Henkel, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 4 Rz. 109 f.; Müller/Haas in Kölner Schrift, 2. Aufl. 2000, S. 1799 ff., 1809 ff.; Reck, ZInsO 2004, 728 (729 f.). 2 Schröder in Hamburger Kommentar zur InsO, § 19 Rz. 25; Frystatzki, NZI 2013, 161 (164). 3 Schröder in Hamburger Kommentar zur InsO, § 19 Rz. 25; Brünkmans, ZInsO 2011, 2167; a.A.: Frystatzki, NZI 2013, 161 (162). 4 Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, § 19 Rz. 69. 5 Für die BGB-Gesellschaft gilt das nicht. 6 Für den Gläubigerantrag ist die Überschuldung hingegen nicht ausreichend, da der allgemeine Eröffnungsgrund in § 19 InsO nur für juristische Personen gilt. Antragspflicht und Antragsrecht divergieren bei der Personengesellschaft mit beschränkt haftenden Gesellschaftern.
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Insolvenzerçffnungsgrnde
Rz. 149
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der ihre Vermögensverhältnisse einbezieht1. Als Konsequenz wird die Antragspflicht mit der in § 130a Abs. 2 und 3 HGB verbundenen Verschleppungshaftung auch dann ausgelöst, wenn die Gläubiger über die Komplementärhaftung noch vollständig befriedigt werden können. In diesem Punkt besteht eine Ungleichbehandlung mit denjenigen Personengesell- 146 schaften, für die es wegen der unbeschränkten Haftung von natürlichen Personen bei Eintritt der Überschuldung keine Antragspflicht gibt. Obwohl auch das Vermögen natürlicher Personen „endlich“ ist und eine GmbH als Komplementärin durchaus leistungsfähiger als eine natürliche Person sein kann, dürfen wegen des eindeutigen Gesetzeswortlauts die Haftungsansprüche nicht aktiviert werden, obwohl sie gemäß § 93 InsO im Rahmen eines Insolvenzverfahrens die Masse erhöhen2. Sollte die Komplementär-GmbH für eine Unterdeckung eintreten können und wollen, ist mit ihr eine entsprechende Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft (Einlage, Darlehen mit Rangrücktritt o.Ä.) zu vereinbaren. (4) Immaterielle Vermögensgegenstände Bestimmte immaterielle Vermögensgegenstände dürfen in der Handelsbilanz nicht 147 angesetzt werden, wenn sie selbst geschaffen wurden, § 248 Abs. 2 S. 2 HGB. Das gilt auch dann, wenn eigene Entwicklungsergebnisse durch Patente oder Geschmacksmusterrechte etc. geschützt sind. Für den Überschuldungsstatus greift dieses Ansatzverbot hingegen nicht ein. Kann der Vermögensgegenstand selbständig veräußert werden, ist der mutmaßliche Erlös einzustellen. (5) Schwebende Geschäfte und Roh, Hilfs- und Betriebsstoffe (RHB) Für die Handelsbilanz gilt das Realisationsprinzip, § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB. Gewinne 148 aus schwebenden Geschäften dürfen erst berücksichtigt werden, wenn das Geschäft vom Schuldner ausgeführt wurde. Auch das findet auf den Überschuldungsstatus keine Anwendung. Der Wert unfertiger Erzeugnisse entspricht dem Vertragspreis für das fertige Erzeugnis abzüglich der restlichen Fertigstellungskosten (retrograde Bewertung). Nichts anderes gilt, wenn mit der Ausführung des Geschäfts noch nicht begonnen wurde. Dann sind die gesamten Fertigstellungskosten vom Kontraktpreis abzuziehen, und zwar nicht nur die variablen, sondern sämtliche Kosten einschließlich der anteiligen Gemeinkosten; denn ein Vertrag, der keinen die noch aufzuwendenden Vollkosten übersteigenden Erlös bringt, hat keinen Wert, wie umgekehrt ein „guter“ Vertrag mit dem voraussichtlichen Gewinn aktiviert werden kann. Voraussetzung ist, dass die Vollendung unfertiger Erzeugnisse oder die Erfüllung eines Vertrages noch finanziert werden kann. Kann die Geschäftstätigkeit hingegen nicht dauerhaft fortgesetzt werden, lässt sich ein „guter“ Vertrag allenfalls noch verkaufen. Das bedarf der Zustimmung des Auftraggebers. Auch wird ein Übernehmer nicht den Gewinn vergüten, den er eventuell nach erfolgreicher Vertragserfüllung später einmal realisieren wird. Deshalb sind vom kalkulierten Überschuss Abschläge vorzunehmen. Bei der Bewertung von Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen gilt es nach den vorstehenden Grundsätzen zu bewerten, ob diese noch zu fertigen Produkten verarbeitet werden können und was hierfür aufgewendet werden muss. Zudem muss beurteilt werden, ob das fertige Produkt überhaupt noch veräußerungsfähig ist. Hier kann sich je nach Art des Produktes noch ein erheblicher Wertzuwachs auf der Aktivseite ergeben oder im anderen Extremfall die Berücksichtigung einer erheblichen Verbindlichkeit, weil eine Veräußerung nicht mehr in Betracht kommt und zusätzlich noch Entsorgungskosten entstehen. Ähnlich wie mit schwebenden Verträgen, die auf einen einmaligen Leistungsaus- 149 tausch gerichtet sind, verhält es sich mit den Dauerschuldverhältnissen. Günstige Einkaufsverträge, lukrative Abnahmevereinbarungen oder attraktive Mietverträge haben einen „Wert“, wenn sie übertragbar sind. Ist nichts anderes vereinbart, bedarf 1 Vgl. dazu Scholz/K. Schmidt/Bitter, GmbHG, vor § 64 Rz. 140 ff. 2 Wobei hier nicht erörtert werden kann, ob diese Masse auch für Masseschulden verwendet werden darf.
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Schuldnerberatung
es dafür der Zustimmung des Vertragspartners, der dies bei für ihn ungünstigen Vereinbarungen von Nachbesserungen abhängig machen wird, so dass der Vorteil für den Schuldner schwindet. Auch hier gilt im Übrigen für die Fortführung, dass die günstigen Verträge in den Zukunftserfolgswert einfließen. (6) Derivativer Firmenwert 150 Als derivativer Firmenwert wird regelmäßig die Differenz zwischen dem von dem Schuldner für den Erwerb eines Unternehmens gezahlten Kaufpreis und dem Wert der einzelnen Vermögensgegenstände bezeichnet, vgl. § 246 Abs. 1 S. 4 HGB. Dieser Betrag wird von später notleidenden Käufern in der Handelsbilanz gerne möglichst lange als Firmenwert vorgetragen, indem nicht die relativ kurze Regelabschreibung des § 255 Abs. 3 S. 1 HGB vorgenommen wird, sondern eine wesentlich längere nach der vermeintlich längeren Nutzungsdauer. In Wahrheit hat sich das erworbene Unternehmen als nicht so lukrativ erwiesen, wie es der Schuldner beim Erwerb eingeschätzt hatte. Sonst wäre die Krise nicht eingetreten. Aber selbst wenn die Krisenursache in anderen Umständen liegen sollte, ist der Firmenwert nicht isoliert veräußerbar. (7) Wert der Firma 151 Vom Firmenwert zu unterscheiden ist der Wert der Firma (§ 17 Abs. 1 HGB), die häufig auch noch als Marke geschützt ist. Sowohl die Firma (vgl. §§ 32 f. HGB) als auch die Marke (vgl. § 27 MarkenG) können übertragen werden, die Firma allerdings nur zusammen mit dem Handelsgeschäft, was bei einer Liquidation jedoch kein Hindernis ist1. (8) Sicherungs- und aufrechnungsbelastete Vermögensgegenstände 152 Die Aktiva sind unabhängig davon anzusetzen, ob sie mit Sicherungs- oder Aufrechnungsrechten belastet sind. Anderenfalls müssten die Passiva um denselben Verkehrswert reduziert werden, mit dem die Aktiva unberücksichtigt blieben. Das verstößt gegen das Gebot der Vollständigkeit eines Überschuldungsstatus (vgl. § 246 Abs. 2 S. 1 HGB für die Handelsbilanz). Bei der Ermittlung einer aus dem Überschuldungsstatus abgeleiteten außergerichtlichen Vergleichsquote ist zu beachten, dass die Gläubiger nicht mit einer Quote auch für denjenigen Teil ihrer Forderungen einverstanden sein werden, für den sie durch Aufrechnung oder Sicherheitenverwertung eine volle Befriedigung erwarten können. (9) Insolvenzanfechtung 153 Insolvenzrechtliche Anfechtungsansprüche dürfen nicht aktiviert werden, weil sie außerhalb eines Insolvenzverfahrens nicht zur Schuldendeckung beitragen. Außerdem dienen sie der Gläubigergleichbehandlung mit der Konsequenz, dass der Anfechtungsgegner im Gegenzug eine Forderung gegen den Schuldner erhält, § 144 InsO. Das Reinvermögen wird durch die Anfechtung nicht verändert. cc) Einzelne Passiva 154 Auf der Passivseite des Überschuldungsstatus müssen sämtliche Schulden angesetzt werden, die aus dem Aktivvermögen zu befriedigen sind, unabhängig davon, ob sie fällig sind, vgl. § 41 InsO. (1) Darlehen der Gesellschafter 155 Forderungen auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens oder entsprechende Forderungen sind im Insolvenzverfahren nur mit Nachrang zu berücksichtigen, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO. Auch weil diese Wirkung erst nach Verfahrenseröffnung eintritt sind die entsprechenden Verbindlichkeiten als Passiva anzusetzen2. Zudem ergibt
1 S. § 23 HGB; zur Problematik der Firmenfortführung bei Ausscheiden des namensgebenden Gesellschafters s. Weßling, GmbHR 2004, 487 ff. 2 BGH v. 23.9.2010 – IX ZB 282/09, ZInsO 2010, 2091 (Rz. 10); Schröder in Hamburger Kommentar zur InsO, § 19 Rz. 43.
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sich das als Rückschluss aus § 19 Abs. 2 S. 2 InsO, wonach die Passivierungspflicht nur bei einem Rangrücktritt entfällt. Das entspricht der Rechtsprechung vor Inkrafttreten des MoMiG1. Die Konsequenzen können fatal sein. Denkt der Geschäftsführer rechtzeitig an die 156 Rangrücktrittsvereinbarung, hat der Minderheitsgesellschafter ein Druckmittel in der Hand, um sich sein wertloses Darlehen samt Geschäftsanteil von der Mehrheit abkaufen zu lassen. Die Mehrheit wird an einer Insolvenzvermeidung regelmäßig wesentlich interessierter sein als die Minderheit, weil sie die höheren Verluste tragen würde und bei einer Fortsetzung zudem den Vorteil hätte, die durch den Rangrücktritt weiterlebende Gesellschaft zu beeinflussen. Das Verbot sittenwidriger Schädigung bzw. das Gebot der Treuepflicht2 wird wegen des Zeitdrucks nur eine stumpfe Waffe sein. Häufig sind sich die Organe gar nicht dessen bewusst, dass die Gesellschafterfinan- 157 zierung eine Überschuldung begründen kann. Intuitiv haben die Gesellschafter in der Vergangenheit genau die Finanzierungsverantwortung übernommen, die letztlich hinter den Regelungen steht. Im Haftungsprozess stellt sich die Frage, ob der schleunigst nachgeholte Abschluss von Rangrücktrittsvereinbarungen es gestattet, die Gesellschafterdarlehen ex tunc unberücksichtigt zu lassen. Das ist namentlich dann von Bedeutung, wenn der nachgeholte Rangrücktritt die inzwischen vertiefte Überschuldung nicht mehr beseitigen kann, so dass dem Geschäftsführer mit einer ex nunc-Wirkung nicht gedient ist. Die Gesellschaft wäre, würde man die Rückwirkung ablehnen, bereits zu einem Zeitpunkt überschuldet gewesen, zu dem bei einer ex tuncWirkung die Überschuldung noch hätte vermieden werden können. Da der Rangrücktritt Verfügungscharakter hat (Rz. 189), dürfte ihm jedoch nur eine ex nunc-Wirkung zukommen. Bei der Haftung wegen Insolvenzverschleppung könnte allenfalls damit „geholfen“ werden, dass es am Verschulden fehlt, wenn der Insolvenzgrund durch einen erwarteten Rangrücktritt hätte vermieden werden können, der später tatsächlich nachgeholt wird. Eine höchstrichterliche Entscheidung ist hierzu jedoch nicht ergangen. Haben die Gesellschafter, statt Darlehen auszureichen, Sicherheiten für Forderun- 158 gen Dritter bestellt (vgl. § 135 Abs. 2 InsO), müssen diese Verbindlichkeiten weiterhin im Überschuldungsstatus passiviert werden3. Besteht ein vertraglich vereinbarter Freistellungsanspruch gegen den Gesellschafter, ist dieser Anspruch (soweit er werthaltig ist) zu aktivieren, wenn der Sicherungsgeber gleichzeitig auf seinen Rückgriffsanspruch verzichtet oder zumindest den Rangrücktritt erklärt hat4. Das gilt entsprechend bei einer sog. harten internen Patronatserklärung5. Hier ist indes immer zu überprüfen, ob der Gesellschafter wirtschaftlich in der Lage ist seiner Verpflichtung nachzukommen. (2) Rückstellungen Die in einer Handelsbilanz gebotenen Rückstellungen müssen regelmäßig auch in der 159 Überschuldungsbilanz angesetzt werden6. Das gilt namentlich für Verluste aus schwebenden Geschäften7. Dazu gehören nicht nur die Geschäfte, die bei Erfüllung durch die Schuldnerin einen Verlust bringen, sondern auch diejenigen, die bei negativer Fortführungsprognose nicht mehr erfüllt werden können. Für sie sind entsprechende Schadensersatzansprüche zurückzustellen8.
1 BGH v. 8.1.2001 – IX ZR 88/99, ZIP 2001, 235 (236 ff.). 2 Vgl. BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, ZIP 1995, 819 ff. („Girmes“) zur Treuepflicht der Aktionäre. 3 Schröder in Hamburger Kommentar zur InsO, § 19 Rz. 42; Meyer-Löwy, ZIP 2003, 1920 (1923 ff.). 4 Schröder in Hamburger Kommentar zur InsO, § 19 Rz. 42; Vallender/Undritz/Henkel, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 4 Rz. 125, 140 m.w.N. 5 Vallender/Undritz/Henkel, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 4 Rz. 125, 167 m.w.N. 6 BGH v. 22.9.2003 – II ZR 229/02, ZIP 2003, 2068 (2070). 7 Schröder in Hamburger Kommentar zur InsO, § 19 Rz. 37. 8 Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, § 19 Rz. 103 ff.
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160 Bei Krisenunternehmen bestehen häufig langfristige Verpflichtungen aus Dauerschuldverhältnissen, denen kein Vorteil für das Unternehmen gegenübersteht. Das ist z.B. der Fall bei nicht mehr genutzten Mieträumen und -gegenständen. Hier sind die noch vertraglich geschuldeten Miet- oder Leasingsraten zu berücksichtigen. Eine Verringerung der Belastung aufgrund der Möglichkeit einer vorzeitigen anderweitigen Vermietung oder einer Verwertung des Leasinggegenstandes darf nur abgezogen werden, wenn es hierfür konkrete Folgemieter gibt oder der Wert des Leasinggegenstandes anhand marktgängiger Methoden bewertet werden kann. 161 Für die Bewertung unsicherer Verbindlichkeiten empfehlen Schmidt/Roth1 ein objektiviertes System, um das subjektive Bewerterermessen zu reduzieren. Bei einer negativen Fortführungsprognose sollen streitige Verbindlichkeiten voll passiviert werden, um früher ein Insolvenzverfahren auszulösen, dass aus Gründen des Gläubigerschutzes Vorrang gegenüber einem außergerichtlichen Liquidationsverfahren haben soll. Bei einer prinzipiell gegebenen Fortführungsfähigkeit müsse hingegen eine vorschnelle Zerschlagung des Unternehmens vermieden werden. Deshalb sollen die von Gläubigern behaupteten Verbindlichkeiten zwischen 0 % bei evidentem Rechtsmissbrauch der Gläubigerforderung über 2 bis 5 % bei Lästigkeit des Gläubigers und ca. 15 % bei Beginn eines Rechtsstreits bis hin zu 50 % bei Verlust der I. Instanz angesetzt werden. Dem ist nicht zu folgen. Für einen Vorrang des Insolvenz- vor dem Liquidationsverfahren gibt es nicht die geringsten Anhaltspunkte. Lästigkeitsprämien von 2 bis 5 % sind Scheingenauigkeiten und ein Prozessverlust ersetzt keine konkrete Risikobeurteilung, so dass auf die Pauschalen von vornherein verzichtet werden kann. Es kommt allein darauf an, den Verpflichtungsüberschuss oder die drohende bzw. streitige Verbindlichkeit mit einer quotalen Eintrittswahrscheinlich zu versehen, die entgegen § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB nicht mit Vorsicht, sondern gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG mit geschäftsmännischer Sorgfalt geschätzt werden muss. e) Dokumentation, Sachverständigengutachten 162 Bewertung ist immer Prognose, weil es darum geht abzuschätzen, was für einen einzelnen oder einen Inbegriff von Vermögensgegenständen erzielt werden kann. Nur die Prognoserisiken sind bei den einzelnen Vermögensgegenständen und Bewertungsverfahren unterschiedlich. Wer ein gängiges Kfz verkaufen will, muss sich im Internet nur die Preise ansehen. Schwieriger ist es hingegen schon bei einer Spezialmaschine. Die größten Risiken bestehen wegen des langen Zeitraums bei der Unternehmensbewertung, auch wenn der Barwert von den erst in ferner Zukunft erwarteten Zahlungsströmen weit geringer als der Nominalwert ist. Für die Beratung folgt daraus, dass die Gründe für die jeweiligen Zahlungserwartungen genau dokumentiert werden müssen. Hilfreich sind auch Sachverständigengutachten zu den Liquidationswerten der einzelnen Vermögensgegenstände. Diese werden für Gegenstände des immobilen und mobilen Anlagevermögens noch am einfachsten erreichbar sein. Für die sonstigen Vermögenswerte sollten die Bewertungsansätze genau dokumentiert werden, damit in einem eventuellen späteren Gerichtsverfahren die Prüfung plausibel dargestellt und nachvollzogen werden kann. In der Praxis sind Gefälligkeitsgutachten des Hausberaters keine Seltenheit. Einer Haftung entzieht er sich dadurch, dass seine Stellungnahme auf den vom Schuldner gelieferten Zahlen beruht. Notgedrungen kann das Resultat nur eine self fullfilling prophecy sein, die den Schuldner nicht entlastet, wenn er durch die Art des Hinweises erkennen konnte, dass der Berater nichts anderes macht, als die vom Schuldner gelieferten Daten nur neu zu „verpacken“. Anderenfalls kommt eine Haftung des Beraters in Betracht. Sogar eine gemeinsame Haftung ist denkbar, wenn der Berater mit dem Siegel seines Gutachtens eine psychische Beihilfe zur Insolvenzverschleppung begangen hat. Um den Geschäftsführer zu entlasten, muss der Sachverständige sorgfältig und umfassend informiert werden. Außerdem hat der Schuldner das Gutachten auf Plausibilität zu prüfen2.
1 Schmidt/Roth, ZInsO 2006, 236. 2 BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265.
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Beseitigung der Insolvenzgrnde
Rz. 167
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III. Beseitigung der Insolvenzgründe Eine Sanierung des Schuldners erfordert sowohl absatz- und leistungswirtschaftliche 163 als auch finanzwirtschaftliche Maßnahmen. Der leistungswirtschaftliche Bereich ist regelmäßig die Insolvenzursache. Er ist nur langfristig zu ändern und gehört nicht zur Domäne des Anwalts. Seine Aufgabe beschränkt sich meist darauf, bei der Beseitigung der Insolvenzgründe durch finanzwirtschaftliche Maßnahmen mitzuwirken. Nur um sie geht es nachfolgend. Im Sinne einer nachhaltigen Sanierung des Unternehmens sollte der Anwalt bei der Erkenntnis, dass leistungswirtschaftliche Defizite vorliegen jedoch den Mandanten dazu anhalten auch diese Defizite abzustellen. Anderenfalls ist dem Mandanten durch eine finanzwirtschaftliche Sanierung zwar kurzfristig, aber nicht langfristig geholfen. 1. Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit Die Zahlungsunfähigkeit ist beseitigt, wenn die fälligen Zahlungen an die Gesamtheit 164 der Gläubiger wieder nachhaltig aufgenommen werden1. Das ist möglich entweder durch eine Zunahme der Zahlungsmittel oder durch eine Abnahme der Zahlungspflichten. a) Stundung Eine Stundungsvereinbarung ist das am geringsten in die Gläubigerposition eingrei- 165 fende Mittel. Bei Geldkrediten gehören Prolongationsverhandlungen zum Tagesgeschäft der Banken. Stundungsersuchen gegenüber den Lieferanten sind hingegen mit Vorsicht zu behandeln. Sie vermuten dahinter regelmäßig größere Schwierigkeiten, weil die Bank offenbar nicht mehr bereit ist, eine kurzfristige Zwischenfinanzierung zu gewähren. Die Konsequenz ist, dass zwar eine Stundung bewilligt, dafür aber neue Lieferungen nur Zug-um-Zug abgewickelt werden, was den beabsichtigten Liquiditätseffekt konterkariert. Außerdem sind Überschreitungen der Zahlungsziele ab einer gewissen Dauer den Kreditversicherern zu melden, was zu einem Domino-Effekt führt. Für die Praxis gilt deshalb: Wenn schon eine Verunsicherung der Gläubiger, dann in einem Umfang, dass später nicht „nachgelegt“ werden muss. Die ihnen abverlangten Sanierungsbeiträge müssen auch bei einer schlechter als erwartet eintretenden Entwicklung ausreichen, um eine Insolvenz zu vermeiden; denn die einmal eingetretene Zahlungsunfähigkeit wird nur dann beseitigt, wenn der Schuldner seine Zahlungen allgemein – und damit auch nachhaltig – wieder aufnimmt2. b) Kreditaufnahme Bevor sich ein Schuldner an die Geschäftspartner wendet, wird er sich um neue Dar- 166 lehen bemühen. Banken sind jedoch bei der Vergabe von Sanierungskrediten – das sind Finanzierungen zur Vermeidung oder Beseitigung eines Insolvenzgrundes – äußerst zurückhaltend. Die Gründe sind nicht nur wirtschaftlicher Natur, sondern beruhen insbesondere bei kleinen Häusern auf einer Unsicherheit über die rechtlichen Rahmenbedingungen3. aa) Insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit Eine Besicherung von Neukrediten stellt ein Bargeschäft dar, bei dem gemäß § 142 InsO die Anfechtung eingeschränkt ist4 (vgl. § 10 Rz. 263 ff.). Anders verhält es sich
1 BGH v. 11.2.2010 – IX ZR 104/07, ZInsO 2010, 673 (Rz. 44); BGH v. 20.11.2008 – IX ZR 188/07, ZInsO 2009, 145 (Rz. 12). 2 BGH v. 21.6.2007 – IX ZR 231/04, ZIP 2007, 1469. 3 Überblick bei Kiethe, KTS 2005, 179; Schäffler, BB 2006, 56; Wallner/Neuenhahn, NZI 2006, 553; zum strafrechtlichen Risiko siehe Aldenhoff/Kuhn, ZIP 2004, 103 ff. zum Haftungsrisiko der organschaftlichen Vertreter der Bank bei der Vergabe von Sanierungskrediten: Witte/Hrubesch, BB 2004, 725 (729 ff.). 4 BGH v. 7.3.2001 – IX ZR 223/01, ZIP 2002, 812 (814).
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Schuldnerberatung
mit der Besicherung von Altkrediten. Sie ist eine inkongruente Deckung1, die gemäß § 131 InsO und unter erleichterten Voraussetzungen auch gemäß § 133 InsO der Anfechtung unterliegt (vgl. § 10 Rz. 119 ff.). Der in den AGB der Banken und Sparkassen vorgesehene Nachbesicherungsanspruch bezieht sich nicht auf einen konkreten Gegenstand und vermag deshalb keine Kongruenz zu begründen2. Allerdings setzt jede insolvenzrechtliche Anfechtung die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens voraus. Sollte es dazu kommen, steht die Bank auch nicht schlechter da als ohne die zusätzliche Besicherung des Altkredits. Deshalb werden Neukreditvergaben gelegentlich mit der Nachbesicherung auch des Altkredits verbunden. Damit kann ein Insolvenzantrag verzögert werden, so dass die inkongruente Deckung hinsichtlich des Altkredits aus der Drei-Monats-Frist des § 131 Abs. 1 InsO herausfällt. Eine unentgeltliche Leistung gemäß § 134 InsO (vgl. § 10 Rz. 202 ff.), die auch außerhalb dieser Frist angegriffen werden kann, liegt nicht vor; denn die Stellung von Sicherheiten ist ein Minus gegenüber einer (Rück-)Zahlung, darf also nicht unter leichteren Voraussetzungen angefochten werden als eine Befriedigung3. Das gilt jedenfalls bei einer nachträglichen Besicherung eigener Schuld, während der BGH bei einer Besicherung fremder Schuld selbst bei einem Eigeninteresse des Sicherungsgebers Unentgeltlichkeit annimmt, wenn die Forderung des nachträglich besicherten Gläubigers nicht mehr durchsetzbar ist4. 168 Daneben besteht – außer einem eventuellen Verdikt der Sittenwidrigkeit (s.u.) – für die Besicherung sowohl des Neu- als auch und erst recht des Altkredits die Gefahr der Anfechtbarkeit wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung, § 133 InsO (vgl. § 10 Rz. 168 ff.). Wird nur der Neukredit besichert, wird es regelmäßig an einem Nachteil für die Gläubiger fehlen; denn die Vermögensbelastung geht mit einer Vermögenserhöhung in Form der Kreditauszahlung einher. Ausgeschlossen ist die Anfechtung zwar auch dann nicht. Zu denken ist beispielsweise an den Fall, dass der Schuldner bzw. Geschäftsführer von vornherein die Absicht hat, die Kreditmittel für unternehmensfremde Zwecke zu verwenden. Das geht mit Geld leichter als mit den zur Sicherheit hingegebenen Vermögensgegenständen, so dass „unterm Strich“ eine Gläubigerbenachteiligung eintreten kann. Der Bank wird so etwas allerdings verschlossen bleiben. Ihr fehlt dann die für § 133 Abs. 1 InsO erforderliche Kenntnis von der Benachteiligungsabsicht, so dass die Anfechtung in der Praxis nur relevant werden kann, wenn – zumindest zusätzlich – ein Altkredit besichert wird. 169 Ist sich der Schuldner der Krise bewusst – was ex definitione der Anlass für einen Sanierungskredit ist –, fehlt es ihm am Benachteiligungsvorsatz nur, wenn er subjektiv davon überzeugt sein durfte, dass die Zahlungsunfähigkeit nachhaltig beseitigt werden kann5. Dafür reicht eine aus dem Blauen geschöpfte Hoffnung nicht aus, vielmehr bedarf es konkreter Anhaltspunkte, wobei die Rechtsprechung die pflichtgemäße Einschätzung eines objektiven Dritten erwähnt6. Der Dritte kann auch der Steuerberater oder Anwalt des Schuldners sein. Da die Kenntnis der Bank vom Benachteiligungsvorsatz vermutet wird, wenn sie von der drohenden Zahlungsunfähigkeit wusste, § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO, wird sie ein unabhängiges Sachverständigengutachten verlangen. 170 Für den Sachverständigen gilt jedoch ebenso wie für den Schuldner, dass es nur subjektive Prognosen gibt. Hinzu kommt, dass es ihm in der bei Sanierungen gebotenen Eile häufig nicht möglich sein wird, sich in den Stand der Technik und die Marktverhältnisse einzuarbeiten, um die Wettbewerbssituation zu klären. Auch wird er kurz1 BGH v. 10.1.2013 – IX ZR 28/12, NZI 2013, 253 (Rz. 23); BGH v. 18.3.2010 – IX ZR 57/09, ZInsO 2010, 807 (Rz. 16). 2 BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 30/70, ZInsO 2008, 91 (Rz. 17); BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 223/01, ZIP 2002, 812; Feuerborn, ZIP 2002, 290 (293). 3 Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 142 Rz. 7 ff. 4 BGH v. 20.12.2012 – IX ZR 21/12, ZIP 2013, 223 (Rz. 29, 31); BGH v. 7.5.2009 – IX ZR 71/08, ZIP 2009, 1122 (Rz. 12). 5 Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 133 Rz. 21 f.; BGH v. 12.11.1992 – IX ZR 236/91, ZIP 1993, 276. 6 BGH v. 21.11.2005 – II ZR 277/03, ZIP 2006, 279 (zum Sanierungsprivileg des § 32a Abs. 3 GmbHG); BGH v. 12.11.1992 – IX ZR 236/91, ZIP 1993, 276 (280).
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Beseitigung der Insolvenzgrnde
Rz. 173
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fristig keine eigene Produkt- bzw. Auftragskalkulation erstellen können. Sein Urteil muss deshalb auf den subjektiven Einschätzungen der jeweiligen Ressortleiter beruhen, auf die er seine eigene subjektive Plausibilitätskontrolle stützt. Die Wahrscheinlichkeit für den Eintritt des prognostizierten Erfolges erhöht sich dadurch kaum. Die Einschaltung eines Sachverständigen ist deshalb nicht mehr als eine „Versicherung“ dagegen, dass das Verfahren bei Erstellung der Prognose geschäftsmännischer Sorgfalt im Sinne des § 43 Abs. 1 GmbHG widerspricht. Juristisch erforderlich ist das aber nicht. Zu Recht hat der BGH auch andere Indizien gegen den Benachteiligungsvorsatz akzeptiert. Insbesondere ließ er es zum Nachweis des Vertrauens in den Sanierungserfolg ausreichen, dass die Gesellschafter ihr finanzielles Engagement im erheblichen Umfang erhöhten1. bb) Sittenwidrigkeit Eine weitere Gefahr droht dem Sanierungskredit unter dem Gesichtspunkt der 171 Sittenwidrigkeit. Die Rechtsfolgen sind – außer der Unwirksamkeit des Kreditvertrages – sowohl die Nichtigkeit der Sicherheitenbestellung, § 138 BGB2, als auch die Haftung wegen sittenwidriger Schädigung Dritter, § 826 BGB3. In Form der Übersicherung kommt sie de facto nicht vor, weil der Schuldner in der Krise selten die Kreditforderung übersteigende Sicherheiten aufbringen kann. Auch die Knebelung des Schuldners als eine Fallgruppe der Sittenwidrigkeit ist bei der Vergabe von Sanierungskrediten kaum anzutreffen. Allein die Tatsache, dass die Bank anlässlich einer Nachfinanzierung auch noch das letzte bis dahin freie Vermögen erhält, reicht selbst dann nicht für eine Knebelung aus, wenn sie die einzige Bank ist und nunmehr sämtliche Vermögensgegenstände zur Sicherung innehat; denn für eine Knebelung muss zur Vermögensübertragung die Verfügungsbeschränkung hinzukommen. Erst wenn der Schuldner seine wirtschaftliche Bewegungsfreiheit verliert, wird der Verbotsbereich berührt4. Daran werden die Banken kein Interesse haben, müssen sie doch sonst sämtliche Einzelverfügungen genehmigen und damit eine Art faktischer Geschäftsinhaberschaft durch personelle Kompetenzen und Weisungsrechte dokumentieren. Solange der Schuldner berechtigt bleibt, im ordnungsgemäßen Geschäftsgang über die Sicherungsgüter zu verfügen, liegt keine Knebelung vor. Ein anderer Fall der sittenwidrigen Kreditvergabe besteht darin, dass die Bank in der 172 Krise ihre Stellung rücksichtslos und eigennützig auf Kosten anderer Gläubiger zu verbessern sucht. Ein Beispiel ist das am Umlaufvermögen gesicherte Kreditinstitut, das den Schuldner durch Neukredite „über Wasser“ hält, um die Verwertung unfertiger Erzeugnisse zu ermöglichen und den Erlös in voller Höhe zu vereinnahmen, während die neuen Lieferanten oder auch Gewährleistungsgläubiger von eiligst und deshalb mangelhaft durchgeführten Leistungen ausfallen5. Das stellt zugleich eine deliktische Beteiligung an einer Insolvenzverschleppung dar, wenn es sich bei der Schuldnerin um eine juristische Person handelt. Um einer Haftung wegen Sittenwidrigkeit zu entgehen, wird ebenso wie zur Vermei- 173 dung einer Anfechtung wegen Gläubigerbenachteiligung behauptet, dass erst eine genaue Sanierungsprüfung durch einen Sachverständigen erforderlich sei, bevor ein Neukredit vergeben werden dürfe6. Das ist jedoch überzogen. Zwar verlangt die Sittenwidrigkeit keine Schädigungsabsicht, die billigende Inkaufnahme der Schädigung anderer Gläubiger reicht aus7. Die Bank ist aber nicht Hüter der Interessen dieser Gläubiger. Nur eine besonders grobe Nachlässigkeit, bei der die Augen vor der Schä-
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BGH v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, ZIP 1998, 248 (252). Palandt/Ellenberger, BGB, § 138 Rz. 86, 97. Palandt/Sprau, BGB, § 826 Rz. 13, 35 ff. Siehe Überblick bei Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.8 ff. Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.9 ff. So der BGH ursprünglich (BGH v. 9.7.1953 – IV ZR 242/52, BGHZ 10, 228) und neuerdings wieder ähnlich (BGH v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, WM 1998, 248). 7 Palandt/Ellenberger, BGB, § 138 Rz. 8.
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Rz. 174
Schuldnerberatung
digung Dritter verschlossen werden, rechtfertigt einen solchen Vorwurf1. Eine Kreditvergabe „ins Blaue“ kommt in der Praxis aber kaum vor. Vielmehr erstellt der Schuldner für die Kreditgespräche ein eigenes Konzept. Dann reicht es aus, wenn die Bank es auf Sorgfalt und Plausibilität prüft. Die Ausführungen zur Bedeutung des Sachverständigengutachtens im Zusammenhang mit der Anfechtbarkeit vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligungen gelten hier erst recht, verlangt die Sittenwidrigkeit doch ein über die Gläubigerbenachteiligung hinausgehendes Unwerturteil2. 174 Es gibt Situationen, in denen ein kurzfristiger Kreditbedarf eintritt und noch nicht einmal das Sanierungskonzept des Schuldners vorliegt. Dann kann die Bank für die Dauer der Sanierungsprüfung einen Überbrückungskredit gewähren, ohne sich dem Vorwurf der Sittenwidrigkeit auszusetzen3. 175 Eine wesentliche Tatbestandsvoraussetzung der sittenwidrigen Schädigung ist neben der Schädigungsabsicht der Eigennutz. An ihr wird es regelmäßig fehlen, wenn die Bank kein über die Neukreditvergabe hinausgehendes Interesse verfolgt, was insbesondere der Fall ist, wenn der Sanierungskredit bei einer neuen Bank aufgenommen wird. In der Krise wird eine neue Bank Darlehen aber nur dann ausreichen, wenn sie gesellschafterseitig besichert wird. Geschieht dies gar ohne parallel von der Schuldnerin gestellte Sicherheiten, bedarf es für die Neukreditvergabe keiner weiteren Prüfung. Insofern gilt nichts anderes als für die unmittelbare Gesellschafterfinanzierung. Die Gesellschafter sind frei, die Krise durch eine Kapitalerhöhung oder Darlehen zu überwinden, mögen diese Maßnahmen auch von leichtfertiger Hoffnung getragen sein. Ein Sittenverstoß wird ihnen nicht angelastet werden dürfen. c) Gesellschafterfinanzierung 176 Von den „Alt-“Gesellschaftern ausgereichte Darlehen sind nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nachrangig, sofern das Kleingesellschafterprivileg nicht eingreift, § 39 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 5 InsO. Für die umgekehrte Konstellation, dass nicht ein AltGesellschafter neue Darlehen, sondern ein Darlehensgeber Neu-Gesellschafter wird, enthält § 39 Abs. 4 S. 2 InsO das so genannte Sanierungsprivileg. Es wird auf die Krisenfinanzierung der Alt-Gesellschafter selbst dann nicht analog angewendet, wenn ein Gesellschafter von anderen die Mehrheit zusammenkauft und in diesem Zusammenhang ein neues Sanierungsdarlehen ausreicht. 177 Mit der Gesellschafterfinanzierung wird eine Zahlungsunfähigkeit beseitigt, eine Überschuldung jedoch nur, wenn zugleich der Rangrücktritt vereinbart wird. Im Übrigen unterliegt die Kreditvergabe nicht der Gefahr einer Haftung wegen sittenwidriger Schädigung (siehe § 2 Rz. 164 ff.). 178 Eine andere Möglichkeit, die Kreditausweitung bei Banken oder Lieferanten zu erleichtern, besteht in der Unterstützung der Gesellschaft durch Abgabe einer Patronatserklärung4 seitens der Gesellschafter. In der Regel handelt es sich hierbei um eine Erklärung gegenüber einem oder mehreren Gläubigern der Gesellschaft. Mit einer Bürgschaft hat sie gemein, dass sie dem Schutz des Gläubigers dient. Von ihr unterscheidet sie sich, indem der Patron nicht unmittelbar eine Zahlung an ihn verspricht, sondern erklärt, dass die schuldnerische Gesellschaft jederzeit ihren Verpflichtungen nachkommen kann. Die „weiche“ Patronatserklärung ist nur eine good-will-Erklärung („wir stehen hinter unserer Gesellschaft, die auch weiterhin in den Konzern eingebunden bleiben wird“). Sie allein führt nicht zur Haftung. Bei einer „harten“ Patronatserklärung begründet der Patron hingegen eine Verpflichtung gegenüber dem
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Palandt/Ellenberger, BGB, § 138 Rz. 40. Koller, JZ 1985, 1013; Palandt/Sprau, BGB, § 826 Rz. 36. Zu Sanierungskrediten siehe Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.28 ff. Überblick bei Vallender/Undritz/Henkel, Praxis des Insolvenzrechts, Kap. 4 Rz. 165 f.; Haußer/ Heeg, ZIP 2010, 1427 (1430).
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Gläubiger, so dass er im Falle der Insolvenz von diesem oder vom Insolvenzverwalter1 aus einem Garantievertrag in Anspruch genommen werden kann2. Die Patronatserklärung ist regelmäßig ein Vertrag zwischen Gesellschafter und 179 Gläubiger (externe Patronatserklärung), der üblicherweise über die schuldnerische Gesellschaft vermittelt wird. Nicht selten erklärt der Gesellschafter auch nur ihr gegenüber (intern), sie in die Lage zu versetzen, stets ihren Verbindlichkeiten nachzukommen. Der Sache nach ist das eine unbegrenzte Nachschusspflicht. Da sie keine satzungsrechtliche, sondern eine individualvertragliche Grundlage hat, ist trotz der Ähnlichkeit zu §§ 26 f. GmbHG eine Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag mit der Folge einer Beurkundungsbedürftigkeit nicht erforderlich3. Auch handelt es sich wegen der beabsichtigten Werterhaltung der Gesellschaftsbeteiligung nicht um ein beurkundungsbedürftiges Schenkungsversprechen4. Handelt es sich bei der Abrede um eine „harte“ Einstandspflicht, insbesondere mit dem Zweck, ein Insolvenzverfahren zu vermeiden, können werthaltige Ansprüche auf Ausgleich der Überschuldung aktiviert werden5. Dann bedarf es aber einer Rangrücktrittsvereinbarung des Gesellschafters, weil sonst die Aktivmehrung mit einer Passivmehrung korrespondieren würde. Für die Praxis ist zu berücksichtigen, dass die Figur der „harten“ Patronatserklärung 180 eigentlich überflüssig ist; denn im Verhältnis zu den Gläubigern entspricht sie einer Bürgschaft und im Verhältnis zur Gesellschaft einer Verlustausgleichsvereinbarung. Trotzdem bevorzugen viele Mandanten eine Patronatserklärung, weil sie meinen, daraus nicht so leicht wie aus einer Bürgschaft in Anspruch genommen zu werden. Deshalb ist in der Krise in jedem Fall eine Klarstellung der Haftung erforderlich. d) Verkauf von Aktiva, Anzahlungen Andere Möglichkeiten der Liquiditätsverbesserung sind Objektfinanzierungen, ins- 181 besondere in Form des sale and lease back-Verfahrens. Dabei werden Vermögensgegenstände an eine Leasinggesellschaft verkauft und langfristig zurückgeleast. Hierbei handelt es sich um ein unanfechtbares Bargeschäft, wenn der Kaufpreis dem Verkehrswert des Gegenstandes entspricht, § 142 InsO (zum Ausnahmefall der Absichtsanfechtung s. § 10 Rz. 168 ff.). Hierbei gilt es aber zu bedenken, dass der Verkauf von Aktiva und deren sich daran anschließende Anmietung letztlich der Anfang vom Ende ist. Es werden Vermögensgegenstände mit erheblichem Wert liquidiert, um dann wiederum die Nutzungsmöglichkeit des Gegenstandes gegen Zahlung einer Miete zu sichern. Ein solches Geschäft führt der Unternehmer nur durch, wenn er auf anderem Weg keine Liquidität erhält; sprich andere Finanzierungsformen bereits ausgereizt sind. Wenn dann auch noch die so gewonnene Liquidität verbraucht ist, droht spätestens die Insolvenz. Wertvolle Zeit, die zu einer Beseitigung der Verlustbringer und der Sanierung des Unternehmens erforderlich ist, ist dann oftmals vertan. In Betracht kommt des Weiteren eine Liquiditätsschöpfung aus dem Umlaufver- 182 mögen. Darunter fällt zunächst der Forderungsverkauf, der jedoch regelmäßig daran scheitert, dass die Forderungen bereits einer Bank zur Sicherheit abgetreten wurden. Bei einer Abhängigkeit des Kunden von dem notleidenden Schuldner ist auch dessen Einbindung in die Sanierung beispielsweise durch vorgezogene Anzahlungen möglich. Der Vorratsabbau ist ebenso wie die Reduzierung der Forderungslaufzeiten ein Weg, der regelmäßig schon beschritten wurde, bevor externe Beratung in Anspruch
1 Zur Aktivlegitimation s. Kiethe, ZIP 2005, 646; Wolf, ZIP 2006, 1885. 2 BGH v. 30.1.1992 – IX ZR 112/91, BGHZ 117, 127, 130 ff.; BGH v. 8.5.2003 – IX ZR 334/01, BB 2003, 1300 (1302). 3 Scholz/Emmerich, GmbHG, § 3 Rz. 61, 72 f., § 26 Rz. 7. 4 BGH v. 8.5.2006 – II ZR 94/05, ZIP 2006, 1199. 5 BGH v. 20.9.2010 – II ZR 296/08, ZInsO 2010, 2137 (Rz. 17, 18, 35); OLG Celle v. 18.6.2008 – 9 U 14/08, ZIP 2008, 2416 (2417). Diese Ansprüche sind entgegen LG München II v. 25.2.2004 – 5 O 6088/02, ZInsO 2004, 626 (628), selbstverständlich auch im Insolvenzverfahren durchsetzbar, BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 9/10, ZInsO 2011, 1115 (Rz. 19).
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genommen wird. Der Anwalt stellt dann meist fest, dass das Vorratsvermögen als Kleid für das so genannte „window dressing“ herhalten musste. Das sind schmückende Vorräte und Forderungen, die längst hätten wertberichtigt worden sein müssen. Zur Vorbereitung von Sanierungsverhandlungen sollte darauf besonderes Augenmerk gelegt und die Werthaltigkeit mit Personen aus dem schuldnerischen Unternehmen besprochen werden, die ohne gesteigertes Eigeninteresse Hinweise geben können. In den letzten Jahren ist zu beobachten, dass Unternehmen wieder vermehrt auf das Instrument des echten Factoring zurückgreifen, da Kreditinstitute oftmals die Forderungen eines Unternehmens nicht als Basis für eine Finanzierung ansehen. Hier kommt es in der Praxis immer wieder vor, dass das Unternehmen sich durch eine zu frühe Fakturierung einer Forderung noch vor Auslieferung der Ware oder auch durch sogenannte „Luftrechnungen“ Liquidität von Seiten des Factors „borgt“. Diese Handlungen stellen Betrugstatbestände im Sinne des § 263 StGB dar und der Mandant sollte tunlichst auf die straf- und zivilrechtliche Relevanz seines Handelns hingewiesen werden. 2. Beseitigung der Überschuldung a) Maßnahmen Aktiva aa) Verkauf von Aktiva 183 Beseitigung der Überschuldung heißt Vermögensmehrung oder Schuldenminderung. Für die Vermögensmehrung reicht es nicht aus, dass stille Reserven aufgedeckt werden; denn das ist im Überschuldungsstatus schon geschehen. Dort werden die Verkehrswerte angesetzt, ohne dass es eines Verkaufs bedarf. Bei einem Stützungskauf von Vermögensgegenständen durch Gesellschafter können jedoch höhere Beträge zustande kommen. Sie wollen damit allerdings häufig „zwei Fliegen mit einer Klappe“ schlagen: Der Vermögensgegenstand, bspw. ein Grundstück, dient der finanzierenden Bank als Sicherheit für einen Kredit, den die Gesellschafter verbürgt haben. Für sie ist es ein wirtschaftlich neutrales Geschäft, wenn sie die Immobilie statt z.B. für einen Verkehrswert von 800 Euro für 1000 Euro erwerben, den Kaufpreis an die Bank zahlen und in dieser Höhe von ihrer Bürgenhaftung frei werden. Dabei wird jedoch regelmäßig § 135 Abs. 2 InsO übersehen. Sollte es später zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens kommen, wird der Verwalter den Gesellschafter auf Erstattung des an die Bank geflossenen Kaufpreises in Anspruch nehmen. Das ist allerdings nur möglich, wenn der Eröffnungsantrag innerhalb eines Jahres seit der Handlung gestellt wird. bb) Wertgarantie 184 Statt eines Verkaufs von Aktiva kommt auch die Garantie eines über dem mutmaßlichen Verkehrswert liegenden Betrages in Betracht, um die Überschuldung zu beseitigen. Außerdem ist eine Garantie sinnvoll, wenn zweifelhaft ist, ob bestimmte Vermögensgegenstände (z.B. Forderungen oder Erlöse aus noch fertig zu stellenden Arbeiten) den in der Überschuldungsbilanz angegebenen Wert haben. Dann kann sich ein Dritter oder ein Gesellschafter verpflichten, eine etwaige Differenz zum Realisationswert an die Schuldnerin auszugleichen. cc) Erhöhung des Stammkapitals (Registerpublizität) 185 Die Kapitalerhöhung schlägt sich buchhalterisch auf der Passivseite nieder, bewirkt aber im Überschuldungsstatus eine Erhöhung des Reinvermögens. Als Erstes kommt die Stammkapitalerhöhung in Betracht. Zwar lassen sich Gesellschafterversammlungen relativ kurzfristig einberufen (§ 51 Abs. 1 GmbHG: eine Woche; § 123 AktG: ein Monat). Ein akuter Liquiditätsbedarf wird aber von maßgebend beteiligten Gesellschaftern gelegentlich schon vor einer Beschlussfassung befriedigt. Dann stellt sich die Frage, ob die Einlage wirksam erbracht ist, weil bis zur beurkundeten Beschlussfassung noch nicht einmal im Innenverhältnis der Gesellschafter untereinander ein Rechtsgrund für die Einlageleistung besteht. Häufig zeichnen die Gesellschafter nur deshalb eine Kapitalerhöhung, weil bestimmte, ihnen nahestehende oder für ihren ei-
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genen, außerhalb der Gesellschaft bestehenden Geschäftsbetrieb wichtige Gläubiger daraus befriedigt werden sollen. Solche Verwendungsabsprachen können insbesondere bei Direktzahlungen an die Gläubiger dazu führen, dass die erhöhte Einlage nicht geleistet wurde. Eine Kapitalerhöhung wird in der Krise regelmäßig mit einer Kapitalherabsetzung verbunden, wenn neue Gesellschafter hinzutreten. Damit soll erreicht werden, dass die Altgesellschafter, deren Beteiligungen durch die Verluste der Gesellschaft unterhalb der Nominalwerte liegen, dieselben Mitgliedschaftsrechte repräsentieren wie die durch den Einsatz von „fresh money“ erworbenen Neu-Anteile. Hierfür bietet sich die vereinfachte Kapitalherabsetzung gemäß § 58a GmbHG an. Fehler bei Kapitalveränderungen können auch bei einem mit der Gesellschaft geschlossenen Beratungsvertrag die Haftung des Anwalts gegenüber den Gesellschaftern begründen (vgl. Rz. 22 ff.), aber auch gegenüber dem Geschäftsführer, wenn der Geschäftsführer es unterlässt, eine fehlerhaft geleistete Einlage ein zweites Mal einzufordern. Für die Einzelheiten wird auf § 3 zur „Gesellschafterberatung“ verwiesen. dd) Kapitalerhöhung ohne Registerpublizität Die vorgenannten Risiken resultieren allein aus der Formstrenge der Kapitalaufbrin- 186 gungs- und Erhaltungsvorschriften, die an das im Handelsregister publizierte Kapital anknüpfen. Solange die Publizität nicht berührt wird, ist jede Form der Vermögenszuführung zu- 187 lässig, insbesondere auch ein „Debt-Equity-Swap“. Dabei werden Verbindlichkeiten in die Rücklagen umgegliedert, so dass sich das Eigenkapital erhöht. Hierbei ist ein besonderes Augenmerk auf die Bewertung der „swappenden“ Forderung zu legen. Es handelt sich bei dem „Debt-Equity-Swap“ um eine Form der Sachkapitalerhöhung. Wenn die „swappende“ Forderung zu hoch bewertet wird, trifft den Gläubiger und Neugesellschafter unter Umständen in der Folge die Haftung für den Fehlbetrag nach § 7 Abs. 1 GmbHG. Der Gläubiger kann, wenn er nicht ohnehin schon Gesellschafter ist, einen bestehenden oder geringen neuen Anteil im Wege der Barkapitalerhöhung erwerben, meist kombiniert mit einer vereinfachten Kapitalherabsetzung. Im Gesellschaftsvertrag können ihm darüber hinaus besondere Mitsprache- und Vermögensrechte als Gegenleistung dafür eingeräumt werden, dass er auf Forderungen verzichtet oder der Gesellschaft Vermögensgegenstände überträgt. In der GmbH sind weder Mehrstimm- noch Mehrgewinnrechte verboten. Bei der AG scheitert das zwar am Gleichbehandlungsgebot der §§ 53, 134 Abs. 2 AktG. Aber auch hier sind Ausweichlösungen denkbar wie beispielsweise die Umwandlung von Schulden in Genussrechte, vgl. § 221 Abs. 4 AktG. Die Überschuldung wird dadurch allerdings nur beseitigt, wenn sich die Genussrechte auf einen Anspruch auf künftige Gewinne oder einen Liquidationsüberschuss erstrecken1. Ansonsten kommen stille Beteiligungen oder partiarische Darlehen in Betracht. Bei ihnen ist darauf zu achten, dass die Rückzahlungsforderungen wie bei einem Besserungsschein nur aus einem Vermögenszuwachs befriedigt werden dürfen2. Sonst muss die Passivierung im Überschuldungsstatus beibehalten werden, was sich für stille Beteiligungen aus § 236 Abs. 1 HGB und für partiarische Darlehen aus dem Charakter als normale Verbindlichkeit ergibt. b) Maßnahmen Passiva aa) Besserungsschein, Rangrücktrittsvereinbarung Im Unterschied zum „Debt-Equity-Swap“ gewährt ein „Besserungsschein“ keine Be- 188 teiligung an einem nach der Sanierung wieder steigenden Unternehmenswert, sondern im günstigen Fall nur die Tilgung der Nominalforderung, evtl. zzgl. Zinsen. Denkbar ist allerdings, beides in Form eines besserungsbedingten partiarischen Darlehens zu kombinieren.
1 Müller/Haas in Kölner Schrift, 2. Aufl. 2000, S. 1799 ff. Rz. 42. 2 Müller/Haas in Kölner Schrift, 2. Aufl. 2000, S. 1799 ff. Rz. 43.
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Schuldnerberatung
(1) Gestaltungsmöglichkeiten 189 Der Besserungsschein kommt in zwei Varianten vor: als Forderungsverzicht oder als Rangrücktrittserklärung. Der Forderungsverzicht ist ein Erlassvertrag (§ 397 BGB) unter der auflösenden Bedingung, dass die Forderung nach Maßgabe der Besserungsabrede (= Besserung der Vermögensverhältnisse) wieder auflebt. Die Rangrücktrittsvereinbarung, die seit dem MoMiG gesetzlich geregelt ist (§ 19 Abs. 2 S. 2 InsO), ist eine (verfügende)1 Änderung des Schuldverhältnisses2 mit dem Inhalt, dass der Gläubiger die Forderung im Insolvenzverfahren nur mit Nachrang und außerhalb des Insolvenzverfahrens nur aus einem künftigen Vermögenszuwachs geltend machen darf. Um den Gesellschaftern einen Anreiz für die Stärkung des Eigenkapitals zu bieten, wird der Vermögenszuwachs durch Kapitalerhöhungen meist nicht als Besserung angesehen, die eine Fälligkeit der zurückgetretenen Schuld herbeiführen soll. Allerdings kann die Beschränkung auf Gewinne zu einem steuerpflichtigen Sanierungsgewinn führen (s.u.). Die Vereinbarung über ein „Wieder-Vortreten“ der Verbindlichkeit ist wirtschaftlich dem Bedingungseintritt beim Forderungsverzicht gegen Besserungsschein gleichwertig. Beide Gestaltungsmittel sind zur Beseitigung der Überschuldung nach Maßgabe der im Folgenden erläuterten Besonderheiten weitgehend austauschbar. Unterschiede gibt es vor allem in den steuerlichen Konsequenzen und bei den Sicherheiten. (2) Auswirkungen auf Sicherheiten 190 Die Auswirkungen auf die Sicherheiten sind konträr: Beim Forderungsverzicht erlöschen die akzessorischen Sicherheiten (z.B. Mobiliarpfandrecht, Hypothek, Bürgschaft) und sind die nicht akzessorischen zurückzugeben3, es sei denn, dass etwas anderes vereinbart wird. So kann die nicht akzessorische Sicherheit durchaus bestehen bleiben, um für die später evtl. wieder auflebende Forderung zu haften. Für eine Sanierung ist das in der Regel jedoch nicht hilfreich. 191 Umgekehrt beseitigt der Rangrücktritt (vgl. auch § 4 Rz. 248 ff.) nur die Durchsetzbarkeit der Forderung, so dass keine Verwertungsreife eintritt. Zurückzuübertragen sind die Sicherheiten erst mit Insolvenzeröffnung, weil dann eine Verwertungsreife endgültig ausscheidet4. 192 Für die Praxis empfiehlt sich eine genaue Regelung der Sicherheiten. In beiden Fällen ist es ungünstig, einerseits die Durchsetzbarkeit der Forderung von einem Sanierungserfolg abhängig zu machen, ihn andererseits aber dadurch zu erschweren, dass die alten – beim Forderungsverzicht nur die nicht akzessorischen – Sicherheiten für neue Kredite blockiert bleiben. Bestehen auch externe, insbesondere von den Gesellschaftern gestellte Sicherheiten, sind Gläubiger regelmäßig nicht gewillt, mithaftende Dritte aus dem Obligo zu entlassen. Ihre Position sollte gemeinsam und
1 K. Schmidt, FS Raupach, 405; der selbst in einem qualifizierten Rangrücktritt nur ein pactum de non petendo sieht, während die herrschende Meinung den Rangrücktritt als Inhaltsänderung der Forderung und damit als Verfügung über dieses Recht ansieht. Dem ist zuzustimmen, Roth/Altmeppen, GmbHG, § 42 Rz. 49 f. wäre es keine Inhaltsänderung, müsste ein selbstständiges Leistungsverweigerungsrecht konstruiert werden, damit der Schuldner auch bei einer Abtretung der Forderung dem neuen Gläubiger den Rangrücktritt entgegenhalten kann, § 404 BGB. Um die Verfügung kommt man somit nicht umhin. Wesentlich ist der Verfügungscharakter in den Fällen, in denen nachträglich ein Rangrücktritt vereinbart wird, z.B. um eine spätere Inanspruchnahme wegen Insolvenzverschleppung zu vermeiden. Da dingliche Rechtsänderungen immer nur ex nunc wirken und eine Rückwirkung allein im Innenverhältnis zwischen den beteiligten Parteien möglich ist, arg. E § 159 BGB, kann auf diese Weise der Schutz der Rangrücktrittsvereinbarung unbeteiligten Gläubiger nicht umgangen werden. 2 Knobbe-Keuk, ZIP 1983, 127 (140); wohl auch Lutter/Hommelhoff/Timm, BB 1980, 737 (740); Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 1.1337; Priester, DB 1991, 1917 (1920). 3 Müller/Haas in Kölner Schrift, 2. Aufl. 2000, S. 1799 ff. Rz. 41; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 1.1349; Bsp. Grundschuld: aus Sicherungsabrede oder §§ 875, 1183, 1192 BGB. 4 Zum Ganzen s. Henkel/Wentzler, GmbHR 2013, 239 (241).
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Beseitigung der Insolvenzgrnde
Rz. 196
§1
ausdrücklich geregelt werden. Das gilt sowohl für den Forderungsverzicht gegen Besserungsschein, weil z.B. Gesellschafterbürgschaften sonst entfallen, als auch für die Rangrücktrittsvereinbarung, die zur Durchsetzungssperre (§ 768 BGB), u.U. sogar zum Verlust der Bürgenhaftung (vgl. §§ 767 Abs. 1 Satz 3, 776 BGB) führen kann. (3) Auswirkungen auf die (Steuer-)Bilanz, Umsatzsteuer In der Handels- und in der Steuerbilanz führt ein Forderungsverzicht dazu, dass die 193 Passivierung entfällt1. Die Tatsache, dass die Verbindlichkeit bei späteren Gewinnen wieder entsteht, ist nicht wie ein rückstellungspflichtiges schwebendes Geschäft zu behandeln. Für das Steuerrecht ist das in § 5 Abs. 2a EStG ausdrücklich erwähnt. Die Konsequenz ist, dass sich aus dem Forderungsverzicht ein Sanierungsgewinn ergibt, der mit Verlustvorträgen – im Rahmen der dafür geltenden Begrenzung („Mindestbesteuerung“) – verrechnet werden kann. Eine Sonderrolle spielt der Forderungsverzicht des Gesellschafters. Der Verzicht 194 kommt der Leistung einer – außerhalb einer förmlichen Stammkapitalerhöhung erbrachten – Einlage gleich, aber nur insoweit, als die Forderung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise auch einlagefähig ist. Sie ist es nur in Höhe ihres werthaltigen Anteils. Der darauf entfallende Verzicht ist als Einlageleistung nicht ertragswirksam. Im Übrigen bleibt es bei der gewinnerhöhenden Wirkung, wie sie auch dem Forderungsverzicht eines „normalen“ Gläubigers zukommt2. Verbleibt nach der Verrechnung mit Verlustvorträgen ein Sanierungsgewinn, ist er 195 steuerpflichtig, wobei die darauf entfallende Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer aus Billigkeitsgründen erlassen werden kann. Die Einzelheiten regelt der Erlass des Bundesministeriums der Finanzen vom 27.3.2003 zur ertragsteuerlichen Behandlung von Sanierungsgewinnen, Steuerstundung und Steuererlass aus sachlichen Billigkeitsgründen (§§ 163, 222, 227 AO)3. Zur Berechnung der Steuer hat das Bayerische Landesamt für Steuern in Abstimmung mit den Landesfinanzbehörden am 23.10.2006 eine Verfügung erlassen4. Sofern ausreichend Zeit vorhanden ist, sollte zur Vermeidung steuerlich nachteiliger Folgen eine verbindliche Auskunft bei der Finanzverwaltung beantragt werden. Erfahrungsgemäß ist diese innerhalb von vier- bis sechs Wochen zu erhalten. Für den Bereich der Gewerbesteuer ist die Frage der Stundung und des Erlasses oftmals mit erheblich größeren Komplikationen belastet, da hier die Gemeinde, ggf. auch mehrere und nicht die Finanzverwaltung zuständig ist. Werden zudem noch Anteile übertragen ist die Vorschrift des § 8c Abs. 1a KStG zu beachten, deren Anwendbarkeit allerdings momentan wegen eines vor dem EuGH laufenden Verfahrens in Frage steht und bis zur endgültigen Klärung vorübergehend außer Kraft gesetzt ist5. Es ist damit zu rechnen, dass auf dem Gebiet des Sanierungssteuerrechts in den kommenden Jahren Änderungen durch den Gesetzgeber erfolgen. Bei der Beratung sollten daher die steuerrechtlichen Fragestellungen ein besonderes Augenmerk erhalten. Demgegenüber lässt die Rangrücktrittsvereinbarung die handelsrechtliche Passivie- 196 rung der Verbindlichkeit unberührt6. Gleiches gilt für die Steuerbilanz7, es sei denn, dass die Verbindlichkeit nur aus künftigem Gewinn oder sonstigem freien Vermögen
1 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 1.1339. 2 BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BB 1997, 1735. Zur Anwendung durch die Finanzverwaltung BMFSchreiben v. 2.12.2003 – IV A 2-S 2743-5/03, DStR 2004, 34 f.; dazu Budde, ZInsO 2010, 2251 (2265); Schwenker/Fischer, DStR 2010, 1117 (1119); Hoffmann, DStR 2004, 293 ff. 3 BMF v. 27.3.2003 – IV A 6-S 2140-8/03, ZIP 2003, 690 ff. Dazu Janssen, BB 2005, 1026. 4 NZI 2007, 94; Erläuterung bei Crezelius, NZI 2007, 91 (92). 5 BMF-Schreiben v. 30.4.2010. 6 BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, ZIP 2001, 235 ff. m. Anm. Altmeppen; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 1.1341 m.w.N.; OLG Frankfurt v. 20.2.2003 – 3 U 37/99, GmbHR 2004, 53 m. Anm. Blöse. 7 BFH v. 10.11.2005 – IV R 13/04, ZIP 2006, 249.
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§1
Rz. 197
Schuldnerberatung
bedient werden soll1. Nur dann entfällt die Schuld in der Steuerbilanz mit der Folge, dass ein Sanierungsgewinn entsteht. Will man für die Gesellschafter einen Anreiz zur Kapitalerhöhung schaffen, die nicht sofort durch den Eintritt der Besserungsbedingung zu Gunsten der zurückgetretenen fremden Gläubiger verpufft, ist das möglich, solange die Besserungsbedingung nicht allein an künftige Gewinne anknüpft2. 197 Ein in der Praxis meist übersehenes Problem stellt die Umsatzsteuer dar. Wird eine Lieferantenforderung uneinbringlich, muss die daraus von der Schuldnerin gezogene Vorsteuer korrigiert und dem Finanzamt wieder erstattet werden, § 17 UStG. Der Uneinbringlichkeit steht ein Forderungsverzicht des Gläubigers oder sogar eine Vereinbarung gleich, mit der er für unbestimmte Dauer auf die Durchsetzung seiner Forderungen verzichtet3. Deshalb wird man eine Vorsteuerkorrektur auch bei einem Rangrücktritt annehmen müssen. Auswirkungen hat das sowohl auf die Zahlungsunfähigkeit als auch auf die Überschuldung, weil mit der Umsatzsteuerkorrektur eine sofort fällige Verbindlichkeit entsteht. Dies kann dadurch vermieden werden, dass mit dem Lieferanten erfüllungshalber vereinbart wird, den Zahlungsanspruch in ein Darlehen umzuwandeln (Novation). Dann wird er so behandelt, als hätte er den Betrag erhalten und an die Schuldnerin als Kredit ausgereicht4. Dazu wird der Gläubiger allerdings nur schwer bereit sein, weil die Vorsteuerkorrektur beim Schuldner mit einem Erstattungsanspruch bei ihm korrespondiert, der Gläubiger bei einer solchen Novation mithin auf diesen Erstattungsanspruch gegen das Finanzamt verzichtet. (4) Auswirkungen auf den Überschuldungsstatus 198 Im Überschuldungsstatus entfällt sowohl die erlassene als auch die nur zurückgetretene Verbindlichkeit. Der frühere Streit, welche Rangtiefe ein Rangrücktritt haben muss, ist heute nicht mehr relevant. Durch § 19 Abs. 2 S. 2 InsO ist nun seit Inkrafttreten des MoMiG klargestellt, dass ein Rücktritt in den Rang des § 39 Abs. 2 InsO und daher vor § 199 S. 2 InsO genügt. (5) Formulierungshinweise 199 Neben dem Rangrücktritt müssen die Bedingungen formuliert werden, unter denen der Gläubiger bei einer Erholung des Schuldners wieder bedient wird. Im Allgemeinen wird das – bei einer beabsichtigten Stilllegung des Geschäftsbetriebs – an den Liquidationsüberschuss oder – bei Fortsetzung – an den handelsrechtlichen Bilanzgewinn geknüpft. Damit bleiben der Gesellschaft allerdings handelsrechtliche Bilanzierungswahlrechte, mit denen sie die Besserungsbedingung steuern kann. Auch kann sie den Gewinn durch Verrechnungspreise mit nahe stehenden Unternehmen beeinflussen. Treu und Glauben gemäß § 242 BGB werden diese Gestaltungsmöglichkeiten erst begrenzen, wenn sie (evident) missbräuchlich ausgenutzt werden. Deshalb wird häufig eine Zinsregelung getroffen, so dass der Schuldner an einer Verzögerung des Eintritts der Besserungsbedingung kein Interesse hat. Bei einer Rangrücktrittserklärung laufen die vereinbarten Zinsen ohnehin weiter, falls sie nicht ausdrücklich von dem Rangrücktritt erfasst werden. Fälligkeits- oder Verzugszinsen entstehen hingegen nicht (mehr). Bei einem Forderungsverzicht entfallen die Zinsen im Zweifel mit der Hauptforderung.
1 BFH v. 30.11.2011 – I R 100/10, GmbHR 2012, 406 (Rz. 20); Klein, GmbHR 2005, 663 (669). 2 Zu den steuerlichen Auswirkungen verschiedener Gestaltungen: Kammeter/Geißelmeier, NZI 2007, 214; Heerma/Heerma, ZIP 2006, 2202. 3 BFH v. 10.3.1983 – V B 46/80, BStBl. II 1983, 389; Lippross, UStG, 750 f. 4 Vgl. FG Münster v. 5.9.1995 – 15 K 4867/92, EFG 1996, 295.
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Beseitigung der Insolvenzgrnde
Rz. 200
§1
(6) Muster (a) Verzichtsvereinbarung mit Besserungsversprechen
M1
Verzichtsvereinbarung mit Besserungsversprechen
200
zwischen der . . .-Bank – im Folgenden „Bank“ genannt – und der Firma . . . – im Folgenden „Kreditnehmer“ genannt – 1. Erlçschen von Forderungen Bank und Kreditnehmer sind sich darber einig, dass aus ihren Krediten, die sich per . . . (Abrechnungstag) auf . . . Euro zuzglich Zinsen von . . . Euro belaufen, Forderungen in Hçhe von . . . Euro zuzglich smtlicher Zinsen erlçschen. (Oder: Die Forderungen einschließlich Zinsen von insgesamt . . . Euro erlçschen in Hçhe von . . . Euro.) 2. Sicherheiten Die fr diese Kredite bestellten Sicherheiten wird die Bank dem Kreditnehmer in gesonderten Vereinbarungen zurckbertragen, soweit sie nicht ohnehin kraft Gesetzes erlçschen oder aufgrund vertraglicher Vereinbarung an ihn zurckfallen oder nicht erloschene Forderungen sichern. Fr die nicht erloschenen Forderungen bleiben folgende Sicherheiten bestehen: . . . 3. Wiederaufleben von Forderungen Die nach Nr. 1 erloschenen Forderungen werden wieder aufleben, sobald und soweit ihre Erfllung dem Kreditnehmer aus einem Vermçgenszuwachs mçglich ist. Maßgebend ist der im Jahresabschluss ausgewiesene Bilanzgewinn i.S.v. § 268 Abs. 1 HGB, jedoch vor Dotierung von Rcklagen, vor Gewinnausschttungen und vor Passivierung der auflebenden Forderungen. Wird die Gesellschaft liquidiert, tritt an die Stelle des Bilanzgewinns ein die sonstigen Schulden bersteigender Liquidationserlçs. Damit ist der Forderungsverzicht auflçsend bedingt. Die erloschenen Zinsansprche leben nicht wieder auf. Zinsen werden erst berechnet, wenn und soweit die Forderungen wieder entstehen. Der Zinslauf beginnt am Ende des Geschftsjahres, in dem die Voraussetzungen fr das Wiederaufleben der Forderungen eingetreten sind. Die wieder entstandenen Forderungen sind drei Wochen nach Feststellung des Jahresabschlusses, sptestens jedoch zum 1. Oktober des Folgejahres fllig. Oder: Auf die erloschene Forderung werden kalkulatorisch X % p.a. ab Unterzeichnung dieser Vereinbarung berechnet. Sie sind unter denselben Voraussetzungen wie die wiederauflebende Forderung zur Zahlung fllig, wobei zunchst die kalkulatorischen Zinsansprche und erst danach die Hauptforderung wieder entstehen. Dem Kreditnehmer bleibt der Nachweis vorbehalten, dass trotz eines handelsrechtlichen Bilanzgewinns, der zum Wiederaufleben der Forderung fhrt, am Bilanzstichtag eine insolvenzrechtliche berschuldung bestand. Soweit und solange dies der Fall ist, kann er von der Bank verlangen, sich nicht auf den Eintritt der Besserungsbedingungen zu berufen. Das Gleiche gilt, soweit und solange die wiederauflebenden Forderungen zu einer Zahlungsunfhigkeit fhren. 4. Verhltnis zu anderen Glubigern/Gesellschaftern Mehrere in gleicher Form verzichtende Glubiger sind anteilig im Verhltnis ihrer Forderungen zu behandeln. Diese Vereinbarung steht unter der aufschiebenden Bedingung, dass alle Gesellschafter auf smtliche Forderungen, die ihnen am Abrechnungstag zustanden, verzichten bzw., soweit
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§1
Rz. 201
Schuldnerberatung
seither Zahlungen erfolgt sind, diese der Gesellschaft erstatten und aus einer Besserungsvereinbarung erst bedient werden, nachdem smtliche von diesem Verzicht erfasste Forderungen der Bank beglichen worden sein werden. 5. Unterrichtungspflichten Der Kreditnehmer verpflichtet sich, der Bank jeweils sptestens sechs Monate nach seinem Bilanzstichtag einen Jahresabschluss vorzulegen, der von einem Wirtschaftsprfer oder Steuerberater testiert ist. Unabhngig davon hat die Bank das Recht, jederzeit die Vorlage von Bilanzen und zustzlichen Unterlagen zu verlangen und Einsicht in die Geschftsbcher des Kreditnehmers zu nehmen. Ort, Datum . . . ... Unterschrift Bank
... Unterschrift Kreditnehmer
201 Die Besserungsbedingung knüpft im Formulierungsvorschlag an den Bilanzgewinn an. Das ist aus zwei Gründen problematisch. Der Bilanzgewinn ist ein Gewinn nach Saldierung mit sämtlichen Verlustvorträgen, betrifft also auch die Verrechnung mit dem Eigenkapitalverlust. Es kann deshalb passieren, dass die Besserungsbedingung erst eintritt, nachdem ein hohes Eigenkapital wieder erwirtschaftet wurde. Das lässt sich vermeiden, indem man den „Bilanzgewinn abzüglich eines Betrags X“ als Bemessungsgrundlage vereinbart. 202 Der Gefahr der „Übersanierung“ durch die vorrangige Beseitigung des Verlustvortrages einerseits steht das Risiko der „Untersanierung“ andererseits gegenüber: Anlass für den Forderungsverzicht ist die Überschuldung. Sie bemisst sich nach den Verkehrs-, nicht aber nach den Bilanzwerten. Wenn die Besserungsbedingung aus Vereinfachungsgründen an den Bilanzwerten festgemacht wird, muss dem Kreditnehmer der Nachweis offen gehalten werden, dass ein im insolvenzrechtlichen Sinn die Schulden übersteigendes Vermögen noch nicht erwirtschaftet wurde und auch keine positive Fortführungsprognose im Sinne des zuvor dargestellten besteht. Dies wird regelmäßig eine komplexere Prüfung sein und daher kann die Anknüpfung an die Bilanzwerte erhebliche Gefahren für einen Rückfall des Unternehmens in eine Überschuldung bieten. Es sollten daher bei einer Vereinbarung über Besserungsscheine erhebliche Puffer einkalkuliert werden, um nicht die Fortbestehensprognose durch neuerlich entstehende Verbindlichkeiten zu belasten. (b) Rangrücktrittsvereinbarung1 203 M 2
Rangrcktrittsvereinbarung
zwischen . . . – im Folgenden „Glubiger“ genannt – der Firma . . . – im Folgenden „Schuldnerin“ genannt – und den Gesellschaftern der Firma . . . [Forderungsfeststellung wie bei der Verzichtsvereinbarung gemß Rz. 220 oben] 1. Rangrcktritt Zur Vermeidung der berschuldung tritt der Glubiger mit seinen Ansprchen auf Rckzahlung und Verzinsung2 seines vorbezeichneten Darlehens im Rang hinter die Forderungen aller bestehenden und knftigen Glubiger der Gesellschaft zurck, so dass er die Erfllung dieser Ansprche nur verlangen kann, soweit ein Liquidationsberschuss oder ein die sonstigen Verbindlichkeiten bersteigendes Vermçgen (eventuell: zuzglich eines Eigenkapitals in Hçhe von . . .) oder ein sonstiges freies Vermçgen der Gesellschaft zur Verfgung steht. Im 1 Vgl. Kahlert/Gercke, DStR 2010, 227 (230); Kussmaul, DB 2002, 2258 (2259 f.). 2 Die Zinsen können von dem Rangrücktritt ausgenommen werden.
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Beseitigung der Insolvenzgrnde
Rz. 206
§1
Falle eines Insolvenzverfahrens hat die Forderung den Rang nach § 39 Abs. 1 InsO, aber vor § 199 Satz 2 InsO. 2. Anpassungsverlangen Die Rangrcktrittsvereinbarung ist auf Verlangen des Glubigers aufzuheben oder auf einen Teilbetrag seiner rangrcktrittbehafteten Forderung zu beschrnken, wenn durch die Aufhebung keine berschuldung oder Zahlungsunfhigkeit entsteht oder zu entstehen droht. 3. Gesellschafteransprche Am Abrechnungsstichtag bestehende Ansprche der Gesellschafter drfen erst befriedigt werden, nachdem smtliche Ansprche des Glubigers befriedigt worden sind, mit denen er in dieser Vereinbarung zurckgetreten ist. Ort, Datum . . . ... Unterschrift Glubiger
... Unterschrift Schuldnerin
Statt des Anpassungsverlangens kann auch vereinbart werden, dass die Rangverbes- 204 serung wie beim Muster für den Forderungsverzicht automatisch i.S. einer Bedingung eintritt. bb) Forderungsbeschränkungsvertrag Sanierungsverhandlungen scheitern leicht an unterschiedlichen Auffassungen der ge- 205 sicherten Gläubigers über den Wert der Sicherheiten und damit über die Angemessenheit eines Forderungsverzichts. Bei dem Ringen um Erlassquoten rechtfertigt jeder seine geringere Verzichtsbereitschaft damit, dass er bei einer Sicherheitenverwertung im Insolvenzverfahren besser stünde. Zur Streitvermeidung kann eine Forderungsbeschränkungsvereinbarung hilfreich sein, die bewirkt, dass der gesicherte Gläubiger nur aus dem Verwertungserlös seiner Sicherheiten befriedigt wird, während der Rest (= Ausfall) das Schicksal der ungesicherten Forderungen teilt, insbesondere also nur mit einer Quote befriedigt wird. Für den Überschuldungsstatus folgt daraus, dass eine Erhöhung oder Verringerung des Wertes der Sicherheit auf der Aktivseite mit einer entsprechenden Veränderung der gesicherten Verbindlichkeit korrespondiert. Wie bei einer Wertgarantie werden also Bewertungsrisiken reduziert und eine Gleichbehandlung der Gläubiger erleichtert. In der Vereinbarung sind die Verwertungskosten der Schuldnerin zu berücksichtigen. Das umfasst insbesondere die Kosten der Verarbeitung von Vorräten. cc) Gleichbehandlung bei außergerichtlicher Sanierung? Bei jeder außergerichtlichen Sanierung gibt es „Akkordstörer“. Sie hoffen darauf, 206 dass genügend andere Gläubiger verzichten, um das Unternehmen zu retten, und sie dann in voller Höhe befriedigt werden; denn kein Schuldner will nach weitgehend gelungener Sanierung ein Insolvenzverfahren nur wegen eines nicht verzichtenden Restes an Gläubigern einleiten. Ein solches „Trittbrettfahren“ ist nicht rechtsmissbräuchlich1. Eine Zustimmungspflicht kraft Treuebindung, wie sie für Gesellschafter bei Sanierungsmaßnahmen besteht2, gibt es zwischen den Gläubigern nicht. Ihr Votum kann nur im Insolvenzplanverfahren „überstimmt“ (§§ 243 f. InsO) oder ersetzt (§ 245 InsO) werden (vgl. § 13 Rz. 40 ff., 275 ff.).
1 BGH v. 12.12.1991 – IX ZR 178/91, NJW 1992, 967 (969 f.). 2 BGH v. 25.1.2011 – II ZR 122/09, ZIP 2011, 768 (Rz. 20 f.); BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, ZIP 2009, 2289 (Rz. 23 f.); BGH v. 1.2.1988 – II ZR 75/87, BGHZ 103, 184 für Mehrheitsaktionär; BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136 für Minderheitsaktionär; K. Schmidt, GesR, § 20 IV.2.c.
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§1
Rz. 207
Schuldnerberatung
207 Bei der außergerichtlichen Sanierung gibt es kein Gleichbehandlungsgebot1. Jeder Gläubiger kann sich mit einer geringeren Quote zufrieden geben als ein anderer2. Kaum ein Gläubiger wird jedoch auf Forderungen verzichten, wenn andere voll befriedigt werden. Das ist so lange ein unbeachtlicher Motivirrtum, solange der Schuldner nicht ausdrücklich oder konkludent erklärt, dass er sämtliche Gläubiger gleich behandelt. Verstößt er dagegen und erfährt der Gläubiger von seiner Benachteiligung, wird er den erlassenen Teil unter Berufung auf eine arglistige Täuschung oder Vertragsverletzung wieder fordern3. Nach Auffassung des KG4 soll dann sogar der gesamte Vergleich mit allen Gläubigern unwirksam sein. Ein solches Ergebnis ist zwar fraglich. In der einen wie der anderen Konstellation wäre die Überschuldung jedoch nicht endgültig beseitigt worden, wenn später ein oder mehrere Gläubiger erhebliche Nachforderungen stellen können. Kommt es schließlich doch noch zum Insolvenzverfahren, laufen die Geschäftsführer Gefahr, eine Insolvenzverschleppung begangen zu haben, weil sie diese Nachforderungen von vornherein im Überschuldungsstatus per Rückstellung hätten passivieren müssen. 208 Um das zu vermeiden, werden Forderungen „hartnäckiger“ Gläubiger gelegentlich von einem nahe stehenden Unternehmen aufgekauft, das sich anschließend mit der Quote am Sanierungsvergleich beteiligt. Derartige „Zuschüsse“ von außen für bestimmte Gläubiger sind zulässig. Hier liegt ein Gestaltungsvorteil gegenüber der Insolvenzplansanierung, bei der der BGH Forderungskäufe zur Beeinflussung des Abstimmungsergebnisses für unlauter i.S.v. § 250 Nr. 2 InsO hält5. c) Praxishinweise 209 Jede Sanierung ist zuerst ein Planungs- und dann ein Kommunikationsproblem. Es hat überhaupt keinen Sinn, mit Außenstehenden in Verhandlungen zu treten, ohne vorher ein stimmiges Konzept erarbeitet zu haben. Anderenfalls wird das Gegenteil erreicht: Banken kündigen ihre Kredite, Lieferanten die Zahlungsziele, Kunden die Bestellungen und die qualifiziertesten Arbeitnehmer ihren Arbeitsvertrag. Jede noch so gute Absicht scheitert, wenn es nicht gelingt, die Nachricht von der Krise mit Vertrauen in die Fortführung zu verbinden. 210 Die Kommunikation der Krisenmaßnahmen wird nicht durch Rundschreiben ersetzt. Mit den wichtigsten Geschäftspartnern müssen persönliche Gespräche und Verhandlungen geführt werden. Die Reihenfolge kann sich an der Fristigkeit der Kapitalüberlassung orientieren: Zunächst sind es die – wegen § 49 Abs. 3 GmbHG ohnehin zu informierenden – Gesellschafter, dann die stillen Gesellschafter, danach die Banken und schließlich die wesentlichen Lieferanten oder auch Kunden, mit denen das Konzept abgestimmt wird. Eine wichtige Rolle spielen die Arbeitnehmer, die erfahrungsgemäß zu Sanierungsbeiträgen bereit sind, wenn deutlich gemacht wird, dass sie der Unternehmenserhaltung und nicht der Umverteilung zu Gunsten der Gesellschafter dienen. Betriebsräte und Gewerkschaften können hier einen positiven Beitrag leisten, wenn mit ihnen transparent und offen kommuniziert wird. Nur der Pensionssicherungsverein hat sich in dieser Kette als ungeeignet erwiesen, weil er zunächst die Reaktion anderer Gläubiger abwarten muss6. Das Gleiche gilt für Gläubigergruppen, die aus tatsächlichen Gründen kurzfristig nicht handlungsfähig sind, bspw. die Inhaber von börsennotierten Anleihen. 1 A.A.: Uhlenbruck in K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in der Krise, Rz. 437. 2 Zum Gleichbehandlungsgebot bei der Ablehnung eines Insolvenzantrages mangels Masse BGH v. 11.9.2000 – II ZR 370/99, ZIP 2000, 1896 (1897 f.); Bespr. K. Schmidt, GmbHR 2000, 1225 (1228); s. auch Wimmer/Scholl, Handbuch des Fachanwalts Insolvenzrecht, 9. Kap. Rz. 123: Gläubiger können sich Titel verschaffen und mittels Einzelpfändung pfänden. 3 RG v. 23.2.1937 – VII 222/36, RGZ 153, 395 (397); KG v. 28.4.1980 – 20 U 310/80, ZIP 1980, 963 (965). 4 KG v. 26.4.2000 – 23 U 9752/97, ZInsO 2001, 79. 5 BGH v. 3.3.2005 – IX ZB 153/04, ZIP 2005, 719. 6 Da er kein Insolvenzantragsrecht besitzt, nimmt er erst im eröffneten Verfahren, und zwar im Planverfahren, als Gläubigergruppe teil; Gottwald/Uhlenbruck/Schmahl, InsRHdb, § 8 Rz. 44; Gottwald/Braun, InsRHdb, § 67 Rz. 52.
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Besonderheiten der Schuldnerberatung im Konzern
Rz. 217
§1
Ab der ersten Verhandlung mit einem Lieferanten sind unbedingt sämtliche Kredit- 211 versicherer über die Sanierungsmaßnahmen zu informieren. Erfahren sie von dritter Seite, dass der Schuldner seinen Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen kann, kündigen sie die Linien ihrer Versicherungsnehmer. Das führt sofort zu Lieferverzögerungen mit der Folge von Leerkosten etc., Erschwernisse, die in der Krise erst recht nicht verkraftet werden können. Allerdings ist es unmöglich, derartige Zusatzkosten völlig zu vermeiden. Jede betriebswirtschaftliche Krise, die sich bis zum Insolvenzeröffnungsgrund vertieft hat, kostet immer (wesentlich) mehr als Maßnahmen in einem Zeitpunkt, zu dem die Geschäftsführung noch keinem insolvenzrechtlichen Handlungszwang unterliegt. Diese Kosten sind im Sanierungskonzept unbedingt zu berücksichtigen.
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Genauso wichtig wie Konzept und Kommunikation ist die persönliche Kompetenz 213 der Unternehmensleitung. Einem Berater wird es kaum gelingen, Banken von den Zukunftsaussichten des Unternehmens zu überzeugen, wenn die Geschäftsführung ihren persönlichen „Kredit“ verspielt hat. Die Anamnese früherer Sanierungsversuche muss für den Anwalt wesentlicher Bestandteil der Vorbereitung von Gläubigergesprächen sein. In manchen Regionen gibt es so genannte „runde Tische“, an denen Vertreter der 214 Landesregierung, der örtlichen Handelskammer und der beteiligten Banken mit dem Schuldner sowie seinen Beratern Sanierungsgespräche führen. Eine solche Runde löst das Kommunikationsproblem – wenn sie rechtzeitig zusammentritt, was selten der Fall ist. Die erste Unterredung endet häufig mit der Beauftragung eines Gutachtens, dessen Finanzierung gelegentlich mit öffentlichen Mitteln unterstützt wird. Die Geschäftsführer der Schuldnerin meinen dann, dass ein Abwarten des Ergebnisses nichts Unrechtes sein könne, wenn diese Phase „offiziell“ begleitet werde. Stattdessen läuft jedoch die Insolvenzantragspflicht des § 15a InsO. Darauf muss der beratende Anwalt nicht nur hinweisen, sondern hat gegebenenfalls auch seine weitere Unterstützung zu versagen, wenn sie als Beihilfe zur Insolvenzverschleppung gewertet werden könnte (Rz. 1 ff.; § 5 Rz. 22 f.). IV. Besonderheiten der Schuldnerberatung im Konzern 1. Mandatssituation Im Rahmen der Beratung des Schuldners trifft der anwaltliche Berater häufig auf 215 Konzernverhältnisse. Dabei stehen nicht die medienwirksamen Großinsolvenzen, wie etwa Arcandor, Schlecker, Holzmann, Babcock-Borsig und Kirch Media im Vordergrund der alltäglichen Beratungspraxis. Auch viele kleine und mittelständische Unternehmen operieren innerhalb eines Konzernverbundes1. Vor dem Hintergrund ist es notwendig, dass Rechts- und Sanierungsberater die konzernspezifischen Besonderheiten des Insolvenzrechts kennen. Nach dem Aktienrecht (§ 18 AktG) stellt ein Konzern die Verbindung zwischen einem 216 herrschenden und einem oder mehreren beherrschten Unternehmen unter einheitlicher Leitung des herrschenden Unternehmens dar. In der Praxis kommen unterschiedliche Konzernstrukturen vor, die sich häufig nach Funktion, Zentralisierung und wirtschaftlicher Verflechtung unterscheiden. Nicht selten bildet der Konzern das eigentliche Unternehmen als betriebswirtschaftliche Einheit produktiver Ressourcen und nicht der (Teil-)betrieb der einzelnen Gesellschaft2. Bei einem zentral geführten und funktional integrierten Konzern tritt aufgrund der 217 betriebswirtschaftlichen und finanzwirtschaftlichen Verflechtung des Konzerns3 die Insolvenz in der Regel nicht isoliert bei einer Konzerngesellschaft auf. Vielmehr wird
1 S. Verweise auf empirische Daten bei Leutheusser-Schnarrenberger, ZIP 2013, 97. 2 Zu den Konzernstrukturen und Auswirkung auf das Konzerninsolvenzrecht ausführlich Brünkmans, Die Koordinierung von Insolvenzverfahren konzernverbundener Unternehmen (im Folgenden „Koordinierung“), 27 ff., 41 ff., 66 ff. 3 Vgl. Emmerich/Habersack, Konzernrecht, S. 55 f.; K. Schmidt, ZIP 2012, 1053 (1053).
Brnkmans
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§1
Rz. 218
Schuldnerberatung
mit Eintritt der Insolvenz bei einer Konzerngesellschaft wegen des dann eintretenden Wertberichtigungsbedarfs häufig eine Kettenreaktion ausgelöst, welche die Insolvenz auf andere Gesellschaften überträgt (sog. „Domino-Effekt“)1. Stellt ein im Konzernverbund integrierter Schuldner fest, dass Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit vorliegt, stellt sich damit im Konzerngesamtkontext immer auch die Frage, ob dadurch bei anderen Konzerngesellschaften die Insolvenz ausgelöst wird. Dieser Dominoeffekt wird noch verstärkt, wenn im Konzern ein zentrales Liquiditätsmanagement über einen Cash-Pool besteht. Besonderheiten in der Beratung konzernverbundener Schuldner ergeben sich somit bereits bei der Feststellung, ob überhaupt Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vorliegt (vgl. dazu Rz. 234 ff.). 218 Daneben bestehen Besonderheiten beim Insolvenzantrag und Gang des Insolvenzverfahrens, die insbesondere bei einer geplanten Sanierung im Insolvenzverfahren zu beachten sind (dazu Rz. 342 ff.). 219 Die Besonderheiten ergeben sich daraus, dass das bisherige deutsche Insolvenzrecht einen rein rechtsträgerbezogen Ansatz verfolgt. Selbst bei einem funktional integrierten und zentral geführten Konzern hat im Ausgangspunkt der mit den Insolvenzanträgen befasste Geschäftsführer oder Berater für jede Konzerngesellschaft isoliert die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts zu bestimmen, welches dann für das jeweilige Konzernglied einen unabhängigen Insolvenzverwalter einsetzt. Ohne durch den Schuldner (Konzernspitze) oder Berater koordinierte und gründlich vorbereitete Insolvenzanträge besteht die Gefahr, dass der Konzern als Unternehmen und als Verbundwert zerbricht und eine im Einzelfall optimale Konzerngesamtsanierungs- oder Verwertungsstrategie nicht mehr umsetzbar ist, denn im Insolvenzeröffnungsverfahren – spätestens jedoch im Insolvenzverfahren – geht die Konzernleitungsmacht der Konzernspitze gegenüber den insolventen Tochtergesellschaften verloren: weder Insolvenzverwalter noch der Geschäftsführer in der Eigenverwaltung unterliegen den gesellschaftsrechtlich vermittelten Weisungsrechten (§ 37 Abs. 1 GmbHG, § 308 AktG), die vorinsolvenzlich den Konzern im Rahmen einer hierarchischen Führungsstruktur zusammengehalten haben2. 220 Um dem Auseinanderbrechen des Gesamtkonzerns entgegen zu wirken, hat die bisherige Sanierungs- und Insolvenzpraxis3 sich mit zwei Maßnahmen beholfen: 221 – Erstens wird durch großzügige Auslegung der die örtliche und internationale gerichtliche Zuständigkeit begründenden4 Vorschriften ein einheitlicher „Quasi Konzerngerichtsstand“, meistens am Sitz der Konzernmutter, begründet. Dies erfordert indes eine aufwendige Vorbereitung der Insolvenzanträge, insbesondere wenn der Satzungssitz der Konzerntochter nicht mit dem Sitz der Muttergesellschaft5 identisch ist6. Für jede einzelne Tochtergesellschaft ist der Nachweis zu erbringen, dass der effektive Verwaltungssitz7, d.h. der Ort, an dem die Geschäftsführer der Tochtergesellschaften nach außen erkennbar das eigentliche operative Geschäft der Tochtergesellschaft führen, sich nicht am Satzungssitz oder am Ort der Geschäftsräume der Tochtergesellschaft befindet, sondern am Sitz der Konzernmutter. Wird eine zentrale 1 Ausführlich s. Brünkmans, Koordinierung, S. 69 ff.; s. auch Siemon/Frind, NZI 2013, 1 ff. 2 Acher, Vertragskonzern und Insolvenz 1987, S. 119; Bous, Die Konzernleitungsmacht im Insolvenzverfahren konzernverbundener Kapitalgesellschaften, S. 291 ff.; Brünkmans, Koordinierung, S. 73 ff.; Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 529 (548); Hengeler/Hoffmann-Becking, FS Hefermehl, S. 283, 286; Mertens, ZGR 1984, 542, 550; Tschernig, Haftungsrechtliche Probleme der Konzerninsolvenz, S. 93. 3 S. deutliche Kritik K. Schmidt, KTS 2010, 1 (22); vgl. dagegen Vallender, Der Konzern 2013, 162 (163) Fn. 8. 4 Zu § 3 InsO: LG Dessau, ZIP 1998, 1006; AG Köln, NZI 2008, 254 „PIN I“; AG Köln, ZIP 2008, 423; AG Essen, ZIP 2009, 1826 „Arcandor“, mit Anm. Brünkmans, EWiR 2009, 679. 5 Je nach Einzelfall ist eine vorherige Sitzverlegung durch Satzungsänderung in Erwägung zu ziehen. 6 Der Satzungssitz hat Indizwirkung für die Frage, wo sich der Mittelpunkt der selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit (§ 3 Abs. 1 InsO) bei Gesellschaften befindet, MünchKommInsO/ Ganter/Lohmann, § 3 Rz. 13; vgl. auch die Vermutung in Art 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO. 7 Zur Maßgeblichkeit des effektiven Verwaltungssitzes siehe Brünkmans, KSZW 2012, 319.
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Brnkmans
Besonderheiten der Schuldnerberatung im Konzern
Rz. 224
§1
Abwicklung der einzelnen Insolvenzverfahren angestrebt, ist die örtliche Zuständigkeit beim Insolvenzantrag anhand der Darstellung der zentralen Konzernführung und Organisation ausführlich zu begründen. Als Indizien dafür sind anerkannt: Die Geschäftsführer der Tochtergesellschaften agieren größtenteils von der Konzernzentrale und nicht von den Geschäftsräumen der Tochtergesellschaft aus, wesentliche Head-Office-Funktionen wie Personalorganisation, Buchhaltung, EDV und Customer Relations wurden von der Konzernzentrale aus betrieben und die Geschäftskonten von Geschäftsbanken wurden am Sitz der Mutter geführt1. Nach gegenwärtiger Rechtslage empfiehlt es sich, bereits im Insolvenzantrag die 222 entsprechenden Nachweise beizufügen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass das Insolvenzgericht zunächst einen Sachverständigen mit der Prüfung der örtlichen Zuständigkeit beauftragt2, was zu weiteren Verzögerungen im Antragsverfahren, etwa im Hinblick auf die Bestellung eines vorläufigen Gläubigerausschusses (zur strategischen Bedeutung des vorläufigen Gläubigerausschusses siehe oben Kap. 6, Rz. 164 ff., 222 ff.), führen kann. Mit Inkrafttreten des Regierungsentwurfes eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen wird die Begründung eines einheitlichen Konzerngerichtsstandes hingegen einfacher, flexibler und rechtssicherer (dazu unten Rz. 258 ff.). – Zweitens wird in der gegenwärtigen Rechtspraxis auf die Einsetzung eines perso- 223 nenidentischen Insolvenzverwalters in den einzelnen Insolvenzverfahren der Konzerngesellschaften hingewirkt3. Dadurch wird die operative Betriebsfortführung des Konzernunternehmens aus einer Hand und das Bestreben nach wertmaximierenden konzernübergreifenden Sanierungsansätzen gefördert, Reibungsverluste in den Einzelverfahren werden minimiert (zum Problem der Interessenkollision und der Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters siehe unten Rz. 297). Auch die Corporate Governance der Eigenverwaltung hat für die Bewältigung von Konzerninsolvenzen gewisse Vorzüge, welche mit der Besetzung eines personenidentischen Sachwalters noch verstärkt werden4. Der einheitliche Konzerngerichtsstand ist dabei „Zwischenschritt“ für die Bestellung eines personenidentischen Insolvenzverwalters in den einzelnen Verfahren, weil unterschiedliche Gerichte eher dazu geneigt sind, den eigenen, örtlich „gerichtsbekannten“ Insolvenzverwalter oder Sachwalter zu bestellen. Auch diese Praxis wird im Regierungsentwurf auf rechtssichere Grundlage gesetzt und bietet im Übrigen neue Mechanismen zur Förderung von konzernweiten Sanierungen und Gesamtverwertungsstrategien an. 2. Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen a) Stand des Gesetzgebungsverfahrens Die Bundesregierung hat am 30.1.2014 den Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung 224 der Bewältigung von Konzerninsolvenzen (nachfolgend „Gesetzesentwurf“) in den Bundestag eingebracht. Der Regierungsentwurf basiert auf dem vom Bundesjustizministerium bereits am 3.1.2013 vorgestellten Diskussionsentwurf5. Die Anhörung im Rechtsausschuss fand am 2.4.2014 statt. Es ist zu erwarten, dass der Entwurf Anfang 2015 in Kraft treten wird.
1 Ausführlich MünchKommInsO/Brünkmans, Bd. 3, Konzerninsolvenzrecht, Rz. 29. 2 Eindrucksvoll etwa das umfassende Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen zur Frage der örtlichen Zuständigkeit der Quelle GmbH am Sitz der Konzernzentralle der Arcandor AG in Essen, AG Essen, ZIP 2009, 1826 „Arcandor“, mit Anm. Brünkmans, EWiR 2009, 679. 3 So etwa geschehen im Verfahren Arcandor, AG Essen, ZIP 2009, 1826 „Arcandor“, mit Anm. Brünkmans, EWiR 2009, 679 oder PIN Group, AG Köln, NZI 2008, 254 „PIN I“. 4 Brünkmans, Koordinierung, S. 198 ff.; Ehricke, ZInsO 2002, 393 ff. 5 Regierungsentwurf BT-Drucks. 18/407, im Folgenden abgekürzt RegE. Paragrafen aus dem Regierungsentwurf nachfolgend „InsO-E“. Der Diskussionsentwurf ist abrufbar unter http:// www.rws-verlag.de/fileadmin/zbb-volltexte-3/2013-01-03_DiskE_Konzerninsolvenzrecht_-_Ver sendung.pdf, im Folgenden abgekürzt DiskE.
Brnkmans
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§1
Rz. 225
Schuldnerberatung
225 Auch der Entwurf der Europäischen Kommission zur Änderung der Europäischen Insolvenzverordnung (EuInsVO) sieht die Einführung eines europäischen Konzerninsolvenzrechts, mit teilweise weitergehenden Eingriffsrechten, vor1. Das Europäische Parlament hat sich in seinem Änderungsvorschlag zum Kommissionsentwurf eng an den deutschen Regierungsentwurf orientiert2. Diese Entwicklung ist mit Spannung zu beobachten, denn Konzerne agieren häufig grenzüberschreitend, so dass die europäischen Vorschriften im Fall des Inkrafttretens hohe Anwendungsbedeutung hätten. b) Zielrichtung und Konzeption des neuen Konzerninsolvenzrechts 226 Der Gesetzesentwurf zielt auf die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger der einzelnen im Insolvenzverfahren befindlichen Konzerngesellschaften ab und fügt sich damit ohne Friktionen in den Insolvenzverfahrenszweck aus § 1 InsO ein3. Die Interessen des Schuldners, etwa an einer Sanierung, können nur innerhalb dieses Rahmens verwirklicht werden. Auf welche Art und Weise diese bestmögliche und gleichmäßige Befriedigung erfolgen soll, überlässt die InsO grundsätzlich der Gläubigerautonomie4. 227 „Leitplanken“ für sämtliche im neuen Gesetz enthaltene Maßnahmen zur Förderung von Konzerngesamtsanierungs- oder Verwertungsstrategien folgen aus dem ParetoPrinzip: Gläubiger sämtlicher Konzernglieder dürfen bei einem Konzerngesamtabwicklungs- oder Sanierungskonzept nicht schlechter stehen als bei der Einzelabwicklung und insgesamt muss durch das Gesamtkonzept ein Mehrwert entstehen5. Das Konzerninsolvenzrecht darf nicht dazu führen, dass die Masse und Befriedigung der Gläubiger eines gruppenangehörigen Schuldners durch die Einbeziehung in eine konzernspezifische Regelung schlechter dasteht als in einer isolierten Verfahrensbewältigung. Notfalls sind Ausgleichszahlungen zur Aufrechterhaltung des Wertes der Einzelmassen zu leisten6. 228 Um dieses Ziel eines bestmöglichen Gesamtverwertungs- und Befriedigungsergebnisses bei Wahrung des Status Quo in den Einzelmassen zu erreichen, haben sich in Wissenschaft und rechtsvergleichender Praxis verschiedene Regulierungskonzepte herauskristallisiert, die jeweils unterschiedlich stark die wirtschaftliche Einheit oder rechtliche Vielfalt des Konzerns betonen7. Das ausschließlich die wirtschaftliche Einheit des Konzerns betonende Konzept der materiellen Konsolidierung geht davon aus, dass die vom Insolvenzbeschlag erfassten Vermögensgegenstände der einzelnen Konzernglieder insgesamt eine einheitliche „Konzerninsolvenzmasse“ bilden. Diese einheitliche Konzerninsolvenzmasse stellt dann das Befriedigungs- und Haftungssubstrat der Gläubiger aller Konzernglieder dar. Konzerninterne Forderungen gehen aufgrund der einheitlichen Betrachtungsweise unter. Vermögensgegenstände und Gläubiger der einzelnen Konzernglieder
1 Vorschlag der Kommission zur Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren, COM (2012), 744; vgl. dazu Brünkmans, ZInsO 2013, 797; Brünkmans, Der Konzern, 2013, 234 ff.; Eidenmüller, Maastricht Journal of European and Comparative Law 2013, S. 133 ff.; Wimmer, DB 2013, 1343 (1343). 2 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments v. 5.2.2014 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren (COM[2012]0744 – C7-0413/2012 – 2012/0360[COD]). 3 RegE, S. 16; vgl auch § 269a InsO-E und § 269 f. InsO-E („… soweit dies im Interesse der Gläubiger liegt“). 4 Instruktiv Balz, ZIP 1988, 1438 ff. 5 Instruktiv Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528, 550 f.; Eidenmüller/Frobenius, Beilage zu ZIP 22/2013, 4. 6 MünchKommInsO/Brünkmans, Bd. 3, Konzerninsolvenzrecht, Rz. 12, s. auch Beispiele bei Brünkmans, Der Konzern, 2013, 169 (172 f.). 7 Ausführlich Eidenmüller/Frobenius, Beilage zu ZIP 22/2013; s. auch MünchKommInsO/Brünkmans, Bd. 3, Konzerninsolvenzrecht, Rz. 7.
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Brnkmans
Besonderheiten der Schuldnerberatung im Konzern
Rz. 232
§1
werden gewissermaßen „in einen Topf“ geworfen1. Das Konzept der materiellen Konsolidierung wird in der US-amerikanischen Gerichtspraxis als „substantive consolidation“ in den Fällen der Vermögens- und Sphärenvermischung2 oder bei betriebswirtschaftlich funktional eng miteinander verflochtenen Gesellschaften praktiziert3. Da ausweislich der Gesetzesmaterialien der Gesetzgeber den Status Quo der Einzel- 229 masse nicht zugunsten eines optimalen Gesamtergebnisses aufopfern möchte, ist das Konzept der materiellen Konsolidierung nicht mit der gesetzgeberischen Zielsetzung vereinbar4. Eine materielle Konsolidierung würde das Prinzip der Haftungstrennung, ein wesentliches Dogma des deutschen Konzernrechts, in Frage stellen, was zu einer Egalisierung der Quoten der Gläubiger führen würde. Die Attraktivität der Konzernbildung liegt gerade darin, separate Haftungs- und Risikoeinheiten unter einer einheitlichen Leitung bilden zu können. Diese Haftungsseparierung muss sich aber gerade in der Insolvenz bewähren5. Der Gesetzesentwurf enthält vielmehr Elemente der Verfahrenszentralisierung und 230 Verfahrenskoordinierung. Im Ausgangspunkt wird für jedes Konzernglied ein Insolvenzverfahren eröffnet und jedes Insolvenzverfahren hat seine eigenen Verfahrensorgane wie Insolvenzgericht, Insolvenzverwalter/Sachwalter, Gläubigerversammlung und ggf. Gläubigerausschuss. Eine Zentralisierung dieser Verfahren wird jedoch durch die Schaffung eines Konzerngerichtsstandes (§§ 3a – 3e InsO-E) und die personenidentische Besetzung der Verfahrensorgane, vornehmlich den Insolvenzverwalter/ Sachwalter (§ 56b InsO-E), erreicht, sodass die Verwaltung und Verwertung der Konzernmassen „aus einer Hand“ erfolgen kann6. Für den Fall, dass die Voraussetzungen eines einheitlichen Gerichtsstands nicht vor- 231 liegen oder das Gericht von der Bestellung eines einheitlichen Insolvenzverwalters absieht, regelt der Entwurf allgemeine Kooperationsrechte und -pflichten zwischen den Insolvenzverwaltern, Insolvenzgerichten und Gläubigerausschüssen der einzelnen Insolvenzverfahren (§§ 269a–269c InsO-E) und führt erstmals ein besonderes Koordinationsverfahren ein (§§ 269d ff. InsO-E). c) Anwendungsbereich des neuen Konzerninsolvenzrechts Der sachliche Anwendungsbereich des neuen Konzerninsolvenzrechts wird durch die 232 in § 3e InsO-E vorgesehene Definition der Unternehmensgruppe eröffnet. Der Anwendungsbereich der Regelungen zum Konzerninsolvenzrecht ist eröffnet, wenn mindestens zwei Insolvenzverfahren oder Eröffnungsverfahren über das Vermögen zweier Schuldner vorliegen, die unmittelbar oder mittelbar miteinander verbunden sind durch die Mo ¨glichkeit der Ausübung eines beherrschenden Einflusses oder einer Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung (§ 3e InsO-E). Auf die tatsächliche Ausübung der Beherrschungsmacht kommt es – wie auch in § 290 HGB zur konsolidierten Rechnungslegung, anders aber beim aktienrechtlichen Konzernbegriff (§ 18 Abs. 1 AktG) – nicht an. Insoweit kann auf die klar definierten Regelbeispiele in § 290 HGB verwiesen werden. Das Konzerninsolvenzrecht findet nur auf Gruppenmitglieder Anwendung, die sich im Insolvenz(eröffnungs-)verfahren befinden. Daraus folgt insbesondere, dass nicht insolvente Konzernglieder nicht mit in das Koordinations1 MünchKommInsO/Brünkmans, Bd. 3, Konzerninsolvenzrecht, Rz. 15 ff.; vgl. sehr veranschaulichend K. Schmidt, KTS 2010, 1 (13) „generalisierter Totaldurchgriff“. 2 In re Auto-Train Corp. Inc. 810 F-2d 270, 276 (C.D.Cir.1987); In re Standard Brand Paint Co. 154 B.R. 563, 569 (Bankr.C.D.Cal 1993); vgl. ausführlich Brünkmans, Koordinierung, S. 96; Scheel, Konzerninsolvenzrecht, S. 270. 3 Als veranschaulichendes Beispiel etwa das Betreiben eines technisch aufeinander abgestimmten Verkehrsleitsystems durch mehrere Konzerngesellschaften, s. dazu Brünkmans, Der Konzern 2013, 169 (171). 4 Vgl. RegE, S. 16; für eine materielle Konsolidierung hingegen Paulus, ZIP 2005, 1948 ff.; wohl auch Uhlenbruck, NZI 1999, 41 (43). 5 Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 1 (7); Sester, ZIP 2005, 2099 (2100); Brünkmans, ZIP 2013, 193 f.; Fölsing, ZInsO 2013, 413 (414); Lienau, Der Konzern, 2013, 157 (158); Wimmer, DB 2013, 1343 (1344). 6 Eidenmüller/Frobenius, Beilage zu ZIP 22/2013, 3.
Brnkmans
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§1
Rz. 233
Schuldnerberatung
verfahren einbezogen werden können und die Kooperationspflichten aus § 270d InsO-E auf das nicht insolvente Konzernglied ebenfalls keine Anwendung finden (zur Einbeziehung über die Konzernleitungsmacht siehe unten Rz. 337). 233 Nach § 3e InsO-E muss der gruppenangehörige Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen (COMI) im Sinne von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO in Deutschland haben. Dies beschwört Abgrenzungsprobleme zu den in der Zukunft auf europäischer Ebene zu erwartenden Vorschriften zur Konzerninsolvenz1 herauf. Richtigerweise ist klarzustellen, dass das europäische Konzerninsolvenzrecht nur dann Anwendung findet, wenn mindestens ein insolventes Mitglied derselben Unternehmensgruppe den COMI in einem anderen Mitgliedstaat hat als die übrigen insolventen Mitglieder der Unternehmensgruppe. Ist der Anwendungsbereich der Vorschriften zur EuInsVO eröffnet, sind die nationalen Vorschriften zum Konzerninsolvenzrecht anwendbar, soweit die EuInsVO-Vorschriften keine abschließenden Regelungen darstellen2. 3. Besonderheiten bei der Prüfung der Insolvenzgründe konzernverbundener Unternehmen a) Separate Prüfung von Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unter Beachtung der Konzerneinbindung 234 Die Prüfung der Insolvenzgründe im Sinne von §§ 16 ff. InsO hat im Konzern grundsätzlich isoliert für jede Konzerngesellschaft zu erfolgen. Eine konsolidierte Betrachtung findet nicht statt. Daran ändert auch das neue Konzerninsolvenzrecht nichts. Handelt es sich, wie in den meisten Fällen, bei den einzelnen Konzerngliedern um juristische Personen, so hat jeder Geschäftsführer/Vorstand seinen Antragspflichten aus § 15a InsO zu genügen und in der Krise durchweg zu überprüfen, ob Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) oder Überschuldung (§ 19 InsO) vorliegen. Diese Überprüfung erfolgt im Grundsatz für jede Gesellschaft unabhängig. Allerdings sind konzernspezifische Besonderheiten zu beachten. 235 Bei der Prüfung der Überschuldung3 ist im Konzernkontext zu beachten, dass ggf. eine Wertberichtigung bezüglich der Forderungen gegenüber verbundenen Unternehmen vorzunehmen ist. Dabei ist insbesondere in Betracht zu ziehen, ob und inwieweit bei den verbundenen Unternehmen auch bereits Insolvenzgründe vorliegen oder das Insolvenzverfahren gar bereits beantragt oder eröffnet ist. 236 Im Vertragskonzern kommt wegen des Verlustausgleichsanspruchs aus § 302 AktG4 eine Überschuldung der Untergesellschaft nicht in Betracht, solange der Verlustausgleichsanspruch gegen das herrschende Unternehmen vollwertig ist5. Die Ausgleichsansprüche gegenüber der Obergesellschaft nach § 302 Abs. 2 AktG können in der Überschuldungsbilanz aktiviert werden6. Zu einer Überschuldung kann es demnach nur kommen, wenn der Verlustausgleichsanspruch wegen Insolvenzgefahr der Obergesellschaft wertberichtigt werden muss.
1 S. Kapitel IV A des Vorschlages der Europäischen Kommission v. 12.12.2012 für eine Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000, COM(2012) 744 final; Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments v. 5.2.2014 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren (COM[2012]0744 – C7-0413/2012 – 2012/0360[COD]). 2 Dazu ausführlich Brünkmans, ZInsO 2013, 797 (806 f.); s. auch Thole, ZEuP 2014, 39 ff. 3 Zur Definition vgl. oben, Rz. 114 ff. 4 Nach st. Rspr. insgesamt auf die GmbH analog anzuwenden, vgl. nur BGH, GmbHR 2002, 62 (63 f.); OLG Thüringen, GmbHR 2005, 1058 (1059); OLG München, GmbHR 2014, 535. 5 Bous, Die Konzernleitungsmacht im Insolvenzverfahren konzernverbundener Kapitalgesellschaften, S. 290; Brünkmans, Koordinierung, S. 72; Lutter/Timm, ZGR 1983, 269 (279 f.); Meister, WM 1976, 1182; Piepenburg, NZI 2004, 231 (233); K. Schmidt, ZGR 1983, 513 (526); Uhlenbruck/Hirte, InsO, § 11 Rz. 399. 6 MünchKommInsO/Drukarczyk/Schüler, § 19 Rz. 117; Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, Teil 2, Rz. 353.
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Brnkmans
Besonderheiten der Schuldnerberatung im Konzern
Rz. 243
§1
Auch die positive Fortführungsprognose der einzelnen Gesellschaft im Rahmen von § 19 Abs. 2 S. 1, 2. HS InsO hängt nicht selten von der positiven Fortführung einer anderen Gesellschaft im Konzern ab.
237
Bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit (zur Definition vgl. o. Rz. 51 ff.) bestehen im Konzern insbesondere dann Besonderheiten, wenn die einzelnen Gruppen-Gesellschaften an einem konzernweiten Cash-Pool angeschlossen sind.
238
b) Besonderheiten im Cash-Pool aa) Funktion des Cash-Pools Beim echten (physischen) Cash-Pooling werden die Salden der laufenden Bankkon- 239 ten der am Cash-Pool angeschlossenen Tochtergesellschaften von der Muttergesellschaft als Cash-Pool-Führerin1 werktäglich auf einem zentralen Konto miteinander verrechnet2. Ziel eines Cash-Pools ist, eine effiziente Konzernfinanzierung darzustellen, indem 240 überschüssige Liquidität der am Cash-Pool angeschlossenen Gesellschaften optimal allokiert und insbesondere Zinsen einer Fremdfinanzierung gespart werden. Die meisten Cash-Pool-Vereinbarungen sehen vor, dass die Konten der am Cash-Pool angeschlossenen Konzernunternehmen am Ende eines jeden Bankarbeitstages auf null gestellt werden (sog. zero balancing), d.h., das Kontoguthaben der einzelnen Konzerngesellschaften wird auf das Zielkonto der Konzernobergesellschaft überwiesen und Unterdeckungen werden durch Überweisungen durch die Cash-Pool-Führerin ausgeglichen3. Wird Guthaben von der Tochtergesellschaft an die Muttergesellschaft als Cash-Pool-Führerin überwiesen, bedeutet dies rechtstechnisch eine Darlehensgewährung (Upstream-Darlehen). Stellt die Muttergesellschaft hingegen der Tochtergesellschaft Liquidität zur Verfügung, entsteht umgekehrt ein Darlehensanspruch der Muttergesellschaft gegen die Tochtergesellschaft (Downstream-Darlehen)4. Die wechselseitigen Darlehensansprüche zwischen Muttergesellschaft und Tochtergesellschaft aus der Cash-Pool-Einbindung werden in regelmäßigen Abständen durch Aufrechnung (netting) verrechnet5. bb) Pflichten der Geschäftsführer einer im Cash-Pool angebundenen Gesellschaft Geschäftsführer und Vorstände unterliegen in der Krise folgenden besonderen Pflich- 241 ten, die dazu führen können, dass eine Pflicht zur Suspendierung oder gar Beendigung der Cash-Pool-Vereinbarung entsteht6: – Die Geschäftsführung der am Cash-Pool angeschlossenen Tochtergesellschaften 242 dürfen gemäß § 30 GmbHG und § 64 S. 3 GmbHG keine Zahlungen, d.h. Übertragung der Habensalden an die Cash-Pool-Führerin veranlassen, wenn dies zur Zahlungsunfähigkeit der Konzerngesellschaft führt. Mit Eintritt der Zahlungsunfähigkeit dürfen die Geschäftsführer der Tochtergesellschaften gemäß § 64 S. 1 GmbHG grundsätzlich keine Zahlungen an die Cash-Pool-Führerin veranlassen. – Der Geschäftsführer der Muttergesellschaft als Cash-Pool-Führerin hat vor dem 243 Hintergrund der Rechtsprechung zum sog. existenzvernichtenden Eingriff (§ 826 BGB)7 die Liquidität der Tochtergesellschaften dergestalt zu wahren, dass der
1 Die nachfolgenden Ausführungen unterstellen den in der Praxis häufigsten Fall, dass die Muttergesellschaft auch gleichzeitig die Cash-Pool-Führerin ist. Zwingend ist das jedoch nicht. 2 Saenger/Koch, GmbHR 2010, 113 (113). 3 Vgl. etwa BGHZ 166, 8 (12); Heidinger/Benz in Spindler/Stilz, Aktiengesetz, § 27 Rz. 272 ff.; Sieger/Hasselbach, BB 1999, 645; Saenger/Koch, GmbHR 2010, 113 ff. 4 Schmelz, NZG 2006, 456; Vetter, BB 2004, 1509. 5 Mühlhaus/Wenzel, GmbH-StB 2013, 184 (185); Blöse, GmbHR 2002, 675. 6 Zusammengefasst Willemsen/Rechel, GmbHR 2010, 349 ff. 7 BGH, NJW 2007, 2689; BGH, NJW-RR 2008, 1417; BGH, NJW 2008, 2437; BGH, NZI 2008, 238; BGH, NJW 2009, 2127, zum existenzvernichtenden Eingriff ausführlich MünchKommBGB/ Wagner, § 826 Rz. 104.
Brnkmans
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§1
Rz. 244
Schuldnerberatung
Tochtergesellschaft die Liquidität verbleibt, die diese als notwendige Betriebsmittel zur eigenen Überlebensfähigkeit benötigt. 244 Die Suspensivwirkung dieser gesetzlichen Pflichten wird in der Praxis zusätzlich häufig durch Vertragsklauseln in der Cash-Pool-Vereinbarung abgesichert, nach welchen Übertragungen von Habensalden, die den geschilderten Verpflichtungen zuwider laufen, nicht erfolgen bzw. rückgängig zu machen sind1. Diese Suspensivwirkung ist bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit der einzelnen Konzerngesellschaft wie nachfolgend dargestellt zu berücksichtigen. cc) Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit anhand eines Liquiditätsstatus 245 Für jede Tochtergesellschaft hat die Zahlungsfähigkeitsprüfung im rechtlichen Sinne isoliert zu erfolgen. Dies gilt auch für eine an einem Cash-Pool angebundene Gesellschaft. 246 Zahlungsunfähigkeit liegt nach § 17 Abs. 1 InsO vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes liegt Zahlungsunfähigkeit in Abgrenzung zur Zahlungsstockung in der Regel erst dann vor, wenn eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke 10 % oder mehr der fälligen Gesamtverbindlichkeiten des Schuldners ausmacht2. 247 Die Liquiditätslücke wird auf der ersten Stufe (Stufe Liquiditätsstatus) über einen stichtagsbezogenen Liquiditätsstatus ermittelt. Dabei sind den am Stichtag vorhandenen liquiden Mittel der Gesellschaft alle am Stichtag fälligen Verbindlichkeiten gegenüberzustellen. Als liquide Mittel gelten neben Bargeld auch Schecks, Kontoguthaben und freie Kreditlinien auf laufenden Geschäftskonten3. 248 Wird auf der Grundlage des Liquiditätsstatus eine Liquiditätslücke ermittelt, ist in der zweiten Stufe (Stufe Liquiditätsprognose) zu prüfen, ob die Liquiditätslücke nach drei Wochen nachhaltig unter 10 % liegt. Kann dies bejaht werden, ist in der Regel nur von einer (vorübergehenden) Zahlungsstockung auszugehen. Liegt die prognostizierte Liquiditätslücke am Ende der drei Wochen über 10 %, liegt hingegen in der Regel Zahlungsunfähigkeit vor. Streitig ist dabei, ob die Liquiditätsprognose für den Dreiwochenzeitraum erst dann zu erstellen ist, wenn der Liquiditätsstatus eine Unterdeckung von über 10 % ausweist4 oder bereits bei geringfügiger Unterdeckung5. Bei der Liquiditätsprognose sind nicht nur die fälligen Verbindlichkeiten aus dem Liquiditätsstatus, sondern auch die nach dem Stichtag fällig werdenden Zahlungspflichten zu berücksichtigen6. 249 Inwieweit Ansprüche der Tochtergesellschaften gegen die Cash-Pool-Führerin in der Stufe Liquiditätsstatus oder Liquiditätsprognose zu berücksichtigen sind, ist bislang noch nicht höchstrichterlich entschieden. Die überwiegende Auffassung – insbesondere der einschlägige Standard des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW PS 800 und der Entwurf IDW ES 11) – sieht in Cash-Pool-Forderungen keine liquiden Mittel7. An1 2 3 4 5 6
Ähnlich Empfehlungen von Weitzel/Socher, ZIP 2010, 1069 ff. BGHZ 163, 134. IDW PS 800, Rz. 36 und Entwurf IDW ES 11, Rz. 32. So Kayser, Höchstrichterliche Rechtsprechung Insolvenzrecht, Rz. 19. So wohl IDW ES 11, Rz. 16 f. IDW PS 800, Rz. 44 und Entwurf IDW ES 11, Rz. 24, Fn. 34; Ganter, ZInsO 2011, 2297 (2302); Bork, ZIP 2008, 1749 ff.; Pape, WM 2008, 1949 ff.; Frystatzki“ NZI 2010, 389 ff.; Hölzle, ZIP 2007, 613 ff.; Plagens/Wilkens, ZInsO 2010, 2107 ff.; Staufenbiel/Hoffmann, ZInsO 2008, 891 ff.; Göb, NZI 2010, 558 (560); MünchKommInsO/Eilenberger, § 17 Rz. 20; Uhlenbruck in Uhlenbruck, Insolvenzordnung, § 17 Rz. 13, 24, 43; Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 17 Rz. 22; K. Schmidt/Bitter in Scholz, GmbHG, vor § 64 Rz. 11; Kolmann in Saenger/Inhester, Kommentar zum GmbHG, vor § 64 Rz. 110; MünchKommGmbHG/H. F. Müller, § 64 Rz. 15; Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rz. 38; Bork in Bork/Schäfer, GmbHG, 2010, § 64 Rz. 8; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anh. zu § 64 Rz. 10. 7 IDW PS 800, Rz. 39 ebenso Entwurf IDW ES 11, Rz. 46; Saenger/Koch, GmbHR 2010, 113 (116).
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Brnkmans
Besonderheiten der Schuldnerberatung im Konzern
Rz. 253
§1
deres soll nur dann gelten, wenn der Schuldner die Zulassung als Kreditinstitut besitzt, da Forderungen gegen ein Kreditinstitut zu den flüssigen Mitteln des Gläubigers gehören1. Allerdings kann eine Cash-Pool-Forderung als liquidierbarer Vermögenswert grund- 250 sätzlich in der Liquiditätsprognose berücksichtigt werden, solange die Bonität der Muttergesellschaft als Cash-Pool-Führerin gesichert ist und die Cash-Pool-Forderung damit vollwertig und innerhalb von drei Wochen liquidierbar ist2. Entscheidend für die Berücksichtigungsfähigkeit ist regelmäßig, ob die Cash-Pool-Vereinbarung die Möglichkeit vorsieht, das Darlehen kurzfristig zurückfordern zu können3. Werden fällige Verbindlichkeiten einer Tochtergesellschaft nicht durch eigene liquide Mittel, sondern vielmehr durch einen werthaltig und auf erstes Anfordern innerhalb des Dreiwochenzeitraums durchsetzbaren Liquiditätsausstattungsanspruch gegen die Cash-Pool-Führerin abgedeckt, liegt lediglich Zahlungsstockung der Tochtergesellschaft, nicht jedoch Zahlungsunfähigkeit vor. dd) Konzernliquiditätsplanung und Zahlungsfähigkeitsprüfung Sind die einzelnen Konzerngesellschaften über einen Cash-Pool finanziell miteinan- 251 der verbunden, erfolgt in der Praxis die Liquiditätsplanung aus Gründen der Vereinfachung üblicherweise konsolidiert, d.h., es werden sämtliche Ein- und Auszahlungen an außenstehende Dritte, nicht jedoch konzerninterne, prognostiziert und in der Liquiditätsplanung dargestellt. Vor dem Hintergrund der unter Rz. 241 ff. dargestellten Geschäftsführer- und Gesellschafterhaftung und des Umstandes, dass es für die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit auf die jeweils einzelne Konzerngesellschaft ankommt (siehe oben unter Rz. 245 ff.) stellt sich die Frage, wann von einer konzernweiten, konsolidierten Gesamtbetrachtung der Liquiditätsplanung auf eine Einzelbetrachtung der Liquiditätsplanung umgestellt werden muss. Gemäß des vom Institut der Wirtschaftsprüfer herausgegebenen, einschlägigen Prü- 252 fungsstandards IDW PS 8004 kommt beim Cash-Pooling der Konzern-Liquiditätsplanung zur Feststellung verfügbarer Liquiditätsreserven im Rahmen der Zahlungsfähigkeitsprüfung besondere Bedeutung zu. Im Ausgangspunkt kann die Risikolage durch eine konsolidierte Konzernbetrachtung geprüft werden, solange und soweit eine Liquiditätsunterdeckung im Liquiditätsstatus und in der Liquiditätsplanung im Rahmen der Konzernbetrachtung nicht festgestellt wird, denn dann stehen hinreichend liquide Mittel zur Verfügung, um sämtliche fälligen Verbindlichkeiten der Konzerngesellschaften abzudecken und somit kann dies auch für die insolvenzrechtlich entscheidende Einzelbetrachtung für alle Gesellschaften bejaht werden. Ist jedoch in der konsolidierten Liquiditätsplanung absehbar, dass nicht mehr ausreichende Mittel zur Deckung der erforderlichen Liquidität zur Verfügung stehen, sind Liquiditätsstatus und Liquiditätsplan auf der Ebene der Einzelgesellschaft zu erstellen. Bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit der Cash-Pool-Führerin bestimmt sich de- 253 ren Liquiditätslage unter Berücksichtigung der dann fälligen Verbindlichkeiten aus den Einzahlungen der angeschlossenen Konzerngesellschaften5. Zukünftige Einzahlungen der angeschlossenen Konzerngesellschaften darf die Cash-Pool-Führerin nicht mehr erwarten (und damit nicht mehr in den Liquiditätsplan einstellen), wenn und soweit diese Zahlungen zur Zahlungsunfähigkeit der angeschlossenen Konzerngesellschaft führen (§ 64 Abs. 1 Satz 3 GmbHG) bzw. eine Zahlungsunfähigkeit bereits eingetreten ist (§ 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG). Ferner ist zu beachten, ob die Zahlungen (Darlehensgewährungen) den Regeln der Kapitalerhaltung bei der angeschlossenen Konzerngesellschaft zuwider laufen6. 1 IDW PS 800, Rz. 39, Fn. 29 ebenso Entwurf IDW ES 11, Rz. 46, Fn. 42. 2 IDW PS 800, Rz. 40 ebenso Entwurf IDW ES 11, Rz. 47; Saenger/Koch, GmbHR 2010, 113 (116); J. Vetter in Holding-Handbuch, § 8 Rz. 32 ff. 3 Saenger/Koch, GmbHR 2010, 113 (115). 4 IDW PS 800, Rz. 41 ebenso Entwurf IDW ES 11, Rz. 48. 5 IDW S 800, Rz. 40 ebenso Entwurf IDW ES 11, Rz. 47. 6 Dazu oben, Rz. 239 ff.
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§1
Rz. 254
Schuldnerberatung
Zahlungsansprüche einer dem Cash-Pool angeschlossenen Gesellschaft gegen die den Cash-Pool führende Gesellschaft sind im Liquiditätsstatus nicht als liquide Mittel anzusetzen1. Eine für die Einstellung in den Liquiditätsplan zu fordernde kurzfristige Liquidierbarkeit der Forderungen der Konzerngesellschaften gegen die CashPool-Führerin scheitert, wenn auf Ebene der Cash-Pool-Führerin eine Unterdeckung festgestellt wurde. c) Rolle der Konzernspitze 254 Die Konzernspitze (Muttergesellschaft des Konzerns) nimmt bei der Prüfung der Insolvenzgründe eine besondere Rolle ein. So ist der Aufsichtsrat der Tochtergesellschaft, der im Konzern häufig durch Vorstandsmitglieder der Konzernspitze besetzt wird, grundsätzlich dazu verpflichtet, auf das Vorliegen von Insolvenzgründen hinzuweisen und das Stellen von Insolvenzanträgen anzuregen2. Gesellschafter einer GmbH haben, selbst wenn sie herrschendes Unternehmen im Sinne von § 17 AktG sind, grundsätzlich keine Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO. Eine Antragspflicht gilt für den Gesellschafter selbst bei stark zentralistisch geführten Konzernen nur dann, wenn die Konzernspitze gleichzeitig die engen Voraussetzungen eines „faktischen Geschäftsführers“ erfüllt3 oder für die Tochtergesellschaft kein Geschäftsführer bestellt ist (§ 15a Abs. 3 InsO). 4. Vorbereitung eines einheitlichen Konzerninsolvenzgerichtsstandes a) Strategische Bedeutung eines Konzerngerichtsstandes für das Gelingen einer Konzernsanierung im Insolvenzverfahren 255 Die Frage, welches Insolvenzgericht örtlich zuständig ist, spielt für das Gelingen einer geplanten Sanierung des Konzerns im Insolvenzverfahren eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Das hat mit der unterschiedlichen Qualität der Insolvenzgerichte zu tun. Es gibt auf der einen Seite höchstprofessionell arbeitende, sehr erfahrene Insolvenzgerichte. Gerade im ländlichen Bereich trifft man indes häufig auch auf verständlicherweise wenig erfahrene Richter, denn die Fallzahlen von Unternehmensinsolvenzen sind in diesen Gebieten deutlich geringer. Neben Insolvenzverfahren betreuen Richter an ländlich geprägten Insolvenzgerichten häufig noch andere Zivilrechtsdezernate. Insoweit ist ein Stadt-Land-Gefälle sichtbar. Neben der fachlichen und persönlichen Kompetenz des Richters ist jedoch auch die Einstellung des Richters zu folgenden für die Sanierung des Konzerns wichtigen Verfahrensmechanismen von Bedeutung: – Einstellung zur Eigenverwaltung und zum Schutzschirmverfahren, – Umgang mit Vorschlägen des Schuldners für die Besetzung des (vorläufigen) Gläubigerausschusses, – Bereitschaft zur Bestellung eines personenidentischen Insolvenzverwalters, – Einstellung zu wirtschaftlich pragmatischen Lösungen, insbesondere zu kreativen Sanierungs- oder Verwertungslösungen über einen Insolvenzplan, – Erfahrungen der Gerichte in großen Sanierungsverfahren, – welche Insolvenzverwalter/Sachwalter sind an dem Gericht gelistet, – Praxis des Insolvenzgerichts bei der Frage der Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten in der vorläufigen Eigenverwaltung4. Sollte das Gericht
1 Dazu bereits oben, Rz. 249. 2 Vgl. BGH, NZI 2009, 490; OLG Düsseldorf, AG 2013, 171; Grunewald, NZG 2013, 841 (845); dies gilt auch für den Aufsichtsrat der GmbH: Lutter in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 52 Rz. 19, 66. 3 Vgl. MünchKommInsO/Klöhn, § 15a Rz. 82. 4 Zum Streitstand Brünkmans, CFL 2012, 375; BGH, NZI 2013, 342 m. Anm. Vallender und Weissinger; AG Köln, NZI 2012, 375; AG München, ZIP 2012, 1470; LG Duisburg, NZI 2013, 91, MünchKommInsO/Hefermehl, § 55 Rz. 227; Pleister/Tholen, ZIP 2013, 526; Siemon, EWiR 2013, 253.
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Besonderheiten der Schuldnerberatung im Konzern
Rz. 260
§1
die Begründung von Masseverbindlichkeiten in der vorläufigen Eigenverwaltung etwa verneinen1, wäre bei hohem anfänglichem Liquiditätsbedarf eine Sanierung deutlich erschwert. Da der Regierungsentwurf bewusst Gestaltungs- und Auswahlmöglichkeiten bei der 256 Begründung eines einheitlichen Konzerngerichtsstandes eröffnet2, sind diese „Standortvorteile“ der in Frage kommenden Gerichte im Rahmen der Vorbereitung der Insolvenzanträge und vorinsolvenzlichen Sanierungsberatung zu eruieren und abzuwägen. Die Frage, ob überhaupt ein einheitlicher Konzerngerichtsstand angestrebt werden 257 soll, ist jedenfalls bei angestrebter Sanierung des Gesamtkonzernes oder auch von Teile davon aus der Schuldnerperspektive eindeutig zu bejahen. Eine zentrale Zuständigkeit führt in der Regel dazu, dass der Insolvenzrichter das Verfahren effektiver begleitet und erforderliche Entscheidungen schneller treffen kann, denn die Strukturen im Konzernkontext sind dann bekannt und erfordern lediglich eine einmalige Einarbeitung. Informationen aus dem einen Verfahren können für das andere Verfahren als gerichtsbekannt nutzbar gemacht werden3. Auch die gerichtliche Überprüfung und Bestätigung von aufeinander abgestimmten Sanierungsplänen ist bei einer einheitlichen gerichtlichen Zuständigkeit effizienter zu bewerkstelligen. Bei Konflikten zwischen den einzelnen Insolvenzverwaltern im Konzern kann das Gericht im Rahmen seiner Aufsichtsführung vermittelnd und konfliktlösend auf die Insolvenzverwalter einwirken4. b) Der Gruppen-Gerichtsstand nach (§§ 3a–3d InsO-E) aa) Konzept der Wahlfreiheit Herzstück des neuen Gesetzes ist die Regelung eines Gruppen-Gerichtsstandes 258 (§§ 3a–3d InsO-E). Dadurch wird die Möglichkeit geschaffen, die Insolvenzverfahren der einzelnen Gruppenmitglieder bei einem örtlich zuständigen Gericht zu konzentrieren. § 3c Abs. 1 InsO-E sichert zusätzlich ab, dass die Insolvenzverfahren in diesem Fall auch bei dem gleichen Richter des zentral zuständigen Insolvenzgerichts geführt werden. Die Regelung weicht von der bisherigen Praxis5 in zweierlei Hinsicht ab: 259 – Bis auf das Merkmal „Gruppenangehörigkeit“ sind so gut wie keine weiteren materiellen Voraussetzungen für die Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes erforderlich, – Der konzerneinheitliche Gruppen-Gerichtsstand ist nicht zwingend am für die Muttergesellschaft6 zuständigen Insolvenzgericht zu begründen. Es gilt vielmehr die Maßgeblichkeit des ersten Antrages (Prioritätsprinzip). Diese Wahlfreiheit, den Gruppengerichtsstand an praktisch jedem Gerichtsstand ei- 260 ner Konzerngesellschaft für alle insolventen Gesellschaften zu begründen, wurde im Gesetzgebungsverfahren mit Verweis auf missbräuchliches Forum Shopping teilweise stark kritisiert7. Dies jedoch zu Unrecht, Missbrauchsfälle werden bereits dadurch
1 So etwa AG Fulda, ZIP 2012, 1471; AG Bonn v. 29.4.2013 – 96 IN 53/13. 2 Dazu unten Rz. 260. 3 MünchKommInsO/Brünkmans, Konzerninsolvenzrecht, Rz. 28, 58; Brünkmans, Koordinierung, S. 311; Ehricke, Das abhängige Konzernunternehmen in der Insolvenz, S. 462. 4 MünchKommInsO/Brünkmans, Konzerninsolvenzrecht, Rz. 28; Brünkmans, Koordinierung, S. 311; Duursma-Kepplinger/Chalupsky in Feldbauer-Durstmüller, Sanierungsmanagement, S. 978, 1003. 5 Dazu bereits oben unter Rz. 221. 6 Für die Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes am Sitz der Mutter Andres/Möhlenkamp, BB 2013, 579 (584); K. Schmidt, ZIP 2012, 1053 (1058); Frind, ZInsO 2013, 429 (433). 7 Stellungnahme VID v. 15.2.2013, S. 1.
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§1
Rz. 261
Schuldnerberatung
eingedämmt, dass der Schuldner nicht offensichtlich von untergeordneter Bedeutung sein darf (§ 3a Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 InsO-E)1. bb) Voraussetzungen für die Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes 261 Das Gericht erklärt sich auf Antrag eines Schuldners auch für die Insolvenzverfahren über die anderen gruppenangehörigen Schuldner für zuständig, wenn der Antrag auf Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes zulässig und begründet ist. (1) Zulässigkeit des Gruppen-Antrages (a) Zulässiger Insolvenzantrag 262 Voraussetzung ist zunächst ein zulässiger Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Die Zulässigkeit des Eröffnungsantrages setzt wiederum voraus, dass dieser bei dem nach § 3 InsO für den jeweiligen Schuldner örtlich zuständigen Insolvenzgericht gestellt wurde2. Daraus folgt, dass das Gericht erst dann über den Antrag auf Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes zu entscheiden berechtigt ist, wenn es bereits abschließend über die Zulässigkeit des Eröffnungsantrages entschieden hat3. Wurde im Rahmen der unter Rz. 255 dargestellten Abwägung ein bestimmter Gerichtsstand einer Konzerngesellschaft als zentraler Gruppen-Gerichtsstand auserkoren, sind die Voraussetzungen darzulegen, welche den Mittelpunkt der selbständigen wirtschaftlichen Interessen dieser Konzerngesellschaft im Sinne von § 3 Abs. 1 S. 2 InsO an diesem Ort begründen. Auch für diese Frage lassen sich die bisherigen Gestaltungsmöglichkeiten bei der Planung der Sanierung nutzen. (b) Berechtigung des Antragsstellers für einen Gruppen-Antrag 263 Grundsätzlich ist jeder gruppenangehörige Schuldner, der einen zulässigen Insolvenzantrag gestellt hat, berechtigt, die Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes am eigenen allgemeinen Gerichtsstand aus § 3 InsO zu beantragen. Es gilt das Prioritätsprinzip, d.h. der Gruppen-Gerichtsstand ist an dem Ort zu begründen, bei dem der erste Antrag auf Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes gestellt wurde4. 264 Nur der zeitlich erste Antrag dringt durch, weil später gestellte Anträge als unzulässig zurückzuweisen sind5. Antragsberechtigt für die Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes ist ausschließlich ein gruppenangehöriger Schuldner, nicht hingegen ein Gläubiger oder anderer Schuldner. 265 Bei Kapital- oder Personengesellschaften ist der Antrag auf Gruppen-Gerichtsstand vom vertretungsberechtigten Organ entsprechend der gesellschaftsrechtlichen Vertretungsregelungen zu stellen. § 15 Abs. 1 InsO findet somit keine Anwendung6. 266 Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Antragsrecht des Schuldners nach § 3a Abs. 3 InsO-E auf den Insolvenzverwalter über. Gleiches gilt bei der Bestellung eines sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalters. 267 Haben mehrere gruppenangehörige Schuldner zeitgleich einen Antrag auf Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes gestellt oder bestehen Unklarheiten darüber, welcher Antrag zuerst gestellt worden ist, setzt sich nach § 3a Abs. 1 Satz 3 InsO-E der Antrag des Schuldners mit der größeren Bilanzsumme durch. Solche konkurrierenden Anträge können eine Konzerngesamtsanierungsstrategie torpedieren. Vor dem Hintergrund ist der Konzernspitze zu raten, frühzeitig ihre Konzernleitungsmacht dahingehend ausüben, konkurrierende Anträge auf Begründung eines 1 Ausführlich MünchKommInsO/Brünkmans, Konzerninsolvenzrecht, Rz. 44 f.; so auch Eidenmüller/Frobenius, Beilage ZIP 22/2013, S. 5; Kritisch Rattunde, BB 2014, Heft 16, „Die Erste Seite“. 2 Frind, ZInsO 2013, 429 (430); Graeber, ZInsO 2013, 409 (410); Vallender, Der Konzern 2013, 162 (165). 3 MünchKommInsO/Brünkmans, Konzerninsolvenzrecht, Rz. 35. 4 RegE, S. 27. 5 MünchKommInsO/Brünkmans, Konzerninsolvenzrecht, Rz. 39 ff. 6 MünchKommInsO/Brünkmans, Konzerninsolvenzrecht, Rz. 37.
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Besonderheiten der Schuldnerberatung im Konzern
Rz. 273
§1
Gruppen-Gerichtsstandes zu verhindern. Dies ist auch rechtlich möglich: Die gesellschaftsrechtlichen Weisungsrechte (§ 37 GmbHG, § 308 AktG) gelten zwar nach allgemeiner Auffassung nicht im Hinblick auf die gesetzlichen Insolvenzantragspflichten der vertretungsberechtigten Organe der einzelnen Konzernglieder1. Für den Antrag auf Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes gilt das Weisungsverbot indes nicht, denn die vertretungsberechtigten Organe können ihrer gesetzlichen Antragspflicht aus § 15a InsO durch einen Insolvenzantrag am Gericht des eigenen allgemeinen Gerichtsstandes aus § 3 InsO nachkommen2. Für die Einschränkung des gesellschaftsrechtlichen Weisungsrechts besteht somit kein Erfordernis. Ist ein Gruppen-Gerichtsstand begründet, kann die Konzernspitze die vertretungsberechtigten Organe zudem anweisen, den Insolvenzantrag bei diesem Gericht zu stellen. Stellt der Geschäftsführer der Tochtergesellschaft den Insolvenzantrag entgegen der Weisung der Konzernmutter nicht beim Gruppen-Gerichtsstand aus § 3a InsO, sondern beim eigenen allgemeinen Gerichtsstand der Tochtergesellschaft aus § 3 InsO, macht sich der Geschäftsführer u.U. schadensersatzpflichtig aus § 43 GmbHG3. (c) Zwingende Angaben im Gruppen-Antrag § 13a InsO-E regelt die formalen Anforderungen bezüglich der Angaben in einem An- 268 trag auf Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes (siehe im Einzelnen § 13a Abs. 1 Nr. 1–4 InsO-E). Der Schuldner hat in seinem Antrag insbesondere darzulegen, aus welchen Gründen 269 eine Verfahrenskonzentration am angerufenen Insolvenzgericht im gemeinsamen Interesse der Gläubiger liegt. Trägt der Schuldner dies nicht hinreichend substantiiert vor oder sind die in § 13a Abs. 1 InsO-E vorgeschriebenen Angaben unzureichend, hat ihm das Gericht vor Zurückweisung des Antrages Gelegenheit zur Nachbesserung zu geben. Bei unzureichender Nachbesserung hat das Gericht den Antrag als unzulässig zurückzuweisen4. (2) Begründetheit (a) Schuldner von nicht offensichtlich untergeordneter Bedeutung Der den Gruppen-Antrag stellende Schuldner darf innerhalb der Unternehmensgrup- 270 pe nicht von offensichtlich untergeordneter Bedeutung sein. Nach § 3a Abs. 1 Satz 2 InsO-E liegt in der Regel keine untergeordnete Bedeutung vor, wenn: – im vorangegangenen abgeschlossenen Geschäftsjahr die Bilanzsumme des Schuldners mehr als zehn Prozent der zusammengefassten Bilanzsumme der Unternehmensgruppe betrug, – die Umsatzerlöse des Schuldners mehr als zehn Prozent der zusammengefassten Umsatzerlöse der Unternehmensgruppe betrugen und – die Zahl der vom Schuldner im Jahresdurchschnitt beschäftigten Arbeitnehmer mehr als zehn Prozent der in der Unternehmensgruppe im Jahresdurchschnitt beschäftigten Arbeitnehmer ausmachte.
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Der Gesetzgeber will mit dieser Voraussetzung die Gefahr des „Forum Shoppings“ eindämmen.
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Bei Holdingstrukturen ist die Konzernmutter niemals von untergeordneter Bedeu- 273 tung, selbst wenn die zehn Prozent Schwelle für die Arbeitnehmer (§ 3a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO-E) bei einer reinen Konzernführungsholding häufig nicht überschritten 1 BGH, NJW 1974, 1088; Uhlenbruck/Hirte, § 15a Rz. 12. 2 Brünkmans, ZIP 2013, 193 (196). 3 Etwa aufgrund der Torpedierung einer Sanierung, dazu Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, § 43 GmbHG Rz. 35; oder aufgrund der Abweichung von Weisungen, dazu Scholz/U.H. Schneider/ S.H. Schneider/Hohenstatt, § 43 GmbHG Rz. 119 ff. 4 Vallender, Der Konzern, 2013, 162 (168); MünchKommInsO/Brünkmans, Konzerninsolvenzrecht, Rz. 42 f.; enger unter Hinweis auf die Amtsermittlungspflicht hingegen Fölsing, ZInsO 2013, 413 (416).
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Rz. 274
Schuldnerberatung
sein dürfte, weil ohnehin hier nur so viele Mitarbeiter vorhanden sein werden, wie für Leitungsfunktionen und den übrigen strategischen Bedarf erforderlich sind1. (b) Verfahrenskonzentration im Interesse der Gläubiger 274 Nach § 3a Abs. 2 InsO-E kann das Gericht den Antrag auf Begründung des Gruppen-Gerichtsstandes ablehnen, wenn Zweifel daran bestehen, dass eine Verfahrenskonzentration am angerufenen Insolvenzgericht im gemeinsamen Interesse der Gläubiger liegt. Dabei kommt es auf die Interessen der Gläubiger sämtlicher gruppenangehöriger Schuldner an, nicht nur auf die Interessen der Gläubiger des antragstellenden Schuldners2. 275 Dies ist dann der Fall, wenn sich durch eine Koordinierung der einzelnen Insolvenzverfahren Koordinationsgewinne erzielen lassen, die sämtlichen Insolvenzmassen und damit sämtlichen Gläubigern zugutekommen können3. Eine positive Feststellung durch das Insolvenzgericht, dass und welche Kooperationsvorteile eine Verfahrenskonzentration erwarten lässt, ist hingegen nicht erforderlich4. Ein solches Verständnis würde in der Phase des Antragsverfahrens das Insolvenzgericht auch häufig überfordern und das Gericht würde letztlich einen Sachverständigen mit der Überprüfung beauftragen, was zu Verzögerungen führen würde. 276 Die Prüfung des Gläubigerinteresses durch das Insolvenzgericht ist vielmehr auf eine Plausibilitätsprüfung beschränkt; wie der Systematik und Genese zu § 3a Abs. 2 InsO-E zu entnehmen ist, besteht die gesetzliche Vermutung, dass die Konzentration im gemeinsamen Interesse der Gläubiger liegt5. Das Gericht kann somit nur dann den Antrag auf Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes ablehnen, wenn im Rahmen der Plausibilitätsprüfung Zweifel daran bestehen, dass eine Konzentration im konkreten Fall zu Vorteilen führt. Im Ergebnis sind die Vor- und Nachteile einer zentralen Führung der Verfahren miteinander abzuwägen, wobei die Vermutung für ein Überwiegen der Vorteile besteht. Auf die einzelnen Vorteile einer zentralen Verfahrensführung wurde bereits hingewiesen6. Als Nachteil dürfte allenfalls die durch die Zentralisierung wegfallende Ortsnähe ins Gewicht fallen. Die Plausibilitätsprüfung erfolgt auf der Grundlage der nach § 13a Abs. 1 Nummer 2 InsO-E im Gruppen-Antrag zu machenden Angaben7. c) Entscheidung und Wirkung 277 Ist der Gruppen-Antrag zulässig und begründet, erklärt sich das Gericht durch Beschluss für sämtliche Insolvenzverfahren gruppenangehöriger Schuldner für zuständig. Nach § 6 Abs. 1 S. 1 InsO ist die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss nicht möglich8. 278 Erklärt sich das Gericht für sämtliche Gruppen-Verfahren zuständig, entsteht neben den Einzelgerichtsständen der Gruppen-Gesellschaften für jede Gruppen-Gesellschaft ein zusätzlicher Wahlgerichtsstand am Gruppen-Gerichtsstand9. Andere gruppenangehörige Schuldner10 und deren Gläubiger können dann wählen, ob sie am Gerichtsstand aus § 3 InsO oder am Gruppen-Gerichtsstand (§ 3a InsO-E) den Insolvenzantrag stellen. 279 Nach § 3c Abs. 1 InsO-E ist für sämtliche Gruppen-Folgeverfahren am Gruppen-Gerichtsstand der gleiche Richter zuständig.
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MünchKommInsO/Brünkmans, Konzerninsolvenzrecht, Rz. 45. RegE, S. 27; Leutheusser-Schnarrenberger, ZIP 2013, 97, 100. RegE, S. 27. RegE, S. 26. MünchKommInsO/Brünkmans, Konzerninsolvenzrecht, Rz. 28. S. unter Rz. 257. RegE, S. 27. Vallender, Der Konzern 2013, 162 (165). Brünkmans, ZIP 2013, 193 (196); kritisch K. Schmidt, KTS 2010, 1 (20). Zur Bindung an Weisungen der Konzernspitze vgl. unten, Rz. 340.
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Besonderheiten der Schuldnerberatung im Konzern
Rz. 284
§1
Durch § 2 Abs. 3 InsO-E werden die Landesregierungen ermächtigt, durch Rechtsver- 280 ordnungen je Bezirk eines Oberlandesgerichtes ein Insolvenzgericht zu bestimmen, an dem ein Gruppen-Gerichtsstand nach § 3a InsO-E begründet werden kann. Im Dienste einer Spezialisierung der Insolvenzgerichte bleibt zu hoffen, dass die Länder von dieser Ermächtigung Gebrauch machen werden. d) Nachträgliche Verweisung an den Gruppen-Gerichtsstand Da der Gruppen-Gerichtsstand lediglich einen Wahlgerichtsstand kumulativ zum all- 281 gemeinen Gerichtsstand der einzelnen Schuldner aus § 3 InsO darstellt, besteht die Gefahr, dass bei unkoordinierten Insolvenzanträgen die Vorteile eines Gruppen-Gerichtsstandes wieder genommen werden. Unkoordinierte Insolvenzanträge können etwa von Gläubigerseite aus drohen. Das Gesetz stellt es daher in § 3d InsO-E grundsätzlich in das Ermessen des Gerichts, das Verfahren nachträglich an das GruppenGericht zu verweisen. Stellt der Schuldner in Kenntnis des Eröffnungsantrages eines Gläubigers einen zulässigen Eröffnungsantrag beim Gruppen-Gericht, hat eine Verweisung zwingend zu erfolgen1. Bei Einsetzung eines vorläufigen starken Insolvenzverwalters im Eröffnungsverfahren oder als endgültiger Insolvenzverwalter, sind nach § 3d Abs. 2 InsO-E i.V.m. § 3a Abs. 3 InsO-E nur diese berechtigt, einen Verweisungsantrag zu stellen. Die Verweisung erfolgt gemäß § 4 InsO i.V.m. § 281 ZPO, indem das Gericht sich durch Beschluss für unzuständig erklärt und das Verfahren an das Gericht des Gruppen-Gerichtsstandes verweist. Der Beschluss ist unanfechtbar und für das Gruppengericht bindend (§ 281 Abs. 2 ZPO)2. 5. „Corporate Governance Strukturen“ zur Bewältigung von Gruppeninsolvenzen a) Strategische Erwägungen Neben der Begründung eines einheitlichen Gruppen-Gerichtsstandes ist bei einer an- 282 gestrebten Sanierung des Konzerns insbesondere die Frage, mit welcher „Corporate Governance“ der Konzern durch die Insolvenzverfahren geführt werden soll, von wesentlicher Bedeutung für das Gelingen einer Sanierung oder sonstigen bestmöglichen Gesamtverwertungsstrategie. Dabei sollten die Leitungsstrukturen des Konzerns möglichst frühzeitig geschaffen und auf eine Sanierung ausgerichtet werden3. Die Insolvenzordnung bietet als Optionen die Eigenverwaltung (zu Eigenverwaltung 283 und Insolvenzplan vgl. umfassend § 13) oder das Regelverfahren an. Bei der Eigenverwaltung führt der Schuldner, d.h. bei der GmbH der Geschäftsführer und bei der AG der Vorstand, das Unternehmen unter der Aufsicht eines gerichtlich bestellten Sachwalters durch das Insolvenzverfahren. Der Sachwalter hat lediglich Aufsichts- und Bewachungsfunktion gegenüber der Geschäftsführung und einige insolvenzverfahrensspezifische Aufgaben4. Im Eröffnungsverfahren fächert sich die vorläufige Eigenverwaltung noch in das besondere Schutzschirmverfahren auf, welches sich bis auf das exklusive Vorschlagsrecht des Schuldners im Hinblick auf den Sachwalter kaum von dieser unterscheidet5. Im Regelverfahren erfolgt die Unternehmensfortführung hingegen unter der Ägide eines Insolvenzverwalters mit umfassender Verwaltungsund Verfügungsbefugnis. Bei großen Unternehmen und Konzernen bietet die Eigenverwaltung erhebliche Vor- 284 teile zum Regelverfahren. Es besteht Kontinuität in der Geschäftsführung. Ein Insolvenzverwalter muss sich hingegen erst umfassend in das Unternehmen und die Konzernstrukturen einarbeiten. Dabei geht für die Rettung des Unternehmens kostbare Zeit verloren. Wichtig ist, dass bereits in der Phase der außergerichtlichen Sanierung 1 Kritisch und für eine generelle Verweisungspflicht Eidenmüller/Frobenius, Beilage zu ZIP 22/2013, 9, Andres/Möhlenkamp, BB 2013, 579 (585); so auch MünchKommInsO/Brünkmans, Konzerninsolvenzrecht, Rz. 55. 2 MünchKommInsO/Brünkmans, Konzerninsolvenzrecht, Rz. 56; anders Fölsing, ZInsO 2013, 413 (416). 3 Vgl. Dellit, Der Konzern 2013, 190 (197). 4 Vgl. MünchKommInsO/Tetzlaff, Vor §§ 270–285 InsO Rz. 73 ff. 5 Vgl. im Einzelnen MünchKommInsO/Kern, § 270b InsO Rz. 2 ff.
Brnkmans
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§1
Rz. 285
Schuldnerberatung
auf Managementfehler durch Auswechseln oder Ergänzung der Geschäftsführung reagiert wird. Insbesondere ist ein sanierungserfahrener Chief Restructuring Officer in die Geschäftsführung zu berufen. 285 Die Eigenverwaltung und die Person des Sachwalters sind frühzeitig mit den Gläubigern und dem präsumtiven Gläubigerausschuss zu besprechen. 286 Die Eigenverwaltung hat jedoch keine konzernspezifischen Vorteile. Mit der durch das ESUG in § 276a InsO eingefügten Regelung hat sich der Gesetzgeber gegen eine gesellschaftsrechtliche Bindung der vertretungsberechtigten Organe in der Eigenverwaltung entschieden, was zuvor umstritten war1. Die Geschäftsführer der einzelnen Konzernglieder unterliegen demnach mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung keinem Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung aus § 37 GmbHG oder aus einem Beherrschungsvertrag (§ 308 AktG). Ob die Entflechtung der Geschäftsführung von den gesellschaftsrechtlichen Bindungen analog § 276a InsO auch für die vorläufige Eigenverwaltung gilt, ist umstritten2. 287 Im Einzelfall kann jedoch auch das Regelverfahren das „Verfahren der Wahl sein“, insbesondere wenn aufgrund von Vorfällen in der Vergangenheit das Vertrauen der Gläubiger in die gesamte Geschäftsführung gestört ist. Wie auch außerhalb von Konzernen hat der Schuldner im Insolvenzantrag einen abgestimmten Vorschlag für die Besetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses zu machen. Für jedes einzelne Gruppen-Mitglied sollte anhand der Schwellen aus § 22a Abs. 1 InsO überprüft werden, ob für die jeweilige Gruppen-Gesellschaft zwingend ein vorläufiger Gläubigerausschuss zu bestellen ist. Soweit gesetzlich die Schwellen nicht überschritten werden, sollte im Dienste einer effektiven Verfahrensführung nur auf Ebene der Konzernspitze die Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses beim Insolvenzgericht beantragt werden3. Darüber hinaus ist von Schuldnerseite frühzeitig darauf hinzuwirken, dass die Gläubigerausschüsse der einzelnen Gruppen-Gesellschaften möglichst personenidentisch besetzt werden. b) Der Gruppen-Insolvenzverwalter/Gruppen-Sachwalter aa) Abwägung 288 Sollte sich im Rahmen der Vorbereitungen des Insolvenzantrages oder während des Antragsverfahrens herausstellen, dass das Regelverfahren mit einem (vorläufigen) Insolvenzverwalter für den konkreten Einzelfall die bessere Corporate Governance bietet, ist frühzeitig zu prüfen, ob die Bestellung der gleichen Person als Insolvenzverwalter in den Verfahren der einzelnen Gruppen-Gesellschaften sinnvoll ist. 289 Die Bestellung des gleichen Insolvenzverwalters bietet effektive Führungsstrukturen bei der Fortführung des Gesamtkonzerns im Eröffnungsverfahren und im eröffneten Insolvenzverfahren4. Ferner werden Reibungsverluste bei der Implementierung von Sanierungs- oder Gesamtverwertungsstrategien vermieden. Diese können auch nicht durch die nunmehr in § 269a InsO-E geregelten Kooperationspflichten vollständig aufgelöst werden. 290 Es handelt sich um ein Corporate-Governance-Modell, das bereits in der allgemeinen Konzernorganisationslehre in der Form von Mehrfachmandaten auf Vorstands- oder Geschäftsführerebene als Mittel zur Gewährleistung effektiver Führungsstrukturen
1 Zum Streitstand vor Inkrafttreten des ESUG vgl. Brünkmans, Koordinierung, S. 197 ff. 2 Dagegen: MünchKommInsO/Klöhn, § 276a InsO Rz. 18; Braun/Riggert, § 276a InsO Rz. 2; Nerlich/Römermann/Riggert, § 276a InsO Rz. 6; Kübler/Prütting/Bork/Pape, § 276a InsO Rz. 6; Herbst, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 28 Rz. 129; Klöhn, NZG 2013, 81 (84); Zipperer, ZIP 2012, 1492 (1494); Landfermann in HK-InsO, § 276a InsO Rz. 16 dafür: Meyer-Löwy/ Pickerill, GmbHR 2013, 1065 (1070); Ströhmann/Längsfeld, NZI 2013, 271 (273 f.). 3 Dies gilt freilich nur, wenn vom Insolvenzgericht die Bestellung eines personenidentischen Sachwalters nicht von einem vorherigen Votum des Gläubigerausschusses abhängig gemacht wird. 4 Eidenmüller/Frobenius, Beilage zu ZIP 22/2013, S. 6; Brünkmans, Koordinierung, S. 131.
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Brnkmans
Besonderheiten der Schuldnerberatung im Konzern
Rz. 294
§1
bekannt ist1. Die Bestellung der gleichen Person zum Insolvenzverwalter hat insbesondere folgende Vorteile: – Das Verfahren läuft schneller, weil nur ein Insolvenzverwalter sich in die Strukturen und Beziehungen des Konzerns einarbeiten muss, – Der direkte Zugriff auf zentral und konzernübergreifend verwaltete Informationen, wie etwa aus den Bereichen Personalwesen, Buchhaltung, Rechnungswesen, Grundstücksverwaltungen und Datenverarbeitung etc. ist gewährleistet2, – Zentrale Planung der Sanierung des Konzerns, insbesondere der Konzeption der Insolvenzpläne, „aus einer Hand“3. Nachteilig kann die Bestellung der gleichen Person zum Insolvenzverwalter aus fol- 291 genden Gründen sein: – Aufgrund seines Verwalteramtes in anderen gruppenangehörigen Verfahren kann dem Verwalter u.U. die gebotene Unabhängigkeit fehlen und es drohen nicht auflösbare Interessenkonflikte. Die Interessenkonflikte können aber ggf. durch die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters aufgelöst werden, was nach § 56b Abs. 1 Satz 2 InsO-E das Insolvenzgericht ausdrücklich zu prüfen hat4. – Dezentrale Abwicklung ist im Einzelfall bei dezentralen Konzernstrukturen effizienter, weil kaum Synergien bestehen, aber die Verfahren arbeitsteilig und damit ggf. schneller abgewickelt werden können. bb) Voraussetzung § 56b InsO-E zeigt dem Richter Kriterien auf, die er bei der Abwägung, ob für die bei 292 ihm anhängigen Verfahren der gleiche Insolvenzverwalter zu bestellen ist, heranzuziehen hat, die auch für die Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters gelten (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO-E)5. Voraussetzung für die Bestellung lediglich einer Person zum Insolvenzverwalter in 293 den einzelnen Verfahren ist nach § 56b Abs. 1 S. 1 InsO-E, dass dies im Interesse der Gläubiger liegt. Die Frage, ob die Bestellung nur eines Insolvenzverwalters im konkreten Fall im Interesse der Gläubiger liegt, überlässt das Gesetz nach der Begründung zum Regierungsentwurf der Beurteilung und dem Ermessen der involvierten Insolvenzgerichte6. Bei der Vorbereitung und Planung der Insolvenzanträge sollte der Schuldner bereits 294 im Eröffnungsantrag darlegen, aus welchen Gründen die Einsetzung des gleichen Insolvenzverwalters im gemeinsamen Interesse der Gläubiger liegt. Möchten die Gruppen-Gesellschaften auf die Bestellung des gleichen Insolvenzverwalters hinwirken, wird in den meisten Fällen auch die Gründung eines Gruppen-Gerichtsstandes angestrebt werden. Im Insolvenzantrag kann dann häufig in großen Teilen auf die nach § 13a Abs. 1 Nr. 2 InsO-E zwingend erforderliche Darlegung, aus welchen Gründen eine Verfahrenskonzentration im gemeinsamen Interesse der Gläubiger liegt, zurückgegriffen werden. § 56b Abs. 1 InsO-E stellt auf die „Interessen der Gläubiger“ ab, weicht somit vom Wortlaut von der Voraussetzung für die Begründung eines Gruppengerichtsstandes aus § 3a Abs. 2 InsO-E ab, wo vom „gemeinsamen Interesse der Gläubiger“ die Rede ist. Dennoch wird man davon ausgehen müssen, dass die Voraussetzungen für die Bestellung eines personenidentischen Insolvenzverwalters vorliegen, wenn die angestrebten und im Insolvenzantrag dargelegten Sanierungsmaßnahmen im Hinblick auf die Befriedigungsquote des jeweiligen Schuldners neutral, im Übrigen aber auf Ebene des Gesamtkonzerns positiv auswirken würde7. 1 Vgl. Lutter/Keller, Holding Handbuch, § 4 Rz. 77 ff. 2 Diese Bereiche werden häufige zentral auf der Ebene der Konzernmutter unterhalten, ausführlich Brünkmans, Der Konzern 2013, 162 (173); vgl. auch Piepenburg, NZI 2004, 231 (235). 3 Brünkmans, Der Konzern 2013, 162 (173); vgl. auch Piepenburg, NZI 2004, 231 (235). 4 RegE, S. 30 f. 5 MünchKommInsO/Brünkmans, Konzerninsolvenzrecht, Rz. 60. 6 RegE, S. 31. 7 Dazu oben Rz. 227.
Brnkmans
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§1
Rz. 295
Schuldnerberatung
295 Im Ergebnis hat das Gericht wie bereits bei der Begründung des Gruppen-Gerichtsstandes die Vor- und Nachteile einer personenidentischen Bestellung miteinander abzuwägen1. Sind konkrete Nachteile und Gefahren für Gläubiger in einem Einzelverfahren identifizierbar, müssen diese durch eine zu erwartende höhere Befriedigungsquote dieser Gläubiger ausgeglichen werden. Dies folgt bereits daraus, dass sämtliche Koordinierungsmaßnahmen nach dem Regierungsentwurf sich am ParetoOptimum messen lassen müssen2. Die Hinnahme der Gefahr einer unangemessenen Vertretung der jeweiligen Gläubiger im Insolvenzverfahren würde sich kompensationslos verschlechtern3. 296 Da eine Abwägung im frühen Stadium des Eröffnungsverfahrens für das Gericht schwierig sein wird, wird es die Frage, ob die einheitliche Verwaltung im Interesse der Gläubiger liegt, typisierend beantworten. Die Verfahrenszentralisierung bringt typischerweise einen Mehrwert und garantiert eine effiziente Verfahrensabwicklung, es sei denn, es liegt eine offensichtlich dezentrale Konzernstruktur vor. Dezentrale Konzernstrukturen finden sich häufig bei Misch- und Spartenkonzernen. 297 Als Nachteil einer einheitlichen Verwaltung werden häufig Interessenkollisionen genannt. Interessenkollisionen bestehen bei der Überprüfung des konzerninternen Leistungsaustausches aus der Vergangenheit im Zusammenhang mit der Prüfung und ggf. Geltendmachung von Anfechtungsansprüchen4. Solche konzerninternen Anfechtungssachverhalte treten verstärkt auf, wenn die Konzerngesellschaften über eine Cash-Pool-Anbindung verfügen. Interessenkollisionen können auch beim Leistungsaustausch während des Eröffnungsverfahrens und Insolvenzverfahrens auftreten, etwa wenn es um die Frage der Ausübung des Wahlrechts nach § 103 InsO zu Lasten einer Masse geht. Gleiches gilt für die Anmeldung der Ansprüche im jeweils anderen Verfahren5. 298 Die Gefahr der Interessenkollision lässt sich durch die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters und verstärkte Dokumentationspflichten eindämmen. 299 Der Sonderinsolvenzverwalter hat die Stellung eines Insolvenzverwalters, der punktuell für einen bestimmten im Bestellungsbeschluss definierten Bereich zuständig ist und den originären Insolvenzverwalter für diesen Bereich verdrängt6. 300 Im Zusammenhang mit Konzerninsolvenzen werden in der Praxis häufig Angelegenheiten und rechtsgeschäftliche Erklärungen gegenüber anderen Konzerngesellschaften, wie etwa Vertragsschlüsse, Ausübung des Wahlrechts aus § 103 InsO, Anfechtungsansprüche im Rahmen des konzerninternen Leistungsaustausches, die Anmeldung von Forderungen im anderen Insolvenzverfahren zur Aufgabe des Sonderinsolvenzverwalters erkoren7. 301 Wird bei der Vorbereitung der Insolvenzanträge der personengleiche Insolvenzverwalter oder Sachwalter angestrebt, bietet es sich an, dass der Schuldner bereits im Insolvenzantrag eine solche Bestellung durch das Gericht anregt und die Person möglichst vom vorläufigen Gläubigerausschuss vorgeschlagen wird. Es ist ratsam, mit dem Gericht im Voraus die Festlegung der Kompetenzen des Sonderinsolvenzverwalters zu besprechen, denn ein Sonderinsolvenzverwalter dessen Kompetenzen nicht aufs Nötigste beschränkt sind, würde die durch den personenidentischen Insolvenzverwalter angestrebte einheitliche Verwaltung und die angestrebte Effektivität und Effizienz wieder relativieren8. Die Aufsichts- und Kontrollkompetenzen im Hinblick auf Masseverschiebungen und die Prüfung der Anmeldung von konzerninternen 1 2 3 4 5 6 7
Brünkmans, ZIP 2013, 193 (197). S. oben Rz. 227. MünchKommInsO/Brünkmans, Konzerninsolvenzrecht, Rz. 65. Vgl. dazu Brünkmans, Koordinierung, S. 133; Thole, Der Konzern 2013, 182 (188). MünchKommInsO/Brünkmans, Rz. 67. S. MünchKommInsO/Graeber, § 56 Rz. 153; Lüke, ZIP 2004, 1693 (1694). AG Duisburg, NZI 2002, 556 „Babcock Borsig“; Graeber, NZI 2007, 265 (269); Brünkmans, Koordinierung, S. 142. 8 Eidenmüller, ZHR 169 (2005), 528 (541) Fn 42.
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Brnkmans
Besonderheiten der Schuldnerberatung im Konzern
Rz. 308
§1
Forderungen dürften genügen, um die vermuteten Interessenkollisionen wieder auszugleichen1. Der konzerninterne Leistungsaustausch sollte im Rahmen der insolvenzspezifischen 302 Berichtspflicht aus § 66 InsO ausführlich dokumentiert werden, um den Vorwurf der Interessenvernachlässigung zu vermeiden. In Anlehnung an den aktienrechtlichen Abhängigkeitsbericht (§ 312 AktG) sind bei Rechtsgeschäften Leistung und Gegenleistung, bei den sonstigen Maßnahmen die Gründe der Maßnahme und deren Vorteile und Nachteile für den Schuldner anzugeben. Der Sonderinsolvenzverwalter hat einen Prüfungsbericht anzufertigen, der dem Gläubigerausschuss und dem Gericht vorgelegt wird2. cc) Abweichung vom Gläubigerausschussvotum, § 56a Abs. 2 InsO-E Das Gericht ist berechtigt, entgegen dem nach § 56a Abs. 2 InsO-E grundsätzlich bin- 303 denden Votum des Gläubigerausschusses einen anderen Insolvenzverwalter zu bestellen, wenn der für einen anderen gruppenangehörigen Schuldner bestellte vorläufige Gläubigerausschuss einen anderen Insolvenzverwalter einstimmig vorschlägt. Dies gilt nach § 56b Abs. 2 Satz 3 InsO-E nicht bzgl. eines Votums des Gläubigerausschusses für einen bestimmten Sonderinsolvenzverwalter. c) Gruppen-Gläubigerausschuss Auf Antrag eines Gläubigerausschusses, der in einem Verfahren über das Vermögen 304 eines gruppenangehörigen Schuldners bestellt ist, kann das für das Gruppen-Folgeverfahren zuständige Gericht nach Anhörung der anderen Gläubigerausschüsse einen Gruppen-Gläubigerausschuss einsetzen. Der Gruppen-Gläubigerausschuss setzt sich durch jeweils eine Person der Gläubigerausschüsse der gruppenangehörigen Schuldner, die nicht von offensichtlich untergeordneter Bedeutung für das Gesamtunternehmen sind, zusammen.
305
Seine Entscheidungen trifft er mit einfacher Kopfmehrheit3. Bereits im Eröffnungsverfahren kann ein vorläufiger Gruppengläubigerausschuss eingesetzt werden (§ 269c Abs. 3 InsO-E).
306
Das Gesetz weist dem Gruppen-Gläubigerausschuss in § 269c Abs. 2 InsO-E die 307 Aufgabe zu, die Insolvenzverwalter und die Gläubigerausschüsse in den einzelnen Verfahren zu unterstützen, um eine abgestimmte Abwicklung dieser Verfahren zu erleichtern. Der Gruppen-Gläubigerausschuss hat die Interessen der Gläubiger aller Schuldner der Unternehmensgruppe wahrzunehmen4. Eine besondere Stellung hat der Gruppen-Gläubigerausschuss im Koordinationsverfahren5 bei der Bestellung des Koordinationsverwalters (§ 269f Abs. 3 InsO-E) und der Verabschiedung eines Koordinationsplans (§ 269h Abs. 1 Satz 2 InsO-E). Die Einsetzung eines Gruppen-Gläubigerausschusses kann nur dann beantragt wer- 308 den, wenn bereits ein Gruppen-Gerichtsstand nach § 3a InsO-E begründet wurde. Vor dem Hintergrund, dass zwischen den einzelnen Gläubigern keine Kooperationspflichten bestehen6, ist es jedenfalls bei großen Verfahren sinnvoll, frühzeitig auf die Einsetzung eines Gruppen-Gläubigerausschusses hinzuwirken, um die Interessen der Gläubiger in den einzelnen Verfahren zu kanalisieren7. 1 Brünkmans, ZIP 2013, 193 (199). 2 MünchKommInsO/Brünkmans, Konzerninsolvenzrecht, Rz. 70. 3 Kritisch gegenüber dem Prinzip der Kopfmehrheit hingegen Andres/Möhlenkamp, BB 2013, 579 (586); s. auch Stellungnahme der Neuen Insolvenzverwaltervereinigung Deutschlands e.V., ZInsO 2013, 434 ff.). 4 RegE, S. 34. 5 Dazu unten Rz. 312 ff. 6 Der RegE überlässt die Frage, ob Kooperationspflichten zwischen den Gläubigern oder Gläubigerorganen bestehen, der Rechtsprechung und Wissenschaft, RegE, S. 22, bejahend Eidenmüller, ZHR 169, 528 (558); Eidenmüller, ZHR 160, 343 ff.; dagegen die h.M., BGHZ 116, 319 ff.; Stürner, LM § 779 Nr. 58, Bl.7; Brünkmans, Koordinierung, S. 110 ff. 7 Ähnlich Pleister, ZIP 2013, 1013 (1016); Stellungnahme TMA Deutschland v. 15.2.2013, S. 4.
Brnkmans
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§1
Rz. 309
Schuldnerberatung
d) Kooperationspflichten zwischen den Verfahrensorganen 309 Neben der Verfahrenszentralisierung durch Einführung eines Gruppen-Gerichtsstandes und der ausdrücklichen Zulassung der personenidentischen Besetzung der Verwalterämter sieht der Regierungsentwurf Mechanismen zur Förderung der Kooperation zwischen den Organen in den einzelnen Insolvenzverfahren vor, die aus der Schuldnerperspektive für die Planung einer Sanierung im Insolvenzverfahren dann eine Rolle spielen werden, wenn die Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes oder die Bestellung einer Person als Insolvenzverwalter oder Sachwalter für alle Verfahren aus irgend einem Grund nicht erfolgt. Jedenfalls für zentrale und wirtschaftlich eng verflochtene Konzerne werden diese Koordinationsmechanismen immer nur die zweitbeste Lösung sein. aa) Kooperationspflichten Insolvenzverwalter/Eigenverwalter und Sachwalter 310 Gemäß § 269a InsO-E sind die Insolvenzverwalter gruppenangehöriger Schuldner untereinander zur Unterrichtung und Zusammenarbeit verpflichtet, soweit hierdurch nicht die Interessen der Beteiligten des Verfahrens beeinträchtigt werden, für das sie bestellt sind. 311 Insbesondere haben die Insolvenzverwalter auf Anforderung unverzüglich alle Informationen mitzuteilen, die für das andere Verfahren von Bedeutung sein können (§ 269a Satz 2 InsO-E). 312 Die Kooperationspflichten gelten über § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO-E auch für den vorläufigen Insolvenzverwalter. Über § 270d Abs. 1 Satz 1 InsO-E sind bei der (vorläufigen) Eigenverwaltung auch die gruppenangehörigen Schuldner zur Kooperation verpflichtet. Die Kooperationspflichten der Insolvenzverwalter gelten über § 274 Abs. 1 InsO auch für den (vorläufigen) Sachwalter. 313 Den genauen Inhalt der Kooperationspflichten lässt der Regierungsentwurf offen. Sie lassen sich aus dem Zweck der pareto-optimalen Masseverwertung und Gläubigerbefriedigung ableiten und hängen vom Einzelfall ab. 314 Im Eröffnungsverfahren kommen folgende Pflichten in Betracht: – Pflicht zur Kontaktaufnahme der vorläufigen Insolvenzverwalter unmittelbar nach ihrer Bestellung im Eröffnungsverfahren, – Gegenseitige Unterstützung bei der ersten Einarbeitung der vorläufigen Insolvenzverwalter, – Abstimmung der Finanzierung der Betriebsfortführung im Insolvenzeröffnungsverfahren, insbesondere über gruppeninterne Massedarlehen, – Abstimmung über Aufrechterhaltung gruppeninterner Verträge, – Abstimmung über den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung, – Gemeinsame Sondierung der Sanierungsaussichten für die gesamte Gruppe1. 315 Ab Eröffnung der Insolvenzverfahren gehen die Kooperationspflichten zunehmend von der reinen Aufrechterhaltung zur Betriebsfortführung über zur Eruierung und Entwicklung von konzernweiten Sanierungs- oder Gesamtverwertungsstrategien: – Abstimmung über Empfehlungen im Berichtstermin, – Abstimmung bei der Ausarbeitung und Einbringung von Insolvenzplänen. 316 Die Pflicht zum Informationsaustausch gilt für jedes Verfahrensstadium gleichermaßen. Informationen, die für die Betriebsfortführung eines anderen Unternehmens benötigt werden, sind nach Aufforderung herauszugegeben, wenn durch die Informationsweitergabe keine Nachteile für die eigene Masse entstehen oder diese Nachteile kompensiert werden können2. 317 Durchgesetzt werden die Kooperationspflichten über die Rechtsaufsicht der Insolvenzgerichte (§ 58 InsO) und die Haftungsdrohung aus § 60 InsO. Der die Kooperati1 MünchKommInsO/Brünkmans, Konzerninsolvenzrecht, Rz. 75 ff. 2 Leutheusser-Schnarrenberger, ZIP 2013, 97 (101); RegE, S. 33.
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Brnkmans
Besonderheiten der Schuldnerberatung im Konzern
Rz. 321
§1
on verweigernde Insolvenzverwalter haftet nach § 60 InsO auf Ersatz des Schadens, der den Gläubigern im eigenen Insolvenzverfahren durch Kooperationsverweigerung entstanden ist1. Eine Schadensersatzpflicht des Insolvenzverwalters für aufgrund der Kooperationsverweigerung in den anderen Verfahren entstandene Verluste kommt allerdings nicht in Betracht2. Unberechtigte Widerstände bei der Fortführung des Konzerns im Insolvenzverfahren 318 und der Entwicklung und Implementierung von konzernweiten Sanierungs- oder Verwertungsstrategien sollten frühzeitig angegangen werden. Dem Schuldner kommt dabei insbesondere bei der Eigenverwaltung eine bedeutende Rolle zu. Er oder seine Berater können zwischen den Differenzen der Sachwalter/Insolvenzverwalter vermitteln. Wenn notwendig, ist das Insolvenzgericht mit einzubeziehen und als ultima ratio hat das Insolvenzgericht bei unberechtigtem Widerstand eine Entlassung des Sachwalters/Insolvenzverwalters zu beschließen. bb) Kooperationspflichten der Gerichte Werden die Insolvenzverfahren über das Vermögen von gruppenangehörigen Schuld- 319 nern bei verschiedenen Insolvenzgerichten geführt, sind die Gerichte zur Zusammenarbeit und insbesondere zum Austausch der Informationen verpflichtet, die für das andere Verfahren von Bedeutung sein können – § 269b Abs. 2 InsO-E zählt beispielhaft auf: – Anordnung von Sicherungsmaßnahmen, – Eröffnung des Insolvenzverfahrens, – Bestellung eines Insolvenzverwalters, – wesentliche verfahrensleitende Entscheidungen, – Umfang der Insolvenzmasse, – Vorlage von Insolvenzplänen sowie sonstigen Maßnahmen zur Beendigung des Insolvenzverfahrens. Die Kooperationspflichten gelten auch im Zusammenspiel der jeweiligen verfahrensleitenden Richter desselben örtlich zuständigen Gerichts3.
320
e) Das Koordinationsverfahren Wie im vorherigen Abschnitt dargestellt, verpflichtet das Gesetz Insolvenzverwalter, 321 Sachwalter und Schuldner der gruppenangehörigen Schuldner zur Kooperation, um eine koordinierte Verfahrensbewältigung mit dem Ziel bestmöglicher Befriedigung der Gläubiger zu fördern. Die Koordination zwischen den Insolvenzverfahren und insbesondere den einzelnen Insolvenzverwaltern wird durch das in §§ 269d–269i InsO-E geregelte Koordinationsverfahren institutionalisiert. Für einen gruppenzugehörigen Schuldner, insbesondere der Konzernspitze, kann die Einleitung eines Koordinationsverfahrens bei der Umsetzung einer Konzernsanierung oder Gesamtverwertungsstrategie hilfreich sein, wenn die Bestellung eines personenidentischen Insolvenzverwalters4 im Einzelfall nicht durchsetzbar war. Das besondere Koordinationsverfahren wird auf Antrag eines gruppenangehörigen Schuldners durch das Gruppen-Gericht5 eingeleitet und setzt sich zusammen aus der Bestellung eines Koordinationsverwalters einerseits und optional der Ausarbeitung und Bestätigung eines Koordinationsplanes.
1 2 3 4 5
Vgl. RegE, S. 40; Thole, Der Konzern 2013, 182 (189). Thole, Der Konzern 2013, 182 (189). S. RegE, S. 28; dazu auch MünchKommInsO/Brünkmans, Konzerninsolvenzrecht, Rz. 84. Dazu ausführlich oben Rz. 288 ff. Das Gesetz spricht von Koordinationsgericht, § 269d InsO-E.
Brnkmans
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§1
Rz. 322
Schuldnerberatung
aa) Voraussetzungen für die Einleitung eines Koordinationsverfahrens (1) Antrag beim Koordinationsgericht 322 Das Koordinationsverfahren wird nur auf Antrag durch das für die Eröffnung von Gruppen-Folgeverfahren zuständige Gericht (Koordinationsgericht) eingeleitet (§ 269d Abs. 1 InsO-E). 323 Das Koordinationsgericht ist mit dem Gericht identisch, das nach § 3a InsO-E für Gruppen-Folgeverfahren zuständig ist1. Der Antrag auf Einleitung eines Koordinationsverfahrens setzt voraus, dass vorab durch Beschluss ein Gruppengerichtsstand begründet wurde. Dies ergibt sich schon daraus, dass nach § 269d Abs. 1 InsO-E das Koordinationsgericht für die Einleitung des Koordinationsverfahrens zuständig ist, welches nach § 269d Abs. 1 InsO-E legaldefiniert ist als das Gericht, das für GruppenFolgeverfahren zuständig ist. Ohne Festlegung des Gruppen-Gerichts durch Beschluss2 steht jedoch nicht fest, welches Gericht für Gruppen-Folgeverfahren zuständig ist. 324 Antragsberechtigt sind jeder gruppenangehörige Schuldner, der starke vorläufige Insolvenzverwalter, der Insolvenzverwalter oder jeder (vorläufige) Gläubigerausschuss auf der Grundlage eines einstimmigen Beschlusses (§ 269d Abs. 2 InsO-E). (2) Materielle Voraussetzung 325 Materielle Voraussetzungen für die Einleitung eines Koordinationsverfahrens sind in §§ 269d ff. InsO-E nicht geregelt. Der Wortlaut von § 269d InsO-E „kann (…) das (…) Gericht“ spricht für eine Ermessensentscheidung des Koordinationsgerichts. Die Begründung zum Regierungsentwurf „das Koordinationsgericht leitet das Koordinationsverfahren ein, wenn dies im Interesse der Gläubiger liegt“3 spricht hingegen für eine gebundene Entscheidung des Gerichts. Losgelöst von der dogmatischen Einordnung auf Tatbestands- oder Rechtsfolgenseite wird das Koordinationsgericht jedoch zur Einleitung eines Koordinationsverfahrens verpflichtet sein, wenn dies im Interesse der Gläubiger erscheint und sich im Einzelfall als geeignet erweist, befriedigungsoptimierende Gesamtverwertungs- oder Sanierungsstrategien umzusetzen. 326 Dabei hat eine Kosten/Nutzen-Abwägung zu erfolgen4. Von der Einleitung des Koordinationsverfahrens ist abzusehen, wenn dieses nach den Umständen des Einzelfalles keine Vorteile erwarten lässt, die in angemessenem Verhältnis zu den zusätzlichen Kosten stehen5. Stellt der Schuldner einen Antrag auf Einleitung eines Koordinationsverfahrens, hat er den Nutzen und die Vorteile ausführlich im Antrag darzustellen. Der überwiegende Nutzen für ein nicht mit unerheblichen Kosten verbundenes besonderes Koordinationsverfahren wird in den meisten Fällen jedoch nur dann überzeugen, wenn eine Sanierung des Konzerns über koordinierte Insolvenzpläne angestrebt wird und auf der Basis eines Koordinationsplanes die Insolvenzpläne in den Einzelverfahren entwickelt werden6. bb) Einleitung des Koordinationsverfahrens/Bestellung des Koordinationsverwalters 327 Liegen die Voraussetzungen für die Einleitung des Koordinationsverfahrens vor, wird dieses durch Beschluss des Koordinationsgerichts eingeleitet7. In diesem Beschluss wird zugleich ein Koordinationsverwalter bestellt (§ 269e InsO-E). Zum Koordinationsverwalter kann nur eine von den gruppenangehörigen Schuldnern und deren 1 2 3 4
RegE, S. 35. Dazu oben Rz. 277. RegE, S. 35. Zur Frage, ob zwingend mehr als zwei Insolvenzverfahren gruppenangehöriger Schuldner bestehen müssen, vgl. ausführlich MünchKommInsO/Brünkmans, Konzerninsolvenzrecht, Rz. 95 f. 5 RegE, S. 35. 6 Dazu ausführlich unten, unter Rz. 343 ff. 7 RegE, S. 35.
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Brnkmans
Besonderheiten der Schuldnerberatung im Konzern
Rz. 332
§1
Gläubigern unabhängige Person bestellt werden. Er soll von den Insolvenzverwaltern und Sachwaltern der gruppenangehörigen Schuldner unabhängig sein (§ 269e Abs. 1 InsO-E). Das Koordinationsgericht hat vor der Bestellung des Koordinationsverwalters dem 328 Gruppen-Gläubigerausschuss Gelegenheit zu geben, sich zu der Person des Koordinationsverwalters und dessen Aufgaben und Funktion zu äußern (§ 269e Abs. 2 InsO-E). Über den Verweis in § 269f Abs. 3 InsO-E auf die allgemeinen Regeln zum Insolvenzverwalter gilt des Weiteren auch § 56a InsO-E. Das Koordinationsgericht ist verpflichtet, einen vom Gruppen-Gläubigerausschuss einstimmig vorgeschlagenen Koordinationsverwalter zu bestellen, wenn nicht ausnahmsweise die vorgeschlagene Person für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist (§ 56a Abs. 2 Satz 1 InsO)1. cc) Aufgabe und Funktion des Koordinationsverwalters bei der Gruppen-Insolvenz Aufgabe des Koordinationsverwalters ist die Förderung einer abgestimmten Abwick- 329 lung der Verfahren über die gruppenangehörigen Schuldner, soweit dies im Interesse der Gläubiger ist. Er hat die Funktion eines „strategischen Kopfes“ bei der Erarbeitung wertoptimierender Gesamtverwertungskonzepte und hat diese ggf. in Form eines Koordinationsplans umzusetzen. Ein Weisungsrecht gegenüber den anderen Insolvenzverwaltern steht ihm dabei nicht zu, sondern das Gesetz weist ihm vielmehr die Funktion eines „institutionalisierten Mediators“2 zu, der Vorschläge erarbeitet und den Beteiligten unterbreitet. Die (vorläufigen) Insolvenzverwalter in den Einzelverfahren sind allerdings zur Zusammenarbeit mit dem Koordinationsverwalter verpflichtet und haben die für die Arbeit des Koordinationsverwalters notwendigen Informationen diesem auf Aufforderung mitzuteilen (§ 269f Abs. 2 InsO-E). Der Koordinationsverwalters hat nach § 269f Abs. 1 Satz 2 InsO-E das Recht, einen Koordinationsplan in den jeweiligen Gläubigerversammlungen der Einzelverfahren zu erläutern oder durch eine von ihm bevollmächtigte Person erläutern zu lassen. Darüber hinaus soll ihm die Teilnahme an den Gläubigerversammlungen und Sitzungen der Gläubigerausschüsse ermöglicht werden3. Einblicke in die Geschäftsunterlagen oder Gespräche mit Mitarbeitern des schuldnerischen Unternehmens kann er nicht eigenmächtig veranlassen, diese haben mit Zustimmung des jeweiligen Insolvenzverwalters zu erfolgen4. Als Maßnahmen des Koordinationsverwalters für die Förderung der koordinierten Verfahrensbewältigung kommen in Betracht: – Erarbeitung von Vorschlägen bei Differenzen innerhalb der Betriebsfortführung – Erarbeitung eines Koordinationsplanes zur Implementierung einer Konzernsanierung oder Gesamtverwertungsstrategie.
330
Vorschläge des Koordinationsverwalters haben eine faktische Bindungswirkung, da 331 die Verwalter in den Einzelverfahren diese nicht ignorieren dürfen, sondern sich vielmehr damit auseinandersetzen müssen, ob dieser Vorschlag für die Gläubiger im jeweiligen Einzelverfahren eine Besserstellung bedeutet. Lehnt der Insolvenzverwalter den Vorschlag trotz offensichtlicher Besserstellung ab, setzt er sich der Gefahr einer persönlichen Haftung aus § 60 InsO aus5. Der Koordinationsverwalter hat nach § 269g InsO-E Anspruch auf Vergütung für sei- 332 ne Tätigkeit sowie die Erstattung angemessener Auslagen, für welche die §§ 64 und 65 InsO entsprechend gelten. Der Regelsatz der Vergütung wird nach dem Wert der zusammengefassten Insolvenzmassen der in das Koordinationsverfahren einbezogenen Verfahren über gruppenangehörige Schuldner berechnet und ist anteilig aus den Insolvenzmassen der gruppenangehörigen Schuldner zu berichtigen, wobei im Zwei1 Vgl. auch Pleister, ZIP 2013, 1013 (1016); MünchKommInsO/Brünkmans, Konzerninsolvenzrecht, Rz. 100. 2 Vgl. RegE, S. 23. 3 RegE, S. 36. 4 RegE, S. 37; s. auch Pleister, ZIP 2013, 1013 (1015). 5 RegE, S. 40.
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§1
Rz. 333
Schuldnerberatung
fel das Verhältnis des Werts der einzelnen Massen zueinander maßgebend ist (§ 269g InsO-E). 333 Aufgrund der durch das Koordinationsverfahren ausgelösten Kosten ist bei der Planung der Sanierung des Konzerns durch die gruppenangehörigen Schuldner oder die Konzernspitze genau zu überprüfen, ob das Koordinationsverfahren zwingend erforderlich ist. Dies wird nur dann der Fall sein, wenn eine einheitliche Insolvenzverwaltung in den Einzelverfahren – aus welchen Gründen auch immer – scheitert. dd) Koordinationsplan 334 Neben der Bestellung eines Koordinationsverwalters sieht das besondere Koordinationsverfahren einen Koordinationsplan zur abgestimmten Abwicklung der Insolvenzverfahren vor (§ 269h InsO-E). Dabei kann der Koordinationsplan Maßnahmen verschiedenster Art beinhalten. Das Gesetz nennt beispielhaft: – Vorschläge zur Wiederherstellung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der einzelnen gruppenangehörigen Schuldner (§ 269h Abs. 2 Nr. 1 InsO-E), – Vorschläge zur Beilegung gruppeninterner Streitigkeiten (§ 269h Abs. 2 Nr. 2 InsO-E)1, – Vorschläge zu vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Insolvenzverwaltern (§ 269h Abs. 2 Nr. 3 InsO-E). 335 Aufgrund der Komplexität und der dadurch entstehenden Kosten dürfte ein Koordinationsplan in der Praxis nur entsprechend dem ersten Beispiel (§ 269h Abs. 2 Nr. 1 InsO-E) als Masterplan für eine Sanierung der Einzelgesellschaften im Insolvenzplanverfahren eine Rolle spielen. Vor diesem Hintergrund erfolgt die ausführliche Darstellung des Koordinationsplanes unten unter 7. Konzernsanierung durch Insolvenzplanverfahren (Rz. 342 ff.). 6. Einbeziehung nicht insolventer Gruppen-Gesellschaften 336 Aufgrund der finanzwirtschaftlichen und leistungswirtschaftlichen Verflechtung der Gruppen-Gesellschaften untereinander werden häufig sämtliche Gruppen-Gesellschaften von der Insolvenz erfasst, sodass für jede Gruppen-Gesellschaft ein Eröffnungsantrag zu stellen ist. Das muss jedoch nicht zwingend der Fall sein. In der Praxis der Konzerninsolvenzen kommen auch Strukturen vor, bei denen einzelne Gruppengesellschaften gesund, ja sogar profitabel sind. 337 Die Koordinationsvorschriften des neuen Konzerninsolvenzrechts (§§ 269d – 269i InsO-E) finden auf die nicht im Insolvenzverfahren befindlichen Gruppen-Gesellschaft keine Anwendung. Dies ist auch nicht erforderlich, denn in der Regel bleibt die hierarchische, gesellschaftsrechtlich vermittelte Konzernleitungsmacht bestehen. Ist die Tochtergesellschaft nicht insolvent, können die eigenverwaltende Muttergesellschaft oder der Insolvenzverwalter die gesellschaftsrechtlichen Weisungsrechte ausüben. Geschäftsanteile an der GmbH werden Bestandteil der Masse und die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse gehen nach § 80 Abs. 1 InsO auf den Insolvenzverwalter über. Dem Insolvenzverwalter stehen damit sämtliche Verwaltungsrechte des GmbH-Gesellschafters zu, insbesondere auch das umfassende Weisungsrecht des Gesellschafters gegenüber dem Geschäftsführer aus § 37 GmbHG2. Aufgrund der flexiblen Gestaltungsmöglichkeiten und des umfassenden Weisungsrechts der Gesellschafterversammlung auch in Fragen der Geschäftsführung (§§ 37, 46 Nr. 6 GmbHG), die dazu führen können, dass die Funktion des Geschäftsführers sich auf ein reines Ausführungsorgan beschränkt3, ist gerade die GmbH in der Funktion als Konzern-
1 Insbesondere im Hinblick auf Anfechtungsansprüche (§§ 129 ff. InsO) bezüglich Transaktionen innerhalb der Unternehmensgruppe: RegE, S. 40. 2 Bergmann, ZInsO 2004, 225 ff.; Bergmann in FS Hans-Peter Kirchhof, S. 15 ff. 3 OLG Nürnberg, NZG 2000, 154 f.; Goette, DStR 1998, 938 (942); Ulmer/Habersack/Winter/Paefgen, Großkomm-GmbHG 2006, § 37 Rz. 14; Roth/Altmeppen, § 37 GmbHG Rz. 4; Scholz/Schneider, § 37 GmbHG Rz. 46.
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Besonderheiten der Schuldnerberatung im Konzern
Rz. 340
§1
tochter beliebt1. Ein Gesamtsanierungskonzept kann in diesem Fall über das Weisungsrecht hierarchisch durchgesetzt werden. Ähnlich wie im neuen Konzerninsolvenzrecht mit dem Pareto-Optimum2 eine insolvenzspezifische Grenze für konzernweite Kooperationen, Sanierungen und Gesamtverwertungsstrategien eingeführt wurde, sind für die nicht insolventen Gesellschaften bei der Umsetzung einer konzernweiten Sanierungs- oder Gesamtverwertungsstrategie die folgenden allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grenzen zu beachten: – Ist die insolvente Muttergesellschaft alleinige Gesellschafterin der nicht insolven- 338 ten Tochter-GmbH, so hat der Insolvenzverwalter der Muttergesellschaft eine nahezu uneingeschränkte Einflussmöglichkeit auf die GmbH, die sogar schädigende Einflussnahmen erlaubt. Die Einflussnahme stößt erst dann auf rechtliche Grenzen, wenn durch die Ausführung der Weisung durch den Geschäftsführer das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen angegriffen wird (§§ 30, 31 GmbHG) oder die Umsetzung der Weisung als existenzvernichtender Eingriff als Fallgruppe3 zu § 826 BGB zu werten wäre4. – Hat die GmbH mehrere Gesellschafter bzw. einen Minderheitsgesellschafter, sind 339 bei der Umsetzung von konzernweiten Sanierungs- und Gesamtverwertungsstrategien die gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten zu beachten. Die Treuepflicht der Gesellschafter führt zu einem Verbot des Mehrheitsgesellschafters, seine Herrschaftsmacht in für die abhängige Gesellschaft nachteiliger Weise auszuüben. Ein solcher zu einer Treuepflichtverletzung führender nachteiliger Einfluss liegt jedoch dann nicht vor, wenn mit der Weisung bei sorgfältiger ex ante Betrachtung ein genau absehbarer und abschließend bezifferbarer wirtschaftlicher Nachteil verbunden ist, der durch eine einmalige Ersatzleistung voll ausgeglichen werden kann und Zug um Zug auch erfolgt5. – Besteht ein Beherrschungsvertrag über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens der 340 Muttergesellschaft hinaus6, besteht auf Ebene der Muttergesellschaft ein verbindliches Weisungsrecht unmittelbar gegenüber dem Vorstand der Tochtergesellschaft (§ 308 Abs. 1 AktG). Dieses Weisungsrecht kann vom Insolvenzverwalter der Muttergesellschaft oder in der Eigenverwaltung vom Exekutivorgan der Muttergesellschaft direkt gegenüber dem Vorstand der Tochtergesellschaft ausgeübt werden7. Der Beherrschungsvertrag gibt der Muttergesellschaft ein umfassendes Weisungsrecht, welches den Grundsatz der eigenverantwortlichen Leitung der abhängigen Gesellschaft durch ihren Vorstand (§ 76 AktG) außer Kraft setzt. Der Vorstand der Tochtergesellschaft kann im Hinblick auf sein gesamtes Tätigkeitsfeld angewiesen werden, so zu sämtlichen Maßnahmen der Betriebsführung, aber auch zu innerkorporativen Maßnahmen, wie etwa die Einberufung der Hauptversammlung oder die Vorbereitung von Kapitalerhöhungen8. Nach § 308 Abs. 1 S. 2 AktG sind auch nachteilige Weisungen zulässig, wenn sie im Konzerninteresse sind, d.h. die konkrete Maßnahme den Belangen des herrschenden Unternehmens oder der mit ihm
1 Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, Einleitung Rz. 14. 2 Dazu oben Rz. 227. 3 MünchKommBGB/Wagner, § 826 Rz. 132 ff.; BGH, NJW 2007, 2689; BGH, NJW-RR 2008, 1417; BGH, NJW 2008, 2437; BGH, NZI 2008, 238; BGH, NJW 2009, 2127. 4 Brünkmans, Koordinierung, S. 53. 5 Bous, Die Konzernleitungsmacht im Insolvenzverfahren konzernverbundener Kapitalgesellschaften, S. 100; Brünkmans, Koordinierung, S. 49; Bälz, AG 1992, 277 (294); Hommelhoff, ZGR 1994, 395 (403); a.A. Scholz/Emmerich, Anhang zu § 13 GmbHG Rz. 75. 6 Dazu unten Rz. 368. 7 Der Beherrschungsvertrag ist auch bei der GmbH anerkannt, vgl. nur Hüffer/Koch, Aktiengesetz, § 291 AktG Rz. 8, jedoch aufgrund des umfassenden Weisungsrechts, s. oben Rz. 337, in der Praxis selten, insbesondere für die steuerliche Organschaft nicht mehr Voraussetzung. 8 Hüffer/Koch, Aktiengesetz, § 308 AktG Rz. 12; Koppensteiner in Kölner Kommentar AktG, § 308 AktG Rz. 33; Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 308 AktG, Rz. 40 ff.; Spindler/Stilz/Veil, Aktiengesetz, § 308 AktG Rz. 21; a.A. bzgl. Einberufung der Hauptversammlung: MünchKommAktG/Altmeppen, § 308 AktG Rz. 90.
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§1
Rz. 341
Schuldnerberatung
oder den Tochtergesellschaften konzernverbundenen Unternehmen dient1. Lediglich Weisungen, die zur Existenzgefährdung der Tochtergesellschaft führen, sind nicht erlaubt2. 341 Demnach kann eine Konzernsanierung unschwer über das Weisungsrecht aus § 308 Abs. 1 AktG umgesetzt werden, denn der Insolvenzverwalter oder eigenverwaltende Geschäftsführer ist nach richtiger Auffassung berechtigt, das Weisungsrecht aus dem Beherrschungsvertrag auszuüben3. Zu beachten ist jedoch, dass als Ausgleich für dieses umfassende Weisungsrecht die Muttergesellschaft nach § 302 AktG zum Verlustausgleich verpflichtet ist. Das umfassende Weisungsrecht besteht nur, solange der Verlustausgleichsanspruch gesichert ist4. Da der Verlustausgleichsanspruch ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Muttergesellschaft für das dann beginnende Rumpfgeschäftsjahr eine Masseverbindlichkeit darstellt, besteht das Weisungsrecht nur, solange auf Ebene der Muttergesellschaft keine Gefahr der Masseunzulänglichkeit vorliegt. 7. Konzernsanierung durch Insolvenzplanverfahren 342 Für das Insolvenzplanverfahren im Konzern folgt der Regierungsentwurf dem Prinzip der Verfahrenskoordinierung, nicht der Verfahrenszentralisierung. Die Sanierung des jeweiligen gruppenzugehörigen Schuldners erfolgt jeweils durch ein separates Insolvenzplanverfahren, welches nach dem gleichen Regelungsregime wie für Einzelschuldner (§§ 217 ff. InsO) durchzuführen ist. Für jede Konzerngesellschaft ist somit ein Insolvenzplan einzureichen und gegenüber der jeweiligen Gläubigerversammlung zur Abstimmung zu stellen und das gerichtliche Bestätigungsverfahren zu durchlaufen. Ein rechtsträgerübergreifendes Konzerngesamtsanierungskonzept ist auch mit Inkrafttreten des neuen Konzerninsolvenzrechts nach wie vor durch einzelne aufeinander abgestimmte Insolvenzpläne umzusetzen5. Wie noch zu zeigen sein wird, kann das Konzerngesamtsanierungskonzept zwar Gegenstand eines Koordinationsplanes sein. Mangels Verbindlichkeit in den Einzelverfahren wird der Koordinationsplan jedoch vermutlich bei der Sanierung von Konzernen im Insolvenzplanverfahren eher eine geringe Rolle spielen. Dies ist zu bedauern. Die Einführung eines GruppenInsolvenzplanverfahrens wäre wünschenswert gewesen, d.h. ein einheitliches Insolvenzplanverfahren für die gesamte Gruppe mit einem rechtsträgerübergreifenden Gruppen-Insolvenzplan6. a) Koordinierte Insolvenzpläne in den Einzelverfahren aa) Ableitung koordinierter Insolvenzpläne aus dem Konzernsanierungskonzept 343 Ein wesentlicher Erfolgsfaktor bei der Planung und Umsetzung einer Unternehmenssanierung ist, frühzeitig Transparenz zu schaffen, so dass die Stakeholder einer Sanierung, insbesondere die Gläubiger, sich früh auf den Eintritt der Insolvenz einstellen können und einer Sanierung im Insolvenzverfahren aufgeschlossen gegenüberstehen7. Dies erfordert eine frühzeitige Kommunikation zwischen den Beteiligten noch vor Stellen des Insolvenzantrages. Idealerweise sollte frühzeitig – noch vor Eintreten der materiellen Insolvenz – ein Sanierungskonzept unter Einbeziehung der 1 Brünkmans, Koordinierung, S. 42. 2 OLG Düsseldorf, AG 1990, 490; Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 308 Rz. 61; Hüffer, § 308 AktG Rz. 19. 3 Bous, Die Konzernleitungsmacht im Insolvenzverfahren konzernverbundener Kapitalgesellschaften, S. 176; Brünkmans, Koordinierung, S. 268. 4 Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 308 AktG Rz. 64. 5 Eidenmüller/Frobenius, Beilage 3 zu ZIP 22/2013, S. 11; Brünkmans, Der Konzern 2013, 169 (181); Dellit, Der Konzern, 2013, 190 (192); Harder/Lojowsky, NZI 2013, 327 (329); wohl auch Andres/Möhlenkamp, BB 2013, 579 (586); Graeber, ZInsO 2013, 409 (413); Pleister, ZIP 2013, 1013 (1017); Commandeur/Knapp, NZG 2013, 176 (178); vgl. auch Stellungnahme BDI v. 15.2.2013, S. 3 abrufbar unter www.bdi.eu. 6 S. Regelungsvorschlag MünchKommInsO/Brünkmans, Konzerninsolvenzrecht, Rz. 118 ff. 7 Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 2.82 sprechen vom „positiven Insolvenzklima“.
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Brnkmans
Besonderheiten der Schuldnerberatung im Konzern
Rz. 348
§1
Gläubiger, Anteilsinhaber und ggf. Lieferanten erarbeitet werden1. Zu erwägen ist ferner, die Geschäftsführung durch einen erfahrenen Sanierer zu ergänzen. Häufig werden Banken dies als Bedingung für die Nichtausübung eines Kündigungsrechts („Waiver“) bei Nichteinhaltung vereinbarter Finanzkennzahlen („Covenants“) oder von Prolongationen oder Standstillerklärungen fordern. Auch das Team, bestehend aus Rechts- und Unternehmensberatern, sollte zusammengestellt und eingearbeitet sein. Das Sanierungskonzept wird dabei eine konsolidierte Betrachtung des Gesamtkonzerns einnehmen. Sind die leistungswirtschaftlichen Defizite erkannt, sind die finanzwirtschaftlichen Sanierungsmaßnahmen zu identifizieren. In dieser Phase stellt sich immer die Frage, ob eine außergerichtliche Sanierung des Konzerns oder eine Sanierung durch das Insolvenzplanverfahren im konkreten Einzelfall die besten Sanierungschancen bietet2. Scheitert eine außergerichtliche Sanierung – etwa wegen obstruierender Gläubiger – kann im Anschluss versucht werden, dass Sanierungskonzept dennoch durch das Insolvenzplanverfahren – ggf. kombiniert um das Schutzschirmverfahren und die vorläufige Eigenverwaltung – umzusetzen. Anknüpfend an die im Rahmen der außergerichtlichen Sanierung geführten Gespräche mit den Stakeholdern können unmittelbar nach Stellen des Insolvenzantrages während des Eröffnungsverfahrens die Insolvenzpläne unter Einbeziehung der wesentlichen Gläubiger ausgearbeitet und auf die einzelnen Konzerngesellschaften abgestimmt werden. Das Konzerngesamtsanierungskonzept sollte bereits als Anlage zum Insolvenzantrag 344 mit diesem eingereicht werden, da die Frage der Sanierungsaussicht für das Insolvenzgericht bereits in dieser Phase – etwa für die (vorläufige) Eigenverwaltung – von Bedeutung ist. Das bisher ausgearbeitete Konzerngesamtsanierungskonzept bietet sich als Grund- 345 lage für den darstellenden Teil sämtlicher Insolvenzpläne der einzelnen Gruppengesellschaften an3. Im darstellenden Teil des Insolvenzplanes wird beschrieben, welche Maßnahmen 346 nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens getroffen worden sind oder noch getroffen werden sollen, um die Grundlage für die geplante Gestaltung der Rechte der Beteiligten zu schaffen (§ 220 Abs. 1 InsO). Ferner soll der darstellende Teil alle sonstigen Angaben zu den Grundlagen und den Auswirkungen des Plans enthalten, die für die Entscheidung der Beteiligten über die Zustimmung zum Plan und für dessen gerichtlichen Bestätigung erheblich sind (§ 220 Abs. 2 InsO). Die Gläubiger oder Anteilsinhaber können die Erfolgsaussichten einer Sanierung der 347 Einzelgesellschaft letztlich nur anhand der Zukunftsfähigkeit des Konzerngesamtsanierungskonzepts beurteilen. Schließlich ist der darstellende Teil um spezifische Informationen der jeweiligen Einzelgesellschaft, wie etwa Ausführungen zur Gruppenbildung und zur Vergleichsrechnung (§ 251 InsO), zu ergänzen. Damit die Konzernsanierung nicht an einer Beschwerde gegen den Insolvenzplan und daraus resultierender Verzögerung der Rechtskraft des Insolvenzplanes scheitert4, ist besonders sorgfältig der Nachweis, dass die Konzernsanierung die jeweiligen Gläubiger des gruppenangehörigen Schuldners nicht schlechter stellt, im darstellenden Teil des Insolvenzplanes zu erbringen5. Für die Feststellung, ob eine Schlechterstellung vorliegt, ist eine Vergleichsrechnung 348 zwischen Abwicklung des Insolvenzverfahrens nach den Vorschriften der Insolvenzordnung (Ergebnis der Regelabwicklung) und bei Ausführung des Insolvenzplans (Planergebnis) zu erstellen. Mit einer Verwertung des Einzelunternehmens zu Fortführungswerten im Wege einer übertragenden Sanierung hat sich der Planersteller
1 Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 2.64. 2 Vgl. etwa MünchKommInsO/Eidenmüller, Vor §§ 217 bis 269 Rz. 64 ff. 3 Vgl. MünchKommInsO/Eidenmüller, Vor §§ 217–269 Rz. 39; Dellit, Der Konzern 2013, 190 (192). 4 Zum Freigabeverfahren im Insolvenzplanverfahren s. Brünkmans, ZInsO 2014, 993 ff. 5 Dellit, Der Konzern 2013, 190 (192).
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§1
Rz. 349
Schuldnerberatung
erst dann auseinanderzusetzen, wenn dies überwiegend wahrscheinlich ist1. Da allgemein anerkannt ist, dass das Ergebnis der Befriedigung der Gläubiger aus einem Alternativplan nicht Vergleichsmaßstab im Rahmen des Tests nach § 251 InsO sein kann2, kommt es folglich auch nicht darauf an, wie die Gläubiger bei einer vom Konzern entkoppelten Sanierung auf Basis eines Einzelinsolvenzplans stehen würden. 349 Im gestaltenden Teil des Insolvenzplanes wird festgelegt, wie die Rechtsstellung der Beteiligten durch den Insolvenzplan geändert werden soll. Die Gestaltung der Rechte der Gläubiger (Forderungsverzichte, Stundungen etc.) und ggf. Anteilsinhaber (Zustimmung zu Kapitalerhöhungen oder Übertragung von Geschäftsanteilen) werden mit Rechtskraft des gerichtlichen Bestätigungsbeschlusses zum Insolvenzplan unmittelbar vollzogen (§ 254 Abs. 1 InsO). Im gestaltenden Teil können nur die Rechtsbeziehungen der jeweiligen Einzelgesellschaft zu ihren Gläubigern und Anteilsinhabern gestaltet werden. Anders als im darstellenden Teil ist eine konsolidierte Betrachtung des Konzerns nicht möglich. bb) Umsetzung koordinierter Insolvenzpläne (1) Einreichen koordinierter Insolvenzpläne beim Insolvenzgericht 350 Die Entwicklung und Umsetzung aufeinander abgestimmter Insolvenzpläne hängt auch davon ab, dass der Initiator des Konzerngesamtsanierungskonzeptes das Recht hat, die Insolvenzpläne in den Einzelverfahren einzubringen, jedenfalls hinreichenden Einfluss auf den formell Einbringungsberechtigten hat. Andernfalls besteht die Gefahr, dass in den einzelnen Verfahren unabgestimmte Insolvenzpläne eingebracht werden3. 351 Ähnlich wie bei dem Antrag auf Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes kann das koordinierte Entwerfen und Einbringen von aufeinander abgestimmten Insolvenzplänen hierarchisch über die Konzernleitungsmacht erfolgen. Nach § 218 Abs. 1 S. 1 InsO haben sowohl Schuldner als auch Insolvenzverwalter ein Planinitiativrecht. 352 Bei juristischen Personen wird das Vorlagerecht vom Vertretungsorgan ausgeübt4. Die Konzernspitze kann über ihre Konzernleitungsmacht die Exekutivorgane der einzelnen Konzerngesellschaften anweisen, den Insolvenzplan einzubringen5. Das Recht des Schuldners, einen Insolvenzplan vorzulegen, besteht trotz des Insolvenzverfahrens, weil das Vorlagerecht den Schuldnerbereich und nicht den massebezogenen Verdrängungsbereich betrifft6. Die Obergesellschaft kann über ihr gesellschaftsrechtliches Weisungsrecht aus § 37 GmbHG oder § 308 Abs. 1 AktG7 den Untergesellschaften Vorgaben über die inhaltliche Ausgestaltung des Insolvenzplans machen8. Über die Konzernleitungsmacht besteht somit de facto ein konzerneinheitliches Planinitiativrecht des Schuldners9. Sollte der Insolvenzverwalter den Insolvenzplan einreichen, besteht ein konzerneinheitliches Planinitiativrecht indes nur, wenn ein personenidentischer Insolvenzverwalter eingesetzt wurde10. 1 MünchKommInsO/Sinz, § 251 InsO Rz. 26; K. Schmidt/Spliedt, § 251 InsO Rz. 6; anders Burmeister/Schmitd-Hern in Kübler, Handbuch Restrukturierung in der Insolvenz, § 43 Rz. 67, die sogar die Benennung konkreter Kaufinteressenten für erforderlich halten. 2 MünchKommInsO/Sinz, § 251 InsO Rz. 26; K. Schmidt/Spliedt, § 251 InsO Rz. 6. 3 Vgl. Dellit, Der Konzern 2013, 190 (194), welcher die Einführung einer Sperrwirkung bzgl. Einzelpläne analog § 233 InsO bei Vorlage eines Koordinationsplanes fordert. 4 MünchKommInsO/Eidenmüller, § 218 InsO Rz. 71; Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, Rz. 97. 5 Brünkmans, Koordinierung, S. 290. 6 Bous, Die Konzernleitungsmacht im Insolvenzverfahren konzernverbundener Kapitalgesellschaften S. 295; Brünkmans, Koordinierung, S. 76; Weber, KTS 1970, 73 (78). 7 Zum Fortbestand des Vertragskonzerns, vgl. Depré/Büteröwe in Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 32 Rz. 4. 8 Acher, Vertragskonzern und Insolvenz, S. 120; Bous, Die Konzernleitungsmacht im Insolvenzverfahren konzernverbundener Kapitalgesellschaften., S. 295 f.; Brünkmans, Koordinierung, S. 290; Rotstegge, Konzerninsolvenz, S. 334. 9 Brünkmans, Koordinierung, S. 291. 10 Dazu oben Rz. 294.
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Brnkmans
Besonderheiten der Schuldnerberatung im Konzern
Rz. 357
§1
(2) Erörterungs- und Abstimmungstermin Nach Vorprüfung durch das Insolvenzgericht (§ 231 InsO) folgt die Annahme des In- 353 solvenzplans durch die Gläubiger im Erörterungs- und Abstimmungstermin. Bei einer Sanierung des Konzerns durch aufeinander abgestimmte Insolvenzpläne bietet sich an, den Erörterungstermin für sämtliche gruppenangehörige Schuldner „physisch“ in eine Versammlung zu legen. Der Abstimmungstermin kann dann für die einzelnen Gruppen-Gesellschaften unmittelbar hintereinander terminiert werden. Dies setzt freilich voraus, dass für sämtliche Verfahren das gleiche Insolvenzgericht zuständig ist. (3) Gerichtliche Bestätigung/Verknüpfung der koordinierten Insolvenzpläne Nach Annahme des Insolvenzplans durch die Beteiligten bedarf der Plan der Bestätigung durch das Insolvenzgericht (§ 248 Abs. 1 InsO). Erfolgt die Annahme des Insolvenzplanes durch die Gläubigergruppen der jeweiligen Gruppen-Gesellschaft unter der Prämisse einer Sanierung des Gesamtkonzerns und in der Erwartung, dass die parallelen Insolvenzpläne ebenfalls angenommen und (rechtskräftig) bestätigt werden, bedarf es einer Verknüpfung der koordinierten Insolvenzpläne.
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Dies kann zunächst über § 249 InsO („Bedingter Plan“) erfolgen. Danach kann die ge- 355 richtliche Bestätigung des Insolvenzplanes von der Verwirklichung gewisser Maßnahmen abhängig gemacht werden, wobei entgegen dem Wortlaut der Überschrift aus § 249 InsO nicht der Plan bedingt ist, sondern dieser lediglich eine zusätzliche Voraussetzung für seine Bestätigung aufstellt1. So kann etwa die Reihenfolge der Bestätigung der aufeinander abgestimmten Pläne festgelegt werden, sodass eine Bestätigung des Planes einer Gruppengesellschaft nur dann erfolgen kann, wenn die in der Reihenfolge vorhergehenden Pläne (rechtskräftig) bestätigt wurden2. Nach herrschender Meinung kann der Insolvenzplan insgesamt unter einer aufschiebenden Bedingung stehen (§ 158 Abs. 1 BGB)3. Werden nach rechtskräftiger Bestätigung der Insolvenzpläne die Insolvenzverfahren aufgehoben, lebt die gesellschafts- und konzernrechtliche Corporate Governance wieder auf. b) Der Koordinationsplan nach § 269h InsO-E als „Masterplan“ der Konzernsanierung Das neue Konzerninsolvenzrecht wird an der Notwendigkeit, für jede Gruppen-Ge- 356 sellschaft ein Insolvenzplan einzureichen und Insolvenzplanverfahren durchzuführen, nichts ändern. Es wird nach deutschem Recht nach wie vor kein Konzerninsolvenzplanverfahren geben. Das Konzernsanierungskonzept, aus dem die einzelnen Insolvenzpläne abzuleiten sind, kann jedoch im Rahmen des Koordinationsverfahrens als Koordinationsplan eine noch näher darzulegende Verbindlichkeit erhalten. Auch wenn der Koordinationsplan nach Vorstellung des Gesetzgebers Maßnahmen verschiedenster Art, die für eine abgestimmte Abwicklung der Verfahren sachdienlich sind, zum Inhalt haben kann, weist die Gesetzesbegründung ihm ausdrücklich die Funktion eines Referenzplans oder „Masterplanes“ in den einzelnen Verfahren der gruppenangehörigen Schuldner zu (vgl. § 269h Abs. 2 Nr. 1 InsO-E)4. Der Koordinationsplan wird auch die leistungswirtschaftlichen Sanierungsmaßnah- 357 men zur Umsetzung der strategischen Neuausrichtung beschreiben, wie den Abbau von Überkapazitäten, Abbau von Arbeitsplätzen, Schließung von Standorten, Beendigung von defizitären Kundenverträgen oder von Lieferverträgen mit schlechten Konditionen durch Ausübung des Wahlrechts nach §§ 103 ff. InsO, Beendigung von Mietverträgen, Veräußerung von nicht betriebsnotwendigem Vermögen. Auch die Stilllegung einer Konzerngesellschaft gegen Ausgleichszahlung oder Fortführung ei1 Flessner in HK-InsO, § 249 InsO Rz. 4. 2 MünchKommInsO/Eidenmüller, Vor §§ 217–269 InsO Rz. 39. 3 LG Dessau, ZInsO 2001, 1167; Flessner in HK-InsO, § 249 InsO Rz. 4, 7; MünchKommInsO/Eidenmüller, § 217 Rz. 44; Nerlich/Römermann/Braun, § 249 InsO Rz. 1; a.A. Müller, KTS 2002, 209 (215). 4 RegE, S. 18; Dellit, Der Konzern 2013, 190 (192).
Brnkmans
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Rz. 358
Schuldnerberatung
ner defizitären Tochtergesellschaft zum Erhalt des Gesamtkonzerns könnte bei entsprechenden Ausgleichszahlungen im Koordinationsplan vorgesehen werden1. aa) Zustandekommen eines Koordinationsplans 358 Nur dem Koordinationsverwalter steht das Recht zu, dem Koordinationsgericht am Gruppen-Gerichtsstand einen Koordinationsplan vorzulegen. Ist ein Koordinationsverwalter noch nicht bestellt, können die Insolvenzverwalter der gruppenangehörigen Schuldner den Koordinationsplan gemeinsam dem Koordinationsgericht am Gruppen-Gerichtsstand vorlegen. 359 Der Koordinationsplan bedarf der Zustimmung des Gruppen-Gläubigerausschusses, wenn ein solcher bestellt wurde. 360 Rechtskraft erhält der Koordinationsplan durch Bestätigungsbeschluss des Koordinationsgerichts (§ 269h Abs. 1 Satz 3 InsO-E). Die Prüfungskompetenz des Gerichts beschränkt sich darauf, ob dem Planvorlegenden ein Initiativrecht zukommt, der Gruppen-Gläubigerausschuss angemessen beteiligt wurde und der Plan sich auf einen lediglich darstellenden Teil beschränkt. Gegen den Beschluss, durch den die Bestätigung des Koordinationsplans versagt wird, steht nach § 269h Abs. 3 Satz 1 InsO-E jedem Vorlegenden ein Beschwerderecht zu. bb) Rechtsnatur und Bindungskraft 361 Der Koordinationsplan ist ein Insolvenzplan mit ausschließlich darstellendem Teil, bei dem der gestaltende Teil weggelassen wurde2. Der vom Koordinationsgericht bestätigte Koordinationsplan ist für die Beteiligten der einzelnen Insolvenzverfahren jedoch nicht verbindlich. Allerdings hat der Insolvenzverwalter in den Einzelverfahren eine Abweichung von den Vorgaben des Koordinationsplanes gegenüber der Gläubigerversammlung zu begründen (§ 269i Abs. 1 InsO-E). Durch diese Rechenschaftspflicht kann erreicht werden, dass der Verwalter im Fall der Abweichung vom Koordinationsplan die Umsetzung der im Koordinationsplan vorgeschlagenen Maßnahmen nicht aus sachwidrigen Gründen verweigert3. Die Gläubigerversammlungen in den Einzelverfahren können den Insolvenzverwalter ferner anweisen, sich an die Vorgaben des Koordinationsplans zu halten und einen darauf basierenden Insolvenzplan auszuarbeiten (§ 269i Abs. 2 InsO-E). 362 Der Koordinationsverwalter kann an den Gläubigerversammlungen der gruppenangehörigen Schuldner teilnehmen, um für eine entsprechende Beschlussfassung zu werben (§ 269f Abs. 1 Satz 2 InsO-E). cc) Bewertung 363 Inwieweit der Koordinationsplan bei der Bewältigung einer Konzernsanierung durch aufeinander abgestimmte Insolvenzpläne hilfreich sein kann, bleibt zweifelhaft. Geht die Initiative der Sanierung vom Schuldner aus, besteht für einen Koordinationsplan kein Bedürfnis, weil über die Konzernleitungsmacht eine Abstimmung der einzelnen Insolvenzpläne auf einen „Masterplan“, der ein Konzerngesamtsanierungskonzept enthält, gewährleistet werden kann. Allenfalls bei einem „Verwalterinsolvenzplan“ und auch dann, wenn in den einzelnen Verfahren unterschiedliche Insolvenzverwalter eingesetzt wurden, könnte der Koordinationsplan hilfreich sein. Diese Fälle dürften jedoch in der Praxis keine große Rolle spielen. c) Regelung von Drittsicherheiten einer Konzerntochter im Insolvenzplanverfahren 364 Bei der Restrukturierung von Finanzverbindlichkeiten im Konzern, stellt sich häufig die Frage, wie mit Drittsicherheiten, insbesondere mit Bürgschaften und Schuldbeitritten, zu verfahren ist. In der Konzernfinanzierungspraxis geben nicht selten Toch-
1 MünchKommInsO/Brünkmans, Konzerninsolvenzrecht, Rz. 111. 2 RegE, S. 38. 3 MünchKommInsO/Brünkmans, Konzerninsolvenzrecht, Rz. 116; vgl. auch Thole, Der Konzern 2013, 182 (185).
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Besonderheiten der Schuldnerberatung im Konzern
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tergesellschaften für die von der Mutter aufgenommenen Kredite oder ausgegebenen Anleihen Sicherheiten in Form von Garantien, Schuldbeitritten, Bürgschaften oder Realsicherheiten (Grundpfandrechte, Sicherungseigentum, Sicherungszession) ab (sog. Upstream-Sicherheit). Um einen Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften und eine Haftung der Geschäftsführer der Tochter nach §§ 43 Abs. 3, 30, 31 GmbHG zu vermeiden, wird häufig eine sog. Limitation Language eingefügt, die regelt, dass eine Haftung der Tochter oder Inanspruchnahme der von dieser gestellten Sicherheiten für Verbindlichkeiten der Muttergesellschaft ausscheidet, wenn das Eigenkapital dadurch angegriffen wird, es sei denn die Darlehensmittel wurden der Tochter unmittelbar zur Verfügung gestellt. aa) § 254 Abs. 2 S. 1 InsO: Kein Eingriff in Drittsicherheiten durch Insolvenzplan Nach § 254 Abs. 2 S. 1 InsO werden die Rechte der Insolvenzgläubiger gegen Mit- 365 schuldner und Bürgen des Schuldners sowie die Rechte dieser Gläubiger an Gegenständen, die nicht zur Insolvenzmasse gehören, durch den Plan nicht berührt. Daraus folgt, dass bei einer Sanierung der Muttergesellschaft im Insolvenzplanverfahren die Sanierung der Tochtergesellschaften durch Freigabe der Sicherheiten bzw. Enthaftung nicht auf der Grundlage des Insolvenzplanes der Muttergesellschaft erfolgen kann. Die Sicherungsrechte der Gläubiger gegenüber Tochtergesellschaften bestehen pa- 366 rallel zu der gesicherten Forderung im Insolvenzplan fort. Im Ergebnis führt dies dazu, dass Gläubiger ungeachtet etwaiger Forderungskürzungen der Hauptforderung auf der Ebene der insolventen Muttergesellschaft ungestört und in voller Höhe Befriedigung aus der von der Tochter gestellten Sicherheit erwirken können1. Gleichzeitig gilt im Verhältnis zur Muttergesellschaft die Regresssperre aus § 254 Abs. 2 S. 2 InsO, d.h. die Tochtergesellschaft kann ihre Regressforderung nur in der Höhe durchsetzen, die dem Gläubiger gemäß dem bestätigten Insolvenzplan erhalten geblieben ist. Die Insolvenz der Tochtergesellschaft und ein paralleles Insolvenzplanverfahren auf der Ebene der Tochter ist häufig unvermeidbare Folge. Da parallele außergerichtliche Sanierungsvergleiche wegen der Vielzahl der Gläubiger häufig nicht zu bewerkstelligen sind und auch parallele Insolvenzplanverfahren mit dem Ziel der – teilweisen – Enthaftung der Tochtergesellschaften nicht immer praktikabel sind, behilft sich die Praxis nicht selten mit Incentivierungsmodellen2. bb) § 22 Schuldverschreibungsgesetz Anders ist die Rechtslage bei Anleihen. Nach § 22 Schuldverschreibungsgesetz 367 (SchVG) kann nicht nur die Anleihe im Wege von Forderungsverzichten und Stundungen (§ 5 Abs. 3 SchVG) durch Mehrheitsbeschluss der Anleihegläubiger restrukturiert werden. Diese Restrukturierungsmaßnahmen können nach § 22 SchVG durch Mehrheitsbeschluss auch für Mitverpflichtete, d.h. in der Praxis Garantieerklärungen verbundener Unternehmen, beschlossen werden. Nach § 22 S. 2 SchVG muss diese Möglichkeit jedoch in den ursprünglichen Anleihebedingungen enthalten sein oder später durch Gläubigerbeschluss dazugefügt werden3. d) Fortbestand von Unternehmensverträgen? Nach bisher überwiegender Auffassung führt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens 368 über das Vermögen der Ober- oder Untergesellschaft zur automatischen Beendigung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages4. Inwieweit dies nach Inkraft1 MünchKommInsO/Huber, § 254 InsO Rz. 25. 2 So etwa im Fall der IVG Immobilien AG, in dem den gesicherten Gläubigern eine um 8–19 % erhöhte Planquote angeboten wurde, wenn sie im Gegenzug auf die von den Tochtergesellschaften gestellten Sicherheiten verzichteten. 3 Veranneman/Hofmeister, SchVG, § 22 Rz. 2. 4 BGH, NJW 1988, 1326 (1327); Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 2.64; MünchKommAktG/Altmeppen, § 297 AktG Rz. 106; Hüffer/Koch, Aktiengesetz, § 297 AktG Rz. 22a (allenfalls Ausnahme bei Eigenverwaltung); ebenso Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbHKonzernrecht, § 297 AktG InsO Rz. 52b; Spindler/Stilz/Veil, Aktiengesetz, § 297 AktG Rz. 38.
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treten der InsO noch gilt ist streitig1. Der BGH stellte in seiner noch zur Konkursordnung ergangenen Entscheidung maßgeblich auf den Liquidationszweck des Konkursverfahrens ab2. Mit Inkrafttreten der Insolvenzordnung steht jedoch die Sanierung als neben der Liquidation gleichwertiges Mittel zur Verfügung (§ 1 InsO). Nach Inkrafttreten des ESUG gilt dies umso mehr. Nach richtiger Ansicht führt das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Ober- oder Untergesellschaft allenfalls zur Suspendierung der Pflichten aus dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag. Spätestens mit Beendigung des Insolvenzverfahrens nach Bestätigung eines schuldenbereinigenden Insolvenzplans leben die Pflichten ab dem Stichtag der Aufhebung des Insolvenzverfahrens wieder auf. Allerdings wird man sowohl der Unterals auch der Obergesellschaft im Fall der Insolvenz des anderen Vertragspartners die Möglichkeit der Kündigung aus wichtigem Grund nach § 297 Abs. 1 AktG zugestehen müssen3.
1 AG Duisburg, ZIP 2002, 1636 ff. für ein bloßes Ruhen der Weisungsbefugnisse, dazu ausführlich und m.w.N. Brünkmans, Koordinierung, S. 253 ff.; K. Schmidt/Lutter/Langenbucher, AktG, § 297 AktG Rz. 30; Hirte in Uhlenbruck/Hirte, Insolvenzordnung, § 11 Rz. 398. 2 BGH, NJW 1988, 1326. 3 Hirte in Uhlenbruck/Hirte, Insolvenzordnung, § 11 Rz. 398 (Ab Verfahrenseröffnung (nur) eine Kündigungsmöglichkeit aus wichtigem Grund für beide Teile); vgl. auch Smid/Rattunde/Martini, Der Insolvenzplan, Rz. 2.64.
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I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Dienstvertragliche und organschaftliche Befugnisse vor Insolvenzantrag. III. Anzeigepflicht gemäß § 49 Abs. 3 GmbHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Sanierungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . V. Insolvenzantragspflicht . . . . . . . . . . . 1. Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erfüllung der Antragspflicht . . . . . . . . 3. Konsequenzen der Säumnis . . . . . . . . VI. Rechte und Pflichten nach Insolvenzantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfahrensrechtliche Stellung des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Organschaftliche Stellung des Geschäftsführers . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Haftung des Geschäftsführers wegen Insolvenzverschleppung . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Außenhaftung nach der Rechtsprechung zu § 15a Abs. 1 InsO . . . . . . . . . a) Entwicklung der Rechtsprechung . b) Schaden vertraglicher Neugläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schutzbereich der Norm . . . . . . . . d) Schaden gesetzlicher Neugläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Schaden der Altgläubiger . . . . . . . . f) Schaden der Insolvenzmasse? . . . . g) Haftung gemäß § 15a InsO nach Antragstellung?. . . . . . . . . . . . . . . . h) Gläubiger mit und nach Verfahrenseröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Innenhaftung nach der Rechtsprechung zu § 64 S. 1 GmbHG . . . . . . . . . a) Haftungsbeginn. . . . . . . . . . . . . . . . b) Zahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Haftungszweck . . . . . . . . . . . . . bb) Verfügung vs. Verpflichtung . . cc) Verwendung zweckbestimmter Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sorgfaltsausnahme . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . bb) Pflichtenkollision . . . . . . . . . . . 4. Haftungsmodelle der Literatur . . . . . . a) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 2 7 9 11 11 16 21 22 22 36 41 41 43 43 46 49 52 56 59 65
5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. VIII. IX. X. XI. 1. 2. XII. XIII. XIV. 1.
66 67 67 68 68 69 77 82 82 86 88 88
2. 3. 4. 5. 6. XV. XVI.
b) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schutzbereich des § 15a InsO . bb) Schutzbereich des § 64 S. 1 GmbHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verhältnis zwischen § 15a InsO und § 64 S. 1 GmbHG . . . Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zurückbehaltungsrechte. . . . . . . . . . . § 64 S. 3 GmbHG . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesamtverantwortung . . . . . . . . . . . . Faktischer Geschäftsführer . . . . . . . . Darlegungs- und Beweislast, Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . Weisung, Verzicht, Vergleich . . . . . . . . Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung ohne Insolvenzverfahren . . . Culpa in contrahendo, Aufklärungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung für Verfahrenskosten gemäß § 26 Abs. 3, 4 InsO. . . . . . . . . . . Haftung wegen Betruges und Untreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung für Sozialabgaben . . . . . . . . . Strafrechtliche Haftung . . . . . . . . . . . Zivilrechtliche Haftung . . . . . . . . . . . . Haftung wegen sittenwidriger Schädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung wegen Existenzvernichtung . Steuerrechtliche Haftung gemäß § 69 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundsatz der anteiligen Tilgung. . . . a) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kollision mit § 64 S. 1 GmbHG . . . . Tatsächliche Unmöglichkeit, keine Steuerminderungspflicht . . . . . . . . . . Abzugsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorsteuerkorrektur . . . . . . . . . . . . . . . Geschäftsführerwechsel . . . . . . . . . . . Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung bei anderen Gesellschaftsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschäftsführerhaftung bei ausländischen Gesellschaften . . . . . . . . . . . .
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I. Überblick Die Krise einer Gesellschaft ist für ihre Geschäftsführer bzw. Vorstandsmitglieder au- 1 ßerordentlich haftungsträchtig. Die Gesellschafter suchen einen Schuldigen für den Verlust ihres Beteiligungswertes und die Gläubiger für den Verlust ihrer Forderungen. Nachfolgend soll zwar allein von den Rechten und Pflichten des Vertretungsorgans ab Eintritt eines Insolvenzgrundes die Rede sein. Die Insolvenz ist aber nicht Andres
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nur der Prüfstand für das Verhalten in der Krise, sondern auch für zurückliegende Vorgänge wie Missmanagement, eine etwaige Einlagenrückgewähr und die ordnungsmäßige Kapitalaufbringung. Hierzu wird auf die gesonderten Abschnitte dieses Buches verwiesen. Gesetzliche Anknüpfungspunkte für die Haftung in der Krise sind §§ 43, 49 und vor allem § 15a InsO sowie § 64 GmbHG1. Für den Vorstand einer Aktiengesellschaft gibt es entsprechende Pflichten in §§ 92, 93 AktG. Die folgenden Ausführungen beziehen sich in erster Linie auf den GmbH-Geschäftsführer. Sie sind auf den Vorstand einer AG übertragbar, soweit Besonderheiten nicht ausdrücklich genannt werden. Durch die Einführung des Schutzschirm- und vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens seit März 2012 ist zudem die Möglichkeit für die Geschäftsführung hinzugekommen, dass Unternehmen auch nach Stellung des Insolvenzantrages im Rahmen der vorgenannten Verfahren weiterzuführen, um eine Sanierung mit den Mitteln der Insolvenzordnung zu erreichen. Diese neuen Verfahrensarten bieten auf der einen Seite neue Möglichkeiten, aber auch erhebliche Haftungsgefahren für die Geschäftsführung. Diese ist regelmäßig auf dem Gebiet des Insolvenzrechts unerfahren. II. Dienstvertragliche und organschaftliche Befugnisse vor Insolvenzantrag 2 Bei den Rechten des Geschäftsführers ist zu unterscheiden zwischen der zivilrechtlichen Anstellung und der gesellschaftsrechtlichen Organstellung. Aus dem Anstellungsverhältnis können dem Geschäftsführer die üblichen schuldrechtlichen Zurückbehaltungs- und Kündigungsrechte wegen Zahlungsverzuges erwachsen. Dabei muss er beachten, dass jedes Zurückbehaltungsrecht nur im Rahmen von Treu und Glauben ausgeübt werden darf2. Zwar ist keiner – erst recht kein Fremdgeschäftsführer – verpflichtet, unentgeltlich tätig zu werden. Der Anpassungsvorbehalt in § 87 Abs. 2 AktG zeigt jedoch, dass dem Organmitglied eine größere Rücksichtnahme zugemutet wird als einem Arbeitnehmer. Diese Vorschrift gilt für den Geschäftsführer einer GmbH analog, unabhängig davon, ob er gleichzeitig Gesellschafter ist3. Anders als für das Vorstandsmitglied einer AG greift zugunsten des Geschäftsführers die Insolvenzgeldsicherung gemäß §§ 165 f. SGB III ein. Voraussetzung ist, dass der Geschäftsführer keinen bestimmenden Einfluss als Gesellschafter ausüben kann4. Das Insolvenzgeld ist steuerfrei. Es sichert nur den Nettogehaltsanspruch während der letzten drei Monate, in denen das Arbeitsverhältnis vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder einer Abweisung mangels Masse bestand. Deshalb erleidet der Geschäftsführer einen Nachteil, soweit er durch die Verrechnung mit Verlusten aus anderen Einkunftsquellen bei der Jahresveranlagung eine Lohnsteuererstattung erhalten würde. Hinzu kommt, dass die Berechnungsgrundlage für das Insolvenzgeld seit 1.1.2004 durch die Beitragsbemessungsgrenze des § 341 Abs. 4 SGB III gedeckelt ist. Aus diesem Grund wird man ihm trotz des Insolvenzgeldschutzes ein Zurückbehaltungs- und ein Kündigungsrecht zusprechen dürfen, wenn die Vergütungsrückstände erheblich sind. 3 Macht der Geschäftsführer von einem Zurückbehaltungsrecht aus dem Anstellungsvertrag Gebrauch, suspendiert das nicht die unverzichtbaren Pflichten, die ihn als Organ treffen5. Ihnen entgeht der Geschäftsführer nur mit der Amtsniederlegung 1 Streng davon zu unterscheiden ist die Durchgriffshaftung, die nur für Geschäftsführer, die gleichzeitig Gesellschafter sind, in Frage kommt, BGH v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, ZIP 1994, 867 (868). Gleiches gilt für den existenzvernichtenden Eingriff, der zwar ohne ein Geschäftsführerhandeln nicht denkbar ist, aber vorrangig die Gesellschafterhaftung betrifft, s. Überblick bei Roth/Altmeppen, GmbHG, § 13 Rz. 138 ff. 2 Palandt/Grüneberg, BGB, § 273 Rz. 17; speziell zur Einschränkung durch Insolvenzgeldsicherung: Blank, ZInsO 2007, 426. 3 BGH v. 15.6.1992 – II ZR 88/91, NJW 1992, 2894; OLG Düsseldorf v. 2.12.2011 – I-16 U 19/10, DStR 2012, 309 (312); zum Alleingesellschafter-Geschäftsführer: OLG Karlsruhe v. 23.7.2003 – 6 U 203/01, ZIP 2003, 2082 ff. 4 BSG v. 8.8.1990 – 11 RAr 77/89, GmbHR 1991, 461; BSG v. 18.4.1991 – 7 RAr 32/90, GmbHR 1992, 172; a.A. Henssler in Kölner Schrift, 2. Aufl. 2000, S. 1283, 1288 f.; zur Arbeitnehmereigenschaft eines Geschäftsführers BSG v. 18.12.2001 – B 12 KR 10/01 R, NZG 2002, 431 ff.; BGH v. 23.1.2003 – IX ZR 39/02, ZIP 2003, 485. 5 Das ergibt sich aus der grundsätzlichen Trennung von Anstellungs- und Organverhältnis.
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Dienstvertragliche und organschaftliche Befugnisse vor Insolvenzantrag
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(vgl. auch § 5 Rz. 16 f.). Sie ist stets zulässig. Der Geschäftsführer hat im Innenverhältnis zur Gesellschaft jedoch deren Interessen zu berücksichtigen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen1, wie z.B. für eine andere Vertretung Sorge tragen zu können2. Aus Gründen der Rechtssicherheit ist eine Amtsniederlegung jedoch unabhängig von etwaigen Vertragsverletzungen im Innenverhältnis auch in der Krise – nach allerdings umstrittener Auffassung3 – wirksam4. Der Zugang der Erklärung über die Niederlegung bei nur einem Gesellschafter reicht in der GmbH5 ebenso aus wie in der AG der Zugang bei nur einem Aufsichtsratsmitglied6. Einschränkungen werden in der obergerichtlichen Rechtsprechung7 allerdings für einen Alleingesellschafter-Geschäftsführer gemacht. Seine Niederlegung soll wegen des Rechtsmissbrauchs unwirksam sein, wenn kein wichtiger Grund vorliegt oder er keinen neuen Geschäftsführer bestellt. Jedenfalls unter insolvenzrechtlichen Gesichtspunkten ist diese Einschränkung nicht zwingend; denn insolvenzrechtlich bestehen zwar Auskunftsund Mitwirkungspflichten, §§ 97 ff. InsO (s. Rz. 22 ff.), nicht aber die Pflicht, eine Organstellung beizubehalten. Zudem regelt § 15a Abs. 3 InsO die Pflicht des Gesellschafters bzw. Aufsichtsrats zur Antragstellung sofern kein Geschäftsführer bestellt ist. Er muss jedoch Kenntnis von der Führungslosigkeit und dem Insolvenzgrund haben. Die Amtsniederlegung ist außer bei Gehaltsrückstand insbesondere zulässig, wenn 4 dem ressortfremden Geschäftsführer Informationen vorenthalten werden, die er zur Beurteilung der Insolvenzantragspflicht und anderer Haftungstatbestände wie bspw. der Entrichtung von Sozialabgaben8 benötigt9. Es ist nicht selten, dass ein dominanter Gesellschafter-Geschäftsführer seine Mitgeschäftsführer über die wahren Verhältnisse im Unklaren lässt und auch Nachfragen nicht vollständig beantwortet. Die Amtsniederlegung führt nicht zum Verlust von Vergütungsansprüchen aus dem Dienstverhältnis10, falls sie die einzige Möglichkeit der Haftungsvermeidung darstellt. Dann ist eine ordnungsmäßige Geschäftsführung aus wichtigen Gründen nicht möglich, die der Gesellschaft zuzurechnen sind. Beruht das auf einer Obstruktion von Mitgeschäftsführern, muss der Geschäftsführer den Gesellschaftern vorher eine Frist für Abhilfemaßnahmen setzen. Zu den Vergütungsansprüchen, die dem Geschäftsführer erhalten bleiben, gehört auch ein vertraglich vereinbarter Abfindungsanspruch. Er stellt jedoch in der Insolvenz nur eine Insolvenzforderung dar, auch wenn der Dienstvertrag erst nach Verfahrenseröffnung endet11. Ob von dem Recht zur Amtsniederlegung Gebrauch gemacht wird, ist eine taktische 5 Frage. Wenn sich die Krise schon so verschärft hat, dass dem Geschäftsführer kein Gehalt mehr gezahlt werden kann, ist es bis zur Insolvenzverschleppung nicht mehr weit. Die Amtsniederlegung heilt keine bereits versäumte Insolvenzantragspflicht. Im Gegenteil läuft der ausgeschiedene Geschäftsführer Gefahr, für künftige Gläubigerschäden zu haften, die bei rechtzeitiger Antragstellung vermieden worden wären12. Insofern ist es häufig besser, die Entwicklung „unter Kontrolle“ zu behalten, 1 MünchKommGmbHG/Jaeger, § 35 Rz. 395. 2 OLG Düsseldorf v. 6.12.2000 – 3 Wx 393/00, ZIP 2001, 25 f.; LG Frankenthal v. 23.4.1996 – 1 HKT 1/96, GmbHR 1996, 939 (940). 3 Nachweise bei Roth/Altmeppen, GmbHG, § 38 Rz. 75 ff. 4 BGH v. 30.7.2003 – 5 StR 221/03, ZIP 2003, 2213; BGH v. 8.2.1993 – II ZR 58/92, NJW 1993, 119; BGH v. 26.6.1995 – II ZR 109/94, DStR 1995, 1639; OLG Köln v. 1.2.2008 – 2 Wx 3/08, ZInsO 2008, 332. 5 BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, NJW 2001, 3622. 6 Hambloch-Gesinn/Gesinn in Hölters, AktG, § 112 Rz. 16. 7 OLG Köln v. 1.2.2008 – 2 Wx 3/08, ZInsO 2008, 332 (333); OLG Zweibrücken v. 15.2.2006 – 3 W 209/05, ZIP 2006, 950 m.w.N.; BayObLG v. 15.6.1999 – 3Z BR 35/99, DB 1999, 1748; offenlassend: BGH v. 8.10.2009 – IX ZR 235/06, juris Rz. 2. 8 BGH v. 21.1.1997 – VI ZR 338/95, DStR 1997, 546; BGH v. 20.2.1995 – II ZR 9/94, ZIP 1995, 560. 9 Michalski/Nerlich, GmbHG, § 64 Rz. 13. 10 BGH v. 26.6.1995 – II ZR 109/94, DStR 1995, 1639. 11 BAG v. 27.9.2007 – 6 AZR 957/06, ZIP 2008, 374 (Rz. 17 f.); BAG v. 27.4.2006 – 6 AZR 364/05, ZIP 2006, 1962; OLG Frankfurt v. 16.9.2004 – 3 U 205/03, ZIP 2005, 409. 12 Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 64 Rz. 78, Anh § 64 Rz. 40.
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unverzüglich einen Insolvenzantrag zu stellen und mit dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter eine Vergütung aus der Masse zu vereinbaren, wenn er den Geschäftsführer für die Abwicklung noch benötigt. 6 Gelegentlich versuchen die Gesellschafter, einem vom Geschäftsführer beabsichtigten Insolvenzantrag durch die sofortige Abberufung zuvorzukommen. Hinsichtlich der Organstellung ist das wirksam, wenn der Gesellschaftsvertrag keine Einschränkungen enthält, § 38 GmbHG. Eine fristlose Kündigung des Anstellungsvertrages setzt aber einen wichtigen Grund voraus und zudem ist die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB einzuhalten. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein angekündigter Insolvenzantrag unberechtigt gewesen wäre, liegt bei der Gesellschaft1. III. Anzeigepflicht gemäß § 49 Abs. 3 GmbHG 7 Die Geschäftsführer müssen nach dem Verlust des halben Stammkapitals eine Gesellschafterversammlung einberufen, § 49 Abs. 3 GmbHG. Maßgebend sind die Buchund nicht, wie beim Überschuldungsstatus, die Verkehrswerte. Bis zur Aufstellung des Jahresabschlusses darf nicht gewartet werden. Vielmehr unterliegen die Geschäftsführer in der Krise einer ständigen Selbstprüfungspflicht2. Auch unterjährige Verluste sind zu berücksichtigen. Es ist eine Zwischenbilanz zu erstellen, falls es Anhaltspunkte für den Kapitalverlust gibt. 8 Zweck der Einberufung ist es, den Gesellschaftern die Entscheidung über Sanierungsmaßnahmen zu ermöglichen3. Dafür sind die Buchwerte eigentlich ein ungeeignetes Kriterium. Dennoch hält der Gesetzgeber die Pflicht für so wichtig, dass er ihre Verletzung nach wie vor unter Strafe stellt, § 84 Abs. 1 GmbHG. Wesentlich wichtiger als diese Information über bereits eingetretene Verluste ist ein Frühwarnsystem, zu dessen Installation nach dem Gesetz nur der Vorstand einer Aktiengesellschaft gemäß §§ 90 Abs. 1 Nr. 1, 91 Abs. 2 AktG verpflichtet ist. Eine analoge Anwendung auf die Geschäftsführer einer GmbH ist nach der Gesetzesbegründung zwar möglich4. Voraussetzung ist aber eine entsprechende betriebswirtschaftliche Organisation, die der Geschäftsführer zu schaffen erst ab einer Unternehmensgröße verpflichtet sein kann, die bei einer GmbH üblicher Weise nicht besteht. IV. Sanierungspflicht 9 Die Geschäftsführer haben gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden. Dazu gehört die Vermeidung bestandsgefährdender Entwicklungen ebenso wie ihre Beseitigung5. Ein Sanierungserfolg wird natürlich nicht geschuldet, wohl aber die unverzügliche und sorgfaltsgemäße Durchführung von Sanierungsmaßnahmen6 einschließlich Einberufung der dafür erforderlichen Gesellschafterversammlung7. 10 Die Vermeidung bestandsgefährdender Entwicklungen verlangt, der Beseitigung eines Insolvenzgrundes oberste Priorität einzuräumen. Jetzt kommt es darauf an, die Unternehmensziele auf die besondere Situation anzupassen. War es früher erklärte Absicht der Gesellschaft, neue Marktpositionen aufzubauen und dadurch Verluste zu akzeptieren, muss nunmehr die damit verbundene Liquiditätsbelastung sofort been1 BGH v. 12.2.2007 – II ZR 308/05, ZIP 2007, 374. 2 BGH v. 20.2.1995 – II ZR 9/94, ZIP 1995, 560 (zu § 49 GmbHG); BGH v. 29.11.1999 – II ZR 273/99, ZIP 2000, 184 (zu § 64 GmbHG); OLG Schleswig v. 11.2.2010 – 5 U 60/09, ZInsO 2010, 530 (533); K. Schmidt, GesR, § 36 II.4.a, II.5. wegen Schadensersatzpflicht gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. 64 Abs. 1 GmbHG und c.i.c. 3 K. Schmidt, GesR, § 36 III.3.a. 4 Scholz/U.H. Schneider, GmbHG, § 52 Rz. 68 ff., 59; K. Schmidt, GesR, § 36 II.4.a einschränkend. 5 Goette, ZInsO 2001, 529 (531); Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 43 Rz. 12; nicht dagegen der Entzug von Vermögen, das zur Deckung des Stammkapitals nicht benötigt wird, BGH v. 21.6.1999 – II ZR 47/98, NJW 1999, 2817, bzgl. § 42 Abs. 2 GmbHG. 6 K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 1.109 ff. 7 LG München v. 31.5.2007 – 5 HK 11977/06; Beck RS 2007, 11876.
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det werden. Die langfristige Planung wird überlagert von einer kurzfristigen zur Vermeidung der Insolvenzgründe. Das kann dazu führen, dass z.B. unfertige Erzeugnisse in einem verlustträchtigen Betriebsteil oder Anschaffungskosten für Lizenzen wertberichtigt werden müssen. In gleicher Weise können neue Aufwendungen – z.B. aufgrund eines Sozialplans – anfallen. All das ist in die Fortführungsprognose und den Überschuldungsstatus einzubeziehen. V. Insolvenzantragspflicht 1. Zeitpunkt „Wird eine juristische Person zahlungsunfähig oder überschuldet, so haben die Mit- 11 glieder des Vertretungsorgans oder die Abwickler ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, einen Eröffnungsantrag zu stellen“, § 15a Abs. 1 S. 1 InsO. Die den Geschäftsführern eingeräumte Frist von längstens drei Wochen dient der 12 Vorbereitung eines Insolvenzantrages und der Beseitigung des Insolvenzgrundes. Das setzt naturgemäß dessen Kenntnis voraus. Eine positive Kenntnis zu verlangen, würde bedeuten, einen Verstoß gegen die Antragspflicht nur bei vorsätzlichem Handeln zu sanktionieren. Die Haftung würde regelmäßig an der Beweisnot eines Gläubigers oder Insolvenzverwalters scheitern. Gleiches würde für die Fälle des § 64 S. 1 GmbHG gelten, der die Geschäftsführer zur Erstattung sämtlicher Zahlungen verpflichtet, die nach „Feststellung“ der Überschuldung geleistet werden, wenn hierfür positive Kenntnis erforderlich wäre. Für den Fristbeginn ausreichend ist deshalb bereits die bei Anwendung geschäfts- 13 männischer Sorgfalt (§ 43 Abs. 1 GmbHG) gegebene Erkennbarkeit des Insolvenzgrundes1, wobei den Geschäftsführer eine ständige Überprüfungspflicht trifft2. Die Erkennbarkeit wird vermutet, wenn der Insolvenzgrund objektiv eingetreten ist3. Der Geschäftsführer hat die Möglichkeit, diese Vermutung zu widerlegen4. Das gilt jedenfalls für die GmbH. Bei der AG knüpft eine verbreitete Auffassung an die positive Kenntnis des Insolvenzgrundes an5. Ein Unterschied zum Beginn der Antragspflicht des GmbH-Geschäftsführers ist jedoch nicht angezeigt und gegen sie spricht nunmehr auch die rechtsformübergreifende Regelung der Antragspflicht in § 15a Abs. 1 InsO, so dass der Berater vorsorglich auch bei der AG auf den Zeitpunkt der Erkennbarkeit abstellen sollte6. Allerdings bedeutet ein Abstellen auf die Erkennbarkeit, dass die Drei-Wochen-Frist 14 de facto leer läuft, weil in der Praxis die positive Kenntnis fast immer erst erlangt wird, wenn der Insolvenzgrund rückblickend längst erkennbar gewesen wäre und die Frist bereits verstrichen ist. Deshalb wird die Auffassung vertreten, dass das Dauerdelikt „Insolvenzverschleppung“ für die Zeit der Prüfung und/oder Durchführung von erfolgversprechenden Sanierungsmaßnahmen, längstens jedoch für drei Wochen ab positiver Kenntnis unterbrochen ist7. Der BGH stellt in seinem Grundsatzurteil aus 1994, in dem er die Haftung des Geschäftsführers gegenüber Neugläubigern aner-
1 BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 (Rz. 38); BGH v. 18.10.2010 – II ZR 151/09, ZIP 2010, 2400 Rz. 14. 2 BGH v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 Rz. 15; BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZInsO 2007, 660 Rz. 16, 17; BGH v. 1.3.1993 – II ZR 81/94, ZIP 1994, 891. 3 BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 (Rz. 38); BGH v. 18.10.2010 – II ZR 151/09, ZIP 2010, 2400 (Rz. 14). 4 BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 (Rz. 15); BGH v. 11.9.2000 – II ZR 370/99, ZIP 2000, 1896. 5 BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, NJW 1979, 1823 (1827); OLG Koblenz v. 5.11.2004 – 5 U 875/04, NZG 2005, 79 (81); Hüffer, AktG, § 92 Rz. 9 m.w.N. 6 So auch BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 (Rz. 15). 7 BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, NJW 1979, 1823 (für die AG); BGH v. 30.7.2003 – 5 StR 221/03, ZIP 2003, 2213; bestätigt durch BGH v. 9.8.2005 – 5 StR 67/05, ZIP 2005, 1678; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 64 Rz. 12 ff., allerdings zu Unrecht unter Berufung auf den BGH in Rz. 47.
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kannte, auf die für die Erkennbarkeit des Insolvenzgrundes und damit für den Haftungsbeginn auf die „damalige Sicht eines ordentlichen Geschäftsleiters“ ab1. Die Unterbrechung der einmal begonnenen Insolvenzverschleppung zum Zwecke der Prüfung und Sanierung hat der Gesellschaftsrechtssenat im Gegensatz zum 5. Strafsenat nach 1994 nicht anerkannt. Der BFH allerdings tendiert dazu, dem Geschäftsführer für drei Wochen ab Kenntnis einen Handlungsfreiraum zu gewähren2. Das ist jedoch kaum praktikabel; denn ein Geschäftsführer würde gegenüber jedem Gläubiger einwenden, ausgerechnet die in Rede stehende Verbindlichkeit sei während der drei Wochen begründet worden, während der er geprüft und zu sanieren versucht hätte. Da die Gläubiger untereinander nicht von Haftungsprozessen erfahren müssen, gibt es eine erhebliche Rechtsunsicherheit. Deshalb ist eine solche Unterbrechung abzulehnen3. 15 Nach der Erkennbarkeit des Insolvenzgrundes muss der Eröffnungsantrag spätestens innerhalb von drei Wochen gestellt werden. Der Wortlaut des § 15a Abs. 1 S. 1 InsO lässt keinen Zweifel daran, dass die drei Wochen eine Höchstfrist sind, die nur ausgenutzt werden darf, wenn es sich nicht als schuldhaftes Zögern darstellt. Dafür wiederum ist Voraussetzung, dass ernsthafte Sanierungsversuche unternommen werden, die geeignet sein müssen, innerhalb der drei Wochen die Insolvenzgründe zu beseitigen4. Selbst die aussichtsreichsten Sanierungsmaßnahmen gestatten dann keine Verzögerung, wenn entweder von vornherein nicht mit einem Erfolgseintritt innerhalb der drei Wochen zu rechnen ist oder wenn – bei ursprünglicher Erfolgsaussicht – diese drei Wochen ohne positives Ergebnis verstrichen sind, mag man den Erfolg in weiteren zwei Wochen auch für noch so sicher halten5. Ob das spätere Scheitern der Sanierung die von Anbeginn fehlende Erfolgsaussicht indiziert, ist höchstrichterlich bisher nicht entschieden worden. Zumindest wird den Geschäftsführer eine sekundäre Behauptungslast6 treffen. Für die Einhaltung der Sorgfalt hat es der BGH im Herstatt-Fall ausreichen lassen, dass die Sanierungsverhandlungen nicht von vornherein aussichtslos waren. Zwar wurde das mit den Besonderheiten einer Bankeninsolvenz wegen der einschneidenden Konsequenzen für die Allgemeinheit begründet7. Geringe Anforderungen an die Sanierungsaussichten nur bei „großen“ Schuldnern zu stellen, wäre aber verfehlt; denn im Gegenzug reduziert sich bei „kleinen“ Schuldnern das Schädigungspotential. Deshalb sollte man es für sämtliche Schuldner genügen lassen, dass eine Sanierung nicht von vornherein aussichtslos ist, um die Drei-WochenFrist ausschöpfen zu dürfen. In der Praxis steht ohnehin der Streit um den Zeitpunkt im Vordergrund, zu dem der Insolvenzgrund eingetreten ist. Das ist häufig lange, bevor sich die Geschäftsführer dessen bewusst sind. Verglichen damit fallen die drei Wochen, um die ein Antrag eventuell zu Unrecht verzögert werden könnte, meist nicht ins Gewicht. Der Geschäftsführer sollte seine Sanierungsverhandlungen dokumentieren, um bei einem späteren Streit hierüber nicht in Beweisnot zu kommen. Die oftmals von Geschäftsführern ins Feld geführten Verhandlungen mit Übernahmeinteressenten oder Banken über die Verlängerung eines Kredites genügen jedoch nur, wenn über allgemeine erste Gespräche hinaus konkrete Verhandlungen geführt wurden. Allein eine Anfrage bei einem möglichen Interessenten oder einer Bank kann nicht zur Exkulpation der Geschäftsführung führen.
1 BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, ZIP 1994, 1103. 2 BFH v. 4.12.2007 – VII R 18/06; BFH v. 19.9.2007 – VII R 39/05, BFH/NV 2008, 18; BFH v. 4.7.2007 – VII B 268/06, BFH/NV 2007, 2059; BFH v. 27.2.2007 – VII R 67/05, ZIP 2007, 1604. 3 Scholz/Bitter, GmbHG, Anh § 64 Rz. 30, 32 ff. 4 BGH v. 24.11.2012, ZIP 2012, 723 (Rz. 11); BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 112 = NJW 1979, 1823 (1827 f.), für AG, auf GmbH zu übertragen; BGH v. 2.10.2000 – II ZR 164/99, DStR 2001, 1537 (1538). 5 BGH v. 12.2.2007 – II ZR 308/05, ZIP 2007, 674. 6 S. dazu BGH v. 11.6.1990 – II ZR 159/89, NJW 1990, 3151. 7 BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96, 112.
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2. Erfüllung der Antragspflicht Natürliche Personen sind nicht gehalten, bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder 16 Überschuldung einen Insolvenzantrag zu stellen. Anders ist es wegen der beschränkten Haftung bei juristischen Personen. § 15a Abs. 1 S. 1 InsO verpflichtet „die Mitglieder des Vertretungsorgans“, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen. Adressat ist jedes einzelne Mitglied, unabhängig von einer Aufgabenverteilung untereinander1. Ob ein bereits vorliegender Gläubigerantrag von der Antragspflicht entbindet, ist umstritten. Für das Strafrecht wird das verneint2, für das Gesellschaftsrecht teilweise ebenfalls3, teilweise aber auch bejaht4. Der ablehnenden Auffassung ist zuzustimmen, denn ein Insolvenzantrag allein eines Gläubigers bedarf der Glaubhaftmachung und der Anhörung des Schuldners, § 14 InsO, verzögert also die Verfahrenseröffnung oder die Anordnung vorläufiger Maßnahmen gemäß §§ 21 f. InsO. Demgegenüber ist eine Glaubhaftmachung nicht erforderlich, wenn alle Geschäftsführer pflichtgemäß gemeinsam den Antrag stellen, § 15 Abs. 2 InsO. Es sind jedoch auch die Anforderungen des § 13 InsO über die mit dem Antrag einzureichenden Unterlagen zu beachten. In der Praxis wird der Antrag vom Gericht oftmals erst bearbeitet, wenn die entsprechenden Unterlagen eingereicht werden. Ohne die Unterlagen ist das Gericht bei Gesellschaften, die die Voraussetzungen des § 22a InsO für die Bestellung eines Pflichtgläubigerausschusses erfüllen nicht in der Lage, diesen ordnungsgemäß zu besetzen. Um Verzögerungen zu vermeiden, sollte die Geschäftsführung daher einen möglichst vollständigen Antrag einreichen. Andererseits reicht es aus, dass nur einer von mehreren Geschäftsführern den An- 17 trag stellt5. Das Gesetz verlangt nicht, dass er für die zwingenden Antragsgründe der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einzelvertretungsberechtigt ist. Allerdings ist dann der Insolvenzgrund glaubhaft zu machen, wenn der Antrag nicht von allen Mitgliedern des Vertretungsorgans eingereicht wird, § 15 Abs. 2 InsO. Ist das geschehen, befreit das auch die übrigen Geschäftsführer von der Antragspflicht. Der faktische Geschäftsführer6 unterliegt nach Auffassung des BGH ebenfalls der Antragspflicht des § 15a InsO7. Dasselbe gilt für den „Zölibatsgeschäftsführer“, der als Senior noch die Würde des Amtes genießen möchte, sich aber jeder Tätigkeit enthalten will.
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Der Insolvenzantrag ist bei dem für die Verfahrenseröffnung zuständigen Gericht ein- 19 zureichen. Ist der Schuldner selbstständig bzw. unternehmerisch tätig, richtet sich die örtliche Zuständigkeit nach dem Bezirk, in dem der wirtschaftliche Mittelpunkt dieser Tätigkeit liegt, ansonsten nach dem allgemeinen Gerichtsstand des Schuldners, §§ 3, 4 InsO, 13 ZPO (vgl. § 6 Rz. 56 ff.). Hat der Schuldner ausländische Aktivitäten im Geltungsbereich der EG-Verordnung über Insolvenzverfahren (EuInsVO), verdrängt deren Zuständigkeitsregelung die inländischen Vorschriften, Art. 102 § 1 EGInsO. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO bestimmt die Gerichte desjenigen Mitgliedstaates als zuständig, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat (vgl. § 18 Rz. 91 ff.). Zwar gilt die Vermutung, dass dieser Mittelpunkt am Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist. Sie ist jedoch widerlegbar. Geschieht dies, ist für eine in Deutschland eingetragene Gesellschaft die Zuständigkeit eines ausländischen Insolvenzgerichts begründet. Sie ist de facto eine ausschließliche, weil die Ausnahmeregelung des Art. 3 Abs. 4a EuInsVO (keine Zuständigkeit, wenn ein Verfahrens im Staat der hauptsächlichen Interessen unzulässig sein sollte) bei einem Eigenantrag nicht 1 BGH v. 1.3.1993 – II ZR 81/94, II ZR 61/92, ZIP 1994, 891. 2 BGH v. 28.10.2008 – 5 StR 166/08, ZIP 2008, 2308 (Rz. 22); BGH v. 6.10.1987 – I StR 475/87, GmbHR 1988, 195; OLG Dresden v. 16.4.1998 – 1 Ws 100/97. 3 Hachenburg/Ulmer, GmbHG, § 64 Rz. 30; Marsch-Barner/Diekmann in MüHdbGesR, Bd. 3, § 45 Rz. 74; a.A. Scholz/Bitter, GmbHG, Anh § 64 Rz. 35. 4 Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 64 Rz. 114 mwN. 5 Scholz/Bitter, GmbHG, vor § 64 Rz. 63 ff., Anh § 64 Rz. 35. 6 Zu den Voraussetzungen: BGH v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550; OLG München v. 8.9.2010 – 7 U 2568/10, ZIP 2010, 2295. 7 BGH v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550; BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, ZIP 2002, 848.
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relevant wird. Es gibt keinen Staat im Anwendungsbereich der EuInsVO, in dem die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über juristische Personen deutschen Rechts nicht möglich ist. 20 Mit dem beim zuständigen ausländischen Gericht eingereichten Insolvenzantrag erfüllt ein Geschäftsführer oder Vorstand seine Antragspflicht1. Würde man – ggf. zusätzlich – einen in Deutschland eingereichten Antrag verlangen, würde man den Geschäftsführer zu einem verfahrensmäßig rechtswidrigen Verhalten zwingen, was weder dem Gebot einer widerspruchsfreien Rechtsanwendung noch der gerade in Insolvenzsachen notwendigen Verfahrensbeschleunigung diente. 3. Konsequenzen der Säumnis 21 Die Nichterfüllung der Antragspflicht führt im Außenverhältnis zu Schadensersatzansprüchen sowohl der während der Verschleppung hinzukommenden Neugläubiger („Kontrahierungsschaden“) als auch der schon vorhandenen Altgläubiger, wenn deren Befriedigungsaussichten durch weitere Verluste geschmälert werden („Quotenschaden“). Im Innenverhältnis muss der Geschäftsführer vor allem masseschmälernde Zahlungen gemäß § 64 S. 1 GmbHG ersetzen, wobei diese Haftung schon mit der Erkennbarkeit des Insolvenzgrundes und nicht erst mit einer Verletzung der Antragspflicht beginnt. Auf die Einzelheiten wird nachfolgend eingegangen. Außerdem ist die Antragssäumnis auch eine grobe Verletzung der nach § 43 Abs. 1 GmbHG geschuldeten Sorgfalt, die einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung bildet. Sie kann auch später noch vom Insolvenzverwalter erklärt werden. Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt nicht vor Ende des pflichtwidrigen Verhaltens2. VI. Rechte und Pflichten nach Insolvenzantrag 1. Verfahrensrechtliche Stellung des Schuldners 22 Die Pflichten des Schuldners nach dem Eröffnungsantrag ergeben sich aus den §§ 20 ff., 80 ff., 97 f., 101 f. InsO. 23 Der gravierendste Einschnitt erfolgt, sobald das Insolvenzgericht Sicherungsmaßnahmen der in §§ 21 f. InsO genannten Art beschließt (vgl. § 6 Rz. 69 ff.). Regelmäßig geht dies mit einer Beschränkung der alleinigen Verfügungsbefugnis einher, sei es, dass Verfügungen nur noch mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters zulässig sind, sei es, dass auf den vorläufigen Verwalter die alleinige Verfügungsbefugnis übergeht, § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO. Ebenso wie nach Insolvenzeröffnung verliert der Schuldner in diesen Fällen bereits vorher die Möglichkeit, (allein) über Gegenstände der Insolvenzmasse zu verfügen bzw. Leistungen entgegenzunehmen, §§ 24, 81 f. InsO. Soweit ein Geschäftsbetrieb vorhanden ist, wird der (vorläufige) Verwalter aber regelmäßig den Geschäftsführer – falls er geeignet ist, sonst Mitarbeiter aus der „zweiten Reihe“ – im konkret definierten Umfang bevollmächtigen, die Erklärungen abzugeben. Häufig läuft der Betrieb „erst einmal so weiter“. Hierbei ist dringend anzuraten, dass die Kompetenz genau festgelegt wird, damit neue Gläubiger nicht auf die Eigenhaftung des Geschäftsführers als falsus procurator gemäß § 179 Abs. 1 BGB zurückgreifen können. Anders ist die Situation, wenn ein Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO oder ein vorläufiges Eigenverwaltungsverfahren nach § 270a InsO beantragt und vom Gericht angeordnet wird. In diesen Fällen wird von dem Gericht kein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, § 270a Abs. 1 S. 1 und § 270b Abs. 2 InsO. Das Gericht bestellt lediglich einen vorläufigen Sachwalter, § 270a Abs. 1 S. 2 und § 270b Abs. 2 S. 1 InsO. Der Sachwalter hat gemäß § 274 InsO die wirtschaftliche Lage zu prüfen und die Geschäftsführung zu überwachen. Er kann die Kassenführungsbefugnis an sich ziehen, § 270a Abs. 1 S. 2 iVm. § 275 Abs. 2 InsO und die Geschäftsführung soll Verbindlichkeiten nicht eingehen, wenn der vorläufige Sachwalter widerspricht, § 270a Abs. 1 S. 2 iVm. § 275 Abs. 1 InsO. Der Sachwalter ist damit allein Überwacher 1 AG Köln v. 10.8.2005 – 71 IN 416/05, ZIP 2005, 1566; Vallender/Fuchs, ZIP 2004, 829 (833 ff.); Wagner, ZIP 2006, 1934. 2 BGH v. 15.10.2007 – II ZR 236/06, ZIP 2008, 267; BGH v. 20.6.2005 – II ZR 18/03, ZIP 2005, 1365.
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der Handlungen der Geschäftsführung, darf aber selbst nicht den Geschäftsbetrieb fortführen. § 20 Abs. 1 InsO normiert eine Auskunfts- und, wie durch den Gesetzgeber klar- 24 gestellt wurde, Mitwirkungspflicht. Der Schuldner darf die Auskunft nicht etwa verweigern mit der Begründung, die Unterlagen befänden sich bei seinem Steuerberater1. Nach Anordnung der vorläufigen Verwaltung bestehen diese Pflichten nicht nur gegenüber dem Insolvenzgericht, sondern insbesondere auch gegenüber dem vorläufigen Verwalter. Gegenüber dem Gutachter, den das Gericht im Rahmen des § 5 InsO zur Ermittlung 25 des Insolvenzgrundes und der Verfahrenskostendeckung einschaltet, bestehen diese Verpflichtungen hingegen nicht. Seine Befugnisse gehen über die eines jeden Sachverständigen nicht hinaus, § 4 InsO, §§ 402 ff. ZPO2. Eine Delegation der Auskunftsberechtigung an den Gutachter ist vom Wortlaut des § 20 InsO nicht gedeckt. Bei renitenten Schuldnern führt das in der Praxis allerdings unverzüglich zur Anordnung von Sicherungsmaßnahmen, so dass ab dann die Auskunftsberechtigung des § 22 Abs. 3 InsO eingreift, so dass eine Verweigerungshaltung etwa aus der Überlegung heraus, man werde eine Insolvenzeröffnung noch vermeiden können, sinnlos ist. Der Schuldner bzw. Geschäftsführer hat weder einen Anspruch auf Vergütung noch auf Ersatz seiner Aufwendungen3; denn der Verpflichtete hat – auch wenn er nur angestellter Geschäftsführer ist – die Stellung als Partei, nicht als Zeuge, auf den das JVEG anwendbar wäre.
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Zur Durchsetzung der Obliegenheiten kann das Insolvenzgericht den Schuldner bzw. 27 Geschäftsführer zwangsweise vorführen und – nach Anhörung – in Haft nehmen lassen, § 98 Abs. 2 ZPO. Diese Maßnahmen stehen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, das dabei den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten muss4. In der Praxis bleibt es regelmäßig bei der zwangsweisen Vorführung zur Anhörung, so dass nur präsentes Wissen und Informationen aus mitgebrachten Unterlagen erfragt werden können. Eine Beugehaft mit dem Ziel, dass der Geschäftsführer Unterlagen zusammenstellen soll, ist außerordentlich selten. Meist lässt er sich dahingehend ein, dass Belege verschwunden seien oder ihm für die Ermittlung die erforderliche Sachkunde fehle, die begehrte Auskunft also auch nicht durch Druckmittel erhältlich sei. Zwar sind zu Lasten des Schuldners bzw. seiner Organe strenge Maßstäbe anzulegen5. Von ihnen darf jedoch nichts Unmögliches verlangt werden. Angesichts des mit einer Haft verbundenen Eingriffs in Grundrechte ist es verständlich, dass manche Insolvenzgerichte zurückhaltend sind. Die Mitwirkungspflicht umfasst auch die Erteilung von Vollmachten an einen vorläu- 28 figen Insolvenzverwalter, soweit dies zur Erreichung des vorläufigen Verfahrenszweckes erforderlich ist6. Dies ist beispielsweise für Einsichtnahmen in das Grundbuch der Fall. Eine allgemeine Mitarbeit bis hin zur Fortsetzung der Geschäftsführertätigkeit wird indes nicht geschuldet. Für natürliche Personen mag die Unterlassung allenfalls Konsequenzen im Rahmen der Restschuldbefreiung haben, vgl. § 290 Abs. 1 Nr. 7 InsO. Insbesondere aber für Mitglieder von Gesellschaftsorganen gibt es keine Tätigkeitspflicht. Ggf. müssen Mitarbeiter zu Lasten der Masse neu eingestellt werden. Die Grenze ist fließend. Vereinfachend formuliert erstreckt sich die geschuldete unentgeltliche Mitwirkung auf Vorbereitungsmaßnahmen, also auf die Beschaffung 1 2 3 4 5 6
MünchKommInsO/Schmahl/Vuia, § 20 Rz. 33. BGH v. 4.3.2004 – IX ZB 133/03, ZIP 2004, 915 f. Kayser in HK-InsO, § 97 Rz. 28. Zu den Voraussetzungen s. BGH v. 17.2.2005 – IX ZB 62/04, ZIP 2005, 722. MünchKommInsO/Schmahl/Vuia, § 20 Rz. 51. So BGH v. 18.9.2003 – IX ZB 75/03, ZIP 2003, 2123, zur Reichweite des § 97 InsO nach Verfahrenseröffnung mit der Begründung, der Schuldner hätte damit das Verwaltungs- und Verfügungsrecht über sein Vermögen verloren. Ähnlich wird im Eröffnungsverfahren argumentiert werden können, soweit der Schuldner wegen angeordneter Sicherungsmaßnahmen nicht mehr allein verfügen darf. Generell für eine Mitwirkungspflicht: Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, § 97 Rz. 16 ff.; a.A. Vallender, FS Uhlenbruck, S. 135, 140.
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und Zusammenstellung von Informationen über bisherige Entwicklungen, soweit sie als höchstpersönliche Tätigkeit zumutbar sind. Demgegenüber umfasst die Verwaltung neben allen künftigen Gestaltungsmaßnahmen auch die Beschaffung des „Organisationswissens“, mithin derjenigen Informationen, die höchstpersönlich zu ermitteln einem Geschäftsführer nicht mehr zumutbar ist. 29 Die Auskunftspflicht trifft auch ehemalige Mitglieder der Vertretungs- und Aufsichtsorgane, die nicht früher als zwei Jahre vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeschieden sind, § 101 Abs. 1, 2 InsO. Das gilt naturgemäß nicht für die Verpflichtung zur aktiven Verfahrensunterstützung gemäß § 97 Abs. 2 InsO. Sie kann nur von den gegenwärtigen Organmitgliedern erfüllt werden, § 101 Abs. 1 Satz 3 InsO. 30 Ein Zeugnisverweigerungsrecht steht den Organmitgliedern nicht zu, § 97 Abs. 1 Satz 2 InsO. Belastende Tatsachen dürfen jedoch für ein Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren nur mit Zustimmung des Schuldners bzw. Schuldnervertreters verwendet werden. Es handelt sich hierbei nicht bloß um ein Verwertungsverbot, sondern auch um ein Verbot, auf die offenbarten Tatsachen weitere Ermittlungen zu stützen. 31 Zum Kreis der Auskunftspflichtigen gehören ferner die gegenwärtigen und innerhalb der letzten zwei Jahre vor dem Antrag ausgeschiedenen Angestellten des Schuldners, § 101 Abs. 2 InsO, wobei ihnen allerdings das Zeugnisverweigerungsrecht bleibt. 32 Die Pflichten haben die Betroffenen persönlich zu erfüllen. Zwar ist es teilweise sogar sachlich geboten, dass ihnen gewisse Zeit zur Vorbereitung eingeräumt wird. Der anwaltliche Rat insbesondere an den Schuldner, nur schriftlich über den verfahrensbevollmächtigten Anwalt Anfragen des Gerichts oder des vorläufigen Verwalters zu beantworten, findet im Gesetz keine Grundlage. Das ist auch sachgerecht; denn häufig ergeben sich aus einer Auskunft Anschlussfragen, so dass ein schriftliches Verfahren zu Verzögerungen führt, die mit dem Charakter des vorläufigen Insolvenzverfahrens als eines Eilverfahrens nicht im Einklang stehen. Allerdings ist die Sanktion von Verstößen nur schwach; denn auch die Vorladung zur gerichtlichen Anhörung braucht Zeit, die kaum kürzer als die für den Schriftverkehr benötigte ist. Eine Haftanordnung wird in aller Regel unterbleiben, wenn der Schuldner zusagt, alsbald umfassend schriftlich Stellung zu nehmen. 33 Neben den aktiven Mitwirkungspflichten trifft den Schuldner bzw. seine Organe auch eine passive Unterstützungspflicht. So haben sie dem vorläufigen Verwalter1 Zutritt zu den Geschäftsräumen sowie Einsicht in die Bücher und Schriften zu gewähren, § 22 Abs. 3 InsO. Außerdem haben sie sich auf Anordnung des Gerichts jederzeit zur Verfügung zu halten, um ihre Auskunfts- und Mitwirkungspflichten zu erfüllen, § 97 Abs. 3 InsO. 34 Der Schuldner hat nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte. So kann er gegen Anordnungen des Gerichts in den Fällen vorgehen, in denen die InsO die sofortige Beschwerde ausdrücklich vorsieht, § 6 Abs. 1 InsO (vgl. § 6 Rz. 134 und § 16 Rz. 778 ff.). Das gilt namentlich für die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen, § 21 Abs. 1 InsO, die Verfahrenseröffnung, § 34 Abs. 1 und 2 InsO, sowie – hinsichtlich der Auskunfts- und Mitwirkungspflichten – für die Anordnung der Haft, § 98 Abs. 3 InsO. Besonders wichtig sind für kooperationswillige Schuldner die Informationsrechte. Einen allgemeinen Auskunftsanspruch gegenüber dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter sieht das Gesetz nicht vor, sondern gibt ihm als Verfahrensbeteiligten nur ein Recht auf Akteneinsicht, § 4 InsO i.V.m. § 299 ZPO. Das reicht nicht immer aus. Der Schuldner darf einen Insolvenzplan vorlegen, § 218 Abs. 1 InsO. Außerdem wird er vor einer Verfahrenseröffnung häufig noch bemüht sein, den Insolvenzgrund zu beseitigen. All das gelingt nur im laufenden Informationsaustausch, an dem einem (vorläufigen) Verwalter in der Praxis immer gelegen ist, muss er anderenfalls doch befürchten, dass Entscheidungen ohne Informationsaustausch mit dem Schuldner die Befriedigungsaussichten für die Gläubiger schmälern und deshalb zur Haftung führen. Verhält es sich ein-
1 Nicht dem Nur-Gutachter: BGH v. 4.3.2004 – IX ZB 133/03, ZIP 2004, 915 f.
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Rechte und Pflichten nach Insolvenzantrag
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mal anders, bleibt nur die Anrufung des Insolvenzgerichts, das im Rahmen der Aufsicht gemäß § 58 InsO den Verwalter insbesondere zur Unterstützung des Schuldners anhalten wird, soweit dies, wie im Falle eines beabsichtigten Insolvenzplanes, dem Verfahrenszweck dienen kann. Teilweise wird vertreten1, dass den Verwalter die Informationspflichten des § 51a GmbHG gegenüber den Gesellschaftern treffen. Dann dürfte auch die Informationspflicht des Verwalters gegenüber dem Geschäftsführer nicht geringer sein. Beides ist jedoch abzulehnen, ohne dass es auf den Theorienstreit ankommt, ob der Verwalter als Organ der Schuldnerin oder als Amtsträger anzusehen ist2; denn § 51a GmbHG dient dem mitgliedschaftlichen Eigeninteresse eines jeden Gesellschafters, um insbesondere die Ausübung des Stimmrechts vorzubereiten3. Demgegenüber sind ab Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung Grundlagenentscheidungen mit dem Insolvenzgericht bzw. den Gläubigern abzustimmen, §§ 22 Abs. 1 Nr. 2, 158 ff. InsO. Im Übrigen ist der Verwalter unabhängig, § 56 Abs. 1 InsO, und nur gegenüber den Beteiligten an die Pflichten gebunden, die sich aus der InsO ergeben, nicht aber – anders als ein Geschäftsführer, § 45 Abs. 1 GmbHG – an den Willen der Gesellschafter. Da es mithin an der Entscheidungskompetenz der Gesellschafter fehlt, bedarf es auch keines Auskunftsanspruchs direkt gegenüber dem Verwalter. Vielmehr müssen sie sich die Informationen beim Geschäftsführer beschaffen. Neben den Beschwerde- und Informationsrechten gibt es noch zahlreiche in der InsO 35 verstreut geregelte Teilhaberechte, von denen die bedeutsamsten das Widerspruchsrecht des Schuldners gegen angemeldete Forderungen (§§ 178, 201 Abs. 2 InsO), der Antrag auf vorläufige Untersagung von Verwaltermaßnahmen (§ 161 InsO) sowie einer Betriebsveräußerung unter Wert (§ 163 Abs. 1 InsO) und schließlich der Antrag auf Einstellung des Verfahrens (§ 212 InsO) sind. Daneben gibt es noch die Möglichkeit, bei der Erstellung des Vermögensverzeichnisses mitzuwirken (§ 151 Abs. 1 InsO) und in der Gläubigerversammlung zum Bericht des Verwalters Stellung zu nehmen (§ 156 Abs. 2 InsO), Befugnisse, von denen in der Regel kein Gebrauch gemacht wird, zumal der fortführungswillige Schuldner ohnehin ein eigenes Initiativrecht zur Vorlage eines Insolvenzplans hat (§ 218 Abs. 1 InsO), in dem die Vermögensverhältnisse und die Geschäftsentwicklung darzustellen sind (§ 220 InsO). 2. Organschaftliche Stellung des Geschäftsführers An der organschaftlichen Stellung des Geschäftsführers ändert sich mit dem Insol- 36 venzantrag oder der Verfahrenseröffnung nichts. Natürlich muss er wie ein Schuldner die Verfügungsbeschränkung beachten und den Auskunfts- bzw. Mitwirkungspflichten nachkommen (s. Rz. 22 ff.). An der Insolvenzmasse i.S.d. § 35 InsO bestehen nach der Eröffnung keine Befugnisse mehr, so dass auch Weisungsrechte der Gesellschafterversammlung diesbezüglich leer laufen. Dies kann sich aber ändern, wenn der Insolvenzverwalter einzelne Vermögensgegenstände aus dem Insolvenzbeschlag freigibt. Dann ist wieder das gesellschaftsrechtliche Vertretungsorgan für diese Vermögensgegenstände zuständig. In der Regel wird dies aber nicht vorkommen. Einzige Ausnahme sind oftmals Grundstücke und Immobilien, die durch den Verwalter wegen Altlastenbelastung oder überhöhter Wertvorstellungen der besicherten Gläubiger nicht verwertet werden können. Der Insolvenzverwalter entledigt sich dann oftmals seiner Zuständigkeit und Haftung durch die Freigabe. Soweit es aber die oben dargestellten Verfahrensrechte anbetrifft, hat der Geschäftsführer nach wie vor nur „geliehene Macht“, ist also der gesellschaftsrechtlichen Kompetenzordnung unterworfen. Praktisch relevant ist dies vor allem bei der Ausübung der Beschwerdebefugnis und im Insolvenzplanverfahren. An sich sind auch die im Gesellschaftsvertrag vorgesehenen Versammlungen einzuberufen, was in der Praxis selten geschieht, obwohl bspw. die Feststellungskompetenz für den Jahresabschluss gemäß § 46 Nr. 1 GmbHG weiterhin 1 OLG Hamm v. 25.10.2001 – 15 W 118/01, ZInsO 2002, 77; LG Wuppertal v. 10.12.2002 – 11 O 121/00, NJW-RR 2003, 332; zustimmend K. Schmidt, RWS-Forum 24, InsR 2003, S. 1928. 2 Zum Theorienstreit: Häsemeyer, InsR, Rz. 15.01 ff. 3 OLG Hamm v. 10.1.2008 – 15 W 343/07, ZIP 2008, 899; OLG Köln v. 21.11.2007 – 2 U 110/07, ZIP 2008, 1131; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 51a Rz. 1.
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bei der Gesellschafterversammlung liegt, während den Verwalter nach § 155 Abs. 1 InsO nur die Erstellungspflicht trifft – aber auch nur „in Bezug auf die Insolvenzmasse“. Diese Passivität der Gesellschafter liegt zum einen daran, dass schlichtweg kein Geld mehr vorhanden ist, um Einladungen zu verschicken und Versammlungen abzuhalten, zum anderen daran, dass auch die Finanzverwaltung in der Praxis für die Steuerveranlagung keine festgestellten Beschlüsse verlangt. 37 Die Ansprüche des Schuldners aus dem Geschäftsführeranstellungsvertrag gehören – in der Insolvenz des Geschäftsführers – nach Verfahrenseröffnung zur Insolvenzmasse, § 35 InsO. Deshalb steht die Kündigungsbefugnis auch nicht mehr den Gesellschaftern1, sondern gemäß § 80 InsO dem Insolvenzverwalter er Gesellschaft zu. Die gesellschaftsrechtliche Kompetenzordnung wird ferner durchbrochen bei der Durchsetzung von Ersatzansprüchen gegen den Geschäftsführer. Auch sie gehören zur Insolvenzmasse, so dass der Verwalter bei ihrer Realisierung nicht von einem Beschluss der Gesellschafterversammlung gemäß § 46 Nr. 8 GmbHG abhängig ist. 38 Anders verhält es sich hingegen mit der Organstellung. Sie unterliegt nicht dem Verfügungsrecht des Verwalters. Deshalb ist es weiterhin Sache der Gesellschafter, über die Abberufung zu entscheiden – falls der Geschäftsführer mangels Vergütung sein Amt nicht längst selbst niedergelegt hat. 39 Besonders virulent wird der Konflikt zwischen der gesellschafts- und der insolvenzrechtlichen Kompetenzzuweisung bei der Eigenverwaltung. Laut § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO ist Voraussetzung ihrer Anordnung, dass nach den Umständen keine Nachteile für die Gläubiger zu erwarten sind. Dieses Urteil wird maßgebend auf die handelnden Personen gestützt. In vielen Eigenverwaltungsfällen, insbesondere seit Einführung des Schutzschirm- und vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens wurden die entscheidenden Organmitglieder extra zu diesem Zweck berufen. Daraus wird gefolgert, die Befugnisse der Gesellschafterversammlung zur Abberufung von Organmitgliedern müssten beschnitten werden, damit den Entscheidungen des Insolvenzgerichts bzw. der Gläubigerversammlung nicht nachträglich durch eine Nichtgläubiger-Entscheidung der Gesellschafter der Boden entzogen wird2. Wollte man dem folgen, wäre dies wohl das Paradies für Fremdgeschäftsführer: Wirksame Sanktionen oder Weisungen durch das Organ, das sie berufen hat, finden nicht mehr statt. In diesem weit gesteckten Rahmen könnte das Management nach eigenem Gutdünken über u.U. erhebliches fremdes Vermögen schalten und walten. 40 Dass dies nicht angängig ist, liegt auf der Hand. Eigenverwalter ist der Schuldner, nicht das Vertretungsorgan3. Die Willensbildung muss sich nach wie vor in der für den Schuldner geltenden Kompetenzordnung vollziehen. Natürlich geht dies nur im Rahmen zwingenden Rechts, zu dem auch die Insolvenzordnung gehört. Dazu zählen insbesondere die ausdrücklich in der InsO formulierten Mitwirkungs- und Zustimmungsvorbehalte des Sachwalters, des Gläubigerausschusses sowie der Gläubigerversammlung, §§ 275 ff. InsO. Die Entscheidungen und Weisungen der Gesellschafter haben sich innerhalb dieser Grenzen zu halten. Sie müssen sich überdies an dem in § 1 InsO niedergelegten Verfahrenszweck ausrichten, die Gläubiger gleichmäßig und optimal zu befriedigen4. Ebenso wie dem Insolvenzverwalter gemäß § 60 InsO steht dabei auch den Gesellschaftern ein Ermessensspielraum zu. Diejenigen Beschlüsse aber, die diese Grenzen überschreiten, sind nichtig. Vorsorglich sollten Geschäftsführer dagegen Nichtigkeitsklage erheben, auch wenn deren Ergebnis für das Insolvenzverfahren als ein Eilverfahren regelmäßig zu spät kommt. Die Personalkompetenz bleibt zunächst bei den dafür zuständigen Gesellschaftsorganen. Ihr Beurteilungsspielraum darf nicht unter Berufung auf die Unabhängigkeit eines Insolvenzverwalters oder der allein dem Gericht bzw. den Gläubigern zustehenden Überwachungsund Abberufungskompetenz beschnitten werden. Das Gericht kann nur darüber be1 2 3 4
So außerhalb der Insolvenz: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 46 Rz. 27. Vgl. Prütting/Huhn, ZIP 2002, 777 ff. Uhlenbruck, FS Metzeler, 2003, 83 (99). Ringstmeier/Homann, NZI 2002, 406 ff.; Uhlenbruck, FS Kirchhof, S. 479 ff.; hinsichtlich Grundlagenentscheidungen: Noack, ZIP 2002, 1873 ff.
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finden, ob die personelle Zusammensetzung des Vertretungsorgans im Rahmen der Eigenverwaltung zum Nachteil für die Gläubiger führen wird (§ 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO) oder sich der Schuldner unter Umgehung der gerichtlichen Verwalterauswahl unangemessene Vorteile verschaffen will1. Daran knüpft die im Rahmen des ESUG eingefügte Vorschrift des § 276a InsO an, wonach die Gesellschafter nach Eröffnung des Eigenverwaltungsverfahrens keinen Einfluss mehr auf die Geschäftsführung des Schuldners nehmen können. Eine Abberufung und Neubestellung von Mitgliedern der Geschäftsleitung ist nur wirksam, wenn der Sachwalter zustimmt. Die Zustimmung ist nach § 276a S. 3 InsO zu versagen, wenn dies zu Nachteilen für die Gläubiger führt. VII. Haftung des Geschäftsführers wegen Insolvenzverschleppung 1. Überblick § 15a Abs. 1 InsO verpflichtet die Geschäftsführer, nach Eintritt des Insolvenzgrun- 41 des unverzüglich den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen, § 64 S. 1 GmbHG verbietet sämtliche Zahlungen, die nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar sind. Umstritten ist das Verhältnis beider Normen zueinander für den Fall, dass sowohl gegen die Antragspflicht als auch gegen das Auszahlungsverbot verstoßen wird. Nach Auffassung des BGH sind beide selbstständig anzuwenden2. Ein Verstoß gegen die Antragspflicht begründe eigenständige Rechtsfolgen sowohl im Außen- als auch im Innenverhältnis. Sie seien unabhängig von der in § 64 S. 1 GmbHG angeordneten Erstattungspflicht des Geschäftsführers, die nur im Innenverhältnis wirke. Dieser „Trennungstheorie“ der (neueren)3 Rechtsprechung und herrschenden Mei- 42 nung steht die in der Literatur teilweise vertretene „Einheitstheorie“ gegenüber. Danach verpflichten die Bestimmungen die Geschäftsführer zu einem einheitlichen Innenausgleich, während eine zusätzliche Haftung im Außenverhältnis gegenüber Neugläubigern entweder ebenfalls aus § 15a Abs. 1 InsO oder aus einer daneben bestehenden culpa in contrahendo (§ 311 Abs. 2 BGB) folgen könne. Neugläubiger sind diejenigen, die ihre Forderungen nach Eintritt des Insolvenzgrundes erworben haben. Die engagiertesten Verfechter dieser Auffassung sind K. Schmidt4 sowie Altmeppen5, die in den Einzelheiten jedoch deutlich dissentieren. Da ihre „Einheitstheorie“ trotz gegenteiliger Entscheidungen des BGH nach wie vor die Diskussion beeinflusst, soll sie unter Rz. 89 ff. gesondert dargestellt werden. 2. Außenhaftung nach der Rechtsprechung zu § 15a Abs. 1 InsO a) Entwicklung der Rechtsprechung Nach Ansicht des Reichsgerichts stellte die Antragspflicht des § 64 Abs. 1 GmbHG 43 a.F. (= § 15a Abs. 1 InsO) kein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB für die Gläubiger dar. Andernfalls wäre die Haftung des § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. (= § 64 S. 1 GmbHG) für die nach Eintritt des Insolvenzgrundes geleisteten Zahlungen überflüssig6. Im Gegensatz dazu sah der BGH in § 64 S. 1 GmbHG hingegen keine abschließende Regelung, weil ihm die Außenwirkung fehle7. Sie folge allein aus der Antragspflicht8. Deren Schutzzweck sei aber, so seine ständige Rechtsprechung bis 1994, nicht darauf ge1 AG Köln v. 22.8.2005 – 71 IN 426/05, ZInsO 2005, 1006 (1008). 2 BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, ZIP 2001, 235. 3 Anders noch BGH v. 16.12.1958 – VI ZR 245/57, BGHZ 29, 100 und evtl. BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, ZIP 1994, 1103. 4 K. Schmidt, GesR, § 36 II.4.-6.; K. Schmidt, ZIP 2005, 2177. 5 Altmeppen, ZIP 2001, 2201 ff. 6 RG v. 4.2.1910 – II ZR 255/09, RGZ 73, 30, 35. Mit derselben Begründung wird noch heute der Schutzgesetzcharakter des § 30 GmbHG abgelehnt, weil die Erstattungspflicht nach § 31 GmbHG abschließend sei, BGH v. 25.6.2001 – II ZR 38/99, ZIP 2001, 1458; BGH v. 19.2.1990 – II ZR 268/88, NJW 1990, 1725. 7 U.E. eine petitio principii. 8 BGH v. 21.10.1991 – II ZR 204/90, BGHZ 116, 7.
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richtet, Gläubiger vor einer Geschäftsbeziehung zur insolventen Gesellschaft zu bewahren, sondern eine weitere Schmälerung der Konkursmasse durch die Fortsetzung der Geschäftstätigkeit zu verhindern. Die Gläubiger hätten deshalb nur Anspruch auf den Ausgleich ihres sog. Quotenschadens. Das ist die Differenz zwischen der Quote, die sie erhalten hätten, wenn der Insolvenzantrag rechtzeitig gestellt worden wäre, und der Quote, die nunmehr tatsächlich an sie ausgeschüttet wird. 44 Ein über den Quotenschaden hinausgehendes Vertrauen in die Bonität der Gesellschaft sah der BGH allein nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo als geschützt an. Danach müsse ein Geschäftsführer haften, der aus wirtschaftlichem Eigeninteresse die Geschäftstätigkeit der insolventen Gesellschaft aufrechterhalte. Das Eigeninteresse wurde zunächst aus der maßgeblichen Beteiligung an der GmbH gefolgert1. Später wurde verlangt, dass der Geschäftsführer sich zusätzlich auch noch finanziell – meist in eigenkapitalersetzender Form (nach altem Recht) – engagierte2. Damit ging der Gläubiger beim Fremdgeschäftsführer oder Geschäftsführer ohne zusätzliches Engagement leer aus, falls nicht ausnahmsweise ein besonderer Vertrauenstatbestand und ein Eigeninteresse aus anderen Gründen vorlagen. 45 Die Wende kam 19943. Der BGH reduzierte die Vertrauenshaftung auf garantieähnliche Zusagen und erweiterte im Gegenzug den Schutzbereich des § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. (= § 15a Abs. 1 InsO), indem er dieser Norm jetzt doch einen Vertrauensschutz und nicht nur einen Quotenschutz beimaß. Dem Neugläubiger sei der Schaden zu ersetzen, der ihm dadurch entstehe, dass er in Rechtsbeziehung zu einer insolventen Gesellschaft getreten sei. Der Höhe nach entspreche das seinem negativen Interesse4. 1998 hat der BGH ergänzt, dass dieser Schaden nur durch die Neugläubiger und nicht durch den Insolvenzverwalter geltend gemacht werden dürfe5. Damit steht zugleich fest, dass die Belastung mit Neu-Verbindlichkeiten nach Auffassung des BGH und entgegen der teilweise in der Literatur vertretenen Ansicht (s. Rz. 89) nicht unter den Begriff der „Zahlung“ im Sinne des § 64 S. 1 GmbHG fällt6; denn die Ansprüche des § 64 S. 1 GmbHG gehören in die Masse (s.u. Rz. 97), wären also zumindest auf dieser Grundlage vom Verwalter durchsetzbar. b) Schaden vertraglicher Neugläubiger 46 Vertragliche Neugläubiger – das sind diejenigen, die ihren Anspruch nach Ablauf der Antragsfrist erworben haben – dürfen gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO nach dem Vorgenannten die Erstattung ihres negativen Interesses verlangen7, wobei der Anspruch nach §§ 195, 199 Abs. 1–3 BGB verjährt und nicht nach § 43 Abs. 4 GmbHG analog8. Sie können Ersatz des Vertrauensschadens verlangen, der dadurch entstanden ist, dass sie einer Gesellschaft im Vertrauen auf deren Solvenz noch Geld- oder Sachmittel zur Verfügung gestellt haben, ohne einen werthaltigen Gegenanspruch oder eine entsprechende Gegenleistung zu erlangen9. Dazu gehören auch die Rechtsverfolgungskosten10. Das negative Interesse ist nicht identisch mit dem positiven,
1 BGH v. 27.10.1982 – VIII ZR 187/81, ZIP 1983, 428. 2 BGH v. 8.10.1987 – IX ZR 143/86, WM 1987, 1431, 1432; BGH v. 2.3.1988 – VIII ZR 380/86, ZIP 1988, 505 (507). 3 Nach dem Vorlagebeschluss des BGH v. 20.9.1993 – II ZR 292/91, ZIP 1993, 1543 (1546). 4 BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, ZIP 1994, 1103 (1109 f.). 5 BGH v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, ZIP 1998, 776 (778). 6 Bestätigt durch BGH v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, ZIP 2000, 184; BGH v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006. 7 BGH v. 14.5.2012 – II ZR 130/10, ZIP 2012, 1455 (Rz. 15); BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 (Rz. 40). 8 BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 (Rz. 14 f.). 9 BGH v. 14.5.2012 – II ZR 130/10, ZIP 2012, 1455 (Rz. 13); BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 (Rz. 40); BGH v. 27.4.2009 – II ZR 253/07, ZInsO 2009, 1159 (Rz. 15). 10 BGH v. 14.5.2012 – II ZR 130/10, ZIP 2012, 1455 (Rz. 26); BGH v. 27.4.2009 – II ZR 253/07, ZInsO 2009, 1159 (Rz. 18, 19).
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das dem Forderungsausfall entspricht1. Die Forderung enthält Deckungsbeiträge, die der Gläubiger ohne den Vertrag mit dem Schuldner nicht erwirtschaftet hätte. Vereinfacht wird das als Kontrahierungsschaden bezeichnet, obwohl es nicht auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ankommt, sondern auf den der ungesicherten Vorleistung des Gläubigers2. Gelingt den Neugläubigern der Nachweis, dass sie wegen der Lieferung an den Schuldner dasselbe Geschäft mit einem Dritten unterlassen haben, entspricht das positive Interesse dem negativen Interesse3. Im Übrigen ist der entgangene Gewinn nicht erfasst4. Da sie als Gläubiger am Insolvenzverfahren teilnehmen, kann der Geschäftsführer Zug um Zug die Abtretung ihres Anspruches analog § 255 BGB verlangen5. Zur Durchsetzung der Forderung ist nach Auffassung des BGH nur der einzelne Neugläubiger, nicht aber der Insolvenzverwalter befugt6. Das gilt auch dann, wenn sämtliche Verbindlichkeiten erst während der Insolvenzverschleppungsphase entstanden sind, am Verfahren also nur Neugläubiger beteiligt sind7. Für Dauerschuldverhältnisse gelten im Vergleich zu Austauschverträgen keine Be- 47 sonderheiten. Maßgebend ist nicht, ob der Vertragsschluss nach dem Ablauf der Insolvenzantragsfrist stattfand, sondern ob der Gläubiger danach seine Vorleistung erbrachte. Er ist nur dann Neugläubiger, wenn er seine Leistung noch zurückhalten konnte8. Schwierigkeiten bereitet jedoch häufig der Nachweis der Kausalität. Allein die von der GmbH gezogene Nutzung einer Mietsache9 oder die in Anspruch genommene Arbeitskraft10 des Mitarbeiters stellen noch keinen ersatzfähigen Vermögenswert dar. Vielmehr muss nachgewiesen werden, dass die Mietsache während des Verschleppungszeitraumes anderweitig vermietet11 oder der Arbeitnehmer anderweitig beschäftigt12 worden wäre. Es besteht keine die Vermutung des § 252 Satz 2 BGB auslösende Wahrscheinlichkeit, dass Arbeitnehmer einer insolvent gewordenen GmbH sofort eine Beschäftigung bei einem anderen Unternehmen hätten finden können13. Es dürfte ausgesprochen selten sein, dass Vermieter oder Arbeitnehmer Konkurrenzangebote vorlegen können. In der Regel wird nur die Möglichkeit einer Schadensschätzung gem. § 287 ZPO bleiben. Einen wesentlichen Anhaltspunkt wird die Dauer bieten, die später für die Neuvermietung oder Arbeitsplatzsuche konkret aufgewendet wurde, wobei saisonale Besonderheiten (z.B. Baubranche im Winter) berücksichtigt werden müssen. An den Kausalitätsnachweis dürfen keine Anforderun1 BGH v. 8.3.1999 – II ZR 159/98, ZIP 1999, 967. 2 BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, ZIP 2007, 676; OLG Celle v. 5.12.2001 – 9 U 204/01, NZG 2002, 730. 3 BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 (Rz. 40); BGH v. 27.4.2009 – II ZR 253/07, ZInsO 2009, 1159 (Rz. 15, 16). 4 BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 (Rz. 40). 5 BGH v. 14.5.2012 – II ZR 130/10, ZIP 2012, 1455 (Rz. 27); BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 (Rz. 40); BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, ZIP 2007, 676 (Rz. 20); für volle Anrechnung der Quote bei dem vergleichbaren Fall einer Haftung des Insolvenzverwalters gemäß § 61 InsO: BGH v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, ZIP 2004, 1107 (1113). 6 BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, ZIP 2007, 676 Rz. 13; BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/01, NJW 1994, 2220; BGH v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, NJW 1998, 2667 (2668); kritisch: Poertzgen, DZWIR 2007, 101. 7 BGH v. 7.7.2003 – II ZR 241/02, ZIP 2003, 1713 m. Anm. K. Schmidt; OLG Karlsruhe v. 20.6.2002 – 19 U 150/01, ZIP 2002, 2001 f. 8 OLG Stuttgart v. 11.10.2012 – 13 U 49/12, ZInsO 2012, 2204; zur Abgrenzung siehe auch Bitter, ZInsO 2010, 1561 (1575). 9 Vgl. OLG Celle v. 13.7.2004 – 16 U 11/04, ZInsO 2004, 1030 zur ähnlich gelagerten Haftung des Insolvenzverwalters. 10 BGH v. 17.1.1995 – VI ZR 62/94, NJW 1995, 1023; vgl. BAG v. 19.1.2006 – 6 AZR 600/04, ZIP 2006, 1058 zu § 61 InsO. 11 OLG Celle v. 13.7.2004 – 16 U 11/04, ZInsO 2004, 1030 zu der gleichfalls auf das negative Interesse gerichteten Insolvenzverwalterhaftung gem. § 61 InsO. 12 LAG Köln v. 26.7.2006 – 8 Sa 1660/05, NZG 2007, 199; zur vergleichbaren Situation der Insolvenzverwalterhaftung: BAG v. 19.1.2006 – 6 AZR 600/04, ZIP 2006, 1058. 13 BGH v. 7.7.2003 – II ZR 241/02, ZIP 2003, 1713; LAG Köln v. 26.7.2006 – 8 Sa 1660/05, NZG 2007, 199.
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gen gestellt werden, die den Schadensersatzanspruch de facto leer laufen lassen1 und damit zu einer unbilligen Entlastung2 des Geschäftsführers führen würden. 48 Die Neugläubiger unterliegen nach allgemeinem Schadensersatzrecht der Schadensminderungspflicht nicht nur bei der Schadensentwicklung, sondern schon bei der Schadensentstehung. Musste ihnen bei Abschluss des Vertrages die Einbringlichkeit der Forderung gefährdet erscheinen, mindert sich ihr Schadensersatzanspruch gemäß § 254 BGB aufgrund eines Mitverschuldens3. c) Schutzbereich der Norm 49 Einschränkungen des Schadensersatzes gibt es durch den Schutzbereich der Norm4. Von ihm hängt es ab, ob auch diejenigen Schäden ersetzt werden sollen, die ohne Insolvenzverschleppung ebenfalls entstanden wären5. Das wird man verneinen müssen. Deshalb wird sich – allerdings entgegen dem BGH6 – der Geschäftsführer darauf berufen dürfen, dass z.B. Gewährleistungsansprüche wegen eines während der Verschleppungsphase abgewickelten Werkvertrages von der GmbH auch dann nicht hätten befriedigt werden können, wenn bei Zahlung des Aufraggebers noch kein Insolvenzgrund vorgelegen hätte bzw. wegen versteckter Mängel erkennbar gewesen wäre. Die Haftung soll nicht die vom Insolvenzgrund unabhängige Bonität der Gesellschaft verbessern. Ebenso wenig müssen Geschäftsführer für das betrügerische Verhalten eines Geschäftsführers einstehen, das nur gelegentlich der Insolvenzverschleppung begangen wurde, genauso aber auch ohne Verschleppung hätte auftreten können7. Der Schutzzweck erstreckt sich auch nicht auf den Schaden, der einem Arbeitnehmer in Gestalt der Uneinbringlichkeit eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung für die Zeit krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit entsteht8. 50 Umgekehrt wird der Schadensersatzanspruch des Gläubigers nicht dadurch gemindert, dass während der Insolvenzverschleppungsphase Zahlungen auf seine Altforderungen geleistet wurden, die er bei rechtzeitiger Antragstellung nicht erhalten hätte. Eine Saldoermittlung würde, so der BGH, bei wertender Betrachtungsweise „zu einer unbilligen, dem Zweck der Ersatzpflicht widersprechenden Entlastung der Schädiger“ führen9. 51 Nach dem Schutzbereich der Norm zu beantworten ist schließlich auch die Frage, ob eine einmal unternommene Insolvenzverschleppung den Geschäftsführer auf immer und ewig für neue Kontrahierungsschäden haften lässt, die eintreten, nachdem sich die Gesellschaft zwischenzeitlich erholt hatte, dann aber wieder in die Krise gerät. Bei einer reinen Kausalitätsbetrachtung wäre eine Haftung zu bejahen. Wäre nämlich der Antrag in der ersten Insolvenzsituation gestellt worden, wäre die Gesellschaft längst vom Markt verschwunden, der spätere Schaden hätte nicht mehr eintreten können. Der BGH hat einer solch ausufernden Haftung jedoch eine Absage erteilt. Der Geschäftsführer müsse in eigener Person sämtliche Pflichtverletzungen für die konkret in Rede stehende Insolvenzverschleppung erfüllen10, so dass insbesondere ein zu diesem Zeitpunkt schon ausgeschiedener Geschäftsführer nicht allein deshalb hafte, weil es unter seiner Verantwortung schon früher einmal eine Verschleppung gegeben habe. 1 Eine Beweiserleichterung hingegen ablehnen: LAG Köln v. 26.7.2006 – 8 Sa 1660/05, NZG 2007, 199. 2 Zu diesem Kriterium: BGH v. 12.3.2007 – II ZR 315/05, ZIP 2007, 1060. 3 BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, ZIP 1994, 1103; OLG Köln v. 27.1.2006 – 1 U 45/05, WM 2006, 2006. 4 Dazu BGH v. 14.5.2012 – II ZR 130/10, ZIP 2012, 1455 (Rz. 22); BGH v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, ZIP 2005, 1734. 5 Altmeppen, ZIP 2001, 2201 (2205), nennt als Beispiel giftiges Tierfutter, durch das die gesamte Herde des Neugläubigers vernichtet wird. 6 BGH v. 14.5.2012 – II ZR 130/10, ZIP 2012, 1455 (Rz. 24). 7 BGH v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, ZIP 2005, 1734. 8 BGH v. 20.10.2008 – II ZR 211/07, ZIP 2009, 366 (Rz. 3). 9 BGH v. 12.3.2007 – II ZR 315, 05, ZIP 2007, 1060, Hervorh. v. Verf. 10 BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, ZIP 2007, 676.
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d) Schaden gesetzlicher Neugläubiger In der weichenstellenden Entscheidung aus 1994 hatte der BGH ausdrücklich dahin- 52 stehen lassen, ob deliktische Gläubiger in den Schutzbereich des § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. (= § 15a InsO) einbezogen sind1. Er hat sich seither in zwei Urteilen mit der Haftung für die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung befasst (zur Haftung für die Arbeitnehmeranteile siehe unten Rz. 148 ff.). Auch hier blieb offen, ob die auf einem gesetzlichen Schuldverhältnis beruhenden Forderungen der Sozialversicherungsträger vom Schutzzweck des § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. erfasst sind. Die Haftung scheiterte nach Ansicht des BGH schon an dem Schadensnachweis2. In einem Urteil aus 2005 hat er hingegen ausgesprochen, dass der eine (faktische) Geschäftsführer nicht allein deshalb für das betrügerische und gemäß § 31 BGB der GmbH zuzurechnende Verhalten des anderen Geschäftsführer hafte, weil ein Insolvenzantrag versäumt wurde3; denn der Schutzbereich des § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. betreffe allein das Vertrauen in die Solvenz der GmbH, nicht aber die allgemeine Erwartung, der Geschäftsführer werde sich nicht strafbar verhalten. In gleicher Weise lehnt der Insolvenzrechtssenat für die ebenfalls auf den Ersatz des Vertrauensschadens gerichtete Insolvenzverwalterhaftung4 eine Einstandspflicht für gesetzliche Schuld der Prozesskostenerstattung ab5. Damit gilt generell, dass für den Geschäftsführer eine Haftung für gesetzliche Verbindlichkeiten (Delikt, Bereicherungsrecht, Steuerschuldverhältnis etc.) der GmbH, die während der Insolvenzverschleppung entstanden sind, unter dem Gesichtspunkt des § 15a InsO i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB nicht in Betracht kommt. Folgt man dem, könnte die Gefahr einer Schutzlücke für gesetzliche Gläubiger be- 53 stehen6: Einerseits darf der Insolvenzverwalter ihren Schaden nicht geltend machen, weil sie Neugläubiger sind. Andererseits liegt er nicht im Schutzbereich der Norm, weil der Anspruch auf einem gesetzlichen Schuldverhältnis basiert. Gleichwohl müssen sie nicht leer ausgehen; denn auch die Neugläubiger haben entgegen der apodiktischen Ablehnung im BGH-Urteil vom 30.3.19987 einen Quotenschaden8 (s. sogleich Rz. 56). Sie sind als Insolvenzgläubiger am Verfahren beteiligt, § 38 InsO (zur Rechtsstellung eines Insolvenzgläubigers vgl. § 6 Rz. 278 ff.). Falls sie infolge einer (weiteren) Insolvenzverschleppung eine geringere Quote erhalten, als sie bei rechtzeitiger Antragstellung bezogen hätten, können sie die Differenz als Schadensersatz bei den Geschäftsführern gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB, 15a InsO liquidieren. Dass ihnen dies de facto wenig hilft, weil sie den Quotenschaden kaum werden berechnen können, wurde schon der früheren Rechtsprechung entgegengehalten, begründet aber nur eine tatsächliche, keine rechtliche Schutzlücke. Einen Sonderfall bildet die Vernichtung von Aus- und Absonderungsrechten (vgl. § 7 54 Rz. 17 ff., 135 ff.) während der Insolvenzverschleppungsphase. Eine dafür eingreifende Haftung hatte der BGH früher zwar abgelehnt9. Damals hatte er jedoch noch die Quotenverschlechterung als einzige Schadensposition im Auge. Die Konsequenz der neuen Rechtsprechung müsste hingegen lauten, einen während der Verschleppung eintretenden Sicherungsverlust des Altgläubigers ebenso zu behandeln wie den Rechtsverlust des Neugläubigers. Anderenfalls würde eine Schutzlücke auftreten; denn das Aus- und Absonderungsgut ist nicht Bestandteil der Soll-Masse, deren Verwertungserlös später an alle Gläubiger gleichmäßig verteilt wird. Sie sind deshalb bei der Berechnung des Quotenschadens auch nicht zu berücksichtigen10 (s. sogleich). 1 BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, ZIP 1994, 1103 (1107). 2 BGH v. 7.7.2003 – II ZR 241/02, ZIP 2003, 1713; BGH v. 8.3.1999 – II ZR 159/98, ZIP 1999, 967; zur Problematik siehe Kiethe, ZIP 2003, 1957 ff. 3 BGH v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, ZIP 2005, 2019. 4 BGH v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, ZIP 2004, 1107 zieht ausdrücklich eine Parallele zu § 64 Abs. 1 GmbHG. 5 BGH v. 2.12.2004 – IX ZR 142/03, ZIP 2005, 131. 6 So K. Schmidt, ZIP 2003, 1715 f.; siehe dazu ferner: Bitter, ZInsO 2010, 1561 (1575). 7 BGH v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, ZIP 1998, 776 (777). 8 Fritsche/Lieder, DZWIR 2004, 93 (101 f.); K. Schmidt, ZIP 2003, 1715 f. 9 BGH v. 3.2.1987 – VI ZR 268/85, ZIP 1987, 509. 10 BGH v. 28.4.1997 – II ZR 20/96, ZIP 1997, 1542.
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Geschftsfhrerberatung
Um aber den Verlust von Aus- und Absonderungsrechten nicht sanktionslos zu stellen, bleibt nur die Möglichkeit, den Neugläubigerschaden ähnlich wie den Schaden des Gläubiger aus einem Dauerschuldverhältnis zu berechnen: Hätte der Geschäftsführer früher einen Insolvenzantrag gestellt, hätte der Gläubiger z.B. bei einer Forderungsabtretung die Einziehungsbefugnis oder z.B. bei einem Eigentumsvorbehalt die Weiterveräußerungsermächtigung widerrufen. Im Vertrauen auf die Solvenz der Gesellschaft hat er dies unterlassen. Sein Schadensersatzanspruch ist deshalb auch keiner, der auf Eigentumsverletzung gestützt wird, sondern auf enttäuschtes Vertrauen. 55 Von der Frage, ob der Verlust von Aus- und Absonderungsrechten überhaupt einen Schadensersatzanspruch gewähren kann, zu unterscheiden ist die Kausalität; denn häufig wäre der Rechtsverlust insbesondere beim Forderungsinkasso auch bei einem früheren Insolvenzantrag eingetreten, weil die Drittschuldner ihre Zahlungsweise nicht schnell genug umstellen. Deshalb wird man darauf abstellen müssen, wann sich ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit den Umständen hätte vertraut machen und das Sicherungsgut für die Aus- und Absonderungsgläubiger hätte verwalten können. Vor geraumer Zeit hat der BGH1 entschieden, dass ein Geschäftsführer selbst dann schadenersatzpflichtig werden kann, wenn er in der Phase vor der Insolvenzverschleppung es versäumt hatte, organisatorische Maßnahmen zu treffen, um verlängerte Eigentumsvorbehaltsrechte eines Lieferanten zu schützen2. Umstritten3 ist das Urteil deshalb, weil dem Geschäftsführer Organisationspflichten an sich nur im Innenverhältnis obliegen. Ihre Verletzung führt wegen des internen Charakters regelmäßig zu Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft, nicht aber auch außenstehender Dritter. Im „Kirch“-Fall hat der BGH allerdings jüngst den deliktischen Schutzcharakter interner Organisationspflichten bestätigt4. e) Schaden der Altgläubiger 56 Altgläubiger sind diejenigen, die schon zu Beginn der Insolvenzverschleppung persönliche Forderungen gegen den Schuldner hatten. Sie haben auch nach der Rechtsprechungsänderung nur einen Anspruch auf einen einheitlichen Quotenschaden als Differenz zwischen der Soll-Quote bei rechtzeitigem Antrag und der Ist-Quote5. Er ist – bezogen auf die Gruppe der Altgläubiger – ein Gesamtgläubigerschaden, den der Insolvenzverwalter gemäß § 92 InsO für die Altgläubiger geltend macht6. Da es sich um massefremde Rechte handelt, bilden nach allerdings umstrittener Ansicht7 die Erstattungsleistungen der Geschäftsführer eine Sondermasse, die nur zur Verteilung an die Altgläubiger verwendet werden darf. 57 Bei der Berechnung des Altgläubigerschadens muss eine hypothetische Ist-Masse (§ 35 InsO) bei rechtzeitigem Antrag ermittelt werden, die sodann um Soll-Aus- und Soll-Absonderungsrechte (abzüglich Kostenbeiträgen gemäß § 171 InsO) sowie um hypothetische Kosten und Masseverbindlichkeiten des Soll-Verfahrens gemäß §§ 54 f.
1 BGH v. 3.2.1987 – VI ZR 268/85, ZIP 1987, 509. 2 Ob diese Rechtsprechung aufrechterhalten wird, ist angesichts skeptischer Äußerungen des nunmehr zuständigen II. Zivilsenats ohnehin fraglich, vgl. BGH v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, DStR 1994, 1272 m. Anm. Goette. 3 Für eine Ausdehnung der Haftung Reiff/Arnold, ZIP 1998, 1893 (1898 f.); Kübler, ZGR 1995, 481 (486); Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 43 Rz. 41; Schüppen, DB 1994, 197 (203); a.A. Altmeppen, ZIP 1997, 1173 (1179); Haas, Geschäftsführerhaftung, S. 234 ff.; Lutter, ZIP 1997, 329 (333); Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, § 64 Rz. 16. 4 BGH v. 24.1.2006 – IX ZR 384/03, ZIP 2006, 317. 5 BGH v. 14.5.2012 – II ZR 130/10, ZIP 2012, 1455 (Rz. 13); BGH v. 1.3.1993 – II ZR 292/91, ZIP 1993, 763 (766). 6 BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, ZInsO 2007, 376 (Rz. 12); OLG Stuttgart v. 11.10.2012 – 13 U 49/12, ZInsO 2012, 2204. 7 Häsemeyer, InsR, Rz. 31.17; Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 92 Rz. 15 f.; MünchKommInsO/Brandes/Gehrlein, § 92 Rz. 11; die Regierungsbegründung spricht nur allgemein davon, dass der Anspruch zur „Insolvenzmasse“ gehöre, ohne auf die Frage nach einer Sondermasse einzugehen, RWS-Dok. 18, S. 271.
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Haftung des Geschftsfhrers wegen Insolvenzverschleppung
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InsO gekürzt und um hypothetische Haftungs-1 und Anfechtungsrechte des Soll-Verfahrens erhöht wird. Maßgebend sind jeweils die Realisationswerte, Forderungen also nur, soweit sie werthaltig sind. Die auf diese Weise ermittelte Teilungsmasse ist in Relation zu den damaligen Gesamtverbindlichkeiten zu setzen. Das Ergebnis ist die Quote des Soll-Verfahrens, die mit der mutmaßlichen Quote des Ist-Verfahrens verglichen wird. Die skizzierten Schritte zeigen, dass der Quotenschaden in der Praxis – wie bisher – 58 keine Rolle spielen wird. Selbst wenn ein Gericht großzügig von der Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO Gebrauch machen sollte2, bleiben Vorbereitungsaufwand und Prozessrisiken erheblich. Hinzu kommt, dass eine Insolvenzverschleppung vor allem von denjenigen begangen wird, die sich davon Vorteile versprechen. Das sind die Gesellschafter-Geschäftsführer, die meist auch noch gebürgt haben. Deren finanzielle Leistungsfähigkeit wird durch die Insolvenz ohnehin reduziert. Mit dem Quotenschaden für Altgläubiger konkurriert der Kontrahierungsschaden der Neugläubiger und der Ersatz von „Zahlungen“ im Sinne des § 64 S. 1 GmbHG. In der Regel wird es den Geschäftsführern unmöglich sein, sämtliche Ansprüche zu befriedigen. Also werden sich Neugläubiger und Insolvenzverwalter auf diejenigen Ansprüche konzentrieren, die am leichtesten durchzusetzen sind. Der Quotenschaden wird dann zurückgestellt. f) Schaden der Insolvenzmasse? Es gibt Masseminderungen, die nicht unter den Terminus der „Zahlung“ des § 64 S. 1 59 GmbHG fallen. Dazu zählen insbesondere die erst mit der Verfahrenseröffnung entstehenden Anfechtungsansprüche. Ihre Tatbestandsvoraussetzungen hängen u.a. davon ab, ob die fragliche Rechtshandlung innerhalb bestimmter Fristen vor dem Eröffnungsantrag erfolgte3 (vgl. zu den Einzelheiten § 10 Rz. 119 ff., 163 ff. zu den Anfechtungszeiträumen). Führt eine Insolvenzverschleppung dazu, dass Anfechtungsansprüche nicht mehr durchgesetzt werden können, benachteiligt das nicht nur die Altgläubiger, sondern sämtliche Gläubiger. Beispielsweise ist die Tilgung von Gesellschafterdarlehen nur anfechtbar, wenn sie innerhalb des letzten Jahres vor dem Insolvenzantrag stattfand, § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO (vgl. § 10 Rz. 228 ff.). Verstreicht der Anfechtungszeitraum durch die Insolvenzverschleppung, stellt sich die Frage, ob dies ein Gesamtgläubigerschaden ist, den der Insolvenzverwalter gemäß § 92 InsO geltend machen darf. Der BGH hat bisher offen gelassen, ob auch die Insolvenzmasse durch § 15a InsO 60 i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB geschützt ist4. Das zu bejahen, könnte bedeuten, die Konturen zwischen Alt- und Neugläubigerschaden zu verwischen; denn die nicht durch eine „Zahlung“ i.S.d. § 64 S. 1 GmbHG verursachte Masseschmälerung während der Insolvenzverschleppung wird über § 15a InsO als Quotenschaden der Altgläubiger liquidiert. Ein daneben bestehender Schutz der Insolvenzmasse könnte überflüssig sein. Zur Insolvenzanfechtung hat es der BGH abgelehnt, die Verzögerung des Insolvenz- 61 antrages als eine Rechtshandlung anzusehen, deren Anfechtung den Gläubiger so stellt, als sei die ihm Befriedigung gewährende Rechtshandlung noch innerhalb der Anfechtungsfrist erfolgt. Es gibt keine vorgelagerte Anfechtung des Ablaufs der Anfechtungsfrist5. Dies beruhte nicht etwa auf einer Verneinung der Gläubigerbenachteiligung, sondern nur darauf, dass aus Gründen der Rechtssicherheit für die Fristberechnung allein auf § 139 InsO (Eingang des Insolvenzantrages) abgestellt werden müsse. Deshalb ist es durchaus denkbar, im Rahmen von § 15a InsO das Verstreichen der Anfechtungsfristen als eigenen Schaden anzuerkennen. 1 Offen gelassen für Haftungsansprüche gegen den Geschäftsführer wegen Insolvenzverschleppung: BGH v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, ZIP 1998, 776 (778). 2 BGH v. 24.5.1993 – II ZR 36/92, NJW 1993, 2101 (21039); Musielak/Foerste, ZPO, § 287, Rz. 1 f. 3 Z.B. §§ 130 f., 135 InsO i.V.m. § 32b GmbHG. 4 BGH v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, ZIP 1998, 776 (780). 5 BGH v. 10.2.2005 – IX ZR 211/02, ZIP 2005, 494.
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62 Gleichwohl ist Zurückhaltung geboten. Die Insolvenzmasse ist kein Rechtssubjekt. Die Haftung des Geschäftsführers für eine massemindernde Auszahlung gemäß § 64 S. 1 GmbHG zeigt zwar, dass die Masse geschützt wird, obwohl der Rechtsträger – die GmbH – keinen Schaden erleidet; denn die Zahlung z.B. einer Verbindlichkeit schmälert das Reinvermögen der GmbH nicht. Die Haftung allein für den Verlust von Anfechtungsrechten würde jedoch eine Ausweitung des § 64 S. 1 GmbHG um Vorgänge bedeuten, die sich nicht mehr unter den Begriff der Auszahlung subsumieren lassen. An dem Wortlaut hat der BGH z.B. auch die Begründung neuer Verbindlichkeiten als i.S.v. § 64 S. 1 GmbHG ersatzpflichtig scheitern lassen1. 63 Kommt somit § 64 S. 1 GmbHG nicht zur Anwendung, bleibt nur, den Masseschaden über § 15a InsO i.V.m. § 823 Ab. 2 BGB zu liquidieren. Für die Schadensberechnung sind die allgemeinen Vorschriften einschlägig. Erforderlich ist ein Saldenvergleich mit und ohne schädigendes Ereignis. Einzelne Vermögensgegenstände wie z.B. verlorene Anfechtungsmöglichkeiten dürfen nicht isoliert betrachtet werden. Die Vorgehensweise entspricht derjenigen bei der Ermittlung des Quotenschadens für die Altgläubiger. Wenn stattdessen der Masseschaden betrachtet wird, so steht dahinter die Überlegung, dass auch die Neu- und vor allem die Massegläubiger an der durch Schadensersatzansprüche angereicherten Masse partizipieren sollen. Für die Neugläubiger besteht durchaus neben dem Anspruch auf Ersatz des Kontrahierungsschadens ein Schutzbedarf, weil sie nur durch eine Anreicherung der Masse eine Zahlung auf die Deckungsbeiträge (entgangene Gewinne) erhalten, die der Geschäftsführer bei einer Insolvenzverschleppungshaftung nicht ersetzen muss. Darüber hinaus kann auch den Massegläubigern an einer Erhöhung der Masse durch die Haftung für verschleppungsbedingten Rechtsverlust gelegen sein. Zu denken ist beispielsweise an Arbeitnehmer oder Vermieter, deren Ansprüche für die Zeit nach Insolvenzeröffnung bis zum Ablauf der Kündigungsfristen Masseschulden darstellen, auf die wegen Masseunzulänglichkeit häufig keine Zahlung zu erwarten ist. 64 Solange der BGH jedoch an der strikten Trennung zwischen Kontrahierungsschaden für die Neugläubiger einerseits und Quotenschaden für die Altgläubiger andererseits festhält, ist es für die Praxis nicht von Vorteil, eine zusätzliche Schadenskategorie einzuführen. g) Haftung gemäß § 15a InsO nach Antragstellung? 65 Mit dem wirksamen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat der Geschäftsführer seine Pflicht erfüllt. Bis zur Entscheidung des Gerichts über die Verfahrenseröffnung oder die Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters vergeht jedoch geraume Zeit. In dieser Phase eintretende Neugläubiger sind nicht mehr durch § 15a InsO geschützt. Ab einem wirksamen Antrag liegt ihr Schutz in der Hand des Insolvenzgerichtes. Daneben trifft die Geschäftsführer nur noch die „normale“ deliktische Haftung insbesondere im Zusammenhang mit einem Eingehungsbetrug. Nach einem Insolvenzantrag kann der Geschäftsführer sich gegenüber einem auf Kredit leistenden Lieferanten nicht mehr damit entschuldigen, er hätte darauf vertraut, dass neu eingegangene Verbindlichkeiten bezahlt werden. h) Gläubiger mit und nach Verfahrenseröffnung 66 Massegläubiger sowie Insolvenzgläubiger, die ihren Anspruch erst mit (vgl. § 103 Abs. 2 InsO) oder nach der Verfahrenseröffnung erwerben, sind unmittelbar nicht geschützt2, weil ihre Rechtsposition nicht auf einer Verzögerung des Insolvenzantrages beruht (zu den Neumasseverbindlichkeiten vgl. § 14). Das gilt u.a. für die Bundesanstalt für Arbeit, auf die die Ansprüche der Arbeitnehmer durch die Zahlung des In-
1 BGH v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, ZIP 1998, 776. 2 BGH v. 19.2.1990 – II ZR 268/88, BGHZ 110, 342 (361).
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Haftung des Geschftsfhrers wegen Insolvenzverschleppung
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solvenzgeldes übergehen1. In Betracht kommt hier aber eine Haftung gemäß § 826 BGB2. 3. Innenhaftung nach der Rechtsprechung zu § 64 S. 1 GmbHG a) Haftungsbeginn Während die Insolvenzverschleppungshaftung des § 15a InsO erst beginnt, wenn 67 nicht unverzüglich, spätestens aber innerhalb von drei Wochen nach Eintritt des Insolvenzgrundes der Eröffnungsantrag gestellt wird, greift das Zahlungsverbot des § 64 S. 1 GmbHG sofort ein3. Der Wortlaut verlangt für die Überschuldung zwar deren „Feststellung“ und lässt nur für die Zahlungsunfähigkeit den „Eintritt“ ausreichen. Das eine ist jedoch zu spät und das andere zu früh. Weder darf gewartet werden bis zu einer positiven Feststellung des Insolvenzgrundes, noch kann gehaftet werden, wenn ein Insolvenzgrund zwar objektiv eingetreten ist, aber noch nicht bekannt sein konnte (z.B. Zahlungsausfall wegen noch nicht bekannter Insolvenz eines Großkunden). Das Bindeglied zwischen beiden Zeitpunkten ist das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der den Geschäftsführern obliegenden „Pflicht zur ständigen Selbstprüfung“ in der Krise4. Maßgebend für die Antragspflicht und das Zahlungsverbot ist nach umstrittener Auffassung5 (Rz. 82) die Erkennbarkeit des Insolvenzgrundes. Auf die darin einfließenden subjektiven Merkmale wird im Rahmen des Verschuldens noch eingegangen werden (Rz. 102 ff.). Zunächst sollen die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen und anschließend die Kriterien für die Sorgfaltsausnahme laut Satz 2 des § 64 GmbHG erläutert werden: b) Zahlung aa) Haftungszweck § 64 S. 1 GmbHG verpflichtet die Geschäftsführer zum Ersatz aller Zahlungen, die sie 68 nach dem erkennbaren Eintritt der materiellen Insolvenz vorgenommen haben und die nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar sind. Die Vorschrift soll eine Masseminderung verhindern6 und dadurch mittelbar die Gläubiger schützen. Bei dem Ersatzanspruch handelt es sich „der Sache nach um eine Haftung gegenüber der Gläubigergesamtheit, die bei verspäteter Konkursanmeldung durch eine Verminderung der Konkursmasse in Folge zwischenzeitlicher Befriedigung einzelner Gläubiger benachteiligt ist, wogegen die Gesellschaft selbst keinen Schaden hat, weil lediglich ihre Schulden bezahlt werden“7. Das buchhalterische Reinvermögen als Saldo von Aktiva und Passiva bleibt durch die Schuldentilgung unverändert. Deshalb sei, so der BGH, die Vorschrift auch „keine Schadensersatznorm, sondern enthält einen Ersatzanspruch eigener Art. Er ist seiner Natur nach darauf gerichtet, das Gesellschaftsvermögen wieder aufzufüllen, damit es im Insolvenzverfahren zur ranggerechten und gleichmäßigen Befriedigung aller Gesellschaftsgläubiger zur Verfügung steht“8. Dies ähnelt einer Drittschadensliquidation mit der Besonderheit, dass nur kalkulatorisch der Schaden der im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung vorhandenen Gläubiger ausgeglichen wird, was sich daran zeigt, dass die Erstattungsbeträge für (neue) Masseverbindlichkeiten verwendet werden dürfen. Je 1 BGH v. 26.6.1989 – II ZR 289/88, BGHZ 108, 134 (136). 2 BGH v. 18.12.2007 – VI ZR 231/06, ZIP 2008, 361. 3 BGH v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 (Rz. 12); BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265; Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG, § 64 Rz. 67. 4 BGH v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, ZIP 2012, 1557 (Rz. 11, 13); MünchKommGmbHG/Fleischer, § 43 Rz. 63. 5 BGH v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, ZIP 2012, 1557 (1558); Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG, § 64 Rz. 84; Roth/Altmeppen, GmbHG, Vor § 64 Rz. 69 ff.: Beginn mit Erkennbarkeit, aber Unterbrechung für drei Wochen, wenn ab Kenntnis Sanierungsmaßnahmen ergriffen werden. 6 BGH v. 25.1.2010 – II ZR 258/08, ZIP 2010, 470 (Rz. 10); BGH v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 (Rz. 12). 7 BGH v. 18.3.1974 – II ZR 2/72, NJW 1974, 1088 (1089). 8 BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, ZIP 2001, 235 (239); s. ferner: BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 (Rz. 20) m.w.N.
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Geschftsfhrerberatung
nach Höhe dieser neuen Verbindlichkeiten kann es also sein, dass der Geschäftsführer „Millionen“ erstattet, der Insolvenzgläubiger aber gleichwohl keine Quote erhält1. Der „Dritte“ wird vielmehr normativ definiert als die künftige Insolvenzmasse im Sinne des § 80 Abs. 1 InsO. Geschützt wird dadurch letztlich ab Beginn der materiellen Insolvenz der Vorrang der insolvenzrechtlichen Verteilungsregeln2 vor der individuellen Verteilungsentscheidung des Geschäftsführers. bb) Verfügung vs. Verpflichtung 69 Diesem Zweck entsprechend ist der Terminus „Zahlung“ weit auszulegen3. Darunter fällt jede Verfügung über Aktiva, und zwar nicht nur durch Geld- und Geldersatzleistungen (z.B. Schecks), sondern auch durch die Weggabe sämtlicher Vermögensgegenstände, die im Insolvenzverfahren die Masse gemehrt hätten4. Dazu gehören insbesondere auch Lieferungen aus dem Vermögen der Gesellschaft. Keine „Zahlung“ ist die Eingehung von Verbindlichkeiten5, weil das die künftige Insolvenzmasse nicht berührt. Das hat insbesondere Konsequenzen für die Zahlung alter Schulden aus dem Kontokorrentkredit. Während die Gläubigerbefriedigung einen Verstoß gegen § 64 S. 1 GmbHG darstellt, wenn sie aus dem Vermögen der GmbH erfolgt, soll es haftungsunschädlich sein, wenn derselbe Vorgang unter Inanspruchnahme eines Kredits stattfindet. Vielmehr handelt es sich dann um einen bloßen Gläubigeraustausch, was nach Auffassung des Gesellschaftsrechtssenats des BGH nur zur Haftung dem neuen Gläubiger gegenüber (s.o. Rz. 43 ff.) führen kann, nicht aber zur Innenhaftung gemäß § 64 S. 1 GmbHG, es sei denn, dass die neue Verbindlichkeit am Vermögen der GmbH besichert ist6. Dann ist der Vorgang so zu behandeln wie eine Befriedigung des Altgläubigers mit Hilfe dieser neu belasteten Vermögensgegenstände. 70 Demgegenüber bejaht der Insolvenzrechtssenat des BGH bei der Insolvenzanfechtung eine Gläubigerbenachteiligung auch dann, wenn die angefochtene Zahlung unter Inanspruchnahme eines vereinbarten Festbetrags- oder Kontokorrentkredits erfolgt7 und auch bei einer Überziehung des Kontokorrentkredits8. Dahinter steht die Überlegung, dass die Ansprüche des Schuldners aus einer ihm von der Bank eingeräumten Kreditlinie pfändbar sind. Zwar sei die Entscheidung über die Inanspruchnahme des Kontokorrentkredits höchst persönlich. Sie unterliege nicht der Pfändung und könne somit nicht vom Gläubiger getroffen werden. Sobald aber der Schuldner diese Entscheidung durch Einreichung eines Überweisungsauftrages getroffen habe, werde der dadurch entstehende Auszahlungsanspruch von der zuvor ausgebrachten Pfändung erfasst. Bei der geduldeten Überziehung gelte dasselbe, da ansonsten die Anfechtungstatbestände der §§ 133 Abs. 1, 131 Abs. 1 Nr. 3 InsO versagten und weil der Begriff der Gläubigerbenachteiligung nicht zu sehr verengt werden dürfe.
1 Unzutreffend ist deshalb die von K. Schmidt z.B. in K. Schmidt/Uhlenbruck, GmbH in der Krise, Rz. 1885 vertretene Auffassung, § 64 S. 1 GmbHG sei der Urvater des § 92 InsO; denn im Rahmen des § 92 InsO macht der Verwalter ein fremdes Recht geltend, muss den Betrag also über die Bildung einer Sondermasse an den Berechtigten auskehren und darf ihn nicht für Masseverbindlichkeiten verwenden. 2 BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, ZIP 2001, 235; BGH v. 18.4.2005 – II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026; Goette, DStR 2003, 887 (893). 3 BGH v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, ZIP 2000, 184 (185); Schulze-Osterloh, FS Bezzenberger, S. 415, 426, mit ausführlicher Begründung der Ablehnung der noch weiter gefassten Auffassung von Altmeppen und Wilhelm. Zum Begriff der Zahlung siehe auch Bitter, ZInsO 2010, 1505 (1514 f.). 4 Wird die Masse nicht geschmälert, liegt auch kein Verstoß gegen § 64 S. 1 GmbHG vor, vgl. LG Berlin v. 24.10.2001 – 26 O 285/01, ZInsO 2002, 242. 5 BGH v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, ZIP 1998, 776. 6 BGH v. 25.1.2010 – II ZR 258/08, ZIP 2010, 470 (Rz. 10); BGH v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006; BGH v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, ZIP 2000, 184; offen gelassen hingegen bei BGH v. 11.9.2000 – II ZR 370/99, ZIP 2000, 1896. 7 BGH v. 7.2.2002 – IX ZR 115/99, ZIP 2002, 489; BGH v. 17.6.1999 – IX ZR 62/98, ZIP 1999, 1271. 8 BGH v. 6.10.2009 – IX ZR 191/05, ZIP 2009, 2009 (Rz. 11 f.); anders noch BGH v. 11.1.2007 – IX ZR 31/05, NZI 2007, 225 m. Anm. Spliedt.
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Haftung des Geschftsfhrers wegen Insolvenzverschleppung
Rz. 74
§2
An dieser Rechtsprechung zur Insolvenzanfechtung wird deutlich, dass Auszahlungs- 71 ansprüche insolvenzrechtlich selbst dann als „Masse“ anzusehen sind, wenn dadurch eine (Kredit-)verbindlichkeit entsteht. Voraussetzung ist nur, dass der Schuldner bspw. die Leistung des Gläubigers – also die Entstehung der Verbindlichkeit ihm gegenüber – verlangen kann. Das ist auch angemessen; denn einen Kontokorrentkredit kann der Schuldner für masseerhaltende Vorgänge (z.B. Kauf von Vorräten zur Aufrechterhaltung der Produktion) bei den lediglich ein Aktivtausch stattfindet, in Anspruch nehmen. Verwendet er ihn stattdessen zur Zahlung einer Altforderung, ist es ein Verstoß gegen die insolvenzrechtlichen Verteilungsregeln, die von § 64 S. 1 GmbHG geschützt wird. Ebenso wie die Anfechtung dient auch diese Haftung der Gläubigergleichbehandlung1. Der Gesellschaftsrechtssenat setzt sich nicht mit der Rechtsprechung des Insolvenzrechtssenats auseinander, so dass unklar bleibt, warum beide ein unterschiedliches Verständnis von dem Begriff der „Masse“ haben, deren gleichmäßige Verwendung zum Wohle aller Gläubiger sowohl gesellschafts- als auch anfechtungsrechtlich gesichert werden soll. Statt die (Wieder-)Inanspruchnahme einer (ggf. überzogenen) Kreditlinie als Zah- 72 lung i.S.v. § 64 S. 1 GmbHG anzusehen, stellt der Gesellschaftsrechtssenat auf den Geldeingang ab. Er behandelt die Eingänge auf einem debitorisch geführten Konto als Zahlungen gemäß § 64 S. 1 GmbHG, weil dadurch der Saldo reduziert, die Forderung der Bank aus dem Kontokorrentkreditverhältnis mithin zurückgeführt wird2. Das gilt sowohl für Überweisungseingänge – vorausgesetzt natürlich, dass der Geschäftsführer sie hätte verhindern können – als auch für die Einreichung von Kundenschecks3 zur Gutschrift auf diesem Konto. Die Behandlung der Zahlungseingänge steht ebenfalls im Gegensatz zur Auffassung des IX. Zivilsenats bei der Anfechtung. Er behandelt die Saldorückführung als unanfechtbares Bargeschäft, wenn die Bank weiterhin Verfügungen zulässt und sich dadurch Masseminderung sowie Masseerhöhung ausgleichen4. Die Konsequenz der unterschiedlichen Senatsauffassungen ist, dass der Geschäfts- 73 führer im Innenverhältnis für die Einzahlung auf ein debitorisch geführtes Konto nach § 64 S. 1 GmbHG haftet, ohne dass der Schaden wie im „Normalfall“ der Bezahlung von Altforderungen durch eine anfechtungsrechtliche Erstattungspflicht – das Vorliegen der sonstigen Anfechtungsvoraussetzungen einmal unterstellt – der Bank beseitigt werden kann. Umgekehrt haftet der Geschäftsführer nach § 64 S. 1 GmbHG nicht für die Auszahlung zur Befriedigung eines Altgläubigers, weil es sich um einen bloßen Gläubigeraustausch handelt. Dem begünstigten Gläubiger gegenüber aber greift wiederum die Anfechtung ein. Parallel trifft den Geschäftsführer im Außenverhältnis die Haftung gegenüber der Bank als (wieder) neue Gläubigerin, weil ihre Forderung wieder erhöht wurde. Denkbar wäre zwar, nunmehr wie bei der Insolvenzanfechtung, die vorangegangene Überweisung etc. als einen Ausgleich – anfechtungsrechtlich also als Bargeschäft – für die folgende Kreditinanspruchnahme anzusehen; denn immerhin verändert sich der Saldo nur um die Differenz zwischen Ein- und Auszahlung. Nur in dieser Höhe erleidet die Bank bei einer Gesamtbetrachtung einen Schaden. Diesen Einwand zu erheben, versagt der Gesellschaftsrechtssenat aber dem Geschäftsführer mit Blick auf den Schutzbereich der Norm5. Damit ist die Parallelität von Geschäftsführerhaftung und Insolvenzanfechtung für 74 den wichtigen Fall der Zahlungsabwicklung über ein Konto gestört6. Diese Paralleli1 2 3 4
Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 64 Rz. 42. BGH v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006 (Rz. 12). BGH v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, ZIP 2000, 184. BGH v. 17.6.2004 – IX ZR 2/01, ZIP 2004, 1464; BGH v. 1.10.2002 – IX ZR 360/93, ZIP 2002, 2182; BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 223/01, ZIP 2002, 812. 5 BGH v. 12.3.2007 – II ZR 315/05, ZIP 2007, 1060; kritisch: Geißler, NZG 2007, 645 ff. 6 Marotzke, ZInsO 2007, 897 (904) rechtfertigt das damit, dass ein Anfechtungsgegner auch bei der Zahlung durch Inanspruchnahme eines Kredits etwas erlangt und deshalb auch etwas zurückführen muss. Demgegenüber soll die Haftung des Geschäftsführers geringer sein, weil er persönlich nichts erlangt. Marotzke verkennt jedoch, dass sich per saldo die Haftung erhöht, weil so die Auszahlung keine Kompensation der Einzahlung ist und der Geschäftsführer im
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§2
Rz. 75
Geschftsfhrerberatung
tät führte zwar nicht rechtlich zwingend, aber immerhin de facto dazu, dass die Masseminderung via Anfechtung letztlich von dem eigentlich begünstigten Gläubiger ausgeglichen wurde. Ohne eine solche Schadenskompensation ist die Haftung des Geschäftsführers wesentlich umfangreicher geworden. Aber nicht nur das. Da der Geschäftsführer für Vorgänge haftet, die nicht der Anfechtung unterliegen, während die Anfechtung bei Vorgängen möglich ist, für die der Geschäftsführer nicht haftet, führt die Kumulation der Ansprüche zu einer Erhöhung der Masse im Vergleich dazu, wenn gar nichts geschehen wäre. Allerdings sind die Forderungen meist an die Bank abgetreten, so dass der Zahlungseingang gegen Verrechnung mit der Kreditverbindlichkeit zu keiner neuen Masseschmälerung führt. Dann haftet der Geschäftsführer nicht1. Ebenso scheitert eine Insolvenzanfechtung an der Gläubigerbenachteiligung2. Veranlasst der Geschäftsführer anschließend eine Zahlung an einen Altgläubiger, haftet er gegenüber der GmbH (= Insolvenzmasse), falls der dadurch wieder erhöhte Kontokorrentkredit ausreichend besichert ist. Gegenüber dem Zahlungsempfänger ist zugleich die Insolvenzanfechtung gegeben. In dieser Konstellation laufen Haftung und Anfechtung wieder parallel. 75 Für die Praxis ist festzuhalten, dass der Geschäftsführer einer Innenhaftung für die Einzahlung und einer Außenhaftung für die Auszahlung nur entgeht, wenn entweder das Konto ab Eintritt der Krise auf Guthabenbasis geführt oder ein neues Konto3 eröffnet wird. Das neue Konto muss bei einer anderen Bank unterhalten werden, damit die bisherige Bank für den alten Saldo kein Pfandrecht gemäß Nr. 14 Abs. 1 AGBBanken am neuen Guthaben geltend macht. Allerdings ist ein Bankenwechsel schwierig, weil die Kunden die alte Verbindung in ihrer EDV verlinkt haben und eine Änderung für Misstrauen sorgt. In diesen Fällen wird insbesondere die bisherige Bank regelmäßig misstrauisch werden, da auf dem bei ihr geführten Konto keine regelmäßigen Zahlungseingänge mehr erfolgen. Sie hat keinen Überblick mehr, wie bisher und wird daher zumeist kritisch bei der Geschäftsführung nachfragen. 76 Wie soeben erwähnt, entfällt eine Haftung des Geschäftsführers für den Ausgleich des debitorischen Kontos, soweit die der Bank gestellten Sicherheiten werthaltig sind. Die Befriedigung von Aus- und Absonderungsrechten fällt allgemein nicht unter § 64 S. 1 GmbHG, weil sie nicht Bestandteil der freien Masse sind4. Dazu steht es nicht im Widerspruch, dass auch absonderungsbelastete Gegenstände anfechtungsrechtlich einen im Kern zugunsten des Schuldners geschützten Vermögenswert darstellen5. Das liegt an der Verwertungsbefugnis des Verwalters gemäß § 166 Abs. 1 InsO und nicht daran, dass der belastete Gegenstand zur verteilungsfähigen Masse gehört, und zwar auch nicht im Hinblick auf die Kostenbeiträge des § 171 InsO. Sie sollen nur den tatsächlichen Aufwand pauschal ausgleichen, nicht aber die Masse bereichern6. cc) Verwendung zweckbestimmter Mittel 77 Im Rahmen von Sanierungsmaßnahmen stellen Gesellschafter ihre GmbH häufig direkt oder über eine von ihnen verbürgte Bank neue Mittel zur Verfügung, die zur Begleichung bestimmter Verbindlichkeiten verwendet werden sollen. Hat die Gesellschaft das Geld erhalten, ist es Bestandteil ihres Aktiv-Vermögens geworden. Der Geschäftsführer darf es nur noch masseerhaltend verwenden. Tut er es nicht, ist die
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Außenverhältnis u.U. auch noch gegenüber dem Anfechtungsgegner für den Verlust einzustehen hat. OLG Frankfurt/M. v. 15.7.2009 – 4 U 298/08, ZIP 2009, 2293 (2295). BGH v. 1.10.2002 – IX ZR 360/99, ZIP 2002, 2182; BGH v. 2.6.2005 – IX ZR 181/03, ZIP 2005, 1651. BGH v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006. BGH v. 30.3.1998 – II ZR 146/96, ZIP 1998, 776; OLG Frankfurt/M. v. 15.7.2009 – 4 U 298/08, ZIP 2009, 2293 (2295). BGH v. 17.6.2004 – IX ZR 124/03, ZIP 2004, 1509; BGH v. 9.10.2003 – IX ZR 28/03, ZIP 2003, 2370; BGH v. 5.4.2001 – IX ZR 216/98, ZIP 2001, 885. BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, ZIP 2003, 632; BGH v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42 = NZI 2004, 137 m. Anm. Leithaus.
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Haftung des Geschftsfhrers wegen Insolvenzverschleppung
Rz. 79
§2
Zahlung gegenüber dem Empfänger sowohl insolvenzrechtlich anfechtbar1 als auch gesellschaftsrechtlich haftungsbegründend2. Das gilt nach dem Vorgesagten für die Inanspruchnahme eines gesellschafterverbürgten Kredits allerdings nur dann, wenn die Valuta vorher auf ein Guthabenkonto gebucht wurde, die Zahlung also nicht durch Erhöhung der Bankverbindlichkeit erfolgte. Anders ist es, wenn ein Guthaben von der GmbH treuhänderisch verwaltet wird 78 (Rz. 145). Dafür reicht jedoch keine simple Zweckvereinbarung aus, sondern es müssen die Voraussetzungen erfüllt sein, die den Treugeber zur Aussonderung berechtigen. Nur in diesem Fall fehlt es bei der absprachegemäßen Verwendung für die Anfechtung an einer Gläubigerbenachteiligung und für die Geschäftsführerhaftung an einer Masseminderung. Dann herrscht wieder Gleichlauf zwischen Anfechtung und Haftung. Bei Subventionen ist allerdings § 264 StGB zu beachten, der in Abs. 1 Nr. 2 die zweckwidrige Verwendung unter Strafe stellt. In der Krise läuft diese Bestimmung meist leer, weil die dort erwähnten Geldleistungen selten auf einem separaten Konto gutgeschrieben werden, sondern im allgemeinen Kontokorrent untergehen. Eine dann gleichwohl noch zweckgemäße Verwendung erfolgt dann aus dem allgemeinen Haftungsfonds der GmbH und kann nicht mehr mit der Vermeidung einer Strafbarkeit gerechtfertigt werden. Die haftungsrechtliche Beurteilung einer Verfügung über zweckbestimmte Guthaben 79 kann insbesondere im Konzern bei personenidentischen Geschäftsführern fatale Auswirkungen haben; denn häufig beschränkt sich der Insolvenzgrund nicht auf eine einzelne Konzerngesellschaft, sondern hat auch Auswirkungen auf verbundene Unternehmen. Besteht nicht nur eine gesellschaftsrechtliche, sondern auch eine leistungswirtschaftliche Verflechtung, müssen bei einer Sanierung häufig Zahlungen auf Altverbindlichkeiten gegenüber Schwestergesellschaften getätigt werden, um den betriebswirtschaftlich einheitlichen und nur gesellschaftsrechtlich geteilten Verband zu erhalten. Liefert bspw. die eine Gesellschaft Vorprodukte an die andere, kann ein Dominoeffekt entstehen, wenn alte Forderungen von den konzerninternen Kunden nicht gezahlt, deshalb ein überzogener Kredit von der konzerninternen Lieferantin nicht zurückgeführt und dadurch die Vorproduktion eingestellt wird. Deshalb wird die eine Konzerngesellschaft Altforderungen der anderen und diese wiederum Altforderungen ihrer Gläubiger begleichen. Das kann zur Doppelhaftung ein und derselben Person einmal als Geschäftsführer der ersten Konzerngesellschaft für die Zahlung an das verbundene Unternehmen und einmal als Geschäftsführer der zweiten Konzerngesellschaft für die Weiterleitung an deren Gläubiger führen3. Zwar hätte die zweite GmbH das Geld ohne die erste GmbH gar nicht erhalten. Bei einer Gesamtwürdigung des de facto einheitlichen Vorganges wurde die Masse der zweiten GmbH also per Saldo nicht geschmälert. Eine teleologische Reduktion4 lehnt der BGH jedoch zurecht ab5. Die unterschiedlichen Konzerngesellschaften haben in der Regel unterschiedliche Gläubigerstrukturen. Eine Gesamtbetrachtung mit einer konzerninternen Verschiebung der Haftungsbetrachtung würde auch eine Verschiebung der Massen zu Lasten der Gläubiger einzelner Gesellschaften herbeiführen. Hierdurch würde letztlich das Vertrauen des Gläubigers in „seine“ Haftungsmasse entwertet. Für den Geschäftsführer ist das eine harte Konsequenz, hat andererseits aber für den Insolvenzverwalter den Vorteil einer einfachen Rechtsverfolgung, weil für jede Gesellschaft nur die Auszahlungen betrachtet werden können. Zur Durchsetzung der Haftung 1 BGH v. 21.6.2012 – IX ZR 59/11, ZIP 2012, 1468 Rz. 11; BGH v. 7.6.2001 – IX ZR 195/00, NZI 2001, 539 m. Anm. Spliedt, NZI 2001, 524. Allein eine Zweckvereinbarung hindert trotz § 851 Abs. 1 ZPO (Unpfändbarkeit bei Inhaltsänderung) nicht die Annahme einer Gläubigerbenachteiligung, weil der Betrag bei wertender Betrachtungsweise haftungsrechtlich der Masse zugewiesen ist. 2 BGH v. 31.3.2003 – II ZR 150/02, ZIP 2003, 1005. 3 Lt. Goette, Anm. zu BGH v. 31.3.2003 – II ZR 150/02, DStR 2003, 1133 (= ZIP 2003, 1005) ist genau das vom BGH beabsichtigt. 4 So das Petitum insbesondere von K. Schmidt z.B. in K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 1885. 5 BGH v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006.
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muss er nicht prüfen, ob es korrespondierende Einzahlungen gab. Dem Geschäftsführer bleibt zwar der Einwand, dass eine Auszahlung mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar war. Das aber ist von ihm darzulegen und zu beweisen. Allein der Hinweis auf die zuvor erfolgten Einzahlungen reicht dafür nicht aus. 80 Für die Praxis folgt daraus, dass Zahlungen im Konzern direkt von derjenigen Gesellschaft als Dritte vorgenommen werden sollten, die die Mittel letztlich aufwendet. Damit wird bei einem Scheitern der Sanierung zumindest eine doppelte Haftung vermieden. 81 Ähnlich liegt das Problem bei einem zentralen Cash-Management. Grob unterteilt gibt es das in den beiden Varianten mit und ohne Übergang der Verfügungsbefugnis an der Valuta auf die Management-Gesellschaft, die regelmäßig die Muttergesellschaft ist1. In der zweiten Alternative werden nur die Schulden und Guthaben zum Zwecke des Zinsausgleichs bei der Bank kalkulatorisch konsolidiert. Wird hingegen das Guthaben umgebucht, verliert die abgebende Gesellschaft den Anspruch gegen die Bank. Stattdessen erhält sie eine Gutschrift auf dem Konzernverrechnungskonto2. Benötigt sie wieder die zuvor verlorene Liquidität, kann die Mutter ihr den Betrag nur unter Verstoß gegen § 64 GmbHG zur Verfügung stellen. Verwendet die Tochter ihn dann auch noch für eine nicht privilegierte Zahlung, droht ein zweiter Haftungsfall. Hinzu kommt, dass bereits die Anlage der Gelder auf einem Konto der Muttergesellschaft ein Hin- und Herzahlen (§ 19 Abs. 5 GmbHG) darstellen3 und zur Haftung des Geschäftsführers der Tochtergesellschaft4 führen kann. c) Sorgfaltsausnahme aa) Allgemeines 82 Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar sind, sind gemäß § 64 Satz 2 GmbHG nicht zu erstatten. Eine häufige Rechtfertigung der Geschäftsführer lautet, ohne sie wären die Gläubiger misstrauisch geworden und eine Sanierung von vornherein aussichtslos gewesen. Die Reaktionsfrist des § 15a Abs. 1 InsO von maximal drei Wochen verstehen sie als Karenzfrist, innerhalb der es noch keine Restriktionen gibt. Dies ist jedoch, wie zuvor dargestellt, nicht richtig. Nach dem Wortlaut des § 64 S. 1 GmbHG ist bereits ab dem „Eintritt“ der Zahlungsunfähigkeit das Vermögen für ein etwaiges Insolvenzverfahren „aufzubewahren“. Entsprechendes gilt ab „Feststellung“ der Überschuldung, wobei es nach herrschender Meinung in beiden Fällen auf die Erkennbarkeit5 ankommt, auch wenn das Gesetz im ersten Fall von „Eintritt“ und im zweiten Fall von „Feststellung“ spricht (s.o. Rz. 67). 83 Zulässig sind unternehmenserhaltende Leistungen, die auch ein vorläufiger Insolvenzverwalter im Rahmen von § 22 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO vornehmen würde6. Diese Faustregel entspricht der ratio legis des § 64 GmbHG, die insolvenzrechtlichen Verteilungsgrundsätze zu schützen. Maßgebend ist, dass größere Nachteile für die Insolvenzmasse abgewendet werden7. Erlaubt sind somit sämtliche Leistungen, die durch Gegenleistungen kompensiert werden, wobei es wie bei einem Bargeschäft gemäß § 142 InsO (vgl. § 10 Rz. 293 ff.) auf den zeitlichen Zusammenhang und nicht darauf
1 Hentzen, DStR 2006, 948. 2 Zu den damit verbundenen Haftungsgefahren für die am Cash-Management beteiligten Gesellschaften siehe das „Bremer Vulkan“-Urteil des BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, NJW 2001, 3622; OLG München v. 24.11.2005 – 23 U 3480/05, ZIP 2006, 25 m. Anm. Pentz, ZIP 2006, 781; Schilmar, DStR 2006, 568; Blöse, GmbHR 2006, 146. 3 BGH v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, ZIP 2004, 263. 4 OLG München v. 24.11.2005 – 23 U 3480/05, ZIP 2006, 25. 5 BGH v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, ZIP 2012, 1557 (Rz. 109); BGH v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 (Rz. 13). 6 Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 64 Rz. 42; OLG Celle v. 23.12.2003 – 9 U 176/03, ZInsO 2004, 446. 7 BGH v. 5.11.2007 – II ZR 262/06, ZInsO 2007, 1349.
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ankommt, welche Partei zuerst geleistet hat1. Keine Kompensation stellt es nach den obigen Erläuterungen dar, wenn ein Kontokorrentkredit wieder in Anspruch genommen wird, nachdem die Haftung des § 64 S. 1 GmbHG zuvor durch die Rückführung begründet wurde2. Zulässig ist die Begleichung rückständiger Verbindlichkeiten, wenn das zur Beseitigung von Leistungsverweigerungsrechten erforderlich ist, um die weitere Versorgung des Unternehmens sicherzustellen, falls es keine Ausweichmöglichkeit gibt. Dasselbe gilt für Zahlungen von Altschulden, um die Kündigung wichtiger Dauerschuldverhältnisse zu vermeiden3. Hierzu werden in der Praxis auch die Personalkosten gerechnet, obwohl die Mitarbeiter bei einem Scheitern der Sanierungsbemühungen durch das Insolvenzgeld gesichert sind4. Kosten für (Sanierungs-)Berater dürfen nur aufgewendet werden, wenn sich der Geschäftsführer zuvor über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft Klarheit verschafft hat und aufgrund dessen die Beauftragung sinnvoll ist5, es sich namentlich nicht um Tätigkeiten handelt, die er im Interesse der Gläubiger selbst erledigen müsste6. Bei all dem darf mit Blick auf die Gefahr eines späteren Haftungsprozesses nicht verkannt werden, dass es sich um „Zahlungen“ im Sinne des objektiven Tatbestandes7 handelt, die erst über die Exkulpation aus dem Haftungsrahmen herausfallen können, womit die Darlegungs- und Beweislast beim Geschäftsführer liegt. Die Zahlungen können u.U. später vom Verwalter angefochten werden8. Wegen der 84 Sorgfaltsausnahme unterscheiden sich Insolvenzanfechtung und Masseerhaltung bei derartigen Konstellationen: Die Zahlung zur Abwendung einer Kündigung oder eines Zurückbehaltungsrechts kann haftungsfrei, aber trotzdem anfechtbar sein. Die Konsequenz einer Anfechtung der Befriedigung von Altschulden ist, dass der Lieferant wegen der daraufhin ausgeführten Neulieferung per Saldo einen Ausfall erleidet. Den Schaden wird er als Neugläubigerschaden beim Geschäftsführer geltend machen, falls, wie in der Praxis häufig, die Insolvenzantragsfrist zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen war. Die Haftungsgefahr besteht sogar ohne Anfechtung, da der BGH beim Schaden isoliert auf die Neulieferung abstellt und die Bezahlung der Altlieferung nicht als Vorteilsausgleich wertet9. Deshalb ist für die Praxis dringend anzuraten, dass Zahlungen nur mit der ausdrücklichen Bestimmung für neue Leistungen vorgenommen werden. Nur ausnahmsweise können Zahlungen zur allgemeinen „Vertrauenswerbung“ zuläs- 85 sig sein, um die Sanierungsbemühungen nicht zu konterkarieren. Im Herstatt-Fall hatte der BGH sowohl Geldein- als auch Geldauszahlungen in Millionenhöhe als sorgfältig angesehen, weil anderenfalls Bemühungen um die Unterstützung der Herstatt-Bank von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen wären10. Die Besonderheit lag darin, dass die Auszahlungen zwar unmittelbar massemindernd, mittelbar aber für die Unternehmenserhaltung – und damit wiederum auch für die Masseerhaltung – zwingend erforderlich waren. Das darf jedoch nicht ohne weiteres auf andere Fälle übertragen werden. Im Herstatt-Fall hätten die Kunden bei einer einzigen Zahlungsverweigerung „die Bank gestürmt“. Bei anderen Unternehmen hat der BGH eine allgemeine Vertrauenswerbung bisher nicht als Rechtfertigungsgrund für die Zahlung angesehen. Würde der Zweck des § 64 S. 1 GmbHG, Masseverkürzungen durch Befriedigung einzelner Gläubiger zu vermeiden, durch den allgemeinen Hinweis auf 1 Gottwald/Huber, InsRHdb, § 46 Rz. 81. 2 BGH v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006. 3 Der Schutz des § 112 InsO bezieht sich nur auf eine bis zum Eröffnungsantrag noch nicht ausgesprochene Kündigung. 4 § 183 SGB III. 5 BGH v. 5.2.2007 – II ZR 51/06, ZIP 2007, 1501. 6 BGH v. 6.12.2007 – IX ZR 113/06, ZIP 2008, 232. 7 Zur gläubigerbenachteiligenden Wirkung s. BGH v. 13.3.2003 – IX ZR 64/02, NZI 2003, 315 (316). 8 Vgl. BGH v. 13.3.2003 – IX ZR 64/02, NZI 2003, 315 (Zahlung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter). 9 BGH v. 12.3.2007 – II ZR 315/05, ZIP 2007, 1060. 10 BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 97 (109 f.).
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Geschftsfhrerberatung
damit verbundene Sanierungserschwernisse unterlaufen werden dürfen, wäre der Anwendungsbereich dieser Vorschrift stark eingeschränkt. Selbst wenn dies einmal eine ausreichende Rechtfertigung sein sollte, gilt sie nur bis zum Ablauf der Frist des § 15a Abs. 1 InsO. Danach fortgesetzte Bemühungen sind nicht mehr erlaubt und dürfen auch nicht mehr im Rahmen des § 64 S. 2 GmbHG zur Rechtfertigung von Zahlungen herangezogen werden. Sanierungsbemühungen können dann aber im Rahmen eines vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens nach § 270a InsO fortgesetzt werden. bb) Pflichtenkollision 86 Unklar war vormals, welche Rolle die Sorgfaltsausnahme bei einer Pflichtenkollision spielt, wenn der Geschäftsführer kraft anderer Gesetze für Verbindlichkeiten persönlich haftet, deren Begleichung gegen § 64 S. 1 GmbHG verstoßen würde. Der für die Geschäftsfüherhaftung zuständige II. Zivilsenat des BGH vertrat die Auffassung, dass das Bestreben des Geschäftsführers, sich durch die Zahlung einer persönlichen Haftung zu entziehen, kein im Rahmen des § 64 S. 2 GmbHG beachtlicher Umstand ist1. Dagegen meint der für das Deliktsrecht zuständige VI. Zivilsenat, dass der Geschäftsführer die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung auch nach Eintritt der materiellen Insolvenz zu entrichten habe, weil die in § 266a StGB strafbewehrte Verpflichtung Vorrang genießen würden2. Der 5. Strafsenat3 hat für die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung den aus der Strafbewehrung folgenden Vorrang im Wesentlichen bestätigt. Im Urteil vom 14.5.2007 hat der Gesellschaftsrechtssenat „im Hinblick auf die inzwischen gefestigte Rechtsprechung des 5. Strafsenats“ seine Ansicht aufgegeben. „Mit Rücksicht auf die Einheit der Rechtsordnung kann es dem organschaftlichen Vertreter nicht angesonnen werden, die Massesicherungspflicht nach §§ 92 Abs. 2 AktG, 64 Abs. 2 GmbHG zu erfüllen und fällige Leistungen an die Sozialkassen oder die Steuerbehörden nicht zu erbringen, wenn er sich dadurch strafrechtlicher Verfolgung aussetzt“4. Deshalb sei die Zahlung auch im Rahmen der genannten Vorschriften pflichtgemäß5. 87 Auf die Einzelheiten wird unten noch gesondert bei der Haftung für die Sozialabgaben und Steuern eingegangen (siehe Rz. 148 ff.). Die Rechtsprechungsänderung hat aber nicht nur für sie Bedeutung, sondern ist auf alle strafbewehrten Verbindlichkeiten zu übertragen. Eine in der Praxis wichtige Fallgruppe bilden Subventionen, deren zweckwidrige Verwendung gemäß § 264 Abs. 1 Nr. 2 StGB unter Strafe steht. Daraus folgt aber nicht, dass der Geschäftsführer restliche Fördermittel vor einer Insolvenzeröffnung noch schnell verwenden oder zurückzahlen muss, weil die Subventionsbindung für den Verwalter nicht gilt; denn ihre Verletzung begründet nur eine Insolvenzforderung. Das Aufbewahren der Mittel für die Masse ist keine zweckwidrige Verwendung und deshalb auch nicht strafbar. Deshalb fehlt es an einer Pflichtenkollision wie bei den Sozialabgaben. 4. Haftungsmodelle der Literatur a) Inhalt 88 Die Krisenberatung muss sich selbstverständlich am Haftungsmodell der Rechtsprechung und herrschenden Meinung orientieren. Durch die Rechtsprechung sind aber noch nicht sämtliche Fragen beantwortet. Kommt es zum Haftungsprozess, wird der Anwalt auch mit Literaturmeinungen konfrontiert, die vom Rechtsprechungsmodell abweichen und deshalb kurz erörtert werden sollen. 1 BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, ZIP 2001, 235 (238); BGH v. 18.4.2005 – II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026. 2 BGH v. 16.5.2000 – VI ZR 90/99, DB 2000, 1703 (1705). 3 BGH v. 30.7.2003 – 5 StR 221/03, ZIP 2003, 2213; a.A. Gross/Schenk, NZI 2004, 358 (360). 4 BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 m. Anm. Runkel/Schmidt, NZI 2007, 479; bestätigt durch BGH v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 (Rz. 12); BGH v. 29.9.2008 – II ZR 162/07, ZIP 2008, 2220 (Rz. 9 f.). 5 Ebenso schon OLG Hamm v. 17.10.2002 – 3 Ss 744/02, ZInsO 2003, 35.
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Haftung des Geschftsfhrers wegen Insolvenzverschleppung
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Die „Trennungstheorie“ des BGH unterscheidet zwischen der über § 823 Abs. 2 BGB 89 i.V.m. § 15a InsO vermittelten Außenhaftung gegenüber Neugläubigern und der Innenhaftung des § 64 S. 1 GmbHG gegenüber der Gesellschaft. Dies kann – jedenfalls, soweit es das objektive Tatbestandsmerkmal der „Zahlung“ anbetrifft – zu einer die Masseminderung übersteigenden Haftung führen, was an dem simplen Vorgang der Zahlung einer Altverbindlichkeit im Interesse einer Neulieferung deutlich wird: Da die einer Altverbindlichkeit zugrundeliegende Gegenleistung bereits erbracht wurde, führt deren Bezahlung nicht mehr zu einer Masseerhöhung, während die Neulieferung – unmittelbar – keine Gegenleistung für die „Altzahlung“ ist. Muss der Geschäftsführer die „Altzahlung“ gemäß § 64 S. 1 GmbHG erstatten, wird die Masse erhöht, obwohl sie auch noch durch die Neulieferung angereichert wurde1. Besonders deutlich wird das, wenn sowohl Alt- als auch Neulieferung bei einer späteren Insolvenzeröffnung noch beim Schuldner vorhanden sind. Darüber hinaus kann der Geschäftsführer neben der Innenhaftung auch noch im Außenverhältnis von Neugläubigern wegen Insolvenzverschleppung in Anspruch genommen werden2. Das wird als unangemessen empfunden und deshalb in der Literatur teilweise die Auffassung vertreten, § 64 GmbHG solle einheitlich eine Schmälerung der Quote durch die Minderung des Gesamtvermögens ab Eintritt des Insolvenzgrundes verhindern3, nicht aber den Neugläubiger vor Geschäften mit der insolventen Gesellschaft schützen. Eine Haftung bestehe nur intern gegenüber der Gesellschaft („Einheitstheorie“). So spreche die Parallelvorschrift des § 130a Abs. 2 S. 1 HGB richtigerweise nicht nur von Zahlung, sondern vom Ersatz des Schadens der Gesellschaft4. Er resultiere aus einer Minderung der Aktiva und/oder einer Mehrung der Passiva. Als Konsequenz sei der Begriff der „Zahlung“ in S. 1 einerseits zu begrenzen auf Auszahlungen, die nicht mit einer Gegenleistung korrespondieren, andererseits aber auch zu erweitern um die Eingehung neuer Verbindlichkeiten. Die engagiertesten Vertreter des Innenhaftungsmodells sind K. Schmidt5 und Alt- 90 meppen6. Altmeppen spricht § 15a InsO den Schutzgesetzcharakter gänzlich ab. Die Gesamtvermögensminderung will er im Rahmen des § 64 S. 1 GmbHG ausgleichen7. Unter dem Terminus „Zahlung“ falle nicht jede einzelne Verfügung, sondern nur deren Saldo unter Verrechnung mit Vermögensmehrungen. Die Zahlung an Altgläubiger als „Todsünde“8 sei zusätzlich erstattungspflichtig. K. Schmidt akzeptiert demgegenüber den Schutzgesetzcharakter9, will jedoch nicht die einzelnen Insolvenzgläubiger, sondern nur die Masse vor einer weiteren Verminderung und einer weiteren Belastung mit Verbindlichkeiten schützen10. Trotz der Differenz in der dogmatischen Begründung kommen beide Auffassungen hinsichtlich des Innenausgleichs zum selben Ergebnis: Der Geschäftsführer haftet für den Verlust (= Minderung des Reinvermögens, nicht nur der Aktiva) ab Eintritt des Insolvenzgrundes,
1 Geißler, NZG 2007, 654 zur erneuten Inanspruchnahme des zurückgeführten Kontokorrentkredits. 2 Lt. BGH v. 12.3.2007 – II ZR 315/05, ZIP 2007, 1060 werden die auf Altforderungen an den Gläubiger geleisteten Zahlungen auf den Schadensersatz wegen neuer Lieferungen nicht angerechnet. 3 Überblick über den Meinungsstand: Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, § 64 Rz. 33 f.; Altmeppen, ZIP 2001, 2201 ff. 4 Demgegenüber misst der BGH dieser Vorschrift denselben Inhalt bei wie § 64 S. 1 GmbHG: BGH v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006. 5 Scholz/Bitter, GmbHG, Anh § 64 Rz. 49 ff., 64 f.; K. Schmidt, GesR, § 36 II.5.c; K. Schmidt, ZIP 2005, 2177. 6 Altmeppen, ZIP 2001, 2201 (2204 ff.); Roth/Altmeppen, GmbHG, § 43 Rz. 62, § 64 Rz. 33 ff. 7 Altmeppen, ZIP 2001, 2201 (2206, 2208). 8 Altmeppen, ZIP 2001, 2201 (2207). 9 K. Schmidt, GesR, § 36 II.5.b. 10 K. Schmidt, GesR, § 36 II.5.b aa.
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Geschftsfhrerberatung
soweit er nicht unter Anwendung geschäftsmännischer Sorgfalt vermeidbar war, wobei nach Altmeppen der Ausgleich von Altverbindlichkeiten die Haftung erhöht1. 91 Für die Haftung im Außenverhältnis sind sich K. Schmidt und Altmeppen darüber einig, dass Neugläubiger wie Altgläubiger durch diese Vorschrift gleichermaßen nur in Höhe der insgesamt seit Beginn der materiellen Insolvenz eingetretenen Vermögensminderung geschützt sind2. Da die Geschäftsführer bei ihrem Haftungsmodell nur im Innenverhältnis die Gesamtvermögensminderung ausgleichen müssen, gibt es auch nur einen einheitlichen Schaden, der für alle Gläubiger vom Insolvenzverwalter zu verfolgen3 ist. Ein individueller Schadensersatzanspruch des Neugläubigers könne hingegen nicht auf § 15a InsO gestützt werden, sondern – außerhalb sonstiger deliktischer Vorschriften wie insbesondere des Betrugs – allenfalls noch auf culpa in contrahendo (§ 311 Abs. 2 BGB). Über deren Reichweite herrscht jedoch Dissens. Während dieses Institut nach Altmeppen nur dann zum Zuge kommt, wenn der Geschäftsführer eine besondere persönliche Beziehung zum Kreditgeber oder garantieähnliche Erklärungen abgegeben hat4, soll es nach K. Schmidt bereits genügen, dass er nicht über die Insolvenz der Gesellschaft aufgeklärt hat5. b) Stellungnahme aa) Schutzbereich des § 15a InsO 92 Für eine Stellungnahme ist zwischen dem jeweiligen Schutzbereich des § 15a InsO und des § 64 S. 1 GmbHG einerseits und deren Verhältnis zueinander andererseits zu differenzieren. 93 Leistet ein Neugläubiger an eine insolvenzreife GmbH auf Kredit, erleidet er sofort mit dieser Leistung einen Schaden, weil seine Gegenforderung nicht vollwertig ist. Selbst wenn der Geschäftsführer während des Verschleppungszeitraumes das Vermögen mehrt, ändert sich daran nichts, wenn schon vorher eine Überschuldung bestand. Dieser Restschaden kann denknotwendig nicht im Wege des Innenausgleichs kompensiert werden. 94 Hinzu kommt folgende Überlegung: Zu Recht meint Altmeppen, die Organe würden während des Verschleppungszeitraums die Geschäfte gleichsam auf eigenes Risiko führen6. Dieser Gedanke greift nicht nur für die Innenhaftung durch, auf die Altmeppen ihn münzt, sondern auch für die Außenhaftung: Die Führung der Geschäfte auf eigenes Risiko bedeutet auch, sie zu finanzieren. Würde man die Haftung auf den Ausgleich einer Masseminderung im Innenverhältnis beschränken, würde man dem Gläubiger einen Zwangskredit bis zur Ausschüttung der Insolvenzquote abverlangen. Stattdessen ist es angemessen, den Geschäftsführer in die Rolle des Kreditgebers schlüpfen zu lassen, indem er ihm das negative Interesse erstattet und er im Gegenzug analog § 255 BGB7 die Insolvenzforderung erhält. 95 K. Schmidt will ein solches Ergebnis nicht über den Schutzgesetzcharakter des § 15a InsO erreichen, sondern über die Figur der culpa in contrahendo. Nach § 311 Abs. 3 BGB ist dazu jedoch ein „besonderes“ Vertrauen erforderlich, das der Gläubiger in den Geschäftsführer gesetzt haben muss. Je größer die Gesellschaft, umso weniger wird der Person als vielmehr der Organisation vertraut. Kaum jemand tätigte Lieferungen an die Karstadt Warenhaus GmbH oder die Weltbild-Gruppe vor deren Insolvenz auf Kredit, weil er den Vorstand bzw. die Geschäftsführung kannte. Wenn trotzdem eine Haftung auf enttäuschtes Vertrauen gestützt werden soll, würde man von individuellen Voraussetzungen absehen und das enttäuschte Vertrauen abstrakt-ge-
1 Allerdings bleibt unklar, wie das bei der Schadensersatzpflicht wegen der Gesamtvermögensminderung berücksichtigt wird. 2 Altmeppen, ZIP 2001, 2201 (2211); K. Schmidt, GesR, § 36 II.5. b aa. 3 Poertzgen, DZWIR 2007, 101. 4 Altmeppen, ZIP 2001, 2201 (2210). 5 K. Schmidt, GesR, § 36 II. 5.c. 6 Altmeppen, ZIP 2001, 2201 (2207). 7 BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, ZIP 2007, 676.
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nerell allein damit begründen, dass die Geschäftstätigkeit der insolventen Gesellschaft fortgesetzt wurde. Genau das aber rekurriert auf das Verhaltensgebot des § 15a InsO. Eine davon abstrahierende Solvenzhaftung ist überflüssig1. Im Ergebnis ist somit der vom BGH mit Hilfe des § 15a InsO begründeten Außenhaf- 96 tung gegenüber den Neugläubigern zuzustimmen ist. bb) Schutzbereich des § 64 S. 1 GmbHG In der Literatur wird gefordert, den § 64 S. 1 GmbHG als einen Verlustausgleichs- 97 anspruch anzusehen, also nicht die „Zahlungen“ zu erstatten, sondern den Saldo von Aktivmehrungen und -minderungen. Dem kann nicht zugestimmt werden. Verlust ist das Ergebnis sämtlicher positiver und negativer Vermögensänderungen. 98 So kann ein in der buchhalterischen GuV zum Verlust führender Aufwand durch planmäßige oder außerplanmäßige Wertminderungen der vorhandenen Vermögensgegenstände des Anlage- und Umlaufvermögens entstehen. Er kann aber auch mit einer Erhöhung der Verbindlichkeiten korrespondieren, wenn beispielsweise Löhne nicht beglichen werden. Das eine wie das andere wird von dem Begriff der „Zahlung“ im Sinne des § 64 S. 1 GmbHG nicht erfasst, darf also gegen den Wortlaut auch nicht zu einer Haftung führen. K. Schmidt und Altmeppen wollen deshalb § 15a InsO in einen einheitlichen Haftungstatbestand integrieren. Im Gegenzug wird man dann aber die Verluste eliminieren müssen, die durch die Insolvenzverschleppung nicht verursacht wurden. Der Werteverfall des Vermögens kann genauso wenig durch einen Insolvenzantrag gestoppt werden wie der Aufwand durch fortlaufende Personalkosten. Es gibt zahlreiche andere sprungfixe Kosten, die sich an eine gesunkene Auslastung nicht flexibel anpassen lassen. Dafür die Geschäftsführer haften zu lassen, wäre unangemessen. Werden diese Kosten herausgenommen, würde die Verlustdeckungshaftung wegen derartiger Hilfsrechnungen dasselbe Schattendasein führen wie die Haftung für den Quotenschaden. Schlimmer noch: Das Zahlungsverbot des § 64 S. 1 GmbHG setzt sofort mit Erkennbarkeit des Insolvenzgrundes ein. Bereits von da ab dürfen die insolvenzrechtlichen Verteilungsvorschriften nicht durch die Schaffung vollendeter Tatsachen umgangen werden (oben Rz. 67, 82). Die Insolvenzverschleppungshaftung des § 15a InsO beginnt hingegen erst nach dem Ablauf der Antragsfrist. Bis dahin darf nur nach § 64 S. 1 GmbHG „abgerechnet“ werden, der Vermögensminderungen, die nicht auf Verfügungen beruhen, eindeutig nicht erfasst. Es müsste also, wenn man § 15a InsO und § 64 S. 1 GmbHG als einheitlichen Haftungstatbestand verstehen würde, nach Ablauf der Antragsfrist einen Methodenwechsel geben, was die Verlustermittlung weiter erschwert. Das Anliegen der Vertreter einer Verlustdeckungshaftung besteht allerdings weniger 99 in einer Berücksichtigung der „sowieso“-Aufwendungen als vielmehr in einer haftungsmindernden Erfassung der Erträge zugunsten des Geschäftsführers. Wird beispielsweise eine Altforderung des Lieferanten A bezahlt, der daraufhin eine neue Bestellung auf Kredit ausführt, bleibt der Saldo von Altzahlung und Neulieferung wertmäßig unverändert. Gleichwohl droht dem Geschäftsführer nach der Rechtsprechung die Haftung wegen der „Zahlung“. Am deutlichsten wird die Problematik bei der Verwendung von zweckbestimmten Drittmitteln, die der BGH unter den objektiven Haftungstatbestand subsumiert, ohne dass der Mittelzufluss haftungsmindernd berücksichtigt wird (oben Rz. 54). In solchen Fällen ist den Literaturmeinungen zuzustimmen, die eine Haftung für un- 100 angebracht halten. Müssten die Geschäftsführer die Auszahlungen jeweils erstatten, wäre das bei einer Betrachtung des wirtschaftlichen Zusammenhanges von Ein- und Auszahlungen keine Kompensation, sondern eine Massemehrung. Die Frage ist nur, ob das Korrektiv am objektiven Tatbestand durch eine teleologische Reduktion des Begriffs „Zahlung“ oder bei der Sorgfaltsausnahme angesiedelt wird. Letztlich geht es um die Darlegungs- und Beweislast. Während eine „Zahlung“ leicht vom Insolvenz1 Deshalb zutreffend die Ablehnung der „Repräsentantenhaftung“ durch BGH v. 6.6.1994 – II ZR 293/91, ZIP 1994, 1103 (1106).
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verwalter nachgewiesen werden kann, sollte der schwierige Nachweis der Ausnahmevoraussetzungen dem Geschäftsführer obliegen. Wäre der Verwalter für einen schlüssigen Vortrag im Haftungsprozess gehalten, eine Gewinn- und Verlustrechnung ab dem Eintritt des Insolvenzgrundes zu erstellen, für die es keine Inventur der Anfangsund Endbestände gibt, würde eine Realisierung der Haftungsansprüche kaum möglich sein. Deshalb ist die gesetzliche Anknüpfung an dem relativ einfach nachzuweisenden Tatbestand der „Zahlung“ (= Vermögensverfügung) vernünftig. Es ist dann Sache des Geschäftsführers darzulegen, dass die Verfügung durch einen Vorteil kompensiert wurde, um sie als sorgfaltsgemäß anzusehen. Dafür braucht der Zusammenhang von Masseminderung und -mehrung kein unmittelbarer zu sein. Im HerstattFall hatte der BGH1 – allerdings beschränkt auf den Drei-Wochen-Zeitraum des § 92 Abs. 2 AktG a.F. – sogar Kontoauszahlungen akzeptiert, weil sie der Unternehmenserhaltung dienten. Anderenfalls wäre ein sofortiger Zusammenbruch der Bank unvermeidbar gewesen. Obwohl die Entscheidung von der Besonderheit einer Bankinsolvenz geprägt ist (Rz. 85), zeigt sie, dass der mit der Zahlung verfolgte Vorteil recht weit gefasst werden darf. Damit kann den Bedenken der Literaturmeinungen Rechnung getragen werden. Der Geschäftsführer sollte daher Dokumente, die seiner Argumentation dienen sichern. Allzu oft werden mündliche Absprachen mit den Lieferanten getroffen, die in der Folge dann kaum noch beweisbar sind. Es sollte hier auf Aktenvermerke oder Bestätigungen über die Absprachen an den Lieferanten zurückgegriffen werden. cc) Verhältnis zwischen § 15a InsO und § 64 S. 1 GmbHG 101 Im Ergebnis gewährleisten die Vorschriften einen komplementären, widerspruchsfreien und vor allem handhabbaren Schutz: § 15a InsO schützt im Außenverhältnis über § 823 Abs. 2 BGB den vertraglichen Rechtsverkehr (= Geschäftsverkehr2) und im Innenverhältnis diejenigen Masseminderungen, die von § 64 S. 1 GmbHG nicht erfasst werden. Dieser wiederum erstreckt sich nur auf Vermögensverfügungen, weil und soweit damit gegen insolvenzrechtliche Verteilungsgrundsätze verstoßen wird. Dem Haftungsmodell der Rechtsprechung ist deshalb zuzustimmen. 5. Verschulden 102 Eine Haftung sowohl für Neugläubigerschäden gemäß § 15a InsO i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB als auch für die Zahlungen gemäß § 64 S. 1 GmbHG kommt nur bei Verschulden in Betracht. Fahrlässigkeit reicht aus, wobei die verkehrsübliche Sorgfalt des § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB durch die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes in § 43 Abs. 1 bzw. durch die Sorgfalt zur Masseerhaltung in § 64 S. 2 GmbHG konkretisiert wird. Maßgebend für die Beurteilung des Verschuldens ist der Zeitraum der Gläubiger-3 bzw. Masseschädigung. Lange zurückliegende Gegebenheiten spielen keine Rolle. 103 Subjektive Voraussetzungen sind gleich mehrfach relevant. Das fängt mit der Feststellung des Insolvenzgrundes an. Sein Eintritt ist zwar eigentlich eine objektive Tatbestandsvoraussetzung der Haftungsansprüche. Maßgebend ist aber die Erkennbarkeit4. Dafür ist zu berücksichtigen, dass der Geschäftsführer bei Krisenanzeichen zur ständigen Selbstprüfung verpflichtet ist5. In der praktischen Konsequenz entsteht dadurch eine Vermutungswirkung6: Liegt ein Insolvenzgrund vor, wird er regelmäßig auch erkennbar sein. Das Gegenteil darzulegen ist Sache des Geschäftsführers ana1 2 3 4
BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 114. Gottwald/Haas/Hossfeld, Insolvenzrechtshandbuch, § 92 Rz. 85. BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, ZIP 2007, 676. Zu § 15a InsO i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB: BGH v. 14.5.2012 – II ZR 130/10, ZIP 2012, 1455 (Rz. 11); zu § 64 S. 1 GmbHG: BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 (Rz. 38); BGH v. 18.10.2010 – II ZR 151/09, ZIP 2010, 2400 (Rz. 149). 5 BGH v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, ZIP 2012, 1557 (Rz. 11, 139); BGH v. 1.3.1993 – II ZR 81/94, ZIP 1994, 891. 6 BGH v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, ZIP 2012, 1557 (Rz. 109); BGH v. 27.3.2012 – II ZR 171/10, ZIP 2012, 1174 (Rz. 13); BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, ZIP 2007, 676.
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log § 93 Abs. 2 AktG1. Bei der Erkennbarkeit wiederum muss unterschieden werden zwischen der Informationsbeschaffung einerseits und der Informationsverarbeitung andererseits. Für die Informationsbeschaffung mag der technische Geschäftsführer erst später eine Veranlassung sehen als der kaufmännische, der ohne Absprache mit seinen Kollegen beginnt, Kreditoren zu „schieben“. Liegen die Informationen vor, bleibt immer noch ein subjektiver Beurteilungsspielraum bei der Auswertung. Das gilt für die Beurteilung sowohl der Zahlungsunfähigkeit als auch der Über- 104 schuldung. Bei der Zahlungsunfähigkeit ist zu prognostizieren, ob nur eine vorübergehende Zahlungsstockung vorliegt, die sich innerhalb von längten drei Wochen beheben lässt, oder ob sich gar eine 10 % übersteigende Liquiditätslücke demnächst reduzieren wird (s. § 1 Rz. 73 ff.). Noch größer ist die Prognoseunsicherheit bei der Überschuldungsprüfung. Hier muss eine Fortführungsprognose erstellt werden (§ 1 Rz. 122 ff.), die immer subjektiv beeinflusst ist (§ 1 Rz. 122 ff.). Der Beurteilungsmaßstab für die Erfüllung der subjektiven Anforderungen ist die ge- 105 schäftsmännische Sorgfalt gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG mit der Beweislastumkehr analog § 93 Abs. 2 AktG2 bzw. – hinsichtlich der positiven Fortführungsprognose – der Beweislastumkehr des § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO („es sei denn“)3. Für die Einzelheiten kann bei komplexen Vorgängen auf die vom Institut der Wirtschaftsprüfer aufgestellten Grundsätze zur Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit4 und Überschuldung5 zurückgegriffen werden. Wenn es im nächsten Schritt um die Frage geht, ob Zahlungen im Sinne des § 64 S. 2 106 GmbHG zulässig waren, „springt“ der Beurteilungsmaßstab von der allgemeinen geschäftsmännischen Sorgfalt des § 43 Abs. 2 GmbHG in die insolvenzspezifische des § 64 S. 2 GmbHG. Auch hier bleibt es bei der Darlegungs- und Beweislast des Geschäftsführers, da § 64 Satz 2 GmbHG eine Ausnahmeregelung darstellt („Dies gilt nicht …“). Auf einer dritten Stufe folgt schließlich das deliktische Verschulden. Während es vor- 107 her um jeweils verkehrsübliche, also intersubjektiv gültige Sorgfaltspflichten ging, können nunmehr auch höchst persönliche Umstände berücksichtigt werden, wie z.B. eine schwere Erkrankung, die den Geschäftsführer an der Erfüllung seiner in der Krise eingreifenden Pflichten selbst durch die Einschaltung von Hilfspersonen unmöglich macht. 6. Zurückbehaltungsrechte Für die Außenhaftung des Geschäftsführers auf Ersatz des Neugläubigerschadens 108 gilt § 255 BGB entsprechend. Er kann die Abtretung der Forderung gegen den Schuldner verlangen und ist auf eine entsprechende Einrede nur Zug-um-Zug zu verurteilen6, § 274 BGB. Allerdings hat er nur einen Anspruch auf Abtretung bis zur Höhe seiner Erstattungspflicht. Sie beschränkt sich auf das negative Interesse des Neugläubigers. Mit der Differenz, die dem Gewinn aus dem Geschäft entspricht, bleibt der Geschädigte als Insolvenzgläubiger am Verfahren beteiligt (zu dessen Rechtsstellung vgl. § 6 Rz. 278 ff.). Eine Ausschüttung ist jedoch vorrangig an den Geschäftsführer zu richten7; denn der Gläubiger wollte mit der Inanspruchnahme des Geschäftsführers so gestellt werden, wie wenn er mit der Gesellschaft gar nicht erst kontrahiert 1 BGH v. 29.11.1999 – II ZR 273/98, DB 2000, 269. 2 Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rz. 248. 3 So zu dem Überschuldungsbegriff vor Inkrafttreten des FMStG: BGH v. 18.10.2010 – II ZR 151/09, ZInsO 2010, 2396 (Rz. 11); BGH v. 9.10.2006 – II ZR 303/05, ZIP 2006, 2171. 4 IDW Prüfungsstandard PS 800 v. 6.3.2009, WPg Supplement 2/2009, S. 42. 5 Zur Fortführungsprognose: IDW Prüfungsstandard PS 270 v. 9.9.2010, WPg Supplement 4/2010, S. 1 ff. 6 BGH v. 27.4.2009 – II ZR 253/07, ZInsO 2009, 1159 (Rz. 21); BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, ZIP 2007, 676; Gottwald/Haas/Hossfeld, InsHdb, § 92 Rz. 75 f. 7 Altmeppen, ZIP 1997, 1173 (1182), mit der Folgerung, dass ein über das negative Interesse hinausgehender Betrag an den Neugläubiger auszukehren sei (§ 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BGB). Vgl. zur Insolvenzverwalterhaftung BGH v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, ZIP 2004, 1107 (1113).
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hätte. Dazu darf er sich nicht in Widerspruch setzen, indem er zusätzlich zum Schadensausgleich gleichrangig mit dem Geschäftsführer eine Insolvenzquote auf die Differenz des Kontrahierungsschadens zum Nichterfüllungsschaden erhält. 109 Bei der Innenhaftung können wegen derselben Vorgänge Ansprüche gegen den Geschäftsführer mit Ansprüchen gegen den Zahlungsempfänger wegen insolvenzrechtlicher Anfechtung (vgl. § 10 dieses Buches) konkurrieren. Es stellt sich die Frage, ob der Geschäftsführer den Insolvenzverwalter darauf verweisen darf, zunächst den Zahlungsempfänger in Anspruch zu nehmen. Ein solches Verlangen wäre jedoch treuwidrig; denn der Geschäftsführer sollte eine Masseschmälerung vermeiden. Hat er das nicht getan, kann es nicht Sache des Insolvenzverwalters sein, nachträglich die Aufgaben des Geschäftsführers wahrzunehmen und die Zahlungen wieder „einzusammeln“, bevor er sich an den Geschäftsführer halten darf. Zu Recht hat der BGH deshalb ein auf die Anfechtbarkeit der Zahlung gestütztes Zurückbehaltungsrecht verneint1. Stattdessen sind Erstattungsansprüche gegen Dritte Zug um Zug gegen Ausgleich der Masseschmälerung an den Geschäftsführer abzutreten2, was im Prozess auf seine Einrede zu berücksichtigen ist (Diese Abtretung ist nicht zu verwechseln mit dem Vorbehalt, nach der Zahlung an die Stelle des befriedigten Gläubigers zu treten.) 110 Die Abtretung eines Anfechtungsanspruchs ist zulässig und insbesondere nicht wegen § 399 HS. 1 BGB ausgeschlossen3. Allerdings verjährt die insolvenzrechtliche Anfechtung in drei Jahren, §§ 146 Abs. 1 InsO, 195 BGB (vgl. § 10 Rz. 362 ff.), beginnend mit der Verfahrenseröffnung und Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis des Verwalters von den anspruchsbegründenden Tatsachen. Dem gegenüber gilt für den Haftungsanspruch eine Verjährungsfrist von fünf Jahren, §§ 64 S. 4, 43 Abs. 4 GmbHG4. Bis ein solcher Prozess entschieden ist, wird die Anfechtungsverjährung längst eingetreten sein. Deshalb stellt sich die Frage, ob sich der Insolvenzverwalter wenigstens um eine Verjährungsunterbrechung bemühen muss. Der BGH hatte eine Anfechtungspflicht des Verwalters u.a. mit der Begründung abgelehnt5, dass der Geschäftsführer nicht anders dastehe als ein Bürge, der für die Hauptverbindlichkeit des Gemeinschuldners nur deshalb in Anspruch genommen werde, weil der Verwalter die Masse durch Untätigkeit verkürzt hätte. Dem Bürgen gegenüber existiere keine insolvenzspezifische Pflicht, die Masse anzureichern. Eine Übertragung dieses Rechtsgedankens auf die Geschäftsführerhaftung übersieht allerdings, dass § 64 S. 1 GmbHG im Gegensatz zur Bürgenhaftung ein Ersatzanspruch eigener Art ist, auf den § 254 BGB analog anwendbar sein dürfte. Danach muss es sich der Verwalter entgegenhalten lassen, wenn er es schuldhaft versäumt hat, den Schaden zu mindern, § 254 Abs. 2 BGB. Die insolvenzrechtliche Anfechtung und die Haftung des § 64 S. 1 GmbHG dienen beide dem Schutz insolvenzrechtlicher Verteilungsgrundsätze. Der Verwalter ist verpflichtet, sämtliche Anfechtungsansprüche zu prüfen und gegebenenfalls geltend zu machen. Da er aus rechtlichen oder wirtschaftlichen Gründen nie sicher sein kann, dass Haftungsansprüche gegen den Geschäftsführer realisiert werden, muss er die Anfechtbarkeit unabhängig davon untersuchen, ob er zusätzlich beim Geschäftsführer Regress nehmen will. Der Verwalter darf im Lichte des § 254 Abs. 2 BGB nicht seinen eigenen Pflichtenkreis verletzen, um sich lange nach Ablauf der Anfechtungsfrist beim Geschäftsführer schadlos zu halten. 111 Der Verwalter wird jedoch nicht auf eigenes Risiko einen Anfechtungsprozess führen müssen, um die vom Empfänger geleistete Rückzahlung sodann dem Geschäftsführer gutzubringen. Ähnlich der Hinweisobliegenheit eines Geschädigten auf die Mög-
1 BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 ff. = ZIP 2001, 235 ff.; OLG Celle v. 23.4.1997 – 9 U 189/96, GmbHR 1997, 901 (903). 2 OLG Jena v. 11.12.2001 – 8 U 741/01, ZIP 2002, 986 (987); Gottwald/Haas/Hossfeld, InsRHdb, § 92 Rz. 167. 3 BGH v. 17.2.2011 – IX ZR 91/10, ZIP 2011, 1114 (Rz. 8). 4 Zu den unterschiedlichen Verjährungsfristen im Innen- und Außenverhältnis s. OLG Schleswig v. 6.11.2000 – 16 U 67/00, DZWIR 2001, 330. 5 BGH v. 18.12.1995 – II ZR 277/94, ZIP 1996, 420 (421).
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lichkeit der Schadensminderung1 ist auch ein Verwalter gehalten, den Geschäftsführer rechtzeitig auf Anfechtungsansprüche hinzuweisen, die durch dieselben Handlungen begründet wurden, auf die der Haftungsanspruch gestützt wird. Damit ist aber noch nicht viel gewonnen; denn die Verjährung des Anfechtungsanspruchs kann nur der Gläubiger hemmen, zu dem der Geschäftsführer erst mit der Abtretung wird. Das wird nur gegen Zahlung geschehen. Sie kann sich hinziehen, sei es, dass die Haftung aus § 64 S. 1 GmbHG rechtlich streitig ist, sei es, dass der Geschäftsführer wirtschaftlich (vorübergehend) unvermögend ist. Bis dahin wird man dem Geschäftsführer aber zubilligen müssen, vom Verwalter eine Inanspruchnahme des Anfechtungsgegners zu verlangen, wenn er den Verwalter von sämtlichen Kostenrisiken in werthaltiger Form – z.B. Vorschuss, Absicherung – freihält. Die Anfechtungsgegner dürfen sich nicht darauf berufen, dass es wegen der Haftung 112 bzw. Ausgleichszahlung des Geschäftsführers an einer Gläubigerbenachteiligung fehle; denn seine Haftung setzt nur deshalb ein, weil die Anfechtungsgegner rechtswidrig bevorzugt wurden. Sie sind im Vergleich zum Geschäftsführer nicht schutzwürdig. Muss der Zahlungsempfänger den Haftungsbetrag nicht zurückführen, weil z.B. die 113 Anfechtungsvoraussetzungen nicht erfüllt sind oder Verjährung eingetreten ist, ist durch seine Befriedigung die Anzahl der Gläubiger endgültig geringer geworden. Leistet der Geschäftsführer Ersatz, ist die Masse so hoch wie ohne die unzulässige Zahlung, braucht aber nur an weniger Gläubiger verteilt zu werden. Um eine Besserstellung der verbliebenen Gläubiger zu vermeiden, ist dem Geschäftsführer im Urteil vorzubehalten, nach Erstattung an die Masse seine Rechte gegen den Insolvenzverwalter zu verfolgen2. Dabei handelt es sich um eine Masseverbindlichkeit mit dem Rang einer Insolvenzforderung, da sie inhaltlich dem entspricht, was der begünstigte Gläubiger im Verteilungsverfahren erhalten hätte, wäre die Zahlung an ihn unterblieben. Eine formelle Insolvenzforderung ist dieser Anspruch deshalb nicht, weil sie im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung nicht (mehr) bestand. Für die Praxis ist darauf zu achten, dass die Abtretung des Anfechtungsanspruchs und dieser Vorbehalt nebeneinander geltend gemacht3 werden, solange unsicher ist, ob der (abgetretene) Anfechtungsanspruch durchdringt.
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7. § 64 S. 3 GmbHG Der neue Haftungstatbestand des § 64 S. 3 GmbHG wurde durch das am 1.11.2008 in 115 Kraft getretene MoMiG eingeführt. Als Erstattungsanspruch eigener Art ergänzt er die bilanzorientierte Ausschüttungssperre des § 30 Abs. 1 GmbHG um eine solvenzorientierte Ausschüttungssperre4. Der Begriff der Zahlung erfasst nicht nur reine Geldleistungen, sondern auch ver- 116 gleichbare Leistungen, durch welche der Gesellschaft im Ergebnis Liquidität entzogen wird5. Bilanzneutrale Zahlungen auf fällige Verbindlichkeiten, die dadurch zugleich reduziert werden, fallen aber nicht unter die Vorschrift, weil die Zahlungsunfähigkeit nicht im Sinne des Gesetzeswortlauts verursacht wird, wenn sie bereits eingetreten ist6. Damit ist, wovon auch der Gesetzgeber ausging, der Anwendungsbereich der Regelung gering. Sie kommt insbesondere bei Zahlungen auf nicht im insolvenzrechtlichen Sinn fällige (§ 17 Abs. 2 S. 1 InsO) Geldschulden und – eher theoretisch – bei einer Vergrößerung der Deckungslücke auf mehr als 10 % in Betracht7.
1 Palandt/Grüneberg, BGB, § 254 Rz. 36 ff. 2 BGH v. 19.2.2013 – II ZR 296/12, ZIP 2013, 1251 (Rz. 3); BGH v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550; BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, ZIP 2001, 235 (239). 3 Wenngleich der Vorbehalt in ein Urteil von Amts wegen aufzunehmen ist, BGH v. 19.2.2013 – II ZR 296/12, ZIP 2013, 1251 (Rz. 3); BGH v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550. 4 Streit/Bürk, DB 2008, 742 (749); Hirte, ZInsO 2008, 689 (697). 5 Hirte, ZInsO 2008, 689 (697); Gehrlein, Der Konzern 2007, 771, 795. 6 BGH v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, ZIP 2012, 2391 (Rz. 7, 10 f.). 7 BGH v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, ZIP 2012, 2391 (Rz. 13).
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Der Begriff der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 64 S. 3 GmbHG wird genauso definiert wie in § 17 InsO1. 117 Die Haftung tritt auch dann ein, wenn die Gesellschafter den Eintritt der Insolvenz nach Vornahme der haftungsauslösenden Leistungen noch viele Monate durch freiwillige Stützungszahlungen hinauszögern2. 118 Die Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift muss – bis auf die Erkennbarkeit für den Geschäftsführer – die Gesellschaft bzw. der Insolvenzverwalter beweisen. Allerdings sind Beweiserleichterungen anzuerkennen, wenn die Geschäftsführung keine Liquiditätsplanung gemacht hat3. 119 Rechtsfolge ist, dass der Geschäftsführer die fraglichen Zahlungen zu erstatten hat, soweit der Entzug der Liquidität nicht unmittelbar durch etwaige Gegenleistungen ausgeglichen wurde. Der Anspruch gegen den Geschäftsführer verjährt gemäß § 64 S. 4 iVm. § 43 Abs. 4 GmbHG innerhalb von fünf Jahren. 8. Gesamtverantwortung 120 Der ressortfremde Geschäftsführer kann sich einer Haftung nicht entziehen4. § 15a Abs. 1, 2 InsO verpflichtet ausdrücklich „die Mitglieder des Vertretungsorgans“ und § 64 S. 1, 3 GmbHG „die Geschäftsführer“ zur Antragstellung und zum Ersatz unzulässiger Zahlungen. Damit ist ebenso wie bei § 43 Abs. 2 GmbHG die solidarische Haftung gemeint. Allerdings darf eine Aufgabenverteilung nicht negiert werden, vorausgesetzt, dass sie klar und eindeutig ist5. „Interne Zuständigkeitsregelungen lassen ebenso wie die Delegation die Eigenverantwortlichkeit nicht erlöschen. Es bleiben stets Überwachungspflichten, die Veranlassung zum Eingreifen geben, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Erfüllung von der Gesellschaft obliegenden Aufgaben durch den (intern) zuständigen Geschäftsführer oder den mit der Erledigung beauftragten Arbeitnehmer nicht mehr gewährleistet sind.“6
Umgekehrt formuliert heißt das, dass Fehler dem Geschäftsführer bei einer Ressortaufteilung oder gar bei einer Delegation an Mitarbeiter im eigenen Ressort so lange nicht zuzurechnen sind, solange keine Veranlassung zum Eingreifen besteht. Die Überwachungspflichten werden durch die zu § 831 BGB ergangene Rechtsprechung konkretisiert werden können. Bei der gesunden Gesellschaft reicht es aus, wenn sich z.B. der technische Geschäftsführer in regelmäßigen Abständen über die Situation vom kaufmännischen Geschäftsführer informieren lässt. Eine Initiativlast zur eigenen Selbstprüfung fällt ihm erst zu, wenn er – mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes – Anhaltspunkte für eine insolvenzrechtlich relevante Krise haben müsste. Erhält er dann keine Information, muss er nach kurzer Fristsetzung mit Nachricht an die Gesellschafter sofort sein Amt niederlegen, will er einer Haftung entgehen7. In vielen mittelständischen Unternehmen ist eine Haftung vor allem für den „Zölibatsgeschäftsführer“ gefährlich, der als Senior meist nur noch aus steuerlichen oder Repräsentationsgründen weiterhin den „Titel“ trägt, sich ansonsten aber jeder aktiven Einflussnahme enthält8. Eine ähnliche Position besitzt in Konzernen oftmals der Vorstandsvorsitzende der Hauptgesellschaft, der in Tochtergesellschaften zum Mit-Geschäftsführer bestellt wird, um dort aus praktischen Gründen vertretungsberechtigt zu sein.
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BGH v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, ZIP 2012, 2391 (Rz. 11). OLG Celle v. 9.5.2012 – 9 U 1/12, ZIP 2012, 2394. OLG Celle v. 9.5.2012 – 9 U 1/12, ZIP 2012, 2394 (2396). BGH v. 1.3.1994 – II ZR 81/94, ZIP 1994, 891 (892). BFH v. 31.10.2005 – VII B 57/05, GmbHR 2006, 274, wobei die für die steuerliche Entlastung geforderte Schriftform für die Entlastung bei der gesellschaftsrechtlichen Krisenhaftung u.E. nicht notwendig sein dürfte. 6 BGH v. 9.1.2001 – VI ZR 407/99, ZIP 422, 424. 7 BFH v. 31.10.2005 – VII B 57/05, GmbHR 2006, 274. 8 BFH v. 11.3.2004 – VII R 52/02, GmbHR 2004, 833, FG Münster v. 16.11.2006 – 8 K 2601/04.
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9. Faktischer Geschäftsführer Das Gegenstück zum „Zölibatsgeschäftsführer“ ist der faktische Geschäftsführer (vgl. § 5 Rz. 96 ff. zu dessen strafrechtlicher Verantwortlichkeit). Er ist besonders häufig in Krisenunternehmen anzutreffen. Seinen Namen will er nicht mit einem etwaigen Insolvenzverfahren in Verbindung bringen, gleichwohl die Fäden in der Hand halten. Eine andere Form ist der Krisenmanager, der formal die Stellung eines Beraters innehat, aber wie ein Geschäftsführer agiert.
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Faktischer Geschäftsführer ist derjenige, der wie ein Geschäftsführer agiert und bei 122 dem nur der Bestellungsakt fehlerhaft ist1. Umgekehrt ist der Gesellschafter, der die Unternehmenspolitik mitbestimmt und an Sanierungskonzepten mitwirkt, nicht schon wegen solcher Aktivitäten faktischer Geschäftsführer2; denn die Gesellschafter dürfen auf die Geschäftsführung einwirken, §§ 37 Abs. 1, 45 Abs. 1 GmbHG. Hinzukommen muss „ein nach außen hervortretendes, üblicherweise der Geschäftsführung zuzurechnendes Handeln“3. Erforderlich ist, dass „der Betreffende nach dem Gesamterscheinungsbild seines Auftretens die Geschicke der Gesellschaft – über die interne Einwirkung auf die satzungsmäßige Geschäftsführung hinaus – durch eigenes Handeln im Außenverhältnis (…) maßgeblich in die Hand genommen hat“4. Das kann auch neben ordnungsgemäß berufenen Geschäftsführern stattfinden5. Allerdings muss dies mit Wissen und Wollen der Gesellschafter geschehen6. Der faktische Geschäftsführer muss dafür nicht alle Geschäftsführungsmaßnahmen wahrnehmen7. Es reicht aus, dass er sich wie ein Geschäftsführer geriert8. Dazu gehört insbesondere, aus eigener „Machtvollkommenheit“ zu entscheiden, welche Gläubiger vorrangig bedient werden, oder eine Alleinverfügungsbefugnis über das wesentliche Bankkonto zu haben oder alleine Verhandlungen mit der Bank zu führen und dabei auch Entscheidungen zu treffen. Maßgebend ist das Gesamtgepräge nach Außen bei der Wahrnehmung von Kernaufgaben der Geschäftsführung. Ebenso wie bei einer mehrköpfigen Geschäftsführung müssen nicht sämtliche Geschäftsführungsangelegenheiten von dem faktischen Geschäftsführer allein wahrgenommen werden. Der faktische Geschäftsführer ist wie der ordnungsgemäß bestellte insolvenzantrags- 123 pflichtig. Ihn trifft dieselbe Haftung sowohl gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 GmbHG als auch gemäß § 64 S. 1, 3 GmbHG9. 10. Darlegungs- und Beweislast, Schiedsverfahren Den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung muss der Gläubiger 124 des Haftungsanspruchs darlegen und beweisen, also der Liquidator, Insolvenzverwalter oder Neugläubiger10. Soweit es die Zahlungsunfähigkeit anbetrifft, gelingt das – allerdings auch nur für „Insider“ – anhand der Buchhaltung und der im Insolvenzverfahren angemeldeten Forderungen relativ leicht. Wurden Verbindlichkeiten bis zur Verfahrenseröffnung nicht beglichen, ist regelmäßig von einer Zahlungsunfähigkeit ab ihrer Fälligkeit auszugehen11. Macht der Geschäftsführer geltend, dass For1 2 3 4 5
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Gottwald/Haas/Hossfeld, InsRHdb, § 92 Rz. 37 m.w.N. BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, ZIP 2002, 848 (851); K. Schmidt, GesR, § 14 III.4.a, IV.1. BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, ZIP 2002, 848. BGH v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550. BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96 (105 f.); BGH v. 21.3.1988 – II ZR 194/87, BGHZ 104, 44 (47); BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, ZIP 2002, 848 (851); OLG Jena v. 28.11.2001 – 4 U 234/01, ZIP 2002, 631 (632). BGH v. 11.12.1997 – 4 StR 323/97, NJW 1998, 767 (769); BayObLG v. 20.2.1997 – 5 StR RR 159/96, NJW 1997, 1936. BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96 (105 f.); BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, NJW 2002, 1803 (1805) m.w.N. zu Rspr. und Lit. Scholz/K. Schmidt, GmbHG, Anh § 64 Rz. 22. BGH v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550; MünchKommGmbHG/Wießmann, § 84 Rz. 55; Michalki/Nerlich, GmbHG, § 64 Rz. 16. BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, ZIP 1994, 1103 (1110). BGH v. 29.3.2012 – IX ZR 40/10, NZI 2012, 1206 (Rz. 15); BGH v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, ZIP 2011, 1416 (Rz. 15).
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derungen entgegen § 271 BGB nicht fällig gewesen seien, muss er diese Ausnahme darlegen1. Dazu gehört der Vortrag zu Stundungsvereinbarungen. Dazu gehört ferner, dass eine Zahlungsunfähigkeit, die länger als drei Wochen andauert, ursprünglich noch als kurzfristig überwindbar und damit als für einen Insolvenzgrund unbeachtliche Zahlungsstockung angesehen werden durfte2. 125 Schwieriger ist die Feststellung der Überschuldung. Allein die Unterlassung der ständigen Selbstprüfung in der Krise begründet noch keine Verpflichtung des Geschäftsführers, den „Nichteintritt“ der Überschuldung zu verschiedenen Zeitpunkten darzulegen3. Es bleibt also bei der Beweislast des Anspruchstellers. Allerdings verfügt der Verwalter/Gläubiger häufig noch nicht einmal über aktuelle Jahresabschlüsse, geschweige denn über Zwischenabschlüsse zu unterjährigen Stichtagen, an denen der Insolvenzgrund eingetreten seine könnte. In Bezug auf die nach dem neuen Überschuldungsbegriff wesentliche Frage des Bestehens einer positiven Fortführungsprognose verfügt der Insolvenzverwalter aber regelmäßig über die Unterlagen, die er zur Prüfung der Zahlungsunfähigkeit benötigt. Hieraus kann er im Umkehrschluss auch ableiten, wann die Gesellschaft absehen konnte, dass sie nicht mehr zahlungsfähig sein wird. Ab diesem Moment entfällt dann die positive Fortführungsprognose und die Überschuldung tritt ein. Dem Geschäftsführer obliegt es dann nachzuweisen, dass entgegen der sich aus den Unterlagen ergebenden Situation andere Umstände zum damaligen Zeitpunkt hinzutraten, die die Zahlungsfähigkeit sicherten und ihn davon ausgehen ließen, dass keine Überschuldung vorlag. 126 Steht hiernach der Insolvenzgrund fest, wird die Erkennbarkeit widerlegbar vermutet4. Ebenso wird vermutet, dass Auszahlungen gemäß § 64 S. 1, 3 GmbHG nicht der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes entsprechen. Dagegen steht dem Geschäftsführer der Nachweis offen, dass die Zahlung um der Unternehmenserhaltung oder anderer Vorteile Willen erfolgte und deshalb sorgfaltsgemäß war5. 127 Gesellschaftsverträge enthalten häufig Schiedsabreden, die den Geschäftsführer zumindest dann betreffen können, wenn er nicht nur als Gesellschafter, sondern ausdrücklich auch in der Eigenschaft als Geschäftsführer einbezogen wird. Ansonsten bedarf es einer Schiedsvereinbarung im Zusammenhang mit dem Anstellungsvertrag. 128 Haftungsansprüche gegen den Geschäftsführer sind unverzichtbar, soweit ihre Durchsetzung zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist, §§ 43 Abs. 3, 9b Abs. 1 GmbHG. Daraus wurde zum alten Schiedsverfahrensrecht gefolgert, dass die Ansprüche auch nicht Gegenstand einer Schiedsvereinbarung sein können. Der BGH ist dem schon zum alten Recht nicht gefolgt. Zum Einlageanspruch hat er entschieden, dass die Unverzichtbarkeit des § 19 Abs. 2 S. 1 GmbHG nicht dem Zweck diene, bei Streitigkeiten ein Entscheidungsmonopol staatlicher Gerichte zu sichern6. Wenn danach sogar Auseinandersetzungen über Einlageleistungen schiedsfähig sind, muss das auch für die hier beschriebenen Ansprüche gelten. Nach dem seit 1997 geltenden Schiedsverfahrensrecht ist die Vergleichsfähigkeit bei vermögensrechtlichen Ansprüchen ohnehin keine Voraussetzung mehr für die Wirksamkeit der Schiedsabrede. Eine wirksame Schiedsvereinbarung bindet auch den Insolvenzverwalter, soweit die Ansprüche unter die Abrede fallen7, was z.B. nicht für insolvenzrechtliche Anfechtungsansprüche gilt. In der Praxis wird ein Schiedsvertrag meist übersehen.
1 BGH v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07, ZIP 2007, 1666; BGH v. 14.7.2003 – II ZR 335/00, DStR 2004, 324. 2 BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, ZIP 2005, 1426; BGH v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222. 3 A.A. Altmeppen, ZIP 2001, 2201 (2209). 4 BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 (Rz. 38); BGH v. 18.10.2010 – II ZR 151/09, ZIP 2010, 2400 (Rz. 14). 5 BGH v. 8.6.2009 – II ZR 147/08, ZIP 2009, 1468 (Rz. 13). 6 BGH v. 19.7.2004 – II ZR 65/03, ZIP 2004, 1616. 7 BGH v. 30.6.2011 – III ZB 59/10, ZIP 2011, 1477 (Rz. 14); BGH v. 19.7.2004 – II ZR 65/03, ZIP 2004, 1616.
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11. Weisung, Verzicht, Vergleich Nach § 64 S. 4 GmbHG findet § 43 Abs. 3 GmbHG entsprechende Anwendung. Dort 129 ist bestimmt, dass die Ersatzpflicht nicht ausgeschlossen ist, wenn der Geschäftsführer in Ausführung eines Gesellschafterbeschlusses handelt, soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist. Dieses Erfordernis ist bei den hier in Rede stehenden Erstattungsansprüchen immer erfüllt. Problematisch ist die Weiterverweisung in § 43 Abs. 3 GmbHG auf § 9b Abs. 1 S. 2 GmbHG. Danach ist ein Verzicht auf bzw. ein Vergleich über die Ersatzansprüche nur zulässig, wenn der Geschäftsführer seinerseits zahlungsunfähig ist und sich zur Abwendung des Insolvenzverfahrens oder in einem Insolvenzplan mit seinen Gläubigern vergleicht. Daraus wird von einigen geschlussfolgert, dass sich der Insolvenzverwalter ebenso wie 130 die Gesellschafter nur unter diesen Voraussetzungen vergleichen dürfe1. Dass das Vergleichsverbot die Gesellschafter vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens trifft, ist selbstverständlich. Es aber auf den Insolvenzverwalter ebenfalls anzuwenden, ist zweifelhaft2. § 64 S. 1, 3 GmbHG dient genauso der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger wie die sonstige Masseverwertung, bei der es kein Vergleichsverbot gibt. Es macht wenig Sinn, sich mit dem Empfänger einer Zahlung im Anfechtungsstreit vergleichen zu dürfen, wegen derselben Zahlung mit dem Geschäftsführer aber einen Haftungsprozess bis zur Rechtskraft führen zu müssen. § 9b Abs. 1 GmbHG ist Ausfluß des Grundsatzes, dass das Vermögen der Gesellschaft im werbenden Betrieb zur Befriedigung ihrer Ansprüche genügen muss. Da dieser Grundsatz bei einer insolventen Gesellschaft nicht mehr gilt, sollte ein Vergleich zulässig sein, solange er nicht erkennbar insolvenzzweckwidrig ist3, mit dem Abschluss also insbesondere nicht gegen die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters i.S.d. § 60 InsO verstoßen wird. Die Frage eines Vergleichs über die Innenhaftung gemäß § 64 S. 1, 3 GmbHG muss genauso entschieden werden, wie die über die Einlageverpflichtung gemäß § 19 GmbHG. Auch hier sind gütliche Regelungen im Interesse der Gläubigergemeinschaft zulässig4. Da die Haftungsansprüche gegen den Geschäftsführer in der Praxis häufig einen Umfang haben, der bei vollständiger Durchsetzung zu seiner Zahlungsunfähigkeit führen würde, sollte deren Abwendung vorsorglich als eine Vergleichsgrundlage ausdrücklich genannt werden, damit nicht später die Unwirksamkeit geltend gemacht wird, nachdem der Verwalter die Vergleichszahlung vereinnahmt hat. 12. Verjährung Die Verjährungsfrist der auf § 64 S. 1, 3 GmbHG gestützten Ansprüche beträgt 131 entsprechend der Verweisung auf § 43 Abs. 4 GmbHG fünf Jahre, beginnend mit der Entstehung des Anspruchs, also der verbotswidrigen Auszahlung. Auf die Kenntnis kommt es nicht an, da § 199 Abs. 1 BGB nur für die Regelverjährung gilt. Die Ansprüche auf Ersatz des Neugläubigerschadens und des Quotenschadens für die Altgläubiger gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB, 15a InsO verjähren hingegen in drei Jahren ab Kenntnis, spätestens in zehn Jahren seit der Entstehung, §§ 195, 199 Abs. 1, 3 BGB5. 13. Haftung ohne Insolvenzverfahren Die über § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO GmbHG eingreifende Außenhaftung ist nicht von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens abhängig. Die Verletzung der Antragspflicht ist nach dem eindeutigen Wortlaut ausreichend. Anders könnte man für die Innenhaftung des § 64 S. 1, 3 GmbHG geneigt sein zu entscheiden; denn hier geht 1 Scholz/Bitter, GmbHG, Anh § 64 Rz. 75 f. 2 Ablehnend z.B. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 43 Rz. 47, der jedoch die Zulässigkeit im Insolvenzplan bejaht. 3 RG v. 8.5.1911 – Rep. VI 245/10, RGZ 76, 250; K. Schmidt, KTS 2001, 373 (378 ff.); allgemein zur Insolvenzzweckwidrigkeit: Lüke in Kübler/Prütting, InsO, EL 8/2001, § 80 Rz. 28 ff. 4 Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 19 Rz. 20; Michalski/Ebbing, GmbHG, § 19 Rz. 71 ff. 5 BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 (Rz. 14 f.) zum Verjährungsbeginn: BGH v. 22.4.2004 – IX ZR 128/03, ZInsO 2004, 676 (677).
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es um die Vermeidung einer Verkürzung der Insolvenzmasse. Wird sie mangels Verfahrenseröffnung nicht gebildet, können insolvenzrechtliche Verteilungsgrundsätze nicht zum Zuge kommen. Eine solche Argumentation bedeutet jedoch, dass gerade die krassen Fälle haftungsfrei blieben, in denen das Vermögen völlig aufgezehrt und der Eröffnungsantrag mangels Verfahrenskostendeckung abgewiesen werden würde. Um das zu vermeiden, hat der BGH nicht nur den Fortbestand der Ansprüche bei der Ablehnung eines Insolvenzantrages akzeptiert, so dass die Haftung vom Liquidator geltend gemacht werden muss, sondern auch ihre Pfändbarkeit im Wege der Einzelzwangsvollstreckung zugelassen1; denn der Wortlaut von § 64 S. 1 GmbHG knüpfe ebenso wie der des § 15a InsO nur an das Vorliegen eines Insolvenzgrundes an. VIII. Culpa in contrahendo, Aufklärungspflicht 133 In der Entwicklung der Rechtsprechung zur Außenhaftung des Geschäftsführers haben sich die Tatbestände des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO einerseits und der culpa in contrahendo andererseits zueinander wie kommunizierende Röhren verhalten. Während der BGH den Gläubigern aufgrund von § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. zunächst nur den geringen Schutz des Quotenschadens zubilligte, war er beim Schadensersatz wegen culpa in contrahendo großzügig und ließ anfänglich eine maßgebende Beteiligung an der Gesellschaft ausreichen2. Später verlangte er ein zusätzliches Engagement des Geschäftsführers3 z.B. durch Darlehen, um ein wirtschaftliches Eigeninteresse zu begründen, das eine Aufklärungspflicht über die Insolvenzsituation rechtfertigte. Im Jahre 1994 lehnte er schließlich eine Verhandlungshaftung ab, soweit der Geschäftsführer bei dem Vertragspartner kein „zusätzliches, von ihm selbst ausgehendes Vertrauen auf die Vollständigkeit und Richtigkeit seiner Erklärungen hervorgerufen hat“, die sich „im Vorfeld einer Garantiezusage“ bewegen4. Seitdem ist dieser Haftungstatbestand gegenüber Neugläubigern nahezu bedeutungslos5. Im Gegenzug erstarkte § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. zum Schutzgesetz für die Neugläubiger, so dass die culpa in contrahendo allenfalls noch relevant sein konnte für die Zeit zwischen dem Eintritt eines Insolvenzgrundes und dem Ende der Antragsfrist; denn der Schutz des § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. greift erst in der Verschleppungsphase. Vor dem Ende der Antragsfrist gelten jedoch wohl erst recht die Erwägungen, mit denen der BGH die Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens abgelehnt hat. 134 Dagegen hat insbesondere K. Schmidt eingewandt, dem Geschäftsführer werde ein auf die GmbH bezogenes Solvenzvertrauen entgegengebracht6. Die Konsequenzen sind weitgehend identisch mit der durch § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. begründeten Außenhaftung des Geschäftsführers. Der Unterschied wird nur in zwei Fällen relevant. Der erste ist, dass die Haftung wegen c.i.c. nach dieser Auffassung keine Insolvenzverschleppung voraussetzt und schon vor Ablauf der Drei-Wochen-Frist eingreift. Der zweite Unterschied liegt in der Zurechnung des Fehlverhaltens von Mitarbeitern. Wenn nämlich in den Geschäftsführer ein Solvenzvertrauen gesetzt wird, müsste er dafür Sorge tragen, dass auch die Mitarbeiter die eigentlich ihm obliegenden Informationen erteilen. Erteilen sie falsche Auskünfte, kann es konsequenterweise nicht gemäß § 166 Abs. 1 BGB auf ihr Wissen ankommen, selbst wenn die Mitarbeiter beispielsweise als Prokuristen eigenverantwortlich Verträge schließen. Vielmehr müsste § 278 BGB eingreifen, weil der Geschäftsführer die Mitarbeiter zur Erfüllung der Pflicht einschaltet7, die sich aus dem (angeblich) in seine Person gesetzten Vertrauen ergibt. 1 BGH v. 11.9.2000 – II ZR 370/99, ZIP 2000, 1896 (1898); s. ferner BGH v. 23.9.2010 – IX ZB 204/09, ZIP 2010, 2107 (Rz. 13 f.). 2 BGH v. 23.2.1983 – VIII ZR 325/81, BGHZ 87, 27 (33 f.); BGH v. 27.10.1982 – VIII ZR 187/81, ZIP 1982, 1435. 3 BGH v. 23.10.1985 – VIII ZR 210/84, ZIP 1986, 26 (29). 4 BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, ZIP 1994, 1103 (1106); Hervorh. d. Verf.; Bsp. für ein selbständiges Garantieversprechen BGH v. 18.6.2001 – II ZR 148/99, DStR 2001, 1671 (1672). 5 Ein Bsp. für eine Haftung aus c.i.c. bietet BGH v. 18.2.2002 – II ZR 358/99, DStR 2002, 923 f. 6 Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 64 Rz. 68. 7 Wäre es anders, würde die Haftung mit zunehmender Organisationsgröße abnehmen.
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Haftung fr Verfahrenskosten gemß § 26 Abs. 3, 4 InsO
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Einer solchen Haftungsausweitung ist nicht zuzustimmen. Das einer großen Ge- 135 sellschaft als Organisation entgegengebrachte Solvenzvertrauen kann nicht personifiziert werden1. Der Schritt wäre dann nicht mehr weit, um dies auf sämtliche Verkehrssicherungspflichten wie bspw. die Produkthaftung auszudehnen. Auch in diesem Bereich geht der Geschäftspartner nur davon aus, die GmbH sei so organisiert, dass ihre Geschäftstätigkeit keinen schädigt. Eine unmittelbare persönliche Haftung steht nicht im Einklang mit §§ 311 Abs. 3, 280, 282 BGB, der kein allgemeines Verkehrsvertrauen, sondern ein „im besonderen Maße“ in Anspruch genommenes Vertrauen voraussetzt2. Unabhängig von dem hier abgelehnten typisierten Vertrauen kann es natürlich zu ei- 136 ner Haftung gemäß § 311 Abs. 3 BGB führen, wenn besondere Erklärungen abgegeben werden. Das ist kein Spezifikum der Krisenhaftung, sondern begründet eine Haftungsgefahr bei jeder Form der Vertretung, sei sie nun organschaftlicher oder rechtsgeschäftlicher Natur. Allerdings ist die Krise häufig Anlass für eine besondere Vertrauenswerbung. Dem Geschäftsführer und nicht der Organisation wird ein besonderes Vertrauen aber erst entgegengebracht, wenn er die Rolle des Vertreters deutlich verlässt und ein auf sich bezogenes Vertrauen in Anspruch nimmt3, das sich im Vorfeld einer Garantiezusage bewegt. Der Hinweis auf die eigene Kompetenz reicht nicht aus, besagt er doch nur, dass die Verpflichtungen als Organ besonders gewissenhaft erfüllt werden. Ein Verstoß führt allenfalls zur Innenhaftung. Geringere Anforderungen gelten allerdings, wenn der Gläubiger erkennbar mit Rücksicht auf das freund- oder verwandtschaftliche Verhältnis zum Geschäftsführer einen (Waren-) Kredit ausreicht. Oder wenn ein Geschäft gleichsam für Rechnung des Vertreters geführt wird4. Dafür reicht ein mittelbarer Vorteil kraft Beteiligung an der GmbH und/ oder als Kreditgeber der Gesellschaft nicht aus. Liegen hingegen die Ausnahmen vor, ist der Geschäftsführer verpflichtet, von sich aus über den Insolvenzgrund aufzuklären. Außer aus culpa in contrahendo könnte sich eine persönliche Haftung auch aus § 242 137 BGB wegen eines Aufklärungsverschuldens ergeben. Aufklärungspflichten bestehen immer dann, wenn nur einem Vertragsteil Umstände bekannt sind, die für die Erreichung des Vertragszwecks von wesentlicher Bedeutung sind und deren Mitteilung der andere Vertragsteil deshalb nach Treu und Glauben verlangen darf5. Dazu gehört auch die Aufklärung über eine Zahlungsunfähigkeit, wenn die Erfüllung einer nicht Zug-um-Zug abzuwickelnden Verbindlichkeit ernsthaft gefährdet ist. Die Aufklärungspflicht betrifft jedoch in erster Linie die GmbH als Verhandlungspartei, den Geschäftsführer nur unter den Voraussetzungen der c.i.c., so dass hieraus keine zusätzliche Haftung resultiert. Der Gläubiger wäre im übrigen auch nicht stärker geschützt als bei einem Eingehungsbetrug, dessen Straftatbestand ein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB ist. IX. Haftung für Verfahrenskosten gemäß § 26 Abs. 3, 4 InsO Das Insolvenzgericht weist einen Eröffnungsantrag ab, wenn die Kosten des Verfah- 138 rens nicht gedeckt sind, §§ 26 Abs. 1, 54 InsO (vgl. § 6 Rz. 130 ff.). Die Abweisung unterbleibt, wenn ein ausreichender Geldbetrag vorgeschossen wird (vgl. § 6 Rz. 126). Diesen Vorschuss muss jeder Geschäftsführer, der den Insolvenzantrag nicht rechtzeitig gestellt hat, demjenigen, der einen solchen Vorschuss geleistet hat, erstatten, § 26 Abs. 3 InsO6. Es kommt nicht darauf an, ob während des Verzögerungszeitraumes eine Masseschmälerung eingetreten ist. Ist streitig, ob der Geschäftsführer pflichtwidrig und schuldhaft gehandelt hat, legt das Gesetz ihm die Beweislast auf. Zugunsten des vorschussleistenden Gläubigers wird also vermutet, dass der Antrag 1 2 3 4 5 6
Altmeppen, ZIP 2001, 2201 (2210). S. auch Begr. RegE, BT-Drucks. 14/6040, S. 163. Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rz. 311. Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rz. 310 f. Palandt/Ellenberger, BGB, § 123 Rz. 5 f. OLG Hamm v. 10.4.2002 – 11 U 180/01, NZI 2002, 437 f.
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Geschftsfhrerberatung
verspätet eingereicht wurde. In der Praxis kommt es vor, dass vorläufige Insolvenzverwalter den Gläubiger zu einem Massekostenvorschuss bewegen, der über die reine Verfahrenskostendeckung hinausgeht, um damit auch Abwicklungsarbeiten zu finanzieren. Auf diesen überschießenden Teil erstreckt sich die Haftung des Geschäftsführers nicht1. 139 Mit dem ESUG hat der Gesetzgeber eine unmittelbare Vorschusspflicht zu Lasten des Geschäftsführers eingeführt, § 26 Abs. 4 InsO. Die Tatbestandsvoraussetzungen sind grds. identisch mit denen des Abs. 3. Ungeklärt ist, ob auch ein Haftungsanspruch gegen den Geschäftsführer bestehen muss. Die Vorschrift ist auf das Eröffnungsverfahren beschränkt, d.h. sie ist nach Verfahrenseröffnung nicht mehr anwendbar2. Sie ist daher kaum praxisrelevant und wird ein Schattendasein führen. X. Haftung wegen Betruges und Untreue 140 Bei einer aktiven Täuschung des Geschäftspartners steht die straf- und damit auch zivilrechtliche Haftung des Geschäftsführers außer Frage. Für § 263 StGB (Betrug) reicht es aus, dass der Vermögensvorteil bei der Gesellschaft eintreten soll. Strafrechtlich beurteilt die Rechtsprechung eine Geschäftsfortführung auf Kredit bei erkannter Zahlungsunfähigkeit als Betrug, für den bedingter Vorsatz genügt3 (zur Betrugsstrafbarkeit des Geschäftsführers vgl. § 5 Rz. 24 f., 197 ff.). Je größer das Unternehmen jedoch ist, umso weniger ist der Geschäftsführer persönlich in den Abschluss von Verträgen eingebunden. Der Vorwurf kann dann nur noch in der Unterlassung organisatorischer Anweisungen bestehen, in der Krise keine neuen Verträge abzuschließen4. Ein Organisationverschulden hat der BGH im Baustoff-Urteil ausreichen lassen, um mit einer Garantenstellung die persönliche Haftung des Geschäftsführers für den Verlust von Eigentumsvorbehaltsware zu begründen5. Der Geschäftsführer müsse die Abläufe so organisieren, dass nicht gegen Verarbeitungsbzw. Veräußerungsauflagen verstoßen und dadurch das Eigentum als absolutes Recht verletzt werde. Dieses Urteil ist auf erhebliche Kritik gestoßen, weil die Organisationpflichten dem Geschäftsführer nur gegenüber der GmbH im Innenverhältnis obliegen, nicht aber auch gegenüber dem einzelnen Gläubiger6. 141 Im „Kirch“-Urteil hat der BGH diesen Schutzcharakter der Organisationspflicht wieder reaktiviert, allerdings mit der Besonderheit, dass es im Gegensatz zum Baustoffurteil um eine eigene Handlung des Vorstandsvorsitzenden ging, mit dem der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb von Herrn Kirch, dessen Schutz der Deutschen Bank AG als Vertragspartnerin oblag, verletzt wurde7. 142 Voraussetzung nach beiden Urteilen ist aber die Verletzung absolut geschützter Rechtsgüter, so dass eine deliktische Haftung wegen Betruges für Verträge, an deren Abschluss der Geschäftsführer nicht persönlich beteiligt war, nicht auf ein Organisationsverschulden gestützt werden kann. Ausreichend könnte aber die Überleitungsvorschrift des § 14 StGB und die dazu ergangene Rechtsprechung zur Zurechnung des Handelns von Mitarbeitern der juristischen Person sein. 143 Zivilrechtlich soll die Geschäftsleitung nach dem Herstatt-Urteil8 vor Ablauf der Antragsfrist nur unter besonderen Umständen verpflichtet sein, Geschäftspartner ungefragt auf die bedrohliche Lage hinzuweisen. Sie sei, heißt es dort, berechtigt, Sa1 OLG Bdb. v. 17.1.2002 – 8 U 53/01, ZIP 2003, 451. 2 Schröder in Hamburger Kommentar zur InsO, § 26 Rz. 55a, 55c. 3 BGH v. 11.12.1997 – 4 StR 323/97, NJW 1998, 767 (769); OLG Düsseldorf v. 31.3.1999 – 12 U 176/97, NZG 1999, 944 (945). 4 Für eine Einordnung des Verhaltens als positives Tun: Schulze-Osterloh, FS für Lutter, S. 707, 713; zum Betrug durch Unterlassen: Ehrlichmann in Breithaupt/Ottersbach, Gesellschaftsrecht, § 8 Rz. 148. 5 BGH v. 5.12.1989 – VI ZR 335/88, NJW 1990, 976. 6 Statt vieler: K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 1089; Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 211 ff. 7 BGH v. 24.1.2006 – XI ZR 384/03, ZIP 2006, 317 (Rz. 125 ff.). 8 BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96.
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nierungschancen wahrzunehmen, selbst wenn dies mit der Gefahr einer Gläubigerschädigung verbunden ist. Dem wird man nur mit großer Zurückhaltung folgen können. Die Zulässigkeit von Sanierungsmaßnahmen während der Frist des § 15a Abs. 1 InsO besagt nicht, dass dies auf Kosten der Gläubiger geschehen darf. Die Grenzen zum Eingehungsbetrug mit bedingtem Vorsatz sind schnell überschritten. Ein Schutzgesetz gemäß § 823 Abs. 2 BGB ist auch der Treuebruchtatbestand des 144 § 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB1. Danach wird bestraft, wer die ihm obliegende Pflicht verletzt, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen. Ein Treueverhältnis besteht in erster Linie zur GmbH, wobei es Sache der Gesellschafter ist, die Grenzen festzulegen. Erfolgt ein Vermögensentzug im Einvernehmen mit oder gar auf Weisung von allen Gesellschaftern, liegt keine Untreue vor2, soweit die Gesellschafter dispositionsbefugt sind. Ihre Dispositionsbefugnis wird jedoch durch die Kapitalerhaltungsgrundsätze3 und das Verbot eines existenzvernichtenden Eingriffs4 beschränkt. Damit ist ein schuldhafter Verstoß gegen das Kapitalerhaltungsgebot zugleich eine Untreue zulasten der Gesellschaft. Ein Treueverhältnis kann ausnahmsweise auch zu Dritten bestehen. Das kommt na- 145 mentlich in den oben (Rz. 78 ff.) erörterten Fällen der Einräumung zweckgebundener Mittel in Betracht. Voraussetzung ist, dass die zweckentsprechende Verwendung wesentlicher Gegenstand des Vertrages ist, dem Geldgeber also in besonderem Maße daran gelegen ist5. Das kann sowohl bei öffentlichen Subventionen der Fall sein als auch bei privaten Darlehensgewährungen, die für die Begleichung konkret bezeichneter Schulden erfolgen. Eine Zweckvereinbarung allein führt jedoch noch nicht zu einer Untreue. Vielmehr ist zusätzlich erforderlich, dass der Geschäftsführer gerade die Vermögensinteressen des anderen zu betreuen hat6. Das mag z.B. bei einer Vermögensverwaltung der Fall sein, nicht aber bei der Vereinbarung eines Verwendungszwecks, die die Gesellschaft nicht nur im Interesse des Geldgebers trifft, sondern mit der sie vorrangig eigene Ziele verfolgt. Eine Untreue i.S.v. § 266 StGB, die über § 823 Abs. 2 BGB einen Schadensersatzanspruch des Geldgebers eröffnet, liegt nur vor, wenn die Vermögensbetreuungspflicht i.S.d. Treuebruchtatbestands bei § 266 StGB eine das Vertragsverhältnis zumindest mitbestimmende Hauptpflicht ist7. In der Regel ist das nicht der Fall, insbesondere auch nicht bei Subventionen, wenn nicht ausnahmsweise über den Subventionszweck hinausgehende Vermögensinteressen des Subventionsgebers zu beachten sind8. Anders verhält es sich, wenn von Dritten zur Verfügung gestellte Gelder als echtes9 Treugut behandelt wurden oder zumindest – wie bei einer Mietkaution (§ 551 Abs. 3 BGB) – hätten behandelt werden müssen. Für Subventionen enthält das StGB in § 264 StGB eine Spezialnorm, die entgegen der Überschrift „Subventionsbetrug“ nicht nur die Beschaffung, sondern in Abs. 1 Nr. 2 auch die Verwendung betrifft. Sie kann jedoch nicht mehr eingreifen, wenn die Subventionsgelder schon in den Geldkreislauf des Unternehmens geflossen sind10. Vielmehr ist auf den Zeitpunkt der Überweisung des Subventionsgebers abzustellen11.
1 BGH v. 10.7.2012 – VI ZR 241/10, ZIP 2012, 1552 (Rz. 13); BGH v. 21.6.1999 – II ZR 47/98, NJW 1999, 2817; dazu § 5 Rz. 198 ff. 2 BGH v. 11.9.2003 – 5 StR 524/02, wistra 2003, 457; BGH v. 21.6.1999 – II ZR 47/98, NJW 1999, 2817 (2818). 3 BGH v. 30.6.1958 – II ZR 213/56, BGHZ 28, 77 (78). 4 BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, ZIP 2001, 1874 (1875); BGH v. 13.5.2004 – 5 StR 73/03, ZIP 2004, 1200. 5 BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, ZIP 2001, 1874 (1879 f.). 6 Schönke/Schröder/Perron, StGB, § 266 Rz. 23. 7 Fischer, StGB, § 266 Rz. 36. 8 BGH v. 13.5.2004 – 5 StR 73/03, ZIP 2004, 1200 „Bremer Vulkan“. Dort auch zu den strafrechtlichen Aspekten des existenzvernichtenden Eingriffs; Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, StGB, § 266 Rz. 26. 9 Zu den Anforderungen: BGH v. 24.6.2006 – IX ZR 75/01, ZIP 2003, 1613. 10 Im „Bremer Vulkan“-Urteil waren 585 Mio. DM in das Cash-Pool-System des Konzerns eingeflossen, BGH v. 13.5.2004 – 5 StR 73/03, ZIP 2004, 1200. 11 Fischer, StGB, § 264 Rz. 38.
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Rz. 146
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146 Für Sozialabgaben (Arbeitnehmeranteil)1 fehlt es an einer solchen Eigenschaft als Treugut ebenso wie für die Lohnsteuer2, obwohl beides vom Lohn einbehalten wird. Das Gleiche gilt für ein Wertguthaben bei einem Altersteilzeitarbeitsverhältnis3. Auch stellen weder § 7d Abs. 1 SGB IV4 (Verpflichtung zur Vereinbarung einer Insolvenzsicherung von Wertguthaben) noch tarifvertragliche Bestimmungen Schutzgesetze5 i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten des Arbeitnehmers dar. Für § 7d Abs. 1 SGB IV stützt das BAG seine Auffassung allerdings nur darauf, dass auch der Arbeitnehmer an Schutzmaßnahmen mitwirken muss, ein Umstand, der sich de lege lata schnell ändern könnte. Die Schutzlosigkeit des Arbeitnehmers scheint dem BAG auch nicht so recht zu behagen. Jedenfalls hat der 6. Senat, von dem ein Großteil der Entscheidungen stammen, ausgeführt, dass ein Geschäftsführer nach § 311 Abs. 3 BGB wegen Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens oder wegen Betruges haftet, wenn er bei den Arbeitnehmern den Eindruck erweckt hat, er hätte Maßnahmen zur Absicherung des Insolvenzrisikos getroffen6. Ein Unbehagen des Gerichts drücken die Leitsätze insofern aus, als der Senat im konkreten Fall das Vorliegen der Haftungsvoraussetzungen ablehnte, und es ihm wohl eher um den Hinweis ging, künftig in den Tatsacheninstanzen dazu konkret vorzutragen. Das BAG scheint geneigt zu sein, eine als solche empfundene Haftungslücke durch c.i.c. bzw. durch eine deliktische Haftung wegen Betrugs zu schließen. 147 Eine besondere Fallgruppe der Zweckbindung stellen die Baugelder gemäß § 1 des Gesetzes über die Sicherung der Bauforderungen (GSB) dar. Das sind „Geldbeträge, die zum Zweck der Bestreitung der Kosten eines Baues in der Weise gewährt werden, dass zur Sicherung der Ansprüche des Geldgebers eine Hypothek oder Grundschuld an dem zu bebauenden Grundstück dient7 oder die Übertragung des Eigentums an dem Grundstück erst nach gänzlicher oder teilweiser Herstellung des Baus erfolgen soll“, § 1 Abs. 3 GSB. Werden die Mittel, wie es in der Krise beim „Löcher stopfen“ leicht passieren kann, nicht zur Befriedigung „solcher Personen, die an der Herstellung des Baues aufgrund eines Werk-, Dienst- oder Lieferungsvertrages beteiligt sind“ (§ 1 Abs. 1 GSB), verwendet, ist das strafbar, § 5 GSB. Wegen dieser Sanktion wird § 1 Abs. 1 GSB als Schutzgesetz angesehen, und zwar zugunsten der Baubeteiligten8, obwohl die Zweckbindung nicht mit ihnen, sondern mit dem Kreditgeber vereinbart wurde. Zum Nachweis der Verwendung muss ein Baubuch geführt werden. Eine diesbezügliche Unterlassung ist ebenfalls strafbar, § 6 GSB. Zivilrechtliche Konsequenz ist, dass die Darlegungs- und Beweislast beim Geschäftsführer für die ordnungsgemäße Verwendung der Baugelder liegt9. Allerdings müssen die Beträge nicht gleichmäßig verteilt werden. Die einseitige Begünstigung eines Baubeteiligten begründet keine Haftung, solange das Geld überhaupt für Baubeteiligte verwendet wurde. XI. Haftung für Sozialabgaben 1. Strafrechtliche Haftung 148 Die Vorenthaltung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung ist gemäß §§ 266a, 14 Abs. 1 StGB strafbar (siehe § 5 Rz. 34 ff., 201 ff.). Der Tatbestand ist auch 1 BGH v. 18.1.2007 – IX ZR 176/05, ZIP 2007, 541 (Rz. 17); BGH v. 9.6.2005 – IX ZR 152/03, ZIP 2005, 1243; BGH v. 9.6.2005 – IX ZR 152/03, ZIP 2005, 1243. 2 BGH v. 22.1.2004 – IX ZR 39/03, ZIP 2004, 513. 3 BAG v. 16.8.2005 – 9 AZR 470/04, ZIP 2006, 344 mit Bspr. von Baldringer, ZInsO 2006, 690 ff.; BAG v. 21.11.2006 – 9 AZR 206/06, ZIP 2007, 692. 4 BAG v. 12.4.2011 – 9 AZR 229/10, DB 2011, 2538 (Rz. 52); BAG v. 13.2.2007 – IX AZR 106/06, DB 2007, 1690. 5 BAG v. 21.11.2006 – IX AZR 206/06, ZIP 2007, 692. 6 BAG v. 13.2.2007 – IX AZR 106/06, DB 2007, 1690. 7 Später beabsichtigte Eintragung der Grundschuld reicht: OLG Dresden v. 13.9.2001 – 19 U 346/01, BauR 2002, 486. 8 BGH v. 24.11.1981 – VI ZR 47/80, BauR 1982, 193. 9 BGH v. 21.3.1994 – II ZR 260/92, ZIP 1994, 872; OLG Celle v. 29.11.2001 – 13 U 138/01, OLGR 2002, 95.
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Haftung fr Sozialabgaben
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dann erfüllt, wenn keine Löhne oder Gehälter gezahlt werden1. Anders als für die Lohnsteuer ist nicht der Zufluss (§ 11 EStG) maßgebend, sondern ausreichend, dass der Arbeitnehmer beschäftigt wurde. Eine Strafbarkeit entfällt bei tatsächlicher Unmöglichkeit, wenn die Mittel zur Erfül- 149 lung der Verpflichtung gänzlich fehlen2 oder der Geschäftsführer über sie wegen einer vom Insolvenzgericht angeordneten Verfügungsbeschränkung nicht mehr disponieren darf3 (zu dieser Problematik vgl. ausführlich § 5 Rz. 37). Allerdings kommt es für die tatsächliche Unmöglichkeit nach der Rechtsprechung nicht nur auf den Zeitpunkt der Fälligkeit an. Eine Strafbarkeit soll laut BGH auch eingreifen, wenn bei einer sich abzeichnenden Liquiditätskrise nicht schon früher Vorsorge getroffen wurde, damit die Abgaben bei Fälligkeit bezahlt werden können. Soweit es das Verhältnis zur Massesicherungspflicht des § 64 S. 1 GmbHG betrifft, 150 hält der 5. Strafsenat4 die Zahlungspflicht hinsichtlich der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung wegen der Strafbewehrung für vorrangig. Daran ändere auch eine etwaige insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit nichts; denn strafbar mache sich auch derjenige, der während der Insolvenzverschleppung die Arbeitnehmeranteile nicht abführe, obwohl die Einzugsstelle die Zahlungsunfähigkeit kenne und deshalb die vereinnahmten Gelder nach Verfahrenseröffnung im Wege der Insolvenzanfechtung wieder auskehren müsse. Anders sei es nur während der Drei-Wochen-Frist des § 15a InsO; denn die Zulässigkeit der mit der geschäftsmännischen Sorgfalt übereinstimmenden Zahlungen habe den Zweck, aussichtsreiche Sanierungsversuche zu privilegieren. Sie dürften aber nur innerhalb der maximal drei Wochen unternommen werden. Danach entfalle das Sorgfaltsprivileg. Im Umkehrschluss folgert der Strafsenat daraus, dass das Verbot der nicht für die Sanierung erforderlichen Zahlungen in diesen drei Wochen Vorrang habe. Während dieser Zeit sei die strafbewehrte Abführungspflicht für die Arbeitnehmeranteile unterbrochen. Anschließend sei dieser Verpflichtung wegen der Strafbewehrung jedoch wieder der Vorrang einzuräumen5. Der 5. Strafsenat geht mit dieser Entscheidung seinen eigenen Weg bei der Interpre- 151 tation der §§ 15a InsO, 64 GmbHG. Eingangs wurde darauf hingewiesen, dass die beiden Vorschriften nach Auffassung des II. Zivilsenats selbständige Haftungstatbestände darstellen. Die Drei-Wochen-Frist ist nur in § 15a InsO zu lesen, während das Zahlungsverbot bereits mit Erkennbarkeit des Insolvenzgrundes beginnt und über die Antragsfrist hinaus gilt. Stattdessen führt der Strafsenat aus: „Die aus § 64 Abs. 2 GmbHG hergeleitete Rechtfertigung knüpft nämlich nicht an die Insolvenzreife des Unternehmens an sich an, sondern privilegiert lediglich die noch aussichtsreichen Sanierungsversuche nach Eintritt der Krise“6.
Mit dem Wortlaut der Vorschrift stimmt das nicht überein. Er knüpft eindeutig an die Insolvenzreife an, nicht aber an Sanierungsbemühungen. Das wird bei einer aussichtslosen Sanierung deutlich: Auch wenn die Geschäftsführer nur noch einen Insolvenzantrag – bspw. mit einem gleichzeitig eingereichten Insolvenzplan – vorbereiten wollen, sind masseerhaltende Zahlungen zulässig wie umgekehrt alle anderen Verfügungen untersagt. Dieses Verbot ist keineswegs auf drei Wochen begrenzt, sondern dauert über einen tatsächlich gestellten Insolvenzantrag hinaus fort, falls das Gericht nicht ohnehin Sicherungsmaßnahmen angeordnet hat.
1 So schon bis zur Neufassung die Rechtsprechung: BGH v. 16.5.2000 – VI ZR 90/99, DB 2000, 1703 (1704 f.) (sog. Lohnpflichttheorie): Gross/Schork, NZI 2004, 358 f. 2 BGH v. 11.8.2011 – 1 StR 295/11, NJW 2011, 1098; BGH v. 18.1.2007 – IX ZR 176/05, ZIP 2007, 541. 3 Zur Beweislastverteilung BGH v. 11.12.2001 – VI ZR 350/00, ZIP 2002, 524 (526). 4 BGH v. 9.8.2005 – 5 StR 67/05, ZIP 2005, 1678; BGH v. 30.7.2003 – 5 StR 221/03, ZIP 2003, 2213; a.A. statt vieler: Gross/Schenk, NZI 2004, 358 (360). 5 Ähnlich Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rz. 392. 6 BGH v. 30.7.2003 – 5 StR 221/03, ZIP 2003, 2213 ff., Beschlussgründe II 1 a cc; s. dazu Rönnau, NJW 2004, 976 ff.
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Rz. 152
Geschftsfhrerberatung
2. Zivilrechtliche Haftung 152 Nach Auffassung des für das Haftungsrecht zuständigen VI. Zivilsenats1 trifft den Geschäftsführer eine Haftung selbst dann, wenn er mit der Abführung gegen das Zahlungsverbot des § 64 S. 1 GmbHG verstoßen würde. Sie sei nicht wegen rechtlicher Unmöglichkeit ausgeschlossen, weil die strafrechtlich sanktionierte Abführungspflicht gegenüber dem gesellschaftsrechtlichen Masseerhaltungsgebot vorrangig sei. Etwas anderes gelte nur, soweit eine Zahlung im Wege der insolvenzrechtlichen Anfechtung wieder zurückgeholt werden könne2. 153 Demgegenüber hatte der für das Gesellschaftsrecht zuständige II. Zivilsenat vormals in eigentlich gefestigter Rechtsprechung entschieden, ein deliktisches Verschulden „müsse“ verneint werden, wenn eine Zahlung gegen § 64 S. 1 GmbHG verstoße3. Nach Eintritt eines Insolvenzgrundes entspreche die Zahlung von Arbeitnehmeranteilen nicht mehr der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes i.S.d. § 64 S. 2 GmbHG, so dass der Geschäftsführer erstattungspflichtig sei. § 266a StGB begründet keinen Vorrang zugunsten der Sozialkasse4. Wertungsparallel räumt der für das Insolvenzrecht zuständige IX. Zivilsenat den Sozialabgaben keine Sonderstellung bei der Insolvenzanfechtung ein5. 154 Der Gesellschaftsrechtssenat hat seine Auffassung jedoch im Jahre 2007 aufgeben6. Er begründet das ausdrücklich nur mit der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des 5. Strafsenats. Zwar würden, wie der Vorsitzende des Gesellschaftsrechtssenats in einer Anmerkung ergänzt, nach wie vor „gute zivilrechtliche Gründe für seine Gesetzesinterpretation“ sprechen. Der Senat sei nur mit Rücksicht auf die durch eine Strafandrohung stark belasteten Organmitglieder umgeschwenkt7. 155 Das vom GVG vorgesehene Prozedere hätte hingegen darin bestanden, an der besseren Rechtserkenntnis festzuhalten und den Vereinigten Großen Senat anzurufen, § 132 Abs. 3 GVG. Offenbar befürchtete man aber, dass die Mehrheit seiner Mitglieder wegen der dahingehenden Entscheidungspraxis nicht nur des 5. Strafsenats, sondern auch des VI. Zivilsenats den Schutz der Sozialversicherungsträger in den Vordergrund stellen würde. 156 Die Konsequenz lautet nunmehr, dass Sozialabgaben gezahlt werden dürfen (nicht nur die laufenden, sondern auch die rückständigen)8, ohne eine Haftung nach §§ 64 S. 1 GmbHG, 92 Abs. 2 S. 1 GmbHG auszulösen – allerdings nur die Arbeitnehmeranteile. Für die Arbeitgeberanteile gilt das nicht, weil sie von § 266a StGB nicht erfasst werden9. 157 Durch die Änderung der Rechtsprechung des Gesellschaftsrechtssenats gibt es eine weitere in der Praxis wichtige Fallgruppe, bei der Geschäftsführerhaftung und Insolvenzanfechtung voneinander abweichen, obwohl beide denselben Zweck verfolgen. 1 BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 327/95, ZIP 1996, 1989 (1990); derselbe Konflikt stellt sich beim Subventionsbetrug in Form der zweckwidrigen Verwendung, § 264 Abs. 1 Nr. 2 StGB. In Konsequenz der Rechtsprechung des VI. Zivilsenats müsste der Geschäftsführer verpflichtet sein, eine wegen der Krise nicht mehr zweckentsprechend einzusetzende Subvention zurückzuzahlen. Das ist jedoch trotz der vergleichbaren Problematik in der Praxis bisher zu Recht nicht relevant geworden. 2 BGH v. 14.11.2000 – VI ZR 149/99, ZIP 2001, 80, 82; BGH v. 25.10.2001 – IX ZR 17/01, DStR 2002, 366 (367); BGH v. 18.4.2005 – II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026; a.A.: OLG Stuttgart v. 11.11.2003 – 12 U 125/03, ZIP 2004, 129. 3 BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, ZIP 2001, 235 (238). 4 BGH v. 18.4.2005 – II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026; OLG Zweibrücken v. 8.6.2005 – 8 U 159/04, OLGR 2005, 799. 5 BGH v. 8.12.2005 – IX ZR 182/01, ZIP 2006, 290; BGH v. 3.11.2005 – IX ZR 35/05, ZIP 2005, 2217. 6 BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265; bestätigt u.a. durch BGH v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 (Rz. 17). 7 Goette, DStR 2007, 1176 (1177). 8 BGH v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 (Rz. 18). 9 BGH v. 25.1.2011 – II ZR 196/09, ZIP 2011, 422 (Rz. 19); BGH v. 8.6.2009 – II ZR 147/08, ZIP 2009, 1468 (Rz. 6 f.).
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Haftung wegen sittenwidriger Schdigung
Rz. 162
§2
Vorsorglich sollten die Sozialversicherungsträger vor der Zahlung über den eingetretenen Insolvenzgrund informiert werden. Wegen der Kenntnis ist die Anfechtung relativ leicht durchsetzbar, so dass sich für den Geschäftsführer die Gefahr reduziert, für den Massekostenvorschuss eines Gläubigers gemäß § 26 Abs. 3 InsO zu haften oder gemäß § 26 Abs. 4 InsO auf Zahlung eines Vorschusses in Anspruch genommen zu werden. Außerdem reduziert die Anfechtung seine etwaige Haftung wegen eines Quotenschadens. Stehen erst im Zeitpunkt der Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge nicht mehr 158 genügend Mittel zur Verfügung, hindert das die zivilrechtliche Haftung genau so wenig wie die strafrechtliche, soweit die GmbH noch am Ende des Bemessungszeitraumes leistungsfähig war. Dann muss der Geschäftsführer durch eine realistische Liquiditätsplanung Vorsorge treffen und darf sich durch die Befriedigung anderer Gläubiger nicht selbst in die Situation der Unmöglichkeit versetzen1. Soweit Zahlungen getätigt werden, sollten die Arbeitnehmeranteile ausdrücklich als Verwendungszweck angegeben werden. Sonst werden sie gemäß § 4 BVV hälftig auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile verrechnet2. Für die unterlassene Zahlung der Arbeitgeberanteile besteht keine Haftung, sofern der Geschäftsführer rechtzeitig Insolvenzantrag gestellt hat3 (Rz. 49 ff.).
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Fraglich ist, ob bei einem Geschäftsführerwechsel der neue Geschäftsführer haf- 160 tungsrechtlich für die bei Amtsbeginn schon fällig gewesenen Arbeitnehmeranteile verantwortlich ist. Das wurde abgelehnt für den Fall, dass der Nachfolger über keine Mittel verfügt, aus denen er die Rückstände begleichen kann4. Anders wird man nach der Auffassung des VI. Zivilsenats wohl entscheiden müssen, wenn er Mittel hat, die er dann vorrangig zur Bedienung der Arbeitnehmeranteile einsetzen muss5. Häufig bitten Geschäftsführer die Einzugsstelle unter Hinweis auf einen vorüber- 161 gehenden Liquiditätsengpass, von Zwangsmaßnahmen abzusehen. Dieses Stillhalten werten sie dann als Stundung. Die Stundung bedarf allerdings einer ausdrücklichen Bewilligung gemäß § 76 Abs. 2 SGB IV. Erfolgt diese nicht, liegt tatsächlich keine Stundung vor. Der objektive Tatbestand des § 266a StGB ist weiterhin erfüllt. Ein Verbotsirrtum wird dem Geschäftsführer kaum zugebilligt werden können. XII. Haftung wegen sittenwidriger Schädigung Nach § 826 BGB muss der vorsätzlich in einer gegen die guten Sitten verstoßenden 162 Weise zugefügte Schaden ersetzt werden. Die Schwierigkeit mit Geschäften ab Eintritt des Insolvenzgrundes besteht darin, dass bedingter Vorsatz, also die billigende Inkaufnahme des Schadens, genügt6. Zwar reicht allein das Wissen um die Möglichkeit des Schadenseintritts (bewusste Fahrlässigkeit) nicht aus. Die Grenze zwischen dem bloßen Wissen und dem zusätzlichen Inkaufnehmen ist jedoch schwer zu ziehen. Wenn erst einmal der Insolvenzgrund eingetreten ist, scheitern die Sanierungen häufiger, als dass sie gelingen. Vor dieser Konsequenz kann keiner die Augen verschließen. Er muss sie also notgedrungen in Kauf nehmen. Die entscheidende Frage lautet, ob der Geschäftsführer das auch „billigend“ tut. Solange er in Anwendung kaufmännischer Sorgfalt noch mit einem Sanierungserfolg rechnen durfte, scheidet eine Haftung wegen § 826 BGB aus7. In der Herstatt-Entscheidung hatte der BGH sie mit fol1 BGH v. 9.1.2001 – VI ZR 407/99, ZIP 2001, 422 (424); BGH v. 25.9.2006 – II ZR 108/05, ZIP 2006, 2127. 2 BGH v. 9.1.2001 – VI ZR 119/00, GmbHR 2001, 238 (239) m.w.N.; eine konkludente Tilgungsbestimmung reicht nur aus, wenn sie nach außen greifbar in Erscheinung tritt: BGH v. 26.6.2001 – VII ZR 111/00, GmbHR 2001, 721 (723). 3 Zusammenfassend mit Nachw. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 43 Rz. 100; vgl. auch Bauer, ZInsO 2004, 645 (646); Groß, ZIP 2001, 945 (948). 4 BGH v. 11.12.2001 – VI ZR 123/00, GmbHR 2002, 208 (209 f.). 5 So BFH v. 6.9.2004 – VII B 179/04, BFH/NV 2005, 227. 6 BGH v. 26.6.1989 – II ZR 289/99, NJW 1989, 3277 (3279); BGH v. 16.3.1992 – II ZR 152/91, ZIP 1992, 694; OLG Frankfurt v. 16.2.1999 – 24 U 112/97, NZG 1999, 947 (948). 7 BGH v. 18.12.2007 – VI ZR 231/06, ZIP 2008, 361.
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§2
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gender Begründung verneint: „Ein Verhalten, das nach § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG1 für einen ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter erlaubt oder sogar geboten ist, kann nicht gleichzeitig gegen die guten Sitten verstoßen“2. In dieser dem heutigen § 15a InsO entsprechenden Vorschrift sieht der BGH ein Privileg für Sanierungsmaßnahmen. Erst wenn, so der BGH in der Herstatt-Entscheidung, ernste Zweifel an dem Gelingen eines Sanierungsversuchs bestehen, kann der Vorwurf sittenwidrigen Handelns erhoben werden, falls dies zugleich auf eigensüchtigen Beweggründen beruht3. Nach Ablauf der Sanierungsfrist entfällt aber jede Rechtfertigung, zumal „jede Sekunde“ ein Antrag gestellt werden muss, also gar keine Zeit mehr für die Erfüllung eines Kreditgeschäftes bleibt. 163 Gesetzliche Gläubiger sind vom Schutzbereich des § 15a InsO i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB nicht erfasst (s.o. Rz. 49 ff.). Die Lücke könnte durch eine Anwendung vom § 826 BGB geschlossen werden4. Hierbei darf aber nicht übersehen werden, dass sich die Folgen einer Insolvenzverschleppung speziell aus § 15a InsO i.V.m. 823 Abs. 2 BGB ergeben. Falls keine über die Tatsache des unterlassenen Insolvenzantrages hinausgehenden Umstände vorliegen, darf nicht auf den Auffangtatbestand des § 826 BGB zurückgegriffen werden5. § 826 BGB ist deshalb vor allem von Bedeutung für die Haftung von Personen, die nicht unter den Anwendungsbereich des § 15a InsO fallen, so z.B. für Teilnehmer an einer Insolvenzverschleppung6 oder grds. für Gesellschafter7. Eine auf § 826 BGB gestützte Haftung des Geschäftsführers gegenüber der Bundesagentur für Arbeit ist abzulehnen8, weil auch bei einem früheren Insolvenzantrag – wenngleich für einen anderen Zeitraum – Insolvenzgeld hätte gezahlt werden müssen, es sei denn, die Bundesagentur würde darlegen, dass z.B. bei Saisonkräften die Arbeitsverhältnisse schneller hätten beendet werden können9 oder bei einem anderen Bemessungszeitraum beispielsweise das Urlaubs- oder Weihnachtsgeld nicht durch das Insolvenzgeld hätte abgedeckt werden müssen. XIII. Haftung wegen Existenzvernichtung 164 Mit der „Bremer Vulkan“-Entscheidung vom 17.9.200110 hat der BGH erstmalig eine Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs angenommen und die Anspruchsvoraussetzungen in weiteren Urteilen präzisiert11. Relevant wurde die Haftung bisher kaum12. Kennzeichnend für die Existenzvernichtungshaftung war, dass es sich – wie schon bei der Haftung nach den überholten Grundsätzen des qualifiziert faktischen Konzerns – um eine unmittelbare Außenhaftung des Gesellschafters gegenüber dem Gläubiger handelte. Mit Urteil vom 16.7.2007 hat der Gesellschaftsrechtssenat das Konzept einer eigenständigen Haftungsfigur wieder aufgegeben und die Haftung für eine missbräuchliche Schädigung des Gesellschaftsvermögens allein an § 826 BGB
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Die Antragspflicht ist nunmehr rechtsformübergreifend in § 15a InsO geregelt. BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 114. Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rz. 296 m.w.N. Vgl. BGH v. 26.6.1989 – II ZR 289/88, NJW 1989, 3277 zur Haftung für Insolvenzgeld. Da das Urteil vor der Rechtsprechungsänderung zum Schutzbereich des § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. ergangen ist, sind die Gründe nicht mehr ohne Weiteres auf die heutige Situation übertragbar, wenngleich dem Ergebnis nach wie vor zuzustimmen ist. So zutreffend ArbG Offenbach v. 18.10.2001 – 1 Ca 387/00, ZIP 2002, 997; a.A. OLG Saarbrücken v. 21.11.2006 – 4 U 49/06-16, ZIP 2007, 328. BGH v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, ZIP 2005, 1734. BGH v. 20.9.2004 – II ZR 302/02, ZIP 2004, 2138. Sehmülling, ZIP 2007, 1095. BGH v. 18.12.2007 – VI ZR 231/06, ZIP 2008, 361; ebenso schon OLG Stuttgart v. 21.11.2006 – 4 U 49/06, ZIP 2007, 328. BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, NJW 2001, 3622. Insbesondere BGH v. 13.12.2004 – II ZR 256/02, ZIP 2005, 250; BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, ZIP 2002, 848, Überblick bei Bork, KTS 2006, 39. „KBV“-Urteil, BGH v. 24.6.2002 – II ZR 300/00, ZIP 2002, 1578.
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Haftung wegen Existenzvernichtung
Rz. 166
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angeknüpft und als reine Innenhaftung ausgestaltet1. Sie steht in Anspruchskonkurrenz zur Haftung nach §§ 30 f. GmbHG und soll die Vermögensnachteile kompensieren, die von diesen beiden Vorschriften nicht genügend erfasst werden („Kollateralschaden“). Voraussetzung ist ein gezielter, betriebsfremden Zwecken dienender Entzug von Vermögenswerten, die die GmbH zur Begleichung ihrer Verbindlichkeiten benötigt, wobei die Konstellationen dieselben sind, die die Rechtsprechung bisher unter einer denkbaren Existenzvernichtungshaftung subsumierte. Deshalb behält der BGH den Terminus auch bei, aber eben nicht mehr als eigenständige Haftungsfigur, sondern als Fallgruppe des § 826 BGB. Für den subjektiven Tatbestand reicht dolus eventualis. Der Begriff der Existenzvernichtungshaftung steht für eine Verhaltenshaftung der Ge- 165 sellschafter, wenn durch offene oder verdeckte Entnahmen die Schuldendeckungsfähigkeit der GmbH erheblich beeinträchtigt wurde. Die verdeckten Entnahmen können bspw. die Abwerbung von Mitarbeitern in Schlüsselpositionen, interessanten Kundenverbindungen oder die Ausnutzung von Know-how der Gesellschaft sein2. All das sind Maßnahmen, die nicht unbedingt einer Mitwirkung des Geschäftsführers bedürfen3. In der Regel ist er an dem Vorgang jedoch beteiligt. Das gilt für die meisten bilanzneutralen (verdeckten) Entnahmen wie beispielsweise die Übertragung von lukrativen Verträgen auf die Gesellschafter, insbesondere aber für die offenen Entnahmen; denn die dafür erforderlichen Vermögensverfügungen können nur durch das Vertretungsorgan vorgenommen werden. Fast jede Existenzvernichtungshaftung der Gesellschafter geht also mit einer Geschäftsführerhaftung einher; denn dass er die Gesellschaft ebenfalls nicht vernichten darf, liegt auf der Hand. Für den Geschäftsführer löst ein existenzvernichtender Eingriff in der Regel neben 166 der Haftung des § 43 Abs. 3 GmbHG insbesondere die Insolvenzverschleppungshaftung aus4. Der Eingriff erfolgt – sonst wäre er kaum existenzvernichtend – zumindest an der Schwelle des Insolvenzgrundes. In der Regel wird der existenzvernichtende Eingriff die rechtliche Lebensfähigkeit der Gesellschaft sofort beenden, falls ein Insolvenzgrund nicht ohnehin schon längst vorliegt. Nicht umsonst ist die Haftung höchstrichterlich vor allem relevant geworden in einem Fall, in dem die Gesellschafter der GmbH während eines kurzen Zeitraumes das gesamte Vermögen entzogen hatten, so dass ein Insolvenzantrag mangels Masse abgelehnt werden musste. Die Beendigung der Gesellschaft habe, so der BGH, „in einem geordneten Verfahren zu erfolgen, in dem die Vermögenswerte der Gesellschaft zunächst zur Befriedigung ihrer Gläubiger zu verwenden sind“5. Die „kalte Liquidation“6, also die Auskehrung des Vermögens einer nicht mehr überlebensfähigen GmbH an die Gesellschafter zum Nachteil der Gläubiger, bleibt der typische Anwendungsbereich der Existenzvernichtungshaftung auch nach ihrer Einordnung in § 826 BGB. Im Zeitpunkt des Vermögensentzuges wird regelmäßig feststehen, dass die fälligen und/oder die künftig fällig werdenden Verbindlichkeiten nicht mehr beglichen werden können. Das eine ist die Zahlungsunfähigkeit, das andere die Überschuldung. In dieser Situation haftet der Geschäftsführer gemäß § 64 S. 1 GmbHG auf den Ausgleich des Verfügungsnachteils und nach § 15a InsO auf den Ausgleich eines darüber hinausgehenden Quotenschadens. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass der Insolvenzgrund erst eine „juristische Sekunde“ nach der Vermögensverfügung eintrete und sogar erst nach einer zweiten „juristischen Sekunde“ die Insolvenzantragspflicht beginne. Der durch 1 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, DB 2007, 1802; u.a. bestätigt durch BGH v. 21.2.2013 – IX ZR 52/10, ZIP 2013, 894 (Rz. 20); BGH v. 24.7.2012 – II ZR 177/11, ZIP 2012, 1718 (Rz. 14); BGH v. 2.6.2008 – II ZR 104/07, ZIP 2008, 1329 (Rz. 5). 2 Vgl. den – allerdings unter § 826 BGB subsumierten – Sachverhalt bei BGH v. 20.9.2004 – II ZR 302/02, ZIP 2004, 2138 sowie die Beispiele bei Röhricht, FS 50 Jahre BGH, S. 83, 93 f. 3 Wobei höchst fraglich ist, ob es für eine solche Schädigung der Existenzvernichtungshaftung bedarf. Zu Recht wird in der Literatur auf die Treuepflicht hingewiesen, Lutter/Banerjea, ZGR 2003, 402 (410). 4 Nassall, ZIP 2003, 969 ff. 5 BGH v. 24.6.2002 – II ZR 300/00, ZIP 2002, 1578 (1580). 6 Röhricht, RWS-Forum 25, Gesellschaftsrecht 2003, 1, 3.
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§ 64 S. 1 GmbH bezweckte Schutz der insolvenzrechtlichen Verteilungsgrundsätze erfasst auch den Fall, dass durch eine Maßnahme der Insolvenzgrund herbeigeführt wird; denn dem Vermögensentzug geht eine Vereinbarung mit den Gesellschaftern voraus, sei es in Form eines Vertrages, sei es in Form einer Verteilungsabrede. Ab diesem Zeitpunkt weiß der Geschäftsführer, dass die Gesellschaft nicht mehr fortführungsfähig ist. Er muss also unverzüglich einen Inolvenzantrag stellen und darf nicht unter Verstoß gegen den insolvenzrechtlichen Verteilungsmodus durch den Vollzug der Vereinbarung zunächst vollendete Tatsachen schaffen und erst dann zum Insolvenzgericht gehen. Die Anknüpfung der Existenzvernichtungshaftung des Gesellschafters nach der neuen Rechtsprechung allein an § 826 BGB bedeutet für den Geschäftsführer, auf den § 826 BGB neben § 15a InsO anwendbar ist, nur einen u.U. späteren Verjährungseintritt. Zwar beträgt die BGB-Frist drei Jahre, § 195 BGB. Sie beginnt aber erst nach Kenntnis des Anspruchsinhabers, § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB, während die fünf Jahre der §§ 64 S. 4, 43 Abs. 4 GmbHG unabhängig von der Kenntnis laufen. 167 Deutlicher kommt die Haftung in der Neuregelung des § 64 S. 3 GmbHG zum Ausdruck, die durch das MOMiG eingeführt wurde. Danach haftet der Geschäftsführer für Zahlungen an Gesellschafter, die die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft herbeiführen mussten. Nach der hier vertretenen Auffassung ist diese Ergänzung überflüssig, soweit der Insolvenzgrund mit der Vermögensverlagerung auf die Gesellschafter eintritt. Nur in den Fällen, in denen ein Insolvenzgrund erst mit Verzögerung auftritt, und das auch noch die nahezu zwingende Konsequenz („herbeiführen musste“) der Vermögensverlagerung ist, kommt der Ergänzung in den Existenzvernichtungsfällen eine eigenständige Bedeutung zu. Das wird in der Praxis sehr selten sein. Deshalb liegt die Bedeutung des Satzes 3 auch eher bei der Tilgung von (nicht eingeforderten) Gesellschafterdarlehen, die nicht mehr der Eigenkapitalersatzbindung unterliegen. XIV. Steuerrechtliche Haftung gemäß § 69 AO 168 Der Geschäftsführer haftet gemäß §§ 69, 34 AO, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) – infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Pflichtverletzung – nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt – oder erfüllt werden – bzw. Steuervergütungen oder -erstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. 169 Nach § 34 AO hat der Geschäftsführer als Vermögensverwalter sämtliche Pflichten der GmbH zu erfüllen. Insbesondere die Steuererklärungs- und die Steuerentrichtungspflichten gehören dazu, § 34 Abs. 1 Satz 2 AO. Allerdings wird der Geschäftsführer dadurch nicht zum Steuerschuldner. Soweit der Gesellschaft die Entrichtung der Steuern nicht möglich ist, weil ihr die Mittel fehlen1 oder sie wegen der Insolvenz darüber nicht mehr verfügen darf2, trifft den Geschäftsführer keine Ausfallhaftung. Dasselbe gilt für die Steuererklärungspflicht, soweit zu ihrer Erfüllung die Hilfe Dritter erforderlich ist, die die Gesellschaft bei rechtzeitiger Auftragserteilung nicht mehr zu vergüten in der Lage war. Anders ist es bei einfachen Sachverhalten, deren Erledigung von einem ordentlichen Geschäftsführer ohne Hilfe Dritter verlangt werden kann3.
1 BFH v. 16.9.1987 – X R 3/81, GmbHR 1988, 278. 2 BFH v. 19.2.1010 – VII B 190/09, ZIP 2010, 1900 (Rz. 11); BFH v. 23.9.2008 – VII R 27/07, ZIP 2009, 122 (Rz. 26); BFH v. 17.11.1992 – VII R 13/92, GmbHR 1993, 681. 3 BFH v. 12.5.1992 – VII R 52/91, BFH/NV 1992, 785 (786).
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Steuerrechtliche Haftung gemß § 69 AO
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1. Grundsatz der anteiligen Tilgung a) Bedeutung Die besondere Haftungsgefahr liegt darin, dass die Gesellschaft finanziell nur selten 170 gänzlich außerstande ist, ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Bis dahin gilt nach vorherrschender Ansicht der Grundsatz der anteiligen Tilgung1. Der Anteil richtet sich nach dem Verhältnis der tatsächlich verwendeten Zahlungsmittel – also nicht des gesamten verwendbaren Mittelbestandes – zu den fälligen Gesamtverbindlichkeiten. Es gibt keine „Meistbegünstigungsklausel“ dahin gehend, dass der Geschäftsführer die Steuerschulden in derselben Höhe zu erfüllen hat, in der er andere Gläubiger befriedigt. Belaufen sich beispielsweise die Verbindlichkeiten auf 10 Mio. Euro und wurden Zahlungen von 0,5 Mio. Euro geleistet, kann der Fiskus nach diesem Grundsatz ebenfalls 5 % beanspruchen2. Dabei muss die Liquidität nicht aus dem eigenen Vermögen der GmbH stammen. Vielmehr reicht es aus, dass sie von Dritten – z.B. Bank, Gesellschafter – zur Verfügung gestellt wird3. Der Grundsatz der anteiligen Tilgung stammt aus der Zeit der Konkursordnung, als 171 die Zahlungsunfähigkeit erst eintrat, wenn die ernsthaft eingeforderten Verbindlichkeiten im Wesentlichen nicht mehr bedient werden konnten4. Damit bildete nicht schon jede Unterdeckung einen Insolvenzgrund. Demgegenüber verzichtet § 17 InsO auf das Merkmal der Wesentlichkeit. Vielmehr reicht jenseits einer Bagatellgrenze von 10 % jede Unterdeckung aus (s. § 1 Rz. 73 ff.). Damit sind die Voraussetzungen, unter denen das Gebot der anteiligen Tilgung eingreift, meist identisch mit denen der Zahlungsunfähigkeit, es sei denn, dass es sich um einen vorübergehenden Liquiditätsengpass in Form der Zahlungsstockung handelt. Solange das der Fall ist, wird die Haftung aber ohnehin nicht relevant; denn die Steuern können nach Beseitigung des Liquiditätsengpasses bezahlt werden. b) Kollision mit § 64 S. 1 GmbHG Im Regelfall kollidiert der Grundsatz der anteiligen Tilgung also stets mit dem Zah- 172 lungsverbot des § 64 S. 1 GmbHG. Trotzdem hat nach Auffassung des BFH der objektive Haftungstatbestand des § 69 Satz 1 AO Vorrang. Die Pflichtenkollision könne allenfalls beim Verschulden berücksichtigt werden5, das der BFH aber nur während der drei Wochen des § 15a InsO ab Kenntnis des Insolvenzgrundes zu verneinen bereit ist6, wobei dann allerdings wieder zu prüfen ist, ob der Geschäftsführer schon vorsorgend hätte tätig werden müssen7 (s.u. zur Vorsorge bei tatsächlicher Unmöglichkeit). Umgekehrt ließ der II. Zivilsenat des BGH bis zu einer Änderung seiner Rechtsprechung im Mai 2007 die gesellschaftsrechtliche Haftung ebenfalls nicht entfallen. Selbst die Sorgfaltsausnahme des § 64 Satz 2 GmbHG sollte nicht eingreifen, wenn die Zahlung erforderlich sei, um sich einer persönlichen Haftung zu entziehen8 (Rz. 86). Damit befand sich der Geschäftsführer in einem ähnlichen Dilemma wie bei den Sozi- 173 alabgaben (Rz. 86). Haas u.a.9 wollen den Vorrang ähnlich der Auffassung des 5. Strafsenats zu den Sozialabgaben auf die Zeit bis zum Ablauf der Insolvenzantragsfrist beschränken; denn anschließend hätte sich der Geschäftsführer durch eigenes 1 BFH v. 4.12.2007 – VII R 18/06, GmbHR 2008, 386 (Rz. 31); BFH v. 28.6.2006 – VII B 267/05, GmbHR 2006, 1062. 2 BFH v. 12.6.1986 – VII R 192/83, GmbHR 1987, 283 (284); BFH v. 16.9.1987 – X R 3/81, GmbHR 1988, 278 (279); BFH v. 14.7.1987 – VII R 188/82, GmbHR 1987, 445 (446). 3 BFH v. 28.6.2006 – VII B 267/05, GmbHR 2006, 1062. 4 K. Schmidt, InsO, § 102 Rz. 1 ff. 5 BFH v. 20.4.1993 – VII R 67/92, NV 1994, 142 (144). 6 BFH v. 27.2.2007 – VII R 67/05, ZIP 2007, 1604; BFH v. 4.7.2007 – VII B 268/06; BFH v. 19.9.2007 – VII R 39/07, BFH/NV 2008, 18. 7 BFH v. 4.12.2007 – VII R 18/06. 8 BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, ZIP 2001, 235 (238); s. dazu Sontheimer, DStR 2004, 1005 ff. 9 Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, § 43 Rz. 369; Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997, 191 f.; Klein/Rüsken, AO, § 69 Anm. 58 ff.
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Rz. 174
Geschftsfhrerberatung
pflichtwidriges Verhalten in den zwischen § 69 Satz 1 AO und § 64 S. 1 GmbHG bestehenden Zielkonflikt gebracht, so dass die steuerliche Haftung gerechtfertigt sei. Dem ist nicht zu folgen. Die angebotene Begründung ist eine petitio principii, besagt sie doch nur, dass der Geschäftsführer rechtswidrig weiterhin sowohl gegen gesellschafts- als auch steuerrechtliche Vorschriften verstößt. Für das Verhältnis der beiden Haftungstatbestände folgt daraus nichts. Vor wie nach der Insolvenzverschleppung gilt § 15a InsO und § 64 GmbHG, dessen Satz 1 jegliche „Zahlungen“ verbietet. 174 In dem oben (Rz. 86) für die Sozialabgaben erwähnten Urteil hat der Gesellschaftsrechtssenat des BGH seine bis dahin als gefestigt angesehene Rechtsprechung vom Vorrang der Massesicherungspflicht des § 64 S. 1 GmbHG aufgegeben. Dem organschaftlichen Vertreter könne es nicht angesonnen werden, die Massesicherungspflicht zu erfüllen „und fällige Leistungen an die Sozialkassen oder die Steuerbehörden zu erbringen, wenn er sich dadurch strafrechtlicher Verfolgung aussetzt. Sein die entsprechenden sozial- und steuerrechtlichen Vorschriften befolgendes Verhalten muss deswegen … als mit den Pflichten eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar angesehen werden“1. 175 Über die Tragweite des Urteils für Zahlungen an den Fiskus herrschte Unklarheit; denn die vom Senat angeführte Begründung deckt nicht das Ergebnis. Das Urteil bezieht sich ausdrücklich auf die Haftung gemäß §§ 69, 34 AO. Sie ist jedoch kein Straftatbestand. Einen mit den Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung, deren Abführung an § 266a StGB strafbewehrt ist, vergleichbaren Konflikt gibt es somit bei den Steuerschulden grds. nicht. Der Senat hat aber klargestellt, dass sich diese Rechtsprechung auch auf Zahlungen bezieht, deren Nichterbringung bußgeldbewährt ist oder eine persönliche Haftung des Geschäftsführers nach sich zieht2. 176 Eine persönliche Haftung des Geschäftsführers besteht nur, soweit die GmbH unter Berücksichtigung des Gebots zur anteiligen Tilgung tatsächlich noch zahlungsfähig war. Eine in dem gebotenen Umfang erfolgende Zahlung ist keine Verletzung des § 64 S. 1 GmbHG. Eine bereits eingetretene Haftung darf aber wohl nicht durch spätere Zahlungen aus dem restlichen Mittelbestand wieder beseitigt werden. Natürlich wird der Geschäftsführer nicht mit jeder Überweisung an einen Gläubiger auch einen bestimmten Prozentsatz an den Fiskus abführen. Das geschieht vielmehr mit Verzögerung. Ob es sich noch um eine nach der geänderten Auffassung des II. Zivilsenats erlaubte Vermeidung der Haftung oder um die Beseitigung der schon eingetretenen Haftung handelt, ist nur durch eine wertende Betrachtung festzustellen. Ein Indiz könnte der zeitliche Zusammenhang sein, der anfechtungsrechtlich noch für ein Bargeschäft gemäß § 142 InsO ausreicht. 177 So können beispielsweise verspätete oder falsche Steuererklärungen eine persönliche Haftung begründen, wenn die Gesellschaft bei gewöhnlichem Verlauf der Bearbeitung die Steuer noch hätte entrichten können3. Die verdeckte Gewinnausschüttung, die ein Fremdgeschäftsführer in der Vergangenheit seinem Mehrheitsgesellschafter zugutekommen ließ, um die nächste Vertragsverlängerung zu erhalten, wird plötzlich zur steuerlichen Haftungsfalle, wenn die dadurch bei richtiger Steuererklärung ausgelöste Körperschaftsteuer von der GmbH noch hätte bezahlt werden können. Entscheidet sich der Geschäftsführer nach Eintritt des Insolvenzgrundes, diese Haftung durch eine Zahlung an das Finanzamt noch schnell zu beseitigen, ist das ohne Verstoß gegen die Masseerhaltungspflicht nicht mehr zulässig. 2. Tatsächliche Unmöglichkeit, keine Steuerminderungspflicht 178 Die Unmöglichkeit der Erfüllung durch die Gesellschaft ist eine Ausnahme von § 69 AO. Deshalb ist es Aufgabe des Geschäftsführers darzulegen, dass keine oder nur quotale Zahlungen möglich waren4. Ihn treffen gemäß §§ 90 Abs. 1, 93 Abs. 1 AO Mit1 2 3 4
BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265, Hervorh. d. Verf. BGH v. 29.9.2008 – II ZR 162/07, ZIP 2008, 2220 (Rz. 9, 10). BFH v. 29.11.2006 – I R 103/05, juris. BFH v. 18.8.1999 – VII B 106/99, GmbHR 2000, 392 (394).
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Steuerrechtliche Haftung gemß § 69 AO
Rz. 182
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wirkungs- und Auskunftspflichten, bei deren Verletzung das Finanzamt die Haftsumme schätzen kann1. Im Gegensatz dazu hat der BGH bei der Haftung für Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung dem Sozialversicherungsträger die Darlegungsund Beweislast für die Möglichkeiten normgemäßen Verhaltens auferlegt, während dem Geschäftsführer nur eine sekundäre Darlegungslast treffen soll2. Da eine Haftung nach § 69 AO nur besteht, soweit im maßgebenden Zeitpunkt die 179 GmbH zur Zahlung in der Lage gewesen wäre, stellt sich die Frage, ob der Geschäftsführer wenigstens gehalten ist, auf die Interessen des Fiskus Rücksicht nehmen, indem er neue Steuerschulden möglichst gering hält. In diesem Sinne verlangte der BFH früher, Verträge so zu gestalten, dass die daraus resultierenden Steuern bezahlt werden können3. Relevant war das vor allem bei umsatzsteuerlichen Wahlrechten, wenn beispielsweise bei Grundstücksgeschäften gemäß §§ 9, 4 Nr. 9a, 12 UStG zur Umsatzsteuer optiert wurde, ohne dass die Entrichtung der daraus resultierenden Steuer sichergestellt war. Von einer solchen Rücksichtnahmepflicht hat der BFH inzwischen Abstand genommen4. In der Entscheidung ging es um die Haftung eines Insolvenzverwalters, der die aus der Optionsausübung resultierende Steuer nicht entrichten konnte, weil der gesamte Kaufpreis an die Grundpfandrechtsgläubigerin floss. Wegen Masseunzulänglichkeit konnte die Steuer auch aus dem sonstigen Vermögen nicht aufgebracht werden. Allein die Wahl der Umsatzbesteuerung begründete keine Haftung des Verwalters. Er hätte aber, so der BFH, mit der Gläubigerin eine Vereinbarung über die Pfandfreigabe des auf die Umsatzsteuer entfallenden Erlöses verhandeln müssen. Das hätte er pflichtwidrig unterlassen. Deshalb sei die maßgebliche Haftungsnorm § 61 InsO und nicht §§ 69, 34 AO. Auf die Geschäftsführerhaftung wird sich diese Verhandlungspflicht nur auswirken, 180 soweit es um die tatsächliche Unmöglichkeit geht. Ob auch bei ihm unterstellt werden kann, dass der Grundpfandrechtsgläubiger den Steuerbetrag freigegeben hätte, ist äußerst fraglich. Jedenfalls bei der Gestaltung des Kaufvertrages (Ausübung der Option) muss der Geschäftsführer auf fiskalische Interessen genauso wenig Rücksicht5 nehmen wie im Urteilsfall der Insolvenzverwalter. Ist die Steuer noch nicht fällig, soll der Geschäftsführer nach der Rechtsprechung da- 181 für Sorge tragen, dass im Fälligkeitszeitpunkt ausreichend Mittel vorhanden sind6. Damit wird die Haftung auf den Zeitpunkt vorverlagert, zu dem der Geschäftsführer die Verbindlichkeit kennt. Dieselbe Verpflichtung soll für Sozialabgaben eingreifen7 (Rz. 149). 3. Abzugsteuer Eine Besonderheit gilt nach herrschender Auffassung für die Lohnsteuer (zu dieser 182 ausführlich § 11 Rz. 185 ff.). Hier sind der Nettolohn und die Lohnsteuer mit derselben Quote zu bedienen8. Die „bloße Erwartung“9 einer Liquiditätsverbesserung hindert die Haftung nicht. Der Grund für diese Sonderbehandlung ist am ehesten darin 1 BFH v. 6.9.2004 – VI B 179/04, BFH/NV 2005, 227. 2 BGH v. 25.9.2006 – II ZR 108/05, ZIP 2006, 2127 (Rz. 8); BGH v. 8.4.2004 – II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026. 3 BFH v. 5.2.1985 – VII R 124/80, BFH/NV 1987, 2 (4 ff.); BFH v. 9.1.1997 – VII R 51/96, DStRE 1997, 523. 4 BFH v. 28.11.2002 – VII R 41/01, ZIP 2003, 582. 5 BFH v. 7.9.2007 – VII B 180/06, BFH/NV 2008, 16; Klein/Rüsken, AO, § 69 Rz. 55 ff. 6 BFH v. 4.12.2007 – VII R 18/06; BFH v. 19.9.2007 – VII R 39/05, BFH/NV 2008, 18; BFH v. 5.6.2007 – VII R 19/06, BFH/NV 2007, 2225; BFH v. 7.9.2007 – VII B 180/06, BFH/NV 2008, 16; BFH v. 3.5.1990 – VII R 108/88, BStBl. II 1990, 767; BFH v. 26.4.1984 – V R 128/79, BStBl. II 1984, 776 (777). 7 BGH v. 18.1.2007 – IX ZR 176/05, ZIP 2007, 541 (Rz. 17, 18); BGH v. 25.9.2006 – II ZR 108/05, ZIP 2006, 2127. 8 BFH v. 9.12.2005 – VII B 124-125/05, GmbHR 2006, 610; BFH v. 26.7.1988 – VII R 83/87, GmbHR 1989, 94, 95; BFH v. 23.6.1998 – VII R 4/98, DStR 1998, 1423 (1424); BFH v. 9.1.1996 – VII B 189/95, GmbHR 1997, 139. 9 BFH v. 9.12.2005 – VII B 124+125/05, GmbHR 2006, 610.
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§2
Rz. 183
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zu sehen, dass sich die Höhe der Lohnsteuer nach dem Zufluss beim Arbeitnehmer bemisst, § 11 EStG, es mithin nicht nur um die anteilige Befriedigung einer bestehenden Steuerschuld, sondern um die mit der Lohnzahlung unmittelbar verbundenen Begründung der Steuerschuld geht. Andere Abzugsteuern wird man ebenso behandeln müssen. Das gilt bspw. für die Kapitalertragsteuer (§ 43 ff. EStG), die Bauabzugsteuer (§ 48 EStG) (vgl. § 11 Rz. 202 ff.) oder den Steuerabzug bei beschränkt Steuerpflichtigen (§ 50a EStG). Zur Begründung wird häufig auf den angeblichen Treuhandcharakter der Abzugsteuer verwiesen1. Ein dinglich wirkendes Treugut stellt sie jedoch nicht dar2 (oben Rz. 147), da es sich um eine rein steuerschuldrechtliche Verpflichtung handelt. Allerdings hat der Geschäftsführer es in der Hand, den Abzugstatbestand zu begründen. Leistet er keine Zahlung an den Gläubiger, entsteht auch keine Quellensteuer. Wird hingegen Zahlung geleistet, darf sich der Geschäftsführer nicht darauf berufen, dass insgesamt nur dieser Betrag zur Verfügung gestanden hätte und bei einer anteiligen Berechnung z.B. auch die Lohnsteuer geringer gewesen wäre3. 4. Vorsteuerkorrektur 183 Eine besondere Haftungsgefahr in der Krise ergibt sich aus § 17 Abs. 2 UStG (vgl. § 11 Rz. 222 ff.). Danach sind u.a. in Anspruch genommene Vorsteuern zu erstatten, soweit die vorsteuerbelastete Verbindlichkeit nicht bezahlt werden kann. Das ist mit Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Fall. In der Umsatzsteuervoranmeldung ist die Vorsteuerkorrektur zu berücksichtigen (zur Umsatzsteuer vgl. § 11 Rz. 214 ff.). Geschieht das nicht und wird deshalb eine Vorsteuer ohne Verrechnung mit dem eigentlich gebotenen Korrekturbetrag erstattet, kommt eine Haftung des Geschäftsführers für die fehlerhafte Umsatzsteuervoranmeldung in Betracht. 5. Geschäftsführerwechsel 184 Bei einem Geschäftsführerwechsel muss der neue Geschäftsführer die von seinem Vorgänger noch nicht erledigten Pflichten erfüllen. Die beim Amtsantritt vorgefundenen Steuerschulden müssen alsbald getilgt werden. Reichen die Mittel nicht aus, greift der Grundsatz der anteiligen Tilgung und bei der Lohnsteuer möglicherweise – insofern ist das nachgenannte Urteil missverständlich – auch die der anteiliegen Kürzung unter Berücksichtigung der Lohnsteuerrückstände, die bereits in der Amtszeit des Vorgängers angefallen sind4. Außerdem ist der neue Geschäftsführer gemäß §§ 153, 34 AO verpflichtet, falsche Steuererklärungen seines Vorgängers zu korrigieren, wenn ihm die Fehler innerhalb der Festsetzungsfrist bekannt werden. Tut er das nicht und gerät die Gesellschaft später in die Krise, haftet er für den Betrag, der bei rechtzeitiger Korrektur von der GmbH noch hätte gezahlt werden können. 185 Für die Haftung aus dem Steuerschuldverhältnis gilt ebenso wie bei den vergleichbaren Haftungstatbeständen in der Krise die Gesamtverantwortung des Vorstandes, wobei eine klare und eindeutige Ressortzuweisung5 solange einer Haftung entgegensteht, solange es keine Veranlassung gibt, an der Ordnungsmäßigkeit der Ressortgeschäftsführung zu zweifeln. Bis dahin werden dem Geschäftsführer Fehler der anderen Ressortleiter nicht zugerechnet. Gleiches gilt auch für Mitarbeiter im eigenen Ressort des für die steuerlichen Angelegenheiten zuständigen Geschäftsführers, sofern er die Mitarbeiter hinreichend überwacht6.
1 BFH v. 20.4.1982 – VII R 96/79, BStBl. II 1982, 521, 522; zur Abführungspflicht bei der Lohnsteuer siehe Klein/Rüsken, AO, § 69 Rz. 71 ff. 2 Vgl. allgemein zum insolvenzrechtlichen Treuhandcharakter von abführungspflichtigen Geldern: BGH v. 24.6.2003 – IX ZR 75/01, ZIP 2003, 1613 (1614 ff.); BGH v. 24.6.2003 – IX ZR 120/02, ZIP 2003, 1404 f.; BAG v. 24.9.2003 – 10 AZR 640/02, ZIP 2004, 124 (127 f.). 3 BFH v. 19.9.2007 – VII R 39/05, BFH/NV 2008, 18. 4 BFH v. 9.12.2005 – VII B 124+125/05, GmbHR 2006, 610. 5 BFH v. 31.10.2005 – VII B 57/05, GmbHR 2006, 274. 6 BFH v. 7.11.2006 – VII B 29/06, BFH/NV 2007, 399; BFH v. 30.5.2005 – VII S 27/04, BFH/NV 2005, 1487; FG Münster v. 16.11.2006 – 8 K 2598/04 u. v. 16.11.2006 – 8 K 2601/04.
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Haftung bei anderen Gesellschaftsformen
Rz. 188
§2
6. Kausalität In all den Fällen ist Voraussetzung für eine persönliche Haftung stets die Kausalität 186 der Pflichtverletzung für den eingetretenen Steuerausfall. So wie es bei den Sozialabgaben nach Auffassung der Zivilsenate – a.A. die Strafsenate – des BGH an der Kausalität fehlt, wenn ein Insolvenzverwalter die Zahlungen anfechten könnte, fehlte es nach der ursprünglichen Rechtsprechung des BFH auch bei der steuerlichen Haftung an der Kausalität; denn der Steuerausfall wäre auch bei pflichtgemäßen Verhalten nicht vermieden worden1. Eine bloß theoretische Anfechtbarkeit reichte jedoch nicht aus. Vielmehr mussten die Tatbestandsvoraussetzungen konkret vorliegen, wozu bei der Deckungsanfechtung gemäß § 130 InsO insbesondere die Kenntnis des Finanzamtes von der Zahlungsunfähigkeit bzw. den sie begründenden Umständen gehört2. Davon hat der BFH in einer Kette von Entscheidungen aus 2007 Abstand genommen. Der Schutzzweck des § 69 AO verbiete die Berücksichtigung einer hypothetischen Anfechtbarkeit, u.a. weil das Finanzamt die Anfechtungsvoraussetzungen nur schwer prüfen könne und deshalb die Effizienz der Haftungsvorschrift gefährdet sei3. Inzwischen handelt es sich hierbei um ständige Rechtsprechung4. Bei der Lohnsteuer kommt hinzu, dass der BFH sie möglicherweise als Arbeitslohn und damit als Leistung an den Arbeitnehmer ansieht, so dass sie bei pünktlicher Zahlung wegen des Bargeschäftscharakters nicht anfechtbar ist. Eine endgültige Entscheidung dieser Rechtsfrage hat er bis heute offen gelassen5. Da der Insolvenzrechtssenat des BGH ein Bargeschäft verneint6, müsste die Sache erst dem gemeinsamen Senat vorgelegt werden. Für die Beratungspraxis ist jedoch zu empfehlen, das Finanzamt über den Insolvenzgrund vor der Fälligkeit zu informieren, so dass bei der persönlichen Haftungsinanspruchnahme der Einwand der fehlenden Kausalität geltend gemacht werden kann. Der Geschäftsführer haftet grds. auch, wenn die Steuerschuld beglichen wurde, die 187 Forderung aber nach erfolgreicher Insolvenzanfechtung wieder auflebt (§ 144 Abs. 1 InsO). Das gilt jedenfalls dann, wenn die Steuer verspätet ausgeglichen wurde und der Fälligkeitszeitpunkt vor dem Beginn der Anfechtungsfrist lag7. XV. Haftung bei anderen Gesellschaftsformen Die für die GmbH dargestellte Haftung trifft im Wesentlichen auch auf die Vertre- 188 tungsorgane anderer beschränkt haftender Gesellschaften zu. Zwar stellt z.B. § 92 Abs. 1 AktG für die Verlustanzeige und in der Folge auch für die Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung darauf ab, dass sich der Verlust bei der Aufstellung eines Jahresabschlusses oder einer Zwischenbilanz ergibt. Daraus folgerte die vormalige herrschende Meinung unter Bezugnahme auf das „Herstatt“-Urteil des BGH8, dass es für den Beginn der Insolvenzantragspflicht bei der AG auf die positive Kenntnis und nicht, wie bei der GmbH, auf die Erkennbarkeit ankommt9. Spätestens seit Einführung der rechtsformunabhängigen Antragspflicht in § 15a InsO ist Unterschied
1 BFH v. 10.5.2006 – VII B 123/05, BFH/NV 2006, 1610; BFH v. 9.12.2005 – VII B 124+125/05, GmbHR 2006, 610; FG Berlin v. 27.2.2006 – 9 K 9114/05, ZIP 2006, 1444; a.A. FG Münster v. 16.12.2006 – 8 K 2598/04. 2 BFH v. 10.5.2006 – VII B 123/05, BFH/NV 2006, 1610. 3 BFH v. 5.6.2007 – VII R 65/05, ZIP 2007, 1856; BFH v. 5.6.2007 – VII R 30/06, BFH/NV 2008, 1; BFH v. 19.9.2007 – VII R 39/05, BFH/NV 2008, 18; BFH v. 4.12.2007 – VII R 18/06. 4 BFH v. 22.4.2009 – VII B 225/08, juris Rz. 7. 5 BFH v. 9.12.2005 – VII B 124+125/05, GmbHR 2006, 610; BFH v. 10.5.2006 – VII B 123/05, BFH/NV 2006, 1610. 6 BGH v. 22.1.2004 – IX ZR 39/03, ZIP 2004, 513. 7 BFH v. 15.6.2009 – VII B 196/08, BFH/NV 2009, 1605 (Rz. 14 f.); BFH v. 11.11.2008 – VII R 19/08, ZIP 2009, 516 (Rz. 11 f.). 8 BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, NJW 1979, 1823. 9 OLG Frankfurt v. 18.8.2004 – 23 U 170/03, NZG 2004, 1157; OLG Koblenz v. 5.11.2004 – 5 U 875/04, ZIP 2005, 211.
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Rz. 189
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zwischen der AG und der GmbH nicht gerechtfertigt1, wovon auch der BGH ausgeht, ohne die unterschiedlichen Gesetzesformulierungen zu problematisieren2. 189 Eine weitere Formulierungsabweichung gegenüber § 64 S. 1 GmbHG enthält § 130a Abs. 2 S. 1 HGB, der auf Personengesellschaften ohne beschränkt haftende Gesellschafter Anwendung findet. Danach ist der Geschäftsführer nicht zum Ersatz der seit Eintritt des Insolvenzgrundes geleisteten Zahlungen verpflichtet, sondern nur zum Ersatz des aus den geleisteten Zahlungen resultierenden Schadens. Diese Formulierung hat die oben (Rz. 89) dargestellte Literaturmeinung als Beleg dafür herangezogen, dass die von ihr vertretene Saldotheorie dem Willen des Gesetzgebers entspricht. Der BGH hat jedoch vor Inkrafttreten des MoMiG klargestellt, dass der Ersatzanspruch laut § 130a Abs. 3 HGB a.F. dem des § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. entspricht3. 190 Anders verhält es sich für den Idealverein. § 42 Abs. BGB räumt den Neugläubigern nur einen Schadensersatzanspruch auf das negative Interesse und den Altgläubigern einen solchen auf die Quotenverminderung ein. Von der Erstattung sämtlicher seit dem Eintritt des Insolvenzgrundes geleisteter Zahlungen ist dort keine Rede. Das ist für einen Idealverein auch angemessen, weil die Auszahlungen meist nur aus laufenden Mitgliedsbeiträgen stammen, die im Insolvenzverfahren nicht eingezogen werden können, weil die Mitglieder wegen der Nichterreichbarkeit des Vereinszwecks fristlos den Austritt erklären würden. Vereinsvorstände haften auch nicht analog § 64 S. 1 GmbHG4. Ein neuer Absatz 6 des § 15a InsO, eingeführt durch die sog. 2. Stufe der Insolvenzrechtsreform, stellt jetzt zudem klar, dass für Vereine und Stiftungen keine Insolvenzantragspflicht besteht. Diese Regelung gilt ab dem 1.7.2014. XVI. Geschäftsführerhaftung bei ausländischen Gesellschaften 191 Juristische Personen erlangen ihre Rechtsfähigkeit, wenn sie unter Beachtung der für sie jeweils geltenden Normativbestimmungen gegründet und in das zuständige Register eingetragen werden, vgl. z.B. §§ 9c, 11 Abs. 1 GmbHG. Anderenfalls sind die Gesellschaften weder rechtsfähig noch beschränkt sich die Haftung auf das Gesellschaftsvermögen. Das galt bisher selbst dann, wenn die Gründung nach dem Recht eines anderen Staates wirksam erfolgte, die Gesellschaft aber ihren tatsächlichen Sitz nach Deutschland verlegt hatte, sogenannte „Sitztheorie“ im Gegensatz zur „Gründungstheorie“5. 192 Natürlich harrte dieser Rechtsverlust beim Grenzverkehr für den Bereich der EG einer Überprüfung durch den EuGH, der darin insbesondere in drei Entscheidungen einen Verstoß gegen die in Art. 43, 48 EG garantierte Niederlassungsfreiheit sah. Im „Überseering“-Urteil bejahte er die Rechts- und Parteifähigkeit einer niederländischen BV, die ihren Sitz nach Deutschland verlegt hatte6, in den beiden anderen Urteilen („Centros“ und „Inspire-Art“) hielt er Dänemark bzw. Holland für verpflichtet, für eine englische Ltd. in das Handelsregister jeweils Zweitniederlassungen7 einzutragen8, in denen der gesamte Geschäftsbetrieb geführt wurde. Unter dem Blickwinkel der Niederlassungsfreiheit sei es ohne Bedeutung, dass die Gesellschaft im 1 Hüffer, AktG, § 92 Rz. 9. 2 BGH v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 (Rz. 12); BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265. 3 BGH v. 26.3.2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006. 4 BGH v. 8.2.2010 – II ZR 156/09, ZIP 2010, 1080 (Rz. 4, 5). 5 S. Überblick bei Michalski/Leible, GmbHG, Syst. Darst. 2 Rz. 7 ff.; Borges, ZIP 2004, 733 (739 ff.). 6 „Überseering“: EuGH v. 5.11.2002 – Rs. C-208/00, GmbHR 2002, 1137. 7 Die in den deutschsprachigen Fassungen der Urteile genannte Zweitniederlassung ist wirtschaftlich die Hauptniederlassung, juristisch aber (wohl) identisch mit der Zweigniederlassung i.S.d. §§ 13 ff. HGB, so dass ihre Eintragung durch Zwangsgeld erzwungen werden kann, § 14 HGB. 8 „Centros“: EuGH v. 9.3.1999 – Rs. C-212/97, NJW 1999, 2027; „Inspire Art“: EuGH v. 30.9.2003 – Rs. C-167/01, ZIP 2003, 1885; dazu Hirsch, NZG 2003, 1100 ff.; Kindler, NZG 2003, 1086 ff.; Horn, NJW 2004, 893 ff.; Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159 ff.; Riegger, ZGR 2004, 510 (512 ff.).
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Geschftsfhrerhaftung bei auslndischen Gesellschaften
Rz. 196
§2
Gründungsstaat nur als Briefkastengesellschaft errichtet wurde, um in den Genuss vorteilhafterer Rechtsvorschriften als in dem Zweitstaat zu gelangen, in dem die ausschließliche Tätigkeit beabsichtigt werde. Erkenne der Zweitstaat die Rechtsfähigkeit zwar an, erlasse aber besondere Vorschriften, die diese Gesellschaften verpflichten würden, die nationalen für vergleichbare Gesellschaften geltenden Anforderungen an das Stammkapital und die Haftung zu beachten, stelle das gleichfalls einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit dar. Diese Freiheit dürfe nur ausnahmsweise aus zwingenden Gründen des Gemeinwohls eingeschränkt werden, die der EuGH in den genannten Entscheidungen jeweils verneinte. Die Anerkennung des ausländischen Organisationsrechts entbindet die Gesellschaft 193 natürlich nicht von einer Beachtung des inländischen Verkehrsrechts. Um das an einem profanen Beispiel zu verdeutlichen: Dem Eigentümer eines links gelenkten englischen Pkw darf in Deutschland zwar nicht die Straßenverkehrszulassung versagt werden. Dennoch muss er sich an das Rechtsfahrgebot halten. Das Verkehrsrecht ist, vereinfacht ausgedrückt, dadurch gekennzeichnet, dass es für jedermann gilt, unabhängig davon, ob der Pkw links oder rechts gelenkt wird. Dasselbe gilt für jede juristische oder natürliche Person, soweit sie sich in Deutschland betätigt. Konsequent bestimmt deshalb auch Art. 4 Abs. 1 EuInsVO, dass auf Schuldner mit Auslandsbezug das Insolvenzrecht desjenigen Mitgliedstaats anwendbar ist, in dem das Verfahren eröffnet wird. Dafür wiederum kommt es gemäß Art. 3 Abs. 1 EuInsVO auf den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen an, der bei ausländischen Briefkastengesellschaften im Staat der tatsächlichen Betätigung liegt. Seit dem „Inspire Art“-Urteil wird intensiv über die Frage diskutiert, nach welchem 194 Recht sich der Pflichtenkreis richtet, dem die Organe ab Eintritt eines Insolvenzgrundes unterliegen. Die Antwort wird an dem Gegensatzpaar Organisations- versus Verkehrsrecht1 aufgehängt. Während die einen2 darauf abstellen, dass die Pflichten in den jeweiligen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften angesiedelt und deshalb Bestandteil des nach dem Recht des Gründungsstaates zu beurteilenden Organisationsrechts sind, meinen andere3, dass es sich materiell um Insolvenz- und damit Verkehrsrecht des Zweitstaates handelt4. Ober- oder gar höchstrichterliche Entscheidungen existieren bisher nicht. Da die Dis- 195 kussion noch im Fluss ist, kann auf die Fülle der Literaturmeinungen nicht im Einzelnen eingegangen werden. Hier sei nur angemerkt, dass prima vista schon die systematischen Überlegungen dafür sprechen, dass – jedenfalls für die Innenhaftung – das Recht des Gründungsstaates maßgebend ist5; denn der Pflichtenkreis ist nun einmal in den jeweiligen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften verankert. Ein Vergleich zwischen § 42 Abs. 2 BGB und § 64 S. 1 GmbHG verdeutlicht, dass die Innenhaftung ab Eintritt des Insolvenzgrundes sogar im nationalen Recht für die einzelnen juristischen Personen sehr unterschiedlich sein kann. Beim Idealverein ist der „Schaden“ zu ersetzen, bei der GmbH hingegen schon jede „Zahlung“, die nicht mit der insolvenzspezifischen Sorgfalt vereinbar ist. Dass „Schaden“ und „Zahlung“ im objektiven Tatbestand voneinander abweichen, wurde oben dargestellt (Rz. 46 ff.). Das macht es schwer, einen allgemeinen Pflichtenkreis für juristische Personen zu bestimmen. Eine andere Frage ist es, ob der Gesetzgeber berechtigt ist, einen allgemeinen Pflichtenkreis z.B. im Zusammenhang mit den §§ 17 ff. InsO in der Insolvenzordnung zu definieren. Das hat er bisher nicht getan. Andererseits unterliegt es keinem Zweifel, dass Gläubiger nicht durch den Geschäfts- 196 kontakt zu einer insolventen Gesellschaft geschädigt werden dürfen. Die Haftung wird für den Bereich der GmbH durch den Schutzgesetzcharakter des § 64 GmbHG 1 Ulmer, KTS 2004, 291 ff.; Just, ZIP 2006, 1251; Altmeppen/Wilhelm, DB 2004, 1083 (1086 ff.) verbinden dies mit dem Gerichtsstand. 2 Z.B. Altmeppen, NJW 2004, 97 ff.; Goette, ZIP 2006, 541. 3 LG Kiel v. 20.4.2006 – 10 S 44/05, ZIP 2006, 1248 m. Anm. Schilling, EWiR 2006, 429; z.B. Ulmer, NJW 2004, 1201 ff. 4 Überblick über den Meinungsstand bei Hase, BB 2006, 2141 (2445 ff.). 5 Schumann, DB 2004, 743 (746).
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Rz. 197
Geschftsfhrerberatung
definiert. Als einer der wenigen abstrahiert K. Schmidt von der gesellschaftsrechtlichen Bestimmung und spricht von einem „Solvenzvertrauen“ in die Geschäftsführung. Damit wird die Außenhaftung für die Insolvenzverschleppung außerhalb des Organisationsrechts manifestiert. Ein solches „Solvenzvertrauen“ ist als reine Fiktion zwar abzulehnen (oben Rz. 92 ff.). Denkbar ist hingegen eine Art „Verkehrssicherungspflicht“ dahingehend, die Geschäftstätigkeit so einzurichten, dass niemand nach Insolvenzeintritt zu Schaden kommt. Die Rechtsfolgen einer Verletzung könnten sich aus § 826 BGB ergeben1. Auch kommen die jeweiligen ausländischen Verhaltenspflichten als Schutzgesetze in Betracht2. Das gilt insbesondere für das im englischen Recht bestehende Institut des „wrongful trading“. Aus ihm ergeben sich im Übrigen schon unmittelbar erhebliche Haftungsgefahren3, so dass von keiner Schutzlücke gesprochen werden darf, die ohne Anwendung des § 64 GmbHG entstünde. 197 All das zeigt, dass für die Insolvenzantragspflicht und die Innenhaftung wohl das Recht des Gründungsstaates maßgebend sind, während für die Außenhaftung die deliktischen Bestimmungen im Vordergrund stehen, die von ausländischen Gesellschaften genauso wie von jedem anderen beachtet werden müssen. 198 Mit Einführung der Unternehmergesellschaft (UG, haftungsbeschränkt) in § 5a GmbHG haben sich diese Probleme weitgehend erledigt, da Gründer, die wenig Geld in die Hand nehmen aber die beschränkte Haftung wollen, sich nunmehr in aller Regel dieser Rechtsform bedienen.
1 Riegger, ZGR 2004, 510 (525). 2 Schumann, DB 2004, 743 (748); Riegger, ZGR 2004, 510 (523 f.); Fleischer, ZGR 2004, 435 ff. mit einer Darstellung der Regelungen einiger europäischer Länder und der USA; Micheler, ZGR 2004, 324 ff.; Schall, DStR 2006, 1229 für die englische Ltd. 3 S. die Darstellung bei Habersack/Verse, ZHR 2004, 174 ff.; Happ/Holler, DStR 2004, 730 (733 f.).
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Andres
§3 Gesellschafterberatung
I. Mandatssituation . . . . . . . . . . . . . . . . II. Überblick über die Änderungen durch das „MoMiG“. . . . . . . . . . . . . . . 1. Kapitalaufbringung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kapitalerhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unternehmensbestattung . . . . . . . . . . III. Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung . . . . . . . . . . . 1. Gründung der GmbH . . . . . . . . . . . . . a) Bargründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verschleierte Sachgründung . . (1) Rechtslage nach MoMiG . . . . . (2) Rechtslage vor MoMiG . . . . . . bb) Hin- und Herzahlen . . . . . . . . . (1) Rechtslage nach MoMiG . . . . . (2) Rechtslage vor MoMiG . . . . . . (3) Cash-Pool . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . (1) Rechtslage vor MoMiG . . . . . . (2) Änderungen durch das MoMiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ausnahmen für bestimmte Geschäfte? . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sachgründung . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verlustdeckungshaftung, Unterbilanzhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verwendung von Vorrats- und Mantelgesellschaften . . . . . . . . . . . 2. Kapitalerhöhung der GmbH . . . . . . . . a) Aufgabe des Gebots der wertgleichen Deckung . . . . . . . . . . . . . . b) Darlegungs- und Beweislast . . . . . . c) Stecken gebliebene Kapitalerhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kapitalerhaltung der GmbH . . . . . . . . a) Buchwertbetrachtung . . . . . . . . . . b) Haftungssicherung . . . . . . . . . . . . . c) Drittbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . d) Beurteilungszeitpunkt . . . . . . . . . . IV. Existenzvernichtung, Unternehmensbestattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesellschafterhaftung wegen Existenzvernichtung . . . . . . . . . . . . . . 2. Unternehmensbestattung . . . . . . . . . . V. Besonderheiten im Kapitalschutzsystem der AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kapitalaufbringung, Nachgründung, Wandlungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einlagenrückgewähr . . . . . . . . . . . . . . 4. Ausfallhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Haftung des Personengesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 3 4 7 8 9 10 11 11 11 14 16 16 19 22 26 26 29 31 33 38 47 50 51 56 57 62 66 78 81 84 85 85 93 98 98 100 106 107 109 109
2. Unbeschränkte Haftung . . . . . . . . . a) Vor Insolvenzeröffnung . . . . . . . b) Nach Insolvenzeröffnung: § 93 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Konkurrierende Ansprüche . bb) Betroffene Gläubiger . . . . . . cc) Dauer, Teilzahlungen während des Verfahrens . . . . . . . dd) Haftungsumfang . . . . . . . . . ee) Doppel- vs. Ausfallhaftung . ff) Sondermasse . . . . . . . . . . . . gg) Verhältnis zur Einlageforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . hh) Insolvenzplan . . . . . . . . . . . . 3. Kommanditistenhaftung . . . . . . . . a) Verhältnis von Einlage und Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Außenverhältnis („Hafteinlage“ = Haftsumme). . . . . . . bb) Innenverhältnis („Pflichteinlage“) . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Sacheinlage . . . . . . . . . . . . . dd) Einlagenrückgewähr . . . . . . b) Haftung vor Eintragung . . . . . . . c) Haftung des ausgeschiedenen Kommanditisten. . . . . . . . . . . . . d) Besonderheiten der GmbH & Co. KG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einlageleistung und Haftungsbefreiung . . . . . . . . . . . bb) Kapitalerhaltung . . . . . . . . . VII. Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . 1. Beteiligtenstellung . . . . . . . . . . . . . 2. Informationsrechte . . . . . . . . . . . . . 3. Bilanzerstellungsanspruch . . . . . . . 4. Stimm- und Weisungsrechte der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fortbestehen trotz Insolvenzeröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verwalteraufgaben vs. Gesellschaftsaufgaben . . . . . . . . . . . . . c) Weisungsrechte, Zustimmungsvorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Keine Besonderheit bei Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zustimmungspflicht zu Sanierungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . f) Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Unternehmensvertrag . . . . . . . . . . . 6. Steuerrechtliche Stellung . . . . . . . . a) Kapitalgesellschaft . . . . . . . . . . . b) Personengesellschaft . . . . . . . . .
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. . 114 . . 114 . . 115 . . 116 . . 118 . . . .
. . . .
119 120 131 132
. . 134 . . 135 . . 136 . . 136 . . 136 . . . .
. . . .
143 150 153 158
. . 159 . . 161 . . 161 . . 165 . . . .
. . . .
170 170 171 174
. . 176 . . 176 . . 179 . . 182
. . 185 . . . . . .
. . . . . .
192 197 198 208 208 215
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§3
Rz. 1
Gesellschafterberatung
I. Mandatssituation 1 Der Anwalt wird in der Regel zwar von der Gesellschaft beauftragt, aber von den Gesellschaftern ausgewählt. In der Krise wollen sie über ihre Risiken informiert werden und wissen, wie die Gesellschaft, und wenn nicht sie, so zumindest das Gesellschaftsvermögen für sie zu retten ist. Ist das Insolvenzverfahren schon beantragt, geht es ihnen um die daraus für sie folgenden Konsequenzen in haftungsrechtlicher, steuerrechtlicher und verfahrensrechtlicher Hinsicht, Letzteres insbesondere dann, wenn ein Insolvenzplan vorgelegt werden soll. 2 Die größten Unklarheiten bestehen bei den Mandanten über das Eigenkapitalersatzrecht, weil sie irrig der Auffassung sind, dass Gesellschafter mit ihren Forderungen sogar in der Krise wie normale Gläubiger behandelt werden müssen. Dieser Bereich wird in einem gesonderten Abschnitt behandelt (§ 4). Risiken liegen aber auch in einer nicht ordnungsgemäßen Kapitalaufbringung und in der Verletzung des Gebots der Kapitalerhaltung. Was in guten Zeiten als „nicht so schlimm“ angesehen wird, weil man sich über eine verschleierte Sacheinlage oder über Entnahmen einig war, wird in der Insolvenz zur Haftungsfalle. Von den Haftungsrisiken hängt es ab, ob die Gesellschafter besser die Insolvenz durch Bereitstellung neuer Mittel vermeiden. Hier kommt es zu Fragen über die Form der Neufinanzierung und über den Umgang mit dissentierenden Gesellschaftern, die an Sanierungsmaßnahmen nicht mitwirken wollen. Sie werden nachfolgend im Zusammenhang mit den Gestaltungsmaßnahmen im eröffneten Insolvenzverfahren erörtert. Die Ausführungen gelten aber ebenso für Maßnahmen zur Vermeidung der Insolvenzeröffnung (s. ergänzend § 1 Rz. 183 ff.). II. Überblick über die Änderungen durch das „MoMiG“1 3 In dem Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), welches am 1.11.2008 in Kraft getreten ist, hat das Eigenkapitalersatzrecht grundlegende Änderungen erfahren. Insbesondere wurden durch das MoMiG Neuregelungen im Insolvenzrecht geschaffen und eine Deregulierung des Eigenkapitalersatzrechtes bewirkt. Durch den Wegfall der §§ 32a, 32b des GmbHG fand eine Verlagerung der Rückforderung von eigenkapitalersetzenden Darlehen aus dem GmbH-Recht in die Insolvenzanfechtungsregelungen statt. Die eigenkapitalersetzenden Insolvenzanfechtungsregelungen wurden rechtsformneutral ausgestaltet. Zu den wesentlichen Vereinfachungen zählen diesbezüglich insbesondere der Wegfall der Begriffe „Krise“ und „eigenkapitalersetzend“, so dass sämtliche Gesellschafterdarlehen und Rechtshandlungen, die solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, in der Insolvenz als nachrangig zu behandeln sind (vgl. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO). Zu beachten ist § 103d EGInsO, wonach auf Insolvenzverfahren, die vor dem Inkrafttreten des MoMiG eröffnet wurden, die ursprünglichen Regelungen Anwendung finden. Mithin findet eine Zäsur durch die Einführung des MoMiG statt. Entsprechend dieser Zäsur werden nachfolgend die Änderungen durch das MoMiG gesondert dargestellt. Allerdings bleiben die Ausführungen zur Rechtslage vor Inkrafttreten des MoMiG erhalten, da in vielen Teilbereichen die sogenannten Rechtsprechungsregeln nach wie vor ihre Gültigkeit besitzen. 1. Kapitalaufbringung 4 Zahlreiche Probleme der Kapitalaufbringung im Gründungsstadium treten in der Praxis nicht mehr auf, weil das Eintragungsverfahren wesentlich beschleunigt wurde. Selbst in großen Gerichtsbezirken reichen drei Tage ab Anmeldung aus, wenn es keine Eintragungshindernisse insbesondere wegen der Firmierung oder wegen ausstehender Genehmigungen gibt. 5 Weitere Erleichterungen sind durch das „Gesetz zur Modernisierung des GmbHRechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG)“ geschaffen worden. Der Eintragungsvorgang ist beschleunigt worden, indem § 8 Abs. 1 Nr. 6 GmbHG gestrichen wurde, der bei einem genehmigungsbedürftigen Unternehmensgegenstand die 1 Überblick zu den Gesetzesänderungen bei Heckschen, DStR 2007, 1442.
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berblick ber die nderungen durch das „MoMiG“
Rz. 8
§3
Einreichung der Genehmigung mit der Anmeldung vorschrieb. Das Mindeststammkapital kann in einer sogenannten „Unternehmergesellschaft“, die als solche kenntlich zu machen ist, unterschritten werden, § 5a GmbHG. Verschleierte Sacheinlagen sind gemäß § 19 Abs. 4 GmbHG zulässig. Voraussetzung ist nur die Werthaltigkeit, für die der Gesellschafter nach § 19 Abs. 4 S. 5 GmbHG die Beweislast trägt. Ansonsten greift die Differenzhaftung des § 9 GmbHG. § 30 GmbHG ist ergänzt worden in Bezug auf das Existenzvernichtung, UnternehmensbestattungVerbot der Einlagenrückgewähr. Als eine solche Rückgewähr wird es nicht mehr angesehen, wenn die Auszahlung der soeben erst geleisteten Einlage an den Gesellschafter durch einen vollwertigen Rückgewähranspruch (Anspruch auf Darlehenstilgung) gedeckt ist, § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG. Damit sollen die „Cash-Pool-Systeme“ erfasst werden. Misslich daran ist, dass eine spätere Bonitätsverschlechterung keine sinnvolle Reaktion zulässt; denn die Rückzahlung könnte entweder insolvenzrechtlich anfechtbar sein, zumindest aber unter das Verbot des § 64 GmbHG bei der darlehensnehmenden Gesellschaft fallen. Die Minderung der Vollwertigkeit geht häufig mit dem Eintritt eines Insolvenzgrundes einher. Insgesamt reduziert das MoMiG die Haftungsgefahren für die Gesellschafter erheb- 6 lich. Der Gläubigerschutz bei der Kapitalaufbringung wird auf den bei einer Kommanditgesellschaft (siehe Rz. 120 ff.) zurückgestuft – nur mit dem Unterschied, dass es zur Kompensation keine unbeschränkte Haftung eines Komplementärs gibt. Sie ist de facto zwar auch bei der KG nicht mehr gegeben, weil die Komplementärstellung von einer GmbH eingenommen wird. Der Vergleich zeigt aber, dass der Gesetzgeber einen Laien Kapitalschutz nur wegen der unbeschränkten Haftung für vertretbar hielt. Das Ziel, das Haftungsrecht zu vereinfachen und die Rechtsverfolgungskosten zu minimieren, wird sicherlich erreicht – wenn auch mit dem einfachen Trick, dass der Gläubigerschutz im selben Umfang beschränkt wird. Wo kein Schutz, da keine Klage. 2. Kapitalerhaltung Durch das „MoMiG“ ist § 30 Abs. 1 GmbHG dahingehend ergänzt worden, dass eine 7 Einlagenrückgewähr nicht vorliegt, wenn die Auszahlung durch einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückgewähranspruch gedeckt ist. Darlehensgewährungen oder Verkäufe an Gesellschafter mit Kaufpreisstundungen sind nicht mehr unter § 30 GmbHG zu subsumieren, falls eine bankübliche Bonität besteht. Mehr eine Klarstellung als eine Neuerung ist der Zusatz in § 30 Abs. 1, dass Leistungen aufgrund eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages ebenfalls nicht eine Einlagenrückgewähr darstellen. § 291 Abs. 3 AktG, der eben dies für die AG bestimmt, wurde, wie oben erläutert, bereits in der Vergangenheit für analog anwendbar gehalten. 3. Unternehmensbestattung Der Unternehmensbestattung schließlich will das „MoMiG“ dadurch entgegenwir- 8 ken, dass es die Antragspflicht für sämtliche juristischen Personen in einem neuen § 15a InsO regelt. Während zuvor ein Gesellschafter weder zur Prüfung des Insolvenzgrundes noch zur Veranlassung eines Insolvenzantrages gehalten ist1, verpflichtet dessen Abs. 3 jeden Gesellschafter, einen Insolvenzantrag zu stellen, wenn es keinen Geschäftsführer mehr gibt, es sei denn, dass der Gesellschafter von dem Insolvenzgrund und der Führungslosigkeit keine Kenntnis hat. Diese Ergänzung der Antragspflicht trifft allerdings nicht die tatsächliche Erscheinungsform der Unternehmensbestattung, bei der die Gesellschafter wechseln und bis dahin ein Geschäftsführer besteht. Die Personen also, die für eine Haftung gerade interessant sind, werden nicht erfasst.
1 BGH v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, ZIP 2005, 1734.
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§3
Rz. 9
Gesellschafterberatung
III. Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung 9 Die Kapitalaufbringung ist aus Gründen des Gläubigerschutzes weitgehend formalisiert. Natürlich hat die kautelarjuristische Praxis in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Versuche unternommen, die Vorschriften möglich günstig für die Gesellschafter zu nutzen. Dementsprechend vielfältig sind die Rechtsprechungsfälle. Nachfolgend sollen die Grundzüge am Beispiel der GmbH dargestellt und einige Hinweise zu besonders häufigen Fehlern gegeben werden. Anschließend wird auf Besonderheiten der AG eingegangen, für die ansonsten dieselben Grundsätze wie für die GmbH gelten. 1. Gründung der GmbH 10 Insbesondere die Vorschriften über die Kapitalaufbringung in § 19 GmbHG wurden durch das „Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG)“ neu geregelt. Dabei ist weiter an dem Grundsatz der realen Kapitalaufbringung festgehalten worden. Auch weiterhin können die Gesellschafter nicht von der Leistung der Einlage befreit werden. Eine Aufrechnung gegen den Anspruch der Gesellschaft ist nur zulässig, mit einer Forderung aus Überlassung von Vermögensgegenständen und für den Fall, dass die Aufrechnung auf die Einlagenverpflichtung nach § 5 Abs. 4 Satz 1 GmbHG vereinbart worden ist. a) Bargründung aa) Verschleierte Sachgründung (1) Rechtslage nach MoMiG 11 Zunächst wird bei der Kapitalaufbringung weiter unterschieden zwischen der Barund der Sachgründung. Dabei ist die Sacheinlage gemäß § 7 Abs. 3 GmbHG vor Eintragung in das Handelsregister an die Gesellschaft zu bewirken. Im Gegensatz dazu bedarf es bei der Bareinlage gemäß § 7 Abs. 2 GmbHG lediglich der Aufbringung eines Viertel des Nennbetrages. § 19 Abs. 4 GmbHG regelt nunmehr, dass die jetzt legal definierte verdeckte Sacheinlage dann vorliegt, wenn „eine Geldanlage eines Gesellschafters bei wirtschaftlicher Betrachtung und aufgrund einer im Zusammenhang mit der Übernahme der Geldeinlage getroffene Abrede vollständig oder teilweise als Sacheinlage zu bewerten“ ist. Mit dieser Definition wollte der Gesetzgeber keine Neufassung der verdeckten Sacheinlage schaffen, sondern an die übliche Definition in der Rechtsprechung anknüpfen1. Die Voraussetzungen dafür, ob eine verdeckte Sacheinlage vorliegt, mithin eine Geldeinlage bei wirtschaftliche Betrachtung entweder vollständig oder teilweise als Sacheinlage zu bewerten ist, sind objektiv zu beurteilen. Weiter hinzukommen muss eine im Zusammenhang mit der Übernahme der Geldeinlage getroffene Umgehungsabrede bzw. Verwendungsabsprache2. 12 Nach der neuen Rechtslage befreit die verdeckte Sacheinlage den Gesellschafter grundsätzlich nicht von seiner Einlageverpflichtung. Jedoch sind nach der Neuregelung des § 19 Abs. 4 GmbHG im Gegensatz zum früheren Recht die Verträge über die Sacheinlage und über die Rechtshandlung zu ihrer Ausführung nicht von vornherein unwirksam. Der Wert der Sacheinlage wird auf die im Zeitpunkt der Anmeldung der Gesellschaft ins Handelsregister fortbestehende Geldeinlagepflicht angerechnet. Somit hat der Gesetzgeber eine Erfüllungslösung inkl. Differenzhaftung vorgesehen. Jedoch stellt die Erbringung einer verdeckten Sacheinlage weiterhin einen Verstoß gegen die Vorschriften der Kapitalaufbringung dar. Der Geschäftsführer kann gemäß § 9a Abs. 1 und § 13 Abs. 2 GmbHG zum Schadensersatz verpflichtet sein und sich gemäß § 82 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG strafbar machen. 13 Grundsätzlich kann das Registergericht die Eintragung der Gesellschaft bzw. die Kapitalerhöhung gemäß § 9c GmbHG ablehnen, wenn es von der verdeckten Sacheinlage Kenntnis erlangte. Eine Heilung des Vorgangs erfolgt erst dann, wenn das 1 Begr. RegE, MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 40. 2 Vgl. Scholz/Veil, GmbHG, § 19 Rz. 128; Ulmer/Ulmer, § 5 Rz. 170.
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Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung
Rz. 15
§3
Registergericht dennoch die Eintragung vornimmt. Damit führt eine verdeckte Sacheinlage zwar zur Tilgung der Einlagenschuld. Dies bedeutet aber nicht, dass Sanktionen gegen die Geschäftsführer und Gesellschafter ausgeschlossen sind. Soweit der Geschäftsführer die Versicherung gemäß § 8 Abs. 2 GmbHG in Kenntnis einer verdeckten Sacheinlage abgegeben hat und damit bestätigt hat, dass die Leistungen auf die Geschäftsanteile bewirkt seien und die Beträge ihm frei zur Verfügung gestanden hätten, ist dies im Fall der verdeckten Sacheinlage falsch1. In diesem Fall kann sich der Geschäftsführer gemäß § 82 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG strafbar machen und gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG zum Schadensersatz verpflichtet sein. Für den Fall der Anrechnung der verdeckten Sacheinlage auf die Barleistungsverpflichtung des Gesellschafters ist der Gesellschafter für den Wert der verdeckten Sacheinlage im Zeitpunkt der Einbringung bzw. der Anmeldung der Gesellschaft zur Eintragung in das Handelsregister darlegungs- und beweisbelastet. (2) Rechtslage vor MoMiG Auch nach altem Recht wurde bei der Kapitalaufbringung unterschieden zwischen 14 der Bar- und der Sachgründung. Schon allein aus dieser Unterscheidung wurde deutlich, dass es nicht ausreichte, der Gesellschaft ein Vermögen in Höhe der übernommenen Stammeinlage zuzuführen. Vielmehr muss das auch genau in der aus dem Handelsregister ersichtlichen Form geschehen. § 19 Abs. 5 GmbHG aF bestimmte, dass die Einlage nur dann nicht in Geld erbracht werden musste, wenn im Gesellschaftsvertrag eine Sachgründung vereinbart wurde. Da die Sachgründung umständlicher als eine Bargründung ist, verfiel die Gestaltungspraxis auf die Idee, die Gegenstände nicht direkt in Anrechnung auf die Stammeinlage einzubringen (Sacheinlage), sondern sie nach der Eintragung der GmbH an die Gesellschaft zu verkaufen. Der Kaufpreis wurde aus der zuvor geleisteten Bareinlage gezahlt (Sachübernahme). Diese mit dem Schlagwort der „verschleierten Sachgründung“2 – genauer: der aus dem Gesellschaftsvertrag nicht ersichtlichen Sachübernahme – bezeichnete Vorgehensweise behandelte die Rechtsprechung als eine unzulässige Umgehung des § 19 Abs. 5 GmbHG aF mit der Folge, dass der Gesellschafter trotz zuvor erfolgter Barzahlung von der Einlageverpflichtung nicht befreit wurde3. Bis zu einer Rechtsprechungsänderung lief der Gesellschafter sogar Gefahr, nicht nur erneut zahlen zu müssen, sondern auch noch das Eigentum an den verkauften Gegenständen verloren zu haben. In 2003 entschied der BGH jedoch, dass sowohl der schuldrechtliche Kaufvertrag als auch die zu seiner Ausführung geschlossenen dinglichen Verfügungsgeschäfte analog § 27 Abs. 3 AktG nichtig sind4. Der gesamte Vorgang ist deshalb schuldrechtlich nach Bereicherungsrecht und dinglich nach den Vorschriften des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses rückabzuwickeln5. Soweit es das schuldrechtliche Geschäft betrifft, hilft dem Gesellschafter das wenig, weil seine Ansprüche aus der Rückabwicklung Insolvenzforderungen sind, § 38 InsO. Seiner Aufrechnung des Anspruchs aus der Rückabwicklung gegen die nach wie vor nicht erloschene Einlageverpflichtung steht § 19 Abs. 5 GmbHG aF entgegen. Hinsichtlich des dinglichen Geschäfts kann er zwar gemäß § 47 InsO die Aussonderung der Kaufgegenstände verlangen, da er sein Eigentum nicht verloren hat. Auch dieser Anspruch läuft jedoch häufig leer, weil die Gegenstände nicht mehr vorhanden sind. Die Voraussetzungen einer Ersatzaussonderung gemäß § 48 InsO werden im Allgemeinen nicht erfüllt sein. Erkennt der Anwalt die verschleierte Sachgründung, sollte er aber vorsorglich die Geschäftsführung bösgläubig machen, falls die verschleiert eingelegten Kaufobjekte noch vorhanden sind. Der BGH hat in dem Urteil, in dem er die Nichtigkeit der Ausführungsgeschäfte aus- 15 gesprochen hat, den Weg zu einer Heilung der verschleierten Sacheinlage gewiesen. Der Gesellschaftsvertrag kann dahingehend geändert werden, dass statt einer Bar1 2 3 4 5
MünchKommGmbHG/Märtens, § 19 Rz. 226. Dazu umfassend am Beispiel der AG: Traugott/Groß, BB 2003, 481. BGH v. 7.7.2003 – II ZR 235/01, ZIP 2003, 1540. BGH v. 7.7.2003 – II ZR 235/01, ZIP 2003, 1540. BGH v. 9.7.2007 – II ZR 62/06, ZIP 2007, 1751 (zur AG).
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§3
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Gesellschafterberatung
einlage der erworbene Gegenstand geleistet wird. Eine Offenlegung ist auch für den Teil des an einen Gesellschafter gezahlten Kaufpreises erforderlich, der seine eigene Einlage übersteigt (Kombination von Sacheinlage und Sachübernahme = gemischte Sacheinlage)1. In der Krise oder gar nach der Insolvenzeröffnung ist es dafür jedoch zu spät, weil der einmal durch die Bargründung entstandene Zahlungsanspruch nicht mehr anfechtungsfrei (§§ 132 f. InsO) beseitigt werden kann. Nach Insolvenzeröffnung scheitert eine Heilung daran, dass der Zahlungsanspruch zur Masse gehört, auf die durch eine Änderung der Gesellschaftsvertrages keine Einwirkung mehr möglich ist, §§ 91 InsO. bb) Hin- und Herzahlen (1) Rechtslage nach MoMiG 16 Der andere typische Fehler in der Praxis wird unter dem Schlagwort „Hin- und Herzahlen“ behandelt. Hinsichtlich des Tatbestandes des Hin- und Herzahlens wurde im Rahmen des MoMiG § 19 Abs. 5 GmbHG neu gefasst. Danach muss vor Erbringung der Einlage eine Leistung an den Gesellschafter vereinbart worden sein, die wirtschaftlich einer Rückzahlung entspricht und die nicht als verdeckte Sacheinlage im Sinne von § 19 Abs. 4 GmbHG zu beurteilen ist. Für diesen Fall befreit dies den Gesellschafter von seiner Einlageverpflichtung nur dann, wenn die Leistung durch einen vollwertigen Rückgewährungsanspruch gedeckt ist. Dieser Rückgewähranspruch muss jederzeit fällig sein oder durch eine fristlose Kündigung durch die Gesellschaft fällig gestellt werden können. Diese Regelung privilegiert nunmehr den Inferenten im Vergleich zu der bisherigen Rechtslage und ist Ausdruck der vom MoMiG verfolgten finanziellen Betrachtungsweise im System der Kapitalaufbringung und -erhaltung2. 17 § 19 Abs. 5 GmbHG setzt jedoch weiter voraus, dass bei der Anmeldung nach § 8 GmbHG die Vereinbarung oder die Leistung als solche ausdrücklich anzugeben ist. Wesentliche Voraussetzung für die Befreiung des Gesellschafters von der Einlageverpflichtung ist im Fall der Absprache des Hin- und Herzahlens, dass die Leistung der Gesellschaft durch einen vollwertigen Rückgewähranspruch gedeckt sein muss, der jederzeit fällig oder durch fristlose Kündigung durch die Gesellschaft fällig gestellt werden kann. Der Rückgewähranspruch muss also liquide sein3. Dies ist nach den für § 311 AktG vom BGH entwickelten Grundsätze dann der Fall, wenn die Forderungen bilanziell zu 100 % angesetzt werden darf4. Dabei muss der Rückgewähranspruch in dem Zeitpunkt vollwertig sein, in dem die Mittel an den Gesellschafter ausgereicht werden5. Sind diese Voraussetzungen gegeben und der Rückgewähranspruch jederzeit fällig, so muss weiterhin gegenüber dem Registergericht die Absprache oder die Leistung offengelegt werden. Rechtsfolge ist, dass dann der Gesellschafter von seiner Einlagepflicht befreit wird. 18 Grundsätzlich gilt die Neuregelung des § 19 Abs. 5 GmbHG auch für sogenannte Altfälle6. Problematisch hierbei ist jedoch, dass in diesen Einfällen eine Anzeige gegenüber dem Registergericht gerade nicht erfolgt ist. Da zu dem Zeitpunkt der Einlagenerbringung des Hin- und Herzahlens aufgrund der alten Rechtslage kein Gesellschafter und Geschäftsführer davon ausgegangen ist, dass er die entsprechende Vereinbarung des Hin- und Herzahlens dem Registergericht anzeigen muss. Insofern läuft die Regelung für die Altfälle faktisch leer. Sind die Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 Satz 1 oder 2 GmbHG nicht erfüllt, scheidet die Erfüllungswirkung nach § 19 Abs. 5 GmbHG aus. Insoweit sind weiter die oben dargestellten Rechtsgrundsätze zu der Fallgruppe des „Hin- und Herzahlens“ relevant.
1 2 3 4 5 6
BGH v. 20.11.2006 – II ZR 176/05, ZIP 2007, 178. Vgl. in Scholz/Veil, GmbHG, § 19 Rz. 173, Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 35. Vgl. MünchKommGmbHG/Märtens, § 19 Rz. 311. BGHZ, 179, 71 (78). Vgl. Scholz/Veil, GmbHG, § 19 Rz. 183. Vgl. § 3 Abs. 4 Satz 1 EGGmbHG.
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Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung
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(2) Rechtslage vor MoMiG Die Fälle des Hin- und Herzahlens kamen insbesondere bei sogenannten Vorrats- 19 gesellschaften vor; denn gemäß § 8 Abs. 2 GmbH muss in der Anmeldung zum Handelsregister versichert werden, dass die Mindesteinlagen des § 7 Abs. 2 GmbHG zur freien Verfügung der Geschäftsführung geleistet wurden. Da die Anbieter solche Vorratsgesellschaften eine Vielzahl von Gründungen vornehmen, für die sie nicht jedes Mal die Mindesteinlage aufbringen konnten, ließen sie sich den Betrag sofort nach der Anmeldung wieder als Darlehen auskehren, um ihn sodann für die nächste Anmeldung zu verwenden. Die Rechtsprechung war sich zwar schnell darin einig, dass dieses Hin- und Herzahlen nicht als wirksame Einlageleistung anzuerkennen ist, weil es de facto entgegen der Versicherung an der freien Verfügbarkeit fehlte. Unklar blieben jedoch die Konsequenzen. Insbesondere das OLG Schleswig verfocht die Auffassung, dass mit der Rückreichung als Darlehen eine zweite Forderung gegen den Inferenten (einlegenden Gesellschafter) entstanden sei, einmal aus der weiterhin offenen Einlageverpflichtung und ein zweites Mal aus dem Darlehensvertrag. Da die Gründer von einer wirksamen Einlageleistung ausgingen, gaben sie bei der Rückzahlung als Verwendungszweck nur die „Darlehenstilgung“ an. Damit jedoch erlosch nach Ansicht des OLG Schleswig nicht auch die Einlageverpflichtung. Zwar habe der Gesellschafter nach der Darlehenstilgung noch einen Bereicherungsanspruch gegen die GmbH, weil seine als Einlageleistung beabsichtigte erste Zahlung den Zweck verfehlte. Mit diesem Bereicherungsanspruch dürfe er aber gemäß § 19 Abs. 2 GmbH nicht aufrechnen. Er müsse deshalb ein weiteres Mal zahlen1. Solange es der Gesellschaft gut geht, kann der Bereicherungsanspruch später durch Zahlung erfüllt werden, vorausgesetzt, dass dies wegen des zeitlichen Zusammenhangs nicht erneut als ein unzulässiges Hin- und Herzahlen angesehen werden muss. In der Insolvenz blieb es jedoch bei der Doppelbelastung, weil der Bereicherungsanspruch wertlos war. Der BGH ist der Auffassung des OLG Schleswig nicht gefolgt. Ebenso wie bei der verschleierten Sacheinlage das Kaufgeschäft unwirksam ist, ist beim Hin- und Herzahlen das Darlehensgeschäft nichtig. Mit der Zahlung auf die vermeintliche Darlehensschuld erfülle der Gesellschafter deshalb die als einzig wirksame Verbindlichkeit bestehende Einlageschuld2. Der formaljuristische Anknüpfungspunkt für die Unzulässigkeit des Hin- und Her- 20 zahlens war ursprünglich, wie erwähnt, die nach § 8 Abs. 2 GmbHG für die Handelsregisteranmeldung erforderliche freie Verfügbarkeit. Obwohl sie sich nur auf die Mindesteinlage des § 7 Abs. 2 GmbHG bezieht, differenziert die Rechtsprechung nicht zwischen Mindest- und Resteinlage3. Vielmehr wird von der Unzulässigkeit eines Hinund Herzahlens die gesamte Einlage erfasst. Zur Begründung wird auf eine Gesamtschau der Kapitalaufbringungsvorschriften abgestellt, die u.a. in § 19 Abs. 2 GmbHG eine Befreiung von der Einlageverpflichtung verbieten. Das Befreiungsverbot darf über eine Rückzahlung mit Ersetzung des Einlageanspruchs durch einen Darlehensanspruch nicht umgangen werden. Ein unzulässiges Hin- und Herzahlen liegt nicht nur vor, wenn der Betrag direkt an den 21 Inferenten zurückfließt, sondern auch dann, wenn das an eine von ihm beherrschte Gesellschaft geschieht, so z.B. bei einer Ausreichung als Darlehen an eine oHG, in der dieselben Gesellschafter wie an der GmbH beteiligt sind4. In der Praxis häufig sind die Fälle, dass eine GmbH, deren Gesellschaftszweck sich in der Übernahme der Komplementärfunktion bei einer KG erschöpft, die Einlage unmittelbar nach der Einzahlung an die KG weiterreicht, an der (weitgehend) dieselben Gesellschafter be-
1 OLG Schleswig v. 20.7.2000 – 5 U 2/00, ZIP 2000, 1833; OLG Schleswig v. 7.4.2003 – 5 U 168/01, GmbHR 2003, 1058; OLG Schleswig v. 27.5.2004 – 5 U 132/03, ZIP 2004, 1358; OLG Schleswig v. 27.1.2005 – 5 U 22/04, ZIP 2005, 1827. 2 BGH v. 2.12.2002 – II ZR 101/02, ZIP 2003, 211; BGH v. 21.11.2005 – II ZR 140/04, ZIP 2005, 2203; BGH v. 9.1.2006 – II ZR 72/05, ZIP 2006, 331; OLG Hamburg v. 19.11.2004 – 11 U 45/04, ZIP 2004, 2431. 3 Krolop, NZG 2007, 577 zur verdeckten gemischten Sacheinlage. 4 BGH v. 2.12.2002 – II ZR 101/02, ZIP 2003, 211.
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Gesellschafterberatung
teiligt sind. Im Gegensatz zu dem erwähnten oHG-Fall halten das die OLG Köln1 und Jena2 für unschädlich; denn anders als bei der oHG bleibe der Betrag dem Haftungsverband der GmbH & Co. KG erhalten. Da zu Lasten selbst der an der GmbH noch nicht einmal beteiligten Kommanditisten das Kapitalerhaltungsgebot der §§ 30 f. GmbHG eingreife3 (s.u. Rz. 43 ff.), müsse die Zahlung innerhalb des Haftungsverbandes auch zu ihren Gunsten wirken; denn Gläubigerbelange seien nicht gefährdet. Demgegenüber lehnt das OLG Hamm4 eine Sonderbehandlung der GmbH & Co. KG ab. Der BGH hat das Urteil des OLG Jena aufgehoben5. KG und Komplementär-GmbH seien eigenständige Gesellschaften mit eigenständigen Kapitalschutzsystemen. Die Erstreckung der Kapitalerhaltungsvorschriften der §§ 30, 31 GmbHG auf den Nur-Kommanditisten stehe dem nicht entgegen; denn auf die Kapitalerhaltung komme es erst an, wenn die Kapitalaufbereitung abgeschlossen sei6. Dem ist zuzustimmen, weil der weitergeleitete Betrag in der KG nicht mehr denselben Verwendungsbeschränkungen durch das unzulässige Hin- und Herzahlen bzw. die verschleierte Sachgründung unterliegt wie in der GmbH. Wäre die Weiterleitung an die KG zulässig, könnte die Einlage von dort ohne Kollision mit den strengen Kapitalaufbringungsvorschriften des GmbH-Rechts z.B. an dessen Kommanditisten als Darlehen ausgereicht werden. Außerdem gibt es dort keine Ausfallhaftung der Mitgesellschafter wie bei § 24 GmbHG. Anders wäre es nur, wenn man hinsichtlich des weitergeleiteten Betrages das Kapitalaufbringungsrecht der GmbH auch bei der KG anwenden würde, was aber für die Nur-Kommanditisten eine problematische Haftungserweiterung bedeuten würde. (3) Cash-Pool 22 Eine andere Ausprägung des Hin- und Herzahlens sind die sogenannten Cash-PoolFälle, bei denen die Einlage von der GmbH kurzfristig auf das Zentralkonto einer Konzerngesellschaft geleitet wird. Relevant wird das zwar meist nur bei Kapitalerhöhungen, weil die Gesellschaft dann schon in ein Cash-Pool-System integriert ist, aber auch bei Neugründungen kann das vorkommen. Der BGH lehnt ein Sonderrecht für Cash-Pool-Systeme ab7 und behandelt diese Form der Mittelverwendung wie jedes Hin- und Herzahlen. Nach einem neueren Urteil wird man aber für erforderlich halten müssen, dass das Cash-Pool-Konto entweder direkt bei der Gesellschafterin oder einer von ihr unmittelbar beherrschten Tochtergesellschaft geführt wird. So hat der BGH im Februar 2007 zu einer Kapitalerhöhung entschieden, dass die Weiterleitung der Einlage an eine Konzerngesellschaft zur Bezahlung des von ihr gleichzeitig erworbenen Unternehmens unschädlich ist. Die Anteile an der die Zahlung empfangenden Verkäufergesellschaft wurden nicht direkt von der Inferentin gehalten, sondern von ihrer Muttergesellschaft. Die Geldempfängerin war nur eine „Schwester“ der Inferentin. Die über die gemeinsame alleinbeteiligte Mutter vermittelte Beziehung zwischen der Inferentin und der Geldempfängerin hielt der BGH nicht für ausreichend, um eine verschleierte Sachgründung bzw. – eng damit verwandt – ein unzulässiges Hinund Herzahlen anzunehmen8. Diese Auffassung begegnet erheblichen Bedenken, deren Berechtigung bereits der Urteilsfall unterstreicht; die Inferentin war nämlich später auf die Muttergesellschaft verschmolzen worden. Hätte die Mutter von vornherein die Kapitalerhöhung unmittelbar gezeichnet, hätte die Inferentin (Mutter) die geldempfangende Schwestergesellschaft beherrscht. Wie in dem oben genannten oHG-Fall, bei dem die Einlage als Darlehen an eine beteiligungsidentische oHG rückgereicht wurde, was der BGH nicht als ordnungsgemäße Kapitalaufbringung ansah, 1 OLG Köln v. 5.2.2002 – 18 U 183/01, GmbHR 2002, 968. 2 OLG Jena v. 28.6.2006 – 6 U 717/05, ZIP 2006, 1534. 3 BGH v. 19.2.1990 – II ZR 268/88, GmbHR 1990, 980; BGH v. 27.3.1995 – II ZR 30/94, ZIP 1995, 736. 4 OLG Hamm v. 31.10.2006 – 27 U 81/06, ZIP 2007, 226. 5 BGH v. 10.12.2007 – II ZR 180/06, ZIP 2008, 174 m. krit. Bspr. v. K. Schmidt, ZIP 2008, 481. 6 BGH v. 17.9.2001 – II ZR 275/99, ZIP 2001, 1997. 7 BGH v. 6.1.2006 – II ZR 76/04, ZIP 2006, 665; bestätigt durch BGH v. 26.3.2007 – II ZR 307/05 gem. Bericht Goette, DStR 2007, 773. 8 BGH v. 12.2.2007 – II ZR 272/05, ZIP 2007, 528.
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Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung
Rz. 26
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wäre auch in dieser Variante – unmittelbare Beteiligung der Inferentin an der das Unternehmen verkaufenden Gesellschaft – eine wirksame Aufbringung zu verneinen. Da die Rechtsprechung zum Hin- und Herzahlen bzw. zur verschleierten Sacheinlage auf das Umgehungsverbot zurückgeht, für das eine wertende Betrachtungsweise maßgebend ist, sollte die Zwischenschaltung einer Tochtergesellschaft als Inferentin eigentlich keinen Unterschied im Vergleich zu einer direkten Beteiligung der Mutter an der kapitalerhöhenden und an der die Weiterleitung empfangenden Gesellschaft machen. Für die Praxis ist hingegen davon auszugehen, dass diese „doppelte Umgehung“ einer wirksamen Einlageleistung nicht entgegensteht. Vor dem Hintergrund der Neuregelung des § 19 Abs. 4 und Abs. 5 GmbHG hat der 23 BGH in einer grundlegenden Entscheidung auch zu der Frage des Cash Pools Stellung genommen (Cash Pool II Entscheidung)1. In dieser Entscheidung hat der BGH im Zusammenhang mit der Abwicklung von Zahlungen über ein Cash Pool-Konto sowohl eine teilweise verdeckte Sacheinlage als auch ein teilweises Hin- und Herzahlen angenommen. Die verdeckte Sacheinlage liegt für die Fälle vor, dass ein Zentralkonto mit einem Debetsaldo vorhanden ist. In diesem Fall gewährt der Gesellschafter ein Darlehen. Der Rückfluss der Bareinlage stellt dann eine Befreiung der Gesellschaft von einer Darlehensverbindlichkeit dar. Wirtschaftlich ist dies als ein Darlehensverzicht des Gesellschafters zu sehen. Dies war für den BGH der klassische Fall der verdeckten Sacheinlage. Dies führt zur Rechtsfolge des § 19 Abs. 4 Satz 3 GmbHG, dass in Höhe der Werthaltigkeit der Sacheinlage eine Befreiung von der Einlagenschuld gegeben ist. Die für eine verdeckte Sachanlage notwendige Abrede liegt vor in der Vereinbarung der Zahlung auf ein in dem Cash Pool einbezogenes Konto. Der Inferent nehme es bei der Vereinbarung eines Cash Pools in Kauf, dass auf dem Zentralkonto des Cash Pools im Zeitpunkt der Weiterleitung ein Debetsaldo besteht. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Geschäftsführer, die eine falsche Versicherung im Sinne von § 8 Abs. 2 GmbHG abgeben haben und sich damit strafbar gemacht haben. Zur Vermeidung der verdeckten Sacheinlage in diesen Fällen ist es bei einer Barkapitalerhöhung notwendig, dass der Gesellschafter den Betrag auf einem Sonderkonto einzahlt, welches nicht in den Cash Pool eingebunden ist2. Für den Fall, dass der Saldo auf dem Zentralkonto sich im Guthaben befindet, ge- 24 währt die Gesellschaft dem Inferenten mit der Weiterleitung auf das Zentralkonto ein Darlehen3. Die so eingezahlten Beträge fließen also an den Inferenten zurück. Es liegt damit ein 25 Forderungstausch und somit ein reines Hin- und Herzahlen vor. Die Rechtsfolge richtet sich dann nach § 19 Abs. 5 GmbHG. Eine Anrechnung wie bei der verdeckten Sacheinlage erfolgt nicht. Es kann jedoch eine Erfüllungswirkung unter der Voraussetzung des § 19 Abs. 4 GmbHG eintreten. Problematisch hierbei ist jedoch nach der Entscheidung des BGH, dass die Voraussetzungen realistisch nicht gegeben sein können. Insbesondere die Voraussetzung der jederzeitigen Fälligkeit oder der Möglichkeit der fristlosen Kündigung ist bei Cash Pool-Verträgen selten gegeben. Darüber hinaus ist die weitere Voraussetzung, dass eine Angabe über die Vereinbarung bei der Anmeldung zum Handelsregister offengelegt werden muss, nicht erfüllt. Somit besteht hier weiter die Gefahr, dass bei der Wertung als reines Hin- und Herzahlen durch die Einbindung in Cash Pool System die Kapitalaufbringung nicht ordnungsgemäß erfolgt ist. cc) Aufrechnung (1) Rechtslage vor MoMiG Zur Aufrechnung gibt das Gesetz die Rechtslage, wie sie durch die Spruchpraxis des 26 BGH geprägt ist, nur unvollständig wieder. Ein beiderseitiges Aufrechnungsverbot enthält § 19 Abs. 5 GmbHG aF nur für die verschleierte Sachübernahme. Sie behan1 BGH v. 20.7.2009 – II ZR 273/07. 2 Vgl. MünchKommGmbHG/Märtens, § 19 Rz. 194. 3 Vgl. Scholz/Veil, GmbHG, § 19 Rz. 166, BGHZ, 182, 103 (107) (Rz. 11).
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§3
Rz. 27
Gesellschafterberatung
delt der BGH auch dann als eine nichtige Umgehung der Sachgründungsvorschriften, wenn Geld gezahlt und nicht nur aufgerechnet wird. Außer für die verschleierte Sachübernahme enthält § 19 Abs. 2 Satz 2 GmbHG ein Aufrechnungsverbot nur für den Gesellschafter („gegen den Anspruch der Gesellschaft …“). Dahinter steht der Gedanke, dass die Gesellschaft ein mit dem Gläubigerschutz parallel laufendes eigenes Interesse daran hat, den Haftungsfonds wie versprochen aufzufüllen. Angesichts des Gesellschaftereinflusses ist das jedoch eine Fehleinschätzung. Außerdem steht § 19 Abs. 2 GmbHG im Konflikt mit § 19 Abs. 5 GmbHG aF; denn die Aufrechnung mit einer Schuld der Gesellschaft ist auch immer eine verschleierte Sacheinlage: statt Geld wird die Forderung eingebracht, die dem Inferenten gegen die GmbH zusteht, bei der sie dann durch Konfusion erlischt. Deshalb hält der BGH den Abs. 5 zurecht immer dann für vorrangig, wenn die der Aufrechnung zugängige Forderung als Sacheinlage hätte eingebracht werden können1 mit der Konsequenz, dass auch der Gesellschaft eine Aufrechnung verwehrt ist. Das ist bei Forderungen, die im Zeitpunkt der Begründung der Einlageverpflichtung schon existieren, stets der Fall. Bei später entstehenden Neuforderungen hingegen nur, wenn die Aufrechnung vorher abgesprochen war2. Eine solche Absprache wird bei einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zwischen Kapitalerhöhung und Aufrechenbarkeit vermutet3. Wo die Grenze für den zeitlichen Zusammenhang verläuft, hat der BGH bisher nicht entschieden. Acht Monate sollen jedenfalls zu lang sein4. In der Literatur werden sechs Monate als Orientierungspunkt genannt5, wobei der vom BGH zusätzlich geforderte sachliche Zusammenhang durch den zeitlichen indiziert werden soll6. Demgegenüber wird man für den sachlichen Zusammenhang wohl verlangen müssen, dass die Entstehung der künftigen Forderungen erwartet wird, ohne dass bereits die rechtliche Grundlage bestehen muss. 27 Soweit eine Verrechnung zulässig ist, weil die Sacheinlagefähigkeit oder der enge sachliche und zeitliche Zusammenhang fehlen, muss die Sachleistung vollwertig sein, was durch den Inferenten analog § 5 Abs. 4 GmbHG darzulegen ist7. Die Forderung des Gesellschafters muss im Zeitpunkt der Auf- bzw. einvernehmlichen Verrechnung auch noch vollwertig, fällig und liquide sein8. In der Krise und erst recht dann, wenn die Forderung durch Stehenlassen eigenkapitalersetzenden Charakter erhalten hat, ist das nicht der Fall. Die Behauptungs- und Beweislast für die vollwertige Liquidität der Forderung liegt ebenfalls beim Inferenten9. 28 Greift das Aufrechnungsverbot ein, hilft entgegen dem Wortlaut von § 19 Abs. 2 GmbHG a.F. auch eine Aufrechnungserklärung der Gesellschaft nicht, weil § 19 Abs. 5 GmbHG vorrangig ist. Nur ausnahmsweise gilt etwas anderes, wenn die Aufbringung der Einlage gefährdet ist10. (2) Änderungen durch das MoMiG 29 § 19 Abs. 2 Satz 2 n.F. GmbHG verbietet jedoch nicht die Aufrechnung gegen eine Neuforderung des Gesellschafters. Dies wird damit begründet, dass wenn schon bei einer einvernehmlichen verdeckten Verrechnung gemäß § 19 Abs. 4 GmbHG Erfüllungswirkung eintritt, so muss dies auch bei einer Aufrechnung durch die Gesellschaft der 1 BGH v. 4.3.1996 – II ZR 89/95, ZIP 1996, 595. 2 BGH v. 4.3.1996 – II ZR 89/95, ZIP 1996, 595. 3 BGH v. 4.3.1996 – II ZR 89/95, ZIP 1996, 595; BGH v. 13.5.1996 – II ZR 275/94, ZIP 1996, 1248; BGH v. 16.9.2002 – II ZR 1/00, ZIP 2002, 2045; BGH v. 2.12.2002 – II ZR 101/02, ZIP 2003, 211. 4 BGH v. 16.9.2002 – II ZR 1/00, NJW 2002, 3774. 5 Roth/Altmeppen, GmbHG, § 19 Rz. 71. 6 Roth/Altmeppen, GmbHG, § 19 Rz. 70. 7 Roth/Altmeppen, GmbHG, § 19 Rz. 80. 8 BGH v. 13.10.1954 – II ZR 182/53, BGHZ 15, 52; BGH v. 7.7.1997 – II ZR 221/96, DStR 1997, 1257; BGH v. 2.12.2002 – II ZR 101/02, ZIP 2003, 211. 9 BGH v. 15.6.1992 – II ZR 229/91, NJW 1992, 229; BGH v. 2.12.2002 – II ZR 101/02, ZIP 2003, 211. 10 BGH v. 13.10.1954 – II ZR 182/53, BGHZ 15, 52; BGH v. 21.9.1978 – II ZR 214/77, NJW 1979, 216; denn es wäre äußerst misslich, falls die Gesellschaft die Forderung des Gesellschafters begleichen müsste, von ihm aber wegen dessen Insolvenz keine Zahlung erhielte.
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Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung
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Fall sein1. Würde man die Fälle anders behandeln läge hier ein Wertungswiderspruch vor. Grundsätzlich enthält § 19 Abs. 2 GmbHG weiterhin ein Aufrechnungsverbot2. Neu ist hingegen, dass auch die Aufrechnung gegen eine Altforderung nach Eintragung der Gesellschaft zum Erlöschen der Bareinlageschuld der Gesellschaft führen kann. Grundsätzlich muss der Gesellschafter zwar seine Altforderung als Sacheinlage einbringen. Doch würde insoweit § 19 Abs. 4 GmbHG hinsichtlich der verdeckten Sacheinlage Anwendung finden, wenn er mit der Gesellschaft die Verrechnung mit seiner Bareinlagenschuld vereinbarte. Während nach der alten Rechtslage die Aufrechnung durch die Gesellschaft nur unter bestimmten Voraussetzungen als zulässig angesehen wurde, ist durch die Neuregelung des § 19 Abs. 4 GmbHG der Gesellschafter in Höhe des Wertes der Hauptforderung frei3. Eine weitere Änderung hat sich für den Fall der Aufrechnung durch den Gesellschaf- 30 ter ergeben. Hat § 19 Abs. 2 GmbHG alte Fassung noch klar geregelt, dass gegen den Anspruch der Gesellschaft die Aufrechnung nicht zulässig ist, so ist diese nunmehr nach der Neufassung des § 19 Abs. 2 Satz 2 GmbHG für den Ausnahmefall zulässig, dass die Aufrechnung mit einer Forderung aus der Überlassung von Vermögensgegenstände, deren Anrechnung auf die Einlageverpflichtung nach § 5 Abs. 4 Satz 1 GmbHG vereinbart worden ist, erfolgt. Die Gegenforderung, die aus einer Sachübernahme stammt, muss vor Eintragung bewirkt sein. Dies ergibt sich aus der Gleichstellung mit der Sacheinlage gemäß § 7 Abs. 3 GmbHG4. Im Übrigen bleibt es dabei, dass die Aufrechnung durch die Gesellschafter unzulässig ist. Insoweit gelten die Ausführungen zu der Rechtslage vor Einführung des MoMiG. dd) Ausnahmen für bestimmte Geschäfte? Fraglich ist, ob für bestimmte Arten von Geschäften Ausnahmen gemacht werden 31 müssen. Der in der Praxis häufigste Fall ist die Verrechnung mit der Einlageleistung mit Bezügen des Gesellschafter-Geschäftsführers. Ob seine Vergütung verrechnet oder zunächst aus- und anschließend von ihm wieder einbezahlt wird5, ändert an der Gefahr für den Gläubigerschutz nichts. Die Verpflichtung zur Dienstleistung ist jedoch nach dem auf die GmbH analog anwendbaren § 27 Abs. 2 AktG nicht sacheinlagefähig6. Der Gesellschafter hat keine Möglichkeit, die Sacheinlagevorschriften einzuhalten. Entgegen einem BGH-Urteil aus 19787 sollte deshalb eine Verrechnung oder ein Hin- und Herzahlen zulässig sein8. Als Alternative bliebe sonst nur, dass der Geschäftsführer zunächst unentgeltlich arbeiten müsste, was realitätsfremd und vom Gläubigerschutz nicht gedeckt ist. Eine andere typische Konstellation ist die Einbindung der neugegründeten Gesell- 32 schaft in den konzerninternen Leistungsverkehr. Soweit Zahlungen für bezogene Waren an Schwestergesellschaften geleistet werden, an denen die Inferentin nicht beteiligt ist, kommt nach dem erwähnten Urteil vom 12.2.20079 eine verschleierte Sacheinlage und demgemäß auch eine Umgehung des Aufrechnungsverbots in § 19 Abs. 5 GmbHG nicht in Betracht. Soweit hingegen eine Beteiligung der Inferentin an der die Zahlung empfangenden Gesellschaft vorliegt, stellt sich die Frage, ob normale Umsatzgeschäfte privilegiert werden sollen. Dies wird teilweise unter Berufung auf
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Scholz/Veil, GmbHG, § 19 Rz. 80. Roth/Altmeppen, GmbHG, § 19 Rz. 33. Scholz/Veil, GmbHG, § 19 Rz. 82. Vgl. Scholz/Veil, GmbHG, § 19 Rz. 84. Auf die Reihenfolge von Hin und Her oder Her und Hin kommt es nicht an: BGH v. 4.3.1996 – II ZR 89/95, ZIP 1996, 595; BGH v. 17.9.2001 – II ZR 275/99, NJW 2001, 3781; BGH v. 2.12.2002 – II ZR 101/02, NJW 2003, 825; BGH v. 12.6.2006 – II ZR 334/04, DStR 2006, 1709. Scholz/Veil, GmbHG, § 5 Rz. 51. BGH v. 21.9.1978 – II ZR 214/77, NJW 1979, 216. KG v. 23.4.2007 – 23 U 75/06, juris behandelt dies als eine laufende Geschäftsbeziehung (vgl. § 52 Abs. 9 AktG), für die die Sacheinlagevorschriften nicht gelten, wenn eine Wertkontrolle durch die Gesellschaft stattfindet. BGH v. 12.2.2007 – II ZR 272/05, ZIP 2007, 528.
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Gesellschafterberatung
§ 52 Abs. 9 AktG angenommen1. Dort heißt es, dass der Erwerb von Vermögensgegenständen in der AG „im Rahmen der laufenden Geschäfte“ von den Nachgründungsbeschränkungen freigestellt ist. Der BGH hatte zunächst offen gelassen, ob das auch für die Kapitalaufbringung gilt; denn allein die Befreiung von der Nachgründungskontrolle besage noch nichts über die erstmalige Aufbringungskontrolle2. Nunmehr hat er eine vollständige Ausklammerung gewöhnlicher Umsatzgeschäfte aus dem Anwendungsbereich der verdeckten Sacheinlage jedenfalls bei der Neugründung abgelehnt3. Ob es Ausnahmen insbesondere für die Kapitalerhöhung gibt, ließ der BGH offen. Die Lösung liegt m.E. in den Erfordernissen der Vorabsprache und der Sacheinlagefähigkeit. Frischfleisch bspw. ist wegen der kurzfristigen Verfallzeit kaum sacheinlagefähig. Zumindest würde eine formelle Sacheinlage dem Gläubigerschutz nicht dienen, da es als Haftungsmasse nicht verwertbar wäre. Gleiches gilt für Artikel, die nach Bedarf bestellt werden. Sie können nicht von vornherein im Einbringungsvertrag spezifiziert werden. Insofern wird es also regelmäßig an einer Vorabsprache fehlen. Demgegenüber ist die Grundausstattung einer KfZ-Werkstatt bspw. durchaus geeignet4. Auf diese Weise wird ein window dressing verhindert, bei dem Ladenhüter, die kurzfristig nicht verwendbar sind, an eine neugegründete Gesellschaft verkauft werden, um Abschreibungen bei der kriselnden Inferentin zu vermeiden. b) Sachgründung 33 Gegenstand einer Sacheinlage können alle übertragbaren und hinreichend sicher bewertbaren Vermögensgegenstände sein5. Dazu gehören obligatorische Nutzungsrechte mit einer festbestimmten Mindestdauer6 sowie sonstige immaterielle und natürlich erst recht körperliche Vermögensgegenstände. Sie müssen zweifelsfrei im Einbringungsvertrag bestimmt werden. Ist das nicht der Fall, fehlt es an einer wirksamen Sachgründung, so dass die Stammeinlage in bar geschuldet wird7. Außerdem müssen für den dinglichen Vollzug die sachenrechtlichen Anforderungen eingehalten werden, namentlich die Bestimmbarkeit bei der Abtretung von Forderungen8 und Bestimmtheit bei der Übereignung von Sachen9. Bei der Einbringung eines Unternehmens kommt es hier schnell zu Fehlern, die vermieden werden, wenn nach dem UmwG vorgegangen wird, weil dann die Universalsukzession gilt. 34 Die Formalien der Sacheinlage ergeben sich unmittelbar aus dem Gesetz: – Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag, § 5 Abs. 4 GmbHG; – Offenlegung bei der Anmeldung und Eintragung, § 8 Abs. 1 Nr. 4, 5, 10 Abs. 3 GmbHG; – Sachgründungsbericht (Bewertungsbericht), § 5 Abs. 4 Satz 2 GmbHG; – Vollständige Leistung vor der Eintragung (Einbringungsvertrag), § 7 Abs. 3 GmbHG; – Registerprüfung, § 9c GmbHG. 35 Entspricht der Wert der Einlagegegenstände nicht dem Nominalbetrag der übernommenen Stammeinlage, hat der Gesellschafter die Differenz zu erstatten, § 9 Abs. 1 GmbHG. Maßgebend ist der Zeitpunkt der Anmeldung, nicht der der Eintragung, was allerdings eine unabhängig davon bestehende10 Vorbelastungshaftung (s.u. Rz. 39 ff.) 1 OLG Hamm v. 17.8.2004 – 27 U 189/03, ZIP 2005, 1138; Traugott/Groß, BB 2003, 481, vgl. auch KG Berlin v. 23.4.2007 – 23 U 75/06, juris; ablehnend: Krolop, NZG 2007, 577. 2 BGH v. 4.3.1996 – II ZB 8/95, ZIP 1996, 668. 3 BGH v. 20.11.2006 – II ZR 176/05, ZIP 2007, 178. 4 Zur Abgrenzung zwischen gewöhnlichen Umsatzgeschäften und verdeckter Einlage vgl. OLG München v. 6.10.2005 – 23 U 2381/05, DB 2005, 2462. 5 Vgl. Roth/Altmeppen, GmbHG, Rz. 55. 6 BGH v. 15.5.2000 – II ZR 359/98, ZIP 2000, 1162; BGH v. 14.6.2004 – II ZR 121/02, NZG 2004, 910 = DStR 2004, 1662. 7 BGH v. 24.7.2000 – II ZR 202/98, DStR 2000, 2002. 8 Palandt/Grüneberg, BGB, § 398 Rz. 14 ff. 9 BGH v. 21.10.2002 – II ZR 118/02, ZIP 2003, 30; Palandt/Bassenge, BGB, § 930 Rz. 2. 10 Scholz/Veil, GmbHG, § 9 Rz. 30.
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Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung
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z.B. durch die verlustreiche Fortsetzung eines eingebrachten Unternehmens bis zur Eintragung nicht hindert. Das Verhältnis der Differenzhaftung im Zeitpunkt der Anmeldung zur Vorbelastungshaftung im Zeitpunkt der Eintragung ist so, dass Wertminderungen des Einlagegegenstandes, die unabhängig von einer vorzeitigen Aufnahme des Geschäftsbetriebes anfallen, nicht ausgeglichen werden müssen, während betriebsbedingte Verluste unter die Vorbelastungshaftung fallen1. Die Differenzhaftung des Inferenten wird abgesichert durch die Ausfallhaftung der übrigen Gesellschafter gemäß § 24 GmbHG. Daneben ordnet § 9a GmbHG eine Haftung für falsche Angaben bei der Anmeldung an. Sie trifft sowohl den Nichtgesellschafter-Geschäftsführer, der die Anmeldung unterzeichnet, als auch die Gesellschafter, die kein Sacheinlage erbringen, weil gemäß § 5 Abs. 4 GmbHG alle den Sachgründungsbericht erstellen müssen2.
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Nach den Vorschriften über die Sacheinlage ist auch die Sachübernahme („verschlei- 37 erte Sacheinlage“) zu behandeln, bei der der Vermögensgegenstand nicht eingebracht, sondern an die Gesellschaft verkauft und die Einlage durch Verrechnung mit dem Kaufpreisanspruch erbracht werden soll (s.o. Rz. 11 f.). c) Verlustdeckungshaftung, Unterbilanzhaftung Eine Gesellschaft durchläuft verschiedene „Geburtsstadien“, bevor sie mit der Ein- 38 tragung als „fertige“ GmbH entsteht. Zunächst verabreden sich die Gründer, eine GmbH zu errichten. I.d.R. beschränkt sich ihre Zusammenarbeit auf interne Planungen. Wird hingegen schon im Außenverhältnis aufgetreten und gemeinschaftliches Vermögen gebildet, entsteht eine Vorgründungsgesellschaft, die eine Personengesellschaft ist und mit Abschluss des notariellen GmbH-Vertrages durch Zweckerreichung endet. Übersehen wird dabei meist, dass die einzelnen Vermögensgegenstände auf die mit der notariellen Beurkundung entstehende Vorgesellschaft (= Gründungsgesellschaft) gesondert übertragen werden müssen, was allerdings nach dem Vorgesagten nur durch eine förmliche Sacheinlage zulässig ist. Die Vorgesellschaft ist ein Personenzusammenschluss eigener Art, auf den das GmbH-Recht angewendet wird, soweit dies nicht die Eintragung in das Handelsregister voraussetzt3. Sie ist passiv und aktiv parteifähig, damit also insbesondere auch konto- und grundbuchfähig4. Sie kann bereits die Komplementärstellung in einer GmbH und Co. KG übernehmen5. Zweck der Vorgesellschaft ist eigentlich nur die Herbeiführung der Eintragung. Die Gründer können aber vereinbaren, dass sie bereits geschäftlich aktiv wird. Da dies von dem eigentlichen Zweck abweicht, ist hierfür Einstimmigkeit erforderlich6. Mit Eintragung der GmbH ist der Errichtungsvorgang abgeschlossen. Die fertige GmbH übernimmt alle aktiven und passiven Vermögensgegenstände der Vorgesellschaft (Gründungsgesellschaft) im Wege der Universalsukzession. Anders als im Verhältnis zwischen Vorgründungsgesellschaft und Gründungsgesellschaft ist eine gesonderte Übertragung nicht erforderlich. Vorgründungsgesellschaft und Gründungsgesellschaft unterscheiden sich auch hin- 39 sichtlich der Haftung. Für die eine gilt das Haftungsrecht der Personengesellschaften, für die andere bestimmt hingegen § 11 Abs. 2 GmbHG, dass die Handelnden persönlich und solidarisch haften. Die Vorschrift beruht auf dem früher von der ganz herrschenden Meinung vertretenen sogenannten Vorbelastungsverbot, wonach die Gesellschaft bei ihrer Eintragung mit keinen Verbindlichkeiten belastet sein darf7. Wenn gleichwohl Verbindlichkeiten eingegangen wurden, blieben die Handelnden als
1 Dabei ist allerdings eine Doppelrechnung zu vermeiden, die bspw. bei der Bewertung eines eingebrachten Unternehmens nach dem Ertragswert droht, wenn geplante Verluste schon im Unternehmenswert berücksichtigt sind. 2 Scholz/Veil, GmbHG, § 5 Rz. 99. 3 BGH v. 24.10.1968 – II ZR 216/66, BGHZ 51, 31. 4 BGH v. 28.11.1997 – V ZR 178/96, NJW 1998, 1079. 5 BGH v. 16.3.1992 – II ZB 17/91, NJW 1992, 1824. 6 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129. 7 BGH v. 16.6.1955 – II ZR 900/53, BGHZ 17, 385.
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§3
Rz. 40
Gesellschafterberatung
einzige Schuldner übrig. Diese Vorstellung des historischen Gesetzgebers wurde durch die wirtschaftlichen Bedürfnisse überholt. Es kam zunehmend vor, dass die GmbH schon vor ihrer Eintragung geschäftlich aktiv werden musste, insbesondere, wenn ein Unternehmen als Sacheinlage eingebracht wurde. Deshalb ersetzte der BGH 1981 die Handelndenhaftung durch eine Differenz- oder Unterbilanzhaftung mit dem Inhalt, dass die Gesellschafter anteilig – mit der Rechtsnachfolgerhaftung des § 16 Abs. 3 GmbHG und Ausfallhaftung der Mitgesellschafter gemäß § 24 GmbHG1 – für eine etwaige Differenz zwischen Reinvermögen und Stammkapital einzustehen haben. Maßgebender Beurteilungszeitpunkt ist der Tag der Eintragung2. Die Differenz ist durch eine Vorbelastungsbilanz zu ermitteln, bei der regelmäßig die Fortführungswerte3 anzusetzen sind, es sei denn, dass sich bei der Eintragung bereits die mangelnde Überlebensfähigkeit abzeichnet. Dann kommt es auf die Liquidationswerte an4. Hat sich durch die Geschäftstätigkeit während der Gründungsphase schon eine feste organisatorische Einheit herausgebildet, die als Unternehmen am Markt veräußert werden könnte, kann es auch als Ganzes nach dem Ertragswertverfahren bewertet werden5. Im Gegensatz zur herrschenden Meinung bei Unternehmenswerten im Überschuldungsstatus (s. § 1 Rz. 116 ff.) ist es für die Vorbelastungshaftung aber wohl nicht erforderlich, dass konkrete Kaufangebote vorliegen. 40 In die Vorbelastungsbilanz sind sämtliche werthaltigen Forderungen und Verbindlichkeiten aufzunehmen. Das gilt insbesondere auch für Ansprüche gegen Gesellschafter wegen überbewerteter Sacheinlagen. Nur der Gründungsaufwand führt nicht zur Haftung, wenn er analog § 26 Abs. 2 AktG in der Satzung festgelegt und angemessen ist6. 41 Die Geschäftsführer sind verpflichtet, die Unterbilanzhaftung geltend zu machen. Tun sie es nicht, sind sie schadensersatzpflichtig mit der Konsequenz, dass sie auch dann noch haften, wenn Ansprüche gegen die Gesellschafter längst verjährt sind. Die für die Gesellschafter geltende Frist bemisst der BGH analog § 9 Abs. 2 GmbHG7 mit jetzt zehn Jahren. Lässt der Geschäftsführer die Ansprüche verjähren, haftet er ab Verjährungseintritt (= Schadenseintritt) weitere fünf Jahre gemäß § 43 Abs. 4 GmbHG. 42 Das Gefährliche an der Unterbilanzhaftung ist, dass sie zunächst unbemerkt bleibt, weil auf den Eintragungsstichtag regelmäßig keine Bilanz erstellt und ein irgendwann einmal in Höhe des Stammkapitals (wieder) ausgewiesenes Eigenkapital als „Entwarnung“ angesehen wird. Der Haftungsanspruch kann jedoch nur durch Leistung erfüllt werden. Er steht nicht etwa unter einer auflösenden Bedingung der Wertaufholung des Gesellschaftsvermögens. Deshalb erlischt er auch nicht von selbst durch in der GmbH erwirtschaftete Gewinne8. Anderenfalls könnte der Anspruch nicht wirksam verfolgt oder verwertet werden. Wegen der Einlageähnlichkeit der Vorbelastungshaftung unterliegt der Haftungsanspruch überdies dem Aufrechnungsverbot des § 19 Abs. 4 GmbHG. 43 Wurde keine Vorbelastungsbilanz erstellt und sind auch keine Geschäftsaufzeichnungen vorhanden, aus denen sie nachträglich angefertigt werden kann, bestehen aber hinreichende Anhaltspunkte für eine Unterdeckung im Zeitpunkt der Eintragung, haben die Gesellschafter darzulegen, dass das Stammkapital nicht schon im Gründungsstadium angegriffen wurde9. 44 Oben wurde erwähnt, dass der Zweck der Gründungsgesellschaft die Herbeiführung der Eintragung ist. Deshalb greift die Gesellschafterhaftung auch nur dann ein, wenn alle Mitglieder mit der Geschäftstätigkeit einverstanden waren. Waren sie es nicht, 1 2 3 4 5 6 7 8 9
BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129. BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129; BGH v. 24.10.1988 – II ZR 176/88, BGHZ 105, 300. BGH v. 6.12.1993 – II ZR 102/93, ZIP 1994, 295. BGH v. 29.9.1997 – II ZR 245/96, ZIP 1997, 2008. BGH v. 18.3.2002 – II ZR 11/01, DStR 2002, 1538; BGH v. 16.1.2006 – II ZR 65/04, ZIP 2006, 668. Scholz/Veil, GmbHG, § 5 Rz. 111 ff. BGH v. 24.10.1988 – II ZR 176/88, BGHZ 105, 300. BGH v. 16.1.2006 – II ZR 65/04, ZIP 2006, 668. BGH v. 17.2.2003 – II ZR 281/00, ZIP 2003, 625.
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Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung
Rz. 47
§3
konnten die Geschäftsführer die Gründungsgesellschaft nicht wirksam vertreten. Dann bleibt es bei der Handelndenhaftung des § 11 Abs. 2 GmbHG1. An das Einverständnis dürfen allerdings keine hohen formellen Anforderungen gestellt werden. Konkludentes Handeln reicht aus2. Unklar ist, ob neben den Geschäftsführern auch diejenigen haften, die der vorzeitigen Geschäftsaufnahme zugestimmt haben. Das wird im Ergebnis zu bejahen sein; denn es wäre unangemessen, sie zu Lasten der Geschäftsführer von jeglicher Haftung nur deshalb zu befreien, weil bspw. ein einziger gering beteiligter Gesellschafter widersprochen hat. Der BGH fasst den Handelndenbegriff jedoch recht eng. Entgegen früherer Auffassung gehören dazu nicht die Gesellschafter als Auftraggeber, sondern nur die Geschäftsführer und die wie ein Geschäftsführer nach außen tätig gewordenen Personen3. In Betracht kommt dann nur ein Aufwendungsersatzanspruch der Handelnden im Innenverhältnis zu denjenigen Gesellschaftern, die eine Geschäftsaufnahme beschlossen und ihn – wenn auch gesellschaftsrechtlich unwirksam – entsprechend beauftragt haben. Sinnvoller wäre es, einen zumindest qualifizierten Mehrheitsbeschluss ebenso wie bei einer Änderung des Gesellschaftsvertrages analog § 57 Abs. 2 GmbHG ausreichen zu lassen und die dissentierenden Gesellschafter dadurch zu schützen, dass nur die der Geschäftsaufnahme zustimmende Mehrheit der Vorbelastungshaftung unterliegt. Die Unterbilanzhaftung greift nur ein, wenn die GmbH auch tatsächlich eingetragen 45 wird. Kommt es dazu nicht, bedarf es keiner Auffüllung des Gesellschaftsvermögens bis zur Höhe des – dann auch nicht publizierten – Stammkapitals, sondern nur bis zur ausgeglichenen Bilanz ohne Eigenkapitalausweis. Dann sind alle Verbindlichkeiten gedeckt. An die Stelle der Unterbilanzhaftung tritt bei der stecken gebliebenen Gründung die Verlustdeckungshaftung. Beide sind eine Innenhaftung, die von den Gesellschaftern – mit der Ausfallhaftung des § 24 GmbHG entsprechend der Beteiligungshöhe – zu erfüllen ist. Beide sind der Höhe nach unbegrenzt bis zum Ausgleich der Überschuldung (bei stecken gebliebener Eintragung) bzw. des Stammkapitals (Unterbilanzhaftung)4. Ein Unterschied besteht bei der Handelndenhaftung des § 11 Abs. 2 GmbHG. Sie wird durch die Unterbilanzhaftung nur ersetzt, wenn es tatsächlich zur Eintragung kommt. Ist das nicht der Fall, bestehen die Handelndenhaftung des Geschäftsführers und die Verlustdeckungshaftung der Gesellschafter nebeneinander. Wird die Geschäftstätigkeit der Gründungsgesellschaft fortgesetzt, obwohl die Ein- 46 tragung nicht mehr verfolgt wird, „haben die Gründer für sämtliche Verbindlichkeiten der Vorgesellschaft, auch für die bis zum Scheitern entstandenen, nach personengesellschaftsrechtlichen Grundsätzen einzustehen“5. Damit wandelt sich die pro-rata-Haftung in eine unbegrenzte gesamtschuldnerische Haftung. d) Verwendung von Vorrats- und Mantelgesellschaften6 Wegen der großen Haftungsgefahren einer Geschäftstätigkeit vor der Eintragung 47 werden häufig bestehende Gesellschaften verwendet. Von einer „Vorratsgesellschaft“ wird gesprochen, wenn sie von vornherein auf Vorrat für eine spätere Geschäftstätigkeit durch andere als die Gründer errichtet wurde, von einer „Mantelgesellschaft“, wenn sie schon aktiv tätig war, den Betrieb aber eingestellt und ihr Vermögen versilbert hat, so dass nur noch der rechtliche „Mantel“ übrig bleibt. Die Gründung von Vorratsgesellschaften ist zulässig7. Voraussetzung ist nur, dass der Geschäftszweck – z.B. „Verwaltung eigenen Vermögens“ – offen ausgewiesen wird. Sonst ist die Gründung gemäß § 75 GmbHG – wenn auch heilbar – nichtig.
1 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129; BGH v. 4.3.1997 – II ZR 123/94, ZIP 1997, 679. 2 BGH v. 15.6.1978 – II ZR 205/76, BGHZ 72, 45. 3 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129; BGH v. 26.1.1967 – II ZR 122/64, BGHZ 47, 25; zum faktischen Geschäftsführer: BGH v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, ZIP 2005, 1550. 4 BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, ZIP 1997, 679; BGH v. 24.10.2005 – II ZR 129/04, ZIP 2005, 2257. 5 BGH v. 4.11.2002 – II ZR 204/00, ZIP 2002, 2309. 6 Umfassend: Goette, DStR 2004, 461 ff. 7 BGH v. 9.12.2002 – II ZB 12/02, ZIP 2003, 251; BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, ZIP 2003, 1698.
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§3
Rz. 48
Gesellschafterberatung
48 Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise ist die Gründung einer Vorratsgesellschaft erst dann richtig abgeschlossen, wenn sie auch tatsächlich für Geschäftstätigkeiten verwendet wird, die über den Selbstzweck der Verwaltung eigenen Vermögens hinausgehen. Ähnlich spricht man bei der Wiederaktivierung einer Mantelgesellschaft von einer wirtschaftlichen Neugründung. In beiden Fällen kommt deshalb das Gründungsrecht insofern zum Zuge, als die Geschäftsführer die erstmalige oder erneute Verwendung beim Handelsregister anzeigen müssen. Entsprechend § 8 Abs. 2 GmbHG haben sie zu versichern, dass die in § 7 Abs. 2 und 3 GmbHG bezeichneten Leistungen bewirkt und weiterhin zu ihrer freien Verfügung stehen1. Erst dann ist der (Neu-)Gründungsvorgang abgeschlossen. Auf den Zeitpunkt der Anzeige ist auch für die Unterbilanzhaftung abzustellen2. Die Gesellschafter laufen also wie bei der Vorgesellschaft erhebliche Haftungsgefahren, wenn sie mit der Geschäftstätigkeit ohne eine Offenlegung gegenüber dem Handelsregister beginnen. Auch hier gilt im Übrigen, dass sämtliche Gesellschafter mit der Geschäftstätigkeit einverstanden sein müssen, was meist allein aus ihrer Beteiligung am Vorrats- oder Mantelerwerb folgt. Sind sie es nicht, unterliegen die Geschäftsführer der Handelndenhaftung des § 11 Abs. 2 GmbHG, obwohl sie als Vertreter einer förmlich eingetragenen GmbH auftreten3. In der Praxis wird immer noch übersehen, dass allein die im Zusammenhang mit der Anmeldung eines Geschäftsführerwechsels abgegebene Versicherung, dass die (Mindest-)Einlagen (wieder) zur freien Verfügung stehen, nicht ausreicht. Die Offenlegung der (Wieder-)Aktivierung ist nach dem BGH-Beschluss vom 7.7.2003 zusätzlich erforderlich. 49 Die Haftungsvoraussetzungen bei der Mantelverwendung sind nicht identisch mit den Voraussetzungen für eine Änderung der wirtschaftlichen Identität bei § 8 Abs. 4 KStG, die zum Wegfall der steuerlichen Verlustvorträge führt. Solange ein wesentlicher Geschäftsbetrieb „in irgendeiner wirtschaftlich noch gewichtbaren Weise“4 besteht, liegt nur eine Umorganisation vor, die nicht zur Anwendung der gesellschaftsrechtlichen Gründungsvorschriften führt. Zunächst hat der BGH mit seiner Entscheidung aus dem Jahr 2010 den Tatbestand der wirtschaftlichen Neugründung auf die Fälle eingeschränkt, in denen nur eine tatsächlich leere Hülse verwandt wurde5. Voraussetzung war also, dass kein aktives Unternehmen betrieben wurde. Eine wirtschaftliche Neugründung lag dann nicht vor, wenn die Fortführung des Geschäftsbetriebes, sei es auch unter wesentlicher Umgestaltung, Einschränkung und Erweiterung ihres Tätigkeitsgebietes in irgendeiner Form wirtschaftlich noch in gewichtbarer Weise anknüpfen konnte. Im Jahr 2011 stellte der BGH dann erweiternd fest, dass auch Strukturänderungen, die vor Eintragung der Gesellschaft vollzogen worden sind, gleichfalls für eine wirtschaftliche Neugründung nicht ausreichen6. 2. Kapitalerhöhung der GmbH 50 Für die Kapitalerhöhung verweisen die §§ 55 Abs. 4, 56 ff. GmbHG auf die Vorschriften zur Kapitalaufbringung bei der Gründung, so dass hier nur auf die bei der Erhöhung spezifischen Probleme eingegangen wird. a) Aufgabe des Gebots der wertgleichen Deckung 51 Eine Unterbilanzhaftung auf den Zeitpunkt der Eintragung der Kapitalerhöhung im Handelsregister kommt nicht in Betracht, weil die Gesellschaft vor der Kapitalerhöhung üblicherweise bereits tätig ist. Wenn deshalb nicht auf den Wert des gesamten Gesellschaftsvermögens abgestellt werden kann, wäre es immerhin denkbar, isoliert den Wert der neuen Einlage zu betrachten, und zwar nicht bei Eintragung, sondern 1 BGH v. 9.12.2002 – II ZB 12/02, ZIP 2003, 251. 2 BGH v. 7.7.2003 – II ZR 4/02, ZIP 2003, 1698; OLG Celle v. 11.5.2005 – 9 U 218/04, GmbHR 2005, 1496. 3 BGH v. 7.7.2003 – II ZR 4/02, ZIP 2003, 1698; problematisierend allerdings der Vorsitzende des II. Zivilsenats Goette, DStR 2004, 461 (464). 4 BGH v. 7.7.2003 – II ZR 4/02, ZIP 2003, 1698. 5 BGH, NJW 2010, 1454. 6 Vgl. BGH, GmbHR 2011, 1032.
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Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung
Rz. 52
§3
im Zeitpunkt der Anmeldung zum Handelsregister. Das tat die Rechtsprechung anfänglich auch, allerdings nicht mit der Forderung nach einer bei einem laufenden Geschäftsbetrieb ungeeigneten Unterbilanzhaftung1, sondern mit dem sogenannten Gebot der wertgleichen Deckung. Bei der Anmeldung müsse die Einlage aus der Kapitalerhöhung zwar nicht identisch, wohl aber dem Wert nach in Vermögensgegenständen der Gesellschaft noch vorhanden sein2. Zwar verfuhr der BGH mit der wertgleichen Deckung zunehmend großzügiger. So reichte es aus, dass die Einlage auf ein debitorisch geführtes Konto gezahlt wurde, wenn die Bank wieder Verfügungen in gleicher Höhe zuließ3. Hingegen sollte es an einer wertgleichen Deckung fehlen, wenn die aus der Erhöhung stammenden Mittel zum Ausgleich von Verbindlichkeiten4 oder für Aufwendungen des laufenden Geschäftsbetriebes verbraucht wurden. Diese Differenzierung erwies sich jedoch für den Gläubigerschutz als ungeeignet, weil es bei einer tätigen Gesellschaft keine Rolle spielt, ob die aus der Erhöhung stammenden Mittel vor oder nach der Anmeldung zur Schuldentilgung verwendet werden. Deshalb hat der BGH den Vorbehalt der wertgleichen Deckung schließlich aufgegeben. Die Versicherung des Geschäftsführers muss jetzt nur noch lauten, dass der Betrag zur freien Verfügung eingezahlt wurde und in der Folge nicht an den Inferenten zurückfloss5. Damit ist auch eine Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger aus den Einlagemitteln 52 zulässig6. Der Inferent darf sogar direkt an die Gesellschaftsgläubiger zahlen7. Dessen Forderung muss jedoch vollwertig, fällig und liquide sein. Daran fehlt es, wenn eine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung durch die Kapitalerhöhung nicht beseitigt wird. Soweit es die Mindesteinlage gemäß §§ 57 Abs. 2, 7 Abs. 2 GmbHG betrifft, muss jedoch weiterhin zusätzlich beachtet werden, dass sie auch im Rahmen der Kapitalerhöhung zur freien Verfügung des Geschäftsführers stehen muss. Insofern führt eine Direktzahlung selbst auf Weisung des Geschäftsführers nicht zum Erlöschen der Einlageverpflichtung8. Das Gleiche gilt hinsichtlich der Mindesteinlage, wenn der Gesellschafter auf ein debitorisch geführtes Konto zahlt, falls nicht – auch nicht von einem anderen Konto bei derselben Bank9 – wieder verfügt werden darf10. Anders ist es hingegen nach Aufgabe der Rechtsprechung zur wertgleichen Deckung, wenn es der Geschäftsführer selbst ist, der nach Zahlung auf ein Konto, über dessen Guthaben er frei verfügen kann, den Bankkredit endgültig zurückführt, weil die Einlagemittel dann kurzfristig zu seiner freien Verfügung standen. Ob er mit der Zahlung an die Bank den Kreditspielraum wieder erhöht, spielt keine Rolle mehr. Freilich kann dies in einem späteren Insolvenzverfahren der Gesellschaft zu einer Haftung des Gesellschafters führen, wenn er für diesen Bankkredit private Sicherheiten bestellt hatte und diese frei geworden sind, § 135 Abs. 2 InsO. Am Kriterium der freien Verfügbarkeit sind nunmehr auch Verwendungsabsprachen zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführern zu messen. Sind die Geschäftsführer noch in der Lage, eine – wenn auch abredewidrige – andere Verwendungsentscheidung zu treffen, ist die Einlageverpflichtung trotz der Verwendungsabsprache auch hinsichtlich der Mindesteinlage erfüllt11. Insofern unterscheidet sich die Rechtslage bei der Kapitalerhöhung von der-
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BGH v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, NJW 1992, 3300. BGH v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, NJW 1992, 3300. BGH v. 10.6.1996 – II ZR 98/95, ZIP 1996, 1466. BGH v. 10.6.1996 – II ZR 98/95, ZIP 1996, 1466. BGH v. 18.3.2002 – II ZR 11/01, GmbHR 2002, 545. BGH v. 29.1.2001 – II ZR 183/00, ZIP 2001, 513. BGH v. 18.3.2002 – II ZR 11/01, GmbHR 2002, 545. BGH v. 25.11.1985 – II ZR 48/85, NJW 1986, 989; ebenso für die AG: BGH v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, NJW 1992, 3300. 9 BGH v. 18.3.2002 – II ZR 11/01, GmbHR 2002, 993. 10 BGH v. 8.11.2004 – II ZR 362/02, ZIP 2005, 121; BGH v. 10.6.1996 – II ZR 98/95, ZIP 1996, 1466; BGH v. 18.3.2002 – II ZR 11/01, GmbHR 2002, 993. 11 BGH v. 18.3.2002 – II ZR 11/01, GmbHR 2002, 545; BGH v. 18.3.2002 – II ZR 363/00, ZIP 2002, 799; BGH v. 29.1.2001 – II ZR 183/00, ZIP 2001, 513; vgl. schon vor Aufgabe der wertgleichen Deckung, BGH v. 24.9.1990 – II ZR 203/89, NJW 1991, 226.
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Rz. 53
Gesellschafterberatung
jenigen bei der Gründung1. Nur an den Inferenten zurückfließen darf der Einlagebetrag nicht2. Dann handelt es sich um das oben gesprochene Hin- und Herzahlen, das keine wirksame Einlageleistung darstellt. 53 Kapitalerhöhungen werden häufig bei dringendem Geldbedarf geschlossen. Im Vertrauen darauf, dass der formelle Gesellschafterbeschluss alsbald nachgeholt wird, stellen einflussreiche Gesellschafter schon vorher einen Betrag in Anrechnung auf die künftige Einlageschuld zur Verfügung. Genau genommen wird dann später, wenn diese Schuld durch den beurkundeten Erhöhungsbeschluss formwirksam entstanden ist, nicht mehr der Geldbetrag eingelegt, sondern die – sei es auch auflösend bedingte – Forderung gegen die GmbH aus der Voreinzahlung. Trotzdem hat der BGH keine Bedenken gegen das Erlöschen der Einlageverpflichtung, wenn der vorzeitig zur Verfügung gestellte Betrag noch unverbraucht bei der GmbH vorhanden ist. Das ist wörtlich zu nehmen. Selbst die Einzahlung auf ein debitorisch geführtes Konto, die sogar nach der inzwischen aufgegebenen strengen Rechtsprechung zum Vorbehalt der wertgleichen Deckung als Einlageleistung nach dem Erhöhungsbeschluss ausreichte, wenn die Bank Verfügungen in entsprechender Höhe wieder zuließ, wird bei der Voreinzahlung nicht anerkannt3. Insofern unterscheidet sich die Rechtslage vor und nach dem Kapitalerhöhungsbeschluss. Ausnahmsweise können Voreinzahlungen als wirksame Erfüllung der Einlageschuld auch dann anerkannt werden, wenn sie nicht mehr unverbraucht vorhanden sind. Voraussetzung ist, dass der Erhöhungsbeschluss mit der gebotenen Eile nachgeholt wird, ein akuter Sanierungsfall vorliegt und andere Maßnahmen zur Rettung der sanierungsbedürftigen Gesellschaft nicht in Betracht kommen4. In der Praxis werden diese Voraussetzungen bei einer GmbH mit einem i.d.R. überschaubaren Mitgliederkreis kaum erfüllt sein. Anders mag es wegen der Ladungsformalitäten bei einer AG mit zahlreichen Aktionären sein. 54 Das oben (Rz. 16 ff.) dargestellte Hin- und Herzahlen kommt bei der Kapitalerhöhung häufiger vor als bei der Kapitalaufbringung in der Gründungsphase, weil sich inzwischen ein Geschäftsverkehr auch mit den Gesellschaftern entwickelt haben kann. Für die Beurteilung kommt es nicht darauf an, ob erst der Gesellschafter zahlt und die Gesellschaft damit anschließend einer im Zeitpunkt der Einlageleistung schon bestehende (alte) Gesellschafterforderung befriedigt oder ob es umgekehrt verläuft5. Beide Varianten sind unzulässig, falls es nicht ausnahmsweise an einer (vermuteten) Vorabsprache fehlt. Das gilt insbesondere auch dann, wenn der Betrag auf einem zentralen Konzernkonto (cash-Pool) angelegt wird6 und damit entweder Konzernkreditschulden aus der Vergangenheit befriedigt werden oder ein Konzerndarlehen gewährt wird. Nach dem Urteil vom 12.2.20077 muss das Konto aber von der Inferentin oder einer Gesellschaft geführt werden, an der die Inferentin direkt beteiligt ist. Ist eine andere Konzerngesellschaft Kontoinhaberin, an der die Inferentin nicht direkt beteiligt ist, steht das – jedenfalls in Überragung der Grundsätze des zum Kaufvertrag ergangenen Urteils – einer wirksamen Kapitalaufbringung auch dann nicht entgegen, wenn die (mittelbare) Gesellschafterin durch die Kontogutschrift von einer (Konzern-)bürgschaft gegenüber der kontoführenden Bank befreit wird. Kapitalaufbringung und Bürgenhaftung sind voneinander zu trennen. So mag die GmbH – z.B. unter dem Gesichtspunkt des Eigenkapitalersatzes – zwar einen Anspruch gegen den Gesellschafter auf Erstattung oder Wiedereinräumung der Bürgschaftsverpflichtung haben, wenn er durch die Verwendung seiner Einlage von einer Bürgenhaftung befreit wurde. Ist die Einlageleistung jedoch für sich genommen wirksam, ändert die dadurch untergegangene Bürgenhaftung daran nichts8. 1 Dazu BGH v. 25.11.1985 – II ZR 48/85, ZIP 1986, 161; BGH v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, ZIP 1992, 1387 (zur AG). 2 BGH v. 2.12.2002 – II ZR 101/02, ZIP 2003, 211. 3 BGH v. 15.3.2004 – II ZR 210/01, ZIP 2004, 849. 4 BGH v. 26.6.2006 – II ZR 43/05, ZIP 2006, 2214. 5 BGH v. 26.5.1997 – II ZR 69/96, ZIP 1997, 1337. 6 BGH v. 16.1.2006 – II ZR 76/04, ZIP 2006, 665. 7 BGH v. 12.2.2007 – II ZR 272/05, ZIP 2007, 528. 8 BGH v. 18.3.2002 – II ZR 11/01, GmbHR 2002, 545.
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Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung
Rz. 57
§3
Ein unzulässiges Hin- und Herzahlen liegt nicht vor, wenn die Auszahlung der 55 Gesellschaft auf einer Neuforderung des Gesellschafters beruht und dies nicht vorabgesprochen ist, was allerdings bei einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang vermutet wird1. So handelt es sich bei dem Schütt-aus-hol-zurück-Verfahren, bei der die Kapitalerhöhung aus Gewinnen der Gesellschaft gespeist wird, zwar regelmäßig um ein unzulässiges Hin- und Herzahlen bzw., was dem gleichkommt, um eine verschleierte Sacheinlage, weil der Gewinnanspruch eingebracht wird. Ist die Aufbringung der Einlage durch Gewinnansprüche von vornherein beabsichtigt, handelt es sich der Sache nach um eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln, für die die §§ 57c ff. GmbHG zu beachten sind2. Dafür kann die letzte Jahresbilanz zugrunde gelegt werden, wenn sie geprüft und nicht älter als acht Monate ist, § 57e Abs. 1 GmbHG. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, ist aber der Gewinnverwendungsbeschluss schon gefasst worden, kann der Auszahlungsanspruch im Wege der Sacheinlage eingebracht werden. Handelt es sich hingegen um Gewinnansprüche, die erst in noch nicht bekannter Höhe nach dem Kapitalerhöhungsbeschluss entstehen, mithin um Neuforderungen, verstößt eine einvernehmliche Verrechnung nicht gemäß § 19 Abs. 5 GmbHG, falls es an der Vorabsprache und der Indizwirkung des sachlichen und zeitlichen Zusammenhanges fehlt. Voraussetzung ist dann aber, dass die Forderung des Gesellschafters gegen die Gesellschaft im Verrechnungszeitpunkt vollwertig, fällig und liquide ist3. b) Darlegungs- und Beweislast Der BGH hat in einem Beschluss vom 17.9.2013 Stellung zur Darlehens- und Beweis- 56 lastverteilung hinsichtlich der Erfüllung der Einlageschuld genommen. Grundsätzlich gilt, dass der Inferent für die vollständige Erbringung der Stammeinlage darlegungs- und beweisbelastet sei. Dies gelte auch dann, wenn die behauptete Zahlung lange zurück liege und der nunmehrige Gesellschafter einen Geschäftsanteil erst im Nachgang erworben hat4. Soweit es die Umgehungsgefahren (z.B. keine freie Verfügbarkeit, Hin- und Herzahlen, verschleierte Sacheinlage) betrifft, ist von der Erfüllung der Einlageschuld auszugehen, wenn die Einzahlung auf ein Gesellschaftskonto nachgewiesen wird. Sollte die tatsächliche Zahlung nach der tatsächlichen Feststellung erfolgt sein, ist der Insolvenzverwalter dafür, dass diese tatsächliche Zahlung nicht zur Tilgung der Einlagen geführt hat, entsprechend darlegungsbelastet. Der Insolvenzverwalter muss dann Anhaltspunkte vortragen, dass trotz der nachgewiesenen Einzahlung der Stammeinlage der Betrag nicht ordnungsgemäß in das freie Vermögen der GmbH gelangt ist. In diesem Fall muss der Inferent dann seinerseits darlegen und beweisen, dass er das Vermögen der GmbH zur freien Verwendung überlassen hat. Es ist Sache des Insolvenzverwalters, Anhaltspunkte vorzutragen, die für die Umgehung sprechen5. Geschieht dies, ist es wieder an dem Gesellschafter, die Erfüllung zu beweisen. Das gilt insbesondere bei einer Verrechnung der Einlageschuld für die Vollwertigkeit6. Für die Ausfallhaftung der Mitgesellschafter nach Kaduzierung des Anteils vom säumigen Gesellschafter entfaltet ein rechtskräftiges Urteil, das die Nichtzahlung des ausgeschiedenen Gesellschafters festgestellt hat, keine Bindungswirkung7. c) Stecken gebliebene Kapitalerhöhung Gelegentlich kommt es vor, dass die Gesellschafter eine Kapitalerhöhung beschlie- 57 ßen, die bis zur Insolvenz nicht in das Handelsregister eingetragen wird, sei es, dass es Eintragungshindernisse gibt, sei es, dass noch nicht sämtliche Gesellschafter ihre
1 BGH v. 13.5.1996 – II ZR 275/95, ZIP 1996, 1248; OLG Hamburg v. 28.4.2006 – 11 U 291/05, GmbHR 2006, 934. 2 BGH v. 26.5.1997 – II ZR 69/96, ZIP 1997, 1397. 3 BGH v. 16.9.2002 – II ZR 1/00, ZIP 2002, 2045. 4 Vgl. BGH v. 17.9.2013 – II ZR 142/12, ZIP 2014, 261. 5 BGH v. 13.9.2004 – II ZR 137/02, ZIP 2005, 28; BGH v. 8.11.2004 – II ZR 202/03, DStR 2005, 297. 6 BGH v. 15.6.1992 – II ZR 229/91, NJW 1992, 229; BGH v. 2.12.2002 – II ZR 101/02, ZIP 2003, 211. 7 BGH v. 8.11.2004 – II ZR 362/02, ZIP 2005, 121.
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Gesellschafterberatung
Einlage zur freien Verfügung des Geschäftsführers gezahlt haben. Dann ergibt sich die Frage, ob die Eintragung noch erfolgen kann, wer dafür zuständig ist und ob sich die Gesellschafter von der Einlageverpflichtung lösen können1. 58 Voraussetzung für einen wirksamen Erhöhungsbeschluss ist die notarielle Beurkundung. Formunwirksame Beschlüsse können nicht umgedeutet werden in eine andere Finanzierungszusage z.B. durch Darlehen, weil der Beschluss auf die Zuführung von Eigenkapital mit einer Änderung der gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse (z.B. bei der Gewinnverteilung, falls einige Gesellschafter an der Kapitalerhöhung nicht teilnehmen) gerichtet ist. 59 Ist die notarielle Beurkundung erfolgt, wird der Kapitalerhöhungsbeschluss gleichwohl erst mit der Eintragung wirksam, § 54 Abs. 3 GmbHG. Für die Anmeldung sind die Geschäftsführer zuständig, §§ 57, 8 GmbHG. Die Zuständigkeit geht mit der Insolvenzeröffnung nicht auf den Verwalter gemäß § 80 InsO über2; denn Statusänderungen bei der Schuldnerin gehören genauso wie z.B. die Geschäftsführerbestellung zum insolvenzfreien Bereich. § 80 InsO betrifft das Vermögen des Schuldners, nicht dessen interne Organisation. Auf den Theorienstreit über die Rechtsstellung des Verwalters3 kommt es hierfür nicht an. Selbst wenn in Abweichung von der herrschenden Meinung der Insolvenzverwalter als Organ der Gesellschaft angesehen werden würde, würden seine Befugnisse nicht über den aus der InsO ersichtlichen Bereich hinausgehen4. Bleibt somit die Verpflichtung zur alsbaldigen Anmeldung der Kapitalerhöhung beim Geschäftsführer, können die Gesellschafter ihn anweisen, die Anmeldung nicht einzureichen oder gar zurückzunehmen5. Deshalb gebietet es die haftungsbewehrte Sorgfaltspflicht des § 43 Abs. 1 GmbHG, dass der Geschäftsführer wegen der durch das Insolvenzereignis veränderten Umstände eine Gesellschafterentscheidung einholt; denn nach Auffassung des BGH kann der Erhöhungsbeschluss zwar nach Insolvenzeröffnung noch eingetragen werden mit der Folge, dass die Einlageforderung als Neuerwerb i.S.v. § 35 InsO in die Masse fällt6. Die Gesellschafter haben aber die Möglichkeit, den Beschluss bis zur Eintragung aufzuheben7. Darüber zu entscheiden, muss der Geschäftsführer den Gesellschaftern durch Einberufung einer Gesellschafterversammlung Gelegenheit geben. 60 Im Interesse der Minderheit soll es nach verbreiteter Meinung in der Literatur noch nicht einmal erforderlich sein, dass die Satzungsänderung durch einen förmlichen Beschluss, den die Minderheit eventuell nicht durchsetzen könnte, wieder aufgehoben wird. Vielmehr wird angenommen, dass der Erhöhungsbeschluss von vornherein auflösend bedingt durch das Insolvenzereignis gefasst wurde8. Ebenso soll die Bindungswirkung aus dem gemäß § 55 Abs. 3 GmbHG gesondert zu beurkundenden Übernahmevertrag mit der Insolvenz entfallen9. Dem ist für den Fall einer ungesteuerten Insolvenzantragstellung zuzustimmen; denn Geschäftsgrundlage der Kapitalerhöhung ist, dass der Gesellschaftszweck noch erreicht werden kann. Mit der Insolvenzeröffnung wird die Gesellschaft grundsätzlich zunächst aufgelöst, § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, so dass sich der ursprüngliche Zweck in den Liquidationszweck umgestaltet, vgl. § 70 GmbHG. Das geschieht zwar erst durch den förmlichen Eröffnungs1 Das ist nicht zu verwechseln mit einer eingetragenen Kapitalerhöhung, bei der nur noch der Einzahlungsbeschluss der Gesellschafter gem. § 46 Nr. 2 GmbHG fehlt. Seiner bedarf es für die Einforderung durch den Insolvenzverwalter nicht mehr, BGH v. 15.10.2007 – II ZR 216/06, ZIP 2007, 2416. 2 BayObLG v. 17.3.2004 – 3z BR 46/04, ZIP 2004, 1426; a.A. Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2007, 692 ff., die zwar einerseits konzedieren, dass der Beschluss bis zur Eintragung nicht wirksam ist, gleichwohl aber eine Einlageforderung annehmen, auf die sich das Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Verwalters erstrecke, und der deshalb zur Anmeldung berechtigt sei. 3 Dazu Kübler/Prütting/Bork/Lüke, InsO, § 80 Rz. 32 ff. 4 BGH v. 5.7.2001 – IX ZR 327/99, ZIP 2001, 1469. 5 Roth/Altmeppen, GmbHG, § 54 Rz. 4. 6 Kuntz, DStR 2006, 519. 7 BGH v. 7.11.1994 – II ZR 248/93, ZIP 1995, 28. 8 Baumbach/Hueck/Zöllner/Fastrich, § 55 Rz. 5. 9 Baumbach/Hueck/Zöllner/Fastrich, § 55 Rz. 37.
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Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung
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beschluss. Aber schon der Insolvenzantrag oder sogar der zuvor eingetretene Insolvenzgrund lassen Zweifel an der Zweckerreichung aufkommen, so dass der Übernehmer bis zur endgültigen Klärung einen Anspruch auf Verhinderung der Eintragung und auf Zurückbehaltung der Zahlung hat. In zwei Fallvarianten ist der Sachverhalt jedoch anders zu beurteilen. Anders verhält es sich, wenn der Gesellschafter säumig ist und bei rechtzeitiger Leistung keine Verweigerungsmöglichkeit gehabt hätte. Es kann nicht sein, dass die vertragstreuen Gesellschafter ihre Einlage erbringen, ihr Geld durch die Insolvenz verlieren und der vertragsuntreue Gesellschafter von der Leistung befreit wird. Ein Lösungsrecht besteht auch dann nicht, wenn die Kapitalerhöhung in Kenntnis der Krise beschlossen wurde. Dann muss jeder mit einem Scheitern der Sanierung rechnen, so dass er nicht im Nachhinein behaupten kann, der Sanierungserfolg hätte die Geschäftsgrundlage gebildet. Parallele Wertung gibt es zur Kündbarkeit eines von dritter Seite zugesagten Sanierungskredits oder eines von Gesellschaftern zugesagten Finanzplankredits. Der andere Fall betrifft die Einleitung eines Insolvenzverfahrens, insbesondere eines Schutzschirm- oder Eigenverwaltungsverfahrens nach den §§ 270a und b InsO. In diesen Fällen sollen die Möglichkeit der Insolvenzordnung gerade zur Sanierung des Unternehmens genutzt werden. Es wäre dann nicht schlüssig hier den Beschluss als auflösend bedingt anzusehen. Falls eine beschlossene Kapitalerhöhung nicht vollzogen wird, können die von eini- 61 gen Gesellschaftern bereits geleisteten (Mindest-)Einlagen gemäß § 812 Abs. 1 Satz 2 BGB zurückgefordert werden. Es handelt sich jedoch nur um eine Insolvenzforderung, § 38 InsO. Zwar werden die Zahlungen zur freien Verfügung des Geschäftsführers geleistet, aber eben nicht an ihn als Privatperson. Die Mittel gehören somit zum Vermögen der Schuldnerin. Anders wäre es, wenn der Betrag auf ein offen ausgewiesenes Treuhandkonto entrichtet wird, das auf den Namen des Geschäftsführers persönlich oder auf den Namen der GmbH lautet. Fließen darauf nur die Einlagezahlungen mit der Vereinbarung, darüber erst zu verfügen, unmittelbar bevor1 die Kapitalerhöhung angemeldet wird, hätten die Gesellschafter in der Insolvenz ein Aussonderungsrecht, falls die Anmeldereife bis dahin nicht eingetreten ist. Stattdessen können die Mittel auch auf das Anderkonto eines Notars gezahlt werden, der sie erst mit der Anmeldung freigibt2. In Sanierungsfällen sind solche Sicherungsmaßnahmen wichtig, weil die Einzahlung aller Einlagen aus der Kapitalerhöhung häufig Voraussetzung für das Gelingen der Sanierung ist, Einzahlungen nur einiger Gesellschafter die Insolvenz hingegen nicht vermeiden können und deshalb verloren sind. 3. Kapitalerhaltung der GmbH Viele Mandanten begegnen dem Grundsatz der Kapitalerhaltung mit Unverständnis. 62 Sie meinen, dass die Einlagen als Haftungsfonds separiert werden müssen, gelegentlich sogar, dass keine Verluste erwirtschaftet werden dürfen. Es geht jedoch allein um das Verbot der Einlagenrückgewähr an die Gesellschafter und ihnen zuzurechnende Dritte. Gesetzlich sind das Verbot in § 30 GmbHG und die Rechtsfolge in § 31 GmbHG gere- 63 gelt. Das ist abschließend mit der Konsequenz, dass § 30 GmbHG kein Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB ist. Vielmehr ist eine Einlagenrückgewähr dinglich wirksam und löst nur die Erstattungspflichten des § 31 GmbHG aus3. Das kollidiert mit dem Hin- und Herzahlen bei der Kapitalaufbringung, bei der die Ausführungsgeschäfte analog § 27 Abs. 3 AktG sowohl schuldrechtlich als auch dinglich unwirksam sind (s.o. Rz. 16 ff.). Die Kollision löst der BGH dadurch, dass er die §§ 30 f. GmbHG erst eingreifen lässt, wenn die Kapitalaufbringung abgeschlossen ist4, wenn also ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang mit der Einlageleistung nicht mehr besteht. Durch die Einführung des MoMiG wurde § 30 GmbHG dahingehend geändert, dass das Verbot der Einlagenrückgewähr nicht bei Leistungen gilt, die bei Bestehen eines 1 2 3 4
Vgl. § 188 Abs. 2 AktG. Hüffer/Koch, AktG, § 188 Rz. 10. BGH v. 23.6.1997 – II ZR 220/95, ZIP 1997, 1450. BGH v. 17.9.2001 – II ZR 275/99, ZIP 2001, 1997.
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Gesellschafterberatung
Gewinnabführungsvertrages im Sinne des § 291 des AktG erfolgen oder die durch einen vollwertigen Gegenleistungs- oder Rückgewährsanspruchs gegen den Gesellschafter gedeckt sind. § 30 Abs. 1 Satz 2 1. Alt. GmbHG suspendiert somit die Kapitalbindung im Vertragskonzern. Mit § 30 Abs. 1 Satz 2 2. Alt. GmbHG wollte der Gesetzgeber der GmbH vor allem die Teilnahme an einem konzernweiten Cash Pooling auf rechtssicherer Grundlage ermöglichen1 65 Weiter enthält § 30 Abs. 1 GmbHG einen durch das MoMiG neu eingeführten Satz 3 für den Fall, dass die Gesellschafter einer GmbH in der Krise einen Kredit gewähren. Mit der Regelung in § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG soll sichergestellt werden, dass die Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen in vergleichbaren Rechtshandlung im Interesse der Gläubiger nunmehr allein nach insolvenzrechtlicher Regelung beurteilt wird und nicht nur unter § 30 GmbHG subsumiert wird. Eine Anwendung der §§ 30 ff. auf die Rückzahlung sogenannter eigenkapitalersetzender Gesellschafterdarlehen findet nunmehr entgegen der früheren Rechtsprechung nicht mehr statt2 a) Buchwertbetrachtung 66 § 30 GmbHG verbietet nicht jede Einlagenrückgewähr, sondern nur diejenige, die das Eigenkapital unter das Stammkapital senkt oder eine schon bestehende Lücke noch vergrößert. Maßgebend sind die nach § 42 GmbHG ermittelten Buchwerte im Zeitpunkt der Entnahme3, und zwar auch dann, wenn Buchverluste auf ausschließlich steuerlich motivierten Sonderabschreibungen beruhen4. Liegt das bilanzielle Eigenkapital unter dem Stammkapital, spricht man von einer Unterbilanz, besteht sogar ein durch Eigenkapital nicht gedeckter Fehlbetrag, von einer bilanziellen Überschuldung. Sie ist nicht identisch mit der insolvenzrechtlichen Überschuldung, für die es nicht auf die Buch-, sondern auf die Verkehrswerte bzw. die Fortführungsprognose ankommt, § 19 InsO. 67 Daraus ergeben sich mehrere Konsequenzen: Die Erste laute, dass eine Einlagenrückgewähr unschädlich ist, soweit genügend freies Vermögen (Rücklagen) besteht. Die aus dem Steuerrecht bekannte verdeckte Gewinnausschüttung ist gesellschaftsrechtlich bis zu dieser Grenze irrelevant. Natürlich müssen sich die Gesellschafter einig sein. Anderenfalls haftet der einen einzigen Gesellschafter begünstigende Geschäftsführer gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG und der begünstigte Gesellschafter nach Bereicherungsrecht, weil die zu seinen Gunsten erfolgte Verfügung wegen kollusiven Zusammenwirkens nichtig ist. Außerdem haftet er wegen Verletzung des Gesellschaftsvertrages5. 68 Die zweite Konsequenz könnte lauten, dass bei den Haftungsvoraussetzungen buchwertneutrale Geschäfte nicht von § 30 GmbHG erfasst werden. Hat der an den Geschäftsführer übertragene Vermögensgegenstand keinen Buchwert – z.B. Übertragung nicht aktivierungsfähiger schwebender Geschäfte oder selbst geschaffener immaterieller Vermögensgegenstände, §§ 248 Abs. 2, 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB – oder erbringt der Gesellschafter eine Gegenleistung in Höhe des Buchwertes, läge dann keine Einlagenrückgewähr vor. Daraus ergäbe sich automatisch die dritte Konsequenz, dass auch auf der Rechtsfolgeseite die Buchwertbetrachtung maßgebend sein müsste, der Gesellschafter also bei einer Einlagenrückgewähr gemäß § 31 GmbHG nur den Buchwert zu erstatten hätte. 69 Über die erste Konsequenz – kein Verstoß gegen Kapitalerhaltungsgrundsätze im Bereich des freien Buchwert-Vermögens – besteht Einigkeit. Auch die zweite und dritte Konsequenz, wonach die Buchwertbetrachtung sowohl auf der Tatbestandsseite des
1 Vgl. Scholz/Veil, GmbHG, § 30 Rz. 71. 2 Vgl. Scholz/Veil, GmbHG, § 30 Rz. 71. 3 BGH v. 11.12.1989 – II ZR 78/99, NJW 1990, 1109; BGH v. 22.10.1990 – II ZR 238/99, NJW 1991, 1057; BGH v. 3.12.1990 – II ZR 215/89, NJW 1991, 1294. 4 BGH v. 11.12.1989 – II ZR 78/99, NJW 1990, 1109. 5 Vgl. § 29 GmbHG.
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Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung
Rz. 71
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§ 30 GmbHG als auch auf der Rechtsfolgeseite des § 31 GmbHG maßgebend sein soll, entspricht der wohl herrschenden Meinung und insbesondere der Auffassung des BGH; denn er will die dadurch entstehenden Schutzlücken durch die Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs schließen, die nach einer Änderung der Rechtsprechung1 nunmehr als eine besondere Fallgruppe der sittenwidrigen Schädigung angesehen wird und in Anspruchskonkurrenz zu den für diese Fallgruppe vermeintlich unzureichenden §§ 30 f. GmbHG steht. Diese Schutzlücken sollen insbesondere – wenn auch nicht nur – daher rühren, dass zwischen Buchwert und Verkehrswert erheblich Differenzen bestehen können2. Die Quellcodes einer selbstentwickelten Software beispielsweise dürfen nicht aktiviert werden, § 248 Abs. 3 HGB, auch wenn die Entwicklung Millionen gekostet hat. Ihre Übertragung an einen Gesellschafter ist bilanzneutral, so dass keine Einlagenrückgewähr bei einer Buchwertbetrachtung vorläge. Ebenso verhält es sich z.B. mit einem Grundstück samt Gebäude, dass einen Verkehrswert von 1000 TEuro aber nur einen Buchwert von 600 TEuro hat. Die Differenz von 400 TEuro wäre im Hinblick auf die Eigenkapitalerhaltung bei einer reinen Buchwertbetrachtung haftungsunschädlich, wenn ein Gesellschafter das Grundstück für 600 TEuro erwerben würde. Eine solche Sichtweise wird dem Zweck des § 30 GmbHG nicht gerecht, die Gläubi- 70 ger vor einem Entzug des Haftungsvermögens zu Gunsten der Gesellschafter zu schützen. Der Gläubigerbefriedigung dient auch auch die Differenz zwischen Buchund Verkehrswert (= stille Reserven), auf die es erst recht ankommt, wenn die Befriedigung gefährdet ist, was durch eine Unterbilanz indiziert wird. Nach dem Wortlaut des § 30 GmbHG darf das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche „Vermögen“ nicht ausgezahlt werden, wobei der Begriff „Zahlung“ wie auch bei beim früheren § 64 Abs. 2 GmbHG, jetzt § 64 S. 1 GmbHG, sämtliche Leistungen erfasst3. Diese Zahlungen, so heißt es in § 31 Abs. 1 GmbHG, müssen erstattet werden. Das Empfangene4 ist zurückzugewähren, nicht nur dessen Buchwert. Gelingt dies nicht, schuldet der Gesellschafter Schadensersatz, § 281 BGB. Dessen Höhe aber richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften, wird also durch den Verkehrswert des Gegenstandes bestimmt, §§ 249 ff. BGB5. Daraus folgt, dass die Erstattungspflicht auch die im Buchwert nicht zum Ausdruck kommenden stillen Reserven umfasst6. Die Buchwertbetrachtung bildet somit nur den Haftungsrahmen7: Wird durch eine 71 Leistung das bilanzielle Eigenkapital nicht unter das Stammkapital gemindert, besteht keine Veranlassung für eine Haftung, mögen die dem Gesellschafter übertragenen stillen Reserven auch noch so groß sein. Die Gläubiger können immer noch auf den Haftungsfonds zurückgreifen, der ihnen durch Verlautbarung im Handelsregister versprochen wurde – zu Buchwerten zwar, genau das aber ist der Sinn der Einschränkung des subjektiven Bewertungsermessens, der mit den Standardisierungen der handelsrechtlichen Bewertung gerade auch im Hinblick auf den Gläubigerschutz bezweckt wird. Sinkt das Eigenkapital infolge der Leistung unter die Stammkapitalziffer oder lag es schon vorher darunter, muss der Gesellschafter das Empfangene in
1 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, DB 2007, 1802. 2 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, DB 2007, 1802; Röhricht, FS 50 Jahre BGH, 83, 93 ff., 105 ff.; Röhricht, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 2003, 1 ff. 3 BGH v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258. 4 BGH v. 8.7.1985 – II ZR 269/84, NJW 1985, 2947; z.B. bei Verrechnung einer Forderung ist nicht Zahlung, sondern Wiederbegründung der Forderung geschuldet. 5 Zum selben Ergebnis kommt eine Anwendung der Rückabwicklungsvorschrift des § 346 Abs. 2 BGB. 6 BGH v. 11.12.1989 – II ZR 78/89, NJW 1990, 1109 zur Einlagenrückgewähr an den Kommanditisten, für die er die Ähnlichkeit zum Recht der Kapitalgesellschaften betont. 7 Ungenau, die Formulierung bei Roth/Altmeppen, GmbHG, § 30 Rz. 12, wonach die bilanzielle Betrachtung nur zu Gunsten der Gesellschaft, nicht aber zu Gunsten des Gesellschafters gelten soll, liegt nämlich das buchmäßige Eigenkapital nicht unter dem Stammkapital, können auch noch so hohe stille Reserven keine Haftung des Gesellschafters begründen.
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§3
Rz. 72
Gesellschafterberatung
Natura und ansonsten den Verkehrswert erstatten1, maximal jedoch den Betrag, der zum Ausgleich der Unterbilanz erforderlich ist2. 72 Wenn die Buchwertbetrachtung im Haftungsrahmen der Unterbilanz oder Überschuldung für die Bewertung der an den Gesellschafter erbrachten Leistungen nach der hier vertretenen Auffassung nicht maßgebend ist, ist die Schutzlücke, die die §§ 30 f. GmbHG angeblich lassen und mit der die Existenzvernichtungshaftung u.a. begründet wurde, wesentlich kleiner als vielfach behauptet. Die Existenzvernichtungshaftung – nunmehr als eine Fallgruppe der sittenwidrigen Schädigung – kommt dann nur noch für „Kollateralschäden“ in Betracht. Selbst wenn z.B. für einen nicht aktivierten Quellcode der selbst geschaffenen Software als Kaufpreis der Verkehrswert gezahlt wird, können bei der Gesellschaft Nachteile verbleiben, bspw. Leerkosten bei Löhnen und Gehältern, weil Entwicklungsaufträge nicht mehr bearbeitet werden können. Hierfür bedarf es einer anderen Anspruchsgrundlage als der Kapitalerhaltungsvorschriften. 73 Nur die hier vertretene Auffassung steht auch im Einklang mit dem Motiv für den Ansatz der Buchwerte bei § 30 GmbHG. Obwohl sich die Buchwertbetrachtung dem Gesetzeswortlaut nicht entnehmen lässt, wird sie damit gerechtfertigt, dass Unsicherheiten und Unwägbarkeiten im Interesse des Gläubigerschutzes vermieden werden sollen3. Dem widerspricht es, wenn sich die Buchwertbetrachtung als eine Beschränkung der Ausgleichsverpflichtung des Gesellschafters gegen den Gläubiger wendet. 74 Einige Entscheidungen des BGH zeigen Ansätze zur Relativierung der Buchwertbetrachtung. So hat er schon 1986 ausdrücklich offen gelassen, ob der Verzicht auf einen möglichen Gewinn zu Gunsten des Gesellschafters eine Einlagenrückgewähr darstellt. Nach den Urteilsformulierungen könnte er geneigt sein, die Frage zu bejahen4. Ein nicht realisierter Gewinn ist nun aber das Synonym für stille Reserven, nur mit dem Unterschied, dass es an jeglichem und nicht nur an einem zu geringen Bilanzausweis fehlt. Die Verkehrswerte für die Quellcodes oder das Grundstück lassen sich problemlos unter § 30 GmbHG subsumieren, wenn man den Verzicht auf die Realisierung eines Gewinns, den die Gesellschaft durch Verkauf dieser Vermögensgegenstände zum Verkehrswert erzielt hätte, als „Zahlung“ im Sinne dieser Vorschrift erfasst. 75 Das bekannteste Beispiel für die Aufgabe der Buchwertbetrachtung sind die Darlehen an Gesellschafter. Hierbei wird der Aktivposten „Guthaben bei Kreditinstituten“ gegen den Aktivposten „Forderungen gegen verbundene Unternehmen“ getauscht. Gleichwohl hat der BGH darin eine „Zahlung“ gesehen; denn die Gläubiger der Gesellschaft, die auf den Tilgungsanspruch gegen den Gesellschafter im Rahmen eines Insolvenzverfahrens oder im Wege der Pfändung zugreifen wollen, konkurrieren nunmehr mit den anderen Gläubigern dieses Gesellschafters. Diese Risikoerhöhung sei es, die es nach Auffassung des BGH bei wertender Betrachtungsweise gebiete, die Darlehensvergabe als Einlagenrückgewähr zu erfassen, falls der Tilgungsanspruch nicht ausnahmsweise vollwertig besichert sei oder aus anderen Gründen keine Risiken bestünden5. Schon lange vor diesem Urteil hatte der BGH die Stundung des Kaufpreises – also ein Kaufgelddarlehen – für den Verkauf eines Grundstücks an einen Gesellschafter als Einlagenrückgewähr angesehen6. Unklar ist, ob die Behandlung der Darlehensvergabe als Einlagenrückgewähr nur dann gilt, wenn schon vor der Auszahlung eine Unterbilanz ausgewiesen wird, oder ob es ausreicht, dass die Un1 BGH v. 11.12.1989 – II ZR 78/89, NJW 1990, 1109 zur Einlagenrückgewähr an den Kommanditisten, für die er die Ähnlichkeit zum Recht der Kapitalgesellschaften betont. 2 Ob der Gesellschafter berechtigt ist, bei einer teilweisen Unterschreitung des Stammkapitals beispielsweise die Differenz zu zahlen und ansonsten den günstig übernommenen Gegenstand zu behalten, ist keine Frage der Haftung, sondern der Vertragsanpassung. Zum Recht des Gesellschafters auf Vertragsanpassung vgl. Roth/Altmeppen, GmbHG, § 30 Rz. 83 ff. 3 BGH v. 11.12.1989 – II ZR 78/99, NJW 1990, 1109. 4 BGH v. 1.12.1986 – II ZR 306/85, NJW 1987, 1194. 5 BGH v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, ZIP 2004, 263. 6 BGH v. 21.9.1981 – II ZR 104/80, NJW 1982, 383.
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Haftungsfallen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung
Rz. 80
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terbilanz – natürlich ohne Aktivierung des Tilgungsanspruchs – durch die Auszahlung zumindest teilweise entsteht. Bei der hier vertretenen Auffassung, wonach die bilanzielle Betrachtungsweise nur den Haftungsrahmen bildet, reicht die Entstehung der Unterbilanz aus. Die Haftung beschränkt sich allerdings auf den Darlehensteil, mit dem das Eigenkapital ohne Aktivierung des Tilgungsanspruchs unter das Stammkapital sinkt. Das Urteil zur Darlehensvergabe hat herbe Kritik erfahren, weil es angeblich das Aus 76 für die von Konzernen praktizierten Cash-Pool-Systeme bedeutet. Warum allerdings die finanzwirtschaftliche Einheit stützenswert sein soll, wenn die haftungsrechtliche Trennung durch die Aufteilung in verschiedene Konzerngesellschaften angestrebt wird, begründen die Kritiker nicht. Natürlich ist ein Cash-Pooling vorteilhaft. Wer aber die Trennung will, muss auch den Haftungsfonds unangetastet lassen. Für das darüber hinausgehende Vermögen ist ein Cash-Pool ohne Weiteres zulässig. Bei der Bewertung der an den Gesellschafter erbrachten Leistungen wird regelmäßig 77 übersehen, dass die Einlagenrückgewähr steuerrechtlich eine verdeckte Gewinnausschüttung darstellt. Das bringt zusätzlich steuerliche Belastungen mit sich, die den bei der Gesellschaft durch die Rückgewähr eintretenden Vermögensnachteil erhöhen. Zwar hat der Gesellschafter davon keinen Vorteil, nachdem eine Anrechnung bei seiner Einkommensteuer nicht mehr in Betracht kommt. Dennoch handelt es sich um einen mit der Einlagenrückgewähr verbundenen Aufwand, der ebenso wie z.B. von der Gesellschaft getragene Beurkundungskosten oder Grunderwerbsteuer bei der Übertragung von Grundbesitz im Interesse des Gesellschafters getrieben wird. Die Körperschaftsteuer ist deshalb zusätzlich zu berücksichtigen. Damit ist die Schwelle zur Unterschreitung des Stammkapitals wesentlich schneller erreicht als bei einer Nettobetrachtung. Gleichwohl ist keine höchstrichterliche Entscheidung bekannt, bei der die Steuerbelastung haftungserhöhend angesetzt wurde. b) Haftungssicherung Die Haftung gemäß §§ 30 f. GmbHG hätte in den Darlehensfällen neben der ohnehin 78 bestehenden Verpflichtung des Gesellschafters zur Tilgung außer bei der Verjährung keine Bedeutung, wenn sie nicht durch flankierende Vorschriften besonders gesichert wäre. Dazu gehört das Aufrechnungsverbot des § 19 Abs. 2 GmbHG, das nach Ansicht des 79 BGH neben das Erlassverbot des § 31 Abs. 4 GmbHG tritt1. Wie bei der Vorbelastungshaftung erlischt auch bei der Einlagenrückgewähr ein einmal entstandener Anspruch nicht automatisch, wenn das Eigenkapital durch Gewinne wieder die Höhe des Stammkapitals erreicht2. Wird also ein Vermögensgegenstand unterhalb des Verkehrswertes – oder, nach der wohl herrschenden Meinung, unterhalb des Buchwertes – an den Gesellschafter übertragen, muss er ihn auch dann erstatten bzw. beim Untergang des Vermögensgegenstandes Ersatz leisten, wenn die Gläubigergefährdung anschließend beseitigt wird. Relevant wird dies immer erst in der Insolvenz, wenn sich später die Vermögensverhältnisse wieder verschlechtern. Bei dem Gesellschafterdarlehen konkurrieren somit der Anspruch aufgrund von § 31 GmbHG mit dem darlehensvertraglichen Anspruch. Wie beim Hin- und Herzahlen im Rahmen der Kapitalaufbringung, wenn die Einlage sofort als Darlehen an den Inferenten wieder ausgereicht wird, wird man auch hier annehmen müssen, dass eine Zahlung an die Gesellschaft mit der Zweckbestimmung „Darlehenstilgung“ zugleich die Haftungsverbindlichkeit erlöschen lässt (Allerdings hatte der BGH dies beim Hin- und Herzahlen mit der Nichtigkeit der Darlehensverbindlichkeit begründet, s.o. Rz. 11 ff., und sich nicht mit der Frage auseinandersetzen müssen, dass mit einer Leistung zwei nebeneinander bestehende Verbindlichkeiten getilgt werden.). Die Haftung wegen einer Einlagenrückgewähr wird schließlich durch eine subsidiäre 80 Ausfallhaftung der Mitgesellschafter gesichert. Sie ist auf die Stammkapitalziffer be1 BGH v. 27.11.2000 – II ZR 83/00, ZIP 2001, 157. 2 BGH v. 29.5.2000 – II ZR 118/98, ZIP 2000, 1251.
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Gesellschafterberatung
schränkt1. Anderenfalls müssten die Gesellschafter unüberschaubare Risiken tragen; denn eine Einlagenrückgewähr liegt auch dann vor, wenn eine bilanzielle Überschuldung eingetreten ist2. Müssten die Gesellschafter bei einem Ausfall des primär Erstattungspflichtigen die gesamte Differenz zum Stammkapital ausgleichen, müssten sie u.U. wesentlich mehr zahlen, als sie ursprünglich als Risikobeitrag mit ihrer Beteiligung zu leisten bereit waren. Deshalb ist die Haftung neben der absoluten Beschränkung auf die Stammkapitalziffer auch noch proratarisch in Höhe der jeweiligen Beteiligung ausgestaltet3, wobei es allerdings wieder eine „Ausfallhaftung für den Ausfall“ gibt, wenn ein anderer Gesellschafter seiner subsidiären Haftung nicht nachkommen kann, § 31 Abs. 3 GmbHG. Ein gegen den Gesellschafter, an den die Rückgewähr erfolgte, rechtskräftig ergangenes Urteil wirkt nicht gegen die Mitgesellschafter4. c) Drittbeteiligung 81 Der Haftung gemäß §§ 30 f. GmbHG wird in der Praxis häufig versucht zu entgehen, indem Leistungen nicht an den Gesellschafter, sondern an einen möglichst „unverdächtigen“ Dritten gewährt werden. Geschieht dies auf Veranlassung des Gesellschafters, ist die Dreiecksbeziehung Gesellschafter – Gesellschaft – Dritter wie im Schuldrecht bei einer „abgekürzten“ Lieferung zu behandeln. Es liegt eine Einlagenrückgewähr an den Gesellschafter vor5. Gleiches gilt für Leistungen an den Treugeber des formellen Gesellschafters6 und an den mittelbar über eine Tochtergesellschaft beteiligten Gesellschafter7, weil in beiden Fällen der Geschäftsanteil für die Rechnung des „Hintermanns“ gehalten wird. Gleiches gilt aber auch für Leistungen an Schwestergesellschaften, an denen der Gesellschafter maßgeblich8, also i.d.R. zu mehr als 50 %9 beteiligt ist. 82 Von der Frage, ob Leistungen an Dritte dem Gesellschafter zuzurechnen und deshalb als Einlagenrückgewähr zu behandeln sind, ist die Frage zu unterscheiden, ob der Gesellschafter und/oder der Dritte haftet. Der Gesellschafter haftet in jedem Fall10, der Dritte hingegen nur, wenn er wie ein Gesellschafter zu behandeln ist. Dem ist so bei der schuldrechtlich (Treuhand) oder gesellschaftsrechtlich (über Tochtergesellschaft) vermittelten Beteiligung11. Ansonsten sind Dritte nicht Adressat des Kapitalerhaltungsgebots. Sie müssen die ihnen gewährten Leistungen nicht gemäß §§ 30 f. GmbHG erstatten, selbst wenn sie den Verstoß kennen. Dann allerdings kommt eine Unwirksamkeit der Verfügung wegen kollusiven Zusammenwirkens zwischen Empfänger und Geschäftsführer in Betracht12. Relevant wird das bei einer Insolvenz des Gesellschafters, wenn dann direkt auf den Dritten zugegriffen werden soll. Ein typischer Fall in der Praxis ist die Stellung von Sicherheiten aus dem Vermögen der Gesellschaft für Verbindlichkeiten des Gesellschafters. Das Verbot der Einlagenrückgewähr kann der sicherungsnehmenden Bank nicht entgegengehalten werden13. 83 Für den aktienrechtlichen Vertragskonzern bestimmt § 291 Abs. 3 AktG, dass Leistungen aufgrund eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages nicht als
1 BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, ZIP 2002, 848. 2 BGH v. 17.3.1980 – II ZR 11/79, BGHZ 76, 326; BGH v. 8.7.1985 – II ZR 269/84, NJW 1985, 2947; BGH v. 5.2.1990 – II ZR 114/89, NJW 1990, 1730. 3 BGH v. 22.9.2003 – II ZR 229/02, ZIP 2003, 2068. 4 BGH v. 8.11.2004 – II ZR 362/02, ZIP 2005, 121. 5 BGH v. 29.3.1973 – II ZR 25/70, BGHZ 60, 324. 6 BGH v. 16.12.1991 – II ZR 294/90, NJW 1992, 1167. 7 Roth/Altmeppen, GmbHG, § 30 Rz. 31 ff., 61 ff. 8 BGH v. 22.10.1990 – II ZR 238/89, NJW 1991, 1057; BGH v. 13.11.1995 – II ZR 113/94, ZIP 1996, 68. 9 BGH v. 21.6.1999 – II ZR 70/98, ZIP 1999, 1340. 10 BGH v. 28.2.2005 – II ZR 103/02, ZIP 2005, 660 für die analoge Anwendung der §§ 30 f. GmbHG auf die Rückgewähr bei Eigenkapitalersatz. 11 Roth/Altmeppen, GmbHG, § 30 Rz. 31 ff., 61 ff. 12 Roth/Altmeppen, GmbHG, § 30 Rz. 41 ff. 13 BGH v. 19.3.1998 – IX ZR 22/97, ZIP 1998, 793.
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Verstoß gegen das aktienrechtliche Verbot der Einlagenrückgewähr gelten. Eine vor Einführung des MoMiG verbreitete Meinung in der Literatur wollte das auch auf die GmbH anwenden1. Dem stimmte der BGH für die unmittelbare Anwendung der §§ 30 f. GmbHG zu und schränkte dies nur für die analoge Anwendung auf die Rückgewähr eigenkapitalersetzender Leistungen ein2. Dieser Auffassung hat sich auch der Gesetzgeber durch das MoMiG angeschlossen, indem er § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG einführte. d) Beurteilungszeitpunkt Der Zeitpunkt für die Beurteilung der Haftungsvoraussetzungen ist unterschiedlich. 84 Geht es um die Frage, ob durch die Einlagenrückgewähr eine Unterbilanz entsteht oder vertieft wird, kommt es auf den Zeitpunkt der Zahlung an3. Für die Gesellschaftereigenschaft des Empfängers ist hingegen der (frühere) Zeitpunkt der Vereinbarung maßgebend4. Diese unterschiedlichen Stichtage werden deshalb zugrunde gelegt, weil ein Leistungsaustausch, der einem Drittvergleich – Übertragung zum Verkehrswert – nicht standhält, nur wegen des gesellschaftsrechtlichen Einflusses des Empfängers zustande kommt, wofür die Gesellschafterstellung im Zeitpunkt der Vereinbarung maßgebend ist. Eine Gläubigergefährdung tritt hingegen nur ein, wenn im Zeitpunkt der Auszahlung die bilanziellen Verhältnisse angespannt sind, also eine Unterbilanz existiert oder herbeigeführt wird. Weil sich auch dann erst die Gläubigergefahr konkretisiert, ist bei der Ausfallhaftung der Mitgesellschafter ebenfalls auf den Auszahlungszeitpunkt für die Prüfung der Mitgesellschaftereigenschaft abzustellen5. Nicht ganz wertungsparallel mit diesen Erwägungen zieht der BGH für die Frage, ob der Empfänger dem Gesellschafter zuzurechnen ist, ebenfalls die Verhältnisse im Zeitpunkt der Auszahlung heran6. Konsistent wäre es demgegenüber, auch hier an dem (früheren) Zeitpunkt anzusetzen, in dem die Leistungsfrist begründet wird. Nur so können Umgehungen vermieden werden. IV. Existenzvernichtung, Unternehmensbestattung 1. Gesellschafterhaftung wegen Existenzvernichtung Die Grundlagen für die Existenzvernichtungshaftung legte der BGH 2001 im Bremer 85 Vulkan-Urteil7. Wenig später konkretisierte er die Voraussetzungen insbesondere im KBV-Urteil dahingehend, dass die Gesellschafter sich nicht auf die Haftungsbeschränkungen des § 13 Abs. 2 GmbHG berufen dürfen, wenn sie das Prinzip der Trennung zwischen Gesellschafter- und Gesellschaftsvermögen und damit einhergehend die vorrangige Bindung des Gesellschaftsvermögens an die Gläubigerbefriedigung missachten8. „Die unbegrenzte Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs setzt weiter voraus, dass die der Gesellschaft zugefügten Nachteile nicht nach den Regeln der §§ 30 f. GmbHG ausgeglichen werden können und der Gesellschafter nicht nachweisen kann, dass der Gesellschaft im Vergleich zu der Vermögenslage bei einem redlichen Verhalten nur ein begrenzter – und dann in diesem Umfang auszugleichender – Nachteil entstanden ist“9.
Die Existenzvernichtungshaftung war somit eine eigenständige, durch die vermeintli- 86 chen Schutzlücken der §§ 30 f. GmbHG legitimierte Rechtsfigur, die eine unmittelbare sowie unbegrenzte Außenhaftung des Gesellschafters gegenüber dem Gläubiger bedeutete, aber wiederum von der Außen- in die Innenhaftung „zurückkippen“ konn-
1 Überblick bei Roth/Altmeppen, GmbHG, § 30 Rz. 54 ff. 2 BGH v. 10.7.2006 – II ZR 238/04, ZIP 2006, 1488. 3 BGH v. 11.12.1989 – II ZR 78/99, NJW 1990, 1109; BGH v. 22.10.1990 – II ZR 238/99, NJW 1991, 1057. 4 BGH v. 24.3.1954 – II ZR 23/53, BGHZ 13, 49; BGH v. 13.7.1981 – II ZR 256/79, BGHZ 81, 252. 5 BGH v. 13.5.1996 – II ZR 275/95, ZIP 1996, 1248. 6 BGH v. 13.11.1995 – II ZR 113/94, ZIP 1996, 68. 7 BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, ZIP 2001, 1874. 8 BGH v. 24.6.2002 – II ZR 300/00, ZIP 2002, 1578 („KBV“). 9 Leitsatz BGH v. 13.12.2004 – II ZR 206/02, ZIP 2005, 117.
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te, wenn der Gesellschafter nachwies, dass der Gesellschaft nur ein begrenzter Nachteil entstanden war. Diese Gemengelage von Außen- und Innenhaftung, unbegrenzter und begrenzter Einstandspflicht sowie Beweislast des Gläubigers und Beweislast des Gesellschafters hat der BGH schließlich als unglücklich angesehen. Mit Urteil vom 16.7.20071 gab er die Existenzvernichtungshaftung als eigenständiges Rechtsinstitut auf und integrierte sie in § 826 BGB, jedoch nicht als Außen-, sondern als Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft; denn die Verletzung der Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens, die Voraussetzung für die bisherige Haftung war und nunmehr auch im Rahmen von § 826 BGB bleibt, richtet sich gegen sie, nicht gegen den Gläubiger. Die Rechtsfolgen sind mit denen der §§ 30 f. GmbHG identisch, soweit es um die Rückgewähr des Erlangten bis zum Ausgleich der Unterbilanz geht. Außer für die Einbeziehung der an dem Eingriff mitwirkenden Gesellschafter (§ 830 BGB), die nichts empfangen haben und die deshalb nur die begrenzte Ausfallhaftung des § 31 Abs. 3 GmbHG treffen würde, wird die nunmehr als Fallgruppe innerhalb § 826 BGB angesiedelte Existenzvernichtungshaftung für erforderlich gehalten, um Schädigungen der Gesellschaft zu erfassen, die wegen des Buchwertprinzips nicht unter §§ 30 f. GmbH fallen. 87 Oben bei den Kapitalerhaltungsgrundsätzen wurde gezeigt, dass die §§ 30 f. GmbHG nach der hier vertretenen Auffassung auch die Entnahme stiller Reserven abdecken. Von diesen Vorschriften nicht erfasst werden nur noch Folgeschäden, die dadurch entstehen, dass der Gesellschaft einige oder alle für die Fortsetzung ihrer Tätigkeit wesentliche Betriebsgrundlagen entzogen werden und deshalb Leerkosten anfallen. Es handelt sich gleichsam um eine Haftung für die „kalte“, also nicht den §§ 70 ff. GmbHG entsprechende Liquidation. Deshalb konkurriert die Gesellschafterhaftung auch regelmäßig mit der Geschäftsführerhaftung des § 64 GmbHG (s. § 2 Rz. 41 ff.). Während die Geschäftsführerhaftung jedoch für jedwede Vermögensverfügung nach Eintritt des Insolvenzgrundes eingreift – wobei nach der hier vertretenen Auffassung sogar die dadurch erfolgte Herbeiführung ausreicht –, werden die Gesellschafter erst einbezogen, wenn sie einen gezielten, betriebsfremden Eingriff2 vornehmen. Dem Gesellschafter stehen mittelbar beteiligte Gesellschafter gleich, falls sie den unmittelbar beteiligten Gesellschafter beherrschen3. Managementfehler hingegen, mögen sie auch noch so ruinös sein oder auf einer Gesellschafterweisung beruhen, begründen keine Haftung4. Daran hat sich durch die Verortung der Existenzvernichtungshaftung bei § 826 BGB nichts geändert. 88 Wegen der erforderlichen Zielgerichtetheit lag schon bisher zugleich eine sittenwidrige Schädigung der Gläubiger durch die Verminderung des Haftungsfonds vor5. Aufgrund dieser Parallelität wurde in der Literatur deshalb bereits vor der Rechtsprechungsänderung vorgeschlagen, die Existenzvernichtungshaftung im Rahmen des § 826 BGB zu behandeln6. Diese Vorschrift hatte der BGH schon als Anknüpfungspunkt für eine Haftung Dritter herangezogen, wenn der Eingriff zu seinen Gunsten erfolgte7. Deshalb ist es nur konsequent, dass er nunmehr den existenzvernichtenden Eingriff als eigenständige Haftungsfigur aufgegeben hat. § 826 BGB greift nur bei vorsätzlichem Handeln ein. Wie für den sonstigen Anwendungsbereich dieser Deliktsnorm8 genügt auch hier dolus eventualis9. 89 Unabhängig davon hat die strafgerichtliche Rechtsprechung schon lange vor der Judikatur zur Existenzvernichtungshaftung anerkannt, dass ein gegen § 30 GmbHG verstoßender Entzug von Gesellschaftsvermögen eine strafbare Untreue gemäß § 266
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BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, DB 2007, 1802. BGH v. 13.12.2004 – II ZR 256/02, ZIP 2005, 250. BGH v. 13.12.2004 – II ZR 206/02, ZIP 2005, 117; BGH v. 13.12.2004 – II ZR 256/02, ZIP 2005, 250. BGH v. 13.12.2004 – II ZR 256/02, ZIP 2005, 250. BGH v. 13.12.2004 – II ZR 206/02, ZIP 2005, 117. Dauner-Lieb, DStR 2006, 2034 ff. BGH v. 20.9.2004 – II ZR 302/02, ZIP 2004, 2138. Palandt/Sprau, BGB, § 826 Rz. 10. BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, DB 2007, 1802.
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StGB darstellt. Ein Einverständnis aller Gesellschafter ändert daran nichts, da sie über die Kapitalerhaltungspflicht nicht disponieren dürfen1. Inzwischen hat der 5. Strafsenat die Übereinstimmung der Voraussetzungen für die Existenzvernichtungshaftung mit denen für die strafbare Untreue ausdrücklich bestätigt2. § 266 StGB ist ein Schutzgesetz zugunsten der GmbH. Damit erhält die Gesellschaft sowohl gegen den Geschäftsführer als auch – gemäß § 830 BGB als dessen Teilnehmer – gegen den Gesellschafter einen weiteren deliktischen Haftungsanspruch, der vom Gläubiger gepfändet werden kann. Anders als nach der früheren Rechtsprechung zur Haftung im qualifiziert faktischen 90 Konzern muss es sich bei dem Gesellschafter nicht mehr um einen Unternehmer handeln. Jetzt ist nicht einmal mehr erforderlich, dass er Mehrheitsgesellschafter ist. Stattdessen reicht es aus, dass der Gesellschafter an dem Eingriff mit dolus eventualis beteiligt ist. Entgegen der Aussage in einem Urteil zur bisher eigenständigen Existenzvernichtungshaftung3 genügt es wohl nicht, dass der Mitgesellschafter den Eingriff pflichtwidrig nicht verhindert hat. Ansonsten bilden neben den Urteilen zur Existenzvernichtungshaftung weiterhin die früheren zur Haftung im qualifiziert faktischen Konzern4 Sachverhalte ab, in denen die Haftung auch jetzt eingreifen dürfte. Häufig taucht die Frage auf, ob Umstrukturierungen im Konzern eine Existenzver- 91 nichtungshaftung begründen, wenn dadurch die Insolvenz ausgelöst wird. Das ist zu verneinen, falls die betroffene Konzerngesellschaft nicht selbstständig lebensfähig ist; denn kein Gesellschafter ist verpflichtet, die andere mit Aufträgen zu alimentieren. Eine Fortführungspflicht gibt es „grundsätzlich“5 nicht. Die Herausnahme von Vermögensgegenständen muss aber dem Drittvergleich standhalten und die Liquidations- bzw. Insolvenzantragsvorschriften müssen beachtet werden. In der Regel entstehen durch den Auftragsentzug oder die Herausnahme Leerkosten, weil Mitarbeiter nicht mehr beschäftigt werden können. Sie sind in dem Moment, in dem die Umstrukturierungsentscheidung getroffen wurde, im Überschuldungsstatus als Rückstellung zu erfassen, so dass regelmäßig schon vor Vollzug der Umstrukturierung ein Insolvenzgrund eintritt, da auch keine positive Fortführungsprognose mehr gegeben ist. Die Geschäftsführer sind dann verpflichtet, unverzüglich einen Insolvenzantrag zu stellen. Die drei-Wochen-Frist des § 15a Abs. 1 InsO dürfen sie nicht ausnutzen, weil eine Beseitigung des Insolvenzgrundes aus eigener Kraft in diesen Konstellationen regelmäßig unmöglich ist. Wenn sie gleichwohl vor dem Antrag noch schnell vollendete Tatsachen schaffen, trifft sie gemäß § 64 Satz 2 GmbHG die Beweislast, dass dies nicht zum Nachteil der künftigen Masse geschah. Eine gesonderte Fallgruppe der Existenzvernichtungshaftung im Rahmen des § 826 92 BGB zu bilden, hat nur Sinn, wenn die künftige Rechtsprechung dem Gläubiger eine wesentliche Beweiserleichterung zubilligt6; denn für ihn sind die Vermögensverhältnisse der Gesellschaft eine „black box“. Gilt das schon für die „normale“ Gesellschaft, so gilt das erst recht für die Gesellschaft, die die Gesellschafter zum eigenen Vorteil entleeren, um sie anschließend in die masselose Insolvenz zu schicken. Dann wird alles getan, um die Vorgänge zu verdunkeln. Effizient wäre die Existenzvernichtungshaftung deshalb nur, falls man sie auch als eine Intransparenzhaftung ansehen würde, also eine Haftung für Vermögensvermischung7 und Waschkorbanlagen8. Zwar reicht auch dann ein Missmanagement in Form einer schlampigen Buchhaltung nicht aus. Es sollte aber genügen nachzuweisen, dass die Gesellschafter auf das Vermögen zugegriffen und die Intransparenz veranlasst haben. Die existenzvernichtenden Kon-
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BGH v. 24.8.1988 – 3 StR 232/88, NJW 1989, 112; BGH v. 10.7.1996 – 3 StR 50/96, NJW 1997, 66. BGH v. 13.5.2004 – 5 StR 73/03, ZIP 2004, 1200 („Bremer Vulkan“). BGH v. 24.6.2002 – II ZR 300/00, ZIP 2002, 1578. Beispiele bei Scholz/Bitter, GmbHG, § 13 Rz. 152 ff. BGH v. 13.12.2004 – II ZR 206/02, ZIP 2005, 117. Roth/Altmeppen, GmbHG, § 13 Rz. 96 ff. BGH v. 14.11.2005 – II ZR 178/03, ZIP 2006, 467; Altmeppen, ZIP 2002, 1553; Altmeppen, ZIP 2005, 119. 8 Gottwald/Haas, § 91 Rz. 25.
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sequenzen müssten dann nicht auch noch zusätzlich dargelegt werden, wozu der Gläubiger kaum in der Lage wäre. Vielmehr wäre es an dem Gesellschafter vorzutragen, dass nur ein begrenzter Nachteil entstanden ist. Insofern sollten die Erwägungen in den zur bisherigen Existenzvernichtungshaftung ergangenen Urteilen1 auch jetzt noch Berücksichtigung finden. Die Zuständigkeit des Insolvenzverwalters zur Durchsetzung der Haftung erhöht die Effizienz. Der BGH sieht sie auch im Rahmen des § 826 BGB als reine Innenhaftung an, so dass sich die Aktivlegitimation des Verwalters aus § 80 InsO ergibt, ohne dass es des bisherigen Rückgriffs auf § 93 InsO bedarf. 2. Unternehmensbestattung2 93 Ein existenzvernichtender Eingriff wird häufig kombiniert mit einer Unternehmensbestattung. Dafür werden die Geschäftsanteile an einen Gesellschafter übertragen, der sogleich bestätigt, sämtliche Unterlagen erhalten zu haben, um alsbald wieder Geschäftsanteile, Geschäftsführung und Unterlagen an den Nächsten weiterzureichen. Einige Gerichte halten die Anteilsabtretungen und Geschäftsführerwechsel wegen des sittenwidrigen Gesamtplans für nichtig3. Daran bestehen jedoch erhebliche Zweifel; denn für sich genommen sind die Maßnahmen wertneutral4, so dass wegen der Rechtssicherheit von einer Wirksamkeit ausgegangen werden sollte, weil für den Außenstehenden der sittenwidrige Gesamtplan nicht erkennbar ist. 94 Meist stellt der erste neue Geschäftsführer vor einer Weiterübertragung an den zweiten neuen Geschäftsführer noch schnell einen Insolvenzantrag. Wenn es später um die Aufklärung der Vermögensverhältnisse geht, kann der erste keine Informationen erteilen, weil er die Unterlagen schon weitergereicht hat – und der zweite ist ohne Telefonnummer im Ausland ansässig, wo sich auch die Unterlagen befinden sollen. Haftungstatbestände interessieren die beiden „Beerdigungs-Geschäftsführer“ weniger, weil der erste mittel- und der zweite heimatlos ist. Hier hilft nur, gemäß §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 2 InsO die vor Beginn der Beerdigung amtierenden Geschäftsführer zu befragen. Aus ihren Aussagen und einem Einblick in den Kontoverkehr, über den die Banken Unterlagen zur Verfügung stellen5, lassen sich häufig erste Anhaltspunkte für eine Haftung der letzten aktiven Geschäftsführer gemäß § 64 S. 1 u. 3 GmbHG gewinnen6. Erleichtert wird das durch die Rechnungslegungspflicht der Geschäftsführer, die zur Vermeidung einer persönlichen Haftung darlegen müssen, wie sie die in ihren Besitz gelangten Vermögensgegenstände verwendet haben7. Die Anhaltspunkte für eine Erstattungspflicht der Geschäftsführer reichen entweder für eine Verfahrenskostendeckung schon aus, so dass aus den nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingehenden Forderungsanmeldungen Rückschlüsse auf die geschäftlichen Aktivitäten vor der „Beerdigung“ gezogen werden können, oder aber die Geschäftsführer beginnen im Angesicht der eigenen Haftung zu erzählen, welche Vorteile die Gesellschafter erhalten haben. Selbst aber wenn die Geschäftsführer – häufig zugleich im Rahmen der „Beerdigung“ begünstigte Gesellschafter – alles „vergessen“ haben sollten, können sie sich zumindest an Namen von wesentlichen Mitarbeitern erinnern, die vom Insolvenzgericht gemäß § 5 Abs. 1 InsO als Zeugen vernommen werden können.
1 Insbesondere BGH v. 13.12.2004 – II ZR 206/02, ZIP 2005, 117 und v. 14.11.2005 – II ZR 178/03, ZIP 2006, 476. 2 Überblick bei Hirte, ZinsO 2003, 833. 3 AG Memmingen v. 2.12.2003 – HRB 8361, GmbHR 2004, 952; LG Potsdam v. 17.9.2004 – 25 Qs 11/04; LG Berlin v. 6.3.2006 – 14 O 448/05, ZIP 2006, 865. 4 OLG Karlsruhe v. 30.5.2005 – 15 AR 8/05, ZIP 2005, 1475; Pananis/Börner, GmbHR 2006, 513. 5 Das erfordert vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens allerdings die Erklärung des Geschäftsführers, dass die Bank von der Verschwiegenheitspflicht befreit ist. Zwar ist der Geschäftsführer hierzu mitwirkungspflichtig. De facto ist die Erklärung bei einem ausländischen Wohnsitz jedoch schwer zu erlangen. 6 Zu dem Einwand, haftungsträchtige Auszahlungen seien nur treuhänderisch für die GmbH von dem Empfänger entgegengenommen worden, vgl. LG Berlin v. 6.3.2006 – 14 O 448/05, ZIP 2006, 865. 7 OLG Stuttgart v. 30.5.2000 – 20 W 1/00, GmbHR 2000, 1048.
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Das Problem der Unternehmensbestattung ist kein Problem der materiellen Haf- 95 tungslücke, sondern ein Problem der formellen Beweislast; denn formaljuristische Haftungsgründe für die „kalte“ Liquidation gibt es genug. Neben die soeben dargestellte Existenzvernichtungshaftung gesellen sich die Schadensersatzansprüche wegen der Teilnahme an strafbaren Handlungen des Geschäftsführers. Eine andere, in der Diskussion über die Existenzvernichtungshaftung meist übersehene Anspruchsgrundlage ist die absolute Ausschüttungssperre des § 73 GmbHG. Sie ist zwar im 5. Abschnitt des GmbHG verortet, der u.a. die Liquidation betrifft. Deshalb setzt seine Anwendung aber genauso wenig wie die des § 64 GmbHG die formell beschlossene Liquidation voraus. Ausreichend sollte vielmehr schon die de facto zwischen den Gesellschaftern abgestimmte Liquidation sein. Anspruchsberechtigt ist nach herrschender Meinung die Gesellschaft. Ihre Ansprüche kann der Gläubiger pfänden, falls ihm mit einer Mindermeinung nicht ohnehin schon ein direktes Verfolgungsrecht zugestanden werden soll1. Im eröffneten Insolvenzverfahren ist für die Durchsetzung wegen der Sperrwirkung der §§ 92 f. InsO allein der Verwalter zuständig. Neben die gesellschafts- und deliktsrechtliche Haftung treten Ansprüche nach dem 96 Gläubiger- bzw. Insolvenzanfechtungsrecht. Geschäftsführende oder mit mehr als 25 % beteiligte Gesellschafter sind gemäß § 138 Abs. 2 Nr. 1 InsO nahestehende Personen der GmbH. Das Gleiche gilt für deren Angehörige, § 138 Abs. 2 Nr. 2 InsO. Ihnen gegenüber ist die Insolvenzanfechtung tatbestandlich erweitert (§ 133 Abs. 2 InsO) und hinsichtlich der subjektiven Voraussetzungen erleichtert (§§ 130 Abs. 1, 131 Abs. 2, 132 Abs. 3 InsO). Für die Gläubigerbenachteiligung außerhalb des Insolvenzverfahrens sah es der BGH als eine vorsätzliche Benachteiligung i.S.v. § 3 Abs. 1 AnfG an, wenn ein Anspruch – dort unter dem Gesichtspunkt des Eigenkapitalersatzes – gegen den Gesellschafter nicht geltend gemacht und dies durch eine Verlagerung der Geschäftsführung ins Ausland verdunkelt wird2. Zur Beweislast wird auf die Ausführungen zur Existenzvernichtungshaftung als Un- 97 terfall des § 826 BGB verwiesen. Der Vortrag über eine Verlagerung des Vermögens auf die Gesellschafter oder ihnen nahestehende Personen sowie über die Verschleierung der wirtschaftlichen Verhältnisse sollten genügen, um die Darlegungs- und Beweislast für eine Begrenzung der Haftung den Gesellschaftern aufzubürden. Natürlich muss die Verlagerung eine gewisse Erheblichkeit haben. Die private Bewirtung des Gesellschafters auf Kosten der Gesellschaft reicht nicht aus. Umgekehrt ist aber auch nicht erforderlich, dass eine Existenzvernichtung im konkreten Fall nachgewiesen wird. Sie muss nach dem Eindruck des Gläubigers von der Geschäftstätigkeit der GmbH nur als möglich erscheinen. Außerdem ist eine gewisse zeitliche Nähe zum Beerdigungsvorgang erforderlich, die in der Praxis regelmäßig gegeben ist. Schließlich bedarf es des Nachweises der Gesellschafterveranlassung, der aber regelmäßig durch die eigene Begünstigung indiziert wird. Wo die Rechtsprechung die Grenze zwischen Beweislast des Gläubigers bzw. Insolvenzverwalters einerseits und aufgrund von Anknüpfungstatsachen indizierter sekundärer Behauptungslast der Gesellschafter ziehen wird, werden erst die Einzelfallentscheidungen der Zukunft zeigen. Die Beratungspraxis jedenfalls sollte sich darauf einstellen, dass die „Entsorgung“ einer Gesellschaft mit hohen Haftungsgefahren für Geschäftsführer und Gesellschafter sowohl zivil- als auch strafrechtlicher Art verbunden ist. Aber auch für den Anwalt ist es riskant. Er schuldet die Aufklärung über die Insolvenzantragspflicht3. Wirkt er beratend an den Bestattungsmaßnahmen mit, kann er sich einer Beihilfe zur Insolvenzverschleppung und zur Untreue schuldig machen mit der Folge, dass er gemäß §§ 823 Abs. 2, 830 BGB in den Kreis der Haftungsschuldner einbezogen wird4. Seinen Beer-
1 Roth/Altmeppen, GmbHG, § 73 Rz. 29. 2 BGH v. 22.12.2005 – IX ZR 190/02, ZIP 2006, 243 m. Erläuterung Cierniak, DB 2006, 1997 sowie Anm. Spliedt, DZWIR 2006, 209. 3 BGH v. 26.10.2000 – IX ZR 289/99, ZIP 2001, 33. 4 Pananis/Börner, GmbHR 2006, 513.
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Gesellschafterberatung
digungslohn, dessen Zahlung zu Lasten der Gesellschaft meist als eine der letzten Geldverwendungen am leichtesten erkennbar ist, muss er ohnehin erstatten1. V. Besonderheiten im Kapitalschutzsystem der AG 1. Überblick 98 Für die Kapitalaufbringung bei der AG gelten im Wesentlichen dieselben Grundsätze wie bei der GmbH. Auch bei der AG wird zwischen Bar- und Sachgründung (§§ 27, 54 Abs. 2 AktG) sowie zwischen Mindest- und Resteinlage (§ 36a Abs. 1 AktG) unterschieden. Ein Aufrechnungs- und Erlassverbot (§ 66 AktG) ist ebenso vorhanden wie das Erfordernis einer freien Verfügbarkeit des Vorstands über die Anlageleistung (§§ 36 Abs. 2, 54 Abs. 3 AktG). Die Kapitalaufbringung ist durch eine Ausfallhaftung gesichert (§ 65 AktG) und die Kapitalerhaltung durch ein Verbot der Einlagenrückgewähr (§ 57 AktG). § 57 AktG wurde im Rahmen der Änderungen des MoMiG auch auf die Fälle des Cash-Poolings angepasst. Der neu eingefügte Absatz 1 Satz 2 normiert eine Ausnahme von Satz 1 für die Fälle der Beherrschungs- sowie Gewinnabführungsverträge sowie die Zahlungen an Aktionäre, die durch vollwertige Gegenleistungen oder Rückgewähransprüche abgesichert sind. Auch die Handelndenhaftung (§ 41 Abs. 1 AktG), die mit der Eintragung der AG im Handelsregister durch die Unterbilanzhaftung ersetzt wird2, ist mit dem GmbH-Recht vergleichbar. Für die Einzahlungen bei Kapitalerhöhungen gelten die Ausführungen zur GmbH ebenfalls entsprechend3. 99 Unterschiede zur GmbH gibt es nur, soweit es der Zweck der AG erfordert, eine „Kapitalsammelstelle“ für untereinander meist nicht verbundene Investoren zu sein. Daraus folgt die Reduzierung der Ausfallhaftung von Aktionären für Verstöße anderer bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung sowie – gleichsam als Kompensation – eine größere Formstrenge zur Gewährleistung des Kapitalschutzes4 und eine Erweiterung des geschützten Eigenkapitals. 2. Kapitalaufbringung, Nachgründung, Wandlungsrechte 100 Die Reduzierung der Ausfallhaftung schlägt sich schon bei der Gründung nieder. Zwar gibt es ebenfalls eine Kaduzierung der Aktien von säumigen Aktionären (§ 64 AktG). Die Haftung für rückständige Einlagen trifft jedoch nur die Vormänner (§ 65 AktG), nicht auch die Mitaktionäre. Es ist sogar ein gutgläubiger Erwerb mit Enthaftungsfolge möglich, wenn trotz unvollständiger Einzahlungen entgegen § 10 AktG keine Namensaktien oder Zwischenscheine, sondern Inhaberaktien ausgegeben werden5. 101 Einen besonderen Schutz vor der verschleierten Sachgründung soll die Nachgründungsvorschrift bewirken. Gemäß § 52 AktG bedürfen Verträge mit Gründern oder zu mehr als 10 % beteiligten Aktionären einer Zustimmung der Hauptversammlung und der Eintragung des Beschlusses, wenn in den ersten zwei Jahren seit Entstehung der AG Vermögensgegenstände zum Preis von mehr als 10 % des Grundkapitals erworben werden. Außerdem ist ein Nachgründungsbericht und eine Nachgründungsprüfung vorzunehmen (§ 52 Abs. 2, 3 AktG). Fehlt die Zustimmung der Hauptversammlung oder die Handelsregistereintragung, sind sowohl der schuldrechtliche Vertrag als auch die dinglichen Vollzugsgeschäfte unwirksam. Ein Verstoß gegen § 52 AktG ist wie eine verdeckte Sacheinlage zu behandeln mit der Folge, dass die Einlage als nicht geleistet gilt. Hat die Gesellschaft über den Einlagebetrag hinausgehende Zahlungen für Leistungen des Aktionärs vorgenommen (gemischte Sacheinlage), sind die beiderseitigen Ansprüche nach Bereicherungsrecht zu saldieren, soweit kei1 2 3 4
LG Berlin v. 6.3.2006 – 14 O 448/05, ZIP 2006, 865 i.V.m. der Geschäftsführerhaftung. Vgl. Hüffer/Koch, AktG, § 41 Rz. 2, 8 ff. Vgl. Hüffer/Koch, AktG, § 188 Rz. 5 ff. Z.B. Gründungsprüfung und -Bericht, §§ 33 f. AktG, unabhängige Sacheinlagenprüfung, §§ 33 Abs. 2 Nr. 4, 183 Abs. 3 AktG, Einzahlungsbestätigung der Bank, § 37 Abs. 1 AktG. 5 Hüffer/Koch, AktG, § 10 Rz. 6.
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ne dinglichen Ansprüche des Inferenten eingreifen. § 62 AktG findet entgegen verbreiteter Auffassung auf die Nachgründung ebensowenig Anwendung wie auf die verschleierte Sacheinlage bei der Neugründung. Selbst in der Insolvenz ist die Saldierung noch zulässig, weil es sich um keine Aufrechnung gemäß § 94 InsO handelt1. Der Vorstand haftet gemäß § 93 Abs. 3 AktG. Keine Nachgründung liegt vor bei gewöhnlichen Umsatzgeschäften, § 52 Abs. 9 AktG. Die Nachgründungsvorschriften sind zusätzlich zu berücksichtigen, wenn innerhalb von zwei Jahren eine Sachkapitalerhöhung von den Altaktionären gezeichnet wird. Die harte Konsequenz der Nachgründungsvorschrift wird dadurch etwas entschärft, 102 dass der Vorstand den Vertrag nach Ablauf der zwei Jahre ohne Einhaltung der genannten Voraussetzungen neu schließen darf2, was allerdings voraussetzt, dass die damals vereinbarten Leistungen noch wertgleich erbracht werden können. Zu einer besonderen Form der Sacheinlage berechtigen Wandelschuldverschreibun- 103 gen und Wandelgenussrechte. Sie berechtigen den Inhaber, statt einer Rückzahlung des Kapitals am Ende oder schon während der Laufzeit die Lieferung einer bestimmten Anzahl von Aktien zu verlangen, § 221 Abs. 1, 3 AktG. Um die Wandlung durchführen zu können, wird bei der AG i.d.R. eine bedingte Kapitalerhöhung beschlossen, § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG3. Die Wandlung vollzieht sich dann als Bezugserklärung gemäß § 198 AktG. Die für die Gewährung der Aktie geschuldete Einlage wird durch den „Umtausch“ (§ 221 Abs. 1 AktG) der Schuldverschreibung bzw. des Genussscheines erbracht. § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG befreit ihre „Hingabe“ ausdrücklich von den Sacheinlagevorschriften. Die Vollwertigkeitskontrolle findet vielmehr durch die Ausgabekonditionen für die Schuldverschreibung statt, § 199 Abs. 2 AktG. Das gilt allerdings nur, soweit – wie regelmäßig – der Gegenwert der Schuldverschreibung in bar zu entrichten ist. Sind ausnahmsweise Sachleistungen zu erbringen, gilt das Privileg des § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht4. Neben den Wandelschuldverschreibungen und -genussrechten hat die Praxis insbesondere für börsennotierte Aktiengesellschaften eine Vielzahl von Derivaten entwickelt, für die das Vorstehende entsprechend gilt, solange die als Einlage eingebrachten Forderungen nicht gewinn- oder verlustabhängig sind5 (z.B. Genussrecht mit Verlustbeteiligung, Gewinnanteile bei Gewinnschuldverschreibung). Dann finden auf den erfolgsabhängigen Teil die Sacheinlagevorschriften Anwendung. Das Gleiche gilt, wenn für schon bestehende Anleihen nachträglich ein Wandlungsrecht eingeräumt wird. Auch dann richtet sich die Wandlung nach den Sacheinlagevorschriften. Dem Umfang nach erstrecken sich die Kapitalaufbringungsvorschriften bei der AG 104 im Gegensatz zur GmbH nicht nur auf das im Handelsregister eingetragene Grundkapital, sondern auch auf das über den geringsten Ausgabebetrag (§ 9 Abs. 1 AktG) hinaus angesetzte Aufgeld, §§ 36 Abs. 2, 36a Abs. 1, 188 Abs. 2 AktG. Das Aufgeld i.S.d. § 9 Abs. 2 AktG ist zu unterscheiden von dem Mehrbetrag, der auf- 105 grund einer schuldrechtlichen Zusatzvereinbarung6 zu entrichten ist. Sie ist die in der Praxis übliche Form, wenn Aktien aus einer Kapitalerhöhung durch ein Emissionshaus übernommen werden, um sie bei alten und neuen Aktionären zu plazieren (vgl. § 186 Abs. 5 AktG). Der wirtschaftliche Hintergrund ist, dass bei dieser Gestaltung nur ein Viertel des geringsten Ausgabebetrages (§§ 9 Abs. 1, 36 Abs. 2, 36a Abs. 1 AktG) gezahlt werden muss, um die Anmeldung der Kapitalerhöhung vornehmen zu dürfen. Die Restzahlung einschließlich Aufgeld wird bei der anschließenden Platzierung von der Emissionsbank „eingesammelt“ und (abzüglich ihrer Provision) an die AG abgeführt. Der formaljuristische Unterschied zwischen Agio gemäß § 9 Abs. 2 1 BGH v. 9.7.2007 – II ZR 62/06, ZIP 2007, 1751; Habersack, ZGR 2008, 48 ff. 2 Hüffer/Koch, AktG, § 52 Rz. 7. 3 Denkbar ist auch, die Wandlungsrechte aus einer regulären oder genehmigten Kapitalerhöhung zu bedienen, was zu einem anderen Ablauf der Wandlung mit Zeichnung der neuen Aktien in der Form des § 185 AktG führt. 4 Hüffer/Koch, AktG, § 194 Abs. 4. 5 Münch.Hdb.AG/Krieger, § 57 Abs. 24. 6 Dazu Hüffer/Koch, AktG, § 36a Rz. 2a.
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AktG und schuldrechtlicher Zusatzvereinbarung besteht in dem korporativen Charakter des Agio, das – anders als die schuldrechtliche Vereinbarung – auch den nachfolgenden Aktionär verpflichtet1. Wird das Agio nicht gezahlt, wird der Rechtsnachfolger vor seiner Haftung dadurch gewarnt, dass bis zur vollständigen Zahlung nur Namensaktien mit entsprechendem Vermerk oder Zwischenscheine ausgegeben werden dürfen, § 10 AktG. Wegen des korporativen Charakters wird überwiegend angenommen, dass sich eine Differenzhaftung bei einer überbewerteten Sacheinlage auch auf den zur Deckung des Aufgeldes erforderlichen Betrag erstreckt2. Bei der schuldrechtlichen Zusatzvereinbarung besteht hingegen eine Haftung nur der Emissionsbank aus der anlässlich der Zeichnung (§ 185 AktG) mit der Gesellschaft getroffenen schuldrechtlichen Vereinbarung. Die strengen Kapitalaufbringungsvorschriften finden auf die Zuzahlung keine Anwendung3. 3. Einlagenrückgewähr 106 Eine besonders starke Ausweitung des Vermögensschutzes im Vergleich zur GmbH sieht das Aktienrecht bei der Einlagenrückgewähr vor. Gemeinsam ist beiden zwar die Definition der Einlagenrückgewähr als jede vermögenswerte Zuwendung der Gesellschaft für Rechnung ihres Mitglieds, die einem Drittvergleich nicht standhält und deshalb als causa societatis angesehen werden muss. Ebenfalls gilt für beide Gesellschaftsformen die Buchwertbetrachtung. Während aber in der GmbH nur das bilanzielle Reinvermögen bis zur Höhe der Stammkapitalziffer geschützt ist, bezieht sich der Schutz bei der AG auf das gesamte bilanzierte Vermögen, § 57 AktG. Selbst bei einem stillschweigendem Einvernehmen sämtlicher Aktionäre ist jede Zuwendung verboten, die nicht in Form einer ordnungsgemäßen Verteilung des Bilanzgewinns oder einer Abschlagszahlung hierauf (§ 59 AktG) stattfindet. Anders als der ähnlich lautende § 30 GmbHG4 hielt die früher herrschende Meinung5 § 57 AktG für ein Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB. Damit seien sowohl das Verpflichtungs- als auch das Verfügungsgeschäft nichtig mit der Konsequenz, dass gegen den bevorteilten Aktionär dingliche Herausgabeansprüche bestehen, soweit das Erlangte bei ihm noch vorhanden ist. Das ist insbesondere von Bedeutung, wenn er insolvent wird. Die daneben bestehenden schuldrechtlichen Bereicherungsansprüche werden durch die Spezialregelung des § 62 AktG verdrängt6. 4. Ausfallhaftung 107 Mit der Situation bei der GmbH7 wiederum identisch ist die Haftung des Rechtsnachfolgers. Nach herrschender Meinung8 erfasst die Erstattungspflicht nicht auch den Einzelrechtsnachfolger des Aktionärs, weil sie den Empfänger persönlich trifft und nicht an der Mitgliedschaft hängt9. Jedenfalls für die AG ist dem zu folgen, weil der Rechtsnachfolger nicht in der Form des § 10 AktG (bei fehlender Volleinzahlung Ausgabe nur von Namensaktien oder Zwischenscheinen) gewarnt wird10. 108 Das AktG kennt mit Ausnahme der durch die Warnfunktion des § 10 AktG gemilderten „Vormännerhaftung“ des § 65 AktG nach Eintragung der AG keine allein aufgrund der Mitgliedschaft eingreifende Ausfallhaftung der Aktionäre für die Kapitalaufbringung oder die Kapitalerhaltung. Für die Einlagenrückgewähr haftet nach § 62 1 Vgl. zur gleichen Unterscheidung bei der GmbH: BGH v. 15.10.2007 – II ZR 216/06, ZIP 2007, 2416. 2 OLG Jena v. 12.10.2006 – W 452/06, ZIP 2006, 1989 ff. a.E.; GroßKommAktG/Röhricht, § 27 Rz. 105. 3 BGH v. 15.10.2007 – II ZR 249/06, DB 2008, 50. 4 Dazu BGH v. 23.6.1997 – II ZR 220/95, ZIP 1997, 1450. 5 Vgl. dazu Hüffer/Koch, AktG, § 57 Rz. 32 f. 6 KG Berlin v. 24.7.1998 – 14 U 2121/97, NZG 1999, 161; Hüffer/Koch, AktG, § 57 Rz. 32. 7 Dazu: Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, § 31 Rz. 5 ff. 8 Vgl. dazu Hüffer/Koch, AktG, § 62 Rz. 4. 9 In der GmbH haftet der Rechtsnachfolger jedoch als Ausfallschuldner, Baumbach/Hueck/ Fastrich, GmbHG, § 31 Rz. 21; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 31 Rz. 3 ff. 10 A.A. Münch.Hdb.AG/Wiesner, 174.
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AktG nur der Empfänger, nicht auch – anders als nach § 31 Abs. 3 GmbHG – der Mitaktionär. Es gibt nur eine Verhaltenshaftung. So haften die Gründer für falsche oder unvollständige Angaben zum Zwecke der Gründung (§ 46 AktG). Selbst die Unterbilanzhaftung entsteht – wie bei der GmbH – nicht allein aufgrund der Mitgliedschaft, weil das Einverständnis jedes Aktionärs mit der Aufnahme des Geschäftsbetriebes vor Eintragung der AG hinzukommen muss. Darüber hinaus haftet jeder Aktionär für eine schädigende Einflussnahme auf die Organe, § 117 AktG. Das gilt nicht nur für die Einlagenrückgewähr, sondern betrifft auch die Existenzvernichtungshaftung. Im Gegensatz zur GmbH gab es bei der AG für die Gesellschafterhaftung keine Odyssee, die mit unterschiedlichen Ausprägungen des qualifiziert faktischen Konzerns begann und über die Existenzvernichtungshaftung kürzlich wieder durch das Urteil vom 16.7.20071 auf § 826 BGB zurückgeführt wurde. Die im Rahmen des § 826 BGB relevanten Verhaltensweisen werden bei der AG genauso wie bei der GmbH eine Haftung begründen. Allerdings ist die Regelungsdichte im Aktienrecht wesentlich größer als bei der GmbH, was z.B. § 117 AktG und die Vorschriften zur Verantwortlichkeit eines herrschenden Unternehmens bei Fehlen eines Beherrschungsvertrages in §§ 311 ff. AktG zeigen, so dass jeweils der spezialgesetzliche Vorrang geprüft werden muss. VI. Haftung des Personengesellschafters 1. Überblick Das Haftungskonzept des Personengesellschaftsrechts – soweit es die nach außen auf- 109 tretende Außengesellschaft und nicht nur die Innengesellschaft betrifft – unterscheidet sich grundlegend von dem des Kapitalgesellschaftsrechts. Für die Kapitalgesellschaft gilt selbst dann, wenn sie nicht zur Eintragung gelangt, die Innenhaftung2. Demgegenüber gilt für die Personengesellschaft die unmittelbare Außenhaftung, § 128 HGB. Die im Kapitalgesellschaftsrecht erörterten Probleme bei der Kapitalaufbringung stellen sich nur für den Kommanditisten, der seine unmittelbare Außenhaftung durch die Leistung der Einlage im Innenverhältnis ablösen kann. Vorschriften über die Kapitalaufbringung und die Anforderungen an eine Sacheinlage – z.B. freie Verfügbarkeit, Verbot der verschleierten Sacheinlage, Aufrechnungsverbot – fehlen bei Personengesellschaften. Hier kommt es in erster Linie auf die Vermögenszuführung dem Werte nach an. Ansonsten herrscht Gestaltungsfreiheit, § 163 HGB. Die Formstrenge wird durch das Vollwertigkeitsprinzip ersetzt, wie es das MoMiG in § 19 Abs. 4 GmbHG sogar für die GmbH eingeführt hat. Auch die Konsequenzen der Einlagenrückgewähr, die für den unbeschränkt haftenden Gesellschafter ohnehin keine Rolle spielen, sind für den Kommanditisten einfacher gestaltet. Im Personengesellschaftsrecht gibt es keine Kapitalerhaltungsgarantie zu Gunsten der Gläubiger. Stattdessen ordnet § 172 Abs. 4 HGB schlicht an, dass die Einlage bei einer Rückgewähr als nicht geleistet gilt, was simpel und einfach zu der summenmäßig beschränkten Haftung des § 171 Abs. 1 HGB zurückführt. Sie wieder zu beseitigen, richtet sich erneut nach dem Innenverhältnis unter Berücksichtigung des Vollwertigkeitsprinzips. Die Reglementierungen, die im Rahmen von § 31 GmbHG bei der Einlagenrückgewähr ähnlich wie bei der Kapitalaufbringung bestehen, oder eine Ausfallhaftung der Mit-Kommanditisten fehlen; denn bei einer gesetzestypischen Ausgestaltung der KG sind die Gläubiger, so die Idee des historischen Gesetzgebers, durch die unbeschränkte persönliche Haftung des Komplementärs ausreichend geschützt. Eine Ergänzung durch Rechtsprechungsrecht bedurfte es nur für die GmbH & Co. KG, weil es hier wegen § 13 Abs. 2 GmbHG materiell an einer unbeschränkten Haftung fehlt. Deshalb werden die §§ 30 f. GmbHG in gewissem Umfang auch auf den Nur-Kommanditisten, der an der Komplementär-GmbH nicht beteiligt ist, analog angewendet.
1 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, DB 2007, 1802. 2 Es sei denn, dass die Gründungsgesellschafter nach Aufgabe der Eintragungsabsicht eine schon begonnene Geschäftstätigkeit fortsetzen. Dann greift ex tunc, das Haftungskonzept des Personengesellschaftsrechts und die ursprüngliche Innenhaftung schlägt auch für die bis dahin schon begründeten Verbindlichkeiten in eine Außenhaftung um.
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110 Auf den ersten Blick ist das Haftungskonzept des Personengesellschaftsrechts somit relativ einfach. Schwierig wird erst das Nebeneinander verschiedener Anspruchsgrundlagen. Im Außenverhältnis hat jeder Gläubiger einen Haftungsanspruch gegen den Gesellschafter, und zwar auch gegen den summenmäßig beschränkt haftenden Kommanditisten, §§ 171 Abs. 1, 161 Abs. 2, 128 HGB. Dieser Anspruch ist im Bestand und Umfang zwar von der gegen die Gesellschaft bestehenden Forderung abhängig, § 129 HGB. Er bildet gleichwohl aber eine eigenständige Haftungsgrundlage. 111 Parallel hat die Gesellschaft gegen den Gesellschafter einen Anspruch auf Leistung der Einlage, §§ 105 Abs. 3 HGB, 706 BGB. Das ist zwar nicht zwingend, weil es auch Gesellschafter ohne Vermögensbeteiligung bzw. Einlage gibt. Bei einer Arbeits- und Haftungsgemeinschaft ist es nicht einmal selten, dass nur einige Gesellschafter eine Einlage, also einen der Gläubigerbefriedigung zugänglichen Vermögenswert einbringen, während andere Gesellschafter Beiträge wie insbesondere ihre – ohne gesonderte Vereinbarung (§ 733 Abs. 2 Satz 2 BGB) unentgeltliche1 – Arbeitsleistung erbringen, die den Haftungsfonds nicht erhöhen (vgl. § 27 Abs. 2 Hs. 2 AktG). Auch andere Beitragsleistungen wie die Nutzungsüberlassung von Gegenständen oder eine Geldleihe (Darlehen) bzw. Bonitätsleihe (Bürgschaft) sind geeignete Beiträge zur Förderung des Gesellschaftszwecks. Zur Ablösung der Außenhaftung des Kommanditisten i.S.d. § 171 Abs. 1 Hs. 2 HGB taugt jedoch nur die den Haftungsfonds erhöhende Einlage. 112 Beitragsverpflichtung im Innenverhältnis und Haftungsverpflichtung im Außenverhältnis müssen also nicht parallel laufen. So kann die im Handelsregister eingetragene Haftsumme höher oder niedriger sein als der im Innenverhältnis geschuldete Wert. Selbst bei Wertidentität kann im Innenverhältnis eine Sacheinlage bedungen sein, während die Außenhaftung regelmäßig – wenn auch nicht zwingend – auf Zahlung gerichtet ist. Noch komplizierter wird es, wenn eine dritte Anspruchsgrundlage hinzutritt, weil im Außenverhältnis neben die Haftung des § 128 HGB noch eine vertragliche Haftung z.B. aus Garantie oder Bürgschaft tritt. 113 Für den Kommanditisten stellt sich dann die Frage, ob er mit einer einzigen Zahlung „drei Fliegen mit einer Klappe“ schlagen kann, nämlich sowohl die Bürgenhaftung als auch – und das mit Wirkung gegenüber allen anderen Gläubigern – die Kommanditistenhaftung und schließlich auch noch die Einlageverpflichtung zum Erlöschen bringen kann. 2. Unbeschränkte Haftung a) Vor Insolvenzeröffnung 114 BGB- und oHG-Gesellschafter sowie die Komplementäre einer KG haften gegenüber den Gesellschaftsgläubigern unbeschränkt. Außerhalb eines Insolvenzverfahrens können sie von den Gläubigern jederzeit neben der Gesellschaft in Anspruch genommen werden, und zwar nicht nur auf Zahlung, sondern auf Erfüllung derjenigen Forderung, die den Gläubigern gegen die Gesellschaft zusteht, also auch auf die Lieferung einer Sache oder die Vornahme vertretbarer Handlungen2. Ist der Gesellschafter dazu nicht in der Lage, kann sich der Anspruch unter den im BGB genannten Voraussetzungen in einen Zahlungsanspruch umwandeln. Die Haftungsschuld ist zwar mit der Gesellschaftsschuld verbunden (akzessorisch); denn der Gesellschafter darf einer Inanspruchnahme die Einwendungen entgegenhalten, die von der Gesellschaft (noch) erhoben werden können, § 129 HGB. Dazu gehört auch die Anfechtung und Aufrechnung. Gleichwohl handelt es sich trotz der üblichen Bezeichnung als „Haftung“ um eine primäre Schuld und nicht, wie z.B. bei der Bürgschaft (vgl. § 771 BGB) um ein Einstehen für fremde Schuld3.
1 Anders ist es mit der Aufrechnung einer für Dienstleistungen ausdrücklich vereinbarten Vergütung. 2 BGH v. 11.12.1978 – II ZR 235/77, NJW 1979, 1361. 3 BGH v. 9.5.1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319; Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 128 Rz. 1.
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b) Nach Insolvenzeröffnung: § 93 InsO Nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft darf nur noch der Insolvenzverwalter die Haftungsansprüche geltend machen, § 93 InsO. Damit soll ein Wettlauf der Gläubiger um den Zugriff auf das persönliche Vermögen der Gesellschafter vermieden und der Grundsatz der par conditio creditorum, der das gesamte Insolvenzverfahren beherrscht, auch für die Haftungsrealisierung auf der Gesellschafterebene verwirklicht werden1. § 93 InsO entfaltet eine Sperrwirkung für die Gläubiger und eine Ermächtigungswirkung2 für den Verwalter3.
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aa) Konkurrierende Ansprüche Die Sperr- und Ermächtigungsfunktion erfasst nicht die konkurrierenden Ansprüche 116 der Gläubiger aufgrund vertraglicher4 (z.B. Bürgschaft), deliktischer5 (z.B. Sozialabgaben) oder gesetzlicher6 (z.B. Steuerschulden) Verpflichtungen des Gesellschafters. De facto führt das zu einer Durchbrechung des mit § 93 InsO verfolgten Zwecks7 insbesondere zugunsten derjenigen Gläubiger, die aufgrund ihrer Marktmacht gesonderte Haftungsvereinbarungen durchsetzen können. Bei der Bürgschaft handelt es sich nicht etwa um eine (unwirksame) Verbürgung eigener Schuld. Da die Gesellschafts- und die Gesellschafterschuld, wie dargelegt, nebeneinander bestehen, kann der Gesellschafter ohne Weiteres eine Schuld der Gesellschaft durch Bürgschaft sichern. Nur wirtschaftlich führen Bürgen- und Gesellschafterhaftung regelmäßig zum selben Ergebnis. Bei dinglichen Sicherheiten, die die Gesellschafter an Gegenständen ihres Privatver- 117 mögens zugunsten von Gläubigern bestellen, besteht keine Verwertungsbefugnis des Verwalters. Der diesbezügliche § 166 Abs. 1 InsO betrifft nur die Sicherungsgegenstände des Gesellschaftsvermögens. bb) Betroffene Gläubiger In persönlicher Hinsicht erfasst die Sperrwirkung des § 93 InsO sämtliche Gläubiger, 118 unabhängig davon, ob sie am Insolvenzverfahren der Gesellschaft teilnehmen8, die Ermächtigungswirkung hingegen nur die angemeldeten Ansprüche der teilnehmenden Gläubiger, weil nur an sie die eingezogenen Beträge im Rahmen der Gesellschaftsinsolvenz verteilt werden können9. cc) Dauer, Teilzahlungen während des Verfahrens In zeitlicher Hinsicht gilt § 93 InsO dem Wortlaut nach nur für die Dauer des Verfah- 119 rens. Das „Insolvenzeröffnungsverfahren“ gehört nicht dazu. Die Zeit zwischen Insolvenzantrag und -eröffnung ist nur umgangssprachlich ein Verfahren. Rechtlich handelt es sich jedoch nur um Maßnahmen während der und zur Vorbereitung einer Entscheidung über die Eröffnung. Die systematische Einordnung von § 93 InsO in den Dritten Teil der InsO „Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens“ ist eindeutig10. Nach dessen Aufhebung ist der Gläubiger wieder befugt, die Haftungsrealisierung selbst in die Hand zu nehmen. Die Verjährung ist bis dahin gehemmt, soweit seine gegen die Gesellschaft gerichteten Ansprüche im Verfahren angemeldet wurden, §§ 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB, 129 HGB. Das führt zu der Frage, wie Teilzahlungen, 1 Deshalb wird ein Haftungsprozess auch mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaf analog § 17 Abs. 1 Satz 1 AnfG unterbrochen: BGH v. 14.11.2002 – IX ZR 236/99, ZIP 2003, 39. 2 BGH v. 9.10.2006 – II ZR 193/05, ZIP 2007, 79. 3 Dasselbe gilt für die Durchgriffshaftung bei der GmbH: BGH v. 14.11.2005 – II ZR 178/03, ZIP 2006, 467. 4 BGH v. 4.7.2002 – IX ZR 265/01, ZIP 2002, 1492; BFH v. 2.11.2001 – 7 B 155/01, ZIP 2002, 179. 5 BGH v. 4.7.2002 – IX ZR 265/01, ZIP 2002, 1492; BFH v. 2.11.2001 – 7 B 155/01, ZIP 2002, 179. 6 BGH v. 4.7.2002 – IX ZR 265/01, ZIP 2002, 1492; BFH v. 2.11.2001 – 7 B 155/01, ZIP 2002, 179. 7 Bork, NZI 2002, 362. 8 Pohlmann in Hamburger Kommentar zur InsO, § 93 Rz. 27. 9 Pohlmann in Hamburger Kommentar zur InsO, § 93 Rz. 33. 10 H.M., vgl. Pohlmann in Hamburger Kommentar zur InsO, § 93 Rz. 39 f.
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die der Gesellschafter an den Verwalter während des Verfahrens erbracht hat, nach Verfahrenseröffnung zu behandeln sind. Denkbar wäre, sie anteilig nur denjenigen Forderungen zuzuordnen, die der Insolvenzverwalter zur Haftungsberechnung herangezogen hat, so dass bspw. die Haftung für nachgemeldete Forderungen später in vollem Umfang durchgesetzt werden könnte. Dagegen spricht, dass die Zahlungen des Gesellschafters an sämtliche teilnehmenden Gläubiger – soweit materiell-rechlich eine Haftung besteht, siehe unten Rz. 121 – verteilt werden müssen, also auch an diejenigen Gläubiger, deren Forderungen der Verwalter kalkulatorisch bei der Haftungsdurchsetzung noch nicht berücksichtigt hat. Deshalb kann der Gesellschafter einem Gläubiger nach Verfahrensbeendigung nur diejenige Quote entgegenhalten, die sich aus seiner Zahlung im Vergleich zu sämtlichen haftungsgesicherten Gläubigern ergibt. Sie kann durchaus wesentlich geringer sein als die quotale Ausschüttung auf die angemeldeten Forderungen, wenn der Haftungsbetrag z.B. auch für Verfahrenskosten oder Masseschulden verwendet werden darf. Darauf ist unten noch einzugehen. Für die Gesellschafterberatung ist zu empfehlen, Zahlungen an den Insolvenzverwalter möglichst mit einem Erlassvergleich für sämtliche weiteren Ansprüche zu verbinden. Die Vergleichsbefugnis ist von der Ermächtigungswirkung gedeckt1, so dass der Vergleich jedem Gläubiger später entgegengehalten werden kann. dd) Haftungsumfang 120 Die Gesellschafterhaftung ist, wie oben erläutert, eine primäre Erfüllungshaftung und nicht nur eine Geldersatzhaftung. Im Insolvenzverfahren ist das nicht praktikabel, so dass die herrschende Meinung eine automatische Umrechnung von Sach- in Geldforderungen entsprechend § 45 InsO verlangt2. 121 Dem Umfang nach betrifft die Haftung sämtliche Verbindlichkeiten, für die auch ein ausgeschiedener Gesellschafter gemäß § 160 HGB haften würde. Nach herrschender3, aber nachfolgend einzuschränkender Meinung ist § 128 HGB teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass die vom Verwalter begründeten Neuverbindlichkeiten nicht mehr von der Haftung umfasst werden. Die Begründung lautet, dass der Gesellschafter nach dem Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter keinen Einfluss mehr auf die Begründung von Verbindlichkeiten hat. Diese Haftungseinschränkung darf nicht verwechselt werden mit einem Haftungsausschluss für nach Insolvenzeröffnung entstehende Verluste. Soweit die Verluste auf Verbindlichkeiten beruhen, die vor Insolvenzeröffnung veranlasst wurden – z.B. Arbeits- und Mietverträge, Bestellungen von Lieferungen – hätte dafür auch ein tatsächlich ausgeschiedener und nicht nur für die insolvenzrechtliche Beurteilung dem gleich gestellter Gesellschafter einzustehen, selbst wenn der Insolvenzverwalter mit diesen Ressourcen „schlecht wirtschaftet“. Insolvenzrechtlich allerdings sind diejenigen Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen, die auf die Zeit nach der ersten Kündigungsmöglichkeit entfallen, den vom Verwalter begründeten Neuverbindlichkeiten gleichgestellt, § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO. Ob dies auch auf die Haftungsbegrenzung des Gesellschafters übertragen werden muss, wird in der Literatur nicht diskutiert. Für die Nachhaftung eines ausgeschiedenen Gesellschafters wird eine Begrenzung durch die Kündigungsmöglichkeit außerhalb der Insolvenz überwiegend abgelehnt4. Überträgt man dies auf die Insolvenz, wird der Gesellschafter ebenfalls nicht durch diesen Zeitablauf frei. Das steht in keinem Widerspruch zu § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO. Er betrifft das Rangverhältnis der Gläubiger untereinander. Mit der Gesellschafterhaftung hat das nichts zu tun. 122 Was für die Neumasseschulden aus Dauerschuldverhältnissen gilt, muss entsprechend auch für die Neumasseschulden bei (anderen) schwebenden Geschäften gel-
1 Krüger, NZI 2002, 367. 2 MünchKommHGB/K. Schmidt, § 128 Rz. 86; Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 93 Rz. 39. 3 OLG Brandenburg v. 23.5.2007 – 7 U 173/06, ZIP 2007, 1756, Revision beim BGH – II ZR 138/07; MünchKommHGB/K. Schmidt, § 128 Rz. 81. 4 S. zur Nachhaftung MünchKommHGB/K. Schmidt, § 128 Rz. 41 f.
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Rz. 125
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ten, deren Erfüllung der Verwalter gemäß § 103 InsO wählt1. Auch für sie greift die Gesellschafterhaftung. Dafür spricht insbesondere die Sichtweise des BGH, wonach schwebende Geschäfte durch die Insolvenzeröffnung schuldrechtlich nicht berührt werden, sondern unverändert fortbestehen, und die Erfüllungswahl des Verwalters nur bedeutet, dass die Verbindlichkeit auf die Stufe von Masseschulden „gehoben“ wird2. Dafür spricht ferner, dass bei Anordnung der vorläufigen „starken“ Verwaltung, bei der die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gemäß § 22 Abs. 1 InsO auf den Verwalter übergeht, weder außerordentliche Kündigungs- noch Erfüllungswahlrechte bestehen. Bei der im Hinblick auf das Insolvenzverfahren vorgenommen teleologischen Reduktion des § 128 HGB wäre es aber nicht einzusehen, warum eine Haftung für die während der vorläufigen „starken“ Insolvenzverwaltung gemäß § 55 Abs. 2 entstehenden Masseschulden anders zu behandeln sein sollen als für die vergleichbaren nach Insolvenzeröffnung entstehenden Masseschulden. Hier wie dort ist für seine Haftung analog § 160 HGB nicht auf die Masseschuldqualität der Verbindlichkeit, sondern darauf abzustellen, ob die Verbindlichkeit schuldrechtlich noch zu der Zeit begründet wurde, als die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nicht bei dem Verwalter lag. Das gilt für schwebende Austauschverträge genauso wie für Dauerschuldverhältnisse. Eine Haftung für die Massekosten des § 54 InsO wird aus ähnlichen Überlegungen 123 wie die Haftung für Masseschulden abgelehnt3. Das ist jedoch zweifelhaft, was sich ebenfalls aus einem Vergleich mit einem ausgeschiedenen Gesellschafter ergibt. Er ist gemäß § 738 Abs. 1 BGB so zu stellen, als wenn die Gesellschaft bei seinem Ausscheiden aufgelöst worden wäre, was namentlich bedeutet, dass er auch die Abwicklungskosten tragen müsste. Sie entsprechen bei der insolvenzrechtlichen Abwicklung den Verfahrenskosten4. Zwar betrifft § 738 Abs. 1 BGB nur das Innenverhältnis, nicht die Außenhaftung. Wenn aber § 128 BGB prinzipiell anwendbar sein soll und nur teleologisch reduziert wird – denn ein Ausscheiden liegt ja gar nicht vor, der Gesellschafter wird nur behandelt als ob –, kann bei dieser teleologischen Reduktion auch der Gedanke des § 738 Abs. 1 BGB berücksichtigt werden. Der Vergleich mit § 738 Abs. 1 BGB bestätigt im Übrigen das zuvor Gesagte, dass nämlich nicht nur die Verfahrenskosten des § 54 InsO von der Haftung umfasst sein müssen5, sondern sämtliche Abwicklungskosten, die auf der bisherigen Geschäftstätigkeit beruhen. Das muss sogar für Verbindlichkeiten gelten, die nach Verfahrenseröffnung vollständig neu begründet werden6. Beauftragt der Insolvenzverwalter z.B. im Rahmen seiner Verpflichtung gemäß § 155 InsO einen Steuerberater mit der Erstellung der Buchhaltung und Steuererklärung, handelt es sich – entgegen der herrschenden Meinung – um Kosten, für die der Gesellschafter einzustehen hat. In der Praxis wird der Gesellschafter allerdings oftmals nicht in der Lage sein, diese Beträge zu bezahlen. Es schließt sich dann ein Folgeverfahren über sein Vermögen an.
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Somit ist festzuhalten, dass der Gesellschafter aufgrund einer teleologischen Reduk- 125 tion des § 128 HGB nur für diejenigen Masseschulden nicht haftet, für die er auch dann nicht einzustehen gehabt hätte, wenn die Gesellschaft im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung aufgelöst worden wäre. Ob das auch bei der Eigenverwaltung gilt, ist 1 MünchKommHGB/K. Schmidt, § 158 Anh. Rz. 47. 2 Seit BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, ZIP 2002, 1093; umfassend: Marotzke in HK-InsO, § 103 Rz. 4 ff. 3 OLG Brandenburg v. 23.5.2007 – 7 U 173/06, ZIP 2007, 1756; Marotzke, ZInsO 2008, 57 ff.; Pohlmann in Hamburger Kommentar zur InsO, § 93 Rz. 18; MünchKommHGB/K. Schmidt, § 128 Rz. 81. 4 A.A. Marotzke, ZInsO 2008, 57 (60 f.): Es handele sich um Koordinationskosten im Interesse und damit auch zu Lasten der Gläubiger, die die Gesellschafter ja auch ohne Insolvenzverfahren direkt hätten in Anspruch nehmen können. M.E. überzeugt das nicht; denn die Gesellschafter haben pflichtwidrig nicht gezahlt, nicht etwa die Gläubiger pflichtwidrig eine andere Rechtsverfolgung unterlassen. 5 Im Ergebnis ebenso: Gottwald/Haas, Insolvenzrechtshandbuch, § 94 Rz. 77. 6 A.A.: Gottwald/Haas, Insolvenzrechtshandbuch, § 94 Rz. 76; MünchKommHGB/K. Schmidt, § 128 Rz. 81.
Andres
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§3
Rz. 126
Gesellschafterberatung
umstritten1. Das ist jedoch zu bejahen, weil es sich um ein „richtiges“ Insolvenzverfahren handelt (§ 270 Abs. 1 Satz 2 InsO), bei dem der Insolvenzzweck den Gesellschaftszweck überlagert und die Einflussmöglichkeiten der Gesellschafter eingeschränkt werden (siehe § 13 Rz. 380 ff.), vgl. §§ 275 ff. InsO. 126 Von der im Rahmen des § 93 InsO durchzusetzenden Außenhaftung für Masseschulden zu unterscheiden ist die Frage, ob der Gesellschafter gemäß § 110 HGB einen Aufwendungsersatzanspruch ebenfalls als Masseforderung hat, wenn er seiner Haftung z.B. für Verbindlichkeiten aus einem fortbestehenden Arbeitsverhältnis nachkommt. Sie ist positiv zu beantworten. Allerdings kann das nicht auf einen Forderungsübergang gestützt werden, der von der herrschenden Meinung2 abgelehnt wird. Der Gesellschafter „rutscht“ zivilrechtlich nicht an die Stelle des Massegläubigers. Gleichwohl sollte man den Aufwendungsersatz als sonstige Verbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 Abs. 2 InsO im Zusammenhang mit der Verwaltung der Insolvenzmasse ansehen. Sonst könnte es passieren, dass der Verwalter über Jahre munter weiterwirtschaftet und via Gesellschafterhaftung aus den Masseschulden für Personalkosten (nachrangige?) Insolvenzforderungen macht. In der Praxis relevant wird das, wenn es um die Konkurrenz zwischen dem Aufwendungsersatzanspruch und der Forderung eines Neugläubigers geht, dem gegenüber der Gesellschafter nicht mehr einstehen muss, weil es sich nicht um eine Abwicklungsverbindlichkeit handelt. Relevant wird das außerdem, wenn es um die Haftung des Insolvenzverwalters für Fehler bei der Unternehmensfortführung geht, die die Einstandspflicht des Gesellschafters erhöhen. Hier kann dann die Einstandspflicht des Insolvenzverwalters nach §§ 60, 61 InsO vorrangig sein. 127 Anders stellt sich die Situation zu den vor Insolvenzeröffnung ausgeschiedenen Gesellschafter dar, auf dessen Innenregress die herrschende Meinung nicht mehr § 110 HGB, sondern § 670 BGB und eine cessio legis analog § 426 Abs. 2 BGB oder § 774 BGB annimmt. Zahlt der ehemalige Gesellschafter z.B. die Löhne und Gehälter, für die er gemäß § 160 HGB forthaftet, kann er den Erstattungsanspruch als Masseschuld geltend machen. Daraus könnte die Beratungsempfehlung abgeleitet werden, noch möglichst schnell vor einer Insolvenzeröffnung aus wichtigem Grund fristlos auszuscheiden, falls der Gesellschaftsvertrag eine Fortsetzungsklausel enthält. Das wird aber kaum zum Erfolg führen; denn der wichtige Grund trifft alle Gesellschafter gleichermaßen, so dass die Folge nicht der Austritt eines Einzelnen, sondern die Auflösung wäre. Vor allem aber würde der Verwalter einer Masseforderung entgegenhalten, dass es sich um Abwicklungskosten gemäß §§ 738 f. BGB handelt, für die der Gesellschafter auch im Innenverhältnis haftet. 128 Ist die Forderung des Gläubigers am Gesellschaftsvermögen besichert, stellt sich die Frage, ob der Insolvenzverwalter zuerst das Sicherungsgut verwerten und beim Gesellschafter nur den Ausfall geltend machen darf, oder ob er die gesamte Forderung ohne Rücksicht auf den erwarteten Verwertungserlös beim Gesellschafter durchsetzen kann. Damit würde das Sicherungsgut frei werden und dessen Verwertungserlös für Masseverbindlichkeiten verwendet werden können, für die der Gesellschafter nicht haftet. Bedeutsam ist das vor allem, wenn man der herrschenden Meinung folgt, die die Haftung für Masseschulden stark einschränkt. Aus der Primärhaftung des Gesellschafters folgt jedoch, dass es einen solchen Vorrang für die Sicherheitenverwertung nicht gibt. Das bestätigt ein Vergleich mit der Doppelinsolvenz von Gesellschafter und Gesellschaft. Der Gläubiger darf gegen einen Gesellschafter außerhalb eines Insolvenzverfahrens jederzeit ohne vorherige Sicherheitenverwertung vorgehen. Dann kann sich durch § 93 InsO nichts dadurch ändern, dass die Gesellschaft insolvent wurde. Der Verwalter darf also den vollen Betrag vom Gesellschafter verlangen und mit dem Erlös aus der damit freiwerdenden Sicherheit andere Verbindlichkeiten bedienen, es sei denn, man folgt einer Mindermeinung, die auch für den nicht ausgeschiedenen Gesellschafter analog § 426 Abs. 2 BGB oder § 774 Abs. 1 1 Bejahend: MünchKommHGB/K. Schmidt, § 158 Anh. Rz. 44; verneinend: Gottwald/Haas, Insolvenzrechtshandbuch, § 89 Rz. 26. 2 BGH v. 9.5.1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319; a.A. MünchKommHGB/K. Schmidt, § 128 Rz. 31.
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Andres
Haftung des Personengesellschafters
Rz. 131
§3
BGB für einen Übergang der Forderung des gesicherten Gläubigers und damit auch der akzessorischen Sicherheiten1 – eventuell sogar einer Übertragungspflicht der nicht akzessorischen – plädiert. Diese Auffassung hat jedoch keine Stütze im Gesetz. Ein Vergleich mit der Doppelinsolvenz von Gesellschafter und Gesellschaft bestätigt, dass der Verwalter nicht verpflichtet ist, vorrangig die von der Gesellschaft gestellte Sicherheit zu verwerten. Würde sich nämlich der Gesellschafter ebenfalls in einem (persönlichen) Insolvenzverfahren befinden, könnte der Gläubiger dort die gesamte Forderung geltend machen, § 43 InsO. Das Ausfallprinzip des § 52 InsO gilt im Dreiecksverhältnis Gläubiger-Gesellschafter-Gesellschafter nicht. Es beschränkt den Gläubiger nur im Verhältnis zur Gesellschaft, die die Sicherheit gestellt hat. Ist der Verwalter somit im Verhältnis zum Gesellschafter berechtigt, aus der Sicher- 129 heit Masseschulden zu bedienen, gilt das nicht nur so lange, solange der Gegenstand oder die Forderung noch nicht verwertet wurden. Ausreichend für die fortbestehende Gesellschafterhaftung ist allein, dass der Gläubiger aus dem Sicherheitenerlös noch nicht befriedigt wurde, mag sich der Verwertungsbetrag auch schon bei dem Insolvenzverwalter befinden. Die größten Gläubiger sind regelmäßig am Gesellschaftsvermögen besichert. Die Gesellschafterhaftung kann somit zum Freiwerden von Sicherheiten und ihrer Verwendung für Masseschulden führen, für die der Gesellschafter nach herrschender Meinung nicht einzustehen haben. Die teleologische Reduktion des § 128 HGB ist de facto deshalb nur von eingeschränkter Bedeutung. Für den Berater des Gesellschafters folgt daraus, dass er auf die besicherten Gläubiger einwirken sollte, die Rechte der §§ 169, 172 InsO geltend zu machen, damit der Verwalter möglichst schnell die Sicherheiten verwertet und den Erlös auskehrt, bevor es zu einer Inanspruchnahme des Gesellschafters kommt. Ist nämlich der Gläubiger befriedigt, entfällt auch die Haftung. Für die Nachhaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters gelten diese Überlegungen 130 nicht. Während die herrschende Meinung für den weiterhin beteiligten Gesellschafter eine cessio legis verneint, weil sich der Innenregress allein nach § 110 HGB richte, bejaht sie sie für den ausgeschiedenen2. Damit gehen zumindest akzessorische Sicherheiten auf den ehemaligen Gesellschafter über, soweit der Gläubiger aufgrund seiner Haftungszahlung befriedigt wird. ee) Doppel- vs. Ausfallhaftung Auf das Verhältnis zwischen Gesellschafts- und Gesellschaftervermögen kommt es 131 auch noch für die Frage an, ob der Verwalter die Quote, die allein aufgrund des Gesellschaftsvermögens an die haftungsbegünstigten Gläubiger ausgekehrt werden wird, von vornherein von der Gesellschafterhaftung abziehen muss. Im Prozess würde das einen genauen Vortrag zu der Quote und bei einer Fehlkalkulation etwaige Nachforderungen zur Folge haben. Letztgenanntes wird insbesondere von K. Schmidt gefordert, der die Haftung des Gesellschafters auf den Ausfall beschränken will3, während die herrschende Meinung nichts daran ändern will, dass der Gläubiger einen selbstständigen Anspruch hat, der zwar im Umfang gemäß § 129 HGB von seiner Forderung gegen die Gesellschaft abhängt, aber durchaus ohne gleichzeitige Inanspruchnahme der Gesellschaft eingeklagt werden kann (Doppelberücksichtigung). Die Grenze sieht sie nur im Rechtsmissbrauch. Beträge, die zur Gläubigerbefriedigung nicht erforderlich sind und später an den Gesellschafter gemäß § 199 Satz 2 InsO wieder ausgekehrt werden müssten, darf der Verwalter nicht einfordern4. Die Darlegungs- und Beweislast trägt der Gesellschafter, während dem Verwalter eine sekundäre Behauptungslast obliegt5. Die Richtigkeit der herrschenden Meinung ergibt sich schon da1 MünchKommHGB/K. Schmidt, § 128 Rz. 31. Selbst wenn man dieser Auffassung folgen würde, kann der Forderungsübergang bei Teilzahlungen nicht zum Nachteil des Gläubigers geltend gemacht werden. § 774 Abs. 1 Satz 2 BGB, Palandt/Grüneberg, BGB, § 426 Rz. 16. Er ist aus den Sicherheiten bis zur vollständigen Befriedigung vorrangig zu bedienen. 2 BGH v. 9.5.1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319; MünchKommHGB/K. Schmidt, § 128 Rz. 61. 3 MünchKommHGB/K. Schmidt, § 128 Rz. 86. 4 K. Schmidt, ZIP 2000, 1083; Gottwald/Haas, Insolvenzrechtshandbuch, § 94 Rz. 86. 5 BGH v. 11.12.1989 – II ZR 78/89, NJW 1990, 1109.
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§3
Rz. 132
Gesellschafterberatung
raus, dass die Haftungsverbindlichkeit sofort fällig ist, während die Verwertung des Gesellschaftsvermögens hinausgeschoben werden kann, §§ 157, 159 InsO. Das obliegt zwar einer Entscheidung der Gesellschafter, die deshalb aber nicht dazu führt, dass eine Berufung auf die sofortige Fälligkeit der Haftung dem Gesellschafter gegenüber rechtsmissbräuchlich ist. Es ist durchaus angemessen, das die Gläubiger bis zu ihrer vollen Befriedigung anstelle der Gesellschafter über den Gang der Geschäfte und die optimale Verwertung des Gesellschaftsvermögens entscheiden, ohne dafür Abstriche bei ihren Haftungsansprüchen hinnehmen zu müssen. Deshalb wird der Einwand einer Überdeckung nicht nur mit dem Saldo am Ende des Insolvenzverfahrens begründet werden dürfen1, sondern maßgebend ist vielmehr die Liquidität und die Liquidationsgeschwindigkeit beim Gesellschaftsvermögen. ff) Sondermasse 132 Die Verwendung der durch die Haftungsinanspruchnahme realisierten Gelder ist umstritten. Haas hält es für zulässig, damit auch die Verfahrenskosten und Masseverbindlichkeiten zu bedienen2, obwohl er dafür eine Haftung der Gesellschafter ablehnt3. Begründet wird die Verwendung auch für nicht haftungsgesicherte Gläubiger mit dem Ziel des InsO-Gesetzgebers, die Verfahrenseröffnung zu fördern. Außerdem wird eine Parallele zur Insolvenzanfechtung gezogen, die ebenfalls zulässig ist, wenn die Gläubiger, deren Benachteiligung ausgeglichen werden soll, an einem Anfechtungserfolg wegen vorrangiger Massekosten und -schulden nicht partizipieren4. Zwingend ist dieser Vergleich jedoch nicht, weil die Insolvenzanfechtung keine Individualrechte geltend macht, also nicht den Nachteil eines einzelnen Gläubigers liquidiert, sondern die insolvenzrechtliche Verteilungsanordnung auf die Zeit vor Verfahrenseröffnung vorverlagert, indem eine Gläubigerbevorzugung rückgängig gemacht wird. Eine Ausnahme macht Haas für die vor Verfahrenseröffnung ausgeschiedenen Gesellschafter, die nur für die bis dahin begründeten Verbindlichkeiten einstehen müssen, § 160 HGB. Ihre Haftungsbeiträge seien einer Sondermasse zuzuführen, die nur an die Altgläubiger verwendet werden dürfe5. 133 Mit der Ermächtigungswirkung des § 93 InsO ist es nicht vereinbar, dass die daraufhin gezahlten Beträge für andere Gläubiger verwendet werden als für diejenigen, für die zu handeln der Insolvenzverwalter ermächtigt ist6. Die Unterscheidung zwischen bestehenden und ehemaligen Gesellschaftern ist nicht gerechtfertigt. In beiden Fällen macht der Verwalter fremde Haftungsansprüche im eigenen Namen geltend. Die Verfahrenseröffnung wird durch die Bildung einer Sondermasse nicht erschwert, wenn nach der hier vertretenen Auffassung der Gesellschafter ohnehin für die Verfahrenskosten haftet. gg) Verhältnis zur Einlageforderung 134 All die Probleme um Durchsetzung, Berechnung und Verwendung der Haftungsbeträge spielen keine Rolle, wenn es um die noch nicht erfüllte Einlageforderung geht, die der Gesellschafter im Innenverhältnis gemäß §§ 705 f. BGB, 105 Abs. 3 HGB schuldet. Sie gehört zum Gesellschaftsvermögen, § 718 Abs. 1 BGB, und dient damit sowohl einer Befriedigung derjenigen Gläubiger, denen gegenüber der Gesellschafter im Außenverhältnis gemäß § 128 HGB haftet, als auch zur Abdeckung aller sonstigen Kosten. Das Rangverhältnis richtet sich allein nach §§ 53 ff. InsO.
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So aber die Rechtsprechung, z.B. BGH v. 11.12.1989 – II ZR 78/89, NJW 1990, 1109. Gottwald/Haas, Insolvenzrechtshandbuch, § 94 Rz. 35, 83, 99. Gottwald/Haas, Insolvenzrechtshandbuch, § 94 Rz. 76. Gottwald/Haas, Insolvenzrechtshandbuch, § 94 Rz. 35, § 92 Rz. 228. Gottwald/Haas, Insolvenzrechtshandbuch, § 94 Rz. 83, 109. Marotzke, ZInsO 2008, 57 (62), der aber einen Massekostenbeitrag analog §§ 170 f. InsO vorschlägt; Pohlmann in Hamburger Kommentar zur InsO, § 93 Rz. 75; MünchKommHGB/K. Schmidt, § 128 Rz. 28, §§ 171, 172 Rz. 112.
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Andres
Haftung des Personengesellschafters
Rz. 138
§3
hh) Insolvenzplan Mit der Bestätigung eines Insolvenzplans werden auch die Gesellschafter von ihrer 135 persönlichen Haftung befreit, wenn nichts anderes bestimmt ist, § 227 InsO. Das gilt aber nur für die Haftung gemäß § 128 HGB, nicht für die Haftung aufgrund zusätzlichen Schuldbeitritts oder einer Bürgschaft, § 254 Abs. 2 InsO, wobei dem Gesellschafter sogar der Innenregress verwehrt ist, wenn die Gesellschaft durch den Plan entschuldet wurde. Problematisch kann in diesen Fällen sein, dass der Gesetzgeber keine klare Regelung für Forderungen geschaffen hat, die nicht zur Insolvenztabelle angemeldet wurden und damit auch nicht an einer Verteilung aus dem Insolvenzplan teilnehmen. Die Regelungen der §§ 259a und b InsO legen nahe, dass diese Forderungen nicht erlöschen, auch wenn dies anders im Insolvenzplan geregelt ist. Diese Gläubiger könnten dann auch wiederum die persönliche Haftung der Gesellschafter nach Aufhebung des Verfahrens geltend machen. Es sollte daher in einem Insolvenzplan, ähnlich, wie bei Vergleichsabreden, aufgenommen werden, dass die Gesellschafter von ihren Haftungsverpflichtungen frei werden mit rechtskräftiger Bestätigung des Plans und eventuell vorgesehener Zahlungen. 3. Kommanditistenhaftung a) Verhältnis von Einlage und Haftung aa) Außenverhältnis („Hafteinlage“ = Haftsumme) Der Kommanditist haftet wie der oHG-Gesellschafter, nur mit dem Unterschied, 136 dass seine Haftung summenmäßig beschränkt ist. Die Haftung wird während der Dauer des Insolvenzverfahrens vom Verwalter geltend gemacht, was § 171 Abs. 2 HGB schon lange vor dem erst mit der Insolvenzrechtsreform geschaffenen § 93 InsO bestimmte. Beide Vorschriften haben dieselbe Zielsetzung. Für die Haftungsdurchsetzung gegenüber dem Kommanditisten gilt das Vorgesagte entsprechend. Anders als bei der oHG kann der Kommanditist seine Haftung jedoch durch die Leis- 137 tung der im Innenverhältnis geschuldeten Einlage ablösen, soweit beides wertidentisch ist, § 171 Abs. 1 S. 2 HGB. Nur wenn die im Handelsregister eingetragene Haftsumme im Außenverhältnis höher als die im Innenverhältnis geschuldete Einlage ist, ist das Zusammenspiel von Einlage und Haftung durchbrochen. Ansonsten stellt sich die Frage, ob der Insolvenzverwalter vorrangig die Außen- oder die Innenhaftung geltend machen muss. Die Einlage darf, wie soeben für den oHG-Gesellschafter dargelegt, für sämtliche Verbindlichkeiten verwendet werden, also auch für diejenigen, für die die Außenhaftung des Gesellschafters nicht besteht. Da ein Gläubiger ohne Insolvenz gegenüber dem Kommanditisten keinen Anspruch darauf hat, dass der Kommanditist seine Haftungsverbindlichkeit gerade ihm gegenüber erfüllt und nicht an einen anderen oder an die Gesellschaft zahlt, besteht auch innerhalb der Insolvenz kein Vorrang für den Haftungsanspruch. Im Gegenteil dient es einer Gleichbehandlung aller am Verfahren teilnehmenden Gläubiger, also nicht nur der haftungsgeschützten Insolvenzgläubiger, wenn vorrangig die Einlageforderung durchgesetzt wird1. Ein entsprechendes Vorgehen des Insolvenzverwalters wird man also konkludent dahingehend verstehen müssen, dass er die Einlage verlangt. Für den Gläubiger folgt daraus, dass er seinen Haftungsschuldner durch Einlageleistung verliert, auch wenn er bei der Verteilung keine Quote erhält, weil die Einlage zwar zum Erlöschen der Haftung führt, aber zur Deckung von Masseschulden verwendet wird. Das führt zu der Frage, ob der Anwalt dem Mandanten raten muss, noch schnell vor 138 der Verfahrenseröffnung einem Gläubiger auf direktem Weg eine bessere Quote, aber weniger als seine Einlageschuld anzubieten, wenn der Gläubiger dafür auf den Rest verzichtet. Damit wird die „Passivseite“ der Gesellschaft um die Nominalforderung entlastet, was der Kommanditist einer späteren Inanspruchnahme des Insolvenzverwalters eventuell auch in Höhe des Betrages entgegenhalten könnte, der nicht auf der Zahlung, sondern auf dem Restverzicht beruht. Wäre das zulässig, würden sowohl
1 MünchKommHGB/K. Schmidt, §§ 171, 172 Rz. 100 m. Nachw. für die Gegenansicht in Fn. 322.
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§3
Rz. 139
Gesellschafterberatung
der Kommanditist als auch der Gläubiger davon profitieren: Der eine zahlt weniger, und der andere erhält mehr als bei einer Abwicklung im Insolvenzverfahren. 139 Die Zulässigkeit dieser Gestaltung hängt von dem Verhältnis zwischen der Einlagehaftung im Innenverhältnis und der Kommanditistenhaftung im Außenverhältnis ab. Zur Erläuterung sei auf den Grundfall zurückgegriffen, in dem der Kommanditist an den Gläubiger eine Zahlung in voller Höhe der Haftsumme tätigt. Das darf er noch nach dem Insolvenzantrag, sogar bei Anordnung der vorläufigen „starken“ Verwaltung1; denn erst mit der Insolvenzeröffnung geht die Inkassobefugnis gemäß §§ 171 Abs. 2 HGB, 93 InsO auf den Verwalter über2. Durch die Zahlung wird der Kommanditist von seiner summenmäßig beschränkten Außenhaftung frei, und zwar gegenüber allen Gläubigern und nicht nur gegenüber demjenigen, an den die Zahlung adressiert wurde. Die Restriktionen, die es im Kapitalgesellschaftsrecht für die Einlageleistung durch Direktzahlungen an Gläubiger der Gesellschaft gibt, gibt es hier nicht, weil bei der Kapitalgesellschaft das Innenhaftungsmodell gilt, hier jedoch das Außenhaftungsmodell. 140 Zahlt der Kommanditist wie im Ausgangsbeispiel nur einen Teil der Haftsumme und verzichtet der Gläubiger auf den Rest, wird die Kommanditgesellschaft von einer Verbindlichkeit in Höhe des Nominalwerts der Forderungen entlastet. Die ältere Rechtsprechung3 hielt das für ausreichend (Nominalwertprinzip). Dafür spricht, dass bei einer unmittelbaren Zahlung die Vollwertigkeit der Forderung des Gläubigers keine Rolle spielt. Der Kommanditist wird von der Haftung in Höhe des gezahlten Nominalbetrages frei. Was der Gläubiger mit dem Geld „anstellt“, spielt keine Rolle. Er könnte auch „aus Dankbarkeit“ dem zahlenden Kommanditisten wieder einen Teil „schenken“. Eine haftungsauflebende Einlagenrückgewähr i.S.v. § 172 Abs. 4 HGB wäre das nicht, weil die Schenkung aus dem Vermögen des Gläubigers, nicht aus dem der Gesellschaft stammt. Gegen die Konstruktion spricht, dass der Kommanditist in Höhe des Verzichts tatsächlich keine Leistung erbringt. Der Verzicht des Gläubigers ist nichts anderes als eine Sachleistung, die ein Dritter – der Gläubiger – für Rechnung des Kommanditisten erbringt. Bei Sachleistungen aber ist unbestritten, dass sie (auch) im Außenverhältnis nur haftungsbefreiend wirken, wenn sie vollwertig sind4, was vorliegend gerade nicht der Fall ist. Statt einen Erlassvertrag zu schließen, könnte der Gläubiger die Forderung auch an den Kommanditisten gegen Zahlung eines bestimmten Kaufpreises abtreten. Die anschließend in der Hand des Kommanditisten zulässige Aufrechnung gegen seine Einlageverpflichtung (Näheres dazu unten Rz. 150 ff.) befreit ihn nur in Höhe des tatsächlichen Wertes der Forderung im Zeitpunkt der Aufrechnung5 (Vollwertigkeitsprinzip), letztlich also nur in Höhe der Quote, die auf die Forderung im Insolvenzverfahren entfallen würde. Der Kommanditist könnte einer späteren Inanspruchnahme durch den Verwalter noch nicht einmal den gezahlten Kaufpreis entgegenhalten, da dessen causa nicht die Haftung gegenüber dem Gläubiger, sondern der Forderungskauf ist. 141 Für das Beispiel ist festzuhalten, dass die Entlastung der Gesellschaft von einer Verbindlichkeit durch den Kommanditisten unterschiedlich behandelt wird: Erfolgt die Entlastung durch Zahlung an den Gläubiger, führt das in Höhe des gezahlten Betrages zur Enthaftung, obwohl die Forderung des Gläubigers gegen die Gesellschaft nicht mehr vollwertig ist. Zugleich führt dies, worauf noch zurückzukommen sein wird, zur Erfüllung der Einlageverpflichtung. Erfolgt die Entlastung hingegen im Wege der Abtretung der Gläubigerforderung und anschließenden Aufrechnung, führt dies zur Haftungsbefreiung nur in Höhe des objektiven Wertes der Verbindlichkeit.
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Pohlmann in Hamburger Kommentar zur InsO, § 93 Rz. 39. Pohlmann in Hamburger Kommentar zur InsO, § 93 Rz. 39 f. Z.B. BGH v. 3.3.1969 – II ZR 222/67, NJW 1969, 1210. BGH v. 9.5.1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319; BGH v. 8.7.1985 – II ZR 269/84, NJW 1985, 2947; BGH v. 11.12.1989 – II ZR 78/89, NJW 1990, 1109. 5 BGH v. 10.11.1975 – II ZR 202/74, WM 1976, 107; BGH v. 8.7.1985 – II ZR 269/84, NJW 1985, 2947.
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Andres
Haftung des Personengesellschafters
Rz. 143
§3
Diese Ungleichbehandlung muss der Kommanditist, so der BGH, aufgrund seiner gesellschaftsrechtlichen Stellung hinnehmen1. Trotzdem eröffnet die vor Verfahrenseröffnung noch schnell geleistete Zahlung Um- 142 gehungsmöglichkeiten, weil eine teilweise Rückgewähr an den Kommanditisten kaum bekannt werden dürfte. Der Gläubiger trägt jedoch das Risiko einer Insolvenzanfechtung. Zwar wird er nicht aus dem Gesellschaftsvermögen befriedigt. Eine Rechtshandlung der Gesellschaft ist aber auch nicht erforderlich. Vielmehr stellt § 129 InsO nur auf irgendeine Rechtshandlung ab, so dass die des Kommanditisten ausreicht. Die des Weiteren erforderliche Gläubigerbenachteiligung ist jedenfalls dann unzweifelhaft eingetreten, wenn die Zahlung an einen einzelnen Gläubiger im Wege der Aufrechnung zum Wegfall der Einlageforderung führt. Zweifelhaft ist die Gläubigerbenachteiligung nur, wenn die Haftsumme höher als die Einlageverpflichtung ist. Dann wirkt sich die Zahlung nicht nachteilig auf die Aktivmasse aus und begünstigt sogar die Schuldenmasse2 der Gesellschaft. Da § 93 InsO aber auch bei der Haftungsdurchsetzung die Gläubigergleichbehandlung gewährleisten soll, wird man die einseitige Bevorzugung durch eine schnell noch vorgenommene haftungsbefreiende Zahlung des Kommanditisten als im Sinne des § 129 InsO gläubigerbenachteiligend ansehen müssen. bb) Innenverhältnis („Pflichteinlage“) Von der Außenhaftung zu trennen ist die Innenhaftung. Eingangs wurde schon da- 143 rauf hingewiesen, dass die interne Einlageverpflichtung und die externe Haftung unabhängig voneinander bestehen. Das eine beruht auf dem Gesellschaftsvertrag, das andere auf §§ 128, 171 Abs. 1 HGB. Zahlt der Kommanditist an einen Gläubiger, kann der „Bogen“ zur Einlageverpflichtung nur im Wege der Aufrechnung mit dem Aufwendungsersatzanspruch der §§ 161 Abs. 2, 110 HGB gezogen werden. Im Kapitalgesellschaftsrecht resultieren zahlreiche Probleme daraus, dass z.B. § 19 Abs. 2 GmbHG die Aufrechnung des Gesellschafters ausdrücklich verbieten und es sich sogar, wenn die Gegenforderung im zeitlichen Zusammenhang mit der Einlageforderung entsteht, um eine verschleierte Sacheinlage handelt, weil de facto keine Zahlung geleistet, sondern die Forderung eingelegt wird. Demgegenüber gibt es bei der KG zwar keine formelle Kapitalaufbringungsgarantie, aber immerhin ein Vollwertigkeitsgebot3. Insofern bestehen Bedenken gegen die Aufrechnung mit einem Aufwendungsersatzanspruch aufgrund der Befriedigung eines Gläubigers in der Krise; denn der Aufwendungsersatzanspruch ist genau so wenig werthaltig wie die bezahlte Gläubigerforderung. Trotzdem gilt für die Haftungsbefreiung hier ausnahmsweise das Nominalwertprinzip4. Das folgt aus dem System der §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 4 HGB5: der Kommanditist kann sich durch die Einlageleistung von der Außenhaftung befreien. Leistet er stattdessen auf die Haftung, darf dieser Vorgang unter Hinweis auf die fehlende Vollwertigkeit der Gläubigerforderung nicht zu einer Erhöhung seiner Gesamtverpflichtung führen. Deshalb kann der Kommanditist sogar noch nach Insolvenzeröffnung gegen eine Inanspruchnahme vom Verwalter in Höhe des Nominalwertes aufrechnen. Erforderlich ist nur, dass er vor der Eröffnung an den Gläubiger gezahlt hat6. Die Aufrechnung scheitert auch nicht an § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO, weil die Herstellung der Aufrechnungslage nicht auf einer anfechtbaren Rechtshandlung beruht. Das gilt allerdings nur hinsichtlich des Verhältnisses zwischen dem Kommanditisten und der Gesellschaft, nicht, wie soeben dargelegt, hinsichtlich des Verhältnisses zwischen dem befriedigten Gläubiger und der Gesellschaft. 1 2 3 4
BGH v. 8.7.1985 – II ZR 269/84, NJW 1985, 2947. Zu diesem Kriterium bei der Gläubigerbenachteiligung: Kreft in HK-InsO, § 129 Rz. 37 f. MünchKommHGB/K. Schmidt, §§ 171, 172 Rz. 59 f. BGH v. 8.7.1985 – II ZR 269/84, NJW 1985, 2947 unter Ziff. IV; OLG Dresden v. 24.6.2004 – 7 W 554/04, ZIP 2004, 2140; Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 171 Rz. 7. 5 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 1575. 6 Statt an den Gläubiger zu zahlen, kann der Kommanditist auch mit einer eigenen Forderung gegen den Gläubiger aufrechnen, wobei die Abgabe der Aufrechnungserklärung der maßgebende Zeitpunkt ist, BGH v. 17.9.1964 – II ZR 162/62, NJW 1964, 2407.
Andres
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§3
Rz. 144
Gesellschafterberatung
144 Da der Kommanditist durch die Befriedigung eines Gläubigers von seiner Haftung befreit wird, gilt für die Einlageleistung nicht wie im GmbH-Recht das Gebot der freien Verfügbarkeit. Der Kommanditist wird namentlich auch dann frei, wenn er auf ein debitorisches Konto zahlt, ohne dass die Geschäftsführung über die Gutschrift disponieren kann. Zugleich erlischt im Innenverhältnis die Einlagepflicht im Wege der Aufrechnung1. 145 Schuldet der Kommanditist im Innenverhältnis eine Sacheinlage, hilft ihm die Aufrechnung nicht, sondern nur ein Zurückbehaltungsrecht. Insolvenzfest wäre es jedoch nur, wenn es ein handelsrechtliches Zurückbehaltungsrecht wäre, § 51 Nr. 3 InsO. Das wird man für die Zurückbehaltung des Kommanditisten nicht annehmen können. Gleichwohl wäre es wegen der Parallelität von Innen- und Außenhaftung unangemessen, wenn der Insolvenzverwalter den Kommanditisten auf Leistung der Sacheinlage in Anspruch nehmen dürfte. In der Insolvenz verfehlt die Sacheinlage ihren Zweck. Deshalb ist sie analog § 45 InsO wegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in eine Geldforderung umzurechnen, so dass aus dem Zurückbehaltungs- das vorbezeichnete insolvenzfeste Aufrechnungsrecht wird. Höchstrichterlich „abgesegnet“ ist das jedoch nicht. Für die Beratungspraxis gilt vorsorglich, dem Kommanditisten in der Krise zu empfehlen, die Sacheinlage zur Vermeidung einer Außenhaftung unverzüglich zu erbringen. 146 Insbesondere bei steuerorientierten Kapitalanlagen kommt es vor, dass im Handelsregister eine die Pflichteinlage übersteigende Haftsumme eingetragen wird, um höhere steuerliche Verluste geltend machen zu können, § 15a EStG. Neben der Einlage hat der Kommanditist gelegentlich ein verzinsliches Darlehen zu erbringen. Damit wird ihm ein vermeintlich geringeres Risiko als bei einer Einlage suggeriert. Tritt die Insolvenz ein, ist das Darlehen verloren, und es stellt sich die Frage, ob der Kommanditist auf die über die förmliche Einlage hinausgehende Außenhaftung das Darlehen anrechnen darf. Der BGH hat das bejaht; denn beides seien gesellschaftsrechtliche Beiträge, die nur begrifflich in Einlage und Darlehen aufgespalten worden seien, materiell aber eine einheitliche haftungsbefreiende Einlageleistung darstellen würden2 Deshalb spricht man auch von einer „gesplitteten Einlage“. 147 Eine Variante ist, dass das Darlehen von der Gesellschaft aufgenommen und vom Kommanditisten (nur) verbürgt wird. Beides ist ein Finanzierungsbeitrag des Kommanditisten, das Darlehen in Form der Geldleihe und die Bürgschaft in Form der Bonitätsleihe. Führt die Darlehenshingabe zum Erlöschen der Außenhaftung, müsste dies auch gelten, wenn der Kommanditist seine Bürgschaft einlöst. Das haben der BGH3 für einen Schuldbeitritt und das OLG Hamm4 für eine Bürgschaft bestätigt, indem sie die Aufrechnung des Aufwendungsersatzanspruches, der durch die Einlösung der Bürgschaft etc. entstand, in Höhe des Nominalwertes als Einlageleistung auch im Innenverhältnis ansahen. Damit erlischt zugleich die Außenhaftung gegenüber allen anderen Gläubigern, soweit die Haftsumme den gezahlten Betrag nicht übersteigt, § 171 Abs. 1 HGB. 148 Die Selbstständigkeit der Rechtsgründe – Einlageverpflichtung, Geschäftsführerhaftung, Bürgenhaftung – wird erst relevant, wenn ein Insolvenzverfahren eröffnet wird, weil der Kommanditist seine Haftungsschuld dann nicht mehr durch Zahlung an den Gläubiger, sondern nur noch durch Zahlung an den Verwalter erfüllen kann, während er dem Gläubiger aufgrund der Bürgschaft weiterhin direkt verhaftet bleibt5. Das hat einschneidende Konsequenzen für den Kommanditisten. Nur wenn er noch vor der Verfahrenseröffnung an den Gläubiger zahlt, bewirkt das neben einem Erlöschen der Bürgenschuld auch seine Enthaftung sowohl im Außenverhältnis aufgrund der §§ 171 Abs. 1, 161 Abs. 2, 128 HGB als auch im Innenverhältnis aufgrund der im Gesell1 2 3 4
OLG Dresden v. 24.6.2004 – 7 W 554/04, ZIP 2004, 2140. BGH v. 17.5.1982 – II ZR 16/81, NJW 1982, 2253. BGH v. 9.12.1971 – II ZR 33/68, NJW 1972, 480. OLG Hamm v. 5.1.1994 – VIII U 11/93, NJW-RR 1995, 489; Revision v. BGH durch Beschl. v. 12.12.1994 – II ZR 13/94 nicht angenommen. 5 Vgl. auch die unterschiedlichen Ansprüche im vorgenannten Urteilsfall des OLG Hamm.
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§3
schaftsvertrag vereinbarten Einlage, § 706 BGB. Nach Verfahrenseröffnung muss er hingegen aufgrund der Bürgenhaftung an den Gläubiger und aufgrund der Außenhaftung an den Insolvenzverwalter zahlen1. Anders wäre es, wenn §§ 171 Abs. 2 HGB, 93 InsO die Durchsetzung konkurrierender Haftungsansprüche der Gläubiger z.B. wegen einer Bürgschaft ebenfalls dem Insolvenzverwalter überantworten würden. Das indes lehnt die höchstrichterliche Rechtsprechung ab2. Anders wäre es auch, wenn mit der Zahlung auf eine Bürgschaft oder einen Schuldbeitritt nicht zugleich auch die gegenüber allen Gläubigern bestehende Außenhaftung erlöschen würde3. Das steht in der gesetzestypischen KG mit einer natürlichen Person als Komplementär ebenfalls nicht mit der Rechtsprechung im Einklang. Eine Ausnahme gibt es bei der KG ohne natürliche Person als Komplementär (siehe unten Rz. 161 ff.). Für die Beratungspraxis folgt daraus, dass in den Fällen, in denen die Außenhaftung noch nicht durch Einlageleistung erloschen ist, die von einem Kommanditisten einzelnen Gläubigern gestellten Sicherheiten vor Insolvenzeröffnung eingelöst werden müssen, damit sowohl die aufgrund § 171 Abs. 1 HGB bestehende Außenhaftung erlischt als auch die Innenhaftung im Wege der Aufrechnung mit dem Aufwendungsersatzanspruch. Die auf einem selbstständigen Verpflichtungsgrund – z.B. Bürgschaft, Schuldbeitritt, 149 Grundschuld – beruhende Haftung gegenüber einzelnen Gläubigern übersteigt gerade bei inhabergeführten Kommanditgesellschaften nicht selten die Haftsumme. Dann ist bei einer Inanspruchnahme nach Insolvenzeröffnung zu differenzieren: § 171 Abs. 2 HGB entfaltet eine Ermächtigungswirkung nur bis zur Höhe der noch bestehenden Außenhaftung. Wird der Kommanditist darüber hinaus von einem Gläubiger aus Bürgschaft etc. in Anspruch genommen, ist er mit seinem Aufwendungsersatzanspruch nach Auffassung des BGH wie ein normaler Gläubiger zu behandeln, der befugt ist, sich auf eine vor Insolvenzeröffnung bestehende Aufrechnungslage zu berufen. Sie soll laut BGH daraus resultieren, dass der Aufwendungsersatzanspruch bereits aufschiebend bedingt existierte. Deshalb ist er in Höhe des Mehrbetrages zur Aufrechnung befugt. Zur Erläuterung ein Beispiel: Beträgt die Haftsumme 50 TEuro und hat der Kommanditist nach Insolvenzeröffnung 50 TEuro gezahlt, darf er nicht aufrechnen. Der im Wege der Prozessstandschaft vom Verwalter geltend gemachte Anspruch auf die Hafteinlage, die im Urteilsfall identisch war mit der noch offenen Pflichteinlage, ist nicht erloschen. Muss der Kommanditist an den Gläubiger aber sogar 60 TEuro zahlen, darf er mit den 10 TEuro aufrechnen4. Dieses Urteil erging zur KO. Unter der InsO bestehen dagegen schon deshalb Bedenken, weil die Pflichteinlage spätestens mit Verfahrenseröffnung fällig wurde, der Erstattungsanspruch aber erst danach, so dass eine Aufrechnung an § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO scheitert. cc) Sacheinlage Anders als im Recht der Kapitalgesellschaften gibt es kein Verbot der verschleierten 150 Sacheinlage. Vielmehr kommt es nur darauf an, dass die Leistung des Kommanditisten dem objektiven Werte nach der Haftsumme entspricht. Überhöhte Wertvereinbarungen der Gesellschafter untereinander sind für die Haftung im Außenverhältnis nicht maßgebend. Daraus hat der BGH in einem allerdings älteren Urteil die Konsequenz gezogen, bei Sachlieferungen in der Krise sei zu berücksichtigen, dass ihre Verwertung einen geringeren Erlös bringen könne, so dass der Versilberungswert maßgebend sei5. Eine Einlageverpflichtung erfüllt der Kommanditist aber nur dann durch Sachleis- 151 tungen oder Vergütungsansprüche für Dienstleistungen, wenn dies zwischen den Gesellschaftern auch so vereinbart war. Das kann auch nachträglich geschehen. Dann kommt es auf den objektiven Wert im Zeitpunkt der Vertragsänderung an. Bei einer
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BGH v. 9.12.1971 – II ZR 33/68, NJW 1972, 480. BGH v. 4.7.2002 – IX ZR 265/01, ZIP 2002, 1492; BFH v. 2.11.2001 – VII B 155/01, ZIP 2002, 179. Dahingehend tendierend: K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 1575. BGH v. 9.12.1971 – II ZR 33/68, NJW 1972, 480. BGH v. 9.5.1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319 unter III. 1. b.
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Rz. 152
Gesellschafterberatung
Aufrechnung bedarf es zwar keines Einvernehmens aller Gesellschafter, weil sie auch einseitig vom Kommanditisten erklärt werden kann. Er hat seine Einlageverpflichtung trotz der Rückwirkung laut § 389 BGB dann aber erst mit der Aufrechnung erfüllt. Die Konsequenz ist, dass es auf den Wert seiner Forderung bei Abgabe der Aufrechnungserklärung ankommt1. Demgegenüber stellte die ältere, inzwischen jedoch überholte Rechtsprechung auf den Zeitpunkt der Leistung des Kommanditisten ab2. Eine Ausnahme gilt nur, wenn die Aufrechnungsforderung aus einer Gläubigerbefriedigung resultiert (siehe oben Rz. 140). 152 Die Maßgeblichkeit des objektiven Wertes einer Einlage und die Unbeachtlichkeit von Wertvereinbarungen gilt zu Lasten des Kommanditisten, nicht auch zu seinen Gunsten. Ist der Wert seiner Leistung höher als der dafür vereinbarte Betrag, wird das auf die Haftsumme nur in Höhe der Vereinbarungssumme angerechnet3; denn nur die „Einlage“ wird laut § 171 Abs. 1 HGB auf die Haftsumme angerechnet – und Einlage ist nur das, was auch als solche vereinbart ist, im Interesse des Gläubigerschutzes begrenzt durch den objektiven Wert. dd) Einlagenrückgewähr 153 Die durch Leistung der Einlage erloschene Haftung lebt wieder auf, wenn die Einlage zurückgewährt wird, § 172 Abs. 4 HGB. Wie bei §§ 30 f. GmbHG ist Einlagenrückgewähr jede Zuwendung4 an den Gesellschafter, die – unter Berücksichtigung eines mit kaufmännischer Sorgfalt auszufüllenden Beurteilungsspielraumes – nicht dem Drittvergleich standhält, sondern als causa societatis angesehen werden muss. Die Einlagenrückgewähr muss selbstverständlich nicht als solche bezeichnet sein. Haftungsschädlich sind nur diejenigen Zuwendungen, die das Kapitalkonto unter die Haftsumme sinken lassen. Für die Ermittlung des Kapitalkontos sind die Buchwerte maßgebend5, für die Höhe des zurückgewährten Betrages allerdings im Unterschied zur herrschenden Meinung bei der Einlagenrückgewähr in der GmbH die Verkehrswerte6. Für die Kommanditistenhaftung hat diese Unterscheidung anders als bei der GmbH jedoch keine Bedeutung; denn soweit das Kapitalkonto noch positiv bleibt, ist der Kommanditist von der Außenhaftung befreit. Die Diskussion um die Bewertung der Zuwendung mit dem Buch- oder dem Verkehrswert wird bei der GmbH nur deshalb geführt, weil der Empfänger dort auch über seine Stammeinlage hinaus haftet, wenn die Einlagenrückgewähr höher war. Demgegenüber ist die Außenhaftung des Kommanditisten auf die im Handelsregister eingetragene Haftsumme beschränkt, selbst wenn die Einlagenrückgewähr weit darüber hinaus geht7. Denkbar ist allerdings eine Haftung des Kommanditisten wegen Verletzung des Gesellschaftsvertrages; denn gemäß § 169 HGB steht ihm nur ein Entnahmerecht auf Gewinne zu. Zwar kann das jederzeit abgeändert werden. Dazu bedarf es aber des Einvernehmens aller Gesellschafter. Es scheitert nicht an § 172 Abs. 3 HGB, wonach eine Vereinbarung, durch die dem Kommanditisten die Einlage erlassen wird, den Gläubigern gegenüber unwirksam ist. Diese Vorschrift hat nur Bedeutung für die Außenhaftung. Anders als bei der GmbH, bei der eine Einlagenrückgewähr im Rahmen der Unterbilanz auch dann unzulässig ist, wenn sich sämtliche Gesellschafter einig sind, kann bei der KG das Eigenkapital (Einlagen) jederzeit mit Wirkung für das Innenverhältnis geändert werden8. Es sind sogar Auszahlungen zulässig, die zu einem negativen 1 MünchKommHGB/K. Schmidt, §§ 171, 172 Rz. 60. 2 Vgl. zum Nominalwertprinzip bei der Aufrechnung: BGH v. 3.3.1969 – II ZR 222/67, NJW 1969, 1210. 3 MünchKommHGB/K. Schmidt, §§ 171, 172 Rz. 48; missverständlich: BGH v. 1.6.1987 – II ZR 259/86, NJW 1987, 3184, dessen Ausführungen am Ende von S. 3185 aber wohl so zu verstehen sind, dass sie sich auf den im Einverständnis aller Gesellschafter festgelegten Wert beziehen. 4 BGH v. 9.5.1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319 unter IV 1. a. 5 BGH v. 11.12.1989 – II ZR 78/89, NJW 1990, 1109. Anders ist es bei der Einlageleistung mit Buchwertfortführung. Hier kommt es auf den objektiven Wert an, wenn die Gesellschafter ihn einvernehmlich über dem Buchwert ansetzen: BGH v. 1.6.1987 – II ZR 259/86, NJW 1987, 3184. 6 BGH v. 11.12.1989 – II ZR 78/89, NJW 1990, 1109. 7 BGH v. 19.2.1990 – II ZR 268/88, NJW 1990, 1725. 8 MünchKommHGB/K. Schmidt, §§ 171, 172 Rz. 39.
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Rz. 156
§3
Eigenkapital führen. Sie gehen zu Lasten des Komplementärs. Erst wenn keine natürliche Person unbeschränkt haftet, gibt es Restriktionen. Ein weiterer Unterschied zur GmbH besteht darin, dass die Voraussetzungen für die 154 Einlagenrückgewähr individuell für den empfangenden Kommanditisten ermittelt werden müssen. Maßgebend ist allein sein Kapitalkonto, nicht hingegen das gesamte Eigenkapital im Vergleich zum Haftkapital. Eine Einlagenrückgewähr liegt also auch dann vor, wenn die Kapitalkonten anderer Gesellschafter deren jeweilige Haftsumme weit übersteigen. Allerdings kann ihr Kapitalkonto zugunsten des entnahmebegünstigten Kommanditisten umgebucht werden mit der Folge, dass seine Außenhaftung wieder erlischt. Maßgebend hierfür ist nach dem Vollwertprinzip nicht der Buchwert, sondern der Verkehrswert einschließlich der dem Kapitalkonto kalkulatorisch zuzuordnenden stillen Reserven1. Außerdem ist das Einverständnis aller übrigen Gesellschafter erforderlich, wenn dem Kapitalkonto des begünstigten Kommanditisten wegen der stillen Reserven ein höherer Betrag gutgeschrieben wird als der Buchwert, um den sich das Kapitalkonto des belasteten Gesellschafters reduziert; denn dadurch erhält der begünstigte Kommanditist vorab einen Anteil an den kalkulatorisch nur für ihn aufgedeckten stillen Reserven. Mit dem dadurch erhöhten Kapitalanteil partizipiert er ein zweites Mal an den stillen Reserven, wenn sie z.B. durch den Verkauf eines Grundstücks im Gesellschaftsvermögen effektiv aufgedeckt werden2. Das vom BGH im Urteil vom 1.6.1987 betonte Einverständnis aller Gesellschafter ist eigentlich kein Spezifikum der Umbuchung, sondern gilt bei jeder Einlageleistung mit Buchwertfortführung, falls der Kommanditist dadurch eine im Nominalbetrag über dem Buchwert liegende Pflichteinlage erbringen darf; denn haftungsbefreiend wirkt maximal der Wert, auf den sich die Gesellschafter im Innenverhältnis verständigt haben, bei einer simplen Umbuchung ohne Einverständnis aller also nur der auf festgestellten Bilanzen beruhende Buchwert, selbst wenn der tatsächliche Wert höher liegt (siehe oben Rz. 66 ff.). Wird aber die Zuwendung auf einem unabhängig von dem Kapitalkonto geführten 155 Verrechnungskonto gebucht und damit ein Anspruch gegen den Kommanditisten ausgewiesen, lebt seine Außenhaftung nicht auf3. Das ist eine Kreditgewährung aus dem Gesellschaftsvermögen. Sie ist zulässig. In der GmbH behandelt der BGH Kreditgewährungen, die zulasten des gebundenen Vermögens an Gesellschafter erfolgen, demgegenüber als Einlagenrückgewähr4. Für die KG wäre mit einer solchen Beurteilung nichts gewonnen, weil es – anders als bei § 31 Abs. 3 GmbHG – keine Ausfallhaftung der Mitgesellschafter gibt und für die Erstattung nur das Vollwertigkeitsgebot eingreift, nicht aber die formellen Aufrechnungsverbote des GmbH-Rechts. Sogar das Wiederauffüllen des Kapitalkontos durch stehengelassene Gewinne reicht im Gegensatz zur GmbH5 aus. Ähnlich wie § 32 GmbHG enthält § 172 Abs. 5 HGB einen Gutglaubenschutz für Gewinnauszahlungen. Allerdings verlangt die HGB-Vorschrift nicht nur einen guten Glauben der Kommanditisten, sondern – anders als bei der GmbH – auch noch einen guten Glauben der Bilanzersteller6, was gerade bei Kapitalanlagen mit einem fraudolosen Hintergrund nicht gegeben ist. Die von ihnen wider besseres Wissen ausgewiesenen Scheingewinne führen zum Wiederaufleben der Kommanditistenhaftung7. Ob dies für Publikumskommanditgesellschaft einzuschränken ist, ist umstritten8.
1 BGH v. 1.6.1987 – II ZR 259/86, NJW 1987, 3184. 2 BGH v. 1.6.1987 – II ZR 259/86, NJW 1987, 3184. Anders ist es nur, wenn im Zusammenhang mit der Umbuchung eine Gewinnverteilungsabrede dahingehend getroffen wird, dass der von der Umbuchung begünstigte Kommanditist am Gewinn, der später durch die Aufdeckung bestimmter stiller Reserven entsteht, nicht partizipiert. 3 MünchKommHGB/K. Schmidt, §§ 171, 172 Rz. 69. 4 BGH v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, ZIP 2004, 263. 5 BGH v. 29.5.2000 – II ZR 347/97, ZIP 2000, 1256. 6 BGH v. 1.6.1987 – II ZR 259/86, NJW 1987, 3184. 7 BGH v. 12.7.1982 – II ZR 201/81, NJW 1982, 2500. 8 MünchKommHGB/K. Schmidt, §§ 171, 172 Rz. 87.
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157 Kürzlich hat der BGH die früher als selbstständige Haftungsfigur angesehene Existenzvernichtungshaftung als eine bloße Fallgruppe des § 826 BGB eingeordnet1. Danach haften die Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft für einen mit mindestens dolus eventualis vorgenommenen gezielten Entzug von Vermögenswerten zu betriebsfremden Zwecken. Begründet wird diese „durch richterlichen Gestaltungsakt“2 aufrechterhaltene Fallgruppe mit Lücken im Kapitalschutzsystem der GmbH. Sie fehlen bei der gesetzestypischen KG mit einer natürlichen Person als unbeschränkt haftendendem Komplementär. Die Vermögensverlagerung in Kenntnis einer unzulänglichen Leistungsfähigkeit des Komplementärs ist nur nach den Anfechtungsvorschriften der InsO bzw. des AnfG revidierbar. Anders ist es bei der GmbH & Co. KG, bei der auch für den Vermögenseingriff des Kommanditisten dieselben Schutzüberlegungen gelten. b) Haftung vor Eintragung 158 § 176 HGB bestimmt, dass sich der Kommanditist auf die Haftungsbeschränkung gegenüber denjenigen Verbindlichkeiten nicht berufen darf, die vorher eingegangen wurden, wenn er dem Geschäftsbeginn zugestimmt hat bzw. sein Eintritt in ein bereits tätiges Handelsgeschäft vor seiner Eintragung als Kommanditist wirksam wurde. Allerdings gilt dies trotz der Ähnlichkeit mit der Außenhaftung des oHG-Gesellschafters nicht für die von § 130 HGB erfassten Verbindlichkeiten, die vor seinem Beitritt entstanden sind3; denn § 176 Abs. 2 HGB bezieht sich ausdrücklich nur auf die in der Zeit zwischen seinem Eintritt und seiner Eintragung begründeten Verbindlichkeiten. Anders als bei der ebenfalls unbeschränkten – wenngleich als Innenhaftung ausgestalteten – Unterbilanzhaftung für die vor der Eintragung angefallenen Verluste im GmbH-Recht hilft dem Kommanditisten ein „Bösglaubenschutz“: War dem Gläubiger bekannt, dass der Gesellschafter nur als Kommanditist beschränkt haften wollte, greift diese Beschränkung schon vor der Eintragung ein. Eine solche Kenntnis liegt zumindest dann vor, wenn die Gesellschaft als GmbH & Co. firmiert4. Kennt der Gläubiger hingegen noch nicht einmal die Beteiligung des später eingetragenen Kommanditisten, hindert das dessen unbeschränkte Haftung nicht5. c) Haftung des ausgeschiedenen Kommanditisten 159 Die Haftung des ausgeschiedenen Kommanditisten lebt gemäß § 172 Abs. 4 HGB wieder auf, wenn er eine Abfindung (§§ 738 ff. BGB) erhält. Sie ist eine Einlagenrückgewähr. Wird die Abfindung jedoch nicht ausbezahlt, sondern als Darlehen stehen gelassen, ist das Gesellschaftsvermögen zwar bilanziell, aber noch nicht materiell gemindert, so dass es bei der durch die ursprüngliche Einlageleistung bewirkten Haftungsbefreiung bleibt6. Das deckt sich mit derjenigen Rechtsprechung, nach der eine Haftungsbefreiung auch dann eintritt, wenn die Einlage durch ein Darlehen wirkt7, könnte andererseits aber im Widerspruch zum Vollwertigkeitsgebot bei einer Sacheinlage stehen. Rechnet der Kommanditist nämlich mit einer Forderung gegen die Gesellschaft erst in einem Zeitpunkt auf, in dem die Forderung nicht mehr vollwertig ist, wird er nur in Höhe des Teilwerts von seiner Außenhaftung befreit. Es wird nicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse in dem Zeitpunkt abgestellt, in dem seine Forderung begründet wurde. Maßgebend sind vielmehr trotz der Rückwirkung des § 389 BGB diejenigen im Zeitpunkt der Aufrechnung8 (siehe oben Rz. 151). Übertragen auf das Stehenlassen des Abfindungsanspruchs könnte daraus folgen, dass es nicht auf die Vollwertigkeit bei der Einbuchung, sondern bei der Haftungsinanspruchnahme
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BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, DB 2007, 1802. BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, DB 2007, 1802 (1804). MünchKommHGB/K. Schmidt, § 176 Rz. 34. BGH v. 21.3.1983 – II ZR 113/82, NJW 1983, 2258; OLG Frankfurt v. 9.5.2007 – 13 U 195/06, NZG 2007, 625. BGH v. 28.10.1981 – II ZR 129/80, NJW 1982, 883. BGH v. 9.5.1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319. BGH v. 17.5.1982 – II ZR 16/81, NJW 1982, 2253. BGH v. 8.7.1985 – II ZR 269/84, NJW 1985, 2947.
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ankäme. Gleichwohl ist die Auffassung des BGH zutreffend, weil ein Stehenlassen des Abfindungsanspruchs ebenso wie die Erfüllung der Einlageverpflichtung durch Darlehen causa societatis erfolgt und nicht aus einem Drittgeschäft resultiert, wie es den Aufrechnungsfällen zugrunde liegt. Das Ergebnis ist auch angemessen; denn die Gesellschaftsverträge enthalten regelmäßig Ratenzahlungsvereinbarungen für die Abfindung. Ausgeschiedene Kommanditisten haben gesellschaftsrechtlich also noch gar keinen fälligen Abfindungs(= Einlageerstattungs)anspruch. Der ehemalige Gesellschafter würde dem Gläubiger allein aufgrund des Ausscheidens haften, ohne dass er u.U. auch nur einen einzigen Euro von der KG erhalten hätte. Die fortdauernde Haftungsbefreiung durch Stehenlassen der Abfindungsforderung sollte man nicht davon abhängig machen, ob die Verbindlichkeit als Abfindungs- oder als Darlehensschuld bezeichnet wird1. Die interne buchhalterische Behandlung bei der Gesellschaft hat hinter der wertenden Betrachtungsweise zurückzustehen, die es gebietet, erst bei einem Kapitalentzug eine Erhöhung des Gläubigerrisikos anzunehmen. Für das Innenverhältnis (Rz. 109) wurde oben beim ausgeschiedenen unbeschränkt 160 haftenden Gesellschafter dargelegt, dass er nach herrschender Meinung durch die Einlösung seiner Haftungsschuld an die Stelle des von ihm befriedigten Gläubigers tritt. Das gilt auch für den ausgeschiedenen Kommanditisten2. Für das Außenverhältnis kommt bei ihm jedoch als Gestaltungsalternative hinzu, dass er sich von seiner Haftung befreien kann, indem er, statt an den Gläubiger zu zahlen, der Gesellschaft eine Einlagenrückgewähr wieder erstattet. Hier macht die Insolvenzeröffnung eine eigentümliche Zäsur: zieht der Verwalter die Haftsumme ein, darf sie nur zur Befriedigung derjenigen Gläubiger verwendet werden, denen gegenüber der ausgeschiedene Kommanditist gemäß § 160 HGB noch haftet3. Zahlt er hingegen vor Verfahrenseröffnung an die Gesellschaft, wird er gemäß § 171 Abs. 1 HGB ebenfalls von seiner Haftung gegenüber diesen Gläubigern frei, nur dass der Betrag jetzt nicht mehr allein zur Befriedigung der Altgläubiger, sondern sämtlicher Gläubiger einschließlich laufender Kosten verwendet werden darf4. Das kann eine außergerichtliche Sanierung bei nennenswerten Beträgen ausgeschiedener Kommanditisten erleichtern, weil dann sämtliche in der Krise vorhandenen Gläubiger gleich behandelt werden. Selbst wenn es trotzdem zu einem Insolvenzverfahren kommt, kann die vorherige Zahlung an die Gesellschaft wegen der nicht beschränkten Mittelverwendung die Unternehmensfortführung erleichtern mit der Chance auf einen späteren Insolvenzplan. Die Beratungsempfehlung lautet deshalb, den Betrag vor Verfahrenseröffnung in das Gesellschaftsvermögen (wieder) einzulegen. d) Besonderheiten der GmbH & Co. KG aa) Einlageleistung und Haftungsbefreiung Für die Kommanditisten einer GmbH & Co. KG gibt es ergänzende Haftungsvorschriften, von denen sich nur eine im HGB befindet: Nach § 172 Abs. 6 HGB gilt die Kommanditeinlage als nicht geleistet, soweit sie in Anteilen an der KomplementärGmbH bewirkt wird.
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Das hat sowohl Auswirkungen auf die haftungsbefreiende Einlageleistung als auch 162 auf die haftungsauflebende Einlagerückgewähr. Oben wurde bereits dargelegt, dass die vor Insolvenzeröffnung erfolgte Zahlung auf eine Bürgschaft sowohl die Außenhaftung als auch im Wege der Aufrechnung mit dem Aufwendungsersatzanspruch die Innenhaftung tilgt. Eine Aufrechnung mit der Einlageverpflichtung ist jedoch nicht mehr möglich, wenn die Bürgschaft eigenkapitalersetzend geworden ist, weil es an der Fälligkeit des Aufwendungsersatzanspruches als Voraussetzung für diese Auf1 S. aber MünchKommHGB/K. Schmidt, §§ 171, 172 Rz. 73 m.N. in Fn. 257, 259. 2 BGH v. 9.5.1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319. 3 BGH v. 10.5.1978 – VIII ZR 32/77, NJW 1978, 1525; Gottwald/Haas, Insolvenzrechtshandbuch, § 94 Rz. 83, 109. 4 BGH v. 9.5.1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319; a.A. MünchKommHGB/K. Schmidt, §§ 171, 172 Rz. 43 unter irrtümlichem Verweis auf die Fundstellen in Fn. 111, die das Inkasso durch den Verwalter betreffen.
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Gesellschafterberatung
rechnung fehlt (vgl. Rz. 27)1. Anders könnte es sein, wenn es nicht um eine Aufrechnung geht, sondern der Kommanditist von vornherein als Beitrag nur die Übernahme der Bürgschaft schuldete. Dann hat er im Innenverhältnis alles getan, was er zu leisten versprochen hat: 163 Die Übernahme der Bürgschaft ist nicht nur ein Beitrag, der den Haftungsfonds der KG unberührt lässt, sondern nach der Zahlung auch eine Einlage2. Ebenso verhält es sich mit dem oben (Rz. 159) erwähnten Beispiel eines Darlehens: Gewährt der Kommanditist der Gesellschaft ein Darlehen, weil das von vornherein so als sein Beitrag vereinbart war, ist auch dies trotz der Bezeichnung als Darlehen und Passivierung als Schuld in der Handelsbilanz der KG eine Einlageleistung, die den Kommanditisten in Höhe des Nominalwertes von der Außenhaftung befreit, § 171 Abs. 1 HGB. Anders ist es, wenn der Kommanditist neben seiner offenen Einlageschuld ein Darlehen gewährt oder eine Bürgschaft übernimmt. Der Kommanditist darf der Gesellschaft nicht einseitig eine andere als die ursprünglich als Einlage geschuldete Leistung aufdrängen. Dazu bedarf es vielmehr der Vereinbarung („Vertragstheorie“3). Als einseitige Maßnahme kann er nur die Aufrechnung erklären. Das aber erfordert die Vollwertigkeit und die Fälligkeit, § 387 BGB. Schon an der Fälligkeit fehlt es, soweit die Gesellschafterleistung den Rechtsprechungsregeln zum Eigenkapitalersatz unterliegt. Eine Rückzahlung des Darlehens oder eine Befreiung von gestellten Sicherheiten darf dann analog § 30 GmbHG auch vom Nur-Kommanditisten einer GmbH & Co. KG nicht geltend gemacht werden. Das Gleiche gilt, wenn sich die Gesellschafter nachträglich über eine Anrechnung auf die Einlageverpflichtung einig sind. Im Innenverhältnis ist das zwar zulässig, § 163 HGB. Für das Außenverhältnis kommt es aber auf die Vollwertigkeit an. Dafür ist auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem diese Abrede nachträglich getroffen wird4. § 30 GmbHG analog ist nicht dispositiv – und ein Anspruch, der nicht durchsetzbar ist, ist schon deshalb nicht vollwertig. Daraus folgt: Wird nach Abschluss des Gesellschaftsvertrages zwischen allen Gesellschaften – nicht nur mit der Geschäftsführung – vereinbart, dass die Einlage durch ein Darlehen oder eine Bürgschaft etc. erbracht wird, ist die Vollwertigkeit gegeben, wenn die Leistungen erst anschließend erfolgen werden, mögen sie zusätzlich auch noch eigenkapitalersetzenden Charakter haben. Sowohl die Innen- als auch die Außenhaftung ist erloschen5, bei der Bürgschaft natürlich nur unter der Bedingung, dass auch tatsächlich Zahlung erfolgt. Wird die Einlagevereinbarung hingegen erst geändert, nachdem der Kommanditist Darlehen oder Sicherheiten schon gewährt hat, kommt es auf den Zeitpunkt der Änderung an. Liegt dann bereits Eigenkapitalersatz vor, ist die Abrede zwar für das Innenverhältnis wirksam – § 172 Abs. 3 HGB gilt nur im Verhältnis zu den Gläubigern –, nicht aber für das Außenverhältnis im Hinblick auf die Haftsumme. 164 Soweit das Eigenkapitalersatzrecht nicht auf die Einlageleistung ausstrahlt, finden die Kapitalaufbringungsvorschriften des GmbH-Rechts keine analoge Anwendung auf die Leistung der Pflichteinlage, und zwar auch nicht insoweit, soweit gleichzeitig die Außenhaftung erlöschen soll6. bb) Kapitalerhaltung 165 Was für die Einlageleistung gilt, gilt auch für die Kapitalerhaltung, für die bei der GmbH & Co. KG neben §§ 171 f. HGB die §§ 30 f. GmbHG analog eingreifen7. Voraussetzung ist, dass Zahlungen an die Kommanditisten das Eigenkapital der KG so 1 Im Ergebnis ebenso, wobei der BGH die Lösung auf eine nach § 31 GmbHG geschuldete Rückgewähr der erloschenen Einlageschuld stützt: BGH v. 8.7.1985 – II ZR 269/84, NJW 1985, 2947; OLG Hamm v. 5.1.1994 – 8 U 11/93, NJW 1995, 489. 2 BGH v. 9.12.1971 – II ZR 33/68, NJW 1972, 480. 3 MünchKommHGB/K. Schmidt, §§ 171, 172 Rz. 46 ff. 4 MünchKommHGB/K. Schmidt, §§ 171, 172 Rz. 59 f. 5 Vgl. zur Einlageleistung durch Darlehen an die KG mit natürlicher Person als Komplementär: BGH v. 17.5.1982 – II ZR 16/81, NJW 1982, 2253. 6 BGH v. 8.7.1985 – II ZR 269/84, NJW 1985, 2947; OLG Dresden v. 24.6.2004 – 7 W 554/04, ZIP 2004, 2140. 7 BGH v. 19.2.1990 – II ZR 268/88, NJW 1990, 1725; BGH v. 27.3.1995 – II ZR 30/94, ZIP 1995, 736.
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Haftung des Personengesellschafters
Rz. 168
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stark mindern, dass ein Rückgriffsanspruch der Komplementärin, den sie gegen die KG gemäß § 110 HGB aufgrund ihrer persönlichen Haftung hat, nicht mehr vollwertig ist. Diese Voraussetzung ist erst erfüllt, wenn die KG durch die Einlagenrückgewähr in die Überschuldung gerät; denn bis zu dieser Grenze kann sie einen Rückgriffsanspruch der GmbH noch im vollen Umfang befriedigen. Soweit es die Eigenkapitalverhältnisse der KG betrifft, ist also nicht etwa eine „Unterbilanz“ im Vergleich zu den im Handelsregister eingetragenen Haftsummen maßgebend. In einem zweiten Schritt ist sodann das Eigenkapital der GmbH zu prüfen. Hat sie genügend freies, die Stammkapitalziffer übersteigendes Reinvermögen, gibt es keine Veranlassung für einen Kapitalschutz. Somit greift eine doppelte Eigenkapitalbetrachtung ein: Bei der KG muss durch die Einlagenrückgewähr eine Überschuldung entstehen oder vertieft werden und bei der Komplementärin eine Unterbilanz entstehen. Für diese Unterbilanz der GmbH werden gedanklich die Haftungsansprüche, die die Komplementärin nach § 128 HGB treffen, in vollen Umfang passiviert und die Aufwendungsersatzansprüche, die sie gemäß § 110 HGB gegen die KG geltend machen könnte, in Höhe des Realisationswertes aktiviert. Erst wenn die KG überschuldet ist, ist die kalkulatorisch passivierte Haftung größer als die kalkulatorisch aktivierte Erstattung1. Fraglich ist, ob für die Eigenkapitalverhältnisse sowohl der GmbH als auch der KG 166 die Buchwerte maßgebend sind. Für die KG könnte man insofern daran zweifeln, als die analoge Anwendung der §§ 30 f. GmbHG mit einer Entwertung des Regressanspruchs der GmbH begründet wird, wenn eine Überschuldung der KG durch die Entnahme herbeigeführt oder vertieft wird. Die Werthaltigkeit des Rückgriffsanspruchs aber hängt von den wahren wirtschaftlichen Verhältnissen und nicht von den Buchwerten ab. Das gilt bspw. auch für die Vollwertigkeit einer Forderung, mit der der Kommanditist zum Zwecke der Einlageleistung aufrechnet. Für die jeweils isoliert betrachtete Einlagenrückgewähr sowohl in der GmbH2 als auch in der KG3 hat sich der BGH für eine Buchwertbetrachtung entschieden. Der Effizienz des Gläubigerschutzes wird der Vorrang einer unsicheren und subjektiven Verkehrswertermittlung eingeräumt. Deshalb sind auch für die Überschuldung der KG, die im ersten Schritt zu prüfen ist, um daraus auf eine Beeinträchtigung des Stammkapitals der GmbH zu schließen, die Buchwerte maßgebend und nicht – wie bei der insolvenzrechtlichen Überschuldung gemäß § 19 InsO – die Verkehrswerte. Stille Reserven dürfen also nicht haftungsentlastend berücksichtigt werden. Systematisch geht es dem BGH zwar um einen Kapitalschutz der GmbH, aber über das Vermögen der KG. Die Konsequenz dieses „Umweges“ ist, dass eine Erstattung in das Vermögen der KG zu richten ist, nicht in das Vermögen der GmbH.
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Die Auswirkungen der Kapitalschutzvorschriften zugunsten der GmbH treffen auch 168 den Nur-Kommanditisten, der an der Komplementärin nicht beteiligt ist4. Der BGH begründet dies damit, dass die Kommanditisten, die als Komplementärin eine beschränkt haftende GmbH bestellen, verpflichtet seien, innerhalb der KG deren Kapital zu schützen5. Dadurch wird die Kommanditistenhaftung gegenüber dem gesetzlichen Modell erheblich verändert: geht es bei § 171 Abs. 1 HGB nur um die Außenhaftung, die auf die Höhe der eingetragenen Haftsumme begrenzt ist, auch wenn mehr an den Kommanditisten zurückgewährt wird, besteht nunmehr daneben eine unbegrenzte Innenhaftung. Ob auch die Mitkommanditisten eine Ausfallhaftung analog § 31 Abs. 3 GmbHG trifft, hat der BGH für den Nur-Kommanditisten noch nicht entschieden, sondern in einem Urteil aus 1995 nur darauf abgestellt, dass die Mit-Kommanditisten nach § 31 Abs. 1 GmbHG haften, wenn sie an der unzulässigen Auszahlung pflichtwidrig mitwirken6. Diese Rechtsprechung hat er inzwischen für
1 2 3 4 5 6
BGH v. 19.2.1990 – II ZR 268/88, NJW 1990, 1725. Roth/Altmeppen, GmbHG, § 30 Rz. 10 ff. BGH v. 11.12.1989 – II ZR 78/89, NJW 1990, 1109. BGH v. 27.3.1995 – II ZR 30/94, ZIP 1995, 736; BGH v. 19.2.1990 – II ZR 268/88, NJW 1990, 1725. BGH v. 19.2.1990 – II ZR 268/88, NJW 1990, 1725. BGH v. 27.3.1995 – II ZR 30/94, ZIP 1995, 736.
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Rz. 169
Gesellschafterberatung
die GmbH allerdings aufgegeben1. Eine von dem Verhalten unabhängige Ausfallhaftung des Nur-Kommanditisten ist abzulehnen2, weil sie sich dem Kapitalschutzsystem der KG unterworfen haben und – anders als der begünstigte Kommanditist – die Einlagenrückgewähr auch nicht beeinflussen können. Es bleibt aber eine Haftung des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH für die Begünstigung des Kommanditisten3. 169 Die Erwägungen des BGH zur Existenzvernichtungshaftung des GmbH-Gesellschafters im Rahmen von § 826 BGB4 gelten auch für den Nur-Kommanditisten einer GmbH & Co. KG entsprechend. VII. Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren 1. Beteiligtenstellung 170 Ist der Gesellschafter Gläubiger der schuldnerischen Gesellschaft, ergibt sich seine Beteiligtenstellung aus dieser Eigenschaft, hinsichtlich Gesellschafterdarlehn oder ähnlichen Forderungen allerdings nur, soweit nachrangige Forderungen nach gesonderter Aufforderung am Verfahren teilnehmen, §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 174 Abs. 3 InsO. Von der Gläubigerstellung zu unterscheiden ist die reine Gesellschafterposition. Zwar sind die Gesellschafter nicht Träger der Schuldnerrolle. Das ist nur die Gesellschaft, und zwar auch bei der Insolvenz über das (Sonder-)Vermögen einer Personengesellschaft. Aber § 199 Satz 2 InsO zeigt, dass der Insolvenzverwalter auch den Gesellschaftern gegenüber Pflichten haben kann. Zwar ist die dort angesprochene Verteilung eines Überschusses äußerst selten. Dass die Gesellschafter aber Beteiligte jedenfalls sein können, geht daraus deutlich hervor. Für den Personengesellschafter kommt hinzu, dass er z.B. auch für Dauerschuldverhältnisse haftet, die gemäß § 108 InsO nach Verfahrenseröffnung fortbestehen, so dass der Verwalter sie auch im Interesse des Gesellschafters, mag es auch nachrangig sein, möglichst masse- und damit haftungsschonend abwickeln muss. Die Frage lautet deshalb auch nicht, ob sie überhaupt Beteiligte sein können, sondern welche insolvenzspezifischen Rechte sie haben, deren Verletzung eine Haftung des Verwalters gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 InsO begründet. Im Wesentlichen beschränken sich ihre Rechte auf die gesellschaftsinternen Mitwirkungsbefugnisse. Fehler des Verwalters betreffen das Schuldnervermögen. Selbst wenn einmal ein Schaden den Betrag übersteigt, der zur Gläubigerbefriedigung erforderlich ist, tritt der Nachteil bei der Gesellschaft als Schuldnerin ein. Die Gesellschafter erleiden nur einen Reflexschaden. Ihn können sie im eigenen Namen nicht geltend machen, es sei denn, dass ausnahmsweise dieselben besonderen Voraussetzungen vorliegen, unter denen ein Reflexschaden außerhalb der Insolvenz direkt durchgesetzt werden darf. 2. Informationsrechte 171 Sowohl in den Personengesellschaften (§§ 716 BGB, 118, 166 HGB) als auch in den juristischen Personen (z.B. § 51a GmbHG) stehen den an der Geschäftsführung nicht beteiligten Gesellschaftern unterschiedlich stark ausgeprägte Auskunftsansprüche zu. Bei juristischen Personen mit typischer Weise einer Vielzahl von Gesellschaftern sind sie mediatisiert. So sind die Rechte z.B. in der AG beim Aufsichtsrat gebündelt, §§ 90, 111 AktG, während der Aktionär auf sein Fragerecht in der Hauptversammlung beschränkt ist, § 131 AktG. 172 Die Geschäftsführer sind während des Insolvenzverfahrens nicht in der Lage, die angeforderten Informationen zu erteilen, weil die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ab der Eröffnung dem Verwalter zusteht, § 80 Abs. 1 InsO. In seinem Besitz befinden sich auch die Geschäftsbücher über die Vorgänge vor Eröffnung, §§ 36 Abs. 2 Nr. 1, 148 Abs. 1 InsO. Deshalb wird die Auffassung vertreten, die Auskunfts- und Ein1 2 3 4
BGH v. 21.6.1999 – II ZR 47/98, ZIP 1999, 1352. A.A. wohl MünchKommHGB/K. Schmidt, §§ 171, 172 Rz. 128. BGH v. 19.2.1990 – II ZR 268/88, NJW 1990, 1725. BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, DB 2007, 1802.
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Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren
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sichtsrechte des Gesellschafters würden sich gegen den Insolvenzverwalter richten1. Dem ist jedoch nicht zu folgen. Sonst hätte jeder einzelne Gesellschafter mehr Rechte als ein einzelner Gläubiger, dem das Insolvenzverfahren in erster Linie dient (§ 1 InsO). Jener aber kann sich über die Verhältnisse des Schuldners nur im Rahmen der Gläubigerversammlung erkundigen, §§ 79, 156 ff. InsO. Auch formaljuristisch ist es verfehlt, dem Gesellschafter einen Direktanspruch zu gewähren; denn der Auskunftsanspruch richtet sich außerhalb der Insolvenz gegen die Gesellschaft2. Der Anspruch ist also vor der Insolvenzeröffnung begründet und wird mit der Insolvenzeröffnung zur Insolvenzforderung, § 38 InsO. Eine vom Insolvenzverwalter zu erfüllende Masseverbindlichkeit wäre er nur, wenn er unter § 55 Abs. 1 InsO fallen würde. Dazu gehören zwar auch Auskunftsansprüche, aber nur als Nebenrechte im Zusammenhang mit Aus- und Absonderungsrechten. Einen allgemeinen Informationsanspruch z.B. über das Ergebnis einer Unternehmensfortführung oder von Vertragsverhandlungen haben Gläubiger nicht. Genauso wenig wie der Insolvenzverwalter die Rechenschaftspflicht des § 666 BGB aufgrund eines vom Schuldner übernommenen Geschäftsbesorgungsauftrages erfüllen muss, wenn er nicht die Erfüllung des Auftrages gemäß § 103 InsO wählt3, muss er dem Gesellschafter gegenüber Auskünfte erteilen4. Vielmehr muss sich der Gesellschafter an den Geschäftsführer halten, der ihm die Informationen vermitteln muss, die er als Vertreter der Schuldnerin bekommen kann. Relevant ist das insbesondere, wenn ein Insolvenzplan beabsichtigt ist. Ihn vorzulegen, ist gemäß § 218 InsO auch der Schuldner berechtigt, so dass der Verwalter ihm die Informationen erteilen und Einsicht in Unterlagen gewähren muss, die für den Planinhalt nach §§ 220 ff., 229 f. InsO erforderlich sind. Unabhängig davon ergibt sich eine Abrechnungsverpflichtung des Verwalters gegen- 173 über dem Gesellschafter aufgrund von § 199 InsO. Voraussetzung ist, dass ein verteilungsfähiger Überschuss existiert oder zumindest dargetan wird, dass eine solche Verteilung bei ordnungsmäßiger Verwaltung möglich gewesen wäre. Ist der Anwendungsbereich des § 199 InsO hingegen nicht tangiert, bleibt es bei der Auskunftspflicht gegenüber Gläubigerversammlung, Gläubigerausschuss und Insolvenzgericht. Da der Geschäftsführer als Vertreter der Schuldnerrolle Akteneinsichtsrecht beim Gericht hat, über deren Ergebnis er die Gesellschafter informieren kann, werden ihre Auskunftsansprüche auch nicht unangemessen beschränkt. 3. Bilanzerstellungsanspruch Wesentliche Informationen können der handels- und steuerrechtlichen Rechnungs- 174 legung entnommen werden. Sie ist für den Gesellschafter außerdem wichtig, wenn es darum geht, einen Verlust gemäß § 15 EStG bei Personengesellschaften bzw. § 17 EStG bei Kapitalgesellschaften insbesondere auch i.V.m. Gesellschafterdarlehn oder ähnlichen Leistungen in ihrer persönlichen Steuererklärung geltend zu machen. Laut § 155 Abs. 1 Satz 1 InsO ist ab Verfahrenseröffnung der Insolvenzverwalter für die Erfüllung der handels- und steuerrechtlichen Pflichten des Schuldners zur Buchführung und Rechnungslegung zuständig, und zwar auch für die noch nicht erledigte Zeit vor Verfahrenseröffnung. Sogar eine nach § 316 HGB erforderliche Pflichtprüfung muss erfolgen. Die Befreiungsmöglichkeit des § 71 Abs. 3 GmbHG gilt für die Zeit vor Insolvenzeröffnung nicht5. Satz 2 des § 155 Abs. 1 InsO begrenzt die Zuständigkeit „in Bezug auf die Insolvenzmasse“. Damit wird die schon zur Konkursordnung geltende Rechtsprechung bestätigt, dass sich die Steuererklärungspflichten nicht auf die steuerlichen Verhältnisse der Gesellschafter bezieht. Insbesondere hat
1 OLG Zweibrücken v. 7.9.2006 – 3 W 122/06, ZIP 2006, 2407 (für die KG); OLG Hamm v. 25.10.2001 – 15 W 118/01, NZG 2002, 178 (für die GmbH). 2 BGH v. 6.3.1997 – II ZB 4/96, ZIP 1997, 978; BGH v. 23.2.1992 – II ZR 128/91, NJW 1992, 1891; BayObLG v. 18.3.2003 – 3 Z BR 246/02, NZG 2004, 99. 3 Kuleisa in Hamburger Kommentar zur InsO, § 80 Rz. 20. 4 BayObLG v. 8.4.2005 – 3Z BR 246/04, ZIP 2005, 1087; Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 11 Rz. 137. 5 OLG München v. 10.8.2005 – 31 Wx 61/05, ZIP 2005, 2068.
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Gesellschafterberatung
der Verwalter für die Personengesellschaft keine Erklärung zur einheitlichen und gesonderten Gewinn- und Verlustfeststellung gemäß § 179 AO abzugeben1. 175 Geht es aber nur um die Pflichten in Bezug auf die Masse, dann können aus der Verletzung außer Individualschäden des Fiskus nur Schäden der Gesamtgläubigerschaft geltend gemacht werden, in dem z.B. vom Finanzamt zu Lasten der Masse erhobene Säumnis- und Verspätungszuschläge erstattet werden müssen. Individualansprüche der Gesellschafter – nicht in der Gesellschaft, also des Gesamthandsvermögens, für das durchaus ein Anspruch in Betracht kommt2 – fallen hingegen nicht in den Schutzbereich der Verpflichtung, so dass sie daraus auch keinen Schadensersatzanspruch gemäß § 60 InsO geltend machen können3. Die Gesellschafter können in diesen Fällen aber dem Insolvenzverwalter zusagen, dass Sie die Kosten für die Erstellung der Jahresabschlüsse übernehmen. Der Insolvenzverwalter hat dann keinen Grund mehr sich diesem Ansinnen entgegenzustellen. 4. Stimm- und Weisungsrechte der Gesellschafter a) Fortbestehen trotz Insolvenzeröffnung 176 Die Verfahrenseröffnung berührt nicht die Existenz der Kapitalgesellschaft. Zwar wird sie dadurch aufgelöst, §§ 61 Abs. 1 Nr. GmbHG, 262 Abs. 1 Nr. 3 AktG. Das heißt aber nur, dass sich der bis dahin werbende Zweck in einen Abwicklungszweck wandelt, die Gesellschaft ansonsten aber unverändert fortbesteht, §§ 69 GmbHG, 264 Abs. 3 AktG, soweit sich aus den Liquidationsvorschriften nichts anderes ergibt. Nach der Lehre vom Doppeltatbestand erlischt die Gesellschaft erst, wenn sie kein Vermögen mehr hat und im Handelsregister gelöscht wird4. Bis dahin können die Gesellschafter die Fortsetzung der Gesellschaft für den Fall beschließen, dass das Insolvenzverfahren beendet wird, §§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG, 274 Abs. 2 Nr. 3 AktG. Zusätzliche Voraussetzung ist nur, dass noch nicht das gesamte Vermögen verteilt ist. 177 Was für die Kapitalgesellschaft gilt, gilt auch für die Personengesellschaft. Die Insolvenzeröffnung bedeutet für sie ebenfalls nur die Auflösung als eine Form der Zweckänderung, §§ 728 Abs. 1 Satz 1 BGB, 131 Nr. 3 HGB, mit der Möglichkeit, die Fortsetzung zu beschließen, §§ 728 Abs. 1 Satz 2 BGB, 144 HGB. 178 Damit bleiben die Vertretungsorgane im Amt, wenngleich nunmehr als Liquidatoren, was in der Personengesellschaft den geschäftsführungs- und vertretungsbefugten Personenkreis erweitern kann, §§ 730 Abs. 2 BGB, 146 Abs. 1 HGB, während die Liquidatoren in der Kapitalgesellschaft regelmäßig von den bisherigen Geschäftsführern gestellt werden, §§ 65 Abs. 1 GmbHG, 265 Abs. 1 AktG. b) Verwalteraufgaben vs. Gesellschaftsaufgaben 179 Mit der Verfahrenseröffnung werden die Abwicklungsbefugnisse der Liquidatoren verdrängt, soweit das Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Insolvenzverwalters gemäß § 80 Abs. 1 InsO reicht. Man spricht deshalb auch plastisch vom Verdrängungsbereich, in den die Geschäftsführer (nachfolgend weiterhin als solche bezeichnet, obwohl es sich terminologisch um Liquidatoren handelt) nicht eingreifen dürfen. Im Gegensatz dazu steht der insolvenzfreie Bereich. Zwischen beiden kann es Überschneidungen geben, den sogenannten Mischbereich. 180 Der gesellschaftsinterne Bereich gehört weitgehend zum insolvenzfreien Bereich. Das betrifft die Anteilsübertragung, die Erteilung der Zustimmung zum Gesellschafterwechsel, die Einforderung von Nachschüssen – die dann allerdings als Neuerwerb in die Masse gelangen – und die Änderung des Gesellschaftsvertrages. Die Änderung des Gesellschaftsvertrages kann auch zum Mischbereich gehören, wenn sie sich mit den Befugnissen des Verwalters überschneidet. Das ist insbesondere der Fall bei 1 BFH v. 23.8.1994 – VII R 143/92, ZIP 1994, 1969. 2 BGH v. 29.5.1979 – VI ZR 104/78, ZIP 1980, 25. 3 A.A. Klasmeyer/Kübler, BB 1978, 396 ff., allerdings vor dem BFH-Urteil, dass der Verwalter zur Erklärung nach § 179 AO verpflichtet ist. 4 Roth/Altmeppen, GmbHG, § 65 Rz. 19; a.A. Hüffer, AktG, § 262 Rz. 4, 23 f.
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Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren
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einer Änderung der Firma, die Bestandteil der Masse ist1. Die Massezugehörigkeit galt ursprünglich nur für die Kapitalgesellschaft, wird nunmehr aber auch für die Personengesellschaft vertreten2, nachdem durch die Neuordnung des Firmenrechts nicht mehr der Name eines persönlich haftenden Gesellschafters in die Firma aufgenommen werden muss. Geschieht dies trotzdem oder wird eine solche Firma beibehalten, begibt sich dieser Gesellschafter seines Persönlichkeitsrechts. Angesichts des § 24 Abs. 2 HGB, der bei einem Ausscheiden des Gesellschafters die Fortführung der seinen Namen enthaltenden Firma von seiner ausdrücklichen Einwilligung abhängig macht, ist das jedoch bedenklich3. Soweit danach die Firma zur Masse gehört, bedarf die Änderung des Gesellschafts- 181 vertrages einer Zustimmung des Verwalters4. Hat er die Firma mit dem Handelsgeschäft veräußert, können die Gesellschafter auch ohne ihn eine neue Firma beschließen. Tun sie es nicht, ist der Verwalter alleine befugt, eine Ersatzfirma für die restliche Dauer des Verfahrens zu bilden, damit eine Verwechslungsgefahr zwischen der Insolvenzgesellschaft und der Erwerbergesellschaft vermieden wird5. c) Weisungsrechte, Zustimmungsvorbehalte In der GmbH besteht außerhalb eines Insolvenzverfahrens die Allkompetenz der Ge- 182 sellschafter. Die Geschäftsführer sind gemäß § 37 Abs. 1 GmbHG im Innenverhältnis verpflichtet, bei der Vertretung der Gesellschaft die Beschränkungen einzuhalten, die ihnen durch Gesellschaftsvertrag und Beschlüsse der Gesellschafter gesetzt werden. Daraus folgt eine umfassende Weisungsbefugnis der Gesellschafter6. Anders verhält es sich in der AG, die der Vorstand in eigener Verantwortung leitet, § 76 Abs. 1 AktG. Zwar kann er an eine Geschäftsordnung gebunden werden, § 77 Abs. 2 AktG. Insofern unterliegt der Vorstand einer Überwachung und gegebenenfalls auch einem Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrates (§ 111 Abs. 1, 4 AktG), dem er über wesentliche Entwicklungen berichten muss (§ 90 AktG). Maßnahmen der Geschäftsführung dürfen dem Aufsichtsrat zwar nicht übertragen werden (§ 111 Abs. 4 Satz 1 AktG). Gleichwohl hat er schon aufgrund der Personalkompetenz des § 84 AktG und aufgrund der Zustimmungsvorbehalte bei wichtigen Entscheidungen einen erheblichen Einfluss auf die Geschäftsführung. Da die Mitglieder des Aufsichtsrates von der Hauptversammlung bestellt und – anders als die Vorstandsmitglieder – jederzeit auch ohne wichtigen Grund abberufen werden können, §§ 101, 103 AktG, liegt die „Macht“ letztlich bei den Aktionären. In der GmbH und, wenn auch mediatisiert und eingeschränkt, in der AG haben die 183 Gesellschafter außerhalb der Insolvenz somit wesentliche Befugnisse. Nicht anders liegt es bei der Personengesellschaft, bei der sogar jeder einzelne persönlich haftende Gesellschafter einer Maßnahme widersprechen kann, §§ 711 BGB, 115 Abs. 1 HGB, wenn nicht, wie in der Praxis üblich, nur einige Gesellschafter zu Geschäftsführern bestellt werden, die dann aber regelmäßig ebenfalls einer umfassenden Weisung und Kontrollen unterliegen. Innerhalb der Insolvenz endet der Einfluss der Gesellschafter bzw. Aktionäre und 184 des Aufsichtsrates dort, wo die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters beginnt, so dass Geschäftsführer bzw. Vorstand nicht mehr in der Lage sind, Beschlüsse der Gesellschafter auszuführen. Unabhängig davon, ob es eine Kollision mit den Befugnissen des Verwalters gibt, gilt für das Weisungsrecht stets – innerhalb wie außerhalb der Insolvenz –, dass zwingende Gemeinwohl- und Gläubigerinteressen nicht beeinträchtigt werden dürfen7. Im vorliegenden Zusammenhang gehört dazu namentlich die Aufforderung, den Auskunfts- und Mitwirkungspflichten der 1 2 3 4 5 6 7
BGH v. 14.12.1989 – I ZR 17/88, NJW 1990, 1605. K. Schmidt, Handelsrecht, § 12 I 3c; Uhlenbruck, ZIP 2004, 401. Eickmann in HK-InsO, § 35 Rz. 27. OLG Karlsruhe v. 8.1.1993 – 4 W 28/92, ZIP 1993, 133; KG v. 3.3.2014 – 12 W 145/13. MünchKommGmbHG/Schaub, § 78 Rz. 35. Roth/Altmeppen, GmbHG, § 37 Rz. 3 ff. Roth/Altmeppen, GmbHG, § 37 Rz. 37 m.w.N.
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Rz. 185
Gesellschafterberatung
§§ 97, 101 InsO nicht nachzukommen oder gar Vermögensgegenstände zu verheimlichen. Derartige Weisungen sind für die Geschäftsführer unbeachtlich. Anders ist es bei verfahrensrechtlichen Befugnissen, wenn es z.B. darum geht, gegen Beschlüsse des Insolvenzgerichts Rechtsmittel einzulegen, einer Betriebsstilllegung zu widersprechen (§ 158 Abs. 2 InsO) oder einen Insolvenzplan einzureichen (§ 218 InsO). d) Keine Besonderheit bei Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren 185 In der Eigenverwaltung und dem Schutzschirmverfahren gilt dasselbe. Allerdings scheitert die Ausführung von Weisungen nicht schon an der tatsächlichen Hürde der Verfügungsbefugnis eines Insolvenzverwalters. Die bis zur Einführung des ESUG streitige Frage, ob Weisungen nur insoweit verbindlich sein sollen, soweit auch ein Insolvenzverwalter an Maßnahmen gehindert wäre1, ist durch die Einführung des § 276a InsO für die Eigenverwaltung und das Schutzschirmverfahren geregelt worden. Danach haben bei einer juristischen Person oder einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit der Aufsichtsrat, die Gesellschafterversammlung oder entsprechende Organe keinen Einfluß auf die Geschäftsführung der Gesellschaft. Weisungen, die die Geschäftsführung betreffen dürfen von dem Aufsichtsrat bzw. der Gesellschafterversammlung nicht mehr erteilt werden. Werden sie dennoch erteilt, hat die Geschäftsführung sie nicht zu beachten, es sei denn, sie sind im besten Interesse auch der Gläubiger und die Geschäftsführung möchte ohnehin entsprechend handeln. 186 Die Abberufung oder Neubestellung von Mitgliedern der Geschäftsleitung steht unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der Zustimmung des Sachwalters, § 276a S. 2 InsO. Gemäß § 276a S. 3 soll die Zustimmung vom Sachwalter allerdings erteilt werden, wenn durch die Änderung keine Nachteile für die Gläubiger drohen. Hier gilt der Prüfungsmaßstab des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO. Nachteile für die Gläubiger können beispielsweise drohen, wenn der Wechsel in der Geschäftsführung dazu führt, dass keine insolvenzrechtliche Expertise mehr in der Geschäftsführung vorhanden ist und demzufolge auch die insolvenzrechtlichen Vorschriften von der Schuldnerin nicht mehr eingehalten werden. Nachteile können sich daneben ergeben, wenn sachliche Anhaltspunkte vorhanden sind, dass die neue Geschäftsführung zu einseitig die Interessen der Gesellschafter vertritt und hierbei im Insolvenzverfahren offenzulegende Tatsachen, die zugunsten der Gläubiger aber zu Lasten der Gesellschafter sprechen, nicht offenbart. Der Sachwalter wird hier aber nachweisbare Tatsachen vortragen müssen, um eine Abberufung und Neubestellung verhindern zu können. Der Gesetzgeber hat in § 276a S. 3 InsO formuliert, dass die Zustimmung zu erteilen ist, wenn sie nicht zu Nachteilen führt. Er hat insoweit dem Sachwalter kein Ermessen eingeräumt. Dies ist letztlich Ausdruck des gesetzgeberischen Willens, dass zwar die Gläubigerinteressen die in § 1 InsO normiert sind geschützt werden sollen, aber das Instrument der Eigenverwaltung auch die Sanierung des Unternehmens durch die Gesellschafter befördern soll. 187 § 270a InsO verweist nicht auf die Vorschrift des § 276a InsO. Damit besteht vor der Eröffnung des Eigenverwaltungsverfahrens, also im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren noch die Möglichkeit seitens der Gesellschafter die Geschäftsführung abzuberufen und eine neue zu bestellen. Der Sachwalter oder ein vorläufiger Gläubigerausschuss hat keinen Zustimmungsvorbehalt. Beide sollten aber im Sinne einer zielführenden Zusammenarbeit über den Vorgang und die Gründe vorab unterrichtet werden. 188 Für weitere Weisungen der Gesellschafter und Aufsichtsorgane sind die Regelung der InsO zu beachten. Dabei legt § 270 Abs. 1 S. 2 InsO für die Eigenverwaltung fest, dass grundsätzlich die allgemeinen Vorschriften des Regelinsolvenzverfahrens gelten. Die Eigenverwaltung ist nach Auffassung des BGH keine selbständige Verfahrensart2, was auch daran deutlich wird, dass die Vermögenseröffnung sogar eine Prozessunterbrechung gemäß § 240 ZPO bewirkt3. Sie bleibt jedoch eine Verwaltung durch den 1 Prütting/Huhn, ZIP 2002, 777; Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, InsO, § 270 Rz. 25. 2 BGH v. 11.1.2007 – IX ZR 85/05, ZIP 2007, 394; BGH v. 11.1.2007 – IX ZB 10/05, ZIP 2007, 448. 3 BGH v. 7.12.2006 – V ZB 93/06, ZIP 2007, 249.
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Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren
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Schuldner. So wie eine natürliche Person durch ihre Eigenheiten geprägt ist, ist es eine juristische durch ihre gesellschaftsrechtliche Organisationsverfassung. Eine Änderung dieser Verfassung wäre eine Änderung des Schuldners, wofür das Gesetz, mit Ausnahme des § 276a InsO keine Handhabe bietet. Die gesellschaftsrechtliche Kompetenzverteilung bleibt deshalb mit Ausnahme der Einschränkung bei der Änderung der Geschäftsührung im eröffneten Verfahren bestehen1. Droht ein Konflikt mit Gläubigerinteressen, ist die Lösung in der InsO weitgehend selbst angelegt. So regeln die §§ 275 ff. InsO Mitwirkungs- und Zustimmungsvorbehalte für Gläubigerausschuss und Sachwalter. Nach §§ 157 ff. InsO obliegt es auch in der Eigenverwaltung der Gläubigerversammlung, über den Fortgang des Verfahrens und grundlegende Maßnahmen zu entscheiden. Dem widersprechende Weisungen des Gesellschafters sind wegen Verstoßes gegen zwingende gläubigerschützende Bestimmungen unwirksam, mag die Maßnahme im Außenverhältnis davon auch unberührt bleiben, §§ 164 InsO, 37 Abs. 2 GmbH. Jenseits dieser Vorschriften bleibt aber ein großer Ermessensbereich für die zur Mitwirkung befugten Organe. Wie beim Insolvenzverwalter oder einer natürlichen Person als Eigenverwalter kann die Ausübung des Ermessens nur durch die Insolvenzzweckwidrigkeit begrenzt werden. Erteilt die Gesellschafterversammlung beispielsweise den Geschäftsführern gemäß § 46 Nr. 5 GmbHG Entlastung und verzichtet damit auf bereits entstandene Ersatzansprüche, ist das bei der Fremdverwaltung ohne Wirkung, weil gemäß § 80 Abs. 1 InsO allein der Verwalter über Forderungen verfügen darf. Nicht anders ist es bei der Eigenverwaltung. Zwar gilt das Verzichtsverbot des § 43 Abs. 3, 9b Abs. 1 GmbHG nur im Bereich der Kapitalerhaltung2. Selbst wenn man § 93 Abs. 5 AktG, der aus Gründen des Gläubigerschutzes einen Verzicht auf Ersatzansprüche einschränkt, nicht analog auf die GmbH anwenden sollte3, folgt die Unwirksamkeit eines Entlastungsbeschlusses doch eindeutig aus der Insolvenzzweckwidrigkeit, falls eine werthaltige Forderung ohne Gegenleistung aufgegeben wird. Wäre hingegen ein Insolvenzverwalter zu einem (teilweisen) Verzicht berechtigt, weil er sich das Know-How des Geschäftsführers bei der Betriebsfortführung sichern will, oder weil er einen Vergleich über nicht risikobehaftete Ansprüche schließt, darf das auch bei der Eigenverwaltung geschehen. Dass die Eigenverwaltung eine von der gesellschaftsrechtlichen Binnenverfassung 189 abhängige Organverwaltung der schuldnerischen Gesellschaft ist, wird beim Anstellungsvertrag mit dem Geschäftsführer bzw. Vorstand deutlich. In der GmbH wird die Schuldnerin gegenüber den Geschäftsführern durch die Gesellschafterversammlung vertreten4. Gleiches gilt in der Personengesellschaft5. In der AG ist der Aufsichtsrat zuständig, § 112 AktG. Diese Organe sind nicht etwa Dritte, die keine Masseverbindlichkeiten begründen dürfen6, sondern im Umfang ihrer Vertretungsbefugnis „der Schuldner“ gemäß § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO sind. Die von ihnen abgeschlossenen Verträge stellen deshalb Masseschulden dar, es sei denn, dass sie z.B. durch völlig unangemessene Vergütungsabreden evident insolvenzzweckwidrig handeln7. Die Überwachungs- und Mitwirkungsbefugnisse des Sachwalters bieten eine zusätzliche Richtigkeitsgewähr, §§ 274 Abs. 2, 275 InsO. Außerhalb der Eigenverwaltung können die Gesellschafter bzw. der Aufsichtsrat zwar auch Verträge mit den Geschäftsführern/Vorstandsmitgliedern schließen. Sie haben aber keine Wirkung gegenüber der Masse.
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Unterschiede zwischen der Eigen- und der Regelverwaltung gibt es auch bei der Durchsetzung von Ersatzansprüchen gegen die Geschäftsführer. Bei der Eigenverwaltung bleibt es bei der Entscheidungs- und Vertretungskompetenz der Gesellschafter (§ 46 Nr. 5 GmbHG) bzw. des Aufsichtsrats, § 112 AktG, während im Regelinsolvenz-
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Köchling, ZinsO 2003, 53; Ringstmeyer/Homann, NZI 2006, 406. BGH v. 7.4.2003 – II ZR 193/02, ZIP 2003, 945; BGH v. 16.9.2002 – II ZR 107/01, ZIP 2002, 2128. Zum Meinungsstand: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 43 Rz. 124 ff., 131 ff. Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, § 46 Rz. 36 f. Vgl. Baumbach/Hopt/Roth, HGB, § 110 Rz. 19 f. So aber Hess/Ruppe, NZI 2002, 577 (580). Vgl. schon für die „lebende“ Gesellschaft § 87 AktG.
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Gesellschafterberatung
verfahren der Verwalter über die Durchsetzung Kraft der auf ihn übergegangenen Verfügungsbefugnis allein entscheidet1. Gibt er die Ersatzansprüche hingegen aus der Masse frei, greift wieder die gesellschaftsrechtliche Kompetenzverteilung ein. e) Zustimmungspflicht zu Sanierungsmaßnahmen 192 Die Kompetenz der Gesellschaftsorgane bleibt auch erhalten, wenn es um Grundlagenentscheidungen geht. Vor Beginn des Insolvenzverfahrens obliegt es in der Personengesellschaft und der GmbH den Gesellschaftern bzw. in der AG eventuell sogar der Hauptversammlung2, darüber zu befinden, ob bei nur drohender Zahlungsunfähigkeit gemäß § 18 InsO ein Insolvenzverfahren beantragt werden darf; denn die Eröffnung hat die Auflösung der Gesellschaft zur Folge, über die zu befinden Aufgabe der Gesellschafter/Aktionäre ist. Allein in der AG könnte dem die Dauer eines solchen Verfahrens bei langen Ladungsfristen wegen der negativen Öffentlichkeitswirkung entgegenstehen. Was für den Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit gilt, gilt auch umgekehrt für die Beendigung des Verfahrens durch Vorlage eines Insolvenzplans, jedenfalls dann, wenn es sich nicht um einen Liquidationsplan, sondern um einen Sanierungsplan handelt, bei dessen Annahme durch die Gesellschafter ein Fortsetzungsbeschluss zu fassen ist. Dieser Fortsetzungsbeschluss kann nach der Neuregelung des ESUG allerdings auch bereits im Insolvenzplan enthalten sein, § 225a Abs. 3 InsO. 193 Sanierungsmaßnahmen gehen häufig mit Kapitalmaßnahmen einher, insbesondere in Form einer Kombination von vereinfachter Kapitalherabsetzung gemäß §§ 58a ff. GmbHG, 229 ff. AktG mit einer Kapitalerhöhung gegen Einlagen gemäß §§ 55 Abs. 1 GmbHG, 182 AktG. Da die vereinfachte Kapitalherabsetzung nur zur Anpassung des Stammkapitals an das Eigenkapital führt (§§ 58a Abs. 1 GmbHG, 229 Abs. 1 AktG), also eine rechtliche Strukturänderung ohne Minderung des Gesellschaftsvermögens bedeutet (§§ 58d GmbHG, 230 AktG), liegt die Entscheidung darüber im insolvenzfreien Bereich und kann ohne Zustimmung des Verwalters getroffen werden3. Ebenso verhält es sich mit der Kapitalerhöhung, wobei nach herrschender Meinung die Einlageverpflichtung als Neuerwerb in die Insolvenzmasse fällt4. Eine durchaus naheliegende teleologische Reduktion des § 35 InsO wird überwiegend abgelehnt. Für die Praxis bedeutet das keine unüberwindbare Hürde, weil eine Kapitalerhöhung regelmäßig nur im Zusammenhang mit einem Insolvenzplan beschlossen wird, der als durch die Erhöhung bedingter Plan vorgelegt werden kann, § 249 InsO oder nach der neugeschaffenen Regelung des § 225a Abs. 1 und 2 InsO eine Kapitalmaßnahme vorsieht. Die Beschlüsse können dann außerhalb des Planverfahrens gefasst werden entweder, nachdem die Gläubiger den Plan angenommen haben, oder aber vorher mit der Maßgabe, dass sie erst nach Aufhebung des Verfahrens wirksam werden sollen. Zwar ist ein satzungsändernder Beschluss bedingungsfeindlich5. Vollzugsbedingungen sind aber zulässig, indem z.B. der Geschäftsführer angewiesen wird, die Kapitalerhöhung erst nach der Aufhebung des Verfahrens anzumelden6. Alternativ können sie im gestaltenden Teil des Insolvenzplans aufgenommen werden. Dann ist es aber erforderlich, dass es eine Gruppe der Anteilsinhaber gibt, § 222 Abs. 1 Nr. 4 InsO. Nach § 225a Abs. 2 S. 1 InsO ist es jetzt auch möglich, dass Forderungen von Gläubigern in Eigenkapital umgewandelt werden. Von dieser Möglichkeit werden die Gläubiger nur in Ausnahmefällen Gebrauch machen. Ein solcher debt-equity-swap ist auch nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Gläubigers möglich, § 225a Abs. 2 S. 2 InsO iVm. § 230 Abs. 2 InsO. Gesellschafter sollten die Möglichkeit eines solchen Swaps bei ihren Sanierungsüberlegungen bedenken. Er kann entweder bestimmten Gläubigern anstelle einer Quotenzahlung angeboten werden. Es muss aber auch be1 Vgl. Scholz/Bitter, GmbHG, vor § 64 Rz. 105 ff. 2 Wortberg, ZInsO 2004, 707, allerdings basierend auf dem „Holzmüller-Urteil“ des BGH, das durch die „Gelatine-Urteile“ aus 2004 teilweise überholt ist. 3 Scholz/Bitter, GmbHG, vor § 64 Rz. 108 f. 4 Müller, ZGR 2004, 842, 84 ff.; Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2007, 692 (693). 5 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 53 Rz. 59. 6 Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG, § 53 Rz. 58.
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Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren
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achtet werden, dass der Gesellschafter bei einem von Seiten eines Insolvenzverwalters vorgelegten Plans hierdurch ggf. die gesellschaftsrechtliche Mehrheit verlieren kann. Dann wäre zwar die Sanierung der Gesellschaft erreicht, aber oftmals wird dieser Verfahrensausgang nicht dem Willen der bisherigen Gesellschafter entsprechen. Zu beachten ist aber auch, dass die Forderungen der Gläubiger vor dem Hintergrund der Regelungen der Sachkapitalerhöhung nur mit dem Wert, den die Forderung noch besitzt in Eigenkapital gewechselt werden kann. Die Geltendmachung einer Differenzhaftung ist jedoch nach § 254 Abs. 4 InsO später ausgeschlossen. Zu beachten ist zudem, dass durch die Neuregelung des ESUG gemäß § 225a Abs. 3 194 InsO auch die Übertragung von Anteilen gegen den Willen des Anteilsinhabers möglich ist. Es müssen nur die für den Insolvenzplan erforderlichen Mehrheiten in dem Abstimmungstermin zustande kommen und die Anteilsinhaber, wie zuvor ausgeführt mit einer eigenen Gruppe an dem Abstimmungstermin beteiligt sein. Eine solche Maßnahme stellt ggf. auch einen wichtigen Grund für einen Austritt aus der Gesellschaft dar. Gemäß § 225a Abs. 5 InsO steht dem Gesellschafter dann aber eine Abfindung nur zu, wenn sich bei Betrachtung der Vermögenssituation des Unternehmens unter Liquidationsgesichtspunkten ein Guthaben zu seinen Gunsten ergeben hätte. Das wird in den wenigsten Fällen so sein. Ein Abfindungsguthaben kann bis zu drei Jahre gestundet werden und ist zu verzinsen, § 225a Abs. 5 S. 2 und 3 InsO. Diese Neuregelungen stellen sicher, dass gesellschaftsrechtliche Strukturänderungen 195 nicht mehr an dissentierenden Minderheit scheitern, insbesondere, wenn es darum geht, neue Geldgeber als Gesellschafter aufzunehmen, was mit einer Minderung ihres Einflusses verbunden ist. Alle gesellschaftsrechtlichen Regelungen können in einem Insolvenzplan getroffen werden. Eine Kapitalerhöhung bestehender Gesellschafter kann naturgemäß nur mit Zustimmung des betroffenen Gesellschafters beschlossen werden, da dieser bei Ablehnung ein Austrittsrecht nach § 225a Abs. 5 InsO besitzt. Wird im Übrigen die Zustimmung zu einer Sanierungsmaßnahme pflichtwidrig ver- 196 weigert, macht sich der Gesellschafter schadensersatzpflichtig. Allerdings verlangt der BGH für die Aktiengesellschaft gemäß § 117 Abs. 1 AktG Vorsatz1. Für die GmbH und die Personengesellschaft gilt diese hohe Haftungsvoraussetzung wegen der engen Bindung der Gesellschafter untereinander wohl nicht2. Als Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch wird zwar gefordert, dass zunächst die Möglichkeiten einer Beschlussanfechtung ausgeschöpft werden müssen3. Das kann jedoch zu erheblichen Verzögerungen führen, so dass eine solche Schadensminderungspflicht bei dem eiligen Handlungsbedarf in der Krisen- oder Insolvenzsituation nicht immer verlangt werden kann. f) Kosten Die Kosten der im gesellschaftsinternen Bereich anfallenden Aufgaben müssen die 197 Gesellschafter tragen4. Das gilt jedenfalls für das Regelinsolvenzverfahren, weil die gesellschaftsinternen Mitwirkungsbefugnisse nicht im Sinne von § 55 Abs. 1 InsO „durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden“. Anders ist es bei der Eigenverwaltung für diejenigen Maßnahmen, die zu einer der Organisationsverfassung entsprechenden Insolvenzverwaltung erforderlich sind. Dazu gehören namentlich Gesellschafterversammlungen und Aufsichtsratssitzungen, wenn das Vertretungsorgan Zustimmungen einholen oder die dazu erforderlichen Informationen erteilen muss. Derartige Mitwirkungsbefugnisse sind vergleichbar mit der internen Abstimmung einer mehrköpfigen Geschäftsführung oder einer internen Abstimmung zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsleitern. Hier ist unbestritten, dass die im schuldnerischen Unternehmen anfallenden Aufwendungen Masseschulden sind. Die Vorbereitung und Durchführung von gesellschaftsrecht1 2 3 4
BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, ZIP 1995, 819. Vgl. Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, § 47 Rz. 105. Überblick bei BaumbachHueck/Zöllner, GmbHG, § 47 Rz. 109. Differenzierend bei gleichzeitiger Förderung des Verfahrenszwecks: Uhlenbruck, NZI 2007, 313 ff.
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lichen Maßnahmen zum Zwecke der Sanierung fällt jedoch den Gesellschaftern zur Last. Die damit verbundenen Kosten beruhen dann auf seinen eigenen Handlungen und stellen Masseverbindlichkeiten dar. Wollen die Gesellschafter einen Geschäftsführer beschäftigen, um im Regelinsolvenzverfahren die Rechte der Gesellschaft wahrzunehmen, fallen diese Kosten ihnen ebenfalls zur Last. 5. Unternehmensvertrag 198 Die Unternehmensverträge sind nur im AktG geregelt. Ihre Zulässigkeit auch für andere Unternehmensträger als die AG ist jedoch unbestritten, wobei die §§ 291 ff. AktG weitgehend analoge Anwendung finden1. Am häufigsten sind der Beherrschungs- und der Gewinnabführungsvertrag, die meist miteinander zu einem steuerrechtlichen Organschaftsvertrag (§ 14 KStG) verbunden werden. Andere in der Praxis weniger relevante Unternehmensverträge sind die in § 292 AktG genannte Gewinngemeinschaft, der Teilgewinnabführungsvertrag sowie der Betriebspacht- und der Betriebsüberlassungsvertrag. 199 Die Unternehmensverträge sind inhaltlich dadurch gekennzeichnet, dass das Unternehmen der abhängigen Gesellschaft für Rechnung (z.B. Gewinnabführungsvertrag) und/oder Weisung (z.B. Beherrschungsvertrag) geführt wird. Es handelt sich nicht um bloße Schuldverträge, sondern um gesellschaftsrechtliche Organisationsverträge, weil satzungsgleich der Gesellschaftszweck der beherrschten Gesellschaft am Konzerninteresse ausgerichtet wird2. Deshalb bedarf der Vertrag auch einer Zustimmung der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung, bei der abhängigen Gesellschaft stets (§ 293 Abs. 1 AktG), bei der herrschenden Gesellschaft gemäß des § 293 Abs. 2 AktG, wenn es um einen Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag geht. Der wesentliche Unterschied z.B. zu einem schuldrechtlichen Pachtvertrag oder einem partiarischen Darlehen ist der mitgliedschaftliche Ansatzpunkt3. 200 Außerhalb der Insolvenz ist die wichtigste haftungsrechtliche Konsequenz für die Muttergesellschaft, dass sie zum Verlustausgleich verpflichtet ist, § 302 AktG. Bei Beendigung eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages sind die Gläubiger gemäß § 303 AktG zu sichern. Wegen dieser Haftung werden bei der AG die Kapitalerhaltungsvorschriften suspendiert, soweit es um Leistungen der abhängigen Gesellschaft aufgrund des Unternehmensvertrages geht, §§ 291 Abs. 3, 292 Abs. 3 AktG. Ob das auch für die GmbH gilt, ist umstritten. Zwar hatte der BGH in 1987 kurz und bündig formuliert, die Verlustausgleichspflicht trete an die Stelle der Kapitalerhaltungsvorschriften4. In der Folge hat er aber eingeschränkt, dies bedeute „nicht die gänzliche Preisgabe des von diesen Vorschriften intendierten Gläubigerschutzes, andererseits aber auch nicht, dass der Anspruch aus § 302 Abs. 1 AktG vollumfänglich den für §§ 30 f. GmbHG geltenden Grundsätzen unterliegt, insbesondere eine Aufrechnung gegen diesen Anspruch ebenso ausgeschlossen ist wie die Aufrechnung gegen einen Anspruch aus § 31 GmbH“5. Im Urteilsfall bedeutete dies, dass Verrechnungen bei der Ermittlung des Ausgleichsanspruchs bis zum Bilanzstichtag zulässig sind. Gleiches gilt für Vorschüsse in ausdrücklicher Anrechnung auf eine Verlustausgleichspflicht. Solche Vorauszahlungen sind keine eigenkapitalersetzenden Darlehen. Ist die Ausgleichsverpflichtung am Bilanzstichtag aber erst einmal entstanden, kann sie durch Aufrechnung nur erfüllt werden, wenn der Gegenanspruch – z.B. Darlehen oder Lieferung an die abhängige Gesellschaft – vollwertig ist. Auf diesen Gegenanspruch fanden trotz des Unternehmensvertrages die Eigenkapitalersatzvorschriften Anwendung, und zwar sowohl nach den Novellenregeln (§§ 32a, b GmbH) als auch nach den Rechtsprechungsregeln (§§ 30 f. GmbH analog). Das war insbesondere für stehengelassene Forderungen von Bedeutung. Wird z.B. ein Insolvenzverfahren 1 BGH v. 11.10.1999 – II ZR 120/98, ZIP 1999, 1965; Baumbach/Hueck/Zöllner/Beurskens, GmbHG, SchlAnh Rz. 5 ff., 49 ff.; Roth/Altmeppen, GmbHG, Anh § 13 Rz. 17. 2 BGH v. 14.2.1987 – II ZR 170/87, NJW 1988, 1326. 3 Vgl. Baumbach/Hueck/Zöllner/Beurskens, GmbHG, SchlAnh Rz. 18. 4 BGH v. 14.12.1987 – II ZR 170/87, NJW 1988, 1326. 5 BGH v. 10.7.2006 – II ZR 238/04, ZIP 2006, 1488.
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erst nach Beendigung des Unternehmensvertrages eröffnet, schuldet das herrschende Unternehmen den vollen Verlustausgleich und kann ihren Gegenanspruch z.B. aufgrund von Lieferungen an das ehemals abhängige Unternehmen nur noch als nachrangige Insolvenzforderung zur Tabelle anmelden. Durch das „MoMiG“ wurde § 30 Abs. 1 GmbHG dahingehend ergänzt, dass das Ver- 201 bot der Einlagenrückgewähr nicht gilt für „Leistungen, die zwischen den Vertragsteilen eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages (§ 291 AktG) erfolgen …“. Die Auswirkungen der Insolvenz auf einen Unternehmensvertrag sind streitig. Die 202 wohl überwiegende Meinung1 ist nach wie vor geprägt durch ein BGH-Urteil aus 1987, dessen zweiter Leitsatz lautet, dass ein Unternehmensvertrag regelmäßig ende, wenn über das Vermögen der beherrschten oder der herrschenden Gesellschaft ein Konkursverfahren eröffnet werde2. Allerdings begründete der BGH seine Auffassung nicht mit zwingendem Gesellschafts- oder (damals) Konkursrecht, sondern mit einer ergänzenden Vertragsauslegung. Durch die konkursbedingte Auflösung der Gesellschaft sei ihr Zweck nicht mehr auf Gewinnerzielung durch den Betrieb eines werbenden Unternehmens gerichtet, sondern auf Verwertung des Gesellschaftsvermögens. Damit entfalle die Grundlage für die Konzernleitungsmacht. Das gelte für den Konkurs der herrschenden Gesellschaft genauso wie für den der beherrschten. Mit der InsO hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Zwar steht weiterhin die 203 bestmögliche Befriedigung der Gläubiger im Vordergrund, aber nicht mehr nur durch Zerschlagung, sondern laut § 1 InsO ausdrücklich auch durch Erhalt des Unternehmens. Flankierend gibt es die Stilllegungshindernisse der §§ 22 Abs. 1 Nr. 2, 158 InsO und das Recht der Gläubiger in § 157 InsO, sich für die Fortführung zu entscheiden. Ein Konzern bildet häufig nicht nur eine haftungsrechtliche, sondern auch eine betriebswirtschaftliche Einheit3, die zu erhalten Voraussetzung für eine erfolgreiche Unternehmensfortführung sein kann. Deshalb mehren sich die Stimmen, die eine automatische Beendigung des Unternehmensvertrages ablehnen4, wobei die Auffassungen über die Rechtsfolgen und auch darüber differieren, ob zwischen der Insolvenz der herrschenden und der beherrschenden Gesellschaft unterschieden werden muss. Für die Eigenverwaltung nehmen auch einige von denjenigen Autoren den Fortbestand des Unternehmensvertrages an, die ansonsten ein insolvenzbedingtes Erlöschen vertreten5. Eine Sonderrolle wird auch den Betriebsüberlassungsverträgen beigemessen6. Für eine Stellungnahme ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Unterneh- 204 mensvertrag um eine gesellschaftsrechtliche, mitgliedschaftliche Organisationsvereinbarung handelt, mit der das herrschende Unternehmen in die allein dem Insolvenzverwalter des abhängigen Unternehmens vorbehaltene Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis eingreifen würde. Deshalb können Weisungsrechte etc. ab Insolvenz der beherrschten Gesellschaft nicht mit Wirkung gegen ihre Masse durchgesetzt werden. Ob der Unternehmensvertrag endet oder bis zur etwaigen Aufhebung eines Insolvenzverfahrens nur suspendiert ist7, ist eine akademische Frage, da das Schicksal in einem Insolvenzplan wegen der Haftung üblicherweise ausdrücklich geregelt wird. In der Praxis wird die Insolvenz der abhängigen Gesellschaft ohnehin nur vorkommen, wenn gleichzeitig die Muttergesellschaft insolvent wird („Konzerninsolvenz“), weil ansonsten neben den Haftungsansprüchen der Gläubiger gegen 1 Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 297 Rz. 52a f. 2 BGH v. 14.12.1987 – II ZR 170/87, NJW 1988, 1326; zur Vertragsbeendigung bei erst drohender Insolvenz s. Sämisch/Adam, ZInsO 2007, 520 ff. 3 Anschaulich am Beispiel Babcock Borsig: Piepenburg, NZI 2004, 231 (235 ff.). 4 Bultmann, ZInsO 2007, 785; Kübler/Prütting/Noack, InsO, Sonderband 1: Gesellschaftsrecht, Rz. 723 f.; Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 11 Rz. 398, a.A.: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 297 Rz. 52b. 5 Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 297 Rz. 52b. 6 MünchKommAktG/Altmeppen, § 297 Rz. 114, 123. 7 So Kübler/Prütting/Noack, InsO, Sonderband 1: Gesellschaftsrecht, Rz. 793 f.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 31 III 5.
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die Mutter (§ 303 AktG) auch noch werthaltige Ausgleichsansprüche der Tochter (§ 302 AktG) bestehen. Ist hingegen nur die Muttergesellschaft insolvent, nicht aber die Tochtergesellschaft, besteht eine Kollision mit dem Verdrängungsbereich zwar nicht. Im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung begründete Forderungen finanzieller und nichtfinanzieller Art – z.B. auf Befolgung von Weisungen – sind jedoch nur Insolvenzforderungen (§§ 38, 45 InsO). Gegen die Masse wirken solche Ansprüche nur, wenn der Verwalter Erfüllung wählt oder das Gesetz eine solche Erfüllung anordnet (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Zu den in § 108 InsO genannten Dauerschuldverhältnissen, die nach der Eröffnung qua lege fortbestehen, gehört der Unternehmensvertrag nicht. Marotzke1 schlägt die Anwendung von § 115 InsO mit der Erwägung vor, dass die beherrschte Tochtergesellschaft mit einem Auftragnehmer vergleichbar sei. Beide hätten Aufwendungsersatzansprüche. Das vom Gesetz in § 115 Abs. 1 InsO angeordnete automatische Erlöschen eines Auftrages sei dahingehend zu korrigieren, dass dem Insolvenzverwalter ein Wahlrecht zustehe. Diesen Weg hat der BGH jedoch kürzlich versperrt, als er das Erlöschen bei § 115 InsO für zwingend hielt2. Der von Marotzke gewählte Ansatz spricht deshalb eher für ein Erlöschen des Unternehmensvertrages auch in der Insolvenz der herrschenden Gesellschaft3. In Betracht käme stattdessen eine analoge Anwendung des § 103 InsO4 ohne den „Umweg“ über § 115 InsO. Dagegen spricht zwar, dass der Unternehmensvertrag kein auf den gegenseitigen Leistungsaustausch gerichteter Vertrag im Sinne dieser Vorschrift ist, sondern, wie erläutert, ein gesellschaftsrechtlicher Organisationsvertrag. Eine analoge Anwendung wäre deshalb nur zulässig, wenn es keine speziellere Regelung gäbe. Sie könnte in § 84 InsO gesehen werden5, wonach die Auseinandersetzung einer Gesellschaft außerhalb des Insolvenzverfahrens erfolgt. Voraussetzung dafür ist ein Auseinandersetzungsgrund. Er könnte darin liegen, dass die Erreichung des mit dem Organisationsvertrag verfolgten Zwecks – zumindest bis zu einer etwaigen Aufhebung des Insolvenzverfahrens – unmöglich geworden ist, was entweder zu einer automatischen Beendigung, wenigstens aber zu einer Kündbarkeit führen könnte. Nur ein Kündigungsrecht analog § 297 AktG anzunehmen, stößt allerdings auf die Schwierigkeit, dass die bis zur Kündigung weiterlaufenden Verlustausgleichsansprüche der abhängigen Tochtergesellschaft im Insolvenzverfahren der Muttergesellschaft nicht unter § 55 InsO zu subsumieren sind. 205 Aufgrund einer wertenden Betrachtungsweise ist bei einer Insolvenz allein der Muttergesellschaft eine Analogie zu § 103 InsO jedoch vorzugswürdig6; denn der Verwalter des insolventen herrschenden Unternehmens kann auch ohne Unternehmensvertrag in die nicht insolvente abhängige Gesellschaft hinein regieren, wenn es sich bei ihr um eine GmbH handelt. Dann haftet die Masse gemäß § 31 GmbHG oder gar wegen § 826 BGB nach dem Falltypus des existenzvernichtenden Eingriffs. Erfolgen diese Eingriffe bei einer in der Rechtsform der AG betriebenen Tochtergesellschaft, entstehen die Haftungsansprüche der §§ 311, 317 f. AktG. Insbesondere zur Vermeidung der damit verbundenen persönlichen Handelndenhaftung ist es sinnvoll, solche Eingriffe von vornherein auf eine rechtliche Grundlage zu stellen und dem Verwalter des herrschenden Unternehmens ein Erfüllungswahlrecht zu gewähren. Die vor Insolvenzeröffnung entstandenen Verlustausgleichsansprüche7 bleiben jedoch auch bei einer Erfüllungswahl Insolvenzforderungen, § 105 InsO. 206 Unabhängig vom Wahlrecht des Insolvenzverwalters ist die abhängige Gesellschaft bei einer Insolvenz der Muttergesellschaft befugt, den Unternehmensvertrag gemäß 1 2 3 4
Marotzke in HK-InsO, § 115 Rz. 9. BGH v. 18.1.2007 – IX ZR 202/05, ZIP 2007, 543; BGH v. 6.7.2006 – IX ZR 121/05, ZIP 2006, 1781. Roth/Altmeppen, GmbHG, Anh § 13 Rz. 93. Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 32.09; Kölner KommAktG/Koppensteiner, § 302 Rz. 38; Kübler/ Prütting/Bork/Tintelnot, InsO, 46. Lfg. 11/11, § 103 Rz. 134 f. 5 Paulus, ZIP 1996, 2141 (2144). 6 Bultmann, ZInsO 2007, 785. 7 Zur Berechnung, insbesondere bei Abwicklungsverlusten: KölnerKommAktG/Koppensteiner, § 302 Rz. 27 ff.; MünchKommAktG/Altmeppen, § 302 Rz. 27 ff.; Wilken/Ziems, FS Metzeler, 153, 162 f.
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§ 297 Abs. 1 Satz 2 AktG außerordentlich zu kündigen, weil die herrschende Gesellschaft voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, ihrer Verlustausgleichspflicht nachzukommen1. Das Kündigungsrecht besteht schon vor der Verfahrenseröffnung. Zur Vermeidung der eigenen Haftung sind die Geschäftsführer/Vorstandsmitglieder zur Kündigung sogar verpflichtet, wenn durch Vereinbarung mit dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter nicht sichergestellt ist, dass die künftigen Verlustausgleichsansprüche Masseschulden sind und keine Masseunzulänglichkeit droht. Die Kündigungsbefugnis beeinträchtigt nicht das hier vertretene Wahlrecht des Insolvenzverwalters entgegen dem Verbot des § 119 InsO, weil sie kein insolvenzspezifisches Sonderrecht ist2. Für die Eigenverwaltung gilt nichts anderes als für die Fremdverwaltung, und zwar 207 auch dann, wenn die Organe der eigenverwaltenden abhängigen und herrschenden Gesellschaft personenidentisch besetzt sind; denn die eigenverwaltende beherrschte Gesellschaft muss sich qua lege selbst verwalten, was mit den Weisungsrechten etc. eines herrschenden Unternehmens nicht vereinbar ist3. Für die Eigenverwaltung allein der herrschenden Muttergesellschaft gibt es ebenfalls keinen Grund, die automatische Fortsetzung eines Unternehmensvertrages anzunehmen. Wie bei der Fremdverwaltung steht ihr nach der hier vertretenen Auffassung ein Wahlrecht analog § 103 InsO zu. 6. Steuerrechtliche Stellung a) Kapitalgesellschaft Die Kapitalgesellschaft bleibt in der Regel vor wie nach Insolvenzeröffnung trotz der 208 damit verbundenen Auflösung (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG) das Steuersubjekt. Die steuerrechtlichen Pflichten hat der Insolvenzverwalter zu erledigen, § 34 AO. Bereits der vorläufige starke Verwalter ist Vermögensverwalter im Sinne von § 34 AO, nicht aber der sog. schwache vorl. Verwalter bei Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts4. Dies hat sich auch nach Einführung von § 55 Abs. 4 InsO nicht geändert5. Nach Insolvenzeröffnung eintretende Gewinne und Verluste berühren den Gesellschafter ertragsteuerlich nicht. Für seine persönliche Einkommensteuer sind nur der Verlust des Anteilswertes und etwaiger Gesellschafterdarlehen von Bedeutung, der im Rahmen des § 17 EStG berücksichtigt werden kann6. Der Auflösungsverlust wird regelmäßig erst mit Abschluss des Insolvenzverfahrens realisiert, es sei denn, der Verlust steht bereits zu einem früheren Zeitpunkt sicher fest7. Die Finanzämter warten deshalb oftmals den Schlussbericht des Insolvenzverwalters ab, um sicherzugehen, dass dem Gesellschafter aus dem Insolvenzverfahren nichts mehr zufließt. Alternativ kann auch vorab eine Erklärung des Insolvenzverwalters genügen in der dieser versichert, dass nur auf die Gläubiger nach § 38 InsO eine Quotenzahlung entfallen wird und die Gesellschafter mit keiner Zahlung mehr rechnen können. Demgegenüber trifft die Körperschaftsteuer allein die Gesellschaft bzw. die Masse. Gleiches gilt für die Umsatz- und Gewerbesteuer.
1 Bultmann, ZInsO 2007, 785; Wilken/Ziems, FS Metzeler, 153, 157 f. 2 Vgl. Marotzke in HK-InsO, § 119 Rz. 2. 3 Krieger, FS Metzeler, 2003, 139, 142 ff., der allerdings generell den Fortbestand des Unternehmensvertrages ablehnt. 4 BFH v. 27.5.2009 – VII B 156/08, ZIP 2009, 2255. 5 BMF-Schr. v. 17.1.2012 – IV A 3-S 0550/10/20020-05. 6 Zur steuerlichen Behandlung von Darlehen im Hinblick auf das Halbeinkünfteverfahren: Schulze zur Wiesche, GmbHR 2007, 847, und im Hinblick auf das MoMiG: Hölzle, DStR 2007, 1185; BMF-Schr. v. 21.10.2010 – IV C 6-S 2244/08/10001; der BFH (NV 2013, 1783 [1784]) hat zuletzt offengelassen, ob die Entwicklung neuer Maßstäbe für Aufwendungen des Gesellschafters aufgrund von krisenbedingten Finanzierungshilfen im Hinblick auf die neue Zivilrechtslage nach Inkrafttreten des MoMiG geboten ist. 7 Vgl. BFH v. 19.4.2005 – VIII R 45/04, NV 2005, 1545; BFH v. 1.3.2005 – VIII R 46/03, NV 2005, 2171; BFH v. 14.3.2012 – IX R 37/11, BStBl. II 2012, 487.
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Rz. 209
Gesellschafterberatung
209 Anders ist es bei einer Organschaft. Insbesondere bei Betriebsaufspaltungen liegt regelmäßig eine umsatzsteuerliche Organschaft vor1. Bei ihr sollen die Markt- und damit auch Insolvenzrisiken von einer Betriebs-GmbH getragen werden, während sich das eigentliche Betriebsvermögen in einer meist als Personengesellschaft geführten Besitzgesellschaft befindet, die sie an die Betriebs-GmbH verpachtet. Die Anteile an der Betriebsgesellschaft halten entweder die Gesellschafter der Besitzgesellschaft oder die Besitzgesellschaft direkt. Derselben Konstruktion kann sich natürlich auch eine Einzelperson bedienen, die eine Betriebsgesellschaft zur Haftungsabschottung vorschaltet. 210 Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG gilt eine Gesellschaft umsatzsteuerlich dann nicht als Unternehmerin, wenn sie „nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch“ in das Unternehmen eines Organträgers eingegliedert ist (Organschaft). 211 Eine finanzielle Eingliederung liegt vor, wenn die Stimmenmehrheit beim Organträger liegt2, die wirtschaftliche Eingliederung, wenn die Organgesellschaft – also die Betriebs-GmbH – im engen Zusammenhang mit dem Gesamtunternehmen tätig wird. Eine wirtschaftliche Eingliederung wird bereits bejaht, wenn die Organträgerin entgeltliche Leistungen für die Organgesellschaft erbringt, soweit diesen für die Organgesellschaft nicht nur unwesentliche Bedeutung zukommt3. Dafür reicht es regelmäßig aus, dass die Besitz- an die Betriebsgesellschaft das wesentliche Grundstück vermietet4. Die organisatorische Eingliederung schließlich ist gegeben, wenn der Organträger durch geeignete Maßnahmen sicherstellt, dass sein Wille in der Organgesellschaft auch tatsächlich durchgesetzt wird. Dies wurde z.B. bejaht bei Personenidentität in der Geschäftsführung5, bei Teilidentität der Geschäftsführung6, oder bei Beherrschung über leitende Angestellte7. Nicht ausreichend ist, dass der Organträger bei der Organgesellschaft lediglich eine von seinem Willen abweichende Willensbildung ausschließen kann, vielmehr muss zwischen Organträger und Organgesellschaft ein Über- und Unterordnungsverhältnis bestehen, damit der Organträger die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft in der laufenden Geschäftsführung auch rechtlich wahrnehmen kann8. Sind all diese Voraussetzungen erfüllt, werden sämtliche Außenumsätze der BetriebsGmbH dem Organträger, also der die Betriebsgrundlagen verpachtenden Personengesellschaft oder natürlichen Person als Gesellschafter zugerechnet. Der Organträger ist Schuldner der Umsatzsteuer, während die Betriebsgesellschaft nach § 73 AO eine Ausfallhaftung trifft9. 212 Durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Betriebsgesellschaft wird wegen des Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter (zumindest) die organisatorische Eingliederung beseitigt10, so dass die Umsatzsteuer nunmehr allein zu Lasten der Insolvenzmasse geht. Gleiches gilt bei der Bestellung eines „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters, auf den ebenfalls die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners gemäß § 22
1 Überblick zur Organschaft bei der Insolvenz der Organgesellschaft: Hölzle, DStR 2006, 1210; Krüger, AnwZert InsR 23/2013 Anm. 2. 2 BFH v. 8.8.2013 – V R 28/13, NV 2013, 1747; BFH v. 7.7.2011 – V R 53/10, BFHE 234, 548; BFH v. 1.12.2010 – XI R 43/08, BFHE 232, 550; BFH v. 22.4.2010 – V R 9/09, BFHE 229, 433. 3 BFH v. 6.5.2010 – V R 26/09, BFHE 230, 256. 4 BFH v. 1.4.2004 – V R 24/03, ZIP 2004, 1269. 5 BFH v. 17.1.2002 – V R 37/00, ZIP 2002, 1813. 6 BFH v. 3.4.2008 – V R 76/05, BStBl. II 2008, 905; BFH v. 7.7.2011 – V R 53/10, BStBl. II 2013, 218. 7 BFH v. 20.8.2009 – V R 30/06, BStBl. II 2010, 863. 8 BFH v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFH/NV 2013, 1747; noch offengelassen in BFH v. 7.7.2011 – V R 53/10, BStBl. II 2013, 218. 9 Zu den insolvenzanfechtungsrechtlichen Besonderheiten vgl. BFH v. 23.9.2009 – VII R 43/08, BFHE 226, 391; BGH v. 19.1.2012 – IX ZR 2/11, NZI 2012, 177 mit Anm. Kruth. 10 BFH v. 17.1.2002 – V R 37/00, ZIP 2002, 1813.
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Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren
Rz. 216
§3
Abs. 1 InsO übergeht1. Nach neuester Entscheidung des BFH gilt dies auch für den Fall der Eigenverwaltung2. Anders verhielt es sich nach Auffassung des BFH bislang bei der „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwaltung, bei der gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO die Verfügungsbefugnis weiterhin beim Schuldner bleibt und die Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters nur Wirksamkeitserfordernis ist3. Diesen Standpunkt hat der BFH als konsequente Folge seiner fortentwickelten Recht- 213 sprechung zur personellen Eingliederung i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG aufgegeben und festgestellt, dass die Organschaft mit Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts gem. § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO auf Ebene der Organgesellschaft endet4. Hintergrund ist, dass der Organträger zwar weiterhin eine vom seinem Willen abweichende Willensbildung der Organgesellschaft ausschließen kann, hingegen aber keine Willensbildung auf Ebene der Organgesellschaft mehr ohne die Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters möglich ist. Eine Organgesellschaft kann es auch für die Körperschaft- und die Gewerbesteuer 214 geben. Anders als für die umsatzsteuerliche Organschaft bedarf es hier jedoch eines Unternehmensvertrages, §§ 14 Abs. 1 KStG, 2 Abs. 2 GewStG. Relevant werden die steuerlichen Verhältnisse nur in der Sondersituation einer Konzerninsolvenz. Auf das Schicksal eines Unternehmensvertrages in der Insolvenz wird bei § 11 Rz. 164 ff. gesondert eingegangen werden5. b) Personengesellschaft Nach wie vor nicht abschließend geklärt ist das steuerrechtliche Verhältnis zwischen Gesellschafter und Gesellschaft in der Insolvenz der Personengesellschaft. Das Problem rührt daher, dass insolvenzrechtlich das Haftungssubjekt gemäß § 11 Abs. 2 InsO die Personengesellschaft, steuerrechtlich das Steuersubjekt gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG hingegen der einzelne Gesellschafter ist.
215
Einigkeit besteht darüber, dass im Ergebnis die Steuerlast nach der Leistungsfähig- 216 keit zu verteilen ist. Der BFH belässt es zwar bei der Stellung des Gesellschafters als Steuerobjekt6, hat aber ursprünglich die nach Insolvenzeröffnung entstehende Einkommensteuerforderung als Massekosten behandelt, soweit sie aus der Verwertung der Masse resultiert und entsprechende Vermögensmehrungen auch tatsächlich in die Masse gelangen7. Die zweite Voraussetzung, dass die Masse von der Verwertung auch tatsächlich profitiert, basiert auf einem Urteil aus 19848. Dort ging es um den Verkauf eines mit Grundpfandrechten belasteten Grundstücks. Wegen des geringen Buchwertes wurden erhebliche stille Reserven realisiert, was zu einem steuerlichen Gewinn führte. Der größte Teil des Kaufpreises und damit auch des realisierten steuerlichen Gewinns ging an die Grundpfandrechtsgläubigerin. Die kalkulatorisch darauf entfallende Einkommensteuer dürfe dann nicht, so damals der BFH, der Masse zur Last fallen, sondern müsse aus dem konkursfreien Vermögen bezahlt werden. Diese Rechtsprechung hat der BFH unter Geltung der InsO aufgegeben und festgestellt, dass die aus der Veräußerung des belasteten Grundstücks resultierende Steuer in voller Höhe Masseverbindlichkeit ist9. Der Insolvenzverwalter kann aufgrund der gem. § 80 InsO auf die Insolvenzmasse beschränkten Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis das insolvenzfreie Vermögen nicht steuerlich verpflichten. Aus der Verwertung der Masse resultierende Einkommenssteuern treffen daher – unabhängig vom einge1 BFH v. 1.4.2004 – V R 24/03, ZIP 2004, 1269; BFH v. 24.8.2011 – V R 53/09, BFHE 235, 5 zum faktischen starken vorl. Verwalter. 2 BFH v. 19.3.2014 – V B 14/14, ZInsO 2014, 955. 3 BFH v. 1.4.2004 – V R 24/03, ZIP 2004, 1269; kritisch Hölzle, DStR 2006, 1210; Maus, GmbHR 2005, 859. 4 BFH v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFH/NV 2013, 1747. 5 Zu den Auswirkungen auf die Organschaft vgl. Fichtelmann, GmbHR 2010, 576 ff.; Grill, KÖSTI 2013, 18458 ff. 6 BFH v. 9.11.1994 – I R 5/94, ZIP 1995, 661; BFH v. 15.3.1995 – I R 82/93, ZIP 1995, 1275. 7 Zustimmend: Maus, Steuern im Insolvenzverfahren, Rz. 371. 8 BFH v. 29.3.1984 – IV R 271/83, NJW 1985, 511. 9 BFH v. 16.5.2013 – IV R 23/11, NZI 2013, 709.
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§3
Rz. 217
Gesellschafterberatung
tretenen Massezuwachs – in voller Höhe die Insolvenzmasse. Die Höhe des Massezuflusses kann damit – entgegen früherer Rechtsprechung – auch für die Besteuerung der Personengesellschaft nicht von Relevanz sein. 217 Der BFH hat zwischenzeitlich – allerdings ohne ausdrücklich von seiner vorstehenden Rechtsprechung Abstand zu nehmen – grundsätzlich anerkannt, dass im Fall der Insolvenz einer Mitunternehmerschaft die sich aus den Besonderheiten der Mitunternehmerbesteuerung ergebenden Unterschiede zu berücksichtigen sind. Das Steuerrecht kennt die Personengesellschaft als Steuerrechtssubjekt nicht, so dass es keine Steuerpflicht der Insolvenzmasse der Personengesellschaft geben kann. Auch die InsO bietet keinen normativen Ansatzpunkt, von dieser steuerlichen Grundkonzeption abzurücken. Die Einkommensteuerschuld eines Mitunternehmers kann daher richtigerweise nicht gegenüber der Insolvenzmasse der Mitunternehmerschaft als Masseverbindlichkeit geltend gemacht werden, auch wenn sie aus Einkünften der Mitunternehmerschaft beruht. Eine Festsetzung der Steuer gegen die Personengesellschaft ist nicht zulässig, der auf Einkünften der Mitunternehmerschaft beruhende Einkommenssteuerbescheid ist gegen die Mitunternehmer zu richten1. 218 Der BFH hat sich damit grundsätzlich der Literatur insofern angeschlossen, die Einkommensteuer dem Steuersubjekt „Gesellschafter“ aufzuerlegen, soweit er von dem den Gewinn auslösenden Vorgang profitiert2. Das ist bei unbeschränkter Haftung der Gesellschafter gerechtfertigt, weil sich seine aus § 128 HGB resultierenden Verbindlichkeiten reduzieren3, die anderenfalls vom Insolvenzverwalter auf Grundlage von § 93 InsO gegen den Gesellschafter geltend zu machen wären. Ebenso verhält es sich mit dem Kommanditisten, soweit er die Einlagen (wieder) schuldet. 219 Hat der Kommanditist die Einlage hingegen vollständig erbracht und nicht zurückerhalten, erhöhen steuerliche Gewinne seine Leistungsfähigkeiten nicht. Zum Ausgleich unbilliger Härten auf Ebene der Mitunternehmer wird vorgeschlagen, die Steuer aus Billigkeitsgründen entweder gemäß § 163 AO gegen den Mitunternehmer gar nicht erst festzusetzen oder diesem die Steuer gemäß § 227 AO zu erlassen4. Eine solche Unbilligkeit besteht aber tatsächlich nicht, da etwaige, unberechtigte Vermögensverschiebungen zulasten der Mitunternehmer im Verhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschafter auszugleichen sind. Zur Vermeidung unangemessener Zurechnungsfolgen ist dem Gesellschafter ein Erstattungsanspruch gegen die Insolvenzmasse der Mitunternehmerschaft im Rang einer Masseverbindlichkeit zuzubilligen, soweit von ihm zu versteuernde Gewinne auf Ebene der Mitunternehmerschaft durch Handlungen des Insolvenzverwalters ausgelöst werden5. Dies gilt unabhängig davon, ob die Insolvenzmasse tatsächlich bereichert ist oder aber die Besteuerung Folge von reinen Buchgewinnen ist. Der Gesellschafter trägt zwar das Risiko der Realisierbarkeit dieses Anspruchs im Hinblick auf eine mögliche Masseunzulänglichkeit (§§ 208 ff. InsO), dies ist aber hinzunehmende Folge der vom Gesetzgeber gewählten Systematik bei der Besteuerung von Personengesellschaften. 220 Die Besteuerung der Gesellschafter als Mitunternehmer ist auch insofern konsequent, als dass die Personengesellschaft im Gegensatz zur GmbH keinen steuerlichen Verlustvortrag hat, mit dem die Gewinne verrechnet werden können. Die Personengesellschaft ist zwar insolvenzrechtliches Haftungssubjekt. Die mit den Verlusten, die die Insolvenz verursacht haben, verbundenen „Steuervorteile“ kamen jedoch den Gesellschaftern zugute. Die Verlustvorträge bleiben bei Besteuerung der
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BFH v. 5.3.2008 – X R 60/04, ZIP 2008, 1643; Kruth, DStR 2013, 2224 (2226). Vgl. BFH v. 5.3.2008 – X R 60/04, ZIP 2008, 1643. Vgl. BFH v. 5.3.2008 – X R 60/04, ZIP 2008, 1643. Benne, DStR 2001, 1977 (1981 ff.); Farr, Die Besteuerung in der Insolvenz, Rz. 315 ff.; Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 135 ff.; Spliedt, Rz. 206. 5 Kruth, DStR 2013, 2224 (2226) Erstattungsanspruch aus gesetzlichem Schuldverhältnis; K. Schmidt, Festschrift 50 Jahre Arbeitsgemeinschaft der Fachanwälte für Steuerrecht e.V., 193 (198); Sudhoff/Eberhard, GmbH & Co KG, § 49 Rz. 28: Steuerentnahmerecht analog § 110 HGB.
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Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren
Rz. 223
§3
Gesellschafter erhalten. Die Insolvenzmasse wird nur mit Erstattungsansprüchen der Gesellschafter in der Höhe belastet, in der nach Ausnutzung der Verlustvorträge eine Steuer bei den Mitunternehmern tatsächlich anfällt. Die Besteuerung der Gewinne bei den unbeschränkt haftenden Gesellschaftern bedeutet letztlich nur den Ausgleich für eine frühere Verlustverrechnung. Das gilt sogar für den Kommanditisten, der seine Einlage erbracht hat und einen steuerlichen Verlust in den Grenzen des § 15a EStG nutzen konnte. Letztendlich stellt die fehlende Abstimmung von Steuer-, Gesellschafts- und Insol- 221 venzrecht entgegen verschiedener Literaturstimmen keinen zwingenden Grund dar, die allgemeine Systematik der Besteuerung von Gewinnen einer Personengesellschaft im Insolvenzfall vollständig zu durchbrechen. Steuerrechtssubjekte bleiben nach dem EStG auch im Insolvenzfall die Mitunternehmer, Gewinne auf Ebene der Personengesellschaft als Mitunternehmerschaft sind in der Einkommenssteuer der Mitunternehmer zu veranlagen. Unbillige Zurechnungsfolgen bei beschränkt haftenden Gesellschaftern werden durch Erstattungsansprüche der Mitunternehmer gegen die Insolvenzmasse ausgeglichen. Eine nahezu in jedem Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Personengesell- 222 schaft auftretendes Problem ist die Quellensteuer, insbesondere die Zinsabschlagsteuer. Der Verwalter wird ein Kontoguthaben bis zur Verteilung an die Gläubiger stets verzinslich anlegen. Von den Zinsen muss die Bank regelmäßig 25 % einbehalten und „für Rechnung des Gläubigers“ (§ 44 Abs. 1 S. 2 EStG) an das Finanzamt abführen, §§ 43 Abs. 1 Nr. 7, 43a Abs. 1 Nr. 3, 44 Abs. 1 EStG. Ähnlich verhält es sich bei der Kapitalertragsteuer, wenn die insolvente Personengesellschaft Anteile an einer Kapitalgesellschaft hält. Diese Kapitalgesellschaft muss von den Gewinnausschüttungen Kapitalertragsteuer abführen, § 43 Abs. 1 Nr. 1, 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, was naturgemäß den der Personengesellschaft zufließenden Betrag mindert. Nicht jedoch der gemeinschuldnerischen Personengesellschaft, sondern den Gesellschaftern ist die gezahlte Kapitalertragsteuer anzurechnen bzw. ein überschießender Betrag zu erstatten, § 36 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 EStG. Zivilrechtlicher Gläubiger der Kapitalerträge ist zwar die Personengesellschaft, Gläubiger im Sinne des Steuerrechts aber die Gesellschafter, § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Seit Einführung des Unternehmenssteuerrechtsreformgesetzes 2008 werden Kapitaleinkünfte in der Regel im Wege des endgültigen Steuerabzuges pauschal besteuert. Die Kapitalertragsteuer soll nach dem neuen System nach Möglichkeit endgültigen Charakter, nicht mehr den von Vorauszahlungen haben1. Von der abgeltenden Wirkung sind aber weiterhin solche Kapitaleinkünfte ausgenommen, die aufgrund der Subsidiaritätsregelung des § 20 Abs. 8 EStG zu anderen Einkunftsarten zählen. Dies trifft auf Kapitalerträge von Personengesellschaften zu (§§ 20 Abs. 8, 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG), so dass sie der Abgeltungssteuer unterliegen, die dann aber wie eine Steuervorauszahlung bei der Veranlagung der einzelnen Gesellschafter angerechnet wird2. Wenn den Gesellschaftern somit im Wege der Steueranrechnung etwas zukommt, 223 was zivilrechtlich der Masse gebührt, stellt sich die Frage, ob sie diesen Betrag erstatten müssen. 1995 hatte der BGH über einen Fall außerhalb des Insolvenzverfahrens zu entscheiden. Die Personengesellschaft war an einer Kapitalgesellschaft beteiligt, die Kapitalertragsteuer an das Finanzamt abführte und dadurch den Beteiligungsertrag der Personengesellschaft minderte. Steuerrechtlich geschah diese Abführung aber nicht für die unmittelbar beteiligte Personengesellschaft, sondern für deren Gesellschafter. Nach Auffassung des BGH ist die Zahlung an das Finanzamt wie eine Entnahme der Gesellschafter bei der Personengesellschaft zu behandeln3. Sie darf
1 Weber-Grellet, DStR 2013, 1357 (1360). 2 Weber-Grellet, DStR 2013, 1357 (1361) m.w.N. 3 BGH v. 30.1.1995 – II ZR 42/94, ZIP 1995, 462; bestätigt in BGH v. 16.4.2013 – II ZR 118/11, DStR 2013, 1391.
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§3
Rz. 224
Gesellschafterberatung
nur nach Maßgabe der Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag behalten werden. Überschreitet der Anrechnungsbetrag ihren jeweiligen Gewinnanteil, müssen die Gesellschafter ihn an die Personengesellschaft abführen1. 224 Für die vergleichbare Situation innerhalb der Insolvenz haben das LG Freiburg2 und das OLG Dresden3 entschieden, dass der Gesellschafter an die Masse den Betrag abzuführen hat, der ihm aufgrund der Zinsabschlagsteuer bei seiner Einkommensteuer angerechnet bzw. ausgekehrt wird. Der Erstattungsanspruch wird zum Teil aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht, zum Teil aus Bereicherungsrecht hergeleitet4. Die gesellschaftsrechtliche Grundlage des Erstattungsanspruchs begründet das OLG Dresden mit einer mit gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen unvereinbaren Verlagerung von Gesellschaftsvermögen auf die Gesellschafter infolge der steuerrechtlichen Situation5. Diese Begründung verkennt, dass das Gesellschaftsrecht der Personengesellschaft weitgehend auf Entnahmebeschränkungen verzichtet. Grund der Entnahmesperre sind vielmehr die insolvenzrechtlichen Vorgaben zur vorrangigen Verteilung der Insolvenzmasse an die Gläubiger. Nach vorzugswürdiger Auffassung fehlt es an einer insolvenzbeständigen Rechtsgrundlage für das Behaltendürfen der aus dem Steuerrecht resultierenden wirtschaftlichen Vorteile, so dass eine Anknüpfung des Erstattungsanspruchs an §§ 812 ff. BGB konsequent erscheint6. 225 Der BGH hat im Jahr 2013 die Frage der Rechtsgrundlage des Erstattungsanspruchs der Insolvenzmasse gegen die steuerlich begünstigen Gesellschafter offen lassen. Unabhängig von der einschlägigen Rechtsgrundlage hat der BGH festgestellt, dass mögliche Erstattungsansprüche der regelmäßigen Verjährung nach §§ 195, 199 BGB unterliegen. Der Lauf der Verjährungsfrist wird dabei bereits durch die Kapitalertragssteuerzahlung in Gang gesetzt, die Entnahme des Gesellschafters ist bereits in diesem Moment vollendet7. Der Gesellschafter ist damit unabhängig davon, ob er sich die steuerlichen Vorteile tatsächlich im Rahmen der Einkommenssteuer anrechnen lässt, erstattungspflichtig, so dass sich die Frage, ob der Gesellschafter zur Abgabe der Steuererklärungen verpflichtet ist und anderenfalls auf Schadensersatz haftet, nicht mehr stellt8. 226 Für die eigene Steuererklärung müssen den einzelnen Gesellschaftern die steuerlichen Ergebnisse der Gesellschaft zugeordnet werden. Dies geschieht mit Hilfe der einheitlichen Gewinnfeststellung gemäß §§ 179 ff. AO. Beteiligt an dieser Feststellung sind nur die Gesellschafter9, so dass der Insolvenzverwalter weder steuerrechtlich noch insolvenzrechtlich10 verpflichtet ist, die Feststellungserklärung abzugeben. Zu einer übermäßigen Belastung der Gesellschafter führt das nicht; denn Basis der Fest-
1 BGH v. 30.1.1995 – II ZR 42/94, ZIP 1995, 462; Kruth, DStR 2013, 2224 (2227) m.w.N.; a.A. OLG München v. 13.6.1993 – 7 U 6765/92, DB 1994, 1465 (1466) – gesetzliches Steuerentnahmerecht analog § 110 HGB. 2 LG Freiburg v. 3.8.1999 – 12 O 39/99, ZIP 1999, 2063. 3 OLG Dresden v. 29.11.2004 – 2 U 1507/04, GmbHR 2005, 238 m. Anm. Wälzholz, DStR 2005, 615. 4 Aus gesellschaftsrechtlicher Treuepflicht u.a.: OLG Dresden v. 19.11.2004 – 2 U 1507/04, GmbHR 2005, 100; LG Freiburg v. 3.8.1999 – 12 O 39/99, ZIP 1999, 2063; Onusseit, EStG 1999, 1169; Sudhoff/Eberhard, GmbH & Co. KG, § 49 Rz. 28; Wälzholz, DStR 2005, 615; Werner, GmbHR 2013, 705 (706); aus Bereicherungsrecht u.a.: FK-Boochs, InsO, § 155 InsO Rz. 691; Mitlehner, NZI 2002, 143 (145) zur Bauabzugssteuer; Schöne/Ley, DB 1993, 1405 (1410). 5 OLG Dresden v. 29.11.2004 – 2 U 1507/04, GmbHR 2005, 100. 6 Vgl. Kruth, DStR 2013, 2224 (2229) m.w.N. 7 BGH v. 16.4.2013 – II ZR 118/11, DStR 2013, 1391; ausführlich Kruth, DStR 2013, 2224 (2229) m.w.N. 8 So noch LG Freiburg v. 3.8.1999 – 12 O 39/99, ZIP 1999, 2063. 9 BFH v. 23.8.1994 – VII R 143/92, ZIP 1994, 1969; BFH v. 15.3.2007 – IV R 52/04, juris. 10 BGH v. 2.4.1998 – IX ZR 187/97, ZIP 1998, 1076.
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Stellung des Gesellschafters im Insolvenzverfahren
Rz. 226
§3
stellungserklärung ist die Gewinnermittlung der Gesellschaft, die dem Verwalter auch für die Zeit vor Verfahrenseröffnung obliegt, § 155 InsO. Die Gesellschafter haben einen klagbaren Anspruch gegen den Insolvenzverwalter auf Vorlage der Jahresabschlüsse für die Masse. Kommt der Insolvenzverwalter seiner insolvenzspezifischen Pflicht zur Gewinnermittlung nicht nach, kann er den Gesellschaftern für steuerliche Nachteile gem. § 60 InsO haften1. Für in diesem Zusammenhang anfallende Kosten, die allein im Interesse der Gesellschafter entstehen, kann der Insolvenzverwalter Ersatz und einen entsprechenden Auslagenvorschuss von diesen fordern2. Die Gesellschafter müssen für ihre Steuererklärung, nach Erhalt der Gewinnermittlung, nur noch die Verteilung des in der Gesellschaft angefallenen Gewinns und die eigenen Sonderbetriebseinnahmen und -ausgaben umsetzen.
1 BGH v. 16.9.2010 – IX ZR 121/09, NZI 2010, 956. 2 BGH v. 16.9.2010 – IX ZR 121/09, NZI 2010, 956.
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§4 Risiken der Gesellschafterfinanzierung
I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Reformkonzept des MoMiG . . . 1. Rechtslage bis zum MoMiG . . . . . . . a) Rechtsprechungsregeln . . . . . . . . b) Novellenregeln. . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das neue Eigenkapitalersatzrecht . . 3. Rechtfertigung des neuen Eigenkapitalersatzrechts . . . . . . . . . . . . . . a) Prinzip der Haftungsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Finanzierungsfolgenverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Insiderstellung des Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Nachrangigkeit von Gesellschafterdarlehen im Insolvenzverfahren . . . . 1. Nachrang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesellschafterdarlehen . . . . . . . . . b) Gleichgestellte Forderungen . . . . 2. Sanierungs- und Kleinbeteiligungsprivileg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sanierungsprivileg . . . . . . . . . . . . b) Kleinbeteiligungsprivileg . . . . . . . IV. Anfechtbarkeit der Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen . . . . . . . 1. Anfechtbare Rechtshandlungen . . . . 2. Gläubigerbenachteiligung. . . . . . . . . 3. Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Anfechtung der Befriedigung eines gesellschafterbesicherten Darlehens
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5. Konkurrenz mit anderen Anfechtungstatbeständen . . . . . . . . . . . . . . . a) Konkurrenz mit § 133 InsO. . . . . . . b) Konkurrenz mit §§ 130, 131 InsO . . 6. Anfechtung nach dem Anfechtungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Durchsetzbarkeit von Sicherheiten für Gesellschafterdarlehen . . . . . . . . . 1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnis der Anfechtungstatbestände des § 135 Abs. 1 InsO . . . . . . 3. Aus-/Absonderungsrechte für besicherte Gesellschafterdarlehen . . . . . . VI. Nutzungsüberlassung durch einen Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aussonderungssperre . . . . . . . . . . . . . 2. Ausgleichanspruch . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Gesicherte Darlehen . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Doppelsicherung durch Gesellschaft und Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Geschäftsführerhaftung nach § 64 Satz 3 GmbHG . . . . . . . . . . . . . . . IX. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40 41 43 44 44 49 50 50 51 54 57 57 60 63 64 64 65 69 73
I. Einleitung Mit dem am 1.11.2008 in Kraft getretenen MoMiG1 ist die Rechtsfigur des Eigenka- 1 pitalersatzes abgeschafft worden. Das Recht der Gesellschafterdarlehen wurde neu strukturiert: – Durch ein ausdrückliches Anwendungsverbot in § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG n.F. und § 57 Abs. 1 Satz 4 AktG n.F. ist die Einbeziehung von Gesellschafterdarlehen in das Kapitalschutzsystem der §§ 30, 31 GmbHG bzw. § 57, 62 AktG aufgegeben worden. – Den sog. Rechtsprechungsregeln2 wurde damit die Grundlage entzogen. – Die Rechtsfolgen der Umqualifizierung einer Gesellschafterforderung in funktionales Eigenkapital konzentrieren sich jetzt auf den Nachrang und die Anfechtbarkeit im eröffneten Insolvenzverfahren. – Hier kommt es aber nicht mehr darauf an, ob die entsprechende Gesellschafterleistung in der Krise der Gesellschaft gewährt oder stehen gelassen worden war.
1 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen v. 28.10.2008, BGBl. I 2008, S. 2026. Vgl. zum Übergangsrecht Holzer, ZIP 2009, 206 ff. sowie Schäfer in Kummer/Schäfer/Wagner, Insolvenzanfechtung, H 28. 2 Neben den Novellenregeln eine der beiden Säulen des bisherigen Eigenkapitalersatzrechtes.
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§4
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Risiken der Gesellschafterfinanzierung
Das Tatbestandsmerkmal der Krisenfinanzierung ist vom Gesetzgeber des MoMiG ersatzlos abgeschafft worden. – Die einschlägigen gesetzlichen Vorgaben werden rechtsformübergreifend in der InsO gebündelt, für die Einzelzwangsvollstreckung ergänzt um die Bestimmungen des Anfechtungsgesetzes. 2 Die Rechtsfigur des eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehens wurde gänzlich aufgegeben1. § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG ordnet ausdrücklich die Nichtanwendung2 der sog. Rechtsprechungsregeln des Eigenkapitalersatzrechts an. Der Gesetzgeber strich außerdem die §§ 32a und b GmbHG. – Gesellschafterdarlehen und gleichgestellte Leistungen werden nun nicht mehr wie haftendes Eigenkapital behandelt. Tilgungsleistungen der Gesellschaft auf diese Forderungen sind keine verbotenen Auszahlungen im Sinne des § 30 Abs 1 Satz 1 GmbHG. Weil die Gesellschafterdarlehen nur noch in der Insolvenz der Gesellschaft eine wirtschaftliche Bedeutung erlangen können, wurden die bis zum MoMiG bestehenden Regeln für Gesellschafterdarlehen in der InsO neu geregelt, wobei es auf einen kapitalersetzenden Charakter dieser Leistungen nicht ankommt. – Alle Gesellschafterdarlehen sind gemäß § 39 Abs. 1 Nr 5 InsO3 stets nachrangig4. Die Position der Gesellschafter wird damit verschlechtert, da ihnen völlig unabhängig davon, wann und unter welchen Umständen das Darlehen ausgereicht wurde, alle anderen Gläubiger vorgehen5. 3 Art. 103d EGInsO trifft eine Übergangsbestimmung hinsichtlich der insolvenzrechtlichen Vorschriften und ordnet in Satz 1 an, dass auf vor dem 1.11.2008 (Inkrafttreten des MoMiG) eröffnete Insolvenzverfahren „die bis dahin geltenden gesetzlichen Vorschriften weiter anzuwenden“ sind. Der II. Zivilsenat des BGH hatte bezogen auf ein vor dem 1.11.2008 eröffnetes Insolvenzverfahren – „Altfälle“ – bejaht, dass auch vor dem Inkrafttreten des MoMiG entstandene Erstattungsansprüche nach Maßgabe der Rechtsprechungsregeln zum alten Eigenkapitalersatzrecht (§§ 30, 31 GmbHG analog) nach Inkrafttreten der Reform fortbestehen und geltend gemacht werden können6. 4 Die Reform verfolgt das erklärte Ziel der Rechtsvereinfachung7. Ziel war es, einen möglichst leicht handhabbaren, klaren und übersichtlichen Rechtsrahmen zu schaffen8. So lobenswert die angestrebten Ziele des Gesetzgebers waren, so sind doch – wenn auch überschaubar – ein Mehrzahl von Rechtsfragen nicht abschließend geklärt9. Insbesondere um die sachliche und persönliche Reichweite der §§ 39 Abs. 1 Nr. 5 und 135 Abs. 1 InsO in Hinblick auf die möglichen Aus- oder Absonderungsrechte, die dem Gesellschafter zur Durchsetzung von Sicherheiten für bestellte Gesellschafterdarlehen zur Verfügung stehen, sowie dem darin zu Grunde liegendem Anfechtungsrisiko, entzündete sich nicht zuletzt ein Streit in der Literatur (ausführlich s. Rz. 51 ff.)10. Ein weiteres Ziel des MoMiG war sicherzustellen, dass die so genann1 Heckschen, Das MoMiG in der notariellen Praxis (2009), Rz. 689; Roth, GmbHR 2008, 1184; Gehrlein/Witt, GmbH-Recht in der Praxis (2008), S. 393. 2 Spricht von einer „Negativklausel“ Ekkenga, WM 2006, 1986; „Nichtanwendungsklausel“ Noack, DB 2007, 1395, 1397; „Nichtanwendungserlass“ Thiesen, DStR 2007, 202 (208); „Nichtanwendungsnorm“ Goette, Einführung in das neue GmbH-Recht, 2008, S. 25 (Rz. 57); „Sperre“ Mylich, ZIP 2013, 2444. 3 § 39 Abs. 1 Nr. 5 gilt für alle Gesellschaften, bei denen keine natürliche Person als persönlich haftender Gesellschafter fungiert, vgl. § 39 Abs. 4. InsO. 4 Etwas anderes gilt nur für Sanierungsdarlehen, § 39 Abs. 4 InsO und für Darlehen von nicht geschäftsführenden Minderheitsgesellschaftern, die mit max. 10 % an der Gesellschaft beteiligt sind, sog. Sanierungs- und Kleinbeteiligungsprivileg. 5 Heckschen, Das MoMiG in der notariellen Praxis (2009), Rz. 690. 6 BGH v. 26.1.2009 – II ZR 260/07, BGHZ 179, 249 = MDR 2009, 640 = DStR 2009, 699 mit Anm. Goette, dazu Habighorst, EWiR 2009, 303; Bork, EWiR 2013, 521 (522). 7 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/6140, S. 25; Gehrlein, BB 2008, 846. 8 Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/6140, S. 42, 56 f. 9 So auch Mylich, ZIP 2013, 2444; Reinhard/Schützler, ZIP 2013, 1898. 10 Für eine „umfassende“ Anfechtbarkeit von Sicherheiten für Gesellschafterdarlehen Altmeppen, ZIP 2013, 1745 und Hölzle, ZIP 2013, 1992; Kleindiek in HK-InsO, § 135 Rz. 14 f.; a.A. und
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Einleitung
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§4
ten Scheinauslandsgesellschaften1 auch von dem deutschen Eigenkapitalersatzrecht erfasst werden2. Bei den Scheinauslandsgesellschaften handelt es sich um Gesellschaften, die in einem anderen Staat nach dem dortigen Gründungsstatut gegründet wurden, jedoch ausschließlich in Deutschland tätig sind und auch hier ihren Verwaltungssitz haben. Diese Situation ergibt sich aus den einschlägigen Urteilen des EuGH Centros3, Überseering4, Inspire Art5 und Cartesio6, in welchen höchstrichterlich geklärt wurde, dass diese Gesellschaften im Rahmen der gemäß Art. 43, 48 EGV garantierten Niederlassungsfreiheit nach dem ausländischem Gesellschaftsstatut als rechtsfähige juristische Personen anzuerkennen sind. Im Insolvenzfall ist gemäß Art. 4 EuInsVO7 die lex fori concursus, also das deutsche Insolvenzrecht, anwendbar, was zu schwierigen Abgrenzungsproblemen zwischen dem Gesellschafts- und dem Insolvenzstatut führen kann, insbesondere in Bezug auf die Insolvenzantragspflicht. Mit der Einführung des § 15a InsO soll durch die Regelung des Eigenkapitalersatzrechts in der Insolvenzordnung dessen insolvenzrechtliche Natur klargestellt werden8.
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damit für eine „begrenzte“ Anfechtbarkeit Bitter, ZIP 2013, 1497; Bitter, ZIP 2013, 1998; Marotzke, ZinsO 2013, 641; Mylich, ZHR 176 (2012), 547; Mylich, ZIP 2013, 2444. S. hierzu: Bischoff, ZInsO 2009, 164 ff.; Erbe, Die Limited und Limited & Co. KG (2008); Leuering, ZRP 2008, 73 ff.; Hirte, NJW 2009, 415 ff.; Mörsdorf, EuZW 2009, 97 ff.; Altmeppen, FS Röhricht, 2005, S. 3, 10; Altmeppen/Wilhelm, DB 2004, 1083; Bitter, WM 2004, 2190 (2191); H. Schmidt, WM 2007, 2093 ff.; Kußmaul/Ruiner, IStR 2007, 696 ff.; Gottwald/Huber, Insolvenzrechts-Handbuch, 2006, § 50 Rz. 5; Schulz, NJW 2003, 2705; Vallender, ZGR 2006, 425 (426); Weller, IPRax 2003, 520 (521). Hierzu Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/6140, S. 25; Schaumann, Reform des Eigenkapitalersatzrechts im System der Gesellschafterhaftung (2009), S. 83 ff. S. hierzu AG Hamburg v. 26.11.2008 – 67g IN 352/08, NZG 2009, 197 = ZIP 2009, 532. EuGH v. 9.3.1999 – Rs. C-212/97, MDR 1999, 752 m. Anm. Risse = NJW 1999, 2027. EuGH v. 5.11.2002 – Rs. C-208/00, MDR 2003, 96 = NJW 2002, 3614. EuGH v. 30.9.2003 – Rs. C-167/01, MDR 2003, 1303 = NJW 2003, 3331. EuGH v. 16.12.2008 – Rs. C-210/06, NZG 2009, 61 ff. = ZIP 2009 24 ff.; s. hierzu: Mörsdorf, EuZW 2009, 97 ff.; Hirte, NJW 2009, 415; Knof/Mock, ZIP 2009, 30 ff.; Goette, DStR 2009, 128 ff.; Hoffmann/Leible, BB 2009, 58 ff. Hierzu Pannen/Pannen/Riedemann, Art. 4 EuInsVO Rz. 1 ff. Klargestellt insoweit, als die Regelung eines Rechtsinstitutes in einem besonderen Gesetz keine Aussage über dessen Zuordnung trifft. Für die alte Rechtslage befürwortete schon die überwiegende Meinung eine differenzierte Betrachtung: Die Rechtsfolgen der Novellenregeln (Rangrücktritt, Anfechtung) gehörten zum Insolvenzrecht und waren somit auch auf Scheinauslandsgesellschaften anwendbar, während die Rechtsprechungsregeln zur gesellschaftsrechtlichen Kapitalerhaltung gehörten (Grundlegend dazu Huber in Lutter [Hrsg.], Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland [2005], 131, 141; so auch Fischer, ZIP 2004, 1911 [1912]; Haas, NZI 2001, 1 [10]; Gottwald/Huber, InsR-Handb [2006] § 50 Rz. 5; K. Schmidt, ZHR 168 [2004], 493 [497]; Ulmer, NJW 2004, 1201 [1207]; Ulmer, KTS 2004, 291 [298 f.]; Walterscheid, DZWIR 2006, 95; Wienberg/Sommer, NZI 2005, 353; Zimmer, NJW 2003, 3585 [3589]; Zöllner, GmbHR 2006, 1 [5]) und somit aufgrund der Nicht-Vereinbarkeit der Kapitalerhaltungsregeln mit der Niederlassungsfreiheit keine Anwendung fanden (Pannen/Riedemann, MDR 2005, 496 [498]; Paefgen, DB 2003, 487 [490]; Ulmer, NJW 2004, 1201 [1207]; Ulmer, KTS 2004, 291 [299]; Schumann, DB 2004, 743 [748]; Borges, ZIP 2004, 733 [743]; Zimmer, NJW 2003, 3585 [3589]; Schall, ZIP 2005, 965 [975]; Röhricht, ZIP 2005, 505 [512]; Fischer, ZIP 2004, 1477 [1480]; Geyrhalter/Gänßler, NZG 2003, 409 [411 f.]; Lieder, DZWiR 2005, 399 [407]; Meilicke, GmbHR 2003, 1271 [1272]; Westermann, GmbHR 2005, 4 [15]; Zöllner, GmbHR 2006, 1 [6]; Hirte/Bücker/ Mock/Schildt, § 17 Rz. 115; Hirte/Bücker/Forsthoff/Schulz, § 16 Rz. 41; a.A. Forsthoff, DB 2002, 2471 [2477]; W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 [125]; Altmeppen, NJW 2004, 97 [103]; Altmeppen/Wilhelm, DB 2004, 1083 [1088], die die Rechtsprechungsregeln über eine Sonderanknüpfung anwenden wollen). Die insolvenzrechtlichen Novellenregeln waren also nach überwiegender Meinung auf Auslandsgesellschaften anwendbar (so auch schon Ulmer, KTS 2004, 291 [299]; Röhricht, ZIP 2005, 505 [512 f.]; Fischer, ZIP 2004, 1477 [1480]; Lieder, DZWiR 2005, 399 [407]; Wienberg/Sommer, NZI 2005, 353, 356; Walterscheid, DZWiR 2006, 95, 98; Zöllner, GmbHR 2006, 1, 6; v. Gerkan/Hommelhoff/Haas, Handbuch des Kapitalersatzrechts (2002), Rz. 15.18. Zur Anwendung der Novellenregeln bei der Ltd. & Co. KG vgl. Schlichte, DB 2006, 1357, 1361 f.). S. auch – nach Inkrafttreten des MoMiG: BGH v. 21.7.2011 – IX ZR 185/10, MDR 2011, 1263 = NJW 2011, 3784 ff. = ZIP 2011, 1775 ff.
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§4
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Risiken der Gesellschafterfinanzierung
II. Das Reformkonzept des MoMiG 1. Rechtslage bis zum MoMiG 5 Nach alter Rechtslage bestand ein zweistufiges Schutzsystem1: – Wenn in der Krise Darlehen oder Nutzungen gewährt wurden, so wurden nach der Rechtsprechung des II. Zivilsenats des BGH Leistungen, die zur Kompensation des nicht mehr vorhandenen Stammkapitals oder einer Überschuldung dienten, von den sogenannten Rechtsprechungsregeln erfasst (s. Rz. 6). – Daneben wurden darüber hinaus gehende Leistungen über die §§ 32a und b GmbHG a.F. als eigenkapitalersetzend gewertet (sog. Novellenregeln, s. Rz. 7). Dies hatte zur Folge, dass sämtliche aus derartigen Darlehens- oder Nutzungsvereinbarungen resultierenden Ansprüche der Gesellschafter in der Insolvenz nachrangig waren, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO. a) Rechtsprechungsregeln 6 Bei den Rechtsprechungsregeln handelte es sich um eine richterrechtliche Entwicklung des BGH in Analogie zu den Kapitalerhaltungsregeln der §§ 30, 31 GmbHG a.F. Diese sog. Rechtsprechungsregeln waren infolgedessen erst dann anwendbar, wenn das Eigenkapital der Gesellschaft unter den Betrag des Stammkapitals gefallen war2. Wenn ein Gesellschafter durch die Auszahlung einer eigenkapitalersetzenden Leistung in den letzten zehn Jahren eine Unterbilanz (Nettovermögen liegt unterhalb des Stammkapitals) verursacht oder eine Überschuldung verstärkt hatte, hatte er nach § 31 Abs. 1 GmbHG a.F. analog den Betrag bis zur Höhe des Stammkapitals zurückzuerstatten3. In analoger Anwendung der §§ 30, 31 GmbHG a.F. ist die Rückzahlung eigenkapitalersetzender Darlehen solange gesperrt, bis das Stammkapital nachhaltig wiederhergestellt ist4. b) Novellenregeln 7 Die Bezeichnung „Novellenregeln“ ging auf die Reform des GmbH-Rechts im Jahre 1980, auf die Einführung der Insolvenzordnung sowie auf die Novelle von 1998 zurück. Die Novellenregeln waren, gleichgültig wie hoch das Stammkapital ist, in vollem Umfang auf die Gesellschafterleistungen anwendbar, jedoch erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. 8 Nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO a.F. waren eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen nachrangig zu befriedigen. Der Insolvenzverwalter konnte Rückzahlungen an den Gesellschafter, die bis zu einem Jahr vor Antragstellung geleistet wurden, nach § 135 Nr. 2 InsO a.F. in Verbindung mit § 143 InsO anfechten, wobei bewiesen werden musste, dass das betroffene Darlehen irgendwann vor der Auszahlung einmal eigenkapitalersetzend verhaftet war5. Dem Gesellschafter war ferner der Nachweis abgeschnitten, dass im Zahlungszeitpunkt das Stammkapital der Gesellschaft nachhaltig wieder hergestellt und damit die Durchsetzungssperre entfallen war; vielmehr wurde der Eigenkapitalersatzcharakter zum Stichtag unwiderleglich vermutet6.
1 Vgl. auch Heckschen, Das MoMiG in der notariellen Praxis (2009), Rz. 683; Braun/de Bra, § 135 InsO Rz. 5. 2 BGH v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, NJW 1960, 285. 3 S. BGH v. 26.3.1984 – II ZR 14/84, MDR 1984, 737 = NJW 1984, 1891 = BGHZ 90, 370, 374; Baumbach/Hueck/Hueck/Fastrich, § 32a GmbHG Rz. 64, 96; Roth/Altmeppen, § 32a GmbHG Rz. 112; Lutter/Hommelhoff, § 32a/b GmbHG Rz. 106; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 37 IV 5b. 4 S. BGH v. 8.11.2004 – II ZR 300/02, MDR 2005, 284 = ZIP 2005, 82 (83); BGH v. 19.9.2005 – II ZR 229/03, MDR 2006, 276 = ZIP 2005, 2016 (2017); OLG München v. 24.2.2006 – 7 U 4776/05, GmbHR 2006, 424. 5 S. BGH v. 30.1.2006 – II ZR 357/03, MDR 2006, 936 = NJW-RR 2006, 1272 = NZI 2006, 311 = DStR 2006, 478 mit Anm. Goette. 6 BGH v. 26.3.1984 – II ZR 14/84, MDR 1984, 737 = NJW 1984, 1891; BGH v. 30.1.2006 – II ZR 357/03, MDR 2006, 936 = NJW-RR 2006, 1272.
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Das Reformkonzept des MoMiG
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Außerhalb des Insolvenzverfahrens konnte die Anfechtung nach Maßgabe des § 6 Nr. 2 in Verbindung mit § 11 Abs. 1 AnfG a.F. vorgenommen werden.
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In seiner Entscheidung vom 21.7.2011 hat der BGH1 (bezüglich eines Falles nach al- 10 tem Recht) die insolvenzrechtliche Natur der Novellenregeln bejaht. Die Novellenregeln finden hiernach Anwendung auf Kapitalgesellschaften, über deren Vermögen in Deutschland das Hauptinsolvenzverfahren eröffnet worden ist, und zwar auch dann, wenn diese in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union gegründet worden sind. 2. Das neue Eigenkapitalersatzrecht Das mit dem MoMiG in Kraft getretene neue Recht der Gesellschafterdarlehen in der 11 Insolvenz verbietet den Rückgriff auf das Kapitalerhaltungsvorschriften der §§ 30, 31 GmbHG. § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG ordnet nunmehr an, dass § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG nicht anzuwenden ist auf die Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens sowie auf Leistungen für Forderungen auf Rechtshandlungen, die einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechen. Eine entsprechende Vorschrift enthält § 57 Abs. 1 Satz AktG. Damit ist den Rechtsprechungsregeln des bisherigen Eigenkapitalersatzrechts der Boden entzogen worden. Durch diese Änderung sollte die verwirrende Doppelspurigkeit der Rechtsprechungsregeln und der Novellenregeln über die eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen beseitigt werden2. Die Befriedigung eines fälligen Anspruchs auf Rückzahlung eines Gesellschafterdarle- 12 hens kann der Geschäftsführer der GmbH nunmehr allein dann verweigern, wenn die Rückzahlung zur Zahlungsunfähigkeit führen muss und deshalb gegen das Auszahlungsgebot nach § 64 Satz 3 GmbHG. (in der Aktiengesellschaft § 92 Abs. 2 Satz 3 AktG) verstößt3. Jedenfalls nach dem Konzept des MoMiG-Gesetzgebers kann § 64 Satz 3 GmbHG der Rückforderung fälliger Gesellschafterdarlehen entgegenstehen. Die Begründung zum MoMiG verweist unter Anderem auf die kompensatorische Wirkung der Haftungserweiterung, um die im neuen Satz 3 des § 30 Abs. 1 GmbHG verfügte Abschaffung der Rechtssprechungsregeln zu rechtfertigen. Gesellschafterdarlehen werden im Insolvenzfall vielmehr stets mit Nachrang ver- 13 sehen (s. Rz. 20 ff.). Im Fall der Rückzahlung durch die Gesellschaft im Jahr vor der Insolvenz kann der Betrag durch Insolvenzanfechtung wieder zur Masse gezogen werden4. Die Unterscheidung zwischen „kapitalersetzenden“ und „normalen“ Gesellschafterdarlehen verschwindet5. Prägend für das Konzept des neuen Rechts ist also – neben dem Anwendungsverbot 14 hinsichtlich der früheren Rechtsprechungsregeln – der Abschied vom Tatbestandsmerkmal der Krisenfinanzierung, welches für das alte Eigenkapitalersatzrecht schlechthin konstitutiv war. Die damit beabsichtigte Rechtsvereinfachung führt zugleich zu einer deutlichen Einschränkung der Finanzierungsfreiheit der Gesellschafter. Denn die Legitimationsgrundlagen des früheren Eigenkapitalersatzrechts stellten gerade darauf ab, dass der in Form von Fremdkapital gewährten Gesellschafterhilfe die Funktion von Eigenkapital zukommt, was nach bisheriger Überzeugung nur auf die in der Krise gewährte (oder stehen gelassene) Hilfe zutraf6. Das Eigenkapitalersatzrecht sollte die Gesellschafter gerade nicht von einer Darlehensgewährung an eine wirtschaftlich gesunde Gesellschaft abschrecken. Es sollte die Eigenfinanzierung durch Gesellschafterdarlehen, wo sie kaufmännisch vernünftig und erwünscht ist, nicht behindern.
1 BGH v. 21.7.2011 – IX ZR 185/10, MDR 2011, 1263 = ZIP 2011, 1775 ff. 2 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/6140, S. 26. 3 BGH v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, NZI 2012, 1009. Hierzu Haas, NZG 2013, 41; Brand, NZG 2012, 1374. 4 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/6140, S. 26. 5 Hess/Klaahsen, § 135 InsO Rz. 2; MünchKommInsO/Gehrlein, § 135 Rz. 4; Bitter, ZIP 2013, 1497 (1499). 6 FK/Dauernheim, § 135 InsO Rz. 1.
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Risiken der Gesellschafterfinanzierung
15 Demgegenüber sind nach neuem Recht (vorbehaltlich des Kleinbeteiligungsprivilegs) zum Beispiel alle offenen Gesellschafterdarlehen, auch wenn sie nach dem früheren Recht zu keiner Zeit eigenkapitalersetzenden Charakter besessen hätten, im Insolvenzverfahren nachrangig. Leistungen auch auf Gesellschafterdarlehen, die – aus der Sicht des Gesellschafter unglücklicherweise – elf und nicht dreizehn Monate vor Insolvenzantragstellung erbracht worden sind, unterliegen der Insolvenzanfechtung, auch wenn die Krise erst unmittelbar im Vorfeld dieses Antrags, etwa wegen des Ausfalls eines großen Schuldners oder eines sonstigen externen Ereignisses, eingetreten ist (s. Rz. 30 ff.). Das gilt auch dort, wo das Darlehen zu gesunden Zeiten gewährt und möglicherweise besichert wurde, und vom Stehenlassen oder der Rückzahlung in der Krise ebenfalls keine Rede sein kann. 3. Rechtfertigung des neuen Eigenkapitalersatzrechts 16 Das Eigenkapitalersatzrecht bedarf einer Rechtfertigung dafür, dass die Rückzahlung eines Gesellschafterdarlehens im letzten Jahr vor Antragstellung anfechtbar ist bzw. dass die Rückzahlung eines Gesellschafterdarlehens automatisch nachrangig ist. Denn durch diese Nachrangigkeit wird in das durch Art. 14 GG geschützte Eigentum der Gesellschafter bzw. der Gläubiger eingegriffen1. 17 Hierzu sind hauptsächlich drei Ansätze zu finden: – die Haftungsbeschränkung, – die Finanzierungsfolgenverantwortung und – die Insiderstellung der Gesellschafter. a) Prinzip der Haftungsbeschränkung 18 Nach der Meinung von Huber und Habersack2, die die Entstehung des MoMiG maßgeblich beeinflusst haben, soll das Eigenkapitalersatzrecht einen Ausgleich für die Vorteile der Haftungsbeschränkung schaffen3. Die Gesellschafter seien bereits durch die Wahl der Haftungsbeschränkung hinreichend geschützt. Dass sie darüber hinaus darüber frei entscheiden können, ob die Finanzierung der Gesellschaft durch Eigenoder Fremdkapital erfolgen soll, würde eine missbräuchliche Beeinflussung des Insolvenzrisikos ausstehender Gläubiger ermöglichen4. b) Finanzierungsfolgenverantwortung 19 Nach einer anderen Ansicht, die auch eine nunmehr große Zustimmung in der Literatur findet, bestehe der Grund für die Sonderbehandlung von Gesellschafterdarlehen weiterhin in der Finanzierungsfolgenverantwortung. Dass die Krise („kapitalersetzend“) nicht mehr als Tatbestandsmerkmal auftauche, erkläre sich durch das Vereinfachungsziel des MoMiG und sei in § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO in der Insolvenzeröffnung und in § 135 Abs. 1 und 2 InsO in den Fristen unwiderleglich vermutet5. c) Insiderstellung des Gesellschafters 20 Nach einer weiteren Meinung, sei aus der Stellung des Gesellschafters und dessen Möglichkeit – ebenso wie der Geschäftsführer – in der Insolvenz und der ihr vorgelagerten Zeit zum Nachteil der Gläubiger auf die Gesellschaft einzuwirken. Daher habe die Literatur und auch die Rechtsprechung den Gesellschafter haftungsbewährte Pflichten zum Schutz der Gläubigergesamtheit auferlegt (die Teilnehmerhaftung des 1 Altmeppen, NJW 2008, 3601 (3602). 2 Huber/Habersack in Lutter (Hrsg.), ZGR Sonderheft 17 (2006), 370 ff. 3 S. auch: Gehrlein, BB 2011, 3 (7); Kübler/Prüting/Bork/Preuß, § 39 InsO Rz. 31; Lüdtke in Hamburger Kommentar zur InsO, § 39 Rz. 34. 4 Habersack, ZIP 2007, 2145 (2147); Hirte in Uhlenbruck, § 39 InsO Rz. 35. 5 Bork, ZGR 2007, 250 (257); Hölzle, ZIP 2013, 1992 (1997); Hölzle, ZIP 2009, 1939 (1944); Altmeppen, NJW 2008, 3601 (3602 f.); Spliedt, ZIP 2009, 149 (153 f.); Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 30.60, a.A. Bitter, ZIP 2010, 1 (10), der in der Finanzierungsfolgenverantwortung eine Verschleierung der nominallen Unterkapitalisierung als Wertungsgrundlage des alten Gesellschafterdarlehensrechts sieht.
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Nachrangigkeit von Gesellschafterdarlehen im Insolvenzverfahren
Rz. 24
§4
Gesellschafters an der Insolvenzverschleppung1 sowie die Inpflichtnahme des Gesellschafters als „faktischer Geschäftsführer“2), um noch bestehende Lücken neben den Schutzpflichten des Geschäftsführer zu schließen3. Es ist jedoch zweifelhaft, ob diese Kontroverse auch eine parktische Relevant auf- 21 weist, da die anfallenden Rechtsfragen aus der Systematik und der Funktion des § 135 InsO beantwortet werden sollten4. III. Nachrangigkeit von Gesellschafterdarlehen im Insolvenzverfahren 1. Nachrang Vom Auszahlungsverbot nach § 64 Satz 3 GmbHG (bzw. § 92 Abs. 2 Satz 3 AktG) ab- 22 gesehen, beschränkt sich die eigenkapitalähnliche Bindung eines Gesellschafterdarlehens (und funktional vergleichbarer Gesellschafterhilfen) im neuen Recht auf den Nachrang und die Anfechtbarkeit in der Insolvenz: § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO ordnet für das Insolvenzverfahren den Nachrang aller Forderungen auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens und aller Forderungen aus Rechtshandlungen an, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen5. Diesbezüglich ist auf das Urteil vom 27.3.2014 des BAG6 zu verweisen, indem es Ansprüche, die über einen längeren Zeitraum nicht von dem Gesellschafter durchgesetzt wurden, als wirschaftlich einem Gesellschafterdarlehen entsprechende Forderung angesehen hat. Anders als im früheren Eigenkapitalersatzrecht kommt es dabei nicht mehr darauf an, dass das Gesellschafterdarlehen (oder die wirtschaftlich entsprechende Finanzierungshilfe) gerade in der Krise, also im Stadium der Kreditunwürdigkeit, gewährt bzw. stehen gelassen worden ist. Vielmehr wird unwiderleglich vermutet, dass die Darlehensgewährung missbräuchlich war, sodass jedes Gesellschafterdarlehen bei Eintritt der Insolvenz nachrangig ist7. Dies hat der BGH in seiner Entscheidung vom 15.11.2011 ausdrücklich klargestellt8. Zur Rangrückstufung führt vielmehr jede in der Insolvenz offene Forderung eines Gesellschafters oder eines gleichgestellten Dritten im Sinne von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO, wobei der Gesetzgeber allerdings am Sanierungsprivileg und am Kleinbeteiligungsprivileg (jetzt § 39 Abs. 4 Satz 2 und Abs. 5 InsO) festhält (s. Rz. 28 ff.).
23
a) Gesellschafterdarlehen Gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO werden zunächst Forderungen auf Rückgewähr eines 24 Gesellschafterdarlehens nachrangig befriedigt. Hingegen fallen Gesellschafterforderungen aus anderen Rechtsgründen nicht unter § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO9. Dies betrifft insbesondere den Aussonderungsanspruch eines Gesellschafters hinsichtlich eines zum Gebrauch überlassenen Gegenstandes, der speziell in § 135 Abs. 3 InsO geregelt ist.
1 BGH v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, NZG 2005, 886. 2 BGH v. 27.6.2005 – II ZR 113/03, NZG 2005, 755. 3 Noack, DB 2007, 1395 (1398); Mylich, ZGR 2009, 474 (488); Eidenmüller, ZGR 2007, 168 (192 f.); Haas, ZinsO 2007, 617 (618). 4 MünchKommInsO/Gehrlein, § 135 InsO Rz. 5. 5 Zum Streit über die systematische Beziehung von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO und § 135 Abs. 1 InsO zueinander s. Rz. 51 ff. 6 BAG v. 27.3.2014 – 6 AZR 204/12, NZI 2014, 619 (621). 7 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/6140, S. 57; Hirte in Uhlenbruck, § 39 InsO Rz. 33; Kleindiek in HK-InsO, § 39 Rz. 22; Altmeppen, ZIP 2013, 1745 (1748). 8 BGH v. 15.11.2011 – II ZR 6/11, NZI 2012, 199: Der Darlehensrückzahlungsanspruch eines ausgeschiedenen Gesellschafters ist im Insolvenzverfahren allenfalls dann als nachrangig zu behandeln, wenn er im letzten Jahr vor dem Eröffnungsantrag oder nach diesem Antrag ausgeschieden ist. 9 Spliedt, ZIP 2009, 149 (156); Bork, ZGR 2007, 250 (256); Hirte in Uhlenbruck, § 39 InsO Rz. 37; abw. Marotzke, ZinsO 2008, 1281 (1284 ff.).
Riedemann
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§4
Rz. 25
Risiken der Gesellschafterfinanzierung
b) Gleichgestellte Forderungen 25 Bei den einem Darlehen gleichgestellten Forderungen handelt es sich zunächst um Stundungs- und Fälligkeitsvereinbarungen1. Auch die stille Einlage eines Gesellschafters ist als gleichgestellte Forderung anzusehen. Hierzu ist auf die Entscheidung des BGH vom 28.6.20122 hinzuweisen. Nach Ansicht des BGH steht der atypisch stille Gesellschafter einer GmbH & Co. KG mit seinen Ansprüchen wirtschaftlich dem Gläubiger eines Gesellschafterdarlehens insolvenzrechtlich gleich, wenn in einer Gesamtbetrachtung seine Rechtsposition nach dem Beteiligungsvertrag der eines Kommanditisten im Innenverhältnis weitgehend angenähert ist. Der Nachrang von Ansprüchen des atypisch stillen Gesellschafters in der Insolvenz einer GmbH & Co. KG als Geschäftsinhaberin kann jedenfalls dann eintreten3, wenn – im Innenverhältnis das Vermögen der Geschäftsinhaberin und die Einlage des Stillen als gemeinschaftliches Vermögen behandelt werden, – die Gewinnermittlung wie bei einem Kommanditisten stattfindet, – die Mitwirkungsrechte des Stillen in der KG der Beschlusskompetenz eines Kommanditisten in Grundlagenangelegenheiten zumindest in ihrer schuldrechtlichen Wirkung nahe kommen und – die Informations- und Kontrollrechte des Stillen denen eines Kommanditisten nachgebildet sind. 26 Als wirtschaftlich einem Gesellschafterdarlehen entsprechende Forderungen zählen ferner insbesondere: – die Stundung der Abfindungsforderungen eines ausgeschiedenen Gesellschafters4; – der Erwerb gestundeter Forderungen Dritter gegen die Gesellschaft5; – ein nur für den Krisenfall gegebenes selbstständiges Schuldversprechen6; – eine („harte“) Patronatserklärung7; – das unechte Factoring8. 27 In seinem Urteil vom 17.2.20119 hat ferner der BGH entschieden, dass die Forderung aus der Rechtshandlung eines Dritten nicht schon deshalb einem Gesellschafterdarlehen entspricht, weil es sich bei dem Dritten um eine nahestehende Person im Sinne des § 138 InsO handelt, und dass wenn eine nahestehende Person (§ 138 InsO) dem Schuldner ein ungesichertes Darlehen gewährt, dies keinen ersten Anschein für eine wirtschaftliche Gleichstellung mit einem Gesellschafterdarlehen begründet. Es müssen vielmehr weitere Gesichtspunkte vorgetragen und bewiesen werden, wie insbesondere die wirtschaftliche Herkunft der Mittel aus dem Vermögen des Gesellschafters. Dies sollte die Anfechtungsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters deutlich erschweren10. 2. Sanierungs- und Kleinbeteiligungsprivileg a) Sanierungsprivileg 28 Ein sogenanntes Sanierungsprivileg ist in § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO vorgesehen. Nach dieser Vorschrift kommt, wenn ein Gläubiger bei drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder bei Überschuldung Anteile zum Zweck ihrer 1 BGH v. 16.6.1997 – II ZR 154/96, NJW 1997, 3026; Habersack, ZIP 2007, 2145 (2150); Kleindiek in HK-InsO, § 39 Rz. 37. 2 BGH v. 28.6.2012 – IX ZR 191/11, NZI 2012, 860, hierzu Haas/Vogel, NZI 2012, 875. 3 Kleindiek in HK-InsO, § 39 Rz. 49. 4 Philippi, BB 2002, 841 (843). 5 Hirte in Uhlenbruck, § 39 Rz. 38. 6 BGH v. 9.3.1992 – II ZR 168/91, NJW 1992, 1763. 7 OLG München.v. 22.7.2004 – 16 U 1867/04, ZIP 2004, 2102. 8 OLG Köln v. 25.7.1986 – 22 U 311/85, ZIP 1986, 1585 (1587). 9 BGH v. 17.2.2011 – IX ZR 131/10, NZI 2011, 257. Hierzu Keller, GWR 2011, 171. 10 Keller, GWR 2011, 171.
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Anfechtbarkeit der Rckzahlung von Gesellschafterdarlehen
Rz. 33
§4
Sanierung erwirbt, der Nachrang gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO auf die Forderungen dieses Gläubigers aus bestehenden oder neu gewährten Darlehen oder auf Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, nicht zur Anwendung. b) Kleinbeteiligungsprivileg Parallel zum Sanierungsprivileg regelt § 39 Abs. 5 InsO das Kleinbeteiligungsprivileg, 29 wonach die Anwendung von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO für den nicht geschäftsführenden Gesellschafter einer Gesellschaft, der mit 10 % oder weniger am Haftkapital beteiligt ist, ausgeschlossen ist. Diese nunmehr rechtsformneutrale Regelung gilt auch für die AG und orientiert sich dabei nicht an der bisherigen Rechtsprechung1, sondern übernimmt auch die 10 %-Grenze2. IV. Anfechtbarkeit der Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen 1. Anfechtbare Rechtshandlungen Der Hauptanfechtungstatbestand des neuen Eigenkapitalersatzrechts ist in § 135 30 Abs. 1 InsO geregelt. Nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO unterliegen alle Rechtshandlungen der Insolvenzanfechtung, die für Darlehensforderungen aus einem Gesellschafterdarlehen oder für gleichgestellte Forderungen im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO Befriedigung gewährt haben, wenn die Handlung im letzten Jahr vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (oder nach dem Antrag) vorgenommen wurde. Und gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind Rechtshandlungen anfechtbar, mit denen Sicherung für solche Forderungen gewährt wurde, wenn die Handlung in den letzten zehn Jahren vor Antragstellung (oder danach) vorgenommen wurde. Die Fristen entsprechen dem schon bislang geltenden Recht. Anfechtbar nach § 135 Abs. 1 InsO sind nur die Forderungen eines Gesellschafters 31 oder gleichgestellte Forderungen. Drittforderungen können hingegen über § 135 Abs. 2 InsO angefochten werden. Das Tatbestandsmerkmal „kapitalersetzend“, wie aus der früherer Fassung des § 135 InsO bekannt, ist nicht mehr erforderlich. Vielmehr sind sämtliche Sicherungen und Leistungen an die Gesellschafter innerhalb der Fristen anfechtbar, egal ob sie im konkreten Fall eigenkapitalersetzend waren oder nicht3. Hinsichtlich der Darlehensforderung eines Gesellschafters entspricht § 135 Abs. 1 32 InsO dem Anwendungsbereich des § 39 Abs. 2 Nr. 5 InsO, sodass auf die entsprechenden Ausführungen verwiesen werden kann (s. Rz. 22 ff.). Dies gilt auch für die gleichgestellten Forderungen. In diesem Kontext kann auf die Entscheidung des BGH vom 21.2.20134 verwiesen 33 werden. In dieser Entscheidung ging es um die Abtretung einer als Gesellschafterdarlehen zu qualifizierenden Forderung zur Beseitigung des Anfechtungsrisikos. Nach Ansicht des BGH unterliegt nach Insolvenzeröffnung neben dem Zessionar auch der Gesellschafter der Anfechtung nach § 135 Abs. 1 InsO, wenn die Darlehensforderung binnen eines Jahres vor Antragstellung abgetreten und von der Gesellschaft gegenüber dem Zessionar getilgt wurde. Der BGH hatte bereits in seinem Urteil vom 15.11.20115 entschieden, dass aufgrund der Jahresfrist in § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO die Forderung des Zessionars allenfalls dann als nachrangig zu behandeln ist, wenn die Abtretung im letzten Jahr vor dem Eröffnungsantrag oder nach diesem Antrag stattgefunden hat. 1 BGH v. 26.3.1984 – II ZR 171/83, NJW 1984, 1893. 2 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/6140, S. 57; Hess/Klaahsen, § 135 InsO Rz. 39. 3 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/6140, S. 57; Kleindiek in HK-InsO, § 135 Rz. 15. 4 BGH v. 21.2.2013 – IX ZR 32/12, NZI 2013, 308. Hierzu Lang, GWR 2013, 168; ablehnend Reinhard/Schützler, ZIP 2013, 1898 (1904). 5 BGH v. 15.11.2011 – II ZR 6/11, NZI 2012, 199.
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§4
Rz. 34
Risiken der Gesellschafterfinanzierung
34 Durch den Verweis in § 135 Abs. 4 InsO auf § 39 Abs. 4 und 5 InsO sind sowohl das Sanierungsprivileg als auch das Kleinbeteiligungsprivileg anwendbar (s. Rz. 28 f.). 35 Wo es gelungen ist, die Jahresfrist aus § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO bis zur Stellung des Insolvenzantrags zu überstehen, kann Anfechtbarkeit auf anderer Grundlage (mit längeren Fristen) gegeben sein, insbesondere nach § 133 InsO (Vorsatzanfechtung). Insoweit hat § 135 Abs. 1 InsO keine Sperrwirkung (ausführlich dazu s. Rz. 51 f.)1. 2. Gläubigerbenachteiligung 36 Wie bei allen Anfechtungstatbeständen muss eine Gläubigerbenachteiligung vorliegen, wie es aus § 129 Abs. 1 InsO resultiert2. In dem Fall, dass der betroffene Gläubiger besichert war, kann unter Umständen die Gläubigerbenachteiligung entfallen. Die Sicherungsgewährung kann aber nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO angefochten werden3. Dabei ist eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung durch die erfolgte Rechtshandlung für eine Anfechtung nach § 135 InsO ausreichend4. 3. Frist 37 Die einjährige bzw. zehnjährige Anfechtungsfrist ist nach § 139 InsO zu berechnen, wobei für den Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung § 140 InsO hinzuziehen ist. Checkliste: Tatbestandsvoraussetzungen des § 135 Abs. 1 InsO: m Anfechtbare Rechtshandlung: Befriedigung einer Darlehensforderung oder Gewährung einer Sicherung. m Gläubigerbenachteiligung. m Frist: Für Befriedigung ein Jahr vor Antragstellung, für die Gewährung einer Sicherung zehn Jahre vor Antragstellung. m Kein Sanierungs- oder Kleinbeteiligungsprivileg. 4. Anfechtung der Befriedigung eines gesellschafterbesicherten Darlehens 38 In § 135 Abs. 2 InsO wird der davor in § 32b GmbHG enthaltene Anfechtungstatbestand in rechtsformneutraler Form übernommen5. Hiernach ist eine Rechtshandlung anfechtbar, mit der eine Gesellschaft einem Dritten für eine Forderung auf Rückgewähr eines Darlehens innerhalb der in § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO genannten Fristen (ein Jahr oder 10 Jahre) Befriedigung gewährt hat, wenn ein Gesellschafter für die Forderung eine Sicherheit bestellt hatte oder als Bürge haftete. Trotz der etwa ungünstigen Formulierung richtet sich die Anfechtung nicht gegen den Drittgläubiger, sondern gegen den Gesellschafter, wie sich aus § 143 Abs. 3 Satz 1 InsO ergibt6. Hiernach hat der Gesellschafter, der die Sicherheit bestellt hatte oder als Bürge haftete, die dem Dritten gewährte Leistung zur Insolvenzmasse zu erstatten. Dabei besteht nach Satz 2 die Verpflichtung nur bis zur Höhe des Betrags, mit dem der Gesellschafter als Bürge haftete oder der dem Wert der von ihm bestellten Sicherheit im Zeitpunkt der Rückgewähr des Darlehens oder der Leistung auf die gleichgestellte Forderung entspricht. 39 In Bezug auf § 135 Abs. 2 InsO ist ferner auf das Urteil des OLG Stuttgart vom 14.3.20127 hinzuweisen. Der Geschäftsführer und Gesellschafter der Schuldnerin hatte sich für die Gesellschaft gegenüber einer Bank verbürgt. Parallel hierzu hatte sich 1 BGH v. 18.7.2013 – IX ZR 219/11, NZI 2013, 742 f.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anhang § 64 GmbHG Rz. 108. 2 Hess/Klaahsen, § 135 InsO Rz. 55; Kleindiek in HK-InsO, § 135 Rz. 21. 3 Hirte in Uhlenbruck, § 135 InsO Rz. 10. 4 BGH v. 18.7.2013 – IX ZR 219/11, NZI 2013, 742, MünchKommInsO/Gehrlein, § 135 Rz. 17; Hirte in Uhlenbruck, § 135 InsO Rz. 10. 5 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/6140, S. 57. 6 Hess/Klaahsen, § 135 InsO Rz. 69. 7 OLG Stuttgart v. 14.3.2012 – 14 U 28/11, BB 2012, 1434 = ZInsO 2012, 885. Hierzu Schneider, GWR 2012, 160.
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Anfechtbarkeit der Rckzahlung von Gesellschafterdarlehen
Rz. 43
§4
die Bank durch eine Globalzession und eine Sicherungsübereignung von Vermögensgegenständen der Gesellschaft gesichert. Nach Inanspruchnahme der Gesellschaftssicherheit wurde der Gesellschafter vom Insolvenzverwalter in Anspruch genommen. Allerdings hatte die Bank nach einer Teilzahlung auf die restliche Bürgschaftsschuld verzichtet. Fraglich war somit, ob das Freiwerden von Sicherheiten eines Gesellschafters auch bei einem Verzicht des Gläubigers auf Inanspruchnahme anfechtbar ist. Nach Ansicht des OLG Stuttgart, basierend auf der Entscheidung des BGH vom 1.12.20111, besteht ein Anspruch aus §§ 135 Abs. 2, 143 Abs. 3 InsO gegen den Gesellschafter auch dann, wenn der Gläubiger in Absprache mit dem Gesellschafter vor Rückführung der Gesellschaftsschuld durch die Insolvenzschuldnerin innerhalb eines Jahres vor dem Insolvenzeröffnungsantrag oder nach diesem Antrag auf die weitere Inanspruchnahme des Gesellschafters aus der Gesellschaftersicherheit verzichtet hat. 5. Konkurrenz mit anderen Anfechtungstatbeständen Die Anfechtungstatbestände in § 135 Abs. 1 und 2 InsO konkurrieren mit den anderen 40 Anfechtungstatbeständen2. a) Konkurrenz mit § 133 InsO Die Anfechtung der Befriedigung eines gesellschafterbesicherten Darlehens nach 41 § 135 Abs. 2 InsO konkurriert insbesondere mit der Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 2 InsO, wonach ein vom Schuldner mit einer nahestehenden Person geschlossener entgeltlicher Vertrag, durch den die Insolvenzgläubiger unmittelbar benachteiligt werden, innerhalb einer Frist von zwei Jahren anfechtbar ist. Zu den nahestehenden Personen zählen nach § 138 Abs. 2 Nr. 1 InsO auch Gesellschafter, die zu mehr als einem Viertel am Kapital des Schuldners beteiligt sind. § 135 Abs. 2 InsO schließt nicht die Anfechtung nach § 133 InsO aus, sofern dessen Voraussetzungen auch erfüllt sind3. Die vorsätzliche Gläubigerbenachteiligung sowie die Kenntnis davon sollten gerade bei Gesellschaftern regelmäßig nachzuweisen sein4. Somit kann es für den Insolvenzverwalter von Vorteil sein, die Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO statt nach § 135 Abs. 2 InsO durchzuführen, aufgrund der im ersten Fall längeren Frist von zwei Jahren.
42
b) Konkurrenz mit §§ 130, 131 InsO Nach überwiegender Meinung verdrängt die Anfechtung gemäß § 135 Abs. 2 InsO die 43 Deckungsanfechtung nach §§ 130, 1315. Die folgende Tabelle fasst das Konkurrenzverhältnis des § 135 InsO zu den anderen Anfechtungstatbeständen zusammen: §§ 130, 131 InsO
§ 133 Abs. 2 InsO
§ 131 Abs. 1 InsO
werden verdrängt
parallel anwendbar
§ 131 Abs. 2 InsO
werden verdrängt
parallel anwendbar
§ 131 Abs. 3 InsO
parallel anwendbar
parallel anwendbar
1 BGH v. 1.12.2011 – IX ZR 11/11, NZI 2012, 19 = GmbHR 2012, 86 = NZG 2012, 35. Hierzu Lauster/Stiehler, BKR 2012, 106. 2 Baumbach/Hueck, GmbHG, Anhang nach § 30 Gesellschafterfinanzierung Rz. 70; Saenger/Inhester/Kolmann, § 30 Rz. 172. 3 Hess/Klaahsen, § 135 InsO Rz. 120. 4 Dahl/Schmitz, NZG 2009, 325, 327; Hirte in Uhlenbruck, § 135 InsO Rz. 6. 5 Hirte in Uhlenbruck, § 135 InsO Rz. 6; Gottwald/Huber, Insolvenzrechtshandbuch, § 50 Rz. 29; Henckel, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 813, 822; Kübler/Prütting/Noack, Sonderband I Gesellschaftsrecht, Rz. 219; a.A. Dahl/Schmitz, NZG 2009, 325 (327).
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§4
Rz. 44
Risiken der Gesellschafterfinanzierung
6. Anfechtung nach dem Anfechtungsgesetz a) Allgemeines 44 Die neuen Vorschriften zur Behandlung von Gesellschafterdarlehen (und wirtschaftlich entsprechenden Forderungen) im eröffneten Insolvenzverfahren werden durch die Anfechtungstatbestände des Anfechtungsgesetzes (§§ 6, 6a, 11 AnfG) ergänzt, die angesichts der nicht seltenen Fälle masseloser Insolvenzen von erheblicher Bedeutung sind1. Im Zuge des MoMiG sind die Bestimmungen des Anfechtungsgesetzes besser an §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 InsO angepasst und dabei um eine bislang fehlende Vorschrift zur Befriedigung eines gesellschafterbesicherten Drittdarlehens ergänzt worden (§ 6a AnfG). 45 § 6 AnfG entspricht nunmehr § 135 Abs. 1 InsO und zielt ebenfalls auf den Schutz der Gläubiger vor einer Reduzierung des Gesellschaftsvermögens aufgrund von Zahlungen an die Gesellschafter ab. Nach § 6 AnfG ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die für die Forderung eines Gesellschafters auf Rückgewähr eines Darlehens im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO oder für eine gleichgestellte Forderung Sicherung oder Befriedigung gewährt hat. Im Falle einer Sicherung besteht eine zehnjährige Anfechtungsfrist vor Erlangung des vollstreckbaren Schuldtitels oder danach während die Befriedigung im letzten Jahr vor Erlangung des Titels oder danach stattgefunden haben soll. 46 Somit wurden die Anfechtungsfristen nach § 6 AnfG durch Vorverlagerung des Zeitpunktes von dem an sich die Rückberechnung bemisst, verlängert: Das Gesetz stellt nun (statt auf die Geltendmachung der Anfechtung) auf die Erlangung eines vollstreckbaren Schuldtitels bzw. – wenn zuvor der Insolvenzeröffnungsantrag mangels Masse abgelehnt worden ist – auf den Zeitpunkt der Antragstellung ab. § 6 AnfG ist nur solange anwendbar, bis ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft eröffnet wird, weil danach § 135 Abs. 1 InsO greift2. 47 Allerdings ist nach § 6 Abs. 2 AnfG die Anfechtung ausgeschlossen, wenn nach dem Schluss des Jahres, in dem der Gläubiger den vollstreckbaren Schuldtitel erlangt hat, drei Jahre verstrichen sind, bzw., wenn die Handlung später vorgenommen, drei Jahre nach dem Schluss des Jahres, in dem die Handlung vorgenommen worden ist. 48 Der neu eingeführte § 6a AnfG entspricht § 135 Abs. 2 InsO. Hiernach ist eine Rechtshandlung anfechtbar, mit der eine Gesellschaft einem Dritten für eine Forderung auf Rückgewähr eines Darlehens innerhalb der in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 AnfG genannten Fristen Befriedigung gewährt hat, wenn ein Gesellschafter für die Forderung eine Sicherheit bestellt hatte oder als Bürge haftete. Durch einen Verweis auf § 39 Abs. 4 und 5 InsO in § 6a Satz 2 AnfG gelten auch hier das Sanierungs- und Kleinbeteiligungsprivileg (s. Rz. 28 f.). b) Konkurrenz 49 § 6 AnfG schließt die Anwendung anderer Anfechtungstatbestände nach dem Anfechtungsgesetz nicht aus, wie zum Beispiel § 3 AnfG. Insbesondere die Anfechtung nach § 3 Abs. 2 AnfG von Verträgen mit nahestehenden Personen, welche die Gläubiger unmittelbar benachteiligen, bleibt ebenfalls anwendbar, weil die subjektiven Voraussetzungen strenger sind3.
1 MünchKommInsO/Gehrlein, § 135 Rz. 4. 2 § 6 AnfG ist auch anwendbar, wenn das Insolvenzverfahren mangels Masse eingestellt wird, Baumbach/Hueck, GmbHG Anhang nach § 30 Rz. 72. 3 Mit diesem Ergebnis in Bezug auf das Verhältnis zwischen § 135 und § 133 InsO: Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 64 GmbHG Rz. 108; Baumbach/Hueck/Fastrich, Anh. zu § 30 GmbHG Rz. 70; Bormann, DB 2006, 2616 (2617 f.); Hirte, ZInsO 2008, 689 (696); Dahl/Schmitz NZG 2009, 325 (327); Haas, ZIP 2006, 1373 (1375).
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Durchsetzbarkeit von Sicherheiten fr Gesellschafterdarlehen
Rz. 53
§4
V. Durchsetzbarkeit von Sicherheiten für Gesellschafterdarlehen 1. Allgemein Der § 135 Abs. 1 InsO wurde durch das zum 1.11.2008 in Kraft getretene MoMiG an 50 das neue Konzept der Gesellschafterfremdfinanzierung angepasst, womit das frühere Eigenkapitalersatzrecht substituiert wurde. Die Anfechtungstatbestände des § 135 Abs. 1 InsO enthalten für den Fall der Gewährung einer Sicherheit (Nr. 1) und für die Gewährung einer Befriedigung (Nr. 2) von Forderungen nach der Maßgabe des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO. Dies umfasst Forderungen auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens sowie von Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich gleichstehen. 2. Verhältnis der Anfechtungstatbestände des § 135 Abs. 1 InsO Zum systematischen Verhältnis der Anfechtungstatbestände des § 135 Abs. 1 InsO hat sich der BGH1 gegen eine Sperrwirkung des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO ausgesprochen, da eine bestellte Sicherheit innerhalb der nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO festgelegten Zehnjahresfrist verwertet wurde.
51
Der Gesellschafter ist nur dann auf der sicheren Seite und zieht somit sein Darlehen 52 insolvenzfest ab, wenn es außerhalb der Jahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO zurückgezahlt wird. Dementgegen ging die allgemeine Ansicht im Schrifttum2 bisher von einer Sperrwirkung des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO für den Anfechtungsanspruch nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO aus und damit auch von einer insolvenzfesten Befriedigung des Gesellschafters durch Verwertung einer bestellten Sicherheit. So hätte sich der Gesellschafter im entschiedenden Fall des BGH insolvenzfest aus der Masse befrieden können, da eine Befriedigung nicht innerhalb der kritischen Jahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO erfolgt wäre. Der BGH leitete diese Entscheidung im Wesentlichen aus dem Grundsatz der Selbständigkeit der Anfechtungstatbestände3 ab, zudem würde der durch Gesellschaftsvermögen gesicherte darlehnsgewährende Gesellschafter bei Wahrnehmung der Geschäftsführung zur „Eingehung unangemessener, wenn nicht gar unverantwortlicher“ Risiken zum Nachteil ungesicherter Gläubiger veranlasst und dies sei deshalb „mit einer ordnungsgemäßen Unternehmensfinanzierung nicht vereinbar“4. Diese Entscheidung wurde im Schriftum kontrovers aufgenommen5. Die Gegenstim- 53 men beabsichtigen bestellte Sicherheiten bei Gewährung des Darlehens von der Insolvenzanfechtung auszunehmen6. Dementgegen wird teileweise aus dem Nachrang der gesicherten Forderung gem. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO der Schluss gezogen, dass eine Durchsetzbarkeit der für Gesellschafterdarlehen bestellte Sicherheiten ausgeschlossen sei7. Überzeugend ist jedoch der Verweis auf den konzeptionellen Zusammenhang der Anfechtungstatbeständen des § 135 InsO, die den Zweck der flankierenden
1 BGH v. 18.7.2013 – IX ZR 219/11, NZI 2013, 742 mit Anm. Thole. 2 Altmeppen; ZIP 2013, 1745; Bitter, ZIP 2013, 1497 ff.; Spliedt, ZIP 2009, 149 (153); Schall, ZGR 2009, 126 (144). 3 BGH. v. 18.7.2013 – IX ZR 219/11, NZI 2013, 742, Rz. 13. 4 BGH v. 18.7.2013 – IX ZR 219/11, NZI 2013, 742, Rz. 19 in Anschluss an Engert, ZGR 2004, 813 (831). 5 Befürwortend Bork, EWiR 2013, 521 f.; Altmeppen, ZIP 2013, 1745 (1752); Hölzle, 1992, 1994 (1997), der sich insbesondere im Rahmen der BGH-Entscheidung auf die Aufrechterhaltung des Schutzstandard des vorher geltenden Eigenkapitalersatzrechts stützt. 6 Mylich, ZIP 2013, 2444 (2450); mangels Gläubigerbenachteiligung auch bei nachträglicher Sicherheitenbestellung unanfechtbar Marotzke, ZinsO 2013, 641 (650, 655 ff.); mit Verweis auf das Privileg des Bargeschäftes des § 142 InsO für anfänglich bestellte Sicherheiten Bitter, ZIP 2013, 1497 (1506 f.). 7 Altmeppen, ZIP 2013, 1745 (1751); Hölzle, ZIP 2013, 1992 (1995 f.); Schönfelder, WM 2009, 1401 (1402); ablehnend Thole, NZI 2013, 745 f.; Bitter, ZIP 2013, 1998 (2000), da § 39 InsO eine insolvenzrechtliche Verteilungsregel darstellt, die für die Durchsetzbarkeit solcher Sicherheiten irrelevant ist.
Riedemann
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§4
Rz. 54
Risiken der Gesellschafterfinanzierung
Absicherung der Subordination von Gesellschafterdarlehen (oder wirtschaftlich entsprechenden Forderungen) nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO gewährleisten1. 3. Aus-/Absonderungsrechte für besicherte Gesellschafterdarlehen 54 Neben der Frage, ob sich Rückschlüsse aus dem Nachrang der Forderung aus einem besicherten Gesellschafterdarlehen für die Durchsetzbarkeit selbiger ziehen lassen, ist es ebenso umstritten, ob der Gesellschafter trotz des Nachrangs der Forderung ein Absonderungsrecht durch die bestellte Sicherheit geltend machen kann. Nach der Ansicht von Bitter ergibt sich aus dem Nachrang gem. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO lediglich eine Verteilungsregel, denn grundsätzlich nimmt auch die nachrängige Forderung am Insolvenzverfahren teil, sodass im Rahmen dieser Regelung keine Aussage dahingehend gemacht wird, ob die Forderung überhaupt nicht berücksichtigt wird oder durchsetzbar sei2. Dementgegen wird eine echte Durchsetzungssperre zu Lasten des Gesellschafters vertreten, begründet wird dies mit der Finanz- und Finanzierungsverfassung einer Gesellschaft in haftungsbeschränkter Rechtsform3. Des Weiteren entspricht es auch der gesetzgeberischen Wertung in Anbetracht der Anfechtungsnorm des § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO, dass ein Gesellschafterdarlehen nicht besichert werden kann, vielmehr schlage die Subordination des Darlehens auf die Besicherung durch4. Dies überzeugt, denn ein Gesellschafter, der in der Insolvenz aus noch vorhandenen Gesellschaftsvermögen Befriedigung nur im Nachrang erfährt, soll sich nicht vorrangig aus einer Sicherheit befriedigen können, die ihm aus dem Gesellschaftsvermögen innerhalb von 10 Jahren seit dem Antrag gewährt worden war5. 55 Jedoch – insoweit herrscht weitgehend Einigkeit – ist eine bestellte Sicherheit außerhalb des Zehnjahreszeitraums insolvenzfest, dies ergibt sich § 135 Abs. 1 Nr. 1 InsO zwingend6. 56 Hinsichtlich möglicher Absonderungsrechte enthält § 135 Abs. 3 InsO spezielle Einschränkungen (siehe Rz. 57). VI. Nutzungsüberlassung durch einen Gesellschafter 1. Aussonderungssperre 57 Nach § 135 Abs. 3 Satz 1 InsO kann der Aussonderungsanspruch des Gesellschafters maximal für ein Jahr nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht geltend gemacht werden, wenn der zur Nutzung überlassene Gegenstand für die Fortführung des schuldnerischen Unternehmens von erheblicher Bedeutung ist. Bei dieser Vorschrift handelt es sich nicht um einen Anfechtungstatbestand7. Die systematische Stellung in § 135 InsO erklärt sich aus Umständen des Gesetzgebungsverfahrens. 58 Mit dieser einjährigen Aussonderungssperre zulasten des Gesellschafters soll sichergestellt werden, dass die Fortführung des Unternehmens durch den Entzug wesentliche Gegenstände nicht gefährdet wird. 59 Der Grund für diese neue Regelung besteht in dem Wegfall des Merkmals „kapitalersetzend“ in § 135 Abs. 1 InsO, weil hierdurch auch die Grundlage der bisherigen 1 Ausführlich dazu Kleindiek in HK-InsO, § 135 Rz. 13–15. 2 Bitter, ZIP 2013, 1497 (1502), da das Sicherungsbedürfnis größer ist als bei einfachen Insolvenzforderungen; ebenso Mylich, ZHR 176 (2012), 547 (557); Marotzke, ZinsO 2013, 641 (649), da die abgesonderte Befriedigung ein auf einem Massegegenstand lastendes dingliches Recht betreffe. 3 Hölzle, ZIP 2013, 1992 (1996, 1997), bezieht sich dabei auf Röhricht in FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 99 ff. und damit ein Absonderungsrecht auch außerhalb der Zehnjahresfrist verneint. 4 Altmeppen, ZIP 2013, 1745 (1750). 5 Kleindiek in HK-InsO, § 135 Rz. 14. 6 So auch Kleindiek in HK-InsO, § 135 Rz. 12; übereinstimmend dazu auch Bitter; ZIP 2013, 1998 (1999 f.); Marotzke, ZinsO 2013, 641 (650); Spliedt, ZIP 2009, 149 (153); a.A. Hölzle, ZIP 2013, 1992 (1997). 7 Marotzke, ZInsO 2008, 1281 (1283); K. Schmidt, DB 2008, 1727 (1732).
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Riedemann
Gesicherte Darlehen
Rz. 64
§4
Rechtsprechung zur eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung entfallen ist. Nach der Gesetzesbegründung bestehe sonst die Gefahr, dass dem Unternehmen mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die für eine Betriebsfortführung notwendigen Gegenstände, d.h. bewegliche und unbewegliche Sachen sowie Rechte, nicht mehr zur Verfügung stehen1. Könnte der Gesellschafter auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zum Gebrauch überlassene Gegenstände jederzeit zurückverlangen, so würde dies gegen seine Treuepflicht, alles zu unterlassen, was der Gesellschaft nachhaltig schädigen könnte, verstoßen2. 2. Ausgleichanspruch Gemäß § 135 Abs. 3 Satz 2 InsO gebührt für den Gebrauch oder die Ausübung (ge- 60 meint ist wohl die Ausübung von Rechten)3 des Gegenstandes dem Gesellschafter ein Ausgleich. Bei der Berechnung ist der Durchschnitt der im letzten Jahr vor Verfahrenseröffnung geleisteten Vergütung in Ansatz zu bringen, während bei kürzerer Dauer der Überlassung der Durchschnitt während dieses Zeitraums maßgebend ist. Der Ausgleichsanspruch des Gesellschafters stellt eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 InsO dar4. Da auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgestellt wird, könnte im Fall eines 61 vorläufigen Insolvenzverfahrens der Ausgleichanspruch des Gesellschafters stark reduziert werden, sollte der vorläufige Verwalter die Zahlung des Nutzungsentgelts einstellen5. § 135 Abs. 4 InsO verweist auf § 39 Abs. 4 und 5 InsO, was einen Gleichlauf mit den Regelungen zum Gesellschafterdarlehen in Bezug auf das Sanierungs- und Kleinbeteiligungsprivileg sicherstellt6.
62
3. Konkurrenz § 135 Abs. 3 InsO stellt nach herrschender Meinung keinen Insolvenztatbestand dar7, sodass alle anderen Anfechtungstatbestände parallel anwendbar sind.
63
VII. Gesicherte Darlehen 1. Allgemeines Nach wirtschaftlichen Aspekten ist kein Unterschied, zwischen dem gewährten Kre- 64 dit des Gesellschaftsers und der gewährten Sicherheit durch den Gesellschafter für den Kredit eines ausenstehenden Dritten, festzustellen8. Demnach ordnet der § 44a InsO für einen Gläubiger die Möglichkeit an, nach Maßgabe des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO für eine Forderung auf Rückgewähr eines Darlehens oder für eine gleichgestellte Forderung, für die ein Gesellschafter eine Sicherheit9 bestellt oder für die er sich verbürgt hat, nur anteilsmäßige Befriedigung aus der Insolvenzmasse verlangen zu können, soweit er bei der Inanspruchnahme der Sicherheit oder des Bürgen ausgefallen ist. In diesem Fall steht dem Gesellschafter der Gesellschaft gegenüber ein Erstattungsanspruch zu, wobei es sich nur um eine nachrangige Insolvenzforderung entsprechend § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO handelt10. Der MoMiG-Gesetzgeber hat auch hier die alten gesetzlichen Regelungen (§§ 32a Abs. 2, 32b GmbHG a.F.) in die InsO ohne das Tatbestandsmerkmal der Krisenfinanzierung übertragen.
1 2 3 4 5 6 7
Bericht und Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/9737, S. 59. Bericht und Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/9737, S. 59. Hirte in Uhlenbruck, § 135 InsO Rz. 23. Bericht und Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/9737, S. 59. Schäfer, Insolvenzanfechtung, Rz. 1074. Bericht und Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/9737, S. 59. BGH v. 1.12.2011 – IX ZR 11/11, NZI 2012, 19; K. Schmidt, DB 2008, 1727 (1734); Schäfer, NZI 2010, 505 ff., Schäfer, Insolvenzanfechtung, Rz. 1076. 8 So auch Kleindiek in HK-InsO, § 44a Rz. 1. 9 Überblick zu den erfassten Sicherheiten Kleindiek in HK-InsO, § 44a Rz. 4 ff. 10 K. Schmidt, ZIP 1999, 1821 (1822 ff., 1828); K. Schmidt, BB 2008, 1966 (1968).
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§4
Rz. 65
Risiken der Gesellschafterfinanzierung
2. Doppelsicherung durch Gesellschaft und Gesellschafter 65 Unter Doppelbesicherung ist die Konstellation zu verstehen, in der sowohl die Gesellschaft als auch der Gesellschafter dem Drittgläubiger Sicherheiten gestellt haben, die zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung noch bestehen. Umstritten war insbesondere, ob der Insolvenzverwalter nach § 44a InsO verpflichtet ist, zunächst Befriedigung aus der Gesellschaftersicherheit zu suchen, oder ob ihm insoweit ein Wahlrecht zusteht. 66 In seiner Grundsatzentscheidung vom 1.12.20111 bejaht der BGH einen Erstattungsanspruch des Insolvenzverwalters gegenüber dem Gesellschafter, wenn die am Gesellschaftsvermögen und am Vermögen eines Gesellschafters gesicherte Forderung eines Darlehensgläubigers nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft durch Verwertung der Gesellschaftssicherheit befriedigt wird. Dieser Anspruch beruht auf einer analogen Anwendung des § 143 Abs. 3 Satz 1 InsO. 67 Eine Einschränkung des Wahlrechts des Drittgläubigers darüber, welche der beiden Sicherheiten er vorrangig verwertet, durch eine entsprechende Anwendung des § 44a InsO kommt ferner nach Ansicht des BGH nicht in Betracht2. Um dies zu begründen, zieht er seine Rechtsprechung zu § 32a Abs. 2 GmbHG a.F. heran. Hiernach unterlag es der freien Entscheidung des Drittgläubigers, die Gesellschafts- oder die Gesellschaftersicherheit in Anspruch zu nehmen. Diese Gründe sollen auch nach dem MoMiG Bestand haben. 68 Zu erwähnen ist ferner die Entscheidung vom 12.7.20123, in welcher der BGH die Klage eines Gesellschafters auf Feststellung, einem Gesellschaftergläubiger nicht persönlich für eine Verbindlichkeit der Gesellschaft zu haften, als unzulässig abgewiesen hat, da über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. VIII. Geschäftsführerhaftung nach § 64 Satz 3 GmbHG 69 Die Finanzierung durch Gesellschafter kann auch zu einer erhöhten Organhaftung führen. Nach dem durch das MoMiG eingeführten § 64 Satz 3 GmbHG sind die Geschäftsführer der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen an Gesellschafter verpflichtet, soweit diese zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten; es sei denn, dies war auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns nicht erkennbar. 70 Grund für diese Haftung ist die Beeinträchtigung der vorrangigen Befriedigung der Gläubiger4. Auch wenn der Begriff der Zahlung weit zu fassen ist, soll nach der Gesetzesbegründung der Anwendungsbereich von § 64 Satz 3 GmbHG nur dann eröffnet sein, wenn eine sehr enge Kausalität zwischen Zahlung und Zahlungsunfähigkeit besteht. Verboten sollen solche Zahlungen werden, die ohne Hinzutreten weiterer Kausalbeiträge zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen. 71 Zu erwähnen ist die Entscheidung des BGH vom 9.10.20125, welche die Konturen dieses Haftungstatbestandes präzisiert. Nach Ansicht des BGH ist eine fällige Forderung des Gesellschafters in der Liquiditätsbilanz zu berücksichtigen, sodass die Rückzahlung des Darlehens nicht kausal für die bereits bestehende Zahlungsunfähigkeit sein kann. In seinem Urteil vom 9.5.20126 hatte noch das OLG Celle entschieden, dass die Vornahme von zur Zahlungsunfähigkeit der GmbH führenden Zahlungen an 1 BGH v. 1.12.2011 – IX ZR 11/11, NZI 2012, 19 = GmbHR 2012, 86 = NZG 2012, 35. Hierzu Lauster/Stiehler, BKR 2012, 106. 2 S. auch OLG Stuttgart v. 26.12.2012 – 9 U 65/12, BB 2012, 3161 mit Anm. Undritz. S. auch Göb, NZI 2013, 243. 3 BGH v. 12.7.2012 – IX ZR 217/11, NZI 2012, 858, hierzu Göb, NZI 2013, 25. 4 Überwiegende Meinung. S. Roth/Altmeppen, § 64 GmbHG Rz. 68; Baumbach/Hueck/Haas, § 64 GmbHG Rz. 2; Knof, DStR 2007, 1536 (1537). 5 BGH v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, NZI 2012, 1009. Hierzu Haas, NZG 2013, 41; Brand, NZG 2012, 1374. 6 OLG Celle v. 9.5.2012 – 9 U 1/11, BeckRS 2012, 22297, hierzu Kluth, GWR 2013, 49.
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Riedemann
Fazit
Rz. 73
§4
die Gesellschafter auch zur Haftung des Geschäftsführers führt, wenn die Gesellschafter den Eintritt der Insolvenz der Gesellschaft nach Vornahme der haftungsauslösenden Leistungen noch 13 Monate lang durch freiwillige Stützungszahlungen hinauszögern. Im Lichte der neueren des BGH wäre heute in dieser Konstellation die Kausalität zwischen Zahlung und Zahlungsunfähigkeit wohl abzulehnen1. Ferner steht nach Ansicht des BGH aus § 64 Satz 3 GmbHG dem Geschäftsführer ein 72 Leistungsverweigerungsrecht zu, wenn diese Zahlung die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft herbeiführen würde. IX. Fazit Durch das Inkrafttreten des MoMiG am 1.11.2008 hat das Eigenkapitalersatzrecht 73 tiefe Änderungen erfahren. Zahlreiche Entscheidungen haben in den letzten Jahren die Konturen der neuen Rechtslage präzisiert, sodass die Risiken der Gesellschafterfinanzierung nun besser einschätzbar sind. Insbesondere die Arbeit des Insolvenzverwalters wurde durch die Abschaffung des Tatbestandsmerkmals der Krisenfinanzierung und durch die Regelungskonzentration in der Insolvenzordnung erheblich vereinfacht.
1 So auch Kluth, GWR 2013, 49.
Riedemann
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§5 Insolvenzstrafrecht
I. Die Beratung und Vertretung der am Insolvenzverfahren beteiligten Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vertretung des Schuldners/Schuldnervertreters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Position des Mandanten im Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . b) Strafbare Handlungen, betrachtet nach Zeitabschnitten . . . . . . . . . . . aa) Vor der Krise . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vorliegen einer Krise . . . . . . . . (2) Buchführungspflichten . . . . . . (3) Beiseiteschaffen von Vermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen . . . . . . (5) Amtsniederlegung . . . . . . . . . . (6) Beratung vor der Krise . . . . . . . bb) Nach Eintritt der Krise und vor Insolvenzantrag . . . . . . . . . (1) Vorliegen einer Krise . . . . . . . . (2) Buchführungspflichten . . . . . . (3) Insolvenzantragspflicht . . . . . . (4) Beschaffung neuer Liquidität . (a) Neue Kredite. . . . . . . . . . . . . . . (b) Gebrauch von Scheck- und Kreditkarten . . . . . . . . . . . . . . . (5) Beiseiteschaffen von Vermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Sonstige Vermögensminderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . (7) Die Weiterführung des Geschäftsbetriebes . . . . . . . . . (a) Eingehungsbetrug . . . . . . . . . . (b) Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen . . . . . . (8) Strafbarkeit von Hilfspersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . (9) Amtsniederlegung . . . . . . . . . . (10) Das Beweisverwendungsverbot, § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO . . . (11) Beratung in der Krise . . . . . . . . cc) Insolvenzantragsphase . . . . . . (1) Bestellung eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters . . (2) Bestellung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Das Beweisverwendungsverbot, § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO . . . dd) Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . ee) Restschuldbefreiungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vertretung des Schuldnerberaters . . . a) Täterkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Strafbare Handlungen, betrachtet nach Zeitabschnitten . . . . . . . . . . .
1 4 5
3. 4.
7 8 9 11 13 15 16 18 19 20 21 22 24 25 26 27
II. 1.
30 31 32 34 40 41 45 46 47 48
49 50 51 52 53 54
2.
aa) Vor der Krise. . . . . . . . . . . . . . . bb) Nach Eintritt der Krise bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . Vertretung des Gläubigers . . . . . . . . . Vertretung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Insolvenzantragsphase . . . . . . . . . . aa) Untreue, § 266 StGB . . . . . . . . . bb) Begünstigung und Strafvereitelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Starker vorläufiger Verwalter als Täter des Bankrotts . . . . . . dd) Das Vorenthalten von Arbeitnehmersozialversicherungsbeiträgen. . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . aa) Untreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Begünstigung und Strafvereitelung . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bankrotthandlungen . . . . . . . . c) Restschuldbefreiungsverfahren . . . d) Der Sachwalter . . . . . . . . . . . . . . . . Überblick über die einzelnen Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Täterkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit durch die kriminalistische Analyse . . . . . . . . . . . . bb) Ermittlung des Zeitpunktes der Zahlungsunfähigkeit durch die Tabelle . . . . . . . . . . . cc) Feststellung einer Überschuldung und in dubio pro reo . . . . Insolvenzstrafrecht im engeren Sinne. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Täterkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vertretungsorgane/Berater . . . cc) Faktischer Geschäftsführer . . . dd) Sanierer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Objektive Bedingungen der Strafbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zahlungseinstellung. . . . . . . . . bb) Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder Abweisung mangels Masse . . . . . . . . . . . . . c) Der Bankrott, § 283 StGB . . . . . . . . aa) Straftatbestände des Abs. 1 . . (1) Beiseiteschaffen/Verheimlichen/Zerstören (Nr. 1) . . . . . . .
56
58 59 60 62 63 64 68 73
74 75 75 76 77 78 79 80 81 81 82
83
87 88 90 91 92 93 96 99 100 101
102 103 104 105
56
Ringstmeier
243
§5
Rz. 1 (a) (b) (c) (d)
Schutzgut der Vorschrift . . . . Beiseiteschaffen . . . . . . . . . . . Verheimlichen . . . . . . . . . . . . . Zerstören, Beschädigen, Unbrauchbarmachen . . . . . . . (2) Verlustgeschäfte und andere (Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Verlust-, Spekulations- und Differenzgeschäfte . . . . . . . . . (b) Unwirtschaftliche Ausgaben, Spiel und Wette . . . . . . . . . . . (3) Waren- oder Wertpapiergeschäfte (Nr. 3) . . . . . . . . . . . (4) Vortäuschen oder Anerkennen von Rechten (Nr. 4) . . . . . (5) Buchführungspflichten (Nr. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Adressatenkreis/Täter . . . . . . (b) Handelsbücher . . . . . . . . . . . . (c) Tathandlungen . . . . . . . . . . . . (6) Aufbewahrungspflichten (Nr. 6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Adressatenkreis/Täter . . . . . . (b) Tathandlungen . . . . . . . . . . . . (7) Bilanzen (Nr. 7) . . . . . . . . . . . (a) Fehlerhafte Bilanzaufstellung (b) Verspätete Bilanzaufstellung (8) Sonstiges (Nr. 8) . . . . . . . . . . . bb) Straftatbestand des § 283 Abs. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . cc) Versuch (Abs. 3) . . . . . . . . . . . dd) Schuldformen . . . . . . . . . . . . . (1) Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Fahrlässigkeit/Leichtfertigkeit nach § 283 Abs. 4 StGB . . (3) Fahrlässigkeit nach § 283 Abs. 5 StGB . . . . . . . . . . . . . . d) Besonders schwerer Fall des Bankrotts, § 283a StGB . . . . . . . . aa) Gewinnsucht . . . . . . . . . . . . . bb) Viele Personen . . . . . . . . . . . . e) Verletzung der Buchführungspflicht, § 283b StGB . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Tathandlung . . . . . . . . . . f) Gläubigerbegünstigung, § 283c StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . .
Insolvenzstrafrecht . 105 . 106 . 108 . 109 . 110 . 111 . 115 . 119 . 121 . . . .
123 124 127 128
. . . . . . .
130 131 133 135 136 140 143
. . . .
146 149 150 150
. 152 . 154 . 156 . 157 . 158 . 161 . 161 . 163 . 166 . 166
bb) Die Tathandlung . . . . . . . . . . . g) Schuldnerbegünstigung, § 283d StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Tathandlung . . . . . . . . . . . 3. Allgemeines Strafrecht . . . . . . . . . . . . a) Betrug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Lieferantenbetrug . . . . . . . . . . bb) Kreditbetrug . . . . . . . . . . . . . . (1) Betrug bei Darlehensverträgen, § 263 StGB . . . . . . . . . . (2) Kreditbetrug, § 265b StGB . . . (a) Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . (b) Kredit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Tathandlungen. . . . . . . . . . . . . (d) Straflosigkeit . . . . . . . . . . . . . . (e) Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Untreue, § 266 StGB . . . . . . . . . . . . c) Vorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelt, § 266a Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . bb) Täter und Tathandlung . . . . . . cc) Straffreiheit durch Selbstanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten, § 266b StGB . . . . . . . 4. Straftatbestände außerhalb des StGB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verstöße gegen Verlustanzeigeund Insolvenzantragspflicht . . . . . aa) Insolvenzantragspflicht, § 15a InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Mögliche Täter . . . . . . . . . . . . . (2) Die rechtzeitige Anmeldung . . (3) Die nicht richtige Antragstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verlustanzeigepflicht, § 84 GmbHG . . . . . . . . . . . . . . . b) Steuerhinterziehung, § 370 AO. . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . bb) Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Selbstanzeige . . . . . . . . . . . . . . III. Strafprozessuale Probleme der Mitwirkungspflichten nach § 97 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
169 171 171 174 177 177 178 186 187 190 191 192 193 196 197 198
201 201 203 209 210 211 211 213 214 215 218 219 220 221 222 223 226
228
I. Die Beratung und Vertretung der am Insolvenzverfahren beteiligten Personen 1 Die im Zusammenhang mit einer Insolvenz möglichen Straftaten sind so vielgestaltig wie das Strafrecht selbst. Dennoch lassen sich neben den Insolvenzstraftaten im engeren Sinne (§§ 283 ff. StGB) typische strafrechtliche Verhaltensweisen ausmachen, die mit Insolvenzen einhergehen. Über einen Großteil der strafbaren Handlungen müsste eigentlich nicht im Rahmen einer Beratung aufgeklärt werden, weil sich bereits durch das normale Rechtsempfinden aufdrängt, dass bestimmte Verhaltensweisen strafbar sind. Es gibt aber auch eine Reihe von Delikten, bei denen das Rechtsempfinden nicht zwangsläufig sagt, dass man sich in einem strafrechtlich relevanten Bereich bewegt. Als Beispiel seien hier nur genannt, dass in einigen Fällen bereits die bloße Überschreitung einer gesetzlichen Frist oder des Fälligkeitszeitpunkts einer Forderung strafbar sein kann – so bei den Insolvenzantragsfristen und bei der Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen für Arbeitnehmer. Vielen Unternehmern ist 244
Ringstmeier
Die Beratung und Vertretung der beteiligten Personen
Rz. 5
§5
auch nicht bewusst, dass sie Straftaten begehen können, wenn sie ihre Buchführung nicht in ordnungsgemäßem Zustand halten, wozu auch die zeitnahe Erledigung der Buchungen zählt. Gerade über diese nicht allgemein bekannten Strafbarkeitsfallen muss der Beratende in vollem Umfang aufklären. Durch eine strafrechtliche Beratung im Hinblick auf eine Insolvenz möchte der Man- 2 dant häufig auch ausloten, welche Handlungen gerade noch erlaubt sind und welche nicht. Als Berater muss man dabei neutral und richtig die Grenzen zum strafbaren Handeln aufzeigen. Man sollte nicht wegen der Identifizierung mit den Interessen des Mandanten der Versuchung erliegen, diesem auch strafbare Handlungsweisen aufzuzeigen, selbst wenn deren Entdeckungswahrscheinlichkeit gering ist, oder ihm Wege weisen, wie die Entdeckung einer Straftat möglichst vermieden wird. Mit solchen Hinweisen überschreitet der Beratende selbst die Grenze zur strafbaren Anstiftung oder Beihilfe, wenn ihm bewusst ist, dass die Informationen zur Begehung von Straftaten verwendet werden sollen. Insbesondere bei einer strafrechtlichen Beratung ist es daher wichtig, den Inhalt der 3 Beratungsgespräche und die an den Mandanten erteilten Hinweise aktenkundig zu machen (beispielsweise durch entsprechende Vermerke oder zusammenfassende Anschreiben an den Mandanten), um später jeden Vorwurf des eigenen Fehlverhaltens, beispielsweise durch Anstiftung oder Beihilfe zu von dem Mandanten begangenen Straftaten beigetragen zu haben, aus dem Weg räumen zu können. In prekären Situationen sollte der Anwalt erwägen, Beratungsgespräche in Begleitung einer zweiten Person durchzuführen. 1. Vertretung des Schuldners/Schuldnervertreters Bei der Beratung des Schuldners selbst oder, wenn es sich bei dem Schuldner um ei- 4 ne Gesellschaft handelt, des Schuldnervertreters, muss der Beratende sich zunächst ein möglichst genaues und umfassendes Bild über die tatsächlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Mandanten machen. Häufig ist zu bemerken, dass der Mandant aus Scham über die Situation der drohenden Insolvenz oder aus Angst vor der Offenbarung bereits begangener Straftaten nicht alle relevanten Umstände vollständig und richtig mitteilt. In dieser Phase ist es unabdingbar, dem Mandanten deutlich zu machen, dass einerseits eine Beratung nur erfolgreich sein kann, wenn alle Informationen „auf dem Tisch liegen“ und andererseits aufgrund der anwaltlichen Schweigepflicht im Hinblick auf bereits begangene Straftaten keine Nachteile drohen. Bestehen Hinweise darauf, dass man nicht vollständig oder richtig informiert wird, sollte man die Beratung beschränken oder das Mandat ablehnen. a) Position des Mandanten im Insolvenzverfahren Für eine strafrechtliche Beratung muss man zunächst die Position des Mandanten 5 im Verhältnis zum Schuldner(unternehmen) bestimmen. Ist der Mandant selbst der Schuldner als natürliche Person (Verbraucher oder Einzelunternehmer), kommt er als Täter für alle hier erörterten insolvenztypischen Delikte in Betracht. Gleiches gilt grundsätzlich für Geschäftsführer und Vorstände von Gesellschaften1. Diese Personen kommen aufgrund des § 14 StGB für alle Insolvenzdelikte als Täter in Betracht, auch wenn sie nicht selbst, sondern die von ihnen vertretene Gesellschaft Schuldner sind. Bei Vertretern des Schuldners hatte der BGH bislang nach der so genannten Interessenformel unterschieden, ob eine Strafbarkeit wegen Bankrotts nach den §§ 283 ff. StGB oder wegen Untreue nach § 266 StGB gegeben ist. Der 3. Strafsenat2 und ihm folgend der 1. Strafsenat3 neigen nun dazu, diese Interessenformel aufzugeben und statt dessen daran anzuknüpfen, ob der Vertreter i.S.d. § 14 StGB im Geschäftskreis des Vertretenen tätig geworden ist (vgl. Rz. 29, 93).
1 MünchKommStGB/Radtke, Band 1, 2003, § 14 Rz. 73; Perron in Schönke/Schröder, StGB, § 14 Rz. 42/43. 2 BGH v. 10.2.2009 – 3 StR 372/08, NStZ 2009, 437. 3 BGH v. 1.9.2009 – 1 StR 301/09, NStZ-RR 2009, 373.
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Rz. 6
Insolvenzstrafrecht
6 Besonders sorgfältiger Nachfrage bedarf es in den übrigen Fällen. Auch wenn der Mandant weder selbst der Schuldner ist noch zu dessen Geschäftsführer bestellt wurde, kann es sich um einen faktischen Geschäftsführer handeln (vgl. dazu unten Rz. 96). In strafrechtlicher Hinsicht steht der faktische Geschäftsführer dem bestellten Geschäftsführer gleich und kommt ebenfalls als Täter für alle Insolvenzdelikte in Betracht1. Abzufragen sind in Bezug auf die Stellung als faktischer Geschäftsführer insbesondere folgende Indizien: Checkliste faktischer Geschäftsführer m Bestimmung der Unternehmenspolitik und -organisation m Pflege der Geschäftsbeziehungen m Verhandlung wichtiger Verträge m m m m m
Verhandlung mit Banken Identifikation des Unternehmens mit der Person des Mandanten nach außen Entlassung und Einstellung von Mitarbeitern Ausstellung von Zeugnissen für Mitarbeiter Beauftragung und Bevollmächtigung von Steuerberatern mit der Führung der Geschäftsbücher Ist eine ausreichende Anzahl dieser Indizien gegeben, besteht zumindest eine Vermutung dafür, dass der Mandant bei einer möglichen Strafverfolgung als faktischer Geschäftsführer angesehen wird. Der Mandant ist dann darüber aufzuklären, dass ihm trotz fehlender förmlicher Stellung als Organ der Gesellschaft sämtliche Pflichten eines Geschäftsführers obliegen, insbesondere also die Insolvenzantragspflicht, die Pflicht zur Abführung von Sozialabgaben und die Buchführungspflicht. In zweifelhaften Fällen ist der Mandant aus anwaltlicher Vorsicht zumindest über die Möglichkeit einer solchen Stellung aufzuklären (zur Stellung als faktischer Geschäftsführer vgl. auch § 2 Rz. 121 f.). Der Mandant kann für die Zukunft einer strafrechtlichen Haftung als faktischer Geschäftsführer dadurch entgehen, dass er aufhört, die Geschicke der Gesellschaft zu leiten und dies nach außen auch deutlich macht. b) Strafbare Handlungen, betrachtet nach Zeitabschnitten 7 Nachstehend wird ein Überblick über die wichtigsten Punkte einer strafrechtlichen Beratung, unterteilt nach Zeitabschnitten, gegeben und in einer anschließenden Checkliste zusammengefasst. Abgestellt wird dabei auf das typischerweise auftretende Verhalten und es werden Antworten auf die häufigsten Fragen der Mandanten gegeben. Einzelheiten zu den jeweiligen Strafvorschriften werden dann im zweiten Teil (Rz. 80 ff.) dargestellt. Bei der nachfolgenden Betrachtung wird zwischen der Zeit vor und nach Eintritt der so genannten Krise unterschieden, die rechtlich die wirtschaftliche Schieflage des Schuldners kennzeichnet. Aus insolvenzrechtlicher Sicht liegt eine Krise vor, wenn ein Insolvenzeröffnungsgrund besteht, d.h. bei Überschuldung, Zahlungsunfähigkeit oder drohender Zahlungsunfähigkeit (dazu ausführlich oben § 1 Rz. 114 ff., 51 ff., 107 ff.). aa) Vor der Krise 8 Zwar können bereits vor Eintritt einer Krise einige Delikte aus dem Insolvenzstrafrecht verwirklicht werden. Die Strafbarkeit setzt in diesen Fällen aber weiterhin voraus, dass es später tatsächlich zu einer Krise des Schuldners kommt2. (1) Vorliegen einer Krise 9 Bei einer Beratung vor dem Eintritt einer Krise muss man zunächst nach dem Hintergrund für den Beratungsbedarf forschen und im Detail herausfinden, ob nicht vielleicht doch bereits eine Krisensituation eingetreten ist. Denn zumindest ist es (rein
1 MünchKommStGB/Radtke, Band 1, 2003, § 14 Rz. 114; Perron in Schönke/Schröder, StGB, § 14 Rz. 42/43. 2 Wegner in Achenbach/Ransieck, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, VII 1 Rz. 101.
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Die Beratung und Vertretung der beteiligten Personen
Rz. 12
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statistisch) unüblich, dass ein gesundes Unternehmen Interesse an einer Insolvenzberatung zeigt. Sobald der Mandant selbst zumindest den Eintritt einer Krise für möglich hält, ist 9a ihm unbedingt zu raten, sofort und danach in regelmäßigen und kurzen Abständen einen Überschuldungsstatus und einen Liquiditätsplan zu fertigen (vgl. dazu oben § 1 Rz. 114 ff.). Zum einen erhöhen diese Unterlagen den Überblick über die wirtschaftliche Situation für den Betroffenen selbst. Zum anderen dienen sie dem späteren Schuldner zur Verteidigung gegen den Vorwurf strafbarer Handlungen. Anhand eines zutreffend ermittelten Überschuldungsstatus und eines Liquiditätsplans kann der Schuldner belegen, dass er keine Bankrottstraftaten begangen hat, noch nicht insolvenzantragspflichtig war sowie beispielsweise den Betrugsvorwurf aus der Welt räumen, er habe trotz Kenntnis, dass er nicht werde zahlen können, Waren oder Dienstleistungen bestellt. In strafrechtlicher Hinsicht ist die regelmäßige Erstellung solcher Unterlagen vor dem Eintritt einer Krise der wichtigste Schutz gegen spätere Vorwürfe1. Der Überschuldungsstatus und der Liquiditätsplan sollten nach den oben unter § 1 10 Rz. 63 ff., 114 ff., 133 ff. angegebenen Grundsätzen erstellt werden2. Nicht verwechselt werden dürfen diese Unterlagen allerdings mit der handels- und steuerrechtlichen Buchführung; zwar kann diese als Grundlage dienen, in wichtigen Punkten weichen aber der Überschuldungsstatus und der Liquiditätsplan davon ab. Für die Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit wäre nach der Definition in § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO eigentlich die tägliche Gegenüberstellung von Liquidität und fälligen Forderungen erforderlich. Für die Entkräftung eines strafrechtlichen Vorwurfs ist aber auch eine zeitraumbezogene Ermittlung in bestimmten Abständen ausreichend. Dabei gilt: Je stärker die Indizien für eine Krise, desto kürzer müssen die Abstände sein. Mit Zeiträumen von zwei bis vier Wochen ist der Mandant aber auch bei Anzeichen für eine Krise auf der sicheren Seite. (2) Buchführungspflichten Zweiter wichtiger Punkt in dieser Phase ist die ordnungsgemäße Erledigung der Buchführungspflichten. In § 283b StGB ist die Verletzung der Buchführungspflichten bereits vor Eintritt einer Krise oder der Kenntnis davon unter Strafe gestellt, wenn der Schuldner später insolvent wird3. Für die Verwirklichung dieses Straftatbestandes reicht fahrlässiges Handeln aus4.
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In der Praxis der Strafverfolgung haben die Buchführungsdelikte eine vergleichsweise 12 große Bedeutung. Dies liegt darin begründet, dass zum einen Verstöße gegen die Buchführungspflichten bei insolventen Unternehmen häufig auftreten, da an den Ausgaben für Steuerberater und Buchhalter gespart werden kann, ohne dass die Überlebensfähigkeit des Unternehmens unmittelbar gefährdet wird. Zum anderen, was wahrscheinlich der wichtigere Punkt ist, sind Buchführungsdelikte relativ leicht nachzuweisen. Insofern können die Strafverfolgungsbehörden, wenn die übrigen Delikte nicht nachgewiesen werden können, zumindest auf die Buchführungsdelikte zurückgreifen. Vor diesen Hintergründen kann der Mandant auf die Notwendigkeit der ordnungsgemäßen Fortführung der Buchhaltung nicht eindringlich genug hingewiesen werden. Handelt es sich mit dem Mandat um ein dauerhaftes Beratungsverhältnis, sollte der Beratende die Erfüllung dieser Pflichten dadurch forcieren, dass er dem
1 Hierzu bereits BGH v. 7.3.2005 – II ZR 138/03, DB 2001, 996, wonach die Gesellschaft bzw. der Insolvenzverwalter zunächst substantiiert eine Überschuldung zu einem bestimmten Zeitpunkt darzulegen hat, und das Geschäftsführungsorgan sodann darzulegen und zu beweisen hat, dass es zum damaligen Beurteilungszeitpunkt pflichtgemäß von einer positiven Fortbestehensprognose ausgehen durfte. So auch OLG Koblenz v. 27.2.2003 – 5 U 917/02, DB 2003, 419; Steffan in Oppenländer/Trölitzsch, GmbH-Geschäftsführung, § 38 Rz. 42. 2 Vgl. dazu auch Reck, Insolvenzstraftaten, 1999 Rz. 130 ff.; Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 38 ff. 3 Heine in Schönke/Schröder, StGB, § 283b Rz. 1. 4 Heine in Schönke/Schröder, StGB, § 283b Rz. 5.
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§5
Rz. 13
Insolvenzstrafrecht
Mandanten aufgibt, jeweils Auszüge aus der aktuellen Buchhaltung zu den Beratungsgesprächen mitzubringen. (3) Beiseiteschaffen von Vermögen 13 Viele Mandanten erkundigen sich bei einer aufziehenden Krise nach den Möglichkeiten, von ihrem Vermögen „zu retten, was noch zu retten ist“. Je nach Situation sollen Vermögensgegenstände des Schuldners auf Verwandte oder Freunde verschoben werden; bevorzugte Gläubiger (z.B. Eltern, die ein Darlehen gegeben haben) sollen ausreichend gesichert werden oder der Schuldner will Anlage- und Betriebsvermögen auf eine neu gegründete Gesellschaft möglichst preiswert übertragen1. Aus strafrechtlicher Sicht sind dem Schuldner in dieser Phase, also vor dem Eintritt einer Krise, grundsätzlich noch alle Verfügungen über Vermögensgegenstände erlaubt, auch wenn diese sein Vermögen schmälern. Grundsätzlich nicht strafbar sind daher auch Schenkungen oder Veräußerungen von Gegenständen weit unter Wert. Strafbar werden all diese vermögensmindernden Handlungen allerdings dann, wenn der Schuldner dadurch vorsätzlich oder leichtfertig den Eintritt einer Krise herbeiführt, § 283 Abs. 2 StGB2. Erforderlich ist, dass eine oder mehrere Vermögensverfügungen für den Eintritt der Krise ursächlich geworden sind; eine Mitursächlichkeit neben anderen Faktoren reicht aus3. 14 Welche vermögensmindernden Verfügungen dem Schuldner also vor der Krise noch erlaubt sind, kann pauschal nicht beantwortet werden4. Es ist immer eine Abwägung im Einzelfall erforderlich, ob die vorgesehene Verfügung die Gefahr birgt, dass sie ursächlich zu einer Krise führen wird. Zumindest aber wird man pauschal feststellen können, dass, wenn bereits eine Krise in der Zukunft erkennbar ist, dem Unternehmen keine größeren Vermögenswerte mehr entzogen werden dürfen. Ebenso dürfen solche Gegenstände nicht ersatzlos veräußert werden, die für die Aufrechterhaltung des Betriebes erforderlich sind. Definitiv zu einer Strafbarkeit führt das endgültige Ausschlachten eines Unternehmens mit dem Ziel, eine von den Vermögenswerten entkleidete Gesellschaft in die Insolvenz gehen zu lassen. (4) Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen 15 Eine Strafbarkeit wegen Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen wird meistens erst relevant, wenn der Schuldner sich bereits in einer Krise befindet, weshalb weitere Erläuterungen dazu erst unten (unter Rz. 34 ff., 201 ff.) erfolgen. Dennoch sollte der Mandant auch bei einer erst aufziehenden Krise bereits darauf hingewiesen werden, dass die bloße Nichtzahlung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung bei Fälligkeit bereits zu einer Strafbarkeit nach § 266a StGB führt5. Der Mandant muss also bereits im Vorfeld einer Krise sein Augenmerk so weit in die Zukunft richten, dass er stets über ausreichende liquide Mittel verfügt, um die Sozialversicherungsbeiträge pünktlich zahlen zu können. (5) Amtsniederlegung 16 Will der Mandant sich bereits vor dem Eintritt einer Krise durch eine Amtsniederlegung in strafrechtlicher Hinsicht absichern, so ist dies grundsätzlich möglich. Er ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Amtsniederlegung von der Rechtsprechung nur dann anerkannt wird, wenn er tatsächlich die Einflussnahme auf die Geschäfte der Gesellschaft aufgibt (dazu unten Rz. 43). Führt er diese weiter, wenn auch durch einen Strohmann, ist die formell erfolgte Amtsniederlegung nicht wirksam6. 1 Vgl. LG Potsdam v. 17.9.2004 – 25 Qs 11/04, wistra 2005, 193 zu Vermögensübertragungen nach Kriseneintritt. 2 Heine in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 55 ff.; Kindhäuser in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB Rz. 99; Lackner/Kühl, StGB, Rz. 23. 3 MünchKommStGB/Radtke, Band 4, 2006, § 283 Rz. 70. 4 MünchKommStGB/Radtke, Band 4, 2006, § 283 Rz. 71. 5 BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 327/95, NJW 1997, 133; OLG Hamburg v. 8.9.1999 – 8 U 93/99, NJW-RR 2000, 1281. 6 Köhler in Wabnitz/Janovsky, Handbuch Wirtschafts- u. Steuerstrafrecht, Rz. 285.
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Die Beratung und Vertretung der beteiligten Personen
Rz. 21
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Ein weiteres Problem taucht bereits vor dem Eintritt einer Krise bei der Amtsnieder- 17 legung auf, wenn es sich bei dem Niederlegenden um den einzigen Geschäftsführer der Gesellschaft handelt. Um dort strafrechtlich auf der sicheren Seite für die Zukunft zu sein, muss der Niederlegende entweder einen wichtigen Grund für seine Amtsniederlegung haben, oder er muss alles seinerseits Mögliche tun, damit die Gesellschaft umgehend einen Nachfolger benennt. Ist der Niederlegende selbst der einzige Gesellschafter, so kann ihn eine Niederlegung ohne Nachfolgerbestellung grundsätzlich nicht von den Pflichten für die Zukunft befreien1. (6) Beratung vor der Krise Checkliste: Beratung vor der Krise m Position des Mandanten im Verhältnis zum Schuldner bestimmen m Vorliegen einer Krise? m Überschuldungsstatus und Liquiditätsplan fertigen m Indizien für eine Krise feststellen m Auf Einhaltung der Buchführungspflichten hinweisen (insb. vollständig und zeitnah) m Beiseiteschaffen von Vermögen – Grenzen aufzeigen m Rückstellungen für Sozialversicherungsbeiträge bilden m Möglichkeiten der Amtsniederlegung erörtern
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bb) Nach Eintritt der Krise und vor Insolvenzantrag Mit dem Eintritt einer Krise beginnt der für das Insolvenzstrafrecht relevanteste Be- 19 reich. Aufgrund der Krise ist die wirtschaftliche Zukunft des Schuldners ungewiss, womit erhebliche Gefahren für all diejenigen verbunden sind, die mit dem Schuldner in wirtschaftlichem Kontakt stehen. Dieser besonderen Gefahrenlage will auch das Strafrecht begegnen, indem es strenge Verhaltensmaßstäbe für den Schuldner aufstellt. Der Schuldner muss in dieser Phase jede seiner geschäftlichen Handlungen genau daraufhin überprüfen, ob die Gefahr einer Strafbarkeit besteht und wie er eine Strafbarkeit vermeiden kann. Bestehen nicht wirklich erfolgversprechende Sanierungschancen, muss kurzfristig Insolvenzantrag gestellt werden. (1) Vorliegen einer Krise Auch in dieser Phase muss der Beratende sich zunächst einen Überblick über die 20 Vermögensverhältnisse geben lassen und der Frage nachgehen, ob tatsächlich eine Krise vorliegt. Der Mandant ist anzuhalten, sofort einen Überschuldungsstatus und einen Liquiditätsplan zu fertigen bzw. die dafür benötigten Daten zu liefern (vgl. dazu oben § 1 Rz. 63 ff. und 133 ff.). Ergibt sich tatsächlich das Vorliegen einer Krise, muss die Vermögensentwicklung der jüngeren Vergangenheit aufgearbeitet werden, um festlegen zu können, wann die Krise eingetreten ist. Entscheidend ist dieser Zeitpunkt für den Beginn der Insolvenzantragspflicht (dazu sogleich); ferner benötigt man diesen Zeitpunkt um festzustellen, ob der Mandant bereits Straftaten verwirklicht hat. (2) Buchführungspflichten Wie bereits für die Zeit vor Eintritt der Krise geschildert (vgl. unter Rz. 11 f.), ist die 21 Einhaltung der Buchführungspflichten durch richtige, vollständige und zeitnahe Buchführung im Zusammenhang mit einer Krise unabdingbar. Eine Verletzung dieser Pflichten ist leicht zu entdecken und nachzuweisen und kann mit empfindlichen Strafen geahndet werden.
1 Vgl. OLG Köln v. 1.2.2008 – 2 Wx 3/08, FGPrax 2008, 79; OLG Düsseldorf v. 6.12.2000 – 3 Wx 393/00, FGPrax 2001, 82; BayObLG v. 15.6.1999 – 3Z BR 35/99, BB 1999, 1782.
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§5
Rz. 22
Insolvenzstrafrecht
(3) Insolvenzantragspflicht 22 Ein wesentlicher Punkt nach dem Eintritt der Krise ist die Wahrung der Frist für die Insolvenzantragspflicht (dazu unten Rz. 211 ff.). Wird eine juristische Person zahlungsunfähig oder überschuldet, haben die Mitglieder des Vertretungsorgans nach § 15a Abs. 1 InsO ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, einen Insolvenzantrag zu stellen. Die Insolvenzantragspflicht der Organe juristischer Personen ist durch das MoMiG1 zum 1.11.2008 grundlegend erneuert worden. Bis dahin waren die Insolvenzantragspflichten für die Gesellschaften in den jeweiligen Spezialgesetzen (§ 64 Abs. 1, § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbH a.F.; § 92 Abs. 2 AktG a.F.; § 130a Abs. 1 Satz 1, § 177a Satz 1 HGB; § 99 Abs. 1 GenG a.F.) individuell geregelt. Mit Inkrafttreten des MoMiG wurden diese Bestimmungen – mit Ausnahme der Insolvenzantragspflicht von Vereinsvorständen (§ 42 Abs. 2 BGB) und Stiftungen (§ 86 iVm § 42 Abs. 2 BGB) – durch die Generalnorm des § 15a InsO ersetzt2. Antragspflichtig sind neben den organschaftlichen Vertretern und persönlich haftenden Gesellschaftern seit der Reform durch das MoMiG im Fall der Führungslosigkeit der Gesellschaft auch die Gesellschafter bzw. Aufsichtsratsmitglieder3. 22a Der Schuldner, der seinen Gläubiger persönlich haftet, ist dagegen nicht zur Insolvenzantragstellung verpflichtet. Die Möglichkeit zur Restschuldbefreiung nach §§ 286 ff. InsO bietet insofern lediglich einen Anreiz für die Antragstellung4. 22b Ein notwendiger Hinweis ist, dass die Antragspflicht durch einen Gläubigerantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht suspendiert wird5. Der Schuldner und seine Vertretungsorgane bleiben weiterhin antragspflichtig, da der Gläubigerantrag jederzeit von dem Gläubiger zurückgenommen werden kann. Die Strafbarkeit entfällt durch einen Gläubigerantrag nach der herrschenden Meinung im Schrifttum nur dann, wenn dieser auch tatsächlich zu einer Verfahrenseröffnung führt6. Da der Schuldner dies nicht allein in der Hand hat, ist ihm immer zu raten, trotz des Gläubigerantrags einen eigenen Antrag innerhalb der Antragsfrist zu stellen. 23 Verständlicherweise scheuen viele Unternehmer den Gang zum Insolvenzgericht, da sie die Hoffnung hegen, noch eine Rettung für das Unternehmen erwirken zu können. Im Rahmen der Beratung sind dem Mandanten in diesem Zusammenhang mehrere Punkte deutlich zu machen: 23a Die Wahrscheinlichkeit einer strafrechtlichen Verfolgung und Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung ist groß. Erforderlich ist lediglich der Nachweis des Eintritts der Überschuldung oder der Zahlungsunfähigkeit zu einem Zeitpunkt, der länger als drei Wochen vor der tatsächlichen Antragstellung liegt. Da die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit auch für alle anderen Insolvenzdelikte von Bedeutung ist, werden die Strafverfolgungsbehörden ihre Ermittlungen hierauf konzentrieren. Die Nachweismöglichkeiten für die Strafverfolgungsbehörden sind dabei recht gut. 23b Bei einer Verletzung der Insolvenzantragspflicht macht der Täter sich nicht nur strafbar, sondern setzt sich einem erheblichen persönlichen zivilrechtlichen Haftungsrisi-
1 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) v. 23.10.2008, BGBl I, 2026. 2 Preuß in Kübler/Prütting/Bork, InsO, Band 1, § 15a Rz. 4. 3 Preuß in Kübler/Prütting/Bork, InsO, Band 1, § 15a Rz. 11; zur Antragspflicht vgl. Kadenbach in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, § 15a Rz. 6 ff. 4 Vgl. dazu ausführlich Schmidt, Privatinsolvenz. 5 BGH v. 28.10.2008 – 5 StR 166/08, NZG 2009, 33. 6 BGHSt 28, 371 (380); Bittmann in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, § 11 Rz. 23; Schäfer, GmbHR 1993, 780 (782 m.w.N.); a.A. Richter in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, § 84 Rz. 46, der bei Vorliegen eines Gläubigerantrags die Stellung eines Eigenantrags für entbehrlich halten, wobei die Antragspflicht wiederauflebe, wenn der Gläubigerantrag zurückgenommen werde.
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ko aus (hierzu und zur Insolvenzantragspflicht im Übrigen vgl. § 2 Rz. 11 ff. und Rz. 41 ff.)1. Vielleicht am wichtigsten ist es aber, dem Mandanten zu vermitteln, dass mit dem Insolvenzantrag nicht alle Möglichkeiten für eine Rettung des Unternehmens vergeben sind. Im Gegenteil können sich gerade aus dem Insolvenzantrag manchmal bessere und neue Möglichkeiten ergeben. Gelingt es dem Schuldner, in der Antragsphase die Zahlungsunfähigkeit und/oder die Überschuldung zu beseitigen, kann er den Insolvenzantrag zurücknehmen und es kommt nicht zur Verfahrenseröffnung (zur Rücknahme des Insolvenzantrags s. § 6 Rz. 111 ff.). Für Verhandlungen mit den Gläubigern liefert der Insolvenzantrag unter Umständen den erforderlichen Nachdruck, dass diesen die wirtschaftliche Situation des Schuldners und die Gefahr eines Ausfalls mit ihren Forderungen deutlich wird. Aber auch wenn es zu einer Verfahrenseröffnung kommt, kann darin für den Schuldner eine vielversprechendere Möglichkeit liegen, beispielsweise für einen Neubeginn mittels einer Auffanggesellschaft2. Mit dem ESUG wurde zum 1.3.2012 für den Schuldner bei drohender Zahlungsunfä- 23c higkeit oder Überschuldung zudem die Möglichkeit geschaffen, das „Schutzschirmverfahren“ nach § 270b InsO in Anspruch zu nehmen. Unter den Voraussetzungen, dass dieser einen Eröffnungsantrag gestellt und die Eigenverwaltung beantragt hat und die Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist, bestimmt das Gericht auf Antrag eine Frist von maximal drei Monaten zur Vorlage eines Insolvenzplans. Damit soll dem Schuldner sozusagen etwas Luft verschafft werden, einen tragfähigen Insolvenzplan auszuarbeiten, ohne bereits den vollständigen Beschränkungen des Insolvenzverfahrens zu unterliegen3. Zudem hat das Gericht gemäß § 270b Abs. 2 S. 3 Hs. 2, § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO auf Antrag Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner zu untersagen oder einzustellen. Der Schuldner kann sich damit unter Beibehaltung seiner Verfügungsbefugnis zumindest zeitweise dem Gläubigerzugriff entziehen4. § 270b Abs. 1 S. 3 InsO setzt dafür aber weiter voraus, dass mit dem Antrag eine mit Gründen versehene Bescheinigung über die nur drohende (nicht bereits eingetretene) Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung sowie die nicht aussichtslose Sanierung durch einen erfahrenen Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwalt vorgelegt wird. Zu beachten ist, dass bei einer Ausstellung und Vorlage einer vorsätzlich fehlerhaften Bescheinigung, um die Anordnung des Schutzschirmverfahrens zu erreichen, zwar mangels Vermögensverfügung des Gerichts5 eine Strafbarkeit wegen Betrugs entfällt. Die Bescheinigung ist jedoch eine unrichtige Darstellung der Vermögensverhältnisse und damit unter den weiteren Voraussetzungen des § 283 Abs. 1 Nr. 8 StGB strafbewährt. (4) Beschaffung neuer Liquidität Zur Überwindung einer Krise ist fast zwangsläufig die Beschaffung neuer Liquidität erforderlich, wobei stets die Kreditinstitute der erste Anlaufpunkt sein werden.
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(a) Neue Kredite Versucht der Schuldner, in der Krise neue Kreditmittel zu beschaffen, muss er im 25 Hinblick auf eine Strafbarkeit die von dem Kreditinstitut geforderten Angaben peinlichst genau und richtig abgeben. Jedes Verschleiern der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation führt zu einer Strafbarkeit wegen Kreditbetruges, § 265b StGB, oder Betruges, § 263 StGB. Hinzuweisen ist der Mandant in diesem Zusammenhang darauf, dass Straftaten bei Kreditgewährungen leicht nachzuweisen sind, da zumindest die vom Schuldner gemachten Angaben ohne weiteres vorliegen, und die drohenden Strafen mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe nicht gerade knapp bemessen sind. Ein
1 Vgl. umfassend Buchalik/Rinker in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 4 Rz. 35 ff.; Poertzgen, Organhaftung wegen Insolvenzverschleppung, 2006. 2 Vgl. dazu Brete/Thomsen, NJOZ 2008, 4159. 3 Begr. RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, 40. 4 Vgl. Ringstmeier in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, § 270b Rz. 1. 5 Römermann/Praß, GmbHR 2012, 431.
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Insolvenzstrafrecht
weiterer wichtiger Punkt, auf den der Mandant hingewiesen werden sollte, ist die persönliche zivilrechtliche Haftung des Handelnden nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit der verletzten Strafnorm. 25a Konsequenz der zutreffenden Angaben ist freilich zumeist, dass die erwünschten Kreditmittel nicht eingeräumt werden. Die einzige Möglichkeit ist dann nur, die Kreditinstitute mit fundierten Plänen und Prognosen davon zu überzeugen, dass mit der verlangten zusätzlichen Liquidität mit einer großen Wahrscheinlichkeit die Krise überwunden werden kann. (b) Gebrauch von Scheck- und Kreditkarten 26 Ebenfalls hierher (insbesondere auch bei der Beratung von Verbraucherinsolvenzfällen) gehört der Hinweis auf eine Strafbarkeit wegen Missbrauchs von Scheck- und Kreditkarten, § 266b StGB, wozu auch Tankkarten1 gehören, die in größeren Unternehmen häufig Verwendung finden (s. unten Rz. 210). Fehlen dem Schuldner liquide Mittel, ist regelmäßig zu beobachten, dass er Scheck- und Kreditkarten über das vertraglich vereinbarte Limit hinaus einsetzt. Bereits in diesem Verhalten liegt der Missbrauch der Karten. Führt dies dazu, dass dem Aussteller der Karte ein Schaden entsteht, weil er die Zahlungen an Dritte leistet oder selbst Lieferungen oder Leistungen auf Kredit erbringt, aber der Schuldner den entsprechenden Ausgleich nicht mehr vornimmt oder vornehmen kann, liegt eine Strafbarkeit des Karteninhabers vor2. Um diese zu vermeiden, darf der Mandant seine Scheck- und Kreditkarten also nur bis zu der ihm eingeräumten Kreditlinie nutzen. (5) Beiseiteschaffen von Vermögen 27 Nach dem Eintritt der Krise sind beinahe alle denkbaren Verhaltensweisen, durch die das Schuldnervermögen geschmälert oder geschädigt wird, strafbar (s. unten Rz. 105 ff.). Dem Vermögen des Schuldners dürfen jetzt keine Gegenstände mehr entzogen werden, ohne dass eine gleichwertige Gegenleistung dem Vermögen wieder zugeführt wird. Mit anderen Worten: Der Mandant kann keinerlei Vermögen des Schuldners mehr beiseite schaffen, ohne sich strafbar zu machen. Will der Mandant dennoch Gegenstände des Schuldnervermögens seinem Zugriff erhalten, beispielsweise um diese in einer neuen Gesellschaft zu nutzen, so ist dies aus strafrechtlicher Sicht nur zulässig, wenn der Schuldner diese Gegenstände verkauft und dafür eine objektiv angemessene Gegenleistung tatsächlich in das Schuldnervermögen fließt3. Nicht ausreichend sind wirtschaftlich nicht gleichwertige Gegenleistungen, beispielsweise die Verrechnung des Käufers mit einer durch die Krise inzwischen nicht mehr werthaltigen Gegenforderung. 28 Ebenso strafbar wie die Verminderung des Aktivvermögens ist die Vergrößerung des Passivvermögens. Häufig zu beobachten ist das Vortäuschen oder Anerkennen von nicht bestehenden Rechten meist nahe stehender Dritter. Damit kann zum einen das Beiseiteschaffen von Vermögensgegenständen vorbereitet und nach außen legitimiert werden. Zum anderen kann Motiv sein, dass der Schuldner Forderungen einer ihm nahe stehenden Person vortäuscht oder anerkennt, um später in der Gläubigerversammlung mittelbar über Stimmrechte zu verfügen (zur Stimmrechtsverteilung in der Gläubigerversammlung s. § 6 Rz. 253 ff.). Diese Verhaltensweisen sind umfänglich in § 283 Abs. 1 Nr. 4 StGB unter Strafe gestellt4. 29 Bezüglich der Frage, ob die vorstehend beispielhaft genannten Tathandlungen als Bankrottstraftat nach § 283 Abs. 1 StGB oder als Untreue nach § 266 StGB strafbar
1 Perron in Schönke/Schröder, StGB, § 266b Rz. 5, 9. 2 Kindhäuser in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, § 266b Rz. 13. 3 LG Potsdam v. 17.9.2004 – 25 Qs 11/04, wistra 2005, 193, zum Anfangsverdacht der vorsätzlichen Insolvenzverschleppung bei Veräußerung einer insolvenzreifen GmbH an einen professionellen Firmenbestatter unter zeitnaher Übertragung der Aktiva auf eine neu gegründete Gesellschaft. 4 Vgl. MünchKommStGB/Radtke, Band 4, 2006, § 283 Rz. 37 ff.
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Ringstmeier
Die Beratung und Vertretung der beteiligten Personen
Rz. 32
§5
sind, wurde von der Rspr. bisher die sog. Interessenformel1 des BGH angewandt. Danach hing die Strafbarkeit bei Organen von juristischen Personen von der Zielrichtung des Täters ab. Handelte der Vertreter des Schuldners zumindest auch im Interesse der Gesellschaft, sollte eine Bankrottstraftat vorliegen. Handelte der Täter eigennützig, beispielsweise um Vermögen der Gesellschaft in sein Privatvermögen zu überführen oder schaffte er Vermögensgegenstände der Gesellschaft beiseite, um einen Neubeginn zu erleichtern, sollte es sich dagegen um Untreue handeln2. Sowohl der 3. als der 1. Strafsenat des BGH neigen nun dazu, diese Interessenformel aufzugeben3. Es sei vielmehr geboten, die Zurechnung eines Geschäftsleiterhandelns zur Schuldnerin maßgeblich daran anzuknüpfen, ob der Vertreter im Sinne des § 14 StGB im Geschäftskreis des Vertretenen tätig geworden ist – dann Bankrottdelikt. Bei rechtsgeschäftlichem Handeln werde dies zu bejahen sein, wenn der Vertreter im Namen des Vertretenen auftritt oder diesen wegen der bestehenden Vertretungsmacht im Außenverhältnis die Rechtswirkungen des Geschäfts treffen. Ebenso, wenn sich der Vertretene zur Erfüllung seiner außerstrafrechtlichen (aber strafbewehrten Pflichten, § 283 Abs. 1 Nr. 5–7 StGB) eines Vertreters bedient. Bei faktischem Handeln müsse dagegen die Zustimmung des Vertretenen – unabhängig von der Rechtsform, in der dieser agiert – dazu führen, dass dem Vertreter die Schuldnerstellung zugerechnet wird4. (6) Sonstige Vermögensminderungen Häufig versuchen Schuldner, das Unternehmen, das bereits auf einen Zusammen- 30 bruch zusteuert, mit besonders riskanten Geschäften „über Wasser zu halten“. Auch solche Geschäfte sind nach dem Eintritt einer Krise strafbar, vgl. § 283 Abs. 1 Nr. 2 StGB (dazu unten Rz. 110 ff.). Der Mandant ist darauf hinzuweisen, dass er nach dem Eintritt einer Krise keine über das normale Maß hinausgehenden riskanten Geschäfte mehr eingehen darf. Auch die Annahme von Aufträgen, bei denen sich bereits aus der Kalkulation ergibt, dass diese einen Verlust erbringen werden, ist nur dann zulässig, wenn damit eine vorübergehende Flaute überbrückt werden soll und zu erwarten ist, dass sich das Unternehmen wieder erholen wird. Verboten ist dem Schuldner auch die Verschleuderung von auf Kredit beschafften 30a Waren und/oder Wertpapieren oder den daraus hergestellten Sachen (vgl. unten Rz. 119 ff.). Häufig ist die Versuchung des Schuldners groß, kurz vor dem Zusammenbruch die noch vorhandenen Waren durch Ausverkäufe unter Wert zu Geld zu machen. Dies birgt eine erhebliche Gefahr für Lieferanten, die die Waren auf Kredit geliefert haben, und ist deshalb ausdrücklich unter Strafe gestellt (§ 283 Abs. 1 Nr. 3 StGB)5. (7) Die Weiterführung des Geschäftsbetriebes Im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes nach dem 31 Eintritt einer Krise entstehen weitere Gefahren einer Strafbarkeit für den Schuldner oder den Geschäftsführer einer Schuldnergesellschaft, auf die der Mandant hingewiesen werden muss. (a) Eingehungsbetrug Nach dem Eintritt der Krise muss der Schuldner bei allen Geschäften ein besonderes 32 Augenmerk auf den Betrugstatbestand des § 263 StGB richten. Schließt der Schuldner Verträge, bei denen der Vertragspartner in Vorleistung tritt, in dem Bewusstsein, dass er die Gegenleistung wahrscheinlich nicht wird erbringen können, so macht er 1 BGH v. 20.5.1981 – 3 StR 94/81, NJW 1981, 1793; BGH v. 14.12.1999 – 5 StR 520/99, wistra 2000, 136 (137); OLG Karlsruhe v. 7.3.2006 – 3 Ss 190/05, NJW 2006, 1364 (1365). 2 Vgl. Achenbach, NStZ 1989, 497 (502 m.w.N.). 3 BGH v. 1.9.2009 – 1 StR 301/09, StRR 2010, 31; BGH v. 10.2.2009 – 3 StR 372/08, StRR 2009, 351; vgl. zur Entscheidung des 3. Senats Leipold/Beuckelmann, NJW-Spezial 2009, 345; Bittmann, wistra 2010, 8; Brand, NStZ 2010, 9; Dehne-Niemann, wistra 2009, 417. 4 Achenbach, NStZ 2010, 621 (624); vgl. auch Brand, NStZ 2010, 9. 5 Heine in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 20.
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sich wegen Betruges strafbar (sog. Warenkreditbetrug, dazu unten Rz. 178 ff.). Kann der Schuldner nach objektiven Gesichtspunkten bei der Prüfung seiner Liquiditätslage nicht mehr zu dem Ergebnis kommen, dass er die bezogenen Lieferungen oder Leistungen wird bezahlen können, so darf er zur Vermeidung einer Strafbarkeit Waren und Dienstleistungen nur noch gegen sofortige Bezahlung bestellen. Ist dies aufgrund der Finanzlage nicht möglich, bleibt nur die sofortige Betriebsstilllegung bzw. der Gang zum Insolvenzgericht. 33 Bei besonders langjährigen Geschäftsbeziehungen und damit einhergehendem besonderem gegenseitigen Vertrauen kann es zusätzlich erforderlich sein, dass der Schuldner den Geschäftspartner auch bei bereits geschlossenen Verträgen ungefragt über die unsichere Zahlungserwartung aufklärt, um diesen nicht durch Unterlassen zu täuschen. (b) Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen 34 Ein weiteres wichtiges Delikt, auf das nach dem Eintritt einer Krise besonderes Augenmerk zu richten ist, ist die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen für Arbeitnehmer, § 266a StGB (dazu ausführlich unten Rz. 201 ff.). Dieser Straftatbestand wird im Zusammenhang mit einer Krise sehr häufig verwirklicht, da durch die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen kurzfristig erhebliche liquide Mittel gespart werden können, ohne dass die Lebensfähigkeit des Unternehmens unmittelbar beeinträchtigt wird. Allerdings ist auch dieses Delikt für die Strafverfolgungsbehörden recht leicht nachzuweisen. Es wird in der Regel streng verfolgt, da in der Gesamtheit der Fälle ein großer Schaden für die Allgemeinheit durch die Nichtabführung von Sozialbeiträgen entsteht1. 35 Strafbar ist nicht die Vorenthaltung jeglicher Sozialversicherungsbeiträge, sondern nur der Arbeitnehmeranteile2. Allerdings – und darauf ist der Mandant unbedingt hinzuweisen – reicht für eine Strafbarkeit bereits die Nichtzahlung bei Fälligkeit. Fällig sind die Beiträge gem. § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV am drittletzten Bankarbeitstag des Monats, in dem die sozialversicherungspflichtige Arbeit geleistet wurde. Eine verspätete Zahlung lässt die Strafbarkeit nicht wieder entfallen; sie wird nur im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt. Zulässig ist allerdings eine Stundungsabrede mit den Sozialkassen vor Fälligkeit, die – soweit eine Zahlung tatsächlich nicht möglich ist – unbedingt angestrebt werden muss. Auch hier genügt eine Stundungsabrede nach Fälligkeit nicht3. 36 Anders als die Lohnsteuer entsteht die Pflicht zur Abführung der Sozialversicherungsbeiträge nicht erst durch Zahlung der Nettolöhne, sondern allein durch Ablauf des Abrechnungszeitraums. 36a Zur Abführung der Sozialversicherungsbeiträge sind alle Geschäftsführer einer Gesellschaft verpflichtet4. Sollte der Mandant intern nicht für solche Angelegenheiten zuständig sein, ist er darauf hinzuweisen, dass er in strafrechtlicher Hinsicht zumindest dann selbst verantwortlich ist, wenn er Indizien für das Vorliegen der Krise hatte. Er darf dann nicht mehr auf die interne Geschäftsverteilung vertrauen. Das pflichtwidrige Verhalten früherer Geschäftsführer kann ihm jedoch nicht zugerechnet werden5. 37 Hinzuweisen ist der Mandant auch auf die nach neuer Rechtsprechung geklärte Frage, dass eine Entschuldigung der Tat mit dem Argument, die Zahlung sei unmöglich gewesen, nur noch in eng begrenzten Fällen möglich ist; für die Beurteilung, ob die Zahlung (un)möglich war, ist der Tag der Fälligkeit der Arbeitnehmerbeiträge maß1 BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 327/95, NJW 1997, 133; OLG Hamburg v. 8.9.1999 – 8 U 93/99, NJW-RR 2000, 1281. 2 BGH v. 1.10.1991 – VI ZR 374/90, NJW 1992, 177; Neumaier-Hänel in Büchting/Heussen, Beck’sches Rechtsanwalts-Handbuch, § 45 Rz. 77 f. 3 MünchKommStGB/Radtke, Band 4, 2006, § 266a Rz. 27. 4 Steffan in Oppenländer/Trölitzsch, GmbH-Geschäftsführung, § 37 Rz. 148 ff. 5 BGH v. 11.12.2001 – VI ZR 123/00, NJW 2002, 1122.
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gebend. Die Strafbarkeit entfällt nur, wenn der Schuldner tatsächlich über keinerlei Liquidität mehr verfügt. Auch wenn nur noch geringe Liquidität vorhanden ist oder nachträglich zufließt, sind die letzten flüssigen Mittel für die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge einzusetzen1. Ein weiterer wichtiger Hinweis für den Mandanten ist, dass er bei Zahlungen an die Sozialkassen eine ausdrückliche und eindeutige Tilgungsbestimmung treffen sollte – nämlich, dass mit den Zahlungen die aktuell fälligen oder fällig werdenden Arbeitnehmeranteile beglichen werden sollen. Fehlt eine solche Tilgungsbestimmung, werden die Leistungen zunächst auf ältere Rückstände verrechnet2.
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Im Bereich des § 266a StGB kann eine Strafbarkeit wirksam aber nur dadurch ver- 39 mieden werden, dass der Schuldner trotz seiner Krise ausreichende Rückstellungen für die Arbeitgebersozialabgaben bildet, notfalls auch durch Kürzung der Nettolohnzahlungen3. Ist dies nicht möglich, muss der Mandant die Insolvenz beantragen. Auf die Möglichkeit der strafbefreienden Mitteilung an Sozialversicherungsträger gem. § 266a Abs. 6 StGB sollte hingewiesen werden4. (8) Strafbarkeit von Hilfspersonen Viele Bestrebungen, im Falle einer drohenden Insolvenz Vermögen beiseite zu schaf- 40 fen, sind damit verbunden, dass der Täter Hilfe von Dritten in Anspruch nehmen muss. Wenn beispielsweise Vermögen des Schuldners auf den Ehegatten oder die Kinder übertragen werden soll, ist deren Mithilfe erforderlich. Dem Mandanten ist in dieser Beziehung deutlich zu machen, dass nicht nur er selbst dadurch Straftaten begeht, sondern auch die Hilfspersonen. In Betracht kommen dabei insbesondere der Straftatbestand der Schuldnerbegünstigung nach § 283d StGB sowie Beihilfe zu den Taten des Schuldners5. (9) Amtsniederlegung Ist der Mandant Geschäftsführer einer Gesellschaft, taucht häufig die Frage auf, 41 inwieweit er sich durch eine Amtsniederlegung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit entziehen kann. Da die meisten der genannten Möglichkeiten einer Strafbarkeit ein bestimmtes Handeln voraussetzen, ist die Amtsniederlegung als solche dafür nicht ausschlaggebend. Hat der Mandant bereits Straftaten verwirklicht, bleibt die Strafbarkeit von einer Amtsniederlegung unberührt. Auf der anderen Seite droht auch für die Zukunft kein strafrechtliches Risiko, wenn der Mandant die genannten Verhaltensweisen unterlässt – unabhängig davon, ob er sein Amt niederlegt oder nicht. Relevant kann die Amtsniederlegung allerdings für die Insolvenzverschleppung, die 42 Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen und für die Buchführungspflichten im Rahmen der Bankrottstraftaten sein. Auch für diese Delikte gilt freilich, dass eine bereits eingetretene Strafbarkeit von einer späteren Amtsniederlegung unberührt bleibt. Schwieriger zu beantworten – da umstritten und nicht vollständig höchstrichterlich geklärt – ist die Frage, ob eine Amtsniederlegung vor dem Eintritt der Strafbarkeit eine solche entfallen lässt. Richtiger Ansatzpunkt für die Beantwortung dieser Frage ist die Erkenntnis, dass auch für die hier genannten Delikte das Unterlassen der gebotenen Handlung zu einer Zeit erfolgen muss, in dem der Täter eine Garantenstellung innehat. Diese Garantenstellung folgt aus der Stellung als Geschäftsführer und endet grundsätzlich mit dieser; eine nachwirkende Garantenstellung wird man nicht annehmen können6. Da das strafbare Unterlassen bei der Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen erst bei deren Fälligkeit beginnt (vgl. oben Rz. 35) und bei der Insolvenzantragspflicht das strafbare Unterlassen erst mit Ablauf der 1 BGH v. 28.5.2002 – 5 StR 16/02, DZWIR 2003, 24; OLG Dresden v. 29.7.1999 – 8 W 1495/98, NStZ 2001, 198 (199). 2 Haas/Ziemons in Michalski, GmbHG, § 43 Rz. 382 m.w.N. 3 BGH v. 2.12.2010 – IX ZR 247/09, WM 2011, 88; BGH v. 25.9.2006 – II ZR 108/05, ZIP 2006, 2127. 4 Vgl. dazu Perron in Schönke/Schröder, StGB, § 266a Rz. 21 ff. 5 Lackner/Kühl, StGB, § 283d Rz. 2. 6 Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz, Rz. 199.
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Dreiwochenfrist beginnt (freilich nur, soweit die Ausnutzung dieser Dreiwochenfrist selbst kein schuldhaftes Zögern darstellt, weil ernsthafte Sanierungsversuche unternommen werden), muss für eine Strafbarkeit also in diesen Zeitpunkten noch die Stellung als Geschäftsführer gegeben sein. Eine Amtsniederlegung vor dem jeweiligen Zeitpunkt führt also zur Straflosigkeit1. Maßgebend ist der Zeitpunkt der Amtsniederlegung, die Eintragung ins Handelsregister spielt dagegen keine Rolle2. 43 Allerdings muss die Amtsniederlegung wirksam sein. Dies ist nach steter Rechtsprechung nicht der Fall, wenn der Geschäftsführer nach der formellen Amtsniederlegung weiter auf die Geschäfte der Gesellschaft faktisch einwirkt – und sei es nur mittelbar durch einen Strohmann3. Weiterhin wird der Amtsniederlegung die Anerkennung versagt, wenn sie rechtsmissbräuchlich erfolgt ist. Dies soll dann der Fall sein, wenn das Organ sein Amt niederlegt, um der Antragstellung aus dem Weg zu gehen, oder wenn es abberufen wird, um so seine Antragstellung zu vereiteln4. Unabhängig von dem Bestehen einer Krise ist nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung die Amtsniederlegung auch immer dann rechtsmissbräuchlich, wenn sie ohne wichtigen Grund erklärt wird, es sich bei dem Niederlegenden um den einzigen Geschäftsführer der Gesellschaft handelt und dieser nicht zugleich einen neuen Geschäftsführer bestellt5. Dies soll das Interesse des Rechtsverkehrs an der Handlungsfähigkeit der Gesellschaft, die andernfalls beseitigt werden würde, verlangen. Etwas anderes wird sich auch nicht durch die Neuregelungen des MoMiG ergeben, denn die neu eingeführte Vorschrift des § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG gewährleistet bei Führungslosigkeit der Gesellschaft nur eine Passivvertretung6. 44 Für die Beratung folgt daraus, dass dem Mandanten nach dem Eintritt einer Krise zu einer Amtsniederlegung nur dann geraten werden kann, wenn er hierfür einen von der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft unabhängigen wichtigen Grund hat. Ohne wichtigen Grund ist es aus strafrechtlicher Sicht der bessere Weg, die Geschäfte weiterzuführen und eine Strafbarkeit durch die Erfüllung aller Pflichten nach den oben dargestellten Verhaltensmaßstäben zu vermeiden. (10) Das Beweisverwendungsverbot, § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO 45 Eine Strafbarkeit nach materiellem Recht führt selbstverständlich nur dann zu einer Verurteilung des Täters, wenn ihm das strafbare Verhalten nach den rechtsstaatlichen Grundsätzen des Strafverfahrensrechts auch nachgewiesen werden kann. An dieser Stelle knüpft eine in der Praxis zum Teil zu beobachtende Beratungsstrategie an: Da nach § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO in einem Strafprozess die Verwendung solcher Beweismittel verboten ist, die darauf beruhen, dass der Schuldner seine Auskunftsverpflichtung nach § 97 Abs. 1 Satz 1 InsO erfüllt hat, wird dem Mandanten geraten, die1 BGH v. 30.9.1980 – 1 StR 407/80, NStZ 1981, 353 für die Buchführungspflichten. Vgl. OLG Naumburg v. 15.3.2000 – 5 U 188/99, GmbHR 2000, 558 (559) mit Anm. Peetz, GmbHR 2000, 559 für die Pflicht zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen. Anderer Ansicht für die Insolvenzantragspflicht allerdings die stark kritisierte, aber bisher wohl nicht überholte Entscheidung des BGH vom 14.12.1951 – 2 StR 368/51, BGHSt 2, 53–54. Soweit zum Teil vertreten wird, diese Aussage sei durch die Entscheidung BGH v. 30.9.1980 – 1 StR 407/80, NStZ 1981, 353 überholt, so ist dies m.E. nicht zutreffend, da der BGH dort über eine andere Konstellation entschieden hat. 2 Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz Rz. 199 f. 3 OLG Naumburg v. 15.3.2000 – 5 U 188/99, GmbHR 2000, 558 (559); LG Stendal v. 10.11.1999 – 21 O 42/99, GmbHR 2000, 88 (89); Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz Rz. 199; Knierim in Dannecker/Knierim/Hagemeier, Insolvenzstrafrecht, 2009, Rz. 477 ff.; Rudolph in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, 2004, § 5 Rz. 119 ff. 4 OLG Köln v. 1.2.2008 – 2 Wx 3/08, GmbHR 2008; vgl. Richter in Müller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht, § 84 Rz. 25 m.w.N. 5 OLG Köln v. 1.2.2008 – 2 Wx 3/08, NZG 2008, 340; OLG Düsseldorf v. 6.12.2000 – 3 Wx 393/00, FGPrax 2001, 82; Pfälz. OLG Zweibrücken v. 15.2.2006 – 3 W 209/05, DNotZ 2006, 709; BayObLG v. 15.6.1999 – 3Z BR 35/99, BB 1999, 1782; BayObLG v. 6.8.1981 – BReg. 1 Z 39/81, DB 1981, 2219; vgl. ebenso OLG Hamm v. 21.6.1988 – 15 W 81/88 (n.v.). 6 OLG München v. 16.3.2011 – 31 Wx 64/11, NZG 2011, 432; a.A. Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz, Rz. 200.
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ser Auskunftspflicht so früh und umfangreich wie möglich nachzukommen. Bis dahin ist dieser Praxis zuzustimmen und tatsächlich so zu verfahren. Zum Teil wird dem Mandanten aber auch geraten, vor der Insolvenzantragstellung alle relevanten Geschäftsunterlagen, die sich als belastendes Material herausstellen könnten, verschwinden zu lassen und damit dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden zu entziehen. Erscheint dann der vom Gericht bestellte Sachverständige oder der vorläufige Insolvenzverwalter, soll diesem das gesamte Material mit einem Hinweis darauf übergeben werden, dass dies nur in Erfüllung der Auskunftspflicht nach § 97 Abs. 1 Satz 1 InsO erfolge und dass man der Verwertung dieser Angaben und Unterlagen für einen Strafprozess widerspreche. Einer solchen Beratungspraxis kann allerdings nicht gefolgt werden. So ist bereits nicht vorhersehbar, ob ein solches Vorgehen von Erfolg gekrönt sein wird, da der Umfang und die Wirkungen des Beweisverwendungsverbotes nach § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO derzeit noch heftig umstritten und nicht höchstrichterlich geklärt sind (vgl. dazu unten Rz. 228 ff.). Entscheidender ist allerdings, dass der Beratende mit einer solchen Auskunft die Grenzen der so genannten professionellen Adäquanz (vgl. dazu unten Rz. 55) überschreitet und sich einer Anstiftung zu den weiteren Straftaten des Mandanten schuldig macht. Durch das Beiseiteschaffen von Unterlagen verwirklicht der Mandant zumindest den Straftatbestand des § 283 Abs. 1 Nr. 6 StGB. Im Gegensatz zu dem Mandanten kann sich der Beratende in einem späteren Strafverfahren auch nicht auf § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO berufen, da dessen Voraussetzungen in seiner Person nicht vorliegen. (11) Beratung in der Krise Checkliste: Beratung in der Krise 46 m Position des Mandanten im Verhältnis zum Schuldner bestimmen m Liegt tatsächlich eine Krise vor? m Überschuldungsstatus und Liquiditätsplan fertigen m Indizien für eine Krise feststellen m Auf Einhaltung der Buchführungspflichten hinweisen (insb. vollständig und zeitnah) m Einhaltung der Insolvenzantragspflicht – Fristablauf bestimmen und auf rechtzeitige Stellung des Insolvenzantrags hinarbeiten m Liquiditätsbeschaffung bei Banken: Peinlichst genau und richtig die von der Bank geforderten Angaben machen m Kredit- und Scheckkarten nur bis zur eingeräumten Kreditlinie nutzen m Beiseiteschaffen von Vermögen ist nicht mehr möglich m Besonders riskante Geschäfte und Ausverkäufe sind nicht mehr zulässig m Keine Verträge mehr schließen, bei denen der Geschäftspartner in Vorleistung tritt, ohne die Möglichkeit zur Bezahlung sicherzustellen m Rückstellungen für Sozialversicherungsbeiträge bilden m Auf mögliche Strafbarkeit von Hilfspersonen hinweisen m Möglichkeiten der Amtsniederlegung erörtern cc) Insolvenzantragsphase Nach der Stellung des Insolvenzantrags und dem Beginn der Insolvenzantragsphase kommt es für den Umfang der strafrechtlichen Risiken des Schuldners darauf an, ob das Gericht einen starken oder schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt.
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(1) Bestellung eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters Bestellt das Gericht einen starken vorläufigen Insolvenzverwalter, gehen die all- 48 gemeine Verfügungsbefugnis des Schuldners und damit die meisten strafrechtlich relevanten Pflichten auf diesen über (zur Person des starken vorläufigen Verwalters vgl. § 14 Rz. 11 ff.). Der Schuldner macht sich dann nur noch strafbar, wenn er Vermögen beiseite schafft, dem Verwalter Vermögensgegenstände entzieht oder deren Existenz verheimlicht. In diesem Zusammenhang ist der Mandant darauf hinzuweisen, dass er Ringstmeier
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dem vorläufigen Insolvenzverwalter auf dessen Nachfrage vollständige und wahrheitsgemäße Auskunft über den Stand des Vermögens zu erteilen hat. Verschweigt er das Vorhandensein von Vermögensgegenständen oder gibt er Verbindlichkeiten an, die nicht bestehen, macht er sich wegen Vermögensminderung strafbar (vgl. Rz. 108). Nach § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB macht der Schuldner sich auch dadurch strafbar, dass er heimlich Forderungen an dem vorläufigen Insolvenzverwalter vorbei einzieht1. (2) Bestellung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters 49 Bestellt das Gericht keinen oder einen schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter, verbleiben die Verfügungsbefugnis und damit die strafrechtlichen Pflichten beim Schuldner (vgl. hierzu § 14 Rz. 36 ff.). Seine strafrechtlichen Risiken entsprechen daher denen, die oben für die Zeit nach Eintritt der Krise und vor Stellung des Insolvenzantrags beschrieben wurden. Selbstverständlich entfällt allerdings eine mögliche Strafbarkeit wegen Verstoßes gegen die Insolvenzantragspflicht, wenn der das Verfahren einleitende Antrag vom Schuldner kam. Wurde der Antrag von einem Gläubiger gestellt, besteht die strafrechtlich relevante Antragspflicht grundsätzlich für den Schuldner fort, vgl. dazu bereits oben Rz. 22b. Allerdings gilt auch bei einem schwachen vorläufigen Verwalter, dass der Schuldner auf dessen Nachfrage vollständig und zutreffend über den Bestand des Vermögens Auskunft erteilen muss, da er sich ansonsten wegen Vermögensminderung strafbar macht. (3) Das Beweisverwendungsverbot, § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO 50 Auf die Ausführungen unter Rz. 45 und Rz. 228 ff. wird verwiesen. dd) Insolvenzverfahren 51 Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens droht eine Strafbarkeit des Schuldners nur noch durch Beiseiteschaffen und Verheimlichen von Vermögen. Die sonstigen (strafrechtlich relevanten) Pflichten gehen, wie die Verfügungsbefugnis, mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Insolvenzverwalter über2. Auch hier gilt, dass der Schuldner dem Verwalter vollständig und richtig über den Stand des Vermögens Auskunft geben muss und dass ihm hieraus wegen § 97 InsO in strafrechtlicher Hinsicht keine Nachteile entstehen3. Die Auskunftspflicht des Schuldners im Insolvenzverfahren umfasst auch die Pflicht, dem Insolvenzverwalter jede wesentliche Veränderung der schuldnerischen Vermögenslage sofort mitzuteilen4. Auf die Ausführungen oben unter Rz. 45 und Rz. 48 wird verwiesen. ee) Restschuldbefreiungsverfahren 52 Während der vor der Restschuldbefreiung stehenden Wohlverhaltensphase kann der Schuldner sich strafbar machen, wenn er nicht diejenigen Gelder an den Treuhänder zahlt, zu deren Abführung er verpflichtet ist. Gegenüber dem Treuhänder ist der Schuldner nämlich zur Offenbarung seiner Einnahmen verpflichtet, so dass er den Treuhänder durch Unterlassen täuscht, wenn er nicht alle Gelder angibt, die er tatsächlich eingenommen hat. Die Strafbarkeit folgt dann aus § 263 StGB5. In dieser Phase ist der Schuldner darauf hinzuweisen, dass ein strafbares Verhalten nicht nur strafrechtliche Konsequenzen nach sich zieht, sondern auch zu einer Versagung der Restschuldbefreiung führen kann (vgl. hierzu ausführlich § 16 Rz. 441 ff.)6; Die Versagung der Restschuldbefreiung ist auch möglich, wenn die Straftat in keinem Zu-
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Heine in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 5 m.w.N. Köhler in Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 37 Rz. 156. Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, § 97 Rz. 14 f. BGH v. 20.12.1957 – 1 StR 492/57, BGHSt 11, 145; AG Duisburg v. 21.2.2007 – 62 IK 264/04, juris. Köhler in Wabnitz/Janovsky, Handbuch Wirtschafts- u. Steuerstrafrecht, Rz. 264 f. Nach AG Lüneburg v. 3.11.2003 – 46 IN 229/03, ZInsO 2003, 1108, kann die Restschuldbefreiung nach § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO bereits dann versagt werden, wenn mit der Strafverurteilung des Schuldners nach §§ 283 bis 283c StGB mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist.
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sammenhang mit dem konkreten Insolvenzverfahren steht, in welchem die Restschuldbefreiung beantragt wird1. 2. Vertretung des Schuldnerberaters Auch für Personen, die als Berater des Schuldners fungieren (z.B. Steuerberater, 53 Rechtsanwälte usw.), können sich im Zusammenhang mit der Insolvenz des Schuldners spezielle strafrechtliche Risiken ergeben2. Neben der Anstiftung und der Beihilfe zu Taten des Schuldners kommt unter bestimmten Voraussetzungen auch für den Berater eine Strafbarkeit wegen eigenen täterschaftlichen Handelns in Betracht3. a) Täterkreis Im Zusammenhang mit den §§ 283 ff. StGB können Dritte Täter der Buchhaltungs- 54 delikte sein4. So kann sich insbesondere der oder die Buchhalter5 eines Unternehmens nach den §§ 283 Abs. 1 Nr. 5 und 6 sowie § 283b Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB strafbar machen; ein mit der Bilanzierung beauftragter Steuerberater6 kann sich nach den §§ 283 Abs. 1 Nr. 7 und 283b Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbar machen. Entscheidende Voraussetzung ist, dass die dort angeführten Buchhaltungs- und Bilanzierungspflichten dem Buchhalter oder Steuerberater zur eigenständigen verantwortlichen Wahrnehmung übertragen wurden (vgl. auch Rz. 95). In Bezug auf die Anstiftung und Beihilfe gelten für Berater des Schuldners Besonder- 55 heiten. Rechtsanwälte und Steuerberater sind aufgrund des Mandatsverhältnisses verpflichtet, die Fragen des Mandanten richtig und vollumfänglich zu beantworten. Dies ist grundsätzlich auch dann der Fall, wenn der Berater merkt oder befürchtet, dass der Mandant die Angaben ausnutzen will, um strafbare Handlungen zu begehen. Nach der Theorie der „professionellen Adäquanz“ kann professionell adäquates Handeln, also Handlungen, die neutral, sozial akzeptiert und regelgeleitet beruflich sind, nicht strafrechtlich verboten sein7. Der BGH hat dazu festgestellt, dass die Grenze zur strafbaren Beihilfe oder Anstiftung dann überschritten ist, wenn das Handeln des Ratsuchenden ausschließlich auf die Begehung von Straftaten abzielt und der Berater dies weiß. Hält er hingegen lediglich für möglich, dass der Mandant seine Beratung für eine Straftat ausnutzen will, so begeht er regelmäßig keine strafbare Beihilfe, es sei denn, das von ihm erkannte Risiko der Begehung einer Straftat war ungewöhnlich hoch8. b) Strafbare Handlungen, betrachtet nach Zeitabschnitten aa) Vor der Krise Nicht selten sind mit der Bilanzierung und Buchhaltung beauftragte Steuerberater 56 geneigt, ihren langjährigen Mandanten mit geschönten Unterlagen zu helfen. In strafrechtlicher Hinsicht wird es sich dabei häufig um eine Beihilfe zu den Insolvenzdelikten handeln; unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB kommt der Steuerberater dabei – wie bereits dargestellt – auch als Täter der §§ 283 ff. StGB in 1 BGH v. 18.2.2010 – IX ZB 180/09, NZI 2010, 349; BGH v. 18.12.2002 – IX ZB 121/02, NZI 2003, 163; Röhm, DZWiR 2003, 143 ff. 2 Vgl. ausführlich zur zivil- und strafrechtlichen Haftungsgefahr für Berater und Insolvenzverwalter, Bales, ZInsO 2010, 2073. 3 Vgl. Wessing, NJW 2003, 2265 ff.; Richter, NZI 2002, 121 ff.; Leibner, ZInsO 2002, 1020 ff.; Weyand, StuB 1999, 178 ff.; Köhler in Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 37 Rz. 169 f. 4 Ausführlich zur möglichen strafrechtlichen Verantwortlichkeit der (steuerlichen) Berater bzw. der Verwalter vgl. nur Bittmann in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, § 28 Rz. 2 ff.; Dannecker/ Knierim/Hagemeier, Insolvenzstrafrecht, Rz. 1122 ff.; Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz Rz. 379 f.; Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 202 ff. 5 Heine in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 58. 6 Vgl. Sundermeier/Gruber, DStR 2000, 929. 7 Hassemer, wistra 1995, 41 (81, 83); vgl. auch Wohlers, NStZ 2000, 169; Weyand, ZInsO 2000, 413; Gallandi, wistra 1989, 127. 8 BGH v. 3.5.2011 – XI ZR 374/08, WM 2011, 1465; BGH v. 1.8.2000 – 5 StR 624/99, DStR 2001, 96; BGH v. 20.9.1999 – 5 StR 729/98, wistra 1999, 459.
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Insolvenzstrafrecht
Betracht1, wobei vor Eintritt einer Krise zunächst nur der § 283b StGB anwendbar ist. In diesem Zusammenhang ist der Steuerberater auf verschiedene wichtige Punkte hinzuweisen: Zum einen ist er auch im strafrechtlichen Sinne verpflichtet, vorkontierte Belege selbst zu prüfen und festzustellen, ob die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung eingehalten wurden. Die Verpflichtung zur eigenen Überprüfung ist den Steuerberatern nicht immer bekannt2. Zum anderen muss der Steuerberater die Bilanzierungspflichten einhalten3. Zwar können Finanzämter Fristverlängerungen gewähren, diese gelten aber nur für die steuerlichen Pflichten; die handelsrechtlichen Fristen sind nicht verlängerbar4. Das Argument der Überlastung des Steuerberaters ist in strafrechtlicher Hinsicht nicht beachtlich. Unbeachtlich ist auch, wenn der Steuerberater die Frist nicht einhalten kann, weil der Mandant ihm die erforderlichen Unterlagen nicht liefert. Einer Strafbarkeit kann er sich dann nur durch rechtzeitige Niederlegung des Mandats entziehen. Der Steuerberater darf in diesem Fall aber nicht die Mandantenunterlagen zurückbehalten, bis der Mandant rückständige Honorarforderungen ausgleicht – ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB steht ihm nicht zu5 (vgl. hierzu § 8 Rz. 278). 57 Eine weitere Gefahr ergibt sich für den Steuerberater, wenn der Mandant die geschönten Bilanzen nutzt, um weitere Kreditmittel zu bekommen6. Allein dadurch wird er regelmäßig einen Kreditbetrug nach § 265b StGB begehen. Ist der Mandant nicht in der Lage, den erhaltenen Kredit zurückzuführen, wird regelmäßig auch ein Betrug nach § 263 StGB vorliegen. Zu diesen Delikten hat sich der Steuerberater grundsätzlich allein mit der Erstellung der geschönten Bilanzen einer Beihilfe schuldig gemacht, da davon ausgegangen wird, er wisse, dass der Mandant die von ihm erstellten Bilanzen bei den Kreditgebern vorlegen wird7. Der Steuerberater sollte in diesem Zusammenhang auch beachten, dass ihm Schadensersatzforderungen von Seiten der Kreditgeber drohen, wenn diese finanzielle Einbußen erlitten haben8. bb) Nach Eintritt der Krise bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens 58 Für diesen Zeitraum gilt das soeben unter Rz. 56 f. Gesagte entsprechend. Unterschied ist nur, dass sich jetzt eine Strafbarkeit als Täter oder Gehilfe nicht mehr nach § 283b StGB richtet, sondern nach den übrigen Vorschriften der §§ 283 ff. StGB. Ferner ist mit dem ESUG durch die Einführung des „Schutzschirmverfahrens“ in § 270b ein weiteres Betätigungsfeld des Beraters Gesetz geworden, das durchaus strafrechtliche Risiken birgt. Das Ausstellen der geforderten Bescheinigung nach § 270b Abs. 1 S. 3, obwohl der Schuldner bereits zahlungsunfähig oder die Sanierung offensichtlich aussichtslos ist, ist eine unrichtige Darstellung der Vermögensverhältnisse, die unter den weiteren Voraussetzungen des § 283 Abs. 1 Nr. 8 StGB strafbewährt ist (s.o. Rz. 23c), wobei der Berater mangels Wahrnehmung von Aufgaben im Sinne des § 14 Abs. 2 S. 2 StGB nicht Täter, sondern nur Teilnehmer im Sinne der Beihilfe sein kann. cc) Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens 59 Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlischt automatisch der Auftrag des Steuerberaters (§ 116 InsO), so dass diesen keine Verpflichtungen zur Buchführung oder Bilanzierung für den Schuldner mehr treffen (zur Regelung des § 116 InsO s. § 8 Rz. 273 ff.). Der Steuerberater ist dann nur noch verpflichtet, dem Insolvenzverwalter 1 2 3 4 5 6 7 8
Marxen/Böse in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, § 14 Rz. 60. Vgl. Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 208. Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 208. Möglicherweise kommt in solchen Fällen Strafmilderung wegen vermeidbaren Verbotsirrtums (§ 17 StGB) in Betracht. LG Cottbus v. 23.5.2001 – 1 S 42/01, ZInsO 2002, 635, OLG Hamm v. 4.8.1987 – 25 U 173/86, ZIP 1987, 1330; Weyand, DStR 1988, 503; Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 171. Vgl. Waschk, DStR 2006, 817 (819). Vgl. BGH v. 11.11.1986 – 1 StR 564/86, BB 1987, 370 (371); LG Mannheim v. 15.11.1984 – 6 KLs 12/82, BB 1985, 636. Waschk, DStR 2006, 817 (819).
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Die Beratung und Vertretung der beteiligten Personen
Rz. 64
§5
die Unterlagen des Schuldners auf Verlangen herauszugeben; ein Zurückbehaltungsrecht wegen ausstehender Honoraransprüche hat er auch in dieser Phase nicht1. 3. Vertretung des Gläubigers Für die Gläubiger des Schuldners ergeben sich im Zusammenhang mit einer Insol- 60 venz nur wenige spezielle Handlungsweisen, die eine Strafbarkeit begründen können. Der Gläubiger kann die Schwelle zu strafbaren Handlungen üblicherweise nur dann überschreiten, wenn er dem Schuldner bei dessen strafbaren Handlungen zur Seite steht. Verschafft der Schuldner nach Eintritt seiner Zahlungsunfähigkeit einem Gläubiger 61 eine inkongruente Sicherung oder Befriedigung, macht er sich nach § 283c StGB wegen Gläubigerbegünstigung strafbar (vgl. dazu unten Rz. 166 ff.). Der Gläubiger, der begünstigt werden soll, macht sich durch die bloße Annahme der ihm gewährten Vergünstigung noch nicht strafbar. Wird er allerdings über die bloße Annahme der Vergünstigung hinaus aktiv, kommt eine Strafbarkeit wegen Anstiftung oder Beihilfe in Betracht2. Eine Anstiftung liegt dann vor, wenn der Gläubiger in Kenntnis der Umstände den Schuldner zu seiner Begünstigung überredet oder ihn entsprechend unter Druck setzt3. Eine Beihilfe kommt in Betracht, wenn er den Schuldner aktiv unterstützt; so soll beispielsweise bereits ausreichen, dass er ihm ein Transportfahrzeug zur Verfügung stellt4. Schwierig ist für die Strafverfolgungsbehörden in diesen Fällen natürlich der Nachweis, dass der Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners kannte. 4. Vertretung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters Es gibt keine spezifischen Straftatbestände, die sich an den (vorläufigen) Verwalter richten. Das Verhalten des Insolvenzverwalters ist nach dem allgemeinen Strafrecht zu beurteilen. Besonderes Augenmerk muss der (vorläufige) Insolvenzverwalter auf die Straftatbestände der Untreue (§ 266 StGB), der Begünstigung (§ 257 StGB) und der Strafvereitelung (§ 258 StGB) richten5.
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a) Insolvenzantragsphase In der Insolvenzantragsphase sind die strafrechtlichen Risiken für den vorläufigen In- 63 solvenzverwalter differenziert zu betrachten. Handelt es sich um einen starken vorläufigen Verwalter, so sind die Verfügungsbefugnisse des Schuldners und damit viele seiner strafrechtlichen Pflichten auf den vorläufigen Verwalter übergegangen. In diesem Zeitraum steht der vorläufige Insolvenzverwalter weitgehend dem endgültigen Verwalter gleich. Ist der vorläufige Verwalter nur ein schwacher, verfügt er selbst noch nicht über die umfassende Leitungsmacht und hat im Wesentlichen die Aufgabe, den Schuldner zu überwachen und das Schuldnervermögen zu sichern6. Aus dieser Konstellation ergeben sich für die Strafbarkeit die folgenden Besonderheiten. aa) Untreue, § 266 StGB Sowohl der Treuebruchs- als auch der Missbrauchstatbestand setzen eine Ver- 64 mögensbetreuungspflicht des Täters voraus. Unzweifelhaft trifft eine solche den spä-
1 LG Cottbus v. 23.5.2001 – 1 S 42/01, ZInsO 2002, 635; Kroth in Braun, InsO, § 116 Rz. 9; Sinz in Uhlenbruck, InsO, § 116 Rz. 11; Kießner in Nerlich/Römermann, InsO, 21. EL 2011, § 116 Rz. 23. 2 So bereits RG v. 2.6.1927 – III 268/27, RGSt 61, 314 (315); RG v. 30.10.1931 – I 30/31, RGSt 65, 416 (417); Heine in Schönke/Schröder, StGB, § 283c Rz. 21 m.w.N. 3 Heine in Schönke/Schröder, StGB, § 283c Rz. 21 m.w.N. 4 BGH v. 19.1.1993 – 1 StR 518/92, NJW 1993, 1278. 5 Vgl. allgemein zur Strafbarkeit des Insolvenzverwalters Köhler in Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 37 Rz. 156; Köhler in Wabnitz/Janovsky, Handbuch Wirtschafts- u. Steuerstrafrecht, Rz. 320 ff.; Richter, NZI 2002, 121 ff.; Leibner, ZInsO 2002, 1020 ff. 6 Vgl. Hessisches FG v. 2.1.2007 – 6 K 152/03, 6 K 3314/03, 6 K 152/03, 6 K 3314/03, EFG 2007, 884.
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Rz. 64a
Insolvenzstrafrecht
teren Insolvenzverwalter1 und den starken vorläufigen Verwalter nach § 22 Abs. 1 InsO, während der reine Gutachter keine Vermögensbetreuungspflicht hat. Für den schwachen vorläufigen Verwalter nach § 22 Abs. 2 InsO hängt es davon ab, welche Rechte ihm nach § 22 Abs. 2 InsO verliehen worden sind: Erhält er nur Aufsichts- und Gutachterfunktionen, reicht dies für die Annahme einer Vermögensbetreuungspflicht nicht aus. Wird darüber hinaus ein genereller oder partieller Zustimmungsvorbehalt des vorläufigen Verwalters angeordnet, wird man annehmen müssen, dass der vorläufige Verwalter auch insoweit vermögensbetreuungspflichtig im Sinne von § 266 StGB ist, da ihm diese Befugnisse zur Sicherung des Vermögens für die Gläubiger übertragen wurden und er die Macht hat, über die Wirksamkeit von Geschäften des Schuldners zu entscheiden2. Durch die Rechtsprechung ist diese Frage noch nicht geklärt. 64a Für eine genaue Abgrenzung der Vermögensbetreuungspflichten kann nicht auf die vom Verband Insolvenzverwalter Deutschlands e.V. beschlossenen Grundsätze einer ordnungsgemäßen Insolvenzverwaltung („GOI“) zurückgegriffen werden. Zwar enthalten diese in Bezug auf das Schuldnervermögen einzelne Verfahrensbeschreibungen, unter anderem zu den vorzunehmenden Sicherungsmaßnahmen (III. 3. GOI). Ihnen kommt aber, wie auch den Verlautbarungen der IDW für Wirtschaftsprüfer3, kein Status von Rechtsnormen zu, so dass sie für die Gerichte keine bindende Wirkung entfalten. Dennoch handelt es sich um eine gewichtige Rechtsmeinung, die im Rahmen der Auslegung der Vermögensbetreuungspflicht Berücksichtigung finden kann. 65 Die Vermögensbetreuungspflichten bestehen denjenigen gegenüber, deren Interessen die Insolvenzverwaltung dient. Dies sind neben den Insolvenz- und Massegläubigern sowie dem Insolvenzschuldner auch die aus- und absonderungsberechtigten Gläubiger4. Bedeutsam ist dies für das tatbestandsausschließende Einverständnis der Betroffenen. Ein Treuepflichtverstoß entfällt nämlich nur dann, wenn alle Personen der Maßnahme zustimmen, deren Interessen der Verwalter zu berücksichtigen hat. Dies sind also in der Regel die Insolvenz- und Massegläubiger und der Schuldner zusammen. Für den Verwalter genügt bei masseschädigenden Maßnahmen also nicht allein die Zustimmung der Gläubigerversammlung oder des Gläubigerausschusses. 66 Typische Treuepflichtverstöße des Verwalters sind: Verschleuderung von Vermögensgegenständen; Verschiebung von Geldern auf das private Konto des Verwalters oder insb. bei Konzerninsolvenzen zwischen den verschiedenen insolventen Gesellschaften; Nichtdurchsetzung von Ansprüchen; Begründung von unnötigen Masseverbindlichkeiten; Verkauf von Waren des Schuldners unter Wert an eine eigene oder ihm nahe stehende Gesellschaft5. Lässt der Verwalter sich bei Verträgen über Massegegenstände Vorteile zuwenden, so stellt dies nur dann eine Treuepflichtverletzung dar, wenn das zu einer pflichtwidrigen Maßnahme führt6. 67 Der Verwalter macht sich freilich nicht bei jeder der genannten Handlungen oder Unterlassungen strafbar, sondern nur dann, wenn ihm im Bezug auf die Pflichtverletzung und auf den eintretenden Vermögensschaden zumindest bedingter Vorsatz zur Last fällt7.
1 Noch zum Konkursverwalter BGH v. 16.12.1960 – 4 StR 401/60, BGHSt 15, 342; BGH v. 24.6.1957 – VII ZR 310/56, BGHZ 24, 393 (396). 2 Vgl. eingehender Schramm, NStZ 2000, 400 (401) m.w.N. 3 Vgl. MünchKommHGB/Ebke, Band 4, § 323 Rz. 32. 4 Schramm, NStZ 2000, 389 (399). 5 Vgl. dazu näher BGH v. 14.1.1998 – 1 StR 504/97, wistra 1998, 150; BGH v. 11.7.2000 – 1 StR 93/00, wistra 2000, 384. 6 BGH v. 30.10.1985 – 2 StR 383/85, NStZ 1986, 361; BGH v. 30.10.1990 – 1 StR 544/90, NJW 1991, 1069. 7 Lackner/Kühl, StGB, § 266 Rz. 19.
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Die Beratung und Vertretung der beteiligten Personen
Rz. 74
§5
bb) Begünstigung und Strafvereitelung Bereits in der Antragsphase sind die Straftaten der Begünstigung, § 257 StGB, und 68 der Strafvereitelung, § 258 StGB, für „schwache“ oder „starke“ Verwalter denkbar. Da die Begünstigung voraussetzt, dass der Begünstigende einem anderen in der Absicht Hilfe leistet, ihm die aus einer begangenen rechtswidrigen Tat erlangten Vorteile zu sichern, wird dieses Verhalten bei Verwaltern eher selten anzutreffen sein. Der spätere Verwalter hat regelmäßig kein Interesse daran, dem Schuldner die Vorteile seines rechtswidrigen Handelns zu sichern. Naheliegender ist die Konfrontation mit einer Strafvereitelung. Der Gutachter/vor- 69 läufige Insolvenzverwalter erhält durch seine Ermittlungen beim Schuldner häufig Indizien oder sogar Beweise für strafbare Handlungen des Schuldners. Der Gutachter/vorläufige Verwalter wird manchmal nicht besonders geneigt sein, die Strafverfolgungsbehörden auf diese Straftaten hinzuweisen, da er zum einen bei der Verfahrensabwicklung auf ein Mindestmaß an Zusammenarbeit mit den auf Schuldnerseite Beteiligten angewiesen ist. Zum anderen werden durch die Strafverfolgung bei bestimmten Handlungen, wie beispielsweise bei Vermögensverschiebungen, die Chancen auf eine einvernehmliche, vergleichsweise Regelung mit dem Schuldner deutlich gemindert. Der Schuldner wird zu Rückzahlungen eher geneigt sein, wenn er damit die Hoffnung verbindet, einer Strafverfolgung zu entgehen. Zwar ist der Gutachter/vorläufige Verwalter grundsätzlich nur wie jedermann im 70 Rahmen des § 138 StGB verpflichtet, seine Kenntnisse von einer Straftat unaufgefordert an die Strafverfolgungsbehörden weiterzuleiten. Auch ist der Gutachter/vorläufige Verwalter – ebenso wie der Insolvenzverwalter – durch sein Amt nicht verpflichtet, von sich aus auf strafbare Handlungen hinzuweisen; er hat diesbezüglich keine Garantenstellung im Sinne von § 13 StGB. Allerdings ist es als Regelfall zu bezeichnen, dass die Staatsanwaltschaften von sich 71 aus den Gutachter/vorläufigen Verwalter ansprechen und Fragen nach Straftaten im Zusammenhang mit der Insolvenz stellen. In diesen Fällen muss der Gutachter/vorläufige Verwalter auf konkrete Fragen die von ihm erkannten Straftaten offenbaren. Für den Tatbestand der Strafvereitelung genügt es, dass man wider besseren Wissens angibt, man wisse nichts von Straftaten, oder sich weigert, Angaben zu machen, wenn man nicht über ein Zeugnisverweigerungsrecht verfügt. Strafbar ist auch der Versuch der Vereitelung1. Dem Gutachter/vorläufigen Verwalter kann also nur geraten werden, wahrheitsge- 72 mäß und umfänglich auf die Fragen von Staatsanwälten zu antworten. Weiterhin sollte er sich bei Gesprächen mit dem Schuldner nicht in eine Position begeben, die den beschriebenen Konflikt auslösen könnte. cc) Starker vorläufiger Verwalter als Täter des Bankrotts Da der starke vorläufige Insolvenzverwalter in vollem Umfang die Verfügungsbefug- 73 nisse des Schuldners übernommen hat, erfüllt dieser ebenso wie die Organe von Gesellschaften die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 StGB. Er ist damit tauglicher Täter der §§ 283 ff. StGB. Wegen typischer strafbarer Bankrotthandlungen wird hier auf die Ausführungen oben unter Rz. 27 ff. und auf die besonderen Ausführungen unten Rz. 103 ff. verwiesen. dd) Das Vorenthalten von Arbeitnehmersozialversicherungsbeiträgen Während es für den schwachen vorläufigen Verwalter unproblematisch ist, eine mög- 74 liche Strafbarkeit wegen Vorenthaltung von Arbeitnehmersozialversicherungsbeiträgen zu verneinen, da dieser weder die Funktionen des Arbeitgebers wahrnimmt noch die Möglichkeit hat, aus dem Schuldnervermögen die geschuldeten Beiträge zu zahlen, ist die Situation für den starken vorläufigen Insolvenzverwalter schwieriger zu
1 Stree/Hecker in Schönke/Schröder, StGB, § 258 Rz. 33.
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§5
Rz. 75
Insolvenzstrafrecht
beurteilen. Grundsätzlich spricht vieles dafür, dass der starke vorläufige Verwalter die Voraussetzungen des § 266a StGB als Täter erfüllen kann, obergerichtliche Rechtsprechung existiert zu dieser Frage aber noch nicht1. Während des Zeitraumes, in dem die Arbeitnehmer Ansprüche auf Zahlung von Insolvenzgeld gegen die Bundesagentur für Arbeit haben, stellt sich dieses Problem für den Verwalter allerdings nicht, da die Pflicht zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen die Bundesagentur für Arbeit trifft2 (vgl. hierzu ausführlich § 12 Rz. 387 ff.). b) Insolvenzverfahren aa) Untreue 75 In Bezug auf die Untreue gilt das oben unter Rz. 64 ff. für die Antragsphase Gesagte entsprechend. bb) Begünstigung und Strafvereitelung 76 Für eine mögliche Strafbarkeit wegen Begünstigung, § 257 StGB, und Strafvereitelung, § 258 StGB, gilt das oben unter Rz. 68 f. für die Antragsphase Ausgeführte. cc) Bankrotthandlungen 77 Da der Insolvenzverwalter in vollem Umfang die Verfügungsbefugnisse des Schuldners übernommen hat, erfüllt dieser ebenso wie die Organe von Gesellschaften die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 StGB. Er ist damit tauglicher Täter der §§ 283 ff. StGB. Wegen typischer strafbarer Bankrotthandlungen wird hier auf die Ausführungen oben unter Rz. 27 ff., 73 und unten Rz. 103 ff. verwiesen. Besonderes Augenmerk muss der Insolvenzverwalter in diesem Zusammenhang auf die Buchführungspflichten legen, die vollinhaltlich auf ihn übergehen, § 155 InsO3, und deren Nichterfüllung zu einer Strafbarkeit führen kann4. Eine Strafbarkeit bei der Nichterfüllung von Buchführungspflichten entfällt auch für den Insolvenzverwalter nur dann, wenn ihm die Erfüllung seiner Pflichten unmöglich oder unzumutbar ist. Da aber der Verwalter gehalten ist, vorhandene Mittel vorrangig für die Erfüllung der Buchführungs- und Bilanzierungspflichten zu verwenden, ist eine Unmöglichkeit/Unzumutbarkeit jedenfalls bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens regelmäßig ausgeschlossen5. Besonders hervorgehoben sei hier nur, dass auch die handelsrechtlichen Aufbewahrungspflichten des Schuldners auf den Insolvenzverwalter übergehen. Dieser ist für die Aufbewahrung der Unterlagen bis zum Ablauf der jeweiligen Fristen im Sinne des § 283 Abs. 1 Nr. 6 StGB strafrechtlich verantwortlich. c) Restschuldbefreiungsverfahren 78 Während des Restschuldbefreiungsverfahrens hat der Treuhänder die Pflicht, die Zahlungen des Schuldners einzuziehen, zu verwalten und an die Gläubiger auszuschütten, § 292 InsO. Mit dieser Verpflichtung obliegt ihm gegenüber der Gläubigergesamtheit eine Vermögensbetreuungspflicht für diese Gelder im Sinne des § 266 StGB. Vergreift der Treuhänder sich an diesen Geldern oder lässt er es bewusst zu, dass der Schuldner nicht alle Gelder zahlt, zu deren Abführung er verpflichtet ist, macht der Treuhänder sich wegen Untreue strafbar6.
1 Vgl. ausführlich zu diesem Thema und den Bedenken an einer Strafbarkeit Schöferhoff/Gerster, ZIP 2001, 905 und Richter, NZI 2002, 121 (124). 2 Vgl. Richter, NZI 2002, 121 (126). 3 Andres in Nerlich/Römermann, InsO, 21. EL 2011, § 155 Rz. 15; Lind in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, § 155 Rz. 14. 4 Richter, NZI 2002, 121 (125). 5 Richter, NZI 2002, 121 (127). 6 BGH v. 4.4.1968 – II ZR 26/67, NJW 1968, 1471; BGH v. 29.11.1996 – 2 StR 491/96, NStZ 1997, 124; MünchKommInsO/Ott/Vuia, Band 1, § 80 Rz. 147; Kindhäuser in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, § 266 Rz. 58; Schramm, NStZ 2000, 398 (401 f.).
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berblick ber die einzelnen Straftaten
Rz. 83
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d) Der Sachwalter Wird das Insolvenzverfahren in der Form der Eigenverwaltung durch den Schuldner 79 eröffnet, bestellt das Gericht einen Sachwalter (s. hierzu § 13 Rz. 469 ff.). Der Sachwalter hat die Pflicht, den Schuldner zu überwachen und erhält für bestimmte Geschäfte eine Zustimmungsbefugnis, die zu einer „gemeinsamen Unternehmensleitung“ zwischen Sachwalter und Schuldner führt. Daraus ergibt sich für den Sachwalter eine Vermögensbetreuungspflicht; er kann sich also einer Untreue nach § 266 StGB schuldig machen1. II. Überblick über die einzelnen Straftaten Im Folgenden wird ein Überblick über die im Zusammenhang mit einer Insolvenz re- 80 levanten Straftatbestände gegeben. Für die weitergehenden Details wird auf die einschlägige Kommentarliteratur und auf die in den Fußnoten angegebene Rechtsprechung verwiesen. 1. Allgemeine Begriffe a) Der Täterkreis Täter einer Straftat im Zusammenhang mit einer Insolvenz kann aufgrund der Viel- 81 zahl der möglichen Delikte zunächst einmal jeder sein. Auch nicht leitende Mitarbeiter des Schuldners oder gänzlich Außenstehende kommen als Täter beispielsweise für Betrugsdelikte, Untreue oder die Schuldnerbegünstigung in Betracht. Bei den meisten spezifisch insolvenzrechtlichen Straftatbeständen handelt es sich aber um Sonderdelikte, die nur von einem bestimmten Personenkreis verwirklicht werden können. Der mögliche Täterkreis eines jeden Sonderdelikts ist jeweils eigenständig zu bestimmen, weshalb die persönlichen Voraussetzungen für eine Täterschaft im Zusammenhang mit den einzelnen Strafvorschriften dargestellt werden. b) Die Krise Begriffsbestimmend für das Insolvenzstrafrecht ist die wirtschaftliche Schieflage 82 einer Person oder eines Unternehmens, die so genannte Krise. Aus strafrechtlicher Sicht liegt eine Krise vor, wenn ein Insolvenzgrund besteht, d.h. bei Überschuldung, Zahlungsunfähigkeit oder drohender Zahlungsunfähigkeit2. Sämtliche hier aufgeführten Straftatbestände oder speziellen Handlungsalternativen setzen das Vorliegen oder den Eintritt einer Krise des Schuldners voraus3. Für die Voraussetzungen der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung sowie deren Nachweis wird auf die Ausführungen unter § 1 Rz. 63 ff., 114 ff. und 133 ff. verwiesen. Erwähnt werden sollen hier nur aus dem strafrechtlichen Bezug folgende Besonderheiten.
82a
aa) Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit durch die kriminalistische Analyse Die Ermittlung der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit durch Erstellung einer rück- 83 bezogenen Liquiditätsplanung (betriebswirtschaftliche Methode) ist regelmäßig sehr aufwändig und mit Bewertungsspielräumen befrachtet4. Im Nachhinein setzt eine Analyse durch die Strafverfolgungsbehörden nicht nur einen erheblichen Einsatz von Arbeitszeit voraus, erforderlich ist auch, dass eine weitestgehend lückenlose Dokumentation der Geschäftszahlen und -vorgänge vorhanden ist. Aus diesem Grunde lässt die Rechtsprechung zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit auch die so ge-
1 Schramm, NStZ 2000, 398 (402); Perron in Schönke/Schröder, StGB, § 266 Rz. 25. 2 Fischer, Vor § 283 Rz. 6; zu den Insolvenzgründen Pape in Mohrbutter/Ringstmeier, Insolvenzverwaltung, § 2; Kadenbach in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, §§ 17–19. 3 Vgl. ausführlich Püschel in FS Rissing-van-Saan, S. 471. 4 Vgl. nur Harz/Baumgartner/Conrad, ZInsO 2005, 1304 ff.; Stahlschmidt, ZInsO 2005, 1086 ff.
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§5
Rz. 84
Insolvenzstrafrecht
nannte kriminalistische Methode zu1, von der in der Praxis zumeist Gebrauch gemacht wird. Bei dieser Methode geht man nicht von konkretem Zahlenmaterial aus, sondern stellt fest, ob ausreichende Beweisanzeichen vorliegen, die nach außen hin auf eine Zahlungsunfähigkeit schließen lassen. Der Sache nach handelt es sich dabei um einen Indizienbeweis. Überprüft werden insbesondere die nachstehend aufgeführten Anzeichen2. 84 Checkliste: Indizien für eine Zahlungsunfähigkeit m Vereinbarung längerer Zahlungsziele m Überschreitung von Zahlungszielen m Überschreitung der Kreditlinie, Ausschöpfung von Limits m Ausweitung von Lieferantenkrediten m Austauschen von Lieferanten, um einen weiteren Kreditspielraum zu bekommen m Suche nach neuen Kreditgebern m Übergang von Bezahlung voller Beträge zur Ratenzahlung m Erfolglose Kreditverhandlungen m Mahnungen von Gläubigern m Scheck- und Wechselproteste m Darlehenskündigungen durch Banken m Zahlung mit vordatierten Schecks m Geänderte Übung der Lieferanten, nur noch gegen Vorkasse/Barzahlung zu liefern m Zustellung von Mahn- und Vollstreckungsbescheiden m Vollstreckungsmaßnahmen von Gläubigern m Fruchtlose Vollstreckungen m Ladung und Haftbefehl zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung m Insolvenzanträge von Gläubigern, die nach Zahlung wieder zurückgenommen wurden m Nichtzahlung von wichtigen Verbindlichkeiten wie Pacht, Löhne, Sozialabgaben, Energieversorger, Steuern m Einsparungen an Kosten für die Buchhaltung 85 Anhand dieser Indizien wird meist zur Veranschaulichung ein Häufigkeitsdiagramm erstellt. Dazu wird über einen gewissen Zeitraum geprüft, wie viele Indizien erkennbar waren; vielfach ist bereits die reine Anzahl stetig ansteigend und lässt Rückschlüsse auf die Zahlungsfähigkeit zu3. 86 Die Grenze von einer schlechten Zahlungslage zur Zahlungsunfähigkeit ist meist überschritten, wenn der Schuldner dazu übergeht, illegale Kreditschöpfung zu betreiben und wichtige Posten, wie Sozialabgaben und Steuern, nicht mehr bedient4. Daher geht man nach der kriminalistischen Methode von einer Zahlungsunfähigkeit aus, wenn einerseits die Zahl der Indizien sich häuft und andererseits deren Qualität umschlägt zu illegalen Handlungen der Liquiditätsbeschaffung. Vor allem die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen ist nach zivilrechtlicher Rechtsprechung des BGH ein starkes Indiz für das Vorliegen einer Zahlungsunfähigkeit, da diese For-
1 BGH v. 30.1.2003 – 3 StR 437/02, NStZ 2003, 546 (547); BGH v. 20.7.1999 – 1 StR 668/98, wistra 2000, 18 (21); BGH v. 19.1.1993 – 1 StR 518/92, NStZ 1994, 424; BGH v. 17.2.1993 – 3 StR 474/92, wistra 1993, 184; BGH v. 3.12.1991 – 1 StR 496/91, wistra 1992, 145; BGH v. 2.8.1990 – 1 StR 373/90, wistra 1991, 26; OLG Stuttgart v. 30.5.2011 – 1 Ss 851/10, NStZ-RR 2011, 277; KG Berlin v. 13.6.2000 – (3) 1 Ss 117/00 (38/00); vgl. auch LG Köln v. 23.5.1991 – KLs 112-10/88, wistra 1992, 269; Wolf/Kurz, DStR 2006, 1339 (1340), Harz/Baumgartner/Conrad, ZInsO 2005, 1304 (1310); Bittmann, wistra 2005, 167 ff.; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch der vorläufigen Insolvenzverwaltung, 2011, § 13 Rz. 55. 2 Vgl. Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 51; Hartung, wistra 1997, 1 (11). 3 Vgl. Bittmann, wistra 2005, 167 ff. 4 Vgl. Reck, Insolvenzstraftaten, 1999 Rz. 104 f.
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berblick ber die einzelnen Straftaten
Rz. 89
§5
derungen wegen der drohenden Strafbarkeit aus § 266a StGB erfahrungsgemäß bis zuletzt bedient werden1. So spricht ein Rückstand von 6 Monaten bei den Sozialversicherungsbeiträgen regelmäßig für das Bestehen der Zahlungsunfähigkeit2. bb) Ermittlung des Zeitpunktes der Zahlungsunfähigkeit durch die Tabelle Es stellt sich die Frage, ob im Strafrecht neben der betriebswirtschaftlichen und 87 kriminalistischen Methode in Zukunft eine dritte Möglichkeit zur Feststellung des Zeitpunktes der Zahlungsunfähigkeit zulässig sein wird. Für den Insolvenzanfechtungsprozess hat der BGH ausgeführt, dass im Falle einer ex-post-Betrachtung keine Liquiditätsbilanz mit Prognose aufgestellt werden muss, um die Zahlungsunfähigkeit für einen bestimmten Zeitpunkt festzustellen3. Stattdessen könne aus der bei Gericht ausliegenden Insolvenztabelle ermittelt werden, ob an dem zu prüfenden Zeitpunkt fällige Verbindlichkeiten bestanden haben, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen wurden. Bejahendenfalls ist für diesen Zeitpunkt von Zahlungsunfähigkeit auszugehen. Ob dieser ausdrücklich für Insolvenzanfechtungsfälle eröffnete Weg zur Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit auch in der strafrechtlichen Praxis beschritten werden darf, bleibt abzuwarten. M.E. kann zwar rückblickend mit der vom BGH vorgeschlagenen Methode der objektiv richtige Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit ermittelt werden, für strafrechtliche Zwecke hat man sich aber wohl eher an der ex-ante-Sicht des Insolvenzantragspflichtigen zu orientieren; und diese verlangt eine aus damaliger Sicht durchzuführende Prüfung auf Basis der seinerzeitigen Parameter. cc) Feststellung einer Überschuldung und in dubio pro reo Aus dem In-dubio-pro-reo-Grundsatz folgt für die Strafverfolgungspraxis, dass die 88 Bewertungsspielräume jeweils zugunsten des Schuldners ausgeschöpft werden müssen. Zur Feststellung einer strafrechtlich relevanten Überschuldung kommt man danach nur bei einer erheblichen Überschuldung, bei der die Passiva die Aktiva so weit übersteigen, dass auch bei großzügigsten Bewertungen der Aktiva und zurückhaltendsten Ansätzen der Passiva eine deutlich negative Differenz verbleibt4. In der strafrechtlichen Literatur wird zudem vertreten, dass bei der Fortbestehens- 89 prognose aufgrund des In-dubio-pro-reo-Grundsatzes von einer Fortführung des Unternehmens auszugehen sei, solange das Gegenteil nicht feststehe5. Durch obergerichtliche Rechtsprechung ist dieser Punkt noch nicht geklärt. Zumindest bestehen nach meiner Einschätzung aber aufgrund der deutlichen Formulierung des § 19 InsO Bedenken an dieser Ansicht. Zumal der In-dubio-pro-reo-Grundsatz nicht unmittelbar greift, da eine positive Fortführungsprognose auf Grundlage des herkömmlichen zweistufigen Überschuldungsbegriffs für sich allein nicht geeignet ist, die Insolvenzreife des Schuldners zu beseitigen, sondern lediglich Bedeutung für die anschließend
1 BGH v. 13.6.2006 – IX ZR 238/05, NJW-RR 2006, 1422 (1423) m.w.N.; BGH v. 10.7.2003 – IX ZR 89/02, NJW-RR 2003, 1632 (1634); BGH v. 20.11.2001 – IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178, 187, NJW 2002, 515 (517); so auch OLG Dresden v. 28.8.2000 – 7 W 1396/00, NZI 2001, 261 (262); OLG Celle v. 9.2.2000 – 2 W 101/99, NJW-RR 2001, 702 (704); OLG Naumburg v. 22.2.2000 – 5 W 1/00, OLGReport Naumburg 2000, 295 (296); MünchKommGmbHG/Wißmann, Band 3, § 84 Rz. 152; Wegner in Achenbach/Ransiek, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, VII 1 Rz. 82a. 2 BGH v. 13.6.2006 – IX ZB 238/05, ZIP 2006, 1457 (1458); BGH v. 10.7.2003 – IX ZR 89/02, ZIP 2003, 1666 (1669); Wegner in Achenbach/Ransiek, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, VII 1 Rz. 82a; vgl. auch Bittmann, wistra 2005, 167 (169), der ein Indiz schon ab einem Rückstand von 3 Monaten bejaht. 3 BGH v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, NZI 2007, 36 m. Anm. Frenzel/Gundlach; vgl. Hölzle, ZIP 2007, 613 ff.; Gundlach, NZI 2007, 38 f.; Heinze, DZWIR 2007, 118 f. 4 Vgl. Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte Rz. 38; Harz/Baumgartner/Conrad, ZInsO 2005, 1304 (1308); zur Überschuldungsanalyse im Strafrecht vgl. Reck, ZInsO 2004, 661 ff. (728 ff.). 5 Schlüchter, wistra 1982, 41; vgl. auch Menger, GmbHR 1982, 221; Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte Rz. 31; im Ergebnis ebenso Reck, Insolvenzstraftaten, 1999, Rz. 147, Reck, ZInsO 2004, 661 (663).
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§5
Rz. 90
Insolvenzstrafrecht
vorzunehmende Bewertung des schuldnerischen Vermögens nach Fortführungs- oder Liquidationswerten hat1. 2. Insolvenzstrafrecht im engeren Sinne 90 Unter dem Insolvenzstrafrecht im engeren Sinne versteht man die §§ 283 ff. StGB, die bereits für den Tatbestand das Vorliegen oder die kausale Herbeiführung einer Krise und die Zahlungseinstellung, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder dessen Ablehnung mangels Masse als objektive Bedingung der Strafbarkeit fordern. a) Täterkreis 91 Bei den §§ 283 ff. StGB handelt es sich mit Ausnahme des § 283d StGB um Sonderdelikte. „Wer“ im Sinne der Vorschriften kann zwar grundsätzlich jede nach § 11 Abs. 1 InsO insolvenzfähige Person sein, der Täter muss aber die besonderen persönlichen Merkmale der Krise und der Zahlungseinstellung aufweisen. Dass der Täter darüber hinaus auch Kaufmann ist, setzen die Taten der §§ 283 Abs. 1 Nr. 5 und 7 und 283b StGB voraus. Nicht übersehen werden darf freilich, dass eine Strafbarkeit wegen Anstiftung und Beihilfe zu den §§ 283 ff. StGB jeden treffen kann, der an der Deliktsverwirklichung entsprechend mitwirkt. aa) Schuldner 92 Handelt es sich bei dem Schuldner um ein Einzelunternehmen, ist dieser ohne weiteres möglicher Täter der §§ 283 ff. StGB. Auch Verbraucher sind nach der Rechtsprechung taugliche Täter der §§ 283 ff. StGB2. Handelt es sich bei dem Schuldner um eine Gesellschaft, ist möglicher Täter bei der GbR, der OHG und der Vorgesellschaft einer GmbH jeder einzelne Gesellschafter. Bei der KG und der KG auf Aktien können nur die persönlich haftenden Gesellschafter Täter sein, nicht die Kommanditisten oder die Prokuristen3. Da juristische Personen wie die GmbH, AG oder eingetragene Genossenschaft nach dem deutschen Strafrecht nicht deliktsfähig sind, kommen sie selbst als Täter nicht in Betracht. Soweit es um den Eintritt der Krise und die Zahlungseinstellung/Insolvenz geht, eröffnet aber § 14 StGB die Möglichkeit der Zurechnung besonderer persönlicher Merkmale an Dritte4. bb) Vertretungsorgane/Berater 93 Dem Geschäftsführer einer GmbH bzw. dem Vorstand einer AG oder eG werden die Krise und die Zahlungseinstellung/Insolvenz nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB zugerechnet, wenn diese Personen die in den §§ 283 ff. StGB unter Strafe gestellten Handlungen vornehmen; allerdings nur insoweit, als sie dabei in Erfüllung ihrer Organstellung handeln5. Nach bisheriger Rechtsprechung handelte der Täter dann in Erfüllung seiner Organstellung, wenn er zumindest auch im Interesse der Gesellschaft handelt, sog. Interessenformel6. Verfolgte er ausschließlich eigene Interessen, wurden seine Handlungen nicht als Bankrott, sondern als Untreue nach § 266 StGB bestraft. Der 3. Strafrechtssenat und ihm folgend der 1. Senat neigen nun aber zu einer Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung und der Abgrenzung zwischen den Insolvenzdelikten der §§ 283 ff. StGB und insbesondere der Untreue nach § 266 StGB nach der In-
1 Vgl. BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, ZIP 2007, 676 (679). 2 BGH v. 22.2.2001 – 4 StR 421/00, wistra 2001, 306 m.w.N.; zustimmend Krause, NStZ 2002, 42, Fischer, Vor § 283 Rz. 18; kritisch mit beachtlichen Argumenten dazu Krüger, wistra 2002, 52, Röhm, ZInsO 2003, 535 (537 ff.) und Schramm, wistra 2002, 55. 3 BGH v. 17.12.1963 – 1 StR 391/63, BGHSt 19, 174 (176); RG v. 5.1.1935 – 3 D 974/34, RGSt 69, 65 (69). 4 Vgl. auch BGH v. 10.2.2009 – 3 StR 372/08, NJW 2009, 2225; BGH v. 1.9.2009 – 1 StR 301/09, NStZ-RR 2009, 373. 5 BGH v. 20.5.1981 – 3 StR 94/81, BGHSt 30, 127; BGH v. 21.5.1969 – 4 StR 27/69, NJW 1969, 1494. 6 BGH v. 20.5.1981 – 3 StR 94/81, BGHSt 30, 127 (130); BGH v. 14.12.1999 – 5 StR 520/99, wistra 2000, 136 (137); BGH v. 17.12.1986 – 3 StR 494/86, wistra 1987, 148; BGH v. 17.3.1987 – 5 StR 272/86, wistra 1987, 216; BGH v. 3.5.1991 – 2 StR 613/90, NStZ 1991, 432.
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berblick ber die einzelnen Straftaten
Rz. 96
§5
teressenformel1. Die Bedenken gegen eine weitere Anwendung dieser Formel richten sich vor allem gegen die durch die Anwendung entstehende Ungleichbehandlung von Einzelkaufleuten und GmbH-Geschäftsführern sowie auf den Umstand, dass die Anwendung der Formel zu einer dem Schutzzweck zuwiderlaufenden Zurückdrängung der Delikte des Insolvenzstrafrechts bei vermögensschädigenden und damit in der Regel masseschmälernden Verhaltensweisen zum Nachteil von Handelsgesellschaften führt2. Im Verhältnis zu den Bankrottstraftaten soll daher daran angeknüpft werden, ob der Vertreter im Sinne des § 14 StGB im Geschäftskreis des Vertretenen tätig geworden ist (vgl. dazu bereits Rz. 29). In der Literatur wird die Zurechnung der Krise und der objektiven Bedingung der 94 Strafbarkeit wegen des Wortlauts des § 283 Abs. 6 StGB, der ausdrücklich verlangt, dass der Täter seine Zahlungen eingestellt hat, zum Teil mit einem Verweis auf das Analogieverbot kritisiert3. Die Rechtsprechung ist der Kritik nicht gefolgt, da erst durch diese Zurechnung die Möglichkeit eröffnet wird, die Organe von juristischen Personen strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. § 283 Abs. 6 StGB sei danach sinngemäß so zu lesen, dass es auf den Eintritt der Strafbarkeitsbedingung bei dem in der Krise befindlichen Schuldner ankomme, nicht notwendig bei dem strafrechtlich relevant Handelnden4. Die Möglichkeit der Zurechnung ist aber nicht auf Organe von juristischen Personen 95 beschränkt. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB kommt eine Zurechnung auch für solche Personen in Betracht, die von dem eigentlich Verantwortlichen beauftragt sind, bestimmte Aufgaben des Unternehmensleiters in eigener Verantwortung wahrzunehmen. Im Zusammenhang mit den §§ 283 ff. StGB kann dies insbesondere für den Buchhalter5 eines Unternehmens nach §§ 283 Abs. 1 Nr. 5, 6, 283b Abs. 1 Nr. 1, 2 StGB oder für den mit der Bilanzierung beauftragten Steuerberater6 nach § 283 Abs. 1 Nr. 7, 283b Abs. 1 Nr. 3 StGB gelten. § 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB setzt voraus, dass der Auftrag ausdrücklich (aber nicht unbedingt schriftlich) erteilt wurde7. Nicht erforderlich ist, dass der Beauftragte selbständig handelt; Pflichten können also auch an weisungsgebundene Mitarbeiter des Unternehmens zur eigenen Verantwortung übertragen werden8. cc) Faktischer Geschäftsführer Nach ständiger Rechtsprechung kann Täter der §§ 283 ff. StGB auch der so genannte 96 faktische Geschäftsführer sein9. Dies gilt nicht nur bei juristischen Personen, auch bei Personengesellschaften tauchen faktische Geschäftsführer auf, und entgegen der Bezeichnung gelten die Grundsätze auch für faktische Vorstände von AGs oder eGs, treten dort aber nur sehr selten auf. Ein faktischer Geschäftsführer ist derjenige, der trotz einer unwirksamen oder nicht erfolgten Bestellung die Geschäftsführeraufgaben tatsächlich wahrnimmt und dabei im Einverständnis bzw. zumindest mit Duldung der Gesellschafter oder eingetragenen Organe die Aktivitäten durchführt. Ent-
1 Vgl. dazu ausführlich Schützeberg, StRR 2010, 31; Schützeberg, StRR 2010, 351. 2 BGH v. 10.2.2009 – 3 StR 372/08, NJW 2009, 2225; BGH v. 1.9.2009 – 1 StR 301/09, NStZ-RR 2009, 373; vgl. auch Radtke, GmbHR 2009, 875. 3 Insbesondere Labsch, wistra 1985, 1 ff.; vgl. auch Tiedemann, NJW 1977, 777 (780); Richter, GmbHR 1984, 137 (142). 4 Fischer, StGB, Vor § 283 Rz. 21 m.w.N. 5 Heine in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 58. 6 Vgl. Sundermeier/Gruber, DStR 2000, 929. 7 Fischer, StGB, § 14 Rz. 12. 8 Perron in Schönke/Schröder, StGB, § 14 Rz. 35 m.w.N. 9 BGH v. 10.5.2000 – 3 StR 101/00, BGHSt 46, 62 (64); BGH v. 22.9.1982 – 3 StR 287/82, BGHSt 31, 118; BGH v. 28.6.1966 – 1 StR 414/65, BGHSt 21, 101 (103); BGH v. 24.6.1952 – 1 StR 153/52, BGHSt 3, 32 (37). Einen Überblick über die Rechtsprechung liefert Hildesheim, wistra 1993, 166 und Rönnau, NStZ 2003, 525.
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§5
Rz. 97
Insolvenzstrafrecht
scheidend ist dabei, dass der Handelnde dabei auch nach außen auftritt; eine bloß interne Leitung kann eine faktische Geschäftsführung nicht begründen1. 97 Dafür kommt es nach den jeweils individuellen Umständen darauf an, wer auf Dauer die unternehmerischen Grundentscheidungen trifft, kurz: Wer der „Boss“ ist2. In einer grundlegenden Entscheidung hatte der BGH auf folgende äußere Umstände abgestellt3: Pflege der Geschäftsbeziehungen; Verhandlung von Verträgen; Verhandlung mit Banken; Identifikation des Unternehmens in der Ich-Form; Einstellung/Entlassung von Mitarbeitern; Ausstellung von Zeugnissen; Beauftragung/Bevollmächtigung des Steuerberaters für die Führung der Geschäftsbücher. 98 Die Annahme eines faktischen Geschäftsführers wird nicht dadurch beeinträchtigt, dass neben diesem ein förmlich bestelltes Organ existiert, was aus registerrechtlichen Gründen ohnehin stets der Fall sein wird4. Ist der ordnungsgemäß bestellte Geschäftsführer aber nicht lediglich ein Strohmann des faktischen Geschäftsführers, sondern nimmt in gewissem Umfang tatsächlich selbst Aufgaben der Geschäftsführung wahr, kommt für den Tatbestand des faktischen Geschäftsführers ein weiteres Merkmal hinzu: Der faktische Geschäftsführer muss auf den bestellten Geschäftsführer einen gewissen Einfluss haben. Welche Anforderungen an diesen Einfluss zu stellen sind wird in der Rechtsprechung nicht einheitlich formuliert5. Zum Teil wird gefordert, der faktische Geschäftsführer müsse eine überragende Stellung einnehmen6, in anderen Entscheidungen sollte bereits ein Übergewicht bzw. die Wahrnehmung der Geschäftsführung in weiterem Umfang ausreichen7. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Haftung des faktischen Geschäftsführers die strafrechtliche Verantwortlichkeit des rechtswirksam bestellten Geschäftsführers unberührt lässt. Dieser hat unabhängig von einem tatsächlichen Einfluss auf die Geschäftsführung neben dem faktischen Geschäftsführer seinen (Buchführungs- und Bilanzierungs-)Pflichten nachzukommen8. dd) Sanierer 99 Auch externe Sanierer wie beispielsweise Steuerberater oder Rechtsanwälte kommen als Täter für die Bankrottstraftaten in Betracht9. Übernimmt ein außen stehender Dritter die Aufgabe, das in die Krise geratene Unternehmen zu retten, kommt es für seine Tätereigenschaft darauf an, wie er diese Aufgabe wahrnimmt und wie weit seine Befugnisse reichen. Wird der Sanierer zum Geschäftsführer bestellt, ist er ohne weiteres tauglicher Täter nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Erfolgt eine solche Bestellung nicht, hängt eine mögliche Strafbarkeit nach §§ 283 ff. StGB davon ab, ob der Sanierer im Wesentlichen die Geschäftsführung übernimmt oder ob er lediglich einzelne Entscheidungen trifft oder den Geschäftsführer berät. Zu prüfen ist anhand der genannten Indizien, ob der Sanierer durch seine Tätigkeit zum faktischen Geschäftsführer wird. Reicht seine Stellung für die Annahme eines faktischen Geschäftsführers nicht aus, kommt nur eine Strafbarkeit wegen Anstiftung oder Beihilfe in Betracht.
1 BGH v. 27.6.2005 – II ZR 113/03, ZIP 2005, 1414; BGH v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, ZInsO 2005, 878; OLG Karlsruhe v. 7.3.2006 – 3 Ss 190/05, NJW 2006, 1364. 2 So Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 285. 3 BGH v. 22.9.1982 – 3 StR 287/82, BGHSt 31, 118. 4 BGH v. 22.9.1982 – 3 StR 287/82, BGHSt 31, 118. 5 So das BayObLG v. 29.1.1991 – 4 St 9/91, wistra 1991, 195 (197). 6 BGH v. 22.9.1982 – 3 StR 287/82, BGHSt 31, 118 (122). 7 BGH v. 17.4.1984 – 1 StR 736/83, StV 1984, 461; OLG Düsseldorf v. 16.10.1987 – 5 Ss 193/87, NStZ 1988, 368 (369). 8 Maurer, wistra 2003, 174 (175 f.); Rönnau, NStZ 2003, 525 (526 f.); a.A. KG v. 13.3.2002 – (5) 1 Ss 243/01 (6/02), wistra 2002, 313 (314 f.), das darauf abstellt, dass der Angeklagten die Erstellung der Bilanz mangels tatsächlichen Einflusses auf die Geschäftsführung unmöglich gewesen sei. 9 Vgl. dazu Richter, wistra 1984, 97 ff.
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berblick ber die einzelnen Straftaten
Rz. 102
§5
b) Objektive Bedingungen der Strafbarkeit Eine Verurteilung nach § 283 StGB setzt als objektive Bedingung der Strafbarkeit vo- 100 raus, dass der Täter seine Zahlungen eingestellt hat oder über sein Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet oder mangels Masse abgewiesen worden ist, § 283 Abs. 6 StGB. Da es sich um eine objektive Bedingung der Strafbarkeit handelt, ist es nicht erforderlich, dass den Täter am Eintritt dieser Umstände ein Verschulden trifft1. § 283 Abs. 6 StGB findet mit gewissen Abweichungen auch auf die §§ 283a bis 283d StGB Anwendung. aa) Zahlungseinstellung Zahlungseinstellung bedeutet, dass der Schuldner generell aufgehört hat, seine 101 Schulden zu begleichen und dies nach außen erkennbar geworden ist2. Zwar gehen Zahlungseinstellung und Zahlungsunfähigkeit regelmäßig miteinander einher (vgl. auch § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO), notwendig ist dies aber nicht3. Weitergehend als in der InsO ist im strafrechtlichen Sinne Zahlungseinstellung auch dann gegeben, wenn der Schuldner nicht zahlt, obwohl er es könnte4, denn die Zahlungseinstellung beschreibt keine wirtschaftliche Lage, sondern versteht sich als faktisches Verhaltensbild5. Dies mag beispielsweise der Fall sein, weil er irrtümlich davon ausgeht, zahlungsunfähig zu sein, oder weil er aus böser Absicht nicht mehr zahlt (Zahlungsunwilligkeit)6; oftmals ist die Zahlungsunwilligkeit jedoch nur vorgeschoben, um die Zahlungsunfähigkeit zu verheimlichen. Abzugrenzen ist auch die Zahlungseinstellung von der Zahlungsstockung. Eine bloße Zahlungsstockung i.S.d. InsO liegt vor, wenn die aufgetretene Liquiditätslücke/Unterdeckung von weniger als 10 % der fälligen Gesamtverbindlichkeiten innerhalb von drei Wochen durch den Schuldner geschlossen werden kann; ansonsten besteht Zahlungsunfähigkeit7. Zahlungseinstellung liegt zumindest dann nicht vor, wenn in absehbarer Zeit wieder ausreichende liquide Mittel zu erwarten sind8. Ferner begründet die Nichtzahlung einzelner Forderungen grundsätzlich noch keine Zahlungseinstellung, wenn der Schuldner die Forderung für unbegründet hält9. Ausreichen kann andererseits aber auch, dass ein einzelner (Groß-)Gläubiger nicht bezahlt werden kann. bb) Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder Abweisung mangels Masse Die mit gewissen Spielräumen behaftete Frage, ob Zahlungseinstellung gegeben ist, 102 braucht für eine Strafverfolgung nicht mehr beantwortet zu werden, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet oder mangels Masse abgelehnt wurde. Der Strafrichter darf die Voraussetzungen des Eröffnungsbeschlusses nicht selber prüfen, entscheidend ist nur das Vorliegen eines rechtskräftigen Eröffnungsbeschlusses oder die rechtskräftige Abweisung mangels Masse10. Ohne Auswir-
1 BGH v. 8.5.1951 – 1 StR 171/51, BGHSt 1, 186 (191); Heine in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 59; zum Erfordernis des sog. inneren Zusammenhangs vgl. Maurer, wistra 2003, 253; Wilhelm, NStZ 2003, 511; BayObLG v. 8.8.2002 – 5 St RR 202/2002, NStZ 2003, 214. 2 BGH v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 (2223); BGH v. 20.11.2001 – IX ZR 48/01, ZIP 2002, 87 (89); BGH v. 27.4.1995 – IX ZR 147/95, ZIP 1995, 929 (930). 3 Fischer, StGB, Vor § 283 Rz. 13. 4 Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, § 17 Rz. 26 f.; Gericke in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, Anh. VII, § 283 Rz. 85. 5 Heine in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 60 m.w.N. 6 Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, § 17 Rz. 26 m.w.N. 7 Grundlegend BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, ZInsO 2005, 807; BGH v. 13.6.2006 – IX ZB 238/05, ZIP 2006, 1457 (1458); vgl. dazu auch Bruns, EWiR 2005, 767 f.; Knolle/Tetzlaff, ZInsO 2005, 897; Stahlschmidt, ZInsO 2005, 1086 (1088); Kritische Anm. Kamm/Köchling, ZInsO 2006, 732 ff. sowie Thonfeld, NZI 2005, 550 (552); zu den Auswirkungen Neumaier, NJW 2005, 3041 (3043) und Wolf/Kurz, DStR 2006, 1339 ff. 8 Zum Maßstab für § 17 Abs. 2 InsO vgl. BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, ZInsO 2005, 807; Neumaier, NJW 2005, 3041 (3043). 9 Heine in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 60 m.w.N. 10 RG v. 6.7.1894 – Rep. 2087/94, RGSt 26, 37; Heine in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 61.
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§5
Rz. 103
Insolvenzstrafrecht
kungen auf die Strafbarkeit ist es, wenn ein eröffnetes Verfahren später wieder eingestellt wird. c) Der Bankrott, § 283 StGB 103 § 283 StGB ist die zentrale Vorschrift des Insolvenzstrafrechts und erfasst alle denkbaren Bankrotthandlungen des Täters. Wie bereits dargestellt, ist für alle Varianten des § 283 StGB erforderlich, dass der Handelnde tauglicher Täter im Sinne des § 283 StGB ist und dass die objektive Bedingung der Strafbarkeit nach Abs. 6 eingetreten ist. Während die Abs. 1 und 2 nur die vorsätzliche Tatbegehung unter Strafe stellen, enthält Abs. 4 eine Kombination aus Vorsatz und Fahrlässigkeit und Abs. 5 stellt nur fahrlässiges Handeln unter Strafe. Der Versuch ist nach § 283 Abs. 3 StGB strafbar. aa) Straftatbestände des Abs. 1 104 In Abs. 1 des § 283 StGB werden verschiedene vorsätzlich begangene Handlungsweisen während einer Krise unter Strafe gestellt; die Nr. 1–7 enthalten eine Aufzählung typischer Verhaltensweisen und werden durch eine Generalklausel in Nr. 8 ergänzt. (1) Beiseiteschaffen/Verheimlichen/Zerstören (Nr. 1) (a) Schutzgut der Vorschrift 105 Nach § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB macht sich strafbar, wer Gegenstände einer späteren Insolvenzmasse beiseite schafft oder verheimlicht oder in einer den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechenden Weise zerstört, beschädigt oder unbrauchbar macht. Von dem Verbot des Beiseiteschaffens, Verheimlichens oder Zerstörens umfasst sind alle Vermögensbestandteile, die im Falle der Insolvenz nach § 35 InsO zur Insolvenzmasse gehören würden1. Nicht erfasst sind daher alle unpfändbaren Gegenstände2, die Arbeitskraft des Schuldners3, vom Insolvenzverwalter freigegebene Gegenstände4 und solche Gegenstände, die wertlos sind. Allerdings gibt es keine Wertgrenze nach unten, so dass auch geringwertige Gegenstände unter das Verbot fallen. Zu den geschützten Gegenständen zählen auch solche, die über ihren Wert hinaus mit Sicherungsrechten belastet sind oder zur Sicherheit übereignet wurden, da dem Gläubiger in diesen Fällen nur ein Absonderungsrecht nach § 51 Nr. 1 InsO zusteht5. Der wirtschaftliche Wert für die Insolvenzmasse besteht bei solchen Gegenständen darin, dass die Masse durch Auskehr des Veräußerungserlöses an den Absonderungsberechtigten von den entsprechenden Ansprüchen des Berechtigten frei wird (zur Stellung als Absonderungsberechtigter vgl. § 7 Rz. 135 ff. und 232 ff.). Nicht erfasst sind grundsätzlich mit Aussonderungsrechten belastete Gegenstände (zu den aussonderungsfähigen Objekten s. § 7 Rz. 21). Daher sind aufgrund des Aussonderungsrechts nach § 47 InsO unter einfachem Eigentumsvorbehalt gelieferte Gegenstände nicht erfasst; unter das Verbot fällt bei diesen Gegenständen aber das Anwartschaftsrecht des Schuldners, wenn der Sachwert die Restkaufpreisforderung übersteigt und damit ein Erlös für die Masse zu erwarten ist6. Dem Schuldner zur Sicherheit übereignete Sachen scheiden ebenfalls aus, da sie wirtschaftlich dem Vermögen des Sicherungsgebers zuzurechnen sind7.
1 Heine in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 2; Gericke in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, Anh. V, § 283 Rz. 27. 2 RG v. 24.3.1939 – 1 D 23/39, RGSt 73, 127 (128). 3 OLG Düsseldorf v. 23.12.1981 – 3 Ws 243/81, NJW 1982, 1712. 4 Vgl. RG v. 19.10.1918 – V 176/18, RGZ 94, 55. 5 BGH v. 24.6.1952 – 1 StR 153/52, BGHSt 3, 32 (36). 6 BGH v. 24.6.1952 – 1 StR 153/52, BGHSt 3, 32 (33); vgl. auch BGH v. 17.11.1953 – 5 StR 450/53, BGHSt 5, 119. 7 BGH v. 17.11.1953 – 5 StR 450/53, NJW 1954, 164.
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berblick ber die einzelnen Straftaten
Rz. 108
§5
(b) Beiseiteschaffen Beiseiteschaffen ist jede Handlung, die Gegenstände dem Zugriff der Gläubiger ent- 106 zieht oder deren Zugriff wesentlich erschwert1. Neben dem tatsächlichen Wegschaffen von Gegenständen fallen darunter auch solche Handlungen, die den rechtlichen Zugriff auf die Gegenstände erschweren, insb. auch die Vornahme von Verfügungsgeschäften. Typische Handlungen sind Verstecken, Verbrauchen, Übereignen (auch zur Sicherheit), Verpfänden und Verarbeiten von Sachen, Überweisen und Abheben von Bankguthaben oder das Abtreten, Erlassen und Einziehen von Forderungen (vgl. zu typischen Beispielen bereits oben Rz. 13 f.). Der Abschluss von schuldrechtlichen Verpflichtungsverträgen stellt noch kein vollendetes Beiseiteschaffen dar, sondern lediglich einen Versuch. Vollendung tritt erst mit der dinglichen Rechtsänderung ein. Bei Grundstücken muss daher Eintragung im Grundbuch erfolgt sein2. Nimmt der Täter von der Durchführung des schuldrechtlichen Vertrages freiwillig Abstand, kann darin ein strafbefreiender Rücktritt nach § 24 StGB liegen3. Als weitere Voraussetzung muss das Beiseiteschaffen den Anforderungen einer ord- 107 nungsgemäßen Wirtschaft widersprechen4. Dieses Merkmal bezieht sich nach dem Wortlaut der Vorschrift zwar nur auf die Handlungsalternativen des Zerstörens, Beschädigens und Unbrauchbarmachens, wird aber von Rechtsprechung und Literatur auch auf die übrigen Handlungsmodalitäten angewandt5. Ansonsten fiele nach dem Eintritt der Krise auch jedes Handeln im Rahmen einer normalen weiteren geschäftlichen Tätigkeit zumindest tatbestandsmäßig unter § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Der ordnungsgemäßen Wirtschaft widerspricht eine Handlung, wenn dem Vermögen im Zusammenhang mit der Handlung kein gleichwertiger und kein dem Zugriff der Gläubiger unterliegender Gegenwert zufließt. Zu prüfen ist also immer, ob die Gegenleistung für eine Leistung des Schuldners unangemessen ist und damit den Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft widerspricht. Wird ein Vermögensgegenstand in der Weise beiseite geschafft, dass er einem der Gläubiger des Schuldners zugute kommt, ist dies ein Fall der Gläubigerbegünstigung nach § 283c StGB. § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB kommt dann nicht mehr zur Anwendung, da § 283c StGB eine Privilegierung darstellt (vgl. zu § 283c StGB unten Rz. 166 ff.)6. (c) Verheimlichen Der Täter verheimlicht Vermögensgegenstände, wenn er diese der Kenntnis der 108 Gläubiger oder nach Verfahrenseröffnung dem Insolvenzverwalter entzieht7, wofür das Ableugnen auf eine Frage oder das Verschweigen entgegen einer Rechtspflicht zur Auskunft genügt8. Gegenüber dem Insolvenzverwalter besteht eine vollständige Offenbarungspflicht nach §§ 20, 97, 153 InsO, sobald dieser den Schuldner zur Auskunft auffordert (vgl. oben Rz. 51). Für die Vollendung der Tat reicht in diesem Fall bereits das Verschweigen. Ob dieses dazu führt, dass der betroffene Gegenstand dem Zugriff der Gläubiger tatsächlich entzogen wird, ist unerheblich.
1 BGH v. 29.4.2010 – 3 StR 314/09, NStZ 2010, 637 (638); BGH v. 17.3.1987 – 1 StR 693/86, NJW 1987, 2242 (2243); RG v. 2.5.1930 – I 296/30, RGSt 64, 138 (140) (zu „entziehen“); RG v. 15.2.1932 – II 1381/31, RGSt 66, 130 (131) (zu „wesentlich erschweren“). 2 Heine in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 4. 3 Heine in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 64. 4 Vgl. hierzu ausführlich Krause, Ordnungsgemäßes Wirtschaften und Erlaubtes Risiko, 1995, S. 108 ff. 5 RG v. 8.10.1928 – III 606/28, RGSt 62, 277 (278); BGH v. 10.4.1952 – 5 StR 52/52, NJW 1952, 898; Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 63 ff. 6 BGH v. 12.7.1955 – 5 StR 128/55, BGHSt 8, 55 (56); BGH v. 6.11.1986 – 1 StR 327/86, BGHSt 34, 221 (225); BGH v. 29.9.1988 – 1 StR 332/88, BGHSt 35, 357 (359). 7 RG v. 20.11.1933 – II 545/33, RGSt 67, 365. 8 BGH v. 20.12.1957 – 1 StR 492/57, BGHSt 11, 145 (146); vgl. zum Umfang der Auskunftspflichten des Schuldners, Mohrbutter in Mohrbutter/Ringstmeier, Insolvenzverwaltung, § 6 Rz. 550 ff.
Ringstmeier
273
§5
Rz. 109
Insolvenzstrafrecht
(d) Zerstören, Beschädigen, Unbrauchbarmachen 109 Auch für die Handlungsalternativen des Zerstörens, Beschädigens und Unbrauchbarmachens gilt die Beschränkung auf Handlungen, die der ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechen1. Motivation des Schuldners kann hier nur eine Gläubigerschädigung ohne eigenen Vorteil sein, weshalb die Handlung stets einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widerspricht. Die praktische Bedeutung dieser Tatbestandsalternative ist gering. (2) Verlustgeschäfte und andere (Nr. 2) 110 § 283 Abs. 1 Nr. 2 StGB stellt zum einen Verlust-, Spekulations- oder Differenzgeschäfte mit Waren oder Wertpapieren unter Strafe, wenn diese den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechen; zum anderen unwirtschaftliche Ausgaben, Spiel oder Wette, wenn dadurch übermäßige Beträge verbraucht werden. (a) Verlust-, Spekulations- und Differenzgeschäfte 111 Verlustgeschäfte liegen vor, wenn bereits bei Vertragsschluss erkennbar ist, dass die Ausgaben für das Geschäft die Einnahmen übersteigen werden2. Beispielsweise wenn der Täter Waren unter Einkaufspreis verkauft oder Aufträge annimmt, die bereits nach der Kalkulation die Ausgaben nicht erwirtschaften werden. Stellt sich erst nach Vertragsschluss heraus, dass ein Geschäft einen Verlust herbeiführen wird, fällt dies nicht unter § 283 Abs. 1 Nr. 2 StGB. 112 Spekulationsgeschäfte sind solche Geschäfte, bei denen einer besonders großen Gewinnmöglichkeit ein sehr hohes Verlustrisiko gegenübersteht und der Gewinn zumeist vom Zufall abhängt3. 113 Differenzgeschäfte sind solche, die auf Lieferung von Waren oder Wertpapieren gerichtet sind und in der Absicht geschlossen werden, nach Ablauf der Vertragszeit eine gewinnbringende Differenz zwischen dem An- und Verkaufspreis erzielen zu können4. Ziel des Täters muss die Erlangung des Differenzpreises sein; kommt es ihm dagegen auf die durch die Verträge erfassten Waren oder Rechte an, handelt es sich nicht um Differenzgeschäfte in diesem Sinne. Unbestritten zählten zu Differenzgeschäften die Verträge nach dem 2002 aufgehobenen § 764 BGB; strittig und durch die Rechtsprechung noch nicht geklärt ist dies für zulässige Börsentermingeschäfte5. 114 Bei diesen Handlungsalternativen ist weitere Voraussetzung, dass die Handlungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft widersprechen. Tatbestandsmäßig sind also nicht solche Geschäfte, die ein ordentlicher Kaufmann in Ausnahmesituationen auch tätigen würde: Beispielsweise die Annahme von Verlustaufträgen, um ein Konjunkturtief zu überstehen oder die Veräußerung verderblicher Ware unter Preis, wenn diese ansonsten zu verderben droht6. Vollendung der Tat tritt mit dem Abschluss des Geschäfts ein; auf dessen Durchführung und die Realisierung des Risikos oder Verlustes kommt es grundsätzlich nicht mehr an. Führt ein riskantes Geschäft aber zu einem Gewinn, soll, da der Schutzzweck der Norm nicht verletzt ist, eine Strafbarkeit entfallen7.
1 Kindhäuser in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, Band 2, § 283 Rz. 28. 2 Sonderausschuss BT-Drucks. 7/5291, S. 18; amtl. Begründung BT-Drucks. 7/3441, S. 35; Kindhäuser in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, Band 2, § 283 Rz. 29 m.w.N. 3 RG v. 2.7.1887 – Rep. 1390/87, RGSt 16, 238; RG v. 13.1.1887 – 3305/86, RGSt 15, 281. 4 RG v. 5.4.1886 – 652/86, RGSt 14, 80 (85). 5 Für die Einbeziehung unter Nr. 2 Fischer, StGB, § 283 Rz. 9; Lackner/Kühl, StGB, § 283 Rz. 12; Kindhäuser, Lehr- und Praxiskommentar, StGB, § 283 Rz. 16; Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz, Rz. 269; dagegen Tiedemann, Insolvenz-Strafrecht, § 283 Rz. 59; Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 73. 6 Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 70. 7 BGH v. 18.3.1939 – 5 StR 59/69, BGHSt 22, 360 (361); Fischer, StGB, § 283 Rz. 10; Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz, Rz. 295.
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berblick ber die einzelnen Straftaten
Rz. 120
§5
(b) Unwirtschaftliche Ausgaben, Spiel und Wette Unwirtschaftlich sind Ausgaben, die das für den betroffenen Zeitraum notwendige 115 und übliche Maß übersteigen und in einem unangemessenen Verhältnis zum Vermögen des Schuldners stehen1. Erforderlich ist eine Gesamtbetrachtung der Wirtschafts- und Liquiditätslage des Schuldners; bei Einzelkaufleuten und Personengesellschaften ist in die Betrachtung auch das persönliche Vermögen der Mithaftenden einzubeziehen. Beispiele sind aussichtslose Investitionen, Luxusanschaffungen2, überhöhte Spesenkosten3, gegebenenfalls übermäßige Werbung4 oder Expansion. Nicht unter die Vorschrift fallen übliche Löhne, Gehälter und Betriebskosten oder die Entnahme eines angemessenen Unterhalts5 und angemessener Lebensversicherungsprämien6. Unter Spiel und Wette fallen die Verträge des § 762 BGB, also insbesondere Lotto, Kettenbriefaktionen und Sport- oder sonstige Wetten.
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Ob durch diese Handlungen übermäßige Beträge verbraucht wurden, ist wieder 117 durch eine Gesamtwürdigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners im Zeitpunkt der Vornahme des Geschäftes zu ermitteln; es gilt das zu der Handlungsalternative der unwirtschaftlichen Ausgaben Gesagte entsprechend. Vollendet ist die Tat bereits mit Abschluss des schuldrechtlichen Vertrages. Allerdings muss der Täter durchsetzbare Forderungen gegen sich begründet haben, Naturalobligationen aus Spiel und Wette reichen nicht aus7.
118
(3) Waren- oder Wertpapiergeschäfte (Nr. 3) In § 283 Abs. 1 Nr. 3 StGB unter Strafe gestellt ist das Verschleudern von Waren oder 119 Wertpapieren oder aus diesen hergestellter Sachen, die der Schuldner sich auf Kredit beschafft hat. Tathandlung ist das Abgeben dieser Gegenstände, zumeist durch Verkauf, Tausch oder Verpfändung, erheblich unter ihrem zu dem Zeitpunkt geltenden aktuellen Marktwert; auf den Einkaufspreis kommt es – anders als bei den Verlustgeschäften nach Nr. 2 – nicht an8. Da dies wiederum gegen eine ordnungsgemäße Wirtschaft verstoßen muss, sind solche Verkäufe nicht erfasst, die auch der ordentliche Kaufmann durchführen würde, beispielsweise Räumungsverkäufe von Saisonartikeln, Lockvogelangebote, sog. Mischkalkulationen und Preiskämpfe mit Konkurrenten. Waren sind alle beweglichen Sachen, die Gegenstände des Handelsverkehrs sein 119a können; Wertpapiere im Sinne der Vorschrift sind nur Inhaber- und Orderpapiere, also solche Papiere, die Rechte verkörpern (Inhaberschecks, Wechsel, Inhaberaktien und -schuldverschreibungen), d.h. bei denen das Recht aus dem Papier dem Recht an dem Papier folgt; dazu zählen nicht die Rektapapiere wie z.B. Hypotheken- und Grundschuldbriefe9. Beschaffen setzt voraus, dass der Schuldner die Gegenstände so an sich bringt, dass er 120 darüber verfügen kann. Ob das zugrunde liegende Geschäft unwirksam oder anfechtbar (häufig wegen arglistiger Täuschung über die Zahlungsfähigkeit) ist oder die Sachen unter Eigentumsvorbehalt geliefert wurden, ist unerheblich. Eine Beschaffung auf Kredit ist immer dann gegeben, wenn die Waren nicht sofort bei Übergabe bezahlt werden. Werden die Waren zwar sofort bezahlt, aber mit Mitteln, die ihrerseits aus einem Kredit stammen, ist der Anwendungsbereich der Vorschrift nicht eröffnet, es 1 BGH v. 17.6.1952 – 1 StR 668/51, BGHSt 3, 23 (26); RG v. 15.6.1936 – 2 D 181/36, RGSt 70, 260 (261). 2 Vgl. Heine in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 17. 3 Z.B. BGH v. 10.2.1981 – 1 StR 515/80, MDR 1981, 510 (511); Fischer, StGB, § 283 Rz. 11 m.w.N. 4 Vgl. RG v. 8.6.1939 – 5 D 204/39, RGSt 73, 230. 5 BGH v. 10.2.1981 – 1 StR 515/80, NStZ 1981, 259 mit Anm. Schlüchter, JR 1982, 29. 6 RG, JW 1934, 2472. 7 So BGH v. 18.3.1939 – 5 StR 59/69, BGHSt 22, 360; anders noch RG v. 22.5.1891 – 1362/91, RGSt 22, 12; Heine in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 18. 8 RG v. 27.2.1913 – III 1044/12, RGSt 47, 61. 9 Vgl. Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 77.
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§5
Rz. 121
Insolvenzstrafrecht
kommt aber eine Strafbarkeit nach § 283 Abs. 1 Nr. 8 StGB in Betracht. Nicht aus dem Wortlaut, aber aus dem Schutzzweck der Vorschrift ergibt sich, dass eine Strafbarkeit entfällt, wenn die zunächst auf Kredit gelieferten Waren vor der Verschleuderung vollständig bezahlt worden sind, da eine Schädigung des Lieferanten nicht mehr eintritt1. (4) Vortäuschen oder Anerkennen von Rechten (Nr. 4) 121 § 283 Abs. 1 Nr. 4 StGB stellt das Vortäuschen von Rechten Dritter oder Anerkennen nicht existenter Rechte unter Strafe, wobei es sich um Rechte jeder Art handeln kann2. Vorgetäuscht wird ein Recht, wenn der Täter nach außen ein nicht oder nicht so bestehendes Recht als bestehend ausgibt; auf den Erfolg der Täuschung oder eine spätere Erfüllung des Rechts kommt es nicht an. Nach außen handelt der Täter beispielsweise bei einer eidesstattlichen Versicherung nach § 98 Abs. 1 InsO, bei Angaben gegenüber dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter oder bei Angaben gegenüber den Gläubigern. Die Täuschung kann auch konkludent erfolgen, beispielsweise durch Fälschung von Unterlagen, die Dritten vorgelegt werden sollen3. Neben der Vortäuschung eines insgesamt nicht bestehenden Rechts werden auch die Täuschung über den Umfang des Rechts oder eine nicht vorhandene insolvenzrechtliche Bevorrechtigung erfasst; nicht dazu zählt allerdings die Angabe eines anderen Schuldgrundes für ein tatsächlich in der angegebenen Höhe bestehendes Recht4. 122 Bei der Anerkennung nicht existenter Rechte muss der Täter mit einem Dritten zusammenwirken und dieser muss fiktive Rechte geltend machen, die der Täter irgendwie, auch formlos5, als bestehend bestätigt. Die Rechte müssen frei erfunden sein und dürfen nie bestanden haben. Die Handlungsalternative ist also nicht erfüllt, wenn der Täter aus Kulanz eine verjährte Forderung oder Naturalobligationen anerkennt. Erkennt das Organ einer juristischen Person nicht existente Forderungen an, die es selbst gegen die Gesellschaft erhebt, so war es aufgrund der bisher vom BGH vertretenen Interessentheorie nicht Täter im Sinne von § 283 Abs. 1 Nr. 4 StGB, da es nicht auch im Interesse der Gesellschaft handelte. Eine Strafbarkeit sollte sich dann aus §§ 263 oder 266 StGB ergeben. Nach neuerer Rechtsprechung des BGH ist jedoch daran anzuknüpfen, ob der Vertreter im Sinne des § 14 StGB im Geschäftskreis des Vertretenen tätig geworden ist (vgl. dazu bereits oben Rz. 29, 93). (5) Buchführungspflichten (Nr. 5) 123 Strafbar nach § 283 Abs. 1 Nr. 5 StGB macht sich derjenige, der Handelsbücher, zu deren Führung er gesetzlich verpflichtet ist, nicht führt oder so führt bzw. verändert, dass die Übersicht über seinen Vermögensstand erschwert wird. (a) Adressatenkreis/Täter 124 Wer gesetzlich verpflichtet ist, Handelsbücher zu führen, ergibt sich im Wesentlichen aus den §§ 238 ff. i.V.m. §§ 1 ff. HGB. Ergänzt werden die Vorschriften des Handelsrechts abhängig von der Rechtsform des Unternehmens durch die §§ 150 ff. AktG, §§ 41 ff. GmbHG, § 33 GenG und dem PublG. Verpflichtet sind danach grundsätzlich alle Gewerbetreibenden, d.h. Personenhandelsgesellschaften, juristische Personen und kaufmännische Einzelunternehmen, jedoch mit Ausnahme der Einzelunternehmen, die keinen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb benötigen (§ 1 Abs. 2 HGB) und nicht freiwillig im Handelsregister eingetragen sind (§ 2 HGB). Für den Konzernabschluss kapitalmarktorientierter Mutterunternehmen in Deutschland ist seit 2005 die Rechnungslegung nach IAS/IFRS maßgebend, woraus zugleich der Umfang der Buchführungspflichten folgt6.
1 2 3 4 5 6
Vgl. RG v. 23.5.1938 – 3 D 271/38, RGSt 72, 187 (190). Heine in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 24. Herlan, GA 1953, 74. BGH, LM Nr. 14 zu § 239 KO. RG v. 12.10.1928 – I 867/28, RGSt 62, 287 (288); Heine in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 26. Zu den strafrechtlichen Auswirkungen vgl. Wolf, StuB 2003, 775 ff.
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berblick ber die einzelnen Straftaten
Rz. 127
§5
Bei juristischen Personen ist strafrechtlich für die Einhaltung der Buchführungs- 125 vorschriften das entsprechende Organ verantwortlich – bei der GmbH also der Geschäftsführer1. Bei den Personenhandelsgesellschaften sind dies grundsätzlich alle persönlich haftenden Gesellschafter, soweit sie nicht von der Geschäftsführung ausgeschlossen sind. Gemeint ist damit nicht, dass diese Personen verpflichtet sind, die Buchhaltung persönlich zu erstellen. Die Delegierung dieser Pflicht auf einzelne Gesellschafter oder Außenstehende (z.B. Steuerberater) durch interne Regelungen ist möglich und kann von der strafrechtlichen Verantwortung befreien. Derjenige, dem die Aufgaben übertragen werden, muss aber von dem eigentlich in der Pflicht Stehenden sorgfältig ausgesucht und regelmäßig überwacht werden2. Die Pflicht zur sorgfältigen und regelmäßigen Überwachung besteht auch gegenüber Mitgesellschaftern und seit langem zuverlässig arbeitenden Beauftragten. Insbesondere bei Anzeichen für eine Krisensituation sind strenge Kontrollen erforderlich3. Die persönliche Unfähigkeit des Pflichtigen, die Bücher zu führen, ist strafrechtlich unerheblich und kein Entschuldigungsgrund4. Umstritten ist, ob eine Strafbarkeit aus § 283 Abs. 1 Nr. 5 StGB entfällt, wenn die Buchführung nicht mehr erledigt wurde, weil der Pflichtige keine finanziellen Mittel mehr hatte, die damit beauftragten Hilfspersonen zu bezahlen5. Neben dem eingetragenen Geschäftsführer ist regelmäßig auch der faktische Geschäftsführer verpflichtet6 (vgl. oben Rz. 96). Dieser muss die Stellung tatsächlich ausgeübt und aufgenommen haben und die betrieblichen Dispositionen müssen weitgehend sowohl nach außen als auch betriebsintern in bestimmender Weise von ihm ausgehen7. Die Frage, ob der Täter bei der Missachtung seiner Buchführungspflichten im eige- 126 nen Interesse oder dem des Unternehmens gehandelt hat, stellt sich hier nicht. Insofern war die Interessentheorie nach h.M.8 bereits vor der geänderten Rechtsprechung des BGH9 im Zusammenhang mit den Buchführungsdelikten nicht von Bedeutung (vgl. oben Rz. 93). (b) Handelsbücher Welche Bücher ein Gewerbetreibender führen muss, ergibt sich nicht ausdrücklich 127 aus dem HGB, sondern aus den gewohnheitsrechtlich anerkannten Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung. Zumindest muss ein sachverständiger Dritter anhand der geführten Unterlagen in der Lage sein, sich in relativ kurzer Zeit einen vollständigen Überblick über die Vermögens- und Ertragslage des Unternehmens zu verschaffen10. Grundsätzlich erforderlich sind dazu zumindest die Aufzeichnung aller Geschäftsvorfälle in chronologisch und sachlich geordneter Form (Grund- und Hauptbuch), die Führung eines Kassenbuches und die Ablage einer Kopie jedes abgesandten Handelsbriefes nach § 238 Abs. 2 HGB. Zu den Aufzeichnungen gehört 1 Zur Strafbarkeit des GmbH-Geschäftsführers vgl. Biletzki, NStZ 1999, 537 ff. 2 Zum Überwachungsmaßstab vgl. BGH v. 1.7.1997 – 1 StR 244/97, StV 1998, 126 (127); Bittmann in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, 2004, § 12 Rz. 159, 246. 3 Vgl. Fischer, StGB, § 283 Rz. 20. 4 RG v. 17.9.1881 – 1737/81, RGSt 4, 418. 5 Dazu BGH v. 20.12.1978 – 3 StR 408/76, BGHSt 28, 231; BGH v. 3.12.1991 – 1 StR 496/91, wistra 1992, 145; BGH v. 19.1.1993 – 1 StR 518/92, NStZ 1994, 424; BGH v. 5.11.1997 – 2 StR 462/97, wistra 1998, 105; BGH v. 14.12.1999 – 5 StR 520/99, wistra 2000, 136; BGH v. 30.1.2003 – 3 StR 437/02, JZ 2003, 804 (805); ausdrücklich für die Buchführungspflichten BGH v. 30.1.2003 – 3 StR 437/02, JZ 2003, 804; OLG Düsseldorf v. 23.7.1998 – 5 Ss 101/98-37/98, wistra 1998, 360 (361); vgl. auch Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 86, kritisch insoweit Bieneck in MüllerGugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, § 82 Rz. 27 ff.; Beckemper, JZ 2003, 806 ff. m.w.N. 6 Kindhäuser in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB, Band 2, § 283 Rz. 57. 7 BGH v. 10.5.2000 – 3 StR 101/00, NJW 2000, 2285 (2286). 8 Vgl. Reck, Insolvenzstraftaten, 1999 Rz. 438 ff.; Bittmann in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, 2004, § 12 Rz. 47. 9 BGH v. 10.2.2009 – 3 StR 372/08, NJW 2009, 2225; BGH v. 1.9.2009 – 1 StR 301/09, NStZ-RR 2009, 373; vgl. auch Radtke, GmbHR 2009, 875. 10 Tiedemann, Insolvenz-Strafrecht, § 283 Rz. 94; Reck, Insolvenzstraftaten, 1999, Rz. 461; Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 88.
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§5
Rz. 128
Insolvenzstrafrecht
auch die Ablage und Aufbewahrung der entsprechenden Belege. Ferner zählen dazu die Erstellung von Bilanzen und Inventarverzeichnissen, die aber in der Regel von § 283 Abs. 1 Nr. 7 StGB als der spezielleren Norm erfasst werden. Die Pflicht zur Erstellung weiterer Aufzeichnungen ist abhängig von den konkreten Anforderungen des Unternehmens, insbesondere seiner Struktur und Größe. Für kleine Unternehmen oder Unternehmen mit nur wenigen Geschäftsvorfällen kann im Einzelfall auch die bloß geordnete Ablage der Belege ausreichen. (c) Tathandlungen 128 In der ersten Alternative des § 283 Abs. 1 Nr. 5 StGB wird das Unterlassen der Buchführung unter Strafe gestellt. Dies ist erfüllt, wenn der Pflichtige überhaupt keine Bücher führt. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass eine Strafbarkeit wegen Unterlassen der Buchführung auch dann gegeben ist, wenn die Buchführung zu spät erstellt wird, da zu den Buchführungspflichten die zeitnahe Verbuchung der Geschäftsvorfälle gehört1. Zeitnah in diesem Zusammenhang bedeutet wohl zwei Wochen, zum Teil werden auch maximal sechs Wochen vertreten2. 129 Eine unzureichende Buchführung nach der zweiten Alternative der Vorschrift liegt vor, wenn diese unvollständig, unrichtig, nicht zeitnah oder ungeordnet ist und dadurch ein falsches Bild über die wirtschaftliche Gesamtsituation des Unternehmens vermittelt. Strafbar ist sowohl die unzureichende Erstellung der Buchführung, als auch die nachträgliche Manipulation an den bereits erstellten Unterlagen. Typische Fälle sind die Angabe von falschen Werten, die unvollständige Aufbewahrung von Belegen, die Buchung von fiktiven und die Nichtbuchung von tatsächlichen Vorgängen, Buchung der Vorgänge bereits im Zusammenhang mit dem Verpflichtungsgeschäft, nicht erst bei Erfüllung und die Verschleierung von Vorgängen und Geschäftspartnern3. Für eine Strafbarkeit nicht ausreichend sind einzelne Fehlbuchungen oder einzelne fehlende Belege4. (6) Aufbewahrungspflichten (Nr. 6) 130 § 283 Abs. 1 Nr. 6 StGB stellt die Verletzung der Aufbewahrungspflichten von Unterlagen der Buchhaltung unter Strafe. Erforderlich ist wiederum, dass durch die Verletzung dieser Pflichten die Übersicht über die wirtschaftliche Situation des Unternehmens erschwert wird. (a) Adressatenkreis/Täter 131 Weitergehend als die Regelung nach § 283 Abs. 1 Nr. 5 StGB richtet sich § 283 Abs. 1 Nr. 6 StGB vom Wortlaut her nicht nur an die zur Führung von Handelsbüchern Verpflichteten, sondern auch an diejenigen, die entsprechende Bücher freiwillig führen. Dies waren nach Rechtslage vor In-Kraft-Treten des Handelsrechtsreformgesetzes vom 22.6.1998 insbesondere die Minderkaufleute (§ 4 HGB a.F.). Die wohl h.M. wendet den Tatbestand auch auf die Angehörigen der freien Berufe und Privatleute an, die beispielsweise aus steuerlichen Gründen oder aufgrund standesrechtlicher Regeln solche Bücher führen5. Einschränkungen folgen freilich zwangsläufig aus der tatbestandlichen Bezugnahme auf kaufmännische Pflichten, so dass Privatleute nur bei Vorliegen besonderer Umstände als Täter in Frage kommen6.
1 RG v. 26.10.1906 – II 436/06, RGSt 39, 217 (219); RG v. 21.9.1915 – II 374/15, RGSt 49, 276 (277); vgl. auch Schäfer, wistra 1986, 201 ff. 2 Zwei Wochen: Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 90; ein Monat: Reck, Insolvenzstraftaten, 1999, Rz. 464; sechs Wochen: Schäfer, wistra 1986, 200 (201) m.w.N. 3 Vgl. auch Reck, Insolvenzstraftaten, 1999 Rz. 464, Heine in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 34 f. beide m.w.N. 4 Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte Rz. 91. 5 Wegner in Achenbach/Ransik, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, VII 1, 146; Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 93; aA: Tiedemann, Insolvenz-Strafrecht, § 283 Rz. 123; Reck, Insolvenzstraftaten, 1999 Rz. 467, 468. 6 Heine in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 39.
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Ringstmeier
berblick ber die einzelnen Straftaten
Rz. 137
§5
Der Wegfall der Kaufmannseigenschaft und die Betriebsaufgabe führen nicht zum Wegfall der Aufbewahrungspflichten. Im Falle des Todes des Verpflichteten gehen die Aufbewahrungspflichten auf die Erben oder den Testamentsvollstrecker über; im Falle der Insolvenz auf den Insolvenzverwalter.
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(b) Tathandlungen Tathandlungen sind das Beiseiteschaffen, das Verheimlichen, das Zerstören und Be- 133 schädigen der Unterlagen, zu dessen Aufbewahrung der Täter verpflichtet ist. Dies sind die oben zu § 283 Abs. 1 Nr. 5 StGB aufgeführten Bücher und Unterlagen (vgl. Rz. 127). Zur Beschädigung der Unterlagen zählt auch die Unbrauchbarmachung der Systematik oder Veränderung der Ordnung der Unterlagen, ohne die Unterlagen selbst zu beschädigen. Für ein Verheimlichen ist es ausreichend, dass dem Insolvenzverwalter die vollständigen Geschäftsunterlagen nicht ausgehändigt werden bzw. deren Aufenthaltsort nicht mitgeteilt wird1. Entscheidend ist wieder, ob durch die Tathandlung ein sachverständiger Dritter außer Stand gesetzt wird, sich in angemessener Zeit einen Überblick über den Vermögensstand des Unternehmens zu verschaffen. Strafbar ist das Beiseiteschaffen nur, wenn es vor Ablauf der in § 257 HGB geregelten 134 Aufbewahrungsfristen geschieht. Nach § 257 HGB sind Handelsbücher, Inventare, Bilanzen sowie die zu ihrem Verständnis erforderlichen Unterlagen und Buchungsbelege zehn Jahre aufzubewahren; die übrigen Unterlagen sind sechs Jahre aufzubewahren2. Nach § 257 Abs. 5 HGB beginnt die Frist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Unterlagen vollständig erstellt wurden bzw. beim Pflichtigen eingegangen sind. Zu beachten ist noch, dass die Verwirklichung der Tathandlungen des § 283 Abs. 1 Nr. 6 StGB häufig auch zu einer Strafbarkeit wegen Urkundenunterdrückung (§ 274 StGB) oder veruntreuender Unterschlagung (§ 246 Abs. 1, 2 StGB) führt3. (7) Bilanzen (Nr. 7) § 283 Abs. 1 Nr. 7 StGB stellt im Zusammenhang mit Bilanzen zwei verschiedene 135 Handlungsalternativen unter Strafe: die fehlerhafte Aufstellung von Bilanzen und deren verspätete Aufstellung4. Adressat der Vorschrift sind Istkaufleute, da nur solche zur Aufstellung von Bilanzen verpflichtet sind, vgl. §§ 242 Abs. 1, 264, 264a HGB. Das Delegieren der Bilanzierung an interne oder externe Helfer entlastet nicht von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit; vielmehr hat der Schuldner die Pflicht zur sorgfältigen Auswahl, ausreichenden Überwachung und Information der Hilfspersonen5. (a) Fehlerhafte Bilanzaufstellung In den §§ 242 ff. HGB ist geregelt, wie Bilanzen zu erstellen sind. § 242 Abs. 1 HGB for- 136 dert, dass der Kaufmann zu Beginn seiner Geschäftstätigkeit eine Eröffnungsbilanz erstellt. Diese Verpflichtung gilt auch, wenn in dem relevanten Zeitpunkt noch keine Aktiva oder Passiva vorhanden sind. Zu erstellen ist eine Eröffnungsbilanz weiterhin, wenn durch Eintritt eines Gesellschafters in das Geschäft eines Einzelkaufmanns eine Gesellschaft entsteht oder wenn eine Gesellschaft durch Austritt zu einem Einzelunternehmen wird6. Die (Eröffnungs-)Bilanz soll sowohl dem Kaufmann selbst als auch Dritten wie z.B. Kreditgebern oder Lieferanten einen Überblick über die Vermögenslage des Unternehmens, insbesondere über die zur Verfügung stehende Haftungsmasse ermöglichen (Publizität). Am Ende eines jeden Geschäftsjahres ist ein Jahresabschluss zu erstellen, § 242 Abs. 1, 3 HGB. Aktiva und Passiva sind nach den Vorschriften der §§ 266 ff. HGB zu 1 LG Potsdam v. 17.9.2004 – 25 Qs 11/04, wistra 2005, 193. 2 Merkt in Baumbach/Hopt, HGB, § 257 Rz. 3. 3 Vgl. BGH v. 29.1.1980 – 1 StR 683/79, NJW 1980, 1174; LG Potsdam v. 17.9.2004 – 25 Qs 11/04, wistra 2005, 193. 4 Ausführlich dazu Reck, ZInsO 2001, 633 ff. 5 BGH v. 19.12.1997 – 2 StR 420/97, NStZ 1998, 248 (249); Reck, ZInsO 2001, 633 (634). 6 RG v. 23.11.1894 – 3296/94, RGSt 26, 222.
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gliedern und summarisch gegenüberzustellen. Aus dieser Gegenüberstellung ergibt sich durch einen Vergleich mit dem vorhergehenden Abschluss der Bilanzgewinn oder Bilanzverlust. Nach § 242 Abs. 2 i.V.m. §§ 275 ff. HGB ist daneben eine Gewinnund Verlustrechnung zu erstellen, in der die Aufwendungen und Erträge des Unternehmens aufzuführen sind. Bei mittelgroßen und großen (vgl. § 267 HGB) Kapitalgesellschaften (GmbH, AG und KGaA) ist die Bilanz durch einen erläuternden Anhang sowie einen Lagebericht zu ergänzen, §§ 284 ff. HGB. 138 Tathandlungen i.S.d. § 283 Abs. 1 Nr. 7 StGB sind alle Handlungen, die dazu führen, dass die Übersicht über den Vermögensstand des Unternehmens erschwert wird. In der Praxis besonders relevant sind beispielsweise: die Einstellung von fiktiven Forderungen; die Einstellung von Forderungen mit ihrem Nennwert, deren Durchsetzung nicht zu erwarten ist; das Weglassen von Passiva; die ungenaue Bezeichnung und Vermischung von Bilanzposten; die Einbuchung erfolgswirksamer Umgehungshandlungen wie Konzernverschiebungen und die Ausweisung überhöhter Forderungen gegen verbundene Unternehmen. Sehr häufig wird auch das Anlage- oder Umlaufvermögen mit überhöhten Beträgen eingestellt. Der Nachweis der vorgenannten Handlungen ist aber in der Praxis zumeist schwierig zu führen und gelingt selten. Wie bei jeder Wertungsfrage bestehen Spielräume bei der Bewertung von Anlagegegenständen und der Prognose über die Werthaltigkeit von Forderungen. Zudem erfolgt die strafrechtliche Überprüfung meist erst erheblich später als die Bilanzaufstellung. Ein Nachweis wird den Strafverfolgungsbehörden daher nur in Fällen besonders grober Fehler der Bilanz gelingen1. 139 Nicht von § 283 Abs. 1 Nr. 7a) StGB erfasst ist die Erstellung einer zweiten, fehlerhaften Bilanz, wenn daneben eine zutreffende Bilanz geführt wird2. Strafbar wird dies erst, wenn die frisierte Bilanz zur Täuschung Dritter benutzt wird (Betrug oder Kreditbetrug)3. (b) Verspätete Bilanzaufstellung 140 Strafbar ist auch die nicht rechtzeitige Erstellung der Bilanz oder eines Inventars4. Der notwendige Inhalt des Inventars ergibt sich aus § 240 HGB. Welche Fristen für die Erstellung einzuhalten sind, ergibt sich nicht aus dem StGB, sondern richtet sich ebenfalls nach den handelsrechtlichen Vorschriften. Für Kapitalgesellschaften sind die Fristen in § 264 HGB geregelt und hängen davon ab, ob es sich um kleine, mittelgroße oder große Gesellschaften im Sinne des Gesetzes handelt5. Grundsätzlich gilt die Dreimonatsfrist, lediglich kleine Kapitalgesellschaften haben sechs Monate Zeit, wenn dies dem ordnungsgemäßen Geschäftsgang entspricht. Aufgrund dieser Einschränkung wird sich auch für kleine Kapitalgesellschaften in einer Krise die Frist regelmäßig verkürzen6. Für Einzelunternehmen und Personengesellschaften ist lediglich geregelt, dass die Bilanzen innerhalb der einem ordnungsgemäßen Geschäftsbetrieb entsprechenden Zeit aufzustellen sind. Weit verbreiteter Auffassung nach ist auch hier von maximal sechs Monaten auszugehen7. 141 Eine Strafbarkeit wegen verspäteter Erstellung entfällt, wenn die Erstellung der Bilanz und des Inventars rechtlich oder tatsächlich unmöglich war. Nach der Rechtsprechung des BGH entfällt die Strafbarkeit auch dann, wenn zu der Erstellung der Bilanz ein Steuerberater erforderlich war und dem Täter gänzlich die Mittel für des-
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Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 99. BGH v. 15.7.1981 – 3 StR 230/81, BGHSt 30, 186; hierzu Schäfer, wistra 1986, 200. Vgl. Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 100. Vgl. Reck, ZInsO 2001, 633 (637). Vgl. dazu beispielsweise die Übersicht bei Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 103. So Reck, Insolvenzstraftaten, 1999 Rz. 490. Reck, Insolvenzstraftaten, 1999 Rz. 491; Bieneck in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, § 82 Rz. 50; Richter, GmbHR 1984, 137 (148); vgl. auch BGH v. 5.11.1997 – 2 StR 462/97, wistra 1998, 105.
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Rz. 145
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sen Beauftragung fehlten1. Ähnlich wie bei § 266a StGB reicht dafür die Zahlungsunfähigkeit nicht aus, eine entschuldigende Unmöglichkeit liegt nur vor, wenn der Täter tatsächlich keinerlei Liquidität mehr zur Verfügung hatte. Die Strafbarkeit entfällt nicht durch Fristverlängerungen, die von den Finanzbehör- 142 den gewährt werden. Diese gelten nur für die steuerrechtlichen Verpflichtungen und haben keine Auswirkungen auf die handelsrechtlichen Fristen; die handelsrechtlichen Fristen sind nicht verlängerbar. War dem Pflichtigen dieser Umstand nicht bekannt und hat er auf die Fristverlängerung durch die Finanzbehörden vertraut, handelt es sich lediglich um einen vermeidbaren Verbotsirrtum, der im Rahmen der Strafzumessung relevant werden kann. Ebenfalls nur bei der Strafzumessung relevant wird die Nachholung der versäumten Verpflichtungen, die Strafbarkeit bleibt davon unberührt. (8) Sonstiges (Nr. 8) § 283 Abs. 1 Nr. 8 StGB stellt unter Strafe, wenn der Täter in einer anderen als in § 283 143 Abs. 1 Nr. 1–7 StGB aufgeführten Weise seinen Vermögensstand verringert oder seine wirklichen geschäftlichen Verhältnisse verheimlicht oder verschleiert und seine Handlung einer ordnungsgemäßen Wirtschaft dabei grob widerspricht. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Auffangklausel all diejenigen besonders schädlichen oder gefährlichen Handlungsweisen des Täters erfassen, die nicht zu den zuvor aufgeführten Fallgruppen zählen. Aufgrund der offenen Formulierung ist die Vorschrift einiger Kritik in der Literatur, insbesondere als zu unbestimmt, ausgesetzt2. Grob gegen die Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft verstößt der 144 Täter nur dann, wenn er die elementaren Regeln des Wirtschaftslebens erheblich verletzt und die von ihm vorgenommene Handlung eindeutig unvertretbar ist3. In der Praxis der Strafverfolgung spielt diese Alternative nur eine geringe Rolle4, wohl da der Nachweis einer solchen Fehlhandlung – insbesondere muss auch der Vorsatz nachgewiesen werden – in der Praxis nur schwer zu führen ist. Beispiele für unter § 283 Abs. 1 Nr. 8 Alt. 1 StGB fallende Tathandlungen könnten sein: Verschleuderung von Waren, die nicht auf Kredit gekauft wurden und damit nicht unter § 283 Abs. 1 Nr. 3 StGB fallen5; das Führen der Geschäfte ohne jegliche Übersicht und Planung6; die Eingehung extrem unvernünftig hoher Risiken und die Lieferung zumindest wertvoller Ware an einen gänzlich unbekannten insolventen Abnehmer ohne Prüfung von dessen Solvenz und ohne jegliche Sicherheit7. Als nicht grob wirtschaftswidrig hat es das OLG Düsseldorf angesehen, dass ein Kaufmann seine Tätigkeit auf ein anderes Unternehmen verlagert hat8. Vom Tatbestandsmerkmal der geschäftlichen Verhältnisse des § 283 Abs. 1 Nr. 8 145 Alt. 2 StGB sollen vor allem Umstände umfasst sein, die für die Beurteilung der Bonität des in der Krise befindlichen Schuldners erheblich sind9. Bei der Tathandlung des Verheimlichens muss der Täter die Gläubiger oder den Insolvenzverwalter über Zugriffsmöglichkeiten auf das Schuldnervermögen in Unkenntnis setzen oder halten; bei der Tathandlung des Verschleierns geht es um die unrichtige Darstellung insbe-
1 BGH v. 30.1.2003 – 3 StR 437/02, JZ 2003, 804 (805); BGH v. 22.8.2001 – 1 StR 328/01, ZInsO 2002, 69; BGH v. 5.11.1997 – 2 StR 462/97, wistra 1998, 105; KG v. 13.3.2002 – (5) 1 Ss 243/01 (6/02), wistra 2002, 313; kritisch insoweit Bieneck in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, § 82 Rz. 27 ff.; Beckemper, JZ 2003, 806 ff. m.w.N. 2 Tiedemann, KTS 1984, 539; Heinz, GA 1977, 217 (226); Richter, GmbHR 1984, 148. 3 Vgl. Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 107 m.w.N. 4 Richter, GmbHR 1984, 137 (148); Tiedemann, KTS 1984, 539 (552); Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte Rz. 107; Gericke in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, Anh. V, § 283 Rz. 68. Auch existiert kaum obergerichtliche Rechtsprechung hierzu. 5 Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 108; Fischer, StGB, § 283 Rz. 30. 6 BGH v. 25.11.1980 – 5 StR 356/80, NJW 1981, 354 (355). 7 Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 108; Tiedemann, Insolvenz-Strafrecht, § 283 Rz. 168. 8 OLG Düsseldorf v. 23.12.1981 – 3 Ws 243/81, NJW 1982, 1712 (1713). 9 Achenbach, NStZ 2010, 621 (625 f.).
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Rz. 146
Insolvenzstrafrecht
sondere der Vermögensverhältnisse1. Darunter fallen: heimliches Unterhalten eines Tochterunternehmens im Ausland2; Anwerbung neuen Kapitals mit irreführenden Prospekten3; zweckwidrige Verwendung eingehender Kundengelder für andere als das bestimmte Projekt4; Umwandlung des notleidenden Unternehmens in eine Auffanggesellschaft5. Auch fallen die Fälle der sog. Firmenbestattung (Veräußerung der Geschäftsanteile an einer GmbH, Umfirmierung, Sitzverlegung, Abberufung des Geschäftsführers von seinem Amt) nach Auffassung des BGH unter § 283 Abs. 1 Nr. 8 Alt. 2 StGB, ggf. vorrangig unter § 283 Abs. 1 Nr. 4 StGB. Nach der Einführung des sogenannten „Schutzschirmverfahrens“ in § 270b InsO müssen auch jene Fälle vom Auffangtatbestand des § 283 Abs. 1 Nr. 8 Alt. 2 StGB erfasst sein, in denen sich der Schuldner eine Bescheinigung im Sinne des § 270b Abs. 1 S. 3 InsO ausstellen lässt, um sich trotz Zahlungsunfähigkeit und aussichtsloser Sanierung durch die Anordnungen des Insolvenzgerichts unter Aufrechterhaltung seiner Verfügungsbefugnis dem Zugriff der Gläubiger zumindest zeitweise zu entziehen (s. bereits oben Rz. 23c). bb) Straftatbestand des § 283 Abs. 2 StGB 146 Abs. 2 des § 283 StGB erweitert den Anwendungsbereich der Vorschrift in die Zeit vor Eintritt einer Krise. Strafbar ist der Täter danach, wenn er eine der in § 283 Abs. 1 Nr. 1–8 StGB aufgeführten Handlungen vornimmt und dadurch vorsätzlich eine Krise herbeiführt. Der Begriff der Krise im Sinne des § 283 Abs. 2 StGB ist jedoch enger gefasst als derjenige zu § 283 Abs. 1 StGB und setzt Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung voraus; drohende Zahlungsunfähigkeit reicht in diesem Zusammenhang nicht. Auch für eine Strafbarkeit nach § 283 Abs. 2 StGB muss die objektive Bedingung der Strafbarkeit nach § 283 Abs. 6 StGB eintreten. 147 Im Gegensatz zur Strafbarkeit nach § 283 Abs. 1 StGB ist für Abs. 2 erforderlich, dass die vorgenommenen Handlungen kausal für die Krise geworden sind. Das bedeutet freilich nicht, dass sie allein ursächlich geworden sein müssen; die Ursächlichkeit neben anderen Umständen genügt. Damit scheiden die Handlungsalternativen des § 283 Abs. 1 Nr. 5 bis 7 StGB weitestgehend aus, da eine Verletzung der Buchführungs- und Aufbewahrungspflichten keine Auswirkungen auf den Vermögensstand des Unternehmens haben und daher nicht zur Krise führen. 148 Die praktische Bedeutung des § 283 Abs. 2 StGB ist gering, da die Voraussetzungen nur dann erfüllt sind, wenn Gewerbetreibende bewusst eine Insolvenz herbeiführen6. Da die bewusste Herbeiführung einer Insolvenz regelmäßig nur aus betrügerischer Absicht erfolgt, werden in diesen Fällen auch andere schwer wiegende Delikte verwirklicht7. cc) Versuch (Abs. 3) 149 Strafbar ist sowohl für § 283 Abs. 1 StGB als auch für § 283 Abs. 2 StGB nicht nur deren Vollendung, sondern auch der Versuch, § 283 Abs. 3 StGB. Vollendet ist die Tat mit dem Abschluss der jeweils nach § 283 Abs. 1, 2 StGB strafbaren Handlung; der Eintritt der Strafbarkeitsbedingung nach § 283 Abs. 6 StGB ist für die Vollendung nicht erforderlich8. Ein nach § 283 Abs. 3 StGB strafbarer Versuch ist daher nur möglich, wenn bereits die von § 283 Abs. 1 Nr. 1 bis 8 StGB verbotene Handlung im Versuchsstadium stecken bleibt. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn der Insolvenzverwalter den Schuldner, der mit dem Beiseiteschaffen von Vermögen begonnen hat, an der Vollendung hindert, oder wenn über das Beiseiteschaffen von Vermögensgegenständen erst ein schuldrechtlicher Vertrag geschlossen wurde, der nicht zur 1 2 3 4 5 6
BGH v. 24.3.2009 – 5 StR 353/08, NStZ 2009, 635. Fischer, StGB, § 283 Rz. 30; Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 108. Tiedemann, Insolvenz-Strafrecht, § 283 Rz. 176 m.w.N. Richter, GmbHR 1984, 137 (148); Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 108. Fischer, StGB, § 283 Rz. 30. Vgl. BGH v. 23.8.1978 – 3 StR 11/78, JZ 1979, 75; OLG Frankfurt v. 18.6.1997 – 1 Ws 56/97, NStZ 1997, 551. 7 Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 110. 8 Fischer, StGB, § 283 Rz. 33.
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Rz. 154
§5
Ausführung gelangt ist. Wie sich aus der allgemeinen Definition des Versuchs ergibt, muss der Täter aber bereits zur Verwirklichung unmittelbar angesetzt haben; bloße Vorbereitungshandlungen überschreiten die Schwelle zur Strafbarkeit noch nicht. Auch für die Versuchsstrafbarkeit muss jedoch die objektive Bedingung der Strafbarkeit eingetreten sein. dd) Schuldformen (1) Vorsatz Für eine Strafbarkeit nach den §§ 283 Abs. 1 und 2 StGB ist erforderlich, dass der Tä- 150 ter vorsätzlich handelt, vgl. § 15 StGB. Der Vorsatz setzt zumindest die Kenntnis aller Tatumstände voraus. Ausreichend ist auch der bedingte Vorsatz, der vorliegt, wenn der Täter zwar den Eintritt bestimmter Folgen seines Handelns weder anstrebt noch deren Eintritt für sicher hält, diese aber billigend in Kauf nimmt1. Für eine Strafbarkeit nach § 283 Abs. 1 StGB muss der Täter also um das Bestehen 151 einer Krise wissen; für § 283 Abs. 2 StGB muss er deren Herbeiführung wollen oder zumindest billigend in Kauf nehmen. Der Vorsatz muss sich auch auf die Tathandlungen beziehen, d.h. der Täter muss die Handlungen also bewusst in der Kenntnis vornehmen, dass er so nicht handeln darf. Für die Buchführungsdelikte bedeutet dies, dass er die entsprechenden Verpflichtungen zur Führung der Bücher kennen muss. Bei Irrtümern ist wie üblich zu differenzieren: Besteht eine Fehlvorstellung über die normativen tatbestandlichen Voraussetzungen der Buchführungspflicht, handelt der Täter gem. § 16 StGB nur dann nicht vorsätzlich, wenn er das Verbotensein seines Handelns nicht im Sinne einer Parallelwertung in der Laiensphäre erkennen konnte. Dagegen lässt der Irrtum, der zu einer falschen rechtlichen Würdigung eines Handlungsver- oder -gebotes führt (Subsumtionsirrtum), den Vorsatz nicht entfallen, so z.B. bei der Fehlvorstellung des Täters, dass für ihn keine Pflicht zur Buchführung oder zum Jahresabschluss bestehe2. Nicht erforderlich ist hingegen, dass sich der Vorsatz auch auf die objektive Bedingung der Strafbarkeit nach § 283 Abs. 6 StGB bezieht. (2) Fahrlässigkeit/Leichtfertigkeit nach § 283 Abs. 4 StGB In § 283 Abs. 4 StGB wird die Strafbarkeit der in § 283 Abs. 1 StGB aufgeführten 152 Handlungen auf den Fall ausgedehnt, dass der Täter fahrlässig das Vorliegen der Krisensituation verkannt hat; für die Strafbarkeit nach § 283 Abs. 2 StGB, wenn er die Herbeiführung einer Krise nicht gewollt, diese aber leichtfertig verursacht hat. Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt und die Verwirklichung des Tatbestandes zumindest erkennen und vermeiden konnte3. Die Leichtfertigkeit ist eine besonders gesteigerte Form der Fahrlässigkeit, die etwa der groben Fahrlässigkeit im Zivilrecht entspricht4. Bedeutung erlangt die Ausdehnung der Strafbarkeit auf fahrlässiges Handeln ins- 153 besondere dann, wenn dem Täter der Vorsatz, also die Kenntnis der Krise, nicht nachgewiesen werden kann. Ein fahrlässiges Nichterkennen der Krise setzt voraus, dass der Täter das Vorliegen einer Krise bei der ihm obliegenden sorgfältigen Überprüfung hätte erkennen können. Zu einer Überprüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse ist grundsätzlich jeder Gewerbetreibende verpflichtet; treten einige der oben zur Zahlungsunfähigkeit (unter Rz. 84) genannten Indizien auf, besteht die Pflicht zur besonders sorgfältigen Überprüfung der Vermögensverhältnisse. (3) Fahrlässigkeit nach § 283 Abs. 5 StGB Eine noch weitergehende Ausdehnung der Strafbarkeit für fahrlässiges Handeln 154 enthält § 283 Abs. 5 StGB. Für dessen Verwirklichung reicht es aus, wenn bestimmte 1 Fischer, StGB, § 15 Rz. 9 m.w.N. 2 Bittmann in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, 2004, § 12 Rz. 282 ff.; Heine in Schönke/Schröder, StGB, § 283 Rz. 56. 3 Fischer, StGB, § 15 Rz. 12 ff. m.w.N. 4 BGH v. 13.4.1960 – 2 StR 593/59, BGHSt 14, 240 (255); Fischer, StGB, § 15 Rz. 20 m.w.N.
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der in § 283 Abs. 1 StGB enthaltenen Handlungen fahrlässig vorgenommen werden, namentlich § 283 Abs. 1 Nr. 2 (Spekulationsgeschäfte), Nr. 5 (Verletzung der Führung von Handelsbüchern) und Nr. 7 (mangelhafte oder unterlassene Aufstellung von Bilanzen). Für eine Strafbarkeit reicht also Fahrlässigkeit sowohl im Hinblick auf das Vorliegen einer Krise als auch bezüglich der Handlung selbst aus; Gleiches gilt, allerdings mit dem Erfordernis der Leichtfertigkeit, für die Herbeiführung der Krise. 155 Der für die Praxis wohl relevanteste Fall ist die mangelhafte Auswahl und Überwachung von Personen, die mit der Buchführung beauftragt sind (vgl. oben Rz. 125)1. Ansonsten ist die fahrlässige Tatbegehung denkbar, wenn der Täter nicht erkennt, dass er buchführungspflichtig ist oder wenn er fahrlässig verkennt, dass eingegangene Spekulations- oder Differenzgeschäfte nicht der ordnungsgemäßen Wirtschaft entsprechen. d) Besonders schwerer Fall des Bankrotts, § 283a StGB 156 Ein besonders schwerer Fall des Bankrotts liegt nach § 283a StGB in der Regel vor, wenn der Täter aus Gewinnsucht handelt oder wissentlich eine Vielzahl von Personen in die Gefahr des Verlustes ihrer ihm anvertrauten Vermögenswerte oder in wirtschaftliche Not bringt. Der Strafrahmen liegt in diesem Fall von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, so dass es sich auch beim schweren Fall des Bankrotts noch um ein Vergehen handelt; die Verhängung einer Geldstrafe ist jedoch ausgeschlossen. Beim Strafrahmen wird der versuchte dem vollendeten Bankrott gleichgestellt. Bei den aufgeführten Tatmodalitäten handelt es sich um Regelbeispiele, so dass ein besonders schwerer Fall auch bei anderen, vergleichbaren erschwerenden Umständen gegeben sein kann. Hinsichtlich der Qualifikationsmerkmale muss der Täter vorsätzlich handeln. aa) Gewinnsucht 157 Anders als bei der normalen Gewinnerzielungsabsicht, die in fast jedem gewerblichen Handeln steckt, liegt Gewinnsucht nur dann vor, wenn dieses Gewinnstreben auf ein ungewöhnliches, ungesundes, sittlich anstößiges Maß gesteigert ist2. Diese Voraussetzung erfüllen kann der Fall, dass das gesamte Unternehmen von vornherein auf den Eintritt einer Insolvenz angelegt ist, um dadurch kurzfristig hohe Gewinne zu erzielen3. bb) Viele Personen 158 Für das zweite Regelbeispiel ist zunächst eine Vielzahl von Personen erforderlich, womit nur natürliche Personen gemeint sind, nicht juristische4. Wie viele Personen erforderlich sind, ist nicht näher bestimmt; nach Ansichten in der Literatur sollen dies mindestens zehn Personen sein5, wobei bei einer geringeren Personenanzahl, aber einem extrem hohen Schaden auch der unbenannte Fall eines Regelbeispiels einschlägig sein kann. Die Tathandlung muss wissentlich geschehen, d.h. Eventualvorsatz reicht hier nicht aus. 159 In der ersten Alternative des Regelbeispiels muss der Verlust von anvertrauten Vermögens(teil)werten lediglich drohen. Anvertraut sind Vermögenswerte, wenn sie dem Täter mit der Erwartung überlassen wurden, er werde sie im Interesse der Überlassenden einsetzen. In Betracht kommen daher vorrangig Kreditinstitute, Anlageberater und so genannte Abschreibungsfirmen, die meist in Form von Publikums-KGs auftreten. Geschützt sind auch Lieferanten, die ihre Produkte unter Eigentumsvorbehalt auf
1 Vgl. BGH v. 2.8.1960 – 1 StR 229/60, BGHSt 15, 103; RG v. 18.2.1885 – 1343/85, RGSt 13, 354; RG v. 14.10.1924 – I 736/24, RGSt 58, 304; Fischer, StGB, § 283 Rz. 20. 2 Vgl. BGH v. 30.10.1951 – 1 StR 423/51, BGHSt 1, 388 (389); BGH v. 24.6.1952 – 2 StR 56/52, BGHSt 3, 30 (32); BGH v. 9.1.1962 – 1 StR 346/61, BGHSt 17, 35 (37). 3 Vgl. dazu Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 118. 4 BGH v. 9.11.2000 – 3 StR 371/00, wistra 2001, 59. 5 Vgl. Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 119; Heine in Schönke/Schröder, StGB, § 283a Rz. 5 m.w.N.
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berblick ber die einzelnen Straftaten
Rz. 162
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Kredit liefern. Auch diese Lieferanten überlassen ihre Güter in der Erwartung, dass der Abnehmer sie entsprechend den Vereinbarungen verwenden wird1. Der Verlust dieser Vermögensgüter muss also lediglich konkret drohen, der tatsächliche Eintritt eines Schadens ist nicht erforderlich. In der zweiten Alternative müssen die Geschädigten in wirtschaftliche Not gebracht 160 werden, d.h diese muss tatsächlich eingetreten sein. Von einer Notlage ist auszugehen, wenn die Geschädigten in eine ernsthafte wirtschaftliche Bedrängnis geraten sind; ein drohendes Existenzminimum ist nicht erforderlich2. Ein relevanter Fall, den auch der Gesetzgeber vor Augen hatte, könnten die Arbeitnehmer eines Unternehmens sein, die durch die Insolvenz ihren Arbeitsplatz und damit ihre Existenzgrundlage verlieren. Insolvenzausfallgeld und sonstige Sozialleistungen sind bei der Beurteilung der Notlage nicht zu berücksichtigen3. e) Verletzung der Buchführungspflicht, § 283b StGB aa) Allgemeines § 283b StGB stellt eine Ergänzung zu § 283 Abs. 1 Nr. 5–7 StGB dar. Unter Strafe ge- 161 stellt werden hier ebenfalls verschiedene Verletzungen der Buchführungspflichten. Im Gegensatz zu § 283 StGB ist aber nicht erforderlich, dass zur Tatzeit bereits eine Krise vorliegt. Erfasst werden von § 283b StGB auch die Fälle, in denen zwar eine Krise vorliegt, der Täter dies aber ohne Fahrlässigkeit (sonst § 283 Abs. 4 Nr. 1 StGB) nicht erkennt und nicht leichtfertig die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung herbeiführt (sonst § 283 Abs. 2 bzw. Abs. 4 Nr. 2 oder Abs. 5 Nr. 2 StGB). In der Praxis kann § 283b StGB auch zur Anwendung kommen, wenn das Bestehen einer Krise im Zeitpunkt der Tathandlungen nicht mehr nachweisbar ist. Auch § 283b StGB setzt den Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung voraus, 162 §§ 283b Abs. 3, 283 Abs. 6 StGB, und die Tathandlungen müssen damit zumindest in tatsächlichem und zeitlichem Zusammenhang stehen4; ausreichend ist, wenn im Zeitpunkt des wirtschaftlichen Zusammenbruchs wenigstens noch „irgendwelche Auswirkungen“ vorliegen, die sich als gefahrerhöhende Folge der Verfehlung darstellen, wie etwa Zeitverlust durch verspätete Bilanzierung zwecks Dokumentation gegenüber dem Insolvenzverwalter5. Dieser Zusammenhang wird aufgrund der Verwirklichung der Tathandlung regelmäßig vermutet und muss widerlegt werden6. Aufgrund seines Auffangcharakters ist § 283b zu § 283 Abs. 1 Nr. 5–7 StGB subsidiär7, was man zudem an der niedrigeren Strafandrohung erkennt. Auch wenn der Täter zunächst nur § 283b StGB verwirklicht, dieser dann aber wegen des Eintritts einer Krise in die Verwirklichung von § 283 Abs. 1 Nr. 5–7 StGB übergeht, tritt § 283b StGB hinter § 283 StGB zurück8.
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Bieneck in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, § 78 Rz. 55 m.w.N. Vgl. Bittmann in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, 2004, § 12 Rz. 358 m.w.N. Fischer, StGB, § 283a Rz. 5. BGH v. 20.12.1978 – 3 StR 408/78, BGHSt 28, 231 (234); BGH v. 2.4.1996 – GSSt 2/95, wistra 1996, 264; BGH v. 30.1.2003 – 3 StR 437/02, ZInsO 2003, 519; OLG Düsseldorf v. 27.9.1979 – 5 Ss 391-410/79, NJW 1980, 1292 (1293); BayObLG v. 8.8.2002 – 5 St RR 202/2002a, b, NStZ 2002, 214; BayObLG v. 3.4.2003 – 5 St RR 72/03, NJW 2003, 1960 (1960 f.); umfassend hierzu Wilhelm, NStZ 2003, 511 ff. und Maurer, wistra 2003, 253 f.; a.A. Bittmann in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, 2004, § 13 Rz. 7 f., der einen Zusammenhang für entbehrlich hält. BayObLG v. 3.4.2003 – 5 St RR 72/03, NJW 2003, 1960; BayObLG v. 8.8.2002 – 5 St RR 202/2002a, b, NStZ 2002, 214. Vgl. Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte Rz. 128. Darin liegt kein Verstoß gegen den Grundsatz „in dubio pro reo“, OLG Hamburg v. 31.10.1986 – 2 Ss 98/86, NJW 1987, 1342 (1343) m.w.N. BGH v. 5.11.1997 – 2 StR 462/97, wistra 1998, 105; BGH v. 16.5.1984 – 3 StR 162/84, NStZ 1984, 455. Fischer, StGB, § 283b Rz. 1; Maurer, wistra 2003, 174 f.; Heine in Schönke/Schröder, StGB, § 283b Rz. 10 m.w.N.
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§5
Rz. 163
Insolvenzstrafrecht
bb) Die Tathandlung 163 Die in § 283b Abs. 1 Nr. 1 StGB unter Strafe gestellte Verhaltensweise entspricht bereits nach dem Wortlaut der Vorschriften exakt dem § 283 Abs. 1 Nr. 5 StGB; Gleiches gilt für § 283b Abs. 1 Nr. 3 StGB, der wortgleich zu § 283 Abs. 1 Nr. 7 StGB ist. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen (unter Rz. 123 ff. und Rz. 135 ff.) verwiesen. 164 Nur zwischen § 283b Abs. 1 Nr. 2 StGB und § 283 Abs. 1 Nr. 6 StGB findet sich ein kleiner Unterschied: Während nach § 283 Abs. 1 Nr. 6 StGB jeder strafbar ist, der Handelsbücher oder sonstige Unterlagen, zu deren Aufbewahrung ein Kaufmann verpflichtet ist, vor Ablauf der gesetzlichen Frist beiseite schafft, verheimlicht, zerstört oder beschädigt und dadurch die Vermögensübersicht erschwert, gilt dies bei § 283b Abs. 1 Nr. 2 StGB nur für Kaufleute, die zu der Aufbewahrung nach Handelsrecht auch verpflichtet sind (vgl. oben Rz. 130 ff.). Strafbar macht sich also nicht, wer freiwillig geführte Bücher außerhalb der Krise nicht aufbewahrt. Als Sonderdelikt verlangt § 283b Abs. 1 StGB in allen Fällen, dass der Täter Kaufmann ist bzw. die Eigenschaft über § 14 StGB zugerechnet wird. 165 Strafbar ist neben dem vorsätzlichen Handeln auch Fahrlässigkeit, § 283b Abs. 2 StGB, die sich wiederum nicht auf die objektive Bedingung der Strafbarkeit beziehen muss. Der Versuch des § 283b Abs. 1 StGB ist nicht strafbar. f) Gläubigerbegünstigung, § 283c StGB aa) Allgemeines 166 Gläubigerbegünstigung liegt vor, wenn ein zahlungsunfähiger Unternehmer einen Gläubiger gegenüber anderen Gläubigern bevorzugt, indem er ihm eine Erfüllung oder Sicherung seiner Forderung zukommen lässt, auf die dieser keinen Anspruch hat. § 283c StGB stellt einen privilegierten Unterfall des allgemeinen Vermögensverschiebungstatbestandes nach § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB dar. Die Privilegierung kommt darin zum Ausdruck, dass die Tat nach § 283c StGB mit einer geringeren Strafe bedroht ist. Grund dafür ist die geringere Strafwürdigkeit des Täterverhaltens. Durch die Gläubigerbegünstigung wird nicht das den Gläubigern zur Verfügung stehende Vermögen geschmälert, sondern es wird lediglich ungerecht verteilt1. 167 Da es sich bei § 283c StGB um ein Sonderdelikt handelt, kann nur derjenige Täter sein, der die oben unter Rz. 91 ff. aufgeführten Voraussetzungen erfüllt. Der mögliche Täterkreis ist der gleiche wie bei § 283 StGB. 168 Voraussetzung für § 283c StGB ist neben der objektiven Bedingung der Strafbarkeit nach §§ 283c Abs. 3, 283 Abs. 6 StGB, dass der Täter bei der Tathandlung zahlungsunfähig war. War er nicht zahlungsunfähig, befand er sich aber bereits in einer Krise (wegen drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung), liegen die Voraussetzungen des § 283c StGB zwar nicht vor; dennoch tritt auch in diesem Fall eine Strafbarkeit nach § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB zurück (Sperrwirkung der Privilegierung), da der vor Zahlungsunfähigkeit handelnde Täter nicht schlechter stehen darf als bei einem Handeln nach Zahlungsunfähigkeit2. bb) Die Tathandlung 169 Tathandlung ist das Befriedigen eines Gläubigers (§§ 362 ff. BGB) oder das Gewähren von Sicherheiten, die dieser überhaupt nicht, nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hat – so genannte inkongruente Deckung. Befriedigt wird ein Gläubiger beispielsweise durch Erfüllung oder Leistung an Erfüllungs statt oder durch Aufrechnung. Sicherheit erlangt der Gläubiger dann, wenn er eine Rechtsposition eingeräumt bekommt, die es ihm ermöglicht, eher, leichter, besser oder sicherer seine
1 BGH v. 2.11.1995 – 1 StR 449/95, NStZ 1996, 543. 2 Vgl. BGH v. 12.7.1955 – 5 StR 128/55, BGHSt 8, 55 (56); Heine in Schönke/Schröder, StGB, § 283c Rz. 14.
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Rz. 175
§5
Befriedigung herbeizuführen1. Praktische Beispiele sind die Einräumung eines Pfandrechts oder Grundpfandrechts und die Sicherungsübereignung. Nicht zu beanspruchen hat der Gläubiger die Befriedigung oder Sicherheit, wenn das zugrunde liegende Rechtsgeschäft durch Einwendungen (z.B. Anfechtung, Widerruf) beseitigt werden kann oder dem Anspruch Einreden seitens des Schuldners entgegenstehen (zu den näheren Voraussetzungen einer inkongruenten Deckung wird hier auf die Ausführungen zur Anfechtung nach § 131 InsO unter § 10 Rz. 120 ff. verwiesen). Durch die Tathandlung muss ein Gläubiger begünstigt worden sein, indem er auf Kosten der übrigen Gläubiger einen Vorteil erlangt hat, der ihm nicht zustand. Die Gläubigerstellung bemisst sich danach, wer einen Anspruch aus der Insolvenzmasse hat; daran fehlte es beispielsweise, wenn dem Empfänger an der überlassenen Sache ein Aussonderungsrecht zustünde (vgl. zum Schutzbereich oben Rz. 105)2. Strafbar ist nur die vorsätzliche Gläubigerbegünstigung und nach § 283c Abs. 2 StGB der Versuch. Darüber hinaus muss die Benachteiligung der übrigen Gläubiger absichtlich oder wissentlich geschehen, bedingter Vorsatz reicht also in diesem Punkt nicht aus.
170
g) Schuldnerbegünstigung, § 283d StGB aa) Allgemeines Im Unterschied zu den übrigen Strafvorschriften der §§ 283–283c StGB wendet sich 171 § 283d StGB nicht an den Schuldner selbst oder die für diesen verantwortlichen Personen, sondern an Dritte. Die Vorschrift stellt kein Sonderdelikt dar, Täter können insbesondere auch die Gläubiger oder der Insolvenzverwalter sein. Entsprechend § 283 Abs. 6 StGB setzt auch § 283d Abs. 4 StGB voraus, dass der 172 Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat, über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet oder mangels Masse abgewiesen wurde. Anders geregelt als bei § 283 StGB ist bei § 283d StGB allerdings das Erfordernis der Krise: Entweder ist nach Satz 1 Nr. 1 erforderlich, dass dem Schuldner die Zahlungsunfähigkeit droht und der Täter positive Kenntnis davon hat. Oder es ist nach Nr. 2 erforderlich, dass der Schuldner die Zahlungen eingestellt hat oder ein Insolvenzverfahren eröffnet oder beantragt wurde. Die praktische Bedeutung des § 283d StGB ist eher gering. Als Erklärung wird dafür häufig angeführt, die Ermittlungen im Zusammenhang mit einem Insolvenzverfahren konzentrierten sich nur auf den Schuldner, selten auch auf Dritte3.
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bb) Die Tathandlung Die in § 283d StGB beschriebene Tathandlung entspricht derjenigen des § 283 Abs. 1 174 Nr. 1 StGB, so dass auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden kann (vgl. Rz. 105 ff.). Ziel des Täters, das dieser mit seiner Handlung verfolgt, muss die Begünstigung des Schuldners sein und die Handlung muss im Einverständnis mit dem Schuldner geschehen. Für das Einverständnis des Schuldners reicht nicht dessen nachträgliche Billigung aus, sondern der Schuldner muss bereits vor Tatbegehung seine Einwilligung ausdrücklich oder konkludent erteilt haben. Eine konkludente Einwilligung ist bereits dann anzunehmen, wenn der Schuldner die Handlung des Täters duldet, obwohl er erkennt, was dieser damit bezweckt. Vollendet ist das Delikt mit der Vollendung der Tathandlung. Der Eintritt eines Schadens für die Gläubiger ist nicht erforderlich, da es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt. Mit dem Ziel der Schuldnerbegünstigung handelt derjenige, der dem Schuldner zu Lasten der Gläubiger Teile seines Vermögens erhalten oder zukommen lassen will. Nicht erforderlich ist, dass dies das einzige oder das Hauptziel des Täters ist. Dieser
1 Vgl. RG v. 24.9.1897 – 2355/97, RGSt 30, 261 (262). So formuliert bei Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 131. 2 Vgl. Bittmann in Bittmann, Insolvenzstrafrecht, 2004, § 14 Rz. 6 ff., 40 ff.; Gericke in Ahrens/ Gehrlein/Ringstmeier, InsO, Anh. V, § 283c Rz. 4. 3 Vgl. Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 143.
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Insolvenzstrafrecht
wird naturgemäß sogar in den meisten Fällen auch seine eigene Begünstigung anstreben. Strafbar ist nach § 283d StGB nur vorsätzliches Handeln. Befindet sich der Schuldner im Zeitpunkt der Tathandlung noch in der Phase der drohenden Zahlungsunfähigkeit, muss der Täter davon positive Kenntnis haben, bedingter Vorsatz reicht nicht aus, § 283d Abs. 1 Nr. 1 StGB. 176 Für bestimmte Modalitäten der Tatbegehung sieht § 283d Abs. 3 StGB die Strafbarkeit in einem besonders schweren Fall vor. Da § 283d Abs. 3 wortgleich zu § 283a StGB ist, gelten die dazu gemachten Ausführungen entsprechend (vgl. Rz. 156 ff.). 3. Allgemeines Strafrecht a) Betrug 177 Nach § 263 Abs. 1 StGB macht sich derjenige strafbar, der „in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, dass er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält“. Die hierfür in Betracht kommenden Handlungsweisen sind vielfältig und können in allen gesellschaftlichen Zusammenhängen auftreten1. Im hiesigen Zusammenhang werden nur zwei typischerweise mit einer Unternehmenskrise einhergehende Betrugsformen herausgegriffen: der Lieferantenbetrug (Warenkreditbetrug) und der Kreditbetrug2. aa) Lieferantenbetrug 178 Der Grundfall des Lieferantenbetruges ist schlicht: Der Täter bestellt Waren gegen spätere Zahlung, obwohl er weiß, dass er die Waren aufgrund seiner schlechten wirtschaftlichen Situation nicht wird bezahlen können. Diese Handlungsweise geht nahezu zwangsläufig mit jeder Unternehmenskrise einher. In einer Krise ist dem Unternehmer zumeist bewusst, dass die Erfüllung der von ihm geschlossenen Verträge gefährdet ist. Dennoch schließt er Verträge, da die einzige Alternative die sofortige Einstellung jeglichen unternehmerischen Handelns und damit die Betriebsstilllegung ist. Aus diesem Grund werden von den Ermittlungsbehörden auch häufig Untersuchungen in dieser Richtung angestellt. Für eine Strafverfolgung besteht aber – wie meist in solchen Fällen – das Problem, dass auch die subjektive Seite – also die Kenntnis des Täters, dass er später zur Zahlung nicht wird in der Lage sein – nachgewiesen werden muss. 179 Beim Lieferantenbetrug ergeben sich im Rahmen des Betrugstatbestandes einige Besonderheiten: Der Tatbestand des § 263 StGB setzt voraus, dass der Besteller den Lieferanten über Tatsachen täuscht. Da die Zahlungsfähigkeit/-willigkeit bei einem Verkaufsgespräch selten ausdrückliches Thema ist, wird angenommen, dass die Täuschung in der Regel durch eine konkludente Handlung – nämlich das Bestellen auf Kredit – erfolgt. Getäuscht werden kann aber nicht über zukünftige Ereignisse, sondern nur über gegenwärtige Tatsachen. Gegenstand der Täuschung können daher nur die im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vorliegende Zahlungswilligkeit und -fähigkeit des Schuldners sein. Die Rechtsprechung misst daher der Warenbestellung die konkludente Aussage des Bestellers zu, dass er beabsichtigt, bei Fälligkeit zu zahlen, und dass er annimmt, dazu auch in der Lage zu sein3. 180 Diese Aussage wird dem Besteller allerdings dann nicht unterstellt, wenn seine Zahlungspflicht erst nach erheblicher Zeit fällig wird, da er dann kaum eine Prognose über seine Zahlungsfähigkeit abgeben kann. Ebenfalls soll dies nicht bei Großhan1 Ca. 65 % aller Wirtschaftsstraftaten entfallen auf den Betrugstatbestand, vgl. Reck, Insolvenzstraftaten, 1999 Rz. 518. 2 Vgl. Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB, § 263 Rz. 25 ff., 162a; zur Betrugsstrafbarkeit bei privaten Insolvenzen Bosch, wistra 1999, 410. 3 BGH v. 3.12.1991 – 1 StR 496/91, wistra 1992, 145 (146); BGH v. 15.6.1954 – 1 StR 526/53, NJW 1954, 1414; OLG Köln v. 13.1.1967 – Ss 336/66, NJW 1967, 741.
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delsunternehmen gelten, da diese die bestellten Waren erst durch den Weiterverkauf finanzieren und auch darüber keine Prognose abgeben können1. Von den Umständen des Einzelfalls abhängig ist die Annahme dieser Aussage bei langfristigen Dauerschuldverhältnissen wie z.B. Mietverträgen2. Die Praxis beschränkt sich aufgrund der Nachweisprobleme grundsätzlich darauf, 181 den Zeitpunkt herauszufinden, in dem beim Täter Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist (vgl. oben Rz. 83 ff.; zum Begriff der Zahlungsunfähigkeit ausführlich § 1 Rz. 49 ff.). Bei nach diesem Zeitpunkt vorgenommenen Bestellungen wird dann unterstellt, dass dem Täter bewusst war, dass er seinen Verpflichtungen nicht werde nachkommen können3. Auch in solchen Fällen kann es dem Täter aber gelingen, diese Annahme zu erschüttern, wenn er Umstände darlegen kann, die es glaubhaft erscheinen lassen, dass er im Zeitpunkt der Bestellung mit einer baldigen Besserung seiner finanziellen Situation rechnen durfte; bloße Wünsche und Hoffnungen des Täters genügen hierzu nicht4. Weit weniger streng ist die Rechtsprechung, wenn die Zahlungsunfähigkeit des 182 Schuldners erst nach dem Vertragsschluss eintritt. Nach Vertragsschluss kann es zu einer Betrugsstrafbarkeit nur dann kommen, wenn der Schuldner verpflichtet ist, dem Gläubiger die Verschlechterung seiner Vermögensverhältnisse mitzuteilen (Aufklärungspflicht); die bloße Entgegennahme der Leistung stellt keine Täuschung dar5. Tut er dies entgegen einer solchen Verpflichtung nicht, begeht er eine Täuschung und damit einen Betrug durch Unterlassen. Eine solche Pflicht zur Offenbarung wird von der Rechtsprechung aber nur in wenigen, speziellen Ausnahmefällen angenommen. Erforderlich ist dafür ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen dem Schuldner und seinem Vertragspartner, was beispielsweise aus einer langen und engen Zusammenarbeit folgen kann6. Entsprechendes gilt auch für die Pflicht zur Aufklärung über zukünftige Umstände 183 bei Vertragsabschluss. Auch hier ist der Schuldner nur in besonderen Ausnahmefällen verpflichtet, den Vertragspartner darüber aufzuklären, dass durch den möglichen Eintritt bestimmter Umstände seine Zahlungsfähigkeit in der Zukunft gefährdet ist7. Durch die Täuschung muss ein entsprechender Irrtum beim Vertragspartner ent- 184 standen sein, was grundsätzlich angenommen wird, wenn keine entgegenstehenden Besonderheiten vorliegen. Als einen solchen besonderen Umstand hat es der BGH angesehen, wenn der Vertragspartner trotz bereits ausbleibender Bezahlung weiter liefert8. Ein Irrtum über die Zahlungsfähigkeit liege dann nicht mehr vor. Der für den Betrugstatbestand erforderliche Vermögensschaden liegt bereits bei Vertragsschluss in der Gefährdung des Zahlungsanspruches, sog. Gefährdungsschaden9. Die Realisierung der Gefahr ist nicht mehr erforderlich und strafrechtlich nur für die Strafzumessung relevant.
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bb) Kreditbetrug Unter dem Oberbegriff Kreditbetrug verbirgt sich zum einen der Kreditbetrug im en- 186 geren Sinne nach § 265b StGB10. Von Kreditbetrug im weiteren Sinne spricht man, wenn im Zusammenhang mit Darlehensverträgen der „normale“ Betrugstatbestand 1 Vgl. zu diesen Ausnahmen Reck, Insolvenzstraftaten, 1999, Rz. 534. 2 Vgl. dazu BayObLG v. 30.7.1998 – 3 St RR 54/98, wistra 1999, 69. 3 Vgl. BGH v. 10.4.1984 – 4 StR 180/84, wistra 1984, 223 (224); BGH v. 9.4.1991 – 5 StR 85/91, wistra 1991, 218; OLG Düsseldorf v. 19.7.1995 – 2 Ss 198/95, wistra 1996, 32. 4 BGH v. 10.4.1984 – 4 StR 180/84, wistra 1984, 223. 5 BGH v. 24.3.1987 – 4 StR 73/87, wistra 1987, 213. 6 Vgl. BGH v. 10.4.1984 – 4 StR 180/84, wistra 1984, 223. 7 Vgl. BGH v. 10.4.1984 – 4 StR 180/84, wistra 1984, 223; Reck, Insolvenzstraftaten, 1999, Rz. 536 ff. 8 BGH v. 24.3.1987 – 4 StR 73/87, wistra 1987, 213. 9 Vgl. dazu Fischer, StGB, § 263 Rz. 94, 97 m.w.N.; Baumanns, JR 2005, 227 ff. 10 Zum Kreditbetrug umfassend Lampe, Der Kreditbetrug, 1980; Kießner, Kreditbetrug und § 265b StGB, 1985.
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Rz. 187
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nach § 263 StGB verwirklicht wird. Obwohl die Regelung in § 265b StGB spezieller ist, tritt diese nach steter Rechtsprechung hinter § 263 StGB als subsidiär zurück1. (1) Betrug bei Darlehensverträgen, § 263 StGB 187 Im Zusammenhang mit Darlehensverträgen macht sich derjenige wegen Betruges nach § 263 StGB strafbar, der durch eine Täuschung bei dem Kreditgeber einen entsprechenden Irrtum hervorruft, wenn der Kreditgeber durch Ausschüttung des Darlehens bei gefährdeter Rückzahlung einen Vermögensschaden erleidet2. Bei Darlehensverträgen ist es allerdings zumeist nicht erforderlich, eine konkludente Täuschung über die Vermögensverhältnisse zu konstruieren, da dort konkrete Angaben zu den Vermögensverhältnissen abzugeben sind. Werden hier falsche Angaben gemacht oder falsche Belege vorgelegt, führt dies zu einer Strafbarkeit wegen Betruges. 188 Aus den falschen Angaben muss sich ein Irrtum des Getäuschten über die Bonität des Kreditnehmers ergeben. Eine Betrugsstrafbarkeit scheidet dann aus, wenn der Kreditgeber sich einerseits trotz der falschen Angaben ein zutreffendes Bild über die Bonität des Kreditnehmers machen konnte, oder andererseits, wenn der Kreditgeber eine hinreichende Prüfung der Unterlagen gar nicht vornimmt und sich dementsprechend auch keine Vorstellungen macht, die falsch sein könnten. 189 Der Vermögensschaden ergibt sich in diesem Zusammenhang ebenfalls aus der Gefahr, dass der Kredit nicht zurückgeführt werden kann. Eine solche Gefahr und damit ein Betrug ist nicht gegeben, wenn der Wert des Kredits umfassend durch Sicherheiten abgedeckt ist3. (2) Kreditbetrug, § 265b StGB 190 Die Vorschrift des § 265b StGB ist etwas unhandlich gefasst. Lässt man die Details beiseite, kann man für einen Überblick formulieren: Es macht sich derjenige strafbar, der im Zusammenhang mit einem Antrag auf Gewährung, Belassung oder Veränderung der Bedingungen eines Kredits für ein Unternehmen von einem anderen Unternehmen über die wirtschaftlichen Verhältnisse unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder seit der Erstellung der Unterlagen eingetretene Verschlechterungen nicht mitteilt. Dem Deliktstypus nach handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Vollendet ist das Delikt bereits mit dem Einreichen der falschen oder unvollständigen Unterlagen. Im Unterschied zum Betrug ist kein Irrtum, keine tatsächliche Gewährung eines Kredits und kein Vermögensschaden erforderlich. (a) Unternehmen 191 Der Tatbestand des § 265b StGB setzt eine Kreditgewährung zwischen Betrieben oder Unternehmen voraus4. Die Begriffe des Betriebs und Unternehmens werden in diesem Zusammenhang synonym gebraucht und sind in § 265b Abs. 3 Nr. 1 StGB definiert. Betriebe und Unternehmen sind danach unabhängig von ihrem Gegenstand solche, die nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordern. Erfasst sind in der Terminologie des alten Handelsrechts danach Muss- und Sollkaufleute, nicht jedoch Minderkaufleute. Nach neuem Handelsrecht entspricht die Definition dem Ist-Kaufmann nach § 1 Abs. 2 HGB. Die Parallele besteht aber nur im Hinblick auf die Größe des Geschäftsbetriebes, erfasst werden von § 265b StGB auch Nicht-Gewerbetreibende wie z.B. die freien Berufe oder die Urproduktion. In Betracht kommen auch öffentliche Unternehmen, z.B. die Sparkassen5. Ausweislich des Wortlauts der Vorschrift genügt, dass der Kreditnehmer lediglich vortäuscht, der Kredit sei für einen Betrieb oder ein Unternehmen. Unschäd1 BGH v. 21.2.1989 – 4 StR 643/88, BGHSt 36, 130; OLG Stuttgart v. 14.6.1993 – 3 ARs 43/93, NStZ 1993, 545. 2 Vgl. Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB, § 263 Rz. 25 ff. m.w.N. 3 BGH v. 7.1.1986 – 1 StR 486/85, NJW 1986, 1183; BGH v. 3.11.1987 – 1 StR 292/87, wistra 1988, 188. 4 BGH v. 16.11.2010 – 1 StR 502/10, NStZ 2011, 279. 5 Fischer, StGB, § 265b Rz. 7.
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Rz. 197
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lich ist dann, dass das Geschäft kein Unternehmen im Sinne der Definition ist oder nicht existiert. (b) Kredit Der Begriff des Kredits im Sinne dieser Vorschrift ist in § 265b Abs. 3 Nr. 2 StGB defi- 192 niert als Gelddarlehen aller Art, Akzeptkredit, dem entgeltlichen Erwerb und der Stundung von Geldforderungen, der Diskontierung von Wechseln und Schecks und der Übernahme von Bürgschaften, Garantien und sonstigen Gewährleistungen. Die Aufzählung ist aus sich selbst heraus verständlich, erwähnt werden soll hier nur Folgendes1: Unter Gelddarlehen aller Art fällt nicht die Kapitalbeschaffung durch gesellschaftsrechtliche Beteiligungen. Bei der Stundung von Geldforderungen kommen Forderungen jedweder Art in Betracht, wichtig sind hier insbesondere Stundungen von Forderungen aus Warenlieferung oder Dienstleistungen (insb. Werkvertrag). Keine Stundung liegt freilich vor, wenn der Vertragspartner nach dem Vertrag zur Vorleistung verpflichtet ist und die Fälligkeit der Gegenleistung erst nach Erbringung der gesamten Leistung eintritt. (c) Tathandlungen Tathandlung ist die Abgabe falscher Angaben über die wirtschaftlichen Verhältnisse. 193 Dies ist der Fall, wenn unrichtige oder unvollständige Unterlagen, insbesondere Bilanzen, Gewinn- und Verlustrechnungen, Vermögensübersichten oder Gutachten vorgelegt werden oder schriftlich sonstige unrichtigen Angaben gemacht werden, die für den Kreditnehmer vorteilhaft und für die Entscheidung über die Kreditgewährung erheblich sind. Gleichgestellt ist damit die unterlassene Mitteilung, dass sich die in den Unterlagen zutreffend wiedergegebenen Verhältnisse bis zum Zeitpunkt des Antrags verschlechtert haben. Unrichtig sind die Unterlagen, wenn die Angaben nicht dem wahren Sachverhalt ent- 194 sprechen; bei Bewertungen, wenn die Bewertungsgrundlagen falsch sind. Vorteilhaft für den Kreditnehmer sind die Unterlagen, wenn sie bei Unterstellung der Richtigkeit der Angaben dessen Chance auf Bewilligung des Kredits erhöhen; wenn also die aus den Unterlagen hervorgehenden wirtschaftlichen Verhältnisse besser sind als die tatsächlichen. Erheblich für die Entscheidung sind die Unterlagen, wenn ein verständiger, durchschnittlich vorsichtiger Dritter diese bei seiner Entscheidung berücksichtigt2. Ausgeschieden werden damit irrelevante Angaben und Bagatellunrichtigkeiten. Die unrichtigen Angaben müssen im sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit 195 einem Kreditantrag gemacht werden, wobei ein Kreditantrag kein formeller Akt ist, sondern lediglich das irgendwie zum Ausdruck gebrachte ernsthafte Begehren, einen Kredit im oben beschriebenen Sinne zu erlangen. Der Täter muss den Kreditantrag nicht selbst stellen oder selbst Kreditnehmer sein. (d) Straflosigkeit Da § 265b StGB bereits mit der Einreichung der Unterlagen vollendet ist3, ist das 196 Versuchsstadium und damit die Möglichkeit des Rücktritts sehr bald überschritten. Um dem Täter dennoch die Rückkehr in die Straflosigkeit zu ermöglichen, ist eine entsprechende Möglichkeit in § 265b Abs. 2 StGB enthalten. Danach wird straflos, wer freiwillig die Leistungserbringung des Kreditgebers verhindert. Wird die Leistung ohne Zutun des Täters nicht erbracht, tritt Straflosigkeit ein, soweit er sich freiwillig und ernsthaft bemüht hat, die Leistungserbringung zu verhindern. (e) Täter Auch wenn Partner der Kreditgewährung jeweils Unternehmen sein müssen, ist Tä- 197 ter des § 265b StGB derjenige, der die falschen Angaben macht. Nicht erforderlich ist, 1 Vgl. zu weiteren Details Fischer, StGB, § 265b Rz. 10 ff. 2 Vgl. BGH v. 8.12.1981 – 1 StR 706/81, BGHSt 30, 285 (291); BGH v. 20.1.1987 – 1 StR 456/86, BGHSt 34, 265 (267). 3 Vgl. BGH v. 8.12.1981 – 1 StR 706/81, BGHSt 30, 285 (291).
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Rz. 198
Insolvenzstrafrecht
dass der Täter selbst den Kreditantrag stellt. Möglicher Täter ist daher jedermann; in Betracht kommen neben dem Betriebsleiter insbesondere auch einfache Angestellte, Steuerberater oder ein an dem Kredit interessierter Bürge, natürlich auch Sanierungsberater und Rechtsanwälte, die z.B. ein gefährdetes Unternehmen beraten und begleiten. Nicht hinreichend für eine Täterschaft ist, dass der Einreichende lediglich als Bote handelt. Der Bote kann sich aber gegebenenfalls wegen Beihilfe strafbar machen. b) Untreue, § 266 StGB 198 Wegen Untreue nach § 266 StGB macht sich derjenige strafbar, der fremdes Vermögen durch die vorsätzliche Verletzung einer ihm obliegenden Vermögensbetreuungspflicht schädigt1. Der Tatbestand des § 266 Abs. 1 StGB teilt sich dabei in zwei unterschiedliche Gruppen, namentlich den Missbrauchs- und den Treuebruchstatbestand. Ein Missbrauch nach der 1. Alternative des § 266 Abs. 1 StGB liegt vor, wenn der Täter die ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten, missbraucht und ihm dadurch einen Vermögensschaden zufügt. Ein Treuebruch im Sinne der 2. Alternative des § 266 Abs. 1 StGB ist gegeben, wenn der Täter die ihm kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts oder aufgrund eines faktischen Treueverhältnisses obliegende Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen verletzt und dadurch dessen Vermögen schädigt. Aufgrund der Weite dieser Handlungsalternativen haben Rechtsprechung und Lehre vielschichtige Versuche unternommen, die Anwendbarkeit des § 266 StGB zu beschränken. Für die entsprechenden Details wird hier auf die einschlägige Literatur verwiesen. 199 Im Zusammenhang mit dem Insolvenzstrafrecht erlangt der § 266 Abs. 1 StGB besondere Bedeutung bei Handlungen von Organen juristischer Personen, durch die das Vermögen der juristischen Person geschädigt wird2. Im Verhältnis zu den Bankrottstraftaten ist nach neuerer Rechtsprechung des BGH daran anzuknüpfen, ob der Vertreter im Sinne des § 14 StGB im Geschäftskreis des Vertretenen tätig geworden ist (vgl. dazu bereits oben Rz. 29, 93). 200 Ebenfalls von Bedeutung ist der § 266 StGB für den Insolvenzverwalter, da diesem eine Vermögensbetreuungspflicht im Sinne der Vorschrift obliegt3 (vgl. dazu bereits oben Rz. 64). c) Vorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelt, § 266a Abs. 1 StGB aa) Allgemeines 201 Eine große Bedeutung in der Praxis spielt die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen (dazu auch Rz. 34 ff.). Einerseits ist der Schuldner in der Krise seines Unternehmens häufig in Versuchung, die Sozialversicherungsbeiträge nicht abzuführen, da er dadurch beträchtliche Summen „sparen“ kann4. Andererseits ist der Nachweis dieses Delikts verhältnismäßig leicht zu führen und es wird aufgrund des hohen Schadens, der durch die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen der Versichertengemeinschaft entsteht, mit Nachdruck verfolgt. 202 Im Rahmen des Tatbestandes des § 266a Abs. 1 StGB bestanden eine Reihe von streitigen Fragen, die die Handhabung des § 266a StGB für die Beratungspraxis erschwerten. Viele dieser Punkte sind aber inzwischen durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt worden5.
1 Zu den Besonderheiten bei einer Unternehmenssanierung durch Banken vgl. Aldenhoff/Kuhn, ZIP 2004, 103. 2 Zu der Vermögensbetreuungspflicht von Gesellschaften vgl. Kramer, WM 2004, 305. 3 Vgl. hierzu Momsen/Christmann, NZI 2010, 121; Schramm, NStZ 2000, 398. 4 Ca. 35 bis 40 % der Bruttolohnkosten zuzüglich Arbeitgeberanteil, vgl. Reck, ZInsO 2002, 16. 5 Einen Überblick über die aktuellen Entscheidungen liefert Weyand, ZInsO 2011, 745 (748 f.); Thum/Selzer, wistra 2011, 290; Metz, NZA 2011, 782; Sinn, NStZ 2007, 155; Rönnau, wistra 2007, 81; Berger/Herbst, BB 2006, 437; Gross/Schork, NZI 2004, 358; vgl. auch Flitsch, BB 2004, 351.
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Ringstmeier
berblick ber die einzelnen Straftaten
Rz. 204
§5
bb) Täter und Tathandlung Täter des § 266a Abs. 1 StGB können nur der Arbeitgeber oder die für den Arbeit- 203 geber nach § 14 StGB verantwortlich handelnden Personen sein (Sonderdelikt) wie z.B. der Geschäftsführer, der Vorstand oder der Insolvenzverwalter. Verfügt eine Gesellschaft über mehrere Geschäftsführer und ist von diesen nach interner Geschäftsverteilung nur einer für den Bereich der Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen zuständig, ist dieser primär auch strafrechtlich allein verantwortlich. Den anderen Geschäftsführern obliegt aber eine Überwachungspflicht in der Form, dass sie zumindest bei Anzeichen für eine Krise wieder selbst für die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge sorgen müssen1. Der BGH geht von einer Allzuständigkeit aller Geschäftsführer aus, der sich die Geschäftsführer nicht durch eine interne Absprache entziehen können; lediglich der (bedingte) Vorsatz entfällt bei dem Geschäftsführer, der sich aufgrund interner Aufgabenverteilung auf die Erfüllung der Pflicht durch den Mitgeschäftsführer verlassen darf, solange ihm keine entgegenstehenden Anhaltspunkte – wie z.B. für das Bestehen einer Krise – bekannt sind. Ebenso sind die Gesellschaftsorgane auch dann für die ordnungsgemäße Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen verantwortlich, wenn diese Aufgabe auf eine Abteilung des Unternehmens delegiert wurde2. Dem Arbeitgeber gleichgestellt sind nach § 266a Abs. 5 StGB der Auftraggeber eines Heimarbeiters, Hausgewerbetreibenden (§ 12 SGB IV) oder einer Person, die i.S.d. (§§ 1 Abs. 2, 2) HeimArbG diesen gleichsteht, sowie der Zwischenmeister. Tathandlung des § 266a Abs. 1 StGB ist die Vorenthaltung von Sozialversicherungs- 204 beiträgen gegenüber den Einzugsstellen bei Eintritt der Fälligkeit. Gemeint sind nur die Arbeitnehmeranteile, für deren Zahlung allein der Arbeitgeber haftet (Abs. 1). Bei Abs. 2 ist aber Tathandlung nicht das Vorenthalten selbst, sondern die Abgabe unrichtiger oder unvollständiger Angaben sowie das Unterlassen sozialversicherungsrechtlich relevanter Mitteilungen3. Fällig sind die Beiträge gem. § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV am drittletzten Bankarbeitstag des Monats, in dem die sozialversicherungspflichtige Arbeit geleistet wurde. Eine Stundungsabrede mit den zuständigen Sozialkassen ist zulässig und schiebt im Falle ihres Zustandekommens vor Fälligkeit diese und damit die Strafbarkeit hinaus. Eine Stundungsabrede nach Fälligkeit oder eine bloße Teilzahlung der Beiträge lässt die bereits eingetretene Strafbarkeit jedoch nicht wieder entfallen. Zahlt ein Arbeitgeber nicht alle geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge, so bedarf es für die Verrechnung einer (zumindest konkludenten) Tilgungsbestimmung, dass zunächst auf die fälligen Anteile geleistet werden soll4. § 266a Abs. 3 StGB stellt das heimliche Einbehalten eines Teils des Arbeitsentgelts unter Strafe, den der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer an einen Dritten abzuführen hat; erfasst werden Fälle der Verletzung treuhänderischer Arbeitgeberpflichten von Lohnbestandteilen, die nicht von Abs. 1 erfasst werden wie z.B. Direktversicherungen5. Aufgrund der Neufassung des § 266a StGB durch das Gesetz v. 23.7.2004 verdrängen die Absätze 1 und 2 in ihrem Anwendungsbereich als speziellere Regelungen (wie
1 Vgl. BGH v. 2.6.2008 – II ZR 27/07, NJW-Spezial 2008, 468; BGH v. 9.1.2001 – VI ZR 407/99, ZIP 2001, 422; dazu Reck, ZInsO 2002, 18 ff.; OLG Rostock v. 13.9.2001 – U 261/99, GmbHR 2002, 218. 2 BGH v. 20.3.1986 – II ZR 114/85, ZIP 1987, 1050; OLG Düsseldorf v. 27.10.1995 – 22 U 53/95, NJWRR 1996, 289; AG Hamburg v. 23.2.2007 – 509 C 57/06; vgl. auch auch OLG Frankfurt/M. v. 9.12.1994 – 24 U 254/93, ZIP 1995, 213 und Weisemann, NZA 1996, 119. 3 Mit dem Gesetz zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit v. 23.7.2004 (BGBl. I, Nr. 39, 1842) wurde auch der Schutz der Arbeitgeberanteile in gewissem Rahmen unter Strafe gestellt, vgl. dazu auch Rönnau/Kirch-Heim, wistra 2005, 321 ff.; Spatscheck/Wulf/Fraedrich, DStR 2005, 132 (134). 4 BGH v. 26.6.2001 – VI ZR 111/00, ZIP 2001, 1474; OLG Oldenburg v. 12.10.2006 – 8 U 344/05; Diversy, ZInsO 2006, 130. 5 Vgl. Fischer, StGB, § 266a Rz. 22a.
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293
§5
Rz. 205
Insolvenzstrafrecht
auch § 370 AO) nunmehr den § 263 StGB, während § 266a Abs. 3 StGB als Auffangtatbestand hinter § 263 StGB zurücktritt1. 205 Unerheblich für die Frage der Strafbarkeit wegen Nichtabführung der Sozialversicherungsbeiträge ist, ob auch der Lohn an die Arbeitnehmer ausgezahlt wurde2. 206 § 266a StGB stellt ein echtes Unterlassungsdelikt dar; nach allgemeinen Grundsätzen kann ein Unterlassen nur tatbestandlich sein, wenn dem Täter die Vornahme der unterlassenen Handlung möglich war. Es stellt sich insofern die Frage, inwieweit sich der Täter darauf berufen kann, die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge sei ihm wegen Zahlungsunfähigkeit rechtlich oder tatsächlich unmöglich gewesen. Anerkannt ist, dass die Unmöglichkeit zur Erfüllung der Pflicht tatsächlich die Strafbarkeit entfallen lässt. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH kann der Tatbestand des § 266a StGB aber auch dann verwirklicht werden, wenn der Täter zwar zum Fälligkeitstag zahlungsunfähig ist, sein pflichtwidriges Verhalten jedoch darin zu erblicken ist, dass er sich seiner Zahlungspflicht zum Fälligkeitszeitpunkt durch anderweitige Zahlungen begeben hat3. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Zahlung zum Fälligkeitstag – etwa durch Aufstellung eines Liquiditätsplans, die Bildung von Rücklagen oder Kürzung der Nettolohnzahlungen – sicherzustellen4. Diese Mittel dürfen auch nicht zur Begleichung anderer Verbindlichkeiten eingesetzt werden. Positiv ausgedrückt: Letzte vorhandene Mittel sind zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung zu verwenden, selbst wenn dies zum Zusammenbruch des Betriebes oder Unternehmens führt. Darauf kann – trotz der möglicherweise nicht billigenswerten Konsequenzen – nicht deutlich genug hingewiesen werden. 207 Handelt es sich bei dem Abgabenschuldner um eine antragspflichtige Gesellschaft, war innerhalb der Rechtsprechung bis vor kurzem nicht einheitlich geklärt, ob ab Insolvenzreife der Gesellschaft der Erhalt und die Sicherung der zukünftigen Insolvenzmasse (z.B. nach § 64 S. 1 GmbHG n.F., § 92 Abs. 2 AktG n.F.) oder aber die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen und Lohnsteuer vorrangig ist, was entsprechende Konsequenzen hat. Nach der Rechtsprechung des V. Strafsenats des BGH5 entfällt während des Laufs der dreiwöchigen Insolvenzantragsfrist (vgl. § 15a InsO) die Strafbarkeit des organschaftlichen Vertreters nach § 266a StGB wegen nichtabgeführter Sozialversicherungsbeiträge, da der Geschäftsleiter innerhalb dieses Zeitraums die Gelegenheit haben soll, die Sanierungsfähigkeit der Gesellschaft zu prüfen. Die Aussetzung der Strafbarkeit greift nach der Auffassung des Senats aber lediglich für die Dauer der Antragspflicht und nur, wenn am Ende dieses Zeitraumes entweder die Überwindung der Krise oder die Stellung eines Insolvenzantrags steht. Verstreicht die Insolvenzantragsfrist ungenutzt, lebt die Strafbarkeit nach § 266a Abs. 1 StGB wieder auf und die zur Verfügung stehenden Mittel sind vorrangig für die Abführung der Beiträge im Sinne des § 266a Abs. 1 StGB zu verwenden und nicht für die Sicherung der ggf. zukünftigen Insolvenzmasse6.
1 Vgl. BT-Drucks. 15/2573, S. 28; Joecks, wistra 2004, 441 (443); Perron in Schönke/Schröder, StGB, § 266a Rz. 28 f. 2 BGH v. 28.5.2002 – 5 StR 16/02, NStZ 2002, 547; BGH v. 9.1.2001 – VI ZR 407/99, ZIP 2001, 422 (423); BGH v. 16.5.2000 – VI ZR 90/99, DB 2000, 1703. 3 BGH v. 25.9.2006 – II ZR 108/05, ZIP 2006, 2127; BGH v. 28.5.2002 – 5 StR 16/02, NStZ 2002, 547 (548) im Anschluss an BGH v. 21.1.1997 – VI ZR 338/95, BGHZ 134, 304. 4 Zu den Anforderungen an die zutreffenden Sicherheitsvorkehrungen BGH v. 28.5.2002 – 5 StR 16/02, NStZ 2002, 547 (548 f.); BGH v. 25.9.2006 – II ZR 108/05, ZIP 2006, 2127; vgl. auch OLG Naumburg v. 31.3.2010 – 5 U 115/09, NZS 2011, 310. 5 BGH v. 9.8.2005 – 5 StR 67/05, ZIP 2005, 1678 ff.; BGH v. 30.7.2003 – 5 StR 221/03, ZIP 2003, 2213; dazu Berger/Herbst, BB 2006, 437 ff.; Goette, DStR 2005, 1869; Goette, DStR 2004, 286; Schröder/ Faust, GmbHR 2005, 1422 ff.; Flitsch, BB 2004, 351; ablehnend Rönnau, wistra 2007, 81 ff. 6 FG Berlin v. 27.2.2006 – 9 K 9114/05, ZIP 2006, 1444; FG Düsseldorf v. 31.1.2006 – 9 K 4573/03 H, ZIP 2006, 1447 (1448).
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Ringstmeier
berblick ber die einzelnen Straftaten
Rz. 210
§5
Genau gegenteilig vertrat der II. Zivilsenat des BGH1 bis vor kurzem noch die Auffas- 207a sung, dass der Geschäftsführer vorrangig die Massesicherung zu verfolgen habe und auch außerhalb des 3-Wochenzeitraumes die Sozialkassen nicht (bevorzugt) befriedigt werden dürften. Nunmehr hat der II. Zivilsenat die wegen der Rechtsprechung der Strafsenate beste- 208 hende Zwangslage der für die Entrichtung fälliger Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer verantwortlichen Personen zum Anlass genommen, seine Haftungsrechtsprechung zu ändern. Ein organschaftlicher Vertreter verstößt danach nicht gegen den Sorgfaltsmaßstab der §§ 64 S. 1 GmbHG n.F., 92 Abs. 2 AktG n.F., wenn er zur Vermeidung der strafrechtlichen Verfolgung zuerst Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuern abführt2. cc) Straffreiheit durch Selbstanzeige Nach § 266a Abs. 6 StGB kann das Gericht von Strafe absehen, wenn der Täter 209 spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach von der Nichtabführung Mitteilung macht. Die Mitteilung muss schriftlich gegenüber der Einzugsstelle erfolgen und die Höhe der vorenthaltenen Beiträge sowie eine Darlegung, warum die fristgemäße Zahlung trotz ernsthafter Bemühung nicht möglich ist, beinhalten. Weitere Voraussetzung für die Straflosigkeit ist, dass der Täter die Beiträge in der von der Einzugsstelle gesetzten Nachfrist entrichtet, sofern ihm dies noch möglich ist. Von der in § 266a Abs. 6 StGB geschaffenen Chance zur Straflosigkeit wird in der Praxis viel zu selten Gebrauch gemacht! d) Missbrauch von Scheck- und Kreditkarten, § 266b StGB Nach § 266b StGB macht sich derjenige strafbar, der ihm überlassene Scheck- oder 210 Kreditkarten missbraucht und den Aussteller dadurch schädigt. Entscheidendes Merkmal für das Vorliegen einer Scheck- oder Kreditkarte in diesem Sinne ist, dass der Karteninhaber im Außenverhältnis die Möglichkeit hat, den Aussteller der Karte zu einer Zahlung zu verpflichten. Erforderlich ist daher immer ein Dreiecksverhältnis zwischen Kartenaussteller, Täter und Drittem. Ein Missbrauch dieser Verpflichtungsmacht liegt vor, wenn der Karteninhaber nach den Vereinbarungen mit dem Aussteller im Innenverhältnis zu dieser Verpflichtung nicht mehr berechtigt ist (rechtliches Dürfen), aber nach außen hin wirksam handeln kann (rechtliches Können). Die Berechtigung fehlt regelmäßig, wenn der Karteninhaber sein Guthaben bzw. die ihm eingeräumte Kreditlinie überschreitet und mit einer zeitnahen Rückführung dieser Beträge nicht zu rechnen ist. In Ausnahmefällen stellt die Überschreitung des vertraglich eingeräumten Spielraumes keinen Missbrauch dar, wenn eine stillschweigende Einwilligung des Ausstellers anzunehmen ist, beispielsweise, weil dieser ähnliche Überschreitungen in der Vergangenheit stets geduldet hat3. Erforderlich ist weiterhin der tatsächliche Eintritt eines Schadens beim Aussteller der Karte4, womit die Tat vollendet ist; der Versuch ist nicht strafbar. Nach § 266b StGB ist nur vorsätzliches Handeln des Täters strafbar. Gegenüber §§ 263 und 266 StGB ist § 266b StGB spezieller, so dass die §§ 263, 266 StGB als subsidiär zurücktreten, soweit sich deren Tatbestandserfüllung aus den gleichen Umständen ergibt5.
1 BGH v. 18.4.2005 – II ZR 61/03, NJW 2005, 2546; BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, ZIP 2001, 235 (239); vgl. insgesamt auch Achenbach, NStZ 2006, 614 (619); Sinn, NStZ 2007, 155; Rönnau, wistra 2007, 81; Berger/Herbst, BB 2006, 437 ff.; Gross/Schork, NZI 2004, 358. 2 BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, DStR 2007, 1174 m. Anm. Goette. 3 Vgl. zu diesem Problemkreis Fischer, StGB, § 266b Rz. 15 ff., 19. 4 LG Dresden v. 21.6.2005 – 10 Ns 202 Js 45549/03, NStZ 2006, 633. 5 BGH v. 18.11.1986 – 4 StR 583/86, NStZ 1987, 120; OLG Hamm v. 10.12.1986 – 1 Ss 1000/86, MDR 1987, 514; BGH v. 2.2.1993 – 1 StR 849/92, NStZ 1993, 283; Perron in Schönke/Schröder, StGB, § 266b Rz. 14.
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§5
Rz. 211
Insolvenzstrafrecht
4. Straftatbestände außerhalb des StGB a) Verstöße gegen Verlustanzeige- und Insolvenzantragspflicht 211 Bei juristischen Personen und solchen Personenhandelsgesellschaften, bei denen kein persönlich unbeschränkt haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist, haben die organschaftlichen Vertreter bestimmte Anzeigepflichten und die Pflicht, zu einem bestimmten Zeitpunkt den Insolvenzantrag zu stellen. Kommen sie dieser Pflicht nicht nach, machen sie sich strafbar1. In der Praxis spielen diese Delikte eine große Rolle. Sehr häufig wird der Insolvenzantrag zu spät gestellt, weil die Verantwortlichen hoffen, die Krise noch überwinden zu können, oder Zeit gewinnen wollen, um Vermögensgegenstände auf eine Auffanggesellschaft zu übertragen oder sonst beiseite zu schaffen. Wenn die Strafverfolgungsbehörden im Zusammenhang mit einer Insolvenz Ermittlungen aufnehmen, wird auch stets die Verletzung der Antragspflichten ermittelt, da der Zeitpunkt des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ohnehin auch für die übrigen Delikte ermittelt werden muss (zu diesen Insolvenzgründen und zur Verletzung von Insolvenzantragspflichten s. § 1 Rz. 49 ff., 106 ff. und § 2 Rz. 11 ff.). 212 Bis zur Reform durch das MoMiG2 waren die Antrags- und Anzeigepflichten in ihren Voraussetzungen abhängig von der Gesellschaftsform des Schuldners und daher in den jeweiligen Spezialgesetzen (§ 64 Abs. 1, § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG a.F.; § 92 Abs. 2 AktG a.F.; § 130a Abs. 1 S. 1, § 177a S. 1 HGB; § 99 Abs. 1 GenG a.F.) individuell geregelt. Mit Inkrafttreten des MoMiG wurden diese Bestimmungen durch § 15a InsO als zentrale Vorschrift ersetzt. Bedeutung hat § 15a InsO nicht nur für die äußerst praxisrelevante Insolvenzverschleppungshaftung, die nunmehr nicht länger an § 64 S. 1 GmbHG, sondern – aufgrund ihres drittschützenden Charakters – an § 15a InsO anknüpft, sondern auch für das bisherige Problem der „führungslosen GmbH“. Die nachstehende Übersicht3 zeigt die derzeit geltenden Insolvenzantragspflichten. Insolvenzantragspflichten und Strafbarkeit Rechtsform
Zahlungsunfähigkeit
Überschuldung
Strafbarkeit
GmbH
§ 15a Abs. 1 InsO
§ 15a Abs. 1 InsO
§ 15a Abs. 4 InsO
AG
§ 15a Abs. 1 InsO
§ 15a Abs. 1 InsO
§ 15a Abs. 4 InsO
KGaA
§ 15a Abs. 1 InsO
§ 15a Abs. 1 InsO
§ 15a Abs. 4 InsO
Genossenschaft
§ 15a Abs. 1 InsO
§ 15a Abs. 1 InsO
§ 15a Abs. 4 InsO
OHG*
§ 15a Abs. 1 S. 2 InsO
§ 15a Abs. 1 S. 2 InsO
§ 15a Abs. 4 InsO
KG*
§ 15a Abs. 1 S. 2 InsO
§ 15a Abs. 1 S. 2 InsO
§ 15a Abs. 4 InsO
GmbH & Co. KG
§ 15a Abs. 1 S. 2 InsO
§ 15a Abs. 1 S. 2 InsO
§ 15a Abs. 4 InsO
rechtsfähiger Verein
§ 42 Abs. 2 S. 1 BGB
§ 42 Abs. 2 S. 1 BGB
nicht rechtsfähiger Verein BGB-Gesellschaft
1 Hierzu und zu den zivilrechtlichen Folgen der Insolvenzverschleppung ausführlich Ahrens in Weisemann/Smid, Handbuch Unternehmensinsolvenz, Kap. 21 Rz. 93 ff.; Goette, Haftung des Geschäftsführers in Krise und Insolvenz der GmbH, ZInsO 2001, 529 ff.; Pape in Kübler/Prütting, InsO § 15 Rz. 2 ff. m.v.N.; Gehrlein in K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, S. 828 ff. Rz. 6 ff.; zur Verjährung von Insolvenzverschleppungsansprüchen vgl. Haas, NZG 2011, 691. 2 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) v. 23.10.2008, BGBl I, 2026. 3 Vgl. Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz, Rz. 173.
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Ringstmeier
berblick ber die einzelnen Straftaten
Rz. 214b
§5
Rechtsform
Zahlungsunfähigkeit
Überschuldung
Stiftung
§ 86 i.V.m. § 42 Abs. 2 S. 1 BGB
§ 86 i.V.m. § 42 Abs. 2 S. 1 BGB
Strafbarkeit
Nachlass
§ 1980 Abs. 1 S. 1 BGB
§ 1980 Abs. 1 S. 1 BGB
Fortgesetzte Gütergemeinschaft
§ 1489 Abs. 2 i.V.m. § 1980 Abs. 1 S. 1 BGB
§ 1489 Abs. 2 i.V.m. § 1980 Abs. 1 S. 1 BGB
SE
§ 22 Abs. 5 S. 2 SEAG
§ 22 Abs. 5 S. 2 SEAG
§ 53 Abs. 4 Nr. 2 SEAG
SCE
§ 18 Abs. 4 S. 2 SCEAG
§ 18 Abs. 4 S. 2 SCEAG
§ 36 Abs. 1 SCEAG i.V.m. § 15a Abs. 4 InsO
EWIV*
§ 11 S. 2 EWIV-AusfG i.V.m. § 15a Abs. 1 S. 2 InsO
§ 11 S. 2 EWIV-AusfG i.V.m. § 15a Abs. 1 S. 2 InsO
§ 15a Abs. 4 InsO
Einzelunternehmer/ eingetr. Kaufmann Stille Gesellschaft
(* sofern kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist)
aa) Insolvenzantragspflicht, § 15a InsO Mit Inkrafttreten des MoMiG wurden die bisher in den gesellschaftsrechtlichen Ein- 213 zelgesetzen normierten Antragspflichten in die Insolvenzordnung überführt und durch § 15a InsO als zentrale Vorschrift ersetzt1. Zudem wurde mit § 15a Abs. 3 InsO die Insolvenzantragspflicht im Falle der Führungslosigkeit einer GmbH, AG oder Genossenschaft auf die Gesellschafter bzw. die Mitglieder des Aufsichtsrats ausgedehnt, sofern diese Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft haben. (1) Mögliche Täter Die Insolvenzverschleppung ist ein Sonderdelikt und Täter können daher nur die ge- 214 setzlich zur Insolvenzantragstellung verpflichteten Personen sein2. § 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB findet keine Anwendung. Die Antragspflicht obliegt auch dem faktischen Geschäftsführer3 – wobei auch insoweit die strafrechtliche Verantwortlichkeit des rechtswirksam bestellten Geschäftsführers unberührt bleibt (vgl. Rz. 98) – und dem Liquidator. Bislang waren die Geschäftsführer bzw. Vorstände mögliche Täter der Insolvenzver- 214a schleppungsdelikte. Die strafbewährte Antragspflicht oblag dabei grundsätzlich jedem einzelnen von mehreren Geschäftsführern oder Vorständen. Lediglich in Ausnahmefällen konnte eine intern vereinbarte und durchgeführte Aufgabenverteilung dazu führen, dass bei einem Geschäftsführer das Verschulden entfiel. Beispielsweise wenn ein Geschäftsführer ausschließlich für den technischen Bereich zuständig ist und keinerlei Anzeichen für den Eintritt einer Krise hatte. Andere Personen konnten keine tauglichen Täter sein, konnten sich aber wegen Anstiftung oder Beihilfe strafbar machen4. Für den Regelfall ist die Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 1 S. 1 InsO an die 214b Personen gebunden, die die juristische Person im Rechtsverkehr ohnehin zu vertre1 Vgl. dazu ausführlich Römermann, NZI 2010, 241. 2 Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz, Rz. 191; Kadenbach in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, § 15a Rz. 32. 3 Vgl. BGH v. 24.6.1952 – 1 StR 153/52, BGHSt 3, 32 (37); BGH v. 5.10.1954 – 2 StR 447/53, BGHSt 6, 314 (315); BGH v. 11.11.1982 – 4 StR 591/82, NJW 1983, 240. 4 Vgl. zur Strafbarkeit von Rechtsanwälten und anderen Beratern wegen Insolvenzverschleppung Baumgarte, wistra 1992, 41; Reck, ZInsO 2000, 121.
Ringstmeier
297
§5
Rz. 214c
Insolvenzstrafrecht
ten haben, also die Mitglieder des Vertretungsorgans einer juristischen Person. Damit unterliegt, unabhängig von der internen Geschäftsaufteilung, grundsätzlich jedes einzelne Mitglied des Vertretungsorgans dieser Verpflichtung1. Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, trifft die Pflicht der Antragstellung jeden einzelnen, unabhängig davon, ob Einzel- oder Gesamtvertretung besteht2. Die Verantwortlichkeit beginnt bereits mit Bestellung zum Geschäftsführer; auf die Eintragung ins Handelsregister kommt es aufgrund der bloß deklaratorischen Bedeutung dagegen nicht an. Die Pflicht zur Stellung des Insolvenzantrags endet, sobald der Antragspflichtige aus der Geschäftsleitung durch Abberufung oder Amtsniederlegung ausscheidet. Bei mehreren Gesellschaftern entfällt die persönliche Antragspflicht erst dann, wenn ein anderer Geschäftsführer rechtzeitig Insolvenzantrag gestellt hat3. 214c Im Fall der Führungslosigkeit einer Gesellschaft sind nun die Gesellschafter einer GmbH bzw. die Mitglieder des Aufsichtsrats einer AG oder Genossenschaft nach § 15 Abs. 3 InsO ebenfalls zur Insolvenzantragstellung verpflichtet, sofern sie Kenntnis von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung haben. Gesellschafter und Aufsichtsorgane anderer Rechtsformen trifft hingegen keine Antragspflicht. Nach der Legaldefinition des § 10 Abs. 2 S. 2 InsO liegt Führungslosigkeit dann vor, wenn die Gesellschaft keinen organschaftlichen Vertreter besitzt, also rechtlich nicht mehr vertreten ist4. (2) Die rechtzeitige Anmeldung 215 Nach dem Wortlaut des Gesetzes muss der Insolvenzantrag unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern), spätestens nach drei Wochen gestellt werden. Daraus ergibt sich, dass eine Strafbarkeit bereits vor Ablauf von drei Wochen eintreten kann, wenn der Antrag problemlos früher hätte gestellt werden können. Dabei handelt es sich aber eher um eine theoretische Möglichkeit; in der Praxis wird ausschließlich auf die Dreiwochenfrist abgestellt. 216 Für die vorsätzliche Insolvenzverschleppung beginnt die Dreiwochenfrist erst mit Kenntnis des Täters von der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung. Zwar liegt Insolvenzreife bereits mit dem objektiven Eintritt dieser Umstände vor5. Da § 15a Abs. 1 InsO aber an ein schuldhaftes Zögern anknüpft, ist für die zivil- und strafrechtlichen Folgen der Insolvenzverschleppung die Kenntnis des Täters erforderlich. Bei der fahrlässigen Insolvenzverschleppung kommt es hingegen für den Beginn der Frist auf den Zeitpunkt der fahrlässigen Unkenntnis an6. Für die Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 3 InsO ergibt sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut, dass positive Kenntnis sowohl von Insolvenzgrund als auch von der Führungslosigkeit vorliegen muss. 216a Die Antragspflicht endet grundsätzlich nicht, wenn vor Ablauf der Frist ein Gläubiger einen Insolvenzantrag gestellt hat. Eine Strafbarkeit entfällt durch den Gläubigerantrag allerdings dann, wenn der Antrag des Gläubigers auch tatsächlich zu einer Entscheidung des Insolvenzgerichts über das Vorliegen einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung führt (vgl. dazu auch oben Rz. 22b)7. 217 Innerhalb der genannten Frist muss ein Insolvenzantrag gestellt sein. Aus strafrechtlicher Sicht ist dafür ausreichend, dass der Täter den reinen Antrag stellt. Ob er den
1 Uhlenbruck/Grundlach in Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 7 Rz. 2; Kadenbach in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, § 15a Rz. 7. 2 Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz, Rz. 197 m.w.N. 3 Pelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz, Rz. 201. 4 Pottelz, Strafrecht in Krise und Insolvenz, Rz. 195. 5 BGH v. 24.1.1961 – 1 StR 132/60, BGHSt 15, 306 (310); vgl. auch BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96 (110). 6 Vgl. zu § 68 Abs. 1 GmbHG a.F. Schäfer, GmbHR 1993, 782. 7 Vgl. zu § 68 Abs. 1 GmbHG a.F. Schäfer, GmbHR 1993, 782 m.w.N.
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berblick ber die einzelnen Straftaten
Rz. 218a
§5
weitergehenden Pflichten zur Vorlage bestimmter Unterlagen nachkommt, ist im hiesigen Zusammenhang unerheblich1. (3) Die nicht richtige Antragstellung Bisher war anerkannt, dass es zur Vermeidung der Strafbarkeit ausreichte, wenn der 218 Eröffnungsantrag rechtzeitig gestellt wurde, selbst wenn die für die Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens erforderlichen Auskünfte nicht erteilt wurden2. § 15a Abs. 4 InsO sieht nun zudem eine Strafbarkeit auch für den nicht richtigen Eröffnungsantragvor. Damit muss der Antrag zumindest in einer Form eingereicht werden, die dem Antragserfordernis in § 13 genügt3. Insbesondere ist das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes darzulegen und sind ausreichende Auskünfte zur finanziellen Situation der Gesellschaft zu geben. Besonderes Augenmerk ist dabei auch auf die durch das ESUG zum 1.3.2012 dem § 13 Abs. 1 InsO angefügten Sätze 3 ff. zu legen. Sie verpflichten den antragstellenden Schuldner dazu, dem Antrag ein Verzeichnis der Gläubiger und ihrer Forderungen beizufügen. Liegen weitere Voraussetzungen vor (fortbestehender Geschäftsbetrieb, Antrag auf Eigenverwaltung, Erfüllung der Grenzwerte des § 22a InsO, Antrag auf Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses), sind weitere Angaben zu machen. Dabei stellt sich jedoch die Frage, inwieweit das Fehlen einzelner Angaben bzw. unvollständige Angaben zu einem nicht richtigen Eröffnungsantrag mit der Folge einer möglichen Strafbarkeit führen. Der Gesetzgeber stellt in seiner Begründung zum ESUG klar, dass es die Zulässigkeit des Eröffnungsantrags nicht beeinträchtigt, wenn trotz gebührender Anstrengungen des Schuldners bei der Zusammenstellung des Verzeichnisses vereinzelte Gläubiger oder einzelne Forderungen im Verzeichnis fehlen4. Unter dem Gesichtspunkt, dass ein Ziel des erweiterten § 13 InsO eine frühe Einbeziehung der Gläubiger durch das Gericht ist, z.B. für die Bestellung des vorläufigen Gläubigerausschusses nach § 21 Abs. 2 InsO, kann die Aussage des Gesetzgebers nur insoweit verstanden werden, dass die Richtigkeit des Antrags nicht unter dem Fehlen einer geringen Anzahl an Gläubigern mit nicht ins Gewicht fallenden Forderungen leidet. Dieser Maßstab muss daher auch für die Angaben nach § 13 Abs. 1 S. 4 und die Erklärungen des S. 5 gelten, so dass Mängel, welche die Ziele des § 13 InsO sowie die Entscheidung des Insolvenzgerichts über die Begründetheit des Antrags nicht beeinträchtigen5, den Eröffnungsantrag nicht unrichtig machen. Dies lässt sich weiterhin damit begründen, dass ein in tatsächlicher Hinsicht zulässiger Insolvenzantrag dem Regelungsziel des § 15a InsO, der Massesicherung, trotz fehlender Angaben nicht entgegensteht6. Überdies reicht ein Antrag, der in unvollständiger Weise gestellt wird, gegebenenfalls mit dem Ziel, als unzulässig abgewiesen zu werden oder durch unvollständige Angaben eine Abweisung mangels die Verfahrenskosten deckender Masse herbeizuführen, zur Erfüllung der Antragspflicht nicht aus7. Die Tatbestandserweiterung erfasst Fälle der sog. Firmenbestattung, in denen die in- 218a solvente Gesellschaft an einen Strohmann übertragen wird, ohne dass ihm relevante (Buchführungs-)Unterlagen übergeben werden. Der vom Strohmann fristgerecht gestellte Insolvenzantrag ist unzulässig, da ihm nicht die erforderlichen Unterlagen beigefügt werden können. Dieses nach altem Recht straffreie Vorgehen des Strohmann fällt nun unter den Tatbestand der Insolvenzverschleppung8.
1 BayObLG v. 23.3.2000 – 5 St RR 36/00, ZInsO 2000, 465 mit Anm. Weyand, ZInsO 2000, 444. 2 OLG Frankfurt v. 17.5.1977 – 1 Ss 189/77, GmbHR 1977, 279; BayObLG v. 23.3.2000 – 5St RR 36/00, NStZ 2000, 595; Petz, Strafrecht in Krise und Insolvenz, Rz. 181 m.w.N. 3 AG Duisburg v. 2.1.2007 – 64 IN 107/06, NZI 2007, 354 mit Anm. Schmittmann. 4 BT-Drucks. 17/5712, S. 23. 5 Vgl. Müller-Gugenberger, GmbHR 2009, 578 (579). 6 Hirte/Knof/Mock, Das neue Insolvenzrecht nach dem ESUG, S. 10/11. 7 Bittmann, NStZ 2009, 113 (115 f.); Bußhardt in Braun, InsO, § 15a Rz. 10 m.w.N. 8 Vgl. Schützeberg, StRR 2009, 450 (455).
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bb) Verlustanzeigepflicht, § 84 GmbHG 219 § 84 Abs. 1 GmbHG bedroht Verstöße der Geschäftsführer gegen die Pflicht, den Gesellschaftern einen Verlust in Höhe der Hälfte des Stammkapitals anzuzeigen. In der Strafverfolgungs- und Gerichtspraxis spielt die Vorschrift des § 84 jedoch keine messbare Rolle, veröffentlichte Rechtsprechung existiert – soweit ersichtlich – hierzu nicht. b) Steuerhinterziehung, § 370 AO 220 Im Zusammenhang mit Insolvenzen kommt es auch immer wieder zu einer Verletzung der steuerlichen Pflichten durch Nichtzahlung von Steuern, falschen Angaben gegenüber der Steuerbehörde und Nichtabgabe von Steuererklärungen. Aus den Vorschriften des Steuerstrafrechts1, §§ 369 ff. AO, ist für den Insolvenzfall nur die Steuerhinterziehung nach § 370 AO von besonderer Bedeutung. Bei Firmeninsolvenzen werden sehr häufig Ermittlungen der Steuerbehörden eingeleitet und entsprechende Taten mit Nachdruck verfolgt. aa) Allgemeines 221 Nach § 370 Abs. 1 AO macht sich wegen Steuerhinterziehung strafbar, wer den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht (Nr. 1), die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt (Nr. 2) oder pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt (Nr. 3) und in allen Fällen dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt. Trotz bestehender Unterschiede weist die Struktur des Delikts eine gewisse Ähnlichkeit zum Betrug nach § 263 StGB auf, weshalb auch von Steuerbetrug die Rede ist. bb) Täter 222 Für die Steuerstrafvorschriften gelten in Bezug auf die Täterschaft, mittelbare Täterschaft sowie Anstiftung und Beihilfe die allgemeinen Vorschriften des StGB, § 369 Abs. 2 AO. Täter ist danach grundsätzlich derjenige, der die Tathandlung selbst begeht; nicht erforderlich ist, dass der Täter selbst der Steuerpflichtige ist. Dennoch sind Steuerberater oder Mitarbeiter, die die Steuererklärungen fertigen, regelmäßig nur Gehilfen, da sie die Erklärung gegenüber der Finanzbehörde nicht selbst abgeben, sondern nur vorbereiten. In diesen Fällen kommt aber auch eine mittelbare Täterschaft in Betracht, wenn derjenige, der die Steuerklärung fertigt, darin falsche Angaben macht und den Steuerpflichtigen darüber im Unklaren lässt. Der Hintermann beherrscht dann kraft überlegenen Wissens die Tat. cc) Tatbestand 223 Eine Steuerhinterziehung aufgrund unrichtiger oder unvollständiger Angaben ist gegeben, wenn die Steuern nicht, nicht rechtzeitig oder nicht in voller Höhe festgesetzt wurden, § 370 Abs. 4 AO. Welche Angaben zu machen sind, wann die Festsetzung noch rechtzeitig erfolgt und welches die volle Höhe der Steuer ist, ergibt sich aus den übrigen Steuervorschriften, wie z.B. aus der AO, dem KStG oder dem UStG und kann hier nicht dargestellt werden. Hingewiesen sei nur auf Folgendes: Nicht nur falsche Angaben führen zu einer Strafbarkeit, es reicht auch aus, die entsprechenden Fristen zur Abgabe von Erklärungen zu versäumen. Dadurch wird die Steuer dann nicht rechtzeitig festgesetzt und der Tatbestand der Steuerhinterziehung ist erfüllt. Solche Fristen werden im Zusammenhang mit einer Insolvenz häufig dadurch versäumt, dass Steuerberater wegen der Nichtzahlung ihrer Forderungen ihre Tätigkeit eingestellt haben. 223a Bei der Beurteilung, ob eine Steuerverkürzung vorliegt, ist das Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 Satz 3 AO zu berücksichtigen. Danach liegt eine Verkürzung auch
1 Vgl. umfassend Muhler, Steuerstraftaten, in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, § 44.
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Strafprozessuale Probleme der Mitwirkungspflichten nach § 97 InsO
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dann vor, wenn die Steuerpflicht des Täters nach der Berechnung aufgrund der zutreffenden Umstände gar nicht höher läge, weil dann andere Steuerminderungen einträten1. Der Einwand, die Begleichung der Steuerpflicht sei unmöglich gewesen, weil der Täter die entsprechenden Mittel nicht mehr gehabt habe, ist zwar grundsätzlich dazu geeignet, die Strafbarkeit entfallen zu lassen. Wie bei § 266a StGB (vgl. Rz. 201 ff.) reicht aber die Zahlungsunfähigkeit nicht aus. Straffrei wird der Täter nur, wenn er im gesamten Fälligkeitszeitraum keinerlei Liquidität mehr zur Verfügung gehabt hat, d.h. die Zahlung ihm rechtlich oder tatsächlich unmöglich war.
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Für eine Strafbarkeit nach § 370 AO ist Vorsatz des Täters erforderlich. Allerdings 225 stellt die leichtfertige Begehung des § 370 Abs. 1 AO eine Ordnungswidrigkeit nach § 378 AO dar, die mit einer Geldbuße geahndet werden kann – sog. leichtfertige Steuerverkürzung. Nach § 370 Abs. 2 AO ist der Versuch strafbar. dd) Selbstanzeige Durch eine rechtzeitige Berichtigung der Angaben gegenüber der Steuerbehörde 226 entfällt nach § 371 AO die Strafbarkeit. Die Anzeige muss deutlich als nachträgliche Richtigstellung zu erkennen sein und vom Täter selbst oder zumindest auf seine Veranlassung hin abgegeben werden. Ferner muss der Hinterziehungstatbestand exakt beschrieben werden, und die hinterzogene Steuer muss innerhalb einer angemessenen Frist, die von der Finanzbehörde bestimmt wird, bezahlt werden. Die Selbstanzeige ist allerdings verspätet und führt nicht mehr zur Straffreiheit, 227 wenn zuvor ein Steuerprüfer erschienen ist, dem Täter bekannt gegeben wurde, dass ein Straf- oder Bußgeldverfahren gegen ihn eingeleitet wurde, oder wenn die Tat bereits entdeckt war und der Täter dies wusste oder damit zu rechnen hatte, § 371 Abs. 2 AO. III. Strafprozessuale Probleme der Mitwirkungspflichten nach § 97 InsO Nach § 97 Abs. 1 InsO ist der Schuldner verpflichtet, umfassend Auskunft über alle das 228 Verfahren betreffenden Verhältnisse zu geben; in den Absätzen 2 und 3 werden dem Schuldner weitere Mitwirkungspflichten auferlegt2. § 101 Abs. 1 InsO erweitert diese Pflicht auch auf Organe und persönlich haftende Gesellschafter des Schuldners. Angestellte des Schuldners sind nach § 101 Abs. 2 InsO ebenfalls unter bestimmten Voraussetzungen zur Auskunft verpflichtet. Die Informationen fließen in das Insolvenzeröffnungsgutachten ein, das zur Kenntnisnahme der Staatsanwaltschaft gelangt. Das Insolvenzgericht ist nämlich nach den Nrn. IX 2 und 3 des 2. Teils, 3. Abschnitt der Anordnung über die Mitteilungen in Zivilsachen (MiZi) verpflichtet, die jeweils zuständige Staatsanwaltschaft über die Eröffnung oder Abweisung mangels Masse eines Insolvenzverfahrens zu informieren und auch die Insolvenzakte zur Verfügung zu stellen3. Deswegen ist aus strafrechtlicher bzw. strafprozessualer Sicht das in § 97 Abs. 1 Satz 3 229 InsO geregelte Beweisverwendungsverbot relevant (vgl. auch Rz. 45). Kommt der Schuldner seiner insolvenzrechtlichen Auskunftspflicht nach, läuft er Gefahr, sich durch seine Angaben im Hinblick auf eine von ihm begangenen Straftat selbst zu belasten. Da dies gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“ verstoßen würde, hat der Gesetzgeber die Auskunftspflicht mit einem entsprechenden „Verwendungsverbot“ ausgestattet4. Strafrechtlich unverwendbar sind
1 Vgl. erläuternde Beispiele bei Reck, Insolvenzstraftaten, 1999, Rz. 637 ff. 2 Vgl. weiterführend zu § 97 InsO Bader, NZI 2009, 416; Diversy, ZInsO 2005, 180; Tetzlaff, NZI 2005, 316; Hefendehl, wistra 2003, 1; Gaiser, ZInsO 2002, 472; Uhlenbruck, NZI 2002, 401; Bittmann/Rudolf, wistra 2001, 81; Richter, wistra 2000, 1; Weyand, ZInsO 2001, 108; Vallender, ZIP 1996, 529. 3 Vgl. Schützeberg, StRR 2009, 450 (450 f.). 4 Vgl. Diversy, ZInsO 2005, 180 (182, 184); Uhlenbruck, NZI 2002, 401 (403), während ein umfassendes Verwendungsverbot es auch verbietet, die ereilten Auskünfte als Grundlage weiterer Er-
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danach Angaben des Schuldners, die dieser gemäß seiner Verpflichtung nach Satz 1 im eröffneten Insolvenzverfahren abgibt, wenn er deren Verwendung nicht zustimmt, wobei die einmal erteilte Zustimmung unwiderruflich ist1. Freiwillig, d.h. darüber hinaus gehende oder aufgrund anderer Auskunftspflichten vom Schuldner mitgeteilte Umstände werden von dem Verwendungsverbot nicht erfasst und sind uneingeschränkt verwertbar2. Das Verwendungsverbot setzt nach seinem Wortlaut gerade die Erfüllung der Pflicht aus Abs. 1 Satz 1 voraus. Auch aus der Systematik ergibt sich, dass der Satz 3 eine Ergänzung der Pflichten aus den Sätzen 1 und 2 ist und mit diesen eine Regelungseinheit bildet. 230 Im Zusammenhang mit dem Verwendungsverbot sind verschiedene Fragen umstritten. So wird die Frage in Rechtsprechung und Literatur uneinheitlich beurteilt, ob das Verwendungsverbot nur für Erklärungen und Auskünfte des Gemeinschuldners gilt oder auch von diesem vorgelegte Unterlagen erfasst3. Ebenso umstritten und ungeklärt ist die Reichweite des Verbots, also die Frage, ob es sich auch auf solche Beweismittel erstreckt, die nach bzw. aufgrund der Auskunft des Schuldners bekannt geworden sind4. § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO bestimmt, dass Auskünfte nicht verwendet werden dürfen. In der Begründung des Rechtsausschusses heißt es dazu5, durch das Wort „verwendet“ werde zum Ausdruck gebracht, dass eine Auskunft des Schuldners ohne dessen Zustimmung auch nicht als Ansatz für weitere Ermittlungen dienen darf. Es war also der Wille des Gesetzgebers, das Verwendungsverbot zusätzlich mit Fernwirkung auszustatten. 231 Weiterhin problematisch ist auch der Umfang dieser Fernwirkung; auch diese Frage ist durch die Rechtsprechung noch nicht hinreichend geklärt. Als gangbarer Kompromiss zwischen den widerstreitenden Interessen bietet sich an, dass diejenigen Beweismittel verwendet werden dürfen, die zwar aufgrund der Auskünfte des Schuldners gefunden wurden, aber auch ohne diese Auskunft gefunden worden wären. Dies entspricht auch dem Ansatz, der bei den allgemeinen Beweisverwertungsverboten wohl die h.M. bildet. Bei dieser Ansicht stellt sich das Folgeproblem, ob die Beweismittel verwertbar sind, wenn sich nicht zweifelsfrei belegen lässt, dass sie auch ohne die Auskunft gefunden worden wären. Die Literaturstimmen dazu gehen ohne weiteres davon aus, dass auch für diese Frage der In-dubio-Grundsatz greift. Zu beachten ist aber, dass sich in der Rechtsprechung zu anderen Beweisverwertungsverboten die Formel findet, es reiche aus, dass die Beweismittel auch „überwiegend wahrscheinlich“ ohne die rechtswidrige Verwertung gefunden worden wären. 232 Im Zusammenhang mit dieser Frage steht noch das Problem, ob Beweise, die rechtswidrig erlangt worden sind, verwertet werden dürfen, wenn sie auch rechtmäßig hätten erlangt werden können. Dies wäre beispielsweise dann der Fall, wenn der Verdacht für eine Hausdurchsuchung nur auf die (nicht verwertbaren) Auskünfte des Schuldners gestützt würde; eine Durchsuchung aber rechtmäßig auch mit einem Verdacht aus den Geschäftsunterlagen hätte begründet werden können. Nach einer im
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mittlungen zu nutzen, hindert das Verwertungsverbot nicht daran, die Auskünfte zur Grundlage weiterer Ermittlungen zu machen, um dadurch andere Beweismittel zu erlangen. Diversy, ZInsO 2005, 180 (183). Vgl. Diversy, ZInsO 2005, 180 (183, 184). Auf Auskünfte und Erklärungen beschränkt z.B. LG Stuttgart v. 21.7.2000 – 11 Qs 46/00, wistra 2000, 439. Nach BGH v. 9.1.2006 – IX ZB 14/03, ZInsO 2006, 264, der das Verwendungsverbot nicht explizit anspricht, hat sich der nach § 97 Abs. 1 InsO zur Auskunft Verpflichtete nicht darauf zu beschränken, bloß sein präsentes Wissen mitzuteilen, sondern alle zur Auskunft erforderlichen Vorarbeiten zu erbringen, wie z.B. Belege vorzulegen. Zum Stand der Literaturmeinungen vgl. Bittmann/Rudolf, wistra 2001, 81 ff.; Uhlenbruck, NZI 2002, 401 ff.; Hefendehl, wistra 2003, 1 ff.; Weyand/Diversy, Insolvenzdelikte, Rz. 172 m.w.N. Vgl. Diversy, ZInsO 2005, 180 (182, 184); Hohnel, NZI 2005, 152 ff. BT-Drucks. 12/7302, S. 5, 62 ff.
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Strafprozessuale Probleme der Mitwirkungspflichten nach § 97 InsO
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Vordringen befindlichen Meinung sollen solche Beweismittel trotzdem verwertbar sein1. Für die Beratungspraxis bleibt angesichts dieser vielfältigen Unklarheiten nur, die 233 weitere Entwicklung der Rechtsprechung abzuwarten und zu verfolgen. Relevant werden diese Fragen allerdings auch erst im Rahmen einer Strafverteidigung, wenn es im Nachhinein gilt, die strafrechtlichen Interessen des Mandanten zu vertreten. Im Vorfeld einer Strafverfolgung kann der Berater, wenn er sich nicht selbst dem Risiko einer Strafbarkeit wegen Anstiftung oder Beihilfe aussetzen will, dem Mandanten nur empfehlen, seiner gesetzlichen Verpflichtung zur Auskunftserteilung nach § 97 InsO in vollem Umfang nachzukommen2.
1 LG Stuttgart v. 21.7.2000 – 11 Js 46/00, wistra 2000, 439. 2 Vgl. dazu auch Hohnel, NZI 2005, 152 ff.; Tetzlaff, NZI 2005, 316 f. u.a. zu etwaigen Fragen der Staatsanwaltschaft an den Insolvenzverwalter.
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§6 Beratung des ungesicherten Gläubigers
I. 1. 2. 3. II. 1. 2.
III. 1. 2. 3.
4.
5.
Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Beratungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Gläubigerarten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Absicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Der ungesicherte Gläubiger im Vorfeld der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . 5 Allgemeines – Krisenerkennung und typisches Schuldnerverhalten . . . . . . 5 Strategien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 a) Persönliche Vorsprache des Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 aa) Zur Erlangung von Geld. . . . . . 9 bb) Zur Erlangung von Sicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 b) Vereinbarungen zwischen Gläubiger und Schuldner. . . . . . . . . . . . . . 13 aa) Zahlungsvergleich . . . . . . . . . . 13 bb) Teilweiser Forderungsverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 cc) Besserungsscheine . . . . . . . . . . 15 dd) Umwandlung der Forderung in eine Beteiligung . . . . . . . . . . 17 c) Rechtliche Schritte . . . . . . . . . . . . . 21 aa) Klagen und Mahnbescheide . . 21 bb) Arreste, einstweilige Verfügungen und Vormerkungen . 23 cc) Insolvenzantrag . . . . . . . . . . . . 26 Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren . . . . . . . . . . . . . 27 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Insolvenzfähigkeit des Schuldners . . . 30 Antragsberechtigung des Gläubigers . 34 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 b) Rechtliches Interesse . . . . . . . . . . . 35 c) Glaubhaftmachung der anderen Antragsvoraussetzungen . . . . . . . . 39 aa) Glaubhaftmachung der Forderung . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 bb) Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes . . . . . . . . . . . 41 cc) Glaubhaftmachung des Erstantrags (§ 14 Abs. 1 Satz 3 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47b Inhalt und Form des Insolvenzantrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 a) Inhalt des Antrages. . . . . . . . . . . . . 48 aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . 48 bb) Bedingungsfeindlichkeit . . . . . 49 cc) Kostensorge und Prozesskostenhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . 50 dd) Forderungshöhe . . . . . . . . . . . . 52 ee) Anschriften . . . . . . . . . . . . . . . . 53 b) Form des Antrages . . . . . . . . . . . . . 54 c) Musterantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Gerichtszuständigkeit . . . . . . . . . . . . . 56 a) Sachliche Zuständigkeit . . . . . . . . . 56
b) Örtliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . 57 aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . 57 bb) Beendigung der wirtschaftlichen Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . 58 cc) Mittelpunkt der Tätigkeit . . . . 60 dd) Allgemeiner Gerichtsstand . . . 64 ee) Verfahren bei Unzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 6. Zulassung des Antrages und Folgen . 66 a) Anhörung des Schuldners . . . . . . . 66 b) Mögliche Reaktionen . . . . . . . . . . . 68 7. Maßnahmen des Insolvenzgerichts . . 69 a) Allgemeines – Amtsermittlungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 b) Bestellung eines Sachverständigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 c) Sicherungsmaßnahmen im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 d) Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . 75 aa) Auswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 bb) Aufgaben, § 22 InsO . . . . . . . . . 78 (1) Aufgaben des Verwalters mit Verfügungsbefugnis . . . . . . . . . 79 (a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . 79 (b) Betriebsfortführung . . . . . . . . . 82 (c) Überprüfungspflichten . . . . . . 86 (2) Aufgaben des Verwalters ohne Verfügungsbefugnis . . . . . . . . . 87 (3) Aufgaben des Verwalters mit Zustimmungsvorbehalt . . . . . . 88 (4) Besonderheiten bei Lastschriftverfahren . . . . . . . . . . . 88a cc) Arbeitsrechtliche und steuerrechtliche Stellung . . . . . . . . . . 89 dd) Allgemeine Rechtsfolgen seines Handelns, insbesondere Begründung von Verbindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 ee) Aufsicht und Haftung . . . . . . . 95 ff) Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 gg) Rechnungslegungspflicht . . . . 103 e) Prozessuale Auswirkungen der Sicherungsmaßnahmen . . . . . . . . . 104 f) Einstellung und Aufhebung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 g) Verhängung einer Postsperre . . . . . 108 h) Verhängung einer Kontosperre . . 108c i) Aufhebung der Sicherungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 8. Rücknahme des Insolvenzantrages und Erledigungserklärung . . . . . . . . . 111 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 b) Eigenantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 c) Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
Runkel
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§6
Beratung des ungesicherten Glubigers
9. Auskunftsrechte der Beteiligten, insbesondere des antragstellenden Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 10. Akteneinsichtsrecht . . . . . . . . . . . . . . 118 11. Haftung bei unberechtigtem Gläubigerantrag. . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 12. Vor- und Nachteile eines Insolvenzantragsverfahrens für den antragstellenden Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . 121 13. Abschließende Entscheidung des Insolvenzgerichts und Konsequenzen für den ungesicherten Gläubiger . . . . 124 a) Vorabprüfung der Kostendeckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 b) Vorschussleistung des antragstellenden Gläubigers . . . . . . . . . . . 126 c) Zurückweisung wegen Unzulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 d) Zurückweisung wegen Unbegründetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 e) Zurückweisung mangels Masse . . . 130 aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . 130 bb) Kostenentscheidung . . . . . . . . 132 f) Rechtsmittel für Gläubiger . . . . . . 134 g) Eröffnung des Verfahrens . . . . . . . . 141 IV. Beratung im eröffneten Verfahren . . . 142 1. Eröffnungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . 142 a) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 b) Bekanntmachung . . . . . . . . . . . . . . 143 c) Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 2. Rechtsfolgen des Eröffnungsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 b) Rechtsfolgen für die Rechtsstellung des Schuldners . . . . . . . . . 149 c) Rechtsfolgen für Gläubigerforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 d) Rechtsfolgen für Prozesse . . . . . . . 154 e) Rechtsfolgen für Vollstreckungen . 155 3. Bestellung des Insolvenzverwalters . . 156 a) Auswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 aa) Natürliche Personen. . . . . . . . . 157 bb) Geschäftskunde . . . . . . . . . . . . 158 cc) Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . 159 dd) Geeignetheit im Einzelfall . . . . 160 ee) Vorschlagsrechte . . . . . . . . . . . 164 (1) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . 164 (2) Schuldnerrechte . . . . . . . . . . . 164e (3) Gläubigerrechte . . . . . . . . . . . . 165 b) Allgemeine Rechtsstellung . . . . . . . 166 c) Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . 167 bb) Verwaltung der Masse . . . . . . . 171 (1) Inbesitznahme . . . . . . . . . . . . . 172 (2) Freigabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 (3) Geschäftsfortführung. . . . . . . . 176 cc) Verwertung der Masse . . . . . . . 180 (1) Unternehmensverkauf . . . . . . . 181 (2) Einzelverwertung, Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 (3) Immobilienverwertung . . . . . . 183 (4) Verwertung beweglicher Gegenstände und Forderungen . . 184
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Runkel
dd) Berichterstattung und Rechnungslegung . . . . . . . . . . . . . . d) Persönliche Tätigkeit und Hilfskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Arbeits- und steuerrechtliche Stellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Arbeitgeberfunktionen . . . . . bb) Steuerrechtliche Stellung . . . f) Überwachung und Entlassung . . . g) Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Insolvenzspezifische Haftung und geschützter Personenkreis, § 60 InsO . . . . . . . . . . . . bb) Sonderregelung des § 61 InsO cc) Haftung für Dritte . . . . . . . . . dd) Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . h) Vergütung und Auslagen . . . . . . . 4. Bestellung eines Gläubigerausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines – vorläufiger und endgültiger Ausschuss . . . . . . . . . b) Rechtsstellung des Ausschusses und seiner Mitglieder . . . . . . . . . . c) Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeine Befugnisse . . . . . . bb) Aufgaben im Einzelnen . . . . . d) Beschlussfassungen . . . . . . . . . . . e) Haftungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . f) Vergütungsregelung . . . . . . . . . . . 5. Gläubigerversammlungen und Rechtsstellung der Insolvenzgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Arten der Versammlungen . . . . . . b) Einberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Teilnahme und Stimmrecht . . . . . e) Leitung der Versammlung . . . . . . f) Aufgaben (Kompetenzen) . . . . . . aa) Durchführung von Wahlen (§ 57 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sonstige Aufgaben . . . . . . . . . g) Haftungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . 6. Gläubigerforderungen im eröffneten Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Masseforderungen . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . bb) Verfahrenskosten . . . . . . . . . . cc) Sonstige Masseverbindlichkeiten, § 55 InsO . . . . . . . . . . . dd) Sonderfall: § 55 Abs. 2 InsO . . ee) Befriedigung allgemein . . . . . ff) Befriedigung bei Masseunzulänglichkeit . . . . . . . . . . . . . b) Insolvenzforderungen . . . . . . . . . . aa) Rangordnung . . . . . . . . . . . . . bb) Forderungsanmeldung . . . . . (1) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . (2) Form und Inhalt der Anmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Eintragung in die Tabelle . . . cc) Prüfungstermin . . . . . . . . . . . (1) Terminierung und Vorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. 186 . 193 . . . . .
194 194 195 197 206
. . . . .
207 215 218 220 221
. 222 . 222 . 224 . 230 . 230 231a . 235 . 240 . 245
. 249 . 251 . 252 252d . 253 . 256 . 257 . 258 . 260 . 262 . . . .
263 264 264 266
. 267 . 270 . 272 . . . . .
275 278 280 281 282
. 284 . 286 . 287 . 287
Vorbemerkungen (2) Teilnahmeberechtigung. . . . . . (3) Ablauf des Prüfungstermins . . (a) Bestreiten von Forderungen, insbesondere vorläufiges Bestreiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Widerspruchsberechtigte . . . . (c) Tabelleneintragung . . . . . . . . . dd) Nachträgliche/verspätete Anmeldungen . . . . . . . . . . . . . . ee) Rücknahme und Änderung von Anmeldungen . . . . . . . . . . ff) Konsequenzen für anerkannte Forderungen – Feststellungswirkungen und Rechtsbehelfe . gg) Konsequenzen für bestrittene titulierte Forderungen . . . . . . . hh) Konsequenzen für bestrittene Forderungen ohne Titel . . . . . . (1) Klageerhebung und Zuständigkeitsfragen . . . . . . . . . . . . . . (2) Fortsetzung eines Rechtsstreits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Vorläufiges Bestreiten . . . . . . . (4) Streitwert und Kostenentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Widerspruch des Schuldners . . (6) Wirkung der Entscheidung im Feststellungsprozess . . . . . . . . ii) Verteilungen – Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . jj) Abschlagsverteilungen und Schlussverteilungen . . . . . . . . . kk) Abschluss des Verfahrens . . . . (1) Schlussrechnung und Schlussbericht . . . . . . . . . . . . . (2) Schlussverzeichnis . . . . . . . . . . (3) Schlusstermin. . . . . . . . . . . . . . ll) Durchführung der Verteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Bestrittene Forderungen . . . . . (2) Forderungen absonderungsberechtigter Gläubiger. . . . . . . (3) Bedingte Forderungen . . . . . . . (4) Doppelhaftungsfälle . . . . . . . . . V. Beratung nach Beendigung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beendigungstatbestände . . . . . . . . . . a) Aufhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Durchführung der Schlussverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bestätigung eines Insolvenzplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Rz. 1 288 290
291 294 295 296 298
300 303 304 304 308 310 311 313 315
2.
316 318 319 319 327 328 330 331 333 335 338 340 341 342 343
VI.
344
1. 2.
cc) Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses nach § 34 Abs. 3 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einstellung wegen Massearmut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Einstellung mangels Masse, § 207 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Einstellung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit, § 211 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Anzeige der Masseunzulänglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Weitere Verwaltung und Verwertung . . . . . . . . . . . . . . . (c) Verteilungen an die Massegläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Einstellungsbeschluss . . . . . . bb) Einstellung aus anderen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Einstellung wegen Wegfalls des Eröffnungsgrundes, § 212 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Einstellung mit Zustimmung der Gläubiger, § 213 InsO . . . . (3) Bekanntmachung und Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . Konsequenzen der Verfahrensbeendigung für ungesicherte Gläubiger . . a) Nach Durchführung der Schlussverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schuldnerstellung . . . . . . . . . bb) Gläubigerstellung. . . . . . . . . . cc) Nachtragsverteilung . . . . . . . (1) Anordnungsvoraussetzungen (2) Praktische Bedeutung . . . . . . (3) Bekanntmachung und Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . b) Nach Bestätigung eines Insolvenzplans. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Nach Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Nach Einstellung mangels Masse, § 207 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Bei Aufhebung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit, § 211 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Nach Aufhebung aus anderen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beratung bei Ablehnung der Verfahrenseröffnung . . . . . . . . . . . . . Juristische Personen . . . . . . . . . . . . . Natürliche Person . . . . . . . . . . . . . . .
. 345 . 346 . 347 . 347
. 350 . 352 . 353 . 355 . 357 . 358
. 358 . 359 . 361 . 362 . . . . . .
363 363 364 367 367 369
. 370 . 371 . 372 . 375
. 376 . 378 . 379 . 380 . 383
I. Vorbemerkungen 1. Beratungsansatz Der Wunsch, eine Zahlungsforderung durchzusetzen, ist der häufigste Grund, einen Anwalt aufzusuchen. Meist geht es hierbei um streitige Forderungen. Gelegentlich liegt auch nur Zahlungsunwilligkeit auf Seiten des Schuldners vor. Zunehmend sind jedoch die Fälle, in denen der Schuldner aus wirtschaftlichen Gründen nicht zahlt.
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1
§6
Rz. 2
Beratung des ungesicherten Glubigers
Was soll der Anwalt in dieser Situation seinem Mandanten raten? Die Beantwortung dieser Frage ist in starkem Umfang davon abhängig, ob der Mandant eine Sicherheit für eine Zahlungsforderung hat und wie weit der wirtschaftliche Verfall des Anspruchsgegners fortgeschritten ist. Checkliste: wirtschaftlicher Verfall m Sind die Zahlungsschwierigkeiten nur vorübergehender Natur oder liegt bereits Zahlungsunfähigkeit vor? m Ist noch kein Insolvenzantrag gestellt worden (Rz. 8 ff.)? m Läuft bereits ein Antragsverfahren (Rz. 27 ff.)? m Ist die Insolvenzeröffnung schon erfolgt (Rz. 142 ff.)? m Ist das Verfahren zwischenzeitlich beendet (Rz. 340 ff.) oder überhaupt abgelehnt worden (Rz. 128 ff.)? Welche Hinweise oder Hilfe der Mandant benötigt, wird sich nach den oben genannten Stadien des wirtschaftlichen Verfalls richten. 2. Gläubigerarten 2 Gläubiger im Sinne des Insolvenzrechts sind nicht alle Anspruchsinhaber. Wie sich aus § 38 InsO ergibt, muss ein Vermögensanspruch vorliegen; nur dieser ließe sich aus dem haftenden Vermögen (Insolvenzmasse) erfüllen. Deshalb muss es sich entweder um eine Geldforderung oder eine Forderung, die sich in eine Geldforderung umrechnen lässt, handeln. Dies zeigt sich an § 45 InsO. Folgende Ansprüche werden also nicht erfasst: – Natürliche und unvollkommene Ansprüche wie Ehemäklerlohn oder Forderungen aus Spiel und Wette1. – Ansprüche auf Vornahme nicht vertretbarer Handlungen, § 888 ZPO, wie Ansprüche auf anwaltliche oder ärztliche Dienste, Weiterbeschäftigungsansprüche, Ansprüche auf Zeugniserteilung, auf Ausbildung, Rechnungslegung, Auskunftserteilung, Widerruf von Behauptungen, Gegendarstellung usw. Auch öffentlich-rechtliche Handlungs- und Unterlassungspflichten begründen keine Insolvenzforderungen2. – Gestaltungsrechte wie Anfechtung, Kündigung usw. (sie könnten allenfalls Zahlungsansprüche auslösen). 3 Umgekehrt ist der Begriff „Insolvenzforderung“ etwas zu eng. Relevant sind auch die so genannten Masseforderungen (vgl. Rz. 264 ff.), also Ansprüche, die der Mandant regelmäßig erst nach Insolvenzeröffnung erwerben kann, §§ 53 ff. InsO. Gemeinsam ist diesen Ansprüchen jedoch, dass sie alle Zahlungsansprüche sind (zu den durch den [vorläufigen] Insolvenzverwalter begründeten Masseforderungen vgl. § 14 ausführlich). 3a Nicht alle derartigen Insolvenz- oder Masseforderungen werden in diesem Kapitel behandelt. Ansprüche von Gesellschaftern, Geschäftsführern, Kreditinstituten und Arbeitnehmern bleiben den Kapiteln in den §§ 2, 3, 8 und 11 dieses Buches vorbehalten. Bei der „Beratung des ungesicherten Gläubigers“ geht es also um die so genannten Normalgläubiger, für die es im Insolvenzrecht keine irgendwie gearteten Sonderregelungen gibt. 3. Absicherung 4 Welche Gläubiger als ungesichert anzusehen sind, erschließt sich am einfachsten durch einen Blick auf die möglichen Sicherheiten (hierzu § 7). Hier sei nur beispielhaft auf Grundpfandrechte, Pfandrechte an beweglichen Sachen und Rechten, Eigentumsvorbehalt, Sicherungseigentum und Sicherungszessionen verwiesen. Auch Inha1 Eickmann in HK-InsO, § 38 Rz. 13. 2 Bornemann in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 38 Rz. 11; a.A. BGH v. 10.7.2003 – IX ZR 119/02, ZIP 2003, 1550 mit Anm. Holzer, EWiR 2004, 27.
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Der ungesicherte Glubiger im Vorfeld der Insolvenz
Rz. 8
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ber dieser Sonderrechte können im Einzelfall ganz oder teilweise ungesichert sein, so dass viele der nachstehenden Überlegungen für sie ebenfalls von Bedeutung sind. Keine Sicherheiten im Sinne dieser Abgrenzung sind im Übrigen Titel. Insolvenz- 4a rechtlich haben sie lediglich untergeordnete Bedeutung. Sie spielen regelmäßig nur für das Weiterverfolgen einer bestrittenen Forderung eine Rolle. Es wird allerdings noch in den Rz. 303 f. zu erörtern sein, inwieweit Mandanten zu raten ist, sich vor, während oder nach der Insolvenz durch die Titulierung einer Forderung abzusichern. II. Der ungesicherte Gläubiger im Vorfeld der Insolvenz 1. Allgemeines – Krisenerkennung und typisches Schuldnerverhalten Gerade die ungesicherten Gläubiger sind regelmäßig in der fatalen Situation, dass sie 5 Fehlentwicklungen des schuldnerischen Unternehmens erst spät zu erkennen vermögen. Sicherheiten sind häufig das Ergebnis guter Informationen. Diejenigen Gläubiger, die in ständigem Kontakt mit dem Schuldner stehen, erfahren nicht nur etwas von wirtschaftlichen Fehlentwicklungen ihres Vertragspartners, sie kennen auch die „freien Werte“, erfahren also bspw., dass der Schuldner inzwischen so gut wie alle wichtigen Anlagegegenstände geleast hat und hören dann von der Anschaffung einer neuen Maschine, die sich der misstrauische Lieferant sofort bezahlen ließ, so dass im schuldnerischen Unternehmen ein freier Wert vorhanden ist (unterstellt es gibt keinen Raumsicherungsvertrag zugunsten eines Gläubigers). Ein derartig informierter Gläubiger kann also weitere Vorleistungen – etwa die Buchungs- und Bilanzarbeiten – von einer Sicherungsübereignung dieser Maschine abhängig machen. Ganz anders die Situation bspw. eines Tankstellenpächters, der naturgemäß keinen Einblick in die Wirtschaft- und Finanzsituation seines Kunden hat. Er sieht zwar die teuren Firmenwagen, weiß jedoch nicht, wo die Fahrzeugbriefe liegen. Nur Insider sehen die typischen Merkmale einer Krise: 6 – stagnierende oder rückläufige Betriebsleistungen; – Jahresfehlbeträge; – vollständiger oder teilweiser Verlust des Eigenkapitals; – Kaschieren des schlechten Betriebsergebnisses durch außerordentliche Erträge aufgrund Realisierung stiller Reserven; – ständig steigender Zinsaufwand; – Zahlungen nur nach Mahnung; – Abwandern der Leistungsträger. Eine Krisenerkennung mit Hilfe der multiplen Diskriminanzanalyse, wie sie in der be- 7 triebswirtschaftlichen Literatur empfohlen wird1, ist dem „Normalgläubiger“ versagt. Er wendet sich deshalb meist erst an einen Anwalt zum Zwecke des Forderungseinzugs, wenn schon die „Spatzen von den Dächern pfeifen“, dass bei dem Schuldner bald „die Lichter ausgehen“ werden, weil die Arbeitnehmer von Monat zu Monat später bezahlt werden und der Geschäftsführer für den telefonisch mahnenden Gläubiger nie zu erreichen ist. Jetzt geht es für den Anwalt im Beratungsgespräch um die richtigen Strategien. 2. Strategien2 Folgende Möglichkeiten stehen grundsätzlich offen: – persönliche Vorsprache des Gläubigers mit dem Ziel der – Erlangung von Geld (Rz. 9 f.); – Erlangung von Sicherheiten (Rz. 11 f.),
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1 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 1.211; vgl. im Einzelnen Drukarczyk, WM 1992, 1136 (1142). 2 Hierzu guter Überblick bei Geißler, ZInsO 2014, 14 „Taktische Aspekte und Fragen des Rechtsschutzes beim Fremdantrag (§ 14 InsO)“.
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§6 – – – – – – – – – –
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Beratung des ungesicherten Glubigers
ohne jedoch in eine Anfechtungsproblematik zu kommen. Vereinbarungen zwischen Gläubiger und Schuldner zur Herbeiführung eines/einer Zahlungsvergleichs (Rz. 13); teilweisen Forderungsverzichtes (Rz. 14); Besserungsscheinregelung (Rz. 15); Modells „Umwandlung Forderung in Beteiligung“ (Rz. 17 ff.). Rechtliche Schritte Klagen und Mahnbescheide (Rz. 21 f.); Arreste, einstweilige Verfügungen, Vormerkungen (Rz. 23 ff.); Insolvenzantrag (Rz. 26).
a) Persönliche Vorsprache des Gläubigers aa) Zur Erlangung von Geld 9 Durch persönliche Vorsprache an Geld zu kommen, ist nicht so unwahrscheinlich, wie es auf den ersten Blick erscheint. Die Peinlichkeit, zu erklären, nicht zahlen zu können, ersparen sich die meisten Gewerbetreibenden und Privatpersonen. Eine derartige Erklärung könnte insolvenzrechtlich und damit bei juristischen Personen strafrechtlich relevant werden: 9a Nach § 17 Abs. 2 InsO ist ein Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat – so der Wortlaut des Gesetzes. Es geht also um ein Verhalten des Schuldners. Dieses Verhalten muss nach außen erkennbar hervortreten, sei es auch in Form einer Unterlassung, insbesondere die zu zahlen1. Es genügt hierbei, dass die Zahlungsunfähigkeit einem einzigen Geschäftspartner als Grundlage der Nichtzahlung erkennbar wird2 (zur Zahlungsunfähigkeit siehe im Übrigen § 1 Rz. 49 ff.). 10 Die Entgegennahme des Geldes ist auch aus anfechtungsrechtlicher Sicht noch relativ ungefährlich. Es handelt sich hierbei nämlich um den Fall einer kongruenten Deckung im Sinne des § 130 InsO, so dass die erleichterten Anfechtungsmöglichkeiten, die für inkongruente Deckungen gelten, § 131 InsO, nicht greifen (vgl. § 10 Rz. 86 ff.). bb) Zur Erlangung von Sicherheiten 11 Anders verhält es sich, wenn der Gläubiger in der Krise statt Geld eine Sicherheit erhält. Der Begriff der Sicherheit ist hierbei sehr weit zu verstehen. Hierunter fallen alle personalen, realen, akzessorischen, abstrakten oder fiduziarischen Sicherheiten3. Nur wenn von Anfang an, also bei Entstehen der Verbindlichkeit gerade diese Absicherung vereinbart war, liegt – wie bei der Geldübergabe – Kongruenz vor4 (hierzu § 10 Rz. 62 ff.). Tipp: Derartige Fälle dürften jedoch eher die Ausnahme sein, so dass es sich empfiehlt, lieber einen gekürzten Geldbetrag entgegenzunehmen als eine Sicherheit, mag sie auch den geschuldeten Geldbetrag wertmäßig erreichen oder übersteigen. 12 Zu der immer wieder angesprochenen Anfechtungsproblematik folgender
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Hinweis: In der Beratungspraxis sollte immer der Grundsatz gelten, dem Gläubiger zur Entgegennahme von Geld oder Sicherheiten zu raten. Merke: „Was man hat, das hat man.“ Es könnte auch nicht zu einer Insolvenzeröffnung kommen oder aber
1 Kirchhof in HK-InsO, § 17 Rz. 27. 2 BGH v. 7.4.1995 – IX ZR 147/94, ZIP 1995, 930. 3 Zum Begriff „Sicherung“ de Bra in Braun, InsO, § 130 Rz. 7: „Unter einer Sicherung versteht man die Einräumung einer Rechtsposition, die die Durchsetzung des gesicherten Anspruchs erleichtert und sich von der Leistung, die der Gläubiger kraft seines Anspruchs fordern darf, wesensmäßig unterscheidet“. 4 BGH v. 5.11.1964 – VII ZR 2/63, WM 1965, 84 (85 f.).
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Der ungesicherte Glubiger im Vorfeld der Insolvenz
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der Insolvenzverwalter verkennt die Problematik. Gleichzeitig muss jedoch der Mandant auf das insolvenzrechtliche Risiko hingewiesen werden. Unbedingt zu berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang stets Einzelheiten der Anfechtungsproblematik (hierzu ausführlich § 10). b) Vereinbarungen zwischen Gläubiger und Schuldner aa) Zahlungsvergleich Zahlungsvergleiche in der Form von Teilzahlungsvereinbarungen bergen die Gefahr, 13 dass der Gläubiger letztlich nur eine minimale Teilleistung erhält und hinsichtlich des Restes auch noch Fälligkeitsprobleme entstehen. Dies könnte darüber hinaus auch anfechtungsrechtliche Nachteile haben (Zahlung nicht zu der Zeit)1. In jedem Fall sollte auf eine Verfallklausel geachtet werden. Musterformulierung für Verfallklausel: „Sollte der Schuldner … mit der Zahlung ei- 13a ner Rate … Tage in Rückstand geraten, werden alle ausstehenden Raten sofort fällig“.
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Hinweis: 13b Soweit eine solche Klausel formularmäßig in Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwandt wird, ist auf das Erfordernis der Anwendungsbeschränkung auf schwerwiegende Vertragsverletzungen zu achten. Aus der Fassung der formularmäßigen Klausel sollte sich weiter ergeben, dass sie unanwendbar ist, wenn der Schuldner den Rückstand nicht zu vertreten hat2. Soweit ein Verbraucherdarlehen im Sinne der §§ 491 ff. BGB vorliegt, muss die Klausel der Bestimmung des § 498 BGB entsprechen.
bb) Teilweiser Forderungsverzicht Ein teilweiser Forderungsverzicht wird häufig unter dem Gesichtspunkt des Sanie- 14 rungsbeitrages (siehe auch § 1 Rz. 208 ff., 220) gesehen. Hierdurch bessert sich nicht nur die Liquiditätslage, sondern auch die Bilanz.
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Hinweis: Zu bedenken ist jedoch, dass der isolierte (teilweise) Forderungsverzicht eines einzelnen Gläubigers in erster Linie die Position der anderen Gläubiger verbessert. Deshalb wird regelmäßig hiervon abgeraten3.
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Ein Forderungsverzicht ist auch steuerrechtlich problematisch: 14b – für den Schuldner wegen der Abschaffung des steuerfreien Sanierungsgewinns gemäß § 3 Nr. 66 EStG (er realisiert einen steuerpflichtigen Ertrag und begründet bei fehlendem Verlustvortrag eine Steuerschuld, die wiederum die Liquidität belastet), – für den Gläubiger ist der Verlust der Forderung durch eine Teilwertabschreibung zu berücksichtigen. Steuerlich wird deshalb der Verzicht nur noch in Höhe des Buchwertes im Zeitpunkt des Verzichts ergebnisprägend, was steuerlich aber auch dann nicht weiterhilft, wenn die Forderung im Privatvermögen war. cc) Besserungsscheine Ein Forderungsverzicht wird häufig verbunden mit der Vereinbarung eines Besserungsscheins. Der Forderungserlass steht in diesem Zusammenhang unter einer auflösenden Bedingung; er entfällt bei einer Besserung der Vermögensverhältnisse4. In diesem Fall lebt die Forderung wieder auf.
1 2 3 4
Hierzu Priebe, ZInsO 2013, 2479, und Iliou, ZInsO 2014, 640. BGH v. 21.2.1985 – IX ZR 129/84, NJW 1985, 1705 (1706). Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 1.218 ff. und 1.1327 ff. Wittig, NZI 2001, 169 (171) m.w.N.
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Beratung des ungesicherten Glubigers
15a Auch hier sind wieder steuerliche Überlegungen anzustellen. Würde der Verzicht als Betriebsausgabe geltend gemacht, kommt es bei Eintritt der auflösenden Bedingungen naturgemäß zu einer Betriebseinnahme. 15b M 3
Musterformulierung fr einen Besserungsschein1 Verzichtsvereinbarung mit Besserungsversprechen
Zwischen der . . .-Bank – im Folgenden „Bank“ genannt – und der Firma . . . – im Folgenden „Kreditnehmer“ genannt: 1. Erlçschen von Forderungen Bank und Kreditnehmer sind sich darber einig, dass aus ihren Krediten, die sich derzeit auf insgesamt . . . Euro belaufen, Forderungen in Hçhe von . . . Euro erlçschen. Die fr diese Kredite bestellten Sicherheiten wird die Bank dem Kreditnehmer in gesonderten Vereinbarungen zurckbertragen, soweit sie nicht ohnehin kraft Gesetzes erlçschen oder aufgrund vertraglicher Vereinbarungen an ihn zurckfallen und nicht auch andere, nicht erlçschende Forderungen sichern. 2. Wiederaufleben von Forderungen Die nach Nr. 1 erloschenen Forderungen werden dann und insoweit wiederaufleben, wie ihre Erfllung dem Kreditnehmer aus seinen knftigen Gewinnen oder aus seinem die sonstigen Schulden bersteigenden Vermçgen oder aus einem etwaigen Liquidationserlçs mçglich ist. Damit sind die Forderungen aufschiebend bedingt. Zinsen werden erst berechnet, wenn die Forderungen wieder entstehen. Der Zinslauf beginnt an dem Stichtag der Bilanz bzw. Zwischenbilanz fr das Geschftsjahr, in dem die Voraussetzungen fr das Wiederaufleben der Forderungen eingetreten sind. Mehrere zurckgetretene Glubiger sind anteilmßig im Verhltnis ihrer Forderungen zu befriedigen. 3. Unterrichtungspflichten Der Kreditnehmer verpflichtet sich, der Bank sptestens sechs Monate nach seinem Bilanzstichtag einen Jahresabschluss vorzulegen, der von einem der Bank genehmen Wirtschaftsprfer oder Steuerberater testiert ist. Unabhngig davon hat die Bank das Recht, jederzeit die Vorlage von Bilanzen und zustzlichen Unterlagen zu verlangen und Einsicht in die Geschftsbcher des Kreditnehmers zu nehmen. Ort, Datum . . . ... Unterschrift(en) der Bank
... Unterschrift(en) des Kreditnehmers
16 In diesem Zusammenhang ist auch die Ausgabe von Wandelgenussrechtskapital zu erwähnen. Genussrechte sind den Rechten der Gesellschafter stark angenähert: Beteiligung am Gewinn. Ein Stimmrecht gewähren sie jedoch nicht2. Im Übrigen besteht nicht die Gefahr, dass die Regeln über Eigenkapitalersatz angewendet werden. Zur ertragssteuerlichen Behandlung der auf das Genusskapital zu leistenden Entgelte verweise ich auf § 8 Abs. 3 Körperschaftssteuergesetz. Entgelte auf Genussrechte, die sich im Betriebsvermögen befinden, sind Betriebseinnahmen; im Privatvermögen führen sie dagegen zu Einkünften aus Kapitalvermögen.
1 Allgemein hierzu Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 1.1358. 2 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, DB 1992, 2383 (2384).
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Runkel
Der ungesicherte Glubiger im Vorfeld der Insolvenz
Rz. 20a
§6
dd) Umwandlung der Forderung in eine Beteiligung Wenn die Forderung des Gläubigers nicht ganz unbedeutend ist, bieten zahlungs- 17 schwache Schuldner häufig eine Umwandlung in eine Beteiligung an. Bei Kapitalgesellschaften sind Beteiligungen am Nennkapital oder in Form einer stillen Einlage möglich. Bei anderen Unternehmen bestehen ähnliche Möglichkeiten; eine Einzelfirma, OHG, BGB-Gesellschaft usw., kann den Gläubiger als neuen „offiziellen“ Gesellschafter oder als stillen Teilhaber aufnehmen.
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Hinweis: In allen Fällen ist die Umwandlung nicht ganz ungefährlich.
Mitgliedschafts- und damit Mitbestimmungs- sowie Gewinnbezugsrechte werden 18 nur begründet, wenn eine Beteiligung am Stamm- bzw. Grundkapital erfolgt. In Höhe des Kapitalbetrages besteht dann natürlich auch wieder das Verlustrisiko, das schon die Forderung geprägt hat. Durch die Beteiligung müsste deshalb wenigstens eine gute Chance auf Sanierung des Unternehmens gegeben sein, damit eventuelle zukünftige Gewinne auch dem Gläubiger zugutekommen. Bei einer Kapitalgesellschaft ist die Einlage einer Forderung nur in Form einer Sach- 18a einlage möglich. Dies ist in einem entsprechenden Gesellschafterbeschluss ausdrücklich festzulegen. Erfolgt nur eine stille Beteiligung, so ist ein Ausschluss der Verlustbeteiligung mög- 18b lich; im Übrigen besteht eine Haftungsbeschränkung nur in Höhe der Einlage, § 232 HGB. Steuerliche Auswirkungen hat die Umwandlung in erster Linie für den Schuldner. 19 Ich verweise hierzu auf § 6 Abs. 1 Ziff. 5 Satz 1 EStG sowie die entsprechende Kommentierung zu dieser Bestimmung1. Für den Gläubiger führt die Forderungsumwandlung zunächst zu keinen steuerli- 19a chen Konsequenzen. Dies ändert sich erst bei Ausschüttungen. Die Erträge aus der Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft stellen Einkünfte gem. § 20 EStG dar, und zwar unabhängig davon, ob eine direkte oder eine typisch stille Beteiligung vorliegt. Anders wiederum ist die Situation bei atypisch stillen Beteiligten (Einkünfte aus Gewerbebetrieben). Es sei in diesem Zusammenhang auf eine wichtige haftungsrechtliche Konsequenz 20 hingewiesen: Die Haftung bis zur Höhe der Beteiligung gilt nur, wenn die Umwandlung von Krediten in Eigenkapital gesellschaftsrechtlich als Sacheinlage behandelt wurde. Auf die Beachtung der formalen Regeln einer Sacheinlage nach § 56 GmbHG sei ausdrücklich hingewiesen. Werden diese Regeln nicht beachtet, greifen die Rechtsprechungsgrundsätze zur verdeckten Sacheinlage2. Hiernach bewirkt der Forderungsverzicht des Gläubigers keine Erfüllung der Bareinlageverpflichtung. Scheitert die Sanierung, so könnte der Insolvenzverwalter die volle Einlage noch einmal in bar anfordern (vgl. auch § 27 Abs. 3 AktG). Hierbei spielt der Wert der Forderung im Zeitpunkt der Einbringung keine Rolle. Eine Aufrechnung gegen die Einlageforderung ist nicht möglich.
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Hinweis: 20a Um dies alles zu vermeiden, ist die Forderung als Einlagegegenstand genau zu bezeichnen; auch der Wert ist anzugeben, mit dem sie auf die Einlageverpflichtung angerechnet wird.
Die Umwandlung einer Gläubigerforderung in eine Beteiligung ist auch noch aus einem weiteren Grund nicht ganz ungefährlich: Durch das ESUG hat sich die Rechtslage ab 1.3.2012 dahingehend geändert, dass nach § 217 Satz 2 InsO bei einem Schuldner, der keine natürliche Person ist, auch die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der 1 Schmidt/Kulosa, EStG, § 6 Rz. 548 ff. 2 Knecht/Drescher in Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, § 20 Rz. 46 ff.
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§6
Rz. 21
Beratung des ungesicherten Glubigers
am Schuldner beteiligten Personen in den Plan einbezogen werden können, beispielsweise durch eine Kapitalherabsetzung. Dies ist die Kehrseite der umgekehrten Möglichkeit: Der Plan kann auch vorsehen, dass Forderungen der Gläubiger in Anteilsrechte umgewandelt werden. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf § 13 dieses Buches, Rz. 272 ff. c) Rechtliche Schritte aa) Klagen und Mahnbescheide 21 Der Mandant kommt regelmäßig zu seinem Anwalt mit der Vorstellung, dieser werde angesichts der geschilderten Zahlungsprobleme des Gegners sofort eine Klage einreichen oder einen Mahnbescheid beantragen. Hiervon ist jedenfalls dann abzuraten, wenn der beratende Anwalt nicht die Bearbeitungsdauer in dem jeweiligen Gerichtsbezirk kennt. Es soll Gerichtsbezirke geben, in denen schon ca. 6 Wochen nach Klageeinreichung ein Verhandlungstermin stattfindet. In derartigen Fällen wird man auch von einem Mahnbescheidsantrag Abstand nehmen, weil Schuldner häufig ihre Zahlungsschwäche zum Anlass nehmen, Widerspruch zu erheben. Mahnbescheide empfehlen sich jedoch immer dann, wenn wegen des Streitwertes oder Streitgegenstandes zunächst ein Schiedsverfahren durchgeführt werden müsste, vgl. § 15a Abs. 2 Ziff. 5 EGZPO. 21a In jedem Fall sollte der Mandant dahin gehend belehrt werden, dass bei gerichtlichen Maßnahmen ein erhebliches (wirtschaftliches) Kostenrisiko besteht, weil der Kostenerstattungsanspruch insolvenzrechtlich das Schicksal der Hauptforderung teilt. Außerdem kann es passieren, dass über das Beklagtenvermögen nach Einreichung, aber vor Zustellung der Klage, das Insolvenzverfahren eröffnet wird. Es ist unsicher, ob in diesem Fall noch eine Klagerücknahme mit der Kostenfolge des § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO möglich ist1. 22 Umgekehrt ist die häufig von Schuldnern ausgesprochene Drohung, sie würden bei gerichtlichen Maßnahmen sofort einen Insolvenzantrag stellen, ein stumpfes Schwert. Der Insolvenzantrag als solcher unterbricht nicht das gerichtliche Verfahren. Auch die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters hat nur dann Unterbrechungswirkung im Sinne des § 240 ZPO, wenn diesem Verwalter die Verfügungsbefugnis übertragen wird, was in den zurückliegenden Jahren von den meisten Gerichten deshalb nicht praktiziert worden ist, weil dies zu einem Anwachsen der Masseverbindlichkeiten führt, § 55 Abs. 2 InsO. Im Übrigen werde ich auf die prozessualen Auswirkungen von Sicherungsmaßnahmen noch unter Rz. 104 eingehen. bb) Arreste, einstweilige Verfügungen und Vormerkungen 23 Arreste und einstweilige Verfügungen haben gegenüber Klagen und Mahnbescheiden zeitliche Vorteile. Es werden jedoch nur in seltenen Fällen die entsprechenden Dringlichkeitsvoraussetzungen vorliegen. Ein fortschreitender Vermögensverfall ist für sich genommen noch kein Grund für derartig weitreichende zivilprozessuale Maßnahmen2. Im Übrigen ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass der Arrestbefehl auch schnellstmöglich vollzogen werden sollte. Ist dies bei Insolvenzeröffnung noch nicht geschehen, liegt also nicht mehr als ein Arrestbefehl vor, so ist dieser auf Widerspruch des Insolvenzverwalters ohne Sachprüfung aufzuheben3. 24 Zu denken ist natürlich auch an eine Vormerkung in ein massezugehöriges Grundstück. Ein derartiges Recht kann auch durch einstweilige Verfügung erlangt werden. Soweit im Wege einstweiliger Verfügung die Eintragung einer Vormerkung betrieben wird, ist im Gegensatz zu den vorangegangenen Ausführungen aufgrund der Regelung des § 885 Abs. 1 Satz 2 BGB eine Glaubhaftmachung der Gefährdung des zu sichernden Anspruchs nicht erforderlich (zur Rechtsstellung des Vormerkungsberechtigten vgl. § 8 Rz. 114 ff.). 1 Hierzu Pießkalla, ZInsO 2013, 1729. 2 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 917 Rz. 3. 3 BGH v. 15.1.1962 – VIII ZR 189/60, KTS 1962, 51.
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Beratung des Glubigers im Insolvenzantragsverfahren
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Rz. 28
§6
24a Hinweis: Ein zügiges Handeln ist in diesen Fällen unabdingbar. Kommt es zur Insolvenzeröffnung, findet auch in derartigen Fällen § 89 InsO Anwendung. Der Verwalter könnte die Eintragung einer Zwangsvormerkung selbst dann verhindern, wenn der Eintragungsantrag noch vor der Eröffnung gestellt worden ist1.
Tipp für den beratenden Anwalt: Eine wichtige Sicherungsmöglichkeit bieten die 25 Vorschriften der §§ 111b ff. StPO für diejenigen Gläubiger, die durch eine Straftat geschädigt worden sind. In einem solchen Fall sollte darauf hingewiesen werden, dass Arrestvollziehungs- oder Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in eventuell von der Staatsanwaltschaft sichergestellte Vermögensgegenstände möglich sind und die Zulassung der Arrestvollziehung oder Zwangsvollstreckung in diese Vermögensgegenstände durch strafrichterlichen Beschluss gemäß § 111g Abs. 2 Satz 1 StPO erwirkt werden kann2. cc) Insolvenzantrag Unabhängig von allen vorstehenden Überlegungen wird der Gläubiger vor allem von 26 seinem Anwalt wissen wollen, ob es rechtlich möglich und wirtschaftlich sinnvoll ist, einen Insolvenzantrag zu stellen. Dies soll nachfolgend ausführlich behandelt werden. III. Beratung des Gläubigers im Insolvenzantragsverfahren 1. Allgemeines Der Anwalt, der mit seinem Mandanten überlegt, ob ein Insolvenzantrag anstelle 27 anderer Maßnahmen sinnvoll ist3, sollte zunächst einmal recherchieren, ob es ein derartiges Antragsverfahren nicht bereits gibt. Liegt ein Eigenantrag des Insolvenzschuldners vor4, wird die Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts eine entsprechende Auskunft – auch telefonisch – geben. Auskünfte über Gläubigeranträge sind dagegen rechtlich etwas problematisch; in der Praxis kommen sie allerdings immer wieder vor. Die näheren Einzelheiten werde ich unter Rz. 117 ff. erläutern. Das Insolvenzeröffnungsverfahren ist ein klassisches Antragsverfahren. Von Amts wegen kann ein derartiges Verfahren nicht eingeleitet werden5.
27a
Bis zum 1.1.1999 gab es in Deutschland bei Insolvenz einer natürlichen oder juristi- 27b schen Person zwei Möglichkeiten, ein Antragsverfahren zu durchlaufen. Es konnte ein Konkurs- oder ein Vergleichsverfahren eingeleitet werden, das letztgenannte jedoch nur auf Antrag des Schuldners. Nunmehr gibt es nur ein einheitliches Verfahren, wobei jetzt allerdings wieder ein 28 Unterschied zwischen einem „Firmeninsolvenzverfahren“6 – auch Regelinsolvenzverfahren genannt – und einem Verbraucherinsolvenzverfahren gemacht wird (zu Letzterem vgl. § 16 dieses Buches). Dies braucht der Gläubiger jedoch nicht bei der Antragstellung zu berücksichtigen. Kommt das Gericht nach einem Gläubigerantrag zu dem Ergebnis, dass ein Verbraucherinsolvenzverfahren in Frage kommt, so hat es dem Schuldner gemäß § 306 Abs. 3 Satz 1 InsO vor der Entscheidung über die Eröffnung Gelegenheit zu geben, selbst einen Antrag zu stellen7. Stellt der Schuldner den Antrag nicht, so findet zwar kein Verbraucherinsolvenzverfahren statt; das Verfahren wird jedoch als vereinfachtes Insolvenzverfahren nach den §§ 311–314 InsO durchgeführt. Das Gericht hat bei der Entscheidung über die Verfahrenseröffnung von 1 2 3 4
Jaeger/Henckel, KO, § 14 Rz. 38, 55. Kiethe/Groeschke/Hohmann, ZIP 2003, 185 ff. Hierzu Geißler, ZInsO 2014, 14. Hierzu Änderungen bei § 13 InsO durch die Reform des Verbraucherinsolvenzverfahrens, das zum 1.7.2014 in Kraft getreten ist, erläutert von Blankenburg, ZInsO 2014, 801. 5 Mönning in Nerlich/Römermann, InsO, § 13 Rz. 1. (23. EL Stand März 2012). 6 Auch die richtige Verfahrensart für alle natürlichen Personen, soweit sie nicht als Verbraucher i.S.d. § 304 InsO einzustufen sind. 7 Vallender, MDR 1999, 280 (284).
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§6
Rz. 28a
Beratung des ungesicherten Glubigers
Amts wegen die Verfahrensart zu bestimmen. Ein Gläubigerantrag darf nur dann als in der gewählten Verfahrensart unstatthaft zurückgewiesen werden, wenn der Gläubiger trotz Hinweises ausschließlich eine bestimmte Art beantragt, die nach Auffassung des Insolvenzgerichts nicht zulässig ist. Ist es zur Eröffnung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens gekommen, so ist eine Umwandlung in ein Regelinsolvenzverfahren unzulässig. Ein Gläubiger hat auch kein Beschwerderecht mit dem Ziel, statt eines Verbraucherinsolvenzverfahrens ein Regelinsolvenzverfahren durchzuführen1. 28a
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Hinweis für den beratenden Anwalt: Der Gläubigerantrag sollte keine Angaben zur Verfahrensart enthalten.
29 Zur Zulässigkeit eines Gläubigerantrages bestimmt § 14 Abs. 1 Satz 1 InsO im Übrigen nur, dass der Gläubiger ein rechtliches Interesse an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens haben und seine Forderung sowie den Eröffnungsgrund glaubhaft machen muss. Eine Besonderheit ergibt sich bei wiederholten Anträgen des Gläubigers auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Durch das Haushaltsbegleitgesetz 2011 mit Wirkung vom 1.1.2011 wurden vorwiegend zugunsten öffentlich-rechtlicher Gläubiger (sog. öffentlich-rechtliche Zwangsgläubiger) die Abs. 1 Satz 2, 3 und Abs. 3 neu eingefügt2. Mit der Neuregelung soll erreicht werden, dass die Zulässigkeit des Insolvenzantrags auch dann gewahrt bleibt, wenn die Forderung des antragsstellenden Gläubigers durch Zahlung nach Antragsstellung erlischt3. Damit soll verhindert werden, dass der Schuldner sich wiederholt durch Begleichung der Forderung einem Insolvenzverfahrens entzieht und dieses über einen längeren Zeitraum verschleppt4. Zwar wird eine Auswechslung der dem Antrag zugrunde liegenden Forderung für zulässig gehalten, aber ein solches Vorgehen erscheint sinnlos, wenn absehbar ist, dass künftig fällig werdende Forderungen nicht beglichen werden5. Hat der Gläubiger daher in einem Zeitraum von zwei Jahren bereits einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt, besteht für ihn trotz der Forderungserfüllung die Möglichkeit diesen aufrechtzuerhalten6. Hieraus folgt ein sog. Initiativrecht des Gläubigers, wobei er weiterhin nicht daran gehindert ist, den Antrag zurückzunehmen oder diesen für erledigt zu erklären7. Entscheidet sich der Gläubiger für die Aufrechterhaltung seines Antrags, stellt sich neben dem Erfordernis der Glaubhaftmachung der vorherigen Antragstellung (§ 14 Abs. 2 Satz 3), die Frage, wie die weiteren Zulassungsvoraussetzungen zu behandeln sind (vgl. Rz. 39 ff.). Wer die Verfahrenskosten zu tragen hat, ist in § 14 Abs. 3 InsO geregelt (vgl. Rz. 115 f.). Mit der Insolvenzfähigkeit des Schuldners erwähnt das Gesetz in § 11 InsO eine weitere Zulässigkeitsvoraussetzung. 2. Insolvenzfähigkeit des Schuldners 30 Diese Zulässigkeitsvoraussetzung gilt für jedes Insolvenzverfahren. § 11 InsO ist die insolvenzrechtliche Entsprechung zu § 50 ZPO. Wie sich aus dem Wortlaut von § 11 Abs. 1 Satz 1 InsO ergibt, ist jede natürliche und juristische Person insolvenzfähig. Dies gilt auch für Ausländer, für die ein deutsches Insolvenzgericht nach § 3 InsO zuständig ist. Ob der Ausländer nach seinem Heimatrecht insolvenzfähig ist, ist unerheblich8. § 11 InsO wird durch die Vorschrift des § 12 InsO ergänzt, wonach bestimmte juristische Personen des öffentlichen Rechts von der Insolvenzfähigkeit ausgenommen werden. 1 BGH v. 25.4.2013 – IX ZB 179/10, ZIP 2013, 1139. 2 BT-Drucks. 17/3030, S. 54: Mönning in Nerlich/Römermann, InsO, § 14 Rz. 7 (24. EL Stand 2012); Wehr in Hamburger Kommentar zur InsO, § 14 Rz. 1. 3 Mönning in Nerlich/Römermann, InsO, § 14 Rz. 7 (24. EL Stand 2012). 4 Kexel in Graf-Schlicker, InsO, § 14 Rz. 22. 5 BT-Drucks. 17/3030, S. 54. 6 Kexel in Graf-Schlicker, InsO, § 14 Rz. 22. 7 Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 14 Rz. 135 (45. Lfg. 8/11); „Die Kölner Insolvenzrichter“, ZIP 2013, 1456; Frind, ZInsO 2011, 412. 8 Ehricke in Jaeger, Insolvenzordnung, Bd. 1, § 11 Rz. 14.
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Beratung des Glubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 32a
§6
Übersicht: Als Insolvenzschuldner kommen damit in Frage: – jede Privatperson, die passiv parteifähig ist – jede juristische Person – Aktiengesellschaft – GmbH – GmbH & Co. KG – KG auf Aktien – eingetragene Genossenschaft – rechtsfähiger Verein – rechtsfähige Stiftung – die in einem EU-Mitgliedstadt gegründeten rechtsfähigen Gesellschaften1 – der nicht rechtsfähige Verein – Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit – offene Handelsgesellschaft – Kommanditgesellschaft – Partnerschaftsgesellschaft – BGB-Gesellschaft – Partenreederei – Krankenkassen und Krankenkassenverbände2 – Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung – Nachlass – Gesamtgut einer fortgesetzten Gütergemeinschaft – Gesamtgut einer Gütergemeinschaft, soweit es von den Ehegatten gemeinschaftlich verwaltet wird.
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Nicht insolvenzfähig sind: – Bund oder Land – Juristische Personen des öffentlichen Rechts, die der Aufsicht des Landes unterstehen, wenn das Landesrecht dies bestimmt – Erbengemeinschaft3.
31a
Die Insolvenzfähigkeit von Bruchteilsgemeinschaften wird unter bestimmten Voraus- 31b setzungen bejaht4. Dagegen ist die Wohnungseigentümergemeinschaft trotz ihrer (Teil-)rechtsfähigkeit nicht insolvenzfähig, § 11 Abs. 3 WEG. Im Einzelnen: 32 Zu den natürlichen Personen ist anzumerken, dass der Schuldner kein Gewerbetreibender sein muss. Auch Privatpersonen sind insolvenzfähig und waren dies im Übrigen auch schon nach altem Recht. Der Schuldner braucht nicht geschäftsfähig zu sein, so dass sich der Antrag auch gegen Minderjährige oder gegen betreute Personen richten kann. Ähnlich verhält es sich mit juristischen Personen. Auch die so genannte fehlerhafte Gesellschaft ist zumindest dann insolvenzfähig, wenn sie in Vollzug gesetzt worden ist und Sondervermögen gebildet hat5. Nicht insolvenzfähig ist die BGB-Innengesellschaft6.
1 Zur Insolvenzfähigkeit der englischen Ltd. OLG Jena v. 22.8.2007 – 6 W 244/07, NZI 2008, 260. 2 Näheres hierzu vgl. Heeg/Kehbel, ZIP 2009, 302. 3 AG Duisburg v. 4.8.2003 – 63 IN 170/03, NZI 2004, 97; gleiche Tendenz BGH v. 17.10.2006 – VIII ZB 94/05, ZIP 2006, 2125, der eine Rechts- und Parteifähigkeit verneint. 4 Vgl. AG Göttingen v. 18.10.2000 – 74 IN 131/00, ZIP 2001, 580; a.A. Bork, ZIP 2001, 545. 5 BGH v. 16.10.2006 – II ZB 32/05, ZIP 2006, 2174; Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 11 Rz. 29. 6 AG Köln v. 6.10.2003 – 71 IN 168/03, NZI 2003, 614.
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§6
Rz. 32b
Beratung des ungesicherten Glubigers
32b Stellt eine juristische Person, typischerweise eine GmbH, einen Insolvenzantrag, muss sie auch prozessfähig sein. Das ist nicht der Fall, wenn sie keinen gesetzlichen Vertreter hat oder nach zulässigem Antrag verliert. Zumindest im zweiten Fall kann das Insolvenzgericht von Amts wegen einen Verfahrenspfleger bestellen1. 33 Besonderheit Vor- und Nachgesellschaften: Ist eine Gesellschaft zwar errichtet, aber noch nicht im Handelsregister eingetragen, so ist sie dennoch insolvenzfähig2. Voraussetzung ist jedoch, dass eine derartige Vorgesellschaft bereits Sondervermögen hat und im Rechtsverkehr als Gesellschaft in Erscheinung tritt3. Anders verhält es sich mit der so genannten Vorgründungsgesellschaft. Insoweit müsste allerdings geprüft werden, ob nicht in Wahrheit eine BGB-Gesellschaft oder eine OHG besteht. 33a Nachgesellschaften gelten ebenfalls als insolvenzfähig, so dass auch eine aufgelöste GmbH, solange ihr Vermögen nicht vollständig liquidiert ist, Antragsgegner sein kann4. Praktische Bedeutung hat dies vor allem, wenn sich bei einer GmbH nach Verfahrensablehnung mangels Masse weiteres Vermögen herausstellt. Das Gleiche gilt natürlich für die GmbH & Co. KG, eine Aktiengesellschaft usw. Insolvenzrechtlich ist es auch unerheblich, ob eine Gesellschaft schon im Register gelöscht ist, wenn sie noch verteilbares Vermögen hat5. Allerdings wäre ein gegen die bereits voll beendete und nicht mehr existierende BGB-Gesellschaft ergangener Eröffnungsbeschluss als nichtig anzusehen6. 33b Damit der Insolvenzantrag ordnungsgemäß zugestellt werden kann und der Schuldner überhaupt vertreten ist, müsste allerdings das Registergericht auf Antrag des Gläubigers einen Nachtragsliquidator bestellen7. Gelegentlich wird auch vertreten, dass zu diesem Zweck ein Prozesspfleger zu bestellen8 ist. Zu dieser Problematik auch im Übrigen unter Rz. 381. 3. Antragsberechtigung des Gläubigers a) Allgemeines 34 Der Gläubigerantrag setzt außer der oben erwähnten Insolvenzfähigkeit des Antragsgegners folgendes voraus: – rechtliches Interesse (vgl. Rz. 35 ff.); – Glaubhaftmachung der Forderung (vgl. Rz. 39 f.); – Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes (vgl. Rz. 41 ff.). Außerdem muss der Gläubiger darauf achten, dass das angerufene Gericht zuständig ist (vgl. Rz. 56 ff.). b) Rechtliches Interesse 35 Anders als noch nach der Konkursordnung ist nunmehr das rechtliche Interesse ausdrücklich im Gesetz erwähnt, § 14 Abs. 1 Satz 1 InsO. Der Gläubiger muss allerdings in seinem Insolvenzantrag hierzu keine besonderen Angaben machen. Durch die Darlegung, dass ihm eine Forderung zusteht und ein Eröffnungsgrund vorliegt, indiziert er gleichzeitig sein rechtliches Interesse9. Auch angesichts der Neuregelung des § 14
1 AG München v. 6.7.2007 – 1506 IN 959/07, ZIP 2008, 95. 2 BGH v. 9.10.2003 – IX ZB 34/03, NZI 2004, 28; BayObLG v. 23.7.1965 – BReg. 2 Z 7/65, NJW 1965, 2254; K. Schmidt in Scholz, GmbHG, § 11 Rz. 42. 3 K. Schmidt, NJW 1975, 665. 4 Uhlenbruck, ZIP 1996, 1641 (1648). 5 Ehricke in Jaeger, Insolvenzordnung, Bd. 1, § 11 Rz. 96; zur Ltd. LG Potsdam v. 6.6.2008 – 1 O 234/07, ZInsO 2008, 1145. 6 BGH v. 7.7.2008 – II ZR 37/07, ZIP 2008, 1677; zustimmend Vortmann, EWiR 2008, 679. 7 Zur Nachtragsliquidation vgl. MünchKommInsO/Schmahl/Vuia, § 13 Rz. 80. 8 OLG Zweibrücken v. 12.4.2001 – 3 W 23/01, ZIP 2001, 973; LG Berlin v. 11.12.2001 – 86 T 645/01, NZI 2002, 163; Henckel, ZIP 2000, 2045. 9 Bußhardt in Braun, InsO, § 14 Rz. 9 f.
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Beratung des Glubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 36
§6
Abs. 1 Satz 2 InsO bei Fortführung des Insolvenzantrages trotz Zahlung der Forderung durch den Schuldner wird weiterhin an das Erfordernis des rechtlichen Interesses an der Eröffnung des Insolvenzverfahrens festgehalten1. Das Rechtsschutzinteresse darf daher nicht generell mit dem Verweis auf die Erfüllung der Forderung des Gläubigers abgelehnt werden2. Ein fortbestehendes Interesse liegt dann vor, wenn davon auszugehen ist, dass gegenüber dem Gläubiger weitere Verbindlichkeiten begründet werden, die der Schuldner nicht erfüllen kann3. In der Regel wird das Rechtsschutzbedürfnis nur bei Finanzbehörden und Sozialversicherungsträgern anzuerkennen sein, weil diese öffentlichen Gläubiger nicht verhindern können, dass sie weitere Forderungen gegen den Schuldner erwerben4. Es sind jedoch Ausnahmen denkbar, die das Rechtsschutzbedürfnis entfallen lassen 35a könnten. Zeigen die Ausführungen des Gläubigers, dass ihm auch ein einfacherer oder billigerer Weg zur Befriedigung seiner Forderung offen steht, müsste das Rechtsschutzbedürfnis verneint werden5. Ihn auf Einzelvollstreckungsmöglichkeiten zu verweisen, führte jedoch in die falsche 35b Richtung. Vollstreckungsmaßnahmen könnten nämlich für den Fall, dass ein anderer Gläubiger oder der Schuldner einen Antrag stellt, zu einer Anfechtung des Rechtserwerbs führen6. Das AG Burgwedel hat die Auffassung vertreten7, der Gläubiger könne nicht gegen eine Gesellschaft Insolvenzantrag stellen, wenn er auch die Möglichkeit habe, gegen mithaftende Gesellschafter vorzugehen. Dies kann nur dann richtig sein, wenn eindeutig feststeht, dass der Gläubiger auf diese Weise schnell den vollen Geldbetrag erhält. Dem Antragsteller kann auch nicht entgegengehalten werden, er sei der einzige Gläubiger und benötige deshalb kein „Gesamtvollstreckungsverfahren“ und müsse vielmehr im Wege der Einzelvollstreckung nach der ZPO vorgehen8. Verfehlt wäre auch die Auffassung, den Insolvenzantrag eines nachrangigen Gläubigers als unzulässig zu verwerfen, weil dieser im eröffneten Verfahren keine Befriedigung erwarten könne9. Unterschiedliche Auffassungen hat es zu der Frage gegeben, ob bei Kleinstforderun- 36 gen ein Rechtsschutzbedürfnis zu verneinen ist. Der BGH hat sich insoweit „offen“ positioniert; es müsse eine Verhältnismäßigkeitskontrolle vorgenommen werden10. Abgesehen davon, dass hier jede Grenzziehung willkürlich wäre (50 Euro können für einen bestimmten Gläubiger viel Geld sein), zeigt die Nichtbegleichung geringer Forderungen, dass tatsächlich Zahlungsunfähigkeit vorliegt und deshalb schon beinahe ein öffentliches Interesse besteht, den Schuldner einem geregelten Verfahren zu unterwerfen. Die Mindestgebühr für das gerichtliche Verfahren in Höhe von 75 Euro sowie die Überlegung, dass bei einem erfolglosen Antrag erhebliche Kosten auf den Gläubiger zukommen, ist meines Erachtens ein ausreichender Schutz vor rechtsmissbräuchlichen Anträgen bei Kleinbeträgen.
1 BGH v. 12.7.2012 – IX ZB 18/12, ZIP 2012, 1674; Wehr in Hamburger Kommentar zur InsO, § 14 Rz. 72; Beth, NZI 2012, 1. 2 Grundlach/Rautmann, NZI 2011, 315. 3 Wehr in Hamburger Kommentar zur InsO, § 14 Rz. 72. 4 BGH v. 12.7.2012 – IX ZB 18/12, ZIP 2012, 1674; a.A. Müller/Rautmann, ZInsO 2013, 378; Kruth, EWiR 2012, 763. 5 Bußhardt in Braun, InsO, § 14 Rz. 8; auch bei zweifelsfrei vollständiger dinglicher Sicherung (Absonderungsberechtigter), BGH v. 29.11.2007 – IX ZB 12/07, ZInsO 2008, 103; kritisch hierzu Hölzle, EWiR 2008, 407. 6 Pape, EWiR 1995, 665 (666). 7 AG Burgwedel v. 3.11.1983 – 5 N 14/83, ZIP 1984, 475. 8 LG Koblenz v. 27.11.2003 – 2 T 856/03, NZI 2004, 157. 9 BGH v. 23.9.2010 – IX ZB 282/09, ZIP 2010, 2055; im Ergebnis zustimmend Gundlach/Müller, EWiR 2010, 819. 10 BGH v. 20.3.1986 – III ZR 55/85, NJW-RR 1986, 1188.
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§6
Rz. 37
Beratung des ungesicherten Glubigers
37 Ausnahmen: Dennoch wird in folgenden Fällen ein rechtliches Interesse am gestellten Insolvenzantrag abgelehnt: – die Absicht, eine umstrittene Rechtsfrage im Insolvenzverfahren zu klären1; – die Absicht, eine rechtlich zweifelhafte Forderung (bspw. nach Verjährungseintritt) durchzusetzen2; – der Versuch, über ein Insolvenzverfahren Informationen zu erlangen, die der Schuldner sonst nicht erteilen muss3; – Ausschaltung eines Konkurrenten(eine derartige Absicht wird jedoch schwer nachweisbar sein)4; – Erzwingung von Ratenzahlungen. Dazu Näheres unmittelbar im Anschluss5. 38 Der letztgenannte Fall kommt in der Praxis am häufigsten vor. Ist es zu einer Ratenzahlungsvereinbarung gekommen, die der Schuldner nicht einhält, müsste der Gläubiger vortragen, dass eine endgültige Zahlungseinstellung erfolgt ist, also keine weiteren Raten mehr zu erwarten sind. Wiederholte Insolvenzanträge des gleichen Gläubigers offenbaren häufig die „Druckabsicht“ und sind ein Indiz für ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis6. 38a Im Zusammenhang mit diesen Fällen einer missbräuchlichen Nutzung des Insolvenzantrages soll noch eine Entscheidung des AG Duisburg erwähnt werden. Gläubiger, die nur Teilzahlungen erzwingen wollen, offenbaren die missbräuchliche Nutzung des Insolvenzverfahrens, indem sie bei der Antragstellung erklären, sie würden den Antrag nach Zahlung des rückständigen Gesamtbetrages für erledigt erklären. Das Gericht verneinte konsequenterweise das rechtliche Interesse des antragstellenden Gläubigers7.
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Hinweis für den beratenden Anwalt Von derartigen Erklärungen kann daher nur dringend abgeraten werden.
38b In Einzelfällen kann das Gericht auch zur der Überzeugung gelangen, dass ein im Grunde zulässiger Insolvenzantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens als rechtsmissbräuchlich zu verwerfen ist, wenn das gesamte Verhalten des Gläubigers erkennbar auf die Schaffung einer solchen Druckposition ausgerichtet war8. 38c Auf keinen Fall kann das Rechtsschutzinteresse deshalb abgelehnt werden, weil der Schuldner bereits die eidesstattliche Versicherung abgegeben hat. Im Rahmen des entsprechenden Verfahrens wird nämlich die Vermögenssituation anders als im Insolvenzverfahren nicht überprüft. Dies hat insbesondere für die Anfechtungstatbestände Bedeutung (zu diesen § 10). 38d Zu erwähnen, aber bei der Beratung des ungesicherten Gläubigers nicht näher zu erörtern, sind die Streitfragen im Zusammenhang mit Aus- und Absonderungsrechten (vgl. dazu aber § 7), kapitalersetzenden Darlehen sowie den Anträgen zum Zwecke der „Insolvenzgeldbeschaffung“.
1 AG Burgwedel v. 3.11.1983 – 5 N 14/83, ZIP 1984, 475. 2 OLG Köln v. 1.9.1969 – 2 W 31/69, KTS 1970, 226; Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 14 Rz. 101 (45. Lfg. 8/11). 3 Mönning in Nerlich/Römermann, InsO, § 14 Rz. 24 (23. EL Stand März 2012). 4 OLG Frankfurt v. 29.12.1983 – 14 W 187/83, ZIP 1984, 195; bei Ausschaltung des Konkurrenten als Nebenzweck liegt keine Rechtsmissbräuchlichkeit vor: vgl. BGH v. 19.5.2011 – IX ZB 214/10, ZIP 2011, 1161; Frind, EWiR 2011, 467. 5 LG Münster v. 3.11.1992 – 5 T 722/92, ZIP 1993, 1103; Gerhardt in Jaeger, Insolvenzordnung, Bd. 1, § 14 Rz. 4. 6 MünchKommInsO/Schmahl/Vuia, § 14 Rz. 64. 7 AG Duisburg v. 28.12.2001 – 62 IK 99/01, ZInsO 2002, 451. 8 In diesem Fall handelte es sich um einen bedingten Insolvenzantrag, vgl. AG Göttingen v. 28.9.2011 – 71 IN 85/11 NOM, ZIP 2012, 242.
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Beratung des Glubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 41d
§6
c) Glaubhaftmachung der anderen Antragsvoraussetzungen aa) Glaubhaftmachung der Forderung Der Antrag muss einen schlüssigen Sachvortrag zum Bestehen einer Forderung ent- 39 halten. Darauf aufbauend hat eine Glaubhaftmachung zu erfolgen. Anders als bei der Einzelvollstreckung ist im Rahmen des § 14 InsO kein Titel notwendig1. Die Glaubhaftmachung ist bspw. auch durch ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis2, einen Wechsel, einen Vertrag und ähnliches möglich. Im Übrigen kann die Glaubhaftmachung nach § 294 ZPO auch durch andere präsente Beweismittel erfolgen, so bei Fehlen von Belegen durch eine eidesstattliche Versicherung. Eine nicht titulierte Forderung ist jedoch immer schlüssig darzulegen3. Im Übrigen ist die landläufige Meinung, der Gläubiger müsse einen Titel vorlegen4, 39a auch insoweit nicht richtig, als das ein Titel, vor allem wenn er nur vorläufig vollstreckbar ist, keineswegs Bestand haben muss. So kann der Schuldner auf sein Berufungsvorbringen verweisen und selbst bei rechtskräftigen Titeln die Forderung über § 767 ZPO angreifen. Generell hat der Schuldner die Möglichkeit, mit einer Gegenglaubhaftmachung zu operieren. Letztlich hat das Insolvenzgericht darauf abzustellen, ob aufgrund des wechselseitigen Vorbringens der Bestand der Gläubigerforderung noch überwiegend wahrscheinlich ist. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass für die Zulässigkeit des Antrages 40 und entsprechende Sicherungsmaßnahmen geringere Voraussetzungen gelten als für die spätere Eröffnung. Dann genügt die Glaubhaftmachung mit den Mitteln des § 294 ZPO nicht mehr; zumindest muss die Darlegungslast in diesem späteren Stadium anders gesehen werden. Nur hinsichtlich der Einleitung des Verfahrens lässt sich die von Pape aufgestellte These, die Last des Bestreitens einer glaubhaft gemachten Forderung läge beim Schuldner, rechtlich halten5. Zur Eröffnung ist eine weitergehende Überzeugung des Gerichtes notwendig. bb) Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes Den Insolvenzgrund glaubhaft zu machen, fällt naturgemäß dem antragstellenden Gläubiger schwerer als die Glaubhaftmachung der Forderung. Beim Insolvenzgrund geht es nämlich – anders als bei der Forderung – um die Sphäre des Gegners, in die ein Gläubiger häufig keinen Einblick hat.
41
Allgemeiner Eröffnungsgrund ist die Zahlungsunfähigkeit, § 17 Abs. 1 InsO. Bei einer 41a juristischen Person ist auch die Überschuldung Insolvenzgrund, § 19 Abs. 1 InsO (die drohende Zahlungsunfähigkeit als dritter Insolvenzgrund hat nur für den Schuldnerantrag Bedeutung, § 18 InsO). Beide Insolvenzgründe werden vom Gesetzgeber näher umschrieben: Zahlungsunfähigkeit: „Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen“, § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO.
41b
Überschuldung: „Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich“, § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO.
41c
Wann im Einzelfall von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auszugehen ist, 41d wird in § 1 Rz. 49 ff. und 106 ff. näher erläutert. An dieser Stelle soll nachstehend deshalb nur dargestellt werden, wie der Gläubiger die Insolvenzgründe glaubhaft machen kann. 1 BGH v. 23.10.2008 – IX ZB 7/08, WuM 2009, 144; Kirchhof in HK-InsO, § 14 Rz. 14; Vallender, MDR 1999, 280. 2 BGH v. 12.3.2009 – IX ZB 157/08, ZInsO 2009, 767. 3 BGH v. 22.9.2005 – IX ZB 205/04, NZI 2006, 34. 4 LG Potsdam v. 24.11.1996 – 5 T 248/99, NZI 2000, 233; LG Leipzig v. 29.4.1996 – 12 T 2903/96, ZIP 1996, 880. 5 Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 14 Rz. 71. (45. Lfg. 8/11).
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§6
Rz. 42
Beratung des ungesicherten Glubigers
42 Genauso wie bei der Glaubhaftmachung der Forderung ist auch hier zunächst ein schlüssiger Tatsachenvortrag nötig. Da es um Vorgänge im Bereich des Gegners geht, dürfen die Anforderungen an den Tatsachenvortrag nicht überspannt werden. Der Vortrag von Indiztatsachen reicht aus1. Zur Glaubhaftmachung des Vorbringens kann zunächst wieder auf § 294 ZPO verwiesen werden. 42a Eine Besonderheit ergibt sich allerdings in Zusammenhang mit der Neuregelung des § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO und den an die Glaubhaftmachung des Eröffnungsgrundes gestellt Anforderungen. Anhand der Gesetzesbegründung lässt sich aus der Formulierung, dass „besonders strenge Anforderungen an das Rechtschutzinteresse und die Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes“2 zu stellen seien, keine konkreten Vorgaben entnehmen3. Dagegen hat sich in der Rechtsprechung die Auffassung verfestigt, wenn auch mit unterschiedlichen Begründungen, dass der Gläubiger nach Zahlung der Forderung weiterhin gehalten ist, den Insolvenzgrund glaubhaft zu machen4. Anders als der BGH, verkennt das AG Köln jedoch nicht die Konfliktsituation des darlegungsbelasteten Gläubigers, dem es ohne weitere Ermittlungen kaum möglich sein dürfte, zum Vorliegen des Insolvenzgrundes Näheres vorzutragen5. Insoweit trifft den Schuldner eine sekundäre Darlegungslast und die Verpflichtung konkrete Angaben zum Wegfall des Insolvenzgrundes zu machen6. Eine kommentarlose Zahlung des Schuldners reicht hierfür nicht aus7 (vgl. Rz. 115). – Im Übrigen setzt die Anwendung von § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO einen an sich zulässigen Insolvenzantrag (Zweitantrag) voraus8. 43 Übersicht: Mittel der Glaubhaftmachung der Zahlungsunfähigkeit: – In erster Linie die Unpfändbarkeitsbescheinigung eines Gerichtsvollziehers. – Daneben aber auch das Protokoll über die Offenbarungsversicherung im Zwangsvollstreckungsverfahren9, zu Protest gegangene Schecks oder Wechsel und eidesstattliche Versicherungen. 44
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Hinweis: Die eidesstattliche Versicherung ist natürlich zurückhaltend zu sehen, vor allem, wenn es sich um die eidesstattliche Versicherung des antragstellenden Gläubigers handelt.
1 Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, § 14 Rz. 79. 2 BT-Drucks. 17/3030, S. 54. 3 Marotzke, ZInsO 2011, 841; vgl. auch (kritisch) Smid, DZWIR 2013, 133; Müller/Rautmann, ZInsO 2013, 378; Beth, ZInsO 2014, 1702. 4 BGH v. 11.4.2013 – IX ZB 256/11, WM 2013, 1033 und ZIP 2013, 1086 mit zustimmender Besprechung Kexel, EWiR 2013, 515 und Klages/Pape, NZI 2013, 561; AG Köln v. 9.5.2011 – 71 IN 57/11, ZIP 2011, 1379; LG Berlin v. 10.1.2012 – 85 T 386/11, ZIP 2012, 935 mit kritischer Anm. Frind, EWiR 2012, 285; AG Ludwigshafen v. 25.2.2013 – 3a IN 421/12 Sp, ZInsO 2013, 514; AG Wuppertal v. 16.4.2012 – 145 IN 1070/11, ZIP 2012, 1090;AG Köln v. 17.7.2013 – 73 IN 272/11, ZIP 2013, 1588; a.A. AG Göttingen v. 26.8.2011 – 74 IN 86/11, ZIP 2011, 2312; Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 14 Rz. 136; Wehr in Hamburger Kommentar zur InsO, § 14 Rz. 72; Hackländer/Schur, ZInsO 2012, 901; vgl. auch Harder, NJW Spezial 2012, 277; LG München v. 10.1.2014 – 14 T 375/14, ZInsO 2014, 362; kritisch hierzu Müller/Rautmann, ZInsO 2014, 888. 5 AG Köln v. 9.5.2011 – 71 IN 57/11, ZIP 2011, 1379. 6 AG Köln v. 9.5.2011 – 71 IN 57/11, ZIP 2011, 1379; nur in besonders gelagerten Einzelfällen vgl. AG Wuppertal v. 16.4.2012 – 145 IN 1070/11, ZIP 2012, 1090; Kadenbach in Ahrens/Gehrlein/ Ringstmeier, InsO, § 14 Rz. 16; a.A. BGH v. 11.4.2013 – IX ZB 256/11, WM 2013, 1033 und ZIP 2013, 1086; AG Wuppertal v. 3.5.2012 – 145 IN 84/12, ZIP 2012, 1363; Beth, NZI 2012, 1. 7 AG Köln v. 9.5.2011 – 71 IN 57/11, ZIP 2011, 1379; „Die Kölner Insolvenzrichter“, ZIP 2013, 1456 – s.a. Rz. 47b. 8 AG Köln v. 17.7.2013 – 73 IN 272/11, ZIP 2013, 1588; kritisch hierzu Müller/Rautmann, ZInsO 2014, 888. 9 BayObLG v. 11.9.2001 – 4 ZBR 12/01, InVo 2002, 18; OLG Celle v. 29.10.2001 – 2W114/01, InVo 2002, 105.
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Beratung des Glubigers im Insolvenzantragsverfahren
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Rz. 47a
§6
Hinweis für den beratenden Anwalt:
44a
Häufig ergibt sich jedoch die Zahlungsunfähigkeit auch aus Korrespondenz, bspw. wenn der Schuldner in Briefen erklärt hat, er könne kein Geld zur Verfügung stellen, stattdessen aber Sicherheiten gewähren. Meist sind die Briefe der Schuldner jedoch so abgefasst, dass sich hiermit nur eine Zahlungsstockung belegen lässt. Es könnten dem Gläubiger in diesen Fällen allerdings auch zusätzliche Dokumente helfen, die belegen, dass die bereits eingeräumte augenblickliche Zahlungsunfähigkeit tatsächlich ein Dauerzustand sein wird (Hinweise, dass ein anderer Gläubiger schon alle Außenstände, die als einziges Liquidität bringen könnten, einzieht). Nach einer Entscheidung des BGH1 indiziert die Nichtabführung von Sozialbeiträgen 44b über einen Zeitraum von sechs Monaten bereits die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners. Demgegenüber verlangt das LG Hamburg neben dem mehrmonatigen Beitragsrückstand der Sozialbeiträge einen fruchtlosen Vollstreckungsversuch, denn der Sozialversicherungsträger hat das Vorliegen des Insolvenzgrundes in gleicher Weise glaubhaft zu machen wie andere Gläubiger auch2. So wie bei der Forderung als Antragsvoraussetzung könnte der Schuldner auch bei 45 dem Eröffnungsgrund eine Gegenglaubhaftmachung versuchen. Ein bloßes Bestreiten reicht nicht aus. Vielmehr müsste der Schuldner detailliert darlegen, dass der Anschein, den die vom Gläubiger vorgelegten Beweismittel begründen, trügt3.
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Hinweis: 45a Ein durch „harte Fakten“ untermauerter Liquiditätsplan ist mindestens erforderlich. Vom eigenen Steuerberater ausgestellte „Bescheinigungen“ sind mit Zurückhaltung zu betrachten, anders jedoch Erklärungen der Hausbank.
Gelingt dem Gläubiger die Glaubhaftmachung der Zahlungsunfähigkeit nicht, könn- 46 te er versuchen, den zweiten Eröffnungsgrund, die Überschuldung, darzulegen und zu beweisen. Regelmäßig ist dies jedoch viel schwieriger, es sei denn der Gläubiger ist im Besitz von Bilanzunterlagen, bspw. aufgrund von Sanierungsgesprächen, die erfolglos verlaufen sind. Ein besonderes Problem kann dann entstehen, wenn der Schuldner behauptet, nur bei Berücksichtigung der Forderung des Gläubigers läge Zahlungsunfähigkeit und/ oder Überschuldung vor, die Forderung bestehe jedoch nicht zu Recht (so genannte insolvenzbegründende Forderungen4).
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Der BGH vertritt die Auffassung, dass in diesem Fall die Glaubhaftmachung der For- 47a derung nicht genügt5, vielmehr ein Vollbeweis notwendig ist. Den ihm obliegenden Beweis kann der Gläubiger durch die Vorlage einer vollstreckbaren Urkunde führen6. Der Schuldner kann jedoch Einwendungen gegen die Vollstreckbarkeit in dem dafür vorgesehenen Verfahren verfolgen7. Gelingt ihm dies nicht, braucht das Insolvenzgericht die Einwendungen des Schuldners nicht zu berücksichtigen8. In der Kommen1 BGH v. 13.6.2006 – IX ZB 238/05, ZIP 2006, 1457. 2 LG Hamburg v. 21.11.2001 – 326 T 171/01, ZIP 2002, 447; Fortführung LG Hamburg v. 30.6.2010 – 326 T 40/10, ZIP 2011, 189. 3 OLG Celle v. 7.9.2000 – 2 W 69/00, NZI 2001, 28; AG Göttingen v. 3.5.2002 – 74 IN 134/02, NZI 2003, 104; LG Dresden v. 29.4.2004 – 5 T 0407/04, ZIP 2004, 1062. 4 Hierzu instruktiv Koch/Arndt, EWiR 2002, 631; AG Göttingen v. 4.1.2013 – 71 IN 100/11 NOM, ZIP 2013, 1347. 5 BGH v. 29.3.2007 – IX ZB 141/06, ZInsO 2007, 604 mit dem Hinweis darauf, dass die Berechtigung einer Verjährungseinrede gegen die nicht titulierte insolvenzbegründende Forderung grds. nur im Prozesswege überprüft werden kann; vgl. auch BGH v. 13.6.2006 – IX ZB 214/05, ZIP 2006, 1456 sowie AG Göttingen v. 4.1.2013 – 71 IN 100/11 NOM, ZIP 2013, 1347; a.A. LG Itzehoe v. 21.4.1989 – 1 T 22/89, KTS 1989, 730. 6 BGH v. 29.6.2006 – IX ZB 245/05, WM 2006, 1632. 7 BGH v. 29.11.2007 – IX ZB 12/07, WM 2008, 227. 8 BGH v. 14.1.2010 – IX ZB 177/09, ZIP 2010, 291; BGH v. 17.9.2009 – IX ZB 26/08, ZInsO 2009, 2072.
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Rz. 47b
Beratung des ungesicherten Glubigers
tierung wird dies teilweise anders gesehen: Für die Zulässigkeit des Gläubigerantrages müsse eine derartige Forderung ausreichen. Erst wenn es um die Entscheidung über den Eröffnungsantrag geht, habe das Gericht einen Vollbeweis zu verlangen1, wobei nicht geleugnet werden kann, dass dies nicht ganz unproblematisch ist, führt es doch dazu, dass das Insolvenzgericht Sicherungsmaßnahmen anordnen darf, die wegen ihrer Publizität verheerende Auswirkungen für den Schuldner haben können. Er verliert seine Kreditwürdigkeit und wird vielleicht erst hierdurch insolvent; nachher stellt sich jedoch dann heraus, dass die Forderung tatsächlich nicht existiert (zu den Folgen für den Gläubiger siehe unten Rz. 120). cc) Glaubhaftmachung des Erstantrags (§ 14 Abs. 1 Satz 3 InsO) 47b Hält der Gläubiger im Falle des § 14 Abs. 1 Satz 2 seinen Antrag auf Eröffnung der Insolvenz aufrecht, hat er nach § 14 Abs. 1 Satz 3 InsO den Erstantrag ebenfalls glaubhaft zu machen. Der Gläubiger muss nicht zwingend mit dem vorherigen Antragsteller identisch sein2. Als früherer Antrag genügt jeder Gläubigerantrag, jedoch nicht ein Eigenantrag des Schuldners3. Liegt keine Personenidentität vor, kann dies zu erheblichen Problemen führen, denn der Gläubiger wird in der Regel keine Kenntnis von dem Erstantrag haben oder nicht im Besitz der erforderlichen Unterlagen sein, die er dem Insolvenzgericht erneut vorlegen könnte4. Einzig verbleibende Möglichkeit für den Gläubiger besteht in dem Auskunftsanspruch nach § 4 InsO, § 299 ZPO auf amtswegige Mitteilung, ob bereits ein Insolvenzantrag innerhalb der letzten zwei Jahren gestellt wurde und das Insolvenzgericht von Amts wegen Vorakten über den Schuldner beigezogen hat5. 4. Inhalt und Form des Insolvenzantrages a) Inhalt des Antrages aa) Allgemeines 48 An den Inhalt eines Gläubigerantrages auf Insolvenzeröffnung werden keine besonderen Anforderungen gestellt. Wie bei allen verfahrenseinleitenden Schriften ist die Formulierung ausreichend bestimmt vorzunehmen. Das Ziel des Antrages ist also anzugeben. Eine Formulierung in typischer Antragsform ist hierzu nicht notwendig. 48a Klar muss natürlich sein, wer Antragsgegner ist: eine bestimmte natürliche Person, juristische Person oder ein anderes insolvenzfähiges Subjekt (zur Vorgründungsgesellschaft und zur gelöschten juristischen Person siehe oben Rz. 31 ff.). Sondervermögen können auch Antragsgegner sein, müssen dann aber genau bezeichnet, das heißt vermögensmäßig umrissen sein6. Stellt der Gläubiger den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzantrags gegen eine natürliche Person, gilt die Besonderheit, dass dieser sich auf eine Verfahrensart festlegen muss, Tut er dies nicht, so muss das Gericht im Zweifel von einem Regelinsolvenzverfahren ausgehen, da die gesetzliche Konstruktion das Verbraucherinsolvenzverfahren als Ausnahme von dem Regelinsolvenzverfahren ansieht7. Generell gelten die Grundsätze des § 133 BGB: Der wirkliche Wille ist zu ermitteln. bb) Bedingungsfeindlichkeit 49 Wie bei allen bestimmenden Schriftsätzen gilt der Grundsatz der Bedingungsfeindlichkeit8. Ein Antrag für den Fall, dass noch kein anderer Antrag vorliegt, ist nicht
1 Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 14 Rz. 71 (45. Lfg. 8/2011); Pape, NJW 1993, 297. 2 Gundlach/Rautmann, NZI 2011, 315. 3 Wehr in Hamburger Kommentar zur InsO, § 14 Rz. 67 f.; a.A. Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 24 Rz. 118. 4 Gundlach/Rautmann, NZI 2011, 315. 5 Frind, ZInsO 2011, 412; „Die Kölner Insolvenzrichter“, ZIP 2013, 1456 – s.a. Rz. 42a. 6 Vallender, MDR 1999, 280 (283). 7 LG Hamburg v. 11.10.2012 – 326 T 102/11, ZIP 2012, 288. 8 Kirchhof in HK-InsO, § 13 Rz. 4.
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Beratung des Glubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 53
§6
– unzulässig – bedingt, weil er auch so verstanden werden kann, dass der Gläubiger in jedem Fall seine Forderung insolvenzrechtlich geltend machen will (evtl. Auslegung in Richtung Forderungsanmeldung). Wird im Antrag zum Ausdruck gebracht, dass der Gläubiger ebenfalls mit Ratenzahlungen einverstanden ist, so dürfte dies auch kein bedingter Antrag sein1; eine derartige Aussage kann aber mit dem Vortrag zum Insolvenzgrund kollidieren (doch nicht von Zahlungsunfähigkeit ausgehend?). Auf keinen Fall ist es zulässig, den Antrag unter der Bedingung zu stellen, dass ein bestimmter Insolvenzverwalter bestellt wird. cc) Kostensorge und Prozesskostenhilfe Ein besonderes Thema ist in diesem Zusammenhang die Kostensorge. Immer wieder 50 finden sich in Anträgen Formulierungen dahin gehend, dass auf keinen Fall bestimmte kostenauslösende Maßnahmen erfolgen dürften (Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters oder andere Sicherungsmaßnahmen). Wird dies zur Bedingung für den Antrag gemacht, ist er unzulässig2, wie generell die Formulierung, es dürften überhaupt keine Kosten für den Antragsteller entstehen; § 23 Abs. 1 GKG lässt sich nicht abbedingen. Sinnvoll und erlaubt im Sinne der Zulässigkeit ist folgender Formulierungsvorschlag:
M4
50a
Musterformulierung Insolvenzantrag/Kostensorge
Der Antragsteller bittet das Gericht, den Schuldner zunchst nur anzuhçren und das Ergebnis dieser Anhçrung mitzuteilen, bevor ein Sachverstndiger mit Ermittlungen beauftragt wird und/oder Sicherungsmaßnahmen eingeleitet werden, insbesondere ein vorlufiger Insolvenzverwalter bestellt wird. Was ist aber, wenn dem Insolvenzantrag ein Prozesskostenhilfegesuch beigefügt ist? 51 Wird der Antrag von der Bewilligung der Prozesskostenhilfe abhängig gemacht, so liegt überhaupt noch kein wirksamer Insolvenzantrag vor. Wird der Insolvenzantrag zusammen mit der Einreichung des Prozesskostenhilfegesuchs „vorsorglich“ gestellt, so ist es, so das AG Köln, ein bedingter und damit unzulässiger Antrag3. dd) Forderungshöhe Selbstverständlich muss der Gläubiger in seinem Insolvenzantrag angeben, welche 52 Forderungshöhe zugrunde liegt; er muss den Anspruch also beziffern. Er kann den Antrag nicht auf eine Teilforderung stützen. Die Angabe des genauen Gesamtbetrages ist schon deshalb notwendig, weil im Eröffnungsverfahren sowohl die Zahlungsfähigkeit als auch die Überschuldung geprüft wird. Beides kann von der Höhe gerade dieser Gläubigerforderung abhängig sein. Deshalb wird in der Literatur angenommen, dass ein Antrag, der auf eine Teilforderung gestützt wird, unzulässig ist4. ee) Anschriften Wesentlicher Inhalt eines Gläubigerantrages ist schließlich die Angabe der Anschrift 53 des Schuldners. Es muss sich – ebenso natürlich auch bei dem Antragsteller – um eine ladungsfähige Anschrift handeln5. Die Angabe eines Postfaches oder des ehemaligen Firmensitzes reicht nicht, ebenso wenig die bloße Anschrift des Geschäftsführers, weil das Gericht die Frage der örtlichen Zuständigkeit schon aufgrund des Antrages zu prüfen hat. Ist dem Antragsteller der Aufenthaltsort des Schuldners un-
1 2 3 4 5
A.A. jedoch Uhlenbruck, Rpfleger 1981, 377 (379). AG Göttingen v. 30.9.1999 – 74 IK 37/99, ZInsO 1999, 659. AG Köln v. 25.2.2000 – 71 IN 17/00, NZI 2000, 284; a.A. Kirchhof in HK-InsO, § 13 Rz. 4. Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, § 14 Rz. 23; a.A. Kirchhof in HK-InsO, § 14 Rz. 11. A.A. Pape, EWiR 1988, 1111.
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§6
Rz. 54
Beratung des ungesicherten Glubigers
bekannt, so sollte er dies sogleich mitteilen, damit eine öffentliche Zustellung vorgenommen werden kann, die der Gläubiger nicht ausdrücklich beantragen muss1. b) Form des Antrages 54 Besondere Formvorschriften gibt es nicht (anders nur bei Schuldneranträgen in Verbraucherinsolvenzverfahren). Das Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens, in Kraft seit dem 1.7.2007, ergänzt jedoch den Satz 1 des § 13 InsO dahingehend, dass der Antrag schriftlich einzureichen ist. 54a Nach § 133 ZPO hat der antragstellende Gläubiger ein Exemplar zustellungsfähiger Durchschriften oder anwaltlich beglaubigter Abschriften beizufügen. Geschieht dies nicht, wird das Gericht auf Kosten des Antragstellers Kopien erstellen. c) Musterantrag2 55 M 5
Musterformulierung Insolvenzantrag
Amtsgericht – Insolvenzgericht – Straße PLZ Ort Ort, den . . . Az.: . . . Antrag auf Erçffnung des Insolvenzverfahrens des Max Mustermann, Straße, PLZ Ort – Antragstellers – Verfahrensbevollmchtigte: Rechtsanwlte . . . gegen den Namen, Straße, PLZ Ort – Antragsgegner – Namens und in Vollmacht des Antragstellers, eine auf uns lautende Vollmacht berreichen wir in der Anlage, beantragen wir, das Insolvenzverfahren ber das Vermçgen des Namen, Straße, PLZ Ort (vergleiche Rubrum) zu erçffnen. Begrndung: Der Antragsgegner steht zu dem Antragsteller in Geschftsbeziehung. Im Rahmen eines Dienstleistungsvertrages hatte der Antragsteller diverse Dienstleistungen fr den Antragsgegner erbracht. Hieraus schuldet der Antragsgegner dem Antragsteller eine Vergtung in Hçhe von . . . Euro. Trotz mehrfacher Aufforderungen hat der Antragsgegner keinerlei Zahlungen auf diese Forderungen geleistet. Der Antragsteller hat daraufhin einen Vollstreckungsbescheid gegen den Antragsgegner ber die oben genannte Forderung erwirkt. Dieser Vollstreckungsbescheid ist diesem Antrag in Ablichtung beigefgt. Versuche, aus dem vorgenannten Vollstreckungsbescheid gegen den Antragsgegner zu vollstrecken, sind fruchtlos geblieben. Die Fruchtlosigkeitsbescheinigung des Gerichtsvollziehers . . . Straße, PLZ, Ort, vom . . ., haben wir ebenfalls in Ablichtung beigefgt. Aus den vorgenannten Umstnden ergibt sich, dass der Antragsgegner zahlungsunfhig ist. Zur Glaubhaftmachung verweisen wir auf die diesem Antrag beigefgten Ablichtungen des Vollstreckungsbescheides und der Fruchtlosigkeitsbescheinigung des Gerichtsvollziehers. Der Antragsteller bittet das Gericht, den Schuldner zunchst nur anzuhçren und das Ergebnis dieser Anhçrung mitzuteilen, bevor ein Sachverstndiger mit Ermittlungen beauftragt wird 1 OLG Köln v. 1.8.1988 – 2 W 131/88, ZIP 1988, 1070. 2 Zu den allg. Anforderungen an Insolvenzanträge s.a. Vallender, MDR 1999, 280.
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Rz. 56
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und/oder Sicherungsmaßnahmen eingeleitet werden, insbesondere ein vorlufiger Insolvenzverwalter bestellt wird. Fr den Fall, dass die Kosten des Insolvenzverfahrens nicht durch das Vermçgen des Antragsgegners abgedeckt sind, wird um die Anforderung eines Kostenvorschusses gebeten. Rechtsanwlte . . . durch ... Rechtsanwalt 5. Gerichtszuständigkeit a) Sachliche Zuständigkeit Nach § 2 InsO ist für das Insolvenzverfahren das Amtsgericht, in dessen Bezirk ein 56 Landgericht seinen Sitz hat, als Insolvenzgericht für den Bezirk dieses Landgerichts ausschließlich zuständig. Nach dem 2. Absatz der genannten Bestimmung werden jedoch die Landesregierungen ermächtigt, andere oder zusätzliche Amtsgerichte zu Insolvenzgerichten zu bestimmen und die Bezirke der Insolvenzgerichte abweichend festzulegen. Für die Bundesländer, welche von der Ermächtigung dieses § 2 Abs. 2 InsO Gebrauch gemacht haben, sind nachstehend die jeweiligen Insolvenzgerichte aufgeführt1. Baden-Württemberg: AG Aalen, AG Baden-Baden, AG Crailsheim, AG Esslingen, AG Freiburg, AG Göppingen, AG Hechingen, AG Heidelberg, AG Heilbronn, AG Karlsruhe, AG Konstanz, AG Lörrach, AG Ludwigsburg, AG Mannheim, AG Mosbach, AG Offenburg, AG Pforzheim, AG Ravensburg, AG Rottweil, AG Stuttgart, AG Tübingen, AG Ulm, AG Villingen-Schwenningen, AG Waldshut-Tiengen. Bayern: AG Amberg, AG Ansbach, AG Aschaffenburg, AG Augsburg, AG Bamberg, AG Bayreuth, AG Coburg, AG Deggendorf, AG Fürth, AG Hof, AG Ingolstadt, AG Kempten, AG Landshut, AG Memmingen, AG Mühldorf, AG München, AG Neu-Ulm, AG Nördlingen, AG Nürnberg, AG Passau, AG Regensburg, AG Rosenheim, AG Schweinfurt, AG Straubing, AG Traunstein, AG Weiden i.d. OPf., AG Weilheim, AG Wolfratshausen, AG Würzburg. Berlin: AG Berlin-Charlottenburg. Bremen: AG Bremen, AG Bremerhaven. Hessen: AG Bad Hersfeld, AG Bad Homburg v.d.H., AG Darmstadt, AG Eschwege, AG Friedberg, AG Fulda, AG Gießen, AG Hanau, AG Kassel, AG Königstein i.T., AG Korbach, AG Limburg a.d. Lahn, AG Marburg, AG Offenbach am Main, AG Wetzlar, AG Wiesbaden. Niedersachsen: AG Aurich, AG Bersenbrück, AG Braunschweig, AG Bückeburg, AG Celle, AG Cloppenburg, AG Cuxhaven, AG Delmenhorst, AG Gifhorn, AG Göttingen, AG Goslar, AG Hameln, AG Hannover, AG Hildesheim, AG Holzminden, AG Leer (Ostfr.), AG Lingen, AG Lüneburg, AG Meppen, AG Nordenham, AG Oldenburg, AG Osnabrück, AG Osterode, AG Stade, AG Syke, AG Tostedt, AG Uelzen, AG Vechta, AG Verden, AG Walsrode, AG Wilhelmshaven, AG Wolfsburg. 1 Das jeweils zuständige Insolvenzgericht lässt sich auch online unter www.justiz.de/OrtsGe richtsverzeichnis/index.php ermitteln.
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§6
Rz. 57
Beratung des ungesicherten Glubigers
Schleswig-Holstein: AG Eutin, AG Flensburg, AG Itzehoe, AG Kiel, AG Lübeck, AG Meldorf, AG Neumünster, AG Niebüll, AG Norderstedt, AG Pinneberg, AG Reinbek, AG Schwarzenbek. b) Örtliche Zuständigkeit aa) Allgemeines 57 Sie ist in § 3 InsO geregelt. Hiernach ist das Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der örtlichen Zuständigkeit nach § 3 Abs. 1 InsO ist der Eingang des Insolvenzantrages bei Gericht1. Fehlt die örtliche Zuständigkeit zum Zeitpunkt der Antragstellung, so kann diese bis zur Entscheidung über den Antrag begründet werden2. 57a Liegt der Mittelpunkt einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners an einem anderen Ort, so ist ausschließlich das Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk dieser Ort liegt3. Die Formulierung zeigt, dass vorrangig zu prüfen ist, ob der Schuldner eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausübt. Erst wenn dies verneint wird, stellt sich die Frage, wo der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. 57b Der Begriff „wirtschaftliche Tätigkeit“ ist nicht identisch mit dem Begriff „Gewerbe“. Eine Eintragung in das Handelsregister ist nicht Voraussetzung. Deshalb fallen auch Freiberufler unter diese Regelung. bb) Beendigung der wirtschaftlichen Tätigkeit 58 Streitig war eine Zeitlang, ob nach einer Beendigung der wirtschaftlichen Tätigkeit einer GmbH nur noch der Wohnsitz des Geschäftsführers maßgeblich ist. Dies ist sowohl von dem OLG Schleswig als auch von dem Kammergericht so gesehen worden, jedenfalls wenn die Geschäftsräume nicht mehr existierten und der Geschäftsführer alle Geschäftsunterlagen an seinen Wohnsitz verbracht hatte4. Für diese Rechtsmeinung sprachen vor allem Praktikabilitätsüberlegungen. Hatte bspw. die GmbH ihren Sitz in Kiel und verzog der Geschäftsführer nach Beendigung der wirtschaftlichen Tätigkeit nach Freiburg, wohin er auch alle Unterlagen mitnahm, so stand das Amtsgericht Kiel, wenn es sich mit der Meinung des OLG Schleswig als zuständig ansah, vor dem Problem, entweder einen Gutachter oder vorläufigen Insolvenzverwalter aus seinem Gerichtssprengel einzusetzen, der dann jedoch unter Umständen zur Einsichtnahme in die Geschäftsunterlagen nach Freiburg reisen musste oder aber einen ihm unbekannten Insolvenzpraktiker aus Freiburg auszuwählen. Dieses Dilemma hat das Landgericht Hamburg veranlasst, auf den Wohnsitz des Geschäftsführers jedenfalls dann abzustellen, wenn dieser von dort aus noch Abwicklungsmaßnahmen erledigte, also bspw. die Korrespondenz führte5. 59 Die heute ganz herrschende Meinung geht jedoch dahin, trotz dieser praktischen Schwierigkeiten nur auf den satzungsmäßig festgelegten Sitz und die entsprechende Handelsregistereintragung abzustellen6. Das OLG Koblenz hatte im Übrigen bereits nach altem Recht bei einer wegen Vermögenslosigkeit gelöschten GmbH das Gericht 1 OLG Frankfurt v. 21.5.2002 – 21 AR 113/01, ZInsO 03/33 und speziell für Verfahren mit Auslandsberührung BGH v. 9.2.2006 – IX ZB 418/02, ZIP 2006, 529. 2 AG Göttingen v. 27.11.2009 – 74 IN 271/09, ZIP 2010, 640. 3 BayObLG v. 12.11.2002 – 1Z AR 157/02, ZIP 2003, 676 f. 4 OLG Schleswig v. 9.8.1999 – 2 W 116/99, NZI 1999, 416; KG v. 7.6.1999 – 28 AR 65/99, NZI 1999, 499. 5 LG Hamburg v. 20.12.1999 – 326 T 194/99, ZInsO 2000, 118; Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 3 Rz. 13. 6 OLG Celle v. 16.12.2003 – 2 W 117/03, ZIP 2004, 581; BayObLG v. 19.9.2003 – 1 Z AR 102/03, NZI 2004, 148; OLG Braunschweig v. 13.4.2000 – 1 W 29/00, NZI 2000, 266 (267); OLG Hamm v. 14.1.2000 – 1 Sbd 100/99, NZI 2000, 220 (221); Kirchhof in HK-InsO, § 3 Rz. 20; Pape, EWiR 2003, 1255.
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Beratung des Glubigers im Insolvenzantragsverfahren
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als örtlich zuständig angesehen, in dessen Bezirk die Schuldnerin zuletzt im Handelsregister eingetragen war1. Praktische Bedeutung hat dies vor allem für die sich häufenden Fälle der sog. gewerbsmäßigen Firmenbestattung2, wobei die die „Bestattung“ vorbereitenden Gesellschafterbeschlüsse nichtig sind3. Die Bestattungsunternehmen sind dabei immer mehr ins Visier der Gerichte gekommen, vor allem soweit es um eine Schadensersatzpflicht der Mitwirkenden geht4, aber auch was die Zulässigkeit ihrer Insolvenzanträge angeht5. Liegen Anhaltspunkte für den Verdacht einer solchen gewerbsmäßigen „Firmenbestattung“ vor, darf das Insolvenzgericht bei der Ermittlung seiner Zuständigkeit sich nicht auf die pauschalen und substanzlosen Angaben des Geschäftsführers verlassen. Dem Insolvenzgericht obliegt in einem solchen Fall eine gesteigerte Amtsermittlungsplicht, und es hat vor einer etwaigen Verweisung den für die Zuständigkeit maßgeblichen Sachverhalt aufzuklären6. cc) Mittelpunkt der Tätigkeit Eine weitere Frage ist, wo sich bei einem Unternehmen der Mittelpunkt seiner wirtschaftlichen Tätigkeit befindet. Sind bei einem Unternehmen Betriebsstätte und Verwaltungssitz nicht am selben Ort, so soll der Verwaltungssitz maßgeblich sein, allerdings nur der tatsächliche Sitz und nicht der Ort der Eintragung ins Handelsregister7. Auf den Verwaltungssitz abzustellen, ist sicherlich interessengerecht. Dort werden die wirtschaftlichen Entscheidungen getroffen; dort findet auch der Insolvenzverwalter die Geschäftsunterlagen vor, die er für seine Abwicklungstätigkeit benötigt. Zum alten Recht war dies auch so gesehen worden8.
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Bei Insolvenzen mit „grenzüberschreitenden Bezug“ ist zu berücksichtigen, dass nach Maßgabe des EuGH bei der Beurteilung des „Mittelpunkt der hautsächlichen Interessen“ (COMI) auf objektive und zugleich für Dritte feststellbaren Kriterien abzustellen ist9.
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Bei einer im Ausland ansässigen Schuldnerin müsste nach Art. 102 Abs. 3 Satz 1 61 EGInsO auch eine rechtlich unselbständige Zweigniederlassung in Deutschland den Gerichtsstand für das inländische Vermögen begründen. Durch diesen Art. 102 Abs. 3 EGInsO ist damit ein Insolvenzgerichtsstand des inländischen Vermögens geschaffen worden. Insoweit erfährt § 3 InsO eine Ergänzung. Dieser besondere Gerichtsstand des inländischen Vermögens nach Art. 102 Abs. 3 EGInsO setzt jedoch voraus, dass das inländische Vermögen nicht zweifelsfrei für andere Berechtigte bereits vollständig insolvenzfest beschlagnahmt ist. Andernfalls besteht für das Verfahren nach Art 102 Abs. 3 EGInsO kein Rechtsschutzinteresse10 (vgl. hierzu und zu Fragen des Internationalen Insolvenzrechts § 18 Rz. 78).
1 OLG Koblenz v. 20.1.1989 – 4 SmA 1/89, Rpfleger 1989, 251. 2 OLG Celle v. 9.10.2003 – 2 W 108/03, ZIP 2004, 1022 m. zust. Bspr. Runkel, EWiR 2004, 859 (860) und zwar auch zu der Frage, ob fehlerhafte Verweisungsentscheidungen Bindungswirkung haben. 3 OLG Zweibrücken v. 3.6.2013 – 3 W 87/12, ZIP 2013, 2463; a.A. Wertenbruch, EWiR 2013, 721. 4 Vgl. LG Berlin v. 6.3.2006 – 14 O 448/05, ZIP 2006, 865; LG Berlin v. 8.3.2006 – 86 O 33/05, ZIP 2006, 862. 5 AG Duisburg v. 2.1.2007 – 64 IN 107/06, ZIP 2007, 690. 6 OLG Celle v. 11.1.2010 – 4 AR 3/10, ZIP 2010, 489; OLG München v. 12.3.2009 – 31 AR 158/09, ZInsO 2009, 838. 7 MünchKommInsO/Ganter/Lohmann, § 3 Rz. 10a; a.A. AG Hamburg v. 18.12.2008 – 67c IN 389/08, ZIP 2009, 634. 8 LG Dessau v. 30.3.1998 – 7 T 123/98, ZIP 1998, 1006; Schmahl, EWiR 1998, 557; zur Zulässigkeit eines Antrages einer deutschen Zweigniederlassung, wenn unklar ist, ob für die ausländische Gesellschaft schon ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet worden ist, vgl. AG Köln v. 1.12.2005 – 71 IN 564/05, NZI 2006, 57. 9 EuGH v. 17.1.2006 – C-1/04, NZI 2006, 143; BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 164/06, NZI 2007, 344. Näheres hierzu vgl. EuGH v. 20.10.2011 – C-396/09; BGH v. 1.12.2011 – IX ZB 232/10, ZIP 2012, 139; K. Schmidt/Stephan, § 3 InsO Rz. 8; Mankowski, ZIP 2010, 1376; Webel, EWiR 2008, 181. 10 So OLG Karlsruhe v. 15.4.2002 – 9 W 111/01, NZI 2002, 387 (388).
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Rz. 62
Beratung des ungesicherten Glubigers
Die örtliche Zuständigkeit kann im Übrigen auch im Verhältnis zum Ausland für das anzuwendende Recht Bedeutung haben1. 62 Bei Konzernen ist mangels einer Sonderregelung die Bestimmung des zuständigen Insolvenzgerichts für jedes einzelne Konzernunternehmen gesondert vorzunehmen2. Haben beispielsweise das selbständige Tochterunternehmen und der übergeordnete Konzern unterschiedliche Gerichtsstände, so ist auch dann nicht der Konzernsitz entscheidend, wenn von dort aus die Geschäfte gesteuert werden. Voraussetzung ist jedoch, dass bei dem Tochterunternehmen ein Teil von Selbständigkeit verblieben ist3. 63 Das Insolvenzgericht am Verwaltungssitz einer Personenhandelsgesellschaft ist nicht automatisch auch für ein Insolvenzverfahren gegen die Gesellschafter zuständig. Dies wird nur dann der Fall sein, wenn ein persönlich haftender Gesellschafter, selbst wenn er woanders lebt, vor allem für diese eine Gesellschaft tätig ist, also an deren Sitz den Schwerpunkt seiner eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit hat4. dd) Allgemeiner Gerichtsstand 64 Liegen die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 2 nicht vor, so ist nach Satz 1 das Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Dieser ergibt sich aus den §§ 11 ff. ZPO. 64a Bei natürlichen Personen ist der Wohnsitz entscheidend, § 13 ZPO. Fehlt dieser, so ist auf den Aufenthaltsort oder den letzten Wohnsitz abzustellen. Der Wohnsitz muss nicht immer dort liegen, wo jemand „polizeilich“ gemeldet ist. Die Anmeldung ist jedoch zumindest ein Indiz für den Wohnsitz5. 64b Für juristische Personen gilt § 11 ZPO: Entscheidend ist der satzungsgemäße Sitz, der regelmäßig auch im Register eingetragen ist. Satzungsmäßige Sitzverlegungen bei einer GmbH sind nur zu beachten, wenn eine entsprechende Eintragung vorgenommen worden ist. ee) Verfahren bei Unzuständigkeit 65 Das Gericht überprüft seine Zuständigkeit von Amts wegen. Will es seine Zuständigkeit verneinen, so hat es den Antragsteller hierauf hinzuweisen. Stellt dieser keinen Verweisungsantrag, so weist das Gericht den Insolvenzantrag ab. 65a Der Verweisungsbeschluss – nur dieser, nicht die formlose Weitergabe der Akte – bindet das bezeichnete Gericht, §§ 281 Abs. 2 Satz 2, 495 ZPO. Die Bindungswirkung entfällt, wenn die Verweisung willkürlich ist oder unter schweren Verfahrensfehlern wie beispielsweise der Verletzung rechtlichen Gehörs leidet6, aber auch wenn die Begründung nicht erkennen lässt, aus welcher Alternative des § 3 Abs. 1 InsO das Insolvenzgericht seine örtliche Unzuständigkeit ableitet7. Eine willkürliche Entscheidung liegt vor allem dann vor, wenn das verweisende Gericht nicht nur den entscheidungsrelevanten Sachverhalt evident falsch erfasst hat, sondern auch keine eigenen Sachverhaltsermittlungen angestellt hat8. Hält das Gericht, an das verwiesen wurde, die Verweisung für rechtsfehlerhaft und lehnt die Übernahme ab, so erfolgt von Amts wegen die Vorlage an das höhere Gericht durch eines der am Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte9, § 36 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO. 1 Sehr instruktiv in diesem Zusammenhang BGH v. 22.1.1998 – IX ZR 99/97, ZIP 1998, 477. 2 AG Essen v. 1.9.2009 – 166 IN 119/09, ZIP 2010, 1826; Rotstegge, ZIP 2009, 955; a.A. Brünkmans, EWiR 2009, 679. 3 OLG Brandenburg v. 19.6.2002 – 1 AR 27/02, ZIP 2002, 1590 f. 4 Kirchhof in HK-InsO, § 3 Rz. 13; K. Schmidt/Stephan, § 3 InsO Nr. 6. 5 OLG Naumburg v. 20.9.1999 – 1 AR 44/99, InVo 2000, 12. 6 BGH v. 13.12.2005 – X ARZ 223/05, ZIP 2006, 442; OLG Hamm v. 14.2.2013 – I-32 SA 1/13, ZIP 2013, 1144; Pape, ZIP 2006, 877. 7 OLG Hamm v. 15.2.2013 – I-32 SA 1/13, ZIP 2013, 1144. 8 KG Berlin v. 2.4.2009 – 2 AR 10/09, ZIP 2009, 1637. 9 Zöller/Vollkommer, ZPO, § 37 Rz. 2, zu den Anforderungen an die Unzuständigkeitserklärung § 36 Rz. 24 ff.; OLG Celle v. 27.9.2011 – 4 AR 51/11, ZIP 2012, 1263.
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Beratung des Glubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 69
§6
Hat das Gericht einmal seine Zuständigkeit bejaht und das Verfahren eröffnet, ist ei- 65b ne Verweisung an ein anderes Gericht selbst dann nicht möglich, wenn das Gericht seine örtliche Zuständigkeit irrtümlich angenommen hat1. Entsprechendes gilt in folgendem Fall: Ist das Insolvenzverfahren durch ein Insolvenzgericht eröffnet worden, kann dessen örtliche Unzuständigkeit nicht durch die Stellung eines neuen Insolvenzantrags bei dem angeblich örtlich zuständigen Gericht beseitigt werden2. Ein Gericht darf sich auch nicht mit einem Insolvenzantrag weiter befassen, wenn zeitlich vorher ein anderes Gericht das Insolvenzverfahren eröffnet hat3. 6. Zulassung des Antrages und Folgen a) Anhörung des Schuldners Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass alle oben genannten Voraussetzungen, 66 – Insolvenzfähigkeit des Schuldners, – rechtliches Interesse des Gläubigers, – Glaubhaftmachung von Forderung und Insolvenzgrund, – inhaltlich und formal ordnungsgemäßer Antrag, – Zuständigkeit, vorliegen, lässt es den Antrag zu. Dies geschieht formlos und kann nicht mit Rechtsmitteln angegriffen werden4. Erst jetzt ist dem Schuldner der Antrag zuzustellen. Er erhält nach § 14 Abs. 2 InsO Gelegenheit zur Stellungnahme (rechtliches Gehör). Das bis dahin einseitige wird hierdurch zu einem zweiseitigen Verfahren. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs steht jedoch nicht der sofortigen Anordnung 66a von Aufklärungs- oder Sicherungsmaßnahmen, die das Gericht für eilig hält, entgegen5. Etwas anderes gilt nur für die Anordnung einer Postsperre und den Erlass eines Haftbefehls. Kommt es zu einer persönlichen Anhörung des Schuldners, hat der Gläubiger kein 67 Recht auf Anwesenheit. Ihm ist jedoch rechtliches Gehör zu gewähren, wenn das Gericht den Insolvenzantrag zurückweisen will. Ihm ist insbesondere ein evtl. erstelltes Sachverständigengutachten zur Kenntnis zu geben. b) Mögliche Reaktionen Eine denkbare Reaktion des Schuldners auf die Zustellung der Antragsschrift ist die 68 sofortige Bezahlung. Wie hierauf wiederum der Gläubiger, dessen Rechtsschutzinteresse damit entfällt, reagieren sollte, ist unter Rz. 116 näher zu erörtern. Viele Schuldner zeigen auch überhaupt keine Reaktion. Ihr Schweigen wird von der Literatur als Bestreiten des Insolvenzgrundes angesehen6. Im Übrigen könnte der Schuldner natürlich die Zulässigkeitsvoraussetzungen und/oder den Insolvenzgrund bestreiten. In beiden Fällen hat das Gericht Amtsermittlungen (siehe unten Rz. 69 ff.) anzustellen. 7. Maßnahmen des Insolvenzgerichts a) Allgemeines – Amtsermittlungspflicht Mit der Zulassung des Insolvenzantrages7 stellt sich für den Richter die Frage, ob bis 69 zur Entscheidung über die Verfahrenseröffnung irgendwelche gerichtlichen Schritte 1 2 3 4
OLG Celle v. 7.5.2007 – 4 AR 27/07, ZIP 2007, 1922; zustimmend Schmerbach, EWiR 2008, 143. LG Berlin v. 14.9.2007 – 86 T 424/07, NZI 2008, 43. OLG München v. 21.1.2014 – 34 AR 277/13, ZIP 2014, 741 = ZInsO 2014, 902. OLG Köln v. 27.9.1993 – 2 W 152/93, ZIP 1993, 1723; Mönning in Nerlich/Römermann, InsO, § 14 Rz. 75 (23. EL Stand März 2012). 5 Gerhardt in Jaeger, Insolvenzordnung, Bd. 1, § 14 Rz. 38. 6 Gerhardt in Jaeger, Insolvenzordnung, Bd. 1, § 14 Rz. 17; ähnlich Kirchhof in HK-InsO, § 14 Rz. 48. 7 Bei zweifelhaftem Gerichtsstand können berechtigte Sicherungsinteressen der Insolvenzgläubiger es gebieten, Sicherungsmaßnahmen schon vor der Feststellung der Zulässigkeit des Insolvenzantrages zu treffen, BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 164/06, ZIP 2007, 878.
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§6
Rz. 69a
Beratung des ungesicherten Glubigers
notwendig sind. Auch wenn, wie unter Rz. 66 erwähnt, mit der Zulassung des Antrages ein zweiseitiges Verfahren beginnt, bleibt es für einige Bereiche ein Amtsverfahren. Deshalb heißt es in § 5 InsO, das Gericht habe von Amts wegen alle Umstände zu ermitteln, die für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sind. Hierzu korrespondierend wird in § 20 Abs. 1 InsO eine Auskunftspflicht des Schuldners normiert. Verweigert der Schuldner die Mitwirkung, so ist das Gericht selbst dann zu Amtsermittlungen verpflichtet, wenn ein Eigenantrag vorliegt1 oder der Schuldner unerreichbar ist2. 69a Nach § 97 InsO hat der Schuldner auch Tatsachen zu offenbaren, die geeignet sind, eine Verfolgung wegen einer Straftat herbeizuführen. Es besteht dann allerdings im Strafverfahren ein – theoretisches – Verwertungsverbot3. Außerdem soll der Geschäftsführer ein Zeugnisverweigerungsrecht haben, soweit dies für eine eigene zivilrechtliche Inanspruchnahme von Bedeutung sein könnte4. 69b Des Weiteren ist auch auf § 98 InsO zu verweisen: Das Gericht kann zur Durchsetzung der Pflichten des Schuldners die zwangsweise Vorführung und Haft anordnen5. Die Beschwerde gegen die Haftanordnung hat aufschiebende Wirkung6. 69c Im Übrigen werden schließlich dem Gericht, wie sich aus § 21 InsO ergibt, Sicherungsmaßnahmen überantwortet. Das Gericht hat demnach sowohl zu ermitteln als auch zu sichern, wobei sich die Kombination beider Bereiche aus § 22 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 3 InsO ergibt: Der als Sicherungsmaßnahme eingesetzte vorläufige Verwalter mit Verfügungsbefugnis hat zu prüfen, ob die Verfahrenskosten gedeckt sind; das Gericht kann ihn zusätzlich beauftragen, als Sachverständiger zu prüfen, ob ein Eröffnungsgrund tatsächlich vorliegt (bis dahin müsste er nur glaubhaft gemacht sein) und welche Aussichten für eine Fortführung des schuldnerischen Unternehmens bestehen. b) Bestellung eines Sachverständigen 70 Sie erfolgt regelmäßig deshalb, weil die Erkenntnismöglichkeiten des Gerichts begrenzt sind. Bei vielen Gerichten wird nach Eingang und Zulassung des Insolvenzantrages zunächst ein Sachverständiger bestellt, der nicht gleichzeitig die Funktion des vorläufigen Insolvenzverwalters hat, also die Bestellung alleine auf § 5 InsO gestützt. Wenn es dort heißt, das Gericht könne den Sachverständigen vernehmen, so bedeutet dies in der Praxis, dass der Sachverständige seine Aussagen schriftlich macht, also ein Gutachten erstellt. 70a Die Ermittlungsbefugnisse des nach § 5 InsO bestellten Sachverständigen bewegen sich nur im Rahmen der §§ 402 ff. ZPO. Der Sachverständige kann Dritte – bspw. Banken und Steuerberater – nicht zu Auskünften zwingen. Das Gericht kann den Sachverständigen auch nicht zur Einholung von Auskünften bei der Bank des Schuldners ermächtigen7. Die Räume des Schuldners kann er nur mit dessen Einverständnis betreten8; das Gleiche gilt für die Einsichtnahme in seine Geschäftsbücher. Vor allem besteht eine Auskunftspflicht des Schuldners nicht gegenüber dem Gutachter, sondern nur gegenüber dem Insolvenzgericht. Die isolierte Bestellung des Sachverständigen ist deshalb nur sinnvoll, wenn alle Insolvenzbeteiligten kooperativ sind.
1 LG Göttingen v. 24.4.2002 – 10 T 11/02, ZIP 2002, 1048; andere Tendenz – bei nicht hinreichender Substantiierung – LG Stendal v. 28.6.2007 – 25 T 112/06, NZI 2008, 44. 2 BGH v. 13.4.2006 – IX ZB 118/04, ZIP 2006, 1056. 3 Zur Weiterleitung des Eröffnungsgutachtens an die Staatsanwaltschaft Tetzlaff, NZI 2005, 316. 4 LG Ingolstadt v. 30.8.2004 – 1T 1333/04, ZIP 2005, 275. 5 Zur entsprechenden Abwägung durch das Gericht BGH v. 23.10.2003 – IX ZB 159/03, NZI 2004, 86. 6 Hierzu Ahrens, NZI 2005, 299; a.A. LG Göttingen v. 17.12.2004 – 10 T 133/04, NZI 2005, 339. 7 LG Göttingen v. 22.10.2002 – 10 T 57/02, NZI 2003, 38 mit zustimmender Anm. Vallender. 8 BGH v. 4.3.2004 – IX ZB 133/03, ZIP 2004, 915; Bähr, EWiR 2004, 499.
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Beratung des Glubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 74
§6
Anders ist die Situation bei einem vorläufigen Insolvenzverwalter, der gleichzeitig ei- 71 nen Gutachtenauftrag erhält. Dieser kann die Auskunftspflicht des Schuldners mit Zwangsmitteln durchsetzen, §§ 22 Abs. 3, Satz 3, 98 InsO. Er ist außerdem kraft Gesetzes berechtigt, die Geschäftsräume des Schuldners zu betreten, dort Nachforschungen anzustellen, insbesondere Einsicht in alle Geschäftsunterlagen zu nehmen. Unter bestimmten Voraussetzungen kann er auch von Dritten die Vorlage von Unterlagen verlangen1. Hingegen ist der Insolvenzverwalter nicht berechtigt, die Räume eines am Eröffnungsverfahren nicht beteiligten Dritten zu durchsuchen2. Erhält der vorläufige Insolvenzverwalter die Verfügungsbefugnis, so hat er die oben 71a unter Rz. 69 erwähnten Prüfungspflichten und die hiermit korrespondierenden Rechte, teils kraft Gesetzes, teils aufgrund Beauftragung. Wird ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, ohne dass dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt wird, so müsste das Gericht die Überprüfungsaufgaben insgesamt anordnen. Der Sachverständige wird in seinem Gutachten bestimmte Empfehlungen geben, de- 72 nen das Gericht jedoch nicht folgen muss. Es kann auch noch ergänzende Auskünfte verlangen. Dem antragstellenden Gläubiger gegenüber ist der Sachverständige allerdings nicht zu Auskünften verpflichtet. Dessen Informationsmöglichkeiten werden unter Rz. 117 behandelt. Im Übrigen hat der Sachverständige das Gutachten unverzüglich zu erstellen. Irgendwelcher Vermittlungstätigkeit hat er sich zu enthalten, aber auch kein Geld in Empfang zu nehmen, um es an den antragstellenden Gläubiger weiterzuleiten3. Die Honorierung des Gutachters erfolgt nach dem JVEG. Die Vergütung ist Teil der Kosten des Insolvenzverfahrens im Sinne des § 54 InsO (Auslagen nach GKG).
72a
c) Sicherungsmaßnahmen im Überblick Das Insolvenzgericht hat nach § 21 InsO alle Maßnahmen zu treffen, die erforderlich 73 sind, um bis zur Entscheidung über den Antrag eine den Gläubigern nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten, dies in Ausnahmefällen selbst dann, wenn die Zulässigkeit des Antrags noch nicht sicher beurteilt werden kann4. Die Sicherungsmaßnahmen können wegen der allgemein zu befürchtenden Gefährdung des Sicherungszwecks auch ohne die vorherige Anhörung des Schuldners erlassen werden5. § 21 Abs. 2 InsO nennt sechs wichtige Maßnahmen und bringt mit der Formulierung 73a („insbesondere“) zum Ausdruck, dass auch noch andere Maßnahmen möglich sind. In Abs. 3 der genannten Bestimmung wird dann schließlich – sozusagen als Steigerung – erwähnt, dass das Gericht den Schuldner zwangsweise vorführen und nach Anhörung in Haft nehmen lassen kann, wenn andere Maßnahmen nicht ausreichen. Welche Sicherungsmaßnahmen das Gericht anordnet, steht in seinem Ermessen. Die 73b Maßnahme darf allerdings nicht unverhältnismäßig sein. So ist eine Anordnung der Durchsuchung der Geschäftsräume nur zulässig, wenn zuvor die Vernehmung des Schuldners in einem Anhörungstermin versucht worden ist6. Die wichtigsten Maßnahmen sind folgende: – Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters (Abs. 2 Ziff. 1); – Einsetzung eins vorläufigen Gläubigerausschusses (Abs. 2 Ziff. 1a)7; – Auferlegung eines allgemeinen Verfügungsverbots (Abs. 2 Ziff. 2);
1 2 3 4 5 6 7
74
AG Mönchengladbach v. 6.12.2002 – 32 IN 11/02, ZInsO 2003, 42. BGH v. 24.9.2009 – IX ZB 38/08, ZIP 2009, 2068; kritisch hierzu Frind, EWiR 2010, 21. OLG Köln v. 16.3.2004 – 22 U 148/03, ZIP 2004, 919 m. Bespr. Pape, EWiR 2004, 607. BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 164/06, NZI 2007, 344; Pape, EWiR 2007, 599. BGH v. 14.7.2011 – IX ZB 57/11, ZIP 2011, 1875. LG Göttingen v. 12.4.2007 – 10 T 10/07, ZIP 2007, 2007. Vgl. LG Kleve v. 4.4.2013 – 4 T 32/13, ZIP 2013, 992 mit krit. Anm. Haarmeyer, ZInsO 2013, 1039; Vallender, MDR 2012, 61; im Übrigen vgl. Rz. 164.
Runkel
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§6
Rz. 75
Beratung des ungesicherten Glubigers
– Anordnung, dass Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind (Zustimmungsvorbehalt – Abs. 2 Ziff. 2); – Untersagung oder einstweilige Einstellung von Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner (Abs. 2 Ziff. 3); – Anordnung einer vorläufigen Postsperre (Abs. 2 Ziff. 4); – Anordnung eines Verwertungsverbots (Abs. 2 Ziff. 5); zwangsweise Vorführung und Inhaftierung des Schuldners (Abs. 3); – Erlass von Aufenthaltsbeschränkungen (Abs. 3); – Schließung der Geschäftsräume; – Anordnung der Betriebsfortführung; – Ermächtigung des vorläufigen Verwalters zur Stilllegung und Schließung des Betriebes; – Siegelung von Räumen; – Beschlagnahme von Geschäftsunterlagen; – Gestattung von Verwertungshandlungen des vorläufigen Verwalters im Einzelfall (zur Verhinderung von Nachteilen für das Schuldnervermögen); – Beschlagnahme und Verfügungsverbot hinsichtlich einzelner Vermögenswerte, insbesondere Guthaben oder Forderungen des Schuldners (unter anderem Kontensperre); – Verbot der Herausgabe von Gegenständen an Absonderungsberechtigte; – isolierte Beauftragung eines Sachverständigen. Die wichtigsten Sicherungsmaßnahmen sollen nachstehend unter den Rz. 75–110 erläutert werden: d) Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters 75 Die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters ist in der Praxis die wohl wichtigste Sicherungsmaßnahme im Rahmen des Insolvenzeröffnungsverfahrens. Dies wird nicht zuletzt dadurch deutlich, dass der Gesetzgeber gerade diese Sicherungsmaßnahme an den Anfang seiner nicht als abschließend zu qualifizierenden Auflistung („insbesondere“) von in Betracht kommenden Sicherungsmaßnahmen gestellt hat, § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO. aa) Auswahl 76 Gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO erfolgt die Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters durch das Gericht. Da § 21 Abs. 2 Nr. 1 die entsprechende Anwendung der Vorschriften der §§ 56, 58–66 InsO vorsieht, gelten für die Auswahl des vorläufigen Insolvenzverwalters die Kriterien, die § 56 InsO festlegt. Insoweit wird auf die Ausführungen unter Rz. 156 ff. verwiesen. 76a Die Auswahl des vorläufigen Insolvenzverwalters wird sich daran orientieren, dass der vorläufige Verwalter später auch der endgültige Verwalter wird. Zwar sieht § 57 InsO die Möglichkeit vor, in der ersten Gläubigerversammlung einen anderen Insolvenzverwalter zu wählen. Davon wird in der Praxis allerdings kaum Gebrauch gemacht. Als vorläufiger Insolvenzverwalter ist eine für den jeweiligen Einzelfall geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige natürliche Person zu bestellen1. Die Bestellung juristischer Personen scheidet aus, Gleiches gilt für Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, nicht voll geschäftsfähige Personen sowie für den Schuldner selbst oder seine gesetzlichen Vertreter. 77 Die Entscheidung über die Person des vorläufigen Insolvenzverwalters liegt allein beim Gericht. Die richterliche Unabhängigkeit gebietet es, hier von einem weiten Ermessensspielraum auszugehen. Der Richter hat allein zu berücksichtigen, wer am 1 Mönning in Nerlich/Römermann, InsO, § 21 Rz. 71 ff. (23. EL Stand März 2012); Mönning in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 1997, 375 ff. Rz. 5; Vallender, DZWIR 1999, 265 (266).
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ehesten den Problemstellungen der konkreten Insolvenzabwicklung gewachsen ist. Die Branche oder die Größe des Unternehmens ist ebenso zu berücksichtigen wie die persönliche Verfügbarkeit des Verwalters, d.h. vor allem seine Belastung mit anderen Verfahren. Wegen der weiteren Einzelheiten verweise ich auf Rz. 156 ff. Mögliche Vorschlagsrechte der Gläubiger und wie diese vernünftigerweise agieren 77a sollten, werden ebenfalls unter Rz. 165 erörtert. bb) Aufgaben, § 22 InsO Für den vorläufigen Insolvenzverwalter gelten gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO die die 78 Rechtsstellung des endgültigen Verwalters regelnden §§ 56, 58–66 InsO entsprechend (vgl. hierzu Rz. 166). Er darf gemäß § 22 Abs. 3 InsO die Geschäftsräume des Schuldners betreten, dort Nachforschungen anstellen und Bücher sowie Geschäftspapiere einsehen. Der Schuldner ist zur Auskunftserteilung verpflichtet. Im Übrigen hängen Rechte und Pflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters davon ab, ob gegen den Schuldner gleichzeitig ein Verfügungsverbot erlassen wurde. Grundsätzlich hat der Verwalter die schutzwürdigen Belange des Schuldners sowie das Gesamtinteresse aller Gläubiger, also nicht Interessen einzelner Gläubiger, zu wahren1.
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(1) Aufgaben des Verwalters mit Verfügungsbefugnis (a) Allgemeines Hat das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestimmt und ein 79 Verfügungsverbot erlassen, geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über, § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO, wobei sich die Pflichten des vorläufigen Verwalters nach § 22 Abs. 2 Satz 2 InsO bestimmen (zu einem solchen starken vorläufigen Insolvenzverwalter vgl. § 14 Rz. 11 ff.). Für das Gericht besteht auch die Möglichkeit besondere Verfügungsverbote anzuordnen, um u.a. eine Forderung des Schuldners im eigenen Namen einzuziehen2. Gerade in Fällen, in denen die Verjährung oder Uneinbringlichkeit der Forderung droht, wird eine solche Maßnahme für geboten erachtet3. Erlassene Verfügungsbeschränkungen nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO sind gemäß § 23 79a Abs. 1 Satz 1 InsO öffentlich bekannt zu machen. Anders als das allgemeine Verfügungsverbot nach dem früheren § 106 KO führt das Verfügungsverbot nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 InsO zu einem absoluten Verfügungsverbot, weil § 24 Abs. 1 InsO auf die §§ 81 f. InsO verweist4. Unter Verstoß gegen die Beschränkung vorgenommene Verfügungen des Schuldners sind – absolut – unwirksam. Ein an den Schuldner Leistender wird nur befreit, wenn er in Unkenntnis des Verfügungsverbots geleistet hat, was vermutet wird, wenn die Leistung vor Bekanntmachung (§ 23 InsO) des Verfügungsverbots erfolgte, § 24 Abs. 1 i.V.m. § 82 InsO. Die Verhängung eines Veräußerungsverbots nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO hat die Wirkungen der §§ 135 f. BGB. Der nach § 22 Abs. 1 InsO bestellte vorläufige Verwalter hat das Vermögen des Schuld- 80 ners zu sichern und zu erhalten. Die Vorschrift bezweckt, ein frühzeitiges Auseinanderfallen der späteren Insolvenzmasse zu verhindern. Daher bezieht sich der Wortlaut auch nicht nur auf die massezugehörigen Gegenstände, sondern auf das „Vermögen“ des Schuldners. Hiervon sind notwendigerweise auch solche Gegenstände im Besitz des Schuldners erfasst, die mit Fremdrechten Dritter belastet sind. Mit der Beschlag-
1 Hierzu Ries, ZInsO 2013, 1612, der „vorläufige Insolvenzverwalter“ nach § 21 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. InsO – jeder kennt ihn, aber kaum einer weiß, in welcher Funktion und für welche Gläubiger er tätig ist. 2 BGH v. 15.3.2012 – IX ZR 249/09, ZIP 2012, 737; Schröder in Hamburger Kommentar zur InsO, § 21 Rz. 41; Schröder, EWiR 2012, 459. 3 BGH v. 15.3.2012 – IX ZR 249/09, ZIP 2012, 737. 4 Jauernig/Berger, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, § 54 IV, Rz. 35; Viertelhausen, JurBüro 2000, 6 (8).
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nahme durch den vorläufigen Verwalter wird nicht die Insolvenzmasse gebildet, sondern deren Bildung sichergestellt. Die Sicherung wird in aller Regel durch Inbesitznahme geschehen. Ob darüber hinaus die Verdrängung des Schuldners aus dem unmittelbaren Besitz erforderlich wird, ist eine Frage des Einzelfalles. Der Beschluss, mit dem die vorläufige Verwaltung und der Übergang der Verfügungsbefugnis angeordnet werden, ist für den Verwalter dem Schuldner gegenüber ein Titel im Sinne des § 794 Nr. 3 ZPO. 81 Gegenüber Dritten, die sich im Besitz von Gegenständen befinden, die rechtlich der zukünftigen Insolvenzmasse zugeordnet werden können, ist dies nicht der Fall. Insoweit ist der vorläufige Verwalter auf die klageweise Geltendmachung des Anspruchs aus § 861 BGB angewiesen. 81a Der vorläufige Verwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ist nach allgemeiner Ansicht während der vorläufigen Verwaltung aufgrund der ihm übertragenen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis berechtigt, die Geschäftsräume oder auch einzelne Gegenstände siegeln zu lassen und sie damit als zur Masse gehörig zu kennzeichnen1. 81b Die Pflicht zur ordnungsgemäßen Sicherung und Erhaltung umfasst im Weiteren auch die Entscheidung über Art und Weise sowie den Umfang von Versicherungen. (b) Betriebsfortführung 82 Der vorläufige Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis ist gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO verpflichtet, das schuldnerische Unternehmen bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortzuführen. Anderes gilt nur dann, wenn das Insolvenzgericht einer Stilllegung zustimmt. Dies wird aber nur der Fall sein, wenn eine erhebliche Verminderung des Haftungsvermögens droht2. Die Betonung liegt auf dem Wort „erheblich“. Kleinere Einbußen sind hinzunehmen. Erheblich ist jedoch jede Vermögensminderung, welche die Befriedigung der Gläubiger spürbar zu verschlechtern droht3. Aus der allgemeinen Pflicht zur Sicherung und Erhaltung des Schuldnervermögens ist auch der vorläufige schwache Insolvenzverwalter angehalten, das schuldnerische Unternehmen fortzuführen4. 82a Hintergrund für die im neuen Insolvenzrecht ausdrücklich normierte Fortführungspflicht ist der Gedanke, dass das Unternehmen einen eigenen Wert hat. Allerdings verlangt das Gesetz in diesem Zusammenhang keine wirtschaftlich unsinnige Betriebsfortführung. Besteht keine Aussicht auf eine Sanierung des Unternehmens und sind durch die Fortführung (weitere) Verluste absehbar, hat der Verwalter gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO zur Vermeidung einer erheblichen Verminderung des haftenden Vermögens mit Zustimmung des Gerichts den Betrieb stillzulegen. 83 Die Pflicht zur (einstweiligen) Unternehmensfortführung soll dem Erfordernis Rechnung tragen, dass als Haftungsvermögen ein intakter Betrieb bis zur Verfahrenseröffnung und schließlich bis zur Entscheidung der Gläubigerversammlung erhalten bleibt. Um dieser Pflicht überhaupt nachkommen zu können, beinhaltet der Zwang zur Fortführung gleichzeitig das Recht des vorläufigen Insolvenzverwalters mit Verfügungsbefugnis, sämtliche zur Aufrechterhaltung des Betriebes erforderlichen Maßnahmen zu treffen und gegebenenfalls auch neue Verbindlichkeiten einzugehen, die gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO als Masseverbindlichkeiten zu qualifizieren sind (siehe dazu auch § 14 Rz. 12 ff.).
1 MünchKommInsO/Haarmeyer, § 22 Rz. 45; Mönning in Nerlich/Römermann, InsO, § 22 Rz. 33 (14. EL Stand 2008). 2 Mönning in Nerlich/Römermann, InsO, § 22 Rz. 94 (14. EL Stand 2008); Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 22 Rz. 58 (15. Lfg. 11/02); Vallender, DZWIR 1999, 265 (270 f.). 3 Vgl. zu den Kriterien AG Aachen v. 29.3.1999 – 19 IN 53/99, ZIP 1999, 1494. 4 K. Schmidt/Hölzle, § 22 InsO Rz. 8; Schröder in Hamburger Kommentar zur InsO, § 22 Rz. 112; im Ergebnis auch BGH v. 16.6.2005 – IX ZB 264/03, ZIP 2005, 1372.
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84 Hinweis: Problematisch ist in diesen Fällen jedoch immer, dass der Verwalter in kürzester Zeit, oftmals ohne über ausreichende Informationen zu verfügen, Verbindlichkeiten gegenüber Zulieferern eingehen muss, um den Betrieb überhaupt aufrechterhalten zu können, und sich damit in der Konsequenz mit den Haftungsrisiken des § 61 InsO auseinander zu setzen hat (vgl. Rz. 96 ff.). Hierbei ist auch die Stellung als Steuerschuldner, mit den sich aus §§ 34 Abs. 3, 69 Satz 1 AO ergebenden Folgen, von Bedeutung.
Die Pflicht zur Unternehmensfortführung führt praktisch zu dem Verbot, die Insol- 85 venzmasse bereits im Eröffnungsverfahren zu verwerten, wobei eine Verwertung der Masse im Ganzen, das heißt eine Betriebsveräußerung mit Zustimmung des Schuldners, allerdings möglich sein müsste, was in Literatur und Rechtsprechung nicht unumstritten ist1. Verfehlt ist jedenfalls die Ansicht des LG Aurich2, der vorläufige Insolvenzverwalter und der schon in dieser Phase installierte vorläufige Gläubigerausschuss dürften sich nicht mit Fragen der übertragenden Sanierung befassen. Darüber hinaus kann für den Verwalter im Einzelfall die Notwendigkeit bestehen, ein- 85a zelne Veräußerungen vorzunehmen, wenn ansonsten ein Wertverlust zu befürchten ist. Ob es sich in diesem Fall um eine Verwertung der Insolvenzmasse handelt oder um eine Maßnahme, die im Rahmen der (erlaubten) Verwaltungstätigkeit von einem ordentlichen Geschäftsleiter zu treffen war, ist eine Frage des Einzelfalles. Die Grenze zur unzulässigen Verwertung dürfte jedenfalls da überschritten sein, wo mehr Massebestandteile abgegeben werden als für den Erhalt des haftenden Vermögens als Ganzes erforderlich ist. (c) Überprüfungspflichten Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO ist der vorläufige Verwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis verpflichtet, zu prüfen, ob das schuldnerische Vermögen die in § 54 InsO genannten Kosten des Verfahrens decken wird.
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Das Insolvenzgericht kann den Verwalter beauftragen, als Sachverständiger zu prü- 86a fen, ob ein Eröffnungsgrund vorliegt und welche Aussichten für eine Betriebsfortführung bestehen. Die Prüfungsanordnung ergeht regelmäßig deshalb, weil das Gericht nicht selber beurteilen kann und will, ob ein Eröffnungsgrund vorliegt oder nicht, ob sich also etwa der Schuldner nur vor Gläubigerzugriffen schützen will. (2) Aufgaben des Verwalters ohne Verfügungsbefugnis Wird gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, ohne 87 gleichzeitig ein Verfügungsverbot gegen den Schuldner zu verhängen, hat das Gericht gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 InsO im Rahmen des § 22 Abs. 1 Satz 2 InsO die Pflichten des vorläufigen Verwalters festzulegen. In der Regel fallen ihm Sicherungsaufgaben ebenso zu wie eine Überwachung im Sinne von § 274 Abs. 3 Satz 1 InsO (Regelung für Sachwalter). Beschränkt sich die Anordnung auf die Ermächtigung, das Vermögen des Schuldners zu sichern und zu erhalten, darf der vorläufige Insolvenzverwalter keine Aktivprozesse zur Mehrung der Masse führen3. Ebenso wenig darf er sicherungsübereignete Gegenstände verwerten4. Verfehlt ist in diesem Zusammenhang die Auffassung des BGH5, der vorläufige Verwalter sei verpflichtet, bei der Verwertung von Sicherungsgut mitzuwirken(zu diesem „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter und den Risiken für dessen Geschäftspartner s. § 14 Rz. 36 ff.).
1 Menke, NZI 2003, 522; BAG v. 20.6.2002 – 8 AZR 459/01, NZI 2003, 222; BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, NZI 2003, 259. 2 LG Aurich v. 6.3.2013 – 4 T 204/10, ZIP 2013, 1342, krit. hierzu Zimmer, ZIP 2013, 1309. 3 LG Essen v. 6.4.2000 – 44 O 68/60, JurBüro 2000, 494; Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 22 Rz. 55 (15. Lfg. 11/2002). 4 OLG Köln v. 29.12.1999 – 11 W 81/99, NJW-RR 2000, 1434. 5 BGH v. 23.2.2012 – IX ZB 182/10, BeckRS 2012, 05742.
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87a Verwaltungs-, Abwicklungs- und Prüfungsaufgaben müssen gegebenenfalls besonders übertragen werden1, alternativ kann der Verwalter auch für die Prüfungsaufgaben als Sachverständiger bestellt werden. Steuerliche Pflichten treffen ihn nur, soweit er die Unternehmensleitung tatsächlich übernimmt. (3) Aufgaben des Verwalters mit Zustimmungsvorbehalt 88 Die Anordnung des Gerichts, dass Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind, § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO, kann sich sowohl auf einzelne, als auch auf alle Verfügungen des Schuldners beziehen. Damit tritt der Schuldner weiterhin im Außenverhältnis auf; die Wirksamkeit der von ihm getroffenen Verfügungen hängt jedoch von der Zustimmung des vorläufigen Verwalters ab. Die Zustimmung hat der Schuldner vorher einzuholen, dies schließt jedoch nicht aus, dass der vorläufige Verwalter auch eine nachträgliche Genehmigung erteilen kann (vgl. hierzu die Problematik unter Rz. 92 ff. und ausführlich zum so genannten „halbstarken“ vorläufigen Insolvenzverwalter § 14 Rz. 76 ff.). (4) Besonderheiten bei Lastschriftverfahren 88a Zu den Massesicherungsaufgaben gehört es auch, Belastungsbuchungen im Einzugsermächtigungsverfahren zu widersprechen. Dies war lange Zeit streitig. Der BGH hat jedoch entschieden, dass der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt berechtigt ist, die Genehmigung von Belastungsbuchungen zu verhindern, auch wenn sachliche Einwendungen gegen die eingezogenen Forderungen nicht erhoben werden2. Im Übrigen sieht die Rechtsprechung Handlungsbedarf nicht nur für den vorläufigen und endgültigen Insolvenzverwalter, sondern sogar für den Treuhänder („Ist gehalten … zu widerrufen“)3. cc) Arbeitsrechtliche und steuerrechtliche Stellung 89 Wurde die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis vom Gericht auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übertragen, rückt dieser nach § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO in die Rechtsstellung des Arbeitgebers ein; er übernimmt die Arbeitgeberfunktion (hierzu ausführlich § 12 Rz. 5 ff.). Die Vorschrift des § 113 Abs. 1 Satz 2 InsO (erleichterte Kündigung) findet allerdings im Eröffnungsverfahren keine Anwendung. 89a Hat der vorläufige Verwalter keine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, so behält der Schuldner in der Regel seine Arbeitgeberstellung. Insbesondere ist dann ein vorläufiger Verwalter nicht berechtigt, Freistellungen oder Kündigungen auszusprechen. Das Gericht kann dem Verwalter mit Zustimmungsvorbehalt, unter Beachtung der Grenzen des § 22 Abs. 2 InsO, aber auch weitere Kompetenzen zuweisen4 (zur arbeitsrechtlichen Stellung vgl. im Übrigen § 12 Rz. 5 ff.). 89b
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Hinweis: Der Umfang der arbeitsrechtlichen Befugnisse des vorläufigen Verwalters hängt deshalb von der Formulierung des Beschlusses im Einzelfall ab.
90 Der vorläufige Insolvenzverwalter ohne Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis übernimmt keine steuerlichen Pflichten des Schuldners5; sie verbleiben vielmehr beim Schuldner.
1 Gleiche Richtung, aber zu weitgehend AG Hamburg v. 29.4.2013 – 67g IN 327/11, ZIP 2014, 338 (noch nicht einmal ein Abschätzer dürfe beauftragt werden). 2 BGH v. 4.11.2004 – IX ZR 22/03, ZIP 2004, 2442; wiederholend BGH v. 25.10.2007 – IX ZR 217/06, ZIP 2007, 2273; vorläufiger Schlusspunkt der von den in Frage kommenden BGH-Senaten zum Ausdruck gebrachten unterschiedlichen Vorstellungen zur rechtlichen Qualifikation und Zulässigkeit sind die Entscheidungen v. 22.2.2011 – XI ZR 261/09, ZIP 2011, 722; BGH v. 20.7.2010 – XI ZR 236/07, ZIP 2010, 1556 und v. 20.7.2010 – IX ZR 37/09, ZIP 2010, 1552 mit krit. Anm. Wagner, ZIP 2011, 846. 3 AG Hamburg v. 28.6.2007 – 68g IK 272/07, ZVI 2007, 532; Büchler, EWiR 2008, 1. 4 S. hierzu Berscheid, ZInsO 2001, 989. 5 Schröder in Hamburger Kommentar zur InsO, § 22 Rz. 135.
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Rz. 93a
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Für den Fall, dass ein allgemeines Verfügungsverbot angeordnet wurde und die Ver- 90a waltungs- und Verfügungsbefugnis auf den vorläufigen Verwalter übergegangen ist, wird dieser Vermögensverwalter im Sinne des § 34 Abs. 3 AO und ebenfalls Verfügungsberechtigter im Sinne des § 35 AO. Damit haftet er für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten des Schuldners nach § 69 Satz 1 AO. Diese Haftung beschränkt sich allerdings auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Im Übrigen verweise ich auf die nachstehenden § 11 und § 12 dieses Buches, in denen sowohl die steuerrechtliche als auch die arbeitsrechtliche Beratung umfassend erläutert wird.
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dd) Allgemeine Rechtsfolgen seines Handelns, insbesondere Begründung von Verbindlichkeiten Von dem vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis begründete Ver- 91 bindlichkeiten sind nach der Verfahrenseröffnung gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO Masseverbindlichkeiten (vgl. hierzu § 14 Rz. 11 ff.). Gleiches gilt für Verbindlichkeiten aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit der Verwalter die Gegenleistung in Anspruch genommen hat (s. hierzu § 8 Rz. 47 ff., 193 ff.). Dagegen begründet das Handeln eines vorläufigen Verwalters, dem nur ein Zustimmungsvorbehalt eingeräumt worden ist, keine Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55 Abs. 2 InsO1.
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Hinweis: 92 In der Praxis häufig anzutreffen sind Beschlüsse, in denen neben einem allgemeinen Zustimmungsvorbehalt der vorläufige Verwalter ermächtigt wird, in dringenden Fällen mit rechtlicher Wirkung für den Schuldner zu handeln. Es heißt in diesen Beschlüssen wie folgt: „Der vorläufige Insolvenzverwalter ist nicht allgemeiner Vertreter der Schuldnerin. Er hat die Aufgabe, durch Überwachung der Schuldnerin deren Vermögen zu sichern und zu erhalten. Er wird ermächtigt, mit rechtlicher Wirkung für die Schuldnerin zu handeln, ist jedoch, unbeschadet der Wirksamkeit der Handlung, verpflichtet, diese Befugnis nur wahrzunehmen, soweit es zur Erfüllung seiner Aufgabe schon vor der Verfahrenseröffnung dringend erforderlich ist.“
Problem: Die Rechtsfolgen einer solchen Konstellation sind in der Insolvenzordnung 92a nicht ausdrücklich geregelt. Fraglich ist, ob der mit solchen Befugnissen ausgestattete Verwalter durch sein Handeln Masseverbindlichkeiten begründet. Lösungsansätze: Bork bejaht dies2. Er nimmt an, es liege aufgrund fehlender recht- 93 licher Ausgestaltung durch den Gesetzgeber eine planwidrige Regelungslücke vor. Andere Autoren erklären, bei einer derartigen Anordnung handele es sich um eine Umgehung des von dem Gesetzgeber als Regelfall konzipierten Leitbildes des vorläufigen Verwalters mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis3. Das OLG Köln und Meyer sehen dies anders4. Spliedt wiederum vertritt eine differenzierende Auffassung5. Eine direkte Anwendung des § 55 Abs. 2 InsO scheitert meines Erachtens daran, dass 93a sich dieser Tatbestand nicht vollständig unter diese Vorschrift subsumieren lässt. Der „Übergang“ der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den vorläufigen Verwalter setzt alleinige Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis voraus. Dies ist aber eben nicht der Fall, solange der Schuldner – mit Zustimmung des vorläufigen Verwalters – ebenfalls noch verwaltungs- und verfügungsbefugt ist.
1 Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 55 Rz. 129 f. (13. EL Stand Mai 2007). 2 Bork, ZIP 2001, 1521. 3 Lohmann in HK-InsO, § 55 Rz. 28 ff.: Für den vorläufigen Verwalter ohne Verfügungsbefugnis gilt die Vorschrift nur insoweit, als dieser vom InsGer ermächtigt worden ist, einzelne, im Voraus genau festgelegte Verpflichtungen zu Lasten der späteren Masse einzugehen. Außerhalb einer derartigen Einzelermächtigung kann er keine Masseverbindlichkeiten begründen. 4 OLG Köln v. 29.6.2001 – 19 U 199/00, ZIP 2001, 1422; Meyer, DZWIR 2001, 432 (433). 5 Spliedt, ZIP 2001, 1941.
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Rz. 93b
Beratung des ungesicherten Glubigers
93b Soweit man für eine analoge Anwendung auf das Vorliegen einer Regelungslücke abstellt, ist zu beachten, dass der Gesetzgeber im Rahmen des Insolvenzrechtsänderungsgesetzes 2001 die Vorschrift lediglich in Bezug auf Insolvenzgeldansprüche abgeändert hat. Indem er allein für diesen Bereich das Entstehen von Masseverbindlichkeiten auch bei einem schwachen Verwalter normiert, bringt er zum Ausdruck, dass in anderen Bereichen das Handeln des schwachen vorläufigen Verwalters keine Masseverbindlichkeit begründet. Spätestens mit In-Kraft-Treten des Insolvenzrechtsänderungsgesetzes (1.12.2001) ist also keine Regelungslücke mehr vorhanden. 94 Die Grundsatzentscheidung des BGH: Der BGH verneint auch für den Zeitraum vor dem 1.12.2001 eine Regelungslücke1. Der erkennende 9. Senat kommt in seiner Entscheidung vom 18.7.2002 zu dem Ergebnis, dass § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO weder unmittelbar noch analog auf Rechtshandlungen eines vorläufigen Insolvenzverwalters anzuwenden ist, wenn auf ihn die Verfügungsbefugnis nicht übergegangen ist. Dabei erfolgt eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Frage, welche rechtliche Bedeutung dem Zustimmungsvorbehalt beizumessen ist. Das Gericht erklärt im Übrigen, dass die Beschlussformulierung – „umfassende Ermächtigung, für den Schuldner handeln zu können“ (siehe oben Rz. 92) – unzulässig ist; die Befugnisse des sogenannten „schwachen“ vorläufigen Verwalters müsse das Gericht im Einzelnen festlegen2. Dies geschieht inzwischen auch durch die meisten Insolvenzgerichte. Erfolgt eine derartige Festlegung nicht, so hat dies auch Einfluss auf die besitzrechtliche Position: Der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter hat kein eigenes Besitzrecht. So obliegt z.B. die Entscheidung über die Rückgabe der Mietsache nach fristloser Kündigung des Vertrages auch bei Anordnung eines Zustimmungsvorbehaltes weiter dem Schuldner. Erklärungen des „schwachen“ vorläufigen Verwalters im Hinblick auf das Mietverhältnis haben für den Schuldner allenfalls den Charakter von Empfehlungen3 (zu dieser Grundsatzentscheidung des BGH und den praktischen Konsequenzen für die Geschäftspartner eines solchen vorläufigen Verwalters vgl. § 14 Rz. 75 ff.). 94a Im Übrigen hat die BGH-Entscheidung auch erhebliche praktische Konsequenzen: Das AG Hamburg vertritt die Auffassung, dass nur mit der Anordnung der „starken“ vorläufigen Insolvenzverwaltung Gläubiger abgesichert werden können, die in der Eröffnungsphase Leistungen erbringen, die zur Unternehmensfortführung benötigt werden; das so genannte Treuhandkontenmodell, mit dem nach der Auffassung verschiedener Praktiker die Gläubiger abgesichert werden könnten, sei mit der Insolvenzordnung nicht in Einklang zu bringen4. Zu den weiteren Einzelheiten vgl. § 14 Rz. 75 ff. ee) Aufsicht und Haftung 95 Der vorläufige Insolvenzverwalter steht unter der Aufsicht des Insolvenzgerichts, §§ 21 Abs. 2 Nr. 1, 58 InsO. Diese Aufsicht beschränkt sich praktisch auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften sowie auf regelmäßige Informationen entsprechend den in § 58 Abs. 1 Satz 2 InsO aufgeführten Auskunfts- und Informationspflichten5, weil das Gericht im Einzelfall in aller Regel keine Möglichkeit hat, eigene wirtschaftliche Einschätzungen der schuldnerischen Situation vorzunehmen. 1 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625 ff. mit zustimmender Anm. Prütting/Stickelbrock, ZIP 2002, 1630; zustimmend auch Haarmeyer, ZInsO 2002, 741 und generell zu den Konsequenzen Kirchhof, ZInsO 2004, 57. 2 Hierzu AG Hamburg v. 16.12.2002 – 67g IN 419/02, ZIP 2003, 43 mit Bespr. Undritz, NZI 2003, 136 sowie Louven/Böckmann, NZI 2004, 151 für den Fall der Unternehmensveräußerung. 3 OLG Celle v. 11.12.2002 – 2 W 91/02, ZIP 2003, 87 ff.; ähnlich für Kündigung von Arbeitsverhältnissen BAG v. 10.10.2002 – 2 AZR 532/01, ZIP 2003, 1161. 4 AG Hamburg v. 16.12.2002 – 67g IN 419/02, ZIP 2003, 43 mit Bespr. Undritz, NZI 2003, 136 und AG Hamburg v. 15.7.2003 – 67g IN 205/03, ZInsO 2003, 816; a.A. Bork, ZIP 2003, 1421, der das Treuhandkontenmodell für zulässig hält; in eingeschränktem Umfang – muss mit Gericht abgesprochen sein – folgt das AG Hamburg v. 22.4.2004 – 67c IN 246/04, ZInsO 2004, 371 dieser Ansicht. 5 Vgl. hierzu Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung – GOI, ZIP 2011, 1489.
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Rz. 98
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Für den vorläufigen Insolvenzverwalter gelten die Haftungsvorschriften der §§ 60–62 96 InsO entsprechend (§ 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO). Der vorläufige Insolvenzverwalter haftet nur für die schuldhafte Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten, die ihm gegenüber einem Beteiligten obliegen1. Es bestehen nach den Vorschriften der Insolvenzordnung keine wesentlichen Unterschiede zur früher geltenden Haftung des Sequesters. Sorgfaltsmaßstab ist die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften vorläufigen Insolvenzverwalters. „Beteiligte“ sind nicht nur die normalen ungesicherten Gläubiger, sondern auch die 96a Absonderungsberechtigten. Nach Auffassung des IX. Zivilsenats des BGH haftet der Verwalter beispielsweise dann, wenn er als so genannter Zustimmungsverwalter nicht in die Verwertung des Absonderungsguts einwilligt und der Gläubiger nachweisen kann, dass die Verwertung während der vorläufigen Insolvenz besonders vorteilhaft gewesen wäre2 Diese Rechtsauffassung ist nicht ganz unbedenklich, weil hiermit systemwidrig dem reinen Zustimmungsverwalter Handlungspflichten auferlegt werden. Begründet der vorläufige Verwalter Masseverbindlichkeiten, die später im eröffneten 96b Verfahren nicht erfüllt werden können (diese Masseverbindlichkeiten werden im Fall der Masseunzulänglichkeit gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO erst nach den Kosten des Verfahrens und denjenigen Masseverbindlichkeiten, die nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet wurden, bedient), richtet sich die Haftung nach § 61 InsO. Damit haftet der vorläufige Insolvenzverwalter dem Massegläubiger gegenüber grundsätzlich auf Schadensersatz, wenn dieser mit seiner Forderung ganz oder teilweise ausfällt. Diese Haftung entfällt nur dann, wenn der vorläufige Verwalter bei Begründung der Verbindlichkeit nicht erkennen konnte, dass die Masse nicht zur Erfüllung ausreichen würde3. So einfach sich dieses Prinzip zunächst anhört, um so komplexer ist die Umsetzung 96c in der Praxis. Zunächst ist festzustellen, dass diese Haftung nur denjenigen vorläufigen Verwalter treffen kann, der verwaltungs- und verfügungsbefugt war, da nur dieser Masseverbindlichkeiten begründet (siehe oben Rz. 91 ff.). Die Bestellung eines solchermaßen befugten Verwalters stellt in der Praxis aber nicht die Regel, sondern vielmehr die Ausnahme dar, unter anderem eben auch deshalb, weil ein solcher Verwalter Masseverbindlichkeiten begründet und damit die Gefahr einer späteren Masseunzulänglichkeit potenziert (zu den damit verbundenen Gefahren für die Geschäftspartner eines solchen „schwachen“ vorläufigen Verwalters s. § 14 Rz. 80 ff.). Sodann stellt sich die Frage, wie es sich auf die Haftungssituation auswirkt, dass ein 97 vorläufiger Verwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis qua Gesetz verpflichtet ist, das schuldnerische Unternehmen einstweilen bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens fortzuführen, also in einer Situation, in der – allein aufgrund der Kürze der Einarbeitungszeit – keine gesicherten unternehmerischen Daten vorliegen und in der er in der Regel keine andere Wahl hat als Verbindlichkeiten zu begründen. Im Rahmen dieser Bearbeitung kann auf diese Probleme lediglich hingewiesen werden; zur Vertiefung verweist der Bearbeiter auf die einschlägigen Kommentare zur Insolvenzordnung sowie auf ausgewählte Beiträge4. Größere Bedeutung dürften in der Praxis diejenigen Fälle haben, in denen einem (un- 98 gesicherten) Insolvenzgläubiger im Rahmen des Eröffnungsverfahrens die Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehung angetragen wird.
1 BGH v. 12.11.1992 – IX ZR 68/92, ZIP 1993, 48 BGH v. 5.5.2011 – IX ZR 144/10, ZIP 2011, 1419; BGH v. 25.3.1993 – IX ZR 164/92, ZIP 1993, 687; Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 22 Rz. 45 (15. Lfg. 11/2002); Baumert in Braun, InsO, § 60 Rz. 6; zu den insolvenzspezifischen Pflichten soll auch laut BGH v. 5.5.2011 – IX ZR 144/10, ZIP 2011, 1419 die Zustimmung zur Veräußerung von Absonderungsgut gehören, was angesichts der allgemeinen Rechtstellung des sog. Zustimmungsverwalters nicht ganz unproblematisch ist. 2 BGH v. 5.5.2011 – IX ZR 144/10, ZIP 2011, 1419; kritisch Hackenberg, EWiR 2011, 603. 3 Vgl. Kirchhof in HK-InsO, § 22 Rz. 82 f. 4 Feuerborn, KTS 1997, 171; Kirchhof, ZInsO 1999, 365; Vallender, DZWIR 1999, 265 f.
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§6 98a
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Rz. 98a
Beratung des ungesicherten Glubigers
Hinweis: Zunächst bietet es sich (bei entsprechender Marktstellung) an, solche Aufträge gegen Vorkasse abzuwickeln. Eine solche Vertragsabwicklung dürfte aber gerade im Eröffnungsverfahren regelmäßig an mangelnder Liquidität des schuldnerischen Unternehmens scheitern.
99 Neben der Haftung des vorläufigen Verwalters nach den Vorschriften der InsO mit dem „Risiko“ des § 61 Satz 2 InsO ist eine Haftung nach den allgemeinen Vorschriften nicht ausgeschlossen, so dass in der hier zugrunde gelegten Konstellation insbesondere zu denken wäre an1: – eine deliktische Haftung2, – eine vertragliche Eigenhaftung des vorläufigen Verwalters aufgrund der Übernahme eigener vertraglicher Pflichten oder aber3 – eine Haftung aufgrund der Inanspruchnahme besonderen Vertrauens bei der Eingehung der vertraglichen Verpflichtung4. 100 Ein Haftungsanspruch gegen den vorläufigen Insolvenzverwalter verjährt, in entsprechender Anwendung des § 62 InsO in Verbindung mit § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO, in drei Jahren seit Kenntnis des Verletzten, spätestens aber in drei Jahren nach der Aufhebung oder rechtskräftigen Einstellung des Verfahrens. Für die Kenntnis genügt, dass dem Verletzten Tatsachen bekannt sind, die auf ein schuldhaftes Verhalten des Schädigers hinweisen und dessen Ursächlichkeit für den Schaden als nahe liegend erscheinen lassen. ff) Vergütung 101 Der vorläufige Insolvenzverwalter hat Anspruch auf Vergütung für seine Geschäftsführung und auf Erstattung der Auslagen: Die §§ 63–65 InsO gelten entsprechend (§ 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO). Die Einzelheiten regelt die InsVV (Insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung), erlassen vom Bundesministerium der Justiz aufgrund der Ermächtigung in § 65 InsO, der durch das Gesetz zur Verkürzung des RSB-Verfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 16.5.2013 neu (erweiternd) gefasst worden ist. Mit diesem Gesetz ist auch § 63 InsO um einen neuen Absatz 3 ergänzt worden. Hiernach ist jetzt ausdrücklich festgehalten, dass die Tätigkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters gesondert vergütet wird. Wie schon in § 11 InsVV durch den Verordnungsgeber geregelt war, nennt jetzt auch das Gesetz eine 25 %-Quote der Vergütung des endgültigen Verwalters als Regelvergütung des vorläufigen Verwalters. Bezugspunkt soll das Vermögen sein, auf das sich seine Tätigkeit während des Eröffnungsverfahrens erstreckt (§ 63 Abs. 3 S. 2). Weiterhin heißt es – auch insoweit wortgleich mit dem Verordnungstext – für die Wertermittlung sei der Zeitpunkt der vorläufigen Verwaltung maßgebend (S. 3). Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 dieser Verordnung, geändert durch die Verordnung zur Änderung der InsVV vom 4.10.2004 und erweitert durch die 2. Verordnung zur Änderung der InsVV vom 21.12.2006, wird die Tätigkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters besonders vergütet. Als Berechnungsgrundlage dient das Vermögen, auf das sich die Tätigkeit des vorläufigen Verwalters während des Eröffnungsverfahrens erstreckt, vgl. Satz 2. Entscheidend ist also nicht das im Eröffnungszeitpunkt noch vorhandene, sondern das während der gesamten Dauer der vorläufigen Verwaltung gesicherte Vermögen5. Welcher Zeitpunkt für die Wertermittlung maßgebend ist, regelt § 11 Abs. 1 Satz 3 InsVV.
1 BGH v. 17.9.1987 – IX ZR 156/86, NJW-RR 1988, 89; BGH v. 12.11.1987 – IX ZR 259/86, NJW 1988, 209; BGH v. 12.10.1989 – IX ZR 245/88, NJW-RR 1990, 94; BGH v. 18.1.1990 – IX ZR 71/89, NJWRR 1990, 411; OLG Koblenz v. 13.6.1991 – 5 U 1206/90, ZIP 1992, 420 (422). 2 Rein in Nerlich/Römermann, InsO, § 60 Rz. 114. (23. EL Stand März 2012). 3 OLG Celle v. 21.10.2003 – 16 U 95/03, NZI 2004, 89. 4 OLG Schleswig v. 31.10.2003 – 1 U 42/03, NZI 2004, 92; hierzu krit. Undritz, EWiR 2004, 393. 5 Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsVV, § 11 Rz. 1, 37 unter Berufung auf die bei § 11 InsVV abgedruckte Begründung des Gesetzgebers zur 2. VO; a.A. (Stichtagsprinzip) BGH v. 13.7.2006 – IX ZB 104/05, BGH-Report 2006, 1264 mit Anm. Runkel/Fliegner.
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Beratung des Glubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 101e
§6
Wie bei der Wertermittlung Aus- und Absonderungsgegenstände zu behandeln sind, 101a hatte der Verordnungsgeber in § 11 Abs. 1 S. 4 InsVV geregelt: Solche Gegenstände werden dem Vermögen hinzugerechnet, sofern sich der vorläufige Insolvenzverwalter in erheblichem Umfang mit ihnen befasst hat. – Der IX. Zivilsenat des BGH hat hierzu in einem Beschluss vom 15.11.20121 die Auffassung vertreten, § 11 Abs. 1 S. 4 sei unwirksam, soweit er anordnet, dass der Wert von Gegenständen, an denen Aussonderungsrechte bestehen, der Berechnungsgrundlage hinzuzurechnen ist; die Vorschrift sei nicht von der Ermächtigungsgrundlage in den §§ 63, 65 InsO gedeckt. Was Gegenstände angeht, die mit Absonderungsrechten belastet sind, so hat der Se- 101b nat zwar einerseits gesagt, dass sie auch dann Berücksichtigung finden, wenn der vorläufige Verwalter den Gegenstand nicht verwertet. Andererseits will er den Wert eines wertausschöpfend mit Absonderungsrechten belastete Gegenstandes bei der Berechnungsgrundlage überhaupt nicht berücksichtigen; auch insoweit verstoße § 11 Abs. 1 S. 4 gegen die Ermächtigungsgrundlage in den §§ 63, 65 InsO. Dem widerspricht der Gesetzgeber jetzt jedoch ausdrücklich, indem er erklärt,
101c
„Die jüngste Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach Gegenstände, die mit Aussonderungsrechten bzw. wertausschöpfend mit Absonderungsrechten belastet sind, nicht in die Berechnungsgrundlage der Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters einzubeziehen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 15.11.2012 – IX ZB 88/09 und IX ZB 130/10 sowie BGH Beschluss vom 7.2.2013 – IX ZB 286/11) entsprach nicht der gesetzlichen Konzeption und der auf ihr beruhenden Verordnungsregelungen.“
und weiter heißt es: „Mangels Strukturgleichheit der Tätigkeit des vorläufigen und des endgültigen Insolvenzverwalters ist die Vergütung für die vorläufige Insolvenzverwaltung isoliert zu betrachten und aus sich heraus zu bewerten. Ein Gleichlauf der Vergütungsregelungen des vorläufigen und des endgültigen Insolvenzverwalters wäre nicht sachgerecht … Vor dem Hintergrund der Sicherung einer angemessenen Vergütung kann die Tätigkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters daher nicht über Zuschläge nach § 3 InsVV auf der Grundlage einer „Soll-Masse“ abgegolten werden, da der vorläufige Insolvenzverwalter sich nur mit der „Ist-Masse“ befasst. … Hierbei kann die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters auch die des Insolvenzverwalters übersteigen.“
Für die Praxis heißt dies, dass die Beschlüsse des BGH vom 15.11.2012 unanwendbar sind, da sie auf einer fehlerhaften Gesetzesauslegung beruhen.
101d
Damit folgt der Gesetzgeber im Übrigen der Kritik in der Literatur, die es bereits auf- 101e grund früherer Entscheidungen des BGH mit gleicher Tendenz gab2. Schon damals wurde darauf hingewiesen dass eine am Fortführungsziel des § 1 InsO orientierte vorläufige Insolvenzverwaltung, bei der durch diese Rechtsprechung entstehenden Honoraraussicht, nicht einmal ansatzweise kostendeckend möglich ist, denn angesichts der regelmäßig vorliegenden fast vollständigen Besicherung der Vermögensgegenstände in deutschen Firmen reduzieren sich die Berechnungsgrundlagen und damit auch die Vergütungsansprüche erheblich3. Deshalb war auch schon vorher argumentiert worden, die Gegenstände, an denen Aus- und Absonderungsrechte bestehen, dürften nicht in Abzug gebracht werden, weil es gerade die Aufgabe des vorläufigen Insolvenzverwalters ist, diese Gegenstände zu sichern, zu verwahren und zu verwalten, da die Klärung der Rechtsverhältnisse dem endgültigen Verwalter obliegt. Die Sicherungs- und Verwaltungsaufgaben des vorläufigen Verwalters rechtfertigen aber keine andere Behandlung, als bei massezugehörigen Gegenständen4.
1 BGH v. 15.11.2012 – IX ZB 130/10, ZIP 2013, 30; Kalkmann, EWiR 2013, 125. 2 Vgl. BGH v. 13.7.2006 – IX ZB 104/05, BGH-Report 2006, 1264 mit Anm. Runkel/Fliegner; BGH v. 14.12.2005 – IX ZB 256/04, ZIP 2006, 621. 3 Runkel/Fliegner, Anm. zu BGH v. 13.7.2006 – IX ZB 104/05, BGH-Report 2006, 1264. 4 Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsVV, § 11 Rz. 41.
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§6
Rz. 101f
Beratung des ungesicherten Glubigers
101f Im Übrigen gilt weiterhin Folgendes: Eine Berücksichtigung der Gegenstände erfolgt nicht, sofern der Schuldner die Gegenstände lediglich aufgrund eines Besitzüberlassungsvertrages in Besitz hat (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 5 InsVV). 101g Unabhängig davon, dass der Gesetzgeber die vom BGH vorgeschlagene Korrektur (um unbillige Ergebnisse seiner Rechtsprechung zu vermeiden) durch Zuschläge abgelehnt hat, kommen natürlich grundsätzlich Zu- oder Abschläge nach § 3 InsVV in Frage1. 101h Vermögenswerte, wie die erst nach Insolvenzeröffnung geltend zumachenden Anfechtungsansprüche werden, anders als gesellschaftsrechtliche Haftungsansprüche, nicht mit berücksichtigt, mag sich der vorläufige Verwalter hiermit auch bereits intensiv befasst und in seinem Gutachten zur Möglichkeit der Verfahrenseröffnung zugrunde gelegt haben2. 101i Die Festsetzung der Vergütung erfolgt durch das Insolvenzgericht3. In dem oben erwähnten Gesetz zur Verkürzung des RSB-Verfahrens usw. vom 16.5.2013 wird auch ein neuer Paragraf – und zwar ebenfalls als Reaktion auf eine plötzlich anders lautende Rechtsauffassung des BGH – eingefügt. Es handelt sich um den § 26a InsO in der Fassung Rechtsausschuss BT-Drucks. 17/13535. Die Bestimmung lautet: „Abs. 1 Wird das Insolvenzverfahren nicht eröffnet, setzt das Insolvenzgericht die Vergütung und die zu erstattenden Auslagen des vorläufigen Insolvenzverwalters durch Beschluss fest. Abs. 2 Die Festsetzung erfolgt gegen den Schuldner, es sei denn, der Eröffnungsantrag ist unzulässig oder unbegründet und den antragstellenden Gläubiger trifft ein grobes Verschulden. In diesem Fall sind die Vergütung und die zu erstattenden Auslagen des vorläufigen Insolvenzverwalters ganz oder teilweise dem Gläubiger aufzuerlegen und gegen ihn festzusetzen. Ein grobes Verschulden ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Antrag von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatte und der Gläubiger dies erkennen musste. Der Beschluss ist dem vorläufigen Verwalter und demjenigen, der die Kosten des vorläufigen Insolvenzverwalters zu tragen hat, zuzustellen. Die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen gelten entsprechend. Abs. 3 Gegen den Beschluss steht dem vorläufigen Verwalter und demjenigen, der die Kosten des vorläufigen Insolvenzverwalters zu tragen hat, die sofortige Beschwerde zu. § 567 Abs. 2 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend (Wertgrenze 200,00 Euro).“
102 Die Vergütung und die Auslagen des vorläufigen Verwalters sind nicht in das gerichtliche Kostenverzeichnis aufgenommen, so dass ein antragstellender Gläubiger auch für den Fall, dass die Verfahrenseröffnung mangels Masse abgelehnt wird, nicht mit den vom vorläufigen Verwalter zu beanspruchenden Kosten belastet wird4. Der vorläufige Verwalter trägt insoweit – folgt man dem Grundgedanken des Kostenrechts in § 1 Abs. 4 GKG – ein eigenes Risiko. 102a
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Hinweis: In der Praxis wird versucht, dieses Risiko bei Masselosigkeit dadurch zu verringern, dass der vorläufige Verwalter außerdem noch zum Gutachter bestellt wird. Dies hat zur Folge, dass die Liquidation der Gutachterkosten nach JVEG5 aus der Staatskasse erfolgt. Eine darüber hinausgehende Vergütung aus der Staatskasse für die Tätigkeit im Rahmen der vorläufigen Verwaltung, sofern diese er-
1 BGH v. 12.1.2006 – IX ZB 127/04, ZInsO 2006, 257; Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsVV, § 11 Rz. 1. 2 BGH v. 29.4.2004 – IX ZB 225/03, ZIP 2004, 1653. 3 Zur Rechtsmittelmöglichkeiten für Gläubiger – unter Umständen auch noch nach längerer Zeit: BGH v. 10.11.2011 – IX ZB 165/10, ZIP 2011, 2479. 4 BGH v. 22.1.2004 – IX ZB 123/03, ZIP 2004, 571; LG Gera v. 30.5.2002 – 5 T 185/02, ZIP 2002, 1735. 5 I.d.F. des 2. KostRMoG v. 29.7.2013, BGBl. I, S. 2586; hierzu Krösch, ZInsO 2013, 1562.
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Beratung des Glubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 104a
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heblich von der gutachterlichen abweicht, müsste der vorläufige Verwalter in letzter Konsequenz mit dem Argument der Verfassungswidrigkeit (Auferlegung öffentlicher oder quasi öffentlicher Aufgaben ohne Gegenleistung) auf eigenes wirtschaftliches Risiko zu erstreiten versuchen. Ohne die Anrufung des BVerfG wird er jedoch nicht weiterkommen, denn der BGH lehnt eine Haftung der Staatskasse ab1. gg) Rechnungslegungspflicht Gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO findet § 66 InsO auf den vorläufigen Verwalter entspre- 103 chende Anwendung. Nach dieser Vorschrift hat der Insolvenzverwalter bei Beendigung des Amtes einer Gläubigerversammlung Rechnung zu legen. In der vorläufigen Insolvenz gibt es keine Gläubigerversammlung. Adressat der Rechnungslegung kann deshalb nur das Insolvenzgericht sein2. Wird das Antragsverfahren ohne Insolvenzeröffnung beendet, ist der vorläufige Insolvenzverwalter gegenüber dem Schuldner zur Rechnungslegung über sein Anderkonto verpflichtet3. Den entsprechenden Anspruch kann der Insolvenzverwalter eines späteren eröffneten Insolvenzverfahrens geltend machen4. Eine bestimmte Form der Rechnungslegung sieht das Gesetz nicht vor, diese sollte aber wenigstens den allgemeinen Anforderungen an eine Vermögensverwaltung entsprechen5: – geordnete Zusammenstellung der Einnahmen und – Ausgaben – nebst Belegen. e) Prozessuale Auswirkungen der Sicherungsmaßnahmen Anhängige Prozesse für und gegen den Schuldner werden durch die Anordnung von 104 Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO unterbrochen, wenn das Gericht ein allgemeines Verfügungsverbot gegen den Schuldner verhängt und die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den vorläufigen Verwalter übergeht. In diesem Fall ist der Regelungsbereich des § 240 Satz 2 ZPO betroffen, mit der Folge, dass ein Verfahren, wenn es die Insolvenzmasse betrifft, so lange unterbrochen bleibt, bis es, nach Maßgabe der Insolvenzordnung, §§ 85, 86 InsO, aufgenommen wird oder das Insolvenzverfahren beendet ist. – Hat das Gericht kein allgemeines Verfügungsverbot verhängt, sondern das Verbot nur auf die Prozessführung beschränkt und statt dessen den vorläufigen Verwalter ermächtigt, Aktiv- und Passivprozesse zu führen, so werden die rechtshängigen Verfahren ebenfalls unterbrochen6. Nach § 24 Abs. 2 InsO kann ein „starker“ vorläufiger Verwalter Aktivprozesse in der 104a Lage aufnehmen, in der sie sich befinden, § 85 Abs. 1 InsO. Insoweit erfolgt die Entscheidung allein durch den vorläufigen Verwalter. Anders stellt sich die Situation bei Vorliegen bestimmter Passivprozesse dar. In den in § 86 Abs. 1 Nr. 1–3 InsO aufgeführten Fällen kann der Prozess sowohl von dem vorläufigen Verwalter als auch von der Gegenseite aufgenommen werden. Dabei handelt es sich um solche Prozesse, in denen dem Prozessgegner im eröffneten Verfahren ein Recht auf bevorzugte Befriedigung zusteht. Für den Fall, dass ein solcher Prozess von dem Gegner aufgenommen wird, eröffnet § 86 Abs. 2 InsO dem vorläufigen Verwalter die Möglichkeit, durch sofortiges Anerkenntnis der Kostenfolge des § 91 Abs. 1 ZPO zu entgehen. Der Gegner kann die Kostenerstattung nur als Insolvenzforderung geltend machen (§ 86 Abs. 2 InsO).
1 BGH v. 13.12.2007 – IX ZR 196/06, ZIP 2008, 228; einschränkend dagegen bei Aufhebung der Verfahrenskostenstundung, BGH v. 15.11.2007 – IX ZB 74/07, ZInsO 2008, 111. 2 Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 217. 3 Nicht, NZI 2013, 924. 4 OLG Oldenburg v. 20.12.2012 – 1 U 70/12, ZIP 2013, 786. 5 MünchKommInsO/Haarmeyer, § 22 Rz. 205; Mönning in Nerlich/Römermann, InsO, § 22 Rz. 243. (12. EL Stand Dezember 2006). 6 BGH v. 16.5.2013 – IX ZR 332/12, ZInsO 2013, 1516 = ZIP 2013, 1493.
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§6
Rz. 105
Beratung des ungesicherten Glubigers
f) Einstellung und Aufhebung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen 105 Das Insolvenzgericht hat gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO die Möglichkeit, anhängige Vollstreckungsmaßnahmen von Gläubigern einstweilen einzustellen bzw. künftige Vollstreckungsmaßnahmen zu untersagen1. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass ein Gläubiger im Eröffnungsverfahren ein Pfändungspfandrecht erwirbt und sich damit (ein bisher nicht bestehendes) Absonderungsrecht verschafft und auf diese Weise die Haftungsmasse verringert. 105a Ausdrücklich hiervon ausgenommen sind Vollstreckungsmaßnahmen der Gläubiger in das unbewegliche Vermögen des Schuldners. In Bezug auf Zwangsversteigerungen gilt die Vorschrift des § 30d Abs. 4 ZVG, nach der ein vorläufiger Verwalter beim Vollstreckungsgericht (nicht beim Insolvenzgericht) Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsversteigerung stellen kann. Hierzu muss er glaubhaft machen, dass die Einstellung zur Verhinderung nachteiliger Veränderungen in der Vermögenslage des Schuldners erforderlich ist. 106 Für sämtliche zukünftigen Vollstreckungen kann die Untersagung durch einheitlichen Beschluss erfolgen. Die Aufführung konkreter Einzelmaßnahmen ist insoweit nicht erforderlich. Ein solches Verbot wirkt gemäß § 775 Nr. 1 ZPO. 106a Problematisch erscheint dagegen, ob auch die einstweilige Einstellung von schon laufenden (Individual-)Zwangsvollstreckungsmaßnahmen (Wirkung gemäß § 775 Nr. 2 ZPO) durch einheitlichen Beschluss angeordnet werden kann. Hierfür spricht jedenfalls der Gedanke der Verfahrensökonomie. Auf der anderen Seite wird auf diese Weise dem Vollstreckungsgläubiger kein rechtliches Gehör gewährt. Im Ergebnis ist mit der h.M.2 anzunehmen, dass generell die einstweilige Einstellung in einem einheitlichen Beschluss erfolgen kann, dies insbesondere deshalb, weil es sich um eine durch das Insolvenzgericht von Amts wegen anzuordnende Maßnahme handelt und dem Gläubiger hiergegen keine Beschwerdemöglichkeit gegeben ist. 107 Ein bereits vor Anordnung wirksam erlangtes Pfändungspfandrecht unterliegt nicht mehr dem Zugriff des Insolvenzgerichts; verbotswidrige Vollstreckungen dagegen sind mit der Erinnerung nach § 766 ZPO anfechtbar3. Die Frage des hierfür zuständigen Gerichtes ist bisher nicht abschließend geklärt4. 107a Das Zwangsvollstreckungsverbot gilt jedoch nicht für die Pfändung des Rückzahlungsanspruchs des Insolvenzschuldners gegen den vorläufigen Insolvenzverwalter hinsichtlich des auf dem Anderkonto verwahrten Guthabens5. g) Verhängung einer Postsperre 108 Das Insolvenzgericht ist gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 4 InsO durch den Gesetzgeber ausdrücklich ermächtigt, im Insolvenzantragsverfahren eine Postsperre zu verhängen6. Hiervon können einzelne oder auch alle Postsendungen erfasst werden; der Begriff der „Postsendung“ ist dabei weit auszulegen. Angesichts der Möglichkeit, Telefaxe zu versenden und vor allem zu mailen, hat die Postsperre keine große Bedeutung mehr. Dennoch sei kurz auf Folgendes hingewiesen:
1 Dies gilt auch für das Verfahren der eidesstaatlichen Offenbarungsversicherung, BGH v. 24.5.2012 – IX ZB 275/10, ZIP 2012, 1311; zustimmend Budnik, EWiR 2012, 733. 2 S. hierzu Vallender in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 130, Rz. 47. 3 Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 21 Rz. 31 (12. Lfg. 3/2002); Gerhardt in Jaeger, Insolvenzordnung, Bd. 1, § 21 Rz. 59. 4 Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 21 Rz. 31 (12. Lfg. 3/2002) für die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts kraft Sachzusammenhangs; a.A. Kirchhof in HK-InsO, § 21 Rz. 42 (Vollstreckungsgericht); AG Köln v. 23.6.1999 – 73 IK 1/99, NZI 1999, 381. 5 AG Hamburg v. 25.9.2007 – 903a M 1240/07, ZIP 2008, 43; wichtig bei Abweisung mangels Masse! 6 Zu den einzelnen Voraussetzungen, vgl. LG Bonn v. 21.7.2009 – 6 T 210/09, ZIP 2009, 1875; Voß, EWiR 2009, 753.
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Beratung des Glubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 110
§6
Ein entsprechender Beschluss ergeht entweder von Amts wegen oder auf Antrag des 108a vorläufigen Insolvenzverwalters. Es müssen aufgrund der mit einer solchen Sperre verbundenen Grundrechtseinschränkung konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass entweder Vermögensverschiebungen durch den Schuldner erfolgt sind oder künftig erfolgen werden. Die Notwendigkeit der Anordnung ist in dem Beschluss darzulegen.
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Hinweis: 108b Hinzuweisen ist an dieser Stelle auf eine Entscheidung des OLG Celle1, nach der die Anordnung einer Postsperre im Eröffnungsverfahren nur für den Fall zulässig sei, in dem das Gericht einen vorläufigen Verwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (= starker Verwalter) bestellt habe. Andernfalls sei eine vorläufige Postsperre als grundrechtsbeschränkender Eingriff unverhältnismäßig. In einer späteren Entscheidung des OLG Celle wird vom vorläufigen Verwalter darüber hinaus ein konkreter Sachvortrag zur Notwendigkeit einer Postsperre verlangt2.
h) Verhängung einer Kontosperre Zu den gerichtlichen Maßnahmen im Rahmen des vorläufigen Insolvenzverfahrens 108c kann auch eine vorläufige Kontosperre gegen einen Dritten gehören, wenn erhebliche tatsächliche Anhaltspunkte für schwerwiegende Verdunkelungshandlungen oder Vermögensverschiebungen des Dritten im Zusammenwirken mit dem Schuldner vorliegen3. i) Aufhebung der Sicherungsmaßnahmen Eine Verpflichtung des Insolvenzgerichts, die angeordneten Maßnahmen bei ver- 109 änderten Umständen wieder aufzuheben, ist in der Insolvenzordnung nicht ausdrücklich normiert. Diese Normierung unterblieb vor allem deshalb, weil es bereits nach früherem Recht selbstverständlich war, dass das Gericht jederzeit von Amts wegen zu prüfen hat, ob Sicherungsmaßnahmen entfallen können4. Hebt das Gericht Sicherungsmaßnahmen auf, sei es direkt oder sei es durch Anord- 109a nungen, die das Eröffnungsverfahren beenden, so gilt gemäß § 25 Abs. 1 InsO für die Bekanntmachung § 23 InsO entsprechend. Der Aufhebungsbeschluss ist durch Veröffentlichung in dem für amtliche Bekanntmachungen des Gerichts zuständigen Blatt oder in einem für das Gericht bestimmten elektronischen Informations- und Kommunikationssystem bekannt zu geben, §§ 26, 23 Abs. 1, 9 InsO. Ebenfalls sind die Registerbehörden durch Übermittlung des Aufhebungsbeschlusses zu informieren.
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Hinweis: Öffentliche Bekanntmachungen in Insolvenz- und Insolvenzeröffnungsverfahren erfolgen im Internet unter: www.insolvenzbekanntmachungen.de.
109b
Soweit innerhalb des vorläufigen Verfahrens Masseverbindlichkeiten begründet wur- 110 den, sind diese vor Aufhebung der Sicherungsmaßnahmen zu erfüllen (hierzu ausführlich § 14 Rz. 19). Dies gilt auch für Verbindlichkeiten aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit die Gegenleistung in Anspruch genommen wurde.
1 OLG Celle v. 24.1.2001 – 2 W 124/00, ZIP 2001, 468; zurückhaltender Gerhardt in Jaeger, Insolvenzordnung, Bd. 1, § 21 Rz. 71, der im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz jedenfalls regelmäßig die Einsetzung eines „starken“ Verwalters für geboten hält; a.A. Böhm in Braun, InsO, § 21 Rz. 49. 2 OLG Celle v. 17.12.2001 – 2 W 133/01, ZIP 2002, 578 mit zustimmender Anm. Fuchs, EWiR 2002, 291. Zur Zulässigkeit einer Postsperre vgl. im Übrigen BGH v. 11.9.2003 – IX ZB 65/03, DZWIR 2003, 522. 3 AG München v. 20.7.2006 – 1507 IN 1932/06, ZIP 2006, 1961; Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 21 Rz. 44 (29. Lfg. 7/2007); einschränkend Kirchhof in HK-InsO, § 21 Rz. 20. 4 Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 25 Rz. 3 ff. (8. Lfg. 11/2000); Mönning in Nerlich/Römermann, InsO, § 21 Rz. 239; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur Insolvenzordnung, Kapitel 3 Rz. 490 ff.
Runkel
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§6
Rz. 110a
Beratung des ungesicherten Glubigers
110a Zur Begründung von Masseverbindlichkeiten im Eröffnungsverfahren und denjenigen Verbindlichkeiten, die ein „schwacher“ vorläufiger Verwalter eingegangen ist, wird auf die Ausführungen unter Rz. 91 ff. verwiesen. 110b Die Erfüllung der Zahlungspflichten noch vor Beendigung des Antragsverfahrens stößt häufig auf praktische Schwierigkeiten, weil Gläubiger nicht immer in der Lage sind, die Abrechnung sofort vorzunehmen. Verwalter ohne Verfügungsbefugnis zwingen deshalb gelegentlich die Gläubiger zur schnellen Rechnungsvorlage, indem sie die übliche Zahlungsgarantie an die Erteilung der Rechnung vor Abschluss des Vorverfahrens koppeln. 110c Im Rahmen der anwaltlichen Beratung sollte deshalb auf derartige Besonderheiten, d.h. auf die Beachtung des Textes der Garantieerklärung, hingewiesen werden. 8. Rücknahme des Insolvenzantrages und Erledigungserklärung a) Allgemeines 111 Bei dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 13 Abs. 1 InsO handelt es sich um eine Prozesshandlung. Der Antrag ist dementsprechend nicht nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts anfechtbar. Der Antrag kann jedoch bis zum Wirksamwerden des Eröffnungsbeschlusses bzw. bis zur Rechtskraft des Beschlusses über die Ablehnung der Eröffnung mangels Masse zurückgenommen werden, § 13 Abs. 2 InsO. Die Rücknahme erfolgt durch einseitige Erklärung gegenüber dem Gericht. Da eine mündliche Verhandlung über den Eröffnungsantrag nicht stattfindet, greift § 269 Abs. 1 ZPO nicht ein. Konsequenz: Eine Zustimmung des Antragsgegners ist nicht erforderlich. Praktisch bedeutsamster Anwendungsfall: Befriedigung der Forderung des Antragstellers. b) Eigenantrag 112 Soweit es sich um einen Eigenantrag einer natürlichen Person handelt, kann der Schuldner selbst oder jeder von ihm Bevollmächtigte in seinem Namen den Antrag zurücknehmen. 112a Besonderheit bei juristischen Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit (§ 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO): Problem beim Eigenantrag im Zusammenhang mit den besonderen Regelungen der §§ 15, 18 Abs. 3 InsO, wenn zwischen einzelnen vertretungsberechtigten Personen keine Einigkeit herrscht. 112b In diesem Fall soll es so sein, dass der Antrag grundsätzlich nur von derjenigen natürlichen Person zurückgenommen werden kann, die den Antrag gestellt hat. Hierdurch soll jedem einzelnen Antragberechtigten die Möglichkeit gewährt werden, eine Überprüfung durch ein geregeltes Verfahren zu erreichen. Dies soll nicht dadurch umgangen werden, dass neben dem Antragsteller weitere Antragsberechtigte die Rücknahme erklären1. Ist der Antragsteller jedoch inzwischen aus seiner Funktion ausgeschieden, sind der Nachfolger und die übrigen Berechtigten zur Rücknahme befugt, denn sonst könnte niemand mehr den Antrag zurücknehmen2. 113 Kann der Schuldner nur durch mehrere Personen gemeinsam vertreten werden, so ist jede Einzelperson berechtigt, die Zustimmung zu dem Eröffnungsantrag zurückzuziehen. Dies hat zur Folge, dass das Antragsrecht erlischt und der Antrag in aller Regel unzulässig wird. Der Antrag bleibt lediglich in den Fällen zulässig, in denen einer der Antragsteller den allgemeinen Eröffnungsgrund der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit oder die Überschuldung glaubhaft macht, § 15 Abs. 2 Satz 1 InsO, oder
1 LG Tübingen v. 10.8.1960 – 1 T 67/60, KTS 1961, 158; LG Dortmund v. 23.9.1985 – 9 T 560/85, NJW-RR 1986, 258; AG Duisburg v. 3.11.1994 – 43 N 231/94, ZIP 1995, 582; AG Potsdam v. 11.4.2000 – 35 IN 110/00, NZI 2000, 328; Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 15 Rz. 28; a.A. Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 15 Rz. 6. 2 Müller in Jaeger, Insolvenzordnung, Bd. 1, § 15 Rz. 58; Kirchhof in HK-InsO, § 13 Rz. 16; a.A. LG Dortmund v. 23.9.1985 – 9 T 560/85, NJW-RR 1986, 258; AG Duisburg v. 3.11.1994 – 43 N 231/94, ZIP 1995, 582; a.A. BGH v. 10.7.2008 – IX ZB 122/07, ZIP 2008, 1596.
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Beratung des Glubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 116
§6
wenn nach den bisherigen Ermittlungen des Gerichts bereits mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein solcher Eröffnungsgrund vorliegt.
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Hinweis: 114 Diese Überlegungen zum Bereich des Eigenantrags spielen für einen ungesicherten Gläubiger insoweit eine Rolle, als lediglich ein Eigenantrag des Schuldners vorliegt und dessen Rücknahme erfolgen könnte.
Tipp für den beratenden Anwalt: Dem Gläubiger ist deshalb zu empfehlen, noch einen separaten Insolvenzantrag zu stellen, um dem Schuldner die Möglichkeit zu nehmen, durch Rücknahme des Eigenantrages das Antragsverfahren zu beenden. c) Kosten Mit der gesetzlichen Neuregelung des § 14 InsO und Einführung des Abs. 3 durch das 115 „Haushaltsbegleitgesetz 2011“ v. 9.12.2011 haben sich einige Veränderungen in der Kostenfolge ergeben1 (vgl. auch Rz. 42). Während früher dem Gläubiger bei Rücknahme des Antrags die Kosten des Verfahrens einschließlich der Auslagen dem rücknehmenden Antragsteller zur Last fielen (§ 4 InsO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO), bleibt der Antrag des Gläubigers nunmehr trotz zwischenzeitlicher Erfüllung der Forderung durch den Schuldner zulässig2. Daher besteht für den Gläubiger bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht mehr die Notwendigkeit, seinen Antrag zurückzunehmen oder diesen für erledigt zu erklären3. Denn nach § 14 Abs. 3 InsO hat der Schuldner die Kosten des Verfahrens zu tragen, wenn er die Forderung des Gläubigers nach Antragstellung erfüllt und der Antrag als unbegründet abgewiesen wird. Kritik erfährt der Wortlaut des § 14 Abs. 3 InsO jedoch insofern, als dass er auch die Fälle erfasst, in denen dem Schuldner auch dann die Kosten des Verfahrens auferlegt werden, wenn der Gläubiger einen ursprünglich unbegründeten Insolvenzantrag stellte. Daher wird überwiegend anhand einer engen Wortlautauslegung des § 14 Abs. 3 InsO die Auffassung vertreten, die Kostenfolge dürfe nur beim Vorliegen eines ursprünglich zulässigen und begründeten Insolvenzantrages eintreten4. Erledigt sich der Antrag des Antragstellers vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens 116 auf sonstige Weise, besteht für den Antragsteller die Möglichkeit seinen Antrag gem. § 4 InsO, § 91a ZPO für erledigt zu erklären, wenn dieser nachträglich unzulässig und unbegründet geworden ist5. Haben der Gläubiger und der Schuldner das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt, wird das Gericht gem. § 4 InsO, § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sachund Streitstands durch Beschluss über die Kosten entscheiden. Verweigert dagegen der Schuldner seine Zustimmung, so sind nach den Grundsätzen der einseitigen Erledigungserklärung im ordentlichen Zivilprozessverfahren die Kosten dem Schuldner aufzuerlegen, wenn der Antrag ursprünglich zulässig war und sich durch ein nachträgliches Ereignis erledigt hat6. Kommt das Insolvenzgericht hingegen zu dem Ergebnis, dass der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens unabhängig von dem
1 Zum Vorlagebeschluss an das BVerfG durch das AG Deggendorf, das § 14 Abs. 3 InsO für verfassungswidrig erachtet, ZIP 2011, 1735; vgl. auch Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 14 Rz. 170. 2 K. Schmidt/Gundlach, § 14 InsO Rz. 31. 3 K. Schmidt/Gundlach, § 14 InsO Rz. 32; vgl. auch „Die Kölner Insolvenzrichter“, ZIP 2013, 1456. 4 LG Bonn v. 7.12.2011 – 6 T 258/11, ZIP 2012, 1362; AG Köln v. 17.7.2013 – 73 IN 272/11; Marotzke, ZInsO 2010, 2168; Gundlach/Rautmann, DStR 2011, 84. 5 BGH v. 11.11.2004 – IX ZB 258/03, ZIP 2005, 91; Kexel in Graf-Schlicker, InsO, § 14 Rz. 43. 6 BGH v. 11.11.2004 – IX ZB 258/03, ZIP 2005, 91; Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 13 Rz. 148 ff.; Kexel in Graf-Schlicker, InsO, § 14 Rz. 48; Gerhardt in Jaeger, Insolvenzordnung, Bd. 1, § 13 Rz. 69; Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 13 Rz. 149.
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§6
Rz. 117
Beratung des ungesicherten Glubigers
nachträglich eingetretenen Ereignisses als unzulässig oder unbegründet hätte abgewiesen werden müssen, so trägt der Gläubiger die Kosten des Verfahrens1. Gegen die Kostenentscheidung des Insolvenzgerichts ist die sofortige Beschwerde nach §§ 6, 34 Abs. 2 InsO statthaft2. 9. Auskunftsrechte der Beteiligten, insbesondere des antragstellenden Gläubigers3 117 Die Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts ist grundsätzlich zu Auskünften berechtigt und verpflichtet. Der Umfang der Auskunft richtet sich dabei nach dem jeweiligen Verfahrensabschnitt. Im Eröffnungsverfahren ist außerdem zu berücksichtigen, wer den Eröffnungsantrag gestellt hat. Bei einem Eigenantrag des Schuldners ist eine unbeschränkte Auskunft zum Verfahrensstand zulässig. Liegt dagegen „nur“ ein Gläubigerantrag vor, ist ein rechtliches Interesse des Anfragenden erforderlich. Insofern findet § 299 Abs. 2 ZPO (i.V.m. § 4 InsO) Anwendung. Eine Auskunftspflicht des vorläufigen Verwalters gegenüber dem Insolvenzgericht wird aus § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO i.V.m. § 58 Abs. 1 InsO abgeleitet. 10. Akteneinsichtsrecht 118 Die Insolvenzordnung sieht an verschiedenen Stellen vor, dass die gerichtlichen Insolvenzakten durch Verfahrensbeteiligte eingesehen werden können, z.B. in §§ 66 Abs. 2 Satz 2, 150, 154, 175, 188 Satz 2, 234 InsO. Darüber hinaus eröffnet § 4 InsO die entsprechende Anwendung von Vorschriften der ZPO. In Bezug auf ein Akteneinsichtsrecht ist insofern § 299 ZPO einschlägig4. 118a Gemäß § 299 Abs. 1 ZPO dürfen Beteiligte grundsätzlich in jedem Verfahrensabschnitt die Akten einsehen; das Einverständnis der übrigen Beteiligten ist nicht erforderlich. Bei der Entscheidung über ein entsprechendes Ersuchen besteht kein Ermessen. Zu den insoweit dennoch bestehenden Schranken verweise ich auf die Ausführungen Holzers5. Ein Einsichtsrecht soll grundsätzlich nicht nur bezüglich der bei Gericht geführten Akten, sondern auch für die Verwalterakten bestehen6, was in dieser Allgemeinheit (welche Aktenbestandteile?) zu weit gehend ist. 118b Eine andere Frage ist, in welcher Weise die Akteneinsicht zu gewähren ist, nur auf der Geschäftsstelle des zuständigen Insolvenzgerichts oder auch durch Übersendung an den Anwalt, der sich für seinen Mandanten informieren will. Dies sehen die Gerichte uneinheitlich. Bei einem abgeschlossenen Verfahren werden die Akten bei Gericht nicht ständig gebraucht. Hier ist zumindest die Versendung an ein für den Antragsteller ortsnahes Gericht angezeigt; auch die Übersendung von Ablichtungen wichtiger Aktenbestandteile kann verlangt werden7. 119 Voraussetzung für das Recht auf Akteneinsicht durch einen Gläubiger im Antragsverfahren ist, dass dieser Beteiligter im Sinne des § 299 ZPO ist. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Gläubiger Antragsteller ist, und zwar auch dann, wenn der Gläubiger die Forderung bisher noch nicht angemeldet hat8. Potentielle Insolvenzgläubiger sind im Rahmen des Eröffnungsverfahrens (noch) nicht beteiligt. Sie gelten als Dritte. Erst nach Eröffnung des Verfahrens sind alle Insolvenzgläubiger auch „Partei“ im Sinne des § 299 ZPO.
1 OLG Köln v. 28.3.2001 – 2 W 39/01, ZIP 2001, 1018. 2 OLG Köln v. 28.3.2001 – 2 W 39/01, ZIP 2001, 1018. 3 Hierzu umfassend Thole, ZIP 2012, 1533; Zur Verschwiegenheitspflicht der Gläubiger des Ausschusses vgl. BGH v. 24.1.2008 – IX ZB 222/05, ZIP 2008, 652; Runkel/Schmidt, EWiR 2008, 473. 4 Für das Einsichtsrecht der Bank, die für den Insolvenzverwalter das Treuhandkonto führt, vgl. OLG Naumburg v. 27.5.2010 – 5 VA 11/10, ZIP 2010, 1765. 5 Holzer, ZIP 1998, 1333; für ein beschränktes Einsichtsrecht etwaiger Konkurrenten des selbständigen Schuldners, Schuster/Friedrich, ZIP 2009, 2418. 6 AG Frankfurt/O. v. 30.1.1998 – 2.5 C 1568/97, ZInsO 1998, 142. 7 OLG Celle v. 31.8.2006 – 4 W 151/06, ZIP 2007, 299. 8 OLG Celle v. 19.1.2004 – ZW 118/03, ZIP 2004, 370 unter Hinweis auf § 299 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 4 InsO, a.A. LG Düsseldorf v. 20.2.2007 – 25 T 85/07, ZIP 2007, 1388.
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Beratung des Glubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 121
§6
Eine Akteneinsicht durch Dritte, § 299 Abs. 2 ZPO, setzt voraus, dass der Schuldner 119a zu einer solchen sein Einverständnis erteilt hat oder aber dass ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird. In diesem Fall hat eine Abwägung der Interessen der Beteiligten (insbesondere auf Geheimhaltung1) sowie des Dritten zu erfolgen. Ein rechtliches Interesse des Dritten ist bereits dann anzunehmen, wenn eine Stellung als Insolvenzgläubiger glaubhaft gemacht wird und festgestellt werden soll, ob der Schuldner noch über Vermögen verfügt2. Der Gläubiger, der bei Insolvenzeröffnung Insolvenzgläubiger gewesen wäre, hat auch ein Akteneinsichtsrecht nach Ablehnung der Verfahrenseröffnung mangels Masse; von diesem Recht erfasst wird auch das Gutachten, das der Gerichtsentscheidung zugrunde lag3. Nach einer Entscheidung des OLG Frankfurt werden die Massegläubiger ebenfalls als Dritte im Sinne des § 299 Abs. 2 ZPO qualifiziert, da sich die Geltendmachung von Ansprüchen und Befriedigung der Massegläubiger außerhalb des Insolvenzverfahrens und unabhängig von ihnen vollziehen4. Lange Zeit war streitig, ob auch Akteneinsicht zu gewähren ist, wenn der Antragstel- 119b ler erklärt, er wolle überprüfen, ob Durchgriffsansprüche gegenüber dem Geschäftsführer einer GmbH bestehen, über deren Vermögen ein Insolvenzverfahren mangels Masse abgelehnt worden ist5. Der BGH hatte im Jahr 2006 diese Frage zu entscheiden und ist zu einem positiven Ergebnis gekommen6. 11. Haftung bei unberechtigtem Gläubigerantrag Im Falle der Zurückweisung des Antrags durch das Gericht kann der Schuldner die 120 Erstattung der ihm entstandenen Kosten beanspruchen. Dies betrifft alle Kosten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig waren7. Es handelt sich insoweit um Kosten des Verfahrens, die vom Antragsteller zu tragen sind. Darüber hinaus kommen möglicherweise Ersatzansprüche des Schuldners gegen den 120a Gläubiger aus unerlaubter Handlung in Betracht. Ein fahrlässig gestellter, unbegründeter Insolvenzantrag verletzt allerdings nicht das Recht des Schuldners am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb8. Derjenige, der ein staatliches Verfahren in Anspruch nimmt, hat ein „Recht auf Irrtum“. Eine Ersatzpflicht des Antragstellers ist wohl erst dann anzunehmen, wenn der Antrag erkennbar rechtsmissbräuchlich gestellt wird, um etwa den Schuldner zu schädigen oder eigene, nicht vom Gesetz gedeckte Vorteile zu erlangen. 12. Vor- und Nachteile eines Insolvenzantragsverfahrens für den antragstellenden Gläubiger9 Eine generelle Aussage zu dieser Thematik ist schwierig. Es kommt immer auf den 121 Einzelfall, die Höhe der Forderung an. Ungesicherte Großgläubiger stellen eher selten einen Insolvenzantrag. Vor allem sollte der Gläubiger trotz Antragstellung weiter „verhandlungsbereit“ sein. Wenn auch Teilzahlungen im Falle einer Verfahrenseröffnung anfechtbar sein können, so sollte anwaltliche Beratung immer in die Richtung 1 OLG Hamburg v. 19.5.2008 – 2 Va 3/08, ZIP 2008, 1834. 2 OLG Köln v. 3.5.1999 – 7 VA 6/98, NZI 1999, 502; OLG Köln v. 10.2.1988 – 7 VA 6/87, MDR 1988, 502; MünchKommInsO/Ganter/Lohmann, § 4 Rz. 63. 3 OLG Hamburg v. 14.8.2001 – 2 VA 6/00, ZIP 2002, 266; OLG Celle v. 21.12.2001 – 2 W 102/01, ZIP 2002, 446. 4 OLG Frankfurt v. 28.1.2010 – 20 VA 9/09, ZIP 2010, 1811; a.A. Jaeger/Gerhardt, InsO, § 4 Rz. 21; Rüther in Hamburger Kommentar zur InsO, § 4 Rz. 34, je m.w.N. 5 Hierzu Heeseler, ZInsO 2001, 873. 6 BGH v. 5.4.2006 – IV AR (VZ) 1/06, ZIP 2006, 1154 mit zustimmender Anm. Kind/Heinrich, NZI 2006, 433. 7 LG Köln v. 10.7.1956 – 1 T 227/56, KTS 1956, 127; K. Schmidt, § 13 InsO Rz. 45. 8 BGH v. 3.10.1961 – VI ZR 242/60, NJW 1961, 2254; BGH v. 11.12.1978 – II ZR 235/77, NJW 1979, 1361; BGH v. 15.2.1990 – III ZR 293/88, ZIP 1990, 805; OLG Düsseldorf v. 28.10.1993 – 10 U 17/93, ZIP 1994, 479; Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 13 Rz. 111a (22. Lfg. 2/2005), 112; Pape, ZIP 1995, 623. 9 Hierzu Geißler, ZInsO 2014, 14.
Runkel
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§6
Rz. 122
Beratung des ungesicherten Glubigers
gehen, gegen Geldzahlungen etwas zu riskieren („Was man hat, das hat man“). Es muss auch nicht unbedingt zu einer Verfahrenseröffnung kommen, so dass bei einer Ablehnung mangels Masse der Verlust des erhaltenen Geldes ausbleiben wird. Ungeachtet dieser Überlegungen sollen nachstehend einige Abwägungskriterien aufgezeigt werden: 122 Vorteile: – Verfahrenseinleitung erfordert lediglich Glaubhaftmachung von Forderung, Rechtsschutzinteresse und Insolvenzgrund, § 14 InsO; – Verhinderung weiteren Vermögensverfalls; – Beendigung eines „Wettlaufs“ der Gläubiger. 123 Nachteile: – lediglich Anspruch auf quotale Befriedigung; – Kostenrisiko bei unbegründetem Antrag/„Erledigung“, insbesondere Kosten eines Sachverständigen, § 23 Abs. 1 GKG; – Kostenrisiko bei Abweisung mangels Masse, § 23 Abs. 1 GKG; – möglicherweise Anforderung eines hohen Massekostenvorschusses; – kein Rechtsanspruch auf Anhörung des Schuldners zur Vermögenssituation, daher nicht unbedingt „kostengünstige“ Klärung; – keine Möglichkeit mehr, einen Titel gegen den Schuldner zu erwirken, um darüber im Rahmen der Vollstreckung eine bessere Stellung in einem evtl. späteren Verfahren zu erhalten; – Gefahr der Restschuldbefreiung. 13. Abschließende Entscheidung des Insolvenzgerichts und Konsequenzen für den ungesicherten Gläubiger a) Vorabprüfung der Kostendeckung 124 Gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 InsO hat das Gericht den Antrag auf Eröffnung abzuweisen, wenn das Vermögen des Schuldners voraussichtlich nicht ausreichen wird, um die Kosten des Verfahrens, § 54 InsO, zu decken1. Die Prüfung der Massekostendeckung erfolgt regelmäßig nicht durch das Gericht selbst, sondern wird durch den Sachverständigen bzw. vorläufigen Insolvenzverwalter vorgenommen. Hierzu gilt Folgendes: Aufgrund der Formulierung des § 26 InsO und der Definition der Verfahrenskosten in § 54 InsO ist es m.E. völlig eindeutig, dass beispielsweise die Arbeitnehmerforderungen nicht mitberücksichtigt werden dürfen. Es kommt alleine darauf an, dass die Gerichtskosten für das Insolvenzverfahren sowie die Vergütung und die Auslagen2 des vorläufigen Insolvenzverwalters, des endgültigen Insolvenzverwalters und der Mitglieder des Gläubigerausschusses gedeckt sind. Ungeklärt ist die Frage, ob sog. „unausweichliche Verfahrenskosten“ (z.B. Steuerberatungskosten, Massesicherungskosten etc.) dem Verfahrenskostenbegriff gem. § 26 Abs. 1 Satz 1 InsO gleichgestellt werden können3. Unter diesem Begriff werden Aufwendungen erörtert, die der Insolvenzverwalter in Erfüllung seiner Pflichten nicht vermeiden kann, weil sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen zwingend aufgebracht werden müssen (etwa Kosten für die Erhaltung der Masse, für die Verkehrssicherung oder für eine Steuererklärung)4. Obwohl diese Problematik in der insolvenzrechtlichen Praxis von grundsätzlicher Bedeutung ist, hat der BGH diese umfassende Fragestellung ungeklärt
1 Erzielbare Verwertungskostenbeiträge nach §§ 170 f. InsO sind bei der Feststellung des verwertbaren Vermögens zu berücksichtigen, vgl. hierzu BGH v. 10.2.2011 – IX ZB 35/10, ZIP 2011, 1531. 2 Hier weit auslegend Rattunde/Röder, DZWIR 1999, 309 ff.; s. zur Gesamtproblematik Frenzel/ Schmidt, InVo 2000, 149 und zu den unterschiedlichen Rechtsauffassungen AG Charlottenburg v. 3.5.1999 – 107 IN 299/99, ZIP 1999, 1687. 3 Zum Meinungsstand vgl. Kießner in Braun, InsO, § 207 Rz. 8 ff. 4 BGH v. 14.10.2012 – IX ZB 224/08, ZIP 2010, 2252.
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Runkel
Beratung des Glubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 125
§6
gelassen und sich nur zu den durch die Veräußerung von Massegegenständen anfallenden Umsatzsteuern geäußert (Vgl. Rz. 356b). Kontrovers wird die Frage diskutiert, ob ein Insolvenzverfahren noch eröffnet werden 124a darf, wenn der Insolvenzverwalter unmittelbar nach Eröffnung des Verfahrens die Masseunzulänglichkeit anzuzeigen hätte und die Einstellung des Verfahrens gesichert erscheint. Das AG Charlottenburg hält hier eine Verfahrenseröffnung für unberechtigt1. Pannen kommentiert diese Entscheidung2; er fordert in derartigen Fällen eine Verfahrenseröffnung, indem er darauf verweist, dass es nach dem eindeutigen Wortlaut für die Eröffnung ausreicht, wenn lediglich die Verfahrenskosten gedeckt sind. Dies hätte auch dem Willen des Gesetzgebers entsprochen. Die Formulierung des § 26 InsO sei bewusst so erfolgt, um möglichst viele Verfahren – dies hebt auch das AG Hamburg im Zusammenhang mit der kritischen Überprüfung des Sachverständigengutachtens hervor3 – eröffnen zu können und die Prüfung der Eröffnungsvoraussetzungen zu erleichtern. Pannen ist zuzustimmen, weil auch nicht ein erhöhtes Risiko des Insolvenzverwalters besteht; er kann nämlich sofort Masseunzulänglichkeit anzeigen. Können die sonstigen Masseverbindlichkeiten nicht abgedeckt werden, so führt dies 124b zur Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch den Insolvenzverwalter nach § 208 InsO, und zwar gegenüber dem Insolvenzgericht. Das Gericht und nicht der Verwalter hat die Anzeige öffentlich bekanntzumachen. Den Massegläubigern ist sie allerdings besonders zuzustellen, was zu einem unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand führt, wobei nach dem Gesetzeswortlaut (Abs. 2 Satz 2) offen bleibt, ob das Gericht oder der Verwalter die Zustellungen vorzunehmen hat (in der Praxis erfolgt regelmäßig die Übertragung auf den Verwalter). Unabhängig hiervon erreicht der Gesetzgeber durch das Zusammenwirken von § 26 124c und § 54 InsO eine wesentlich größere Zahl von Eröffnungen4 als dies nach der Konkursordnung der Fall war; in der damaligen Zeit wurden über 75 % der Konkursanträge mangels Masse abgewiesen mit der Folge, dass für die ganz überwiegende Anzahl von Konkursen das vom Gesetzgeber vorgesehene Verfahren gerade nicht zur Verfügung stand. Es ist auch anerkannt, dass selbst bei einer GmbH ein neuer Verfahrensantrag mit dem Ziel der Eröffnung möglich ist, wenn zuvor der Antrag mangels Masse abgelehnt worden war. Voraussetzung ist, dass die GmbH neues Vermögen erlangt hat5. Aufgrund des InsOÄndG 2001 kann eine natürliche Person die Abweisung mangels 124d Masse vermeiden, wenn sie nach § 4a InsO die Kostenstundung beantragt. Notwendig ist jedoch ein Antrag auf Restschuldbefreiung. Die Entscheidung über die Stundung erfolgt für jeden Verfahrensabschnitt gesondert (§ 4a Abs. 3 Satz 2 InsO)6. Im Regelverfahren reicht es für die Begründung des Stundungsantrags aus, dass der 124e Schuldner sich auf ein zuvor zeitnah erstelltes Gutachten beruft, in welchem der Sachverständige ermittelt hat, der Schuldner verfüge über kein die Kosten des Verfahrens deckendes Vermögen. Hält das Insolvenzgericht die Angaben des Antragstellers für unvollständig, hat es die Mängel konkret zu bezeichnen. Der Schuldner kann im Regelverfahren nicht gezwungen werden, bestimmte Formulare auszufüllen7. Eine Massekostendeckung ist im Übrigen auch in denjenigen Fällen gegeben, in denen die erforderliche Masse erst durch entsprechende Handlungen im Rahmen des Insolvenzverfahrens, z.B. Verwertung der Masse oder Insolvenzanfechtung, erlangt 1 2 3 4
AG Charlottenburg v. 26.4.1999 – 103 IN 502/99, ZIP 1999, 1688. Pannen, EWiR 2000, 241. AG Hamburg v. 20.12.2005 – 67c IN 387/05, ZInsO 2006, 51. Zu den Unterschieden in den einzelnen Bundesländern und den Besonderheiten in Berlin Haarmeyer, ZInsO 2006, 449; ihm widersprechend Voigt-Salus, ZIP 2006, 1027. 5 LG Zweibrücken v. 20.1.2005 – 4 T 230/04, NZI 2005, 397. 6 Näheres Mock in Uhlenbruck, InsO, § 4a Rz. 6 ff. und Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, § 26 Rz. 5. 7 BGH v. 8.7.2004 – IX ZB 565/02, ZVI 2004, 745.
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§6
Rz. 126
Beratung des ungesicherten Glubigers
werden kann. Dabei kann durchaus auf einen Zeitraum von einem Jahr ab der Verfahrenseröffnung abgestellt werden1. b) Vorschussleistung des antragstellenden Gläubigers 126 Das Insolvenzgericht kann dem Antragsteller oder, bei Eigenantrag des Schuldners, einem an der Verfahrenseröffnung interessierten Gläubiger die Leistung eines Vorschusses aufgeben. Die Anforderung kann formlos erfolgen, eine Anforderung in Form eines Beschlusses ist nicht zwingend vorgesehen. Eine Vorschusspflicht des betroffenen Gläubigers besteht jedoch nicht. Dabei ist jedoch zu beachten, dass bei Nichtleistung des Vorschusses die Abweisung des Antrages nach § 26 Abs. 1 InsO erfolgt. 126a Ein geleisteter Vorschuss ist nicht Bestandteil der Insolvenzmasse; er ist ausschließlich für die Deckung der Verfahrenskosten zu verwenden und insoweit zweckgebunden. Soweit die Verfahrenskosten durch die Insolvenzmasse abgedeckt werden, ist ein Vorschuss daher an den antragstellenden Gläubiger zurückzuzahlen. Soweit dies nicht der Fall ist, gewährt § 26 Abs. 3 und 4 InsO dem Gläubiger einen Anspruch gegen diejenige Person, die es nach gesellschaftsrechtlichen Regelungen pflichtwidrig und schuldhaft unterlassen hat, einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen2. Dabei hat nach Satz 2 dieser Vorschrift der Anspruchsinhaber Verschulden und Pflichtwidrigkeit nicht zu beweisen. Vielmehr obliegt es dem Anspruchsgegner, einen Entlastungsbeweis zu führen. In diesem Zusammenhang hat der BGH entschieden, dass das Risiko einer mit Verfahrensfehlern behafteten Fehlprognose des Insolvenzgerichts dem Antragsgegner zuzuweisen ist, wenn der vom Insolvenzgericht bestellte Sachverständige fehlerhaft die Feststellung der Massearmut prognostiziert und das Gericht entgegen seiner Amtsermittlungspflicht dem ohne weitere Sachaufklärung folgt3. Notwendige, aber auch hinreichende Voraussetzung dieses Ersatzanspruchs ist, dass der vorgeschossene Betrag gerade zum Ausgleich der andernfalls ungedeckten Verfahrenskosten notwendig war und mit der Bestimmung der Deckung dieser Kosten überlassen worden ist. Zu Recht verneint daher der BGH das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 26 Abs. 3 InsO, wenn ein Gläubiger dem Verwalter vorab einen Geldbetrag zur Verfügung stellt, ohne dass jedoch ein Vorschuss erforderlich wäre. Ein Verfahrenskostenvorschuss im Rechtssinne liegt auch nicht deshalb vor, weil dieser Vorschuss als ein solcher bezeichnet wird4. 126b Bei der Vorschussleistung darf keine Zweckbestimmung erfolgen, die über den Wortlaut des § 26 InsO hinausgeht, auch nicht etwa in der Weise, dass eine Eigenverwaltung zur Bedingung gemacht wird5. 127 Es bestehen in aller Regel für den Gläubiger keine Aussichten, einen Vorschuss im Wege der Prozesskostenhilfe zu erlangen. Insoweit handelt es sich nicht um Prozesskosten. Ein Massekostenvorschuss soll (nur), wie sich aus § 26 Abs. 1 InsO ergibt, die Verfahrenseröffnung ermöglichen. c) Zurückweisung wegen Unzulässigkeit 128 Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist Prozesshandlung, so dass bei Fehlen einer zwingenden Zulässigkeitsvoraussetzung und Aufrechterhaltung des Antrages trotz entsprechenden Hinweises durch das Gericht, dieser als unzulässig zurückzuweisen ist. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen unter Rz. 27 ff., 66 verwiesen.
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BGH v. 17.6.2003 – IX ZB 476/02, NZI 2004, 30. Hierzu Marotzke, ZInsO 2013, 1940. BGH v. 15.1.2009 – IX ZR 56/08, ZIP 2009, 571; zustimmend Voß, EWiR 2009, 247. BGH v. 14.11.2002 – IX ZR 40/02, ZInsO 2003, 28. BGH v. 7.7.2005 – IX ZB 85/05, NZI 2006, 34.
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Beratung des Glubigers im Insolvenzantragsverfahren
Rz. 131
§6
d) Zurückweisung wegen Unbegründetheit Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens setzt gemäß § 16 InsO voraus, dass ein Insol- 129 venzgrund gegeben ist (siehe hierzu im Einzelnen § 1). Kann sich das Insolvenzgericht nicht die für eine Verfahrenseröffnung notwendige Überzeugung vom Vorliegen eines Insolvenzgrundes verschaffen, ist der Antrag als unbegründet zurückzuweisen. Dabei sind die Anforderungen an die richterliche Überzeugung unterschiedlich hoch, 129a je nachdem ob ein – Eigenantrag des Schuldners oder aber – ein Gläubigerantrag vorliegt. Für den Fall, dass „lediglich“ ein Gläubigerantrag vorliegt, ein Insolvenzgrund aber 129b nicht feststellbar ist, entscheidet das Gericht zugunsten des Schuldners und weist den Antrag ab. Dies gilt vor allem dann, wenn Forderungen des Antragstellers bestritten werden, diese aber erst bei Bestehen die Zahlungsunfähigkeit begründen würden1. Für die Zulässigkeit des Gläubigerantrags ist die Glaubhaftmachung eines Insolvenz- 129c grundes – Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung – erforderlich. Insofern wird sich der Gläubiger jedoch regelmäßig darauf beschränken müssen, Hilfstatsachen (Indizien) vorzutragen, die dem Gericht den Schluss auf das Vorliegen (zumindest) eines Insolvenzgrundes ermöglichen. Erst wenn insoweit richterliche Überzeugung gegeben ist, ist der Antrag auch begründet. Dagegen kann das Gericht regelmäßig davon ausgehen, dass bei einem Eigenantrag 129d des Schuldners auch Insolvenzreife vorliegt, dass also der Antrag nicht ohne wichtigen Grund gestellt wurde. Gelegentlich könnte allerdings auch der Verdacht bestehen, der Schuldner wolle das Verfahren lediglich dazu nutzen, sich von unliebsamen Verbindlichkeiten zu befreien. Solchen Zweifeln kann das Gericht regelmäßig nur durch Einsetzung eines Gutachters begegnen.
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Hinweis: 129e Die Zurückweisung eines Antrages als unbegründet hindert nicht die Stellung eines neuen Antrages2.
e) Zurückweisung mangels Masse aa) Allgemeines Das Vermögen des Schuldners muss die in § 54 InsO genannten Kosten des Verfah- 130 rens decken. Reicht das Vermögen hierzu voraussichtlich nicht aus, weist das Insolvenzgericht den Antrag auf Eröffnung ab. Diese Entscheidung ist nicht öffentlich bekannt zu machen3. Vor Erlass des entsprechenden Beschlusses hat das Gericht das Vermögen des Schuldners von Amts wegen zu ermitteln, vgl. § 5 Abs. 1 InsO, so dass eine Abweisung nicht ohne weiteres ausschließlich aufgrund von Angaben des Schuldners zu erfolgen hat. Die Entscheidung über die Ablehnung der Verfahrenseröffnung kann auch nicht durch den nachträglichen Ausgleich der Forderung des Antragstellers zu Fall gebracht werden. Die spätere Befriedigung der Forderung des Gläubigers ändert nämlich nichts an der Tatsache, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung des Insolvenzgerichts die Voraussetzungen für eine Abweisung mangels Masse gegeben waren4. Zum Vermögen des Schuldners gehören alle pfändbaren Gegenstände. Gegenstände, 131 an denen Aussonderungsrechte bestehen, § 47 InsO, werden nicht berücksichtigt. Gegenstände, an denen Absonderungsrechte bestehen, §§ 49–51 InsO, werden lediglich in Höhe des aus der Verwertung voraussichtlich resultierenden Kostenbeitrages berücksichtigt. Ebenso sind in die Ermittlung begründete Aussichten auf Realisie1 2 3 4
BGH v. 13.6.2006 – IX ZB 214/05, ZIP 2006, 1456. BGH v. 5.8.2002 – IX ZB 51/02, NZI 2002, 601. Keller, ZIP 2003, 149 ff. BGH v. 2.12.2010 – IX ZB 121/10, ZIP 2011, 90; zustimmend Grundlach/Müller, EWiR 2011, 155.
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rung bestehender oder auch erst im Rahmen eines Insolvenzverfahrens, z.B. durch die Anfechtungsregeln der §§ 129 ff. InsO, mögliche Ansprüche einzubeziehen. 131a Reicht das vorhandene Vermögen nicht aus, so kann die Eröffnung des Verfahrens dadurch erreicht werden, dass ein Verfahrensbeteiligter einen Vorschuss in entsprechender Höhe leistet. Wird das Verfahren mangels Masse abgewiesen, ist der Schuldner – wieder – dem Zugriff der einzelnen Gläubiger ausgesetzt. bb) Kostenentscheidung 132 Problem Kostentragungspflicht: Im Falle einer Abweisung mangels Masse steht die Frage im Vordergrund, wer die insoweit entstandenen Kosten zu tragen hat. Die Insolvenzordnung sieht hierfür keine ausdrückliche Regelung vor. Zutreffend dürfte hier Folgendes sein: 132a Bei Abweisung eines Gläubigerantrags mangels Masse sind in entsprechender Anwendung von § 91 ZPO in Verbindung mit § 4 InsO dem Schuldner die Verfahrenskosten einschließlich der Auslagen aufzuerlegen1. 132b Hier hindert die Masseunzulänglichkeit i.S.d. § 207 InsO i.V.m. § 26 InsO als objektives Verfahrenshindernis die Eröffnung des Verfahrens. Die Abweisung des Antrags erfolgt also nicht deshalb, weil der Antrag unbegründet ist, sondern aus Gründen, die ausschließlich in der Person des Schuldners liegen. Sind nicht einmal die Verfahrenskosten gedeckt, hat der Antragsteller im Verhältnis zum Antragsgegner, dem Schuldner, in vollem Umfang obsiegt. Bei zulässigem und begründetem Gläubigerantrag hat der Schuldner gerade Anlass zu der Einleitung des Insolvenzverfahrens gegeben, so dass die Kostenentscheidung in aller Regel gegen ihn zu ergehen hat. 133
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Hinweis: Problematisch ist insofern, dass nach § 23 Abs. 1 GKG der Antragsteller bei Ausfall des Schuldners als Zweitschuldner haftet. Dies kann insbesondere aufgrund der damit verbundenen Haftung für Auslagen zu einer erheblichen Inanspruchnahme führen. Zwar zählt die Vergütung eines vorläufigen Verwalters, der nicht als gerichtlich beauftragter Sachverständiger fungiert2, nicht zu den Auslagen, da diese nicht im Kostenverzeichnis aufgeführt ist3. Die Gutachterkosten können aber ebenfalls erheblich sein4. Sie sind auch Auslagen im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 2 GKG, weil sie nicht nach der InsVV, sondern nach dem JVEG berechnet werden, und gehen deshalb zu Lasten des Antragstellers5. Dies wird selbst angenommen, wenn der Antrag des Gläubigers auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgewiesen worden ist6.
f) Rechtsmittel für Gläubiger 134 Ausgehend vom Grundsatz der Unanfechtbarkeit (§ 6 Abs. 1 InsO), bedarf es für eine Rechtsschutzmöglichkeit des Gläubigers einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung (vgl. § 16 Rz. 778 ff.), dass die Entscheidung des Insolvenzgerichts der sofortigen Beschwerde unterliegt7. Die für die jeweilige Beschwerdemöglichkeit maßgeblichen Bestimmungen finden sich über den § 6 InsO hinaus in den Vorschriften des zivilprozessualen Beschwerderechts. Diese §§ 567–577 ZPO finden gemäß § 4 InsO für das Insolvenzverfahren entsprechende Anwendung, soweit die Insolvenzordnung nichts anderes bestimmt. Nachdem die §§ 567–577 ZPO durch die Reform der ZPO 1 Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 26 Rz. 29 (12. Lfg. 3/02); Mönning/Zimmermann in Nerlich/Römermann, InsO, § 26 Rz. 154; Vallender, InVo 1997, 4. 2 OLG Düsseldorf v. 7.2.2009 – 10 W 123/08, ZIP 2009, 1172. 3 LG Fulda v. 18.5.2001 – 3 T 105/01, NZI 2002, 61. 4 S. hierzu LG Gera v. 30.5.2002 – 5 T 185/02, ZIP 2002, 1735. 5 OLG Köln v. 28.1.2010 – 17 W 343/09, ZIP 2010, 637; LG Göttingen v. 14.4.2009 – 10 T 25/09, ZIP 2010, 147; LG Dresden v. 16.6.2005 – 5 T 838/03, ZVI 2005, 329. 6 OLG Köln v. 28.1.2010 – 17 W 343/09, ZIP 2010, 637; LG Göttingen v. 14.4.2009 – 10 T 25/09, ZIP 2010, 147; LG Bonn v. 3.11.2009 – 6 T 300/09, ZInsO 2009, 2413. 7 Die von der Insolvenzordnung zugelassenen Beschwerdemöglichkeiten listet Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 6 Rz. 14 auf (48. Lfg. 4/2012).
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Beratung des Glubigers im Insolvenzantragsverfahren
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umgestaltet wurden1, müssen diese Änderungen auch für das insolvenzrechtliche Beschwerdeverfahren beachtet werden2 (s. hierzu auch § 16 Rz. 778 ff.). – Seit dem 1.1.2014 müssen im Übrigen die Insolvenzgerichte ihre Entscheidungen mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen3. Das Bedürfnis nach Rechtsschutz besteht insbesondere in dem Fall, dass die vom 135 Gläubiger beantragte Eröffnung eines Insolvenzverfahrens abgelehnt wird. Diesem Bedürfnis wird § 34 Abs. 1 InsO gerecht und räumt dem Antragsteller die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde gegen die Abweisung der Verfahrenseröffnung ein. Für den antragstellenden Gläubiger spielt es keine Rolle, ob die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Feststellbarkeit eines Insolvenzgrundes, Nichtvorliegens einer zur Antragstellung berechtigenden Forderung oder mangels Masse abgewiesen wird. Der antragstellende Gläubiger ist in jedem Fall beschwerdeberechtigt4. Der Schuldner hingegen ist bei einer Abweisung des Verfahrens auch dann beschwerdeberechtigt, wenn kein Eigenantrag vorliegt5 (vgl. § 16 Rz. 830). Legt der antragstellende Gläubiger gegen eine Entscheidung des Insolvenzgerichts 136 sofortige Beschwerde ein, so hat dies innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen nach Verkündung, Zustellung oder öffentlicher Bekanntmachung zu erfolgen (§§ 6 Abs. 2, 8, 9 InsO). Dies kann wahlweise beim Insolvenzgericht oder beim Landgericht geschehen. Hierbei ist keine besondere Form zu beachten. Nach § 571 Abs. 1 ZPO soll die Beschwerde begründet werden.
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Hinweis: 136a Zweckmäßig ist die Einlegung der sofortigen Beschwerde beim Insolvenzgericht. Denn dieses kann dem eingelegten Rechtsmittel nach § 4 InsO i.V.m. § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO abhelfen. Diese Vorschrift des § 572 Abs. 2 ZPO geht auf das erwähnte Zivilprozessreformgesetz zurück und versteht sich als generelle Anordnung der Abhilfebefugnis des Gerichts, dessen Entscheidung angefochten wird. Eine derartige umfassende Befugnis sah die Insolvenzordnung bereits in ihrem § 6 Abs. 2 InsO a.F. vor und wich insoweit von der ZPO ab. Diese Vorschrift ist nunmehr überflüssig geworden6. Im Übrigen hat die ZPO-Refom für die Einlegung der sofortigen Beschwerde nach § 6 InsO keine nennenswerten Änderungen gebracht7.
Eine wichtige Änderung gibt es jedoch hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit ge- 137 gen Entscheidungen des Beschwerdegerichts. § 7 InsO eröffnete gegen die Entscheidung über die sofortige Beschwerde die Rechtsbeschwerde. Diese Bestimmung sollte der höchstrichterlichen Klärung grundsätzlicher Rechtsfragen auch in Insolvenzverfahren dienen8. Durch das Gesetz zur Änderung des § 522 ZPO ist jedoch § 7 InsO mit Wirkung vom 27.10.2011 ersatzlos aufgehoben worden. Jetzt gelten nur noch die Vorschriften über die Rechtsbeschwerde in den §§ 574 ff. ZPO. Danach bedarf die Rechtsbeschwerde nunmehr stets der Zulassung9. Der Gesetzgeber sah für die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde keine Notwendigkeit mehr; die wesentlichen Streitfragen seien geklärt10, eine gesetzgeberische Entscheidung, die angesichts der zahlreichen Änderungen der InsO durch das ESUG äußerst bedenklich erscheint11. Einstweilen frei.
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1 Gesetz zur Reform des Zivilprozesses v. 27.7.2001, BGBl. I 2001, S. 1887 ff. 2 Zum Einfluss dieser Reform auf das Insolvenzverfahren: Pape, InVo 2003, 133; Pape, ZInsO 2001, 1074; Kirchhof, ZInsO 2002, 606. 3 Hierzu Zipperer, NZI 2013, 965. 4 Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 34 Rz. 29 (36. Lfg. 5/2009). 5 Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 34 Rz. 39 (36. Lfg. 5/2009). 6 Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 34 Rz. 13 (36. Lfg. 5/2009). 7 Pape, ZInsO 2001, 1074 (1081). 8 Vgl. hierzu die Kommentierung zu § 7 InsO durch Kirchhof in HK-InsO, § 7 Rz. 1 ff. 9 Vgl. Rüther in Hamburger Kommentar zur InsO, § 7 Rz. 2 ff. 10 BT-Drucks. 17/5334, S. 8. 11 Wegen der Konsequenzen der Neuregelung für das Rechtsbeschwerdeverfahren vgl. Kirchhof, ZInsO 2012, 16.
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g) Eröffnung des Verfahrens 141 Eine Verfahrenseröffnung darf der Richter nur beschließen, wenn die Sache „ausermittelt“ ist, wenn also aufgrund vorgelegter Unterlagen und evtl. ergänzender Amtsermittlung zur Überzeugung des Gerichts feststeht, dass – der Antragsteller ein rechtliches Interesse an der Eröffnung hat, – ein Eröffnungsgrund vorliegt und – die Verfahrenskosten gedeckt sind. IV. Beratung im eröffneten Verfahren 1. Eröffnungsbeschluss a) Inhalt 142 Der Inhalt des Eröffnungsbeschlusses richtet sich nach den §§ 27–29 InsO. Der Beschluss enthält den Ausspruch der Eröffnung des Verfahrens. Das betroffene Vermögen muss rechtlich eindeutig bezeichnet sein. Die Ernennung eines bestimmten Verwalters ist ebenfalls ein wesentlicher Teil des Eröffnungsbeschlusses. Das Gericht hat bei einem eventuellen Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung über diesen Antrag ebenfalls im Eröffnungsbeschluss zu entscheiden; in diesem Fall ist an Stelle eines Insolvenzverwalters ein Sachwalter zur Aufsicht über den Schuldner zu ernennen (hierzu im Einzelnen § 13 Rz. 469 ff.). 142a Tag und Stunde der Eröffnung sind zu bestimmen, und zwar nicht etwa willkürlich, um hiermit bestimmte Rechtsfolgen auszulösen1. Vordatierungen sind unzulässig, wobei die falsche Datierung nicht zur Nichtigkeit des Eröffnungsbeschlusses führt2. Genauso wenig ist es zulässig, eine Rückdatierung vorzunehmen3. Die gesamte Thematik ist vor allem wegen der Anfechtungsfristen wichtig. Hierzu § 11 Rz. 83 ff., 163, 184, 208 ff., 272. 142b Außerdem sind die in § 28 InsO vorgesehenen Aufforderungen an die Gläubiger und Schuldner auszusprechen. Erforderlich ist die Nennung des Schuldnernamens im Originaltext der Gerichtsakte. „Einrücken in Rotklammer“ genügt hingegen nicht4. 142c Hingegen ist ein Eröffnungsbeschluss zwar fehlerhaft – aber wirksam ergangen – wenn der Schuldner nicht namentlich, sondern lediglich durch Bezugnahme auf ein Blatt der Akten bezeichnet wird. Voraussetzung ist jedoch, dass die Person aus der Verweisung eindeutig zu entnehmen ist5. Pape sieht damit die Fälle, in denen der Eröffnungsbeschluss als nichtig angesehen werden muss, auf solche Sachverhalte beschränkt, in denen auch unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Anschein einer gerichtlichen Entscheidung vorliegt6. 142d Sind die Vermögensverhältnisse des Schuldners überschaubar und die Zahl der Gläubiger oder die Höhe der Verbindlichkeiten gering, so kann das Gericht anordnen, dass das Verfahren schriftlich durchgeführt wird. Folgerichtig ist in diesem Fall in Anlehnung an die Regelung des § 29 InsO bereits im Eröffnungsbeschluss der Stichtag zu bestimmen, der dem Berichts- und Prüfungstermin entspricht. Ist dies so geschehen, so hat das Gericht auf Antrag eines Insolvenzgläubigers die Wahl eines neuen Insolvenzverwalters auf schriftlichem Wege durchzuführen. Ein solcher Gläubigerantrag ist nicht an das Quorum des § 75 InsO gebunden7. 1 Frind, EWiR 2003, 23. 2 BGH v. 13.1.2005 – IX ZR 33/04, ZIP 2005, 310. 3 BGH v. 17.2.2004 – IX ZR 135/03, KTS 2004, 403 mit krit. Anm. Strasser, soweit der BGH die Beschlüsse als wirksam ansieht. 4 OLG Brandenburg v. 21.3.2002 – 8 U 32/01, ZIP 2002, 1097 mit krit. Anm. Vallender, EWiR 2002, 723. 5 BGH v. 9.1.2003 – IX ZR 85/02, NZI 2003, 197 mit uneingeschränkt zustimmender Anm. Pape, EWiR 2003, 281 (282). 6 Pape, EWiR 2003, 281 (282). 7 BGH v. 16.5.2013 – IX ZB 198/11, ZIP 2013, 1286 mit zustimmender Anm. Ahrens, EWiR 2013, 519.
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Beratung im erçffneten Verfahren
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b) Bekanntmachung Die Bekanntmachung des Beschlusses richtet sich nach § 30 InsO. Alle Beteiligten 143 sollen möglichst schnell, zuverlässig und umfassend unterrichtet werden. Eine bloße Aufzählung von Gesetzesvorschriften genügt diesen Anforderungen nicht1. Ein solcher fehlerhafter Beschluss hat zwar in Hinblick auf § 164 InsO keine Außenwirkung, er kann jedoch zu einer Haftung des Insolvenzverwalters führen. Die öffentliche Bekanntmachung erfolgt durch eine zentrale und länderübergreifende Veröffentlichung im Internet2; diese kann auszugsweise geschehen (neuer § 9 Abs. 1 Satz 1 InsO, in Kraft seit dem 1.7.2007, wobei § 9 Abs. 2 Satz 1 InsO n.F. den Ländern eigene Regelungen über weitere Veröffentlichungen ermöglicht). In jedem Fall ist jedoch der Vorname des Schuldners anzugeben3. Neben der öffentlichen Bekanntmachung ist der Beschluss an den Schuldner sowie 143a dessen Gläubiger und Schuldner zuzustellen. Diese Zustellung kann durch Aufgabe zur Post von Seiten des Gerichts erfolgen; sie kann auch dem Insolvenzverwalter auferlegt werden. Dieser kann die Zustellung ebenfalls durch „einfache“ Aufgabe zur Post veranlassen. c) Rechtsmittel Gemäß § 6 InsO unterliegen die Entscheidungen des Insolvenzgerichts nur in den 144 Fällen einem Rechtsmittel, in denen die Insolvenzordnung die sofortige Beschwerde vorsieht. Bei dem Eröffnungsbeschluss sieht § 34 Abs. 2 InsO die sofortige Beschwerde nur durch den Insolvenzschuldner vor. Der Gläubiger hat dementsprechend keine Möglichkeit, gegen den Eröffnungsbeschluss vorzugehen. Der Insolvenzverwalter hat im Zusammenhang mit der Verfahrenseröffnung kein Beschwerderecht4.
144a
Aber: Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass sich die auf die sofortige Beschwerde 144b des Schuldners hin vorgenommene Abhilfe des Insolvenzgerichts wie auch die abändernde Entscheidung des Beschwerdegerichts nicht auf die Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses beschränken. Vielmehr ist gleichzeitig der Eröffnungsantrag zurückzuweisen mit der Konsequenz, dass nunmehr eine weitere Beschwerdemöglichkeit eröffnet ist: Wird nämlich die Aufhebung beschlossen und der Eröffnungsantrag zurückgewiesen, kann der insoweit beschwerte antragstellende Gläubiger gemäß § 34 Abs. 1 i.V.m. § 6 InsO sofortige Beschwerde einlegen. In denjenigen Fällen, in denen der Schuldner durch den Eröffnungsbeschluss be- 145 schwert ist, kann dieser gegen den Beschluss vorgehen. Dabei ist für das Vorliegen einer Beschwer mit der Rechtsprechung auf eine formale Betrachtungsweise abzustellen. Daher wird in dem Fall, dass etwa entgegen der Erwartung des Schuldners eine Verfahrenseröffnung und keine Ablehnung mangels Masse erfolgt, nach inzwischen herrschender Meinung keine Beschwer mehr angenommen, wenn ein Eigenantrag vorliegt5. Die Beschwerde des Schuldners ist mangels formeller Beschwer auch dann als unzulässig abzuweisen, wenn neben dem Schuldner ein Gläubiger einen Insolvenzantrag gestellt hat6, Bei einem Eigenantrag des Schuldners liegt auch dann keine Beschwer vor, wenn der Schuldner irrtümlich einen Insolvenzgrund angenommen hatte, dieser aber in Wirklichkeit nicht vorliegt7.
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BGH v. 20.3.2008 – IX ZB 104/07, ZIP 2008, 1030; krit. hierzu Blank, EWiR 2008, 373. www.insolvenzbekanntmachungen.de. BGH v. 5.12.2013 – IX ZR 165/13, ZIP 4014, 86; krit. hierzu Vallender, EWiR 2014, 89. BGH v. 14.1.2010 – IX ZB 72/08, ZIP 2010, 856. BGH v. 18.1.2007 – IX ZB 170/06, ZIP 2007, 499; bestätigt durch BGH v. 26.1.2012 – IX ZB 213/11, NZI 2012, 274; OLG Köln v. 10.12.2001 – 2 W 154/01, NZI 2002, 101. 6 BGH v. 9.2.2012 – IX ZB 248/11, ZIP 2012, 998; Stahlschmidt, EWiR 2012, 355; Keller, NZI 2012, 317. 7 OLG Schleswig v. 20.7.1950 – 2 W 263/50, MDR 1951, 49; Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 34 Rz. 24; a.A. BGH v. 18.1.2007 – IX ZB 170/06, ZIP 2007, 499 unter Hinweis auf die
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Beratung des ungesicherten Glubigers
145a Bei einem Gläubigerantrag billigt die Rechtsprechung dem Schuldner ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Beschwerde mit dem Ziel einer Abweisung des Antrags mangels Masse zu, also in dem Fall, dass das Gericht eine Verfahrenseröffnung vorgenommen hat1. 145b Problematisch ist die Situation in den Fällen, in denen das Gericht rechtsirrig das Bestehen eines Insolvenzgrundes angenommen hat, der Schuldner die Eröffnung mit der Beschwerde angreift und später tatsächlich Insolvenzreife eintritt. Der BGH lässt die weitere Entwicklung unberücksichtigt und kommt zu dem Ergebnis, dass der Eröffnungsbeschluss in derartigen Fällen aufzuheben und der Eröffnungsantrag abzuweisen ist2. 145c Bei der Eröffnung des Verfahrens über das Vermögen einer juristischen Person können nur deren Organe und nicht die Gesellschafter als materielle Vermögensträger Rechtsmittel einlegen. Bei einer Personenmehrheit in der Gemeinschuldnerrolle steht die Beschwerdebefugnis jeder einzelnen Person, insbesondere jedem Gesellschafter zu. 146 Wird auf Antrag des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet, jedoch der Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung abgelehnt, so stellt sich die Frage nach einer Rechtsschutzmöglichkeit des Schuldners. Da es für eine isolierte Anfechtung der jeweiligen Anträge nach der herrschenden Ansicht an einer rechtlichen Grundlage fehlt, ist eine derartige eingeschränkte Beschwerde nicht unbedenklich. Nach Ansicht des LG Mönchengladbach fehlt dem Schuldner die rechtliche Beschwer, da die Eröffnung des Verfahrens – gegen die sich eine solche Beschwerde richtet – gerade vom Schuldner beantragt wurde3. Bärenz gelangt im Wege der Auslegung des § 34 Abs. 2 InsO unter Annahme einer rechtlichen Einheit von Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung und Insolvenzantrag zu einer direkten Anwendung des § 34 Abs. 2 InsO4. Dies entspricht jedoch nicht der überwiegenden Rechtsansicht5. Diese gelangt im Einklang mit dem LG Mönchengladbach zur Ablehnung einer rechtlichen Beschwer. 146a Der BGH lehnt die Möglichkeit einer sofortigen Beschwerde sowohl gegen die Anordnung als auch gegen die Ablehnung der Eigenverwaltung ab, da die Insolvenzordnung für diese Fälle keine solche vorsehe, vgl. § 6 InsO. Die Verweisung in § 270 Abs. 1 Satz 2 beziehe sich auf den Gang des Insolvenzverfahrens, nicht auf die Anfechtung der Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung. Die Rechtsschutzmöglichkeiten gegenüber einzelnen Maßnahmen seien auch nicht deshalb erweitert, weil diese in einem einheitlichen Beschluss zusammengefasst sind; eine unanfechtbare Entscheidung wie die über den Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung könne demzufolge nicht im Wege der Beschwerde gegen den Eröffnungsbeschluss angefochten werden6. 146b Die Beschwerde gegen den Eröffnungsbeschluss hat grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Der BGH hält eine aufschiebende Wirkung nur dann für geboten, wenn die Vollziehung dem Rechtsbeschwerdeführer größere Nachteile bringt als den anderen Beteiligten7.
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Möglichkeit eines Einstellungsantrages gem. § 212 InsO; a.A. Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 34 Rz. 24. BGH v. 15.7.2004 – IX ZB 172/03, ZIP 2004, 1727. BGH v. 27.7.2006 – IX ZB 204/04, ZIP 2006, 1957. LG Mönchengladbach v. 30.12.2002 – 5 T 439/02, NZI 2003, 152 m. krit. Anm. Bärenz, EWiR 2003, 483 (484). Bärenz, EWiR 2003, 483 (484). Riggert in Nerlich/Römermann, InsO, § 270 Rz. 25 m.w.N. (23. EL Stand März 2012). BGH v. 11.1.2007 – IX ZB 10/05, ZIP 2007, 448; BGH v. 11.1.2007 – IX ZB 85/05, ZIP 2007, 394. BGH v. 21.3.2002 – IX ZB 48/02, ZIP 2002, 718.
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Beratung im erçffneten Verfahren
Rz. 149d
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2. Rechtsfolgen des Eröffnungsbeschlusses a) Allgemeines Gemäß § 80 InsO geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenz- 147 verwalter über. Gleichzeitig sind die nach Verfahrenseröffnung vorgenommenen Verfügungen des Schuldners unwirksam, § 81 InsO. Besonders bedeutsam ist der Einfluss der Insolvenzeröffnung auf bestehende Verträge (vgl. hierzu umfassend § 8). Wesentlich ist hier die Unterscheidung zwischen – gegenseitigen Verträgen einerseits und – bestimmten sonstigen Schuldverhältnissen andererseits.
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Für die bei Verfahrenseröffnung noch nicht vollständig erfüllten gegenseitigen Verträge gilt § 103 InsO, der dem Verwalter ein Wahlrecht gewährt (s. § 8 Rz. 10 ff.). Bei Miet- und Pachtverträgen über unbewegliche Gegenstände oder Räume ist § 108 InsO einschlägig, der anstelle eines Wahlrechts ein besonderes Kündigungs- und Rücktrittsrecht vorsieht. Diese Regelung erfasst ebenfalls bestehende Dienstverhältnisse (s. § 8 Rz. 174 ff.).
147b
Vom Schuldner erteilte Vollmachten erlöschen durch die Eröffnung, § 117 InsO (s. § 8 Rz. 292 ff.).
147c
Wurde vor der Eröffnung ein Sozialplan aufgestellt, kann dieser gemäß den Bestim- 148 mungen des § 124 InsO widerrufen werden. Wird anschließend ein neuer Sozialplan vereinbart, richtet sich das Volumen nach § 123 InsO (s. § 12 Rz. 230 ff.). Gemäß § 153 InsO hat der Insolvenzverwalter im Übrigen eine Vermögensübersicht auf den Zeitpunkt der Eröffnung zu erstellen. b) Rechtsfolgen für die Rechtsstellung des Schuldners Der Schuldner verliert im Zeitpunkt der Eröffnung die Verwaltungs- und Verfügungs- 149 befugnis über das massezugehörige Vermögen, § 80 Abs. 1 InsO. Dies bedeutet keine vollständige „Entrechtung“ des Schuldners; diesem ist nur verwehrt, gegen den Willen des Verwalters auf massezugehörige Gegenstände tatsächlich einzuwirken oder über diese zu verfügen1. Der Schuldner behält aber seine Eigentümerstellung. Seine Kaufmannseigenschaft bleibt ebenfalls erhalten, solange das Handelsunternehmen nicht veräußert oder aufgegeben wird.
149a
Auch bleibt der Schuldner bei Fortführung des Unternehmens vertraglicher Arbeit- 149b geber (vgl. oben Rz. 89 und unten Rz. 194 oder aber im Einzelnen § 12 Rz. 5 ff.). Praktische Konsequenzen hat dies jedoch nur für die Zeit nach Beendigung des Insolvenzverfahrens, wenn das Arbeitsverhältnis bis zu diesem Zeitpunkt nicht beendet worden ist. Im Übrigen tritt der Insolvenzverwalter während des Verfahrens an die Stelle des Schuldners als Dienstberechtigter2. Notwendige Folge des Übergangs des Verwaltungs- und Verfügungsrechts auf den In- 149c solvenzverwalter ist nach § 81 InsO die Unwirksamkeit von Verfügungen des Schuldners. Sie besteht nicht nur – relativ – gegenüber den Insolvenzgläubigern, sondern gegenüber jedermann. Ausgenommen von dieser Unwirksamkeit sind nur solche Verfügungen, die zu einem gutgläubigen Erwerb des anderen Teiles nach §§ 892, 893 BGB führen; der öffentliche Glaube des Grundbuchs ist stärker als das mit der Verfahrenseröffnung eintretende Verfügungsverbot. Ist nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Erfüllung einer Verbindlichkeit 149d an den Schuldner geleistet worden, obwohl die Verbindlichkeit zur Insolvenzmasse zu erfüllen war, so wird der Leistende befreit, wenn er zur Zeit der Leistung die Eröffnung des Verfahrens nicht kannte (§ 82 Satz 1 InsO). Fahrlässige, auch grob fahrlässi-
1 MünchKommInsO/Ott/Vuia, § 80 Rz. 11. 2 Moll in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 113 Rz. 37. (49. Lfg. 7/2012).
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§6
Rz. 149e
Beratung des ungesicherten Glubigers
ge Unkenntnis schließt den Schutz des § 82 InsO nicht aus1. Nach einem Urteil des BGH kann sich die Bank nicht auf Unkenntnis berufen, wenn eine Veröffentlichung im Regierungsamtsblatt erfolgt ist. Sie hat organisatorische Vorsorge zu treffen, dass die Entscheidungsträger auch tatsächlich Kenntnis erlangen2. 149e Eine weitere grundlegende Bestimmung dient dem Ziel der Gläubigergleichbehandlung: § 91 InsO. Hiernach können Rechte an den Gegenständen der Insolvenzmasse nach der Eröffnung des Verfahrens nicht wirksam erworben werden. Die Frage ist, wie sich diese Bestimmung auf die Abtretung künftiger Lohn- oder Mietzinsforderungen auswirkt. Geht man mit einer Grundsatzentscheidung des BGH aus dem Jahre 1997 davon aus, dass es sich bei Lohnforderungen um aufschiebend befristete Forderungen handelt, müsste die Verfügung über eine künftige Lohnforderung nach dieser Bestimmung unwirksam sein. Das Gleiche müsste dann für Mietzinsansprüche gelten3. 150 Für den Schuldner ergeben sich möglicherweise Einschränkungen hinsichtlich seiner Berufsausübung bzw. seiner Berufung in Ehrenämter. Insbesondere bei selbständigen Tätigkeiten dürften sich hier regelmäßig Probleme im Bereich der „Zuverlässigkeit“ bzw. „persönlichen Eignung“ ergeben. 150a Den Schuldner trifft gegenüber dem Gericht, dem Verwalter, dem Gläubigerausschuss und auf Anordnung des Gerichts auch gegenüber der Gläubigerversammlung eine umfangreiche Auskunfts- und Mitwirkungspflicht4; diese ist in § 97 InsO normiert. Er hat auch die Pflicht, das Verfahren zu fördern. Dies bedeutet jedoch nicht die generelle Pflicht, seine Arbeitskraft der Masse zur Verfügung zu stellen (zu dem sich aus § 97 Satz 3 ergebenden Beweisverwertungsverbot vgl. § 5 Rz. 220). 150b Der Schuldner ist in der Ausübung seiner Freizügigkeitsrechte nicht unmittelbar durch die Eröffnung eingeschränkt, er hat sich jedoch bei Anordnung durch das Gericht jederzeit zur Verfügung zu stellen. Kommt der Schuldner seinen Pflichten nicht nach, kann das Insolvenzgericht zur Durchsetzung die in § 98 InsO genannten Maßnahmen anordnen. Als Mittel stehen insoweit die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung, die Vorführung und letztlich auch die Anordnung der Haft zur Verfügung. 151 Ist der Schuldner keine natürliche Person, so erweitert § 101 InsO den Anwendungsbereich der §§ 97–99 InsO für die dort genannten Personen. Insbesondere gegen Mitglieder des Vertretungs- oder Aufsichtsorgans und die vertretungsberechtigten persönlich haftenden Gesellschafter des Schuldners hat das Gericht die gleichen Vorgehensmöglichkeiten wie gegen den Schuldner. Vom Anwendungsbereich dieser Vorschriften sind damit zum Beispiel die Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft oder einer Genossenschaft, der Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, der Geschäftsführer und Gesellschafter einer OHG oder der Geschäftsführer einer GmbH erfasst5. Eingeschränkte Möglichkeiten bestehen für das Gericht in Bezug auf Angestellte sowie frühere Angestellte des Schuldners. 152 Was die Rechtsstellung des Schuldners angeht, so ist unsicher, inwieweit er Auskunftsansprüche gegenüber dem Verwalter hat. Ein genereller Auskunftsanspruch besteht jedenfalls nicht; allenfalls bei Einzelaspekten ist ein Informationsanspruch denkbar6.
1 OLG Düsseldorf v. 19.11.2007 – I-17 U 207/06, ZInsO 2008, 44. 2 BGH v. 15.12.2005 – IX ZR 227/04, ZIP 2006, 138; s. auch Schäfer, ZInsO 2008, 16 zu Kontoeröffnungen nach Anordnung der Verfügungsbeschränkungen; Abgrenzung BGH v. 15.4.2010 – IX ZR 62/09, ZIP 2010, 935. 3 Hierzu Flöther/Breuer, NZI 2006, 136 sowie Dobmeier, NZI 2006, 144. 4 Hierzu im Einzelnen Gaiser, ZInsO 2002, 472; Uhlenbruck, NZI 2002, 401; Vallender, EWiR 2004, 293. 5 Vallender, ZIP 1996, 529 (530). 6 Hierzu ausführlich Bork/Jacoby, ZInsO 2002, 398 sowie für den Gesellschafter OLG Hamm v. 25.10.2001 – 15 W 118/01, ZInsO 2002, 77.
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Beratung im erçffneten Verfahren
Rz. 154
§6
c) Rechtsfolgen für Gläubigerforderungen Vor Verfahrenseröffnung begründete Verbindlichkeiten sind Insolvenzforderungen, § 38 InsO. Die seit Verfahrenseröffnung laufenden Zinsen stehen gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO im Nachrang (siehe im Einzelnen unten Rz. 280).
153
Der Eröffnungszeitpunkt ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Abzinsung nicht fälliger 153a Ansprüche, § 41 InsO. Gemäß § 43 InsO können Gläubiger, denen neben dem Schuldner Dritte als Gesamtschuldner mithaften, gegen jeden Schuldner die zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bestehenden Forderungen geltend machen. Die Situation zur Zeit der Verfahrenseröffnung ist außerdem für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Aufrechnung maßgeblich, §§ 94, 95 InsO.
153b
d) Rechtsfolgen für Prozesse Mit der Eröffnung1 des Insolvenzverfahrens werden die die Masse betreffenden 154 (rechtshängigen2) Prozesse3 unterbrochen (§ 240 InsO). Ein nach der Insolvenzeröffnung ergangenes Urteil unter Missachtung der Unterbrechungswirkung nach § 240 ZPO ist nicht nichtig, kann aber im Rechtsmittelverfahren aufgehoben werden4. Ein Rechtsmittel, das bereits vor der Unterbrechung unzulässig war, kann allerdings auch während der Unterbrechung des Verfahrens verworfen werden5. Auch eine Gerichtsstandsbestimmung ist während der Unterbrechung noch möglich6. – Die Insolvenzmasse (Sollmasse) ist betroffen, wenn ein der Masse zustehendes Recht geltend gemacht wird oder wenn die Masse in Anspruch genommen wird. Unterbrochen werden alle Verfahren, also auch Arrest- oder Einstweilige Verfügungsverfahren, Kostenfestsetzungsverfahren7, Beschwerdeverfahren, u.a. auch über die Nichtzulassung der Revision8, usw., nicht jedoch selbständige Beweisverfahren9 oder Verfahren auf Erteilung einer Vollstreckungsklausel10. Für Prozesskostenhilfeverfahren wird die Unterbrechungswirkung überwiegend verneint11, anders bei Steuerstreitigkeiten12. Die Unterbrechungswirkung gem. § 240 ZPO tritt auch ein bei Beschlussverfahren über die Ausübung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrates durch die Insolvenz des
1 Ausnahmsweise schon vorher (Eröffnungsverfahren) bei einem Verfügungsverbot gegen Schuldner, BGH v. 16.5.2013 – IX ZR 332/12, ZIP 2013, 1493. 2 BGH v. 11.12.2008 – IX ZB 232/08, ZIP 2009, 240 mit krit. Anm. Naraschewski, EWiR 2009, 727. 3 Zu der parallelen Thematik der Wirkung auf Rechtbehelfsverfahren gegen einen Anfechtungsund Duldungsbescheid im Steuerrecht Olbing/Hennig, ZInsO 2013, 119. 4 BGH v. 27.1.2009 – XI ZR 519/07, ZIP 2009, 1027. 5 BGH v. 10.10.2013 – III ZR 358/13, ZIP 2014, 148. 6 BGH v. 7.1.2014 – X ARZ 578/13, ZIP 2014, 243. 7 Dies gilt auch dann, wenn zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung die Kostengrundentscheidung bereits rechtskräftig ist und lediglich über die Höhe der zu erstattenden Kosten zu entscheiden ist, vgl. BGH v. 15.5.2012 – VIII ZB 79/11, ZIP 2012, 1263; LG Detmold v. 31.1.2011 – 3 T 30/11, ZIP 2011, 1028. 8 BFH v. 10.11.2010 – IV B 18/09, ZIP 2011, 592. 9 BGH v. 11.12.2003 – VII ZB 14/03, ZInsO 2004, 85; hierzu Meyer, NZI 2005, 9; Abgrenzung BGH v. 23.3.2011 – VII ZB 128/09, ZIP 2011, 1024 (Eine Unterbrechung kommt dann nicht mehr in Frage, wenn in einem selbständigen Beweisverfahren die Beweisaufnahme beendet und das Verfahren damit sachlich abgeschlossen ist. Ab diesem Zeitpunkt besteht kein besonderes Beschleunigungsbedürfnis mehr). 10 BGH v. 12.12.2007 – VII ZB 108/06, ZIP 2008, 527; BGH v. 28.3.2007 – VII ZB 25/05, ZIP 2007, 983; Naraschewski, EWiR 2008, 319. 11 Auswirkung insoweit, als die Entscheidung über die PKH nunmehr grundsätzlich nur noch für den Zeitraum bis zur Unterbrechung des Hauptsacheverfahrens zu treffen ist, OLG Frankfurt v. 6.11.2012 – 4 W 15/12, ZIP 2013, 1838. 12 BFH v. 27.9.2006 – IV S 11/05, ZVI 2007, 134; Paul, EWiR 2007, 219; Abgrenzung BFH v. 30.4.2008 – X S 14/07, BFH/NV 2008, 1351: Stellt der Insolvenzschuldner den Prozesskostenhilfe-Antrag erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, wird das Prozesskostenhilfeverfahren nicht unterbrochen.
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§6
Rz. 154a
Beratung des ungesicherten Glubigers
Arbeitgebers1, Prozesse wegen Auskunftsansprüchen nach § 51a GmbHG2 und Vergabenachprüfungsverfahren, sofern die Vergabestelle insolvent ist3. Nach einer Entscheidung des LG Saarbrücken werden mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer GbR auch die Gerichtsverfahren unterbrochen, die die persönliche Haftung eines Gesellschafters betreffen4. Die Erstreckung der Unterbrechungswirkung auf die gegen die Gesellschafter gerichtete Klage ergibt sich aus dem Zweck des § 93 InsO, um während der Insolvenz der Gesellschaft im Interesse der Gleichbehandlung der Gläubiger einen Gläubigerwettlauf um die Gesellschafterhaftung zu verhindern5 154a Die Verfahrensunterbrechung tritt auch ein, wenn das Insolvenzrecht keinen Insolvenzverwalter bestellt, sondern die Eigenverwaltung durch den Schuldner anordnet6; das Gleiche gilt für ein US-amerikanisches Verfahren nach Chapter 117 und generell für alle Verfahrenseröffnungen in einem anderen EU-Land8. Passivprozesse, die die Aussonderung, die abgesonderte Befriedigung oder eine Masseverbindlichkeit betreffen, können sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom Gegner aufgenommen werden (§ 86 Abs. 1 InsO)9. Nimmt der Gegner den Rechtsstreit auf und erkennt der Verwalter den Anspruch sofort an, so kann der Gegner einen Kostenerstattungsanspruch nur als Insolvenzgläubiger geltend machen (§ 86 Abs. 2 InsO). Um Passivprozesse handelt es sich insbesondere bei einem gegen den Insolvenzschuldner gerichteten gesetzlichen Unterlassungsanspruch wegen Verletzung eines gewerblichen Schutzrechts10, bei Verfahren über eine Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO11 oder auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Urteils gemäß § 722 ZPO12, bei denen ebenfalls die Unterbrechungswirkung nach § 240 ZPO eintritt. 154b Klagt nicht ein Aus-/Absonderungsgläubiger oder Massegläubiger, sondern ein Insolvenzgläubiger, so tritt zunächst eine Unterbrechung ein. Wird die Forderung dann im Prüfungstermin bestritten, so muss der Rechtsstreit gegen den Bestreitenden aufgenommen werden, wenn die Forderung weiterverfolgt werden soll. In diesem Zusammenhang ist allerdings auf die zur Konkursordnung entwickelte Rechtsmeinung zu verweisen, dass die Kosten zu Lasten des Klägers gehen, wenn der Gläubiger seine Forderung nicht formgerecht angemeldet hat und er beispielsweise erst im Prozess eine ordnungsgemäße Spezifikation vornimmt oder erstmalig Belege vorlegt13. Dieser Rechtsauffassung folgt der BGH für die InsO nur eingeschränkt: Wenn dem Schuldner schon im Zeitpunkt der insolvenzbedingten Unterbrechung des Verfahrens ein sofortiges Anerkenntnis versagt war, so hat dies auch für den Insolvenzverwalter Konsequenzen. Erkennt er den Anspruch, den er zunächst im Prüfungstermin bestritten hat, im anschließenden Feststellungsprozess an, so habe er die Kosten als Masseverbindlich1 2 3 4
5 6 7 8
9 10 11 12 13
LArbG Berlin-Brandenburg v. 23.5.2012 – 6 Ta 675/12, ZIP 2012, 1479. Gessner, NZI 2013, 677. OLG Naumburg v. 22.4.2010 – 1 Verg 11/09, ZIP 2010, 1620. OLG Koblenz v. 15.1.2010 – 2 W 842/09, ZIP 2010, 448; LG Saarbrücken v. 4.6.2010 – 5 T 137/10, ZIP 2010, 1823; ähnlich bei einen anhängigen Steuerstreit in der Insolvenz der Personengesellschaft, Kaiser, NZI 2013, 336. BGH v. 20.11.2008 – IX ZB 199/05, ZIP 2009, 47. BGH v. 7.12.2006 – V ZB 93/06 (KG), NZI 2007, 188; Bähr, EWiR 2007, 249; BFH v. 27.2.2014 – V R 21/11, ZIP 2014, 894. BGH v. 13.10.2009 – X ZR 79/06, ZIP 2009, 2217 mit zust. Anm. Rendels/Körner, EWiR 2009, 781; BAG v. 27.2.2007 – 3 AZR 618/06, ZIP 2007, 2047. OLG Köln v. 17.10.2007 – 16 W 24/07, ZIP 2007, 2287; zum umgekehrten Fall eines ausländischen Insolvenzverfahrens (hier Brasilien) und dem Einfluss auf einen inländischen Rechtsstreit BAG v. 18.7.2013 – 6 AZR 882/11, ZIP 2014, 596. Zum Unterschied zwischen Aktiv- und Passivprozess vgl. BGH v. 14.4.2005 – IX ZR 221/04, ZInsO 2005, 534, hier bei Ersatz eines Vollstreckungsschadens Passivprozess angenommen. BGH v. 18.3.2010 – I ZR 158/07, ZIP 2010, 948. BGH v. 14.8.2008 – VII ZB 3/08, ZIP 2008, 1941. BGH v. 17.7.2008 – IX ZR 150/05, ZIP 2008, 1943. OLG Dresden v. 3.2.1997 – 13 W 935/96, ZIP 1997, 327; K. Schmidt/Jungmann, § 79 InsO Rz. 79 ff.
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Beratung im erçffneten Verfahren
Rz. 155a
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keit zu tragen. Der Kostenerstattungsanspruch sei auch insgesamt Masseverbindlichkeit, also auch für den Zeitraum vor der Unterbrechung1. Wird der bereits anhängige Anspruch des Insolvenzgläubigers zur Tabelle angemel- 154c det und im Prüfungstermin weder durch den Insolvenzverwalter noch einen der anderen Insolvenzgläubiger bestritten, so tritt mit der Feststellung der streitigen Forderung zur Insolvenztabelle die Erledigung des Klageverfahrens ein2. Für neu zu führende Prozesse kann die Frage Bedeutung bekommen, ob der Insol- 154d venzverwalter an eine vor Verfahrenseröffnung getroffene Schiedsabrede gebunden ist. Dies wird überwiegend bejaht, soweit es um Rechte des Insolvenzverwalters geht, die sich nicht unmittelbar aus dem vom Gemeinschuldner abgeschlossenen Vertrag ergeben, sondern auf der Insolvenzordnung beruhen3; etwas anderes gilt nur, wenn für die Prozessführung keinerlei liquide Mittel vorhanden sind, der Insolvenzverwalter also auf Prozesskostenhilfe angewiesen ist, die es bei einem Schiedsverfahren nicht gibt4. Die Teilaufnahme eines gem. § 240 ZPO unterbrochenen Rechtsstreits ist in der Regel 154e nur möglich, wenn die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen in Bezug auf den aufgenommenen Teil des Rechtsstreits und den nicht aufgenommenen Teil ausgeschlossen ist5. e) Rechtsfolgen für Vollstreckungen Bei Vollstreckungsmaßnahmen bietet § 240 ZPO keine Hilfestellung6. Es gilt vielmehr 155 Folgendes: Gemäß § 89 Abs. 1 InsO ist die Zwangsvollstreckung für einzelne Insolvenzgläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig. In der Insolvenz einer GbR gilt das Vollstreckungsverbot gemäß §§ 89, 92 InsO allerdings nicht zu Gunsten des Privatvermögens einzelner Gesellschafter7. Wer Insolvenzgläubiger ist, richtet sich dabei ausschließlich nach § 38 InsO; dabei ist es unerheblich, ob der Gläubiger tatsächlich am Insolvenzverfahren teilnimmt8. Im Übrigen darf auch ein absonderungsberechtigter Grundpfandgläubiger nach Insolvenzeröffnung nicht die Mieten pfänden. Er unterliegt ebenfalls dem Vollstreckungsverbot und darf nur den Weg über die Zwangsverwaltung gehen9. Das Vollstreckungsverbot gilt auch in der Wohlverhaltensphase. Deshalb kann einem 155a Insolvenzgläubiger auch nach Aufhebung des Verfahrens in dieser Phase kein vollstreckbarer Tabellenauszug erteilt werden. Dies gilt auch für Gläubiger, deren Forderungen gemäß § 302 InsO von der Erteilung der Restschuldbefreiung ausgenommen sind10. Anders ist die Situation zumindest bei so genannten oktroyierten Masseverbindlichkeiten. Das Vollstreckungsverbot des § 90 InsO ist spätestens mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens entfallen und dasjenige des § 294 InsO gilt für Massegläubiger nicht11, nach herrschender Meinung auch nicht für Neugläubiger bei Unterhaltsansprüchen und solchen aus unerlaubter Handlung12. 1 BGH v. 28.9.2006 – IX ZB 312/04, WM 2007, 91; Hofmann, EWiR 2007, 85. 2 FG Hamburg v. 15.8.2011 – 3 K 132/11, ZIP 2012, 795. 3 BGH v. 30.6.2011 – III ZB 59/10, ZIP 2011, 1477 mit Anm. Prütting, EWiR 2011, 545: BGH v. 20.11.2003 – III ZB 24/03, ZInsO 2004, 88; Kück, ZInsO 2006, 11; zu Besonderheiten bei Forderungseinzug nach § 166 Abs. 2 InsO BGH v. 25.4.2013 – IX ZR 49/12, ZIP 2013, 1539 mit Anm. Dahl/Schmitz, NZI 2013, 159. 4 OLG Köln v. 5.6.2013 – 18 W 32/13, ZIP 2013, 2024. 5 BGH v. 27.3.2013 – III ZR 367/12, ZIP 2013, 1094; Hirtz, EWiR 2013, 457. 6 BGH v. 23.3.2007 – VII ZB 25/05, ZIP 2007, 983; a.A. App im Frankfurter Kommentar zur InsO, § 85 Rz. 7; zur Anwendbarkeit des § 89 InsO auf die Vollstreckung nach § 887 ZPO, vgl. OLG Stuttgart v. 14.9.2011 – 10 W 9/11, ZIP 2012, 946. 7 OLG Saarbrücken v. 29.7.2009 – 1 Ws 118/09, ZInsO 2009, 1704. 8 LG Erfurt v. 23.7.2003 – 2T 185/03, InVo 2004, 21. 9 BGH v. 13.7.2006 – IX ZB 301/04, ZIP 2006, 1554. 10 AG Göttingen v. 6.6.2005 – 74 IN 215/03, ZInsO 2005, 668. 11 BGH v. 28.6.2007 – IX ZR 73/06, DZWIR 2008, 29. 12 Ahrens, NZI 2008, 24.
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Rz. 155b
Beratung des ungesicherten Glubigers
155b Eine Einstellung kraft Gesetzes sieht § 90 Abs. 1 InsO vor: Zwangsvollstreckungen wegen Masseverbindlichkeiten, die nicht durch eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet worden sind, sind für die Dauer von sechs Monaten seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens unzulässig. Nicht unter das Vollstreckungsverbot fallen Ansprüche aus einem gegenseitigen Vertrag, dessen Erfüllung der Verwalter gewählt hat, aus einem Dauerschuldverhältnis für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Verwalter kündigen konnte, und aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit der Verwalter für die Insolvenzmasse die Gegenleistung in Anspruch nimmt (§ 90 Abs. 2 InsO). Durch diese Gesetzeslage wird eine etwas unsichere Rechtsprechung zu der Frage, wie sich ein Verwalter bei Masseunzulänglichkeit gegen Vollstreckungen wehren kann, abgelöst. 155c In diesem Zusammenhang ist auf § 210 InsO zu verweisen, durch den ein Vollstreckungsverbot nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit normiert wird1. Es gilt nach dem Gesetzeswortlaut nur für die so genannten Altmassegläubiger. Es kann jedoch durchaus vorkommen, dass die Masse noch nicht einmal ausreicht, um die Neumassegläubiger zu befriedigen. In diesem Fall wird man mangels anderweitiger gesetzlicher Regelungen auf das frühere Recht zurückgreifen müssen, wonach bei Eintritt der Massearmut Vollstreckungsversuche von Massegläubigern, die mit dem Rang des § 209 Abs. 1 Ziff. 2 InsO zu befriedigen wären und bereits über einen Titel verfügen, mit einer Vollstreckungsgegenklage bekämpft werden müssen. Eine erneute Anzeige der Masseunzulänglichkeit ist hierzu nicht erforderlich. Darüber hinaus verbietet der BGH generell den Neumassegläubigerin im Falle der Neumasseunzulänglichkeit die Erwirkung eines Kostenfestsetzungsbeschlusses2, was dann konsequenterweise auch für andere Titel gelten muss. 155d Es stellt sich auch die Frage, ob für Altmassegläubiger überhaupt noch eine Leistungsklage nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit möglich ist. Pape hält eine solche Klage für unzulässig3, was angesichts der Rechtsprechung zu § 888 ZPO nicht ganz unbedenklich ist. 155e Entstehen Gerichtskosten nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch den Insolvenzverwalter, so können sie nicht gegenüber der Masse angesetzt und vollstreckt werden, wenn der Insolvenzverwalter nachweist, dass die verfügbare Masse nicht zur vollen Befriedigung der Neumassegläubiger ausreicht4. Da die Gerichtskosten zu den Masseverbindlichkeiten gem. § 209 Abs. I Ziff. 2 InsO gehören, folgt dieses Ergebnis nicht aus § 210 InsO, sondern aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Gläubiger im Insolvenzverfahren. Es ist auch im Falle erneuter Masseunzulänglichkeit gegenüber den Neumassegläubigern geboten, auf eine entsprechende Einwendung des Insolvenzverwalters nur noch die Feststellungsklage zuzulassen, um einen Vorrang schnellerer Neumassegläubiger, die Vollstreckungsmaßnahmen durchführen und so die auf die anderen entfallende Quote verringern, zu vermeiden. Der Insolvenzverwalter wird nicht zur Leistung verurteilt, vielmehr ist das Bestehen der Forderung nur noch gerichtlich festzustellen5. 3. Bestellung des Insolvenzverwalters a) Auswahl 156 Wird das Insolvenzverfahren eröffnet, so ernennt das Insolvenzgericht einen Insolvenzverwalter, § 27 Abs. 1 Satz 1 InsO. Innerhalb des Gerichts ist der Richter zuständig, § 22 GVG, § 18 RpflG. Er nimmt also die Auswahl vor. Die Auswahlkriterien nennt § 56 InsO. Zum Insolvenzverwalter ist eine
1 Allgemein zu den Rechtsfolgen der Masseunzulänglichkeit s. Runkel/Schnurbusch, NZI 2000, 49. 2 BGH v. 27.9.2007 – IX 172/05, ZIP 2007, 2140. 3 Pape, KTS 1995, 189; so auch das BAG v. 15.6.2004 – 9 AZR 431/03, DZWIR 2004, 461 und BAG v. 11.12.2001 – 9 AZR 459/00 in ZIP 2002, 628. 4 OLG Frankfurt v. 25.9.2006 – 10 U 79/05, ZIP 2007, 591. 5 OLG Frankfurt v. 25.9.2006 – 10 U 79/05, ZIP 2007, 591.
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Beratung im erçffneten Verfahren – – – –
Rz. 159a
§6
für den jeweiligen Einzelfall geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige natürliche Person zu bestellen.
aa) Natürliche Personen Im Regierungsentwurf zur InsO war noch vorgesehen, dass auch juristische Per- 157 sonen zu Verwaltern bestellt werden können1. Gedacht war vor allem an Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Aufgrund der Aufsichts- und Haftungsprobleme, die bei juristischen Personen allein schon wegen der Austauschbarkeit des gesetzlichen Vertreters auftreten können, aber auch mit Rücksicht auf mögliche Interessenkollisionen hat der Gesetzgeber von diesem Vorhaben Abstand genommen und – anders als in den bisherigen Gesetzen – ausdrücklich festgelegt, dass nur natürliche Personen zu Verwaltern bestellt werden können2. bb) Geschäftskunde Als fachlich geeignet gelten von Berufs wegen Anwälte, Steuerberater, Wirtschafts- 158 prüfer und ähnlich vorgebildete Personen. Ganz überwiegend (ca. 90 %) werden Anwälte eingesetzt, hier wiederum solche mit fachlicher Spezialisierung. Anders als noch vor 50 Jahren gibt es in der Praxis den „Gelegenheitsverwalter“ schon deshalb nicht mehr, weil dieser nicht über ein Insolvenzabwicklungsbüro verfügt oder ein solches aufbauen könnte. Dem Fachanwalt für Insolvenzrecht kommt nur begrenzte Bedeutung zu. Wenn Anwälte ausgewählt werden, dann in erster Linie solche, die mit Wirtschaftsfragen vertraut sind und über gute Kenntnisse im Handelsrecht, Gesellschaftsrecht, Steuerrecht und Arbeitsrecht verfügen. Häufig decken auch Sozien des Verwalters diese Bereiche ab; insoweit hat dann der Fachanwalt für Steuer- oder Arbeitsrecht durchaus Bedeutung. In größeren Insolvenzverwalter-Kanzleien sind auch regelmäßig Diplom-Kaufleute, 158a Betriebswirte und vermehrt Bankkaufleute anzutreffen. Regelmäßig beschäftigen Verwalter Bilanzbuchhalter und Personalsachbearbeiter. Der Insolvenzsachbearbeiter ist noch kein staatlich anerkannter Beruf. Tatsächlich hat sich jedoch diese Berufsbezeichnung eingebürgert. Insolvenzsachbearbeiter erhalten ihre Ausbildung normalerweise im Verwalterbüro, in jüngster Zeit aber auch extern durch so genannte Mitarbeiterschulungen (tageweise). Die Übernahme des Insolvenzverwalteramtes setzt im Übrigen nicht nur eine ent- 158b sprechende Personalausstattung, sondern auch moderne Bürotechnik voraus, insbesondere EDV mit abwicklungsspezifischer Software. Die Kommunikation über das Internet dürfte inzwischen ebenfalls selbstverständlich sein. cc) Unabhängigkeit Selbstverständlich scheidet der Schuldner selbst – wenn man einmal von dem Son- 159 derfall der Eigenverwaltung absieht – oder ein Gläubiger als Verwalter aus. Wer als Anwalt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer usw. den Schuldner oder einen wichtigen Gläubiger in jüngster Zeit vertreten oder beraten hat, kann ebenfalls nicht Verwalter werden. Wo die Grenzen liegen, ist nicht immer einfach zu bestimmen3. Der Arbeitskreis der Insolvenzverwalter Deutschland e.V., heute Verband der Insolvenzverwalter Deutschlands e.V. (VID), der sich als Berufsverband der Verwalter sieht, hatte das Thema der Vorbefasstheit in verschiedenen Sitzungen eingehend erörtert 1 S. aber auch Sabel/Wimmer, ZIP 2008, 2097, Slopek, ZInsO 2008, 1243 und Frind, ZInsO 2008, 1248 zur europäischen Dienstleistungsrichtlinie. 2 S. auch BGH v. 19.9.2013 – IX AR (VZ) 1/12, ZIP 2013, 2070 mit zustimmender Anm. Eckardt, EWiR 2014, 23; kritisch (Verstoß gegen Verfassungs- und Europarecht) Bluhm, ZIP 2014, 555. 3 Vgl. zu den Kriterien das Abschlussprotokoll der sog. „Uhlenbruck-Kommission“, ZInsO 2007, 760 (762) und Frind, ZInsO 2014, 119.
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Beratung des ungesicherten Glubigers
und schließlich am 16.11.2001 Verhaltensrichtlinien verabschiedet, die nicht nur Fragen der Unabhängigkeit, sondern auch die oben erwähnten Anforderungen (Geschäftskunde) behandelten1. Das AG Hamburg maß den Verhaltensrichtlinien eine gewisse Bindungswirkung zu2. Der VID hat dann am 4.11.2006 die Berufsgrundsätze der Insolvenzverwalter3 verabschiedet4, welche den Verhaltenskodex ablösen, teilweise aber nur ergänzen. Sie bilden auf Basis einer Selbstverpflichtung die Grundlage für die Berufstätigkeit als Insolvenzverwalter und behandeln in § 4 der Berufsgrundsätze die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters. dd) Geeignetheit im Einzelfall 160 Nach § 56 InsO ist eine für den jeweiligen Einzelfall geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige natürliche Person zu bestellen. Diese Formulierung zeigt, dass der Gesetzgeber auf die richterliche Unabhängigkeit Wert legt und dem entscheidenden Richter einen weiten Ermessensspielraum einräumen will. Ermessensfehlerhaft dürfte es deshalb sein, wenn der Richter nur eine Liste mit bestimmter Reihenfolge – ohne Rücksicht auf den Einzelfall – „abarbeitet“5. 160a Der Richter muss sich bei der Auswahl des Verwalters im Einzelfall Gedanken darüber machen, wer am ehesten den Problemstellungen der konkreten Insolvenzabwicklung gewachsen ist. Die Branche oder die Größe des Unternehmens ist ebenso zu berücksichtigen wie die persönliche Verfügbarkeit des Verwalters, d.h. vor allem die Belastung mit anderen Verfahren6. 160b Allgemeine persönliche Kriterien können durchaus für die Eignung von Bedeutung sein7. So sollte der Verwalter nicht wegen der Begehung einer Insolvenzstraftat vorbestraft sein8 Die Noten in den juristischen Staatsexamen sind dagegen sicher nicht entscheidend9. Es ist auch nicht entscheidend, ob jemand das 65-ste Lebensjahr vollendet hat10. Das Geschlecht soll jedoch Bedeutung haben und das Gericht verpflichtet sein, auf eine Frauenquote zu achten11. 160c Auch die Ortsnähe kann eine Rolle spielen, wobei der Kanzleisitz im Gerichtsbezirk zwar der Regelfall, aber keine zwingende Voraussetzung für die Verwalterbestellung ist. Ist der Verwalter beispielsweise als Anwalt bei einem anderen Gericht zugelassen, so ist dies für einige Gerichte kein Bestellungshindernis, wenn er über ein voll ausgestattetes Abwicklungsbüro am Ort des Insolvenzgerichts verfügt – In den letzten Jahren wird dies immer großzügiger gesehen, so u.a. in einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 3.8.200912. 1 Zu den Verhaltensrichtlinien siehe NZI 2002, 3; vgl. dazu auch Runkel, NZI 2002, 2; Die Problematik ist neu akut geworden durch das Schutzschirmverfahren und das Vorschlagsrecht des Gläubigerausschusses. Zu der in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Frage, ob die Unabhängigkeit abdingbar ist, Bork, ZIP 2013, 40 sowie Vallender/Zipperer, ZIP 2013, 149 (verneinend); a.A. Schmidt/Hölzle, ZIP 2012, 2238. 2 AG Hamburg v. 21.11.2001 – 67g IN 280/01, NZI 2002, 166 m. ablehnender Anm. Holzer, EWiR 2002, 71. Auch Prütting, ZIP 2002, 1965 lehnt die Bindungswirkung ab. 3 Weiterentwickelt durch GOI, ZIP 2011, 1489. 4 Abgedruckt in ZIP 2006, 2147. 5 Henssler, ZIP 2002, 1053; Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, § 56 Rz. 6; a.A. Holzer/Kleine-Cosack/Prütting, Die Bestellung des Insolvenzverwalters, 2001. 6 S. hierzu AG Potsdam v. 30.11.2001 – 35 IN 677/01, NZI 2002, 391 sowie zu der Frage, wie weit die Arbeit delegiert werden darf, Hofmann, ZIP 2006, 1080; OLG Düsseldorf v. 15.8.2008 – I-3 VA 4/07, ZIP 2008, 2129; Holzer, EWiR 2008, 85. 7 Zur emotionalen Kompetenz Paulus/Hörmann, NZI 2013, 623. 8 BGH v. 31.1.2008 – III ZR 161/07, ZIP 2008, 466. 9 OLG Hamburg v. 8.10.2008 – 2 Va 4/07, ZIP 2008, 2228 – anders die damit korrigierte Entscheidung des AG Hamburg, das die Listung wegen schlechter Examensnoten verweigert hatte. 10 OLG Hamburg v. 6.1.2012 – 2 VA 15/11, ZIP 2012, 336 – anders auch wieder das AG Hamburg, das ein Delisting mit Rücksicht auf dieses Alter angekündigt hatte. 11 AG Frankfurt/O. v. 22.10.2013 – 3 IN 385/13, AnwBl. 2014, 90, ZIP 2014, 641. 12 BVerfG v. 3.8.2009 – 1 BvR 369/08, ZIP 2009, 1722; vgl. auch OLG Düsseldorf v. 27.1.2009 – I-3 Va 8/08, ZIP 2009, 1683; OLG Düsseldorf v. 9.8.2010 – I-3 VA 1/09, ZIP 2010, 1705 und OLG Düs-
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Beratung im erçffneten Verfahren
Rz. 163a
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Wenn auch sog. geschlossene Verwalterlisten unzulässig sind, so gilt etwas anderes 161 für Listen, die der Vorauswahl der in Frage kommenden Verwalter dienen. Sie sind zulässig, soweit man sie als offene Listen bezeichnen kann. Von Offenheit kann jedoch nur gesprochen werden, wenn sich die Richter „Bewerbungsgesprächen“ nicht verschließen und je nach Anzahl der Insolvenzfälle1 auch neue qualifizierte Personen in die Liste aufnehmen2. Es war lange streitig, ob ein Rechtsanspruch auf Aufnahme in die Liste besteht. Zwei Insolvenzverwalter, die sich übergangen fühlten, hatten das Bundesverfassungsgericht angerufen, um eine Listung durchzusetzen. Mit Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 3.8.20043 ist den Verfassungsbeschwerden teilweise stattgegeben worden. Das Gericht vertritt die Auffassung, dass jeder Bewerber die faire Chance erhalten muss, entsprechend seiner gesetzlich vorausgesetzten Eignung in Erwägung gezogen zu werden. Die Chancengleichheit müsse auch gerichtlich überprüfbar sein4. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verdient auch deshalb Aufmerk- 162 samkeit, weil in den Beschlussgründen ausdrücklich davon die Rede ist, dass sich die Betätigung als Insolvenzverwalter zu einem eigenständigen Beruf entwickelt hat5. Damit hat das Bundesverfassungsgericht auch einen wesentlichen Unterschied zur Bestellung von Sachverständigen, Pflichtverteidigern, Nachlasspflegern usw. berührt. Für diese Tätigkeiten hatte man bisher einen Anspruch auf „Listung“ und Bestellung im Einzelfall abgelehnt, weil dies mit der richterlichen Unabhängigkeit kollidieren würde. Diese Unabhängigkeit stehe, so das Bundesverfassungsgericht im Falle der Insolvenzverwalterbestellung, nicht in Frage; es müsse jedoch wenigstens die Möglichkeit bestehen, sich in den Bewerberpool einzuklagen; damit bestehe allerdings noch kein Anspruch darauf, im Einzelfall bestellt zu werden. Vor diesem Hintergrund ist die Änderung des § 56 Abs. 1 InsO zu verstehen, die seit dem 1. Juli 2007 in Kraft ist: Nunmehr ist eine geeignete Person zu bestellen, „die aus dem Kreis aller zur Übernahme von Insolvenzverwaltungen bereiten Person auszuwählen ist. Die Bereitschaft zur Übernahme von Insolvenzverwaltungen kann auf bestimmte Verfahren beschränkt werden“ (§ 56 Abs. 1 Satz 2).
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Wichtiger ist aber etwas anderes: Die o.g. Grundsatzentscheidung des Bundesverfas- 163a sungsgerichts hat ein mittleres Erdbeben ausgelöst. Es verging anschließend so gut wie kein Monat, in dem es nicht irgendwelche Literaturbeiträge, vor allem aber auch neue Gerichtsentscheidungen zur Verwalterauswahl und Verwalterstellung gab. Ich verweise hierzu auf die Aufstellung in der Vorauflage zur Randziffer 163a. Da die Aktualität heute nicht mehr im gleichen Umfang besteht, sollen nachstehend nur noch einige wenige Entscheidungen genannt werden: – BGH v. 7.10.2004 – IX ZB 128/03, NZI 2005, 32 m. Anm. Kayser/Heck, NZI 2005, 65 ff. – BVerfG v. 9.2.2005 – 1 BvR 2719/04, ZIP 2005, 537; hierzu kritisch Lüke, ZIP 2005, 539 – BVerfG v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04, ZInsO 2006, 765; hierzu Frind, ZInsO 2006, 729; Smid, DZWIR 2006, 353 sowie Römermann, ZIP 2006, 1332 – BVerfG v. 12.6.2006 – 1 BvR 1469/05, ZIP 2006, 1954 zur Erreichbarkeit – BVerfG v. 12.7.2006 – 1 BvR 1493/05, ZIP 2006, 1956 zu früheren Beanstandungen – BVerfG v. 19.7.2006 – 1 BvR 1351/06, ZIP 2006, 1541 (praktische Erfahrungen sind Listenvoraussetzungen) – OLG Düsseldorf v. 27.10.2006 – I-3 Va 9/06, NZI 2007, 48 und Holzer, ZIP 2006, 2208 (erste Entscheidung, die dem antragstellenden Interessenten gegenüber dem In-
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seldorf v. 20.1.2011 – I-3 VA/2/10, ZIP 2011, 341; OLG Hamm v. 29.5.2008 – I-27 VA 7/07, ZIP 2008, 1189. Streitig, ob Bedarfsprüfung möglich; hierzu Runkel, NZI aktuell 2009, Heft 13, S. V-VII. Generell hierzu Binz/Hess, Der Insolvenzverwalter, Rz. 944 ff. BVerfG v. 3.8.2004 – 1BVR 135/00 und 1086/01, ZIP 2004, 1649. So auch Lüke, ZIP 2000, 485. So bereits Hennsler, ZIP 2002, 1053; Wellensiek, NZI 1999, 169.
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§6
Rz. 163b
Beratung des ungesicherten Glubigers
solvenzgericht nicht nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung zuspricht, sondern vor allem ausdrücklich festhält, dass das Insolvenzgericht bisher ermessensfehlerhaft gehandelt hat) – OLG Bamberg v. 3.12.2007 – VA 11/07, ZIP 2008, 83 zur persönlichen Erreichbarkeit und Höchstpersönlichkeit – BGH v. 19.12.2007 – IV AR(VZ) 6/070, ZInsO 2008, 207. 163b Von den in der Vorauflage erwähnten grundlegenden Abhandlungen zur Gesamtthematik sollen nachstehend nur noch einige aufgeführt werden, die auch heute noch Bedeutung haben und zwar: – Prütting, ZIP 2005, 1097 – Runkel/Wältermann, ZIP 2005, 1347 ff. – Uhlenbruck, NZI 2006, 489 – Wieland, ZIP 2007, 462 – Lüke, ZIP 2007, 701 – Uhlenbruck/Mönning, ZIP 2008, 157 163c Im Kontext der vorgenannten Entscheidungen und Veröffentlichungen ist auch ein Urteil des BGH zu der Frage zu sehen, ob ein Insolvenzverwalter, sei er nun Anwalt oder Wirtschaftsprüfer, in einer anderen Stadt eine Zweigstelle unterhalten darf. Der BGH gestattet dies, wenn die betreffende Person nur dort als Insolvenzverwalter in Erscheinung tritt (beispielsweise auf dem Briefpapier). Der BGH begründet dies mit der vom Bundesverfassungsgericht vertretenen Auffassung, dass die Insolvenzverwaltertätigkeit ein eigener Beruf ist1. ee) Vorschlagsrechte (1) Allgemeines 164 Jahrzehntelang ist die Frage diskutiert worden, welchen Einfluss die am Verfahren Beteiligten bei der Auswahl des Verwalters haben und/oder haben sollten. In diesem Bereich bestehen auch bei Laien etwas unklare Vorstellungen, wie beispielsweise, dass der Schuldner sich seinen Verwalter aussuchen kann, also quasi mitbringt. – In Wirtschaftskreisen ist seit längerem die besondere deutsche Situation beklagt worden, und zwar immer mit Blick auf die USA, vor allem aber Großbritannien: Die Unsicherheit, wer Verwalter wird, führe dazu, dass insolvente Unternehmen viel zu lange zögerten, einen Antrag zu stellen, weil sie damit – wie sie meinen – so zu sagen, in ein schwarzes Loch fallen. Auch Großgläubiger äußerten immer wieder die Sorge, das Gericht könne einen unfähigen Verwalter einsetzen und damit u.a. reale Betriebsfortführungschancen zunichtemachen. Deshalb haben deutsche Firmen – zum Teil im Einklang mit Großgläubigern, insbesondere Kreditinstituten – Sitzverlegungen vorgenommen. London galt für viele als ideales „Reiseziel“. Wirtschaftskreise haben deshalb – hierbei unterstützt von Verwaltern und ihren Verbänden – den Gesetzgeber aufgefordert, dem allgemeinen Unbehagen Rechnung zu tragen und Möglichkeiten zu schaffen, auch in Deutschland ein für die Beteiligten transparenteres und besser steuerbares Einleitungsverfahren zu schaffen, das Anreize für eine frühzeitige Insolvenzantragstellung bietet2. 164a Der Gesetzgeber hat die verschiedenen Anregungen aufgegriffen und mit dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen – ESUG – eine neue Bestimmung zur Gläubigerbeteiligung bei der Verwalterauswahl geschaffen, nämlich den § 56a, der im Wesentlichen Folgendes vorsieht: 164b „Vor der Bestellung des Verwalters ist dem vorläufigen Gläubigerausschuss Gelegenheit zu geben, sich zu den Anforderungen, die an den Verwalter zu stellen sind und zur Person des Verwalters zu äußern … (Abs. 1) 1 BGH v. 15.11.2004 – II ZR 299/02, ZIP 2005, 163 mit Anm. Römermann, EWiR 2005, 449, § 47 WPO. 2 Zur Gesamtproblematik und historischen Entwicklung Frind in Hamburger Kommentar zur InsO, § 56a Rz. 2 ff.
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Beratung im erçffneten Verfahren
Rz. 165a
§6
Das Gericht darf von einem einstimmigen Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses zur Person des Verwalters nur abweichen, wenn die vorgeschlagene Person für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist. … (Abs. 2)“
Der o.g. Absatz 1 räumt dem Richter allerdings die Möglichkeit ein, den Gläubiger- 164c ausschuss nicht anzuhören, wenn er befürchtet, dass dies zu Zeitverzögerungen und damit zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage des Schuldners führt. Dies greift Absatz 3 auf, indem er für diesen Fall dem vorläufigen Gläubigerausschuss das Recht einräumt, in seiner ersten Sitzung einstimmig eine andere Person als die bestellte zum Insolvenzverwalter zu wählen. Da das Gesetz von einem vorläufigen Gläubigerausschuss spricht, ist hierzu Folgen- 164d des zu sagen: Schon vor der Gesetzesänderung im Jahre 2012 gab es den Begriff „vorläufiger Gläubigerausschuss“. Hiermit war jedoch der Ausschuss gemeint, den das Gericht nach § 67 vor der ersten Gläubigerversammlung. also regelmäßig am Tag der Verfahrenseröffnung, einsetzt. Streitig war seinerzeit, ob auch schon im Eröffnungsverfahren ein Ausschuss eingesetzt werden kann. Hierzu verweise ich auf die Randziffer 223 der Vorauflage. Nunmehr ist § 21 dahingehend geändert worden, dass das Gericht schon sofort, d.h. mit Antragstellung, einen vorläufigen Gläubigerausschuss als Sicherungsmaßnahme im Sinne des § 21 einsetzen kann (Abs. 2 S. 2 Ziff. 1a). Die Einzelheiten sind in § 22a geregelt und werden im Kapitel 13, Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung, erörtert. Deshalb hier nur folgender Hinweis: Nach Abs. 3 des § 22a ist ein vorläufiger Gläubigerausschuss nicht einzusetzen, wenn der Geschäftsbetrieb des Schuldners eingestellt ist1, die Einsetzung des vorläufigen Gläubigerausschusses im Hinblick auf die zu erwartende Insolvenzmasse unverhältnismäßig ist oder die mit der Einsetzung verbundene Verzögerung zu einer nachteiligen Veränderung der Vermögenslage des Schuldners führt2. Damit gilt für diese Fälle die in § 56a geregelte Gläubigerbeteiligung bei der Verwalterbestellung nicht. Vielmehr sind die Überlegungen anzustellen, die schon früher für die Vorschlagsrechte galten: (2) Schuldnerrechte Schlägt der Schuldner bei einem Eigenantrag einen Verwalter vor, so wird der Rich- 164e ter genau prüfen, was das Motiv hierfür ist. Gefährlich ist es, auf keinen Fall den vorgeschlagenen Verwalter einzusetzen. Ist eine derartige Handhabe allgemein bekannt, so könnte der Schuldner mit seinem Vorschlag einen Verwalter ausschließen, den er wegen seiner gründlichen Arbeitsweise aus bestimmten Gründen (bspw. Angst vor Anfechtungsprozessen) gerade nicht haben will. (3) Gläubigerrechte Auch hier könnte der Vorschlag gerade die Ausschaltung bezwecken, so dass eine 165 ausnahmslose Ablehnung nicht erfolgen sollte. Bei Vorschlägen von Großgläubigern ist natürlich zu überlegen, ob hier Abhängigkeiten bestehen oder geschaffen werden sollen3. Wird immer wieder der gleiche Verwalter vorgeschlagen, wird das Gericht besondere Vorsicht walten lassen, vor allem wenn der Vorschlag von gesicherten Gläubigern kommt und die Absicherung noch nicht allzu lange besteht. Schlagen alle oder mehrere Gläubiger einen bestimmten Verwalter vor und befinden sich hierunter auch ungesicherte Anspruchsinhaber, so empfiehlt es sich, im Zweifel dem Vorschlag zu folgen.
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Hinweis: Nicht ungeschickt ist es, wenn sich Gläubiger an einen anderen Verwalter wenden und diesen bitten, bei Gericht mit einem Kollegenvorschlag vorstellig zu werden. Führt der sonst häufig eingesetzte Verwalter besondere Gründe auf,
1 Nach Auffassung des AG Hamburg v. 3.5.2013 – 67c IN 161/13, ZIP 2013, 1391, auch dann keine Einsetzung, wenn abzusehen ist, dass der Geschäftsbetrieb in Kürze eingestellt wird; vgl. auch AG Hamburg v. 26.9.2013 – 67c 320/13, ZIP 2013, 2418; Martini, ZInsO 2013, 1782. 2 Nachträgliche Erweiterung des Ausschusses zulässig, LG Kleve v. 4.4.2013 – 4 T 32/13, ZIP 2013, 992; Frind, ZIP 2013, 2244; a.A. Haarmayer, ZInsO 2013, 1093. 3 Frind, ZInsO 2002, 745 (755); Riggert, NZI 2002, 352.
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165a
§6
Rz. 166
Beratung des ungesicherten Glubigers
weshalb eine bestimmte andere Person eingesetzt werden soll, so wird das Gericht dem im Zweifel folgen, weil sich kein Verwalter erlauben kann, hiermit verfahrensfremde Zwecke zu verfolgen. b) Allgemeine Rechtsstellung 166 Sie ist Gegenstand eines mindestens 100-jährigen Theorienstreits, der für die Praxis wenig bringt1. Am besten erklärt sich das Handeln des Verwalters mit der Amtstheorie, die heute herrschend ist. Hiernach ist der Verwalter Amtstreuhänder, der prozessual und materiellrechtlich im eigenen Namen, aber mit Wirkung für und gegen die Insolvenzmasse handelt. Es wird auch von objektbezogener Fremdwirkung des Verwalterhandelns, allein auf dem Gesetz beruhend, gesprochen. 166a Auch wenn der Verwalter in viele Verträge kraft Gesetzes eintritt – besonders deutlich im Arbeitsrecht – ist es falsch, den Verwalter als Rechtsnachfolger des Schuldners zu sehen. Genauso falsch ist es, den Verwalter als Vertreter des Schuldners zu behandeln. Eine Klage gegen die Firma X, vertreten durch den Insolvenzverwalter Y, könnte sogar negative prozessuale Konsequenzen haben, wenn der Richter nicht zu einer Umdeutung bereit ist, also davon ausgeht, dass der Falsche verklagt ist. Richtiger Prozessbeteiligter ist alleine die natürliche Person „Y als Insolvenzverwalter der Firma X“. 166b Im Übrigen wird die Rechtsstellung geprägt durch § 80 InsO. Hiernach geht das Recht des Schuldners zur Verwaltung seines Vermögens und Verfügung über einzelne Vermögenswerte mit der Verfahrenseröffnung auf den Verwalter über. Verfügungen, die der Schuldner anschließend noch vornimmt, sind unwirksam (§ 81 InsO). c) Aufgaben aa) Allgemeines 167 Der Verwalter hat, stark vereinfacht, drei Aufgaben: – Verwaltung des Vermögens; – Verwertung des Vermögens; – Befriedigung der Gläubiger und – dies sozusagen als weitere, alles umfassende Aufgabe – hierüber zu berichten sowie Rechnung zu legen. 168 Orientiert man sich an § 1 InsO, kann der Aufgabenbereich auch anders umschrieben werden: Leitgedanke ist hiernach die Gläubigerbefriedigung. Diese kann durch Verwertung und Erlösverteilung erreicht werden; sie kann aber auch auf andere Weise, nämlich durch einen Insolvenzplan, bei dem nicht notwendigerweise liquidiert wird, erfolgen (siehe hierzu § 13 dieses Buches). 169 Alle anderen in Einzelbestimmungen genannten Aufgaben lassen sich diesem Grundschema unterordnen, sei es die – Sonderaufgabe der Unterhaltszahlung an den Schuldner und seine Angehörigen, – die Erstellung eines Insolvenzplans, – die Pflicht, Auskünfte zu erteilen, – Klarheit bei schwebenden Rechtsverhältnissen zu schaffen, – die Masse zu mehren (Anfechtungsansprüche und einen Gesamtgläubigerschaden geltend zu machen), die Masse zu bereinigen (Aussonderungen und Freigaben) und vieles andere mehr, was auf den ersten Blick nicht zu den Begriffen Verwaltung – Verwertung – Befriedigung zu passen scheint, letztendlich jedoch der Gläubigerbefriedigung dient oder zumindest der Ordnungsfunktion des Insolvenzverfahrens. 170 Der letztgenannte Gesichtspunkt – Ordnung zu schaffen – darf nicht unterbewertet werden und ist eigentlich als weitere (vierte) Aufgabe anzuführen: Dem Verwalter 1 K. Schmidt/Ries, § 56 InsO Rz. 56.
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Runkel
Beratung im erçffneten Verfahren
Rz. 174
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kommen so genannte öffentliche Aufgaben zu, wie man an sozialgesetzlichen (Unterstützung des Arbeitsamtes sowie der Sozialversicherung) und steuerrechtlichen Bestimmungen sieht. bb) Verwaltung der Masse Zur Verwaltung gehören: – Sichtung, – Sammlung, – Sicherung der Masse.
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Das „Sichten“ ist weit zu sehen: Es geht nicht nur um das Feststellen körperlich vorhandener Vermögenswerte oder um die Erfassung von Forderungen und Rechten. Auch das Unternehmen muss „gesichtet“ werden, um festzustellen, ob entsprechend der Intention des InsO-Gesetzgebers ein Unternehmenserhalt möglich ist. Ähnlich verhält es sich mit den immateriellen Vermögenswerten (Schutzrechten, Firmenwert usw.). Sammlung und Sicherung des Vermögens erfolgt in erster Linie durch Inbesitznahme.
171a
(1) Inbesitznahme Bei beweglichen Gegenständen, die sich in Gewahrsam des Schuldners befinden, hat 172 der Verwalter die Möglichkeit, durch das Insolvenzgericht als zuständiges Vollstreckungsgericht1 mit einer vollstreckbaren Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses die Herausgabevollstreckung zu betreiben, wenn der Schuldner die Besitzeinräumung verweigert. Bei der Inbesitznahme eines Hauses oder einer Wohnung ist Folgendes zu beachten: Gegen erwachsene Familienangehörige, die in dem zur Insolvenzmasse gehörenden Haus oder in einer solchen Wohnung leben, muss der Verwalter einen eigenen Räumungstitel erwirken2. Um die Inbesitznahme dauerhaft zu gestalten, kann der Insolvenzverwalter zur 172a Sicherung der Sachen Siegel anbringen lassen, was regelmäßig Aufgabe des Gerichtsvollziehers ist, § 150 InsO. Die Sicherung von Wertgegenständen – gedacht ist in erster Linie an Geld – erfolgt nach § 149 InsO bei einer so genannten Hinterlegungsstelle. So bezeichnet man insbesondere das Konto, das der Verwalter zum Forderungseinzug benutzt und das nach Auffassung des BGH sowie BFH nicht ein so genanntes Anderkonto sein kann3. Darüber hinaus sind auch Festgeldkonten einzurichten4. Der Sicherung von Vermögenswerten dient auch die Postsperre, die nach § 99 InsO 173 dann anzuordnen ist, wenn der Verdacht besteht, dass Vermögenswerte verheimlicht werden. Die Anordnung soll erfolgen, „um für die Gläubiger nachteilige Rechtshandlungen des Schuldners aufzuklären oder zu verhindern“. In diesem Zusammenhang sind auch die Sperrvermerke im Grundbuch zu erwähnen, denen Sicherungsfunktion zukommt. (2) Freigabe Sie ist praktisch das Gegenstück zur Inbesitznahme. Für sie besteht dann eine Not- 174 wendigkeit, wenn Gegenstände unverwertbar sind oder für die Masse sogar eine Belastung darstellen. Besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die Freigabe kontaminierter Sachen, insbesondere von Grundstücken, die Altlasten aufweisen5. 1 2 3 4 5
BGH v. 26.4.2012 – IX ZB 273/11, ZIP 2012, 1096. LG Trier v. 4.4.2005 – 4 T 4/05, ZInsO 2005, 780. Vgl. zuletzt BFH v. 12.8.2013 – VII B 188/12, ZIP 2013, 2370. BGH v. 26.6.2014 – IX ZR 162/14, ZIP 2014, 1448. Gegen die Entsorgungspflicht des Insolvenzverwalters nach Freigabe des kontaminierten Gegenstandes, vgl. OVG Lüneburg v. 3.12.2009 – 7 ME 55/09, ZIP 2010, 999; kritisch hierzu Schmidt, NJW 2010, 1489; Einen Überblick über die zur Verantwortlichkeit des Insolvenzverwalters ergangene Rechtsprechung gibt Pape, ZInsO 2002, 453.
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§6
Rz. 174a
Beratung des ungesicherten Glubigers
Der VGH Mannheim hat hierzu allerdings im Falle einer immissionsschutzrechtlicher Nachsorgepflicht entschieden, dass der Verwalter sich seiner Inanspruchnahme als Betreiber einer immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlage nicht durch deren Freigabe entziehen kann. Verweigert der Verwalter die Übernahme der in der Ordnungsverfügung angezeigten Nachsorgepflicht, so sind die Kosten der Ersatzvornahme trotz Anzeige der Masseunzulänglichkeit zu erstatten1. Der Verwalter kann jedoch auch nichtkontaminierten Grundbesitz freigeben, wenn dieser über Wert durch Grundpfandrechte belastet ist. Dies wird vor allem dann geschehen, wenn zusätzlich auch noch hohe Ausgaben anfallen, bspw. durch WEG-Umlagen, ohne dass dem entsprechende Einnahmen (Mieten) gegenüberstehen. 174a Nach dem Insolvenzvereinfachungsgesetz, das seit dem 1.7.2007 in Kraft ist, gibt es bei der Insolvenz der Selbständigen eine mittlerweile in den Absätzen 2 und 3 des § 35 InsO geregelte Freigabemöglichkeit für die Selbständigkeit natürlicher Personen2. Der Insolvenzverwalter muss gegenüber dem Schuldner erklären, ob die selbständige Tätigkeit zur Masse gehören soll, wobei sich eine genaue Festlegung des Freigaberahmens (welche Tätigkeiten und welche hierfür benötigten Gegenstände sollen betroffen sein) empfiehlt. Dafür muss er die Überlegung anstellen, ob die Selbständigkeit für die Masse vorteilhaft ist oder nicht. Der Erklärung liegt demzufolge eine Prognose zugrunde. Komplexe, nicht vorhersehbare Erwerbsmöglichkeiten darf der Insolvenzverwalter nicht aus der Hand geben, um nicht leichtfertig auf Massezuwächse zu verzichten3. 174b Entscheidet er sich für die Zuordnung zur Insolvenzmasse, so haftet die Masse vollumfänglich für die Verbindlichkeiten aus der Selbständigkeit; der Verwalter haftet gemäß § 61 InsO und behält die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis. Erfolgt dagegen die Freigabe, so erhält der Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zurück. Verbindlichkeiten, die den Ursprung in dieser Selbständigkeit haben, können nur gegenüber dem Schuldner geltend gemacht werden; in diesem Fall gilt § 295 Abs. 2 InsO entsprechend4. Die Einkünfte, welche der Schuldner von der Erklärung des Verwalters an im Rahmen dieser Tätigkeit erzielt, stehen den Gläubigern, deren Forderungen erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, als Haftungsmasse zur Verfügung5. Gibt es eine Haftungsmasse, ist auch ein gesondertes zweites Insolvenzverfahren, das nur der Befriedigung der Neugläubiger dient, rechtlich möglich6. 174c Versäumt allerdings der Insolvenzverwalter nach Verfahrenseröffnung die Kündigung eines von dem Schuldner begründeten Dauerschuldverhältnisses, trifft ihn eine Schadensersatzpflicht für solche Verbindlichkeiten, die nach dem Zeitpunkt entstehen, zu dem bei einer frühestmöglichen Kündigungserklärung der Vertrag geendet hätte7 174d Eine Besonderheit gilt in dem Fall, in dem der gutgläubige Drittschuldner in Unkenntnis der Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters an diesen eine Leistung zur Erfüllung einer gegenüber dem Schuldner bestehenden Verbindlichkeit erbringt. Der BGH hat hierzu entschieden, dass in entsprechender Anwendung von § 82 InsO Befreiung eintreten kann8. 174e Für den Verwalter ist seine Erklärung bindend, eine Rückforderung der Verwaltungsund Verfügungsbefugnis kommt nicht in Betracht. Wechselt der Gegenstand der Selbständigkeit, so ist der Entscheidungsprozess erneut einzuleiten.
1 2 3 4 5 6 7 8
VGH Mannheim v. 17.4.2012 – 10 S 3127/11, ZIP 2012, 1819. Zu den Einzelheiten Mäusezahl, Insbüro 2007, 153. Ehlers, ZInsO 2014, 53. BGH v. 9.2.2012 – IX ZR 75/11, ZIP 2012, 533; Henkel, EWiR 2012, 287. BT-Drucks. 16/3227, S. 17. BGH v. 9.6.2011 – IX ZB 175/10, ZIP 2011, 1326; zustimmend Weiß/Rußwurm, EWiR 2011, 751. BGH v. 9.2.2012 – IX ZR 75/11, ZIP 2012, 533. BGH v. 16.12.2010 – IX ZA 30/10, ZIP 2010, 2168.
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Runkel
Beratung im erçffneten Verfahren
Rz. 177
§6
Gemäß § 35 Abs. 2 Satz 3 InsO können Gläubigerausschuss oder -versammlung die Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters ohne Begründung „korrigieren“, d.h. die Freigabe rückgängig machen. Streitig ist, ob die Freigabe auch in der Gesellschaftsinsolvenz zulässig ist. So vertritt 174f K. Schmidt die Auffassung, dass bei einer GmbH deshalb keine Freigabe möglich ist, weil die Insolvenzabwicklung zu einer vollständigen Vermögensliquidation führen soll1. Hierbei übersieht er, dass zwar der Verfahrensabwicklung auch Ordnungsfunktionen zukommen, vorrangiges Ziel jedoch die Gläubigerbefriedigung ist. Diese ist vor allem dann gefährdet, wenn Grundbesitz hoch kontaminiert ist und das Ordnungsamt deshalb den Verwalter als Zustandsstörer in Anspruch nehmen kann. Das Bundesverwaltungsgericht sieht zwar einerseits insoweit eine Entsorgungspflicht als Masseverbindlichkeit – dies soll auch für die Erstattung der Ersatzvornahmekosten gelten –, es gestattet jedoch gleichzeitig dem Verwalter die Freigabe2. Auch der BGH hält eine Freigabe in der Gesellschaftsinsolvenz für zulässig3. Ist ein Vermögenswert bereits prozessbefangen, so hindert dies die Freigabe nicht. 175 Sie ändert jedoch nach Maßgabe des § 265 ZPO nichts an der Passivlegitimation des beklagten Insolvenzverwalters4. (3) Geschäftsfortführung Schon zu Zeiten der Konkursordnung sahen Literatur und Rechtsprechung grund- 176 sätzlich eine Verwalterpflicht zur einstweiligen Unternehmensfortführung. In der Insolvenzordnung wird die Fortführungspflicht zwar nicht ausdrücklich normiert, sie folgt jedoch aus § 22 Abs. 1 Satz 2, § 157 und § 158 InsO. Sie trifft hiernach zunächst den vorläufigen Insolvenzverwalter (siehe oben Rz. 82 ff.) und zumindest bis zur Gläubigerversammlung auch den endgültigen Verwalter. Damit misst die Insolvenzordnung dem Unternehmen einen Eigenwert zu. Sie will den Gläubigern die Entscheidung überlassen, wie dieser Wert realisiert wird. In Frage kommt eine Sanierung des Schuldnerunternehmens durch einen Insolvenzplan, die so genannte übertragende Sanierung – hierbei findet nur ein Asset Deal statt (siehe dazu § 15 Rz. 17 ff.) – oder aber eine Nutzbarmachung des Unternehmens allein zum Zweck einer geregelten Ausproduktion. Durch eine Unternehmensfortführung entstehen erhebliche Masseverbindlichkeiten. 176a Werden diese nicht durch entsprechende Einnahmen gedeckt, wird der Verwalter der Gläubigerversammlung (zu dieser vgl. im Einzelnen Rz. 249 ff.) empfehlen, eine Stilllegungsentscheidung zu treffen. Will der Insolvenzverwalter vor dem Berichtstermin das Unternehmen des Schuldners 177 stilllegen5, so hat er die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen, wenn ein solcher bestellt ist, § 158 Abs. 1 InsO (siehe unten Rz. 234). Vor der Beschlussfassung des Gläubigerausschusses oder, wenn ein solcher nicht bestellt ist, vor der Stilllegung des Unternehmens hat der Verwalter den Schuldner zu unterrichten, wenn er der Meinung ist, er könne das Unternehmen nicht bis zum Berichtstermin fortführen, § 158 Abs. 2 Satz 1 InsO. Es ist dann Sache des Schuldners, gegen die beabsichtigte Stilllegung mit Hilfe des Gerichtes vorzugehen. Der Rechtspfleger könnte die Stilllegung untersagen, wenn diese ohne eine erhebliche Verminderung der Insolvenzmasse bis zum Berichtstermin aufgeschoben werden kann, § 158 Abs. 2 Satz 2 InsO.
1 K. Schmidt/K. Schmidt, Einl. InsO Rz. 23; K. Schmidt, NJW 2010, 1489; jetzt auch OLG Karlsruhe v. 25.7.2003 – 14 U 207/01, ZIP 2003, 1510; BGH v. 21.4.2005 – IX ZR 281/03, NJW 2005, 2015; NJW 2001, 2966. 2 BVerwG v. 23.9.2004 – 7 C 22.C3, ZInsO 2004, 1206. 3 BGH v. 21.4.2005 – IX ZR 281/03, ZInsO 2005, 594. 4 Wessel, EWiR 2002, 727; anders nur für Prozesse über Absonderungsrechte an Grundstücken (Fortführung des Prozesses durch den Insolvenzschuldner ausnahmsweise möglich), Müller, Die echte Freigabe durch den Insolvenzverwalter im Spannungsfeld von gesetzlicher Prozessstandschaft und Parteiwechsel, 2007, S. 169. 5 Hierzu Spieker, NZI 2002, 472.
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§6
Rz. 177a
Beratung des ungesicherten Glubigers
177a Häufig ist es auch noch in der Gläubigerversammlung unsicher, ob das Unternehmen auf Dauer fortgeführt werden kann oder – als Alternative – ein Unternehmensverkauf möglich sowie zweckmäßig ist. In vielen Fällen laufen zur Zeit des Berichtstermins noch Verhandlungen mit Übernahmeinteressenten oder bahnen sich gerade erst an. Denkbar ist auch, dass die Gläubigerversammlung dem Verwalter aufgibt, einen Übernehmer zu suchen, wozu häufig auch Belegschaftsinitiativen dienen. Zur Bedeutung des Unternehmenskaufs in der Insolvenz vgl. § 15 dieses Buches. 178 In all diesen Fällen sollte zweckmäßigerweise die Gläubigerversammlung einen Gläubigerausschuss bestellen und die Entscheidung des Verwalters über die Stilllegung, Veräußerung oder Liquidation an dessen Zustimmung binden. Dies hat für den Verwalter auch haftungsrechtliche Bedeutung. Stimmen Gläubigerversammlung und/oder Gläubigerausschuss einer vom Verwalter als notwendig erkannten Stilllegung nicht zu, obwohl die Fortführungsrisiken vom Verwalter konkret dargestellt worden sind, so exkulpiert dies den Verwalter zwar gegenüber den Insolvenzgläubigern, deren Zugriffsmasse durch die unzweckmäßige Betriebsfortführung geringer wird. Im Verhältnis zu den Neugläubigern, also im Bereich der Masseverbindlichkeiten, bleibt jedoch seine Haftung bestehen. Der Verwalter muss nämlich unabhängig von der Entscheidung der Gläubigerversammlung und des Gläubigerausschusses (gleiches gilt auch für eine Entscheidung des Gerichts im Rahmen des § 158 Abs. 2 Satz 2 InsO) die möglichen Vertragspartner auf die fehlende Deckung hinweisen; diese werden dann von sich aus nicht mehr zu Vertragsabschlüssen bereit sein (zu den insolvenzrechtlichen Haftungstatbeständen der §§ 60, 61 InsO s. Rz. 206 ff.). 178a Beschließt die Gläubigerversammlung entgegen dem Rat des Verwalters eine Betriebsfortführung, die zum Nachteil von Beteiligten führen kann, so ist der Verwalter nicht verpflichtet, das Beschlossene auszuführen. Der Verwalter hat vielmehr nach § 78 InsO zu beantragen, dass das Insolvenzgericht einen derartigen Beschluss der Gläubigerversammlung, der dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger widerspricht, aufhebt. 179 Ähnlich verhält es sich im Verhältnis zum Gläubigerausschuss. Verweigert dieser die Zustimmung zu einer Betriebsstilllegung, so bleibt der Verwalter gegenüber den Neugläubigern haftbar, wenn er diese nicht auf die Risiken eines Vertragsabschlusses hinweist. Anstelle seiner Haftung tritt auch nicht etwa eine Haftung der Gläubigerausschussmitglieder; nach dem eindeutigen Wortlaut des § 71 InsO haften diese gerade nicht gegenüber den Massegläubigern, sondern lediglich gegenüber den Absonderungsberechtigten und den Insolvenzgläubigern. Wenn demgegenüber der Bundesgerichtshof erklärt, der Beschluss des Gläubigerausschusses oder der Gläubigerversammlung habe eine entlastende Wirkung, soweit die Zustimmungsbedürftigkeit reiche und es darum gehe, ob eine vom Verwalter vorgeschlagene zustimmungsbedürftige Maßnahme vertretbar sei1, so gilt dies nur für das Verhältnis des Verwalters zu den Insolvenzgläubigern, nicht im Verhältnis zu den Massegläubiger2. cc) Verwertung der Masse 180 Gemäß § 159 InsO hat der Insolvenzverwalter nach dem Berichtstermin unverzüglich das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwerten. Dies gilt nicht, soweit Beschlüsse der Gläubigerversammlung entgegenstehen. Hierbei hat der Gesetzgeber vor allem an abweichende Regelungen im Zusammenhang mit einem Insolvenzplan, aber auch unabhängig hiervon an eine Unternehmensfortführung ohne entsprechenden Insolvenzplan gedacht. 180a Die Verwertung geschieht mit dem Ziel, hierdurch Geldbeträge zu bekommen, die später an die Gläubiger verteilt werden können. Als Verwertungshandlungen sind zu nennen: – Unternehmensverkauf; – Grundstücksverwertung (freihändig oder durch Versteigerung); 1 BGH v. 22.1.1985 – VI ZR 131/83, ZIP 1985, 423. 2 Vgl. zur gesamten Problematik MünchKommInsO/Brandes/Schoppmeyer, § 60 Rz. 48 ff.
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Beratung im erçffneten Verfahren – – – –
Rz. 182
§6
Verkauf oder Versteigerung der beweglichen Gegenstände; Forderungseinzug; Realisierung von Gesamtschadensansprüchen und Anfechtungsansprüchen; Verwertung von Rechten, insbesondere Beteiligungen.
Verwertungshandlung im weitesten Sinne ist auch die Nutzung von Massegegenstän- 180b den, bspw. durch Vermietung, wobei dies immer nur ein vorübergehender Zustand sein kann; letztlich muss der genutzte Gegenstand irgendwann auch abschließend verwertet, also verkauft werden. (1) Unternehmensverkauf Dieser erfolgt regelmäßig im Wege der so genannten übertragenden Sanierung. Man 181 spricht in diesem Fall von einem Asset Deal1. Hierbei werden die verschiedenen Wertgegenstände des Unternehmens en bloc an ein und denselben Unternehmer zum Zwecke der Betriebsfortführung übertragen. In der Regel sieht dies so aus, dass folgende Werte in einem Gesamtvertrag veräußert werden: – die Betriebsgrundstücke; – der Maschinenpark und sonstige bewegliche Anlagegüter; – die Warenvorräte; – die Schutzrechte, insbesondere die Patente. Unüblich ist es, auch die Außenstände zu übertragen, das heißt zu verkaufen, weil 181a diese für eine Betriebsfortführung nicht notwendig sind und eine Globalverwertung immer zu Wertabschlägen führen würde. Die Liquidität, die der Forderungseinzug mit sich bringt, könnte zwar dem Nachfolgeunternehmen helfen. Regelmäßig besorgen sich jedoch Betriebsübernehmer die Liquidität für die Anlaufphase auf andere Weise, bspw. durch einen Bankkredit. Im Rahmen einer übertragenden Sanierung wird auch gelegentlich der Firmenname veräußert, was zumindest bei einer juristischen Person ohne weiteres möglich ist2. So kann sich der Insolvenzverwalter an einer bereits vorhandenen oder zu gründenden Gesellschaft für einen kurzen Zeitraum (bspw. 1 Stunde) beteiligen und hierbei als Mitgesellschafter der Auffanggesellschaft den Namen des schuldnerischen Unternehmens geben, wobei, wenn es nicht mit einer Handelsregistereintragung Schwierigkeiten geben soll, ein Zusatz notwendig sein wird, um die notwendige Unterscheidbarkeit herbeizuführen.
181b
Zur Unternehmensveräußerung benötigt der Insolvenzverwalter die Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung, §§ 160, 162, 163 und § 157 InsO (wegen der weiteren Einzelheiten verweise ich auf § 15 dieses Buches).
181c
(2) Einzelverwertung, Allgemeines Kommt eine Veräußerung des Gesamtbetriebes nicht in Frage, muss eine Einzelver- 182 wertung erfolgen. Diese kann auch neben einer Betriebsveräußerung geschehen, wenn nur Teilbetriebe einer übertragenden Sanierung zugeführt werden. Irgendwelchen Beschränkungen unterliegt der Verwalter bei der Verwertung nicht. Er benötigt hierzu insbesondere nicht die Zustimmung eines Gläubigerausschusses. Die Höhe des Kaufpreises liegt in seinem Ermessen. Im Falle einer Verschleuderung kann er haftbar sein. So genannte Insiderverkäufe bedürfen anders als bei einer Betriebsveräußerung nicht der Zustimmung der Gläubigerversammlung. Dennoch sollte sich der Verwalter davor hüten, Verkäufe an nahe stehende Personen vorzunehmen. Die unter Rz. 159 erwähnten Berufsgrundsätze des VID bestimmen in § 8 Nr. 2, dass der Insolvenzverwalter mit Unternehmen, an denen er persönlich unmittelbar oder mittelbar – etwa über Familienangehörige – beteiligt ist, nur kontrahieren darf, wenn diese Beteiligung dem Insolvenzgericht angezeigt wird und das Vertragsverhältnis einem Drittvergleich standhält. Genauso kritisch ist die Überlassung der Sachen an eine 1 Hess in Hess/Weis/Wienberg, InsO, Bd. 1, § 159 Rz. 25. 2 Hess in Hess/Weis/Wienberg, InsO, Bd. 1, § 80 Rz. 171.
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§6
Rz. 183
Beratung des ungesicherten Glubigers
Verwertungsgesellschaft zu sehen, wenn zu dieser irgendwelche persönlichen Beziehungen bestehen1. (3) Immobilienverwertung 183 Üblich ist eine freihändige Veräußerung von Grundbesitz, auch wenn dieser mit Grundpfandrechten belastet ist. Obwohl es hierzu in der InsO keine besondere Regelung gibt, ist der Verwalter gehalten, derartige Verkäufe nur dann vorzunehmen, wenn auch die freie Masse hierdurch Vorteile hat. Der Prozentsatz ist auszuhandeln. In vielen Gegenden ist eine 5 %ige Massebeteiligung üblich, von der nur dann nach unten abgewichen wird, wenn es sich um besonders teure Objekte oder um so genannte Paketverkäufe handelt2. Eine Massebeteiligung braucht dann nicht ausgehandelt zu werden, wenn die Valutierung der Grundpfandrechte nicht den Verkaufspreis erreicht, also ohnehin ein Überschuss von mindestens 5 % der Masse zufließt. 183a Die freihändige Veräußerung von Grundbesitz bedarf nach § 160 InsO der Zustimmung des Gläubigerausschusses. Ist ein Ausschuss nicht bestellt, so ist die Zustimmung der Gläubigerversammlung einzuholen. 183b Findet sich für den Grundbesitz trotz zahlreicher Bemühungen kein Käufer, so kann der Insolvenzverwalter die Verwertung auch im Rahmen der Zwangsversteigerung vornehmen, § 165 InsO, §§ 172 ff. ZVG (zum Zwangsversteigerungsverfahren und auch zur Immobilienverwertung im Übrigen vgl. § 7 Rz. 325 ff.). (4) Verwertung beweglicher Gegenstände und Forderungen 184 Nach § 166 Abs. 1 InsO darf der Insolvenzverwalter eine bewegliche Sache, an der ein Absonderungsrecht besteht, freihändig verwerten, wenn er die Sache in seinem Besitz hat. Gibt es kein Absonderungsrecht, so hat der Verwalter natürlich erst recht die Befugnis zur freihändigen Verwertung. 184a Bei der Verwertung von Gegenständen mit Absonderungsrechten sind jedoch bestimmte Regeln zu beachten: So hat der Verwalter dem Absonderungsgläubiger auf dessen Verlangen Auskunft über den Zustand der Sache zu erteilen. Entsprechendes gilt für Forderungen. Insoweit kann der Verwalter dem Gläubiger auch gestatten, Einsicht in die Bücher des Schuldners zu nehmen. Über diese allgemeine Unterrichtung des Gläubigers hinaus muss der Verwalter eine konkrete Veräußerungsabsicht nach § 168 InsO vorher anzeigen. Er hat dem Gläubiger Gelegenheit zu geben, binnen einer Woche auf eine andere, für den Gläubiger günstigere Möglichkeit der Verwertung des Gegenstandes hinzuweisen. Erfolgt ein derartiger Hinweis, so hat der Verwalter die vom Gläubiger genannte Verwertungsmöglichkeit wahrzunehmen. Eine andere Verwertungsmöglichkeit kann auch darin bestehen, dass der Gläubiger den Gegenstand selbst übernimmt, § 168 Abs. 2 InsO. 184b Die Regeln des § 168 InsO gelten auch bei freiwilligen öffentlichen Versteigerungen. Bietet der Sicherungsgläubiger in einem derartigen Fall seinen Selbsteintritt zu einem bestimmten Kaufpreis an, so ist der Verwalter gehalten, dem Auktionator diesen Betrag zzgl. der Versteigerungskosten als Mindestgebot aufzugeben. Unterlässt der Verwalter dies und wird bei der Versteigerung ein geringerer Erlös erzielt, ist er dem Sicherungsgläubiger in Höhe der Differenz zum Nachteilsausgleich verpflichtet3. 185 Wie sich aus der Formulierung des § 166 InsO ergibt, setzt das eigene Verwertungsrecht des Verwalters den Besitz an der Sache voraus, wobei mittelbarer Besitz genügt4. Verpfändete Sachen unterliegen deshalb nicht seinem Verwertungsrecht, weil der fortdauernde Besitz des Gläubigers gesetzliche Voraussetzung für die Wirksamkeit des vertraglichen Pfandrechts ist. 1 Vgl. hierzu auch Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung – GOI, ZIP 2011, 1489. 2 Der Massebeitrag ist nach Auffassung des BFH (Urt. v. 28.7.2011 – V R 28/09, ZInsO 2011, 1904) der Umsatzsteuer zu unterwerfen; kritisch Keller, NZI 2013, 265; MünchKommInsO/Tetzlaff, § 165 Rz. 283. 3 OLG Celle v. 20.1.2004 – 16 U 209/03, ZInsO 2004, 445. 4 BGH v. 16.11.2006 – IX ZR 135/05, NZI 2007, 95.
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Beratung im erçffneten Verfahren
Rz. 188a
§6
Bei Forderungen ist zu beachten, dass nach dem Gesetzeswortlaut nur Abtretungs- 185a fälle – gemeint sind reine Sicherungszessionen – dem eigenen Verwertungsrecht des Verwalters nicht entgegenstehen. Ist die Forderung verpfändet, darf der Verwalter sie nicht einziehen. Teilweise wurde auch die Auffassung vertreten, dass nach der Offenlegung der Zession durch den Absonderungsberechtigten das Verwertungsrecht des Verwalters entfalle. Dies entspricht aber nicht mehr der herrschend vertretenen Rechtsansicht1 (wegen der weiteren Einzelheiten verweise ich auf das nachfolgende Kapitel „Beratung gesicherter Gläubiger“). dd) Berichterstattung und Rechnungslegung Naturgemäß möchte ein Gläubiger erfahren, wie die Verwaltung und Verwertung der 186 Masse abläuft und welche Befriedigungsaussichten bestehen. Im besonderen Maße gilt dies für ungesicherte Gläubiger, weil sie ihre Befriedigung nicht aufgrund von Sonderrechten, sondern lediglich aus der Masse erwarten können. Mit den weitreichenden Befugnissen eines Insolvenzverwalters korrespondieren deshalb Berichtspflichten. Hierbei ist es für die Gläubiger nicht nur wichtig, allgemein etwas über den Sachstand zu erfahren, sondern auch, wie sich die Verwertung und Verteilung zahlenmäßig niederschlägt. Größtmögliche Transparenz ist deshalb geboten. Das Interesse an Berichten besteht vor allem in der Anfangsphase. Deshalb wird die 187 erste Gläubigerversammlung auch Berichtstermin genannt, § 156 InsO. In diesem Termin hat der Insolvenzverwalter über die wirtschaftliche Lage des Schuldners und ihre Ursachen zu berichten. Er hat darzulegen, ob Aussichten bestehen, das Unternehmen des Schuldners im Ganzen oder in Teilen zu erhalten, welche Möglichkeiten für einen Insolvenzplan bestehen und welche Auswirkungen jeweils für die Befriedigung der Gläubiger eintreten würden. § 79 InsO sagt darüber hinaus allgemein, dass die Gläubigerversammlung berechtigt ist, vom Insolvenzverwalter einzelne Auskünfte und einen Bericht über den Sachstand sowie die Geschäftsführung zu verlangen. In der Regel ist der Bericht mündlich zu erstatten. Der Bericht ist aber auch schriftlich zu den Akten des Gerichtes zu geben. Für die ungesicherten Gläubiger ist es natürlich besonders wichtig, etwas über das 187a Vermögen des Schuldners zu erfahren. Deshalb verlangt die Insolvenzordnung ausdrücklich, dass der Verwalter eine Vermögensübersicht erstellt. Diese hat er spätestens eine Woche vor dem Berichtstermin in der Geschäftsstelle zur Einsicht niederzulegen, § 154 InsO. Wenn § 79 davon spricht, die Gläubigerversammlung sei berechtigt, vom Insolvenzverwalter „einen“ Bericht über den Sachstand und die Geschäftsführung zu verlangen, so ist dies insoweit etwas missverständlich, als es außer der ersten Gläubigerversammlung, dem Berichtstermin, durchaus noch weitere Versammlungen geben kann. Deshalb kann die erste Versammlung beschließen, dass der Verwalter in der nächsten Versammlung oder zu einem bestimmten Termin einen weiteren Sachstandsbericht vorzulegen hat. Darüber hinaus kann sie – und dies entspricht der allgemeinen Üblichkeit – auch festlegen, dass der Verwalter in regelmäßigen Abständen, bspw. vierteljährlich, einen Sachstandsbericht abzuliefern hat2.
188
Hiervon zu unterscheiden ist die Zwischenrechnungslegung. Sie ist ein Unterfall der 188a allgemeinen Rechnungslegung, die in § 66 Abs. 1 Satz 1 InsO erwähnt wird. Hiernach hat der Insolvenzverwalter bei der Beendigung seines Amtes einer Gläubigerversammlung Rechnung zu legen. Ergänzend hierzu sieht Abs. 3 vor, dass die Gläubigerversammlung dem Verwalter aufgeben kann, zu bestimmten Zeitpunkten während des Verfahrens Zwischenrechnung zu legen3. Dies ist völlig unabhängig von den oben erwähnten turnusmäßigen Sachstandsberichten.
1 Häcker, EWiR 2002, 27. 2 MünchKommInsO/Ehricke, § 79 Rz. 8. 3 Zu den Empfehlungen der sog. „Uhlenbruck-Kommission“ in Bezug auf die Änderung des § 66 InsO (Standardisierung und Strukturierung der Verzeichnisse, Tabellen, Berichte und Schlussrechnungen) vgl. das Abschlussprotokoll der Kommission in ZInsO 2007, 760 (763) so-
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§6
Rz. 188b
Beratung des ungesicherten Glubigers
188b Was in den Sachstandsberichten und der Vermögensübersicht im Einzelnen zu erwähnen ist, hat der Gesetzgeber nicht festgelegt. Für die Vermögensübersicht gilt generell, dass die Aktiva und Passiva in einer Art Eröffnungsbilanz gegenüberzustellen sind. § 151 Abs. 2 InsO bestimmt darüber hinaus, dass sowohl der Zerschlagungs- als auch der Fortführungswert anzugeben sind. Anknüpfend an § 152 Abs. 2 Satz 1 dürfte es auch notwendig sein, in der Vermögensübersicht die Verbindlichkeiten gegenüber den absonderungsberechtigten Gläubigern und den nachrangigen Gläubigern gesondert aufzuführen. 189 Unabhängig von der Vermögensübersicht sind noch zwei gesonderte Verzeichnisse zu erstellen: – das Masseverzeichnis, § 151 Abs. 1 InsO und – das Gläubigerverzeichnis, § 152 InsO. Im Gläubigerverzeichnis ist auch die Höhe der Masseverbindlichkeiten wenigstens schätzungsweise anzugeben, § 152 Abs. 3 Satz 2. 190 Die vom Gesetzgeber betonte Stellung der Gläubigerversammlung hinsichtlich der Berichterstattung hat auch eine negative Seite: Wichtig für den Gläubiger: War er bei der Gläubigerversammlung nicht anwesend, so hat sein Interesse an einer laufenden Unterrichtung zurückzutreten1. Deshalb hat er auch keinen Anspruch auf Einzelauskünfte2. Dem einzelnen Gläubiger steht es aber selbstverständlich frei, sich durch Einsicht in die bei Gericht geführten Akten über den Verfahrensstand zu informieren3. 190a Dies wird damit begründet, dass nur der Gläubigerversammlung als Organ und nicht etwa der Gläubigergesamtheit das Informationsrecht zusteht4. Ehricke geht sogar so weit, dem Insolvenzverwalter zu untersagen, den Gläubigern außerhalb der Gläubigerversammlung den Sachstand darzulegen und spezielle Fragen zu beantworten, weil es sonst in der Informationslage der Gläubiger zu einem Ungleichgewicht kommen würde5. 190b Die besondere Bedeutung der Gläubigerversammlung kommt auch in der Rechtsansicht zum Ausdruck, sie könne beschließen, dass bestimmte Fragen aus ihren Reihen nicht gestellt oder vom Insolvenzverwalter nicht beantwortet werden sollen6. Ohnehin gibt es hoch sensible Themen, bspw. die Berichterstattung über laufende Prozesse. Derartige Informationen können für die Gesamtheit der Gläubiger nachteilig sein, insbesondere wenn es sich um Prozesse gegen einzelne Gläubiger handelt, aus denen andere Gläubiger Konsequenzen für ihr eigenes Verhalten ziehen könnten. Wünscht die Gläubigerversammlung jedoch mit Mehrheit eine entsprechende Information, darf sich der Verwalter nicht auf ein durch die Geheimhaltung zu schützendes Gläubigerinteresse berufen7. 191 Die Rechnungslegung des Insolvenzverwalters kann selbstverständlich im Einzelnen überprüft werden. Hierfür ist normalerweise der Gläubigerausschuss im Rahmen seiner Kassenprüfungen zuständig. Ist kein Ausschuss bestellt, so kann die Gläubigerversammlung einen Sachverständigen oder ein einzelnes Mitglied der Gläubigerversammlung beauftragen, die Prüfung vorzunehmen.
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wie als weitere Konkretisierung die Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung – GOI, ZIP 2011, 1489. BGH v. 29.11.1973 – VII ZR 2/73, KTS 1973, 106. Die Auskunftspflichten werden auch nicht etwa durch § 51a GmbHG erweitert, zumindest dann nicht, wenn sich das Verlangen auf Zeiträume nach der Insolvenzeröffnung bezieht, BayObLG v. 8.4.2005 – 3Z BR 246/04, KTS 2006, 68. Eickmann in HK-InsO, § 79 Rz. 1. Delhaes in Nerlich/Römermann, InsO, § 79 Rz. 2 (15. EL Stand April 2008). MünchKommInsO/Ehricke, § 79 Rz. 5. MünchKommInsO/Ehricke, § 79 Rz. 9; Delhaes in Nerlich/Römermann, InsO, § 79 Rz. 2 (15. EL Stand April 2008). Kübler in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 76 Rz. 14. (44. Lfg. 5/2011).
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Runkel
Beratung im erçffneten Verfahren
Rz. 194a
§6
Aus alledem folgt eine wichtige Konsequenz: Die Gläubigerversammlung hat eine überragende Bedeutung für die Berichterstattung und Rechnungslegung. Tipp für den beratenden Anwalt: Es empfiehlt sich deshalb gerade für die ungesicherten Gläubiger, die Termine auch wahrzunehmen. Der Anwalt, der hierauf nicht hinweist, begeht einen Kunstfehler.
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d) Persönliche Tätigkeit und Hilfskräfte Das Amt des Insolvenzverwalters ist höchstpersönlich1 und kann nicht, soweit es um 193 insolvenzverfahrenstypische Handlungen geht, durch einen Bevollmächtigten wahrgenommen werden. Verfahrenstypische Tätigkeiten sind folgende: – Wahrnehmung der Gläubigerversammlung einschließlich Prüfungstermine und Schlusstermin, insbesondere die Abgabe der dort vorgesehenen Erklärungen; – Erstellung der Schlussrechnung und des Schlussverzeichnisses; – Erklärungen über die Gestaltung noch nicht beendeter Rechtsgeschäfte, § 103 InsO (vgl. § 8 Rz. 10 ff.); – Ausübung des Insolvenzanfechtungsrechts (vgl. § 10 Rz. 8); – Entscheidung über die Aufnahme von Prozessen2; – Entscheidungen über Aus- und Absonderungsrechte3 (vgl. § 7 Rz. 17 ff. und 135 ff.); – schriftliche Erklärungen zu angemeldeten Forderungen. Deshalb ist es auch unzulässig, dass ein Verwalter eine Generalvollmacht oder eine 193a beschränkte Vollmacht zur Erledigung der oben genannten höchstpersönlichen Aufgaben erteilt. Natürlich kann sich der Verwalter zuarbeiten lassen. Ob dies durch eigene Mitarbeiter oder durch solche des schuldnerischen Unternehmens geschieht, liegt im Ermessen des Verwalters4. e) Arbeits- und steuerrechtliche Stellung aa) Arbeitgeberfunktionen Die Regelung des § 80 InsO hat die Konsequenz, dass der Schuldner nicht mehr hin- 194 sichtlich der Arbeitsverhältnisse aktiv- und passivlegitimiert ist. Vielmehr rückt der Verwalter in den gesamten Rechts- und Pflichtenkreis des schuldnerischen Arbeitgebers ein, obwohl er dogmatisch gesehen nicht Rechtsnachfolger des Schuldners wird5. Er ist an die bei Insolvenzeröffnung vorgefundene arbeitsrechtliche Rechtslage gebunden6. Hierbei ist der rechtsdogmatische Streit, ob der Verwalter eine eigene Arbeitgeberstellung hat, von untergeordneter Bedeutung7. Derartige Grundsatzfragen könnten sich in der Praxis auch eher bei dem vorläufigen Insolvenzverwalter (siehe oben Rz. 91) auswirken. Instruktiv ist hierzu ein Urteil des LAG Düsseldorf8. Die Auseinandersetzung über die arbeitsrechtliche Stellung des Insolvenzverwalters 194a hat im Übrigen nichts mit dem Theorienstreit um die Rechtsstellung des Insolvenzverwalters (siehe oben Rz. 166) zu tun. Unabhängig davon, welcher Ansicht man folgt, also auch wenn man richtigerweise die Amtstheorie zugrunde legt, wird man bspw. nicht sagen können, dass bei der Einstellung eines Arbeitnehmers durch den Insolvenzver-
1 BVerfG v. 3.8.2009 – 1 BvR 369/08, ZIP 2009, 1722; OLG Düsseldorf v. 9.8.2010 – I-3 VA 1/09, ZIP 2010, 1705; GOI, ZIP 2011, 1489. 2 LG Stendal v. 20.1.1999 – 25 T 353/98, ZInsO 1999, 233 (235). 3 A.A. LAG Schleswig-Holstein v. 14.1.1988 – 6 Sa 400/87, ZIP 1988, 250. 4 Zu den kostenmäßigen Konsequenzen vgl. MünchKommInsO/Graeber, § 56 Rz. 112; Graeber/ Graeber, ZInsO 2013, 1284. 5 Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, § 80 Rz. 92. 6 BGH v. 6.5.1965 – II ZR 217/62, NJW 1965, 1585. 7 Heinze, NJW 1980, 145. 8 LAG Düsseldorf v. 24.8.2001 – 18 Sa 671/01, ZInsO 2001, 1022 (1024); vgl. auch Besprechung von Berscheid, ZInsO 2001, 989.
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§6
Rz. 195
Beratung des ungesicherten Glubigers
walter mit der Beendigung des Amtes auch das Arbeitsverhältnis endet; es dauert in jedem Fall auch nach der Aufhebung des Verfahrens fort und bindet dann den Schuldner1. (Wegen der weiteren Einzelheiten verweise ich auf § 11 des Handbuches.) bb) Steuerrechtliche Stellung 195 Da der Schuldner nach § 80 InsO mit der Insolvenzeröffnung das Recht verliert, das zur Masse gehörende Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen, ist es nur konsequent, bei dem Insolvenzverwalter alle steuerlichen Rechte und Pflichten, jedenfalls soweit sie die Masse betreffen, anzusiedeln. Dementsprechend bestimmt § 34 Abs. 3 AO, dass ein Insolvenzverwalter als Vermögensverwalter die steuerlichen Pflichten des Schuldners zu erfüllen hat. Dies kommt auch in § 155 Abs. 1 Satz 2 InsO zum Ausdruck. Gleichzeitig wird im ersten Satz der genannten Bestimmung festgehalten, dass die handels- und steuerrechtlichen Pflichten des Schuldners zur Buchführung und zur Rechnungslegung unberührt bleiben. 195a Das OLG Frankfurt hat sich in einem Beschluss vom 21.5.20122 eingehend mit der Frage befasst, ob und in welcher Weise der Insolvenzverwalter das Geschäftsjahr ändern kann. Zum einen hält das Gericht fest, dass die Zuständigkeit zur Änderung des nach § 155 Abs. 2 InsO mit der Eröffnung des Verfahrens beginnenden „Insolvenzgeschäftsjahrs“ alleine beim Insolvenzverwalter liegt, zum anderen sei jedoch, auch wenn die Änderung keine Satzungsänderung darstelle, eine Anmeldung zum Handelsregister notwendig; ohne die entsprechende Eintragung käme die gerichtliche Bestellung eines Abschlussprüfers für das bisherige, sich aus der Satzung ergebende, Geschäftsjahr der Gesellschaft nicht in Frage. 196 Hieraus ergibt sich folgende Konsequenz: Soweit die Besteuerungsgrundlagen (Umsätze und Gewinne) zur Insolvenzmasse gehören, tritt der Verwalter an die Stelle des Schuldners. Dementsprechend hat er auch die Körperschaftsteuererklärung abzugeben. Nicht seinem Pflichtenkreis – sondern demjenigen des Schuldners – sind dagegen zuzurechnen die Erklärungen zur einheitlichen und gesonderten Feststellung des Gewinns einer Personengesellschaft3. Die Bereiche können sich auch in anderer Weise ergänzen: Erzielt der Schuldner während des Insolvenzverfahrens insolvenzfreie Einkünfte, so hat sich der Verwalter hierzu nicht zu erklären. Schuldner und Verwalter müssen vielmehr getrennte Erklärungen abgeben4. 196a Nach § 155 Abs. 2 Satz 1 InsO beginnt mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein neues Geschäftsjahr. Der Verwalter hat jedoch nicht nur für dieses Rumpfgeschäftsjahr und für die anschließenden dann wieder vollen Geschäftsjahre Erklärungen abzugeben. Vielmehr beziehen sich seine Pflichten auch auf die vor der Insolvenzeröffnung liegenden Jahre, soweit für diese noch keine Steuererklärungen abgegeben wurden. 196b Im Übrigen müssten Zwangsmittel nach den §§ 328 ff. AO gegen den Insolvenzverwalter festgesetzt werden, wenn er die ihn hinsichtlich der Masse treffenden Verpflichtungen nicht erfüllt. Er haftet auch nach § 69 AO5. Schließlich können bei ihm durch Nichterfüllung der steuerlichen Pflichten auch eigenständige steuerrechtliche Straftatbestände entstehen6. f) Überwachung und Entlassung 197 Der Insolvenzverwalter steht unter der Aufsicht des Insolvenzgerichts, § 58 Abs. 1 Satz 1 InsO7. Das Gericht kann jederzeit einzelne Auskünfte oder einen Bericht über
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Heinze, ArbuR 1976, 33 (36). OLG Frankfurt v. 21.5.2012 – 20 W 65/12, ZIP 2012, 1617; Schmittmann, EWiR 2012, 657. Maus in Uhlenbruck, InsO, § 80 Rz. 44. Zur Steuererklärungspflicht des Insolvenzverwalters s. auch Janca, ZInsO 2002, 715. BFH, BStBl. II 1995, 230. Zur steuerrechtlichen Beratung des Mandanten vgl. umfassend § 11. Zum Umfang der Aufsicht BAKInsO e.V., NZI 2009, 42.
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Beratung im erçffneten Verfahren
Rz. 200a
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den Sachstand und die Geschäftsführung von ihm verlangen, § 58 Abs. 1 Satz 2 InsO. Eines Anlasses, der Aufsichtspflicht nachzukommen, bedarf es nicht. Von der Insolvenz betroffene Gläubiger haben nur begrenzt Einfluss darauf, ob und 198 in welcher Weise das Gericht seiner Aufsichtspflicht nachkommt. Sucht der Gläubiger einen Anwalt auf, weil er der Meinung ist, der Insolvenzverwalter käme seinen Pflichten nicht nach, so empfiehlt es sich, zunächst einmal die Vorfrage zu klären, ob – das Verhalten des Verwalters nur eine rein zivilrechtliche Bedeutung hat, ob also die Streitfragen durch das ordentliche Gericht zu entscheiden sind. In diesem Fall sollte das Insolvenzgericht nicht eingeschaltet werden. – Anders verhält es sich, wenn der Insolvenzverwalter verfahrensspezifische Pflichten verletzt, vor allem wenn der Masse insgesamt ein Schaden droht. In diesem Fall könnten Aufsichtsmaßnahmen beantragt – oder besser gesagt angeregt – werden. Für den beratenden Anwalt stellt sich im Übrigen nach Durchführung der erwähnten 198a „zivilrechtlichen Vorprüfung“ die Frage, welche allgemeinen Pflichten verletzt sein könnten. Der Wortlaut des § 58 InsO hilft weniger weiter als derjenige des § 60 InsO, in dem es um die Haftung des Insolvenzverwalters geht. Deshalb soll im Vorgriff auf die unter den Rz. 206 ff. noch zu erörternden Haftungsfragen aufgeführt werden, welche Pflichten den Verwalter „nach diesem Gesetz obliegen“; so § 60 Abs. 1 Satz 1 InsO wörtlich. Zunächst einmal enthält das Gesetz eine Reihe von Aufgaben (Pflichten), die der Ver- 199 walter speziell gegenüber dem Gericht hat: – Berichterstattung; – Beantwortung von Anfragen des Gerichts; – Niederlegung des Inventars/der Vermögensübersicht bei Gericht; – Vorlage der Tabelle; – Rechnungslegung. Darüber hinaus sind im Gesetz noch weitere allgemeine Aufgaben, die den Verfah- 200 rensablauf betreffen, festgehalten: – Pflicht zur Inbesitznahme der Masse, § 148 InsO; – Verwertungspflicht, § 159 InsO; – Erstellung der Verzeichnisse nach den §§ 151–154 InsO; – Führung der Insolvenztabelle, §§ 174 f. InsO; – Forderungsprüfung, §§ 176 f. InsO; – Aufnahme von Aktiv- und Passivprozessen, §§ 85, 86 InsO; – Ausübung des Wahlrechts bei gegenseitigen Verträgen, §§ 103 ff. InsO; – Geltendmachung von Anfechtungsrechten, §§ 129 ff. InsO; – Kündigung von Verträgen, bspw. §§ 109, 113, 120 InsO; – Verteilung der Verwertungserlöse an die Gläubiger, §§ 187 ff. InsO. Auch soweit diese Bereiche betroffen sind, hat das Insolvenzgericht kein uneinge- 200a schränktes Aufsichtsrecht. Häufig spielen Zweckmäßigkeitsfragen eine Rolle; insoweit darf das Gericht nicht eingreifen. Vom Grundsatz her ist es originäre Aufgabe des Insolvenzverwalters, zu entscheiden, ob eine konkrete Handlung vorgenommen wird. Dies gilt bspw. auch dann, wenn der Verwalter für einen Rechtsstreit einen bestimmten Anwalt beauftragt und ihm hierfür Gebühren bezahlt. Ob etwas derartiges sinnvoll war, hat nicht das Gericht zu entscheiden1. Auch in die Betriebsfortführung darf das Gericht nicht eingreifen, es sei denn, diese dient lediglich dem Schuldner und bringt für die Gläubigerbefriedigung keine Vorteile2.
1 LG Freiburg v. 20.3.1980 – 9 T 22/80, ZIP 1980, 438. 2 LG Wuppertal v. 29.9.1957 – 6 T 514 u. 578/57, KTS 1958, 45.
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Rz. 201
Beratung des ungesicherten Glubigers
201 Erfüllt der Verwalter eine der oben genannten Verpflichtungen nicht, so kann das Gericht nach vorheriger Androhung Zwangsgeld gegen ihn festsetzen, § 58 Abs. 2 Satz 2 InsO. Führt dies nicht weiter oder ist die Pflichtverletzung so gravierend, dass ein Zwangsgeld eine zu geringe Reaktion wäre oder muss sofort gehandelt werden, kommt als weitere Aufsichtsmaßnahme des Gerichts die Entlassung des Insolvenzverwalters in Frage. Eine Inhaftnahme des Insolvenzverwalters ist unzulässig1. 202 Nach der Konkursordnung konnte das Gericht nur bis zur ersten Gläubigerversammlung von sich aus eine Entlassung vornehmen. Danach war ein Antrag der Gläubigerversammlung notwendig. Dies hatte den Nachteil, dass dem Gericht die Hände gebunden waren, wenn bestimmte begünstigte Gläubiger in der Versammlung eine Entlassung ablehnten, auch wenn eindeutig feststand, dass der Verwalter wichtige Pflichten verletzte, die vielleicht nur die „Mehrheitsgläubiger“ nicht berührten. 203 Nunmehr ist das Entlassungsrecht wesentlich weiter gefasst. Die Entlassung kann erfolgen: – auf Antrag des Verwalters; – auf Antrag des Gläubigerausschusses; – auf Antrag der Gläubigerversammlung; – von Amts wegen2. 203a Im Ergebnis bedeutet dies, dass das Gericht selbst dann den Verwalter aus seinem Amt entlassen kann, wenn eine extra hierzu einberufene Gläubigerversammlung die Entlassung abgelehnt hat. 203b Ein einzelner Gläubiger kann im Übrigen nicht einen Entlassungsantrag stellen. Ein derartiger Antrag müsste als unzulässig zurückgewiesen werden. Das Gericht ist jedoch gehalten, einen derartig unzulässigen Antrag als Anregung zur Entlassung von Amts wegen umzudeuten. Zumindest müsste das Gericht den Gläubiger auf die Möglichkeit einer Entscheidung durch eine Gläubigerversammlung hinweisen. 204 Was ist ein wichtiger Grund im Sinne des § 59 InsO? Es sollen hier nur einzelne Beispiele genannt werden, die für die Beratungspraxis Bedeutung haben könnten. So ist ein denkbarer Entlassungsgrund: – eine schwerwiegende Erkrankung oder sonstige offensichtliche Unfähigkeit aus dem persönlichen Bereich des Verwalters3; – Bevorzugung einzelner Gläubiger oder Gruppen von Gläubigern; – Nichtanzeige einer bestehenden Interessenkollision4; – Verschiebung von Vermögensgegenständen unter Wert; – Prozessführung lediglich mit dem Ziel, die Entnahme von Gebühren nach der BRAGO zu ermöglichen5; – Vermischung der Massegelder mit eigenem Geld; – Untreuehandlung aufgrund von Vertragsgestaltungen, bei denen das wirtschaftliche Risiko einseitig die Insolvenzmasse trifft6; – Verdacht der Untreue in anderen Verfahren, auch wenn noch keine rechtskräftige Verurteilung erfolgt ist7.
1 BGH v. 17.12.2009 – IX ZB 175/08, ZIP 2010, 190. 2 Einen allgemeinen Überblick hierzu Schmittmann, NZI 2004, 239 und Frind in Hamburger Kommentar zur InsO, § 59 Rz. 6. 3 Uhlenbruck, EWiR 1995, 1091. 4 BGH v. 24.1.1991 – IX ZR 250/89, ZIP 1991, 324; Fortführung BGH v. 26.4.2012 – IX ZB 31/11, ZIP 2012, 1187 zur Beschäftigung eines vom Verwalter selbst geleiteten Drittunternehmens und der beharrlichen Weigerung, dies zu unterlassen, als Entlassungsgrund. 5 Hierzu LG Mönchengladbach v. 20.2.1998 – 2 S 337/97, NZI 1999, 327; Berufsgrundsätze des Verbands der Insolvenzverwalter Deutschland e.V. (VID), abgedruckt in ZIP 2006, 2147. 6 BGH v. 11.7.2000 – 1 StR 93/00, ZInsO 2000, 662 (663). 7 BGH v. 17.3.2011 – IX ZB 192/10, ZIP 2011, 671.
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Beratung im erçffneten Verfahren
Rz. 205e
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Anschaulich ist auch eine Entscheidung des AG Göttingen über die Entlassung des 204a Insolvenzverwalters. Dieses nahm einen wichtigen Grund im Sinne des § 59 InsO an, weil der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit den Geschäftsbetrieb fortführte, ohne Neumasseverbindlichkeiten zu befriedigen, Berichte erst nach Festsetzung eines Zwangsgeldes erstattete und weil der von der Gläubigerversammlung in Auftrag gegebene Insolvenzplan nach 18 Monaten immer noch nicht vorlag1. Das Insolvenzgericht hat, wenn einer der oben genannten Gründe oder ein ähnliches 205 Verhalten vorgebracht wird, zum einen den Insolvenzverwalter anzuhören, § 59 Abs. 1 Satz 2 InsO und zum anderen sämtliche klärungsbedürftigen Punkte selbst zu ermitteln, unter Umständen auch durch Einsetzung eines Sonderinsolvenzverwalters oder eines Sachverständigen2, wobei Graeber die Auffassung vertritt, dass bei einer ungeklärten Haftungslage nur ein Sachverständiger und nicht ein Sonderverwalter zu bestellen sei3. Der Beschluss, mit dem die Entlassung verfügt oder abgelehnt wird, ist zu begrün- 205a den. Mit der Entlassung ist sofort ein neuer Insolvenzverwalter zu bestellen, weil immer ein Amtsträger vorhanden sein muss. Gegen die Entlassung steht dem Verwalter die sofortige Beschwerde zu, § 59 Abs. 2 Satz 1 InsO. Gegen die Ablehnung des Antrags steht jedem Insolvenzgläubiger die sofortige Beschwerde zu, wenn die Gläubigerversammlung den Antrag gestellt hat (§ 59 Abs. 2 Satz 2 InsO). Der Entlassungsentscheidung muss eine Güterabwägung vorausgehen, wobei der 205b Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten ist. Da es sich bei der Entlassung um eine einschneidende Maßnahme handelt, sind besonders hohe Anforderungen an die Prüfung des Grundes zu stellen4. Auf keinen Fall reicht es aus, dass nur eine allgemeine Störung des Vertrauensverhältnisses Gericht – Verwalter vorliegt5. Das Gericht muss von der dringenden Notwendigkeit der Entlassung überzeugt sein6, anderenfalls käme auch die Anordnung einer Sonderverwaltung als weniger einschneidende Maßnahme in Frage7. Streitig ist, wer für die o.g. Aufsichtsmaßnahmen innerhalb des Gerichts zuständig 205c ist, der Richter oder der Rechtspfleger8. Ist der Rechtspfleger zuständig, so könnte er die Einsetzung eines bestimmten Verwalters, die der Richter vorgenommen hat, korrigieren, wenn er der Ansicht ist, es sei ein unfähiger Verwalter ausgewählt worden. Diese Überlegung spricht eher für die Zuständigkeit des Richters. Darüber hinaus sieht § 57 InsO die Möglichkeit einer Wahl eines anderen Insolvenz- 205d verwalters durch die Gläubiger vor, allerdings nur in der ersten Gläubigerversammlung. Mit dieser Thematik haben sich in den letzten Jahren verschiedene Autoren und Gerichte befasst9. Graeber weist dabei auf die eingeschränkten Möglichkeiten des Insolvenzgerichts 205e hin, die Bestellung des so neu gewählten Insolvenzverwalters zu versagen. Danach kann die Bestellung des neu gewählten Insolvenzverwalters nur versagt werden, 1 AG Göttingen v. 21.2.2003 – 74 IN 114/01, NZI 2003, 268 (269); a.A. LG Göttingen v. 4.7.2003 – 10 T 37/03, ZIP 2003, 1760 m. Anm. Holzer, EWiR 2003, 933. 2 AG Karlsruhe v. 25.11.1982 – N 243/74, ZIP 1983, 101 (102); Lüke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 59 Rz. 7. (37. Lfg. 9/2009). 3 Graeber, DZWIR 2007, 256. 4 Castrup in Graf-Schlicker, InsO, § 59 Rz. 4. 5 BGH v. 19.1.2012 – IX ZB 21/11, ZIP 2012, 583. 6 Lüke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 59 Rz. 4 ff. (37. Lfg. 9/2009). 7 Hierzu Lüke, ZIP 2004, 1693; LG Wuppertal v. 26.8.2005 – 6 T 508/05, ZIP 2005, 1747 mit Anm. Berg-Grünenwald, EWiR 2006, 173 sowie BGH v. 1.2.2007 – IX ZB 45/05, ZIP 2007, 548 und zur Frage der Rechtsmittelmöglichkeit des Insolvenzverwalters (verneinend) BGH v. 25.1.2007 – IX ZB 240/05, ZIP 2007, 547 sowie BGH v. 20.2.2014 – IX ZB 16/13, NZI 2014, 317 bei Entscheidung der Gläubigerversammlung und Antrag nach § 78 InsO. 8 Vgl. LG Göttingen v. 4.7.2003 – 10 T 37/03, ZIP 2003, 1760 und Holzer, EWiR 2003, 933; zur Zuständigkeit für die Anordnung der Sonderverwaltung vgl. Lüke, ZIP 2004, 1693. 9 Vgl. Graeber, ZIP 2000, 1465 ff.; Muscheler/Bloch, ZIP 2000, 1474; Smid/Wehdeking, InVo 2001, 81 ff. sowie die nachfolgend zitierten Entscheidungen.
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§6
Rz. 205f
Beratung des ungesicherten Glubigers
wenn dieser nicht die erforderliche Fachkunde, Organisation sowie Unabhängigkeit vom Schuldner als auch von einzelnen Gläubigern aufweist1. Nicht ausreichend für die Versagung ist der Beweggrund der Gläubiger, den bisherigen Insolvenzverwalter „abzustrafen“. 205f Das OLG Naumburg hält darüber hinaus § 57 InsO für eine Spezialregelung, auf die § 78 InsO nicht anwendbar sei2. Im Übrigen hat der abgewählte Verwalter kein Beschwerderecht, und zwar auch nicht unter dem Gesichtspunkt, wegen Masseunzulänglichkeit seien die Insolvenzgläubiger in Wahrheit nicht betroffen3. 205g In diesem Zusammenhang hat das OLG Celle festgestellt, dass ein von der Gläubigerversammlung nach § 57 Satz 1 InsO neu gewählter Verwalter dann nicht zu ernennen sei, wenn schon bei seiner Ernennung feststehe, dass aufgrund einer Vorbefassung mit Teilen des Insolvenzverfahrens und der Tätigkeit in anderen Verfahren mit wirtschaftlich gegenläufigen Interessen möglicherweise Interessenkollisionen drohen, die den neu gewählten Verwalter für das Amt untauglich machen4. 205h Das Änderungsgesetz sieht seit dem 1.12.2001 vor5, dass die andere Person gemäß § 57 InsO nur dann gewählt ist, wenn neben der in § 76 Abs. 2 InsO genannten Summenmehrheit auch die Kopfmehrheit erreicht ist. Somit wird die Wahl eines neuen Insolvenzverwalters erschwert. Eine Verwalterabwahl durch einzelne Großgläubiger ist nicht mehr möglich. g) Haftung 206 Der Insolvenzverwalter ist allen Beteiligten zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er schuldhaft die Pflichten verletzt, die ihm nach diesem Gesetz obliegen. Er hat für die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters einzustehen, § 60 Abs. 1 InsO. aa) Insolvenzspezifische Haftung und geschützter Personenkreis, § 60 InsO 207 Durch die Erwähnung von Pflichten, die dem Verwalter nach der Insolvenzordnung obliegen, gibt der Gesetzgeber zu verstehen, dass er nicht jede Pflichtverletzung als Haftungsgrund im Sinne des § 60 InsO ansieht. Er knüpft hiermit an eine grundlegende Entscheidung des Bundesgerichtshofs an6, die wiederum auf Überlegungen von Lüke in seinem Buch „Die persönliche Haftung des Konkursverwalters“ beruht7. Welche Pflichten der Verwalter nach der Insolvenzordnung hat, ist bereits oben unter Rz. 198 ff. erwähnt. Bei der Behandlung der Verwalterhaftung ist zusätzlich darauf abzustellen, wer geschädigt ist, ob also ein Gesamtschaden oder ein Einzelschaden vorliegt. Es geht also um den geschützten Personenkreis. Vor der Beendigung des Verfahrens ist nur die Masse anspruchsberechtigt (es müsste also ein Sonderverwalter bestellt werden), nachher der einzelne Gläubiger hinsichtlich seines Einzelschadens8. 208 Die Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten durch den Verwalter kann die Masse und damit Schuldner und Gläubiger als Gesamtheit schädigen. Dann spricht man von einem Gesamtschaden. Zu diesem kommt es, wenn der Verwalter – grob vereinfacht – seine Pflicht zur
1 Hierzu BGH v. 22.4.2004 – IX ZB 154/03, ZIP 2004, 1113 und Bork, ZIP 2006, 58 gegen Paulus, ZIP 2005, 2301. 2 OLG Naumburg v. 26.5.2000 – 5 W 30/99, ZIP 2000, 1394 = EWiR 2000, 683. 3 BGH v. 7.10.2004 – IX ZB 128/03, ZIP 2004, 2341 = InVo 2005, 48; vgl. auch BVerfG Nichtannahmebeschluss v. 9.2.2005 – 1 BvR 2719/04, ZIP 2005, 537. 4 OLG Celle v. 23.7.2001 – 2 W 41/01, EWiR 2001, 1153 = ZInsO 2001, 755 ff.; vgl. die Berufsgrundsätze des VID, abgedruckt in ZIP 2006, 2147. 5 Vgl. ZIP 2000, 1688. 6 BGH v. 4.12.1986 – IX ZR 47/86, ZIP 1987, 115. 7 Lüke, Die persönliche Haftung des Konkursverwalters, 1986. 8 BGH v. 14.5.2009 – IX ZR 93/08, ZIP 2009, 2012.
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Beratung im erçffneten Verfahren
Rz. 211a
§6
– Inbesitznahme, – Verwaltung und – Verwertung der Masse verletzt. Welche Einzelpflichten hierzu gehören, ergibt sich aus dem oben unter Rz. 198 ff. erwähnten Katalog. Bei der Inbesitznahme der Masse wird die Pflichtverletzung regelmäßig in einem Unterlassen liegen. Besonderes Augenmerk verdienen insoweit die unterlassenen Prozesse: Übersehen deliktischer Ansprüche wegen Schädigung der Masse, nicht rechtzeitig erhobene Anfechtungsklagen, Nichtbeachtung einer evtl. Geschäftsführeroder Gesellschafterhaftung.
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Hinsichtlich der Erhaltung der Masse wird es vor allem um nicht gesicherte oder ver- 209a sicherte Sachen gehen. Der Verwalter darf der Masse aber auch nicht dadurch Werte entziehen und die Insolvenzquote mindern, dass er pflichtwidrig unberechtigte Forderungen anerkennt. Auch Fehler bei der Behandlung von Steuerangelegenheiten können zu einer ersatzpflichtigen Masseschmälerung führen. Am häufigsten werden Masseschädigungen durch eine unzweckmäßige Betriebsfortführung vorkommen. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass zunächst einmal sogar eine Verpflichtung zur Betriebsfortführung besteht. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf die obigen Ausführungen unter Rz. 176 ff. Was schließlich die Verwertung der Masse angeht, so könnte ein zu langes Zögern zu 209b Schäden führen, aber auch eine unzweckmäßige Verwertungsart; auch die unterlassene Inanspruchnahme gewerblicher Prozessfinanzierung kann zur Haftung führen1. Der Verwalter ist gehalten, genau zu prüfen, ob eine Einzelverwertung oder eine Gesamtverwertung, bspw. durch Veräußerung des Betriebes, den höheren Erlös bringt. Hierbei darf er sich auch keineswegs von einseitigen Arbeitnehmerinteressen leiten lassen, das heißt vor allem nicht dem Druck der Öffentlichkeit, der Presse, der Gewerkschaft und des Betriebsrates in Richtung einer kritiklosen Betriebsfortführung nachgeben. Wenn es um die Haftung für Einzelschäden geht, so ist zu fragen, wer im Einzelfall 210 schützenswert ist. Allgemein gesehen sind dies die – Massegläubiger, – Insolvenzgläubiger, – Aus- und Absonderungsberechtigten sowie – der Schuldner. Bei Massegläubigern ist wiederum zu unterscheiden zwischen schon vorhandenen 211 Massegläubigern und solchen, die erst durch eine Rechtshandlung des Verwalters zu Massegläubigern werden. Dies kann bei Betriebsfortführungen der Fall sein. Diesen gegenüber sah der Bundesgerichtshof nach altem Recht die Haftung stark eingeschränkt. Jetzt ist dies eine Thematik des § 61 InsO, die weiter unten in den Rz. 215 ff. zu behandeln sein wird. Die Rechtsprechung nahm auch eine Haftung gegenüber dem Prozessgegner an, 211a wenn ein Rechtsstreit leichtfertig ohne Prüfung der Erfolgsaussichten und vor allem ohne Rückendeckung durch eine entsprechende Masse geführt worden war2. Auch insoweit zeichnet sich jetzt eine Trendwende ab. Der BGH sieht den Prozessgegner nicht als durch § 60 InsO geschützt an und verweist auf das allgemeine Lebensrisiko, das immer besteht, wenn jemand durch eine mittellose Person verklagt wird3. Später hat der gleiche Senat noch einmal zum Ausdruck gebracht, dass die Insolvenzordnung keine Verpflichtung des Verwalters begründet, vor der Erhebung einer Klage
1 Fischer, NZI 2014, 241. 2 Zu den insolvenzspezifischen Pflichten bei der Prozessführung s. insbesondere Lüke in Kübler/ Prütting/Bork, InsO, § 60 Rz. 26 ff. (35. Lfg. 2/2009). 3 BGH v. 26.6.2001 – IX ZR 209/98, BGHZ 148, 175 (179) = NZI 2001, 533 (534 ff.); hierzu auch Pape, ZIP 2001, 1701.
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Rz. 211b
Beratung des ungesicherten Glubigers
oder während des Verfahrens die Interessen des Prozessgegners an einer Erstattung seiner Kosten zu berücksichtigen1. Im Einzelfall kann jedoch § 826 BGB Anwendung finden2. 211b Im Übrigen kann es zu einer Haftung gegenüber Massegläubigern kommen, wenn der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit unrichtig anzeigt, sei es, dass sie überhaupt nicht gegeben ist, sei es, dass sie zu spät angezeigt worden ist (hierzu unten Rz. 350 ff.). In derartigen Fällen muss jedoch im Einzelfall genau geprüft werden, ob wirklich ein Schaden vorliegt (am ehesten noch bei einer verspäteten Anzeige)3. 212 Was die Haftung gegenüber einzelnen Insolvenzgläubigern angeht, so könnten Pflichtverletzungen bei der Erstellung des Schlussverzeichnisses vorkommen; denkbar ist auch ein Verstoß gegen den Grundsatz gleichmäßiger Gläubigerbefriedigung. 212a Da der Verwalter die dinglichen Rechte der Aus- und Absonderungsberechtigten zu beachten hat4, kommen auch in diesem Bereich Ersatzpflichten in Frage, so bspw. wenn ein Gegenstand unberechtigterweise zur Masse gezogen worden ist (zu der Rechtsstellung als Aus- und Absonderungsberechtigter s. § 7 Rz. 17 ff. und 135 ff.). Voraussetzung für eine Inanspruchnahme des Verwalters ist eine unzureichende Aufklärung des Sachverhalts oder eine falsche Beurteilung der Rechtslage. Die Haftung gegenüber dieser Gläubigergruppe kommt im Übrigen in Frage, wenn Zahlungseingänge falsch behandelt worden sind5. Das LG Stendal erkennt auch in der verzögerten Auszahlung des Verwertungserlöses nach § 170 InsO einen Haftungsfall6. 212b Auch Geldforderungen können Gegenstand der Aussonderung sein, so dass die unbefugte Einziehung der Forderung eines Dritten zur Haftung führen kann, wenn der Verwalter das Geld mit der Masse vermischt und später Masseunzulänglichkeit eintritt7. 213 In der oben zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 26.6.2001 ist auch die Frage untersucht worden, ob unabhängig von der insolvenzrechtlichen Haftung eine solche nach den Grundsätzen der unerlaubten Handlung besteht8. Darüber hinaus kommen auch vertragliche oder quasi vertragliche Haftungen in Frage9. 213a Der besondere Haftungstatbestand der c.i.c.-Haftung wird vom BGH selbst für den Fall verneint, dass ein Verwalter pflichtwidrig eine erkennbar nicht gedeckte Masseverbindlichkeit begründet10. 213b Auch selbstständige Garantieversprechen werden inzwischen von der Rechtsprechung konstruiert, um fehlende Massemittel auszugleichen, so das Arbeitsgericht Essen11. Dem tritt Gruber entgegen12 und verweist insbesondere auf das fehlende Eigeninteresse des Insolvenzverwalters als Indiz gegen eine Garantieerklärung. 214 Der Anwalt hat bei der Gläubigerberatung auch die Verschuldensfrage zu untersuchen. Hierzu ist auf die Begründung des Regierungsentwurfs zu verweisen, wonach 1 BGH v. 2.12.2004 – IX ZR 142/03, ZIP 2005, 131; zum grundsätzlichen Problem s. auch Berger, KTS 2004, 185 sowie Adam, DZWIR 2006, 321. 2 Hierzu OLG Düsseldorf v. 20.3.2002 – 15 U 100/97, DZWIR 2003, 33 mit Anm. Wellensiek; bestätigend BGH v. 25.3.2003 – VI ZR 175/02, ZIP 2003, 962. 3 Sinz in Uhlenbruck, InsO, § 60 Rz. 26 f. 4 Vgl. hierzu BGH v. 25.1.2007 – IX ZR 216/05, ZIP 2007, 539; Leibner, KTS 2005, 75. 5 OLG Hamm v. 13.7.1993 – 27 U 85/93, MDR 1993, 1075; Sinz in Uhlenbruck, InsO, § 60 Rz. 38; Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2001, 350. 6 LG Stendal v. 7.3.2002 – 22 S 208/01, ZIP 2002, 765; a.A. Runkel, EWiR 2002, 587 und BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, ZIP 2003, 632 ff. 7 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 48 Rz. 3 f. 8 BGH v. 26.6.2001 – IX ZR 209/98, BGHZ 148, 175 = NZI 2001, 533. 9 Zu den Einzelheiten s. MünchKommInsO/Brandes/Schoppmeyer, § 60 Rz. 75 ff. 10 BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 114/01, ZVI 2005, 373: auch hier primär nur die Massehaftung; a.A. OLG Rostock v. 4.10.2004 – 3 U 158/03, ZIP 2005, 220; Ferslev, EWiR 2005, 313. 11 ArbG Essen v. 18.5.2004 – 2 (4) Ca 34/04, DZWIR 2005, 67; ablehnend LArbG Düsseldorf v. 27.10.2004 – 12 (13) Sa 1348/04, KTS 2005, 336; zustimmend Lennartz, KTS 2005, 338. 12 Gruber, Anm. zu ArbG Essen v. 18.5.2004 – 2 (4) Ca 34/04, DZWIR 2005, 67.
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Runkel
Beratung im erçffneten Verfahren
Rz. 216
§6
die Sorgfaltsanforderungen des Handels- und Gesellschaftsrechts nicht unverändert auf den Insolvenzverwalter übertragen werden können. Die Besonderheiten einer Insolvenz sind zu berücksichtigen, vor allem die Tatsache, dass ein Insolvenzverwalter von heute auf morgen mit einem ihm völlig unbekannten Unternehmen konfrontiert wird, er dort häufig weder eine ordnungsgemäße Buchführung noch taugliche Auskunftspersonen vorfindet. Umgekehrt steht der Verwalter vor der Notwendigkeit, gerade in der Anfangszeit sofort zu handeln. Dies schränkt das Verschulden stark ein. Eine mangelnde Sachverhaltsaufklärung kann ihm nur vorgeworfen werden, wenn er eine ausreichende Einarbeitungszeit hatte. In keinem Fall geht es an, dass das angerufene Zivilgericht seine Zweckmäßigkeits- 214a überlegungen an die Stelle derjenigen des Verwalters setzt, dem nicht nur in der Anfangszeit, sondern auch bei späteren Abwicklungsentscheidungen ein breiter Ermessensspielraum zugebilligt werden muss1. Der Anwalt, der für seinen Mandanten Haftungsfragen überprüft, hat sich auch mit der Frage zu befassen, welche Auswirkungen die persönliche Haftung auf die Haftung der Masse hat. Meines Erachtens haftet die Insolvenzmasse analog § 31 BGB auch für eine schuldhafte Pflichtverletzung des Insolvenzverwalters. Es besteht eine gleichstufige Verpflichtung von Masse und Verwalter im Sinne einer Gesamtschuldnerschaft2. Der BGH verneint in diesem Zusammenhang eine Subsidiarität der Verwalterhaftung3, was nicht so richtig zum Schadensbegriff passen will. Einen anderen Gesichtspunkt zeigt eine ältere Entscheidung des OLG Hamm auf: 214b Die Haftung des Verwalters sei dann ausgeschlossen, wenn die Gläubigerversammlung einem bestimmten Verhalten zugestimmt hat4. Dogmatisch ist diese Rechtsauffassung etwas umstritten; gelegentlich wird die Auffassung vertreten, die Zustimmung hätte nur bei der Prüfung der Verschuldensfrage Bedeutung5. Unsicherheiten gibt es hinsichtlich der Frage, ob ein Arbeitnehmer den Verwalter vor 214c dem ordentlichen Gericht6 oder vor dem Arbeitsgericht verklagen muss. Der BGH hat entschieden, dass, jedenfalls wenn es um eine Haftung nach § 61 InsO geht, der Arbeitsrechtsweg gegeben ist7. bb) Sonderregelung des § 61 InsO Kann eine Masseverbindlichkeit, die durch eine Rechtshandlung des Insolvenzver- 215 walters begründet worden ist, aus der Masse nicht voll erfüllt werden, so ist der Verwalter dem Massegläubiger zum Schadensersatz verpflichtet. Dies gilt nicht, wenn der Verwalter bei der Begründung der Verbindlichkeit nicht erkennen konnte, dass die Masse voraussichtlich zur Erfüllung nicht ausreichen würde. Mit dieser Gesetzesformulierung sollte der rechtsdogmatische Streit über die Frage, 216 ob auch gegenüber einem Neumassegläubiger eine insolvenzspezifische Haftung besteht, entschieden werden, und zwar vom Ansatzpunkt her zugunsten dieser Gläubigergruppe. Das Gesetz stellt also fest, dass auch bei Eingehung neuer Verbindlichkeiten insolvenzspezifische Pflichten verletzt werden können. Der Verwalter hat in diesem Fall zu prüfen, inwieweit er mit einer Erfüllung im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit rechnen kann. Der Zeitpunkt des Schadenseintritts im Sinne von § 61 Satz 1 InsO liegt damit bei Eintritt der Fälligkeit der Forderung. Ist der Verwalter zu diesem Zeitpunkt nicht in der Lage, die Forderung mit Massemitteln zu erfüllen, so ist der dann eintretende Schaden zu ersetzen. Dies wurde im Jahre 2003 durch das OLG Hamm
1 Deshalb verfehlt LG Hamburg v. 13.9.2012 – 323 O 601/09, ZIP 2013, 738 mit ablehnender Bespr. Desch, EWiR 2013, 209. 2 Pape, EWiR 2004, 117. 3 BGH v. 1.12.2005 – IX ZR 115/01, ZIP 2006, 194; Pape, EWiR 2006, 179. 4 OLG Hamm v. 18.3.1999 – 27 U 209/07, EWiR 1999, 849, § 82 KO. 5 Hierzu Runkel, FS Görg, S. 408; vgl. Meyer-Löwy pp, ZInsO 2005, 691. 6 So Balle, EwiR 2004, 505, § 1 KSchG. 7 BGH v. 16.11.2006 – IX ZB 57/06, ZIP 2007, 94; Weitzmann, EWiR 2007, 343.
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§6
Rz. 216a
Beratung des ungesicherten Glubigers
bestätigt1. Es kommt laut dem Gericht nicht darauf an – wie zum Teil vertreten wird2 –, ob die Forderung zu einem späteren Zeitpunkt aus der Masse ganz oder teilweise erfüllt werden kann. 216a Der BGH hat im Übrigen in der Folgezeit auch noch eine Einschränkung vorgenommen: Die Pflicht des Verwalters, sich zu vergewissern, ob die von ihm begründeten Forderungen aus der Masse befriedigt werden können, bezieht sich nur auf die primären Erfüllungsansprüche und nicht auf Sekundäransprüche3. 216b In einer Grundsatzentscheidung vom 6.5.2004 hat der IX. Zivilsenat des BGH4 allgemein wichtige Aussagen zur Haftung gemacht: Zunächst einmal weist das Gericht darauf hin, dass genau zwischen Ansprüchen nach § 60 InsO und solchen nach § 61 InsO zu unterscheiden ist. Die Bestimmungen haben nicht das gleiche Rechtsschutzziel. Es handelt sich vielmehr um alternative Klagebegehren mit unterschiedlichem Streitgegenstand. Im Übrigen hebt das Gericht hervor, dass es für die Haftung entscheidend ist, wann eine Masseverbindlichkeit „begründet“ worden ist, was vor allem bei Dauerschuldverhältnissen Bedeutung hat. So besteht bei vor Insolvenz begründeten Dauerschuldverhältnissen keine Haftung für Ansprüche, die in den Monaten vor dem frühest möglichen Beendigungszeitpunkt des Vertrages entstehen. Daher kann es auch nicht darauf ankommen, ob der Verwalter Arbeitnehmer während der auslaufenden Kündigungsfrist freigestellt hat, ihnen also die Möglichkeit gegeben hat, Arbeitslosengeld zu erhalten. Denn damit würde nur eine „Gläubigerverschiebung“ eintreten, und es ist nicht Rechtsschutzziel der Haftungsnormen, einen Gläubiger gegenüber einem anderen zu begünstigen. Schließlich weist der BGH auch darauf hin, dass § 61 InsO nur einen Anspruch auf das negative Interesse gewährt5. Vorstände und Geschäftsführer haften auch nur auf das negative Interesse. Der BGH fragt deshalb zu Recht, weshalb ausgerechnet der Insolvenzverwalter das Erfüllungsinteresse ausgleichen soll. Deshalb geht die Haftung auch immer nur auf den Nettobetrag6. 216c Nicht nur infolge dieser grundlegenden BGH-Entscheidung ist bereits jetzt mit einer differenzierten Rechtsprechung zu rechnen. Äußerst instruktiv ist ein Urteil des LG Dresden7. Das Gericht vertritt die Auffassung, dass die Verpflichtung des Insolvenzverwalters, den Betrieb grundsätzlich bis zur ersten Gläubigerversammlung fortzuführen, zu einer Haftungseinschränkung führen muss, vor allem im Verhältnis zu den Haftungsgrundsätzen, die nach der KO entwickelt worden sind. Der Insolvenzverwalter befindet sich in einer Pflichtenkollision; ein zu strenger Maßstab wäre fortführungsschädlich. 217 Von zentraler Bedeutung ist die Beweislastregel in § 61 Satz 2 InsO. Die fehlende Erfüllung der vom Verwalter begründeten neuen Masseverbindlichkeit führt zur Vermutung eines schuldhaften Pflichtverstoßes, der von dem Verwalter durch den Nachweis widerlegt werden kann, dass die Nichterfüllbarkeit nicht erkennbar war8. Er darf sich hierbei jedoch nicht auf die Liquiditätspläne des Schuldners verlassen, sondern muss eigene Ermittlungen anstellen, zumal er auch generell verpflichtet ist, zu überprüfen, ob die Fortführung oder die Liquidation des Unternehmers für die Masse günstiger ist9. 1 OLG Hamm v. 28.11.2002 – 27 U 87/02, NZI 2003, 150 (151); OLG Hamm v. 16.1.2003 – 27 U 45/02, NZI 2003, 263 (264); hierzu krit. Weinbeer, AnwBl. 2004, 48. 2 Blersch in Breutigam/Blersch/Goetsch, InsO, § 61 Rz. 3 (24. Lfg. Stand August 2006). 3 BGH v. 25.9.2008 – IX ZR 235/07, ZIP 2008, 2126. 4 BGH v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, ZIP 2004, 1107; noch einmal bekräftigt am 17.12.2004 – IX ZR 185/03, InVo 2005, 222. 5 Hierzu Deimel, ZInsO 2004, 783 und BGH v. 13.2.2014 – IX ZR 313/12, ZIP 2014, 736. 6 BGH v. 3.11.2005 – IX ZR 140/04, NZI 2006, 99; das BAG sieht die Rechtslage genauso, vgl. BAG v. 19.1.2006 – 6 AZR 600/04, ZIP 2006, 1058. 7 LG Dresden v. 5.3.2004 – 10 O 3672/03, ZIP 2004, 2016; hierzu Runkel, EWiR 2005, 229. 8 Lohmann in HK-InsO, § 61 Rz. 17 f.; zur Einschränkung der Beweislast Berger/Frege, ZIP 2008, 204. 9 OLG Karlsruhe v. 21.11.2002 – 12 U 112/02, ZIP 2003, 267.
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Beratung im erçffneten Verfahren
Rz. 220
§6
Vor diesem Hintergrund versteht sich auch eine Entscheidung des OLG Celle. Der 217a Entlastungsbeweis nach § 61 Satz 2 InsO kann durch einen den schuldnerischen Betrieb fortführenden Verwalter, der sich auf die nach einer fehlerhaft erstellten Zwischenbilanz scheinbar gute Ertragslage der Schuldnerin verlassen hat, nur erfolgreich geführt werden, wenn dieser konkret darlegt und beweist, welche Zahlen in der Zwischenbilanz falsch waren und wie die zutreffenden Zahlen gelautet hätten. Nicht zu genügen vermag damit der bloße Hinweis, dass er kein Prophet sei und sich auf die Richtigkeit der durch den Steuerberater der Gemeinschuldnerin gefertigten Zwischenbilanz verlassen habe. Deswegen ist davon auszugehen, dass er seiner Verpflichtung, ständig zu kontrollieren, ob die Masse voraussichtlich ausreichen wird, die Masseverbindlichkeiten zu erfüllen, nicht nachgekommen ist1. Pape sieht dieses Urteil im Einklang mit der herrschenden Ansicht, infolge derer der Verwalter den ihm obliegenden Entlastungsbeweis nur erfolgreich führen kann, wenn er seine Betriebsfortführung auf der Basis eines Liquiditätsplanes durchführt, den er ständig aktualisiert und fortschreibt2. Der Auffassung, der Verwalter könne sich bei seiner Planung grundsätzlich auf die Angaben des Schuldners und seiner leitenden Angestellten verlassen3, muss nach Pape entgegengetreten werden (zu § 61 InsO s. auch § 14 Rz. 116 ff.). § 61 InsO spricht von der „Begründung einer Verbindlichkeit“. Die unterlassene Kündigung einer Nutzungsvereinbarung ist dem nicht gleichzusetzen, so dass § 61 InsO keine Anwendung findet4. cc) Haftung für Dritte Der Verwalter hat für das Verschulden solcher Personen einzustehen, derer er sich bei der Erfüllung seiner insolvenzspezifischen Pflichten bedient5.
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Soweit ein Verwalter zur Erfüllung seiner Pflichten Angestellte des Schuldners im 219 Rahmen ihrer bisherigen Tätigkeiten einsetzen muss und diese Angestellten nicht offensichtlich ungeeignet sind, hat der Verwalter ein Verschulden dieser Personen nicht gemäß § 278 BGB zu vertreten, sondern ist nur für deren Überwachung und für Entscheidungen von besonderer Bedeutung verantwortlich. Diese Gesetzesformulierung des § 60 Abs. 2 InsO geht offensichtlich davon aus, dass der Verwalter eigenes, verlässliches Personal einsetzt. In diesem Fall gilt immer die allgemeine Regel des § 278 BGB. Erst wenn der Verwalter Personal des Schuldners einsetzt, wird seine Haftung einge- 219a schränkt. Auf derartige Personen ist der Verwalter vor allem bei der Fortführung des Unternehmens angewiesen. Zu fragen ist allerdings immer, ob er im Einzelfall wirklich diese Mitarbeiter einsetzen musste und ob sie nicht offensichtlich ungeeignet sind. Hierbei spielt sicherlich eine Rolle, ob die aus dem Unternehmen stammende Person für den Eintritt der Insolvenz verantwortlich war, so dass es für den Insolvenzverwalter außerordentlich gefährlich ist, den Geschäftsführer einer GmbH weiter zu beschäftigen. dd) Verjährung Die Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des Schadens, der aus einer Pflichtverlet- 220 zung des Insolvenzverwalters entstanden ist, richtet sich nach den Regelungen über die regelmäßige Verjährung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch6. Die Verjährungsfrist beträgt drei Jahre und beginnt nach § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder oh1 OLG Celle – 16 U 204/02, ZInsO 2003, 334 (335). 2 Pape, EWiR 2003, 334 (335); vgl. auch Lüke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 61 Rz. 4 f. (35. Lfg. 2/2009). 3 Baumert in Braun, InsO, § 61 Rz. 9. 4 OLG Celle v. 28.2.2013 – 16 U 143/12, ZIP 2013, 1037. 5 Lüke, EWiR 2002, 29. 6 So die Fassung des § 62 InsO nach der Änderung durch Gesetz v. 9.12.2004, BGBl I, S. 3214.
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§6
Rz. 220a
Beratung des ungesicherten Glubigers
ne grobe Fahrlässigkeit erlangen konnte1. Ist durch die Pflichtverletzung des Verwalters ein einzelner Beteiligter betroffen, so kommt es auf dessen Kenntnis an. Bei einem Gesamtschaden könnte § 92 InsO greifen: Der neu bestellte Insolvenzverwalter oder ein Sonderinsolvenzverwalter muss die Ansprüche geltend machen; in diesem Fall kommt es auf dessen Kenntnis an; es sei denn der Ausschuss, der die Sonderverwaltung beantragt, hatte von der Pflichtverletzung schon Jahre vor Antragstellung Kenntnis. Dies gilt zumindest dann, wenn der Ausschuss die Mehrheit der Insolvenzgläubiger repräsentiert. 220a Im Einzelfall wird es schwierig sein zu entscheiden, wann die Kenntnis eingetreten ist. Da § 62 InsO der Regelung des § 852 BGB nachgebildet ist, kann auf die dort entwickelten Grundsätze verwiesen werden. So ist es im Rahmen der Haftung nach dem BGB anerkannt, dass für den Beginn der Verjährungsfrist nicht die Kenntnis des Schadenherganges in allen Einzelheiten erforderlich ist. Es reicht vielmehr aus, dass es dem Geschädigten möglich ist, eine hinreichend aussichtsreiche Feststellungsklage zu erheben2. h) Vergütung und Auslagen 221 Der Insolvenzverwalter hat Anspruch auf Vergütung für seine Geschäftsführung und auf Erstattung angemessener Auslagen, § 63 Satz 1 InsO3. Die Vergütung und die zu erstattenden Auslagen des Verwalters werden durch das Insolvenzgericht festgesetzt. Nach § 64 Abs. 2 Satz 2 InsO sind die festgesetzten Beträge nicht mehr zu veröffentlichen. In der amtlichen Bekanntmachung ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der vollständige Beschluss in der Geschäftsstelle eingesehen werden kann. Nur die Mitglieder des Gläubigerausschusses erhalten den vollständigen Vergütungsbeschluss. Sie dürfen ihn jedoch nicht Dritten – also auch nicht den Gläubigern, die sie vertreten oder die sie kennen – weitergeben. Dies wäre ein Verstoß gegen die Geheimhaltungspflicht. 221a Die Einzelheiten zur Vergütungshöhe sind in der insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung vom 19.8.1998 geregelt. Diese sieht ebenso wie die Vergütungsverordnung von 1960 einen bestimmten Regelsatz vor, der auf der Grundlage des Wertes der Insolvenzmasse im Zeitpunkt der Verfahrensbeendigung4 zu ermitteln ist. – Die Vergütungshöhe ist unabhängig von der für die vorläufige Verwaltung zugesprochenen Vergütung5 zu sehen; sie darf deshalb nicht mit der Begründung gekürzt werden, die Vergütung für die vorläufige Insolvenzverwaltung sei zu hoch festgesetzt worden6. 221b Da die Berechnungsgrundlage der wichtigste Ansatzpunkt für die Vergütungsberechnung ist, war mit Spannung erwartet worden, wie sich der BGH bei Betriebsfortführungen positioniert. Nach § 1 Abs. 1 Ziff. 4 S. 2b InsVV ist nur der erwirtschaftete Überschuss zu berücksichtigen. In der Kommentierung wurde die Auffassung vertreten, dass nach Sinn und Zweck der Regelung von den Einnahmen nur solche Ausgaben abzusetzen sind, die durch das Handeln des Verwalters während des Fortführungszeitraumes als Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO begründet und bedient worden sind, beispielsweise Rohstoffeinkäufe, Arbeitsentgelt für weiter beschäftigte Mitarbeiter usw.; nicht zu diesen Ausgaben der Fortführung gehörten daher die so genannten Auslaufverbindlichkeiten, die bereits vor der Eröffnung durch den Schuldner begründet wurden; es handelte sich hierbei, anknüpfend an eine Terminologie
1 Weitzmann in Hamburger Kommentar zur InsO, § 62 InsO Rz. 2. 2 BGH v. 26.11.1987 – IX ZR 162/86, BGHZ 102, 246 (249); vgl. BGH v. 8.5.2008 – IX ZR 54/07, ZInsO 2008, 750. 3 Nicht bei Erschleichen der Verwalterbestellung, BGH v. 6.5.2004 – IX ZB 349/02, ZIP 2004, 1214. 4 Zu Massezuflüssen zwischen Schlusstermin und Ausschüttung BGH v. 19.12.2013 – IX ZB 9/12, NZI 2014, 238 mit zustimmender Anm. Stoffler, NZI 2014, 239. 5 Hierzu Rz. 101 ff. 6 BGH v. 10.10.2013 – IX ZB 38/11, ZIP 2013, 2164, mit zustimmender Anm. Prasser, EWiR 2014, 21.
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Runkel
Beratung im erçffneten Verfahren
Rz. 221g
§6
des Baumängelrechts, um „Sowieso-Kosten“1. Dem hat sich der BGH nicht angeschlossen2. In § 3 InsVV werden Zu- und Abschläge erwähnt. Die dortige Aufstellung ist jedoch 221c nicht abschließend („insbesondere“)3. Weiterhin ist in der Verordnung unter anderem auch das Recht zur Vorschussentnah- 221d me (mit Zustimmung des Insolvenzgerichts) geregelt, wobei gegen die Versagung der Genehmigung zur Entnahme eines Vorschusses aus der Insolvenzmasse ein Rechtsmittel möglich ist. Wird ein Verfahren eröffnet, ohne dass Masse vorhanden ist – so aufgrund eines Stun- 221e dungsantrags nach § 4a InsO – oder zeigt sich die Masselosigkeit erst im Laufe der Verfahrensabwicklung, so hilft die Anknüpfung der Vergütung an die Berechnungsgrundlage dem Verwalter nicht weiter; das Gleiche gilt für wenn die Masse nur wenige Euro beträgt. Der Verordnungsgeber hat deshalb im Abs. 2 von § 2 InsVV eine Mindestvergütung festgelegt, ursprünglich in Höhe von 500,00 Euro. Dies ist von den Verwaltern als völlig unzureichend bezeichnet worden. Der BGH ist den Argumenten der Insolvenzverwalter insoweit gefolgt, als er die entsprechende Bestimmung in der Vergütungsverordnung für die Zeit ab 1.1.2004 als verfassungswidrig einstuft4 und den Verordnungsgeber auffordert, bis zum 1.10.2004 eine verfassungskonforme Regelung zu treffen, und zwar rückwirkend5. Tatsächlich ist am 4.10.2004 eine neue Vergütungsverordnung in Kraft getreten, die 221f jedoch bei weitem nicht die Anforderungen erfüllt, die der Bundesgerichtshof genannt hat. Die Mindestvergütung für Verbraucherinsolvenzverfahren ist nur auf 600 Euro festgelegt worden. Selbst bei einer Vergütungshöhe in den masselosen so genannten IN-Verfahren bleibt der Verordnungsgeber hinter den Vorstellungen des BGH zurück; hier soll die Mindestvergütung 1000,00 Euro betragen. Eingebaut worden sind allerdings Erhöhungsfaktoren für die Fälle, in denen mehr als fünf Gläubiger vorhanden sind6. Wie zu erwarten war, stößt die Neuregelung auf Kritik, so am deutlichsten von Blersch7. Der BGH eröffnet aber zwischenzeitlich Erhöhungsmöglichkeiten, so bei der Fortführung einer Gaststätte8. Einschlägig ist § 13 InsVV und die dortige Formulierung „in der Regel“. Die teilweise in der Literatur vertretene Ansicht, es dürfe nur nach unten abgewichen werden, hält der BGH für falsch. Umgekehrt geht er jedoch davon aus, dass die Vergütung nicht im jedem einzelnen Fall angemessen sein müsse; vielmehr sei ein Grundsatz der Querfinanzierung anzuerkennen9. Dies wird in der Literatur anders gesehen10. Der BGH ist auch nicht umzustimmen, soweit in der Literatur gegen die Zeitgrenze 1.1.2004 Bedenken angemeldet worden sind11. Er lehnt für Treuhänder, die vor dem 1.1.2004 in einem masselosen Verbraucherinsolvenzverfahren bestellt worden sind, eine Ausdehnung seiner Rechtsprechung ab12. Eine gewisse Entlastung für die Insolvenzverwalter ist jedoch dadurch eingetreten, 221g dass der BGH in den Kleinverfahren den Verwaltern das Recht zubilligt, die Steuerberatungsarbeiten wegzugeben und hierfür einen Vorschuss aus der Staatskasse anzufordern13. Der BGH verlangt allerdings von dem Verwalter, dass er zunächst ver1 Haarmeyer/Wutzke/Förster, § 1 InsVV Rz. 89 m.w.N. 2 BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 148/10, ZInsO 2011, 1615; so auch Büttner in Hamburger Kommentar zur InsO, § 1 InsVV Rz. 19. 3 Zu den Einzelheiten s. KPB/Eickmann/Prasser, InsVV, § 3 Rz. 24 ff. 4 Kritisch zu dieser Zeitgrenze Prütting/Ahrens, ZIP 2004, 1162. 5 BGH v. 15.1.2004 – IX ZB 96/03, ZIP 2004, 417 m. Anm. Runkel, BGHR 2004, 633. 6 Text abgedruckt in DZWIR 2004, 456. 7 Blersch, ZIP 2004, 2311. 8 BGH v. 24.5.2005 – IX ZB 6/03, ZVI 2005, 388. 9 BGH v. 12.1.2012 – IX ZB 97/11, ZInsO 2012, 300. 10 Graeber/Graeber, Komm. zur InsVV, § 3 Rz. 32. 11 Pawlowski, KTS 2004, 229 ff.; jetzt auch BVerfG v. 31.8.2005 – 1 BvR 628/05, ZIP 2005, 1697. 12 BGH v. 20.1.2005 – IX ZB 134/04, InVo 2005, 269 mit Anm. Rendels, EWiR § 13 InsVV a.F., 609. 13 BGH v. 22.7.2004 – IX ZB 161/03, ZIP 2004, 1717, hiervon tendenziell abweichend BGH v. 14.11.2013 – IX ZB 161/11, mit kritischer Anm. Ries, EWiR 2014, 87.
Runkel
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§6
Rz. 221h
Beratung des ungesicherten Glubigers
sucht, das Finanzamt dazu zu bewegen, keine Steuererklärungen abzufordern. Außerdem sieht der BGH die Erstattungspflicht nur dann, wenn die Tätigkeit etwas schwieriger gelagert ist1. 221h Gegen den Vergütungsbeschluss steht dem Verwalter, dem Schuldner und jedem Insolvenzgläubiger die sofortige Beschwerde zu. § 567 Abs. 2 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend (§ 64 Abs. 3 InsO); die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde beginnt regelmäßig bereits mit der öffentlichen Bekanntmachung im Internet2. 221i Diese Regelung wird hinsichtlich der Gläubiger eingeschränkt durch eine Entscheidung des BGH3, wonach kein Rechtsschutzinteresse besteht, wenn bereits im Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde sicher ist, dass der beschwerdeführende Gläubiger nicht einmal teilweise Befriedigung seiner Forderung erwarten kann. Die Beschwerdebefugnis entfällt i.Ü. nur dann, wenn rechtskräftig festgestellt wird, dass dem (vermeintlichen) Gläubiger die zunächst angemeldete Forderung nicht zusteht. 4. Bestellung eines Gläubigerausschusses a) Allgemeines – vorläufiger und endgültiger Ausschuss 222 Jeder Anwalt, der einen ungesicherten Gläubiger berät, muss darauf hinweisen, dass ein Gläubigerausschuss gebildet werden kann. 222a Er sollte zu einer Mitwirkung raten. Die Ausschusstätigkeit verschafft nämlich gerade dem ungesicherten Gläubiger Informationen, die gesicherte Gläubiger wegen ihrer häufig engen Verbindung zum Schuldner schon regelmäßig auf andere Weise bekommen. 222b Das Gesetz unterscheidet zwischen dem vorläufigen und dem endgültigen Gläubigerausschuss. Der vorläufige Ausschuss wird von dem Insolvenzgericht eingesetzt, der endgültige Ausschuss durch die Gläubigerversammlung. 223 Es war lange Zeit streitig, ob auch schon im Eröffnungsverfahren ein Ausschuss eingesetzt werden kann4. Durch das ESUG ist diese Frage jetzt geregelt und zwar kann nach § 21 Abs. 2 S. 1 Ziff. 1a InsO ein vorläufiger Gläubigerausschuss als Sicherungsmaßnahme im Eröffnungsverfahren eingesetzt werden. Zu den Einzelheiten siehe Rz. 164 ff. (Vorschlagsrechte für Verwaltereinsetzung). b) Rechtsstellung des Ausschusses und seiner Mitglieder 224 Der Gläubigerausschuss ist ein selbständiges Organ der Gläubigergesamtheit und unterliegt bei seinem Handeln weder der Kontrolle durch das Insolvenzgericht noch derjenigen durch die Gläubigerversammlung. Diese könnte lediglich eine Abwahl vornehmen, nicht jedoch für zukünftige Entscheidungen irgendwelche Vorgaben machen oder getroffene Entscheidungen aufheben. Ohnehin hat die Ausschusstätigkeit keine unmittelbaren Außenwirkungen. Der Vollzug der Abwicklungsmaßnahmen bleibt immer dem Insolvenzverwalter vorbehalten. Der Ausschuss hat vielmehr die allgemeine Aufgabe, den Verwalter zu unterstützen und zu überwachen, § 69 Satz 1 InsO, und in den gesetzlich vorgesehenen Fällen Entscheidungen des Verwalters zuzustimmen oder geplante Maßnahmen abzulehnen. 225 Von der Rechtsstellung des Ausschusses ist diejenige der einzelnen Ausschussmitglieder zu unterscheiden5. Wer Mitglied werden kann, sagt indirekt das Gesetz. Nach § 67 Abs. 2 InsO sollen folgende Gruppen vertreten sein: – absonderungsberechtigte Gläubiger, – Insolvenzgläubiger mit den höchsten Forderungen,
1 Hierzu auch Gerke/Sietz, NZI 2005, 373. 2 BGH v. 12.7.2012 – IX ZB 42/10, ZIP 2012, 1779; BGH v. 14.11.2013 – IX ZB 111/11, ZIP 2013, 2425. 3 BGH v. 7.12.2006 – IX ZB 1/04, ZIP 2007, 647. 4 Vgl. Uhlenbruck, ZIP 2002, 1373. 5 Einen guten Überblick hierzu liefert Uhlenbruck, ZIP 2002, 1373.
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Runkel
Beratung im erçffneten Verfahren
Rz. 227b
§6
– Kleingläubiger, – Vertreter der Arbeitnehmer. Zu Mitgliedern des Gläubigerausschusses können auch Personen bestellt werden, die keine Gläubiger sind, § 67 Abs. 3 InsO. Im Übrigen liegt die endgültige Entscheidung immer bei der Gläubigerversammlung. 226 Sie beschließt: – ob überhaupt ein Gläubigerausschuss eingesetzt werden soll, – bejahendenfalls, ob ein evtl. schon existierender Ausschuss beibehalten werden soll, – ob bereits vom Gericht bestellte Mitglieder abzuwählen sind und andere oder zusätzliche Mitglieder den Ausschuss besetzen sollen. Anders als das Gericht ist die Gläubigerversammlung nicht an die Soll-Zusammen- 226a setzung des § 67 Abs. 2 gebunden1. Auch bei der Entscheidung über die Größe des Gläubigerausschusses ist die Gläubigerversammlung frei. Deshalb kann auch ein Zweier-Ausschuss eingesetzt werden, obwohl dies wegen des Mehrheitsprinzips unzweckmäßig ist. Ein Einer-Ausschuss ist dagegen unzulässig2. Nach oben ist die Zahl der Mitglieder zwar rechtlich nicht beschränkt; es sollten jedoch aus Praktikabilitätsüberlegungen übergroße Ausschüsse vermieden werden. Die Mitgliedschaft beginnt mit der Annahme des Amtes3 und endet regelmäßig mit 227 der Aufhebung des Verfahrens nach § 259 InsO. Für den vorläufigen Ausschuss gilt die Besonderheit, dass sein Amt durch die Wahl des endgültigen Ausschusses endet, und zwar auch dann, wenn der Personenkreis identisch ist. Das Amt endet individuell durch – Niederlegung, – Abwahl, – Entlassung aufgrund Gerichtsbeschluss, – Tod. Eine Niederlegung ist nicht jederzeit und vor allem nicht ohne wichtigen Grund mög- 227a lich4. Eine Abwahl ist auch nur insoweit möglich, als das Gericht das Gläubigerausschussmitglied bestellt hat. Die in der ersten Gläubigerversammlung gewählten Mitglieder können anschließend nicht wieder abgewählt werden. Dies folgt aus der Regelung des § 70 InsO, der statt einer Abwahl nur eine Entlassung auf Antrag der Gläubigerversammlung vorsieht. Diese Entlassung muss aber durch das Insolvenzgericht erfolgen5 und setzt einen wichtigen Grund voraus6. Dies zeigt, dass die Gläubigerversammlung selbst kein eigenes Abwahlrecht hat7. Was ist aber ein wichtiger Grund, der zur Entlassung führen kann? Laut BGH8 die 227b Begünstigung eines einzelnen Insolvenzgläubigers zum Nachteil der Übrigen; dies sieht auch das AG Göttingen so9. Auch wiederstreitende Interessen sind ein Entlassungsgrund10.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Frege, NZG 1999, 478 (481); a.A. Eickmann in HK-InsO, § 68 Rz. 4. BGH v. 5.3.2009 – IX ZB 148/08, ZIP 2009, 727. Hierzu LG Duisburg v. 29.9.2003 – 7 T 203/03 – 7 T 235/03, ZIP 2004, 729. Gundlach/Frenzel/Schmidt, InVo 2003, 49; Pöhlmann in Graf-Schlicker, InsO, § 70 Rz. 4. AG Wolfratshausen v. 15.11.2002 – 1 IN 194/01, ZInsO 2003, 96. BGH v. 15.5.2003 – IX ZB 448/02, ZInsO 2003, 560; s. auch Vallender, FS Kirchhof, S. 507 ff. und Runkel, FS Goerg, S. 402 ff. Frege, NZG 1999, 478 (480). BGH v. 15.5.2003 – IX ZB 448/02, ZInsO 2003, 560. AG Göttingen v. 11.8.2006 – 71 N 90/94, ZIP 2006, 2048; hierzu Runkel, EWiR 2007, 57. BGH v. 24.1.2008 – IX ZB 222/05, ZIP 2008, 652; hierzu Runkel/Schmidt, EWiR 2008, 473; LG Deggendorf v. 27.2.2013 – 13 T 18/13, ZIP 2013, 2371.
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§6
Rz. 228
Beratung des ungesicherten Glubigers
228 Mitglieder können sowohl natürliche Personen als auch juristische Personen sein1. Hegmanns vertritt die Auffassung, dass es mit der Pflicht zur persönlichen Wahrnehmung des Amtes im Gläubigerausschuss unvereinbar ist, die Mitgliedschaft einer juristischen Person zuzulassen2. Dieser Meinung sind auch viele Insolvenzgerichte. Sie sehen hierbei vor allem praktische Probleme, insbesondere die Gefahr mangelnder Kontinuität in der Zusammensetzung des Ausschusses. 228a Hierbei wird jedoch übersehen, dass eine juristische Person ihrer Pflicht zur persönlichen Wahrnehmung des Amtes durch den gesetzlichen Vertreter nachkommen kann. Genauso gut kann aber auch der Ausschuss selbst festlegen, wer zu entsenden ist. Ohnehin ist es in Ausschüssen üblich, Vertretungsregelungen zu treffen, weil es auch bei einer natürlichen Person persönliche Verhinderungen geben kann. Im Übrigen kann der juristischen Person das Amt nach § 70 InsO entzogen werden, wenn sie ständig wechselnde Vertreter schickt, die nicht informiert sind. 228b Sieht man die Bestellung einer juristischen Person als zulässig an, so können damit auch juristische Personen des öffentlichen Rechts, bspw. die Bundesanstalt für Arbeit zum Ausschussmitglied bestellt werden3. Entscheidend ist alleine, ob es sich wirklich um eine „Person“ handelt. Deshalb kann eine Behörde wie das Finanzamt nicht Mitglied werden4. Wird eine Behörde dennoch bestellt, so ist dieser Akt nichtig; das „Scheinmitglied“ ist nicht stimmberechtigt. Denkbar ist es hingegen, einen Mitarbeiter der Behörde in den Ausschuss zu wählen5. 229 Nach der Konkursordnung durfte das Gericht nur einen Gläubiger zum Ausschussmitglied bestellen, die Gläubigerversammlung jedoch auch einen Dritten. Nach der Insolvenzordnung wird dieser Unterschied nicht mehr gemacht. Besonders geeignete außen stehende Personen sollen vielmehr schon vor der Gläubigerversammlung die Möglichkeit haben, in einem Ausschuss mitzuwirken. 229a Auch wenn die Gläubigereigenschaft jetzt nach dem Gesetz nicht mehr entscheidend ist, so scheiden dennoch bestimmte Personen als Mitglieder aus, bspw. der Schuldner. Das Gleiche muss für Gesellschafter zumindest dann gelten, wenn sie persönlich haftend sind6. Streitig ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob auch ein Beiratsoder Aufsichtsratsmitglied der Schuldnerin eingesetzt werden kann. Dies wird ganz überwiegend verneint7. c) Aufgaben aa) Allgemeine Befugnisse 230 Die Mitglieder des Gläubigerausschusses haben den Insolvenzverwalter bei seiner Geschäftsführung zu unterstu ¨ tzen und zu u ¨ berwachen. Sie haben sich über den Gang der Geschäfte zu unterrichten sowie die Bücher und Geschäftspapiere einsehen und den Geldverkehr und -bestand prüfen zu lassen, § 69 InsO. Die Formulierung zeigt, dass bei den Aufgaben und Befugnissen auf das einzelne Mitglied des Ausschusses abgestellt wird. Es gibt jedoch Fälle, in denen die InsO auch vom Gläubigerausschuss als Kollektiv spricht, so bei der Ausübung von Verfahrensrechten und bestimmter Mitwirkungsbefugnisse. Deshalb bedarf es zur Ausübung der Rechte des Ausschusses im Regelfall eines Beschlusses dieses Gremiums.
1 Letzteres wurde auch schon unter Geltung der KO angenommen, vgl. BGH v. 11.11.1993 – IX ZR 35/93, ZIP 1994, 46; OLG Köln v. 1.6.1988 – 13 U 234/87, ZIP 1988, 992; Jaeger, KO, § 87 Rz. 5. 2 Hegmanns, Der Gläubigerausschuss, S. 110. 3 Kübler in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 67 Rz. 23 (50. Lfg. 9/2012). 4 BGH v. 11.11.1993 – IX ZR 35/93, ZIP 1994, 46. 5 OLG Köln v. 1.6.1988 – 13 U 234/87, ZIP 1988, 992. 6 Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, § 67 Rz. 16. 7 Verneinend mit guten Argumenten MünchKommInsO/Schmid-Burgk, § 67 Rz. 22; Schmitt in Frankfurter Kommentar, InsO, § 67 Rz. 11; Eickmann in HK-InsO, § 67 Rz. 5; a.A. AG Hamburg v. 15.12.1986 – 65 N 771/86, ZIP 1987, 386.
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Beratung im erçffneten Verfahren
Rz. 234a
§6
Natürlich ist der Ausschuss so souverän, die Aufgabenverteilung durch eine Ge- 230a schäftsordnung zu regeln (vgl. Rz. 235 ff.). Einzelnen Mitgliedern können bestimmte Aufgaben zugewiesen werden, wie bspw. die Kassenprüfung. Der Ausschuss nimmt seine Aufgaben unabhängig von der Gläubigerversammlung 231 wahr. Er untersteht auch nicht der Aufsicht des Gerichtes. Bezeichnenderweise kann das Gericht zwar Beschlüsse der Gläubigerversammlung aufheben, nicht aber solche des Gläubigerausschusses. Der Ausschuss ist auch keineswegs Hilfsorgan des Verwalters1. Im Gegenteil, er hat sogar – im Verhältnis zum Verwalter – weiter gehende Rechte als das Gericht. Während dieses gegenüber dem Verwalter nur eine Rechtsaufsicht ausübt, ist dem Gläubigerausschuss eine Zweckmäßigkeitskontrolle gestattet. Sie steht im Mittelpunkt seiner Aufgaben. bb) Aufgaben im Einzelnen Hier sind drei Bereiche zu unterscheiden: – verfahrensrechtliche Aufgaben, – Überwachungsaufgaben, – Mitwirkungsbefugnisse.
231a
Zu den verfahrensrechtlichen Aufgaben gehören: 232 – das Recht, die Einberufung der Gläubigerversammlung zu beantragen, § 75 Abs. 1 Ziff. 2 InsO; – die Entlassung des Verwalters zu beantragen, § 59 Abs. 1 Satz 2 InsO; – zu bestimmen, bei welcher Stelle und zu welchen Bedingungen Geld hinterlegt oder angelegt wird, § 149 Abs. 1 Satz 1 InsO. Das Überwachungsrecht konkretisiert sich wie folgt: Der Ausschuss hat das Recht, 233 vom Verwalter Auskunft, Bericht und Rechnungslegung zu verlangen2. Er darf Einsicht in die Bücher und Geschäftspapiere des Verwalters nehmen. Damit verbunden ist besonders das Recht auf Kassenprüfung. Wenn § 69 Satz 2 InsO in diesem Zusammenhang davon spricht, die Mitglieder des Ausschusses hätten den Geldverkehr und Geldbestand „prüfen zu lassen“, so bedeutet dies nicht, dass zwingend ein Dritter eingeschaltet werden müsste. Vielmehr soll nur die Möglichkeit eröffnet werden, einen Dritten zu beauftragen. Ein weiteres wichtiges Überprüfungsrecht betrifft die Schlussrechnung des Verwalters, § 66 Abs. 2 Satz 2. In zahlreichen Einzelbestimmungen sind schließlich die Mitwirkungsbefugnisse gere- 234 gelt. Sie betreffen unter anderem die Unterhaltsgewährung an den Schuldner, § 100 Abs. 2 InsO, sowie generell die Zustimmung zu Rechtshandlungen des Verwalters von zentraler Bedeutung. Nach § 160 InsO geht es vor allem um die – Veräußerung des schuldnerischen Unternehmens; – Veräußerung eines Betriebes; – Veräußerung des ganzen Warenlagers; – Veräußerung eines Grundstücks; – Aufnahme eines die Masse erheblich belastenden Darlehens; – Führung oder vergleichsweise Beendigung eines Rechtsstreits. An anderer Stelle festgelegt ist die Mitwirkungspflicht bei – der Stilllegung des Unternehmens vor dem Berichtstermin, § 158 InsO; – Verteilungen, § 187 Abs. 3 Satz 2 InsO, insbesondere bei Abschlagsverteilungen, § 195 InsO. Schließlich hat der Ausschuss auch besondere Mitwirkungspflichten im Insolvenz- 234a planverfahren. Außerdem ist der Vergütungsbeschluss gemäß § 64 Abs. 2 InsO dem Gläubigerausschuss zuzustellen, obwohl weder dieser selbst noch seine Mitglieder das Recht haben, hiergegen Beschwerde einzulegen. Dies darf vielmehr nur der ein1 A.A. OLG Schleswig v. 27.5.1986 – 1 W 207/86, ZIP 1986, 930. 2 Eickmann in HK-InsO, § 69 Rz. 2.
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§6
Rz. 234b
Beratung des ungesicherten Glubigers
zelne Gläubiger. Sind die Ausschussmitglieder Gläubiger, prüfen sie den Vergütungsbeschluss nicht nur; sie können auch in ihrer Gläubigereigenschaft Beschwerde einlegen. 234b Hinsichtlich der Gläubigerbeteiligung bei der Verwalterbestellung (§ 56a InsO), die durch das ESUG geschaffen worden ist, verweise ich auf Rz. 164 sowie § 13, Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung. d) Beschlussfassungen 235 Sie erfolgen entweder in einer Sitzung oder schriftlich, in dringenden Fällen auch telefonisch. Förmliche Sitzungen sind also nicht notwendig, wenn auch regelmäßig zweckmäßig. Die Insolvenzordnung gibt bis auf die Regelung zur Abstimmung keine Formvorschriften vor. Gelegentlich wird empfohlen, sich an den Formvorschriften des Aktienrechts und beim Stimmrechtsausschluss sich zusätzlich an den Regeln des BGB und des GmbHG zu orientieren. 236 Bei größeren Verfahren gibt sich der Gläubigerausschuss gelegentlich eine Geschäftsordnung, insbesondere dann, wenn nicht nur das Verfahren besondere Bedeutung hat, sondern wenn auch der Ausschuss aus zahlreichen Mitgliedern besteht. In derartigen Geschäftsordnungen sind üblicherweise folgende Regelungen enthalten: – Sitzungsrhythmus, – Art und Weise der Einberufung, – Sitzungsleitung, – Erstellung einer Tagesordnung, – Art und Weise der Beschlussfassung, – Protokollierung. 237 Derartige Ausschüsse werden auch einen Vorsitzenden haben und gelegentlich einzelnen Mitgliedern Sonderaufgaben zuweisen. Für den Kassenprüfer ist dies auch bei kleineren Verfahren üblich. 237a Gibt es keine Geschäftsordnung, so nimmt normalerweise der Insolvenzverwalter die Einberufung der Sitzung vor. Dieses Recht hat jedoch auch jedes einzelne Ausschussmitglied1. In welcher Weise die Einladung erfolgt, ob sie also auch telefonisch vorgenommen werden kann, ist den Ausschüssen freigestellt. 237b
Û
Hinweis: Es empfiehlt sich jedoch schon deshalb eine schriftliche Einladung, weil bei dieser Gelegenheit auch die Tagesordnung mitgeteilt werden kann. Diese ist praktisch unerlässlich. Ein Verstoß gegen allgemeine Grundsätze der Willensbildung von Organen würde nämlich die Beschlüsse unwirksam machen. Genauso wichtig wie die Tagesordnung ist eine Protokollierung zumindest der Ergebnisse. Protokollführer ist in der Regel der Verwalter. Diese Aufgabe könnte jedoch genauso gut ein Gläubigerausschussmitglied übernehmen.
237c Ohnehin muss die Ausschusssitzung keineswegs in Anwesenheit des Verwalters stattfinden. Der Ausschuss kann auch ohne sein Wissen und sogar gegen seinen Willen tagen. Dies wird dann geschehen, wenn bspw. eine Entlassung des Verwalters zur Diskussion steht. 237d Die Protokollierung ist eine ausschussinterne Angelegenheit. Deshalb gibt es kein Einsichtsrecht gem. § 299 ZPO2. Es ist zwar allgemein üblich, die Protokolle auch dem Insolvenzgericht zu überlassen. Dies ist jedoch weder notwendig noch in bestimmten Einzelfällen zweckmäßig (wenn es um die Geheimhaltung gegenüber bestimmten Gläubigern geht). 238 Ein Beschluss des Gläubigerausschusses ist nur dann gültig, wenn die Mehrheit der Mitglieder an der Beschlussfassung teilgenommen hat und der Beschluss mit der 1 Jaeger, KO, § 90 Rz. 2. 2 BGH v. 18.2.1998 – IV AR 2/97, ZInsO 1998, 92 (93).
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Beratung im erçffneten Verfahren
Rz. 241a
§6
Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst worden ist, § 72 InsO. Es kommt also anders als in der Gläubigerversammlung nicht auf die Höhe der Forderung an, was schon deshalb nicht gehen würde, weil auch Nicht-Gläubiger Ausschussmitglieder sein können. Auf diese Weise haben Kleingläubiger, wenn sie im Ausschuss anwesend oder vertreten sind, ebenfalls Einfluss auf die Insolvenzabwicklung. Bei Stimmengleichheit ist ein Antrag abgelehnt; es kommt also kein Beschluss zustande. Deshalb sind Ausschüsse, die nur aus zwei Mitgliedern bestehen, unzweckmäßig. Die Mehrheitsbildung sei an folgendem Beispiel erläutert: Hat ein Ausschuss fünf Mitglieder, von denen zwei nicht an der Ausschusssitzung teilnehmen können, so kann ein Beschluss mit zwei Stimmen gefasst werden. (Dies war nach der Konkursordnung noch anders. § 90 KO sah eine absolute Mehrheit vor, so dass bei einem Fünferausschuss und einer Anwesenheit von drei Mitgliedern Einstimmigkeit vorliegen musste.)
Es wird immer wieder vorkommen, dass einzelne Mitglieder nicht mitstimmen dürfen. Der häufigste Fall ist die so genannte Selbstbetroffenheit. Hier gelten die zu § 47 Abs. 4 GmbHG und § 136 Abs. 1 AG entwickelten Grundsätze.
239
Die „Selbstbetroffenheit“ ist in zwei Varianten möglich, zum einen im Fall der Inte- 239a ressenkollision und zum anderen aufgrund des Verbotes, Richter in eigener Sache zu sein. Was den Umfang der Selbstbetroffenheit angeht, so darf die Betrachtung nicht allzu kleinlich sein. Nur die Tatsache, dass ein Ausschussmitglied Geschäftsbeziehungen zur Schuldnerin hat oder ein Arbeitsverhältnis besteht, führt nicht zu einem Stimmrechtsverlust. Die Rechtsprechung hat selbst dann einen Stimmrechtsausschluss verneint, wenn es um einen Prozess mit einem nahen Angehörigen eines Ausschussmitglieds geht1. Eine gewisse Großzügigkeit ist deshalb angezeigt, weil Interessenkollisionen praktisch systemimmanent sind, sobald Gläubiger zur Mitgliedschaft aufgerufen sind, wie § 67 Abs. 2 InsO es vorsieht2. e) Haftungsfragen Die Mitglieder des Gläubigerausschusses sind den absonderungsberechtigten Gla ¨ ubi- 240 gern und den Insolvenzgla ¨ ubigern zum Schadenersatz verpflichtet, wenn sie schuldhaft die Pflichten verletzen, die ihnen nach diesem Gesetz obliegen, § 71 Satz 1 InsO3. Auffällig an der Formulierung ist, dass nur eine Haftung gegenüber den Absonderungsberechtigten und den Insolvenzgläubigern besteht. Damit sind nicht aktivlegitimiert – Massegläubiger, – aussonderungsberechtigte Gläubiger, – Schuldner. Die Haftung des Insolvenzverwalters ist also weitergehend. Die Haftungsbegrenzung 241 der Ausschussmitglieder soll mit dem eingeschränkten Pflichtenkreis nach § 69 InsO gerechtfertigt werden; dies ist auf allgemeine Kritik in der Literatur gestoßen4. Drittsicherungsgeber, insbesondere Bürgen sind ebenfalls nicht durch § 71 InsO geschützt. Es entspricht im Übrigen der herrschenden Meinung, dass Gemeinschaftsschäden 241a trotz der Formulierung des § 71 InsO nur vom Verwalter geltend gemacht werden können5. Der Anspruch ist also während des Verfahrens geltend zu machen; auf die Zustimmung des Gläubigerausschusses kommt es naturgemäß nicht an.
1 BGH v. 22.1.1985 – VI ZR 131/83, WM 1985, 423 (424). 2 Kübler in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 72 Rz. 7 (44. Lfg. 5/2011). 3 Diese Haftungsbestimmung gilt auch für den jetzt neu durch das ESUG eingeführten vorvorläufigen Gläubigerausschuss nach § 21 Abs. 2 S. 1 Ziff. 1a; zu den besonderen Gefahren für diesen Ausschuss Frind, ZIP 2012, 1380. 4 So u.a. Heidland, Die Rechtsstellung und Aufgaben des Gläubigerausschusses, in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 1997, S. 711 (726). 5 Pape, ZInsO 1999, 675 (679).
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Rz. 241b
Beratung des ungesicherten Glubigers
241b Die Haftung ist nicht abdingbar. Weder das Insolvenzgericht noch die Gläubigerversammlung können die Pflichten der Mitglieder einschränken1. 242 Passivlegitimiert sind nur die Mitglieder, die auch tatsächlich gehandelt haben. Sie können sich exkulpieren, wenn sie an der Ausschusssitzung nicht teilgenommen oder gegen den schädigenden Beschluss gestimmt haben. Für Sondertätigkeiten, wie die Kassenprüfung, gilt jedoch die Solidarhaftung aller Ausschussmitglieder. Nach § 278 BGB haften sie für das Fehlverhalten des Kassenprüfers unter den dort genannten Voraussetzungen wie für eigenes Verschulden2. Das Gleiche gilt, wenn ein Außenstehender die Kassenprüfung vorgenommen hat. Nach Meinung des RG sollen sich die Mitglieder des Gläubigerausschusses noch nicht einmal haftungsbefreiend auf sorgfältige Auswahl und Unterrichtung berufen können3. 242a Ist eine juristische Person Mitglied, so haftet diese, nicht aber die Person, die entsandt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn ein Mitglied seinen Angestellten in den Ausschuss delegiert hat. Im Übrigen richtet sich das Verschulden nach den Fähigkeiten und Erfahrungen des einzelnen Mitglieds. Dies bedeutet jedoch nicht, dass ein unerfahrenes Mitglied überhaupt nicht haftet. Die Rechtfertigung der Haftung liegt nämlich in der Übernahme und der Ausübung des Amtes4. 242b Allgemein zu den Haftungsrisiken sei auf eine Entscheidung des OLG Rostock verwiesen5. Hier ging es um die Frage, ob der Ausschuss seinen Überwachungspflichten nachgekommen ist, was im konkreten Fall – gewagte Darlehensgeschäfte des Verwalters – verneint wurde (anders in einem ähnlichen Fall BGH6). 243 Was die Verjährung angeht7, gilt jetzt – anders als noch zu Zeiten der Konkursordnung – eine Dreijahresfrist. Dies zeigt der Verweis auf § 62 InsO. Was die Erlangung der Kenntnis angeht, kann deshalb auf die Ausführungen oben unter Rz. 220 verwiesen werden. 244 Bei größeren Insolvenzverfahren schließen die Verwalter üblicherweise Haftpflichtversicherungen für die Ausschussmitglieder ab. Da dies zu Lasten der Masse geht, wird gelegentlich die Auffassung vertreten, dies kollidiere mit der Unabhängigkeit und Objektivität der Ausschussmitglieder8. Eine derartige Gefahr sehe ich nicht. Die Tatsache, dass die Kosten der Versicherung nicht von einzelnen Mitgliedern getragen werden, dürfte für die Entscheidungsfindung im Rahmen der Ausschusstätigkeit keine Rolle spielen. Würde im Übrigen eine eigene Versicherung abgeschlossen, träfe dies die Masse letztlich genauso. Das Ausschussmitglied hat Anspruch auf Vergütung und Auslagenerstattung (siehe hierzu nachstehend Rz. 245 ff.). Zu den erstattungsfähigen Auslagen gehören – trotz § 4 Abs. 3 InsVV – auch die Versicherungsprämien9.
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BGH v. 11.12.1967 – VII ZR 139/65, BGHZ 49, 121 (123). Kübler in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 71 Rz. 15 (44. Lfg. 5/2011). RGZ 152, 125 (128). Delhaes in Nerlich/Römermann, InsO, § 71 Rz. 10 (13. EL Stand Mai 2007). OLG Rostock v. 28.5.2004 – 3 W 11/04, ZInsO 2004, 814; vgl. auch BGH v. 8.5.2008 – IX ZR 54/07, ZInsO 2008, 750: Der BGH hatte in der oben genannten Entscheidung zunächst ausgeführt, dass die Gläubigerausschussmitglieder einer Haftung unterliegen, wenn ihr Aufsichtsverschulden zu einer Schädigung der Masse führt. Diese Fallgestaltung sah der BGH nachfolgend offensichtlich als gegeben an, wenn die Gläubigerausschussmitglieder zwar die Einhaltung der gesetzlich vorgegebenen Vorgaben durch den Insolvenzverwalter überprüften, aber die Einhaltung eines Beschlusses der Gläubigerversammlung durch den Insolvenzverwalter nicht (ausreichend) kontrollierten; Anmerkungen hierzu vgl. Gundlach/Frenzel, DZWIR 2008, 441; Hess, WuB VI A § 71 InsO 1.08. BGH v. 21.3.2013 – IX ZR 109/10, ZIP 2013, 1235; vgl. auch OLG Celle v. 3.6.2010 – 16 U 135/09, ZIP 2010, 1862. Hierzu instruktiv OLG Rostock v. 12.3.2007 – 3 U 45/06, ZIP 2007, 735 (Verjährung verneint); aufgehoben durch BGH v. 8.5.2008 – IX ZB 54/07, ZIP 2008, 1243 (Verjährung bejaht). Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, § 71 Rz. 24. Diese Auffassung wird nicht mehr in der 13. Aufl. vertreten; vgl. Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, § 71 Rz. 24. Kübler in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 71 Rz. 26 (44. Lfg. 5/2011).
400
Runkel
Beratung im erçffneten Verfahren
Rz. 247
§6
f) Vergütungsregelung Die Mitglieder des Gläubigerausschusses haben Anspruch auf Vergu ¨ tung für ihre Tä- 245 tigkeit und auf Erstattung angemessener Auslagen, § 73 Abs. 1 Satz 1 InsO. Einzelheiten zu dieser Vorschrift werden durch die insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung vom 19.8.1998 geregelt. Anders als bei dem Insolvenzverwalter ist die Vergütung nicht erfolgsabhängig; es 245a handelt sich vielmehr um eine reine Tätigkeitsvergütung. Nach § 17 InsVV soll die Vergütung der Ausschussmitglieder regelmäßig zwischen 35 Euro und 95 Euro pro Stunde liegen. Abweichungen von diesem Regelsatz sind jedoch zulässig und in vielen Fällen auch geboten, insbesondere bei Großverfahren, weil dort die Ausschüsse auf hoch qualifizierte Mitglieder angewiesen sind1.
245b
Die Gläubigerausschussmitglieder haben keinen Anspruch auf gleich hohe Honorar- 245c festsetzung2. Das Honorar richtet sich vielmehr danach, wie jedes Gläubigerausschussmitglied persönlich mit Arbeit belastet war3. Im Übrigen ist es auch zulässig, die Vergütung nach anderen Grundsätzen als dem Zeitaufwand zu regeln4. Weder die Stundensätze der InsVV noch die Art der Berechnung sind zwingend, wie sich aus der Formulierung der Verordnung ergibt (keine Regel ohne Ausnahme). Schließlich ist die Tätigkeit der Gremienmitglieder im Gläubigerausschuss genauso zu honorieren, wie diejenige der Vertreter von anderen Gläubigern5. Wer jedoch als Vertreter eines anderen Ausschussmitglieds Tätigkeiten im Gläubigerausschuss ausführt, hat selbst keinen Anspruch auf Vergütung. Die Mitglieder des Gläubigerausschusses haben auch einen Anspruch auf Auslagen- 246 erstattung. Hierunter fallen alle Sachaufwendungen, gelegentlich auch gesonderte Personalkosten, die dem Ausschussmitglied aus Anlass eines bestimmten Verfahrens entstanden sind, nicht jedoch seine allgemeinen Geschäftskosten. Im Entwurf der InsVV war ausdrücklich geregelt, dass jedes Ausschussmitglied – wie 246a auch nach altem Recht – Vorschüsse verlangen kann. Trotz Wegfalls dieser Bestimmung (§ 18 E InsVV) wird man einen Vorschussanspruch anerkennen müssen. Es ist niemandem zuzumuten, unter Umständen 10 Jahre auf eine Vergütung und Auslagenerstattung zu warten6. Die Zahlung eines Vorschusses durch den Insolvenzverwalter an die Ausschussmitglieder bedarf jedoch der Genehmigung des Insolvenzgerichts. § 9 InsVV ist entsprechend anwendbar. Geht der Verwalter bei der Beantragung des Vorschusses für die Mitglieder von einem bestimmten Stundensatz aus und wird dieser vom Gericht auch zugrunde gelegt, so bindet dies nicht bei der Entscheidung der späteren Festsetzung der endgültigen Vergütung7. Das Festsetzungsverfahren verläuft ähnlich wie bei dem Insolvenzverwalter. Es setzt 247 einen Antrag voraus, der in der Vergangenheit häufig vom Verwalter für die Ausschussmitglieder gestellt wurde8. Über den Antrag entscheidet das Insolvenzgericht durch Beschluss. Dieser ist öffentlich bekannt zu machen.
1 Zimmer, ZIP 2013, 1309; dort auch Auseinandersetzung mit der äußerst fragwürdigen Vergütungsentscheidung des LG Aurich v. 6.3.2013 – 4 T 204/10, ZIP 2013, 1342. 2 Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsVV, § 17 Rz. 11. 3 LG Königsberg v. 12.10.1934 – 5 T 128/34, KuT 1934, 168. 4 Beispielhaft AG Duisburg v. 20.6.2003 – 62 IN 167/02, ZIP 2003, 1460 (Orientierung an Aufsichtsratsvergütung) und AG Chemnitz v. 16.3.1999 – 51 C 711/98, ZIP 1999, 669 (Orientierung an Verwaltervergütung); vgl. auch Zimmer, ZIP 2013, 1309. 5 AG Karlsruhe v. 16.12.1986 – N 48/86, ZIP 1987, 387; Eickmann, Vergütungsrecht, vor § 17 Rz. 11. 6 Eickmann, Vergütungsrecht, § 17 Rz. 18; Uhlenbruck, EWiR 1993, 69. 7 LG Aachen v. 20.7.1992 – 3 T 265/91, ZIP 1993, 137. 8 Bedenken bei Zimmer, ZIP 2013, 1309.
Runkel
401
§6
Rz. 247a
Beratung des ungesicherten Glubigers
247a Vor der Festsetzung der Vergütung ist die Gläubigerversammlung mit dem Antrag zu befassen. Regelmäßig ist dazu Gelegenheit spätestens im Schlusstermin zu geben1. Überflüssige Tätigkeiten sind nicht zu vergüten2, auch nicht eine Tätigkeit, die nur indirekten Bezug zu den Ausschussaufgaben hat, wie Besprechungen mit Dritten3. 247b Gemäß § 17 Abs. 3 InsVV steht dem Insolvenzverwalter, dem Schuldner und jedem Insolvenzgläubiger die sofortige Beschwerde zu, auch wenn der Rechtspfleger entschieden hat (§ 11 Rechtspflegergesetz). 248 Honorarvereinbarungen dürfen nicht getroffen werden. Sie sind nach § 134 BGB nichtig. Nach dem Insolvenzordnungsänderungsgesetz 2001 besteht auch für die Vergütung der Ausschussmitglieder ein Anspruch auf Erstattung aus der Staatskasse, soweit die Insolvenzmasse zur Deckung nicht ausreicht. Dies ergibt sich aus Absatz 2 von § 73 InsO, wonach § 63 Abs. 2 InsO entsprechend anwendbar ist. 5. Gläubigerversammlungen und Rechtsstellung der Insolvenzgläubiger 249 Die Gläubigerversammlung ist, anders als vielleicht der Wortlaut zunächst vermuten lässt, nicht lediglich das organisierte Zusammentreffen der einzelnen Gläubiger, der Hauptinteressenten an der Durchführung des Verfahrens, sondern es handelt sich um ein Organ der Gläubigerselbstverwaltung, das nach dem Willen des Gesetzgebers das Verfahren weitgehend beherrscht. Damit ist die Gläubigerversammlung eine Zweckgemeinschaft, die ausschließlich den Regeln der Insolvenzordnung unterliegt. 249a Die Bedeutung der Versammlung ist bereits daraus ersichtlich, dass dem Insolvenzgericht lediglich die Entscheidung über die Verfahrenseröffnung und die Verfahrensbeendigung vorbehalten ist, alles andere aber die Gläubigerversammlung zu entscheiden hat. 249b Die Versammlung ist nicht öffentlich im Sinne des § 169 GVG, weil es sich nicht um eine „Verhandlung vor dem erkennenden Gericht“ handelt. Mit Zustimmung der Versammlung können allerdings Pressevertreter zur Beobachtung zugelassen werden. Das AG Wuppertal ließ in den Bast-Gläubigerversammlungen die Presse nicht zu, nachdem einzelne Gläubiger deren Anwesenheit nicht wünschten. Demgegenüber vertritt das LG Frankfurt aus Anlass der AEG-Gläubigerversammlung die Auffassung, der Widerspruch einzelner Gläubiger sei unbeachtlich, weil die Anwesenheit von Pressevertretern wegen des besonderen öffentlichen Interesses zulässig sei4. Ich bin dagegen der Auffassung, dass der die Versammlung leitende Rechtspfleger oder Richter völlig frei ist, wie er sein Hausrecht ausübt. Er kann auch ohne Rücksicht auf die Meinung der anwesenden Gläubiger allen Nichtgläubigern, und damit den Pressevertretern, die Anwesenheit gestatten oder verweigern, ohne dies begründen zu müssen („pflichtgemäßes Ermessen“)5. 250 Dritte sind im Übrigen insoweit zum Berichtstermin zuzulassen, als sie das Recht haben, sich zu dem Bericht des Verwalters zu äußern. Dies ist nach § 156 Abs. 2 InsO der Fall bei – dem Schuldner, – dem Gläubigerausschuss, – dem Betriebsrat, – dem Sprecherausschuss für leitende Angestellte, – der für Schuldner zuständigen amtlichen Berufsvertretung.
1 LG Göttingen v. 1.12.2004 – 10 T 128/04, ZInsO 2005, 48; Frind in Hamburger Kommentar zur InsO, § 73 Rz. 8 bezeichnet die Festsetzung im Schlusstermin als sinnvoll; zwingend ist dies jedoch nicht. 2 LG Göttingen v. 10.1.2005 – 10 T 1/05, NZI 2005, 339. 3 LG Duisburg v. 13.9.2004 – 7 T 221/04, NZI 2005, 116. 4 LG Frankfurt v. 8.3.1983 – 2/9 T 222/83, ZIP 1983, 344. 5 Kübler in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 76 Rz. 12 (44. Lfg. 5/2011).
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Beratung im erçffneten Verfahren
Rz. 252d
§6
a) Arten der Versammlungen Innerhalb des Verfahrens gibt es einige besonders bedeutsame Abschnitte, die durch bestimmte Gläubigerversammlungen markiert sind. Es handelt sich um – den Berichtstermin, §§ 29, 156 InsO; – den Prüfungstermin, § 176 InsO, in dem die zur Tabelle angemeldeten Forderungen geprüft werden; – den Schlusstermin, § 197 InsO.
251
Ebenfalls hat das Gericht eine Versammlung einzuberufen bei Rechnungslegung des 251a Verwalters aufgrund der Beendigung seines Amtes, § 66 Abs. 1 Satz 1 InsO. Für den Fall, dass kein Gläubigerausschuss bestellt ist, obliegt die Zustimmung zu besonders bedeutsamen Rechtshandlungen ebenfalls der Gläubigerversammlung, §§ 160 Abs. 1 Satz 2, 162 Abs. 1 InsO. Weitere Versammlungen können entweder auf Antrag (siehe unten Rz. 252) einberufen werden oder aber das Insolvenzgericht kann diese anberaumen, wenn es dies bei Ausübung pflichtgemäßen Ermessens für erforderlich hält. b) Einberufung Die Gläubigerversammlung ist gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 InsO vom Insolvenzgericht einzuberufen, wobei der Versammlungsort, die Zeit sowie die Tagesordnungspunkte nach § 74 Abs. 2 InsO öffentlich bekannt zu machen sind. Bei Vertagungen, die im Termin beschlossen werden, ist keine förmliche Bekanntmachung notwendig.
252
Abgesehen von den oben genannten Versammlungen, die das Gericht auch ohne Antrag einberuft, sind nach § 75 Abs. 1 InsO folgende Personen befugt, die Einberufung einer Gläubigerversammlung bei dem Insolvenzgericht zu beantragen: – der Insolvenzverwalter1; – der Gläubigerausschuss; – Insolvenzgläubiger und Absonderungsberechtigte mit bestimmten Mehrheiten (vgl. § 75 Abs. 1 Ziff. 3 und 4 InsO)2.
252a
Die Insolvenzgläubiger sind grundsätzlich auch dann berechtigt, einen Antrag auf 252b Einberufung zu stellen, wenn ihre angemeldete Forderung noch nicht geprüft oder vom Insolvenzverwalter oder einem Gläubiger bestritten worden ist3. Wird ein Antrag von den hierzu befugten Personen gestellt, so muss die Einberufung 252c auch dann erfolgen, wenn der Antrag auch noch so unzulänglich begründet worden ist. Das Gericht hat insoweit keinen Ermessensspielraum4. Eine Ausnahme hiervon hat das AG Duisburg gemacht, das den Antrag eines Gläubigers als offenkundig willkürlich erachtete und folgerichtig die Einberufung der Gläubigerversammlung mangels eines Rechtsschutzinteresses ablehnte5. c) Rechtsmittel Gegen die ablehnende Entscheidung des Insolvenzgerichts zur Einberufung der 252d Gläubigerversammlung ist gem. § 75 Abs. 3 die sofortige Beschwerde statthaft6. Hiernach ist nur der nach § 75 Abs. 1 InsO berechtigte Antragsteller – bei Gläubigern mithin nur die Antragsteller, die allein oder gemeinsam mit anderen das Quorum nach § 75 Abs. 1 Nr. 3 oder 4 InsO erfüllen – beschwerdebefugt7.
1 Hierzu BGH v. 21.12.2006 – IX ZB 138/06, ZIP 2007, 551. 2 Zu den Anforderungen einer gerichtlichen Schätzung der Absonderungsrechte und Forderungen, BGH v. 16.7.2009 – IX ZB 213/07, ZIP 2009, 1528. 3 BGH v. 14.10.2004 – IX ZB 114/04, InVo 2005, 54; krit. hierzu Gundlach und Schirrmeister, EWiR 2005, 359; Festhaltung BGH v. 16.12.2010 – IX ZB 238/09, ZInsO 2011, 131. 4 OLG Celle v. 25.3.2002 – 2 W 9/02, ZIP 2002, 900. 5 AG Duisburg v. 18.8.2010 – 60 IN 26/09, ZIP 2010, 2362. 6 Herzig in Braun, InsO, § 75 Rz. 13. 7 BGH v. 10.3.2011 – IX ZB 212/09, ZIP 2011, 673; Keller, EWiR 2011, 391.
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§6
Rz. 253
Beratung des ungesicherten Glubigers
d) Teilnahme und Stimmrecht 253 An den Versammlungen teilnehmen dürfen (allgemein geregelt in § 74 Abs. 1 Satz 2 InsO)1: – die absonderungsberechtigten Gläubiger; – die normalen Insolvenzgläubiger, § 38 InsO; – die nachrangigen Insolvenzgläubiger, § 39 InsO; – der Insolvenzverwalter; – der Schuldner; – die Mitglieder des Gläubigerausschusses, auch wenn sie nicht Gläubiger sind. Nicht teilnahmeberechtigt sind die Massegläubiger und die Aussonderungsberechtigten. 254 Die Stimmrechte innerhalb der Gläubigerversammlung sind in den §§ 76 Abs. 2, 77 InsO geregelt. Danach gibt es keine Mehrheitsentscheidungen nach Köpfen, sondern ausschließlich nach der Höhe der in dem Verfahren angemeldeten Forderung. Eine Ausnahme gilt für die Abwahl des Insolvenzverwalters; hier muss zusätzlich eine Mehrheit der abstimmenden Gläubiger vorliegen, § 57 InsO. Zu beachten ist, dass die Stimmgewichtung nur im Verhältnis zu den angemeldeten Forderungen der im Termin erschienenen Gläubiger ermittelt wird und nicht etwa in Bezug auf die insgesamt zur Tabelle angemeldeten Forderungen. Zu unterscheiden ist allerdings danach, ob die angemeldeten Forderungen anerkannt oder bestritten sind, gleichgültig ob das Bestreiten durch den Insolvenzverwalter oder einen Gläubiger erfolgt. 255 Wurde die Forderung bestritten, so ist entweder eine Einigung zwischen dem Verwalter und den erschienenen Gläubigern erforderlich oder aber es ergeht – wenn eine solche Einigung nicht erzielt wird – eine Entscheidung des Gerichts über das Stimmrecht des betroffenen, ansonsten nicht stimmberechtigten Gläubigers. Eine solche Entscheidung wirkt nur in dem Termin, in dem sie getroffen wurde; darüber hinaus muss der betroffene Gläubiger die Feststellung seiner Forderung (weiter) betreiben. An dem Einigungsversuch über das Stimmrecht ist auch der betroffene Gläubiger zu beteiligen2. 255a Wird der Antrag des betroffenen Gläubigers negativ beschieden, so gibt es gegen diese Entscheidung, wird sie von dem Richter getroffen, kein Rechtsmittel, vgl. § 6 Abs. 1 InsO. Bei einer Entscheidung durch den Rechtspfleger kommt eine weitere Entscheidung durch den Richter in Betracht. Gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 RpflG ist zwar die Erinnerung gegen die Entscheidung über die Gewährung des Stimmrechts ausgeschlossen. Gemäß § 18 Abs. 3 Satz 2 RpflG kann jedoch in dem Fall, dass die Entscheidung Auswirkungen auf das Abstimmungsergebnis hat, der Richter auf Antrag eines Gläubigers oder des Verwalters das Stimmrecht neu festsetzen und eine Wiederholung der Abstimmung anordnen. Der entsprechende Antrag ist bis zum Terminsende zu stellen. 255b Die nachrangigen Gläubiger (§ 39 InsO) besitzen in der Versammlung kein Stimmrecht. 255c Werden die Vorschriften über die Abstimmung verletzt, sind hierunter zustande gekommene Beschlüsse unwirksam. 255d Es muss auch darauf hingewiesen werden, dass durchaus Stimmrechtseinschränkungen vorkommen können. So ist ein Gläubiger von der Abstimmung über die Wahl eines anderen Insolvenzverwalters ausgeschlossen, wenn es zwischen ihm und dem bisherigen Verwalter einen Interessenkonflikt gibt, beispielsweise weil der Verwalter von ihm Zahlung verlangt. Dies hat das LG Göttingen3 herausgestellt und hierbei auf aktienrechtliche Grundsätze verwiesen („eine Abstimmung in eigener Sache ist ver1 Zu Einschränkungen der Teilnahmemöglichkeit AG Aurich v. 25.4.2006 – 9 IN 41/06, ZIP 2006, 2004. 2 Kind/Herzig, EWiR 2006, 175. 3 LG Göttingen v. 20.11.1998 – 10 T 66/98, ZIP 1999, 120.
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Beratung im erçffneten Verfahren
Rz. 258b
§6
boten“1). Der Rechtspfleger muss aber die Stimmrechtsversagung begründen2. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass das Insolvenzgericht im Rahmen seiner gerichtlichen Stimmrechtsfestsetzung befugt ist, etwaige Vorfragen zur Abstimmungsberechtigung abschließend zu klären3. Gegen die Ablehnung der Vertagung der Gläubigerversammlung ist kein Rechtsmittel möglich4.
255e
e) Leitung der Versammlung Die Gläubigerversammlung wird gemäß § 76 Abs. 1 InsO von dem Insolvenzgericht 256 geleitet. In aller Regel wird die Versammlung unter Leitung des zuständigen Rechtspflegers stattfinden, weil der Richter das Verfahren üblicherweise übertragen haben wird. Der Richter kann das Verfahren zwar in jeder Lage wieder an sich ziehen, praktische Relevanz dürfte dies aber kaum erlangen. Inhaltlich umfasst die Leitung der Versammlung die Sorge für einen geordneten Ablauf, die Beschlussfassung und Protokollierung der Versammlung. Die Vorschriften des GVG, §§ 176 ff. und der ZPO, §§ 136 ff., 159 ff., finden entsprechende Anwendung.
256a
f) Aufgaben (Kompetenzen) Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers haben die Gläubiger innerhalb des Verfah- 257 rens eine beherrschende Stellung. Dementsprechend sind auch alle wichtigen, richtungsweisenden Entscheidungen von der Versammlung zu treffen. Dies spielt insbesondere dann eine Rolle, wenn von der Versammlung keine Kompetenzen durch Einsetzung eines Gläubigerausschusses übertragen werden. aa) Durchführung von Wahlen (§ 57 InsO) In der ersten Gläubigerversammlung, die auf die Bestellung des Insolvenzverwalters 258 durch das Gericht erfolgt (Berichtstermin genannt), entscheidet die Versammlung über die Person des Verwalters. Dabei kann der Auswahl des Gerichts gefolgt und der bestellte Verwalter in seinem Amt bestätigt werden; die Versammlung kann aber auch einen anderen Verwalter bestimmen. Eine solche Initiative dürfte dabei üblicherweise von einer Person oder Personengruppe mit entsprechender Stimmgewichtung in der Versammlung ausgehen. Bevor jedoch im Hinblick auf die Verwalterauswahl eine vom Gericht abweichende Entscheidung getroffen wird, sollten die Entscheidungsträger die dieser Überlegung zugrunde liegenden Motive kritisch hinterfragen, insbesondere die Frage der Unabhängigkeit des neueinzusetzenden Verwalters5. Siehe hierzu auch oben Rz. 159 f. Das Gericht kann die Bestellung des Gewählten nur versagen, wenn dieser für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist6.
258a
Der Beschluss der ersten Gläubigerversammlung zur Wahl eines anderen Verwalters 258b kann auch nicht im Verfahren nach § 78 Abs. 1 InsO angefochten werden. Die Bestimmung sieht die Aufhebung eines Beschlusses der Gläubigerversammlung vor, wenn er dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger widerspricht. § 57 S. 3 und 4 InsO enthalten jedoch eine abschließende Sonderregelung7 und zwar auch für den
1 BGH v. 22.1.1985 – VI ZR 131/83, ZIP 1985, 423; hierzu AG Itzehoe v. 22.7.2014 – 28 IE 1/14, ZIP 2014, 1545; LG Hamburg v. 25.8.2014 – 326 T 81/14, ZIP 2014, 1889. 2 BVerfG v. 4.8.2004 – 1 BvR 698/03, ZIP 2004, 1762. 3 BGH v. 23.10.2008 – IX ZB 235/06, ZIP 2008, 2428; vgl. hierzu auch Nichtannahmebeschluss des BVerfG v. 26.11.2009 – 1 BvR 339/09, ZIP 2010, 237; zustimmend Keller, EWiR 2009, 117. 4 BGH v. 5.4.2006 – IX ZB 144/05, ZIP 2006, 1065. 5 BGH v. 22.4.2004 – IX ZB 154/03, ZIP 2004, 113; Binz/Hess, Der Insolvenzverwalter, 2004, Rz. 897 ff. 6 Zur Ablehnung einer vom Gläubigerausschuss bestellten Person mangels Verwaltererfahrung, BVerfG v. 27.11.2008 – 1 BvR 2032/08, ZIP 2009, 975. 7 BGH v. 17.7.2003 – IX ZB 530/02, InVo 2004, 14; Ergänzung BGH v. 7.10.2004 – IX ZB 128/03, ZIP 2004, 2341.
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§6
Rz. 258c
Beratung des ungesicherten Glubigers
Fall, dass der Insolvenzverwalter vorher die Masseunzulänglichkeit angezeigt hat und sich gegen seine Abwahl wehren will1. 258c Die Frage ist allerdings, ob sich der abgewählte Verwalter auf die Nichtigkeit des Beschlusses der Versammlung berufen kann. Er kann jedenfalls nicht ein Verfahren nach § 78 InsO anstrengen, weil diese Norm die Wirksamkeit des Beschlusses der Gläubigerversammlung voraussetzt. Nichtige Beschlüsse bedürfen keiner besonderen Aufhebungsentscheidung, sondern sind ipso iure unwirksam2. 259 Die Gläubigerversammlung hat gemäß § 68 InsO ebenfalls darüber zu entscheiden, ob ein Gläubigerausschuss eingesetzt wird. Diese Entscheidung ist auch dann zu treffen, wenn das Gericht bereits vor der Versammlung einen Ausschuss eingesetzt hatte. In diesem Fall hat die Versammlung drei Möglichkeiten: – Sie kann die eingesetzten Mitglieder bestätigen, also so ähnlich verfahren wie bei dem Verwalter. – Sie kann neue Mitglieder wählen, wobei auch die Auswechselung einzelner Personen oder eine Hinzuwahl möglich ist. – Sie kann trotz der vorangegangenen positiven Entscheidung des Gerichts von der Wahl eines endgültigen Ausschusses Abstand nehmen. Wegen der weiteren Einzelheiten in Bezug auf den Gläubigerausschuss wird auf die obigen Ausführungen unter 4.) Bezug genommen. bb) Sonstige Aufgaben 260 Die wohl bedeutendste Grundentscheidung der Gläubigerversammlung für das Verfahren ist diejenige, ob das Unternehmen des Schuldners vorläufig fortgeführt oder stillgelegt werden soll, § 157 InsO. 260a Wenn der Gesetzgeber von einer vorläufigen Fortführung spricht, so hat er hierbei zwei Alternativen vor Augen: – die Ausproduktion oder – die Veräußerung der Unternehmenswerte durch einen so genannten Asset Deal (übertragende Sanierung) (zu dieser Übertragungsart s. § 15 Rz. 17 f.). 260b Die Versammlung kann sich bereits für eine der beiden Alternativen entscheiden. Da im Berichtstermin häufig noch unklar ist, ob der Betrieb an ein anderes Unternehmen übertragen werden kann oder ob nicht doch letztlich eine Ausproduktion notwendig ist, wird in derartigen Fällen regelmäßig ein Ausschuss gewählt, dem diese Entscheidung übertragen wird. Dem Gesetzgeber war der Erhalt des Unternehmens besonders wichtig. Deshalb hat er auch noch eine dritte Alternative zur Diskussion gestellt: – Die Entscheidung über einen Insolvenzplan, mit dessen Hilfe sogar der Unternehmensträger erhalten werden kann. 260c Liegt im Termin noch kein Insolvenzplan vor, so kann die Versammlung den Verwalter beauftragen, einen Insolvenzplan auszuarbeiten und ihm auch das Ziel des Plans vorgeben, § 157 Satz 2 InsO (zu weiteren strategischen Überlegungen zum Insolvenzplanverfahren vgl. § 13 Rz. 21 ff.). Damit gibt es in Wahrheit vier Alternativen: – sofortige Betriebsstilllegung; – Ausproduktion; – Fortführung des Betriebes zum Zwecke der übertragenden Sanierung; – Fortführung des Betriebes im Rahmen eines Insolvenzplans. 260d Umgekehrt kann in einem Insolvenzplan auch die übertragende Sanierung oder sogar die Liquidation festgelegt werden. Bei der zweiten Alternative hat der Insolvenzplan lediglich die Aufgabe, die Gläubigerbefriedigung im Einzelnen zu regeln. Wegen der weiteren Einzelheiten des Insolvenzplanverfahrens verweise ich auf § 13. 1 BGH v. 7.10.2004 – IX ZB 128/03, ZIP 2004, 2341. 2 BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 128/10, ZIP 2011, 1626.
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Beratung im erçffneten Verfahren
Rz. 263a
§6
Darüber hinaus kann die Gläubigerversammlung auch Einzelentscheidungen zur Verwertung der Insolvenzmasse treffen; dies ergibt sich aus § 159 InsO.
261
Schließlich steht es der Versammlung frei, alle Entscheidungen dem Verwalter zu 261a überlassen, also sein Ermessen an die Stelle eines sonst zu wählenden Ausschusses zu setzen. Hierbei ist der Verwalter in seinen zukünftigen Entscheidungen jedoch nicht völlig frei. Für besonders bedeutsame Rechtshandlungen, die im Einzelnen in § 160 Abs. 2 InsO genannt werden, müsste er die Zustimmung „der Gläubigerversammlung“, in diesem Fall also einer späteren Versammlung, einholen. Schließlich hat die Gläubigerversammlung auch darüber zu befinden, ob und in wel- 261b chem Umfang dem Schuldner Unterhalt aus der Insolvenzmasse gewährt werden soll, §§ 100, 101 Abs. 1 Satz 3 InsO. g) Haftungsfragen Während die Haftung des Insolvenzverwalters und des Gläubigerausschusses im Ge- 262 setz geregelt ist, gibt es keine entsprechenden Bestimmungen für die Gläubigerversammlung. Es stellt sich deshalb die Frage, ob ein Gläubiger für Entscheidungen in der Versammlung haftbar gemacht werden kann, und zwar zum einen – von Seiten der bei der Versammlung unterlegenen Minderheitsgläubiger – und zum anderen von Gläubigern, die an der Versammlung nicht teilgenommen haben. Mangels einer gesetzlichen Regelung kann es meines Erachtens keine insolvenz- 262a rechtliche Haftung einzelner Gläubiger geben, wenn man einmal von der Sonderregelung in § 28 Abs. 2 Satz 3 InsO absieht, wonach ein sicherungsberechtigter Gläubiger bei Verletzung seiner Mitteilungspflichten schadenersatzpflichtig ist. Diese Sonderregelung gebietet den Umkehrschluss, dass eine darüber hinausgehende allgemeine insolvenzrechtliche Haftung der Gläubiger nicht gewollt ist. Einzelne Absonderungs-, Masse- und Insolvenzgläubiger können deshalb nur nach 262b den allgemeinen Deliktsbestimmungen, insbesondere nach § 826 BGB zum Schadensersatz verpflichtet sein, wenn sie zu Lasten des gemeinschaftlichen Befriedigungsinteresses aller Gläubiger, aber auch zu Lasten des Schuldners, Manipulationen und Ausbeutungsaktionen durchführen. Fazit: Eine darüber hinausgehende Haftung für schlichte Fehlentscheidungen in der Versammlung gibt es demnach nicht. In diesem Zusammenhang ist jedoch auf § 78 InsO zu verweisen: Widerspricht ein Beschluss der Gläubigerversammlung dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger, so hat das Insolvenzgericht den Beschluss aufzuheben, wenn ein absonderungsberechtigter Gläubiger, ein nicht nachrangiger Insolvenzgläubiger oder der Insolvenzverwalter dies in der Gläubigerversammlung beantragt (§ 78 Abs. 1 InsO). Diese Bestimmung birgt Haftungsgefahren für den Insolvenzverwalter. Er muss sofort, d.h. in der Versammlung reagieren, wenn er feststellt, dass ein Beschluss die Masse schädigt.
262c
6. Gläubigerforderungen im eröffneten Verfahren Die Insolvenzordnung kennt folgende Gläubigergruppen: – Aussonderungsgläubiger, §§ 47, 48 InsO; – Absonderungsgläubiger, §§ 49–52 InsO; – Massegläubiger, §§ 53–55 InsO; – „normale“ Insolvenzgläubiger, § 38 InsO; – nachrangige Insolvenzgläubiger, § 39 InsO.
263
Da in diesem Kapitel nur die Rechtsstellung der ungesicherten Gläubiger behandelt wird, sollen nachstehend auch nur die Forderungen der Massegläubiger und der Insolvenzgläubiger erörtert werden. Zur Unterscheidung zwischen diesen beiden Gruppen gibt es ein wichtiges Kriterium:
263a
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407
§6
Rz. 264
Beratung des ungesicherten Glubigers
– den Zeitpunkt der Entstehung der Forderung, wobei vereinfacht gesagt werden kann, dass – Masseforderungen regelmäßig nach Eröffnung des Verfahrens entstehen (Ausnahme § 55 Abs. 2 InsO sowie Abs. 4 InsO) und Insolvenzforderungen vor der Verfahrenseröffnung entstanden sein müssen. a) Masseforderungen aa) Allgemeines 264 Die Insolvenzordnung unterscheidet im Bereich der Massegläubiger begrifflich zwischen den – Kosten des Insolvenzverfahrens, § 54 InsO, und – den sonstigen Masseverbindlichkeiten, § 55 InsO. 265 § 53 InsO bestimmt, dass die Massegläubiger vorweg aus der Insolvenzmasse zu befriedigen sind. § 209 InsO legt hierbei die einzuhaltende Rangfolge fest: 1. Kosten des Insolvenzverfahrens, § 54 InsO. 2. Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO, die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, ohne zu den Kosten des Verfahrens zu gehören. 3. Die übrigen Masseverbindlichkeiten. 4. Der nach den §§ 100 und 101 InsO bewilligte Unterhalt. 265a Die bevorzugte Stellung der Verfahrenskosten ergibt sich daraus, dass ohne die Begründung dieser Kosten die Durchführung des Insolvenzverfahrens nicht möglich wäre. Die sonstigen Masseverbindlichkeiten sind im Rahmen des Verfahrens privilegiert, weil regelmäßig ein äquivalenter Gegenwert in die Masse gelangt. bb) Verfahrenskosten 266 Die Kosten des Insolvenzverfahrens sind – die Gerichtskosten (vorläufiges und endgültiges Verfahren); – die Vergütung und die Auslagen – des vorläufigen Insolvenzverwalters sowie – des endgültigen Insolvenzverwalters und – der Mitglieder des Gläubigerausschusses. 266a Die Gerichtskosten bestehen aus Gebühren und Auslagen; auch hier gilt § 1 Abs. 1 Satz 1 GKG. Nicht in den Kostenbestimmungen aufgeführte Amtshandlungen sind gebührenfrei, so etwa im Eröffnungsverfahren die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO. Die Höhe der Gebühren richtet sich nach dem Betrag der Insolvenzmasse (im Eröffnungsverfahren nach dem erkennbaren Wert), § 58 Abs. 1 GKG. Die oben erwähnten Vergütungen und Auslagen des (vorläufigen oder endgültigen) Verwalters sowie der Mitglieder des Gläubigerausschusses setzt das Gericht durch Beschluss fest, §§ 64, 73 InsO. cc) Sonstige Masseverbindlichkeiten, § 55 InsO 267 Zu den sonstigen Masseverbindlichkeiten zählen: – die Ansprüche, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden; – die Ansprüche aus gegenseitigen Verträgen, deren Erfüllung entweder zur Insolvenzmasse verlangt wird oder für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahren erfolgen muss; – die Ansprüche wegen einer ungerechtfertigten Bereicherung der Masse.
408
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Beratung im erçffneten Verfahren
Rz. 271b
§6
Höchst streitig ist die Frage, ob zivilrechtliche oder öffentlich-rechtliche Ansprüche 268 wegen Umweltschäden auch Masseforderungen sind. Während das BVerwG dies bejaht1, ist der BGH anderer Ansicht2. Weiter ist streitig, wann die Kosten eines Rechtsstreits Masseverbindlichkeiten sind, 269 ob also beispielsweise die Kosten 1. Instanz diese Qualifikation erfahren, wenn der Verwalter den Rechtsstreit in der 2. Instanz aufnimmt und unterliegt. Früher wurde dies bejaht; es mehren sich jedoch die Stimmen, die sich dahin gehend eine Differenzierung wünschen, dass die Kosten 1. Instanz als Insolvenzforderungen anzusehen sind3. Es ist im Übrigen Aufgabe der Kostengrundentscheidung, nicht des Kostenfestsetzungsverfahrens, eine Aussage darüber zu treffen, ob die zu erstattenden Kosten Insolvenzforderungen oder Masseverbindlichkeiten sind4. – Weder dem einen noch dem anderen Bereich zuzuordnen ist der Kostenerstattungsanspruch, wenn der Rechtsstreit nach Verfahrenseröffnung gegen den Schuldner angestrengt worden ist; dann handelt es sich vielmehr um eine Neuforderung, die am Verfahren überhaupt nicht teilnimmt5. dd) Sonderfall: § 55 Abs. 2 InsO Abweichend von dem Grundsatz, dass Masseverbindlichkeiten erst nach Insolvenz- 270 eröffnung entstehen, sieht § 55 Abs. 2 InsO eine Aufwertung derjenigen Verbindlichkeiten vor, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter, auf den die Verfügungsbefugnis übergegangen ist, begründet worden sind. Sie „gelten“ nach der Eröffnung des Verfahrens als Masseverbindlichkeiten. Im Falle der Übertragung der Verfügungsbefugnis gilt Gleiches für Verbindlichkeiten aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit der vorläufige Insolvenzverwalter für das von ihm verwaltete Vermögen die Gegenleistung in Anspruch nimmt.
Û
Hinweis: 271 Anwaltliche Beratung muss deshalb immer dahin gehen, dem Mandanten zu empfehlen, sich den genauen Wortlaut des Beschlusses anzusehen, mit dem das Insolvenzverfahren eingeleitet wird.
Wird hiernach dem vorläufigen Verwalter nicht die Verfügungsbefugnis übertragen 271a und ist der Beschluss etwa so formuliert wie oben unter Rz. 91 ff. wiedergegeben, so muss der Gläubiger unbedingt darauf drängen, dass der vorläufige Verwalter sich für die Erfüllung der Verbindlichkeit, die eigentlich nicht von ihm, sondern von dem Schuldner begründet wird, persönlich stark sagt. Anderenfalls könnte der Verwalter den Gläubiger nach Insolvenzeröffnung darauf verweisen, dass nur eine Insolvenzforderung vorliegt, die zur Tabelle angemeldet werden muss6. Bähr vertritt die Ansicht, dass der so genannte schwache Verwalter, will er von ihm 271b erteilte Zahlungszusagen oder mit seiner Zustimmung eingegangene Verbindlichkeiten nach Verfahrenseröffnung noch erfüllen, auf das vom BGH für die Konkursordnung bereits anerkannte Treuhandmodell zurückgreifen muss, das jedoch höchst umstritten ist7 (siehe zu diesem Problemkreis auch § 14 Rz. 75 ff.).
1 BVerwG v. 23.9.2004 – 7 C 22.C3, ZInsO 2004, 1206; BVerwG v. 22.7.2004 – 7 C 17/03, NZI 2005, 55. 2 BGH v. 18.4.2002 – IX ZR 161/01, ZIP 2002, 1043 mit zustimmender Anm. Tetzlaff, EWiR 2002, 573. 3 K. Schmidt/Thole, § 55 InsO Rz. 12; Uhlenbruck, ZIP 2001, 1988; Binz, EWiR 2002, 77; LAG Hamm v. 14.3.2002 – 4 Sa 1366/97, ZIP 2002, 770; Schumacher, EWiR 2002, 777; Heiderhoff, ZIP 2002, 1564; Malitz, EWiR 2003, 71; a.A. BGH v. 28.9.2006 – IX ZB 312/04, WM 2007, 91 mit Anm. Hofmann, EWiR 2007, 85. 4 BAG v. 19.9.2007 – 3 AZB 35/05, ZIP 2007, 2141; a.A. BFH v. 10.7.2002 – I R 69/00, ZIP 2002, 2225. 5 BGH v. 6.2.2014 – IX ZB 57/12, ZIP 2014, 480. 6 Bähr, ZIP 1998, 1553. 7 Vgl. hierzu K. Schmidt/Hölzle, § 22 InsO Rz. 7; Windel, ZIP 2009, 101; anders noch BGH v. 30.1.1986 – IX ZR 79/85, ZIP 1986, 448 sowie Undritz, NZI 2003, 136.
Runkel
409
§6
Rz. 272
Beratung des ungesicherten Glubigers
ee) Befriedigung allgemein 272 Der Insolvenzverwalter ist berechtigt und verpflichtet, Masseansprüche zu prüfen und, soweit berechtigt, anzuerkennen sowie – sofern kein Fall der Masseunzulänglichkeit vorliegt – die Ansprüche zu befriedigen. 272a Hierbei können im Einzelfall Verzögerungen auftreten, so etwa wenn sich eine Kollision mit der Vorschrift des § 160 InsO ergibt. Das ist der Fall, wenn die Anerkennung der Forderung als Rechtshandlung von „besonderer Bedeutung“ zu qualifizieren ist, so dass die Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung erforderlich wird (siehe oben unter Rz. 234 und 260). Dies ist allerdings eher die Ausnahme. Eine Verzögerung der Regulierung kann sich aber auch dadurch ergeben, dass die vorhandenen Barmittel noch nicht ausreichen und zunächst eine Verwertung von Massegegenständen zur Liquiditätsverbesserung erfolgen muss. – In jedem Fall kann der Gläubiger auch eine Verzinsung der Masseforderung verlangen, und zwar selbst bei Masseunzulänglichkeit1. 273 Für diejenigen Masseforderungen, die sich aus der Verwaltung der Masse ergeben, also durch Tätigwerden des Verwalters begründet werden, bestehen keine Besonderheiten. Die praktische Abwicklung unterscheidet sich aus Sicht des Gläubigers nicht von dem „sonstigen“ Forderungseinzug. Insbesondere erfolgt die Regulierung unabhängig von dem Verteilungsverfahren, das für Insolvenzforderungen vorgesehen ist. Die Masseforderung wird formlos geltend gemacht. Im Fall des Bestreitens durch den Verwalter kann der Gläubiger seinen Anspruch im Prozessweg verfolgen. 273a Kommt es dann zu einer Titulierung, so ist bei der Vollstreckung die Vorschrift des § 90 InsO zu beachten, die bei bestimmten Masseverbindlichkeiten die Vollstreckung für die Dauer von sechs Monaten seit Eröffnung des Verfahrens für unzulässig erklärt. Vollstreckungen wegen Forderungen aus einem Sozialplan sind generell unzulässig, § 123 Abs. 3 Satz 2 InsO. Hinsichtlich der Verjährung von Masseforderungen gelten die allgemeinen Verjährungsregeln. Besondere, an die Eigenschaft als Masseforderung anknüpfende Verjährungsregeln existieren nicht. Mangels besonderer Regelungen muss hinsichtlich der Geltendmachung der Verjährung ebenfalls auf die allgemeinen Regelungen zurückgegriffen werden. Es sind jedoch Umstände denkbar, in denen der Verwalter sich nicht in zulässiger Weise auf die Verjährung einer Masseforderung berufen kann, beispielsweise wenn er zunächst auf die zur Zeit bestehende Unvollständigkeit der Masse verwiesen hat2. 274 Hinzuweisen ist abschließend auf die Rechtslage für den Fall, dass eine einfache Insolvenzforderung irrtümlicherweise als Masseschuld erfüllt worden ist. Hier nimmt die überwiegende Rechtsansicht einen Rückzahlungsanspruch unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung an. Es fehlt an einem Rechtsgrund für die Zahlung. Nicht zuletzt der Schutz der Massegläubiger gebietet es, dass Irrtümer des Insolvenzverwalters zu Lasten des zu Unrecht begünstigten Insolvenzgläubiger rückgängig gemacht werden müssen3. ff) Befriedigung bei Masseunzulänglichkeit 275 Eine besondere (und für den betroffenen Gläubiger bedauerliche) Situation ergibt sich dann, wenn der Verwalter feststellen muss, dass die vorhandene Masse zur Befriedigung der Masseverbindlichkeiten nicht ausreicht. 275a Sollte die Masse sogar so gering sein, dass nicht einmal die Kosten des Verfahrens gedeckt sind, ist das Verfahren sofort einzustellen, § 207 Abs. 1 InsO. Sind die Verfahrenskosten zwar gedeckt, aber die sonstigen Masseverbindlichkeiten (voraussichtlich) nicht, so spricht man von Masseunzulänglichkeit (also im Gegensatz zu Masselosigkeit). Der Verwalter hat diese dem Gericht anzuzeigen, § 208 Abs. 1 InsO oder in 1 Hees/Stange, ZIP 2013, 1206; einschränkend Jansen, NZI 2013, 774. 2 Zur Gesamtproblematik vgl. Werner/Jauch, ZIP 2009, 1894. 3 OLG Brandenburg v. 6.12.2001 – 12 U 59/01, NZI 2002, 107.
410
Runkel
Beratung im erçffneten Verfahren
Rz. 278c
§6
besonderen Fallkonstellationen zumindest glaubhaft zu machen1. Die Masseverbindlichkeiten sind dann gemäß § 209 Abs. 1 InsO in der dort genannten Reihenfolge (siehe unter Rz. 355) zu befriedigen. Dabei wird für jeden Rang ermittelt, ob die vorhandenen Mittel genügen, sämtliche in dem Rang vorhandenen Ansprüche zu befriedigen. Innerhalb desjenigen Ranges, bei dem dies nicht mehr der Fall ist, findet dann eine quotale Verteilung unter den betroffenen Gläubigern statt. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Kosten des Insolvenzverfahrens vorrangig zu bedienen sind, selbst dann, wenn der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit nicht angezeigt hat oder die Verfahrenskosten zuvor gestundet wurden2. In Bezug auf den insoweit nicht befriedigten Teil der Forderung könnte eine Haftung 276 des Verwalters nach § 61 InsO in Betracht kommen, wenn die Masseverbindlichkeit durch seine Rechtshandlung begründet worden ist. Gemäß § 61 Satz 2 InsO hat der Verwalter jedoch die Möglichkeit, sich zu exkulpieren. Er muss vortragen und im Streitfall beweisen, dass er bei der Begründung der Verbindlichkeit die mangelnde Deckung nicht erkennen konnte. Hat der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit angezeigt, so stellt sich für 277 den Gläubiger einer streitigen Masseforderung die Frage, ob er Leistungsklage erheben kann oder nur eine Feststellungsklage zulässig ist. Das BAG und der BGH sind der Ansicht, dass nur die Feststellungsklage statthafte Klageart sein kann3. – Hiervon unabhängig lauert für den Gläubiger eine ganz besondere Gefahr: Der Verwalter könnte sich bei einem längeren Zeitablauf auf Verjährung berufen, so jedenfalls die Rechtsauffassung von Wenner/Jauch4. b) Insolvenzforderungen Die InsO benutzt den Begriff „Insolvenzforderung“ nicht. Sie gibt vielmehr in § 38 nur eine gesetzliche Definition des Begriffs der Insolvenzgläubiger. Sie spricht von – persönlichen Gläubigern, – die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens – begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben. Die Insolvenzgläubiger haben ihre Forderungen nach Maßgabe der §§ 174 ff. InsO zu verfolgen.
278
Das persönliche Gläubigerrecht gemäß § 38 InsO ist dadurch gekennzeichnet, dass 278a der Schuldner mit seinem ganzen Vermögen (bzw. Sondervermögen, § 333 InsO) für die Verbindlichkeit einzustehen hat. Den Gegenbegriff hierzu bildet das dingliche Haftungsrecht. Insolvenzforderung kann nur ein Vermögensanspruch, also ein solcher Anspruch 278b sein, der auf Geldleistung gerichtet ist oder sich in einen Geldanspruch umwandeln lässt. Der Gläubiger steht insoweit selber in der Pflicht, seine Forderung mit einem Geldbetrag in inländischer Währung zu beziffern, um an dem Verfahren teilnehmen zu können. Forderungen, die keinen in Geld umrechenbaren Inhalt haben – etwa Ansprüche auf 278c unvertretbare Handlungen – können aber evtl. Schadensersatzansprüche auslösen, die dann wiederum Insolvenzforderungen darstellen. Dies betrifft allerdings nur diejenigen Fälle, in denen die Verletzung einer Hauptpflicht die Schadensersatzfolge auslöst5. 1 BGH v. 9.10.2008 – IX ZB 129/07, ZIP 2008, 2284. 2 BGH v. 19.11.2009 – IX ZB 261/08, ZIP 2010, 145; zustimmend Weitzmann, EWiR 2010, 127. 3 BAG v. 11.12.2001 – 9 AZR 459/00, ZIP 2002, 628; BGH v. 3.4.2003 – IX ZR 101/02, ZIP 2003, 914; a.A. OLG Stuttgart v. 9.5.2011 – 5 U 7/11, ZIP 2011, 2077; Runkel/Schnurbusch, NZI 2000, 49; statthafte Leistungsklage auch im Falle eines Sozialplans, vgl. hierzu BAG v. 21.1.2010 – 6 AZR 785/08, ZIP 2010, 546. 4 Wenner/Jauch, ZIP 2009, 1894, die angesichts eines häufig anzutreffenden Verwalterverhaltens nicht ganz unproblematisch ist, jedenfalls je nach konkreter Sachlage hinterfragt werden sollte. 5 MünchKommInsO/Ehricke, § 38 Rz. 14.
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411
§6
Rz. 279
Beratung des ungesicherten Glubigers
279 Die Forderung muss bei Insolvenzeröffnung bereits begründet gewesen sein. Diese Abgrenzung ist relevant für die Abgrenzung zwischen Insolvenzforderung und Masseforderung, aber auch zur Trennung von Neuforderungen, die nichts mit der Insolvenzabwicklung zu tun haben. Entscheidend ist dabei, ob der Rechtsgrund der Entstehung der Forderung im Augenblick der Verfahrenseröffnung bereits gelegt war. Das ist dann der Fall, wenn der anspruchsbegründende Tatbestand vor der Verfahrenseröffnung materiell-rechtlich abgeschlossen war1. 279a Uhlenbruck führt insofern in Anlehnung an die Rechtsprechung des BFH2 aus, dass es bereits hinreichend sei, wenn nur der dem Anspruch zugrunde liegende „Schuldrechtsorganismus“ und (noch) nicht die letztendliche Forderung zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung besteht3. 279b Bereits entstandene, aber noch nicht fällige Forderungen gelten als fällig, § 41 InsO. Auflösend bedingte Forderungen werden gemäß § 42 InsO wie unbedingte Forderungen behandelt, soweit die Bedingung nicht eingetreten ist. Das Gleiche gilt für aufschiebend bedingte Forderungen. 279c Handelt es sich bei den Forderungen um ständig wiederkehrende Leistungen, so ist taugliches Abgrenzungskriterium zwischen Insolvenz- und Masseforderungen die Frage, ob die Leistung des Gläubigers bereits vollständig erbracht wurde oder ob auch nach Verfahrenseröffnung (weiterhin) Leistungen erbracht werden. Dabei macht es im Ergebnis zwar keinen Unterschied, ob Ansprüche aus einem einheitlichen Dauerschuldverhältnis vorliegen oder aber ob jeweils neue Einzelforderungen entstehen. Allerdings ist zu differenzieren, ob es sich um die vorgenannten Konstellationen oder ob es sich um Ansprüche aus einem so genannten einheitlichen Stammrecht handelt4. 279d Konsequenz: Bei Ansprüchen aus einem einheitlichen Stammrecht, wie zum Beispiel bei Rentenansprüchen aus § 843 BGB oder Leibrentenverträgen etc., wurde der Gegenwert für die künftig wiederkehrenden Forderungen bereits in das Vermögen des Schuldners erbracht. Dies hat zur Folge, dass die wiederkehrenden Forderungen auch aus diesem Vermögen zu zahlen sind. Es handelt sich daher immer um Insolvenzforderungen. Hinsichtlich der jeweils neu entstehenden Schuldverhältnisse sowie der Dauerschuldverhältnisse wird bei der Frage, ob es sich insofern um Masseschulden oder Insolvenzforderungen handelt, nach dem Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung differenziert: Die vor der Verfahrenseröffnung entstehenden Forderungen sind Insolvenzforderungen. Danach entstehende Forderungen sind, je nachdem, ob eine Fortsetzung mit der Masse oder dem insolvenzfreien Vermögen erfolgt, Masseoder Neuforderungen. Auf die detaillierte Regelung zu Miet- und Pachtverhältnissen über unbewegliche Sachen bzw. Dienstverhältnisse des Schuldners in § 108 wird ausdrücklich hingewiesen. aa) Rangordnung 280 Innerhalb der Insolvenzforderungen gibt es, entgegen der Regelung des § 61 Abs. 1 Nr. 1–6 KO, keine Vorrechte mehr. Die Forderungen der Insolvenzgläubiger stehen alle im gleichen Rang; das Verhältnis untereinander ergibt sich aus den jeweils angemeldeten Beträgen. 280a In einem gewissen Widerspruch hierzu hat der Gesetzgeber jedoch „nachrangige“ Insolvenzforderungen eingeführt, § 39 InsO. Derartige Forderungen haben nach früherem Recht überhaupt nicht an den Verteilungen teilgenommen. Die Gründe für ihre Nachrangigkeit sind jedoch nicht in der Person des jeweiligen Gläubigers, sondern in der Art der Verbindlichkeit zu suchen.
1 2 3 4
BGH, NZI 2011, 953; MünchKommInsO/Ehricke, § 38 Rz. 16. BFH v. 28.7.1983 – V S 8/81, ZIP 1983, 1120. Sinz in Uhlenbruck, InsO, § 38 Rz. 26. Sinz in Uhlenbruck, InsO, § 38 Rz. 58 ff.; MünchKommInsO/Ehricke, § 38 Rz. 19; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 38 Rz. 20 (10. EL Stand September 2005).
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Beratung im erçffneten Verfahren
Rz. 284
§6
bb) Forderungsanmeldung Die Einzelheiten zur Anmeldung von Insolvenzforderungen im Verfahren sind in den 281 §§ 174 ff. InsO geregelt. (1) Allgemeines Die Forderungen sind nach § 174 Abs. 1 InsO beim Insolvenzverwalter (und nicht et- 282 wa beim Insolvenzgericht, wie dies in der Praxis immer wieder vorkommt, weil es nach altem Recht so erfolgen musste) anzumelden1. Die Anmeldung der Forderung ist Voraussetzung für die Teilnahme am Verfahren. Die Teilnahme wiederum dürfte im Regelfall die einzige Möglichkeit sein, überhaupt einen Teil der Forderung zu realisieren. § 87 InsO entfaltet Wirkung für sämtliche Insolvenzgläubiger, unabhängig von ihrer Teilnahme am Verfahren, so dass ein Verzicht auf die Teilnahme nicht die Möglichkeit eröffnet, den Schuldner persönlich in Anspruch zu nehmen. Die Anmeldung kann bis zur Feststellung der Forderung zurückgenommen werden. Die Forderungen nachrangiger Insolvenzgläubiger sind nur anzumelden, soweit das Insolvenzgericht besonders zur Anmeldung dieser Forderungen auffordert, § 174 Abs. 3 InsO. Eine solche Aufforderung stellt in der Praxis eine seltene Ausnahme dar.
282a
Die Anmeldung der Forderung im Insolvenzverfahren wirkt verjährungshemmend, 283 § 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB. Bis zur Schuldrechtsreform zum 1.1.2002 wirkte die Anmeldung verjährungsunterbrechend, § 209 Abs. 2 Nr. 2 BGB a.F. Bereits für die Konkursordnung wurde höchstrichterlich entschieden, dass die unterbrechende Wirkung nur für Konkursforderungen – also nicht etwa für Masseverbindlichkeiten – eintrat. Diese Rechtslage änderte sich auch nicht nach In-Kraft-Treten der Insolvenzordnung; die irrtümliche Anmeldung einer Forderung, die in Wahrheit keine Insolvenzforderung (sondern z.B. eine Masseforderung) ist, unterfiel nicht der Regelung des § 209 Abs. 2 Nr. 2 BGB a.F. Gleiches dürfte nunmehr auch für die Vorschrift § 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB gelten; es besteht insoweit Wortlautidentität. (2) Form und Inhalt der Anmeldung Üblich ist es, dass mit Zustellung des Eröffnungsbeschlusses an die Gläubiger auch 284 zugleich ein Formular für die Anmeldung übersandt wird. Diese Formulare variieren von Bundesland zu Bundesland. Die Verwendung durch den Gläubiger ist nicht Wirksamkeitsvoraussetzung für die Anmeldung, korrekt ausgefüllt aber jedenfalls eine Erleichterung im Bereich der Datenerfassung. Entsprechende Formulare sind auch online verfügbar, z.B. bei der Justizverwaltung NRW2. Ein Muster zur Forderungsanmeldung findet sich umseitig.
1 Vgl. Muthorst, ZIP 2009, 1794. 2 www.justiz.nrw.de.
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§6
Rz. 284
Beratung des ungesicherten Glubigers
)RUGHUXQJVDQPHOGXQJLP,QVROYHQ]YHUIDKUHQ $QPHOGXQJHQVLQGVWHWVQXU DQ GHQ ,QVROYHQ]YHUZDOWHU 7UHXKlQGHU 6DFKZDOWHU ]X VHQGHQ QLFKWDQGDV*HULFKW %LWWHEHDFKWHQ6LHDXFKGDVJHULFKWOLFKH0HUNEODWW]XU)RUGHUXQJVDQPHOGXQJ
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'LH%HDXIWUDJXQJHLQHV5HFKWVDQZDOWVLVWIUHLJHVWHOOW'LH 9ROOPDFKWPXVVVLFKDXVGUFNOLFK DXI ,QVROYHQ]VDFKHQ HUVWUHFNHQ 9ROOPDFKWanbei bzw. folgt umgehend
Bankverbindung Geschäftszeichen
Geschäftszeichen
$QJHPHOGHWH)RUGHUXQJHQ -HGHVHOEVWlQGLJH)RUGHUXQJLVW JHWUHQQW D Q]XJHEHQ5 HLFKW GHU 5DXP DXI GLHVHP )RUPXODU QLFKWDXVVRVLQGGLHZHLWHUHQ)RUGHUXQJHQLQHLQHU$QODJHQDFKGHPIROJHQGHQ6FKHPDDXI ]XVFKOVVHOQ
(UVWH+DXSWIRUGHUXQJLP5DQJGHV,QV2(notfalls geschätzt)
€
=LQVHQhöchstens bis zum Tag vor der Eröffnung des Verfahrens Prozentpunkten über Basiszinssatz aus
€ seit dem
% aus
€ seit dem
€
.RVWHQdie vor der Eröffnung des Verfahrens entstanden sind
€ 0,00 ¼
6XPPH
=ZHLWH+DXSWIRUGHUXQJLP5DQJGHV,QV2(notfalls geschätzt)
€
=LQVHQhöchstens bis zum Tag vor der Eröffnung des Verfahrens Prozentpunkten über Basiszinssatz aus
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Beratung im erçffneten Verfahren
Rz. 284
§6
1DFKUDQJLJH)RUGHUXQJHQ,QV2 Diese Forderungen sind nur anzumelden, wenn das Gericht ausdrücklich hierzu aufgefordert hat (§ 174 Abs. 3 InsO). Die gesetzliche Rangstelle ist durch Ankreuzen zu bezeichnen. Ab Nachrang 3 sind Zinsen und Kosten gesondert anzugeben und der jeweiligen Hauptforderung zuzuordnen (vgl. § 39 Abs. 3 InsO). 1. Nachrang des § 39 Abs. 1 Nr. 1 2. Nachrang des § 39 Abs. 1 Nr. 2 3. Nachrang des § 39 Abs. 1 Nr. 3 4. Nachrang des § 39 Abs. 1 Nr. 4 5. Nachrang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 6. Nachrang des § 39 Abs. 2 Zinsen (§ 39 Abs. 3) zu Nachrang 3 - 4 - 5 - 6 Kosten (§ 39 Abs. 3) zu Nachrang 3 - 4 - 5 - 6 0,00 6XPPHGHUQDFKUDQJLJHQ)RUGHUXQJHQ
€ € € € € € € € €
$EJHVRQGHUWH%HIULHGLJXQJ unter gleichzeitiger Anmeldung des Ausfalls wird beansprucht. Ja, Begründung siehe Anlage Nein )RUGHUXQJDXVYRUVlW]OLFKEHJDQJHQHUXQHUODXEWHU+DQGOXQJ Ja, die Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass es sich nach der Einschätzung der anmeldenden Gläubigerin oder des anmeldenden Gläubigers um eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung der Schuldnerin oder des Schuldners handelt, sind in der Anlage genannt Nein *UXQGXQGQlKHUH(UOlXWHUXQJGHU)RUGHUXQJHQ (z. B. Warenlieferung, Miete, Darlehen, Reparaturleistung, Arbeitsentgelt, Wechsel, Schadensersatz)
$OV8QWHUODJHQDXVGHQHQVLFKGLH)RUGHUXQJHQHUJHEHQVLQGEHLJHIJWP|JOLFKVWLQ]ZHL ([HPSODUHQ
.................................................................................................................................................................. (Ort) (Datum) (Unterschrift und evtl. Firmenstempel) %LWWHUHLFKHQ6LHGLHVH$QPHOGXQJXQGDOOHZHLWHUHQ8QWHUODJHQLPPHULQ]ZHL([HPSODUHQHLQ %HDFKWHQ6LHDXFKGLH+LQZHLVHLPJHULFKWOLFKHQ0HUNEODWW]XU)RUGHUXQJVDQPHOGXQJ
Anmeldeformular für das Insolvenzverfahren (Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Saarland), Stand 04.2010
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§6
Rz. 284a
Beratung des ungesicherten Glubigers
284a Die Anmeldung ist in deutscher Sprache abzufassen; § 184 GVG findet insoweit Anwendung. Die Anmeldung per Telefax (bzw. telegrafisch) ist zulässig. Diese Formen sind allgemein für Prozesshandlungen anerkannt; eine entgegenstehende Regelung ergibt sich aus der InsO nicht, so dass insofern über § 4 InsO die Vorschriften der ZPO Anwendung finden. 285 Die Anmeldung hat den Betrag (in inländischer Währung) und den Grund der Forderung zu enthalten. Nach dem InsO-Änderungsgesetz v. 26.10.20011 – hier § 174 Abs. 2 InsO betreffend – muss der Insolvenzgläubiger im Hinblick auf § 302 Ziff. 1 InsO ausdrücklich angeben und konkret begründen, ob die Forderung auf einer unerlaubten Handlung beruht2. Die Anmeldung eines Anspruchs auf Zahlung Zug um Zug gegen Herausgabe einer Sache ist rechtlich nicht möglich3. 285a Zinsforderungen auf die Hauptforderung sind gesondert auszuweisen mit Angabe des Verzinsungsbeginns und des Zinssatzes; erforderlichenfalls ist auch der Endtermin anzugeben; spätestens ist dies der Tag vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Mehrere selbständige Forderungen sind einzeln anzugeben; dagegen ist bei Kontokorrentforderungen der Saldo anzumelden. Forderungen von Arbeitnehmern sind brutto anzumelden. 285b Als Forderungsgrund ist der zugrunde liegende Lebenssachverhalt anzugeben; eine lediglich rechtliche Würdigung genügt hier nicht. Bei einer Sammelanmeldung, der mehrere Forderungen zugrunde liegen, hat für jede einzelne Forderung eine Substantiierung zu erfolgen4. Dies ist wichtig, weil die Anmeldung eine Form der Rechtsverfolgung darstellt und der Gläubiger aus der Eintragung als Titel die Zwangsvollstreckung betreiben kann; deshalb muss die Forderung zur Bestimmung der Reichweite der Rechtskraft eindeutig konkretisiert werden5. Der Anmeldung sollten Kopien derjenigen Unterlagen beigefügt werden, die geeignet sind, den geltend gemachten Anspruch nachzuweisen. Auf die Wirksamkeit der Anmeldung hat dies keine Auswirkung. Ein Unterlassen dürfte jedoch in aller Regel zum Bestreiten des Anspruchs durch den Verwalter führen mit dem sich dann daraus ergebenden Kostenrisiko des sofortigen Anerkenntnisses bei Vorlage im Rahmen eines möglicherweise erforderlichen Feststellungsprozesses (siehe hierzu unten Rz. 311 f.). 285c Befindet sich der Gläubiger im Besitz eines Titels über die angemeldete Forderung, so sollte dieser Titel im Original der Anmeldung beigefügt werden, auch wenn dies nach Meinung des BGH für die Feststellung der Forderung entbehrlich ist6. (3) Eintragung in die Tabelle 286 Dem Insolvenzverwalter obliegt es gemäß § 175 Satz 1 InsO, die angemeldeten Forderungen in eine Tabelle einzutragen. 286a Bei der Aufnahme von Forderungen in die Tabelle ist der Insolvenzverwalter an die Auffassung des Gläubigers gebunden. Bei nachrangigen Forderungen besteht keine Zurückweisungsbefugnis, sondern nur die Möglichkeit des Bestreitens im Prüftermin7. 286b Die Tabelle hat als Mindestinhalt den Namen und die Anschrift des Gläubigers sowie dessen Vertreter, den angemeldeten Betrag, aufgeschlüsselt nach Hauptforderung, Kosten und Zinsen, den Grund der Forderung und den Tag des Eingangs der Anmeldung bei dem Verwalter zu enthalten. Im Übrigen ist die Art der Tabellenführung dem Verwalter überlassen, wobei inzwischen eine bestimmte EDV-Software üblich ist, die folgendes Bild hat: 1 2 3 4
Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze (BGBl. I 2001, S. 2710 ff.). Kehe/Meyer/Schmerbach, ZInsO 2002, 615 (660) sowie Mäusezahl, ZInsO 2002, 462. BGH v. 23.10.2003 – IX ZR 165/02, ZIP 2003, 2379 m. Bespr. Holzer, EWiR 2004, 191. BGH v. 22.1.2009 – IX ZR 3/08, ZIP 2009, 483; OLG Jena v. 20.3.2013 – 2 U 554/12, ZIP 2013, 1235. 5 BGH v. 27.9.2001 – IX ZR 71/00, MDR 2001, 1438. 6 BGH v. 1.12.2005 – IX ZR 95/04, ZVI 2006, 26; Köster/Ahrendt, EWiR 2006, 177. 7 LG Waldshut-Tiengen v. 26.1.2005 – 1 T 172/03, ZInsO 2005, 557.
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BBR Baustoffe Bergische Region GmbH & Co. KG, Otto-Hahn-Str. 65, 42369 Wuppertal, ges. vertr. d. 1. BBR-Baustoffe Bergische Region Management GmbH, Otto-Hahn-Str. 65, 42369 Wuppertal, (persönlich haftende Gesellschafterin), ges. vertr. d. 1.1. Dieter Josef Voschgezang (…
145 IN 919/02
________________
Beglaubigt:
Warenlieferung
Spalte 7
Spalte 6
79,11 79,11
Grund der Forderung (urkundliche Beweisstücke)
Angemeldeter Betrag in EUR
Rechtspfleger/in
Jäckel U.d.G.
Wuppertal, den 23.4.2003
Vom Verwalter vorläufig bestritten.
Spalte 8
Ergebnis der Prüfungsverhandlung Spalte 9
Berichtigungen
Spalte 10
Bemerkungen
94
Blattzahl:
31.3.2003
Spalte 5
Tag der Anmeldung
Spalte 2
Spalte 3 Firma AAA GmbH & Co. KG gesetzl. vertr. d. Geschäftsführer Ernst Kreuder Vorster Str. 1 41169 Mönchengladbach
Spalte 4
Laufende Nummer
0
Spalte 1
Angemeldeter Rang
GLÄUBIGER(IN)
Rechtsanwalt Hans P. Runkel Friedrich-Ebert-Str. 146 42117 Wuppertal
Insolvenzverwalter
Vertreter des Gläubigers, Hinweis auf die Vollmacht
Insolvenztabelle
––
SCHULDNERIN
Aktenzeichen
AG Wuppertal
Beratung im erçffneten Verfahren Rz. 286b
Runkel
§6
417
§6
Rz. 286c
Beratung des ungesicherten Glubigers
286c Die EDV-Software des Verwalters muss im Übrigen mit derjenigen des Gerichts kompatibel sein. Der Verwalter hat die Tabelle innerhalb der Frist des § 175 Satz 2 InsO bei der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts zur Einsicht der Beteiligten niederzulegen. cc) Prüfungstermin (1) Terminierung und Vorbereitung 287 Mit Eröffnung des Verfahrens bestimmt das Insolvenzgericht einen Termin zur Forderungsprüfung und gibt diesen Termin im Eröffnungsbeschluss bekannt, § 29 Abs. 1 Satz 2 InsO. 287a Der Verwalter hat im Termin zu jeder einzelnen Forderung Stellung zu nehmen und wird daher im Vorfeld des Termins die Forderungen im Hinblick darauf sichten, ob er diese im Termin bestreiten will oder nicht. Grundlage hierfür sind zum einen die Angaben des Schuldners, der gemäß § 97 InsO verpflichtet ist, dem Verwalter die erforderlichen Auskünfte zu erteilen; zum anderen wird der Verwalter die der jeweiligen Anmeldung beigefügten Unterlagen dahin überprüfen, ob die angemeldete Forderung insoweit hinreichend belegt erscheint. (2) Teilnahmeberechtigung 288 Zur Teilnahme an dem Prüfungstermin sind alle Insolvenzgläubiger berechtigt, die eine Forderung in dem Verfahren angemeldet haben. 289 Der Schuldner ist ebenfalls berechtigt, am Prüfungstermin teilzunehmen. Sein Erscheinen kann auch durch das Gericht angeordnet werden. Die Teilnahmeberechtigung gilt selbstverständlich auch für den Verwalter. Insoweit ist lediglich streitig, ob dieser persönlich anwesend zu sein hat1 oder ob die Entsendung eines Vertreters zulässig ist2. (3) Ablauf des Prüfungstermins 290 Die Durchführung des Prüfungstermins geschieht durch das Insolvenzgericht. Zuständig ist insoweit regelmäßig der Rechtspfleger, auf den das Verfahren übertragen wurde. Im Verlauf des Termins wird die von dem Verwalter angefertigte Tabelle im Einzelnen3 durchgegangen. Der Verwalter erklärt zu jeder angemeldeten Forderung, ob er dieser widerspricht oder ob sie von ihm anerkannt wird, gegebenenfalls teilweise oder auf Ausfall. (a) Bestreiten von Forderungen, insbesondere vorläufiges Bestreiten 291 Das Bestreiten von zur Tabelle angemeldeten Forderungen erfolgt durch mündliche Erklärung, dass der angemeldeten Forderung widersprochen wird. Ein schriftlicher Widerspruch ist nur zulässig, wenn gemäß § 177 Abs. 1 InsO die Prüfung im schriftlichen Verfahren angeordnet wurde. Widersprochen werden kann dem Anspruch als solchem, der Höhe des Anspruchs, der Anmeldbarkeit des Anspruchs zur Tabelle (für den Fall, dass es sich nicht um eine Insolvenzforderung handelt) sowie einem im Rahmen des § 39 InsO angemeldeten Vorrecht. 292 Eine Besonderheit der Prüfung liegt in dem von Verwaltern in umfangreichen Verfahren oftmals praktizierten „vorläufigen“ Bestreiten einzelner Forderungen. Der Verwalter ist gehalten, in seiner Erklärung klar und deutlich darauf hinzuweisen, dass
1 So Irschlinger in HK-InsO, § 176 Rz. 2 (in der 6. Aufl. 2011 vertritt der neue Bearbeiter Depré die gegenteilige Auffassung); Pape/Schaltke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 176 Rz. 19 (39. Lfg. 2/2010); Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, § 176 Rz. 22; Kießner in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 176 Rz. 5. 2 So Weis in Hess/Weis/Wienberg, InsO, Bd. 1, § 176 Rz. 13; Breutigam in Breutigam/Blersch/ Goetsch, InsO, § 176 Rz. 9 – richtigerweise ist in einem solchen Fall ein Sonderinsolvenzverwalter zu bestellen, Gaeber/Pape, ZIP 2007, 991; dies ist etwas anderes als eine Vertretung im zivilrechtlichen Sinne. 3 In der Praxis erfolgen immer mehr Pauschalbeurkundungen.
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Runkel
Beratung im erçffneten Verfahren
Rz. 294
§6
aufgrund der Vielzahl der angemeldeten Forderungen eine sorgfältige Prüfung der einzelnen Ansprüche bis zu dem Prüfungstermin noch nicht möglich war; andernfalls hat der Verwalter die Verlegung des Prüfungstermins zu beantragen1. Ob ein solches Vorgehen zulässig ist, ist streitig. Nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung – GOI2 – soll etwas derartiges vermieden werden. Problematisch ist hier insbesondere, ob der hiervon betroffene Gläubiger die Fest- 292a stellung nach § 179 InsO sofort betreiben kann3 oder ob er mit einer Klage solange zu warten hat, bis der Insolvenzverwalter eine endgültige Erklärung abgibt4. Auch „vorläufig“ bestrittene Forderungen sind bestrittene Forderungen im Sinne des § 179 Abs. 1 InsO. Die Zulässigkeit der Klage ist insofern nicht betroffen. Letztlich kann es hier also nur darum gehen, die Kostenfolge des § 93 ZPO zu vermeiden. Erklären die Prozessparteien nach einem Anerkenntnis der vorläufig bestrittenen Forderung den Rechtsstreit für erledigt, so hat der Kläger die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Er hätte sich vor Aufnahme des Rechtsstreits vergewissern müssen, ob der Insolvenzverwalter das Bestreiten der angemeldeten Forderung aufrechterhält5. Dies gilt im Übrigen auch, wenn dem Bestreiten der Zusatz „vorläufig“ fehlt: Hat etwa der Bestreitende deutlich gemacht, dass er die Forderung nur deshalb 292b bestreitet, weil er sich zu ihr nicht abschließend erklären kann, so sollte sich der Gläubiger vergewissern, dass der Bestreitende seinen Widerspruch nach wie vor aufrechterhält. Lässt sich dagegen dem Bestreiten kein Grund für einen Widerspruch entnehmen und ist auch nicht zu erkennen, dass die Erklärung unter dem Vorbehalt weiterer Prüfung und möglicherweise Anerkennung erfolgte, dürfte bei Klageerhebung durch den Gläubiger das Risiko einer für ihn negativen Kostenentscheidung gegen Null tendieren. Eine Feststellungsklage nach den §§ 179 ff. InsO ist nur zulässig, wenn zuvor ein Prüfungsverfahren stattgefunden hat. Anmeldung und Prüfung der Forderung sind Sachurteilsvoraussetzungen, die von Amts wegen berücksichtigt werden müssen6. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis7.
293
Û
293a
Hinweis: Ist die Feststellung gegen mehrere Bestreitende zu betreiben, empfiehlt sich die Führung des Rechtsstreits gegen sämtliche Widersprechenden, diese werden zu notwendigen Streitgenossen, weil die Feststellung der Forderung in Bezug auf die Insolvenztabelle nur einheitlich erfolgen kann8.
Streitig ist, ob außer der Insolvenzfeststellungsklage der Gläubiger auch eine Klage 293b des Verwalters zulässig ist, die auf Feststellung des Nichtbestehens der (ohnehin bestrittenen) Forderung gerichtet ist. In aller Regel dürfte für eine solche Klage das Rechtsschutzbedürfnis bzw. Feststellungsinteresse fehlen (wenn der von dem Widerspruch betroffene Gläubiger auf eine Feststellungsklage verzichtet), weil eine bestrittene Forderung bei der Verteilung unberücksichtigt bleibt, § 189 InsO. (b) Widerspruchsberechtigte Zunächst ist der Schuldner selbst berechtigt, im Prüfungstermin angemeldeten For- 294 derungen zu widersprechen. Ein solcher Widerspruch hindert die Feststellung zur Tabelle nicht. Die Wirkung besteht jedoch darin, dass eine Vollstreckung gegen den
1 AG Hagen v. 14.2.2012 – 10 C 491/2011, ZIP 2012, 1678. 2 ZIP 2011, 1489. 3 OLG Köln v. 20.4.1978 – 12 W 3/78, KTS 1979, 119; OLG München v. 12.7.2005 – W 1447/05, ZInsO 2005, 778; Pape/Schaltke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 179 Rz. 4 ff. (40. Lfg. 5/2010). 4 OLG Düsseldorf v. 3.11.1981 – 16 W 146/81, ZIP 1982, 201; OLG Karlsruhe v. 10.5.1989 – 18 O 2/96, ZIP 1989, 791. 5 LAG Hamm v. 14.3.2002 – 4 Sa 1366/97, ZIP 2002, 770; Schumacher, EWiR 2002, 777. 6 BAG v. 3.12.1985 – 1 AZR 545/84, ZIP 1986, 518; LG Bonn v. 15.8.1996 – 18 O 2/96, ZIP 1996, 1672. 7 Pape/Schaltke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 179 Rz. 4 (40. Lfg. 5/2010). 8 Pape/Schaltke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 179 Rz. 9 m.w.N. (40. Lfg. 5/2010).
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§6
Rz. 294a
Beratung des ungesicherten Glubigers
Schuldner nach Aufhebung des Verfahrens aus dem Tabelleneintrag nicht möglich ist, § 209 Abs. 2 InsO. Um die Möglichkeit einer solchen späteren Vollstreckung zu erhalten, ist ein Vorgehen nach § 184 InsO (Feststellungsklage gegen den Schuldner) erforderlich. 294a Des Weiteren ist der Verwalter, der in Ausübung seines Amtes die Interessen aller Gläubiger in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen hat, zum Widerspruch berechtigt. Neben ihm sind dies ebenfalls die Gläubiger, die ihre Forderungen zur Tabelle angemeldet haben. 294b Ein Widerspruch durch den Verwalter und/oder einen oder mehrere Gläubiger führt dazu, dass der Inhaber der bestrittenen Forderung nunmehr zunächst die Feststellung seines Anspruchs betreiben muss, § 179 Abs. 1 InsO, will er die Feststellung zur Tabelle erreichen. 294c Umgekehrt liegt der Fall dann, wenn der Gläubiger der bestrittenen Forderung über einen Titel verfügt. Dann ist gemäß § 179 Abs. 2 InsO der Bestreitende gehalten, die Feststellung zu betreiben, dass die Forderung nicht besteht. An dieser Stelle wirkt sich die ansonsten im Rahmen des Insolvenzverfahrens nicht besonders bedeutsame Titulierung einer Forderung gegen den Schuldner zugunsten des Gläubigers aus. Zu den Einzelheiten siehe unten Rz. 303 ff. (c) Tabelleneintragung 295 Für jede angemeldete Forderung hat das Insolvenzgericht das Ergebnis der Prüfung einzutragen, § 178 Abs. 2 InsO. Aus dem entsprechenden Vermerk ergibt sich dann, ob eine Forderung ganz oder teilweise (vorläufig) bestritten oder festgestellt wurde. Zu den bestrittenen Forderungen ist außerdem anzugeben, wer der Forderung widersprochen hat. Die Eintragung der festgestellten Ansprüche reduziert sich in bestimmten Fällen nicht darauf, dass der Anspruch festgestellt wurde, vielmehr können sich hier weitere Besonderheiten ergeben: So werden Forderungen absonderungsberechtigter Gläubiger in den Fällen, in denen die Verwertung des Sicherungsgutes noch nicht abgeschlossen ist, „für den Ausfall“ festgestellt, § 52 InsO. Ebenso erhalten Wechselbzw. Scheckforderungen einen entsprechenden Vermerk: „Festgestellt unter der Bedingung des Art. 39 WG bzw. Art. 34 ScheckG“. dd) Nachträgliche/verspätete Anmeldungen 296 Versäumt der Gläubiger die Anmeldung seiner Forderung innerhalb der Frist des § 28 Abs. 1 InsO, ist ihm damit noch nicht die Möglichkeit genommen, seine Forderung in dem Verfahren geltend zu machen. Bei der Frist zur Anmeldung handelt es sich nicht um eine Ausschlussfrist – anders noch § 14 GesO, eine Bestimmung, die zu weitreichenden Auseinandersetzungen führte1. Im Übrigen gilt: Die Mehrkosten der nachträglichen Prüfung haben die säumigen Gläubiger zu tragen2. 296a Um dies zu vermeiden, hat der Verwalter auch solche Forderungen zu prüfen, die nach Ablauf der Frist angemeldet werden, § 177 Abs. 1 Satz 1 InsO, theoretisch auch solche, die erst im Prüfungstermin geltend gemacht werden. Der Verwalter hat allerdings die Möglichkeit, der Prüfung einer nach Fristablauf angemeldeten Forderung unter Hinweis auf den Fristablauf zu widersprechen, § 177 Abs. 1 Satz 2 InsO, mit der Folge, dass das Gericht auf Kosten des Säumigen entweder die schriftliche Prüfung der Forderung oder aber einen besonderen Prüfungstermin anordnet. Die Prüfung im Termin findet dann jedenfalls nicht statt. 296b Geht eine Anmeldung erst ein, nachdem der Prüfungstermin stattgefunden hat, so ist auch in diesem Fall entweder ein besonderer Prüfungstermin zu bestimmen oder es ist die Prüfung der Forderung im schriftlichen Verfahren anzuordnen. Die Kosten für eine Nachprüfung (Nr. 4140 KostO) sind vom säumigen Gläubiger zu tragen.
1 S. hierzu das Urteil des BVerfG v. 26.4.1995 – 1 BvL 19/94 u. 1 BvR 1454/94, BVerfGE 92, 262 (273). 2 Hierzu sehr weitgehend das AG Bamberg v. 17.5.2004 – 2 IN 11/03, ZVI 2005, 391.
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Beratung im erçffneten Verfahren
Rz. 300
§6
Forderungsanmeldungen, die erst nach Bestimmung des Schlusstermins erfolgen, 297 sind als Einwendungen gegen das Schlussverzeichnis zu werten; sie müssen persönlich im Schlusstermin vorgebracht werden. Der Insolvenzverwalter darf nachträglich angemeldete Forderungen, die in einem mit dem Schlusstermin verbundenen Nachprüfungstermin geprüft werden, nicht mehr in das Schlussverzeichnis, das für die Verteilung bindend ist, aufnehmen1. ee) Rücknahme und Änderung von Anmeldungen Eine Anmeldung kann bis zur Feststellung der Forderung zurückgenommen werden. 298 Danach ist eine Rücknahme wegen der Rechtskraftwirkung des § 178 Abs. 3 InsO eigentlich nicht mehr möglich (siehe auch unter Rz. 300). Wird trotzdem die Rücknahme erklärt, so kann die Erklärung als Verzicht auf die Teilnahme an den Verteilungen ausgelegt werden. Die Rücknahme geschieht durch Erklärung gegenüber dem Verwalter bzw. dem Gericht, sofern die Tabelle bereits dort niedergelegt ist, § 175 InsO (die Tabelle verbleibt nach der Prüfung beim Insolvenzgericht). Ändert der Gläubiger seine Anmeldung, etwa in Bezug auf den angemeldeten Betrag 299 (Ermäßigung bzw. Erhöhung) oder den Forderungsgrund, handelt es sich der Sache nach um eine Neuanmeldung. Die Behandlung einer solchen geänderten Anmeldung hängt davon ab, in welchem Stadium sich das Verfahren befindet: Eine Änderung vor Ablauf der Anmeldefrist wird in der Regel die „alte“ Anmeldung 299a ersetzen. Nach Ablauf der Anmeldefrist, jedoch noch vor dem Prüfungstermin, gilt das oben unter Rz. 296 f. bereits Ausgeführte; es kann eine Berücksichtigung im Prüfungstermin erfolgen; widerspricht der Insolvenzverwalter oder ein Insolvenzgläubiger der Prüfung, ist eine Nachprüfung erforderlich. Bei Änderung der Anmeldung nach dem Prüfungstermin sind verschiedene Konstellationen denkbar, deren Darstellung im Einzelnen hier zu weit führen würde. Zu unterscheiden ist jedenfalls, ob die Änderung den angemeldeten Betrag oder den Schuldgrund betrifft und ob die Forderung bereits festgestellt wurde. Eine Forderung gilt als festgestellt, soweit im Prüfungstermin weder vom Verwalter 299b noch von einem anderen Gläubiger ein Widerspruch erfolgt (§ 78 Abs. 1 InsO). Die Eintragung in die Tabelle wirkt wie ein rechtskräftiges Urteil gegenüber dem Insolvenzverwalter (Abs. 3). Der Austausch des Grundes der Forderung ist nur bis zur rechtskräftigen Feststellung zulässig; einer späteren Berichtigung steht die Rechtskraftwirkung entgegen2. Zusammenfassend: Festzuhalten ist insoweit, dass keine der denkbaren Änderungen per se unwirksam ist und eine „Umsetzung“ üblicherweise erst dann problematisch werden kann, wenn im Rahmen des Verfahrens Verteilungen anstehen.
299c
ff) Konsequenzen für anerkannte Forderungen – Feststellungswirkungen und Rechtsbehelfe Die Feststellung der Forderung wirkt gegenüber den Insolvenzgläubigern, gegenüber 300 dem Verwalter (wenn dieser nicht widersprochen hat) und gegenüber dem Schuldner hinsichtlich des festgestellten Betrages wie ein rechtskräftiges Urteil, § 178 Abs. 1 InsO. Unschädlich ist dabei die falsche Bezeichnung des Gläubigers bei der Eintragung der Forderung in die Tabelle. Diese kann jederzeit auf Antrag oder von Amts wegen berichtigt werden und setzt keine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 319 ZPO voraus3. Hat der Insolvenzgläubiger nur eine Teilforderung zur Tabelle angemeldet, so bewirkt die Eintragung in die Tabelle lediglich die positive Feststellung des Anspruchs in angemeldeter Höhe. Eine zugleich negative Feststellung, dass eine weitergehende Forderung nicht bestehe, folgt daraus nicht4. 1 2 3 4
BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 8/05, ZIP 2007, 876. AG Marburg/Lahn v. 5.7.2005 – 22 IN 15/04, ZInsO 2005, 784. OLG München v. 22.10.2010 – 14 U 120/08, ZIP 2010, 2526. BGH v. 19.1.2012 – IX ZR 4/11, ZIP 2012, 537; Keller, EWiR 2012, 251.
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§6
Rz. 300a
Beratung des ungesicherten Glubigers
300a Die Rechtskraftwirkung gegenüber dem Schuldner erlangt regelmäßig erst nach Verfahrensbeendigung Bedeutung. Eine Besonderheit ergibt sich, wenn einzig der Schuldner der Forderung im Prüfungstermin widersprochen hat. Ein solcher Widerspruch hindert nicht die Feststellung der Forderung zur Tabelle, hindert jedoch nach Abschluss des Verfahrens eine Vollstreckung gegen den Schuldner aus der Tabelle. 300b Gegen feststellende Tabelleneinträge sind die Rechtsbehelfe1 zulässig, die das Gesetz allgemein gegen rechtskräftige Urteile gewährt, also insbesondere die Vollstreckungsgegenklage gemäß § 767 ZPO2 und die Restitutionsklage des § 580 ZPO. Im Einzelfall kann auch die Erhebung einer materiell-rechtlichen Klage aus § 826 BGB in Betracht kommen. Solche Schadensersatzansprüche wurden von der Rechtsprechung wiederholt anerkannt3. 300c Sind die Einwendungen gegen die festgestellte Forderung erst nach deren Feststellung entstanden, kommt auch eine Klage nach § 767 ZPO in Betracht. Da es hier auf den Zeitpunkt der Feststellung ankommt, ist darauf zu achten, wann diese erfolgte: – wurde der Forderung nicht widersprochen, handelt es sich um den Tag des Prüfungstermins; – wurde Feststellungsklage erhoben, ist der Schluss der mündlichen Verhandlung maßgebend (§ 296a ZPO); – bei Einlegung und anschließender Rücknahme eines Widerspruchs: der Zugang der Rücknahmeerklärung bei Gericht oder dem anmeldenden Gläubiger; – wurde der Forderung durch einen Gläubiger widersprochen, nimmt dieser jedoch seine eigene Anmeldung zurück: Eingang der Rücknahmeerklärung bei Gericht; – bei Erlöschen der Forderung des Bestreitenden: Zeitpunkt des Erlöschens. 301 Aktivlegitimiert ist während des Verfahrens der Verwalter und jeder Insolvenzgläubiger, nach Verfahrensbeendigung der (ehemalige) Schuldner. 302 Die Rechtskraftwirkung der Feststellung zur Insolvenztabelle beschränkt sich nach herrschender Meinung auf Forderungen, die auch wirklich Insolvenzforderungen sind. Liegt in Wahrheit eine Masseverbindlichkeit vor, so wird keine Feststellungswirkung ausgelöst (zur fehlerhaften Behandlung von Masseverbindlichkeiten s. auch § 14 Rz. 113). Hat ein Gläubiger irrtümlich eine andere als eine Insolvenzforderung zur Tabelle angemeldet, hindert ihn dies auch bei etwaiger Feststellung nicht, seinen Anspruch nach den Vorschriften zu verfolgen, die für die anderen Forderungen gelten, also bspw. bei einer Masseforderung darauf zu bestehen, dass sie vorab befriedigt wird4. 302a Umgekehrt ist die Situation, wenn der Gläubiger fälschlicherweise von einer Masseverbindlichkeit ausgegangen ist, in Wahrheit aber eine Insolvenzforderung vorliegt. Hat er in diesem Fall versäumt, die Forderung rechtzeitig zur Tabelle anzumelden, so kann ihm, je nach Zeitablauf, die Verjährungseinrede entgegengehalten werden, auch wenn er die Forderung dem Verwalter mitgeteilt, sie ihm gegenüber jedoch ausdrücklich als Masseforderung bezeichnet hat5. gg) Konsequenzen für bestrittene titulierte Forderungen 303 Tituliert ist eine Forderung, wenn im Eröffnungszeitpunkt für sie ein Schuldtitel vorlag, aus dem die Zwangsvollstreckung hätte betrieben werden können (unter Außerachtlassung des § 89 Abs. 1 InsO).
1 Hierzu zählt nicht die negative Feststellungsklage bezüglich des Nichtbestehens einer zur Insolvenztabelle festgestellten Forderung, vgl. BGH v. 18.2.2010 – IX ZR 113/09, ZIP 2010, 1772. 2 BGH v. 11.12.2008 – IX ZR 156/07, ZIP 2009, 243. 3 BGH v. 1.4.1954 – IV ZR 177/53, BGHZ 13, 71; Pape/Schaltke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 178 Rz. 31 (40. Lfg. 5/2010); Sinz in Uhlenbruck, InsO, § 178 Rz. 51. 4 Pape/Schaltke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 178 Rz. 20 (40. Lfg. 5/2010); vgl. auch BGH v. 10.10.2013 – IX ZR 30/12, ZIP 2014, 134. 5 LG Wuppertal v. 20.4.2010 – 16 O 129/09, ZIP 2010, 2170.
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Beratung im erçffneten Verfahren
Rz. 306b
§6
Wird einer solchen Forderung im Prüfungstermin widersprochen, so obliegt es dem 303a Widersprechenden, seinen Widerspruch durchzusetzen. Die Insolvenzordnung stellt hierfür keine Vorschriften zur Verfügung. Der Widersprechende hat sich der prozessualen Mittel zu bedienen, die dem Schuldner möglich wären, gäbe es kein Insolvenzverfahren. Die gerichtliche Zuständigkeit regelt § 180 InsO. Der Antrag des Widersprechenden geht dahin, den Widerspruch gegen die Forderung für begründet zu erklären1.
303b
hh) Konsequenzen für bestrittene Forderungen ohne Titel (1) Klageerhebung und Zuständigkeitsfragen Hat der Insolvenzverwalter oder ein Gläubiger eine nicht titulierte Forderung bestrit- 304 ten, so bleibt es dem Gläubiger überlassen, die Feststellung gegen den Bestreitenden zu betreiben, § 179 Abs. 1 InsO. Betrieben wird die Feststellung durch Klageerhebung im „ordentlichen Verfahren“ (§ 180 Abs. 1 Satz 1 InsO). Gemeint ist hiermit regelmäßig ein Zivilprozessverfahren. Ausnahmsweise kann nach § 185 InsO auch ein besonderes Gericht zuständig sein, wenn nämlich Ansprüche betroffen sind, die bei Arbeits-, Sozial-, Verwaltungs- oder Finanzgerichten geltend zu machen sind. Nach Satz 2 von § 180 Abs. 1 InsO ist grundsätzlich das Amtsgericht anzurufen, und zwar dasjenige, bei dem das Insolvenzverfahren anhängig ist. Damit soll nur die örtliche Zuständigkeit angesprochen werden. Die Klage ist also nicht etwa bei der Insolvenzabteilung, sondern bei der Zivilabteilung einzureichen. Gehört der Streitgegenstand nicht zur Zuständigkeit der Amtsgerichte, so ist das 304a Landgericht ausschließlich zuständig, zu dessen Bezirk das Insolvenzgericht gehört, § 180 Abs. 1 Satz 3 InsO. Dort ist evtl. auch die Kammer für Handelssachen anzurufen, wenn die Voraussetzungen des § 95 GVG vorliegen. Wäre vom Streitwert her zunächst das außergerichtliche Schlichtungsverfahren zu 305 durchlaufen, so muss dies nicht bei einer bestrittenen Tabellenforderung beachtet werden. Es kann also sofort auf Feststellung zur Tabelle geklagt werden2. Ein Mahnverfahren scheidet aus, weil ein Vollstreckungsbescheid nicht auf Fest- 306 stellung zur Tabelle lauten kann3. Genauso wenig ist ein Urkunds-, Wechsel- oder Scheckprozess eine geeignete Verfahrensart4. Ein Vorbehaltsurteil würde nämlich hinsichtlich der endgültigen Klärung einer Tabellenforderung nicht weiterhelfen. Der gesetzgeberische Gedanke, dem Kläger zügig eine Vollstreckungsmöglichkeit zu verschaffen, hat im Rahmen der Insolvenz keine Bedeutung. Dagegen soll aber ein Schiedsverfahren zulässig sein5. Hiergegen sprechen bereits 306a Kostengesichtspunkte. Im anderen Zusammenhang ist deshalb entschieden worden, dass sich der Insolvenzverwalter aus einer Schiedsgerichtsvereinbarung lösen kann, wenn er einen Aktivprozess führen will6. Dann ist es erst recht mit dem Grundgedanken des Insolvenzverfahrens, die Masse zu erhalten und zu mehren, unvereinbar, wenn für die Klärung der Passiva unnötiger Kostenaufwand betrieben wird. Im Übrigen muss der Streitgegenstand identisch sein. Hatte der Gläubiger einen Rückzahlungsanspruch aus Wandelung zur Tabelle angemeldet, so kann er im Falle des Bestreitens der Klageforderung nicht später auf einen Nichterfüllungsschaden
1 BGH v. 29.6.1994 – VIII ZR 28/94, ZIP 1994, 1193; Pape/Schaltke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 179 Rz. 17 (40. Lfg. 5/2010). 2 BGH v. 9.6.2011 – IX ZR 213/10, ZIP 2011, 1687; kritisch hierzu Eckardt, EWiR 2011, 607; a.A. AG Wuppertal v. 30.11.2001 – 36 C 366/01, ZInsO 2002, 91 mit zustimmender Besprechung von Mankowski, EWiR 2002, 347. 3 Sinz in Uhlenbruck, InsO, § 180 Rz. 13. 4 OLG München v. 19.10.1984 – 23 U 3153/84, ZIP 1985, 297; a.A.: Zöller/Greger, ZPO, § 592 Rz. 3. 5 BGH v. 29.1.2009 – III ZB 88/07, ZIP 2009, 627; zustimmend Wirt/Undritz, EWiR 2009, 451; BGH v. 28.2.1957 – VII ZR 204/56, BGHZ 24, 15 (18); Sinz in Uhlenbruck, InsO, § 180 Rz. 15. 6 Hierzu Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, § 85 Rz. 41.
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306b
§6
Rz. 307
Beratung des ungesicherten Glubigers
gestützt werden; eine derartige neue, d.h. andere Forderung müsste zunächst wieder zur Tabelle angemeldet werden1. 307 Formulierungsvorschlag: Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs gibt Anlass, auf die Bedeutung des richtigen Klageantrages hinzuweisen2. In Frage kommt folgende Formulierung: „Es wird festgestellt, dass dem Kläger im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Firma XY eine Insolvenzforderung in Höhe von … Euro zusteht.“ 307a
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Hinweis: Im Übrigen ist es unzulässig, der Klage einen anderen Anspruch zugrunde zu legen als er in der Forderungsanmeldung aufgeführt ist3.
(2) Fortsetzung eines Rechtsstreits 308 War zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Rechtsstreit über die angemeldete Forderung anhängig, so ist die Feststellung durch Aufnahme des gem. § 240 ZPO unterbrochenen Rechtsstreit zu betreiben, § 180 Abs. 2 InsO. Dies entspricht dem Grundsatz der Prozessökonomie. Einem neuen Rechtsstreit stünde der Einwand der Rechtshängigkeit entgegen. 308a Haben mehrere Personen der Forderung im Sinne des § 178 InsO widersprochen, so ist die Aufnahme des Rechtsstreits durch den Gläubiger nur wirksam, wenn der Rechtsstreit gegenüber allen Widersprechenden aufgenommen wird4. 308b Für die Aufnahme des Rechtsstreits sind folgende Erklärungen notwendig: – den Rechtsstreit aufnehmen zu wollen, § 250 ZPO; – Änderung des Leistungsantrages in einen Feststellungsantrag; – Bezeichnung des Bestreitenden als nunmehrigen Beklagten. 309 War der Klageantrag nicht auf eine Geldforderung gerichtet, so ist der Anspruch gem. § 45 InsO in Geld umzurechnen. Im Übrigen muss die angemeldete Forderung mit der Forderung des anhängig gewesenen Rechtsstreits identisch sein5. Die fehlende Identität kann jedoch durch eine sachdienliche Klageänderung gem. § 263 ZPO herbeigeführt werden6. 309a Der Rechtsstreit kann in jedem Stadium aufgenommen werden, also auch in der Revisionsinstanz7. Das einmal angerufene Gericht (Landgericht) bleibt auch zuständig, selbst wenn es wegen der Quotenerwartung vom Streitwert her bei einem neuen Prozess nicht mehr angerufen werden könnte8. (3) Vorläufiges Bestreiten 310 Ist die Forderung nur vorläufig bestritten worden – zur Frage der Zulässigkeit dieses Vorgehens siehe oben unter Rz. 291 ff. –, so ist dringend davon abzuraten, sofort Klage zu erheben. 310a Einige Gerichte vertreten nämlich die Auffassung, dass dies für den Kläger Kostennachteile hat, wenn der Verwalter die Forderung (bis zur mündlichen Verhandlung?) anerkennt (§ 93 ZPO). Einen guten Überblick zu den verschiedenen Rechtsansichten – es gibt auch eine differenzierende Auffassung, wonach auf die Erkennbarkeit des Anerkennungsvorbehaltes abzustellen ist – geben Pape und Schaltke9.
1 BGH v. 27.9.2001 – IX ZR 71/00, WM 2001, 2180; BGH v. 23.10.2003 – IX ZR 165/02, NZI 2004, 214. 2 BGH v. 29.6.1994 – VIII ZR 28/94, ZIP 1994, 1193. 3 Sinz in Uhlenbruck, InsO, § 180 Rz. 26. 4 BGH v. 31.10.2012 – III ZR 204/12, ZIP 2012, 2369; hierzu krit. Eckardt, EWiR 2012, 799. 5 BGH v. 23.6.1988 – IX ZR 172/87, ZIP 1988, 979. 6 OLG Brandenburg v. 10.6.2010 – 12 U 198/09, ZIP 2010, 2318. 7 BGH v. 18.2.1965 – II ZR 205/61, WM 1965, 626. 8 BGH v. 23.6.1988 – IX ZR 172/87, ZIP 1988, 979. 9 Pape/Schaltke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 179 Rz. 5 ff. (40 Lfg. 5/2010).
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Beratung im erçffneten Verfahren
Rz. 312a
§6
(4) Streitwert und Kostenentscheidung Der Wert des Streitgegenstandes einer Klage auf Feststellung der bestrittenen For- 311 derung bestimmt sich nach dem Betrag, der bei der Verteilung der Insolvenzmasse zu erwarten ist, § 182 InsO. Es ist zu fragen, welchen Betrag der klagende Gläubiger bei einer Verurteilung der Insolvenzmasse bekommen würde1. Ist mit einer Quote nicht zu rechnen, muss der Streitwert auf die niedrigste Gebührenstufe festgesetzt werden2. Da der Gläubiger die Quotenaussichten regelmäßig nicht beurteilen kann, ist der Verwalter verpflichtet, hierzu gegenüber dem Gericht und den Parteien geschätzte Angaben zu machen3. Das Gericht kann auch eine eigene Schätzung vornehmen und hat insoweit richterliches Ermessen4. Bei der Klage auf Feststellung, dass dem Gläubiger ein Anspruch aus einer unerlaubten Handlung zusteht, ist der Streitwert nicht auf den vollen Nennwert der (vom Schuldner unbestrittenen) Forderung festzusetzen, sondern es muss ein Abschlag gemacht werden5. Der Streitwert wird nicht davon beeinflusst, dass der Gläubiger für seine Forderun- 311a gen Sicherheiten hat, gleichgültig, ob es sich um Drittsicherheiten oder ein Absonderungsrecht handelt6. § 182 InsO ist nicht auf Klagen gegen den Widerspruch des Schuldners – nachfolgend unter Rz. 313 ff. – anwendbar. Die Klage hat in diesem Fall nur Bedeutung für die Vollstreckungsmöglichkeit nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 201 InsO). Deshalb ist der Streitwert auch um die voraussichtliche Quotenzahlung zu reduzieren. Die Kostenentscheidung richtet sich so wie üblich nach dem Umfang des Obsiegens. Unterliegt der klagende Gläubiger, so steht der Masse ein Kostenerstattungsanspruch zu, gegen den der Gläubiger nicht mit einer anderen – unstreitigen – Insolvenzforderung aufrechnen kann. Unterliegt der Verwalter, so bekommt der Gläubiger eine Masseforderung. Richtete sich die Klage gegen einen anderen Gläubiger, so hat dieser keinen Ausgleichsanspruch gegenüber der Masse7.
312
Auch wenn die Forderung nicht vorläufig, sondern „normal“ oder ausdrücklich end- 312a gültig bestritten worden ist, könnte bei einem sofortigen Anerkenntnis nach § 93 ZPO die Kostenlast den Gläubiger treffen, nämlich dann, wenn er den Verwalter vor Klageerhebung nicht zunächst zur Rücknahme des Widerspruchs aufgefordert hat oder wenn der Gläubiger erst im Klageverfahren die erforderlichen Forderungsnachweise vorlegt bzw. Schlüssigkeitsmängel in der Forderungsmeldung beseitigt8. Dieser Rechtsauffassung folgt der BGH allerdings nur eingeschränkt: Wenn dem Schuldner schon im Zeitpunkt der insolvenzbedingten Unterbrechung des Verfahrens ein sofortiges Anerkenntnis versagt war, so hat dies auch für den Insolvenzverwalter Konsequenzen. Erkennt er den Anspruch, den er zunächst im Prüfungstermin bestritten hat, im anschließenden Feststellungsprozess an, so habe er die Kosten als Masseverbindlichkeit zu tragen. Eine solche Kostenlastverteilung greift auch in den Fällen, in denen der Insolvenzverwalter den Gläubiger nicht auf offensichtliche Mängel bei der 1 OLG Köln v. 29.1.2003 – 2 W 14/03, NZI 2003, 568. 2 OLG Düsseldorf v. 11.3.1994 – 17 W 1/94, ZIP 1994, 638 (639); a.A. OLG Rostock v. 28.4.2003 – 3 W 43/03, ZInsO 2004, 46, zumindest dann, wenn der Verwalter eine materiell-rechtlich aussichtsreiche und auch durchsetzbare Forderung verfolgt. 3 Kießner in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 182 Rz. 7. 4 LAG Frankfurt v. 5.8.2013 – 1 Ta 217/13, ZIP 2014, 444. 5 OLG Celle v. 26.9.2006 – 4 W 178/06, ZInsO 2007, 42; Bestätigung BGH v. 22.1.2009 – IX ZR 235/08, ZIP 09, 435: Der Streitwert einer Klage, mit der die Feststellung begehrt wird, eine angemeldete Forderung beruhe auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, bemisst sich nicht nach dem Nennwert der Forderung. Maßgeblich sind vielmehr die späteren Vollstreckungsaussichten des Insolvenzgläubigers nach Beendigung des Insolvenzverfahrens und Erteilung der Restschuldbefreiung. Wenn diese nur als gering anzusehen sind, kann ein Abschlag von 75 Prozent des Nennwerts der Forderung angemessen sein. 6 BGH v. 12.11.1992 – VII ZB 13/92, ZIP 1993, 50. 7 Jaeger, KO, § 147 Rz. 4. 8 OLG Dresden v. 3.2.1997 – 13 W 935/96, ZIP 1997, 327 mit Anm. Voß, EWiR 1997, 331; LG Berlin v. 5.4.2013 – 83 T 66/13, ZInsO 2013, 1269; OLG Stuttgart v. 29.4.2008 – 10 W 21/08, ZIP 2008, 1718.
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§6
Rz. 312b
Beratung des ungesicherten Glubigers
Forderungsanmeldung hingewiesen hat1, Der Kostenerstattungsanspruch sei auch insgesamt Masseverbindlichkeit, also auch für den Zeitraum vor der Unterbrechung2. 312b
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Hinweis für den beratenden Anwalt: Einem Gläubiger ist deshalb dringend anzuraten, – bei vorläufigem Bestreiten den Verwalter zu einer endgültigen Erklärung aufzufordern; – bei „normalem“ oder endgültigem Bestreiten – zunächst außergerichtlich auf Beseitigung des Widerspruchs zu drängen; – zu überprüfen, ob die Anmeldung den Vorschriften des § 174 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 InsO entsprach und notfalls den Forderungsgrund zu konkretisieren sowie die Belege zu übersenden.
(5) Widerspruch des Schuldners 313 Hat der Schuldner eine Forderung bestritten, so kann der Gläubiger auch ihm gegenüber Feststellungsklage erheben oder ihm gegenüber den Rechtsstreit aufnehmen, § 184 InsO3. Dies ist wegen § 201 InsO wichtig. Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens können hiernach die Gläubiger ihre (restlichen) Forderungen gegenüber dem Schuldner unbeschränkt geltend machen, soweit keine Restschuldbefreiung erteilt worden ist. Aus der Eintragung in die Tabelle können die Gläubiger jedoch nur dann wie aus einem vollstreckbaren Urteil die Zwangsvollstreckung betreiben, wenn die Forderung nicht vom Schuldner bestritten worden ist. 314 Für ein mögliches Restschuldbefreiungsverfahren hat der Widerspruch des Schuldners jedoch keine Bedeutung. Grundlage für die Verteilungen des Treuhänders während der Wohlverhaltensperiode ist das Schlussverzeichnis, § 292 Abs. 1 Satz 2 InsO (vgl. hierzu auch § 16 Rz. 404 ff.). In ein Verteilungsverzeichnis nach § 188 InsO gehören die nach den §§ 174 ff. InsO festgestellten Forderungen4. Eine Forderung gilt als festgestellt, soweit ein Widerspruch weder vom Insolvenzverwalter noch von einem Insolvenzgläubiger erhoben wird. Ein Widerspruch des Schuldners steht der Feststellung der Forderung nicht entgegen, § 178 Abs. 1 InsO. Zum Streitwert einer Klage gegenüber dem Schuldner verweise ich auf die Ausführungen unter Rz. 311 f. (6) Wirkung der Entscheidung im Feststellungsprozess 315 Eine rechtskräftige Entscheidung, durch die eine Forderung festgestellt oder ein Widerspruch für begründet erachtet wird, wirkt gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern, § 183 Abs. 1 InsO. Für den Schuldner, der die Forderung selbst nicht bestritten hat, hat die Feststellungsentscheidung die Folge, dass nach entsprechender Korrektur der Tabelle hieraus ein Titel mit Zwangsvollstreckungsmöglichkeit gebildet werden kann. 315a Der obsiegenden Partei obliegt es, beim Insolvenzgericht die Berichtigung der Tabelle zu beantragen, § 183 Abs. 2 InsO. Gegen die Vornahme der Berichtigung durch das Insolvenzgericht ist kein Rechtsmittel gegeben5; lehnt es dagegen die Berichtigung ab, so ist gegen diese Entscheidung die Erinnerung möglich (§ 6 Abs. 1 InsO, § 11 RPflG)6.
1 OLG Stuttgart v. 29.4.2008 – 10 W 21/08, ZIP 2008, 1718; zustimmend Schröder, EWiR 2008, 695. 2 BGH v. 28.9.2006 – IX ZB 312/04, ZIP 2006, 2132. 3 Hierfür gilt nicht die 2-Wochenfrist des § 189 InsO, BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 8/05, ZIP 2007, 876; OLG Stuttgart v. 20.2.2008 – 10 U 3/08, ZIP 2008, 2090. 4 Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 188 Rz. 3 (36. Lfg. 5/2009). 5 Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, InsO, § 183 Rz. 9. 6 Graf-Schlicker in Graf-Schlicker, InsO, § 183 Rz. 9; MünchKommInsO/Schumacher, Bd. 2, § 183 Rz. 8; a.A. Pape/Schaltke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 183 Rz. 17 (40. Lfg. 5/2010).
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Rz. 319a
§6
ii) Verteilungen – Grundsätzliches Mit der Befriedigung der Insolvenzgläubiger kann erst nach dem allgemeinen Prü- 316 fungstermin begonnen werden, § 187 Abs. 1 InsO. Die Verteilungen werden vom Insolvenzverwalter vorgenommen. Ist ein Gläubigerausschuss bestellt, so ist dessen Zustimmung vor der Verteilung einzuholen, § 187 Abs. 3 InsO. Versäumt dies der Verwalter, so hat dies für die Wirksamkeit der Ausschüttungen keine Folge. Obwohl nach den Regeln des BGB, § 269, nur eine Holschuld besteht, nimmt der Verwalter üblicherweise Überweisungen vor – allerdings auf Kosten und Gefahr der Gläubiger.
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Hinweis: 316a Da Kosten auf beiden Seiten anfallen, wird in der Praxis gelegentlich überlegt, ob es nicht besser ist, auf die Auszahlung von Kleinbeträgen zu verzichten. Anwaltliche Beratung sollte dahin gehen, die Mandanten zu veranlassen, für Beträge unter 10 Euro schon mit der Forderungsanmeldung ausdrücklich einen Auszahlungsverzicht zu erklären.
Folgende Verteilungen sind möglich: – Abschlagsverteilungen, – Schlussverteilungen, – Nachtragsverteilungen.
317
jj) Abschlagsverteilungen und Schlussverteilungen Die beiden Verteilungsmöglichkeiten sind in den §§ 187 ff. InsO im Einzelnen geregelt, 318 ohne dass in der Paragraphenfolge eine Trennung vorgenommen wird. In einigen Vorschriften werden beide Verteilungen unter einheitlichen Oberbegriffen angesprochen, so in § 191 InsO und § 206 InsO. Der Gesetzgeber spricht darüber hinaus im Zusammenhang mit der Schlussverteilung auch den Verfahrensabschluss an. Nachstehend werden deshalb diese Themen nur teilweise chronologisch behandelt und die Durchführung der beiden Verteilungsarten unter Rz. 330 ff. am Schluss einheitlich erörtert. Zur Nachtragsverteilung verweise ich hingegen gesondert auf die Rz. 367 ff. Eine Abschlagsverteilung kann dann erfolgen, wenn der allgemeine Prüfungstermin 318a stattgefunden hat und eine erste Verteilung vom Massebestand her lohnend ist, § 187 InsO. Bork plädiert allerdings dafür, statt eine Abschlagsverteilung vorzunehmen, bestimmte Tätigkeiten einer Nachtragsverteilung vorzubehalten, denn die Beendigung eines Insolvenzverfahrens unter Vorbehalt der Nachtragsverteilung sei mit dem Gesetz vereinbar und daher auch zulässig, wenn die Vermögensverwertung im wesentlichen abgeschlossen sei und nur noch einzelne Maßnahmen ausstünden1. Die Schlussverteilung hingegen erfolgt, sobald die Verwertung der Insolvenzmasse 318b beendet ist, § 196 InsO. Anhängige Aktiv- und Passivprozesse sollen die Schlussverteilung nicht hindern, eine Rechtsauffassung, die eigentlich im Widerspruch zum Wortlaut des Gesetzes (auch schon bei der KO, § 161) steht, für die jedoch im Einzelfall Praktikabilitätsüberlegungen sprechen. kk) Abschluss des Verfahrens (1) Schlussrechnung und Schlussbericht Die Schlussverteilung setzt – wie sich aus § 197 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 2 InsO ergibt – ein 319 Schlussverzeichnis voraus. Üblicherweise übersendet der Verwalter zusammen mit dem Antrag auf Zustimmung zur Schlussverteilung nicht nur das Schlussverzeichnis, sondern auch eine Schlussrechnung und einen Schlussbericht. Wie die Schlussrechnung auszusehen hat, ist im Gesetz nicht geregelt. § 66 InsO be- 319a stimmt lediglich ganz allgemein, dass der Verwalter bei der Beendigung seines Amtes einer Gläubigerversammlung Rechnung zu legen hat. Ausgehend von den Anfangsverzeichnissen der §§ 151–153 InsO wird allgemein angenommen, dass der Verwalter eine Einnahmen- und Ausgabenrechnung, einen Schlussbericht und ein Schlussver1 Bork, ZIP 2009, 2077.
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§6
Rz. 320
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zeichnis (Verteilungsverzeichnis nach § 188 InsO) vorzulegen hat1. Schlussbericht und Schlussverzeichnis sind demnach Teil der Schlussrechnung. 320 Die Einnahmen- und Ausgabenrechnung ist aus der Insolvenzbuchhaltung abzuleiten. Regelmäßig reicht eine pagatorische Journal-Buchführung in Form einer doppelten Buchführung für den reinen Geldverkehr aus. Im Einzelfall kann jedoch auch eine handelsrechtliche Buchführung geboten sein. Üblich ist im Übrigen eine Gliederung in Einnahmen- und Ausgabenarten nach dem Kontenplan, der der laufenden Insolvenzbuchhaltung zugrunde gelegen hat. Die Kontenrahmen SKR 3 oder SKR 4 sind anzuwenden; so genannte Radierbuchungen müssen von vornherein vermieden werden2. Mit der Einnahmen- und Überschussrechnung sind sämtliche Belege im Original vorzulegen. 321 Die Berichterstattung wird vom Gesetzgeber nur im Zusammenhang mit dem Berichtstermin erwähnt. Nach allgemeiner Meinung ist sie jedoch auch zum Abschluss des Verfahrens notwendig3. Sie entspricht allgemeinen Grundsätzen bei der Verwaltung fremden Vermögens. Außerdem bedürfen die Zahlen der Schlussrechnung regelmäßig einer Erläuterung. 321a
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Hinweis: Gegenüber den einzelnen Insolvenzgläubigern bestehen dagegen keine Berichtspflichten. Die Gläubiger sind darauf angewiesen, die Schlussrechnung und die dazugehörenden Erläuterungen bei Gericht einzusehen oder im Schlusstermin die Auskunftserteilung zu beantragen.
322 Die Schlussrechnung, genauer der Schlussbericht, ist ein Tätigkeitsbericht und muss die Insolvenzabwicklung transparent machen4. Der Bericht darf sich deshalb nicht auf die Darstellung des Geldverkehrs beschränken, sondern hat zusätzlich folgende Bereiche anzusprechen: – Verwertung und Freigabe massezugehöriger Gegenstände; – die Behandlung der Rechtsgeschäfte und Prozesse, die bei Verfahrenseröffnung anhängig waren oder später begonnen worden sind; – Anfechtungsansprüche; – Aus- und Absonderungsrechte; – den Neuerwerb; – die Entstehung und Befriedigung von Masseansprüchen; – wesentliche Tätigkeiten des Gläubigerausschusses; – das Ergebnis einer Unternehmensfortführung. 322a Bei umfangreichen Rechenwerken darf sich das Gericht im Rahmen der Überprüfung auf Stichproben beschränken5. Die Rechnungslegung des Verwalters ist in formeller und materieller Hinsicht zu überprüfen. Das Gericht hat jedoch nicht die Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit des Verwalterhandelns zu beurteilen6. 323 Im Rahmen der formellen Prüfung befasst sich das Gericht mit der äußeren Ordnungsmäßigkeit, insbesondere der rechnerischen Richtigkeit: Vollständigkeit des Belegwesens, Trennung von Ein- und Ausgaben nach den Kriterien des Buchungsplans, korrekte Übernahme der Einzelzahlen bzw. ihrer Summen in die Schlussrechnung bzw. Schlussbilanz usw. 324 Bei der materiellen Schlussrechnungsprüfung geht es vor allem um die Frage, ob die Verwertung des schuldnerischen Vermögens nachvollziehbar ist und ob alle persönlichen Entnahmen des Verwalters rechtmäßig waren, wobei das Gericht besonders da1 Blümle in Braun, InsO, § 66 Rz. 9 f.; Eickmann in HK-InsO, § 66 Rz. 7 f.; Harbeck, auch im Hinblick auf einen möglichen Insolvenzplan, ZInsO 2014, 388. 2 GOI; ZIP 2011, 1489. 3 Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, § 66 Rz. 37. 4 OLG Nürnberg v. 2.7.1965 – 1 U 20/65, KTS 1966, 62. 5 Bähner, KTS 1991, 347. 6 Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, § 66 Rz. 31.
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Rz. 327a
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rauf achten wird, ob nicht irgendwelche Vergütungen dem Verwalter indirekt zufließen, bspw. aufgrund von Rechnungen für Tätigkeiten, die an sich mit der Vergütung nach der InsVV abgegolten sind. Besteht ein Gläubigerausschuss, muss die Schlussrechnung von ihm geprüft werden. 325 Dies ergibt sich aus § 66 Abs. 2 Satz 2 InsO, wonach die Schlussrechnung mit „dessen Bemerkungen“ zur Einsicht der Beteiligten auszulegen ist. Die Prüfungspflicht des Ausschusses ergibt sich indirekt auch aus § 187 Abs. 3 Satz 2 InsO: Die Zustimmung zu Verteilungen, hier der Schlussverteilung, verlangt eine vorherige Überprüfung der Schlussrechnung, weil sich hieraus der Verteilungsprozentsatz ergibt. Nach allgemeiner Rechtsansicht kann das Gericht die Schlussrechnung auch durch 325a einen Sachverständigen prüfen lassen1, was jedoch zumindest bei vorangegangener Prüfung durch den Ausschuss ein kaum zu vertretender Kostenaufwand ist. Allerdings ist der Insolvenzverwalter in einem solchen Fall nicht gehalten, bei Insolvenzverfahren von erheblichem Umfang, die Unterlagen dem Sachverständigen zuzusenden. Es besteht jedoch die Verpflichtung, diese zumindest in den Räumlichkeiten des Insolvenzgerichts vorzulegen2. Verweigert der Insolvenzverwalter auch diese Handlung, kann gegen ihn ein Zwangsgeld festgesetzt werden3. Das Gericht legt die Schlussrechnung mit den Belegen, mit einem Vermerk über die Prüfung und, wenn ein Gläubigerausschuss bestellt ist, mit dessen Bemerkungen zur Einsicht der Beteiligten aus, § 66 Abs. 2 Satz 2 InsO. Die Auslegung erfolgt regelmäßig auf der Geschäftsstelle; für das Schlussverzeichnis darf ohnehin nach § 188 Satz 2 InsO auch kein anderer Ort gewählt werden.
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Der Zeitraum zwischen der Auslegung der Unterlagen und dem Termin der Gläubi- 326a gerversammlung (Schlusstermin) soll mindestens eine Woche betragen, § 66 Abs. 2 Satz 3 InsO. Der Schlusstermin dient unter anderem „zur Erörterung der Schlussrechnung des Insolvenzverwalters“, § 197 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 1 InsO. Die Konkursordnung sah noch vor, dass die Schlussrechnung als anerkannt gilt, soweit im Schlusstermin Einwendungen gegen die Rechnung nicht erhoben wurden, § 86 Satz 4 KO. Die InsO kennt keine entsprechende Bestimmung, was vor allem für die Entlastung des Verwalters und damit für Haftungsfragen Bedeutung hat4. (2) Schlussverzeichnis Das Schlussverzeichnis basiert auf der Insolvenztabelle. In dem Verzeichnis sind alle 327 bei der Schlussverteilung zu berücksichtigenden Forderungen aufzunehmen. Wegen der Einzelheiten siehe später unter Rz. 330 ff. Nach einem Beschluss des BGH v. 22.3.20075 hat die Genehmigung der Schlussvertei- 327a lung den Ausschluss aller nicht im Schlussverzeichnis aufgeführten Insolvenzforderungen zur Folge. Auch wenn ein Gläubiger bereits einen Vollstreckungstitel hat, kann er eine Änderung des Schlussverzeichnisses nach § 189 InsO nur durch die Erhebung einer Feststellungsklage erreichen. Dies ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. Zu spät kommende Gläubiger haben durchaus das Interesse, noch Teilnahmerechte im Verfahren zu bekommen, insbesondere was die Stellung von Versagungsanträgen angeht. Deshalb sind Forderungsanmeldungen grundsätzlich bis zum Schlusstermin zulässig. Die Prüfung erfolgt gegebenenfalls in einem mit dem Schlusstermin verbundenen nachträglichen Prüfungstermin. Die Grenze ist jedoch die Ladungsfrist des § 177 Abs. 2 InsO, deren Einhaltung dem Insolvenzgericht ohne
1 OLG Stuttgart v. 15.10.2009 – 8 W 265/09, ZIP 2010, 491; Eickmann, EWiR 1986, 399; hierzu krit. Weitzmann, ZInsO 2007, 449 sowie Hebenstreit, ZInsO 2013, 276; befürwortend Graeber/Graeber, NZI 2014, 298; LG München II v. 5.9.2013 – 7 T 3096/13, ZIP 2013, 2475, speziell zur Befangenheit des Schlussrechnungsprüfers. 2 BGH v. 7.4.2011 – IX ZB 170/10, ZIP 2011, 1123; hier verlangte der Sachverständige die Zusendung von 500 Ordnern. 3 BGH v. 7.4.2011 – IX ZB 170/10, ZIP 2011, 1123. 4 Onusseit in Kübler/Prütting, InsO, § 66 Rz. 32 (33. Lfg. 8/2008). 5 BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 8/05, NZI 2007, 401; Köster, EWiR 2007, 627.
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Vertagung des Schlusstermins möglich bleiben muss. Ein Anspruch des säumigen Gläubigers auf Prüfung seiner Forderung in einem nachträglichen Prüfungstermin vor Veröffentlichung der Schlussverteilung besteht bis zu diesem Zeitpunkt nur, soweit hierdurch nicht ein bereits festgesetzter Schlusstermin versagt werden müsste1. 327b Nach dem Schlusstermin sind natürlich keine Forderungsanmeldungen mehr möglich. Dies hat vor allem für ein sich anschließendes Restschuldbefreiungsverfahren Bedeutung. Dort ist für eine Forderungsprüfung kein Raum mehr. Der Gläubiger, der vergessen hat, im eröffneten Insolvenzverfahren die Forderung anzumelden, verliert diese endgültig2. 327c Das Schlussverzeichnis ist auf der Geschäftsstelle zur Einsicht der Beteiligten niederzulegen, § 188 Satz 2 InsO. Der Verwalter hat die Summe der Forderungen und den für die Verteilung verfügbaren Betrag öffentlich bekannt zu machen, § 188 Satz 3 InsO. Auf diese Weise sollen die Gläubiger erfahren, welche Zahlung sie erwarten und wo sie das Verzeichnis einsehen können. 327d Die Rechtsprechung nimmt an, dass das Insolvenzgericht nicht verpflichtet ist, das Verzeichnis auf Vollständigkeit und Richtigkeit zu überprüfen3. In der Praxis findet jedoch regelmäßig eine Überprüfung mit entsprechenden Hinweisen an den Verwalter statt. Dies ändert nichts an der Tatsache, dass der Verwalter die alleinige Verantwortung für die Richtigkeit des Verzeichnisses trägt, was im Rahmen des § 60 InsO haftungsrechtliche Bedeutung hat4. Hierzu verweise ich auf meine obigen Ausführungen unter Rz. 207 ff. (3) Schlusstermin 328 Gleichzeitig mit der Zustimmung zur Schlussverteilung bestimmt das Insolvenzgericht den Termin für eine abschließende Gläubigerversammlung, § 197 Abs. 1 Satz 1 InsO. Funktion des Schlusstermins: – Erörterung der Schlussrechnung; – Erhebung von Einwendungen gegen das Schlussverzeichnis; – Entscheidung der Gläubiger über nicht verwertbare Gegenstände der Insolvenzmasse. 329 Eine Ladung der Gläubiger ist nicht vorgesehen, geschieht jedoch in der Praxis regelmäßig. Das Gericht hat den Termin jedoch öffentlich bekannt zu machen. Zwischen dieser Bekanntmachung und dem Termin soll eine Frist von mindestens einem Monat und höchstens zwei Monaten liegen, § 197 Abs. 2 InsO. Der Termin wird in vielen Bundesländern im Regierungsamtsblatt und im Internet bekanntgemacht. 329a
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Hinweis: Der Schlusstermin kann mit einem Termin zur Prüfung von nachträglich angemeldeten Forderungen verbunden werden. Dies geht jedoch dann nicht, wenn Forderungen anerkannt werden sollen, auf die laut Schlussverzeichnis eine Quote entfallen würde. In dieses Verzeichnis könnten nämlich die Forderungen wegen der Bekanntmachungsvorschriften nicht mehr aufgenommen werden.
ll) Durchführung der Verteilungen 330 Die Verteilungen werden vom Insolvenzverwalter vorgenommen, § 187 Abs. 3 Satz 1 InsO. Vor einer Verteilung – gleichgültig ob Abschlags- oder Schlussverteilung – hat der Verwalter ein Verzeichnis der Forderungen aufzustellen, die bei der Verteilung zu berücksichtigen sind, § 188 Satz 1 InsO. Grundlage dieses Verzeichnisses ist die Insolvenztabelle nach § 175 InsO.
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Gerbers/Pape, ZInsO 2006, 685. AG Potsdam v. 25.8.2006 – 35 IK 440/05, ZIP 2006, 2230. RG v. 7.4.1937 – V 290/36, RGZ 154, 291 (298). OLG Hamm v. 29.11.1982 – 5 U 232/81, ZIP 1983, 341; K. Schmidt/Thole, § 60 InsO Rz. 22.
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Hinweis: Besonderheiten gelten bei der Verteilung für – bestrittene Forderungen, § 189 InsO; – Forderungen absonderungsberechtigter Gläubiger, § 190 InsO; – bedingte Forderungen, § 191 InsO; – Doppelhaftungsfälle, §§ 43 f. InsO.
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(1) Bestrittene Forderungen Ein Insolvenzgläubiger, dessen Forderung nicht festgestellt und für dessen Forderung ein vollstreckbarer Titel oder ein Endurteil nicht vorliegt, hat spätestens innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Wochen nach der öffentlichen Bekanntmachung dem Insolvenzverwalter nachzuweisen, dass und für welchen Betrag die Feststellungsklage erhoben oder das Verfahren in dem früher anhängigen Rechtsstreit aufgenommen ist. Die bloße Zusendung der Klageschrift an den Verwalter mit der Erklärung, diese eingereicht zu haben, reicht für den erforderlichen Nachweis nicht aus. Diese kann etwa durch Vorlage einer schriftlichen Eingangsbestätigung des Prozessgerichts, Übersendung einer Kopie der Klageschrift mit dem Eingangsstempel des Gerichts, durch eidesstattliche oder auch ausdrückliche anwaltliche Versicherung der persönlichen Abgabe der Klageschrift geführt werden1. Wird der Nachweis rechtzeitig geführt, so wird der auf die Forderung entfallende Anteil bei der Verteilung zurückbehalten, solange der Rechtsstreit anhängig ist. Wird der Nachweis nicht rechtzeitig geführt, so wird die Forderung bei der Verteilung nicht berücksichtigt, § 189 InsO. –
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Diese Ausschlussfrist ist keine Notfrist im Sinne der §§ 224 Abs. 1 Satz 2, 233 ZPO, so dass beim Versäumen eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nicht in Frage kommt. Ist die bestrittene Forderung tituliert, so ist sie im Verzeichnis zu berücksichtigen 331a (Umkehrschluss aus der insoweit unvollständigen Formulierung des Gesetzes). Verfolgt der Bestreitende entgegen § 179 Abs. 2 InsO nicht den Widerspruch, kann auch ausgezahlt werden. Anderenfalls kommt nur eine Zurückbehaltung in Frage2. Diese erfolgt auch, wenn der Nachweis der Klageerhebung rechtzeitig geführt wird, und zwar so lange, wie der Rechtsstreit anhängig ist. Die zweiwöchige Ausschlussfrist beginnt mit der öffentlichen Bekanntmachung. Sie 331b gilt als bewirkt, sobald nach dem Tag der Veröffentlichung zwei weitere Tage verstrichen sind, § 9 Abs. 1 Satz 3 InsO.
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Hinweis: – Die äußerst knapp bemessene Frist kann nicht verlängert werden, weder durch das Gericht noch durch den Verwalter. – Auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht möglich, weil die Ausschlussfrist keine Notfrist im Sinne der §§ 224 Abs. 1 Satz 2, 233 ZPO ist3. – Der Nachweis ist gegenüber dem Verwalter, nicht gegenüber dem Gericht zu führen. Leitet das Gericht einen bei ihm eingegangenen Nachweis an den Verwalter weiter, so gehen Verspätungen zu Lasten des Gläubigers.
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(2) Forderungen absonderungsberechtigter Gläubiger Bei diesen Gläubigern sieht das Gesetz unterschiedliche Regeln für die Verteilung vor, je nachdem ob es sich um eine Schlussverteilung oder nur um eine Abschlagsverteilung handelt. Die grundsätzliche Regelung findet sich in § 190 Abs. 1 InsO und gilt nur für Schlussverteilungen sowie für die später unter Rz. 367 ff. noch zu behandelnden Nachtragsverteilungen. Hiernach hat ein Gläubiger, der zur abgesonderten Befriedigung berechtigt ist, dem Insolvenzverwalter nachzuweisen, dass und für wel-
1 BGH v. 13.9.2012 – IX ZB 143/11, ZIP 2012, 2071. 2 Eckardt in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, Rz. 64 seines dortigen Beitrages. 3 Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, § 189 Rz. 7.
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chen Betrag er auf abgesonderte Befriedigung verzichtet1 hat oder bei ihr ausgefallen ist. Der Nachweis ist innerhalb der oben erwähnten Zweiwochenfrist des § 189 Abs. 1 InsO zu führen. Wird der Nachweis nicht rechtzeitig geführt, so findet die Forderung bei der Verteilung keine Berücksichtigung. 333a Bei einer Abschlagsverteilung genügt es dagegen für die Berücksichtigung, wenn der Gläubiger – auch hier gilt wiederum die Ausschlussfrist des § 189 Abs. 1 InsO – nachweist, dass die Verwertung des Gegenstandes betrieben wird; er muss darüber hinaus den Betrag des mutmaßlichen Ausfalls glaubhaft machen. In diesem Fall wird der auf die Forderung entfallende Anteil bei der Verteilung in der Weise berücksichtigt, dass eine Zurückbehaltung erfolgt. Der zurückbehaltene Anteil wird dann wiederum im Rahmen der Schlussverteilung an den Gläubiger ausgezahlt, wenn dieser in diesem späteren Stadium fristgemäß seinen Ausfall nachweist. Andernfalls gelangt der Betrag in die allgemeine Auszahlung an die Gesamtgläubigerschaft. 334 Im dritten Absatz von § 190 wird darauf abgestellt, dass eigentlich der Verwalter zur Verwertung des Gegenstandes berechtigt ist, jedenfalls soweit bewegliches Vermögen als Sicherheit dient. Es ist dann seine Sache, für die Abschlagsverteilung und die Schlussverteilung den Ausfall zu ermitteln. Hat der Verwalter den Gegenstand bis zur Abschlagsverteilung noch nicht verwerten können, so muss er den Ausfall des Gläubigers schätzen und den auf dessen Forderung entfallenden Anteil zurückbehalten. 334a Die Fristen der ersten beiden Absätze von § 190 InsO können für die Gläubiger höchst gefährlich werden, dies um so mehr als nach der Rechtsprechung ein Verwalter nicht verpflichtet ist, den Gläubiger auf den Fristablauf hinzuweisen2. 334b Der Nachweis des Ausfalls ist erst mit Verwertung des Absonderungsgutes möglich. Er kann nicht durch Gutachten oder Ähnliches geführt werden. Die Rechtsprechung hat allerdings unter bestimmten Voraussetzungen die Vorlage des Gutachtens als Erklärung angesehen, sich nur in Höhe dieses Wertes aus dem Gegenstand zu befriedigen und im Übrigen zu verzichten3. 334c
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Hinweis: Deshalb sollte dem Gläubiger geraten werden, ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass er keinen Verzicht erklären will.
(3) Bedingte Forderungen 335 Eine Sonderregelung gibt es nur bei aufschiebenden Bedingungen, nicht bei auflösenden Bedingungen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass auflösend bedingte Forderungen nach § 42 InsO wie unbedingte Forderungen behandelt werden. Sind sie zur Tabelle festgestellt, müssen sie bei den Verteilungen normal berücksichtigt werden, es sei denn, die Bedingung ist vor der Verteilung eingetreten (das Recht hat sich aufgelöst!). 335a Bei den aufschiebend bedingten Forderungen wird wiederum zwischen der – Abschlagsverteilung und der – Schlussverteilung unterschieden. Ist also der Forderungsbeginn von einem zukünftigen ungewissen Ereignis abhängig, so gilt Folgendes: 336 Die Forderung ist bei Abschlagsverteilungen nach § 191 Abs. 1 Satz 1 InsO mit ihrem vollen Betrag zu berücksichtigen. Da jedoch noch ungewiss ist, wann die Bedingung eintritt, darf keine Auszahlung erfolgen, sondern nur eine Zurückbehaltung, § 191 Abs. 1 Satz 2 InsO.
1 Zu den Anforderungen einer Verzichtserklärung vgl. BGH v. 2.12.2010 – IX ZB 61/09, ZIP 2011, 180. 2 OLG Hamm v. 1.6.1994 – 15 W 123/93, ZIP 1994, 1373 (1376); Johlke, EWiR 1994, 901. 3 RG v. 9.2.1918 – V 272/17, RGZ 92, 181 (191).
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Beratung nach Beendigung des Verfahrens
Rz. 343
§6
Bei der Schlussverteilung wird eine aufschiebend bedingte Forderung nicht berücksichtigt, wenn die Möglichkeit des Eintritts der Bedingung so fernliegt, dass die Forderung zur Zeit der Verteilung keinen Vermögenswert hat, § 191 Abs. 2 Satz 1 InsO. Ist der Bedingungseintritt dagegen nahe liegend, ist der auf die aufschiebend bedingte Forderung entfallende Betrag nicht auszuzahlen, sondern zurückzubehalten. Eine Auszahlung erfolgt erst mit Eintritt der Bedingung. Tritt diese nicht ein, wird der hinterlegte Betrag einer Nachtragsverteilung zugeführt1. Zu dieser siehe insbesondere unter Rz. 367 ff.
337
(4) Doppelhaftungsfälle Ein Gläubiger, dem mehrere Personen haften, kann im Insolvenzverfahren gegen je- 338 den Schuldner bis zu seiner vollen Befriedigung den ganzen Betrag geltend machen (§ 43 InsO). Erhält der Gläubiger Teilleistungen, so ist er nicht etwa gezwungen, nur noch die Restforderung zu verfolgen. Er kann vielmehr in jedem Verfahren die Quote auf die ursprüngliche Gesamtforderung verlangen2. Demgegenüber werden Gesamtschuldner und Bürge bei der Geltendmachung ihrer 339 Forderungen eingeschränkt. In Abweichung von dem Grundsatz, dass aufschiebend bedingte Forderungen anmeldbar sind, bestimmt § 44 InsO, dass bei Verfahrensteilnahme des noch nicht befriedigten Gläubigers ein Mithaftender seine durch den Fall einer erst künftigen Leistung bedingte Forderung nicht bereits vorher anmelden kann. V. Beratung nach Beendigung des Verfahrens Sucht der Mandant anwaltlichen Rat, nachdem er bei der Schlussverteilung ganz 340 oder teilweise leer ausgegangen ist bzw. meldet sich der Mandant, weil er erfährt, dass das Verfahren ohne Schlussverteilung sein Ende gefunden hat, stehen folgende Themen an: – Ist das Verfahren tatsächlich beendet? – Welche Konsequenzen hat dies für seine ungesicherte Forderung? 1. Beendigungstatbestände Das Gesetz kennt zwei Formen der Verfahrensbeendigung: – die Aufhebung; – die Einstellung.
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a) Aufhebung Sie wird in der Insolvenzordnung an drei Stellen erwähnt, genauer: Das Gesetz kennt 342 drei verschiedene Aufhebungsgründe: – die Durchführung der Schlussverteilung, § 200 InsO; – die Bestätigung eines Insolvenzplans, § 258 InsO; – die Rechtskraft einer Entscheidung, mit der der Eröffnungsbeschluss, § 27 InsO, aufgehoben worden ist, § 34 Abs. 3 InsO. aa) Durchführung der Schlussverteilung Sobald die Schlussverteilung vollzogen ist – dies hat der Insolvenzverwalter dem Ge- 343 richt nachzuweisen –, beschließt das Gericht die Aufhebung des Insolvenzverfahrens. Der Beschluss ist öffentlich bekannt zu machen, insbesondere im Bundesanzeiger zu veröffentlichen. Hatte das Gericht vor der Verfahrenseröffnung bestimmte Behörden benachrichtigt, so muss es jetzt wieder die gleichen Behörden verständigen.
1 Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 191 Rz. 7 (36. Lfg. 5/2009). 2 Zu den Einzelheiten vgl. Schmidt/Bitter, ZIP 2000, 1077 ff.
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§6 343a
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Rz. 343a
Beratung des ungesicherten Glubigers
Hinweis: Der Aufhebungsbeschluss ist unanfechtbar. Er erwächst mit Verkündung in Rechtskraft. Deshalb muss die Aufhebung trotz des Nachweises der Schlussverteilung durch den Verwalter aufgeschoben werden, solange über Einwendungen gegen das Verteilungsverzeichnis, § 197 Abs. 3 InsO in Verbindung mit § 194 InsO, noch nicht rechtskräftig entschieden ist1.
bb) Bestätigung eines Insolvenzplans 344 Sobald die Bestätigung des Insolvenzplans, § 248 InsO, rechtskräftig ist – auf die Erfüllung des Plans kommt es regelmäßig nicht an –, beschließt das Insolvenzgericht die Aufhebung des Verfahrens, § 258 InsO. Vor der Aufhebung hat der Verwalter die unstreitigen fälligen Masseansprüche zu berichtigen und für die streitigen oder nicht fälligen Sicherheit zu leisten2. Was die Bekanntmachung und die Anfechtbarkeit angeht, gilt das Gleiche wie bei § 200 InsO; auch hier unterliegt der Beschluss keinem Rechtsmittel – siehe § 6 InsO. cc) Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses nach § 34 Abs. 3 InsO 345 Gegen die Insolvenzeröffnung kann sich der Schuldner mit der Beschwerde wehren3. Zu den Einzelheiten siehe oben Rz. 144 ff. Das Insolvenzgericht kann nach § 6 Abs. 2 Satz 2 InsO abhelfen. Geschieht dies nicht, hebt aber das Landgericht den Eröffnungsbeschluss auf, so kann es bei Entscheidungsreife auch den zugrunde liegenden Eröffnungsantrag zurückweisen. 345a Wirksam wird die Aufhebungsentscheidung erst mit Rechtskraft. Erst dann hat das Gericht seine Entscheidung öffentlich bekannt zu machen, § 34 Abs. 3 Satz 1 und 2 i.V.m. § 200 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsO. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 InsO erfolgt die Bekanntmachung durch Veröffentlichung in dem für amtliche Bekanntmachungen des Gerichts bestimmten Blatt, wobei weitere oder wiederholte Veröffentlichungen veranlasst werden können. Um eine umfassende Unterrichtung des Geschäftsverkehrs sicherzustellen, sehen die §§ 34 Abs. 3 Satz 2, 200 Abs. 2 Satz 2 InsO darüber hinaus eine auszugsweise Veröffentlichung der Bekanntmachungen im Bundesanzeiger vor. Registergerichte und Grundbuchämter sind zu informieren, denn die mit dem Eröffnungsbeschluss einhergehenden Sperrvermerke müssen gelöscht werden, §§ 34 Abs. 3 Satz 2, 200 Abs. 2 Satz 3, 31–33 InsO. b) Einstellung 346 Sie kommt in Frage, wenn ein eröffnetes Verfahren vorzeitig beendet werden muss, weil sein Zweck – gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger – nicht erreicht werden kann. Hierfür kann es unterschiedliche Gründe geben: – zum einen die Massearmut, wobei hier wiederum zwei Varianten denkbar sind: – Einstellung mangels Masse, § 207 InsO; – Einstellung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit, § 211 InsO; – zum anderen, weil sich nachträglich wichtige Voraussetzungen geändert haben: – Wegfall des Eröffnungsgrundes, § 212 InsO; – weil die Gläubiger das Verfahren nicht mehr wollen, § 213 InsO. aa) Einstellung wegen Massearmut (1) Einstellung mangels Masse, § 207 InsO 347 Stellt sich nach Eröffnung des Verfahrens heraus, dass die Insolvenzmasse nicht ausreicht, um die Kosten des Verfahrens zu decken, so stellt das Insolvenzgericht das Verfahren ein. Zu berücksichtigen sind – genauso wie im Rahmen der Prüfung nach § 26 InsO – nur die Kosten im Sinne des § 54 InsO (Gerichtskosten, Verwalterkosten, 1 Depré in HK-InsO, § 200 Rz. 11. 2 Das Abstellen auf die Fälligkeit beruht auf einem Gesetz v. 7.12.2011, BGBl. I, S. 2582. 3 Kirchhof in HK-InsO, § 34 Rz. 8 ff.
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Beratung nach Beendigung des Verfahrens
Rz. 351
§6
Ausschusskosten). Unter den dortigen engen Verfahrenskostenbegriff fallen nicht allgemeine Verwaltungs- und Verwertungskosten, die bspw. für eine Bewachung, eine Versicherung, einen Prozess oder für Jahresabschlüsse anfallen. Zum Problem der so genannten unausweichlichen Verwaltungskosten siehe oben unter Rz. 124. Die Entscheidung ist in jedem Stadium des Verfahrens möglich, also schon kurz 347a nach der Eröffnung, aber auch noch nach Jahren, bspw. wenn sich dann erst zeigt, dass ein gerichtlich durchgesetzter Anspruch, der die eigentliche Masse ausmachte, nicht werthaltig ist. Bei seiner Entscheidung hat das Gericht einen gewissen Beurteilungsspielraum: un- 348 ter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung des Gerichts, § 287 ZPO in Verbindung mit § 4 InsO. Das Gericht hat hierbei auf die vorhandene Masse abzustellen; hierzu gehören auch alle der Masse zugewiesenen Haftungsansprüche und Nachschusspflichten. Die Entscheidung erfolgt von Amts wegen; einer Antragstellung bedarf es nicht – wobei in der Praxis der Entscheidung regelmäßig eine entsprechende Anregung des Verwalters vorausgehen dürfte und auch dessen Bewertung der Massebestandteile von Einfluss ist. Nach § 207 Abs. 1 Satz 2 InsO unterbleibt die Einstellung, wenn ein ausreichender 348a Geldbetrag vorgeschossen wird. Die Vorschussfrage spielt auch schon bei der erstmaligen Entscheidung des Gerichts nach § 26 InsO eine Rolle. Deshalb verweist § 207 auf § 26 Abs. 3 InsO, das heißt den dort normierten Erstattungsanspruch des Vorschussleistenden. Wer den Vorschuss leistet, ist unerheblich. Normalerweise geschieht dies durch den antragstellenden Gläubiger; aber auch ein anderer Gläubiger, der Schuldner oder ein Dritter könnte den Vorschuss leisten. Vor der Einstellung sind die Gläubigerversammlung, der Insolvenzverwalter – wenn nicht schon von ihm die Anregung kam – und die Massegläubiger zu hören. Auf diese Weise soll das Gericht von allen Seiten Informationen zur Kostendeckungsfrage bekommen, insbesondere auch zu der Frage, ob jemand zu einer Vorschussleistung bereit ist.
349
Gemäß § 215 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 9 InsO sind der Einstellungsbeschluss und der Grund der Einstellung – also Einstellung mangels Masse – öffentlich bekannt zu machen. Wie sich aus § 200 Abs. 2 Satz 2 InsO, auf den § 215 verweist, ergibt, hat die auszugsweise Veröffentlichung im Internet zu erfolgen. Die Information der Registergerichte und Grundbuchämter zwecks Löschung von Sperrvermerken sind nach den gesetzlichen Bestimmungen ebenfalls vorgesehen.
349a
§ 216 Abs. 1 InsO stellt für jeden Insolvenzgläubiger – und im Falle der Einstellung nach § 207 InsO auch für den Schuldner – das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zur Verfügung.
349b
(2) Einstellung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit, § 211 InsO Diese Bestimmung sieht eine Einstellung des Verfahrens vor, wenn 350 – die Kosten des Insolvenzverfahrens zwar gedeckt sind, die Masse jedoch nicht ausreicht, um die fälligen sonstigen Masseverbindlichkeiten zu erfüllen, § 208 Abs. 1 InsO, – der Verwalter diese Art der Masseunzulänglichkeit dem Gericht angezeigt hat, § 208 Abs. 1 InsO, – das Gericht die Masseunzulänglichkeit öffentlich bekannt gemacht hat, § 208 Abs. 2 InsO, – der Verwalter die Masse anschließend „zu Ende“ verwaltet und verwertet hat, § 208 Abs. 3 InsO, – und der Verwalter die Masseverbindlichkeiten in einer bestimmten Rangfolge nach dem Verhältnis ihrer Beträge (quotal) berichtigt hat – § 209 InsO. Anders als bei einer Einstellung nach § 207 InsO (Verfahrenskosten nicht gedeckt) 351 kommt der Einstellungsbeschluss also erst nach geraumer Zeit. Reicht die Masse zur Deckung der Verfahrenskosten, können jedoch die sonstigen Masseverbindlichkeiten Runkel
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§6
Rz. 352
Beratung des ungesicherten Glubigers
nicht voll befriedigt werden, so ist das Verfahren vollständig abzuwickeln. Der Verwalter muss zunächst noch umfangreich tätig werden und bestimmte Formalien beachten, das heißt zunächst einmal: (a) Anzeige der Masseunzulänglichkeit 352 Die Anzeige erfolgt gegenüber dem Gericht. Die Feststellung der Masseunzulänglichkeit liegt allein in der Verantwortung des Verwalters. Er kann sie damit begründen, dass die fälligen Verbindlichkeiten nicht voll befriedigt werden können, aber auch erklären, dass die künftig fällig werdenden Masseverbindlichkeiten voraussichtlich nicht zu erfüllen sein werden, § 208 Abs. 1 Satz 2 InsO, Masseunzulänglichkeit zwar noch nicht eingetreten ist, dafür aber droht. Durch das Wort „voraussichtlich“ bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass dem Verwalter auch eine Prognose erlaubt ist; er darf Imponderabilien mit ins Spiel bringen, Schätzungen vornehmen usw. Für den Verwalter besteht weder für die Vornahme der Prognose noch für die Anzeige der Masseunzulänglichkeit eine Pflicht, diese zu einem bestimmten Zeitpunkt anzuzeigen. Daher können auch aus der Nichtanzeige der Masseunzulänglichkeit keine materiell-rechtlichen oder prozessualen Konsequenzen gezogen werden1. Die Annahme einer solchen Pflicht würde eine unzulässige Ausdehnung der persönlichen Haftung des Insolvenzverwalters bedeuten2 352a Das Gericht hat die Erklärung des Verwalters hinzunehmen, also die Richtigkeit nicht zu überprüfen. Die hiervon betroffenen Massegläubiger können sich gegen die Erklärung nicht zur Wehr setzen; sie haben kein Rechtsmittel3. War die Erklärung falsch, lag also keine Masseunzulänglichkeit vor, so beschränkt sich ihr Nachteil auch lediglich auf einen Zinsschaden, weil die Gläubiger, deren Nachrangigkeit mit der Masseunzulänglichkeitsanzeige herbeigeführt worden ist, später doch noch voll befriedigt werden. 352b Das Gericht hat die Anzeige der Masseunzulänglichkeit öffentlich bekannt zu machen. Den Massegläubigern ist sie besonders zuzustellen. Dies wird das Gericht regelmäßig dem Verwalter übertragen, § 8 Abs. 3 InsO. (b) Weitere Verwaltung und Verwertung 353 Im Übrigen hat der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit die Pflicht zur weiteren Verwaltung und Verwertung der Masse. Er muss also alles das machen, was auch bei fehlender Masseunzulänglichkeit seine Pflicht gewesen wäre: – Betriebsfortführung (je nach Entscheidung der Gläubigerversammlung), – Verkauf der Anlagegegenstände, – Forderungseinzug einschließlich Prozessführung, – Anfechtungen und sonstige Haftungen geltend zu machen, – Bilanzen zu erstellen, – Forderungen zu prüfen, um nur einige Beispiele zu nennen. 354 Lange Zeit war streitig, ob bei Masseunzulänglichkeit tatsächlich noch eine Anfechtungsklage erhoben werden kann. Die Möglichkeit einer solchen Anfechtungsklage hat der BGH jedoch bejaht4; auch PKH ist zu gewähren5.
1 2 3 4 5
OLG Düsseldorf v. 27.1.2012 – 22 U 49/11, ZIP 2012, 2115. BGH v. 21.10.2010 – IX ZR 220/09, ZInsO 2010, 2323; Gundlach/Frenzel/Jahn, DZWIR 2013, 177. Runkel/Schnurbusch, NZI 2000, 49. BGH v. 19.7.2001 – IX ZR 36/99, ZIP 2001, 1641. BGH v. 28.2.2008 – IX ZB 147/07, ZInsO 2008, 378; anders wenn die Voraussetzungen des § 207 vorliegen, also noch nicht einmal die Verfahrenskosten gedeckt sind, BGH v. 7.2.2013 – IX ZB 48/12, ZInsO 2013, 496.
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Beratung nach Beendigung des Verfahrens
Rz. 356c
§6
(c) Verteilungen an die Massegläubiger Sobald der Verwalter die Verwertung der Aktiva abgeschlossen und alle Massever- 355 bindlichkeiten ermittelt hat, muss er Verteilungen an die Massegläubiger vornehmen; und zwar gemäß § 209 InsO nach folgender Rangordnung, bei gleichem Rang nach dem Verhältnis der Beträge (Quoten)1: – Kosten des Insolvenzverfahrens, § 54 InsO; – die Masseverbindlichkeiten, die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, ohne zu den Kosten des Verfahrens zu gehören; – die übrigen Masseverbindlichkeiten, unter diesen zuletzt der nach den §§ 100, 101 InsO bewilligte Unterhalt. Wichtig: Eine Besonderheit gibt es für die 2. Rangklasse. Hierzu gehören auch Ver- 356 bindlichkeiten: – aus einem gegenseitigen Vertrag, dessen Erfüllung der Verwalter gewählt hat, nachdem er die Masseunzulänglichkeit angezeigt hatte (§ 209 Abs. 2 Ziff. 1 InsO); – aus einem Dauerschuldverhältnis für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte (§ 209 Abs. 2 Ziff. 2 InsO); – aus einem Dauerschuldverhältnis, soweit der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit für die Insolvenzmasse die Gegenleistung in Anspruch genommen hat (§ 209 Abs. 2 Ziff. 3 InsO). Gelingt die Befriedigung der Massegläubiger wie zu erwarten nur teilweise (Kon- 356a sequenz aus Masseunzulänglichkeit), ist das Verfahren nach vollständiger Abwicklung nach § 211 InsO einzustellen. Die Einstellungsentscheidung ist nicht anfechtbar2. Manchmal ist es nicht einfach zu sagen, ob es sich um eine Neumasseverbindlichkeit 356b im Sinne des § 209 Abs. 1 Ziff. 2 handelt. Was ist beispielsweise mit Steuerschulden, die durch die Verwertung von Sicherungsgut anfallen? Was ist mit der Mehrwertsteuer, die bei einer Betriebsfortführung aufgrund der Rechnungserteilung an Kunden fällig wird? In diesen Zusammenhang musste sich der BGH jüngst mit der Frage auseinandersetzten, ob die mit der Veräußerung der Massegegenstände verbundenen Umsatzsteuer nach eingetretener Masseunzulänglichkeit zu den vorrangig zu berichtigenden Kosten des Insolvenzverfahrens gehören. Dabei hat das Gericht anhand des klaren Wortlauts des § 54 InsO i.V.m. § 209 Abs. 1 Ziff. 1 InsO festgestellt, dass die Umsatzsteuer nicht zu den vorrangig zu bedienen Verfahrenskosten zähle. Das gelte selbst dann, wenn dem Insolvenzschuldner die Verfahrenskosten gestundet wurden. Führt der Insolvenzverwalter unter Verletzung des gesetzlichen Vorrangs der Verfahrenskosten die Umsatzsteuer dennoch an das Finanzamt ab, ist ihm sein Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse entsprechend zu kürzen. Eine darüber hinausgehende Haftung des Insolvenzverwalters nach § 60 InsO scheide allerdings aus, weil er durch den Abschluss eines derartigen Geschäfts keine insolvenzspezifischen Pflichten gegenüber dem Fiskus verletzt hat3. Auch Kostenerstattungsansprüche gehören nicht zu den Neumasseverbindlichkeiten, 356c wenn der Verwalter nach Rechtshängigkeit einer gegen ihn gerichteten Klage Masseunzulänglichkeit angezeigt hat. Das gleiche gilt bei einem nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit fortgesetzten Prozess4: Es handelt sich um eine Altmasseverbindlichkeit, da der Kostenerstattungsanspruch schon mit Zustellung der Klage (und damit vor Unzulänglichkeitsanzeige) entsteht. – Macht allerdings der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit glaubhaft, dass eine danach entstandene, als Neumasseverbindlichkeit einzustufende Kostenerstattungsforderung aus der Masse 1 Speziell zum Verhältnis Gerichtskosten und Verwaltervergütung BGH v. 7.2.2013 – IX ZB 175/11, ZIP 2013, 634. 2 BGH v. 25.1.2007 – IX ZB 234/05, ZIP 2007, 603. 3 BGH v. 14.10.2010 – IX ZB 224/08, ZIP 2010, 2252; zustimmend Ries, EWiR 2011, 59. 4 OLG Brandenburg v. 2.2.2006 – 6 W 232/05, ZIP 2006, 684.
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§6
Rz. 356d
Beratung des ungesicherten Glubigers
nicht befriedigt werden kann, so darf gegen ihn kein Kostenfestsetzungsbeschluss ergehen1. 356d Ähnlich ist die Situation bei Ansprüchen aus Dauerschuldverhältnissen (insbesondere Miet- und Arbeitsverhältnissen). Soweit der Verwalter deren Entstehung nicht verhindern kann, ist die Ziffer 2 unanwendbar. Unterlässt der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit jedoch die sofortige Kündigung des Dauerschuldverhältnisses, so gelten die Ansprüche, die für die Zeit nach dem ersten Kündigungstermin entstehen, als Neumasseansprüche2. Für die Zeit bis zum ersten Kündigungstermin ist es entscheidend, ob der Verwalter die Gegenleistung des Vertragspartners in Anspruch nimmt3. Stellt er Arbeitnehmer frei, so braucht er ihre Lohnansprüche für die Zeit der Freistellung ebenfalls nur nachrangig zu befriedigen4. 356e Dies wird allerdings kritisch gesehen. Das BAG hatte sich noch einmal mit einer ähnlichen Problematik zu befassen und judizierte dahingehend, dass die Freistellung nicht helfen kann: Wenn der Insolvenzverwalter nicht kündigt, erhalten die Ansprüche des Arbeitnehmers durch die Freistellung nicht den Rang des § 209 Abs. 1 Ziffer 3 InsO5. Oetker bespricht das Urteil an der genannten Stelle und geht auch auf haftungsrechtliche Fragen ein (Unterlassen der Kündigung als Rechtshandlung im Sinne des § 61 InsO6?). 356f Nachteilausgleichsansprüche sind dann Neumasseverbindlichkeiten, wenn sich der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit betriebsverfassungswidrig verhält (§ 113 BetrVG). Eine widerrufliche Freistellung ist allerdings noch keine – betriebsverfassungswidrige – Durchführung einer beabsichtigten Betriebsstillegung7. Ähnlich ist die Situation bei einer WEG, hier allerdings hinsichtlich einer unterlassenen Freigabe. Nach der Masseunzulänglichkeitsanzeige fällig gewordene Wohngeldschulden sind Neumasseverbindlichkeiten, sofern der Insolvenzverwalter die Gegenleistung dadurch in Anspruch genommen hat, dass er über einen längeren Zeitraum von der Möglichkeit der Freigabe keinen Gebrauch gemacht hat8. 356g Wird durch eine irrtümliche Überweisung die Insolvenzmasse nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit ungerechtfertigt bereichert, so ist der Rückzahlungsanspruch des Bereicherungsgläubigers nicht als Altmasseverbindlichkeit anzusehen. Der Insolvenzverwalter kann sich aber selbst dann auf „erneute Masseunzulänglichkeit“ berufen, wenn die Bereicherungsforderung die einzige nach der ersten Unzulässigkeitsanzeige begründete Masseverbindlichkeit ist; dies gilt jedenfalls, wenn eine Einstellung nach § 207 InsO erfolgen müsste. Im Ergebnis bedeutet dies die Durchsetzung des Vorrangs der Verfahrenskosten, wobei es für den Bereicherungsgläubiger sicherlich merkwürdig ist, dass er sein Geld nicht zurück erhält, sondern dass dies, zumindest prozentual, der Vergütung des Verwalters zugeschlagen wird9. (d) Einstellungsbeschluss 357 Sobald der Verwalter die Verteilungen abgeschlossen und hierüber dem Gericht berichtet hat, erlässt das Gericht den Einstellungsbeschluss. Da mit der Verfahrenseinstellung das Amt des Verwalters endet, ist § 66 InsO zu beachten:
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BGH v. 9.10.2008 – IX ZB 129/07, ZInsO 2008, 1204. Einschränkend BAG v. 4.6.2003 – 10 AZR 586/02, ZIP 2003, 1850. LAG Hamm v. 13.10.2005 – 4 Sa 2340/04, ZInsO 2007, 51. Landfermann in HK-InsO, § 209 Rz. 18. BAG v. 31.3.2004 – 10 AZR 253/03, DZWIR 2005, 106; a.A. OLG Düsseldorf v. 27.1.2012 – 22 U 49/11. Verneinend; vgl. auch Lauer, ZIP 2006, 983. BAG v. 30.5.2006 – 1 AZR 25/05, NZI 2007, 126; Henkel, EWiR 2007, 213. OLG Düsseldorf v. 28.4.2006 – I-3 Wx 299/05, NZI 2007, 50. S. hierzu BGH v. 13.4.2006 – IX ZR 22/05, ZIP 2006, 1004; a.A. noch OLG Rostock v. 29.12.2004 – 3 U 164/04, ZVI 2005, 317 und Knoche, EWiR 2005, 361.
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Beratung nach Beendigung des Verfahrens
Rz. 361
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Es muss eine Rechnungslegung erfolgen. Hierbei verlangt § 211 Abs. 2 InsO eine ge- 357a sonderte Rechnungslegung für die Tätigkeit nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit. Es sind also zwei getrennte Zeitabschnitte zahlenmäßig darzustellen. Ob die Schlussrechnungslegung im Falle der Einstellung nach § 211 InsO gegenüber 357b einer Gläubigerversammlung zu erfolgen hat, ist unsicher. Der Wortlaut des § 66 InsO spricht hierfür. § 211 InsO erwähnt jedoch diese Bestimmung nicht. Außerdem kennt das Gesetz den Schlusstermin als abschließende Gläubigerversammlung nur im Zusammenhang mit der Schlussverteilung, § 197 InsO. Diese findet jedoch bei einer Einstellung mangels Masse nicht statt, so dass es auch keinen Sinn macht, nur wegen der besonderen Rechnungslegung nach § 211 Abs. 2 InsO einen Termin anzuberaumen. Der Einstellungsbeschluss ist genauso wie in den anderen Fällen zu veröffentlichen, 357c § 215 InsO. Ein Rechtsmittel gegen den Beschluss ist jedoch – anders als bei einer Einstellung nach § 207 InsO – nicht möglich; § 211 InsO wird in § 216 InsO nicht erwähnt1. bb) Einstellung aus anderen Gründen (1) Einstellung wegen Wegfalls des Eröffnungsgrundes, § 212 InsO Auf Antrag des Schuldners ist das Insolvenzverfahren einzustellen, wenn gewährleis- 358 tet ist, dass nach der Einstellung beim Schuldner weder Zahlungsunfähigkeit (auch keine drohende) noch eine Überschuldung – soweit diese als Eröffnungsgrund in Frage kommt – vorliegt; § 212 InsO. Das Gericht hat dies von Amts wegen zu prüfen. Es muss den Antrag des Schuldners als unzulässig zurückweisen, wenn dieser das Fehlen der Eröffnungsgründe nicht glaubhaft macht, § 212 Satz 2 InsO, einer der seltenen Fälle, in denen das Gesetz einen Negativbeweis fordert; deshalb werden positive Entscheidungen nach § 212 InsO auch eher selten sein. (2) Einstellung mit Zustimmung der Gläubiger, § 213 InsO Nicht viel anderes gilt für Einstellungsentscheidungen nach § 213 InsO. Hiernach ist 359 das Insolvenzverfahren auf Antrag des Schuldners einzustellen, wenn er nach Ablauf der Anmeldefrist die Zustimmung aller Insolvenzgla ¨ ubiger beibringt, die Forderungen angemeldet haben. Bei Gläubigern, deren Forderungen vom Schuldner oder vom Insolvenzverwalter bestritten werden, […] entscheidet das Insolvenzgericht nach freiem Ermessen, inwieweit es einer Zustimmung dieser Gläubiger oder einer Sicherheitsleistung ihnen gegenüber bedarf. Besonderheit: Ausnahmsweise kann das Verfahren auch schon vor dem Ablauf der 359a Anmeldefrist eingestellt werden, wenn außer den Gläubigern, deren Zustimmung der Schuldner beibringt, andere Gläubiger nicht bekannt sind. Da die Anmeldefristen ohnehin immer knapp bemessen sind, hat diese Alternative keine große praktische Bedeutung; in jedem Fall wird das Gericht vor Ablauf der Anmeldefrist eher zurückhaltend mit einem Einstellungsbeschluss sein. Im Übrigen bedeutet das Einverständnis des einzelnen Gläubigers mit der Einstel- 360 lung des Verfahrens keinen Forderungsverzicht2.
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Hinweis: 360a Dennoch ist dem Gläubiger zu raten, nur dann dem Schuldner eine Zustimmungserklärung in die Hand zu geben, wenn er mit einer anderweitigen Befriedigung seiner Forderung rechnen kann.
(3) Bekanntmachung und Rechtsmittel In beiden Einstellungsfällen muss schon der Antrag auf Einstellung öffentlich bekannt gemacht werden, § 214 Abs. 1 Satz 1 InsO. Er ist außerdem in der Geschäfts1 BGH v. 25.1.2007 – IX ZB 234/05, ZIP 2007, 603. 2 Weitzmann in Hamburger Kommentar zur InsO, § 213 Rz. 4; K. Schmidt/Jungmann, § 213 InsO Rz. 13.
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§6
Rz. 361a
Beratung des ungesicherten Glubigers
stelle zur Einsicht der Beteiligten niederzulegen. Im Falle des § 213 InsO sind die Zustimmungserklärungen der Gläubiger beizufügen. Die Insolvenzgläubiger können binnen einer Woche nach der öffentlichen Bekanntmachung schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle Widerspruch gegen den Antrag erheben. 361a Das Insolvenzgericht muss vor Einstellung des Verfahrens den Insolvenzverwalter und einen evtl. vorhandenen Gläubigerausschuss anhören. Die Anhörung des Insolvenzverwalters ist vor allem deshalb wichtig, weil dieser vor der Einstellung die unstreitigen Masseansprüche befriedigen und für streitige Ansprüche Sicherheit leisten muss. 361b Für die öffentliche Bekanntmachung der Einstellungsbeschlüsse nach §§ 212, 213 InsO gilt das Gleiche wie bei einer Einstellung mangels Masse. Rechtsmittel hat in diesen Fällen nicht nur jeder Insolvenzgläubiger, sondern auch der Schuldner, der eine bei stattgebenden, der andere bei ablehnenden Entscheidungen, § 216 InsO. 2. Konsequenzen der Verfahrensbeendigung für ungesicherte Gläubiger 362 Sie sind unterschiedlich, je nachdem, wie und weshalb das Verfahren beendet worden ist: a) Nach Durchführung der Schlussverteilung aa) Schuldnerstellung 363 Dem Gläubiger steht jetzt wieder ein Schuldner gegenüber, der seine ursprüngliche Rechtsposition weitgehend zurückerlangt hat. Er hat wieder das Verwaltungs- und Verfügungsrecht. War ein Rechtsstreit durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 240 ZPO unterbrochen und hat der Verwalter das Verfahren nicht aufgenommen oder ist der Prozess noch nicht beendet so erlangt der Schuldner mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens auch seine Prozessführungsbefugnis zurück1. Außerdem hat der Insolvenzverwalter sämtliche Geschäftsunterlagen, welche zur Insolvenzmasse gehörten, zurückzugeben. bb) Gläubigerstellung 364 Die Insolvenzgläubiger können nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens ihre restlichen Forderungen gegen den Schuldner unbeschra ¨ nkt geltend machen, § 201 Abs. 1 InsO, allerdings nur soweit nicht Restschuldbefreiung erteilt worden ist; § 201 Abs. 3 InsO. Sie können aus der Eintragung in die Tabelle, also aus dem Tabellenauszug, wie aus einem vollstreckbaren Urteil die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner betreiben. Dies setzt allerdings voraus, dass die Forderung festgestellt und nicht vom Schuldner im Prüfungstermin bestritten worden ist. Ist dies nicht der Fall, muss der Gläubiger nach Abschluss des Verfahrens gegen den Schuldner einen Titel erwirken oder einen während des Insolvenzverfahrens eingeleiteten Feststellungsprozess zu Ende führen. Erst nach Rechtskraft der Feststellungsklage darf das Insolvenzgericht auf Antrag des Gläubigers einen Auszug aus der Tabelle erteilen. 364a Der Tabellenauszug ersetzt einen evtl. früheren Vollstreckungstitel. Versucht der Gläubiger die Vollstreckung aus dem früheren Titel, der an sich verbraucht ist, kann sich der Schuldner mit der Vollstreckungsabwehrklage gemäß § 767 ZPO wehren2. 364b Erteilt das Gericht einen vollstreckbaren Auszug aus der Tabelle, so muss es auf dem Auszug evtl. Quotenzahlungen des Insolvenzverwalters vermerken. 365
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Hinweis: Es ist immer wieder festzustellen, dass Gläubiger während des noch laufenden Insolvenzverfahrens den Verwalter um Erteilung eines Tabellenauszuges bitten. Dies ist in doppelter Hinsicht falsch:
1 BGH v. 28.9.2009 – II ZR 22/08, ZIP 2009, 2170. 2 Pape, KTS 1992, 185 ff.
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Beratung nach Beendigung des Verfahrens
Rz. 367b
§6
– Zu einen hat nicht der Verwalter, sondern das Gericht den Tabellenauszug zu erteilen; die Fehlvorstellung beruht offensichtlich auf der Tatsache, dass die Forderung – anders als noch während der Geltung der Konkursordnung – beim Verwalter anzumelden war; Titel kann jedoch regelmäßig nur ein Gericht erteilen. – Zum anderen ist die Anforderung eines Tabellenauszuges während des Verfahrens deshalb falsch, weil – wie oben erwähnt – evtl. Quotenzahlungen vermerkt werden müssen und insoweit erst nach Abschluss des Verfahrens feststeht, ob und welche Quote gezahlt werden konnte. Dies gilt auch, wenn der Insolvenzverwalter in der Gläubigerversammlung ausdrücklich erklärt hat, dass nicht mit einer Quotenzahlung zu rechnen ist. Im Übrigen gilt Folgendes: Für die Haftung des Schuldners ist im Übrigen allein die 366 Eintragung in der Insolvenztabelle entscheidend. Verfahrensbedingte Forderungsumwandlungen bleiben auch nach Aufhebung des Verfahrens bestehen. Dies führt zu Folgendem: – Werden nicht fällige Forderungen, § 41 InsO, und wiederkehrende Leistungen, § 46 InsO, zur Insolvenztabelle angemeldet und festgestellt, so haftet der Schuldner nach Aufhebung des Verfahrens unabhängig von der ursprünglich vereinbarten Fälligkeit. – Der Schuldner haftet auch für während des Verfahrens begründete und – versehentlich oder absichtlich – nicht getilgte Masseverbindlichkeiten nur, soweit er nach Aufhebung des Verfahrens Massewerte zurückerhalten hat1. – Sind Forderungen nicht zur Tabelle angemeldet oder festgestellt worden, so ändert dies nichts an ihrer Existenz2. Besteht für eine derartige Forderung ein Titel, so kann der Gläubiger nach Aufhebung des Verfahrens hieraus vollstrecken. Anders als bei einem Forderungsanerkenntnis zur Tabelle ist der Titel in diesem Fall nicht verbraucht. cc) Nachtragsverteilung (1) Anordnungsvoraussetzungen Nach § 203 InsO ordnet das Insolvenzgericht auf Antrag des Insolvenzverwalters oder 367 eines Insolvenzgläubigers oder von Amts wegen eine Nachtragsverteilung an, wenn nach dem Schlusstermin3 – zurückbehaltene Beträge für die Verteilung frei werden, – Beträge, die aus der Insolvenzmasse gezahlt sind, zurückfließen oder – Gegenstände der Masse ermittelt werden oder versehentlich nicht verwertet wurden4. Tatbestandliche Voraussetzung der letzten Alternative ist die Zugehörigkeit eines nachträglich ermittelten Gegenstandes zur Masse des noch laufenden (§ 203 Abs. 1 InsO) oder bereits aufgehobenen (§ 203 Abs. 2 InsO) Insolvenzverfahrens5.
367a
Nachtragsverteilungen sind auch in Verbraucherinsolvenzverfahren möglich6. Nor- 367b malerweise wird im Schlusstermin die Frage einer möglichen Nachtragsverteilung erörtert und ein Beschluss dahin gehend gefasst, dass hinsichtlich bestimmter Werte noch eine Nachtragsverteilung erfolgen soll (so genannter Vorbehalt der Nachtragsverteilung)7. Es ist jedoch genauso gut möglich, dass erst nach Aufhebung des Verfahrens Vermögenswerte ermittelt werden, weil sie dem Insolvenzverwalter bis dahin 1 2 3 4 5 6 7
Weitergehend Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rz. 25.09. Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, § 201 Rz. 16. Hierzu BGH v. 17.3.2005 – IX ZB 286/03, NZI 2005, 395. BGH v. 6.12.2007 – IX ZB 229/06, ZIP 2008, 322. BGH v. 20.6.2013 – IX ZB 10/13, ZInsO 2013, 1409. BGH v. 1.12.2005 – IX ZB 17/04, ZInsO 2006, 33. Zur Anordnung des Nachtragsverfahrens im Gesamtvollstreckungsverfahren, vgl. BGH v. 17.2.2011 – IX ZB 268/08, ZIP 2011, 625.
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§6
Rz. 367c
Beratung des ungesicherten Glubigers
unbekannt waren oder der Verwalter in Kenntnis derer diese für unverwertbar bzw. wertlos hielt1. Dieser Tatsache trägt das Gesetz mit Abs. 2 von § 203 InsO Rechnung, indem es ausdrücklich festhält, dass die Anordnung einer Nachtragsverteilung auch nach Aufhebung des Verfahrens erfolgen kann. Dem steht auch nicht die Löschung der Schuldnerin im Handelsregister entgegen2. 367c Soweit der Vorbehalt der Nachtragsverteilung im Schlusstermin erklärt wird, bleibt das Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Insolvenzverwalters weiter bestehen. Dies gilt auch für das Prozessführungsrecht. Erfolgt im Schlusstermin ein derartiger Vorbehalt nicht und sind nachträglich Gegenstände ermittelt worden, so sind diese zunächst einmal frei; sie könnten also auch im Rahmen der Einzelzwangsvollstreckung beschlagnahmt werden. Erst mit der nachträglichen Anordnung erlangt der (ehemalige) Insolvenzverwalter wieder das Verwaltungs- und Verfügungsrecht. 367d Werden nach der in § 211 Abs. 1 InsO geregelten Einstellung des Verfahrens (bei vorausgegangener Masseunzulänglichkeit) noch Gegenstände der Insolvenzmasse ermittelt, so ordnet das Gericht auf Antrag des Verwalters oder eines Massegläubigers oder von Amts wegen eine Nachtragsverteilung an (§ 211 Abs. 3 Satz 1 InsO). 367e Wird aber von der Nachtragsverteilung nicht das gesamte Vermögen des Schuldners erfasst, sondern nur ein bestimmter Betrag oder ein einzelner Vermögensgegenstand, kann aufgrund dieser beschränkten Beschlagswirkung die Zulässigkeit eines (weiteren) Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht ohne weiteres verneint werden3. 368 Fraglich ist, ob auch bei Einstellung des Verfahrens mangels Masse die Durchführung einer Nachtragsverteilung möglich ist, also auch in dem Fall, dass die Masse nicht einmal die Verfahrenskosten deckt, § 207 InsO (zur Unterscheidung vgl. Rz. 346 ff.). Das LG Marburg hat dies verneint4. Es kann sich auf eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung stützen. Nach § 211 Abs. 3 InsO beschränkt sich die Möglichkeit einer Nachtragsverteilung ausdrücklich auf die Fälle der Einstellung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit. Dies verbietet eine entsprechende Anwendung der §§ 203 Abs. 3, 204, 205 InsO auf das mangels Masse eingestellte Verfahren. Die Gegenansicht argumentiert mit einem „Erst-recht-Schluss“5. Gerade dann, wenn die Masse noch nicht einmal ausreicht, die Kosten des Verfahrens zu decken, muss die Möglichkeit eingeräumt werden, den Ausfall der Insolvenzgläubiger zu verringern. Die Alternative liegt in der aus Kostengründen wirtschaftlich wenig sinnvollen Möglichkeit, ein erneutes Insolvenzverfahren zu eröffnen. Diese Ansicht muss sich dennoch die bewusste gesetzgeberische Entscheidung entgegenhalten lassen. Dies verkennt meines Erachtens der BGH in seiner Entscheidung vom 10.10.20136. (2) Praktische Bedeutung 369 In der Praxis haben Nachtragsverteilungen vor allem Bedeutung, wenn noch ein Steuerguthaben entsteht. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn aufgrund von Quotenzahlungen die ursprünglich vorgenommene Vorsteuerberichtigung „rückkorrigiert“ werden muss (§ 17 Umsatzsteuergesetz): 369a Mit der Insolvenzeröffnung steht für das Finanzamt zunächst fest, dass ein mehrwertsteuerpflichtiger Schuldner, für den die Sollversteuerung galt, die Vorsteuer zu Unrecht in Anspruch genommen hat. Das Finanzamt wird eine entsprechende Forderung zur Tabelle anmelden, die zunächst einmal berechtigt ist und deshalb vom Ver-
1 2 3 4
BGH v. 26.1.2012 – IX ZB 111/10, ZIP 2012, 437; Zipperer, EWiR 2012, 183. BGH v. 16.1.2014 – IX ZB 122/12, ZIP 2014, 437. BGH v. 2.12.2010 – IX ZB 151/09, ZIP 2011, 134; zustimmend Gundlach/Müller, EWiR 2011, 121. LG Marburg v. 27.11.2002 – 3 T 214/02, NZI 2003, 101; Dinstühler, ZIP 1998, 1697; a.A. Kübler in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 595 f., Rz. 53. 5 Pape in Kübler/Prütting, InsO, § 207 Rz. 39 (1. Lfg. 8/98); Kießner in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 207 Rz. 39. 6 BGH v. 10.10.2013 – IX ZB 40/13, ZIP 2013, 2320 mit zustimmender Anm. Zimmer, EWiR 2014, 19.
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Beratung nach Beendigung des Verfahrens
Rz. 373
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walter auch anzuerkennen ist. Kommt es dann – spätestens mit einer Schlussverteilung – zu Zahlungen an Gläubiger, die dem Schuldner vor Insolvenzeröffnung Rechnungen mit Mehrwertsteuer erteilt hatten, wird damit nachträglich die Inanspruchnahme der Vorsteuer in Höhe der Quote berechtigt. Das Finanzamt hat deshalb auf die zur Tabelle anerkannte Forderung zu viel erhalten. Es ist ungerechtfertigt bereichert und muss einen Teil der Ausschüttung zurückerstatten. Dieser Betrag steht dann für eine Nachtragsverteilung zur Verfügung. (3) Bekanntmachung und Rechtsmittel Der Beschluss, mit dem die Nachtragsverteilung angeordnet wird, ist öffentlich be- 370 kannt zu machen. Außerdem ist dieser Beschluss dem Insolvenzverwalter, dem Schuldner und – wenn ein Gläubiger die Verteilung beantragte – diesem Gläubiger zuzustellen, § 204 Abs. 2 Satz 1 InsO. Der Schuldner kann gegen den Anordnungsbeschluss sofortige Beschwerde einlegen, 370a § 204 Abs. 2 Satz 2 InsO. Wird die Nachtragsverteilung abgelehnt, kann hiergegen der Antragsteller Beschwerde einlegen, eine Regelung, die in der Literatur kritisiert worden ist1. Nach der Anordnung der Nachtragsverteilung hat der Insolvenzverwalter den zur 370b Verfügung stehenden Betrag aufgrund des Schlussverzeichnisses zu verteilen. Hierüber hat der Insolvenzverwalter Rechnung zu legen, und zwar nicht gegenüber einer Gläubigerversammlung, sondern nur gegenüber dem Insolvenzgericht. b) Nach Bestätigung eines Insolvenzplans § 257 InsO sieht für die Insolvenzgläubiger die Möglichkeit vor, aus dem rechtskräfti- 371 gen bestätigten Insolvenzplan zu vollstrecken. Der Vollstreckungstitel ist hierbei jedoch nicht der Insolvenzplan oder der gerichtliche Bestätigungsbeschluss, sondern nur der Tabelleneintrag2. Da der Tabelleneintrag nicht erklärt, ob und mit welcher Regelung die festgestellte Forderung im Insolvenzplan berücksichtigt worden ist, wird auch die Ansicht vertreten, dass eine Kombination von Tabelleneintrag, Insolvenzplan und Bestätigungsbeschluss den Vollstreckungstitel ausmacht3 (zur Planbestätigung durch das Insolvenzgericht vgl. § 13 Rz. 251 ff.). c) Nach Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses Nach rechtskräftiger Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses erhält der Schuldner 372 sein Verwaltungs- und Verfügungsrecht wieder zurück. Die mit der Eröffnung verbundenen Rechtsfolgen werden durch den Beschluss rückwirkend außer Kraft gesetzt. Dies schränkt allerdings § 34 Abs. 3 Satz 3 InsO dahin gehend ein, dass Wirkungen von Rechtshandlungen, die der Insolvenzverwalter vorgenommen hat oder die ihm gegenüber vorgenommen worden sind, durch die Aufhebung nicht berührt werden. Der Rechtsverkehr soll auf Erklärungen eines ordnungsgemäß im Amt gewesenen Insolvenzverwalters vertrauen können. Deshalb muss der Schuldner vom Verwalter begründete Verbindlichkeiten aus dem Vermögen erfüllen, das zeitweilig mit Insolvenzbeschlag belegt war. Im Übrigen treffen den Insolvenzverwalter – auch wenn sein Amt mit der Aufhebung 373 beendet ist – noch verschiedene Abwicklungspflichten. Er hat insbesondere Gegenstände, die er zur Insolvenzmasse gezogen hat, an den Schuldner herauszugeben. Außerdem ist der Insolvenzverwalter dem Schuldner gegenüber zur Auskunft und Rechnungslegung verpflichtet. Die Angaben könnten durchaus Bedeutung für Gläubiger haben; sie könnten vor allem durch die Rechnungslegung Hinweise auf Vermögenswerte bekommen. Hat der Gläubiger einen Vollstreckungstitel, besteht für ihn auch die Möglichkeit, den Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung zu pfänden.
1 Depré in HK-InsO, § 204 Rz. 1. 2 Hess/Obermüller, Insolvenzplan, Rz. 341; Häsemeyer, Rz. 28.84. 3 Flessner in HK-InsO, § 257 Rz. 2; Kebekus/Wehler in Graf-Schlicker, InsO, § 257 Rz. 2; Häsemeyer, Rz. 28.84.
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Beratung des ungesicherten Glubigers
374 Im Übrigen können Gläubiger nach der Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses wieder auf herkömmlichem Wege gegen den Schuldner vorgehen, das heißt Klage erheben und aus einem Titel die Zwangsvollstreckung betreiben. d) Nach Einstellung mangels Masse, § 207 InsO 375 Mit der Einstellung des Insolvenzverfahrens erhält der Schuldner das Recht zurück, über die Insolvenzmasse frei zu verfu ¨ gen, § 215 Abs. 2 Satz 1 InsO. Dementsprechend muss auch der Verwalter die noch vorhandenen Massegegenstände dem Schuldner zurückgeben. Die Insolvenzgläubiger können nach der Einstellung des Verfahrens ihre Forderungen gegen den Schuldner wieder unbeschränkt geltend machen, unter Umständen aufgrund des Tabelleneintrages auch vollstrecken. 375a Streitig ist, ob im Anschluss an eine Einstellung des Verfahrens nach § 207 InsO auch eine Nachtragsverteilung möglich ist. Meines Erachtens ist dies, wie oben in Rz. 368 erläutert, nicht möglich, weil der Gesetzgeber – anders als im Fall des § 211 InsO – in Kauf nimmt, dass der Schuldner Teile der Insolvenzmasse unverwertet zurückerhält. 375b
Û
Hinweis: Den ungesicherten Gläubigern ist deshalb dringend zu raten, auch noch nach Einstellung des Verfahrens Recherchen hinsichtlich der Vermögenswerte des Schuldners anzustellen.
e) Bei Aufhebung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit, § 211 InsO 376 Die Situation ist in diesem Fall derjenigen ähnlich, die nach Durchführung der Schlussverteilung besteht. Zwischen der Anzeige der Masseunzulänglichkeit und dem Einstellungsbeschluss ist nämlich von dem Verwalter auch die gesamte Restabwicklung vorgenommen worden. In dieser so genannten Zwischenphase kann der Gläubiger natürlich noch nicht vollstrecken; diese Möglichkeit besteht vielmehr erst nach Erlass des Einstellungsbeschlusses. Die Verfügungsbefugnis erhält der Schuldner auch erst mit dem Einstellungsbeschluss zurück. 376a Werden nach der Einstellung des Verfahrens Gegenstände der Insolvenzmasse ermittelt, so ordnet das Gericht auf Antrag des Verwalters oder eines Massegläubigers oder von Amts wegen eine Nachtragsverteilung an, § 211 Abs. 3 Satz 1 InsO. Hier zeigt sich ein wesentlicher Unterschied zur Einstellung nach § 207 InsO: Besteht nur Masseunzulänglichkeit außerhalb der Verfahrenskosten, so soll die gesamte Insolvenzmasse vollständig versilbert werden, erforderlichenfalls auch im Wege einer Nachtragsverteilung. Dementsprechend gelten alle oben unter Rz. 367 ff. erwähnten Bestimmungen über Rechtsmittel und den Vollzug der Nachtragsverteilung. 377 Ist ein Verfahren nach Schlussverteilung aufgehoben worden, kann die Durchsetzung der restlichen Gläubigerforderung an einer bewilligten Restschuldbefreiung scheitern (vgl. im Einzelnen § 16 Rz. 384 ff.). Erstaunlicherweise ist dies auch möglich, wenn das Verfahren nach § 211 InsO eingestellt wird. In diesem Fall kann jedoch Restschuldbefreiung nur erteilt werden, wenn nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit die Insolvenzmasse nach § 209 InsO verteilt worden ist, § 289 Abs. 3 InsO. 377a Der Beschluss des Insolvenzgerichts über die Ankündigung der Restschuldbefreiung ist zusammen mit dem Beschluss über die Einstellung des Verfahrens öffentlich bekanntzumachen. Dann ist allerdings auch eine Gläubigerversammlung notwendig. Zur Restschuldbefreiung sind nämlich die Insolvenzgläubiger anzuhören, § 289 Abs. 1 InsO. 377b Im Übrigen besteht bei einer angekündigten Restschuldbefreiung, die gleichzeitig mit einer Verfahrenseinstellung nach § 211 InsO erfolgt, die Besonderheit, dass der Treuhänder während der Laufzeit der Abtretungserklärung von den eingehenden Beträgen zunächst einmal die Massegläubiger vollständig befriedigen muss. Erst anschließend kommen während der Wohlverhaltensperiode die normalen Insolvenzgläubiger zum Zuge.
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Beratung bei Ablehnung der Verfahrenserçffnung
Rz. 381a
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Fazit: Es ist also möglich, dass ein Verfahren mangels Masse eingestellt wird, dem 377c Schuldner Restschuldbefreiung angekündigt wird und dennoch sogar Insolvenzgläubiger noch Geld erhalten. Der Treuhänder muss die Verteilungen nach dem Schlussverzeichnis vornehmen. Deshalb muss der Verwalter ein entsprechendes Verzeichnis anfertigen, obwohl dies sonst bei einer Einstellung mangels Masse entbehrlich erscheint. f) Nach Aufhebung aus anderen Gründen Auch in diesen Fällen erhält der Schuldner mit der Einstellung des Insolvenzverfah- 378 rens das Recht zurück, über die Insolvenzmasse frei zu verfügen, § 215 Abs. 2 Satz 1 InsO. In Satz 2 der genannten Bestimmung verweist der Gesetzgeber ausdrücklich auf die §§ 201, 202 InsO. Dem entsprechend können also die Insolvenzgläubiger nach Einstellung des Verfahrens ihre restlichen Forderungen gegen den Schuldner unbeschränkt geltend machen, d.h. auch vollstrecken. Dies zeigt, dass – wie bereits oben ausgeführt (Rz. 359 f.) – die Gläubiger ihre Forderung nicht etwa deshalb verlieren, weil sie sich mit der Einstellung des Verfahrens nach § 213 InsO einverstanden erklärt haben. VI. Beratung bei Ablehnung der Verfahrenseröffnung Sucht ein ungesicherter Gläubiger anwaltlichen Rat, nachdem er erfahren hat, dass 379 die Insolvenzeröffnung über das Vermögen seines Schuldners abgelehnt worden ist, so ergeben sich folgende Beratungsthemen: – Macht es wirtschaftlich Sinn, gegen den Schuldner weiter vorzugehen? – Welche Maßnahmen sind nunmehr zweckmäßig? 1. Juristische Personen Ein rechtskräftiger Abweisungsbeschluss gemäß § 26 InsO führt zur Auflösung einer 380 – Aktiengesellschaft, § 262 AktG; – Kommanditgesellschaft auf Aktien, § 278 Abs. 3 in Verbindung mit § 262 AktG; – GmbH, § 60 GmbH-Gesetz; – OHG oder KG, bei der kein persönlich haftender Gesellschafter wenigstens mittelbar eine natürliche Person ist, §§ 131 Abs. 2 Ziff. 1, 161 Abs. 2 HGB. In all diesen Fällen ist damit zu rechnen, dass in Kürze auch eine entsprechende Löschung im Handelsregister erfolgt. Der Abweisungsbeschluss hindert jedoch nicht einen neuen Insolvenzeröffnungs- 381 antrag, wenn glaubhaft gemacht wird, dass entgegen der ursprünglichen Annahme doch ausreichende Vermögenswerte vorhanden sind, also die Massekosten gedeckt sind1. Selbst eine schon im Handelsregister gelöschte Gesellschaft, die damit ihre Rechtsfähigkeit verloren hat, kann Gegenstand eines neuen Verfahrens werden2. Hierzu auch oben im Rahmen der Insolvenzfähigkeit, vgl. Rz. 33. Praktische Schwierigkeiten ergeben sich jedoch dadurch, dass ein derartiger Schuld- 381a ner nach seiner Löschung im Register keinen Geschäftsführer oder Liquidator mehr hat. Auf Antrag müsste deshalb das Registergericht zunächst einen Nachtragsliquidator bestellen. Es dürfte schwierig werden, eine Person zu finden, die dieses Amt übernimmt. Der bisherige Geschäftsführer oder ein Gesellschafter ist hierzu keineswegs verpflichtet. In Frage kommen deshalb vor allem außenstehende Personen, die jedoch davor zurückscheuen werden, in amtlichen Bekanntmachungen namentlich in Erscheinung zu treten.
1 LG Hagen v. 20.7.1988 – 13 T 432/88, KTS 1988, 805 (806); Vallender, InVo 1997, 4 (7). 2 Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 11 Rz. 46 f.
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Rz. 381b
Beratung des ungesicherten Glubigers
381b Lösungsansatz: Es ist deshalb bereits in der Literatur erörtert worden, ob in derartigen Fällen nicht zweckmäßigerweise – analog den Grundsätzen für einen Prozesspfleger – ein Verfahrenspfleger bestellt wird1. 381c
Û
Hinweis: Sinnvoll sind Bemühungen in diese Richtung nur dann, wenn tatsächlich Anhaltspunkte für Vermögenswerte vorhanden sind. Aufschluss bringt häufig das Gutachten, dass der vom Gericht bestellte Sachverständige erstellt hat.
381d Häufig finden sich in den Sachverständigengutachten Hinweise auf nicht ordnungsgemäß eingezahltes Stammkapital, allerdings verbunden mit dem Hinweis, dass die Realisierungsaussichten bei bestimmten Gesellschaftern, vor allem wenn sie noch zusätzlich von dritter Seite als Geschäftsführer in Anspruch genommen werden, unsicher sind. In diesem Zusammenhang sollte mit dem Mandanten erörtert werden, ob er unter Umständen zu den Vermögensverhältnissen bessere Erkenntnisse als der Sachverständige hat. 382 Unabhängig von einem neuen Insolvenzverfahren kann der Gläubiger auch versuchen, den Anspruch auf Einlageleistung zu pfänden. Dies könnte aber schwierig werden, wenn auf Schuldnerseite niemand mehr vorhanden ist, dem ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zugestellt werden kann. In diesem Zusammenhang ist auch mit dem Mandanten zu überlegen, ob jetzt nicht bei Vermögensverschiebungen Bestimmungen des Anfechtungsgesetzes zum Tragen kommen. 2. Natürliche Person 383 Ist der Schuldner eine natürliche Person, so wird die anwaltliche Beratung sich mit reinen Fragen – des Vollstreckungsrechtes und – der Ermittlung von Vermögenswerten und ähnlichem zu befassen haben.
1 Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, § 13 Rz. 26.
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§7 Beratung des gesicherten Gläubigers
I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beratungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Sicherungsrechte und die Insolvenzrechtsreform. . . . . . . . . . . . . 3. Die gesetzlichen Änderungen im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verwertungsverfahren . . . . . . . . . . b) Lastenverteilung . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsentwicklung seit Inkrafttreten der InsO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . II. Aussonderungsfragen . . . . . . . . . . . . . 1. Die Aussonderung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aussonderungsrechte (§ 47 InsO). . . . a) Aussonderungsfähige Objekte . . . . b) Dingliche Aussonderungsrechte . . aa) Eigentumsrechte . . . . . . . . . . . (1) Alleineigentum . . . . . . . . . . . . . (2) Miteigentum . . . . . . . . . . . . . . . (3) Einfacher Eigentumsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Weitergeleiteter und nachgeschalteter Eigentumsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sonstige dingliche Rechte . . . . cc) Aussonderungskraft eingeräumter Bezugsrechte an Leistungen aus Lebensversicherungen . . . . . . . . . . . . . dd) Treuhandverhältnisse . . . . . . . ee) Leasing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Leasing von Mobilien . . . . . . . . (2) Leasing von Immobilien . . . . . . ff) Factoring . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Persönliche Aussonderungsrechte und Forderungen . . . . . . . . . . . . . . aa) Persönliche Aussonderungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . 3. Realisierung der Aussonderungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vor und während der Krise. . . . . . . b) Im vorläufigen Insolvenzverfahren. c) Im eröffneten Insolvenzverfahren . aa) Stellung des Aussonderungsberechtigten (§ 47 InsO) . . . . . bb) Durchsetzung von Aussonderungsrechten . . . . . . . . . . . . (1) Prüfungspflicht des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . (2) Aussonderung von Mobilien . . (3) Aussonderung von Immobilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Gerichtliche Durchsetzung . . . cc) Kosten der Aussonderung . . . . dd) Die Ersatzaussonderung . . . . .
1 1 8 11 11 12 15 16 17 17 21 21 22 23 24 27 29
33 38
45 46 50 51 60 63 81 81 87 89 90 95 103 103 106 107 112 115 116 123 125
III. Absonderungsfragen . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Absonderung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Absonderungsrechte (§§ 49 ff. InsO) . a) Absonderungsfähige Objekte. . . . . b) Immobiliarsicherheiten . . . . . . . . . aa) Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte . . . . . . . . bb) Umfang der Immobiliarsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . c) Mobiliarpfandrechte . . . . . . . . . . . . aa) Rechtsgeschäftliche Pfandrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Pfandrechte an Sachen . . . . . . (2) Pfandrechte an Rechten und Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . (3) Pfandrecht an Ansprüchen aus Lebensversicherungsverträgen. . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gesetzliche Pfandrechte . . . . . d) Besitzlose Mobiliarsicherheiten. . . aa) Sicherungsübereignung . . . . . . bb) Sicherungszession . . . . . . . . . . (1) Globalzession . . . . . . . . . . . . . . (2) Sicherungsabtretung im Rahmen von Kautionsversicherungsverträgen . . . . . . . . (3) Abtretung von Ansprüchen aus Lebensversicherungsverträgen. . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verlängerter und erweiterter Eigentumsvorbehalt . . . . . . . . e) Widerrufliches Bezugsrecht an Leistungen aus Lebensversicherungsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . f) Pfändungspfandrechte, Zwangssicherungshypotheken und Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Zurückbehaltungsrechte . . . . . . . . aa) Zurückbehaltungsrechte wegen nützlicher Verwendungen . bb) Kaufmännische Zurückbehaltungsrechte . . . . . . . . . . . h) Gemeinschaftsforderungen . . . . . . i) Zölle und Steuern . . . . . . . . . . . . . . 3. Realisierung der Absonderungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vor und während der Krise . . . . . . aa) Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Reaktionsmöglichkeiten . . . . . b) Im vorläufigen Insolvenzverfahren aa) Vorläufige Verwaltung ohne Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . (1) Immobiliarsicherheiten . . . . . . (2) Mobiliarsicherheiten . . . . . . . .
Drees/Schmidt
135 135 138 138 141 144 145 150 151 153 155
159 160 168 169 175 176
177
178 179
180
183 190 190 196 199 200 203 203 203 208 216
217 220 223
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§7
Beratung des gesicherten Glubigers Vorläufige Verwaltung mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis. . . . . . . . . . . . c) Im eröffneten Insolvenzverfahren . aa) Stellung des Absonderungsberechtigten (§ 52 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verwertung der Absonderungsrechte. . . . . . . . . . . . . . (1) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . (2) Verwertung von Immobiliarsicherheiten . . . . (a) Zwangsversteigerungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Vorläufige Einstellung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Zinszahlungspflicht (§ 30e Abs. 1 ZVG). . . . . . . . . . . . . . (cc) Nachteilsausgleichsanspruch (§ 30e Abs. 2 ZVG) . . (b) Zwangsverwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Gerichtliche Durchsetzung . (3) Verwertung von Mobiliarpfandrechten . . . . . . . . . . . . (a) Mobiliarpfandrechte an Sachen. . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Mobiliarpfandrechte an Forderungen und sonstigen Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Verwertung besitzloser Mobiliarsicherheiten . . . . . . (a) Verwertung von Sachen . . . . (aa) Verwertungsbefugnis . . . . . . (bb) Verwertungsverfahren . . . . . (aaa) Auskunftsanspruch (§ 167 InsO) . . . . . . . . . . . . . . (bbb) Mitteilungspflicht und Hinweisrecht (§ 168 InsO) . . . . . (ccc) Schutz vor Verwertungsverzögerungen (§ 169 InsO) . . . (ddd) Nachteilsausgleichsanspruch (§ 172 InsO) . . . . . . . (cc) Verwertung durch den Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . (b) Verwertung von Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Verwertung von Rechten und sonstigen Vermögenswerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kosten der Absonderung und Erlösverteilung . . . . . . . (1) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . (2) Immobiliarsicherheiten . . . . (a) Feststellungs- und Verwertungskosten . . . . . . . . . . (b) Umsatzsteuer und Einkommensteuer . . . . . . . . . . . (c) Sicherungsübereignung der Zubehörsgegenstände . . . . . (d) Freihändige Grundstücksveräußerung . . . . . . . . . . . . . (3) Mobiliarpfandrechte . . . . . . (4) Besitzlose Mobiliarsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . .
(a) (aa) (bb) (cc) (dd)
bb)
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Drees/Schmidt
230 231
231 239 239 244 250 250 253 256 258 262 263 263
266
IV. V. 1. 2.
270 270 270 281 282 287 297 305 308 309
315 317 317 325 325 331 334
VI. VII.
338 339
1. 2.
341
An Sachen . . . . . . . . . . . . . . . Feststellungskosten . . . . . . . Verwertungskosten . . . . . . . . Umsatzsteuer. . . . . . . . . . . . . Erhaltungs- und Verfahrenskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) An Forderungen und sonstigen Rechten . . . . . . . . . . . . (aa) Verwertungs- und Feststellungskosten . . . . . . . . . . . (bb) Umsatzsteuer. . . . . . . . . . . . . dd) Die Ersatzabsonderung. . . . . ee) Die Ausfallhaftung . . . . . . . . . (1) Verhältnis persönlicher zu dinglicher Haftung. . . . . . . . . (2) Ausfallhaftung . . . . . . . . . . . . (3) Verzicht und Verwirkung . . . (a) Verzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Verwirkung . . . . . . . . . . . . . . . (4) Nachweis des Ausfalls . . . . . . d) Nach Aufhebung des Verfahrens (§§ 200, 201 InsO) . . . . . . . . . . . . . . e) Bei Einstellung mangels Masse (§ 207 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Bei Anzeige von Masseunzulänglichkeit (§ 208 InsO) . . . . . . . . . . . . Sicherheitenpool . . . . . . . . . . . . . . . . . Personalsicherheiten . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Realisierung der Personalsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vor und während der Krise . . . . . . b) Im vorläufigen Insolvenzverfahren c) Im eröffneten Insolvenzverfahren . aa) Bürgschaft . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Insolvenz des Hauptschuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Haftung des Bürgen . . . . . . . . . (b) Zahlungen des Bürgen . . . . . . . (c) Rückgriffsansprüche des Bürgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Absonderungsrechte des Bürgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Insolvenz des Bürgen . . . . . . . . (a) Alleinige Insolvenz des Bürgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Insolvenz des Bürgen und des Hauptschuldners . . . . . . . . (3) Insolvenz des Gläubigers . . . . . bb) Schuldbeitritt . . . . . . . . . . . . . . (1) Haftung des Beitretenden . . . . (2) Rückgriffsansprüche des Beitretenden. . . . . . . . . . . . . . . cc) Garantien . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Patronatserklärung . . . . . . . . . d) Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Drittsachsicherheiten . . . . . . . . . . . . . Aufrechnung und Zurückbehaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Persönlicher Anwendungsbereich . . . Aufrechnungslage . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gegenseitigkeitsverhältnis. . . . . . . b) Gleichartigkeit . . . . . . . . . . . . . . . .
342 343 345 350 365 368 368 370 371 376 376 385 392 392 394 395 401 408 410 414 419 419 420 420 423 426 428 428 428 440 455 456 457 458 463 465 466 466 472 478 484 487 488 496 497 507 509 513
Allgemeines c) Fälligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Eintritt der Aufrechnungslage im Insolvenzverfahren, § 95 InsO. . . . . 3. Aufrechnungsverbote nach § 96 InsO . a) Gegenseitigkeit nach Eröffnung, § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO . . . . . . . . . . . . b) Erwerb der Gegenforderung nach Eröffnung, § 96 Abs. 1 Nr. 2 InsO . . c) Forderungserwerb durch anfechtbare Rechtshandlung, § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§7
Rz. 5 515 516 519 521 524
d) Vermögenstrennung, § 96 Abs. 1 Nr. 4 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ausnahme nach § 96 Abs. 2 InsO 4. Aufrechnungserklärung . . . . . . . . . 5. Wirkungen der Aufrechnung . . . . . . 6. Zurückbehaltungsrechte in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . .
. . . .
528 529 530 531
. . 534
526
I. Allgemeines 1. Beratungsansatz Die anwaltliche Beratung von Gläubigern in Insolvenzsachverhalten ist ein zwei- 1 schneidiges Schwert: Der Sorge, „schlechtem Geld Gutes hinterherzuwerfen“, steht die mitunter nur vage Chance gegenüber, mit anwaltlicher Unterstützung eine bessere Befriedigung zu erlangen. Während sich bei ungesicherten Gläubigern verbesserte Befriedigungsaussichten nur in einer höheren – in der Regel aber immer noch sehr geringen – Quote widerspiegeln, haben gesicherte Gläubiger durch die Zugriffsmöglichkeit auf einen allein ihrer Befriedigung dienenden Sicherungsgegenstand die begründete Aussicht, den insolvenzbedingten Ausfall so gering wie möglich zu halten. Diesem Interesse eines jeden Sicherungsgläubigers, aus der ihm überlassenen Sicher- 2 heit die bestmögliche Befriedigung zu erlangen, steht der gesetzliche Auftrag des Insolvenzverwalters gegenüber, „die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt […] wird.“ Es gilt damit der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Insolvenzgläubiger. In Erfüllung dieses Auftrags werden Insolvenzverwalter bei fehlenden Anhaltspunkten für Sicherheitenrechte von einer ungesicherten Insolvenzforderung ausgehen und diese bei Verfahrensbeendigung quotal befriedigen. Die Inbesitznahme (§ 148 InsO) umfasst daher zunächst auch solche Gegenstände, 3 die mit Sicherungsrechten Dritter belastetet sind. Es gelten insoweit auch für den Insolvenzverwalter die Regelungen des § 1006 Abs. 1 und 2 BGB, wonach vermutet wird, dass der Besitzer einer Sache auch deren Eigentümer ist. Der Insolvenzverwalter kann also davon ausgehen, dass der besitzende Insolvenzschuldner auch Eigentümer ist. Dementsprechend ist es Sache des Sicherungsgläubigers, binnen einer angemessenen Frist sein Recht geltend zu machen und substantiiert darzulegen. Im wohlverstandenen Interesse der Gesamtgläubigerschaft sind Sicherungsrechte 4 vom Verwalter erst dann zu beachten, wenn sie durch Glaubhaftmachung durch den Sicherungsgläubiger oder auf andere Weise im Rahmen der Verwaltertätigkeit bekannt geworden sind. Ergeben sich entsprechende Anhaltspunkte für Sicherungsrechte, besteht eine Pflicht des Verwalters, den Sachverhalt hinsichtlich solcher Rechte aufzuklären. Die Beweislast für solche Anhaltspunkte trägt der (vermeintliche) Sicherungsgläubiger. Um Gläubigern entsprechenden Vortrag zu ermöglichen, sind diese gemäß § 28 Abs. 2 5 InsO mit dem Eröffnungsbeschluss aufzufordern, dem Verwalter unverzüglich mitzuteilen, – welche Sicherungsrechte sie an beweglichen Sachen oder an Rechten des Schuldners in Anspruch nehmen und – den Gegenstand, an dem das Sicherungsrecht beansprucht wird, die Art und den Entstehungsgrund des Sicherungsrechts sowie die gesicherte Forderung zu bezeichnen.
Drees/Schmidt
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§7 5a M 6
Rz. 5a
Beratung des gesicherten Glubigers
Musterschreiben1 – Anmeldung einer gesicherten Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle
Sehr geehrter Herr Kollege, wir drfen Ihnen mitteilen, dass wir die rechtlichen Interessen der Fa. . . . in vorbenanntem Insolvenzverfahren vertreten. Uns liegt Ihr Schreiben vom . . . vor, in dem Sie uns zur Anmeldung der Forderungen unserer Mandantin zur Insolvenztabelle auffordern. Bezugnehmend hierauf melden wir die nachfolgend nher bezeichnete Forderung fr den Ausfall zur Insolvenztabelle an: 1. Forderung auf Darlehensrckzahlung gemß Vertrag vom . . . in Hçhe von . . . 2. Rckstndige Zinsverpflichtung seit dem . . . bis zur Verfahrenserçffnung laut Ziff. . . . des vorbenannten Vertrages in Hçhe von . . . Den Darlehensvertrag, die den Empfang der Darlehenssumme besttigende Quittung der Schuldnerin, die Kndigung des Vertrages sowie eine Aufstellung der Zinsen berreichen wir in der Anlage. Zur Sicherung dieser Forderung bestehen zugunsten unserer Mandantin folgende Sicherheiten: 1. Briefhypothek ber . . . nebst . . . % Zinsen seit dem . . . gemß Hypothekenbestellungsurkunde des . . . vom . . . zur Urkunds.-Nr. 2. Sicherungsbereignung des . . ., amtliches Kennzeichen . . . 3. Garantieerklrung der . . . Zum Nachweis dieser Sicherheiten berreichen wir ebenfalls in der Anlage die entsprechenden Urkunden in einfacher Kopie. Hinsichtlich der unter Ziff. 1. und 2. angefhrten Sicherheiten begehrt unsere Mandantin abgesonderte Befriedigung. Mit freundlichen Grßen 6 (Vermeintlich) gesicherte Gläubiger sind daher gut beraten, aktiv zu werden und den Insolvenzverwalter mit dem Wissen um bestehende Sicherungsrechte zu belasten. Nur auf diese Weise kann es gelingen, den Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu verlassen und eine über die Insolvenzquote hinausgehende Befriedigung zu erlangen, indem etwa – ein Gegenstand aus der Insolvenzmasse gemäß § 47 InsO herausverlangt bzw. ausgesondert wird (vgl. zur Aussonderung unter Rz. 17 ff.); – aus der Verwertung eines bestimmten Gegenstandes gemäß §§ 49 ff. InsO abgesonderte Befriedigung aus dem hierbei erzielten Erlös beansprucht wird (vgl. zur Absonderung unter Rz. 135 ff.); – persönlich und/oder dinglich mithaftende Dritte in Anspruch genommen werden (vgl. hierzu Rz. 419 ff. und Rz. 487c). 7
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Grundsätzliche Hinweise zum anwaltlichen Beratungsansatz bei der Behandlung von Sicherungsrechten in Insolvenzsachverhalten: – Die insolvenzrechtliche Beratung gesicherter Gläubiger setzt gedanklich und auch tatsächlich stets eine zivilrechtliche Beratung voraus. Denn nur zivilrechtlich wirksame Sicherheiten eröffnen den Anwendungsbereich der §§ 47 f., 49 ff. InsO. – Auch innerhalb der insolvenzrechtlichen Beratung gibt es zwingende gedankliche Vorüberlegungen. Mit der Feststellung der zivilrechtlichen Wirksamkeit ist es nicht getan. Die Geltendmachung von Absonderungsrechten setzt weiter deren Insolvenzfestigkeit voraus2. Hierfür hat der Berater insbesondere den Einwand der insolvenzrechtlichen Anfechtbarkeit gemäß §§ 129 ff., 143
1 Vgl. hierzu sowie zu weiteren Mustern Breuer, Insolvenzrechtshandbuch, S. 244 ff. 2 BAG v. 18.7.2013 – 6 ATR 47/12, NZI 2014, 167.
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Allgemeines
Rz. 11
§7
Abs. 1 InsO und die insolvenzrechtliche Unwirksamkeit aus anderen Gründen, z.B. gemäß § 88 InsO (Rz. 185) zu überprüfen. Indizien für entsprechenden Beratungsbedarf sind die zeitliche Nähe zum Insolvenzantrag und die Vereinbarung nachträglicher Sicherheiten. Zur Insolvenzanfechtung vgl. § 10 dieses Buches. – Die Erfolgsaussichten der Verfolgung von Absonderungsrechten können nicht ohne sorgfältige Überprüfung der zuvor genannten Vorfragen beurteilt werden. Kommt es zu einer streitigen Auseinandersetzung bei der Durchsetzung werden Insolvenzverwalter stets bemüht sein, Wirksamkeit und Insolvenzfestigkeit anzugreifen. – Gesicherte Gläubiger sind gut beraten, diese Vorfragen auch dann zu klären, wenn die den Sicherheiten zugrunde liegende Hauptforderung noch vor dem Insolvenzantrag beglichen worden ist. Denn sollte diese Befriedigung erfolgreich angefochten werden, so leben mit der Hauptforderung sowohl akzessorische1 als auch nicht akzessorische2 Sicherheiten wieder auf3. 2. Die Sicherungsrechte und die Insolvenzrechtsreform Die Beratung gesicherter Gläubiger hat mit Einführung der InsO an Bedeutung ge- 8 wonnen. Denn neben zahlreichen anderen gesetzgeberischen Anliegen (Maßnahmen zur Beseitigung der Massearmut, Gläubigergleichbehandlung, Sanierungsgedanke, etc.) galt ein Hauptaugenmerk der Reformüberlegungen der privilegierten Rechtsstellung gesicherter Gläubiger. Den Sicherungsrechten wurde in dreifacher Hinsicht eine Ausbeutung der Masse vorgeworfen: – Vorabbefriedigung auf Kosten der Gesamtgläubigerschaft. – Möglichkeit der Eigenverwertung sorgte für unkoordinierten Zugriff und verhinderte sowohl die Sanierung und Fortführung als auch eine mögliche gewinnbringende Gesamtveräußerung des insolventen Unternehmens. – Belastung der Masse mit den durch die Feststellung, Erhaltung und Bearbeitung der Sicherungsrechte entstehenden Kosten („Exklusiv-Konkurs der Privilegierten“). Mit der Grundidee eines neuen Insolvenzrechts – Ablösung des Prioritätsprinzips 9 durch den Grundsatz der gemeinschaftlichen Befriedigung – sollten diese Privilegien stark eingeschränkt werden. Vor diesem Hintergrund wurde im Rahmen der Gesetzesreform insbes. die Behand- 10 lung von Sicherungsrechten im Insolvenzfall abweichend von der Konkursordnung gestaltet, um den vorrangigen Reformzielen – Anreicherung der Masse sowie erleichterte Verfahrenseröffnung – möglichst nahe zu kommen. 3. Die gesetzlichen Änderungen im Überblick a) Verwertungsverfahren Die Abwicklung von Konkursverfahren kollidierte häufig mit der selbständig betrie- 11 benen Verwertung des Schuldnervermögens durch aus- und absonderungsberechtigte Gläubiger. Durch den eigenhändigen Zugriff der Gläubiger auf die betriebsgebundenen Vermögensgegenstände wurde das Betriebsvermögen des Gemeinschuldners zerschlagen, die Betriebe dadurch lahm gelegt, ihre Fortführung oder Veräußerung als Betriebseinheit verhindert und damit letztlich der Versuch des Verwalters, das Verfahren einer vorteilhaften Abwicklungsstrategie zuzuführen, häufig vereitelt. Der Gesetzgeber sah es deshalb als notwendig an, die Insolvenzmasse vor der unkontrol-
1 BGH v. 24.10.1973 – VIII ZR 82/72, KTS 1974, 96. 2 OLG Frankfurt v. 25.11.2003 – 9 U 127/02, ZIP 2004, 271 m. Anm. Wagemann, EWiR 2004, 563 (564). Zur Vorinstanz vgl. LG Frankfurt v. 15.8.2003 – 17 O 370/02, ZInsO 2003, 907 m. Bspr. von Biehl, ZInsO 2003, 932 ff. 3 Ausführlich hierzu Heidbrink, NZI 2005, 363 m. zahlr. w.N.
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§7
Rz. 11a
Beratung des gesicherten Glubigers
lierten Zerschlagung durch Einzelzugriffe zu schützen1. Das Nutzungspotential der schuldnerfremden Sachen sollte zunächst der Masse zur vereinfachten Verwertungskoordinierung vorbehalten bleiben. Die wirtschaftlich sinnvollste und bestmögliche Verwertung des Schuldnervermögens erforderte daher die Einbeziehung der gesicherten Gläubiger in das Gesamtverfahren2. 11a Als Konsequenz hieraus wurde in der InsO dem Insolvenzverwalter die Verwertungsbefugnis im Hinblick auf die Absonderungsrechte zugesprochen. Er soll darüber bestimmen, wann und auf welche Art und Weise die belasteten schuldnerischen Vermögensgegenstände verwertet werden. Dadurch tritt eine Verfahrensvereinheitlichung und -konzentration in der Hand des Insolvenzverwalters ein. 11b
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Hinweis: Das Aussonderungsrecht entspricht weitestgehend der alten Rechtslage unter der KO.
b) Lastenverteilung 12 Des Weiteren wurde die Lastenverteilung hinsichtlich der im Verwertungsvorgang von Mobiliarsicherheiten entstehenden Kosten beklagt, da diese allein den gesicherten Gläubigern zugute kamen, hingegen finanziell der Insolvenzmasse zur Last fielen und damit allein von den „übrig gebliebenen“, ungesicherten Gläubigern zu tragen waren3. Die vielfältigen Formen von Mobiliarsicherheiten, ihre fehlende Erkennbarkeit und die häufig auftretenden Kollisionsfälle verursachen bei der Abwicklung von Insolvenzfällen regelmäßig erhebliche Kosten. Insbesondere führen die rechtliche Feststellung sowie die tatsächliche Trennung der Sicherheiten, die Erhaltung des Sicherungsguts während des Verfahrens und seine Verwertung, soweit diese vom Verwalter vorgenommen wird, zu einer finanziellen Belastung der Insolvenzmasse und letztlich zu einer Senkung der Befriedigungsquoten ungesicherter Gläubiger. 13 Der Gesetzgeber verpflichtete daher die Absonderungsberechtigten zu obligaten Kostenbeiträgen, die dem Verwertungserlös bereits vor dessen Auskehr an sie zugunsten der Insolvenzmasse entnommen werden. Für die Höhe der einzubehaltenden Kostenbeiträge sieht § 171 InsO aus Gründen der Praktikabilität Pauschalsätze vor. Soweit die Verwertung zu einer Belastung der Masse mit Umsatzsteuer führt, ist auch der Umsatzsteuerbetrag zusätzlich zu den Kostenbeiträgen von dem Sicherungsnehmer zu tragen (§ 171 Abs. 2 Satz 3 InsO). 13a
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Hinweis: Die Regelungen über die obligaten Kostenbeiträge finden auf die Aussonderungsrechte keine Anwendung. Ebenfalls fehlt eine entsprechende Regelung.
14 Überblick – Wesentliche Änderungen bei Absonderungsrechten – Ausnahmsloser Einbezug der absonderungsberechtigten Gläubiger in das Insolvenzverfahren (§ 52 InsO) – Regelverwertungsrecht liegt bei Verwalter4 – Obligatorische Kostenbeiträge 4. Rechtsentwicklung seit Inkrafttreten der InsO 15 Auch nach Inkrafttreten der InsO hat es zahlreiche gesetzliche Neuerungen und Änderungen gegeben. Es handelt sich im Einzelnen um das – Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze (InsOÄndG 2001)5, 1 2 3 4
BT-Drucks. 12/2443, S. 2. BT-Drucks. 12/2443, S. 77, 79; Referentenentwurf, 2. Teil, S. 16. BT-Drucks. 12/2443, S. 87. Zur Möglichkeit des Eingriffs in das Verwertungsrecht im Wege einstweiliger Anordnung: OLG Oldenburg v. 9.4.2013 – 1 W 13/13, ZInsO 2014, 304. 5 Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze (InsOÄndG 2001), BGBl. I S. 2710.
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Allgemeines
Rz. 15e
§7
– Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens 2007 (vgl. Rz. 15a)1, – Gesetz zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge und zur Anpassung des Rechts der Insolvenzanfechtung 20072, – Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 23. Oktober 2008 (MoMiG3) und – Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 7.12.2011 (ESUG4) Für die Beratung des gesicherten Gläubigers ist in erster Linie das mit dem 1.7.2007 15a in Kraft getretene Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens 2007 von Bedeutung. Neben Neuregelungen in den Bereichen der Auswahl des Insolvenzverwalters (§ 6 Rz. 156 ff.) und der Freigabe der Arbeitskraft des selbständigen Schuldners (§ 17 Rz. 87) liegt ein Schwerpunkt dieses Gesetzes in der Stärkung der Sanierungsund Ordnungsfunktion des Eröffnungsverfahrens durch Einbeziehung aus- und absonderungsberechtigter Gläubiger5. Aufgegangen ist diese Neuregelung in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO. Hiernach kann 15b das Insolvenzgericht für aus- und absonderungsberechtigte Gläubiger beweglicher Sachen und Forderungen eine Verwertungssperre anordnen. Entsprechend gesicherte Gläubiger können bei einer solchen Anordnung weder Herausgabe verlangen, noch eine sicherungszedierte Forderung einziehen6. Das Schrifttum kritisiert die fehlende Unterscheidung zwischen Aus- und Absonderungsrechten7. Nach richtigem Verständnis sind auch Aussonderungsgläubiger erfasst8. Für den gesicherten Gläubiger stellt die Neuregelung zweifelsohne eine Belastung dar. Wegen der Einzelheiten wird für Aussonderungsberechtigte auf Rz. 95 ff. und für Absonderungsberechtigte auf Rz. 216 ff. verwiesen. Das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Miss- 15c bräuchen (MoMiG) einerseits und das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) andererseits haben fundamentale Auswirkungen auf die Insolvenzordnung im Allgemeinen genommen, nicht jedoch auf die Rechtsstellung gesicherter Gläubiger im Besonderen. Das MoMiG zielt über die erleichterte Gründung einer Kapitalgesellschaft, die all- 15d gemeine Attraktivitätssteigerung der GmbH, die Bekämpfung von Missbräuchen (Firmenbestattung, etc.) insbesondere auf die Deregulierung des Eigenkapitalersatzrechts und Integration der §§ 32a GmbHG f. in das Recht der Insolvenzanfechtung. Die zuletzt genannte Stoßrichtung des am 1.11.2008 in Kraft getretenen Gesetzes dürfte die größte Auswirkungen auf Sicherheitenrechte haben, wenn auch nur solche von Gesellschaftern im Fall von Eigenfinanzierungen (vgl. hierzu Kapitel 4). Das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 15e 7.12.2011 (ESUG)beinhaltet weitreichende Änderungen der Insolvenzordnung, um die Sanierung von Unternehmen zu erleichtern. Zu diesem Zweck ist mit dem so genannten Schutzschirmverfahren ein gänzlich neues Sanierungsinstrument (§ 270b InsO) – wenn auch nur als eine Spielart des Insolvenzeröffnungsverfahrens – eingeführt worden. Die bereits bekannten, aber nur wenig zur Geltung gelangten, Instrumentarien der Eigenverwaltung und Plansanierung erfahren eine deutliche Aufwertung (zu den Einzelheiten vgl. Kap. 13). Die zahlreichen Änderungen haben auch eine 1 Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens 2007, BGBl. I S. 509. 2 Gesetz zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge und zur Anpassung des Rechts der Insolvenzanfechtung 2007, BGBl. I S. 368. 3 BGBl. 2008, Teil I Nr. 48, S. 2026. 4 Gesetz vom 7.12.2011, BGBl. I, S. 2582. 5 Schmidt in Hamburger Kommentar zur InsO, § 1 Rz. 9; OLG Oldenburg v. 9.4.2013 – 1 W 13/13, ZInsO 2014, 301. 6 Ausführlich hierzu Kuder, ZIP 2007, 1690 ff. 7 Kirchhof, ZInsO 2007, 227 (228 ff.). 8 Schmidt in Hamburger Kommentar zur InsO, § 1 Rz. 9. Kritisch zur Einbeziehung von Aussonderungsberechtigten Kirchhof, ZInsO 2007, 227 (228 ff.).
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§7
Rz. 16
Beratung des gesicherten Glubigers
Stärkung der Gläubigerrechte zur Folge. Zum Ausdruck kommt dies insbesondere durch die Einführung des vorläufigen Gläubigerausschusses (§§ 21 Abs. 2 Nr. 1a, 22a InsO) und die auf diese Art und Weise geschaffene Gläubigerbeteiligung bei der Bestellung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters (§§ 21 Abs. 2 Nr. 1, 56a InsO). So darf das Gericht von einem einstimmigen Vorschlag des vorläufigen Gläubigerausschusses zur Person des Verwalters nur abweichen, wenn die vorgeschlagene Person für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist (§ 56a Abs. 2 InsO). Unmittelbare Auswirkungen auf die Rechtsstellung von Aus- und Absonderungsberechtigten sieht das ESUG nicht vor. Anders als für die Anteilsinhaber (§§ 225a ff. InsO) werden keine weitergehenden Eingriffsmöglichkeiten in die Rechtsstellung der entsprechend gesicherten Gläubiger geschaffen. Auch sonstige – unmittelbar für Ausund Absonderungsrechte geltende Regelungen – enthält das ESUG nicht, mit Ausnahme der Repräsentanz absonderungsberechtigter Gläubiger im vorläufigen Gläubigerausschuss. Darüber hinaus wird es zahlreiche Reflexwirkungen – z.B. gesteigerte Bedeutung von Lieferantenpools – geben, auf die an den jeweiligen Stellen einzugehen sein wird. In gleicher Weise muss berücksichtigt werden, dass bei verstärktem Auftreten von Plansanierungen (in Eigenverwaltung) die Verwertungsrechte des Insolvenzverwalters gemäß der §§ 166 ff. InsO an Bedeutung verlieren. Denn im (klassischen) Fall der Plansanierung kommt es jedenfalls dann nicht zu Verwertungsmaßnahmen, wenn die wirtschaftliche Einheit und deren Fortbestand Gegenstand der Plansanierung ist. 5. Gang der Darstellung 16 Vor diesem Hintergrund sollen nunmehr die für die Beratung gesicherter Gläubiger relevanten Fragestellungen jeweils isoliert für – Aussonderungsberechtigte (Rz. 17 ff.), – Absonderungsberechtigte (Rz. 135 ff.) sowie – durch Personalsicherheiten abgesicherte Gläubiger (Rz. 419 ff.) behandelt werden. II. Aussonderungsfragen 1. Die Aussonderung 17 Entsprechend der Einzelzwangsvollstreckung sollen auch von der Gesamtvollstreckung nur die Vermögensgegenstände erfasst werden, die dem schuldnerischen Vermögen zuzuordnen sind. Gemäß § 35 InsO fallen daher nur die Gegenstände in die Insolvenzmasse, die dem Schuldner „gehören“, d.h. wenn diesem an den haftenden Gegenständen ein vorbehaltloses Vollrecht zukommt. 18 Schuldnerfremde Sachen sind mithin aus der Haftungsmasse zu nehmen, insolvenztechnisch sind sie nach § 47 InsO auszusondern. Übernimmt der Verwalter bei der Inbesitznahme des Vermögens nach § 148 Abs. 1 InsO auch die aufgrund der Vielzahl der Geschäftsbeziehungen des Insolvenzschuldners noch in dessen Vermögen vorhandenen Gegenstände und Rechte, die nicht in dessen Eigentum stehen, sondern einem Dritten gehören, kann der Dritte die Inbesitznahme für die Masse dadurch abwenden, dass er die Aussonderung seines Vermögensgegenstandes nach § 47 InsO begehrt. Durch die Aussonderung werden sodann die im Zeitpunkt der Inbesitznahme durch den Verwalter noch im schuldnerischen Vermögen vorhandenen Fremdgegenstände und -rechte aus der Insolvenzmasse als „Ist-Masse“ herausgelöst und diese dadurch zur „Soll-Masse“ bereinigt. 19 Die Aussonderungsberechtigten sind keine Insolvenzgläubiger. Sie machen lediglich geltend, dass ein bestimmter Gegenstand bzw. ein bestimmtes Recht nicht zur Insolvenzmasse gehört. Dabei können sie ihren Ansprüchen frei von den Zwängen des Insolvenzverfahrens Geltung verschaffen und brauchen sich hierbei keinen insolvenzrechtlich bedingten Einschränkungen zu unterwerfen. Ihnen kommt mithin die stärkste Stellung unter allen Gläubigern zu. Die Parallele in der Einzelzwangsvollstreckung wäre die Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO. 454
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Aussonderungsfragen
Rz. 22
§7
Wer im Einzelnen aussonderungsberechtigt ist, ergibt sich nicht aus den Vorschriften 20 der InsO selbst. Das Gesetz spricht in § 47 Satz 1 InsO nur davon, dass aussonderungsberechtigt derjenige ist, der aufgrund eines – dinglichen (Rz. 22 ff.) oder – persönlichen (Rz. 81 ff.) Rechts geltend machen kann, dass ein Gegenstand nicht zur Insolvenzmasse gehört. Der Anspruch auf Aussonderung eines bestimmten Gegenstands bestimmt sich nach den allgemeinen Gesetzen außerhalb der InsO1. Gegenstand eines Aussonderungsanspruchs können – bewegliche und unbewegliche Sachen oder – dingliche und persönliche Rechte sowie Forderungen sein, soweit diese individuell bestimmbar sind. Voraussetzung eines Aussonderungsrechts ist daher, dass dem Berechtigten ein dingliches oder persönliches Recht an dem Aussonderungsobjekt zukommt und dieses massebefangen ist, sprich, sich bei Insolvenzeröffnung im Besitz des Schuldners befand und der Insolvenzverwalter – sei es auch bereits vor der Inbesitznahme – Ansprüche auf diesen Gegenstand erhebt.
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Hinweise für den Berater: 20a An dieser Stelle zeigt sich die Relevanz der eingangs erwähnten Vorfragen (Rz. 7), deren Beantwortung für eine sorgsame insolvenzrechtliche Beratung unerlässlich ist. Denn nur zivilrechtlich wirksame und insolvenzfeste Sicherheitenrechte eröffnen den Anwendungsbereich der §§ 47 f. InsO.
2. Aussonderungsrechte (§ 47 InsO) a) Aussonderungsfähige Objekte Aussonderungsfähig im Sinne von § 47 InsO sind Gegenstände, d.h. bewegliche und 21 unbewegliche Sachen, dingliche und persönliche Rechte, Forderungen aller Art sowie der Besitz. Das Aussonderungsobjekt muss individuell bestimmt oder zumindest bestimmbar sein. Handelt es sich um vertretbare oder verbrauchbare Sachen, sind diese dann hinreichend bestimmt bzw. bestimmbar, wenn sie sich unterscheidbar in der Masse befinden. Ist aufgrund vorangegangener Vermischung mit schuldnereigenen Gegenständen gemäß § 948 BGB die Unterscheidbarkeit des Aussonderungsobjekts nicht mehr gegeben, so erfolgt die Abwicklung nach § 84 InsO. Gemessen an diesen Kriterien sind nach Ansicht des OLG Düsseldorf auch persönli- 21a che Kundendaten aussonderungsfähig2. So können Daten, die Kunden über die Homepage eines Unternehmens eingegeben haben, um sich für den Bezug eines elektronischen Newsletters dieses Unternehmens an- oder abzumelden (§§ 668 Alt. 1, 675 BGB i.V.m. § 47 InsO)3 in der Insolvenz des technischen Dienstleisters, der den Versand des Newsletters abgewickelt hatte, vom Insolvenzverwalter nach Maßgabe des Geschäftsbesorgungsvertrages gemäß §§ 668 Alt. 1, 675 BGB i.V.m. § 47 InsO herausgeben werden4. b) Dingliche Aussonderungsrechte Während zu den dinglichen Rechten für gewöhnlich all diejenigen Rechte zählen, die dem Rechtsinhaber das Recht zur Herrschaft über eine Sache einräumen, fallen un-
1 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 98; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 47 Rz. 4 ff. 2 So auch Bultmann, ZInsO 2011, 992 (993 f.). 3 OLG Düsseldorf v. 27.9.2012 – 1-6 U 241/11, ZInsO 2013, 260 ff. m. kritischer Anmerkung Egerlandt, EWiR 2013, S. 53 f. Ausführlich zur Aussonderungsfähigkeit von Daten sowie den denkbaren rechtlichen Grundlagen einer Aussonderung (§ 667, Grundsätze der uneigennützigen Verwaltungstreuhand, § 1004, etc.) Bultmann, ZInsO 2011, 992 (994 ff.). 4 OLG Düsseldorf v. 27.9.2012 – 1-6 U 241/11, ZInsO 2013, 260 ff. m. kritischer Anm. Egerlandt, EWiR 2013, S. 53 f.
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§7
Rz. 23
Beratung des gesicherten Glubigers
ter die dinglichen Rechte des § 47 InsO all diejenigen, die die Rechtsinhaberschaft an Gegenständen im Sinne der InsO zuweisen1. aa) Eigentumsrechte 23 Zu den Aussonderungsrechten gehört in erster Linie das Eigentum im Sinne des BGB an beweglichen und unbeweglichen Sachen. Die Durchsetzung dieses Vindikationsanspruchs ist der Grundfall der Aussonderung, da Gegenstände, die im Eigentum eines Dritten stehen, nicht zu dem insolvenzbeschlagenen Vermögen des Schuldners und damit nicht zur Insolvenzmasse zählen (§ 35 InsO). Dem Eigentümer steht ein Aussonderungsrecht zu, wenn ihm zugleich auch ein Anspruch auf Herausgabe z.B. nach § 985 BGB hinsichtlich des auszusondernden Gegenstands zukommt2. (1) Alleineigentum 24 Das Alleineigentum berechtigt den Rechtsinhaber zur Aussonderung seiner Sache3. Ausdrücklich gesetzlich ausgenommen ist das Sicherungseigentum (§ 51 Nr. 1 InsO). Der aus dem Alleineigentum erwachsende dingliche Anspruch des Berechtigten auf Aussonderung richtet sich in der Regel auf die Herausgabe des Aussonderungsobjekts nach § 985 BGB, soweit der Schuldner jedenfalls unmittelbarer Besitzer in Form des Eigen- oder Fremdbesitzers ist und ihm kein Recht zum Besitz zusteht. Soweit der Insolvenzschuldner selbst die Stellung eines mittelbaren Besitzers innehat, richtet sich der Aussonderungsanspruch auf Abtretung des Herausgabeanspruchs gegenüber dem Besitzmittler4. Kommt dem Schuldner jedoch ausnahmsweise ein Recht zum Besitz zu, oder bestreitet der Insolvenzverwalter die Eigentumsposition des Dritten, so beschränkt sich der Anspruch zunächst auf die Feststellung der Eigentumsposition. 25 Der Aussonderungsanspruch kann auch auf eine schuldrechtliche Rechtsgrundlage gestützt werden, z.B. auf § 546 Abs. 1 BGB für den Vermieter gegenüber dem Mieter oder auf § 695 BGB für den Hinterleger gegenüber dem Hinterlegungsempfänger (siehe hierzu Rz. 81 ff.). Stehen dem Berechtigten sowohl dingliche als auch persönliche Ansprüche auf Aussonderung zu, so kann er zwischen beiden Anspruchsgrundlagen wählen. Er wird sich im Hinblick auf die Ausübung seines Wahlrechts daran orientieren, bei welchem der Ansprüche sich für ihn die günstigere Behauptungs- und Beweislast bzw. der günstigere Gerichtsstand ergibt. Der mietvertragliche Räumungsanspruch geht allerdings in seiner Aussonderungskraft nicht über den Anspruch nach § 985 BGB hinaus; ein etwaiger überschießender „Teil“ ist Insolvenzforderung5. 26 Bei beweglichen Sachen, die sich im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung im Besitz des Insolvenzschuldners befinden, streitet zugunsten der Insolvenzmasse der § 1006 BGB, so dass zugunsten des besitzenden Schuldners dessen Eigentum vermutet wird und damit auch die Zugehörigkeit des Vermögensgegenstands zur Insolvenzmasse. Derjenige, der sein Eigentumsrecht im Rahmen der Aussonderung geltend machen möchte, muss entgegen der Publizitätswirkung des § 1006 BGB die Eigentumsvermutung widerlegen, womit ihm auch die Darlegungs- und Beweislast obliegt6. (2) Miteigentum 27 Befindet sich das Aussonderungsobjekt im Miteigentum mehrerer, so kann jeder Miteigentümer die Aussonderung durch Geltendmachung des Herausgabeanspruchs an alle Miteigentümer gemäß §§ 1011, 432 BGB betreiben7.
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Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 47 Rz. 8 m.w.N. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 9. Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 47 Rz. 9. Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 47 Rz. 16. BGH v. 7.10.2010 – IX ZB 115/08, ZInsO 2010, 2410 ff. Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 47 Rz. 15; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 115. 7 Vgl. hierzu näher Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 47 Rz. 5; MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 45.
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Aussonderungsfragen
Rz. 30
§7
Soweit der Insolvenzschuldner selbst Miteigentümer an dem auszusondernden Ge- 28 genstand ist, z.B. weil es in seinem Lager zu einer Vermischung von eigenen mit schuldnerfremden Gegenständen gemäß § 948 BGB gekommen ist, können die anderen Miteigentümer neben der Feststellung des Miteigentumsanteils und der Einräumung des Mitbesitzes auch die Auseinandersetzung der Gemeinschaft nach § 84 InsO i.V.m. § 749 BGB außerhalb des Insolvenzverfahrens verlangen1. (3) Einfacher Eigentumsvorbehalt Ein dem Vorbehaltsverkäufer im Fall der Insolvenz des Vorbehaltskäufers zustehen- 29 der einfacher Eigentumsvorbehalt begründet ebenfalls ein Aussonderungsrecht2. Hat sich der Verkäufer mithin das Eigentum an einer Kaufsache vorbehalten, kann er im Falle der Insolvenz des Käufers die unter Eigentumsvorbehalt gelieferte Sache aussondern und nach § 47 InsO Herausgabe der Sache verlangen, soweit dem Insolvenzverwalter kein Recht zum Besitz zur Seite steht3.
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Hinweis: 29a Die Geltendmachung von Aussonderungsrechten aufgrund des einfachen Eigentumsvorbehalts zeigt in besonderer Weise den eingangs beschriebenen zivilrechtlichen Schwerpunkt bei der Sicherheitenverwertung. Nur bei wirksamer Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts ist der Lieferant dinglich gesichert und mithin zur Aussonderung berechtigt. Da der Eigentumsvorbehalt auch wirksam durch AGB vereinbart werden kann4 und vereinbart wird, bedarf es einer Wirksamkeitsprüfung gemäß § 305 ff. BGB. Hieran scheitert in der Praxis regelmäßig die effektive Durchsetzung von Sicherungsrechten: Die Existenz einer so genannten Abwehrklausel in den AGB des Käufers allein vermag den einfachen Eigentumsvorbehalt nicht auszuschließen, sehr wohl jedoch etwaige Verlängerungsformen5. Der bloße Vorbehalt auf der Rechnung ist nach unbedingter Übereignung jedenfalls wirkungslos6. Ob bei langjähriger Geschäftsbeziehung und positiver Kenntnis des Käufers des Eigentumsvorbehalts aus früheren Rechnungen ein solcher wirksam vereinbart ist, darf ungeachtet der positiven Rechtsprechung7 jedenfalls aus Darlegungs- und Beweisgründen als riskant bewertet werden.
Gelingt der Nachweis des Vorbehaltseigentums besteht im Grundsatz Aussonde- 30 rungskraft. Diese wird jedoch unter zwei Gesichtspunkten eingeschränkt: – Gemäß § 107 Abs. 2 InsO besteht eine so genannte „Ausübungssperre“, um das Nutzungspotential der unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Ware insbesondere zugunsten einer möglichen Betriebsfortführung dem Insolvenzverwalter vorzubehalten. So ordnet § 107 Abs. 2 Satz 1 InsO an, dass der zur Ausübung des Wahlrechts aufgeforderte Verwalter die diesbezügliche Erklärung gegenüber dem Verkäufer nach § 103 Abs. 2 Satz 2 InsO erst unverzüglich nach dem Berichtstermin abzugeben braucht. Für den Aussonderungsberechtigten bedeutet das, dass er sein Aussonderungsrecht aufgrund seiner Stellung als Vorbehaltseigentümer faktisch bis zu drei Monate nicht ausüben kann, da der Verwalter auf die Aufforderung des Aussonderungsberechtigten zur Ausübung des Wahlrechts für seine Erklärung bis zum Berichtstermin Zeit hat8.
1 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 11. 2 MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 62; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 47 Rz. 19; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 19; hierzu krit. Smid/Leonhardt in Leonhard/Smid/ Zeuner, InsO, § 47 Rz. 21 ff. 3 Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 47 Rz. 14 ff. 4 Grünberg in Palandt, BGB, § 307 Rz. 85 f. 5 Weidenkaff in Palandt, BGB, § 449 Rz. 5. 6 Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 47 Rz. 11. 7 Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 47 Rz. 11 unter Hinweis auf weitergehende höchstrichterliche Rechtsprechung. 8 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 19; Gottwald/Adolphsen, Kölner Schrift zur InsO, S. 1043 ff. Rz. 13.
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§7
Rz. 30a
Beratung des gesicherten Glubigers
– Gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO kann das Insolvenzgericht im Eröffnungsverfahren anordnen, dass Gegenstände, deren Aussonderung im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verlangt werden können, nicht herausverlangt werden, sondern zur Fortführung des Unternehmens eingesetzt werden können (vgl. ausführlich hierzu nachstehend Rz. 96 ff.). Die zuletzt genannte Bestimmung wird für den Fall des Vorbehaltseigentums in Gegenüberstellung mit § 107 Abs. 2 InsO keinen eigenständigen Anwendungsbereich haben. 30a Der einfache Eigentumsvorbehalt erlischt durch Verbindung, Vermischung, Verarbeitung oder durch erlaubte Weiterveräußerung des Vorbehaltskäufers mit unbedingter Veräußerung an den Zweitkäufer1. Er erlischt weiterhin bei gutgläubigem Erwerb (§§ 932, 933, 934 BGB) durch Zahlung des Kaufpreises, d.h. Eintritt der vereinbarten Bedingung (§ 449 Abs. 1 BGB)2. 30b
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Hinweis: Ist der Kaufpreis bezahlt und wird der Vorbehaltsverkäufer als Bürge für den (Lieferanten-)Kredit in Anspruch genommen – mit dem der Kaufpreis finanziert wurde – so lebt der Eigentumsvorbehalt nach einem zur so genannten Zentralregulierung ergangenen Urteil des OLG Köln nicht wieder auf3.
31 Für den Fall der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Vorbehaltsverkäufers regelt die InsO in § 107 Abs. 1 InsO die Insolvenzfestigkeit des Anwartschaftsrechts des Vorbehaltskäufers, soweit diesem bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Besitz an der Vorbehaltsware übertragen worden ist4. Damit kann der Verwalter des Vorbehaltsverkäufers nicht die weitere Erfüllung des mit dem Vorbehaltskäufer geschlossenen Vertrags ablehnen und die Vorbehaltsware herausverlangen. Der Vorbehaltskäufer kann nunmehr seinerseits gemäß § 107 Abs. 1 InsO die Erfüllung des Vertrags verlangen, wobei ihm – solange er sich selbst vertragstreu verhält – ein unentziehbares Recht zum Besitz zusteht. Lediglich wenn der Käufer selbst gegen seine vertraglichen Verpflichtungen verstößt, so z.B. wenn er in Zahlungsverzug gerät, kann der Verwalter nach den allgemeinen Regeln gemäß § 449 BGB vom Vertrag zurücktreten. Soweit dem Vorbehaltskäufer vor Verfahrenseröffnung der Besitz noch nicht übertragen wurde, ist ihm der Weg über § 107 Abs. 1 InsO zum Vollrecht an der Vorbehaltsware versperrt5 (zu der Regelung des § 107 InsO ausführlich s. § 8 Rz. 144 ff.). 32 Die Verlängerungs- und Erweiterungsformen des Eigentumsvorbehalts berechtigen hingegen nicht zur Aussonderung6. Weder der so genannte erweiterte Eigentumsvorbehalt, der gegeben ist, wenn das Eigentum an der Kaufsache nicht bereits mit Erfüllung der Kaufpreisforderung übergeht, sondern erst nach Tilgung weiterer Verbindlichkeiten, noch der verlängerte Eigentumsvorbehalt, bei dem die Sicherheit auf künftige Vermögenswerte erstreckt wird, die an die Stelle des Vorbehaltsguts treten, begründen für den Vorbehaltseigentümer die Rechtsstellung eines Aussonderungsberechtigten7. Strukturell kommt diesen Eigentumsvorbehaltsformen in erster Linie Pfandfunktion zu, womit diese eher dem Sicherungseigentum gleichzustellen sind. Mithin räumen diese dem Berechtigten nur ein Recht zur abgesonderten Befriedigung nach §§ 50 ff. InsO ein. Dies gilt aber nach h.L. für den erweiterten bzw. verlängerten Eigentumsvorbehalt nur insoweit, als auch der Erweiterungsfall eingetreten ist. Liegt hingegen noch der Fall des einfachen Eigentumsvorbehalts vor, muss dem Berechtigten auch noch ein Aussonderungsrecht zukommen8. Erst mit Eintritt des
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Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 47 Rz. 11. Bremen in Graf-Schlicker, § 47 Rz. 12. OLG Köln v. 8.4.2011 – 2 U 137/10, ZIP 2011, 2019 ff. MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 76 ff.; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 18. Vgl. hierzu Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 47 Rz. 27. Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 47 Rz. 11 m.w.N. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 21, 26; MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 54 ff. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 21; MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 92.
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Drees/Schmidt
Aussonderungsfragen
Rz. 37
§7
Erweiterungsfalls ist der Berechtigte nur noch zur abgesonderten Befriedigung berechtigt. (4) Weitergeleiteter und nachgeschalteter Eigentumsvorbehalt Ein weitergeleiteter Eigentumsvorbehalt liegt vor, wenn der Käufer beim Weiterver- 33 kauf offen legt, dass er selbst nur unter Eigentumsvorbehalt erworben hat und daher lediglich Anwartschaftsberechtigter geworden ist, als der er nun auch sein Anwartschaftsrecht weiterveräußert. Der Zweiterwerber soll erst dann Eigentümer werden, wenn die Kaufpreisforderung aus dem Erstverkauf getilgt ist. Der weitergeleitete Eigentumsvorbehalt steht mithin sowohl im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Erstkäufers als auch über das Vermögen des Zweitkäufers dem einfachen Eigentumsvorbehalt gleich. Unabhängig davon, ob Erst- oder Zweitkäufer in die Insolvenz geraten, steht dem ursprünglichen Verkäufer in beiden Fällen ein Aussonderungsrecht an der Ware zu1. Wird über das Vermögen des Erstkäufers das Insolvenzverfahren eröffnet, kann der 34 Verkäufer die Ware als sein Eigentum beim Zweitkäufer aussondern, sobald das Besitzrecht des Erstkäufers entfällt. In analoger Anwendung des § 268 BGB muss dem Zweitkäufer aber ein Recht auf Befriedigung des Verkäufers zugestanden werden2. Zahlt er mithin den Restkaufpreis an den Verkäufer, so wird er ohne Durchgangserwerb des Insolvenzschuldners neuer Eigentümer der Ware. Wird über das Vermögen des Zweitkäufers ein Insolvenzverfahren betrieben, so kann 35 der Verkäufer nur dann aussondern, wenn das Besitzrecht des Erstkäufers durch Rücktritt nach § 449 BGB erloschen ist3. Es besteht für den Insolvenzverwalter insoweit ein Wahlrecht nach § 103 InsO (zu diesem Wahlrecht vgl.; § 8 Rz. 10 ff.). Wählt der Verwalter die Nichterfüllung, kann der Verkäufer das Vorbehaltsgut aussondern4. Für den Fall der Insolvenz des Verkäufers findet wiederum § 107 InsO Anwendung5. Eigentumsvorbehalts6
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ist gegeben, wenn 37 Ein Fall des so genannten nachgeschalteten der Eigentumsvorbehaltskäufer seinerseits gegenüber seinen Lieferanten nur unter Eigentumsvorbehalt verfügen darf. In beiden Verträgen werden selbständige Eigentumsvorbehalte vereinbart. Im Unterschied zum weitergeleiteten Eigentumsvorbehalt ist der Erstkäufer nicht dazu genötigt, seine Lieferantenbeziehung und damit seine Stellung als Anwartschaftsberechtigter offen zu legen. Dies ist insbesondere im Zwischenhandel üblich. Dabei wird die Vereinbarung eines Weiterverkaufs der Vorbehaltsware zwischen dem Verkäufer und dem Erstkäufer in der Regel mit der Vorausabtretung der daraus entstehenden Forderungen verbunden. Der Zweitkäufer erwirbt in diesem Fall ein selbständiges Anwartschaftsrecht. Es handelt sich daher um zwei nacheinander geschaltete Eigentumsvorbehalte, wobei der Verkäufer zunächst Vorbehaltseigentümer bleibt. Ihm steht daher weiterhin ein Aussonderungsrecht zu7. Der Verkäufer verliert sein Eigentum erst dann, wenn eine der beiden Kaufpreisforderungen bezahlt wird8. Damit geht mit der Zahlung des Kaufpreises in einem der beiden Kausalverhältnisse sein Aussonderungsrecht unter und der Verkäufer ist im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Erst- oder auch Zweiterwerbers nicht mehr zur Aussonderung der Vorbehaltsware berechtigt9.
1 Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 47 Rz. 37; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 25. 2 Weidlich in Palandt, BGB, § 1922 Rz. 12; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 47 Rz. 21. 3 Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 47 Rz. 21. 4 Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 47 Rz. 37; Brinkmann-Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 25. 5 Brinkmann-Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 25. 6 Vgl. hierzu Weidenkaff in Palandt, BGB, § 449 Rz. 17; MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 101. 7 Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 51 Rz. 17; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 25 8 Weidenkaff in Palandt, BGB, § 449 Rz. 17. 9 Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 47 Rz. 22; MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 102.
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§7
Rz. 38
Beratung des gesicherten Glubigers
bb) Sonstige dingliche Rechte 38 Sonstige dingliche Rechte können ebenfalls einen Anspruch auf Aussonderung begründen1, wenn das geltend gemachte dingliche Recht selbst den Gegenstand der Aussonderung bildet und nicht die Sache oder das Recht, auf dem das dingliche Recht lastet. In Betracht kommen hier – der Nießbrauch (§§ 1030 ff. BGB), – das Erbbaurecht (§§ 1012 ff. BGB), – Grunddienstbarkeiten (§§ 1018 ff. BGB), – beschränkt persönliche Dienstbarkeiten (§§ 1090 ff. BGB). Des Weiteren gehören auch die Grundpfandrechte sowie die Pfandrechte an beweglichen Sachen und Rechten zu den dinglichen Rechten, die ein Aussonderungsrecht begründen können. 39 Soweit der Insolvenzverwalter das Bestehen des Pfandrechts bestreitet oder dieses z.B. für den Insolvenzschuldner in Form einer Eigentümergrundschuld in Anspruch nimmt, kann sein Bestehen bzw. seine Nichtzugehörigkeit zur Insolvenzmasse als Aussonderungsanspruch geltend gemacht werden. 40
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Hinweis: Insoweit gilt es nur zu beachten, dass sich die Aussonderung auf Herausgabe des Rechts selbst richtet, d.h. das Ziel der Aussonderung kann in allen diesen Fällen nur die Geltendmachung gerade des Inhalts sein, den das jeweilige dingliche Recht gewährt2. Demgemäß ist beim Nießbrauch und beim Erbbaurecht nicht die Sache oder das Recht, an dem der Nießbrauch besteht und nicht das Grundstück auf dem das Erbbaurecht lastet, Gegenstand der Aussonderung, sondern der Nießbrauch und das Erbbaurecht selbst. Entsprechend kann auch bei den Grundpfandrechten lediglich das Pfandrecht selbst Gegenstand der Aussonderung sein und nicht das Grundstück, zu dessen Lasten das Grundpfandrecht besteht. Diesbezüglich führt das Pfandrecht, soweit seinetwegen Befriedigung aus einem zur Masse gehörenden Gegenstand gesucht wird, nämlich lediglich zu einem Recht auf abgesonderte Befriedigung aus dem pfandbelasteten Gegenstand gemäß §§ 49 ff. InsO (siehe hierzu Rz. 150 ff.).
41 Das dingliche Vorkaufsrecht (§ 1094 ff. BGB) begründet sowohl in der Insolvenz des Grundstückseigentümers als auch des Dritterwerbers, dem das verkaufte Grundstück übereignet worden ist, ein Recht zur Aussonderung3. Aufgrund der Vormerkungswirkung des §§ 1098 Abs. 2, 888 BGB ist dieses im Fall der Insolvenz des Dritterwerbers auf die Bewilligung der Umschreibung des Grundbuches gerichtet4. In der Insolvenz des Vorkaufsverpflichteten kann der Vorkaufsberechtigte nach Verkauf des Grundstücks hingegen kein Recht auf Herausgabe des Grundstücks gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend machen, denn das Vorkaufsrecht entfaltet dingliche Wirkung nur gegenüber dem Dritterwerber5. Insoweit kann der Aussonderungsberechtigte im Rahmen der Aussonderung lediglich einen Anspruch auf Feststellung des Bestehens des dinglichen Vorkaufsrechts begehren. 42 Der Erbschaftsanspruch des Erben gegenüber dem Erbschaftsbesitzer nach §§ 2018 ff. BGB führt ebenfalls zu einem Aussonderungsrecht des Berechtigten, welches auf Herausgabe der in der Insolvenzmasse des Erbschaftsbesitzers befindlichen Erbschaft einschließlich dessen, was der Besitzer durch Rechtsgeschäft mit Mitteln der Erbschaft erworben hat (§ 2019 Abs. 1 BGB) sowie der aus ihr gezogenen Nutzungen, auch soweit der Erbschaftsbesitzer daran Eigentum erworben hat (§ 2020 BGB), ge1 Vgl. hierzu näher Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 66. 2 Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 47 Rz. 42; Brinkmann in Uhlenbruck InsO, § 47 Rz. 66. 3 Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 47 Rz. 7. 4 Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 47 Rz. 58; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 66. 5 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 66; MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 330.
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Drees/Schmidt
Aussonderungsfragen
Rz. 44b
§7
richtet ist1. Ansprüche des Erben aus den §§ 2021 und 2023 BGB begründen demgegenüber nur Insolvenzforderungen2. Der Besitz wird ebenfalls wie ein dingliches Recht behandelt, soweit sich aus ihm He- 43 rausgabeansprüche ergeben, so dass auch dem Besitz Aussonderungskraft zuzuschreiben ist. Der frühere Besitzer kann daher im Wege der Aussonderung die Wiedereinräumung des Besitzes nach § 861 BGB bzw. Herausgabe nach § 1007 BGB sowie die Beseitigung einer Besitzstörung nach § 862 Abs. 1 BGB verlangen3.
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Hinweis: 43a Die Bedeutung der auf den Besitz gestützten Aussonderungsansprüche ist allerdings gering, da die auf den Besitz gestützte Aussonderung nur dann in Betracht kommt, wenn weder der Insolvenzverwalter noch der vermeintlich Berechtigte sein Eigentum an der herauszugebenden Sache beweisen kann.
Auch Schutzrechte, Urheber- und Persönlichkeitsrechte können Aussonderungs- 44 rechte begründen. In der Insolvenz über das Vermögen des unberechtigten Inhabers kann beispielsweise der Erfinder des Patents den Anspruch auf Abtretung des Rechts auf Erteilung des Patents, auf Übertragung des erteilten Patents sowie auf Übertragung bereits erteilter Lizenzen aussondern4. Ausgesondert werden können ferner – Gebrauchsmuster (§ 11 GebrMG), – Marken (vgl. §§ 14 Abs. 1, 15 Abs. 1 MarkenG), – das Urheberpersönlichkeitsrecht und die Urheberverwertungsrechte (§§ 12, 14 UrhG) sowie – das Recht am eigenen Bild (§ 22 UrhG)5. Voraussetzung ist grundsätzlich, dass durch das jeweilige Recht eine absolut ge- 44a schützte und damit dingliche Rechtsposition begründet worden ist. Ist eine InternetDomain namens- oder markenrechtlich geschützt ist6, so kann sie tauglicher Aussonderungsgegenstand sein. Die Kriterien, nach Maßgabe derer beurteilt werden kann, ob eine Rechtsposition dinglichen Charakter hat, richtet sich nach dem jeweiligen gewerblichen Schutzrecht. Für das Urheberrecht hat der BGH erstmals in seiner „Reifen Progressiv“ Entscheidung den Rechtssatz aufgestellt, dass einfache – ebenso wie ausschließliche – Nutzungsrechte keinen schuldrechtlichen, sondern dinglichen Charakter haben7. Zur Verallgemeinerungsfähigkeit dieses Rechtssatzes vgl. nachstehend Ziff. 44c und das Urteil des LG Mannheim8. Geht es darum, ein Recht gegenüber der Insolvenzmasse zu verteidigen, so kann 44b auch ein Unterlassungsanspruch Gegenstand eines Aussonderungsrechts gegenüber der Insolvenzmasse sein. Hierfür kommen jedoch nur die Unterlassungsansprüche in Betracht, die Ausfluss eines absoluten Rechts (z.B. §§ 12, 907, 1004 BGB, 14 Abs. 5, 15 Abs. 4, 128, 135 MarkenG, 139 PatG, 97 UrhG) sind9. Seinem Inhalt nach kann dieser Abwehranspruch auf Unterlassung der Herstellung, Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstigen Ausbeutung, auf Vernichtung, Unschädlichmachung oder Löschung unbefugt hergestellter Platten, Stücke, Vorrichtungen und Datenträger gehen10. Ein
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MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 335 ff. Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 47 Rz. 52. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 65; MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 326. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 67; Bausch, NZI 2005, 289 ff. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 68 ff. Henckel in Jaeger, InsO, 2004, § 47 Rz. 107. BGH v. 26.3.2009 – I ZR 153/06, BGHZ 180, 344 – Reifen Progressiv. Bestätigt durch BGH v. 29.4.2010 – I ZR 69/08, EWiR 2010, 689. 8 LG Mannheim v. 18.2.2011 – Z O 100/10 (nicht rechtskräftig; Berufungsverfahren vor dem OLG Karlsruhe 6 U 29/11), EWiR 2011, 645. 9 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 73; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 47 Rz. 44. 10 Henckel in Jaeger, InsO, 2004, § 47 Rz. 107.
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Rz. 44c
Beratung des gesicherten Glubigers
Unterlassungsanspruch, der allein auf einer schuldrechtlichen Grundlage basiert, begründet hingegen kein Aussonderungsrecht1. 44c Wie ausgeführt (Rz. 44) kann gewerblichen Schutzrechten und damit auch einer Lizenz Aussonderungskraft zukommen. Voraussetzung ist die Existenz einer absolut geschützten Rechtsposition. Andernfalls ist der Anwendungsbereich des § 47 Satz 1 Alt. 1 InsO („dingliches Recht“) nicht eröffnet. Ein Lizenznehmer kann nach der herrschenden Meinung in der Insolvenz des Lizenzgebers grundsätzlich dann das durch die Lizenz vermittelte Nutzungsrecht aussondern, wenn es sich um eine ausschließliche Lizenz (i.S.v. § 30 Abs. 4 PatG) handelt2. Dies gilt jedoch nicht, wenn der Insolvenzverwalter des Lizenzgebers die Erfüllung des Lizenzvertrags abgelehnt hat3. Dann entfällt die zur Aussonderung berechtigende dingliche Rechtsposition des Lizenznehmers. Die hiermit verbundene Abhängigkeit des Lizenznehmers vom Agieren des Insolvenzverwalters des Lizenzgebers führt zu einer erheblichen Belastung des Lizenznehmers. Ursächlich hierfür ist die Einordnung des Lizenzvertrages in das Insolvenzvertragsrecht der §§ 103 ff. InsO4. Wegen der hiermit verbundenen Schwierigkeiten für Lizenznehmer in der Insolvenz des Lizenzgebers hatte die Bundesregierung am 22.9.2007 den Entwurf eines Gesetzes beschlossen5, mit dem die Insolvenzfestigkeit von Lizenzverträgen durch Schaffung eines § 108a InsO sichergestellt werden sollte; diese Gesetzesinitiative wurde indes weder – wie ursprünglich beabsichtigt – im Jahre 2008 noch im Zusammenhang mit späteren Reformen weiter verfolgt, so dass die Rechtsstellung des (grundsätzlich zur Aussonderung berechtigten) Lizenznehmers in der Insolvenz des Lizenzgebers noch immer dem Risiko des dortigen Nichteintritts ausgesetzt ist. cc) Aussonderungskraft eingeräumter Bezugsrechte an Leistungen aus Lebensversicherungen 45 Unwiderrufliche Bezugsrechte begründen in der Insolvenz des Versicherungsnehmers ein Aussonderungsrecht des Bezugsberechtigten. Die Ansprüche aus der Lebensversicherung sind nicht Bestandteil der Insolvenzmasse (§ 35 InsO). Zwar erwirbt gemäß § 159 Abs. 2 VVG der Bezugsberechtigte im Zweifel den Anspruch auf die Versicherungsleistung erst mit Eintritt des Versicherungsfalls, jedoch stellt § 13 Nr. 2 ALB 2008 klar, dass Bezugsberechtigte Ansprüche unwiderruflich und damit sofort erwerben können sollen6. In der Insolvenz begründet ein solches unwiderrufliches Bezugsrecht die beschriebene Aussonderungskraft. Ob tatsächlich ein unwiderrufliches und nicht ein lediglich eingeschränkt unwiderrufliches oder gar ein widerrufliches (Rz. 180 ff.) Bezugsrecht vorliegt, ergibt sich aus der gegenüber der Versicherung abgegebenen Erklärung des Versicherungsnehmers7. Für die Benennung eines Bezugsberechtigten genügt die einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung8. Die Auslegung dieser Erklärung ist maßgeblich für die Ausgestaltung des 1 BGH v. 10.7.2003 – IX ZR 119/02, ZIP 2003, 1550 ff. 2 Andere Ansicht LG Mannheim v. 18.2.2011 – Z O 100/10 (nicht rechtskräftig; Berufungsverfahren vor dem OLG Karlsruhe 6 U 29/11), EWiR 2011, 645: „Wie im Urheberrecht hat auch im Patentrecht das ausschließliche ebenso wie das einfache Nutzungsrecht dinglichen Charakter.“ Zustimmende Anmerkung Westphal/Schönen, EWiR 2011, 645 f. Im Anschluss hieran nehmen auch Frentz/Masch, ZIP 2011, 1245 (1249) ein Aussonderungsrecht an. 3 K. Schmidt/Thole, InsO, § 47 Rz. 59; Ganter, NZI 2011, 833, 837 f. 4 BGH v. 17.11.2005 – IX ZR 162/04, NZI 2006, 229 m. Anm. Höpfner, NZI 2006, 231 ff.; Wegener in Uhlenbruck, InsO, § 103 Rz. 38; MünchKommInsO/Eckert/Huber, § 112 Rz. 7 bzw. § 103 Rz. 76. Ebenso die urheberrechtliche Literatur, statt vieler: Möhring/Nicolini/Lütje, UrhG, § 112 Rz. 13. 5 Entwurf eines Gesetzes zur Entschuldung mittelloser Personen, zur Stärkung der Gläubigerrechte sowie zur Regelung der Insolvenzfestigkeit von Lizenzen. 6 OLG Frankfurt v. 10.5.2006 – 23 U 113/05, ZInsO 2006, 997; Schneider in Prölss/Martin, VVG, § 159 Rz. 10 ff. (widerruflich Abs. 2, unwiderruflich Abs. 3); BGH v. 22.1.2014 – IV ZR 201/13, ZIP 2014, 384. 7 BAG v. 18.9.2012 – 3 AZR 176/10, ZIP 2012, 2269 ff.; BGH v. 8.6.2005 – IV ZR 30/04, ZIP 2005, 1373 f. 8 OLG Zweibrücken v. 24.1.2013 – 4 U 107/12, BeckRS 2013, 03731.
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Drees/Schmidt
Aussonderungsfragen
Rz. 45c
§7
Bezugsrechts1. Eine besondere Form für die Erklärung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben2. Die Schriftform wird jedoch zumindest zu fordern sein3. Das unwiderrufliche Bezugsrecht ändert nichts daran, dass der Versicherungsnehmer Vertragspartner des Versicherungsvertrages bleibt und das Dispositionsrecht über den Vertrag behält, also diesen kündigen oder ihn in eine prämienfreie Versicherung umwandeln kann. Es hat aber zur Konsequenz, dass der Versicherungsnehmer nicht mehr über den Anspruch auf die Versicherungsleistungen verfügen kann, weshalb dann auch eine Sicherungsabtretung (Rz. 176 f.) durch den Versicherungsnehmer nicht mehr möglich ist4.
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Hinweis: 45a Arbeitgeber (Versicherungsnehmer) sind bei Abschluss von Direktversicherungsverträgen für ihre Arbeitnehmer (versicherte Person) gut beraten, sich das Recht vorzubehalten (eingeschränkt unwiderrufliches Bezugsrecht, vgl. Rz. 45b f.), unter bestimmten Voraussetzungen selbst über den Anspruch auf die Versicherungsleistung, etwa durch Abtretung, disponieren zu können. Dieser Vorbehalt müsste sowohl im Arbeits- als auch im Versicherungsvertrag Niederschlag finden. Fehlt ein solcher Vorbehalt, scheidet die Abtretung oder Verpfändung von Ansprüchen aus einer Lebensversicherung als Sicherungsmittel gänzlich aus, wenn ein unwiderrufliches Bezugsrecht vorliegt.
Ausgehend von der beschriebenen Freiheit zur Gestaltung der Rechtsposition des 45b Bezugsberechtigten sind Einschränkungen bzw. Vorbehalte des grundsätzlich unwiderruflichen Bezugsrechts denkbar. In den Allgemeinen Bestimmungen entsprechender Versicherungsverträge wird die Widerruflichkeit des Bezugsrechts beispielsweise für den Fall vorbehalten, dass – das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versicherungs- bzw. Versorgungsfalls endet, – die versicherte Person das 35. Lebensjahr nicht vollendet und die Versicherung noch nicht 10 Jahre bestanden hat oder – die versicherte Person das 35. Lebensjahr nicht vollendet und das Arbeitsverhältnis noch nicht 12 Jahre und die Versicherung noch nicht drei Jahre bestanden hat. Greifen diese tatbestandlichen Voraussetzungen nicht ein, steht das eingeschränkt 45c unwiderrufliche Bezugsrecht in wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht einem uneingeschränkt unwiderruflichen Bezugsrecht gleich5. Greift der eingeräumte Vorbehalt, berechtigt das Bezugsrecht nicht zur Aussonderung6. Dies gilt auch dann, wenn die Prämien aus der Vergütung des Arbeitnehmers nach entsprechender Entgeltumwandlung entrichtet worden sind. Dies allein begründet keine zur Aussonderung berechtigenden Rechte aus dem Versicherungsvertrag7. Der Insolvenzverwalter wird daher das Bezugsrecht in diesen Fällen widerrufen. Dem Widerruf wird auch nicht eine arbeitsrechtliche Vereinbarung entgegengehalten werden können. Die Zulässigkeit richtet sich ausschließlich nach der versicherungsrechtlichen Rechtslage im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Versicherer. Verstößt der Insolvenzverwalter mit dem Widerruf gegen eine Bestimmung des Arbeitsvertrages, so kann dies grundsätzlich einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers begründen. Dieser ist jedoch weder auf Erstattung der Beiträge zur Versicherung noch auf Zahlung des Rückkaufswerts gerichtet, sondern auf Ausgleich des Versorgungsschadens8. Abschließen-
1 BGH v. 6.6.2012 – IV ZA 23/11, NZI 2012, 762. 2 OLG Zweibrücken v. 24.1.2013 – 4 U 107/12, BeckRS 2013, 03731. 3 BAG v. 17.1.2012 – 3 AZR 10/10, ZInsO 2012, 1265 ff. für den Fall der Abtretung unter Hinweis auf § 13 Abs. 4 der Allgemeinen Lebensversicherungsbedingungen (ALB 86). 4 OLG Frankfurt v. 10.5.2006 – 23 U 113/05; Schneider in Prölls/Martin, VVG, § 159 Rz. 12. 5 BGH v. 19.6.1996 – IV ZR 243/95, ZIP 1996, 1356. 6 OLG Frankfurt v. 12.5.2005 – 3 U 21/04, ZIP 2005, 1036 ff. 7 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 264/01, ZInsO 2002, 878; weitergehend OLG Karlsruhe v. 18.1.2007 – 12 U 185/06, ZIP 2007, 286 (289). 8 BAG v. 18.9.2012 – 3 AZR 176/10, ZIP 2012, 2269 ff.
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Rz. 45d
Beratung des gesicherten Glubigers
den Schutz kann der Arbeitnehmer daher nur erlangen, wenn er sich ein unwiderrufliches Bezugsrecht an den Leistungen aus der Versicherung einräumen lässt1. 45d In der Vorauflage wurde unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH v. 8.6.20052 – jüngst bestätigt durch das Urt. v. 22.1.20143 – die Divergenz mit der Rechtsprechung des BAG zu der Frage dargestellt, ob der beschriebene Vorbehalt (Rz. 45b) auch dann erfüllt sei, wenn das Arbeitsverhältnis deshalb vor Eintritt der Unverfallbarkeit endet, weil der Arbeitgeber insolvenzbedingt die Beendigung des Arbeitsverhältnisses herbeiführe. Mit der Konsequenz, dass der Insolvenzverwalter den Rückkaufswert zur Insolvenzmasse beanspruchen kann. Die bisherige Rechtsprechung des BGH lehnte dies ab4. Der Arbeitgeber wolle sich durch den Vorbehalt der weiteren Betriebstreue vergewissern5. Dieses Interesse erfordere es nicht, den Vorbehalt auf jeden Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu erstrecken. Insbesondere die durch die Insolvenz des Arbeitgebers bedingte Beendigung des Arbeitsverhältnisses unterfalle dem beschriebenen Vorbehalt daher nicht6. Mit der Konsequenz, dass keine Widerruflichkeit mehr gegeben sei und dem berechtigten Arbeitnehmer ein Aussonderungsrecht gemäß § 47 InsO zustehe. In der Vorauflage wurde die hiervon abweichende Rechtsprechung des BAG und die Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Bundesgerichte dargestellt7. In der neuen Rechtsprechung hat das BAG jedenfalls dann den Vorbehalt nicht als erfüllt angesehen und die Widerruflichkeit abgelehnt, wenn der Arbeitnehmer aufgrund eines Betriebsübergangs aus dem schuldnerischen Unternehmen ausscheidet8. Ob der Vorbehalt bei der insolvenzbedingten Kündigung eingreift, ist indes weiterhin ungeklärt9. Auch wurde die Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Bundesgerichte nicht weiterverfolgt, nachdem der BGH nun davon ausgeht, dass der Vorbehalt auch für die insolvenzbedingte Beendigung des Arbeitsverhältnisses gilt und das Widerrufsrecht im Einzelfall durch Auslegung zu ermitteln ist10. Dies hat auch nach der jüngsten Rechtsprechung des BGH v. 22.1.2014 Bestand, da das Gericht – wie auch im Vorlageverfahren – erneut das Primat der Auslegung klarstellt11. 45e Nach der Rechtsprechung des AG Göttingen12 – nunmehr bestätigt durch das Landgericht13 – ist ein Aussonderungsrecht aufgrund der fehlenden Widerruflichkeit auch dann insolvenzfest, wenn bei einer solchen firmenfinanzierten Direktversicherung das Bezugsrecht zu Gunsten des geschäftsführenden Mehrheitsgesellschafters eingeräumt worden ist14. Das OLG München vertritt in seinem Urteil v. 11.7.2008 indes die Auffassung, ein vom BGH nach den Maßstäben des Urteils v. 8.6.200515 – bzw. dessen
1 Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 47 Rz. 48. 2 BGH v. 8.6.2005 – IV ZR 30/04, ZIP 2005, 1373 (1374 ff.); BGH v. 22.9.2005 – IX ZR 85/04, ZIP 2005, 1836 ff.; BGH v. 3.5.2006 – IV ZR 134/05, ZInsO 2006, 710 ff. Ungeachtet dieser Rechtsprechung ist das OLG Hamm v. 24.1.2006 – 27 U 159/05, ZInsO 2006, 881 f. anderer Ansicht. 3 BGH v. 22.1.2014 – IV ZR 201/13, ZIP 2014, 384 ff. 4 BGH v. 8.6.2005 – IV ZR 30/04, ZIP 2005, 1373 (1374 ff.); BGH v. 22.9.2005 – IX ZR 85/04, ZIP 2005, 1836 ff.; BGH v. 3.5.2006 – IV ZR 134/05, ZInsO 2006, 710 ff. Ungeachtet dieser Rechtsprechung ist das OLG Hamm v. 24.1.2006 – 27 U 159/05, ZInsO 2006, 881 f. anderer Ansicht. 5 BGH v. 3.5.2006 – IV ZR 134/05, ZInsO 2006, 710 ff. 6 BGH v. 8.6.2005 – IV ZR 30/04, ZIP 2005, 1373 (1374 ff.). 7 BAG v. 31.7.2007 – 3 AZR 446/05, ZIP 2007, 1869. 8 BAG v. 15.6.2010 – 3 AZR 334/06, ZInsO 2011, 185. 9 Einen guten Überblick über den Sach- und Streitstand der zahlreichen Urteil von BAG und BGH gibt LG Kleve v. 28.8.2012 – 6 S 187/10, ZIP 2012, 2028 ff. 10 BGH v. 6.6.2012 – IV ZA 23/11, NZI 2012, 762; Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 47 Rz. 62 unter Hinweis auf BAG v. 15.6.2010 – 3 AZR 334/06, ZIP 2010, 1915 (1919). Zur Notwendigkeit der Auslegung vgl. auch jüngst OLG Zweibrücken v. 24.1.2013 – 4 U 107/12, BeckRS 2013, 03731. 11 BGH v. 22.1.2014 – IV ZR 201/13, ZIP 2014, 384 f. 12 AG Göttingen v. 9.3.2012 – 21 C 117/11, ZIP 2012, 2121. 13 LG Göttingen v. 25.2.2014 – 8 S 4/12, ZIP 2014, 1187. 14 AG Göttingen v. 9.3.2012 – 21 C 117/11, ZIP 2012, 2121. 15 BGH v. 8.6.2005 – IV ZR 30/04, ZIP 2005, 1373.
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Aussonderungsfragen
Rz. 46a
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Fortsetzung durch das Urteil des BGH v. 22.1.20141 – anerkanntes Aussonderungsrecht könne dann nicht insolvenzfest sein, wenn es sich bei dem Bezugsberechtigten um den Alleingesellschafter und Alleingeschäftsführer handelt. Er könne nicht als normaler Arbeitnehmer angesehen werden2. Ist das Bezugsrecht (uneingeschränkt) widerruflich, kann der Insolvenzverwalter des 45f Arbeitgebers den Rückkaufswert auch dann zur Insolvenzmasse ziehen, wenn die zugrunde liegende Versorgungsanwartschaft bereits unverfallbar geworden ist. Dies gilt auch dann, wenn die Beiträge aus dem Gehalt des Arbeitnehmers bezahlt worden sind3. Um in diesem Fall als Insolvenzverwalter des Arbeitgebers den Rückkaufswert für die Masse beanspruchen zu können, ist sowohl das Bezugsrecht zu widerrufen und als auch der Versicherungsvertrag zu kündigen4. Ist der Versicherungsfall indes bereits eingetreten, erwirbt der Bezugsberechtigte den Anspruch auf die Versicherungssumme; das Widerrufsrecht ist vollständig entfallen und ermöglicht es nicht, den Rückkaufswert zur Masse zu beanspruchen5. Anders verhält es sich, wenn der Versicherungsnehmer zeitlich nach der widerruflich getroffenen Bezugsrechtsbestimmung seine Ansprüche zur Sicherheit der Schuld eines Dritten abgetreten hat. Dann steht die Bezugsberechtigung auch in der Zeit nach Eintritt des Versicherungsfalls hinter den Rechten des Sicherungsnehmers6. dd) Treuhandverhältnisse Bei der uneigennützigen Treuhand oder auch Verwaltungstreuhand dient die Treu- 46 hand ausschließlich dem Interesse des Treugebers, der sein Recht zur Verwahrung, Verwaltung oder Durchsetzung aufgrund des Treuhandvertrags auf den Treuhänder übertragen hat. Kennzeichnend für die uneigennützige Treuhand ist, dass der Treugeber wirtschaftlich Berechtigter des Treugutes bleibt, er dem Treuhänder aber formal die volle Rechtsstellung einräumt, wobei der Treuhänder das Treugut nach seinen Weisungen zu verwalten hat. Die Befugnisse des Treuhänders sind durch die Treuhandabrede derart beschränkt, dass das Treugut bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise allein dem Vermögen des Treugebers zuzuordnen ist, dem Treuhänder dagegen nur eine formale Stellung zukommt7. Daher steht dem Treugeber für den Fall einer Insolvenz des Treuhänders entsprechend einer Eigentümerstellung ein Aussonderungsrecht an dem Treugut zu, da das Treugut wirtschaftlich gesehen dem Vermögen des Treugebers zuzurechnen ist8 (zur Anwendung des Eigenkapitalersatzrechts auf den Treugeber s. § 3 Rz. 20).
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Hinweis: 46a Durch eine bloße schuldrechtliche Vereinbarung, dass der bisherige Volleigentümer sein Eigentum nunmehr im Interesse eines anderen (Treugeber) verwaltet, erwirbt dieser kein Aussonderungsrecht in der Insolvenz des Eigentümers (Treuhänders). Die Zuordnung zum Schuldnervermögen wird ausschließlich nach
BGH v. 22.1.2014 – IV ZR 201/13, ZIP 2014, 384 f. OLG München v. 11.7.2008 – 25 U 2684/08, ZIP 2008, 1738 ff. BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 264/01, ZInsO 2002, 878 ff. BGH v. 1.12.2011 – IX ZR 79/11, NZI 2012, 76 ff. BGH v. 18.2.2011 – 3 O 207/10, ZInsO 2011, 997 ff. Denkbar ist in diesem Fall ein die Anfechtung des Erwerbs des bezugsrechts, vgl. Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 47 Rz. 62b.
6 BGH v. 27.10.2010 – IV ZR 22/09, ZIP 2011, 68 ff. Zur Anfechtbarkeit der Prämienzahlung auf Grundlage einer in der Abtretungsvereinbarung übernommenen Verpflichtung des Versicherungsnehmers gegenüber dem Sicherungsnehmer vgl. BGH v. 20.12.2012 – IX ZR 21/12, ZIP 2013, 223. 7 Zur Rechtsnatur von Treuhandabreden und Abgrenzung zur doppelnützigen Treuhand (am Beispiel der Übernahme von Gesellschaftsanteilen) vgl. Undritz, ZIP 2012, 1153 ff. und Budde, ZInsO 2011, 1369 ff. 8 BGH v. 24.6.2003 – IX ZR 120/02, ZIP 2003, 1613 (1615); Eickmann in HK-InsO, § 47 Rz. 22; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 47 Rz. 45; differenzierend Fridgen, ZInsO 2004, 530 ff. Zur Aussonderung von Beträgen, die nach Kündigung des Treuhandvertrages auf das Treuhandkonto eingingen vgl. BGH v. 7.7.2005 – III ZR 422/04, ZIP 2005, 1465 (1467).
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Rz. 46b
Beratung des gesicherten Glubigers
dinglichen Gesichtspunkten vorgenommen1. Die Rechtsprechung ist hinsichtlich der Anforderungen in diesem Zusammenhang uneinheitlich. Überwiegend wird neben der Vermögenstrennung die Unmittelbarkeit gefordert2. Teilweise lässt die Rechtsprechung Ausnahmen von dem Unmittelbarkeitsprinzip zu3; teilweise wird alternativ die Offenkundigkeit als Kriterium herangezogen4. 46b Der Treuhänder kann sich dem gegenüber nicht auf seine dingliche Rechtsposition berufen, da das Treuhandverhältnis entsprechend §§ 115 Abs. 1, 116 InsO mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlischt (zu diesem Bestimmungen vgl. § 8 Rz. 273 ff.). In der Insolvenz des Treugebers gehört das Treugut zur Insolvenzmasse und kann vom Insolvenzverwalter des Treugebers herausverlangt werden, sofern kein Besitzrecht des Treuhänders mehr besteht5. 46c Bei der eigennützigen Treuhand liegt die Treuhand vorwiegend im Interesse des Treuhänders. Er bezweckt mit der Treuhand regelmäßig die Absicherung einer Forderung gegenüber dem Treugeber (so genannte Sicherungstreuhand). Den Hauptanwendungsfall bilden die Sicherungsübereignung und die Sicherungszession. Diese geben dem Treuhänder zwar formal die Stellung eines Eigentümers bzw. Rechtsinhabers, fungieren aber als Mobiliarsicherheiten. Auch hier gehört das Treugut bei Insolvenz des Treugebers in die Insolvenzmasse und kann nicht vom Treuhänder ausgesondert werden. Jedoch steht diesem ein Absonderungsrecht gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu6. Fällt hingegen der Treuhänder in Insolvenz, so kann der Treugeber das Treugut aussondern, soweit er die im Rahmen des Treuhandverhältnisses abgesicherte Forderung des Treuhänders befriedigt oder diese nicht valutiert ist7. 47 Handelt es sich bei dem Treugut um Gelder, so spricht man von einem Treuhandkonto. Dieses ist eine Schöpfung der Bankpraxis8. Es handelt sich dabei um ein von einem Kreditinstitut eingerichtetes Konto, das dazu bestimmt ist, dass auf ihm Geldbeträge gutgeschrieben werden, die dem Kontoinhaber (Treuhänder) von Dritten (Treugeber) anvertraut werden9. Das namensgebende Treuhandverhältnis besteht zwischen dem Kontoinhaber als Treuhänder und dem Dritten als Treugeber und nicht etwa zwischen dem Kontoinhaber und dem Kreditinstitut. Mögliche Aussonderungsrechte in der Insolvenz des Treuhänders stünden dem Treugeber zu. Die Bank ist nur insofern beteiligt, als dass sie mit der Kontoführung die banktechnischen Voraussetzungen dafür schafft, dass die überwiesenen Geldbeträge zum Treugut werden10. 47a Ein Treuhandkonto wird von der Rechtsprechung nur als solches anerkannt, wenn – das Konto ausschließlich für treuhänderisch anvertraute Gelder bestimmt ist und – der Treuhandcharakter offenkundig ist, er sich mithin schon aus der Kontobezeichnung ergibt11.
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BGH v. 23.10.2003 – IX ZR 252/01, ZInsO 2003, 1096 (1099). Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 47 Rz. 40. BGH v. 23.10.2003 – IX ZR 252/01, ZInsO 2003, 1096 (1099). BGH v. ZInsO 2007, 2173 (2178). Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 34. Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 47 Rz. 27; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 37. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 36. Schimansky/Bunte/Lwowski/Hadding/Häuser, Bankrechtshandbuch, § 37 Rz. 1. Zum Mietkautionskonto im Allgemeinen vgl. BGH v. 13.12.2012 – IX ZR 9/12, NZI 2012, 158. MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 392. Anders ist die Situation, wenn einem Kreditinstitut selbst als Treuhänder Geldbeträge überlassen worden sind. Dann bestehe – so das LG Berlin mit Urt. v. 2.6.2004 – 4 O 777/03, ZIP 2004, 2396 f. – selbst dann kein Aussonderungsrecht an einem Guthaben, wenn sich dieses auf einem Treuhandkonto befindet. BGH v. 24.6.2003 – IX ZR 120/02, ZIP 2003, 1613 (1615); Obermüller, Handbuch Insolvenzrecht für die Kreditwirtschaft, Rz. 2.85; Pannen, EWiR 2004, 979 (980).
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Aussonderungsfragen
Rz. 48b
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Letzteres hat die praktische Konsequenz, dass die Bank sodann auf ihr AGB-Pfandrecht verzichtet1. Vor dem Hintergrund dieser Anforderungen an ein Treuhandkonto versteht sich eine 47b Entscheidung des BGH2. Streitbefangen war hier die Aussonderungsbefugnis an Treuhandgeldern, die der Treuhänder auf einem gemischten Konto verwahrte, d.h. einem Konto, auf dem sich auch eigene Gelder befanden. Der BGH versagte die Aussonderungskraft. Werde ein Treuhandkonto auch als Eigenkonto geführt, bestehe seitens des Treugebers nur ein schuldrechtlicher Anspruch gemäß den §§ 667 ff. BGB und kein Aussonderungsrecht nach § 47 InsO. Werden Geldbeträge versehentlich noch nach Beendigung des Treuhandverhältnis- 47c ses auf ein Treuhandkonto geleistet, so bleibt trotzdem ein Aussonderungsrecht aufgrund des Treuhandverhältnisses möglich. Vorbehaltlich abweichender Parteivereinbarung bedeutet das Ende des Treuhandvertrages nicht ohne weiteres zugleich eine Beendigung der treuhänderischen Bindung für die Kontoforderung. Das Treuhandkonto ist vielmehr abzurechnen. Bis dahin hat der Treugeber ein Interesse an einer Fortdauer der Bindungswirkung und dem damit einhergehenden Schutz vor Zugriffen von Gläubigern des Treuhänders, während dieser entsprechend zur Entgegennahme und Weiterleitung später eingehender Zahlungen an den Treugeber verpflichtet ist3. Ein Rechtsanwalt ist ohne besondere Abrede mit dem Mandanten nicht verpflichtet, 47d Forderungen des Mandanten auf ein Fremdgeldkonto einzuziehen. In der Insolvenz des Rechtsanwalts ist der Mandant in der Regel weder zur Aussonderung noch zur Ersatzaussonderung wegen einer vom Rechtsanwalt auf sein Geschäftskonto eingezogenen Forderung des Mandanten berechtigt. Es besteht lediglich ein Anspruch des Auftraggebers gegen den Beauftragten auf Herausgabe des durch die Einziehung Erlangten. Dieser Anspruch ist indes rein schuldrechtlicher Art. Er begründet kein Treuhandverhältnis und mithin auch kein Aussonderungsrecht4.
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Exkurs – Treuhandverhältnisse und Arbeitsrecht 48 In diesen Zusammenhang gehört ebenso eine Kontroverse zwischen BFH und BGH. Gegenstand dieser ist die Aussonderung des Arbeitnehmeranteils in der Insolvenz des Arbeitgebers. Der BGH hat am 13.4.2006 entschieden, dass die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Abführung des Arbeitnehmeranteils weder den Sozialversicherungsträgern gegenüber noch dem einzelnen Arbeitnehmer gegenüber ein Treuhandverhältnis begründet. Der Arbeitgeber zahle die entsprechenden Beiträge aus eigenem Vermögen. Der BFH sieht das anders. Durch die Einführung des neuen § 28e SGB IV müssen die die Arbeitnehmerbeiträge zwar nunmehr kraft Fiktion als Vermögen des Arbeitnehmers angesehen und behandelt werden. Diese Fiktion begründet jedoch kein Aussonderungsrecht des Arbeitnehmers am Vermögen des Arbeitgebers, der den Gesamtsozialversicherungsbetrag zahlt5.
Ebenso wenig begründet die durch Entgeltumwandlung finanzierte Direktversiche- 48a rung ein Treuhandverhältnis. Die Entgeltumwandlung i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 3 BetrAVG stellt kein treuhänderisches Geschäft i.S. oben genannter Kriterien dar6. Es fehlt an der Unmittelbarkeit, denn aus dem Vermögen des Arbeitgebers stammen nur die Beiträge, nicht jedoch die Rechte aus dem Versicherungsvertrag zwischen Arbeitgeber und Versicherer. Es bleibt insoweit bei der angenommenen Notwendigkeit der Vereinbarung eines unwiderruflichen Bezugsrechts. Vom Arbeitgeber auf einem besonderen Konto für die Abgeltung von Arbeitszeitguthaben der Arbeitnehmer bereitgestellte Gelder unterliegen in der Insolvenz nicht der 1 Pannen, EWiR 2004, 979 (980). 2 BGH v. 10.2.2011 – IX ZR 49/10, NZI 2011, 371 m. zust. Anm. Neußner, EWiR 2011, 605. Anderer Ansicht ist das OLG Frankfurt v. 1.3.2012 – 16 U 152/11, ZIP 2012, 1922 ff. 3 BGH v. 7.7.2005 – III ZR 422/04, ZIP 2005, 1465. 4 LG Gießen v. 5.12.2011 – 1 S 345/11, ZIP 2012, 1725 ff. 5 BGH v. 5.11.2009 – IX ZR 233/06, ZInsO 2009, 2293 ff. 6 OLG Karlsruhe v. 18.1.2007 – 12 U 185/06, ZIP 2007, 286 (289).
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Rz. 48c
Beratung des gesicherten Glubigers
Aussonderung, wenn der Arbeitgeber selbst Inhaber des Kontos ist1. Die Ansprüche gegenüber der kontoführenden Bank gehören in der Insolvenz des Arbeitgebers zur Insolvenzmasse. Die Forderungen rückständiger Arbeitsvergütung berechtigen als schuldrechtliche Verschaffungsansprüche (hierzu Rz. 81 ff.) nicht zur Aussonderung aus dem gesondert eingerichteten Konto. Anders wäre nur bei Vorliegen eines echten Treuhandverhältnisses zu entscheiden gewesen. Eine dingliche Ausgliederung der Arbeitsvergütung aus dem Vermögen des insolventen Arbeitgebers erfolgt durch die Einzahlung der Beträge auf ein dem Arbeitgeber zuzurechnendes Bankkonto gerade nicht2. Alternativ zu dieser Absicherung eines Altersteilzeitguthabens durch ein echtes – zur Aussonderung berechtigendes – Treuhandverhältnis kann im Rahmen einer so genannten Doppeltreuhand zugunsten der Arbeitnehmer eine Sicherungstreuhand vereinbart werden. Eine solche indes berechtigt nicht zur Aussonderung, sondern lediglich zur abgesonderten Befriedigung (§ 51 Nr. 1 InsO)3. 48c
Û
Hinweis: Arbeitnehmer sind gut beraten, sich über die rechtlichen Möglichkeiten der Insolvenzsicherung von Arbeitszeitkonten zu unterrichten4. Anerkannte und in Empfehlungen von Tarifvertragsparteien enthaltene Sicherungsmittel sind5: – Absicherung der Wertguthaben durch Bankbürgschaft, – Einrichtung eines Sperrkontos mit treuhänderischen Pfandrechten und – Hinterlegung der bereitgestellten Gelder bei einer Urlaubs- und Ausgleichskasse
49 Zusammenfassender Überblick – Aussonderung und Treuhandverhältnisse Zusammenfassend sind (mögliche) Aussonderungsberechtigte im Zusammenhang mit Treuhandverhältnissen gut beraten, folgende Gesichtspunkte in der Insolvenz zu beachten: – Vorliegen eines Treuhandverhältnisses – Art der Treuhand – eigennützige (echte) oder uneigennützige Treuhand – Abgrenzung zu bloßen schuldrechtlichen Vereinbarungen – Gemischte und eigene Konten bzw. reine Treuhandkonten 49a Mischformen sind so genannte doppelseitige Treuhandverhältnisse, bei denen der Treuhänder für mehrere Treugeber tätig wird6. Eine solche Gestaltung wird in der Praxis insbesondere bei der Verwaltung und Verwertung von Sicherheiten gewählt, da der Treuhänder die Sicherheit sowohl für den Schuldner bzw. Sicherungsgeber als auch den Gläubiger bzw. Sicherungsnehmer verwaltet. In der Insolvenz des Sicherungsgebers erlischt der Verwaltungstreuhandauftrag. Das Treugut ist an den Insolvenzverwalter des Schuldners bzw. Sicherungsgebers für die Zwecke herauszugeben. Die Sicherungsnehmer können hiernach abgesonderte Befriedigung beanspruchen7. Dies hat das BAG jüngst in dem erwähnten Urteil v. 18.7.2013 noch einmal klargestellt für die Absicherung eines Altersteilzeitguthabens im Rahmen einer so genannten Doppeltreuhand, die zu Gunsten der Arbeitnehmer eine Sicherungstreuhand vorsah8.
1 2 3 4 5
BAG v. 24.9.2003 – 10 AZR 640/02 m. zust. Anm. Bezani/Richter, EWiR 2004, 391 f. Bezani/Richter, EWiR 2004, 391 f. BAG v. 18.7.2013 – 6 AZR 47/12, ZIP 2013, 2025 m. Anm. Mückl, EWiR 2013, 733. Wahlig, DZWIR 2000, 370 ff.; Diller, NZA 1998, 792 ff. Ausführlich zur Sicherung von Betriebsrenten im Allgemeinen und durch Contractual Trust Arrangements (CTA) im Allgemeinen vgl. Rolfs/Schmid, ZIP 2010, 701 ff. Ebenso hierzu Mückl, EWiR 2013, 733. 6 Zur Rechtsnatur von Treuhandabreden und Abgrenzung zur doppelnützigen Treuhand (am Beispiel der Übernahme von Gesellschaftsanteilen) vgl. Undritz, ZIP 2012, 1153 ff. und Budde, ZInsO 2011, 1369 ff. 7 Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 47 Rz. 37. Dort auch ausführlich zur Rechtslage in der Insolvenz des Treuhänders. 8 BAG v. 18.7.2013 – 6 AZR 47/12, ZIP 2013, 2025 m. Anm. Mückl, EWiR 2013, 733.
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Drees/Schmidt
Aussonderungsfragen
Rz. 55
§7
ee) Leasing Mit dem „Finanzierungsleasing“ wurde ein neues und eigentümliches Kredit- und 50 Kreditsicherungsgeschäft entwickelt, das sowohl kauf- als auch mietvertragliche Elemente in sich vereint. Der Leasingnehmer sucht das Leasinggut zumeist selbst beim Hersteller aus, der Leasinggeber erwirbt es und finanziert den Kaufpreis. Die Leasingraten, die der Leasingnehmer an den Leasinggeber zu zahlen hat, sind zum Teil als Entgelt für die Nutzungsüberlassung, zum Teil aber auch als Vergütung des Substanzwertes der Leasingsache anzusehen. In dem praktisch bedeutsamsten Fall der Insolvenz des Leasingnehmers hat der Leasinggeber jedenfalls im Grundsatz ein Aussonderungsrecht1. Dessen Durchsetzung entscheidet sich im Einzelnen nach dem Leasinggut. (1) Leasing von Mobilien Auf das Finanzierungsleasing finden mietvertragliche Regelungen Anwendung2. Das 51 Gesetz geht in §§ 108, 109 InsO in der Insolvenz jedes Vertragspartners für den Mietaber auch den Leasingvertrag vom Fortbestand des Schuldverhältnisses aus, sofern sich dieses auf einen unbeweglichen Gegenstand bezieht. Für solche Verträge über bewegliche Gegenstände entscheidet die Ausübung des Wahlrechts nach § 103 InsO über die Fortsetzung des Vertrags3 (zu diesem Wahlrecht vgl. § 8 Rz. 10 ff.). Wählt der Insolvenzverwalter Erfüllung des Leasingvertrages, so kann er dem Aus- 52 sonderungsanspruch des Leasinggebers ein Recht zum Besitz entgegenhalten, soweit der Leasingvertrag nicht bereits vor Insolvenzeröffnung gekündigt wurde und diese Kündigung nicht gegen § 112 InsO (vgl. Rz. 53) verstößt4. In Korrelation dazu werden die Kündigungsmöglichkeiten des Leasinggebers in der Insolvenz des Leasingnehmers gemäß § 112 InsO eingeschränkt5 (zur Kündigungssperre des § 112 InsO s. § 8 Rz. 250 ff.).
53
Fällt mithin der Leasingnehmer in Insolvenz, hat der Verwalter nach der Verfahrens- 54 eröffnung die Wahl, ob er den Vertrag erfüllen oder die weitere Erfüllung ablehnen will. Entscheidet sich der Verwalter für die Erfüllung, so obliegen ihm dieselben Pflichten und Rechte wie dem Mieter bzw. Leasingnehmer. Die Leasingraten bilden Masseverbindlichkeiten im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO6. Die rückständigen Leasingraten aus der Zeit vor der Insolvenzeröffnung begründen hingegen nur einfache Insolvenzforderungen7. Lehnt der Verwalter die Erfüllung ab, wird der Leasinggeber hinsichtlich seiner Scha- 55 densersatzansprüche auf eine Insolvenzforderung entsprechend § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO verwiesen8. Bezüglich des Leasinggegenstandes ist der Leasingnehmer bzw. inzwischen der Insolvenzverwalter im Rahmen eines Mobilienleasingvertrags aufgrund der Eigentümerstellung des Leasinggebers zur Rückgabe des Leasinggegenstandes verpflichtet. Das bedeutet, der Leasinggeber kann nach dieser mietrechtlichen Konzeption als Eigentümer das Leasinggut im Insolvenzfall des Leasingnehmers entsprechend § 47 InsO aussondern9.
1 Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 47 Rz. 27. 2 BGH v. 19.2.1986 – VIII ZR 91/85, WM 1986, 591 (592); BGH v. 10.11.1993 – VIII ZR 119/92, WM 1994, 208; Gottwald/Adolphsen, Kölner Schrift zur InsO, S. 1043 ff. Rz. 71. 3 MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 228; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 90; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 19. 4 Zu den Risiken im Zusammenhang mit der Erfüllungswahl bei Aussonderungsgut vgl. BGH v. 13.2.2014 – IX ZR 313/12 im Fall eines Konsignationslagervertrages. 5 Gottwald/Adolphsen, Kölner Schrift zur InsO, S. 1043 ff. Rz. 76 ff. 6 MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 229; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 22; Engel/ Völkers, Leasing in der Insolvenz, Rz. 307. 7 MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 229. 8 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 90; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 20; Engel/Völkers, Leasing in der Insolvenz, Rz. 308. 9 MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 230; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 90.
Drees/Schmidt
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§7
Rz. 56
Beratung des gesicherten Glubigers
56 Insoweit wurden die Miet- und Pachtverhältnisse über bewegliche Sachen abweichend von dem bisherigen Recht grundsätzlich von der Regelung über das Fortbestehen von Dauerschuldverhältnissen nach § 108 Abs. 1 InsO ausgenommen. Der Insolvenzverwalter kann daher kein eigenes Verwertungsrecht und damit auch keine Kostenbeiträge nach den §§ 170, 171 InsO beanspruchen, da dem Leasinggeber ein Aus- und kein Absonderungsrecht zusteht. Zudem darf er seine Wahl zwischen Vertragserfüllung und deren Ablehnung nicht wie beim Eigentumsvorbehaltskauf bis zum Berichtstermin hinauszögern (§ 107 Abs. 2 InsO), sondern muss diese unverzüglich treffen1. 57 Im Falle der Insolvenz des Leasinggebers besteht der Leasingvertrag nicht ohne weiteres fort. Auch hier steht dem Insolvenzverwalter über das Vermögen des Leasinggebers ein Wahlrecht nach § 103 InsO hinsichtlich des Fortbestehens des Leasingvertrags aufgrund seiner Erfüllungswahl bzw. der Beendigung des Vertragsverhältnisses durch Ablehnung der Erfüllung zu. Lehnt der Insolvenzverwalter die Vertragserfüllung gemäß § 103 Abs. 2 InsO ab, kann er das Leasinggut nach erfolgter Vertragsbeendigung aussondern2. Beabsichtigt der Verwalter hingegen, weiterhin die Leasingraten zu vereinnahmen, so wird er die Vertragserfüllung wählen mit der Folge, dass der Leasinggegenstand bei dem Leasingnehmer verbleibt. 58 Wurde das Leasinggut refinanziert, wird die refinanzierende Bank die Refinanzierung in der Regel nur unter gleichzeitiger Sicherungsabtretung der Ansprüche gegen den Leasingnehmer und Sicherungsübereignung des Leasinggutes vornehmen, womit die refinanzierende Bank Sicherungseigentümerin des Leasingguts wird3. Ist dies der Fall, so ist zu beachten, dass die Leasingverträge dann ausnahmsweise gemäß § 108 Abs. 1 Satz 2 InsO insolvenzfest sind und trotz Eröffnung des Verfahrens fortbestehen4. Dem Verwalter steht sodann das Recht zur Erfüllungswahl nach § 103 InsO nicht zu. Die refinanzierende Bank ist in diesen Fällen aufgrund der Vereinbarung mit dem Leasinggeber Sicherungseigentümerin des Leasingguts und Sicherungszessionarin der abgetretenen Forderungen gegen den Leasingnehmer geworden und damit zur abgesonderten Befriedigung berechtigt5. Wird der Kredit daher nicht mehr ordnungsgemäß bedient oder endet der Vertrag aus sonstigen Gründen, steht ihr gemäß § 51 Abs. 1 InsO ein Absonderungsrecht zu. 59 Bei dem kurzfristigen Operating-Leasing von Investitionsgütern handelt es sich um einen normalen Miet- bzw. Pachtvertrag über bewegliche Sachen6. Dem Insolvenzverwalter kommt daher in der Insolvenz des Leasingnehmers mangels Sonderregelung das Wahlrecht nach § 103 InsO zu. Die Rechtsfolgen entsprechen den für das Finanzierungsleasing bei Erfüllungswahl und -ablehnung beschriebenen Rechtsfolgen (Rz. 52 ff.)7. (2) Leasing von Immobilien 60 Für das Leasing von Immobilien gilt es zu unterscheiden, ob das Leasinggut dem Leasingnehmer im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits überlassen war, oder ob es sich noch im Besitz des Leasinggebers befindet (zum Immobilienleasing s. auch § 8 Rz. 189). 61 War die Immobilie dem Leasingnehmer im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch nicht überlassen, können sowohl der Leasinggeber als auch der Insolvenzverwalter entsprechend § 109 Abs. 2 Satz 1 InsO vom Vertrag zurücktreten8. Für den Fall des 1 Gottwald/Adolphsen, Kölner Schrift zur InsO, S. 1043 ff. Rz. 81. 2 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 92; MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 247. 3 Zum Refinanzierungsregister und den hiermit verbundenen Fragen zur Aussonderung Obermüller, ZInsO 2005, 1079 ff. m. zahlr. w.N. 4 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 66; MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 248; vgl. hierzu näher Huth, Kreditsicherungsrecht, S. 254 ff. 5 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 92; MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 250. 6 Gottwald/Adolphsen, Kölner Schrift zur InsO, S. 1043 ff. Rz. 69. 7 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 90. 8 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 91.
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Drees/Schmidt
Aussonderungsfragen
Rz. 64
§7
Rücktritts seitens des Verwalters kann der Leasinggeber wegen der vorzeitigen Beendigung des Vertrags als Insolvenzgläubiger Schadensersatz nach § 109 Abs. 2 Satz 2 InsO verlangen1. Soweit es sich um einen Leasingvertrag über unbewegliche Gegenstände handelt 62 und das Leasinggut dem Leasingnehmer bereits überlassen wurde, besteht der Leasingvertrag unberührt von der Verfahrenseröffnung fort (§ 108 InsO)2. An die Stelle des Wahlrechts nach § 103 InsO tritt das gesondert geregelte Kündigungsrecht des § 109 Abs. 1 InsO. Der Insolvenzverwalter kann das Mietverhältnis danach ohne Rücksichtnahme auf die vertraglichen Fristen allein entsprechend der gesetzlichen Kündigungsfristen kündigen (§ 109 Abs. 1 InsO)3. Kündigt er das Leasingverhältnis, so ist der Leasinggeber wegen der auf der verfrühten Vertragsauflösung beruhenden Nachteile nach § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO auf eine Insolvenzforderung verwiesen. Hinsichtlich seines Leasinggegenstandes steht ihm als Eigentümer wiederum ein Aussonderungsrecht zu4. Solange der Verwalter die Pflichten aus dem Leasingvertrag erfüllt, steht dem Leasinggeber ein eigenes Kündigungsrecht nicht zu5. Die vor der Verfahrenseröffnung entstandenen Leasingforderungen kann der Leasinggeber lediglich als Insolvenzforderungen, die während des Verfahrens bis zur Beendigung des Vertrags entstehenden Raten dagegen als Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO beanspruchen6. ff) Factoring Das Factoring ist eine Finanzierungsform, die auf dem Verkauf und der Abtretung 63 von Forderungen beruht. Im Rahmen des Factoringgeschäfts tritt ein Gläubiger – der Anschlusskunde – seine Forderungen, die ihm aus Warenlieferungen oder Dienstleistungen gegenüber seinen Abnehmern – den Debitoren – zustehen, an den Factor – meist auf kaufrechtlicher Basis – ab. Dieser schreibt dem Anschlusskunden den Gegenwert abzüglich Gebühren und Zinsen gut und stellt diesen dem Anschlusskunden als Vorschuss zur sofortigen Verfügung. Nach Eintritt der Fälligkeit zieht der Factor sodann die beim Anschlusskunden gekaufte und bereits „bezahlte“ Forderung bei dessen Schuldner, dem Debitor, ein. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht handelt es sich mithin um eine Art Absatzfinanzierung zur Schaffung von Liquidität durch die Umwandlung der Forderungen in bares Geld bzw. Kontoguthaben7. Die in den Forderungen gebundenen Mittel können dadurch bereits vor dem Fälligkeitszeitpunkt freigesetzt werden, der so genannte Kapitalfreisetzungseffekt des Factorings. Je nachdem, ob der Factor das Risiko der Zahlungsunfähigkeit des Debitors (Delkre- 64 dere) übernimmt oder nicht, wird zwischen dem – echten und – unechten Factoring unterschieden8. Während der Zedent beim echten Factoring nur für den rechtlichen Bestand der Forderung, die Abtretbarkeit sowie die Freiheit von Einreden und Einwendungen der finanzierten Forderung haftet, das Delkredererisiko damit allein den Factor trifft und das Geschäft damit als Forderungskaufvertrag zu qualifizieren ist, besteht beim unechten Factoring auch eine Bonitätshaftung des Zedenten für die vorfinanzierten Forderungen, so dass dem Anschlusskunden beim unechten Factoring das Ausfallrisiko verbleibt. Dennoch vergütet der Factor auch beim unechten Factoring die Kundenforderungen sofort, womit auch das unechte Factoring der Beschaffung von 1 2 3 4 5 6
MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 235. Brinkmann in Uhlenbruck InsO, § 47 Rz. 91; MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 236. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 91; MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 236. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 91; MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 236. MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 237. MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 236; Gottwald/Adolphsen, Kölner Schrift zur InsO, S. 1043 ff. Rz. 84. 7 Busche in Staudinger, BGB, Vor §§ 398 ff. Rz. 162; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 69. 8 Grüneberg in Palandt, BGB, § 398 Rz. 38 ff.; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 75.
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§7
Rz. 65
Beratung des gesicherten Glubigers
Liquidität dient. Ihm steht hinsichtlich des Ausfalls lediglich ein Rückbelastungsrecht gegenüber dem Anschlusskunden zu. Trotz des Rückbelastungsrechts ist aber auch das unechte Factoring als Kreditgeschäft verbunden mit einer Kreditsicherheit anzusehen, da die Abtretung der Forderungen quasi im Rahmen eines atypischen Darlehensvertrags als Sicherheit erfüllungshalber geschieht. Falls es bei den Kundenforderungen zu Ausfällen kommt, kann der Factor diese im Hinblick auf den von ihm gezahlten „Kaufpreis“, die Kreditsumme, zurückbelasten. 65 Die InsO sieht keine speziellen Regelungen für das Factoringgeschäft vor. Die insolvenzrechtliche Behandlung folgt daher der zivilrechtlichen Qualifikation der zugrunde liegenden Verträge1. 66 Der Factoringvertrag wird allgemein als ein gemischttypischer Vertrag mit Elementen einer Geschäftsbesorgung angesehen. Nach den §§ 116 ff. InsO in Verbindung mit § 115 InsO enden Geschäftsbesorgungsverträge, in denen der Schuldner der Berechtigte ist, mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Die Insolvenz des Anschlusskunden führt daher zum Erlöschen des Factoringvertrags2. Dabei hat die Beendigung eines unechten Factoringvertrags keinen Einfluss auf die Delkrederehaftung, da diese nicht auf dem Factoringvertrag beruht, sondern Inhalt des Factoring-Kausalgeschäfts ist3. 67 Das der Factoringzession zugrunde liegende Kausalgeschäft ist zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung sowohl beim echten als auch beim unechten Factoring bereits beiderseits vollständig erfüllt. Der Anschlusskunde hat die Forderung bereits an den Factor abgetreten und der Factor hat durch die Gutschrift des Gegenwertes für die Forderung ebenfalls bereits seine Vertragspflicht erfüllt. Dadurch wurde der von den Parteien erwünschte Leistungserfolg, nämlich die Vorfinanzierung, herbeigeführt4. Die weiteren Pflichten des Factors wie die Forderungseinziehung beim Debitor im Rahmen des unechten Factorings oder die Auskehrung eines eventuellen Sicherungseinbehalts stellen lediglich nachvertragliche Pflichten des Factors dar, die aber nicht mehr auf die Herbeiführung des Leistungserfolges gerichtet sind. Damit scheidet das Wahlrecht des Verwalters nach § 103 InsO für die einzelnen Factoringgeschäfte aus. Sie sind als bereits vollständig erfüllt anzusehen5. 68 Forderungen, die dem Factor vor der Verfahrenseröffnung auf der Basis echten Factorings abgetreten wurden und für die seitens des Factors dem Anschlusskunden im Gegenzug bereits eine vorbehaltlose Gutschrift erteilt wurde, kann der Factor im Falle einer Insolvenz des Anschlusskunden aufgrund seiner Stellung als Vollrechtsinhaber nach § 47 InsO aussondern6. 69 Im Rahmen des unechten Factorings wird dem Factor aufgrund des Sicherungscharakters der Abtretung nur ein Absonderungsrecht zugebilligt7. 70
Û
Hinweis: Der Factor wird mithin als lediglich zur Absonderung berechtigter Gläubiger den Abzug der Verwertungs- und Feststellungskosten aus den §§ 170, 171 InsO (hierzu unten Rz. 317 ff.) dulden.
71 Voraussetzung für die Insolvenzfestigkeit der Ansprüche des Factors ist, dass das zugrunde liegende Deckungsgeschäft zwischen Anschlusskunden und Debitor im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bereits vollständig erfüllt war. Ist das nämlich nicht der Fall, erlöschen die beiderseitigen Erfüllungsansprüche aus dem Vertrag zwischen 1 MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 261; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 70. 2 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 94; MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 262. 3 Uhlenbruck in Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 23 Rz. 20b; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 74. 4 MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 264; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 77. 5 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 94; MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 264; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 77. 6 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 94; MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 265; Beck, KTS 2008, 121 (125 f.) m. zahlr. w. N. 7 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 94; Hess, InsO, 1995, § 47 Rz. 140 f.; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 47 Rz. 36, § 51 Rz. 58.
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Drees/Schmidt
Aussonderungsfragen
Rz. 79
§7
dem Anschlusskunden und dem Debitor durch die Verfahrenseröffnung gemäß § 103 Abs. 1 InsO, wodurch mittelbar auch die abgeleiteten Rechte aus der Abtretung untergehen. Selbst wenn sich der Verwalter im Fortgang für die Erfüllungswahl entscheiden würde, könnte der Factor wegen § 91 Abs. 1 InsO die neu begründete Forderung gegen den Debitor nicht erwerben1. Dies gilt entsprechend für alle bereits vorausabgetretenen Forderungen, die erst nach dem Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung zur Entstehung gelangen. Des Weiteren ist das echte Factoring auch hinsichtlich einer eventuellen Kollision 72 mit einem verlängerten Eigentumsvorbehalt „insolvenzfest“, da die Grundsätze, die für die Kollision eines verlängerten Eigentumsvorbehalts mit einer globalen Sicherungszession an einen Geldkreditgeber entwickelt wurden, auf das echte Factoring keine Anwendung finden2. Es gilt das Prioritätsprinzip3. Denn im Falle eines zeitlichen Vorrangs der Factoring-Globalzession nimmt der Gläubiger die Stellung ein wie bei einer – erlaubten – Weiterveräußerung der Vorbehaltsware gegen Barzahlung. Erfolgt die Abtretung an den Factor nach Vereinbarung des des verlängerten Eigentumsvorbehalts, wird die Abtretung regelmäßig von der Einziehungsermächtigung gedeckt sein, die der Vorbehaltsverkäufer dem Schuldner erteilt hat, so dass sich auch bei dieser zeitlichen Abfolge keine Kollsisonslage ergibt4. Schwieriger ist es, das Konkurrenzverhältnis einer Factoring-Globalzession zu einem 73 verlängerten Eigentumsvorbehalt im Rahmen unechten Factorings zu bestimmen. Der BGH schreibt dem unechten Factoring vorwiegend Sicherungsfunktion zu und wendet deswegen auf diesen Kollisionsfall auch die Vertragsbruchtheorie an5. Einstweilen frei.
74–76
Das Factoring als „Kreditsicherungsalternative“ ist auch weitgehend anfechtungs- 77 fest. In der Regel liegt ein Bargeschäft gemäß § 142 InsO vor, welches grundsätzlich nicht der Anfechtung unterliegt. Da der Anschlusskunde im Rahmen des Forderungsverkaufs für seine Leistung eine wertäquivalente Gegenleistung erhält, bleibt eine Gläubigerbenachteiligung grundsätzlich außer Betracht. Eine Anfechtung von Factoringgeschäften kann deswegen nur bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Absichtsanfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO erfolgen, da diese auch mittelbare Benachteiligungen erfasst6. Der Anschlusskunde müsste demnach in der dem Factor bekannten Absicht gehandelt haben, den Factoringerlös dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen (zu den Voraussetzungen eines Bargeschäfts und einer Absichtsanfechtung s. § 10 Rz. 293 ff. und § 10 Rz. 167 ff.). In der Insolvenz des Factors erlischt der Factoringvertrag anders als bei der Insol- 78 venz des Anschlusskunden nicht, da die §§ 115, 116 InsO nur auf die Insolvenz des Auftraggebers bzw. des Berechtigten Anwendung finden. Dem Verwalter steht daher hinsichtlich des Factoringvertrags das Wahlrecht nach § 103 InsO zu7. Lehnt der Verwalter die Erfüllung ab, ist der Schadensersatzanspruch des Anschlusskunden als einfache Insolvenzforderung anzusehen. Bezüglich der einzelnen Factoringgeschäfte kommt es zunächst darauf an, ob diese 79 bereits voll abgewickelt sind. Ist dies der Fall, berührt der Eintritt der Insolvenz das einzelne Factoringgeschäft im Rahmen echten Factorings nicht mehr. Hingegen kann der Anschlusskunde im Rahmen des unechten Factorings gegen Rückzahlung des bereits für die abgetretene Forderung erhaltenen Vorschusses an die Insolvenz1 Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 84; Zeuner in Leonhard/Smid/Zeuner, InsO, § 116 Rz. 36 ff. 2 BGH v. 19.9.1977 – VIII ZR 169/76, BGHZ 69, 254 (258); Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 98. 3 Thole in K. Schmidt, InsO, § 47 Rz. 79. 4 BGH v. 7.6.1978 – VIII ZR 80/77, BGHZ 72, 15 (19 ff.); MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 187. 5 BGH v. 14.10.1981 – VIII ZR 149/80, BGHZ 82, 50 (64 f.). Kritisch Thole in K. Schmidt, InsO, § 47 Rz. 79. 6 Sinz, Kölner Schrift zur InsO, S. 593 ff. Rz. 123. 7 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 96; MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 274 m.w.N.
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§7
Rz. 80
Beratung des gesicherten Glubigers
masse die abgetretene Forderung in der Factorinsolvenz aussondern1. Ist das einzelne Factoringgeschäft noch nicht voll abgewickelt, kann der Verwalter die Forderungen, die dem Factor bereits abgetreten und von diesem auch bezahlt wurden, zur Masse einziehen. Da das Kausalgeschäft insoweit bereits erfüllt ist, findet § 103 InsO keine Anwendung2. Beim unechten Factoring kann der Anschlusskunde den Insolvenzverwalter hingegen mit der Aussonderung an der Einziehung hindern bzw. die sodann durch den Verwalter eingezogene Forderung ersatzaussondern3. 80 Überblick – Dingliche Aussonderungsrechte – Eigentumsrechte (insbesondere Vorbehaltseigentum) – Sonstige dingliche Rechte – Nießbrauch (§§ 1030 ff. BGB) – Erbbaurecht (§§ 1012 ff. BGB) – Grunddienstbarkeiten (§§ 1018 ff. BGB) – Beschränkt persönliche Dienstbarkeiten (§§ 1090 ff. BGB) – Grundpfandrechte sowie Pfandrechte an beweglichen Sachen und Rechten – Treuhandverhältnisse – Leasing – Factoring c) Persönliche Aussonderungsrechte und Forderungen aa) Persönliche Aussonderungsrechte 81 Persönliche, sprich schuldrechtliche Ansprüche verhelfen dem Berechtigten nur dann zu einem Aussonderungsrecht, wenn sie auf Herausgabe eines dem Schuldner nicht gehörenden Gegenstandes gerichtet sind, wobei der Berechtigte nicht zugleich auch dinglich Berechtigter sein muss. Entscheidend ist, dass der schuldrechtliche Herausgabeanspruch darauf beruht, dass die Sache nicht zur Masse gehört4. In Betracht kommen hier die Herausgabeansprüche des – Vermieters (§ 546 Abs. 1 BGB)5, – Verpächters (§ 596 Abs. 1 BGB), – Verleihers (§ 604 Abs. 1 BGB), – Auftraggebers (bezüglich überlassener Gegenstände (§ 667 BGB), – Hinterlegers (§ 695 BGB)6 und – Kommissionärs (§ 392 Abs. 2 HGB) 81a Diese Aufzählung ist nicht abschließend. Maßgeblich ist vielmehr die Anforderung des BGH, wonach eine schuldrechtliche Abrede zu einer von der dinglichen Rechtsordnung abweichenden Vermögenszuweisung führen kann und dies für die Begründung der Aussonderungskraft im Einzelfall auch tun muss7. Vor diesem Hintergrund können Aussonderungsansprüche beispielsweise auch in einem Bauvertrag erkannt werden. Ist etwa der Auftraggeber eines Bauvertrages verpflichtet, nach fehlgeschlagenem Sicherheitentausch eine als Austauschsicherheit gestellte Gewährleistungsbürgschaft an den Auftragnehmer zurückzugewähren, kann nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Auftraggebers der Auftragnehmer die 1 2 3 4
MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 275. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 96; MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 276. MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 277. BGH v. 10.2.2011 – IX ZR 73/10, ZIP 2011, 626 (627); Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWIR 2001, 95 (96); Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 75. 5 BGH v. 7.7.2010 – XII ZR 158/09, ZInsO 2010, 1452 (1453); BGH v. 5.7.2001 – IX ZR 327/99, NJW 2001, 2986 (2968).; keine Aussonderungskraft hat hingegen der Anspruch auf Rückforderung der nicht separierten Mietkaution, vgl. BGH v. 20.12.2007 – IX ZR 132/06, ZInsO 2008, 2064. 6 Vgl. auch Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWIR 2001, 95 (96 f.); Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 47 Rz. 67. 7 Zuletzt BGH v. 24.6.2003 – IX ZR 75/01, ZIP 2003, 1613.
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Aussonderungsfragen
Rz. 84
§7
Bürgschaftsurkunde heraus verlangen1. In der Praxis sehr häufig sind so genannte Konsignationslagerverträge. Bei einem solchen lagert der Lieferant beim Kunden Ware ein. Regelmäßig ist der Lieferant aufgrund des einfachen Eigentumsvorbehalts zur Aussonderung berechtigt und damit gesichert. Denkbar ist indes auch, dass neben diese dingliche Rechtsposition eine Aussonderungsberechtigung aufgrund des zugrunde liegenden Schuldverhältnisses tritt2. Wie ausgeführt kann beispielsweise der Vermieter nach Beendigung des Mietverhältnisses in der Insolvenz des Mieters seinen Rückgabeanspruch als Aussonderungsrecht geltend machen3. Er richtet sich indes nur dann gegen den Insolvenzverwalter, wenn dieser den Mietgegenstand in Besitz genommen oder daran für die Masse ein Recht beansprucht. Ein – über den Herausgabeanspruch nach § 985 Abs. 1 BGB hinausgehender – Räumungsanspruch ist eine Insolvenzforderung; gleiches gilt für bis zur Insolvenzeröffnung entstandenen Räumungskosten.
81b
Steht dem Aussonderungsberechtigten neben dem obligatorischen Recht auch ein 81c dingliches Recht zu, kann er sich sowohl auf den schuldrechtlichen als auch den dinglich begründeten Anspruch stützen. In dem praktisch seltenen Fall der Insolvenz des Wertpapierverwahrers geben die 82 persönlichen Ansprüche des Hinterlegers diesem sowohl bei der Sonderverwahrung nach § 2 DepotG als auch bei der Sammelverwahrung nach § 5 DepotG ein Aussonderungsrecht4. Das Aussonderungsrecht des Kommittenten gemäß § 392 Abs. 2 HGB besteht un- 83 mittelbar nur dann, wenn der Kommissionär das Kommissionsgut noch nicht übereignet hat. Nach erfolgter Übereignung kann das Kommissiongut nicht mehr ausgesondert werden und es stellt sich die Frage, ob eine entsprechende Anwendung des § 392 Abs. 2 HGB dem Kommittenten ein Aussonderungsrecht an der noch offenen Kaufpreisforderung oder an dem Surrogat der bereits eingezogenen Forderung verschafft. Lediglich ein Teil des Schrifttums bejaht dies5. Die h.M. lehnt in Wahrung des sachenrechtlichen Spezialitätsgrundsatzes eine Verdinglichung des Surrogats ohne ausdrückliche gesetzgeberische Vorgabe ab6.
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Hinweis: 83a Oftmals kann diese Streitfrage dahinstehen. Denn selbst bei entsprechender Anwendung des § 392 Abs. 2 HGB scheitern Ansprüche auf Aus- bzw. Ersatzabsonderung daran, dass das Aussonderungsgut bzw. das Surrogat regelmäßig nicht mehr unterscheidbar im Schuldnervermögen vorhanden ist7. Eine Aussonderung wegen eines bloßen Geldsummenanspruchs kennt die Rechtsordnung nicht8.
Persönliche Ansprüche, die nur auf Verschaffung des Aussonderungsgutes gerichtet 84 sind (so genannte Verschaffungsansprüche), begründen kein Aussonderungsrecht9. Zu den bloßen Verschaffungsansprüchen gehören beispielhaft
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7 8 9
BGH v. 10.2.2011 – IX ZR 73/10, ZIP 2011, 626. Vgl. zum Konsignationslagervertrag jüngst BGH v. 13.2.2014 – IX ZR 313/12. BGH v. 7.7.2010 – XII ZR 158/09, ZIP 2010, 2410. S. hierzu Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 52. MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 289. Dagegen OLG Hamm v. 7.10.2003 – 27 U 81/03, ZIP 2003, 2262 m. krit. Anm. Gundlach/Frenzel, EWiR 2004, 75 f. BGH v. 26.11.1973 – II ZR 117/72, NJW 1974, 456 (457); BGH v. 26.9.1980 – I ZR 119/78, NJW 1981, 918 (919); OLG Hamm v. 7.10.2003 – 27 U 81/03, ZIP 2003, 2262 m. krit. Anm. Gundlach/Frenzel, EWiR 2004, 75 f.; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 78; Eickmann in HK-InsO, § 47 Rz. 17 ff. Lesenswert zu dieser Problematik das Urteil des OLG Köln v. 25.8.2004 – 2 U 91/04, ZInsO 2005, 151 (152) zu den Rechtsfolgen der Insolvenz eines Versteigerers. BGH v. 24.6.2003 – IX ZR 120/02, NZI 2003, 549 (550). Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 75; Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWIR 2001, 95 (97).
Drees/Schmidt
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§7 – – – – –
Rz. 85
Beratung des gesicherten Glubigers
Ansprüche auf Erfüllung schuldrechtlicher Verträge, Herausgabeanspruch gemäß § 285 Abs. 1 BGB, Bereicherungsansprüche, Rückgewähransprüche aufgrund Rücktritts1 und Rückgewähransprüche aufgrund Insolvenzanfechtung gemäß §§ 143 Abs. 1 Satz 1, 129 ff. InsO2.
85 Der Verschaffungsanspruch führt auch dann nicht zu einem Aussonderungsrecht, wenn er als Herausgabeanspruch formuliert ist, letztlich aber nicht auf der Massefremdheit des Leistungsgegenstandes beruht. Der Herausgabeanspruch aus § 812 BGB begründet ein Aussonderungsanspruch z.B. nur dann, wenn er mit Dritteigentum einhergeht, so wenn der Insolvenzverwalter unberechtigt einen aussonderungsfähigen Gegenstand veräußert hat3. 86 Auch die Anfechtung von Rechtsgeschäften nach den §§ 119 ff. BGB bzw. die Nichtigkeit von Rechtsgeschäften aufgrund der §§ 134, 138 BGB begründen kein Aussonderungsrecht, es sei denn, die Anfechtung oder Nichtigkeit erfasst zugleich das dingliche Rechtsgeschäft4. bb) Forderungen 87 Forderungen können ausgesondert werden, wenn einem Dritten kraft Abtretung, Überweisung an Zahlung statt oder durch Erbfolge das ausschließliche Recht zum Forderungseinzug zukommt5. Die Aussonderung soll in diesen Fällen dem Forderungsinhaber den absoluten Zuweisungsgehalt sichern. Damit gilt das Gesagte in den Fällen nicht, in denen der Forderungsübergang wie z.B. im Rahmen einer Sicherungsabtretung lediglich dem Sicherungsinteresse des neuen Forderungsinhabers dient. Aufgrund des Sicherungscharakters der Abtretung kann sich der Inhaber dann nur auf ein Absonderungsrecht berufen (vgl. hierzu Rz. 175 ff.). 88 Überblick – Aussonderungsrechte Dingliche Aussonderungsrechte – Eigentumsrechte (insbesondere Vorbehaltseigentum) – Sonstige dingliche Rechte – Treuhandverhältnisse – Leasing – Factoring Persönliche Aussonderungsrechte (Vermieter, Verpächter etc.) Forderungen 3. Realisierung der Aussonderungsrechte 89 Unter Aussonderung versteht man die Geltendmachung der Nichtzugehörigkeit eines Gegenstandes zur Insolvenzmasse aufgrund eines daran bestehenden dinglichen oder persönlichen Rechts. Mit dem Begehren auf Aussonderung beansprucht ein Dritter, dass ihm ein persönliches oder dingliches Recht an einem Gegenstand zusteht und dieser deshalb nicht Bestandteil der Insolvenzmasse ist. Inhaber von Aussonderungsrechten können diese im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Insolvenzschuldners in gleicher Weise geltend machen wie außerhalb des Insolvenz-
1 Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 47 Rz. 69. 2 BGH v. 24.6.2003 – IX ZR 228/02, NZI 2003, 537. Zu den hierzu vertretenen Theorien über die Rechtsnatur des Anfechtungsanspruchs (schuldrechtlich/dinglich) vgl. Haas/Müller, ZIP 2003, 49 (50). 3 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 96; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 47 Rz. 20 m.w.N. 4 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 75b; Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze, § 43 KO Anm. 7. 5 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 72.
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Aussonderungsfragen
Rz. 95
§7
verfahrens. Ob und in welcher Höhe der Gläubiger gegen den Insolvenzschuldner eine offene Forderung hat, spielt für die Geltendmachung eines Aussonderungsrechts keine Rolle. a) Vor und während der Krise Vor Eintritt der Krise bzw. während der Krise kann der Aussonderungsberechtigte, 90 der selbst durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht zum Insolvenzgläubiger und damit nicht zum Beteiligten des Insolvenzverfahrens wird, die seinem dinglichen oder persönlichen Recht zu entnehmenden Ansprüche entsprechend den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen ohne insolvenzbezogene Einschränkungen gegenüber dem späteren Insolvenzschuldner geltend machen. Aufgrund der möglicherweise mit Eröffnung des Verfahrens eintretenden Kündi- 91 gungssperre nach § 112 InsO sollte sich der aussonderungsberechtigte Vermieter bzw. Verpächter oder Leasinggeber jedoch überlegen, ob er nicht, soweit eine Verbesserung der Vermögenslage nicht ersichtlich scheint, bereits während der Krise das Dauerschuldverhältnis im Falle des Zahlungsverzuges des späteren Insolvenzschuldners kündigt. Gemäß § 112 InsO werden die vertraglichen und gesetzlichen Kündigungsmöglichkeiten des Vermieters oder Verpächters bzw. Leasinggebers nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens in zweifacher Hinsicht beschränkt. Eine Kündigung wegen Verzugs mit der Zinsentrichtung ist insoweit unzulässig, als 92 dieser Verzug bereits in der Zeit vor dem Eröffnungsantrag eingetreten ist, die Kündigung aber bis zum Zeitpunkt des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht ausgesprochen wurde. Nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist ebenfalls eine Kündigung wegen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse nicht mehr zulässig. Dabei erfasst die Kündigungssperre nach § 112 InsO nur Gestaltungserklärungen, die 93 nach dem Antrag auf Verfahrenseröffnung zugehen. Hingegen ist eine Rückwirkung der Kündigungssperre auf bereits vor dem Eröffnungsantrag erklärte Kündigungen nicht gegeben1. Das gilt auch für fristgerechte Kündigungen, soweit die Kündigungsfrist über den Zeitpunkt des Eröffnungsantrags oder der Verfahrenseröffnung hinausgeht. Damit bleibt die vor dem Eröffnungsantrag wegen Zahlungsverzugs erklärte Kündigung wirksam. Die Rückgabeansprüche des Vermieters aufgrund einer vor Verfahrensantrag erklärten Kündigung werden von der Kündigungssperre nicht berührt. Der Verwalter kann die Räumung oder Entfernung der Mietsache und damit die Geltendmachung des Aussonderungsrechts des Vermieters, Verpächters oder auch Leasinggebers auch nicht durch eine nachträgliche Begleichung des rückständigen Mietzins abwenden2. Anders nur bei Wohnraummietverhältnissen, da der Verwalter dann gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB durch die nachträgliche Zahlung der Kündigung die Wirksamkeit nehmen kann (zur Kündigungssperre vgl. auch § 8 Rz. 250 ff.).
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Hinweis: 94 Will der Vermieter sein Aussonderungsrecht für den Fall der Insolvenz sichern, muss er die Kündigung noch vor dem Antrag auf Verfahrenseröffnung aussprechen.
b) Im vorläufigen Insolvenzverfahren Dem vorläufigen Insolvenzverwalter obliegt zum einen die Pflicht zur Sicherung und 95 Erhaltung der Insolvenzmasse (u.a. § 22 Abs. 1 Nr. 1 InsO), zum anderen die Pflicht zur Fortführung des schuldnerischen Unternehmens bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens (§ 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Nur in Ausnahmefällen ist es dem vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmung des Insolvenzgerichts erlaubt, zur Abwendung erheblichen Schadens ein Unternehmen stillzulegen (zum vorläufigen
1 Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 112 Rz. 12; Wegener in Uhlenbruck, InsO, § 112 Rz. 7 f. 2 Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 112 Rz. 12.
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§7
Rz. 96
Beratung des gesicherten Glubigers
Insolvenzverfahren und der Fortführungspflicht des vorläufigen Insolvenzverwalters s. § 6 Rz. 75 ff.). 96 Im Rahmen seiner Fortführungspflicht sieht sich der vorläufige Insolvenzverwalter der Konfliktlage gegenüber, dass die gesicherten Gläubiger gegenüber den einfachen Insolvenzgläubigern und dem vorläufigen Insolvenzverwalter daran interessiert sind, ihr Sicherungsgut frühestmöglich aus dem Vermögensverbund des Schuldners herauszulösen. Andererseits ist er zur Fortführung des Unternehmens verpflichtet, wobei das schuldnerische Unternehmen zu weiten Teilen Kreditgebern zu deren Sicherung übereignet ist und die Warenbestände – wenn nicht vollständig dann doch größtenteils – unter Eigentumsvorbehalt stehen. Für den Eigentumsvorbehalt sieht das Gesetz in § 107 Abs. 2 InsO bereits die Auflösung dieser Konfliktlage vor (Rz. 98 ff.). Anderweitige Gegenstände – deren Aussonderung nach Eröffnung verlangt werden könnten bzw. die nach Eröffnung von § 166 InsO erfasst wären – haben erst durch Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens 2007 bzw. die Einführung des § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO eine gesetzliche Regelung erfahren (Rz. 15a)1. 97 Im Rahmen seiner Pflicht zur Sicherung und Erhaltung der Insolvenzmasse ist der vorläufige Verwalter zunächst zur Sicherung des gesamten vorgefundenen Vermögens des Schuldners verpflichtet, ohne sich im Einzelnen um die jeweiligen Eigentumsverhältnisse zu kümmern. Der Schutzzweck der vorläufigen Verwaltung erfasst auch die Gegenstände, die mit Aussonderungsrechten belastet sind, da deren Klärung dem eröffneten Insolvenzverfahren vorzubehalten ist2. 97a
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Hinweis: Konsequenterweise steht einem Gläubiger gegen die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen durch das Insolvenzgericht gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO auch dann kein Beschwerderecht zu, wenn die Anordnung für den Gläubiger eine erhebliche Einschränkung bedeutet3. Wendet sich ein Gläubiger etwa gegen die gerichtliche Anordnung der Sicherstellung eines PKW, so kann dieser sein Aussonderungsrecht nicht mit der sofortigen Beschwerde im Rahmen des § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO geltend machen. Dieses Beschwerderecht steht lediglich dem Schuldner zu. Dem Gläubiger bleibt die Möglichkeit einstweiligen Rechtsschutzes.
97b Für Gegenstände, die unter Eigentumsvorbehalt geliefert wurden, folgt dies bereits aus der Vorschrift des § 107 Abs. 2 InsO. Soweit der vorläufige Verwalter z.B. Vermögensgegenstände des Schuldners siegelt und dadurch die Rechte eines Dritten beeinträchtigt, muss dieser vor dem Prozessgericht eine materiell-rechtliche Prüfung anstrengen. Wegen der Sperrwirkung der §§ 103 ff. InsO wird diese aber in der Regel erst im eröffneten Verfahren möglich sein. 98 Hat ein Gläubiger Ware unter Eigentumsvorbehalt an den Schuldner verkauft und geliefert, so kann er im nachfolgenden Insolvenzverfahren ein Aussonderungsrecht gemäß § 47 InsO geltend machen, soweit dem Verwalter kein Recht zum Besitz im Sinne von § 986 BGB zusteht. Dies entfällt jedoch erst automatisch mit der Eröffnung des Verfahrens, es sei denn, der Verwalter hat die Vertragserfüllung nach §§ 107 Abs. 2, 103 Abs. 1 Satz 1 InsO gewählt. Der Schuldner darf im vorläufigen Verfahren nach Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots über Eigentumsvorbehaltsware nicht mehr verfügen, es sei denn, der vorläufige Verwalter würde dieser Verfügung zustimmen. Mithin ist der Schuldner auch nicht dazu berechtigt, die Vorbehaltsware an den unter Vorbehalt liefernden Lieferanten zurückzugeben. 99 Der vorläufige Verwalter nimmt die Gegenstände, die unter Eigentumsvorbehalt geliefert wurden, ebenfalls in Besitz, um das Wahlrecht des Verwalters im eröffneten Verfahren nicht vorwegzunehmen (§ 107 Abs. 2 InsO)4. Da es dem Verwalter gemäß 1 Vgl. hierzu ausführlich Andres/Hees, NZI 2011, 881 ff.; Wiche-Wendler, ZInsO 2011, 1530 ff. 2 Vgl. Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 18, 39. 3 LG Bremen v. 14.8.2011 – 2 T 435/11, ZIP 2012, 1189 (2. LS); LG Göttingen v. 24.6.2004 – 10 T 75/04, NZI 2004, 502 (503). 4 Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 39.
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Aussonderungsfragen
Rz. 102
§7
§ 107 Abs. 2 InsO sogar erlaubt ist, seine Entscheidung darüber, ob er den Vorbehaltskaufvertrag erfüllen und sich dadurch das Eigentum an der Vorbehaltsware verschaffen will, oder ob er die unter Vorbehalt gelieferte Sache lieber zurückgibt, bis zum Zeitpunkt unmittelbar nach dem Berichtstermin im eröffneten Verfahren zurückzustellen, können Aussonderungsrechte nach § 47 InsO generell erst nach Eröffnung des Verfahrens gegenüber dem Verwalter beansprucht werden. Für den Vorbehaltslieferanten ergibt sich daher für den Antragszeitraum eine schwe- 100 bende Rechtslage. Eine Ausnahme besteht nur für den Fall, dass gemäß § 107 Abs. 2 Satz 2 InsO eine erhebliche Wertminderung aufgrund des Zeitablaufs bis zum Berichtstermin zu erwarten ist und der Gläubiger den vorläufigen Verwalter darauf hingewiesen hat. Sollte der aussonderungsberechtigte Vorbehaltsverkäufer trotz der Regelung des § 107 Abs. 2 InsO seinen Herausgabeanspruch geltend machen, kann der Insolvenzverwalter die Herausgabe der zur Unternehmensfortführung erforderlichen Gegenstände unter Berücksichtigung seiner Funktion, die gesetzmäßigen Rechte des späteren Insolvenzverwalters sicherzustellen, verweigern und beim Insolvenzgericht gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO die Untersagung gegenüber dem Aussondernden anregen (zur Regelung des § 107 InsO s. auch § 8 Rz. 144 ff.). Der vorläufige Insolvenzverwalter wird daher grundsätzlich vor der Eröffnung des 101 Verfahrens noch keine Verwertungshandlungen vornehmen. Bewegliche Gegenstände wird er in der Regel nicht herausgeben, sondern im Rahmen der Betriebsfortführung nutzen. Unabhängig davon ist der vorläufige Insolvenzverwalter jedoch dazu berechtigt, einzelne Aussonderungsgegenstände, welche er für die weitere Geschäftsbzw. Unternehmensfortführung nicht benötigt und daher als entbehrlich ansieht, bereits im Eröffnungsverfahren an den Aussonderungsgläubiger herauszugeben, soweit dem nicht gerichtliche Anordnungen nach § 21 InsO entgegenstehen1. Umgekehrt muss berücksichtigt werden, dass § 47 Satz 2 InsO – mit den schon beschriebenen und auch weiteren Ausnahmen – die Durchsetzung des Herausgabe- bzw. Aussonderungsanspruchs nach Verfahrenseröffnung nicht durch die Insolvenzordnung beschränkt sieht. Mit Rücksicht auf diese erst der Verfahrenseröffnung vorbehaltene Anordnung, muss dies erst Recht für die Zeit vor Verfahrenseröffnung gelten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Schuldner – auch wenn keine Anordnung nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO getroffen worden ist und keine Vorbehaltsware betroffen ist – ohne Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters bestimmte Gegenstände an den Eigentümer herausgeben darf. Diese Annahme des OLG Naumburg2 unterläuft den Zustimmungsvorbehalt. Das hierbei einem berechtigten Herausgabeverlangen gegenüber die Zustimmung versagt wird, ist hierbei irrelevant. Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens am 102 1.7.2006 kann das Gericht gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO für Aussonderungsrechte eine Verwertungssperre anordnen und den Einsatz dieser Vermögenswerte zur Fortführung des Unternehmens gestatten. Voraussetzung hierfür ist, dass das Aussonderungsgut für die Fortführung von erheblicher Bedeutung ist. Weder die Rechtsprechung noch das Schrifttum haben bislang eine Definition entwickelt. Die Anordnung kann sicherlich nicht bei eingestellten Betrieben getroffen werden3. Prima facie ist zu unterstellen, dass zunächst das gesamte Anlage- und Umlaufvermögen für die Fortführung des Unternehmens und die Unternehmenskontinuität von besonderer Bedeutung sind. Die Anforderungen werden mithin nicht sehr hoch sein4. Die Darlegungs- und Beweislast obliegt dem Sachverständigen bzw. vorläufigen Insolvenzverwalter. Er wird entsprechende Darlegungen gegenüber dem Gericht machen müssen. Das Gericht muss sodann Feststellungen treffen, welches Aus- und Absonderungsgut für die Betriebsfortführung eingesetzt werden soll und ob dieses für die Betriebsfort-
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Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 18, 39 f. OLG Naumburg v. 27.5.2009 – 5 U 36/09, ZInsO 2009, 1448 ff. Schröder in Hamburger Kommentar zur InsO, § 21 Rz. 69a. Hölzle in K. Schmidt, InsO, § 21 Rz. 78.
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§7
Rz. 102a
Beratung des gesicherten Glubigers
führung von erheblicher Bedeutung ist. Eine Begründung im Anordnungsbeschluss ist nicht erforderlich1. 102a Die Regelung des § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO entspricht der in der Praxis im Prinzip seit Einführung der InsO üblichen Einbeziehung der aussonderungsberechtigten Gläubiger2. Die gesetzliche Legitimation zum einen und die Möglichkeit, obstruktiven Aussonderungsberechtigten mit einer entsprechenden Anregung bei Gericht begegnen zu können, sind aus Sicht der Insolvenzverwaltung zu begrüßen. Gläubigern bleibt u.a. die bereits beschriebene Möglichkeit, darzulegen, dass der betreffende Gegenstand nicht von erheblicher Bedeutung für die Betriebsfortführung ist3. Die hiermit verbundene Einschränkung des Eigentumsrechts gab Anlass zur Erörterung der Verfassungsmäßigkeit des § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO, insbesondere deswegen, weil innerhalb der ersten 3 Monate nach Anordnung eines Einziehungs- und Verwertungsstopps im Sinne dieser Bestimmung keine Nutzungsausfallentschädigung als Masseforderung gewährt wird. Diese Bedenken sind mit der Entscheidung des BVerfG vom 22.3.2012 ausgeräumt und die Verfassungsmäßigkeit bestätigt4. 102b
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Hinweis: Die für das eröffnete Verfahren einschlägigen Regelungen haben zugleich für das Eröffnungsverfahren zur Folge, dass sich der vorläufige Verwalter weder zur Vertragserfüllung zu erklären braucht noch der Gläubiger bis zur Erklärung berechtigt ist, sein vorbehaltenes Eigentum im Wege der Aussonderung beim Schuldner herauszuholen.
102c Über die erhebliche Bedeutung für die Betriebsfortführung5 muss der Antrag des vorläufigen Insolvenzverwalters hinreichend bestimmt gefasst sein. Die Anordnung eines Verwertungs- und Einziehungsverbotes nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO darf nicht pauschal erfolgen, insbesondere nicht durch bloße Wiederholung des Gesetzestextes, sondern bedarf einer individualisierenden Anordnung für bestimmte Gläubiger und Gegenstände, wobei bestimmte Arten von Gläubigern und Gegenständen ggf. zusammenfassend bezeichnet werden können6. Wird ein Beschluss diesen Anforderungen nicht gerecht, so ist er wegen mangelnder Bestimmtheit unwirksam7. Die gesetzlichen Ausgleichsansprüche entstehen indes gleichwohl, weil ein betroffener Gläubiger im Fall der unwirksamen Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nicht schlechter stehen darf als bei Wirksamkeit des Beschlusses8. 102d Ordnet das Gericht nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO als Sicherungsmaßnahme an, dass ein der Aussonderung unterliegender Gegenstand von dem Berechtigten nicht herausverlangt werden darf, steht dem Aussonderungsberechtigten gegen den vorläufigen Insolvenzverwalter wegen eines durch Nutzung oder Beschädigung eingetretenen Wertverlusts ein Ersatzanspruch zu. Nach Verfahrenseröffnung gilt der Anspruch als Masseverbindlichkeit9. Das Gesetz sieht mithin einen wirtschaftlichen Ausgleich durch Zinsen bzw. Nutzungsentgelt (§ 21 Abs. 2 Nr. 5 Satz 1 Hs. 2 i.V.m. § 169 Satz 2 und 3 InsO) sowie Wertersatz vor (§ 21 Abs. 2 Nr. 5 Satz 2 InsO). – Nach Maßgabe der §§ 21 Abs. 2 Nr. 5 Satz 1 Hs. 2 i.V.m. 169 Satz 2 und 3 InsO kann der Gläubiger die geschuldeten Zinsen und das laufende Nutzungsentgelt verlangen. – Ein solcher Nutzungsausfallentschädigungsanspruch in Form von Zinsen i.S.d. § 169 Satz 2 InsO steht keinesfalls nur Absonderungsberechtigten, sondern auch 1 2 3 4 5 6 7
BGH v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, ZInsO 2010, 136 ff. Kuder, ZIP 2007, 1690 (1694 ff.). Andres/Hees, NZI 2011, 881 (882 ff.); Kirchhof, ZInsO 2007, 227 (229 ff.). BVerfG v. 22.3.2012 – 1 BvR 3169/11, ZIP 2012, 1252 ff. Zu den Einzelheiten dieses Begriffs vgl. Wiche-Wendler, ZInsO 2011, 1530 (1532). BGH v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, ZInsO 2010, 136 ff. Zu den Anforderung des BGH und etwaigen Rechtsschutzmöglichkeiten vgl. Andres/Hees, NZO 2011, 881 (885). 8 BGH v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, ZInsO 2010, 136 ff. 9 BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, ZIP 2012, 779. Vgl. hierzu auch Schädlich/Stapper, NZI 2012, 371.
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Drees/Schmidt
Aussonderungsfragen
Rz. 103
§7
Aussonderungsberechtigten zu1. Dies gilt entgegen der gesetzestechnisch und sprachlich missglückten Fassung des § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO. Dieser Nutzungsausfallentschädigungsanspruch besteht jedoch erst 3 Monate nach gerichtlicher Anordnung der Nutzungsbefugnis2. Für eine analoge Anwendung des § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO ist wegen des abschließenden Charakters der §§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nur. 5, 169 Satz 2 InsO kein Raum3. Die Höhe der Nutzungsvereinbarung orientiert sich entweder am vertraglich vereinbarten Nutzungsentgelt (z.B. Leasing, Miete) oder an der Verkehrsüblichkeit. Weiterhin ist Wertersatz zu leisten für einen etwaigen Wertverlust, der durch die Benutzung der Sache eintritt. Die Darlegungs- und Beweislast trägt auch in dieser Hinsicht der Sicherungsgläubiger. Der Wertverlust wird bestimmt durch den Vergleich des Werts des Gegenstandes zu Beginn und am Ende der Nutzung4. Die beiden Ansprüche – Nutzungsausfallentschädigung und Wertersatz – bestehen nebeneinander. Kein Wertersatzanspruch entsteht, wenn und soweit der Wertverlust bereits Kalkulationsgrundlage bei der Berechnung des Nutzungsentgeltes war und durch dieses damit bereits ausgeglichen wird. Ein Wertersatzanspruch kommt damit vor allem für die ersten 3 Monate nach Anordnung in Betracht, da in dieser Zeit noch kein Zinsanspruch besteht5.
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Praktische Hinweise: 102e – Präzise Vorgaben lassen sich der Entscheidung des BGH v. 8.3.20126 nicht entnehmen. Insoweit ist eine Entscheidung des LG Erfurt für die Praxis dankbar: Der Wertersatzanspruch des Leasinggebers gegen den vorläufigen Insolvenzverwalter bei gerichtlich angeordneter Nutzungsüberlassung kann bei üblichem Verschleiß der Leasingobjekte in einem relativ geringen Nutzungszeitraum nach den AfA-Sätzen berechnet werden7. – Die Beweislast für den Wertverlust trifft – wie zuvor angemerkt – den Eigentümer. Beansprucht dieser Entschädigung für nach Rückerhalt des Fahrzeugs festgestellte Schäden, so hat er zu beweisen, dass diese während des hoheitlich begründeten Nutzungsverhältnisses eingetreten sind. Das praktisch Bedeutsame an dieser (wiederholten8) Feststellung des BGH liegt in der Verpflichtung des Nutzers, zu Beginn des durch die Ermächtigung begründeten Nutzungsverhältnisses den Zustand des weiter genutzten vormaligen Leasinggegenstandes festzuhalten. Verletzt der Nutzer diese Pflicht, ist dem durch eine Beweiserleichterung zugunsten des Eigentümers Rechnung zu tragen9.
c) Im eröffneten Insolvenzverfahren aa) Stellung des Aussonderungsberechtigten (§ 47 InsO) Die Regelung des § 47 InsO sieht die zur Aussonderung Berechtigten als von den 103 insolvenzspezifischen Verfahrensregularien befreit an und regelt, dass diese ihre Ansprüche gegenüber dem Insolvenzverwalter nach den allgemeinen Gesetzen, die außerhalb des Insolvenzverfahrens gelten, durchsetzen können. Damit kommt den aussonderungsberechtigten Gläubigern die stärkste Stellung unter allen in der InsO genannten Gläubigern zu. Zwar räumt § 47 InsO den Aussonderungsberechtigten kei1 2 3 4 5 6 7 8 9
BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, ZIP 2012, 779 (780). BGH v. 3.12.2009 -IX ZR 7/09, ZInsO 2010, 136 ff. KG v. 11.12.2008 – 23 U 115/08. OLG Braunschweig v. 31.3.2011 – 1 U 33/10, ZInsO 2011, 1895 (1899) m. Anm. Vallender, EWiR 2011, 507 als Vorinstanz des BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, ZIP 2012, 779 (780). Schröder in Hamburger Kommentar zur InsO, § 21 Rz. 69e. BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, ZIP 2012, 779 m. Anm. Tillmann, EWiR 2012, 389. LG Erfurt v. 12.10.2012 – 9 O 297/12, ZIP 2013, 281 (282 f.). Die Berufung ist anhängig beim OLG Jena unter Az. 5 U 926/12. BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, ZIP 2012, 779. BGH v. 28.6.2012 – IX ZR 219/10, ZIP 2012, 1566. Ausführlich hierzu Kayser, ZIP 2013, 1353 (1355).
Drees/Schmidt
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§7
Rz. 104
Beratung des gesicherten Glubigers
nen eigenständigen materiell-rechtlichen Anspruch auf Aussonderung ein, die Vorschrift spricht den Aussonderungsberechtigten jedoch das Recht zu, ihren Ansprüchen außerhalb des Insolvenzverfahrens Geltung zu verschaffen1. Dabei enthält § 47 InsO rechtstechnisch für den Aussonderungsberechtigten in zweifacher Hinsicht eine Verweisung auf das materielle Recht: – Zum einen beurteilt sich bereits die Frage, ob überhaupt ein Aussonderungsrecht an einem Gegenstand besteht, gemäß § 47 Satz 2 InsO nach den Vorschriften des materiellen Rechts, welche außerhalb des Insolvenzverfahrens normiert sind. – Zum anderen bestimmt § 47 Satz 1 InsO, dass der Aussonderungsberechtigte aufgrund seines dinglichen oder persönlichen Rechts nicht Insolvenzgläubiger und damit bei der Geltendmachung seiner Rechte nicht wie diese an die Beschränkungen der insolvenzspezifischen Vorschriften gemäß § 87 InsO gebunden ist. 104
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Hinweis: Der Aussonderungsberechtigte kann seine Ansprüche gegenüber dem Verwalter in gleicher Weise entsprechend den Vorschriften des BGB und der ZPO verfolgen, als sei der Schuldner nicht insolvent geworden.
105 Da dem Aussonderungsberechtigten keine Stellung als Insolvenzgläubiger zukommt, ist er auch weder zur Abstimmung noch zur Teilnahme an der Gläubigerversammlung berechtigt. Gleiches gilt auch für das Planverfahren. Dennoch steht es den Aussonderungsberechtigten frei, freiwillig dem Planverfahren beizutreten. Ein derartiges Interesse kann insbesondere bei Leasinggebern gegeben sein, da ihnen mit der Beendigung des Leasingvertrags und der Verwertung des Leasingguts zumeist weniger gedient ist als mit der Fortsetzung des Vertrags, wenn auch zu ermäßigten Konditionen2. 105a M 7
Musterschreiben3 – Geltendmachung eines Aussonderungsanspruchs
Sehr geehrter Herr Kollege, in dem vorbezeichneten Insolvenzverfahren zeigen wir an, dass wir die anwaltliche Interessen der Fa. . . . vertreten. Die ordnungsgemße Bevollmchtigung wird anwaltlich versichert. Die Insolvenzschuldnerin hatte bei unserer Mandantin umfangreich Ware unter Eigentumsvorbehalt bezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten verweisen wir auf die beigefgte Anlage nebst Liefervereinbarung. Infolge Zahlungsverzugs hat unser Mandant mit eingeschriebenen Brief vom . . . den Rcktritt vom Kaufvertrag erklrt. Das Schreiben berreichen wir ebenfalls zu Ihrer geflligen Kenntnisnahme. Unsere Mandantschaft berichtet davon, dass einzelne Gegenstnde der Lieferung sowohl vor der Verfahrenserçffnung durch die Schuldnerin als auch noch nach der Erçffnung des Insolvenzverfahrens durch Sie an Dritte verußert worden sind. Da hierdurch die Sicherungsrechte unserer Mandantin berhrt werden, bitten wir um vollstndige Auskunft darber, – welche Gegenstnde zu welchen Bedingungen vor der Verfahrenserçffnung durch die Schuldnerin an Dritte verußert wurden; – ob und welche Gegenstnde aus der Lieferung durch Sie nach der Verfahrenserçffnung an Dritte verußert wurden; – ob und in welcher Hçhe die Kaufpreisansprche gegen die Erwerber bereits realisiert wurden; – ob sich eine etwaige vereinnahmte Gegenleistung noch unterscheidbar in der Insolvenzmasse befindet und – ob und welche Gegenstnde der Lieferung noch im Besitz der Masse vorhanden sind.
1 Vgl. hierzu Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 47 Rz. 4; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 3. 2 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 1.261. 3 Wegen weiterer Muster vgl. Breuer, Insolvenzrechtsformularhandbuch, S. 254 ff.
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Aussonderungsfragen
Rz. 109
§7
Hinsichtlich der noch im Massebesitz befindlichen Gegenstnde verlangen wir zunchst Herausgabe. Sofern aus einer Weiterverußerung an Dritte Kaufpreisansprche noch nicht realisiert wurden, fordern wir sie zur Abtretung dieser Ansprche auf. Fr den Fall, dass bei etwaig bereits beglichenen Kaufpreisansprchen die Gegenleistung noch unterscheidbar in der Masse vorhanden ist, machen wir einen Bereicherungsanspruch geltend. Wegen der noch bei Ihnen befindlichen Ware erklren wir ein Verußerungsverbot. Fr den vollstndigen Eingang der Ausknfte sowie zur Erfllung der geltend gemachten Ansprche habe ich mir eine Frist bis zum . . . notiert. Mit freundlichen kollegialen Grßen bb) Durchsetzung von Aussonderungsrechten Der Aussonderungsberechtigte nimmt – wie ausgeführt – nicht an dem Insolvenzver- 106 fahren teil. Die Rechtsverfolgung findet außerhalb und neben dem Insolvenzverfahren statt. Der Aussonderungsberechtigte kann daher, ohne den insolvenzspezifischen Beschränkungen nach § 87 InsO zu unterliegen, außerhalb des Insolvenzverfahrens sein Recht durchsetzen. Möchte der Aussonderungsberechtigte die Herausgabe des befangenen Sicherungsgegenstandes erreichen, muss er sein Recht unmittelbar gegenüber dem Insolvenzverwalter anzeigen und seine Berechtigung glaubhaft machen. (1) Prüfungspflicht des Insolvenzverwalters Den Insolvenzverwalter trifft keine allgemeine Verpflichtung, von sich aus Fremd- 107 rechte zu ermitteln und an die Aussonderungsberechtigten heranzutreten1. In der Regel nimmt der Insolvenzverwalter nach der Eröffnung des Verfahrens gemäß § 148 InsO das Schuldnervermögen unmittelbar in Besitz, unabhängig davon, ob an den Gegenständen Aussonderungsrechte bestehen, soweit diese nicht offenkundig oder abschließend geprüft sind2. Er ist nicht verpflichtet, Aussonderungsberechtigten Zutritt zu den Geschäftsräumen des Schuldners zu gewähren, damit diese das Aussonderungsgut besichtigen, aussuchen und inventarisieren können3. Werden seitens Dritter Aussonderungsrechte erhoben, so obliegt es dem Verwalter, nach pflichtgemäßem Ermessen eine Entscheidung über das Aussonderungsrecht zu treffen. Der Verwalter hat gegenüber dem Aussonderungsberechtigten die spezifische Verpflichtung, das geltend gemachte Aussonderungsrecht auf seinen Gehalt und seinen rechtlichen Bestand hin zu überprüfen. Die Annahme insolvenzspezifischer Pflichten birgt für den Insolvenzverwalter stets die Gefahr einer persönlichen Haftung (vgl. hierzu Rz. 109a f.)4. Er hat sodann darüber zu entscheiden, ob, in welchem Umfang und mit welchen Maßgaben die Aussonderung zu erfolgen hat5. Dem Verwalter steht für diese Feststellung ein dem Umfang der mit Fremdrechten belasteten Aussonderungsobjekte angemessener Prüfungszeitraum zur Verfügung, während dessen er nicht in Verzug geraten kann6.
Û
Hinweis: 108 Im Fall der Insolvenz des Vorbehaltskäufers ist zudem die faktische Ausübungssperre für den Zeitraum bis zum Berichtstermin gemäß § 107 Abs. 2 Satz 1 InsO zu beachten.
Der Verwalter ist dem Aussonderungsberechtigten zur Auskunft über den Verbleib, 109 etwaige Verarbeitungen etc. der mit Fremdrechten belegten Gegenstände verpflich-
1 Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2001, 350 (354). 2 Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2001, 350 (352); Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWIR 2001, 95 (96). 3 LG Düsseldorf v. 27.4.1964 – 11b T 6/64, KTS 1964, 246. 4 OLG Jena v. 27.10.2004 – 2 U 414/04, ZInsO 2005, 44 ff. 5 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 99; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 47 Rz. 59. 6 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 99; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur InsO, Kap. 5 Rz. 377, 397.
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§7
Rz. 109a
Beratung des gesicherten Glubigers
tet1. Der Umfang der Auskunftspflicht ist jedoch durch das Kriterium der Zumutbarkeit beschränkt. Der Verwalter ist selbst nicht zu umfangreichen Nachforschungen verpflichtet, wenn der Aussonderungsberechtigte seinerseits die auszusondernden Gegenstände nicht hinreichend bestimmen kann. Schließlich kann der Verwalter den Aussonderungsberechtigten auch auf eine eigene Einsichtnahme in die Geschäftsunterlagen verweisen2. Etwaige Kosten, die durch die Erteilung von Auskünften entstehen, kann der Verwalter nicht gegenüber den aussonderungsberechtigten Gläubigern geltend machen. 109a Hierauf lassen sich die gegenüber Aussonderungsgläubigern bestehenden Pflichten eines Insolvenzverwalters jedoch nicht beschränken. Je nach Fallgestaltung können die gegenüber Aussonderungsberechtigten bestehenden Pflichten sehr weitgehend sein, so z.B. zur Verwahrung, Sicherung und ggf. Nachforschung. Lesenswert in diesem Zusammenhang ist die Entscheidung des BGH vom 25.1.20073. In dieser wurde die Schadensersatzpflicht eines Insolvenzverwalters bejaht, der ein auszusonderndes Mietobjekt (§ 546 BGB) ohne Zustimmung des Vermieters an eine unzuverlässige Person untervermietet hatte und damit den Rückgewähranspruch des Aussonderungsgläubigers gefährdete. Schwierigkeiten hatte der BGH, eine insolvenzspezifische Pflichtverletzung (§ 60 Abs 1 InsO) zu begründen. Denn der Verstoß gegen die Zustimmungspflicht des Vermieters (§ 553 Abs. 1 BGB) trifft jeden Mieter und ist nicht insolvenzspezifisch. Letztlich zog er § 546 BGB i.V.m. § 47 Satz 2 InsO heran und bejahte einen Schadensersatzanspruch in Höhe des negativen Interesses. 109b Für den anwaltlichen Berater des Aussonderungsberechtigten empfiehlt sich im Zusammenhang mit der Durchsetzung von Haftungsansprüchen gegenüber dem Insolvenzverwalter die Orientierung an folgenden Grundsätzen4: – Hat der Insolvenzverwalter deutliche Hinweise auf das Vorliegen von Eigentumsvorbehalten und verwertet er gleichwohl die damit belegten Waren oder gibt diese zur Versteigerung frei, so verletzt er damit objektiv die ihm gegenüber dem Aussonderungsberechtigten bestehenden Pflichten5. – Von deutlichen Hinweisen im vorbenannten Sinne ist dann auszugehen, wenn die Kenntnisnahme vom Vorbehaltseigentum zu erwarten gewesen ist. Dies ist dann der Fall, wenn der Eigentumsvorbehalt deutlich erkennbar auf dem Lieferschein erklärt ist und der Aussonderungsberechtigte erwarten durfte, dass der Schuldner bzw. dessen Insolvenzverwalter davon Kenntnis nimmt6. – Ein Aussonderungsberechtigter ist gehalten, das von ihm behauptete Recht dem Insolvenzverwalter so konkret wie möglich darzulegen7. Andernfalls entfällt entweder bereits die Pflichtverletzung oder aber der Insolvenzverwalter kann ein Mitverschulden (§ 254 BGB) einwenden. 109c Bei der Vorbereitung entsprechender Haftungsansprüche empfiehlt sich die Orientierung an folgenden Pflichtenkreisen: – Inbesitznahme (§ 148 InsO)8, – Verwahr- und Sicherungspflichten (so genannte Vermögensbetreuungspflichten)9, – Auskunftspflichten10,
1 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 103; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 47 Rz. 83; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 47 Rz. 67. 2 Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 47 Rz. 74. 3 BGH v. 25.1.2007 – IX ZR 216/05, ZInsO 2007, 264 ff. m. Anm. Ferslev, EWiR 2007, 437. 4 Grundlegend zu den gegenüber Aussonderungsberechtigten bestehenden Pflichten Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2001, 350 ff. und Barnert, KTS 2005, 431 ff. 5 OLG Jena v. 27.10.2004 – 2 U 414/04, ZInsO 2005, 44 ff. 6 Vgl. statt vieler: BGH v. 5.5.1982 – VIII ZR 162/81, NJW 1982, 1751 f. 7 OLG Düsseldorf v. 2.6.1987 – 23 U 150/86, ZIP 1988, 450 (451 f.); OLG Jena v. 27.10.2004 – 2 U 414/04, ZInsO 2005, 44 ff. 8 Vgl. Barnert, KTS 2005, 431 (435 f.). 9 Barnert, KTS 2005, 431 (436 f.). 10 Bäuerle in Braun, InsO, § 47 Rz. 5.
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Drees/Schmidt
Aussonderungsfragen
Rz. 113a
§7
– Erkundigungs- und Aufklärungspflichten; Haftung bei unzureichender Sachverhaltsaufklärung (insb. Nachforschungspflichten bei Eigentumsvorbehaltsrechten), – falsche Beurteilung einer klaren Rechtslage und – Masseverwertung. Soweit der Verwalter die ihm zuzuerkennende Frist zur Sichtung und Feststellung der Aussonderungsrechte schuldhaft überschreitet, kann er mit der Erfüllung des Aussonderungsanspruchs in Verzug geraten, so dass dem Aussonderungsberechtigten ein Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 2, 286 BGB erwächst, der nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zur Masseschuld wird1. Besteht aufgrund der sich bietenden Erkenntnislage Streit über das Bestehen des Aussonderungsrechts, so ist dieser im ordentlichen Prozessweg zwischen Verwalter und Gläubiger auszutragen. In der Regel wird der Aussonderungsberechtigte Klage auf Herausgabe des Gegenstandes erheben.
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Hinweis: Der Aussonderungsberechtigte hat im Prozess die Eigentumsvermutung des § 1006 BGB zugunsten des Schuldners bzw. der Insolvenzmasse zu widerlegen und sein Aussonderungsrecht nachzuweisen2.
(2) Aussonderung von Mobilien Ist für den Insolvenzverwalter offenkundig, dass ein Gegenstand nicht zur Insol- 112 venzmasse gehört, sondern eindeutig als massefremder Vermögensgegenstand zu identifizieren ist, so gibt er die Sache an den Aussonderungsberechtigten heraus bzw. überlässt diese dem Aussonderungsberechtigten in sonstiger Weise. Eine formelle Aussonderung ist nur dann erforderlich, wenn der Insolvenzverwalter den Gegenstand in zweifelhaften Fällen als Bestandteil der Insolvenzmasse beansprucht und Besitz an diesem ergriffen hat oder ergreifen will. Bis zur Entscheidung über die Berechtigung ist die Verwertung der Gegenstände, für die von dritter Seite Aussonderungsrechte geltend gemacht werden, auszusetzen. Kommt der Verwalter zu der Feststellung, dass das Aussonderungsrecht besteht und durchsetzbar ist, so erklärt er nach erfolgter Prüfung die Freigabe des Gegenstandes. Einer Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung nach § 160 InsO bedarf es nur dann, wenn das Aussonderungsobjekt – im Gegensatz zur früheren 300 DM-Grenze (§ 133 Nr. 2 KO) – von erheblichem Wert ist3 (zu diesen Organen der Gläubigerautonomie vgl. § 6 Rz. 222 ff., 249 ff.). Der Verwalter kommt seiner Herausgabepflicht nach Anerkennung des Aussonde- 113 rungsrechts grundsätzlich durch körperliche Übergabe des Gegenstands an den Aussonderungsberechtigten oder dadurch, dass er den belasteten Gegenstand zur Abholung bereitstellt. Das Bereitstellen i.S.v. § 47 InsO entspricht der Herausgabe nach § 985 BGB, so dass die bloße Duldung der Wegnahme durch den Berechtigten für die Pflichterfüllung des Insolvenzverwalters nicht genügt4. Eine Verpflichtung zum Versand trifft den Insolvenzverwalter nicht5.
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Hinweis: 113a Das Pflichtenprogramm im Zusammenhang mit der Bereitstellung ist eine Frage des Einzelfalls und lässt sich als solche nicht pauschal beantworten. Das LG Bonn hat am Beispiel der so genannten On-Board-Units (Mauterfassungsgeräte) entschieden, dass die Bereitstellung dergestalt erfolgen muss, dass die Abholung
1 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 102; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 47 Rz. 82. 2 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 115; Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2001, 350 (354). 3 Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 47 Rz. 75; Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 160 Rz. 3. 4 BGH v. 26.5.1987 – IX ZR 276/87, NJW 1988, 3264. 5 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 101.
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§7
Rz. 114
Beratung des gesicherten Glubigers
am Ort der Verwahrung gewährleistet sein muss1. Zu den hiermit verbundenen Kosten bzw. der Kostentragungspflicht im Verhältnis von Insolvenzmasse und Aussonderungsberechtigtem vgl. nachstehend Ziff. 1232. 114 Für den Fall des einfachen Eigentumsvorbehalts sehen die §§ 103, 107 Abs. 2 InsO allerdings Einschränkungen für die Geltendmachung des Aussonderungsrechts vor. Nachdem der Insolvenzverwalter nunmehr die Entscheidung über die Erfüllungswahl erst unverzüglich nach dem Berichtstermin zu treffen hat, besteht für die unter Eigentumsvorbehalt gekauften Sachen bis zu diesem Zeitpunkt ein Aussonderungsstopp, und sie können von dem Vorbehaltsverkäufer nicht herausverlangt werden3. Dies gilt gemäß § 107 Abs. 2 Satz 2 InsO nicht, wenn in der Zeit bis zum Berichtstermin eine erhebliche Verminderung des Wertes der Sache zu erwarten ist und der Gläubiger den Verwalter auf diesen Umstand hingewiesen hat. (3) Aussonderung von Immobilien 115 Soweit es sich um die Herausgabe eines Grundstücks oder von Mieträumlichkeiten handelt, hat der Verwalter entsprechend einem Mieter die Räumung fristgerecht und vollständig vorzunehmen, da Teilleistungen im Rahmen der Erfüllung der Rückgabeverpflichtung nach § 266 BGB unzulässig sind und der Erfüllungsanspruch des Aussonderungsberechtigten anderenfalls nicht befriedigt werden kann4. (4) Gerichtliche Durchsetzung 116 Da der Aussonderungsberechtigte nicht Beteiligter des Insolvenzverfahrens und daher nach § 87 InsO frei von dessen Beschränkungen ist, kann er in dem Fall, in dem der Insolvenzverwalter die Herausgabe des Gegenstandes an ihn verweigert, trotz des eröffneten Verfahrens die Herausgabeklage gegen den Insolvenzverwalter erheben und aus einem Herausgabetitel die Zwangsvollstreckung nach den §§ 883 ff. ZPO betreiben5. Soweit es sich bei dem auszusondernden Gegenstand um eine unbewegliche Sache handelt, kommt ein Grundbuchberichtigungsanspruch gemäß § 894 ZPO gegenüber dem Verwalter in Betracht bzw. der Anspruch auf Löschung des Insolvenzvermerks (§ 32 InsO)6. Schließlich genügt zur Geltendmachung des Anspruchs auch die Klage auf Feststellung des geltend gemachten dinglichen oder persönlichen Rechts7. Beansprucht der Insolvenzverwalter ein angeblich der Masse zustehendes Eingriffsrecht, kann sich der Aussonderungsberechtigte auch auf einen Unterlassungsanspruch gemäß §§ 12, 1004 BGB gegenüber der Insolvenzmasse stützen, soweit dieser auf einem absoluten Recht beruht8. 117 Für die gerichtliche Geltendmachung des Aussonderungsanspruchs ist im Streitfall der Rechtsweg zu den allgemeinen ordentlichen Gerichten gegeben, da sich der Anspruch auf Aussonderung nach den Gesetzen außerhalb des Insolvenzverfahrens bestimmt und die Geltendmachung der Aussonderung sich außerhalb des Insolvenzverfahrens vollzieht9. Im Verfahren vor den ordentlichen Gerichten ist zum einen der allgemeine Gerichtsstand gemäß der §§ 12 ff. ZPO maßgeblich. Nach § 19a ZPO bestimmt sich der allgemeine Gerichtsstand des Insolvenzverwalters für die Insolvenzmasse betreffende Klagen nach dem Sitz des Insolvenzgerichts, wobei sich dessen örtliche Zuständigkeit ihrerseits nach dem allgemeinen Gerichtsstand des Insolvenzschuldners bzw. dem Ort seiner selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit bestimmt 1 LG Bonn v. 21.12.2006 – 6 S 264/06, ZInsO 2336 (2337) m. krit. Anm. Hage/Lind, ZInsO 2011, 2264 ff. 2 Ausführlich zu den Kosten der Aussonderung: Hage/Lind, ZInsO 2011, 2264 ff. 3 Kraemer/Vogelsang, Handbuch zur Insolvenz, Kapitel 16 Rz. 18. 4 MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 465. 5 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 108 ff., 111; MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 479 f. 6 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 111; MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 40. 7 Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze, § 43 KO Anm. 15. 8 Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 47 Rz. 51; Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze, § 43 KO Anm. 6. 9 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 108; MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 473; vgl. auch BayObLG v. 17.1.2003 – 1 Z AR 162/02, ZIP 2003, 541.
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Drees/Schmidt
Aussonderungsfragen
Rz. 122a
§7
(§ 3 InsO). Es handelt sich hierbei aber nicht um einen ausschließlichen Gerichtsstand1. Als besondere Gerichtsstände für die Aussonderungsklage kommen daher daneben auch der dingliche Gerichtsstand (§ 24 ZPO) sowie der Gerichtsstand des Erfüllungsortes (§ 29 ZPO) in Betracht2. Der Aussonderungsanspruch kann auch Handelssache im Sinne von § 95 Nr. 1 GVG sein. Gegner des Aussonderungsbegehrens ist der Insolvenzverwalter3. Diesem stehen als Beklagter alle Einwendungen und Einreden gegenüber dem geltend gemachten Anspruch zu, zu deren Erhebung auch der Schuldner berechtigt wäre.
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Ferner kann der Aussonderungsanspruch auch im Wege des vorläufigen Rechts- 119 schutzes gesichert werden, beispielsweise dadurch, dass der Erlass einer einstweiligen Verfügung nach § 935 ZPO beantragt wird, mit dem Ziel, dem Verwalter die Verwertung des Aussonderungsgutes zu untersagen4. Der Aussonderungsanspruch kann im Rahmen eines Prozesses auch einredeweise geltend gemacht werden5.
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Ferner steht dem Aussonderungsberechtigten für den Fall, dass der Insolvenzverwalter einen Aussonderungsgegenstand im Wege der Zwangsvollstreckung verwertet, auch das Recht zu, Drittwiderspruchsklage gemäß § 771 ZPO zu erheben und gegebenenfalls nach §§ 771 Abs. 3, 769 ZPO per einstweiliger Anordnung eine Einstellung der Zwangsvollstreckung zu beantragen6.
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Außer der die Grenzen des § 87 InsO außer Acht lassenden Befugnis, das Aussonde- 122 rungsrecht geltend zu machen, stehen dem Aussonderungsberechtigten keine weitergehenden Rechte zu. Insbesondere ist es ihm untersagt, für den Fall, dass sich der Insolvenzverwalter weigert, das Aussonderungsgut herauszugeben, zur Selbsthilfe in Form eines Rechts auf eigenmächtige Wegnahme des Aussonderungsguts zu greifen, was sowohl für die Zeit vor als auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gilt7. Ohne die Zustimmung des Verwalters ist es dem Aussonderungsberechtigten verwehrt, die Geschäftsräume des Insolvenzschuldners zum Zwecke des Aufsuchens, der Besichtigung oder der Sicherung und Herausnahme des Aussonderungsobjekts zu betreten. Im Gegensatz zur eigenmächtigen Wegnahme und Verwertung von Gegenständen, die mit einem Absonderungsrecht belastet sind, macht sich der Aussonderungsberechtigte insoweit jedoch nicht schadensersatzpflichtig8. Übersicht – Möglichkeiten gerichtlicher Durchsetzung von Ansprüchen auf Ausson- 122a derung – Herausgabeklage, – Zwangsvollstreckung aus dem Herausgabetitel gemäß §§ 883 ff. ZPO, – Grundbuchberichtigungsanspruch gemäß § 894 BGB, insbesondere gerichtet auf Löschung des Insolvenzvermerks, – Klage auf Feststellung des geltend gemachten dinglichen oder persönlichen Rechts, – Unterlassungsanspruch gemäß §§ 12, 1004 BGB, – Vorläufiger Rechtsschutz, beispielsweise gerichtet auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nach § 935 ZPO, – Drittwiderspruchsklage gemäß § 771 ZPO und – Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung nach §§ 771 Abs. 3, 769 ZPO. 1 2 3 4 5 6 7 8
BayObLG v. 17.1.2003 – 1 Z AR 162/02, ZIP 2003, 541. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 108. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 110. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 114; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 47 Rz. 64. Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur InsO, Kapitel 5 Rz. 403. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 114. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 98; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 47 Rz. 72. Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 47 Rz. 72.
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§7
Rz. 123
Beratung des gesicherten Glubigers
cc) Kosten der Aussonderung 123 Die Kosten, die dem Insolvenzverwalter im Zusammenhang mit dem Aussonderungsverfahren im weiteren Sinne, häufig aber auch bereits im Vorfeld durch die Verwahrung, Ermittlung und Feststellung des Aussonderungsgutes sowie die Erteilung von Auskünften entstehen, fallen grundsätzlich der Masse zur Last1. Der Verwalter führt insoweit kein fremdes, sondern ein eigenes Geschäft als herausgabepflichtiger Besitzer und damit ein in seinem Pflichtenkreis liegendes Rechtsgeschäft. Der Gesetzgeber hat sich ausdrücklich dagegen entschieden, die Aussonderungsberechtigten mit einem Kostenbeitrag zu belasten. Die Regelungen der §§ 170, 171 InsO sind insoweit eindeutig formuliert und bestimmen die Erhebung eines Kostenbeitrags nur für die Feststellung und Verwertung von Absonderungsrechten. Damit kommt ein Kostenerstattungsanspruch der Insolvenzmasse gegenüber dem Aussonderungsberechtigten ohne eine gesonderte Vereinbarung – die auf freiwilliger Basis jederzeit möglich ist – nicht in Betracht2. Gleiches gilt für die Aufwendungen, die der Insolvenzverwalter im Zusammenhang mit der Sicherung und Aufbewahrung der Aussonderungsobjekte tätigt. Auch diese sind umfänglich von der Insolvenzmasse zu tragen3. 123a
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Hinweis für den Insolvenzverwalter bei Vereinbarung eines Kostenbeitrages: Mit Rücksicht auf die Rechtsprechung des BFH, nach der die bei einer freihändigen Grundstücksveräußerung vereinbarte Massebeteiligung eine umsatzsteuerpflichtige Leistung darstellt, besteht eine rechtliche Unsicherheit darüber, ob auch die mit einem Aussonderungsgläubiger vereinbarte Kostenbeteiligung eine umsatzsteuerpflichtige Leistung darstellt.
123b Abgesehen von einer solchen – ggf. auch nur konkludent geschlossenen – Vereinbarung des Insolvenzverwalters mit dem Aussonderungsberechtigten über dessen Kostenbeteiligung wird nur dann ein Aufwendungsersatzanspruch des Insolvenzverwalters erwogen, wenn dieser über die ihm obliegenden Pflichten hinaus für den Aussonderungsberechtigten tätig ist. Als solche Aufwendungen werden beispielsweise die Versandkosten (s.o. Rz. 113) aufgefasst. Diese fallen nach einhelliger Ansicht dem Aussonderungsberechtigten zur Last4. 123c Unklar ist dies bei etwaigen Ausbaukosten, um die Bereitstellung des Aussonderungsguts zu ermöglichen. Soweit ersichtlich hat sich mit dieser Fragestellung bislang allein das LG Bonn im Zusammenhang mit den erwähnten (Rz. 113) On-BoardUnits (Mauterfassungsgeräte) auseinandergesetzt und eine Kostentragungspflicht des Insolvenzverwalters angenommen5. 124 Solche Aufwendungen, die – wie die erwähnten Kosten der Versendung bzw. der Abholung – dem Aussonderungsberechtigten zur Last fallen, kann dieser im Insolvenzverfahren als nachrangige Forderung entsprechend § 39 Abs. 1 Nr. 2 InsO geltend machen6. dd) Die Ersatzaussonderung 125 Die Aussonderungsbefugnis im Insolvenzverfahren bezieht sich immer auf einen konkreten Gegenstand und geht deshalb unter, sobald sich der belastete Gegenstand nicht mehr in der Insolvenzmasse befindet7. Da das Recht auf die Gegenleistung bzw. diese selbst schuldrechtlich gesehen dem Insolvenzschuldner oder der Insolvenzmasse zusteht, wäre der ursprünglich Berechtigte bei Verfügungen des Insolvenzschuldners auf die quotenmäßige Befriedigung seines Bereicherungsanspruchs bzw. bei 1 Statt vieler: Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 47 Rz. 70. 2 Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWIR 2001, 277 (278 f.); Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 47 Rz. 60; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 105 f. 3 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 106; a.A. Häsemeyer, Rz. 11.27. Ebenso kritisch Hage/ Lind, ZInsO 2011, 2264 ff. 4 Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 47 Rz. 76. 5 A.A. Hage/Lind, ZInsO 2011, 2264 ff. 6 Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 47 Rz. 87. 7 BGH v. 24.6.2003 – IX ZR 120/02, NZI 2003, 549 (550); Ganter, NZI 2005, 1 (2).
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Drees/Schmidt
Aussonderungsfragen
Rz. 127
§7
Verfügungen des Insolvenzverwalters auf die Geltendmachung eines Masseanspruchs nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 oder 3 InsO verwiesen1. Die unberechtigte Verfügung würde sich daher zugunsten der Insolvenzgläubiger auswirken, obwohl diesen eigentlich nur ein Recht auf Befriedigung aus der legal vorhandenen Soll-Masse zusteht. Deswegen verleiht die Vorschrift des § 48 InsO dem schuldrechtlichen Erstattungsanspruch für den Fall Aussonderungskraft, dass – ein Gegenstand, dessen Aussonderung von einem Dritten hätte verlangt werden können, – vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch den Insolvenzschuldner oder – danach seitens des Insolvenzverwalters – unberechtigt veräußert wird. Der aussonderungsberechtigte Gläubiger wird vor der Vereitelung seines Aussonderungsrechts geschützt, indem sich das Aussonderungsrecht gemäß § 48 InsO ersatzweise an der erhaltenen Gegenleistung bzw. dem Anspruch auf diese fortsetzt. Mit dem Begriff der Veräußerung werden alle Verfügungen erfasst, die einen Rechtsverlust des Berechtigten am Aussonderungsgut auslösen2, so dass entsprechendes selbstverständlich auch bei der unberechtigten Einziehung von fremden Forderungen gilt3. Auch in diesem Fall setzt sich das Aussonderungsrecht als Ersatz gemäß § 48 InsO an der Gegenleistung oder dem Anspruch auf sie fort4. Dadurch soll dem zuvor Aussonderungsberechtigten ein möglichst vollwertiger Ersatz für sein vereiteltes Recht verschafft werden. Demnach kann der Berechtigte die vertragliche Gegenleistung kraft Gesetzes 126 aussondern, wenn ein individuell bestimmter Gegenstand vom Schuldner oder dem Insolvenzverwalter unberechtigt entgeltlich veräußert wurde, der anderenfalls aufgrund eines bestehenden Aussonderungsrechts hätte ausgesondert werden können. Voraussetzung ist, dass der Veräußerung eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung zugrunde liegt, die nicht notwendigerweise wirksam sein muss5. Veräußerungen in diesem Sinne sind – neben dem bereits erwähnten Forderungseinzug (Rz. 125) – auch Einzahlungen fremder Gelder auf ein Bankkonto oder – Eigentumsverlust durch Verbindung, Vermengung oder Vermischung, soweit diese Vorgänge in Ausführung eines Rechtsgeschäfts erfolgen. Demgegenüber stellen rein tatsächliche Verhaltensweisen wie Verbindungen, Vermischungen oder Verarbeitungen keine Veräußerung im Sinne der in Rede stehenden Vorschrift dar6. Die bloße Nutzung ist wie auch die Beschädigung und Zerstörung von Aussonderungsgut ebenso wenig eine Veräußerung7. Folglich kann der Ersatzaussonderungsberechtigte 127 – solange die Gegenleistung noch aussteht, von dem Insolvenzverwalter die Abtretung des Gegenleistungsanspruchs nach § 48 Satz 1 InsO verlangen8 oder – die Herausgabe der Gegenleistung verlangen, wenn diese bereits zur Insolvenzmasse erbracht wurde und noch individualisierbar in dieser Masse vorhanden ist9. 1 2 3 4 5 6 7 8
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Hierzu grundlegend Ganter, NZI 2005, 1 ff. und Ganter/Bitter, ZIP 2005, 93 ff. Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 48 Rz. 7. OLG Stuttgart v. 24.10.2001 – 9 H 28/01, ZInsO 2002, 85. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 48 Rz. 8; Smid/Gundlach in Leonhard/Smid/Zeuner, InsO, § 48 Rz. 3. So die h.M., vgl. Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 48 Rz. 9. MünchKommInsO/Ganter, § 48 Rz. 25; Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 48 Rz. 8. BGH v. 13.7.2006 – IX ZR 57/05, ZInsO 2006, 938. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 48 Rz. 25; MünchKommInsO/Ganter, § 48 Rz. 45. Ist die Abtretung eines Anspruchs auf die Gegenleistung – zum Beispiel wegen eines Abtretungsverbots – nicht möglich, so kann nur die Gegenleistung selbst ausgesondert werden, sobald sie unterscheidbar in die Insolvenzmasse gelangt, vgl. Ganter, NZI 2005, 1 (6). BGH v. 24.6.2003 – IX ZR 120/02, NZI 2003, 549 (550).
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§7
Rz. 128
Beratung des gesicherten Glubigers
128 Voraussetzung für die Geltendmachung des Ersatzaussonderungsanspruchs ist demnach, entsprechend der Aussonderung selbst, dass die Gegenleistung noch unterscheidbar in der Masse weilt1. Dies ist bei einer Gegenleistung in Form einer Geldzahlung z.B. dann der Fall, wenn – diese entweder getrennt von dem übrigen Bargeld oder auf einem Sonderkonto2 verwahrt wird; hieran fehlt es insbesondere bei der Einziehung von Bargeld in die Kasse des Schuldners3 oder auch des Insolvenzverwalters4. – diese auf ein laufendes Konto des Insolvenzverwalters bzw. ein seiner Verfügung unterliegendes Konto des Schuldners gelangt ist, da bei Beendigung des Kontokorrents die Aussonderungsfähigkeit aufgrund der einzelnen Buchungsvorgänge und Belege gegeben ist5. Dies gilt nach überwiegender Ansicht auch dann, wenn es zwischenzeitlich zu weiteren Zahlungsausgängen oder -eingängen kam bzw. ein periodischer Rechnungsabschluss auf dem Konto erfolgte6. Gleiches gilt für Zahlungen auf das vom vorläufigen Insolvenzverwalter eingerichtete Anderkonto, da seine Sicherungsaufgabe gerade die Einziehung fremder Gelder und Forderungen umfasst7. 129 Voraussetzung für die Unterscheidbarkeit ist, dass das Konto eine ausreichende, sprich eine den Aussonderungsbetrag übersteigende Deckung aufweist8. Denn bei einem debitorisch geführten Konto kann mangels Gegenleistung nicht ausgesondert werden, da die Bank die Gutschrift sofort mit dem dortigen Sollsaldo verrechnet9. Eine Aussonderung wegen eines bloßen Geldsummenanspruchs kennt die Rechtsordnung nicht10. Daraus ergibt sich weiterhin, dass die Ersatzaussonderungsmöglichkeit nur bis zur Höhe des in der folgenden Zeit niedrigsten Saldos besteht11, die spätere Wiederauffüllung des Kontos durch anderweitige Gutschriften lässt den Anspruch hingegen nicht wieder aufleben12. Gleiches gilt für die Anfechtung einer Verrechnung; auch diese lässt einen Ersatzaussonderungsanspruch nicht wiederaufleben13. 129a Streitig ist, ob die Unterscheidbarkeit auch dann entfällt, wenn Zahlungen auf ein kreditorisches Schuldnerkonto geleistet und dort in das Kontokorrent eingestellt werden14. Entsprechend dem zuvor Gesagten (Rz. 128) bejaht der BGH einen Ersatzaussonderungsanspruch, soweit die Gutschrift durch Belege feststellbar und nicht durch Abbuchungen verbraucht ist15; für die Höhe der Ersatzaussonderung ist der niedrigste Tagessaldo nach Gutschrift maßgeblich. 129b Ist eine Unterscheidbarkeit hingegen nicht mehr zu verzeichnen, erlischt das Ersatzaussonderungsrecht und dem Berechtigten verbleibt nur noch ein als Massean-
1 Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 48 Rz. 24 ff.; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 48 Rz. 27; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 48 Rz. 17. 2 BGH v. 17.9.1998 – IX ZR 300/97, ZIP 1998, 1805; BGH v. 11.3.1999 – IX ZR 164/98, ZIP 1999, 626. 3 OLG Köln v. 25.8.2004 – 2 U 91/04, ZInsO 2005, 151. 4 Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 48 Rz. 28. 5 BGH v. 15.11.1988 – IX ZR 11/88, ZIP 1989, 118; BGH v. 11.3.1999 – IX ZR 164/98, ZIP 1999, 626; Krull, InVo 2000, 257 (258); Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 1.258. 6 BGH v. 11.3.1999 – IX ZR 164/98, ZIP 1999, 626 (627 f.); Krull, InVo 2000, 257 (259). 7 Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 48 Rz. 29. 8 So genannte Bodensatztheorie, vgl. hierzu v. 11.3.1999 – IX ZR 164/98, ZIP 1999, 626 (627 f.) m. Anm. Canaris, EWiR 1999, 707. Zur jüngeren Rechtsprechung vgl. BGH v. 24.6.2003 – IX ZR 120/02, NZI 2003, 549 (550); OLG Hamm v. 7.10.2003 – 27 U 81/03, ZIP 2003, 2262 ff. m. Anm. Gundlach/Schmidt, EWiR 2003, 75 (76). 9 OLG Hamm v. 7.10.2003 – IX ZR 154/03, ZInsO 2004, 97. 10 OLG Köln v. 25.8.2004 – 2 U 91/04, ZInsO 2005, 151 (152). 11 BGH v. 19.1.2006 – IX ZR 154/03, ZInsO 2006, 493. 12 BGH v. 11.3.1999 – IX ZR 164/98, ZIP 1999, 626 (627 f.); MünchKommInsO/Ganter, Vorbem. vor § 48 Rz. 176. 13 Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 48 Rz. 23 und 26. 14 Zu diesem Streitstand vgl. Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 48 Rz. 27. 15 BGH v. 19.1.2006 – IX ZR 154/03, ZInsO 2006, 493.
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Absonderungsfragen
Rz. 136
§7
spruch geltend zu machender Bereicherungsanspruch gegenüber der Masse oder ein Schadensersatzanspruch gegen den Verwalter1. Soweit die unberechtigte Veräußerung des Sicherungsgegenstandes nicht nach Ver- 130 fahrenseröffnung durch den Insolvenzverwalter stattgefunden hat und damit nicht die Voraussetzungen einer Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 3 InsO gegeben sind, wird der Berechtigte regelmäßig nicht mehr vorrangig befriedigt, sondern auf eine einfache Insolvenzforderung verwiesen. Da auch bereits der vorläufige Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis im Insol- 131 venzeröffnungsverfahren („starker vorläufiger Insolvenzverwalter“) dazu in der Lage ist, Aussonderungsrechte durch Verfügungen über der Aussonderung unterliegende Gegenstände zu vereiteln, muss § 48 InsO dem Gläubiger in entsprechender Anwendung auch in diesem Fall ein Ersatzaussonderungsrecht zugestehen2. Dass teilweise sogar eine unmittelbare Anwendung des § 48 InsO vertreten wird, ist lediglich von akademischem Interesse3. Veräußerungen durch einen „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter können eine Ersatzaussonderung nicht begründen, weil sie unwirksam sind und der gute Glaube an die Verfügungsbefugnis nicht geschützt wird4. Der Umfang des Ersatzaussonderungsanspruchs bezieht sich auf die tatsächlich seitens des Insolvenzschuldners oder Insolvenzverwalters erzielte Höhe der Gegenleistung einschließlich eines möglicherweise erzielten Gewinns5.
132
Bei einer unberechtigten Veräußerung einer Sachgesamtheit steht dem Aussonde- 133 rungsberechtigten ein Anspruch in Höhe des auf den Aussonderungsgegenstand entfallenden Anteils der Gegenleistung zu6. Tritt an die Stelle des ursprünglichen Aussonderungsguts im Wege der dinglichen 134 Surrogation7 ein anderer Gegenstand, findet § 48 InsO keine Anwendung. Der Ersatzgegenstand wird in diesen Fällen nicht Eigentum des Insolvenzschuldners, sondern steht ohnehin weiter dem ursprünglich Berechtigten zu, so dass dieser nach § 47 InsO zur Aussonderung berechtigt ist. Dies ist gemeint, wenn gesagt wird, eine dingliche Surrogation schließe die Ersatzaussonderung gerade aus8. III. Absonderungsfragen 1. Die Absonderung Nachdem die außerordentliche Zunahme der Mobiliarsicherheiten ganz erheblich zu 135 dem Funktionsverlust des Konkursrechts beigetragen hatte, bildete die Behandlung der Mobiliarsicherheiten einen Schwerpunkt der Insolvenzrechtsreform. Die Reformbestrebungen zielten darauf ab, die gesicherten Gläubiger stärker in das Insolvenzverfahren einzubinden und auch die absonderungsberechtigten Gläubiger an den Kosten des Verfahrens, insbesondere den Kosten der Sicherheitenverwertung, zu beteiligen. Diese Einbindung in das Insolvenzverfahren kennzeichnet zugleich den wesentlichen 136 Unterschied zur Aussonderung: Es wird gerade nicht die Herausgabe eines Sicherungsgutes beansprucht, sondern die vorzugsweise Befriedigung aus dem Verwertungserlös des weiterhin zur Insolvenzmasse gehörenden Gegenstands. Der Absonderungsgegenstand gehört mithin unbestritten zum Vermögen des Insolvenzschuldners.
1 BGH v. 11.3.1999 – IX ZR 164/98, ZIP 1999, 626 (627). 2 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 48 Rz. 5; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 48 Rz. 19; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 48 Rz. 28. 3 Ganter, NZI 2005, 1 (6). 4 Henckel in Jaeger, InsO, 2004, § 48 Rz. 23; Ganter, NZI 2005, 1 (7), der ausdrücklich nicht an der früher vertretenen (MünchKommInsO/Ganter, 2013, § 48 Rz. 14) Anwendung festhält. 5 MünchKommInsO/Ganter, § 48 Rz. 67; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 48 Rz. 25. 6 Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 48 Rz. 15 f. 7 So etwa die ausdrückliche Anordnung in den §§ 1247 Satz 2, 1048 Abs. 1 Satz 2, 1287, 1370, 1473, 1646, 2019, 2041, 2111 BGB und § 92 Abs. 1 BGB. 8 Ganter, NZI 2005, 1 (2).
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§7
Rz. 137
Beratung des gesicherten Glubigers
Unter Durchbrechung des Gleichbehandlungsgrundsatzes kann der Absonderungsberechtigte seine Vorzugsbefriedigung aus einem bestimmten Massegegenstand verlangen und damit außerhalb der allgemeinen Verfahrensbeschränkungen und quotalen Ausschüttungen vor allen anderen Befriedigung aus dem Verwertungserlös des Sicherungsguts verlangen. 137 Der Verwertungserlös steht in Höhe der offenen Forderung, für die das Absonderungsrecht besteht, dem Absonderungsberechtigten zu. Ein etwaiger Übererlös, der nach der Verwertung des von dem Absonderungsrecht betroffenen Gegenstands und der Befriedigung des absondernden Berechtigten verbleibt, gebührt hingegen aufgrund der nach § 1247 Satz 2 BGB eintretenden dinglichen Surrogation der Insolvenzmasse und ist an den Insolvenzverwalter auszukehren, worin gerade die weitere Dazugehörigkeit des Absonderungsguts zur Insolvenzmasse zum Ausdruck kommt1. Wie das Recht der Aussonderung in der ZPO seine Parallele in der Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) findet, würde die Vorzugsklage (§ 805 ZPO) in der Einzelzwangsvollstreckung der Absonderung entsprechen. 2. Absonderungsrechte (§§ 49 ff. InsO) a) Absonderungsfähige Objekte 138 Der Kreis der Absonderungsberechtigten ist in den §§ 49–51 InsO abschließend geregelt. Eine vertragliche Erweiterung des Kreises der Berechtigten ist nicht möglich. Weder dem Schuldner noch dem Insolvenzverwalter steht es zu, Absonderungsrechte zu vereinbaren oder anzuerkennen, soweit diese über die gesetzlich Vorgesehenen hinausgehen. Wem letztlich im Einzelnen ein Absonderungsrecht zukommt, ist in den insolvenzrechtlichen Regelungen nicht näher festgelegt, sondern bestimmt sich nach den allgemeinen Vorschriften, die einer bestimmten Rechtsposition das Recht auf Befriedigung aus einem bestimmten Vermögensgegenstand zuschreiben. 139
Û
Hinweise für den Berater: – Der insolvenzrechtlichen Beratung eines gesicherten Gläubigers geht damit gedanklich und auch tatsächlich eine zivilrechtliche Beratung voraus. Gegenstand dieser Beratung ist in erster Linie die Überprüfung der Wirksamkeit der Sicherheitenbestellung. Nur wirksame Sicherheitenrechte eröffnen den Anwendungsbereich der §§ 49 ff., 166 ff. InsO. – Auch innerhalb der insolvenzrechtlichen Beratung gibt es zwingende gedankliche Vorüberlegungen. Mit der Feststellung der zivilrechtlichen Wirksamkeit ist es nicht getan. Die Geltendmachung von Absonderungsrechten setzt weiterhin deren Insolvenzfestigkeit voraus. Hierfür hat der Berater den Einwand der insolvenzrechtlichen Anfechtbarkeit (§§ 129 ff. 143 Abs. 1 InsO) und die insolvenzrechtliche Unwirksamkeit aus anderen Gründen, etwa gemäß § 88 InsO2 (§ 6 Rz. 155), zu überprüfen. Indizien für entsprechenden Beratungsbedarf sind die zeitliche Nähe zum Insolvenzantrag und die Vereinbarung nachträglicher Sicherheiten. Diese Fragen betreffen insbesondere die Insolvenzanfechtung und werden in § 10 behandelt. Zur anwaltlichen Beratung von Kreditinstituten vgl. § 9. – Die Erfolgsaussichten der Verfolgung von Absonderungsrechten können nicht ohne sorgfältige Überprüfung dieser Vorfragen beurteilt werden. Kommt es
1 BGH v. 13.10.1959 – VIII ZR 186/58, NJW 1959, 2251. 2 Die so genannte Rückschlagsperre des § 88 InsO gilt für Sicherungen, die ein Insolvenzgläubiger im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlangt hat. Entsprechende Sicherheiten werden mit Verfahrenseröffnung unwirksam. Betroffene Sicherheiten sind insb. die zur Absonderung berechtigenden Zwangssicherungshypotheken (Rz. 185 ff.) und Pfändungspfandrechte (Rz. 183 ff.). Zum Umfang der insolvenzrechtlichen Rückschlagsperre bei der Pfändung künftiger Lohnansprüche vgl. OLG Nürnberg v. 17.9.2013 – 4 U 1719/13, ZIP 2014, 286 f. Zu § 88 InsO im Allgemeinen vgl. die lehrreiche Entscheidung des LG Leipzig v. 15.12.2004 – 1 S 5075/04, ZInsO 2005, 833 und Thietz-Bartram/Spilger, ZInsO 2005, 858.
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Absonderungsfragen
Rz. 140b
§7
zu einer streitigen Auseinandersetzung werden Insolvenzverwalter stets bemüht sein, Wirksamkeit und Insolvenzfestigkeit anzugreifen. – Gesicherte Gläubiger sind gut beraten, diese Vorfragen auch dann zu klären, wenn die den Sicherheiten zugrunde liegende Hauptforderung noch vor dem Insolvenzantrag beglichen worden ist. Denn sollte diese Befriedigung erfolgreich angefochten werden, so leben mit der Hauptforderung sowohl akzessorische1 als auch nicht akzessorische2 Sicherheiten wieder auf3. Innerhalb des Kreises der absonderungsberechtigten Gläubiger differenziert der Ge- 140 setzgeber danach, – ob sich das Befriedigungsrecht auf unbewegliche Gegenstände (Rz. 141) bezieht, die der Immobiliarzwangsvollstreckung nach den §§ 864, 865 ZPO unterliegen, oder – ob es sich um Pfandrechte (§ 50 InsO, vgl. Rz. 150 ff.) oder ihnen gleichgestellte Rechte an beweglichem Vermögen (§ 51 InsO, vgl. Rz. 168 ff.) handelt, zu dem das Gesetz sowohl bewegliche Sachen als auch Forderungen zählt. Grundsätzlich muss das Absonderungsrecht bereits im Zeitpunkt der Eröffnung des 140a Insolvenzverfahrens bestehen (§ 91 Abs. 1 InsO). Das heißt jedoch nicht, dass nicht auch nach Eröffnung des Verfahrens Absonderungsrechte zur Entstehung gelangen können. Aus den §§ 91 Abs. 2 und 106 InsO ergibt sich, dass ein Absonderungsrecht in Ausnahmefällen auch noch nach dem Eröffnungszeitpunkt entstehen kann, so z.B. in dem Fall einer nach Insolvenzeröffnung eingetragenen Vormerkung, wenn – eine bindende Bewilligung vorliegt und – ihre Eintragung vor dem Eröffnungszeitpunkt beantragt war4. Ferner kann der Insolvenzverwalter selbst noch Pfandrechte an Massegegenständen bestellen5 und Massegläubiger können durch Zwangsvollstreckung oder Arrestvollziehung in Massegegenstände neu Pfandrechte erwerben6. Zudem kann sich das Bezugsobjekt des Absonderungsrechts noch verändern, indem der Insolvenzverwalter selbst Verfügungen vornimmt, beispielsweise Zubehör einem Grundstück zuordnet, oder dadurch, dass ein Eigentumsvorbehalt am Zubehör erlischt. Unzulässig ist die Begründung von Absonderungsrechten durch den Insolvenzverwalter indes dann, wenn der Masse keine entsprechenden Gegenleistungen zufließen. Solche Verfügungen sind insolvenzzweckwidrig. Dogmatisch ergibt sich die Unwirksamkeit der Begründung des Absonderungsrechts aus dem Missbrauch der Vertretungsmacht7. Besteht für die Hauptforderung bereits ein Absonderungsrecht, so kann der Berech- 140b tigte aus dem behafteten Gegenstand auch für die nach Verfahrenseröffnung entstehenden Zinsen Befriedigung suchen8, obwohl es sich bei den Zinsen selbst nach § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO nur um nachrangige Insolvenzforderungen handelt. Dennoch haftet der absonderungsbelastete Gegenstand für diese Zinsen in voller Höhe. Zur Tilgungsreihenfolge und hiervon abhängigen Methodik der Ausfallberechnung vgl. nachstehend Rz. 390.
1 BGH v. 24.10.1973 – VIII ZR 82/72, KTS 1974, 96. 2 OLG Frankfurt v. 25.11.2003 – 9 U 127/02, ZIP 2004, 271 m. Anm. Wagemann, EWiR 2004, 563 (564). Zur Vorinstanz vgl. LG Frankfurt v. 15.8.2003 – 17 O 370/02, ZInsO 2003, 907 m. Bspr. von Biehl, ZInsO 2003, 932 ff. 3 Ausführlich hierzu Heidbrink, NZI 2005, 363 m. zahlr. w.N. 4 BGH v. 10.2.2005 – IX ZR 100/03, ZInsO 2005, 370 (371). 5 Zu den Möglichkeiten der Kreditfinanzierung im (vorläufigen) Insolvenzverfahren und zur insolvenzfesten Absicherung von Massekrediten durch den (vorläufigen) Insolvenzverwalter vgl. Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 34. 6 Lohmann in HK-InsO, § 50 Rz. 13; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 49 Rz. 5. 7 BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, ZInsO 2002, 577. 8 BGH v. 17.2.2011 – IX ZR 83/10, NZI 2011, 247; BGH v. 17.7.2008 – IX ZR 132/07, ZIP 2008, 1539 (1541 f.); BGH v. 5.12.1996 – IX ZR 53/96, NJW 1997, 522.
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§7
Rz. 141
Beratung des gesicherten Glubigers
b) Immobiliarsicherheiten 141 Die Rechte selbst, die dem Berechtigten im Einzelfall ein Absonderungsrecht gewähren, sind außerhalb der InsO geregelt. Nach § 49 InsO sind Gläubiger, denen ein Recht auf Befriedigung aus Gegenständen zusteht, die der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen unterliegen, nach Maßgabe des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung zur abgesonderten Befriedigung berechtigt. Ein Absonderungsrecht an unbeweglichen Gegenständen nach den §§ 49, 165 InsO gewähren alle in § 10 ZVG erfassten Rechte und Ansprüche, da diesen in § 10 ZVG ein Recht auf Befriedigung zugeschrieben wird, und damit vor allem – Hypotheken, – Grund- und Rentenschulden, – Reallasten und – Registerpfandrechte bei eingetragenen Luftfahrzeugen und Schiffen. 142 Diesen dinglich gesicherten Gläubigern steht bereits ein Recht zur Seite, dessen gesetzlicher Inhalt ihnen ein Befriedigungsrecht an der dinglichen Sicherheit zuschreibt. Kraft ihres gesetzlichen Inhalts verschaffen diese Rechte ihren Inhabern ein Absonderungsrecht für den Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Sicherungsgebers. Wie sich die Rangfolge mehrerer Absonderungsberechtigter untereinander gestaltet und welcher Inhalt dem Absonderungsrecht zukommt, wird durch die §§ 10–14 ZVG bestimmt. Welche Gegenstände dabei der Immobiliarzwangsvollstreckung unterliegen ist den §§ 864, 865 ZPO i.V.m. §§ 93 ff., 1120 ff., 1265 BGB zu entnehmen (Vergleiche hierzu Rz. 145 ff.) 142a
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Exkurs: Sonstige dinglich gesicherte Gläubiger (Hausgeld, Grundbesitzabgaben, Erbbauzinsen, etc. In der Praxis der Kreditsicherung haben die erwähnten Hypotheken und Grundschulden zweifelsohne die größte Bedeutung unter den Absonderungsrechten, die ein „Recht auf Befriedigung“ aus dem Grundstück begründen. Über die nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 ZVG dinglich berechtigten Grundpfandrechtsgläubiger (d.h. Grundschuld- und Hypothekengläubiger) hinaus kommt – den Hausgeldforderungen der Wohnungseigentümergemeinschaft1 (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG) und – den öffentlichen Grundstückslasten, insbesondere Grundsteuerforderungen (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG) erhebliche praktische Bedeutung zu.
142b So ist in der Insolvenz eines Wohnungseigentümers die Wohnungseigentümergemeinschaft wegen der nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG bevorrechtigten, vor der Insolvenzeröffnung fällig gewordenen Hausgeldansprüche ohne die Notwendigkeit einer vorherigen Beschlagnahme des Wohnungseigentums absonderungsberechtigt2. Nach jüngerer Rechtsprechung des BGH folgt dies nicht aus dem dinglichen Charakter dieses Vorrechts. Die Regelung des § 10 Abs. 1 Nr. 2 InsO enthalte lediglich eine Privilegierung schuldrechtlicher Ansprüche sowohl im Zwangsversteigerungsverfahren als auch – i.V.m. § 49 InsO – im Insolvenzverfahren3. Das Vorrecht wegen der Hausgeldansprüche an der bis dahin nicht beschlagnahmten Eigentumswohnung entsteht mit der Verfahrenseröffnung. Jedoch kann die Wohnungseigentümergemeinschaft keine Zahlungsklage erheben. Haben also die Berechtigten gegen den säumigen Wohnungseigentümer vor der Insolvenzeröffnung keinen Zahlungstitel erlangt, können sie den das Absonderungsrecht bestreitenden Insolvenzverwalter mit der Pfandklage auf Duldung der Zwangsversteigerung in die Eigentumswohnung in Anspruch nehmen. Das Prozessgericht muss in diesem Fall prüfen, ob die Voraussetzungen des Vorrechts gegeben sind4. 1 2 3 4
Sinz/Hiebert, ZInsO 2012, 205 ff. Grundlegend hierzu BGH v. 21.7.2011 – IX ZR 120/10, ZIP 2011, 1723. BGH v. 13.9.2013 – V ZR 209/12, ZIP 2013, 2122 ff. m. zahlr. w. N. BGH v. 21.7.2011 – IX ZR 120/10, ZIP 2011, 1723 m. Anm. Drado, NZI 2011, 731 ff.
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Drees/Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 142f
§7
Die praktischen Probleme ergeben sich nicht nur aus diesen rechtlichen Besonder- 142c heiten und aus der Frage nach der Existenz solcher (rückständigen) Forderungen als solchen, sondern insbesondere auch aus der Schwierigkeit der Ermittlung der Gläubiger dieser Rangklassen (Nr. 2 und 4). Anders als bei Grundschulden und Hypotheken ergeben sich diese Rechte nicht aus dem Grundbuch. Zu ihrer Ermittlung muss der Insolvenzverwalter offene Verbindlichkeiten bei potentiellen Absonderungsberechtigten abfragen bzw. die Forderungsanmeldungen hierauf überprüfen. Bei bestimmten Abgabenarten (z.B. Abfallentsorgung und Straßenreinigung) bedarf es zusätzlich der Prüfung nach Maßgabe einschlägiger Spezialbestimmungen (z.B. § 12 GrStG), inwieweit diese überhaupt öffentliche Lasten im Sinne der Rangklasse des § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG sind1. Beabsichtigt der Insolvenzverwalter die freihändige Verwertung des entsprechend 142d belasteten Grundbesitzes bzw. Wohnungseigentums, so gelingt ihm dies regelmäßig nur dann, wenn er sich gegenüber dem Erwerb zur lastenfreien Veräußerung verpflichtet2. Praktisch kann der Insolvenzverwalter das Grundstück daher nur dann veräußern, 142e wenn die absonderungsberechtigten Gläubiger bereit sind, auf ihre dinglichen Rechte am Grundstück zu verzichten. Denn bei der freihändigen Veräußerung bleiben alle im Grundbuch eingetragenen Rechte bestehen und belasten weiterhin das Grundstück3. Reicht der Erlös zur Befriedigung der betreffenden Gläubiger aus, so erteilen diese in Treuhandaufträgen die Zustimmung zur Löschung der eingetragenen Rechte gegen Befriedigung der gesicherten Forderungen4. Ist dagegen das Grundstück wertübersteigend belastet, muss der Insolvenzverwalter über die Ermittlung und Feststellung der Absonderungsberechtigung hinaus Verwertungsvereinbarungen mit diesen herbeiführen5. Fehlt es an solchen Vereinbarungen, scheitert – mangels Erkennbarkeit solcher Las- 142f ten im Grundbuch und der fehlenden Einbindung der entsprechenden Gläubiger bei der Umsetzung – nicht zwingend die Abwicklung des Kaufvertrages, jedoch droht dem Insolvenzverwalter der Rückgriff durch den Erwerber, wenn der Gläubiger vom Erwerber Zahlungen zur Abwendung der Vollstreckung fordert6. Es sind weder nachträgliche Verwertungsvereinbarungen möglich noch kann der entsprechende Gläubiger nachträglich bei der Erlösverteilung berücksichtigt werden. Letzterem hat der BGH gleich zweimal eine Absage erteilt7. Dies ist in erster Linie dadurch begründet, dass der Gläubiger gegenüber der Insolvenzmasse kein Absonderungsrecht geltend 1 Büchler, ZInsO 2011, 718 (719). 2 Zu den praktischen Facetten der freihändigen Verwertung vgl. Hartwig/Schmittmann, InsbürO 2014, 347. 3 So für § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG vom BGH entschieden, vgl. BGH v. 18.2.2010 – IX ZR 101/09. ZInsO, 914 (915) und zuvor Rz. 142c. Streitig für das zur Absonderung berechtigende Vorrecht der Wohnungseigentümergemeinschaft nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG. Vom BGH (v. 21.7.2011 – IX ZR 120/11, ZIP 2011, 1723 ff. ausdrücklich offen gelassen; nach LG Landau in der Pfalz v. 17.8.2012 – 3 S 11/12, ZInsO 2012, 2258 ff. haftet der Erwerber mit seinem Wohnungseigentum nicht fort für die Hausgeldrückstände des insolventen Wohnungseigentümers. Anders h.M.: Sinz/Hiebert, ZInsO 2012, 205 ff. m.w.H. 4 Zu den Ansprüchen des Insolvenzverwalters auf Erteilung einer Löschungsbewilligung gegen nachrangige Grundpfandgläubiger bei wertausschöpfender Belastung vgl. OLG Nürnberg v. 19.11.2013 – 4 U 994/13, EWiR 2014, 123; LG Leipzig v. 27.11.2013 – 05 O 3032/12, ZInsO 2014, 100. 5 Zur Insolvenzzweckwidrigkeit von so genannten Lästigkeitsprämien vgl. BGH v. 20.3.2008 – IX ZR 68/06, ZIP 2008, 884. Diese zu rechtsgeschäftlichen Sicherungsrechten ergangene Rechtsprechung hat das OLG Nürnberg in gleicher Weise für anwendbar erklärt bei nachrangigen gesetzlichen Sicherungsrechten, vgl. Fn. 2 zu Rz. 139. Zu dieser Thematik vgl. auch Wipperfürth, ZInsO 2014, 1263 ff. 6 So der BGH in seiner Entscheidung v. 11.3.2010 – IX ZR 34/09, ZInsO 2010, 764 für Erbbauzinsen und in seiner Entscheidung v. 18.2.2010 – IX ZR 101/09, ZInsO 2010, 914 für rückständige Grundsteuer. 7 BGH v. 18.2.2010 – IX ZR 101/09, ZInsO 2010, 914; BGH v. 11.3.2010 – IX ZR 34/09, ZInsO 2010, 764.
Drees/Schmidt
495
§7
Rz. 143
Beratung des gesicherten Glubigers
machen kann, da der Gegenstand nicht mehr in die Insolvenzmasse fällt1. Ebenso wenig liegt ein Fall der Ersatzabsonderung vor. Diese setzt eine Veräußerung voraus, die zu einem Rechtsverlust des Absonderungsgläubigers führt. Hieran fehlt es, wenn das dingliche Recht am veräußerten Gegenstand fortbesteht2. 143 Während sich für die genannten Grundpfandrechte und Reallasten das dingliche Vorrecht (§ 49 InsO) unmittelbar aus dem Gesetz ergibt, bedurfte es für das Absonderungskraft des Vormerkungsanspruchs des nachrangig besicherten Grundpfandgläubigers gemäß § 1179a BGB der höchstrichterlichen Klärung und selbst hiernach bestand nur einstweilen Rechtsklarheit3. Wurde in der Vorauflage noch für den Fall, dass ein Schuldner ein vorrangiges, nicht mehr valutiertes Grundpfandrecht abtritt, dem Vormerkungsanspruch des nachrangig gesicherten Grundpfandgläubigers gemäß § 1179a Abs. 1 BGB ein Absonderungsrecht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BGH des IX. Zivilsenats vom 9.3.2006 versagt4, ist die Rechtslage aufgrund abweichender Senatsrechtsprechung5 inzwischen ungesichert. Mit Urteil vom 27.4.2012 hat der V. Senat in ausdrücklicher Abweichung von dem erwähnten Urteil des IX. Zivilsenats als Leitsatz festgestellt, dass der Anspruch nach § 1179a BGB insolvenzfest sei6. Ob dies auch für einen abgetretenen Rückgewähranspruch gilt, konnte der V. Senat offen lassen. Für diese Fallgestaltung hatte wiederum der IX. Zivilsenat in einem weiteren Urteil – nach der Entscheidung vom 9.3.2006 – angenommen, dass die Sicherungsabtretung des Anspruchs auf Rückgewähr einer Grundschuld jedenfalls dann ein Absonderungsrecht begründen kann, wenn eine Revalutierung der Grundschuld ohne die Zustimmung des Abtretungsempfängers nicht oder nicht mehr in Betracht kommt7. Genau aus diesem Grund hatte der IX. Zivilsenat in seiner Entscheidung vom 9.3.2006 den Anspruch aus § 1179a BGB als nicht insolvenzfest qualifiziert, da sein Entstehen allein vom Schuldner abhinge8. Der Praxis ist nicht zuletzt aufgrund dieser divergierenden Rechtsprechung und der fehlenden Aussage des V. Zivilsenats zur Sicherungsabtretung des Anspruchs auf Rückgewähr einer Grundschuld zur Vorsicht zu raten; insbesondere kann nicht aus den beiden Judikaten – des V. Senats9 zum einen und des IX. Senats10 zum anderen – die Insolvenzfestigkeit der entsprechenden Sicherungsabtretung einerseits und des gesetzlichen Vormerkungsanspruchs nach § 1179a BGB andererseits gefolgert werden11, 12. aa) Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte 144 Gegenstand von Absonderungsrechten am Immobiliarvermögen können Grundstücke (§ 864 Abs. 1 ZPO) und grundstücksgleiche Rechte (§§ 864, 870 ZPO) sein. Zu Letzteren zählen vornehmlich das Erbbaurecht, Wohnungs- und Teileigentum sowie Bergwerkseigentum13. Des Weiteren unterliegen dem Absonderungsrecht in die Luftfahrzeugrolle eingetragene Luftfahrzeuge sowie die im Schiffsregister eingetragenen
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BGH v. 18.2.2010 – IX ZR 101/09, ZInsO 2010, 994 (995). Büchler, ZInsO 2011, 718 (720). Aktuell und instruktiv: Kesseler, ZIP 2014, 110 ff. BGH v. 9.3.2006 – IX ZR 11/05, ZIP 2006, 1141 ff. m. Anm. Kessler, EWiR 2006, 457. BGH v. 27.4.2012 – V ZR 270/10, ZIP 2012, 1140 ff. BGH v. 27.4.2012 – V ZR 270/10, ZIP 2012, 1140. BGH v. 10.11.2011 – IX ZR 142/10, ZIP 2012, 2364 ff. BGH v. 9.3.2006 – IX ZR 11/05, ZIP 2006, 1141 ff. m. Anm. Kessler, EWiR 2006, 457; anders noch die Vorinstanz OLG Köln v. 22.12.2004 – 2 U 103/04, ZIP 2005, 1038 ff. Vgl. auch Ganter, ZInsO 2007, 841 (849 f.). Ausführlich zu dieser Problematik und zugleich Bspr. der Entscheidung des BGH v. 9.3.2006 – IX ZR 67/04; Böttcher, ZfIR 2007, 395 ff. m. umfangr. w.N. BGH v. 27.4.2012 – V ZR 270/10, ZIP 2012, 1140. BGH v. 10.11.2011 – IX ZR 142/10, ZIP 2011, 2364. Eine Bewertung sämtlicher in dieser Hinsicht relevanter Entscheidungen des BGH nimmt Kesseler vor. Vgl. Kesseler, ZIP 2014, 110 (111 ff.). Obermüller, ZIP 2013, 299 ff. MünchKommInsO/Ganter, § 49 Rz. 6; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 49 Rz. 5.
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Drees/Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 146c
§7
Schiffe und Schiffsbauwerke1. Betroffen sind ebenso Miteigentumsanteile an Grundstücken, grundstücksgleichen Rechten, Luftfahrzeugen und Schiffen zugunsten der Gläubiger, denen nur ein Recht an einem einzelnen Miteigentumsanteil zukommt (§ 864 Abs. 2 ZPO)2. bb) Umfang der Immobiliarsicherheiten Der Umfang des Absonderungsrechts des betreibenden Gläubigers bestimmt sich 145 nach dem Inhalt des Sicherungsrechts, das dem Inhaber im Insolvenzfall das Absonderungsrecht einräumt. Dieses legt fest, aus welchen Gegenständen sich der Gläubiger vorzugsweise befriedigen darf. Die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen umfasst alle Gegenstände, auf die sich bei den genannten Grundstücksrechten und grundstücksgleichen Rechten auch ein eingetragenes Pfandrecht erstreckt (§ 865 Abs. 1 ZPO). Dabei ist die Unterscheidung zwischen der Art der Vermögensverwertung, d.h. – Zwangsversteigerung (Rz. 146 ff.) oder – Zwangsverwaltung (Rz. 147 ff.) für den betreibenden Gläubiger von erheblichem Interesse, da der Umfang der Beschlagnahme nicht in beiden Fällen der Gleiche ist. Der hypothekarische Haftungsverband im Rahmen der Zwangsversteigerung gemäß 146 der §§ 865 Abs. 1 ZPO, 20 Abs. 2 ZVG, 1120 ff. BGB umfasst auch – die von dem Grundstück getrennten Erzeugnisse und einfachen Bestandteile sowie – das Zubehör einschließlich der Anwartschaftsrechte am Zubehör, soweit es Eigentum des Grundstückeigners ist. Nach § 1122 Abs. 2 BGB endet die Haftung des Grundstückszubehörs neben der Enthaftung bei Veräußerung (§§ 1121 Abs. 1, 1122 BGB) auch dann, wenn die Zubehöreigenschaft vor der Beschlagnahme des Grundstücks endet.
146a
Dabei muss die Änderung der Zweckbestimmung im Rahmen der aktiven und ord- 146b nungsgemäßen Bewirtschaftung erfolgen. Mithin führt allein die Betriebsstilllegung im Rahmen eines Insolvenzfalls nicht zur Enthaftung des Zubehörs3. Nach Ansicht des BGH4 macht sich der Insolvenzverwalter, der nach Betriebsstilllegung, aber vor Beschlagnahme des Grundstücks Zubehörteile frei veräußert und damit nicht in den Grenzen einer aktiven ordnungsgemäßen Wirtschaft verwaltet, entsprechend den §§ 823 Abs. 1 und Abs. 2 i.V.m. 1134, 1135 BGB gegenüber dem Grundpfandgläubiger ersatzpflichtig, wobei der Ausgleich als Masseschuld gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 3 InsO zu erfolgen hat. Wird Vorbehaltseigentum, das zugleich Grundstückszubehör ist, verwertet, nachdem 146c zunächst das Grundstück beschlagnahmt und im Folgenden das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Grundstückeigentümers eröffnet worden ist, steht der Erlös aus der Veräußerung des Vorbehaltsguts aufgrund des vorbehaltenen Eigentumsrechts dem Verkäufer zur Tilgung des Restkaufpreises zu. Der verbleibende Erlös als Gegenwert des Anwartschaftsrechts gebührt sodann den Grundpfandrechtsgläubigern, deren Absonderungsrecht sich auch auf das Anwartschaftsrecht an der Vorbehaltsware erstreckt und sich nach Veräußerung derselben an dessen Surrogat fortsetzt5.
1 Vgl. näher Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 49 Rz. 21 f.; MünchKommInsO/Ganter, § 49 Rz. 7, 9. 2 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 49 Rz. 23; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 49 Rz. 5. Wird über das Vermögen eines Bruchteilseigentümers das Insolvenzverfahren eröffnet, wird hinsichtlich seines Anteils eine entsprechende Grundbucheintragung vorgenommen, vgl. BGH v. 19.5.2011 – V ZB 197/10, ZIP 2011, 1273. 3 BGH v. 30.11.1995 – IX ZR 181/94, NJW 1996, 835; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 49 Rz. 16. 4 BGH v. 21.3.1973 – VIII ZR 52/72, NJW 1973, 997. 5 Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 47 Rz. 11g; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 49 Rz. 13 f.
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§7
Rz. 146d
Beratung des gesicherten Glubigers
146d Wurden Zubehörstücke vor der Grundstücksbeschlagnahme veräußert und entfernt, wodurch sie zugleich aus dem Haftungsverband fielen (§ 1121 Abs. 1 BGB), kann der Grundpfandrechtsinhaber die Veräußerung unter den Voraussetzungen der §§ 3 f., 11 AnfG anfechten, soweit er einen Ausfall erleidet1. Nach einer entsprechenden Anfechtung lebt das Absonderungsrecht wieder auf2. 146e Der Haftungsverband bei der Zwangsversteigerung umfasst hingegen nicht die Mietund Pachtzinsforderungen sowie wiederkehrende Leistungen aus dem Grundstück und Versicherungsansprüche (§§ 1123, 1126, 1127 BGB, 21 ZVG). 147 Dies ermöglicht allein eine Zwangsverwaltung, deren Beschlagnahmewirkung sich gemäß § 148 Abs. 1 Satz 1 ZVG gerade auf Miet- und Pachtzinsforderungen sowie wiederkehrende Leistungen aus dem Grundstück und Versicherungsansprüche erstreckt3. 147a Ebenfalls vom Haftungsverband eines Zwangsverwaltungsverfahrens erfasst sind – vor Begründung des Grundpfandrechts abgetretene Mietzinsansprüche; (dogmatisch entspricht dies einer Anwendung des § 1124 Abs. 2 BGB4), – Ansprüche wegen rechtsgrundloser Benutzung der der Zwangsverwaltung zugrundeliegenden Sache5, – Nutzungsentschädigungsansprüche und – so genannte Mietausfallschäden6, d.h. Ersatzansprüche für einen Mietausfall für die Zeit ab dem Wegfall des Nutzungsentschädigungsanspruchs (Räumungszeitpunk) bis zum Ende der regulären Vertragslaufzeit bzw. bis zum Beginn einer Neuvermietung7. In dieser Befriedigung des betreibenden Gläubigers aus den Erträgen des Grundstücks liegt gerade der wirtschaftliche Zweck der Zwangsverwaltung. Ein Zwangsverwalter ist insoweit auch nicht befugt, der Beschlagnahme unterliegende Forderungen „freizugeben“ und den Schuldner im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft zu ermächtigen, diese geltend zu machen8. Vollstreckt ein absonderungsberechtigter Gläubiger im Wege der Zwangsverwaltung nach der erforderlichen Titelumschreibung gegen den Insolvenzverwalter in weiterhin selbstgenutztes Wohnungseigentum eines Insolvenzschuldners, kann der Besitzergreifung des Zwangsverwalters das Recht des Schuldners entgegengehalten werden, ihm die für seinen Hausstand unentbehrlichen Räume unentgeltlich zu überlassen9. Der Umstand der Titelumschreibung ist nur eine verfahrensrechtliche Notwendigkeit, die den sozialen Schutzzweck (§ 149 Abs. 1 ZVG) nicht berührt10. 147b Nicht vom Haftungsverband der Zwangsverwaltung umfasst sind hingegen Ansprüche auf Ersatz schuldhaft nicht gezogener Nutzungen11 oder von Erträgen des (Haupt-)Mieters aus einem berechtigten Untermietverhältnis. Ist der Mieter zur weiteren entgeltlichen Überlassung der Mietsache berechtigt, so stehen grundsätzlich ihm die Erträge aus dem Untermietverhältnis zu, nicht dem Eigentümer. Eine Beschlagnahme des Grundstücks kann daher diese Forderung nicht erfassen. Gläubiger des Eigentümers haben keinen Anspruch darauf, sich aus schuldnerfremdem Ver-
1 Zur Frage der Haftung des Insolvenzverwalters vgl. OLG Dresden v. 25.7.2002 – 13 U 833/02, ZInsO 2003, 472 f. 2 MünchKommInsO/Ganter, § 49 Rz. 16. 3 MünchKommInsO/Ganter, § 49 Rz. 28. 4 BGH v. 9.6.2005 – IX ZR 160/04, ZIP 2005, 1452. 5 BGH v. 29.6.2006 – IX ZR 119/04, ZInsO 2006, 822 (823 f.). 6 OLG Jena v. 20.2.2013 – 7 U 390/12, ZInsO 2013, 1762 f. 7 BGH v. 16.2.2005 – XII ZR 162/01, NZM 2005, 340 f. 8 OLG Jena v. 20.2.2013 – 7 U 390/12, ZInsO 2013, 1762 f. 9 BGH v. 25.4.2013 – IX ZR 30/11, ZInsO 2013, 1075 ff. 10 BGH v. 25.4.2013 – IX ZR 30/11, ZInsO 2013, 1075 (1076). 11 BGH v. 29.6.2006 – IX ZR 119/04, ZInsO 2006, 822 (823 f.).
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Drees/Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 149
§7
mögen zu befriedigen1. Anders ist es aber, wenn die Mieterträge nur formell dem Hauptmieter zugeordnet sind, wirtschaftlich hingegen dem Eigentümer zustehen2. Kommt es zur Anordnung der Zwangsverwaltung über ein Grundstück, dessen miet- 147c weise Überlassung eine eigenkapitalersetzende Leistung darstellt3, so endet das Recht des Insolvenzverwalters zur unentgeltlichen Nutzung des Grundstücks mit dem Wirksamwerden der Beschlagnahme gemäß §§ 148, 152 Abs. 2, § 22 ZVG, §§ 1123, 1124 Abs. 2 BGB4. An die Stelle des Nutzungsanspruchs tritt ein Anspruch gegen den Gesellschafter auf den Wert des Nutzungsrechts. Der Ersatzanspruch setzt aber voraus, dass der Insolvenzverwalter über eine tatsächliche Nutzungsmöglichkeit hinsichtlich des Grundstücks verfügt hätte. Dies gilt auch dann, wenn der Insolvenzverwalter das Grundstück an den Zwangsverwalter vor Ablauf der Mietzeit herausgibt5. Vor dem Hintergrund dieser Reichweite der Beschlagnahme im Zwangsverwaltungsverfahren liegt nahe, dass Miet- oder Pachterträge nur dann von der Absonderungskraft des Grundpfandrechts erfasst sind, wenn das Zwangsverwaltungsverfahren betrieben wird und dessen Beschlagnahme bereits angeordnet ist.
148
Dieses Verständnis geht indes fehl. Es ist sorgsam zu differenzieren zwischen dem 148a Entstehen und der zwangsweisen Verwertung von Absonderungsrechten: Die Absonderungskraft einer Grundschuld setzt sich stets fort an den entsprechenden Erträgen und entsteht damit auch dann, wenn noch keine Zwangsverwaltung angeordnet ist. Damit gibt die Grundpfandhaftung auch schon vor der Beschlagnahme einen hinreichenden Rechtsgrund, um die Mieten zu vereinnahmen. Der Grundpfandgläubiger ist zu diesem Zeitpunkt – so die zentrale Aussage einer in diesem Punkt grundlegenden Entscheidung des BGH vom 9.11.20066 – indes nicht geschützt vor Verfügungen des Eigentümers oder der Vollstreckungsgläubiger. Diesen Schutz erfährt der Grundpfandgläubiger erst mit der Beschlagnahme, durch deren Anordnung die Stellung des Grundpfandgläubigers hinsichtlich der Mieten zweifelsohne gestärkt, nicht jedoch erst begründet wird7. Die betreffende Entscheidung des BGH ist – entgegen der mitunter geäußerten Kritik8 – sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zutreffend.
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Hinweise für Grundpfandgläubiger: 149 Die Umsetzung des zuvor Gesagten (Rz. 148) geht einher mit einer weiteren Grundsatzentscheidung des BGH9. In dieser wird klargestellt, dass es Grundpfandgläubigern verwehrt ist, nach Insolvenzeröffnung Mieterträge zu pfänden10. Es gilt der Vorrang der Immobiliarvollstreckung, der in § 49 InsO und § 865 Abs. 2 ZPO gesetzlich verankert ist. Entsprechende Vollstreckungsversuche sind nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens unzulässig (§ 89 InsO). Die mit dem unbeweglichen Vermögen haftenden Gegenstände unterliegen nur so lange der Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen, solange nicht ihre Beschlagnahme im Wege der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen erfolgt ist. Dieses Ergebnis widerspricht auch nicht den unter Rz. 148 dargelegten GrundBGH v. 29.6.2006 – IX ZR 119/04, ZInsO 2006, 822 (823 f.). BGH v. 4.2.2005 – V ZR 294/03, ZInsO 2005, 371 (372 ff.). BGH v. 16.10.1989 – II ZR 307/88, ZIP 1989, 1542 (1543). BGH v. 31.1.2000 – II ZR 309/98, ZIP 2000, 455 ff. BGH v. 31.1.2005 – II ZR 240/02, ZIP 2005, 484 (485 ff.). BGH v. 9.11.2006 – IX ZR 133/05, NZI 2006, 457 ff. Der BGH lehnte in dieser Entscheidung die Anfechtbarkeit der im Voraus an einen Grundpfandgläubiger abgetretenen Mieten ab, da es wegen des ohnehin schon bestehenden Absonderungsrechts an einer Gläubigerbenachteiligung fehle. BGH v. 9.11.2006 – IX ZR 133/05, NZI 2006, 457 ff. Vgl. hierzu die Auseinandersetzung von Ganter, ZInsO 2007, 841 (848 f.). Mitlehner, ZIP 2007, 804 (805 f.); Wazlawik, NZI 2007, 320 (321). BGH v. 13.7.2006 – IX ZB 301/04, ZIP 2006, 1554. BGH v. 13.7.2006 – IX ZB 301/04, ZIP 2006, 1554 m. Anm. Freudenberg, EWiR 2007, 281; Schuschke, BGH-Report 2006, 1320. Vgl. hierzu auch die weiteren Beschlüsse des BGH v. 26.10.2006 – IX ZB 155/05; BGH v. 26.10.2006 – IX ZB 177/05; BGH v. 21.12.2006, IX ZB 264/05, sämtlich n.v.
Drees/Schmidt
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§7
Rz. 149a
Beratung des gesicherten Glubigers
sätzen, wonach die Erstreckung des Absonderungsrechts auf die mithaftenden Mieten keine Beschlagnahme voraussetzt. Denn nach Verfahrenseröffnung ist die Anordnung der Zwangsverwaltung nicht Entstehungsvoraussetzung, sondern Voraussetzung für die abgesonderte Befriedigung und damit Verwertungsvoraussetzung1. 149a Kreditinstitute, zu deren Gunsten der Insolvenzschuldner sein vermietetes Grundstück mit einer Grundschuld belastet hat, sind daher auch nicht berechtigt, nach Insolvenzeröffnung auf dem Konto des Insolvenzschuldners eingegangene Mietzahlungen einzubehalten. Auch hier muss sich der Grundschuldgläubiger, dem zweifelsohne gemäß §§ 1123 i.V.m. § 1192 BGB auch die Mietforderungen haften, auf die Zwangsvollstreckung verweisen lassen2. Es gilt insoweit das zu der Pfändung der Mietzinsansprüche Gesagte. Der Zugriff auf das Guthaben macht die Anordnung der Zwangsverwaltung nicht entbehrlich. Dem Kreditinstitut ist – wie jedem anderen Gläubiger – Selbsthilfe zur Durchsetzung seines Anspruchs versagt. 149b – Kreditinstitute sind daher gut beraten, den Schuldner unter Hinweis auf die drohende Zwangsvollstreckung zu einer freiwilligen Leistung zu bewegen. Die Kreditwirtschaft spricht in einem solchen Fall von einer „stillen“ oder „kalten“ Zwangsverwaltung3. Eine solche Vereinbarung privilegiert und rechtfertigt den Zugriff auf die Mietzinsansprüche. Dies gilt auch für die Dauer eines Insolvenzverfahrens, sofern eine entsprechende Vereinbarung mit dem Insolvenzverwalter vorliegt4. Gehen Kreditinstitute auf diese Weise vor, so müssen die mit einer „kalten“ Zwangsverwaltung verbundenen Anfechtungsrisiken sorgsam bedacht werden5. Insolvenzverwalter hingegen müssen bei einer solchen – auf einen Massekostenbeitrag zielenden – Vereinbarung an dessen Versteuerung denken (vgl. hierzu ausführlich unten Rz. 338 ff.). 149c – Andernfalls – d.h. es liegt weder eine förmliche noch eine kalte Zwangsverwaltung vor – sind Grundpfandgläubiger gemäß § 1123 Abs. 1 BGB verpflichtet, die für den Schuldner bestimmten Zahlungen des Mieters an den Insolvenzverwalter abzuführen6. c) Mobiliarpfandrechte 150 Während § 49 InsO die Absonderungsrechte am unbeweglichen Vermögen des Insolvenzschuldners regelt, werden in § 50 InsO die Pfandrechte an Gegenständen als so genannte „Prototypen“ der Absonderungsrechte an beweglichen Vermögensgegenständen genannt. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Pfandrechte – rechtsgeschäftlicher Natur (§§ 1204 ff., 1273 ff. BGB, vgl. Rz. 151 ff.) oder – gesetzlicher Natur (z.B. §§ 562, 581 Abs. 2, 592, 647 BGB, 397, 441 HGB, vgl. Rz. 160 ff.) sind. aa) Rechtsgeschäftliche Pfandrechte 151 Das rechtsgeschäftliche Pfandrecht (§§ 1204 ff. BGB) ist der klassische Fall der Begründung eines Absonderungsrechts im Fall der Insolvenz des Pfandrechtsschuldners, das allerdings aufgrund der Entwicklung des Rechts der Kreditsicherheiten seine Bedeutung zugunsten der in § 51 Nr. 1 InsO erfassten Kreditsicherungsformen
1 So die instruktiven Ausführungen von Ganter, ZInsO 2007, 841 (849 f.). 2 LG Stendal v. 7.2.2005 – 21 O 293/04, ZIP 2005, 1800. 3 OLG Hamm v. 14.6.2005 – 27 U 85/04, ZInsO 2006, 776 (777); LG Stendal v. 7.2.2005 – 21 O 293/04, ZIP 2005, 1800. Allgemein zur stillen oder kalten Zwangsverwaltung vgl. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 49 Rz. 31 m.w.N. In eine ähnliche Richtung: Förster, ZInsO 2008, 190. 4 Ausführlich hierzu Mitlehner, ZIP 2012, 649 ff., insbesondere zur Umsatzsteuerpflicht der bei der Insolvenzmasse verbleibenden Kostenbeiträge. Vgl. hierzu auch Sinz in Hamburger Kommentar zur InsO, § 165 Rz. 39. 5 Zu den anfechtungsrechtlichen Risiken einer kalten Zwangsverwaltung vgl. ausführlich Bräuer, ZInsO 2006, 742 ff. und OLG Hamm v. 14.6.2005 – 27 U 85/04, ZInsO 2006, 776 ff. 6 LG Stendal v. 12.1.2005 – 21 O 293/04, ZInsO 2005, 614 (615).
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Drees/Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 155
§7
eingebüßt hat. Es gewährt seinem Inhaber im Falle der Insolvenz des Pfandrechtsschuldners – ein Recht auf abgesonderte Befriedigung – aus dem Pfandgut – wegen der Pfandforderung – in der geänderten Reihenfolge Hauptforderung, Zinsen, Kosten, soweit das Pfandrecht an einem Massegegenstand wirksam und insolvenzfest bestellt worden ist. Wegen seiner Akzessorietät erfordert seine wirksame Bestellung die Sicherung einer gegenwärtigen, zukünftigen oder bedingten Forderung, wobei es bei der Sicherung zukünftiger und bedingter Forderungen erst mit dem vollständigen Entstehen der verpfändeten Forderung Bestand erlangt1. Entsteht diese erst nach Insolvenzeröffnung kann § 91 Abs. 1 InsO dem Erwerb des Pfandrechts entgegenstehen, sofern nicht an dem Erwerbsgegenstand bereits eine gesicherte Rechtsstellung besteht. Kann beispielsweise ein Schuldner (nach Sicherungsabtretung und Forderungspfändung) schon vor der Insolvenzeröffnung nicht mehr über einen Lebensversicherungsvertrag verfügen, hat der zur Kündigung berechtigte Pfändungsgläubiger an dem aufschiebend bedingten Anspruch auf den Rückkaufswert eine gesicherte Rechtsposition2. Ein rechtsgeschäftlich bestelltes Pfandrecht, das seinem Inhaber im Falle der Insol- 152 venz ein Absonderungsrecht gewähren soll, kann – sowohl an einem beweglichen Gegenstand (Rz. 153 ff.) als auch – an übertragbaren Rechten und Forderungen (Rz. 155 ff.) bestellt werden (§§ 1204 ff., 1273 ff., 1279 ff. BGB)3. (1) Pfandrechte an Sachen An beweglichen Sachen entsteht das Pfandrecht durch 153 – Einigung zwischen dem Pfandrechtsschuldner und dem Pfandrechtsgläubiger und – Übertragung des unmittelbaren Besitzes (§ 1205 f. BGB). Die Pfandrechtsbestellung auf der Grundlage eines Besitzkonstituts ist nicht möglich. Mithin kann eine Verpfändung ohne Publizitätsakt nur zugunsten des unmittelbaren Besitzers erfolgen. Auch nach den Regelungen der ZPO können unpfändbare Sachen im Sinne von § 811 ZPO rechtsgeschäftlich verpfändet werden. Zubehörgegenstände beweglicher als auch unbeweglicher Sachen sind im Zweifel nach § 311c BGB mit der Hauptsache verpfändet. Sie können aber als selbständige Sache (§ 97 BGB) auch unabhängig von der Hauptsache verpfändet werden. Nach der Trennung von der Hauptsache sind auch Erzeugnisse verpfändbar, soweit sie nicht nach den §§ 1120 ff. BGB der vorrangigen Haftung für Grundpfandrechte unterliegen. Soweit dem Gläubiger für seine Forderung gegen den Insolvenzschuldner ein Pfand- 154 recht an einem massefremden Gegenstand zukommt, kann er bezogen auf seine persönliche Forderung in voller Höhe verhältnismäßige Befriedigung aus der Masse verlangen, ohne Beschränkung auf den Ausfall (§ 52 InsO). Im Hinblick auf seinen Ausfall kann er sich sodann aufgrund seines Pfandes an den Pfandrechtsschuldner halten. (2) Pfandrechte an Rechten und Forderungen Die Bestellung eines Pfandrechts an Rechten folgt den Übertragungsvorschriften für das betreffende Recht (§ 1274 BGB). Besonderheiten bei der Pfandrechtsbestellung an Rechten bestehen für die Übertragung von – Grundschulden und Hypotheken (§§ 1154, 1192 BGB), – Erbanteilen (§§ 2033 ff. BGB),
1 BGH v. 26.1.2012 – IX ZR 191/10, NZI 2012, 319. 2 Ganter, NZI 2013, 209 (214). 3 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 50 Rz. 3; MünchKommInsO/Ganter, § 50 Rz. 6.
Drees/Schmidt
501
155
§7
Rz. 156
Beratung des gesicherten Glubigers
– GmbH-Anteilen (§§ 15 Abs. 3, 17 GmbHG), – Gebrauchsmustern (§ 22 GebrMG), – Geschmacksmustern (§ 3 GeschmMG), Marken und Kennzeichen (§§ 27, 29 MarkenG), Patenten (§ 15 PatG)1, – Wertpapieren im Depot (§§ 4, 12 DepotG)2 und – Order- und Inhaberpapieren (§§ 1292, 1293 BGB). Das hieran bestellte Pfandrecht erstreckt sich aber nur dann auch auf die Zins-, Renten- und Gewinnanteilsscheine, wenn sie dem Pfandgläubiger mit übergeben wurden (§ 1296 BGB)3. Wurde das Pfandrecht an einem Recht wirksam bestellt, kann der Pfandgläubiger im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Pfandschuldners abgesonderte Befriedigung aus dem sicherungshalber übertragenen Recht gemäß § 50 Abs. 1 InsO beanspruchen4. 156 Soweit das Pfandrecht an einer Forderung bestellt werden soll (§ 1279 BGB), ist – die Einigung über die Pfandrechtsbestellung sowie – die Pfandanzeige des Pfandgebers an den Drittschuldner (§ 1280 BGB) Voraussetzung für eine wirksame Bestellung. Ein häufiges Beispiel für die Verpfändung einer Forderung gemäß § 1279 BGB ist die Verpfändung einer Lebensversicherungsforderung (hierzu Rz. 159 und zur Aus- bzw. Absonderungskraft eingeräumter Bezugsrechte Rz. 45, 159). 157 Größere wirtschaftliche Bedeutung hat die Verpfändung von Forderungen aufgrund der AGB-Banken bzw. AGB-Sparkassen zur Sicherung von Forderungen der Banken gegen ihre Kunden5. Gemäß Nr. 14 AGB-Banken bzw. Nr. 21 AGB-Sparkassen6 dienen der Bank alle in ihrem Besitz befindlichen Sachen und Rechte des Kunden für ihre Ansprüche gegen diesen als Vertragspfand. Zu diesen Pfandgegenständen zählen auch die Forderungen, die dem Kunden selbst gegenüber der Bank aus der bankmäßigen Geschäftsbeziehung zustehen, da die Bank nach Nr. 14 Abs. 1 Satz 2 AGBBanken (Nr. 21 Abs. 1 Satz 2 AGB-Sparkassen) auch an diesen, gegen sich selbst gerichteten Forderungen, ein Pfandrecht erwirbt. Voraussetzung für die Entstehung dieses Vertragspfandes ist allerdings, dass die Bank dem Insolvenzschuldner bereits vor Eröffnung des Verfahrens etwas schuldet, da sie nur so an dem gegen sich gerichteten Anspruch ein Pfandrecht erwerben kann (zur Anfechtbarkeit von vertraglich – auch durch AGB – vereinbarten Pfandrechten vgl. § 10 Rz. 67). 158 Das Pfandrecht an einer Forderung erstreckt sich auch auf die anlaufenden Zinsen (§ 1289 BGB)7. Das Absonderungsrecht des Pfandrechtsinhabers an einer Forderung kann durch eine im Insolvenzverfahren erklärte Aufrechnung nicht unterlaufen werden8.
1 Vgl. zur Bewertung und Verwertung gewerblicher Schutzrechte Häfele/Wurzer, DZWIR 2001, 282 ff. 2 Vgl. näher Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 50 Rz. 10 f. Auf die Einzelheiten von Pfandrechten an Aktien zur Sicherung von Krediten zu Zwecken der Unternehmensfinanzierung soll hier nicht weiter eingegangen werden. Vgl. hierzu insb. Berger, ZIP 2007, 1533 ff., der im Ergebnis völlig zu Recht auch für Pfandrechten an Aktien keine Ausnahme davon macht, dass § 166 InsO dem Insolvenzverwalter bei verpfändeten Rechten gerade keine Verwertungsbefugnis einräumt, und der Pfandgläubiger gemäß § 173 Abs. 1 InsO zur Verwertung berechtigt ist. 3 MünchKommInsO/Ganter, § 50 Rz. 19. 4 Zu den Fällen einer Vorauspfändung vgl. OLG Frankfurt v. 28.3.2007 – 23 U 297/05, ZIP 2007, 1670 m. Anm. Mitlehner, EWiR 2008, 81. 5 Vgl. hierzu näher Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 50 Rz. 7 f. 6 Beide in der Fassung von 1993. 7 MünchKommInsO/Ganter, § 50 Rz. 18. 8 Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 48 Rz. 5.
502
Drees/Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 160
§7
(3) Pfandrecht an Ansprüchen aus Lebensversicherungsverträgen1 Die Verpfändung von Lebensversicherungen bzw. der Ansprüche aus dem Lebensversicherungsvertrag hat in der Vergangenheit an Bedeutung gewonnen und darf als übliches Kreditsicherungsmittel angesehen werden. Die Verpfändung begründet ein Absonderungsrecht gemäß § 50 Abs. 1 InsO.
159
Die praktisch wichtigste Konstellation in diesem Zusammenhang ist die Verpfän- 159a dung der Ansprüche aus einem Lebensversicherungsvertrag, den Arbeitgeber zugunsten von Arbeitnehmern üblicherweise abschließen, um eine Versorgungszusage diesen gegenüber rückzuversichern. Grundvoraussetzung, um auf diese Weise ein Recht auf abgesonderte Befriedigung 159b zu erlangen, ist die Anzeige der Verpfändung beim Versicherer gemäß § 11 ALB. Unterbleibt sie, ist die Verpfändung unwirksam. Eine Verpfändung ist weiter auch dann unwirksam, wenn an den Ansprüchen aus der 159c Lebensversicherung ein unwiderrufliches Bezugsrecht besteht (vgl. hierzu oben Rz. 45). Dann sind die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag dinglich der Vermögensmasse eines Dritten zuzuordnen. Zwar bleibt der Versicherungsnehmer Vertragspartner des Versicherungsvertrages; er behält weiterhin das Dispositionsrecht über den Vertrag und kann diesen damit kündigen oder ihn in eine prämienfreie Versicherung umwandeln. Er kann aber nicht mehr über den Anspruch auf die Versicherungsleistungen verfügen, weshalb dann auch eine Verpfändung ins Leere geht2. Wurden die Ansprüche aus der Lebensversicherung wirksam und auch insolvenzfest 159d verpfändet, kann der Pfandgläubiger das Pfandrecht dann selbst einziehen, wenn der gesicherte Versorgungsanspruch wegen Eintritts des beschriebenen Versorgungsfalls fällig ist (§§ 1282 Abs. 1, 1228 Abs. 2 BGB)3. Ob dies der Fall ist, muss vom Insolvenzverwalter regelmäßig überprüft werden, da der Versorgungsfall in den allermeisten Fällen gerade noch nicht eingetreten ist – mit der Konsequenz, dass das Verwertungsrecht dem Insolvenzverwalter zusteht. Dies war lange Zeit ungeklärt, entspricht aber seit der Entscheidung des BGH vom 7.4.2005 der Rechtspraxis. Rechtliche Grundlage des Verwertungsrechts ist § 80 Abs. 1 InsO und nicht etwa § 166 Abs. 2 InsO oder § 173 Abs. 2 Satz 2 InsO. Der verwertungsberechtigte Verwalter muss daher den Erlös aus der Einziehung der Ansprüche in Höhe der gesicherten Versicherungsforderung zurückbehalten und vorrangig hinterlegen, bis die Versorgungsforderung fällig wird oder die Bedingung ausfällt (§§ 191 Abs. 1, 198 InsO)4. Anders verhält es sich mit der Verwertung, soweit durch eine Rückdeckungsversiche- 159e rung Versorgungsansprüche nach dem BetrAVG rückgedeckt sind. Dann besteht eine Eintrittspflicht des Pensionsversicherungsvereins nach § 7 BetrAVG, wodurch die jeweiligen Versorgungsansprüche als unbedingte und fällige Forderungen im Sinne des § 41 Abs. 1 InsO geltend gemacht werden können. Kraft dieser gesetzlichen Fiktion tritt bereits mit Verfahrenseröffnung die Verwertungsreife ein5. bb) Gesetzliche Pfandrechte Gesetzliche Pfandrechte entstehen kraft gesetzlicher Sondervorschriften aufgrund 160 eines besonderen Rechtsverhältnisses zugunsten des Gläubigers an Sachen und Rechten zur Sicherung seiner Forderung. Ein gesetzliches Pfandrecht entsteht z.B. zugunsten des – Hinterlegers am hinterlegten Gut bzw. der Rückerstattungsforderung (§ 233 BGB);
1 Vgl. hierzu ganz allgemein jüngere Rechtsprechung: BGH v. 11.4.2013 – IX ZR 176/11; BGH v. 26.1.2012 – IX ZR 191/10, NZI 2012, 319 ff. 2 OLG Frankfurt v. 10.5.2006 – 23 U 113/05, 997. 3 BGH v. 17.11.2005 – IX ZR 138/04, NZI 2005, 384 (385). 4 BGH v. 17.11.2005 – IX ZR 138/04, NZI 2005, 384 (385). 5 Neufeld in Mohrbutter/Ringstmeier, S. 1584 ff.
Drees/Schmidt
503
§7
Rz. 161
Beratung des gesicherten Glubigers
– Vermieters oder Verpächters an eingebrachten Sachen des Mieters bzw. Pächters, soweit diese pfändbar sind (§§ 562, 581 Abs. 2 BGB); – Landverpächters an eingebrachten Sachen und Früchten (§ 592 BGB); – Unternehmers an hergestellten oder ausgebesserten beweglichen Sachen (§ 647 BGB); – Gastwirts an eingebrachten Sachen des Gastes (§ 704 BGB)1. 161 Darüber hinaus sind gesetzliche Pfandrechte im HGB vorgesehen, so die gewöhnlichen wie z.B. das gesetzliche Pfandrecht zugunsten des – Kommissionärs am Kommissionsgut (§ 397 HGB); zu möglichen Aussonderungsrechten des Kommissionärs siehe oben Rz. 83; – Frachtführers am Frachtgut (§ 441 HGB); – Spediteurs am Speditionsgut (§ 464 HGB); – Lagerhalter am Lagergut (§ 475b HGB) etc.2. 162 Voraussetzung für das wirksame Entstehen des Absonderungsrechts ist allerdings auch hier, dass das Pfandrecht bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sein muss, denn auch insoweit ist § 91 InsO einschlägig3. Ist das Pfandrecht kraft Gesetzes wirksam entstanden, begründet es für den Fall der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Schuldners nach § 50 Abs. 1 3. Alt. InsO ein Absonderungsrecht zugunsten des Pfandgläubigers. Gemäß § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO ist der Pfandgläubiger vorweg aus dem Erlös zu befriedigen (zu dieser Kostenregelung vgl. unten Rz. 317 ff.). 163 Das Pfandrecht des Vermieters bzw. Verpächters dient der Sicherung bereits entstandener Forderungen aus dem Miet- bzw. Pachtverhältnis4. Hiervon erfasst sind auch Rückstände aus der Zeit des vorläufigen Insolvenzverfahrens5. Maßgeblich ist allein der Zeitpunkt der Einbringung des Pfandgegenstandes. 164 Zu den gesicherten Ansprüchen gehören neben dem vertraglich geschuldeten Mietzins/Pachtzins auch die Nebenkosten sowie Ansprüche wegen vertragswidrigen Gebrauchs der Miet- oder Pachtsache oder wegen Zahlungsverzugs etc. (vgl. hierzu auch § 8 Rz. 174 ff.). Verwertet der Verwalter eingebrachte Sachen des Schuldners in Unkenntnis des Vermieter- bzw. Verpächterpfandrechts, so setzt sich das Pfandrecht im Wege der Ersatzabsonderung an dem Veräußerungserlös fort, solange der Erlös unterscheidbar in der Masse vorhanden ist6 (vgl. hierzu Rz. 371 ff.). Ist der Erlös aus der Verwertung der Sachen vom Verwalter zur Masse gezogen worden und nicht mehr unterscheidbar vorhanden, so tritt an die Stelle des Absonderungsrechts ein Masseschuldanspruch nach § 55 Abs 1 Nr 3. 165
Û
Hinweise für die Beratung des Vermieters7: – Beim Vermieter- und Verpächterpfandrecht gilt die Sonderregelung in § 50 Abs. 2 InsO, welche die Ausübung des Absonderungsrechts des Vermieters und Verpächters aufgrund des ihnen erwachsenen gesetzlichen Pfandrechts beschränkt8. Hiernach deckt das Pfandrecht lediglich offene Miet- und Pachtzinsforderungen aus den letzten zwölf Monaten vor Eröffnung des Insolvenz-
1 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 50 Rz. 12; Smid/Leonhardt in Leonhard/Smid/Zeuner, InsO, § 50 Rz. 10; Hess, InsO, 1995, § 50 Rz. 43. 2 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 50 Rz. 12; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 50 Rz. 76 ff. Zu den Besonderheiten eines Konsignationslagers vgl. BGH v. 13.2.2014 – IX ZR 313/12, ZIP 2014, 736 f. 3 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 50 Rz. 12; Lohmann in HK-InsO, § 50 Rz. 24. 4 Vgl. hierzu eingehend Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 50 Rz. 13 ff.; Tetzlaff, NZI 2006, 87 (89 ff.). 5 BGH v. 14.12.2006 – IX ZR 102/03, ZIP 2007, 191 m. Anm. Gundlach/Frenzel, EWiR 2007, 185 f. 6 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 50 Rz. 24; Ganter, NZI 2005, 1 (8 f.). 7 Ausführlich zu den Rechten des Vermieters in der Mieterinsolvenz Tetzlaff, NZI 2006, 88 ff. 8 MünchKommInsO/Ganter, § 50 Rz. 90; Gottwald/Adolphsen, Kölner Schrift zur InsO, S. 1043 ff. Rz. 63.
504
Drees/Schmidt
Absonderungsfragen
–
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Rz. 166
§7
verfahrens über das Vermögen des Mieters bzw. Pächters. Zwar entfaltet § 50 Abs. 2 Satz 1 InsO keine materielle Wirkungskraft in der Weise, dass für die weiter zurückliegende Zeit das Vermieter- bzw. Verpächterpfandrecht nicht mehr besteht. Jedoch begründet es eine Ausübungssperre. Bei einer Konkurrenz mit anderen Absonderungsrechten gilt die Zwölfmonatsfrist nicht1. Zu beachten ist ferner die Gegenausnahme in § 50 Abs. 2 Satz 2 InsO bei der Verpachtung eines landwirtschaftlichen Grundstücks. Zur besseren Durchsetzung des Vermieterpfandrechts gewährt die Rechtsprechung dem Vermieter einen umfassenden Auskunftsanspruch gegenüber dem Insolvenzverwalter2. Dieser besteht während des gesamten Zeitraums der Verfahrensabwicklung einschließlich der vorläufigen Insolvenzverwaltung. Rechtliche Grundlage ist insoweit § 50 Abs. 1 InsO oder § 167 Abs. 1 InsO, wobei der BGH die genaue Einordnung offen lässt. Insolvenzverwalter sind gut beraten, Erlöse aus der Verwertung der dem Vermieterpfandrecht unterliegenden Gegenstände an den Vermieter auszukehren. Andernfalls entstehen nicht nur Ersatzabsonderungs- und als Masseforderungen zu befriedigende Bereicherungsansprüche (hierzu unten Rz. 371), sondern auch Haftungsansprüche nach § 60 Abs. 1 InsO, da es zu den insolvenzspezifischen Pflichten gehört, Verwertungserlöse an die Absonderungsberechtigten auszukehren3. Ebenso wenig ist der Insolvenzverwalter berechtigt, Erlöse aus dem Vermieterpfandrecht auf Masseforderungen des Vermieters anzurechnen. Ein Tilgungsbestimmungsrecht steht dem Verwalter insoweit nicht zu4. Die Verrechnung zwischen der durch das Vermieterpfandrecht gesicherten Forderung und dem Erlös erfolgt ipso iure, ohne dass Raum für eine Tilgungsbestimmung bleibt. Darüber hinaus können sich der Vermieter oder Verpächter im Fall der eröffneten Insolvenz über das Vermögen des Mieters bzw. Pächters neben ihrem gesetzlichen Pfandrecht an den seitens des Mieters bzw. Pächters eingebrachten Gegenständen auch aus der Mietkaution abgesondert befriedigen, soweit die Vereinbarung zwischen ihnen und dem Mieter bzw. Pächter eindeutig als Pfandrechtsbestellung oder Sicherungsabtretung zu deuten ist5. Gesondert zu beurteilen ist die Gesellschaftereigenschaft des Vermieters (zur Gesellschafterfinanzierung vgl. Kap. 4). War die eigenkapitalersetzende Nutzungsüberlassung vor Inkrafttreten des MoMiG noch eine einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechende Rechtshandlung im Sinne von § 32a Abs. 3 GmbHG, wird dies mangels gesetzlicher Klarstellung für §§ 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 Abs. 1 und 3 InsO lebhaft bestritten. Nach einem Urteil des OLG Schleswig ist § 135 Abs. 1 und 3 InsO nicht anwendbar, mit der Konsequenz, dass Ansprüche aus der Nutzungsüberlassung nicht nachrangig sind im Sinne von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO und der Gesellschafter wegen seines Vermieterpfandrechts für seine Mietzinsansprüche aus den letzten 12 Monaten vor Verfahrenseröffnung abgesonderte Befriedigung verlangen kann6.
Ferner gewährt § 110 VVG (§ 157 VVG a.F.) dem Gläubiger wegen eines ihm gegen 166 den Schuldner erwachsenden Schadensersatzanspruchs ein Recht auf abgesonderte Befriedigung aus der Entschädigungsforderung, die dem Schuldner als Versicherungsnehmer gegen seine Versicherungsgesellschaft zusteht und mit in die Insolvenz-
1 2 3 4
Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 50 Rz. 21. BGH v. 4.12.2003 – IX ZR 222/02, ZIP 2004, 326 m.w.N. und Anm. Pape, EWiR 2004, 349 f. Pape, EWiR 2004, 349 (350). OLG Karlsruhe v. 4.3.2014 – 14 U 180/12, ZIP 2014, 786. Zuvor bereits LG Darmstadt v. 21.1.2005 – 2 O 296/04, ZIP 2005, 456. Gegen die Entscheidung des OLG Karlsruhe ist – aufgrund abweichender Rechtsprechung des OLG Dresden (Urt. v. 19.10.2011 – 13 U 1179/10, ZIP 2011, 2266) Revision eingelegt und zugelassen worden. Das entsprechende Verfahren wird beim BGH unter IX ZR 69/14 geführt. 5 Vgl. hierzu ausführlich Hess, InsO, 1995, § 50 Rz. 28 ff. 6 OLG Schleswig v. 13.1.2012 – 4 U 57/11, ZIP 2012, 885 f.
Drees/Schmidt
505
§7
Rz. 167
Beratung des gesicherten Glubigers
masse fällt1. Die Ansprüche geschädigter Dritter in der Insolvenz des Versicherungsnehmers sind einem gesetzlichen Pfandrecht an der Entschädigungsforderung gleichgestellt. Das Absonderungsrecht entsteht mit Eröffnung des Verfahrens und besteht bis zum Eintritt des Versicherungsfalls unabhängig vom Lauf des Insolvenzverfahrens fort2. Der Insolvenzverwalter kann den Anspruch im Fall der Verfahrensunterbrechung durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Wege der Aufnahme des gegen den Schuldner geführten Rechtsstreits verfolgen3. 167 Der Versicherungsfall kann daher auch erst nach Eröffnung oder nach Abschluss des Verfahrens eintreten, ohne dass die Rechtsposition des geschädigten Dritten beeinträchtigt wird4. Entsprechend eines Pfandrechtsinhabers können die Geschädigten abgesonderte Befriedigung aus dieser Forderung verlangen, ohne dass es nach der Feststellung des Haftpflichtanspruchs gegenüber dem Insolvenzverwalter noch einer Pfändung der Forderung aus dem Haftpflichtverhältnis bedürfte. Vielmehr kann der Haftpflichtgläubiger analog § 1282 BGB den Entschädigungsanspruch des Versicherungsnehmers unmittelbar gegen den Versicherer geltend machen5. Haftpflichtansprüche und das Absonderungsrecht nach § 110 VVG können mithin ohne weiteres nach den bestehenden Verfahrensregeln der InsO abgewickelt werden. Entgegen der ständigen Rechtsprechung des BGH zur Konkursordnung bedarf es daneben keiner auf die Versicherungsleistung beschränkten Leistungsklage des Geschädigten gegen den Insolvenzverwalter. Eine derartige Klage ist nach § 87 InsO unzulässig und wegen § 1282 BGB für die Verwertung des Absonderungsrechts nicht erforderlich6. d) Besitzlose Mobiliarsicherheiten 168 Die im Wirtschaftsleben bedeutendste Gruppe der Absonderungsrechte stellen die den Pfandrechten in § 51 InsO gleichgestellten sonstigen Absonderungsrechte dar. Von vorrangiger praktischer Bedeutung sind hier die in § 51 Nr. 1 InsO aufgeführte(n) – Sicherungsübereignung7 (Rz. 169 ff.), – Sicherungszession (Rz. 175 ff.) sowie – die Verlängerungs- und Erweiterungsformen des Eigentumsvorbehalts (Rz. 179 ff.) zu nennen. aa) Sicherungsübereignung 169 Die Sicherungsübereignung stellt den Hauptanwendungsfall der eigennützigen Treuhand dar. Im Rahmen einer Sicherungsübereignung übereignet der Sicherungsgeber dem Sicherungsnehmer eine Sache zum Zwecke der Absicherung einer Forderung. Die Übergabe erfolgt im Wege der Einräumung mittelbaren Besitzes an den Sicherungsnehmer (§ 930 BGB). Der Sicherungsnehmer wird dadurch Vollrechtsinhaber, seine rechtlichen Befugnisse sind jedoch durch die Sicherungsabrede beschränkt, d.h., er darf auf das Sicherungsgut nur in den vertraglich vereinbarten Fällen Zugriff nehmen, in der Regel daher dann, wenn die Forderungen, zu deren Besicherung die Sicherungsübereignung erfolgte, nicht bedient werden. 169a Für die Kreditpraxis von besonderer Bedeutung ist die Sicherungsübereignung von Sachgesamtheiten im Rahmen einer Raumsicherungsübertragung, d.h. einer Sicherungsübereignung von in bestimmten Räumlichkeiten befindlichen Sachen. Eine solche Raumsicherungsübereignung erfordert die hinreichend bestimmte Kennzeich1 Vgl. ausführlich hierz Mitlehner, ZIP 2012, 2003 ff. 2 Zur Möglichkeit der Freigabe des Deckungsanspruchs gegen Haftpflichtversicherung vgl. BGH v. 2.4.2009 – IX ZR 23/08, ZIP 2009, 874; OLG Nürnberg v. 12.12.2007 – 12 U 195/07, ZIP 2008, 435. 3 BGH v. 18.7.2013 – IX ZR 311/12, ZIP 2013, 1742 in Fortsetzung der Rechtsprechung des BGH v. 25.4.1989 – VI ZR 146/88, ZIP 1989, 857. 4 S. hierzu näher Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 51 Rz. 33; MünchKommInsO/Ganter, § 51 Rz. 239. 5 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 43; MünchKommInsO/Ganter, § 51 Rz. 238. 6 Mitlehner, ZIP 2012, 2003 (2005). 7 Vgl. ausführlich Sessig/Fischer, ZInsO 2011, 618 ff.
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Drees/Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 173
§7
nung der erfassten Gegenstände auf Grund derer jeder, der die zugrunde liegende Sicherungsabrede kennt, die übereigneten Sachen von anderen unterscheiden kann1. Diesen Erfordernissen ist nicht genügt, wenn eine Zuordnung von Sachen als Sicherungsgut weder in räumlicher noch in funktionaler Hinsicht möglich ist und auch das Eigentum Dritter an Sachen, die sich im Sicherungsraum befinden, nicht erkennbar ist2. Die praktischen Schwierigkeiten dürften bei der Sicherungsübereignung eines Warenlagers mit wechselndem Bestand am größten sein. Denn auch hier kommt es darauf an, dass es aufgrund einfacher äußerer Abgrenzungskriterien für jeden – der die Parteiabrede kennt – ohne Weiteres ersichtlich ist, welche individuell bestimmten Sachen übereignet worden sind. Dabei genügt es, wenn in dem Vertrag auf eine Skizze der Räumlichkeiten Bezug genommen wird. Maßgeblich für die Frage der Bestimmtheit des Gegenstandes der Sicherungsübereignung ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses3. Wird über das Vermögen des Sicherungsgebers das Insolvenzverfahren eröffnet, so 170 tritt der vertragliche Sicherungsfall ein und das Sicherungseigentum erweist sich wirtschaftlich als besitzloses Pfandrecht. Daher wird dem Sicherungsnehmer trotz seiner formalen Eigentümerstellung – im Gegensatz zur Einzelzwangsvollstreckung außerhalb des Insolvenzverfahrens, in deren Rahmen die formale Eigentümerstellung des Sicherungsnehmers durch die Möglichkeit der Drittwiderspruchsklage im Sinne von § 771 ZPO umfassend respektiert wird – aufgrund der bloßen Sicherungsfunktion der Eigentumsübertragung in der Insolvenz des Sicherungsgebers nur ein Absonderungsrecht zuerkannt4. Aus denselben Gründen gewährte die h.M. dem Sicherungseigentümer auch bereits 171 unter dem Geltungsbereich der KO nur ein Absonderungsrecht5. Diese Handhabe wurde durch § 51 Nr. 1 InsO gesetzlich manifestiert. Das Sicherungseigentum wird mithin in der Insolvenz wie ein besitzloses Pfandrecht behandelt (§ 51 Nr. 1 InsO). Aufgrund des ihm bestellten Sicherungseigentums steht dem Gläubiger zwar ein 172 Recht auf abgesonderte Befriedigung aus diesem Gegenstand zu, er ist jedoch nicht dazu berechtigt, den Gegenstand von dem Insolvenzverwalter herauszuverlangen, da dem Verwalter gemäß § 166 Abs. 1 InsO das alleinige Recht zur Verwertung des Sicherungsguts zukommt (vgl. Rz. 270 ff.), soweit er die Sache – wie beim Sicherungseigentum in der Regel der Fall – in seinem Besitz hat6. Schließt der Insolvenzverwalter einen Versicherungsvertrag über das Inventar des schuldnerischen Betriebs ab und wird das Inventar sodann gestohlen oder zerstört, so setzt sich das Absonderungsrecht eines Sicherungseigentümers am Inventar an dem Anspruch aus der Versicherung fort7. In den praktisch seltenen Fällen der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Si- 173 cherungsnehmers kann der Sicherungsgeber das Sicherungsgut aussondern8. Der Einräumung eines Aussonderungsrechts für den Sicherungsgeber im Insolvenzfall des Sicherungsnehmers liegt die Annahme zugrunde, dass die dingliche Übertragung des Volleigentums von der schuldrechtlichen Sicherungsabrede so stark überlagert wird, dass ihr eine quasi dingliche Wirkung zukommt, die in der Insolvenz des Sicherungsnehmers entgegen der formalen Rechtslage und unter Durchbrechung des Abstraktionsprinzips zu der Entstehung eines Aussonderungsrechts führt9. Die Durch-
1 Instruktiv OLG Brandenburg v. 20.6.2012 – 7 U 73/11, ZInsO 2014, 1160 (1162). 2 OLG Düsseldorf v. 17.1.2012 – 14 U 10/12, ZIP 2012, 992. 3 LG Bielefeld v. 28.2.2014 – 1 O 71/13, ZIP 2014, 612. Das Urteil ist mit Rücksicht auf die feinsinnige Auslegung der Sicherheitenverträge und auch im Übrigen lesenswert. 4 MünchKommInsO/Ganter, § 51 Rz. 4; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 3; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 51 Rz. 3. 5 Vgl. Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 48 Rz. 13a; Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze, § 43 KO Anm. 9. 6 Ausführlich zum Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters und dessen Auswirkungen auf den Herausgabeanspruch des Gläubigers Sessig/Fischer, ZInsO 2011, 618 ff. 7 OLG Brandenburg v. 20.6.2012 – Z U 73/11, ZInsO 2014, 1160 ff. (nicht rechtskräftig). 8 MünchKommInsO/Ganter, § 51 Rz. 4; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 3. 9 Gottwald/Adolphsen, Kölner Schrift zur InsO, S. 1043 ff. Rz. 29.
Drees/Schmidt
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§7
Rz. 174
Beratung des gesicherten Glubigers
setzung des Aussonderungsrechts durch den Sicherungsgeber setzt voraus, dass die gesicherte Forderung zurückgeführt wurde oder der Sicherungszweck in sonstiger Weise entfallen ist. 174
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Hinweis: Ist das Sicherungseigentum ausnahmsweise in den Besitz eines Dritten gelangt, z.B. ein zur Sicherheit übereignetes Kraftfahrzeug in den Besitz eines Reparaturbetriebs und wird über das Vermögen des Dritten das Insolvenzverfahren eröffnet, so ist der Sicherungseigentümer wie bei gewöhnlichem Dritteigentum zur Aussonderung berechtigt1. Die treuhänderische Sicherungsabrede ist schuldrechtlicher Natur und entfaltet daher im Verhältnis zu außen stehenden Dritten keine Wirkung. Aufgrund seiner Stellung als formaler Eigentümer der Sache kann der Sicherungsnehmer gegenüber dem insolvent gewordenen Dritten daher ein Aussonderungsrecht im Sinne von § 47 InsO geltend machen. Dem Sicherungsgeber steht in diesen Fällen regelmäßig daneben aufgrund eines ihm zustehenden obligatorischen Herausgabeanspruchs, z.B. aus Vermietung, Leihe, Verwahrung oder ähnlichen Rechtsverhältnissen, ebenfalls ein Anspruch auf Aussonderung im Hinblick auf das Sicherungsgut zu2.
bb) Sicherungszession 175 Bei der Sicherungszession wird zur Sicherung einer Forderung im Gegensatz zur Sicherungsübereignung nicht das Eigentum an einem Vermögensgegenstand übertragen, sondern ein Recht sicherungshalber abgetreten. Zumeist handelt es sich um ein Recht an einer Forderung, die der Sicherungsnehmer im Sicherungsfall sodann gegenüber dem Drittschuldner realisieren kann. Die Sicherungszession erfolgt regelmäßig – in Form einer Globalzession (Rz. 176) oder – im Rahmen eines verlängerten Eigentumsvorbehalts (Rz. 179) 175a Auch die Sicherungszession wird gemäß § 51 Nr. 1 InsO wie ein rechtsgeschäftliches Pfandrecht behandelt. Damit steht dem Rechtsinhaber ebenfalls kein Recht auf Abtretung der Forderung zur Einziehung zu, sondern lediglich ein Recht auf abgesonderte und damit vorzugsweise Befriedigung aus der sicherungshalber abgetretenen Forderung3. Dem Zessionar eines Anspruchs auf Rückzahlung eines Gesellschafterdarlehens kann die Qualifikation des Darlehens als Gesellschafterdarlehen und die damit verbundene Nachrangigkeit nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO jedenfalls dann entgegengehalten werden, wenn die Abtretung innerhalb der Jahresfrist des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO, mithin innerhalb eines Jahres vor dem Insolvenzantrag erfolgte (vgl. hierzu ausführlich § 3 Rz. 20 ff.)4. (1) Globalzession 176 Einen Sonderfall der Sicherungszession stellt die so genannte Globalzession dar. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass sich der Gläubiger zu Sicherungszwecken bereits zukünftige Forderungen des Schuldners abtreten lässt. Diese müssen zur Wirksamkeit der Globalzession bereits im Zeitpunkt ihrer globalen Abtretung ausreichend bestimmbar, d.h. im Zeitpunkt ihrer Entstehung nach5 – Gläubiger, – Schuldner und – Rechtsgrund einwandfrei ermittelbar sein. 1 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 3; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 51 Rz. 8. 2 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 3; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 51 Rz. 11; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 51 Rz. 8. 3 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 32; MünchKommInsO/Ganter, § 51 Rz. 4; Lohmann in HK-InsO, § 51 Rz. 23 ff. 4 OLG Stuttgart v. 8.2.2012 – 14 U 27/11, ZIP 2012, 879. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig, Nichtzulassungsbeschwerde ist unter dem Az. IX ZR 32/12 beim BGH eingelegt. 5 Ganter, ZIP 2014, 53 (54).
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Absonderungsfragen
Rz. 176e
§7
Regelmäßig handelt es sich hierbei um eine stille Zession, die den Zedenten nach 176a §§ 185 Abs. 1, 362 Abs. 3 BGB zur Einziehung der abgetretenen Forderungen im Rahmen seiner gewöhnlichen Geschäftstätigkeit ermächtigt und dem Drittschuldner gegenüber nicht angezeigt wird. Die Einziehungsbefugnis für die still zedierten Forderungen verliert der sicherungsgebende Globalzedent nicht automatisch durch Eintritt der wirtschaftlichen Krise, durch Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder durch Anordnung gerichtlicher Sicherungsmaßnahmen, sondern erst – mit dem ausdrücklichen und wirksamen Widerruf der Ermächtigung oder aber – spätestens mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens (siehe hierzu unten Rz. 232 ff.).
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Hinweis: 176b Zahlt der jeweilige Kunde auf die Forderung, erlöscht diese mit Wirkung gegenüber der Zessionarin (§§ 362 Abs. 1, 407 Abs. 1 BGB)1. Den hiermit verbundenen Verlust der Sicherheit können entsprechend gesicherte Gläubiger nur vermeiden, wenn sie die Abtretung offen gelegt, d.h. die Einziehungsbefugnis widerrufen und die Forderung selbst eingezogen haben. Der Versuch, für den Eintritt der wirtschaftlichen Krise des Sicherungszedenten formularvertraglich den Widerruf auszusprechen, dürfte an einer Inhaltskontrolle scheitern2.
Globalzessionen eines Kreditinstituts sind bereits dann unwirksam, wenn sie dem 176c Grunde nach auch solche Forderungen erfassen, die aufgrund branchenüblichen Eigentumsvorbehalts den Gläubigern der Kunden zustehen3. Nach früherer Rechtsprechung war eine Globalzession auch dann nichtig, wenn sie nicht mit einer ermessensunabhängigen Freigabeklausel ausgestattet war und keine bestimmte Deckungsobergrenze enthielt. Nach der grundlegenden Änderung in der Rechtsprechung im Bereich der revolvierenden Globalsicherheiten, die auch auf die Globalzessionen Anwendung findet, sind diese nunmehr auch ohne Freigabeklausel, Deckungsgrenze und Bewertungsklausel zur Vermeidung einer nachträglichen Übersicherung wirksam4. Die Unwirksamkeit der Globalzession kann sich auch daraus ergeben, dass der 176d Schuldner durch die Zession sein gesamtes Vermögen überträgt und so für seinen wirtschaftlichen Zusammenbruch sorgt. So ist ein Vertrag, durch den ein Schuldner sein letztes zur Gläubigerbefriedigung taugliches Vermögen einem bestimmten Gläubiger überträgt, regelmäßig sittenwidrig, wenn dadurch gegenwärtige oder künftige Gläubiger über die Kreditwürdigkeit des Schuldners getäuscht werden und beide Vertragspartner bei dieser Täuschung zusammengewirkt haben5. Einem Zessionar obliegt hierbei die Prüfung der Auswirkung der Zession auf das Vermögen des Zedenten. Unterlässt er diese gebotene Prüfung, so trifft ihn der Vorwurf, sich leichtfertig über die Gefährdung anderer Gläubiger durch Kredittäuschung hinweggesetzt zu haben6. Kollidieren die Globalzession zu Gunsten einer Bank und die zeitlich nachfolgende 176e Globalzession zu Gunsten eines Vermieters, gilt das Prioritätsprinzip. Wirksam ist lediglich die zeitliche frühere Abtretung; die zeitlich spätere geht ins Leere. Die Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit einer Globalzession bei Kollision mit einer zeitlich nachfolgenden Forderungsabtretung im Rahmen eines verlängerten Eigentumsvorbehalts kann auf diesen Sachverhalt zweier reiner Globalzessionen nicht übertragen werden7.
1 BGH v. 6.4.2006 – IX ZR 185/04, ZInsO, 544 (545 f.) m. Bspr. Ganter, ZInsO 2007, 841 ff.; Beiner/ Luppe, NZI 2005, 15 ff. 2 Ganter, ZInsO 2007, 841 f. m. zahlr. w.N. 3 BGH v. 8.10.1986 – VIII ZR 342/85, BGHZ 98, 303 ff. 4 Vgl. hierzu BGH v. 27.11.1997 – GSZ 1 und 2/97, WM 1998, 227. 5 BGH v. 16.3.1995 – IX ZR 72/94, NJW 1995, 1668 ff. 6 BGH v. 16.3.1995 – IX ZR 72/94, NJW 1995, 1668 ff. Im Anschluss daran OLG Brandenburg v. 25.11.2004 – 11 U 220/98. 7 BGH v. 14.7.2004 – XII ZR 257/01, WM 2005, 378 = NJW 2005, 1192 m. zust. Anm. Mordhorst, EWiR 2005, 691 f.
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§7
Rz. 176f
Beratung des gesicherten Glubigers
176f Die wirksame Globalzession verschafft ihrem Sicherungsnehmer aufgrund ihrer Sicherungsfunktion ebenfalls kein Aussonderungsrecht, sondern lediglich ein Recht auf abgesonderte Befriedigung aus den abgetretenen Forderungen gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 InsO1. 176g
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Exkurs zur Bedeutung der Sicherungsabtretung als Kreditsicherungsmittel – Geldkreditgeber sichern ihren Rückzahlungsanspruch typischerweise durch Globalzession mit Vorausabtretung2. Die Bedeutung der Globalzession ist durch eine vom OLG Karlsruhe3 in Gang gesetzte Rechtsprechung in Frage gestellt worden. In nahezu sämtlichen Insolvenzverfahren, an denen durch Globalzessionen abgesicherte Kreditinstitute beteiligt sind, stellt sich die Frage, ob diese an dem Erlös aus dem Forderungseinzug, der innerhalb des Drei-Monats-Zeitraums erzielt worden ist, auf der Grundlage der vereinbarten Globalzession ein insolvenzfestes Absonderungsrecht erlangt haben. – Die Beantwortung dieser Frage hängt maßgeblich davon ab, ob die von Seiten des Kreditinstituts vorgenommenen Verrechnungen als kongruent oder inkongruent anzusehen sind. Im Fall einer Einordnung der Verrechnungen als inkongruent würde die Abtretung der erleichterten insolvenzrechtlichen Anfechtung gemäß § 131 Abs. 1 InsO unterliegen. Genau dies vertritt das OLG Karlsruhe. In seinen drei Grundsatzentscheidungen4 geht der BGH aber nunmehr von der Kongruenz entsprechender Verrechnungen aus (hierzu ausführlich § 9 Rz. 88 f. und § 10 Rz. 127 ff.)5. – Gibt der Insolvenzverwalter die selbständige Tätigkeit eines Schuldners gemäß § 35 Abs. 2 InsO aus dem Insolvenzbeschlag frei, erlangt die Vorausabtretung künftiger – und damit auch nach Verfahrenseröffnung entstehender – Forderungen infolge Konvaleszenz ihre Wirksamkeit zurück6. Die Regelung des § 91 InsO steht dem aufgrund der Freigabe(-wirkung) nicht entgegen. Diese Rechtsprechung des BGH hat in der Praxis die Fortführung und Sanierung von Arztpraxen im Wege der Freigabe erheblich erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht. – Ebenso als Mittel der Kreditsicherung von Bedeutung ist die Sicherungsabtretung des Anspruchs auf Rückgewähr einer Grundschuld (s. hierzu und zur Absonderungskraft der Vormerkung nach § 1179a BGB auch unter Rz. 142a ff.). Eine solche Sicherungsabtretung kann indes nur dann ein Recht auf abgesonderte Befriedigung im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Abtretenden begründen, wenn eine Revalutierung der Grundschuld ohne Zustimmung des Abtretungsempfängers nicht oder nicht mehr in Anspruch kommt7. Denn der Sicherungswert ist trotz Abtretung nicht endgültig ausgeschieden, solange der Sicherungsnehmer allein oder im Einvernehmen mit dem Sicherungsgeber selbst oder dem Insolvenzverwalter über dessen Vermögen, etwa zur Besicherung eines Massekredits, die Grundschuld revalutieren kann, ohne dadurch den Inhalt des Rückgewähranspruchs zu verändern. Dieser Sicherungswert kann der Masse gem. § 91 Abs. 1 InsO nicht nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Begründung eines Absonderungsrechts mit Vollendung des Rechtserwerbs an dem abgetretenen Rückgewähranspruch entzogen werden.
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Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 25. Beiner/Luppe, NZI 2005, 15 ff. m. zahlr. w.N. OLG Karlsruhe v. 8.4.2005 – 14 U 200/03, ZIP 2005, 1248. BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 30/07, ZIP 2008, 183; BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 165/05, ZIP 2008, 372 m. Anm. Kuder, ZIP 2008, 289. 5 Vgl. hierzu ausführlich Blum, ZInsO 2007, 528 ff. und Runkel/Kuhlemann, ZInsO 2007, 1094; im Sinne der Entscheidung des BGH v. 29.11.2007: LG Bielefeld v. 7.8.2007 – 6 O 167/07, ZIP 2007, 1764 ff. m. Anm. Freudenberg, EWiR 2008, 57; vgl. auch Jacoby, ZIP 2008, 385 ff. 6 BGH v. 18.4.2013 – IX ZR 165/12, ZIP 2013, 1181. 7 BGH v. 10.11.2011 – IX ZR 142/10, ZIP 2011, 2364.
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Absonderungsfragen
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Rz. 177b
§7
Hinweis:
176h
Eine insolvenzfeste Rechtsposition für den Abtretungsempfänger des Rückgewähranspruchs besteht insbesondere (erst) dann, wenn eine Grundschuld nur eine bestimmte Verbindlichkeit sichert und diese vor Insolvenzeröffnung vollständig getilgt ist. Bei weitem Sicherungszweck ist der Abtretungsempfänger einer Grundschuld dieser Schwäche seines Rückgewähranspruchs ausgesetzt, dem trotz seiner Entstehung noch die auflösende Rechtsbedingung einer Revalutierung der Grundschuld durch Sicherungsgeber und Sicherungsnehmer anhaftet1. Die Abtretung künftiger Forderungen hat über die Globalzession hinaus Bedeutung 176i im Fall der Vorausabtretung von Lohnansprüchen aus Arbeitsverhältnissen. Dieses Mittel der Kreditsicherung – insbesondere im Bereich von Verbraucherkrediten – hat deshalb eine große praktische Bedeutung, weil die Abtretung von künftigen Gehaltsansprüchen vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zum Ablauf von 2 Jahren nach dem Ende des Monats vor Verfahrenseröffnung wirksam und insolvenzfest bleibt. Im Rahmen ihres Anwendungsbereichs verdrängt die Vorschrift des § 114 Abs. 1 InsO diejenige des § 91 Abs. 1 InsO2. Dies gilt auch für solche Ansprüche aus einem Dienstverhältnis, das erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingegangen ist3. Mit Inkrafttreten des so genannten Verkürzungsgesetzes zum 1.7.2014 ist die Regelung des § 114 InsO indes ersatzlos entfallen4. (2) Sicherungsabtretung im Rahmen von Kautionsversicherungsverträgen Ansprüche von Kautionsversicherern in der Insolvenz des Versicherungsnehmers 177 sind Gegenstand einer Reihe höchstrichterlicher Entscheidungen5. Im Vordergrund steht eine Entscheidung des BGH, wonach Prämienansprüche – für die Zeit nach Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Versicherungsnehmers – vom Kautionsversicherer nicht insolvenzfest vereinbart oder gesichert werden können6. Kautionsversicherer lassen sich regelmäßig zur Sicherung der Ansprüche aus dem 177a Kautionsversicherungsvertrag Festgeldguthaben abtreten. Als Geschäftsbesorgungsverträge erlöschen Kautionsversicherungsverträge gemäß § 116 InsO mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Versicherungsnehmers. Prämienansprüche nach Verfahrenseröffnung sind mit Rücksicht auf § 91 InsO nur dann abgesichert, wenn sie von der erwähnten Sicherungsabtretung erfasst sind. Dies wäre aber nur dann der Fall, wenn die Prämienansprüche bereits vor Verfahrenseröffnung begründet worden wären. Dies aber – so der BGH – sei nicht der Fall und lasse sich auch nicht durch analoge Anwendung des § 41 InsO rechtfertigen7. Für die Kautionsversicherungspraxis ist diese Rechtsprechung ein immenses Pro- 177b blem. Das OLG Dresden hatte seinerzeit versucht, einen Weg zur insolvenzfesten Absicherung aufzuzeigen, indem es als den durch die Abtretung gesicherten Anspruch nicht den Prämienanspruch des Versicherers, sondern dessen Regressanspruch nach § 774 BGB ansieht. Denn dieser sei nach höchstrichterlicher Rechtsprechung8 bereits mit der Bürgschaftsübernahme entstanden und stehe lediglich unter der für § 91 InsO unschädlichen aufschiebenden Bedingung der Befriedigung des Gläubigers 1 2 3 4 5
BGH v. 10.11.2011 – IX ZR 142/10, ZIP 2011, 2364. BGH v. 11.5.2006 – IX ZR 247/03, ZIP 2006, 1254 f. BGH v. 20.9.2012 – IX ZR 208/11, ZIP 2012, 2358 ff. BT-Drucks. 17/13535. BGH v. 24.6.2010 – IX ZR 199/09, ZIP 2010, 1453; BGH v. 18.11.2010 – IX ZR 17/10, ZIP 2011, 282; BGH v. 6.7.2006 – IX ZR 121/05, ZIP 2006, 1781; BGH v. 18.1.2007 – IX ZR 202/05, ZIP 2007, 543; OLG Dresden v. 11.1.2007 – 13 U 2119/05, EWiR 2007, 309 (nicht rechtskräftig) m. Anm. Stahlschmidt, EWiR 2007, 309. 6 BGH v. 6.7.2006 – IX ZR 121/05, ZIP 2006, 1781; BGH v. 18.1.2007 – IX ZR 202/05, ZIP 2007, 543. 7 BGH v. 6.7.2006 – IX ZR 121/05, ZIP 2006, 1781. 8 BGH v. 6.11.1989 – II ZR 62/89, ZIP 1990, 53.
Drees/Schmidt
511
§7
Rz. 177c
Beratung des gesicherten Glubigers
durch den Bürgen1. Folglich sei eine insolvenzfeste Absicherung gewährleistet. In dem zum Zeitpunkt der Vorauflage noch anhängigen Revisionsverfahren hat der BGH die Rechtsprechung des OLG Dresden bestätigt und dem Kautionsversicherer bei Inanspruchnahme aus einer von ihm erteilten Bürgschaft in der Insolvenz des Versicherungsnehmers ein Absonderungsrecht an einem ihm vor Insolvenzeröffnung sicherungshalber abgetretenen Festgeldguthaben auch dann zugestanden, wenn er den gesicherten Anspruch erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erworben hat2. 177c Nach der Rechtsprechung des BGH sind Bankavalverträge in der Insolvenz des Avalkreditnehmers nicht anders zu behandeln als Kautionsversicherungsverträge3. Die sich aus dem als Geschäftsbesorgungsvertrag ergebenden Ansprüche erlöschen hiernach gem. §§ 116 S. 1, 115 I InsO mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens für die Zukunft ohne Einschränkung. (3) Abtretung von Ansprüchen aus Lebensversicherungsverträgen 178 Neben der Globalzession hat sich die Abtretung von Ansprüchen aus Lebensversicherungsverträgen in der Kreditsicherungspraxis als probates Sicherungsmittel etabliert. Nicht anders als bei der Globalzession (Rz. 176) gilt bei entsprechender Besicherung in erster Linie der Wirksamkeit der Sicherheitenbestellung das Hauptaugenmerk. Hierbei sind insbesondere folgende Gesichtspunkte zu bedenken: – Es entspricht bankvertraglicher Praxis, sich zur Kreditfinanzierung Ansprüche aus Lebensversicherungen sicherungshalber abtreten zu lassen. Wie bei der rechtsgeschäftlichen Verpfändung solcher Ansprüche (Rz. 159) ist die Anzeige der Abtretung bei der Versicherung gemäß § 11 ALB Wirksamkeitsvoraussetzung. – Eine Abtretung scheidet per se aus, wenn einem Dritten an den Leistungen aus dem Versicherungsvertrag ein unwiderrufliches Bezugsrecht eingeräumt worden ist. Hat sich der Versicherungsnehmer nicht vorbehalten, unter bestimmten Voraussetzungen den Anspruch aus der Versicherung selbst geltend zu machen, geht eine Sicherungsabtretung ins Leere und ein Absonderungsrecht kann nicht entstehen (vgl. oben Rz. 159)4. – Ist eine Lebensversicherung mit einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung verbunden, so besteht eine rechtliche Unsicherheit darüber, ob die Ansprüche aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung oder das Recht zur Kündigung der Lebensversicherung abgetreten werden können bzw. gemäß § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO unpfändbar sind. Das OLG Hamm erkennt die Unpfändbarkeit entsprechender Ansprüche gemäß § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO an und verneint daher die Abtretbarkeit, § 400 BGB5. Sind in einer Sicherungsabtretung gleichwohl alle Rechte aus dem Versicherungsvertrag abgetreten worden, so könne die Übertragung der Forderungen aus dem Lebensversicherungsvertrag nach § 139 BGB wirksam sein. Aus der Einheit von Hauptversicherung und Berufsunfähigkeitszusatzversicherung könne nicht ohne weiteres auf die Gesamtnichtigkeit der Abtretungsvereinbarung geschlossen werden6. Anders das OLG Hamburg. Es ordnet in einem jüngeren Urteil die Ablaufleistungen von Lebensversicherungsverträgen mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung vollumfänglich der Masse zu7. Die Befreiung von der Beitragszahlungspflicht „für die Hauptversicherung“ (Lebensversicherung) sei nach
1 OLG Dresden v. 11.1.2007 – 13 U 2119/05, EWiR 2007, 309 m. Anm. Stahlschmidt, EWiR 2007, 309. 2 BGH v. 13.3.2008 – IX ZR 14/07, NZI 2008, 371. 3 BGH v. 6.10.2011 – IX ZR 153/09, ZIP 2011, 2163 unter Verweis auf BGH v. 6.7.2006 – IX ZR 121/05, ZIP 2006, 1781 und BGH v. 24.6.2010 – IX ZR 199/09, ZIP 2010, 1453 und BGH v. 18.11.2010 – IX ZR 17/10, ZIP 2011, 282. 4 OLG Frankfurt v. 10.5.2006 – 23 U 113/05, ZInsO 2006, 997 (998). 5 OLG Hamm v. 16.3.2006 – 27 U 118/05, ZInsO 2006, 878 ff. 6 OLG Hamm v. 16.3.2006 – 27 U 118/05, ZInsO 2006, 878 ff.; OLG Köln v. 25.3.1996 – 5 U 148/95, VersR 1998, 222; a.A. OLG Jena v. 19.5.2000 – 5 W 129/00, VersR 2000, 1005. 7 OLG Hamburg v. 27.3.2012 – 8 U 11/11, ZInsO 2012, 978 ff.
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Absonderungsfragen
Rz. 178c
§7
§ 1 Abs. 1a) der Besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherungen zwar ebenso eine Versicherungsleistung wie die Berufsunfähigkeitsrente und beide Leistungen setzten eine mindestens 50 %ige Berufsunfähigkeit voraus. Die Versicherungsleistung der Beitragsfreistellung stehe jedoch selbstständig neben der in § 1 Abs. 1b) der Besonderen Bedingungen geregelten Versicherungsleistung der – anerkanntermaßen von § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO erfassten – Berufsunfähigkeitsrente. Die Anwendung des § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die Beitragsbefreiung der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung komme daher nicht in Betracht. Sowohl die Kapitalabfindung als auch die seit Insolvenzeröffnung eingetretene Wertsteigerung seien daher Bestandteil der Insolvenzmasse1. – Außerhalb eines Insolvenzverfahrens würde im Sicherungsfall der Sicherungsnehmer die Lebensversicherung kündigen und den Rückkaufswert vereinnahmen, sobald Verwertungsreife vorliegt2. – Kommt es zu einem Insolvenzverfahren über das Vermögen des Versicherungsnehmers, so steht das Verwertungsrecht hinsichtlich solcher sicherungszedierter Ansprüche gemäß § 166 Abs. 2 InsO dem Insolvenzverwalter zu. Aus dem Einziehungsrecht folgt der Anspruch auf die Kostenpauschalen gemäß §§ 170, 171 InsO (siehe hierzu ausführlich unten Rz. 317 ff.). Anders verhält es sich dann, wenn ein Schuldner nach Sicherungsabtretung und Forderungspfändung schon vor der Insolvenzeröffnung in Gänze nicht mehr über die sich aus dem Lebensversicherungsvertrag ergebenden Ansprüche verfügen kann. Dann hat der zur Kündigung berechtigende Pfändungsgläubiger an dem aufschiebend bedingten Anspruch auf den Rückkaufswert eine gesicherte Rechtsposition erlangt, die einem Erwerb durch die Masse und Verwertung durch den Insolvenzverwalter entgegensteht3. Komplizierter ist die Rechtslage, wenn der Versicherungsnehmer (Insolvenzschuld- 178a ner) lediglich die im Todesfall bestehenden Ansprüche zur Sicherheit abgetreten hat4. Der Versicherungsnehmer kann im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit über seine Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag verfügen5; auf dieser Grundlage beschränken Versicherungsnehmer eine Abtretung aus den genannten Gründen oftmals auf Ansprüche „für den Todesfall“. In Fällen solcher inhaltlich beschränkten Abtretungserklärungen ist in der Insolvenz 178b des Versicherungsnehmers regelmäßig die Berechtigung zur Einziehung des Rückkaufswerts streitbefangen: Steht sie dem Insolvenzverwalter oder dem Zessionar zu? Entscheidend ist, ob die Abtretung die Ansprüche auf den Rückkaufswert mit- 178c umfasst. Tut sie es, so besteht das beschriebene (Rz. 159) Absonderungsrecht. Ergibt sich aus der Abtretungsurkunde, dass eine Abtretung des Rückkaufswertes nur mit Abtretung der Erlebensfallansprüche erfolgt, diese aber nicht erfolgt ist, steht der Rückkaufswert zweifelsohne der Insolvenzmasse in voller Höhe zu6. Kann der Abtretungsurkunde auch nach gebotener (ergänzender) Vertragsauslegung nicht eindeutig entnommen werden, ob die Ansprüche auf den Rückkaufswert mitabgetreten worden sind, gebühren diese dem Zessionar7. Denn aus § 176 Abs. 1 VVG ergibt sich,
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OLG Hamburg v. 27.3.2012 – 8 U 11/11, ZInsO 2012. 978 (981). Neufeld in Mohrbutter/Ringstmeier, S. 1587 f. BGH v. 26.1.2012 – IX ZR 191/10, ZIP 2012, 638. Dies ist aus steuerlichen Gründen in der Praxis der Kreditsicherung durchaus üblich. Nach § 10 Abs. 2 EStG greift das Abzugsverbot bei einem steuerschädlichen Finanzierungseinsatz von Lebensversicherungen ein, wenn die Versicherungsansprüche während ihrer Dauer im Erlebensfall der Tilgung oder Sicherung eines Darlehens dienen, dessen Finanzierungskosten Betriebsausgaben oder Werbungskosten sind. Ebenso wird die Steuerfreiheit der Erträge aus Lebensversicherung versagt (§ 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 4 EStG). Die Abtretung auch der Erlebensfallansprüche kann daher zu einer Nachversteuerung führen (§ 10 Abs. 5 Nr. 1 EStG). 5 OLG Hamburg v. 8.11.2007 – 9 U 123/07, ZIP 2008, 33 (34). 6 OLG Dresden v. 2.12.2004 – 13 U 1569/04, ZIP 2005, 631; OLG Düsseldorf v. 25.8.2006, ZInsO 2006, 1270. 7 BGH v. 13.6.2007, ZIP 2007, 1375; BGH v. 18.6.2003 – IV ZR 59/02, NJW 2003, 2679; OLG Celle v. 23.6.2005 – 16 W 54/05, ZInsO 2005, 890.
Drees/Schmidt
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§7
Rz. 179
Beratung des gesicherten Glubigers
dass der Anspruch auf den Rückkaufswert den Ansprüchen auf den Todesfall zuzuordnen ist, sofern sich eine Abweichung hiervon nicht ausdrücklich oder konkludent ergibt1. Dient die Beschränkung der Abtretung der Vermeidung steuerlicher Nachteile, geht der BGH davon aus, dass der Anspruch auf den Rückkaufswert nicht von der Abtretung erfasst ist2. In einer neuer Entscheidung betont der BGH, dass es ausdrücklich keine generelle Zuordnung des Anspruchs auf den Rückkaufswert zu dem (abgetretenen) Anspruch auf die Versicherungsleistung im Todesfall gebe; entscheidend sei allein der durch Auslegung zu ermittelnde Handlungswille des Versicherungsnehmers. Bleibe beispielsweise das Kündigungsrecht, so spreche dies dafür, dass der Anspruch auf den Rückkaufswert beim Versicherungsnehmer verbleiben solle3. cc) Verlängerter und erweiterter Eigentumsvorbehalt 179 Der Sicherungsübereignung in ihren insolvenzrechtlichen Auswirkungen gleichzusetzen sind die Verlängerungsformen des Eigentumsvorbehalts. Während der einfache Eigentumsvorbehalt den Vorbehaltsverkäufer zur Aussonderung der Vorbehaltsware berechtigt (vgl. hierzu Rz. 29 ff.), begründen die Verlängerungs- und Erweiterungsformen des Eigentumsvorbehalts nur ein Absonderungsrecht zu, sobald der Verlängerungs- oder Erweiterungsfall eingetreten ist4. Solange also – die ursprüngliche Kaufpreisforderung noch offen und – der Käufer noch im Besitz der unverarbeiteten Sache ist, kann der Verkäufer in der Insolvenz des Vorbehaltskäufers sein Eigentum aussondern. Erst mit Eintritt des „Erweiterungsfalls“ wandelt sich das Recht des Verkäufers auf Aussonderung in ein Recht auf Absonderung um. Ab diesem Zeitpunkt kommt dem vereinbarten Eigentumsvorbehalt wirtschaftlich nur noch die Funktion eines Pfandrechts zu. 179a Beim verlängerten Eigentumsvorbehalt erstreckt sich die Sicherung des Verkäufers auch auf künftige Vermögenswerte, die an die Stelle der unter Eigentumsvorbehalt verkauften Sache treten. Der Verkäufer und der Schuldner vereinbaren für den Fall des Erlöschens des Vorbehaltseigentums, z.B. durch Verbindung, Vermischung oder gestattete Weiterveräußerung, die Sicherung des Anspruchs durch die neue Sache bzw. die daraus entstehende Forderung anstelle des bedingt verkauften Gegenstands. Dies geschieht in der Regel durch die Vereinbarung einer sog. Verarbeitungsklausel. Vom einfachen Eigentumsvorbehalt unterscheidet sich der verlängerte daher dadurch, dass an die Stelle der gelieferten Sache eine andere Sache bzw. eine Forderung quasi als Ersatzsicherheit tritt. 179b Bereits nach früherem Konkursrecht wurde der Lieferant aufgrund seines verlängerten Eigentumsvorbehalts nicht als Aussonderungsberechtigter, sondern als zur Absonderung Berechtigter betrachtet5. Dies beruhte darauf, dass der Verkäufer die entstandene Sache bzw. Forderung nicht behalten, sondern sie lediglich zu Sicherungszwecken nutzen will. Es liegt praktisch ein Fall der antizipierten Sicherungszession vor, die dem Verkäufer nunmehr nach § 51 Nr. 1 InsO ein Absonderungsrecht gewährt. 179c
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Hinweis: Ausschlaggebend ist mithin auch hier die im Vordergrund stehende Sicherungsfunktion des verlängerten Eigentumsvorbehalts, die den Berechtigten nach § 51 Nr. 1 InsO nur noch zur Absonderung, sprich zur Vorabbefriedigung aus dem Verwertungserlös berechtigt.
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OLG Celle v. 23.6.2005 – 16 W 54/05, ZInsO 2005, 890. BGH v. 13.6.2007, ZIP 2007, 1375. BGH v. 26.1.2012 – IX ZR 67/09, NZI 2012, 667; Ganter, NZI 2013, 209 (214). Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 47 Rz. 21, § 51 Rz. 12 f.; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 51 Rz. 23 ff. 5 BGH v. 9.12.1970 – VIII ZR 52/69, WM 1971, 71; Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 48 Rz. 24a.
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Absonderungsfragen
Rz. 183
§7
Der erweiterte Eigentumsvorbehalt, der in verschiedenen Formen auftreten kann, 179d dehnt den Eigentumsvorbehalt über die Bedingung der Kaufpreiszahlung hinaus auf anderweitige Kaufverträge und Forderungen aus. D.h., dass das vorbehaltene Eigentum nicht bereits mit Bezahlung des auf die Sache bezogenen Kaufpreises, sondern erst nach Begleichung weiterer Verbindlichkeiten auf den Käufer übergehen soll. Der Eigentumsvorbehalt wird mithin auf alle gegenwärtigen und zukünftigen Forderungen aus der Geschäftsbeziehung erstreckt, bis diese beglichen worden sind (Saldooder Kontokorrentvorbehalt)1. Insolvenzrechtlich sind auch hier die folgenden zwei Situationen zu unterscheiden: 179e – Hat der Käufer im Insolvenzfall die Kaufpreisforderung noch nicht vollständig beglichen, so liegt noch der Fall des einfachen Eigentumsvorbehalts vor, der dem Verkäufer ein Aussonderungsrecht an der unter Vorbehalt veräußerten Sache zubilligt. – Ist hingegen die ursprüngliche Kaufpreisforderung bereits erloschen und die Bedingung nur deshalb noch nicht eingetreten, weil noch weitere offene Forderungen nicht getilgt wurden, so dient der Kaufgegenstand jenseits des einfachen Eigentumsvorbehalts als Sicherungsgut für eine mit ihm nicht in unmittelbarem Zusammenhang stehende, vertragsfremde Forderung. Damit handelt es sich im wirtschaftlichen Sinne nunmehr um Sicherungseigentum des Verkäufers. Aufgrund seines Sicherungszwecks kommt diesem erweiterten Eigentumsvorbehalt ebenfalls nur absondernde Kraft zu2 (zur Stellung des Vorbehaltsverkäufers bzw. -käufers in der Insolvenz vgl. im Übrigen § 8 Rz. 144 ff.). e) Widerrufliches Bezugsrecht an Leistungen aus Lebensversicherungsverträgen Durch die Einräumung eines lediglich widerruflichen Bezugsrechts hat der Bezugs- 180 berechtigte bis zum Eintritt des Versorgungsfalls weder einen Anspruch aus einem Versicherungsvertrag (§ 166 Abs. 2 VVG) noch eine sonstige gesicherte Rechtsposition erworben3. Der Bezugsberechtigte besitzt lediglich eine mehr oder weniger starke tatsächliche Aussicht auf den Erwerb eines zukünftigen Anspruchs und erhält erst mit Eintritt des Versicherungsfalls einen rechtlich gesicherten Anspruch. Der Versicherungsnehmer kann die Bezugsberechtigung bis zum Eintritt des Versicherungsfalls auf sich oder Dritte umleiten. In der Insolvenz des Versicherungsnehmers steht dieses Widerrufsrecht dem Insol- 181 venzverwalter zu. Hiervon macht er durch Zahlungsbegehren auf den Rückkaufswert Gebrauch mit der Konsequenz, dass der Rückkaufswert in die Insolvenzmasse fällt4. Es bedarf weder eines ausdrücklichen Widerrufs5 noch einer ausdrücklichen Kündigungserklärung. Mit Eintritt des Versicherungsfalls wird das widerrufliche Bezugsrecht unwiderruf- 182 lich. Allerdings vermag dies nicht den Erwerb eines Absonderungsrechts zu begründen, da mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Erwerbsverbot gemäß § 91 InsO greift, so dass auch bei Eintritt des Versicherungsfalls während des Insolvenzverfahrens der Anspruch auf den Rückkaufswert in die Insolvenzmasse fällt6. f) Pfändungspfandrechte, Zwangssicherungshypotheken und Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse Das Pfändungspfandrecht entsteht gemäß § 804 ZPO durch Pfändung aus zivilrecht- 183 lichen oder öffentlich-rechtlichen vollstreckbaren Titeln. An beweglichen Sachen erfolgt die Pfändung nach den §§ 808 ff. ZPO, an Forderungen und anderen Vermö-
1 Vgl. hierzu Weidenkaff in Palandt, BGB, § 449 Rz. 19; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 14 f. 2 Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 51 Rz. 15; vgl. auch BT-Drucks. 12/2443, S. 125. 3 BGH v. 22.3.1984 – IX ZR 69/83, WM 1984, 817 (818). 4 BGH v. 7.4.2005 – IX ZR 138/04, ZIP 2005, 909 ff. 5 LG Hamburg v. 7.1.2005 – 303 O 31/04, ZInsO 2005, 725 f. 6 Neufeld in Mohrbutter/Ringstmeier, S. 1575.
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§7
Rz. 183a
Beratung des gesicherten Glubigers
gensrechten nach den §§ 828 ff. ZPO. Soweit ein Gegenstand zum Zwecke der Befriedigung eines Gläubigers der Verfügungsbefugnis des Schuldners entzogen und sichergestellt wurde, erwirbt der Gläubiger an diesem Gegenstand nach § 804 ZPO ein Pfändungspfandrecht, welches dem rechtsgeschäftlichen Pfandrecht des § 50 Abs. 1 1. Alt. InsO nach § 804 Abs. 2 ZPO gleichgestellt ist. 183a Die Beschlagnahme eines Gegenstandes nach § 111c StPO begründet nur ein relatives Veräußerungsverbot (§ 111c Abs. 5 STPO) und hat im eröffneten Insolvenzverfahren keine Wirkung (§ 80 Abs. 1 InsO); die nachfolgende Vollstreckung durch den Verletzten kann daher in der Insolvenz des Täters kein Absonderungsrecht im Rang der Beschlagnahme gemäß § 111g Abs. 3 StPO begründen1. Der dingliche Arrest nach § 111d StPO begründet ein absolutes Veräußerungsverbot und damit ein Absonderungsrecht, wenn er zugunsten der öffentlichen Hand angeordnet wird; wird er als Maßnahme der Rückgewinnungshilfe angeordnet, entsteht nur ein relatives Verfügungsverbot und somit kein Absonderungsrecht2. 183b Bei unzulässiger Überpfändung darf nicht vorschnell die Absonderungskraft verneint werden; vielmehr ist denkbar, dass das Pfändungspfandrecht nur teilunwirksam ist. Lediglich in diesem Umfang scheiden Absonderungsrechte aus3. 184 Da während des Insolvenzverfahrens nach § 89 InsO Vollstreckungsmaßnahmen nicht mehr zulässig sind, muss das Pfandrecht durch eine Vollstreckungsmaßnahme vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirksam entstanden sein4. Damit müssen zur wirksamen Entstehung des Pfändungspfandrechts bzw. Absonderungsrechts auch der Pfändungsbeschluss und die Titelzustellung vor dem Veräußerungsverbot bewirkt worden sein. Lediglich beim Arrestpfandrecht kann die Zustellung des Arrestbefehls gemäß § 929 Abs. 3 ZPO auch nach der Verfahrenseröffnung nachgeholt werden5. 185 Zusätzlich muss die Rückschlagsperre des § 88 InsO beachtet werden. Hiernach sind im Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Sicherungen unwirksam, wenn sie innerhalb des letzten Monats vor dem Insolvenzantrag erlangt worden sind. Entsprechende Vollstreckungsgläubiger sind daher nur dann insolvenzfest gesichert, wenn das Pfändungspfandrecht spätestens einen Monat vor der Antragstellung zur Entstehung gelangt ist6. 185a
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Hinweise zur Bedeutung der Rückschlagsperre für Absonderungsberechtigte: – Bei der Pfändung künftiger Forderungen muss die Entstehung des Pfändungspfandrechts besonders kritisch geprüft werden. Denn das Pfandrecht entsteht nicht bereits mit der Zustellung der Pfändungsverfügung an den Drittschuldner, sondern erst mit der späteren Entstehung der Forderung7. Das Pfändungspfandrecht als Sicherung i.S.d. § 88 InsO ist daher erst dann erlangt, wenn die Forderung entsteht. Liegt dieser Zeitpunkt im letzten Monat vor dem Insolvenzantrag, ist die Sicherung nicht insolvenzfest; sie wird mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens ipso iure unwirksam8. Entsteht die gepfän-
1 BGH v. 24.5.2007 – IX ZR 41/05, ZIP 2007, 1338. 2 Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 50 Rz. 15a; OLG Frankfurt v. 3.6.2009 – 3 Ws 214/09, ZInsO 2009, 1446. 3 BGH v. 24.3.2011 – IX ZB 217/08, NZI 2011, 365. 4 BGH v. 26.1.2012 – IX ZR 191/10, NZI 2012, 319 (320); Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 50 Rz. 42; MünchKommInsO/Ganter, § 50 Rz. 76 f.; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 50 Rz. 35. 5 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 50 Rz. 42; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 50 Rz. 35. 6 Zu § 88 InsO vgl. die lehrreiche Entscheidung des LG Leipzig v. 15.12.2004 – 1 S 5075/04, ZInsO 2005, 833. Vgl. weiter Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 50 Rz. 42; MünchKommInsO/Ganter, § 50 Rz. 66; Thietz-Bartram/Spilger, ZInsO 2005, 858. 7 BGH v. 26.1.2012 – IX ZR 191/10, NZI 2012, 319. 8 BGH v. 12.4.2005 – VII R 7/03, ZInsO 2005, 888 (889 f.).
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Absonderungsfragen
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§7
dete Forderung erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, kann der Pfandgläubiger daran gemäß § 91 Abs. 1 InsO grundsätzlich zu Lasten der Masse kein Pfandrecht erwerben. Die Regelung des § 91 Abs. 1 InsO schont jedoch solche Erwerbsanwärter, die an dem Erwerbsgegenstand bereits eine gesicherte Rechtsstellung erworben haben. Dann ist die Pfändung insolvenzfest. Dies ist unter anderem dann der Fall, wenn der Schuldner schon vor Insolvenzeröffnung nicht mehr über den betreffenden Vermögensgegenstand in Gänze verfügen kann1. Bei der Pfändung künftiger Lohnansprüche des Schuldners umfasst die insolvenzrechtliche Rückschlagsperre diejenigen Ansprüche, die in der beschriebenen kritischen Zeit vor Verfahrenseröffnung entstehen, nicht jedoch Lohnansprüche, die im Monat des Insolvenzantrages und ggf. im Folgemonat entstehen2. Ein vergleichbares Problem stellt sich für den Beginn der Monatsfrist bei einer Sicherungshypothek mit Grundbucheintragung. Das LG Bonn meint, die Frist des § 88 InsO beginne erst mit der Grundbucheintragung und nicht bereits mit dem Eingang eines beanstandungsfreien Eintragungsantrags beim Grundbuchamt3. Erst mit Grundbucheintragung sei die Sicherung im Sinne des § 88 InsO erlangt. Einem früheren Zeitpunkt stehe das Fehlen einer § 140 Abs. 2 InsO vergleichbaren Regelung entgegen. Auch eine entsprechende Anwendung des § 932 Abs. 3 ZPO sei nicht zu rechtfertigen4. Für den grundbuchverfahrensrechtlichen Nachweis, dass die Eintragung des von der Rückschlagsperre erfassten Rechts innerhalb der Frist des § 88 InsO erfolgt ist, reicht es für den Fall, dass zwischen der Eintragung der Vormerkung und der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mehr als ein Monat liegt, nicht aus, dass in den Gründen des Eröffnungsbeschlusses des Insolvenzgerichts der Zeitpunkt des Eingangs desjenigen Antrags genannt wird, auf dessen Grundlage das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist5. Gleiches gilt für eine Bescheinigung des Insolvenzgerichts über den Zeitpunkt des Eingangs des Antrags6. In den Fällen des § 139 InsO ist es mithin – wenn auch wenig praktikabel – erforderlich, dass der Insolvenzverwalter den (vermeintlich) dinglich Berechtigten auf Erteilung der Löschungsbewilligung in Anspruch nehmen muss, und zwar auch dann, wenn – ggf. offensichtlich – die Eintragung von der Rückschlagsperre erfasst ist7. Zwangsvollstreckungsmaßnahmen innerhalb der Sperrfrist des § 88 InsO werden durch die Verfahrenseröffnung ipso iure unwirksam, d.h. die Verstrickung endet automatisch; einer weiteren Aufhebung durch den Gerichtsvollzieher bedarf die Vollstreckungsmaßnahme nicht8. Bereits gepfändete Sachen sind dem Verwalter zur Verwertung nach den §§ 166 ff. InsO herauszugeben9. Für die Sicherungshypothek hatten Rechtsprechung und h.M. bislang angenommen, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 88 InsO eine Eigentümergrundschuld entstehe. Inzwischen hat sich der BGH10 gegen diese entsprechende Anwendung des § 868 ZPO ausgesprochen und geht vom Er-
1 BGH v. 26.1.2012 – IX ZR 191/10, NZI 2012, 319 ff.; Ganter, NZI 2013, 209 (214). 2 OLG Nürnberg v. 17.9.2013 – 4 U 1719/13, ZInsO 2014, 157. 3 LG Bonn v. 2.12.2003 – 4 T 519/03, ZIP 2004, 1374 (1375). Zum Streitstand Kayser in HK-InsO, § 88 Rz. 17, 28 ff. 4 LG Bonn v. 2.12.2003 – 4 T 519/03, ZIP 2004, 1374 (1375) m. Anm. Gerhardt, EWiR 2004, 861 f. 5 OLG Hamm v. 21.8.2013 – 15 W 392/12, ZInsO 2014, 150. 6 BGH v. 12.7.2012 – V ZB 219/11, FGPrax 2012, 234. 7 OLG Hamm v. 21.8.2013 – 15 W 392/12, ZInsO 2014, 150. 8 BGH v. 12.4.2005 – VII R 7/03, ZInsO 2005, 888 (889 f.); Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 50 Rz. 45; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 50 Rz. 36. 9 Smid/Leonhardt in Leonhard/Smid/Zeuner, InsO, § 50 Rz. 9. 10 BGH v. 19.1.2006 – IX ZB 232/04, ZInsO 2006, 261 ff.
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§7
Rz. 186
Beratung des gesicherten Glubigers
löschen einer von der Rückschlagsperre erfassten Sicherungshypothek und deren Wiederaufleben nach Freigabe des Grundbesitzes (nachstehend) aus1. – Schwierig ist die Rechtslage, wenn der Gegenstand, an dem die § 88 InsO zuwiderlaufende Sicherheit erlangt wurde, nach Verfahrenseröffnung im Wege der Freigabe wieder herausgegeben wird. Dann stellt sich die Frage, ob die Sicherung dann weiterhin unwirksam bleibt oder ob sie nach Herausgabe des Vermögensgegenstandes aus der Insolvenzmasse wieder auflebt. Das LG Leipzig hat sich im Fall der Sicherungshypothek für letzteres und damit gegen eine absolute – vom Ausgang des Verfahrens unabhängige – Unwirksamkeit entschieden. Nach Zulassung der Revision hat der BGH dieses Ergebnis entgegen der h.M.2 bestätigt und sich dafür ausgesprochen, eine Sicherungshypothek nach Freigabe wieder aufleben zu lassen3. Künftig wird lebhaft darüber gestritten werden, ob sich diese Rechtsprechung über die Sicherungshypothek hinaus auch auf Pfändungspfandrechte anwenden lässt4. 186 Der Vorpfändung nach § 845 ZPO allein kommt keine Absonderungskraft zu; vielmehr muss noch vor Verfahrenseröffnung unter Berücksichtigung des § 88 InsO die Pfändung bewirkt werden5. Auch anfechtungsrechtlich kommt es auf die Hauptpfändung an. Wird die Vorpfändung früher als drei Monate vor dem Insolvenzantrag ausgebracht, fällt die Hauptpfändung aber in den von § 131 InsO erfassten Bereich, richtet sich die Anfechtung insgesamt nach § 131 InsO6. 187 Soweit der Gläubiger schuldnerfremde Sachen gepfändet hat, kann er das Pfändungspfandrecht entsprechend § 185 Abs. 2 BGB nur durch einen Eigentumserwerb des Schuldners an der gepfändeten Sache erlangen. Dieser muss zur wirksamen Entstehung des Absonderungsrechts aber ebenfalls noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen, da später die §§ 81, 91 InsO den Rechtserwerb zu Lasten der Masse hindern. 188 Das Pfändungspfandrecht erlischt, wenn die Verstrickung endet, sprich mit der Verwertung oder Aufhebung der Pfändung durch ein Vollstreckungsorgan. Soweit die Zwangsvollstreckung gemäß § 766 ZPO für unzulässig erklärt wird, ist seine Aufhebung nicht mehr erforderlich. 189 Eine Pfändung und Überweisung an Zahlungs Statt nach § 835 ZPO begründet hingegen ein Recht zur Aussonderung, da der Schuldner gemäß § 835 Abs. 2 ZPO nicht mehr Inhaber der Forderung ist. g) Zurückbehaltungsrechte aa) Zurückbehaltungsrechte wegen nützlicher Verwendungen 190 Den Inhabern von Zurückbehaltungsrechten aufgrund nützlicher Verwendungen, die sie in Bezug auf die zurückbehaltene Sache aufgebracht haben, steht ein Absonderungsrecht nach § 51 Nr. 2 InsO zu7. Zur Absonderung berechtigt ist der Inhaber des Zurückbehaltungsrechts. Voraussetzung für die insolvenzrechtliche Anerkennung des Zurückbehaltungsrechts als Absonderungsrecht ist, dass
1 Zu den hiermit verbundenen Risiken für den Insolvenzverwalter bei sofortiger Löschung der Zwangssicherungshypothek vgl. Alff/Hintzen, ZInsO 2006, 481 ff. Zu dem vergleichbaren Wiederaufleben von Sicherheiten nach erfolgter Insolvenzanfechtung vgl. Heidbrink, NZI 2005, 363 ff. 2 Vgl. statt vieler MünchKommInsO/Breuer, § 88 Rz. 23; Kayser in HK-InsO, § 88 Rz. 36. 3 BGH v. 19.1.2006 – IX ZB 22/04, ZInsO 2006, 261 ff. Strikt dagegen Thietz-Bartram/Spilger, ZInsO 2005, 858 ff. Ebenso kritisch Alff/Hintzen, ZInsO 2006, 481 ff. unter Hinweis auf die praktischen Probleme bei der Umsetzung dieser Entscheidung. 4 Hierzu Alff/Hintzen, ZInsO 2006, 481 (483). 5 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 50 Rz. 42; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 50 Rz. 35; Smid/Leonhardt in Leonhard/Smid/Zeuner, InsO, § 50 Rz. 9. 6 BGH v. 23.3.2006 – IX ZR 116/03, ZInsO 2006, 553 (554). 7 Vgl. hierzu Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 33; MünchKommInsO/Ganter, § 51 Rz. 10.
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Absonderungsfragen
Rz. 195
§7
– sich dieses auf eine bewegliche Sache1 bezieht, – der Berechtigte den Besitz an der zurückzubehaltenden Sache vor der Verfahrenseröffnung erlangt hat und – dieser Besitz bis zur Geltendmachung des Rechts noch fortbesteht2. Soweit das Zurückbehaltungsrecht auf einer der Sache zugeführten Werterhöhung 190a beruht, muss diese sowohl im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens als auch noch im Zeitpunkt der Realisierung des Absonderungsrechts im Verfahren gegeben sein3. Das Zurückbehaltungsrecht wegen nützlicher Verwendungen kommt nur in den ge- 191 setzlich normierten Fällen zum Zuge. Dem Zurückbehaltungsrecht aus § 273 BGB kommt für sich genommen als persönliches Recht keine Absonderungskraft zu, es wird mit Verfahrenseröffnung hinfällig4. Es ist ein Zwangsmittel zur Durchsetzung einer persönlichen Forderung und daher nicht mit dem Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger vereinbar5. Ebenfalls führt ein vertraglich vereinbartes Zurückbehaltungsrecht nicht zu einem Absonderungsrecht nach § 51 Nr. 2 InsO6.
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Hinweis: 192 Einem Steuerberater steht z.B. kein Zurückbehaltungsrecht an den von ihm erstellten Buchhaltungsunterlagen oder DATEV-Konten im Hinblick auf seine Honoraransprüche zu7. Ebenfalls steht dem Rechtsanwalt kein Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich seiner Handakten zu, auch diese sind dem Insolvenzverwalter herauszugeben8. Der Insolvenzverwalter kann die Herausgabe per einstweiliger Verfügung verlangen.
Im Einzelnen ist ein Zurückbehaltungsrecht nach § 51 Nr. 2 InsO anzunehmen, wenn 193 das Zurückbehaltungsrecht gerade darauf beruht, dass der Gläubiger Verwendungen zugunsten der Sache vorgenommen hat und diese Verwendungen oder die aus ihnen resultierenden Forderungen den noch vorhandenen Vorteil nicht übersteigen. Die einzelnen Verwendungsansprüche wurden im BGB ausdrücklich normiert. Vornehmlich handelt es sich um die Ansprüche auf Verwendungsersatz entsprechend der §§ 994 ff. i.V.m. 1000 BGB. Des Weiteren kommen auch die Verwendungsansprüche gemäß der Vorschriften §§ 102, 292, 304, 347 Abs. 2, 459, 601 Abs. 2, 670, 675, 683, 693, 850, 972, 1049, 1057, 1216, 2022 BGB in Betracht9.
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Hinweis: Alle genannten Verwendungsansprüche sind ausschließlich auf bewegliche Sachen bezogen. Für Verwendungen auf Immobilien findet die Regelung des § 51 Nr. 2 InsO keine Anwendung; die Vorschrift des § 49 InsO trifft insoweit eine abschließende Regelung10.
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Die Höhe des Anspruchs auf abgesonderte Befriedigung ist begrenzt auf den Vorteil, sprich die Werterhöhung, die zum Zeitpunkt der Verwertung – nicht zum Zeitpunkt
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1 Dass Verwendungen auf ein Grundstück nicht zur abgesonderten Befriedigung nach § 51 Nr. 2 InsO berechtigen, hat der V. Zivilsenat des BGH in Übereinstimmung mit dem IX. Senat inzwischen mehrfach klargestellt. Vgl. hierzu BGH v. 23.5.2003 – V ZR 279/02, ZIP 2003, 1406 m. Anm. Beutler, EWiR 2004, 351 f.; BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 457/99, ZIP 2002, 858. 2 Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 51 Rz. 65, 70; Lohmann in HK-InsO, § 51 Rz. 47. 3 Lohmann in HK-InsO, § 51 Rz. 46; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 35; Smid/Leonhardt in Leonhard/Smid/Zeuner, InsO, § 51 Rz. 29. 4 BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 457/99, WM 2002, 971 (973); vgl. auch Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 33 f. 5 BGH v. 23.5.2003 – V ZR 279/02, ZIP 2003, 1406. 6 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 34. 7 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 34; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 51 Rz. 73 m.w.N. 8 Hess, InsO, 1995, § 51 Rz. 33 m.w.N.; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 51 Rz. 72 m.w.N. 9 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 33. 10 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 33.
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§7
Rz. 196
Beratung des gesicherten Glubigers
der Eröffnung des Verfahrens – besteht1. Da sich die Sache im Besitz des Zurückbehaltenden befindet, steht diesem gemäß §§ 166 Abs. 1, 173 InsO ausnahmsweise ein Selbstverwertungsrecht zu2. bb) Kaufmännische Zurückbehaltungsrechte 196 Die in § 51 Nr. 3 InsO genannten kaufmännischen Zurückbehaltungsrechte an beweglichen Sachen berechtigen ebenfalls zur abgesonderten Befriedigung. Es handelt sich im Einzelnen um die Regelungen der §§ 369–372 HGB3. Diese sehen ein Zurückbehaltungsrecht für alle fälligen Forderungen zwischen Kaufleuten aus zwischen ihnen geschlossenen beiderseitigen Handelsgeschäften im Hinblick auf bewegliche Sachen und Wertpapiere vor4. 197
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Hinweis: Der frühere § 370 HGB, der das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht auch auf noch nicht fällige Forderungen erstreckte, wurde vom Gesetzgeber ersatzlos gestrichen.
198 Das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht des § 369 HGB ist nur ein persönliches Recht, dennoch gewährt es dem Gläubiger ein Recht zur Befriedigung nach den für das Vertragspfandrecht geltenden Bestimmungen (§§ 371 Abs. 2 HGB, 1228 ff. BGB)5. Steht einem Gläubiger im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung ein kaufmännisches Zurückbehaltungsrecht nach den Vorschriften der §§ 369 ff. HGB an beweglichen Sachen oder Wertpapieren wegen fälliger Forderungen aus einem beiderseitigen Handelsgeschäft zu, so kann dieser nach § 51 Nr. 3 InsO entsprechend den Inhabern zivilrechtlicher Zurückbehaltungsrechte aufgrund der Sicherungsfunktion ein Recht zur Absonderung entsprechend einem Pfandgläubiger geltend machen. Die Vorschrift § 51 Nr. 3 InsO stellt die kaufmännischen Zurückbehaltungsrechte insoweit den Pfandrechten gleich. Sie berechtigen ebenfalls nach §§ 166, 173 InsO zur Selbstverwertung6. h) Gemeinschaftsforderungen 199 Besteht zwischen dem Schuldner und Dritten eine Gemeinschaft nach Bruchteilen, eine andere Gemeinschaft (z.B. Erbengemeinschaft) oder eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, so erfolgt die Teilung oder Auseinandersetzung nach § 84 Abs. 1 Satz 1 InsO außerhalb des Insolvenzverfahrens. Damit ist jeder der Beteiligten zur Aussonderung seines eigenen Anteils berechtigt. 199a Wegen der Ansprüche aus dem Rechtsverhältnis, sprich aus dem Gemeinschaftsoder Gesellschaftsverhältnis gegenüber dem Insolvenzschuldner, kann jeder Mitberechtigte aus dem bei der Teilung ermittelten Anteil des Schuldners Berichtigung verlangen, wobei die Berichtigung nach § 84 Abs. 1 Satz 2 InsO im Wege der abgesonderten Befriedigung aus dem ermittelten Anteil beansprucht werden kann7. i) Zölle und Steuern 200 Soweit dem Bund, Ländern, Gemeinden oder Gemeindeverbänden zoll- und steuerpflichtige Sachen nach weiteren gesetzlichen Vorschriften als Sicherheit für die jeweiligen öffentlichen Abgaben dienen, räumt § 51 Nr. 4 InsO dem jeweiligen Fiskus ein Absonderungsrecht an den steuer- und zollpflichtigen Gegenständen hinsichtlich
1 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 35; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 51 Rz. 69. 2 Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 51 Rz. 74. 3 BGH v. 5.5.2011 – IX ZR 144/10, ZInsO 2011, 1463 (1464) zur Absonderungskraft des Zurückbehaltungsrechts nach § 371 Abs. 1 Satz 1 HGB und zum Verwertungsrecht des Kaufmanns. 4 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 37; MünchKommInsO/Ganter, § 51 Rz. 11. 5 Hess in Hess/Pape, InsO, 1995, Rz. 575. 6 Zu diesem Verwertungsrecht des Kaufmanns vgl. BGH v. 5.5.2011 – IX ZR 144/10, ZInsO 2011, 1463 f. 7 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 45.
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Absonderungsfragen
Rz. 203
§7
dieser öffentlichen Abgaben ein1. Die Steuergegenstände unterliegen dabei von Gesetzes wegen einer Sachhaftung zur Sicherung der Steuerschuld, welche ein öffentlich-rechtliches Pfandrecht an den steuerpflichtigen bzw. zollpflichtigen Waren und damit ein Absonderungsrecht an diesen begründet. Entsprechend der §§ 76 Abs. 2, 327 AO 1977 haften verbrauchssteuerpflichtige Erzeugnisse bereits ab Herstellung, zollpflichtige Waren ab Überschreitung der Zollgrenze für die auf ihnen lastende Steuer- oder Zollschuld2. Damit kommt den Steuer- und Zollgläubigern ein Recht zur Absonderung zu, wenn zur Sicherung der auf der Sache lastenden Steuer- oder Zollschuld ein öffentlich-rechtliches Pfandrecht an dieser Sache begründet wurde. Dieses Absonderungsrecht geht dabei allen anderen vor3. Zu den Steuer- und Zollgläubigern gehören die Bundesrepublik, die Länder sowie die 201 Kommunen wegen der auf Massegegenständen ruhenden Zölle und Verbrauchsteuern, deren Absonderungsberechtigung bereits vorinsolvenzlich aufgrund der materiellen Rechtslage entsteht. Umstritten war lange Zeit, ob die Beschlagnahme der Gegenstände zur Verwertung derselben bereits vor Verfahrenseröffnung erfolgen muss, oder ob eine Beschlagnahme auch noch nach Verfahrenseröffnung erfolgen kann. Mittlerweile besteht Einigkeit darüber, dass eine Beschlagnahme vor Verfahrenseröffnung nicht erforderlich ist4. Überblick – Absonderungsrechte – Immobiliarsicherheiten – Mobiliarpfandrechte – Rechtsgeschäftliche Pfandrechte – Gesetzliche Pfandrechte – Besitzlose Mobiliarsicherheiten – Sicherungsübereignung – Sicherungszession – Globalzession – Kautionsversicherungsverträge – Abtretung von Ansprüchen aus Lebensversicherungsverträgen – Verlängerter und erweiterter Eigentumsvorbehalt – Bezugsrechte an Ansprüchen aus Lebensversicherungen – Pfändungspfandrechte – Zurückbehaltungsrechte – Gemeinschaftsforderungen – Zölle und Steuern
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3. Realisierung der Absonderungsrechte a) Vor und während der Krise aa) Rechtslage Vor und während der Krise greifen noch keine insolvenzspezifischen Regelungen ein. 203 Bevor ein Insolvenzverfahren eröffnet oder im Antragsverfahren ein vorläufiger Verwalter eingesetzt wird, ist der gesicherte Gläubiger dazu berechtigt, bei Eintritt des Sicherungsfalls die Sicherheit selbst zu verwerten. Dem Sicherungsnehmer stehen die allgemeinen Regularien zur Verfügung, aufgrund derer er seine Sicherungsrechte geltend machen kann. Je nach Ausgestaltung und Inhalt der jeweiligen Sicherungsabrede bzw. der gesetzlichen Vorgaben, unter denen ein gesetzliches Sicherungsrecht steht, kann der erst im Insolvenzverfahren auf die Absonderung Verwiesene ver1 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 38; MünchKommInsO/Ganter, § 51 Rz. 244; Bähr/ Smid, InVo 2000, 401 f. 2 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 38. 3 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 38. 4 Thole in K. Schmidt, InsO, § 51 Rz. 32; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 38.
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§7
Rz. 204
Beratung des gesicherten Glubigers
suchen, seine Sicherheiten bereits vor oder während der Krise zu realisieren. Dies hat für ihn den entscheidenden Vorteil, dass ihm bis zum Eröffnungsverfahren noch ein eigenes Verwertungsrecht zukommt. D.h., soweit die Verwertungsvoraussetzungen – seien sie gesetzlich normiert oder im Einzelfall vertraglich vereinbart – erfüllt sind, kann der berechtigte Sicherungsnehmer seine Ansprüche gegenüber dem späteren Insolvenzschuldner geltend machen. Befindet sich das Sicherungsgut im Besitz des Sicherungsgebers, so kann der Sicherungsnehmer von diesem die Herausgabe verlangen. Soweit sich der Sicherungsgeber weigert, das Sicherungsgut herauszugeben, ist der Sicherungsnehmer auf den Rechtsweg verwiesen. 204
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Hinweis: Gegen den Willen des Sicherungsgebers kann der Gläubiger die Sache nicht an sich nehmen, insbesondere ist es ihm auch verwehrt, unter Berufung auf seine Rechtsstellung polizeiliche Hilfe in Anspruch zu nehmen1.
205 Im Einzelfall bietet sich auch eine Verwertungsvereinbarung zwischen den Parteien des Sicherungsvertrags dahingehend an, dass die Verwertung des Sicherungsgegenstandes dem Sicherungsgeber überlassen bleibt2. Durch den Verzicht auf das Recht zur Inbesitznahme geht der Gläubiger nicht seines Absonderungsrechts verlustig. Diese Alternative bietet sich insbesondere bei einer besseren Branchenkenntnis des Sicherungsgebers, aber auch bei der Gefahr an, dass allein der vorübergehende Besitz Haftungskonsequenzen beispielsweise im Bereich des Umweltrechts nach sich ziehen könnte. 206
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Hinweis: Solange dem Berechtigten noch das Verwertungsrecht zusteht und die Verwertung vor dem Insolvenzverfahren betrieben wird, kommen auch die Kostenregelungen der §§ 170 ff. InsO noch nicht zur Anwendung. Auch dies spricht für eine vorzeitige Verwertung vor oder während der Krise. Die Vielzahl der gerichtlichen Entscheidungen, in denen Insolvenzverwalter die Umgehung der Kostenbeiträge anzugreifen versuchten, zeigt die wirtschaftliche Bedeutung dieses Gedankens. Zu diesen Entscheidungen nachstehend unter Rz. 317 ff.
207 Sollte nach Abschluss der Verwertung ein Insolvenzverfahren eröffnet werden, braucht der Gläubiger die Anfechtung der Verrechnung der auf dem Kundenkonto eingehenden Erlöse mit dem debitorischen Saldo auch bei einer Verwertung durch den Sicherungsgeber nicht zu fürchten, da nur die Befriedigung von Insolvenzgläubigern der Anfechtung unterliegt, nicht hingegen von Absonderungsberechtigten, soweit die Mittel aus dem dinglichen Surrogat gewährt werden3. Zudem dürfte es auch an einer Gläubigerbenachteiligung fehlen4. Einen möglichen Ausfall kann der gesicherte Gläubiger in einem nachfolgenden Insolvenzverfahren anmelden. bb) Reaktionsmöglichkeiten 208 Die Sicherungsnehmer sind daher darauf bedacht, den Nachteilen und Einbußen, die sich für sie aus dem Übergang des Verwertungsrechts auf den Verwalter und vor allem aus den damit verbundenen obligatorischen Kostenbeiträgen ergeben (siehe nachstehend Rz. 210 und Rz. 317 ff.), durch geeignete Maßnahmen sowie konkret angepasste Vertragsgestaltungen zu begegnen. Dabei bieten sich prinzipiell mehrere Vermeidungsstrategien an: – Zum einen ist daran zu denken, durch rechtzeitige Herausnahme des Sicherungsguts dessen spätere Verwicklung in das Insolvenzverfahren gänzlich zu vermeiden.
1 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.232. 2 Vgl. hierzu näher Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.233 ff. 3 BGH v. 11.5.2000 – IX ZR 262/98, ZInsO 2000, 410; BGH v. 17.6.2004 – IX ZR 124/03, ZInsO 2004, 856; BGH v. 2.4.1998 – IX ZR 232/96, ZIP 1998, 830. 4 Rogge/Leptien in Hamburger Kommentar zur InsO, § 129 Rz. 55; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.236 f.
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Drees/Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 213
§7
– Zum anderen könnten die jeweiligen Vertragskonditionen den neuen Gegebenheiten angepasst werden, um auf diese Weise den durch die Massebeteiligung zu erwartenden Verlust zu kompensieren1. Die Sicherungsnehmer können sich im Fall einer absehbaren Krise bemühen, wieder 209 die Herrschaft über den Sicherungsgegenstand und damit auch über das Verwertungsverfahren zurückzuerlangen. Der für sie entscheidende Anknüpfungspunkt ist insoweit die Besitzlage an dem Sicherungsgegenstand zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, da das Verwertungsrecht im konkreten Einzelfall neben der Art der Sicherheit entscheidend von der Besitzlage zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung abhängt (vgl. ausführlich Rz. 239, 263 ff., 270). Nach § 166 InsO steht dem Insolvenzverwalter nur dann das Verwertungsrecht an 210 den mit Absonderungsrechten belasteten beweglichen Sachen zu, wenn er diese auch in seinem Besitz hat. Hat der Gläubiger hingegen bereits vor Einleitung des Insolvenzverfahrens, z.B. aufgrund von Liquiditätsproblemen des Sicherungsgebers, von seinem Sicherungsrecht Gebrauch gemacht und das Sicherungsgut zum Zwecke der Verwertung an sich gezogen, so kann er die Verwertung auch fortsetzen. Eine Rückgabepflicht an den Verwalter besteht nicht2. Da die InsO für die Fälle, in denen dem gesicherten Gläubiger von Anfang an das Verwertungsrecht zusteht, zudem keine Kostenpflicht des verwertenden Gläubigers vorsieht, entfällt diese bei frühzeitiger Herausnahme des Sicherungsgegenstandes aus dem Schuldnervermögen ebenfalls. Zu den Möglichkeiten einer Insolvenzanfechtung durch den späteren Insolvenzverwalter nachstehend unter Rz. 230d.
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Hinweis: 211 Gelingt es dem Sicherungsnehmer, den Sicherungsgegenstand vor der Verfahrenseröffnung aus dem schuldnerischen Vermögen zu lösen, so verhindert er dadurch eine spätere Verwicklung des Sicherungsguts in das Insolvenzverfahren und wird durch die rechtzeitige Herausnahme desselben nicht nur von den Kostenbeiträgen für Feststellung und Verwertung freigestellt, sondern vermeidet unter Vereinnahmung des Bruttoerlöses auch die Belastung mit der Umsatzsteuer3. Mithin stellt sich der Sicherungsnehmer (vordergründig) finanziell am besten, der das Sicherungsgut bereits vor Eröffnung des Verfahrens an sich gezogen hat4. Anders wäre dann zu urteilen, wenn das Sicherungsgut im Rahmen der wirtschaftlichen Einheit im Rahmen einer (Gesamt-)Verwertung Erlöse verspricht, die höher sind und die Belastung des Sicherungsnehmers mit den Kostenbeiträgen kompensieren.
Diese Konstellation bietet den absonderungsbefugten Gläubigern geradezu den An- 212 reiz, selbige zur Vermeidung und Umgehung der nachteiligen und einschränkenden Wirkungen der §§ 166 ff. InsO auszunutzen und vor Eröffnung des Verfahrens – und sei es noch im Antragsstadium – Zugriff auf den Sicherungsgegenstand zu nehmen. Das bedeutet andererseits aber auch, dass es schärfer als unter Geltung des Konkursrechts zu einem Wettlauf mit der Zeit kommt, da die gesicherten Gläubiger eher geneigt sind, das ihnen zur Sicherung übertragene Gut möglichst noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. dem Erlass eines allgemeinen Verfügungsverbots im Antragsverfahren herauszuverlangen oder selbst herauszuholen. Der zeitliche Wettlauf im Rahmen der sicherungshalber abgetretenen Forderungen wird zudem erhebliche praktische Verwirrungen auslösen. Die gesicherten Gläubiger 1 Entsprechende Versuche sind dem Risiko einer Insolvenzanfechtung ausgesetzt und zwar selbst bei Zustimmung durch einen vorläufigen Insolvenzverwalter. Vgl. hierzu BGH v. 15.12.2005 – IX ZR 156/04, ZInsO 2006, 208 ff. 2 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 166 Rz. 4 ff.; ursprünglich sahen die Entwürfe der InsO auf Anordnung des Insolvenzgerichts auch für diese Fälle eine Rückgabepflicht des Sicherungsgläubigers an den Insolvenzverwalter vor, wobei nach erfolgter Übergabe der Insolvenzverwalter zur Verwertung berechtigt sein sollte (vgl. § 188 DiskE – § 188 RefE – § 199 RegE). 3 Vgl. hierzu LG Stuttgart v. 24.2.2004 – 7 O 502/03, ZIP 2004, 1117 f. 4 Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2002, 530; zur Frage der Anfechtbarkeit der Besitzentziehung vor Insolvenzeröffnung vgl. Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2002, 20 ff.
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213
§7
Rz. 214
Beratung des gesicherten Glubigers
werden versuchen, ihre Forderungen noch vor Verfahrenseröffnung selbst einzuziehen, um sich dadurch das Verwertungsrecht zu erhalten und zudem die Kostenbeiträge im Sinne der §§ 170, 171 InsO zu ersparen. Da die begonnene Verwertung einer zur Sicherung abgetretenen Forderung von dem gesicherten Gläubiger allerdings anders als bei sicherungsübereigneten Sachen nach Verfahrenseröffnung nicht fortgesetzt werden darf, sondern das Recht zur weiteren Verwertung stets dem Verwalter zusteht, kann es in der Praxis zu einem mehrfachen Wechsel des Einziehenden kommen, was bei den Drittschuldnern zu erheblichen Verunsicherungen und damit zu einer herabgesetzten Zahlungsbereitschaft führen wird1. 214 In diesem Zusammenhang bestätigte sich die nach Einführung der InsO angestellte Überlegung, dass institutionelle Kreditgläubiger bestrebt sein werden, bestehende Kontrollsysteme zu verbessern, um dadurch der Insolvenzabwicklung effektiv zu entgehen oder zumindest die Negativeffekte durch Vorsorgemaßnahmen abzumildern2. Kreditgläubiger sind heute insbesondere über so genannte financial covenants in der Lage, finanzielle Schieflagen ihrer Kreditkunden frühzeitig aufzuspüren, um diese gegebenenfalls durch Gegenmaßnahmen zu korrigieren oder aber durch rechtzeitige Herausnahme des Sicherungsguts dessen spätere Verwicklung in das Insolvenzverfahren zu vermeiden. Dies geschieht aber keinesfalls allein, um noch vor Eintritt der Insolvenz Herausgabeansprüche durchzusetzen, sondern versteht sich auch als Versuch, einen sanierungswürdigen und sanierungsfähigen Unternehmenskern durch Einflussnahme auf die operativen Entscheidungen zu retten und Liquiditätsprobleme rechtzeitig zu erkennen. 214a
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Hinweis für institutionelle Gläubiger und deren Berater: Der Wunsch nach verbesserten Kontroll- und damit verbundenen Einflussmöglichkeiten hat aber auch eine Kehrseite, und die heißt Finanzierungsfolgenverantwortung aufgrund gesellschafterähnlicher Stellung. Ausgehend von der sogenannten Pfandrechtsgläubigerentscheidung des BGH3 wird im Schrifttum eine rege Diskussion geführt, unter welchen Voraussetzungen (financial covenants/ Installierung eines interim managers) der Anwendungsbereich des § 135 InsO eröffnet ist, mit der Konsequenz, dass das zugrundeliegende Darlehen eigenkapitalersetzend sein könnte.
215 Ob sich die anfängliche Befürchtung, dass der Wert der Sicherheiten, die der Kunde vereinbarungsgemäß zu stellen verpflichtet ist, unter Berücksichtigung der obligatorisch anfallenden Kostenbeiträge neu zu berechnen ist, lässt sich nur schwer analysieren. Dass absonderungsberechtigte Gläubiger die wirtschaftliche Last dieser Beiträge spüren, zeigt sich schon an den in der Rechtsprechung nachzuzeichnenden Versuchen (Rz. 230d), entsprechende Beiträge zu umgehen. Von daher ist davon auszugehen, dass die Kostenbeiträge als Kostenfaktoren in die Sicherheitenberechnung mit einfließen4. b) Im vorläufigen Insolvenzverfahren 216 Nach der Stellung eines Insolvenzantrags hängt die Position des gesicherten Gläubigers entscheidend davon ab, ob und welche vorläufigen Maßnahmen das Gericht für den Zeitraum bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens angeordnet hat (§ 21 InsO). Denkbar sind insbesondere
1 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.324; Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 166 Rz. 8. 2 Eckardt, ZIP 1999, 1734 (1735); vgl. auch allgemein Cluse/Kalhoff/Peukert, Die Bank 2001, 112 ff. 3 Weitergehend hierzu K. Schmidt in Scholz, GmbHG, §§ 32a, 32b Rz. 139 a.F. da durch MoMiG von 2008 aufgehoben; Roth/Altmeppen, GmbHG, § 32a Rz. 181. 4 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 170 Rz. 2 f.; Breutigam in Berliner Praxiskommentar, Insolvenzrecht, § 170 Rz. 2; Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 170 Rz. 2; Bales, BKR 2003, 572 (578).
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Absonderungsfragen
Rz. 218b
§7
– vorläufige Insolvenzverwaltung ohne Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (vgl. nachstehend Rz. 217 ff.), d.h. Bestellung eines so genannten schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters (ausführlich hierzu § 14 Rz. 36 ff.) oder – vorläufige Insolvenzverwaltung mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (vgl. nachstehend Rz. 230 ff.), d.h. Bestellung eines so genannten starken vorläufigen Insolvenzverwalters (ausführlich zu dessen Rechtsstellung § 14 Rz. 11 ff.) Nach Inkrafttreten des ESUG können die nach Antragstellung denkbaren Entschei- 216a dungen nicht auf die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters, die Erteilung eines Gutachtenauftrages oder aber die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen reduziert werden. Durch die Stärkung der Eigenverwaltung und die Einführung des Schutzschirmverfahrens ist nunmehr auch eine vorläufige Sachwaltung denkbar. Eine solche wird in den entsprechenden Verfahrensarten der §§ 270a und 270b InsO anstelle der vorläufigen Insolvenzverwaltung angeordnet, sofern die Voraussetzung hierfür vorliegen. Die Rechtsstellung des vorläufigen Sachwalters richtet sich nach den Befugnissen des bereits vor Einführung des ESUG bekannten Sachwalters (§§ 274, 275 InsO). Da es sich bei der vorläufigen Sachwaltung indes nur um Spielarten des Insolvenzeröffnungsverfahrens handelt, gibt es keine grundsätzlichen Auswirkungen auf die Rechtsposition gesicherter Gläubiger. Insbesondere im Fall des Schutzschirmverfahrens sind Unterschiede denkbar, wenn der Beschluss nach § 270b Abs. 1 InsO keine Sicherungsmaßnahmen vorsieht. Zu den Einzelheiten vgl. § 12. aa) Vorläufige Verwaltung ohne Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis1 Soweit seitens des Gerichts keine Sicherungsmaßnahmen angeordnet wurden (blo- 217 ßer Sachverständigenauftrag, vgl. § 6 Rz. 69), können Gläubiger ihre Sicherheiten nach Maßgabe der Sicherungsverträge verwerten. Der Gläubiger kann daher noch jederzeit, auch während des Eröffnungsverfahrens, die Herausgabe des Sicherungsgegenstandes verlangen und durchsetzen. Entsprechendes gilt grundsätzlich, wenn das Gericht zwar einen vorläufigen Insol- 218 venzverwalter bestellt, hingegen aber keine Verfügungsbeschränkungen anordnet bzw. Zwangsvollstreckungsmaßnahmen untersagt (hierzu nachstehend Rz. 219). Dem vorläufigen Verwalter kommt in erster Linie die Aufgabe zu, – die künftige Insolvenzmasse zu sichern, – das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes zu überprüfen und – festzustellen, ob für eine Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausreichend Masse vorhanden ist2. Er kann den Schuldner – vorbehaltlich einer Anordnung nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO – aber nicht daran hindern, Sicherungsgut, das für die Betriebsfortführung entbehrlich ist, an den Sicherungsnehmer zum Zwecke der Verwertung herauszugeben. Dem vorläufigen Verwalter ohne Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis steht insbesondere kein eigenes Verwertungsrecht zu3. Die Bestellung eines solchen schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters ist der praktische Regelfall (ausführlich hierzu und zu der Möglichkeit einer Einzelermächtigung4 § 14 Rz. 75 ff.).
218a
Vergleichbar ist die Rechtslage bei der Anordnung der vorläufigen Sachwaltung auf- 218b grund beantragter Eigenverwaltung (§ 270a InsO) bzw. eines Antrags auf Durchführung eines Schutzschirmverfahrens (§ 270b InsO). Die Eingriffsintensität bezüglich der Sicherungsrechte von Gläubigern wird sich mangels Verfügungsbeschränkungen an den Überwachungsrechten der §§ 274 f. InsO und etwaigen individuell beantragten und angeordneten Sicherungsmaßnahmen ausrichten.
1 Zu dieser vgl. ausführlich § 13 Rz. 36 ff. 2 BT-Drucks. 12/2443, S. 117. 3 BGH v. 22.2.2007 – IX ZR 2/06, NZI 2007, 338 m. Anm. Gundlach/Frenzel, NZI 2007, 340; Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 166 Rz. 22. 4 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, ZIP 2002, 1625 ff.
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§7
Rz. 219
Beratung des gesicherten Glubigers
219 Außerhalb der Eigenverwaltungsverfahren wird das Gericht die Bestellung eines solchen schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters regelmäßig mit der Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts sowie der Untersagung oder einstweiligen Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in das bewegliche Vermögen verbinden (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 und 3 InsO). Hinzugetreten ist durch das Änderungsgesetz zur InsO vom 1.7.2007 in § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO die Möglichkeit der Anordnung eines Verwertungsstopps hinsichtlich solcher Gegenstände, die im Fall der Eröffnung von § 166 InsO erfasst wären oder deren Aussonderung verlangt werden könnte. Die rechtlichen Rahmenbedingungen, die tatbestandlichen Voraussetzungen und die Rechtsfolgen sind für Aus- und Absonderungsrechte identisch. Die Ausführungen unter den Rz. 31 ff. zu den Aussonderungsrechten, gelten insoweit auch für die Abwehr von Absonderungsrechten im Eröffnungsverfahren. Über diese Verwertungssperre hinaus sind die Auswirkungen des Zustimmungsvorbehalts sowie des Vollstreckungsverbots auf die Durchsetzung von Immobiliarsicherheiten auf der einen (Rz. 230) und Mobiliarsicherungsrechten auf der anderen Seite (Rz. 223) von praktischer Bedeutung: (1) Immobiliarsicherheiten 220 Die Verwertung von Grundpfandrechten, für die das Gesetz die Möglichkeiten der Zwangsversteigerung und der Zwangsverwaltung vorsieht, wird durch die Anordnung vorläufiger Sicherungsmaßnahmen seitens des Gerichts im Antragsverfahren nicht automatisch unterbrochen. Von dem Ausnahmefall des lediglich für persönliche Gläubiger bedeutsamen § 88 InsO abgesehen (siehe hierzu oben Rz. 183 ff.), spielt es für die Wirksamkeit einer Beschlagnahme keine Rolle, ob bereits ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt wurde oder nicht. Soweit § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO die Untersagung oder einstweilige Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen während des Eröffnungsverfahrens durch das Insolvenzgericht vorsieht, betrifft dies nur Mobilien. Unbewegliche Gegenstände sind von solchen Sicherungsmaßnahmen ausdrücklich ausgenommen. 220a Entscheidend ist, dass das Grundpfandrecht zivilrechtlich wirksam bestellt worden ist. Hat sich der Schuldner beispielsweise in notarieller Urkunde mit einem Gläubiger dinglich über die Bestellung einer Grundschuld an einem noch nicht eingetragenen Erbbaurecht, dessen Bestellung der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Grundstückseigentümers bedarf, geeinigt und den Eintragungsantrag gestellt, so ist dies ausreichend1. Die Anordnung des Zustimmungsvorbehalts hindert nicht mehr den Eintritt des Verfügungserfolges2. Die Vorschrift des § 91 InsO gilt erst ab Verfahrenseröffnung. Im Insolvenzeröffnungsverfahren ist sie auch nicht entsprechend anwendbar. Auch §§ 81 Abs. 1 Satz 1, 24 InsO stehen dem Verfügungserfolg nicht entgegen, sofern zum Zeitpunkt der Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung die dingliche Einigung erfolgt und der Eintragungsantrag gestellt ist und lediglich die erforderliche Eintragung noch aussteht. Nach der Eröffnung sichern die §§ 91 Abs. 2 InsO, 878 BGB diesen Schutz. 221 Allerdings steht dem Insolvenzverwalter das Recht zu, unter den Voraussetzungen der Neuregelung des § 30d Abs. 4 ZVG die einstweilige Einstellung einer angeordneten oder bereits laufenden Zwangsversteigerung – nicht hingegen der Zwangsverwaltung – bereits im Eröffnungsverfahren zu beantragen, soweit er die niedergelegten Einstellungsgründe glaubhaft macht3. Dem Antrag ist stattzugeben, wenn der Insolvenzverwalter glaubhaft macht, dass die einstweilige Einstellung zur Verhütung nachteiliger Änderungen in der Vermögenslage des Schuldners erforderlich ist (§ 30d Abs. 4 ZVG). Die Einstellung wird sodann mit der Auflage angeordnet, dass dem betreibenden Gläubiger für die Zeit nach dem Berichtstermin, spätestens jedoch nach Ablauf von drei Monaten seit der ersten Einstellung, laufend die geschuldeten Zinsen aus der Masse zu zahlen sind (§ 30e Abs. 1 Satz 2 ZVG)4. 1 2 3 4
Ganter, NZI 2013, 209 (212). BGH v. 26.4.2012 – IX ZR 136/11, NZI 2012, 614. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 18; Tetzlaff, ZInsO 2004, 521. Zur Höhe der geschuldeten Zinsen vgl. Tetzlaff, ZInsO 2004, 521 f. m.w.N.
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Absonderungsfragen
Rz. 224a
§7
Wird die Zwangsversteigerung eines Grundstücks vor der Eröffnung des Insolvenz- 222 verfahrens abgeschlossen – unabhängig von dem Zeitpunkt der Erlösverteilung – entfällt der Kostenbeitrag des gesicherten Gläubiger nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG für das mithaftende Grundstückszubehör, da diese gesetzliche Vorschrift einen Abzug ausdrücklich nur für das eröffnete Verfahren und nicht für das Antragsverfahren vorsieht1. Zu welchem Zeitpunkt letztlich die Erlösverteilung erfolgt, ist unerheblich, da der Wortlaut des Gesetzes auf den Zeitpunkt der Versteigerung als solche abstellt und nicht auf den Abschluss des Zwangsversteigerungsverfahrens insgesamt. Während § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO auf unbewegliche Gegenstände nicht anwendbar ist, 222a erscheint indes die Anordnung nach dieser Bestimmung denkbar, Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen in ein im Ausland belegenes Seeschiff zu unterlassen2. (2) Mobiliarsicherheiten Die Gläubiger solcher Sicherheiten sind hingegen unmittelbar von dem angeord- 223 neten Zwangsvollstreckungsverbot erfasst. Die einstweilige Einstellung von Maßnahmen der Zwangsvollstreckung zielt gerade auf die Herausgabevollstreckung aus- und absonderungsberechtigter Gläubiger. Auch wenn der Schuldner verwaltungs- und verfügungsbefugt bleibt, ist dieser nicht 224 mehr zur selbständigen Herausgabe sicherungsübereigneter Gegenstände oder sonstigen, noch in seinem Besitz befindlichen Absonderungsguts an den Sicherungsnehmer befugt3. Der vorläufige Verwalter wird seine Zustimmung zur Herausgabe in der Regel verweigern, wenn die Gegenstände noch für die Fortführung des Betriebs benötigt werden, er die derzeitige Rechtslage noch nicht überprüft hat, oder der betreffende Gegenstand in sonstiger Weise im Sinne einer effektiven Verfahrensgestaltung für das weitere Verfahren noch von Bedeutung sein könnte4. Mit Rücksicht auf die Betriebsfortführungspflicht (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO) des vorläufigen Insolvenzverwalters und das im eröffneten Insolvenzverfahren bestehende Verwertungsrecht wird man sogar sagen müssen, dass der vorläufige Insolvenzverwalter der Herausgabe solcher Gegenstände gar nicht zustimmen darf5. Auf diese Weise werden die Betriebsmittel, die für die Fortführung des Unternehmens von Bedeutung sind, entsprechend der Gesetzesintention in dem technisch-organisatorischen Verbund des insolventen Schuldnerunternehmens belassen, was die Möglichkeit einer Sanierung oder späteren Gesamtveräußerung erhöht. Das Eröffnungsverfahren spielt im Rahmen dieser Aufgabe, die Insolvenzmasse bis zur Verfahrenseröffnung zusammenzuhalten und die Gläubigerschaft nicht bereits durch faktisches Handeln zu präjudizieren, die entscheidende Rolle. Hierfür ist es unerlässlich, dass auch die mit Absonderungsrechten belasteten Gegenstände des beweglichen Anlage- und Umlaufvermögens, vornehmlich wenn sie zur Betriebsfortführung benötigt werden, im Betrieb des Schuldners verbleiben. Zur rechtlichen Absicherung dient vorläufigen Insolvenzverwaltern die Anordnung 224a eines Verwertungsstopps gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO. Die Kraft der gerichtlichen Anordnung könnte die Einbeziehung des Sicherungsguts in die Betriebsfortführung erleichtern. „Geschenkt“ bekommt der vorläufige Insolvenzverwalter diese Anordnung indes nicht. Zum einen muss er die erhebliche Bedeutung dieser Gegenstände für die Betriebsfortführung darlegen. Zum anderen gelten gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5
1 Kraemer/Vogelsang, Handbuch zur Insolvenz, Kapitel 16 Rz. 40. 2 LG Bremen v. 14.8.2011 – 2 T 435/11, ZIP 2012, 1189. 3 Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 17b. Insoweit falsch die Entscheidung des OLG Naumburg v. 27.5.2009, NZI 2009, 685. Das OLG Naumburg hat den Schuldner zur Herausgabe von Leasinggut ermächtigt, ohne dass es hierfür der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters bedürfe. Da diese keine Anordnung nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO erwirkt habe, sei eine Herausgabe ohne Zustimmung möglich. 4 OLG Celle v. 11.12.2002 – 2 W 91/02, ZIP 2003, 87 (88 f.). 5 BGH v. 6.4.2000 – IX ZR 422/98, ZIP 2000, 895; Uhlenbruck, Kölner Schrift zur InsO, S. 325 ff. Rz. 12; Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 41; Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2001, 119 (122).
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Rz. 225
Beratung des gesicherten Glubigers
Satz 1 2. Hs. InsO die Regelungen des § 169 Satz 2 und 3 InsO entsprechend (zu diesen vgl. Rz. 297)1. 225 Trotz der Möglichkeit der Anordnung des § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO bleibt der Umstand der Unternehmensfortführung nicht nur wegen der tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Norm („zur Fortführung des Unternehmens“, vgl. hierzu oben Rz. 31 ff.) entscheidend. So hat der BGH eine entsprechende gerichtliche Anordnung für Forderungen außerhalb des laufenden Geschäftsbetriebs nur unter der Voraussetzung zugelassen, wenn die Verjährung oder Uneinbringlichkeit der Forderung droht2. 226 Weiter stellt sich die Frage, ob über die beschriebene Möglichkeit, Gegenstände im Rahmen der Betriebsfortführung nutzen zu dürfen, dem vorläufigen Insolvenzverwalter in bestimmten Grenzen Verwertungshandlungen gestattet sind3. Im Grundsatz steht dem vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt kein Verwertungsrecht zu4. Die in § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO geregelte Fortführungspflicht des vorläufigen Insolvenzverwalters steht daher in einem gewissen Spannungsverhältnis zur Sicherungs- und Erhaltungspflicht nach § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO (hierzu § 6 Rz. 82 f.). 226a Im Sinne einer effektiven Verfahrensgestaltung muss dem vorläufigen Insolvenzverwalter über die ihm auferlegte Sicherungs- und Erhaltungspflicht hinaus das Recht zuerkannt werden, mit dem Sicherungsgut – insbesondere dem Vorratsvermögen – zu arbeiten. Dabei wird es im Rahmen der Betriebsfortführung zwangsläufig zu Verwertungshandlungen an dem Umlaufvermögen kommen, z.B. indem er mit erweiterten Eigentumsvorbehaltsrechten belastete Ware weiterveräußert oder fertig gestellte Produkte verkauft5. Diese Verwertungsmaßnahmen stellen sich als Bestandteil der insgesamt massesichernden Betriebsfortführung dar und verwirklichen die von dem Schuldner vorgegebene Zweckrichtung des Unternehmens. Diesem praktischen Bedürfnis allein mit Verwertungsvereinbarungen zu begegnen, greift zu kurz. Für sicherungszedierte Forderungen kann sich der vorläufige Insolvenzverwalter gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 Satz 3 InsO gerichtlicher Hilfe bedienen. Für bewegliche Gegenstände wird dies mit Rücksicht auf die Gesetzesfassung nicht möglich sein6. Aber auch in diesem Bereich sind – über Verwertungsvereinbarungen hinaus – ausnahmsweise Verwertungsmaßnahmen denkbar, wenn etwa das schuldnerische Unternehmen stillgelegt wird und die Masse bei verzögerter Verwertung mit weiteren Kosten belastet würde. 226b Die Rechtsprechung des BGH geht sogar soweit, dass ein „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter gegenüber dem Absonderungsberechtigten verpflichtet sein kann, der freihändigen Veräußerung durch den Schuldner zuzustimmen. Voraussetzung hierfür ist, dass bei einer freihändigen Veräußerung ein höherer Erlös als bei einer Versteigerung zu erwarten ist. Fehlt es an der Mitwirkung des Schuldners, weitet der BGH das Pflichtenprogramm des „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalters dahingehend aus, den Verkauf mit Hilfe einer bei dem Insolvenzgericht zu erwirkenden Einzelanordnung durchzusetzen. Voraussetzung ist auch hier, dass es sich bei dem freihändigen Verkauf um eine besonders günstige, sich nach Verfahrenseröffnung voraussichtlich nicht mehr bietende Veräußerungsgelegenheit handelt7. 227 Dem vorläufigen Insolvenzverwalter die Verwertungsbefugnis zu versagen, heißt jedoch nicht, dass der Sicherungsgläubiger im Eröffnungsverfahren uneingeschränkt verwerten darf. Während unter Geltung der KO die Sicherungsgläubiger häufig bereits aufgrund der Regelungen in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen dazu be1 Ausführlich Kuder, ZIP 2007, 1690 ff. Vgl. weiter Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 166 Rz. 23. 2 BGH v. 15.3.2012 – IX ZR 249/09, ZInsO 2012, 693. 3 Ausführlich hierzu Szalai, ZInsO 2009, 1177 (1184). 4 BGH v. 22.2.2007 – IX ZR 2/06, NZI 2007, 338 m. Anm. Gundlach/Frenzel, NZI 2007, 340. 5 BGH v. 14.12.2000 – IX ZB 105/00, ZIP 2001, 296 (299); MünchKommInsO/Haarmeyer, § 22 Rz. 77. 6 Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 166 Rz. 22. 7 BGH v. 5.5.2011 – IX ZR 144/10, ZIP 2011, 1419.
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Drees/Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 228c
§7
rechtigt waren, Sicherungsgut zum Zwecke der Verwertung aus der Masse zu nehmen (vgl. auch § 127 KO), sieht § 166 Abs. 1 InsO vor, dass die Verwertungsbefugnis bezüglich der Mobilien, an denen ein Absonderungsrecht besteht, im eröffneten Verfahren bei dem Insolvenzverwalter liegt, wenn er diese in seinem Besitz hat. Ebenfalls obliegt ihm nach § 166 Abs. 2 InsO die Einziehung oder sonstige Verwertung von Forderungen, die der Schuldner zur Sicherung eines Anspruchs abgetreten hat1. Dem Sicherungsgläubiger kann im Eröffnungsverfahren daher nicht das Recht zukommen, Mobiliarsicherheiten ohne die Zustimmung des vorläufigen Verwalters zu verwerten2. Für die Einziehung sicherungszedierter Forderungen ergibt sich eine Verwertungs- 228 befugnis des vorläufigen Insolvenzverwalters auch nicht aus dem regelmäßig angeordneten Verbot an die Drittschuldner, an die Schuldnerin zu leisten, oder aus der Ermächtigung, Forderungen der Schuldnerin einzuziehen sowie eingehende Gelder entgegenzunehmen (§ 23 Abs. 1 Satz 3 InsO). Diese Anordnung regelt allein die Empfangszuständigkeit zwischen Schuldner und vorläufigem Insolvenzverwalter gegenüber Drittschuldnern, nicht hingegen eine etwaige Rechtsbeziehung des Schuldners zu Sicherungsnehmern3. Eine Ermächtigung hätte vom Insolvenzgericht ausdrücklich angeordnet werden müssen, was auch schon vor Einführung des § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO möglich war (§ 21 Abs. 2 InsO) und den vorläufigen Insolvenzverwalter konsequenterweise analog § 170 Abs. 1 Satz InsO zur Erlösauskehr verpflichtet hätte4. An dieser Stelle bleibt abzuwarten, inwieweit sich vorläufige Insolvenzverwalter künf- 228a tig gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 Satz 3 InsO ermächtigen lassen werden, um nicht zuletzt auf diesem Wege die Anwendbarkeit der §§ 170, 171 InsO zu ermöglichen. Mit Einführung dieser Vorschrift besteht nunmehr die ausdrückliche Möglichkeit, sich ermächtigen zu lassen, um nicht zuletzt auf diesem Wege die Anwendbarkeit der §§ 170, 171 InsO zu ermöglichen. Diese gerichtliche Ermächtigung ist insbesondere dann von Interesse, wenn der Abschluss einer für notwendig erachteten Verwertungsvereinbarung5 nicht gelingt. Abzulehnen ist die Entscheidung des AG Hamburg6, nach Maßgabe derer eine An- 228b ordnung nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO nie in Betracht komme im Zusammenhang mit der Einziehung sicherungszedierter Forderungen durch den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter. Das AG Hamburg begründet dies damit, dass die entsprechenden (Absonderungs-)Erlöse stets vom vorläufigen Verwalter zu separieren seien und vor diesem Hintergrund nie zur Betriebsfortführung genutzt werden könnten. Insoweit fehle es an der erheblichen Bedeutung für die Fortführung7. Nicht selten gelingt erst durch die Drohung mit einer solchen ergänzenden Anordnung eine Verwertungsvereinbarung, die auch vom AG Hamburg als probates Mittel angesehen wird. Ausgehend von der grundsätzlichen Möglichkeit einer Anordnung nach § 21 Abs. 2 228c Nr. 5 InsO stellt sich die Frage nach den Anforderungen an die Bestimmtheit bezüglich der Forderungen, hinsichtlich derer die Einziehungsermächtigung auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übertragen werden soll. Nach einer begrüßenswerten Entscheidung des AG Hamburg vom 30.9.2011 bedarf es für die Übertragung der Einziehung sicherungszedierter Forderungen nicht in der Weise der Individualisierung, dass die von der Anordnung betroffenen Forderungen im Einzelnen aufgelistet werden müssen. Es sind keine schützenswerte Belange der betroffenen Gläubiger erkennbar, die eine solche Individualisierung erfordern.
1 BGH v. 22.2.2007 – IX ZR 2/06, NZI 2007, 338 m. Anm. Gundlach/Frenzel, NZI 2007, 340, Ganter, ZInsO 2007, 841 (842 f.) und Voß, EWiR 2007, 499. 2 Offen gelassen vom BGH in seinen Entscheidungen v. 8.3.2007 – IX ZR 127/05, ZIP 2007, 924 ff. und v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739 f. 3 BGH v. 22.2.2007 – IX ZR 2/06, NZI 2007, 338. 4 BGH v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739 (742). 5 Ausführlich zu solchen im Allgemeinen und bei Sicherungszessionen im Besonderen Mitlehner, ZIP 2012, 649 (656). 6 AG Hamburg v. 2.5.2011 – 67g IN 62/11, ZIP 2011, 1279 f. 7 AG Hamburg v. 2.5.2011 – 67g IN 62/11, ZIP 2011, 1279 f.
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§7
Rz. 228d
Beratung des gesicherten Glubigers
228d Zieht der vorläufige Insolvenzverwalter eine zur Sicherung eines Anspruchs abgetretene Forderung anstelle des Gläubigers ein, so gelten §§ 170, 171 InsO entsprechend. Der Verwertungserlös ist – nach Abzug der Kostenbeiträge – unverzüglich auszukehren (§§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Satz 3, 170 Abs. 1 Satz 2 InsO). Der vorläufige Insolvenzverwalter darf ihn ausdrücklich nicht zur Finanzierung des Eröffnungsverfahrens einsetzen1. 228e Unklar ist, inwieweit die entsprechende Anwendung der Kostenbeiträge auf die Einziehung zedierter Forderungen beschränkt ist2. Der Wortlaut lässt dies vermuten und dürfte angesichts seiner Klarheit mutmaßlich der Annahme einer planwidrigen Regelungslücke entgegenstehen3. Vorläufige Insolvenzverwalter werden daher gut beraten sein, diese Regelung im Wege von Verwertungsvereinbarungen auszuweiten auf die Verwertung anderweitiger Vermögensgegenstände (z.B. Warenveräußerung). 229 Zahlen Drittschuldner gutgläubig an den vorläufigen Insolvenzverwalter, ist die von diesem veranlasste Einziehung der Forderung wirksam (§ 407 Abs. 1 BGB) und der vorläufige Insolvenzverwalter zur Herausgabe verpflichtet entweder aus § 816 Abs. 2 BGB oder nach Verfahrenseröffnung analog § 48 InsO4. bb) Vorläufige Verwaltung mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis 230 Während die Anordnung eines Zwangsvollstreckungsverbots als Sicherungsmaßnahme üblich ist, wird das Gericht ein allgemeines Verfügungsverbot lediglich ausnahmsweise anordnen (starker vorläufiger Insolvenzverwalter). Einen Überblick über die gerichtlichen Sicherungsmaßnahmen gibt § 6 Rz. 73. Für den gesicherten Gläubiger bedeutet dies folgendes: 230a Geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den vorläufigen Verwalter über, nimmt dieser das Vermögen des Schuldners in Besitz, und zwar einschließlich aller mit Absonderungsrechten belasteter Gegenstände, da auch diese zum haftenden Schuldnervermögen gehören5. Mit der Inbesitznahme durch den vorläufigen Verwalter endet die Verfügungsbefugnis des Schuldners. Dieser ist daher nicht mehr zur selbständigen Herausgabe sicherungsübereigneter Gegenstände oder sonstigen, noch in seinem Besitz befindlichen Absonderungsguts an den Sicherungsnehmer befugt6. Der vorläufige Verwalter wird seine Zustimmung zur Herausgabe in der Regel verweigern. 230b Reine Verwertungshandlungen im Hinblick auf Sicherungsgüter, die nicht zu dem fortführungsnotwendigen Schuldnervermögen gehören, sind auch dem vorläufigen starken Insolvenzverwalter in der Regel verwehrt, da die planmäßige Liquidation dem eröffneten Verfahren vorzubehalten ist7. Nur in Ausnahmefällen wird ein isoliertes Recht zur Verwertung an absonderungsbelasteten Gegenständen, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Betriebsfortführung stehen, bestehen können (s.o. Rz. 223 ff.). 230c In Ergänzung zu Rz. 230b könnten solche Ausnahmefälle dann anzunehmen sein, wenn die Verwertungs- und Abwicklungsmaßnahme bereits während der Dauer des Eröffnungsverfahrens zur Vermögenssicherung unvermeidbar erforderlich wird8, so
1 BGH v. 15.3.2012 – IX ZR 249/09, ZInsO 2012, 693. 2 Andres/Hees, NZI 2011, 881 (885). 3 Wiche-Wendler, ZInsO 2011, 1530 (1532) fordert aus diesem Grund eine erweiternde abstraktgenerelle Regelung. 4 BGH v. 22.2.2007 – IX ZR 2/06, NZI 2007, 338. 5 MünchKommInsO/Haarmeyer, § 22 Rz. 37; Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 19 f. 6 Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 17b; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.412. 7 BGH v. 14.12.2000 – IX ZB 105/00, ZIP 2001, 296 (298) m.w.N.; BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, ZInsO 2003, 318 (320); MünchKommInsO/Haarmeyer, § 22 Rz. 48, Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 35. 8 Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 38; Uhlenbruck, Kölner Schrift zur InsO, S. 325 ff. Rz. 12; OLG Köln v. 29.1.2000 – 11 W 81/99, ZInsO 2000, 296.
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Drees/Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 230f
§7
z.B. die Einziehung von Forderungen, um spätere Ausfälle zu vermeiden1. Zudem kann sich ein dringender Verwertungsbedarf dann ergeben, wenn es sich bei dem Sicherungsgut um verderbliche Ware handelt oder um entbehrliche Betriebsmittel, die nicht mehr in zumutbarer Weise zu erhalten sind und daher so genannte Notverkäufe zu tätigen sind2. Schließlich sind aber auch solche Verwertungs- oder Abwicklungsmaßnahmen als erforderlich zu betrachten, die kurzfristig zur Überwindung der regelmäßig vorliegenden Liquiditätskrise des Unternehmens beitragen, so dass dadurch die Fortführung des Betriebs oder aber die Voraussetzungen für die Eröffnung des Verfahrens gesichert werden3. Soweit dies zum Vermögenserhalt notwendig ist, ist mithin auch der vorläufige Insolvenzverwalter bereits im Eröffnungsverfahren zur Vornahme von Verwertungshandlungen berechtigt. Ob in solchen Ausnahmefällen eine Zustimmung der Absonderungsberechtigten eingeholt werden muss4, erscheint zweifelhaft. Aus Sicht des vorläufigen Insolvenzverwalters empfiehlt sich dieser Schritt aus Haftungsgründen. Soweit der vorläufige Insolvenzverwalter Verwertungsmaßnahmen vornimmt, sollte 230d er aber – sofern er keine entsprechende Vereinbarung mit den gesicherten Gläubigern trifft – immer die Gefahr im Blick haben, dass die Insolvenzmasse im Rahmen von Verwertungshandlungen im Antragsverfahren der nunmehr obligatorischen Kostenbeiträge der Gläubiger nach den §§ 170, 171 InsO verlustig zu gehen droht, da auf diese Vorschriften im Rahmen des Eröffnungsverfahrens nicht zurückgegriffen werden kann5. Anders für die Einziehung sicherungszedierter Forderungen gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO. Damit stellt sich die Insolvenzmasse bei Verwertungen von Sicherungsgut im Eröffnungsverfahren wirtschaftlich ungünstiger als bei einer Verwertung im eröffneten Verfahren, da die Kostenbeiträge für die Feststellung und Verwertung des Sicherungsguts entfallen. Der vorläufige Insolvenzverwalter ist daher gehalten, im Einvernehmen mit den betroffenen Sicherungsnehmern das Sicherungsgut aufgrund von Verwertungsverträgen zu verwerten und dabei eine angemessene Beteiligung des verwalteten Vermögens am Erlös auszuhandeln6. Verwertungshandlungen bezüglich sonstiger Rechte und Vermögenswerte, die einem 230e Gläubiger zur Sicherung übertragen worden sind, kann der vorläufige Verwalter hingegen im Antragsverfahren nicht unter Berufung auf eine spätere Verwertungsbefugnis des Insolvenzverwalters widersprechen, da die Verwertungsbefugnis – wenn auch weiterhin umstritten – nach Verfahrenseröffnung weiterhin dem gesicherten Gläubiger und nicht dem Verwalter zusteht7. Ebenfalls hindert die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots den Schuldner nur an der Bestellung neuer Pfandrechte, sie hindert den gesicherten Gläubiger hingegen nicht daran, bereits vorher verpfändete Sachen oder Forderungen zu verwerten8. Denn auch durch eine nachfolgende Verfahrenseröffnung geht dem gesicherten Gläubiger sein Selbstverwertungsrecht nicht verloren. Bei einem Eigentumsvorbehalt mit Vorausabtretungsklausel kann sich eine Gefähr- 230f dung des Gläubigeranspruchs dann ergeben, wenn die sicherungshalber vorgenommene Vorausabtretung der Forderungen wertlos wird. Dies ist insbesondere dann zu 1 MünchKommInsO/Haarmeyer, § 22 Rz. 49; Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 38; Blersch in Berliner Praxiskommentar Insolvenzrecht, § 22 Rz. 12. 2 BGH v. 14.12.2000 – IX ZB 105/00, ZIP 2001, 296 (298); Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 36; Kirchhof in HK-InsO, § 22 Rz. 16. 3 Näher hierzu MünchKommInsO/Haarmeyer, § 22 Rz. 73. 4 So Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 22 Rz. 41; vgl. hierzu auch Vorschläge der Bund-LänderArbeitsgruppe in Graf-Schlicker, ZIP 2002, 1166 (1171 ff.). 5 BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, ZInsO 2003, 318 (320 f.); Uhlenbruck, Kölner Schrift zur InsO, S. 325 ff. Rz. 29 m.w.N.; vgl. eingehend zur Einflussnahme auf die Kostenbeteiligungspflicht: Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2002, 530 ff. 6 Schmerbach in Frankfurter Kommentar, InsO, § 22 Rz. 41; Klasmeyer/Elsner/Ringstmeier, Kölner Schrift zur InsO, S. 1083 ff. Rz. 57. 7 Zum Streitstand vgl. ausführlich Szalai, ZInsO 2009, 1177 (1179 f.); Sinz in K. Schmidt, InsO, § 166 Rz. 33 ff. m.w.N. 8 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.423.
Drees/Schmidt
531
§7
Rz. 231
Beratung des gesicherten Glubigers
befürchten, wenn die Abnehmer der noch nicht bezahlten Ware befreiend an den Insolvenzschuldner zahlen (§ 407 BGB). Der gesicherte Gläubiger sollte daher dafür sorgen, dass die Abnehmer der Eigentumsvorbehaltsware unmittelbar von der Forderungsabtretung unterrichtet werden. Bei Gefahr im Verzuge kann diese Unterrichtung im Wege der einstweiligen Verfügung erzwungen werden, ohne dass dieser Maßnahme einstweilige Sicherungsmaßnahmen entgegenstünden. c) Im eröffneten Insolvenzverfahren aa) Stellung des Absonderungsberechtigten (§ 52 InsO) 231 Die Koordinierung der Beteiligten durch das Insolvenzverfahren findet ihre Rechtfertigung darin, dass sich nur auf diesem Wege marktkonforme Entscheidungsbedingungen für die günstigste Masseverwertung herstellen lassen. Die geordnete Masseverwertung wird behindert, wenn einzelne Sicherungsgläubiger das ihnen haftende Sicherungsgut aus dem technisch-organisatorischen Verbund des Schuldnervermögens herauslösen. Es bedarf daher der Einbeziehung gesicherter Gläubiger in das Insolvenzverfahren. 232 Gesetzlich verankert ist der ausnahmslose Einbezug der absonderungsberechtigten Gläubiger in das Insolvenzverfahren in § 52 InsO, sofern der Schuldner diesen über die bestehende Sachhaftung hinaus auch persönlich haftet1. 233 Die Verfahrensbeteiligung besteht unabhängig davon, ob das Verwertungsrecht dem Verwalter oder dem Gläubiger selbst zukommt. 234 Dadurch sollte eine – Verfahrensvereinheitlichung und – Verfahrenskonzentration in der Hand des Insolvenzverwalters eintreten. 235 Aufgrund der Einbeziehung der Sicherungsgläubiger in das Insolvenzverfahren mussten ihre Mitspracherechte hinsichtlich der Abwicklung des Insolvenzverfahrens gestärkt werden. (Näheres zu Gläubigerversammlung und -ausschuss sowie zur sonstigen Rechtsstellung einfacher Insolvenzgläubiger unter § 6 Rz. 222 ff., 249 ff.)2. 236 Infolge der Einbeziehung der absonderungsberechtigten Gläubiger in das Insolvenzverfahren gemäß § 52 InsO ist ihre Teilnahme an der Gläubigerversammlung nicht darauf beschränkt, dass sie lediglich mit ihrer Ausfallforderung als Insolvenzgläubiger am Verfahren teilnehmen, sondern ihnen steht ein volles Teilnahmerecht zu, das ihnen nach § 77 Abs. 1 InsO auch ein volles Stimmrecht (vgl. § 6 Rz. 253 ff.) in Höhe ihrer Forderung einräumt. 237 Auch soweit der Schuldner dem Absonderungsberechtigten nicht persönlich haftet, ist der Absonderungsberechtigte mit einem Stimmrecht zur Teilnahme an den Versammlungen berechtigt. An die Stelle des Wertes der Forderung tritt sodann der Wert des Absonderungsrechts (§ 76 Abs. 2 2. Hs. InsO). 238 M 8
Musterschreiben – Geltendmachung eines Absonderungsrechts am beweglichen Vermçgen
Sehr geehrter Herr Kollege, wir drfen Ihnen anzeigen, dass wir die rechtlichen Interessen der Fa. . . . in vorbezeichnetem Insolvenzverfahren vertreten. Unserer Mandantin steht gegenber der von Ihnen verwalteten Schuldnerin eine fllige Darlehensforderung gemß beiliegendem Darlehensvertrag zu. Der Darlehensvertrag ist mit eingeschriebenen Brief vom . . . gekndigt worden. Entsprechende Unterlagen berreichen wir zu Ihrer Kenntnisnahme anbei. Weiter drfen wir Sie darauf hinweisen, dass unserer Mandantin wegen dieser Forderung folgende Sicherheiten der Schuldnerin zustehen: 1 BT-Drucks. 12/2443, S. 126; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 1; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 52 Rz. 1. 2 BT-Drucks. 12/2443, S. 80, 86; RefE, 2. Teil, S. 49.
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Drees/Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 242
§7
– Sicherungsbereignung des bereits in unserem Besitz befindlichen LKWs mit dem amtlichen Kennzeichen . . . – Sicherungsbereignung der noch in der Insolvenzmasse befindlichen Gegenstnde gemß Anlage . . . – Abtretung der Außenstnde, d.h. Abtretung der der Schuldnerin zustehenden Forderungen aus Warenlieferungen vom . . . gegenber den Drittschuldnern . . . Hinsichtlich dieser Sicherheiten beanspruchen wir abgesonderte Befriedigung. Hinsichtlich der noch in der Insolvenzmasse befindlichen Gegenstnde bitten wir um Auskunft ber deren Zustand, hilfsweise die Besichtigung vor Ort. Weiter beanspruchen wir Auskunft hinsichtlich der unserer Mandantin zur Sicherheit abgetretenen Forderungen. Diesbezglich begehren wir Einsicht in die Bcher und Geschftspapiere der Schuldnerin. Mit freundlichen Grßen bb) Verwertung der Absonderungsrechte (1) Allgemeines Eine dem ehemaligen § 4 Abs. 2 KO entsprechende Regelung, die die abgesonderte Befriedigung grundsätzlich außerhalb des Konkursverfahrens vorsah, fehlt in der InsO. Diese differenziert hinsichtlich der Verwertungsmodalitäten nach Art des Sicherungsgegenstandes bzw. Sicherungsrechts. Im Wesentlichen gibt es drei Gruppen, für die jeweils verschiedene Verwertungsregelungen gelten: – Immobiliarsicherungsrechte (§ 49 InsO, vgl. Rz. 244); – Mobiliarpfandrechte (§ 50 InsO, vgl. Rz. 263 ff.); – besitzlose Mobiliarsicherungsrechte (§ 51, vgl. Rz. 270 ff.).
239
Das Rangverhältnis der einzelnen konkurrierenden Absonderungsrechte zueinander 240 bestimmt sich nach materiellem Recht sowie Prozessrecht. Grundsätzlich gilt unter mehreren Rechten der Prioritätsgrundsatz, wonach in der Regel das ältere Recht dem jüngeren vorgeht (vgl. §§ 879, 1209 BGB, 804 Abs. 3 ZPO, 10 ZVG)1. Einen Ausnahmefall stellen die Absonderungsrechte des Fiskus gemäß § 51 Nr. 4 InsO dar, denen der Vorrang gegenüber sonstigen Absonderungsrechten zukommt, da die Sachhaftung verbrauchssteuerpflichtiger und zollpflichtiger Waren nach § 76 Abs. 1 AO „ohne Rücksicht auf Rechte Dritter“ besteht.
Û
241
Hinweise für den Berater: 242 Die Beratungspraxis muss sich in einem ersten Schritt mit der Verwertungsberechtigung befassen. Dies zwingt zu einer zeitlich frühen Beratung. Denn liegt die Verwertungsberechtigung in einem (möglichen) Insolvenzverfahren beim Insolvenzverwalter, so gewinnen die unter Rz. 216 ff. dargelegten Möglichkeiten einer Sicherheitenverwertung im Vorfeld einer Insolvenz an Bedeutung. – Ist erst einmal das Insolvenzverfahren eröffnet, so erschwert sich die Verwertungssituation für den gesicherten Gläubiger. Insolvenzverwalter sind insbesondere nicht verpflichtet, die Interessen der Absonderungsberechtigten wahrzunehmen. Allerdings muss er die ihm bekannten Absonderungsrechte bei der Verwertung der Masse beachten (zu den hiermit verbundenen Haftungsgefahren für den Insolvenzverwalter siehe unten Rz. 371 ff.). – Soweit die Überprüfung eines bestehenden Absonderungsrechts seitens des Insolvenzverwalters zugunsten des beanspruchenden Absonderungsberechtigten ausfällt, erkennt der Insolvenzverwalter das Absonderungsrecht an und verwertet den Sicherungsgegenstand bzw. überlässt dem Berechtigten die Verwertung, soweit dem Gläubiger ausnahmsweise ein Verwertungsrecht zukommt.
1 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 50 Rz. 47.
Drees/Schmidt
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§7
Rz. 243
Beratung des gesicherten Glubigers
– Ist das Bestehen eines Absonderungsrechts streitbefangen, so richtet sich die Rechtsverfolgung nach den allgemeinen Regeln des bürgerlichen Rechts sowie des Prozessrechts. Für die Anmeldung bzw. Feststellung eines Absonderungsrechts existiert kein besonderes, in der InsO kodifiziertes Verfahren. Der Rechtsstreit ist mithin zwischen dem Absonderungsberechtigten und dem Insolvenzverwalter im ordentlichen Rechtsweg zu führen. In einem solchen Rechtsstreit könnte auch der Insolvenzverwalter die Anfechtbarkeit einer Sicherheitenverwertung im Vorfeld der Insolvenz einwenden. 243 Für die Beurteilung dieser und zahlreicher anderer Fragen der Sicherheitenverwertung ist eine Differenzierung nach den oben genannten Absonderungsrechten unerlässlich. Begonnen werden soll mit der Verwertung von Absonderungsrechten aufgrund von Immobiliarsicherheiten: (2) Verwertung von Immobiliarsicherheiten 244 Ausgangspunkt der Verwertung von Immobiliarsicherheiten sind die §§ 49, 165 InsO. In der Insolvenz des Grundstückseigentümers sind daher sowohl der absonderungsberechtigte Grundpfandgläubiger als auch der Insolvenzverwalter zur Betreibung der Verwertung berechtigt. Die Gläubiger, denen ein Absonderungsrecht an einem Grundstück oder grundstücksgleichen Recht zusteht, werden durch die Verfahrenseröffnung keinem automatischen Verwertungsverbot unterworfen. Gläubiger, denen ein Absonderungsrecht an einem Grundstück oder grundstücksgleichen Recht zukommt, können auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, zur Befriedigung ihrer Forderung, die Verwertung der belasteten Immobilie durch – Betreibung des Zwangsversteigerungs- (Rz. 250 ff.) oder – Zwangsverwaltungsverfahrens (Rz. 258 ff.) initiieren1. Dieses Verwertungsrecht ist in zweifacher Hinsicht eingeschränkt: – Zum einen durch die Einstellungsmöglichkeiten, die eine einstweilige Einstellung der Zwangsversteigerung bzw. Zwangsverwaltung gemäß der §§ 30d, 153b ZVG nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erleichtern. – Zum anderen wurden auch die Grundpfandrechtsgläubiger mit obligatorischen Kostenbeiträgen (Rz. 325) belegt. 245 Neben diesem Verwertungsrecht des Absonderungsberechtigten besteht die Möglichkeit der so genannten Verwaltervollstreckung gemäß § 165 InsO, für die sich in §§ 172 ff. ZVG Sonderregelungen finden. Danach steht auch dem Verwalter das Recht zu, die zur Masse gehörenden unbeweglichen Gegenstände im Wege der Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung zu verwerten bzw. freihändig zu veräußern, wobei auch Letzteres als Realisierung der Absonderungsrechte anzusehen ist2. Der Insolvenzverwalter kann indes nicht aus seinem Verwertungsrecht nach § 165 InsO an einem Miteigentumsanteil die Zwangsversteigerung des gesamten Grundstücks nach §§ 72 ff. ZVG betreiben. Dem steht bereits entgegen, dass nach § 84 Abs. 1 Satz 1 InsO die Teilung einer zwischen dem Schuldner und einem Dritten bestehenden Bruchteilsgemeinschaft nach §§ 741 ff. BGB außerhalb des Insolvenzverfahrens erfolgt. Eine Teilungsversteigerung, die der Insolvenzverwalter in Ausübung der ihm nach § 80 Abs. 1 InsO zustehenden Befugnisse des Schuldners als Miteigentümer betreiben kann, ist allein nach den für sie geltenden Bestimmungen durchzuführen. Das geringste Gebot ist nach § 182 ZVG festzustellen. In der Teilungsversteigerung nach §§ 180 ff. ZVG sind die nur für die Insolvenzverwaltervollstreckung geltenden Vorschriften über die abweichende Feststellung des geringsten Gebots nach §§ 174, 174a ZVG nicht anzuwenden3.
1 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 6, 21; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 49 Rz. 41; ein Plädoyer gegen die gesetzliche Zwangsverwaltung und für privatautonome Vereinbarungen findet sich bei Forster, ZinsO 2008, 190 f. 2 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 8, 21; Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 165 Rz. 1. 3 BGH v. 26.4.2012 – V ZB 181/11, NZI 2012, 575.
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Drees/Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 251
§7
Das belastete Grundvermögen wird häufig im Verbund stehen mit dem übrigen be- 246 trieblich genutzten Vermögen des Schuldners. Durch die beim Absonderungsberechtigten verbleibende Verwertungsbefugnis droht ein Nutzungskonflikt zwischen Grundpfandgläubiger und Insolvenzverwalter. Da die Zwangsverwertung von Grundstücken – im Gegensatz zur Verwertung beweg- 247 licher Sachen – ein langwieriges Verfahren voraussetzt, droht dieser Nutzungskonflikt oftmals erst zu einem Zeitpunkt, zu dem das Schicksal des insolventen Unternehmens einschließlich der Nutzung des Betriebsgrundstücks gelöst ist1. Die Interessen der Insolvenzmasse werden durch die Möglichkeit des Verwalters, im Einzelfall eine Verwertungseinstellung zu beantragen, gewahrt (vgl. hierzu Rz. 252 ff.). Soweit sich der Immobiliarhaftungsverband gemäß § 1120 BGB über das eigentliche 248 Grundstück hinaus auch auf bestimmte andere bewegliche Sachen, wie die von dem Grundstück getrennten Erzeugnisse und Bestandteile sowie Zubehörsgegenstände erstreckt (zum Umfang siehe oben Rz. 145) und diese damit in den Haftungsverband des mit dem Grundpfandrecht belasteten Grundstücks fallen, gelten für deren Verwertung ebenfalls die Vorschriften über die Verwertung von Immobilien. § 166 InsO findet keine Anwendung. Die Rangfolge der Befriedigung der Absonderungsberechtigten ist in §§ 10 ff. ZVG 249 festgelegt2. Vorab haftet das Grundstück zunächst für die Kosten des Vollstreckungsverfahrens (§§ 44 Abs. 1, 109 Abs. 1 ZVG)3. Für den Insolvenzverwalter bedeutet dies, nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG den Anspruch der Masse auf die Kostenbeteiligung bzgl. des Zubehörs durchzusetzen. Hierfür genügt der Sperrvermerk nicht. Erforderlich zur Rangwahrung ist die Anmeldung, spätestens im Versteigerungstermin4.
Û
Hinweis: 249a Es bleibt abzuwarten, ob dieser Anspruch auch im Fall der Eigenverwaltung gilt. Die Literatur lehnt dies unter Hinweis auf den ausdrücklichen Wortlaut ab. So fordert § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG ausdrücklich die Bestellung eines Insolvenzverwalters5. Der ausdrückliche Wortlaut der Vorschrift stehe einer analogen Anwendung nicht entgegen6.
(a) Zwangsversteigerungsverfahren (aa) Vorläufige Einstellung des Verfahrens Der Sicherungsgläubiger kann zwar die Zwangsversteigerung betreiben, ohne dass 250 ihn ein automatischer Verwertungsstopp bei Verfahrenseröffnung daran hindern würde, aber sowohl der vorläufige als auch der spätere Insolvenzverwalter können bei dem entsprechenden Gericht einen Antrag gemäß § 30d Abs. 1, 4 ZVG stellen, die bereits begonnene Zwangsversteigerung einstweilen einzustellen7. Die Einstellungsmöglichkeiten wurden im Vergleich zu den früher maßgeblichen Bestimmungen der §§ 30c ZVG a.F. i.V.m. § 775 Nr. 2 ZPO durch § 30d ZVG erleichtert. Das Insolvenzgericht ordnet danach auf Antrag des Insolvenzverwalters die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung an, wenn – der Berichtstermin noch bevorsteht, – das Grundstück zur Fortführung des Unternehmens oder für die Vorbereitung einer Betriebsveräußerung benötigt wird,
1 BT-Drucks. 12/2443, S. 88. 2 Vgl. hierzu Lohmann in HK-InsO, § 49 Rz. 19. 3 Nicht vergessen sollte man mögliche Ersteheransprüche an Nebenkostenabrechnungen, vgl. BGH v. 11.10.2007 – VIII ZR 156/07, ZInsO 2007, 1221 m. Anm. Schmidberger, ZInsO 2008, 83 ff. 4 Sinz in K. Schmidt, InsO, § 165 Rz. 14. 5 Sinz in K. Schmidt, InsO, § 165 Rz. 15. 6 Flöther in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 165 Rz. 17. 7 Ausführlich hierzu: Mönning/Zimmermann, NZI 2008, 134 ff.
Drees/Schmidt
535
251
§7
Rz. 252
Beratung des gesicherten Glubigers
– die Versteigerung die Durchführung eines vorgelegten Insolvenzplans gefährden oder – in sonstiger Weise eine angemessene Verwertung der Insolvenzmasse durch die Versteigerung wesentlich erschwert würde1. 252 Das Gericht kann den Antrag des Insolvenzverwalters nach § 30d Abs. 1 Satz 2 ZVG zwar ablehnen, wenn die Einstellung dem Gläubiger unter „Berücksichtigung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse“ nicht zuzumuten ist. Handelt es sich bei den die Zwangsversteigerung betreibenden Sicherungsnehmern aber wie zumeist in der Praxis um Banken, dürfte diese Ausnahmevorschrift wohl kaum zum Tragen kommen, nämlich nur in dem praxisfernen Fall einer ernsten wirtschaftlichen Krise der Bank. (bb) Zinszahlungspflicht (§ 30e Abs. 1 ZVG) 253 Durch die einstweilige Einstellung soll der wirtschaftliche Wert des Absonderungsrechts nicht gemindert werden. 254 Hieraus folgt, dass die einstweilige Einstellung der Zwangsversteigerung und die damit einhergehende, zumindest vorübergehend verlängerte Bindung des Sicherungsguts an die Insolvenzmasse, nur unter gleichzeitiger Gewährung eines entsprechenden Nachteilsausgleichs erfolgen darf. Die einstweilige Einstellung kann daher nach § 30e Abs. 1 ZVG nur unter der Auflage angeordnet werden, dass dem betreibenden Gläubiger für die Zeit nach dem Berichtstermin laufend die aufgrund des Rechtsverhältnisses geschuldeten, sprich die vertraglich vereinbarten oder kraft Gesetzes geschuldeten (§ 288 BGB, § 352 HGB) Zinsen gezahlt werden2. Dabei ist für die Berechnung der Zinsen allein der Kapitalbetrag maßgeblich, für den der Gläubiger die Zwangsversteigerung betreibt3. Erfolgte die Einstellung bereits im Antragsverfahren, setzt die Zinszahlungverpflichtung spätestens drei Monate nach der ersten Einstellung ein (§ 30e Abs. 1 Satz 2 ZVG). 255 Für die Zeit bis zum Berichtstermin ist, von dem Ausnahmefall der einstweiligen Einstellung im Eröffnungsverfahren abgesehen, in paralleler Ausgestaltung zu den Mobiliarsicherheiten eine Zinszahlungsverpflichtung des Verwalters nicht vorgesehen. Dieser Zeitraum dient dem Verwalter zur Feststellung von Rechten Dritter am Schuldnervermögen und vor allem zur Überprüfung der Frage nach der für alle Beteiligten – auch für die absonderungsberechtigten Gläubiger – günstigsten Art der Verfahrensdurchführung. (cc) Nachteilsausgleichsanspruch (§ 30e Abs. 2 ZVG) 256 Nutzt der Verwalter das Grundstück weiterhin für die Insolvenzmasse, so ergeht auf Antrag des betreibenden Gläubigers nach § 30e Abs. 2 ZVG eine weitere Anordnung des Gerichts, nach der dem beantragenden Sicherungsinhaber von der Einstellung des Versteigerungsverfahrens an etwaige Wertverluste durch laufende Zahlungen aus der Insolvenzmasse auszugleichen sind4. 257 Der Zinsanspruch bzw. Nachteilsausgleich nach Abs. 1 und Abs. 2 ist naturgemäß dann nicht zu bedienen, wenn der Sicherungsnehmer aus der Sicherheit, z.B. wegen ihrer Nachrangigkeit, ohnehin nicht mit einer Befriedigung rechnen kann (§ 30e Abs. 3 ZVG)5. Das bedeutet, dass wirtschaftlich nicht der Kapitalbetrag der gesicherten Forderung für die Verzinsung sowie den Wertersatz ausschlaggebend ist, sondern allein die Werthaltigkeit des Grundpfandrechts. Je nach erlangtem Rang6 und dem zu erwartenden Verwertungserlös kann der absonderungsberechtigte Gläubiger folglich mit seinen Rechten ganz oder teilweise ausfallen. Ist das Grundpfandrecht nur
1 Vgl. hierzu näher Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 19. 2 Vgl. Begr. BT-Drucks. 12/2443, S. 176 f.; Tetzlaff, ZInsO 2004, 521 f. m.w.N. 3 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 19b; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur InsO, Kapitel 5 Rz. 427. 4 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 19b; Obermüller/Hess, InsO, 1995, Rz. 809. 5 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 19b; Obermüller/Hess, InsO, 1995, Rz. 810. 6 Zur Problematik des Rangrücktritts bei Grundpfandrechten vgl. Kesseler, ZIP 2013, 1806.
536
Drees/Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 263
§7
zum Teil von dem Wert des Grundstücks gedeckt, so sind die Zins- bzw. Ausgleichszahlungen auch nur auf diesen Teilbetrag zu erbringen1. (b) Zwangsverwaltungsverfahren2 Auch für die Zwangsverwaltung nach den §§ 146 ff. ZVG besteht die Möglichkeit der 258 einstweiligen Einstellung im Hinblick auf ein laufendes Insolvenzverfahren. Es besteht diesbezüglich eine gesonderte Vorschrift in § 153b ZVG3. Zur Vermeidung von Kollisionen zwischen Zwangs- und Insolvenzverwaltung eröffnet § 153b Abs. 1 ZVG die Möglichkeit, das Zwangsverwaltungsverfahren insoweit einstellen zu lassen, als eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung der Masse seitens des Insolvenzverwalters durch die weitere Zwangsverwaltung ernsthaft behindert oder erheblich erschwert würde4. Den Grundpfandrechtsgläubigern soll es nicht möglich sein, den Verwalter im Wege 259 der Zwangsverwaltung zur vorzeitigen Betriebsstilllegung zwingen zu können (zum Umfang der Beschlagnahmewirkung bei der Zwangsverwaltung Rz. 145). Zur Gewährleistung, dass dem betreibenden Gläubiger aus der vorläufigen Einstel- 260 lung der Zwangsverwaltung keine Nachteile erwachsen, sieht § 153b Abs. 2 ZVG ebenfalls eine Entschädigungspflicht der Insolvenzmasse gegenüber dem Gläubiger hinsichtlich der einstellungsbedingten Nachteile in Form von laufenden Zahlungen, und zwar bereits ab Einstellung vor5. Die Einstellung der Zwangsverwaltung wird nach § 153b Abs. 2 ZVG von Amts wegen mit der Auflage erlassen, die dem betreibenden Gläubiger aus der Einstellung erwachsenden Nachteile auszugleichen.
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Hinweis: 261 Den Gläubigern, die mit Einstellungsanträgen rechnen müssen, wäre anzuraten, zusammen mit der Zwangsversteigerung auch die Zwangsverwaltung einzuleiten, um dadurch den Beginn des Zahlungsanspruchs auf den Einstellungszeitpunkt vorzuverlegen6.
(c) Gerichtliche Durchsetzung Soweit der Absonderungsberechtigte seine Rechte vollstreckungsrechtlich geltend 262 machen möchte, ist er dazu gezwungen, sich einen Vollstreckungstitel gegen den Insolvenzverwalter zu erstreiten. Gegenstand dieser Klage kann nicht die Durchsetzung eines schuldrechtlichen Anspruchs sein, da hierdurch entgegen des Verbots in § 89 Abs. 1 InsO ein Zugriff auf das gesamte pfändbare Schuldnervermögen angestrebt würde. In Betracht kommt hier die so genannte Pfandklage, mit der die Duldung der Zwangsvollstreckung aus einem bestehenden dinglichen Recht in den unbeweglichen Gegenstand beansprucht wird7. (3) Verwertung von Mobiliarpfandrechten (a) Mobiliarpfandrechte an Sachen Das Zugriffs- und Verwertungsrecht der Pfandgläubiger bleibt von der Verfahrens- 263 eröffnung unberührt8. Insoweit sieht die InsO eine natürliche Ausnahme von dem grundsätzlichen Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters für Sicherungsgegenstände, an denen ein vertragliches Pfandrecht besteht, vor.
1 BT-Drucks. 12/2443, S. 177; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 19b. 2 Zu aktuellen Problemen im Zusammenhang mit der so genannten „kalten“ Zwangsverwaltung vgl. Bork, ZIP 2013, 2129 ff. 3 Ausführlich hierzu Mönning/Zimmermann, NZI 2008, 134 ff. 4 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 23; Tetzlaff, ZInsO 2004, 521 (527). 5 Obermüller/Hess, InsO, 1995, Rz. 813; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 23. 6 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 23. 7 Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 49 Rz. 28. 8 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 173 Rz. 2; Obermüller/Hess, InsO, 1995, Rz. 792.
Drees/Schmidt
537
§7
Rz. 264
Beratung des gesicherten Glubigers
Da die Begründung des Vertragspfandrechts in der Regel bereits einen Besitzerwechsel nach § 1205 BGB1 erfordert, greift die Verwertungsregel des § 166 Abs. 1 InsO nicht ein. Mit der Besitzaufgabe hat der Schuldner bereits gezeigt, auf den Sicherungsgegenstand für die Betriebsfortführung nicht angewiesen zu sein. Es kommt die Regelung des § 173 InsO zum Zuge, die dem Absonderungsberechtigten das Verwertungsrecht zuschreibt2. Das bedeutet, dass der gesicherte Gläubiger das in seinem Besitz befindliche Pfandgut wie bislang selbst verwerten kann. 264
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Hinweis für den Berater: Entsprechend gesicherte Gläubiger sind gut beraten, von diesem Verwertungsrecht zeitnah Gebrauch zu machen. Denn Insolvenzverwalter haben die Möglichkeit, die Verwertung nach § 173 Abs. 2 InsO zu forcieren und nach fruchtlosem Verstreichen der Frist das Verwertungsrecht auf sich überzuleiten3. – Ebenfalls ist das Risiko einer Insolvenzanfechtung im Auge zu behalten. Sollte die vom Insolvenzverwalter eingewandte Anfechtbarkeit der Pfandrechtsbestellung nicht von der Hand zu weisen sein, so kann diese rechtliche Unsicherheit zum Anlass genommen werden, sich mit dem Insolvenzverwalter gegen Verzicht auf das Anfechtungsrecht über eine Massebeteiligung – etwa analog §§ 170 ff. InsO – zu verständigen.
265 Bei Pfändungspfandrechten kommt es entscheidend darauf an, ob der Gläubiger sein Pfandrecht schon vor der Insolvenz geltend gemacht und den Pfandgegenstand zum Zwecke der Verwertung an sich gezogen hat oder ob sich der Pfandgegenstand noch im Besitz des Schuldners befindet. Im zweiten Fall kann der Insolvenzverwalter den Besitz an der Sache ergreifen und die Verwertung übernehmen. Zu einer möglichen Unwirksamkeit gemäß § 88 InsO siehe oben Rz. 183 ff. (b) Mobiliarpfandrechte an Forderungen und sonstigen Rechten 266 Verpfändete Forderungen sowie sonstige verpfändete Rechte4 können von den gesicherten Gläubigern selbst eingezogen bzw. verwertet werden5. Dies basiert darauf, dass bereits die Begründung eines Pfandrechts an einer Forderung nach § 1280 BGB die Anzeige der Verpfändung gegenüber dem Drittschuldner der Forderung voraussetzt. Bei Fälligkeit der gesicherten Forderung ist der Gläubiger unmittelbar nach § 1282 Abs. 1 BGB zur Einziehung der Forderung gegenüber dem Drittschuldner berechtigt. Der Drittschuldner kennt mithin den Gläubiger und rechnet von vornherein damit, von diesem in Anspruch genommen zu werden6. 267 Aus diesem entstehungsgeschichtlichen Hintergrund und der Formulierung des § 166 Abs. 2 InsO kann daher für verpfändete Forderungen auf ein regelmäßiges Verwertungsrecht des Pfandgläubigers geschlossen werden7. Insbesondere liegt keine planwidrige Regelungslücke vor, die eine analoge Anwendung des § 166 Abs. 2 InsO eröffnen könnte8. Bereits in der Vorauflage wurde eine solche als mittlerweile unvertretbar bewertet. Gleichwohl kommt die Diskussion im Schrifttum – aus dem praktischen Bedürfnis für den Gleichlauf von Sicherungsabtretung und Verpfändung –
1 Vgl. näher Wiegand in Staudinger, BGB, § 1205 Rz. 9 ff.; MünchKommBGB/Damrau, § 1205 Rz. 7 ff. 2 BT-Drucks. 12/2443, S. 88, 183; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 173 Rz. 1; Niesert in Andersen/Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 566 f., 576. 3 BGH v. 7.4.2005 – IX ZR 138/04, NZI 2005, 384 (385 f.); vgl. näher Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 173 Rz. 6 ff. 4 Zum Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters bei verpfändeten Unternehmensbeteiligungen vgl. OLG Hamburg v. 18.5.2012 – 14 U 138/10, ZInsO 2012, 1781 ff. 5 BT-Drucks. 12/2443, S. 178 f.; BT-Drucks. 12/7302, S. 176; BGH v. 15.5.2003 – IX ZR 218/02, ZIP 2003, 1256 bestätigt durch BGH v. 25.9.2003 – IX ZR 213/03, NZI 2004, 29 ff. Zuvor bereits BGH v. 11.7.2002 – IX ZR 262/01, WM 2002, 1797 (1798 f.). 6 Landfermann in HK-InsO, § 166 Rz. 28. 7 BGH v. 25.9.2003 – IX ZR 213/03, NZI 2004, 29 ff. 8 BGH v. 15.5.2003 – IX ZR 218/02, ZIP 2003, 1256 ff.
538
Drees/Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 269
§7
immer wieder auf1. Damit kann der Gläubiger die gepfändete Forderung selbst einziehen bzw. das gepfändete Recht selbständig in sonstiger Weise verwerten.
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Hinweis bei fehlender Pfandreife: 268 Hat der Pfandrechtsgläubiger mangels Pfandreife gegen den Insolvenzverwalter nur einen Anspruch auf Sicherstellung und ist er deshalb nicht befugt, das Pfandrecht selbst einzuziehen (§§ 1282 Abs. 1, 1282 Abs. 2 BGB), steht das Einzugsrecht allein dem Insolvenzverwalter zu2; insbesondere liegt keine gemeinsame Berechtigung des Insolvenzverwalters und des Pfandgläubigers entsprechend § 1281 BGB vor. Dieses alleinige Einzugsrecht ergibt sich zwar nicht aus der (hier unanwendbaren) Vorschrift des § 166 Abs. 2 InsO, wohl aber aus einer Analogie zu § 173 Abs. 2 Satz 2 InsO3. Zieht der Insolvenzverwalter in Ausübung dieses Verwertungsrechts und wegen des fehlenden Einzugsrechts des Pfandgläubigers im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Pfandschuldners die verpfändete Forderung eine, kann er die Kosten der Feststellung und der Verwertung vorab der Masse entnehmen. Die §§ 170, 171 InsO gelten analog4.; mit der Konsequenz, dass er zur Erlösauskehr nach § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO verpflichtet ist bzw. den Verwertungserlös in Höhe der zu sichernden Forderung (§ 45 Satz 1 InsO) zurückbehalten und vorrangig hinterlegen muss, bis die zu sichernde Forderung fällig wird oder die Bedingung ausfällt (§§ 191 Abs. 1, 198 InsO)5.
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Hinweise für die Beratung von Kreditinstituten:
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Praktische Relevanz hat das Eigenverwertungsrecht insbesondere für Kreditinstitute, die aufgrund ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen häufig Pfandrechte, vornehmlich an Wertpapieren, besitzen. Kreditinstitute haben daher ein besonderes Interesse, das eigene Verwertungsrecht zunächst insolvenzfest zu begründen und sodann insolvenzfest auszuüben. – Wenn ein Sicherungsbedürfnis besteht, kann eine Bank von ihrem Pfandrecht an den Forderungen des Kunden auch schon vor Pfandreife Gebrauch machen, indem sie zur Sicherung einer späteren Verwertung keine Verfügungen des Kunden mehr zulässt. Dies geschieht durch eine Kontosperre6. – Lässt die Bank es aber zu, dass der Kunde über sein Kontoguthaben verfügt, gibt sie insoweit ihr Pfandrecht frei. Erhöht sich anschließend im letzten Monat vor Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Gutschriften der Kontostand, ist das in entsprechender Höhe neu entstehende Pfandrecht nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbar. – Machen Kreditinstitute von ihrem Pfandrecht durch Anordnung einer Kontosperre Gebrauch bevor ihre Forderung aus dem Dispositionskredit fällig ist (§ 1281 Satz 2 Hs. 2 BGB), dann sind sie gut beraten, auch dann keine Verfügungen über das Kontoguthaben mehr zuzulassen, wenn es zwischenzeitlich wieder zu Zahlungseingängen gekommen ist und die bauvertraglichen Voraussetzungen zur Anordnung der Kontosperre u.U. wieder weggefallen sind. – Insolvenzverwalter werden aus dieser Rechtsprechung nur dann Rechte herleiten können, wenn der Beweis gelingt, dass ohne die Kontosperre das Guthaben abgeflossen wäre7.
1 Vgl. hierzu und zum Meinungsstand Szalai, ZINsO 2009, 1177 (1183 f.). 2 BGH v. 7.4.2005 – IX ZR 138/04, NZI 2005, 384 ff. 3 BGH v. 11.4.2013 – IX ZR 176/11, NZI 2013, 596 (570 f.); in Fortsetzung von BGH v. 7.4.2005 – IX ZR 138/04, NZI 2005, 384 ff. 4 BGH v. 11.4.2013 – IX ZR 176/11, NZI 2013, 596 (570 f.). 5 BGH v. 7.4.2005 – IX ZR 138/04, NZI 2005, 384 (386 f.). 6 BGH v. 12.2.2004 – IX ZR 98/03, ZIP 2004, 620 im Anschluss an BGHZ 150, 122 (125 f.) = ZIP 2002, 812 ff.; m. zust. Anm. Haertlein/J. Schmidt, WuB 2004, 535. 7 Beutler/Vogel, EWiR 2004, 1143 f.
Drees/Schmidt
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§7 269a M 9
Rz. 269a
Beratung des gesicherten Glubigers
Musterschreiben – Anerkennung eines Absonderungsrechts durch den Insolvenzverwalter bei fehlendem Verwertungsrecht
Sehr geehrter Herr Kollege, in dem vorbezeichneten Insolvenzverfahren liegt mir Ihr Schreiben vom . . . vor. In diesem weisen Sie mich auf das zugunsten Ihrer Mandantin bestehende Werkunternehmerpfandrecht an dem PKW . . . zur Absicherung Ihrer Werklohnforderung aufgrund eines Vertrages vom . . . hin. Das von Ihnen geltend gemachte Pfandrecht erkenne ich an. Ihre Mandantin ist daher zur abgesonderten Befriedigung aus diesem Gegenstand berechtigt. Um der Abwicklung des Insolvenzverfahrens den Fortgang zu geben, darf ich Sie bitten, umgehend die Verwertung nach Maßgabe der Vorschriften ber die Pfandverwertung zu betreiben und mir gegenber ber den Verwertungserlçs Rechnung zu legen. Ich rechne mit einer Verwertung bis sptestens zum . . . . Sollte dies nicht geschehen, werde ich beim Insolvenzgericht beantragen, dass Ihnen zur Verwertung eine Frist gesetzt wird, nach deren fruchtlosem Ablauf die Verwertungsberechtigung mir zusteht. Mit freundlichen Grßen (4) Verwertung besitzloser Mobiliarsicherheiten (a) Verwertung von Sachen (aa) Verwertungsbefugnis 270 Unter der KO oblag die Verwertung der Gegenstände, an denen zugunsten eines Gläubigers ein Absonderungsrecht bestand, regelmäßig dem absonderungsberechtigten Gläubiger, d.h. es bestand ein Selbstverwertungsrecht des Sicherungsnehmers. Diese Rechtslage wurde insbesondere im Hinblick auf sicherungsübereignete Gegenstände als besonders unbefriedigend empfunden. Wurden die zur Sicherung übereigneten Vermögensgegenstände nach der Verfahrenseröffnung aus dem betrieblichen Verbund herausgelöst, verlor das Unternehmen häufig Betriebsmittel, die für seine Fortführung unentbehrlich waren. Gleiches galt für die Gegenstände, an denen aufgrund eines verlängerten oder erweiterten Eigentumsvorbehalts ein Absonderungsrecht bestand. 271 Um die vorzeitige Auszehrung der Insolvenzmasse durch die eigenmächtigen Verwertungsversuche der Gläubiger zu unterbinden, findet die Verwertung besitzloser Mobiliarsicherheiten seit Einführung der InsO im Rahmen des Insolvenzverfahrens statt, weshalb für die gesicherten Gläubiger mit Verfahrenseröffnung ein automatischer Verwertungsstopp eingreift1. Rechtstechnisch wird der Verwertungsstopp mit der Verlagerung des regelmäßigen Verwertungsrechts an absonderungsbehafteten Gegenständen auf den Insolvenzverwalter durchgesetzt. 271a Dies ergibt sich aus § 166 Abs. 1 InsO, der vorsieht, dass der Insolvenzverwalter bewegliche Sachen, an denen ein Absonderungsrecht besteht, freihändig verwerten und damit ein Herausgabeverlangen des Absonderungsberechtigten zurückweisen darf, wenn er den Gegenstand selbst im Besitz hat2. Ausschlaggebendes Moment für das Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters ist mithin sein Besitz am Sicherungsgegenstand (§ 166 Abs. 1 InsO) zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung3. Ausreichend ist ebenso die Besitzerlangung im Antragsverfahren in seiner Eigenschaft als vorläufiger Verwalter bei gleichzeitiger Anordnung eines Veräußerungsverbots4. Ein Anfechtungsrisiko berührt das Verwertungsrecht nicht. D.h., dieses erstreckt sich auch auf 1 2 3 4
Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 166 Rz. 1a. BGH v. 16.11.2006 – IX ZR 135/05, ZInsO 2007, 1320; Sessig/Fischer, ZInsO 2011, 618 (620). Instruktiv in diesem Zusammenhang: Uhlenbruck, ZInsO 2008, 114 ff. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 166 Rz. 4 ff.; Klasmeyer/Elsner/Ringstmeier, Kölner Schrift zur InsO, S. 1083 ff. Rz. 15; Niesert in Andersen/Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 497.
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Drees/Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 277
§7
Gegenstände, deren Besitz sich der Verwalter im Wege der Insolvenzanfechtung nach den §§ 129 ff. InsO wieder verschafft hat1. Zu den Verwertungsrechten bei lediglich mittelbarem Besitz des Verwalters und den Voraussetzungen des § 166 Abs. 1 InsO im Einzelnen siehe unten Rz. 275. Als Hauptanwendungsfall des § 166 Abs. 1 InsO wurde an das Absonderungsrecht 271b kraft Sicherungseigentums gedacht. Ebenso in den Anwendungsbereich des § 166 InsO fallen Verlängerungs- und Erweiterungsformen des Eigentumsvorbehalts sowie gepfändete Sachen oder Sachen, die mit einem Vermieterpfandrecht2 belastet sind. Überblick – Anwendungsbereich des § 166 InsO – Sicherungseigentum; – Verlängerungs- und Erweiterungsformen des Eigentumsvorbehalts; – gepfändete Sachen im Besitz des Verwalters; – mit Vermieterpfandrecht belastete Sachen im Besitz des Verwalters.
272
Den Gläubigern wird durch die Verlagerung des Verwertungsrechts auf den Insolvenz- 273 verwalter der Zugriff auf die wirtschaftliche Einheit des schuldnerischen Unternehmens verwehrt. Auch kann aus dem Sicherungseigentum kein Verfügungsanspruch abgeleitet werden, der einen Eingriff in das dem Insolvenzverwalter zustehende Verwertungsrecht im Wege einer einstweiligen Verfügung rechtfertigt3. Vorhandene Chancen zeitweiliger oder dauerhafter Unternehmensfortführung bleiben dadurch erhaltenSoweit durch eine Sanierung des Unternehmens der Fortführungswert der Sicherheit erhalten bleibt oder eine vorteilhafte Gesamtveräußerung erfolgt, können die Verwertungsregelungen auch dem gesicherten Gläubiger zugute kommen. Hintergrund dieser nach der jeweiligen Besitzlage differenzierenden Regelung in Be- 274 zug auf besitzlose Pfandrechte und Besitzpfandrechte ist im Wesentlichen der Gesichtspunkt, dass besitzlose Mobiliarsicherheiten in aller Regel am Umlauf- oder Anlagevermögen des schuldnerischen Unternehmens bestehen. Befindet sich die absonderungsbelastete Mobilie nicht im Besitz des Insolvenzverwalters, ist ausnahmsweise der Gläubiger gemäß § 173 Abs. 1 InsO zur Verwertung befugt.
275
Hat der Gläubiger lediglich mittelbaren Besitz, so hängt die Verwertungsbefugnis 276 davon ab, ob es dem Gläubiger gelingt, den Sicherungsgegenstand rechtzeitig vor der Verfahrenseröffnung beim Schuldner herauszuholen, was spätestens im Antragsverfahren durch Maßnahmen des Insolvenzgerichts nach § 21 InsO verhindert werden kann. Denn mit Verfahrenseröffnung entsteht auch bei lediglich mittelbarem Besitz das Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters. Dies zeigt wiederum die Notwendigkeit einer rechtzeitigen Durchsetzung der Siche- 277 rungsrechte im Vorfeld eines Insolvenzverfahrens (Rz. 216 ff.). Denn hat der Gläubiger bereits vor Einleitung des Insolvenzverfahrens aufgrund der Liquiditätsprobleme des Sicherungsgebers von seinem Sicherungsrecht Gebrauch gemacht und das Sicherungsgut zum Zwecke der Verwertung an sich gezogen, so kann er die Verwertung auch fortsetzen. Eine Rückgabepflicht an den Verwalter besteht – vorbehaltlich einer Insolvenzanfechtung – nicht4. Zeichnet sich eine Sanierung im Insolvenzverfahren ab, wird regelmäßig anders zu beraten sein. Bei Erhalt der wirtschaftlichen Einheit dürfte mit Rücksicht auf die dann erzielbaren Fortführungswerte trotz der Massebe-
1 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 166 Rz. 7. 2 Zur Bedeutung des Vermieterpfandrechts in der Betriebsfortführung Lütcke, NZI 2012, 262 ff.; Zipperer, NZI 2005, 538 ff. 3 OLG Oldenburg v. 9.4.2013 – 1 W 13/13, ZInsO 2014, 304 f. 4 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 166 Rz. 7; Obermüller/Hess, InsO, Rz. 772; ursprünglich sahen die Entwürfe der InsO auf Anordnung des Insolvenzgerichts auch für diese Fälle eine Rückgabepflicht des Sicherungsgläubigers an den Insolvenzverwalter vor, wobei nach erfolgter Übergabe der Insolvenzverwalter auch zur Verwertung berechtigt sein sollte (vgl. § 188 DiskE – § 188 RefE – § 199 RegE).
Drees/Schmidt
541
§7
Rz. 278
Beratung des gesicherten Glubigers
teiligung ein geringerer Ausfall zu erzielen sein als bei Verwertung eines für sich genommen weniger wertvollen Gegenstandes. 278 Befindet sich der betreffende Gegenstand bei Verfahrenseröffnung im Besitz eines Dritten, der sein Besitzrecht vom Schuldner ableitet, z.B. bei einem seitens des Schuldners bezahlten Lagerhalter oder zur Reparatur bei einem Werkunternehmer, so ist nach der Rechtsprechung des BGH der mittelbare Besitz des Schuldners als ausreichend für die Begründung eines Verwertungsrechts des Verwalters anzusehen1. In diesem Zusammenhang stellt der BGH ganz allgemein darauf ab, ob der Schuldner die betreffenden Gegenstände aus betrieblichen Gründen überlassen hat, und sieht das insbesondere in den Fällen der Weitervermietung und der Überlassung im Rahmen eines Leasingvertrages als gegeben an, mit der Konsequenz, dass dem Verwalter das Vermögensrecht zusteht. Dies gilt auch für den mehrstufigen mittelbaren Besitz2. 279
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Hinweise bei mittelbarem Besitz des Schuldners: – Verwertet der absonderungsberechtigte Gläubiger eine solche bewegliche Sache, ohne dazu vom Insolvenzverwalter ermächtigt worden zu sein, schuldet er der Masse die Feststellungskostenpauschale (hierzu Rz. 343 ff.)3. – Der absonderungsberechtigte Gläubiger erhält auch nicht dadurch ein eigenes Verwertungsrecht, dass er den unmittelbaren Besitzer veranlasst, den Besitzmittlungswillen für den Insolvenzverwalter aufzugeben4. – Soweit der Schuldner den Besitz an dem Absonderungsgegenstand gegen seinen Willen verloren bzw. aufgrund des Drucks des Gläubigers unfreiwillig herausgegeben hat, werden diese Gegenstände ebenfalls zu dem Besitz des Verwalters gezählt, so dass ihm auch in diesen Fällen ein Verwertungsrecht zukommt. Der Verwalter kann in diesen Fällen nur den Weg über die Durchsetzung des zivilrechtlichen Besitzkehranspruchs nach § 861 Abs. 1 BGB5 bzw. den Weg der Anfechtung (Rz. 349e und umfassend § 10) wählen.
280 Trotz des nunmehr in § 166 InsO kodifizierten Verwertungsrechts des Insolvenzverwalters besteht für diesen keine Verwertungspflicht. Nach § 170 Abs. 2 InsO ist der Insolvenzverwalter dazu berechtigt, die Verwertung des mit dem Absonderungsrecht belasteten Gegenstands dem gesicherten Gläubiger zu überlassen. Allerdings dürfte dies mit Rücksicht auf die hiermit verbundenen Nachteile für die Gläubigergesamtheit die Ausnahme sein. 280a Eine Ausnahme käme bei unverhältnismäßigen Kosten für die Verwertung durch den Verwalter in Betracht. Aber auch dann ist eine Überlassung gemäß § 170 Abs. 2 InsO keineswegs zwingend. Denn gemäß §§ 170, 171 InsO sind Insolvenzverwalter berechtigt, anstelle der gesetzlichen Verwertungspauschale die tatsächlich entstandenen Kosten ersetzt zu verlangen (siehe hierzu unten Rz. 345 ff.). 280b Kein Argument für eine Überlassung gemäß § 170 Abs. 2 InsO ist der Umstand, dass der absonderungsberechtigte Gläubiger über bessere Verwertungsmöglichkeiten in Bezug auf den Absonderungsgegenstand verfügt6. Erlangt der Insolvenzverwalter nach Mitteilung der Veräußerungsabsicht gemäß § 168 InsO oder auf andere Weise Kenntnis von einer solchen Verwertungsmöglichkeit, so kann er diese selbst wahr-
1 BGH v. 16.2.2006 IX ZR 26/05, ZIP 2006, 814 (816) m. Anm. Gundlach/Frenzel, BGH-Report 2006, 818 sowie Anm. v. N. Schmidt/Schirmeister, EWiR 2006, 471 f.; BGH v. 16.11.2006 – IX ZR 135/05, ZInsO 2006, 1320, 1321; m. zust. Anm. Bork, EWiR 2007, 119 f.; LG Stuttgart v. 12.4.2005 – 2 C 34/05, ZIP 2005, 1523 f.; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 166 Rz. 4; Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 166 Rz. 4; differenzierend Gaedertz, ZInsO 2000, 256 (263). 2 BGH v. 16.11.2006 – IX ZR 135/05, ZInsO 2006, 1320 f. 3 BGH v. 16.11.2006 – IX ZR 135/05, ZInsO 2006, 1320, 1321; m. zust. Anm. Bork, EWiR 2007, 119 f. 4 BGH v. 16.11.2006 – IX ZR 135/05, ZInsO 2006, 1320 m. zust. Anm. Bork, EWiR 2007, 119 f.; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur InsO, Kapitel 5 Rz. 435. 5 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 166 Rz. 7; vgl. hierzu auch Eckardt, ZIP 1999, 1734 (1743). 6 Landfermann in HK-InsO, § 170 InsO Rz. 13.
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Absonderungsfragen
Rz. 284
§7
nehmen. Verpflichtet ist er hierzu allerdings nicht. Wenn er sie nicht wahrnimmt, droht indes eine Ersatzpflicht in Höhe der Differenz zu der günstigeren Verwertungsmöglichkeit. Deren Existenz muss jedoch der absonderungsberechtigte Gläubiger zunächst beweisen1. Vgl. weitergehend hierzu Rz. 287 ff. (bb) Verwertungsverfahren Nach Ausweitung des Verwertungsrechts des Insolvenzverwalters hat der Gesetz- 281 geber der InsO den absonderungsberechtigten Gläubigern aufgrund ihrer priviliegierten Rechtsposition als Eigentümer bzw. Inhaber des belasteten Vermögensgegenstandes mit den Bestimmungen der §§ 167 ff. InsO ein verbessertes rechtliches Instrumentarium zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen an die Hand gegeben2. Durch diese nachstehend im Detail beschriebenen Pflichten des Insolvenzverwalters 281a auf der einen und Rechte des absonderungsberechtigten Gläubigers auf der anderen Seite entsteht zwischen diesen beiden ein gesetzliches Schuldverhältnis. Dieses kann nach der Rechtsprechung des OLG Stuttgart eine hinreichende Rechtsverbindung sein, um konkrete Handlungspflichten des Absonderungsberechtigten zu begründen3. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt hat das erkennende Gericht auf diese Weise das beteiligte Kreditinstitut verpflichtet, den für die Veräußerung erforderlichen KfZ-Brief an den Insolvenzverwalter herauszugeben. Der ursprüngliche Zweck des Einbehalts sei mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entfallen; den KfZ als Druckmittel zurückzubehalten sei angesichts der Regelungen der §§ 166 ff., 170 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht schutzwürdig und das Interesse an einer schnellen Auszahlung durch § 169 InsO hinreichend berücksichtigt. (aaa) Auskunftsanspruch (§ 167 InsO) Die Auskunftspflicht gegenüber absonderungsberechtigten Gläubigern wurde in der 282 InsO unter Konkretisierung einzelner Aspekte des Auskunftsanspruchs erstmals kodifiziert. Nach § 167 InsO steht den Gläubigern, deren Sicherungsgut nun durch den Verwalter verwertet wird, ein Auskunftsrecht als Grundlage ihrer Rechtsposition zu4. Dieser Auskunftsanspruch stellt zwar eine eigenständige Rechtsposition des Gläubigers dar, Hintergrund dieser Vorschrift sind jedoch die folgenden Regelungen der §§ 168, 169 InsO, die dem Absonderungsberechtigten – Gelegenheit zum Nachweis günstigerer Verwertungsalternativen (Rz. 287 f.), – die Eintrittsmöglichkeit in geplante Verwertungsgeschäfte des Verwalters sowie – Schutz vor Verzögerungen der Verwertung gewähren gemäß den Regelungen der §§ 168, 169 InsO (Rz. 287 ff., 297 ff.)5. Über dieses Anspruchsziel hinaus verschafft § 167 InsO den Gläubigern kein allgemeines Informations- oder Einsichtsrecht. Allgemeine Informationen über das Verfahren und die Massegegenstände ergeben sich aus den pflichtgemäßen Aufzeichnungen des Insolvenzverwalters, die im Berichtstermin zu erläutern sind6.
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Voraussetzung für die gebotene Wahrnehmung dieser Rechte ist zunächst die Kennt- 284 nis des gesicherten Gläubigers von dem Zustand der Sicherungsgegenstände bzw. von der Höhe und Fälligkeit der Sicherungsforderungen. Der Auskunftsanspruch setzt damit ein gesetzlich geregeltes Gegengewicht zu der nach § 166 InsO gestärkten Rechtsstellung des Insolvenzverwalters, da den absonderungsberechtigten Gläubi-
1 MünchKommInsO/Lwowski/Tetzlaff, § 168 Rz. 34. 2 Vgl. hierzu die Ausführungen des OLG Oldenburg v. 9.4.2013 – 1 W 13/13, ZInsO 2014, 304 f. sowie des OLG Celle v. 26.11.2003 – 16 U 134/03, ZInsO 2004, 42 m. Anm. Gundlach/Schmidt, EWiR 2004, S. 301 f. 3 OLG Stuttgart v. 62.4.2012 – IX ZR 67/09, ZInsO 2012, 1301. 4 S. eingehend zum Auskunftsanspruch Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 167 Rz. 1 ff.; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 167 Rz. 1 ff. 5 BT-Drucks. 12/2443, S. 179; RefE, 3. Teil, S. 207. 6 BGH v. 16.9.2010 – IX ZR 56/07, ZIP 2010, 2234 ff.
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§7
Rz. 285
Beratung des gesicherten Glubigers
gern im Übrigen keine Zugriffsmöglichkeit auf den Sicherungsgegenstand mehr offen steht. 285 Aus Gründen der Vereinfachung und um den Insolvenzverwalter zu entlasten, steht es diesem nach § 167 Abs. 1 Satz 2 InsO frei, die Gläubiger darauf zu verweisen, sich selbst vom Zustand der Sache zu überzeugen. Es handelt sich hierbei um eine Ersetzungsbefugnis des Insolvenzverwalters, deren Wahrnehmung durch den Gläubiger vom Einverständnis des Verwalters abhängt1. Im Einzelfall ist die Entscheidung anhand von Zumutbarkeitskriterien zu treffen, so dass weder der Verwalter noch der Berechtigte über Gebühr belastet werden2. 286 Dem Verwalter kommt es nicht zu, für die erteilten Auskünfte zugunsten der Insolvenzmasse Aufwendungsersatzansprüche zu erheben3. Für solche ist aufgrund der obligatorischen Kostenbeiträge in §§ 170, 171 InsO kein Raum mehr. Handelt es sich um besondere Kosten der Feststellung des Anspruchs, so ist dieser Aufwendungsbetrag bereits in der Kostenpauschale der §§ 170, 171 InsO enthalten4. Im Übrigen gehört die Erteilung von Auskünften zur Ausübung der allgemeinen Verwaltertätigkeit, so dass die erzeugten Kosten zu Lasten der Masse gehen. 286a
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Hinweis für Berater: Der Gesetzestext sollte absonderungsberechtigte Gläubiger nicht davon abhalten, entsprechende Auskunftsrechte auch dann geltend zu machen, wenn Absonderungsgut im schuldnerischen Vermögen nur (vage) vermutet wird. Denn auch in diesem Fall ist der Insolvenzverwalter zur Auskunft verpflichtet. Ungeklärt ist lediglich, ob dieses Recht unmittelbar aus § 167 InsO oder als Nebenrecht des Absonderungsrechts aus § 50 InsO folgt5. Der BGH lässt diese rechtliche Einordnung offen.
(bbb) Mitteilungspflicht und Hinweisrecht (§ 168 InsO) 287 Die Übertragung des Verwertungsrechts auf den Verwalter sollte nicht dazu führen, dass eventuell günstigere Verwertungsmöglichkeiten des gesicherten Gläubigers zu dessen Lasten ungenutzt bleiben6. Das Gesetz suchte mit der Regelung des § 168 InsO einen Kompromiss, wonach der Verwalter dem absonderungsberechtigten Gläubiger vor der Verwertung des belasteten Gegenstandes zumindest die Gelegenheit einräumen muss, eine günstigere Verwertungsmöglichkeit nachzuweisen oder den Gegenstand zu den vorgesehenen Bedingungen selbst zu übernehmen. 288 Um dem Gläubiger die Möglichkeit des Nachweises einer günstigeren Verwertungsalternative zu ermöglichen, normiert § 168 Abs. 1 Satz 1 InsO eine Mitteilungspflicht des Insolvenzverwalters gegenüber dem Sicherungsinhaber bezüglich der konkret beabsichtigten Verwertung7. Dabei besteht die Mitteilungspflicht auch dann, wenn der Insolvenzverwalter das Sicherungsgut im Rahmen einer freiwilligen öffentlichen Versteigerung verwerten möchte8. Eine inhaltlich hinreichend konkrete Anzeige löst die Wochenfrist zur Abgabe des Gläubigerhinweises im Sinne von § 168 Abs. 2 InsO aus. 288a Das Gesetz lässt offen, wie konkret die vom Verwalter geplante Veräußerung bezeichnet werden muss, und damit auch, wie weit die Verhandlungen zwischen dem Verwalter und dem erwerbswilligen Dritten schon gediehen sein müssen, wenn der Verwal-
1 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 167 Rz. 6. 2 Gundlach/Frenzel/Schmidt, ZInsO 2001, 537 (539) m.w.N. 3 Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 167 Rz. 8; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 167 Rz. 9; Gundlach/Frenzel/Schmidt, ZInsO 2001, 537 (539). 4 Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 167 Rz. 8. 5 BGH v. 4.12.2003 – IX ZR 222/02, ZIP 2004, 326. 6 BT-Drucks. 12/2443, S. 179. 7 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 168 Rz. 2; vgl. näher Haas/Scholl, NZI 2002, 642 (642 f.) m.w.N. 8 OLG Celle v. 20.1.2004 – 16 U 109/03, ZInsO 2004, 445 ff.
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Absonderungsfragen
Rz. 290
§7
ter die Mitteilung macht1. Institutionelle Gläubiger neigen dazu, die inhaltlichen Anforderungen an eine Anzeige des Insolvenzverwalters überzustrapazieren, um sich zum einen mögliche Ersatzansprüche (vgl. § 168 Abs. 2 InsO sowie unten Rz. 289) vorzubehalten und zum anderen den Insolvenzverwalter zu einer Überlassung der Verwertung (§ 170 Abs. 2 InsO) zu bewegen, wodurch sich die Massebeteiligung auf die Feststellungskosten reduzieren würden. Aus Gründen der Praktikabilität dürfen die Anforderungen an die Anzeige nicht zu 288b streng sein. So dürfte die Person des Käufers nicht genannt werden müssen. Letztlich muss zur Beurteilung, ob eine günstigere Verwertungsmöglichkeit besteht, allein der Gegenstand, die Art der Verwertung und der Kaufpreis bekannt sein. Enthält die Mitteilung nach § 168 InsO einen Hinweis auf notfalls erforderliche Preisabschläge, so muss auch dies noch als hinreichend konkrete Anzeige im Sinne des § 168 InsO bewertet werden. Das Gesetz regelt in § 168 InsO weiterhin nicht, wie der Insolvenzverwalter zu verfah- 288c ren hat, wenn er nach einem Hinweis des Gläubigers auf eine günstigere Verwertungsmöglichkeit eine noch günstigere Verwertungsmöglichkeit findet. Mittlerweile hat der BGH klargestellt, dass keine Pflicht zur erneuten Mitteilung besteht2. Dies gilt auch, wenn der Gläubiger den Gegenstand gemäß § 168 Abs. 3 Satz 1 InsO selbst übernehmen möchte3. Dem Gläubiger wird durch Abgabe eines den Verwalter bindenden Hinweises auf eine 289 günstigere Verwertungsmöglichkeit Einfluss auf die Verwertung seines Sicherungsguts im Insolvenzverfahren gewährt. Zwar begründet ein entsprechend konkreter Hinweis auf eine für ihn4 günstigere Verwertungsmöglichkeit keine Verpflichtung des Insolvenzverwalters, diese auch wahrzunehmen5. Bei Nichtwahrnehmung der nachgewiesenen günstigeren Verwertungsmöglichkeit muss er den Gläubiger aber so stellen, als ob die Verwertung zu diesen Bedingungen erfolgt wäre (§ 168 Abs. 2 InsO)6. D.h., er muss ihm den Erlös auszahlen, den der Gläubiger bei der Realisierung der für ihn günstigeren Verwertungsoption hätte beanspruchen können. Die Beweislast dafür, dass die vom Gläubiger angezeigte Verwertungsmöglichkeit tatsächlich bestand und zu einer günstigeren Verwertung geführt hätte, trägt der Gläubiger7. Können solche Ansprüche dargetan werden, so dürften sie im Rang einer Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO stehen8. Diesen Weg wird der Verwalter insbesondere dann wählen, wenn der mit dem Abson- 290 derungsrecht belastete Gegenstand Bestandteil einer Gesamtveräußerung ist und diese zwar nicht für den absonderungsberechtigten Gläubiger, dafür aber gegenüber dem Einzelverkauf für die Masse insgesamt Vorteile mit sich bringt9. Auch in diesem Fall braucht der Gläubiger zur Auslösung der Rechtsfolgen des § 168 Abs. 2 InsO lediglich eine günstigere Verwertungsoption allein für den mit dem Absonderungsrecht
1 Landfermann in HK-InsO, § 168 Rz. 3. 2 BGH v. 22.4.2010 – IX ZR 208/08, NZI 2010, 525. Ebenso OLG Karlsruhe v. 9.10.2008 – 9 U 147/08, NZI 2008, 747 (748). 3 Sinz in K. Schmidt, InsO, § 168 Rz. 6. 4 Gibt der absonderungsberechtigte Gläubiger einen Hinweis bzgl. einer Verwertungsalternative, die entgegen des Wortlauts des § 168 Abs. 1 InsO allein für andere Insolvenzgläubiger günstiger ist, so werden die Rechtsfolgen des § 168 Abs. 2 und Abs. 3 nicht ausgelöst, Lwowski/ Heyn, WM 1998, 473 (477 f.). 5 BT-Drucks. 12/2443, S. 179; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 168 Rz. 14; vgl. auch Haas/ Scholl, NZI 2002, 642 (647). 6 BT-Drucks. 12/2443, S. 179; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 168 Rz. 15; vgl. auch Haas/ Scholl, NZI 2002, 642 (647). 7 MünchKommInsO/Lwowski/Tetzlaff, § 168 Rz. 34. 8 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 168 Rz. 14 und Blank, EWiR 2004, 715 f., der diese Aussage in den Entscheidungsgründen des OLG Celle v. 20.1.2004 – 16 U 109/03, ZIP 2004, 725 erkennt. 9 BGH v. 4.7.2013 – IX ZR 264/12, ZInsO 2013, 1690 (1691); Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 168 Rz. 11; Gundlach/Frenzel/Schmidt, ZInsO 2001, 537 (540); vgl. zur Vergleichsmethode auch Haas/Scholl, NZI 2002, 642 (644 ff.).
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§7
Rz. 291
Beratung des gesicherten Glubigers
belasteten Gegenstand nachzuweisen1. Unabhängig von der Erlösauskehr durch den Insolvenzverwalter nach der ersten oder zweiten Alternative des § 168 Abs. 2 InsO nimmt der Gläubiger bei unvollständiger Befriedigung in Höhe seines Ausfalls als Insolvenzgläubiger an dem Insolvenzverfahren teil (§ 52 InsO)2. 291 Bei der Wochenfrist in § 168 Abs. 2 Satz 1 InsO handelt es sich nicht um eine Ausschlussfrist. Der Verwalter hat auch dann die seitens des Gläubigers nachgewiesene günstigere Verwertungsmöglichkeit unabhängig von dem Ablauf der Wochenfrist wahrzunehmen, wenn der Hinweis rechtzeitig vor der Vornahme der Verwertungshandlung eingeht3. 292 Als günstigere Verwertungsmöglichkeit kommt auch der Selbsteintritt des Sicherungsnehmers nach § 168 Abs. 3 Satz 1 InsO durch Übernahme des belasteten Gegenstandes zu den vorgesehenen Bedingungen in Betracht4. Der Selbsteintritt stellt vornehmlich dann eine günstigere Verwertungsmöglichkeit dar, wenn er mit der Ersparnis von Verwertungskosten gemäß § 168 Abs. 3 Satz 2 InsO einhergeht5. Zu beachten gilt es im Fall des Selbsteintritts, dass es unabhängig von einer tatsächlichen Verwertung des Gegenstandes lediglich zu einer Verrechnung des mit dem Verwalter vereinbarten Preises auf die gesicherte Forderung kommt6. Das letztliche Verwertungsrisiko, aber auch die Möglichkeit eines Verwertungsgewinns, liegt bei dem übernehmenden Sicherungsgläubiger. Demnach wird auch ein eventueller Mehrgewinn nicht – auch nicht auf die Ausfallforderung – angerechnet7. 293 Kündigt der Verwalter an, das Absonderungsgut durch öffentliche Versteigerung verwerten zu lassen, und gibt der gesicherte Gläubiger selbst ein Angebot ab, so ist der Verwalter gehalten, dem Auktionator dieses Angebot zuzüglich der Versteigerungskosten als Mindestgebot aufzugeben. Unterlässt er es und wird bei der Versteigerung schließlich ein geringerer Erlös erzielt, ist er dem Sicherungsgläubiger in Höhe der Differenz zum Nachteilsausgleich verpflichtet. Kurzum: § 168 Abs. 2 InsO findet auch im Fall der öffentlichen Versteigerung Anwendung8. 294 In der Vergangenheit waren absonderungsberechtigte Gläubiger bemüht, den Unterrichtungsanspruch aus § 168 InsO über die vorgesehene Verwertung durch Herausgabe des Gegenstands an einen Sequester im Wege einer einstweiligen Verfügung sicherzustellen. Ein solcher Herausgabeanspruch ist von § 168 InsO jedoch nicht gedeckt. Absonderungsberechtigte Gläubiger sind durch die Unterrichtungs- und Mitteilungsverpflichtung gemäß § 168 Abs. 1 und 2 InsO ausreichend geschützt. Auch das Selbsteintrittsrecht nach § 168 Abs. 3 InsO rechtfertigt einen solchen Anspruch nicht. Dieses Recht des absonderungsberechtigten Gläubigers beschränkt sich auf das Aufzeigen einer bestimmten Verwertungsmöglichkeit, die der Verwalter wahrnehmen kann, aber nicht muss (s.o. Rz. 287 ff.). Der durch § 168 InsO gewährte Schutz beschränkt sich damit auf einen Nachteilsausgleich. Ein Herausgabeanspruch ist hiermit nicht verbunden9. 295 Unterlässt der Insolvenzverwalter schuldhaft die Mitteilung der Veräußerungsabsicht, so entsteht eine persönliche Schadensersatzpflicht nach § 60 InsO (zu den 1 Jüngst BGH v. 4.7.2013 – IX ZR 264/12, ZInsO 2013, 1690 (1691). 2 Haas/Scholl, NZI 2002, 642, 644 ff. 3 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 168 Rz. 12; Haas/Scholl, NZI 2002, 642, 644; Gundlach/Frenzel/Schmidt, ZInsO 2001, 537 (539). 4 Vgl. hierzu näher Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 168 Rz. 10. 5 Klasmeyer/Elsner/Ringstmeier, Kölner Schrift zur InsO, S. 1083 ff. Rz. 27; Smid in Leonhard/ Smid/Zeuner, InsO, § 168 Rz. 15; Niesert in Andersen/Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 528. 6 BT-Drucks. 12/2443, S. 179; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 168 Rz. 10; Niesert in Andersen/ Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 529. 7 BT-Drucks. 12/2443, S. 179; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 168 Rz. 10; Haas/Scholl, NZI 2002, 642, 644. 8 OLG Celle v. 20.1.2004 – 16 U 109/03, ZIP 2004, 725 m. zust. Anm. Blank, EWiR 2004, 715 f. 9 OLG Celle v. 26.11.2003 – 16 U 134/03, ZInsO 2004, 42 m. zust. Anm. und w.N. Gundlach/ Schmidt, EWiR 2004, 301 f.
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Absonderungsfragen
Rz. 298c
§7
gegenüber absonderungsberechtigten Gläubigern bestehenden Pflichten allgemein siehe unten Rz. 372). Der Verstoß gegen § 168 InsO macht die Verwertung jedoch nicht zu einer unberechtigten; auch die Ansprüche gemäß §§ 170, 171 InsO entstehen rechtswirksam. Neben dem Ausgleich für die Abschaffung des § 127 Abs. 2 KO dient die Neuregelung 296 zudem dem Bedürfnis einer zügigen Abwicklung des Verwertungsverfahrens1. Hier sind in erster Linie die einwöchige Frist zur Abgabe des Gläubigerhinweises sowie die Möglichkeit der Übernahme des Gegenstandes durch den Gläubiger gemäß § 168 Abs. 3 InsO als besondere Verwertungsart hervorzuheben. (ccc) Schutz vor Verwertungsverzögerungen (§ 169 InsO) Drittes Instrument zur Absicherung der privilegierten Rechtsstellung des Absonde- 297 rungsberechtigten ist der Zinsanspruch des Gläubigers. Mit diesem sollen Verwertungsverzögerungen verhindert bzw. finanziell kompensiert werden. Gerade im Falle zeitweiliger Betriebsfortführung müssen die Gläubiger befürchten, dass der Verwalter sein Besitz- und Verwertungsrecht missbraucht, indem er den Sicherungsgegenstand im Rahmen der Betriebsfortführung nutzt und die Verwertung hinauszögert. Hat der Insolvenzverwalter also einen Grund, die Verwertung aufzuschieben, so darf sich dies nicht zum Nachteil der absonderungsberechtigten Gläubiger auswirken2. Deshalb gesteht § 169 InsO dem gesicherten Gläubiger zu, – vom Berichtstermin an – laufend die geschuldeten Zinsen für die vorenthaltene Liquidität – bis zum Verwertungszeitpunkt zu beanspruchen. Diese schadensersatzähnliche Regelung soll dem Gläubiger den Nachteil egalisieren, 298 der ihm durch den Verlust der Verwertungsbefugnis sowie der damit einhergehenden Beschränkung seiner Einflussmöglichkeiten auf den Verwertungsvorgang entstanden ist3. Er soll in die Lage versetzt werden, die ihm durch die verzögerte Verwertung „vorenthaltene Liquidität anderweitig zu beschaffen“, um auf diese Weise „eine wirtschaftliche Einbuße zu vermeiden“4. Da der Sicherungsnehmer auch im Rahmen einer Eigenverwertung den Verwertungserlös nicht alsbald vereinnahmen kann, besteht diese Entschädigungsverpflichtung erst ab dem Berichtstermin, der höchstens drei Monate nach der Verfahrenseröffnung liegen darf5. Bei zur Sicherung abgetretener Forderungen – für die § 169 InsO auch gilt – steht 298a dem Sicherungsnehmer eine Verzinsung erst ab dem Tag nach dem Zahlungseingang beim Insolvenzverwalter zu, sofern sich dieser vom Berichtstermin an ordnungsgemäß um den Forderungseinzug gekümmert hat6. Ist der Gläubiger schon vor der Verfahrenseröffnung durch Sicherungsmaßnahmen 298b etwa gemäß § 21 Abs. 1 und 2 Nr. 5 InsO an der Verwertung gehindert worden, so tritt gemäß § 169 Satz 2 InsO an die Stelle des Berichtstermins der Zeitpunkt, in dem nach Anordnung der Sicherungsmaßnahme drei Monate verstrichen sind7. Damit ist der Insolvenzverwalter für den Zeitraum bis zum Berichtstermin oder zu- 298c mindest von drei Monaten zur kostenlosen Nutzung des Sicherungsguts berechtigt8. Dabei bedeutet die Ausklammerung dieses Zeitraums bis zum Berichtstermin nicht 1 BT-Drucks. 12/7302, S. 176 f. 2 BGH v. 16.2.2006 – IX ZR 26/05, ZInsO 2006, 433 (434 f.). Vgl. hierzu Ganter, ZInsO 2007, 841 (848). 3 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 169 Rz. 1; Flötherin Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 169 Rz. 2. 4 BT-Drucks. 12/2443, S. 180 (177). 5 BT-Drucks. 12/2443, S. 88. 6 BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, ZInsO 2003, 318 ff.; Obermüller, NZI 2003, 418; a.A. Landfermann in HK-InsO, § 169 Rz. 2 f. 7 Zur Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung Beschluss des BVerfG v. 22.3.2012 – 1 BvR 3169/11, ZIP 2012, 1251 (1252). 8 BGH v. 3.12.2009 – IX ZR 7/09, NZI 2010, 95 (96).
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§7
Rz. 299
Beratung des gesicherten Glubigers
einen endgültigen Zinsverlust für diese Zeit, sondern es entfällt lediglich die Vorabverzinsung. Die Sicherheit haftet auch für die auf diesen Zeitraum entfallenden Zinsen, diese finden aber erst bei der endgültigen Erlösverrechnung Berücksichtigung1. 299 Neben der Kompensation finanzieller Nachteile sah der Gesetzgeber zudem die unerlässliche marktregelnde Wirkung des Zinsanspruchs2. 300 Ein Initiativrecht zur Beschleunigung bzw. Einleitung des Verwertungsverfahrens, wie im Regierungsentwurf3 vorgesehen, steht dem Absonderungsberechtigten nicht zu. Es wurde als ausreichend angesehen, den absonderungsberechtigten Gläubiger für diesen Fall auf die allgemeine Haftungsnorm des Insolvenzverwalters gemäß § 60 InsO zu verweisen4. 301 Der Zinsanspruch tritt systematisch neben die Verwertungspflicht des Insolvenzverwalters aus § 159 InsO und die Haftungsnorm des § 60 InsO und ergänzt diese um ein verschuldensunabhängiges Element5. Er bemisst sich nach der Dauer der Verzögerung, der Höhe des Gegenstandswertes und nach dem Zinssatz, den der Gläubiger aus dem ungestörten Schuldverhältnis mit dem Schuldner beanspruchen konnte, bzw. dem gesetzlichen Zinssatz. Für die Höhe der nach dieser Vorschrift geschuldeten Zinsen kommt es nicht darauf an, ob sich der Schuldner im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits in Verzug befand oder nicht. Waren vertraglich ausnahmsweise keine Zinsen als Hauptleistung geschuldet (§ 488 Abs. 1 Satz 2 BGB) oder lag der vereinbarte Zinssatz unter 4 %, ist entsprechend des gesetzlichen Zinssatzes gemäß § 247 BGB eine Verzinsung von 4 % anzunehmen6. Dies schließt nicht aus, dass Insolvenzverwalter und gesicherter Gläubiger – etwa in der Hoffnung auf spätere günstigere Verwertungsmöglichkeiten – einvernehmlich auf die Zinszahlungspflicht verzichten. 302 Nach dem Gesetzeswortlaut endet die Zinszahlungsverpflichtung nach der Verwertung. Eine verzögerte Ausschüttung des Erlöses nach abgeschlossener Verwertung dürfte hiernach allenfalls eine Ersatzpflicht des Verwalters nach § 60 Abs. 1 InsO nicht jedoch eine Verpflichtung nach § 169 Satz 1 InsO auslösen. Da es für den gesicherten Gläubiger jedoch allein auf die Auskehr des Erlöses ankommt und eine Differenzierung zwischen verzögerter Verwertung und verzögerter Ausschüttung nicht gerechtfertigt ist, erfasst § 169 Satz 1 InsO nach inzwischen einhelliger Ansicht auch den Fall der verzögerten Ausschüttung. Die Zinszahlungsverpflichtung endet daher erst mit der Auskehr des Erlöses an den Absonderungsberechtigten7. 303 Die Zinszahlungsverpflichtung ist allerdings abhängig von einer realen Befriedigungschance des Gläubigers, da ihm nur in diesem Fall auch vorzeitige Liquidität verloren geht. Nach § 169 Satz 3 InsO scheidet ein Zinsanspruch des Gläubigers aus, wenn dieser mit einer Befriedigung aus dem Verwertungserlös nicht rechnen kann. Das bedeutet, dass letztlich nicht der gesicherte Kapitalbetrag Grundlage der Verzinsung ist, sondern der Wert der Sicherheit und damit der zu erwartende Verwertungserlös8. Entsprechend kommt bei bloß teilweise anzunehmender Befriedigung lediglich eine anteilige Zinsauskehr in Betracht9. 303a Über diese in § 169 Satz 3 InsO vorgesehene Einschränkung hinaus entfällt die Zinszahlungspflicht ferner, wenn auch der Gläubiger selbst im Falle einer eigenen Verwer1 Landfermann in HK-InsO, § 169 Rz. 18. 2 BT-Drucks. 12/2443, S. 79 (86); RefE, 2. Teil, S. 24 f. (49). 3 So § 194 Abs. 2 RegE, der ein Antragsrecht des absonderungsberechtigten Gläubigers auf gerichtliche Festsetzung der Verwertungsfrist vorsah, BT-Drucks. 12/2443, S. 180. 4 BT-Drucks. 12/7302, S. 177. 5 Zu den Einzelheiten vgl. Hellmich, ZInsO 2005, 680 ff. 6 BGH v. 16.2.2006 – IX ZR 26/05, ZInsO 2006, 433 (436 ff.). 7 BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, ZInsO 2003, 318, (322); a.A. LG Stendal v. 7.3.2002 – 22 S 208/01, ZIP 2002, 765 m. Anm. Runkel, EWiR 2002, 587 und auch LG Köln v. 7.1.2003 – 3 O 304/02, ZIP 2003, 2313. 8 BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, ZInsO 2003, 318 (322). 9 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 169 Rz. 11; Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 169 Rz. 6.
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Absonderungsfragen
Rz. 305
§7
tung seine gesicherten Ansprüche nicht früher (oder überhaupt nicht) hätte verwirklichen können. Auch dies gebietet der in § 169 Satz 3 InsO – in Anlehnung an § 30e Abs. 3 ZVG und § 172 Abs. 1 Satz 3 InsO – enthaltene allgemeine Grundsatz, dass die Insolvenzmasse nicht für die Werthaltigkeit des Sicherungsgutes einzustehen hat1. Nach diesen vom BGH entwickelten Grundsätzen entfällt eine Verzinsungspflicht 303b ganz allgemein, wenn die verzögerte Verwertung nicht auf insolvenzspezifischen Gründen beruht. Solche liegen vor, wenn auch dem Gläubiger eine Verwertung überhaupt nicht oder auch nicht früher möglich gewesen wäre. Dies ist ganz allgemein immer dann der Fall, wenn die Verzögerung auf Gründen beruht, die sich unmittelbar aus der Beschaffenheit des Sicherungsguts selbst ergeben2.
Û
Prozessuale Hinweise für den Gläubigervertreter: 303c – Die Darlegungs- und Beweislast für derartige nicht insolvenzspezifische Risiken, die eine Verzögerung der Verwertung des Sicherungsgutes oder dessen gänzliche Nichtverwertbarkeit zur Folge haben, trägt der Insolvenzverwalter. Dies folgt aus dem Rechtsgedanken des § 169 Satz 3 InsO, der nach Inhalt und Systematik als Ausnahmetatbestand ausgestaltet ist („gelten nicht“). – Hat der Insolvenzverwalter den Gegenstand nicht selbst verwertet, sondern nach dem Berichtstermin an den Gläubiger freigegeben, trifft diesen die sekundäre Darlegungslast dafür, dass und mit welchem Ergebnis er nach erfolgter Freigabe Verwertungsbemühungen entfaltet hat. Genügt er dieser Anforderung, ist für den Zinsanspruch regelmäßig davon auszugehen, dass eine frühere Überlassung des Gegenstandes auch zu einer früheren Verwertung geführt hätte. Die Zinsen sind dann bis zum Freigabezeitpunkt geschuldet. – Da der Zinsanspruch nach Ansicht des BGH den Charakter einer Entschädigung hat und zudem die Führung des Vollbeweises hinsichtlich des Fehlens einer Verwertungsverzögerung für den Insolvenzverwalter mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten verbunden sein kann, kommt dem Gericht – zugunsten des Insolvenzverwalters – eine Beweiserleichterung gemäß § 287 ZPO zugute. Streiten die Parteien also über das Bestehen oder die Dauer der Zinspflicht und ist eine vollständige Aufklärung der dafür maßgeblichen Gegebenheiten nicht zu erwarten, ist unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung des Gerichts zu entscheiden, ob und in welchem Umfang eine Verzögerung auf insolvenzspezifischen Gründen beruht.
Über den Anspruch des gesicherten Gläubigers aus § 169 Satz 1 InsO auf die laufen- 304 den Zinsen aus der Masse hinaus ist zu denken an: – Die Haftung des Sicherungsobjekts für die geschuldeten Zinsen. Diese Haftung betrifft auch die Zinsen nach Verfahrenseröffnung und damit auch die Zinsen für den von § 169 InsO erfassten Zeitraum. Jedoch realisiert sich diese Haftung erst, wenn der Erlös ausreicht, um Hauptschuld und Zinsen zu decken. Aufgrund von § 169 InsO gezahlte Zinsen sind auf die Zinsforderung anzurechnen. – Die Haftung auf Ausgleichzahlungen gemäß § 172 Abs. 1 InsO für den Fall, dass das Sicherungsgut während des Verfahrens genutzt wird und dadurch zum Nachteil des Gläubigers an Wert verliert3. Diese Zahlungen sind zusätzlich zu den Zinszahlungen gemäß § 169 Satz 1 InsO zu erbringen und werden nachstehend unter Rz. 305 ff. ausführlich dargestellt. (ddd) Nachteilsausgleichsanspruch (§ 172 InsO) Bei Fortführung des schuldnerischen Betriebs ist der Verwalter darauf angewiesen, 305 auch die mit Absonderungsrechten belasteten Gegenstände weiter für das Unternehmen zu nutzen. Deshalb kann der Verwalter auch von einer Verwertung des Absonderungsgegenstandes absehen und in Wahrnehmung seines Rechts aus § 172 InsO das Sicherungsgut zur Fortführung des schuldnerischen Unternehmens verwenden, d.h. 1 BGH v. 16.2.2006 – IX ZR 26/05, ZInsO 2006, 433 (434 ff.). 2 BGH v. 16.2.2006 – IX ZR 26/05, ZInsO 2006, 433 (434 ff.). 3 Landfermann in HK-InsO, § 169 Rz. 25.
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§7
Rz. 306
Beratung des gesicherten Glubigers
nutzen, aber auch verarbeiten, vermischen oder verbinden, soweit die Sicherung dadurch nicht beeinträchtigt wird (§ 172 Abs. 2 InsO). Um jedoch einen Ausgleich zwischen dem Sicherungsinteresse des absonderungsberechtigten Gläubigers und dem wirtschaftlichen Interesse des Schuldners, bzw. der übrigen Gläubiger an der Fortführung des Unternehmens zu erreichen, muss der Verwalter nach § 172 Abs. 1 Satz 1 InsO laufende Ausgleichszahlungen für die hierdurch entstehenden Wertverluste, welche sich sicherungsmindernd auswirken, erbringen1. Im Grundsatz sind daher von Anbeginn der Nutzung bzw. der Verfahrenseröffnung laufende Ausgleichszahlungen an den Sicherungsnehmer zu leisten. Der Ausgleichsanspruch ist vorab aus der Masse zu begleichen und stellt mithin eine Masseverbindlichkeit dar2. Dabei tritt der Anspruch auf Nachteilsausgleich aus § 172 InsO neben den Zinsanspruch aus § 169 InsO, so dass die Ansprüche kumulativ nebeneinander stehen3. Die Ausgleichszahlung hat grundsätzlich in Geld zu erfolgen, kann aber auch durch Stellung einer Ersatzsicherheit erbracht werden4. 306 Die Höhe der Ausgleichsverpflichtung orientiert sich an dem eingetretenen Wertverlust, wobei Ausgangspunkt der Verkehrswert des Gegenstands zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung ist5. 306a Voraussetzung eines Anspruchs auf Wertverlust ist der Eintritt einer Wertminderung des Sicherungsgutes. Ein Anspruch auf Ausgleichszahlung kommt nämlich nach § 170 Abs. 1 Satz 2 dann nicht in Betracht, wenn entweder kein Wertverlust eintritt oder dieser so geringfügig ist, dass eine Gefährdung der Sicherung nicht zu besorgen ist, so z.B. im Fall einer Übersicherung6. Ebenfalls nicht ausgleichspflichtig sind Wertverluste, die aufgrund des Zeitablaufs im Rahmen von Verwertungsverzögerungen entstehen, da Voraussetzung des Ausgleichsanspruchs die Verwertungsberechtigung des Verwalters sowie darüber hinaus die Nutzung des Sicherungsgegenstands zugunsten der Insolvenzmasse ist7. 306b
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Hinweise für den Berater: – Die Schwierigkeit solcher Ausgleichsansprüche dürfte darin bestehen, dass der Sicherungsgläubiger die Darlegungs- und Beweislast trägt und daher den Eintritt des Wertverlustes zu beweisen hat. Um aufwändige Sachverständigengutachten zu vermeiden, sind Gläubiger gut beraten, bei Beginn der Nutzung mit dem Insolvenzverwalter eine Vereinbarung über die Ausgleichszahlungen zu treffen. Alles andere ist nur schwer praktikabel und kostenintensiv. – Was nicht gelingen wird, ist die Ausweitung einer solchen Vereinbarung auf die im vorläufigen Insolvenzverfahren beanspruchte Nutzung, ohne dass eine Anordnung nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO erfolgt ist8. Hierfür ist die Rechtslage zu eindeutig. So wird eine analoge Anwendung des § 172 InsO auf den vorläufigen Insolvenzverwalter nahezu einhellig abgelehnt. Wortlaut und Gesetzessystematik stünden einer solchen Analogie entgegen9. Sollte gleichwohl der schwache vorläufige Insolvenzverwalter eine Nutzungsentschädigung für die Dauer des vorläufigen Verfahrens zusagen, so begründet diese Erklärung
1 BT-Drucks. 12/2443, S. 182; Gundlach/Frenzel/Schmidt, ZInsO 2001, 537 (542). 2 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 172 Rz. 5; Smid in Leonhard/Smid/Zeuner, InsO, § 172 Rz. 9. 3 Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 172 Rz. 8; Hess, InsO, § 172 Rz. 14. 4 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 172 Rz. 5; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur InsO, Kapitel 5 Rz. 443. 5 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 172 Rz. 4, 7; Kraemer/Vogelsang, Handbuch zur Insolvenz, Kapitel 16 Rz. 22.2. 6 BT-Drucks. 12/2443, S. 182; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 172 Rz. 8; Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 172 Rz. 7. 7 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 172 Rz. 8; Kraemer/Vogelsang, Handbuch zur Insolvenz, Kapitel 16 Rz. 22.1. 8 Sinz in K. Schmidt, InsO, § 172 Rz. 2. 9 BGH v. 13.7.2006 – IX ZR 57/05, ZInsO 2006, 938 (939 f.) m. Anm. Büchler, EWiR 2007, 75; vgl. hierzu auch Ganter, ZInsO 2007, 841 (845) und Olshausen, ZIP 2007, 1145.
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Absonderungsfragen
Rz. 308b
§7
keine Masseverbindlichkeit1. Existiert indes eine gerichtliche Ermächtigung nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO, sind die Rechtsfolgen entsprechend denen in § 172 InsO in § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO geregelt. Die Ansprüche auf Zinsen und auf Ausgleich von Wertminderungen werden dann zu Masseforderungen i.S.v. 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO2. Gleiches gilt für den Fall, dass der Insolvenzverwalter das Sicherungsgut nach § 172 307 Abs. 2 InsO – verbindet, – vermischt oder – verarbeitet. Eine Verbindung, Vermischung oder Verarbeitung von Absonderungsgegenständen stellt keine Verwertung im Sinne von § 166 InsO dar. Sie wird dem Insolvenzverwalter durch die Vorschrift § 172 Abs. 2 InsO ausdrücklich erlaubt, soweit diese „Nutzung“ die Sicherheit des Gläubigers nicht beeinträchtigt3. Werden Gegenstände, an denen ein Absonderungsrecht besteht, vom Insolvenzverwalter verbunden, vermischt oder verarbeitet, so setzt sich das Absonderungsrecht entsprechend § 172 Abs. 2 Satz 2 InsO an der neuen Sache fort. Soweit die neue Sicherheit den Wert der alten übersteigt, ist der absonderungsberechtigte Gläubiger zur Freigabe verpflichtet. (cc) Verwertung durch den Gläubiger Befindet sich die Sache nicht im Besitz des Insolvenzverwalters, ist ausnahmsweise 308 der Gläubiger selbst gemäß § 173 InsO zumindest nach den insolvenzrechtlichen Bestimmungen verwertungsberechtigt. Aus seiner Sicht ist indes noch zu prüfen, ob er auch nach materiellem Recht zur Verwertung befugt ist, was sich aus den allgemeinen Gesetzen bzw. aus der jeweiligen Sicherungsabrede ergibt. Es steht ihm frei, die Verwertungsart zu wählen. Das Gesetz selbst sieht keine bestimmte Verwertungsart vor. Es wurde davon ausgegangen, dass der Gläubiger schon im eigenen Interesse den Sicherungsgegenstand möglichst günstig verwerten wird. Um unnötigen Verzögerungen bei der Verwertung vorzubeugen, kann das Insolvenz- 308a gericht dem Gläubiger auf Antrag des Insolvenzverwalters eine Frist für die Verwertung setzen (§ 173 Abs. 2 InsO)4. Sollte der Gläubiger die Verwertung innerhalb dieser Frist nicht bewirken, fällt das ausschließliche5 Verwertungsrecht nach § 173 Abs. 2 Satz 2 InsO dem Insolvenzverwalter zu.
M 10 Musterschreiben – Antrag des Insolvenzverwalters auf Fristsetzung
308b
(§ 173 Abs. 2 InsO) An das Amtsgericht . . . – Insolvenzgericht – In dem Insolvenzverfahren ber das Vermçgen . . . beantrage ich, dem Glubiger . . . eine Frist von sechs Wochen zu setzen, innerhalb welcher er den ihm sicherungsbereigneten PKW, Marke . . . zu verwerten hat.
1 BGH v. 13.7.2006 – IX ZR 57/05, ZInsO 2006, 938 (939 f.). 2 BGH v. 8.3.2012 – IX ZR 78/11, ZIP 2012, 779 (780). 3 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 172 Rz. 12; Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWIR 2001, 18 (20). 4 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 173 Rz. 6 ff.; Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 173 Rz. 5. 5 Becker in Nerlich/Römermann, InsO, § 173 Rz. 32; Dithmar in Braun, InsO, § 173 Rz. 3. a.A. Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 173 Rz. 7. Offen lassend BGH v. 7.4.2005 – IX ZR 138/04, ZIP 2005, 909 (911).
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§7
Rz. 309
Beratung des gesicherten Glubigers
Begrndung: Die Schuldnerin hat dem Glubiger den o.g. PKW zur Sicherung eines ihr von ihm gewhrten Darlehens in Hçhe von . . . durch schriftliche Vereinbarung vom . . . sicherungsbereignet. Der PKW befindet sich im Besitz des Glubigers. Trotz mehrfacher Aufforderung durch den Unterzeichnenden hat er das Sicherungsgut bis heute nicht verwertet. Meine letzte Aufforderung stammt vom . . . ... Rechtsanwalt Insolvenzverwalter (b) Verwertung von Forderungen 309 Die Verwertung sicherungszedierter Forderungen ist der Verwertung von Sachen (oben Rz. 263 ff.) ähnlich geregelt. Der Verwalter darf eine Forderung, – die der Schuldner dem Gläubiger – zur Sicherung eines Anspruchs – abgetreten hat, einziehen oder in sonstiger Weise verwerten (§ 166 Abs. 2 InsO)1. An eine vom Schuldner vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens getroffene Schiedsvereinbarung ist der Insolvenzverwalter im Grundsatz gebunden2. 309a Diese Ermächtigung nach § 166 Abs. 2 InsO deckt nicht die Verwertung verpfändeter Forderungen. Dies gilt jedenfalls für die Verwertung nach Eintritt der Pfandreife. In diesem Fall ist der Pfandgläubiger nach § 173 InsO selbst zur Verwertung berechtigt. Anders stellt sich die Situation vor Eintritt der Pfandreife dar: Ist die verpfändete Forderung fällig, die durch das Pfandrecht gesicherte Forderung jedoch nicht, steht dem Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Pfandschuldners das alleinige Einzugsrecht zu. So jedenfalls die Entscheidung des BGH v. 11.4.20133, die dem Insolvenzverwalter ein Verwertungsrecht analog § 173 Abs. 2 Satz 2 InsO und das Recht einräumt, vor der Erlösauskehr die Kosten der Festellung und Verwertung in Abzug zu bringen. 309b Zwar war das alleinige Verwertungsrecht des Verwalters in Bezug auf die sicherungszedierten Forderungen von dem Ziel der Erhaltung der Fortführungs- und Veräußerungschancen her nicht zwingend geboten. Doch erschien es dem Gesetzgeber der InsO zweckmäßig, dem Verwalter, der über die gesamten Unterlagen des Schuldners verfügt, welche die Einziehung ermöglichen, auch die Geltendmachung der Forderungen zu überlassen4. Dies entsprach darüber hinaus dem bereits in der Praxis gängigen Verfahren. Zuletzt muss aber auch ein Zusammenhang mit der Möglichkeit der Fortführung festgehalten werden. Denn die Einziehung sicherungszedierter Forderungen durch den Insolvenzverwalter ist eine taugliche Grundlage zur Vereinbarung eines (unechten) Massekredits, um anstelle der unverzüglichen Auskehr (§ 170 Abs. 1 Satz 2 InsO) einen Beitrag zur Finanzierung zu generieren. Die Verhandlungssituation hierfür ist für den Insolvenzverwalter ungleich einfacher mit als ohne Verwertungsrecht. 309c Voraussetzung ist, dass die sicherungshalber abgetretene Forderung im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch besteht5. War die abgetretene Forderung 1 BGH v. 11.7.2002 – IX ZR 262/01, WM 2002, 1797 (1798 f.); Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 166 Rz. 13. Zur Vergleichsbefugnis am Beispiel der Globalzession vgl. Ganter, ZIP 2014, 53 ff. 2 BGH v. 25.4.2013 – IX ZR 49/12, ZInsO 2013, 1583 ff.; dazu auch Flöther, EWiR 2013, 659 f. m. zahlr. w.N., z.B. auf OLG Köln v. 5.6.2013 – 18 W 32/13, ZIP 2013, 2024 für den Fall der Masseunzulänglichkeit und die Frage der Undurchführbarkeit einer Schiedsvereinbarung. 3 BGH v. 11.4.2013 – IX ZR 176/11, NZI 2013, 596 ff. 4 BT-Drucks. 12/2443, S. 178; BGH v. 17.11.2005 – IX ZR 174/04, ZIP 2006, 91 (92 f.); BGH v. 11.7.2002 – IX ZR 262/01, WM 2002, 1797 (1798 f.). 5 BGH v. 17.11.2005 – IX ZR 174/04, ZInsO 2006, 34 f.
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Absonderungsfragen
Rz. 309e
§7
zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bereits erfüllt, bleibt kein Raum für § 166 Abs. 2 InsO. Ist die Erfüllung im Rahmen des vom vorläufigen Insolvenzverwalter betriebenen Forderungseinzugs eingetreten, ist der Insolvenzverwalter (mangels Forderung) zwar nicht zur Verwertung berechtigt, sehr wohl aber zur abgesonderten Befriedigung ohne Abzug der Kostenbeiträge verpflichtet1. Erfolgt der Einzug auf der Grundlage von § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO oder einer isolierten gerichtlichen Ermächtigung (§ 21 Abs. 2 InsO), folgt diese Verpflichtung aufgrund der Berechtigung des vorläufigen Insolvenzverwalters nicht aus § 48 InsO („Ersatzabsonderung“), sondern aus § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO2. Weiterhin ist kein Raum für die Anwendung des § 166 Abs. 2 InsO für den vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Drittschuldner unter Verzicht auf die Rücknahme hinterlegten Forderungserlös. Auch eine analoge Anwendung des § 166 Abs. 2 InsO im Hinblick auf den Kostenbeitrag des § 171 InsO ist hier nicht geboten3. Es gilt vielmehr der Grundsatz, dass der Masse für sicherungshalber abgetretene Forderungen, die vor Insolvenzeröffnung ausgeglichen worden sind, keine Verwertungskosten gebühren. Dieses Einziehungsrecht des Verwalters besteht unabhängig davon, ob die Abtretung 309d dem Drittschuldner angezeigt worden ist4. Der Gesetzgeber hat damit wegen der praktischen Schwierigkeiten auf eine Differenzierung verzichtet und in Kauf genommen, dass das Verwertungsrecht und der Abzug von Kostenbeiträgen im Fall der angezeigten Sicherungsabtretung wenig sachgerecht ist. Die Übertragung des Verwertungsrechts auf den Insolvenzverwalter mit Verfahrens- 309e eröffnung schließt notwendigerweise die eigene Verwertung durch den Sicherungszessionar aus5. Eine Berechtigung des Sicherungszessionars kann nur dann bestehen, wenn die Forderung aus der Insolvenzmasse freigegeben worden ist oder eine ausdrückliche Ermächtigung durch den Verwalter vorliegt. Dies gilt auch dann, wenn sich die Sicherungszession im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bereits im Verwertungsstadium befindet. Auch hier darf der gesicherte Gläubiger die Verwertung nicht fortsetzen6. Dadurch kann es in der Praxis zu einem mehrfachen Wechsel des Einziehenden kommen, was bei den Drittschuldnern zu erheblichen Verunsicherungen und damit zu einer herabgesetzten Zahlungsbereitschaft führen wird. Erfahrungsgemäß reagieren viele Drittschuldner bereits auf die Zessionsanzeige der Bank mit Zurückhaltung und die Zahlungsbereitschaft lässt erkennbar nach7. Schließt sich nun der Offenlegung der Zession durch die Bank die Anzeige des Verwalters an, dass er nunmehr die Forderung einziehen wird, so ist zu befürchten, dass die Zahlungsmotivation der Drittschuldner noch weiter absinkt (siehe dazu bereits Rz. 213). Mit schuldbefreiender Wirkung können Drittschuldner jedenfalls nur noch an den Insolvenzverwalter leisten, nicht mehr an den Sicherungsnehmer8.
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BGH v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739. BGH v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739. BGH v. 17.11.2005 – IX ZR 174/04, ZInsO 2006, 34 f. So auch BGH v. 11.7.2002 – IX ZR 262/01, WM 2002, 1797 (1798 f.), der von einem Verwertungsrecht des Verwalters auch dann ausgeht, wenn die Abtretung dem Drittschuldner angezeigt wurde. Grundlegend hierzu Kirchhof, ZInsO 2003, 149 (155 ff.). BGH v. 16.11.2006 – IX ZR 135/05, ZInsO 2006, 1320 m. Anm. Gundlach/Frenzel, NZI 2007, 96 und Bork, EWiR 2007, 119; BGH v. 17.11.2005 – IX ZR 174/04, ZIP 2006, 91 (92 f.); OLG Dresden v. 10.8.2006 – 13 U 926/06, ZInsO 2006, 1168 (1169 f.). Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.324; Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 166 Rz. 10. a.A. Mitlehner, ZIP 2001, 679 f., der dem Verwalter ein Verwertungsrecht dann versagt, wenn die Zession offengelegt und die Einziehungsbefugnis widerrufen worden ist. Dann nämlich liege keine von § 166 Abs. 1 InsO erfasste Sicherungszession mehr vor, sondern eine Abtretung zur treuhänderischen Verwertung, die nicht unter § 166 Abs. 1 InsO zu subsumieren sei. Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.324; Kraemer/Vogelsang, Handbuch zur Insolvenz, Kapitel 16 Rz. 44. KG v. 13.8.2001 – 12 U 5843/00, ZIP 2001, 2012 (2013); Landfermann in HK-InsO, § 166 Rz. 34; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 166 Rz. 16. a.A. Häcker, NZI 2002, 409 ff.
Drees/Schmidt
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§7
Rz. 309f
Beratung des gesicherten Glubigers
309f Nach dem Wortlaut des Gesetzes kann die Verwertung durch die Einziehung der Forderung oder jede andere Form der Verwertung – zum Beispiel einen Verkauf1 – erfolgen2. So deckt das Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters zur Verwertung sicherungszedierter Forderungen nach § 166 Abs. 2 InsO beispielsweise auch die Erteilung einer Einziehungsermächtigung an Dritte3. 310
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Hinweise für den Berater: Verschiedentlich wird versucht, eine bereits offen gelegte Sicherungsabtretung in eine Forderungsverpfändung umzudeuten. Die rechtlichen Voraussetzungen einer Verpfändung dürfte die Sicherungsabtretung jedenfalls erfüllen. Jedoch hat der BGH für diese Möglichkeit mit Rücksicht auf die erheblich unterschiedlichen Rechtsfolgen der beiden Rechtsinstitute nur wenig Raum gelassen4. – Insgesamt müssen solche Gläubiger, die das Einziehungsrecht des Verwalters und die hiermit verbundenen Kostenbeiträge vermeiden wollen, auf die Verpfändung der Forderung verwiesen werden5. – Es sollte bereits im Eröffnungsverfahren eine Absprache zwischen dem vorläufigen Verwalter und dem entsprechenden Gläubiger über die Fortführung der begonnenen Verwertung durch den Gläubiger oder die Übertragung der Inkassobefugnis auf den Verwalter getroffen werden, um dadurch unnötige Verunsicherungen der Drittschuldner zu vermeiden6.
311 Aufgrund seiner privilegierten Gläubigerstellung steht dem Sicherungszessionar im Rahmen der Forderungsverwertung durch den Insolvenzverwalter ein Auskunftsanspruch nach § 167 Abs. 2 InsO (siehe oben Rz. 282 ff.) zu. Anstelle der Auskunftserteilung räumt Satz 2 dem Insolvenzverwalter das Recht ein, den Gläubiger Einblick in die Bücher und Geschäftspapiere des Schuldners nehmen zu lassen7. Ist zu besorgen, dass der Gläubiger durch die Gestattung der Einsichtnahme Kenntnis von wettbewerbsrelevanten Geschäftsunterlagen und Daten des schuldnerischen Unternehmens erhält, so ergibt sich aus wettbewerbsrechtlichen Erwägungen eine Beschränkung des Anspruchs dahin gehend, dass die Einsichtnahme gegebenenfalls nur durch einen unabhängigen und zur Verschwiegenheit verpflichteten Wirtschaftsprüfer vorgenommen werden darf8. 311a Besteht Streit über den Umgang mit dem Auskunftsrecht im Allgemeinen oder seiner Reichweite im Besonderen ist eine restriktive Handhabe geboten. Denn § 167 InsO räumt den Gläubigern kein allgemeines Informations- oder Einsichtsrecht ein. Allgemeine Informationen über das Verfahren und die Massegegenstände ergeben sich aus den pflichtgemäßen Aufzeichnungen des Insolvenzverwalters, die im Berichtstermin zu erläutern sind9. 312 Ob dem gesicherten Gläubiger auch das Recht zukommt, dem Verwalter einen Hinweis auf günstigere Verwertungsmöglichkeiten im Sinne von § 168 InsO zu geben, ist umstritten. Der Gesetzgeber sah den Gläubiger hinsichtlich der Forderungseinziehung scheinbar nicht als schutzwürdig an, da der Wortlaut des § 168 InsO zweifelsohne lediglich von der Veräußerung von Gegenständen spricht. Ein Bedürfnis nach 1 BGH v. 29.9.2011 – IX ZR 74/09, NZI 2011, 855. 2 Sinz in K. Schmidt, InsO, § 166 Rz. 20. Zur Vergleichsbefugnis des Insolvenzverwalters bezüglich globalzedierter Forderungen und der Frage, ob der Vergleichsbetrag von der Globalzession erfasst ist, vgl. Gessner, ZIP 2012, 455 ff. und Ganter, ZIP 2014, 53 ff. 3 BGH v. 18.10.2012 – IX ZR 10/10, ZIP 2013, 35 f. 4 BGH v. 7.4.2005 – IX ZR 138/04, ZIP 2005, 909 (911); BGH v. 3.7.2002 – IV ZR 181/01, NJW 2002, 3477. 5 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 166 Rz. 13; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.357. 6 Kraemer/Vogelsang, Handbuch zur Insolvenz, Kapitel 16 Rz. 44. 7 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 167 Rz. 8; Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, § 167 Rz. 7. 8 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 167 Rz. 8; vgl. auch BGH v. 11.5.2000 – IX ZR 262/98, ZIP 2000, 1061, 1065. 9 BGH v. 16.9.2010 – IX ZR 56/07, ZIP 2010, 2234 ff.
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Absonderungsfragen
Rz. 316
§7
einer entsprechenden Regelung besteht aber für die Fälle, in denen der Verwalter die Forderung nicht zum Nominalwert einziehen kann oder diese nicht durch Einziehung, sondern in anderer Weise, z.B. durch Verkauf zu verwerten gedenkt1. Zum Teil wird daher der Anwendungsbereich des § 168 InsO auch auf zur Sicherung abgetretene Forderungen ausgeweitet2. Letztlich dürfte eine Anwendung nur dann zutreffend sein, wenn die Forderung verkauft wird oder aber im Rahmen des Forderungseinzugs ein Vergleich geschlossen wird. In dem zuletzt genannten Fall dürfte indes die Mitteilung des Vergleichsergebnisses nach § 168 InsO genügen; eine Einbindung in die Vergleichsverhandlungen mag praktisch sinnvoll sein, ist letztlich aber nicht erforderlich. Bei bloßer Einziehung lässt sich mit Rücksicht auf den eindeutigen Gesetzeswortlaut und den Normzweck keine Anwendung rechtfertigen3. Ebenso ist der Wortlaut des § 169 InsO auf die verzögerte Verwertung von Gegen- 313 ständen zugeschnitten. Dennoch wird er auch auf die Verwertung von Forderungen nach § 166 Abs. 2 InsO anzuwenden sein (im Einzelnen hierzu siehe oben Rz. 297 ff.)4. Alternativ kann der Insolvenzverwalter, entsprechend der Verwertung von absonderungsbelasteten Gegenständen, die Verwertung der Forderung gemäß § 170 Abs. 2 InsO auch dem berechtigten Gläubiger überlassen5.
314
(c) Verwertung von Rechten und sonstigen Vermögenswerten Die InsO enthält keine Regelung, wem die Verwertungsbefugnis hinsichtlich sons- 315 tiger der Zwangsvollstreckung unterliegender Rechte zukommt, wenn diese mit Absonderungsrechten belastet sind6. Unter den Begriff der sonstigen Rechte fallen zum Beispiel7 – Erbteile, – Immaterialgüterrechte, – Mitgliedschaftsrechte, – Geschäftsanteile, – Marken, – Patente, – Urheberrechte oder etwa – Computerprogramme. Gesetzlich geregelt ist das Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters in § 166 Abs. 2 316 InsO nur für sicherungszedierte Forderungen. Ausgehend hiervon steht die Befugnis, solche Rechte oder sonstige Vermögenswerte zu verwerten, dem Gläubiger und nicht dem Verwalter zu8. In der Vorauflage teilweise und heute verstärkt wird die Ansicht vertreten, dass § 166 Abs. 2 InsO aufgrund der bisherigen Rechtslage analog auch auf die Verwertung sonstiger Rechte Anwendung fände9. Insbesondere Marotzke macht sich für eine solche entsprechende Anwendung stark. Es könne nicht sein, dass der Verwalter unter Geltung der KO gemäß § 127 Abs. 2 KO zur Verwertung berechtigt
1 Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWIR 2001, 18 (20); Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.326; Breutigam in Breutigam/Blersch/Goetsch, Insolvenzrecht, § 168 Rz. 3. 2 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 168 Rz. 4 m.w.N.; Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWIR 2001, 18 (19 f.); Haas/Scholl, NZI 2002, 642 m.w.N. 3 Sinz in K. Schmidt, InsO, § 168 Rz. 3. 4 BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, ZInsO 2003, 318 (321); Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 169 Rz. 1; Hess, InsO, § 169 Rz. 12. 5 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 170 Rz. 13; Landfermann in HK-InsO, § 166 Rz. 36. 6 Vgl. hierzu ausführlich Szalai, ZInsO 2009, 1177 ff. 7 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 166 Rz. 14. 8 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.347; Wallner, ZInsO 1999, 453 ff. Weitere Nachweise und Überblick zum Meinungsstand bei K. Schmidt-Sinz, InsO, § 166 Rz. 33. 9 So Sinz in K. Schmidt, InsO, § 166 Rz, 33 ff.; Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 166 Rz. 20; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 166 Rz. 14; Häcker, ZIP 2001, 995 ff. und Marotzke, ZZP 1996, 449 f.
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§7
Rz. 316a
Beratung des gesicherten Glubigers
gewesen sei und die InsO dem Verwalter ein eingeschränkteres Verwertungsrecht eingeräumt habe1. Rechtsprechung existiert – soweit ersichtlich – nur in Form einer die Analogie abweisende Entscheidung des AG Karlsruhe2. 316a Zweifelsohne richtig ist, dass eine derartige Analogie dem Gesetzeswortlaut und der bewusst vom Gesetzgeber3 gezogenen Grenze hinsichtlich des Verwertungsrechts und der Kostenbeiträge. Berücksichtigt man indes den wesentlichen Beweggrund des Gesetzgebers bei der Einführung der InsO zum einen und bei späteren Änderungen zum anderen (§ 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO) im Umgang mit Sicherungsrechten, das Auseinanderreißen des schuldnerischen Vermögens zu verhindern und die wirtschaftliche Einheit – soweit möglich und sanierungsfähig bzw. -würdig – zu erhalten, dann kann der Wortlaut allein nicht entscheidend sein. Denn die Durchsetzung der gesetzgeberischen Zielvorstellung ist nur dann möglich, wenn zumindest diejenigen Rechte, die wegen ihrer Zugehörigkeit zur technisch-organisatorischen Einheit gehören und zur Fortführung erforderlich sind, dem Verwertungsrecht des Sicherungsgläubigers entzogen werden4. In diesen Fällen ist – unter Aufgabe der in der Vorauflage vertretenen Ansicht – die Regelung des § 166 Abs. 2 InsO aufgrund seiner Teleologie über den Wortlaut hinaus auf sonstige Rechte anzuwenden. cc) Kosten der Absonderung und Erlösverteilung (1) Allgemeines 317 Ein wesentlicher Bestandteil der Insolvenzrechtsreform war das Ziel, Insolvenzverfahren unter erleichterten Voraussetzungen zu eröffnen. Hierfür sollten gesicherte Gläubiger, insbesondere die Inhaber besitzloser Mobiliarsicherheiten, zu einem Solidarbeitrag herangezogen werden. 318 Der Gesetzgeber führte mit den Regelungen in den §§ 170, 171 InsO obligatorische Kostenbeiträge der absonderungsberechtigten Gläubiger ein, die eine Beteiligung selbiger an den entstehenden Kosten der Sicherheitenverwertung vorsehen5. Ziel ist die Anreicherung der Insolvenzmasse6. 319 In § 170 InsO sind die Arten der zu erstattenden Kostenbeiträge festgelegt, nämlich – zum einen die Feststellungskosten (§§ 170 Abs. 1, 171 Abs. 1 InsO) und – zum anderen die Verwertungskosten (§§ 170 Abs. 1, 171 Abs. 2 InsO). Eine darüber hinausgehende – die freie Insolvenzmasse besser stellende – Verwertungsvereinbarung ist grundsätzlich zulässig. Für das Bestehen einer solchen abweichenden Vereinbarung trägt indes der Insolvenzverwalter die Darlegungs- und Beweislast7. 320 Soweit die Verwertung zu einer Belastung der Masse mit Umsatzsteuer führt, ist auch der Umsatzsteuerbetrag zusätzlich zu der Verwertungskostenpauschale von dem Sicherungsnehmer zu tragen (§ 171 Abs. 2 Satz 3 InsO). 321 Hinsichtlich etwaiger Erhaltungskosten sind Insolvenzverwalter aufgrund fehlender gesetzlicher Bestimmungen darauf angewiesen, mit Gläubigern eine Kostenbeteiligung für erforderliche Erhaltungsmaßnahmen zu treffen. Entzieht man sich als Gläubiger einer solchen Vereinbarung, ist es keineswegs gewiss, sich nicht an den Kosten beteiligen zu müssen. Denn letztlich wird man es Insolvenzverwaltern gestatten müssen, solche Kosten als Verwertungskosten anzusetzen und vom Gesamterlös abzuziehen. Es wäre unbillig, dem Gläubiger den Erlös der Gesamtveräußerung zufließen zu
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Marotzke, ZZP 1996, 449 f. AG Karlsruhe v. 7.2.2008 – 12 C 490/07, ZIP 2009, 143. § 181 Abs. 2 DiskE (1988) sprach noch von zur Sicherung übertragenen Rechten. Sinz in K. Schmidt, InsO, § 166 Rz. 36. BT-Drucks. 12/2443, S. 80 f. BT-Drucks. 12/2443, S. 86. AG Köln v. 27.12.2010 – 142 C 338/10, ZInsO 2011, 1260.
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Absonderungsfragen
Rz. 325a
§7
lassen, ohne von diesem die zwangsläufig mit der Verwertung verbundenen Erhaltungsaufwendungen abzuziehen1. Die Belastung des Verwertungserlöses mit den Kostenbeiträgen einschließlich der abzuführenden Umsatzsteuer richtet sich hinsichtlich ihres Inhalts und Umfangs nach der Person des Verwertenden. Für die Höhe der einzubehaltenden Kostenbeiträge sieht § 171 InsO aus Gründen der Praktikabilität Pauschalsätze vor.
322
Die obligaten Kostenbeiträge sind dem Verwertungserlös gemäß § 170 Abs. 1 Satz 1 InsO vorab und damit bereits vor dessen Auskehr an den absonderungsberechtigten Gläubiger zugunsten der Insolvenzmasse zu entnehmen2.
323
Sind die Kostenbeiträge nach erfolgter Verwertung in Abzug gebracht, entsteht der 324 Anspruch auf Erlösauskehr. § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO bestimmt, dass der Gläubiger unverzüglich aus dem verbleibenden Betrag zu befriedigen ist. Unverzüglich meint „ohne schuldhaftes Zögern“, so dass der Auskehranspruch spätestens zwei Wochen nach erfolgter Verwertung fällig ist3. Es stellt sich die Frage, wieviel Zeit dem Gläubiger zur Verfolgung des Anspruchs 324a bleibt („Verjährung des Erlösanspruchs“). Auf eine Hemmung des Anspruchs gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB durch Anmeldung der Forderung zur Insolvenztabelle sollte sich der absonderungsberechtigte Gläubiger besser nicht verlassen. Denn dieser Hemmungstatbestand greift nicht, da nur einfache Insolvenzforderungen i.S.v. § 38, 174 ff. InsO erfasst sind. Eine Hemmung ließe sich allenfalls durch ein Verhandeln über das Bestehen des Absonderungsrechts und des Erlösanspruchs (§ 203 BGB) oder Treuwidrigkeit des unverzüglich zur Auskehr verpflichteten Insolvenzverwalters (§ 242 BGB) begründen. Die Verjährungsfrist beläuft sich gemäß § 197 Abs. 1 Nr. 1 BGB aber auf dreißig Jahre. 324b Der Normzweck dieser Bestimmung – Sicherstellung der Verwirklichung des Stammrechts – erfordert die Erstreckung auf den an die Stelle des dinglichen Herausgabeanspruchs getretenen Wertersatzanspruch. Ansonsten würde ein zu großer Wertungswiderspruch zwischen der drei- und der dreißigjährigen Verjährungsfrist bestehen4. (2) Immobiliarsicherheiten (a) Feststellungs- und Verwertungskosten Bezüglich der Verwertung von Grundpfandrechten sah der Gesetzgeber bei Einfüh- 325 rung der InsO hinsichtlich der Kosten nur ein geringes Reformbedürfnis, da eine kostenmäßige Belastung der Masse in der Regel nicht zu erwarten ist. Die Kosten des Zwangsversteigerungsverfahrens sind dem Verwertungserlös nach 325a § 109 ZVG vorweg zu entnehmen5. Sie sind nach § 10 Abs. 2 ZVG mit dem Hauptanspruch zu befriedigen und gehören damit zu den Kosten der abgesonderten Befriedigung im Insolvenzverfahren, die insgesamt von § 49 InsO erfasst sind6. Für die Kosten der abgesonderten Befriedigung haftet aber nicht die Insolvenzmasse unmittelbar, sondern nur beschränkt auf den Gegenstand der abgesonderten Befriedigung. Insoweit stellen die Verfahrenskosten einer Zwangsversteigerung, die ein absonderungsberechtigter Gläubiger betrieben hat, auch keine Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55 Abs. 1 InsO dar. Sie sind weder durch Rechtshandlung des Insolvenzverwalters noch in sonstiger Weise durch die Verwertung der Insolvenzmasse begrün1 Zur Kostenpflicht des Absonderungsberechtigten im Zusammenhang mit Erhaltungsmaßnahmen und diesbezügliches Befriedigungsrecht aus dem Sicherungsgut BGH v. 8.5.2012 – XI ZR 61/11, Jurion RS 2012, 16643. Ebenso hierzu Obermüller, ZInsO 2013, 845 (856). 2 BT-Drucks. 12/2443, S. 180. 3 Schmidt, ZInsO 2005, 422 (423 f.). 4 Schmidt, ZInsO 2005, 422, der sich ausführlich mit der Verjährung von Ansprüchen gegen den Insolvenzverwalter auf Auskehr des Sicherheitenerlöses befasst. 5 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 17; Obermüller/Hess, InsO, Rz. 814. 6 Sowohl rechtsdogmatisch als auch praktisch bedeutsam die Einordnung des § 10 Abs. 2 Nr. 1 ZVG („kein dingliches Vorrecht“) durch den BGH v. 13.9.2013 – V ZR 209/12, ZIP 2012, 2122 ff.
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§7
Rz. 325b
Beratung des gesicherten Glubigers
det worden1. Insoweit greift auch keine Zweitschuldnerhaftung des § 29 Nr. 4 GKG. Zwar mag nach dem Wortlaut dieser Bestimmung eine Haftung des Insolvenzverwalters begründbar sein, dies verkennt jedoch, dass hierfür eine Masseverbindlichkeit vorliegen muss, was nicht der Fall ist2. 325b Im Falle der Zwangsverwaltung werden die Verfahrens- und Verwaltungskosten aus den Nutzungen gemäß § 155 Abs. 1 ZVG vorab bestritten3. 325c Nennenswerte Feststellungskosten fallen bei der Belastung von Grundstücken aufgrund der Grundbuchpublizität für gewöhnlich nicht an4. Aus diesem Grund sind die §§ 170 f. InsO nicht auf Immobiliarsicherheiten nicht anwendbar und andere Bestimmungen – mit Ausnahme von § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG (s. Rz. 326) – nicht existent. Möglich bleibt allein der Abschluss einer Verwertungsvereinbarung, was regelmäßig nur bei freihändiger Veräußerung gelingt (Vgl. hierzu unten Rz. 338). 326 Die dingliche Haftung des Grundstücks erstreckt sich per Gesetz über das eigentliche Grundstück hinaus auch auf bestimmte bewegliche Gegenstände, welche in den Haftungsverband des Grundstücks nach § 1120 BGB fallen. Hinsichtlich der Kosten, die die Verwertung dieser mithaftenden Gegenstände mit sich bringt, bedurfte es keiner Regelung in der InsO, denn diese sind ebenfalls nach den Bestimmungen des bisherigen Rechts (§§ 109, 155 ZVG) dem erzielten Erlös vorab zu entnehmen5. 327 Dem entgegen gestaltet sich die Feststellung der zum Haftungsverband gehörenden Vermögensgegenstände für den Verwalter häufig aufwendig, da diese dem Grundbuch nicht zu entnehmen sind. Die Überprüfung, ob derartige Gegenstände – als Zubehör, – Erzeugnisse oder – sonstige Bestandteile des Grundstücks anzusehen sind und im konkreten Fall von der Grundstücksbeschlagnahme auch tatsächlich erfasst werden, verlangt aufwendige Feststellungen des Verwalters sowohl in rechtlicher als auch tatsächlicher Hinsicht6. Um auch hier eine den Mobiliarsicherheiten entsprechende Kostenbeteiligung der immobiliargesicherten Gläubiger sicherzustellen, sieht § 10 Abs. 1 Nr. 1a 2. Hs. ZVG vor, dass im Falle der Zwangsversteigerung eines Grundstücks der Insolvenzmasse die Kosten zu erstatten sind, die durch die Feststellung des mithaftenden Grundstückszubehörs entstehen. Zur Pragmatisierung der Beitragsberechnung legte das Gesetz eine Kostenpauschale in Höhe von 4 % des Verkehrswertes der beweglichen Sachen fest (§ 10 Abs. 1 Nr. 1a 2. Hs. ZVG)7. Dies gilt wohlgemerkt nur für das Zwangsversteigerungsverfahren und führt nicht zur grundsätzlichen Anwendbarkeit der §§ 170, 171 InsO auf Zubehör belasteter Grundstücke8. Daher fällt im Zwangsverwaltungsverfahren sowie bei der freihändigen Veräußerung diese Massekostenbeteiligung für mithaftende Gegenstände nicht an.
1 OLG Zweibrücken v. 26.3.2009 – 3 W 150/08, ZIP 2009, 1239; bestätigt durch OLG Hamburg v. 27.11.2012 – 4 W 85/12, ZIP 2013, 789 ff. 2 OLG Hamburg v. 27.11.2012 – 4 W 85/12, ZIP 2013, 789 (790). 3 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 23; Niesert in Andersen/Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 619. Relevant in diesem Zusammenhang: Ersteheransprüche aus Nebenkostenabrechnungen, vgl. BGH v. 11.10.2007 – VIII ZR 156/07, ZInsO 2007, 1221 m. Anm. Schmidtberger, ZInsO 2008, 83 ff. 4 Zur Richtigkeit dieser Aussage vgl. Ziff. 141 ff. zur Absonderungskraft sonstiger dinglicher Rechte, z.B. Wohngeldforderungen (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG); s. auch: BGH v. 13.9.2013 – V ZR 209/12, ZIP 2013, 2122. 5 Marotzke, ZZP 1996, 429 (459); Niesert in Andersen/Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 621. 6 RefE, 2. Teil, S. 62; Flöther in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 165 Rz. 18. 7 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 15; Tetzlaff, ZInsO 2004, 521 (522 f.). 8 Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 165 Rz. 25. a.A. Henckel in Jaeger, InsO, 2004, vor § 49 Rz. 48, der stets von der Anwendbarkeit der §§ 170, 171 InsO ausgeht.
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Absonderungsfragen
Rz. 331a
§7
Die vom ZVG anerkannten Kostenforderungen erhalten den Rang nach § 10 Abs. 1 328 Nr. 1a ZVG und gehen daher ihrem Zweck entsprechend den Grundpfandrechten vor1. Dies bedeutet zum einen, dass die Kosten nicht anteilig auf alle gesicherten Gläubiger umzulegen, sondern wirtschaftlich von den nachrangig Gesicherten zu tragen sind2. Zum anderen führt dies aber auch dazu, dass der Insolvenzverwalter aufgrund der Kostenforderung die Versteigerung nunmehr im Range vor den absonderungsberechtigten Grundpfandrechtsgläubigern betreiben kann. Nach § 174a ZVG hat der Insolvenzverwalter zusätzlich ein Antragsrecht bezüglich 329 des so genannten „Doppelausgebots“. Das bedeutet, der Verwalter kann nach dieser Vorschrift verlangen, dass bei der Feststellung des geringsten Gebots nur diejenigen Rechte Berücksichtigung finden, die den Kostenerstattungsansprüchen nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG vorgehen3. Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, dem Verwalter die Verwertung auch hochbelasteter Grundstücke zu ermöglichen. Für die absonderungsberechtigten Gläubiger bedeutet das aber zugleich, dass sie allein auf den bei der Versteigerung erzielten Erlös angewiesen sind, denn der Bieter erwirbt das Grundstück gemäß der §§ 52 Abs. 1 Satz 2, 91 Abs. 1 ZVG frei von allen in § 10 Abs. 1 Nr. 2 bis 10 ZVG genannten Rechten, insbesondere also frei von Grundpfandrechten4.
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Hinweis: 330 Zur Sicherung ihrer dinglichen Rechte haben die absonderungsberechtigten Grundpfandrechtsinhaber allerdings die Möglichkeit, den die Versteigerung betreibenden Insolvenzverwalter durch Befriedigung der Kostenerstattungsansprüche aus § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG analog § 268 BGB abzulösen5. Dadurch kann der ablösende Gläubiger den Verlust seines dinglichen Rechts verhindern. In diesem Fall rückt der ablösende Gläubiger in die Rechtsstellung des bisherigen Gläubigers (Insolvenzverwalter) ein und die Erstattungsansprüche gehen entsprechend § 268 Abs. 3 BGB zusammen mit den Sicherheiten auf den ablösenden Gläubiger über (§§ 412, 401 BGB)6. Dies bietet ihm zudem die Möglichkeit, durch eine Versteigerung aus dem ihm nun zustehenden Rang des § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG die gesamten zur Ablösung aufgewandten Kosten im Wege des Rückgriffs auf die anderen Grundpfandgläubiger wieder zurückzuerlangen7.
(b) Umsatzsteuer und Einkommensteuer Beim Grundstücksumsatz handelt es sich um einen einzeln steuerbaren Umsatz des 331 Insolvenzschuldners an den Erwerber des Grundstücks. Als solcher unterliegt er der Grunderwerbsteuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 GrEStG) und ist damit grundsätzlich umsatzsteuerfrei (§ 4 Nr. 9a UStG)8. Ein umsatzsteuerrechtlich relevanter Liefervorgang kann sich aber dann ergeben, 331a wenn der Insolvenzverwalter für eine Umsatzsteuer nach § 9 UStG optiert9 oder aber im Falle der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 9a UStG10 aus der etwa erforderlichen Vor-
1 Breutigam/Kahlert in Berliner Praxiskommentar, Insolvenzrecht, § 49 Rz. 18; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 15. 2 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 15; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.380. 3 Vgl. hierzu näher Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 14. 4 Niesert in Andersen/Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 629. 5 Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 165 Rz. 22. 6 MünchKommInsO/Lwowski/Tetzlaff, § 165 Rz. 173; a.A. Hintzen in FS Kirchhoff, 2004, 219 ff. 7 Lwowski/Tetzlaff, WM 1999, 2336 (2343). 8 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 11; Flöther in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 165 Rz. 52. 9 Vgl. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 11; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 49 Rz. 49; Heidner in Bunjes/Geist, UStG, § 9 Anm. 1 ff. 10 Waza in Handzik/Hundt-Eßwein/Schuhmann, UStG, § 4 Anm. 9 Rz. 1 ff.
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§7
Rz. 331b
Beratung des gesicherten Glubigers
steuerrückforderung nach § 15a Abs. 1 und 4 UStG1. Ein Verzicht auf die Umsatzsteuerfreiheit (§ 9 Abs. 1 UStG) ist im Zwangsversteigerungsverfahren aber nur bis zur Aufforderung zur Gebotsabgabe möglich (§ 9 Abs, 3 UStG)2. 331b Eine mögliche Steuerforderung entsteht im zuletzt genannten Fall nicht als sonstige Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO3. Kraft § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 2 UStG ist der Erwerber Umsatzsteuerschuldner; die Masse wird konsequenterweise nicht mehr mit der Umsatzsteuerschuld belastet4. 331c Gibt der Insolvenzverwalter das Grundstück aus der Insolvenzmasse frei und veräußert der Schuldner das Grundstück, wird die Insolvenzmasse aufgrund des § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 2 UStG auch nicht mit der Umsatzsteuer belastet. In Altfällen, d.h. Grundstücksveräußerungen vor dem 1.1.2004 dürfte die Belastung der Insolvenzmasse mit der Umsatzsteuer nach Veräußerung durch den Schuldner anders zu beurteilen sein. So jedenfalls die Rechtsprechung des BFH5. 332 Erfolgt im Rahmen einer insolvenzbedingten Zwangsversteigerung eines Grundstücks zugleich die Versteigerung von Grundstückszubehör nach den §§ 90 Abs. 2, 55 Abs. 2, 20 Abs. 2 ZVG, 1120 BGB, greift der Befreiungstatbestand des § 4 Nr. 9a UStG für diese Zubehörsstücke nicht ein6. Vielmehr geht die auf das Zubehör entfallende Umsatzsteuer zu Lasten der Masse7. Sie ist dem Erlös auch nicht vorab zu entnehmen und an das Finanzamt abzuführen, da § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStDV den Leistungsempfänger nur zur Einbehaltung und Abführung der Steuer hinsichtlich der „Lieferung von Grundstücken“ verpflichtet, von der das Zubehör jedoch steuerrechtlich getrennt zu sehen ist8. Es liegt vielmehr eine sonstige Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO vor9. 333 Fraglich ist, ob der Insolvenzverwalter mit Rücksicht auf diese Belastung der Masse mit einer Masseverbindlichkeit die Umsatzsteuer vom Erlös des Absonderungsberechtigten abziehen kann10. Die h.M. versagt einen solchen Erstattungsanspruch der Insolvenzmasse gegen die Grundpfandrechtsinhaber. Die Regelungen der §§ 170, 171 InsO seien schlechterdings nicht anwendbar, da sie ausdrücklich nur auf Mobiliarsicherungsrechte, zu deren Verwertung der Verwalter nach § 166 InsO berechtigt ist, beschränkt sind11. Unterstützt werde diese Annahme durch das Fehlen einer Regelung in den Vorschriften des ZVG. Der diskutierte Vorschlag, eine Umsatzsteuerabführungspflicht für alle gesicherten Gläubiger unabhängig von der Art der Sicherheit zu begründen, wurde von dem Rechtsausschuss des Bundestages abgelehnt12.
1 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 11; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.382 f.; zur Frage des Meistgebots als Netto- bzw. Bruttobetrag BGH v. 3.4.2003 – IX ZR 93/02, BGHZ 154, 327 ff. 2 Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 165 Rz. 38. 3 Str., s. hierzu eingehend Welzel, Die Umsatzsteuer als Masseverbindlichkeit, S. 123 ff.; Obermüller/Hess, InsO, Rz. 818; Niesert in Andersen/Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 710. 4 Eckert, ZInsO 2004, 702 (706). 5 BFH v. 16.8.2001 – V R 59/99, ZInsO 2002, 222; kritisch MünchKommInsO/Lwowski/Tetzlaff, § 165 Rz. 194 ff.; Onusseit, ZIP 2002, 1344. 6 Waza in Handzik/Hundt-Eßwein/Schuhmann, UStG, § 4 Anm. 9 Rz. 4. 7 Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 165 Rz, 39; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 10; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.386. 8 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 10; Hess, InsO, § 165 Rz. 78. 9 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 10; Obermüller/Hess, InsO, Rz. 820; Flöther in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 165 Rz. 52. 10 Zu diesem Streitstand vgl. Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 165 Rz. 39, der jedoch eine Mindermeinung (Fn. 8) vertritt, wenn auch mit einer überzeugenden Differenzierung. 11 Tetzlaff, ZInsO 2004, 521 (522 f.); Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.386; Obermüller/Hess, InsO, Rz. 820; a.A. Marotzke, ZZP 1996, 429 (466), der eine analoge Anwendung aus den Gründen einer planwidrigen Gesetzeslücke befürwortet; differenzierend auch Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 10. 12 BT-Drucks. 12/7302, S. 178.
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Drees/Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 335
§7
Eine im Vordringen befindliche Ansicht differenziert1: 333a – Hat der Insolvenzverwalter die Zwangsversteigerung beantragt? – Hat er also sein Verwertungsrecht nach § 165 InsO ausgeübt? In diesem Fall könne die Umsatzsteuer dem Rechtsgedanken des § 171 Abs. 2 Satz 3 InsO entsprechend dem Gläubiger belastet werden. Erfolge die Zwangsversteigerung auf den Antrag des Absonderungsberechtigten hin, falle der Umsatzsteueranteil in den auszukehrenden Erlös2. Auch wenn nicht „Umsatzsteuern“ streitgegenständlich waren, ist die Darstellung 333b des Urteils des BFH v. 16.5.2013 und damit die Ausweitung der vorstehenden Randziffern auf Einkommensteuern unerlässlich3. Der BFH hatte sich mit einer Einkommensteuerschuld zu befassen und qualifizierte diese für den Fall der Verwertung eines wertübersteigend belasteten Grundstücks als Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 1 InsO. Dass diese den Erlös für die freie Masse überstieg, war für den BFH ohne Belang. Nach der Ansicht des erkennenden IV. Senats des BFH handele es sich bei der festgesetzten Einkommensteuerschuld um eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, da die Veräußerung des Grundstücks auf einer Verwertungshandlung des Insolvenzverwalters beruhe und damit der Besteuerungstatbestand durch eine Handlung nach Verfahrenseröffnung vollständig verwirklicht sei. An der zur Konkursordnung ergangenen – gegenteiligen – Rechtsprechung hält das Gericht ausdrücklich nicht mehr fest. Durch diese Rechtsprechung werden Insolvenzverwalter faktisch zur Freigabe gezwungen, wenn durch die Veräußerung die Aufdeckung stiller Reserven und damit einer Einkommensteuerschuld droht. In die gleiche Richtung zielt ein Urteil des FG Münster4. Nach diesem ist die auf Ver- 333c mietungseinkünfte entfallende Einkommensteuer auch dann gegenüber dem Insolvenzverwalter als Masseverbindlichkeit festzusetzen, wenn die vermieteten Grundstücke zugleich unter Zwangsverwaltung stehen. Bei der Begründung stützt sich das Finanzgericht maßgeblich auf die zuvor dargestellte Rechtsprechung des BFH und argumentiert mithin in erster Linie mit der Verwirklichung des gesetzlichen Besteuerungstatbestandes nach Verfahrenseröffnung5. (c) Sicherungsübereignung der Zubehörsgegenstände Probleme ergeben sich hinsichtlich der abzuführenden Kostenbeiträge dann, wenn 334 sich die Sicherungsnehmer, entsprechend einer weit verbreiteten Praxis aufgrund der häufig zu beklagenden Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Zubehör und selbständigen Sachen, solche Gegenstände rein vorsorglich noch zur Sicherheit übereignen lassen, so genannte Doppelsicherung6. Durch diese Vorsorgemaßnahme entsteht die Frage nach der Höhe der Massebeteiligung: 4 % gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG bei der Verwertung als Grundstückszubehör oder 9 % zzgl. 19 % Umsatzsteuer bei der Verwertung als selbständigen sicherungsübereigneten Gegenstand7. Sind die sicherungsübereigneten Gegenstände eindeutig als Grundstückszubehör zu 335 charakterisieren, so ist darauf abzustellen, dass im Rahmen der Zwangsversteigerung der Erwerber mit Zuschlagserteilung Eigentum an den sicherungsübereigneten Gegenständen erwirbt, mithin der Insolvenzschuldner mit Zuschlagserteilung an den Erwerber liefert8. Die §§ 166 ff. InsO greifen in diesem Fall nicht ein, da sie keine Anwendung auf bewegliche Sachen und Forderungen finden, die zum Haftungsverband eines mit einem Absonderungsrecht belasteten Grundstücks gehören. Damit fällt für
1 Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 165 Rz. 39 unter Hinweis auf Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 10. 2 Dazu ausführlich Mitlehner, ZIP 2012, 649 (655). 3 BFH v. 16.5.2013 – IV ZR 23711, ZInsO 2013, 1536 ff. 4 FG Münster v. 29.11.2013 – 4 K 3607/10 E (nicht rechtskräftig), ZIP 2014, 589 f. 5 FG Münster v. 29.11.2013 – 4 K 3607/10 E (nicht rechtskräftig), ZIP 2014, 589 (590). 6 Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 165 Rz. 25 m.w.N. 7 Obermüller/Hess, InsO, Rz. 817; Wenzel, NZI 1999, 101 (104). 8 BFH v. 16.4.1997 – XI R 87/96, BB 1997, 1674.
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§7
Rz. 336
Beratung des gesicherten Glubigers
diese Zubehörstücke nur die 4 %ige Kostenpauschale hinsichtlich der Feststellungskosten nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a ZVG an1. 336 Ein Doppelumsatz liegt hinsichtlich der sicherungsübereigneten Gegenstände nicht vor, denn das Grundstückszubehör in der Zwangsversteigerung ausschließlich aufgrund des Grundpfandrechts verwertet wird und nicht aufgrund der zusätzlich geschlossenen Sicherungsübereignungsvereinbarung2. Mithin sind in diesem Fall die ebenfalls sicherungsübereigneten Gegenstände umsatzsteuerlich wie Grundstückszubehör zu behandeln. Zwar entsteht die Umsatzsteuerschuld in der Masse als sonstige Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO3, selbige hat aber gegenüber dem Sicherungsnehmer keinen Anspruch auf Erstattung der anfallenden Umsatzsteuer4. 337 Verwertet der Insolvenzverwalter das sicherungsübereignete Zubehör hingegen unabhängig von dem Grundstück oder überlässt er die Verwertung gar dem Sicherungsnehmer, so gelten die oben für die Verwertung von beweglichem Sicherungsgut dargestellten Grundsätze (Rz. 270 ff., 331 ff.) und der Verwalter bzw. der Sicherungsnehmer ist zur Abführung der Kostenbeiträge sowie der vereinnahmten Umsatzsteuer vor Erlösauskehr verpflichtet5. Es bleibt dann steuerrechtlich ohne Bedeutung, dass das Zubehör auch der Immobiliarhaftung unterlag6. (d) Freihändige Grundstücksveräußerung 338 Neben der zwangsweisen Verwertung massezugehörigen Grundbesitzes durch Anordnung der Zwangsverwaltung bzw. Zwangsversteigerung bleibt die Möglichkeit einer freihändigen Veräußerung durch den Insolvenzverwalter. Die in § 165 InsO vorgesehene Verwertung von mit Absonderungsrechten belasteten Grundstücken ist damit nicht zwingend. Dies ergibt sich aus § 159 InsO, wonach eine Verwertung durch freihändigen Verkauf einer vorherigen Zustimmung des Gläubigerausschusses bedarf (§ 160 InsO)7. Dies gilt auch für den – seit dem 1.7.2014 nicht mehr existenten – Treuhänder im vereinfachten Insolvenzverfahren. Dessen Verfügungsbefugnis zur rechtsgeschäftlichen Veräußerung einer Immobilie wurde durch § 313 Abs. 3 Satz 1 InsO nicht beschränkt8. 338a Diese Möglichkeit ist die konsequente Fortsetzung der auch außerhalb der Insolvenz denkbaren Vereinbarung zwischen Grundpfandgläubiger und Grundstückseigentümer, wonach letzterer im Rahmen eines Geschäftsbesorgungsvertrages gemäß § 675 BGB beauftragt wird, das Grundstück im eigenen Namen für die Rechnung des Grundpfandgläubigers zu veräußern. Der Grundstückseigentümer ist dann verpflichtet, dem Grundpfandgläubiger den Veräußerungserlös abzüglich des vereinbarten Entgelts herauszugeben. 338b Für Grundpfandgläubiger hat diese Möglichkeit den großen Vorteil einer zeitnahen und kostengünstigeren Verwertung. 338c Insolvenzverwalter nehmen jedoch den mit einer freihändigen Veräußerung verbundenen Aufwand sowie Risiken9 üblicherweise nur auf sich, wenn sich hierdurch ein freier Betrag für die Insolvenzmasse realisieren lässt. Da das Gesetz einen Kostenbeitrag nicht vorsieht, sind Insolvenzverwalter auf die vertragliche Vereinbarung einer solchen Massebeteiligung angewiesen. 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 15. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 9a. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 10; de Weerth, BB 1999, 821 (826). Tetzlaff, ZInsO 2004, 521 (523); vgl. differenzierend Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 10. Obermüller/Hess, InsO, Rz. 821; Tetzlaff, ZInsO 2004, 521 (522 f.); vgl. auch Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 166 Rz. 3. Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.388; Obermüller/Hess, InsO, Rz. 822. BFH v. 18.8.2005 – V R 31/04, ZIP 2005, 2119 (2120); Weis/Ristelhuber, ZInsO 2002, 859; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 165 Rz. 4. OLG Hamm v. 4.11.2011 – I-15 W 698/10, ZInsO 2011, 2279. Vgl. hierzu das Urteil des BFH v. 16.5.2013 – IV ZR 23711, ZInsO 2013, 1536 ff.
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Drees/Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 339
§7
Die Höhe einer zu vereinbarenden Massebeteiligung dürfte von mehreren Faktoren 338d wie dem Kaufpreisvolumen, der allgemeinen Marktsituation und nicht zuletzt vom Verhandlungsgeschick der Beteiligten abhängen. Die Vereinbarung eines Kostenbeitrages in Höhe der §§ 170, 171 InsO (9 %) dürfte Insolvenzverwaltern nur selten gelingen. Realistischer erscheinen Beträge in einer Größenordnung von 3–8 %, je nach Fallgestaltung, insbesondere in Abhängigkeit vom der Verwaltung und Verwertung, aber auch des Verhandlungsgeschicks der Beteiligten. Die Tatsache, dass das Gesetz für die freihändige Verwertung von Grundbesitz durch 338e den Insolvenzverwalter keine Massebeteiligung vorsieht, hat auch umsatzsteuerliche Konsequenzen. Denn – nicht anders als der Schuldner außerhalb des Insolvenzverfahrens (Rz. 338a) – könnte der Insolvenzverwalter nicht nur dem Grundstückserwerber, sondern auch dem Grundpfandgläubiger gegenüber eine steuerbare Leistung erbringen, mit der Konsequenz, dass die vereinbarte Massebeteiligung gemäß § 3 Abs. 9 Satz 1 UStG der Umsatzsteuer unterliegt. So die mittlerweile herrschende Rechtsprechung1, Literatur2 und das Bundesministerium der Finanzen in Umsetzung der erwähnten Rechtsprechung im BMF-Schreiben v. 30.4.20143. Das Gleiche wird für den Fall der kalten Zwangsverwaltung angenommen; auch hiernach sollen die der Insolvenzmasse verbleibenden Beiträge der Umsatzsteuer unterliegen4. Dies ist keineswegs zwingend und auch in der Literatur mit überzeugenden Argumenten kritisiert worden5. Anders verhält es sich (unstreitig) dann, wenn der erzielte Erlös die Forderung des Grundpfandgläubigers übersteigen. Dann fehlt es an einer unentgeltlichen Leistung und abhängig hiervon an einer Umsatzsteuerbarkeit im Sinne von § 3 Abs. 9 Satz 1 UStG6.
Û
Exkurs: 338f Leistungen sind grundsätzlich nur dann umsatzsteuerbar, wenn sie gegen Entgelt bewirkt werden und wenn zwischen Leistung und Gegenleistung eine innere Verknüpfung besteht. Der Leistende muss seine Leistung erkennbar um der Gegenleistung willen erbringen, wobei zwischen Leistendem und Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis bestehen muss7. Dies sieht der BFH bei der für die freihändige Grundstücksveräußerung vereinbarten Massebeteiligung als gegeben an8. Den zwischen Insolvenzverwalter und Grundpfandgläubiger geschlossenen Vertrag qualifiziert die erwähnte Rechtsprechung als Geschäftsbesorgung im Sinne des § 675 BGB9. Diese Rechtsprechung ist fragwürdig. Denn die Massebeteiligung lässt nicht auf den Willen der Parteien schließen, sich im Rahmen eines Geschäftsbesorgungsvertrages zu binden, sondern stellt vielmehr eine bloße Erlösverteilung dar. Mit Rücksicht auf die Rechtsprechung des BFH bleibt indes wenig Spielraum für hiervon abweichende steuerliche Gestaltungen.
(3) Mobiliarpfandrechte Bei den Pfandrechten an beweglichen Sachen, die den unmittelbaren Besitz des 339 Pfandgläubigers voraussetzen, sowie den Pfandrechten an Forderungen und sonstigen Rechten findet die Verwertung des Sicherungsguts nicht durch den Verwalter, 1 BFH v. 28.7.2011 – V ZR 28/09, ZIP 2011, 1923 ff. 2 d’Avoine, ZIP 2012, 58 ff.; Johann, DStZ 2012, 127 ff. 3 BMF-Schreiben v. 30.4.2014 – IV D 2-S 7100/07/10037 (2014/0332437) zum BFH-Urteil v. 28.7.2011 – V R 28/09. Vgl. ZIP 2014, 995 ff. Grundlegend zum BMF-Schreiben v. 30.4.2014 de Weerth, ZIP 2014, 597 ff. 4 BFH v. 28.7.2011 – V ZR 28/09, ZIP 2012, 58 ff.; BFH v. 28.7.2011 – V ZR 28/09, ZIP 2011, 1923 ff. 5 Statt vieler: Bork, ZIP 2013, 2129 ff. 6 Sinz in K. Schmidt, InsO, § 165 Rz. 39. 7 EuGH v. 3.3.1994 – Rs C 16/93, BB 1994, 1132. 8 BFH v. 18.8.2005 – 1 K 2949/92, ZIP 2005, 2119. 9 Grundlegend BFH v. 18.8.2005 – 1 K 2949/92, ZIP 2005, 2119 m. krit. Anm. Beck, ZInsO 2006, 244 ff. Vgl. hierzu in derselben Rechtssache BFH v. 10.2.2005 – V R 31/04, DZWIR 2005, 247 m.w.N. Lesenswert auch die Entscheidung der Vorinstanz: FG Brandenburg v. 16.3.2004 – 1K 2949/02, ZIP 2004, 2249 m. Anm. Beck, EWiR 2004, 931; vgl. weiter BFH v. 17.2.2005 – V R 17/02, BFH/NV 2005, 1394 m.w.N.
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§7
Rz. 340
Beratung des gesicherten Glubigers
sondern durch den Absonderungsberechtigten selber statt (§§ 166 i.V.m. 173 InsO). Feststellungskosten und Verwertungskosten entstehen der Insolvenzmasse schon naturgemäß nicht oder zumindest in erheblich reduzierter Form, wenn sich der Sicherungsgegenstand im Besitz des Sicherungsnehmers befindet und die Verwertung durch selbigen erfolgt1. Die InsO sieht daher von einer Kostenbelastung der Inhaber von Besitz- und Forderungspfandrechten ab2. 340 Ebenso entfällt die Verpflichtung, einen Umsatzsteuerbetrag an die Masse abzuführen, denn das Gesetz sieht für die Verwertung durch den Gläubiger nach § 173 Abs. 1 InsO keinen Vorwegabzug hinsichtlich der Umsatzsteuer vor. Da die mit Besitzpfandrechten belasteten Gegenstände zu der Insolvenzmasse im Sinne von § 35 InsO gehören, bedeutet deren Verwertung im Wege eines umsatzsteuerbaren Tatbestandes die Begründung von umsatzsteuerlichen Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO3. Hinsichtlich dieser Steuerschuld hat der Gesetzgeber weder einen Vorwegabzug aus dem Verwertungserlös noch eine sonstige Erstattungsverpflichtung des Absonderungsberechtigten vorgesehen. Der Tatbestand fällt weder unter § 51 Abs. 1 Satz 2 UStDV noch unter die Regelungen der §§ 170, 171 InsO4. Eine analoge Anwendung der Regelungen, die der Masse den Gegenwert des Umsatzsteuerbetrags zuschreiben, scheidet angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts und der klaren Gesetzessystematik5 aus6. Der Sicherungsnehmer kann daher entsprechend dem bisherigen Recht den gesamten Veräußerungserlös einschließlich des darin enthaltenen Umsatzsteueranteils beanspruchen, da die meisten Sicherungsabreden insoweit eine unbeschränkte Vereinnahmung des Erlöses durch den Sicherungsnehmer vorsehen7. (4) Besitzlose Mobiliarsicherheiten 341 Im Rahmen der besitzlosen Mobiliarsicherheiten, zu denen die – Sicherungsübereignung (Rz. 169 ff., 270 ff.), – Sicherungszession (Rz. 175 f., 270 ff., 309 ff.), – die Verlängerungs- und Erweiterungsformen des Eigentumsvorbehalts sowie – die besitzlosen Pfandrechte zählen, erfolgt die Verwertung der absonderungsbelasteten Gegenstände entsprechend dem gesetzlichen Regelfall des § 166 InsO durch den Insolvenzverwalter. Gerade die hierunter fallenden Sicherungsformen der Sicherungsübereignung und Sicherungszession sowie die Verlängerungs- und Erweiterungsformen des Eigentumsvorbehalts verursachen wegen ihrer fehlenden Erkennbarkeit und den häufig auftretenden Kollisionsfällen bei ihrer Abwicklung erhebliche Bearbeitungskosten8. (a) An Sachen 342 Der jeweils von dem absonderungsberechtigten Gläubiger zu erbringende Kostenbeitrag ist unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Berechnungsweisen für jede Kostenart zu ermitteln. Grundsatz der Kostenberechnung ist, dass dem Gläubiger nur die tatsächlich entstandenen Kosten auferlegt werden sollen9. Aus Gründen der
1 BT-Drucks. 12/2443, S. 180. 2 Vgl. auch Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 170 Rz. 1, § 171 Rz. 3; Gottwald/Adolphsen, Kölner Schrift zur InsO, S. 1043 ff. Rz. 122; Breutigam in Berliner Praxiskommentar, Insolvenzrecht, § 170 Rz. 5 ff. 3 Welzel, ZIP 1998, 1823 (1825); vgl. auch Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 20. 4 Welzel, ZIP 1998, 1823 (1825); vgl. auch Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 20. 5 Die §§ 166–171 InsO regeln die Rechtsfolgen des Regelinsolvenzverfahrens, in dem regelmäßig dem Insolvenzverwalter das Verwertungsrecht zusteht; der Ausnahmefall ist in § 173 InsO geregelt, der die Rechtsfolgen der Verwertung eines nicht im Besitz des Verwalters befindlichen Sicherungsgegenstandes bestimmt. 6 de Weerth, BB 1999, 821 (825). 7 Sinz in K. Schmidt, InsO, § 173 Rz. 12. 8 BT-Drucks. 12/2443, S. 180. 9 BT-Drucks. 12/2443, S. 181.
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Absonderungsfragen
Rz. 343c
§7
Praktikabilität wurden aber dennoch sowohl für die Feststellungs- als auch die Verwertungskosten gesetzliche Pauschalsätze eingeführt. (aa) Feststellungskosten Die Feststellungskosten im Sinne des § 171 Abs. 1 InsO, umfassen die Kosten 343 – der tatsächlichen Ermittlung und – Trennung des belasteten Gegenstandes sowie – der Überprüfung der Rechtsverhältnisse an diesem1. Im Wesentlichen geht es hier um Zeit und Arbeitskraft des Insolvenzverwalters, so dass die Kosten regelmäßig in der Form von Vergütungszuschlägen, die aufgrund der zusätzlichen Arbeitsbelastung an den Verwalter zu zahlen sind, anfallen. Da die Festsetzung dieser Zuschläge zusammen mit der sonstigen Vergütung des 343a Verwalters aber erst am Ende des Insolvenzverfahrens erfolgt, steht ihre Höhe im Zeitpunkt der von § 170 Abs. 1 InsO verlangten unverzüglichen Erlösauskehr noch nicht fest. Ein Abzug konkret ermittelter Feststellungskosten stößt daher auf praktische Schwierigkeiten, was den Gesetzgeber zu dem Ausweg eines pauschalierten Kostenansatzes genötigt hat2. Auf den konkreten Feststellungsaufwand im Einzelfall kommt es mithin nicht an, so dass – im Gegensatz zur Verwertungspauschale – die Feststellungspauschale auch nicht durch eine konkrete Kostenberechnung in Frage gestellt werden kann3. Möglich ist insoweit allerdings eine anderweitige rechtsgeschäftliche Vereinbarung zwischen dem Insolvenzverwalter und dem absonderungsberechtigten Gläubiger4. Für das Bestehen einer solchen abweichenden Regelung ist der Insolvenzverwalter darlegungs- und beweisbelastet5. Bei der Bemessung der Kostenpauschale in § 171 Abs. 1 Satz 2 InsO hat der Gesetz- 343b geber die Höhe der gewöhnlich von der Gerichtspraxis in Ansatz gebrachten Zuschläge zu der Verwaltervergütung für die Befassung mit Aus- und Absonderungsrechten zugrunde gelegt und ist auf diese Weise zu der Pauschale von 4 % des Bruttoverwertungserlöses gelangt. Dass der Brutto- und nicht der Nettoerlös Bezugsgröße ist, dürfte als unstrittig gelten6, auch wenn bisweilen mit wenig überzeugenden Argumenten versucht wird, dies in Frage zu stellen7. Diesen Stimmen können mit einer älteren Entscheidung des LG Wuppertal8 und einer jüngeren Entscheidung des OLG Nürnberg9 Nachweise in der Rechtsprechung entgegengehalten werden. Diese Kostenpauschale ist dem Verwertungserlös durch den Verwalter vor dessen Auskehrung an den Gläubiger nach § 170 Abs. 1 InsO zu entnehmen. Da grundsätzlich jeder Sicherungsgegenstand vor der Verwertung festgestellt werden 343c muss, hat der absonderungsberechtigte Gläubiger die Feststellungskosten auch dann an die Masse zu leisten, wenn der Insolvenzverwalter ihm ausnahmsweise einen Gegenstand, zu dessen Verwertung der Verwalter nach § 166 Abs. 1 InsO berechtigt gewesen wäre, zur Verwertung überlassen hat oder der Gläubiger von seinem Eintrittsrecht nach § 168 Abs. 3 InsO Gebrauch macht und die Sache übernimmt (§ 170 Abs. 2 InsO)10. 1 BT-Drucks. 12/2443, S. 181; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 2a. 2 BT-Drucks. 12/2443, S. 181. 3 BGH v. 11.7.2002 – IX ZR 262/01, WM 2002, 1797 (1800); Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 2. Vgl. hierzu weiter Kirchhof, ZInsO 2003, 149 (155). 4 AG Köln v. 27.12.2010 – 142 C 338/10, ZInsO 2011, 1260 f.; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 2. 5 AG Köln v. 27.12.2010 – 142 C 338/10, ZInsO 2011, 1260 ff. 6 Nach der Gesetzesbegr. ist der Bruttoerlös maßgebend, BT-Drucks. 12/2443, S. 181, BTDrucks. 12/7302, S. 177; vgl. weiter Flöther in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 170 Rz. 3. 7 de Weerth, ZInsO 2007, 70 ff. Dem begegnet mit überzeugender Argumentation Onusseit, ZInsO 2007, 247 ff. 8 LG Wuppertal v. 11.4.2012 – 3 O 444-11, BeckRS 2012, 10654. 9 OLG Nürnberg v. 11.12.2013 – 12 U1530/12, ZInsO 2014, 206. 10 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 2.
Drees/Schmidt
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§7 344
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Rz. 344
Beratung des gesicherten Glubigers
Praktische Hinweise für den Berater zur Feststellungskostenpauschale: – Im Grundsatz gilt: Steht dem Insolvenzverwalter das Verwertungsrecht zu (§ 166 InsO), ist er zugleich zwingend zur Geltendmachung der 4 %igen Feststellungskostenpauschale nach § 171 Abs. 1 InsO berechtigt. – Der Einwand, dass der Insolvenzverwalter die Verwertungshandlung bereits im vorläufigen Insolvenzverfahren hätte vornehmen können (z.B. Zustimmung zur Einziehung des Versicherungsanspruchs) ist unbeachtlich und steht der Feststellungskostenpauschale nicht entgegen. Zum einen ist eine solche Pflicht nicht erkennbar und zum anderen steht dem vorläufigen Insolvenzverwalter – ob stark oder schwach – gerade kein Verwertungsrecht zu1. – Hat der gesicherte Gläubiger allerdings die Sache bereits vor Verfahrenseröffnung zwecks Verwertung in Besitz genommen, so ist der Kostentatbestand des § 170 Abs. 1 InsO mangels Verwertungsrechts des Verwalters im Sinne des § 166 Abs. 1 InsO nicht ausgelöst. Insolvenzverwalter sind gleichwohl bemüht, die Zahlung der Feststellungskostenpauschale zu verlangen, da sie diese durch treuwidriges Verhalten des Absonderungsberechtigten als vereitelt ansehen. Hierzu ausführlich unten Rz. 349.
(bb) Verwertungskosten 345 Neben den Feststellungskosten entstehen regelmäßig Verwertungskosten. Diese setzen sich im Wesentlichen aus den Kosten der Vorbereitung und Durchführung der Verwertung zusammen und sind in der Praxis durch eine erhebliche Streubreite gekennzeichnet. Trotzdem wurde aus Praktikabilitätsgründen auch hinsichtlich der Verwertungskosten eine Kostenpauschale festgesetzt, die allerdings aus Gerechtigkeitsgesichtspunkten als widerlegbare Vermutungsregel ausgestaltet wurde. Nach § 171 Abs. 2 Satz 1 beträgt die Regelpauschale 5 % bezogen auf den Bruttoverwertungserlös2, soweit die tatsächlich entstandenen Kosten nicht erheblich niedriger oder erheblich höher liegen. 346 Der Pauschalsatz von 5 % geht zurück auf Mitteilungen von Kreditinstituten, die diesen Wert als Durchschnittswert der tatsächlich entstehenden Verwertungskosten angaben. Da die Verwertungskosten jedoch im Einzelfall, z.B. bei Spezialmaschinen, ein Mehrfaches oder aber auch bei marktgängigen Sachen nur einen Bruchteil des Pauschalsatzes betragen können, sieht Abs. 2 Satz 2 als Ausfluss des Kostenverursachungsprinzips die Möglichkeit vor, die Kostenvermutungsregel zu widerlegen. Um unergiebige Streitigkeiten zu umgehen, was gerade Sinn und Zweck der Einführung eines Pauschalsatzes war, kann die Vermutung nur durch den Nachweis einer „erheblichen“ Abweichung ausgeräumt werden. Für „erheblich“ im Sinne des § 171 Abs. 2 Satz 2 InsO wird man eine Abweichung jedenfalls dann ansehen, wenn die tatsächlich entstandenen und erforderlichen Verwertungskosten die Hälfte oder das Doppelte des festgesetzten Vomhundertsatzes betragen. Bislang konnte dies im Wesentlichen nur mit den Gesetzesmotiven und der Literatur belegt werden3. Mit dem AG Göttingen4 hat sich nunmehr ein Gericht entsprechend positioniert und für eine beachtliche erhebliche Abweichung im Sinne der Vermutung des § 171 Abs. 2 Satz InsO ein Über-/Unterschreiten der tatsächlichen und erforderlichen Verwertungskosten um 50 % gefordert. Vergleichbare (Vor-)Überlegungen hatte bereits das LG Wuppertal angestellt5. Es besteht indes nicht die Möglichkeit einer Kombination („Mischkalkulation“), d.h., entweder werden die Verwertungskosten der Kostenpauschale entsprechend fest-
1 BGH v. 14.12.2000 – IX ZB 105/00, ZInsO 2001, 165. 2 Nach der Gesetzesbegr. ist der Bruttoerlös maßgebend, BT-Drucks. 12/2443, S. 181, BTDrucks. 12/7302, S. 177; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 3; Flöther in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 170 Rz. 6, § 171 Rz. 4, 6 ff. 3 BT-Drucks. 12/2443, S. 181; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 4. 4 AG Göttingen v. 10.12.2013 – 21 C 55/13, ZIP 2014, 838 f. 5 LG Wuppertal v. 4.1.2006 – 32 C 346/04, ZIP 2006, 772 f.
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Absonderungsfragen
Rz. 346e
§7
gesetzt oder aber anhand der tatsächlich entstandenen Kosten berechnet. So jedenfalls die Grundsatzentscheidung des BGH vom 22.2.20071. Führt der Insolvenzverwalter bzw. der absonderungsberechtigte Gläubiger2 mithin 346a den Nachweis einer erheblichen Abweichung von der gesetzlichen Pauschale aufgrund einer Überschreitung von 100 % bzw. einer Unterschreitung um 50 %3, sind die tatsächlich entstandenen Kosten in Ansatz zu bringen. Geht es um den Nachweis dafür, dass die tatsächlichen Verwertungskosten erheblich 346b niedriger waren als die nach § 171 InsO berechnete Pauschale, so darf trotz der grundsätzlichen Darlegungs- und Beweislast des absonderungsberechtigten Gläubigers nicht verkannt werden, dass zunächst der Insolvenzverwalter über den bei ihm entstandenen Aufwand Rechnung zu legen bzw. die zum Nachweis erforderlichen Unterlagen vorzulegen hat4. Ihn trifft daher eine von der Rechtsprechung anerkannte sekundäre Darlegungslast, auf Grund derer er der darlegungs- und beweispflichtigen Partei eine prozessordnungsgemäße Darlegung durch nähere Angaben über die zu seinem Wahrnehmungsbereich gehörenden Verhältnisse zu ermöglichen hat5. Wenn die tatsächlichen Verwertungskosten die Verwertungskostenpauschale erheb- 346c lich unterschreiten, neigen Gerichte dazu, die angemessene Höhe der Verwertungskosten mangels anderer Grundlagen nach § 287 ZPO zu schätzen6. Ob die Gerichte hierbei berücksichtigen, dass ein Verwalter einen umfangreichen Verwaltungsapparat mit hochqualifizierten Mitarbeitern vorhalten muss, darf bezweifelt werden. Besonders häufig wurden Verwertungskosten unterhalb der Pauschale behauptet, 346d wenn es um die Verwertung von Lebensversicherungen durch Einziehung des Rückkaufswertes ging. Soweit ersichtlich entschied erstmals das AG Bonn einen solchen Fall, in dem der Insolvenzverwalter seinen mit der Einziehung verbundenen Aufwand einschließlich seines Verwertungsapparates hinreichend substantiiert darlegen musste, um nicht Gefahr zu laufen, dass die Verwertungskosten auf weniger als 1 % geschätzt wurden7. Vergleichbar die Entscheidungen des AG Leipzig8 sowie des AG Wiesbaden9. In dem 346e vom AG Wiesbaden zu entscheidenden Sachverhalt bestand die Verwertung seitens des Insolvenzverwalters darin, eine sicherungsabgetretene Forderung einzuziehen, was durch ein einfaches Schreiben gelang. Das Gericht hat – wie auch das AG Bonn – den Ersatz der tatsächlichen Kosten und nicht die Pauschale für zutreffend erklärt und diese nach § 287 ZPO auf 100 t geschätzt. Ganz anders verhält sich dazu die lesenswerte Entscheidung des AG Wuppertal10, dessen Überlegungen vom AG Göttingen11 in einer ebenso lesenswerten Entscheidung aufgegriffen werden. Gleichwohl muss die Tendenz in der Rechtsprechung zur Kenntnis genommen werden, dass bei Verwertungsmaßnahmen, die durch ein – was immer genau hierunter zu verstehen ist – „einfaches Schreiben“ umsetzbar sind, die Insolvenzpraxis die tatsächlichen Kosten für maßgeblich erachtet und sich bei der Ermittlung dieser einer Schätzung (§ 287 ZPO) behilft.
1 BGH v. 22.2.2007 – IX ZR 112/06, ZInsO 2007, 374 f. 2 So ausdrücklich AG Wuppertal v. 4.1.2006 – 32 C 346/04, ZInsO 2006, 386 (387 f.). 3 Über einen solchen Fall hatten zu entscheiden: OLG Jena v. 3.2.2004 – 5 U 709/02, ZInsO 2004, 509; LG Meiningen v. 9.7.2003 – 2 O 209/03, EWiR 2003, 1199. 4 LG Meiningen v. 9.7.2003 – 2 O 209/03, EWiR 2003, 1199. 5 OLG Nürnberg v. 4.3.2005 – 4 U 3471/04, ZInsO 2005, 380 ff. 6 So z.B. AG Wuppertal v. 4.1.2006 – 32 C 346/04, ZInsO 2006, 386 (387 f.) oder auch LG Meiningen v. 9.7.2003 – 2 O 209/03, EWiR 2003, 1199; bei falscher Schätzung: AG Leipzig v. 6.2.2014 – 110 C 6188/13, ZInsO, 2014, 850 (851); AG Wiesbaden v. 11.10.2013 – 93 C 6552/12, ZInsO 2014, 910. 7 AG Bonn v. 11.10.2000 – 16 C 322/00, NZI 2001, 50 f. 8 AG Leipzig v. 6.2.2014 – 110 C 6188/13, ZInsO 2014, 850 f. 9 AG Wiesbaden v. 11.10.2013 – 93 C 6552/12, ZInsO 2014, 910 f. 10 AG Wuppertal v. 4.1.2006 – 32 C 346/04, ZInsO 2006, 386 (387 f.). 11 AG Göttingen v. 10.12.2013 – 21 C 55/13, ZIP 2014, 838 f.
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§7
Rz. 346f
Beratung des gesicherten Glubigers
346f Von praktischer Bedeutung sind weiterhin die nachstehenden Überlegungen bzw. Fallgestaltungen: – Insolvenzverwalter beauftragen zur Verwertung regelmäßig so genannte Verwerter. Die durch die Einschaltung solcher Dritten angefallenen Kosten sind unstreitig Verwertungskosten i.S.d. § 171 Abs. 2 InsO. Wird deren Entlohnung vom Insolvenzverwalter vorab vom (Brutto-)Verwertungserlös abgezogen, so widerspricht das der Rechtsprechung des BGH, wonach solche Kosten Teil der tatsächlich angefallenen Verwertungskosten i.S.d. § 171 Abs. 2 InsO sind1. Denn schaltet der Insolvenzverwalter zur Verwertung einen Dritten ein, so ist Verwertungserlös i.S.v. § 170 InsO der diesem Dritten tatsächlich zugeflossene Betrag und nicht der – mit Rücksicht auf die Kosten des Dritten – weitergeleitete geringere Betrag2. – Mitunter versuchen Insolvenzverwalter im Rahmen des Nachweises des mit einer Verwertung verbundenen Aufwands Tätigkeiten im Rahmen der vorläufigen Insolvenzverwaltung mit zu berücksichtigen. Auch diese Argumentation rechtfertigt nicht den Ansatz höherer – tatsächlich – entstandener Kosten, da diese keine Verwertungskosten im Sinne des § 171 InsO darstellen3. – Keine Verwertungskostenpauschale soll – jedenfalls nach Ansicht des IX. Zivilsenats des BGH – dem Insolvenzverwalter für solche Kraftfahrzeuge zustehen, die er als Insolvenzverwalter eines insolventen Kraftfahrzeughändlers gegen Gutschrift des Kaufpreises an den Hersteller zurückgibt. Dies sei keine Verwertung im Sinne des § 171 Abs. 2 InsO, da kein mit der Veräußerung an einen Dritten typischerweise verbundener Aufwand entstehe4. 347 Hat der Insolvenzverwalter entgegen § 166 Abs. 1 InsO dem Absonderungsberechtigten die Verwertung des Sicherungsgegenstandes überlassen, so hat der verwertende Gläubiger keine Verwertungskosten an die Masse zu erbringen, da diese i.d.R. bei ihm selbst anfallen5. 348 Hat der gesicherte Gläubiger hingegen den Sicherungsgegenstand im Wege des Selbsteintritts nach § 168 Abs. 3 InsO übernommen, so hat er die Verwertungskosten uneingeschränkt und unabhängig von einer möglichen späteren eigenen Verwertung des Gutes nach § 170 Abs. 1 InsO zu tragen, da eine Verwertung des Verwalters vorliegt, nachdem dieser die Verwertung bereits vorbereitet und die Veräußerungsabsicht dem gesicherten Gläubiger mitgeteilt hat6. Diese Rechtsfolge beruht auf der systematischen Stellung des § 168 Abs. 3 Satz 1 InsO im Gefüge der Vorschriften über die Verwertung. Danach gehört die Übernahme durch den absonderungsberechtigten Gläubiger zu den Verwertungsmöglichkeiten, die das Gesetz für den Verwalter vorsieht. Hierdurch stellt das Gesetz klar, dass diese Verwertungsmöglichkeit streng von der in § 170 Abs. 2 InsO vorgesehenen zu unterscheiden ist7. Soweit die Anwendbarkeit des § 170 Abs. 1 InsO auf den Fall des Selbsteintritts mangels ausdrücklicher Regelung abgelehnt wird8, ist dies nach der ausdrücklichen Entscheidung des BGH vom 3.11.2005 nicht mehr haltbar9. Insolvenzverwalter sind daher nicht mehr darauf angewiesen, aus Gründen der Rechtssicherheit einen Kostenbeitrag vertraglich zu vereinbaren.
1 BGH v. 22.9.2005 – IX ZR 65/04. So auch die ganz h.M. Vgl. statt vieler Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 3. 2 OLG Nürnberg v. 11.12.2013 – 12 U 1530/12, ZInsO 2014, 206 f. 3 OLG Jena v. 3.2.2004 – 5 U 709/03, ZIP 2004, 2107 ff. 4 BGH v. 14.12.2006 – IX ZR 220/05, n.v.; vgl. Ganter, ZInsO 2007, 841 (845). 5 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 3; Flöther in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 170 Rz. 10 ff.; Landfermann in HK-InsO, § 170 Rz. 17. 6 BGH v. 3.11.2005 – IX ZR 181/04, ZInsO 2005, 1270 ff. m. Anm. Foerste, NZI 2006, 275 und Ringstmeier, BGH-Report 2006, 128 f. im Anschluss an die herrschende Literatur: Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 168 Rz. 10; Wegener in Frankfurter Kommentar, InsO, §§ 170, 171 Rz. 7; Undritz/Fiebig in Berliner Praxiskommentar, Insolvenzrecht, § 168 Rz. 26. 7 BGH v. 3.11.2005 – IX ZR 181/04, ZInsO 2005, 1270. 8 Vgl. Haas/Scholl, NZI 2002, 642 (644). 9 BGH v. 3.11.2005 – IX ZR 181/04, ZInsO 2005, 1270 f.
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Absonderungsfragen
Rz. 349b
§7
Absonderungsberechtigten Gläubigern ist es durch diese Rechtsprechung jedoch 348a nicht genommen, abweichend vom Anspruch auf eine Kostenbeteiligung in der gesetzlichen Höhe mit dem Insolvenzverwalter eine Absenkung der prozentualen Beteiligung zu vereinbaren. Fraglich ist, ob ein absonderungsberechtigter Gläubiger, der das Sicherungsgut vom 348b Insolvenzverwalter übernommen und sodann weiterveräußert hat, sich einen hierbei erzielten Mehrerlös nach Abzug der beschriebenen Kosten auf die Insolvenzforderung anrechnen lassen muss. Diese Frage beantwortet sich aus dem Vergleich mit einer Verwertung durch den Insolvenzverwalter, bei der ein Mehrerlös erzielt wird: Verwertet ein Insolvenzverwalter, indem er das Sicherungsgut selbst an einen Dritten veräußert, erhält der absonderungsberechtigte Gläubiger den erzielten Erlös abzüglich der daraus für die Masse zu entnehmenden Kosten (§ 170 Abs. 1 Satz 1 InsO) und damit auch einen Mehrerlös. Da das Gesetz – wie dargelegt – die Verwertung durch die Übernahme seitens des Gläubigers derjenigen durch Veräußerung an einen Dritten gleichstellt, ist es nur konsequent, in diesem Fall – den Gläubiger lediglich in Höhe des mit dem Verwalter vereinbarten Übernahmepreises – abzüglich der Feststellungs- und Verwertungskostenpauschale – als befriedigt anzusehen und ihn wegen des verbleibenden Restes seiner Forderung als Insolvenzgläubiger gemäß § 52 InsO zu behandeln.
348c
Kurzum: Ein durch die Weiterveräußerung erzielter Mehrerlös muss nicht auf die In- 348d solvenzforderung angerechnet werden1. Diese Wertung entspricht dem Willen des Gesetzgebers, benachteiligt die Masse nicht unangemessen und verschafft dem absonderungsberechtigten Gläubiger keinen ungerechtfertigten Vorteil, da dieser auch das Risiko trägt, auf diesem Weg einen Verlust zu erzielen. In besonderer Weise zu befassen hatte sich die Rechtsprechung mit der Verwertung 349 von Absonderungsgut durch den Sicherungsgläubiger vor Verfahrenseröffnung, insbesondere während des vorläufigen Insolvenzverfahrens. Diese Fälle zeichnen sich allesamt dadurch aus, dass Insolvenzverwalter versucht haben, entsprechend vorgehende Absonderungsgläubiger wegen der vereitelten Feststellungs- und Verwertungskostenpauschalen in Anspruch zu nehmen. Der Einfachheit halber soll diese Problematik hier auch schon für Absonderungsrechte an Forderungen (hierzu Rz. 368 ff.) dargestellt werden. Die in diesem Zusammenhang typischen Sachverhalte sehen etwa folgendermaßen 349a aus: Die spätere Insolvenzschuldnerin verkauft Gegenstände, die sie zuvor unter verlängertem Eigentumsvorbehalt bezogen hat. Nachdem ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt und ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt worden ist, legt die Vorbehaltslieferantin die Abtretung offen und fordert die Kunden der Schuldnerin auf, an sie zu zahlen. Nach Vereinnahmung der Zahlung durch die Vorbehaltslieferantin macht der Insolvenzverwalter die Feststellungs- und Verwertungskostenpauschale geltend2. Sachverhalt und sich hieraus ergebende Fragestellung sind nahezu identisch, wenn 349b ein Gläubiger aufgrund eines Sicherungsübereignungsvertrages berechtigt ist, das Sicherungsgut herauszuverlangen, hiervon Gebrauch macht und den Gegenstand noch vor Verfahrenseröffnung verwertet. Auch hier beansprucht der Insolvenzverwalter – nach Anfechtung der Inbesitznahme – die gesetzlichen Kostenbeiträge, die er bei eigener Verwertung nach Eröffnung hätte erzielen können3.
1 BGH v. 3.11.2005 – 181/04, ZInsO 2005, 1270 f. 2 Auf der Grundlage von BGH v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42. 3 Dieser Sachverhalt beruht auf BGH v. 23.9.2004 – IX ZR 25/03, ZIP 2005, 40 (41 f.) = DZWIR 2005, 123 ff.
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§7
Rz. 349c
Beratung des gesicherten Glubigers
349c Rechtliche Grundlage der behaupteten Ansprüche ist jeweils ein aus der Insolvenzanfechtung herrührender Schadensersatzanspruch gemäß § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 292 Abs. 1, 989 Abs. 1 BGB. Ebenso wurde versucht, diesen Anspruch aus dem Bereicherungsrecht gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB herzuleiten. 349d Gegen entsprechende Verwertungsmaßnahmen in der vorläufigen Insolvenzverwaltung können Verwalter grundsätzlich nichts einwenden. Steht einem Gläubiger – etwa aufgrund einer Abtretung – ein Absonderungsrecht an den Forderungen zu und ist er nach Offenlegung der Abtretung berechtigt, die Forderungen von der Drittschuldnerin einzuziehen, so ändern weder der Insolvenzantrag noch die Anordnung einer vorläufigen Verwaltung hieran etwas. Ob im Falle einer gerichtlichen Ermächtigung des vorläufigen Insolvenzverwalters zur Verwertung von Gegenständen, die mit Absonderungsrechten belastet sind, etwas anderes gilt, ist noch ungeklärt1. 349e Grundsätzlich entsteht erst durch die Verfahrenseröffnung eine entgegenstehende Berechtigung des endgültigen Verwalters aus § 166 InsO2. Eine Verwertung durch den Gläubiger nach Verfahrenseröffnung ist mithin objektiv rechtswidrig. Die Rechtsfolgen einer solchen eigenmächtigen – § 166 InsO zuwiderlaufenden – Verwertung sind nicht geregelt, jedoch inzwischen von der Rechtsprechung geklärt: – Da der Insolvenzverwalter auch hier die notwendigen Feststellungen zu den tatsächlichen Umständen sowie zu Wirksamkeit und Umfang der behaupteten Sicherungsrechte machen musste, steht der Masse der Anspruch auf die Feststellungskostenpauschale zu3. – Dagegen ist der Masse kein Verwertungskostenaufwand zu erstatten. Es ist in diesem Fall konsequent, dem Verwalter § 170 Abs. 2 InsO entsprechend keine Pauschale zuzuerkennen4. – Diese Rechtsprechung sollte den Sicherungsgläubiger aber nicht veranlassen, das Sicherungsgut nach Verfahrenseröffnung eigenmächtig in Besitz zu nehmen, da er sich damit einer möglichen Schadensersatzpflicht gegenüber dem Insolvenzverwalter aussetzt, wenn dieser das Sicherungsgut für die Betriebsfortführung benötigt und diese durch die eigenmächtige Wegnahme unmöglich wird oder wenn eine Verwertung durch den Insolvenzverwalter (u.U. im Rahmen eines asset deals) einen höheren Erlös erbracht hätte. 349f Vor der Verfahrenseröffnung gelten diese Rechtsfolgen indes nicht. Ohne Verwertungsrecht des Verwalters fehlt es an einer objektiv rechtswidrigen Verwertungshandlung. Gleichwohl argumentieren Verwalter in diese Richtung, da durch die beschriebene Vorgehensweise (Rz. 349, 349a) die bei Eröffnung zu erzielenden Feststellungs- und ggf. auch Verwertungskostenpauschalen vereitelt werden. Wie die nachstehenden Ausführungen zeigen, sind solche Argumentationen wenig erfolgversprechend. Dies gilt sowohl für die Feststellungs- (Rz. 394e) als auch die Verwertungskostenpauschale (Rz. 349f): 349g Zunächst zur Feststellungskostenpauschale. Die – soweit ersichtlich – erste grundlegende Entscheidung des BGH ist diejenige vom 20.11.20035. Da der absonderungsberechtigte Gläubiger die Feststellungskostenpauschale abgeführt hatte, waren nur die Verwertungskosten (Rz. 349c) streitgegenständlich. Gleichwohl ist diese Entscheidung auch für die Kosten der Feststellung von Belang, da der Senat in einer 1 Offen lassend BGH v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42 f. Vgl. hierzu weiter BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, ZIP 2003, 632 (634 f.) m. Anm. Schumacher, EWiR 2003, 425 f. 2 BGH v. 11.7.2002 – IX ZR 262/01, ZIP 2002, 1630 f. m. Anm. Gundlach/Frenzel, EWiR 2002, 921 f.; BGH v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42. 3 BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, ZIP 2003, 632 (633 f.); BGH v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42 (43 f.). Zu der in diesem Punkt vergleichbaren Rechtslage unter Geltung der KO vgl. LAG Hamm v. 29.4.1986 – 10 (9) Sa 1099/84, ZIP 1986, 1262 ff. 4 BGH v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42 (43 f.) im Anschluss an die herrschende Literatur. Statt vieler: Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 3. 5 BGH v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42 in Bestätigung der Vorinstanz, OLG Frankfurt v. 17.10.2002, ZIP 2002, 2140 m. zust. Anm. Gerhardt, EWiR 2003, 27 (28).
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Absonderungsfragen
Rz. 349j
§7
späteren Entscheidung vom 7.10.2004 klarstellt, dass die in diesem ersten Urteil angestellten Überlegungen für Verwertungs- und Feststellungskosten gleichermaßen gelten. Maßgeblich für das Entstehen sei allein der Zeitpunkt der Verwertung (vor Verfahrenseröffnung). Bestehe zu diesem kein entgegenstehendes Verwertungsrecht, könne die Anfechtbarkeit nicht mit den entgangenen Kostenbeiträgen begründet werden. Art der Pauschale und auch Gegenstand des Absonderungsrechts seien ohne Belang1. Es gelten damit die nachstehenden Grundsätze (Rz. 349h). Die in der Literatur geforderte Differenzierung zwischen den einzelnen Pauschalen2 dürfte kaum vertretbar sein, auch wenn diesen Stimmen zuzugeben ist, dass der Verwalter auch in den Fällen zur rechtlichen Prüfung und Feststellung von Drittrechten verpflichtet bleibt. Auch – oder besser: gerade – eine Verwertung in der vorläufigen Insolvenz verlangt eine Überprüfung der Insolvenzfestigkeit. Daher vermag die Entscheidung des BGH nicht recht zu überzeugen. Eine Rechtsprechungsänderung ist jedoch – trotz der Entscheidung des BGH3 in einem anderen Bereich (siehe unten Rz. 363) – nicht zu erwarten. Bei der Verwertungskostenpauschale verhält es sich dementsprechend nicht viel an- 349h ders. Inzwischen zahlreich ergangene höchstrichterliche Entscheidungen verneinen eine Anfechtbarkeit und hiermit einhergehenden Ersatz der Verwertungskostenpauschale4: In der erwähnten Entscheidung vom 20.11.20035 wurde dies – soweit ersichtlich – erstmals für den Fall einer bereits offen gelegten Abtretung entschieden. Bemüht wurden in erster Linie Inhalt und Zweck der §§ 166 ff. InsO. Denn soweit die Masse mit keinen Verwertungskosten belastet sei, könne aus diesen Bestimmungen auch keine Verwertungskostenpauschale hergeleitet werden6. Überdies fehle die Gläubigerbenachteiligung, da bis zur Insolvenzeröffnung auch insolvenzrechtlich eine Einziehungsberechtigung bestehe7. Erst mit Verfahrenseröffnung stehe dieser eigenmächtigen Verwertung ein kollidierendes Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters entgegen (siehe oben Rz. 270). Diese Rechtsprechung gilt unabhängig vom Gegenstand der Absonderung und damit auch für den skizzierten Fall der Verwertung eines zur Sicherheit übereigneten Fahrzeugs (Rz. 349). Der von Insolvenzverwaltern ebenfalls bemühte bereicherungsrechtliche Anspruch 349i aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB scheitert ebenso, weil in Fortsetzung der Argumentation, zwar auf Seiten des Gläubigers „etwas in sonstiger Weise“ erlangt wird, es sich hierbei aber um keinen der Insolvenzmasse gebührenden Wert handelt. Mithin ist der Eingriff nicht „auf Kosten“ der Schuldnerin. Dies gilt sowohl für den Verwertungserlös als auch die zum Verwertungszeitpunkt noch nicht entstandenen Kostenpauschalen. Damit sind absonderungsberechtigte Gläubiger weder unter bereicherungs- (§ 812 349j Abs. 1 BGB) noch unter insolvenzanfechtungsrechtlichen (§ 143 Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 292 Abs. 1, 989 Abs. 1 BGB) Gesichtspunkten zur Erstattung der Kostenbeiträge verpflichtet. Dies gilt wohlgemerkt unabhängig von Art der Pauschale und Gegenstand des Absonderungsrechts.
1 BGH v. 23.9.2004 – IX ZR 25/03, ZIP 2005, 40 ff. = DZWIR 2005, 124 ff. m. Anm. Smid, DZWIR 2005, 89 (94). 2 Gundlach/Schmidt, EWiR 2004, 123 (124). 3 Vorinstanz OLG Düsseldorf v. 13.1.2006 – I-16 U 49/05, ZInsO 2006, 154 ff. 4 BGH v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42 m. eingeschränkt zust. Anm. Gundlach/Schmidt, EWiR 2004, 123 f.; BGH v. 9.10.2003 – IX ZR 89/03, ZIP 2003, 2370; BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, ZInsO 2003, 318 (319); BGH v. 29.3.2007 – IX ZR 27/06, ZInsO 2007, 605 ff. m. Anm. Ries, ZInsO 2007, 650 ff. in Bestätigung des OLG Düsseldorf v. 13.1.2006 – I-16 U 49/05, ZInsO 2006, 154 ff. 5 BGH v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42. 6 Gerhardt, EWiR 2003, 27 (28). 7 BGH v. 22.7.2004 – IX ZR 270/03, ZIP 2004, 1912 ff. = NJW-RR 2005, 125 (126 f.) m. Anm. Gerhardt, EWiR 2005, 27 (28); BGH v. 9.10.2003 – IX ZR 28/03, ZIP 2003, 2370 f. m. Anm. Beutler/Vogel, EWiR 2004, 241; BGH v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42 (44).
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§7
Rz. 350
Beratung des gesicherten Glubigers
(cc) Umsatzsteuer 350 Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG unterliegen der Umsatzsteuer die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH1 sowie des BFH2 stellt sich die Verwertung von Sicherungsgut im eröffneten Verfahren als umsatzsteuerpflichtiger Vorgang nach § 3 Abs. 1 UStG dar. Die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung der Verwertung beweglichen Sicherungsguts orientiert sich grundsätzlich an dem konkreten Verfahrensablauf, d.h. daran, ob die Verwertung durch – den Insolvenzverwalter (Rz. 351) oder – den Sicherungsnehmer selbst (Rz. 352) erfolgt. 351 Bei einer Verwertung durch den Insolvenzverwalter gehen Rechtsprechung3, Finanzverwaltung4 und Literatur5 davon aus, dass eine umsatzsteuerpflichtige Lieferung zwischen dem Verwalter und dem Erwerber vorliegt. 351a Beschäftigt hat die Gerichte die Frage, ob bei einer Verwertung durch den Insolvenzverwalter dieser zugleich auch eine Leistung an den Sicherungsgeber erbringt. Da sich der zu versteuernde Umsatz nach dem Entgelt bemisst (§ 10 Abs. 1 Satz 1 UStG), müsste der Insolvenzverwalter dem Sicherungsgeber gegenüber eine Leistung gegen Entgelt erbringen6. Ein solches könnte in den gesetzlichen Kostenbeiträgen erblickt werden. So die kurze Feststellung in der Vorauflage für die Verwertung von Mobiliarsicherheiten. Für die freihändige Veräußerung von Grundbesitz wurde bereits in der Vorauflage die damalige Rechtsprechung des BFH7 dargestellt. Nach Maßgabe dieser unterliegen die im Rahmen von Verwertungsvereinbarungen getroffenen Massekostenbeiträge als Entgelt für steuerbare und steuerpflichtige Leistungen der Umsatzsteuer. Der Steuerschuldner – vertreten durch den Insolvenzverwalter – hat im Rahmen entgeltlicher Geschäftsbesorgung gehandelt8. Diese schon damals maßgebliche Aussage wurde vom BFH in seiner Entscheidung vom 28.7.2011 bekräftigt9: „Veräußert ein Insolvenzverwalter ein mit einem Grundpfandrecht belastetes Grundstück freihändig aufgrund einer mit dem Grundpfandgläubiger getroffenen Vereinbarung, liegt neben der Lieferung des Grundstücks durch die Masse an den Erwerber auch eine steuerpflichtige entgeltliche Geschäftsbesorgungsleistung der Masse an den Grundpfandgläubiger vor, wenn der Insolvenzverwalter vom Verwertungserlös einen „Massekostenbeitrag“ zugunsten der Masse einbehalten darf. Vergleichbares gilt für die freihändige Verwaltung grundpfandrechtsbelasteter Grundstücke durch den Insolvenzverwalter. (Leitsatz 1). Für Immobiliarsicherheiten kann mithin die Bestätigung der damaligen Entscheidung des BFH v. 18.8.2005 festgehalten werden. Nicht absehbar und neu ist die Ausweitung dieser Rechtsprechung auf Mobiliarsicherheiten, bei deren Verwertung nunmehr zweimal Umsatzsteuer anfällt: – bei Lieferung des Insolvenzverwalters an den Käufer (gemäß § 171 Abs. 2 Satz 3 InsO) und – bei der sonstigen Leistung des Insolvenzverwalters an den zur Absonderung berechtigten Gläubiger. 1 BGH v. 22.3.1972 – VIII ZR 119/70, BGHZ 58, 292 (294 f.); BGH v. 12.5.1980 – VIII ZR 167/79, BGHZ 77, 139. 2 BFH v. 6.6.1991 – V R 70/89, ZIP 1991, 1293. 3 BFH v. 20.7.1978 – V R 2/75, BStBl. II 1978, 684; BFH v. 4.6.1987 – V R 57/79, BB 1987, 2010; BGH v. 12.5.1980 – VIII ZR 167/79, BGHZ 77, 139. 4 Abschn. 2 Abs. 4 Satz 1 UStR. 5 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 6; Niesert in Andersen/Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 685. 6 BFH v. 18.8.2005 – V R 31/04, ZIP 2005, 2119 ff. 7 BFH v. 18.8.2005 – V R 31/04, ZIP 2005, 2119; Sinz in K. Schmidt, InsO, § 171 Rz. 30 m. z. w.N.; Fölsing, ZInsO 2011, 2261; Mitlehner, ZIP 2012, 649 (657); Herget/Kreuzberg, NZI 2013, 118 ff. 8 Sinz in K. Schmidt, InsO, § 171 Rz. 30; d’Avoine, ZIP 2012, 58 (59). 9 BFH v. 28.7.2011 – V R 28/09, ZIP 2011, 1923; a.A. Mitlehner, ZIP 2012, 649 (657); dazu: das BMFSchreiben v. 30.4.2014, ZIP 2014, 995.
572
Drees/Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 351d
§7
Für Letzteres fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage. In Gegenüberstellung zur freihändigen Grundstücksveräußerung überrascht die Annahme einer sonstigen Leistung des Insolvenzverwalters im Fall der Mobiliarverwertung, da in dieser Hinsicht aufgrund des gesetzlichen Verwertungsrechts (§ 166 InsO) keine Verwertungsvereinbarung – in der man eine entgeltliche Geschäftsbesorgung hätte erkennen können – erforderlich war1. In Anbetracht der Eindeutigkeit der Aussage des BFH muss die beschriebene zweite Leistung des Insolvenzverwalters an den Absonderungsberechtigten hingenommen und die Umsatzsteuer für die Verwertungskosten ausgewiesen und abgeführt werden. Mittlerweile ist die Rechtsprechung des BFH v. 28.7.2011 Gegenstand des BMF-Schreibens v. 30.4.20142 („BMF zu umsatzsteuerrechtlichen Leistungsbeziehungen bei der Verwertung von Sicherungsgut im Insolvenzverfahren“). In diesem wird – in Fortsetzung des betreffenden Urteils – die Kommissionärsstellung des Insolvenzverwalters für den Sicherungsgläubiger und damit die Leistungserbringung in diesem Verhältnis klargestellt. Die Feststellungskosten selbst sind nicht umsatzsteuerbar, da ihr keine Leistungen des Insolvenzverwalters i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG zugrunde liegen3. Gemäß seiner Anwendungsregelungen sind die Grundsätze dieses BMF-Schreibens in allen offenen Fällen anzuwenden. Für vor dem 1.7.2014 ausgeführte Umsätze kann bei Konsens der Beteiligten die Sicherheitenabrechnung nach dem nunmehr überholten Abschnitt 1.2 Abs. 1b UStAE vorgenommen und der Dreifachumsatz unberücksichtigt gelassen werden4.
Û
Steuerrechtlicher Exkurs – Begriff des Entgelts 351b Entgelt ist alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer (§ 10 Abs. 1 Satz 2 UStG). Eine Leistung gegen Entgelt liegt vor, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbracht Dienstleistung bildet5.
Gemessen an dieser Definition wurde bislang angenommen, dass der Insolvenzver- 351c walter durch Verwertung gemäß § 166 InsO keine Leistung an den Sicherungsgeber erbringt. Dies entsprach der Rechtsprechung des BFH vom 18.8.20056. Nach Maßgabe dieser verwertet der Insolvenzverwalter aufgrund seiner gesetzlichen Verwertungsbefugnis und entnimmt dem Verwertungserlös die Kostenbeiträge aufgrund der gesetzlichen Regelung des § 170 InsO. Er handelt damit weder im Auftrag des absonderungsberechtigten Gläubigers noch erhält er von diesem seine Kosten ersetzt7. Diese Rechtsprechung hat der BFH mit der erwähnten Entscheidung v. 28.7.20118 nicht aufrechterhalten und die Leistung des Insolvenzverwalters als steuerbar qualifiziert, soweit sie die Verwertung betrifft. Mit der beschriebenen Konsequenz, dass der gesetzliche Verwertungskostenbeitrag in Höhe von 5 % (§ 171 Abs. 2 Satz 1 InsO) der Umsatzsteuer unterliegt. Die Situation unterscheidet sich damit nicht mehr von einer freihändigen Grund- 351d stücksveräußerung, bei der der Insolvenzverwalter – mangels gesetzlicher Regelung – 1 d’Avoine, ZIP 2012, 58 (60). 2 BMF-Schreiben v. 30.4.2014 – IV D 2-S 7100/07/10037 (2014/0332437) zum BFH-Urteil v. 28.7.2011 – V R 28/09. Vgl. ZIP 2014, 995 ff. Grundlegend zum BMF-Schreiben v. 30.4.2014 de Weerth, ZIP 2014, 597 ff. 3 Sinz in K. Schmidt, InsO, § 171 Rz. 30. 4 BMF-Schreiben v. 30.4.2014 – IV D 2-S 7100/07/10037 (2014/0332437), ZIP 2014, 995 (996). Grundlegend zum BMF-Schreiben v. 30.4.2014 de Weerth, ZIP 2014, 597 ff. 5 Ständige Rechtsprechung des BFH. Vgl. statt vieler: BFH v. 18.3.2004 – V R 101/01, BFHE 205, 342. 6 BFH v. 18.8.2005 – V R 31/04, ZIP 2005, 2119 ff. Zuvor bereits BFH v. 10.2.2005 – V R 31/04, DZWIR 2005, 247 m. Anm. Heublein, EWiR 2005, 513. 7 BFH v. 10.2.2005 – V R 31/04, DZWIR 2005, 247 m. Anm. Heublein, EWiR 2005, 513. Anders noch die Vorinstanz: FG Brandenburg v. 16.3.2004 – 1 K 2949/02, ZIP 2004, 2249 m. Anm. Beck, EWiR 2004, 931. 8 BFH v. 28.7.2011 – V R 28/09, ZIP 2011, 1923 ff.
Drees/Schmidt
573
§7
Rz. 352
Beratung des gesicherten Glubigers
eine Kostenbeteiligung nur vertraglich vereinbaren kann (hierzu oben Rz. 338)1. Insgesamt gilt: Kosten der Verwertung im Zusammenhang mit der Verwertung von Immobilien im Wege der freihändigen Veräußerung oder auch („kalten“) Zwangsverwaltung sowie Kosten der Verwertung von Mobiliar liegen umsatzsteuerpflichtige Leistungen des Insolvenzverwalters im Verhältnis zum Absonderungsberechtigten zugrunde. 352 Die Verwertung des Sicherungsguts durch den Sicherungsnehmer (§ 170 Abs. 2 InsO) hingegen begründete schon immer zwei steuerpflichtige Vorgänge im Sinne des Umsatzsteuerrechts (so genannter „Doppelumsatz“). Da nach ständiger Rechtsprechung des BFH2 der Sicherungsgeber dem Sicherungsnehmer die Sache noch nicht bereits mit der Sicherungsübereignung im umsatzsteuerrechtlichen Sinne liefert, sondern erst wenn er diesem bei Herausgabe des Sicherungsguts die Verfügungsmacht zur Verwertung verschafft, liegen in der Verwertung durch den Sicherungsnehmer zwei selbständige steuerbare Vorgänge im Sinne des Umsatzsteuergesetzes3 vor, nämlich – sowohl zwischen Schuldner und Sicherungsnehmer (die Überlassung des Sicherungsguts an diesen zum Zwecke der Verwertung) als auch – zwischen Sicherungsnehmer und Erwerber (Verwertungshandlung in Form der Veräußerung des Sicherungsguts durch den absonderungsberechtigten Gläubiger). Dies gilt auch dann, wenn der Sicherungsnehmer das Sicherungsgut dadurch verwertet, dass es der Sicherungsgeber im Auftrag und für Rechnung des Sicherungsnehmers veräußert4. Der einzige Unterschied besteht darin, dass in diesem Fall die Insolvenzmasse mit der Umsatzsteuer belastet wird, diese aber vom Absonderungsberechtigten zu erstatten ist5. 353 Sowohl bei der Verwertung durch den Insolvenzverwalter (§ 166 InsO) als auch bei der Verwertung durch den absonderungsberechtigten Gläubiger (§ 170 Abs. 1 InsO) wird die Masse mit der Umsatzsteuerschuld als Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) belastet. 353a Verwertet der Insolvenzverwalter, so hat er nach dem Abzug der Kostenbeiträge dem Erlös auch die Umsatzsteuer zu entnehmen (§§ 170 Abs. 1 Satz 1, 171 Abs. 2 Satz 3 InsO) und den Nettoerlös auszukehren. Dem Verwalter steht mithin eine Vorwegabzugsberechtigung in Höhe der in der Masse entstehenden Steuerlast zu6. Der einbehaltene Steueranteil wird Bestandteil der Insolvenzmasse. 353b Verwertet der absonderungsberechtigte Gläubiger, hat dieser die Umsatzsteuer an die Masse abzuführen (§§ 170 Abs. 2, 171 Abs. 2 Satz 3 InsO)7. D.h., auch in dem Fall einer Verwertung gemäß § 170 Abs. 2 InsO muss der bei der Verwertung als sonstige Masseverbindlichkeit entstehende Umsatzsteuerbetrag vorweg aus dem Verwertungserlös an die Masse abgeführt werden8. Die ebenso vorweg zu begleichenden
1 BFH v. 18.8.2005 – V R 31/04, ZIP 2005, 2119 ff. m. Anm. Spliedt, EWiR 2005, 841. 2 BFH v. 16.4.1997 – XI R 87/96, BB 1997, 1674; BFH v. 20.7.1978 – V R 2/75, BStBl. II 1978, 684; BFH v. 4.6.1987 – V R 57/79, ZIP 1987, 1134; BFH v. 12.5.1993 – XI R 49/90, ZIP 1993, 1247; vgl. weiter Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 171 Rz. 4 m.w.N. 3 BFH v. 20.7.1978 – V R 2/75, BStBl. II 1978, 684; BFH v. 17.7.1980 – V R 124/75, ZIP 1980, 791; BFH v. 4.6.1987 – V R 57/79, ZIP 1987, 1134; Markert in Offerhaus/Söhn/Lange, Umsatzsteuer, § 3 Rz. 47; de Weerth, BB 1999, 821; BT-Drucks. 12/2443, S. 181; a.A. Knobbe-Keuk, Einhundert Jahre KO 1877–1977, S. 219 (241 ff.). 4 BFH v. 23.7.2009 – V ZR 27/07, ZIP 2009, 2285 (2287). 5 MünchKommInsO/Tetzlaff, § 171 Rz. 42. 6 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 6; Flöther in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 171 Rz. 9 ff.; Niesert in Andersen/Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 688. 7 Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 171 Rz. 10 f. 8 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 9; Geurts, DB 1999, 818 (819); Niesert in Andersen/ Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 696.
574
Drees/Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 358
§7
Kosten der Feststellung nach § 170 Abs. 2 InsO gehören dabei nicht zum Entgelt und begründen keine Umsatzsteuerpflicht1. Übernimmt der Sicherungsnehmer das Sicherungsgut im Wege des Selbsteintritts 354 nach § 168 Abs. 3 InsO, führt dies umsatzsteuerrechtlich bislang lediglich zu einem Einzelumsatz zwischen dem Insolvenzschuldner und dem Sicherungsnehmer2. Dies beruhte darauf, dass der Sicherungsnehmer durch den Selbsteintritt wirtschaftlicher Eigentümer des Sicherungsguts wird und ihn die Chancen und Risiken von Wertveränderungen sowie der Verwertungsveräußerung treffen. Ein „Doppelumsatz“ wurde selbst dann abgelehnt, wenn der Sicherungsnehmer die Sache zur Verwertung veräußert3. Mit Rücksicht darauf, dass der Selbsteintritt eine Form der Verwertung durch den Insolvenzverwalter ist und konsequenterweise auf diesen ebenfalls die §§ 170, 171 InsO anwendbar sind, wird diese Behandlung nicht aufrecht erhalten werden können. Mit dem BFH in seiner Entscheidung v. 28.7.2011 ist ein Doppelumsatz anzunehmen, ohne dass dieser Fall des Selbsteintritts Gegenstand der Entscheidung war. Die Entscheidung ist in ihren grundsätzlichen Aussagen indes eindeutig. Gleichwohl möglich bleibt, dass der Verwertungserlös in Form des vom Sicherungseigentümer zu bezahlenden Kaufpreises um den Umsatzsteueranteil zu kürzen ist4. Verwertet der absonderungsberechtigte Gläubiger kraft eigenen Verwertungsrechts 355 gemäß § 173 InsO, führt auch dies zu dem beschriebenen Doppelumsatz in entsprechender Anwendung des § 13b Abs. 1 Nr. 2 UStG5. Der absonderungsberechtigte Gläubiger erteilt dem Insolvenzverwalter eine Gutschrift über den Bruttobetrag und erhält den vollen Erlös. Die bei der Masse anfallende Umsatzsteuerschuld ist Masseverbindlichkeit (§ 55 356 Abs. 1 Nr. 1 InsO). In entsprechender Anwendung von § 13b Abs. 1 Nr. 2 UStG, §§ 170, 171 Abs. 2 Satz 3 InsO ist der Masse die Umsatzsteuer zu erstatten. Dies ist abweichend von der Vorauflage6 durch die Entscheidung des BGH gesicherte Rechtspraxis7. Die Freigabe von Sicherungsgut an den Schuldner ist nicht umsatzsteuerbar8. Die 357 anschließende Verwertung durch den Schuldner belastet die Masse mit der Umsatzsteuer lediglich dann, wenn die Masse in Höhe des Verwertungserlöses von Insolvenzforderungen des Absonderungsberechtigten befreit wird9. Die Freigabeerklärung nach § 35 Abs. 2 InsO stellt umsatzsteuerrechtlich keine Lieferung dar, so dass es bereits an der Umsatzsteuerbarkeit i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG fehlt. Von besonderer praktischer Bedeutung für die Beratung des gesicherten Gläubigers 358 ist die steuerliche Situation bei Verwertungsmaßnahmen in der vorläufigen Insolvenz. Dies gilt zunächst einmal unabhängig von den Änderungen im Zusammenhang mit der Einführung des § 55 Abs. 4 InsO und der Rechtsprechung des BFH v. 9.12.2010. Diese Änderungen sind nur entscheidend für die insolvenzrechtliche Quali1 BMF-Schreiben v. 30.4.2014 – IV D 2-S 7100/007/10037 (2014/0332437), ZIP 2014, 995 (996) in Umsetzung des Urteils des BFH v. 28.7.2011 – V R 28/09, ZIP 2011, 1923. Grundlegend zum BMFSchreiben v. 30.4.2014 de Weerth, ZIP 2014, 597 ff. 2 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 8; Niesert in Andersen/Freihalter, Aus- und Absonderungsrechte, Rz. 691; de Weerth, BB 1999, 821 (824). 3 de Weerth, BB 1999, 821 (824). Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 8. 4 Landfermann in HK-InsO, § 168 InsO Rz. 14. 5 BMF-Schreiben v. 30.4.2014 – IV D 2-S 7100/007/10037 (2014/0332437), ZIP 2014, 995 (996) in Fortsetzung des Urteils des BFH v. 28.7.2011 – V R 28/09, ZIP 2011, 1923. Grundlegend zum BMF-Schreiben v. 30.4.2014 de Weerth, ZIP 2014, 597 ff. 6 LG Stuttgart v. 24.2.2004 – Z O 502/03, ZIP 2004, 1117 m. Anm. Maus, EWiR 2004, 983 und Maus, ZInsO 2005, 82 (83). 7 BGH v. 29.3.2007 – IX ZR 27/06, ZIP 2007, 1126 ff. 8 Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 171 Rz. 15; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 9a. Zur Freigabe an den Schuldner vgl. jüngst die Ausführungen des BGH v. 1.2.2007 – IX ZR 178/05, ZIP 2007, 1020 (1021 f.). Diese Form der Freigabe ist sorgsam zu unterscheiden von der Überlassung eines Absonderungsgegenstandes an einen Absonderungsberechtigten zur Verwertung gemäß § 170 Abs. 2 InsO. 9 BFH v. 16.8.2001 – V R 59/99, ZInsO 2002, 222.
Drees/Schmidt
575
§7
Rz. 359
Beratung des gesicherten Glubigers
tät einer Umsatzsteuerforderung: Insolvenz- oder Masseforderung. Eine Aussage über das Vorliegen von umsatzsteuerbaren Leistungen und Lieferungen enthalten weder die Entscheidung noch die Gesetzesänderung. In der Praxis tritt insbesondere folgende Situation auf1: Nach Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung kommt es zur Kreditkündigung durch die Hausbank, die hierdurch einen Anspruch auf Herausgabe hat. Die Bank verzichtet – um keine Preisabschläge hinnehmen zu müssen – auf ein Auftreten nach außen und überlässt dem vorläufigen Insolvenzverwalter im Rahmen der Betriebsfortführung die Nutzung und anschließende Verwertung von zur Sicherheit übereigneter Gegenstände. Der hierbei erzielte Erlös ist dem Sicherungsnehmer auszukehren. Eine solche Vorgehensweise liegt regelmäßig im gemeinsamen Interesse von Sicherungsnehmer und Sicherungsgeber. 359 Bei Bestellung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters sollte nach den UStRichtlinien und der früheren Auffassung der Finanzverwaltung eine solche Veräußerung zu einem so genannten Doppelumsatz führen2. Dies hat der BFH mit Urteilen vom 6.10.20053 und vom 30.3.20064 bereits zum Zeitpunkt der Vorauflage aufgegeben und einen Dreifachumsatz angenommen. 359a So gelangt er für den Fall, dass – außerhalb eines eröffneten Insolvenzverfahrens (praktisch bedeutsamster Fall: das Eröffnungsverfahren) – nach Kreditkündigung – ein sicherungsübereigneter Gegenstand – vom Sicherungsgeber – in Abstimmung mit dem Sicherungsnehmer (Bank) – veräußert wird und – der Sicherungsnehmer (Bank) den Veräußerungserlös erhält 359b bei Lieferung an den Erwerber zeitgleich zu der Annahme eines so genannten Dreifachumsatzes, nämlich – einer Lieferung vom Sicherungsgeber an den Sicherungsnehmer (Bank), – einer Lieferung vom Sicherungsnehmer (Bank) zurück an den Sicherungsgeber und – vom Sicherungsgeber an den Erwerber. 359c Dieser ist folgendermaßen konstruiert: Die Umsatzsteuer schuldet der Sicherungsnehmer aus der ersten Lieferung (§ 13b Abs. 1 Nr. 2 UStG). Dieser schuldet auch die Umsatzsteuer für die Lieferung von sich an den Sicherungsgeber, ist aber zum Vorsteuerabzug berechtigt und trägt wirtschaftlich die Umsatzsteuer nur einmal. Für die Lieferung an den Erwerber trifft den Sicherungsgeber die Steuerschuld. Da er aber – ordnungsgemäße Gutschrift an den Sicherungsnehmer über die erbrachte Lieferung vorausgesetzt – zum Vorsteuerabzug aufgrund der Lieferung an ihn berechtigt ist, schuldet er wirtschaftlich keine Umsatzsteuer5. 360 Im Hinblick auf diese Steuerschuld des Absonderungsberechtigten bei Verwertung von Sicherungsgut durch den Schuldner im Rahmen des schwachen vorläufigen Insolvenzverfahrens haben entsprechend gesicherte Gläubiger nach einer Ausweichmöglichkeit gesucht und (zwischenzeitlich6 auch) gefunden.
1 2 3 4 5
Vgl. de Weerth, ZInsO 2006, 653. de Weerth, ZInsO 2006, 653. BFH v. 6.10.2005 – V R 20/04, DB 2006, 140. BFH v. 30.3.2006 – V R 9/03, ZInsO 2006, 651 ff. m. zust. Anm. de Weerth, ZInsO 2006, 653 ff. Lesenswert hierzu die Anm. de Weerth, ZInsO 2006, 653 f. zu BFH v. 30.3.2006 – V R 9/03, ZInsO 2006, 651 ff. 6 OLG Düsseldorf v. 13.1.2006 – I-16 U 49/05, ZInsO 2006, 154 ff. m. Anm. Ries, ZInsO 2006, 162 ff. Aufgehoben durch BGH v. 29.3.2007 – IX ZR 27/06, ZInsO 2007, 605 ff. m. Bspr. Ganter, ZInsO 2007, 841 (843 f.).
576
Drees/Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 367
§7
Diese bestand darin, das Sicherungsgut vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Be- 361 sitz zu nehmen, aber erst nach Eröffnung zu verwerten, um auf diese Weise eine als Masseverbindlichkeit zu qualifizierende (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO) Umsatzsteuerschuld der Insolvenzmasse für die Lieferung des Sicherungsgutes an den Absonderungsberechtigten auszulösen. Für die verwaltete Masse – der die zu verwertende Sache trotz Herausgabe an den absonderungsberechtigten Gläubiger noch angehörte – war dies besonders misslich, da der Verpflichtung zur Entrichtung der Umsatzsteuer (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO) weder ein Erstattungsanspruch noch eine sonstige Gegenleistung gegenüberstand.
362
Hiergegen haben sich Insolvenzverwalter erfolgreich gewehrt. Entsprechend vor- 363 gehenden Gläubigern gegenüber kann der Insolvenzverwalter nach einer Entscheidung des BGH vom 29.3.20071 die Erstattung der Umsatzsteuer beanspruchen. Die Regelung des § 170 Abs. 2 Satz 3 InsO sei zwar nicht unmittelbar, aber analog anwendbar2. Das Gericht begründet ausführlich das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke, die mit den Wertungen der InsO und des UStG (§ 13b Abs. 1 Nr. 2 UStG) nicht vereinbar sei, da hiernach der Gläubiger die mit der Lieferung des Sicherungsguts an den Sicherungsnehmer verbundene Umsatzsteuer tragen müsse. Die Relevanz dieser Rechtsprechung in künftigen Fällen ist aufgrund der Neure- 364 gelung des § 55 Abs. 4 InsO zweifelhaft. Ein Motiv seitens der Kreditgläubiger, den Verwertungsvorgang auf die Zeit nach Verfahrenseröffnung zu verlagern, besteht seit Einführung des § 55 Abs. 2 InsO nicht mehr. Nunmehr stellt sich vielmehr die Frage nach dem Erstattungsanspruch für die Verwertung in der vorläufigen Verwaltung. (dd) Erhaltungs- und Verfahrenskosten Die bei nicht sofortiger Verwertung des Sicherungsguts häufig entstehenden Erhaltungskosten, wie z.B. notwendige Reparaturkosten, Bewachungs- oder Versicherungskosten, wurden von dem Gesetzgeber nicht als obligatorischer Kostenbeitrag in die InsO aufgenommen3. Dadurch wurde jedoch weder die Möglichkeit – einer individuellen Kostentragungsvereinbarung zwischen dem Verwalter und dem Gläubiger4 noch – eine Zuordnung zu den Verwertungskosten5 ausgeschlossen.
Û
365
Praktischer Hinweis: 366 Absonderungsberechtigte Gläubiger sind daher gut beraten, auch unter diesem Gesichtspunkt umfassende Verwertungsvereinbarungen zu schließen. Andernfalls wird sich – zugunsten der Masse – immer eine Zuordnung entsprechender Kosten zu den Verwertungskosten begründen lassen.
Eine über die kodifizierten Kostenbeiträge hinausgehende Beteiligung der Absonde- 367 rungsberechtigten an den allgemeinen Verfahrenskosten ist in der InsO ebenfalls nicht vorgesehen. Dies befreit jedoch nicht von überobligationsmäßigen Beiträgen zum Erhalt des Sicherungsguts; insbesondere dann nicht, wenn der Insolvenzverwalter die Notwendigkeit der Durchführung von (Erhaltungs-)Maßnahmen anders beurteilt bzw. solche ablehnt. In dieser Hinsicht besteht kein gesichertes rechtliches Instrumentarium, um dem Absonderungsberechtigten bei selbst vorgenommenen Erhaltungsmaßnahmen ein Befriedigungsrecht aus dem Sicherungsgut zu ermöglichen. Allein für die Sicherung von Grundstücken enthält das Gesetz einen aufwändi1 BGH v. 29.3.2007 – IX ZR 27/06, ZInsO 2007, 605 (607 f.). Zur Vorinstanz vgl. OLG Düsseldorf v. 13.1.2006 – I-16 U 49/05, ZInsO 2006, 154 m. Anm. Ries, ZInsO 2006, 154 (162). 2 Diese Frage war lebhaft umstritten. Vgl. statt vieler: Landfermann in HK-InsO, § 171 Rz. 15; Ganter/Brünink, NZI 2006, 257 (260); de Weerth, ZInsO 2003, 246 (250). Von Seiten der Rechtsprechung gab es hierzu – soweit ersichtlich – lediglich die Entscheidung des LG Stuttgart v. 24.4.2004 – 7 O 502/03, ZIP 2004, 1117. 3 BT-Drucks. 12/7302, S. 177, 180 f.; vgl. näher Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 14; Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWIR 2001, 140 (141). 4 Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWIR 2001, 140 (141). 5 Landfermann in HK-InsO, § 170 Rz. 23 ff.
Drees/Schmidt
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§7
Rz. 368
Beratung des gesicherten Glubigers
gen Weg (§§ 1133, 134 BGB)1, der jedoch dann nicht zur Erstattung von Kosten führt, wenn diese nach Insolvenzeröffnung entstanden sind (§ 91 InsO). Überdies wurden die hierzu berechtigenden AGB Banken (Nr. 12 Abs. 6 AGB Banken) vom BGH für unwirksam erklärt. Die Neufassung reduziert sich auf den Verweis für etwaige Aufwendungsersatzansprüche auf die gesetzlichen Bestimmungen. Hiernach ist ein Aufwendungsersatz aber nur möglich, wenn der Beauftragte den Umständen nach die Aufwendungen für erforderlich erachten durfte; hieran fehlt es, wenn der Insolvenzverwalter die Kostenübernahme ablehnt2. Kurzum: Für alle Beteiligten besteht ein großes Interesse an einer diesbezüglichen (Verwertungs-)Vereinbarung. (b) An Forderungen und sonstigen Rechten (aa) Verwertungs- und Feststellungskosten 368 Da sich die Entrichtung der Kostenbeiträge an der gleichzeitigen Verwertungsbefugnis des Verwalters orientiert, fallen diese nach § 170 Abs. 1 Satz 1 InsO auch bei der Verwertung von Forderungen durch den Verwalter an3. Auch insoweit sind die oben (Rz. 343 f., Rz. 345 ff.) benannten Pauschalen für die Feststellungs- und Verwertungskosten von dem absonderungsberechtigten Gläubiger zu begleichen. Dort (Rz. 343 ff.) sind aus Gründen der Darstellung auch Fragen behandelt, die ausschließlich Absonderungsrechte an Forderungen betreffen. Ergänzend zu den dortigen Ausführungen sollen an dieser Stelle anhand des Grundsatzurteils des BGH vom 20.2.20034 weitere Fragen dargestellt werden, die für die Kosten der Verwertung von Absonderungsrechten an Forderungen von Belang sind: – Die Feststellungskostenpauschale gebührt der Insolvenzmasse bei sicherungshalber abgetretenen Forderungen auch dann, wenn diese nach Verfahrenseröffnung durch direkte Leistung an den absonderungsberechtigten Gläubiger getilgt werden. – Beruht dies auf einem eigenmächtigen – § 166 Abs. 2 InsO zuwiderlaufenden – Forderungseinzug, ohne entsprechende Ermächtigung seitens des Insolvenzverwalters schuldet der Gläubiger jedoch nicht auch die Verwertungskostenpauschale (siehe hierzu oben Rz. 345 ff.)5. – Für sicherungshalber abgetretene Forderungen, die vor Insolvenzeröffnung getilgt werden, gebühren der späteren Insolvenzmasse grundsätzlich weder Feststellungs- noch Verwertungskostenpauschalen (siehe ausführlich oben Rz. 343 ff.). – Hieran ändert auch das im Eröffnungsverfahren dem Drittschuldner gegenüber bestehende Verbot, an den Schuldner zu zahlen, bzw. die Ermächtigung des vorläufigen Insolvenzverwalters zum Forderungseinzug nichts. Diese Anordnungen wirken von sich aus nicht gegenüber den Sicherungsnehmern. Bereits abgetretene Forderungen sind nicht solche des Schuldners, wie sie der Beschluss meint; sie stehen vielmehr Dritten (dem Zessionar) zu, in deren Rechte das Insolvengericht nicht eingreifen kann. Anderes gilt nur dann, wenn dem vorläufigen Insolvenzverwalter gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO die entsprechende Rechtsmacht eingeräumt worden ist. Zieht der vorläufige Insolvenzverwalter in dieser Situation eine zur Sicherheit eines Anspruchs abgetretene Forderung anstelle des Gläubigers ein, so gelten die §§ 170, 171 InsO entsprechend (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 a.E.). Vergleiche hierzu ausführlich Rz. 31 ff.
1 BGH v. 29.9.1988 – IX ZR 39/88, ZIP 1988, 1411. 2 BGH v. 8.5.2012 – XI ZR 61/11, JurionRS 2012, 16643 m. Anm. Obermüller, ZInsO 2013, 845 (856). 3 BGH v. 11.7.2002 – IX ZR 262/01, WM 2002, 1797 (1800); Flöther in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 170 Rz. 11 f.; vgl. auch BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, ZInsO 2003, 318 (319), bei direkter Leistung an den absonderungsberechtigten Gläubiger. 4 BGH v. 20.2.2003 – IX ZR 81/02, ZIP 2003, 632 ff. = ZInsO 2003, 318 ff. m. Anm. Schumacher, EWiR 2003, 424. 5 BGH v. 16.11.2006 – IX ZR 135/05, ZInsO 2006, 1320 m. Anm. Bork, EWiR 2007, 119; BGH v. 20.11.2003 – IX ZR 259/02, ZIP 2004, 42 f.
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Drees/Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 370f
§7
Für die Verwertung sonstiger Rechte fällt hingegen kein Kostenbeitrag an, da diese 369 durch die gesicherten Gläubiger selbst vorgenommen wird1 (siehe dazu Rz. 318). (bb) Umsatzsteuer Eine Erstattung des der Masse entstehenden Umsatzsteuerbetrags kommt grund- 370 sätzlich weder bei der Verwertung von Forderungen noch bei der Verwertung von Rechten in Betracht. Hiervon zu unterscheiden ist das in der Gegenleistung für die sicherungszedierte Forderung liegende steuerbare Geschäft (vgl. Rz. 370b). Zieht der Insolvenzverwalter des Sicherungszedenten die Forderung ein – wozu er 370a nach § 166 Abs. 2 Satz 1 InsO (Rz. 309) berechtigt ist – findet hierbei kein steuerbarer Umsatz statt. Die Masse wird daher nicht mit einer Umsatzsteuerforderung belastet2. Verwertet der Gläubiger die Forderung selbst, so wird ebenfalls keine Umsatzsteuerabführungspflicht gemäß §§ 170, 171 InsO ausgelöst, da diese nur bei der Verwertung von Sicherungsgut eingreift, das der Verwalter auch selbst hätte verwerten dürfen3.
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Hinweis: Ein steuerbares Geschäft ist hingegen die Erbringung der Gegenleistung, für die das sicherungszedierte Entgelt gefordert wird.
370b
In der Vorauflage konnte in dieser Hinsicht allein differenziert werden zwischen Zah- 370c lungen vor und nach Insolvenzeröffnung: Werden die Leistungen noch vor Insolvenzeröffnung erbracht und entsteht die Umsatzsteuerschuld daher als bloße Insolvenzforderung und der verwertende Insolvenzverwalter ist nicht berechtigt, nur den Nettobetrag der von ihm eingezogenen Forderung an den absonderungsberechtigten Gläubiger abzuführen4. Die Abzugsberechtigung greift nur ein, wenn die Steuerforderung vom Insolvenzverwalter als Masseforderung bedient worden ist5. Diese Rechtslage hat sich durch die Einführung des § 55 Abs. 4 InsO6 und die Recht- 370d sprechung des BFH v. 29.1.20097, v. 9.10.20108 und v. 24.11.20119 grundlegend geändert. Wegen der Einzelheiten vgl. ausführlich § 10 Rz. 193 ff. Gemäß § 55 Abs. 4 InsO gelten Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem 370e Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit. Steuerforderungen aus dem Insolvenzeröffnungsverfahren werden nach Verfahrenseröffnung mithin zur Masseverbindlichkeit. Dies hat Auswirkungen auf die Einziehung sicherungszedierter Forderungen. Denn durch § 55 Abs. 4 InsO ist die Insolvenzmasse auch bezüglich der im Insolvenzeröffnungsverfahren begründeten Forderungen mit der Umsatzsteuer belastet und der Insolvenzverwalter insoweit berechtigt, nach § 171 Abs. 2 Satz 3 InsO dem Verwertungserlös zusätzlich zu den Kostenbeiträgen die Umsatzsteuerbeträge vorweg zu entnehmen10. Weitergehende Änderungen sind auf die Rechtsprechung des BFH zurückzuführen. Konkret angesprochen sind die Urteile des BFH v. 29.1.200911, v. 9.10.201012 und v. 1 A.A. Marotzke, ZZP 1996, 429 (455). 2 BGH v. 22.2.2007 – IX ZR 112/06, ZInsO 2007, 374 m. Bspr. Ganter, ZInsO 2007, 841 (8843 f.); BT-Drucks. 12/2443, S. 182. 3 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.350; vgl. hierzu auch Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 171 Rz. 20. 4 Ganter, ZInsO 2007, 841 (843 f.); de Weerth, NZI 2006, 501 ff. 5 BGH v. 22.2.2007 – IX ZR 112/06, ZInsO 2007, 374. 6 BT-Drucks. 17/3030, S. 43. 7 BFH v. 29.1.2009 – V R 64/07, ZIP 2009, 977. 8 BFH v. 9.12.2010 – V R 22/10, ZIP 2011, 782. 9 BFH v. 24.11.2011 – V R 13/11, ZIP 2011, 2481. 10 Sinz in K. Schmidt, InsO, § 171 Rz. 20. 11 BFH v. 29.1.2009 – V R 64/07, ZIP 2009, 977. 12 BFH v. 9.12.2010 – V R 22/10, ZIP 2011, 782.
Drees/Schmidt
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370f
§7
Rz. 370g
Beratung des gesicherten Glubigers
24.11.20111. Diese Rechtsprechung betrifft die Einziehung von Altforderungen durch den (vorläufigen) Insolvenzverwalter. Konnte bislang davon ausgegangen werden, dass die Umsatzsteuer aus der Einziehung so genannter Altforderungen – d.h. von vor Insolvenzantragstellung erbrachten Leistungen – lediglich die Qualität einer Insolvenzforderung hat, so muss nunmehr ein grundlegend anderes Bild konstatiert werden. Zunächst für die Ist-2 und sodann auch für die Soll-Besteuerung3 nimmt der BFH nunmehr an, dass beim Einzug solcher Altforderungen die Entgeltvereinbarung für eine vor Insolvenzeröffnung ausgeführte Lieferung oder Leistung eine Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründet. Für die Soll-Besteuerung ergibt sich dies nach Ansicht des BFH aus § 17 UStG. Die der Umsatzsteuer unterliegende Entgeltforderung werde daher spätestens mit Verfahrenseröffnung unbeschadet einer möglichen späteren Insolvenzquote in voller Höhe uneinbringlich; bei einer nachträglichen Zahlung auf das uneinbringlich gewordene Entgelt sei der Umsatzsteuerbetrag nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG erneut zu berichtigen; mit der Konsequenz der Begründung einer Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) und der Abzugsberechtigung des Insolvenzverwalters nach § 171 Abs. 2 Satz 3 InsO4. 370g Hiervon zu unterscheiden ist Vereinnahmung von Entgelten aus diesen so genannten Altforderungen im Insolvenzeröffnungsverfahren. Für den Fall der Sollversteuerung führt die Vereinnahmung entsprechender Umsätze durch den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter im Insolvenzeröffnungsverfahren nicht zu Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 4 InsO5. Bei der Ist-Besteuerung sieht der BFH6 den den Umsatzsteueranspruch begründenden Tatbestand in der Entgeltvereinnahmung, weshalb die Finanzverwaltung7 in diesem Fall § 55 Abs. 4 InsO auf den Forderungseinzug anwenden will. Für den Fall einer Sicherungszession muss die Belastung der Masse mit der Umsatzsteuer und hiermit einhergehend die Abzugsberechtigung des Insolvenzverwalters nach § 171 Abs. 2 Satz 3 InsO festgehalten werden. 370h
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Steuerrechtlicher Exkurs – Haftung des Abtretungsempfängers nach § 13c UStG8 Unter Berücksichtigung der Steuerschuldnerschaft des Sicherungsnehmers muss bei Abtretungen zugleich die Ausfallhaftung nach § 13c UStG bedacht werden. Soweit der leistende Unternehmer den Anspruch auf die Gegenleistung für einen steuerpflichtigen Umsatz nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG an einen anderen Unternehmer abgetreten und die festgesetzte Steuer, bei Fälligkeit nicht oder nicht vollständig entrichtet hat, haftet der Abtretungsempfänger nach Maßgabe des § 13c Abs. 2 UStG für die in der Forderung enthaltene Umsatzsteuer, soweit sie im vereinnahmten Betrag enthalten ist (§ 13c Abs. 1 Satz 1 UStG). Für die Kreditsicherung (in der Insolvenz) ist relevant, dass Abtretung i.S.d. § 13c UstG alle Formen der Abtretung von Forderungen aus Umsätzen und damit auch die Globalzession erfasst. Hat ein vorläufiger Insolvenzverwalter aufgrund richterlicher Ermächtigung eine zur Sicherheit abgetretene Forderung eingezogen und den Erlös an den Abtretungsempfänger weitergeleitet, haftet der Abtretungsempfänger nach § 13c UStG für die im vereinnahmten und an ihn weitergeleiteten Forderungsbetrag
BFH v. 24.11.2011 – V R 13/11, ZIP 2011, 2481. BFH v. 29.1.2009 – V R 64/07, ZIP 2009, 977. BFH v. 9.12.2010 – V R 22/10, ZIP 2011, 782. In kritischer Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung und zahlr. w. Nachw. Sinz in K. Schmidt, InsO, § 171 Rz. 25 ff. Ebenso kritisch mit beachtlichen Argumenten und unter Hinweis auf den Widerspruch zu dieser Rechtsprechung FG Berlin-Brandenburg v. 18.3.2013 – 7 V 7279/12, ZIP 2013, 1184 ff. BMF-Schreiben v. 17.1.2012 – IV A 3-S0550/10/10020-05, ZInsO 2012, 213. BFH v. 29.1.2009 – V R 64/07, ZIP 2009, 977. BMF-Schreiben v. 17.1.2012 – IV A 3-S0550/10/10020-05, ZInsO 2012, 213. Grundlegend hierzu BFH v. 20.3.2013 – XI R 11/12, ZIP 2013, 1289 ff. und BFH v. 21.11.2013 – V R 21/12, ZIP 2014, 737 ff.
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Drees/Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 372
§7
enthaltene Umsatzsteuer. Diese Haftung nach § 13c UStG kann nicht durch eine zivilrechtliche Vereinbarung ausgeschlossen werden, nach der es sich bei dem weitergeleiteten Betrag um einen Nettobetrag ohne Umsatzsteuer handeln soll1.
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Steuerrechtlicher Exkurs – Übertragung der Rechtsprechung des BFH v. 9.12.2010 auf die Eigenverwaltung
370i
Ungeklärt ist bislang, ob das Urteil des BFH v. 9.12.20102 auch im Fall der Eigenverwaltung gilt. In der Literatur wird dies teilweise abgelehnt, weil sich die Empfangszuständigkeit nicht ändere und somit keine rechtliche Uneinbringlichkeit i.S.d. § 17 UStG vorliege. Dies ändere sich erst durch eine Anordnung des Gerichts nach § 277 InsO. Die Anwendbarkeit des § 55 Abs. 4 InsO auf die Eigenverwaltung kann in gleicher Weise hinterfragt werden, muss aber mit Rücksicht auf den (ungewollt) eindeutigen Gesetzestext des § 55 Abs. 4 InsO selbst abgelehnt werden. Zur Umsatzsteuer in der Insolvenz im Allgemeinen und der Problematik des Forde- 370j rungseinzugs im Besonderen vgl. § 10 Rz. 188 ff. dd) Die Ersatzabsonderung Wird ein Gegenstand, der mit einem Absonderungsrecht belastet ist, unberechtigt 371 veräußert, so findet die Vorschrift über die Ersatzaussonderung in § 48 InsO auf die Ersatzabsonderung entsprechende Anwendung. Die Ersatzabsonderung ist in der Insolvenzordnung nicht ausdrücklich geregelt, da mit Rücksicht auf die weitergehenden (Verwertungs-)Rechte des Insolvenzverwalters von einem geringeren Anwendungsbereich gegenüber der KO auszugehen war. Auch wenn der Regierungsentwurf mit § 60 RegEInsO eine Regelung der Ersatzab- 371a sonderung im Text der InsO vorsah und der Gesetzgeber sich gegen die Übernahme dieser Bestimmung entschieden hat, ist die entsprechende Anwendung allgemein anerkannt3, da die geplante Neuregelung aus Gründen der Gesetzesstraffung fallen gelassen wurde. Die weitere direkte bzw. analoge Anwendung4 der Ersatzaussonderungsregelung auf 371b die Ersatzabsonderung sollte somit nicht ausgeschlossen werden und widerspricht mithin nicht dem Willen des Gesetzgebers5. Es fehlt an jedem inneren Grund, den Berechtigten bei der Vernichtung eines Pfand- oder sonstigen zur Absonderung berechtigenden Rechts schlechter zu stellen als bei der Vernichtung des Eigentums6. In entsprechender Anwendung des § 48 InsO entsteht ein Ersatzabsonderungsrecht 372 des Sicherungsnehmers, wenn – der Insolvenzschuldner vor Verfahrenseröffnung7 oder – der (vorläufige) Insolvenzverwalter – ein mit einem Absonderungsrecht belasteten Gegenstand unberechtigt8 veräußert.
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BFH v. 20.3.2013 – XI R 11/12, ZIP 2013, 1289 ff. BFH v. 9.12.2010 – V R 22/10, ZIP 2011, 782. Lohmann in HK-InsO, § 48 Rz. 17 ff. Vgl. zu diesem Streit: Smid/Leonhardt in Leonhard/Smid/Zeuner, InsO, § 48 Rz. 18 ff. m.w.N.; a.A. Harder, KTS 2001, 97 ff. Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 48 Rz. 26; Harder, KTS 2001, 97 (102 f.). BGH v. 9.12.1970 – VIII ZR 52/69, KTS 1971, 194 = WM 1971, 71. Dass das Ersatzabsonderungsrecht auch an Vereitelungshandlungen des Schuldners angeknüpft werden kann, hat der BGH ausdrücklich entschieden, vgl. BGH v. 19.1.2006 – 19.1.2006 – IX ZR 154/06, ZInsO 2006, 493 (494). BGH v. 6.4.2006 – IX ZR 185/04, ZInsO 2006, 544 (545); BGH v. 19.1.2006 – IX ZR 154/06, ZInsO 2006, 493 (495); BGH v. 25.3.1999 – IX ZR 223/07, ZIP 1999, 621 (623); BGH v. 17.6.2004 – IX ZR 124/03, ZIP 2004, 1509 (1510); BGH v. 4.12.2003 – IX ZR 222/02, ZIP 2004, 326 (328) m. Anm. Pape, EWiR 2004, 349.
Drees/Schmidt
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§7
Rz. 372a
Beratung des gesicherten Glubigers
372a Der Veräußerungsbegriff bestimmt sich nach der Art des Gegenstandes, der mit einem Absonderungsrecht belastet ist. Erfasst sind insbesondere Übereignung und Zession; dem gleichzustellen ist der Forderungseinzug. Die Veräußerung muss rechtsgeschäftlich geschehen, darunter fallen auch Rechtsverluste durch Verbindung oder Vermischung, wenn dies in Erfüllung einer Vertragspflicht geschieht1. Somit führt die bloße Verarbeitung im schuldnerischen Unternehmen nicht zu Ersatzabsonderungsrechten2. Ebenso wenig sind Nutzung3, Beschädigung oder Zerstörung des Absonderungsguts vom Veräußerungsbegriff des § 48 InsO erfasst4. 372b Wesentlich ist stets, dass das Absonderungsrecht gerade durch die Veräußerung vereitelt wird5. Hieran fehlt es, wenn sich das Absonderungsrecht kraft Surrogation fortsetzt6. Dies ist daher stets vorrangig zu prüfen. Zu denken ist an die Fortsetzung des Absonderungsrechts – am Erlös nach Pfandverwertung oder – an einem anderen Gegenstand kraft Vereinbarung, z.B. am Produkt beim verlängerten Eigentumsvorbehalt mit Verarbeitungsklausel oder an der Forderung beim verlängerten Eigentumsvorbehalt mit Vorausabtretungsklausel. 372c Liegen die Voraussetzungen für eine solche Surrogation nicht vor, ist ferner zu prüfen, ob die Veräußerung unberechtigt war. Die lastenfreie Veräußerung von Absonderungsgut kann beispielsweise – durch Verwertungsvereinbarungen oder – das Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters oder des starken vorläufigen Insolvenzverwalters gerechtfertigt sein. Liegt ein Verwertungsrecht vor, so dürften mangels unberechtigter Veräußerung keine Ersatzabsonderungsrechte entstehen. Das Absonderungsrecht wird vielmehr geschützt, in dem es sich am Erlös fortsetzt und dieser dann gemäß den §§ 165 InsO i.V.m §§ 10 ff. ZVG bzw. §§ 170, 171 InsO ausgekehrt wird. Die Verwertung im vorläufigen Insolvenzverfahren ist berechtigt, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter mit dem Absonderungsberechtigten eine Verwertungsvereinbarung getroffen bzw. einer solchen mit dem Schuldner zugestimmt hat7. 372d Ebenfalls liegt eine berechtigte Veräußerung vor, wenn diese durch eine Ermächtigung gedeckt ist, die der Absonderungsberechtigte dem Schuldner erteilt hat. Zu denken wäre hier an – Weiterveräußerungsermächtigungen am Absonderungsgut, z.B. erweiterter Eigentumsvorbehalt, verlängerter Eigentumsvorbehalt nach Verarbeitung und Sicherungsübereignung. – Einziehungsermächtigungen bei abgetretenen Forderungen, z.B. verlängerter Eigentumsvorbehalt mit Vorausabtretungsklausel sowie Sicherungszession8. – Hat das Insolvenzgericht den vorläufigen Insolvenzverwalter zur Einziehung ermächtigt – entweder gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO oder aber vor dessen Inkrafttreten im Rahmen einer Einzelermächtigung9 –, ist der Forderungseinzug durch den vorläufigen Insolvenzverwalter berechtigt. In diesem Fall ist jedoch der Insolvenzverwalter zur abgesonderten Befriedigung des Sicherungsnehmers aus dem Erlös analog § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO verpflichtet10. Kostenbeiträge darf der vorläufige Insolvenzverwalter indes nicht einbehalten. Eine analoge Anwendung 1 2 3 4 5 6 7 8
Lohmann in HK-InsO, § 48 Rz. 6. Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 48 Rz. 8. BGH v. 13.7.2006 – IX ZR 57/05, ZInsO 2006, 938. Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 48 Rz. 8. Lohmann in HK-InsO, § 48 Rz. 18. Ganter, NZI 2005, 1 (8). Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 48 Rz. 35 f. Hierzu ausdrücklich: BGH v. 19.1.2006 – 19.1.2006 – IX ZR 154/06, ZInsO 2006, 493 (495). Zuvor bereits BGH v. 19.3.1998 – IX ZR 22/97, ZIP 1998, 793 (797). Vgl. weiter Ganter, NZI 2005, 1 (8). 9 BGH v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739 (741 f.). 10 BGH v. 9.12.2009 – VIII ZR 219/08, ZIP 2010, 739 (742).
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Drees/Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 374
§7
des § 170 Abs. 1 Satz 1 InsO kommt nicht in Betracht1. Anders dürfte zu urteilen sein bei einer richterlichen Ermächtigung nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO. Diese Anordnung lag indes der Entscheidung des BGH v. 21.1.2010 nicht zugrunde. Erst hiernach (Rz. 372a bis Rz. 372d) kann das Vorliegen einer unberechtigten Ver- 372e wertungshandlung des Schuldners, des vorläufigen oder endgültigen Insolvenzverwalters beurteilt werden, wobei im Hinblick auf das sehr weitgehende Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters aus § 166 InsO2 eine analoge Anwendung des § 48 InsO vornehmlich auf Handlungen – des Schuldners oder – des vorläufigen Insolvenzverwalters (Rz. 372g) in Betracht kommen. Zieht der vorläufige Insolvenzverwalter ohne Einziehungsermächtigung des Schuld- 372f ners oder nach deren Widerruf Forderungen ein, so sind die Erlöse ohne Abzug von Kostenbeiträgen analog § 48 InsO auszukehren. Beruht der Forderungseinzug auf der gerichtlichen Anordnung i.S.v. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO, richtet sich die Erlösverteilung nach §§ 170, 171 InsO (vgl. zuvor Rz. 372d). Handelt der vorläufige Insolvenzverwalter auf der Grundlage der fortbestehenden Einziehungsermächtigung, so gebühren die Erlöse der freien Insolvenzmasse. Es gilt dann weder § 48 InsO analog noch §§ 170, 171 InsO i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO3. Im eröffneten Verfahren ist an eine entsprechende Anwendung in erster Linie bei Ver- 372g wertungen durch den Insolvenzverwalter ohne diesbezügliche Verwertungsberechtigung gemäß § 166 InsO zu denken, so etwa in den Fällen des § 173 InsO4. Dann kann analog § 48 InsO Auskehr des Erlöses verlangt werden, ohne dass der Insolvenzverwalter gemäß §§ 170, 171 InsO zum Abzug von Kostenbeiträgen gemäß §§ 170, 171 InsO berechtigt ist. Ob darüber hinaus auch ein Verfahrensfehler i.S.d. §§ 166 ff. InsO des an sich gemäß § 166 InsO zur Verwertung berechtigten Insolvenzverwalters zu Ersatzabsonderungsrechten führt, darf bezweifelt werden5. Im eröffneten Verfahren verbleiben als Anwendungsfall im Wesentlichen lediglich – die Veräußerung von Vorbehaltsware, wenn die Ermächtigung zur Weiterveräußerung von einer Sicherung abhängig war, die der Ermächtigende aber nicht erhält6, sowie – die Veräußerung von Grundstückszubehör, wenn dieses nach § 865 ZPO i.V.m. den §§ 1120 ff. BGB der Haftung für Grundpfandrechte unterliegt.
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Ergänzend zu den Ansprüchen aus § 48 InsO können zugunsten des Absonderungs- 372i berechtigten Masseverbindlichkeiten i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 3 InsO oder Haftungsansprüche gegen den (vorläufigen) Insolvenzverwalter gemäß § 60 InsO entstehen7. Voraussetzung für die Durchsetzbarkeit des Anspruchs auf Ersatzabsonderung ist 373 weiter, dass die Gegenleistung entweder noch aussteht bzw. sich nach ihrer Einziehung zur Masse noch unterscheidbar in dieser befindet. Unterscheidbar ist die Gegenleistung immer bei einer Sachleistung8, bei Geldleistun- 374 gen ist zu differenzieren: Kommt es zu einer Gutschrift auf dem Konto, so bleibt das gutgeschriebene Geld unterscheidbar, solange es durch Buchungen belegt und der positive Kontensaldo nicht durch Abbuchungen unter den Betrag der beanspruchten 1 BGH v. 9.12.2009 – VIII ZR 219/08, ZIP 2010, 739 (742). 2 Ganter, NZI 2005, 1 (8). 3 BGH v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, ZIP 2010, 739 (741 f.); BGH v. 6.4.2006 – IX ZR 185/04, ZInsO 2006, 544; BGH v. 19.1.2006 – IX ZR 154/03, ZInsO 2006, 493 m. Bspr. Ganter, ZInsO 2007, 841 f.; Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 48 Rz. 38b. 4 Ganter, NZI 2005, 1 (8). 5 Ganter, NZI 2005, 1 (8) m.w.N. 6 Lohmann in HK-InsO, § 48 Rz. 8; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 48 Rz. 31. 7 Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 48 Rz. 31 f. 8 Lohmann in HK-InsO, § 48 Rz. 11.
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§7
Rz. 375
Beratung des gesicherten Glubigers
Leistung absinkt1. Wird das Konto zur Zeit der Gutschrift im Soll geführt, so wird die Gegenleistung in dieser Höhe zur Schuldentilgung verbraucht mit der Folge, dass insoweit eine gegenständlich fassbare Gegenleistung nicht mehr vorhanden ist2. 375 Ist die Gegenleistung nicht mehr unterscheidbar vorhanden, kommt dem ehemals Absonderungsberechtigten nur ein Masseanspruch nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO, bzw. bei einer Vereitelung der Ersatzabsonderung durch den Insolvenzverwalter nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu3. ee) Die Ausfallhaftung (1) Verhältnis persönlicher zu dinglicher Haftung 376 Schuldrechtliche Leistungspflicht und dingliche Haftung können in unterschiedlichen Konstellationen und unter Einbeziehung mehrerer Rechtspersönlichkeiten bestehen. Haftet der Insolvenzschuldner beispielsweise nur dinglich (so genannte Dritthaftung), dann hat der Gläubiger zwar ein Absonderungsrecht an dem Sicherungsgegenstand, ist jedoch nicht zugleich Insolvenzgläubiger und kann daher auch keine Leistung aus der Insolvenzmasse beanspruchen. Soweit der Insolvenzschuldner nur persönlich haftet und sich die dingliche Haftung allein gegen einen Dritten richtet, kommt dem Gläubiger je nach Art seines Anspruchs nur die Stellung eines Insolvenz- bzw. Massegläubigers zu, und er unterliegt den entsprechenden insolvenzrechtlichen Regelungen4. 377 Die Vorschriften über die Ausfallhaftung betreffen allein den Fall, dass der Insolvenzschuldner sowohl persönlich aufgrund einer schuldrechtlichen Verpflichtung, als auch dinglich mit einem massezugehörigen Vermögensgegenstand im Sinne der §§ 49 ff. InsO haftet. Nur in diesem Fall kommt eine Doppelstellung des Gläubigers als Absonderungsberechtigter und Insolvenzgläubiger in Betracht. § 52 InsO regelt für diesen Fall das Verhältnis der abgesonderten Befriedigung zur Befriedigung aus der persönlichen Insolvenzforderung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens5. 378 Grundsätzlich haftet der belastete Massegegenstand für das an ihm bestehende Absonderungsrecht unabhängig von einer gleichzeitigen persönlichen Schuld des Insolvenzschuldners. Auch soweit das Pfandrecht an einem Gegenstand der Insolvenzmasse eine fremde Schuld sichert, kann es im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden. Kommt es trotz der abgesonderten Befriedigung zu einem Ausfall des Absonderungsberechtigten, so kann er diesbezüglich keine anteilige Befriedigung aus der Insolvenzmasse verlangen, sondern muss den Ausfall in voller Höhe gegenüber dem persönlichen Schuldner geltend machen6. 379 Gehört der die Forderung sichernde Absonderungsgegenstand selbst nicht zur Insolvenzmasse, sondern steht dieser im Eigentum eines Dritten, handelt es sich nur um eine persönliche Schuld des Insolvenzschuldners, so dass die gesamte Forderung im Insolvenzverfahren nur als Insolvenzforderung geltend gemacht werden kann. Es liegt dann ebenfalls kein Fall des § 52 InsO vor7. An der fehlenden Massezugehörigkeit scheitert die Anwendung des § 52 InsO daher auch dann, wenn das Absonderungsgut wegen Unpfändbarkeit massefrei ist8. Wird der Gegenstand hingegen erst durch den Insolvenzverwalter aus der Masse freigegeben, bleibt § 52 InsO anwendbar, so dass die Forderung weiterhin nur in Höhe des Ausfalls am Insolvenzverfahren teilnimmt9. 1 2 3 4 5 6 7 8 9
BGH v. 19.1.2006 – IX ZR 154/06, ZInsO 2006, 493 (494). MünchKommInsO/Ganter, § 48 Rz. 34. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 48 Rz. 32. Lohmann in HK-InsO, § 52 Rz. 2 ff. Vgl. hierzu Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 1 ff.; MünchKommInsO/Ganter, § 52 Rz. 2. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 2; Lohmann in HK-InsO, § 52 Rz. 2. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 3a; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 52 Rz. 4; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 52 Rz. 2. Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 52 R. 3; Henckel in Jaeger, InsO, 2004, § 52 Rz. 14. Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 52 Rz. 3.
584
Drees/Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 387a
§7
Haftet der Insolvenzschuldner zugleich dinglich und persönlich für die Forderung, so 380 kann der Gläubiger frei wählen, welche Rechtsstellung er geltend machen und ob er allein aus seinem Absonderungsrecht oder der persönlichen Forderung vorgehen möchte1. Der absonderungsberechtigte Gläubiger ist in diesem Fall zugleich Insolvenzgläubiger (§ 52 Satz 1 InsO). Soweit der Gläubiger lediglich die persönliche Forderung geltend macht, kann er diese 381 in voller Höhe zur Tabelle anmelden, wo sie vorbehaltlos festgestellt wird, unabhängig von dem gleichzeitigen Bestehen eines eventuellen Absonderungsrechts2. Er erhält sodann die volle Verteilungsquote auf die geltend gemachte Forderung, wenn er auf die Geltendmachung seines Absonderungsrechts verzichtet (vgl. hierzu Rz. 392 ff.). Der Gläubiger kann sich andererseits aber auch nur aus den dinglichen Sicherheiten befriedigen und die Geltendmachung der persönlichen Haftung nicht ausüben.
382
Verzichtet er auf die Geltendmachung einer der beiden Rechtspositionen, bedarf es 383 mangels Kollision keiner näheren Haftungsabgrenzung (zum Verzicht s. nachstehend Rz. 392 ff.). Beruft sich der Gläubiger hingegen auf seine beiden bestehenden Rechtspositionen, 384 kann er sich zunächst aus den dinglichen Sicherheiten weitestmöglich befriedigen und im Anschluss daran auf den ausgefallenen Teil der Forderung die Insolvenzquote beanspruchen. Er kann hingegen nicht umgekehrt die Insolvenzquote auf die volle Forderung geltend machen und sich für den dann noch offen stehenden Forderungsanteil aus der dinglichen Sicherheit befriedigen3. (2) Ausfallhaftung Auf die Insolvenzforderung der absonderungsberechtigten Gläubiger ist das beson- 385 dere Forderungsfeststellungsverfahren der §§ 87, 174 ff. InsO anzuwenden. Beruft sich der Gläubiger sowohl auf seine Stellung als Insolvenzgläubiger als auch auf sein Absonderungsrecht, so hat er die Forderung als persönliche Forderung in voller Höhe für den Ausfall zur Tabelle anzumelden4. Nach Überprüfung der Forderung und Beseitigung eventueller Widersprüche wird die Forderung sodann „als Ausfallforderung“ oder „als Insolvenzforderung für den Ausfall“ in voller Höhe zur Tabelle festgestellt5. Die erfolgte Feststellung beinhaltet aufgrund ihrer Anmeldung und Feststellung als Ausfallforderung jedoch keinerlei Beschränkungen. Die Einschränkung („für den Ausfall“) hat mithin nur Bedeutung für das Verteilungsverzeichnis. Die Rechtskraftwirkung des § 178 Abs. 3 InsO erstreckt sich mithin auf die gesamte Forderung, so dass auch für den Fall, dass sich später herausstellt, dass das Absonderungsrecht nicht besteht, eine erneute Anmeldung der Forderung nicht erforderlich wird. Hat der Gläubiger sein Absonderungsrecht zumindest zum Teil erfolgreich geltend 386 gemacht oder teilweise auf dieses verzichtet, so kann er auf die persönliche Forderung eine anteilige Befriedigung verlangen, aber nur in Höhe des Ausfalls, um insoweit eine doppelte Befriedigung des Gläubigers zu vermeiden (§ 52 Satz 2 InsO). Hierfür muss der absonderungsberechtigte Gläubiger innerhalb der Frist des § 189 387 Abs. 1 InsO den tatsächlichen Ausfall nachweisen. Andernfalls muss er auf sein Absonderungsrecht verzichten (§ 190 Abs. 1 Satz 1 InsO). Liegt das Verwertungsrecht beim Gläubiger, muss dieser den Ausfall durch den Beleg über die reale Verwertung oder die konkrete Darlegung der Gründe einer gescheiterten Verwertung nachweisen. So wird der Absonderungsberechtigte in der Wohlverhaltensperiode eines vereinfachten Insolvenzverfahrens (§§ 311 ff. InsO) nur dann bei der Verteilung berücksichtigt,
1 2 3 4
MünchKommInsO/Ganter, § 52 Rz. 14 ff.; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 52 Rz. 4. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 2. Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 52 Rz. 4. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 2, 7; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 52 Rz. 5. 5 Lohmann in HK-InsO, § 52 Rz. 4; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 7.
Drees/Schmidt
585
387a
§7
Rz. 387b
Beratung des gesicherten Glubigers
wenn er innerhalb von zwei Wochen nach der öffentlichen Bekanntmachung des Schlussverzeichnisses eine Erklärung nach § 190 Abs. 1 InsO zum erlittenen Ausfall abgegeben hat1. 387b Soweit der Gläubiger unter Verstoß gegen das Verwertungsrecht des Verwalters gemäß § 166 InsO das Sicherungsgut selbst verwertet hat, kann er einen möglichen Ausfall grundsätzlich nur dann zur Tabelle anmelden, wenn er zugleich den Nachweis erbringt, dass auch der Verwalter das Sicherungsgut nicht hätte günstiger verwerten können2. Liegt das Verwertungsrecht beim Insolvenzverwalter, stellt dieser den Ausfall selbst fest3. Ein Nachweis ist de jure nicht erforderlich, in der Praxis jedoch gleichwohl üblich (näheres zum Nachweis des Ausfalls unten Rz. 395 ff.). 388 Bei einer Abschlagsverteilung genügt es, wenn der Absonderungsberechtigte seinen Ausfall glaubhaft macht (§ 190 Abs. 2 Satz 1 InsO). 389 Diese zwingende Bestimmung des § 52 Satz 2 InsO gilt auch für den Fall, dass der Gläubiger formell Eigentümer bzw. Inhaber des Rechts ist, als Sicherungsnehmer im Insolvenzfall des Schuldners aber nur Absonderung verlangen kann. Eine anderweitige Vereinbarung derart, dass das Sicherungsgut seinerseits nur für den Ausfall nach der Verteilung der Masse haften soll, wäre mithin unwirksam. Bezüglich der Ausfallforderung kommt dem Gläubiger nur noch die Stellung eines einfachen Insolvenzgläubigers zu. Damit erhält er die Verteilungsquote auf die verbleibende Ausfallforderung berechnet, nicht hingegen auf den ursprünglichen Forderungsbetrag. Erweist sich bereits die dingliche Sicherung als unzureichend, kann der Gläubiger eine Befriedigung in voller Höhe nur bei einer Verteilungsquote von 100 % erlangen. 390 Unklar war lange Zeit die genaue Berechnung des Ausfalls, soweit es um die Berücksichtigung nachrangiger Insolvenzforderungen i.S.d. § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO (Zinsen nach Insolvenzeröffnung) und Nr. 2 (Kosten durch Teilnahme am Insolvenzverfahren) geht. Teilweise4 wurde der Verwertungserlös nur auf die vor Verfahrenseröffnung begründeten Insolvenz(haupt)forderungen angerechnet. Die Zinsen nach Verfahrenseröffnung sowie die Kosten durch Teilnahme am Insolvenzverfahren würden hiernach unberücksichtigt bleiben und weiter lediglich nachrangig sein. Dies ist nach der Entscheidung des BGH v. 17.7.2008 nicht mehr haltbar5. Nach Insolvenzeröffnung fällig werdende Ansprüche auf Zinsen und Kosten werden von dem Recht auf abgesonderte Befriedigung erfasst. Insoweit ist die in der Vorauflage vertretene Auffassung, nach Maßgabe derer bei der Berechnung des Ausfalls die Wertung des § 39 Abs. Nr. 1 InsO nicht umgangen werden dürfe und daher eine Berücksichtigung nicht geboten sei, aufzugeben. 390a Ausdrücklich offen gelassen hat der BGH – jedenfalls in der benannten Entscheidung – die Frage nach der Tilgungsreihenfolge6. Eine Entscheidung war nicht erforderlich, da der Verwertungserlös auch die nach Verfahrenseröffnung entstandenen Forderungen abgedeckt hatte. Dies hat sich auf die gegen das Urteil des OLG Frankfurt v. 23.4.20107 eingelegte Revision geändert. So hat der BGH mit Urt. v. 17.2.2011 entschieden, dass die Tilgungsreihenfolge der §§ 366, 367 BGB maßgeblich ist8. Es ist daher nicht mehr vertretbar, die Norm des § 50 Abs. 1 InsO als eine Spezialregelung zu den §§ 366, 367 BGB zu qualifizieren und die dort genannte Tilgungsreihenfolge (Hauptforderung, Zinsen und Kosten) für maßgeblich zu erklären9. Hierdurch liege auch kein Wertungswiderspruch mit der in § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO angeordneten Nach1 2 3 4 5
6 7 8 9
BGH v. 2.7.2009 – IX ZR 126/08, ZIP 2009, 1580 f. MünchKommInsO/Ganter, § 52 Rz. 33. Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 52 Rz. 5, § 190 Rz. 3. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 8; MünchKommInsO/Ganter, § 52 Rz. 29. BGH v. 17.7.2008 – IX ZR 132/07, ZIP 2008, 1539 m. Anm. Gundlach/Frenzel, EWiR 2009, 89. Ebenso OLG Frankfurt v. 23.4.2010 – 25 U 58/08, ZIP 2010, 2256 m. Anm. Kremer, EWiR 2011, 21 f. BGH v. 17.7.2008 – IX ZR 132/07, ZIP 2008, 1539 (1541 f.). OLG Frankfurt v. 23.4.2010 – 25 U 58/08, ZIP 2010, 2256, m. Anm. Kremer, EWiR 2011, 21. BGH v. 17.2.2011 – IX ZR 83/10, NZI 2011, 247. So Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 50 Rz. 48.
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Drees/Schmidt
Absonderungsfragen
Rz. 393
§7
rangigkeit vor. Die Vorschriften der §§ 49 bis 52 InsO – insbesondere diejenige des § 50 Abs. 1 InsO – regeln jedoch nicht die Befriedigung von Insolvenzgläubigern, sondern die Befriedigung der Absonderungsgläubiger aus dem Absonderungserlös. Von dieser Maßgeblichkeit der Tilgungsreihenfolge der §§ 366, 367 BGB kann der In- 390b solvenzverwalter auch nicht durch einseitige Tilgungsbestimmung abweichen. Dies ist im Fall der Auskehr des Erlöses einer Sicherheit nur dann zulässig und möglich, wenn die zugrunde liegende Sicherungsabrede entsprechende Anrechnungs- bzw. Tilgungsbestimmungen vorsieht. Ist dies nicht der Fall, sind spätere Änderungen nur einverständlich und nicht durch einseitige Tilgungsbestimmungen möglich1. Unstreitig erhöht sich die Ausfallforderung jedoch um die Kostenbeiträge gemäß 391 § 171 InsO (Feststellungs- und Verwertungskosten sowie Umsatzsteuer)2. (3) Verzicht und Verwirkung (a) Verzicht Es steht im Belieben des Berechtigten, auf das Absonderungsrecht gänzlich oder zu- 392 mindest teilweise zu verzichten und im Insolvenzverfahren nur die persönliche Forderung unbeschränkt geltend zu machen3. In der Regel dürfte ein derartiger Verzicht wirtschaftlich nicht ratsam sein, weil der Gläubiger damit auf die Befriedigung aus dem Verwertungserlös des belasteten Gegenstands verzichtet und regelmäßig einen wesentlich höheren Ausfall hinzunehmen haben wird.
Û
Praktische Hinweis für den Berater bei der Entscheidung über einen Verzicht: 393 Ein Verzicht auf das Absonderungsrecht kann ratsam sein, wenn die Verwertung wirtschaftlich nicht sinnvoll erscheint, diese sich aussichtslos und schwierig gestaltet und der Gläubiger nur bei einem Verzicht seinen „Ausfall“ innerhalb der Ausschlussfrist der §§ 190 Abs. 1 Satz 1, 189 Abs. 1 InsO nachweisen und sodann auch an der Schlussverteilung teilnehmen kann4 (siehe dazu Rz. 396 ff.). – Der Verzicht ist gegenüber dem Insolvenzverwalter entsprechend den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften zu erklären. Ein Teilverzicht ist möglich. Ein solcher ist aber nicht die Freigabe einzelner Haftungsobjekte aus dem Haftungsverband der Sicherheit5. – Die Verzichtserklärung muss verbindlich und vorbehaltlos sein und zu einer endgültigen Freigabe des Sicherungsguts zugunsten der Masse führen6. In der Vorauflage wurde erörtert, ob einem Verzicht auch eine Erklärung gleichstehen kann, nach der „sich der Gläubiger verpflichtet, das Absonderungsrecht nicht geltend zu machen“. Unter Hinweis auf die Ansicht von Prütting7 wurde die Gleichstellung einer solchen Erklärung mit einer Verzichtserklärung abgelehnt. Hieran wird – mit einer Ausnahme – festgehalten. Entfaltet die Verpflichtungserklärung des Gläubigers, das Absonderungsrecht nicht geltend zu machen, auch Bindungswirkung für die Zeit nach der Verfahrensbeendigung, dann steht eine solche Erklärung in ihren Wirkungen einem unmissverständlich formulierten Verzicht gleich8. Als Verzicht auf das Absonderungsrecht genügt mithin auch sonst jede Erklärung, die verhindert, dass das Absonderungsgut verwertet und die gesicherte Insolvenzforderung trotzdem in voller Höhe bei der Verteilung der Masse berücksichtigt wird. Zu diesem Zweck muss nicht notwendig über das zur abgesonderten Befriedigung berech-
1 BGH v. 17.2.2011 – IX ZR 83/10, NZI 2011, 247 (248), obgleich diese Frage mangels Vorlage einer Tilgungsbestimmung nicht streitgegenständlich war. 2 MünchKommInsO/Ganter, § 52 Rz. 31; Henckel in Jaeger, InsO, 2004, § 52 Rz. 17. 3 OLG Köln v. 3.3.2000 – 2 W 31/00, NZI 2001, 33 (34). 4 Vgl. Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 52 Rz. 9. 5 Thole in K. Schmidt, InsO, § 52 Rz. 10. 6 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 16; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 52 Rz. 27. 7 Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 52 Rz. 5. 8 Thole in K. Schmidt, InsO, § 52 Rz. 10.
Drees/Schmidt
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§7
Rz. 394
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Beratung des gesicherten Glubigers
tigende Grundpfandrecht verfügt werden. Ein dinglicher Verzicht ist mithin nicht erforderlich1. Diese Rechtsprechung sollte daher auch weiterhin einen Verzicht durch schlüssiges Verhalten möglich lassen2. Die vorbehaltlose Geltendmachung der gesamten Forderung stellt jedoch noch keine Verzichtserklärung dar3. Abweichend von der bisherigen Praxis4 bedarf ein für die Teilnahme am Insolvenzverfahren relevanter Verzicht nicht einer besonderen Form. Auch dies ist die Konsequenz der Rechtsprechung des BGH v. 2.12.20105. Handelt es sich bei dem Absonderungsrecht um ein Recht an einem Grundstück, so ist für den Verzicht auf das Recht an dem Grundstück nach § 875 BGB die Erklärung des Berechtigten gegenüber dem Begünstigten bzw. dem Grundbuchamt in der entsprechenden Form des § 29 GBO erforderlich sowie die Eintragung im Grundbuch. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn man mit der zuvor beschriebenen Rechtsprechung des BGH nicht zwingend einen dinglichen Verzicht und damit eine Verfügung über das zur Absonderung berechtigende Grundpfandrecht fordert. Liegt indes eine Verfügung vor, so bedarf die Erklärung der grundbuchmäßigen Form6. Soweit auf ein Pfandrecht an einem beweglichen Gegenstand oder an Wertpapieren verzichtet werden soll, genügt für diesen Verzicht die Rückgabe der Sache an den Insolvenzverwalter, verbunden mit einer formfreien Aufgabeerklärung (vgl. §§ 1255, 1257, 1293 BGB). Auf einen Eigentumsvorbehalt kann der Berechtigte durch einseitige Erklärung verzichten, da der Verzicht praktisch zum Wegfall bzw. Eintritt der Bedingung und damit zum Rechtserwerb des Insolvenzschuldners führt. Entsprechendes gilt auch für die auflösend bedingt vereinbarte Sicherungsübereignung oder -zession. Im Regelfall ist die einseitige Aufgabe analog §§ 959, 1255 BGB allerdings nicht als ausreichend anzusehen, weil insoweit für die Rückübertragung des Sicherungseigentums bzw. der Sicherungsforderung auf den Sicherungsgeber dessen Mitwirkung unablässig ist. Der Insolvenzverwalter kann eine Rückübereignungserklärung (§ 930 BGB) bzw. eine Rückabtretung (§ 398 BGB) allerdings seinerseits konkludent annehmen.
(b) Verwirkung 394 Außerhalb einer gesetzlichen Regelung ist es anerkannt, dass das Absonderungsrecht auch verwirkt werden kann. Eine Verwirkung wird z.B. dann in Betracht zu ziehen sein, wenn der absonderungsberechtigte Insolvenzgläubiger in voller Kenntnis seines Absonderungsrechts ohne erklärten Vorbehalt Ratenzahlungen auf die gesamte Forderungssumme entgegen nimmt7. (4) Nachweis des Ausfalls 395 Zur Teilnahme an der Abschlussverteilung (§ 196 InsO) ist der Absonderungsberechtigte nur dann berechtigt, wenn er bis zum Ablauf der Ausschlussfrist seinen Verzicht auf abgesonderte Befriedigung oder seinen Ausfall im Hinblick auf die bereits erfolgte abgesonderte Befriedigung nachweist (§§ 190 Abs. 1, 189 Abs. 1 InsO). Der Absonderungsberechtigte kann also auf seine persönliche Forderung gegenüber dem Schuldner nur dann eine Zahlung verlangen, wenn er den Nachweis seines Verzichts oder 1 BGH v. 2.12.2010 – IX ZB 61/09, ZIP 2011, 180 (181). 2 Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 52 Rz. 8; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 16; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 52 Rz. 27. 3 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 16; MünchKommInsO/Ganter, § 52 Rz. 39; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 52 Rz. 28. 4 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 16; Smid/Leonhardt in Leonhard/Smid/Zeuner, InsO, § 52 Rz. 3. 5 BGH v. 2.12.2010 – IX ZB 61/09, ZIP 2011, 180 (181). 6 BGH v. 2.12.2010 – IX ZB 61/09, ZIP 2011, 180 (181). 7 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 19; Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 52 Rz. 10; Imberger in Frankfurter Kommentar, InsO, § 52 Rz. 30.
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Absonderungsfragen
Rz. 398
§7
seines tatsächlichen Ausfalls rechtzeitig bis zum Ablauf der Ausschlussfrist erbringt1. Der Nachweis des Ausfalls kann nur durch – die reale Verwertung bzw. – deren erfolglosen Versuch geführt werden2. Der bloße Nachweis eines bestimmten Verkehrswertes des mit dem Absonderungs- 395a recht belasteten Gegenstands ist nicht ausreichend. Allerdings kann in dem Nachweis, dass dem Pfandgegenstand nur ein gewisser Wert zukommt, konkludent der Wille des Gläubigers zum Ausdruck kommen, dass er jedenfalls nicht für einen höheren Betrag aus dem Pfandgegenstand Befriedigung suchen wird, mithin insoweit auf abgesonderte Befriedigung verzichtet3. Der zufällige Untergang der Sache oder ihr unerklärliches Abhandenkommen ist dem Ausfall gleichzusetzen4. Die Nachweispflicht entfällt, wenn der Insolvenzverwalter die Verwertung des Ab- 396 sonderungsguts selbst betreibt (§ 190 Abs. 3 Satz 1 InsO)5. Der Insolvenzverwalter hat im Falle, dass die Verwertung noch nicht erfolgte, den Ausfall des Gläubigers zu schätzen und den auf die Forderung entfallenden Anteil zurückzubehalten (§ 190 Abs. 3 InsO). Lässt sich der Ausfall bis zur Verteilung nicht ermitteln, muss der Verwalter unter Zurückhaltung von Mitteln eine Nachtragsverteilung (§ 203 InsO) durchführen. Zu einer solchen kommt es auch dann, wenn es bei Verwertung durch einen Absonderungsberechtigten zu einem nicht zu erwartenden Übererlös kommt6. Handelt es sich zunächst nur um eine Abschlagsverteilung, so kommt es ebenfalls da- 397 rauf an, wem das Verwertungsrecht zusteht. Soweit der Insolvenzverwalter gemäß § 166 InsO zur Verwertung berechtigt ist, obliegt es ihm, den möglichen Ausfall des Berechtigten zu schätzen und den auf die Forderung entfallenden Teil zurückzubehalten (§ 190 Abs. 3 Satz 2 InsO)7. Ist der Gläubiger selbst verwertungsbefugt (§ 173 InsO), so kann dieser bei einer Abschlagsverteilung dann Berücksichtigung finden, wenn er dem Verwalter bis zum Ablauf der Ausschlussfrist das Betreiben der Verwertung nachweist und den Betrag des mutmaßlichen Ausfalls glaubhaft macht (§ 190 Abs. 2 Satz 2 InsO)8. Soweit der Gläubiger diese Vorgaben erfüllt, bekommt er den Abschlag aufgrund der weiterhin unsicheren Höhe des Ausfalls nicht ausbezahlt, sondern der Verwalter hält diesen Betrag nach § 190 Abs. 2 Satz 2 InsO für ihn zurück. Sollte es dem Gläubiger nicht gelingen, seinen Ausfall rechtzeitig vor der Abschlagsverteilung glaubhaft zu machen, sondern gelingt ihm das erst zu einem späteren Zeitpunkt, so wird er aus der Restmasse nachträglich soweit vorab befriedigt, dass er mit den übrigen Gläubigern gleichgestellt ist (§ 192 InsO). Soweit der Gläubiger den Nachweis über seinen tatsächlichen Ausfall gegenüber dem Insolvenzverwalter auch nicht innerhalb der Ausschlussfrist bis zur Schlussverteilung erbringt, fließen die zurückbehaltenen Beträge in die Gesamtschlussverteilungsmasse und werden für die Schlussverteilung unter den übrigen Insolvenzgläubigern frei (§§ 189 Abs. 3, 190 Abs. 2 Satz 2 InsO). Ersteht der absonderungsberechtigte Gläubiger den Absonderungsgegenstand im Rahmen der Verwertung selbst zu einem Betrag unterhalb des Verkehrswertes, so ist dem Absonderungsberechtigten dieser Vorteil – anders als bei § 114a ZVG (s. Rz. 339) – bei der Ausfallberechnung nicht anzurechnen9.
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Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 18; MünchKommInsO/Ganter, § 52 Rz. 22. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 18; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 52 Rz. 11. Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 153 Rz. 2b. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 5; MünchKommInsO/Ganter, § 52 Rz. 32. Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 52 Rz. 7; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 18a. BGH v. 1.12.2005 – IX ZB 17/04, ZIP 2006, 143 (144). Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 18b; Hess, InsO, 1995, § 52 Rz. 485. Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 18; MünchKommInsO/Ganter, § 52 Rz. 22. BGH v. 3.11.2005 – IX ZR 181/04, ZIP 2005, 2214 (2215); Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 52 Rz. 9.
Drees/Schmidt
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§7 399
Û
Rz. 399
Beratung des gesicherten Glubigers
Hinweis: Handelt es sich allerdings um die Erstehung eines Grundstücks und bleibt das Gebot hinter dem 7/10-Gebot bezogen auf den Grundstückswert zurück, ist dies für die bis zu diesem Wert bestehende Differenz zu berücksichtigen (§ 114a ZVG)1.
400 Gehört der Sicherungsgegenstand nicht dem Insolvenzschuldner, sondern einem Dritten, entfällt die Beschränkung des § 52 Satz 2 InsO. Es liegt insoweit gar kein Fall abgesonderter Befriedigung vor. Entsprechend § 43 InsO kann der Gläubiger sowohl von dem persönlichen als auch von dem dinglichen Schuldner jeweils volle Befriedigung verlangen und zwar unabhängig davon, ob einer von beiden oder beide in Insolvenz gefallen sind. Bei lediglich dinglicher Dritthaftung gilt § 43 InsO analog2. Der Gläubiger erhält mithin eine Dividende auf seine volle persönliche Forderung und kann zudem durch eine zusätzliche Pfandverwertung gegebenenfalls zur vollen Befriedigung gelangen. d) Nach Aufhebung des Verfahrens (§§ 200, 201 InsO) 401 Wird das Insolvenzverfahren im Wege der Liquidation des Schuldnervermögens bis zur Schlussverteilung durchgeführt, so beschließt das Insolvenzgericht nach vollzogener Schlussverteilung und deren Nachweis seitens des Verwalters gemäß § 200 Abs. 1 InsO die Aufhebung des Insolvenzverfahrens. Mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens endet das Amt des Insolvenzverwalters und der Schuldner erhält die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die vormals vom Insolvenzbeschlag erfassten Vermögensgegenstände zurück, soweit es sich nicht um Massegegenstände handelt, die einer Nachtragsverteilung vorbehalten wurden3 (zur Nachtragsverteilung vgl. § 6 Rz. 367 f.). 402 Wurde das Insolvenzverfahren aufgehoben, entfallen damit auch alle insolvenzspezifischen Beschränkungen und an die Stelle der insolvenzrechtlichen Haftungsordnung tritt wieder die bürgerlich-rechtliche Haftungsordnung in der Gestalt, wie sie auch vor der Verfahrenseröffnung für das Schuldnervermögen Geltung beanspruchte4. 403 Damit fallen auch die durch die §§ 85 ff. InsO der individuellen Rechtsverfolgung durch die Gläubiger gegenüber dem Schuldner gezogenen Schranken fort. Der Schuldner haftet – vorbehaltlich einer möglichen Restschuldbefreiung – grundsätzlich wieder unbeschränkt für die Verbindlichkeiten, die er vor Eröffnung des Verfahrens begründet hat. 404 Korrelierend damit steht den im Verfahren nicht befriedigten Gläubigern – soweit keine Restschuldbefreiung angekündigt ist5 – ein freies Nachforderungsrecht zu, d.h., den Gläubigern steht es frei, ihre restlichen Forderungen gegenüber dem Insolvenzschuldner nach § 201 Abs. 1 InsO uneingeschränkt geltend zu machen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Gläubiger im Rahmen des Insolvenzverfahrens eine Befriedigung im Hinblick auf ihre Forderung gar nicht erst beansprucht bzw. ihre Forderung nicht zur Tabelle angemeldet hatten oder ob ihre Forderung durch die ausgeschüttete Quote nicht vollständig gedeckt wurde. Sie müssen sich auf ihre Nachforderung allerdings die an sie im Rahmen der Verfahrensverteilungen (Abschlags- und/oder Schlussverteilung) zur Auszahlung gebrachten Anteile anrechnen lassen.
1 Prütting in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 52 Rz. 9; Lohmann in HK-InsO, § 52 Rz. 7 ff. 2 Lüdtke in Hamburger Kommentar zur InsO, § 43 Rz. 12. 3 Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, § 200 Rz. 12; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 200 Rz. 7. Nach BGH v. 1.12.2005 – IX ZB 17/04, ZIP 2006, 143 kommt es auch bei einem nicht zu erwartenden Übererlös nach Verwertung durch den Absonderungsberechtigten. 4 Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 201 Rz. 3. 5 Vgl. zu der Frage der Beschränkung des Nachforderungsrechts bei Restschuldbefreiung: Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, § 201 Rz. 10; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 201 Rz. 4.
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Absonderungsfragen
Û
Rz. 408
§7
405 Hinweis: Als Haftungsmasse steht den Gläubigern auch das vom Schuldner nach Abschluss des Verfahrens neu hinzuerworbene Vermögen zur Verfügung (zu den hiermit verbundenen Problemen in der Insolvenz eines Freiberuflers vgl. § 17 Rz. 61 ff.).
Den Gläubigern, die an dem Insolvenzverfahren teilgenommen haben, ist nach Ab- 406 schluss des Verfahrens eine beglaubigte auszugsweise Ausfertigung der Tabelle zu erteilen, soweit diese jeweils ihre Forderung betrifft. Aus diesem Tabellenauszug kann der Gläubiger nach Aufhebung des Verfahrens die Zwangsvollstreckung unmittelbar betreiben. Aufgrund der Feststellungswirkung des Tabelleneintrags gemäß § 178 Abs. 3 InsO kann die Vollstreckung aus der Tabelle gemäß § 201 Abs. 2 Satz 1 InsO „wie aus einem vollstreckbaren Urteil“ betrieben werden1. Absonderungsberechtigte Gläubiger, denen der Schuldner zugleich persönlich haf- 407 tet, können mithin nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens ihre persönliche Forderung gegenüber dem Schuldner, die sie in der Regel im Insolvenzverfahren in voller Höhe zur Tabelle angemeldet hatten, unmittelbar auf der Grundlage der Tabellenfeststellung vollstrecken. Dass die Insolvenzforderung „nur für den Ausfall“ festgestellt worden ist, ändert an 407a dieser uneingeschränkten Rechtskraftwirkung dem Schuldner gegenüber nichts. Grundsätzlich kann folglich nach Verfahrensaufhebung und Erteilung der Vollstreckungsklausel die Vollstreckung hinsichtlich der Forderung in voller Höhe betrieben werden. Hat während des Insolvenzverfahrens die Verwertung des Absonderungsguts stattgefunden, ist im Fall der Vollstreckung aus dem Tabellenauszug die durch die Verwertung bewirkte teilweise Erfüllung der Forderung im Wege der Vollstreckungsgegenklage (§ 767 Abs. 1 ZPO) geltend zu machen. Konnte aus der Verwertung von Absonderungsgut ein Erlös erzielt werden, so erfolgt 407b wegen der Regelung des § 190 InsO eine Eintragung in das Verteilungsverzeichnis nur in Höhe des Ausfalls. Dies beeinflusst aber nicht den Tabelleneintrag. Die in der Tabelle vermerkte Forderungshöhe wird nicht um den Verwertungserlös reduziert. Auch die bei Verteilungen erhaltenen Quoten werden lediglich auf dem vollstreckbaren Auszug vermerkt, beeinflussen aber nicht die in der Tabelle eingetragene Forderungshöhe2. In der Praxis darf die Vollstreckungsgegenklage als Ausnahmefall bezeichnet werden. 407c Denn die Insolvenzverwalter sind darum bemüht, die zur Tabelle festgestellte Forderungshöhe nach erfolgter Verwertung an das Verteilungsverzeichnis anzupassen. Hierzu werden Absonderungsberechtigte mitunter aufgefordert, einen (teilweisen) Verzicht auf die zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung in Höhe des Verwertungserlöses zu erklären. Wird der Verzicht erklärt, werden vollstreckbare Tabellenauszüge später lediglich über die verbleibende Restforderung erteilt und vollstreckungsrechtliche Folgeprobleme (§ 767 Abs. 1 ZPO) vermieden3. e) Bei Einstellung mangels Masse (§ 207 InsO) Ergibt sich im Verlauf des eröffneten Verfahrens die Unzulänglichkeit des Schuldner- 408 vermögens dergestalt, dass die Insolvenzmasse nicht einmal zur Deckung der Verfahrenskosten ausreicht, so ist das Insolvenzgericht zur Verfahrenseinstellung mangels Masse verpflichtet (§ 207 Abs. 1 InsO). Der Verwalter hat vor der Einstellung des Verfahrens die vorhandenen Barmittel entsprechend Abs. 3 zu verteilen, wozu ihm seitens des Insolvenzgerichts vor der Einstellung Gelegenheit zu geben ist. Zur Verwertung vorhandener Massegegenstände ist der Verwalter nicht weiter verpflichtet, da seine Vergütung nicht gedeckt ist und ihm daher die Fortsetzung der Masseverwertung nicht zugemutet werden soll (Abs. 3 Satz 2)4. Bis zur Einstellungsentscheidung 1 2 3 4
Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, § 201 Rz. 11 ff.; Depré in HK-InsO, § 201 Rz. 5. Herchen in Hamburger Kommentar zur InsO, § 201 Rz. 7a und § 202 Rz. 2. Herchen in Hamburger Kommentar zur InsO, § 201 Rz. 7a. Ries in Uhlenbruck, InsO, § 207 Rz. 11; Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 207 Rz. 22.
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§7
Rz. 409
Beratung des gesicherten Glubigers
ist er jedoch noch zu Verwertungshandlungen berechtigt, wenngleich ihm im Hinblick auf eine drohende Schadensersatzpflicht für neu begründete Masseverbindlichkeiten nach § 61 InsO davon eher abzuraten ist1 (vgl. zu Neumasseschulden auch § 14 dieses Buches). Das unverwertete Vermögen wird dem Schuldner wieder zurückgegeben. 409 Mit der Einstellung des Verfahrens entfallen auch hier die insolvenzspezifischen Haftungsregularien. Der Schuldner erhält mit der Einstellung des Verfahrens die Verfügungsbefugnis über die Masse zurück (§ 215 Abs. 2 InsO). Die Gläubiger können ihre Ansprüche gegenüber dem Schuldner ohne Beschränkungen im Rahmen der Einzelzwangsvollstreckung nach den Regelungen der ZPO geltend machen2. Die Vorschriften über die freie Nachhaftung des Schuldners nach Aufhebung des Verfahrens gemäß § 201 Abs. 1 InsO finden auch nach einer Verfahrenseinstellung mangels Masse entsprechende Anwendung (§ 215 Abs. 2 Satz 2 InsO). Das gilt auch für die gesicherten Gläubiger, die zum einen ihre persönliche Forderung nach den allgemeinen Vorschriften des BGB sowie des Prozessrechts geltend machen können, was jedoch nach einem mangels Masse eingestellten Insolvenzverfahren zumeist wenig erfolgversprechend sein dürfte. Zum anderen steht ihnen darüber hinaus aber auch das Recht zur Realisierung ihrer Sicherheit zu (auch zur Einstellungsmasse § 6 Rz. 347 ff.). f) Bei Anzeige von Masseunzulänglichkeit (§ 208 InsO) 410 Das Insolvenzverfahren wird im ausdrücklichen Gegensatz zur fehlenden Kostendeckung gemäß § 207 InsO bei Masseunzulänglichkeit nicht unmittelbar eingestellt (§ 208 InsO). Das Amt des Insolvenzverwalters mit seinen Rechten und Pflichten bleibt zunächst unangetastet. Nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit besteht für den Verwalter nach § 208 Abs. 3 InsO weiterhin die Pflicht zur Verwaltung und Verwertung der Masse sowie zur Tilgung etwaiger Masseverbindlichkeiten, soweit die Masse dies zulässt3. Unabhängig von dem Verteilungsverfahren nach § 209 InsO hat der Insolvenzverwalter die Aus- und Absonderungsrechte zu befriedigen4. Damit unterliegen die gesicherten Gläubiger bei angezeigter Masseunzulänglichkeit weiterhin den insolvenzspezifischen Regelungen und der mit ihnen einhergehenden Beschränkungen. 411 Nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit verwaltet und verwertet der Verwalter die Insolvenzmasse zunächst weiter und verteilt die Masse entsprechend § 209 InsO. Im Anschluss an die Masseverteilung wird das Verfahren nach § 211 InsO durch Beschluss des Gerichts eingestellt. Massegegenstände, die nicht verwertet werden konnten, sind dem Schuldner freizugeben. Mit der Einstellung des Verfahrens kommt dem Schuldner nach § 215 Abs. 2 InsO wieder das Recht zu, über die vormals dem Insolvenzbeschlag unterlegene Masse frei zu verfügen. Der Insolvenzbeschlag endet mit dem Zeitpunkt der Verfahrenseinstellung. 412 Den Insolvenzgläubigern steht auch hier nach § 215 Abs. 2 Satz 2 InsO i.V.m. § 201 Abs. 1 InsO das Recht zur freien Nachforderung zu, soweit dem Schuldner keine Restschuldbefreiung erteilt wurde. Die Absonderungsberechtigten, denen der Insolvenzschuldner zugleich persönlich haftet, sind daher als ehemalige Insolvenzgläubiger zur freien Nachforderung bezüglich ihrer persönlichen Forderung gegenüber dem Schuldner berechtigt, soweit sie diesbezüglich einen Ausfall erlitten haben. Diesen können sie im Rahmen der Einzelzwangsvollstreckung entsprechend den Bestimmungen der ZPO beanspruchen. 413 Bezüglich des Sicherungsrechts kommt es darauf an, ob es während des Insolvenzverfahrens noch zu einer Verwertung des Sicherungsguts kam oder nicht. War dies der Fall, dann steht dem Gläubiger das Recht zur abgesonderten Befriedigung aus
1 Westphal in Nerlich/Römermann, InsO, § 207 Rz. 38. 2 Ries in Uhlenbruck, InsO, § 207 Rz. 13 ff.; Kießner in Frankfurter Kommentar, InsO, § 207 Rz. 42. 3 Ries in Uhlenbruck, InsO, § 208 Rz. 19; Landfermann in HK-InsO, § 208 Rz. 10 ff. 4 Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 208 Rz. 18 ff.; Hess, InsO, 1995, § 209 Rz. 55.
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Sicherheitenpool
Rz. 415a
§7
dem Erlös zu. Soweit eine Verwertung in dem zwischenzeitlich eingestellten Verfahren nicht vorgenommen wurde, kann der gesicherte Gläubiger sein Sicherungsrecht entsprechend den allgemeinen gesetzlichen bzw. individualvertraglich vereinbarten Bedingungen realisieren und im Rahmen der Einzelzwangsvollstreckung in den Sicherungsgegenstand vollstrecken1 (zur Einstellung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit s. § 6 Rz. 350 ff.). IV. Sicherheitenpool In der Insolvenzpraxis hat sich die Bildung so genannter Sicherheitenpools etabliert. 414 Der Begriff des Sicherheitenpools lässt vom Wort her verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zu. Ein Sicherheitenpool liegt regelmäßig dann vor, „wenn mehrere Gläubiger die Aussonderung und Absonderung ihrer Mobiliarsicherheiten gemeinsam wahrnehmen2“. Der BGH spricht mitunter auch von – Sicherheitenverwertungsverträgen oder – Sicherheitenpoolverträgen und meint hiermit nichts anderes3. Die rechtliche Zulässigkeit entsprechender Poolabreden ist unbestritten4. Grundformen derartiger Sicherheitenpools sind – Lieferantenpools zwischen Warenkreditgläubigern (Rz. 415b) und – Bankenpools zwischen Geldkreditgläubigern (Rz. 415a). In der Praxis treten auch Mischformen dieser beiden Gruppen auf5. Der wirtschaftliche Hintergrund entsprechender Poolbildungen dürfte stets derselbe 415 sein: Aus- und Absonderungsberechtigte stehen häufig vor der Schwierigkeit, dem Insolvenzverwalter gegenüber ihre Rechte nachzuweisen. Insbesondere der Nachweis der konkreten dinglichen Berechtigung stellt die Aus- und Absonderungsberechtigten immer wieder vor erhebliche Schwierigkeiten, vornehmlich dann, wenn sich die Vereinbarungen der Lieferanten mit dem Schuldner überschneiden. Um diesen Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art bei der Abgrenzung der verschiedenen Sicherheiten zu begegnen und die Durchsetzung und Verwertung der Sicherheiten zu vereinfachen, schließen sich die gesicherten Gläubiger zu einem so genannten Sicherheitenpool zusammen und bringen in diesen ihre Sicherheiten ein. Dadurch soll die Gesamtheit dieser Gläubiger gegenüber dem Insolvenzverwalter jedenfalls aus- und absonderungsberechtigt werden, unabhängig davon, ob sich die Rechte der Einzelnen überschneiden6. Bei einem Sicherheitenpool der Banken sind sehr verschiedene Ausgestaltungen 415a denkbar. Eine Besonderheit ist sicherlich die kreditbegleitende – und damit krisenunabhängige – Poolbildung. Kommt es zu einer außergewöhnlich hohen Kreditgewährung, teilen sich in der Praxis regelmäßig mehrere Banken den Kredit (so genannter Konsortialkredit), um damit das Risiko der einzelnen Bank zu minimieren. Bereits zu diesem Zeitpunkt kann es sinnvoll sein, einen Sicherheitenpool zu bilden. Bei einer solchen Vorgehensweise ist neben den Vorteilen der fortwährenden Kommunikation und effizienten Informationsgewinnung zu einem sehr frühen Zeitpunkt für den Fall einer später eintretenden Krise vorgesorgt. Abzugrenzen ist ein solcher Bankenpool vom bloßen Bassinvertrag, bei dem den einzelnen Banken gerade keine eigenen Sicherheitenrechte eingeräumt werden, sondern ein Treuhänder für das Unternehmen – im Einverständnis mit den beteiligten Banken – von vornherein sämtliche Sicherheiten verwaltet. Sieht man einmal von den fehlenden eigenen Sicherheiten ab, unterscheidet sich die Sicherheitenverwaltung und in der Krise deren Verwertung nicht von der in einem Sicherheitenpool. Als klassischer Sicherheitenpool von 1 2 3 4
Kießner in Frankfurter Kommentar, InsO, § 208 Rz. 24. Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 44 Rz. 1. BGH v. 3.11.1988 – IX ZR 213/87, ZIP 1988, 1534. MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 189 ff.; Riggert, NZI 2000, 525; Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2003, 142 ff. 5 Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 51 Rz. 56. 6 Vgl. hierzu näher Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 46 ff.
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§7
Rz. 415b
Beratung des gesicherten Glubigers
Banken dürfte letztlich ein solcher bezeichnet werden, der bei Eintritt der Krise des Unternehmens implementiert wird. 415b Der so genannte Lieferantenpool wird oftmals auch als Sicherheitenpool der Sicherungsgläubiger bezeichnet. Er kann bereits zur Abwendung der Krise gebildet werden, regelmäßig geschieht die Poolbildung jedoch erst bei einer unmittelbar bevorstehenden oder gar schon eingetretenen Insolvenz. Die inzwischen eingetretene Verbreitung liegt unter anderem daran, dass auch (vorläufige) Insolvenzverwalter ein erhebliches Interesse an der Einrichtung solcher Pools haben. So bündeln Insolvenzverwalter die Kommunikation auf einen wirtschaftlich kompetenten Poolführer und müssen nicht mit jedem Lieferanten gesondert verhandeln. Auf diese Weise wird das laufende Insolvenzverfahren zudem nicht mit der notwendigen Abgrenzung der kollidierenden Sicherheiten belastet. 416 Vorteile einer Poolbildung: – umfassender und effizienterer Informationsaustausch zwischen den Poolmitgliedern untereinander sowie im Verhältnis zum (vorläufigen) Insolvenzverwalter, – Möglichkeit der Krisenfrüherkennung, – institutionalisierte und gebündelte Kommunikation erhöht Sanierungschancen – Verwertung im Ganzen anstelle von Zerschlagung, – verbesserter Verwertungserlös durch geordnete Verwertung, – Kostenreduzierung bei der Feststellung und Durchsetzung von Sicherungsrechten, – Verlagerung der Auseinandersetzung konkurrierender Sicherheitenrechte auf einen späteren Zeitpunkt. 416a Poolbildung und ESUG: Über diese Vorteile hinaus muss mit Inkrafttreten des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG1) die Koordination der jeweiligen Gläubigergruppen zur Ermöglichung einer Repräsentanz im (vorläufigen) Gläubigerausschuss benannt werden. Gemäß §§ 21 Abs. 2 Ziff. 1a, 22a, 69 ff. InsO sollen im vorläufigen wie auch im endgültigen Gläubigerausschuss absonderungsberechtigte Gläubiger vertreten sein. Unabhängig davon, dass es sich hierbei um eine so genannte „Soll Bestimmung“ handelt, gehören Absonderungsberechtigte zu den zentralen Ansprechpartnern im Zusammenhang mit der Implementierung eines (vorläufigen) Gläubigerausschusses. Hierzu gehören insbesondere die Geld- und Warenkreditgläubiger. Die Erfahrung zeigt, dass jedenfalls bei 5-köpfigen Ausschüssen sowohl der Lieferanten- als auch der Kreditfinanziererkreis durch ein geeignetes Mitglied vertreten sind. Die Identifikation eines einzelnen Absonderungsberechtigten – der auch nach den Maßstäben des Gerichts der richtige Absonderungsberechtigte – aus dem Kreis der Lieferanten ist erheblichen praktischen Schwierigkeiten ausgesetzt. So greift beispielsweise der (zunächst richtige) Blick auf die Forderungshöhe zu kurz. Ebenso müssen die – zukünftige – strategische Bedeutung des Lieferanten und das Bewusstsein für die Verantwortung im (vorläufigen) Gläubigerausschuss ausgeprägt sein. Daneben tritt die praktische Schwierigkeit der Erreichbarkeit des richtigen Ansprechpartners, dessen praktische Erfahrung bei Ausschusstätigkeiten und zweifelsohne die Bereitschaft zur Mitwirkung. 416b Die praktische Erfahrung zeigt, dass diese Schwierigkeiten dann überwunden werden können, wenn eine Poolverwaltung im zeitlichen Zusammenhang mit der Antragsvorbereitung installiert wird. Auf diese Weise sind regelmäßig die Professionalität und Koordination in Richtung der Warenkreditversicherung sichergestellt. Umgekehrt muss über die Mitwirkung im Ausschuss hinaus die Poolverwaltung – mit den damit verbundenen Kosten – als geeignetes Instrument für den konkreten Sanierungsfall erachtet werden. Unter Transparenz-, Vertrauens- und letztlich auch Kompetenzge-
1 Gesetz v. 7.12.2011, BGBl. I, S. 2582.
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Sicherheitenpool
Rz. 418
§7
sichtspunkten dürfte die Installation eines Sicherheitenpools aus Anlass der Ansprache von potentiellen Ausschussmitgliedern empfehlenswert sein1. Neben den beschriebenen wirtschaftlichen Hintergrund (Rz. 415) tritt der entschei- 417 dende rechtliche Vorteil einer Beweiserleichterung. Der Sicherheitenpool dient in erster Linie der Überwindung von Beweisschwierigkeiten, die auftreten, wenn die beteiligten Gläubiger ihre Rechte an den Sicherungsgegenständen einzeln gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend machen würden. Dies gilt sowohl für Aussonderungs- als auch Absonderungsberechtigte. Einem einzelnen Eigentumsvorbehaltslieferanten wird es kaum möglich sein, nachzuweisen, zu welchem Anteil sich die von ihm ausgelieferten Waren noch im Warenbestand des Schuldners befinden. Auch Lieferanten mit verlängertem Eigentumsvorbehalt und Vorausabtretungs- oder Verarbeitungsklausel werden entsprechende Nachweise nur schwer erbringen können. Verantwortlich für diese Schwierigkeiten ist stets der sachenrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz, wonach dingliche Rechte nur an einzelnen Sachen bestehen können, die sich als solche individualisieren bzw. spezifizieren lassen. Auch wenn sowohl Aus- als auch Absonderungsrechte im Sicherheitenpool gebün- 417a delt werden können, bilden in der Praxis regelmäßig nur Absonderungsberechtigte einen Pool2. So wird das aus dem einfachen Eigentumsvorbehalt resultierende Aussonderungsrecht in der Regel von dem Vorbehaltslieferanten auch selbständig und außerhalb des Pools – sei es durch Abholung noch vorhandener Bestände oder deren Veräußerung an den Insolvenzverwalter – verfolgt. Auch andere Poolkonstellationen sind denkbar. So wurde im Insolvenzverfahren der Fa. Anton Schlecker e.K. beispielsweise ein Lieferantenpool für den einfachen Eigentumsvorbehalt gebildet, obgleich der Nämlichkeitsnachweis einen solchen nicht zwingend erfordert hätte.
Û
Hinweis: 417b Mit Rücksicht auf zu erwartende Abgrenzungsprobleme ist strikt davon abzuraten, einen Sicherheitenpool sowohl aus Ab- als auch Aussonderungsberechtigten zu bilden. Insolvenzverwalter werden regelmäßig der Aussonderung widersprechen, weil sie hinsichtlich der Absonderungsrechte Kostenbeiträge erwarten. Sind die Anteile der kollidierenden Sicherungsgläubiger nicht abgrenzbar, empfiehlt sich eine umfassende Verwertungsvereinbarung3.
Die beschriebenen Beweiserleichterungen haben jedoch eine feststehende Grenze: 417c Der Pool kann nicht mehr Rechte haben als seine Mitglieder. Durch den bloßen Beitritt zu einem Sicherheitenpool können ungesicherte Gläubiger keine dinglichen Rechte an den gepoolten Sicherheiten erwerben4. Absonderungsrechte sind daher auch nur insoweit an einem Verwertungserlös zu beteiligen, als ihnen gesicherte Forderungen zugrunde liegen. Eine Umvalutierung durch Poolvereinbarungen ist unzulässig, wenn dadurch ungesicherte Forderungen gesichert oder Sicherheiten aufgefüllt werden5. Der Pool stellt sich i.d.R. als Gesellschaft bürgerlichen Rechts dar, die den Zweck 418 verfolgt, die Sicherheiten der Gesellschafter im Sicherungsfall zu realisieren6. Im Außenverhältnis tritt für den Pool ein Treuhänder auf (so genannter Poolführer), auf den die Beteiligten ihre Rechte übertragen7. Im Rahmen des Poolvertrags wird pauschal vereinbart, dass jeder Lieferant, der dem Pool beitritt, eine bestimmte Quote erhält, ohne auf die Problematik des Einzelnachweises verwiesen zu werden. Ausschlaggebend für die Höhe der Quote der einzelnen Poolmitglieder werden in der Re-
1 2 3 4
Schmidt in Buth/Hermanns, 2014, § 33 Rz. 129 ff. Leiner, ZInsO 2006, 460 ff. Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 51 Rz. 58. BGH v. 2.6.2005 – IX ZR 181/03, ZIP 2005, 1651 (1652 f.) m. Bspr. Leiner, ZInsO 2006, 460 ff.; OLG Köln v. 24.1.2007 – 2 U 50/05, ZIP 2007, 391. 5 Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 51 Rz. 59; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 51 Rz. 50; Gundlach/Frenzel/Schmidt, NZI 2003, 142. 6 Vgl. hierzu eingehend Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.127. 7 Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 51 Rz. 57.
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§7
Rz. 418a
Beratung des gesicherten Glubigers
gel die einzelnen Anteile der Poolmitglieder an den eingebrachten Sicherheiten bzw. das Werteverhältnis der eingebrachten Sicherheiten der einzelnen Mitglieder zueinander sein. 418a Sind die Anteile der einzelnen Mitglieder an den Gegenständen nicht bestimmbar, müssen sämtliche Gläubiger dem Pool beitreten1. Lediglich dann kann dem Pool die angestrebte Beweiserleichterung zuerkannt werden. Weiter muss bei fehlender Bestimmbarkeit der Anteile der einzelnen Mitglieder an den Sicherungsgegenständen jede gesicherte Forderung den Erlös aus der Verwertung des gesicherten Gegenstandes abdecken. Hat ein Mitglied eine geringere Forderung, ist nicht auszuschließen, dass der Verwertungserlös nicht durch die Absonderungsrechte der einzelnen Mitglieder gedeckt und daher zumindest teilweise freie Masse ist. In diesem Fall kann der Pool aus dem Verwertungserlös nur den Erlösanteil herausverlangen, der der geringsten gesicherten Forderung entspricht2. 418b Poolmitglieder sind gut beraten, ihre Sicherheitenrechte nur mit solchen Sicherungsnehmern zu bündeln, deren Sicherheitenverträge wirksam sind. Ist etwa ein einzelner Sicherungsgläubiger anfänglich übersichert und trifft ihn auch die von der Rechtsprechung geforderte verwerfliche Gesinnung, so darf dieser Gläubiger nicht in den Pool aufgenommen werden. Die Forderung des betreffenden Gläubigers ist dann lediglich eine einfache Insolvenzforderung. Werden solche Gläubiger trotz der unwirksamen Sicherheitenbestellung in den Pool aufgenommen, verhilft dieser ihnen zur Durchsetzung ihrer vermeintlichen Sicherungsrechte. V. Personalsicherheiten 1. Allgemeines 419 Im Gegensatz zu einer Sachsicherheit, bei der im Sicherungsfall der Wert der mit dem Sicherungsrecht belasteten Sache realisiert wird, der sodann der Befriedigung der abgesicherten Forderung dient, haftet bei einer so genannten Personalsicherheit eine andere Rechtspersönlichkeit mit ihrem Vermögen im Sicherungsfall. Im Rahmen der Bestellung einer Personalsicherheit gewährt eine dritte, von dem Schuldner fremde Person dem Gläubiger eine Sicherung des Anspruchs durch ein Befriedigungsrecht an ihrem Vermögen. Typische Formen der Personalsicherheiten sind – Bürgschaften (Rz. 428 ff.), – Schuldmitübernahmen (Rz. 466 ff.), – Garantie- (Rz. 478 ff.) oder – Patronatserklärungen (Rz. 484 ff.) 2. Realisierung der Personalsicherheiten a) Vor und während der Krise 420 Vor und während der finanziellen Krise des Hauptschuldners kann der Gläubiger den Dritten entsprechend der allgemeinen Haftungsvoraussetzungen aus der Personalsicherheit in Anspruch nehmen. Insoweit gelten für die Inanspruchnahme des Dritten aufgrund der finanziellen Krise des Hauptschuldners keine besonderen Regularien. Soweit und sobald die allgemeinen Voraussetzungen der Inanspruchnahme der seitens des Dritten bestellten Personalsicherheit eingetreten sind, kann der Sicherungsnehmer auf diese zurückgreifen. 421 Handelt es sich bei der für die Hauptschuld bestellten Personalsicherheit um die Bürgschaft eines Dritten, so sind für die Inanspruchnahme das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 765 ff. BGB zu überprüfen. Da der Bürge vor und während der Krise nicht neben, sondern nach dem Hauptschuldner haftet, ist i.d.R. zunächst eine erfolglose Inanspruchnahme des Hauptschuldners erforderlich, es sei denn, es handelt sich um eine selbstschuldnerische Bürgschaft, einen Fall des § 349 HGB oder der Bür1 Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 51 Rz. 57a. 2 Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 51 Rz. 59.
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Personalsicherheiten
Rz. 422c
§7
ge hat ohnehin auf die Einrede der Vorausklage verzichtet. Die Einrede der Vorausklage entfällt gemäß § 773 Abs. 1 Nr. 3 BGB noch nicht während der Krise, sondern erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners1. Mithin ergeben sich während des Zeitraums der Krise keine Besonderheiten bei einer Inanspruchnahme des Bürgen. Auf die sonstigen Personalsicherheiten findet ebenfalls weiterhin die allgemeine bür- 422 gerlich-rechtliche Haftungsordnung Anwendung. Treten die Voraussetzungen – seien sie gesetzlich normiert oder individualvertraglich vereinbart – eines Sicherungsfalls ein, berechtigt dies den Sicherungsnehmer zur Realisierung der ihm für die Forderung gegen den Hauptschuldner bestellten Personalsicherheit.
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Hinweis für die Beratung bei Gesellschafter(personal-)sicherheiten: 422a Hat ein Gesellschafter unter den Voraussetzungen des Eigenkapitalersatzrechts (hierzu ausführlich Kap. 4) den Darlehensrückzahlungsanspruch eines Dritten gegen die GmbH durch Übernahme einer Bürgschaft oder eine andere Personalsicherheit gesichert, dann kann nach § 44a InsO der Dritte als Insolvenzgläubiger im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft nur für den Betrag quotale Befriedigung erhalten, mit dem er bei Inanspruchnahme des Gesellschafters ausgefallen ist. Damit beeinflusst die Haftung des zusätzlichen Schuldners unmittelbar die Geltendmachung der gegen den Schuldner gerichteten Forderung2. Die Diskussion3, worauf der Sicherungsgläubiger eine Insolvenzquote erhält – auf die Restforderung und damit nach Maßgabe des Ausfallprinzips oder aber im Sinne des Doppelberücksichtigungsprinzips auf den vollen Forderungsbetrag – ist durch Einführung des § 44a InsO obsolet. Hiernach kann die anteilsmäßige Befriedigung nur verlangt werden, soweit der Gläubiger bei der Inanspruchnahme der Sicherheit bzw. Bürgschaft ausgefallen ist. Es gilt mithin das Ausfallprinzip. Wegen der Einzelheiten hierzu sowie zur Gesellschafterfinanzierung im Allgemeinen vgl. Kap. 4.
Über die Eigenkapitalersatzhaftung hinaus ergibt sich für Gesellschafter(personal-) 422b Sicherheiten eine Besonderheit aus § 93 InsO. Diese Norm schreibt für die Insolvenz der Personenhandelsgesellschaft das Recht zur Geltendmachung der persönlichen Haftung des Gesellschafters für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft allein deren Insolvenzverwalter zu. Unter Hinweis4 auf den Wortlaut der Vorschrift hatten Gerichte dem Bürgschaftsgläubiger die Geltendmachung des Bürgschaftsanspruchs gegen den (noch nicht insolventen) Gesellschafter versagt. Diese Problematik ist jedoch im Sinne der Bürgschaftsgläubiger durch die Entscheidung des BGH vom 4.7.2003 geklärt worden. Hiernach umfasst die Sperr- und Ermächtigungswirkung des § 93 InsO nur die persönliche Gesellschaftersicherheit kraft Gesetzes und nicht auch die Parallelsicherheiten5, so dass diese weiter gesondert geltend gemacht werden dürfen. Auswirkungen der Krise des Hauptschuldners auf den Bürgschaftsanspruch sind dann 422c nicht gänzlich ausgeschlossen, wenn der Bürgschaftsgläubiger den wirtschaftlichen Zusammenbruch des Hauptschuldners (mit-)verursacht hat. Denn Bürgschaftsgläubiger verwirken ihren Sicherungsanspruch, wenn sie den wirtschaftlichen Zusammenbruch schuldhaft verursachen6. Hieran ist insbesondere dann zu denken, wenn der Bürgschaftsgläubiger dem Hauptschuldner gegenüber bestehenden Vertragspflichten zuwider handelt und z.B. pflichtwidrig die Einlösung eines Schecks verwei1 Noack/Bunke in FS Uhlenbruck, 2000, 335 (338). 2 Verse in Scholz, GmbHG, § 32 Rz. 1, (b, Rz. 128 a.F. da durch MoMiG v. 2008 aufgehoben); Noack/Bunke in FS Uhlenbruck, 2000, 335 (345 ff.) m. zahlr. w.N. 3 Noack/Bunke, FS Uhlenbruck, 2000, 335 (348 f.) m.w.N. 4 Vgl. ausführlich J. Schmidt, Die Gesellschafterbürgschaft in der Insolvenz der Personenhandelsgesellschaft, S. 87 ff. 5 BGH v. 4.7.2002 – IX ZR 256/01, ZIP 2002, 1492 ff. im Anschluss an die h.M. Im Ergebnis ebenso J. Schmidt, Die Gesellschafterbürgschaft in der Insolvenz der Personenhandelsgesellschaft, S. 150 ff. sowie Runkel/J. Schmidt, ZInsO 2007, 505 ff. 6 BGH v. 6.7.2004 – IX ZR 254/02, ZIP 2004, 1589 (1591); BGH v. 7.2.1966 – VIII ZR 40/64, WM 1966, 317 (319); BGH v. 23.2.1984 – III ZR 159/83, WM 1984, 586.
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§7
Rz. 423
Beratung des gesicherten Glubigers
gert, obwohl sich die damit einhergehende Kontobelastung im Rahmen des vereinbarten Kontokorrents gehalten hätte1. b) Im vorläufigen Insolvenzverfahren 423 Auch im vorläufigen Insolvenzverfahren ergeben sich für die Realisierung einer, seitens eines am Insolvenzverfahren unbeteiligten Dritten bestellten Personalsicherheit keine Besonderheiten aufgrund des Eintritts des Hauptschuldners in das vorläufige Insolvenzverfahren. 424 Der Bürge haftet auch im vorläufigen Insolvenzverfahren nach und nicht neben dem Hauptschuldner. Der Gläubiger ist zur Inanspruchnahme des Bürgen unter den allgemeinen Voraussetzungen berechtigt. Eine direkte Inanspruchnahme ohne eine vorherige Geltendmachung des Anspruchs gegenüber dem Hauptschuldner kommt nur in Betracht, wenn es sich um eine selbstschuldnerische Bürgschaft handelt, ein Fall des § 349 HGB vorliegt oder der Bürge auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat. Die Einrede der Vorausklage entfällt nach § 773 Abs. 1 Nr. 3 BGB erst mit der tatsächlichen Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners. Die Anordnung vorläufiger Maßnahmen im Antragsverfahren schließt die Einrede der Vorausklage ebenfalls noch nicht gemäß § 773 Abs. 1 Nr. 3 BGB aus. 425 Entsprechend richtet sich auch die Realisierung anderweitiger Personalsicherheiten nach den allgemeinen Vorschriften. c) Im eröffneten Insolvenzverfahren 426 Während für die Realisierung von Sachsicherheiten an Vermögenswerken des Insolvenzschuldners erhebliche insolvenzspezifische Einschränkungen bestehen, können die Gläubiger auf Personalsicherheiten Dritter auch während des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners weitgehend unbehelligt von diesem Zugriff nehmen, soweit nicht auch der Dritte insolvent wird (Rz. 457 ff.). 427
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Hinweis: Die Realisierung persönlicher Drittsicherheiten bleibt von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners weitgehend unberührt2.
aa) Bürgschaft (1) Insolvenz des Hauptschuldners (a) Haftung des Bürgen 428 Wird über das Vermögen des Hauptschuldners das Insolvenzverfahren eröffnet und wird dieser zum Insolvenzschuldner, so steht es dem Gläubiger frei, seine persönliche Forderung als Insolvenzgläubiger entsprechend der allgemeinen insolvenzrechtlichen Regelungen im Insolvenzverfahren geltend zu machen. Der Gläubiger hat die Hauptforderung wie alle anderen Gläubiger zur Tabelle gemäß § 174 InsO anzumelden (vgl. § 6 Rz. 278 ff.). Er wird sodann – soweit das Insolvenzverfahren eröffnet und das Vermögen des Insolvenzschuldners liquidiert wird – nach Maßgabe der Insolvenzquote hinsichtlich seiner Hauptforderung befriedigt, natürlich nur insoweit, als er noch keine Befriedigung seitens des Bürgen erlangt hat3 (zur Bedeutung einer Bürgschaft für Banken vgl. § 9 Rz. 25 ff.). Im Insolvenzplanverfahren bleibt die Haftung des Bürgen von den Regelungen des Insolvenzverfahrens unberührt (§ 254 Abs. 2 Satz 1 InsO). 429 Dass der Bürgschaftsgläubiger neben der Anmeldung der Hauptforderung zur Insolvenztabelle den Bürgen in voller Höhe in Anspruch nehmen kann, ermöglicht die An-
1 BGH v. 6.7.2004 – IX ZR 254/02, ZIP 2004, 1589 (1591). 2 Obermüller, NZI 2001, 225; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.313. 3 Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, § 52 Rz. 3a; Bülow, Recht der Kreditsicherheiten, Rz. 778.
598
Drees/Schmidt
Personalsicherheiten
Rz. 431
§7
wendung des § 43 InsO1. Nach dem dort geregelten Doppelberücksichtigungsprinzip2 kann ein Gläubiger, dem mehrere Personen für dieselbe Leistung auf das Ganze haften, im Insolvenzverfahren gegen jeden Schuldner bis zu seiner vollen Befriedigung den ganzen Betrag geltend machen, den er zur Zeit der Verfahrenseröffnung zu fordern hatte. Dass die in erster Linie für Gesamtschuldner3 geltende Regelung des § 43 InsO auch auf die Bürgschaft anwendbar ist, ergibt sich – wenn nicht ohnehin eine selbstschuldnerische Bürgschaft vorliegt – aus § 793 Abs. 1 Nr. 3 BGB4. § 43 InsO gibt sachlich unverändert die bereits in § 68 KO bzw. § 32 VerglO getroffene 430 Regelung wieder5. Der Gläubiger kann daher die Insolvenzquote für die gesamte Hauptverbindlichkeit beanspruchen und trotzdem den Bürgen in Anspruch nehmen, solange die Befriedigungsquote den Gesamtbetrag der Hauptverbindlichkeit nicht überschreitet6. Insbesondere richtet sich auch das Stimmrecht des Gläubigers nach der vollen Höhe der angemeldeten Forderung zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens7. Sinn und Zweck dieser Regelung ist die Privilegierung solcher Gläubiger, denen zwei 430a Schuldner für dieselbe Leistung nebeneinander haften. Ohne den § 43 InsO wäre ein derart gesicherter Gläubiger im Fall von Teilleistungen eines Mithaftenden gezwungen, im Verfahren nur noch die Restforderung zu verfolgen und auf diese Weise einen höheren Ausfall hinzunehmen. Er liefe damit in der Insolvenz mehrerer Mithaftender Gefahr, mit einem Teil seiner Forderung auszufallen, obwohl die Quoten aller Verfahren zusammen zu seiner vollen Befriedigung führen würden, da er nach Ausschüttung in einem Verfahren in den übrigen Verfahren nur noch mit einer Restforderung teilnehmen dürfte8. Dies ist vom Gesetzgeber nicht gewollt. Der bei Insolvenzeröffnung bestehende Forderungsbetrag soll bis zur Vollbefriedigung für das gesamte Verfahren maßgeblich bleiben. Nach Insolvenzeröffnung vom Bürgen eingehende Teilzahlungen oder aus der Insolvenz eines weiteren Mithaftenden erzielte Quotenzahlungen verringern die angemeldete Forderung nicht. Nur so können die Vorteile des Gesamtschuldverhältnisses und der Bürgenhaftung auch im Insolvenzverfahren gesichert werden9. Es ist anerkannt, dass § 43 InsO auch dann Anwendung findet, wenn die Mitverpflich- 430b teten der Haftungsgemeinschaft jeweils nur für einen Teil der Gläubigerforderung haften und sie ihre Teilschulden nicht vollständig erfüllen (siehe hierzu unten Rz. 452)10. Handelt es sich um eine Ausfallbürgschaft, kann der Gläubiger in der Insolvenz des 430c Hauptschuldners nicht parallel den Ausfallbürgen in Anspruch nehmen, da sich erst nach Abschluss des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners beurteilen lässt, ob und in welcher Höhe er ausgefallen ist. Eine während des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners gegen den Ausfallbürgen erhobene Klage ist daher i.d.R. verfrüht und abzuweisen11.
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Hinweis: 431 Zu beachten ist allerdings die Ausnahmeregelung in § 773 Abs. 2 BGB, nach der sich der Bürge auf die Einrede der Vorausklage trotz des eröffneten Insolvenzverfahrens berufen kann, soweit dem Gläubiger noch ein Mobiliarsicherungsrecht
1 Knof in Uhlenbruck, InsO, § 43 Rz. 4; Bornemann in Frankfurter Kommentar, InsO, § 43 Rz. 7. 2 Schmidt/Bitter, ZIP 2000, 1077 (1079 ff.). 3 Sowohl echte als auch unechte Gesamtschuld, vgl. Lwowski/Bitter, InsO, § 43 Rz. 5; Henckel in Jaeger, InsO, 2004, § 43 Rz. 9. 4 Eickmann in HK-InsO, § 43 Rz. 4. 5 Noack/Bunke in FS Uhlenbruck, 2000, 335 (339 f.); BT-Drucks. 12/2443, S. 124. 6 Hess, InsO, 1995, § 43 Rz. 3, 15; zu den Rechtswirkungen des außergerichtlichen Vergleichs zwischen Bürgschaftsgläubiger und Insolvenzverwalter vgl. BGH v. 1.10.2002 – IX ZR 443/00, NJW 2003, 59. 7 Bornemann in Frankfurter Kommentar, InsO, § 43 Rz. 2. 8 Lüdtke in Hamburger Kommentar zur InsO, § 43 Rz. 12 f. 9 Noack/Bunke in FS Uhlenbruck, 339 (342) m.w.N. 10 Lüdtke in Hamburger Kommentar zur InsO, § 43 Rz. 13. 11 MünchKommInsO/Bitter, § 43 Rz. 9; Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 68 Rz. 4e.
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§7
Rz. 432
Beratung des gesicherten Glubigers
an einer Sache des Hauptschuldners zur Befriedigung zusteht, das er im Wege der Absonderung im Insolvenzverfahren geltend machen könnte. 432 Da der Bürge die Einrede der Vorausklage im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Hauptschuldners verliert, haftet er nunmehr neben dem Hauptschuldner auf dieselbe Leistung. Mithin kann der gesicherte Gläubiger von dem Bürgen dieselbe Leistung fordern, die ihm der Hauptschuldner schuldig geblieben ist. Dazu zählen auch die Zinsen einschließlich der Verzugszinsen, deren Einordnung in den Nachrang im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Hauptschuldners (§ 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO) den Gläubiger insoweit unberührt lässt, als er seine Zinsansprüche außerhalb des Insolvenzverfahrens durchsetzen kann, wie dies bei der Bürgschaft der Fall ist1. 433 Die Inanspruchnahme des Bürgen im Fall der Insolvenz des Hauptschuldners ist davon abhängig, dass die allgemeinen Anspruchsbedingungen erfüllt sind, sprich die verbürgte Forderung muss fällig und der Gläubiger darf durch den Schuldner noch nicht befriedigt worden sein. 434 Die Fälligkeit der Hauptforderung kann durch Ablauf der vereinbarten Frist, durch Kündigung seitens der Bank oder des Kreditnehmers sowie kraft Gesetzes durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 41 InsO) eintreten. Die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots im Antragsverfahren reicht zur Fälligstellung der Forderung nicht aus. Während die Fälligkeit aufgrund Fristablaufs oder Kündigung stets auch gegenüber dem Bürgen Wirkung entfaltet, gilt es für die Rechtsfolgen der kraft Gesetzes eintretenden Fälligkeit zu unterscheiden, ob es sich um einen Kontokorrentkredit oder um einen Tilgungskredit handelt. – Handelt es sich um einen Tilgungskredit des Insolvenzschuldners, tritt mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über dessen Vermögen gemäß § 41 InsO die Fälligkeit des Kredits ein. § 41 InsO sieht nämlich auch betagte Forderungen mit der Eröffnung des Verfahrens als fällig an. Zu beachten gilt es hier jedoch, dass § 41 InsO nur das Verhältnis zwischen dem Insolvenzgläubiger und der Insolvenzmasse betrifft, nicht hingegen das Verhältnis zu Dritten wie dem Bürgen. Die Vorschrift will nämlich nur die Schuldenbereinigung im Rahmen des Insolvenzverfahrens durch die Einbeziehung betagter Forderungen fördern und dadurch jeden Fälligkeitsaufschub ausräumen. Den Gläubigern betagter Forderungen sollen die Mittel zur Befriedigung ihrer betagten Ansprüche nicht bereits vorweg entzogen werden und die Beträge sollen auch nicht bis zu ihrer Fälligkeit zurückbehalten werden müssen. Daher erstreckt sich die Fälligkeit nicht auch auf die Ansprüche des Gläubigers gegen den Bürgen. – Will der Gläubiger bei Vorliegen eines Tilgungskredits auch den Bürgen in Anspruch nehmen, ist insoweit der Ausspruch einer Kündigung zur Fälligstellung erforderlich. – Handelt es sich um eine Forderung aus einem Kontokorrentkredit, so werden die Forderungen mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens ebenfalls kraft Gesetzes durch das Erlöschen des Kontokorrentverhältnisses fällig (§§ 116 i.V.m. 115 InsO)2. Dabei beschränkt sich die Wirkung dieser Fälligkeit nicht auf die am Insolvenzverfahren beteiligten Parteien, vielmehr erlöschen die in § 116 InsO genannten Verträge schlechthin und damit nicht nur gegenüber der Masse, sondern auch gegenüber dem Insolvenzschuldner. Dadurch wird die besicherte Kreditforderung aufgrund der bestehenden Akzessorietät auch im Verhältnis zum Bürgen fällig3 (zu den §§ 115, 116 InsO vgl. § 8 Rz. 273 ff.). – Um sämtlichen Einwänden des Bürgen und sonstigen Rechtsunsicherheiten vorzubeugen, empfiehlt es sich, rein vorsorglich auch bei diesen Krediten eine Kündigung auszusprechen4. 1 Obermüller, NZI 2001, 225 m.w.N. 2 BGH v. 13.11.1990 – IX ZR 217/89, ZIP 1991, 155 (156); OLG Jena v. 5.4.2005 – 5 U 529/04, ZInsO 2005, 550 (551 f.). 3 Obermüller, NZI 2001, 225 (226). 4 Obermüller, NZI 2001, 225 (226).
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Personalsicherheiten
Rz. 440
§7
Liegen die Voraussetzungen einer Inanspruchnahme des Bürgen vor, steht es dem 435 Gläubiger frei, den Bürgen auf Zahlung in Anspruch zu nehmen, ohne vorher gegen den Hauptschuldner gerichtlich vorzugehen oder etwa den Ausgang des Insolvenzverfahrens abzuwarten. Dies entspricht dem Leitbild des § 773 Abs. 1 Nr. 3 BGB.
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Hinweis: 436 Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass der Gläubiger auch bei Vorliegen einer selbstschuldnerischen Bürgschaft regelmäßig für verpflichtet gehalten wird, den Hauptschuldner zunächst erfolglos unter Fristsetzung zur Zahlung aufzufordern, um den Bürgen sodann, nach fruchtlosem Fristablauf, in Anspruch nehmen zu können. Die Zahlungsaufforderung muss aber jedenfalls dann als entbehrlich angesehen werden, wenn der Hauptschuldner einen Insolvenzantrag gestellt hat, ein allgemeines Verfügungsverbot gegen ihn angeordnet oder sogar bereits das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet worden ist.
Haftet für die durch die Bürgschaft abgesicherte Forderung zusätzlich eine Sachsi- 437 cherheit mit Absonderungskraft und beruft sich der Bürge nicht auf § 773 Abs. 2 BGB, so mindert der Erlös aus der Verwertung des Absonderungsguts abzügl. der Kostenbeiträge grundsätzlich die Hauptforderung und damit den Umfang der Bürgschaft. Dies gebietet das Akzessoritätsprinzip (§ 767 Abs. 2 BGB). Verwertet der Insolvenzverwalter einen Gegenstand in der Weise, dass ihn der absonderungsberechtigte Gläubiger übernimmt (§ 168 Abs. 3 InsO; vgl. hierzu oben Rz. 308), wird ein durch die Weiterveräußerung erzielter Mehrerlös zwar nicht auf die Insolvenzforderung des gesicherten Gläubigers angerechnet, sehr wohl aber im Verhältnis zu einem für die Hauptforderung zusätzlich haftenden Bürgen berücksichtigt. D.h., der Gläubiger kann den Bürgen in Höhe des durch die Weiterveräußerung nach Abzug der Kosten erlangten Mehrerlöses nicht in Anspruch nehmen. Dies gebieten der Schutz des Bürgen sowie die Regelungen der §§ 767 Abs. 1 Satz 3, 776 BGB1. Dieses Verwertungsszenario ist damit nicht anders zu behandeln als eine Sicherheitenaufgabe im Sinne des erwähnten § 776 BGB. Eine solche Sicherheitenfreigabe dürfte im Übrigen auch dann vorliegen, wenn Insol- 438 venzverwalter und gesicherter Gläubiger über die Pauschalsätze nach § 171 InsO hinausgehende Kostenbeiträge zu Gunsten der Masse vereinbaren. Dies hätte zur Konsequenz, dass ein Bürge bei einer Inanspruchnahme aus der Bürgschaft wegen der zumindest teilweisen Sicherheitenaufgabe die Einrede aus § 776 BGB gegenüber dem gesicherten Gläubiger einwenden kann2.
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Hinweis für den Abschluss von Verwertungsvereinbarungen: 439 Insolvenzverwalter und Sicherungsgläubiger sind daher gut beraten, die Interessen weiterer (Dritt-)Sicherungsgeber zu berücksichtigen und sorgsam zu überprüfen, ob diesen gegenüber Treuepflichten im Hinblick auf die Aufgabe anderweitiger Sicherheiten bestehen. Dann nämlich könnte die Einbindung solcher (Dritt-)Sicherungsgeber ratsam sein. Eine für die Praxis ratsame Alternative könnte darin bestehen, die vereinbarten Kostenbeiträge mit einem erhöhten Aufwand und damit einem Fall des § 171 Abs. 2 Satz 2 InsO zu rechtfertigen. Ebenso empfiehlt sich die Dokumentation möglicher Anfechtungsrisiken, infolge derer die Vereinbarung eines über die Pauschalsätze hinausgehenden Kostenbeitrags gerechtfertigt war.
(b) Zahlungen des Bürgen Erbringt der Bürge seinerseits Zahlungen, so kommt es für die Wirkung seiner Zah- 440 lung entscheidend darauf an, ob er seine Leistung vor (Rz. 442) oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Rz. 447) über das Vermögen des Hauptschuldners erbringt.
1 BGH v. 3.11.2005 – IX ZR 181/05, ZInsO 2005, 1270 (1272 f.). 2 OLG Dresden v. 15.5.2003 – 18 W 361/03, WM 2003, 2137 m. krit. Anm. Tetzlaff, EWiR 2003, 1259 f.
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§7
Rz. 441
Beratung des gesicherten Glubigers
441 Zahlt der Bürge bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners an den Gläubiger und befriedigt er diesen in voller Höhe, gehen die – verbürgte Forderung sowie – die für sie bestellten akzessorischen Sicherheiten kraft Gesetzes auf den Bürgen über (§§ 774, 401 BGB). In dem späteren Insolvenzverfahren steht es dem Bürgen sodann frei, die auf ihn übergegangene Forderung des Gläubigers gegen den Hauptschuldner unbeschränkt geltend zu machen und entsprechend zur Tabelle anzumelden1. Nachdem der Gläubiger in diesem Fall bereits in voller Höhe seiner Forderung befriedigt ist, steht einer Forderungsanmeldung durch ihn das Verbot der Doppelanmeldung durch Gläubiger und Bürgen gemäß § 44 InsO nicht mehr entgegen2. Allein der Bürge nimmt in Höhe der übergegangenen Forderung uneingeschränkt am Insolvenzverfahren teil. 442 Soweit der Bürge den Gläubiger vor der Insolvenzeröffnung nur bezüglich einer Teilforderung befriedigt hat, können beide, der Gläubiger sowie der Bürge, an dem Insolvenzverfahren teilnehmen3. Der Gläubiger muss sich die bereits erhaltene Teilleistung auf seine Forderung anrechnen lassen und kann nur die ihm verbliebene Restforderung im Insolvenzverfahren anmelden4. Der Bürge selbst ist dazu berechtigt, den auf ihn übergegangenen Teil der Forderung ebenfalls im Insolvenzverfahren anzumelden, letztlich darf er den Forderungsübergang im Rahmen der Insolvenzverteilung aber nicht zum Nachteil des Gläubigers ausnutzen (§ 774 Abs. 1 Satz 2 BGB). 443 Dies führt dazu, dass der Bürge die auf ihn entfallende Quote zwar vereinnahmen kann, die vereinnahmte Quote aber insoweit wieder an den Gläubiger herausgeben muss, als dieser durch die Teilnahme des Bürgen an dem Insolvenzverfahren einen Nachteil erlitten hat. Letztlich muss dem Gläubiger die Quote verbleiben, die auf ihn entfallen wäre, wenn der Bürge am Verfahren nicht teilgenommen hätte5. Da der Bürge dadurch aber nur zur Auszahlung des Quotenminderungsbetrags, nicht hingegen zur Herausgabe der erlangten Dividende insgesamt verpflichtet ist, erscheint die zudem bestehende Möglichkeit des Gläubigers, aufgrund seiner noch offenen Restforderung einen Titel gegen den Bürgen zu erwirken und dessen Regressansprüche gegen den Insolvenzschuldner zu pfänden, soweit der Bürge dem Gläubiger seine vereinnahmte Quote bis zur vollständigen Erfüllung der Bürgschaftsforderungen nicht freiwillig überlässt, i.d.R. günstiger6. 444
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Hinweis: Für den Gläubiger bietet es sich i.d.R. an, aufgrund seiner offenen Restforderung einen Titel gegen den Bürgen zu erwirken und dessen Regressansprüche gegen den Insolvenzschuldner zu pfänden, um dadurch seine Befriedigungsquote im Rahmen eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners zu steigern.
445 Der Bürge selber ist zur Teilnahme an dem Insolvenzverfahren über das Vermögen des Hauptschuldners aber nicht verpflichtet, ebenfalls kann ihn der Gläubiger nicht zu einer Teilnahme zwingen. Ob der Bürge letztlich zur Aufbesserung der Quote des Gläubigers beiträgt oder nicht, bleibt mithin seiner freien Entscheidung überlassen, die allerdings bereits durch den Umstand beeinflusst werden dürfte, dass dieser sich weiterhin der noch nicht vollständig bezahlten Bürgschaftsforderung ausgesetzt sieht und diese sich durch eine bessere Insolvenzquote des Gläubigers reduzieren ließe. Sollte die zur Verteilung anstehende Quote ausnahmsweise von wirtschaftlichem 1 Knof in Uhlenbruck, InsO, § 44 Rz. 1, 3; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 44 Rz. 8; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 44 Rz. 2 ff. 2 Knof in Uhlenbruck, InsO, § 44 Rz. 5. 3 Knof in Uhlenbruck, InsO, § 44 Rz. 3; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 44 Rz. 4; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 44 Rz. 8. 4 MünchKommInsO/Bitter, § 43 Rz. 29, § 44 Rz. 28. 5 MünchKommInsO/Bitter, § 44 Rz. 29. 6 MünchKommInsO/Bitter, § 44 Rz. 30.
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Drees/Schmidt
Personalsicherheiten
Rz. 449
§7
Interesse sein, so kann der Gläubiger die Teilzahlung gemäß § 266 BGB auch zurückweisen und die Verfahrenseröffnung abwarten, um sodann die volle Forderung zur Tabelle anzumelden.
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Hinweis: 446 Bei dieser Überlegung ist seitens des Gläubigers allerdings zu berücksichtigen, dass das Risiko der Zahlungsunfähigkeit des Bürgen im Laufe der Zeit möglicherweise zunimmt, so dass die Annahme der Teilzahlung gegenüber den Vorteilen einer höheren Quote eventuell günstiger sein kann.
Unabhängig von dieser Differenzierung gilt: Zahlungen von Bürgen auf das Kon- 446a tokorrentkonto der Schuldnerin führen zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des Schuldners in Form einer Gutschrift (Gutschrift als Saldoanerkenntnis gemäß §§ 781, 812 Abs. 2 BGB), da es sich bei solchen Zahlungen um Leistungen des Bürgen an das Kreditinstitut handelt. Gelingt dem späteren Insolvenzverwalter nicht der Nachweis, dass den Zahlungen ein anderer Rechtsgrund als die Bürgenverpflichtung zugrunde lag, so können Kreditinstitute die Gutschriften insolvenzfest verrechnen. Einem Anfechtungsanspruch kann die Einrede der ungerechtfertigten Bereicherung des Schuldners (§§ 821, 812 Abs. 2 BGB) entgegengehalten werden1. Soweit der Bürge den Gläubiger im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens 447 noch nicht befriedigt hat, kann und wird der Gläubiger seine Forderung in voller Höhe zur Tabelle anmelden. Leistet der Bürge nach Verfahrenseröffnung Zahlungen, so hindern diese den Gläubiger gemäß § 43 InsO nicht daran, seine Forderung unabhängig von der geleisteten Teilzahlung in Höhe ihres Standes bei Verfahrenseröffnung anzumelden und auch in dieser Höhe seiner Forderung an dem Verfahren teilzunehmen2. Der BGH formuliert in seiner Entscheidung v. 11.12.2008 ausdrücklich: „Sofern Zahlungen von Mithaftenden des Schuldners nicht zur vollen Befriedigung eines Insolvenzgläubigers geführt haben, nimmt dieser mit dem vollen Berücksichtigungsbetrag am Insolvenzverfahren teil.“ Dabei ist dieser Betrag nicht nur für die Anmeldung, sondern auch für sein Stimmrecht und die Verteilung maßgeblich, womit auch seine Mitwirkungsrechte im Verfahren von den Zahlungen des Bürgen nach Verfahrenseröffnung unberührt bleiben3. Eine Quotenkürzung tritt erst dann ein, wenn die Quote zusammen mit den Teilzahlungen des Bürgen den Gesamtbetrag seiner Forderung übersteigt4. Der Bürge selbst kann seine Regressansprüche, die ihm wegen einer teilweisen Leis- 448 tung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erwachsen (§ 774 Abs. 1 BGB), bis zur vollständigen Befriedigung des Gläubigers nicht anmelden (§ 44 InsO)5. Dabei kommt es auf die Höhe des offenen Restbetrags nicht an. Wird die auf die Gesamtforderung entfallende Quote nicht zur vollen Befriedigung des Gläubigers benötigt, besteht für den Bürgen ein Zugriffsrecht im Hinblick auf den überschießenden Betrag6. Hat der Bürge seinerseits den Gläubiger nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens voll 449 befriedigt, scheidet der Gläubiger aus dem Verfahren aus und der regressberechtigte Bürge kann nunmehr die Forderung im Insolvenzverfahren geltend machen, soweit diese nach § 774 BGB auf ihn übergegangen ist. Für eine Anwendung des § 44 InsO, der dem Schutz des ursprünglichen, nunmehr aber befriedigten Gläubigers dient, 1 OLG Celle v. 5.4.2005 – 5 U 529/04, ZInsO 2005, 550 (551). 2 BGH v. 11.12.2008 – IX ZR 156/07, NZI 2009, 167; Bornemann in Frankfurter Kommentar, InsO, § 43 Rz. 9; MünchKommInsO/Bitter, § 44 Rz. 23; Knof in Uhlenbruck, InsO, § 44 Rz. 6; Bitter, ZInsO 2003, 490 m.w.N. Andere Auffassung insbesondere der BGH v. 19.12.1996 – IX ZR 18/96, NJW 1997, 1014 und Eickmann in HK-InsO, § 43 Rz. 11. 3 Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 43 Rz. 10; Bornemann in Frankfurter Kommentar, InsO, § 43 Rz. 9. 4 Obermüller, NZI 2001, 225 (226); Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 43 Rz. 10a. 5 BGH v. 11.10.1984 – IX ZR 80/83, NJW 1985, 1159; BGH v. 19.12.1996 – IX ZR 18/96, ZIP 1997, 372; Knof in Uhlenbruck, InsO, § 44 Rz. 1, 3; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 43 Rz. 11; Obermüller, NZI 2001, 225 (226). 6 Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 44 Rz. 5; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 44 Rz. 8.
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§7
Rz. 450
Beratung des gesicherten Glubigers
verbleibt in diesem Fall kein Raum1. Allerdings ist die Geltendmachung nur insoweit statthaft, als der Bürge im Innenverhältnis auch einen Ausgleich vom Insolvenzschuldner zu fordern berechtigt ist. Da die Forderung des Gläubigers auf den Rückgriffsberechtigten übergeht und dieser mithin dieselbe Forderung geltend macht, bedarf es einer erneuten Anmeldung zur Tabelle nicht2. Die Rechtsnachfolge ist allerdings auf entsprechende Anzeige und Nachweis seitens des Bürgen in der Tabelle zu vermerken3. 450 Bestehen zwischen dem Gläubiger und dem Bürgen Streitigkeiten über die Höhe der Zahlungspflicht und führen diese dazu, dass auch der Bürge seine Forderung im Verfahren mit der Begründung anmeldet, er habe den Gläubiger bereits vollständig befriedigt, sind diese außerhalb des Insolvenzverfahrens zu klären (§ 179 InsO)4. Insoweit ist im ordentlichen Verfahren Klage auf Feststellung gemäß § 180 InsO zu erheben. Die Zuständigkeit des Amts- bzw. Landgerichts am Ort des Insolvenzgericht ergibt sich aus § 180 Abs. 1 Satz 1 und 2 InsO. 451 Steht im Rahmen des Insolvenzverfahrens bereits eine Abschlags- oder Schlussverteilung an, so hat der Gläubiger, soweit seine Forderung aufgrund des Widerspruchs des Bürgen nicht festgestellt werden konnte, innerhalb der Ausschlussfrist von zwei Wochen nach der öffentlichen Bekanntmachung der Verteilung dem Insolvenzverwalter die Erhebung der Feststellungsklage nach § 189 InsO nachzuweisen. Soweit der Nachweis geführt wurde, wird der auf die Forderung entfallende Teil für die Dauer des Rechtsstreits zurückbehalten5. 452 Auch auf das Verhältnis von Hauptschuldner und Teilbürge finden die §§ 43, 44 InsO Anwendung, dann jedoch beschränkt auf den Teil, für den die Gesamthaftung besteht6. Hat der Bürge lediglich eine Teilbürgschaft übernommen und nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners den vollen Bürgschaftsbetrag gegenüber dem Gläubiger ausgeglichen, wird lebhaft gestritten, ob der Gläubiger seine Forderungsanmeldung in Höhe des empfangenen Betrags zurücknehmen muss. Berücksichtigt man, dass in Höhe des ihm nunmehr noch zustehenden Betrags keine Gesamthaftung mehr besteht, wäre eine Rücknahme konsequent. Die (noch7) h.M. verlangt eine solche daher auch8. Nach einer im Vordringen befindlichen Ansicht endet die Anwendbarkeit des § 43 InsO erst, wenn der Gläubiger vollständig befriedigt ist9. Um die wesentlich praktikablere Anwendung des § 43 InsO sicherzustellen, empfehlen sich formularvertragliche Vorkehrungen, deren Wirksamkeit sich an den §§ 305 ff. InsO messen lassen müssen. 453 Andernfalls steht es dem Bürgen frei, seine Regressansprüche entsprechend anzumelden, weil die gebotene Kürzung der Gläubigeranmeldung es gestattet, den Rückgriffsanspruch neben der restlichen Forderung des Gläubigers zu berücksichtigen10. Für eine Anwendung der §§ 43, 44 InsO verbliebe dann kein Raum11. Hat der Bürge auf die Teilbürgschaft hin nur einen Teilbetrag der verbürgten Forderung beglichen, so gelten bezogen auf den verbürgten Teil der Gläubigerforderung die oben zur Teilzahlung gemachten Ausführungen entsprechend.
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Knof in Uhlenbruck, InsO, § 44 Rz. 9; Hess, InsO, 1995, § 44 Rz. 9 m.w.N. Knof in Uhlenbruck, InsO, § 44 Rz. 8; MünchKommInsO/Bitter, § 44 Rz. 21. MünchKommInsO/Bitter, § 44 Rz. 21. MünchKommInsO/Bitter, § 44 Rz. 20. Obermüller, NZI 2001, 225 (226). Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 43 Rz. 9; Hess, InsO, 1995, § 44 Rz. 5. So die Bewertung der aktuellen Meinungsbildung von Lüdtke in Hamburger Kommentar zur InsO, § 43 Rz. 13. BGH v. 19.12.1996 – IX ZR 18/96, NJW 1997, 1014 noch zu § 68 KO; Eickmann in HK-InsO, § 43 Rz. 4. MünchKommInsO/Bitter, § 43 Rz. 30 f.; Bitter, ZInsO 2003, 490; Henckel in Jaeger, InsO, 2004, § 43 Rz. 17. Obermüller, NZI 2001, 225 (227). Bornemann in Frankfurter Kommentar, InsO, § 43 Rz. 7.
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Drees/Schmidt
Personalsicherheiten
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Rz. 458
§7
454 Hinweis für die Gestaltung von Sicherheitenverträgen: Sicherungsgläubiger sind mit Rücksicht auf diese Unsicherheiten gut beraten, durch AGB-Klauseln die bei Anwendung der herrschenden Meinung erforderliche Rücknahme der Forderungsanmeldung zu umgehen, indem sie klarstellen, dass die Rechte des Gläubigers erst nach seiner vollständigen Befriedigung auf den Sicherungsgeber übergehen und die Zahlungen bis dahin nur als Sicherheit gelten1.
(c) Rückgriffsansprüche des Bürgen Neben dem Gläubiger ist es dem Bürgen gemäß § 44 InsO grundsätzlich verwehrt, 455 seine Rückgriffsforderungen, die bereits mit Abschluss des Bürgschaftsvertrags in aufschiebend bedingter Form entstehen, mit den Einschränkungen der §§ 238 Abs. 1 Satz 3, 77 Abs. 2 und 3 Ziff. 1 und 191 InsO im Insolvenzverfahren anzumelden2. Seine Teilnahme hätte zur Folge, dass ein und dieselbe Forderung mehrfach in dem Verfahren geltend gemacht würde, da die Forderung des Gläubigers gegen den Hauptschuldner sowie die Rückgriffsforderung des Bürgen, die dieser durch Befriedigung des Gläubigers erlangen würde, zumindest bei wirtschaftlicher Betrachtung identisch sind3. Demnach ist der Bürge, soweit er gegenüber dem Gläubiger noch keine Zahlungen erbracht hat, grundsätzlich daran gehindert, seine aufschiebend bedingten Regressansprüche im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Hauptschuldners geltend zu machen (§ 44 InsO). Im Insolvenzplanverfahren wird der Schuldner gegenüber dem Bürgen bzw. dessen Rückgriffsanspruchs in gleicher Weise befreit wie gegenüber dem Gläubiger (§ 254 Abs. 2 Satz 2 InsO). (d) Absonderungsrechte des Bürgen Soweit dem regressberechtigten Bürgen z.B. aufgrund einer dinglichen Sicherung 456 des Rückgriffsanspruchs zugleich ein Recht auf abgesonderte Befriedigung gegenüber der Insolvenzmasse zusteht, findet § 44 InsO im Hinblick auf dieses Absonderungsrecht keine Anwendung4. Lediglich sein Recht als Insolvenzgläubiger wird durch § 44 InsO beschränkt, soweit der Bürge nur sein Absonderungsrecht geltend macht, kann er dies ohne die Beschränkung des § 44 InsO tun. Der Bürge kann daher aus diesem Sicherungsrecht auch dann Befriedigung suchen, wenn der Hauptgläubiger noch nicht voll befriedigt ist und daher weiter nach § 43 InsO in voller Höhe seiner Forderung am Insolvenzverfahren über das Vermögen des Hauptschuldners teilnimmt5. (2) Insolvenz des Bürgen Für den Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Bürgen 457 ist zwischen dem Fall der alleinigen Insolvenz des Bürgen (Rz. 458 ff.) und dem Fall, dass sowohl der Bürge als auch der Hauptschuldner insolvent werden (Rz. 463 ff.), zu differenzieren. (a) Alleinige Insolvenz des Bürgen Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Bürgen führt nicht 458 zur Fälligkeit der Bürgschaftsforderung, solange der Hauptschuldner selbst seinen Verpflichtungen fristgerecht nachkommt. Wird das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Bürgen eröffnet, kann der Gläubiger die Bürgschaftsforderung als Eventu-
1 Lüdtke in Hamburger Kommentar zur InsO, § 43 Rz. 14 unter Hinweis auf MünchKommInsO/ Bitter, § 43 Rz. 32 und BGH v. 30.10.1984 – IX ZR 92/83, NJW 1985, 614. 2 Knof in Uhlenbruck, InsO, § 44 Rz. 2; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 44 Rz. 1 f. 3 BT-Drucks. 12/2443, S. 124; vgl. auch Bornemann in Frankfurter Kommentar, InsO, § 44 Rz. 1; MünchKommInsO/Bitter, § 44 Rz. 1. 4 Knof in Uhlenbruck, InsO, § 44 Rz. 12; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 44 Rz. 4; MünchKommInsO/Bitter, InsO, § 44 Rz. 31. 5 Knof in Uhlenbruck, InsO, § 44 Rz. 6; MünchKommInsO/Bitter, § 44 Rz. 31.
Drees/Schmidt
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§7
Rz. 459
Beratung des gesicherten Glubigers
alforderung anmelden1. Steht dem insolventen Bürgen die Einrede der Vorausklage zu, kann der Gläubiger die Bürgschaftsforderung daher als aufschiebend bedingte Forderung und zwar durch den Ausfall beim Hauptschuldner aufschiebend bedingte Insolvenzforderung (§ 191 InsO) geltend machen, und zwar in Höhe des Ausfalls2. Die Einrede der Vorausklage würde erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners gemäß § 773 Abs. 1 Nr. 3 BGB entfallen. 459 Wird eine Abschlagsverteilung vorgenommen, ist die Eventualforderung in Höhe ihres vollen Betrags zu berücksichtigen. Der auf sie entfallende Betrag kommt allerdings nicht zur Auszahlung, sondern wird gemäß § 191 Abs. 1 InsO bei der Verteilung zurückbehalten. 460 Im Rahmen der vorzunehmenden Schlussverteilung findet die Bürgschaft in Höhe des Betrags Berücksichtigung, der auf die unbedingte Forderung bei einer berechtigten Inanspruchnahme des Bürgen entfallen würde, soweit der Insolvenzverwalter nicht nachweist, dass der Bedingungseintritt entsprechend § 191 Abs. 2 InsO so weit entfernt liegt, dass der bedingten Forderung kein gegenwärtiger Vermögenswert zugeschrieben werden kann3. Kommt der bedingten Forderung bereits ein Vermögenswert zu, werden die auf sie entfallenden Anteile hinterlegt und bei Bedingungseintritt an den Gläubiger ausgezahlt. Entfällt die Auszahlung aufgrund des Bedingungsausfalls, wird der hinterlegte Betrag für eine Nachtragsverteilung frei. 461 Hat sich der Bürge hingegen selbstschuldnerisch verbürgt oder entfällt die Einrede der Vorausklage aus einem sonstigen Grund (§§ 773 BGB, 349 HGB), kommt es zu einer Haftung des Bürgen neben dem Hauptschuldner, so dass der Grundsatz der Doppelberücksichtigung gemäß § 43 InsO Anwendung findet4. Eine noch nicht fällige Forderung wird in diesem Fall nach § 41 InsO vorzeitig gegenüber dem Bürgen fällig gestellt5. Der Gläubiger kann in der Bürgeninsolvenz sodann die im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch bestehende Forderung in voller Höhe anmelden. Zwischenzeitliche Zahlungen des Hauptschuldners oder anderer Mitverpflichteter berühren die Forderungsfeststellung nicht. Letztlich darf der Gläubiger einschließlich der zwischenzeitlichen Zahlungen nur nicht mehr erhalten, als ihm zu seiner vollen Befriedigung zusteht (siehe hierzu oben Rz. 429, 441). 462 In dem über das Vermögen des Ausfallbürgen eröffneten Insolvenzverfahren kann der Gläubiger die Bürgschaftsforderung als durch den Ausfall im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Hauptschuldners aufschiebend bedingte Forderung anmelden6. (b) Insolvenz des Bürgen und des Hauptschuldners 463 Werden sowohl der Bürge als auch der Hauptschuldner insolvent, kann der Gläubiger an beiden Insolvenzverfahren partizipieren und in beiden Verfahren seine Forderung jeweils in der gesamten Höhe, die ihr im Zeitpunkt der jeweiligen Insolvenzeröffnung zuzuschreiben ist, anmelden und die entsprechende Quote vereinnahmen7. Gemäß § 43 InsO haften beide, der Hauptschuldner sowie der Bürge, jeweils voll für die Befriedigung des Gläubigers8. Eine Kürzung der Quote findet erst dann statt, wenn die Summe der Insolvenzquoten aus beiden Insolvenzverfahren die Höhe der
1 Obermüller, NZI 2001, 225 (228) m.w.N.; Smid/Leonhardt in Leonhard/Smid/Zeuner, InsO, § 43 Rz. 4. 2 Knof in Uhlenbruck, InsO, § 43 Rz. 4; MünchKommInsO/Bitter, § 43 Rz. 11; Obermüller, NZI 2001, 225 (228). 3 Obermüller, NZI 2001, 225 (228). 4 MünchKommInsO/Bitter, § 43 Rz. 11. 5 MünchKommInsO/Bitter, § 43 Rz. 11. 6 Smid/Leonhardt in Leonhard/Smid/Zeuner, InsO, § 43 Rz. 4; Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze, § 68 KO Anm. 3. 7 Knof in Uhlenbruck, InsO, § 43 Rz. 4; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 43 Rz. 3. 8 Bornemann in Frankfurter Kommentar, InsO, § 43 Rz. 1; Bülow, Recht der Kreditsicherheiten, Rz. 783, 779; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 43 Rz. 8.
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Personalsicherheiten
Rz. 466
§7
Gesamtforderung übersteigt1. Die Forderungshöhe ist dabei neben der Anmeldung sowohl für das Stimmrecht als auch die Verteilung bestimmend. Es ist weder eine Kündigung des Kredits noch eine Mahnung mit Fristsetzung gegenüber dem Bürgen oder dem Hauptschuldnererforderlich2. Die Einrede der Vorausklage steht dem Bürgen gemäß § 773 Abs. 1 Nr. 3 BGB hier nicht mehr zu. In dem Insolvenzverfahren über das Vermögen des Ausfallbürgen kann der Gläubiger die Bürgschaftsforderung als durch den Ausfall im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Hauptschuldners bedingte Forderung anmelden3.
464
Mit der Anfechtbarkeit von Zahlungen gemäß §§ 129 ff. InsO in der Doppelinsolvenz 464a des Bürgen sowie des Hauptschuldners hatte sich der BGH auseinanderzusetzen. Das Berufungsgericht hatte die vom Insolvenzverwalter eines Bürgen erklärte Anfechtung einer von diesem an den Hauptschuldner geleisteten Zahlung abgelehnt, da nicht sicher beurteilt werden konnte, ob die Zahlung des Bürgen auf die Hauptschuld oder die Bürgschaft erfolgt sei und damit nicht sicher sei, dass eine Insolvenzgläubigerin Empfängerin der Zahlung gewesen sei. Nach Ansicht des BGH kommt es hierauf nicht an. Die Gläubigerin sei in jedem Insolvenzgläubigerin und zwar unabhängig davon, ob auf die Hauptschuld oder auf die Bürgschaft gezahlt worden ist. In beiden Fällen hätte sie eine Leistung auf eine Insolvenzforderung erhalten4. (3) Insolvenz des Gläubigers Fällt der Gläubiger seinerseits in Insolvenz, so ist der Insolvenzverwalter berechtigt, 465 die Bürgschaftsforderung zugunsten der Insolvenzmasse bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Inanspruchnahme des Bürgen zu realisieren5. Problematisch stellt sich die Situation dann dar, wenn dem Bürgen seinerseits eine Forderung gegen den Gläubiger zusteht und er nach den insolvenzrechtlichen Vorschriften zur Aufrechnung gegenüber dem Insolvenzschuldner berechtigt ist. Durch die Aufrechnung befriedigt der Bürge den Gläubiger als Insolvenzschuldner mit der Folge, dass die gesicherte Forderung gemäß § 774 Abs. 1 BGB auf ihn übergeht und der Bürge seine Ansprüche gegenüber dem Hauptschuldner geltend machen kann. Dadurch wird die Hauptverbindlichkeit der Insolvenzmasse entzogen und der Bürge erhält für seine Gegenforderung statt der quotalen Befriedigung nach Maßgabe der Insolvenzquote eine Befriedigung in voller Höhe. Insoweit stellt sich die Frage, ob der Verwalter der Aufrechnung widersprechen kann6. bb) Schuldbeitritt (1) Haftung des Beitretenden Im Unterschied zur Bürgschaft haftet der Dritte im Rahmen eines Schuldbeitritts au- 466 ßerhalb des Insolvenzverfahrens nicht lediglich akzessorisch für eine fremde Verbindlichkeit, sondern die Verpflichtung des Schuldbeitretenden entwickelt sich vom Zeitpunkt des Beitritts an als eigenständige Verpflichtung gemäß § 422 f. BGB7. Damit steht dem Beitretenden bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Einrede der Vorausklage nicht zu. Der Beitretende haftet von Anfang an neben und nicht nach dem Hauptschuldner. Es handelt sich um einen Fall der freiwillig begründeten Gesamtschuldnerschaft. Daran ändert sich auch aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners nichts.
1 Bornemann in Frankfurter Kommentar, InsO, § 43 Rz. 3; Andres in Nerlich/Römermann, InsO, § 43 Rz. 3. 2 Obermüller, NZI 2001, 225 (227). 3 Smid/Leonhardt in Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 43 Rz. 4; Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 68 Rz. 4e. 4 BGH v. 9.10.2008 – IX ZR 59/07, ZIP 2008, 2183. 5 Zur Frage der Behandlung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern bei masselosen Verfahren vgl. BGH v. 4.7.2002 – IX ZR 97/99, KTS 2003, 111 (114). 6 Vgl. hierzu Bülow, Recht der Kreditsicherheiten, Rz. 784 m.w.N. 7 Vgl. MünchKommBGB/Möschel, Vor § 414 Rz. 21.
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§7
Rz. 467
Beratung des gesicherten Glubigers
467 Auf das Gesamtschuldverhältnis zwischen Hauptschuldner und Beitretenden finden ebenfalls die Vorschriften der §§ 43, 44 InsO Anwendung1. Dadurch wird auch im Insolvenzverfahren dem in § 421 BGB enthaltenen Grundsatz Geltung verschafft, wonach der Gläubiger bis zur vollen Befriedigung seiner Forderung von jedem der Schuldner zu fordern berechtigt ist2. Der Gläubiger kann also im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners seine Forderung uneingeschränkt im Insolvenzverfahren geltend machen, ohne wegen der Mithaft seines anderen Schuldners eine Minderung seiner Insolvenzforderung oder eine Einschränkung seiner insolvenzrechtlichen Mitwirkungsrechte hinnehmen zu müssen3. 467a Gleiches gilt im Insolvenzplanverfahren. Die Rechte der Insolvenzgläubiger gegen Mitschuldner und Bürgen des Schuldners sowie die Rechte dieser Gläubiger an Gegenständen, die nicht zur Insolvenzmasse gehören, werden durch den Insolvenzplan nicht berührt (§ 254 Abs. 2 Satz 1 InsO). Anders verhält es sich mit dem möglichen Innenregress des Schuldners. So wird der Schuldner durch den Plan gegenüber dem Mitschuldner als Rückgriffsberechtigten in gleicher Weise befreit wie gegenüber dem Gläubiger (§ 254 Abs. 2 Satz 2 InsO). 468 Erfolgen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Zahlungen des Dritten, so bleiben diese zunächst unberücksichtigt, da der Schutzzweck des § 43 InsO dem Gläubiger „bis zu seiner vollen Befriedigung“ zuteil werden soll4. Der Schutzzweck des § 43 InsO endet erst in dem Augenblick, in dem der Gläubiger aufgrund der Zahlungen der Mitverpflichteten, gegebenenfalls unter Berücksichtigung der aus dem Insolvenzverfahren erhaltenen Quote, eine Befriedigung erlangt, die den Betrag seiner Forderung übersteigt. Erhält der Gläubiger seitens des Schuldbeitretenden freiwillig oder im Wege der Zwangsvollstreckung – die dieser neben der Teilnahme am Insolvenzverfahren über das Vermögen des Hauptschuldners gegen den Mithaftenden betreiben kann – Zahlungen, die ihn in Höhe seiner gesamten Forderung befriedigen, erfolgt eine Kürzung der Auszahlung seitens des Insolvenzverwalters, um die Überzahlung des Gläubigers zu verhindern5. Der Ausgleich unter den Mitschuldnern erfolgt sodann nach den für deren Rechtsbeziehung geltenden Vorschriften, der die Stellung des Gläubigers jedoch nicht berührt. Der Rückgriffsanspruch gegen den Schuldner wird indes lediglich die Qualität einer Insolvenzforderung haben. Der Rückgriffsberechtigte ist mithin „normaler“ Gläubiger. Dies gilt sowohl für das Regel- als auch das Insolvenzplanverfahren (§ 254 Abs. 2 Satz 2 InsO). 469 Hat der Mitverpflichtete den Gläubiger bereits vor der Verfahrenseröffnung in voller Höhe befriedigt, finden die §§ 43, 44 InsO keine Anwendung, da bereits im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung kein Fall der Mithaft mehr gegeben ist. Der Regressberechtigte kann in diesem Fall von Anfang an in Höhe seiner Regressforderung als Gläubiger am Insolvenzverfahren teilnehmen6. 470 Kam es vor Verfahrenseröffnung zu einer teilweisen Befriedigung des Gläubigers durch den Mithaftenden, so erfolgt auch bereits vor Verfahrenseröffnung der Teilforderungsübergang in entsprechender Höhe auf diesen. Der Gläubiger kann daher nur noch den im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung noch nicht befriedigten Restbetrag seiner Forderung im Insolvenzverfahren anmelden7. 471 Entsprechend dem oben Dargestellten für den Fall der Bürgschaft findet § 43 InsO auch für den Fall einer lediglich teilweisen Mithaft Anwendung, insoweit aber nur für
1 MünchKommInsO/Bitter, § 43 Rz. 5; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 43 Rz. 6. 2 MünchKommInsO/Bitter, § 43 Rz. 1. 3 Bornemann in Frankfurter Kommentar, InsO, § 43 Rz. 2; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 43 Rz. 10; MünchKommInsO/Bitter, § 43 Rz. 33. 4 BGH v. 11.12.2008 – IX ZR 156/07; Bornemann in Frankfurter Kommentar, InsO, § 43 Rz. 9; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 43 Rz. 10; MünchKommInsO/Bitter, § 43 Rz. 33. 5 MünchKommInsO/Bitter, § 43 Rz. 36; Bornemann in Frankfurter Kommentar, InsO, § 43 Rz. 9; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 43 Rz. 10a. 6 MünchKommInsO/Bitter, § 44 Rz. 27. 7 MünchKommInsO/Bitter, § 44 Rz. 28.
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Personalsicherheiten
Rz. 476
§7
den entsprechenden, durch den Schuldbeitritt gesicherten Teilbetrag1. Diese Anwendung des § 43 InsO ist allgemein anerkannt. Umstritten ist – wie auch bei der Bürgschaft – die weitere Anwendung von § 43 InsO, wenn einer der Teilbeträge nach Verfahrenseröffnung in vollem Umfang geleistet wird. Während die wohl h.M. für eine Anwendung des § 43 InsO keinen Raum mehr sieht 471a und als Konsequenz hieraus den Gläubiger verpflichtet sieht, seine angemeldete Forderung um den bereits beglichenen Betrag der Teilmithaftung kürzen2, endet für eine andere Ansicht die Anwendbarkeit des § 43 InsO erst, wenn der Gläubiger vollständig befriedigt ist3. In Kenntnis dieser Unsicherheit sind Sicherungsgläubiger gut beraten, entsprechend dem oben zur Bürgschaft Gesagten (Rz. 447) die Rechte des Gläubigers erst nach seiner vollständigen Befriedigung auf den Sicherungsgeber übergehen und die Zahlungen bis dahin nur als Sicherheit gelten zu lassen4.
471b
(2) Rückgriffsansprüche des Beitretenden Im Falle der Gesamtschuldnerschaft steht dem, neben dem Hauptschuldner Mithaf- 472 tenden, ein aufschiebend bedingter Anspruch gegen den insolventen Hauptschuldner auf Ausgleich der an den Gläubiger gezahlten Beträge zu, welcher sich nach den in deren Innenverhältnis geltenden Vorschriften richtet. Der Ausgleichsanspruch entsteht zwar erst, wenn der Schuldbeitretende den Gläubiger befriedigt und er dabei mehr leistet, als er dazu im Innenverhältnis zum Insolvenzschuldner verpflichtet ist, doch auch die aufschiebend bedingte Forderung könnte bereits im Insolvenzverfahren geltend gemacht und zur Tabelle angemeldet werden (§ 191 InsO). Bei Vorliegen einer Gesamtschuldnerschaft ist jedoch zu berücksichtigen, dass es 473 sich zwar rechtlich gesehen bei der aufschiebend bedingten Rückgriffsforderung des mithaftenden Gesamtschuldners und der Forderung des Gläubigers um zwei unterschiedliche Forderungen handelt. Wirtschaftlich gesehen liegen jedoch, entsprechend der Situation bei Rückgriffsansprüchen des Bürgen, identische Forderungen vor5. Daher untersagt es die Vorschrift des § 44 InsO, dass sowohl der Gläubiger als auch der mithaftende Gesamtschuldner – der Gesamtschuldner lediglich in Form eines aufschiebend bedingten Anspruchs – ihre Ansprüche im Insolvenzverfahren geltend machen6. Dabei berührt der Ausschluss des Regressanspruchs von der Teilnahme am Insolvenzverfahren gemäß § 44 InsO den Bestand der Forderung selbst nicht7. Der Mithaftende kann seine Rückgriffsforderung im Insolvenzverfahren nur dann 474 zur Tabelle anmelden, wenn der Gläubiger seinerseits auf die Geltendmachung seiner Forderung im Insolvenzverfahren verzichtet, z.B. weil er auf die Zahlungsfähigkeit des Mithaftenden vertraut8. Macht der Gläubiger seine Forderung nicht geltend, kann der Mitverpflichtete seinen 475 Rückgriffsanspruch als aufschiebend bedingte Forderung anmelden und unter den, für derartige Forderungen geltenden Beschränkungen, am Verfahren teilnehmen (§ 191 InsO). Ist die Befriedigung des Gläubigers und damit auch die Bedingung bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten, verbleibt für eine Anwendung des § 44
1 Smid/Leonhardt in Leonhard/Smid/Zeuner, InsO, § 43 Rz. 13. 2 BGH v. 19.12.1996 – IX ZR 18/96, NJW 1997, 1014 noch zu § 68 KO; Keller in HK-InsO, § 43 Rz. 11; Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 43 Rz. 4. 3 MünchKommInsO/Bitter, § 43 Rz. 30 f.; Bitter, ZInsO 2003, 490; Henckel in Jaeger, InsO, 2004, § 43 Rz. 17. 4 Lüdtke in Hamburger Kommentar zur InsO, § 43 Rz. 14 unter Hinweis auf MünchKommInsO/ Bitter, § 43 Rz. 32. 5 BT-Drucks. 12/2443, S. 124; MünchKommInsO/Bitter, § 44 Rz. 1. 6 MünchKommInsO/Bitter, § 44 Rz. 6. 7 MünchKommInsO/Bitter, § 44 Rz. 16. 8 Schulz in Frankfurter Kommentar, InsO, § 44 Rz. 1; MünchKommInsO/Bitter, § 44 Rz. 12; Knof in Uhlenbruck, InsO, § 44 Rz. 8.
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Rz. 477
Beratung des gesicherten Glubigers
InsO kein Raum mehr. Die Rückgriffsansprüche nehmen in diesem Fall am Insolvenzverfahren über das Vermögen des Hauptschuldners uneingeschränkt teil1. 477 Hat der Rückgriffsberechtigte seine Rückgriffsforderung hingegen z.B. durch ein Pfandrecht derart abgesichert, dass ihm ein Recht auf abgesonderte Befriedigung zukommt (§ 50 InsO), so findet auf das Recht zur abgesonderten Befriedigung § 44 InsO keine Anwendung, d.h., der Mithaftende ist insoweit frei, seine Sicherungsrechte neben einer Forderungsanmeldung des Gläubigers im selben Insolvenzverfahren geltend zu machen2. cc) Garantien 478 Im Rahmen einer Garantieerklärung verpflichtet sich der Garant gegenüber dem Gläubiger, für einen bestimmten wirtschaftlichen Erfolg oder das Risiko eines zukünftig eintretenden Schadens einzustehen. In den Rechtsfolgen hat der Garantievertrag mit dem Schuldbeitritt im Unterschied zur Bürgschaft gemein, dass eine selbständige Verbindlichkeit begründet wird, die vom weiteren Schicksal der Forderung gegen den Hauptschuldner unabhängig ist. 479 Handelt es sich um eine Garantie „auf erstes Anfordern“, so ist der Gläubiger dem Garanten gegenüber im Falle der Inanspruchnahme nicht zu einem Nachweis der Fälligkeit der Hauptforderung verpflichtet. Es ist ebenfalls unerheblich, ob der Gläubiger vor der Inanspruchnahme des Garanten den Schuldner vergeblich zur Zahlung aufgefordert oder die Forderung gerichtlich beizutreiben versucht hat. Der Garant ist grundsätzlich auf Verlangen zur Zahlung an den Gläubiger verpflichtet, ohne geltend machen zu können, die Forderung sei im Valutaverhältnis nicht entstanden, nicht fällig oder erloschen. Hierfür wäre ein Rückforderungsprozess erforderlich, den nicht nur der Hauptschuldner, sondern auch der Garant anstrengen kann. 480 Allerdings unterliegt das Recht des Gläubigers trotz Vorliegens der formellen Voraussetzungen des Garantiefalls insoweit den Grenzen des Rechtsmissbrauchs, als anzunehmen ist, dass der Gläubiger allein wegen der wirtschaftlichen Krise des Hauptschuldners und nicht wegen des Eintritts des Garantiefalls Zahlung verlangt. Ein Rechtsmissbrauch kann jedoch dann nicht angenommen werden, wenn über das Vermögen des Hauptschuldners ein Insolvenzverfahren eröffnet oder ein allgemeines Verfügungsverbot im Antragsverfahren angeordnet wurde. 481 Die insolvenzrechtlichen Konstellationen bei der gleichzeitigen Mithaft eines Garanten unterscheiden sich im Falle der Insolvenz des Hauptschuldners nur unwesentlich von denen einer Mithaft des Bürgen bzw. des Schuldbeitretenden (Rz. 428 ff. bzw. 466 ff.). Auf diese finden ebenfalls die §§ 43, 44 InsO Anwendung3. Wird der Hauptschuldner mithin insolvent, haften dieser und der Garant nebeneinander im Sinne von § 43 InsO. Der Gläubiger muss sich daher die Zahlungen, die er seitens des Garanten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners erhält, nicht anrechnen lassen, sondern erhält seine Quote im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Hauptschuldners in Höhe des im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bestehenden Forderungsbetrags4. 482 Liegt ein Fall der Doppelinsolvenz vor, kann der Gläubiger seine Forderung in beiden Insolvenzverfahren in voller Höhe anmelden und erhält auch die Quote jeweils auf die volle Forderung, unabhängig davon, welches Verfahren zuerst eröffnet bzw. beendet wird5. Insoweit gilt das oben zur Bürgschaft (Rz. 463 f.) Gesagte entsprechend. 483 Kommt es ausnahmsweise zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Garanten, kann dieser Fall nicht nach den Regeln über den selbstschuldnerischen Bürgen gelöst werden6, soweit es sich nicht um eine „Garantie auf erstes 1 2 3 4 5 6
Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 44 Rz. 8. Holzer in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 44 Rz. 4; Knof in Uhlenbruck, InsO, § 44 Rz. 12. Lüdtke in Hamburger Kommentar zur InsO, § 43 Rz. 10 f. Eickmann in HK-InsO, § 43 Rz. 2 ff. MünchKommInsO/Bitter, § 43 Rz. 8. Lüdtke in Hamburger Kommentar zur InsO, § 43 Rz. 11.
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Personalsicherheiten
Rz. 485
§7
Anfordern“ handelt und die Haftung des Garanten damit durch die Nichterfüllung seitens des Hauptschuldner bedingt ist. Im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Garanten wird die Forderung des Gläubigers – im Gegensatz zu dem Fall einer selbstschuldnerischen Bürgschaft – nicht gemäß § 41 InsO vorzeitig fällig, sondern diese kann nur als durch den Eintritt des Garantiefalls aufschiebend bedingte Forderung angemeldet werden1. Erhält der Gläubiger mithin von dem Hauptschuldner zu dem vertraglich vorgesehenen Fälligkeitszeitpunkt eine Zahlung, kommt eine Geltendmachung des Betrags im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Garanten nicht in Betracht. Insoweit gilt das für den Fall der alleinigen Insolvenz des Bürgen Gesagte entsprechend. dd) Patronatserklärung Ein weiteres persönliches Sicherungsinstrument ist die Abgabe einer so genannten Patronatserklärung. Eine solche ist ein spezielles Sicherungs- aber auch Finanzierungsmittel2, das (Konzernmutter-)Gesellschaften die Möglichkeit eröffnet, Verbindlichkeiten einer von ihr beherrschten (Tochter-)Gesellschaft auf andere Weise als durch die beschriebenen Sicherheiten abzusichern. Der Begriff der Patronatserklärung umfasst eine Vielzahl von Erklärungen, durch die zwar eine Gesellschaft veranlasst werden soll, für die Schulden einer beherrschten Gesellschaft einzustehen, die jedoch mangels Rechtsbindungswillen oftmals keine rechtliche Verpflichtung für die Muttergesellschaft begründen.
484
In Rechtsprechung3 und Literatur4 hat sich die Unterscheidung von so genannten 484a harten und weichen Patronatserklärungen herausgebildet. Letztere beinhaltet allenfalls eine mehr oder weniger solide Vertrauenshaftung, an die im Einzelnen hohe Anforderungen zu stellen und die im Rechtsstreit von derjenigen Partei darzulegen und zu beweisen sind, die aus ihr Vorteile ableitet5. Der Rechtsbindungswille einer harten Patronatserklärung erscheint im Gegensatz 484b dazu klar. Typischer Wortlaut einer solchen6 ist etwa: „Hiermit verpflichtet sich die … als Mehrheitsgesellschafterin (zwecks Abwendung der Überschuldung der …) dafür zu sorgen, dass diese Gesellschaft so geleitet und finanziell gestellt wird, dass sie (stets) in der Lage ist, ihre gegenwärtigen und zukünftigen Verbindlichkeiten zu erfüllen. Auf einen Rückgriff nach Inanspruchnahme durch diese Gesellschaft wird verzichtet.“ Sie beinhaltet nach gefestigter Auffassung eine vertraglich übernommene garantie- 485 ähnliche Ausstattungsverpflichtung für einen Dritten, wobei ein bestimmter Erfolg geschuldet wird7. Erfüllungstauglich ist jede Maßnahme, die insbesondere zu einer Liquiditäts- und/oder Bonitätssicherung des Begünstigten führt. Hierzu gehören nicht nur liquide Mittel wie Geldzufluss etwa durch Darlehen, sondern auch Kapitalerhöhungen und die Bereitstellung von Kreditsicherheiten. Da lediglich aus harten Patronatserklärungen entsprechende Ausstattungsverpflichtungen sicher hergeleitet werden können, soll auf weiche Erklärungen nicht weiter eingegangen werden. Innerhalb der (harten) Patronatserklärungen kann wiederum differenziert werden nach dem Erklärungsempfänger der Patronatserklärung, da diese sowohl gegenüber der – auszustattenden (Tochter-)Gesellschaft („konzerninterne Patronatserklärung“) als auch – einem Gläubiger gegenüber („konzernexterne Patronatserklärung“) abgegeben werden kann.
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MünchKommInsO/Bitter, § 43 Rz. 12. Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.590. BGH v. 8.5.2003 – IX ZR 334/01, ZIP 2003, 1097 (1099) m. zahlr. w.N. Kiethe, ZIP 2005, 646 (647). Küpper/Heinze, ZInsO 2006, 913 ff.; Kiethe, ZIP 2005, 646 (647). Vgl. die Erklärung, wie sie dem OLG München v. 22.7.2004 – 19 U 1867/04, ZIP 2004, 2102 zur Entscheidung vorlag. 7 Rosenburg/Kruse, BB 2003, 641 ff.
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§7
Rz. 486
Beratung des gesicherten Glubigers
486 Bei einer dem Gläubiger gegenüber abgegebenen konzernexternen Patronatserklärung („ … in der Lage ist, ihre gegenwärtigen und zukünftigen Verpflichtungen aus dem Kredit … gegenüber der … fristgemäß zu erfüllen“) handelt es sich um eine einseitige vertragliche Verpflichtung der Patronin, ohne dass ein Vertrag zu Gunsten des Schuldners im Sinne des § 328 Abs. 1 BGB vorliegt. Im Rahmen dieser Ausstattungsverpflichtung kann die Schuldnerin frei über den Einsatz der genannten Maßnahmen (Rz. 485) entscheiden. Anders als bei einer Bürgschaft (Rz. 426 ff.), dem Schuldbeitritt (Rz. 466 ff.) und der Garantie (Rz. 478 ff.) besteht grundsätzlich keine unmittelbare Verpflichtung zur Zahlung an den Gläubiger1. Dies ändert sich jedoch mit der Insolvenz der begünstigten Gesellschaft. Dann besteht Einigkeit darüber, dass sich der Anspruch in einen unmittelbaren Zahlungsanspruch des begünstigten Gläubigers umwandelt2. Die Begründungsansätze für die Umwandlung des Primäranspruchs auf Ausstattung in einen unmittelbaren Zahlungsanspruch sind unterschiedlich. Überwiegend wird von einer Schadensersatzverpflichtung gemäß §§ 280 Abs. 1 und 3, 283 BGB ausgegangen, da die Ausstattungsverpflichtung mit der Insolvenz der Gesellschaft unmöglich geworden ist3. 486a Konzerninterne Patronatserklärungen kommen regelmäßig dann zum Einsatz, wenn die (Tochter-)Gesellschaft in der Krise ist und die Geschäftsführung sich vor der Inanspruchnahme wegen drohender Insolvenzverschleppung schützen möchte4. Für sich genommen begründen solche Verpflichtungen keine Rechte der Gläubiger, sie stellen lediglich ein aufschiebend bedingtes Darlehensversprechen gegenüber der Tochtergesellschaft dar5. Der Geschäftsführung ist hiermit aber nur geholfen, wenn sie sich fortwährend davon vergewissert, ob die Patronin auch tatsächlich in der Lage ist, die bestehende oder mögliche Überschuldung zu beseitigen und die zugesagten Finanzmittel auch einfordert. In der Insolvenz der begünstigten Gesellschaft haftet die Patronin dieser bzw. deren Insolvenzverwalter gegenüber unmittelbar. Haftungsbegründend ist die – spätestens mit Insolvenzeröffnung – verletzte Ausstattungsverpflichtung. Inhaltlich ist der Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung gerichtet. Die Patronin hat den Zustand herzustellen, der bei ordnungsgemäßer Erfüllung ihrer Ausstattungsverpflichtung bestünde, d.h. der Schuldnerin die finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, die sie benötigt, um ihre finanziellen Verpflichtungen gegenüber Dritten zu erfüllen, das Insolvenzverfahren zu beenden und den Geschäftsbetrieb fortzusetzen6. Geltend zu machen ist dieser massezugehörige Anspruch vom Insolvenzverwalter. 486b
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Hinweis: Anders als diese konzerninterne Erklärung schafft eine konzernexterne Patronatserklärung keine eigenen Ansprüche der Tochtergesellschaft gegen die Muttergesellschaft7. Mit Hilfe einer konzerninternen Patronatserklärung, durch die sich die Muttergesellschaft gegenüber ihrer Tochtergesellschaft verpflichtet, dieser die zur Erfüllung ihrer jeweils fälligen Forderungen benötigten Mittel zur Verfügung zu stellen, kann die Zahlungsunfähigkeit der Tochtergesellschaft vermieden werden. Dies setzt jedoch – falls nicht der Tochtergesellschaft ein ungehinderter Zugriff auf die Mittel eröffnet wird – voraus, dass die Muttergesellschaft ihrer Ausstattungsverpflichtung tatsächlich nachkommt. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung des Anwendungsbereichs von Patronatserklärungen in der Krise – Beseitigung von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung – erklärt sich, dass die konzerninterne Patronatserklärung in der Praxis den Regelfall der Kreditsicherung durch einen Patron darstellt. Denn regelmäßig begrün-
1 MünchKommBGB/Habersack, vor § 765 Rz. 50; BGH v. 30.1.1992 – IX ZR 112/91, ZIP 1992, 338 (340). 2 BGH v. 8.5.2003 – IX ZR 334/01, ZIP 2003, 1097 (1099); BGH v. 30.1.1992 – IX ZR 112/91, ZIP 1992, 338 (340); Kiethe, ZIP 2005, 646 (649). 3 Kiethe, ZIP 2005, 646 (649). 4 Küpper/Heinze, ZInsO 2006, 913 (914 f.). 5 Kiethe, ZIP 2005, 646 (649 f.). 6 OLG München v. 22.7.2004 – 19 U 1867/04, ZIP 2004, 2102 (2104). 7 Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 35 Rz. 169.
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Personalsicherheiten
Rz. 486e
§7
den konzernexterne Erklärungen für sich genommen keine eigene Ansprüche und können daher weder eine Zahlungsunfähigkeit noch eine Überschuldung der Tochtergesellschaft beseitigen. Dies kommt vielmehr erst in Betracht, wenn die Patronin ihre gegenüber dem Gläubiger eingegangen Verpflichtungen durch eine Liquiditätsausstattung der Tochtergesellschaft tatsächlich erfüllt1. Von dieser Wirkung im Zusammenhang mit der Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit 486c und Überschuldung im Vorfeld einer Insolvenz ist die Frage (Rz. 486a und 486b) zu unterscheiden, ob sich aus den betreffenden Erklärungen noch in der Insolvenz der Tochtergesellschaft durch deren Insolvenzverwalter bzw. den berechtigten Gläubiger2 gegenüber dem Patron Ansprüche herleiten lassen. Rechtlich gesichert sind solche Ansprüche keineswegs. Dies liegt in erster Linie an einem Urteil des OLG Celle vom 28.6.20003 zum Schicksal einer harten konzerninternen Patronatserklärung in der Insolvenz. Das Gericht konterkarriert die bei Insolvenz der (Tochter-)Gesellschaft von der herrschenden Meinung befürwortete Umwandlung der Ausstattungsverpflichtung in eine unmittelbare Zahlungsverpflichtung, indem es wörtlich ausführt4: „Ein gegebenenfalls zu bejahender Ausstattungsanspruch der Gesellschaft wandelt sich in einem solchen Fall insbesondere nicht in eine Verpflichtung des Erklärenden um, die im Vollstreckungsverfahren befindliche Gesellschaft mit Mitteln zur Befriedigung der Vollstreckungsgläubiger auszustatten.“ Komme es trotz Abgabe einer solchen Patronatserklärung zu einem Insolvenzantrag, könne der verfolgte Unterstützungszweck („Herr … verpflichtet sich gegenüber der Fa. … zur Abwendung der Überschuldung …) entfallen sein. Das ließe den Schluss zu, dass der Sicherungsgeber von seiner Erfüllungsverpflichtung befreit wäre. Wörtlich heißt es in der Entscheidung: „Der Sinn der von der Beklagten abgegebenen Erklärung kann bei verständiger Würdigung des Erklärungsinhaltes, §§ 133, 157 BGB, nur darin gesehen werden, die Gesellschaft lebensfähig zu erhalten, mithin den Eintritt des Vermögensverfalls und die Eröffnung eines Konkurses oder Gesamtvollstreckungsverfahrens zu verhindern. Wenn aus welchen Gründen auch immer dieser mit der Erklärung verbundene Zweck nicht erreicht werden kann oder mit der Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens wie hier vereitelt worden ist, besteht eine den Beklagten treffende Verpflichtung zur weiteren Stützung der Gesellschaft nicht mehr.“ Vor diesem Hintergrund fällt es schwer, die Form der Patronatserklärung als ge- 486d eignetes Sicherungs- und Finanzierungsinstrument zu empfehlen. Dies gilt insbesondere dann, wenn mit Hilfe einer solchen Erklärung ein Ausstattungsanspruch im Überschuldungsstatus zur Abwendung der Überschuldung angesetzt werden soll5. Ungeachtet dieser rechtlichen Unsicherheit vermag das Urteil in der Sache nicht zu überzeugen. Sollte der Ausstattungsanspruch mit der Insolvenz der unterstützten Gesellschaft untergehen, widerspricht dies dem Wesen der Patronatserklärung als Sicherungsmittel, gerade im Fall der Insolvenz des Sicherungsnehmers seine Wirkung zu entfalten. Die Literatur kritisiert das Urteil daher – soweit ersichtlich – erfreulicherweise einhellig6. Ebenso hat sich das OLG München mit seiner Entscheidung vom 22.7.2004 gegen die 486e Rechtsprechung des OLG Celle gewandt und klargestellt, dass ein Untergang der Ausstattungsverpflichtung mit Insolvenzeröffnung der unterstützten (Tochter-)Gesellschaft wegen Zweckvereitelung sinnwidrig sei. Der Sicherungszweck einer Patronatserklärung gebiete das Gegenteil und damit den Fortbestand der Ausstattungsverpflichtung in der Insolvenz bzw. deren Umwandlung in einen Schadensersatzanspruch
1 BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 9/10, ZIP 2011, 1111. 2 Die Geltendmachung durch den Insolvenzverwalter könnte allenfalls die Regelung § 92 InsO rechtfertigen. Deren (analoge) Anwendung wird jedoch abgelehnt, vgl. OLG München v. 22.7.2004 – 19 U 1867/04, ZIP 2004, 2102 (2104 f.) m. zust. Anm. Tetzlaff, EWiR 2005, 31 (32). 3 OLG Celle v. 28.6.2000 – 9 U 54/00, NdsRpfl 2000, 309 (310). 4 OLG Celle v. 28.6.2000 – 9 U 54/00, NdsRpfl 2000, 309 (310). 5 Küpper/Heinze, ZInsO 2006, 913 (914 f.). 6 Tetzlaff, EWiR 2005, 31 (32); Küpper/Heinze, ZInsO 2006, 913 (914 f.); Kiethe, ZIP 2005, 646 (650); Paul, ZInsO 2004, 1327 (1328 f.); Wolf, ZIP 2006, 1885 (1891).
Drees/Schmidt
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§7
Rz. 486f
Beratung des gesicherten Glubigers
– entweder des Insolvenzverwalters (konzerninterne Patronatserklärung) oder des jeweiligen Gläubigers (konzernexterne Patronatserklärung) – wegen Nichterfüllung. Wegen der Abweichung hatte das OLG München die Revision zugelassen, obwohl die Divergenz mit dem OLG Celle nicht die tragenden Gründe der Entscheidung betraf. Die Literatur hat vergeblich auf eine Klarstellung durch den BGH gehofft1. Denn dieser hat sich in seiner als Sportgate bekannt gewordenen Entscheidung vom 8.5.2006 lediglich mit einer ebenfalls streitbefangenen Verlustdeckungszusage befasst (Rz. 486f) und die Gelegenheit verpasst, diese für die Beratungspraxis immens wichtige Frage zu klären2. 486f Das Gericht hätte hierfür lediglich den für schuldrechliche Verlustdeckungszusagen bejahten Fortbestand in der Insolvenz der (Tochter-)Gesellschaft obiter dicta auf Patronatserklärungen ausweiten müssen. Dies hat es jedoch nicht getan. Teile der Literatur versuchen nun aus der Vergleichbarkeit von schuldrechtlichen Verlustdeckungszusagen auch für harte Patronatserklärungen den Fortbestand der Ausstattungsverpflichtung in der Insolvenz zu bejahen3. Dies mag ein fruchtbarer Erklärungsansatz sein, der jedoch die Bedenken, die Patronatserklärung als Sicherungsinstrument zu empfehlen, nicht ausräumen kann. 486g Vor diesem Hintergrund konzentriert sich die Kreditpraxis auf die Möglichkeit der Kündigung. Eine Entwicklung, die sich bereits im Zusammenhang mit dem Urteil des OLG München abzeichnete. Wirksamkeit und Anfechtbarkeit der Kündigung nach den §§ 129 ff. InsO – dies waren die bestimmenden Fragestellungen, nachdem in der Insolvenz der Fortbestand des gegen den Patron gerichtete Ausstattungsanspruch bzw. eine Schadensersatzpflicht drohte. Fehlt ein Kündigungsrecht, so dürfte sich der Patron durch das bloße Lossagen kaum seiner Ausstattungspflicht entziehen können. Besteht ein Kündigungsrecht, so stellt sich die Frage nach der Anfechtbarkeit der hierauf gestützten Erklärung. In seinem unter STAR 21 bekannt gewordenen Urteil v. 20.9.2010 begegnete der BGH der Möglichkeit einer Kündigung sehr großzügig. Verspreche eine Muttergesellschaft in einer (Patronats-)Erklärung gegenüber ihrer bereits in der Krise befindlichen Tochtergesellschaft, während eines Zeitraums, der zur Prüfung der Sanierungsfähigkeit erforderlich ist, auf Anforderung zur Vermeidung von deren Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung deren fällige Verbindlichkeiten zu erfüllen, könne diese Erklärung mit Wirkung für die Zukunft gekündigt werden, wenn die Parteien nach den Umständen des Einzelfalles ein entsprechendes Kündigungsrecht vereinbart haben4. 486h Der Wirksamkeit der Kündigung einer solchen konzernintern getroffenen Vereinbarung stehen auch weder die Grundsätze des Eigenkapitalersatzrechts noch diejenigen des sog. Finanzplankredits entgegen5. Diese Frage und die Frage nach der Anfechtbarkeit nach den §§ 129 ff. InsO – nunmehr insbesondere § 135 InsO – wurden als Verteidigungslinie bemüht, um den Ausstattungsanspruch aufrechtzuerhalten. 486i
Û
Hinweis: Die aufgezeigten Unsicherheiten im Zusammenhang mit dem Schicksal des Ausstattungsanspruchs können mithin aus Sicht des Patrons beseitigt werden, wenn die Patronatserklärung Kündigungsmöglichkeiten vorsieht. Die Ausgestaltung einer Patronatserklärung gewinnt damit unter einem weiteren Gesichtspunkt an Bedeutung. Bislang galt das Hauptaugenmerk dem „Härtegrad“ – hart und weich – sowie der „Wirkungsweise“ – intern und extern. Hinzutritt die nunmehr die Ausgestaltung der Kündigungsmöglichkeit und deren insolvenzfeste Verwendung.
1 Tetzlaff, EWiR 2005, 31 (32). 2 BGH v. 8.5.2006 – II ZR 94/05, ZIP 2006, 1199 (Boris Becker/Sportgate) m. ausführl. Bspr. von Wolf, ZIP 2006, 1885 ff. 3 Wolf, ZIP 2006, 1885 ff. 4 BGH v. 20.9.2010 – II ZR 296/08, ZIP 2010, 2092 (STAR 21). 5 BGH v. 20.9.2010 – II ZR 296/08, ZIP 2010, 2092 (STAR 21).
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Drees/Schmidt
Drittsachsicherheiten
Rz. 489
§7
d) Nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens Nach Beendigung des Insolvenzverfahrens kann der Gläubiger den Mithaftenden 487 weiterhin nach den allgemeinen Regelungen in Anspruch nehmen. Handelt es sich bei dem Mithaftenden um einen Bürgen, so ist zugunsten des Gläubigers zu berücksichtigen, dass auch nach Beendigung des Insolvenzverfahrens die Einrede der Vorausklage, die seit dem Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners gemäß § 773 Abs. 1 Nr. 3 BGB unzulässig war, nicht wieder auflebt. Unbeschadet einer gewährten Restschuldbefreiung verbleiben den Gläubigern nach 487a § 301 Abs. 2 InsO ihre Rechte gegenüber den Mitschuldnern und Bürgen1. Als Konsequenz hieraus verliert der Bürge daher auch die Einrede der Vorausklage nach § 771 BGB, da die Bürgenhaftung im Rahmen der Restschuldbefreiung nicht zu verwirklichen wäre2. Nach Beendigung des Verfahrens kann der regressberechtigte Mithaftende seine An- 487b sprüche gemäß § 201 InsO gegenüber dem Hauptschuldner verfolgen. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn es zur Aufstellung und Durchführung eines Insolvenzplans oder einer Restschuldbefreiung im Rahmen des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners kam. Denn obwohl die Regressberechtigten nach § 44 InsO daran gehindert waren, neben den Gläubigern ihre Forderungen im Insolvenzverfahren geltend zu machen, treten die Wirkungen des bestätigten Insolvenzplans gemäß § 254 Abs. 2 Satz 2 InsO auch gegenüber dem Mitschuldner bzw. dem Bürgen ein3. Ebenfalls müssen die Rückgriffsberechtigten nach § 301 Abs. 2 Satz 2 InsO die Wirkungen der Restschuldbefreiung gegen sich gelten lassen4. Der Hauptschuldner selbst wird gegenüber dem Mitschuldner, dem Bürgen und den sonstigen Rückgriffsberechtigten in gleicher Weise befreit wie gegenüber den Insolvenzgläubigern5. VI. Drittsachsicherheiten Die für die Bürgschaft (vgl. § 7 Rz. 428 ff.) und den Schuldbeitritt (vgl. § 7 Rz. 466 ff.) 488 dargestellte Regelung des § 43 InsO gilt nach ganz überwiegender Ansicht auch dann, wenn ein Dritter – auch dinglich neben der persönlichen Haftung oder – nur dinglich mit einem eigenen Gegenstand mithaftet6. Da § 43 InsO dem Wortlaut nach nur auf 489 die persönliche Haftung mehrerer Schuldner Anwendung findet, ist die Norm bei dinglicher Haftung entsprechend heranzuziehen. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, die nicht explizit geregelten Fälle der dinglichen Haftung anders zu beurteilen als die der persönlichen Mithaftung. In beiden Konstellationen haften zwei verschiedene Vermögensmassen für die Verbindlichkeiten des Gläubigers7. Dementsprechend kann ein Gläubiger, auch wenn er bereits teilweise aus der nicht insolvenzbefangenen dinglichen Sicherheit befriedigt worden sein sollte, im Insolvenzverfahren gegen den
1 2 3 4 5
Vallender in Uhlenbruck, InsO, § 301 Rz. 16 ff. Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handbuch zur InsO, Kapitel 8 Rz. 309. MünchKommInsO/Bitter, § 44 Rz. 18. MünchKommInsO/Bitter, § 44 Rz. 18. Knof in Uhlenbruck, InsO, § 44 Rz. 14; Smid/Leonhardt in Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 44 Rz. 2. 6 RG v. 30.11.1937 – VII 127/37, RGZ 156, 271, 278; BGH v. 9.5.1960 – II ZR 95/58, MDR 1960, 649 f.; BGH v. 15.10.1969 – VIII ZR 136/67, MDR 1970, 229; BGH v. 2.12.2010 – IX ZB 61/09, MDR 2011, 262; Eickmann in HK-InsO, § 43 Rz. 3; Lüdtke in Hamburger Kommentar zur InsO, § 43 Rz. 12; FK-InsO/Schumacher, § 43 Rz. 4; Nerlich/Römermann/Andres, § 43 Rz. 5; Henckel in Jaeger, InsO, § 43 Rz. 22; Schmidt/Bitter, ZIP 2000, 1077, 1079; a.A. Smid/Leonhardt in Leonhardt/Smid/ Zeuner, InsO, § 43 Rz. 9. 7 MünchKommInsO/Bitter, § 43 Rz. 19; Knof in Uhlenbruck, § 43 InsO Rz. 15; Andres/Leithaus, § 43 Rz. 2; Schmidt/Bitter, ZIP 2000, 1077 (1079).
Hoffmann
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§7
Rz. 490
Beratung des gesicherten Glubigers
Schuldner seine gesamte Forderung geltend machen, die er zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens fordern konnte. 490 Wurde der Gläubiger bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens teilweise durch den Dritten befriedigt (vgl. ausführlich zu Zahlungen des Bürgen, § 7 Rz. 440 ff.), greift § 43 InsO nicht. In diesem Fall kann der Gläubiger nur in Höhe seiner dann noch bestehenden Restforderung am Insolvenzverfahren teilnehmen. Daneben ist zugleich auch der Dritte berechtigt, die infolge seiner Zahlung an den Gläubiger auf ihn übergegangene Forderung bzw. Regressforderung gegen den Schuldner zur Tabelle anzumelden1. § 44 InsO findet insoweit keine Anwendung, da der Anspruch dem Mithaftenden bereits im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zustand. Die Teilnahme des Mithaftenden am Insolvenzverfahren hat allerdings zur Folge, dass sich die zu erwartende Quote des Gläubigers verringert. Infolge der teilweisen Befriedigung durch den Dritten hat sich der Nominalwert der insgesamt der Insolvenzmasse gegenüberstehenden Forderungen reduziert. Dieser Rückgang wird nunmehr dadurch egalisiert, dass der Dritte seine Forderung zur Tabelle anmeldet. Da der Übergang einer Forderung jedoch nicht zum Nachteil des Gläubigers geltend gemacht werden darf (vgl. §§ 426 Abs. 2 S. 2, 774 Abs. 1 S. 2, 1143 Abs. 1 S. 2 BGB), kann dieser auch die Differenz zwischen ursprünglich zu erwartender und nunmehr verminderter Quote beanspruchen. Diesen Betrag kann der Gläubiger nach wohl überwiegender Auffassung außerhalb des Insolvenzverfahrens herausverlangen2. 491 Soweit der Dritte den Gläubiger erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens befriedigt, muss der Gläubiger sich nicht auf die Anmeldung einer insoweit geminderten Forderung verweisen lassen. Er kann ungeachtet der teilweisen Befriedigung nach § 43 InsO im Insolvenzverfahren gegen den Schuldner seine gesamte Forderung geltend machen, die er im Zeitpunkt der Eröffnung zu beanspruchen hatte. Anders als im Falle der Befriedigung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann der mithaftende Dritte aber nicht zugleich seine infolge der Zahlung auf ihn übergegangene Forderung bzw. Regressforderung zur Tabelle anmelden. Er ist hieran gem. § 44 InsO solange gehindert, wie der Gläubiger selbst am Insolvenzverfahren teilnimmt. D.h., der mithaftende Dritte hat nur dann die Möglichkeit, seine Forderung im Insolvenzverfahren gegen den Schuldner geltend zu machen, wenn der Gläubiger überhaupt nicht am Insolvenzverfahren teilnimmt oder durch den Dritten voll befriedigt worden ist. Welche Auswirkungen dies jeweils auf die Befriedigung des Gläubigers hat, soll folgender Beispielsfall verdeutlichen: 492 Insolvenzmasse: 200 000 Euro; Forderungen gesamt: 500 000 Euro; davon Forderung des Gläubigers 100 000 Euro und realisierbare Drittsicherheit 20 000 Euro. Wird die Quote des Gläubigers aus dem vollen Forderungsbetrag berechnet, erhält er 40 000 Euro aus der Insolvenzmasse und 20 000 Euro aus der Drittsicherheit, insgesamt 60 000 Euro. Kann der Gläubiger dagegen nur den verminderten Betrag von 80 000 Euro geltend machen, erhält er einen Betrag von 33 333 Euro aus der Insolvenzmasse und 20 000 Euro aus der Drittsicherheit, insgesamt also nur 53 333 Euro und somit 6 666 Euro weniger als bei Zugrundelegung der gesamten Forderung.
493 Die doppelte Berücksichtigung der Forderung des Gläubigers darf allerdings nicht dazu führen, dass der Gläubiger mehr erhält, als er materiell zu beanspruchen hat. Ergibt eine Addition der Beträge aus teilweiser Befriedigung und zu erwartender Insolvenzquote einen die Forderung des Gläubigers übersteigenden Betrag, ist dessen Quote entsprechend zu kürzen. Erklärt sich der Gläubiger hiermit nicht einverstanden, muss der Insolvenzverwalter aufgrund der Rechtskraftwirkung des Tabelleneintrags eine Entscheidung des Gerichts im Wege der Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 Abs. 1 ZPO herbeiführen. Ist es gleichwohl zu einer Überzahlung gekommen, hat der Insolvenzverwalter den entsprechenden Betrag zu kondizieren. Dieser kommt allerdings nicht der Insolvenzmasse zu Gute, sondern ist wegen des Forde-
1 BGH v. 9.5.1960 – II ZR 95/58, MDR 1960, 649 f.; BGH v. 30.10.1984 – IX ZR 92/83, BGHZ 92, 374; Lüdtke in Hamburger Kommentar zur InsO, § 43 Rz. 20; Henckel in Jaeger, InsO, § 43 Rz. 30; MünchKommInsO/Bitter, § 43 Rz. 36, 39; § 44 Rz. 28; FK-InsO/Bernsau, § 43 Rz. 8. 2 Eickmann in HK-InsO, § 43 Rz. 10; FK-InsO/Bernsau, § 43 Rz. 8; Palandt/Sprau, § 774 Rz. 12; Lüdtke in Hamburger Kommentar zur InsO, § 43 Rz. 21; Braun/Bäuerle, InsO, § 43 Rz. 11.
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Hoffmann
Aufrechnung und Zurckbehaltungsrecht
Rz. 497
§7
rungsübergangs an den mithaftenden Dritten auszukehren, der wegen § 44 InsO an der Geltendmachung seiner Forderung gehindert war1. Handelt es sich bei dem mithaftenden Dritten um einen Gesellschafter des Schuldners, regelt § 44a InsO die Teilnahme des Gläubigers am Insolvenzverfahren. Hiernach kann der Gläubiger nur anteilsmäßige Befriedigung aus der Insolvenzmasse verlangen, soweit er bei der Inanspruchnahme der Gesellschaftersicherheit ausgefallen ist. Wie sich dies konkret auf das Insolvenzverfahren auswirkt, ist umstritten. In Anlehnung an den Wortlaut der Norm des § 44a InsO wird vertreten, dass der Gläubiger seine Forderung im Insolvenzverfahren nur insoweit durchsetzen könne, als er bei der Inanspruchnahme des Gesellschafters ausgefallen sei2. Der Berechnung der Insolvenzquote sei daher nur die Forderung zugrunde zu legen, die dem Gläubiger nach Leistung des Gesellschafters verbleibe.
494
Da dies zu einer materiellen Beeinträchtigung des Gläubigers einer gesellschafter- 495 besicherten Forderung führt, geht eine andere Ansicht davon aus, dass § 44a InsO ausschließlich in verfahrensmäßiger Hinsicht für eine vorrangige Verwertung der Gesellschaftersicherheit sorgen solle. Zwar soll der Gläubiger zur Befriedigung aus der Insolvenzmasse erst berechtigt sein, wenn er nachweist, dass er mit seiner Forderung bei der Inanspruchnahme des Gesellschafters ausgefallen ist. Eine Kürzung der Forderung nach dem Ausfallprinzip des § 52 InsO komme gleichwohl aber nicht in Betracht, da der Gläubiger einer Gesellschaftersicherheit anders als ein absonderungsberechtigter Gläubiger nicht vorab aus zur Insolvenzmasse gehörenden Sicherheiten befriedigt werde3. Darüber hinaus richte sich § 44a InsO, wie sich auch aus § 135 Abs. 2 InsO ergebe, gegen den Gesellschafter und nicht gegen den Drittgläubiger. Bei der Berechnung der Insolvenzquote sei daher der Grundsatz der Doppelberücksichtigung i.S.v. § 43 InsO heranzuziehen, mit der Folge, dass der Berechnung die gesamte Forderung des Gläubigers zugrunde zu legen ist. VII. Aufrechnung und Zurückbehaltungsrecht Die Möglichkeit des Gläubigers, mit einer eigenen Forderung gegen den Schuldner 496 nach §§ 387 ff. BGB aufzurechnen, wird mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners durch die §§ 94–96 InsO modifiziert. Grundsätzlich bleibt eine zu diesem Zeitpunkt bereits bestehende Aufrechnungsbefugnis nach § 94 InsO weiterhin erhalten. Diese stellt eine gesicherte Rechtsstellung dar, die auch im Insolvenzverfahren uneingeschränkt anerkannt wird4. Hierdurch soll verhindert werden, dass dem Aufrechnungsberechtigten die ursprünglich vorhandene „Selbstexekutionsbefugnis“ entzogen wird, er seine Leistung daher voll zur Masse erbringen müsste, im Gegenzug aber nur die Insolvenzquote erhielte5. 1. Persönlicher Anwendungsbereich Die §§ 94 ff. InsO gelten nur für Insolvenzgläubiger im Sinne der §§ 38 f. InsO. Keine Gültigkeit entfalten die Vorschriften für Massegläubiger. Anders als Insolvenzforde-
1 OLG Karlsruhe v. 2.10.1981 – 15 U 76/81, ZIP 1982, 1108; BGH v. 11.12.2008 – IX ZR 156/07, MDR 2009, 351; Henckel in Jaeger, InsO, § 43 Rz. 33; Eickmann in HK-InsO, § 43 Rz. 11; FK-InsO/Bernsau, § 43 Rz. 8. 2 Kleindiek in HK-InsO, § 44a Rz. 8; Braun/Bäuerle, InsO, § 44a Rz. 4; Andres/Leithaus, § 44a Rz. 8; Nerlich/Römermann/Andres, § 44a Rz. 16 f.; Hirte in Uhlenbruck, § 44a InsO Rz. 5; Michalski/Heidinger, GmbHG, §§ 32a, 32b Rz. 336; Ulmer/Habersack, GmbHG, §§ 32a/b Rz. 177 f. 3 Lüdtke in Hamburger Kommentar zur InsO, § 43 Rz. 16 m.w.N.; vgl. Henckel in Jaeger, InsO, § 43 Rz. 23; Eickmann in HK-InsO, § 43 Rz. 6; MünchKommInsO/Bitter, § 43 Rz. 27; Rowedder/ Schmidt-Leithoff/Pentz, GmbHG, § 32a Rz. 172; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, § 32a Rz. 85; Scholz/Emmerich, GmbHG, §§ 32a, 32b Rz. 169. 4 BT-Drucks. 12/2443, S. 140; BGH v. 26.4.2012 – IX ZR 149/11, MDR 2012, 874; Kroth in Braun, InsO, § 94 Rz. 1. 5 BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 222/09, MDR 2011, 1074; BGH v. 20.6.1951 – GSZ 1/51, BGHZ 2, 300; Kroth in Braun, InsO, § 94 Rz. 2, 24; Nerlich/Römermann/Wittkowski/Kruth, § 94 Rz. 2.
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§7
Rz. 498
Beratung des gesicherten Glubigers
rungen werden Masseforderungen nach § 53 InsO ohnehin vorab und daher regelmäßig vollumfänglich befriedigt. 498 Die Aufrechnung durch den Insolvenzverwalter richtet sich ausschließlich nach den §§ 387 ff. BGB. Die §§ 94 ff. InsO finden insoweit keine Anwendung1. Umstritten ist, ob der Insolvenzverwalter gegen eine Insolvenzforderung aufrechnen kann, bevor diese zur Tabelle festgestellt worden ist. 499 Nach Ansicht des BGH scheidet eine Aufrechnung mangels Erfüllbarkeit der Hauptforderung aus, da der Insolvenzverwalter eine Insolvenzforderung erst befriedigen dürfe, wenn diese angemeldet, geprüft und zur Tabelle festgestellt worden sei. Die Aufrechnung vor Feststellung der Forderung verstoße insbesondere gegen den Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung, da hierdurch ausschließlich der Inhaber der Gegenforderung Befriedigung erlange2. Dagegen wird eingewandt, dass eine Aufrechnung vor Feststellung der Insolvenzforderung jedenfalls dann nicht gegen den Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung verstoße, wenn zugleich auch der Insolvenzgläubiger nach §§ 94 ff. InsO zur Aufrechnung berechtigt sei3. Durch die Aufrechnungserklärung des Insolvenzverwalters würden lediglich die Rechtsfolgen eintreten, die der aufrechnungsberechtigte Insolvenzgläubiger selbst durch eine eigene Aufrechnungserklärung, herbeiführen könne4. 500 Die Aufrechnung durch den Insolvenzverwalter kann darüber hinaus zum Erhalt der Insolvenzmasse geboten sein. Dies ist etwa der Fall, wenn die Insolvenzforderung die Forderung der Masse übersteigt5. 501 Beispiel: Forderung des Insolvenzgläubigers: 100 000 Euro; Forderung der Masse gegen diesen Insolvenzgläubiger: 50 000 Euro; Insolvenzquote: 5 %. Nimmt der Insolvenzgläubiger mit seiner gesamten Forderung i.H.v. 100 000 Euro am Verteilungsverfahren teil, erhält er eine Dividende von 5 000 Euro und kann anschließend die Aufrechnung mit seiner verbleibenden Forderung erklären. Bringt der Insolvenzverwalter dagegen zunächst die Forderung des Insolvenzgläubigers i.H.v. 50 000 Euro durch Aufrechnung zum Erlöschen, nimmt der Insolvenzgläubiger nur noch in Höhe des nicht erloschenen Teils i.H.v. 50 000 Euro am Verteilungsverfahren teil und erhält hierauf eine Dividende von 2 500 Euro.
502 Darüber hinaus kommt die Aufrechnung des Insolvenzverwalters im Hinblick auf den Erhalt der Insolvenzmasse in Betracht, wenn die Forderung der Masse verjährt, aber nach § 215 Alt. 1 BGB noch aufrechenbar, oder der Insolvenzgläubiger zugleich auch insolvent ist (Doppelinsolvenz)6: 503 Beispiel: Forderung des Insolvenzgläubigers: 100 000 Euro; Insolvenzquote in der Insolvenz des Insolvenzgläubigers: 3 %; Forderung der Masse gegen diesen Insolvenzgläubiger: 100 000 Euro; Insolvenzquote in der Insolvenz des Schuldners: 5 %. Ohne Erklärung der Aufrechnung erhielte der Insolvenzverwalter auf die Forderung der Masse 3 000 Euro, während er im Gegenzug 5 000 Euro auf
1 FK-InsO/Bernsau, § 94 Rz. 4; Sinz in Uhlenbruck, § 94 InsO Rz. 76; Jacoby in Hamburger Kommentar zur InsO, Vorbem. zu §§ 94–96 Rz. 10; Andres/Leithaus, § 94 Rz. 2; Kroth in Braun, InsO, § 94 Rz. 7; MünchKommInsO/Brandes, § 94 Rz. 47; Zeuner in Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 94 Rz. 19, 20; Windel in Jaeger, InsO, § 94 Rz. 56; Nerlich/Römermann/Wittkowski/ Kruth, § 94 Rz. 6; Kayser in HK-InsO, § 96 Rz. 16. 2 BGH v. 19.3.1987 – IX ZR 148/86, BGHZ 100, 222; Palandt/Grünberg, § 387 Rz. 12; vgl. auch Kayser in HK-InsO, § 96 Rz. 14 f.; Eckardt, ZIP 1995, 257 (257 f.). 3 Sinz in Uhlenbruck, § 94 InsO Rz. 78; Kayser in HK-InsO, § 96 Rz. 16; MünchKommInsO/Brandes, § 94 Rz. 50; Eckardt, ZIP 1995, 257 (264 ff.); Zeuner in Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 94 Rz. 20. 4 Zeuner in Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 94 Rz. 20; MünchKommInsO/Brandes, § 94 Rz. 50; Kayser in HK-InsO, § 96 Rz. 16; Eckardt, ZIP 1995, 257 (265). 5 MünchKommInsO/Brandes, § 94 Rz. 50. 6 Sinz in Uhlenbruck, § 94 InsO Rz. 78; Zeuner in Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 94 Rz. 20; Eckardt, ZIP 1995, 257 (266); Jacoby in Hamburger Kommentar zur InsO, Vorbem. zu §§ 94–96 Rz. 10.
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Aufrechnung und Zurckbehaltungsrecht
Rz. 509
§7
die Forderung des Insolvenzgläubigers zu zahlen hätte. Erklärt er dagegen die Aufrechnung, erlöschen beide Forderungen, ohne dass eine darüber hinausgehende Zahlungspflicht gegeben ist.
Allerdings kann die Aufrechnung des Insolvenzverwalters auch zu Nachteilen für die Insolvenzmasse führen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Insolvenzgläubiger selbst nicht nach §§ 94 ff. InsO die Aufrechnung erklären könnte1.
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Beispiel:
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Forderung des Insolvenzgläubigers: 100 000 Euro; Forderung der Masse gegen diesen Insolvenzgläubiger: 100 000 Euro; Insolvenzquote: 5 %. Erklärt der Insolvenzverwalter die Aufrechnung erlöschen beide Forderungen. Ohne Aufrechnung könnte der Insolvenzverwalter dagegen Zahlung von 100 000 Euro durch den Insolvenzgläubiger verlangen, während er im Gegenzug nur zur Zahlung der Insolvenzquote in Höhe von 5 000 Euro verpflichtet wäre.
Sofern in diesen Fällen eine gleichwohl erklärte Aufrechnung nicht ohnehin nach den Grundsätzen der Insolvenzzweckwidrigkeit unwirksam sein sollte2, macht sich der Insolvenzverwalter jedenfalls gegenüber den anderen Insolvenzgläubigern nach § 60 InsO schadensersatzpflichtig3.
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2. Aufrechnungslage Eine Aufrechnungslage liegt dann vor, wenn sich eine bereits entstandene und er- 507 füllbare Forderung des Insolvenzschuldners und eine durchsetzbare fällige und einredefreie Gegenforderung des Insolvenzgläubigers im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegenüberstehen. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bildet insoweit die zeitliche Grenze der Anwendbarkeit der §§ 94 ff. InsO4. Diese finden nach 94 InsO sowohl auf gesetzliche als auch auf vertraglich vereinbarte Aufrechnungslagen Anwendung. Da Aufrechnungsabreden im Einzelfall aber zu einer Schmälerung der Insolvenzmasse führen können, befürwortet ein großer Teil der Literatur eine einschränkende Anwendung der Norm. Hiernach sollen die gesetzlichen Voraussetzungen der Aufrechnung auch weiterhin erforderlich, im Einzelfall aber durch konkrete vertragliche Abreden modifizierbar sein. Clearing-, Kontokorrent- oder Verrechnungsabreden fallen nicht unter den Anwen- 508 dungsbereich der vertraglich vereinbarten Aufrechnungslagen im Sinne von § 94 Alt. 2 InsO. Diesen ist gemein, dass im Wege der Vorausverfügung, innerhalb eines bestimmten Zeitraumes alle künftig entstehenden Forderungen miteinander verrechnet werden. Erst der Saldo am Ende der Verrechnungsperiode entscheidet darüber, welcher Partei eine Forderung zusteht (Aktivsaldo). Da die Verrechnungsbefugnis mit Anordnung eines allgemeinen oder besonderen Verfügungsverbotes, spätestens aber mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlischt, endet auch die Verrechnungsperiode zu diesen Zeitpunkt. Mit einer sich hiernach ergebenden Forderung kann der Insolvenzgläubiger gleichwohl unter den Voraussetzungen der §§ 387 ff. BGB i.V.m. §§ 94 ff. InsO die Aufrechnung erklären. a) Gegenseitigkeitsverhältnis Die Forderungen stehen in einem Gegenseitigkeitsverhältnis, wenn der Aufrechnende Gläubiger der Gegenforderung und der Schuldner Gläubiger der Hauptforderung
1 Eckardt, ZIP 1995, 257 (266). 2 Jacoby in Hamburger Kommentar zur InsO, Vorbem. zu §§ 94–96 Rz. 10; vgl. zur Insolvenzzweckwidrigkeit allgemein: BGH v. 10.1.2013 – IX ZR 172/11, ZIP 2013, 531; BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, BGHZ 150, 353; Eckardt, ZIP 1995, 257 (266); Kroth in Braun, InsO, § 80 Rz. 30; Uhlenbruck in Uhlenbruck, § 80 Rz. 150 ff.; BGH v. 20.3.2014 – IX ZR 80/13, ZIP 2014, 978. 3 Graf-Schlicker/Hofmann, § 94 Rz. 18; MünchKommInsO/Brandes, § 94 Rz. 51; Eckardt, ZIP 1995, 257 (266). 4 Wegen des eindeutigen Wortlauts von § 94 InsO kommt eine Anwendung der Vorschriften im Eröffnungsverfahren – etwa in Analogie zu § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO – auch dann nicht in Betracht, wenn ein (starker) vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und ein Verfügungsverbot erlassen wurde; BGH v. 15.3.2012 – IX ZR 249/09, MDR 2012, 607 f.; BGH v. 29.6.2004 – IX ZR 195/03, BGHZ 159, 388 ff.; vgl. auch BGH v. 4.6.1998 – IX ZR 165/97, NJW 1998, 2538 f.; A/G/R/Piekenbrock, § 94 InsO Rz. 5; Kayser, WM 2008, 1477 (1479).
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§7
Rz. 510
Beratung des gesicherten Glubigers
ist. Ausnahmen vom Gegenseitigkeitserfordernis in allgemeinen Vorschriften gelten auch im Insolvenzverfahren. 510 Die Zulassung von vertraglichen Aufrechnungsabreden durch § 94 Alt. 2 InsO lässt auch die Aufrechnung mit der Forderung eines Dritten möglich erscheinen. Der Dritte selbst hingegen ist allerdings nur dann aufrechnungsberechtigt, wenn er Träger eines Ablösungsrechts, etwa nach § 35b VVG, ist. 511 Den wichtigsten Anwendungsfall bilden Konzernverrechnungsklauseln, durch welche das Gegenseitigkeitserfordernis zu Gunsten anderer Konzernmitglieder des Gläubigers abbedungen und so die Drittaufrechnung ermöglicht wird. In Literatur und instanzgerichtlicher Rechtsprechung werden derartige Klauseln teilweise für zulässig gehalten1. Der BGH tritt dem mit der herrschenden Literatur entgegen und verneint das Vorliegen der Aufrechnungsvoraussetzungen nach den §§ 94 ff. InsO2: Die Aufrechnungslage tritt danach erst mit Abgabe der Aufrechnungserklärung durch das entsprechende Konzernmitglied ein, also regelmäßig nach Einleitung des Insolvenzverfahrens. Das aufrechnende Konzernmitglied ist demnach so zu behandeln, als habe es die zur Aufrechnung gestellte Forderung erst im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung und damit nach Insolvenzeröffnung erworben. 512 Keine Anwendung findet das Aufrechnungsverbot dagegen dann, wenn die Forderung des Schuldners bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Wege des sog. „echten“ Factoring auf einen Dritten übertragen wurde und der Drittschuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund einer zuvor vereinbarten Konzernverrechnungsklausel gegenüber dem neuen Gläubiger die Aufrechnung erklärt3. Die Aufrechnung ist in dieser Konstellation gerade nicht mit Blick auf § 96 Abs. 1 Nr. 2 InsO unwirksam, da sie keine Auswirkung auf den Bestand der Insolvenzmasse hat. Auch wenn der Drittschuldner ohne den Factoring-Vertrag seine Forderung zur Tabelle anzumelden und hiernach nur eine quotale Befriedigung zu erwarten gehabt hätte, handelt es sich doch um eine Forderung des Dritten, die vom Schutzbereich des § 96 Abs. 1 Nr. 2 InsO nicht erfasst wird. Gleichwohl anders mag sich die Situation aber in Fällen des sog. „unechten“ Factoring darstellen. Handelt es sich um Forderungen aus einem Steuerschuldverhältnis ermöglicht § 226 Abs. 4 AO dem Fiskus die Aufrechnung unter erleichterten Voraussetzungen. Grundsätzlich ist für eine Aufrechnung gegen Forderungen öffentlich-rechtlicher Körperschaften nach § 395 BGB erforderlich, dass die Leistung an dieselbe Kasse zu erfolgen hat, aus der die Forderung des Aufrechnenden zu berichtigen ist. Für die Aufrechnung aus dem Steuerschuldverhältnis erleichtert § 226 Abs. 4 AO diese Voraussetzungen dahingehend, dass auch die Körperschaft, die die Steuer verwaltet, als Gläubiger oder Schuldner des jeweiligen Anspruchs anzusehen ist. Aufrechnungsbefugt sind demnach sowohl die Körperschaft, der der Steuerertrag nach § 395 BGB zusteht, als auch diejenige, die die Steuer gem. § 226 Abs. 4 AO nur verwaltet. b) Gleichartigkeit 513 Des Weiteren müssen die Forderungen gleichartig sein. Dies bezieht sich nur auf den Gegenstand, bzw. den Inhalt der Leistungsverpflichtung, nicht auch auf den Rechtsgrund4. Konnexität, wie sie im Rahmen der Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechtes notwendig wird, ist nicht erforderlich. Den Maßstab der Gleichartigkeit bildet die Verkehrsanschauung. 1 OLG Frankfurt v. 22.1.2003 – 21 U 7/02, NZI 2003, 436 ff.; MünchKommInsO/Brandes, § 94 Rz. 39. 2 BGH v. 10.12.2009 – IX ZR 1/09, MDR 2010, 523 ff.; BGH v. 13.7.2006 – IX ZR 152/04, NZI 2006, 639 ff.; BGH v. 15.7.2004 – IX ZR 224/03, BGHZ 160, 107 ff.; BGH v. 3.6.1981 – VIII ZR 171/80, BGHZ 81, 15; Kroth in Braun, InsO, § 94 Rz. 24; Sinz in Uhlenbruck, § 94 InsO Rz. 9; Rendels/ Tetzlaff, EWiR 2003, 773 f.; Rendels, ZIP 2003, 1583; Adam, WM 1998, 801; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.146. 3 BGH v. 10.12.2009 – IX ZR 1/09, MDR 2010, 523; Jacoby, EWiR 2010, 123 f.; Krüger/Opp, NZI 2010, 672 ff. 4 FK-InsO/Bernsau, § 94 Rz. 10; Sinz in Uhlenbruck, § 94 InsO Rz. 29.
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Aufrechnung und Zurckbehaltungsrecht
Rz. 518
§7
Begründen währungsverschiedene Forderungen nach den allgemeinen Vorschriften 514 mangels Gleichartigkeit regelmäßig keine Aufrechnungslage1, lässt § 95 Abs. 2 S. 1 InsO eine Aufrechnung im Insolvenzverfahren ausdrücklich zu, wenn die Währungen am Zahlungsort der Gegenforderung frei tauschbar sind. Die Umrechnung erfolgt nach dem dortigen Kurswert zum Zeitpunkt des Zugangs der Aufrechnungserklärung. Entgegen der systematischen Verortung gilt diese Regelung auch für die vor Einleitung des Eröffnungsverfahrens entstandene Aufrechnungslage nach § 94 InsO2. c) Fälligkeit Der Aufrechnende muss die ihm gebührende Leistung nach § 387 BGB fordern, d.h. 515 rechtlich erzwingen können. Dafür ist erforderlich, dass die Gegenforderung vollwirksam und fällig ist und der Geltendmachung nach § 390 BGB keine Einrede entgegensteht. Hiervon ausgenommen ist nach § 215 BGB die Einrede der Verjährung. d) Eintritt der Aufrechnungslage im Insolvenzverfahren, § 95 InsO Fehlt es an einer der o.g. Voraussetzungen liegt keine Aufrechnungslage vor, die gem. 516 § 94 InsO nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufrechterhalten werden könnte. Sind die aufzurechnenden Forderungen zu diesem Zeitpunkt noch aufschiebend bedingt, nicht fällig oder nicht auf gleichartige Leistungen gerichtet, so eröffnet § 95 Abs. 1 S. 1 InsO dem Insolvenzgläubiger gleichwohl die Möglichkeit der Aufrechnung, sofern die jeweils einschlägigen Voraussetzungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eintreten. Zu beachten ist allerdings, dass die Gegenforderung stets vor der Hauptforderung unbedingt und fällig werden muss, da andernfalls eine Aufrechnung nach § 95 Abs. 1 S. 3 InsO ausgeschlossen ist. Dies gilt nach § 95 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 InsO für aufschiebend bedingte Forderungen. Die 517 Bedingung kann dabei sowohl auf vertraglicher als auch auf gesetzlicher Grundlage beruhen. Nach dem Rechtsgedanken des § 96 Abs. 1 InsO soll dies für gesetzlich bedingte Forderungen aber nur dann gelten, wenn das Rechtsverhältnis dem Grunde nach bereits vor Insolvenzeröffnung angelegt war und Vorwirkungen entfaltete3. Nicht erfasst werden dagegen auflösend bedingte Forderungen. Dies ergibt sich aus § 95 Abs. 1 S. 2 InsO. Danach ist die Anwendbarkeit der §§ 41, 45 InsO ausgeschlossen, nicht aber die des § 42 InsO. Demzufolge sind auflösend bedingte Forderungen, solange die Bedingung nicht eingetreten ist, wie unbedingte Forderungen zu behandeln. Aufgrund des Ausschlusses gem. § 95 Abs. 1 S. 2 InsO lässt sich aber weder die Fälligkeit einer im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht fälligen Forderung nach § 41 Abs. 1 InsO herstellen, noch gem. § 45 S. 1 InsO mit einer Forderung aufrechnen, die nicht auf Geld gerichtet oder deren Geldbetrag unbestimmt ist. Vielmehr ist auch in diesen Fällen eine Aufrechnung gem. § 95 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, 3 InsO nur dann möglich, wenn Fälligkeit bzw. Gleichartigkeit der Gegenforderung nach Verfahrenseröffnung aber vor derjenigen der Hauptforderung eintreten. Gerade die Zulassung der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eintretenden 518 Gleichartigkeit gem. § 95 Abs. 1 S. 1 Alt. 3 InsO stößt weitgehend auf Kritik. Diese ergibt sich nämlich meist nur infolge von Vertragspflichtverletzungen, die einen ursprünglich nicht auf Geld gerichteten Anspruch in einen solchen umwandeln4. Hierauf aber könne der Gläubiger in der Regel nicht vertrauen. Verhalte er sich selbst zum Zwecke der Herbeiführung der Aufrechnung vertragsbrüchig, verstoße dies gegen den Grundsatz von Treu und Glauben und führe dementsprechend zur Unwirksamkeit der Aufrechnung. Der Insolvenzgläubiger sollte aber gleichwohl prüfen, ob er die Gleichartigkeit der Forderungen nicht auch durch eine Gestaltungserklärung herbeiführen kann. Allerdings hat er auch hierbei die Grenze der missbräuchlichen 1 Graf-Schlicker/Hofmann, § 94 InsO Rz. 5. 2 Kroth in Braun, InsO, § 94 Rz. 24; MünchKommInsO/Brandes, § 95 Rz. 35; Sinz in Uhlenbruck, § 95 InsO Rz. 54. 3 Blersch in Breutigam/Blersch/Goetsch, InsO, § 95 Rz. 4; Lüke in Kübler/Prütting, § 95 Rz. 18. 4 Kroth in Braun, InsO, § 95 Rz. 15; Nerlich/Römermann/Wittkowski/Kruth, § 95 Rz. 8.
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§7
Rz. 519
Beratung des gesicherten Glubigers
Rechtsausübung zu beachten, die im Falle einer unberechtigten Kündigung zur Herstellung der Gleichartigkeit von Haupt- und Gegenforderung überschritten sein dürfte. 3. Aufrechnungsverbote nach § 96 InsO 519 Allein das Bestehen einer Aufrechnungslage führt allerdings noch nicht zur Wirksamkeit der Aufrechnung. Dieser dürfen darüber hinaus weder gesetzliche noch vertragliche Aufrechnungsverbote entgegenstehen. Ein solches folgt nicht bereits aus der Annahme und Bestätigung eines gerichtlichen Insolvenzplanes. Selbst der (überwiegende) Erlass der Gegenforderung in einem Insolvenzplan kann grundsätzlich nicht dazu führen, dass der Insolvenzgläubiger seines Aufrechnungsrechtes verlustig ginge1. Wie sich aus § 94 InsO ergibt, wird dieses Recht durch das „Verfahren“ nämlich gerade nicht berührt. Zum „Verfahren“ gehört aber auch das Ergebnis des Insolvenzverfahrens, das – etwa als Insolvenzplan – über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens hinauswirken kann. Diese Wirkung und mitunter eine „böse Überraschung“ nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens kann nur vermieden werden, wenn rechtzeitig die Geltendmachung des Aufrechnungsrechtes ausgeschlossen wird. Der Insolvenzverwalter wird in dieser Situation gut beraten sein, entweder mit dem betreffenden Gläubiger einen Verzicht auf die Ausübung des Aufrechnungsrechtes zu vereinbaren oder dieses bereits im Insolvenzplan zu berücksichtigen, sofern die Aufrechnung nicht ohnehin unter den gesetzlichen Voraussetzungen ausgeschlossen ist. 520 Neben den allgemeinen gesetzlichen Aufrechnungsverboten2 wird die Aufrechnung im Insolvenzverfahren vor allem durch § 96 InsO eingeschränkt. Danach ist eine Aufrechnung in den Fällen ausgeschlossen, in denen die Voraussetzungen der Aufrechnung im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht in dem durch § 95 InsO geschützten Kern vorlagen (§ 96 Abs. 1 Nr. 1, 2 InsO) oder aber in anfechtbarer Weise herbeigeführt worden sind (§ 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Ferner wird dem Gesichtspunkt der Trennung von Insolvenzmasse und freiem Vermögen des Schuldners Rechnung getragen (§ 96 Abs. 1 Nr. 4 InsO). Dadurch soll die Insolvenzmasse geschützt und eine gleichmäßige Gläubigerbefriedigung ermöglicht werden. a) Gegenseitigkeit nach Eröffnung, § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO 521 Nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Beruft sich ein Insolvenzgläubiger, der zugleich Schuldner der Masse ist, darauf, gegen deren Anspruch aufrechnen zu können, muss er darlegen und beweisen, dass die Forderung der Insolvenzmasse schon vor Verfahrenseröffnung entstanden ist3. 522 Sofern § 95 InsO nicht anwendbar sein sollte, fehlt es mangels erfüllbarer Hauptforderung bereits an einer schützenswerten Aufrechnungslage. Ist die Leistung hingegen teilbar und hat der Schuldner bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen Teil seiner Leistung erbracht, ist eine Aufrechnung nach §§ 94 f. InsO grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Anschaulich wird dies insbesondere im Zusammenhang mit der Ausübung des Wahlrechts des Insolvenzverwalters gem. § 103 InsO. 523 Macht der Insolvenzverwalter von seinem Wahlrecht gem. § 103 InsO (ausführlich hierzu: § 8 Rz. 10 ff.) Gebrauch und wählt die Erfüllung eines gegenseitigen Vertrages, so ist die Aufrechnung gegen eine hierdurch begründete Forderung gem. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ausgeschlossen. Die Erfüllungswahl ist ihrer Wirkung nach nämlich der Konstellation gleichzusetzen, in der „Verwalter und Vertragspartner den Vertrag mit
1 BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 222/09, MDR 2011, 107 f.; A/G/R/Piekenbrock, § 94 InsO Rz. 6. 2 Nerlich/Römermann/Wittkowski/Kruth, § 95 Rz. 20; MünchKommInsO/Brandes, § 94 Rz. 22; Graf-Schlicker/Hofmann, § 94 Rz. 8; Ries/Rook in Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, § 94 Rz. 15. 3 BGH v. 26.4.2012 – IX ZR 149/11, MDR 2012, 874.
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Aufrechnung und Zurckbehaltungsrecht
Rz. 528
§7
identischem Inhalt neu abgeschlossen hätten“1. Hat der Insolvenzschuldner hingegen vor Verfahrenseröffnung die ihm aufgrund des gegenseitigen Vertrages obliegende Leistung bereits teilweise erbracht, wird der dieser Teilleistung entsprechende Anspruch auf die Gegenleistung durch die Verfahrenseröffnung nicht berührt2. Eine Aufrechnung ist auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gem. § 94 InsO möglich. Lehnt der Insolvenzverwalter dagegen die Erfüllung des gegenseitigen Vertrages ab, so gilt der infolge der Teilleistung entstandene Rückzahlungsanspruch bereits zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens als aufschiebend bedingt i.S.v. § 95 InsO entstanden3. b) Erwerb der Gegenforderung nach Eröffnung, § 96 Abs. 1 Nr. 2 InsO Die Aufrechnung ist ferner nach § 96 Abs. 1 Nr. 2 InsO unzulässig, wenn ein Insolvenz- 524 gläubiger seine Forderung erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens von einem anderen Gläubiger erworben hat. Hierdurch soll eine Schmälerung der Insolvenzmasse infolge der Umgehung des Gegenseitigkeitserfordernisses verhindert werden. Eine Aufrechnung ist nach dieser Norm folglich immer dann unzulässig, wenn im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die aufzurechnenden Forderungen in keinem Gegenseitigkeitsverhältnis gestanden haben. Daher ist die Aufrechnung mit einer Gegenforderung grundsätzlich unzulässig, wenn 525 diese (sicherheitshalber) vor Verfahrenseröffnung an einen Dritten abgetreten und erst nach Verfahrenseröffnung wieder zurückerworben wurde4. Hiervon ausgenommen sind Fälle, in denen eine Forderung zurückerworben wird, die vor Verfahrenseröffnung zum Inkasso oder aufgrund einer vergleichbaren uneigennützigen Treuhandabrede übertragen worden ist, da eine solche Forderung wirtschaftlich beim Zedenten verbleibt5. c) Forderungserwerb durch anfechtbare Rechtshandlung, § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO Die Herbeiführung der Aufrechnungslage durch eine anfechtbare Rechtshandlung 526 führt ebenfalls zum Aufrechungsausschluss, vgl. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Dies gilt unabhängig davon, ob der Gläubiger selbst oder ein Dritter die Rechtshandlung vorgenommen hat. Der Kern der Regelung liegt damit im Anfechtungsrecht nach den §§ 129 ff. InsO. (ausführlich hierzu: § 10 Rz. 128 ff.). An dieser Stelle sei aber darauf hingewiesen, dass die Rechtsprechung öffentlich- 527 rechtliche Körperschaften im Gegenzug zu den erleichterten Voraussetzungen der Aufrechnung nach § 226 AO im Rahmen der Anfechtung strengeren Anforderungen unterwirft. „Werden behördenübergreifende Handlungs- und Informationseinheiten gebildet, um Aufrechnungen zu ermöglichen, liegt darin ein besonderer Umstand, der eine Erkundigungs- und Informationspflicht über alle bekannten Tatsachen im Zusammenhang mit der beabsichtigten Aufrechnung auslöst“6. Verletzt die aufrechnende Körperschaft diese Pflicht, kann sie sich insbesondere im Rahmen von § 133 Abs. 1 S. 2 InsO nicht mehr auf die Unkenntnis der anfechtungsbegründenden Tatsachen berufen, sondern muss sich vielmehr das Wissen der weiteren Körperschaft zurechnen lassen. d) Vermögenstrennung, § 96 Abs. 1 Nr. 4 InsO Nach § 96 Abs. 1 Nr. 4 InsO ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Gläubiger, des- 528 sen Forderung aus dem freien Vermögen des Schuldners zu erfüllen ist, etwas zur
1 BGH v. 20.12.1988 – IX ZR 50/88, BGHZ 106, 236 ff.; MünchKommInsO/Brandes, § 96 Rz. 11. 2 BGH v. 4.5.1995 – IX ZR 256/93, BGHZ 129, 336 ff.; BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99; BGHZ 150, 353 ff. 3 BGH v. 3.12.1954 – V ZR 96/53, BGHZ 15, 333; Nerlich/Römermann/Wittkowski/Kruth, § 96 Rz. 8; Kayser, WM 2008, 1525 (1528). 4 Nerlich/Römermann/Wittkowski/Kruth, § 96 Rz. 15; MünchKommInsO/Brandes, § 96 Rz. 21; Ries/Rook in Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsO, § 96 Rz. 15. 5 MünchKommInsO/Brandes, § 96 Rz. 23; Sinz in Uhlenbruck, § 96 InsO Rz. 40. 6 BGH v. 30.6.2011 – IX ZR 155/08, BGHZ 190, 202.
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§7
Rz. 529
Beratung des gesicherten Glubigers
Insolvenzmasse schuldet. Die Vorschrift dient der Klarstellung und ist dem Umstand geschuldet, dass das einerseits infolge rechtsgeschäftlicher Verpflichtungen des Schuldners erlangte Vermögen nach § 35 Abs. 1 Alt. 2 InsO Teil der Insolvenzmasse ist, andererseits aber eine Verpflichtung der Insolvenzmasse nicht begründet wird. Daher kann der Gläubiger auch nur auf das insolvenzfreie bzw. das aus der Beschlagnahme freigegebene Vermögen1 des Schuldners zugreifen. Um den Gläubiger nicht völlig schutzlos zu stellen, befürwortet ein großer Teil der Literatur daher, zumindest bei Unkenntnis des Gläubigers von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine entsprechende Anwendung von § 406 BGB bzw. eine teleologische Reduktion des § 96 Abs. 1 Nr. 4 InsO und infolgedessen eine Aufrechnungsmöglichkeit des Insolvenzgläubigers. „Kennt der Vertragspartner hingegen das Insolvenzverfahren, ist ihm nur zu raten, vorab auf einer Zug-um-Zug-Leistung zu bestehen“2. e) Ausnahme nach § 96 Abs. 2 InsO 529 § 96 Abs. 2 InsO nimmt Verfügungen über Finanzsicherheiten sowie Verrechnungen aus bankrechtlichen Verträgen von den dargestellten Aufrechnungsbeschränkungen aus und verfolgt somit das Ziel, die Funktionsfähigkeit von Zahlungs- und Abrechnungssystemen von Gläubigerbanken im Interbankenverkehr aufrechtzuerhalten3. Der Terminus Verrechnung erfasst dabei sowohl gesetzliche als auch vertraglich herbeigeführte Aufrechnungslagen. Die Verrechnung hat allerdings spätestens bei Verfahrenseröffnung zu erfolgen4. 4. Aufrechnungserklärung 530 Allein aus der Kumulation von Aufrechnungslage und Nichtvorhandensein eines Aufrechnungsverbotes folgt noch nicht das Erlöschen der aufzurechnenden Forderungen. Es bedarf vielmehr nach § 388 BGB einer Erklärung gegenüber dem anderen Teil, welche weder unter einer Bedingung noch unter einer Zeitbestimmung abgegeben werden darf. Als Verfügungsgeschäft setzt die Aufrechnungserklärung ferner die Verfügungsbefugnis sowohl des Erklärenden als auch des Empfängers voraus. Da diese gem. § 80 Abs. 1 InsO mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Insolvenzverwalter übergegangen ist, kann die Aufrechnungserklärung folglich nur noch gegenüber diesem abgegeben werden. 5. Wirkungen der Aufrechnung 531 Die Aufrechnungserklärung hat nach § 389 BGB zur Folge, dass Haupt- und Gegenforderung, soweit sie sich decken, rückwirkend zum Zeitpunkt des Eintritts der Aufrechnungslage erlöschen. Bis zur Erklärung der Aufrechnung stehen sich beide Forderungen jedoch selbstständig gegenüber. Erbringt in diesem Zeitraum ein Insolvenzgläubiger im Unwissen um die bestehende Aufrechnungslage die ihm aufgrund der Hauptforderung obliegende Leistung, kann er diese nicht unter bereicherungsrechtlichen Gesichtspunkten zurückfordern, da die Forderung des Schuldners den Rechtsgrund dieser i.S.v. § 812 BGB darstellt. Da es sich bei der Aufrechnung um ein Gestaltungsrecht und nicht um eine Einrede handelt, scheidet auch eine Rückforderung unter Berücksichtigung von § 813 BGB aus. 532 Vertraglich vereinbarte oder infolge Verzuges geleistete Zinsen können hingegen nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen zurückgefordert werden5. Angesichts der Rückwirkung der Aufrechnungserklärung auf den Zeitpunkt des Entstehens der Aufrechnungslage gelten auch die Forderungen zu diesem Zeitpunkt als erloschen und können folglich keine Zinsforderungen mehr begründen. Darüber hinaus werden
1 BFH v. 1.9.2010 – VII R 35/08, BFHE 230, 490. 2 Kayser in HK-InsO, § 96 Rz. 61. 3 Sinz in Uhlenbruck, § 96 InsO Rz. 72; Nerlich/Römermann/Wittkowski/Kruth, § 96 Rz. 27 ff.; Leithaus in Andres/Leithaus, § 96 Rz. 11. 4 Kroth in Braun, InsO, § 96 Rz. 17. 5 FK-InsO/Bernsau, § 94 Rz. 30.
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Rz. 536
§7
Rücktritt und Kündigung wegen Nichterfüllung unwirksam, wenn eine Aufrechnungslage bestand und die Aufrechnung unverzüglich nachgeholt wird1. Nicht durch die Aufrechnung beeinträchtigt wird dagegen die Teilnahme des Gläubi- 533 gers am Insolvenzverfahren (vgl. § 6 Rz. 278 ff.). Er kann unbeschadet der erklärten Aufrechnung seine Forderung zur Tabelle anmelden. Dies hat den Vorteil, dass dem Insolvenzgläubiger, etwa für den Fall des Bestreitens der Aufrechnungsbefugnis, zumindest noch die Aussicht auf die Quote verbleibt. Übersteigt die Forderung des Insolvenzgläubigers die Forderung der Masse, mit der Folge, dass die Insolvenzforderung nur teilweise getilgt wird, sollte dem Insolvenzgläubiger geraten werden, zunächst seine volle Forderung zur Tabelle anzumelden, hierauf die Quote zu erhalten und erst anschließend die Aufrechnung zu erklären. Da eine der Vorschrift des § 52 InsO vergleichbare Regelung, die den zur Tabelle angemeldeten Anspruch auf den Ausfall beschränken würde, für die Aufrechnung nicht existiert, erhielte der Gläubiger in diesem Fall zunächst die Quote auf seine gesamte Forderung und könnte dann mit dem verbleibenden Teil die Aufrechnung erklären. Da dies zu einer höheren Befriedigung führt, als wenn der Gläubiger zunächst aufgerechnet und anschließend die verbleibende Forderung zur Tabelle angemeldet hätte, sollte der Insolvenzverwalter in diesem Falle die Initiative ergreifen und die Aufrechnung erklären und so die Quote des Insolvenzgläubigers auf den überschießenden Teil seiner Forderung beschränken2. 6. Zurückbehaltungsrechte in der Insolvenz Von der Aufrechnung zu unterscheiden ist das Zurückbehaltungsrecht des Schuld- 534 ners nach § 273 Abs. 1 BGB. Zwar ist auch hier erforderlich, dass sich zwei Forderungen gegenüberstehen. Anders als bei der Aufrechnung müssen diese aber nicht zwingend gleichartig sein. Vielmehr reicht es bereits aus, dass die Forderungen auf demselben rechtlichen Verhältnis beruhen. Dies setzt „ein innerlich zusammengehöriges einheitliches Lebensverhältnis voraus, welches es als wider Treu und Glauben verstoßend erscheinen ließe, wenn der eine Anspruch ohne Rücksicht auf den anderen geltend gemacht und verwirklicht werden könnte“3. Sind die Forderungen darüber hinaus auch gleichartig, ist sowohl die Möglichkeit der 535 Aufrechnung als auch diejenige der Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechtes gegeben. Da Letztere allerdings nur die Durchsetzbarkeit der Forderungen hemmt, während die Aufrechnung zu deren gegenseitigen Erlöschen führt, besteht für die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechtes in der Regel kein rechtlich schützenswertes Interesse. Daher ist bei gleichartigen und konnexen Forderungen in der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts zumeist die Erklärung einer Aufrechnung zu sehen4. Abgesehen davon, dass bestimmte Zurückbehaltungsrechte nach § 51 Nr. 2 und 3 InsO zu einem Absonderungsrecht führen können, verliert ein allein auf § 273 Abs. 1 BGB gestütztes Zurückbehaltungsrecht mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens aber ohnehin seine Wirkung5. Dies gilt zumindest insoweit, als ein Insolvenzgläubiger eine gegen den Schuldner 536 gerichtete Forderung durchzusetzen versucht6. Die mit der Geltendmachung des 1 MünchKommInsO/Brandes, § 94 Rz. 34. 2 MünchKommInsO/Brandes, § 94 Rz. 35. 3 BGH v. 17.3.1975 – VIII ZR 245/73, BGHZ 64, 122; BGH v. 27.9.1984 – IX ZR 53, 83, BGHZ 92, 194; BGH v. 3.7.1991 – VIII ZR 190/90, BGHZ 115, 99; Palandt/Heinrichs, § 273 Rz. 9; BeckOK Bamberger/Roth/Unberath, BGB, § 273 Rz. 18. 4 BGH v. 13.4.1983 – VIII ZR 320/80, MDR 1983, 1018; BGH v. 18.10.1985 – V ZR 82/84, NJW-RR 1986, 543; MünchKommBGB/Krüger, Bd. 2, § 273 Rz. 75; Staudinger/Gursky (2011), § 388 Rz. 13. 5 BGH v. 20.1.1965 – V ZR 214/62, BB 1965, 436; BGH v. 15.12.1994 – IX ZR 252/93, MDR 1995, 1134; BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 457/99, BGHZ 150, 138; Staudinger/Gursky (2008), § 894 Rz. 136; Palandt/Heinrichs, § 273 Rz. 20; FK-InsO/Imberger, § 51 Rz. 71. 6 „Praktische Relevanz hat dies bei der Durchsetzung des Herausgabeverlangens des Insolvenzverwalters in Bezug auf Handakten des Rechtsanwalts bzw. Unterlagen des Steuerberaters des Insolvenzschuldners“, FK-InsO/Imberger, § 51 Rz. 71; vgl. MünchKommInsO/Ganter, § 51
Hoffmann
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§7
Rz. 537
Beratung des gesicherten Glubigers
Zurückbehaltungsrechtes bezweckte Durchsetzung einer rein persönlichen Gegenforderung steht nämlich im Widerspruch zum Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger1. Wollte der Insolvenzverwalter anderenfalls einen massezugehörigen Gegenstand zur Insolvenzmasse ziehen, müsste er zuvor den von seinem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch machenden Schuldner in voller Höhe vor den übrigen Gläubigern befriedigen. Dies würde zu einer nicht gerechtfertigten und auch nicht vorgesehenen Privilegierung des Zurückbehaltungsrechtes im Insolvenzverfahren führen. Insolvenzgläubiger sind daher, sofern nicht zugleich die Möglichkeit der Aufrechnung besteht, verpflichtet, ihre Leistung voll zur Masse zu erbringen, obgleich sie im Gegenzug allenfalls eine quotale Befriedigung ihrer eigenen Forderung erwarten dürfen. 537 Massegläubiger hingegen können das Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB grundsätzlich uneingeschränkt geltend machen2. Da etwaige Masseverbindlichkeiten ohnehin nach § 53 Alt. 2 InsO vorweg aus der Insolvenzmasse zu berichtigen sind, kann deren Begleichung in der Regel keinen Einfluss auf die gleichmäßige Befriedigung der übrigen Gläubiger haben. Dementsprechend können beispielsweise Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen, soweit deren Erfüllung zur Insolvenzmasse verlangt wird3, oder aus ungerechtfertigter Bereicherung der Masse4 ein insolvenzfestes Zurückbehaltungsrecht des Massegläubigers begründen. Reicht die Insolvenzmasse allerdings nicht zur Befriedigung sämtlicher Massegläubiger (derselben oder einer höheren Rangklasse) aus, ist dagegen auch diesen die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechtes nach § 273 Abs. 1 BGB versagt5. Andernfalls nämlich stellte sich eine ungerechtfertigte Bevorzugung zurückbehaltungsberechtigter Massegläubiger mit der Folge ein, dass die nach § 209 Abs. 1 InsO vorgesehene Rangordnung der Befriedigung nicht mehr zwingend gewährleistet werden könnte. Denn gleich der Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts durch Insolvenzgläubiger, führte diese dazu, dass Forderungen zurückbehaltungsberechtigter Massegläubiger voll befriedigt werden müssten, während übrige Massegläubiger allenfalls die Insolvenzquote erhielten. 538 Darüber hinaus kann sich ein Ausschluss des Zurückbehaltungsrechtes aus dem Gesetz, vertraglicher Vereinbarung sowie insbesondere auch aus einem gesetzlichen Aufrechnungsverbot ergeben. Wegen der unterschiedlichen Wirkungen von Aufrechnung und Zurückbehaltungsrecht ist insoweit aber auf den jeweiligen Zweck des Aufrechnungsverbotes abzustellen. Soll es die Wirkungen der Zurückbehaltung ausschließen oder kommt die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechtes einer Aufrechnung gleich, so erstreckt sich das Verbot der Aufrechnung auch auf die Einrede des Zurückbehaltungsrechtes6.
1
2 3 4
5 6
Rz. 242; Brinkmann in Uhlenbruck, § 51 InsO Rz. 34 m.w.N.; Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 51 Rz. 49; Henckel in Jaeger, InsO, § 51 Rz. 52. BGH v. 15.12.1994 – IX ZR 252/93, MDR 1995, 1134; BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 457/99, BGHZ 150, 138; BGH v. 2.12.2004 – IX ZR 200/03, BGHZ 161, 241; MünchKommInsO/Ganter, § 51 Rz. 242; Henckel in Jaeger, InsO, § 51 Rz. 52. Büchler in Hamburger Kommentar zur InsO, § 51 Rz. 50; MünchKommInsO/Ganter, § 51 Rz. 242. BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, BGHZ 150, 353; Henckel in Jaeger, InsO, § 51 Rz. 53; MünchKommInsO/Ganter, § 51 Rz. 242 f.; Kroth in Braun, InsO, § 103 Rz. 55. Bspw. der Anspruch des Anfechtungsgegners aus § 144 Abs. 2 S. 1 InsO, den dieser dem Rückgewähranspruch der Insolvenzmasse aus § 143 Abs. 1 S. 1 InsO entgegenhalten kann; Zeuner in Leonhardt/Smid/Zeuner, InsO, § 143 Rz. 23, § 144 Rz. 6; BGH v. 29.4.1986 – IX ZR 145/85, MDR 1986, 1021. MünchKommInsO/Ganter, § 51 Rz. 242a. BGH v. 18.12.1954 – II ZR 206/53, BGHZ 16, 37; BGH v. 24.10.1962 – V ZR 1/61, BGHZ 38, 122; BGH v. 20.9.1978 – VIII ZR 2/78, WM 1978, 1326; BGH v. 16.6.1987 – X ZR 61/86, MDR 1988, 49; Palandt/Heinrichs, § 273 Rz. 14; BeckOK Bamberger/Roth/Unberath, BGB, § 273 Rz. 28.
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Hoffmann
§8 Beratung bei gegenseitigen Verträgen
I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines/Problemstellung . . . . . . . 2. Anwendungsbereich der §§ 103 ff. InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . 2. Tatbestandsvoraussetzungen. . . . . . . a) Gegenseitiger Vertrag . . . . . . . . . . . aa) Begriff der Gegenseitigkeit . . . bb) Von § 103 InsO erfasste Schuldverhältnisse – Übersicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Nicht von § 103 InsO erfasste Schuldverhältnisse – Übersicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beiderseits nicht vollständige Erfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wahlrecht des Insolvenzverwalters . . a) Erklärung des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aufforderung zur Wahlrechtsausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsfolgen des Erfüllungsverlangens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtsfolgen der Erfüllungsablehnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Praxistipp/Musterschreiben . . . . . . . . III. Einfluss der Insolvenzeröffnung auf Fixgeschäfte und Finanzleistungen, § 104 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . 2. Fixgeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tatbestandsvoraussetzungen . . . . b) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Finanzleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tatbestandsvoraussetzungen . . . . b) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Besonderheiten bei Verträgen über teilbare Leistungen, § 105 InsO . . . . . . 1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . 2. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . a) Teilbare Leistungen . . . . . . . . . . . . b) Vorleistung des Vertragspartners . 3. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ausschluss des Rückgabeanspruchs, § 105 Satz 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Praxistipp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Einfluss der Insolvenzeröffnung auf vorgemerkte Ansprüche, § 106 InsO . . 1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . 2. Vormerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zeitpunkt des Entstehens der Vormerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 7 10 10 15 15 15
16
17 20 28 35 40 47 54 64
68 68 71 71 75 80 80 87 91 91 95 95 98 99 107 111 114 114 115 127
4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 5. Rechtliche Bedeutung des § 106 Abs. 1 Satz 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . 141 6. Praxistipp/Musterschreiben . . . . . . . . 142 VI. Besonderheiten bei unter Eigentumsvorbehalt geschlossenen Kaufverträgen, § 107 InsO . . . . . . . . . . . . . . 144 1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . 144 2. Insolvenz des Vorbehaltsverkäufers, § 107 Abs. 1 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 3. Insolvenz des Vorbehaltskäufers, § 107 Abs. 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 4. Praxistipp/Musterschreiben . . . . . . . . 172 VII. Sonderregelungen für die Behandlung von Dauerschuldverhältnissen, insbesondere bei Miete und Pacht, §§ 108–112 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . 174 2. Fortbestehen bestimmter Dauerschuldverhältnisse, § 108 Abs. 1 InsO . 181 a) Miete und Pacht von Immobilien und Räumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 b) Dienstverträge . . . . . . . . . . . . . . . . 187 c) Finanzierte Mobilienmiet- und Pachtverträge (Leasing). . . . . . . . . 189 d) Sale-and-lease-back-Verfahren . . 192a e) Darlehensverträge . . . . . . . . . . . . 192d 3. Rang der Ansprüche, § 108 Abs. 3 InsO (§ 108 Abs. 2 InsO a.F.) . . . . . . . . 193 4. Insolvenz des Mieters oder Pächters, § 109 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 a) Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 b) Schadensersatzanspruch des Vermieters nach § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 aa) Vorzeitige Beendigung . . . . . . 214a bb) Abwicklungsverhältnis . . . . . 216a c) Wohnraummiete des Schuldners . . 217 d) Rücktrittsrechte . . . . . . . . . . . . . . . 222 e) Schadensersatzanspruch des Vermieters nach § 109 Abs. 2 Satz 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 f) Erklärungsverlangen . . . . . . . . . . . 227 5. Insolvenz des Vermieters oder Verpächters, § 110 InsO . . . . . . . . . . . . 228 a) Verfügungsverbote . . . . . . . . . . . . . 228 b) Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 6. Veräußerung des Miet- oder Pachtobjekts, § 111 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . 238 a) Tatbestandsvoraussetzungen . . . . 238 b) Sonderkündigungsrecht des Erwerbers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 c) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 7. Kündigungssperre, § 112 InsO . . . . . . 250
Dahl
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§8
8. 9. VIII.
1. 2. 3. 4. 5.
6.
Rz. 1 a) Reichweite des Kündigungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Miet- und Pachtverträge . . . bb) Ausgeschlossene Kündigungsgründe . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . c) Analoge Anwendung . . . . . . . . . . Zwischenvermietung . . . . . . . . . . . . Praxistipp/Musterschreiben . . . . . . Erlöschen von Aufträgen und Geschäftsbesorgungsverträgen, §§ 115, 116 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . Tatbestandsvoraussetzungen, §§ 115 Abs. 1, 116 Satz 2 InsO . . . . . Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Notgeschäftsführung, §§ 115 Abs. 2, 116 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unverschuldete Unkenntnis der Eröffnung, §§ 115 Abs. 3, 116 Satz 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Praxistipp/Musterschreiben . . . . . .
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
. . 250 . . 251 . . . . .
. 256 . 258 . 266 268b . 269
. . 273 . . 273 . . 275 . . 280 . . 285
. . 288 . . 289
IX. Erlöschen von Vollmachten, § 117 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . 2. Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . 3. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Notgeschäftsführung und Insolvenzunkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Unwirksamkeit abweichender Vereinbarungen, § 119 InsO . . . . . . . . 1. Allgemeines/Normzweck . . . . . . . . . . . 2. Lösungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätzliche (Un-)Zulässigkeit von Lösungsklauseln . . . . . . . . . . . b) Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kündigungsrecht gemäß § 8 Nr. 2 Abs. 1 VOB/B . . . . . . . bb) AGB-Banken . . . . . . . . . . . . . . cc) Notarielle Gestaltungspraxis . dd) Gesetzliche Lösungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Verstoß gegen §§ 108, 109, 112 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
292 292 294 299 302 308 308 309 310 323 323 326 327 328 329
I. Grundlagen 1. Allgemeines/Problemstellung 1 Sofern nicht bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren ein vorläufiger „starker“ Insolvenzverwalter gemäß §§ 21 Abs. 2 Nr. 1, 22 Abs. 1 InsO bestellt wurde, geht spätestens nach § 80 Abs. 1 InsO mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über (vgl. auch § 6 Rz. 147). Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bringt es dabei mit sich, dass auch der von Gläubiger und Schuldner ursprünglich verabredete Leistungsaustausch gefährdet wird und es zu einer Leistungsstörung kommen kann1. 2 Das so genannte Insolvenzvertragsrecht, das in den §§ 103 ff. InsO gesetzlich fixiert ist, enthält Regelungen, die es dem Insolvenzverwalter im Interesse der Insolvenzmasse ermöglichen, auf gegenseitigen Verträgen beruhende laufende Vertragsbeziehungen des Schuldners fortzuführen, oder aber – sofern möglich – die Erfüllung zu verweigern2. Das in § 103 InsO enthaltene Wahlrecht modifiziert dabei die im Privatrecht geltende Maxime, dass Verträge eingehalten werden müssen (pacta sunt servanda), für den Insolvenzfall dahin gehend, dass dem Insolvenzverwalter ein dem Schuldner nicht zustehendes Gestaltungsrecht zuerkannt wird3, von dessen Ausübung es in der Regel abhängt, ob der Vertrag durchgeführt wird oder nicht. 3 Ist der gegenseitige Vertrag hingegen bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens von beiden Seiten vollständig erfüllt worden, berühren die §§ 103 ff. InsO das Vertragsverhältnis nicht: Das Schuldverhältnis ist durch Erfüllung erloschen und die erbrachten Leistungen verbleiben bei der jeweils anderen Vertragspartei. Anderes kann freilich dann gelten, wenn mit der Vermögensverschiebung zugunsten des Vertragspartners des späteren Schuldners einer der in den §§ 129 ff. InsO geregelten Anfechtungstatbestände verwirklicht worden ist (zur insolvenzrechtlichen Anfechtung vgl. § 10). 4 Auch in den Fällen, in denen der gegenseitige Vertrag bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens von wenigstens einer Vertragspartei vollständig erfüllt wurde, 1 Marotzke in HK-InsO, § 103 Rz. 8. 2 Ausführlich zum Ganzen: Marotzke, Gegenseitige Verträge im neuen Insolvenzrecht. 3 Kilger/K. Schmidt, Kommentar zur KO, 17. Aufl. (1997), § 17 Rz. 4a.
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Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO
Rz. 10
§8
bleibt es bei den allgemeinen Regeln und die §§ 103 ff. InsO finden grundsätzlich keine Anwendung1. Hat lediglich der spätere Schuldner seine Leistungspflichten bereits vor Verfahrens- 5 eröffnung vollständig erbracht, darf sie der Vertragspartner behalten, ist aber seinerseits gehalten, die Gegenleistung in die Masse zu erbringen. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang die Vorschrift des § 82 Satz 1 InsO. Leistet der Gläubiger nach Verfahrenseröffnung zur Erfüllung einer ihm obliegenden Verbindlichkeit an den Schuldner, obwohl die Verbindlichkeit zur Insolvenzmasse zu erfüllen war, so wird er von seiner Leistungspflicht nur dann befreit, wenn er zur Zeit der Leistung die Eröffnung des Verfahrens nicht kannte. Ist lediglich der Vertragspartner des späteren Schuldners seinen Leistungsverpflich- 6 tungen aus dem gegenseitigen Vertrag bereits vor Verfahrenseröffnung vollständig nachgekommen, fällt die Leistung in die Masse. Den ihm zustehenden Anspruch auf die Gegenleistung kann der Vertragspartner aber nicht realisieren. § 105 Satz 2 InsO ordnet insofern unmissverständlich an, dass der andere Teil nicht berechtigt ist, wegen der Nichterfüllung seines Anspruchs auf die Gegenleistung die Rückgabe einer vor Verfahrenseröffnung in das Vermögen des Schuldners übergegangenen Leistung aus der Insolvenzmasse zu verlangen. Dem Vertragspartner des Schuldners bleibt daher keine andere Möglichkeit, als seinen Anspruch auf die Gegenleistung als Insolvenzforderung weiterzuverfolgen und zur Insolvenztabelle anzumelden. 2. Anwendungsbereich der §§ 103 ff. InsO Gerade für die Praxis scheint es sinnvoll, zunächst eine Abgrenzung der Anwen- 7 dungsbereiche der einzelnen Regelungen innerhalb der §§ 103 ff. InsO vorzunehmen. Dabei gilt, dass die Regelung des § 103 InsO bei zur Zeit der Verfahrenseröffnung weder vom Schuldner noch vom anderen Teil erfüllten oder nicht vollständig erfüllten gegenseitigen Verträgen als Grundsatznorm immer dann zur Anwendung kommt, wenn keine speziellere Vorschrift eingreift. Solche Sondervorschriften sind in den §§ 104–128 InsO enthalten: § 104 InsO für Fix- 8 geschäfte- und Finanzleistungen, § 105 InsO für teilbare Leistungen, § 106 InsO für Vormerkungsansprüche, § 107 InsO für den Kauf unter Eigentumsvorbehalt, §§ 108–112 InsO für Miete, Pacht und Darlehen in der Insolvenz des Darlehensgebers, § 115 InsO für Auftragsverhältnisse, § 116 InsO für Geschäftsbesorgungsverträge, § 117 für Vollmachten, § 118 InsO für die Auflösung von Gesellschaften sowie die §§ 113, 114, 120–128 InsO für die Dienst- und Arbeitsverträge. Überdies ist Art. 102b EGInsO bei der Insolvenz von Clearingmitgliedern zu beachten. Im vorliegenden Kapitel werden die Vorschriften der §§ 103–112 InsO, §§ 115–117 InsO 9 und § 119 InsO sowie § 104a InsO-E bzw. Art. 102b EGInsO näher erläutert, während die in den §§ 113, 114 InsO und §§ 120–128 InsO enthaltenen arbeitsrechtlichen Regelungen in § 12 (Arbeitsverhältnisse in der Insolvenz) behandelt werden. II. Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO 1. Allgemeines/Normzweck2 Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners verlieren 10 Ansprüche und Forderungen aus Verträgen, die weder vom Gemeinschuldner noch von seinem Vertragspartner voll erfüllt sind, ihre Durchsetzbarkeit. Der Vertrag als solcher bleibt in seinem Bestand unberührt3, kann im eröffneten Verfahren aber nur
1 Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 103 Rz. 57; Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 103 Rz. 19. 2 Ausführlich zu den dogmatischen Grundlagen: MünchKommInsO/Kreft, § 103 Rz. 8 ff. 3 BGH v. 27.5.2003 – IX ZR 51/02, NZI 2003, 491; BGH v. 23.11.2006 – II R 38/05, ZIP 2007, 976; MünchKommInsO/Kreft, § 103 Rz. 18, 20.
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§8
Rz. 11
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
insolvenzmäßig abgewickelt werden1. Nach § 103 InsO kann der Insolvenzverwalter entweder die Durchsetzbarkeit durch die Wahl der Erfüllung des Vertrags wiederaufleben oder mit der Wahl der Nichterfüllung endgültig scheitern lassen. 11 § 103 InsO dient dazu, einen Ausgleich der Interessen der Vertragspartner bei beiderseits nicht erfüllten Verträgen herbeizuführen und dabei einen doppelten Zweck zu erreichen2. Während einerseits dem Vertragspartner der Schutz des funktionalen Synallagmas auch in der Insolvenz erhalten bleibt und er nur zur Leistung verpflichtet sein soll, wenn der Insolvenzverwalter ihm im Gegenzug eine vollwertige Gegenleistung anbieten kann, soll andererseits dem Verwalter die Möglichkeit eingeräumt werden, im Interesse der Insolvenzmasse beiderseits nicht erfüllte Verträge zu erfüllen und den entsprechenden Gegenwert für die Masse zu realisieren. 12 Nach der bisherigen (seit 1988) ständigen Rechtsprechung des BGH3 erloschen mit Insolvenzeröffnung die gegenseitigen Erfüllungsansprüche und konnten nur durch die Erklärung des Insolvenzverwalters, er wähle gemäß § 103 InsO die Erfüllung, wieder entstehen (Erlöschenstheorie). 13 Nach neuer Rechtsprechung des BGH4 bewirkt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens kein Erlöschen der Erfüllungsansprüche aus gegenseitigen Verträgen im Sinn einer materiell-rechtlichen Umgestaltung; vielmehr verlieren die noch offenen Ansprüche im Insolvenzverfahren ihre Durchsetzbarkeit, soweit sie nicht auf die anteilige Gegenleistung für vor Verfahrenseröffnung erbrachte Leistungen gerichtet sind (Suspensivtheorie). 14 Wählt der Verwalter Erfüllung, so erhalten die zunächst nicht durchsetzbaren Ansprüche die Rechtsqualität von originären Forderungen der Masse einerseits und gegen die Masse andererseits. Hierbei sind die aufgrund gegenseitiger Verträge geschuldeten Leistungen nach Auffassung des BGH5 regelmäßig teilbar, wenn sich die vor und nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachten Leistungen feststellen und bewerten lassen. Der BGH schlägt daher für einen Werkvertrag vor, die vor und nach Eröffnung des Verfahrens erfolgten Leistungen der Schuldnerin gesondert abzurechnen, wobei dieselben Maßstäbe anzuwenden sind, wie wenn der Bauvertrag im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus wichtigem Grund gekündigt worden wäre6. 14a Da der materiell-rechtliche Inhalt des Vertrages durch das Erfüllungsverlangen nicht verändert wird, ist auf gegenseitige Verträge, die vor Inkrafttreten des neuen Schuldrechts am 1.1.2002 abgeschlossen wurden, das bisherige Recht gemäß Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB auch dann anzuwenden, wenn das Erfüllungsverlangen durch den Insolvenzverwalter erst nach dem 1.1.2002 ausgesprochen wurde7.
1 BGH v. 27.5.2003 – IX ZR 51/02, NZI 2003, 491; MünchKommInsO/Kreft, § 103 Rz. 13; Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 103 Rz. 157. 2 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand August 2012, § 103 Rz. 3 m.w.N.; dazu ausführlich Stamm, KTS 2011, 421 ff. 3 BGH v. 11.2.1988 – IX ZR 36/87, BGHZ 103, 250 (252) = NJW 1988, 1790; BGH v. 20.12.1988 – IX ZR 50/88, BGHZ 106, 236 (242) = NJW 1989, 1282; BGH v. 21.11.1991 – IX ZR 290/90, BGHZ 116, 156 (158) = NJW 1992, 507; BGH v. 4.5.1995 – IX ZR 256/93, BGHZ 129, 336 (338) = NJW 1995, 1966; BGH v. 27.2.1997 – IX ZR 5/96, BGHZ 135, 25 (26) = ZIP 1997, 688 dazu Kreft, ZIP 1997, 865; BGH v. 27.5.2003 – IX ZR 51/02, NJW 2003, 2744. 4 BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, NZI 2002, 375 = ZIP 2002, 1093; seither ständige Rspr., BGH v. 17.11.2005 – IX ZR 162/04, ZInsO 2006, 35; s. dazu auch Huber, NZI 2002, 467, Huber, NZI 2004, 57; Graf/Wunsch, ZIP 2002, 2117 und Mohrbutter/Mohrbutter, DZWIR 2003, 1. Jüngst BGH v. 7.2.2013 – IX ZR 218/11, NZI 2013, 296; s. dazu Dahl/D. Schmitz, NZI 2013, 631. 5 BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, NZI 2002, 375 = ZIP 2002, 1093. 6 BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, NZI 2002, 375 = ZIP 2002, 1093; Meyer, NZI 2014, 679. 7 Kreft, ZInsO 2003, 1120.
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Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO
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2. Tatbestandsvoraussetzungen a) Gegenseitiger Vertrag aa) Begriff der Gegenseitigkeit Der in § 103 Abs. 1 InsO enthaltene Begriff „gegenseitiger Vertrag“1 wird in demsel- 15 ben Sinne wie bei §§ 320 ff. BGB verwendet. Gemeint ist damit ein Vertrag, bei dem die Verpflichtungen der Vertragsparteien synallagmatisch verknüpft sind, also im gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehen und die eine somit um der anderen willen erbracht wird (Austauschvertrag: „do, ut des“)2. Eine darüber hinausgehende objektive Gleichwertigkeit der sich gegenüberstehenden Leistungen ist nicht erforderlich3, da insofern in den Grenzen des § 138 BGB allein der Parteiwille maßgeblich ist4. bb) Von § 103 InsO erfasste Schuldverhältnisse – Übersicht5 Als unter § 103 InsO fallend können beispielhaft folgende Vertragstypen aufgezählt 16 werden: – Bauverträge als Werkverträge i.S.d. § 631 BGB sowie als Werklieferungsverträge nach § 651 BGB, auf die Kaufvertragsrecht Anwendung findet6; – auf Bauträgerverträge ist § 103 InsO dann anwendbar, wenn der Bauträger auf seinem Grundstück für eigene Rechnung baut; – Darlehensverträge (§§ 488 ff. BGB), soweit es sich um verzinsliche Darlehen handelt und die Darlehensauszahlung bei Verfahrenseröffnung noch nicht oder jedenfalls nicht vollständig erfolgt ist; – Energielieferungsverträge; – beim Factoring gilt § 103 InsO in der Insolvenz des Factors sowie bei Insolvenz des Anschlusskunden nur für bereits vereinbarte Foderungsankäufe, soweit die Forderungen nicht bereits abgetreten und vom Factor bezahlt sind7; – Frachtverträge in der Insolvenz des Frachtführers. Bei Insolvenz des Geschäftsherrn findet wegen des Geschäftsbesorgungscharakters § 116 InsO Anwendung; – Kaufverträge (§ 433 BGB) einschließlich des Handelskaufs (§§ 373 ff. HGB) und der Tauschverträge (§ 480 BGB); – bei Kommissionsverträgen (§§ 383 ff. HGB) gilt § 103 InsO in der Insolvenz des Kommissionärs; bei Insolvenz des Kommittenten findet grundsätzlich § 116 InsO Anwendung; – Leasingverträge über bewegliche Sachen, soweit nicht in der Insolvenz des Leasinggebers § 108 Abs. 1 Satz 2 InsO vorrangig ist. Für das Immobilarleasing gilt § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO; – Lizenzverträge, insbesondere für Patente, Filme oder Software8; – Maklervertrag bei Verpflichtung des Maklers, einen bestimmten Erfolg herbeizuführen und dafür einzustehen; sonst gilt § 116 InsO; 1 2 3 4 5 6 7 8
Vgl. hierzu auch Ahrendt in Hamburger Kommentar zur InsO, § 103 Rz. 5 ff. RG v. 5.4.1935 – II 327/34, RGZ 147, 340 (342). RG v. 17.2.1913 – IV 556/12, RGZ 81, 364 (365). MünchKommInsO/Huber, § 103 Rz. 55; Kuhn/Uhlenbruck, Kommentar zur KO, 11. Aufl. (1994), § 17 KO Rz. 1a. Vgl. dazu auch MünchKommInsO/Huber, § 103 Rz. 66 ff.; Ahrendt in Hamburger Kommentar zur InsO, § 103 InsO Rz. 7. Zu den besonderen Problemen bei Bauverträgen in der Insolvenz vgl. Kreft, FS Uhlenbruck, 2000, S. 387 ff.; Heidland, FS Uhlenbruck, 2000, S. 423 ff.; C. Schmitz, ZIP 2001, 765 ff. Sinz in Kölner Schrift zur InsO, Kap. 14 Rz. 100 ff. LG Mannheim v. 27.6.2003 – 7 O 127/03, ZIP 2004, 576 = DZWIR 2003, 479; vgl. dazu auch Koehler/Ludwig, NZI 2007, 79; McGuire/von Zumbusch/Joachim, GRUR Int 2006, 682; Dengler/Gruson/Spielberger, NZI 2006, 677; Berger, NZI 2006, 380; Huber/Riewe, ZInsO 2006, 290; Hombrecher, WRP 2006, 219; Bausch, NZI 2005, 289; Schmoll/Hölder, GRUR 2004, 743; 830; Abel, NZI 2003, 121 ff.; Wallner, ZIP 2004, 2073; Wallner, NZI 2002, 70 ff.; Brandt, NZI 2001, 337; Paulus, ZIP 1996, 2 ff.; v. Frentz/Marrder, ZUM 2003, 94 ff.; Stickelbrock, WM 2004, 549 (555 ff.); allgemein zu Immaterialgüterrechten in der Insolvenz Hoffmann, ZInsO 2003, 732 ff.
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§8
Rz. 17
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
– Miet- und Pachtverträge über bewegliche Sachen und Rechte. Für unbewegliche Sachen oder Räume gelten die in den §§ 108 ff. InsO enthaltenen Sondervorschriften; – Reiseverträge; – Sicherungsverträge, in denen sich der Darlehensnehmer zur Bestellung von Sicherheiten für den gewährten Kredit verpflichtet; – Speditionsverträge (§§ 453 ff. HGB) in der Insolvenz des Spediteurs; in der Insolvenz des Versenders gilt demgegenüber § 116 InsO; – Vergleiche grundsätzlich dann, wenn die von den Parteien übernommenen Verpflichtungen gegenseitig voneinander abhängen1; – Versicherungsverträge, die vom Schuldner als Versicherungsnehmer abgeschlossen wurden (siehe auch Rz. 19) Der BGH2 hat jedoch entschieden, dass bei privaten Krankenversicherungsverträgen § 103 InsO nicht anwendbar sei. Es handele sich bei diesen Ansprüchen um unpfändbare Ansprüche i.S.d. § 850b ZPO. Unpfändbare Ansprüche gehörten gemäß § 36 InsO nicht zur Insolvenzmasse. § 850b ZPO sei zwar in den nach § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO anzuwenden Vorschriften nicht aufgeführt, Sinn und Zweck des § 850b ZPO gebiete es aber, die Vorschrift im Insolvenzverfahren entsprechend anzuwenden; – die entgeltliche Verwahrung (§§ 688, 689 BGB) sowie das Lagergeschäft (§§ 467 ff. HGB); – Werk- und Werklieferungsverträge nach §§ 631, 651 BGB, soweit ihnen kein Geschäftsbesorgungscharakter zukommt, der die Anwendbarkeit des § 116 InsO begründen würde; – schließlich findet § 103 InsO zumindest analog Anwendung auf so genannte Rückabwicklungsschuldverhältnisse, beispielsweise bei Ausübung des vertraglichen oder gesetzlichen Rücktrittrechts3; – vertragliche Wettbewerbsabreden, wenn das Dienst-/Arbeitsverhältnis erst vom Insolvenzverwalter gekündigt wird4. cc) Nicht von § 103 InsO erfasste Schuldverhältnisse – Übersicht 17 Nicht in den Anwendungsbereich der Grund- und Auffangnorm des § 103 InsO fallen zunächst die Schuldverhältnisse, deren Regelung eigens dafür geschaffenen Sondervorschriften vorbehalten ist, z.B.: – Fixgeschäfte- und Finanzleistungen, § 104 InsO, Art. 102b EGInsO; – Verträge über teilbare Leistungen, § 105 InsO; – Vorgemerkte Ansprüche, § 106 InsO; – Eigentumsvorbehalt, § 107 InsO; – Miet- und Pacht sowie ähnliche Schuldverhältnisse, §§ 108–112 InsO; – Dienstverhältnisse, §§ 108 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 113, 114, 120–128 InsO; – Auftrag und Geschäftsbesorgungsverträge, §§ 115, 116 InsO; – Vollmachten, § 117 InsO; – Auflösung von Gesellschaften, § 118 InsO; – Darlehensverträge in der Insolvenz des Darlehensgebers, § 108 Abs. 2 InsO.
1 BGH v. 12.12.1991 – IX ZR 178/91, BGHZ 116, 319 = NJW 1992, 967 (970); die Gerichtskosten eines Vergleichs sind grundsätzlich Insolvenzforderung, OLG Köln v. 10.9.2004 – 17 W 150/04, ZIP 2004, 2247 = ZInsO 2004, 1317 = NZI 2004, 665. 2 BGH v. 19.2.2014 – IV ZR 163/13, NZI 2014, 369. 3 Marotzke in HK-InsO, § 103 Rz. 33; Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 103 Rz. 15; s. dazu auch Häsemeyer, KTS 2002, 603 ff.; jedoch offen gelassen von BGH v. 22.1.2009 – IX ZR 66/07, ZIP 2009, 428 = NZI 2009, 235. 4 BGH v. 8.10.2009 – IX ZR 61/06, NZI 2009, 984.
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Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO
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§8
§ 119 InsO bestimmt in diesem Zusammenhang ausdrücklich, dass Vereinbarungen, durch die im Voraus die Anwendung der §§ 103–118 InsO ausgeschlossen oder beschränkt wird, unwirksam sind.
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Unabhängig davon findet § 103 InsO keine Anwendung bei: 19 – schon vor Insolvenzeröffnung beiderseits oder einseitig voll erfüllten gegenseitigen Verträgen1; – lediglich einseitig verpflichtenden Verträgen wie Schenkung (§ 516 BGB), Schenkungsversprechen (§ 518 BGB), Auslobung (§ 657 BGB); Bürgschaftsvertrag (§ 765 BGB), sofern nicht der Bürgschaftsgläubiger ausnahmsweise eine Gegenleistung übernimmt; – unvollkommen zweiseitigen Verträgen, bei denen nur eine Partei die vertragstypische Leistung erbringen muss, wie unverzinsliche Darlehen (§ 607 BGB), Leihe (§ 598 BGB) und unentgeltliche Verwahrung (§ 688 BGB) mit Ausnahme des Auftrags, für den § 115 InsO gilt; – unvollkommenen Verbindlichkeiten, die keine erzwingbaren Verbindlichkeiten begründen, wie Spiel/Wette (§ 763 BGB) und Heiratsvermittlung (§ 656 BGB); – einem Grundstückserwerb in der Zwangsversteigerung; – Erbbaurechtsverträge2; – der Übernahme der Aktien durch die Gründer einer Aktiengesellschaft (§§ 23 ff. AktG) oder der Zeichnung neuer Aktien bzw. dem Verlangen neuer Aktien bei Kapitalerhöhung gegen Einlage (§§ 182 ff. AktG); – Tarifverträgen; – Vereinsmitgliedschaften im Hinblick auf die Beitragspflichten des Mitglieds; – Gesellschaftsverträgen, weil nach vorherrschender Ansicht die Leistungspflichten der Gesellschafter nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis zueinander stehen3; – Versicherungsverhältnissen in der Insolvenz des Versicherers4: Lebens-, Unfall-, private Pflege- und Krankenversicherungen erlöschen gemäß § 16 Abs. 2 VVG i.V.m. §§ 77b VAG mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens; gesetzlich vorgeschriebene Haftpflichtversicherungen sowie die Pflichtversicherungen i.S.v. § 113 Abs. 1 PflVG erlöschen mit Ablauf eines Monats, nachdem der Versicherer die Verfahrenseröffnung der zuständigen Stelle angezeigt hat, § 117 Abs. 6 VVG; in allen anderen Fällen endet das Vertragsverhältnis mit dem Ablauf eines Monats seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 16 Abs. 1 VVG)5. §§ 16 Abs. 2 VVG, 77b VAG gehen insoweit den §§ 103 ff. InsO vor. In der Insolvenz des Versicherungsnehmers bleibt § 103 InsO jedoch anwendbar. § 16 VVG behandelt anders als noch § 14 VVG a.F. ausschließlich die Insolvenz des Versicherers. Für ein Sonderkündigungsrecht des Versicherers in der der Insolvenz des Versicherungsnehmers besteht schon kein Bedürfnis6. – Verlagsverträgen in der Insolvenz des Verfassers, es sei denn das Urheberrecht fällt in die Insolvenzmasse, wofür gemäß § 113 UrhG die Einwilligung des insolventen Verfassers, bei bloßer Miturheberschaft überdies die Einwilligung aller übriger Urheber notwendig ist; in der Insolvenz des Verlegers kann der Verfasser nach § 36 Abs. 3 VerlG vom Vertrag zurücktreten, wenn mit der Vervielfältigung des Werks noch nicht begonnen wurde, ansonsten gilt § 103 InsO; 1 S. dazu bereits oben Rz. 3 ff. 2 BGH v. 20.10.2005 – XI ZR 145/04, ZIP 2005, 2267 = NZI 2006, 97; hierzu Tintelnot, EWiR 2006, 313. 3 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 103 Rz. 22 m.w.N.; MünchKommInsO/Huber, § 103 Rz. 114 ff. m.w.N. 4 MünchKommVVG/Fausten, § 16 Rz. 1 ff.; Rixecker in Römer/Langheid, Versicherungsgesetz, § 16 Rz. 1 ff. 5 Zum Sonderkündigungsrecht des Versicherungsnehmer bei drohender Insolvenz des Versicherers MünchKommVVG/Fausten, § 16 Rz. 33 ff. 6 MünchKommVVG/Fausten, § 16 Rz. 10 f.; Rixecker in Römer/Langheid, Versicherungsgesetz, § 16 Rz. 4.
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Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
– Schiedsabreden, die der Schuldner getroffen hat1. Grundsätzlich ist der Insolvenzverwalter an vorinsolvenzliche Schiedsabreden gebunden. Nach einer Entscheidung des BGH2 besteht aber keine Bindungswirkung an eine vom Schuldner vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeschlossenen Schiedsabrede, sofern sie das Wahlrecht des § 103 InsO an sich erfasst und der Insolvenzverwalter die Erfüllung ablehnt. Dies stellt eine konsequente Ausweitung der bisher ergangenen BGH-Rechtsprechung dar. Bereits im Jahr 1956 hat der BGH eine Bindungswirkung von Schiedsabreden ausgeschlossen, wenn diese Ansprüche die Insolvenzanfechtung betreffen3. Schließlich ergebe sich der Rückgewähranspruch aus Insolvenzanfechtung nicht aus dem anfechtbar geschlossenen Vertrag, sondern aus einem selbstständigen, der Verfügungsgewalt des Schuldners entzogenen Recht des Insolvenzverwalters. Auch bei dem Wahlrecht aus § 103 InsO handelt es sich um ein insolvenzspezifisches Recht, dass erst mit Insolvenzeröffnung entsteht und über das nur der Insolvenzverwalter verfügen kann. Folgerichtig ist es daher grundsätzlich von einer vor Insolvenzeröffnung geschlossenen Schiedsabrede nicht erfasst. Wählt der Insolvenzverwalter hingegen die Vertragserfüllung, ist er auch an die ursprüngliche Schiedsabrede gebunden. Sobald der Insolvenzverwalter die Erfüllung wählt, entscheidet er sich für den Vertrag als Ganzes inklusive aller Nebenabreden und einer vor Insolvenz geschlossenen Schiedsabrede4. b) Beiderseits nicht vollständige Erfüllung 20 Das Schuldverhältnis darf von keiner Seite bei Eröffnung des Verfahrens vollständig erfüllt sein, wobei für die Erfüllung maßgeblich ist, ob der vertraglich geschuldete Leistungserfolg eingetreten ist, weshalb die bloße Vornahme aller für die Herbeiführung des Erfolges erforderlichen Leistungshandlungen allein nicht ausreichend ist5. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Vollständigkeit der Erfüllung ist derjenige der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. 21 Ob Erfüllung i.S.d. § 103 InsO danach eingetreten ist, ist allgemeiner Ansicht6 nach am Erfüllungsbegriff des § 362 Abs. 1 BGB zu messen, wobei die vom BGB anerkannten Erfüllungssurrogate wie insbesondere die Aufrechnung (§ 389 BGB), die Annahme an Erfüllungs statt (§ 364 Abs. 1 BGB) und die schuldbefreiende Hinterlegung (§ 378) der Erfüllung ebenso gleichstehen wie der Erwerb im Wege der Zwangsvollstreckung und der Erlass (§ 397 BGB). Die Leistung erfüllungshalber, wie etwa bei Hingabe von Schecks oder Wechseln, schließt das Wahlrecht demgegenüber nicht aus. Die Erfüllung muss zudem vollständig sein, bei bloßen Teilleistungen bleibt § 103 InsO, ggf. i.V.m. § 105 InsO, anwendbar. 22 Andererseits ist Erfüllung selbst dann nicht gegeben, wenn auch nur eine Nebenleistung aussteht7. Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters besteht daher auch dann, wenn der Käufer die Kaufsache noch nicht abgenommen hat, das vor Verfahrenseröffnung erstellte Werk mit Sach- oder Rechtsmängeln behaftet ist oder ein vor Verfahrenseröffnung verwirkter Verzugsschaden oder eine Vertragsstrafe ausstehen8.
1 BGH v. 20.11.2003 – III ZB 24/03, ZInsO 2004, 88; s. dazu auch Kück, ZInsO 2006, 11; SchulteFrohlinde/Wilts, ZInsO 2006, 196. 2 BGH v. 30.6.2011 – III ZB 59/10, NZI 2011, 634. 3 BGH v. 28.2.1957 – VII ZR 204/56, NJW 1957, 791. 4 Vgl. dazu Dahl/Thomas, GWR 2011, 368; Dahl/Thomas, NZI 2012, 534; Prütting, EWiR 2011, 545. 5 Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 103 Rz. 59; MünchKommInsO/Huber, § 103 Rz. 122 m.w.N. 6 OLG Naumburg v. 20.2.2002 – 5 U 153/01, ZInsO 2002, 677; MünchKommInsO/Huber, § 103 Rz. 122 f. m.w.N.; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Februar 2013, § 103 Rz. 147; Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 103 Rz. 20; Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 103 Rz. 27 ff. 7 MünchKommInsO/Huber, § 103 Rz. 123; Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 103 Rz. 33. 8 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 103 Rz. 34; MünchKommInsO/Huber, § 103 Rz. 135 ff.
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Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO
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Beim Versendungskauf nach § 447 BGB tritt Erfüllung nicht schon bei Versendung 23 der Ware, sondern erst bei Eigentumserwerb des Käufers ein1. Bei einem durchgeführten Werkvertrag hat der Unternehmer durch Herstellung des mangelfreien Werkes oder nach Beseitigung sämtlicher Mängel seine Verpflichtung erfüllt, wobei die Erfüllungswirkung in der Regel erst mit Abnahme eintritt2, sofern Letztere nicht durch die Beschaffenheit des Werkes ausgeschlossen ist3. Ein Lizenzvertrag gilt solange nach § 103 InsO als nicht erfüllt, wie z.B. die vertraglich versprochene Weiterentwicklung des Produkts für einen bestimmten Zeitraum vollständig erfüllt ist4. Bei einer Grundstücksveräußerung ist entscheidend, dass nach Auflassung auch die 24 tatsächliche Eintragung des Erwerbers im Grundbuch erfolgt ist5. Ist der Anspruch des Käufers auf Übertragung des Eigentums hingegen durch eine Vormerkung gesichert, gilt § 106 InsO. Auch dann, wenn die Vertragsparteien vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Verkäufers die Auflassung erklärt und beide einen Eintragungsantrag gestellt haben, hat der Käufer ein unentziehbares Anwartschaftsrecht erlangt, so dass § 103 InsO nicht mehr anwendbar ist6. Nach § 433 Abs. 1 Satz 2 BGB hat der Verkäufer beim Kaufvertrag dem Käufer die Sa- 25 che frei von Rechtsmängeln zu verschaffen. § 103 greift daher immer auch dann ein, wenn der Schuldner vorinsolvenzlich eine mangelhafte Sache ge- oder verkauft hat und der Kaufpreis im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch nicht vollständig entrichtet ist. Für den Insolvenzverwalter bedeutet dies einen größeren Handlungsspielraum bei 26 der Abwicklung von in den Anwendungsbereich des § 103 InsO fallender Verträge. Hat etwa der Schuldner eine mangelhafte Sache gekauft und wählt der Verwalter Erfüllung, kann er nach §§ 437 Nr. 1, 439 BGB die von ihm gewünschte Form der Nacherfüllung verlangen, muss dann aber den Restkaufpreis Zug um Zug gegen die Nacherfüllung gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO aus der Masse entrichten und bei Verlangen der Nachlieferung nach §§ 439 Abs. 4, 346 ff. BGB die mangelhafte Sache zurückgeben7. Wählt der Verwalter hingegen Nichterfüllung, ist der Verkäufer mit seiner Forderung wegen Nichterfüllung gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO Insolvenzgläubiger und die in der Masse verbleibende mangelhafte Sache und der an ihn bereits bezahlte Kaufpreisteil sind Rechnungsposten bei der Berechnung seiner Schadensersatzforderung. Nur dann, wenn der vom Schuldner gezahlte Kaufpreis den dem Verkäufer durch die Erfüllungsverweigerung entstandenen Schaden übersteigt, kann der Verwalter – gegen Rückgabe der Kaufsache – den Kaufpreis zur Masse zurückverlangen8. Wählt der Verwalter in der entgegengesetzten Konstellation der Verkäuferinsolvenz 27 die Nichterfüllung, muss er zwar nicht nacherfüllen, kann aber auch den Restkaufpreis nicht zur Masse ziehen. Die mangelhafte Sache verbleibt beim Käufer und ihr Wert ist lediglich ein Rechnungsposten bei der Berechnung seines Schadensersatzes wegen Nichterfüllung9. Wählt er hingegen Erfüllung, muss er ordnungsgemäß in der vom Käufer beanspruchten Alternative nacherfüllen und kann dafür den Restkaufpreis zur Masse ziehen und im Falle der Nachlieferung einer mangelfreien Sache die 1 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 103 Rz. 27. 2 A.A. OLG Düsseldorf v. 28.1.2005 – I-23 U 150/04, ZIP 2005, 668 (669), das trotz noch erforderlicher Nachbesserung aufgrund erfolgter Abnahme das Wahlrecht nach § 103 InsO ausschließt. 3 MünchKommInsO/Huber, § 103 Rz. 134. 4 LG Mannheim v. 27.6.2003 – 7 O 127/03, ZIP 2004, 576 = DZWIR 2003, 479; vgl. auch Hölder/ Schmoll, GRUR 2004, 830; Dahl/D. Schmitz, BB 2013, 1032 (1033 f.). 5 MünchKommInsO/Huber, § 103 Rz. 132; vgl. auch BGH v. 7.2.2013, NZI 2013, 296, dazu Dahl/ D. Schmitz, NZI 2013, 631. 6 MünchKommInsO/Huber, § 103 Rz. 132 m.w.N.; a.A. Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 103 Rz. 20. 7 Scherer, NZI 2002, 356 (361); s. auch Ringstmeier/Homann, ZIP 2002, 505 (507); Thomas B. Schmidt, ZInsO 2002, 103 ff.; Ahrendt in Hamburger Kommentar zur InsO, § 103 Rz. 13; ausführlich hierzu Wegener, Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters unter dem Einfluss des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, Rz. 477. 8 Scherer, NZI 2002, 356 (361 m.w.N.). 9 Scherer, NZI 2002, 356 (358).
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mangelhafte Sache gemäß §§ 439 Abs. 4, 346 ff. BGB wieder zur Masse zurückverlangen1. 3. Wahlrecht des Insolvenzverwalters 28 Nach neuer Rechtsprechung des BGH2 bewirkt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens kein Erlöschen der Erfüllungsansprüche aus gegenseitigen Verträgen im Sinn einer materiell-rechtlichen Umgestaltung; vielmehr verlieren die noch offenen Ansprüche im Insolvenzverfahren ihre Durchsetzbarkeit, soweit sie nicht auf die anteilige Gegenleistung für vor Verfahrenseröffnung erbrachte Leistungen gerichtet sind3. 29 Dem Insolvenzverwalter kommt danach ein Wahlrecht nur insoweit zu, als er sich entweder dafür entscheiden kann, den Vertrag anstelle des Schuldners zu erfüllen und gleichzeitig die Erfüllung vom Vertragspartner zu verlangen oder ob er es bei der mit der Eröffnung des Verfahrens eintretenden Wirkung belassen will. Ob der Verwalter Erfüllung wählt oder nicht, liegt in seinem Ermessen. Er wird sich hierbei davon leiten lassen, ob die Erfüllungswahl im Interesse der Gesamtgläubigerschaft wirtschaftlich zu einer Massemehrung führen wird4. 30 Auch bei bereits weitgehender Vertragserfüllung ist der Insolvenzverwalter in seiner Entscheidung über die Erfüllungswahl frei; die in §§ 38, 55 Abs. 1 InsO vorgegebene Abgrenzung von Insolvenzforderungen und Masseverbindlichkeiten unterliegt nicht der Korrektur durch § 242 BGB5. 31 Das Wahlrecht steht ausschließlich dem Insolvenzverwalter selbst zu und kann nicht auf Dritte delegiert werden. Hierbei kann das Wahlrecht nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 103 Abs. 1 Satz 1 InsO erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und nicht etwa bereits durch den vorläufigen Insolvenzverwalter im Eröffnungsverfahren ausgeübt werden6. 32 Erteilt der vorläufige Insolvenzverwalter auf Anfrage des Vertragspartners des Schuldners seine Zustimmung zur Fortsetzung des Schuldverhältnisses, so beinhaltet das gleichwohl kein rechtlich verbindliches Erfüllungsverlangen nach § 103 InsO, so dass dem endgültigen Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren sowohl die Rechte aus §§ 103 ff. InsO als auch die Anfechtungsrechte nach den §§ 129 ff. InsO (vgl. § 10 Rz. 37 ff.) erhalten bleiben. 33 Der Vertragspartner handelt daher auf eigenes Risiko, wenn er sich dennoch auf die Fortsetzung des Vertrages einlässt. Um entsprechende Risiken zu vermeiden, sollte der Vertragspartner des Schuldners daher im Eröffnungsverfahren das Vertragsverhältnis nur gegen Vorkasse fortführen, jedenfalls aber darauf achten, dass die Voraussetzungen eines Bargeschäfts i.S.d. § 142 InsO erfüllt sind (zu diesen Voraussetzungen vgl. § 10 Rz. 263 ff.). Einen weiteren Weg zur Sicherung des Vertragspartners hat der BGH in seiner Entscheidung vom 18.7.2002 aufgezeigt: Das Insolvenzgericht kann dem – ansonsten „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter eine beschränkte Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten im Einzelfall erteilen7. Macht der vorläufige „schwache“ Insolvenzverwalter von dieser Ermächtigung Gebrauch, sind die Ansprüche aus solchen Verträgen im eröffneten Verfahren als Masseverbindlichkeiten zu berichtigen. Unsicher, weil umstritten, ist demgegenüber der in der Praxis häufig anzutreffende Versuch des vorläufigen „schwachen“ Insolvenzver-
1 Scherer, NZI 2002, 356 (358). 2 BGH v. 7.2.2013 – IX ZR 218/11, NZI 2013, 296 = NJW 2013, 1245; siehe dazu Dahl/D. Schmitz, NZI 2013, 631; BGH v. 17.11.2005 – IX ZR 162/04, NZI 2006, 229 = NJW 2006, 915. 3 Bärenz, NZI 2006, 72. 4 OLG Greifswald v. 28.4.2004 – 9 K 17/03, ZInsO 2004, 1152 f. 5 OLG Dresden v. 24.1.2002 – 13 U 2215/01, ZIP 2002, 815. 6 BGH v. 8.11.2007 – IX ZR 53/04, NZI 2008, 36; Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 103 Rz. 99 m.w.N. 7 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, NZI 2002, 543 = ZIP 2002, 1625; s. dazu auch Haarmeyer/Pape, ZInsO 2002, 845; Heidrich/Prager, NZI 2002, 653; Pape, NZM 2004, 401 (403 f.); Prütting/Stickelbrock, ZIP 2002, 1608 und Smid, DZWIR 2002, 444.
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Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO
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walters, die Gläubiger des Schuldners durch die Einrichtung eines Treuhandkontos zu sichern1. Hierbei setzt der Insolvenzverwalter einen Treuhänder ein, an den er etwa die für die Lieferanten benötigten Beträge mit der Anweisung zahlt, diese nach Leistungserbringung und Rechnungsstellung zur Befriedigung der Lieferanten auszukehren (ausführlich hierzu § 14 Rz. 75 ff.). Sofern ein verfügungsbefugter „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wor- 33a den sein sollte, können mit diesem auch eigenständige Verträge – etwa über eine entsprechende Weiterbelieferung – abgeschlossen werden. § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO ordnet insoweit unmissverständlich an, dass Verbindlichkeiten, die von einem vorläufigen Verwalter begründet worden sind, auf den die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergegangen ist, nach der Eröffnung des Verfahrens als Masseverbindlichkeiten gelten (vgl. § 14 Rz. 11 ff.). Sondervorschriften bestehen bei der Eigenverwaltung, in der kein Insolvenzverwalter 34 bestellt wird. Da der Schuldner gemäß § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen unter Aufsicht eines Sachwalters behält, sind nach § 279 Satz 1 InsO die Vorschriften über die in §§ 103 ff. InsO geregelte Erfüllung der Rechtsgeschäfte mit der Maßgabe anzuwenden, dass an die Stelle des Insolvenzverwalters der Schuldner tritt und das Wahlrecht ausübt (zur Eigenverwaltung ausführlich vgl. § 13 Rz. 354 ff.). a) Erklärung des Insolvenzverwalters Der Insolvenzverwalter übt das Wahlrecht durch eine einseitige, empfangsbedürftige, 35 bedingungsfeindliche und unwiderrufliche Willenserklärung aus, die er selbst dann formlos abgeben kann, wenn der unerfüllte Vertrag gemäß § 313 BGB formbedürftig ist2. Verbindet der Insolvenzverwalter das Erfüllungsverlangen mit einem Vorbehalt oder verlangt er Erfüllung zu veränderten Bedingungen, so ist dies als Ablehnung auszulegen3. Eine Anfechtung der Erklärung wegen Irrtums ist möglich, falls der Verwalter einen unrichtigen Stand der Verfahrensabwicklung angenommen hat, nicht dagegen bei bloßer Unkenntnis der Sachlage oder bei einem bloßen Irrtum über die Rechtsfolgen seines Handelns4. Da das Gesetz keine konkrete Form vorschreibt, kann der Insolvenzverwalter seine 36 Erklärung auch konkludent abgeben. Für die Auslegung eines solchen Verhaltens ist allgemein maßgebend, welche Bedeutung ihm der Vertragspartner nach der Verkehrssitte und den Gesamtumständen beimessen musste5. Ein Verhalten des Insolvenzverwalters löst deshalb die Rechtswirkungen des § 103 InsO nur aus, wenn der Vertragspartner hieraus entnehmen konnte und musste, dass der Verwalter die Erfüllung wählen wollte6. Das konkludente Verhalten muss klar und eindeutig sein7. Nicht entscheidend ist, ob dem Insolvenzverwalter bewusst ist, dass er eine derartige Erklärung abgibt8. Nicht zuletzt wegen der Empfangsbedürftigkeit der Erklärung liegt ein konkludentes 37 Erfüllungsverlangen indes nicht bei einer bloßen Weiterveräußerung oder Verarbei-
1 Ablehnend etwa AG Hamburg v. 1.12.2002 – 67g IN 419/02, NZI 2003, 153 = ZIP 2003, 43; befürwortend demgegenüber Bork, ZIP 2003, 1421 (1423 ff.). 2 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand August 2012, § 103 Rz. 39; Ahrendt in Hamburger Kommentar zur InsO, § 103 Rz. 18; Breitenbücher in Graf-Schlicker, Kommentar zur InsO, § 103 Rz. 12 ff. 3 BGH v. 11.2.1988 – IX ZR 36/87, BGHZ 103, 250 = NJW 1988, 1790. 4 Pape, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 13 Rz. 27 m.w.N. 5 BGH v. 14.3.1963 – VII ZR 257/61, NJW 1963, 1248; OLG Düsseldorf v. 24.1.2003 – 16 U 112/02, NZI 2003, 379 (380) = ZIP 2003, 1306 (1307). 6 Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 103 Rz. 115. 7 OLG Brandenburg v. 16.4.2008 – 7 U 143/07, NZI 2009, 117. 8 OLG Naumburg v. 4.2.2004 – 5 U 129/03, ZInsO 2004, 1145 ff.
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tung von Vorbehaltsware vor1, es sei denn, der Verkäufer hat zuvor Herausgabe der Vorbehaltsware verlangt2. Anzunehmen ist eine konkludente Erfüllungswahl aber dann, wenn der Verwalter vom Werkunternehmer Nachbesserung verlangt oder eine Frist zur Mängelbeseitigung setzt, sowie dann, wenn er in Absprache mit dem Besteller das vom Schuldner angefangene Werk beenden lässt3. Leistet der Insolvenzverwalter selbst auf einen von dem Gesamtschuldner geschlossenen Leasingvertrag zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt der Leasingraten, so soll er konkludent die Erfüllung des Leasingvertrages i.S.d. § 103 InsO gewählt haben4. 38 Eine Zahlungsaufforderung durch den Insolvenzverwalter ist nur dann als konkludente Erfüllungswahl auszulegen, wenn sie klar und eindeutig erkennen lässt, dass der Insolvenzverwalter die Erfüllung des Vertrags begehrt5. Lässt die Zahlungsaufforderung hingegen erkennen, dass der Insolvenzverwalter von bereits vollständiger Vertragserfüllung durch den Insolvenzschuldner ausgeht und nur noch die fällige Gegenleistung des Drittschuldners abfordern will, liegt keine konkludente Erfüllungswahl vor6. 39 Ein konkludentes Erfüllungsverlangen aufgrund eines bloßen Weiterbezugs von Strom, Gas, Wasser oder Fernwärme ist schließlich im Hinblick auf die Regelung des § 105 Satz 1 InsO abzulehnen7. So reichen Zahlungen des Insolvenzverwalters auf Rechnungen eines Energieversorgers, denen keine entsprechenden Energielieferungen zu Grunde liegen, allein nicht aus. Vielmehr müssen noch weitere Umstände hinzutreten, aus denen sich ergibt, dass der Insolvenzverwalter das Vertragsverhältnis fortsetzen wollte8. 39a Endlich tritt der Insolvenzverwalter auch nicht dadurch automatisch in das Veräußerungsgeschäft im Übrigen ein, wenn er der Übereignung einer Immobilie zustimmt, die durch Eintragung einer Vormerkung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 106 Abs. 1 Satz 1 InsO gesichert war9. b) Aufforderung zur Wahlrechtsausübung 40 Der Insolvenzverwalter ist bei der Ausübung des Wahlrechts grundsätzlich an keine Frist gebunden, so dass er von dem Wahlrecht auch noch lange nach Verfahrenseröffnung Gebrauch machen kann, ohne dabei zu riskieren, wegen Verspätung seiner Erklärung Rechte der Insolvenzmasse zu verlieren und sich schadensersatzpflichtig zu machen10. 41 Zwecks Beseitigung der hieraus resultierenden Rechtsunsicherheit gibt § 103 Abs. 2 Satz 2 InsO dem Vertragspartner des Schuldners das Recht, den Verwalter zur Ausübung seines Wahlrechts mit der Folge aufzufordern, dass dieser sich unverzüglich (= ohne schuldhaftes Zögern, § 121 Abs. 2 Satz 2 BGB) zu erklären hat, wenn er nicht seines Rechts, Erfüllung zu verlangen, verlustig gehen will. An die Aufforderungserklärung werden teilweise keine hohen Anforderungen gestellt, so dass beispielsweise in dem an den Insolvenzverwalter gerichteten Mängelbeseitungsverlangen eine Aufforderung an den Insolvenzverwalter zu sehen sein soll, sein Wahlrecht nach § 103 1 BGH v. 8.1.1998 – IX ZR 131/97, NJW 1998, 992; OLG Düsseldorf v. 24.1.2003 – 16 U 112/02, NZI 2003, 379 (380) = ZIP 2003, 1306 (1307); zu Konsignationsverträgen vgl. BGH v. 13.2.2014 – IX ZR 313/12, NZI 2014, 667. 2 OLG Celle v. 28.10.1987 – 3 U 11/87, ZIP 1988, 384. 3 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 103 Rz. 42 m.w.N. 4 AG Zweibrücken v. 27.8.2004 – 1 C 385/04, ZIP 2005, 679. 5 OLG Dresden v. 24.1.2002 – 13 U 2215/01, ZIP 2002, 815. 6 OLG Dresden v. 24.1.2002 – 13 U 2215/01, ZIP 2002, 815; OLG Stuttgart v. 22.2.2005 – 10 U 242/04, ZIP 2005, 588 (589). 7 Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 103 Rz. 119 m.w.N. 8 OLG Brandenburg v. 16.4.2008 – 7 U 143/07, NZI 2009, 117. 9 BayObLG v. 3.9.2003 – 3 Z BR 113/03, ZInsO 2003, 1143 (1144). 10 Wegener in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 103 Rz. 82; Pape, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 13 Rz. 28; für ein gesetzliches normiertes Recht des Gläubigers stets eine unverzügliche Entscheidung des Insolvenzverwalters über die Verwertung der Vertragsrechte des Schuldners zu erzwingen, von Wilmowsky, KTS 2011, 453 (478).
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Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO
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Abs. 2 Satz 2 InsO auszuüben1. Übt der Verwalter sein Wahlrecht nicht oder nicht unverzüglich aus, kann er gemäß § 103 Abs. 2 Satz 3 InsO auf die Erfüllung nicht bestehen, so dass es bei der Nichterfüllung des Vertrages bleibt. Es ergeben sich die gleichen Rechtsfolgen wie bei einer ausdrücklich erfolgten Erfüllungsablehnung. Lediglich für den Sonderfall des § 107 Abs. 2 InsO ist ausdrücklich geregelt, wie lange 42 der Verwalter mit der Abgabe seiner Erklärung nach entsprechender Aufforderung durch den Vertragspartner warten darf. Nach dieser Regelung ist es dem Verwalter erlaubt, die Erklärung erst unverzüglich nach dem Berichtstermin abzugeben, es sei denn der Gläubiger hat den Verwalter darauf hingewiesen, dass bis zum Berichtstermin eine erhebliche Verminderung des Wertes der Sache zu erwarten ist. Zweck der Regelung ist es dort, dem Verwalter bis zur Entscheidung der Gläubiger im Berichtstermin über Zerschlagung oder Fortführung die Möglichkeit zu gewähren, das Unternehmen zu erhalten2. Der Begründung zu § 107 Abs. 2 InsO kommt generelle Bedeutung auch für die meis- 43 ten übrigen Wahlrechtsfälle zu. Zumindest bei Verträgen, deren Fortbestand für eine Fortführung des Unternehmens notwendig ist, ist eine entsprechende Ausdehnung der Überlegungsfrist des Verwalters in analoger Anwendung des § 107 Abs. 2 InsO geboten3. In allen übrigen Fällen muss dem Verwalter eine angemessene Überlegungsfrist 44 eingeräumt werden, also diejenige Zeitspanne, die im Einzelfall objektiv benötigt wird, um Klarheit über die Maßstäbe der Wahlrechtsausübung und deren Bewertung zu erlangen4. Der Insolvenzverwalter ist insbesondere bei besonders bedeutsamen Rechtshandlungen gemäß § 160 InsO schon gesetzlich gehalten, vor Abgabe seiner Erklärung die Zustimmung des zuständigen Gläubigerorgans, etwa des Gläubigerausschusses, einzuholen5. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn die Wahlrechtsausübung die Masse mit nicht unerheblichen Masseverbindlichkeiten belastet. Dem Vertragspartner ist es demgegenüber nicht möglich, die angemessene Frist ein- 45 seitig durch Vorgabe einer Erklärungsfrist in seiner Aufforderung zu bestimmen, da ihm die maßgeblichen Umstände der Entscheidungsfindung des Verwalters regelmäßig nicht bekannt sind6. Der Vertragspartner kann die Überlegungsfrist auch nicht dadurch verkürzen, dass er den Verwalter bereits in dessen Funktion als vorläufiger Verwalter zur Ausübung des Wahlrechts „für den Fall der Verfahrenseröffnung“ auffordert7. Der Schwebestand bleibt bestehen, wenn beide Parteien untätig bleiben8. Sofern sich 45a der Vertragspartner am Insolvenzverfahren beteiligt, bleibt er Insolvenzgläubiger und kann nur Erfüllung in Höhe der Quote verlangen. Beteiligt er sich nicht am Verfahren, lebt sein Erfüllungsanspruch nach dessen Beendigung im Rahmen des § 201 InsO wieder auf9. Die fehlende Umgestaltung führt daher dazu, dass nach Beendigung des Insolvenzverfahrens der Vertrag grundsätzlich so abgewickelt werden kann, als ob es nie zu einer Eröffnung des Insolvenzverfahrens gekommen wäre10.
1 AG Bremen v. 13.3.2009 – 6 C 59/08, NZI 2009, 776. 2 Begr. zu § 107 RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 146. 3 Pape, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 13 Rz. 30; Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 103 Rz. 45; Ahrendt in Hamburger Kommentar zur InsO, § 103 Rz. 26; ähnlich Tintelnot, ZIP 1995, 616 (617); im Ergebnis ebenso: OLG Köln v. 2.12.2002 – 15 W 93/02, NZI 2003, 149 = ZIP 2003, 543. 4 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 107 Rz. 46. 5 MünchKommInsO/Huber, § 103 Rz. 173. 6 OLG Köln v. 2.12.2002 – 15 W 93/02, NZI 2003, 149 = ZIP 2003, 543. 7 BGH v. 8.11.2002 – IX ZR 53/04, NZI 2008, 36. 8 BGH v. 7.2.2013 – IX ZR 218/11, NZI 2013, 296, dazu Dahl/D. Schmitz, NZI 2013, 631; Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 103 Rz. 54; Wegener in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 103 Rz. 109. 9 Braun/Kroth, § 103 InsO Rz. 54; Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 103 Rz. 159. 10 BGH v. 8.12.2009 – XI ZR 181/08, NJW 2010, 1284.
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46 Klagt der Verwalter die Gegenleistung ein, so obliegt dem Vertragspartner die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Erklärung des Insolvenzverwalters verspätet war1. 4. Rechtsfolgen des Erfüllungsverlangens 47 Wählt der Verwalter die Erfüllung des Vertrages, so hat er gemäß § 103 Abs. 1 InsO den Vertrag anstelle des Schuldners zu erfüllen und kann auch vom anderen Teil Erfüllung verlangen. Die Verbindlichkeiten des Schuldners werden, sofern keine teilbare Leistung gemäß § 105 InsO vorliegt, gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO Masseverbindlichkeiten (hierzu vgl. § 6 Rz. 267). Auf diese Weise wird sichergestellt, dass der Vertragspartner für Leistungen, die er nach Verfahrenseröffnung zur Insolvenzmasse erbringt, einen vollwertigen Gegenanspruch erhält2. Zur Vermeidung einer persönlichen Haftung gemäß § 61 InsO hat der Insolvenzverwalter überdies vor Ausübung des Wahlrechts zu prüfen, ob er die Ansprüche des Vertragspartners aus der Masse erfüllen kann (zur Haftung nach § 61 InsO vgl. § 6 Rz. 21). Für die Haftung des Insolvenzverwalters aus § 61 Satz 1 InsO kommt es nicht darauf an, ob die Forderung des Massegläubigers am Ende des Insolvenzverfahrens aus der Masse beglichen werden kann. Sie tritt bereits dann ein, wenn eine Erfüllung bei Fälligkeit nicht möglich ist3. Dabei ist die Haftung des Insolvenzverwalters auf das negative Interesse begrenzt4. Wird eine vom vorläufigen Insolvenzverwalter eingegangene Verbindlichkeit erst durch ein Erfüllungsverlangen nach § 103 Abs. 1 InsO zu einer Masseverbindlichkeit, so ist dies der für eine Entlastung nach § 61 Satz 2 InsO maßgebliche Zeitpunkt der Begründung der Masseverbindlichkeit5. 48 Die Erfüllungswahl führt weder inhaltlich noch sonst zu einer Veränderung des Vertrages6, so dass nicht nur die Haupt-, sondern auch die Nebenpflichten grundsätzlich zu Masseverbindlichkeiten werden7. Dies betrifft zunächst Gewährleistungsansprüche8, selbst wenn sie aus der Zeit vor der Verfahrenseröffnung herrühren. Stundungen und die Vereinbarung von Lieferterminen durch den Schuldner sind auch gegenüber dem Insolvenzverwalter wirksam9, während Schadensersatzansprüche und Rückgewähransprüche wegen zu vertretender Pflichtverletzung nur dann Masseansprüche nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO darstellen, wenn der Insolvenzverwalter sie zu vertreten hat10. Auch eine frühere Vertragsuntreue des Schuldners braucht sich der Insolvenzverwalter nicht zurechnen zu lassen11. 49 Eine dem Schuldner vor Verfahrenseröffnung gesetzte Nachfrist nach §§ 281 Abs. 1, 323 Abs. 1 BGB läuft, wenn sie im Zeitpunkt der Eröffnung noch nicht abgelaufen war, gegenüber dem Verwalter weiter, ist jedoch mit Rücksicht auf die durch die Insolvenzeröffnung veränderten Umstände angemessen zu verlängern12. Ansprüche auf Vertragsstrafe oder nicht rechtzeitige Erfüllung durch den Insolvenzverwalter sind
1 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 103 Rz. 47. 2 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 103 Rz. 51. 3 OLG Hamm v. 16.1.2003 – 27 U 45/02, NZI 2003, 263; OLG Hamm v. 28.11.2002 – 27 U 87/02, NZI 2003, 150 = ZIP 2003, 1165; offen gelassen im BGH v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, ZIP 2004, 1107. 4 BGH v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, ZInsO 2004, 609; BGH v. 17.12.2004 – IX ZR 185/03, ZInsO 2005, 205; BAG v. 19.1.2006 – 6 AZR 600/04; Weitzmann in Hamburger Kommentar zur InsO, § 61 Rz. 10. 5 OLG Hamm v. 28.11.2002 – 27 U 87/02, NZI 2003, 150. 6 Zu den Folgen einer möglichen Konditionenanpassung vgl. Brugugnone, NZI 2012, 638 ff. 7 Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 103 Rz. 139. 8 Ausführlich zum neuen Kaufgewährleistungsrecht und § 103 InsO: Scherer, NZI 2002, 356 ff.; Schmidt, ZInsO 2002, 103 ff.; Ringstmeier/Homann, ZIP 2002, 505 ff.; s. auch Kreft, ZInsO 2003, 1120 ff. 9 OLG Düsseldorf v. 28.6.2011 – I-10 U 60/11, BeckRS 2011, 21945. 10 Kuhn/Uhlenbruck, Kommentar zur KO, 11. Aufl. (1994), § 17 Rz. 23c. 11 OLG Rostock v. 26.6.2006 – 3 U 237/03, ZIP 2006, 1882. 12 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 103 Rz. 52.
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Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO
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ebenfalls als Masseverbindlichkeiten zu qualifizieren1, nicht jedoch bereits vor Verfahrenseröffnung entstandene Verzugsschäden und Vertragsstrafen2. Ist der Vertragspartner des Schuldners Gläubiger einer Insolvenzforderung, kann er 50 gegen eine Zahlungsverpflichtung, die aus der Erfüllungswahl des Insolvenzverwalters resultiert, gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht aufrechnen3, da die Aufrechnungslage vor dem Erfüllungsverlangen des Verwalters nicht werthaltig war und eine entsprechende Aufrechnungsberechtigung dem Vertragspartner infolgedessen eine ihm nicht gebührende Besserstellung gegenüber anderen Insolvenzgläubigern verschaffen würde4 (hierzu § 7 Rz. 518 f.). Gleichzeitig würden dadurch für die Masse sinnvolle Vertragsfortführungen vereitelt5, da nicht anzunehmen ist, dass sich ein Insolvenzverwalter für eine Vertragserfüllung entscheidet, wenn bereits vorher sicher feststeht, dass aufgrund der Aufrechnungslage nicht mit einem Massezufluss zu rechnen ist6. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Schuldner vor Verfahrenseröffnung bereits 51 teilweise vorgeleistet hat, weil der dieser Teilleistung entsprechende Anspruch auf die Gegenleistung von der Verfahrenseröffnung nicht berührt wird7, so dass dem Vertragspartner entsprechend der auch in § 105 InsO enthaltenen gesetzlichen Wertung ein Aufrechnungsanspruch nicht versagt werden kann. Nach neuer Rechtsprechung des BGH8 bewirkt die Eröffnung des Insolvenzverfah- 52 rens, dass die noch offenen Ansprüche aus von beiden Seiten noch nicht vollständig erfüllten gegenseitigen Verträgen ihre Durchsetzbarkeit verlieren, soweit sie nicht auf die anteilige Gegenleistung für vor Verfahrenseröffnung erbrachte Leistungen gerichtet sind. Das weitere Schicksal der Ansprüche ist daher allein davon abhängig, ob der Verwalter Vertragserfüllung wählt. Dementsprechend verlieren mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners auch Zessionen von Forderungen aus Verträgen, die weder vom Gemeinschuldner noch von seinem Vertragspartner voll erfüllt sind, ihre Wirkung und können wegen § 91 Abs. 1 InsO nach Eröffnung nicht wirksam neu erworben werden9. Soweit der Gemeinschuldner jedoch bei einem gegenseitigen Vertrag bereits vor 53 Verfahrenseröffnung Vorleistungen erbracht hat, bleiben Abtretungen, Verpfändungen und Anweisungen entsprechend den zur Aufrechnung entwickelten Grundsätzen bestehen10. Im Hinblick auf die auch in § 105 InsO enthaltene gesetzliche Wertung ist es angezeigt, die mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und dem Erfüllungsverlangen des Insolvenzverwalters verbundenen Rechtsfolgen auf den Teil der Gegenleistung zu beschränken, der auf die bei Verfahrenseröffnung noch ausstehende Erfüllungsleistung der Masse entfällt. Bei teilweise erbrachten Leistungen des Gemeinschuldners wird mithin die auf diesen Teil entfallende Gegenleistung weder durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch durch das Erfüllungsverlangen des Insolvenzverwalters berührt, so dass der Anspruch auf die der erbrachten Teilleis-
1 A.A. Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 103 Rz. 142. 2 Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 103 Rz. 228; Pape, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 13 Rz. 36; a.A. Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 103 Rz. 52. 3 BGH v. 11.2.1988 – IX ZR 36/87, BGHZ 103, 250 = NJW 1988, 1790; BGH v. 23.2.1989 – IX ZR 143/88, NJW 1989, 1353; BGH v. 21.11.1991 – IX ZR 290/90, BGHZ 116, 156 = NJW 1992, 507; s. dazu auch Wieser, JZ 2003, 231. 4 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 103 Rz. 56. 5 Kreft, ZIP 1997, 865 (868). 6 Jacoby in Hamburger Kommentar zur InsO, § 95 Rz. 35. 7 BGH v. 27.2.1997 – IX ZR 5/96, BGHZ 135, 25 (26) = ZIP 1997, 688; s. dazu auch Kreft, ZIP 1997, 865. 8 BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, NZI 2002, 375 = ZIP 2002, 1093; s. dazu auch Huber, NZI 2002, 467, Graf/Wunsch, ZIP 2002, 2117 und Mohrbutter/Mohrbutter, DZWIR 2003, 1. 9 BGH v. 20.12.1988 – IX ZR 50/88, BGHZ 106, 236 = NJW 1989, 1282; BGH v. 14.12.1989 – IX ZR 283/88, NJW 1990, 1113. 10 BGH v. 4.5.1995 – IX ZR 256/93, BGHZ 129, 336 = NJW 1995, 1966.
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tung entsprechende Gegenleistung ebenso bestehen bleibt wie etwa daran begründete Drittrechte1. 5. Rechtsfolgen der Erfüllungsablehnung 54 Als Folge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verlieren die noch offenen Ansprüche aus von beiden Seiten noch nicht vollständig erfüllten gegenseitigen Verträgen ihre Durchsetzbarkeit2. Der Erklärung des Insolvenzverwalters, er lehne die Erfüllung ab, hat keine materiell-rechtlichen Auswirkungen auf den Vertrag3. Ihr kommt daher lediglich deklaratorische Bedeutung dahin gehend zu, dass es bei den mit der Verfahrenseröffnung verbundenen Folgen bleiben soll4. Es bedarf daher eines Umgestaltungsakts, der die gegenseitigen Erfüllungsansprüche zum Erlöschen bringt. Die Umgestaltung des Vertrags in ein Abrechnungsverhältnis vollzieht sich erst, wenn der Vertragspartner aktiv den Vertrag beendet, etwa durch Anmeldung seines Schadensersatzanspruchs wegen Nichterfüllung zur Insolvenztabelle gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO oder Aussonderung gemäß § 47 InsO5. In der Handlung des Vertragspartners muss sich sein Wille manifestieren, an der Erfüllung des Vertrags endgültig kein Interesse mehr zu haben6. 54a Unabhängig davon, dass der Vertrag lediglich undurchsetzbar ist, soll ein Bürge für die nicht untergegangenen Erfüllungsansprüche akzessorisch im Umfang der bestehenden Hauptschuld bereits während des Insolvenzverfahrens einstehen7. Auf eine fehlende Durchsetzbarkeit der Hauptschuld gemäß § 103 InsO infolge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 768 Abs. 1 BGB könne er sich nicht berufen. Der Einrede des nicht erfüllten Vertrages gemäß §§ 768 Abs. 1, 320 BGB stehe in diesem Fall § 242 BGB entgegen8. Im Ergebnis mag dies richtig sein. Eines Rückgriffs auf § 242 BGB bedarf es jedoch nicht, wenn man in Fortsetzung der Rechtsprechung des BGH9 in der Inanspruchnahme des Bürgen einen Umgestaltungsakt erblicken will. 55 Lehnt der Verwalter die Erfüllung ab, kann von keiner Partei mehr Erfüllung verlangt werden. Stattdessen gewährt § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO dem Vertragspartner einen Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung, den er als Insolvenzgläubiger zur Tabelle anmelden muss und der im Verfahren in Höhe der Quote bedient wird10. Die Erfüllungsablehnung führt hingegen nicht dazu, dass dem Vertragspartner ein Rücktritts- und Rückforderungsrecht zusteht11. 56 Die wechselseitigen Erfüllungsansprüche werden bei Erfüllungsablehnung durch ein Abrechnungsverhältnis ersetzt12. In dieses Abrechnungsverhältnis werden sämtliche Ansprüche beider Vertragsparteien inklusive Gewährleistungsansprüchen und Folge-
1 BGH v. 27.2.1997 – IX ZR 5/96, BGHZ 135, 25 = ZIP 1997, 688; Kreft, ZIP 1997, 865 (870); a.A. Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 103 Rz. 281. 2 BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, NZI 2002, 375 = ZIP 2002, 1093; s. dazu auch Huber, NZI 2002, 467, Graf/Wunsch, ZIP 2002, 2117 und Mohrbutter/Mohrbutter, DZWIR 2003, 1. 3 BGH v. 27.5.2003 – IX ZR 51/02, NZI 2003, 491; BGH v. 23.11.2006 – II R 38/05, ZIP 2007, 976; Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 103 Rz. 157; MünchKommInsO/Kreft, § 103 Rz. 18, 20 mit Bezug zu den Motiven der KO. 4 BGH v. 27.5.2003 – IX ZR 51/02, NZI 2003, 491; MünchKommInsO/Kreft, § 103 Rz. 20 m.w.N. 5 BGH v. 23.11.2006 – II R 38/05, ZIP 2007, 976; jüngst BGH v. 7.2.2013 – IX ZR 218/11, NZI 2013, 296, dazu Dahl/D. Schmitz, NZI 2013, 631; Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 103 Rz. 161, 187. 6 Dahl/D. Schmitz, NZI 2013, 631 (632). 7 LG Düsseldorf v. 24.8.2010 – 11 O 75/10, NJOZ 2010, 2555. 8 LG Düsseldorf v. 24.8.2010 – 11 O 75/10, NJOZ 2010, 2555. 9 BGH v. 7.2.2013 – IX ZR 218/11, NZI 2013, 296, dazu Dahl/D. Schmitz, NZI 2013, 631. 10 OLG Düsseldorf v. 7.4.2005 – I-10 U 161/04, ZInsO 2005, 820 ff. 11 BAG v. 29.9.2010 – 3 AZR 107/08, NZI 2011, 152 (155); für die Normierung eines Rücktrittsrecht von Wilmowsky, KTS 2011, 453 (479). 12 BGH v. 5.5.1977 – VII ZR 85/76, NJW 1977, 1345; BGH v. 29.1.1987 – IX ZR 205/85, NJW 1987, 1702; BGH v. 11.3.1997 – X ZR 146/94, NJW 1997, 3434; BGH v. 16.12.1999 – IX ZR 197/99, NZI 2000, 115 = ZIP 2000, 237; BGH v. 7.2.2013 – IX ZR 218/11, NZI 2013, 296; dazu Dahl/D. Schmitz, NZI 2013, 631.
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schäden aus bereits erbrachten Teilleistungen als unselbständige Rechnungsposten eingestellt1. Ergibt sich ein Überschuss zu Gunsten des Vertragspartners, kann er diesen als Insolvenzforderung zur Tabelle anmelden, ein Saldo zu Gunsten der Masse ist vom Insolvenzverwalter einzuziehen2. Nicht in das Abrechnungsverhältnis einzustellen ist nach vorherrschender Auffassung 56a der entgangene Gewinn des Vertragspartners3. Auch steht diesem bei einem Bauvertrag ein Zurückbehaltungsrecht in dreifacher Höhe der voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten gegenüber dem Insolvenzverwalter, der die Nachbesserung aus einem Werkvertrag abgelehnt hat, nicht zu; vielmehr ist er darauf beschränkt, den einfachen Abzug der festgestellten Beseitigungskosten geltend machen zu können4. Haben die Vertragspartner teilweise erfüllt, so stellen die erbrachten Teilleistungen 57 Rechnungsposten bei der Ermittlung des dem Vertragspartner zustehenden Schadensersatzanspruchs dar5. Ist dem Vertragspartner kein Schaden entstanden, oder ist der Schaden niedriger als der Wert der vom Schuldner erbrachten Leistungen, hat der Insolvenzverwalter einen etwa zugunsten der Insolvenzmasse verbleibenden Differenzbetrag einzuziehen6. Die Verjährung für die Forderung wegen Nichterfüllung beginnt mit der Erfüllungs- 58 ablehnung des Verwalters neu und richtet sich nach der für den ursprünglichen vertraglichen Hauptleistungsanspruch geltenden Verjährungsfrist7. In der Literatur ist umstritten, ob die Aufrechnung eines Vertragspartners mit einer 59 aus § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO resultierenden Forderung wegen Nichterfüllung zulässig ist8. Im Ergebnis wird eine Aufrechnung als zulässig anzusehen sein, da der Anspruch schon vor Verfahrenseröffnung aufschiebend bedingt entstanden war, so dass das Aufrechnungsverbot des § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO nicht gegeben ist9 (zu diesem siehe § 7 Rz. 501 ff.). Da mit der Erfüllungsablehnung ein Recht zum Besitz wegfällt, hat der Insolvenzver- 60 walter im Wege der Aussonderung dasjenige herauszugeben, was der Vertragspartner in die Insolvenzmasse eingebracht hat, ohne dass es dem Schuldner bereits übereignet worden ist10. So ist der Insolvenzverwalter in Insolvenzverfahren über das Vermögen des Mieters einer beweglichen Sache von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens an zur Herausgabe an den Vermieter verpflichtet, wenn er nicht die Erfüllung des Mietvertrages wählt. Der Anspruch des Vermieters auf Nutzungsentschädigung für die Zeit ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zur Rückgabe der Mietsache ist grundsätzlich eine Insolvenzforderung. Hat der Verwalter die Mietsache nach der Verfahrenseröffnung genutzt, ohne die Erfüllung des Mietvertrages zu verlangen,
1 BGH v. 16.12.1999 – IX ZR 197/99, NZI 2000, 115; Dahl/D. Schmitz, NZI 2013, 631 (632). 2 Ahrend in Hamburger Kommentar zur InsO, § 103 Rz. 39. 3 Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 103 Rz. 167 m.w.N.; a.A. MünchKommInsO/ Huber, § 103 Rz. 190 m.w.N. 4 AG Witten v. 9.4.2003 – 15 C 284/02, ZInsO 2003, 479. 5 BGH v. 5.5.1977 – VII ZR 85/76, NJW 1977, 1345. 6 BGH v. 29.1.1987 – IX ZR 205/85, NJW 1987, 1702; BGH v. 7.6.1991 – V ZR 17/90, NJW 1991, 2897; für eine Verrechnung der Ansprüche, van Wilmowsky, KTS 2011, 453 (478). 7 Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 103 Rz. 176. 8 Vgl. dazu ausführlich Wolf, FS Görg, 2010, S. 597; für eine Aufrechnung: Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 103 Rz. 67; Goetsch in Berliner Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 103 Rz. 112; Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 103 Rz. 65; Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 103 Rz. 180; Sinz in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 95 Rz. 36; MünchKommInsO/Brandes, § 95 Rz. 17; Lüke in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Februar 2013, § 95 Rz. 30; Blersch/v. Olshausen in Berliner Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 95 Rz. 5; gegen eine Aufrechnung: Ahrendt in Hamburger Kommentar zur InsO, § 103 Rz. 43; MünchKommInsO/Kreft, § 103 Rz. 23; Adam, WM 1998, 801 (806); Jacoby in Hamburger Kommentar zur InsO, § 95 InsO Rz. 31. 9 Tintelnot, KTS 2004, 339 (345); Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 103 Rz. 65. 10 Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 103 Rz. 183.
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stellt der Anspruch des Vermieters auf Nutzungsentschädigung eine Masseforderung dar1. 60a Auch hinsichtlich sonstiger Teilleistungen ist rückabzuwickeln, wenn der Rechtsgrund durch die Erfüllungsablehnung entfallen ist. So muss der Verwalter dem Vertragspartner etwa eine Löschungsbewilligung erteilen, wenn dem Schuldner für den erloschenen Übereignungsanspruch eine Vormerkung erteilt worden ist2. 61 Hat der Schuldner vor Verfahrenseröffnung an seinen Vertragspartner vorgeleistet und übersteigt der Wert dieser Vorleistung dessen Nichterfüllungsanspruch, so hat ein Ausgleich stattzufinden, da die Nichterfüllung nicht zu einer Vermögensmehrung beim Vertragspartner führen darf, auf die er auch im Falle der Erfüllung keinen Anspruch hätte. Schwierigkeiten bereitet bei Vorleistungen des Insolvenzschuldners, dass es nach der Suspensivtheorie eines Umgestaltungsakts durch den Vertragspartner des Insolvenzschuldners bedarf (siehe Rz. 54), damit überhaupt ein Rückgewähranspruch zugunsten der Insolvenzmasse ausgelöst wird3. Dieser hat es damit in der Hand zu entscheiden, ob er sich einem Rückgewähranspruch aussetzen oder aber die Aufhebung des Verfahrens mit der wahrscheinlichen Folge abwarten will, nicht in Anspruch genommen zu werden oder aber einen für sich günstigen Anspruch endgültig durchzusetzen. Die Entstehung des Rückgewähranspruchs ist damit in gewisser Weise vom Zufall abhängig. Nach der überkommenen Erlöschenstheorie wären demgegenüber die gegenseitigen Erfüllungsansprüche schon mit Verfahrenseröffnung erloschen, sodass sich der Anspruch des Vertragspartners bereits zu diesem Zeitpunkt in eine Insolvenzforderung in Form einer Schadensersatzforderung wegen Nichterfüllung verwandelt hätte. 61a Es ist nicht abschließend höchstrichterlich geklärt, auf welche Anspruchsgrundlage der Rückgewähranspruch des Insolvenzverwalters gestützt werden soll. In seiner jüngsten Entscheidung4 hat sich der BGH lediglich auf die einschlägigen Stellungnahmen von Ganter und Huber berufen5. Man wird daher annehmen dürfen, dass er den Anspruch aus §§ 346 ff. BGB herleiten will. Der gegenteiligen Auffassung, die insoweit die Anwendung von § 812 BGB befürwortet6, wird damit zu Recht eine Absage erteilt. Ist die vom Insolvenzschuldner erbrachte Leistung bei seinem Vertragspartner und Rückgewährschuldner nicht mehr vorhanden, bestünde jedenfalls für den Bereicherungsschuldner die Möglichkeit des Einwands der Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB. 61b Bei teilbaren (Vor-)Leistungen hat sich der BGH zwecks Abmilderung der mit der Suspensivtheorie verbundenen Folgen damit beholfen, der Insolvenzmasse im Falle der Erfüllungsablehnung unabhängig von einem Umgestaltungsakt des Vertragspartners einen Anspruch auf eine der Vorleistung entsprechende Gegenleistung zuzusprechen7, d.h., der Vertragspartner darf die Vorleistung des nachmaligen Insolvenzschuldners grundsätzlich behalten, muss aber die dem Wert der Vorleistung entsprechende vertraglich vereinbarte Gegenleistung erbringen. Liegt die Vorleistung des Schuldners etwa in der Lieferung von Ware, muss dessen Vertragspartner die darauf noch ausstehende (Teil-)zahlung leisten8. Hat der Schuldner demgegenüber Ware gekauft und hierauf eine Anzahlung geleistet, darf der Vertragspartner die
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BGH v. 1.3.2007 – IX ZR 81/05, ZIP 2007, 778 ff. Pape, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 13 Rz. 35. Vgl. zuletzt BGH v. 7.2.2013 – IX ZR 218/11, NZI 2013, 296. BGH v. 7.2.2013 – IX ZR 218/11, NZI 2013, 296. MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 72; Huber, NZI 2004, 57 (62). Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 103 Rz. 186 f.; Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 103 Rz. 69 m.w.N. 7 BGH v. 17.12.2009 – IX ZR 214/08, NZI 2010, 180; ausführlich zum Ganzen: Bork in FS Wellensiek, 2011, S. 201, 206 ff. 8 MünchKommInsO/Kreft, § 103 Rz. 32.
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Anzahlung grundsätzlich behalten, muss aber eine deren Wert entsprechende Leistung an die Insolvenzmasse (= Lieferung von Ware) erbringen1. Der Masse ist hiermit aber nur scheinbar gedient. Gerade in Fällen, in denen es nicht zu einer Betriebsfortführung kommt, bleibt dem Insolvenzverwalter nichts anderes übrig, als die erhaltene Leistung (Ware) durch Weiterverkauf zu verwerten. Unabhängig von dem damit verbundenen – oftmals Kosten auslösenden – Aufwand, lässt sich ein solcher Abverkauf schon der Natur der Sache nach meist nur mit Abschlägen realisieren, die den tatsächlichen Wert des Rückgewähranspruchs für die Insolvenzmasse weiter schmälern. Der BGH nimmt daher an, dass der Insolvenzmasse ausnahmsweise ein Anspruch auf Geld zusteht, wenn das Interesse des Verwalters an der noch ausstehenden Leistung des Vertragspartners entfallen ist2. Diese für teilbare Leistungen entwickelte Rechtsprechung lässt sich auf den Fall ei- 61c ner unteilbaren Gegenleistung des Vertragspartners nicht unmittelbar übertragen. Bork spricht sich mit Blick auf die Unmöglichkeit einer nur teilweisen Gegenleistung durch den Vertragspartner des Schuldners dafür aus, in diesem Fall der Insolvenzmasse ausnahmsweise einen Anspruch auf Rückgewähr der Vorleistung in Geld gemäß § 326 Abs. 4 BGB zuzubilligen3. Das ist zweifellos interessengerecht. Nahezu ohne Bedeutung dürfte in diesem Fall auch sein, dass der Erfüllungsanspruch des Vertragspartners des Insolvenzschuldners ohne von diesem veranlassten Umgestaltungsakt gleichwohl nach Verfahrensaufhebung seine Durchsetzbarkeit wiedererlangt und wieder gegenüber dem Schuldner geltend gemacht werden kann. Berücksichtigt man, dass juristische Personen ebenso wie Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit regelmäßig mit Eintritt der Insolvenz aufgelöst werden, dürfte es in der Praxis kaum wahrscheinlich sein, dass es nach Beendigung des Verfahrens noch zu einem Leistungsaustausch kommt. Bei einem Insolvenzplanverfahren oder wenn der Schuldner Restschuldbefreiung erlangt hat, gilt ohnehin anderes4. Die Wirkungen des Insolvenzplanverfahrens und des Restschuldbefreiungsverfahrens erstrecken sich auch auf Gläubiger, die ihre Forderungen nicht angemeldet haben (§§ 254b, 301 InsO). Soweit die Forderungen als erlassen gelten, sind sie zwar nicht erloschen, bestehen indes nur noch als natürliche, unvollkommene Verbindlichkeiten fort, deren Erfüllung möglich ist, aber nicht erzwungen werden kann5. Eine Erklärung des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO gegenüber dem Rechts- 62 schutzversicherer, die weitere Erfüllung des Vertrages abzulehnen, lässt dessen Gefahrtragungspflicht für vergangene Versicherungsperioden nicht entfallen, wenn für den zurückliegenden Zeitraum die Versicherungsprämien geleistet worden sind6. Wegen der Besonderheiten des Insolvenzverfahrens enthält die Kündigung eines Le- 63 bensversicherungsvertrags gleichzeitig auch den Widerruf des Bezugsrechts7. Eine Klausel in den AVB Warenkreditversicherung, wonach der Anspruch auf eine Mindestprämie bei einer Vertragsbeendigung unberührt bleibt, verstößt im Falle der Kündigung durch den Insolvenzverwalter gemäß § 103 Abs. 1 InsO gegen § 119 InsO und ist daher unwirksam8.
1 MünchKommInsO/Kreft, § 103 Rz. 34; Bork in FS Wellensiek, 2011, S. 201, 209. 2 BGH v. 27.5.2003 – IX ZR 51/02, NZI 2003, 491; in diesem Sinne wohl auch: MünchKommInsO/ Kreft, § 103 Rz. 34, kritisch insoweit Bork in FS Wellensiek, 2011, S. 201, 204 ff.; Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 103 Rz. 186. 3 Bork in FS Wellensiek, 2011, S. 201, 208. 4 Huber in Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 34 Rz. 44. 5 BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 222/08, NZI 2011, 538; Waltenberger in HK-InsO, § 301 n.F. Rz. 1 i.V.m. § 301 a.F. 6 OLG Karlsruhe v. 7.3.2002 – 12 U 290/01, NZI 2002, 316. 7 OLG Köln v. 20.12.2000 – 5 U 116/00, ZInsO 2002, 534. 8 AG Hamburg v. 19.10.2004 – 316 C 252/04, ZInsO 2005, 502.
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63a Wählt der Insolvenzverwalter die Nichterfüllung eines Lizenzvertrages1, wird zum Teil vertreten, dass damit – analog § 9 VerlG – die ausschließliche Lizenz erlischt2. Dies wird u.a. mit der vergleichbaren Interessenlage im Urheber- und Verlagsrecht begründet3. Ferner soll der über das Vermögen einer Lizenzgeberin bestellte Insolvenzverwalter wegen der Vorschrift des § 119 InsO die Erfüllung des Lizenzvertrags selbst dann ablehnen können, wenn die Vertragsparteien zuvor vereinbart hatten, dass die ausschließliche Lizenz als Sacheinlage der Lizenznehmerin „durch den Einbringenden bzw. Eigentumsnachfolger nicht wieder entzogen“ werden kann4. 63b Dagegen spricht schon, dass die Erfüllungsablehnung nur die Undurchsetzbarkeit für die Dauer des Insolvenzverfahrens manifestiert. Entgegen dem Wortlaut von § 9 VerlG erlischt der Lizenzvertrag nicht. Infolge der Undurchsetzbarkeit besteht das Nutzungsrecht aber nicht mehr, da die Lizenz nur aus einem durchsetzbaren Lizenzvertrag abgeleitet werden kann: Die Nutzung der Lizenz erfolgt „nur aufgrund des dazugehörigen und mit den Lizenzen untrennbar verbundenen schuldrechtlichen Vertrages“5. Dem Vertragspartner der Insolvenzschuldnerin steht in der Folge allein der zur Insolvenztabelle anzumeldende Schadensersatzanspruch nach § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO zu. 63c Wegen dieser Folge stellt sich die Frage, ob für einen Lizenznehmer die Möglichkeit besteht, eine insolvenzfeste Lizenz zu erhalten6. Zum Teil wird in der Literatur vertreten § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO sei auf Lizenzverträge analog anwendbar7. Der BGH hat aber schon in einer Entscheidung Ende 2005 eine analoge Anwendung des § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO mit der kurzen Begründung abgelehnt, Gegenstand von Lizenzverträgen sei kein unbewegliches Vermögen8. 63d Der Gesetzgeber stuft die ungünstige Stellung des Lizenznehmers in der Insolvenz des Lizenzgebers insoweit zwar als problematisch ein. Demnach drohen gesamtwirtschaftliche Nachteile9. Eine Gesetzesänderung konnte aber bisher nicht durchgesetzt werden. Am 29.6.2007 hatte das BMJ in einer Pressemitteilung10 angekündigt, einen Regelungsvorschlag zum besseren Schutz der berechtigten Interessen des Lizenznehmers in der Insolvenz des Lizenzgebers vorzulegen. Es lag sogar ein Regierungsentwurf11 zur Einführung eines neuen § 108a InsO vor. Dieser sah eine sog. Fortbestandslösung vor, d.h. der Lizenzvertrag über ein Recht am geistigen Eigentum
1 Zum Schicksal der Insolvenz der Lizenz in der Insolvenz des Lizenzgebers jüngst Dahl/ D. Schmitz, NZI 2013, 878 ff.; dies., BB 2013, 1032 ff.; Fischer, WM 2013, 821; von Wilmowsky, NZI 2013, 377 ff.; Berger, GRUR 2013, 321 ff.; Brinkmann, NZI 2012, 735 ff.; Bullinger/Hermes, NZI 2012, 492; Marotzke, ZInsO 2012, 1737 ff.; McGuire, GRUR 2012, 657 ff.; Pleister/Wündisch, ZIP 2012, 1792 ff.; Wimmer, ZIP 2012, 545 (551 ff.). 2 LG Mannheim v. 27.6.2003 – 7 O 127/03, ZIP 2004, 576 = DZWIR 2003, 479; v. Frentz/Marrder, ZUM 2003, 94, 101; a.A. Wallner, NZI 2002, 70 (74); Abel, NZI 2003, 111 (126); Stickelbrock, WM 2004, 549 (559). 3 LG Mannheim v. 27.6.2003 – 7 O 127/03, ZIP 2004, 576 = DZWIR 2003, 479. 4 LG Mannheim v. 27.6.2003 – 7 O 127/03, ZIP 2004, 576 = DZWIR 2003, 479. 5 KG v. 23.4.2012 – 20 SCHH 3/09, NZI 2012, 759. 6 Vgl. OLG München v. 25.7.2013 – 6 U 541/12, NZI 2013, 899; dazu Dahl/D. Schmitz, NZI 2013, 878. 7 Fezer, WRP 2004, 793 (803); Koehler/Ludwig, WRP 2006, 1342; Koehler/Ludwig, NZI 2007, 79 (82); a.A. Abel, NZI 2003, 121 (127); McGuire/von Zumbusch/Joachim, GRUR Int. 2006, 682 (692); Brinkmann, NZI 2012, 735 (739). 8 BGH v. 17.11.2005 – IX ZR 162/04, NZI 2006, 229 (230). 9 Begr. RefE v. 7.12.2011, S. 39, abrufbar unter http://gesetzgebung.beck.de/sites/gesetzgebung. beck.de/files/RefE_InsoII.pdf. 10 Einzusehen unter http://www.bundesjustizministerium.de/enid/50087277e1fdec8810d76312a 92cb095,8267ac706d635f6964092d0934353431093a0979656172092d0932303037093a096d6f6e7468 092d093036093a095f7472636964092d0934353431/Pressestelle/Pressemitteilungen_58.html. 11 RegE eines Gesetzes zur Entschuldung mittelloser Personen, zur Stärkung der Gläubigerrechte sowie zur Regelung der Insolvenzfestigkeit von Lizenzen, einzusehen unter http:// www.bmj.de/files/-/2368/RegE%20Entschuldung%20mittelloser%20Personen.pdf.
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hätte mit Wirkung für die Insolvenzmasse fortbestanden1. Das Vorhaben ist jedoch im Entwurfsstadium stecken geblieben. In 2012 hat der Gesetzgeber einen erneuten Vorstoß gewagt. Entgegen dem Regierungsentwurf 2007 wollte der Gesetzgeber das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nicht beschränken, sondern den Lizenzvertrag diesem weiterhin unterstellen und dem Lizenznehmer einen Anspruch auf einen Neuabschluss des Lizenzvertrags gewähren (sog. Neuverhandlungslösung). Der § 108a InsO-E hatte folgenden Wortlaut2: (1) Lehnt der Insolvenzverwalter nach § 103 die Erfüllung eines Lizenzvertrages ab, den der Schuldner als Lizenzgeber geschlossen hat, so kann der Lizenznehmer binnen eines Monats, nachdem die Ablehnung zugegangen ist, vom Verwalter oder einem Rechtsnachfolger den Abschluss eines neuen Lizenzvertrages verlangen, der dem Lizenznehmer zu angemessenen Bedingungen die weitere Nutzung des geschützten Rechts ermöglicht. Bei der Festlegung der Vergütung ist auch eine angemessene Beteiligung der Insolvenzmasse an den Vorteilen und Erträgen des Lizenznehmers aus der Nutzung des geschützten Rechts sicherzustellen; die Aufwendungen des Lizenznehmers zur Vorbereitung der Nutzung sind zu berücksichtigen, soweit sie sich werterhöhend auf die Lizenz auswirken. (2) Handelt es sich bei dem Vertrag, den der Schuldner als Lizenzgeber geschlossen hat, um einen Unterlizenzvertrag und lehnt der Insolvenzverwalter gegenüber dem Hauptlizenzgeber die Erfüllung des Lizenzvertrages ab, so dann ein Unterlizenznehmer des Schuldners vom Hauptlizenzgeber den Abschluss eines Lizenzvertrages nach den in Absatz 1 genannten Bedingungen verlangen. Liegen Tatsachen vor, aus denen sich ernsthafte Zweifel ergeben, dass der Unterlizenznehmer seine Verpflichtung aus dem Vertrag wird erfüllen können, so kann der Hauptlizenzgeber den Abschluss von einer Sicherheitsleistung abhängig machen. (3) Der Lizenznehmer ist berechtigt, bis zum Abschluss eines neuen Lizenzvertrages das lizensierte Recht gemäß dem bisherigen Lizenzvertrag zu nutzen. Wird innerhalb von drei Monaten nach Zugang der Aufforderung des Lizenznehmers zum Neuabschluss des Lizenzvertrages kein neuer Lizenzvertrag abgeschlossen, so ist die weitere Nutzung nur zulässig, wenn 1. eine Vergütung gezahlt wird, deren Höhe sich nach den Anforderungen von Abs. 1 bemisst, und 2. der Lizenznehmer spätestens innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Wochen nachweist, dass er gegen den Verwalter im Fall des Abs. 2 gegen den Hauptlizenzgeber, Klage auf Abschluss eines Lizenzvertrages erhoben hat. Wenn die Parteien nichts anderes vereinbaren, wirkt der Neuvertrag auf den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zurück.
Der Entwurf hätte das Wahlrecht des Insolvenzverwalters aus § 103 InsO nicht tan- 63e giert. Stattdessen begründet § 108a Abs. 1 InsO-E einen Neuverschaffungsanspruch des Lizenznehmers, wenn der Insolvenzverwalter die Erfüllung des Lizenzvertrags ablehnt. Der Verhandlungsspielraum bei Abschluss des neuen Lizenzvertrags für beide Parteien einschränkt3: Zum einen muss der Vertrag aus Sicht der Insolvenzmasse ökonomisch sinnvoll sein. Zum anderen müssen die bisherigen Aufwendungen des Lizenznehmers berücksichtigt werden, die er im Vertrauen auf den Fortbestand des Lizenzvertrages gemacht hat. Ob sich die Parteien in der Praxis mit diesen ungenauen Vorgaben auf einen Neuabschluss zu angemessen Bedingungen hätten einigen können, ist fraglich4. In § 108a Abs. 2 InsO-E sollte das Schicksal der Insolvenz des Lizenzgebers bei Kettenlizenzen regeln. Kettenlizenzen bestehen aus einer Hauptlizenz und einer davon abgeleiteten Unterlizenz. Der Lizenzgeber erteilt dem Lizenznehmer die Hauptlizenz und dieser erteilt einem Dritten eine Unterlizenz5. In der Insolvenz des Hauptlizenznehmers/Unterlizenzgebers hätte sich der Neuverschaffungsanspruch gemäß § 108a Abs. 2 Satz 1 InsO-E gegen den Hauptlizenzgeber gerichtet. Damit wäre in die Privat-
1 Zum § 108a InsO-E 2007 vgl. Dahl in der 2. Aufl. dieses Buchs; Slopek, GRUR 2009, 128 (130 ff.); McGuire, GRUR 2009, 13 (18 f.). 2 Zum § 108a InsO-E 2012 McGuire, GRUR 2012, 657 ff.; Marotzke, ZInsO 2012, 1737 ff.; Bullinger/ Hermes, NZI 2012, 492; Smid, GRUR-Prax 2012, 75; Hirte, FS Haarmeyer, 2013, S. 95 ff.; von Wilmowsky, NZI 2013, 377; Fischer, WM 2013, 821; Berger, GRUR 2013, 321. 3 Vgl. Bullinger/Hermes, NZI 2012, 492 (495 f.). 4 Ausführlich McGuire, GRUR 2012, 657 (661 f.); Bullinger/Hermes, NZI 2012, 492 (496). 5 Vgl. Darstellung bei Dahl/D. Schmitz, BB 2013, 1032 (1034).
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§8
Rz. 63f
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
autonomie des Hauptlizenzgebers eingegriffen worden, da er nun mit einem fremden Unterlizenzgeber kontrahieren müsste. Überdies hätte der Entwurf in § 108a Abs. 2 Satz 1 InsO-E lediglich die Folgen der Insolvenz des Hauptlizenznehmers für den Unterlizenznehmer geregelt. Bei Kettenlizenzen muss aber zwischen der Insolvenz des Hauptlizenzgebers, der Insolvenz des Unterlizenzgebers und der Insolvenz beider (z.B. in Konzerninsolvenzen) unterschieden werden. Im Falle der Insolvenz des Hauptlizenzgebers hätte es eines Rückgriffs auf § 108 Abs. 1 InsO-E bedurft1. Bei einer Doppelinsolvenz von Hauptlizenzgeber und Hauptlizenznehmer wäre fraglich, mit welchem Insolvenzverwalter der Unterlizenznehmer gemäß § 108a Abs. 1 InsO-E über seinen Neuverschaffungsanspruch verhandeln muss. 63f § 108a Abs. 3 InsO-E hätte die Fortbenutzung der Lizenz für den Übergangszeitraum zwischen Insolvenzeröffnung2 und Abschluss des neuen Lizenzvertrags geregelt. Problematisch wäre gewesen, dass der Lizenznehmer die Angemessenheit seiner Vergütung nach § 108a Abs. 3 Nr. 1 InsO-E selbst hätte einschätzen müssen3. Konzeptionell überzeugt auch das Ausschlussrecht gemäß § 108a Abs. 3 Nr. 2 InsO-E nicht4. 63g Wider Erwarten ist der § 108a InsO-E mit dem Regierungsentwurf vom 12.7.2012 aus dem Novellierungsvorhaben herausgenommen worden. Es ist anzunehmen, dass das Bundeskabinett vor dem Hintergrund aktueller Rechtsprechung des I. Senat des BGH zu Lizenzen, insbesondere der Entscheidung in Sachen „M2Trade“, von der Einführung des § 108a InsO-E Abstand genommen hat. Dementsprechend hat es am 28.7.2012 nur den verkürzten „Regierungsentwurf für ein Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte“ beschlossen. Die neuere Rechtsprechung BGH und der Instanzgerichte hat wohl nach Ansicht des Gesetzgebers – fälschlicherweise – eine gesetzliche Novellierung überflüssig gemacht5: 63h Die Entscheidungen des I. Zivilsenats des BGH6 betrafen ausschließlich Kettenlizenzen und hatten nur am Rande einen insolvenzrechtlichen Bezug. Nach Ansicht des BGH schlägt das Erlöschen der Hauptlizenz nicht auf die davon abhängige Unterlizenz durch. Daraus wird zum Teil abgeleitet, Unterlizenzverträge seien insolvenzfest7. Gegen diese Ansicht bestehen aber grundlegende Bedenken. Zunächst behandelt keine der drei Entscheidungen die Folgen der Undurchsetzbarkeit des Lizenzvertrags infolge der Nichterfüllungswahl des Insolvenzverwalters gemäß § 103 InsO. Überdies sind die Entscheidungen im Kern zum Urheberrecht ergangen. Die gefundenen Ergebnisse und die Argumentation lassen sich nicht ins Insolvenzrecht übertragen8. 63i Die Entscheidungen des KG9 und des LG München I10 betrafen Kreuzlizenzverträge. Dies sind Verträge, bei denen sich zwei oder mehr Parteien gegenseitig Lizenzen einräumen11. Die Gerichte sind in beiden Entscheidungen zu dem Schluss gekommen, dass § 103 InsO grundsätzlich auf Lizenzverträge Anwendung findet, aber unter Umständen tatbestandlich ausgeschlossen sein kann. Bei Kreuzlizenzverträgen kann durch die gegenseitige, dauerhafte und unwiderrufliche Lizenzgewährung frühzeitig Erfüllung eintreten, so dass § 103 InsO nicht mehr anwendbar ist.
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Ausführlich Bullinger/Hermes, NZI 2012, 492 (498). Bullinger/Hermes, NZI 2012, 492 (496). Bullinger/Hermes, NZI 2012, 492 (497). McGuire, GRUR 2012, 657 (663); Smid, GRUR-Prax 2012, 75 (77). Ausführlich Dahl/D. Schmitz, BB 2013, 1032 ff. BGH v. 26.3.2009 – I ZR 153/06, NJW-RR 2010, 186 (Reifen Progressiv); BGH v. 19.7.2012 – I ZR 70/10, ZIP 2012, 1561 (M2Trade); BGH v. 19.7.2012 – I ZR 24/11, ZIP 2012, 1671 (Take Five); dazu ausführlich Marotzke, ZInsO 2012, 1737; Meyer-van Raay, NJW 2012, 3691 ff. Unter Verweis auf den vom BGH zur Begründung herangezogenen Sukzessionschutz Frentz/ Masch, ZUM 2012, 886; Klawitter, GRUR-Prax 2012, 427 f.; Malitz/Coumont, InsVZ 2010, 83 (86). Ausführlich Dahl/D. Schmitz, BB 2013, 1032 (1035 f.); Brinkmann, NZI 2012, 735 (737); Vosberg/Klawa, EWiR 2012, 637 (638). KG v. 23.4.2012 – 20 SCHH 3/09, NZI 2012, 759. LG München I v. 9.2.2012 – 7 O 1906/11, GRUR-RR 2012, 142. Ganter, NZI 2011, 833 (840); Brinkmann, NZI 2012, 735 (740).
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Dahl
Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO
Rz. 64
§8
Aus den vorgenannten Entscheidungen können keine absoluten Grundsätze für das 63j Schicksal der Lizenz in der Insolvenz abgeleitet werden. Der Entwurf zeigt, dass der Gesetzgeber nicht davon ausgeht, dass Lizenzverträge insolvenzfest sind1. De lege lata muss im Einzelfall2 geprüft werden, ob die Voraussetzungen von § 103 InsO vorliegen oder beispielsweise bereits Erfüllung eingetreten ist. Entgegen der zum Teil vertretenen Ansicht3 gibt die (ausschließliche) Lizenz in der Insolvenz des Lizenzgebers auch kein Aussonderungsrecht4. Insofern kann die Insolvenzfestigkeit von Lizenzen allenfalls durch Vertragsgestal- 63k tung erreicht werden. Dabei ist jedoch stets die Vorschrift des § 119 InsO zu beachten. Das dem Insolvenzverwalter gemäß § 103 InsO zustehende Wahlrecht darf weder ausdrücklich noch faktisch ausgeschlossen werden. Der BGH hat für einen Softwarelizenzvertrag, mit dem eine ausschließliche Lizenz 63l vergeben wurde, folgende – etwas umständlich anmutende – Konstruktion vor § 119 InsO bestehen lassen5: Dem Lizenznehmer stand nach dem Lizenzvertrag ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund zu, wobei ein wichtiger Grund insbesondere die Nichterfüllungswahl durch den Insolvenzverwalter sein sollte. Durch die Ausübung des Kündigungsrechts standen dem Lizenznehmer die Nutzungsrechte an der Software samt Quellcodes zu; im Gegenzug hatte der Lizenznehmer eine einmalige Vergütung zu zahlen. Dieses Urteil wurde teilweise als ein „wesentlicher Schritt auf dem Weg zur Anerkennung der Insolvenzfestigkeit von Lizenzen“6 angesehen. Einige Stimmen in der Literatur sehen einen sinnvollen Ausweg für den Lizenz- 63m nehmer auch darin, dass dieser sich Sicherheiten an dem lizenzierten Schutzrecht einräumen lässt. Diskutiert7 werden beispielsweise ein Pfandrecht zur Sicherung des Schadensersatzanspruchs aus § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO bzw. eine Sicherungsabtretung8 sowie ein Sicherungsnießbrauch9. Gegen die Zulässigkeit derartige Vereinbarungen bestehen jedoch wegen § 119 InsO erhebliche Bedenken. Insbesondere dürfte die Einräumung einer Sicherheit für den Schadensersatzanspruch aus § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO gegen § 119 InsO verstoßen. Ebenso ist die Gefahr der Anfechtbarkeit zu beachten. Darüber hinaus ist der praktische Nutzen der genannten Sicherheiten im Insolvenzfall fraglich10. Nicht zuletzt muss bezweifelt werden, ob sich ein Lizenzgeber überhaupt auf solche Sicherungsvereinbarungen einlässt11, insbesondere bei nicht ausschließlichen Lizenzen. 6. Praxistipp/Musterschreiben Bevor der Insolvenzverwalter eine Entscheidung darüber trifft, ob er Vertragserfül- 64 lung wählt oder die Erfüllung ablehnt, ist er gehalten, die Auswirkungen seiner Entscheidung eingehend im Hinblick auf die Vorteilhaftigkeit für die Insolvenzmasse zu prüfen, wobei er auch die steuerlichen Folgen bedenken muss12. Gerade bei umfangreichen Vertragsverhältnissen kann dies schwierig und entsprechend zeitaufwendig sein. Wahlrechtsausübungen, die offenkundig und für den Vertragspartner erkennbar
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McGuire, GRUR 2012, 657 (661). Zu den verschiedenen Lizenzarten Dahl/D. Schmitz, BB 2013, 1032 (1033 ff.). Bausch, NZI 2005, 289; Koehler/Ludwig, NZI 2007, 79 (82); Hirte/Knopf, JZ 2011, 889. Dahl/D. Schmitz, BB 2013, 1032 (1038); ausführlich McGuire, GRUR 2012, 657 (659) m.w.N. BGH v. 17.11.2005 – IX ZR 172/04, NZI 2006, 229; vgl. hierzu Bärenz, EWiR 2006, 119; kritisch Koehler/Ludwig, NZI 2007, 79 (80). So Berger, NZI 2006, 380 (383). Überblick bei Dahl/J. Schmitz, NZI 2007, 626 (627 f.). Schmoll/Hölder, GRUR 2004, 830 (831 f.). Berger, GRUR 2004, 20. Vgl. Dengler/Gruson/Spielberger, NZI 2006, 677 (680 f.); McGuire/von Zumbusch/Joachim, GRUR Int. 2006, 682 (695); Schmoll/Hölder, GRUR 2004, 830 (832 f.). Vgl. Bausch, NZI 2005, 289; Dengler/Gruson/Spielberger, NZI 2006, 677 (681). Vgl. dazu BFH v. 22.10.2009 – V R 14/08, NZI 2010, 272.
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§8
Rz. 65
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
den Interessen der Insolvenzgläubiger zuwiderlaufen, sind wegen evidenter Insolvenzzweckwidrigkeit unwirksam1. 65 Ist der Vertragspartner demgegenüber daran interessiert, möglichst zügig Klarheit über den weiteren Verlauf des Vertragsverhältnisses zu erhalten, sollte er die ihm in § 103 Abs. 2 Satz 2 InsO eingeräumte Möglichkeit nutzen und den Verwalter unmittelbar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auffordern, sich unverzüglich darüber zu erklären, ob er die Erfüllung verlangen will. 66 M 11
Musterschreiben fr den Insolvenzverwalter bei Erfllungswahl
Sehr geehrter Herr ABC, mit anliegendem Beschluss des Amtsgerichts – Insolvenzgerichts – DEF vom 00.00.00 ist das Insolvenzverfahren ber das Vermçgen der XYZ erçffnet und der Unterzeichner zum Insolvenzverwalter bestellt worden. Nach den mir vorliegenden Geschftsunterlagen besteht zwischen der Schuldnerin und Ihnen der anliegend beigefgte Vertrag ber die Lieferung von (Vertragsgegenstand bezeichnen). Gemß §§ 103, 105 InsO verlange ich fr die Zeit ab Erçffnung des Insolvenzverfahrens die Erfllung des bestehenden Vertrages. Ich mache darauf aufmerksam, dass Ansprche auf die Gegenleistung fr vor Verfahrenserçffnung erbrachte Leistungen nur als Insolvenzforderungen geltend gemacht werden kçnnen und zur Insolvenztabelle anzumelden sind. Mit freundlichen Grßen
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Musterschreiben des Glubigervertreters an den Insolvenzverwalter nach § 103 Abs. 2 Satz 2 InsO
Sehr geehrter Herr Insolvenzverwalter ABC, ich zeige an, dass mich DEF mit der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen beauftragt hat. Eine auf mich lautende Originalvollmacht liegt anbei. Zwischen der Schuldnerin und meiner Mandantschaft besteht der ebenfalls anliegende Vertrag ber die Lieferung von (Bezeichnung des Vertragsgegenstandes). Die Ware wurde dem Schuldner bereits teilweise von meiner Mandantschaft am 00.00.00 geliefert und von diesem auch bereits teilweise bezahlt. Im Hinblick auf die noch ausstehende weitere Vertragsabwicklung fordert meine Mandantschaft Sie gemß § 103 Abs. 2 Satz 2 InsO auf, sich in Ihrer Eigenschaft als Insolvenzverwalter unverzglich darber zu erklren, ob Erfllung verlangt wird. Mit freundlichen Grßen III. Einfluss der Insolvenzeröffnung auf Fixgeschäfte und Finanzleistungen, § 104 InsO 1. Allgemeines/Normzweck 68 Zweck der Ausnahmeregelungen in § 104 InsO2 ist es, den Vertragspartner vor Unsicherheiten und Nachteilen, die aus dem Wahlrecht des Verwalters in § 103 InsO entstehen, zu schützen. Hierbei trägt die Regelung dem Umstand Rechnung, dass die Zeitspanne der Ungewissheit, die erst mit der Ausübung des Wahlrechts durch den Insolvenzverwalter endet, nicht bei allen Vertragstypen hingenommen werden kann. 69 Bei Fix- und Finanztermingeschäften kommt es schon im Hinblick auf die erheblichen Preisschwankungen an Markt und Börse auf die exakte Einhaltung der vertrag1 BGH v. 22.1.2009 – IX ZR 66/07, NZI 2009, 235 (236 f.); BGH v. 20.3.2008 – IX ZR 68/06, NZI 2008, 265. 2 Ausführlich dazu: Bosch in Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl. (2000), S. 1009 ff.; von Wilmowsky, WM 2002, 2264 ff.; Ehricke, ZIP 2003, 273 ff.
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Einfluss der Insolvenzerçffnung auf Fixgeschfte und Finanzleistungen
Rz. 75
§8
lich vereinbarten Lieferzeit bzw. des vertraglich festgelegten Zeitraums an, so dass der Vertragspartner bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein schutzwürdiges Interesse daran hat, umgehend Klarheit über die Rechtslage zu erhalten, um gegebenenfalls unmittelbar Ersatzgeschäfte tätigen zu können. Um diese Probleme zu lösen, ordnet die Vorschrift des § 104 InsO für bestimmte Fix- 70 und Finanztermingeschäfte zwingend an, dass Erfüllung nicht verlangt werden kann. Dem Insolvenzverwalter soll hiermit schließlich auch die Möglichkeit genommen werden, sein ihm in § 103 InsO eingeräumtes Wahlrecht für zu Lasten des Vertragspartners gehenden Spekulationen auszunutzen. Im Zuge der Umsetzung der Finanzsicherheiten-Richtlinie1 wurde durch Gesetz vom 70a 5.4.2004 (BGBl. I, 502) die amtliche Überschrift des § 104 InsO geändert und der Terminus „Finanztermingeschäfte“ durch den Terminus „Finanzleistungen“ ersetzt. Der Begriff „Finanztermingeschäfte“ erschien insoweit zu eng, als § 104 Abs. 2 InsO auch Kassageschäfte erfasst, bei denen fraglich ist, ob sie zu den eigentlichen Finanztermingeschäften gehören2. 2. Fixgeschäfte a) Tatbestandsvoraussetzungen § 104 Abs. 1 InsO setzt einen Liefervertrag voraus, der bei Eröffnung des Insolvenz- 71 verfahrens von beiden Seiten noch nicht vollständig erfüllt ist. Liegt es anders, so gelten die allgemeinen Regeln: Hat der Vertragspartner bereits vollständig geleistet, so kann er seinen Anspruch auf die Gegenleistung zur Insolvenztabelle anmelden; hat der Schuldner seine Leistung bereits vollständig erbracht, so hat der Vertragspartner seine Gegenleistung in die Insolvenzmasse zu erbringen. Gegenstand des Liefervertrages müssen Waren sein. Der Begriff der Waren, der früher in § 1 Abs. 2 Nr. 1 HGB gesetzlich definiert war, umfasst bewegliche Sachen und körperliche Gegenstände, nicht aber Forderungen und Rechte3.
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Die Waren müssen einen Markt- oder Börsenpreis haben, es muss sich also um ver- 73 tretbare Sachen i.S. des § 91 BGB handeln. Der Begriff des Marktpreises ist weit auszulegen, wobei es genügt, wenn sich der Preis durch Durchschnittsberechnungen oder Sachverständigengutachten ermitteln lässt4. Erforderlich ist allerdings, dass die Ware zu diesem Preis tatsächlich in nennenswertem Umfang gehandelt wird, weil nur dann gewährleistet ist, dass sich die Vertragspartner tatsächlich am Markt zu einem objektiv feststellbaren Preis neu eindecken können5. Schließlich muss es sich um ein Fixgeschäft i.S.d. §§ 323 Abs. 2 Ziff. 2 BGB, 376 HGB 74 handeln. Wesensmerkmal solcher Fixgeschäfte ist die Vereinbarung einer Lieferung „genau“ zu einer „fest“ bestimmten Zeit oder innerhalb einer „fest“ bestimmten Frist. Die Bestimmung des Liefertermins oder der Lieferfrist muss nach dem Willen der Parteien also so wesentlich sein, dass der Vertrag mit der Einhaltung oder Versäumung des Termins bzw. der Frist steht oder fällt6. b) Rechtsfolgen Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlischt ein i.S.d. § 104 Abs. 1 InsO von beiden 75 Seiten noch nicht vollständig erfülltes Fixgeschäft von Gesetzes wegen und die beiderseitigen Erfüllungsansprüche gehen unter.
1 Richtlinie 2002/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 6.6.2002 über Finanzsicherheiten, ABl. L 168, 43. 2 Wimmer, ZIP 2003, 1563 (1565). 3 Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 104 Rz. 3. 4 Bosch, Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl. (2000), S. 1009 (1023). 5 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand August 2012, § 104 Rz. 15 m.w.N. 6 BGH v. 17.1.1990 – VIII ZR 292/88, BGHZ 110, 88 (96) = NJW 1990, 2065.
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Rz. 76
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
76 Statt des Erfüllungsanspruchs entsteht ein Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung des Geschäfts, der nach § 104 Abs. 3 InsO berechnet wird und sowohl vom Vertragspartner als auch vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden kann1. Die hierdurch herbeigeführte Umwandlung bleibt auch dann bestehen, wenn das Verfahren später wieder aufgehoben wird, weil nur auf diese Weise dem Bedürfnis des Vertragspartners nach Rechtssicherheit hinreichend Rechnung getragen wird2. 77 Gemäß § 104 Abs. 3 Satz 1 InsO richtet sich die Forderung wegen der Nichterfüllung auf den Unterschied zwischen dem vereinbarten Preis und dem Markt- oder Börsenpreis, der am zweiten Tag nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am Erfüllungsort für einen Vertrag mit der vereinbarten Erfüllungszeit maßgeblich ist (sog. Differenzgeschäft). Die 2-Tages-Frist ist in der Literatur als unter heutigen Marktverhältnissen nicht mehr zeitgemäß kritisiert worden3. Das Gesetz zur Umsetzung der Finanzsicherheiten-Richtlinie vom 5.4.2004 (BGBl. I, S. 502) änderte die Vorschrift des § 104 Abs. 3 Satz 1 InsO dahin gehend, dass die Parteien den maßgebenden Zeitpunkt festlegen können, sofern er nicht später als der fünfte Werktag nach Verfahrenseröffnung liegt. Lassen die Parteien diese Frage ungeregelt, so ist wie bisher der zweite Werktag nach der Eröffnung des Verfahrens maßgeblich4. 78 Die einzelne Berechnung erfolgt abstrakt, d.h. ausschließlich anhand des objektiven Marktpreises und ohne Rücksicht darauf, ob der Vertragspartner sich tatsächlich zu einem höheren Preis eingedeckt oder verkauft hat. Ebenso unerheblich sind der entgangene Gewinn, der über die Preisdifferenz hinausgeht, sowie Gebühren oder Provisionen5, die nur dann anfallen, wenn der Vertragspartner oder Verwalter tatsächlich ein Gegengeschäft zur Glattstellung abschließt. 79 Übersteigt der Marktpreis den vertraglich vereinbarten Preis, kann der Vertragspartner diesen gemäß § 104 Abs. 3 Satz 2 InsO als Insolvenzforderung geltend machen. Unterschreitet umgekehrt der Marktpreis den vertraglich vereinbarten Preis, hat der Insolvenzverwalter einen Anspruch auf Erstattung der Differenz zur Insolvenzmasse. 3. Finanzleistungen a) Tatbestandsvoraussetzungen 80 In § 104 Abs. 2 InsO werden sog. Finanzleistungen dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters entzogen. 81 § 104 Abs. 2 Satz 1 InsO bestimmt zunächst allgemein, dass dann, wenn für Finanzleistungen, die einen Markt- oder Börsenpreis haben, eine bestimmte Zeit oder eine bestimmte Frist vereinbart war und die Zeit oder der Ablauf der Frist erst nach Verfahrenseröffnung eintritt, Erfüllung nicht verlangt werden kann. 82 Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um die von den Finanzmärkten entwickelten neueren (derivativen) Finanzinstrumente6. Der Begriff der Finanzleistungen entspricht somit den im Sprachgebrauch „Finanz-Derivate“ genannten Termingeschäften mit den Grundformen Festgeschäfte, Swap-Geschäfte und Optionsgeschäfte7. Er
1 Zu Einzelheiten vgl. Ehricke, NZI 2006, 564 (565). 2 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 104 Rz. 18; Köndgen in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 104 Rz. 16; Huber in Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 38 Rz. 9. 3 Bosch, Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl. (2000), S. 1009 (1038). 4 Wimmer, ZIP 2003, 1563 (1565). 5 Wie hier Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 104 Rz. 19; a.A. Kroth in Braun, § 104 InsO Rz. 11. 6 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 104 Rz. 21; Ahrendt in Hamburger Kommentar zur InsO, § 104 Rz. 6. 7 MünchKommInsO/Jahn, § 104 Rz. 52; Köndgen in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 104 Rz. 18 ff.; Bosch, Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl. (2000), S. 1013 ff.
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Einfluss der Insolvenzerçffnung auf Fixgeschfte und Finanzleistungen
Rz. 87
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schließt zudem auch Termingeschäfte über Geldmarktinstrumente ein, die von § 104 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1–5 InsO nicht erfasst werden1. Der in § 104 Abs. 2 Satz 1 InsO verwendete Begriff des Markt- und Börsenpreises ist 83 ebenso wie in § 104 Abs. 1 InsO weit zu fassen. Entscheidend ist, dass sich ein objektiver Marktwert, etwa über eine Börsennotierung, errechnen lässt. Ausreichend ist aber auch, wenn sich der Preis durch einen Sachverständigen feststellen lässt. Schließlich bestimmt § 104 Abs. 2 Satz 1 InsO, dass für die Finanzleistung eine be- 84 stimmte Zeit oder eine bestimmte Frist vereinbart wurde. Aus der Formulierung ergibt sich, dass die Zeitbestimmung im Unterschied zu § 104 Abs. 1 InsO nicht den Anforderungen eines Fixgeschäfts i.S.d. §§ 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB, 378 HGB genügen muss. Geschäfte, die auf unbestimmte Zeit abgeschlossen sind, werden von der Regelung nicht erfasst; ausreichend ist aber die Vereinbarung eines Spätest-Zeitpunkts2. § 104 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1–5 InsO enthält eine – freilich nicht abschließende – Liste von 85 Regelbeispielen, in denen die wichtigsten Finanzleistungen in ihren Grundformen enthalten sind: – Lieferung von Edelmetallen (Nr. 1) wie Gold, Silber und Platin. – Lieferung von Wertpapieren oder vergleichbaren Rechten (Nr. 2) wie Aktien, Investmentzertifikate, Schuldverschreibungen, Obligationen und äquivalente Wertrechte; außerdem handelbare Register-, Schuldbuch- und Schuldscheinforderungen sowie die neueren Wertpapierformen der internationalen Geld- und Kapitalmärkte, nicht jedoch Schecks, Wechsel, Konnossemente und andere Wertpapiere, für die ein Markt nicht besteht, sowie Geschäfte, die dazu dienen, eine Beteiligung herzustellen. – Geldleistungen in ausländischer Währung oder in Rechnungseinheit (Nr. 3), wie Devisentermingeschäfte und Devisenswapgeschäfte. – Geldleistungen, deren Höhe durch Kurs, Zinssatz oder Preis mittelbar oder unmittelbar bestimmt wird (Nr. 4), also sämtliche sonstigen Termingeschäfte, denen gemeinsam ist, dass bei Fälligkeit statt einer effektiven Lieferung ein Differenzausgleich vorzunehmen ist. – Optionen und andere Rechte (Nr. 5), wenn sie sich auf Finanzleistungen der in § 104 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1–4 InsO benannten Art beziehen. – Im Zuge der Umsetzung der Finanzsicherheiten-Richtlinie durch Gesetz vom 5. April 2004 (BGBl. I, 502) wurde die Liste der in § 104 Abs. 2 Satz 2 enthaltenen Regelbeispiele um eine Nr. 6 erweitert, so dass künftig auch Finanzsicherheiten i.S.d. § 1 Abs. 17 des Kreditwesengesetzes (KWG) erfasst werden3. Außer den vorstehend genannten gesetzlich geregelten Geschäften unterfallen dem 86 Anwendungsbereich des § 104 Abs. 2 InsO unter anderen4: – Kassageschäfte, nicht aber Bargeschäfte; – Börsentermingeschäfte im engeren Sinne, wie börsengehandelte Finanzleistungen; – Wertpapierleihe und Wertpapierdarlehen; – echte und unechte Wertpapierpensionsgeschäfte. b) Rechtsfolgen Die Rechtsfolgen nach § 104 Abs. 2 InsO entsprechen grundsätzlich jenen des § 104 87 Abs. 1 InsO, d.h. mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlöschen die beiderseitigen Erfüllungsansprüche und werden durch einen Differenzanspruch ersetzt, der gemäß § 104 Abs. 3 InsO zu berechnen ist.
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MünchKommInsO/Jahn, § 104 Rz. 51. Bosch, Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl. (2000), S. 1009 (1023). Wimmer, ZIP 2003, 1563 (1568). Ausführlich dazu MünchKommInsO/Jahn, § 104 Rz. 76 ff.
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Rz. 88
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
88 Besonderheiten ergeben sich aber dann, wenn zwischen den Parteien mehrere Finanzgeschäfte bestehen, die in einem Rahmenvertrag dergestalt zusammengefasst sind, dass vereinbarungsgemäß bei Vertragsverletzungen nur eine einheitliche Beendigung erfolgen kann. Für diesen Fall ordnet § 104 Abs. 2 Satz 3 InsO an, dass die Gesamtheit dieser Geschäfte als ein gegenseitiger Vertrag i.S.d. §§ 103, 104 InsO anzusehen ist. Derartige Rahmenverträge sind in der bankbetrieblichen Praxis weit verbreitet (z.B. Verrechnungspraxis des „close-out netting“)1. 89 Die Regelung des § 104 Abs. 2 Satz 3 InsO verfolgt den Zweck, sicherzustellen, dass bei vollständiger Erfüllung eines einzelnen Geschäfts auf Seiten einer Vertragspartei die Saldierungsmöglichkeit des § 104 InsO zur Risikominimierung erhalten bleibt. Gleichzeitig bewirkt die Fiktion der Geschäfte als Einheit, dass es keiner der Parteien möglich ist, die allein für sie vorteilhaften einzelnen Geschäftsabschlüsse herauszusuchen (so genanntes cherry picking)2. 90 Die einheitliche Beendigung der Geschäfte gilt im Übrigen auch dann, wenn zwar die Voraussetzungen des § 104 Abs. 2 Satz 3 InsO erfüllt sind, nicht aber die des § 104 Abs. 2 Satz 1 InsO, so dass § 103 Anwendung findet. Der Insolvenzverwalter kann dann nur die Erfüllung des gesamten zusammengefassten Geschäfts verlangen3. 90a Im Zuge der Umsetzung der Finanzsicherheiten-Richtlinie durch Gesetz vom 5.4.2004 (BGBl. I, S. 502) wurde die Vorschrift des § 104 Abs. 2 Satz 3 InsO geändert und das Wort „Vertragsverletzungen“ durch die Wörter „Vorliegen eines Insolvenzgrundes“ ersetzt. Hierdurch soll einerseits die in der bisherigen Gesamtbeendigungsklausel nicht gegebene Möglichkeit geschaffen werden, einzelne Geschäfte bei Lieferoder Zahlungsverzug glattzustellen, andererseits aber auch verhindert werden, dass eine Partei in der Insolvenz die Möglichkeit erhält, sich lediglich die vorteilhaften Geschäfte herauszusuchen4. 90b Problematisch ist die Anwendung des § 104 InsO bei sogenannten multipolaren Geschäften, die mit einer Vielzahl von Teilnehmer vollzogen werden: Es tritt eine zentrale Vertragspartei (zentraler Kontrahent, vgl. § 1 Abs. 31 KWG) als Käufer für jeden Verkäufer und als Verkäufer für jeden Käufer auf. Es kommt kein Vertrag zwischen dem Käufer und Verkäufer zustande, sondern beide kontrahieren jeweils mit dem zentralen Kontrahenten5. Im Rahmen der Abwicklung von Geschäften über einen zentralen Kontrahenten finden in der Regel Verrechnungen statt. Dadurch wird das Risiko des jeweiligen Kontrahenten, des Käufers und des Verkäufers gesenkt. Überdies können Käufer und Verkäufer geringere Sicherheiten stellen, als sie von den Auftraggebern für die Vornahme der Geschäfte erhalten, so dass ihnen mehr nutzbares Kapital zur Verfügung steht6. 90c Im Zuge der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Käufers oder des Verkäufers, werden nach § 41 Abs. 1 InsO nicht fällige Forderungen fällig und ein Aufrechnungsverbot nach § 96 InsO entsteht. Des Weiteren könnte der Insolvenzverwalter von seinem Wahlrecht nach § 103 InsO Gebrauch machen: Der Insolvenzverwalter könnte z.B. die Erfüllung des einen Geschäfts wählen und das Gegengeschäft ablehnen7. Überdies begründen die Verrechnungen ein Anfechtungsrisiko nach §§ 130 ff. InsO8.
1 Ausführlich dazu MünchKommInsO/Jahn, § 104 Rz. 88 ff.; Köndgen in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 104 Rz. 35; Berger, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 12 Rz. 31 ff.; Bosch, Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl. (2000), S. 1009 (1030 ff.). 2 Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 104 Rz. 15; Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 104 Rz. 46. 3 Marotzke in HK-InsO, § 104 Rz. 7; Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 104 Rz. 15 f. 4 Wimmer, ZIP 2003, 1563 (1565). 5 BT-Drucks. 17/5712, 27; Holzer, BKR 2011, 366 ff. 6 BT-Drucks. 17/5712, 27. 7 BT-Drucks. 17/5712, 27. 8 Ehricke, FS Lüer, 2008, S. 363 (367).
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Einfluss der Insolvenzerçffnung auf Fixgeschfte und Finanzleistungen
Rz. 90e
§8
Der Gesetzgeber hat erkannt, dass § 104 InsO nicht weiter hilft1, da er auf bilaterale 90d Geschäfte zugeschnitten ist und nicht die Abwicklung multipolarer Geschäfte erfasst. Überdies sind gemäß § 104 InsO sämtliche offenen Geschäfte sofort fällig2. Es war im „Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“ (ESUG) daher der Erlass eines § 104a InsO-E mit folgendem Wortlaut vorgesehen3: (1) Ist der Schuldner Teilnehmer an dem System eines zentralen Kontrahenten im Sinne des § 1 Absatz 31 des Kreditwesengesetzes, so kann der zentrale Kontrahent Rechte und Pflichten des Schuldners aus den in das System einbezogenen Geschäften auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf andere Teilnehmer des Systems übertragen. Die Übertragung erfolgt durch Vereinbarung mit den anderen Teilnehmern auf Grundlage einer vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschlossenen Vereinbarung zwischen dem zentralen Kontrahenten und dem Schuldner sowie zwischen dem Schuldner und Dritten, welchen der Schuldner die Teilnahme an dem System des zentralen Kontrahenten vermittelt (mittelbare Teilnehmer). Die Übertragung der Rechte und Pflichten ist nur in Bezug auf solche Geschäfte zulässig, denen korrespondierende Geschäfte des Schuldners mit mittelbaren Teilnehmern gegenüberstehen. Von der Übertragung müssen auch die Rechte und Pflichten aus den korrespondierenden Geschäften und die jeweils bestellten Finanzsicherheiten im Sinne des § 1 Absatz 17 des Kreditwesengesetzes sowie die mit diesen zusammenhängenden Rechte und Pflichten erfasst sein. Die Übertragungen bedürfen nicht der Zustimmung durch den Insolvenzverwalter. Geschäfte im Sinne von Satz 1 sind die in § 104 Absatz 1 und 2 genannten sowie vergleichbare Geschäfte. (2) Anstelle einer Übertragung nach Absatz 1 kann der zentrale Kontrahent nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Leistungspflichten des Schuldners und von mittelbaren Teilnehmern, die sich aus Geschäften und korrespondierenden Geschäften im Sinne des Absatzes 1 ergeben, ohne Zustimmung des Insolvenzverwalters durch den Abschluss von Gegengeschäften mit dem Schuldner und mittelbaren Teilnehmern, denen der aktuelle Markt- oder Börsenpreis der jeweiligen Leistungspflicht zugrunde liegt, glattstellen. Finanzsicherheiten im Sinne des § 1 Absatz 17 des Kreditwesengesetzes, die durch mittelbare Teilnehmer dem Schuldner und durch diesen dem zentralen Kontrahenten gestellt wurden, können ohne Zustimmung des Insolvenzverwalters unmittelbar den mittelbaren Teilnehmern zurückgewährt werden, soweit sie auf Grund eines Glattstellungsgeschäfts nicht mehr zur Besicherung erforderlich sind. Ein Glattstellungsgeschäft oder eine solche Rückgewähr von Finanzsicherheiten ist nur zulässig, wenn sich korrespondierende Geschäfte zwischen Schuldner und zentralem Kontrahenten sowie Schuldner und mittelbaren Teilnehmern gegenüberstehen, und nur, wenn die zwischen dem zentralen Kontrahenten und dem Schuldner sowie dem zwischen dem Schuldner und mittelbaren Teilnehmern vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschlossene Vereinbarung den Abschluss solcher Glattstellungsgeschäfte sowie die Rückgewähr der gewährten Finanzsicherheiten an die mittelbaren Teilnehmer vorsieht. (3) Die Übertragung von Rechten und Pflichten und von Finanzsicherheiten nach Absatz 1 oder der Abschluss von Glattstellungsgeschäften und die Rückgewähr von Finanzsicherheiten nach Absatz 2 sind nur bis zum Ablauf des dritten auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens folgenden Geschäftstages im Sinne des § 1 Absatz 16b des Kreditwesengesetzes zulässig. Sie unterliegen nicht der Insolvenzanfechtung. Auf Geschäfte, die nach Absatz 1 übertragen oder nach Absatz 2 glattgestellt werden sollen, findet § 104 bis zum Ablauf der Frist nach Satz 1 keine Anwendung. Weist der Insolvenzverwalter nach, dass die Insolvenzgläubiger durch eine Maßnahme nach Absatz 1 oder 2 gegenüber einer Abwicklung nach § 104 benachteiligt werden, so hat der zentrale Kontrahent diesen Nachteil gegenüber der Insolvenzmasse auszugleichen. § 92 gilt entsprechend.
Der § 104a InsO-E war keine originäre Vorschrift zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen. Er sollte vielmehr die Folgen der Insolvenz von Markteilnehmern auf Zahlungssysteme regeln und damit der Erhaltung der Stabilität der in- und ausländischen Finanzmärkte dienen4. In Abs. 1 war zunächst vorgesehen, dass das Kunden1 Zu den Folgen der Insolvenz Jaskulla, BKR 2012, 441 (445 f.). 2 Zu den wirtschaftlichen Folgen vgl. Stellungnahme der Gruppe Deutsche Börse im Rahmen der öffentlichen Anhörung im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages zum Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der geänderten Bankenrichtlinie und der geänderten Kapitaladäquanzrichtlinie“ (Drucks. 17/1720), Stand Juni 2010, S. 3, abrufbar unter: http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a07/anhoerungen/ 2010/019/Stellungnahmen/08_Deutsche_B__rse_AG.pdf. 3 BT-Drucks. 17/5712, 8; ausführlich Holzer, BKR 2011, 366 ff.; Holzer, DB 2013, 43 ff. 4 Holzer, BKR 2011, 366 (374); Hirte/Knof/Mock, DB 2011, 693 (697).
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90e
§8
Rz. 90f
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
geschäft und die zugehörigen Sicherheiten aus dem Geschäftsportfolio des insolventen Clearingmitglieds auf andere solvente Clearingmitglieder übertragen werden können. Sofern dies keine Abhilfe geschafft hätte, wäre nach Abs. 2 die Schließung des Kundengeschäfts möglich geworden. Die in Abs. 3 genannten Voraussetzungen sollen die Gläubigergleichbehandlung gewährleisten. 90f Der § 104a InsO-E ist aufgrund fortbestehenden Klärungsbedarfs im Hinblick auf die Nachteilsausgleichsregelung in § 104a Abs. 3 Satz 4 InsO-E aus dem ESUG gestrichen worden. Sein Regelungsgehalt wurde im Ausführungsgesetz zur „European Market Infrastructure Regulation“ (EMIR-VO) zur Umsetzung von § 48 der EMIR-Verordnung wieder aufgegriffen1. Dazu wurde gemäß Art. 9 des EMIR-Ausführungsgesetzes im EGInsO folgender Art. 102b eingefügt: § 1 Ausfallbestimmungen von zentralen Gegenparteien (1) Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hindert nicht 1. die Durchführung der nach Artikel 48 Absatz 2, 4, 5 Satz 3 und Absatz 6 Satz 3 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister (ABl. L 201 vom 27.7.2012, Satz 1) gebotenen Maßnahmen zur Verwaltung, Glattstellung und sonstigen Abwicklung von Kundenpositionen und Eigenhandelspositionen des Clearingmitglieds, 2. die Durchführung der nach Artikel 48 Absatz 4 bis 6 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 gebotenen Maßnahmen der Übertragung von Kundenpositionen sowie 3. die nach Artikel 48 Absatz 7 der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 gebotene Verwendung und Rückgewähr von Kundensicherheiten. (2) Absatz 1 gilt entsprechend für die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nach § 21 der Insolvenzordnung. § 2 Unanfechtbarkeit Die nach § 1 zulässigen Maßnahmen unterliegen nicht der Insolvenzanfechtung.
90g Das EMIR-Ausführungsgesetz trat am 16.2.2013 in Kraft2. Art. 102b EGInsO soll sicherstellen, dass die zentrale Vertragspartei i.S.v. § 48 EWIR-VO ihre Forderungen bei einem Ausfall durchsetzen kann. Dazu gehört auch, Eigenhandelspositionen des insolventen Marktteilnehmers übertragen (§ 48 Abs. 5 EWIR-VO) oder abwickeln (§ 48 Abs. 6 EWIR-VO) zu können. Dem Grunde nach begrenzt Art. 102b EGInsO die Wirkungen der Insolvenz eines Marktteilnehmers, indem wesentliche Maßnahmen nach § 48 EWIR-VO durchführbar bleiben3. Entgegen dem Entwurf trat Art. 102b EGInsO ohne den ursprünglich in § 2 Abs. 2 vorgesehenen Nachteilsausgleich in Kraft. Ansonsten sind die Unterschiede zwischen Art. 102b EGInsO und § 104a InsO-E marginal4. IV. Besonderheiten bei Verträgen über teilbare Leistungen, § 105 InsO 1. Allgemeines/Normzweck 91 § 105 Satz 1 InsO dient dem Schutz der Masse und gewährleistet, dass der Verwalter bei teilbaren Leistungen nur in der Höhe zu Leistungen aus der Masse verpflichtet ist, wie der Masse aus der noch unerfüllten Leistungsbeziehung nach Verfahrenseröffnung Gegenleistungen zufließen5. 92 Der Insolvenzverwalter kann daher die Erfüllung von Verträgen über teilbare Leistungen verlangen ohne hierbei Gefahr zu laufen, damit gleichzeitig auch die rückständige Gegenleistung für bereits vor Eröffnung erbrachte Teilleistungen des Vertragspartners erbringen zu müssen. Dem Gesetzeszweck entsprechend wird hiermit dem Insolvenzverwalter die Fortführung des Unternehmens erleichtert, freilich nicht ohne dem Vertragspartner des Schuldners das Ausfallrisiko dafür aufzubürden, dem 1 Zum Ganzen ausführlich Jaskulla, BKR 2012, 441 (447 f.) m.w.N.; Holzer, DB 2013, 443 ff.; Wegener in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 104 Rz. 35. 2 BGBl. I S. 174. 3 Holzer, DB 2013, 443 (444 f.). 4 Ausführlich Holzer, DB 2013, 443 ff. 5 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 105 Rz. 4.
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Besonderheiten bei Vertrgen ber teilbare Leistungen, § 105 InsO
Rz. 97
§8
Schuldner durch das Erbringen der Vorleistung gewissermaßen Kredit gewährt zu haben1. § 105 Satz 2 InsO nimmt dem Vertragspartner überdies die Möglichkeit, die Beschränkung seiner Rechtsstellung als einfacher Insolvenzgläubiger durch Rückgabeverlangen hinsichtlich der bereits erbrachten Teilleistungen zu kompensieren2.
93
Auch die neue dogmatische Einordnung zum Insolvenzvertragsrecht in der Recht- 94 sprechung des BGH3 nimmt unmittelbar Bezug auf den Begriff der Teilbarkeit. So bewirkt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens kein Erlöschen der Erfüllungsansprüche aus gegenseitigen Verträgen im Sinn einer materiell-rechtlichen Umgestaltung; vielmehr verlieren die noch offenen Ansprüche im Insolvenzverfahren ihre Durchsetzbarkeit, soweit sie nicht auf die anteilige Gegenleistung für vor Verfahrenseröffnung erbrachte Leistungen gerichtet sind. 2. Anwendungsbereich a) Teilbare Leistungen Die aufgrund gegenseitiger Verträge geschuldeten Leistungen sind nach der Recht- 95 sprechung des BGH4 regelmäßig teilbar, wenn sich die vor und nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachten Leistungen feststellen und bewerten lassen. Bereits zuvor hatte der BGH angenommen, dass dies fast immer so ist5. Im Einklang hiermit ist daher von dem denkbar weitesten Teilbarkeitsbegriff auszugehen. Besonders häufig liegen teilbare Leistungen bei den nachfolgend aufgezählten Ver- 96 tragstypen vor: – Leistungen aus einem Kaufvertrag, wenn mehrere Sachen geschuldet werden, unabhängig davon, ob diese Sachen gleichartig oder ungleichartig sind; – Leistungen aus einem Werkvertrag6, insbesondere auch bei Bauleistungen7; – Leistungen aus Miet- und Pachtverträgen und Dienstleistungen (beachte hierzu aber die in den §§ 108 ff. InsO geregelten Sondervorschriften); – Leistungen aufgrund sonstiger Dauerschuldverhältnisse, etwa bei Lizenzverträgen und selbst bei entgeltlichen Kreditverträgen, wenn der Darlehensgeber vor Eröffnung erst teilweise valutiert hatte und der Verwalter des Darlehensnehmers ausnahmsweise Erfüllung verlangt, um die Restvalutierung zu erhalten; – Leistungen aus Sukzessivlieferungsverträgen über Energie- und andere Versorgungsleistungen sowie Warenlieferungen. Teilbar sind auch Honoraransprüche für Beratungsleistungen, die ein vom Betriebsrat beauftragter Berater erbringt, auch wenn die Tätigkeit des Beraters nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch fortgesetzt wird8. Demgegenüber kann von unteilbaren Leistungen9 nur ausnahmsweise ausgegangen 97 werden, etwa bei höchstpersönlichen Leistungen sowie bei der Lieferung von mehrteiligen Unikaten. Ein Kaufpreisanspruch ist nicht in den rechtsmangelhaften und rechtsmangelfreien Teil zu unterteilen10.
1 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 105 Rz. 4. 2 Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 105 Rz. 2. 3 BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, NZI 2002, 375 = ZIP 2002, 1093; s. dazu auch Huber, NZI 2002, 467, Graf/Wunsch, ZIP 2002, 2117 und Mohrbutter/Mohrbutter, DZWIR 2003, 1. 4 BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, NZI 2002, 375 = ZIP 2002, 1093; vgl. auch Kreft, FS Uhlenbruck, 2000, 387 (396 m.w.N.). 5 BGH v. 21.10.1976 – VII ZR 335/75, BGHZ 67, 242 (249). 6 Ausführlich dazu: Meyer, NZI 2014, 679. 7 Heidland, FS Uhlenbruck, 2000, S. 423 ff.; Kreft, FS Uhlenbruck, 2000, S. 387 ff.; C. Schmitz, ZIP 2001, 765 ff. 8 BAG v. 9.12.2009 – 7 ABR 90/07, NZA 2010, 461. 9 Ausführlich dazu: MünchKommInsO/Kreft, § 105 Rz. 21 ff. 10 BGH v. 9.3.2006 – IX ZR 55/04, NZI 2006, 350 (351).
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Rz. 98
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
b) Vorleistung des Vertragspartners 98 Eine teilweise Leistung des anderen Teils i.S.d. § 105 Satz 1 InsO setzt voraus, dass der Vertragspartner bereits eine Vorleistung erbracht hat, der Schuldner hingegen entweder noch nichts oder aber erst in geringerem Umfang geleistet hat. 3. Rechtsfolgen 99 Wählt der Verwalter Erfüllung, so erhalten die zunächst nicht durchsetzbaren Ansprüche die Rechtsqualität von originären Forderungen der Masse und gegen die Masse. Hierbei sind die aufgrund gegenseitiger Verträge geschuldeten Leistungen nach Auffassung des BGH1 regelmäßig teilbar, wenn sich die vor und nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachten Leistungen feststellen und bewerten lassen. Der BGH schlägt daher für einen Werkvertrag vor, die vor und nach Eröffnung des Verfahrens erfolgten Leistungen der Schuldnerin gesondert abzurechnen, wobei dieselben Maßstäbe anzuwenden sind, wie wenn der Bauvertrag im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus wichtigem Grund gekündigt worden wäre2. 100 Der Vertragspartner bleibt daher bei Teilbarkeit mit seinem Anspruch auf die Gegenleistung für bereits erbrachte Vorleistungen stets Insolvenzgläubiger. Demgegenüber begründen die bei Erfüllungswahl vom Vertragspartner noch in die Masse zu erbringenden Leistungen Masseforderungen gemäß § 103 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO. 101 Die Rechtsfolgen bei teilbaren Leistungen haben über ihren unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus auch Auswirkungen auf etwa bestehende Sicherungsrechte. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners verlieren Zessionen von Forderungen aus Verträgen, die weder vom Gemeinschuldner noch von seinem Vertragspartner voll erfüllt sind, ihre Wirkung. 102 Der BGH3 hat dabei im Hinblick auf die Durchsetzbarkeit von Sicherungsrechten erst jüngst seine bisherige Rechtsprechung bestätigt. Er4 hatte bereits zu § 17 KO (jetzt § 103 InsO) entschieden, dass dann, wenn man den die Masse schützenden Zweck des § 17 KO konsequent auf den Gedanken zurückführt, dass der Masse für die von ihr erbrachte Leistung auch die Gegenleistung zustehen soll, dies in dem Fall, dass zur Zeit der Verfahrenseröffnung ein gegenseitiger Vertrag vom Gemeinschuldner bereits teilweise erfüllt ist, nur für den Teil der (teilbaren) Gegenleistung gelten kann, der auf die noch ausstehende und mit Mitteln der Masse zu leistende Vertragserfüllung entfällt. Nur insoweit hat die Masse Aufwendungen zu erbringen und nur insoweit würde der Sinn des § 17 KO in sein Gegenteil verkehrt, wenn der Anspruch auf die Gegenleistung infolge einer bereits vor Verfahrenseröffnung vereinbarten Abtretung dem Zessionar zufiele. 103 Soweit der Gemeinschuldner jedoch einen gegenseitigen Vertrag bereits vor Verfahrenseröffnung erfüllt hat, greift der erwähnte Rechtsgedanke nicht ein. Insoweit hat die Masse keine Leistungen mehr zu erbringen, so dass es nicht geboten und nicht gerechtfertigt ist, die Masse vor einer Abtretung des Teils der Gegenleistung, die auf die vom Gemeinschuldner erbrachten Leistungen entfällt, zu schützen. 104 Vielmehr ist es angezeigt, die mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und dem Erfüllungsverlangen des Insolvenzverwalters verbundenen Rechtsfolgen auf den Teil der Gegenleistung zu beschränken, der auf die bei Verfahrenseröffnung noch ausstehende Erfüllungsleistung der Masse entfällt. Bei teilweise erbrachten Leistungen des Gemeinschuldners wird mithin die auf diesen Teil entfallende Gegenleistung weder durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch durch das Erfüllungsverlangen des Insolvenzverwalters berührt, so dass der Anspruch auf die der erbrachten Teilleistung entsprechende Gegenleistung bestehen bleibt5.
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BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, NZI 2002, 375 = ZIP 2002, 1093. BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, NZI 2002, 375 = ZIP 2002, 1093. BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, NZI 2002, 375 = ZIP 2002, 1093. BGH v. 4.5.1995 – IX ZR 256/93, BGHZ 129, 336 (338) = NJW 1995, 1966. BGH v. 4.5.1995 – IX ZR 256/93, BGHZ 129, 336 (338) = NJW 1995, 1966.
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Besonderheiten bei Vertrgen ber teilbare Leistungen, § 105 InsO
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Unberührt hiervon bleibt aber, dass der Insolvenzverwalter in allen Fällen der Siche- 105 rungszession nach § 166 Abs. 2 InsO zur Einziehung der Forderung befugt bleibt1. Der Insolvenzverwalter hat daher Anspruch auf die in § 171 InsO festgelegte Verwertungskostenpauschale. Lehnt der Verwalter die Erfüllung ab, gilt die allgemeine Regelung des § 103 Abs. 2 Satz 1 InsO, die den Vertragspartner auf die Insolvenzquote verweist.
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4. Ausschluss des Rückgabeanspruchs, § 105 Satz 2 InsO § 105 Satz 2 InsO bestimmt, dass der andere Teil, also der Vertragspartner des Ge- 107 meinschuldners, nicht berechtigt ist, wegen der Nichterfüllung seines Anspruchs auf die Gegenleistung die Rückgabe einer vor der Eröffnung des Verfahrens in das Vermögen des Schuldners übergegangenen Teilleistung aus der Insolvenzmasse zu verlangen. Trotz ihrer systematischen Stellung bezieht sich die Norm nicht nur auf teilbare Leis- 108 tungen, sondern schließt allgemein jede Rückforderung von Teilleistungen wegen einer auf der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beruhenden Nichterfüllung aus; unerheblich ist hierbei, ob die geschuldete Leistung teilbar ist oder nicht2. Gleichzeitig ist der Rückgabeanspruch unabhängig davon ausgeschlossen, ob der In- 109 solvenzverwalter nach bereits vor Verfahrenseröffnung erbrachter teilweiser Vorleistung des Vertragspartners die Erfüllung ablehnt oder aber Erfüllung wählt und der Vertragspartner seinen Anspruch auf die anteilige Gegenleistung für die vor Verfahrenseröffnung erbrachte Vorleistung trotz des Erfüllungsverlangens nur als Insolvenzforderung geltend machen und zur Tabelle anmelden kann. Voraussetzung des § 105 Satz 2 InsO ist, dass die Teilleistung in das Vermögen des 110 Schuldners übergegangen ist. Die Norm schließt daher weder die Aussonderung (§§ 47, 48 InsO) einer noch nicht an den Schuldner übereigneten Sache noch die Rechtsfolgen einer nach Maßgabe der bürgerlich-rechtlichen Vorschriften (§§ 119, 123, 142 Abs. 1 BGB) mit ex tunc-Wirkung erfolgreich durchgeführten Anfechtung aus3. 5. Praxistipp Die Erfüllungswahl des Insolvenzverwalters kann insbesondere bei VOB-Bauverträ- 111 gen zu erheblichen steuerlichen Konsequenzen führen4. So scheint es für den Insolvenzverwalter auf den ersten Blick verlockend, gerade dann Vertragserfüllung zu wählen, wenn der Schuldner seine Leistungen weitgehend erbracht hat, so dass mit Ausführung der Restarbeiten der Anspruch auf die Gegenleistung vollständig zur Masse gezogen werden kann. Bei der Vollendung des Gewerks durch den Schuldner handelt es sich nach § 3 Abs. 3 112 UStG umsatzsteuerlich um eine Lieferung, mit deren vollständiger Erfüllung nach Verfahrenseröffnung auch bei teilbaren Leistungen die Umsatzsteuerpflicht insgesamt als Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO entsteht. Je nach Sachlage kann daher die als Masseverbindlichkeit zu betrachtende Umsatzsteuer den durch die Erfüllungswahl realisierten Zahlungsanspruch übersteigen und im Ergebnis zu einer Masseverkürzung führen. Um dieses für den Insolvenzverwalter ungünstige und nach der Regelung des § 105 113 InsO unverständliche Ergebnis zu vermeiden, wird vorgeschlagen, die Erfüllung des Vertrages abzulehnen, um im Anschluss daran über die ausstehende Teilleistung einen neuen eigenständigen Vertrag mit dem Vertragspartner mit der Folge abzu1 Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 103 Rz. 281 ff. 2 MünchKommInsO/Kreft, § 105 Rz. 38; Marotzke in HK-InsO, § 105 Rz. 22; Tintelnot in Kübler/ Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 105 Rz. 19; Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 105 Rz. 11. 3 Kuhn/Uhlenbruck, Kommentar zur KO, 11. Aufl. (1994), § 26 Rz. 2a, 4. 4 Ausführlich Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 105 Rz. 15 ff.
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Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
schließen, dass die bis Verfahrenseröffnung begründeten Steuerverbindlichkeiten zu Insolvenzforderungen werden und lediglich die mit dem neuen Vertragsschluss verbundenen Steuerverpflichtungen als Masseverbindlichkeiten anzusehen sind1. Ob damit tatsächlich eine rechtsmissbräuchliche Umgehung des § 42 AO vermieden werden kann, scheint indes äußerst zweifelhaft. Das FG Schleswig-Holstein2 hat allerdings einen Rechtsmissbrauch i.S.d. § 42 AO verneint, wenn das Verhalten des Insolvenzverwalters auch durch außersteuerliche Gründe, wie die Vermeidung von Gewährleistungsansprüchen gegen die Insolvenzmasse, getragen wird. V. Einfluss der Insolvenzeröffnung auf vorgemerkte Ansprüche, § 106 InsO 1. Allgemeines/Normzweck 114 Die Regelung des § 106 InsO bezweckt, die Sicherungsfunktion der Vormerkung auch im Insolvenzverfahren zu wahren. Der Vormerkungsberechtigte kann damit seinen Anspruch so durchsetzen, wie es ihm unter Wahrung seines Ranges möglich gewesen wäre, wenn über das Vermögen des Schuldners ein Insolvenzverfahren nicht eröffnet worden wäre. Er erhält damit eine Sonderstellung vor den einfachen Insolvenzgläubigern, die vergleichbar ist mit der Stellung der in § 47 InsO geregelten aussonderungsberechtigten Gläubiger. 2. Vormerkung 115 Die Vormerkung i.S.d. §§ 883 BGB, 16 Abs. 1, 77, 81a SchiffsRG, 10, 98 Abs. 3 LuftfzRG ist ein dem dinglichen Recht ähnliches Sicherungsrecht eigener Art und dient dazu, schuldrechtliche Ansprüche auf eine dingliche Rechtsänderung abzusichern, indem sie insbesondere dem Vormerkungsberechtigten gegenüber solche Verfügungen unwirksam sein lässt, die seinen schuldrechtlichen Anspruch gefährden. 116 § 106 InsO setzt zunächst voraus, dass der Anspruch sich auf ein eintragungsfähiges Recht bezieht. Das sind alle rechtswirksamen privatrechtlichen Ansprüche auf eine dingliche Rechtsänderung an einem Grundstück oder Grundstücksrecht, Schiff oder Luftfahrzeug3. Beispielhaft angeführt seien in diesem Zusammenhang der Anspruch auf Übertragung des Eigentums an einem Grundstück und der Anspruch auf Eintragung von Grundpfandrechten wie Grundschuld, Nießbrauch und Hypothek. Ferner fällt auch der gesetzliche Löschungsanspruch gemäß § 1179a BGB in den Anwendungsbereich des § 106 InsO4. Dessen Gleichbehandlung mit der eingetragenen Vormerkung ergibt sich aus § 1179a Abs. 1 Satz 3 BGB5. Die Insolvenzfestigkeit dieses Löschungsanspruchs hat der BGH indes für den Fall abgelehnt, dass eine vorrangige Sicherungsgrundschuld zwar zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr valutierte, das Eigentum an dem Grundstück und die Grundschuld jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht zusammengefallen waren6. 117 Nicht erfasst werden dagegen Ansprüche gegen staatliche Organe auf Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen, denen keine Verpflichtung des Schuldners entspricht, eine solche Rechtsänderung herbeizuführen, weshalb Rechtsänderungen im Wege der Zwangsvollstreckung nicht durch eine Vormerkung gesichert werden können7. So hat der BGH bereits mehrfach festgestellt, dass Vormerkungen, die in Vollziehung einer einstweiligen Verfügung eingetragen worden sind, in der Gesamtvollstreckung ihre Wirksamkeit verlieren und generell keinen Bestand haben8. 1 2 3 4 5
Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 105 Rz. 16 ff. FG Schleswig-Holstein v. 2.9.2010 – 4 K 115/06, BeckRS 2010, 26030169. Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 106 Rz. 4 m.w.N. OLG Hamburg v. 2.4.2009 – 11 U 200/06, NZG 2009, 1196. OLG Köln v. 22.12.2004 – 2 U 103/04, ZIP 2005, 1038 ff. = ZInsO 2005, 268 mit krit. Anm. Kesseler, ZIP 2005, 1041 ff. 6 BGH v. 9.3.2006 – IX ZR 11/05, ZIP 2006, 1141 = ZInsO 2006, 599 = NZI 2006, 395; vgl. hierzu auch LG Hamburg v. 19.7.2006 – 332 O 37/05, ZInsO 2006, 837. 7 MünchKommInsO/Ott, § 106 Rz. 4 m.w.N. 8 BGH v. 6.4.2000 – V ZB 56/99, NZI 2000, 311 = ZIP 2000, 931; BGH v. 15.7.1999 – IX ZR 239/98, NZI 1999, 407 = ZIP 1999, 1490.
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Einfluss der Insolvenzerçffnung auf vorgemerkte Ansprche, § 106 InsO
Rz. 126
§8
Aus der Akzessorietät der Vormerkung folgt, dass der durch sie gesicherte Anspruch tatsächlich bestehen muss. Erlischt der Anspruch oder besteht er zu Unrecht, hat der Insolvenzverwalter das Recht, die Löschung der Vormerkung oder die Eintragung eines Widerspruchs im Grundbuch zu verlangen1.
118
Fordert der Insolvenzverwalter die Löschung einer Auflassungsvormerkung, die vor 119 Verfahrenseröffnung über das Vermögen des Grundstückseigentümers auf Grund eines formnichtigen Kaufvertrags zugunsten des Käufers eingetragen wurde, kann dieser wegen der von ihm vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens an den verkaufenden Eigentümer erbrachten Kaufpreiszahlungen dem Verlangen kein Zurückbehaltungsrecht entgegensetzen2. Gemäß § 883 Abs. 1 Satz 2 BGB ist die Eintragung einer Vormerkung auch zur Sicherung eines künftigen oder eines bedingten Anspruchs zulässig. Demgemäß fallen auch Vormerkungen zur Sicherung von künftigen Ansprüchen in den Anwendungsbereich des § 106 InsO. Voraussetzung dafür ist aber, dass für die Entstehung des Anspruchs bereits eine feste, die Gestaltung des Anspruchs bestimmende Grundlage, nicht nur eine mehr oder weniger aussichtsreiche tatsächliche Möglichkeit besteht3.
120
Nach der einschlägigen Rechtsprechung des BGH können künftige Ansprüche Vor- 121 merkungsschutz jedenfalls dann genießen, wenn bereits der Rechtsboden für ihre Entstehung durch ein rechtsverbindliches Angebot soweit vorbereitet ist, dass die Entstehung des Anspruchs nur noch vom Willen des künftigen Berechtigten abhängt, was insbesondere dann der Fall ist, wenn ein unwiderrufliches formgültiges Verkaufsangebot abgegeben wurde4. In der Literatur wird demgegenüber zu Recht gefordert, dass es für die Vormerkbar- 122 keit von künftigen Ansprüchen genügen muss, wenn sich der Schuldner nicht mehr einseitig von der bereits eingetretenen Bindung lösen kann5. Ist das Grundstück des Schuldners mit einem dinglichen Vorkaufsrecht belastet, so 123 hat dies gemäß § 1098 Abs. 2 BGB Dritten gegenüber die Wirkung einer Vormerkung zur Sicherung des durch die Ausübung des Rechts entstehenden Anspruchs auf Übertragung des Eigentums. § 1098 Abs. 1 Satz 2 BGB bestimmt darüber hinaus, dass das Vorkaufsrecht auch dann ausgeübt werden kann, wenn das Grundstück vom Insolvenzverwalter aus freier Hand verkauft wird. War das Grundstück vom Schuldner bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens 124 veräußert worden, kommt es darauf an, ob das Vorkaufsrecht bereits ausgeübt wurde6. Im Falle der bereits erfolgten Ausübung des Vorkaufsrechts bleibt es bei der Vormerkungswirkung und dem Schutz des § 106 InsO. Umgekehrt steht dann, wenn das Vorkaufsrecht noch nicht ausgeübt wurde, dem In- 125 solvenzverwalter das Wahlrecht nach § 103 InsO zu, es sei denn, der Schuldner hatte den Kaufvertrag bereits vor Eröffnung erfüllt. Wählt der Verwalter Erfüllung, bleibt auch das Vorkaufsrecht erhalten, lehnt er die Erfüllung gegenüber dem Erwerber hingegen ab, geht auch das Vorkaufsrecht unter. Freilich kann der Dritte dann wegen § 1098 Abs. 1 Satz 2 BGB sein Vorkaufsrecht wieder ausüben, wenn der Insolvenzverwalter das infolge der Erfüllungsablehnung wieder zur Insolvenzmasse gehörende Grundstück danach freihändig verkauft7. Das schuldrechtliche Vorkaufsrecht kann demgegenüber gemäß § 471 BGB in der In- 126 solvenz nicht ausgeübt und durchgesetzt werden.
1 2 3 4 5 6
Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 106 Rz. 3. BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 457/99, ZIP 2002, 858. BGH v. 5.12.1996 – V ZB 27/96, BGHZ 134, 182 (185) = NJW 1997, 861 (862). BGH v. 14.9.2001 – V ZR 231/00, NZI 2002, 30 (31 m.w.N.) = ZIP 2001, 2008. Assmann, ZfIR 2002, 11 (12 m.w.N.). S. dazu Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 106 Rz. 6 f. 7 Zum dinglichen Vorkaufsrecht vgl. Ahrendt in Hamburger Kommentar zur InsO, § 106 Rz. 10 ff.
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§8
Rz. 127
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
3. Zeitpunkt des Entstehens der Vormerkung 127 Damit sich eine – rechtsgeschäftlich begründete – Vormerkung in der Insolvenz durchsetzen kann, ist es grundsätzlich erforderlich, dass sie vor der Eröffnung des Verfahrens sowie gegebenenfalls vor Erlass eines etwa im Insolvenzeröffnungsverfahren verhängten vorläufigen richterlichen Veräußerungs- und Verfügungsverbots im Grundbuch eingetragen worden ist. 128 Wie sich aus den auf die Vormerkung entsprechend anwendbaren §§ 878 BGB, 3 Abs. 3 SchiffsRG, 5 Abs. 3 LuftfzRG ergibt, genießt eine nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetragene Vormerkung nur dann den Schutz des § 106 InsO, wenn die Eintragung vor der Eröffnung bewilligt und der Antrag auf Eintragung beim Grundbuchamt bzw. Registergericht eingegangen ist1. Eine Auflassung muss daher noch nicht erfolgt sein, sofern die Bewilligungserklärung des Schuldners für ihn bindend geworden und der vorgemerkte Anspruch entstanden ist2. 129 Bezüglich der Vormerkung für künftige Ansprüche stellt sich die Frage, ob eine Vormerkung im Zeitpunkt der Eintragung der Vormerkung oder erst im Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs entsteht. 130 Nach einer Grundsatzentscheidung des BGH3, die einen in der Literatur seit langem bestehenden Streit beenden dürfte, steht der Insolvenzfestigkeit nicht entgegen, dass der durch die Vormerkung gesicherte Anspruch auf Eigentumsverschaffung erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch die Angebotsannahme entstanden ist, weil ansonsten der vom Gesetzgeber zugelassene Vormerkungsschutz für künftige Ansprüche – wie er etwa in § 883 Abs. 1 Satz 2 BGB geregelt ist – sinnentleert würde, wenn man ihn erst von dem Zeitpunkt an eintreten lassen wollte, in dem die gesicherten Ansprüche entstehen. 131 Der BGH stellt fest, dass der Gemeinschuldner im Insolvenzverfahren trotz der Regelung des § 81 Abs. 1 Satz 1 InsO seine Verpflichtungsfähigkeit nicht verliert, so dass ein von ihm gemachtes Kaufangebot auch noch nach Verfahrenseröffnung angenommen werden kann4. 132 Zwar können die vom Schuldner während des Insolvenzverfahrens eingegangenen Verpflichtungen nicht zu einer Verkürzung der Masse führen. Da die Wirkungen der Auflassungsvormerkung trotz des Insolvenzverfahrens erhalten bleiben und mit rückwirkender Kraft auf den Zeitpunkt der Eintragung geltend gemacht werden können, zählt die betroffene Vermögensposition aber von Anfang an nicht zu den Bestandteilen der Masse5. 133 Aus diesen Überlegungen folgt, dass ein vormerkungsgesicherter künftiger Auflassungsanspruch Insolvenzfestigkeit erlangt und auch nach seinem Entstehen erst während des Insolvenzverfahrens ungehindert von der Vorschrift des § 103 InsO vom Insolvenzverwalter zu erfüllen ist6. Sobald die Vormerkung also zur Sicherung des künftigen Auflassungsanspruchs wirksam entstanden ist, erlaubt die gesetzliche Regelung auch im Falle der Insolvenz des Schuldners keine Ausnahme von dem in § 106 InsO angeordneten Vormerkungsschutz. 134 Verzichten die Beteiligten demgegenüber im Rahmen eines Grundstückskaufvertrages auf die Eintragung einer Auflassungsvormerkung, so besteht nach Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbotes kein Anspruch des Erwerbers auf Eigentums-
1 BGH v. 19.3.1998 – IX ZR 242/97, BGHZ 138, 179 (187) = NJW 1998, 2134 (2136) = ZIP 1998, 836; BGH v. 10.2.2005 – IX ZR 100/03, ZIP 2005, 627 (628); OLG Frankfurt v. 21.11.2005 – 20 W 462/04, ZInsO 2006, 269 ff. 2 BGH v. 10.12.2009 – IX ZR 203/06, NZI 2010, 190. 3 BGH v. 14.9.2001 – V ZR 231/00, NZI 2002, 30 = ZIP 2001, 2008; vgl. dazu auch Assmann, ZfIR 2002, 11 und Fritsche, DZWIR 2002, 92. 4 BGH v. 14.9.2001 – V ZR 231/00, NZI 2002, 30 (31) = ZIP 2001, 2008. 5 BGH v. 14.9.2001 – V ZR 231/00, NZI 2002, 30 (31) = ZIP 2001, 2008. 6 BGH v. 14.9.2001 – V ZR 231/00, NZI 2002, 30 = ZIP 2001, 2008; vgl. dazu auch Assmann, ZfIR 2002, 11 und Fritsche, DZWIR 2002, 92.
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Einfluss der Insolvenzerçffnung auf vorgemerkte Ansprche, § 106 InsO
Rz. 139
§8
umschreibung, weil der einfache Grundstückserwerb mangels Eintragung einer Auflassungsvormerkung nicht insolvenzfest ist und der noch nicht vollständig erfüllte Vertrag dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters unterliegt1. Die bindende Bewilligung der Eigentumsumschreibung ist keine mit dem Eigentumserwerb vergleichbare insolvenzfeste Rechtsposition, sie wird dies vielmehr frühestens durch eine entsprechende Antragstellung beim zuständigen Grundbuchamt2. Gleichzeitig sind im Hinblick auf die Wirksamkeit der Vormerkung sowohl die An- 135 fechtungsvorschriften der §§ 129 ff. InsO (vgl. § 10) als auch die Rückschlagsperre nach § 88 InsO zu beachten. So wird eine innerhalb des letzten Monats vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Grundbuch eingetragene Vormerkung zur Sicherung des Anspruchs auf Eintragung einer Bauhandwerkersicherungshypothek mit Verfahrenseröffnung absolut unwirksam3 (zur Rückschlagsperre vgl. auch § 6 Rz. 155). Hierbei ist allein auf den Zeitpunkt der Eintragung ins Grundbuch abzustellen und nicht etwa auf den Zeitpunkt der Antragstellung, wobei § 140 Abs. 2 InsO keine Anwendung finden soll4 (zu § 140 Abs. 2 InsO s. § 10 Rz. 253 ff.). 4. Rechtsfolgen Als Rechtsfolge bestimmt § 106 Abs. 1 Satz 1 InsO, dass der Vormerkungsberechtigte 136 vom Verwalter Erfüllung in derselben Art und Weise verlangen kann, wie er sie außerhalb des Insolvenzverfahrens vom Schuldner hätte beanspruchen können5. Der Insolvenzverwalter hat alle Handlungen vorzunehmen, die zum Eintritt der geschuldeten Rechtsänderung erforderlich sind, bei einer Eigentumsvormerkung also die Auflassung zu erklären und die Eintragung zu bewilligen. Der Insolvenzverwalter tritt hierdurch aber nicht automatisch in das Veräußerungsgeschäft im Übrigen ein, so dass für eine gleichzeitig mit der Eigentumsumschreibung vorgenommene Löschung von Grundpfandrechten keine Kostenschuld zu Lasten der Insolvenzmasse ausgelöst wird6. Hat der Insolvenzverwalter trotz der Vormerkung über den von ihr betroffenen Ge- 137 genstand verfügt, so ist das gemäß § 883 Abs. 2 BGB dem Vormerkungsberechtigten gegenüber unwirksam und der Verwalter ist weiterhin zur Auflassung an diesen verpflichtet und kann dazu gegebenenfalls im Klagewege angehalten werden7. Der Insolvenzverwalter kann andererseits dem vorgemerkten Anspruch alle Einwen- 138 dungen und Einreden entgegenhalten, die dem Schuldner außerhalb der Insolvenz zugestanden hätten, gegebenenfalls kann er auch die Beseitigung der Vormerkung nach § 886 BGB verlangen, wenn gegenüber dem vorgemerkten Anspruch eine dauerhafte Einrede gegeben ist8. Tritt der durch eine Vormerkung gesicherte Käufer nach Zahlung des Kaufpreises wegen eines Rechtsmangels von dem Grundstückskaufvertrag zurück, kann der Insolvenzverwalter von dem Käufer die Bewilligung zur Löschung der Vormerkung verlangen, ohne den Kaufpreis aus der Masse erstatten zu müssen9. Unterlässt der Insolvenzverwalter die Geltendmachung dieser Rechte, macht er sich schadensersatzpflichtig nach § 60 InsO (Haftung des Insolvenzverwalters s. § 6 Rz. 206 ff.). Wird hingegen über das Vermögen des Auflassungsempfängers, zu dessen Gunsten 139 die Eintragung einer Auflassungsvormerkung im Range nach einer Finanzierungsgrundschuld bewilligt ist, das Insolvenzverfahren eröffnet und beantragt der Urkundsnotar danach die Eintragung der Vormerkung, so erwirbt der Insolvenzverwalter die Vormerkung nicht unbelastet von einer Vormerkung zugunsten des Grundpfand1 2 3 4 5 6 7 8 9
LG Aachen v. 6.8.2002 – 1 O 67/02, ZInsO 2002, 937. LG Aachen v. 6.8.2002 – 1 O 67/02, ZInsO 2002, 937. LG Meiningen v. 10.2.2000 – 4 T 277/99, ZIP 2000, 416. LG Berlin v. 20.11.2000 – 86 T 574, 581, 582/01, ZIP 2001, 2293. Huber in Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 38 Rz. 16. BayObLG v. 3.9.2003 – 3 Z BR 113/03, ZInsO 2003, 1143 (1144). Huber in Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 38 Rz. 16. Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 106 Rz. 16 m.w.N. BGH v. 22.1.2009 – IX ZR 66/07, NZI 2009, 235.
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§8
Rz. 140
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
gläubigers, wenn diesem das Grundpfandrecht im Range vor der Auflassungsvormerkung und eine den Anspruch auf Einräumung des Grundpfandrechts – auch – vom noch eingetragenen Eigentümer des Grundstücks bewilligt worden ist1. 140 Daran ändert der Wegfall der Verfügungsbefugnis des Auflassungsempfängers nichts, weil diejenige des eingetragenen Veräußerers fortbesteht; gleichzeitig ist unerheblich, ob der Antrag des Grundpfandgläubigers auf Eintragung des Grundpfandrechts bzw. der Vormerkung später beim Grundbuchamt eingeht als der Antrag auf Eintragung der Auflassungsvormerkung2. 5. Rechtliche Bedeutung des § 106 Abs. 1 Satz 2 InsO 141 § 106 Abs. 1 Satz 2 InsO stellt klar, dass der Vormerkungsschutz auch bei Übernahme weiterer, noch nicht vollständig erfüllter Pflichten eingreift3, schließt aber bezüglich dieser Pflichten § 103 InsO nicht aus4. 6. Praxistipp/Musterschreiben 142 Bereits der vorläufige Insolvenzverwalter sollte bestehende Rechtspositionen Dritter durch entsprechende Einsichtnahme in die Grundbücher feststellen und gemäß §§ 32 Abs. 1, 23 Abs. 3 InsO auf die Eintragung des Insolvenzvermerks hinwirken. 143 M 13
Musterschreiben des Glubigervertreters an den Insolvenzverwalter zur Geltendmachung eines Anspruchs nach § 106 Abs. 1 InsO
Sehr geehrter Herr Insolvenzverwalter ABC, ich zeige an, dass mich DEF mit der Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen beauftragt hat. Eine auf mich lautende Originalvollmacht liegt anbei. Gemß anliegend beigefgtem notariellen Kaufvertrag vom 00.00.00 hat mein Mandant von der Schuldnerin das im Grundbuch von . . . eingetragene Grundstck (genaue Bezeichnung), Blatt Nr. . . ., Flur Nr. . . . zu einem Kaufpreis von . . . erworben. Zur Sicherung des Anspruchs meines Mandanten auf Einrumung des Eigentums ist im Grundbuch eine Vormerkung eingetragen worden. Einen aktuellen Grundbuchauszug fge ich anliegend bei. Mein Mandant macht hiermit von den ihm in § 106 Abs. 1 InsO eingerumten Rechten Gebrauch und verlangt Befriedigung aus der Insolvenzmasse. Mit freundlichen Grßen VI. Besonderheiten bei unter Eigentumsvorbehalt geschlossenen Kaufverträgen, § 107 InsO 1. Allgemeines/Normzweck 144 Die wegen § 119 InsO unabdingbare Regelung des § 107 InsO dient dem Zweck, die insolvenzrechtliche Behandlung von Kaufverträgen mit dem Schuldner zu regeln, bei denen der Kaufgegenstand vor Verfahrenseröffnung unter Eigentumsvorbehalt veräußert worden ist5. Die Vorschrift erfasst neben den reinen Kaufverträgen i.S.d. § 433 BGB, bei denen der Eigentumsvorbehalt in § 449 BGB geregelt ist, auch Werklieferungsverträge, auf die gemäß § 651 BGB Kaufrecht anzuwenden ist6.
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OLG Brandenburg v. 17.10.2001 – 8 Wx 7/01, InVo 2002, 251. OLG Brandenburg v. 17.10.2001 – 8 Wx 7/01, InVo 2002, 251. OLG Stuttgart v. 18.8.2003 – 5 U 62/03, ZInsO 2004, 1087, 1089. Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 106 Rz. 6. Ausführlich dazu: Kupka, InVo 2003, 213 ff.; Klose, ZInsO 2009, 1793 ff.; OLG Düsseldorf v. 16.1.2013 – I 3 U 1/12, NZI 2013, 303. 6 Zum Mietkaufvertrag: Hackenberg, ZInsO 2014, 1698.
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Besonderheiten bei unter Eigentumsvorbehalt geschlossenen Kaufvertrgen
Rz. 151
§8
Die Vorschrift des § 107 Abs. 1 InsO betrifft dabei den Fall, dass der Schuldner als 145 Verkäufer den Kaufgegenstand vor Insolvenzeröffnung unter Eigentumsvorbehalt an seinen Vertragspartner verkauft und diesem bereits den Besitz an der Sache übertragen hat. Die Norm dient dem Schutz des Käufers in der Insolvenz des Verkäufers und stellt klar, dass das Anwartschaftsrecht des Käufers eine dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters entzogene insolvenzfeste Rechtsposition ist, die dem Käufer bei Vertragstreue die Möglichkeit des Vollrechtserwerbs erhält. In § 107 Abs. 2 InsO ist demgegenüber die Rechtslage für den Fall geregelt, dass der 146 Schuldner vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Käufer einen unter Eigentumsvorbehalt stehenden Gegenstand erworben und den Besitz an diesem bereits übertragen bekommen hat. Hierbei dient die Vorschrift im Interesse einer wünschenswerten Unternehmensfortführung und Sanierung dem Zweck, zu verhindern, dass es in der Insolvenz des Vorbehaltskäufers bereits unmittelbar nach Verfahrenseröffnung zu einer Aussonderung des Vorbehaltsguts kommt. Dem Insolvenzverwalter wird eine Überlegungsfrist verschafft und er ist berechtigt, 147 die Vorbehaltsware bis zum Berichtstermin, der gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 InsO etwa zwischen sechs Wochen und drei Monaten nach Insolvenzeröffnung stattfindet, zu behalten. Er muss sich auf Aufforderung erst unverzüglich nach dem Berichtstermin dazu erklären, ob er die Erfüllung des Vertrages verlangt (zum Berichtstermin vgl. § 6 Rz. 186 ff.). 2. Insolvenz des Vorbehaltsverkäufers, § 107 Abs. 1 InsO § 107 Abs. 1 InsO setzt zunächst den Verkauf einer beweglichen Sache durch den 148 Schuldner unter Eigentumsvorbehalt voraus, d.h. neben dem Vorliegen eines entsprechenden Kaufvertrags ist erforderlich, dass der Schuldner die Sache unter der aufschiebenden Bedingung vollständiger Kaufpreiszahlung bereits an den Käufer übereignet hat1. Unter den Eigentumsvorbehaltsbegriff i.S.d. Norm fallen sowohl der einfache als auch der verlängerte Eigentumsvorbehalt2. Sachenrechtlich setzt § 107 Abs. 1 InsO die Übertragung des Besitzes voraus. Hierbei 149 bleibt offen, ob unmittelbarer Besitz erforderlich ist oder mittelbarer Besitz genügt3. Da es Zweck der Regelung des § 107 Abs. 1 InsO ist, eine erworbene Rechtsposition, nicht aber die Verfügungsgewalt zu schützen, ist jede Form der Besitzverschaffung ausreichend4. Als Rechtsfolge stellt § 107 Abs. 1 InsO – wie auch bereits § 106 Abs. 1 InsO – eine 150 Durchbrechung des Grundsatzes dar, dass die Hauptleistungspflichten aus bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nicht vollständig erfüllten gegenseitigen Verträgen nicht mehr durchsetzbar sind und bis zur Erfüllungswahl durch den Insolvenzverwalter nur noch Abwicklungsansprüche in Betracht kommen. Das bei Vorliegen der oben näher erläuterten Voraussetzungen gegebene Anwartschaftsrecht des Käufers beinhaltet eine insolvenzfeste Rechtsposition, die dem Wahlrecht des Verwalters entzogen ist und dem Käufer die Möglichkeit einräumt, durch vertragstreues Verhalten (= vollständige Kaufpreiszahlung) den Eigentumsübergang herbeizuführen5. § 107 Abs. 1 Satz 2 InsO ordnet überdies an, dass die Insolvenzfestigkeit des Anwart- 151 schaftsrechts auch dann bestehen bleibt, wenn der Schuldner dem Käufer gegenüber 1 Huber in Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 36 Rz. 13. 2 Marotzke in HK-InsO, § 107 Rz. 4; Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 107 Rz. 5; MünchKommInsO/Ott/Vuia, § 107 Rz. 8. 3 Nach OLG Düsseldorf v. 16.1.2013 – I 3 U 1/12, NZI 2013, 303 ist mittelbarer Besitz durch eine mit dem Verkäufer vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über dessen Vermögen getroffene (konkludente) Vereinbarung eines verwahrähnlichen Verhältnisses ausreichend. 4 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 107 Rz. 8; Marotzke in HK-InsO, § 107 Rz. 6; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 107 Rz. 7; Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 107 Rz. 6. 5 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 107 Rz. 9; Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 107 Rz. 8; Pape, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 13 Rz. 48.
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Rz. 152
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
weitere Verpflichtungen übernommen hat und diese nicht oder nicht vollständig erfüllt sind. Zwar kann der Insolvenzverwalter die Erfüllung des Vertrages hinsichtlich der weiteren Verpflichtung mit der Folge ablehnen, dass insoweit ein Anspruch des Erwerbers wegen Nichterfüllung entsteht. Dem Käufer bleibt es aber unbenommen, den Eigentumsübergang durch Zahlung des Kaufpreises, den er im Übrigen um den Wert der ausstehenden Leistungen des Schuldners kürzen darf, herbeizuführen1. 3. Insolvenz des Vorbehaltskäufers, § 107 Abs. 2 InsO 152 Gläubiger, die Sachen unter einfachem Eigentumsvorbehalt geliefert haben, können im nachfolgenden Insolvenzverfahren des Vorbehaltskäufers ein Aussonderungsrecht nach §§ 47 InsO, 985 BGB geltend machen, soweit dem Verwalter nach § 986 BGB kein Recht zum Besitz zusteht. Die Regelung des § 107 Abs. 2 Satz 1 InsO begründet ein sonstiges Recht zum Besitz i.S.d. § 986 Abs. 1 BGB2 (zur Aussonderungsberechtigung des Vorbehaltsverkäufers s. § 7 Rz. 17 ff.). 153 Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH entfällt das Besitzrecht des Verwalters mit der Verfahrenseröffnung automatisch3, bleibt ihm jedoch dann erhalten, wenn er die Vertragserfüllung nach §§ 107 Abs. 2, 103 Abs. 1 Satz 1 InsO wählt. 154 Hat vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Schuldner eine bewegliche Sache unter Eigentumsvorbehalt gekauft und vom Verkäufer Besitz an der Sache erlangt, so braucht gemäß § 107 Abs. 2 Satz 1 InsO der Insolvenzverwalter, den der Verkäufer zur Ausübung seines Wahlrechtes aufgefordert hat, die Erklärung nach § 103 Abs. 2 Satz 2 InsO erst unverzüglich nach dem Berichtstermin abzugeben. Bis zum gleichen Zeitpunkt besteht überdies kein Auskunftsanspruch des Eigentumsvorbehaltsverkäufers gegenüber dem Insolvenzverwalter4. 155 Das bedeutet indes nicht, dass der Verwalter seine Entscheidung sofort nach dem Berichtstermin zu treffen hat. Ebenso wie bei § 103 Abs. 2 Satz 2 InsO ist ihm eine angemessene Überlegungsfrist einzuräumen, innerhalb der er zu prüfen hat, ob er das Vorbehaltsgut benötigt, um das von der Gläubigerversammlung vorgegebene Verfahrensziel zu erreichen5. 156 Schon dem eindeutigen Wortlaut nach kann mithin auch der Vorbehaltsverkäufer die Sache vom Insolvenzverwalter nicht bereits unmittelbar nach Eröffnung des Verfahrens aus dem schuldnerischen Unternehmen herausverlangen, sondern ist im Hinblick auf die Regelung des § 29 Abs. 1 Nr. 1 InsO und die dem Verwalter einzuräumende Überlegungsfrist faktisch bis zu drei Monaten an der Ausübung des Aussonderungsrechts gehindert. 157 Die Regelung des § 107 Abs. 2 InsO wird den Besonderheiten des reformierten Insolvenzrechts insoweit gerecht, als auch und gerade die Fortführung des Unternehmens ermöglicht werden soll, was aber dann ad absurdum geführt würde, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter bereits in der Eröffnungsphase die Aussonderungsansprüche zu befriedigen und daher z.B. Eigentumsvorbehaltsware herauszugeben hätte, die er als vorläufiger und endgültiger Verwalter für die Betriebsfortführung benötigt6. 158 Das Interesse des Vorbehaltslieferanten kann auch für das Eröffnungsverfahren nicht über den, die Fortführung insolventer Unternehmen fördernden Grundsatz des § 107 Abs. 2 InsO hinausgehen, soll durch die Anordnung der vorläufigen Verwaltung schließlich nicht ein Einfallstor zur Umgehung der §§ 103 ff. InsO geöffnet werden.
1 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 107 Rz. 10; Marotzke in HK-InsO, § 107 Rz. 8, 10; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 107 Rz. 12; Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 107 Rz. 9. 2 Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 107 Rz. 16, durch die Erfüllungsablehnung entfällt das Besitzrecht des Käufers/Verwalters nicht. 3 BGH v. 22.12.1995 – V ZR 52/95, ZIP 1996, 426 (427). 4 AG Düsseldorf v. 11.5.2000 – 27 C 18 049/99, DZWIR 2000, 347. 5 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 107 Rz. 15. 6 MünchKommInsO/Haarmeyer, § 22 Rz. 49.
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Besonderheiten bei unter Eigentumsvorbehalt geschlossenen Kaufvertrgen
Rz. 165
§8
Insoweit besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass ein Aussonderungsrecht nach 159 § 47 InsO erst nach Eröffnung des Verfahrens gegen den Verwalter geltend gemacht werden kann, es sei denn, dass gemäß § 107 Abs. 2 Satz 2 InsO eine erhebliche Minderung des Wertes der Sache zu erwarten ist und der Gläubiger den vorläufigen Verwalter auf diesen Umstand hingewiesen hat1. Hierbei geht der Gesetzgeber davon aus, dass eine unzumutbare Wertminderung vor allem bei leicht verderblicher Ware und Saisonartikeln in Betracht kommt2. Die vorgenannten Regelungen für das eröffnete Verfahren haben mithin für das Er- 160 öffnungsverfahren zur Folge, dass der vorläufige Insolvenzverwalter sich weder zur Vertragserfüllung zu erklären braucht noch der Verkäufer berechtigt ist, sein vorbehaltenes Eigentum bei dem Schuldner herauszuholen3. Macht der aussonderungsberechtigte Gläubiger trotz der Regelung in § 107 Abs. 2 InsO seinen Herausgabeanspruch geltend, so kann auf Anregung des Verwalters das Insolvenzgericht gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO die Herausgabe des Gegenstandes untersagen4. Die Möglichkeit der Erfüllungswahl hat der Insolvenzverwalter – der den Vertrag so hinnehmen muss, wie er bei Verfahrenseröffnung zwischen den Vertragsparteien bestand – nicht immer.
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War der Käufer schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Zahlungsverzug und 162 der Vorbehaltsverkäufer deswegen nach § 455 BGB a.F. vom Kaufvertrag zurückgetreten, kann der Insolvenzverwalter nicht mehr Erfüllung wählen5. Wegen eines nach dem Antrag auf Verfahrenseröffnung eingetretenen Verzuges darf der Vorbehaltsverkäufer aber vor Verfahrenseröffnung nicht zurücktreten6. Ob er es nach Verfahrenseröffnung darf, wenn der Verzug schon vorher eingetreten 163 war, ist umstritten. Unter der Geltung des § 17 KO wurde die Auffassung vertreten, die Ausübung eines vor Verfahrenseröffnung entstandenen Rücktrittsrechts werde durch das Wahlrecht des Verwalters nicht ausgeschlossen7. Ob das für § 103 InsO ebenso gilt, mag zunächst dahinstehen. Auch zum neuen Schuldrecht8 wird die Ansicht vertreten, der Vorbehaltsverkäufer 164 könne vom Kaufvertrag zurücktreten, wenn der Vorbehaltskäufer nach Zahlung mehrerer Raten, aber vor vollständiger Tilgung des Restkaufpreises insolvent wird9. Hierbei soll das Erfordernis einer Fristsetzung nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB entbehrlich sein, weil bereits feststeht, dass diese Fristsetzung sinnlos ist. Der Vorbehaltsverkäufer soll vielmehr unmittelbar nach Verfahrenseröffnung gemäß § 323 Abs. 4 BGB zurücktreten können, weil spätestens dann offensichtlich ist, dass die Voraussetzungen des Rücktritts eintreten werden, selbst wenn weitere Zahlungen noch nicht fällig sind. Für den Bereich der Unternehmensinsolvenz können die vorstehend beschriebenen 165 Überlegungen keine Anerkennung finden. Jedenfalls für das Verhältnis zwischen dem Vorbehaltsverkäufer und dem insolventen Vorbehaltskäufer dürfen die Wertungen der §§ 107 Abs. 2, 112 InsO nicht außer Acht gelassen werden.
1 MünchKommInsO/Haarmeyer, § 22 Rz. 49. 2 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 107 Rz. 17. 3 MünchKommInsO/Haarmeyer, § 22 Rz. 49; Kirchhof in HK-InsO, § 21 Rz. 29; Uhlenbruck, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 6 Rz. 30. 4 Uhlenbruck, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 6 Rz. 30. 5 MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 66; Henckel, Aktuelle Probleme der Warenlieferanten im Konkurs, 1984, 25. 6 MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 66; Marotzke in HK-InsO, § 107 Rz. 31, 32. 7 RG v. 20.2.1915 – V 389/14, RGZ 86, 247 (250). 8 Ausführlich hierzu Wegener, Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters unter dem Einfluss des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, 2007. 9 Ausführlich zu dem Thema: Marotzke, KTS 2002, 1 ff.; Mossler, ZIP 2002, 1831 ff.; Huber, NZI 2004, 57 ff.
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§8
Rz. 166
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
166 Insbesondere kommt nach vorherrschender Auffassung eine analoge Anwendung des § 112 Nr. 1 InsO in Betracht1. § 112 Nr. 1 InsO bestimmt sinngemäß, dass nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Schuldverhältnis nicht mehr wegen eines Verzuges, der in der Zeit vor dem Eröffnungsantrag eingetreten ist, gekündigt werden kann. Eine andere Ansicht entnimmt § 112 Nr. 2 InsO einen verallgemeinerungswürdigen Rechtsgedanken, wonach eine Kündigung wegen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeschlossen ist2. 167 Sowohl die Vorschrift des § 112 InsO als auch die Regelung des § 107 InsO beruhen auf dem Gedanken, „dass die wirtschaftliche Einheit im Besitz des Schuldners nicht zur Unzeit auseinander gerissen werden darf“3. Hieraus darf geschlossen werden, dass eine „Rücktrittssperre“ für den Vorbehaltsverkäufer zumutbar ist, weil sie ihm außer einer zeitlichen Verzögerung keine Nachteile bringt: Er kann aussondern, sobald sich der Verwalter für die Nichterfüllung entschieden hat; hat dieser die Erfüllung gewählt, bekommt der Vorbehaltsverkäufer den (Rest-)Kaufpreis aus der Masse4. Ließe man demgegenüber ein unbeschränktes Rücktrittsrecht des Vorbehaltsverkäufers zu, würde die Regelung des § 107 Abs. 2 InsO insgesamt leer laufen5. 168 Der vorläufige Insolvenzverwalter hat ein aus dem Vorbehaltskaufvertrag abgeleitetes vertragliches Nutzungsrecht, und zwar auch dann, wenn dem Schuldner vertraglich verboten wurde, die Sache an Dritte weiterzugeben6, oder wenn generell der Wegfall des Nutzungsrechts durch den Vermögensverfall des Schuldners oder die Antragstellung vereinbart wurde. 169 Befindet sich das Vorbehaltsgut noch unverändert im schuldnerischen Vermögen, so richtet sich die Befugnis des vorläufigen Insolvenzverwalters nach der vertraglichen Abrede7. Regelmäßig wird die Verarbeitungsbefugnis nach dem ausdrücklich erklärten oder im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ermittelten Willen der Parteien mit Stellung des Antrags erlöschen8. Der vorläufige Insolvenzverwalter ist damit auf zusätzliche Vereinbarungen mit den Vorbehaltseigentümern angewiesen, wenn er unter Eigentumsvorbehalt gekaufte Waren verarbeiten will. 170 Die Vorschrift des § 172 Abs. 2 InsO, wonach der Insolvenzverwalter eine Sache verbinden, vermischen und verarbeiten darf, soweit dadurch die Sicherung des absonderungsberechtigten Gläubigers nicht beeinträchtigt wird, ist auf Sachen, die der Schuldner unter Eigentumsvorbehalt erworben und noch nicht vollständig bezahlt hatte, weder unmittelbar noch analog anwendbar9. Anders liegen die Dinge jedoch beim „erweiterten“ Eigentumsvorbehalt10 nach Eintritt des Erweiterungsfalls, da der Verkäufer dann nicht mehr aus-, sondern nur noch absonderungsberechtigt ist11. 171 Erleidet der Eigentumsvorbehaltsgläubiger durch eine Bearbeitung gemäß §§ 946 ff. BGB einen Rechtsverlust, kann vom demjenigen, zu dessen Gunsten die Rechtsänderung eintritt, Vergütung in Geld gemäß §§ 812 ff. BGB verlangt werden. Ferner blei-
1 AG Düsseldorf v. 11.5.2000 – 27 C 18049/99, DZWIR 2000, 347 (348); MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 66; Marotzke in HK-InsO, § 107 Rz. 31; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 112 Rz. 5; a.A. Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 112 Rz. 16; Schwörer, Lösungsklauseln für den Insolvenzfall, 2000, Rz. 476; Huber, NZI 2004, 57 (60). 2 Ausführlich Marotzke in HK-InsO, § 107 Rz. 32. 3 Vgl. zu § 126 RegE BT-Drucks. 12/2443, S. 148. 4 MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 66. 5 Marotzke in HK-InsO, § 107 Rz. 32. 6 Marotzke in HK-InsO, § 107 Rz. 33. 7 Marotzke in HK-InsO, § 107 Rz. 35. 8 Pohlmann, Befugnisse und Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, 1998, Rz. 451 f. 9 MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 65; Marotzke in HK-InsO, § 107 Rz. 35; Pohlmann, Befugnisse und Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, 1998, Rz. 455. 10 Gegen die Anwendung des erweiterten Eigentumsvorbehalts, weil damit das Wahlrecht des Insolvenzverwalters aus § 103 ausgehebelt werde, Seger/Tetzlaff, ZInsO 2012, 427 ff. 11 BGH v. 27.3.2008 – IX ZR 220/05, NJW 2008, 1803.
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Sonderregelungen fr die Behandlung von Dauerschuldverhltnissen
Rz. 174
§8
ben die Verpflichtung zum Schadensersatz nach §§ 823 ff. BGB sowie die Vorschriften über den Ersatz von Verwendungen und über das Recht zur Wegnahme einer Einrichtung unberührt. Dementsprechend hat der Eigentumsvorbehaltsverkäufer, dessen Eigentumsvorbehaltsgut mit der Folge des Eigentumsverlusts verbunden, vermischt oder verarbeitet wird, gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO i.V.m. § 951 Abs. 1 BGB einen Anspruch gegen die Masse wegen ungerechtfertigter Bereicherung. Überdies ist der Insolvenzverwalter im Rahmen des § 60 InsO zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er Ansprüche von Aussonderungsberechtigten vereitelt (zur Haftung des Verwalters gegenüber Aussonderungsberechtigten vgl. § 6 Rz. 212). 4. Praxistipp/Musterschreiben
M 14 Musterschreiben des Glubigervertreters an den Insolvenzverwalter nach § 107
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Abs. 1 InsO bei Insolvenz des Eigentumsvorbehaltsverkufers Sehr geehrter Herr Insolvenzverwalter ABC, ich zeige an, dass mich DEF mit der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen beauftragt hat. Eine auf mich lautende Originalvollmacht liegt anbei. Zwischen der Schuldnerin und meiner Mandantin besteht der ebenfalls anliegende Kaufvertrag ber (Bezeichnung des Gegenstandes), in dem Ratenzahlung vereinbart wurde. Der (Gegenstand) wurde meiner Mandantin am 00.00.00 bergeben und wird seither von ihr genutzt. Die Schuldnerin hat sich laut Ziffer . . . ihrer Allgemeinen Geschftsbedingungen das Eigentum an dem (Gegenstand) bis zur vollstndigen Bezahlung vorbehalten. Meine Mandantin macht hiermit von dem ihr in § 107 Abs. 1 InsO zustehenden Rechten Gebrauch und verlangt Erfllung des Kaufvertrages. Mit freundlichen Grßen
M 15 Musterschreiben des Glubigervertreters an den Insolvenzverwalter nach § 107
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Abs. 2 Satz 2 InsO bei Insolvenz des Eigentumsvorbehaltskufers Sehr geehrter Herr Insolvenzverwalter ABC, ich zeige an, dass mich DEF mit der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen beauftragt hat. Eine auf mich lautende Originalvollmacht liegt anbei. Zwischen der Schuldnerin und meiner Mandantin besteht der ebenfalls anliegende Kaufvertrag ber die Lieferung verschiedener Obstsorten. Die Ware wurde dem Schuldner von meiner Mandantin am 00.00.00 bergeben und befindet sich seither in den Lagerrumen der Schuldnerin. Meine Mandantin hat sich gemß Ziffer . . . ihrer Allgemeinen Geschftsbedingungen das Eigentum an dem gelieferten Obst bis zur vollstndigen Bezahlung vorbehalten und fordert Sie auf, sich in Ihrer Eigenschaft als Insolvenzverwalter unverzglich ber die Ausbung des gesetzlich bestehenden Wahlrechts zu erklren. Gleichzeitig weist meine Mandantin gemß § 107 Abs. 2 Satz 2 InsO ausdrcklich darauf hin, dass mit der Ausbung des Wahlrechts nicht bis zum Berichtstermin zugewartet werden kann, da bis dahin wegen der Verderblichkeit der Ware mit einer erheblichen Verminderung des Wertes zu rechnen ist. Mit freundlichen Grßen VII. Sonderregelungen für die Behandlung von Dauerschuldverhältnissen, insbesondere bei Miete und Pacht, §§ 108–112 InsO 1. Allgemeines/Normzweck Die wegen § 119 InsO unabdingbaren §§ 108–112 InsO enthalten Sonderbestimmun- 174 gen betreffend die Behandlung von Dauerschuldverhältnissen in der Insolvenz. Dahl
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§8
Rz. 175
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
175 § 108 InsO ordnet generell das Fortbestehen einiger bestimmter Dauerschuldverhältnisse (Miet- und Pachtverhältnisse von Immobilien und Räumen, Dienstverhältnisse und Leasing) mit Wirkung für die Insolvenzmasse an und entzieht diese damit als lex specialis dem aus § 103 InsO resultierenden Wahlrecht des Insolvenzverwalters (hierzu oben Rz. 10 ff.)1. 176 § 109 InsO enthält Regelungen für den Fall, dass der Schuldner ein Miet- oder Pachtverhältnis über einen unbeweglichen Gegenstand oder über Räume als Mieter oder Pächter eingegangen war. Das insbesondere dem Insolvenzverwalter in dieser Norm eingeräumte vorzeitige Kündigungsrecht soll im Interesse der Gläubiger die Masse davor schützen, mit Miet- und Pachtzinsansprüchen belastet zu werden, obgleich eine wirtschaftlich angemessene Nutzung des Mietobjekts in Anbetracht der Insolvenz nicht mehr möglich ist. 177 Die §§ 110, 111 InsO behandeln demgegenüber die Rechtslage bei Vermieterstellung des Schuldners. Hierbei ist es Zweck des § 110 InsO, der Masse die Erträge aus der Vermietung und Verpachtung von massezugehörigen Immobilien und Räumen zu sichern. § 111 InsO zielt darauf ab, dem Insolvenzverwalter eine Veräußerung unbeweglicher Miet- und Pachtobjekte aus der Insolvenzmasse zu erleichtern, indem die Beendigung bestehender Vertragsverhältnisse dadurch vereinfacht wird, dass der Bestandsschutz des Miet- und Pachtverhältnisses auf die gesetzliche Kündigungsfrist beschränkt wird. 178 In § 112 InsO finden sich schließlich Aussagen über die Kündigungssperre bei bestehenden Miet- und Pachtverhältnissen des Schuldners. Um die wirtschaftliche Einheit im Besitz des Schuldners nicht zur Unzeit auseinanderzureißen, soll es dem Insolvenzverwalter ermöglicht werden, das Unternehmen so lange fortzuführen, bis eine Entscheidung über das Verfahrensziel getroffen werden kann. § 112 InsO dient daher dem Zweck, zu verhindern, dass dem schuldnerischen Unternehmen durch dessen Vermieter oder Verpächter betriebsnotwendige Pacht- und Mietgegenstände entzogen werden (zur Kündigungssperre ausführlich vgl. Rz. 250 ff.). 179 Mietverträge, die der Insolvenzverwalter nach Verfahrenseröffnung abschließt, fallen ebenso wenig in den Anwendungsbereich der §§ 108 ff. InsO wie Verträge, die der vorläufige Insolvenzverwalter nach Beantragung des Insolvenzverfahrens abschließt (zur Rechtsstellung der Geschäftspartner des [vorläufigen] Insolvenzverwalters vgl. § 14 dieses Buches). Im Unterschied dazu ist ein Mietverhältnis, das der Schuldner nach Beantragung des Insolvenzverfahrens mit Zustimmung des so genannten schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters ohne Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis abschließt, ausschließlich der Handlungssphäre des Schuldners zuzuordnen und wird von den §§ 108 ff. InsO erfasst. 180 Vor Verfahrenseröffnung beendete Miet- und Pachtverhältnisse werden ebenfalls von den §§ 108 ff. InsO nicht erfasst. Maßgeblich ist insofern der Termin, zu dem das Mietverhältnis durch Zeitablauf endet oder zu dem eine Kündigung wirksam wird. 2. Fortbestehen bestimmter Dauerschuldverhältnisse, § 108 Abs. 1 InsO a) Miete und Pacht von Immobilien und Räumen 181 Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO bestehen Miet- und Pachtverhältnisse des Schuldners über unbewegliche Gegenstände oder Räume mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort2. Die Regelung betrifft Miet- und Pachtverhältnisse, ohne nach Vermieteroder Mieterinsolvenz zu unterscheiden. Entgegen der bislang ganz h.M. in der Literatur3 soll nach der Rechtsprechung § 108 InsO nur einschlägig sein, wenn dem Mieter
1 OLG Frankfurt v. 16.11.2004 – 2 W 39/04, ZInsO 2005, 378 f. 2 Ausführlich dazu: Franken/Dahl, Mietverhältnisse in der Insolvenz. 3 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 108 Rz. 9; MünchKommInsO/Eckert, § 108 Rz. 12, 66; Franken/Dahl, Mietverhältnisse in der Insolvenz, Kap. 6 Rz. 175; Huber in Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 37 Rz. 24, 42; Wegener in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 108 Rz. 8.
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Sonderregelungen fr die Behandlung von Dauerschuldverhltnissen
Rz. 186
§8
die Mietsache vor Verfahrenseröffnung bereits überlassen war1. Danach steht dem Insolvenzverwalter, wenn die Mietsache noch nicht überlassen wurde, das Wahlrecht aus § 103 InsO zu. Unbewegliche Gegenstände sind nach der Legaldefinition des § 49 InsO alle Gegen- 182 stände, die den Vorschriften über die Zwangsvollstreckung in unbewegliches Vermögen unterliegen. Hierunter fallen sowohl Grundstücke als auch Schiffe und Flugzeuge (§§ 864 Abs. 1, 870a ZPO, 47, 99 LuftfzG). Der Begriff der Räume ist entsprechend der mietrechtlichen Vorschriften des BGB zu bestimmen. Gemeint sind sowohl Wohnund Geschäftsräume als auch sonstige Räume. Auch nur zu einem vorübergehenden Zweck errichtete Baulichkeiten sind unabhängig von ihrer Bauweise hierunter zu fassen, solange nur der Wille des Errichtenden auf die vorübergehende Nutzung geht2. Unerheblich ist, ob es sich bei dem Miet- oder Pachtvertrag um einen Haupt- oder 183 Untermietvertrag handelt, da es auf die eigene Nutzung nicht ankommt und § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO nach Wortlaut und Sinn alle Miet- und Pachtverhältnisse erfasst3. Bei Mischverträgen, die sowohl Mobilien als auch Immobilien zum Gegenstand ha- 184 ben oder aber miet- oder pachtfremde Leistungen enthalten, ist maßgeblich, welche Leistung dem Vertrag sein typisches Gepräge gibt4. Als Miet- bzw. Pachtvertrag zu qualifizieren sind beispielsweise5: 185 – gegenseitige „unentgeltliche“ Überlassung von Grundstücken zur Nutzung; – Überlassung von Wohnraum mit Rücksicht auf ein Dienst- oder Arbeitsverhältnis; – Beherbergung oder Hotelaufnahme; – Überlassung eines Standplatzes in einer Messehalle; – Grundstücksüberlassung mit Verpflichtung des Mieters, das Mietobjekt zu verändern; – Überlassung einer Wandfläche für Werbung oder Anbringung von Automaten; – Unterbringung in einem Heim, wenn die Überlassung von Wohnraum im Vordergrund steht; – Verpachtung einer Kantine, sofern der Pächter trotz Weisungsgebundenheit bezüglich des Warenangebots und der Preise sozial unabhängig ist; – Überlassung eines Bankschließfaches; – Benutzung eines Postfachs der Deutschen Post AG; – die externe Online-Benutzung eines Großrechners. Im Hinblick auf vorrangige dienst- oder werkvertragliche Elemente sind insbesondere 186 der Heimpflegevertrag, der Internatsvertrag und der Tankstellenvertrag als zwischen Mineralölunternehmen und Betreiber geschlossener Stationärvertrag nicht als Miet- oder Pachtverhältnis zu behandeln. Zum Teil wird eine analoge Anwendung des § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO auf Lizenzverträge befürwortet6. Dies ist jedoch aufgrund des Ausnahmecharakters des § 108 InsO abzulehnen7. Auch der BGH8 hat eine analoge Anwendung des § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO
1 BGH v. 5.7.2007 – IX ZR 185/06, NZI 2007, 713 m. krit. Anm. Dahl/J. Schmitz; Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 108 Rz. 11; Wegener in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 108 Rz. 8. 2 Wegener in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 108 Rz. 18; Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 108 Rz. 10. 3 Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 108 Rz. 6. 4 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 108 Rz. 8; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 108 Rz. 13; MünchKommInsO/Eckert, § 108 Rz. 19. 5 Vgl. dazu ausführlich MünchKommInsO/Eckert, § 108 Rz. 19 ff. 6 Koehler/Ludwig, NZI 2007, 79 (82). 7 McGuire/von Zumbusch/Joachim, GRUR Int. 2006, 682 (692) m.w.N. 8 BGH v. 17.11.2005 – IX ZR 162/04, NZI 2006, 229.
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§8
Rz. 187
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
verneint, da bei Lizenzverträgen kein unbewegliches Vermögen betroffen ist. Zu den Einzelheiten und der gescheiterten Novellierung eines § 108a InsO siehe Rz. 63d. b) Dienstverträge 187 Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters ist ferner auch bei Dienstverträgen ausgeschlossen, die gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 InsO ebenfalls mit Wirkung für die Insolvenzmasse fortbestehen1. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn der Dienstvertrag eine Geschäftsbesorgung für den Schuldner zum Inhalt hat und demzufolge § 116 InsO Anwendung findet. 188 Unerheblich ist, ob der Schuldner aus dem Vertrag zur Erbringung von Diensten verpflichtet oder zu deren Empfang berechtigt ist, da die Norm anders als § 113 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht danach differenziert, ob der Schuldner berechtigt oder verpflichtet ist2. Schließlich kommt es auch nicht darauf an, ob der Dienstvertrag vom Verpflichteten bereits angetreten wurde, zumal ansonsten bei Erfüllungsablehnung jeglicher Kündigungsschutz entfiele3. c) Finanzierte Mobilienmiet- und Pachtverträge (Leasing) 189 § 108 Abs. 1 Satz 2 InsO erweitert den Anwendungsbereich des § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO auf Miet- und Pachtverhältnisse, die der Schuldner als Vermieter oder Verpächter eingegangen war und die sonstige Gegenstände betreffen, die einem Dritten, der ihre Anschaffung oder Herstellung finanziert hat, zur Sicherheit übertragen wurden. Die Regelung betrifft daher so genannte finanzierte Miet- und Pachtverträge über Mobilien und bezieht sich vorrangig auf Leasingverträge4. 190 Gegenstand des Miet- oder Pachtverhältnisses muss ein sonstiger Gegenstand sein. Der Begriff ist weit zu verstehen und umfasst sowohl Sachen als auch Rechte und Forderungen, so dass namentlich auch das Softwareleasing in den Anwendungsbereich fällt5. 191 Die Anschaffung oder Herstellung des Leasinggutes muss von einem Dritten finanziert und diesem dann zur Sicherheit übertragen, also übereignet oder abgetreten worden sein. Eine Finanzierung der Anschaffung oder Herstellung liegt nur dann vor, wenn zwischen Finanzierungsgeschäft und Herstellung oder Anschaffung eine kausale Beziehung besteht, so dass es nicht genügt, wenn die Finanzierung aus einem allgemeinen Betriebsmittelkredit ohne erkennbaren Zusammenhang mit dem konkreten Leasinggut erfolgt6. 192 Nicht in den Anwendungsbereich der Vorschrift soll mangels Zusammenhangs zwischen Sicherungsübertragung und Finanzierung der Anschaffung oder Herstellung auch die erst nachträglich oder aufgrund späterer Umfinanzierung erfolgte Sicherungsübertragung fallen7. Richtiger Ansicht nach ist allein maßgeblich, dass das Leasinggut als Sicherheit für die Finanzierung seiner Anschaffung oder Herstellung dient, so dass es dann, wenn diese kausale Beziehung hergestellt ist, auf die zeitliche Abfolge nicht ankommen kann8. d) Sale-and-lease-back-Verfahren 192a Beim Sale-and-lease-back-Verfahren erwirbt der Leasinggeber das Leasingobjekt nicht von einem Dritten, sondern vom (späteren) Leasingnehmer und überlässt es ihm anschließend auf Grundlage eines Leasingvertrages zur Nutzung. Zur Durchführung eines solchen Geschäfts sind somit zwei Rechtsgeschäfte, ein Kaufvertrag und 1 Vgl. hierzu Wente, ZIP 2005, 335 ff. 2 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 108 Rz. 10; Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 108 Rz. 13. 3 Berscheid in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 108 Rz. 50. 4 Ausführlich dazu: Sinz, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 14 Rz. 1 ff.; Fehl, DZWIR 1999, 89. 5 Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 108 Rz. 21 m.w.N. 6 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 108 Rz. 13. 7 Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 108 Rz. 16. 8 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 108 Rz. 14.
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ein Leasingvertrag, erforderlich. Für den Leasingnehmer ist diese Variante des Leasings insoweit vorteilhaft, als er die Möglichkeit zur Nutzung des Objekts behält und gleichzeitig durch dessen Verkauf Kapital freisetzt, das er anderweitig einsetzen kann. Die Behandlung eines Sale-and-lease-back-Vertrages in der Insolvenz einer der bei- 192b den Vertragsparteien bereitet insbesondere dann Schwierigkeiten, wenn der Kaufvertrag bei Verfahrenseröffnung von beiden Teilen noch nicht vollständig erfüllt war, stellt sich doch dann die Frage, ob insolvenzrechtlich an den nach § 103 InsO zu behandelnden Kaufvertrag oder aber an die vor allem Miet- und Pachtverhältnisse betreffenden §§ 108 ff. InsO anzuknüpfen ist, und ob mit Blick auf die anzuwendenden Vorschriften zwischen der Insolvenz des Leasingnehmers und der des Leasinggebers weiter zu differenzieren ist1. Der BGH hat sich jüngst – in einem anders gelagerten Fall – für die Anwendbarkeit 192c der §§ 108 ff. InsO mit dem zutreffenden Hinweis entschieden, dass das streitgegenständliche Schuldverhältnis jedenfalls auf den Gebrauch eines unbeweglichen Gegenstands gegen Entgelt gerichtet war2. Unabhängig von vertragstypologischen Einordnungen ist für die insolvenzrechtliche Behandlung danach maßgeblich, dass das erstrebte Vertragsziel und das Schwergewicht des Vertrages in einer entgeltlichen Gebrauchsüberlassung auf Zeit liegt3. Zu der Bedeutung der Entscheidung mit Hinblick auf § 110 InsO siehe Rz. 228a. e) Darlehensverträge Durch das „Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens“ vom 13.4.2007 wurde 192d § 108 InsO ein neuer Abs. 2 eingefügt4. Seitdem enthält § 108 InsO also auch Vorschriften über Darlehensverhältnisse5. Im Schrifttum bestand Uneinigkeit darüber, ob § 103 InsO auf Darlehensverträge anwendbar ist, wenn der Darlehensgeber die Darlehensvaluta vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausbezahlt hat6. Höchstrichterliche Rechtsprechung existiert zu dieser Frage nicht7. Mit Einfügung des Abs. 2 wurde die Rechtsunsicherheit beseitigt. Auf diese Weise sollen Risikoaufschläge am Kapitalmarkt verhindert und damit unnötige Finanzierungskosten in Deutschland vermieden werden. Ist der Schuldner als Darlehensgeber ein entgeltliches Darlehensverhältnis eingegangen, so wird durch den Abs. 2 klargestellt, dass dieses mit Wirkung für die Masse fortbesteht, soweit dem Darlehensnehmer der geschuldete Gegenstand zur Verfügung gestellt wurde. Der Gesetzgeber geht damit davon aus, dass der Darlehensgeber mit der Auszahlung der Darlehensvaluta seine Hauptleistungspflicht erfüllt hat und § 103 InsO damit nicht anwendbar ist8. Im Falle einer Insolvenz eines Kreditinstitutes hat die Regelung den Vorteil, dass durch den Insolvenzverwalter nicht zahlreiche Darlehensverträge beendet werden können, mit der Folge, dass einige Darlehensnehmer selbst in Zahlungsschwierigkeiten geraten, wenn sie nach der Beendigung nicht kurzfristig eine Umschuldung erreichen können. Daneben wird sichergestellt, dass vorinsolvenzliche Zessionen an Zweckgesellschaften im Falle der Insolvenz von Refinanzierungsunternehmen insolvenzfest sind9. Die Neuregelung des
1 Kalkschmid, Immobilienleasing in der Insolvenz, 2003, Rz. 28, 303 ff. 2 BGH v. 25.4.2013 – IX ZR 62/12, NZI 2013, 586 mit Anm. von Dahl; Vorinstanz OLG Brandenburg v. 8.2.2012 – 3 U 111/11, ZIP 2012, 1523. 3 Vgl. Sinz in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 108 Rz. 65. 4 Zu den Hintergründen vgl. BT-Drucks. 16/3227, S. 19. 5 Zum Insolvenzvereinfachungsgesetz vgl. Marotzke, ZInsO 2004, 1273 ff. (1276); Pannen/Riedemann, NZI 2006, 193. 6 Dafür Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 103 Rz. 84 f.; Lind, ZInsO 2004, 580; Laudenklos/Sester, ZIP 2004, 1757. 7 Offen gelassen BGH v. 5.10.1989 – III ZR 34/88, NJW 1990, 1356. 8 Breitenbücher in Graf-Schlicker, Kommentar zur InsO, § 108 Rz. 13. 9 Marotzke, ZInsO 2006, 300 (302); Breitenbücher in Graf-Schlicker, Kommentar zur InsO, § 108 Rz. 14.
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Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
§ 108 Abs. 2 InsO lässt die Anwendbarkeit des § 116 InsO auf Kontokorrentkredite unberührt1. 192e Die neu eingebrachte Vorschrift des § 108 Abs. 2 InsO ist gemäß Art. 103c EGInsO nur auf Insolvenzverfahren anzuwenden, die nach dem 1.7.2007 eröffnet worden sind. Demzufolge stellt sich die Frage, wie Darlehensverträge im Rahmen von Altfällen zu behandeln sind, wenn die Darlehenssumme vor Insolvenzeröffnung ausgezahlt wurde. Hierzu wird vertreten, dass § 103 InsO anwendbar sei, weil eine Erfüllung mit Ende der Darlehenslaufzeit eintrete2. Erst zu diesem Zeitpunkt habe der Darlehensnehmer seine Zahlungspflicht, insbesondere im Hinblick auf die Zinsen, in vollem Umfang erfüllt und der Darlehensgeber sei zur Belassung des Darlehensbetrages verpflichtet. Allerdings entsprach es der einhelligen Auffassung zu § 17 KO, dass bei einem verzinslichen Darlehensvertrag für die Erfüllungsablehnung kein Raum sei, wenn der Darlehensgeber vor Konkurseröffnung die Darlehensvaluta ausgezahlt hat3. Der Vertrag wäre dann bereits einseitig erfüllt worden. Da der Gesetzgeber § 17 KO in § 103 InsO unverändert übernommen hat, wird im überwiegenden Schrifttum eine Anwendung des § 103 InsO abgelehnt4. Als weiterer Grund wird angeführt, dass § 103 InsO auf die Weggabe von Vermögenswerten durch den Schuldner abstellt. Dabei sei ohne Bedeutung, dass die Vertragspflichten, d.h. die Belassung des Darlehens seitens des Darlehensgebers und die Zinszahlungen seitens des Darlehensnehmers, nicht vollständig erfüllt seien5. 192f Die Nichtanwendung des § 103 InsO hat zur Folge, dass kein Rückerstattungsanspruch besteht, sondern dass der Insolvenzverwalter an einen von dem Schuldner vereinbarten Darlehensvertrag gebunden ist6. In Betracht kommt jedoch ein außerordentliches Kündigungsrecht für verzinsliche Darlehensverträge aus § 490 Abs. 3 BGB i.V.m. § 314 Abs. 1 BGB, für zinslose Darlehen entsprechend §§ 528 Abs. 1, 605 Nr. 1 BGB, sowie § 313 BGB. Ein solches Kündigungsrecht, muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach Kenntnisnahme des Kündigungsgrundes geltend gemacht werden7. 3. Rang der Ansprüche, § 108 Abs. 3 InsO (§ 108 Abs. 2 InsO a.F.) 193 § 108 Abs. 3 InsO bestimmt, dass der Vertragspartner des Schuldners Ansprüche für die Zeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur als Insolvenzgläubiger geltend machen kann. Zum Teil wird hieraus geschlossen, dass die Vorschrift des § 108 Abs. 3 InsO der Begründung von Masseverbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen im Eröffnungsverfahren generell entgegensteht, also auch dann, wenn zur Sicherung der Masse ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wird. 194 Nach § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO gelten demgegenüber Verbindlichkeiten, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter begründet worden sind, auf den die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergegangen ist, nach der Eröffnung des Verfahrens als Masseverbindlichkeiten. § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO ordnet darüber hinaus an, dass Gleiches für Verbindlichkeiten aus einem Dauerschuldverhältnis gilt, soweit der vorläufige Insolvenzverwalter für das von ihm verwaltete Vermögen die Gegenleistung in Anspruch genommen hat (hierzu und auch zu der nachstehenden Problematik s. § 14 Rz. 36 ff., 80 ff.). 195 Herrschender Auffassung nach werden durch den „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter keine Masseverbindlichkeiten begründet. Bereits die obergerichtliche Rechtsprechung hat § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO bei Anordnung eines allgemeinen Zu1 Begründung, RegE BR-Drucks. 549/06, S. 36. 2 MünchKommBGB/Berger, vor § 488 InsO Rz. 103; Engert/Schmidl, WM 2005, 60, 64 f.; Lind, ZInsO 2004, 580 (582). 3 Vgl. Gehrlein, ZInsO 2012, 101 m.w.N. 4 MünchKommInsO/Huber, § 103 Rz. 69; Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 103 Rz. 29. Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 103 Rz. 12. 5 So Gehrlein, ZInsO 2012, 101 (102). 6 Gehrlein, ZInsO 2012, 101 (102). 7 Vgl. dazu ausführlich Gehrlein, ZInsO 2012, 101 (103).
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stimmungsvorbehalts gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO für nicht anwendbar erklärt, so dass durch den vorläufigen Verwalter keine Masseverbindlichkeiten begründet werden1. Dem wird von den Instanzgerichten insbesondere in den zum „Bast-BauVerfahren“ ergangenen Entscheidungen, die sämtlich gleichgelagerte Sachverhaltskonstellationen (bloße Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts) zum Inhalt haben, durchweg gefolgt2. Auch in der Literatur herrscht die Ansicht vor, dass durch den vorläufigen „schwachen“ Insolvenzverwalter keine Masseverbindlichkeiten begründet werden3. Uneinheitlich gestaltet sich die Beurteilung aber bereits dann, wenn der vorläufige 196 „schwache“ Insolvenzverwalter vom Insolvenzgericht zugleich ermächtigt wird, mit rechtlicher Wirkung für den Schuldner zu handeln. Neuerdings sind offenbar einige Insolvenzgerichte zu dieser Verfahrenspraxis übergegangen. Sowohl das OLG Hamm4 als auch das AG Neumünster5 halten § 55 Abs. 2 InsO in diesem Fall auf den „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter für analog anwendbar, so dass durch diesen Masseverbindlichkeiten begründet werden können. Demgegenüber hält das Landgericht Karlsruhe6 auch bei einer solchen Sachverhaltsgestaltung eine analoge Anwendung des § 55 Abs. 2 InsO nicht für gerechtfertigt. Schließlich besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass bei Bestellung eines vorläu- 197 figen „starken“ Insolvenzverwalters die speziellere Vorschrift des § 55 Abs. 2 InsO im Eröffnungsverfahren Anwendung findet und auch § 108 Abs. 2 InsO insofern der Begründung von Masseverbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen nicht entgegensteht7. Letzterer Auffassung hat sich nunmehr auch der BGH zu Recht angeschlossen und 198 entschieden, dass Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen i.S.d. § 108 InsO unter der Voraussetzung des § 55 Abs. 2 InsO schon für die Zeit des Eröffnungsverfahrens zu Masseverbindlichkeiten werden8. Hierbei verweist der BGH darauf, dass es sich bei § 55 Abs. 2 InsO um eine speziell im Eröffnungsverfahren geltende Vorschrift handelt, deren Satz 2 inhaltlich gegenstandslos wäre, wenn § 108 Abs. 3 InsO dafür ausnahmslos Abweichendes anordnen würde. Ergänzend stellt der BGH klar, dass insbesondere § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO weder 199 unmittelbar noch entsprechend auf Rechtshandlungen eines vorläufigen Insolvenzverwalters anzuwenden ist, auf den die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners nicht übergegangen ist9. Nur auf Grund des Erlasses eines allgemeinen Verfügungsverbots kann der vorläufige Insolvenzverwalter umfassend für den Schuldner handeln, während er bei Anordnung eines bloßen Zustimmungsvorbehalts rechtlich nicht in der Lage ist, den Schuldner gegen dessen Willen zu bestimmten Handlun-
1 OLG Köln v. 29.6.2001 – 19 U 199/00, NZI 2001, 554 = ZIP 2001, 1422; OLG Frankfurt/M. v. 29.1.2002 – 5 U 170/00, ZIP 2002, 2185. 2 LG Leipzig v. 30.8.2001 – 11 O 2044/01, ZIP 2001, 1778; AG Leipzig v. 4.9.2001 – 08 C 2818/01, ZIP 2001, 1780; AG Wuppertal v. 13.6.2001 – 96 C 96/01, ZIP 2001, 1335; a.A. LG Essen v. 10.1.2001 – 16 O 534/00, NZI 2001, 217, das die Vorschrift des § 55 Abs. 2 InsO auf den vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt analog anwendet. 3 MünchKommInsO/Hefermehl, § 55 Rz. 221; Beck/Depré, Praxis der Insolvenz, § 1 Rz. 39. 4 OLG Hamm v. 17.1.2002 – 27 U 150/01, NZI 2002, 259 = ZIP 2002, 676. 5 AG Neumünster v. 15.3.2002 – 31 C 1750/01, ZInsO 2002, 387 = ZIP 2002, 720. 6 LG Karlsruhe v. 17.10.2001 – 6 O 319/01, DZWIR 2002, 215. 7 LAG Köln v. 25.2.2000 – 12 Sa 1512/99, NZI 2000, 288 = ZIP 2000, 805; LG Essen v. 10.1.2001 – 16 O 534/00, NZI 2001, 217; MünchKommInsO/Eckert, § 108 Rz. 187 f.; Marotzke in HK-InsO, § 108 Rz. 54 f.; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 108 Rz. 28a; Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 108 Rz. 15 f.; Wegener in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 108 Rz. 35; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 14 Rz. 8, 11. 8 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, NZI 2002, 543 = ZIP 2002, 1625; s. dazu auch Haarmeyer/Pape, ZInsO 2002, 845, Heidrich/Prager, NZI 2002, 653, Prütting/Stickelbrock, ZIP 2002, 1608 und Smid, DZWIR 2002, 444. 9 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, NZI 2002, 543 = ZIP 2002, 1625.
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gen anzuhalten, insbesondere kann er ihn ohne ergänzende gerichtliche Anordnung nicht an der tatsächlichen Nutzung gemieteter Räume hindern. 200 Schließlich erklärt der BGH die Praxis einiger Insolvenzgerichte, im Eröffnungsverfahren zwar kein allgemeines Verfügungsverbot anzuordnen, den vorläufigen Verwalter aber zu ermächtigen, „mit rechtlicher Wirkung für den Schuldner zu handeln“, gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 InsO für unzulässig und gibt den Insolvenzgerichten auf, entsprechende Befugnisse des Verwalters für den Einzelfall genau festzulegen1. 201 Als Fazit bleibt daher festzuhalten: – Der Vertragspartner des Schuldners kann Ansprüche aus Dauerschuldverhältnissen, die aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens resultieren, grundsätzlich nur als Insolvenzgläubiger geltend machen. – Nur dann, wenn im Insolvenzeröffnungsverfahren durch das Insolvenzgericht ein „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wird, auf den die Verwaltungsund Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergeht, kann der Vertragspartner seine aus einem Dauerschuldverhältnis herrührenden Ansprüche ausnahmsweise als Massegläubiger geltend machen. 202 Ansprüche aus Miet-, Pacht- und Dienstverhältnissen, die nach Verfahrenseröffnung entstehen, werden dagegen immer zu Masseverbindlichkeiten2. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO ordnet insoweit ausdrücklich an, dass Masseverbindlichkeiten insbesondere auch die Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen sind, deren Erfüllung für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss. Ist hingegen in der Insolvenz des Mieters das Mietverhältnis bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöst, kommt dem Anspruch des Vermieters auf Nutzungsentschädigung für die Zeit ab Insolvenzeröffnung grundsätzlich nicht der Rang einer Masseverbindlichkeit zu3. Für Nebenkosten kommt es nicht auf die nachinsolvenzliche Erstellung der Abrechnung an4. Nebenkostennachforderungen sind daher Insolvenzforderungen und nicht Masseverbindlichkeiten, wenn die Nebenkosten im vorinsolvenzlichen Zeitraum angefallen sind. 202a Sofern Gegenstände, die dem Vermieterpfandrecht unterliegen, verwertet werden, ist der Insolvenzverwalter berechtigt bei der Auskehr des Verwertungserlöses nach § 166 Abs. 1 BGB zu bestimmen, dass zunächst die Mietzinsforderungen des Vermieters getilgt werden sollen, die als Masseverbindlichkeiten zu berichtigen sind und sodann erst offene Mietzinsinsolvenzforderungen5. 202b Besonderheiten ergeben sich, wenn der Insolvenzverwalter nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Masseunzulänglichkeit gemäß § 208 InsO angezeigt hat. Die – anteilige – Befriedigung der Massegläubiger erfolgt dann nach Maßgabe der in § 209 Abs. 1 InsO angeordneten Rangfolge, d.h. zunächst werden die Kosten des Verfahrens (§ 54 InsO), des Weiteren die Neumasseverbindlichkeiten und schließlich die Altmasseverbindlichkeiten berichtigt. Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit ist der maßgebliche Zeitpunkt in Hinblick auf die Unterscheidung von Alt- und Neumasseverbindlichkeiten6. Als Neumasseverbindlichen gelten gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO die Masseverbindlichkeiten, die nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, ohne zu den Kosten des Verfahrens zu gehören. Die übrigen Masseverbindlichkeiten sind Altmasseverbindlichkeiten, § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Hat der Insolvenzverwalter den Rechtsgrund für das Schuldverhältnis erst nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit gelegt, so handelt es sich um eine Verbindlichkeit nach § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO, während die pflichtwidrig nicht verhinderte Nutzung eine Verbindlichkeit 1 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, NZI 2002, 543 = ZIP 2002, 1625; so nunmehr auch OLG Hamm v. 28.11.2002 – 27 U 87/02, NZI 2003, 150 = ZIP 2003, 1165; s. auch AG Duisburg v. 28.7.2002 – 62 IN 167/02, NZI 2002, 614 = ZIP 2002, 1700. 2 Christiani in Nerlich/Kreplin, Insolvenz und Sanierung, § 33 Rz. 117. 3 BGH v. 21.12.2006 – IX ZR 66/05, NZI 2007, 287 = ZIP 2007, 340. 4 BGH v. 13.4.2011 – VIII ZR 295/10, NZI 2011, 404. 5 OLG Dresden v. 19.10.2011 – 13 U 1179/10, NZI 2011, 995. 6 MünchKommInsO/Hefermehl, § 209 Rz. 3.
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nach § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO begründet1. Wegen Altmasseverbindlichkeiten kann nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht mehr in die Insolvenzmasse vollstreckt werden, § 210 InsO, dem Gläubiger bleibt nur die Möglichkeit, auf Feststellung seiner Forderung zu klagen2. Die mit der Anzeige verbundenen Folgen treten unabhängig davon ein, ob die Voraussetzungen einer solchen Anzeige nach § 208 InsO tatsächlich vorgelegen haben3. Eine Prüfung der Richtigkeit der Anzeige durch das Insolvenzgericht oder andere Verfahrensbeteiligte sieht das Gesetz nicht vor4. Gläubigern steht nur der Weg offen, zum Ausgleich von Schäden wegen einer fehlerhaften – zu frühen oder zu späten – Anzeige einen individuellen Haftungsprozess gegen den Insolvenzverwalter einzuleiten5. Die Vorschrift des § 208 InsO erfasst hierbei nicht nur den Fall, dass sich die Masse- 202c unzulänglichkeit erst im Laufe des Verfahrens herausstellt. Vielfach wird schon bei Verfahrenseröffnung klar sein, dass außer den für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens notwendigen, aber auch hinreichenden Kosten des Insolvenzverfahrens (§§ 26 Abs. 1, 54 InsO) nicht alle sonstigen Masseverbindlichkeiten gedeckt werden können. In diesem Fall wird es eine der ersten Amtshandlungen des Verwalters sein, dem Gericht die Masseunzulänglichkeit anzuzeigen, weil er damit erreichen kann, dass die Ansprüche aus fortbestehenden Dauerschuldverhältnissen für die Zeit nach dieser Anzeige bis zur Wirksamkeit einer sofort ausgesprochenen Kündigung nur anteilig als „Altmasseverbindlichkeiten“ i.S.d. §§ 209 Abs. 1 Nr. 3, 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO zu befriedigen sind6. Der Insolvenzverwalter ist gehalten, das Dauerschuldverhältnis nach der Anzeige der 202d Masseunzulänglichkeit zum frühest möglichen Zeitpunkt zu kündigen. Versäumt er dies, stellen die Ansprüche des Vertragspartners für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit hätte kündigen können, nach §§ 209 Abs. 1 Nr. 2, 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO vorrangig zu bedienende „Neumasseverbindlichkeiten“ unabhängig davon dar, ob der Verwalter die Gegenleistung in Anspruch nimmt oder nicht7. Dies gilt auch für solche Dauerschuldverhältnisse, die der Verwalter erst nach Verfahrenseröffnung begründet hat. Hier soll zwar kein Sonderkündigungsrecht bestehen, weil die Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht zur Begründung eines neuen außerordentlichen Kündigungsrechts führt8. Der Verwalter muss aber gleichwohl mit der vertraglichen oder gesetzlichen Kündigungsfrist kündigen, will er die Begründung von Neumasseverbindlichkeiten vermeiden9. Unterlässt der Verwalter eine solche Kündigung, obwohl er das Vertragsverhältnis für die Masse nicht mehr benötigt, kann er sich schadensersatzpflichtig machen10. Nach §§ 209 Abs. 1 Nr. 2, 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO vorrangig zu bedienende „Neumasse- 202e verbindlichkeiten“ bestehen ebenfalls dann, wenn der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit die aus einem Dauerschuldverhältnis geschuldete Gegenleistung des Vertragspartners für die Insolvenzmasse in Anspruch nimmt. Ob das Vertragsverhältnis gekündigt wurde, ist hierbei ohne Belang11. Der Insolvenzver1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
BGH v. 29.4.2004 – IX ZR 141/03, ZInsO 2004, 674. OLG Koblenz v. 11.5.2007 – 8 U 1776/05, ZMR 2007, 786. MünchKommInsO/Hefermehl, § 209 Rz. 20. S. dazu Pape in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 208 InsO Rz. 5d. Vgl. LG Hamburg v. 23.11.2005 – 306 C 362/04, ZInsO 2005, 1279; MünchKommInsO/Hefermehl, § 209 Rz. 20. Landfermann in HK-InsO, § 208 Rz. 10; MünchKommInsO/Hefermehl, § 209 Rz. 31; Berscheid/ Ries in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 209 Rz. 18 f. MünchKommInsO/Hefermehl, § 209 Rz. 32; Berscheid/Ries in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 209 Rz. 18. Pape in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 209 Rz. 15; Westphal in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand August 2012, § 209 Rz. 8. Berscheid/Ries in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 209 Rz. 18; Pape in Kübler/Prütting/ Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 209 Rz. 15. Kießner in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 209 Rz. 37. Berscheid/Ries in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 209 Rz. 20.
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walter nimmt die Gegenleistung aus einem Dauerschuldverhältnis dann in Anspruch, wenn er die Leistung nutzt, obwohl er das pflichtgemäß hätte verhindern können1. Die bloße Entgegennahme einer im Voraus fälligen Mietzinszahlung kann aber nicht schon als Nutzung für den gesamten Vorauszahlungszeitraum angesehen werden. Der Insolvenzverwalter hat daher den Vermieter von seiner Leistungspflicht freizustellen und seine eigene Verfügungsmacht über den Mietgegenstand aufzugeben, um das Entstehen von Neumasseverbindlichkeiten zu vermeiden. Durch die Freigabeerklärung werden die zu bezeichnenden Gegenstände wieder der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners unterstellt2. 202f Streitig war bislang, wie nach der Freigabeerklärung gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO Forderungen aus von dem Schuldner vor Insolvenzeröffnung begründeten und im Rahmen seiner selbstständigen Tätigkeit fortgesetzten Dauerschuldverhältnissen behandelt werden. Erklärt der Insolvenzverwalter bei einem selbständig tätigen Schuldner die Freigabe, gehört das Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners nicht zur Insolvenzmasse und Ansprüche aus dieser Tätigkeit können nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden. Der BGH hat nun entschieden, dass infolge der Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters Ansprüche aus Dauerschuldverhältnissen nur noch gegen den Schuldner und nicht mehr gegen die Masse durchgesetzt werden können. Dies gilt demgemäß auch für Mietverträge3. 202g Die Freigabeerklärung ist gegenüber dem Schuldner abzugeben, hat aber für den Vermieter als Gläubiger insoweit Bedeutung, als freigegebene Gegenstände nun wieder der Einzelvollstreckung unterliegen und insbesondere der Vermieter die Verwertung seinem Pfandrecht unterliegender Gegenstände betreiben kann. Durch eine Freigabe wird allerdings die Masse nicht von der Entrichtung der Hausgelder (d.h. Vorschüssen auf den Wirtschaftsplan, Abrechnungssalden der Jahresabrechnungen und Sonderumlagen) entlassen. Diese sind, sofern sie nach der Freigabe fällig werden, als Masseschulden zu berichtigten4. 4. Insolvenz des Mieters oder Pächters, § 109 InsO a) Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters 203 Die wegen § 119 InsO unabdingbare Vorschrift des § 109 InsO gewährt dem Insolvenzverwalter ein Sonderkündigungsrecht. Nach § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO a.F. konnte der Insolvenzverwalter ein Miet- oder Pachtverhältnis über einen unbeweglichen Gegenstand oder über Räume, das der Schuldner als Mieter oder Pächter eingegangen war, ohne Rücksicht auf die vereinbarte Vertragsdauer unter Einhaltung der gesetzlichen Frist kündigen. Obgleich eine diesbezügliche Klarstellung – wie sie § 19 Satz 2 KO enthielt – in § 109 Abs. 1 InsO a.F. fehlte5, war eine zwischen den Parteien vereinbarte längere Kündigungsfrist ebenso unbeachtlich wie eine die ordentliche Kündigung ausschließende Befristung des Mietverhältnisses. Bei wirksamer Vereinbarung einer kürzeren als der gesetzlichen Kündigungsfrist ist diese maßgeblich6. 203a Das Sonderkündigungsrecht des § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO steht nur dem Insolvenzverwalter, nicht aber dem vorläufigen Insolvenzverwalter zu. Dies ergibt sich schon aus der Stellung der Norm im Dritten Teil der InsO, der auf Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Bezug nimmt. Auch der sog. „starke“ vorläufige Insolvenzverwalter, der gerichtlich mit einer allgemeinen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ausgestattet wurde, kann das Sonderkündigungsrecht des § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht ausüben, da erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens Dauerschuldverhältnisse der Modifikation gemäß §§ 103 ff. InsO unterliegen und nach diesem Zeitpunkt eine Ent-
1 BGH v. 3.4.2003 – IX ZR 101/02, NZI 2003, 369 = ZIP 2003, 914. 2 MünchKommInsO/Peters, § 35 Rz. 85. 3 BGH v. 9.2.2012 – IX ZR 75/11, NJW 2012, 1361; LG Krefeld v. 24.2.2010 – 2 O 346/09, NZI 2010, 485; AG Mannheim v. 4.6.2010 – 4 C 25/10, NZI 2010, 689. 4 AG Mannheim v. 4.6.2010 – 4 C 25/10, NZI 2010, 689. 5 Huber in Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 37 Rz. 35. 6 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 109 Rz. 3.
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scheidung über Weiterführung oder Abwicklung dieser Vertragsverhältnisse getroffen wird1. Im Gegensatz zu § 111 InsO ist das Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters nicht 204 auf den ersten zulässigen Kündigungstermin beschränkt, sondern kann vom Verwalter jederzeit – ohne dass er sich treuwidrig verhielte – wenn es ihm sachdienlich erscheint2 während des Insolvenzverfahrens unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfristen ausgeübt werden3. Als maßgebliche Vorschrift ist in diesem Zusammenhang insbesondere § 580a BGB anzusehen. § 580a Abs. 4 BGB bestimmt hierbei insbesondere, wann ein Mietverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen Frist vorzeitig gekündigt werden kann. Hierunter fällt allgemeiner Ansicht nach auch das Sonderkündigungsrecht gemäß § 109 InsO4. Bei einem Mietverhältnis über Geschäftsräume5 ist nach § 580a Abs. 2 BGB die or- 205 dentliche Kündigung spätestens am dritten Werktag eines Kalendervierteljahres zum Ablauf des nächsten Kalendervierteljahres zulässig. Nur am Rande erwähnt sei in diesem Zusammenhang der im Anwendungsbereich 206 des „alten“ Rechts geführte Streit, wie die gesetzliche Kündigungsfrist bei einem Mietverhältnis über Geschäftsräume zu bestimmen ist6. Der BGH hat hierzu mittlerweile ausdrücklich festgestellt, dass dann, wenn ein Mietverhältnis über Gewerberäume außerordentlich mit der gesetzlichen Frist gekündigt werden kann, für die Zeit vor Anwendbarkeit der Bestimmungen des Mietrechtsreformgesetzes die „lange“ Kündigungsfrist des § 565 Abs. 1a BGB a.F. gilt7. Nach der Neufassung des § 580a Abs. 4 BGB gilt die längere Frist des § 580a Abs. 2 BGB nunmehr jedenfalls auch bei der Kündigung durch den Insolvenzverwalter nach § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO. Nach § 580a Abs. 1 Nr. 3 BGB ist die ordentliche Kündigung bei einem Mietverhältnis über Grundstücke zulässig, wenn die Miete nach Monaten oder längeren Zeitabschnitten bemessen ist, spätestens am dritten Werktag eines Kalendermonats zum Ablauf des übernächsten Monats, bei einem Mietverhältnis über gewerblich genutzte unbebaute Grundstücke jedoch nur zum Ablauf eines Kalendervierteljahres. Ein Mietverhältnis über gewerblich genutzte unbebaute Grundstücke kann demnach mit dreimonatiger Frist, aber nur zum Quartalsende gekündigt werden8.
207
Auf einen Pachtvertrag sind gemäß § 581 Abs. 2 BGB die Vorschriften über den Miet- 208 vertrag entsprechend anzuwenden, soweit sich nicht aus den §§ 582–584b BGB etwas anderes ergibt. § 584 Abs. 1 BGB enthält eine ausdrückliche Kündigungsregelung für Pachtverhältnisse über Grundstücke. Die Vorschrift des § 584 Abs. 1 BGB geht hierbei – wie sowohl in der zivilrechtlichen9 als auch der insolvenzrechtlichen Literatur10
1 MünchKommInsO/Haarmeyer, § 22 Rz. 59; Andres in Andres/Leithaus, Kommentar zur InsO, § 109 Rz. 3; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 109 Rz. 25; a.A. Eckert, ZIP 1996, 897 (899 f.). 2 Andres in Andres/Leithaus, Kommentar zur InsO, § 109 InsO Rz. 3; Minuth/Wolf, NZM 1999, 289, 291. 3 MünchKommInsO/Eckert, § 109 Rz. 25 f.; Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 109 Rz. 4; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 109 Rz. 28; Huber in Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 37 Rz. 34. 4 Vgl. nur Weidenkaff in Palandt, Kommentar zum BGB, § 580a Rz. 5. 5 Breitenbücher in Graf-Schlicker, Kommentar zur InsO, § 109 Rz. 3 ff. 6 Vgl. dazu OLG Hamm v. 29.3.2000 – 30 U 192/99, NZI 2000, 372; OLG Naumburg v. 29.3.2000 – 5 U 2/00, ZInsO 2000, 287. 7 BGH v. 8.5.2002 – XII ZR 323/00, NZI 2002, 429 = ZIP 2002, 1811. 8 MünchKommInsO/Eckert, § 109 Rz. 22; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 109 Rz. 34. 9 MünchKommBGB/Harke, § 584 Rz. 1; Weidenkaff in Palandt, Kommentar zum BGB, § 581 Rz. 15. 10 MünchKommInsO/Eckert, § 109 Rz. 22; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 109 Rz. 34; Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 109 Rz. 8.
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Rz. 209
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
anerkannt wird – den mietrechtlichen Regelungen und hierbei insbesondere § 580a BGB vor. 209 Dem Wortlaut nach ist § 584 Abs. 1 BGB lediglich bei Grundstückspachtverträgen, deren Pachtzeit nicht bestimmt ist, einschlägig. Nach § 584 Abs. 2 BGB gilt die Vorschrift aber auch für die Fälle, in denen das Pachtverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen Frist vorzeitig gekündigt werden kann. Gemeint ist hiermit etwa auch der in § 109 InsO geregelte Fall und zwar auch dann, wenn der Pachtvertrag auf bestimmte Zeit geschlossen wurde1. 210 Hält man daher vorliegend richtiger Ansicht nach § 584 Abs. 1 BGB in beiden Fällen für einschlägig, so ist die Kündigung nur für den Schluss eines Pachtjahres zulässig, wobei sie spätestens am dritten Werktag des halben Jahres zu erfolgen hat, mit dessen Ablauf die Pacht enden soll. Das Pachtjahr ist das im Vertrag festgelegte; sofern nichts bestimmt ist, beginnt das Pachtjahr mit dem Beginn des Pachtverhältnisses2. 210a Für Insolvenzverfahren, die nach dem 1.7.2007 eröffnet wurden3, ordnet § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO eine Frist von nunmehr drei Monaten zum Monatsende an, wenn nicht ohnehin eine kürzere Frist maßgeblich ist. Schon die ursprüngliche Regelung des § 109 Abs. 1 InsO a.F. diente dem Ziel, die Masse nicht mit Mietansprüchen zu belasten, wenn eine wirtschaftliche Nutzung des Objekts nicht mehr möglich ist. Dieser Anspruch wurde aber nur unvollkommen eingelöst, da sich z.B. die Kündigungsfrist für gewerblichen Mietraum nach § 580a Abs. 2, 4 BGB von bis zu fast neun Monaten maßgebend sein konnte. Hierin erkannte der Gesetzeber eine Aushöhlung der Masse und eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung insbesondere von Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis nach § 113 Abs. 1 Satz 2 InsO mit einer Kündigungsfrist von höchstens drei Monaten beendet werden kann4. Die Verkürzung der Kündigungsfrist des § 109 Abs. 1 InsO auf drei Monate wirkt sich insbesondere auf Pachtverhältnisse erheblich aus. Unberührt bleiben die Vorschriften zur fristlosen Kündigung, im Mietrecht also beispielsweise die §§ 543, 569 BGB. 210b Grundsätzlich ist die Kündigung formfrei möglich. Formzwänge können sich aber einerseits aufgrund vertraglicher Regelungen ergeben, denen auch der Insolvenzverwalter unterworfen ist5. Andererseits kann die Beachtung einer Form auch aufgrund gesetzlicher Vorschriften erforderlich sein, so etwa gemäß § 568 Abs. 1 BGB (Wohnraummiete), Land- oder Kleingartenpacht (§ 594 f. BGB, § 7 BundeskleingartenG). Im Übrigen ist die Schriftform schon aus Beweiszwecken nahe liegend und empfehlenswert. Der Vermieter sollte bereits in seinem Kündigungsschreiben aus Gründen der Vorsicht ausdrücklich einer Verlängerung des Mietverhältnisses gemäß § 545 BGB widersprechen. 211 Sind an dem Mietverhältnis neben dem Schuldner noch weitere Personen als Mieter beteiligt, stellt sich für die Kündigung die Frage der Gesamtwirkung. Einer Ansicht nach ist bei Kündigung des Insolvenzverwalters danach zu unterscheiden, ob der oder die anderen Mieter oder Pächter nur sicherungshalber mitverpflichtet wurden oder ein gleichrangiges Nutzungsrecht erhalten sollten. Im ersten Fall soll Gesamtwirkung, im zweiten hingegen lediglich Einzelwirkung gegeben sein6. 212 Demgegenüber muss richtiger Ansicht nach für das Kündigungsrecht eine Befugnis des Verwalters bejaht werden, sich mit Wirkung für alle übrigen Mitmieter von dem 1 Weidenkaff in Palandt, Kommentar zum BGB, § 584 Rz. 3. 2 MünchKommBGB/Harke, § 584 Rz. 2; Weidenkaff in Palandt, Kommentar zum BGB, § 584 Rz. 2. 3 Vgl. Art. 103c EGInsO; § 108 Abs. 3 InsO wurde durch das „Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens“ v. 13.4.2007 geändert. 4 Begründung, RegE BR-Drucks. 549/06, S. 37. 5 OLG Naumburg, ZMR 1999, 708; MünchKommInsO/Eckert, § 109 Rz. 20; Andres in Andres/ Leithaus, Kommentar zur InsO, § 109 Rz. 5. 6 Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 109 Rz. 44 ff.; MünchKommInsO/Eckert, § 109 Rz. 36 ff.
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Sonderregelungen fr die Behandlung von Dauerschuldverhltnissen
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§8
Vertrag zu lösen1. Die Kündigungserklärung kann sich schon ihrer Natur nach nur auf das gesamte Rechtsverhältnis beziehen. Aus diesem Grunde sind auch Teilkündigungen grundsätzlich unzulässig2. Überdies muss sich der Vermieter auf eine ihm gegenüber erklärte Kündigung verlassen können. Es kann ihm als in der Regel juristischem Laien nicht zugemutet werden, die Wirkungen einer Kündigungserklärung im Hinblick auf ein bestehendes Insolvenzverfahren des Mieters differenziert beurteilen zu müssen. Das gebietet schon die Eindeutigkeit und Sicherheit des Rechtsverkehrs. Oftmals wird der Vermieter zudem von einem solchen Verfahren eines seiner Mieter keine Kenntnis haben. Schließlich hat das Interesse des oder der nicht insolventen Mitmieter an der Ver- 213 tragsfortführung hinter den Schutz der Masse zurückzutreten. Diese würde aber schon allein dadurch laufend belastet, weil Mietzinsforderungen aus der Zeit nach Verfahrenseröffnung gemäß §§ 108 Abs. 1 Satz 1, 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO Masseverbindlichkeiten sind3. Im Übrigen können sich sowohl die Mitmieter des Schuldners als auch der Vermieter gegen diese Rechtsfolge durch eine mietvertragliche Vereinbarung schützen, die vorsieht, dass im Falle einer Kündigung durch den Insolvenzverwalter das Vertragsverhältnis mit den übrigen Mietern fortgesetzt wird4. Mithin bewirkt die Kündigungserklärung des Insolvenzverwalters die Beendigung des gesamten Vertragsverhältnisses5. Ein anderes gilt nur bei Jagdpachtverhältnissen. Hier bleibt gemäß § 13a BJagdG das 213a Vertragsverhältnis mit den übrigen Pächtern bestehen, die aber für den Fall der Unzumutbarkeit kündigen können6. Lässt der Insolvenzverwalter die erste Kündigungsmöglichkeit gemäß § 109 InsO verstreichen, so stellen die Mietforderungen ab diesem Zeitpunkt Masseverbindlichkeiten dar7.
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b) Schadensersatzanspruch des Vermieters nach § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO verhilft dem Vermieter im Falle der Kündigung durch den In- 214 solvenzverwalter und der vorzeitigen Beendigung des Vertragsverhältnisses zu einem Schadensersatzanspruch, den er als Insolvenzgläubiger geltend machen kann (zur Geltendmachung einer Insolvenzforderung § 6 Rz. 278 ff.). Allerdings ist zwischen Schadensersatzansprüchen wegen der vorzeitigen Beendigung und solchen aus dem Abwicklungsverhältnis zu differenzieren: aa) Vorzeitige Beendigung Der vom Vermieter zu beweisende und ihm zu ersetzende Schaden besteht in dem 214a Mietzins, der dem Vermieter durch die vorzeitige Beendigung des Mietverhältnisses entgeht. Abgesehen von bereits eingetretenen Beschädigungen der Mietsache selbst kann der Vermieter daher grundsätzlich als Schaden nur die Mietforderungen gel1 BGH v. 13.3.2013 – XII ZR 34/12, NZI 2013, 414; OLG Celle v. 15.2.1974 – 2 U 62/73 NJW 1974, 2012; OLG Hamburg v. 29.3.2012 – 8 U 78/11, NZI 2012, 673; Ahrendt in Hamburger Kommentar zur InsO § 109 Rz. 19; Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 109 Rz. 3. 2 H.M.; vgl. nur Weidenkaff in Palandt, Kommentar zum BGB, § 542 Rz. 16. 3 Im Ergebnis ebenso: BGH v. 13.3.2013 – XII ZR 34/12, NZI 2013, 414; OLG Celle v. 15.2.1974 – 2 U 62/73, NJW 1974, 2012; OLG Hamburg v. 29.3.2012 – 8 U 78/11, NZI 2012, 673; Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 109 Rz. 25; Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 109 Rz. 10; Wegener in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 109 Rz. 17; Zeuner in Smid, Kommentar zur InsO, § 109 Rz. 6; Vallender/Dahl, NZI 2000, 246 (247). 4 OLG Celle v. 15.2.1974 – 2 U 62/73, NJW 1974, 2012. 5 Im Ergebnis ebenso: BGH v. 13.3.2013 – XII ZR 34/12, NZI 2013, 414; OLG Celle v. 15.2.1974 – 2 U 62/73 NJW 1974, 2012; OLG Hamburg v. 29.3.2012 – 8 U 78/11, NZI 2012, 673; Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 109 Rz. 25; Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 109 Rz. 10; Wegener in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 109 Rz. 17; Zeuner in Smid, Kommentar zur InsO, § 109 Rz. 6; Vallender/Dahl, NZI 2000, 246 (247). 6 Wegener in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 109 Rz. 17. 7 OLG Stuttgart v. 23.6.2007 – 5 W 11/07, ZIP 2007, 1616; Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 55 Rz. 53.
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Rz. 215
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
tend machen, die bis zum Ablauf der vertraglich vereinbarten Mietdauer entstanden wären. 215 Gleichwohl ist der Vermieter im Rahmen seiner aus § 254 BGB resultierenden Schadensminderungspflicht gehalten, sich um eine anderweitige Vermietung der Mietsache zu bemühen1. Gleichfalls muss er sich schadensmindernd die Aufwendungen entgegenhalten lassen, die er durch die unterbliebene Gebrauchsüberlassung oder die eigene Nutzung der Mietsache erspart hat. § 119 InsO steht im Übrigen einer für den Fall der vorzeitigen Vertragskündigung vom Vermieter ausbedungenen Vertragsstrafe entgegen. 215a Soweit der Insolvenzmasse noch ein Auszahlungsanspruch aus Guthaben der Nebenkostenabrechnung zusteht, ist für eine Aufrechnung des Vermieters hiermit nicht mehr der Abschluss des Mietvertrages die maßgebliche Rechtshandlung i.S.d. §§ 95, 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO2. Diese Rechtsprechung hat der BGH mit Urteil vom 17.9.2009 ausdrücklich aufgegeben3. Danach entstehen Mietforderungen nicht aufschiebend bedingt bereits mit Vertragsschluss, sondern erst in dem Zeitraum, in dem das Mietobjekt genutzt wird, regelmäßig also jeweils zum Monatsanfang4. 215b Der Vermieter wird seine Forderungen meist mit dem Kautionsrückzahlungsanspruch des Schuldners verrechnen können. Mit der Kaution kann der Vermieter aber nur solche Forderungen verrechnen, die aus dem jeweiligen Mietverhältnis stammen. Die Aufrechnung mit anderen (mietfremden) Forderungen gegen den Mieter ist ihm verwehrt. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist dem Treuhandcharakter der Mietkaution ein stillschweigendes Aufrechnungsverbot für Forderungen zu entnehmen, die nicht durch das Mietverhältnis begründet werden5. 215c Aufgrund der regelmäßig sechsmonatigen Überlegungs- und Abrechnungsfrist wird der Anspruch des Vermieters vor dem Kautionsrückzahlungsanspruch fällig6. Der Aufrechnung mit Mietforderungen, die innerhalb des kritischen Zeitraums des § 130 InsO aufgelaufen sind, kann allerdings nach der neuen Rechtsprechung des BGH7 § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO entgegenstehen. Gleiches gilt für Betriebskostennachforderungen, die sich auf den anfechtungsrechtlich relevanten Zeitraum beziehen. 216 Der Vermieter oder Verpächter kann schließlich sein ihm zustehendes Vermieteroder Verpächterpfandrecht gemäß §§ 581 Abs. 2, 562 BGB gemäß § 50 Abs. 2 Satz 1 InsO nur wegen rückständiger Miet- und Pachtzinsen für das letzte Jahr vor Verfahrenseröffnung ausüben, nicht jedoch hinsichtlich eines Schadensersatzanspruchs, der aus der Kündigung des Insolvenzverwalters resultiert8 (zum Vermieter- und Verpächterpfandrecht als Absonderungsrecht s. § 7 Rz. 151, 160 ff.). Das Vermieter- oder Verpächterpfandrecht ist bereits frühzeitig auch dem vorläufigen Insolvenzverwalter gegenüber anzuzeigen. Anderenfalls soll ein Vermieterpfandrecht nämlich auch dann gemäß § 562a BGB erlöschen können, wenn der über das Vermögen des Mieters bestellte vorläufige Insolvenzverwalter die Entfernung der Sachen von dem vermieteten Grundstück verfügt9. bb) Abwicklungsverhältnis 216a Zwar richtet sich der Herausgabeanspruch gemäß § 47 InsO, § 985 BGB gegen die Masse, nicht aber der Räumungsanspruch. Dieser ist Insolvenzforderung. Ein anderes gilt, wenn eine Insolvenzverwalterhandlung die Qualifikation als Masseforderung
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Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 109 Rz. 12. So aber noch BGH v. 11.11.2004 – IX ZR 237/03, NZI 2005, 164 f. BGH v. 17.9.2009 – IX ZR 106/08, NZI 2010, 58. So auch jüngst BGH v. 25.4.2013 – IX ZR 62/12, NZI 2013, 586 mit Anm. von Dahl. BGH v. 11.7.2012 – VIII ZR 36/12, NZM 2012, 678. Dahl, FS Görg, 2010, S. 119 (132). BGH v. 17.9.2009 – IX ZR 106/08, NZI 2010, 58. Pape, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 13 Rz. 67; vgl. auch LG Mönchengladbach v. 28.2.2003 – 2 O 111/02, ZIP 2003, 1311. 9 LG Mannheim v. 30.10.2003 – 10 S 38/03, ZIP 2003, 2374.
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Sonderregelungen fr die Behandlung von Dauerschuldverhltnissen
Rz. 216c
§8
rechtfertigt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 InsO). Ein betagter Anspruch auf Nutzungsentschädigung1 aus einem bereits beendeten Mietverhältnis wird aber nicht dadurch zur Masseverbindlichkeit, dass der nicht besitzende Insolvenzverwalter auf das Herausgabeverlangen des Vermieters nicht eingeht2. Die bloße Räumung im Rahmen der Abwicklung stellt indes keine solche Verwalterhandlung dar3. § 55 InsO bezweckt nämlich, dass, wer etwas zur Masse beisteuert, auch die vereinbarte Gegenleistung dafür erhalten soll. Die bloße Abwicklung stellt aber keinen Beitrag zur Masse dar4. Wie der Räumungsanspruch ist auch der Anspruch auf Erfüllung etwaiger Rückbauverpflichtungen zu behandeln5. Ein Herausgabeanspruch des Vermieters gegen den Insolvenzverwalter besteht allerdings nur, wenn der Insolvenzverwalter die Wohnung in Besitz genommen oder daran für die Masse ein Recht beansprucht hat6. Im Falle der Nutzung der Mietsache ergibt sich indes eine andere Betrachtungsweise. 216b Um eine Nutzung handelt es sich, wenn der Insolvenzverwalter einen Gegenstand nutzt, obwohl er dies pflichtgemäß verhindern konnte7. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Insolvenzverwalter nicht zum frühesten gemäß § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO zulässigen Zeitpunkt das Mietverhältnis kündigt8. Auch die (fortgesetzte) Lagerung von Rohstoffen/Halbfertigprodukten bedeutet Nutzung9. Dementsprechend schuldet der Insolvenzverwalter dem Vermieter auch dann eine Nutzungsentschädigung, wenn er bei Mietvertragsende das Mietobjekt nicht räumt, sondern es als Lager für an Gegenständen des Schuldners interessierte Dritte benutzt10. Hat der Insolvenzverwalter den Gegenstand noch nach Verfahrenseröffnung weiter genutzt und sind durch die schuldnerische Mieterin Schönheitsreparaturen durchzuführen, so ist der Anspruch zeitanteilig Insolvenz- bzw. Masseforderung11. Entsprechend werden vorzunehmende Rückbauverpflichtungen behandelt. Soweit Veränderungen während des Insolvenzverfahrens durch den Insolvenzverwalter vorgenommen werden, stellt der Anspruch auf Wiederherstellung des vertraglichen Zustands eine Masseforderung dar12. Im Fall eines Masseanspruchs nach § 55 InsO kann sich der Insolvenzverwalter auch 216c nicht durch die Freigabe von einem titulierten Räumungsanspruch als Masseverpflichtung lösen13. Die Freigabe kann sich nämlich nur auf Aktiva beziehen, nicht aber eine Befreiungen von Verpflichtungen/Passiva bewirken14. Auch wenn der Verwalter durch die Freigabe die Verfügungsmacht über die zu räumenden Gegenstände verliert, bleibt er doch Schuldner des Räumungsanspruchs aus dem Mietverhältnis15. Wie die Räumung sind auch andere Ansprüche aus dem Abwicklungsverhältnis zu behandeln, nämlich insbesondere Schönheitsreparaturen durch den Mieter, Rück-
1 Hierzu BGH v. 5.7.2001 – IX ZR 327/99, NZI 2001, 531 ff.; Pape, NZM 2004, 401 (406). 2 BGH v. 21.12.2006 – IX ZR 66/05, ZIP 2007, 340. 3 BGH v. 24.11.1993 – VIII ZR 240/92, ZIP 1993, 1874, 1875; MünchKommInsO/Eckert, § 108 Rz. 106. 4 BGHZ 72, 263, 266; Huber in Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 37 Rz. 37. 5 OLG Celle v. 20.7.2007 – 2 U 85/07, ZIP 2007, 1914. 6 BGH v. 19.6.2008 – IX ZR 84/07, NZI 2008, 554. 7 Pape in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 209 Rz. 17a; Pape, NZM 2004, 154 f.; zum Meinungsstand Eckert, NZM 2003, 42 (47 ff.). 8 MünchKommInsO/Hefermehl, § 55 Rz. 141; OLG Stuttgart v. 23.6.2007 – 5 W 11/07, ZIP 2007, 1616. 9 BGH v. 5.7.2001 – IX ZR 327/99, ZInsO 2001, 751 (752). 10 OLG Düsseldorf v. 9.5.2006 – I-24 U 180/05, InVo 2006, 429. 11 Kübler, ZIP 1981, 755, 756; MünchKommInsO/Hefermehl, § 55 Rz. 158; für Fälle nur kurzfristiger Nutzung durch den Insolvenzverwalter vgl. aber BGH v. 10.3.1994 – IX ZR 236/93, ZIP 1994, 715 ff.; KG v. 26.3.1981 – 8 U 2438/80, ZIP 1981, 753. 12 MünchKommInsO/Hefermehl, § 55 Rz. 159; OLG Celle v. 20.7.2007 – 2 U 85/07, ZIP 2007, 1914. 13 BGH v. 2.2.2006 – IX ZR 46/05, ZIP 2006, 583 ff. = ZInsO 2006, 326; hierzu Henkel, EWiR 2006, 311; a.A. OLG Stuttgart v. 10.2.2005 – 13 U 167/04, ZInsO 2005, 498 ff. 14 Henkel, ZInsO 2005, 1311 (1313). 15 BGH v. 5.7.2001 – IX ZR 327/99, ZInsO 2001, 751, 752; früher schon BGH v. 5.10.1994 – XII ZR 53/93, ZIP 1994, 1700 (1704).
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Rz. 216d
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
bauverpflichtungen und Verschlechterungen der Mietsache, die vor Verfahrenseröffnung eingetreten sind1. 216d Der Grundsatz, dass der Mieter während und nach der Mietzeit bis zum Zeitpunkt der Abrechnungsreife und der daraus folgenden Fälligkeit des Rückgewährsanspruchs nicht über die Mietsicherheit verfügen und damit auch nicht aus eigenem Recht bestimmen kann, wie und wann sie zu verwenden ist, wird durch §§ 108 Abs. 1, 109 Abs. 1 Satz 3 InsO nicht berührt. Damit ist eine Verrechnung mit einer vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens geleistete Mietsicherheit mit Mietzinsforderungen nach Insolvenzeröffnung nicht möglich, wenn der Vermieter widerspricht2. c) Wohnraummiete des Schuldners 217 Wiederholt war in der Praxis vorwiegend im Rahmen von Verbraucherinsolvenzverfahren zu beobachten, dass Insolvenzverwalter oder Treuhänder das Mietverhältnis über die Wohnung des Schuldners kündigen, um einerseits die Insolvenzmasse von künftigen Mietzinsforderungen freizustellen und andererseits die Mietkaution für die Insolvenzmasse zu vereinnahmen3. Auch in diesen Fällen ist es den schuldnerischen Mietern nicht möglich, sich auf die Schutzvorschriften der §§ 573, 574–574c BGB zu berufen, da diese Vorschriften nur unmittelbar im Verhältnis der Mietvertragsparteien gelten4 (zu den Besonderheiten eines Verbraucherinsolvenzverfahrens im Übrigen vgl. § 16). 218 Diese Verfahrensweise wurde bereits deshalb allgemein als misslich empfunden, weil es nicht Sinn eines auf Restschuldbefreiung angelegten Verbraucherinsolvenzverfahrens sein kann, den zumeist mittellosen Schuldner zugunsten der beteiligten Gläubiger der öffentlichen Fürsorge anheim zu geben und den vielbeschworenen „Neuanfang“, der den überschuldeten Privathaushalten auf diese Weise ermöglicht werden sollte, nahezu unmöglich zu machen. 219 Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, sieht § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO nunmehr vor, dass dann, wenn die Wohnung des Schuldners Gegenstand des Mietvertrags ist, der Insolvenzverwalter – statt zu kündigen – berechtigt ist zu erklären, dass Ansprüche, die nach Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist fällig werden, nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Damit wird einerseits die Massezugehörigkeit des Wohnungsmietverhältnisses klargestellt, andererseits eine beschränkte Freigabe des Mietverhältnisses ohne Zustimmung des Vermieters anerkannt5. Die Erklärung des Verwalters, die an den Vermieter zu richten ist, unterliegt der Schriftform des § 568 Abs. 1 BGB und hat entsprechend §§ 573d Abs. 2, 575a Abs. 3 BGB den mit dem Ablauf der Kündigungsfrist identischen Zeitpunkt anzugeben, ab dem die Ansprüche aus dem Mietverhältnis nicht mehr als Masseverbindlichkeiten geltend gemacht werden können6. 219a Hinsichtlich der Reichweite der Erklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO hat der BGH entschieden, dass bei einer Weiterveräußerung des vom Mieter genutzten Grundstücks die Erklärung des Insolvenzverwalters/Treuhänders, für Ansprüche aus dem Wohnraummietverhältnis des Schuldners nach Ablauf der dreimonatigen gesetzlichen Kündigungsfrist nicht mehr mit der Insolvenzmasse aufzukommen, auch gegenüber dem Erwerber wirkt, wenn sie in Unkenntnis des Eigentumsübergangs gegenüber dem alten Eigentümer abgegeben wurde7. 219b Des Weiteren soll § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO die Mietkaution schützen. Der Kautionsrückzahlungsanspruch ist aufschiebend bedingt, solange das Mietverhältnis besteht.
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Huber in Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 37 Rz. 37. OLG Hamburg v. 24.4.2008 – 4 U 152/07, BeckRS 2009, 08977. Vgl. dazu Vallender/Dahl, NZI 2000, 246 ff. Marotzke in HK-InsO, § 109 Rz. 9; Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 109 Rz. 3. 5 Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 109 Rz. 12. 6 Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 109 Rz. 17. 7 BGH v. 23.2.2012 – IX ZR 29/11, NZI 2012, 406.
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Rz. 221a
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Der Anspruch steht zwar der Masse zu, weil er vor Insolvenzeröffnung entstanden ist, er kann jedoch erst nach Beendigung des Mietverhältnisses eingefordert werden1. Die gesetzliche Freigabe des Wohnraummietverhältnisses soll die Insolvenzmasse 220 nicht voll enthaften, denn der Vermieter kann nach § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO wegen der Folgen der Erklärung als Insolvenzgläubiger Schadensersatz verlangen. Nach Sinn und Zweck der Regelung kann der Schaden nur die Ansprüche erfassen, die dem Vermieter zustehen würden, wenn der Verwalter nach § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO das Mietverhältnis hätte kündigen können. Abgesehen von bereits eingetretenen Beschädigungen der Mietsache selbst kann der Vermieter daher grundsätzlich als Schaden nur die Mietforderungen geltend machen, die bis zum Ablauf der vertraglich vereinbarten Mietdauer entstanden wären, während Ansprüche, die aus der darüber hinausgehenden Fortsetzung des Mietverhältnisses mit dem Schuldner oder aus nach der Freigabeerklärung zu Schadensersatzansprüchen führenden Handlungen des Schuldners resultieren, nicht berücksichtigt werden können, da sie ihren Rechtsgrund nicht mehr in der Erklärung des Insolvenzverwalters haben2. Der Begriff des Wohnraums bezeichnet jeden zum Wohnen bestimmten Raum, ins- 220a besondere solche zum Schlafen, Essen und Kochen, darüber hinaus aber auch Nebenräume. Dabei erscheint eine Einschränkung dahingehend zweckgerecht, dass nur der Lebensmittelpunkt des Schuldners als Wohnraum anzusehen ist; Nebenwohnsitze, Ferienwohnungen etc. bedürfen hingegen nicht des durch diese Regelung bezweckten Schutzes3. Der Wohnraum muss nicht zwingend wesentlicher Bestandteil des Grundstücks sein. Erfasst werden auch transportable Baracken4, nicht aber bewegliche Räume wie beispielsweise Wohnwagen. Der Raum muss zu Wohnzwecken vermietet sein5. Überwiegt die Wohnnutzung gegenüber der gewerblichen, so findet § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO Anwendung6. Die Untermiete von Wohnraum ist daher Wohnraummietverhältnis, die Zwischenmiete (also Vermietung zum Zweck der gewerblichen Weitervermietung) von Wohnraum ist hingegen nur im (End-)Mietverhältnis mit dem zu Wohnzwecken nutzenden Mieter ein Wohnraummietverhältnis7. Ist der Schuldner nicht in der Lage, künftig den Mietzins aus seinem pfändungsfrei- 221 en Einkommen zu bezahlen, so ist der Vermieter berechtigt, wegen eines nach Ablauf der Erklärungsfrist des § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO fortbestehenden Zahlungsverzuges nach Maßgabe des § 569 Abs. 3 BGB zu kündigen8, wobei dem Schuldner das Widerspruchsrecht bei sozialer Härte gemäß §§ 574–574c BGB zusteht. Bewohnt der Schuldner ein zur Insolvenzmasse gehörendes Haus selbst, so hat er an 221a die Masse eine Nutzungsentschädigung zu leisten. Seine Angehörigen trifft diese Pflicht nur, wenn sie unterhaltspflichtig sind und eine Leistung gesondert vereinbart ist9.
1 Dahl, FS Görg, 2010, S. 119 (133). 2 Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 109 Rz. 19. 3 Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 109 Rz. 14, ferner zum Sonderproblem der Zweitwohnung getrennt lebender Ehepartner, Rz. 15. 4 Weidenkaff in Palandt, Kommentar zum BGB, Einf. v. § 535 Rz. 89; a.A. MünchKommBGB/Bieber, § 549 Rz. 3. 5 MünchKommBGB/Bieber, § 549 Rz. 5. 6 Andres in Andres/Leithaus, Kommentar zur InsO, § 109 Rz. 11; Tintelnot in Kübler/Prütting/ Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 109 Rz. 16. 7 BGHZ 94, 11, 14; Marotzke in HK-InsO, § 109 Rz. 6; Weidenkaff in Palandt, Kommentar zum BGB, § 549 Rz. 5. 8 Vgl. Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 109 Rz. 20 m.w.N.: Der Vermieter kann den Mietvertrag über die Wohnung des Schuldners mithin erst dann kündigen, wenn der Schuldner nach der Enthaftung der Masse im Umfang des § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB in Zahlungsverzug geraten ist. Allein die Abgabe der Enthaftungserklärung oder die später eintretende Enthaftung der Masse berechtigen den Vermieter nicht zur Kündigung des Mietvertrages gemäß §§ 543 Abs. 1, 573 Abs. 1 BGB. 9 OLG Nürnberg v. 24.6.2005 – 5 U 215/05 NZI 2006, 44.
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Rz. 221b
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
221b Ist der Insolvenzschuldner Mitglied einer Wohnungsgenossenschaft, wird er durch § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht ausreichend geschützt. Die Vorschrift bietet zwar dahingehend Gewähr, dass der Insolvenzverwalter den Mietvertrag1 mit der Genossenschaft nicht kündigen kann. Er konnte aber die Mitgliedschaft in der Wohnungsgenossenschaft gemäß § 66 Abs. 1 GenG kündigen, um das Auseinandersetzungsguthaben zur Masse zu ziehen. § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO findet nach Ansicht des BGH auf die Kündigung der Mitgliedschaft keine Anwendung2. Infolge des Verlusts der Mitgliedschaft durch die Kündigungserklärung des Insolvenzverwalters kann die Genossenschaft den Mietvertrag ordentlich kündigen. Mit dem Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte ist das GenG ergänzt worden3. Zunächst wird in § 66a GenG das Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters konstatiert. Ergänzend schließt § 67c GenG die Kündigung aus, wenn die Mitgliedschaft in der Genossenschaft Voraussetzung für die Nutzung der Wohnung ist und das Geschäftsguthaben des insolventen Mitglieds eine Obergrenze von vier Nettokaltmieten oder den absoluten Betrag von EUR 2000 nicht übersteigt. Mit der Novellierung im GenG hat sich der Gesetzgeber bewusst gegen die vom Bundesrat favorisierte Ergänzung des Kündigungsverbots des § 109 Abs. 1 InsO entschlossen4. 221c Ansprüche auf Auskehr von Nebenkostenguthaben stehen, auch wenn die Vorauszahlungen aus dem unpfändbaren Vermögen des Schuldners stammen, der Masse zu. Sie sind allerdings, wenn sie erst nach der Erklärung des Insolvenzverwalters gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO und Ablauf der Frist des § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO fällig werden, nicht mehr massezugehörig. Dies gilt auch, wenn sie aus Zahlungen vor Ablauf der Frist des § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO stammen5. d) Rücktrittsrechte 222 Nach § 109 Abs. 2 Satz 1 InsO sind sowohl der Insolvenzverwalter als auch der Vermieter berechtigt, vom Vertrag zurückzutreten, wenn dem Schuldner der unbewegliche Gegenstand oder die Räume bei Verfahrenseröffnung noch nicht überlassen waren. Auf den Rücktritt finden die Vorschriften der § 346 ff. BGB uneingeschränkt Anwendung. Die Ausübung des Rücktrittsrechts hat daher gemäß § 349 BGB durch eine eindeutige, unwiderrufliche und bedingungsfeindliche Erklärung zu erfolgen6. Die Rücktrittserklärung wird gemäß § 130 BGB mit Zugang wirksam. 223 Dem Rücktritt steht nicht entgegen, dass der Schuldner an den Vermieter ganz oder teilweise vorgeleistet oder der Vermieter seinerseits Nebenleistungen bereits erbracht hatte; im Rahmen der Rückgewähr ist die Haftung des Vermieters gemäß § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 BGB auf die verbliebene Bereicherung beschränkt7. Aus § 572 Abs. 1 BGB ist zu schließen, dass Wohnraumkündigungsschutz vor Überlassung des Mietobjekts nicht besteht. 224 Sind an dem Mietverhältnis neben dem Schuldner noch weitere Personen als Mieter beteiligt, stellt sich für den Rücktritt die Frage der Gesamtwirkung. Wie oben (Rz. 211 ff.) bereits ausführlich erörtert, muss richtiger Ansicht nach für das Rücktrittsrecht eine Befugnis des Verwalters bejaht werden, sich mit Wirkung für alle übri1 BGH v. 10.9.2003 – VIII ZR 22/03, NZM 2004, 25; BGH v. 9.5.2012 – VIII ZR 327/11, NZI 2012, 770. 2 BGH v. 19.3.2009 – IX ZR 58/08, NZI 2009, 374 (mit Anm. von Dahl); BGH v. 17.9.2009 – IX ZR 63/09, NZM 2010, 359. 3 Das Gesetz ist am 17.5.2013 verabschiedet worden, vgl. BT-Drucks. 17/13535. Die Änderungen im GenG sind am 19.7.2013 in Kraft getreten. Zu den Hintergründen siehe den Regierungsentwurf vom 12. Juli 2012, BT-Drucks. 17/11268, 11, 38, 46, 50. Der Regierungsentwurf ist bis auf eine sprachliche Klarstellung unverändert übernommen worden. 4 Vgl. Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Gesetzes zur Entschuldung mittelloser Personen, zur Stärkung der Gläubigerrechte sowie zur Regelung der Insolvenzfestigkeit von Lizenzen, BT-Drucks. 16/7416, 54 f. 5 AG Göttingen v. 18.6.2009 – 21 C 33/09, NZI 2009, 607. 6 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 109 Rz. 15. 7 Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 109 Rz. 55, Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 109 Rz. 15.
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Sonderregelungen fr die Behandlung von Dauerschuldverhltnissen
Rz. 227
§8
gen Mitmieter von dem Vertrag zu lösen1. Dagegen kann sich der Vermieter oder Verpächter, wenn sich nur einer von mehreren Mitmietern oder Mitpächtern in der Insolvenz befindet, wegen der fortbestehenden gesamtschuldnerischen Haftung der Mitmieter oder Mitpächter gemäß § 109 Abs. 2 Satz 1 InsO durch Rücktritt vom Vertrag nicht lösen2. Gänzlich ausgeschlossen ist das Rücktrittsrecht des Vermieters dann, wenn er die 225 gesetzliche Voraussetzung, dass das Miet- oder Pachtobjekt zur Zeit der Verfahrenseröffnung noch nicht überlassen war, in einer den Tatbestand des Verzuges begründenden Weise selbst herbeigeführt hat und die Inanspruchnahme der ihm gesetzlich eingeräumten Wohltat des Rücktrittsrechts als unzulässige Rechtsausübung gewertet werden muss3. e) Schadensersatzanspruch des Vermieters nach § 109 Abs. 2 Satz 2 InsO § 109 Abs. 2 Satz 2 bestimmt, dass der Vermieter wegen der vorzeitigen Beendigung 226 des Vertragsverhältnisses als Insolvenzgläubiger Schadensersatz verlangen kann, wenn der Insolvenzverwalter vom Vertrag zurücktritt. Übt hingegen der Vermieter oder Verpächter das Rücktrittsrecht aus, so steht weder ihm noch dem Insolvenzverwalter ein Schadensersatzanspruch zu. In der Höhe entspricht der Schadensersatzanspruch zunächst dem Mietausfall, der 226a im Zeitraum ab Rücktrittserklärung des Insolvenzverwalters bis zum frühesten Wirksamwerden einer möglichen Kündigung des Mieters4 oder einer vorgenommenen Kündigung des Vermieters entstanden wäre5. Der Vermieter ist so zu stellen, als wäre das Mietverhältnis durch den Insolvenzschuldner nach dessen Kündigung zum erstmöglichen Zeitpunkt nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beendet worden6. Ferner sind Folgeschäden ersatzfähig, beispielsweise der ohne Anlage der erhofften Miete entstandene Gewinnausfall7. Ersparte Aufwendungen (z.B. Nebenkosten) sind indes anzurechnen, vgl. § 537 Abs. 1 Satz 2 BGB8. Eine Vertragsstrafe wegen der vorzeitigen Vertragskündigung ist nicht ersatzfähig, sie steht im Widerspruch zu § 119 InsO9. f) Erklärungsverlangen Nach § 109 Abs. 2 Satz 3 InsO kann jede Seite den Vertragspartner zur Ausübung des 227 Rücktrittsrechts auffordern. Gleichwohl existiert eine Pflicht zur Ausübung des Rücktrittsrechts innerhalb einer bestimmten Frist nach Verfahrenseröffnung weder für den Insolvenzverwalter noch für den Vermieter. Erfolgt jedoch die Aufforderung zur Erklärung über das Rücktrittsrecht, ist der jeweils andere Teil gehalten, sich innerhalb von zwei Wochen zu erklären, wenn er seines Rechts nicht verlustig gehen will. Wird die Frist versäumt, folgt daraus die Invollzugsetzung des Vertrages mit der Wirkung des § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO. Freilich bleibt es dem Insolvenzverwalter unbe-
1 Jüngst BGH v. 13.3.2013 – XII ZR 34/12, NZI 2013, 414; OLG Hamburg v. 29.3.2012 – 8 U 78/11, NZI 2012, 673. 2 Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 109 Rz. 30; Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 109 Rz. 16; a.A. Wegener in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 109 Rz. 27. 3 MünchKommInsO/Eckert, § 109 Rz. 69; Marotzke in HK-InsO, § 109, Rz. 40; a.A. Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 109 Rz. 29 wonach kein Raum für unzulässige Rechtsausübung besteht. 4 BGH, ZMR 1955, 105. 5 MünchKommInsO/Eckert, § 109 Rz. 29; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 109 Rz. 49. 6 Andres in Andres/Leithaus, Kommentar zur InsO, § 109 Rz. 7; Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 109 Rz. 12. 7 MünchKommInsO/Eckert, § 109 Rz. 29, wobei die Verletzung der Schadensminderungspflicht durch den Vermieter beachtlich sein kann; Andres in Andres/Leithaus, Kommentar zur InsO, § 109 Rz. 7. 8 OLG Frankfurt/M. v. 8.6.1979 – 5 U 211/78, DB 1979, 2125 (2126). 9 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 109 Rz. 13.
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§8
Rz. 228
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
nommen, sich durch Kündigung nach § 109 Abs. 1 InsO von dem Vertragsverhältnis zu lösen1, wobei die dreimonatige Kündigungsfrist einzuhalten ist. 5. Insolvenz des Vermieters oder Verpächters, § 110 InsO a) Verfügungsverbote 228 Hatte der Schuldner als Vermieter oder Verpächter eines unbeweglichen Gegenstands oder von Räumen vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die Mietoder Pachtforderung für die spätere Zeit verfügt, so bestimmt § 110 Abs. 1 InsO, dass diese Verfügung nur wirksam ist, soweit sie sich auf die Miete oder Pacht für den zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens laufenden Kalendermonat bezieht. Ist die Eröffnung nach dem fünfzehnten Tag des Monats erfolgt, so ist die Verfügung auch für den folgenden Kalendermonat wirksam. 228a Anerkannt ist, dass die Vorschrift des § 110 Abs. 1 InsO – wie auch § 114 Abs. 1 InsO – in ihrem Anwendungsbereich § 91 Abs. 1 InsO, wonach Rechte an Gegenständen der Insolvenzmasse nach Verfahrenseröffnung nicht mehr wirksam erworben werden können, verdrängt2. Ausgehend davon, dass die genannten Vorschriften in ihren zeitlichen Grenzen die Wirksamkeit der Vorausabtretung begründen, hält der BGH in der vorgenannten Entscheidung daran fest, dass für eine Anwendung des § 110 InsO dann kein Raum ist, wenn die Vorausverfügung für die Zeit nach Verfahrenseröffnung schon nicht nach den §§ 81, 91 InsO unwirksam ist. Das ist insofern misslich, als der Gegenansicht einzuräumen ist, dass es nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift keinen Unterschied machen kann, ob der Masse eine befristete oder eine betagte Forderung vorenthalten wird3. Betagte Forderungen, die im Unterschied zu befristeten Forderungen nicht in ihrem Bestehen, sondern nur hinsichtlich ihrer Fälligkeit vom Ablauf eine Frist abhängig sind, werden von § 91 Abs. 1 InsO aber nicht erfasst. Hieran wird deutlich, dass § 110 Abs. 1 InsO selbst eine Unwirksamkeitsanordnung enthält und nicht nur zeitliche Modifikation der Unwirksamkeitsfolge des § 91 Abs. 1 InsO ist. 228b Eine Vorauszahlung ist aber gegenüber der Masse wirksam, wenn sie vertraglich vereinbart ist4. Freilich bleibt hierbei die Möglichkeit der Insolvenzanfechtung der Vorausverfügung ebenso unberührt wie deren Unwirksamkeit nach § 138 BGB5. 228c § 110 Abs. 1 InsO erfasst nur Verfügungen des Schuldners, nicht dagegen Verfügungen des Insolvenzverwalters oder des verwaltungs- und verfügungsbefugten vorläufigen „starken“ Insolvenzverwalters. Sie sind nicht der Handlungssphäre des Schuldners zuzurechnen. Anderenfalls wären Mieter wohl auch kaum bereit, der Masse durch Mietvorauszahlungen Kredit zu gewähren6. Auch Vorausverfügungen des Schuldners mit Zustimmung des nicht verwaltungs- und verfügungsbefugten vorläufigen „schwachen“ Insolvenzverwalters sollen § 110 Abs. 1 InsO nicht unterfallen7. Hiergegen spricht aber der Wortlaut der Norm. 229 Die wegen § 119 InsO unabdingbare Vorschrift des § 110 InsO ist notwendige Folge des in § 108 InsO mit Wirkung für die Insolvenzmasse angeordneten Fortbestehens von Miet- und Pachtverhältnissen und schützt die Masse vor Nachteilen, die zweifel1 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 109 Rz. 20; Wegener in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 109 Rz. 32; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 109 Rz. 9; Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 109 Rz. 23; Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 109 Rz. 7; Eckert, ZIP 1996, 897 (901); a.A. Marotzke in HK-InsO, § 109 Rz. 4. 2 Vgl. BGH v. 25.4.2013 – IX ZR 62/12, NZI 2013, 586 mit Anm. Dahl; BGH v. 11.5.2006 – IX ZR 247/03, NZI 2006, 457. 3 Flöther/Wehner in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Fachanwalts-Kommentar Insolvenzrecht, § 110 Rz. 2. 4 Z.B. bei Fälligkeit zu Quartalsbeginn im Voraus; MünchKommInsO/Eckert, § 110 Rz. 12; ebenso bei Einmal-Zahlung zu Vertragsbeginn, BGH v. 5.11.1997 – VIII ZR 55/97, NZM 1998, 105. 5 Marotzke in HK-InsO, § 110 Rz. 5; Andres in Andres/Leithaus, Kommentar zur InsO, § 110 Rz. 4. 6 MünchKommInsO/Eckert, § 110 Rz. 9. 7 MünchKommInsO/Eckert, § 110 Rz. 9.
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Sonderregelungen fr die Behandlung von Dauerschuldverhltnissen
Rz. 232
§8
los entstehen würden, wenn bei Vorausverfügungen des Schuldners über die Mietund Pachtforderungen der Gegenstand vom Vertragspartner genutzt werden dürfte, ohne dass der Masse eine entsprechende Gegenleistung zufließen würde1. Im Ergebnis erfährt die Insolvenzmasse damit denselben Schutz, den Hypothekengläubiger gemäß §§ 1124, 1125 BGB genießen. Die Rechtsprechung, wonach § 108 InsO nur bei bereits überlassenen Miet- oder 230 Pachtobjekten Anwendung findet2, führt konsequenterweise dazu, dass es auch für die Anwendbarkeit des § 110 InsO auf die Frage der Überlassung ankommt. Hingegen begründet der Anspruch des Mieters auf Herstellung eines zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustands der Mietsache bei fortdauerndem Mietverhältnis unabhängig davon eine Masseschuld, ob der mangelhafte Zustand vor oder nach Eröffnung des Verfahrens entstanden ist3. Dieser Verpflichtung kann sich der Insolvenzverwalter richtiger Ansicht nach allenfalls noch durch Freigabe des Miet- oder Pachtobjektes an den Schuldner entziehen, wenn der Gegenstand die Insolvenzmasse nur belastet4. § 110 Abs. 1 InsO bezieht sich seinem Wortlaut nach auf Mietverhältnisse über unbe- 231 wegliche Gegenstände und Räume. Gleichermaßen werden aber auch Pacht und Leasing (von Immobilien5) insolvenzrechtlich als Miete behandelt6. Anwendung findet § 110 Abs. 1 InsO ferner auf sog. Sale-and-lease-back-Verträge7. Vom Verfügungsverbot erfasst werden alle Miet- und Pachtzinsforderungen, also nicht nur Geldforderungen, sondern auch sämtliche sonstigen Forderungen, die aus der Überlassung der Miet- oder Pachtsache resultieren, unabhängig davon, ob sie regelmäßig oder einmal anfallen8. Vorausverfügungen i.S.d. Vorschrift sind zunächst alle Rechtsgeschäfte, durch die der Anspruch des Schuldners auf Miet- oder Pachtzins aufgehoben, übertragen, belastet oder verändert wird9. § 110 InsO erstreckt sich auf alle Verfügungen. Verfügungen sind diejenigen Rechts- 232 geschäfte, die den Bestand der Leistung oder die Berechtigung des Vermieters hierauf beeinträchtigen10. Vom Begriff der Vorausverfügung werden daher erfasst: – Abtretung11 (§ 398 BGB), bei Mietzinsforderungen gilt dies auch für die Abtretung an Grundpfandgläubiger12; – Nießbrauchsbestellung (§ 1074 BGB); – Verpfändung (§ 1279 BGB); – Erlass (§ 397 BGB); – Stundung oder sonstige Zahlungserleichterung, soweit sie sich auf den Miet- oder Pachtzins für einen späteren Zeitraum als den Eröffnungsmonat oder den Folgemonat beziehen13; 1 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 110 Rz. 2; Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 110 Rz. 2. 2 BGH v. 5.7.2007 – IX ZR 185/06, NZI 2007, 713 m. krit. Anm. Dahl/J. Schmitz. 3 BGH v. 3.4.2003 – IX ZR 163/02, ZIP 2003, 854. 4 Wegener in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 108 Rz. 36; a.A. mit Blick auf die Aufrechterhaltung der Energieversorgung LG Dortmund v. 12.5.2005 – 11 S 34/05, ZInsO 2005, 724 mit Besprechung Mork/Hess, ZInsO 2005, 1206 ff.; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 108 Rz. 16c. 5 Zum Sale-and-lease-back-Vertrag BGH v. 25.4.2013 – IX ZR 62/12, NZI 2013, 586 mit Anm. von Dahl; Vorinstanz OLG Brandenburg v. 8.2.2012 – 3 U 111/11, ZInsO 2012, 1946; ausführlich zur Rechtslage: Kalkschmid, Immobilienleasing in der Insolvenz, Köln 2003. 6 Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 110 Rz. 4; weiterführend Marotzke in HK-InsO, § 110 Rz. 8. 7 Zuletzt BGH v. 25.4.2013 – IX ZR 62/12, NZI 2013, 586 mit Anm. Dahl. 8 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 110 Rz. 7. 9 Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 110 Rz. 8. 10 Marotzke in HK-InsO, § 110 Rz. 11; Andres in Andres/Leithaus, Kommentar zur InsO, § 110 Rz. 3. 11 BGH v. 25.4.2013 – IX ZR 62/12, NZI 2013, 586 mit Anm. von Dahl. 12 OLG Brandenburg v. 8.2.2012 – 3 U 111/11, ZInsO 2012, 1946. 13 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 110 Rz. 8; Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 110 InsO Rz. 8.
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§8
Rz. 232a
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
– Einziehung der Miete oder Pacht sowie Miet- und Pachtvorauszahlungen (§ 110 Abs. 2 Satz 1 InsO); der Vertragspartner trägt das Risiko dafür, dass er sich zu einer Kreditierung des Schuldners bereit gefunden hat. Damit unterfallen sämtliche Vorleistungen des Mieters oder Pächters an den Schuldner für künftige Miet- oder Pachtperioden dem Verfügungsverbot1; nur dann, wenn ausnahmsweise der Mietoder Pachtzins nicht nach wiederkehrenden Zeitabschnitten bemessen, sondern vertragsgemäß als Einmalbetrag zu zahlen war, wird die Vorauszahlung in Anlehnung an § 566 BGB unbeschränkt anerkannt2; – Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in künftige Miet- oder Pachtforderungen (§ 110 Abs. 2 Satz 2 InsO), wobei sämtliche in den §§ 704–795 ZPO geregelten Maßnahmen, also auch Arreste und einstweilige Verfügungen, erfasst werden3. 232a Neben dem Hauptfall periodischer Leistungen des Miet- bzw. Pachtzinses unterliegen gleichermaßen einmalige Zahlungen der Unwirksamkeit der Verfügung. In beiden Fällen ist allein entscheidend, dass der Anspruch eine Gegenleistung für die Gebrauchsgewährung darstellt4. Zu diesen Ansprüchen wegen Gebrauchsgewährung zählt auch die vom Mieter übernommene Schönheitsreparatur, wenn der Vermieter hierauf verzichtet5. 232b Keine Anwendung soll § 110 InsO entgegen dem ausdrücklichen Wortlaut des § 110 Abs. 2 InsO entfalten, wenn die Vollstreckung von einem Grundpfandgläubiger ausgeht6. Demgegenüber hat der BGH jüngst klargestellt, dass der Grundpfandgläubiger nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur dann einen Zugriff auf die im hypothekarischen Haftungsverband stehenden Mieten und Pachten hat, wenn er den in § 49 InsO vorgesehenen Weg der Zwangsverwaltung wählt7. Ansonsten stehen die Einnahmen der Insolvenzmasse zu, die – wie der BGH ausführt – durch die öffentlichen Lasten des Grundeigentums und die laufenden Kosten der Gebäudeinstandhaltung als Masseverbindlichkeiten zu berichtigen sind. 232c § 110 InsO findet auch dann keine Anwendung, wenn ein Dritter an Stelle des Schuldners zur Gebrauchsüberlassung verpflichtet ist. Eine solche Vorausverfügung führt nicht zur Beeinträchtigung des Regelungszwecks des § 110 InsO. Der Masse kommt also weiterhin der ungeschmälerte Mietzins der Vorausverfügungen als berechtigter Ausgleich zu, sofern gemäß § 108 InsO eine Pflicht zur Gebrauchsüberlassung besteht. Ein Insolvenzverwalter kann den Mieter dann aber nicht auf Räumung oder Zahlung in Anspruch nehmen, wenn zumindest der mittelbare Besitz an einem vermieteten Grundstück vor Insolvenzeröffnung auf einen Dritten übertragen wurde. Der Dritte hat unabhängig von der Abtretung etwaiger Mietzinsansprüche das Recht zur Fruchtziehung gemäß § 99 BGB8. 232d Änderungen hat die eigenkapitalersetzende Nutzungsüberlassung erfahren. Nach ständiger Rechtsprechung durfte der vermietende Gesellschafter, der die Gesellschaft weder liquidiert noch ihr neues haftendes Kapital zugeführt, sondern durch die fortdauernde Gebrauchsüberlassung das Überleben der Gesellschaft ermöglicht hat, von der Mieterin die vereinbarte Miete so lange nicht fordern, wie diese nicht aus
1 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 110 Rz. 9; Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 110 InsO Rz. 10. 2 BGH v. 5.11.1997 – VIII ZR 55/97, NJW 1998, 595. 3 Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 110 InsO Rz. 11. 4 MünchKommInsO/Eckert, § 110 Rz. 4. 5 BGH v. 25.6.1980 – VIII ZR 260/79, BGHZ 77, 301 = NJW 1980, 2347; BGH v. 6.7.1988 – VIII ARZ 1/88, BGHZ 105, 71, 79 = NJW 1988, 2790 (2793). 6 Die gilt auch für Mietzinsansprüche, die vor Begründung des Grundpfandrechtes abgetreten wurden, BGH v. 9.6.2005 – IX ZR 160/04, ZIP 2005, 1452. 7 BGH v. 13.7.2006 – IX ZB 301/04, ZInsO 2006, 873 = ZIP 2006, 1554 = NZI 2006, 577; so bereits LG Stendal v. 7.2.2005 – 21 O 293/04, ZIP 2005, 1800 f. = ZInsO 2005, 614 f.; AG Hamburg v. 16.9.2005 – 68a IK 196/04, ZIP 2005, 1801 ff.; AG Hamburg v. 16.9.2005 – 617b M 680/05, ZInsO 2005, 1058; a.A. LG Münster v. 24.1.2005 – 5 T 1294/04, ZIP 2005, 2331; ausführlich dazu: Marotzke in HK-InsO, § 110 Rz. 13. 8 OLG Hamburg v. 30.12.2009 – 4 U 59/08, BeckRS 2010, 02875.
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Rz. 232e
§8
ungebundenem Vermögen der Gesellschaft bezahlt werden kann1. Mit Wirkung zum 1.11.2008 ist durch das MoMiG2 der herkömmliche Eigenkapitalersatz abgeschafft worden. Nach § 135 Abs. 3 InsO steht dem Insolvenzverwalter über das Vermögen der Gesellschaft daher kein unentgeltliches Nutzungsrecht zu, sondern er hat, befristet auf ein Jahr ab Insolvenzeröffnung, während dessen der Gesellschafter die Aussonderung nicht verlangen darf, nur in der Höhe Miete an den Gesellschafter zu zahlen, wie diese im Jahr vor Insolvenzeröffnung gezahlt worden ist3. Zum alten Recht hatte der BGH entschieden, dass die Wirkung einer eigenkapi- 232e talersetzenden Gebrauchsüberlassung mit dem Wirksamwerden des im Wege der Zwangsverwaltung erlassenen Beschlagnahmebeschlusses endete und der Grundpfandgläubiger zumindest von diesem Zeitpunkt an Zahlung des Miet- und Pachtzinses verlangen konnte4. Gleiches galt für den Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des vermietenden Gesellschafters5. Bei einer Beschlagnahme im Wege der Zwangsverwaltung hatte der Gesellschafter der Insolvenzmasse die gezahlten Miet- und Pachtzinsen gemäß §§ 30, 31, 32a, 32b GmbHG a.F. analog zu erstatten6. Auch nach der Neukonzeption durch das MoMiG wird man § 135 Abs. 3 InsO nicht zulasten des Grundpfandgläubigers oder des insolventen Gesellschafters anwenden können7. Es bleibt dabei, dass der Beschlagnahmebeschluss oder die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Gesellschafters eine Zäsur darstellt, die bewirkt, dass die Interessen der Insolvenzmasse der Gesellschaft hinter den Interessen des Grundpfandgläubigers bzw. der Gläubigergesamtheit des Gesellschafters zurücktreten müssen. Zudem ist nicht ersichtlich, warum die insolvente Gesellschaft, die gemäß § 135 Abs. 3 InsO n.F. anders als nach bisherigem Recht gerade nicht unentgeltlich nutzungsberechtigt, sondern vielmehr grundsätzlich zur Zahlung eines Ausgleichs verpflichtet ist, im Fall der Zwangsverwaltung oder der Gesellschafterinsolvenz demgegenüber bessergestellt werden soll8. Schließlich lässt sich auch aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber sich mit diesen Sonderfällen nicht befasst hat, nicht herleiten, dass er die Diskussion zum alten Recht kannte, § 135 Abs. 3 InsO aber ausnahmslos Anwendung finden lassen wollte9. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber schlichtweg diese Problematik im Rahmen der neu geschaffenen Vorschrift nicht bedacht hat. Nach neuem Recht wird der Insolvenzverwalter also in beiden Konstellationen gemäß § 108 InsO zur Zahlung der vollen Miete verpflichtet sein. Dem kann er sich nur durch Ausübung des ihm in § 109 InsO eingeräumten Sonderkündigungsrechts entziehen. Im Unterschied zum früheren Recht ist eine Rechtsgrundlage für einen Erstattungsanspruch gegen den Gesellschafter allerdings nicht mehr ersichtlich10.
1 BGH v. 16.10.1989 – II ZR 307/88, BGHZ 109, 55, 66 = NJW 1990, 516; BGH v. 11.7.1994 – II ZR 146/92, BGHZ 127, 1, 7 = NJW 1994, 2349; BGH v. 11.7.1994 – II ZR 162/92, BGHZ 127, 17, 21 = NJW 1994, 2760; BGH v. 16.6.1997 – II ZR 154/96, NJW 1997, 3026 = ZIP 1997, 1375; BGH v. 15.6.1998 – II ZR 17/97, NJW 1998, 3200 = ZIP 1998, 1352. 2 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen v. 23.10.2008, BGBl. I, S. 2026. 3 Ausführlich hierzu Dahl/J. Schmitz, NZG 2009, 325 (328 ff.). 4 BGH v. 7.12.1998 – II ZR 382/96, NZG 1999, 305. 5 BGH v. 28.4.2008 – II ZR 207/06, NZG 2008, 551. 6 BGH v. 31.1.2005 – II ZR 240/02, NZG 2005, 346. 7 Dahl in Michalski, Kommentar zum GmbHG, Anh. II §§ 32a, 32b a.F.; Dahl/J. Schmitz, NZG 2009, 325 (331); Fischer/Knees, ZInsO 2009, 745 (748 ff.); Preuß in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Februar 2013, § 135 Rz. 38; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Kommentar zum GmbHG, Anh. zu § 64 Rz. 140; Görner in Rowedder/Schmidt-Leithof, Kommentar zum GmbHG, Anh. zu § 30 Rz. 187; Fastrich in Baumbach/Hueck, Kommentar zum GmbHG, Anh. zu § 30 Rz. 88; a.A. Göcke/Henkel, ZInsO 2009, 170 ff. 8 Fischer/Knees, ZInsO 2009, 745 (749); Görner in Rowedder/Schmidt-Leithof, Kommentar zum GmbHG, Anh. zu § 30 Rz. 187; Fastrich in Baumbach/Hueck, Kommentar zum GmbHG, Anh. zu § 30 Rz. 88. 9 So aber Göcke/Henkel, ZInsO 2009, 170 (173). 10 Dahl/J. Schmitz, NZG 2009, 325 (331); Görner in Rowedder/Schmidt-Leithof, Kommentar zum GmbHG, Anh. zu § 30 Rz. 187.
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§8
Rz. 233
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
233 Zu den durch § 110 InsO in ihrer Wirksamkeit begrenzten Verfügungen zählen lediglich Vorausverfügungen, die über die gesetzlich festgelegte zeitliche Grenze hinauswirken und sich auf künftige Ansprüche beziehen1. Verfügungen über bestehende Ansprüche mögen indes einer Anfechtung unterliegen2 (zur Anfechtbarkeit von Vorausverfügungen vgl. Rz. 234a). Keine Verfügungen über Miet- oder Pachtzinsforderungen liegen insbesondere vor: – wenn die Laufzeit oder die Miethöhe für einen nach Verfahrenseröffnung liegenden Zeitraum abgeändert oder die dingliche Rechtslage am Grundstück verändert wird; können diese Verfügungen nicht nach den §§ 129 ff. InsO angefochten werden, dann ist die daraus resultierende Kürzung der Miet- und Pachtzinsforderung auch in der Insolvenz bindend3; – bei einem verlorenen Baukostenzuschuss, wenn die Ausbauarbeiten eine Wertsteigerung des Grundstücks oder Gebäudes bewirkt haben, so dass eine Verrechnung mit späteren Mietzahlungen zulässig ist4; dagegen ist der abwohnbare Baukostenzuschuss als vorausbezahlter Miet- oder Pachtzins zu behandeln5; – bei Hinterlegung der Mietkaution (§ 551 BGB), die keine Vorauszahlung des Mietzinses und daher keine Vorausverfügung i.S.d. § 110 InsO darstellt6. Die Kaution ist hingegen keine Gegenleistung für die Gebrauchsgewährung, eine diesbezügliche Verfügung wirkt daher gegen die Masse7. 234 Als Folge des Verfügungsverbots ist der Mieter oder Pächter gehalten, die Gegenleistung für die in der betroffenen Zeitspanne erfolgten Nutzung des Objekts noch einmal zur Masse zu erbringen. Gleichwohl steht ihm für den an einen Dritten oder den Schuldner vorgeleisteten Betrag ein Bereicherungsanspruch zu, der bei Entrichtung an den späteren Gemeinschuldner als Insolvenzforderung geltend zu machen und zur Insolvenztabelle anzumelden ist8. 234a Gegenüber den Vorschriften über die Insolvenzanfechtung ist § 110 InsO insoweit eine Spezialvorschrift, als dort die Wirksamkeit einer Vorausabtretung geregelt ist. Damit greifen die Bestimmungen über die Insolvenzanfechtung nur insoweit ein, als sie nicht auf den in § 110 InsO geregelten Besonderheiten beruhen9. Maßgeblicher Zeitpunkt für die insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit von Vorausverfügungen durch den Schuldner zugunsten eines Dritten ist nach Auffassung des OLG Hamm10 der Beginn des Monats, auf den sich die Mietzahlung bezieht, nicht hingegen der Zeitpunkt der Vorausabtretung. Aufgrund dieser zeitlichen Streckung stelle die Vorausabtretung als Gewährung einer Sicherheit auch kein (unmittelbares) Bargeschäft i.S.d. § 142 InsO dar. Schließlich erkennt das OLG Hamm in der Vorausabtretung eine Gläubigerbenachteiligung unbeschadet einer sonst der Vorausabtretung entsprechenden Hypothekenhaftung, da sich Letztere nur auf noch offene Mietforderungen erstreckt. Der BGH ist einer solchermaßen durch das OLG Hamm vertretenen Anfechtbarkeit jüngst entgegengetreten. Seiner Auffassung nach liegt bereits eine für alle insolvenzrechtliche Anfechtungstatbestände notwendige Gläubigerbenachteiligung nicht vor, 1 Zur Wirksamkeit eines Vermieterpfandrechts auch zur Sicherung künftig entstehender Forderungen vgl. BGH v. 14.12.2006 – IX ZR 102/03, ZIP 2007, 191 = NZI 2007, 158 = ZInsO 2007, 91 mit zustimmender Anm. Neuenhahn, NZI 2007, 160. 2 Zur Anfechtbarkeit von Mietzahlungen generell OLG Stuttgart v. 23.1.2005 – 5 U 144/05, ZInsO 2006, 274 ff. 3 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 110 Rz. 8; ähnlich Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 110 Rz. 4. 4 Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 110 Rz. 5; Wegener in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 110 Rz. 9. 5 Kuhn/Uhlenbruck, Kommentar zur KO, 11. Aufl. (1994), § 21 Rz. 9; krit.: Tintelnot in Kübler/ Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 110 Rz. 6; Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 110 Rz. 9. 6 Wegener in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 110 Rz. 10. 7 MünchKommInsO/Eckert, § 110 Rz. 4. 8 Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 110 Rz. 9. 9 KG v. 15.1.2008 – 7 U 110/07, NZI 2008, 440. 10 OLG Hamm v. 14.6.2005 – 27 U 85/04, ZIP 2006, 433 (434) = ZInsO 2006, 776.
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Dahl
Sonderregelungen fr die Behandlung von Dauerschuldverhltnissen
Rz. 238
§8
wenn der Grundschuldgläubiger, dem der Schuldner die Mietzinsforderungen abgetreten hat, bis zur Insolvenzeröffnung eingehende Mietzahlungen mit einer Forderung gegen den Schuldner verrechnet, und der Grundschuldgläubiger das Absonderungsrecht zuvor unanfechtbar erworben hat1. Die Entscheidung sieht sich dahingehend Kritik ausgesetzt, dass die Hypothekenhaftung nur aufschiebend bedingt ab dem Zeitpunkt der Beschlagnahme wirke und die relevanten Forderungen vor diesem Zeitpunkt zur Befriedigung allen Gläubigern bestimmt sei2. b) Aufrechnung Mit Gegenforderungen kann der Mieter oder Pächter gemäß § 110 Abs. 3 InsO gegen- 235 über den Miet- und Pachtzinsforderungen der Insolvenzmasse für den Zeitraum nach Verfahrenseröffnung nur innerhalb der beiden Zeitgrenzen des § 110 Abs. 1 InsO aufrechnen. Dabei ist es unerheblich, woraus die Gegenforderung resultiert. Der Mieter oder der Pächter kann nach § 110 Abs. 3 Satz 1 InsO gegen die Miet- oder 236 Pachtforderung für den in § 110 Abs. 1 InsO bezeichneten Zeitraum eine Forderung aufrechnen, die ihm gegen den Schuldner zusteht. Unberührt hiervon bleiben die §§ 95 und 96 Nr. 2–4 InsO. Die Vorschrift beschränkt nicht die Möglichkeit der Aufrechnung nach § 95 InsO, sondern schließt lediglich die Unzulässigkeit der Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO für den dort bezeichneten Zeitraum aus. Sie gewährt ein besonderes zusätzliches Aufrechnungsrecht und erweitert damit die Aufrechnungsmöglichkeiten. Infolgedessen kann der Mieter zu seinen Gunsten bestehende Nebenkostenguthaben aus der Zeit vor Insolvenz des Vermieters gegen Mietzinsansprüche der Masse für danach liegende Zeiträume aufrechnen3. Unberührt davon bleiben aber die in § 95 InsO beschriebenen allgemeinen Aufrech- 237 nungsvoraussetzungen sowie die sonstigen Aufrechnungsverbote des § 96 InsO, die weiterhin Anwendung finden. Vertraglich vorgesehene Aufrechnungsverbote verlieren mit Verfahrenseröffnung ihre Wirkung und stehen § 110 Abs. 3 InsO nicht entgegen4 (zu den Besonderheiten einer Aufrechnung in der Insolvenz und den insolvenzrechtlichen Aufrechnungsverboten vgl. § 7 Rz. 510 ff.). Der Mieter kann ggf. auch mit seinem Kautionsrückzahlungsanspruch aufrechnen. 237a Sofern der Vermieter die Kaution nicht getrennt angelegt hat, wird dem Mieter in der Regel eine Aufrechnung verwehrt sein. Eine Aufrechnung mit dem Anspruch des Mieters auf getrennte Anlage der Kaution wird bereits an der fehlenden Gleichartigkeit scheitern. Einer Aufrechnung des Mieters mit dem Rückzahlungsanspruch wird in der Regel § 95 Abs. 1 Satz 2 InsO entgegenstehen. Nach § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO ist eine Aufrechnung ausgeschlossen, wenn die Forderung, gegen die aufgerechnet werden soll, unbedingt und fällig wird, bevor die Aufrechnung erfolgen kann. Der Kautionsrückzahlungsanspruch wird aufgrund einer angemessenen Überlegungs- und Abrechnungsfrist des Vermieters – die regelmäßig 6 Monate beträgt – meist erst nach sämtlichen Vermieterforderungen fällig5. 6. Veräußerung des Miet- oder Pachtobjekts, § 111 InsO a) Tatbestandsvoraussetzungen Der Insolvenzverwalter kann eine Immobilie entweder dadurch verwerten, dass er ge- 238 mäß §§ 172 ff. ZVG, 165 InsO die Zwangsversteigerung beantragt oder aber das Grundstück mit Zustimmung der Gläubigerversammlung freihändig veräußert. Bei der
1 BGH v. 9.11.2006 – IX ZR 133/05, ZIP 2007, 35 mit Anm. Neußer, EWiR 2007, 83; Wazlawik, NZI 2007, 320; MünchKommInsO/Kirchhof, § 129 Rz. 158; Hirte in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 129 Rz. 121. 2 Mitlehner, ZIP 2007, 804 (806). 3 BGH v. 21.12.2006 – IX ZR 7/06, ZIP 2007, 239 = NZI 2007, 164 mit Anm. Gundlach; kritisch Wegener in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 110 Rz. 18. Zur Aufrechnung mit überzahlter Miete MünchKommInsO/Eckert, § 110 Rz. 24. 4 Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 110 Rz. 10. 5 Dahl, FS Görg, 2010, S. 119 (125).
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§8
Rz. 239
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
Zwangsversteigerung können die an dem Grundstück haftenden Miet- und Pachtverhältnisse nach § 57a ZVG mit gesetzlicher Frist gekündigt werden. Diese Regelung schafft einen Anreiz für potentielle Erwerber, entsprechend hohe Gebote abzugeben. Um eine möglichst günstige freihändige Verwertung von Immobilien durch den Insolvenzverwalter zu ermöglichen, übernimmt die wegen § 119 InsO unabdingbare Regelung des § 111 InsO die Vorschrift des § 57a ZVG für den freihändigen Verkauf im Insolvenzverfahren (zur Verwertung unbeweglichen Vermögens s. § 7 Rz. 244 ff.). 239 Erfasst werden nur Miet- und Pachtverhältnisse, die der Schuldner als Alleineigentümer eingegangen war. War der Schuldner Miteigentümer und veräußert der Insolvenzverwalter den Gegenstand mit Zustimmung der weiteren Eigentümer, steht dem Erwerber ebenso wie bei der Zwangsvollstreckung nach § 183 ZVG ein Sonderkündigungsrecht nicht zu1. 240 § 111 InsO setzt die Veräußerung eines unbeweglichen Miet- oder Pachtobjekts durch den Insolvenzverwalter sowie den Eintritt des Erwerbers in das Mietverhältnis anstelle des Schuldners voraus. Der Gleichstellung des Leasings mit der Miete entsprechend fällt auch das Immobilienleasing in der Insolvenz des Leasinggebers in den Anwendungsbereich des § 111 InsO2. Über § 49 InsO werden außerdem Schiffsund Luftfahrzeuge von der erleichterten Kündigungsmöglichkeit des § 111 InsO erfasst. 241 Der Eintritt des Erwerbers in das Mietverhältnis erfolgt hierbei kraft Gesetzes wie in § 566 BGB vorgesehen. Eine Veräußerung liegt daher entsprechend § 566 BGB nicht schon mit Abschluss des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts, sondern erst mit Vollendung des Eigentumserwerbs durch Auflassung und Grundbucheintragung vor3. Die Vermietung muss durch den Schuldner selbst vor Verfahrenseröffnung erfolgt sein. Hat der Insolvenzverwalter selbst den Mietvertrag abgeschlossen, findet § 111 InsO mit Rücksicht auf den Mieter oder Pächter, der in diesem Fall Massegläubiger nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist, keine Anwendung4. Vielmehr bleibt es dann bei der Anwendung der allgemeinen Vorschriften der §§ 566 ff., 578 BGB. Der Insolvenzverwalter muss sich daher bewusst sein, dass sein Bestreben, die Masse durch Neuverträge und entsprechende Mieteinnahmen anzureichern, möglicherweise Verwertungshindernisse begründet. 242 Streitig ist, wann die Überlassung des Miet- oder Pachtobjekts an den Mieter oder Pächter erfolgt sein muss. Die Vorschrift verlangt ihrem Wortlaut nach nicht, dass das Objekt dem Mieter oder Pächter schon bei Verfahrenseröffnung überlassen war5. Unabhängig von der neuen Rspr. des BGH6 ist aber im Rahmen von § 111 InsO auf jeden Fall erforderlich, dass die Miet- oder Pachtsache im Zeitpunkt der Veräußerung dem Mieter oder Pächter überlassen war, da die Rechtsfolge des § 566 BGB, also der Eintritt des Erwerbers in das Mietverhältnis, sonst nicht gegeben ist7. 242a Wurde die Kaution vom schuldnerischen Vermögen getrennt angelegt, so kann der Mieter nur die Weiterleitung an den Erwerber verlangen, soweit nicht Ansprüche der Masse gegen den Mieter bestehen. Da das Mietverhältnis übergegangen ist, kann er aber nicht die Rückerstattung an sich selbst begehren oder gemäß § 95 InsO mit An-
1 Wegener in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 111 Rz. 3; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 111 Rz. 7; Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 111 Rz. 4. 2 Sinz, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 14 Rz. 50, 90; ausführlich zum Immobilienleasing Kalkschmid, Immobilienleasing in der Insolvenz, Köln 2003. 3 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 111 Rz. 4. 4 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 111 Rz. 6; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 111 Rz. 6. 5 Marotzke in HK-InsO, § 111 Rz. 5; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 111 Rz. 9; Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 111 Rz. 7. 6 BGH v. 5.7.2007 – IX ZR 185/06, NZI 2007, 713 m. krit. Anm. Dahl/J. Schmitz. 7 Marotzke in HK-InsO, § 111 Rz. 5; Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 111 Rz. 7.
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Dahl
Sonderregelungen fr die Behandlung von Dauerschuldverhltnissen
Rz. 242d
§8
sprüchen gegen die Masse aufrechnen1. Der Erwerber des Mietraums kann vom Mieter die Zahlung der Kaution verlangen, soweit diese noch nicht an den Voreigentümer geleistet wurde2. Vor einer doppelten Inanspruchnahme wird der Mieter durch die Einrede gemäß § 362 BGB geschützt. In einer Erwerbskette haftet der letzte Erwerber dem Mieter nach § 566a BGB, unabhängig davon, ob die Kaution in der Kette der vorangegangen Vermieter an ihn weitergeleitet worden ist; eine ununterbrochene Kautionskette ist nicht notwendig3. Nach der Rechtsprechung haftet der Erwerber dem Mieter für die entrichtete Kaution auch dann, wenn der insolvent gewordene Voreigentümer die Kaution nicht getrennt von seinem sonstigen Vermögen angelegt hatte4. Hiergegen wird in der Literatur eine teleologische Reduktion des § 566a BGB in solchen Fällen befürwortet, um eine umfangreiche Erwerberhaftung für vor Insolvenzeröffnung begründete Verbindlichkeiten und damit eine erschwerte Verwertung der Insolvenzmasse zu vermeiden5. Eine umfangreiche Erwerberhaftung für vor Insolvenzeröffnung begründete Verbindlichkeiten würde nämlich die Möglichkeit eines Verkaufs des Handelsgeschäfts oder Betriebs aus der Insolvenzmasse stark erschweren bzw. zumindest den Kaufpreis erheblich mindern. Hier kann eine Parallele zur Haftung des Erwerbers eines Handelsgeschäfts nach § 25 Abs. 1 HGB bzw. eines Betriebsübernehmers nach § 163a BGB gezogen werden. Dort ist eine teleologische Reduktion aus diesen Gründen anerkannt. Eine Anwendung des § 566a BGB würde darüber hinaus die Mieter unberechtigterweise privilegieren. So erwächst der Kautionsrückzahlungsanspruch, der bei nicht getrennter Anlage durch den Vermieter in dessen Insolvenz lediglich eine Insolvenzforderung darstellt, durch den Verkauf der Immobilie wieder zu einer vollwertigen Forderung gegen den (solventen) Erwerber. Dagegen kann auch nicht die Rechtsprechung zur Zwangsverwaltung und Zwangs- 242b versteigerung6 angeführt werden. So hat der BGH in diesem Rahmen entschieden, dass ein Zwangsverwalter, der gemäß § 152 Abs. 2 ZVG bei der Insolvenz des Vermieters einer Mietwohnung in dessen Rechte und Pflichten eintritt, die vom Mieter als Barzahlung geleistete Mietkaution separiert bei einem Kreditinstitut anlegen muss. Dies soll auch gelten, wenn er die Kaution von dem Vermieter nicht erhält oder dieser sie entgegen § 551 Abs. 3 BGB nicht angelegt hatte. Der Zwangsverwalter könne sich in einem solchen Fall nicht auf den Umstand berufen, dass der Mieter ohne die Zwangsversteigerung des Mietobjekts nur eine Insolvenzforderung zustünde, weil die von ihm geleistete Kaution nicht aussonderungsfähig angelegt wurde7. Zu beachten ist jedoch, dass diese Entscheidung die Einzelzwangsvollstreckung und 242c nicht die Gesamtvollstreckung betrifft. Während bei der Einzelzwangsvollstreckung unmittelbar nur der betreibenden Grundpfandgläubiger, von der Minderung der gezogenen Nutzungen aufgrund der Haftung des Zwangsverwalters für die Rückzahlung der Kaution, betroffen ist, benachteiligt eine Minderung des Erlöses bei Verkauf des Grundstücks infolge der Erwerberhaftung gemäß § 566a BGB die Gesamtheit der Gläubiger8. Vorausverfügungen des Verwalters unterliegen den Regelungen der §§ 566b, 566c 242d BGB; der Erwerber muss sie gegen sich gelten lassen. Dies gilt auch für Vorausverfügungen des Schuldners. Die Unwirksamkeitsfolge für den Eröffnungs- bzw. Folgemonat gemäß § 110 InsO schützt nur die Masse9. Der Erwerber kann sich daher nicht auf 1 MünchKommInsO/Eckert, § 111 Rz. 10. 2 BGH v. 25.7.2012 – XII ZR 22/11, NJW 2012, 3032; LG Kiel v. 28.8.2012 – 1 S 174/11, NZM 2013, 231 m.w.N. 3 BGH v. 1.6.2011 – VIII ZR 304/10, NZM 2012, 81. 4 BGH v. 7.3.2012 – XII ZR 13/10, NZI 2012, 383. 5 So auch Vorinstanz LG Braunschweig 7.1.2010 – 31 Wx 154/09, NJW-RR 2010, 1593; ausführlich Dahl, FS Görg, 2010, S. 119 (126 ff.); MünchKommBGB/Häublein, § 566a Rz. 13. 6 BGH v. 23.9.2009 – VIII ZR 336/08, NZI 2010, 78; im Anschluss an BGH v. 11.3.2009 – VIII ZR 184/08, NZI 2009, 622. 7 BGH v. 23.9.2009 – VIII ZR 336/08, NZI 2010, 78; im Anschluss an BGH v. 11.3.2009 – VIII ZR 184/08, NZI 2009, 622. 8 Dahl, FS Görg, 2010, S. 119 (126 ff.). 9 MünchKommInsO/Eckert, § 111 Rz. 12.
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§8
Rz. 242e
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
§ 566b BGB berufen, da nicht der Vermieter, sondern der Verwalter das Objekt veräußert und dieser nicht über die Miete im Voraus verfügt hat. 242e Ist – wie im Falle einer gewerblichen Vermietung möglich – der Übergang des Mietverhältnisses wirksam abbedungen und besteht dieses infolgedessen zwischen dem Mieter und der Masse fort, so ist der Erwerber dem Mieter gegenüber nicht zur Gebrauchsüberlassung verpflichtet. Die Masse haftet für diesen Rechtsmangel. Dieser wurde nämlich durch ein Verwalterhandeln gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 InsO hervorgerufen. Der Ausschluss des Vertragsübergangs enthält im Zweifel keinen Verzicht auf die Rechtsmängelhaftung des Vermieters1. b) Sonderkündigungsrecht des Erwerbers 243 Nach § 111 Satz 1 InsO ist der Erwerber berechtigt, das Miet- oder Pachtverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen Frist zu kündigen. Dem Mieter oder Pächter ist es daher verwehrt, sich auf die vertragsmäßig ausbedungene verlängerte Kündigungsfrist oder eine die ordentliche Kündigung ausschließende Vertragsbefristung zu berufen. War in dem mit dem Schuldner abgeschlossenen Vertrag hingegen wirksam eine kürzere als die gesetzlich vorgeschriebene Kündigungsfrist vereinbart, so gilt diese auch für den Erwerber. 243a Das Kündigungsrecht steht dem Erwerber nicht zu, wenn der Mietgegenstand dem Mieter noch nicht im Zeitpunkt seines Erwerbs überlassen war2. In dem Erwerbszusammenhang kommt dem Erwerber nämlich ein Wahlrecht zu, ob er in das Mietverhältnis eintreten möchte. Seine Situation ist mithin eine andere als die des Insolvenzverwalters. Hat er sich dazu einmal entschieden, so bedarf es eines Sonderkündigungsrechts nicht3. Im Unterschied zur Kündigungsmöglichkeit durch den Insolvenzverwalter ist die Kündigungsmöglichkeit des Erwerbers ausdrücklich durch § 111 Satz 2 InsO auf den ersten möglichen Kündigungstermin beschränkt4. Dies ist insofern problematisch, als der Erwerber erst zur Kündigung berechtigt ist, wenn das Eigentum übertragen, also etwa der Eigentumsübergang in das Grundbuch eingetragen wurde. Darauf kann der Erwerber aber nicht Einfluss nehmen, sondern er wird erst nach einigen Tagen von Amts wegen informiert. Es erscheint daher sachgerecht, dem Erwerber eine fristwahrende Kündigung zum nächstmöglichen Termin zu gestatten, wenn er zumutbare Anstrengungen zur Kenntnisnahme unternimmt5. 243b § 111 Satz 3 InsO ist durch Art. 13 des 2. Gesetzes zur Modernisierung der Justiz vom 22.12.2006 weggefallen6. Dieser schützte mit der entsprechenden Anwendung des ebenfalls entfallenen § 57c ZVG den Mieter, der sich an der Schaffung und Instandsetzung des Mietobjekts finanziell beteiligt hatte7. Es sind in dem am 1.1.2007 in Kraft getretenen Gesetz keine Übergangsregelungen getroffen worden; insbesondere fehlt die bei Novellierungen der InsO häufige Regelung8, dass die Änderung nur für die nach Inkrafttreten des Gesetzes eröffneten Insolvenzverfahren gelte9. 243c In Veräußerungsfällen vor dem 1.1.2007, in denen der Erwerber von dem fortbestehenden Schutz des Mieters ausgehen musste, bleibt § 111 Satz 3 InsO mit der Verweisung auf § 57c ZVG anwendbar. Dem Mieter steht der Kündigungsschutz gemäß § 57c ZVG (Beteiligung an Herstellung und Instandsetzung) zu. Finanzierungsleistungen des Mieters werden verrechnet oder gemäß § 57c Abs. 2 ZVG wird ein Zuschuss in 1 2 3 4 5 6 7 8 9
MünchKommInsO/Eckert, § 111 Rz. 34. Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 111 Rz. 8. MünchKommInsO/Eckert, § 111 Rz. 8. Einschränkend Andres in Andres/Leithaus, Kommentar zur InsO, § 111 Rz. 7, der eine angemessene Zeit zur Prüfung der Sach- und Rechtslage zubilligen will. MünchKommInsO/Eckert, § 111 Rz. 14; Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 111 Rz. 10. BGBl. I, S. 3416 (3423). MünchKommInsO/Eckert, § 111 Rz. 16. Vgl. Art. 3 des Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens v. 13.4.2007, BGBl. I, S. 509. MünchKommInsO/Eckert, § 111 Rz. 16.
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Sonderregelungen fr die Behandlung von Dauerschuldverhltnissen
Rz. 249
§8
Höhe einer Jahresmiete durch eine Mietdauer von vier Jahren, insgesamt maximal nach zwölf Jahren getilgt. In diesem Zeitraum ist eine Kündigung nicht möglich. Der Erwerber kann daher erst nach Ablauf der Sperrfrist, nicht aber zum Termin des Ablaufs kündigen1. Der Kündigungsschutz setzt indes die Auskunft des Mieters über seine Finanzierungsleistung voraus, er ist insofern mitwirkungspflichtig. Eine gesonderte Aufforderung des Erwerbers ist nicht erforderlich. Der Mieter verliert den Kündigungsschutz, wenn er schuldhaft die Auskunft nicht erteilt2. Ein Schadensersatzanspruch steht ihm in diesem Falle ebenfalls nicht zu. Für Wohnraummietverträge bleiben die aus den allgemeinen Bestimmungen der 244 §§ 573 bis 575a BGB resultierenden Kündigungsbeschränkungen anwendbar. Tritt eine Kündigungsvoraussetzung des § 573 Abs. 2 BGB – beispielsweise Eigenbedarf – erst nach Erwerb ein, so würde nach dem Wortlaut des § 111 InsO der spätere Eintritt der Kündigungsvoraussetzung für den ersten Kündigungstermin maßgeblich sein. Der Erwerber konnte sich aber bereits vor Eigentumserwerb auf die Kündigungsvoraussetzungen und seine Nutzungsmöglichkeiten einstellen. Es wird daher als interessengerecht angesehen, nicht auf den Eintritt der Kündigungsvoraussetzungen, sondern auf den Erwerbsvorgang abzustellen3. Als weitere den Erwerber bindende Kündigungsschutzvorschriften sind die Sonder- 245 regelungen für die Wohnungsumwandlung (§ 577a BGB), für öffentlich geförderte Wohnungen – die Befreiung des § 17 WoBindG bei Zwangsversteigerung gilt nicht bei freihändigem Verkauf durch den Insolvenzverwalter – sowie für landwirtschaftlich genutzte Grundstücke (§§ 585, 595 BGB) zu nennen. c) Rechtsfolgen Macht der Erwerber von dem ihm in § 111 InsO eingeräumten Sonderkündigungs- 246 recht Gebrauch, so kann der Mieter oder Pächter in entsprechender Anwendung des § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO wegen der vorzeitigen Vertragsbeendigung Schadensersatzanspüche geltend machen, die als einfache Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle anzumelden sind4 (zur Anmeldung einer Insolvenzforderung zur Tabelle s. § 6 Rz. 278 f.). Inhaltlich ist der Anspruch entsprechend § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO auf den bloßen 247 Differenzschaden, also den Unterschied zwischen dem vertraglich geschuldeten Mietzins und dem Marktwert der Mietsache beschränkt, was regelmäßig dem Mehraufwand für ein anderes gleichwertiges Objekt entspricht; Folgeschäden, wie insbesondere Umzugskosten, sind dagegen nicht zu ersetzen, da auch sonstige Insolvenzgläubiger keine Folgeschäden verlangen können5. Ein Ersatzanspruch, der sich demgegenüber gemäß § 566 Abs. 2 BGB darauf stützt, 248 dass der in das Miet- und Pachtverhältnis eingetretene Erwerber seine vertraglichen Verpflichtungen nicht erfüllt hat, ist ein Masseanspruch i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, da er in einem Geschäft des Insolvenzverwalters seinen Grund hat6. Diese Haftung ist aber auf den Zeitraum bis zur ersten Kündigungsmöglichkeit durch den Mieter beschränkt, wenn der Vermieter den Mieter auf den Eigentumsübergang hingewiesen hat, § 566 Abs. 2 Satz 2 BGB7. Gegenüber Forderungen aus der Zeit vor Verfahrenseröffnung kann der Mieter oder 249 Pächter mit seiner Schadensersatzforderung aufrechnen, da diese nach der insoweit 1 2 3 4
MünchKommInsO/Eckert, § 111 Rz. 18. MünchKommInsO/Eckert, § 111 Rz. 20. MünchKommInsO/Eckert, § 111 Rz. 22. Marotzke in HK-InsO, § 111 Rz. 9; a.A. Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 111 Rz. 13. 5 Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 111 Rz. 15; Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 111 Rz. 15. 6 Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 111 Rz. 12; Kuhn/Uhlenbruck, Kommentar zur KO, 11. Aufl. (1994), § 21 Rz. 16. 7 MünchKommInsO/Eckert, § 111 Rz. 9; Weidenkaff in Palandt, Kommentar zum BGB, § 566 Rz. 25.
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§8
Rz. 249a
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
fortgeltenden Rechtsprechung des BGH1 bereits vor Insolvenzeröffnung aufschiebend bedingt entstanden sind2. 249a Gegen den nach § 111 InsO kündigenden Erwerber kann weder ein einmaliges, noch ein zeitlich unbegrenztes, für eine unbestimmte Vielzahl von Vormietfällen vereinbartes Vormietrecht ausgeübt werden. So besteht der Zweck des § 111 InsO nicht nur darin, dem Erwerber eine baldige Eigennutzung, sondern auch allgemein die Beendigung bestehender Mietverhältnisse zu ermöglichen. Schließlich kann sich dies als Veräußerungshindernis oder zumindest wertmindernder Faktor darstellen3. 7. Kündigungssperre, § 112 InsO a) Reichweite des Kündigungsverbots 250 Die wegen § 119 InsO unabdingbare Vorschrift des § 112 InsO bezweckt, die wirtschaftliche Einheit im Besitz des Schuldners nicht zur Unzeit auseinander zu reißen4 und dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit zu geben, ein Unternehmen unter Nutzung der wesentlichen Betriebsmittel so lange fortzuführen, bis in der Gläubigerversammlung eine Entscheidung über das Verfahrensziel getroffen werden kann. Die Norm korrespondiert dabei insbesondere mit der Vorschrift des § 107 Abs. 2 InsO, die den Insolvenzverwalter berechtigt, sein ihm nach § 103 InsO zustehendes Wahlrecht auch bei Lieferung von Eigentumsvorbehaltsware und bestehendem Aussonderungsrecht des Lieferanten nach dem Berichtstermin auszuüben. In ähnlicher Weise verhindert § 112 InsO, dass dem schuldnerischen Unternehmen durch dessen Vermieter oder Verpächter betriebsnotwendige Pacht- oder Mietgegenstände entzogen werden. Die Kündigungssperre wirkt, bei einem mit mehreren Mietern vertraglich begründeten Mietverhältnis, nicht nur gegenüber dem insolventen Mitmieter, der sich in Zahlungsverzug befindet, sondern auch gegenüber dem nicht Insolventen, wenn sich dieser ebenfalls in Zahlungsverzug befindet. Dies ist auf den Grundsatz der Einheitlichkeit der Kündigung zurückzuführen5. Entsprechendes gilt auch bei mehreren Leasingnehmern. Auch hier muss die Kündigung gegenüber jedem einzelnen Leasingnehmer erklärt werden6. Die Kündigungssperre des § 112 InsO lässt sonstige Kündigungsgründe außerhalb der konkret genannten unberührt7. aa) Miet- und Pachtverträge 251 Der Anwendungsbereich der Norm erstreckt sich nicht nur auf Immobilien8, sondern auch auf bewegliche Gegenstände. Umstritten ist, ob die insolvenzrechtliche Kündigungssperre des § 112 InsO auf Leasingverträge anwendbar ist. Das OLG Braunschweig hat das in einem Kfz-Händler- und Servicepartnervertrag dem Hersteller eingeräumte Recht zur außerordentliche Kündigung, für den Fall, dass ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Vertragshändlers gestellt wird, als wirksam anerkannt. Es stünde nicht in Widerspruch zu § 112 InsO, denn es handle sich nicht um einen Miet- oder Pachtvertrag i.S.d. § 112 InsO9. Das OLG Düsseldorf hat sich hingegen in zwei Entscheidungen für eine Anwendung des § 112 InsO ausgesprochen10. 1 2 3 4 5 6 7 8
BGH v. 5.5.1977 – VII ZR 85/76, NJW 1977, 1345 (1346). Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 111 Rz. 13. KG Berlin v. 23.9.2010 – 8 W 46/10, BeckRS 2010, 24375. Hierzu kritisch von Wilmowsky, ZInsO 2004, 882 (883). AG Köln v. 11.9.2009 – 205 C 158/09, NZI 2010, 306. OLG Düsseldorf v. 8.9.2008 – 24 U 40/08, GWR 2009, 20. OLG Schleswig v. 17.11.2009 – 3 U 89/09, BeckRS 2010, 30682. Für das Wohnraummietverhältnis des Schuldners AG Hamburg v. 18.3.2009 – 68c IK 207/08, NZI 2009, 331 ff.; AG Hamburg-Wandsbek v. 18.1.2010 – 713 D C 369/09, NZI 2010, 311 ff.; AG Köln v. 11.9.2009 – 205 C 158/09, NZI 2010, 306. 9 OLG Braunschweig v. 6.3.2009 – 2 U 29/09, NZI 2009, 387; krit. Anm. Brosette, NJW 2009, 388. 10 OLG Düsseldorf v. 8.9.2008 – 24 U 40/08, GWR 2009, 20; OLG Düsseldorf v. 10.6.2008 – 24 U 86/07, NJOZ 2009, 99.
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Sonderregelungen fr die Behandlung von Dauerschuldverhltnissen
Rz. 256
§8
Ob auch Verträge mit gemischtem Inhalt in den Anwendungsbereich fallen, hängt 252 von dem den Vertragsinhalt prägenden Leistungselement sowie davon ab, ob ihrem Sinn und Zweck nach die Anwendung auf das fragliche Dauerschuldverhältnis geboten ist1. Angenommen werden darf, dass jedenfalls Lizenzverträge, die die Ausnutzung und wirtschaftliche Verwertung der geistigen, technischen oder künstlerischen Schöpfung eines Dritten beinhalten, ebenso von § 112 InsO erfasst werden2 wie Know-how-Verträge3 und Softwarenutzungsverträge4. Streitig ist, ob § 112 InsO auch dann anwendbar ist, wenn die Miet- oder Pachtsache 253 dem Schuldner noch nicht überlassen war. Daraus, dass § 112 InsO anders als § 109 Abs. 2 InsO seinem Wortlaut nach nicht darauf abstellt, ob dem Schuldner als Mieter oder Pächter das Miet- oder Pachtobjekt bereits überlassen war und insoweit lediglich die Kündigung eines vom Schuldner eingegangenen Miet- oder Pachtverhältnisses verbietet, wird gefolgert, dass auch nicht vollzogene Miet-, Pacht- und Leasingverträge der Kündigungssperre des § 112 InsO unterliegen5. Diese Ansicht vermag nicht zu überzeugen. So spricht schon die Gesetzesbegrün- 254 dung eindeutig davon, die wirtschaftliche Einheit „im Besitz“ des Schuldners zu erhalten6. Daraus ergibt sich, dass in die Vermögensgegenstände des Vermieters oder Verpächters nur dann eingegriffen werden soll, wenn dieser den Besitz bereits aufgegeben hatte. Die Vorschrift bezweckt, die wirtschaftlich sinnvolle Vermögensallokationen zu erhalten (Begr. zu § 125 RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 148) und dem Insolvenzverwalter die Fortführung zu ermöglichen. Abgesehen davon wäre die Anwendung des § 112 InsO auf Miet- oder Pachtverträge vor Überlassung zumindest bei Immobilien und Räumen systemwidrig, weil § 109 Abs. 2 Satz 1 InsO dem Vermieter für den Fall des Nichtvollzuges ausdrücklich ein Rücktrittsrecht einräumt. Schließlich ist im Insolvenzeröffnungsverfahren eine Vorleistung durch Übergabe dem Vermieter jedenfalls bei einem „schwachen“ vorläufigen Verwalter nicht zuzumuten7. Nach der hier vertretenen Ansicht ist der Vermieter oder Verpächter vor Überlassung 255 des Miet- oder Pachtobjektes daher berechtigt, das Vertragsverhältnis insolvenzbedingt zu kündigen8. Lediglich für den Fall, dass der Vermieter sich mit der Überlassung der Mietsache in Verzug befindet, findet die Kündigungssperre ausnahmsweise Anwendung, da es nicht angehen kann, dass sich der Vermieter durch vertragswidriges Verhalten die Wohltat der Nichtanwendung der Kündigungssperre eigenmächtig verschaffen kann9. bb) Ausgeschlossene Kündigungsgründe § 112 InsO schränkt die Rechte von Vermietern oder Verpächtern in der Weise ein, dass eine Kündigung wegen vor dem Eröffnungsantrag eingetretenen Zahlungsverzugs oder Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeschlossen ist.
1 MünchKommInsO/Eckert, § 112 Rz. 5. 2 Wegener in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 112 InsO Rz. 5; Huber in Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 37 Rz. 4; Marotzke in HK-InsO, § 112 Rz. 24. 3 BGH v. 3.6.1981 – VIII ZR 153/90, NJW 1981, 2684; MünchKommInsO/Eckert, § 112 Rz. 7 m.w.N. 4 BGH v. 4.11.1987 – VIII ZR 414/86, NJW 1988, 406. 5 MünchKommInsO/Eckert, § 112 Rz. 11 ff. m.w.N.; Eckert, ZIP 1996, 897 (899); Sinz, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 14 Rz. 10; von Wilmowsky, ZInsO 2004, 882 (884); Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 112 Rz. 4; Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 112 Rz. 5. 6 Begr. zu § 125 RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 148. 7 Marotzke in HK-InsO, § 112 Rz. 5, 12; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 112 Rz. 4; a.A. Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 112 Rz. 5. 8 Wie hier: Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 112 Rz. 10 f.; Wegener in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 112 Rz. 3. 9 Marotzke in HK-InsO, § 112 Rz. 5 f.; Schwörer, Lösungsklauseln für den Insolvenzfall, 2000, Rz. 398.
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Rz. 257
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
257 Erfasst wird damit jede auf Miet- oder Pachtrückstand gestützte fristlose Kündigung i.S.d. §§ 543 Abs. 2, 581 Abs. 2, 569 Abs. 3 BGB1. Im Hinblick auf den Kündigungsgrund der Verschlechterung der Vermögensverhältnisse knüpft die Vorschrift unmittelbar an die aus § 119 InsO zu entnehmende Unwirksamkeit vertraglicher Lösungsklauseln an und erfasst jedes individuell ausgehandelte2 oder in vorformulierten Vertragsklauseln3 enthaltene Kündigungsrecht bei Anzeichen eines Vermögensverfalls4, wobei es nicht darauf ankommt, ob die Vertragspartner das Recht zur einseitigen Vertragsaufhebung als Kündigung oder Rücktritt bezeichnen5. Um Umgehungsmöglichkeiten auszuschließen, ist die Regelung des § 112 Nr. 2 InsO weit auszulegen6. 257a Besonderheiten im Hinblick auf § 112 InsO ergaben sich, wenn die Miete im Wege des Lastschriftverfahrens gezahlt wurde und die Lastschrift widerrufen wurde. Bisher war anerkannt, dass der vorläufige Insolvenzverwalter Lastschriften des Schuldners generell widerrufen kann. Fraglich war, ob der Vermieter zur fristlosen Kündigung gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB berechtigt war oder § 112 InsO einer Kündigung entgegenstand, wenn der Schuldner durch einen Lastschriftwiderruf des vorläufigen Insolvenzverwalters und anschließende Mahnung des Vermieters nach Insolvenzantragsstellung mit der Zahlung von vorinsolvenzlich fällig gewordenen Mieten in Verzug geriet. Bereits die höchstrichterliche Rechtsprechung zum pauschalen Widerspruchsrecht des vorläufigen Insolvenzverwalters war nicht einheitlich7. Die Anwendung des § 112 InsO wurde damit begründet, dass es nicht auf den Zeitpunkt des Verzugseintritts ankomme, sondern maßgeblich sei, dass der Rückstand aus der Zeit vor Antragstellung resultiere8. Überwiegend wurde allerdings bei einem Lastschriftwiderruf des Insolvenzverwalters ein Kündigungsrecht des Vermieters mit unterschiedlichen Begründungen abgelehnt9. 257b Der BGH hat mit seiner Entscheidung vom 20.7.201010 deutlich gemacht, dass der vorläufige Insolvenzverwalter zumindest in Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen vor einem Lastschriftwiderruf prüfen muss, ob die Lastschrift unter Verwendung des unpfändbaren Schonvermögens des Schuldners eingelöst worden ist. Widerruft er bei einer solchen Konstellation die Lastschrift, setzt er sich ggf. Schadensersatzansprüchen nach § 826 BGB aus. Daher wird künftig bei der Insolvenz von natürlichen Personen der Widerruf die Ausnahme sein. 257c Mit Entscheidung vom gleichen Tage hat der BGH11 noch einmal betont, dass der (vorläufige) Insolvenzverwalter/Treuhänder vorbehaltlich einer im Einzelfall festzustellenden konkludenten Genehmigung Lastschriften grundsätzlich auch ohne sachlichen Grund widersprechen kann12. Damit wurde der seit geraumer Zeit bestehende Streit über die Behandlung von Lastschriften in der Insolvenz beendet. Freilich ist anzunehmen, dass die Kreditinstitute ihre AGB künftig i.S. einer von der Genehmigungstheorie abweichenden Parteivereinbarung anpassen werden.
1 Huber in Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 37 Rz. 16; Eckert, ZIP 1996, 897 (898); Schwörer, Lösungsklauseln für den Insolvenzfall, 2000, Rz. 470. 2 Vgl. dazu LG Stendal v. 18.7.2000 – 31 O 28/00, ZInsO 2001, 524 = DZWIR 2001, 166. 3 Vgl. dazu OLG Rostock v. 6.10.1998 – 3 U 146/98, DZWIR 1999, 294. 4 MünchKommInsO/Eckert, § 112 Rz. 42; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Februar 2012, § 112 Rz. 6. 5 Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 112 Rz. 13. 6 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 112 Rz. 14. 7 Für eine Anwendung des § 112 InsO BGH v. 4.11.2004 – IX ZR 22/03, ZIP 2004, 2442; a.A. BGH v. 10.6.2008 – XI ZR 283/07, ZInsO 2008, 1076. 8 MünchKommInsO/Eckert, § 112 Rz. 23. 9 LG Hamburg v. 26.6.2008 – 307 S 53/08, ZInsO 2009, 445; AG Hamburg v. 28.6.2007 – 68g IK 272/07, ZInsO 2007, 721; AG Hamburg v. 18.3.2009 – 68c 207/08, NZI 2009, 331; Cymutta, ZInsO 2008, 191 (197); vgl. dazu ausführlich Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 112 Rz. 10. 10 BGH v. 20.7.2010 – IX ZR 37/07, NZI 2010, 731. 11 BGH v. 20.7.2010 – XI ZR 236/07, NZI 2010, 723. 12 Zur Frage, wann eine solche konkludente Genehmigung vorliegt vgl. BGH v. 28.6.2012 – IX ZR 219/10, NZI 2012, 841.
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Sonderregelungen fr die Behandlung von Dauerschuldverhltnissen
Rz. 262
§8
Beachtet werden muss, dass das Lastschriftverfahren auf dem Weg zum einheitlichen 257d Euro-Zahlungsverkehrsraum (SEPA) durch Umsetzung der Richtlinie 2007/64/EG über Zahlungsdienste im Binnenmarkt (Zahlungsdiensterichtlinie) vom 13.11.2007 in den §§ 675c bis 676c BGB grundlegend umgestaltet wurde. Bis zum 31.1.2014 fand daneben das durch Änderung der AGB-Banken zum 9.7.2012 modifizierte Einzugsermächtigungsverfahren Anwendung. Den beiden Verfahren ist gemeinsam, dass die Einzugsermächtigung nun eine Weisung des Zahlungspflichtigen gegenüber der Zahlstelle enthält, die vom Zahlungsempfänger auf das Konto des Zahlungspflichtigen gezogenen Lastschriften einzulösen (Nr. 2.1.1 Abs. 3 AGB-Banken, § 675f Abs. 3 Satz 2 BGB). Anders als bisher liegt damit ein Zahlungsauftrag des Zahlungspflichtigen vor. In der Folge wird die Möglichkeit des Lastschriftwiderrufs wegen der vorab erteilten Weisung durch einen Erstattungsanspruch abgelöst. Binnen einer Frist von 8 Wochen ab dem Zeitpunkt der Belastungsbuchung auf seinem Konto kann der Zahlungspflichtige ohne Angaben von Gründen die Erstattung des belasteten Lastschriftbetrags verlangen (Nr. 2.1.1 Abs. 4 AGB-Banken, § 675x Abs. 2, Abs. 4 BGB)1. § 112 InsO wirkt ebenfalls, wenn die schriftliche Kündigung des „Mietkaufs“ vor Stel- 257e lung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgesandt worden ist, aber dem Leasingnehmer erst nach dem Eingang des Antrags bei Gericht zugeht2. b) Rechtsfolgen Eine Kündigung des Vermieters oder Verpächters, die entgegen dem gesetzlichen Kündigungsverbot des § 112 InsO nach Antragstellung erfolgt, ist rechtsunwirksam3.
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Eine vor Antragstellung zugegangene begründete Kündigung des Mietverhältnisses 259 bleibt demgegenüber wirksam, auch wenn der vorläufige Verwalter umgehend für den Ausgleich des Zahlungsrückstandes sorgt4. Bei der Wohnraummiete gilt allerdings die Vorschrift des § 569 Abs. 3 BGB, wonach die fristlose Kündigung durch nachträgliche Tilgung des Rückstandes hinfällig wird. Vermieter und Verpächter müssen daher zwar mit einem weiteren Ausfall der Nut- 260 zungsentschädigung rechnen; diese ist jedoch längstens auf zwei Monate begrenzt, weil die nach dem Eröffnungsantrag fällig werdenden Raten aus dem Schuldnervermögen wieder vertragsgerecht gezahlt werden müssen, wenn die Nutzungsmöglichkeit für die Insolvenzmasse erhalten bleiben soll. Sind von der Aufrechterhaltung des Miet- und Pachtverhältnisses mehr Vor- als Nachteile für die Insolvenzmasse zu erwarten, so ist auch ein vorläufiger Insolvenzverwalter ohne begleitendes Verfügungsverbot berechtigt, die dazu nötigen Ausgaben zu erbringen5. Gleichwohl muss die Zahlung des Mietzinses möglichst zeitnah erfolgen, da dem Ver- 261 mieter oder Verpächter ansonsten die Gefahr droht, den erhaltenen Betrag bei einer nach Verfahrenseröffnung durch den Insolvenzverwalter erhobenen Anfechtung, zu der er grundsätzlich dann berechtigt ist, wenn er im Eröffnungsverfahren bloßer „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter war6, wieder an die Insolvenzmasse herausgeben zu müssen, sofern nicht ein nach § 142 InsO unanfechtbares Bargeschäft vorliegt (zu den Voraussetzungen eines solchen Geschäfts s. § 10 Rz. 266 f.). Unterliegen die Zahlungen der Anfechtung, wird man dem Vermieter oder Verpächter aber die Berechtigung nicht versagen können, die mit diesem Mangel behafteten Zahlungen als nicht vertragsgemäß zurückzuweisen, um dann wenigstens kündigen zu dürfen7. Wird hingegen die nach dem Eröffnungsantrag fällig werdende Miete oder Pacht nicht 262 vertragsgemäß gezahlt, etwa weil sich der vorläufige Insolvenzverwalter aus Zweck1 2 3 4 5 6 7
Zum Ganzen Nobbe, WM 2012, Sonderbeilage 3, 1. OLG Düsseldorf v. 17.11.2008 – 24 U 51/08, BeckRS 2009, 13870. Hierzu kritisch Pape, NZM 2004, 401 (402 f.). Franken/Dahl, Mietverhältnisse in der Insolvenz, S. 56. BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, NZI 2002, 543 (547) = ZIP 2002, 1625. OLG Stuttgart v. 24.7.2002 – 3 U 14/02, ZIP 2002, 1900. Marotzke in HK-InsO, § 112 Rz. 8.
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Rz. 263
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
mäßigkeitserwägungen gegen eine Fortsetzung des Nutzungsvertrages entscheidet, steht § 112 InsO einer Kündigung des Vertragsverhältnisses gemäß den allgemeinen Regeln nicht entgegen1. Der Herausgabeanspruch des Vermieters begründet dann im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Mieters ein Aussonderungsrecht i.S.d. § 47 InsO2 (vgl. § 7 Rz. 17 ff.). 263 Ein Verzug des vorläufigen Insolvenzverwalters i.S.d. §§ 543 Abs. 2 Nr. 3, 286 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 BGB wird hierbei insbesondere nicht dadurch ausgeschlossen, dass regelmäßig erst der für das eröffnete Verfahren bestellte endgültige Insolvenzverwalter nach den §§ 103 ff. InsO über das rechtliche Schicksal von Verträgen in der Insolvenz entscheidet3. Der vorläufige Insolvenzverwalter hat mit Bezug auf die Dauerschuldverhältnisse im Eröffnungsverfahren lediglich zu entscheiden, ob er sich die Option für eine Fortdauer des Vertragsverhältnisses für ein zu eröffnendes Verfahren offen hält, indem er das laufende Entgelt zahlt4. 264 Ist ein vorläufiger starker Insolvenzverwalter mit entsprechender Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis bestellt worden, so unterfallen Forderungen aus der weiteren Nutzung des Miet- und Pachtgegenstandes im Übrigen ohnehin § 25 Abs. 2 Satz 2 InsO und nach Verfahrenseröffnung § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO, so dass der Vermieter oder Verpächter regelmäßig einen werthaltigen Masseanspruch für die durch § 112 InsO bedingte Überlassung des Miet- oder Pachtgegenstandes erhält (zum vorläufigen starken Insolvenzverwalter vgl. § 14 Rz. 11 f.). Wird hingegen kein vorläufiger Verwalter bestellt oder nutzt dieser den Miet- oder Pachtgegenstand nicht, so ist der Miet- oder Pachtzins bis zur Verfahrenseröffnung gemäß § 108 Abs. 3 InsO (§ 108 Abs. 2 InsO a.F.) bloße Insolvenzforderung. Gleiches gilt für Räumungskosten, die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind; von der Masse zu tragen sind demgegenüber nur zusätzliche nach Verfahrenseröffnung durch Handlungen des Insolvenzverwalters verursachte Kosten5. 265 Gesetzlich geschützt bleiben Vermieter oder Verpächter im Hinblick auf ihren Forderungsausfall durch das Vermieter- oder Verpächterpfandrecht gemäß §§ 562, 578 BGB, das nach § 50 InsO auch im Insolvenzfall erhalten bleibt (zur Rechtsstellung eines solchen Absonderungsberechtigten s. § 7 Rz. 168 ff., 203 ff.). Zur Absicherung weiterer Risiken werden dem Mieter oder Pächter regelmäßig entsprechende Kautionen abverlangt, die auch im Falle einer insolvenzbedingten Auflösung des Vertragsverhältnisses nach den allgemeinen Grundsätzen vom Vermieter abgerechnet werden dürfen. 265a Wurde die Kaution entsprechend den mietvertraglichen Vorschriften (§ 551 Abs. 3 BGB) insolvenzfest, d.h. getrennt vom Vermögen des Vermieters treuhänderisch angelegt und ist sie noch bei Insolvenzeröffnung vorhanden, steht dem Mieter bei Vertragsende hinsichtlich der nicht verbrauchten Kaution ein Aussonderungsrecht gemäß § 47 InsO zu6. Hat dagegen der Vermieter die gemäß § 551 Abs. 3 Satz 3 BGB vorgeschriebene Trennung der Kaution von seinem übrigen Vermögen unterlassen, handelt es sich bei dem Kautionsrückzahlungsanspruch des Mieters nicht um eine Masseverbindlichkeit, sondern um eine Insolvenzforderung7, die gemäß § 174 InsO zur Insolvenztabelle anzumelden ist. In der Insolvenz des Vermieters steht dem Mieter gegen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig gewordene Mieten ein Zurück1 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, NZI 2002, 543 = ZIP 2002, 1625; OLG Köln v. 2.12.2002 – 15 W 93/02, NZI 2003, 149 = ZIP 2003, 543; OLG Celle v. 24.6.2003 – 2 W 73/03, ZInsO 2004, 207; LG Karlsruhe v. 13.2.2003 – 5 S 149/02, ZIP 2003, 677. 2 BGH v. 5.7.2001 – IX ZR 327/99, NZI 2001, 531 = ZIP 2001, 1469; OLG Celle v. 6.10.2003 – 2 W 107/03, ZInsO 2003, 948; LG Stendal v. 4.12.2002 – 23 O 1/02, ZInsO 2003, 813. 3 A.A. Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 112 Rz. 12. 4 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, NZI 2002, 543 (547) = ZIP 2002, 1625; OLG Köln v. 2.12.2002 – 15 W 93/02, NZI 2003, 149 = ZIP 2003, 543. 5 BGH v. 5.7.2001 – IX ZR 327/99, NZI 2001, 531 = ZIP 2001, 1469; LG Stendal v. 4.12.2002 – 23 O 1/02, ZInsO 2003, 813. 6 Dahl, FS Görg, 2010, S. 119 (120); vgl BGH v. 20.12.2007 – IX ZR 132/06, NZI 2008, 235. 7 Sinz in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 55 Rz. 60; Bäuerle in Braun, Kommentar zur InsO, § 47 Rz. 74; Ringstmeier in Mohrbutter/Ringstmeier, Insolvenzverwaltung, § 24 Rz. 6; BGH v. 20.12.2007 – IX ZR 132/06, NZI 2008, 235.
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Rz. 267
§8
behaltungsrecht wegen der vertragswidrig nicht insolvenzfest angelegten Barkaution nicht zu1. Da es sich bei § 551 Abs. 3 BGB um ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB handelt, 265b können bei einer vermietenden Gesellschaft bei Verstoß gegen das Gebot zur getrennten Anlage deren Organe persönlich haften2. Darüber hinaus kommt ein strafrechtliches Vorgehen – etwa wegen Untreue nach § 266 StGB oder Betrug nach § 263 BGB in Betracht3. Bei diesen Schadensersatzansprüchen handelt es sich nicht um Gesamtschäden, die gemäß § 92 InsO vom Insolvenzverwalter geltend zu machen sind, sondern um Individualschäden, die von den Mietern selbst eingeklagt werden können4. Nach Ansicht des BGH soll das Erlöschen einer Dienstbarkeit, welche das aus dem 265c Mietvertrag resultierende Nutzungsrecht an dem belasteten Grundstück sichert und unter der auflösenden Bedingung steht, dass über das Vermögen des Berechtigten ein Insolvenzverfahren eröffnet wird, durch § 112 InsO nicht gehindert werden, wenn die Bedingung vor dem Sicherungsfall eintritt5. Dies begründet der BGH damit, dass eine beschränkt persönliche Dienstbarkeit als ein dingliches Nutzungsrecht nicht in den Anwendungsbereich des § 112 InsO fällt. Sinn und Zweck des § 112 InsO sei es zugunsten des Insolvenzschuldners für ein von diesem als Mieter (oder Pächter) eingegangenes Vertragsverhältnis Kündigungsschutz zu begründen, damit der Vermieter daran gehindert sei, nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Vertrag aus den näher bezeichneten Gründen zu kündigen. Eine Dienstbarkeit bilde jedoch nicht die rechtliche Grundlage für die Nutzung des Grundbesitzes, weshalb das Erlöschen einer Dienstbarkeit durch den Eintritt einer auflösenden Bedingung nicht zwingend zu einem Verlust der Berechtigung des Schuldners führe. Die Dienstbarkeit werde dem Mieter vielmehr zusätzlich eingeräumt, um das aus dem (schuldrechtlichen) Mietvertrag resultierende Gebrauchsrecht entsprechend dem Inhalt der Sicherungsabrede auf die Zeit nach der Vertragsbeendigung zu erweitern. Durch das Erlöschen der Dienstbarkeit sei das Recht zur Nutzung der Mietsache nicht nachteilig betroffen. Es ist jedoch zu bezweifeln, dass der Sinn und Zweck des § 112 InsO durch das 265d Erlöschen der Dienstbarkeit tatsächlich nicht beeinträchtigt wird. Schließlich besteht – wie der BGH selbst ausführt – der Sinn und Zweck der Kündigungssperre des § 112 InsO darin, die Masse zu erhalten, um die Sanierungschancen der in der Insolvenz fortgeführten Unternehmen zu wahren. Die Rechtsstellung eines Insolvenzschuldners, der etwa im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens unter Aufrechterhaltung des bestehenden Mietvertrags saniert werden soll, verschlechtert sich jedoch nicht unerheblich, wenn die sein Gebrauchsrecht sichernde Dienstbarkeit infolge der Insolvenz erlischt. c) Analoge Anwendung Dem Wortlaut nach betrifft § 112 InsO nur Kündigungen des Vermieters oder Verpächters. Die Vorschrift ist jedoch insbesondere auf Kaufverträge analog anzuwenden, wenn die Kaufsache bereits an den Schuldner übergeben worden und für die Fortführung des Betriebes notwendig ist6.
266
Wenn auch § 107 Abs. 2 InsO entnommen werden kann, dass der Gesetzgeber die 267 Problematik gesehen und dennoch für Verzugsfälle im Kaufrecht keine dem § 112 InsO entsprechende Regelung geschaffen hat, ist eine analoge Anwendung erforderlich, um den insolvenzvertragsrechtlichen Vorschriften im Hinblick auf die durch die 1 2 3 4 5 6
BGH v. 13.12.2012 – IX ZR 9/12, NZI 2013, 158. Dahl, FS Görg, 2010, S. 119. Dahl, FS Görg, 2010, S. 119 (120). Dahl. FS Görg, 2010, S. 119 (138). BGH v. 7.4.2011 – V ZB 11/10, NZI 2011, 443. Marotzke in HK-InsO, § 112 Rz. 24; a.A. Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 112 Rz. 16; Wegener in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 112 Rz. 19.
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§8
Rz. 268
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
Schuldrechtsreform eingeführten erleichterten Rücktrittsregeln Geltung zu verschaffen1. So ist insbesondere nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB eine dem Rücktritt vorausgehende Fristsetzung dann entbehrlich, wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen einen sofortigen Rücktritt rechtfertigen. Obwohl der Auffangtatbestand des § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB bei Vermögensverschlechterung des Schuldners aus Sicht des Gläubigers stets gegeben sein dürfte, kann diese Sichtweise für den Bereich der Unternehmensinsolvenz keine Anerkennung finden. 268 Insbesondere kommt nach vorherrschender Auffassung eine analoge Anwendung des § 112 Nr. 1 InsO in Betracht2. Eine andere Ansicht entnimmt § 112 Nr. 2 InsO einen verallgemeinerungswürdigen Rechtsgedanken, wonach eine Kündigung wegen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeschlossen ist3. Sowohl die Vorschrift des § 112 InsO als auch die Regelung des § 107 InsO beruhen auf dem Gedanken, „dass die wirtschaftliche Einheit im Besitz des Schuldners nicht zur Unzeit auseinandergerissen werden darf“4. Dem Insolvenzverwalter muss es daher möglich bleiben, sein Wahlrecht auszuüben, so dass der Ausnahmetatbestand des § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB ohne Nachfrist nicht allein wegen einer Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners als erfüllt anzusehen ist. 268a Wegen des pachtähnlichen Charakters und der vergleichbaren Interessenlage wird insbesondere in der Literatur auch eine analoge Anwendung des § 112 InsO auf Lizenzverträge überwiegend bejaht5. Eine Kündigungssperre ist für den Lizenzgeber jedoch insbesondere problematisch, wenn eine umsatzabhängige Lizenzgebühr vereinbart worden ist6. Zum Teil wird vorgeschlagen, der Lizenzgeber könne sich dadurch absichern, indem vereinbart wird, dass eine Ausübungspflicht des Lizenznehmers besteht und ein Verstoß gegen diese Pflicht einen Kündigungsgrund darstellt7. Es ist jedoch zweifelhaft, ob eine solche Vereinbarung nicht als Umgehung des § 112 InsO anzusehen ist und somit gegen § 119 InsO verstößt. 8. Zwischenvermietung 268b Einen Sonderfall stellt der Fall der Zwischenvermietung dar. Gemeint ist damit, dass der künftige Schuldner Räumlichkeiten anmietet und dann an einen Dritten untervermietet8. Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO bestehen Haupt- und Untermietverhältnis zunächst fort. Nach einer Entscheidung des allerdings nicht für das Insolvenzrecht zuständigen VIII. Senats des BGH soll der (vorläufige) Insolvenzverwalter der Zwischenmieterin verpflichtet sein, die von dem Endmieter eingezogene Miete an den Hauptvermieter weiterzuleiten. Erklärt er dennoch, er werde die Miete nicht weiterleiten, so ist der Hauptvermieter zur fristlosen Kündigung des Zwischenmietverhältnisses berechtigt, auch wenn ein Zahlungsrückstand i.S.d. § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB noch nicht entstanden ist9. Der IX. Senat hat jedoch entschieden10, dass ein vorläufiger Insolvenz1 Ausführlich dazu Marotzke, KTS 2002, 1 ff.; Mossler, ZIP 2002, 1831 ff. 2 AG Düsseldorf v. 11.5.2000 – 27 C 18049/99, DZWIR 2000, 347 (348); MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 66; Marotzke in HK-InsO, § 107 Rz. 31; Marotzke, KTS 2002, 1 (9); Tintelnot in Kübler/ Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 112 Rz. 5; a.A. Balthasar in Nerlich/ Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 112 Rz. 16; Schwörer, Lösungsklauseln für den Insolvenzfall, 2000, Rz. 476. 3 Berscheid in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 112 Rz. 8. 4 Vgl. zu § 126 RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 148. 5 Marotzke in HK-InsO, § 112 Rz. 24; Wegener in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 112 Rz. 5; Abel, NZI 2003, 121 (127); v. Frentz/Marrder, ZUM 2003, 94 (99); Hoffmann, ZInsO 2003, 732 (736); wohl auch Stickelbrock, WM 2004, 549 (555 ff.). 6 Vgl. hierzu Schmoll/Hölder, GRUR 2004, 743 (745 ff.). 7 Schmoll/Hölder, GRUR 2004, 743 (746). 8 Hierzu ausführlich Marotzke, ZInsO 2007, 1 ff.; MünchKommInsO/Ganter, § 47 Rz. 26 f. 9 BGH v. 9.3.2005 – VIII ZR 394/03, ZIP 2005, 1085 ff. = NZI 2005, 450; s. dazu auch Drasdo, NZI 2005, 452. 10 BGH v. 24.1.2008 – IX ZR 201/06, NZI 2008, 295.
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Sonderregelungen fr die Behandlung von Dauerschuldverhltnissen
Rz. 268d
§8
verwalter mit Zustimmungsvorbehalt insolvenzrechtlich nicht verpflichtet ist, der Weiterleitung der Mietzahlungen, die der Schuldner als Zwischenvermieter erhält, an den Hauptvermieter, zuzustimmen. Bei Unterlassung der Mietzahlung wird ein fristloses Kündungsrecht des Vermieters, jedoch keine Masseschuld begründet1. Während dem Insolvenzverwalter selbst als Vermieter ein Sonderkündigungsrecht 268c gegenüber seinem Untermieter nicht zusteht, kann er – und muss im Interesse der Insolvenzmasse gegebenenfalls – das Hauptmietverhältnis nach § 109 InsO kündigen. Auch besteht das Risiko einer von § 112 InsO unabhängigen Kündigung des Hauptmietverhältnisses durch den Vermieter. Der Anspruch des Untermieters gegen den Schuldner auf Überlassung des Mietobjektes kann dann durch letzteren bzw. dessen Insolvenzverwalter nicht mehr erfüllt werden. Im Falle der vereinbarten, gewerblichen Weitervermietung zu Wohnzwecken ergibt sich die Rechtsfolge unmittelbar aus § 565 BGB: Der Hauptvermieter tritt in das Untermietverhältnis ein ohne dass ein Schaden entsteht2. Die Regelung ist indes nicht auf nicht Wohnzwecken dienende oder gewerbliche Untervermietungen anwendbar3. In der Folge ist daher umstritten, ob der sich daraus ergebende Schadensersatzanspruch des Untermieters gegen seinen Vermieter, den Schuldner, eine Masseverbindlichkeit ist oder eine schlichte Insolvenzforderung darstellt. Den Schadensersatzanspruch des Untermieters haben Reichsgericht und Bundes- 268d gerichtshof unter der Geltung der Konkursordnung als einfache Konkursforderung eingeordnet4; als mittelbare Folge der Konkurseröffnung, so die Begründung, falle er unter § 26 Satz 2 KO. Dem hat sich das konkursrechtliche Schrifttum – soweit ersichtlich – allgemein angeschlossen5. Ob der vorgenannten Auffassung auch noch unter dem Geltungsbereich der Insolvenzordnung gefolgt werden kann, ist in der Literatur umstritten, Rechtsprechung zu der Frage existiert – soweit ersichtlich – nicht. Eine Stimme in der Literatur hält die zu § 26 Satz 2 KO entwickelte Rechtsprechung für nicht auf die Insolvenzordnung übertragbar und betrachtet den Schadensersatzanspruch als Masseverbindlichkeit6. Zur Begründung führt sie an, dass der Ersatzanspruch auf einer Verwaltungsmaßnahme des Insolvenzverwalters i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO beruhe. Das Untermietverhältnis, das der Schuldner als Vermieter eingegangen sei, könne der Verwalter nicht auflösen. Durch die Verwaltungsmaßnahme – Kündigung des Hauptmietverhältnisses – werde es nicht betroffen, da es unabhängig von dessen Bestand fortdauere. Eine dem § 26 Satz 2 KO entsprechende Vorschrift fehle in der InsO. § 108 Abs. 3 InsO (§ 108 Abs. 2 InsO a.F.) greife nicht ein, da der Rechtsmangel im Untermietverhältnis erst nach der Verfahrenseröffnung entstehe7. Anderer Auffassung nach ist der Schadensersatzanspruch auch im Anwendungsbereich der Insolvenzordnung nur als einfache Insolvenzforderung anzusehen8. Wenn der Eigentümer den Mietgegenstand herausverlange, realisiere sich nur ein im Vorfeld der Insolvenz eingegangenen Risikos des Vertragspartners (= Untermieter)9. Wie der Verwalter des Eigentümer-Vermieters das Mietverhältnis durch freihändige Veräußerung des Mietgrundstücks mit der Folge einer bloßen Insolvenzforderung zu Ende bringen kann, da die infolge einer Kündigung des Erwerbers nach § 111 InsO entstehenden Ersatzansprüche des Mieters ganz herrschender Auffassung nach lediglich Insolvenzforderungen darstellen10, müsse dem Insolvenzverwalter des Zwi1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
BGH v. 24.1.2008 – IX ZR 201/06, NZI 2008, 295. Ringstmeier in Mohrbutter/Ringstmeier, Insolvenzverwaltung, § 40 Rz. 16. Weidenkaff in Palandt, Kommentar zum BGB, § 565 Rz. 2, 4. RGZ 67, 372; BGH v. 15.4.1955 – V ZR 22/54, NJW 1955, 948. Jaeger/Henckel, Kommentar zur KO, 9. Aufl. (1997), § 21 Rz. 5; Kuhn/Uhlenbruck, Kommentar zur KO, 11. Aufl. (1994), § 21 Rz. 4. Wolf/Eckert/Ball, Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, Rz. 1567. Wolf/Eckert/Ball, Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, Rz. 1567. Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 108 Rz. 16b; Marotzke in HK-InsO, § 108 Rz. 40. Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 108 Rz. 16b. Marotzke in HK-InsO, § 108 Rz. 40; Wegener in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 111 Rz. 13; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 111 Rz. 14; Bal-
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§8
Rz. 268e
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
schenvermieters durch Kündigung gegenüber dem Vermieter nach § 109 Abs. 1 InsO dieselbe Möglichkeit offen stehen1. Zudem sei die restriktive Auslegung des § 21 KO, die dessen Anwendung nur auf Fälle der Zugehörigkeit der Mietsache zur Konkursmasse beschränkte, auf die Insolvenzordnung zu übertragen. Auch die Anwendung des § 108 Abs. 1 InsO sei daher auf den Fall zu beschränken, dass die vom Schuldner vermietete Sache zur Insolvenzmasse gehört2. Der letztgenannten Ansicht ist zu folgen, die §§ 21 KO und 108 InsO entsprechen einander dem Inhalt nach, eine Auslegung des § 108 InsO nach den Kriterien, die bereits bei § 21 KO angewendet wurden, ist sinnvoll3. Zudem ist nicht einzusehen, warum – wie die Gegenseite anführt – der zu § 26 KO entwickelten Rechtsprechung nicht mehr gefolgt werden dürfe: Bereits im Geltungsbereich der KO verhinderte die restriktive Auslegung des § 21 KO dessen Anwendung für den Fall, dass das Mietobjekt nicht der Insolvenzmasse zuzurechnen war. 268e Vermietet der Insolvenzverwalter – unter Verletzung der mietvertraglichen Pflicht, vor einer Untervermietung die Zustimmung des Vermieters einzuholen – eine vom Schuldner angemietete Immobilie an einen unzuverlässigen Untermieter und gefährdet er dadurch den Rückgabeanspruch des aussonderungsberechtigten Vermieters, kann dies seine persönliche Haftung begründen4. 268f Sofern das Hauptmietverhältnis beendet wurde und der Hauptvermieter in das Untermietverhältnis eintritt, haftet er nach §§ 565 Abs. 2, 566a BGB den Untermietern auch für die Kautionsrückzahlung. Dies ist gerechtfertigt, da sich die Haftung des Hauptvermieters nicht zu Lasten der Insolvenzmasse des Zwischenvermieters auswirken kann. Aus diesem Grund ist auch eine Gleichstellung mit dem Erwerb aus der Insolvenzmasse in diesem Fall nicht geboten. Dem Hauptvermieter steht allerdings in entsprechender Anwendung von § 109 Abs. 1 Satz 3 InsO ein als Insolvenzforderung zu qualifizierender Schadensersatzanspruch zu. Mit diesem kann er gegen vorinsolvenzlich entstandene Forderungen des insolventen Zwischenvermieters, insbesondere etwa auf Rückzahlung einer von diesem seinerseits an den Hauptvermieter geleisteten Kaution, aufrechnen5. 9. Praxistipp/Musterschreiben 269 M 16
Musterschreiben fr eine Kndigung des Mietverhltnisses durch den Insolvenzverwalter nach § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO
Sehr geehrter Herr ABC, mit anliegendem Beschluss des Amtsgerichts – Insolvenzgerichts – DEF vom 00.00.00 ist das Insolvenzverfahren ber das Vermçgen der XYZ erçffnet und der Unterzeichner zum Insolvenzverwalter bestellt worden. Zwischen der Schuldnerin und Ihnen besteht ein Mietvertrag ber Geschftsrume in dem Mietobjekt (Adresse) vom 00.00.00. Nach § 109 Abs. 1 InsO bin ich berechtigt, das Mietverhltnis ohne Rcksicht auf die vereinbarte Vertragsdauer unter Einhaltung der dreimonatigen (bzw. der gesetzlichen) Frist zu kndigen. Ich kndige daher das Mietverhltnis formund fristgerecht zum 00.00.00 Mit freundlichen Grßen
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thasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 111 Rz. 15; kritisch Ringstmeier in Mohrbutter/Ringstmeier, Insolvenzverwaltung, § 40 Rz. 17; a.A. wohl nur MünchKommInsO/Eckert, § 111 Rz. 29 ff., der den Schadensersatzanspruch als Masseverbindlichkeit einordnet. Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 108 Rz. 16b. Marotzke in HK-InsO, § 108 Rz. 40. So auch Marotzke, ZinsO 2007, 1 (7), der überdies die nunmehr geltende Kündigungsfrist des § 109 Abs. 1 S. 2 InsO analog gegenüber dem Untermieter anwenden möchte. BGH v. 25.1.2007 – IX ZR 216/05, ZIP 2007, 539 = NZI 2007, 286. Vgl. dazu ausführlich Dahl, FS Görg, 2010, S. 119 (136 ff.).
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Sonderregelungen fr die Behandlung von Dauerschuldverhltnissen
Rz. 272
§8
M 17 Musterschreiben fr eine Erklrung des Insolvenzverwalters nach
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§ 109 Abs. 1 Satz 2 InsO Sehr geehrter Herr ABC, mit anliegendem Beschluss des Amtsgerichts – Insolvenzgerichts – DEF vom 00.00.00 ist das Insolvenzverfahren ber das Vermçgen der XYZ erçffnet und der Unterzeichner zum Insolvenzverwalter bestellt worden. Zwischen der Schuldnerin und Ihnen besteht ein Mietvertrag ber Wohnrume in dem Mietobjekt (Adresse) vom 00.00.00. Nach § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO bin ich grundstzlich berechtigt, Mietverhltnisse ohne Rcksicht auf die vereinbarte Vertragsdauer unter Einhaltung der gesetzlichen Frist zu kndigen. Eine Ausnahme gilt jedoch fr Wohnraummietverhltnisse des Schuldners, die nicht gekndigt werden kçnnen. Gleichwohl bin ich nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO stattdessen berechtigt zu erklren, dass Ansprche, die nach Ablauf der ordentlichen Kndigungsfrist – hier also nach dem 00.00.00 – fllig werden, nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden kçnnen. Ich erklre daher, dass nach dem 00.00.00 fllig werdende Ansprche nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden kçnnen. Mit freundlichen Grßen
M 18 Musterschreiben des Insolvenzverwalters an einen Vermieter wegen Kndigungs-
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sperre nach § 112 InsO Sehr geehrter Herr ABC, bekanntlich ist mit anliegendem Beschluss des Amtsgerichts – Insolvenzgerichts – DEF vom 00.00.00 das Insolvenzverfahren ber das Vermçgen der XYZ erçffnet und der Unterzeichner zum Insolvenzverwalter bestellt worden. Der gerichtlichen Insolvenzakte zu Az . . . ist zu entnehmen, dass der Schuldner am 00.00.00 Antrag auf Erçffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hat. Zwischen der Schuldnerin und Ihnen besteht ein Mietvertrag ber Geschftsrume vom 00.00.00, den Sie am 00.00.00 und damit nach Insolvenzantrag wegen Verzugs des Schuldners mit der Entrichtung des Mietzins gekndigt haben. Hierbei beziehen Sie sich ausdrcklich auf Mietzinsen fr die Zeit vor dem Insolvenzantrag. Ich weise darauf hin, dass gemß § 112 Nr. 1 InsO ein Miet- oder Pachtverhltnis, das der Schuldner als Mieter oder Pchter eingegangen war, nach dem Antrag auf Erçffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr wegen eines Verzugs mit der Entrichtung der Miete oder Pacht, der in der Zeit vor dem Erçffnungsantrag eingetreten ist, gekndigt werden kann. Mit freundlichen Grßen
M 19 Musterschreiben des Glubigervertreters an den Insolvenzverwalter wegen
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Rcktritts vom Vertrag nach § 109 Abs. 2 InsO Sehr geehrter Herr Insolvenzverwalter ABC, ich zeige an, dass mich DEF mit der Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen beauftragt hat. Eine auf mich lautende Originalvollmacht liegt anbei. Zwischen der Schuldnerin und meiner Mandantin besteht der ebenfalls anliegende Mietvertrag ber die Geschftsrume in der (genaue Bezeichnung von Straße und Ort). Die Rume sollen der Schuldnerin am 00.00.00 von meiner Mandantin bergeben werden. Zwischenzeitlich wurde aber am 00.00.00 das Insolvenzverfahren ber das Vermçgen der Gemeinschuldnerin erçffnet. Meine Mandantin macht daher hiermit von den ihr in § 109 Abs. 2 InsO eingerumten Rechten Gebrauch und tritt vom Vertrag zurck. Mit freundlichen Grßen
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§8
Rz. 273
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
VIII. Erlöschen von Aufträgen und Geschäftsbesorgungsverträgen, §§ 115, 116 InsO 1. Allgemeines/Normzweck 273 Der Schuldner verliert gemäß § 80 InsO mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Verwaltungs- und Verfügungsrecht über die Insolvenzmasse (hierzu § 6 Rz. 147). Dementsprechend soll auch ein Dritter, der sein Recht vom Schuldner ableitet, auf die Insolvenzmasse nicht mehr einwirken können. 274 Beide Vorschriften, die wegen § 119 InsO zwingendes Recht sind1, verfolgen daher den Zweck, zu verhindern, dass Dritte unter Berufung auf entsprechende vertragliche Bindungen Geschäfte für den Schuldner besorgen und dadurch den Insolvenzverwalter in der Erfüllung seiner Aufgaben behindern. 2. Tatbestandsvoraussetzungen, §§ 115 Abs. 1, 116 Satz 2 InsO 275 Für die Einordnung des Rechtsgeschäfts als Auftrag oder Geschäftsbesorgungsvertrag sind die bei §§ 662, 675 BGB anerkannten Grundsätze maßgebend2. Der Begriff der Geschäftsbesorgung setzt auch im Bereich der §§ 115, 116 InsO eine aufgrund Dienst- oder Werkvertrag in fremdem Interesse ausgeübte, selbständige, entgeltliche Tätigkeit wirtschaftlicher Art voraus, wobei es auf eine genaue Abgrenzung zwischen Dienst- und Werkvertrag angesichts des Umstandes, dass beide Vertragstypen unter den Anwendungsbereich der Bestimmung fallen, nicht ankommt. 276 Mit der Besorgung eines Geschäfts i.S.d. § 662 BGB ist demgegenüber eine unentgeltliche Tätigkeit jedweder Art in fremdem Interesse, sei sie rechtlicher oder tatsächlicher, selbständiger oder unselbständiger, wirtschaftlicher oder nichtwirtschaftlicher Art, gemeint. Da vermögensbezogene Aufträge kaum unentgeltlich vorkommen, erlangt § 115 InsO seinen Anwendungsbereich fast ausschließlich aus der Verweisung auf § 116 InsO3. 277 Beispiele für Auftragsverhältnisse i.S.d. § 115 InsO mit Bezug auf das Vermögen des Schuldners betreffen die unentgeltlich übernommene Verpflichtung zur Übernahme einer Bürgschaft, zur Erteilung eines Gefälligkeitsakzepts oder zur Bestellung von sonstigen Sicherheiten. 278 Als unter § 116 InsO fallend können beispielhaft folgende Vertragstypen aufgezählt werden: – Agenturverträge; – Baubetreuungsverträge, weil hierfür kennzeichnend ist, dass der Baubetreuer im Namen und für Rechnung des Bauherrn die planerische Gestaltung sowie die Durchführung, Beaufsichtigung und Abrechnung des Bauprojekts wahrnimmt; – Beratungsverträge wie die Verträge des Schuldners mit seinem Rechtsanwalt, Patentanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer. Die schuldrechtliche Bestellung eines Abschlussprüfers für das Geschäftsjahr vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bleibt jedoch bestehen. Zwar ist die Rechtsnatur des Prüfungsauftrags eines Wirtschaftsprüfers nach wie vor umstritten4. Die §§ 115, 116 InsO werden aber von § 155 Abs. 3 Satz 2 InsO als lex specialis verdrängt5. Der Insolvenzverwalter kann den Prüfungsauftrag gemäß § 318 Abs. 1 Satz 5 HGB widerrufen, wenn ein anderer Prüfer durch das Registergericht bestellt worden ist6.
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BGH v. 6.7.2006 – IX ZR 121/05, ZInsO 2006, 1055. Huber in Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 36 Rz. 43. Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, §§ 115, 116 Rz. 4. Vgl. beispielweise OLG Dresden v. 30.9.2009 – 13 W 0281/09, NZI 2009, 858; MünchKommInsO/ Ott/Vuia, § 116 Rz. 27 (Geschäftsbesorgungsvertrag). 5 Zum Ganzen Ebke in FS Hopt (2010), S. 559 (577 f.) m.w.N. 6 Ebke in FS Hopt (2010), S. 559 (577 f.).
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Erlçschen von Auftrgen und Geschftsbesorgungsvertrgen
Rz. 278e
§8
Hinzuweisen ist darauf, dass der BGH im Geltungsbereich der KO einen Anspruch 278a des Konkursverwalters gegen den Steuerberater des Gemeinschuldners auf Herausgabe der Hauptabschlussübersicht bei Verweigerung des Honorars verneint hat1. Im Anschluss daran wird zum Recht der InsO die Auffassung vertreten, dass Steuer- 278b berater wegen ausstehender Honorare, die als Insolvenzforderungen zur Insolvenztabelle angemeldet werden müssen, berechtigt sind, ihre Arbeitsergebnisse zurückzuhalten, nicht aber Mandantenunterlagen2. So könne der Insolvenzverwalter von dem Steuerberater des Gemeinschuldners etwa im Wege der einstweiligen Verfügung die Herausgabe aller Buchhaltungsausdrucke verlangen3. Eine andere Ansicht erkennt ebenfalls ein Zurückbehaltungsrecht des bevollmäch- 278c tigten Steuerberaters wegen unbezahlter fälliger Forderungen an, hält den Steuerberater aber generell zur Auskunft sowie dazu verpflichtet, den Auskunftsberechtigten Einsicht in die Handakten zu gewähren oder Gelegenheit zur Fertigung von Kopien zu geben4. Demgegenüber kann nach einer dritten Ansicht der Steuerberater, sofern er gegen- 278d über dem Gemeinschuldner noch Vergütungsansprüche besitzt, diese nicht mit einem daraus resultierenden Zurückbehaltungsrecht durchsetzen, da ein persönliches Recht im Rahmen eines Insolvenzverfahrens nicht berücksichtigungsfähig ist5. Letztlich muss der Steuerberater nach dieser Ansicht auch die Gegenstände herausgeben, die er von Dritten erhalten hat, wie z.B. den Steuerbescheid, wobei Gleiches auch für Arbeitsunterlagen gilt, die er selbst erstellt hat6. In letztere Richtung zielt eine Entscheidung des Landgerichts Cottbus7. Danach 278e steht einem Steuerberater nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen seines Mandanten an von ihm im Rahmen der Finanzbuchhaltung erstellten Kontenblättern und damit an eigenen Arbeitsergebnissen weder ein Zurückbehaltungsrecht nach § 66 Abs. 4 StBerG, dessen Insolvenzfestigkeit verneint wird, noch nach den §§ 320, 273 BGB gegenüber dem Insolvenzverwalter zu. Schließlich hat der Insolvenzverwalter einen Herausgabeanspruch aus § 148 Abs. 1 InsO, der dem vertraglichen Zurückbehaltungsrecht des Steuerberaters vorgeht8. – Das öffentlich-rechtliche Sonderverhältnis zwischen Notar und Urkundspartei in Ansehung der Verpflichtung des Notars, gegenüber dem Grundbuchamt durch Stellung von Anträgen tätig zu werden9. – Einziehungs- und Inkassoverträge, weil der Zessionar verpflichtet ist, die Forderung für Rechnung und im Interesse des Zedenten einzuziehen und Weisungen des Zedenten Folge zu leisten. – Der Factoring-Vertrag10 wird allgemein als ein gemischt typischer Vertrag mit Elementen einer Geschäftsbesorgung angesehen, so dass in der Insolvenz des Anschlusskunden § 116 InsO Anwendung findet. Gleiches gilt für den Rahmenvertrag.
1 BGH v. 25.10.1988 – XI ZR 3/88, ZIP 1988, 1474. 2 Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, §§ 115, 116 Rz. 18; Kießner in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 116 Rz. 26; Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 116 Rz. 9. 3 Wegener in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 116 Rz. 30; Kießner in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 116 Rz. 26; Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 116 Rz. 9; Sinz in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 116 Rz. 9; Wollweber, DStR 2010, 1801. 4 MünchKommInsO/Passauer/Stephan, § 97 Rz. 27. 5 Wegener in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 116 Rz. 30. 6 Wegener in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 116 Rz. 30; Hess, Kommentar zur KO, 6. Aufl. (1994), § 23 Rz. 6. 7 LG Cottbus v. 23.5.2001 – 1 S 42/01, ZInsO 2002, 635. 8 Kritisch Wollweber, DStR 2010, 1801 (1807). 9 BayObLG v. 3.9.2003 – 3 Z BR 113/03, ZInsO 2003, 1143 (1145). 10 Ausführlich dazu MünchKommInsO/Ott/Vuia, § 116 Rz. 13 ff.
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§8
Rz. 279
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
– Girovertrag als Rahmenvertrag nebst Neben- oder Folgevereinbarungen oder -aufträgen. Die Bank ist aber in Nachwirkung des Girovertrags befugt und verpflichtet, noch eingehende Überweisungsbeträge für den Schuldner entgegenzunehmen und seinem Konto gutzuschreiben. – Handelsrechtliche Vertragstypen sind Geschäftsbesorgungsverträge, soweit sie nicht den Güter- und Leistungsaustausch selbst, sondern dessen Vorbereitung und Unterstützung betreffen. Hierunter fallen Absatzmittlerverträge wie der Handelsvertretervertrag1, Ein- und Verkaufskommissionen sowie Speditionsverträge in der Insolvenz des Versenders. Der Handelsvertretervertrag ist aber nur im Falle der Insolvenz des Geschäftsherrn eine Geschäftsbesorgung. Bei der Insolvenz des Verpflichteten einer Geschäftsbesorgung, bleibt das Dienstverhältnis des Verpflichteten nach § 108 Abs. 1 InsO mit Wirkung für die Insolvenzmasse bestehen2. – Kautionsversicherungsverträge3 sind als Geschäftsbesorgungsverträge zu qualifizieren, die mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens für die Zukunft erlöschen4. Die bereits geleisteten Zahlungen wurden dann ohne rechtlichen Grund geleistet. Ein Rechtsgrund bestünde nur dann, wenn die Prämien als Gegenleistung für die den Avalgebern eingeräumten einzelnen Avale bezahlt worden wären5. Bei einer Erfüllungsablehnung kann der Versicherer keine Prämien für die Zeit nach Insolvenzeröffnung verlangen6. – Kommissionsvertrag in der Insolvenz des Kommittenten sowie der Kommissionsverlagsvertrag in der Insolvenz des Verfassers. – Kontokorrentvertrag mit der Maßgabe, dass bei Verfahrenseröffnung ein außerordentlicher Saldenabschluss vorzunehmen ist. Die Eröffnung eines Verfahrens über das Vermögen einer Lieferantin führt automatisch zu Beendigung des Kontokorrentverhältnisses7. Dabei wirkt gleichzeitig die Beschränkung des § 91 InsO, so dass an den Gegenständen der Insolvenzmasse – hier den bisher kontokorrentgebundenen Einzelforderungen und dem kausalen Schlusssaldo – nicht wirksam Rechte erworben werden können8. – Maklervertrag, da der Makler die Herbeiführung der Bereitschaft eines Dritten zum Abschluss eines Vertrages mit dem Auftraggeber schuldet9. – Projektsteuerungs- und Projektentwicklungsverträge10. – Treuhandverträge, wenn der Treuhänder – wie bei der fremdnützigen Treuhand – Vermögensinteressen des Treugebers wahrzunehmen hat. Auch die Doppeltreuhand fällt aus diesem Grund in den Anwendungsbereich des § 116 InsO, nicht dagegen die eigennützige Treuhand. 279 Ausgenommen vom Anwendungsbereich der §§ 115, 116 InsO sind Zahlungsaufträge sowie Aufträge zwischen Zahlungsdienstleistern oder zwischengeschalteten Stellen (§§ 675c ff. BGB) und Aufträge zur Übertragung von Wertpapieren (§ 675b BGB)11.
1 BGH v. 10.12.2002 – X ZR 193/99, ZIP 2003, 216. 2 OLG Düsseldorf v. 18.12.2009 – 16 U 160/09, NZI 2010, 105; Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 116 Rz. 2. 3 BGH v. 6.7.2006 – IX ZR 121/05, NZI 2006, 637 ff.; OLG Frankfurt/M. v. 2.6.2005 – 3 U 185/04, ZIP 2005, 1245 ff.; Dahl, NJW-Spezial 2008, 693. 4 BGH v. 24.6.2010 – IX ZR 199/09, NZI 2010, 859; bestätigt durch BGH v. 18.11.2010 – IX ZR 17/10, ZIP 2011, 282. 5 BGH v. 24.6.2010 – IX ZR 199/09, NZI 2010, 859; bestätigt durch BGH v. 18.11.2010 – IX ZR 17/10, ZIP 2011, 282. 6 BGH v. 6.7.2006 – IX ZR 121/05, NZI 2006, 637 ff.; KG v. 4.6.2004 – 7 U 363/03, ZInsO 2004, 979 f. 7 BGH v. 18.3.2010 – IX ZR 111/08, NZI 2010, 443; OLG Köln v. 19.4.2004 – 2 U 187/03, NZI 2004, 668; Marotzke in HK-InsO, § 116 Rz. 5; Wegener in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 116 Rz. 39. 8 BGH v. 25.6.2009 – IX ZR 98/08, NZI 2009, 599 (599 f.). 9 OLG Karlsruhe v. 12.7.1990 – 11 U 8/90, ZIP 1990, 1143. 10 Ausführlich dazu MünchKommInsO/Ott/Vuia, § 116 Rz. 11. 11 Im Rahmen der Novellierung durch das Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie, des zivilrechtlichen Teils der Zahlungsdiensterichtlinie sowie zur Neuordnung der Vor-
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Erlçschen von Auftrgen und Geschftsbesorgungsvertrgen
Rz. 282
§8
Diese bestehen gemäß § 116 Satz 3 InsO mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort. Entsprechendes gilt für Lastschriften im Wege des SEPA-Verfahrens1. Der Girovertrag als Unterform des Zahlungsdienstevertrags i.S.v. § 675f BGB2 wird von § 116 Satz 3 InsO nicht erfasst3. Bezieht sich der Auftrag auf Vermögen, das nicht zur Soll-Masse gehört, ist § 115 279a Abs. 1 InsO tatbestandlich nicht erfüllt4. Ein Massebezug fehlt, wenn der Schuldner einen Dritten mit der Erfüllung seiner Zahlungsverpflichtung (Befriedigung von Abfindungsansprüchen der Arbeitnehmer) beauftragt und ihm dafür das nötige Geld zur Verfügung stellt. Dann kann sich aus den Vereinbarungen zwischen dem Schuldner und dem Dritten ergeben, dass der Schuldner den Auftrag unwiderruflich erteilt und auf seinen Herausgabeanspruch aus § 667 BGB verzichtet hat, wenn zum Zeitpunkt der Eröffnung der Geldbetrag bereits überwiesen und eine treuhänderische Verwaltung mit Rückübertragungsanspruch nicht vereinbart war. An diese Vereinbarung ist in der nachfolgenden Insolvenz des Schuldners auch der Insolvenzverwalter gebunden, wenn das Geld bereits endgültig und wegen § 142 InsO insolvenzrechtlich unanfechtbar aus dem Vermögen des Schuldners in das des Beauftragten gelangt war5. 3. Rechtsfolgen Nach §§ 115 Abs. 1, 116 Satz 1 InsO6 erlöschen die von dieser Vorschrift erfassten Auf- 280 träge und Geschäftsbesorgungsverträge durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens automatisch, und zwar schlechthin, also nicht etwa nur im Verhältnis zur Masse, sondern auch gegenüber dem Schuldner persönlich und für die Zeit nach dem Insolvenzverfahren7. Der andere Teil ist zur weiteren Wahrnehmung von Schuldnerinteressen grundsätz- 281 lich weder berechtigt noch verpflichtet und erlangt keine Rechte mehr gegen die Masse8. Seine Ansprüche auf die ausdrücklich oder stillschweigend vereinbarte Vergütung bzw. auf Verwendungsersatz gemäß §§ 670, 675 BGB ist bloße Insolvenzforderung9. Ansonsten gelten die allgemeinen Vorschriften. So bleibt der andere Teil der Masse vertraglich gemäß §§ 667, 675 BGB zur Herausgabe alles aus der Geschäftsführung Erlangten verpflichtet. Außerdem trifft ihn die in § 666 BGB angeordnete Auskunftserteilungs- und Rechenschaftspflicht. Ein Zurückbehaltungsrecht gegenüber dem Herausgabeverlangen des Insolvenzver- 282 walters steht dem anderen Teil demgegenüber genauso wenig zu wie Schadensersatzansprüche wegen Nichterfüllung, da das Erlöschen des Vertrages nicht auf einer Leistungsstörung bürgerlichen Rechts, sondern auf autonomen Insolvenzvertrags-
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schriften über das Widerrufs- und Rückgaberecht vom 29.7.2009 (BGBl. I S. 2355) wurden die §§ 676 bis 676h BGB durch §§ 675b bis 676c BGB ersetzt und § 116 S. 3 InsO angepasst. Ausführlich Marotzke in HK-InsO, § 116 Rz. 6. Sprau in Palandt, Kommentar zum BGB, § 675f Rz. 11, 22. Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 116 Rz. 11 m.w.N.; zu § 116 S. 3 a.F. Sinz, Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 116 Rz. 4. BAG v. 21.2.2008 – 6 AZR 281/07, NZA 2009, 105, 108. BAG v. 21.2.2008 – 6 AZR 281/07, NZA 2009, 105, 108; Andres in Andres/Leithaus, Kommentar zur InsO, § 115 Rz. 3. Dem entspricht § 23 Abs. 1 S. 1 KO, den der BGH auch auf nach § 9 Abs. 1 GesO zu behandelnde Fälle analog anwendet, BGH v. 18.1.2007 – IX ZR 202/05, ZIP 2007, 543. Huber in Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 36 Rz. 47 m.w.N.; BGH v. 6.7.2006 – IX ZR 121/05, ZInsO 2006, 1055; Ahrendt in Hamburger Kommentar zur InsO, § 115 Rz. 6; Sinz, Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 116 Rz. 8; BGH v. 6.7.2006 – IX ZR 121/05, NZI 2006, 637. BGH v. 6.7.2006 – IX ZR 121/05, NZI 2006, 637; vgl. dazu Sinz in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 116 Rz. 9. BGH v. 6.7.2006 – IX ZR 121/05, NZI 2006, 637.
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§8
Rz. 282a
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
recht beruht1. Soweit der Schuldner Sicherheiten gestellt hat, sichern diese lediglich bereits vor Verfahrenseröffnung entstandene Aufwendungsersatzansprüche2. 282a Die Zulässigkeit einer etwa möglichen Aufrechnung richtet sich nach den §§ 94–96 InsO (hierzu ausführlich § 7 Rz. 488 ff.). 283 Schließlich sind die §§ 115, 116 InsO lex specialis zu § 103 InsO. Der Insolvenzverwalter kann daher nicht einseitig durch Erfüllungswahl die Fortführung des Vertrages bewirken. Hat der Verwalter im Einzelfall Interesse daran, die Tätigkeit eines Dritten (z.B. Steuerberater), die für die Insolvenzmasse von Vorteil ist, weiter zu nutzen, kommt es zu dem Neuabschluss eines Rechtsgeschäfts mit der Folge, dass die daraus resultierenden Forderungen Masseverbindlichkeiten i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO darstellen (zur Rechtsstellung von Geschäftspartnern des Verwalters s. § 14 Rz. 88 ff.). 284 Handelt der Beauftragte trotz Erlöschens des Auftrags weiter, so kommen die Grundsätze über die Geschäftsführung ohne Auftrag, §§ 677 ff. BGB, und die Vorschriften der §§ 177 ff. BGB zur Anwendung. Die dem Beauftragten hieraus entstehenden Aufwendungsersatzansprüche stellen freilich lediglich Insolvenzforderungen i.S. des § 38 InsO dar3. 284a Wird ein zunächst erlassener Eröffnungsbeschluss später aufgehoben, entfällt rückwirkend auch die Unwirksamkeit des Auftrags4. 4. Notgeschäftsführung, §§ 115 Abs. 2, 116 InsO 285 Sinn und Zweck der Notgeschäftsführung ist der Schutz der Insolvenzmasse vor Schäden, die durch das Unterlassen von notwendigen Maßnahmen entstehen können5. § 115 Abs. 2 Satz 1 InsO, auf den § 116 InsO Bezug nimmt, ordnet daher an, dass der Beauftragte dann die Besorgung des übertragenen Geschäfts fortzusetzen hat, bis der Insolvenzverwalter anderweitige Fürsorge treffen kann, wenn mit einem Aufschub Gefahr verbunden ist. 286 Mit dem Aufschub ist immer dann Gefahr verbunden, wenn der Insolvenzmasse bei objektiver Betrachtung Nachteile drohen, was regelmäßig dann angenommen werden kann, wenn der Insolvenzverwalter das Geschäft nicht rechtzeitig selbst besorgen kann6. 287 Da der Auftrag insoweit nach §§ 115 Abs. 2 Satz 1 und 2, 116 Satz 1 InsO als fortbestehend gilt, ordnen §§ 115 Abs. 2 Satz 3, 116 Satz 1 und 2 InsO an, dass die Insolvenzmasse für den auf diese Weise nach Insolvenzeröffnung entstehenden Ersatzanspruch bzw. Vergütungsanspruch einzustehen hat. 5. Unverschuldete Unkenntnis der Eröffnung, §§ 115 Abs. 3, 116 Satz 2 InsO 288 Kennt der Beauftragte die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ohne Verschulden nicht, gilt der Auftrag gemäß §§ 115 Abs. 3 Satz 1, 116 Satz 2 InsO als fortbestehend. Da nach dem Verschuldensmaßstab des § 276 Abs. 1 BGB einfache Fahrlässigkeit genügt, hat sich zumindest derjenige, der Kenntnis von einem Eröffnungsantrag hat, über die am Ende des Eröffnungsverfahrens getroffene Entscheidung des Gerichts zu 1 OLG Düsseldorf 12.3.1982 – 24 U 81/82, ZIP 1982, 471 auch nicht im einstw. Verfügungsverfahren; OLG Stuttgart 1.12.1981 – 12 U 147/81, ZIP 1982, 80; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, §§ 115, 116 Rz. 11; Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 115 Rz. 5; Sinz in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 116 Rz. 9, 12. 2 BGH v. 18.1.2007 – IX ZR 202/05, NZI 2007, 234; BGH v. 6.7.2006 – IX ZR 121/05, NZI 2006, 637; Sinz in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 116 Rz. 9. 3 Kießner in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 115 Rz. 15. 4 BGH v. 18.1.2007 – IX ZR 202/05, NZI 2007, 234; BGH v. 6.7.2006 – IX ZR 121/05, ZInsO 2006, 1055; Sinz in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 116 Rz. 8; Wegener in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 115 Rz. 9, § 116 Rz. 24. 5 BGH v. 6.7.2006 – IX ZR 121/05, ZInsO 2006, 1055; Ahrendt in Hamburger Kommentar zur InsO, § 115 Rz. 7. 6 Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 115 Rz. 6; Sinz in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 116 Rz. 13.
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Erlçschen von Vollmachten, § 117 InsO
Rz. 293
§8
erkundigen1. Die dem Beauftragten aus der Fortsetzung des Auftrags entstehenden Ersatzansprüche sind gemäß § 115 Abs. 3 Satz 2 InsO als Insolvenzforderungen zu behandeln. 6. Praxistipp/Musterschreiben § 116 Satz 3 InsO bestimmt, dass Überweisungsverträge sowie Zahlungs- und Übertragungsverträge mit Wirkung für die Masse fortbestehen. Der Insolvenzverwalter sowie der im Eröffnungsverfahren bestellte vorläufige Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§§ 21 Abs. 2 Nr. 1, 22 Abs. 1 InsO) muss daher im Interesse der Masse die Kündigung der bestehenden Verträge herbeiführen.
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In der Praxis werden insbesondere bei Beratungsverträgen mit Steuerberatern oder 290 Rechtsanwälten Vorschüsse geleistet. Der Insolvenzverwalter sollte daher die vom Schuldner beauftragten Berater nach Insolvenzeröffnung zur Rechnungslegung auffordern und etwa entstehende Überschüsse zur Masse ziehen.
M 20 Musterschreiben des Insolvenzverwalters an Rechtsanwlte, die den Schuldner
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beraten haben Sehr geehrter Herr ABC, mit anliegendem Beschluss des Amtsgerichts – Insolvenzgerichts – DEF vom 00.00.00 ist das Insolvenzverfahren ber das Vermçgen der XYZ erçffnet und der Unterzeichner zum Insolvenzverwalter bestellt worden. Aus den Geschftsunterlagen der Schuldnerin ergibt sich, dass Sie die Schuldnerin in verschiedenen rechtlichen Fragen beraten und gerichtliche Verfahren betreut haben. Ich weise darauf hin, dass gemß §§ 115, 116, 117 InsO mit der Erçffnung des Insolvenzverfahrens fr den Schuldner bernommene Auftrge und Geschftsbesorgungsvertrge ebenso erlçschen wie vom Schuldner erteilte Vollmachten. Ich mçchte Sie hçflichst bitten, ber die Ihnen erteilten Mandate Rechnung zu legen und etwa vorhandene Einnahmen sowie nicht verbrauchte Vorschsse auf das von mir bei der B-Bank eingerichtete Insolvenzverwalteranderkonto Nr. . . . zu berweisen. Schließlich darf ich darum bitten, mir die Handakten der noch laufenden Verfahren zu berlassen und, soweit erforderlich, die das Mandat betreffenden notwendigen Ausknfte zu erteilen. Rein vorsorglich weise ich darauf hin, dass ein Zurckbehaltungsrecht an den Handakten wegen eines die Insolvenzmasse betreffenden Mandats nicht besteht. Mit freundlichen Grßen IX. Erlöschen von Vollmachten, § 117 InsO 1. Allgemeines/Normzweck Wie schon die §§ 115, 116 InsO soll auch die wegen § 119 InsO ebenfalls zwingende 292 Norm des § 117 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters nach Verfahrenseröffnung sicherstellen. Beruht die Vollmacht auf einem Auftrag oder einer Geschäftsbesorgung, ergibt sich die Folge des Erlöschens bereits aus § 168 Satz 1 BGB i.V.m. §§ 115, 116 InsO. Eigenständige Bedeutung gewinnt die Vorschrift aber zum einen hinsichtlich solcher 293 Vollmachten, die auf Grundlage eines Dienstverhältnisses, auf das die Verfahrenseröffnung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO ohne Einfluss bleibt, erteilt worden sind. Zum anderen fallen in den Anwendungsbereich des § 117 InsO die so genannten isolierten Vollmachten, bei denen das ihnen zugrunde liegende Rechtsverhältnis unwirksam ist oder gänzlich fehlt.
1 Huber in Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 36 Rz. 51; Sinz in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 116 Rz. 14.
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§8
Rz. 294
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
2. Tatbestandsvoraussetzungen 294 Ähnlich wie bei §§ 115, 116 InsO erfasst auch § 117 InsO nur Vollmachten, die vom Schuldner erteilt worden sind, während Vollmachten, die dem Schuldner erteilt worden sind, von der Verfahrenseröffnung grundsätzlich unberührt bleiben. 295 Die vom Schuldner erteilte Vollmacht muss sich auf das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen beziehen. Vollmachten, die sich auf unpfändbare und daher nicht dem Insolvenzbeschlag unterliegende Gegenstände beziehen, werden von § 117 Abs. 1 InsO daher ebenso wenig erfasst wie Vollmachten, die in anderen als Vermögensangelegenheiten erteilt worden sind. 296 Die Vorschrift des § 117 Abs. 1 InsO erfasst alle Arten von Vollmachten. Beispielhaft lassen sich aufzählen: – Generalvollmacht; – Spezialvollmacht; – Handelsrechtliche Sonderformen, wie Prokura oder Handlungsvollmacht; – Unwiderrufliche Vollmachten; – Isolierte Vollmachten, die ohne Bezug zu einem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis erteilt wurden; – Prozessvollmachten1, nicht aber die vom Schuldner vorinsolvenzlich einem Rechtsanwalt erteilte Vollmacht zur Vertretung im Insolvenzverfahren, die für Rechtsbehelfe fortbesteht, die dem Schuldner im Insolvenzverfahren persönlich zustehen2. Eine Prozessvollmacht erlischt auch dann nicht, wenn das Verfahren nicht in der Sache weiterbetrieben wird, sondern nur eine gegen § 240 ZPO verstoßende richterliche Entscheidung beseitigt werden soll3. Auch gilt die ursprünglich erteilte Vollmacht bei der späteren Aufnahme eines gemäß § 240 ZPO unterbrochenen Rechtstreits weiter. Die Neuausstellung einer Prozessvollmacht würde in diesen Fällen eine bloße Formalität bedeuten4; – Untervollmachten, die vom Vertreter des Schuldners erteilt worden sind; – gewillkürte Prozessstandschaft5. 297 Keine Vollmacht stellen demgegenüber Einziehungsermächtigungen sowie Verfügungsermächtigungen dar, die mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlöschen, ohne dass es eines Rückgriffs auf § 117 Abs. 1 InsO bedarf6. 298 Schließlich wird von § 117 Abs. 1 InsO nicht eine gesetzliche oder organschaftliche Vertretungsmacht erfasst, deren Beendigung sich nach den besonderen, für das gesetzliche oder organschaftliche Vertretungsverhältnis geltenden Vorschriften richtet7. 3. Rechtsfolgen 299 § 117 Abs. 1 InsO ordnet an, dass vom Schuldner erteilte Vollmachten durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlöschen, sofern sie sich auf das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen beziehen. Maßgeblich ist hierbei der Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses.
1 OLG Brandenburg v. 29.9.2000 – 7 W 47/00, NZI 2001, 255; OLG Köln v. 15.11.2002 – 2 U 79/02, ZInsO 2002, 1185; BAG v. 24.6.2009 – 10 AZR 707/08, NZG 2009, 1197 (1198). 2 OLG Dresden v. 23.7.2002 – 13 W 1466/01, ZIP 2002, 2000; BFH v. 11.10.2007 – IV R 52/04, DStR 2008, 237 (238); BGH v. 20.1.2011 – IX ZB 242/08, ZIP 2011, 1014. 3 LSG Berlin-Brandenburg v. 20.8.2009 – L 4 B 746/07 R, BeckRS 2009, 72140. 4 BAG v. 26.6.2008 – 6 AZR 478/07, NZA 2008, 1204 (1205). 5 BGH v. 10.11.1999 – VIII ZR 78/98, ZIP 2000, 149. 6 MünchKommInsO/Ott/Vuia, § 117 Rz. 11, Rz. 15; Sinz in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 117 Rz. 10. 7 MünchKommInsO/Ott/Vuia, § 117 Rz. 10; Wegener in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 117 Rz. 4.
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Erlçschen von Vollmachten, § 117 InsO
Rz. 301c
§8
Ist im Eröffnungsverfahren ein vorläufiger Insolvenzverwalter gemäß § 22 Abs. 1 300 Satz 1 InsO bestellt worden und die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf ihn übergegangen, ist der vorläufige Verwalter berechtigt, die zuvor vom Schuldner erteilte Vollmacht zu widerrufen1. Bei vorläufiger Insolvenzverwaltung nach § 22 InsO ist die Regelung des § 117 InsO über das Erlöschen einer Prozessvollmacht nicht entsprechend anzuwenden2. Der Prozessbevollmächtigte bleibt empfangs- und zustellungsbevollmächtigt, auch wenn er Rechtsmittel aufgrund der Verfügungsbeschränkung des § 24 InsO grundsätzlich nicht mehr ohne den Insolvenzverwalter einlegen kann. Rechtsmittel zur Beseitigung eines verfahrensfehlerhaft während der Verfahrensunterbrechung ergangenen Urteils darf der Prozessbevollmächtigte aber einlegen. Dem kommt besondere Bedeutung zu, weil ein während der Verfahrensunterbrechung bei vorläufiger Insolvenzverwaltung ergangenes und durch die bisherige Rechtsprechung missverständlich als „unwirksam“ bezeichnetes Urteil nur nach Rechtsmitteleinlegung vom Rechtsmittelgericht aufgehoben werden kann3. Die vom Schuldner erteilte Vollmacht erlischt darüber hinaus auch dann, wenn das Insolvenzgericht mit Insolvenzeröffnung die Eigenverwaltung anordnet, und zwar unabhängig davon, ob dies bereits im Eröffnungsbeschluss gemäß § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO oder erst nachträglich nach § 271 Satz 1 InsO erfolgt4 (zur Anordnung der Eigenverwaltung s. § 13 Rz. 446 ff.).
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Nachdem das Beschwerdegericht eine Pflicht der Registergerichte, das Erlöschen in 301a das Handelsregister von Amts wegen einzutragen, z.T. ausdrücklich abgelehnt5 oder zumindest eine darauf gerichtete Antragspflicht des Insolvenzverwalters verneint6 hatten, ist nun nach § 144c FGG7 vorgesehen, dass die Registergerichte eine bereits bestehende Prokura im Falle der Insolvenzeröffnung als erloschen markieren, da auch die Insolvenzeröffnung selbst von Amts wegen einzutragen ist und auch das Erlöschen der Prokura hierdurch herbeigeführt wird8. Unter der Geltung der KO wurde die Neuerteilung einer Prokura durch den Insol- 301b venzverwalter mit der Begründung, sie sei nicht mit den Aufgaben des Insolvenzverwalters vereinbar, ausgeschlossen. Der Insolvenzverwalter hat jedoch oftmals im Rahmen seiner gesetzlich normierten Verpflichtung zur Betriebsfortführung keine andere Möglichkeit, als Aufgaben zu delegieren und etwa eine Prokura neu zu erteilen. Daher wird heute zunehmend von der Zulässigkeit der Neuerteilung ausgegangen9. Wird hingegen die vollkaufmännische Tätigkeit des Schuldnerunternehmens eingestellt, scheidet eine Neuerteilung nach allgemeinen Grundsätzen aus10. Die Regelungen zur Rechtsscheinhaftung des Vertretenen gemäß §§ 170–173 BGB 301c und die Grundsätze der Anscheins- und Duldungsvollmacht sind in Bezug auf die Masse nicht anwendbar und werden durch die Bestimmungen der InsO verdrängt11. 1 MünchKommInsO/Ott/Vuia, § 117 Rz. 12; Wegener in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 117 Rz. 5; Kießner in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 117 Rz. 12; Sinz in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 117 Rz. 20. 2 Marotzke in HK-InsO, § 117 Rz. 11 m.w.N. 3 FG Hamburg v. 20.8.2011 – 3 K 151/11, ZIP 2011, 2275 f. 4 MünchKommInsO/Ott/Vuia, § 117 Rz. 14, Marotzke in HK-InsO, § 117 Rz. 2; Kießner in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 117 Rz. 13; Sinz in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 117 Rz. 11. 5 LG Halle v. 1.9.2004 – 11 T 8/04, ZIP 2004, 2294 f. 6 LG Leipzig v. 21.11.2006 – 01HK T 407/05, ZInsO 2007, 279, dass sich zur Eintragungspflicht von Amts wegen nicht äußert. 7 Eingefügt durch das Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) v. 10.11.2006 (BGBl. I S. 2553, 2580). 8 Vgl. Kellner, ZInsO 2007, 280. 9 Grundlegend K. Schmidt, BB 1989, 229 (234); Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 117 Rz. 8; MünchKommInsO/Ott/Vuia, § 117 Rz. 17 m.w.N. 10 Sinz in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 117 Rz. 14. 11 Sinz in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 117 Rz. 15; MünchKommInsO/Ott/Vuia, § 117 Rz. 17; Kießner in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 117 Rz. 18.
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Rz. 302
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
4. Notgeschäftsführung und Insolvenzunkenntnis 302 Besteht ein Auftrag oder ein Geschäftsbesorgungsvertrag wegen Gefahr in Verzug nach §§ 115 Abs. 2, 116 InsO fort, gilt dies gemäß § 117 Abs. 2 InsO auch für die Vollmacht mit der Folge, dass die im Rahmen einer berechtigten Notgeschäftsführung getätigten Geschäfte von der Wirkung der Insolvenzeröffnung nicht erfasst werden und die Masse binden1. Auch der Bevollmächtigte selbst ist mit seinen Ersatz- bzw. Vergütungsansprüchen gemäß §§ 117 Abs. 2, 115 Abs. 2 Satz 3, 116 Satz 2 InsO Massegläubiger. 303 Daraus, dass der Gesetzgeber in § 117 Abs. 2 InsO lediglich auf § 115 Abs. 2 InsO Bezug nimmt und ausschließlich Auftrag und Geschäftsbesorgungsvertrag benannt werden, lässt sich schließen, dass die Fiktion des Fortbestehens nicht für Vollmachten gilt, die – wie die isolierte Vollmacht – ohne einen rechtlichen Grund bestehen oder auf einem anderen Grundverhältnis, insbesondere einem Dienstverhältnis, beruhen2. 304 Gilt der Auftrag oder Geschäftsbesorgungsvertrag nach §§ 115 Abs. 3, 116 Satz 1 InsO zugunsten des gutgläubigen Beauftragten als fortbestehend, erlischt die vom Schuldner erteilte Vollmacht gleichwohl, da eine entsprechende Verweisung in § 117 Abs. 2 InsO auf § 115 Abs. 3 InsO fehlt. § 117 Abs. 3 InsO ordnet insoweit an, dass der Bevollmächtigte, solange ihm die Eröffnung des Verfahrens ohne Verschulden unbekannt geblieben ist, nicht der Haftung gemäß § 179 BGB als Vertreter ohne Vertretungsmacht unterliegen soll. 305 Handelt der Bevollmächtigte in diesen Fällen weiterhin auf Grund der ihm vom Schuldner erteilten Vollmacht, wird er als vollmachtloser Vertreter tätig. Das Vertretergeschäft wirkt hierbei weder gegen die Insolvenzmasse noch gegen den Schuldner persönlich, es sei denn, der Insolvenzverwalter genehmigt das Geschäft nach § 177 Abs. 1 BGB3. 306 Ohne Genehmigung ist es dem Vertragspartner des Vertreters verwehrt, entsprechende vertragliche Ansprüche geltend zu machen, da er nicht schützenswerter ist als wenn der Schuldner, der gemäß den in den §§ 80, 81 InsO enthaltenen Regelungen die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen verloren und diese nicht mehr wirksam verpflichten kann, selbst gehandelt hätte4. Darüber hinaus werden die gesetzlichen Bestimmungen über die Rechtsscheinhaftung des Vertretenen sowie die Grundsätze der Anscheins- und Duldungsvollmacht durch die Regelungen der InsO verdrängt5. 307 Hat der Vertreter die Eröffnung des Verfahrens schuldhaft nicht gekannt, so greift der in § 117 Abs. 3 InsO angeordnete Haftungsausschluss nicht ein. Eine Haftung des Vertreters auf das Erfüllungsinteresse ist aber ebenso wenig gegeben wie eine Haftung auf den Vertrauensschaden, weil der Schaden des Vertragspartners nicht ursächlich darauf beruht, dass er auf die Vertretungsmacht des Bevollmächtigten vertraut hat, sondern darauf, dass der Schuldner wegen der Verfahrenseröffnung keine rechtsgeschäftlichen Verpflichtungen mit Bezug auf die Masse eingehen konnte6. Die Haftung des Bevollmächtigten beschränkt sich daher auf das negative Interesse7.
1 MünchKommInsO/Ott/Vuia, § 117 Rz. 16; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 117 Rz. 23; Sinz in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 117 Rz. 17. 2 Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 117 Rz. 5; a.A. wohl Marotzke in HK-InsO, § 117 Rz. 6. 3 MünchKommInsO/Ott/Vuia, § 117 Rz. 18; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 117 Rz. 24; Kießner in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 117 Rz. 17. 4 Kroth in Braun, Kommentar zur InsO, § 117 Rz. 6; Huber in Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 36 Rz. 54. 5 Kießner in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 117 Rz. 18. 6 MünchKommInsO/Ott/Vuia, § 117 Rz. 19 m.w.N. 7 Wegener in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 117 Rz. 10; Sinz in Uhlenbruck, Kommentar zur InsO, § 117 Rz. 18.
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Unwirksamkeit abweichender Vereinbarungen, § 119 InsO
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§8
§ 117 Abs. 3 InsO ist auch anwendbar, wenn über das Vermögen des Schuldners be- 307a reits zum Zeitpunkt der Vollmachtserteilung das Insolvenzverfahren eröffnet war1. Es ist kein Grund ersichtlich, dem Vertreter die Haftung nach § 179 BGB aufzubürden, wenn das Insolvenzverfahren ohne Kenntnis des Vertreters bereits eröffnet war, ihn aber andererseits von dieser Haftung zu befreien, wenn das Insolvenzverfahren ohne seine Kenntnis erst eröffnet wird, nachdem er bevollmächtigt worden ist2. X. Unwirksamkeit abweichender Vereinbarungen, § 119 InsO 1. Allgemeines/Normzweck § 119 InsO bestimmt, dass die Vorschriften der §§ 103–118 InsO über die Behandlung 308 gegenseitiger Verträge in der Insolvenz zwingendes Recht darstellen. Insbesondere das Erfüllungswahlrecht des Insolvenzverwalters gemäß § 103 InsO, das als zentrale Vorschrift des Insolvenzvertragsrechts der Anreicherung der Masse und damit der gemeinschaftlichen Gläubigerbefriedigung dient, darf weder ausgeschlossen noch beschränkt werden. 2. Lösungsklauseln Höchst umstritten ist, ob sog. Lösungsklauseln vor § 119 InsO Bestand haben oder 309 nicht. Unter Lösungsklauseln sind Vereinbarungen zu verstehen, wonach einer Partei für den Fall der Insolvenz ihres Vertragspartners eine einseitige Lösungsmöglichkeit vom Vertrag (etwa durch Kündigung oder Rücktritt) zusteht bzw. wonach der Eintritt der Insolvenz eine auflösende Bedingung des Vertrages darstellt. a) Grundsätzliche (Un-)Zulässigkeit von Lösungsklauseln § 137 Abs. 2 Satz 1 RegE InsO3 hatte noch Lösungsklauseln für den Fall der Eröffnung 310 des Insolvenzverfahrens ausdrücklich verboten. Infolge der Stellungnahme des Rechtsausschusses, wonach ein Verbot von Lösungsklauseln die Privatautonomie zu sehr einschränken würde und sanierungsfeindliche Wirkung habe4, fand die Vorschrift des § 137 Abs. 2 Satz 1 RegE InsO keine Aufnahme in die InsO. Es verblieb bei der Regelung des § 137 Abs. 1 RegE InsO, die dem heutigen § 119 InsO entspricht. Zum Teil wird aus der Streichung des § 137 Abs. 2 Satz 1 RegE InsO geschlossen, der 311 Gesetzgeber habe eine eindeutige Entscheidung für die grundsätzliche Zulässigkeit von Lösungsklauseln getroffen5. Zudem berufen sich die Befürworter der Zulässigkeit von Lösungsklauseln auf zwei noch zur KO ergangenen Urteile des BGH: Zum einen hatte der BGH das Kündigungsrecht des Auftraggebers wegen Insolvenz des Auftragnehmers gemäß § 8 Nr. 2 Abs. 1 VOB/B als zulässig erachtet6. Zum anderen hatte der BGH7 Ende 1993 einen Fall zu beurteilen, in dem eine 312 Gemeinde der späteren Schuldnerin gestattet hatte, öffentliche Verkehrsflächen unterirdisch zum Errichten und Betreiben einer Breitbandverteilanlage zu nutzen. Im Gegenzug hatte sich die Schuldnerin verpflichtet, die Anlage innerhalb von 3 Jahren ab Vertragsschluss fertig zu stellen und Einwohnern des Vertragsgebietes Kabelanschlüsse anzubieten. Der Gemeinde stand nach dem Vertrag ein außerordentliches Kündigungsrecht für den Fall der Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin zu, bei dessen Ausübung die Anlage entschädigungslos in das Eigentum der Gemeinde übergehen sollte. 1 2 3 4 5
OLG München v. 18.6.2009 – 8 U 5606/08, NZI 2009, 555. OLG München v. 18.6.2009 – 8 U 5606/08, NZI 2009, 555 (556). BT-Drucks. 12/2443, S. 30. BT-Drucks. 12/7302, S. 170. MünchKommInsO/Huber, § 119 Rz. 39 ff.; Ahrendt in Hamburger Kommentar zur InsO, § 119 Rz. 9 ff.; Huber in Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 35 Rz. 13; Socher, Die Vereinbarkeit insolvenzbedingter Lösungsklauseln mit dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters (2003), S. 65 ff.; von Wilmowsky, ZIP 2007, 553 (554). 6 BGH v. 26.9.1985 – VII ZR 19/85, ZIP 1985, 1509. 7 BGH v. 11.11.1993 – IX ZR 257/92, ZIP 1994, 40.
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Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
Der BGH hatte im Ergebnis die Anfechtbarkeit des vereinbarten außerordentlichen Kündigungsrechts wegen Gläubigerbenachteiligung bejaht. Dabei hatte er in zwei knappen Sätzen ausgeführt, eine Benachteiligung entfalle, wenn die Vertragsbestimmung bereits aus anderen Gründen rechtsunwirksam wäre. Dies sei unter der Geltung der KO nicht der Fall, etwas anderes ergebe sich jedoch aus dem zur Zeitpunkt der Entscheidung bereits vorliegenden § 137 Abs. 2 Satz 1 RegE InsO1. 313 Teile der Literatur sind der Ansicht, der BGH habe damit im Rahmen der KO die streitige Frage der Zulässigkeit von Lösungsklauseln entschieden2. Da durch die Streichung des § 137 Abs. 2 Satz 1 RegE InsO die Rechtslage so beibehalten werden solle, wie sie sich unter der KO dargestellt habe, sei somit auch im Rahmen der InsO von der Zulässigkeit von Lösungsklauseln auszugehen3. 313a Der Ansicht, die o.g. Urteile des BGH hätten die Frage der Zulässigkeit von Lösungsklauseln präjudiziert, ist entgegenzutreten: 314 Hinsichtlich des Kündigungsrechts gemäß § 8 Nr. 2 Abs. 1 VOB/B hat der VII. (Baurechts-)Senat ausgeführt, dass der Auftraggeber bzw. Besteller ohnehin stets gemäß § 649 BGB kündigen kann4. § 8 Nr. 2 Abs. 1 VOB/B stelle demzufolge lediglich klar, dass dieses gesetzliche Kündigungsrecht auch bei Insolvenz des Auftragnehmers besteht. Somit handle es sich bei § 8 Nr. 2 Abs. 1 VOB/B schon überhaupt nicht um eine vertraglich vereinbarte Abweichung i.S.d. § 119 InsO5. 315 Mit Blick auf die Entscheidung von 1993 muss in hohem Maße bezweifelt werden, ob der BGH tatsächlich eine derart umstrittene Frage wie die Zulässigkeit von Lösungsklauseln in extrem knapper Weise und ohne auf die einzelnen Meinungen und Argumente einzugehen, entscheiden wollte. Da der BGH im Ergebnis zur Anfechtbarkeit der Lösungsklausel gelangte, kam es ihm offensichtlich nicht entscheidend darauf an, eine Aussage zur grundsätzlichen Zulässigkeit solcher Klauseln zu treffen6. Wie der Verweis im Urteil auf § 137 Abs. 2 Satz 1 RegE InsO zeigt, ging der BGH vielmehr davon aus, dass ein Verbot von Lösungsklauseln kodifiziert werde, so dass ihm möglicherweise eine Streitentscheidung zur Rechtslage unter der KO auch entbehrlich erschien. 316 In diesem Sinne hat der IX. (Insolvenzrechts-)Senat zur Frage der Zulässigkeit von Lösungsklauseln entschieden7. Dem Grunde nach ging es um einen Vertrag über die Lieferung elektrischer Energie. Diesem lag eine Lösungsklausel zugrunde, die eine automatische Vertragsbeendigung bei Eigenantrag oder Gläubigerantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Vertragspartners vorsah. Der Insolvenzrechtssenat entschied, dass die vereinbarte Lösungsklausel gemäß § 119 InsO unwirksam sei. Lösungsklauseln, welche den Bestand des Vertrags an die Stellung eines Insolvenzantrags oder die Insolvenzeröffnung knüpfen, seien unwirksam, da sie das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO ausschließen. Zutreffend wurde ausgeführt, dass die vom Rechtsausschuss befürwortete Zulässigkeit vertraglicher Lösungsklauseln im Gesetzeswortlaut keinen Ausdruck gefunden hat und auch den Zielsetzungen des § 103 InsO widerspreche. Der Anwendbarkeit des § 119 InsO stehe nicht entgegen, dass im streitgegenständlichen Fall die Klausel auf die Antragstellung abstellt. Der Schutz des § 119 InsO wirkt insoweit zeitlich vor. Überdies wird auf § 105 InsO verwiesen. Diesem liefe es zuwider, wenn der Vertrag mittels
1 BGH v. 11.11.1993 – IX ZR 257/92, ZIP 1994, 40 (42). 2 MünchKommInsO/Huber, § 119 Rz. 23; Ahrendt in Hamburger Kommentar zur InsO, § 119 Rz. 9 ff. 3 Vgl. Hess, § 119 Rz. 19, 29. 4 BGH v. 26.9.1985 – VII ZR 19/85, ZIP 1985, 1509 (1510). 5 S. dazu näher Rz. 323 ff. 6 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 119 Rz. 15; Berger, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 12 Rz. 10. 7 BGH v. 15.11.2012 – IX ZR 169/11, NZI 2013, 178 = ZIP 2013, 274; ausführlicher dazu Huber, NZI 2014, 49; ders., ZIP 2013, 493 ff.; Wegener, ZInsO 2013, 1105; Schneider/Köhler, r+s 2013, 267; Raeschke-Kessler/Christopheit, WM 2013, 1592.
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Unwirksamkeit abweichender Vereinbarungen, § 119 InsO
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§8
Lösungsklausel aufgehoben werden kann, obwohl ggf. noch kein Zahlungsrückstand vorlag. Die Entscheidung ist zu begrüßen. Richtigerweise sind insolvenzabhängige Lösungs- 317 klauseln, die für den Fall der Zahlungseinstellung, des Insolvenzantrags oder der Insolvenzeröffnung das Recht einräumen, sich vom Vertrag zu lösen oder den Vertrag unter der auflösenden Bedingung des Eintritts dieser insolvenzbezogenen Umstände stellen, gemäß § 119 InsO unwirksam. Die Zulassung von Lösungsklauseln wäre systemwidrig zu den sonstigen Vorschriften des Insolvenzvertragsrechts, insbesondere zur Grundsatzregelung des § 103 InsO1. Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters wäre in erheblichem Maße ausgehöhlt, wenn sich der andere Teil unter Berufung auf den Insolvenzfall einseitig vom Vertrag lösen könnte2. Gerade das Wahlrecht nach § 103 InsO ist aber ein zentrales Mittel, um die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger als oberstes Ziel des Insolvenzverfahrens zu erreichen. Auch die vom Rechtsausschuss angeführten Argumente der Privatautonomie und 318 der Sanierungsfeindlichkeit des Verbots von Lösungsklauseln3 sind widersprüchlich zu der Zielrichtung der InsO. Der BGH hat in seinem Urteil vom 15.11.2012 dazu zwar nicht weiter Stellung genommen. Dazu bestand im streitgegenständlichen Fall aber auch kein Anlass. Davon abgesehen ist zum einen gerade Charakteristikum der § 103 ff. InsO, dass die Privatautonomie nicht unerheblich eingeschränkt wird, um die Insolvenzmasse zu stärken4. Zum anderen ist die Sanierung nach dem Konzept der InsO gerade ein Ziel, das innerhalb eines einheitlichen Insolvenzverfahrens erreicht werden soll5. Gerade die Vorschrift des § 103 InsO dient dazu, Sanierungsbemühungen zu stärken: Die Möglichkeit des Verwalters, bei beiderseitig noch nicht erfüllten Verträgen Erfüllung zu wählen und die Leistungen des Vertragspartners zur Masse zu ziehen, ist essentiell für die Fortführung eines Unternehmens6. Aufgrund dieser Widersprüchlichkeit der Begründung des Rechtsausschusses muss dieser mithin bei der Auslegung von § 119 InsO nicht gefolgt werden7. Letztlich kommen auch die Befürworter der grundsätzlichen Zulässigkeit von Lö- 319 sungsklauseln nicht zu dem Ergebnis, dass sich der Vertragspartner, zu dessen Gunsten eine Lösungsklausel besteht, im Insolvenzfall stets unproblematisch vom Vertrag lösen kann. Größtenteils wird von den Vertretern dieser Ansicht eine Anfechtbarkeit wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung gemäß § 133 Abs. 1 InsO für möglich gehalten8. Dabei gestehen diese teilweise selbst zu, dass die Beschränkung der Anfechtbarkeit gemäß § 133 Abs. 1 InsO auf Rechtshandlungen in den letzten 10 Jahren vor Stellung des Insolvenzantrags für vertraglich vereinbarte Lösungsklauseln eigentlich wenig sachgerecht ist9. Ein anderer Ansatz ist es, Lösungsklauseln so auszulegen, dass diese nur Anwendung 320 fänden, soweit dem Vertragspartner ein Festhalten am Vertrag wegen drohender Be-
1 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 119 Rz. 15; Berger, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 12 Rz. 23; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 14 Rz. 35; Huber, ZIP 2013, 493 (495); Raeschke-Kessler/Christopheit, WM 2013, 1592 (1595). 2 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 119 Rz. 15; Berger, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 12 Rz. 23; Sinz, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 14 Rz. 35; Tintelnot in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 119 Rz. 16. 3 BT-Drucks. 12/7302, S. 170. 4 Goetsch in Berliner Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 119 Rz. 6; Blank/Möller, ZInsO 2003, 437 (443). 5 Berger, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 12 Rz. 23. 6 Blank/Möller, ZInsO 2003, 437 (443). 7 Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 119 Rz. 15; Berger, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 12 Rz. 19 ff.; Blank/Möller, ZInsO 2003, 437 (443). 8 MünchKommInsO/Huber, § 119 Rz. 56; Ahrendt in Hamburger Kommentar zur InsO, § 119 Rz. 11; von Wilmowsky, ZIP 2007, 553 (561 f.). 9 von Wilmowsky, ZIP 2007, 553 (562) schlägt demgemäß eine eigenständige gesetzliche Regelung über die Anfechtbarkeit von Lösungsklauseln, die „keinem wesentlichen Gestaltungsinteresse der Vertragsparteien dienen“, vor.
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Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
einträchtigung seiner Rechte unzumutbar sei1. Dies sei in der Regel bei beiderseitig nicht erfüllten Verträgen nicht der Fall, da für den Vertragspartner, der bei Erfüllungswahl durch den Verwalter eine Masseforderung und ggf. einen Schadensersatzanspruch gegen den Verwalter gemäß § 61 InsO erhalte, ausreichend sichergestellt sei, dass er seine Gegenleistung erhalte2. Unabhängig davon, dass mit diesem Ansatz die Grenzen der Auslegung überschritten sein dürften, stellt sich die Frage, welchen Nutzen ein Lösungsrecht überhaupt haben soll, wenn es im Regelfall nicht zu einer Lösung vom Vertrag führt. 321 Nach Systematik und Sinn und Zweck der § 103 ff. InsO sind insolvenzabhängige Lösungsklauseln vielmehr nach dem oben Gesagten als grundsätzlich unzulässig anzusehen. Im Fall der Erfüllungswahl durch den Verwalter erhält der Vertragspartner ausreichend Schutz, indem er eine Masseverbindlichkeit erhält, bei deren Nichterfüllung ihm der Verwalter persönlich haftet. 322 Etwas anderes gilt für insolvenzunabhängige Lösungsklauseln, die etwa an den Verzug oder an sonstige Vertragsverletzungen, nicht aber an insolvenzspezifische Umstände anknüpfen3. Diese sind nicht auf das Ziel ausgerichtet, die Wahlmöglichkeiten des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO auszuhöhlen, so dass § 119 InsO – mit Ausnahme der Kündigungssperre des § 112 InsO – nicht berührt ist4. b) Sonderfälle5 aa) Kündigungsrecht gemäß § 8 Nr. 2 Abs. 1 VOB/B 323 Da dem Besteller bzw. Auftraggeber gemäß § 649 BGB ohnehin das Recht zusteht, zu jeder Zeit den Werkvertrag zu kündigen, hat der BGH § 8 Nr. 2 Abs. 1 VOB/B – noch unter der Geltung der KO – als zulässig erachtet6. Unter der Geltung der InsO ergibt sich nichts anderes: Die bloße Konkretisierung eines gesetzlichen Kündigungsrechts stellt keine „abweichende Vereinbarung“ i.S.d. § 119 InsO dar7. 323a Sogar in der Begründung zum RegE InsO, der noch ein Verbot von Lösungsklauseln ausdrücklich vorsah, wurde das Kündigungsrecht gemäß § 8 Nr. 2 Abs. 1 VOB/B hiervon ausgenommen8. Dementsprechend hat auch die jüngere Rechtsprechung der Obergerichte auf § 8 Nr. 2 Abs. 1 VOB/B gestützte Kündigungen zugelassen9. 324 Die entscheidende Frage im Rahmen des § 8 Nr. 2 VOB/B ist jedoch, ob auch die Rechtsfolge einer Kündigung nach § 8 Nr. 2 Abs. 1 VOB/B, nämlich der Schadensersatzanspruch des Auftraggebers wegen Nichterfüllung gemäß § 8 Nr. 2 Abs. 2 VOB/B vor § 119 InsO Bestand hat. Dies hat die Begründung zum RegE ausdrücklich für die Klärung durch die Rechtsprechung offen gelassen10.
1 Socher, Die Vereinbarkeit insolvenzbedingter Lösungsklauseln mit dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters (2003), S. 90 ff.; ähnlich differenzierend Deger, InVo 2004, 433 (436 f.). 2 Socher, Die Vereinbarkeit insolvenzbedingter Lösungsklauseln mit dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters (2003), S. 99. 3 Huber, ZIP 2013, 493; Marotzke, EWiR 2013, 153 (154); Obermüller, ZInsO 2013, 476 (477). 4 BGH v. 15.11.2012 – IX ZR 169/11, NZI 2013, 178 = ZIP 2013, 274 mit Anm. Schneider/Köhler, r+s 2013, 267. 5 Vgl. Huber, ZIP 2013, 493; zu Lösungsklauseln im Bankgeschäft Obermüller, ZInsO 2013, 476 ff. 6 BGH v. 26.9.1985 – VII ZR 19/85, ZIP 1985, 1509 (1510). 7 Marotzke in HK-InsO, § 119 Rz. 7. 8 BT-Drucks. 12/2443, S. 152 f. 9 OLG Karlsruhe v. 26.7.2002 – 14 U 207/00, IBR 2006, 398 m. Anm. Hörmann; OLG Düsseldorf v. 8.9.2006 – 23 U 35/06, IBR 2006, 674 m. Anm. Schmitz; OLG Schleswig v. 9.12.2011 – 1 U 72/11, NZI 2012, 293. 10 BT-Drucks. 12/2443, S. 153.
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Unwirksamkeit abweichender Vereinbarungen, § 119 InsO
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Der BGH hat im Urteil vom 26.9.1985 § 8 Nr. 2 Abs. 2 VOB/B als konkursrechtlich zu- 325 lässig angesehen1. In der Literatur ist die Wirksamkeit des § 8 Nr. 2 Abs. 2 VOB/B – wie schon unter der Konkursordnung – umstritten2. Bisher wurde wohl aufgrund der Besonderheiten des Bauvertrages, bei dem ein erhebliches Bedürfnis des Auftraggebers nach einem Lösungsrecht bei Insolvenz des Aufragnehmers bestehe3, an der Rechtsprechung zu § 8 Nr. 2 Abs. 2 VOB/B festgehalten4. Vor dem Hintergrund des Grundsatzurteils des Insolvenzrechtssenats vom 15.11.2012 kann davon nicht weiter ausgegangen werden5. Es bleibt auch abzuwarten, wie sich der Baurechtssenat dazu verhält. bb) AGB-Banken Die AGB der Banken sehen verschiedenartige Lösungsklauseln vor. Gemäß Nr. 19 326 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 AGB-Banken kann eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund erklärt werden, wenn eine wesentliche Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Kunden oder der Werthaltigkeit einer Sicherheit eintritt oder einzutreten droht und dadurch die Rückzahlung des Darlehens oder die Erfüllung einer sonstigen Verbindlichkeit gegenüber der Bank – auch unter Verwertung einer hierfür bestehenden Sicherheit – gefährdet ist. Es handelt sich dabei um eine insolvenzunabhängige Klausel, gegen deren Wirksamkeit auch vor dem Hintergrund der neueren Entscheidung des IX. Senats keine Bedenken bestehen6. Hingegen ist Nr. 26 Abs. 2 S. 3 lit. a AGB-Sparkassen weitergehend, indem eine 326a wesentliche Verschlechterung oder eine erhebliche Gefährdung der Vermögensverhältnisse des Kunden oder in der Werthaltigkeit der für ein Darlehen gestellten Sicherheiten insbesondere dann eintritt, wenn der Kunde die Zahlungen einstellt oder erklärt, sie einstellen zu wollen. Die Klausel orientiert sich damit maßgeblich an den Insolvenzeröffnungsgründen. Damit ist sie insolvenzabhängig und nach der vorgenannten Entscheidung entsprechend § 119 InsO unwirksam. cc) Notarielle Gestaltungspraxis Bei Übergabeverträgen gehört die Vereinbarung insolvenzbedingter Lösungsklauseln 327 zum Standard der Gestaltungspraxis. Ferner wird der Insolvenzfall regelmäßig als Heimfallgrund beim Erbbaurecht vereinbart. Hatte nach Auffassung der Fachliteratur der BGH mit einigen Entscheidungen eine gefestigte Rechtsprechung zur Zulässigkeit insolvenzbedingter Lösungsklauseln etabliert7, muss man nun im Lichte der Entscheidung vom 15.11.2012 die Zulässigkeit wohl verneinen8. dd) Gesetzliche Lösungsmöglichkeiten Zulässig bleiben nach der Entscheidung des BGH auch insolvenzabhängige Lösungsklauseln, die sich eng an eine gesetzliche Regelung anlehnen9. Für Verträge, bei de-
1 BGH v. 26.9.1985 – VII ZR 19/85, ZIP 1985, 1509; OLG Schleswig v. 9.12.2011 – 1 U 72/11, NZI 2012, 293, sofern es sich nicht um den Anwendungsbereich des § 112 InsO handelt. 2 Für Wirksamkeit MünchKommInsO/Huber, § 119 Rz. 51; dagegen Balthasar in Nerlich/Römermann, Kommentar zur InsO, Stand Juni 2014, § 119 Rz. 16; Marotzke in HK-InsO, § 119 Rz. 7. 3 Vgl. BGH v. 26.9.1985 – VII ZR 19/85, ZIP 1985, 1509 f. 4 Vgl. Berger, Kölner Schrift zur InsO, Kap. 12 Rz. 29 f.; OLG Düsseldorf v. 8.9.2006 – 23 U 35/06, BauR 2006, 1909, 1912; OLG Bamberg v. 12.4.2010 – 4 U 48/09; IBR 2011, 87. 5 Wegener, ZInsO 2013, 1105; Huber, ZIP 2013, 493 (497 f.). 6 Huber, ZIP 2013, 493 (497). 7 Vgl. Reul, DNotZ 2008, 824; Suppliet, NotBZ 2008, 267. 8 Huber, ZIP 2013, 493 (497). 9 BGH v. 15.11.2012 – IX ZR 169/11, NZI 2013, 178 = ZIP 2013, 274 mit Verweis auf BGH v. 14.12.2006 – IX ZR 194/05, NZI 2007, 222.
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Rz. 329
Beratung bei gegenseitigen Vertrgen
nen schon kraft Gesetzes eine Lösungsmöglichkeit besteht, liegt keine vereinbarte Abweichung von den §§ 103–118 InsO vor, so dass § 119 InsO der Lösung vom Vertrag nicht entgegensteht. Beispiele für gesetzliche Lösungsmöglichkeiten sind etwa § 16 VVG, § 89a HGB1 und § 36 VerlG. ee) Verstoß gegen §§ 108, 109, 112 InsO 329 Unstreitig unwirksam gemäß § 119 InsO sind Klauseln, die gegen die ausdrücklichen Kündigungsverbote der §§ 108, 109, 112 InsO verstoßen2. Dies gilt auch für Umgehungen der Kündigungsverbote, etwa durch die Vereinbarung einer auflösenden Bedingung3.
1 OLG München v. 26.4.2006 – 7 U 5350/05, ZIP 2006, 1916. 2 S. hierzu OLG Düsseldorf v. 17.8.2006 – 10 U 62/06, ZInsO 2007, 52; OLG Hamm v. 7.3.2001 – 30 U 192/00, NZI 2002, 162. 3 Vgl. MünchKommInsO/Huber, § 119 Rz. 69.
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I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 II. Kreditgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 1. Kreditgeschäft in der Krise . . . . . . . . . 5 a) Bestehende Kredite . . . . . . . . . . . . 6 aa) Stillhalten („Standstill“) . . . . . 6 bb) Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . 13 b) Neugeschäft: Sanierungskredit . . . 20 aa) Sanierungswürdigkeit und -fähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 bb) Zivilrechtliche Haftung . . . . . . 24 cc) Strafrechtliche Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 c) Kontroll- und Steuerungsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 aa) Eingriffe in die Geschäftsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 bb) Gesellschafterstellung . . . . . . . 35 2. Kreditgeschäft im Insolvenzeröffnungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 a) Bestehende Kredite . . . . . . . . . . . . 42 b) Neukreditvergabe . . . . . . . . . . . . . . 44 aa) Massekredite . . . . . . . . . . . . . . 45 bb) Insolvenzgeldvorfinanzierung . 53 3. Kreditgeschäft im eröffneten Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . 60 4. Kreditgeschäft im Insolvenzplanverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61a III. Sicherheitenbestellung in der Krise . . 62 1. Nachbesicherung bestehender Kredite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2. Besicherung neu ausgereichter Kredite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 IV. Sicherheiten in der Krise und Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 a) Generelle Sicherungsmaßnahmen . 77 b) Verwertungspauschalen in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 2. Sicherungsübereignung . . . . . . . . . . . 82 3. Globalzessionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 a) Forderungsentstehung vor Insolvenzeröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 b) Forderungsentstehung nach Insolvenzeröffnung . . . . . . . . . . . . . 92
4. Immobiliarsicherheiten . . . . . . . . . . . . 93 5. Bürgschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 6. Vertragliche Pfandrechte . . . . . . . . . . 98 a) Revolvierendes Pfandrecht . . . . . . 99 b) Pfandrecht an einzelnen Vermögenswerten . . . . . . . . . . . . . . 100 7. Wertpapiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 8. Atypische Sicherheiten . . . . . . . . . . . . 104 a) Patronatserklärungen . . . . . . . . . . 104 b) Garantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 c) Verlustübernahmeerklärung . . . . . 108 d) Negativerklärung . . . . . . . . . . . . . . 109 9. Sicherheiten-Poolverträge . . . . . . . . . 111 V. Geschäfts- und Kontobeziehung in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 1. Geschäftsbeziehung im Allgemeinen . 115 2. Girovertrag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 3. Kontokorrentvertrag . . . . . . . . . . . . . . 120 a) Kontokorrentvertrag im Insolvenzeröffnungsverfahren . . . . . . . . 121 b) Kontokorrentvertrag im Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 4. Sonderkonten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 a) Gemeinschaftskonto . . . . . . . . . . . 126 b) Treuhandkonto . . . . . . . . . . . . . . . . 131 c) GbR-Konto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 d) Pfändungsschutzkonto . . . . . . . . 137a VI. Zahlungsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 1. Überweisungsverkehr . . . . . . . . . . . . . 139 a) Insolvenz des Überweisungsauftraggebers . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 b) Insolvenz des Überweisungsbegünstigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 2. Lastschriftverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . 152 a) Insolvenz des Zahlungsverpflichteten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 aa) Abbuchungsverfahren . . . . . . . 153 bb) Einzugsermächtigungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 cc) SEPA-Lastschriftverfahren . . . 161 b) Insolvenz des Zahlungsempfängers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 3. Cash-Pool . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
I. Einführung Als Kreditgeber sind Banken und Sparkassen (nachfolgend „Kreditinstitute“) in na- 1 hezu jedem Insolvenzverfahren beteiligt, zumeist als größte Einzelgläubiger. Dabei haben nicht erst das Insolvenzeröffnungsverfahren (§§ 11 ff. InsO) und das Insolvenzverfahren (§§ 80 ff. InsO) Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen dem Kreditinstitut und seinem Kunden. Bereits der Eintritt der Unternehmenskrise kann wesentlichen Einfluss auf bestehende oder noch zu schließende Verträge haben. Die Bestimmung des Zeitpunkts, ab dem von einer Krise gesprochen werden muss, berei-
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tet jedoch erhebliche Schwierigkeiten. Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass grundsätzlich keine verallgemeinerungsfähigen Kriterien an das Vorliegen einer Unternehmenskrise geknüpft werden können1. 2 Nach der Rspr. des BGH befindet sich ein Unternehmen in einer Krise, wenn es „kurz vor dem Zusammenbruch steht und an sich schon konkursreif ist“2. Ob hierfür zwingend ein Insolvenzeröffnungsgrund i.S.d. §§ 17, 19 InsO (vgl. zu den Insolvenzeröffnungsgründen umfassend § 1 Rz. 42 ff.) erforderlich ist, musste der BGH bislang nicht entscheiden. Die Literatur geht grundsätzlich davon aus, dass spätestens mit Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung von einer Unternehmenskrise gesprochen werden muss3. Daneben gibt es aber auch Stimmen, die bei der Bestimmung des rechtlich relevanten Zeitraums früher ansetzen. So wird vertreten, dass bereits mit Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit von einer Unternehmenskrise zu sprechen sei4. Andere wiederum stellen auf die Sanierungsbedürftigkeit eines Unternehmens ab5. Von dieser sei auszugehen, wenn ohne Stützungsmaßnahmen die für die erfolgreiche Weiterführung des Betriebs und die Abdeckung der bestehenden Verpflichtungen erforderliche Betriebssubstanz nicht erhalten werden könne. Eine solche Lage sei bereits dann gegeben, wenn abzusehen sei, dass – falls sich diese Entwicklung fortsetze – das Unternehmen in gewisser Zeit zahlungsunfähig oder überschuldet sein werde, und eine rechtzeitige Änderung dieser Entwicklung nicht mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist. Richtigerweise wird man das Einsetzen der Krise möglichst früh verorten müssen, um dem das Insolvenzrecht spätestens seit dem ESUG beherrschenden Sanierungsgedanken ausreichend Rechnung zu tragen. 3 Gegenstand dieses Kapitels sind die rechtlichen Auswirkungen der Krise, des Insolvenzeröffnungsverfahrens und des Insolvenzverfahrens auf das Kreditgeschäft, die persönlichen und dinglichen Sicherungsrechte, die Geschäfts- und Kontobeziehungen und den Zahlungsverkehr. II. Kreditgeschäft 4 Erlangt ein Kreditinstitut Kenntnis von wirtschaftlichen Schwierigkeiten eines Kunden, muss es entscheiden, welche geeigneten Maßnahmen im Hinblick auf bestehende und zukünftige Kreditengagements zu treffen sind. Die Entscheidung wird in der Regel durch das wirtschaftliche Ziel bestimmt, das Ausfallrisiko zu minimieren. Allerdings sind auch rechtliche Gesichtspunkte zu beachten. Eine sofortige Kreditkündigung kann zu Schadensersatzansprüchen des Kreditnehmers führen, wenn sie zur Unzeit erfolgt. Andererseits werden Kreditinstitute mit dem Vorwurf der Beihilfe zur Insolvenzverschleppung sowie mit Schadensersatzansprüchen Dritter konfrontiert, falls eine Sanierung scheitert. Die rechtlichen Anforderungen, die ein Kreditinstitut beachten muss, hängen davon ab, ob es bestehende Kredite aufrechterhalten, kündigen oder ob es neue Kredite gewähren will. Zeitlich ist zu unterscheiden zwischen der vorinsolvenzlichen Krise, dem Insolvenzeröffnungsverfahren sowie dem Insolvenzverfahren.
1 Die Vorschrift des § 32a Abs. 1 GmbHG, nach der vormals die Krise einer Gesellschaft legal definiert wurde, ist durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) mit Wirkung vom 1.11.2008 aufgehoben worden. 2 BGH v. 9.12.1969 – VI ZR 50/68, MDR 1970, 313; vgl. auch die weiteren Entscheidungen, die jeweils vom bevorstehenden Zusammenbruch des Unternehmens sprechen: BGH v. 9.7.1953 – IV ZR 242/52, NJW 1953, 1665 (1666); BGH v. 14.11.1983 – II ZR 39/83, MDR 1984, 379. 3 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.28; Wallner/Neuenhahn, NZI 2006, 553 (554); Schäffler, BB 2006, 56 (57); OLG Stuttgart v. 26.9.2012 – 9 U 65/12, BB 2012, 3161 (3163) m. Anm. Undritz. 4 Neuhof, NJW 1998, 3225, 3229. 5 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.28; vgl. auch Batereau, WM 1992, 1517.
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1. Kreditgeschäft in der Krise Den rechtlichen Rahmen für das Handeln des Kreditinstituts bilden die Vorschriften 5 über die Sittenwidrigkeit im BGB1: Nach § 138 BGB sind Abreden zwischen der Bank und ihrem Kunden nichtig, wenn sie gegen die guten Sitten verstoßen. Nach § 826 BGB schuldet die Bank Schadensersatz, wenn sie durch ihr vorsätzliches und sittenwidriges Verhalten Dritten einen Schaden verursacht hat. a) Bestehende Kredite aa) Stillhalten („Standstill“) Besteht aus Sicht des Kreditinstituts kein Handlungsbedarf z.B. weil ausreichende 6 Sicherheiten bestehen, kann das Kreditinstitut zunächst stillhalten, bis die Entscheidung zwischen Sanierung oder Liquidation getroffen werden kann. Unter dem vielschichtigen Begriff des Stillhaltens ist nicht nur der Verzicht auf ein 7 gesetzliches oder vertragliches Kündigungsrecht bei einem schon voll ausgezahlten Kredit mit einer fest vereinbarten und noch nicht beendeten Laufzeit zu verstehen, sondern auch die Aufrechterhaltung einer Kreditlinie, die unbefristet gewährt wurde. Das Kreditinstitut ist zum Stillhalten berechtigt. Es gibt keine rechtliche Verpflich- 8 tung, durch Fälligstellen der Kredite die Insolvenzantragspflicht des Kreditnehmers herbeizuführen oder selbst Insolvenzantrag zu stellen2. Das Kreditinstitut muss ein bestehendes Engagement auch nicht durch Kündigung beenden3. Bloßes Stillhalten birgt noch nicht die Gefahr, von anderen Gläubigern erfolgreich auf Schadensersatz in Anspruch genommen zu werden oder der Haftung wegen Beihilfe zur Insolvenzverschleppung ausgesetzt zu sein. Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen, wenn das Kreditinstitut einen bereits vor der Krise des Kunden zugesagten aber bisher noch nicht voll ausgeschöpften Kredit in der Krise des Kunden auszahlt. Wenn die Auszahlung des zusätzlichen Kapitals die Insolvenz des Kreditnehmers nur hinauszögert, kann ein sittenwidriger „Scheinsanierungs“-Kredit vorliegen, bei dem sich das Kreditinstitut schadensersatzpflichtig macht4. Von der vertraglichen Verpflichtung zur Auszahlung der Valuta sollte sich das Kreditinstitut daher bei wesentlicher Verschlechterung der Vermögenslage des Kunden durch außerordentliche Kündigung lösen, wenn durch die Auszahlung eine Sanierung nicht erreicht werden kann. Eine sittenwidrige Schädigung anderer Gläubiger kann aber dann vorliegen, wenn 9 das Kreditinstitut nicht nur stillhält, sondern auf die Unternehmensführung des in der Krise befindlichen Kunden zu eigenem Nutzen konkret Einfluss nimmt, indem es durch Kontroll- und Steuerungsmechanismen die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit des Kunden weitgehend einschränkt5. Eine besondere Situation tritt ein, wenn ein anderer Kunde des Kreditinstituts mit 10 dem Kunden in der Krise ein Geschäft abschließen und hierfür seinerseits einen Kredit bei demselben Kreditinstitut in Anspruch nehmen will. Grundsätzlich gibt es, ungeachtet der bestehenden vertraglichen Beziehung, keine allgemeine Beratungs- und Aufklärungspflicht des Kreditinstituts gegenüber einem Kunden. Das Kreditinstitut muss grundsätzlich nicht auf die Risiken des Geschäftsabschlusses oder auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des in der Krise befindlichen Kunden hinweisen6. 1 2 3 4
Ausführlich: Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.14 ff. BGH v. 9.12.1969 – VI ZR 50/68, MDR 1970, 313. BGH v. 29.5.2001 – VI ZR 114/00, NJW 2001, 2632. A.A. Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.202, 5.29; Schäffler, BB 2006, 56 (58), die auch in der Auszahlung der Valuta in der Krise des Kunden keine Haftungsrisiken des Kreditinstituts wegen der sittenwidrigen Gewährung eines Neukredits sehen, da keine Verpflichtung zur Kündigung besteht. Vgl. zu den rechtlichen Risiken bei Gewährung eines Neukredits unter Rz. 20 ff. 5 Vgl. hierzu Kontroll- und Steuerungsmechanismen, Rz. 31 ff. 6 BGH v. 9.3.1961 – II ZR 105/60, WM 1961, 510; BGH v. 18.9.1963 – VIII ZR 46/62, MDR 1964, 47; BGH v. 9.12.1969 – VI ZR 50/68, MDR 1970, 313; BGH v. 29.5.1978 – II ZR 173/77, MDR 1979, 118.
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11 Ausnahmsweise ergeben sich im Einzelfall nach Treu und Glauben Aufklärungs- und Warnpflichten des Kreditinstituts, deren Verletzung zu einer Ausfallhaftung gemäß § 826 BGB führen kann1. Ein solcher Fall kann dann vorliegen, wenn „die Bank in bezug auf die speziellen Risiken des zu finanzierenden Vorhabens gegenüber dem Darlehensnehmer einen konkreten Wissensvorsprung hat, z.B. wenn ihr die (drohende) Zahlungsunfähigkeit des Geschäftspartners bekannt ist“2 oder wenn sich das Kreditinstitut aktiv in die Bemühungen des in der Krise befindlichen Kunden, neue Geldgeber zu finden, einschaltet oder selbst oder durch Dritte Geschäftspartner anwirbt. Dann muss es auf die Risiken des Geschäftsabschlusses hinweisen3. Dies gilt auch, wenn das Kreditinstitut andere Gläubiger ebenfalls mit der Erklärung zum Stillhalten bewegt, die ordnungsgemäße Abwicklung der Geschäfte sei wegen des Einflusses des Kreditinstituts auf den Kunden in Zukunft sichergestellt4. Ein weiterer Ausnahmefall kann sich aus einem konkreten Wissensvorsprung über spezielle Risiken des zu finanzierenden Vorhabens gegenüber dem Kreditnehmer ergeben. Die Kenntnis über die Unrentabilität des Geschäfts ist hierfür jedoch nicht ausreichend. Erforderlich ist vielmehr die Kenntnis des Kreditinstituts, dass das Vorhaben überdurchschnittlich risikobehaftet ist, oder dass der Kunde arglistig getäuscht wurde5. 12 Entschließt sich das Kreditinstitut zur Fortführung ihres bestehenden Engagements, wird dies nicht zuletzt auf Wunsch des Kunden regelmäßig schriftlich fixiert. Häufig wird ein solches „Stillhalteabkommen“ auch „Prolongation“ genannt6. Tatsächlich handelt es sich bei der Prolongation aber um die Verlängerung einer bereits fälligen Kreditforderung. Das Kreditinstitut schiebt in diesem Fall die Fälligkeit hinaus, stundet also die Zins- bzw. Tilgungsraten – in aller Regel jedoch nur bei Vorliegen eines positiven Sanierungsgutachtens. Ein Stillhalten hingegen liegt vor, wenn das Kreditinstitut ohne Fälligkeit der Kredite einfach nichts unternimmt. Die Prolongation begegnet, genau wie das Stillhalten, keinen grundsätzlichen haftungsrechtlichen Bedenken. Sie ist nicht mit einer Neukreditvergabe gleichzusetzen, denn durch das Hinausschieben vereinbarter Fälligkeiten durch Stundung werden keine neuen Kreditmittel ausgereicht7. In der Praxis ist neuerdings die starke Tendenz zu beobachten, auch das Stillhalten von einem positiven Sanierungsgutachten abhängig zu machen. Rechtlicher Hintergrund kann dabei jedoch nicht sein, dass sich sowohl das Stillhalten als auch die Prolongation bankintern als Neukreditierung darstellen, da es sich zivilrechtlich nur um Stundungen handelt. Ziel ist es vielmehr, eine Anfechtung des Insolvenzverwalters wegen Bösgläubigkeit des Kreditinstituts nach § 133 InsO zu vermeiden. bb) Kündigung 13 Die unberechtigte Kündigung eines Kreditverhältnisses stellt eine Vertragsverletzung dar, die den Kündigenden zum Schadensersatz verpflichtet8. Das Vorliegen eines Kündigungsgrundes muss deshalb immer sorgfältig geprüft werden. 14 Neben den gesetzlichen Kündigungsgründen der §§ 314, 490, 498 BGB berechtigt die sich in der Krise regelmäßig abzeichnende oder bereits eingetretene Vermögensver1 BGH v. 27.11.1990 – XI ZR 308/89, MDR 1991, 625. 2 BGH, NJW 1991, 693 m.w.N., dazu auch T. Hoffmann, Rechtliche Schranken interner Informationsflüsse in Kreditinstituten, Diss., Nomos, 1998, S. 184 ff. 3 BGH v. 29.5.1978 – II ZR 173/77, MDR 1979, 118; BGH v. 29.5.2001 – VI ZR 114/00, NJW 2001, 2632. Um damit nicht das dem notleidenden Kunden zustehende Bankgeheimnis zu verletzen, kann dies jedenfalls im zweiten Fall nur in Abstimmung mit dem Kunden erfolgen. 4 BGH v. 9.7.1984 – II ZR 193/83, MDR 1985, 208. 5 BGH v. 11.2.1999 – IX ZR 352/97, MDR 1999, 687; BGH v. 21.1.1988 – III ZR 179/86, MDR 1988, 649. 6 Vgl. etwa Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.234. 7 OLG Köln v. 3.4.2009 – 6 U 80/08, BeckRS 2010, 03013; Gogger, Insolvenzgläubiger-Handbuch, § 3 Rz. 283; a.A. Zuleger, Bankenverhalten und Bankengeschäfte, in Beck/Depré (Hrsg.), Praxis der Insolvenz – Ein Handbuch für die Beteiligten und ihre Berater, § 18 Rz. 15; Rusch, GWR 2011, 151. 8 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.183 m.w.N.
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schlechterung1 des Kunden das Kreditinstitut zur außerordentlichen Kündigung nach Nr. 19 Abs. 3 AGB-Banken sowie Nr. 26 Abs. 2 AGB-Sparkassen. Das Kreditinstitut ist darüber hinaus zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, 15 sollte der Kreditnehmer seiner Verpflichtung zur Bestellung oder Verstärkung von Sicherheiten für bestehende Kredite nach Nr. 13 Abs. 2 AGB-Banken und Nr. 22 Abs. 1 AGB-Sparkassen trotz entsprechender Aufforderung nicht nachkommen. Voraussetzung für diesen Anspruch des Kreditinstituts ist die drohende oder eingetretene nachteilige Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Kunden. Eine wesentliche Verschlechterung der Vermögenslage, die zur außerordentlichen Kündigung berechtigen würde, ist nicht erforderlich. Dies ermöglicht dem Kreditinstitut ein „abgestuftes Vorgehen“2. Hat sich die Vermögenslage bereits wesentlich verschlechtert, steht dem Kreditinstitut ein Wahlrecht zwischen der Geltendmachung des Nachbesicherungsanspruchs und der Ausübung des außerordentlichen Kündigungsrechts zu. Zu beachten ist allerdings, dass Nachbesicherungen erheblichen Anfechtungsrisiken in der Insolvenz ausgesetzt sind3. Das Kreditinstitut sollte die Bestellung und Verstärkung von Sicherheiten nur verlangen und von einer Kündigung absehen, wenn es davon überzeugt ist, dass ein Insolvenzverfahren vermieden werden kann. Steht dem Kreditinstitut ein vertraglich oder gesetzlich eingeräumtes Kündigungs- 16 recht zu, kann es davon auch dann Gebrauch machen, wenn dadurch die Insolvenz des Kunden herbeigeführt wird. Es gibt keine Verpflichtung – auch nicht im Verhältnis zu anderen Gläubigern – eine berechtigte Kündigung zu unterlassen4. Entscheidet sich das Kreditinstitut zur Ausübung der außerordentlichen Kündigung, 17 unterliegt es Einschränkungen. So ist dem Kunden eine angemessene Abwicklungsund Rückzahlungsfrist einzuräumen, innerhalb derer ihm die Beschaffung des fälligen Kapitals, z.B. durch eine Umschuldung, ermöglicht wird5. Die Bemessung der Frist hat sich daran zu orientieren, wie lange bei Kreditinstituten üblicherweise eine Entscheidung über eine Kreditvergabe in der betreffenden Art und Größe dauert6. Ferner kann sich ausnahmsweise eine Pflicht zur Abmahnung vor Ausübung der Kündigung ergeben, wenn der Kunde wegen Ungenauigkeiten bisheriger Abreden oder stillschweigendem Entgegenkommen des Kreditinstituts darauf vertrauen durfte, es werde auch bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Kreditnehmers von einer Kündigung absehen7. Darüber hinaus ist die Kündigung wegen Vermögensverschlechterung unzulässig, wenn das Kreditinstitut über ausreichende Sicherheiten verfügt und der Kunde sanierungsfähig ist8. Fehlt hingegen die Sanierungsfähigkeit und ist die Insolvenz unvermeidbar, kann dem Kreditinstitut nicht zugemutet werden, die Rückführung des Kredits durch Sicherheitenverwertung bis zur Insolvenzeröffnung zu verschieben und damit das Risiko der Wertminderung der Sicherheiten in Kauf zu nehmen9. Die Kündigung ist jedoch unberechtigt, wenn die zu ihrer Begründung
1 BGH v. 20.5.2003 – XI ZR 50/02, MDR 2003, 1123 zur unmittelbaren Gefahr der drohenden Zahlungsunfähigkeit mit detaillierten Ausführungen auch zu den Berechnungsmodalitäten; BGH v. 26.9.1985 – III ZR 213/84, WM 1985, 1493 zur Androhung des Kunden, er werde seine Zahlungen einstellen und Insolvenzeröffnung beantragen; OLG Frankfurt v. 10.1.2003 – 10 U 122/02, ZInsO 2003, 284 zur Pfändung durch einen anderen Gläubiger. 2 Bunte, AGB-Banken und Sonderbedingungen, Nr. 13, Rz. 314. 3 Vgl. „Nachbesicherung bestehender Kredite“, Rz. 63 ff. 4 BGH v. 3.3.1956 – IV ZR 301/55, BGHZ 20, 154; OLG Frankfurt v. 13.1.1992 – 4 U 80/90, WM 1992, 1018. 5 OLG Düsseldorf v. 9.2.1989 – 6 U 90/88, NJW-RR 1989, 1519. 6 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.129. 7 BGH v. 10.11.1977 – III ZR 39/76, MDR 1978, 474. 8 So auch Ringelspacher, Mindestanforderungen an Sanierungskonzepte – MaS, Rz. 963. 9 OLG Celle v. 30.6.1982 – 3 U 258/81, ZIP 1982, 942 zur alten Rechtslage; Wittig, NZI 2002, 633 (635 f.); Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.147; Sonnenhol, WM 2002, 1259 zur neuen Rechtslage.
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herangezogenen Umstände bereits im Zeitpunkt der Kreditgewährung bekannt waren1. 18 Soweit es sich bei dem Kreditnehmer um einen Verbraucher handelt, muss das Kreditinstitut verbraucherrechtliche Sonderbestimmungen beachten. Nach § 498 BGB muss der Kreditnehmer mit mindestens zwei aufeinander folgenden Teilzahlungen ganz oder teilweise und mindestens 10 %, bei einer Kreditlaufzeit von über drei Jahren mit 5 % des Nennbetrags des Kredits oder des Teilzahlungspreises, in Verzug sein. Das Kreditinstitut muss dem Kreditnehmer außerdem erfolglos eine zweiwöchige Frist zur Zahlung des rückständigen Betrags mit der Erklärung setzen, dass es bei Nichtzahlung innerhalb der Frist die gesamte Restschuld verlange. Spätestens mit der Fristsetzung soll der Darlehensgeber dem Darlehensnehmer zudem ein Gespräch über die Möglichkeiten einer einvernehmlichen Regelung anbieten, § 498 Satz 2 BGB. Um die Vollstreckung bereits vorzubereiten und ggf. auch einleiten zu können, reicht auch eine fällige Teilforderung. Dies kann sinnvoll sein, wenn es sich um einen bereits länger laufenden Kredit handelt, bei dem einige Raten auflaufen müssen, bis die 5 % des ursprünglichen Betrages erreicht sind. Die Vollstreckung darf in solchen Fällen jedoch nur wegen der fälligen Teilforderung erfolgen. 19 Besonderheiten bestehen schließlich bei der Kündigung von Sanierungskrediten. Die ordentliche Kündigung ist bei ihnen durch den von den Vertragspartnern vereinbarten Sanierungszweck zumindest konkludent ausgeschlossen2. Ein die außerordentliche Kündigung rechtfertigender Grund liegt nur vor, wenn in den Vermögensverhältnissen des Darlehensnehmers seit dem Zeitpunkt, in dem das Kreditinstitut seine Mitwirkung an der Sanierung zugesagt hat, eine wesentliche Verschlechterung eingetreten ist, die die Sanierung als nicht mehr aussichtsreich erscheinen lässt3. 19a Ist ein Kredit zur Rückzahlung fällig, gibt es auch in Zeiten der Krise keine Verpflichtung des Kreditinstituts zur Kreditbelassung oder Sanierung eines Kunden, selbst bei Stellung ausreichender Sicherheiten oder wenn das Kreditinstitut mit dem Kunden in ständigen Geschäftsbeziehungen steht4. b) Neugeschäft: Sanierungskredit 20 Das Kreditinstitut ist auch in der Krise des Kunden unter bestimmten Voraussetzungen zur Vergabe neuer Kredite berechtigt. 21 Beteiligt sich das Kreditinstitut aktiv am Sanierungsversuch des Kunden, muss es sorgfältig prüfen, ob die Vergabe eines neuen Kredits als erlaubter Sanierungskredit zu werten ist. Andernfalls bestehen erhebliche zivil- und strafrechtliche Risiken. Kommt es zu einer Täuschung anderer Gläubiger über die Kreditwürdigkeit des Kunden, setzt sich das Kreditinstitut Schadensersatzansprüchen aus, wenn den Gläubigern ein konkreter Schaden entstanden ist. Der Kreditvertrag sowie die Sicherheitenbestellung5 können gemäß § 138 BGB nichtig, jedenfalls aber anfechtbar sein. Führt die Vergabe zusätzlicher Kreditmittel zu einer Insolvenzverschleppung, können Mitarbeiter des Kreditinstituts wegen sittenwidriger Beihilfe oder Anstiftung zur Insolvenzverschleppung strafrechtlich verantwortlich sein. aa) Sanierungswürdigkeit und -fähigkeit 22 Voraussetzung eines zulässigen Sanierungsversuchs und damit der Gewährung eines Sanierungskredits ist die Sanierungswürdigkeit und -fähigkeit des Kunden. Die Vergabe zusätzlicher Kreditmittel darf zur Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit und zur Verhinderung der Insolvenz des Kunden nicht von vornherein aussichtslos sein, es muss also die Möglichkeit bestehen, die Krisenursachen zu beheben. Ein zulässiger Sanierungsversuch setzt die Prüfung der Erfolgsaussichten des Sanierungsvor-
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BGH v. 7.5.2002 – XI ZR 236/01, MDR 2002, 1134. BGH v. 6.7.2004 – XI ZR 254/02, MDR 2004, 1307. BGH v. 14.9.2004 – XI ZR 184/03, MDR 2005, 102. OLG München v. 14.10.1993 – 19 U 3437/93, WM 1994, 1028. Vgl. „Besicherung neu ausgereichter Kredite“, Rz. 73 ff.
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habens durch ein schlüssiges Sanierungskonzept voraus1. Dieser muss die Hoffnung des Schuldners auf eine Sanierung rechtfertigen und mindestens in den Anfängen in die Tat umgesetzt worden sein2. Erforderlich ist, dass das Konzept durch einen objektiven, jedoch nicht notwendigerweise unbeteiligten Wirtschaftsfachmann erstellt und schriftlich dokumentiert wurde3. Eine zwingende Zuziehung eines „externen“ Gutachters durch den Kreditgeber kann hierbei nicht verlangt werden4. Um bei einer eventuellen Gerichtsverhandlung den Nachweis einer objektiven Prüfung leichter führen zu können, ist es der Bank dennoch anzuraten, sich vorzugsweise einer externen Begutachtung zu bedienen5. Im Sanierungskonzept selbst ist vor allem den Ursachen der Krise nachzugehen und darzustellen, mit welchen Mitteln eine wirtschaftliche Gesundung erreicht werden kann. Gefordert wird hierbei eine nachvollziehbare und substantiierte Beschreibung der Unternehmenslage – schematische Ausführungen zur Kostenreduzierung und Umsatzsteigerung reichen dafür nicht aus6. Nach OLG Köln7 soll ein vernünftiges Sanierungskonzept im Wesentlichen folgende Bestandteile enthalten: 1. Beschreibung des Unternehmens, 2. Analyse des Unternehmens, 3. Krisenursachenanalyse, 4. Lagebeurteilung, 5. Leitbild des sanierten Unternehmens, 6. Maßnahmen zur Sanierung des Unternehmens und 7. Planverprobungsrechnung. Ergibt die Zusammenfassung dieser Prüfpunkte ein schlüssiges Sanierungskonzept, hat das Kreditinstitut alles ihm Zumutbare getan, um Schädigungen anderer Gläubiger und damit Haftungsrisiken durch von vornherein aussichtslose Sanierungsaktionen zu vermeiden. Fällt die Sanierungsprognose des Gutachtens positiv aus, ist unerheblich, ob die Sanierung am Ende scheitert8. Entscheidend ist vielmehr, ob ein sachkundiger, vernünftiger Dritter realistisch vom Erfolg ausgehen konnte. Ein unternehmerisches Risiko steht dem nicht entgegen. Verzichtet das Kreditinstitut hingegen auf die erforderliche Sanierungsprüfung, so trifft es im Falle der späteren Insolvenz schnell der Vorwurf, leichtfertig die Gefährdung der anderen Gläubiger in Kauf genommen zu haben9. Die Honorierung eingeschalteter Berater kann durch den Kreditnehmer erfolgen, 22a was mit ihm vereinbart und in den Sanierungs- und Liquiditätsplan eingearbeitet werden muss. Werden wesentliche Teile der neu zu vergebenden Mittel allerdings durch die Berater verbraucht, kann dies das gesamte Sanierungskonzept in Frage stellen. Die Honorierung der Berater ist, falls der Sanierungsversuch scheitert, im anschließenden Insolvenzverfahren durch den Insolvenzverwalter nicht anfechtbar, soweit die Grundsätze über das Bargeschäft (§ 142 InsO) Anwendung finden10. Die Rettung eines Krisenunternehmens erfordert ein Sanierungskonzept, das auf ei- 22b ner sorgfältigen Unternehmensanalyse basiert. In der Praxis wurde diese jedoch nicht immer fachgerecht durchgeführt. Um die Qualität der Sanierungskonzepte zu steigern, entwarfen unterschiedliche Institutionen spezifische Standards, die das Vorgehen im Sanierungsprozess beschreiben und den Gutachtern als Leitfaden dienen sollen. Als Marktführer unter diesen hat sich der Standard des Instituts der Wirtschaftsprüfer „Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten (IDW S 6)“ etabliert. Dieser in neuer Fassung im August 2012 verabschiedete Standard ist nicht rechtsverbindlich. Seine Ausführungen legen vielmehr die allgemeine Berufsauffassung der Wirtschaftsprüfer zu den notwendigen Inhalten eines Sanierungskonzepts dar. Anders als die alte Fassung vom November 2009, stellt die Neufassung des 1 BGH v. 9.7.1953 – IV ZR 242/52, BGHZ 10, 228; BGH v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, NJW 1998, 1561. 2 BGH v. 8.12.2011 – IX ZR 156/09, MDR 2012, 251. 3 BGH v. 21.11.2005 – II ZR 277/03, BGHZ 165, 106; BGH v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, NJW 1998, 1561. 4 A.A. Neuhof, NJW 1998, 3225 (3232); Wallner/Neuenhahn, NZI 2006, 553 (557); Kiethe, KTS 2005, 179. 5 Rusch, GWR 2011, 151. 6 OLG Köln v. 24.9.2009 – 18 U 134/05, BeckRS 2009, 88341. 7 OLG Köln v. 24.9.2009 – 18 U 134/05, BeckRS 2009, 88341. 8 BGH v. 21.11.2005 – II ZR 277/03, BGHZ 165, 106. 9 BGH v. 16.3.1995 – IX ZR 72/94, MDR 1996, 61. 10 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 480/00, MDR 2002, 1454.
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§9
Rz. 23
Beratung von Banken
IDW S 6 nunmehr einen klaren Bezug zur Rechtsprechung des BGH her1. Ob damit die Kritik an der unzureichenden Ausrichtung an der höchstrichterlichen Rechtsprechung verstummt, bleibt abzuwarten, zumal die Rechtsprechung hierzu nicht abgeschlossen ist. 23 Besonderheiten bestehen hinsichtlich so genannter Überbrückungskredite. Während des Prüfungszeitraums zur Erstellung des Sanierungsgutachtens kann das Kreditinstitut ohne Haftungsrisiken Kredite gewähren, auch wenn die Voraussetzungen für einen Sanierungskredit noch nicht vorliegen2. Dies dient zur kurzfristigen Sicherstellung der Liquidität, um die Erstellung eines Sanierungsgutachtens überhaupt erst zu ermöglichen und nicht von vornherein die Chancen einer Sanierung zu vereiteln. Voraussetzung ist, dass (a) durch den Überbrückungskredit alle Insolvenzantragsgründe beseitigt werden und bis zum Abschluss der Sanierungsprüfung auch nicht erneut auftreten können und (b) eine Sanierung nicht offensichtlich von vornherein ausgeschlossen ist. Das Kreditinstitut trägt für das Vorliegen der Voraussetzungen eines zulässigen Überbrückungskredits die Beweislast. Daher sollte er auch als solcher bezeichnet werden. Zusätzlich sollte das Kreditinstitut die Beauftragung zur Erstellung eines Sanierungskonzeptes zur Voraussetzung der Gewährung eines Überbrückungskredits machen. Dies sowie die Befristung des Kredits bis zum voraussichtlichen Abschluss der Prüfung der Sanierungswürdigkeit und -fähigkeit dokumentieren den Überbrückungscharakter und vermeidet Haftungsrisiken, wenn eine Sanierung nicht mehr möglich ist. bb) Zivilrechtliche Haftung 24 Sind die Voraussetzungen der Sanierungswürdigkeit und -fähigkeit nicht erfüllt, kann die Gewährung eines Neukredits in der Krise sittenwidrig und der Kreditvertrag nach § 138 BGB nichtig sein. Das Kreditinstitut kann sich darüber hinaus gegenüber anderen Gläubigern des Kunden nach § 826 BGB schadensersatzpflichtig machen. Zudem sind die Vorschriften über die Insolvenzantragspflicht Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, so dass eine strafrechtliche Gehilfenhaftung3 auch eine Schadensersatzpflicht zur Folge hat. 25 Grundsätzlich begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, wenn ein Kreditinstitut durch die Vergabe zusätzlicher Kreditmittel an seinen in der Krise befindlichen Kunden eigene wirtschaftliche Ziele verfolgt. Hauptgrund einer Sanierungsbeteiligung ist natürlich die Erwartung des Kreditinstituts, die eigenen Befriedigungsaussichten für bereits ausgereichte Kreditmittel zu verbessern. 26 Demnach handelt das Kreditinstitut immer auch eigennützig, wenn es sich durch die Vergabe weiterer Kreditmittel an dem Sanierungsversuch des Kunden beteiligt. Dieser Hintergrund allein kann daher den Vorwurf des sittenwidrigen Beitrages zur Insolvenzverschleppung nicht begründen. Will der Kreditgeber den Schuldner tatsächlich sanieren und ist die erneute Kapitalzufuhr hierfür auch geeignet, handelt es sich um einen zulässigen Sanierungskredit, auch wenn der Sanierungsversuch misslingt4. 27 Ein sittenwidriger Beitrag zur Insolvenzverschleppung liegt erst vor, wenn das Kreditinstitut aus eigensüchtigen Beweggründen dem sanierungsbedürftigen Kunden keinen Kredit einräumt, den er zur Sanierung benötigt, sondern durch eine weitere unzureichende Kapitalzufuhr den Zusammenbruch des Kunden nur verzögert, um sich gegenüber anderen Gläubigern Vorteile zu verschaffen5. Der Kredit dient dann nicht der Behebung einer überwindbaren und vorübergehenden Krise, sondern nur dazu, den erforderlichen Insolvenzantrag des Kunden hinauszuschieben, um sich in 1 2 3 4
Vgl. IDW S 6 Rz. 1, Tz. 2 ff. BGH v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, NJW 1998, 1561. Vgl. „Strafrechtliche Verantwortlichkeit“, Rz. 30. BGH v. 11.11.1985 – II ZR 109/84, BGHZ 96, 231. Zum erforderlichen Sanierungskonzept vgl. „Sanierungswürdigkeit und -fähigkeit“, Rz. 22. 5 RG v. 9.4.1932 – IX 74/31, RGZ 136, 247; BGH v. 16.3.1995 – IX ZR 72/94, MDR 1996, 61; BGH v. 17.6.2004 – IX ZR 2/01, MDR 2004, 1381; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.32 m.w.N.
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Kreditgeschft
Rz. 30a
§9
der so gewonnenen Zeit aus der verbliebenen Liquidität und den Sicherheiten ungehindert und besser befriedigen oder ihre Sicherheitenposition weiter ausbauen zu können1. Täuscht und schädigt das Kreditinstitut hierbei andere Gläubiger des Kunden, weil sie im Vertrauen auf die scheinbare Kreditwürdigkeit neue Geschäfte mit dem Kunden eingehen, macht sich das Kreditinstitut gemäß § 826 BGB haftbar2. § 826 BGB begründet allerdings nur bei Vorsatz eine Schadensersatzpflicht, so dass das Kreditinstitut eine Schädigung der Gläubiger als möglich erkannt und gebilligt oder zumindest ernste Zweifel an dem Gelingen des Sanierungsversuchs haben muss3. Fallen Gläubiger infolge der durch das Kreditinstitut begründeten Fehlvorstellung 28 über die Kreditwürdigkeit des Kunden mit ihren Forderungen aus, ist hinsichtlich des Umfangs der Schadensersatzpflicht zwischen Altgläubigern und Neugläubigern zu unterscheiden. Während Altgläubigern der so genannte Quotenschaden, der in der durch Insolvenzverschleppung bedingten Masse- und Quotenverminderung besteht, ersetzt wird, haben Neugläubiger einen Anspruch auf Ersatz des vollen Schadens, den sie dadurch erleiden, dass sie in Geschäftsbeziehung zu dem insolvenzreifen Kunden des Kreditinstituts treten4. Der Schadensersatzanspruch der Neugläubiger ist dabei nicht um die auf diese entfallende Insolvenzquote zu kürzen, so dass der Ersatzanspruch nicht erst nach Abschluss des Insolvenzverfahrens geltend gemacht werden kann. Um einen doppelten Ausgleich des Neugläubigers zu vermeiden, muss er entsprechend § 255 BGB seine Insolvenzforderung an das in voller Höhe ersatzpflichtige Kreditinstitut abtreten5. Ein Kunde kann nach einer überstandenen Krise erneut in eine Krise geraten. Ein Sa- 29 nierungskredit, der einmal über die Krise hinweggeholfen hat, kann dann nicht zeitlich unbegrenzt weiterhin als Sanierungskredit bewertet werden. Vielmehr müssen in dieser Situation die Grundsätze über das Stillhalten in der Krise herangezogen werden6. cc) Strafrechtliche Verantwortlichkeit Kapital- und Personengesellschaften, bei denen keine natürliche Person unbeschränkt 30 haftet, haben spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen. Eine Täterschaft kommt nach dem Wortlaut der anwendbaren Vorschriften nur für Geschäftsführer7, Vorstandsmitglieder8, Vertretungsorgane, Abwickler oder Liquidatoren in Betracht9. Wecken oder bestärken Mitarbeiter des Kreditinstituts den Tatentschluss des Täters oder fördern sie durch einen Sanierungsbeitrag die tatbestandsmäßige Handlung, kommt eine Teilnahme an der Vorsatztat der Normadressaten in Betracht. Subjektiv erfordert der Vorsatz die Kenntnis des Mitarbeiters des Kreditinstituts von der pflichtwidrigen Unterlassung des Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens10. Des Weiteren kommt eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der Mitarbeiter des Kre- 30a ditinstituts wegen Untreue gemäß § 266 StGB zu Lasten der Bank in Betracht, wenn 1 BGH v. 9.12.1969 – VI ZR 50/68, MDR 1970, 313. 2 BGH v. 29.5.2001 – VI ZR 114/00, NJW 2001, 2632; BGH v. 9.7.1953 – IV ZR 242/52, BGHZ 10, 228. 3 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.74 m.w.N. 4 BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181. 5 BGH v. 5.2.2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46. 6 Dörrie, ZIP 1999, 12. 7 Im Falle, wenn die GmbH keinen Geschäftsführer mehr hat, können die Gesellschafter an dessen Stelle verpflichtet sein, bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung einen Insolvenzantrag zu stellen, § 15a Abs. 3 InsO. 8 Im Falle, wenn die AG keinen Vorstand mehr hat, kann jedes Mitglied des Aufsichtsrats an dessen Stelle verpflichtet sein, bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung einen Insolvenzantrag zu stellen, § 15a Abs. 3 InsO. 9 §§ 64, 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG; §§ 92 Abs. 2, 401 Abs. 1 Nr. 2 AktG; §§ 130a Abs. 1, 130b, 177a HGB. 10 BGH v. 25.7.2005 – II ZR 390/03, BGHZ 164, 50.
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§9
Rz. 31
Beratung von Banken
diese vor Gewährung eines Kredits die Chancen und Risiken des Geschäfts nicht auf Grundlage umfassender Information gegeneinander abgewogen haben. Anhaltspunkte hierfür bestehen insbesondere, wenn Entscheidungsträger ihre Informationspflichten verletzen, nicht über die erforderliche Befugnis zur Vergabe des Kredits verfügen oder vorgegebene Höchstgrenzen der Kreditgewährung nicht beachten1. Subjektiv ist zudem erforderlich, „dass der jeweilige Entscheidungsträger eine über das allgemeine Risiko bei Kreditgeschäften hinausgehende Gefährdung des Rückzahlungsanspruchs der Bank erkannt und gebilligt“ hat2. c) Kontroll- und Steuerungsmechanismen 31 In der Sanierungsphase besteht häufig der Wunsch des Kreditinstituts, auf die Geschäftsführungs- und Gesellschafterbefugnisse des Kunden durch Kontroll- und Steuerungsmechanismen Einfluss zu nehmen. Das Kreditinstitut bewegt sich dabei auf dem schmalen Grat der zulässigen Informationsbeschaffung und der unzulässigen Anmaßung von Geschäftsführungs- und Gesellschafterbefugnissen. aa) Eingriffe in die Geschäftsführung 32 Behält sich das Kreditinstitut das Recht zur Überprüfung der geschäftlichen Unterlagen des Kunden vor, ist dies nicht zu beanstanden. Da das Kreditinstitut überwiegend mit Fremdgeldern arbeitet, darf es Kredite nur nach sorgfältiger Prüfung der Bonität eines Kunden gewähren und muss bei bestehenden Kreditverhältnissen die Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Kunden überwachen3. Dem entspricht die Pflicht des Kunden, das Kreditinstitut über seine tatsächlichen Vermögensverhältnisse vollständig zu informieren4. Zulässig ist es ferner, wenn das Kreditinstitut auf den Einsatz von „Vertrauensleuten“ während der Sanierungsphase besteht. Es ist nicht unüblich, dass das Kreditinstitut die Einschaltung professioneller Berater empfiehlt. In diesem Fall ist darauf zu achten, dass der Auftrag zwischen dem Berater und dem Kunden zustande kommt und der Berater nicht als Beauftragter des Kreditinstituts im Unternehmen tätig wird. 33 Das Kreditinstitut schränkt die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit des Kunden hingegen in sittenwidriger Weise ein, wenn es die Geschäftsführungsorgane des Kunden praktisch entmachtet, und der Kunde nur noch nach außen als Inhaber des Geschäftes erscheint, während er gegenüber dem Kreditinstitut nur noch die Stellung eines abhängigen Verwalters hat. Dies ist der Fall, wenn der gesamte Gewinn des Geschäfts dem Kreditinstitut zufließt, ein Verlust von ihm aber nicht getragen und jede Haftung für Geschäftsschulden von ihm abgelehnt wird5. Das Kreditinstitut handelt insbesondere sittenwidrig, wenn es jede Verfügung über Vermögenswerte an seine vorherige Zustimmung knüpft und derart die Geschäftsführung des Kunden einseitig zu seinen Gunsten lenkt, dass es auf die Entscheidung über das Ob und das Ausmaß der Rückführung sonstiger Verbindlichkeiten Einfluss nimmt6. 34 Maßt sich das Kreditinstitut durch Kontrollmaßnahmen und den Einsatz von Vertrauensleuten weitreichende Geschäftsführungsbefugnisse an und übernimmt damit faktisch die Geschäftsführung des Kunden, setzt es sich dem Vorwurf der sittenwidrigen Schuldnerknebelung aus. Im Innenverhältnis sind die im Zusammenhang mit der Knebelung abgeschlossenen Kreditverträge und die Verträge über die Bestellung von Sicherheiten gemäß § 138 BGB nichtig. Fallen andere Gläubiger infolge der Einwirkung auf die Geschäftsführung durch das Kreditinstitut mit ihren Forderungen
1 Vgl. MünchKommStGB/Dierlamm, § 266 Rz. 206 ff.; vgl. auch BGH v. 15.11.2001 – 1 StR 185/01, BGHSt 47, 148; BGH v. 6.4.2000 – 1 StR 280/99, BGHSt 46, 30; OLG Karlsruhe v. 3.7.2003 – 3 Ws 72/03, NStZ-RR 2004, 367. 2 BGH v. 6.4.2000 – 1 StR 280/99, BGHSt 46, 30. 3 Reischauer/Kleinhaus/Bitterwolf, Kreditwesengesetz (KWG) Kommentar, § 18 Rz. 1; Beck/ Samm/Kokemoor/Ferstl, § 18 KWG Rz. 4. 4 BGH v. 26.9.1985 – III ZR 229/84, WM 1985, 1437. 5 Vgl. Grundsatzentscheidung RG v. 9.4.1932 – IX 74/31, RGZ 136, 247. 6 BGH v. 14.4.1964 – VI ZR 219/62, DB 1964, 841.
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Kreditgeschft
Rz. 38
§9
gegen den Kunden aus, besteht eine Verpflichtung zum Schadensersatz im Außenverhältnis gemäß § 826 BGB. bb) Gesellschafterstellung Mit dem Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von 35 Missbräuchen (MoMiG) vom 23.10.2008 wurde das Recht der Gesellschafterdarlehen neu geregelt. § 32a und § 32b GmbHG wurden aus dem Regelungsbereich des GmbHGesetzes entfernt. Auch die Verweise auf oHG und KG nach §§ 129a, 172a HGB sowie die Rechtsprechungsregeln zur analogen Anwendung der §§ 32a, 32b GmbHG traten nach dem neuen Recht außer Kraft. Stattdessen erfuhren die Gesellschafterdarlehen eine rechtsformneutrale Sonderreglung in der Insolvenzordnung und teilweise auch im Anfechtungsgesetz. Demnach werden die Darlehensrückzahlungsansprüche und gleichgestellte Forderungen von Gesellschaftern einer Gesellschaft, bei denen es keine natürliche Person als persönlich haftenden Gesellschafter gibt, im Insolvenzfall als nachrangig behandelt, § 39 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 4 Satz 1 InsO. Davon ausgenommen sind die nicht geschäftsführenden Gesellschafter, deren Beteiligung am Haftkapital unter 10 % liegt, § 39 Abs. 5 InsO. Werden die Ansprüche des Gesellschafters im letzten Jahr vor dem Insolvenzeröffnungsantrag durch die Gesellschaft erfüllt, so können die Beträge durch Insolvenzanfechtung wieder zur Masse gezogen werden (§ 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO n.F.). Der Anwendungsbereich des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO ist nicht nur dann eröffnet, wenn 36 der Kreditgeber sich an der Gesellschaft direkt beteiligt. Vielmehr werden vom Normadressatenkreis alle Formen faktischer und indirekter Beteiligung des Kreditinstituts an der Gesellschaft erfasst1. Erwirbt ein von dem Kreditinstitut beherrschtes Unternehmen die Mehrheit der Geschäftsanteile des Kreditnehmers, können danach die an ihn ausgereichten Kredite wegen mittelbarer Beteiligung des Kreditinstituts als Gesellschafterdarlehen zu behandeln sein2. Darüber hinaus kann sich nach der herrschenden Meinung eine faktische Gesellschafterstellung des Kreditinstituts bei Verpfändung von Geschäftsanteilen ergeben. Das Pfandrecht gewährt dem Kreditinstitut als Pfandgläubiger grundsätzlich keinen Einfluss auf die Gesellschafterstellung des Verpfändenden. Lässt sich das Kreditinstitut jedoch über die Geschäftsanteile hinaus Gewinn- 37 bezugs-, Auszahlungs- und Entnahmerechte, Abfindungsansprüche und Liquidationserlöse mitverpfänden und sich damit weitreichende Befugnisse zur Einflussnahme auf die Geschäftsführung und Gestaltung der Gesellschaft einräumen, ist es für die Anwendung der Eigenkapitalersatzregeln einem Gesellschafter gleichzustellen3. Auch Treuhandvereinbarungen verschaffen den Kreditinstituten häufig, bewusst oder unbewusst, die Stellung als Gesellschafter. Hält ein Gesellschafter des Kreditnehmers den Geschäftsanteil treuhänderisch für das außenstehende Kreditinstitut, ist es indirekt beteiligt4. Einen Ausweg bietet die in der Praxis weit verbreitete so genannte „doppelnützige Treuhand an Geschäftsanteilen“. Kreditinstitute veranlassen hierbei die Gesellschafter, ihre Geschäftsanteile auf einen Treuhänder zu übertragen. Dadurch soll eine bessere Veräußerung der Geschäftsanteile des Kunden im Rahmen des Sanierungsversuchs ermöglicht werden. Bei der Ausgestaltung der Treuhandvereinbarung muss aber darauf geachtet werden, dass kein unternehmerischer Einfluss auf den Kunden erfolgen kann, da das Kreditinstitut andernfalls die im Rahmen des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO geforderte gesellschaftergleiche Position einnimmt. Die Risiken einer Beteiligung der Kreditinstitute an seinen Kreditnehmern nach Kri- 38 seneintritt können ein Sanierungshindernis sein. Daher hat der Gesetzgeber durch das so genannte Sanierungsprivileg in § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO eine Ausnahmerege1 Römermann/Selzner/Leuering, MAH GmbH-Recht, § 7 Rz. 86. 2 BGH v. 21.9.1981 – II ZR 104/80, BGHZ 81, 311; BGH v. 27.11.2000 – II ZR 179/99, MDR 2001, 340; Römermann/Selzner/Leuering, MAH GmbH-Recht, § 7 Rz. 90. 3 BGH v. 13.7.1992 – II ZR 251/91, BGHZ 119, 191; Römermann/Selzner/Leuering, MAH GmbHRecht, § 7 Rz. 92; a.A. Freitag, WM 2007, 1681; Habersack, ZIP 2007, 2145 (2148). 4 BGH v. 14.11.1988 – II ZR 115/88, NJW 1989, 1219.
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§9
Rz. 39
Beratung von Banken
lung eingeführt. Danach begründet der Erwerb von Geschäftsanteilen durch einen Kreditgeber in der Krise der Gesellschaft zum Zwecke der Überwindung der Krise nicht die Anwendbarkeit der Eigenkapitalersatzregeln für seine bestehenden und neu gewährten Kredite. Das Sanierungsprivileg ist nicht auf den direkten Erwerb von Geschäftsanteilen beschränkt, sondern findet auch auf die Formen indirekter und faktischer Beteiligung Anwendung. Auch Fälle des Debt Equity Swap sollen unter die Anwendung des § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO fallen1. Diese sind zwar nicht von dem Wortlaut des Gesetzes umfasst („auf seine Forderungen aus bestehenden oder neu gewährten Darlehen“). 39 Die Begründung des Gesetzesentwurfs zum ESUG setzt dies jedoch voraus2. Voraussetzung für das Eingreifen des Sanierungsprivilegs ist, dass es sich bei dem gewährten Kredit um einen Sanierungskredit handelt. Der spätere Insolvenzverwalter ist aber gehalten, von der Nachrangigkeit der gewährten Darlehen auszugehen, wird ihm nicht die Eigenschaft des Sanierungskredits belegt. Daher ist auch hier die Prüfung der Erfolgsaussichten des Sanierungsvorhabens durch ein schriftlich dokumentiertes Sanierungskonzept dringend zu empfehlen. 2. Kreditgeschäft im Insolvenzeröffnungsverfahren 40 Gemäß §§ 11 ff. InsO ist ein Insolvenzeröffnungsverfahren vorgesehen, weil auf einen zulässigen Insolvenzeröffnungsantrag des Schuldners oder eines Gläubigers regelmäßig keine sofortige Entscheidung über die Verfahrenseröffnung erfolgt, sondern die Prüfung der Voraussetzungen für die Durchführung des Insolvenzverfahrens (Eröffnungsgrund und verfahrenskostendeckende Masse) einige Zeit erfordert. Im Eröffnungsverfahren hat das Insolvenzgericht gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO die für die Verhütung nachteiliger Veränderungen in der Vermögenslage des Schuldners erforderlichen Maßnahmen zu treffen. 41 Zu den möglichen Sicherungsmaßnahmen zählen insbesondere die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO, der Erlass eines allgemeinen Verfügungsverbotes sowie die Anordnung eines Zustimmungsvorbehaltes gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO. Seit Einführung des ESUG haben diese Sicherungsmaßnahmen jedoch zunehmend an Bedeutung verloren, da Schuldnerunternehmen immer häufiger eine Sanierung in Eigenverwaltung anstreben. Werden nach entsprechendem Antrag die Sicherungsmaßnahmen des § 270a/b InsO vom Insolvenzgericht angeordnet, verbleibt die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis in aller Regel beim Schuldner. An die Stelle des vorläufigen Insolvenzverwalters tritt ein vorläufiger Sachwalter, der die Masseverwaltung und -verfügung durch den Schuldner überwacht. Die Auswirkungen des Eröffnungsverfahrens auf bestehende und neue Kredite hängen davon ab, welche dieser Sicherungsmaßnahmen das Insolvenzgericht getroffen hat. a) Bestehende Kredite 42 Bestehende Kreditverträge werden weder durch die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes noch durch die Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters beendet. Die Wirkungen eines gerichtlich angeordneten Verfügungsverbotes richten sich gemäß § 24 Abs. 1 InsO nach den für Verfügungen des Schuldners nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens geltenden Vorschriften der §§ 81, 82 InsO. Dies hat die Unwirksamkeit von Tilgungsleistungen des Schuldners während des Insolvenzeröffnungsverfahrens zur Folge. Hingegen wird auf §§ 103 ff. InsO, die das Schicksal noch nicht vollständig abgewickelter gegenseitiger Rechtsgeschäfte sowie die Beendigung von Dauerschuldverhältnissen regeln, nicht verwiesen. Daher werden Kreditverträge auch von der Einsetzung eines Insolvenzverwalters mit daneben angeordnetem Verfügungsverbot nicht berührt. Wenn, wie regelmäßig, kein allgemeines Verfügungsver-
1 So auch Braun/Bäuerle, § 39 Rz. 18. 2 RegE-ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 9.
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Kreditgeschft
Rz. 47
§9
bot angeordnet wird, sind Rückzahlungen des Kunden wirksam, unterliegen allerdings im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Anfechtungsvorschriften der §§ 129 ff. InsO. Der Zinslauf wird durch die Stellung des Insolvenzantrages nicht unterbrochen, so 42a dass das Kreditinstitut im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die bis dahin auflaufenden Zinsen gleichermaßen wie die Hauptforderung als Insolvenzforderung geltend machen kann. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens anfallende Zinsen werden dagegen gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO nachrangig und in aller Regel nur dann befriedigt, wenn für diese eine Sicherheit bestellt worden ist. Nach der Rechtsprechung des BGH gilt § 367 Abs. 1 BGB im Rahmen der Verwertung von Absonderungsrechten auch für seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens laufende Zinsen, mit der Folge, dass diese vor der Hauptforderung zu befriedigen sind1. Das Kreditinstitut sollte sich im Insolvenzeröffnungsverfahren von bestehenden Kre- 43 ditverträgen durch die Ausübung der außerordentlichen Kündigung gemäß Nr. 19 Abs. 3 AGB-Banken und Nr. 26 Abs. 2 AGB-Sparkassen wegen wesentlicher Vermögensverschlechterung lösen. Einerseits kann so die Ausnutzung offener Kreditlinien im Rahmen bestehender Kreditverträge verhindert werden, andererseits kann das Kreditinstitut – für den seltenen Fall, dass kein insolvenzfestes AGB-Pfandrecht nach Nr. 14 AGB-Banken und Nr. 21 AGB-Sparkassen an Vermögenswerten des Kunden vereinbart wurde – mit der durch Kündigung fällig gestellten Kreditforderung gegen eine Guthabenforderung des Kunden aufrechnen. Die Aufrechnung (hierzu umfassend § 7 Rz. 496 ff.) ist nämlich gemäß § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO ausgeschlossen, wenn das Kreditinstitut erst nach Verfahrenseröffnung kündigt und die Guthabenforderung des Kunden bereits vor der Kündigung fällig war, da die Fälligkeitsfiktion des § 41 InsO nach der ausdrücklichen Bestimmung des § 95 Abs. 1 Satz 2 InsO für die Aufrechnung nicht anzuwenden ist2. Trotz berechtigter Kündigung des Kreditvertrages bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren kann allerdings die Aufrechnung gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig sein, wenn die Aufrechnungslage anfechtbar herbeigeführt wurde. b) Neukreditvergabe Im Insolvenzeröffnungsverfahren ist die Aufnahme neuer Kredite oft notwendig, um 44 die für die Unternehmensfortführung erforderliche Liquidität jedenfalls bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sicherzustellen. Wie im eröffneten Insolvenzverfahren selbst, ist auch im Insolvenzeröffnungsverfahren die Gewährung von so genannten Massekrediten möglich. Eine Besonderheit des Eröffnungsverfahrens stellt darüber hinaus die Insolvenzgeldvorfinanzierung dar. aa) Massekredite Bei der Entscheidung über die Vergabe neuer Kredite ist für das Kreditinstitut von 45 entscheidender Bedeutung, dass die Forderung aus dem Kreditvertrag, den der vorläufige Insolvenzverwalter im Eröffnungsverfahren abschließt, als Masseverbindlichkeit im eröffneten Verfahren privilegiert wird. Der wirtschaftliche Nutzen der Einordnung einer Kreditforderung als Masseverbind- 46 lichkeit ergibt sich aus § 53 InsO. Danach werden Masseverbindlichkeiten „vorweg“, also vor den Insolvenzforderungen nach § 38 InsO berichtigt. Sie werden außerhalb des Insolvenzverfahrens gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend gemacht, ohne dass es einer Anmeldung zur Insolvenztabelle oder eines gerichtlichen Prüfungsverfahrens bedarf3. Die Voraussetzungen zur Begründung privilegierter Massekredite ergeben sich aus 47 § 55 Abs. 2 InsO. Erforderlich ist die Einsetzung eines so genannten „starken vorläu1 BGH v. 17.2.2011 – IX ZR 83/10, MDR 2011, 567; vgl. auch OLG Frankfurt v. 23.4.2010 – 25 U 58/08, ZIP 2010, 2256. 2 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.356. 3 BGH v. 11.7.1996 – IX ZR 304/95, MDR 1997, 93; Uhlenbruck/Sinz, § 53 Rz. 3.
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Rz. 47a
Beratung von Banken
figen Insolvenzverwalters“, dem infolge der Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes gegen den Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis hinsichtlich des Schuldnervermögens übertragen wurde, §§ 22 Abs. 1 Satz 1 InsO i.V.m. 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 InsO. Wird, wie in der Praxis üblich, nur ein so genannter „schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter“ ohne gleichzeitige Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes bestellt, ist § 55 Abs. 2 InsO wegen der klaren gesetzgeberischen Wertung weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden. Dies gilt selbst dann, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter im Rahmen eines ihm eingeräumten Zustimmungsvorbehaltes gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO einer Verfügung des Schuldners zugestimmt hat, da allein die Möglichkeit, Verfügungsgeschäfte des Schuldners zu verhindern, dem vorläufigen Insolvenzverwalter nicht die Befugnis verleiht, Masseverbindlichkeiten zu begründen1. Dem schwachen Insolvenzverwalter kann allerdings das Eingehen von Masseverbindlichkeiten gestattet werden, indem ihn das Insolvenzgericht zur Kreditaufnahme als Massekredit für den konkreten Einzelfall ermächtigt. Eine pauschale gerichtliche Ermächtigung „mit rechtlicher Wirkung für den Schuldner zu handeln“, reicht dafür jedoch noch nicht aus2. 47a Beantragt der Schuldner gem. § 270 Abs. 2 Nr. 1 InsO die Eigenverwaltung, so ist hinsichtlich der Befugnis zur Begründung von Masseverbindlichkeiten im Eröffnungsverfahren zu unterscheiden, ob es sich um einen normalen Fall der vorläufigen Eigenverwaltung oder um ein sog. „Schutzschirmverfahren“ nach § 270b InsO handelt. Im Rahmen des „Schutzschirmverfahrens“ hat das Gericht nach § 270b Abs. 3 Satz 1 InsO dem Schuldner auf Antrag die Befugnis auszusprechen, Masseverbindlichkeiten zu begründen. Eine vergleichbare Regelung ist für den Fall der normalen Eigenverwaltung nicht vorhanden. Daher ist umstritten, ob das Gericht auch hier anordnen kann, dass der Schuldner bereits im Eröffnungsverfahren Masseverbindlichkeiten begründen darf. Nach einer Ansicht ist hierfür keine gerichtliche Entscheidung erforderlich, da der Schuldner selbst die Rechtsmacht besitze, im Eröffnungsverfahren Masseverbindlichkeiten zu begründen. Aus dem Fehlen einer expliziten Regelung in § 270a InsO sei zu schließen, dass „der Gesetzgeber offenkundig wie selbstverständlich davon ausgeht, dass der Schuldner in der vorläufigen Eigenverwaltung selbst Masseverbindlichkeiten begründen kann“3. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine weitere Ansicht, wenn auch mit anderer Begründung. Aus dem Verweis in § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO, nachdem dem vorläufigen Sachwalter die gleichen Befugnisse wie dem Sachwalter im eröffneten Verfahren zustehen, folge, dass auch die Befugnisse des Schuldners an denen des eröffneten Verfahrens zu messen seien und dieser mithin Masseverbindlichkeiten begründen könne4. Aufgrund des Verweises auf die allgemeinen Vorschriften gem. § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO wird, in Anlehnung an die Möglichkeit, den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter im Einzelfall zur Begründung von Masseverbindlichkeiten zu ermächtigen, von der wohl überwiegenden Ansicht vertreten5, dass auch der Schuldner im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren nach §§ 270a Abs. 1, 270 Abs. 1, 22 Abs. 2 Satz 1 InsO zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ermächtigt werden könne. Mit vergleichbarer Begründung geht ein anderer Ansatz davon aus, dass das Gericht nicht den Schuldner, sondern nur den vorläufigen Sachwalter zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ermächtigen könne, da dieser „anstelle“ eines vorläufigen Insolvenzverwalters bestellt werde6. Gänzlich abgelehnt hat das AG Fulda die Möglichkeit, im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren Masseverbindlichkeiten zu begründen7. Der BGH hat hierauf festgestellt, dass
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Str., so BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353. BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353. AG Montabaur v. 27.12.2012 – 14 IN 282/12, ZInsO 2013, 397. FK-InsO/Foltis, § 270a Rz. 27. LG Duisburg v. 29.11.2012 – 7 T 185/12, ZIP 2012, 2453 f.; AG Köln v. 26.3.2012 – 73 IN 125/12, ZIP 2012, 788 f.; AG München v. 27.6.2012 – 1506 IN 1851/12, ZIP 2012, 1470; Zipperer, EWiR 2012, 361 (362); Hofmann, EWiR 2012, 359 (360); Graf-Schlicker/Graf-Schlicker, § 270a Rz. 15; Buchalik in Haarmeyer/Wutzke/Förster, § 270a InsO Rz. 12. 6 AG Hamburg v. 4.4.2012 – 67g IN 74/12, ZIP 2012, 787 f. 7 AG Fulda v. 28.3.2012 – 91 IN 9/12, ZIP 2012, 1471.
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Kreditgeschft
Rz. 52
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„ein Antrag auf Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten in § 270a InsO nicht vorgesehen“ sei1. Ob die Begründung von Masseverbindlichkeiten durch den Schuldner im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren allerdings gänzlich ausgeschlossen ist, hatte der BGH nicht zu entscheiden. Bei der Vergabe von Massekrediten ist zwischen zwei Finanzierungsformen zu unter- 48 scheiden. Um einen echten Massekredit handelt es sich, wenn das Kreditinstitut tatsächlich neue Kreditmittel als „fresh money“ zur Verfügung stellt. Hingegen ermöglicht das Kreditinstitut dem vorläufigen Insolvenzverwalter beim unechten Massekredit, Sicherheitenerlöse aus z.B. einer zugunsten des Kreditinstituts eingeräumten Globalzession als Mittel zur Unternehmensfortführung zu verwenden. In Höhe der zur Verfügung gestellten Mittel wird dem Kunden ein neuer Kredit eingeräumt, indem die Befugnis des Insolvenzverwalters zur Sicherheitenverwertung gemäß §§ 165 ff. InsO auf das Eröffnungsverfahren vorverlagert und so die Auskehrung von Sicherheitenerlösen kreditiert wird. Das Kreditinstitut muss darauf achten, dass die Befugnis zur Verwendung der Sicherheitenerlöse ausdrücklich im Wege eines Kredites eingeräumt wird und nicht etwa durch Freigabe der Sicherheiten. So kann die Einordnung der Rückzahlungsverpflichtungen als Masseverbindlichkeit sichergestellt werden2. Trotz der bevorrechtigten Befriedigung der Masseverbindlichkeiten gegenüber Insol- 49 venzforderungen besteht ein Ausfallrisiko mit der Kreditforderung, wenn (a) die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse gemäß § 26 InsO abgelehnt oder (b) das eröffnete Insolvenzverfahren gemäß § 207 Abs. 1 InsO mangels Masse eingestellt werden muss. Bei Einstellung des Verfahrens konkurrieren alle Masseverbindlichkeiten und werden nach dem zwingenden Verteilungsschlüssel des § 209 InsO befriedigt. Masseverbindlichkeiten aus im Insolvenzeröffnungsverfahren geschlossenen Kreditverträgen nehmen dabei nur den 3. Rang nach den Kosten des Insolvenzverfahrens und den Masseverbindlichkeiten, die nach der Masseunzulänglichkeitsanzeige begründet worden sind, ein. Selbst wenn die vorrangigen Masseverbindlichkeiten berichtigt werden können, werden alle Übrigen nur quotal befriedigt. Lehnt das Insolvenzgericht bereits die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ab, werden die Verbindlichkeiten überhaupt nicht nach einer Rangfolge befriedigt und das Kreditinstitut fällt mit seiner Forderung aus dem Kreditvertrag aus. Auch die Haftung des Insolvenzverwalters gemäß § 61 InsO wegen Nichterfüllung 50 von Masseverbindlichkeiten kann das Ausfallrisiko nur in Grenzen reduzieren. Einerseits kann sich der Verwalter gemäß § 61 Satz 2 InsO entlasten, wenn er bei Begründung der Verbindlichkeit trotz einer plausiblen sowie ständig überprüften und aktualisierten Liquiditätsrechnung die Masseunzulänglichkeit nicht erkennen konnte3. Andererseits kann die Haftung wegen des regelmäßig bestehenden Missverhältnisses zwischen der Kreditsumme und der finanziellen Leistungsfähigkeit des Insolvenzverwalters oft keinen Ausgleich bieten4. Es empfiehlt sich daher, den Insolvenzverwalter eine ausreichende Haftpflichtversicherung nachweisen zu lassen. Somit dürfte die Vergabe neuer Kredite im Eröffnungsverfahren wegen des wirt- 51 schaftlichen Risikos trotz Einordnung als Masseverbindlichkeit regelmäßig nur in Betracht kommen, wenn Sicherheiten aus noch vorhandenen Vermögenswerten gestellt werden können. Die Sicherheitenbestellung kann als Bargeschäft im Sinne des § 142 InsO ausgestaltet werden, so dass deren Anfechtung nach den §§ 129 ff. InsO ausscheidet5. Eine weitere Möglichkeit, die während eines Insolvenzeröffnungsverfahrens begrün- 52 deten Kreditforderungen „insolvenzfest“ zu gestalten, besteht in dem so genannten Treuhandkontenmodell. Danach werden vorhandene Mittel, z.B. aus der Erfüllung
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BGH v. 7.2.2013 – IX ZB 43/12, ZInsO 2013, 460. Schönfelder, WM 2007, 1489 (1490). BGH v. 17.12.2004 – IX ZR 185/03, MDR 2005, 709. Vgl. Wuschek, ZInsO 2012, 1294, 1298; Wittig in K. Schmidt/Uhlenbruck (Hrsg.), Die GmbH in Krise Sanierung und Insolvenz, Rz. 5.318. 5 Hierzu ausführlich unter „Besicherung neu ausgereichter Kredite“, Rz. 73 ff.
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§9
Rz. 53
Beratung von Banken
von Forderungen des Schuldners gegen Dritte, im Rahmen eines echten Treuhandvertrages zwischen dem Schuldner und einem Treuhänder unter Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters auf ein Treuhandkonto separiert, um hieraus Verbindlichkeiten aus Kreditverträgen erfüllen zu können1. Das Kreditinstitut trägt allerdings auch hier das Risiko, wenn die Gelder auf dem Treuhandkonto zur Befriedigung der Ansprüche nicht ausreichen. bb) Insolvenzgeldvorfinanzierung 53 Wird der Geschäftsbetrieb im Insolvenzeröffnungsverfahren nicht stillgelegt, sondern fortgeführt, kann die erforderliche Liquidität durch die in der Praxis häufig vorkommende Insolvenzgeldvorfinanzierung geschaffen werden. 54 Gemäß § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer2 Anspruch auf Insolvenzgeld gegen die Bundesagentur für Arbeit. Sofern der Arbeitnehmer für bis zu drei Monate vor Eintritt eines Insolvenzereignisses, namentlich die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, die Abweisung des Eröffnungsantrages mangels Masse oder die vollständige Einstellung der Betriebstätigkeit3, kein Arbeitsentgelt erhalten hat, erfolgt auf seinen Antrag die staatlich garantierte Zahlung des Insolvenzgeldes. Bis zur Auszahlung vergeht jedoch meist einige Zeit. Zur Sicherstellung der Fortführung des Geschäftsbetriebes des insolventen Unternehmens ist die Finanzierung der Lohn- und Gehaltsforderungen bereits zwischen der Stellung des Antrages auf Insolvenzeröffnung und dem Eintritt des Insolvenzereignisses erforderlich. Ohne pünktliche Zahlung der Löhne und Gehälter dürften die Arbeitnehmer zur Weiterarbeit in dem insolventen Unternehmen kaum noch motiviert werden können4. 55 Die Insolvenzgeldvorfinanzierung kann durch zwei Finanzierungsformen, das kollektive Forderungskaufverfahren oder das individuelle Verfahren, ermöglicht werden. 56 Bei dem so genannten kollektiven Forderungskaufverfahren kauft das Kreditinstitut den Arbeitnehmern ihre Lohn- oder Gehaltsforderungen ab und lässt sich gegen Zahlung des Kaufpreises in Höhe des Nettolohnes die Forderungen abtreten. Bis zur Stellung des Antrages auf Zahlung des Insolvenzgeldes ist der Arbeitgeber Schuldner der abgetretenen Lohn- oder Gehaltsforderung. Nach Eintritt des Insolvenzereignisses und Stellung des Antrages auf Zahlung von Insolvenzgeld geht der Anspruch auf das Arbeitsentgelt gegen den Arbeitgeber auf die Bundesagentur für Arbeit über und das vorfinanzierende Kreditinstitut erhält den Anspruch auf Insolvenzgeld gemäß §§ 169, 170 Abs. 1 SGB III. Voraussetzung ist allerdings nach § 170 Abs. 4 SGB III, dass die Bundesagentur für Arbeit der Abtretung der Arbeitsentgelte zugestimmt hat. Dies setzt die Prognose voraus, dass durch die Vorfinanzierung ein erheblicher Teil der Arbeitsplätze erhalten bleibt. Das Kreditinstitut trägt bei diesem Verfahren das Risiko der tatsächlichen Auszahlung des Insolvenzgeldes5. 56a Die Möglichkeit der kollektiven Vorfinanzierung von Arbeitsentgeltansprüchen besteht grundsätzlich auch im Rahmen der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO, sowie im Falle der Anordnung des sog. „Schutzschirmverfahrens“ gem. § 270b InsO. Die Gewährung von Insolvenzgeld hängt jedoch auch hier gem. § 165 Abs. 1 SGB III vom Eintritt eines Insolvenzereignisses ab. Gelingt es, das Unternehmen des Schuldners im Rahmen des „Schutzschirmverfahrens“ zu sanieren und ist somit kein Insolvenzereignis i.S.v. § 165 Abs. 1 SGB III gegeben, liegen auch die Voraussetzungen für die Gewährung von Insolvenzgeld nicht vor. Die rückständigen Löhne und 1 Undritz, NZI 2003, 136 (141); BGH v. 12.10.1989 – IX ZR 184/88, BGHZ 109, 47. 2 Um die Lesbarkeit zu vereinfachen wird im Folgenden auf die zusätzliche Formulierung der weiblichen Form verzichtet. Die ausschließliche Verwendung der männlichen Form soll im Einzelfall explizit als geschlechtsunabhängig verstanden werden. 3 Maßgeblich ist stets das erste Insolvenzereignis, das gegenüber etwaigen späteren eine Sperrwirkung entfaltet, vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.1.2013 – L 8 AL 12/12; BSG v. 8.2.2001 – B 11 AL 27/00, DZWIR 2001, 324. 4 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.401; Wittig in K. Schmidt/Uhlenbruck (Hrsg.), Die GmbH in Krise Sanierung und Insolvenz, Rz. 5.333. 5 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.405.
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Kreditgeschft
Rz. 60
§9
Beiträge sind daher durch den Schuldner zu erfüllen. Folglich liegt das Risiko der Vorfinanzierung bis zur Entscheidung durch das Insolvenzgericht nach § 270b Abs. 4 InsO beim vorfinanzierenden Kreditinstitut. Das in der Vergangenheit häufig praktizierte so genannte kollektive Kreditierungs- 57 verfahren kommt hingegen nicht mehr in Betracht. Dabei räumt das Kreditinstitut den Arbeitnehmern einen Kredit anstelle der fälligen Löhne und Gehälter ein und lässt sich zur Sicherheit die Forderungen gegen den Arbeitgeber abtreten. Diese Abtretung ist allerdings wegen § 400 BGB in Höhe des Pfändungsfreibetrages unwirksam, so dass das Kreditinstitut keinen Anspruch auf Zahlung des Insolvenzgeldes gemäß §§ 169, 170 Abs. 1 SGB III gegen die Bundesagentur für Arbeit erlangen kann. Auch die anerkannte Einschränkung des § 400 BGB für den Fall, dass der Arbeitnehmer für die Abtretung eine wirtschaftlich gleichwertige Leistung erhält1, ist bei dieser Finanzierungsart nicht anwendbar. Denn der Arbeitnehmer ist als Schuldner der Kreditforderung einem Rückzahlungsrisiko ausgesetzt. Daher ist trotz Auszahlung des nicht pfändbaren Teils der Lohn- oder Gehaltsforderung die wirtschaftliche Gleichwertigkeit nicht gewährleistet und die Abtretung in dieser Höhe ausgeschlossen2. Die Bundesagentur für Arbeit wendet § 400 BGB allerdings nur für kollektive Vor- 58 finanzierungen an. Bei individuellen Kreditierungsverfahren, bei denen jeder Arbeitnehmer mit dem Kreditinstitut eine individuelle Vereinbarung trifft, nach der er sein Konto bis zu drei Monatsgehälter überziehen kann, geht sie auch hinsichtlich der Pfändungsfreibeträge von der Wirksamkeit der Abtretung der Lohn- oder Gehaltsforderungen aus3. Entscheidet sich das Kreditinstitut zur Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes unter 59 Erwerb der Insolvenzgeldansprüche gegen die Bundesagentur für Arbeit, muss es jedoch berücksichtigen, dass nach der ausdrücklichen Regelung des § 165 Abs. 1 SGB III Insolvenzgeldansprüche nur für die letzten drei Monate vor dem Eintritt eines Insolvenzereignisses bestehen. Zieht sich das Eröffnungsverfahren länger als drei Monate hin, kann das Kreditinstitut auch weitere Monate finanzieren, indem sie die Lohnforderungen in revolvierender Weise erwirbt. Dabei lässt es sich Forderungen für einen Monat nur abtreten, wenn der Arbeitgeber die Lohnforderungen jedenfalls für den dritten vorausgehenden Monat befriedigt hat4. 3. Kreditgeschäft im eröffneten Insolvenzverfahren Hinsichtlich bestehender Kredite ist im Insolvenzverfahren zwischen Kontokorrent- 60 krediten und Fest- bzw. Tilgungskrediten zu unterscheiden. Der Kontokorrentvertrag erlischt mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß §§ 115, 116 InsO. Im Rahmen des Kontokorrentvertrages bereits in Anspruch genommene Kredite werden sofort fällig, noch nicht ausgeschöpfte Kreditrahmen können nicht mehr in Anspruch genommen werden. Sonstige, insbesondere Fest- und Tilgungskredite, gelten ebenfalls sofort mit Verfahrenseröffnung als fällig. Dies ergibt sich aus § 41 Abs. 1 InsO, wonach diejenigen Forderungen, welche im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung entstanden, aber noch nicht fällig sind, und bei denen der Fälligkeitseintritt gewiss ist, zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung als fällig gelten5. Soweit Kreditlinien jedoch nicht oder nicht vollständig ausgeschöpft sind, steht dem Insolvenzverwalter gemäß § 103 InsO ein Wahlrecht zu, ob der Kreditvertrag erfüllt werden soll. Im Falle der vollständigen Inanspruchnahme noch nicht ausgeschöpfter Kreditlinien durch den Insolvenzverwalter ist der Rückzahlungsanspruch gemäß § 105 InsO für die vor Verfahrenseröffnung ausgezahlten Teilvaluta gleichwohl keine Masseverbindlichkeit 1 Palandt/Grüneberg, § 400 Rz. 3. 2 Ankündigungsrechtsprechung des BSG v. 8.4.1992 – 10 RAr 12/91, BSGE 70, 265; Wittig in K. Schmidt/Uhlenbruck (Hrsg.), Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 5.346. 3 Vgl. Durchführungsanweisungen zum Insolvenzgeld der Bundesagentur für Arbeit (DA-InsG), § 167 SGB III, 2. (4). 4 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.408. 5 Uhlenbruck/Knof, § 41 Rz. 1; Hess, Insolvenzrecht, Großkommentar, Bd. I, § 41 Rz. 8.
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im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO, sondern eine quotal zu befriedigende Insolvenzforderung. Regelmäßig wird das Kreditinstitut die volle Inanspruchnahme noch nicht ausgeschöpfter Kreditlinien durch die Ausübung der außerordentlichen Kündigung bereits im Eröffnungsverfahren verhindern. 61 Neue Kreditverträge1 können nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit dem nunmehr ausschließlich verfügungs- und verwaltungsberechtigten Insolvenzverwalter abgeschlossen werden, § 80 InsO. Der Rückzahlungsanspruch wird als privilegierte Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO vorab berichtigt2. 4. Kreditgeschäft im Insolvenzplanverfahren 61a Die Privilegierung bestehender Kredite gem. § 55 InsO wird durch einen Insolvenzplan grundsätzlich nicht beeinträchtigt3. Hat ein Kreditinstitut einen Massekredit gewährt, kann es die vollständige Befriedigung seiner Darlehensansprüche verlangen. Vor deren Erfüllung kann das Insolvenzverfahren nach § 258 Abs. 2 Satz 1 InsO nicht aufgehoben werden. Sofern der Schuldner den Kredit auch nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens benötigt, ist zu beachten, dass das Kreditinstitut bei Verlängerung des ausgereichten Massekredits keine vorrangige Befriedigung mehr verlangen kann. Eine Vorrangstellung kann in diesem Fall nur erlangt werden, wenn gem. § 260 InsO ein sog. Überwachungsverfahren angeordnet wird. Im gestaltenden Teil des Insolvenzplanes kann dann gem. § 264 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 InsO vorgesehen werden, dass Gläubiger mit Kreditforderungen, die durch einen Massegläubiger während der Zeit der Überwachung stehen gelassen worden sind, vor den übrigen Insolvenzgläubigern zu befriedigen sind. Das Kreditinstitut kann jedoch nicht zur Verlängerung des Kredits gezwungen werden. Die Einräumung einer Vorrangstellung gem. § 264 Abs. 1 Satz 1 InsO kann lediglich einen Anreiz hierfür schaffen. 61b Benötigt der Schuldner zusätzlich zu den bestehenden Krediten weitere, neue Kredite, kann auch deren Gläubigern gem. § 264 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 InsO eine Vorrangstellung eingeräumt werden. Voraussetzung für die Verlängerung bestehender Kredite wie auch für die Gewährung neuer Kredite ist aber, dass sich diese innerhalb des nach § 264 Abs. 1 Satz 2 InsO festzusetzenden Kreditrahmens halten und den Wert der Vermögensgegenstände des Schuldners nicht überschreiten, § 264 Abs. 1 Satz 3 InsO. Aus § 264 Abs. 2 InsO folgt ferner, dass der Nachrang der Insolvenzgläubiger in der Folgeinsolvenz nur gegenüber Gläubigern gilt, mit denen vereinbart wird, dass und in welcher Höhe der von ihnen gewährte Kredit nach Hauptforderung, Zinsen und Kosten innerhalb des Kreditrahmens liegt, und gegenüber denen der Insolvenzverwalter diese Vereinbarung schriftlich bestätigt. Der eingeräumte Vorrang gilt auch gegenüber Gläubigern, die ihre Forderung erst während des Überwachungsverfahrens erlangt haben, § 265 InsO. Die privilegierte Stellung gilt jedoch nur in einem neuen Insolvenzverfahren, das vor Aufhebung des Überwachungsverfahrens eröffnet wird, § 266 InsO. Das Überwachungsverfahren selbst wird gem. § 268 Abs. 1 Nr. 2 InsO spätestens drei Jahre nach Aufhebung des ursprünglichen Insolvenzverfahrens aufgehoben. III. Sicherheitenbestellung in der Krise 62 Vor allem in der Krise des Kunden hat das Kreditinstitut ein Interesse an der Bestellung oder Verstärkung von Kreditsicherheiten, um so das Ausfallrisiko für bestehende oder zukünftige Kredite zu minimieren. Gehört der zur Besicherung verwendete Gegenstand zum Vermögen des Schuldners, verkürzt dies die Insolvenzmasse und damit die Zugriffsmöglichkeit anderer Gläubiger, wenn eine Sanierung scheitert. Der in der Insolvenzordnung geltende Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger erfordert hingegen, dass die Besserstellung Einzelner weitgehend vermie1 Kreditverbindlichkeiten, die die Insolvenzmasse erheblich belasten, bedürfen gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 2 InsO der Zustimmung des Gläubigerausschusses. Allerdings berührt deren Nichtvorliegen nicht die Wirksamkeit des Kreditvertrages, § 164 InsO. 2 Zu den Masseverbindlichkeiten bereits unter „Massekredite“, Rz. 45 ff. 3 Braun/Braun/Frank, § 217 InsO Rz. 7.
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Sicherheitenbestellung in der Krise
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den wird. Daher unterliegt das Kreditinstitut bei der Besicherung von Krediten in der Krise des Kunden Einschränkungen. Sie ergeben sich aus den auf Anreicherung der Insolvenzmasse abzielenden Anfechtungsvorschriften der § 129 ff. InsO. Zu unterscheiden ist zwischen der Nachbesicherung bestehender Kredite und der Besicherung neu ausgereichter Sanierungskredite. 1. Nachbesicherung bestehender Kredite Hat das Kreditinstitut dem Kunden vorinsolvenzlich einen ungesicherten oder einen 63 nicht ausreichend gesicherten Kredit eingeräumt, muss es bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten überlegen, ob es von dem notleidenden Kunden die erstmalige Bestellung oder die Verstärkung bestehender Sicherheiten verlangen kann. Der Anspruch des Kreditinstituts auf Nachbesicherung kann mit dem Kunden indivi- 64 duell vereinbart werden. Diese so genannte Positiverklärung verpflichtet den Kunden, dem Kreditinstitut auf erstes Anfordern eine ihm genehme – regelmäßig eine ganz bestimmte – Sicherheit zu bestellen1. Soweit zusätzlich eine so genannte Gleichrangklausel aufgenommen wurde, entsteht der Besicherungsanspruch in dem Zeitpunkt, in dem der Schuldner auch anderen Gläubigern Sicherheiten bestellt. Der schuldrechtliche Anspruch auf Bestellung der Sicherheit führt im Falle der Insolvenz des Kunden allerdings nicht zu einer Erhöhung der Quote, da ihm neben der Kreditforderung keine selbstständige Bedeutung zukommt2. Der Anspruch auf Nachbesicherung kann sich ferner aus Nr. 13 Abs. 2 AGB-Banken 65 oder Nr. 22 Abs. 1 AGB-Sparkassen ergeben, wenn das Kreditinstitut zunächst von der Bestellung von Sicherheiten abgesehen hat, sich aber die wirtschaftlichen Verhältnisse des Kunden nachteilig verändert haben oder sich zu verändern drohen3. Dieser Anspruch ist gemäß Nr. 13 Abs. 2 Satz 4 AGB-Banken ausgeschlossen, wenn ausdrücklich vereinbart ist, dass der Kunde keine oder nur die abschließend benannten Sicherheiten zu bestellen hat. Allerdings kann allein aus der Vereinbarung bestimmter Sicherheiten nicht auf eine Abbedingung der Regelung geschlossen werden. Hinzukommen muss die Erklärung des Kreditinstituts, auf andere Vermögenswerte des Kunden nicht oder nur unter ganz bestimmten Umständen zurückgreifen zu wollen4. Entscheidet sich das Kreditinstitut, sein ihm in der Krise des Kunden zustehendes 66 Kündigungsrecht nicht auszuüben und stattdessen seinen Anspruch auf Nachbesicherung geltend zu machen, setzt es sich der erheblichen Gefahr der Insolvenzanfechtung gemäß §§ 129 ff. InsO aus (hierzu umfassend § 10), sofern eine Sanierung scheitert5. Hat die Anfechtung Erfolg, muss das Kreditinstitut gemäß § 143 InsO die Sicherheit zur Insolvenzmasse zurückgeben und ist wegen der Kreditforderung auf die Insolvenzquote beschränkt. Grundvoraussetzung aller anfechtungsrechtlichen Rückgewähransprüche ist nach 67 § 129 InsO die Benachteiligung der Gläubiger in ihrer Gesamtheit durch Verkürzung der Insolvenzmasse (vgl. § 10 Rz. 25 ff., 43 ff.)6. Die Insolvenzmasse ist das gesamte Vermögen, das dem Kunden zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Legaldefinition des § 35 Abs. 1 InsO). Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, gehören nach § 36 InsO mit bestimmten Ausnahmen nicht zur Insolvenzmasse. Eine Verfügung über diese Gegenstände kann der Insolvenzverwalter demnach nicht anfechten. Eine Anfechtung ist zudem ausgeschlossen, wenn die Sicherheiten nicht zum Vermögen des Schuldners gehören, sondern aus dem Vermögen eines Dritten bestellt werden. Darüber hinaus ist eine Gläubigerbenachteiligung zu verneinen, wenn Verfügungen des Schuldners für die In-
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MünchKommBGB/Berger, Bd. 3, § 488 Rz. 59; Wuschek, ZInsO 2012, 1294 (1302). Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.398. Vgl. „Kündigung“, Rz. 13 ff. BGH v. 9.6.1983 – III ZR 105/82, MDR 1984, 126. Vgl. „Kündigung“, Rz. 13 ff. BGH v. 23.9.1981 – VIII ZR 245/80, ZIP 1981, 1229.
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solvenzmasse wirtschaftlich neutral sind1. Dies ist z.B. der Fall, wenn gleichwertige Sicherheiten bloß ausgetauscht werden2, so etwa wenn bei Vereinbarung eines Eigentumsvorbehaltes anstelle des Gegenstandes bei dessen Weiterveräußerung „vermögensmäßig“ die künftige Forderung tritt3. 68 Die Anfechtung der Bestellung bzw. Verstärkung der Sicherheiten kann wegen kongruenter oder inkongruenter Deckung gemäß §§ 130, 131 InsO erfolgen (vgl. § 10 Rz. 55 ff.). Diese Anfechtungstatbestände erfassen Rechtshandlungen, die innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zur Verfahrenseröffnung vorgenommen werden und die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewähren. 69 Handelt es sich um eine kongruente Deckung gemäß § 130 InsO ist die Anfechtung nur möglich, wenn der Kunde zur Zeit der Rechtshandlung zahlungsunfähig war und das Kreditinstitut zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit positiv kannte. Sofern die Rechtshandlung nach Stellung des Insolvenzeröffnungsantrages vorgenommen wurde, ist ebenfalls positive Kenntnis des Kreditinstituts von der Zahlungsunfähigkeit des Kunden oder dem Eröffnungsantrag erforderlich. Dem steht gemäß § 130 Abs. 2 InsO die Kenntnis der Umstände, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag schließen lassen, gleich. Die kongruente Deckung setzt einen Anspruch des Kreditinstituts auf gerade die von dem Kunden konkret bestellte Sicherheit voraus4. Dieser Anspruch ergibt sich aus einer auf ein konkretes Sicherungsobjekt bezogenen Positiverklärung des Kunden. 70 Eine inkongruente Deckung ist allerdings gegeben, wenn die Sicherheitenbestellung aufgrund des allgemeinen Anspruchs der Kreditinstitute aus ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf Bestellung bankenmäßiger Sicherheiten erfolgt. Denn vertragliche Vereinbarungen, die Umfang und Art der Sicherheit oder die Auswahl der Sicherungsgegenstände noch offenlassen, reichen inhaltlich nicht aus5. Dieser Anspruch begründet auch dann keine kongruente Deckung, wenn im Zeitpunkt der Sicherheitenbestellung nur noch eine werthaltige Sicherheit im Vermögen des Kunden vorhanden war, weil sich der allgemeine Anspruch des Kreditinstituts auf Bestellung von Sicherheiten nur zufällig und nicht vorausschauend auf das letzte verbliebene Sicherungsgut konkretisiert6. Etwas anderes gilt dann, wenn sowohl im Zeitpunkt des Abschlusses der Sicherheitenvereinbarung als auch im Zeitpunkt der Sicherheitenbestellung nur ein bestimmtes Sicherungsobjekt vorhanden ist. Über derartige Voraussetzungen kann allerdings im Einzelfall Streit entstehen, so dass die Aufnahme des konkreten Gegenstandes in die Positiverklärung zu empfehlen ist7. Zu beachten ist außerdem, dass die Bestellung oder Verstärkung von Sicherheiten mittels Zwangsvollstreckung (z.B. durch Eintragung einer Sicherungshypothek) immer eine inkongruente Deckung darstellt, auch wenn sie auf einer Positiverklärung beruht8. Dies soll allerdings nach der derzeit geplanten Reform des Anfechtungsrechts geändert werden, sodass Zwangsvollstreckungsbefriedigungen als kongruent gelten9. 71 Liegt danach eine inkongruente Deckung vor, ist die nachträgliche Bestellung und Verstärkung der Sicherheiten meist nicht insolvenzfest. Der Anfechtungstatbestand des § 131 InsO verzichtet auf die Kenntnis des Kreditinstituts, wenn der Kunde bereits zahlungsunfähig war. War die Zahlungsunfähigkeit noch nicht eingetreten, ist Kenntnis des Kreditinstituts von der aus der Vornahme der Rechtshandlung resultie1 2 3 4 5 6 7
MünchKommInsO/Kirchhof, § 129 Rz. 108. BGH v. 14.6.1978 – VIII ZR 149/77, BGHZ 72, 39. BGH v. 14.5.1975 – VIII ZR 254/73, BGHZ 64, 312. BGH v. 2.12.1999 – IX ZR 412/98, MDR 2000, 354. BGH v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, NJW 1998, 1561. BGH v. 3.12.1998 – IX ZR 313/97, MDR 1999, 431. Kulke, Sicherheitenverstärkung, in Knops/Bamberger/Maier-Reimer, Recht der Sanierungsfinanzierung, § 11 A Rz. 37. 8 BGH v. 20.3.2003 – IX ZR 166/02, MDR 2003, 833. 9 Vgl. hierzu Bork, ZIP 2014, 1905 ff.; Frind, ZIP 2014, 1985 ff. sowie den Koalitionsvertrag CDU, CSU und SPD, 18. Legislaturperiode, S. 19.
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renden Gläubigerbenachteiligung erforderlich. Die Kenntnis der Umstände, die zwingend auf die Gläubigerbenachteiligung schließen lassen, ist gemäß § 131 Abs. 2 InsO ausreichend. Inkongruente Rechtshandlungen, die innerhalb des letzten Monats vor der Stellung des Eröffnungsantrages bis zur Verfahrenseröffnung vorgenommen werden, sind ohne weitere objektive oder subjektive Voraussetzungen anfechtbar. Die Anfechtung der Bestellung oder Verstärkung der Sicherheiten kann ferner unter 72 den engen Voraussetzungen des § 133 InsO wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung erfolgen. Danach sind Rechtshandlungen in den letzten zehn Jahren vor der Stellung des Antrages auf Insolvenzeröffnung anfechtbar, wenn der Kunde sie mit dem Vorsatz vorgenommen hat, seine Gläubiger zu benachteiligen und das Kreditinstitut diesen Vorsatz kannte (§ 10 Rz. 168 ff.). Dabei wird eine inkongruente Sicherheitenbestellung als Indiz für eine vorsätzliche Gläubigerbenachteiligung gewertet. Die nachträgliche Bestellung einer Sicherheit für eine eigene, durch entgeltliche Ge- 72a genleistung begründete Verbindlichkeit, ist nicht als unentgeltliche Verfügung nach § 134 InsO anfechtbar1. Die Besicherung einer fremden Schuld ist dagegen grundsätzlich unentgeltlich, wenn der Sicherungsgeber zur Bestellung der Sicherheit nicht auf Grund einer entgeltlich begründeten Verpflichtung gehalten war oder der Sicherungsnehmer hierfür keine ausgleichende Gegenleistung erbracht hat2. 2. Besicherung neu ausgereichter Kredite Die Bestellung von Sicherheiten für ein in der Krise des Kunden neu ausgereichten 73 Kredit ist im Hinblick auf die Anfechtungsvorschriften für das Kreditinstitut ungefährlich, wenn die Voraussetzungen des so genannten Bargeschäfts vorliegen. Gemäß § 142 InsO liegt ein Bargeschäft vor, wenn der Kunde für die Bestellung der 74 Sicherheit unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung erhält (§ 10 Rz. 263 ff.). Gewährt demnach das Kreditinstitut dem notleidenden Kunden einen Sanierungskredit, ist die Anfechtung ausgeschlossen, wenn der Wert der für diesen Kredit bestellten Sicherheiten die Höhe des Kredits nicht wesentlich übersteigt3. Bei beweglichen Gegenständen ist der übliche Risikozuschlag von etwa 50 % auf den Nennwert des Kredites als angemessen anzusehen4. In zeitlicher Hinsicht sind die Leistungen in einem engen zeitlichen Zusammenhang auszutauschen, wobei eine höchstzulässige Zeitspanne nicht allgemein festgelegt werden kann. Entscheidendes Abgrenzungsmerkmal ist, ob die Leistung unter Berücksichtigung der üblichen Zahlungsbräuche noch als Bardeckung oder bereits als Kreditgeschäft beurteilt wird. Ein Austausch der Leistungen Zug-um-Zug ist jedenfalls nicht erforderlich5 (ausführlich zu den zeitlichen Anforderungen § 10 Rz. 277 ff.). Das Kreditinstitut muss ferner beachten, dass eine Bardeckung trotz unmittelbar zeitlichem Austausch der Leistungen nicht vorliegt, wenn zunächst der Kredit ausgezahlt und sodann einvernehmlich eine andere als die vereinbarte Sicherheit bestellt wird. Leistung und Gegenleistung müssen vielmehr durch Parteivereinbarung verknüpft sein. Den Inhalt ihrer Vereinbarungen können die Beteiligten ohne Auswirkungen auf das Bargeschäft nur bis zu dem Zeitpunkt ändern, in dem die zeitlich erste Leistung eines Vertragsteils erbracht wird6. Eine unanfechtbare Bardeckung ist darüber hinaus ausgeschlossen, wenn das Kre1 BGH v. 6.12.2012 – IX ZR 105/12, NZI 2013, 81; BGH v. 18.3.2010 – IX ZR 57/09, MDR 2010, 1019; Jaeger/Henckel, § 134 InsO Rz. 4; Wittig in K. Schmidt/Uhlenbruck (Hrsg.), Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz Rz. 1.276; differenzierend: Nerlich/Römermann/Nerlich, § 134 Rz. 15; Graf-Schlicker/Huber, § 134 Rz. 18. 2 BGH v. 20.12.2012 – IX ZR 21/12, ZIP 2013, 215; BGH v. 25.6.1992 – IX ZR 4/91, MDR 1992, 1050; OLG Frankfurt v. 2.3.2011 – 23 U 170/09; Kreft in HK-InsO, § 134 Rz. 12; Nerlich/Römermann/ Nerlich, § 134 Rz. 16; Graf-Schlicker/Huber, § 134 Rz. 13; Braun/de Bra, § 134 InsO Rz. 18. 3 Uhlenbruck/Hirte, § 142 InsO Rz. 10. 4 MünchKommInsO/Kirchhof, § 142 Rz. 13c; Nerlich/Römermann/Nerlich, § 142 Rz. 7. 5 BGH v. 11.2.2010 – IX ZR 104/07, MDR 2010, 83; Wittig in K. Schmidt/Uhlenbruck (Hrsg.), Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz Rz. 1.257; MünchKommInsO/Kirchhof, § 142 Rz. 16; Graf-Schlicker/Huber, § 142 Rz. 4; A/G/R/Gehrlein, § 142 InsO Rz. 11. 6 BGH v. 30.9.1993 – IX ZR 227/92, BGHZ 123, 320; Wittig in K. Schmidt/Uhlenbruck (Hrsg.), Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 1.256.
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ditinstitut keinen Anspruch auf Bestellung der Sicherheiten hat. Dies ist der Fall, wenn die Sicherheiten nicht nur den neu ausgereichten Sanierungskredit, sondern auch einen bereits bestehenden Kredit abdecken sollen. Es liegt dann ein in vollem Umfang anfechtbares inkongruentes Deckungsgeschäft vor, es sei denn, es kann festgestellt werden, ob und in welchem Umfang sich die Sicherungen auf bestimmte Ansprüche beziehen1. Wegen der Abgrenzungsschwierigkeiten2 sollte sicherheitshalber auf die zusätzliche, auch nachrangige Besicherung früherer Kredite ganz verzichtet werden. 75 Liegt ein Bargeschäft vor, kann es ausnahmsweise anfechtbar sein, wenn der Tatbestand der vorsätzlichen Gläubigerbenachteiligung nach § 133 InsO vorliegt. Ein ernsthafter, auf einem schlüssigem Konzept beruhender Sanierungsversuch des notleidenden Kunden schließt allerdings eine Gläubigerbenachteiligung bereits objektiv aus, selbst wenn er letztlich scheitert3. Handelt es sich dagegen um einen unzulässigen „Schein“-Sanierungskredit, ist die Bestellung der Sicherheiten bereits gemäß § 138 BGB nichtig4. In diesem Fall sind die Sicherheiten und nach deren Verwertung der Verwertungserlös nach § 812 BGB an den Insolvenzverwalter herauszugeben. IV. Sicherheiten in der Krise und Insolvenz (hierzu umfassend auch § 7: Beratung des gesicherten Gläubigers) 1. Allgemein 76 Durch die Sicherungszweckvereinbarung wird der Umfang der von Kreditsicherheiten abgedeckten Forderungen bestimmt und so das Sicherungsrecht mit der zu sichernden Forderung verknüpft. Kreditsicherheiten sollen dem Kreditinstitut regelmäßig für alle aus dem zugrunde liegenden Kreditgeschäft folgenden Forderungen eine zusätzliche Befriedigungsmöglichkeit verschaffen. Danach steht dem absonderungsberechtigten Kreditinstitut im Falle der Verwertung der Sicherheit der Erlös bis zur vollen Höhe seines Anspruchs zu, bestehend aus Hauptforderung, Zinsen und Kosten5, die dem Kreditinstitut zur Durchsetzung seines Anspruchs entstanden sind. Das Absonderungsrecht bezieht sich auch auf diejenigen Zinsen und Kosten, die erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zur Verwertung des Gegenstandes entstehen6. Dieser im Rahmen der Konkursordnung anerkannte Grundsatz7 hat sich auch nach Inkrafttreten der Insolvenzordnung nicht geändert8. Durch die Neufassung der Vorschrift des § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wonach die seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens laufenden Zinsen erst nach allen übrigen Forderungen der Insolvenzgläubiger zu berichtigen sind, sollte nicht verhindert werden, dass absonderungsberechtigte Gläubiger ihre nach Insolvenzeröffnung entstehenden Zinsen und Kosten in die dingliche Haftung einbringen. Denn § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO gestattet nunmehr – anders als noch die Konkursordnung –, diese Zinsen und Kosten, wenn
1 BGH v. 12.11.1992 – IX ZR 236/91, MDR 1993, 528; Braun/Riggert, § 142 Rz. 6; A/G/R/Gehrlein, § 142 InsO Rz. 18. 2 Vgl. BGH v. 12.11.1992 – IX ZR 237/91, MDR 1993, 439. 3 BGH v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, NJW 1998, 1561. 4 Vgl. „Neugeschäft: Sanierungskredit“, Rz. 20 ff. 5 MünchKommInsO/Kirchhof/Lwowski/Stürner, Vorbemerkungen vor §§ 49 bis 52 Rz. 59. 6 BGH v. 17.2.2011 – IX ZR 83/10, MDR 2011, 567; BGH v. 17.7.2008 – IX ZR 132/07, MDR 2008, 1301 m. Anm. Commandeur, NZG 2008, 826; OLG Köln v. 27.6.2006 – 2 U 137/06, ZIP 2007, 1614; OLG Frankfurt a.M. v. 23.4.2010 – 25 U 58/08, ZIP 2010, 2256; vgl. Braun/Bäuerle, § 52 InsO Rz. 4. 7 BGH v. 5.12.1996 – IX ZR 53/96, BGHZ 134, 195: Die abgesonderte Befriedigung erfolgte nach § 4 Abs. 2 KO außerhalb des Konkursverfahrens, so dass sich die Norm des § 63 Nr. 1 KO, wonach die seit Eröffnung des Konkursverfahrens auflaufenden Zinsen nicht mehr geltend gemacht werden können, nicht auf Absonderungsrechte bezieht. 8 BGH v. 17.7.2008 – IX ZR 132/07, MDR 2008, 1301; BGH v. 16.10.2008 – IX ZR 46/08, ZIP 2008, 2276; BGH v. 17.2.2011 – IX ZR 83/10, MDR 2011, 567; OLG Köln v. 27.6.2006 – 2 U 137/06, ZIP 2007, 1614; vgl. Braun/Bäuerle, § 52 InsO Rz. 4.
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auch mit Nachrang, zu berücksichtigen, wertet sie also auf1. Dieser gesetzlichen Wertung stünde es entgegen, würden diese Zinsforderungen im Rahmen der Absonderung wieder schlechter behandelt. a) Generelle Sicherungsmaßnahmen Ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Kunden eröffnet, muss das Kredit- 77 institut dem Insolvenzverwalter nach gerichtlicher Aufforderung gemäß § 28 Abs. 2 InsO unverzüglich mitteilen, welche Sicherungsrechte es an beweglichen Sachen oder an Rechten des Kunden in Anspruch nimmt. Kommt das Kreditinstitut der Mitteilungspflicht nicht nach, setzt es sich gemäß §§ 28 Abs. 2 Satz 3 InsO, 249 ff. BGB Schadensersatzansprüchen aus, die der Insolvenzverwalter für die Insolvenzmasse geltend machen kann. Der Schaden kann z.B. darin bestehen, dass durch die nachträgliche Veräußerung und Verteilung Kosten entstehen oder eine Wertminderung eintritt, weil die Ware inzwischen nicht mehr veräußerlich ist2. Bedeutung erlangt die Mitteilungspflicht zudem für die Möglichkeit des Kreditinsti- 78 tuts, den Insolvenzverwalter gemäß § 60 InsO persönlich in Anspruch zu nehmen, wenn er Absonderungsrechte durch Verwertungshandlungen schuldhaft verletzt. Der Insolvenzverwalter ist berechtigt, die in seinem Besitz befindlichen beweglichen und mit Absonderungsrechten belasteten Sachen zu verwerten. Die Verwalterhaftung kommt in Betracht, wenn er gegen die gemäß §§ 166 ff. InsO bestehenden Verfahrenspflichten verstößt. Führt er z.B.3 den gesamten Verwertungserlös ununterscheidbar zur Masse4, ist die Befriedigung des absonderungsberechtigten Kreditinstituts gemäß § 170 Abs. 1 Satz 2 InsO ausgeschlossen, da es an einem konkreten Gegenstand fehlt5. Das Kreditinstitut ist dann auf seinen Anspruch nach § 55 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3 InsO beschränkt und kann den aus dieser Entwertung seiner Rechtsposition entstehenden Schaden beim Insolvenzverwalter liquidieren. Die persönliche Haftung des Insolvenzverwalters kann sich zudem daraus ergeben, dass er dem absonderungsberechtigten Kreditinstitut seine Veräußerungsabsicht nicht mitteilt und deshalb sein Recht aus § 168 InsO – den Hinweis auf günstigere Verwertungsmöglichkeiten – nicht wahrnehmen kann. Die Haftung des Verwalters setzt allerdings voraus, dass ihm bestehende Absonderungsrechte schuldhaft unbekannt sind. Kommt das Kreditinstitut seiner Mitteilungspflicht nicht oder nicht rechtzeitig nach, entlastet dies den Insolvenzverwalter. Auch der vorläufige Insolvenzverwalter unterliegt im Verhältnis zu absonderungsberechtigten Gläubigern gem. §§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 60 ff. InsO einer Schadensersatzpflicht. Pflichtwidrig handelt der vorläufige Insolvenzverwalter beispielsweise dann, wenn er entgegen der Verpflichtung aus § 1246 Abs. 1 BGB seine Zustimmung zu einer freihändigen Veräußerung verweigert und der tat-
1 So auch MünchKommInsO/Kirchhof/Lwowski/Stürner, Vorbemerkungen vor §§ 49 bis 52 Rz. 59; Uhlenbruck/Uhlenbruck, § 52 Rz. 8. 2 Zum Umfang der Schadensersatzpflicht, Uhlenbruck/Uhlenbruck, § 28 Rz. 6; Haarmeyer/Wutzke/Förster/Mitter, § 28 InsO Rz. 12; A/G/R/Sander, § 28 InsO Rz. 9; FK-InsO/Schmerbach, § 28 Rz. 13; Jaeger/Schilken, § 28 InsO Rz. 18 ff. 3 Weitere Beispiele: A/G/R/Lind, § 60 InsO Rz. 26. 4 LG Berlin v. 13.5.2008 – 14 O 438/07, ZInsO 2008, 1027. 5 Für den Fall der unberechtigten Verwertung eines mit einem Absonderungsrecht belasteten Gegenstandes durch den Insolvenzverwalter kann der Gläubiger gem. § 48 Abs. 1 InsO analog bereits die Abtretung des Rechts auf Gegenleistung verlangen. Im Gegensatz zu § 170 Abs. 1 S. 2 InsO muss er nicht den Abschluss der Verwertung durch den Insolvenzverwalter abwarten und ist zudem von der Pflicht zur Entrichtung der Kostenbeiträge nach §§ 170 Abs. 1 S. 1, 171 InsO befreit. Eine unberechtigte Verwertung in diesem Sinne liegt allerdings nur in dem praktisch seltenen Fall vor, dass nicht der Verwalter sondern der Absonderungsberechtigte selbst nach den Vorschriften der §§ 165 ff. InsO zur Verwertung berufen ist. Eine verfahrensfehlerhafte Verwertung durch den kraft Gesetzes zur Verwertung befugten Verwalter begründet dagegen nicht die analoge Anwendung des § 48 InsO, so dass der Gläubiger verpflichtet bleibt, den Abschluss der Verwertung abzuwarten, die Kostenbeiträge zu entrichten und ggf. einen Schadensersatzanspruch geltend zu machen (Ganter/Bitter, Rechtsfolgen berechtigter und unberechtigter Verwertung von Gegenständen mit Absonderungsrechten durch den Insolvenzverwalter, ZIP 2005, 93).
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sächlich erzielte Erlös weit hinter demjenigen zurückbleibt, der im Falle eines freihändigen Verkaufs hätte erzielt werden können1. 79 Die Einrichtung eines gesonderten Sicherheitenerlöskontos bietet sich an, um Zahlungseingänge aus Sicherheitenerlösen von solchen Zahlungseingängen zu unterscheiden, die für den Kunden bestimmt und an den Insolvenzverwalter herauszugeben sind. b) Verwertungspauschalen in der Insolvenz 80 Erfolgt die Verwertung einer Sicherheit nach dem Regelfall des § 166 InsO durch den Insolvenzverwalter, sind vor der Befriedigung des Kreditinstituts gemäß § 170 Abs. 1 InsO die Kosten der Feststellung und der Verwertung von dem Verwertungserlös abzuziehen (hierzu umfassend § 7 Rz. 317 ff.). Überlässt der Insolvenzverwalter dem Kreditinstitut selbst die Verwertung, sind die Kosten der Feststellung sowie der Umsatzsteuerbetrag2 gemäß § 170 Abs. 2 InsO vorweg an die Masse abzuführen. Verwertungskosten entstehen dem Kreditinstitut in diesem Fall regelmäßig selbst. Der Kostenbeitrag für die Feststellungs- und Verwertungskosten wird zur Beschleunigung des Verfahrens und zur Begrenzung der Belastung des Gläubigers gemäß § 171 InsO durch Pauschalen bestimmt. Während die für die Feststellungskosten bestimmte Pauschale in Höhe von 4 % des Verwertungserlöses fest ist, kann für die Verwertungskosten im Einzelfall ein höherer oder niedrigerer Betrag als die festgelegte Pauschale in Höhe von 5 % in Betracht kommen (vgl. § 7 Rz. 345 ff.). 81 Auch die Einziehung von zur Sicherheit abgetretenen Forderungen obliegt nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens dem Insolvenzverwalter, § 166 Abs. 2 InsO3. Dabei kann der Insolvenzverwalter auch einen Dritten zur Einziehung der sicherungszedierten Forderung ermächtigen4. 81a Zahlt ein Kreditinstitut ein an einen Dritten sicherungszediertes Kontoguthaben gem. § 166 InsO an den Insolvenzverwalter aus, ist es weder verpflichtet, den Insolvenzverwalter über die bestehende Sicherungszession zu unterrichten, noch den Zessionar von dem Auszahlungsverlangen des Insolvenzverwalters in Kenntnis zu setzen5. Etwas anderes kann sich nur ergeben, wenn das Kreditinstitut damit rechnet oder es sich ihm aufdrängt, dass sich sowohl der Insolvenzverwalter als auch der Gläubiger in Unkenntnis befinden. 81b Will das Kreditinstitut die aus dem Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters resultierende Pflicht zur Entrichtung des Kostenbeitrages vermeiden, muss sie sich zur Kreditsicherung Forderungen des Kunden gegen Dritte (Drittschuldner) verpfänden lassen6. Im Gegensatz zur Sicherungsabtretung ist allerdings zur Wirksamkeit der Verpfändung eine Verpfändungsanzeige an den Drittschuldner erforderlich (§ 1280 BGB), womit dem Geheimhaltungsinteresse des Kunden nicht Rechnung getragen werden kann. Neben Pfandrechten unterliegen auch sonstige Rechte, insbesondere Gesellschaftsanteile, Marken, Patente oder Urheberrechte, nicht dem Verwertungs1 BGH v. 5.5.2011 – IX ZR 144/10, BGHZ 189, 299; Nerlich/Römermann/Rein, § 60 Rz. 29. 2 Bei einer Verwertung durch den Insolvenzverwalter fällt der Umsatzsteuerbetrag in die Verwertungskosten. 3 BGH v. 29.9.2011 – IX ZR 74/09, NZI 2011, 855. Bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren kann das Insolvenzgericht gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO anordnen, dass der Forderungseinzug hinsichtlich abgetretener Forderungen dem Insolvenzverwalter übertragen und eine Verwertung durch das Kreditinstitut verboten wird. In diesem Fall finden §§ 170, 171 InsO entsprechende Anwendung, so dass die Kostenpauschalen schon im Eröffnungsverfahren anfallen. Der Insolvenzverwalter ist auch in diesem Fall zur abgesonderten Befriedigung des Sicherungsnehmers aus dem Erlös verpflichtet, vgl. BGH v. 21.1.2010 – IX ZR 65/09, BGHZ 184, 101. 4 BGH v. 18.10.2012 – IX ZR 10/10, MDR 2013, 181. 5 OLG Frankfurt a.M. v. 14.12.2012 – 10 U 223/11, ZIP 2013, 160. 6 BGH v. 11.4.2013 – IX ZR 176/11, MDR 2013, 742: Der Insolvenzverwalter ist jedoch analog § 173 Abs. 2 Satz 2 InsO auch zur Einziehung einer verpfändeten Forderung berechtigt, soweit dem Pfändungsgläubiger mangels Fälligkeit der Hauptforderung selbst kein Einziehungsrecht zusteht. Die Kosten der Feststellung und der Verwertung der Forderung sind in diesem Falle entsprechend § 170 Abs. 1 Satz 1 InsO vorweg aus der Insolvenzmasse zu entnehmen.
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recht des Insolvenzverwalters, da sie nicht in den Anwendungsbereich des § 166 Abs. 2 InsO fallen1 (vgl. hierzu § 7 Rz. 239). 2. Sicherungsübereignung Übereignet der Kunde dem Kreditinstitut zur Sicherheit einen Vermögensgegenstand, so steht diesem im Falle der Insolvenz des Kunden ein Recht zur abgesonderten Befriedigung gemäß § 51 Nr. 1 InsO zu (hierzu umfassend § 7 Rz. 169 ff., zur Verwertung sicherungsübereigneter Gegenstände vgl. Rz. 270 ff.).
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Werden nicht nur vorhandene, sondern auch zukünftige Vermögensgegenstände 83 übereignet, z.B. durch Übereignung eines Warenlagers mit wechselndem Bestand, erlangt der Zeitpunkt der Vollendung des Rechtserwerbs Bedeutung für die an verschiedene Zeiträume vor Insolvenzantragsstellung anknüpfenden Anfechtungstatbestände der §§ 129 ff. InsO. Hinsichtlich der bei Vertragsschluss bereits im Warenlager befindlichen Gegenstände ist das Kreditinstitut unmittelbar, hinsichtlich der hinzukommenden Gegenstände mit deren Einbringung in das Warenlager (Raumsicherungsvertrag) oder mit vereinbarungsgemäßer Kennzeichnung der Ware (Markierungsvertrag) Vollrechtsinhaber geworden. Sofern sich das Warenlager in gemieteten Räumlichkeiten befindet, ist allerdings zu beachten, dass der Vermieter an Gegenständen, die erst nach Einbringung sicherungsübereignet werden, sowie an solchen, die einem sicherungsübereigneten Warenlager mit wechselndem Bestand zugeführt werden, bereits ein wirksames Vermieterpfandrecht erworben hat2. Ist der Kunde Käufer eines unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Gegenstandes, er- 84 wirbt das Kreditinstitut daran zunächst nur ein (Sicherungs-)Anwartschaftsrecht. Erst bei vollständiger Bezahlung des Kaufpreises an den Lieferanten wird es Vollrechtsinhaber. Für die Ausübung der Insolvenzanfechtung ist gleichwohl der Zeitpunkt der Begründung des Anwartschaftsrechts maßgebend, da mit dessen Übertragung der Vermögensgegenstand nicht mehr zum Schuldnervermögen gehört. Nach Stellung des Insolvenzeröffnungsantrages und Anordnung eines allgemeinen 85 Verfügungsverbotes nach §§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 24 InsO kann der Eigentumserwerb durch das Kreditinstitut selbst herbeigeführt werden, indem es als Dritter gemäß § 267 Abs. 1 Satz 1 BGB den Kaufpreis zahlt. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Kunden greift hin- 86 sichtlich des Kaufvertrages zwischen dem Vorbehaltsverkäufer und dem Kunden als Vorbehaltskäufer das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach §§ 103, 106 Abs. 2 InsO. Welche Auswirkungen eine Nichterfüllungswahl für die Sicherungsposition des Kreditinstituts hat, ist noch nicht eindeutig geklärt. Nach der Aufgabe der Erlöschenstheorie bei Insolvenzeröffnung3 dürfte richtig sein, dass unabhängig von der Wahl des Insolvenzverwalters das Kreditinstitut in entsprechender Anwendung des § 268 BGB den noch ausstehenden Kaufpreis an den Vorbehaltsverkäufer zahlen und damit Vollrechtserwerb herbeiführen kann. Das Kreditinstitut erwirbt in diesem Falle wie geplant Sicherungseigentum, an dem das Absonderungsrecht besteht4. 3. Globalzessionen Als Kreditsicherheit können das Kreditinstitut und der Kunde Globalzessionen ver- 87 einbaren, bei denen alle gegenwärtigen und zukünftigen Forderungen des Kunden
1 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.824; Wallner, ZInsO 1999, 453. Str. – zum Streitstand: Uhlenbruck/Brinkmann, § 166 Rz. 14; Landfermann in HK-InsO, § 166 Rz. 31; FK-InsO/Wegener, § 166 Rz. 13 ff.; A/G/R/Homann, § 166 InsO Rz. 29 ff. 2 BGH v. 12.2.1992 – XII ZR 7/91, BGHZ 117, 200; BGH v. 4.12.2003 – IX ZR 222/02, MDR 2004, 594; MünchKommInsO/Ganter, § 50 Rz. 89; Dahl, NJW-Spezial 2009, 549 (549); Staudinger/Wiegand (2011), Anhang zu §§ 929–931 Rz. 302; Uhlenbruck/Brinkmann, § 50 Rz. 24. 3 BGH v. 17.11.2005 – IX ZR 162/04, MDR 2006, 711; BGH v. 1.12.2011 – IX ZR 79/11, MDR 2012, 188 m.w.N.; BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, BGHZ 150, 353; Braun/Kroth, § 103 InsO Rz. 4 f.; Bärenz, NZI 2006, 72. 4 MünchKommInsO/Ganter, § 51 Rz. 86; Nerlich/Römermann/Andres, § 51 Rz. 10.
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durch ein umfassendes Verfügungsgeschäft auf das Kreditinstitut übertragen werden (vgl. hierzu sowie zur Abtretung von Einzelforderungen § 7 Rz. 175 ff.; zur Verwertung vgl. § 7 Rz. 309 ff.). Während die Übertragung der gegenwärtigen Forderungen mit dem Abschluss des Zessionsvertrages wirksam ist, gehen die künftigen Forderungen in dem Zeitpunkt auf das Kreditinstitut über, in dem sie entstehen1. a) Forderungsentstehung vor Insolvenzeröffnung 88 Entsteht die Forderung in der Krise des Kunden, aber vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, ist der Rechtserwerb des Kreditinstituts wirksam. Dies gilt auch, wenn nach Stellung des Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens dem Kunden nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt wird. § 24 InsO, der die Wirkungen des Verfügungsverbotes festlegt, verweist zwar auf § 81 InsO, so dass nach Antragsstellung vorgenommene Verfügungen des Kunden unwirksam sind. Allerdings ist die Entstehung einer von der Globalzession erfassten Forderung keine Verfügungshandlung des Kunden. Der Forderungserwerb des Kreditinstituts richtet sich demnach allein nach § 91 Abs. 1 InsO, wonach Rechte an Gegenständen der Insolvenzmasse nicht wirksam erworben werden können. Auf diese Rechtsfolge verweist § 24 InsO aber gerade nicht, so dass das Kreditinstitut bis zur Insolvenzeröffnung entstehende Forderungen wirksam erwirbt. 89 Der wirksame Rechtserwerb des Kreditinstituts kann allerdings der Insolvenzanfechtung (hierzu umfassend § 10 Rz. 55 ff.) unterliegen, sofern es zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens kommt. Für die Anfechtbarkeit der Globalzession kommt es nicht auf den Zeitpunkt an, zu dem die Globalzession zwischen Kreditinstitut und Kunde vereinbart wurde. Entscheidend ist nach § 140 Abs. 1 InsO vielmehr der Zeitpunkt, zu dem die rechtlichen Wirkungen der Globalzession eintreten. Dies ist der Fall, wenn die einzelnen von der Globalzession erfassten Forderungen entstehen. Werden diese Forderungen zeitlich nach dem Vertragsschluss mit dem Drittschuldner durch Erfüllungshandlungen wie die Herstellung des Werkes bei einem Werkvertrag oder die Übergabe der Kaufsache bei einem Kaufvertrag „werthaltig“ gemacht, liegt darin eine selbständige anfechtbare Rechtshandlung2. 89a Der Erwerb einer Forderung durch ein Kreditinstitut im Rahmen der Globalzession in dem Zeitraum der letzten drei Monate vor Stellung des Insolvenzeröffnungsantrages ist in der Regel nur als kongruente Deckung gemäß § 130 InsO anfechtbar3. Auch bei dem zeitlich nachfolgenden „Werthaltigmachen“ der Forderung handelt es sich um eine kongruente Deckung, wenn dies für das Entstehen der Forderung zutrifft4. 90 Die Qualifizierung als kongruente Deckung erfordert eine bestimmte, auf identifizierbare Gegenstände gerichtete Vereinbarung, die es nicht dem Ermessen oder dem Zufall überlässt, welche konkrete Sicherheit erfasst wird5. Die Entstehung künftiger, anhand des Inhalts der getroffenen Vereinbarung nicht von Anfang an identifizierbarer Rechte, begründet allerdings nicht generell eine inkongruente Deckung. Ist bei Abschluss des Globalzessionsvertrages das dingliche Rechtsgeschäft bereits vollzogen und zugleich die schuldrechtliche Seite derart konkretisiert, dass die abgetretenen Forderungen zumindest bestimmbar sind, liegt vielmehr eine kongruente Deckung vor. Der Umfang der in Zukunft im Rahmen der Globalzession auf das Kreditinstitut übergehenden Forderungen ist dann in abstrakter Form bereits rechtlich bindend
1 BGH v. 11.12.1986 – IX ZR 78/86, MDR 1987, 494; MünchKommInsO/Kirchhof, § 140 Rz. 14; Luppe, NZI 2005, 15 (18). 2 BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 30/07, BGHZ 174, 297. 3 BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 30/07, BGHZ 174, 297. Mit diesem Urteil hat der BGH den Sicherungswert der Globalzessionen zu Gunsten der Kreditinstitute wieder deutlich gestärkt und die u.a. durch die anderslautenden Urteile des OLG Karlsruhe v. 8.4.2005 – 14 U 200/03, MDR 2006, 233 und OLG München v. 8.6.2006 – 19 U 5587/05, ZIP 2006, 2277 verursachte erhebliche Verunsicherung in der Praxis beseitigt. 4 BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 30/07, BGHZ 174, 297. 5 BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 223/01BGHZ 150, 122 zur Anfechtbarkeit des AGB-Pfandrechtes wegen inkongruenter Deckung.
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Rz. 91a
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festgelegt1. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Globalzession von dem AGBPfandrecht der Kreditinstitute (Nr. 14 Abs. 1 AGB-Banken und Nr. 21 Abs. 1 AGBSparkassen). Die Verpfändung von Forderungen durch das AGB-Pfandrecht erfolgt nicht aufgrund einer bestimmten, auf einen konkreten Gegenstand gerichteten Vereinbarung und ist daher als inkongruent zu qualifizieren2. Der Kunde kann nämlich selbst bestimmen, welche Vermögensgegenstände in den Zugriffsbereich des Kreditinstituts gelangen. Bei der Globalzession ist dies anders. Durch die schuldrechtliche Verpflichtung, an das Kreditinstitut als Sicherheit bestimmte Forderungen (regelmäßig alle Forderungen aus Lieferung und Leistung) abzutreten, steht dem Kreditinstitut ein Anspruch auf Abtretung genau dieser Forderung zu und es steht nicht im Ermessen des Kunden, ob er diese Forderung tatsächlich abtritt3. Eine Insolvenzanfechtung wegen kongruenter Deckung kommt nur in Betracht, 91 wenn das Kreditinstitut im Zeitpunkt der Entstehung oder des „Werthaltigmachens“ der gesicherten Forderung die Zahlungsunfähigkeit des Kunden oder den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens kannte. Ein wegen des revolvierenden Charakters der Globalzession vertretbares und die Anfechtung ausschließendes Bargeschäft nach § 142 InsO liegt nach Auffassung des BGH allerdings nicht vor4. Denn die von dem Kreditinstitut zu erbringende Gegenleistung ist nach dieser Rechtsprechung nicht darin zu sehen, dass auf die Einziehung der abgetretenen Forderungen zugunsten des Kunden verzichtet wird, weil im Gegenzug neue Forderungen entstehen, sondern nur darin, dass es gewährte Kredite stehenlässt. Letzteres stellt allerdings keine gleichwertige Leistung im Sinne des § 142 InsO dar. Näheres zum Bargeschäft unter § 10 Rz. 246 ff. Tritt der Schuldner eine bereits im Wege der Globalzession an ein Kreditinstitut (= 91a Erstzessionar) abgetretene Forderung abermals an einen Dritten (= Zweitzessionar) ab und zahlt der Drittschuldner infolgedessen an den Zweitzessionar, werden die Gläubiger gem. § 129 Abs. 1 InsO benachteiligt, wenn infolge der Zahlung die abgetretene Forderung erloschen ist. Das durch die Globalzession begründete und grundsätzlich dem Insolvenzverwalter zustehende Recht zur Einziehung oder anderweitigen Verwertung gem. § 166 Abs. 2 InsO verkörpert einen selbstständigen, im Kern geschützten, Vermögenswert. Dieser geht der Insolvenzmasse verloren, wenn der Erstzessionar eine Leistung, die der Drittschuldner, nach der erneuten Abtretung an den Zweitzessionar bewirkt, gem. §§ 408 Abs. 1, 407 Abs. 1 BGB gegen sich gelten lassen muss5. Fraglich ist allerdings, in welchem Verhältnis ein auf diese Weise begründeter Anfechtungsanspruch zum Anspruch des Kreditinstituts aus § 816 Abs. 2 BGB gegen den Zweitzessionar steht. Mit Blick auf das grundsätzlich dem Insolvenzverwalter zustehende Recht zur Verwertung gem. § 166 Abs. 2 InsO wird ein Vorrang des Anfechtungsanspruchs befürwortet. An diesem soll dem Kreditinstitut ein Ersatzabsonderungsrecht zustehen6. Hiernach wäre der Insolvenzverwalter verpflichtet, den Einzugserlös abzüglich der Kostenbeiträge aus §§ 170 f. InsO an das Kreditinstitut auszuzahlen. Nach anderer Ansicht sollen der Insolvenzmasse die gesamten angefochtenen Zahlungen und nicht nur die Kostenbeiträge nach §§ 170 f. InsO zustehen7. Da infolge der Zahlung des Drittschuldners an den Zweitzessionar die Forderung des Kreditinstituts erloschen sei, könne insofern auch kein Anspruch auf abgesonderte Befriedigung bestehen. Auch setze sich das Absonderungsrecht nicht an dem durch die Anfechtung realisierten Erlös fort, da die Anfechtung nur im Verhältnis zwischen Insolvenzverwalter und Anfechtungsgegner wirke.
1 2 3 4
BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 30/07, BGHZ 174, 297. BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 223/01, BGHZ 150, 122. So bereits zutreffend Blum, ZInsO 2007, 528. BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 30/07, BGHZ 174, 297 entgegen LG Berlin v. 26.1.2007 – 23 O 32/06, ZinsO 2007, 555. 5 BGH v. 29.9.2011 – IX ZR 74/09, NZI 2011, 855; Gehrlein, WM 2012, 965 (965 f.). 6 Primozic/Schwab, NZI 2011, 927 (928); Dahl, NJW-Spezial 2011, 758. 7 Habererder, EWiR 2012, 291 (292).
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§9
Rz. 92
Beratung von Banken
b) Forderungsentstehung nach Insolvenzeröffnung 92 Der Erwerb von nach Insolvenzeröffnung entstehenden Forderungen durch das Kreditinstitut ist gemäß § 91 Abs. 1 InsO nicht mehr möglich. 4. Immobiliarsicherheiten 93 Die Verwertung von Immobiliarsicherheiten kann einerseits der Insolvenzverwalter nach § 165 InsO und andererseits das Kreditinstitut als Grundpfandrechtsgläubigerin nach § 49 InsO durch Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung betreiben (umfassend zu den Immobiliarsicherheiten, § 7 Rz. 141 ff.; zur Verwertung Rz. 244 ff.). Das Verwertungsrecht der Grundpfandrechtsgläubiger ist allerdings durch die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung nach §§ 30d, 153b ZVG (hierzu § 7 Rz. 250 ff.) eingeschränkt. 94 Bei Durchführung eines gerichtlichen Zwangsverwaltungsverfahrens entsteht eine Kollisionslage zwischen dem Recht des Insolvenzverwalters zur Verwaltung der Insolvenzmasse nach § 80 Abs. 1 InsO und der Befugnis des Zwangsverwalters zur Verwaltung des Grundstücks nach § 152 Abs. 1 ZVG1. Allerdings eröffnet § 153b ZVG die Möglichkeit, zugunsten einer wirtschaftlich sinnvollen Nutzung der Insolvenzmasse die Zwangsverwaltung auf Antrag des Insolvenzverwalters einstweilen einzustellen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Zwangsverwaltung bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits anhängig war oder erst nach Insolvenzeröffnung angeordnet wurde. 95 Statt des gerichtlichen Zwangsverwaltungsverfahrens können die Grundpfandrechtsgläubiger und der Insolvenzverwalter vereinbaren, dass der Insolvenzverwalter selbst für die Grundpfandrechtsgläubiger die vermietete bzw. verpachtete Immobilie bewirtschaftet, die Miet- und Pachtzinsen einzieht („kalte Zwangsverwaltung“) und als Gegenleistung einen Anteil dessen als Vergütung für die Insolvenzmasse erhält2. 96 Der Insolvenzverwalter kann zudem eine freihändige Verwertung des Grundstücks vornehmen. So kann im Interesse der Grundpfandgläubiger das kostenintensive und langwierige Zwangsversteigerungsverfahren vermieden und der höchste Erlös erzielt werden. Die Grundpfandrechtsgläubiger haben allerdings keinen Anspruch auf Durchführung der freihändigen Verwertung, die Entscheidung darüber obliegt allein dem Insolvenzverwalter. Entscheidet er sich dazu, muss regelmäßig eine Zusammenarbeit mit den Grundpfandrechtsgläubigern erfolgen, da es dem Insolvenzverwalter ohne deren Löschungsbewilligungen schwer fallen wird, Erwerber zu finden. Als Gegenleistung für die Verwertungsbemühungen des Insolvenzverwalters haben die Grundpfandrechtsgläubiger einen vereinbarten Kostenbeitrag aus dem Verwertungserlös an die Masse zu zahlen, der in der Praxis regelmäßig zwischen 1 % und 10 % liegt. Bei der Berechnung des Erlöses wird zukünftig zu beachten sein, dass die freihändige Verwaltung und Verwertung von grundpfandrechtsbelasteten Immobilien durch den Insolvenzverwalter eine steuerpflichtige Leistung an den Sicherungsnehmer darstellt, sofern der Insolvenzverwalter vom Verwertungserlös einen Massekostenbeitrag zu Gunsten der Masse einbehalten darf3. 5. Bürgschaft 97 Zur Bürgschaft und deren Verwertung in der Insolvenz des Hauptschuldners bzw. des Bürgen selbst wird vollumfänglich auf die Ausführungen unter § 7 Rz. 426 ff. verwiesen.
1 Stöber, Zwangsversteigerungsgesetz, § 153b Rz. 2. 2 Zu den Einzelheiten: MünchKommInsO/Lwowski/Teztlaff, § 165 Rz. 181 ff.; Tetzlaff, ZinsO 2004, 521; Keller, NZI 2013, 265 ff. 3 BFH v. 28.7.2011 – V R 28/09, BFHE 235, 22; Dahl, NJW-Spezial 2011, 759; Becker, SteuK 2011, 484.
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Sicherheiten in der Krise und Insolvenz
Rz. 102
§9
6. Vertragliche Pfandrechte Vertragliche Pfandrechte können nach §§ 1204 ff. BGB als akzessorische Sicherheit 98 an beweglichen Sachen, Forderungen oder Rechten bestellt werden (hierzu umfassend § 7 Rz. 151 ff.; zur Verwertung Rz. 263 ff.; zur Anfechtbarkeit des Vertragspfandrechts – auch des AGB-Pfandrechts – vgl. § 10 Rz. 67). a) Revolvierendes Pfandrecht Nr. 14 AGB-Banken und Nr. 21 AGB-Sparkassen enthalten als praktisch bedeutends- 99 te Regelungen in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Vereinbarung eines Pfandrechtes an den jeweiligen, der Verfügungsmacht des Kreditinstituts unterliegenden Vermögensgegenständen des Kunden. Die zur Begründung des Pfandrechts erforderliche dingliche Einigung nach §§ 1205 Abs. 1, 1274 Abs. 1 BGB liegt bereits in der Einbeziehungsvereinbarung der AGB bei Vertragsschluss1. Dies ermöglicht die automatische Sicherung auch kurzfristig entstehender Forderungen und damit die flexible und schnelle Krediteinräumung, z.B. durch Überziehung des Kontos2. Durch die vorweggenommene dingliche Einigung kommt insbesondere die Verpfändung der jeweiligen Kontoguthaben des Kunden in Betracht, die den Regelungen für die Bestellung und Verwertung eines Pfandrechts an Forderungen unterliegt. Handelt es sich dabei allerdings um ein Kontokorrentkonto ist die Entstehung des AGB-Pfandrechts regelmäßig inkongruent und daher regelmäßig – zumindest im 3-Monatszeitraum – anfechtbar. b) Pfandrecht an einzelnen Vermögenswerten Pfandrechte an beweglichen Sachen sind weitgehend durch die Sicherungsübereig- 100 nung verdrängt worden, da der Eigentümer anders als bei der Verpfändung (§ 1205 BGB) den unmittelbaren Besitz an dem Gegenstand behalten darf und die Übergabe durch die Begründung eines Besitzmittlungsverhältnisses ersetzt werden kann. Gegenüber der Verpfändung von Forderungen hat sich weitgehend die Sicherungs- 101 zession durchgesetzt, da es zur wirksamen Begründung keiner Anzeige an den Drittschuldner bedarf und sie still erfolgen kann. Nachteil der Sicherungszession ist allerdings das Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters nach § 166 Abs. 2 InsO, welches die Kostenpauschalen gemäß § 171 InsO nach sich zieht3. Die Verpfändung von Rechten nach § 1273 BGB betrifft regelmäßig die Verpfändung 102 von Unternehmensbeteiligungen. Handelt es sich um eine Personengesellschaft ist die Verpfändung der Mitgliedschaft gemäß § 1274 Abs. 2 BGB nur möglich, wenn sie nach dem Gesellschaftsvertrag übertragbar ausgestaltet ist oder alle Gesellschafter einer Verpfändung zustimmen4. Erfolgt die Pfandverwertung in der gesetzlich vorgeschriebenen Form durch öffentliche Versteigerung der Beteiligung nach § 1235 Abs. 1 BGB, kommt mit dem Zuschlag ein Kaufvertrag zwischen dem Kreditinstitut als Verkäufer und dem Bieter als Käufer zustande. Die sich daran anschließende Übereignung kann das Kreditinstitut als Pfandgläubiger im eigenen Namen vornehmen5. Wird dem Pfandgläubiger dagegen der Zuschlag selbst erteilt, bewirkt dies bereits die Übereignung6. Durch die Verpfändung von Unternehmensbeteiligungen und anschließender öffentlicher Versteigerung kann daher ein Gesellschafterwechsel er-
1 BGH v. 9.6.1983 – III ZR 105/82, MDR 1984, 126. 2 Bunte, AGB-Banken und Sonderbedingungen, Nr. 14 Rz. 320. 3 Soweit dem Pfändungsgläubiger mangels Fälligkeit der Hauptforderung selbst kein Einziehungsrecht zusteht, ist der Insolvenzverwalter analog § 173 Abs. 2 Satz 2 InsO zur Einziehung der verpfändeten Forderung mit der Folge berechtigt, dass die Kosten der Feststellung und der Verwertung der Forderung auch in diesem Falle entsprechend § 170 Abs. 1 Satz 1 InsO aus der Insolvenzmasse zu entnehmen sind, BGH v. 11.4.2013 – IX ZR 176/11, MDR 2013, 742. 4 Palandt/Bassenge, § 1274 Rz. 6. 5 Dies ergibt sich aus § 1242 Abs. 1 BGB, wonach der Erwerber durch rechtmäßige Veräußerung des Pfandes die gleichen Rechte erlangt, wie wenn er die Sache vom Eigentümer erworben hätte. 6 Palandt/Bassenge, § 1239 Rz. 1.
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§9
Rz. 103
Beratung von Banken
zwungen werden. Dies kann in der Krise des Kunden nützlich sein, um zur Umsetzung eines Sanierungsplans das Ausscheiden eines unliebsamen Gesellschafters zu erzwingen. Ein Gesellschafterwechsel kann nach dem durch das ESUG eingeführten § 225a InsO nunmehr auch im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens vorgenommen werden (vgl. hierzu § 13 Rz. 272 ff.). 7. Wertpapiere 103 Wertpapiere (Aktien, Schatzbriefe, etc.) haben einen Börsen- oder Marktpreis. Sie können deshalb durch freihändigen Verkauf realisiert werden (§§ 1221, 1235 Abs. 2 BGB). Gerade bei Aktien stellt sich die Frage der Pfandverwertung wegen drohenden Verderbs (§ 1219 BGB). Der Vorteil liegt darin, dass die Verwertung nicht erst angedroht werden muss (§ 1220 BGB). Hat das Pfand einen Börsen- oder Marktpreis, steht dem Pfandgläubiger ein Wahlrecht zwischen freihändigem Verkauf nach § 1221 BGB und der Versteigerung nach § 1219 BGB zu1. 8. Atypische Sicherheiten a) Patronatserklärungen 104 Die Patronatserklärung ist gesetzlich nicht geregelt. Sie steht allgemein für eine Vielzahl unterschiedlicher Unterstützungserklärungen, die zumeist innerhalb eines Konzerns2 – von der Muttergesellschaft für eine oder mehrere Tochtergesellschaften – abgegeben werden, damit diese von einem Dritten einen Kredit erhalten3. Unterschieden wird zwischen sog. „weichen Patronatserklärungen“ und „harten Patronatserklärungen“. 105 Einer „weichen Patronatserklärung“4 ist zu eigen, dass sich aus der Erklärung der Muttergesellschaft keine rechtliche Verpflichtung zur Unterstützung der Tochter ergibt5. Fällt die Tochtergesellschaft in Insolvenz, können keine Ansprüche gegen die Muttergesellschaft hergeleitet werden. Die „weiche Patronatserklärung“ ist daher zur Sicherung von Kreditforderungen ungeeignet und soll deshalb im Folgenden nicht näher beleuchtet werden. Zu weiteren Einzelheiten vgl. § 7 Rz. 484 ff. 106 Eine „harte Patronatserklärung“ beinhaltet demgegenüber die rechtlich bindende Verpflichtung der Muttergesellschaft zur Unterstützung ihrer Tochter6. Hinsichtlich der rechtlichen Folgen ist zu unterscheiden, ob es sich um eine „interne/indirekte Patronatserklärung“ oder um eine „externe/direkte Patronatserklärung“ handelt. 106a Die „interne/indirekte Patronatserklärung“ wird von der Muttergesellschaft nur konzernintern gegenüber ihrer Tochter abgegeben7. Nur diese ist berechtigt, die Ausstattungsverpflichtung geltend zu machen, sofern die Patronatserklärung zwischenzeitlich nicht wieder durch Kündigung zum Erlöschen gebracht wurde8. Gläubiger der Tochtergesellschaft können aus der „internen/indirekten Patronatserklärung“ keine 1 Palandt/Bassenge, § 1221 Rz. 1; Schimansky/Bunte/Lwowski/Merkel, Bankrechtshandbuch, § 93 Rz. 261. 2 Tetzlaff, DZWIR 2011, 181 (181). 3 Vgl. von Rosenberg/Kruse, BB 2003, 641 (641); vgl. Staudinger/Horn (2012), Vorbem. zu §§ 765–778 Rz. 451; MünchKommBGB/Habersack, Bd. 5, Vorbem. zu §§ 765–778 Rz. 49. 4 Für „weiche Patronatserklärungen“ existieren eine Vielzahl von Formulierungen. Zumeist wird das Einverständnis mit einer Kreditaufnahme erklärt, das Vertrauen in die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft bestätigt oder die Kontrolle der Tochter versichert. 5 BGH v. 12.7.1993 – II ZR 179/92 m. Anm. Goette, DStR 1993, 1753 (1754); OLG Karlsruhe v. 7.8.1992 – 15 U 123/91, ZIP 1992, 1394; Wittig, WM 2003, 1981 (1982); von Rosenberg/Kruse, BB 2003, 641 (641); Maier-Reimer/Etzbach, NJW 2011, 1110 (1111). 6 Uhlenbruck/Knof, § 43 InsO Rz. 7; Reimer/Etzbach, NJW 2011, 1110 (1111); von Rosenberg/Kruse, BB 2003, 641 (641); Wittig, WM 2003, 1981 (1981). 7 Tetzlaff, ZInsO 2008, 337 (338); von Rosenberg/Kruse, BB 2003, 641 (641); Uhlenbruck/Knof, § 43 InsO Rz. 7; MünchKommBGB/Habersack, Bd. 5, Vorbem. zu §§ 765–778 Rz. 49; Tetzlaff, DZWIR 2011, 181 (181). 8 Vgl. BGH v. 20.9.2010 – II ZR 296/08, BGHZ 187, 69; Maier-Reimer/Etzbach, NJW 2011, 1110 (1115 f.); Ziemons, GWR 2009, 411.
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Sicherheiten in der Krise und Insolvenz
Rz. 109
§9
eigenen Ansprüche gegen die Muttergesellschaft herleiten. In der Insolvenz der Tochter ist ausschließlich der Insolvenzverwalter berechtigt, mögliche Ansprüche der Tochtergesellschaft aus der Patronatserklärung zu verfolgen. Die „externe/direkte Patronatserklärung“ wird demgegenüber direkt gegenüber dem 106b Kreditinstitut erklärt. Hierin verpflichtet sich die Muttergesellschaft, ihre Tochter mit der erforderlichen Liquidität auszustatten, um die ausgereichten Kredite vollumfänglich und fristgerecht zurückführen zu können. In der Insolvenz der Tochter wandelt sich die Ausstattungsverpflichtung in einen direkten Zahlungsanspruch des Kreditinstituts gegen die Muttergesellschaft um. Umstritten ist lediglich, ob sich dies aus §§ 280 ff. BGB1 oder aus einer ergänzenden Auslegung der Patronatserklärung2 ergibt. Die Haftung der Muttergesellschaft ist nicht auf den Ausfall in dem Insolvenzverfahren des Kunden begrenzt, sondern der Patron und der Kunde haften dem Kreditinstitut nebeneinander auf das Ganze3. Näheres vgl. unter § 7 Rz. 484 ff. Die Erteilung einer „externen/direkten Patronatserklärung“ ist für sich genommen al- 106c lerdings nicht geeignet, die Kenntnis des Kreditinstituts von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zu beseitigen4. Da der Tochtergesellschaft hieraus keinerlei Ansprüche gegen die Konzernmutter erwachsen, ist es vielmehr erforderlich, dass diese ihrer Ausstattungsverpflichtung auch tatsächlich nachgekommen ist5. b) Garantie Steht dem Kreditinstitut in der Insolvenz des Kunden eine Garantie zu, kann es den 107 Garanten gleichrangig neben dem Schuldner auf Zahlung in Anspruch nehmen6. Dies folgt aus den allgemeinen Grundsätzen des Schadensersatzrechts, denen die Garantie unterliegt. Hiernach haftet der Garant nicht nur für den Ausfall nach anderen Schuldnern, sondern unabhängig für den gesamten Schaden, den das Kreditinstitut durch die Insolvenz des Kunden erleidet7. Insoweit findet § 43 InsO Anwendung. c) Verlustübernahmeerklärung Aufgrund einer Verlustübernahmeerklärung ist die Muttergesellschaft gegenüber 108 den Gläubigern der Tochtergesellschaft zum Verlustausgleich (§ 302 AktG) und zur Sicherstellung (§ 303 AktG) verpflichtet. Der Anspruch auf Sicherstellung entsteht jedoch erst nach Beendigung des Organschaftsverhältnisses8. Zum insolvenzrechtlichen Schicksal vgl. § 7 Rz. 486 ff. d) Negativerklärung Durch eine Negativerklärung9 verpflichtet sich der Kunde, über ein bestimmtes Si- 109 cherungsgut, z.B. ein Grundstück, nicht zu verfügen oder andere Gläubiger besser zu stellen. Die Negativerklärung verfolgt das Ziel, das Vermögen des Kunden lastenfrei zu erhalten und eine Bevorzugung anderer Gläubiger bei der Bestellung von Sicherheiten zu verhindern10. 1 Vgl. BGH v. 30.1.1992 – IX ZR 112/91, NJW 1992, 2093; OLG München v. 22.7.2004 – 19 U 1867/04, ZIP 2004, 2102. 2 OLG Nürnberg v. 9.12.1998 – 12 U 2626/98; MünchKommBGB/Habersack, Bd. 5, Vorbem. zu §§ 765–778 Rz. 49. 3 BGH v. 30.1.1992 – IX ZR 112/91, NJW 1992, 2093; a.A. OLG Celle v. 28.6.2000 – 9 U 54/00, OLGR Celle 2001, 39, wonach der Gläubiger nur den Quotenschaden geltend machen kann. 4 BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 9/10, MDR 2011, 885; BGH v. 11.2.2010 – IX ZR 104/07, MDR 2010, 837; vgl. auch BGH v. 27.3.2008 – IX ZR 98/07, MDR 2008, 840; Braun/Bußhardt, § 17 InsO Rz. 24; Krüger/Pape, NZI 2011, 617 ff.; Ziemons, GWR 2009, 411. 5 BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 9/10, MDR 2011, 885; vgl. auch BGH v. 11.2.2010 – IX ZR 104/07, MDR 2010, 837; Krüger/Pape, NZI 2011, 617 (618); Ziemons, GWR 2009, 411. 6 Lüdtke in Hamburger Kommentar zur InsO, § 43 Rz. 10; MünchKommInsO/Bitter, § 43 Rz. 8. 7 BGH v. 30.1.1992 – IX ZR 112/91, BGHZ 117, 127; vgl. BGH v. 20.5.1976 – III ZR 156/74, WM 1976, 977; MünchKommInsO/Bitter, § 43 Rz. 8. 8 Vgl. § 303 Abs. 1 AktG. 9 Zur Positiverklärung bereits unter „Nachbesicherung bestehender Kredite“, Rz. 63 ff. 10 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.391.
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§9
Rz. 110
Beratung von Banken
110 Soweit der Kunde gegen die Verpflichtung verstößt und trotzdem über den Gegenstand verfügt, ist die Verfügung wirksam und er macht sich schadensersatzpflichtig. Diese Forderung ist eine einfache Insolvenzforderung und daher keine „echte“ Sicherheit. 9. Sicherheiten-Poolverträge 111 In der Krise des Kunden können sich mehrere Kreditinstitute durch Gründung eines so genannten Sicherheitenpools zur gemeinsamen Verwaltung von Sicherungsrechten zusammenschließen (vgl. § 7 Rz. 414 ff.). So können für eine aussichtsreiche Sanierung günstige Rahmenbedingungen geschaffen werden, indem sich die Mitglieder zu gemeinsamen Sanierungsmaßnahmen verpflichten. Regelmäßig ermöglicht erst die Einrichtung eines Sicherheitenpools eine Sanierungskreditvergabe durch Aufteilung der Valuta auf die verschiedenen Kreditinstitute1. In diesem Fall wird das Risiko einer hohen Kreditierung auf die einzelnen Vertragspartner verteilt und die Vergabebereitschaft gefördert. Im Falle der Insolvenz kann durch gemeinsame Geltendmachung und Verwertung der Sicherheiten eine bestmögliche Aufstellung der Sicherungsnehmer erreicht werden, indem unter ihnen Abgrenzungsschwierigkeiten verschiedener Sicherheiten minimiert werden können. Durch eine geordnete Verwertung kann zudem eine Steigerung des Verwertungserlöses erreicht werden. 112 In einem solchen Pool hält regelmäßig ein Poolführer die Sicherheiten treuhänderisch für alle Mitglieder. Als Vollrechtstreuhänder (fiduziarische Treuhand) liegt die dingliche Berechtigung an den Sicherheiten bei ihm. Das Treuhandverhältnis ist offen doppelseitig ausgestaltet: Im Innenverhältnis zu den Mitgliedern ist der Poolführer schuldrechtlich als Verwaltungstreuhänder aus dem Sicherheitenpoolvertrag, gegenüber dem Kreditnehmer ist er als Sicherungstreuhänder aus der getroffenen Sicherungsabrede gebunden. Erfolgt eine originäre Bestellung der Sicherheiten an einen Poolführer, übernimmt er als Sicherungsnehmer von Beginn an die treuhänderische Verwaltung und Verwertung. Wurden die Sicherheiten zunächst zu Gunsten einzelner Kreditinstitute bestellt, ist ihre nachträgliche Einbringung in einen Sicherheitenpool durch Übertragung auf den Sicherheitenpoolführer möglich. Es findet also ein Wechsel im Sicherungsnehmer statt. Zu beachten ist, dass akzessorische Sicherheiten wegen der notwendigen Identität zwischen Forderungsgläubiger und Sicherungsnehmer nur dann auf den Poolführer übertragen werden können, wenn zugleich die zu sichernden Forderungen treuhänderisch an ihn zediert werden2. 113 Bei der Einbringung von zur Sicherheit abgetretenen Forderungen in den Pool ist Folgendes zu beachten: Zahlt ein Schuldner des Kunden (Drittschuldner) in Unkenntnis der treuhänderischen Abtretung an ein anderes als das poolführende Kreditinstitut, ist es regelmäßig verpflichtet, die bei ihm eingehende Zahlung dem Pool zur Verfügung zu stellen. Das Risiko des Sicherheitenverlustes kann somit durch die Poolvereinbarung minimiert werden, erfährt allerdings durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes eine Einschränkung3. Im Falle der Insolvenz des Kunden kann der Insolvenzverwalter die Rückführung debitorischer Kontokorrentlinien anfechten und Gutschrift des Betrages verlangen, wenn der Drittschuldner an ein nichtpoolführendes Kreditinstitut zahlt. Ein insolvenzfestes Absonderungsrecht nach § 51 Nr. 1 InsO, welches diesem Anspruch entgegenstünde, steht dem Kreditinstitut nicht zu. Die treuhänderische Abtretung der Sicherungsrechte an den Poolführer führen zu dessen alleiniger dinglicher Berechtigung. Allein die auf dem Treuhandverhältnis beruhende schuldrechtliche Berechtigung der übrigen Kreditinstitute rechtfertigt keine Behandlung des nicht-poolführenden Kreditinstituts als Absonderungsberech-
1 Vgl. zu den Anforderungen an einen zulässigen Sanierungskredit die Ausführungen unter „Neugeschäft: Sanierungskredit“, Rz. 20 ff. Die Neukreditvergabe durch einen Pool unterliegt denselben Voraussetzungen wie die Kreditvergabe durch ein einzelnes Kreditinstitut. 2 Aus dem angelsächsischen Rechtskreis stammt das Konzept der „parallel debt“, bei dem der Kreditnehmer ein abstraktes Schuldanerkenntnis in Höhe des Gesamtkredits gegenüber dem Sicherheitenpoolführer abgibt, für das die akzessorischen Sicherheiten bestellt werden. 3 BGH v. 2.6.2005 – IX ZR 181/03, MDR 2006, 171.
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Geschfts- und Kontobeziehung in der Insolvenz
Rz. 117
§9
tigten im Sinne des § 51 Nr. 1 InsO1. Müssen sich die Kreditinstitute die Rechtshandlung des Drittschuldners nach § 407 Abs. 1 BGB zurechnen lassen, erlischt die zur Sicherung abgetretene Forderung nach § 362 Abs. 1 BGB und sie ist als Sicherheit für den Pool verloren. Dies kann verhindert werden, indem die Abtretung an das poolführende Kreditinstitut dem Drittschuldner angezeigt wird. Zahlt der Drittschuldner in diesem Fall gleichwohl an ein anderes Kreditinstitut, wird er von seiner Verbindlichkeit nicht befreit. Die Befürchtung, dass diese Rechtsprechung insgesamt der Bildung von Sicherheitenpools entgegensteht, hat sich glücklicherweise nicht bestätigt und dürfte durch eine neuere Entscheidung zur Sicherungszweckerklärung bei Grundschulden ausgeräumt sein2.
113a
V. Geschäfts- und Kontobeziehung in der Insolvenz Zur Beurteilung der Auswirkungen der Insolvenz eines Kunden auf die Geschäftsverbindung zu dem Kreditinstitut ist zwischen der Geschäftsbeziehung im Allgemeinen und den einzelnen Kontoverträgen zu unterscheiden.
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1. Geschäftsbeziehung im Allgemeinen Mit Aufnahme der Geschäftsverbindung zwischen dem Kreditinstitut und ihrem 115 Kunden entsteht ein gesetzliches Schuldverhältnis mit Schutz- und Verhaltenspflichten. Dazu zählen insbesondere die Einhaltung des Bankgeheimnisses und die Wahrung der gegenseitigen Vermögensinteressen. Ersteres findet auch als pauschale Einbeziehungsvereinbarung i.S.d. § 305 Abs. 3 BGB über Nr. 2 Abs. 1 AGB-Banken regelmäßig Eingang in die Geschäftsbeziehung zwischen Kreditinstitut und Kunde. Die Stellung des Insolvenzeröffnungsantrages über das Vermögen des Kunden sowie 116 die gerichtliche Anordnung vorläufiger Sicherungsmaßnahmen und schließlich auch die Insolvenzeröffnung beenden nicht das auf der Gesamtgeschäftsbeziehung des Kreditinstituts zu ihrem Kunden beruhende gesetzliche Schuldverhältnis mit seinen Schutz- und Verhaltenspflichten3. Sofern nach einem Teil der Literatur4 die Grundlage der Gesamtgeschäftsverbindung 117 zwischen dem Kreditinstitut und dem Kunden ein eigenständiger allgemeiner Bankvertrag als Grund- oder Rahmenvertrag bildet, ergeben sich hieraus keine wesentlichen Unterschiede5. Ein solcher allgemeiner Bankvertrag als Geschäftsbesorgungsvertrag mit Dienstvertragscharakter erlischt nach §§ 116 Satz 1, 115 Abs. 1 InsO mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Die Verpflichtung des Kreditinstituts zur Verschwiegenheit sowie die Pflicht zur gegenseitigen Wahrung der Vermögensinteressen bleiben davon allerdings unberührt.
1 Der Eingang der Zahlung eines Drittschuldners auf das Konto des Schuldners lässt auch kein insolvenzfestes Pfandrecht nach Nr. 14 AGB-Banken und Nr. 21 AGB-Sparkassen bzw. einer speziellen Pfandrechtsklausel in der Sicherungsabrede entstehen. Dieses kann erst bei hinreichender Konkretisierung entstehen, was nach Insolvenzeröffnung zu dessen Anfechtbarkeit führt. Die Rechtsprechung des BGH (v. 1.10.2002 – IX ZR 360/99, NJW 2003, 360) zur Insolvenzfestigkeit wegen des Austauschs gleichwertiger Sicherungsrechte – zur Sicherung abgetretene Forderung und Pfandrecht – findet mangels Identität von Forderungsinhaber (Poolführerin) und Pfandrechtsinhaber (kontoführende Bank) keine Anwendung. 2 BGH v. 21.2.2008 – IX ZR 255/06, MDR 2008, 646. 3 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 2.15, 2.104. 4 Schimansky/Bunte/Lwowski/Bunte, Bankrechtshandbuch, § 2 Rz. 2; mit Einschränkung auch MünchKommInsO/Ott/Vuia, § 116 Rz. 33; Roth, WM 2003, 480 (482); dagegen Lang, BKR 2003, 227; Kilgus, BB 2002, 2573 (2576). 5 BGH v. 24.9.2002 – XI ZR 345/01, BGHZ 152, 114 hält die Annahme eines allgemeinen Bankvertrages als Rahmenvertrag mit Blick auf das gesetzliche Schuldverhältnis für überflüssig und hat sich gegen seine Existenz ausgesprochen.
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Rz. 118
Beratung von Banken
2. Girovertrag 118 Der Girovertrag unterfällt seit der Neuregelung des Zahlungsverkehrsrechts zum 31.10.2009, als Vertrag über die Erbringung von Zahlungsdiensten den Zahlungsdiensterahmenverträgen i.S.v. § 675f Abs. 2 BGB. An der grundsätzlichen Einordnung als Geschäftsbesorgungsvertrag i.S.v. § 675 Abs. 1 BGB hat sich durch die Neuregelung in § 675f Abs. 2 BGB jedoch nichts geändert. Soweit in den §§ 675c ff. BGB keine gesonderte Regelung erfolgt ist, ist weiterhin auf § 675 Abs. 1 BGB zurückzugreifen. 118a Der Girovertrag ist ein Geschäftsbesorgungsvertrag mit Dienstvertragscharakter, der als Rahmenvertrag auf Abwicklung bargeldlosen Zahlungsverkehrs des Kunden gerichtet ist. Das Kreditinstitut verpflichtet sich zur Führung eines laufenden Kontos, zur Gutschrift eingehender Zahlungen sowie zur Ausführung von Überweisungsaufträgen zu Lasten des Kontos. Im Gegenzug verpflichtet sich der Kunde zur Erstattung von Aufwendungen des Kreditinstituts für weisungsgemäß erledigte Zahlungsausgänge1. Ein privatwirtschaftlich betriebenes Kreditinstitut ist grundsätzlich berechtigt, einen Girovertrag mit einem Unternehmen ohne Begründung ordentlich zu kündigen2. Anders als Nr. 26 Abs. 1 Satz 2 AGB-Sparkassen sieht Nr. 19 Abs. 1 AGB-Banken eine Berücksichtigung der Belange des Kunden nicht generell im Rahmen der ordentlichen Kündigung, sondern nur bei der Bemessung der Kündigungsfrist vor. Das Kreditinstitut ist daher jedenfalls im gewerblichen Bereich grundsätzlich nicht verpflichtet, vor Ausspruch der Kündigung eine Angemessenheitsprüfung vorzunehmen, innerhalb derer alle für die Interessenabwägung bedeutsamen Umstände im Einzelfall gegeneinander abzuwägen sind3. 119 Durch die Stellung des Antrages auf Insolvenzeröffnung wird der Girovertrag nicht berührt. Erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlöschen nach §§ 116 Satz 1, 115 Abs. 1 InsO alle Geschäftsbesorgungsverträge und somit auch der Girovertrag. Dem Insolvenzverwalter steht insoweit kein Wahlrecht gemäß § 103 InsO im Hinblick auf eine mögliche Erfüllung und Fortsetzung des Girovertrages zu4. Das Kreditinstitut ist aber auch nach Erlöschen des Girovertrages berechtigt, eingehende Zahlungen für den Schuldner entgegenzunehmen und diese einem intern weitergeführten Konto gutzuschreiben5. Eine Verpflichtung hierzu besteht jedoch nicht. Nimmt die Bank weiterhin Zahlungen entgegen, hat sie diese nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens an den Insolvenzverwalter auszukehren. Eine Aufrechnung mit eigenen Forderungen gegen den Schuldner scheidet gem. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO aus. Abgesehen von der Notgeschäftsführung nach § 115 Abs. 2 InsO ist das Kreditinstitut zur weiteren Wahrnehmung der Schuldnerinteressen nicht mehr berechtigt und kann Forderungen gegen die Insolvenzmasse nicht mehr erlangen6. Kannte das Kreditinstitut allerdings ohne sein Verschulden die Verfahrenseröffnung nicht, gilt der Girovertrag nach § 115 Abs. 3 Satz 1 InsO als fortbestehend. Das Kreditinstitut erlangt aus dieser Fortsetzung gemäß § 115 Abs. 3 Satz 2 InsO Ersatzansprüche als einfache Insolvenzforderungen.
1 Palandt/Sprau, § 675f Rz. 11. 2 OLG Bremen v. 9.12.2011 – 2 U 20/11, WM 2012, 1239; für Sparkassen, als Anstalten des öffentlichen Rechts, und im Alleinbesitz des Staates stehende privatwirtschaftliche Unternehmen, die einer erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen, nimmt der BGH eine unmittelbare Bindung der Grundrechte an und folgert, dass auch bei der ordentlichen Kündigung eines Girovertrages das Willkürverbot als Ausdruck des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten sei, BGH v. 11.3.2003 – XI ZR 403/01, BGHZ 154, 146; BGH v. 2.12.2003 – XI ZR 397/02, MDR 2004, 460. 3 OLG Bremen v. 9.12.2011 – 2 U 20/11, WM 2012, 1239; Mues, EWiR 2002, 57 a.A. OLG Dresden v. 15.11.2001 – 7 U 1956/01, ZIP 2001, 2169. 4 BGH v. 26.6.2008 – IX ZR 47/05, MDR 2008, 1121; BGH v. 6.7.2006 – IX ZR 121/05, BGHZ 168, 276; Uhlenbruck/Sinz, § 116 Rz. 18; MünchKommInsO/Ott/Vuia, § 116 Rz. 37. 5 OLG Oldenburg v. 9.2.2012 – 1 U 68/11. 6 BGH v. 5.2.2009 – IX ZR 78/07, MDR 2009, 833; Uhlenbruck/Sinz, § 116 Rz. 16; Nerlich/Römermann/Kießner, § 116 Rz. 18.
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Geschfts- und Kontobeziehung in der Insolvenz
Rz. 120c
§9
3. Kontokorrentvertrag Das Girokonto wird regelmäßig als Kontokorrentkonto geführt. Die beiderseitigen 120 aus der Geschäftsverbindung herrührenden Ansprüche und Leistungen werden fortlaufend in eine zusammengefasste Rechnung mit dem Ziel der periodischen Verrechnung und der Feststellung eines Saldos eingestellt und können somit nicht mehr selbständig geltend gemacht und getilgt werden, so genannte antizipierte Verfügungs- und Verrechnungsvereinbarung1. Mit Anerkennung des Saldos – regelmäßig durch Genehmigungsfiktion in Nr. 7 Abs. 2 Satz 2 AGB-Banken bzw. Nr. 7 Abs. 3 Satz 2 AGB-Sparkassen – erlöschen die in die Rechnung aufgenommenen Ansprüche und es entsteht ein Saldo als abstraktes Schuldanerkenntnis2, welcher als erster Anspruch in die nächste Rechnungsperiode eingeht. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist die Verrechnung von Gutschriften im 120a ungekündigten Kontokorrent innerhalb des kritischen Zeitraums insoweit kongruent, als die Bank erneute Verfügungen des Schuldners in Höhe des eingegangenen Betrages zugelassen hat3. Stehen den eingegangenen Zahlungen dagegen keine Belastungsbuchungen gegenüber, führt eine Verrechnung infolge der damit verbundenen Kredittilgung zu einer inkongruenten Deckung, da die Erfüllung des Rückzahlungsanspruchs zu diesem Zeitpunkt mangels Kündigung noch nicht verlangt werden konnte4. Die Frage der Kongruenz oder Inkongruenz einer Verrechnung kann innerhalb des maßgeblichen Anfechtungszeitraumes nur einheitlich beantwortet werden5. Der Insolvenzverwalter kann folglich nicht singulär die Verrechnung von Zahlungseingängen durch die Bank im maßgeblichen Zeitraum als inkongruente Deckung anfechten, sondern muss diesen stets auch die Verfügungen des Schuldners im gleichen Zeitraum gegenüberstellen. Bei der Bestimmung des insoweit maßgeblichen Zeitraumes ist darauf abzustellen, ob ausschließlich Zahlungen während des letzten Monats vor Insolvenzantragstellung sowie der Zeit danach betroffen sind, oder ob auch Zahlungen angefochten werden, die im Zwei- bzw. Dreimonatszeitraum gem. § 131 Abs. 1 Nr. 2 und 3 InsO liegen. Da für die Anfechtung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO nur Rechtshandlungen im Monatszeitraum vor Insolvenzantragsstellung bzw. in der Zeit danach maßgebend sind, sind nur solche Zahlungen in die Gegenüberstellung miteinzubeziehen, die in diesem Zeitraum getätigt wurden. Werden dagegen Zahlungen nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 und 3 InsO angefochten, ist nicht nur auf den Zwei- bzw. Dreimonatszeitraum vor Insolvenzantragstellung abzustellen. Darüber hinaus sind auch Zahlungen zu berücksichtigen, die innerhalb des letzten Monats vor Stellung des Insolvenzantrags oder danach getätigt wurden. Beispielsfall: Das Kreditinstitut gewährt dem Kunden einen ungekündigten Überziehungskredit von 150 000 Euro. Diesen hat der Kunde bereits zu 100 000 Euro in Anspruch genommen. Im dritten Monat vor Insolvenzantragsstellung gehen auf dem Konto 25 000 Euro und im darauffolgenden Monat noch einmal 50 000 Euro ein. Im letzten Monat vor Stellung des Insolvenzantrages wird das Konto mit 50 000 Euro belastet.
120b
Der Insolvenzverwalter kann hier nicht ausschließlich die Verrechnung der eingehen- 120c den Zahlungen i.H.v. insgesamt 75 000 Euro gem. § 131 Abs. 1 Nr. 2 und 3 InsO anfechten. Er hat vielmehr auch die neuerliche Belastung des Kontos i.H.v. 50 000 Euro im letzten Monat vor Antragstellung zu berücksichtigen. Einem Zahlungseingang von 75 000 Euro steht demnach ein Zahlungsausgang von 50 000 Euro gegenüber. Da das 1 Schimansky/Bunte/Lwowski/Bunte, Bankrechtshandbuch, § 2 Rz. 2. 2 BGH v. 4.7.1985 – IX ZR 135/84, MDR 1986, 314. 3 BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 223/01, BGHZ 150, 122; BGH v. 7.7.2011 – IX ZR 100/10, MDR 2011, 1072 m. Anm. Leithaus, NZI 2011, 676 (676); Ganter, NZI 2012, 201 (215); Gehrlein, WM 2012, 965 (967). 4 BGH v. 7.7.2011 – IX ZR 100/10, MDR 2011, 1072 m. Anm. Leithaus, NZI 2011, 676 (676); BGH v. 7.5.2009 – IX ZR 140/08, MDR 2009, 1005; BGH v. 11.10.2007 – IX ZR 195/04, MDR 2008, 348; Ganter, NZI 2012, 201 (215); Gehrlein, WM 2012, 965 (967). 5 BGH v. 15.7.2007 – IX ZR 212/06, MDR 2008, 346; BGH v. 6.4.2006 – IX ZR 107/05, BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 223/01, BGHZ 150, 122; BGH v. 7.7.2011 – IX ZR 100/10, MDR 2011, 1072 m. Anm. Leithaus, NZI 2011, 676 (676); Ganter, NZI 2012, 201 (215).
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§9
Rz. 121
Beratung von Banken
Kreditinstitut dem Kunden in dieser Höhe gestattet hat, erneut über den Überziehungskredit zu verfügen, ist die Verrechnung i.H.v. 50 000 Euro als kongruent anzusehen. I.H.v. 25 000 Euro hat das Kreditinstitut die eingegangenen Zahlungen jedoch mit ausstehenden Kreditverbindlichkeiten des Kunden verrechnet, ohne den Überziehungskredit zuvor gekündigt zu haben. Demnach hatte das Kreditinstitut keinen Anspruch auf Rückführung des Kredites mit der Folge, dass die Verrechnung i.H.v. 25 000 Euro inkongruent ist. a) Kontokorrentvertrag im Insolvenzeröffnungsverfahren 121 Die Auswirkungen des Insolvenzeröffnungsverfahrens auf die Kontokorrentabrede hängen davon ab, ob das Insolvenzgericht Sicherungsmaßnahmen zur Verhütung nachteiliger Veränderungen in der Vermögenslage des Kunden nach § 21 InsO anordnet. 122 Verhängt das Insolvenzgericht keine vorläufigen Maßnahmen, besteht die Verfügungsbefugnis des Kunden unverändert fort. Das Kreditinstitut muss daher – wenn es von seinem Kündigungsrecht nach Nr. 19 AGB-Banken bzw. Nr. 26 AGB-Sparkassen keinen Gebrauch macht – den Zahlungsverkehr weisungsgemäß ausführen, während Zahlungseingänge nach gewissen Zeitabschnitten im Kontokorrent verrechnet werden können, wenngleich dies nach § 131 InsO anfechtbar ist. 123 Selbst wenn das Insolvenzgericht ein allgemeines Verfügungsverbot anordnet, sind alle nach seiner Anordnung vorgenommenen rechtsgeschäftlichen Verfügungen des Kunden über die zur Insolvenzmasse gehörenden Gegenstände nach §§ 24 Abs. 1, 81 Abs. 1 Satz 1 InsO unwirksam. Dies hat zur Folge, dass der Kunde Verrechnungsvereinbarungen nicht mehr schließen darf. Die dem Kontokorrentvertrag zugrundeliegende antizipierte Verrechnungsvereinbarung ist allerdings eine Vorausverfügung, die der Kunde vor Erlass des Verfügungsverbotes vorgenommen hat. Vorausverfügungen werden von der Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbotes nicht berührt, denn die Insolvenzmasse ist vor damit verbundenen Schmälerungen im Eröffnungsverfahren durch die Anfechtungsvorschriften geschützt1. Das Kreditinstitut kann demnach weiterhin Zahlungseingänge mit einem debitorisch geführten Konto verrechnen2. Da auch der Girovertrag trotz Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbotes nicht erlischt, muss das Kreditinstitut das Konto für Zahlungseingänge auch weiterhin offen halten. 124 Kommt es zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens, ist die Verrechnung der Zahlungseingänge im Rahmen der Kontokorrentabrede während des Insolvenzeröffnungsverfahrens nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig und damit im Ergebnis nicht insolvenzfest, wenn das Kreditinstitut die Möglichkeit der Verrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung im Sinne der §§ 129 ff. InsO erlangt hat (hierzu umfassend § 10 Rz. 128 ff.)3. Die Anfechtbarkeit ist aber ausgeschlossen, wenn der Kunde dem Kreditinstitut die Forderung, die der Zahlungsauftraggeber begleichen wollte, zur Sicherheit abgetreten hatte, weil es in diesem Fall an der gemäß § 129 Abs. 1 InsO für sämtliche Anfechtungstatbestände zwingend erforderlichen Gläubigerbenachteiligung fehlt (hierzu § 10 Rz. 43). Etwas anderes gilt allerdings, wenn das Kreditinstitut bereits sein Absonderungsrecht in anfechtbarer Weise erlangt hat. Zu beachten ist in diesem Zu1 BGH v. 20.3.1997 – IX ZR 71/96, BGHZ 135, 140; OLG Celle v. 7.1.1998 – 13 U 78/97, ZinsO 1998, 235; LG Rostock v. 30.10.2001 – 10 O 203/01, ZIP 2002, 270; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.242; a.A. OLG Koblenz v. 29.11.1983 – 3 U 1638/82, ZIP 1984, 164; OLG Düsseldorf v. 14.11.1985 – 6 U 95/85, NJW-RR 1986, 1239. 2 Die Gegenansicht, nach der die Anordnung eines Verfügungsverbotes die Beendigung der antizipierten Verrechnungsabrede bewirkt, führt wirtschaftlich zum gleichen Ergebnis, da das Kreditinstitut weiterhin zur Aufrechnung nach §§ 387 ff. BGB befugt ist. Die Aufrechnungsbefugnis wird vom Verfügungsverbot nicht berührt und richtet sich abschließend nach den Regelungen der §§ 94 ff. InsO, die erst ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens Anwendung finden. 3 BGH v. 26.4.2012 – IX ZR 67/09, MDR 2012, 873. Nach BGH v. 12.7.2007 – IX ZR 120/04, MDR 2007, 1281 ist es für die Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unerheblich, ob eine vertraglich vereinbarte Verrechnung aufgrund der Kontokorrentabrede erfolgt oder das Kreditinstitut die Aufrechnung erklärt.
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Geschfts- und Kontobeziehung in der Insolvenz
Rz. 127
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sammenhang, dass der Erwerb von künftigen Forderungen, die der Kunde im Wege einer Globalzession an die Bank abgetreten hatte, eine kongruente Deckung im Sinne des § 130 InsO darstellt und die Anfechtbarkeit demnach von dem Kenntnisstand des Kreditinstitutes von der Zahlungsunfähigkeit des Kunden abhängt1. Die Anfechtbarkeit ist zudem nach den Grundsätzen des Bargeschäfts nach § 142 InsO ausgeschlossen, wenn das Kreditinstitut eine bestehende Kontokorrentkreditlinie offen hält und dem Kunden in Höhe der eingegangenen Beträge Verfügungen gestattet hat (hierzu umfassend § 10 Rz. 263 ff.). b) Kontokorrentvertrag im Insolvenzverfahren Nach neuerer Rechtsprechung des BGH erlischt der Kontokorrentvertrag gemäß 125 §§ 116 Satz 1, 115 Abs. 1 InsO mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens2. Für die Kontokorrentkonten ist ein außerordentlicher Saldenabschluss durchzuführen. Wegen § 91 Abs. 1 InsO können hierbei jedoch nur diejenigen Forderungen berücksichtigt werden, die vor Insolvenzeröffnung entstanden sind3. Eingehende Zahlungen kann das Kreditinstitut trotz des aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erloschenen Girovertrages wegen dessen Nachwirkungen weiterhin entgegennehmen, muss sie dann aber auf dem Konto gutschreiben bzw. herausgeben4. Eine Verrechnung mit dem debitorischen Konto ist unzulässig. Das Kreditinstitut darf mit seiner Forderung aus dem Debetsaldo auch nicht gegen die Forderung des Kunden auf Herausgabe des Geldbetrages aufrechnen (zur Aufrechnung umfassend § 7 Rz. 496 ff.). Dem steht § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO entgegen, wenn das Kreditinstitut erst nach Insolvenzeröffnung etwas zur Masse schuldig geworden ist. Der Anspruch auf Herausgabe des Zahlungsbetrages entsteht in dem Zeitpunkt, in dem das Kreditinstitut buchmäßige Deckung erhalten hat5. 4. Sonderkonten a) Gemeinschaftskonto Das Gemeinschaftskonto als solches wird durch das Eröffnungsverfahren selbst 126 noch nicht berührt, eine Saldierung ist auch bei Erlass eines allgemeinen Verfügungsverbots gegen einen der Mitinhaber nicht erforderlich. Beim Gemeinschaftskonto mit Einzelverfügungsbefugnis (Oder-Konto) darf der vom Verfügungsverbot nicht betroffenen Mitinhaber weiter über das Konto verfügen6. Bei einem Gemeinschaftskonto mit gemeinsamer Verfügungsbefugnis (Und-Konto) verhindert das Verfügungsverbot für einen der Berechtigten freilich jegliche weitere Verfügung7 ohne Einbeziehung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters. Auch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens berührt den Girovertrag und die Kon- 127 tokorrentabrede als solche nicht. Das Gemeinschaftskonto ist nicht Bestandteil der Insolvenzmasse, ihr ist allein der Auseinandersetzungsanspruch des Insolvenzschuldners zugehörig. Das Kreditinstitut ist dementsprechend berechtigt, auch weiterhin Zahlungseingänge in das Kontokorrent einzustellen und mit einem debitorischen Saldo zu verrechnen8. Die Auseinandersetzung findet nach Maßgabe des § 84 InsO außerhalb des Insolvenzverfahrens statt, so dass sich die Begünstigung der Insolvenzmasse
1 Str., vgl. hierzu umfassend unter „Globalzession“, Rz. 87 ff. 2 BGH v. 22.1.2004 – IX ZR 39/03, BGHZ 157, 350; BGH v. 14.12.2006 – IX ZR 194/05, BGHZ 170, 206; BGH v. 25.6.2009 – IX ZR 98/08, BGHZ 181, 361; noch auf die Unvereinbarkeit mit dem Grundsatz der gemeinschaftlichen Gläubigerbefriedigung abstellend: BGH v. 4.5.1979 – I ZR 127/77, BGHZ 74, 253; vgl. auch FK-InsO/Wegener, § 116 Rz. 39; Marotzke in HK-InsO, § 116 Rz. 5. 3 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 2.105. 4 BGH v. 26.6.2008 – IX ZR 47/05, MDR 2008, 1121; BGH v. 5.12.2006 – XI ZR 21/06, BGHZ 170, 121; OLG Oldenburg v. 9.2.2012 – 1 U 68/11. 5 BGH v. 20.6.2002 – IX ZR 177/99, NJW-RR 2002, 1419. 6 Ehlenz/Weis, Insolvenzrecht für Banken, Rz. 761. 7 Obermüller/Wunderer in BuB Rz. 15/163. 8 BGH v. 10.6.1985 – III ZR 63/84, MDR 1986, 31.
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Beratung von Banken
durch das Guthaben nach der materiellen Berechtigungen der Kontoinhaber bemisst1. 128 Aus §§ 427, 421 BGB ergibt sich die gesamtschuldnerische Haftung der Inhaber für alle Ansprüche des Kreditinstituts aus dem debitorischen Gemeinschaftskonto; regelmäßig wird diesbezüglich auch eine ausdrückliche Abrede getroffen2. Der Insolvenzverwalter muss Zahlung von dem Mitinhaber verlangen. Dies gilt unabhängig davon, ob das Gemeinschaftskonto als Und-Konto oder als Oder-Konto geführt wird3. Die Befugnis des Insolvenzverwalters, mögliche Verrechnungen mit Zahlungseingängen anzufechten, bleibt davon unberührt. 129 Bei einem Guthaben aufweisenden Oder-Konto tritt der Insolvenzverwalter an die Stelle des Schuldners, § 80 Abs. 1 InsO, und kann daher die Auszahlung des Guthabens an sich verlangen. Die gleiche Berechtigung haben allerdings auch die nicht insolventen Kontoinhaber inne. Solange nicht einer der Kontoinhaber die Einzelverfügungsbefugnis widerruft4, leistet das Kreditinstitut nach zutreffender Ansicht mit befreiender Wirkung an denjenigen, der zuerst Auszahlung verlangt5. 130 Eine Leistung von einem Und-Konto kann der Insolvenzverwalter nur unter Mitwirkung der übrigen Mitinhaber verlangen. Inwieweit die Mitinhaber hierzu verpflichtet sind, hängt vom Innenverhältnis ab, das dem Kreditinstitut regelmäßig unbekannt sein wird6. Nach zutreffender Ansicht kann das Kreditinstitut die Auskehrung eines Guthabens bei fehlender Zustimmung aller Mitinhaber selbst dann verweigern, wenn sie um die Verpflichtung der Mitinhaber zur Zustimmung weiß. Es ist Sache des Insolvenzverwalters, die Zustimmung beizubringen, notfalls mit gerichtlicher Hilfe. 130a Ein Pfändungsschutzkonto kann nur für eine natürliche Person und nur als Einzelund Eigenkonto geführt werden, weil die Pfändungsfreibeträge personenbezogen und höchstpersönlich sind7. Die Führung des Pfändungsschutzkontos als gemeinschaftliches „Oder-Konto“ oder als „Und-Konto“ ist nach der Gesetzesbegründung ausdrücklich ausgeschlossen8. Bei gemeinschaftlich geführten Konten in der Form von „Und-“ oder von „Oder-Konten“ kann aber jeder der Kontoinhaber die Führung eines Pfändungsschutzkontos verlangen9. b) Treuhandkonto 131 Beim Treuhandkonto ist ein allgemeines Verfügungsverbot im Eröffnungsverfahren nur von Bedeutung, soweit es sich gegen den Treuhänder richtet10. Die von ihm betreuten Treuhandkonten sind vom Verfügungsverbot nicht ausgenommen. Ob es sich um eine offene Treuhand handelt, bei der der Treuhänder den Fremdverwaltungscharakter bei Kontoeröffnung angezeigt hat, oder um eine verdeckte Treuhand, ist ohne Belang. Dies gilt auch für Anderkonten als Unterform der offenen Treuhandkonten. 132 Die Insolvenz des Treugebers bringt das Treuhandverhältnis gemäß §§ 115, 116 InsO zum Erlöschen. Davon bleibt das Rechtsverhältnis zwischen Kreditinstitut und Treu1 BGH v. 8.7.1985 – II ZR 16/85, BGHZ 95, 185; OLG Rostock v. 11.9.2003 – 7 W 54/03, ZInsO 2003, 1002; Bork, Zahlungsverkehr in der Insolvenz, Rz. 63; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 2.124 ff.; FK-InsO/Busch, § 313 Rz. 47. 2 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 2.126. 3 BGH v. 8.7.1985 – II ZR 16/85, BGHZ 95, 185; Bork, Zahlungsverkehr in der Insolvenz, Rz. 63; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 2.124 ff. 4 Dies wird in den Kontoverträgen regelmäßig zugelassen. 5 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 2.128; Bork, Zahlungsverkehr in der Insolvenz, Rz. 28, jew. m.w.N.; vgl. auch BGH v. 29.11.1989 – IVb ZR 4/89, MDR 1990, 422 zur Ausgleichspflicht nach § 430 BGB unter Ehegatten. 6 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 2.132; Bork, Zahlungsverkehr in der Insolvenz, Rz. 73 f., jew. m.w.N. 7 Ehlenz, FPR 2012, 168 (168). 8 BT-Drucks. 16/7615, S. 12. 9 BT-Drucks. 16/7615, S. 12. 10 Bork, Zahlungsverkehr in der Insolvenz, Rz. 43 f.
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Geschfts- und Kontobeziehung in der Insolvenz
Rz. 137b
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händer allerdings unberührt, sodass der Insolvenzverwalter lediglich einen Anspruch auf Herausgabe des Guthabens gegen den Treuhänder innehat, nicht aber unmittelbar gegen das Kreditinstitut. Der Aufwendungsersatzanspruch des Treuhänders ist Insolvenzforderung. Für ein debitorisch geführtes Konto haftet der Treuhänder dem Kreditinstitut aus dem Kontoverhältnis, und zwar einschließlich der Sollzinsen1. In der Insolvenz des Treuhänders rückt der Insolvenzverwalter in die Stellung des 133 Schuldners gegenüber dem Kreditinstitut ein. Dessen Anweisungen und Verfügungen sind für das Kreditinstitut beachtlich. Dies gilt unabhängig von ihrer Vereinbarkeit mit dem Inhalt des Treuhandverhältnisses. Der Treugeber kann allerdings ein Aussonderungsrecht gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend machen2. Dies gilt etwa für Mietkautionskonten auf den Namen des Vermieters. Bei Konten nach der Makler- und Bauträgerverordnung haben sich die Kreditinstitu- 134 te nach § 6 Abs. 2 Satz 1 MaBV überdies verpflichtet, den Auftraggeber über das eröffnete Insolvenzverfahren zu informieren3. Beim Anderkonto sollen die standesrechtlich orientierten Regelungen der Anderkontobedingungen das Insolvenzrecht überlagern4. Danach soll das Guthaben auf einen von der Kammer bestellten Sonderrechtsnachfolger übergehen. Obermüller5 weist zutreffend darauf hin, dass dies zumindest dann problematisch ist, wenn nicht eindeutig feststeht, dass die auf dem Anderkonto gebuchten Zahlungen ausschließlich Treugut sind.
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c) GbR-Konto Für das Konto einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts gelten im Eröffnungsverfahren bzw. im Insolvenzverfahren die Ausführungen zum Einzelkonto entsprechend.
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Die Insolvenz nur eines der Gesellschafter betrifft die Beziehungen der Gesellschaft 137 zum Kreditinstitut nicht unmittelbar. Im Eröffnungsverfahren sind die übrigen Gesellschafter allerdings zur Kündigung aus wichtigem Grund berechtigt. Mit Verfahrenseröffnung wird die Gesellschaft von Rechts wegen aufgelöst, § 728 Abs. 2 BGB, sofern keine Fortsetzungsvereinbarung im Gesellschaftsvertrag getroffen wurde, § 736 BGB. In diesem Falle ordnet das Gesetz unabhängig von den Abreden im Gesellschaftsvertrag Gesamtvertretung an, § 730 Abs. 2 Satz 2 Hs. 2 BGB, wobei die Rolle des Insolvenzschuldners vom Insolvenzverwalter wahrgenommen wird. d) Pfändungsschutzkonto Ein Pfändungsschutzkonto wird auf Grund einer vertraglichen Abrede zwischen dem 137a Kreditinstitut und dem Kunden eingerichtet. Es kann nur für eine natürliche Person und nur als Einzel- und Eigenkonto geführt werden, weil die Pfändungsfreibeträge personenbezogen und höchstpersönlich sind6. Der Schuldner darf nur ein einziges Pfändungsschutzkonto führen. Gem. § 850k Abs. 8 Satz 2 ZPO hat der Kunde daher gegenüber dem Kreditinstitut zu versichern, dass er kein weiteres Pfändungsschutzkonto unterhält. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Inhabers eines Pfän- 137b dungsschutzkontos hat nicht das Erlöschen des Girovertrages zur Folge. Gem. §§ 116 Satz 1, 115 Abs. 1 InsO erlöschen Geschäftsbesorgungsverträge nur insoweit, als sie sich auf das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen beziehen. Das Guthaben auf einem Pfändungsschutzkonten wird aber gem. § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. § 850k Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht vom Insolvenzbeschlag erfasst. Da die Unpfändbarkeit des Kontoguthabens unmittelbar mit der vertraglichen und auf § 850k ZPO beruhenden 1 OLG Düsseldorf v. 19.5.1988 – 6 U 215/87, NJW-RR 1989, 434; Bork, Zahlungsverkehr in der Insolvenz, Rz. 70. 2 Obermüller/Wunderer in BuB, Rz. 15/327; Ehlenz/Weis, Insolvenzrecht für Banken, Rz. 759. 3 Ehlenz/Weis, Insolvenzrecht für Banken, Rz. 759. 4 Gößmann, WM 2000, 857. 5 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 2.152. 6 Ehlenz, FPR 2012, 168 (168).
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Rz. 138
Beratung von Banken
Vereinbarung „Pfändungsschutzkonto“ verbunden ist, erlischt auch das Pfändungsschutzkonto nicht mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens1. Ferner wird das Pfändungsschutzkonto i.H.d. monatlichen Pfändungsfreibetrages nicht von der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters erfasst. Über diesen Betrag kann der Kontoinhaber auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens in gleicher Weise verfügen, wie vor Verfahrenseröffnung. Sofern der Schuldner vor Insolvenzeröffnung noch kein Pfändungsschutzkonto besessen hat, ist er nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht daran gehindert, ein neues Pfändungsschutzkonto zu errichten bzw. die Umwandlung eines bestehenden Kontos in ein Pfändungsschutzkonto zu veranlassen, § 850k Abs. 7 Satz 2 ZPO2. Der Anspruch auf Umwandlung eines bestehenden Girokontos3 steht ausschließlich dem Schuldner zu, nicht jedoch dem Insolvenzverwalter bzw. Treuhänder, dem die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Girokonto des Schuldners übertragen wurde4. VI. Zahlungsverkehr 138 Die Auswirkungen der einzelnen Insolvenzstadien eines Kunden auf den bargeldlosen Zahlungsverkehr richten sich nach der Art des konkreten Zahlungsmittels. 1. Überweisungsverkehr a) Insolvenz des Überweisungsauftraggebers 139 Das Kreditinstitut ist gem. § 675o Abs. 2 BGB i.V.m. Nr. 1.6 Abs. 1 der Bedingungen für den Überweisungsverkehr verpflichtet, Überweisungsaufträge auszuführen, sofern das Konto seines Kunden ausreichend Guthaben aufweist oder sich dessen Saldo innerhalb einer zugesagten Kreditlinie befindet und die Überweisung nicht gegen Rechtsvorschriften verstößt. 140 Solange das Insolvenzgericht keine vorläufigen Sicherungsmaßnahmen im Sinne des § 21 InsO angeordnet hat, kann der Kunde uneingeschränkt Überweisungsaufträge erteilen. Wird der Überweisungsauftrag vor Anordnung einer Verfügungsbeschränkung erteilt, ist die Bank auch noch danach zu dessen Ausführung verpflichtet5. 141 Hat das Insolvenzgericht einen sog. „schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter“ bestellt, bleibt der Kunde zwar weiterhin zur Erteilung neuer Überweisungsaufträge berechtigt. Ohne Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters ist das Kreditinstitut aber nicht mehr berechtigt die Überweisung auszuführen, da es in diesem Fall das Konto des Schuldners nicht mit dem hierfür notwendigen Betrag belasten darf. 142 Ist ein sog. „starker vorläufiger Insolvenzverwalter“ eingesetzt und dem Kunden ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt worden, ist bereits die Erteilung des Überweisungsauftrages unwirksam. Neue Überweisungsaufträge darf das Kreditinstitut nicht mehr ausführen. 143 Führt das Kreditinstitut die Überweisung in Unkenntnis der Verfügungsbeschränkung aus und weist das Konto des Kunden ein Guthaben aus, wird es durch die Zahlung an den Überweisungsempfänger nach §§ 24 Abs. 1, 82 InsO von seiner Schuld gegenüber dem Kunden befreit6. Entsteht durch die Überweisung ein debitorischer 1 Ehlenz, FPR 2012, 168 (168). 2 BT-Drucks. 16/7615, S. 12. 3 Ein solcher Anspruch soll nicht bei debitorischen Konten bestehen, AG Bergen (Rügen) v. 25.3.2013 – 23 C 432/12. 4 AG Kandel v. 17.1.2011 – 1 C 531/10. 5 Dies ergibt sich aus §§ 675n Abs. 1, 675o Abs. 2 BGB. Hiernach darf das Kreditinstitut einen Überweisungsauftrag nur ablehnen, wenn die im Zahlungsdiensterahmenvertrag festgelegten Ausführungsbedingungen nicht erfüllt sind oder die Ausführung gegen sonstige Rechtsvorschriften verstößt. Der Erlass einer Verfügungsbeschränkung stellt aber keine Rechtsvorschrift, sondern nur eine gegen den Schuldner gerichtete Anordnung dar. A.A. Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.36 ff. 6 Die ordnungsgemäße Ausführung eines Überweisungsauftrages stellt eine Leistung an den überweisenden Kunden dar; BGH v. 15.11.2005 – XI ZR 265/04, MDR 2006, 344.
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Saldo oder erhöht sich dieser, kann die Bank ihren Aufwendungsersatzanspruch jedoch nur als Insolvenzforderung geltend machen. § 116 Satz 3 InsO findet im Eröffnungsverfahren keine Anwendung. Sofern das Kreditinstitut vor der öffentlichen Bekanntmachung der Verfügungs- 144 beschränkung seine Leistung erbracht hat, wird vermutet, dass es deren Anordnung nicht kannte, § 82 Satz 2 InsO. Maßgebend ist der Zeitpunkt, in dem die Bekanntmachung als bewirkt gilt. Dies ist gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 InsO ab dem dritten Tage nach Veröffentlichung der Verfügungsbeschränkung der Fall. Das Kreditinstitut hat dann nur nachzuweisen, dass es seine Leistung vor diesem Zeitpunkt vorgenommen hat. Hat das Kreditinstitut dagegen Kenntnis von der Verfügungsbeschränkung, führt die 145 Überweisung aber gleichwohl aus, wird es weder bei vorhandenem Guthaben von seiner Leistungspflicht frei, noch erwirbt es im Falle eines debitorischen Saldos einen Aufwendungsersatzanspruch. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens muss es die Leistung vielmehr erneut zur Insolvenzmasse erbringen. Nach überwiegender Auffassung steht der Bank jedoch ein Anspruch aus Durchgriffskondiktion gegen den Überweisungsempfänger zu1. Ein der Bank bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits wirksam erteilter Über- 146 weisungsauftrag verliert seine Wirksamkeit nicht, § 116 Satz 3 InsO2. Das Kreditinstitut ist grundsätzlich weiterhin verpflichtet, die Überweisung gem. § 675o Abs. 2 BGB i.V.m. Nr. 1.6 Abs. 1 der Bedingungen für den Überweisungsverkehr auszuführen3. Der mit der Ausführung der Überweisung entstehende Aufwendungsersatzanspruch ist nach § 116 Satz 3 Hs. 2 InsO als Masseverbindlichkeit zu qualifizieren. Die Bank hat daher die Möglichkeit, diese direkt mit einer vorhandenen Guthabenforderung des Schuldners zu verrechnen4. Die Aufrechnungsverbote des § 96 Abs. 1 InsO greifen nicht, da sie nur für Insolvenzgläubiger gelten. Ein nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erteilter Überweisungsauftrag des 147 Schuldners ist grundsätzlich unwirksam. Der Kunde ist zu dessen Erteilung nicht mehr berechtigt. Seine Verfügungsbefugnis ist nach § 80 Abs. 1 InsO auf den Insolvenzverwalter übergegangen5. Führt das Kreditinstitut den Auftrag gleichwohl aus, kommt es zur Einordnung möglicher Ansprüche auf die Kenntnis der Bank von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens an. Insoweit gelten die gleichen Grundsätze wie bei der Anordnung vorläufiger Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren. Zieht ein (vorläufiger) Sachwalter die Kassenführung nach § 275 Abs. 2 InsO an sich, 148 wird er zum gesetzlichen Vertreter des Schuldners6, soweit er Gelder für diesen entgegennimmt oder Zahlungen leistet. Er ist ferner berechtigt, über die Konten des Schuldners zu verfügen7. Zahlungen von und an den Schuldner selbst, sind weiterhin, auch unter Umgehung des Kasse führenden (vorläufigen) Sachwalters, wirksam. Der
1 Bork, Zahlungsverkehr in der Insolvenz, Rz. 183; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.58, jew. m.w.N. 2 Der Insolvenzverwalter kann den Überweisungsauftrag aber möglicherweise gemäß § 675p Abs. 1 BGB i.V.m. Nr. 1.5 Abs. 1 der Bedingungen für den Überweisungsverkehr widerrufen. 3 Das Kreditinstitut kann die Durchführung der Überweisung hiernach nur verweigern, wenn auf dem Konto des Kunden kein ausreichendes Guthaben vorhanden bzw. ein eingeräumter Kredit zwischenzeitlich gekündigt sein sollte oder die Ausführung der Überweisung gegen sonstige Rechtsvorschriften verstößt. 4 Kayser in HK-InsO, § 82 Rz. 24; Nerlich/Römermann/Wittkowski/Kruth, § 82 Rz. 8a; Obermüller, ZInsO 2010, 8 (16). 5 Dies gilt nur, soweit das Vermögen Bestandteil der Insolvenzmasse ist. Über insolvenzfreies Vermögen kann der Schuldner weiterhin verfügen und dementsprechend neue Überweisungsaufträge erteilen; vgl. Kayser in HK-InsO, § 82 Rz. 26. 6 K. Schmidt/Undritz, § 275 InsO Rz. 7; MünchKommInsO/Wittig/Tetzlaff, § 275 Rz. 16; Braun/ Riggert § 275, InsO Rz. 11; FK-InsO/Foltis, § 275 Rz. 23; Graf-Schlicker/Graf-Schlicker, § 275 Rz. 6; Andres/Leithaus/Andres, § 275 Rz. 5. 7 MünchKommInsO/Wittig/Tetzlaff, § 275 Rz. 16; Haarmeyer/Wutzke/Förster/Buchalik, § 275 InsO Rz. 11; Landfermann in HK-InsO, § 275 Rz. 7; K. Schmidt/Undritz, § 275 InsO Rz. 6.
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Schuldner bleibt verwaltungs- und verfügungsbefugt1. Begründet er insoweit Masseverbindlichkeiten, sind diese im eröffneten Verfahren vorweg zu erfüllen. Diese Regelung ruft in der Praxis erhebliche Probleme hervor. Die Übernahme der Kassenführung durch den (vorläufigen) Sachwalter wird als interne Maßnahme nicht durch das Gericht bestätigt2, so dass schon unklar ist, wie der Nachweis der Vertretungsbefugnis gegenüber der Bank erfolgen soll. b) Insolvenz des Überweisungsbegünstigten 149 Im Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen des Überweisungsbegünstigten ist das Kreditinstitut weiterhin zur Gutschrift eingehender Zahlungsbeträge verpflichtet, weil erst die Insolvenzeröffnung nach §§ 116 Satz 1, 115 Abs. 1 InsO zum Erlöschen des Girovertrages führt. Verwendet das Kreditinstitut die Gutschrift zur Rückführung eines Debetsaldos droht im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Insolvenzanfechtung3. 150 Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlischt der Girovertrag gemäß §§ 116 Satz 1, 115 Abs. 1 InsO. Das Kreditinstitut ist in Nachwirkung des Girovertrages allerdings weiterhin befugt, eingehende Zahlungen zugunsten des ehemaligen Kunden entgegenzunehmen4. Eine Verpflichtung zur Gutschrift besteht, wenn Überweisungsaufträge noch vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingehen, d.h. wenn das Kreditinstitut buchmäßige Deckung erhalten hat5. Erlangt es erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens buchmäßige Deckung, ist es zur Gutschrift grundsätzlich nicht mehr verpflichtet. Eine Ausnahme kann sich aus §§ 116 Satz 1, 115 Abs. 2 InsO ergeben, wonach das Kreditinstitut zur Gutschrift verpflichtet ist, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist. Diese Gefahr kann bestehen, wenn auch der Überweisungsauftraggeber in die wirtschaftliche Krise zu geraten droht6. 151 Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat das Erlöschen der Kontokorrentabrede zur Folge7, so dass das Kreditinstitut eingehende Zahlungen nicht mehr mit einem debitorischen Saldo verrechnen darf. 2. Lastschriftverkehr 152 Das Lastschriftverfahren kann im Wege des Abbuchungsverfahrens, des Einzugsermächtigungsverfahrens oder des SEPA-Lastschriftverfahrens erfolgen. a) Insolvenz des Zahlungsverpflichteten aa) Abbuchungsverfahren 153 Beim Abbuchungsverfahren erteilt der zahlungspflichtige Kunde seinem Kreditinstitut den Auftrag, Lastschriften eines bestimmten Gläubigers unbeschränkt oder auf einen Höchstbetrag begrenzt einzulösen. Da der Zahlungspflichtige seine Bank ermächtigt, eine Lastschrift auf seine Rechnung einzulösen, bestehen gegenüber der Insolvenz des Überweisungsauftraggebers keine Besonderheiten. Sofern die Lastschriftbuchung im Abbuchungsverfahren angefochten werden sollte, kommt es nach neuerer Rspr. des BGH auf den Zeitpunkt an, in dem das Kreditinstitut die Lastschrift einlöst8.
1 MünchKommInsO/Wittig/Tetzlaff, § 275 Rz. 17; Braun/Riggert, § 275 InsO Rz. 11; FK-InsO/Foltis, § 275 Rz. 23; Graf-Schlicker/Graf-Schlicker, § 275 Rz. 6; a.A. LSZ/Wehdeking, §§ 275, 276 InsO Rz. 11. 2 Braun/Riggert, § 275 InsO Rz. 13. 3 Vgl. „Kontokorrentvertrag im Insolvenzeröffnungsverfahren“, Rz. 120 ff. 4 BGH v. 15.11.2005 – XI ZR 265/04, MDR 2006, 344. 5 BGH v. 15.3.2005 – XI ZR 338/03, MDR 2005, 1003. 6 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.140. 7 Vgl. Kontokorrentvertrag im Insolvenzverfahren, Rz. 120, 125. 8 BGH v. 17.1.2013 – IX ZR 184/10, ZIP 2013, 322 m. Anm. Kreher, GWR 2013, 119.
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bb) Einzugsermächtigungsverfahren1 Bis zum 8.7.2012 enthielt die gegenüber einem Gläubiger erteilte Einzugsermächti- 154 gung lediglich die Gestattung des Schuldners zur Nutzung des Lastschriftverfahrens. Zur Wirksamkeit einer infolgedessen vorgenommenen Belastung seines Kontos war es ferner erforderlich, dass der Schuldner die Belastungsbuchung nachträglich genehmigte2. Dies konnte ausdrücklich oder stillschweigend geschehen, wurde aber spätestens mit Ablauf von sechs Wochen nach Zugang des Rechnungsabschlusses (Nr. 7 Abs. 3 AGB-Banken a.F.) fingiert. Nicht genehmigten Belastungsbuchungen konnte der (vorläufige) Insolvenzverwalter widersprechen, so dass diese mangels Wirksamkeit wieder rückgängig gemacht werden mussten. Wegen der vielen damit verbundenen Streitfragen hat dies zu einer Flut an Gerichtsverfahren geführt3. Die dazu ergangene Rechtsprechung ist durch die nachfolgende Rechtsänderung überholt. Seit dem 9.7.2012 gelten neue Bedingungen für Zahlungen mittels Lastschrift im Ein- 155 zugsermächtigungsverfahren. Eine Einzugsermächtigung beinhaltet nunmehr sowohl die Ermächtigung des Zahlungspflichtigen, den jeweiligen Betrag von seinem Konto einzuziehen als auch die Weisung an sein Kreditinstitut, entsprechende Lastschriften einzulösen und sein Konto hiermit zu belasten. Der Zahlungsvorgang wird bereits vor dessen Ausführung autorisiert. Eine Genehmigung der Belastungsbuchung ist nicht mehr erforderlich, ein Widerspruch gegen diese nicht mehr möglich. Dem Insolvenzverwalter verbleibt nur noch die Möglichkeit der Anfechtung gem. §§ 129 ff. InsO. Der Zahlungsauftrag wird wirksam, sobald er der Schuldnerbank zugeht, § 675n 156 Abs. 1 Satz 1 BGB. Nach diesem Zeitpunkt kann er durch den Zahlungspflichtigen nur noch „bis zum Ende des Geschäftstages vor dem vereinbarten Fälligkeitstag“ widerrufen werden, §§ 675j Abs. 2 Satz 1, 675p Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 BGB. Der Zahlungspflichtige kann aber gem. § 675x Abs. 2 BGB i.V.m. Nr. 2.5.1 Abs. 1 Satz 1 157 der Bedingungen für Zahlungen mittels Lastschrift im Einzugsermächtigungsverfahren einen Rückerstattungsanspruch geltend machen. Dieser ist grundsätzlich an keine weiteren Voraussetzungen gebunden und kann „ohne Angabe von Gründen“ innerhalb einer Ausschlussfrist von acht Wochen ab dem Zeitpunkt der Belastungsbuchung geltend gemacht werden. Gegenüber dem Gläubiger ist die Erhebung des Rückerstattungsanspruchs allerdings nur wirksam, wenn dies mit den Grundsätzen von Treu und Glauben vereinbar ist, vgl. § 162 Abs. 2 BGB. Zur Geltendmachung des Rückerstattungsanspruchs ist ausschließlich der Schuld- 158 ner/Zahlungsverpflichtete selbst berechtigt, hingegen nicht ein etwaiger (vorläufiger) Insolvenzverwalter. Nach der Rechtsprechung des BGH ergibt sich dies aus einer analogen Anwendung von § 377 Abs. 1 BGB4. Hiernach ist das Recht des Schuldners zur Rücknahme einer hinterlegten Sache nicht der Pfändung unterworfen, da die mit der Hinterlegung begonnene Befriedigung des Gläubigers nicht durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen oder die Eröffnung des Insolvenzverfahrens verhindert werden soll. Gleiches gilt für den Rückerstattungsanspruch aus § 675x Abs. 2 BGB i.V.m. Nr. 2.5.1 Abs. 1 Satz 1 der Bedingungen für Zahlungen mittels Lastschrift im Einzugsermächtigungsverfahren, da der Schuldner im Rahmen des Einzugsermächtigungsverfahrens durch Erteilung des Zahlungsauftrages an seine Bank ebenfalls mit der endgültigen Befriedigung des Gläubigers begonnen hat. Gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO fällt der Rückerstattungsanspruch daher nicht in die Insolvenzmasse. Folglich kann der („starke“ vorläufige) Insolvenzverwalter an diesem auch keine Verfügungsbefugnis erlangen.
1 Mit Wirkung zum 1.1.2014 wird das Einzugsermächtigungsverfahren vollständig zu Gunsten der SEPA-Lastschrift abgeschafft. 2 Mangels girovertraglicher Weisung stand dem Kreditinstitut solange kein Aufwendungsersatzanspruch gemäß § 670 BGB zu, bis der Schuldner die Belastung seines Kontos genehmigt hat. 3 Vgl. nur die umfangreiche Darstellung bei Kuleisa in HK-InsO, § 82 Rz. 18 ff. m.w.N. 4 BGH v. 20.7.2010 – XI ZR 236/07, BGHZ 186, 269.
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Rz. 159
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159 Keine analoge Anwendung findet hingegen § 377 Abs. 2 BGB. Verlangt der Schuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Erstattung des Zahlbetrages, führt dies zu einem Neuerwerb der Insolvenzmasse1. Das Kreditinstitut hat daraufhin das Konto des Zahlungspflichtigen wieder auf den Stand zu bringen, auf dem es sich ohne die Belastung befunden hätte. 160 Da der Schuldner den Zahlungsvorgang im Rahmen Einzugsermächtigungslastschriftverfahrens bereits vorab autorisiert, entsteht der Aufwendungsersatzanspruch des Kreditinstituts gem. §§ 675c Abs. 1, 670 BGB bereits mit Einlösung der Lastschrift. Dieser erlischt auch nicht rückwirkend durch Geltendmachung des Rückerstattungsanspruchs gem. § 675x Abs. 2 BGB i.V.m. Nr. 2.5 Abs. 1 Satz 1 der Bedingungen für Zahlungen mittels Lastschrift im Einzugsermächtigungsverfahren. Diese Norm lässt sich aber nicht als verlängertes Recht des Schuldners zum Widerruf der Autorisierung deuten2. cc) SEPA-Lastschriftverfahren 161 Das sog. SEPA-Basislastschriftverfahren ist hinsichtlich der Vorabautorisierung der Lastschriftabbuchungen sowie der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs mit den Regelungen des Einzugsermächtigungsverfahrens identisch, so dass auf die obigen Ausführungen verwiesen werden kann. Im sog. SEPA-Firmenlastschriftverfahren besteht gemäß § 675e Abs. 4 BGB i.V.m. Nr. 2.5 Satz 1 der Bedingungen für Zahlungen mittels Lastschrift im SEPA-Firmenlastschriftverfahren die Besonderheit, dass der Zahlungspflichtige keinen Rückerstattungsanspruch geltend machen kann. b) Insolvenz des Zahlungsempfängers 162 Für die Insolvenz des Zahlungsempfängers gelten im Wesentlichen die für die Insolvenz des Überweisungsempfängers dargelegten Grundsätze. Regelmäßig wird das Kreditinstitut seinen Kunden im Insolvenzfalle vom Lastschriftverfahren ausschließen. Insbesondere ist das Kreditinstitut nicht verpflichtet, dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter die Teilnahme am Lastschriftverfahren zu gestatten. 163 Dennoch bleibt im Eröffnungsverfahren grundsätzlich die weitere Erteilung von Einzugsaufträgen möglich, soweit kein allgemeines Verfügungsverbot besteht oder die Verfügungsberechtigung auf einen vorläufigen Verwalter übergegangen ist. Hinsichtlich der Gutschriften, deren Verrechnung im Kontokorrent sowie der mit der Lastschrifteinreichung verbundenen Sicherheitsabtretung der zu Grunde liegenden Forderung besteht freilich das Risiko der Anfechtung nach Verfahrenseröffnung. Insoweit sei auf die Ausführungen zu den Anfechtungstatbeständen verwiesen. 164 Im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlöschen noch nicht ausgeführte Aufträge zur Einziehung von Lastschriften gemäß §§ 115, 116 InsO. Dies gilt nicht, wenn dem Kreditinstitut die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ohne Verschulden nicht bekannt war. In diesem Fall gilt der Einziehungsauftrag dem Kreditinstitut gegenüber als fortbestehend, §§ 116, 115 Abs. 3 InsO. Laufende Aufträge sind dagegen grundsätzlich dem Konto des Schuldners gutzuschreiben. 165 Allerdings darf nur der Insolvenzverwalter über den eingezogenen Geldbetrag verfügen. Lässt das Kreditinstitut dennoch Verfügungen des Schuldners zu, kann es vom Insolvenzverwalter erneut auf Zahlung in Anspruch genommen werden, es sei denn, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens war dem Kreditinstitut unbekannt, vgl. § 82 InsO3. Auf die Ausführungen zur Überweisung, Rz. 139 ff., wird verwiesen. 166 Die Bank muss vermeiden, an den Insolvenzverwalter Beträge auszukehren, die sie vielleicht noch an den Schuldner der Lastschrift zurückgeben muss. Mit der Auskehrung von Guthaben, die durch Gutschriften aufgrund von Einzugsermächtigungen erfolgt sind, sollte die Bank deshalb abwarten, bis die achtwöchige Rückerstattungs1 BGH v. 20.7.2010 – XI ZR 236/07, BGHZ 186, 269. 2 BGH v. 20.7.2010 – XI ZR 236/07, BGHZ 186, 269. 3 Obermüller/Wunderer in BuB, Bd. V, Rz. 15/348; ausführlich: Ehlenz/Weis, Insolvenzrecht für Banken, Rz. 775 ff.; Bork, Zahlungsverkehr in der Insolvenz, Rz. 233 ff.
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Rz. 171
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frist abgelaufen ist. Soweit nämlich eine Rückbelastung erfolgt, muss die Bank den Betrag zu Lasten des Kontos des Zahlungsempfängers zurückerstatten. 3. Cash-Pool Das sog. Cash-Pool-Verfahren wird überwiegend von Konzernen genutzt. Ziel ist es, 167 durch Verrechnung sämtlicher Kontostände aller poolangehöriger Gesellschaften auf einem Konto einen Gesamtsaldo zu bilden, um so die Liquidität innerhalb des Konzerns zu erhöhen und die Kreditkosten zu verringern. Dies erfolgt durch Zusammenziehen sämtlicher vorhandener Guthaben auf einem, zumeist bei der Konzernmutter geführten Konto und Ausgleich der Negativsalden der übrigen Konten zu Lasten des sog. „Zielkontos“. Am Ende einer jeweiligen Buchungsperiode befinden sich die Konten sämtlicher poolangehöriger Gesellschaften auf Null. Nur das Zielkonto weist den (positiven oder negativen) Gesamtsaldo aus. Hierdurch wird verhindert, dass überschüssiges Guthaben auf der einen Seite nur gering verzinst wird, während gleichzeitig an anderer Stelle für einen Kredit wesentlich höhere Zinsen bezahlt werden müssen. Sofern sich aus den folgenden Ausführungen zur Insolvenz einer Tochtergesellschaft nicht ausdrücklich etwas anderes ergibt, gelten diese in der Insolvenz der Muttergesellschaft entsprechend. Zahlungen, die nach Anordnung einer Verfügungsbeschränkung im Insolvenzeröff- 168 nungsverfahren auf dem Konto der Tochter eingehen, können aufgrund der Cash-PoolVereinbarung unabhängig von der Anordnung etwaiger Verfügungsbeschränkungen an das Konto der Muttergesellschaft weitergeleitet werden. Die der Cash-Pool-Vereinbarung innewohnende Vorausverfügung wird nicht mit der Anordnung einer Verfügungsbeschränkung, sondern erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens unwirksam1. Insoweit geleistete Zahlungen können aber durch den Insolvenzverwalter der Tochtergesellschaft nach den §§ 129 ff. InsO angefochten werden. Die Verrechnung von Zahlungen der Tochtergesellschaft mit einem debitorischen 169 Saldo auf dem Zielkonto ist auch nach Anordnung einer Verfügungsbeschränkung möglich. Eine Deckungsanfechtung durch den Insolvenzverwalter der Tochtergesellschaft gegenüber dem Kreditinstitut nach den §§ 129 ff. InsO kommt nicht in Betracht. Die Zahlungen an das Zielkonto aufgrund der Cash-Pool-Vereinbarung stellen keine, auch keine mittelbare, Zuwendung an das Kreditinstitut dar2. Zahlungen auf debitorische Konten stellen i.d.R. eine Leistung an den Kontoinhaber, nicht jedoch an das Kreditinstitut dar. Zahlungen der Muttergesellschaft, die nach Anordnung der Verfügungsbeschränkung 170 auf dem Konto der Tochter eingehen, darf das Kreditinstitut grundsätzlich mit einem debitorischen Saldo verrechnen. Haben sich sämtliche Gesellschaften in der Cash-Pool-Vereinbarung für die jeweilige Inanspruchnahme der gesamtschuldnerischen Haftung unterworfen oder ist hierin die Haftung der Konzernmutter für die Schulden ihrer Tochtergesellschaften enthalten, hat das Kreditinstitut aufgrund des debitorischen Saldos nicht nur gegen die Tochtergesellschaft einen Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen gem. § 670 BGB, sondern auch gegen die Muttergesellschaft. Dieser wird durch Abbuchung vom Zielkonto ausgeglichen. Entspricht die Vereinnahmung des entsprechenden Betrages der Cash-Pool-Vereinbarung, ist diese kongruent und als Bargeschäft i.S.v. § 142 InsO nicht anfechtbar3. Fehlt dagegen eine derartige Vereinbarung, muss das Kreditinstitut seine Forderung 171 gegen die Tochtergesellschaft aus dem debitorischen Saldo mit der Forderung der Tochter- gegen die Muttergesellschaft auf dessen Ausgleich verrechnen. Dies birgt das Risiko der Anfechtung durch den späteren Insolvenzverwalter der Tochtergesellschaft gem. §§ 129 ff. InsO.
1 BGH v. 20.3.1997 – IX ZR 71/96, BGHZ 135, 140; BGH v. 22.10.2009 – IX ZR 90/08, WM 2009, 2391; a.A. Jaeger/Windel, § 94 InsO Rz. 201 f. m.w.N. 2 Vgl. BGH v. 13.6.2013 – IX ZR 259/12, WM 2013, 1793. 3 BGH v. 13.6.2013 – IX ZR 259/12, WM 2013, 1793.
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Rz. 172
Beratung von Banken
172 Wird das Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Tochtergesellschaft eröffnet, hat dies nicht zwangsläufig das Erlöschen der gesamten Cash-Pool-Vereinbarung zur Folge. Möglich ist auch, dass die Insolvenz der Tochter lediglich deren Ausscheiden bedingt, während das Cash-Pool-Verfahren mit den übrigen Konzerngesellschaften aufrechterhalten wird. In jedem Fall dürfen weder weitere Zahlungen der insolventen Tochter zugelassen noch eingehende Zahlungen auf deren Konten verrechnet werden. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Muttergesellschaft hat dagegen das Erlöschen der gesamten Cash-Pool-Vereinbarung zur Folge.
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§ 10 Insolvenzanfechtung
I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zweck der Insolvenzanfechtung . . . . . 2. Rechtsnatur und Ausübung der Insolvenzanfechtung . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anfechtungsberechtigte . . . . . . . . . c) Ausübung des Anfechtungsrechts . d) Prozessuales . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anwendungsbereich, Abgrenzung und Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . b) Abgrenzung und Konkurrenzen zu anderen Tatbeständen. . . . . . . . 4. Übersicht über die Anfechtungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gegenstand der Insolvenzanfechtung: die gläubigerbenachteiligende Rechtshandlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtshandlung . . . . . . . . . . . . . . . aa) Art der Handlung . . . . . . . . . . . bb) Person des Handelnden . . . . . . cc) Unterlassen als Rechtshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gläubigerbenachteiligung . . . . . . . c) Ausnahme von der Anfechtbarkeit gläubigerbenachteiligender Rechtshandlungen: Bargeschäfte, § 142 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Typische Beratungskonstellationen für den Rechtsanwalt. . . . . . . . . . . . . . II. Anfechtung der Sicherung oder Befriedigung eines Insolvenzgläubigers (kongruente oder inkongruente Deckung, §§ 130, 131 InsO) . . . . . . . . . . . . 1. Sicherung oder Befriedigung eines Insolvenzgläubigers . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff der Befriedigung . . . . . . . . . b) Begriff der Sicherung . . . . . . . . . . . c) Befriedigung oder Sicherung eines Insolvenzgläubigers . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung zwischen kongruenter und inkongruenter Deckung . . . . . . . . a) Nicht zu beanspruchende Deckung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Nicht zu beanspruchende Befriedigung . . . . . . . . . . . . . . . bb) Nicht zu beanspruchende Sicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Sicherung oder Befriedigung durch Zwangsvollstreckung oder deren Androhung . . . . . . . b) Nicht in der Art zu beanspruchende Deckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Befriedigung . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sicherung . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 2 3. 3 8 12 13 16 16 17 21
25 26 26 33 41 43
4.
51 52
55 55 56 58
5.
61 62
III.
65 65 67
1. 2.
74 78 78 81
3.
c) Nicht zu der Zeit zu beanspruchende Deckung . . . . . . . . . . . . . . . aa) Befriedigung . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . Anfechtung einer kongruenten Deckung, § 130 InsO . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtshandlungen vor Stellung des Insolvenzantrags, § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anfechtungszeitraum . . . . . . . bb) Zahlungsunfähigkeit des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kenntnis des Gläubigers . . . . . b) Rechtshandlungen nach Stellung des Insolvenzantrags, § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Eröffnungsgrund . . . . . . . . . . . bb) Kenntnis des Gläubigers . . . . . c) Besonderheiten bei der Anfechtung von Wechsel- oder Scheckzahlungen des Schuldners (§ 137 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) § 137 Abs. 1 InsO . . . . . . . . . . . . bb) § 137 Abs. 2 InsO . . . . . . . . . . . . Anfechtung einer inkongruenten Deckung, § 131 InsO . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtshandlungen innerhalb des letzten Monats vor Stellung des Insolvenzantrags oder danach, § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO. . . . . . . . . . . b) Rechtshandlungen innerhalb des zweiten und dritten Monats vor Stellung des Insolvenzantrags, § 131 Abs. 1 Nr. 2 und 3 InsO. . . . . . aa) Objektive Zahlungsunfähigkeit, § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO . . . bb) Kenntnis der Gläubigerbenachteiligung, § 131 Abs. 1 Nr. 3 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . Sonderproblem: Anfechtung einer Aufrechnung nach §§ 130, 131 InsO, insbesondere bei Verrechnung durch Banken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anfechtung unmittelbar gläubigerbenachteiligender Rechtsgeschäfte des Schuldners, § 132 InsO . . . . . . . . . Anwendungsbereich und Überblick über die Tatbestandsalternativen . . . Rechtsgeschäfte des Schuldners, die die Gläubiger unmittelbar benachteiligen, § 132 Abs. 1 InsO . . . . . . . . . . a) Begriff des Rechtsgeschäfts . . . . . . b) Rechtsgeschäft des Schuldners . . . c) Unmittelbare Gläubigerbenachteiligung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andere Rechtshandlungen des Schuldners i.S.d. § 132 Abs. 2 InsO . . .
Graf/Wunsch
82 82 85 86
88 89 92 94
105 106 108
111 112 116 119
120
121 122
123
128
145 145
147 148 151 153 157
769
§ 10
4.
IV. 1. 2.
3.
V. 1.
2.
3. VI.
VII.
1.
770
Insolvenzanfechtung
a) Begriff der Rechtshandlung . . . . . . b) Weitere Voraussetzungen . . . . . . . . aa) Verlust eines Rechts . . . . . . . . . bb) Erhaltung eines Anspruchs gegen den Schuldner . . . . . . . . Anfechtungszeiträume . . . . . . . . . . . . a) Rechtshandlungen im Zeitraum von drei Monaten vor Antragstellung, § 132 Abs. 1 Nr. 1 InsO . . . . . . b) Rechtshandlungen nach Antragstellung, § 132 Abs. 1 Nr. 2 InsO . . . Anfechtung bei vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung, § 133 InsO . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtshandlungen des Schuldners, § 133 Abs. 1 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtshandlung des Schuldners . . b) Gläubigerbenachteiligung und dahin gehender Vorsatz des Schuldners. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Objektive Benachteiligung . . . bb) Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Kongruente Deckung . . . . . . . . (2) Inkongruente Deckung . . . . . . (3) Sonstige Fälle . . . . . . . . . . . . . . c) Kenntnis des Anfechtungsgegners von dem Benachteiligungsvorsatz . d) Anfechtungszeitraum . . . . . . . . . . . Entgeltliche Verträge mit nahe stehenden Personen, § 133 Abs. 2 InsO . . a) Entgeltlicher Vertrag mit einer dem Schuldner nahe stehenden Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unmittelbare Gläubigerbenachteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und Kenntnis des Anfechtungsgegners. . . . . . . . . d) Anfechtungszeitraum . . . . . . . . . . . Anfechtung unentgeltlicher Leistungen des Schuldners, § 134 InsO . . . . . . Unentgeltliche Leistung des Schuldners, § 134 Abs. 1 InsO . . . . . . . . . . . . . a) Leistung des Schuldners . . . . . . . . b) Unentgeltlichkeit . . . . . . . . . . . . . . aa) Objektive Unentgeltlichkeit . . bb) Subjektive Merkmale . . . . . . . . c) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausnahme: gebräuchliche Gelegenheitsgeschenke geringen Werts, § 134 Abs. 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . Anfechtungszeitraum . . . . . . . . . . . . . Anfechtung der Rückgewähr und Besicherung von Gesellschafterdarlehen und gleichgestellten Forderungen, § 135 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stille Gesellschaft: Anfechtung der Einlagenrückgewähr und des Erlasses eines Verlustanteils, § 136 InsO . . Anwendungsbereich und Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Graf/Wunsch
158 159 160 162 163
164 166 168 168 170 170
174 174 175 177 180 183 187 194 195
196 198
199 200 202 202 202 205 206 211 217
221 224
228
229 229
2. Anfechtbare Rechtshandlungen: Einlagenrückgewähr und Erlass eines Verlustanteils . . . . . . . . . . . . . . . a) Einlagenrückgewähr . . . . . . . . . . . . b) Erlass eines Verlustanteils . . . . . . . 3. Anfechtungszeitraum . . . . . . . . . . . . . 4. Ausschluss der Anfechtung nach § 136 Abs. 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Zeitpunkt, in dem eine Rechtshandlung als vorgenommen gilt, § 140 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Grundregel des § 140 Abs. 1 InsO: Maßgeblichkeit des Eintretens der Rechtswirkungen . . . . . . . . . . . . . 3. Eintragungsbedürftige mehraktige Rechtsgeschäfte, § 140 Abs. 2 InsO. . . 4. Bedingte und befristete Rechtshandlungen, § 140 Abs. 3 InsO . . . . . . . . . . . IX. Unanfechtbarkeit von Bargeschäften, § 142 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Begriff des Bargeschäfts i.S.d. § 142 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gleichwertige Gegenleistung . . . . . aa) Gegenleistung . . . . . . . . . . . . . bb) Gleichwertigkeit . . . . . . . . . . . . b) Unmittelbarkeit des Leistungsaustauschs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verrechnung von Zahlungen auf debitorischen Schuldnerkonten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Grundstücksschenkung gegen Nießbrauch . . . . . . . . . . cc) Beraterhonorare . . . . . . . . . . . . dd) Eigentumsvorbehalt . . . . . . . . X. Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rückgewähranspruch der Masse, §§ 143, 145, 146 InsO . . . . . . . . . . . . . . . a) Inhalt und Ausgestaltung des Rückgewähranspruchs, § 143 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rückgewähr in Natur, § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO . . . . . . . . . . (1) Umfang der Rückgewährpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Art und Umfang der Rückgewährhandlungen. . . . . . . . . . bb) Sekundäransprüche bei Unmöglichkeit der Rückgewähr in Natur, § 143 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Grundsatz: Scharfe bereicherungsrechtliche Haftung . . . . . (2) Ausnahme: Privilegierung des gutgläubigen Empfängers einer unentgeltlichen Leistung, § 143 Abs. 2 InsO . . . . . . . . . . . . cc) Nutzungen und Verwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
234 235 240 242 244
246 246
247 253 259 263 263 266 267 267 272 277 282
282 284 285 287 288 288
288 293 293 294
307 307
310 315
Einleitung b) Anspruchsgegner . . . . . . . . . . . . . aa) Primärer Anfechtungsgegner bb) Anfechtung gegen einen Rechtsnachfolger, § 145 InsO. (1) Gesamtrechtsnachfolge . . . . . (2) Einzelrechtsnachfolge . . . . . . c) Verjährung des Anfechtungsanspruchs, § 146 InsO . . . . . . . . . . aa) Fristberechnung, Hemmung und Neubeginn der Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsfolgen der eingetretenen Verjährung . . . . . . . . . . . .
Rz. 4 . 319 . 321 . 324 . 325 . 327 . 334
. 335
§ 10
2. Gegenansprüche des Anfechtungsgegners, § 144 InsO . . . . . . . . . . . . . . . a) Wiederaufleben von Forderungen nach § 144 Abs. 1 InsO . . . . . . . . . . b) Rückgewähr von Gegenleistungen nach § 144 Abs. 2 InsO . . . . . . . . . . aa) Noch vorhandene Gegenleistung, § 144 Abs. 2 Satz 1 InsO . bb) Nicht mehr vorhandene Gegenleistung, § 144 Abs. 2 Satz 2 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . .
341 342 346 348
350 352
. 337
I. Einleitung 1. Zweck der Insolvenzanfechtung Das Insolvenzanfechtungsrecht (§§ 129–147 InsO) dient dem Zweck, Vermögensver- 1 schiebungen zu Lasten der Masse aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens rückgängig zu machen, soweit diese Vermögensverschiebungen vom Gesetzgeber als ungerechtfertigt angesehen werden. Letzteres kann sowohl aufgrund objektiver (Unentgeltlichkeit, § 134 InsO) als auch subjektiver Merkmale (Benachteiligungsabsicht, § 133 InsO) der Fall sein. Im Einzelfall kann dieser Gesetzeszweck insoweit eine Argumentationshilfe gegen die Anfechtbarkeit sein, als das Gesetz nur einen Nachteil für die Insolvenzmasse beseitigen, dieser aber niemals einen Vorteil verschaffen will, der ohne die anfechtbare Rechtshandlung nicht bestanden hätte1. 2. Rechtsnatur und Ausübung der Insolvenzanfechtung Während die §§ 81, 91 InsO die Unwirksamkeit von Rechtsgeschäften nach Verfah- 2 renseröffnung bedingen, sehen die §§ 129 ff. InsO für Rechtshandlungen vor diesem Zeitpunkt nur die Rechtsfolge der Anfechtbarkeit vor. Über § 147 InsO gilt Nämliches auch für Rechtshandlungen nach Verfahrenseröffnung, die ausnahmsweise gemäß §§ 892, 893 BGB aufgrund des öffentlichen Glaubens des Grundbuchs wirksam sind. Diese Anfechtbarkeit hat wenig mit derjenigen nach §§ 119 ff., 142 f. BGB gemein. Die Insolvenzanfechtung ist weder ein Gestaltungsrecht, noch hat sie die Nichtigkeit der angefochtenen Rechtshandlung zur Folge. a) Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung Die Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung sind in §§ 143 ff. InsO geregelt. Die Vor- 3 schrift sieht einen Anspruch auf Rückgewähr zur Masse vor. Die genauen Modalitäten dieses Anspruchs werden hier in einem gesonderten Abschnitt behandelt (unten Rz. 288 ff.). Trotz dieser gesetzlichen Regelung herrscht über Rechtsnatur und Rechtsfolgen der 4 Insolvenzanfechtung ein Meinungsstreit2, der für die Praxis allerdings nur partiell relevant wird. Der Gesetzgeber hat sich einer diesbezüglichen Entscheidung bewusst enthalten3. Als gesichert kann angesichts der in §§ 143 ff. InsO angeordneten Rechtsfolgen aber angesehen werden, dass die Insolvenzanfechtung nicht etwa generell zur Nichtigkeit (dingliche Theorie) oder relativen Unwirksamkeit der angefochtenen
1 Amtl. Begr. zu § 162 RegE-InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 167; BGH v. 12.11.1998 – IX ZR 199/97, ZIP 1998, 2165 (2166); BGH v. 26.5.1971 – VIII ZR 61/70, MDR 1971, 837 (838). 2 Vgl. die Übersicht bei MünchKommInsO/Kirchhof, vor §§ 129 bis 147 Rz. 12 ff. 3 Amtl. Begr. zu § 144 RegE-InsO, BT-Drucks. 12/2443, 157.
Graf/Wunsch
771
§ 10
Rz. 5
Insolvenzanfechtung
Handlung führt1. Die Anfechtungstatbestände stellen keine Verbotsgesetze dar, so dass sich auch über § 134 BGB keine Nichtigkeitsfolge begründen lässt. 5 Nach der herrschenden schuldrechtlichen Theorie, der im Grundsatz auch der BGH2 folgt, entsteht gemäß § 143 InsO bereits mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens – also ohne dass es einer Anfechtungserklärung bedürfte – ein schuldrechtlicher Anspruch auf Rückgewähr des durch die anfechtbare Rechtshandlung Erlangten zur Insolvenzmasse3. Die „Anfechtung“ durch den Insolvenzverwalter stellt danach lediglich die gerichtliche Geltendmachung dieses bereits bestehenden Anspruchs dar4. 6 Gleiches nimmt im Grundsatz auch die haftungsrechtliche Theorie5 an. Sie geht allerdings davon aus, dass der durch die anfechtbare Handlung übertragene Gegenstand nur dinglich zum Vermögen des Erwerbers (Anfechtungsgegners) gehört, haftungsrechtlich aber ab dem Moment der Verfahrenseröffnung zum Vermögen des Insolvenzschuldners. Nach einer weiteren Auffassung handelt es sich bei der Insolvenzanfechtung um ein Rechtsinstitut eigener Art6. 7 Die praktischen Rechtsfragen, für die der o.g. Theorienstreit potentiell relevant wäre, sind jedoch mittlerweile ganz überwiegend von der Rechtsprechung unabhängig von der dogmatischen Einstufung beantwortet worden. Die Tendenz des BGH und der h. Lit. geht dabei dahin, die Insolvenzanfechtung bei grundsätzlicher Ausrichtung an der schuldrechtlichen Theorie als Rechtsinstitut eigener Art anzusehen und die o.g. Fragen auf Grundlage der Regelungen der §§ 143 ff. InsO zu beantworten. b) Anfechtungsberechtigte 8 Die Ausübung des Anfechtungsrechts, d.h. die Geltendmachung des Rückgewähranspruchs der Insolvenzmasse aus § 143 InsO, obliegt – im Regelinsolvenzverfahren grundsätzlich dem Insolvenzverwalter (nicht aber dem vorläufigen Insolvenzverwalter), – im Falle der Eigenverwaltung dem Sachwalter (§ 280 InsO), und – im Verbraucherinsolvenzverfahren den einzelnen Gläubiger (§ 313 Abs. 2 InsO); §§ 313 bis 314 InsO wurden durch Art. 1 Nr. 38 des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte7 mit Wirkung zum 1.8.2014 aufgehoben. In Verbraucherinsolvenzverfahren, die seit dem 1.8.2014 eröffnet werden, obliegt es somit dem Insolvenzverwalter – und nicht mehr den Gläubigern –, die Insolvenzanfechtungsansprüche geltend zu machen. 9
Û
Hinweise: Bei Verbraucherinsolvenzverfahren, die vor dem 1.8.2014 eröffnet wurden, wird die Möglichkeit der Anfechtung durch den einzelnen Gläubiger in der Beratungspraxis oft übersehen oder vorschnell als zu kostenintensiv abgetan. Verfolgt werden oftmals allenfalls diejenigen Vorgänge, denen bereits der Makel der Illegalität oder gar Strafbarkeit anhaftet, wie etwa Vermögensverschiebungen kurz vor Stellung des Insolvenzantrags oder die erkennbar kollusive Bevorzugung anderer Gläubiger. Tatsächlich lohnt sich jedoch in Fällen, in denen der Mandant als Hauptgläubiger über hohe ungesicherte Insolvenzforderungen verfügt, auch jen-
1 BGH v. 21.9.2006 – IX ZR 235/04, ZIP 2006, 2176; MünchKommInsO/Kirchhof, vor §§ 129 bis 147 Rz. 26 ff., 33 f. 2 BGH v. 17.2.2011 – IX ZR 91/10, ZIP 2011, 1114 f.; BGH v. 21.9.2006 – IX ZR 235/04, ZIP 2006, 2176. 3 Nach einer modifizierten Sichtweise entsteht der Anspruch bereits mit Vornahme der anfechtbaren Rechtshandlung, ist jedoch durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens aufschiebend bedingt, vgl. Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 129 Rz. 4 m.w.N.; MünchKommInsO/Kirchhof, § 129 Rz. 186. 4 BGH v. 20.3.1997 – IX ZR 71/96, MDR 1997, 557 (558). 5 Dazu K. Schmidt, JZ 1990, 619 ff. sowie die Nachweise bei Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 143 Rz. 3. 6 MünchKommInsO/Kirchhof, vor §§ 129 bis 147 Rz. 37 ff. 7 Gesetz v. 15.7.2013 – BGBl. I 2013, Nr. 38 18.7.2013, S. 2379.
772
Graf/Wunsch
Einleitung
Rz. 12
§ 10
seits solcher „offensichtlicher“ Konstellationen die Prüfung von Anfechtungsmöglichkeiten beispielsweise gegenüber der Bank des Schuldners (etwa bezüglich der Verrechnung von Zahlungseingängen auf einem debitorischen Konto, dazu unten Rz. 128 ff.). Soweit dazu Informationen erforderlich sind, die nicht durch Akteneinsicht gewonnen werden können, besteht ein Auskunftsrecht gegenüber dem Treuhänder. Sind mehrere Gläubiger an einer Anfechtung interessiert, empfiehlt sich der Abschluss einer Kostenteilungsvereinbarung unter den Gläubigern. Außerhalb des Verbraucherinsolvenzverfahrens hat der einzelne Gläubiger keine 9a unmittelbare Möglichkeit, die Insolvenzanfechtung geltend zu machen. Verfügt der Gläubiger – was bei Geschäftspartnern des Insolvenzschuldners oftmals der Fall ist – über besondere Erkenntnisse im Hinblick auf einzelne anfechtbare Rechtshandlungen, empfiehlt sich ein formloser Hinweis an den Insolvenzverwalter. Dieser wird in der Regel bereits aus Haftungsgründen allen erfolgversprechenden Hinweisen nachgehen. Weigert sich der Insolvenzverwalter dagegen, eine Anfechtung geltend zu machen, so bleibt dem Gläubiger bzw. seinem Rechtsanwalt nur die Möglichkeit der Anrufung des Insolvenzgerichts nach Maßgabe der §§ 58, 59 InsO. Fälle des erfolgreichen gerichtlichen Erzwingens einer Anfechtung sind allerdings in der Praxis selten, da dem Insolvenzverwalter hinsichtlich der Ausübung oder Nichtausübung von Anfechtungsrechten ein gewisser Einschätzungsspielraum zusteht, und da gegen ein Untätigbleiben des Insolvenzgerichts kein Rechtsmittel eröffnet ist. Im Fall der Doppelinsolvenz einer Personengesellschaft und ihres persönlich haftenden Gesellschafters steht die Anfechtung von Leistungen, die der Gesellschafter an einen Gesellschaftsgläubiger erbracht hat, trotz § 93 InsO dem Insolvenzverwalter über das Vermögen des Gesellschafters zu1.
10
Zur Abtretbarkeit des aus der Anfechtbarkeit folgenden Rückgewähranspruchs der 11 Insolvenzmasse hat der BGH seine Rechtsprechung geändert und geht nunmehr von einer Abtretbarkeit aus2. Der Insolvenzverwalter kann ein Anfechtungsrecht somit auch durch Veräußerung an einen Gläubiger oder einen Dritten verwerten. Der Abtretungsempfänger kann den Anspruch dann in gleicher Weise geltend machen wie der Insolvenzverwalter bzw. sonstige Anfechtungsberechtigte3. c) Ausübung des Anfechtungsrechts Die Insolvenzanfechtung ist kein Gestaltungsrecht und keine empfangsbedürftige Wil- 12 lenserklärung, da der Rückgewähranspruch nach ganz h.M. ipso iure mit der Verfahrenseröffnung entsteht. Es gibt demnach – anders als bei der Anfechtung nach § 119 ff. BGB – keine formelle „Anfechtungserklärung“, an die bestimmte Rechtsfolgen geknüpft wären. Die Geltendmachung der Anfechtung erfolgt vielmehr in der Regel durch die zunächst außergerichtliche4 und dann ggf. gerichtliche Geltendmachung des Rückgewähranspruchs. Ebenso kann die Anfechtbarkeit einer Rechtshandlung aber auch einem Anspruch des Anfechtungsgegners im Passivprozess als Einrede entgegengehalten werden, wenn dieser z.B. eine anfechtbar erworbene Forderung gegen die Masse geltend macht.
1 BGH v. 9.10.2008 – IX ZR 138/06, ZIP 2008, 2224 (2225). 2 BGH v. 17.2.2011 – IX ZR 91/10, ZIP 2011, 1114 (1115); anders noch BGH v. 10.2.1982 – VIII ZR 158/80, NJW 1982, 1765 (1766). 3 Ob der Anspruch auch in diesem Fall bei Einstellung des Verfahrens erlischt (dazu Rz. 16), hat der BGH zunächst offen gelassen, BGH v. 17.2.2011 – IX ZR 91/10, ZIP 2011, 1114 (1115). Jedenfalls wird sich der abgetretene Anspruch in der Regel auch hier über § 203 InsO sicherstellen lassen, vgl. MünchKommInsO/Kirchhof, § 129 Rz. 221. 4 Macht der Insolvenzverwalter die Anfechtung nicht substantiiert außergerichtlich geltend, bevor er Klage erhebt, so besteht im Anfechtungsprozess nach allgemeinen Regeln die Möglichkeit eines sofortigen Anerkenntnisses mit der Kostenfolge des § 93 ZPO, vgl. OLG Koblenz v. 8.6.2006 – 6 W 275/05, ZInsO 2005, 938 (939).
Graf/Wunsch
773
§ 10
Rz. 13
Insolvenzanfechtung
d) Prozessuales 13 Der Anfechtungsprozess unterliegt als Klage auf Erfüllung der Ansprüche aus §§ 143 ff. InsO grundsätzlich den allgemeinen Vorschriften der ZPO; es existiert nicht etwa eine besondere Form der „Anfechtungsklage“ mit speziellen Zuständigkeits- oder Verfahrensvorschriften. 13a Die Zuständigkeit des Gerichts richtet sich dementsprechend ebenfalls nach allgemeinen Vorschriften; insbesondere besteht keine grundsätzliche örtliche und/oder sachliche Zuständigkeit des Insolvenzgerichts1. Bei der internationalen Zuständigkeit besteht allerdings innerhalb der EU die Besonderheit, dass die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, auch für Klagen gegen einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Anfechtungsgegner zuständig sind2. Anfechtungsgegner mit Sitz im EU-Ausland können daher in einem in Deutschland eröffneten Insolvenzverfahren stets vor deutschen Gerichten verklagt werden. Dies gilt auch für Anfechtungsklagen gegenüber Anfechtungsgegnern mit Sitz außerhalb der EU3. 14 Macht der Insolvenzverwalter die Anfechtung – d.h. den Anspruch aus §§ 143 ff. InsO – klageweise geltend, so kommt ihm insoweit selbst kraft Amtes die Parteistellung zu. Er darf dabei naturgemäß nicht Leistung an sich selbst verlangen, sondern lediglich an die Masse. Die Rechtsprechung nimmt es jedoch auch hin, wenn der Klageantrag auf Leistung an den Verwalter lautet, soweit dieser dabei erkennbar in seiner Funktion als solcher auftritt4. 14a Der einzelne Gläubiger hat im Anfechtungsprozess die Möglichkeit, dem Insolvenzverwalter als Nebenintervenient gemäß § 66 ZPO beizutreten, gilt jedoch nicht als streitgenössischer Nebenintervenient i.S.d. § 69 ZPO5. Der Insolvenzschuldner kann ggf. dem Anfechtungsgegner als Streithelfer beitreten6. 15 Die Beweislast für die Tatbestandsmerkmale einer Anfechtungsnorm trägt grundsätzlich der Insolvenzverwalter bzw. sonstige Anfechtungsberechtigte. Teilweise enthalten die einzelnen Anfechtungstatbestände allerdings Vermutungsregeln für bestimmte innere Tatsachen. Darüber hinaus hat die Rechtsprechung eine Reihe von Beweiserleichterungen entwickelt, auf die nachfolgend jeweils im Einzelnen hingewiesen wird. Im übrigen können sowohl der Schuldner als auch einzelne Insolvenzgläubiger als Zeugen benannt werden, da sie jeweils nicht Partei des Anfechtungsprozesses sind. 3. Anwendungsbereich, Abgrenzung und Konkurrenzen a) Anwendungsbereich 16 Voraussetzung für das Eingreifen der Insolvenzanfechtung ist zunächst, dass ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Dagegen spielt die Verfahrensart für die Anwendbarkeit der §§ 129 ff. InsO keine Rolle; diese greifen also insbesondere auch bei einem Insolvenzplanverfahren. 16a Die Anfechtung nach §§ 129 ff. InsO ist grundsätzlich auch nur so lange möglich, wie das Verfahren geführt wird. Das Anfechtungsrecht des Insolvenzverwalters endet also mit der Aufhebung (§ 200 InsO) oder Einstellung des Insolvenzverfahrens (§ 207 InsO). Zur Eröffnung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens vgl. § 6 Rz. 142 ff.,
1 Vgl. zum Problem des Rechtswegs auch gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes v. 27.9.2010 – GmS – OGB 1/09, ZIP 2010, 2418; Kreft, ZIP 2013, 249. 2 EuGH v. 12.2.2009 – C 339/07 (Saegon/Deko), NJW 2009, 2189 (2189); BGH v. 19.5.2009 – IX ZR 39/06, NJW 2009, 2215 (2216); soweit dabei nach den allgemeinen Regelungen der ZPO kein Gerichtsstand in Deutschland begründet wäre, besteht ausschließliche örtliche Zuständigkeit bei dem sachlich für den Sitz des Insolvenzgerichts zuständigen Gericht. 3 EuGH v. 16.1.2014 – C-328/12. 4 BGH v. 11.1.1961 – VIII ZR 203/59, DB 1961, 469. 5 MünchKommInsO/Kirchhof, vor § 129 Rz. 198. 6 MünchKommInsO/Kirchhof, vor § 129 Rz. 197.
774
Graf/Wunsch
Einleitung
Rz. 19
§ 10
340 ff. Fällt das Anfechtungsrecht durch Aufhebung oder Einstellung des Verfahrens weg, so geschieht dies ersatzlos, und im anhängigen Anfechtungsprozess tritt Erledigung ein1. Jedoch kann der Anfechtungsanspruch dann auch nach Verfahrensaufhebung weiter verfolgt werden, wenn für den Ertrag aus der Anfechtung eine Nachtragsverteilung nach § 203 InsO angeordnet ist2. Im Falle der Aufhebung des Insolvenzverfahrens aufgrund eines rechtskräftig bestätigten Insolvenzplans gemäß § 258 InsO kann im Insolvenzplan vorgesehen werden, dass der Verwalter berechtigt ist, anhängige Anfechtungsprozesse weiterzuführen, § 259 Abs. 3 InsO. Einzelheiten zur Aufhebung des Insolvenzplans nach dessen Bestätigung s. § 13 Rz. 251 ff. b) Abgrenzung und Konkurrenzen zu anderen Tatbeständen Mit der Anfechtung einer Willenserklärung nach §§ 119 ff. BGB hat die Insolvenz- 17 anfechtung, wie bereits eingangs erwähnt, wenig gemein. Beide Institute stehen selbständig nebeneinander. Sollte eine Rechtshandlung des Schuldners sowohl der Insolvenzanfechtung als auch der Anfechtung z.B. aufgrund eines Willensmangels des Schuldners unterliegen, so sind beide Arten der Anfechtung möglich3. Auch die Unwirksamkeit bzw. Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts kann der Insolvenz- 18 verwalter wahlweise neben oder anstelle der Anfechtung geltend machen4. Dies kann zum einen spezifisch insolvenzrechtliche Sachverhalte wie z.B. die Unwirksamkeit von Vollstreckungsmaßnahmen aufgrund der sog. Rückschlagsperre des § 88 InsO (dazu § 6 Rz. 155 ff.) oder die Nichtigkeit von Rechtshandlungen des vorläufigen Insolvenzverwalters wegen Insolvenzweckwidrigkeit betreffen, zum anderen aber auch die Nichtigkeit nach allgemeinen Grundsätzen wie § 138 BGB. Eine Nichtigkeit nach allgemeinen Grundsätzen ergibt sich dabei allerdings nicht 18a allein aus der Gläubigerbenachteiligung. Vielmehr muss diese z.B. mit einer Täuschungsabsicht oder einem Schädigungsvorsatz einhergehen5. Auf Seiten des Anfechtungsgegners reichen dabei die billigende Inkaufnahme6 der Täuschung und Schädigung der Gläubiger oder das grob fahrlässige Hinwegsetzen über diese Umstände7 aus. Ähnliche Grundsätze gelten für die Frage, ob in der anfechtbaren Rechtshandlung zugleich eine unerlaubte Handlung – insbesondere i.S.d. § 826 BGB – liegt: Auch hier müssen weitere, besonders erschwerende Umstände hinzukommen8. Die Anfechtung nach dem AnfG weist große Ähnlichkeiten mit der Insolvenzanfech- 19 tung auf: Auch sie dient dazu, die Folgen gläubigerbenachteiligender Rechtshandlungen rückgängig zu machen; die Anfechtungstatbestände sind überwiegend ähnlich aufgebaut. Jedoch zielt die Anfechtung nach dem Anfechtungsgesetz grundsätzlich darauf ab, das in anfechtbarer Weise entzogene Schuldnervermögen dem Zugriff des Anfechtenden zur Verfügung zu stellen9, wohingegen die Insolvenzanfechtung zur Entstehung eines schuldrechtlichen Rückgewähranspruchs führt. Darüber hinaus ist der Anwendungsbereich des AnfG – in Abgrenzung zur Insolvenzanfechtung – nur die Anfechtung außerhalb eines Insolvenzverfahrens, vgl. § 1 Abs. 1 AnfG. Das AnfG schützt nicht die Gesamtheit der Gläubiger, sondern den einzelnen Gläubiger, der erfolglos die Zwangsvollstreckung aus einem vollstreckbaren Titel betrieben hat. Deshalb wird die Anfechtung nach dem AnfG auch als „Einzelanfechtung“ bezeichnet.
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MünchKommInsO/Kirchhof, § 129 Rz. 211. MünchKommInsO/Kirchhof, § 129 Rz. 211. MünchKommInsO/Kirchhof, vor §§ 129 bis 147 Rz. 41. BGH v. 11.6.1992 – IX ZR 255/91, MDR 1992, 958 f.; BGH v. 18.2.1993 – IX ZR 129/92, MDR 1993, 437 = ZIP 1993, 521 (522); Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 129 Rz. 76 ff. BGH v. 19.3.1998 – IX ZR 22/97, NJW 1998, 2592 (2594); BGH v. 16.3.1995 – IX ZR 72/94, MDR 1996, 61. BGH v. 19.3.1998 – IX ZR 22/97, NJW 1998, 2592 (2595). BGH v. 13.3.1995 – IX ZR 72/94, MDR 1996, 61. BGH v. 12.2.1996 – II ZR 279/94, MDR 1996, 587 (588); BGH v. 9.5.1996 – IX ZR 50/96, MDR 1996, 1062 (1063) zur Anfechtbarkeit nach dem AnfG. MünchKommAnfG/Kirchhof, § 11 Rz. 1.
Graf/Wunsch
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§ 10
Rz. 19a
Insolvenzanfechtung
19a Diese Einzelanfechtung nach dem AnfG ist zur Anfechtung nach §§ 129 ff. InsO subsidiär. Der einzelne Gläubiger kann nur dann die Anfechtung nach dem AnfG erklären, wenn – ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners oder einer Personengesellschaft, deren persönlich haftender Gesellschafter der Schuldner ist1, noch nicht oder nicht mehr eröffnet ist; – ein Insolvenzverfahren zwar eröffnet ist, der anfechtende Gläubiger aber nicht Insolvenzgläubiger (vgl. zum Begriff § 6 Rz. 278) ist; – ein Insolvenzverfahren zwar eröffnet ist, der anfechtende Gläubiger aber absonderungsberechtigt (vgl. zum Begriff § 7 Rz. 135 ff.) ist und die Verwertungsbefugnis nach den §§ 165 ff. InsO bei ihm liegt2. 19b Ein bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits anhängiger Anfechtungsprozess eines Einzelgläubigers nach dem AnfG wird durch die Verfahrenseröffnung unterbrochen und kann nach Wahl des Insolvenzverwalters aufgenommen werden, § 17 Abs. 1 AnfG. 20 Bei Anfechtung eines beiderseitig noch nicht erfüllten Vertrags gilt für das Verhältnis der Anfechtung zu den §§ 103 ff. InsO (dazu ausführlich § 8 Rz. 20 ff.) folgendes: – Hat der Insolvenzverwalter die Anfechtung erklärt, hindert ihn dies bis zur Grenze von Treu und Glauben nicht, dennoch im Rahmen des § 103 InsO Erfüllung zu verlangen3. – Hat er dagegen umgekehrt im Rahmen von § 103 InsO bereits ausdrücklich Vertragserfüllung gewählt, ist die Anfechtung als unzulässiger Widerruf des Erfüllungsverlangens ausgeschlossen4. 4. Übersicht über die Anfechtungstatbestände 21 Die Tatbestände der Insolvenzanfechtung lassen sich folgendermaßen einteilen: – §§ 130–132 InsO: Besondere Insolvenzanfechtung (Rechtshandlungen aus der Zeit kurz vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens); – § 133 InsO: Anfechtung wegen Gläubigerbenachteiligungsabsicht; – § 134 InsO: Anfechtung von unentgeltlichen Leistungen; – § 135 InsO: Anfechtung der Rückgewähr oder Sicherung von Gesellschafterdarlehen und gleichgestellten Forderungen (zum Eigenkapitalersatzrecht siehe § 4 dieses Buches. Speziell zu § 135 InsO vgl. § 4 Rz. 275 ff.). 22 Die Tatbestände der „Besonderen Insolvenzanfechtung“ nach §§ 130–132 InsO sind Spezifika der Insolvenzanfechtung und finden keine Entsprechung im AnfG. Das beruht darauf, dass diese Tatbestände nur Rechtshandlungen innerhalb eines bestimmten, jeweils vergleichsweise kurzen Zeitraums von maximal drei Monaten vor Stellung des Insolvenzeröffnungsantrags bis zur Verfahrenseröffnung erfassen. Sie dienen dazu, Vermögensverschiebungen aus der Zeit kurz vor dem Insolvenzverfahren rückgängig zu machen. Dies betrifft zum einen die Befriedigung oder Sicherung von Insolvenzgläubigern (§§ 130, 131 InsO) und zum anderen sonstige Rechtshandlungen mit unmittelbar gläubigerbenachteiligender Wirkung (§ 132 InsO). 22a Die Vorschriften erfassen regelmäßig auch völlig legitime Vorgänge im Rahmen laufender Geschäftsbeziehungen, die allein aufgrund des zeitlichen Aspekts der Anfechtung unterfallen. Zum Schutz des Anfechtungsgegners ist die Anfechtung dabei zusätzlich zu der relativ kurzen Frist überwiegend auch davon abhängig, dass zur Zeit der Vornahme der Rechtshandlung bereits entweder Zahlungsunfähigkeit des
1 OLG Stuttgart v. 14.5.2002 – 1 U 1/02, BB 2002, 2086 (2087 f.). 2 MünchKommInsO/Kirchhof, § 129 Rz. 209. 3 BGH v. 25.4.1962 – VIII ZR 43/61, NJW 1962, 1200 (1201 f.); MünchKommInsO/Kirchhof, § 143 Rz. 16a. 4 Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 143 Rz. 1; MünchKommInsO/Kirchhof, § 143 Rz. 16a.
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Graf/Wunsch
Einleitung
Rz. 27
§ 10
Schuldners vorlag oder Insolvenzeröffnungsantrag gestellt war, und dass der Anfechtungsgegner hiervon Kenntnis hatte. Demgegenüber geht es bei den übrigen drei Anfechtungstatbeständen, §§ 133–135 23 InsO, nicht um den zeitlichen Aspekt, sondern um die Art der Vermögensverschiebung. Dies betrifft vorsätzlich gläubigerbenachteiligende Handlungen (§ 133 InsO), unentgeltliche Leistungen (§ 134 InsO) und die Sicherung oder Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen (§ 135 InsO). Diese nicht insolvenzspezifischen Tatbestände finden jeweils ihre Entsprechung auch bei der Einzelanfechtung nach dem AnfG. Hier wird der Anfechtungsgegner aufgrund der Art der Rechtshandlung von vornherein als deutlich weniger schutzbedürftig eingestuft, was sich u.a. darin widerspiegelt, dass auch deutlich länger zurückliegende Vorgänge angefochten werden können. Die Fristen reichen hier von vier bis zehn Jahren. Die einzelnen Anfechtungstatbestände sind grundsätzlich nebeneinander anwend- 24 bar. Lediglich die §§ 130, 131 InsO verdrängen als leges speciales den Auffangtatbestand des § 132 InsO1. 5. Gegenstand der Insolvenzanfechtung: die gläubigerbenachteiligende Rechtshandlung Anfechtbar sind nach § 129 Abs. 1 InsO gläubigerbenachteiligende Rechtshandlun- 25 gen. Grundvoraussetzung jeder Anfechtung ist demnach eine Rechtshandlung, wobei die Unterlassung nach § 129 Abs. 2 InsO gleichgestellt ist. Hinzu kommen muss, dass diese Rechtshandlung oder Unterlassung die Insolvenzgläubiger benachteiligt. a) Rechtshandlung aa) Art der Handlung Unter den Begriff der Rechtshandlung fällt jedes Handeln oder Unterlassen, das eine 26 rechtliche Wirkung auslöst2. Dieser Begriff ist weiter als derjenige des Rechtsgeschäfts oder der Willenserklärung. Er umfasst unter anderem: – Willenserklärungen, die auf den Abschluss schuldrechtlicher Verträge gerichtet sind, ebenso wie einseitige Willenserklärungen; – dingliche Verfügungen; – die Einräumung eines Bezugsrechts für eine Lebensversicherung3; – Rechtshandlungen, deren Erfolg kraft Gesetzes eintritt (z.B. Mahnungen, Mängelrügen); – so genannte rechtsgeschäftsähnliche Handlungen, z.B. die Anzeige einer Abtretung nach § 409 BGB4, die Genehmigung einer zwischen Alt- und Neuschuldner vereinbarten befreienden Schuldübernahme nach § 415 BGB5; – Verwendungen auf eine fremde oder jedenfalls im Miteigentum eines Dritten stehende Sache6; – die Einstellung eines Geschäftsbetriebs7; – prozessuale Handlungen (z.B. Anerkenntnis, Klageverzicht oder -rücknahme, Aushändigung einer vollstreckbaren Urkunde8). Selbst Realakte können Rechtshandlungen darstellen, wenn sie im weitesten Sinne 27 eine rechtliche Wirkung auslösen. Dies gilt etwa für die Tatbestände der Verbindung, Vermischung oder Verarbeitung von Sachen nach §§ 946 ff. BGB, oder für Handlun-
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MünchKommInsO/Kirchhof, § 132 Rz. 5. MünchKommInsO/Kirchhof, § 129 Rz. 89. BGH v. 23.10.2003 – IX ZR 252/01, WM 2003, 2479 (2480). Hess/Weis, Anfechtungsrecht, § 129 InsO Rz. 11. OLG Nürnberg v. 29.11.1966 – 3 U 84/66, KTS 1967, 170 (171). BGH v. 20.2.1980 – VIII ZR 48/79, MDR 1980, 575. BGH v. 12.2.1996 – II ZR 279/94, MDR 1996, 587 (588). RG v. 13.12.1929 – VII 169/29, RGZ 126, 304 (307).
Graf/Wunsch
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§ 10
Rz. 28
Insolvenzanfechtung
gen, aufgrund derer Sicherheiten eines Gläubigers entstehen oder werthaltig werden1. 28 Die Rechtshandlung muss sich auf das Vermögen des Schuldners beziehen. Bei einer natürlichen Person als Schuldner können sich hieraus Einschränkungen ergeben: – Personenrechtliche Vorgänge wie die Eingehung einer Ehe oder die Adoption eines Kindes sind der Anfechtung entzogen, auch wenn durch sie das Vermögen des Schuldners verringert wird2. Darunter fallen allerdings nur die sich aus rein personenrechtlichen Vorgängen mittelbar ergebenden unselbständigen vermögensrechtlichen Folgen, z.B. Unterhaltspflichten. Güterrechtliche Vereinbarungen unter Eheleuten sind zwar nach wohl h.M. selbst nicht anfechtbar, jedoch kann z.B. die einer Änderung des Güterstands nachfolgende Auseinandersetzung sehr wohl der Anfechtung unterliegen3. – Im Bereich des Erbrechts sind darüber hinaus der Erbverzicht, die Ausschlagung einer Erbschaft bzw. eines Vermächtnisses oder die unterlassene Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs trotz des vermögensrechtlichen Bezugs wegen des höchstpersönlichen Charakters der betreffenden Rechte nach h.M. nicht anfechtbar4. – Auch haben die Gläubiger keinen Anspruch auf (bestmöglichen) Einsatz der Arbeitskraft des Schuldners5. Rechtshandlungen, die sich hierauf beziehen, sind daher ebenfalls nicht anfechtbar. Dies gilt z.B. für die Aufgabe einer gut bezahlten Arbeitsstelle6, nicht aber für Fälle, in denen die Arbeitskraft des Schuldners sehr wohl verwertet wird, das Ergebnis aber nicht der Insolvenzmasse zu Gute kommt, z.B. wenn die Vergütungsforderungen zur Sicherheit an einen Gläubiger abgetreten wurde7 oder der Schuldner unentgeltlich bzw. zu einem unangemessen niedrigen Verdienst für eine nahestehende Person tätig wird8. – Die Aufgabe einer freiberuflichen Praxis ist – da auch diese auf der persönlichen Arbeitskraft des Schuldners beruht – nicht anfechtbar, wohl aber deren Veräußerung9 oder die unentgeltliche Übertragung des Mandanten- bzw. Patientenstamms. 29 Die Wirksamkeit einer Rechtshandlung als Rechtsgeschäft ist nicht Voraussetzung für die Insolvenzanfechtung10. Zwar haben unwirksame Rechtsgeschäfte regelmäßig keine Rechtsfolgen, die durch die Anfechtung wieder rückgängig gemacht werden könnten. Jedoch steht es dem Insolvenzverwalter frei, die Anfechtung anstelle oder neben der Nichtigkeit geltend zu machen (vgl. auch Rz. 18). Dies wird er insbesondere dann tun, wenn die Voraussetzungen für die Anfechtbarkeit einfacher darzulegen und/oder zu beweisen sind, als diejenigen der Nichtigkeit.
1 Vgl. BGH v. 9.7.2009 – IX ZR 86/08, ZIP 2009, 1674 (16745) zum Brauen von Bier durch eine Brauerei mit der Folge der Entstehung einer Sachhaftung für die Biersteuer nach § 76 Abs. 2 AO und BGH v. 26.6.2008 – IX ZR 144/05, ZIP 2008, 1435 (1436) zur Erbringung von Leistungen durch ein Bauunternehmen mit der Folge des Fälligwerdens vorausabgetretener Ansprüche auf Abschlagszahlungen. 2 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, § 129 InsO Rz. 53. 3 BGH v. 1.7.2010 – IX ZR 58/09, ZIP 2010, 1702; BGH v. 20.10.1971 – VIII ZR 212/69, BGHZ 57, 123 (124) = NJW 1972, 48; MünchKommInsO/Kirchhof, § 129 Rz. 89; zu Folgen für die Gestaltungspraxis insbesondere bei sog. Güterrechtsschaukeln vgl. Hosser, ZEV 2011, 174 ff. 4 Vgl. Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 129 Rz. 100; MünchKommInsO/Kirchhof, § 129 Rz. 90. 5 BGH v. 27.11.1963 – VII ZR 278/62, WM 1964, 114 (116) zum AnfG; RG v. 3.3.1908 – Rep. VII. 286/07, RGZ 69, 59 (63); RG v. 26.1.1909 – Rep. VII 146/08, RGZ 70, 226 (230). 6 MünchKommInsO/Kirchhof, § 129 Rz. 91. 7 BGH v. 26.6.2008 – IX ZR 144/05, ZIP 2008, 1435 (1437). 8 MünchKommInsO/Kirchhof, § 129 Rz. 91. 9 MünchKommInsO/Kirchhof, § 129 Rz. 93; a.A. zur Veräußerung Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 129 Rz. 93 (3/2003) mit Verweis auf das Urteil des BGH v. 27.11.1963 – VII ZR 278/62, WM 1964, 114 (116) zum AnfG. Diese Rechtsprechung dürfte indes durch den grundsätzlichen Insolvenzbeschlag der freiberuflichen Praxis unter Geltung der InsO überholt sein. 10 BGH v. 11.7.1996 – IX ZR 226/94, NJW 1996, 3147 (3148); BGH v. 11.6.1992 – IX ZR 255/91, MDR 1992, 958 f.
778
Graf/Wunsch
Einleitung
Rz. 33
§ 10
Dass eine gesetzliche Verpflichtung zur Vornahme der Rechtshandlung bestand, 30 steht ihrer Anfechtung nicht entgegen. So kann z.B. auch das Abführen von Lohnsteuer1 und anderen Steuern sowie von Sozialversicherungsbeiträgen2 anfechtbar sein. Dies gilt nach Auffassung des BGH auch nach Einführung des § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV (trotz des evtl. entgegenstehenden gesetzgeberischen Willens) auch für Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung3. Eine Sonderstellung nimmt die Aufrechnung ein. Eine Anfechtung ist unter Geltung 31 der InsO im technischen Sinne nicht mehr vonnöten, weil eine vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erklärte Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO mit der Verfahrenseröffnung ex tunc unwirksam wird, sofern die Aufrechnungslage durch eine anfechtbare Rechtshandlung geschaffen wurde4. Die Entbehrlichkeit der Anfechtung ändert in der Praxis wenig, da der Insolvenzverwalter bei Streit über die Wirksamkeit einer Aufrechnung dennoch wird Klage erheben müssen. Er ist hierbei auch an die Anfechtungsfrist des § 146 Abs. 1 InsO gebunden5. Die Frage, wann die Schaffung einer Aufrechnungslage in diesem Sinne anfechtbar ist – wann die Aufrechnung also nach § 96 Nr. 3 InsO unwirksam ist – wird hier im Rahmen der einzelnen Anfechtungstatbestände mitbehandelt. Praxisrelevant ist insbesondere der Fall von Zahlungseingängen auf ein debitorisches Konto des Schuldners, vgl. im Einzelnen unten Rz. 128 ff. Die Anfechtbarkeit der Aufrechnungslage muss dabei nicht auf einer Rechtshandlung des Schuldners, sondern kann auch auf einer Rechtshandlung eines Dritten beruhen6 (zur Aufrechnung insgesamt ausführlich § 7 Rz. 488 ff.). Teilanfechtung: Eine Rechtshandlung ist grundsätzlich nur als Ganzes anfechtbar. 32 Daher scheidet z.B. die Anfechtung einer einzelnen Klausel eines Vertrags aus. Jedoch kann die Anfechtung des gesamten Vertrags die Wirkung einer Teilanfechtung haben, wenn der Vertrag insoweit für Zwecke der Anfechtung teilbar ist. Als teilbar in diesem Sinne gilt z.B. ein Vertrag mit einer lediglich für den Fall der Insolvenz des späteren Schuldners gläubigerbenachteiligenden Klausel. In einem solchen Fall kann der gesamte Vertrag mit der Maßgabe angefochten werden, dass sich die Rechtsfolgen der Anfechtung auf die Rückabwicklung des aus der gläubigerbenachteiligenden Klausel Erlangten beschränken. Dem kann der Anfechtungsgegner nicht entgegenhalten, dass er den Vertrag ohne die betreffende Klausel nicht abgeschlossen hätte, es sei denn diese Klausel war zur Erreichung des Vertragszwecks geboten7. Voraussetzung für die Anfechtung ist jedoch stets eine Gläubigerbenachteiligung, die dann fehlen kann, wenn die betreffende Klausel lediglich eine Mehrung der Insolvenzmasse verhindert (dazu näher Rz. 50). bb) Person des Handelnden Wer die Rechtshandlung vorgenommen hat, spielt keine Rolle, soweit das Gesetz 33 nicht ausdrücklich etwas anderes vorsieht: Anfechtbar sind grundsätzlich sowohl Rechtshandlungen des Schuldners als auch solche von Gläubigern oder Dritten.
1 BGH v. 22.1.2004 – IX ZR 39/03, ZIP 2004, 513 (517). 2 BGH v. 11.1.2007 – IX ZR 31/05, ZIP 2007, 435; BGH v. 8.12.2005 – IX ZR 182/01, WM 2006, 190 ff.; BGH v. 9.6.2005 – IX ZR 152/03, ZIP 2005, 1234; BGH v. 10.7.2003 – IX ZR 89/02, WM 2003, 1776 (1777). 3 BGH v. 5.11.2009 – IX ZR 233/08, ZIP 2009, 2301 (2302). 4 Der Wortlaut des § 96 Nr. 3 InsO könnte auch einschränkend so zu verstehen sein, dass dies nur dann gilt, wenn die Forderung des aufrechnenden Gläubigers vor der Gegenforderung des Schuldners bestanden hat. Aufgrund der Gesetzesmaterialien (Begründung zu § 108 RegEInsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 141) entspricht es indes der ganz h.M., dass die Vorschrift auch den umgekehrten Fall erfasst, vgl. OLG Köln v. 17.11.2000 – 19 U 206/99, BB 2002, 223; MünchKommInsO/Brandes, § 96 Rz. 27; von Olshausen, ZIP 2003, 893; Sinz in Uhlenbruck, InsO, § 96 Rz. 46. 5 BGH v. 12.7.2007 – IX ZR 120/04, MDR 2007, 1281; a.A. Feuerborn, ZIP 2002, 290. 6 OLG Köln v. 17.11.2000 – 19 U 206/99, BB 2002, 223. 7 BGH v. 13.3.2008 – IX ZB 39/05, ZIP 2008, 1028 (1029); BGH v. 11.11.1993 – IX ZR 257/92, NJW 1994, 449 (452).
Graf/Wunsch
779
§ 10
Rz. 34
Insolvenzanfechtung
34 Anfechtbare Rechtshandlungen des Schuldners sind typischerweise die Eingehung schuldrechtlicher Verpflichtungen, Übereignungen (auch Sicherungsübereignungen), Forderungsabtretungen und ähnliche vermögensschmälernde Vorgänge. Handlungen von gesetzlichen oder gewillkürten Vertretern des Schuldners stehen insoweit seinen eigenen Handlungen gleich. 34a Gemäß § 141 InsO steht es der Anfechtbarkeit solcher Rechtshandlungen des Schuldners nicht entgegen, dass ein auf Vornahme der betreffenden Rechtshandlung gerichteter vollstreckbarer Titel bestand oder dass sie gar durch Vollstreckungszwang erwirkt wurde. 35 Als anfechtbare Rechtshandlungen von Gläubigern kommen z.B. Vollstreckungsmaßnahmen in Betracht (beachte insoweit aber auch die Rückschlagsperre des § 88 InsO, siehe § 6 Rz. 155). Dass auch Vollstreckungsmaßnahmen grundsätzlich der Anfechtung unterliegen, wird ebenfalls durch § 141 InsO klargestellt. 36 Im Bereich der Rechtshandlungen von Dritten ist zu beachten, dass der Eigentumserwerb eines Dritten im Rahmen einer Zwangsversteigerung nicht anfechtbar ist, weil weder das Meistgebot noch der Zuschlag Rechtshandlungen i.S.d. Anfechtungsrechts sind1 (str.). Vielmehr stellt der Zuschlag einen konstitutiv wirkenden, anfechtungsfesten staatlichen Hoheitsakt dar2. Dagegen kann im Fall der Forderungspfändung neben dieser selbst auch die nachfolgende Zahlung des Drittschuldners anfechtbar sein3. 37 Bei Rechtshandlungen des vorläufigen Insolvenzverwalters ist zu unterscheiden: Nach überwiegender Auffassung scheidet die Anfechtung von Handlungen des sog. „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeiner Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (vgl. § 6 Rz. 88) jedenfalls insoweit aus, als dieser gemäß § 55 Abs. 2 InsO Masseverbindlichkeiten begründet, besichert oder tilgt. Rechtshandlungen des vorläufigen Verwalters ohne allgemeine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (sog. „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter, vgl. § 6 Rz. 75 ff. und § 14 Rz. 11 ff., 36 ff.) bzw. Rechtshandlungen, an denen dieser mitgewirkt hat, können dagegen anfechtbar sein4. Dies gilt grundsätzlich auch beim vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt für Rechtsgeschäfte, zu denen dieser seine Zustimmung erteilt hat5. 38 Die Anfechtungsmöglichkeit besteht nach allgemeiner Auffassung auch dann, wenn Verwalter und vorläufiger Verwalter personenidentisch sind. Der Insolvenzverwalter kann in diesem Fall also grundsätzlich auch seine eigenen Handlungen bzw. Handlungen des Schuldners, denen er selbst zugestimmt hatte, anfechten6. Unabhängig von einer Personenidentität7 besteht die Anfechtungsmöglichkeit allerdings nur unter dem Vorbehalt von Treu und Glauben8. Hierbei sind folgende Fallgruppen zu unterscheiden:
1 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 133 Rz. 7; a.A. MünchKommInsO/Kirchhof, § 129 Rz. 20: Meistgebot ist Rechtshandlung, die allerdings in der Regel nicht gläubigerbenachteiligend wirkt. 2 BGH v. 15.5.1986 – IX ZR 2/85, MDR 1986, 1022 zum AnfG. 3 BGH v. 21.3.2000 – IX ZR 138/99, ZIP 2000, 898. 4 BGH v. 26.6.2008 – IX ZR 47/05, ZIP 2008, 1437 (1440); Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 129 Rz. 17; Malitz, DZWIR 1997, 26. 5 BGH v. 26.6.2008 – IX ZR 47/05, ZIP 2008, 1437 (1441); BGH v. 9.6.2005 – IX ZR 152/03, ZIP 2005, 1243 (1244 f.); BGH v. 9.12.2004 – IX ZR 108/04, NZI 2005, 218 (219). 6 BGH v. 13.3.2003 – IX ZR 64/02, WM 2003, 893 (896); BGH v. 11.6.1992 – IX ZR 255/91, BB 1992, 1590 (1691) = MDR 1992, 958 (959); BGH v. 11.6.1992 – IX ZR 147/91, BB 1992, 1457 f. = MDR 1992, 959; BGH v. 22.12.1982 – VIII ZR 214/81, NJW 1983, 887 (889); OLG Köln v. 7.5.1996 – 22 U 217/95, WM 1996, 2129. 7 BGH v. 9.12.2004 – IX ZR 108/04, NZI 2005, 218 (219). 8 BGH v. 13.3.2003 – IX ZR 64/02, BB 2003, 979 (982) = MDR 2003, 775 (776); BGH v. 11.6.1992 – IX ZR 255/91, BB 1992, 1590 (1691) = MDR 1992, 958 (959); BGH v. 22.12.1982 – VIII ZR 214/81, NJW 1983, 887 (889); OLG Köln v. 7.5.1996 – 22 U 217/95, WM 1996, 2129; Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 129 Rz. 17.
780
Graf/Wunsch
Einleitung
Rz. 41
§ 10
Ein die Anfechtung ausschließender Vertrauenstatbestand wird bei Leistungen auf 39 Altverbindlichkeiten, denen der vorläufige Verwalter im Zusammenhang mit neuen Leistungen des Gläubigers vorbehaltlos zugestimmt hat, regelmäßig bejaht1. Anders verhält es sich jedoch, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter sich die spätere 39a Anfechtung vorbehalten hat2. Aus diesem Grund kommt es in der Praxis vor, dass der vorläufige Verwalter Geschäfte „unter dem Vorbehalt der Anfechtung“ abschließt bzw. genehmigt. In diesem Fall ist natürlich besondere Vorsicht geboten. Dass in einem späteren Stadium desselben Geschäfts auf diesen Vorbehalt nunmehr verzichtet wird, begründet nach einer Entscheidung des OLG Köln allein noch keinen Verstoß gegen Treu und Glauben, wenn die Anfechtung später doch geltend gemacht wird3. Nach der Rechtsprechung des BGH liegt ein Verstoß gegen Treu und Glauben wei- 39b terhin auch dann nicht vor, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter auf Druck des Gläubigers gezwungen war, seine Zustimmung zu erteilen, weil eine Betriebsfortführung sonst nicht möglich gewesen wäre. Dies gilt insbesondere, wenn der Gläubiger über eine gewisse Marktmacht verfügt (z.B. als Energieversorgungsunternehmen). Der Gläubiger, der solchermaßen Druck auf den vorläufigen Verwalter ausübt, muss – jedenfalls dann, wenn Letzterer einen Vorbehalt erklärt oder in sonstiger Weise zum Ausdruck gebracht hat, dass er den durch die Ausnutzung der Marktposition erlangten Sondervorteil nicht für gerechtfertigt hält – damit rechnen, dass er den erlangten Vorteil durch Anfechtung wieder verliert4, sofern ein Anfechtungsgrund vorliegt. Grundsätzlich kein Vertrauensschutz soll eingreifen, wenn der vorläufige Verwalter 40 der Erfüllung einer Insolvenzforderung zugestimmt hat, die nicht im Zusammenhang mit noch zu erbringenden Leistungen des Gläubigers stand5. Auch hier kann die Anfechtung jedoch im Einzelfall nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein, beispielsweise wenn die Erfüllung der Altverbindlichkeit im Gegenzug zu anderweitigen Zugeständnissen des Gläubigers erfolgt ist6. Greift die Anfechtung in einer der vorgenannten Fallgruppen trotz eines gewissen wi- 40a dersprüchlichen Verhaltens des Insolvenzverwalters durch, so ist aufgrund dieser Widersprüchlichkeit aus der Sicht des Anfechtungsgegners an einen Schadensersatzanspruch gegen den vorläufigen Insolvenzverwalter aus § 60 InsO zu denken7. Dieser ist freilich nur auf Ersatz des Vertrauensschadens gerichtet. cc) Unterlassen als Rechtshandlung Soweit ein Unterlassen Gegenstand der Anfechtung sein soll, ist Voraussetzung hier- 41 für, dass das Unterlassen wissentlich und willentlich erfolgt ist8. Die hiernach erforderliche Kenntnis von den zugrunde liegenden Umständen muss innerhalb der jeweils einschlägigen zeitlichen Schranken der Anfechtung vorgelegen haben (zum Zeitpunkt, zu dem eine Unterlassung als vorgenommen gilt, vgl. unten Rz. 252).
1 BGH v. 15.12.2005 – IX ZR 156/04, NZI 2006, 227 (227); Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 129 Rz. 17; MünchKommInsO/Kirchhof, § 129 Rz. 469. 2 BGH v. 13.3.2003 – IX ZR 64/02, BB 2003, 979 (982); Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 129 Rz. 17. 3 OLG Köln v. 7.5.1996 – 22 U 217/95, WM 1996, 2129; offen gelassen von BGH v. 9.12.2004 – IX ZR 108/04, NZI 2005, 218 (219). 4 BGH v. 15.12.2005 – IX ZR 156/04, NZI 2006, 227 (228); BGH v. 30.1.1986 – IX ZR 79/85, MDR 1986, 580 (581). Die Beweislast für eine solche „Drucksituation“ liegt nach der erstgenannten Entscheidung des BGH beim Insolvenzverwalter. 5 BGH v. 9.12.2004 – IX ZR 108/04, NZI 2005, 218 (219). 6 So spricht der BGH im Urteil v. 15.12.2005 – IX ZR 156/04, NZI 2006, 227 (228) den Fall an, dass der Gläubiger im Gegenzug zur Bezahlung der Altverbindlichkeiten auf die Durchsetzung von Rechten aus einem Eigentumsvorbehalt verzichtet hat. 7 BGH v. 11.6.1992 – IX ZR 255/91, ZIP 1992, 1005 (1007); BGH v. 11.6.1992 – IX ZR 147/91, ZIP 1992, 1008 (1009). 8 BGH v. 24.10.1996 – IX ZR 284/95, WM 1996, 2250 (2252).
Graf/Wunsch
781
§ 10
Rz. 42
Insolvenzanfechtung
42 Gegenstand des Unterlassens können alle Rechtshandlungen sein. Dies gilt insbesondere für: – die unterlassene Anfechtung einer Willenserklärung1; – jegliche Unterlassung von Rechtsbehelfen; – unterlassene Prozesshandlungen wie das Nichtbestreiten i.S.d. § 138 Abs. 3 ZPO, rügeloses Einlassen nach § 39 ZPO oder § 295 ZPO oder das nicht rechtzeitige Vorbringen von Angriffs- und Verteidigungsmitteln mit der Folge der Präklusion2; – unterlassene rechtsgeschäftsähnliche Handlungen (Mahnungen, Mängelrügen) oder ein unterlassener Wechselprotest3; – die Nichtunterbrechung einer Ausschluss- oder Ersitzungsfrist oder die Nichtherbeiführung einer Hemmung oder eines Neubeginns der Verjährung4. 42a Zu beachten ist hierbei allerdings stets, dass die Unterlassung zu einer Gläubigerbenachteiligung geführt haben muss, was bei bloßen „verpassten Chancen“ nicht der Fall ist (dazu unten Rz. 50). b) Gläubigerbenachteiligung 43 Entsprechend der Zielsetzung der Insolvenzanfechtung ist nur diejenige Rechtshandlung anfechtbar, die die Insolvenzgläubiger benachteiligt (§ 129 Abs. 1 InsO). Gemeint sind damit die Gläubiger in ihrer Gesamtheit5, die Benachteiligung einzelner Gläubiger reicht nicht aus. 44 Gläubigerbenachteiligung liegt dann vor, wenn die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt, d.h. vereitelt, vermindert, erschwert oder auch nur verzögert wird6. Dies kann geschehen durch Verminderung der Aktivmasse, Vermehrung der Passivmasse oder Erschwerung oder Verzögerung der Verwertbarkeit. 44a Beispiele für Gläubigerbenachteiligung sind Verfügungen über Aktiva (z.B. in Gestalt der Befriedigung eines Gläubigers aus Mitteln des Schuldners oder der Bestellung einer Sicherheit), die Eingehung von Verbindlichkeiten, die Schaffung einer Aufrechnungslage, aber auch das bloße Erschweren des Zugriffs auf einen Gegenstand z.B. durch Übertragung des Besitzes7. 44b Im Einzelfall ist dabei eine wirtschaftliche Betrachtungsweise geboten: Die Verfügung über ein Grundstück ist dann – ausnahmsweise – nicht gläubigerbenachteiligend, wenn dieses über seinen Wert hinaus dinglich belastet ist8, es sei denn, die betreffenden Grundpfandrechte waren nicht mehr (voll) valutiert9. Nicht einzubeziehen sind dagegen hypothetische Kausalverläufe. Unbeachtlich ist daher insbesondere der oft gegen die Anfechtung von Zahlungen auf Verbindlichkeiten gegenüber Lieferanten vorgebrachte Einwand, dass der Gläubiger ansonsten eine laufende Vertragsbeziehung gekündigt hätte, wodurch dem Schuldner und damit der Insolvenzmasse ein noch höherer Schaden entstanden wäre10.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
MünchKommInsO/Kirchhof, § 129 Rz. 25. Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 129 Rz. 24. Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 129 Rz. 26. MünchKommInsO/Kirchhof, § 129 Rz. 25. BGH v. 23.9.1981 – VIII ZR 245/80, ZIP 1981, 1229 (1231). BGH v. 23.9.1981 – VIII ZR 245/80, ZIP 1981, 1229 (1230 f.); Jaeger/Henckel, InsO, 2008, § 129 Rz. 77. BGH v. 4.2.1954 – IV ZR 120/53, BGZ 12, 238 (240); MünchKommInsO/Kirchhof, § 129 Rz. 136, a.A. Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 129 Rz. 102 (3/2003). BGH v. 11.7.1996 – IX ZR 226/94, NJW 1996, 3147 (3149) = ZIP 1996, 1516 (1519). BGH v. 17.12.1998 – IX ZR 196/97, ZIP 1999, 196 (198); Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.108. BGH v. 20.1.2011 – IX ZR 58/10, ZIP 2011, 438 (439). Ist eine vom Schuldner in Anspruch genommene und bezahlte Leistung für die Betriebsfortführung erforderlich, so kann dies allerdings im Rahmen des § 133 InsO gegen einen Vorsatz zur Gläubigerbenachteiligung sprechen, vgl. Rz. 179.
782
Graf/Wunsch
Einleitung
Rz. 47
§ 10
Eine Gläubigerbenachteiligung liegt grundsätzlich dann vor, wenn die Insolvenzmas- 45 se (§ 35 f. InsO) verkürzt wird. Dass damit auch eine Verkürzung der Insolvenzquote einhergeht, ist trotz des o.g. Erfordernisses der Benachteiligung der Gesamtheit der Insolvenzgläubiger allerdings nicht erforderlich: Den Einwand, eine Gläubigerbenachteiligung liege deshalb nicht vor, weil auch ohne die betreffende Rechtshandlung Masseunzulänglichkeit eingetreten wäre bzw. die Insolvenzquote in jedem Fall Null betragen hätte, lässt der BGH nicht zu1. Der BGH bejaht die Gläubigerbenachteiligung auch dann, wenn der Schuldner zur 46 Ausführung einer von ihm geschuldeten Zahlung einen ihm von der Bank eingeräumten (Kontokorrent-)Kredit in Anspruch nimmt, z.B. indem er eine Überweisung von einem debitorischen Konto tätigt. Hier liegt zwar aus Sicht der Masse im Ergebnis ein bloßer Passivtausch vor (die Verbindlichkeiten des Schuldners gegenüber dem Zahlungsempfänger verringern sich um den Betrag, um den gleichzeitig seine Verbindlichkeiten gegen die Bank anwachsen). Eine Gläubigerbenachteiligung wird jedoch darin gesehen, dass der Kreditrahmen des Schuldners in Anspruch genommen wird und damit nicht mehr anderweitig zur Verfügung steht2. Dies gilt in Abkehr von der früheren Rechtsprechung auch für den Fall einer lediglich geduldeten Kontoüberziehung3, d.h. auch dann, wenn der Schuldner keinen Anspruch auf Gewährung eines Kredits hatte. Auch wenn ein Dritter Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners begleicht und im Innenverhältnis eine Zurverfügungstellung der Mittel als Darlehen vereinbart war, liegt nach der neueren Rechtsprechung des BGH Gläubigerbenachteiligung vor. Begründet wird dies damit, dass der Anspruch auf Auskehr des Darlehens zur Insolvenzmasse gehört hätte, die Darlehensvaluta indes tatsächlich nicht der Gesamtheit der Gläubiger zu Gute gekommen ist. Ob letzteres überhaupt möglich gewesen wäre, ist dabei unerheblich. Der BGH bejaht die Gläubigerbenachteiligung selbst dann, wenn ein Dritter Geldmittel nur zweckgebunden zur Tilgung ganz bestimmter Verbindlichkeiten zur Verfügung stellt bzw. diese auf Rechnung des Schuldners selbst tilgt4.
Û
Hinweis: 47 Diese Rechtsprechung spielt in der Gestaltungspraxis eine Rolle, wenn ein Dritter – etwa die Muttergesellschaft oder ein Angehöriger – einem insolvenzbedrohten Schuldner Mittel zur Tilgung einer konkreten Verbindlichkeiten zur Verfügung stellen möchte, dabei aber verhindert werden soll, dass die Zahlung später der Insolvenzanfechtung unterliegt und somit nicht dem konkreten Gläubiger, sondern der Masse insgesamt zu gute kommt. Dies wird insbesondere dann angestrebt werden, wenn der Dritte für die betreffende Verbindlichkeit selbst haftet oder aus anderen Gründen ein gesteigertes Interesse an deren insolvenzfester Erfüllung hat5. Fest steht, dass Gläubigerbenachteiligung bei vorherigem Abschluss eines Darlehensvertrags bejaht wird. Auf Grundlage der Rechtsprechung zur Kontoüberziehung ist jedoch darüber hinaus denkbar, dass der BGH freiwillige Zahlungen eines Dritten auf Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners letztlich nur dann als nicht gläubigerbenachteiligend ansehen wird, wenn die Mittel unentgeltlich und ohne Rückgriffsanspruch im Innenverhältnis zur Verfügung gestellt werden (so dass nicht nur der vorherige Abschluss eines Darlehensvertrags schädlich wäre, sondern auch das bloße Entstehen eines Aufwendungsersatzanspruchs als Rechtsreflex aus der Zahlung durch den Dritten).
1 BGH v. 19.7.2001 – IX ZR 36/99, MDR 2002, 172 (173); so auch OLG Brandenburg v. 30.5.2002 – 8 U 101/01, ZIP 2002, 1698 (1699); OLG Hamburg v. 22.3.2002 – 1 U 55/01, ZIP 2002, 1360 (1361) und vorangehend LG Hamburg v. 16.3.2001 – 303 O 310/00, ZIP 2001, 711 (713); a.A. LG Stralsund v. 15.2.2001 – 6 O 342/99, ZIP 2001, 936 (940 f.). 2 BGH v. 7.2.2002 – IX ZR 115/99, ZIP 2002, 489 (490); OLG Hamburg v. 22.3.2002 – 1 U 55/01, ZIP 2002, 1360 (1363). 3 So nunmehr BGH v. 6.10.2009 – IX ZR 191/05, ZIP 2009, 2009 (2011) und v. 1.7.2010 – IX ZR 70/08, WM 2010, 1756 (1757), anders noch BGH v. 11.1.2007 – IX ZR 31/05, ZIP 2007, 435 (436 f.). 4 BGH v. 17.3.2011 – IX ZR 166/08, DB 2011, 1575 (1576 f.). 5 Ausführlich dazu Ganter, NZI 2011, 475 ff.
Graf/Wunsch
783
§ 10
Rz. 48
Insolvenzanfechtung
48 An der Gläubigerbenachteiligung fehlt es, wenn lediglich ein Austausch insolvenzfester Sicherheiten stattfindet1, oder wenn eine Masseverbindlichkeit2 oder ein Aussonderungsanspruch erfüllt wird3. Gleiches gilt, wenn ein absonderungsberechtigter Gläubiger (also z.B. der Inhaber einer Grundschuld) befriedigt wird, so lange dieser nicht mehr erhält, als er auch im Rahmen des Insolvenzverfahrens erhalten hätte4. Dagegen stellt die anderweitige Verfügung über einen Gegenstand, an dem ein Absonderungsrecht besteht, in der Regel eine Benachteiligung der Insolvenzgläubiger dar5 (zu Aus- und Absonderungsrecht vgl. § 7 Rz. 17 ff. und 135 ff.). Dies gilt auch im Falle der Einziehung einer sicherungsabgetretenen Forderung und anschließenden Auskehr des Erlöses an den Sicherungsnehmer, es sei denn dieser hatte durch die Einziehung ein Ersatzabsonderungsrecht (dazu siehe § 7 Rz. 371 ff.) erworben6. 49 Im Umkehrschluss aus einigen Ausnahmevorschriften, in denen die InsO eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung verlangt, reicht grundsätzlich eine mittelbare Beeinträchtigung aus. Sie liegt vor, wenn die Gläubigerbenachteiligung erst nach Abschluss der Rechtshandlung aus dem Hinzutreten weiterer Umstände entsteht7. 49a Ein Beispiel hierfür ist der Abschluss und die Durchführung eines an sich ausgeglichenen gegenseitigen Vertrages, wenn der Schuldner die erlangte Gegenleistung anschließend verbraucht oder beiseite schafft8. Eine mittelbare Beeinträchtigung liegt auch bei der Veräußerung eines Gegenstands vor, wenn der Veräußerungspreis zwar zum Zeitpunkt des Geschäfts angemessen war, zum Anfechtungszeitpunkt aber zu niedrig wäre (z.B. aufgrund eines Kursanstiegs von Wertpapieren)9. 50 Anders als die Verringerung der Insolvenzmasse ist die verhinderte Erhöhung der Insolvenzmasse, auf die der spätere Schuldner keinen Anspruch gehabt hätte, nicht gläubigerbenachteiligend. Eine Grundstücksschenkung unter Einräumung eines durch Vormerkung gesicherten Rückforderungsrechts für den Fall der Insolvenz des Beschenkten ist daher – anders als bei einem Austauschvertrag, der grundsätzlich mit der Folge einer Teilanfechtung der betreffenden Klausel angefochten werden könnte (siehe oben Rz. 32) – mangels Gläubigerbenachteiligung nicht anfechtbar10. Auch Unterlassungen oder Verzichtserklärungen des Schuldners sind nicht gläubigerbenachteiligend, wenn dadurch lediglich eine mögliche Vermögensmehrung unterbleibt. Mit anderen Worten: Nicht anfechtbar sind bloße „verpasste Chancen“ wie die Nichtannahme eines Schenkungserbietens oder der Nichtabschluss eines günstigen Geschäfts11. Das gilt nach h.M. selbst für einen Erbverzicht, die Ausschlagung einer Erbschaft bzw. eines Vermächtnisses oder die unterlassene Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs, wobei dies wohl weniger mit fehlender Gläubigerbenachteiligung als mit dem höchstpersönlichen Charakter der betreffenden Rechte zu begründen sein wird (vgl. oben Rz. 28)12. Dagegen können z.B. die Nichtausübung einer Option oder eines Vorkaufsrechts anfechtbar sein13, da in diesen Fällen bereits
1 BGH v. 5.4.2001 – IX ZR 216/98, ZIP 2001, 885 (887); BGH v. 17.3.2011 – IX ZR 63/10, NJW 2011, 1506 (1507) = ZIP 2011, 773 (775). 2 BGH v. 19.2.1998 – VII ZR 105/97, WM 1998, 1036 (1041) = ZIP 1998, 830 (834). 3 BGH v. 19.2.1998 – VII ZR 105/97, WM 1998, 1036 (1042) = ZIP 1998, 830 (834). 4 BGH v. 9.11.2006 – IX ZR 133/05, ZIP 2007, 35 (36); BGH v. 19.2.1998 – VII ZR 105/97, WM 1998, 1036 (1042); OLG Düsseldorf v. 30.3.1995 – 12 U 280/93, WM 1997, 913 (918). 5 BGH v. 9.10.2003 – IX ZR 28/03, ZIP 2003, 2370 (2372); BGH v. 1.10.2002 – IX ZR 360/99, ZIP 2002, 2182 (2184); anders noch BGH v. 5.12.1985 – IX ZR 165/84, MDR 1986, 404 (405). 6 BGH v. 6.4.2006 – IX ZR 185/04, ZIP 2006, 1009 ff. = EWiR 2006, 501; BGH v. 19.1.2006 – IX ZR 154/03, ZIP 2006, 959 ff. = EWiR 2006, 503 f. 7 BGH v. 11.11.1993 – IX ZR 257/92, NJW 1994, 449 (450); BGH v. 3.3.1960 – VIII ZR 86/59, WM 1960, 381 (382). 8 BGH v. 2.6.1959 – VIII ZR 182/58, WM 1959, 888 (890). 9 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 129 Rz. 80 (3/2003). 10 BGH v. 13.3.2008 – IX ZB 39/05, ZIP 2008, 1028 (1029). 11 Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 129 Rz. 99. 12 Vgl. Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 129 Rz. 100; MünchKommInsO/Kirchhof, § 129 Rz. 90. 13 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, § 129 InsO Rz. 26.
784
Graf/Wunsch
Einleitung
Rz. 54
§ 10
eine gesicherte vermögensrechtliche Position vorlag, derer der Schuldner sich begeben hat. c) Ausnahme von der Anfechtbarkeit gläubigerbenachteiligender Rechtshandlungen: Bargeschäfte, § 142 InsO Zu beachten ist, dass unmittelbar erfüllte Bargeschäfte nach § 142 InsO von der In- 51 solvenzanfechtung ausgeschlossen sind, soweit es nicht um den Anfechtungstatbestand des § 133 InsO (vorsätzliche Gläubigerbenachteiligung) geht. Auf diese Vorschrift und auf den Begriff des Bargeschäfts wird hier in einem gesonderten Abschnitt eingegangen (unten Rz. 263 ff.). 6. Typische Beratungskonstellationen für den Rechtsanwalt Überwiegend wird der Rechtsanwalt als Berater des (potentiellen) Anfechtungsgeg- 52 ners hinzugezogen. Der Berater wird dabei ohne weiteres auf die Thematik des Insolvenzanfechtungsrechts aufmerksam, wenn sich sein Mandant erst an ihn wendet, nachdem ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde und der Insolvenzverwalter Ansprüche gegen ihn geltend gemacht oder gar bereits Klage erhoben hat. In diesem Fall obliegt dem Berater letztlich nur die Prüfung der Erfolgsaussichten eines Anfechtungsprozesses im Hinblick auf die Frage, ob sich der Mandant gegen die Anfechtung zur Wehr setzen oder die geltend gemachten Ansprüche zur Vermeidung von Prozesskosten erfüllen soll. Eine nicht zu unterschätzende – wenngleich oftmals vernachlässigte – Rolle spielt 53 das Insolvenzanfechtungsrecht jedoch auch in der Beratung außerhalb bzw. im Vorfeld eines Insolvenzverfahrens: Dies betrifft zum einen bereits in der Phase der Vertragsgestaltung ohne ein konkret 53a drohendes Insolvenzverfahren diejenigen Klauseln, die den eigenen Mandanten abstrakt im Fall der Insolvenz der anderen Vertragspartei(en) schützen sollen. Solche Klauseln müssen standardmäßig auf ihre „Insolvenzfestigkeit“ im Allgemeinen und dabei auch auf ihre „Anfechtungsfestigkeit“ überprüft werden. Zum anderen besteht Beratungsbedarf, wenn die Insolvenz eines Vertragspartners ab- 53b sehbar wird oder zumindest konkret zu befürchten ist. In dieser Phase geht es darum, bei der Durchführung der bestehenden Verträge und u.U. auch bei der (Neu-)Gestaltung der Vertragsbeziehungen das Anfechtungsrisiko zu minimieren. Hier sollte der Berater z.B. wissen, dass die Befriedigung durch Zwangsvollstreckung anfechtungsrechtlich sicherer sein kann als eine freiwillige Zahlung (dazu unten Rz. 173, Rz. 193). Ein anderes typisches Beispiel ist der Lieferant, der ein in Schwierigkeiten geratenes Unternehmen nach wie vor laufend beliefert und auch laufend Zahlungen erhält, wobei diese jedoch nicht pünktlich und nicht vollständig erfolgen, so dass sich ein hoher Zahlungsrückstand angesammelt hat. Der Schuldner wird in diesem Fall regelmäßig jeweils die ältesten offenen Forderungen begleichen. Hier ist dem Mandanten oftmals dazu zu raten, stattdessen jeweils auf unmittelbare Zahlung der jeweils letzten Lieferung zu bestehen, um so ein der Anfechtung in der Regel entzogenes Bargeschäft herbeizuführen (dazu unten Rz. 265). Aber auch dann, wenn noch keine Zahlungsrückstände bestehen und ein insolvenzgefährdeter Vertragspartner anbietet, Leistungen des Mandanten jeweils im Voraus zu bezahlen, muss das Anfechtungsrisiko geprüft, abgewogen und möglichst weitgehend minimiert werden. In Einzelfällen wird dem Mandant auch ganz von der Durchführung eines Geschäfts abzuraten sein, etwa wenn es sich um eine inkongruente Deckung handeln würde, die Kenntnis des Mandanten von Beweisanzeichen für die Zahlungsunfähigkeit des Geschäftspartners dokumentiert ist und daher mit einer Absichtsanfechtung nach § 133 InsO zu rechnen wäre. Denn für den Mandanten ist letztlich nicht entscheidend, ob er eine Zahlung erhält, sondern ob er diese im Insolvenzfall auch behalten darf. In Einzelfällen kommt es aber auch vor, dass sich ein Insolvenzgläubiger durch Ver- 54 mögensverschiebungen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens benachteiligt fühlt und sich mit der Frage nach möglichen Maßnahmen an seinen Rechtsanwalt wendet. Dies betrifft sowohl Fälle der Bevorzugung anderer Gläubiger als auch VermögensGraf/Wunsch
785
§ 10
Rz. 54a
Insolvenzanfechtung
verschiebungen an den Unternehmensinhaber, nahestehende Personen oder verbundene Unternehmen. 54a In dieser Situation obliegt es dem Berater des (vermeintlich oder tatsächlich) benachteiligten Gläubigers, etwaige Anfechtungsmöglichkeiten jedenfalls summarisch zu prüfen und gegebenenfalls dem Insolvenzverwalter – der eventuell bei nicht „aktenkundigen“ Vorgängen nicht über den Kenntnisstand des Gläubigers verfügt – entsprechende Hinweise zu geben. 54b Für den weiteren Fortgang einer solchen Angelegenheit ist zu beachten, dass dem einzelnen Gläubiger gegenüber dem Verwalter kein Auskunftsanspruch zusteht. Sachstandsanfragen des rechtlichen Beraters werden daher gerade in großen Verfahren oftmals unbeantwortet bleiben. 54c Unternimmt der Insolvenzverwalter nach erfolgtem Hinweis auf eine Anfechtungsmöglichkeit nichts, so äußert der Mandant gelegentlich den Wunsch, hiergegen rechtlich vorzugehen. Insoweit wird jedoch eine Anrufung des Insolvenzgerichts mit dem Ziel der Ausübung der Aufsicht über den Verwalter (§§ 58, 59 InsO) nur in extrem gelagerten Ausnahmefällen in Betracht kommen, da die Erfolgsaussichten in der Regel beschränkt und Rechtsmittel gegen eine Untätigkeit des Gerichts nicht gegeben sind. Sinnvoller ist es aus Sicht des (Groß-)Gläubigers oftmals, die Angelegenheit im Rahmen der Gläubigerversammlung vorzubringen oder sich in den Gläubigerausschuss mit seinen gegenüber dem einzelnen Gläubigern erweiterten Kontrollbefugnissen wählen zu lassen (zu diesen Organen s. § 6 Rz. 222 ff. und 249 ff.). II. Anfechtung der Sicherung oder Befriedigung eines Insolvenzgläubigers (kongruente oder inkongruente Deckung, §§ 130, 131 InsO) 1. Sicherung oder Befriedigung eines Insolvenzgläubigers 55 Unter einer kongruenten oder inkongruenten „Deckung“ versteht das Gesetz die Befriedigung oder Sicherung eines Insolvenzgläubigers. Erfasst werden dabei nicht nur die Fälle, in denen eine Befriedigung oder Sicherung gewährt wird, sondern auch diejenigen, in denen diese ermöglicht wird. Der Schuldner kann eine Sicherung z.B. dadurch ermöglichen, dass er Wertpapiere bei einer Bank einlagert und dadurch deren AGB-Pfandrecht auslöst; eine Befriedigung kann er durch Anerkenntnis im Prozess1 oder durch das Werthaltigmachen bestehender Sicherheiten2 ermöglichen. 55a Die Abgrenzung zwischen Sicherung und Befriedigung ist in der Praxis sekundär, da beide Begriffe in allen Alternativen der §§ 130, 131 InsO nebeneinander stehen. Auf die Unterscheidung kommt es im Ergebnis also nicht an, sie spielt lediglich insofern eine Rolle, als sich für beide Kategorien eine gewisse Kasuistik entwickelt hat. a) Begriff der Befriedigung 56 Die Befriedigung eines Gläubigers i.S.d. §§ 130, 131 InsO liegt vor, wenn ein materiellrechtlicher Anspruch erfüllt wurde. 56a Dies gilt – gerade im Hinblick auf den Fall des Ermöglichens der Befriedigung durch prozessuales Anerkenntnis – auch dann, wenn der betreffende Anspruch in Wahrheit gar nicht bestanden hat3. In diesem Fall kann der Insolvenzverwalter dem rechtskräftig festgestellten Anspruch des Gläubigers die Einrede der Anfechtbarkeit entgegenhalten4. 56b Die Befriedigung eines Gläubigers kann nicht nur durch Rechtshandlungen des Schuldners erfolgen oder ermöglicht werden, sondern auch durch solche des Gläubigers, z.B. durch die Schaffung einer Aufrechnungslage oder durch Vollstreckungsmaßnahmen. Der Erwerb eines vollstreckbaren Titels ist dagegen für sich genommen 1 2 3 4
MünchKommInsO/Kirchhof, § 130 Rz. 13a. BGH v. 26.6.2008 – IX ZR 144/05, ZIP 2008, 1435 (1437). Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 130 Rz. 46 (3/2003). Henckel in Kölner Schrift zur InsO, 813 (822), Rz. 23; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 130 Rz. 46 (3/2003).
786
Graf/Wunsch
Anfechtung der Sicherung oder Befriedigung eines Insolvenzglubigers
Rz. 60b
§ 10
nach h.M. noch kein Fall des Ermöglichens der Befriedigung bzw. stellt mangels Gläubigerbenachteiligung bereits keine anfechtbare Rechtshandlung dar, sondern kann nur zusammen mit der Vollstreckung, nicht jedoch isoliert angefochten werden1. Eine Befriedigung des Gläubigers liegt auch im Falle einer nur mittelbaren Zuwen- 57 dung durch den Schuldner vor. Eine solche ist beispielsweise gegeben bei einem Vertrag zugunsten Dritter, vor allem aber bei Zahlungsaufträgen, Anweisungen (der Schuldner weist einen seiner Schuldner an, unmittelbar an einen seiner Gläubiger zu zahlen)2 oder anderen Fällen der Zwischenschaltung einer Mittelsperson. Anfechtungsgegner ist dann in der Regel der letztendliche Empfänger der Zuwendung3. Er muss den empfangenen Vermögenswert zur Masse zurückgewähren, und im Rahmen des jeweiligen Anfechtungstatbestands ist hinsichtlich der subjektiven Merkmale (z.B. Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners bei §§ 130, 131 InsO) auf ihn abzustellen. Abzugrenzen ist die mittelbare Zuwendung von einer echten Leistungskette, bei der der Letztempfänger nicht primärer Anfechtungsgegner ist, sondern allenfalls nach § 145 Abs. 2 InsO als Rechtsnachfolger in Anspruch genommen werden kann (was jedoch in der Regel bei bloßer Weiterleitung einer Geldsumme ausscheidet, dazu unten Rz. 328)4.
57a
b) Begriff der Sicherung Unter der Sicherung eines Gläubigers versteht man dagegen das Verschaffen einer 58 zusätzlichen Rechtsposition, die den Leistungsanspruch dieses Gläubigers unberührt lässt, dessen Durchsetzbarkeit jedoch verstärkt oder erleichtert5. Beispiele für eine Sicherung i.S.d. §§ 130, 131 InsO sind Kreditsicherheiten wie Sicherungseigentum, Grundpfandrechte, (auch antizipierte) Sicherungszession usw.
59
Bezüglich der Vormerkung ist strittig, ob diese eine Sicherung i.S.d. Gesetzes dar- 60 stellt (zur Vormerkung in der Insolvenz ausführlich § 8 Rz. 114 ff.). Nach einer Auffassung ist dies zu bejahen6. Danach stellt die Vormerkung stets eine kongruente Deckung dar, wenn der zu sichernde Anspruch vor dem Dreimonatszeitraum entstanden ist. Nach a.A. unterfällt die Vormerkung erst gar nicht den §§ 130, 131 InsO7. Von der Anfechtung der Vormerkung zu unterscheiden ist die Anfechtung des dem 60a vormerkungsgesicherten Anspruch zugrunde liegenden schuldrechtlichen Geschäfts, z.B. des Kaufvertrags. Diese führt dazu, dass sich der Anfechtungsgegner auf die Vormerkung gegenüber der Masse nicht mehr berufen kann. Ebenso von der Anfechtung der Vormerkung zu unterscheiden ist die Anfechtung des nachfolgenden Vollrechtserwerbs bzw. der Auflassung. Dabei ist zu beachten, dass die Existenz der Vormerkung alleine nicht etwa dazu führt, dass die Auflassung als konkludent erfolgt anzusehen ist8. Vielmehr kann auch eine vormerkungsgesicherte Auflassung nach allgemeinen Regeln der Anfechtung nach 131 InsO unterliegen.
1 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 141 Rz. 4; Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 141 Rz. 3; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 141 Rz. 4 (3/2003). Ähnlich i.E. MünchKommInsO/Kirchhof, § 130 Rz. 14, wonach „das Erwirken eines Titels, aus dem später vollstreckt wird“ anfechtbar ist. 2 OLG Brandenburg v. 3.3.1999 – 7 U 229/98, ZIP 1999, 1012 (1013); in diesen Fällen liegt in der Regel eine nicht in der Art geschuldete und damit inkongruente Deckung vor, vgl. unten Rz. 79. Zur ggf. daneben möglichen Anfechtung gegenüber dem Mittelsmann vgl. Rz. 183. 3 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 129 Rz. 32; vgl. auch Rz. 321. Zur daneben ggf. möglichen Anfechtung gegenüber der Mittelsperson s. Rz. 183. 4 Zur Abgrenzung BGH v. 19.2.2009 – IXZR 16/08, ZIP 2009, 769 f. 5 MünchKommInsO/Kirchhof, § 130 Rz. 8. 6 MünchKommInsO/Kirchhof, § 130 Rz. 8. 7 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 131 Rz. 15, der auch BGH v. 21.12.1960 – VIII ZR 204/59, BGHZ 34, 254 = WM 1961, 174 dahingehend interpretiert. 8 OLG Stuttgart v. 22.2.2005 – 10 U 242/04, ZIP 2005, 588 (599).
Graf/Wunsch
787
60b
§ 10
Rz. 61
Insolvenzanfechtung
c) Befriedigung oder Sicherung eines Insolvenzgläubigers 61 Die §§ 130, 131 InsO betreffen nur die Fälle der Befriedigung oder Sicherung eines Insolvenzgläubigers (zum Begriff des Insolvenzgläubigers s. § 6 Rz. 278 ff.). Das bedeutet, – dass auch die Befriedigung oder Sicherung eines nachrangigen Gläubigers (§ 39 InsO, zum Begriff vgl. § 6 Rz. 280) erfasst wird1; – dass die Befriedigung oder Sicherung eines Massegläubigers oder eines aussonderungsberechtigten Gläubigers (zum Begriff vgl. § 7 Rz. 17 ff.) nie erfasst wird2; – dass die Befriedigung oder Sicherung eines absonderungsberechtigten Gläubigers (zum Begriff vgl. § 7 Rz. 135 ff.) zwar erfasst wird, wenn dieser zugleich persönlicher Gläubiger des Schuldners ist (§ 52 InsO). Insoweit fehlt es aber am Merkmal der Gläubigerbenachteiligung, wenn der absonderungsberechtigte Gläubiger die betreffende Befriedigung auch aus dem Sicherungsgegenstand hätte erlangen können (vgl. oben Rz. 48). 2. Abgrenzung zwischen kongruenter und inkongruenter Deckung 62 Die §§ 130 und 131 InsO betreffen beide den Fall der Befriedigung oder Sicherung eines Insolvenzgläubigers innerhalb kurzer Zeit (je nach Alternative drei Monate oder einen Monat) vor der Stellung des Insolvenzantrags oder danach bis zur Verfahrenseröffnung. Welche Vorschrift dabei einschlägig ist, hängt davon ab, ob es sich um eine kongruente (§ 130 InsO) oder eine inkongruente Deckung (§ 131 InsO) handelt. 63 Die Definition der inkongruenten Deckung ergibt sich dabei aus § 131 Abs. 1 InsO: Diese liegt vor, wenn der betreffende Insolvenzgläubiger die ihm gewährte Sicherung oder Befriedigung – gar nicht, – nicht in der Art, oder – nicht zu der Zeit verlangen konnte, wie sie ihm tatsächlich gewährt worden ist. Wurde die gewährte Sicherung oder Befriedigung allerdings nur nicht in der Art oder nicht zu der Zeit geschuldet, ist zu beachten, dass ganz geringfügige Abweichungen vom Geschuldeten nicht zur Inkongruenz führen (s. unten Rz. 81 f.). 64 Die weiteren Voraussetzungen für die Anfechtbarkeit sind bei der Anfechtung einer inkongruenten Deckung noch wesentlich geringer als bei der Anfechtung einer kongruenten Deckung (bei der der Gläubiger ja nur das bekommen hat, was ihm zustand). Aus diesem Grund ist die Frage, ob eine kongruente oder inkongruente Deckung vorliegt, oftmals entscheidend für die Anfechtbarkeit. a) Nicht zu beanspruchende Deckung aa) Nicht zu beanspruchende Befriedigung 65 Eine nicht zu beanspruchende Befriedigung i.S.d. Gesetzes liegt vor, wenn der Anspruch des Gläubigers nicht bestanden hatte oder dauerhaft nicht durchsetzbar gewesen war. Das ist z.B. der Fall bei: – dauerhaften Einreden, z.B. Verjährung oder Anfechtbarkeit nach §§ 119 ff. BGB3; – unklagbaren Verbindlichkeiten4; – der heilenden Erfüllung formunwirksamer Geschäfte, z.B. nach § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB, oder die Tilgung einer anwaltlichen Honorarrechnung ohne wirksame Gebührenvereinbarung, § 4 Abs. 1 Satz 3 RVG5. 1 Dies ergibt sich aus §§ 38, 39 InsO, vgl. Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 130 Rz. 25, 30; MünchKommInsO/Kirchhof, § 130 Rz. 17; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 130 Rz. 45 (3/2003). 2 BGH v. 15.12.2005 – IX ZA 3/04, FamRZ 2006, 411. 3 MünchKommInsO/Kirchhof, § 131 Rz. 14a. 4 MünchKommInsO/Kirchhof, § 131 Rz. 14a. 5 MünchKommInsO/Kirchhof, § 131 Rz. 14. Weitere Beispiele für heilende Erfüllungsgeschäfte: § 766 Abs. 2 BGB, § 15 Abs. 4 Satz 2 GmbHG.
788
Graf/Wunsch
Anfechtung der Sicherung oder Befriedigung eines Insolvenzglubigers
Rz. 68
§ 10
Außerdem hat das OLG Düsseldorf eine inkongruente Deckung im Fall der Auflösung 66 eines Arbeitsverhältnisses gegen unangemessen hohe Abfindung bejaht1. Die „Angemessenheit“ in diesem Sinne wurde dabei an den §§ 9, 10 KSchG festgemacht und die Anfechtung nur hinsichtlich des überschießenden Betrags zugelassen. bb) Nicht zu beanspruchende Sicherung Eine Sicherung kann schlicht und einfach dann nicht beansprucht werden, wenn der 67 Gläubiger keinen Anspruch auf sie hat. Eine Sicherung ist also nur dann kongruent, – wenn auf sie ein gesetzlicher Anspruch bestanden hatte, z.B. beim Werkunternehmer- oder Vermieterpfandrecht (Ausnahme: wenn sich die Einbringung von Sachen durch den Mieter nicht mehr im Rahmen des Üblichen hält2), bei der Vormerkung, der Bauhandwerkersicherungshypothek, dem kaufmännischen Zurückbehaltungsrecht usw., oder – wenn sie wirksam vertraglich – auch durch AGB – vereinbart war. Hier zählt allerdings nur ein hinreichend bestimmter vertraglicher Anspruch auf eine konkrete Sicherheit3, nicht aber z.B. Nr. 13 AGB-Banken/Nr. 22 Abs. 1 AGB-Sparkassen, wonach das Kreditinstitut Anspruch auf Bestellung „bankmäßiger Sicherheiten“ hat4. Gleiches gilt für das globale AGB-Pfandrecht von Kreditinstituten nach Nr. 14 AGB-Banken/Nr. 21 AGB-Sparkassen5. Hinreichend konkret bestimmt und daher kongruent sind dagegen die nachträgliche Entstehung sowie das nachträgliche Fällig- bzw. Werthaltigwerden der einzelnen Forderungen im Rahmen einer Globalzession6 oder eines verlängerten Eigentumsvorbehalts7 sowie sonstige Fälle des Entstehens oder Werthaltigwerdens individueller Sicherheiten im Rahmen wirksam vereinbarter revolvierender Globalsicherungsabreden8.
Û
Hinweis: 68 Die Gewährung nachträglicher Sicherheiten für bereits bestehende Forderungen ist stets inkongruent und wird darüber hinaus oftmals auch der Anfechtung wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung nach § 133 InsO unterliegen (zum Gläubigerbenachteiligungsvorsatz bei Drucksituationen und inkongruenter Deckung siehe unten Rz. 178, 180 ff.). Bietet ein mit Zahlungen rückständiger Schuldner daher im Gegenzug für ein „Stillhalten“ des Gläubigers (weitere) Sicherheiten an, so muss der Berater des Gläubigers auf die Gefahr der Anfechtung hinweisen. In geeigneten Fällen lässt sich diese Gefahr verringern, indem die Sicherheit nicht als nachträgliche Sicherheit für bestehende Forderungen ausgestaltet wird, sondern als anfängliche Sicherheit für eine neue Forderung im Rahmen einer Umgestaltung der Vertragsverhältnisse, z.B. durch Umwandlung fälliger Forderungen aus Lieferungen oder Leistungen des Gläubigers in ein Darlehen. Selbstverständlich muss dann diese Umgestaltung der Vertragsverhältnisse ihrerseits auf Anfechtungsrisiken hin überprüft werden, insbesondere im Hinblick auf die Anfechtung nach §§ 132, 133 InsO. Diese Anfechtungsrisiken dürften jedoch oftmals deutlich geringer ausfallen. Lediglich wenn der urprüngliche Anspruch bereits wirtschaftlich wertlos war, ist die Gewährung von Sicherheiten im Gegenzug zu einer Umwandlung in ein Darlehen als unentgeltlich anzusehen
1 OLG Düsseldorf v. 13.4.1989 – 12 U 81/88, ZIP 1989, 1072 (1073 f.). 2 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 131 Rz. 21; nach a.A. soll auch in diesem Fall (nur) § 133 InsO in Betracht kommen, vgl. MünchKommInsO/Kirchhof, § 131 Rz. 24. 3 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 131 Rz. 17; MünchKommInsO/Kirchhof, § 131 Rz. 20, 39; Zeuner in Smid, InsO, § 131 Rz. 24. 4 BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 30/07, ZIP 2008, 183 (184); BGH v. 3.12.1998 – IX ZR 313/97, NJW 1999, 645; BGH v. 18.12.1980 – III ZR 157/78, DB 1981, 523 f. 5 BGH v. 12.2.2004 – IX ZR 98/03, BB 2004, 732 (734); BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 223/01, BB 2002, 960; a.A. Eckardt, ZIP 1999, 1417 (1419 f.). 6 BGH v. 26.6.2008 – IX ZR 144/05, ZIP 2008, 1435 (1436); BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 30/07, ZIP 2008, 183 (185). 7 BGH v. 17.3.2011 – IX ZR 63/10, ZIP 2011, 773 (775). 8 Kuder, ZIP 2008, 289 (293 f.).
Graf/Wunsch
789
§ 10
Rz. 69
Insolvenzanfechtung
und somit für die Dauer von vier Jahren nach § 134 InsO anfechtbar1 und zudem für die Dauer von zehn Jahren von der Anfechtung nach § 133 InsO bedroht. 69 Inkongruent ist das durch Hereinnahme eines Inkassoschecks erlangte Sicherungseigentum der Bank am Scheck2. Verwertet die Bank mit dem Einzug auch ihr Sicherungsrecht, so wird die Inkongruenz hierdurch nicht beseitigt3. 70 Außerdem ist eine Sicherung im Falle des nachträglichen „Ausfüllens“ einer Sicherungsabrede durch eine zu sichernde Forderung inkongruent4. Das betrifft z.B. Fälle, in denen ein vertraglich sicherungsberechtigter Gläubiger – in der Regel eine Bank – sich die ungesicherte und nicht mit einem Anspruch auf Sicherung behaftete Forderung eines anderen Gläubigers abtreten lässt, so dass die Forderung nunmehr in den Bereich der mit dem Schuldner vereinbarten Sicherungsabrede fällt. In diesem Fall ist die Abtretung der maßgebliche Akt, mit dem die Sicherung erlangt wurde, und es handelt sich dabei um eine inkongruente Sicherung. Das gilt auch für den Abschluss bzw. die Erweiterung eines Sicherheiten-Poolvertrags5. 71 Inkongruent ist auch diejenige Sicherheit, auf die nur für den Fall der Zahlungsunfähigkeit ein vertraglicher Anspruch eingeräumt wurde6. Ansonsten könnte § 131 InsO durch solche Klauseln umgangen werden. 72
Û
Hinweis: Klauseln, die den eigenen Mandanten vor der Zahlungsunfähigkeit der anderen Vertragspartei schützen sollen, sollten weiter gefasst werden und keinesfalls ausschließlich bzw. erst bei Zahlungsunfähigkeit greifen (zum Begriff der Zahlungsunfähigkeit s. § 1 Rz. 49 ff.).
73 Ein gesetzlicher oder vertraglicher Anspruch auf die Sicherung macht diese nur dann zur kongruenten Deckung, wenn dieser Anspruch vor Beginn des jeweils nach § 131 InsO einschlägigen Zeitraums entstanden ist. Entsteht der Anspruch auf Bestellung der Sicherheit erst innerhalb dieses Zeitraums, so liegt eine inkongruente Sicherung vor7. cc) Sicherung oder Befriedigung durch Zwangsvollstreckung oder deren Androhung 74 Sowohl die Befriedigung als auch die Sicherung eines Gläubigers sind stets inkongruent, wenn der Gläubiger sie sich im Wege der Zwangsvollstreckung verschafft hat8. Insoweit spielt die Anfechtung allerdings in der Regel nur dann eine Rolle, wenn die betreffende Vollstreckungsmaßnahme nicht bereits aufgrund der sog. Rückschlagsperre des § 88 InsO unwirksam ist, siehe dazu § 6 Rz. 155. 74a Die Inkongruenz wird damit begründet, dass sich der Gläubiger mit Hilfe von staatlichen Zwangsmitteln eine Priorität vor anderen Gläubigern beschafft hat9. Dass die Vollstreckungsmaßnahme als solche völlig legitim war und der zugrunde liegende An1 BGH v. 1.6.2006 – IX ZR 159/04, ZIP 2006, 1362 (1362). 2 BGH v. 30.4.1992 – IX ZR 176/91, NJW 1992, 1960 (1961) = ZIP 1992, 778 (780. 3 BGH v. 30.4.1992 – IX ZR 176/91, NJW 1992, 1960 (1961) = ZIP 1992, 778 (780); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 131 Rz. 19. 4 BGH v. 25.9.1972 – VIII ZR 216/71, BGHZ 59, 230 (233 ff.); BGH v. 25.6.1975 – VIII ZR 71/74, WM 1975, 947 (948); BGH v. 30.10.1974 – VIII ZR 81/73, NJW 1975, 122 (123); Nerlich in Nerlich/ Römermann, InsO, § 131 Rz. 41 (3/2003). Nach a.A. soll hierin ein Fall des § 132 InsO (unmittelbare Gläubigerbenachteiligung) liegen, vgl. Jaeger/Henckel, InsO, 2008, § 131 Rz. 44 ff.; Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 131 Rz. 20. 5 OLG Köln v. 29.4.1994 – 20 U 168/90, ZIP 1994, 1461 (1462); Hess/Weis, Anfechtungsrecht, § 131 InsO Rz. 57. 6 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 131 Rz. 40 (3/2003). 7 BGH v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, NJW 1998, 1561 (1563); BGH v. 30.9.1993 – IX ZR 227/92, WM 1993, 2099; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 131 Rz. 51 (3/2003). 8 BGH v. 20.3.2003 – IX ZR 166/02, WM 2003, 896 (897); BGH v. 20.11.2001 – IX ZR 159/00, ZIP 2002, 228 (229); BGH v. 21.3.2000 – IX ZR 138/99, ZIP 2000, 898; BGH v. 15.12.1994 – IX ZR 24/94, ZIP 1995, 293 (295); BGH v. 3.7.1984 – IX ZR 82/83, KTS 1984, 680; BGH v. 27.11.1974 – VIII ZR 21/73, WM 1975, 6; LG Frankfurt/M. v. 18.10.1999 – 6 T 769/99, InVo 2000, 20 (21). 9 BGH v. 9.9.1997 – IX ZR 14/97, NJW 1997, 3445 (3446) = ZIP 1997, 1729.
790
Graf/Wunsch
Anfechtung der Sicherung oder Befriedigung eines Insolvenzglubigers
Rz. 77
§ 10
spruch dem vollstreckenden Gläubiger auch tatsächlich zustand, d.h. dass es sich im Falle einer freiwilligen Zahlung des Schuldners um eine kongruente Deckung gehandelt hätte, spielt insoweit keine Rolle. Dies gilt selbst dann, wenn der Vollstreckungsgläubiger z.B. als Sozialversicherungsträger oder Fiskus gesetzlich zur notfalls zwangsweisen Durchsetzung seiner Ansprüche verpflichtet ist1. Allein die Tatsache der Zwangsvollstreckung begründet die Inkongruenz. Das betrifft den Fall der Pfändung und Auszahlung von Geld nach § 815 Abs. 3 ZPO2. Da § 131 InsO nicht nur Rechtshandlungen des Schuldners erfasst, kommt es hierbei nicht darauf an, ob der Schuldner bei der Vollstreckungshandlung mitgewirkt hat3 (anders bei § 133 InsO, unten Rz. 171). Umgekehrt liegt allerdings auch dann – ohne Zwangsvollstreckungsmaßnahme – eine 75 inkongruente Deckung vor, wenn der Schuldner zur Abwendung der Zwangsvollstreckung geleistet hat, sofern er nach dem bevorstehenden Ablauf einer letzten vom Gläubiger gesetzten Zahlungsfrist mit Vollstreckungsmaßnahmen rechnen musste4 oder bereits eine Vorpfändung erfolgt war5. Gleiches gilt, wenn der Gläubiger mit Insolvenzantrag gedroht hat6. Entscheidend ist dabei, ob unter „Vollstreckungsdruck“ geleistet wurde. Nicht aus- 76 reichend ist hierfür nach der Rechtsprechung des BGH das bloße Vorliegen oder die Zustellung eines vollstreckbaren Titels, so lange nicht zusätzlich mit der Einleitung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gedroht wurde7. Umgekehrt hat das OLG Düsseldorf jedoch Inkongruenz in einem Sonderfall bereits für einen Zeitpunkt bejaht, in dem noch kein vollstreckbarer Titel vorlag, jedoch bereits eine Ratenzahlungsvereinbarung zur Abwendung der nach Vorliegen des Titels erwarteten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen geschlossen wurde8. Ebenso nicht ausreichend ist die Ausübung von Druck auf sonstige Weise, insbeson- 76a dere die Drohung mit dem Abbruch der Geschäftsbeziehung bzw. der Einstellung von Lieferungen oder Leistungen, z.B. im Fall des Rechtsanwalts die Drohung mit der Mandatsniederlegung9. Allerdings fällt die Zahlung rückständiger Mietzinsen anlässlich der Drohung des Vermieters mit einer Zwangsräumung nach Auffassung des OLG Stuttgart (auch ohne angedrohte Zwangsvollstreckung aus der Mietzinsforderung) unter die Fallgruppe der Zahlung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung10.
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Hinweis: 77 Rechnen Berater und Mandant mit der Insolvenz eines Schuldners, ist es daher grundsätzlich nicht ratsam, in der Hoffnung auf „freiwillige“ Zahlungen unter Fristsetzung mit Vollstreckungsmaßnahmen zu drohen. Nach einer solchen Drohung bringt ein weiteres Zuwarten anfechtungsrechtlich keine Vorteile mehr, sondern im Falle einer baldigen Insolvenz im Hinblick auf § 88 InsO und die in
1 BGH v. 11.1.2007 – IX ZR 31/05, ZIP 2007, 435; OLG Hamm v. 14.3.2006 – 27 U 169/05, ZIP 2006, 1104 (1105). Zur Anfechtbarkeit von Zahlungen an Sozialversicherungsträger s. auch oben Rz. 30. 2 BGH v. 9.9.1997 – IX ZR 14/97, NJW 1997, 3445 = ZIP 1997, 1929; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 131 Rz. 44 (3/2003). 3 Vgl. BGH v. 21.3.2000 – IX ZR 138/99, ZIP 2000, 898. 4 BGH v. 7.12.2006 – IX ZR 157/05, NZI 2007, 161 (162 f.); BGH v. 15.5.2003 – IX ZR 149/02, DB 2003, 1901; BGH v. 11.4.2002 – IX ZR 211/01, DB 2002, 1993; BGH v. 9.9.1997 – IX ZR 14/97, NJW 1997, 2445 f. = ZIP 1997, 1929 f.; OLG Brandenburg v. 30.5.2002 – 8 U 101/01, ZIP 2002, 1698 (1699); OLG Karlsruhe v. 27.3.2002 – 6 U 150/01, ZIP 2002, 1591 (1592); LG Bonn v. 26.11.1996 – 13 O 68/96, ZIP 1997, 82 (83); a.A. BAG v. 17.6.1997 – 9 AZR 753/95, BB 1997, 1415 (Pressemitteilung) = ZIP 1998, 33 (35). 5 LG München v. 26.9.2005 – 10 HKO 11198/05, ZIP 2006, 199. 6 BGH v. 18.12.2003 – IX ZR 199/02, DB 2004, 810 (811); OLG Koblenz v. 28.4.2005 – 10 U 1246/04, ZInsO 2005, 1111 (1112). 7 BGH v. 7.12.2006 – IX ZR 157/05, NZI 2007, 161 (162 f.). 8 OLG Düsseldorf v. 17.1.2008 – I 12 K 216/06, ZInsO 2008, 566. 9 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 131 Rz. 27. 10 OLG Stuttgart v. 3.2.2006 – 18 O 619/05, ZInsO 2006, 382 (383).
Graf/Wunsch
791
§ 10
Rz. 77a
Insolvenzanfechtung
§§ 130, 131 InsO vorgesehenen Fristen lediglich Nachteile. Die besseren Wege bestehen darin, – entweder zunächst nach Erlangung eines Vollstreckungstitels kurze Zeit abzuwarten, ob der Schulder seine Verpflichtungen ohne jede weitere Maßnahme seitens des Gläubigers erfüllt, und/oder – die Zwangsvollstreckung möglichst frühzeitig einzuleiten. Damit wird zwar eine Anfechtung nach § 131 InsO im Falle einer Insolvenzantragstellung innerhalb des Dreimonatszeitraums in Kauf genommen. Falls der Insolvenzantrag aber erst später außerhalb dieser Frist gestellt wird, besteht dann jedoch insbesondere bei einem sog. „anfechtungsresistenten Vollstreckungsauftrag“ (dazu unten Rz. 173) eine wesentlich bessere Chance der Anfechtung nach § 133 InsO zu entgehen, als es bei einer „freiwilligen“ Zahlung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung der Fall gewesen wäre1. 77a Die ausdrückliche Drohung mit der Stellung eines Insolvenzantrags empfiehlt sich als Druckmittel so gut wie nie: Durch sie wird nicht nur mit hoher Wahrscheinlichkeit die Inkongruenz einer nachfolgenden Zahlung begründet. Darüber hinaus wird auch noch ein Indiz für die Kenntnis vom Vorliegen eines Insolvenzgrundes geschaffen, wodurch dem Insolvenzverwalter im späteren Anfechtungsprozess u.U. unnötig die Beweisführung hinsichtlich der subjektiven Seite diverser Anfechtungstatbestände – einschließlich § 133 InsO – erleichtert wird. b) Nicht in der Art zu beanspruchende Deckung aa) Befriedigung 78 Eine nicht in der Art zu beanspruchende Befriedigung ist dann gegeben, wenn der erlangte Gegenstand nicht dem geschuldeten entspricht2. Das ist der Fall bei: – Leistungen an Erfüllungs statt oder erfüllungshalber, z.B. bei der Lieferung von Waren3 oder der Abtretung einer Forderung4 anstelle einer Geldleistung (Letzteres insbesondere auch im Rahmen des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO, wenn hierdurch eine Aufrechnungslage geschaffen wird5; vgl. § 7 Rz. 522 ff.); – Rückgabe der vom Gläubiger gelieferten Waren anstelle der Zahlung des Kaufpreises6 (es sei denn, es bestand zu diesem Zeitpunkt noch ein Eigentumsvorbehalt des liefernden Gläubigers, oder es wurde ein wirksamer und anfechtungsfester Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt7). 78a Soweit die Hingabe einer (ursprünglich) nicht in der Art geschuldeten Leistung auf einer entsprechenden vertraglichen Abrede beruht, lässt dies die Inkongruenz nur dann entfallen, wenn diese Abrede bereits vor Beginn des Dreimonatszeitraums erfolgt ist. 79 Bei Wahlschuld und Ersetzungsbefugnis liegt keine inkongruente Deckung vor, wenn Schuldner oder Gläubiger von ihrem Wahl- bzw. Ersetzungsrecht Gebrauch gemacht haben8. Das gilt auch für die verkehrsübliche Begleichung einer Geldschuld durch ei-
1 Huber, NZI 2007, 163 (164). 2 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 131 Rz. 17 (3/2003). 3 BGH v. 26.5.1971 – WM 1971, 908 (909); OLG Brandenburg v. 26.2.1998 – 8 U 73/97, ZIP 1998, 1367 (1368); MünchKommInsO/Kirchhof, § 131 Rz. 32. 4 OLG Schleswig v. 24.11.1981 – 3 U 43/81, ZIP 1982, 82 (83); OLG Zweibrücken v. 8.2.1984 – 2 U 43/83, KTS 1984, 492 (493). 5 OLG Köln v. 17.11.2000 – 19 U 206/99, BB 2002, 223 f. 6 RG v. 11.7.1893 – Rep. II 114/93, RGZ 31, 134 (136); MünchKommInsO/Kirchhof, § 131 Rz. 34. 7 Im erstgenannten Fall ist der Gläubiger aussonderungsberechtigt, und es fehlt nach dem oben (Rz. 48) Gesagten bereits an der Gläubigerbenachteiligung, im zweitgenannten Fall handelt es sich um die Erfüllung des Rückgabeanspruchs aus §§ 323 ff., 346 BGB, und damit um eine kongruente Deckung, vgl. MünchKommInsO/Kirchhof, § 131 Rz. 34. 8 MünchKommInsO/Kirchhof, § 131 Rz. 32.
792
Graf/Wunsch
Anfechtung der Sicherung oder Befriedigung eines Insolvenzglubigers
Rz. 81a
§ 10
genen Wechsel1 oder eigenen Scheck2, durch Überweisung3, Anweisung oder Abbuchung im Lastschriftverfahren4. Inkongruent ist dagegen die Hingabe eines Kundenwechsels5 oder -schecks, selbst 79a wenn der Gläubiger als Schecknehmer bezeichnet ist6. Eine Ausnahme gilt bei unanfechtbar vereinbarter Verpflichtung zur Inzahlungnahme von Kundenwechseln, da dann eine Ersetzungsbefugnis des Schuldners vorliegt7. Ebenso inkongruent ist die Zahlung durch einen Dritten auf Weisung des Schuld- 79b ners. Auch dies gilt jedoch nicht, wenn diese Vorgehensweise zwischen Schuldner und Gläubiger (anfechtungsfest) vereinbart wurde8.
Û
Hinweis: 80 Bietet ein Schuldner beispielsweise an, Zahlungen dadurch zu erbringen, dass er einen eigenen Schuldner anweist, statt an ihn selbst an den Gläubiger zu bezahlen, so ist dem Gläubiger – wenn er hierauf eingehen möchte – dringend zu raten, dies in einer entsprechenden vertraglichen Vereinbarung festzuhalten. Denn im Insolvenzfall kann die Anfechtbarkeit einer solchen Zahlung u.U. allein davon abhängen, ob ihr eine vertragliche Vereinbarung zu Grunde gelegen hat oder nicht9 (bzw. ob diese Vereinbarung, die in der Praxis oftmals sogar in mündlicher oder konkludenter Form vorliegen wird, nachweisbar ist). Gleiches gilt letztlich für alle Fälle, in denen der Schuldner seinen Zahlungspflichten in abweichender Form nachkommen möchte: Akzeptiert der Gläubiger das, so ist ihm dringend zu einer ausdrücklichen dahingehenden Vereinbarung zu raten. Denn in allen o.g. Fällen liegt bei einseitiger Abweichung des Schuldners vom vertraglich vorgesehenen Zahlungsweg eine inkongruente Deckung vor, bei vertraglicher Vereinbarung dagegen eine wesentlich anfechtungsresistentere kongruente Deckung.
bb) Sicherung Eine nicht in der Art zu beanspruchende Sicherung liegt vor, wenn eine andere als die gesetzlich geschuldete oder vertraglich vereinbarte Sicherheit gestellt wird10.
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Dabei führt jedoch nicht jede Abweichung dazu, dass eine inkongruente Deckung 81a vorliegt; geringfügige Abweichungen werden hingenommen. Als Beispiel für eine solche unbeachtliche Abweichung wird im Schrifttum die Bestellung einer Grundschuld anstelle einer Hypothek genannt11.
1 BGH v. 9.1.2003 – IX ZR 85/02, BB 2003, 2009 (2010); a.A. Jaeger/Henckel, InsO, 2008, § 131 Rz. 15. 2 BGH v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 (2223). 3 BGH v. 9.1.2003 – IX ZR 85/02, BB 2003, 2009 (2010). 4 BGH v. 9.1.2003 – IX ZR 85/02, BB 2003, 2009 (2010). 5 Jaeger/Henckel, InsO, 2008, § 131 Rz. 16. 6 LG Heilbronn v. 13.2.1996 – 6 O 2758/95, ZIP 1996, 601 (602) m. Anm. Tappmeier, EWiR 1996, 469 f. und nachfolgend OLG Stuttgart v. 3.7.1996 – 1 U 41/96, ZIP 1996, 1621 (1622) m. Anm. Pape, EWiR 1996, 989 f. 7 MünchKommInsO/Kirchhof, § 131 Rz. 35. 8 BGH v. 20.1.2011 – IX ZR 58/19, ZIP 2011, 438 (439); BGH v. 10.5.2007 – IX ZR 146/05, ZIP 2007, 1161; BGH v. 9.1.2003 – IX ZR 85/02, BB 2003, 2009 (2010); in diesem Fall kommt neben der Anfechtung gegenüber dem Zahlungsempfänger (Rz. 57) ggf. auch eine Anfechtung gegenüber dem Angewiesenen nach § 133 InsO in Betracht (dazu unten Rz. 183). 9 Vgl. BGH v. 10.5.2007 – IX ZR 146/05, ZIP 2007, 1161. 10 MünchKommInsO/Kirchhof, § 131 Rz. 37. 11 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 131 Rz. 49 (3/2003). Für den umgekehrten Fall (Hypothek anstelle einer Grundschuld) für Inkongruenz Hess/Weis, Anfechtungsrecht, § 131 InsO Rz. 23. Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 131 Rz. 22 geht zwar ebenfalls von Inkongruenz aus, lässt die Anfechtung aber an der mangelnden Gläubigerbenachteiligung scheitern.
Graf/Wunsch
793
§ 10
Rz. 82
Insolvenzanfechtung
c) Nicht zu der Zeit zu beanspruchende Deckung aa) Befriedigung 82 Die Befriedigung eines Gläubigers kann nicht zu der Zeit beansprucht werden, wenn der Anspruch des Gläubigers noch nicht fällig, noch nicht durchsetzbar, aufschiebend bedingt oder betagt war1. 82a Auch hier gilt allerdings die Einschränkung, dass ganz geringfügige Abweichungen nicht zur Inkongruenz führen. Es ist insbesondere im bargeldlosen Zahlungsverkehr üblich, Verbindlichkeiten einige Tage im Voraus zu begleichen, um einen rechtzeitigen Zahlungseingang sicherzustellen. Hält sich eine Zahlung in diesem Rahmen, ist sie nicht allein wegen ihres verfrühten Zeitpunkts inkongruent. Der BGH fasst den zeitlichen Rahmen allerdings recht eng und sieht bei Inlandsüberweisungen eine verfrühte Zahlung nur dann noch als kongruent an, wenn sie nicht mehr als fünf Bankarbeitstage vor Fälligkeit erfolgt2. Ebenso kongruent ist eine vor Fälligkeit erfolgende Zahlung, wenn sie der Ausnutzung eines Skontos dient3. 83 Hinsichtlich der Rechtsfolgen der Anfechtung einer (lediglich) verfrühten Zahlung ist zu unterscheiden: Wird die Forderung nicht mehr vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig, so ist die Zahlung voll zurückzuerstatten. Tritt die Fälligkeit dagegen noch vor Verfahrenseröffnung ein, können nach einer Entscheidung des BGH zur GesO nur die bis dato aufgelaufenen Zinsen verlangt werden4. Ob diese Rechtsprechung auf § 131 InsO übertragbar ist, hat der BGH jedoch ausdrücklich offen gelassen5, und in der Literatur wird dies teilweise verneint6. Unabhängig davon besteht jedenfalls dann volle Rückzahlungspflicht, wenn noch vor Eintritt der Fälligkeit ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt (dazu § 5 Rz. 88) bestellt worden ist und dieser nicht berechtigt gewesen wäre, seine Zustimmung zu der Zahlung zu erteilen7. Gleiches dürfte gelten, wenn die Zahlung zum Zeitpunkt des Fälligwerdens auch als kongruente Deckung anfechtbar gewesen wäre. 84
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Hinweis: Dass auch eine nur vergleichsweise kurzfristig – im Extremfall um nur sechs Bankarbeitstage – verfrühte Zahlung inkongruent ist und daher die gegenüber § 130 InsO erweiterte Anfechtung nach § 131 InsO eröffnet, wird oft übersehen. Wird auf einen insolvenzgefährdeten Schuldner Druck ausgeübt, Rechnungen stets ganz kurzfristig zu begleichen, muss daher sichergestellt sein, dass auch die Fälligkeit entsprechend frühzeitig eintritt. Insbesondere sollten abweichende vertragliche Fälligkeitsregelungen vermieden werden. Dies betrifft etwa die verbreiteten Regelungen, nach denen Zahlungen erst nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums nach Rechnungsstellung fällig werden. Wird die Zahlung dann vor dem vertraglichen Fälligkeitstermin geleistet, etwa weil der Mandant die Erbringung weiterer Leistungen hiervon abhängig macht, so kann es zu der misslichen Situation kommen, dass die Zahlung, anstatt im Optimalfall als Bargeschäft den §§ 130, 131 InsO ganz entzogen zu sein (dazu unten Rz. 264) sogar als inkongruente Deckung gilt. Damit unterliegt sie zum einen innerhalb des Dreimonatszeitraums den schärferen Regelungen des § 131 InsO, und zum anderen besteht ggf. auch außerhalb dieses Zeitraums ein erhöhtes Anfechtungsrisiko im Rahmen des § 133 InsO (dazu unten Rz. 180 ff.). Von vertraglichen Regelungen, die die Fälligkeit hinausschieben, ist daher abzuraten. Unschädlich ist dagegen die gesetzliche 30-Tages-Frist des § 286 Abs. 3 BGB, da diese nicht die Fälligkeit be-
1 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 131 Rz. 14; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 131 Rz. 31 (3/2003). 2 BGH v. 9.6.2005 – IX ZR 152/03, ZIP 2005, 1243 (1244). 3 BGH v. 6.5.2010 – IX ZR 114/08, ZIP 2010, 1188. 4 BGH v. 6.4.1995 – IX ZR 61/94, ZIP 1995, 1021 (1023); so auch LG Münster v. 14.1.2005 – 11 O 199/04, NZI 2005, 563 (564). 5 BGH v. 9.6.2005 – IX ZR 152/03, ZIP 2005, 1243 (1244). 6 So MünchKommInsO/Kirchhof, § 131 Rz. 42 mit Fn. 261. 7 BGH v. 9.6.2005 – IX ZR 152/03, ZIP 2005, 1243 (1244).
794
Graf/Wunsch
Anfechtung der Sicherung oder Befriedigung eines Insolvenzglubigers
Rz. 89a
§ 10
trifft, sondern den Verzugseintritt ohne Mahnung. Entsprechend können und sollten auch in der Vertragsgestaltung Klauseln gewählt werden, die nicht die Fälligkeit hinausschieben, sondern lediglich den Eintritt der Verzugsfolgen. Besteht keine Möglichkeit, eine vertraglich hinausgeschobene Fälligkeit anderweitig vorzuverlagern, kann u.U. eine Berufung auf die Unsicherheitseinrede des § 321 BGB erwogen werden. Dies hat jedoch den Nachteil, dass zugleich die Kenntnis des Mandanten von der finanziellen Schieflage des Schuldners aktenkundig gemacht wird. bb) Sicherung Eine Sicherung konnte dann nicht zu der Zeit beansprucht werden, wenn der gesetzliche oder vertragliche Anspruch auf eine Sicherheit zur Zeit ihrer Bestellung noch nicht fällig war1.
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3. Anfechtung einer kongruenten Deckung, § 130 InsO Steht fest, dass eine kongruente Deckung vorliegt, so richtet sich deren Anfechtbarkeit nach den strengeren Voraussetzungen des § 130 InsO. Die Vorschrift beinhaltet zwei Alternativen, nämlich – Rechtshandlungen innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten vor Stellung des Insolvenzantrags, § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO, und – Rechtshandlungen nach Antragstellung (vor Eröffnung des Verfahrens), § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO.
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Der Unterschied zwischen beiden Alternativen liegt darin, dass der Gläubiger im Fal- 87 le der Nr. 1 die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gekannt haben muss (nach § 130 Abs. 2 InsO steht dem die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen), während im Falle der Nr. 2 alternativ dazu auch die Kenntnis vom Insolvenzantrag ausreicht (auch insoweit steht nach Abs. 2 wiederum die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Antragstellung schließen lassen). a) Rechtshandlungen vor Stellung des Insolvenzantrags, § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind: – Vornahme der Rechtshandlung innerhalb des Dreimonatszeitraums, – Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zum Zeitpunkt der Vornahme, und – Kenntnis des Gläubigers von dieser Zahlungsunfähigkeit bzw. von entsprechenden Umständen.
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aa) Anfechtungszeitraum Die erste Alternative setzt also zunächst voraus, dass die betreffende Rechtshand- 89 lung in den letzten drei Monaten vor Stellung des Insolvenzantrags vorgenommen worden ist. Für die Berechnung dieser Frist gilt – wie für alle Fristen, die die Anfechtbarkeit einer Rechtshandlung innerhalb eines bestimmten Zeitraums vor Stellung des Insolvenzantrags vorsehen – § 139 InsO. Danach beginnt die Frist mit dem Anfang des Tages, der durch seine Zahl demjenigen Tag entspricht, an dem der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt wurde. 89a
Beispiel: Wurde der Eröffnungsantrag am 24.5. gestellt, so beginnt die Dreimonatsfrist am 24.2., 0.00 Uhr.
Fehlt ein solcher Tag, der dem der Antragstellung entspricht (weil der betreffende Monat kürzer war), so ist gem. 139 Abs. 1 Satz 2 InsO der nächstfolgende Tag für den Fristbeginn maßgeblich.
1 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 131 Rz. 50 (3/2003).
Graf/Wunsch
795
§ 10
Rz. 89b
Insolvenzanfechtung
89b Beispiel: Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurde am 31.5. gestellt. Da ein 31.2. nicht existiert, beginnt die Frist des § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO am 1.3.
90 Für die Frage, wann eine Rechtshandlung i.S.d. Frist als vorgenommen gilt, ist § 140 InsO einschlägig (vgl. dazu unten Rz. 246 ff.). 91 Wurden mehrere Eröffnungsanträge gestellt, so ist nach § 139 Abs. 2 Satz 1 InsO der erste zulässige und begründete Antrag maßgeblich, auch wenn das Verfahren tatsächlich aufgrund eines anderen Antrags eröffnet worden ist. 91a Wurde ein früherer Insolvenzantrag mangels Masse abgewiesen, so gilt Folgendes: Der frühere Antrag ist grundsätzlich ausschlaggebend, § 139 Abs. 2 Satz 2 InsO, es sei denn der Insolvenzgrund wäre in der Zwischenzeit behoben worden und erst später erneut eingetreten1. Dies wird bei Masseunzulänglichkeit allerdings selten der Fall sein. Eine Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit in diesem Sinne wäre auch erst dann zu bejahen, wenn eine mehr als nur kurzfristige Tilgung vorliegt. Es reicht also z.B. nicht aus, wenn der Schuldner vorübergehend bei seinen Arbeitnehmern Gehaltsrückstände beglichen hat, aber anderen Großgläubigern jede Zahlung schuldig geblieben ist2. bb) Zahlungsunfähigkeit des Schuldners 92 Weiterhin greift die Insolvenzanfechtung nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO nur dann, wenn der Schuldner zum Zeitpunkt der Vornahme der fraglichen Rechtshandlung bereits zahlungsunfähig war. Nach der Legaldefinition des § 17 Abs. 2 InsO ist der Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht mehr in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zum Begriff der Zahlungsunfähigkeit ausführlich § 1 Rz. 49 ff., zur gesetzlichen Vermutungswirkung der Zahlungseinstellung – die auch im Rahmen des § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO anwendbar ist3 § 1 Rz. 83 ff. 93 Dagegen reicht die drohende Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 18 InsO (vgl. § 1 Rz. 99 ff.) nicht aus; ebenso wenig Überschuldung i.S.d. § 19 InsO (vgl. § 1 Rz. 106 ff.). Das kann bei einem auf §§ 18, 19 InsO gestützten Insolvenzantrag – sofern tatsächlich nur drohende Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung, jedoch keine akute Zahlungsunfähigkeit vorlag, was allerdings in der Praxis höchst selten der Fall ist – dazu führen, dass selbst ganz kurz vor Antragstellung erfolgte kongruente Deckungsgeschäfte mangels Zahlungsunfähigkeit nicht anfechtbar sind. cc) Kenntnis des Gläubigers 94 Schließlich muss der Gläubiger zum Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung (§ 140 InsO, dazu unten Rz. 246 ff.) Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gehabt haben. Grobfahrlässige Unkenntnis reicht dagegen nicht aus. 94a Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn der Gläubiger aus den ihm bekannten Tatsachen und aus dem Verhalten des Schuldners bei natürlicher Betrachtungsweise den Schluss gezogen hat, dass der Schuldner wesentliche Teile – d.h. mindestens 10 % – seiner fälligen Zahlungsverpflichtungen nicht aus eigener Kraft innerhalb eines Zeitraums von drei Wochen wird tilgen können4 (zu dieser „10 %-/3 Wochen-Formel“ siehe § 1 Rz. 73 ff.). Eine derartige positive Kenntnis der Höhe der beim Schuldner bestehenden Liquiditätslücke ist dabei allerdings nicht erforderlich; diese wird in der Regel auch nicht vorliegen. Denn der Gläubiger kennt in der Regel nur seine eigenen offenen Forderungen, kann aber nicht beurteilen, welchen Anteil diese an den Gesamtverbindlichkeiten des Schuldners ausmachen. Jedoch kann die Zah-
1 BGH v. 15.11.2007 – IX ZR 212/06, ZIP 2008, 235 (236); Henckel in Kölner Schrift zur InsO, 813 (847), Rz. 75; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 139 Rz. 6 (3/2003). 2 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 130 Rz. 22 (3/2003). 3 BGH v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 (2223). 4 BGH v. 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 (2224).
796
Graf/Wunsch
Anfechtung der Sicherung oder Befriedigung eines Insolvenzglubigers
Rz. 96
§ 10
lungsunfähigkeit i.S.d. § 17 InsO nicht nur anhand einer konkret ermittelten Unterdeckung ermittelt werden, sondern auch mit Hilfe von Indiztatsachen1. Zudem stellt § 130 Abs. 2 InsO die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf 95 die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen. Kenntnis einer Unterdeckung von mindestens 10 % ist daher nicht erforderlich2. Es genügt, wenn der Anfechtungsgegner tatsächliche Umstände kennt, die bei zutreffender rechtlicher Bewertung auf Zahlungsunfähigkeit schließen lassen3. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Schuldner selbst – z.B. im Zusammenhang mit einer Bitte um längerfristige Stundung – erklärt hat, er könne einen wesentlichen Teil seiner fälligen Verbindlichkeiten nicht bedienen (nicht dagegen, wenn nur eine kurzfristige Stundung erbeten und dies mit einem bloßen Zahlungsengpass begründet wird4). Erfolgt diese Erklärung nach Fälligkeit bzw. gar erst nach Einleitung von Vollstreckungsversuchen, kann dem Gläubiger in aller Regel Kenntnis von einer Zahlungseinstellung i.S.d. § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO (dazu § 1 Rz. 90 ff.) unterstellt werden. Eine ähnliche Vermutung besteht aber auch dann, wenn der Schuldner rechtzeitig, d.h. noch vor Fälligkeit der betreffenden Forderung, um Stundung gebeten und dabei darauf hingewiesen hat, dass er nicht in der Lage sein wird, seine fälligen Verbindlichkeiten zu erfüllen, wenn der Gläubiger keine Stundung gewährt bzw. nur tatsächlich stillhält5. Darüber hinaus gilt auch im Rahmen des § 130 InsO die Vermutungswirkung der Zahlungseinstellung. Es reicht daher aus, wenn der Gläubiger Kenntnis von tatsächlichen Umständen hatte, die auf eine Zahlungseinstellung schließen lassen. Länger andauernde erhebliche Zahlungsrückstände stellen regelmäßig ein Indiz für die Kenntnis des Gläubigers von einer Zahlungseinstellung dar6. Auch bei der schlichten Nichtzahlung einer einzelnen Forderung von nicht unbeträchtlicher Höhe kann dies der Fall sein7. Dies ist jedoch kein Automatismus. Für sich genommen bewirken diese Umstände keine Vermutung zu Gunsten der Kenntnis von einer Zahlungseinstellung; vielmehr handelt es sich nur um Beweisanzeichen, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls zu würdigen sind8.
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Hinweis: 96 Der Berater eines Gläubigers sollte im Falle drohender Insolvenz zum einen darauf achten, dass die Kenntnis der Mandanten von der finanziellen Schieflage des Schuldners nicht (etwa durch Schriftwechsel mit dem Schuldner) in einer Weise aktenkundig gemacht wird, dass der spätere Insolvenzverwalter quasi „mit der Nase darauf gestoßen wird“, dass der Mandant von Tatsachen wusste, die sich zwanglos unter den Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit subsumieren lassen. Dass die Drohung mit der Stellung eines Insolvenzantrags auch unter diesem Aspekt mehr als kontraproduktiv ist, dürfte sich von selbst verstehen. Zum anderen ist dem Mandanten, der zunächst weiter stillhalten möchte, unter Umständen zu einer förmlichen Stundung zu raten. Anders als das bloße Stillhalten lässt die Stundung die Fälligkeit der eigenen Forderung und damit ggf. auch die Zahlungsunfähigkeit entfallen. Dies gilt allerdings nur, wenn der Mandant
BGH v. 13.6.2006 – IX ZB 238/05, ZIP 2006, 1457 (1458). BGH v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, WM 2011, 1429 (1431) zu § 133 InsO. BGH v. 1.7.2010 – IX ZR 70/08, WM 2010, 1756 (1757). MünchKommInsO/Kirchhof, § 130 Rz. 39. Hölzle, ZIP 2007, 613 (618). BGH 13.8.2009 – IX ZR 159/06, ZIP 2009, 1966 (1967) zu § 133 InsO. BGH v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, WM 2011, 1429 (1431). BGH v. 1.7.2010 – IX ZR 70/08, WM 2010, 1756 (1757); BGH v. 13.8.2009 – IX ZR 159/06, ZIP 2009, 1966 (1968). Der erstgenannten Entscheidung lag die Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen zu Grunde. Hier unterstellt der BGH regelmäßig, dass ein noch zahlungsfähiger Schuldner fällige Sozialversicherungsbeiträge u.a. wegen der Strafbewehrung der Nichtzahlung vorrangig entrichten würde, so dass aus der Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen in erheblichem Umfang auf Zahlungsunfähigkeit und zugleich auf die Kenntnis des Sozialversicherungsträgers hiervon geschlossen werden kann. Für private Gläubiger dürfte entsprechendes nur dann gelten, wenn diese gegenüber dem Schuldner über eine besonders starke Position verfügen.
Graf/Wunsch
797
§ 10
Rz. 97
Insolvenzanfechtung
nicht zugleich Kenntnis davon hat, dass der Schuldner anderweitige fällige Forderungen in erheblichem Umfang nicht bedient, etwa weil andere (Groß-)Gläubiger Stundungsbitten abgelehnt haben. 97 Die Beweislast sowohl für das Bestehen der Zahlungsunfähigkeit als auch für die Kenntnis des Gläubigers liegt beim Insolvenzverwalter. Dieser kann sich allerdings auf die Vermutungswirkung einer Zahlungseinstellung sowie auf die Gleichstellung der Kenntnis von Umständen i.S.d. § 130 Abs. 2 InsO berufen, für die die Rechtsprechung eine Reihe von Indizien entwickelt hat. Weist der Insolvenzverwalter Kenntnis von Umständen nach, die auf eine Zahlungseinstellung schließen lassen, ist eine fehlende subjektive Kenntnis einer Deckungslücke von mindestens 10 % wegen der Vermutungswirkung der Zahlungseinstellung unbeachtlich. Der Anfechtungsgegner kann dann lediglich versuchen, diese Vermutungswirkung zu entkräften, in dem er durch Sachverständigengutachten nachweist, dass die Deckungslücke objektiv weniger als 10 % betragen hat1. 98 Indizien für eine Kenntnis des Gläubigers liegen darin, dass der Gläubiger tatsächliche Anzeichen für die Zahlungsunfähigkeit bzw. die Nichterfüllung wesentlicher Zahlungspflichten gekannt hat, wie z.B. verzögerte Gehaltszahlungen an Arbeitnehmer, die Nichterfüllung betragsmäßig größerer Verbindlichkeiten, die Häufung von Vollstreckungsmaßnahmen oder Wechselprotesten (wobei beides nicht als zwingender Beweis für die Zahlungsunfähigkeit angesehen werden darf). Weitere Indizien sind: – erfolglose Vollstreckungsversuche des Gläubigers; – die Rückgabe von Lastschriften2 oder „geplatzte“ Schecks3; – die Nichteinhaltung von Zahlungszusagen (insbesondere im Rahmen von Ratenzahlungsvereinbarungen) bzw. wiederholt unpünktliche Zahlungen über einen längeren Zeitraum hinweg4; – Ausweichen auf Erfüllungssurrogate wie die Abtretung von Forderungen erfüllungshalber5; – der Umstand, dass der Schuldner den Gläubiger (oder Dritte, wenn der Gläubiger hiervon wusste) auf die Aussichtslosigkeit von Vollstreckungsversuchen hingewiesen hat6; – bei einer Bank die Sperrung des Hauptgeschäftskontos des Schuldners7, die Kündigung oder Reduzierung von Kreditlinien8 oder andere Maßnahmen, die darauf schließen lassen, dass die Bank den Schuldner nicht mehr für kreditwürdig gehalten hat9 (dem steht nicht entgegen, dass die Bank im Einzelfall noch Verfügungen zulässt10); – bei anderen Geschäftspartnern des Schuldners der Umstand, dass zur Erlangung von Sicherheiten oder Befriedigung so viel Druck auf den Schuldner ausgeübt wurde, dass damit bewusst die Gefährdung der Geschäftsbeziehung in Kauf genommen wurde11. 98a Ein einmaliger Vorfall aus dem o.g. Katalog von Indiztatsachen wird in der Regel für sich genommen nicht ausreichen, um eine Kenntnis des Anfechtungsgegners zu begründen. Liegen solche Indizien jedoch in einer gewissen Häufung oder über einen 1 2 3 4 5 6 7 8
BGH v. 30.6.2011 – IX ZR 134/10, WM 2011, 1429 (1430). BGH v. 1.7.2010 – IX ZR 70/08, WM 2010, 1756 (1757). BGH v. 20.11.2001 – IX ZR 159/00, ZIP 2002, 228 (229). OLG Rostock v. 10.7.2006 – 3 U 158/05, ZInsO 2006, 1109 (1110 f.). OLG Frankfurt/M. v. 16.1.2003 – 3 U 89/02, ZIP 2003, 1055 (1056). BGH v. 30.1.1997 – IX ZR 89/96, WM 1997, 545 (547) = ZIP 1997, 513 (515). BGH v. 13.4.2000 – IX ZR 144/99, WM 2000, 1207 (1208) = ZIP 2000, 1016 (1017). BGH v. 25.1.2001 – IX ZR 6/00, NJW 2001, 1650 (1651); OLG Brandenburg v. 2.11.1995 – 8 U 14/95, ZIP 1996, 142 (143). 9 MünchKommInsO/Kirchhof, § 130 Rz. 38. 10 BGH v. 25.1.2001 – IX ZR 6/00, NJW 2001, 1650 (1651) = ZIP 2001, 524 (525). 11 OLG Brandenburg v. 3.3.1999 – 7 U 229/98, ZIP 1999, 1012 (1014).
798
Graf/Wunsch
Anfechtung der Sicherung oder Befriedigung eines Insolvenzglubigers
Rz. 103
§ 10
längeren Zeitraum vor, tendiert die Rechtsprechung dazu, dem Gläubiger Kenntnis von Umständen i.S.d. § 130 Abs. 2 InsO zu unterstellen. Will sich der Gläubiger demgegenüber darauf berufen, die betreffenden Umstände hätten nicht zwingend auf Zahlungsunfähigkeit, sondern lediglich auf Zahlungsunwilligkeit oder eine bloße Zahlungsstockung schließen lassen, wird hierzu von den Gerichten substantiierter Vortrag erwartet, der die Indizwirkung entkräftet, bzw. der Einwand wird mit dem Argument der „allgemeinen Erfahrung“ zurückgewiesen. Auch aus allgemein verfügbaren Informationen, etwa aus Presseberichten, kann eine 99 Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit folgen, wenn der betreffende Gläubiger diese Informationen kannte1. Dagegen ist es nicht ausreichend, wenn dem Gläubiger bloß nachgewiesen werden kann, dass er subjektiv Zweifel an der Kreditwürdigkeit des Schuldners hatte oder dessen Insolvenz befürchtet hat2. Auch bei dem Schuldner nahe stehenden Personen („Insidern“) wird die Kenntnis 100 von der Zahlungsunfähigkeit nach § 130 Abs. 3 InsO vermutet. Wer eine nahe stehende Person in diesem Sinne ist, ergibt sich aus § 138 InsO. Der dort genannte Personenkreis ist abschließend. Bei natürlichen Personen gelten daher zwar Ehegatten und eingetragene Lebenspartner als nahe stehend (§ 138 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 1a InsO), nicht aber Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft3. Dabei ist zu beachten, dass sich die – widerlegbare – Vermutung des § 130 Abs. 3 InsO 100a nur auf die positive Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit selbst bezieht. Gelingt dem Anfechtungsgegner der Gegenbeweis, so besteht keine Vermutung bezüglich der Kenntnis von Umständen, die auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen (§ 130 Abs. 2 InsO). Allerdings wird der Gegenbeweis in aller Regel nur dadurch gelingen, dass bewiesen wird, dass der Betreffende keine Kenntnis von den die Zahlungsunfähigkeit begründenden Umständen hatte4. Der rechtliche oder steuerliche Berater des Schuldners fällt zwar grundsätzlich nicht 101 unter den von §§ 130 Abs. 3, 138 InsO erfassten Personenkreis. Hier besteht jedoch in Abhängigkeit vom Mandatsumfang eine mehr oder weniger große Gefahr einer tatsächlichen Vermutung zu Gunsten der Kenntnis von den die Zahlungsunfähigkeit begründenden Umständen5. Ähnliches gilt für die Hausbank. Bei Kreditinstituten wird überdies vertreten, dass bei der Vergabe von Großkrediten über 750 000 Euro wegen § 18 KWG eine tatsächliche Vermutung dafür besteht, dass das Kreditinstitut Einblick in die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners hatte und daher eine objektiv bestehende Zahlungsunfähigkeit kannte6. Auf ein Indiz gegen die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners kann der Gläubiger sich dann berufen, wenn er von Umständen wusste, die umgekehrt auf die Zahlungsfähigkeit haben schließen lassen7.
102
Hatte der Gläubiger ursprünglich Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuld- 103 ners, ging er zur Zeit der Vornahme der Rechtshandlung aber irrig davon aus, diese sei wieder behoben worden, so hat der BGH offen gelassen, ob die Rechtshandlung –
1 Vgl. Wegener, NJW 2010, 3607 (3608) unter Verweis auf BGH v. 19.7.2001 – IX ZR 36/99, ZIP 2001, 1641 (1642). Das Urteil betraf zwar eine Vorschrift der GesO, in deren Rahmen auch einfache Fahrlässigkeit schädlich war, jedoch weist Wegener zurecht darauf hin, dass gerade anwaltlich vertretenen Gläubigern oftmals auch für Zwecke des § 130 InsO positive Kenntnis von derartigen Presseberichten nachweisbar sein wird. 2 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 130 Rz. 44. 3 BGH v. 17.3.2011 – IX ZA 3/11, ZIP 2011, 873. 4 MünchKommInsO/Kirchhof, § 130 Rz. 67. 5 Vgl. LG Essen v. 8.3.2006 – 13 S 213/05, ZInsO 2006, 836 (837) zum Steuerberater, der die Finanzbuchhaltung durchgeführt hatte; vgl. auch BGH v. 10.7.2014 – IX ZR 192/13, NJW 2014, 2579 (2584). 6 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 130 Rz. 43; a.A. MünchKommInsO/Kirchhof, § 130 Rz. 39. 7 BGH v. 17.6.1999 – IX ZR 62/98, NJW 1999, 3780 (3082) zur Kenntnis von der Gläubigerbenachteiligungsabsicht.
Graf/Wunsch
799
§ 10
Rz. 104
Insolvenzanfechtung
wie es der h.M. zur KO entsprach – dennoch anfechtbar ist1. Das wird man mit guten Argumenten verneinen können. Allerdings muss der Anfechtungsgegner dann vortragen, dass er (etwa aufgrund wahrheitswidriger Behauptungen des Schuldners) irrig von tatsächlichen Umständen ausgegangen ist, die dazu geführt hätten, dass die Zahlungsunfähigkeit im Rechtssinne weggefallen wäre2. Ein bloßer Rechtsirrtum kann den Gläubiger dagegen auch insoweit nicht entlasten. 104 Hinsichtlich der Zurechnung der Kenntnis gelten die allgemeinen Regeln der Wissenszurechnung. Zurechenbar und damit schädlich ist daher die Kenntnis: – eines Stellvertreters, § 166 Abs. 1 BGB direkt oder entsprechend (umgekehrt ist allerdings die Unkenntnis des weisungsgebundenen Vertreters nach § 166 Abs. 2 BGB unschädlich); bei Gesamtvertretung reicht dabei die Kenntnis eines der Vertreter aus3; – darüber hinaus eines sogenannten Wissensvertreters, also eines Repräsentanten ohne Vertretungsmacht4, soweit ein Informationsaustausch mit dem jeweiligen Entscheidungsträger möglich und geboten ist5; – eines Handelsvertreters6; – eines Rechtsanwalts, jedenfalls sofern er sie im Rahmen seines Auftrags erworben hat7 (bei Sozietäten in der Regel nur die Kenntnis des bearbeitenden Anwalts8); – des Kassierers einer Bankfiliale9; – bei juristischen Personen: die Kenntnis des handelnden Mitglieds der Leitungsorgane; die Kenntnis eines anderen (ggf. sogar bereits ausgeschiedenen oder verstorbenen10 Organmitglieds soll nach wohl h.M. nur zugerechnet werden, soweit es sich um typischerweise aktenmäßig festgehaltenes Wissen handelt11; – bei Personengesellschaften: die Kenntnis eines vertretungsberechtigten Gesellschafters, jedenfalls bei Gesamtvertretung sowie ggf. nach den Grundsätzen der Wissenszurechnung auch unabhängig von seiner Beteiligung an dem konkreten Geschäft12, hier allerdings nicht nach dessen Tod oder Ausscheiden13; – bei der GmbH & Co. KG auch die Kenntnis der Organe oder Wissensvertreter der Komplementär-GmbH; nach deren Tod oder Ausscheiden jedoch nur, soweit es sich um typischerweise aktenmäßig festgehaltenes Wissen handelt14. b) Rechtshandlungen nach Stellung des Insolvenzantrags, § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO 105 Für die Anfechtung kongruenter Deckungen nach Stellung eines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist die zweite Alternative des § 130 Abs. 1 InsO einschlägig. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
11
12 13 14
BGH v. 20.11.2001 – IX ZR 48/01, BB 2002, 116 (119) = NJW 2002, 512 (514). BGH v. 20.11.2001 – IX ZR 48/01, BB 2002, 116 (119) = NJW 2002, 512 (514). BGH v. 3.3.1956 – IV ZR 314/55, NJW 1956, 869; Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 130 Rz. 57. Zum Begriff und den Voraussetzungen vgl. Ellenberger in Palandt, BGB, § 166 Rz. 6 ff. MünchKommInsO/Kirchhof, § 130 Rz. 46. OLG Frankfurt v. 1.7.1975 – 5 U 119/74, NJW 1976, 1355 (LS). BGH v. 22.11.1990 – IX ZR 103/90, NJW 1991, 980 (981). OLG Celle v. 20.3.1981 – 8 U 109/80, ZIP 1981, 467 (468); MünchKommInsO/Kirchhof, § 130 Rz. 41. BGH v. 1.3.1984 – IX ZR 34/83, NJW 1984, 1953 (1954). Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 130 Rz. 50; vgl. das außerhalb des Insolvenzrechts ergangene Urteil des BGH v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, BGHZ 109, 327 (332) = NJW 1990, 975 (976). BGH v. 13.10.2000 – V ZR 349/99, NJW 2001, 359 (360); MünchKommInsO/Kirchhof, § 130 Rz. 49; a.A. (uneingeschränkte Zurechnung) noch BGH v. 1.3.1984 – IX ZR 34/88, NJW 1984, 1953 (1954); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 130 Rz. 50. Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 130 Rz. 50; MünchKommInsO/Kirchhof, § 130 Rz. 50. BGH v. 17.5.1995 – VIII ZR 70/94, NJW 1995, 2159 (2160); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 130 Rz. 50; Zeuner in Smid, InsO, § 130 Rz. 21. BGH v. 31.1.1996 – VIII ZR 297/94, NJW 1996, 1205 (1206); ohne diese Differenzierung Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 130 Rz. 50.
800
Graf/Wunsch
Anfechtung der Sicherung oder Befriedigung eines Insolvenzglubigers
Rz. 110a
§ 10
aa) Eröffnungsgrund Dabei muss bei Stellung des Eröffnungsantrags noch keine Zahlungsunfähigkeit des 106 Schuldners vorgelegen haben1. Ein auf Überschuldung gestützter Antrag reicht daher ebenso aus wie ein Eigenantrag des Schuldners wegen drohender Zahlungsunfähigkeit2. Bei mehreren Eröffnungsanträgen gilt wiederum § 139 Abs. 2 InsO (obwohl dieser 107 nach seinem Wortlaut nur die Fristberechnung bei Anfechtungszeiträumen vor Antragstellung betrifft)3 und damit das oben unter Rz. 91 Ausgeführte. Unberücksichtigt bleiben aber zurückgenommene und für erledigt erklärte Anträge4, selbst wenn der Antragsteller gleichzeitig mit der Erledigungserklärung einen von ihm zeitlich später gestellten weiteren Antrag aufrechterhält5. Hat der Anfechtungsgegner selbst den einzigen bei Vornahme der Rechtshandlung anhängigen Antrag gestellt, so kann er die Anfechtbarkeit also unter Umständen durch Antragsrücknahme beseitigen. Allerdings wird im Regelfall weiterhin Zahlungsunfähigkeit und Kenntnis des Gläubigers hiervon bestehen, so dass bei zeitnaher Stellung eines anderweitigen Insolvenzantrags ggf. § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO greift. Selbst wenn dies nicht der Fall ist, kommt bei rechtsmissbräuchlicher Antragsrücknahme oder kollusiver Zusammenarbeit mit dem Schuldner eine Anfechtung wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung nach § 133 InsO oder anderenfalls ein Schadensersatzanspruch der Masse aus § 826 BGB in Betracht6. bb) Kenntnis des Gläubigers Der Gläubiger, dem die Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht wor- 108 den ist, muss entweder – soweit diese vorlag – Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit gehabt haben oder von dem Insolvenzantrag. Auch hier ist nach § 130 Abs. 2 InsO jeweils die Kenntnis von Umständen ausreichend, 108a die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder die Antragstellung schließen lassen. Für die Vermutung der Kenntnis bei nahe stehenden Personen gemäß § 130 Abs. 3 InsO gilt Rz. 100 entsprechend. Für die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit bzw. von Umständen, die auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen, gelten die obenstehenden Ausführungen (Rz. 94 ff.) entsprechend.
109
Für die Kenntnis von der Stellung eines Insolvenzantrags genügt (wie für die Frist- 110 berechnung bei § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO, oben Rz. 91) die Kenntnis vom ersten zulässigen und begründeten Antrag oder von einem nachfolgenden Antrag, auch wenn das Verfahren nicht aufgrund dieses konkreten Antrags eröffnet worden ist7. Irrelevant ist dabei, ob der Gläubiger selbst den ihm bekannten Antrag für zulässig und begründet gehalten hat oder nicht8. Unberücksichtigt bleiben aber zurückgenommene und für erledigt erklärte Anträge (oben Rz. 107). Als Umstände, die zwingend auf die Antragstellung schließen lassen, kommen ins- 110a besondere Verfahrenshandlungen und deren Folgen in Betracht, z.B. die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters oder andere Sicherungsmaßnahmen9, jedoch nur, soweit der Gläubiger hiervon Kenntnis hatte. Öffentliche Bekanntmachungen 1 Jaeger/Henckel, InsO, InsO, 2008, § 130 Rz. 110; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 130 Rz. 26 (3/2003). 2 Breutigam/Tanz, ZIP 1998, 717 (719 f.); Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 130 Rz. 26 (3/2003). 3 BGH v. 20.11.2001 – IX ZR 48/01, BB 2002, 116 (117) = NJW 2002, 512 (514). 4 BGH v. 20.11.2001 – IX ZR 48/01, BB 2002, 116 (117) = NJW 2002, 512 (514) und die Vorinstanz OLG Dresden v. 31.1.2001 – 13 U 2535/00, ZIP 2001, 621 (624). 5 OLG Hamm v. 7.9.2000 – 27 U 17/00, ZIP 2000, 2214 (2215). 6 BGH v. 20.11.2001 – IX ZR 48/01, BB 2002, 116 (117) = NJW 2002, 512 (514). 7 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 130 Rz. 47. 8 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 130 Rz. 47. 9 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 130 Rz. 47.
Graf/Wunsch
801
§ 10
Rz. 111
Insolvenzanfechtung
begründen noch keine tatsächliche Vermutung für eine Kenntnis1. Nicht ausreichend ist auch die bloße Kenntnis von der Absicht eines Dritten, Insolvenzantrag zu stellen2. c) Besonderheiten bei der Anfechtung von Wechsel- oder Scheckzahlungen des Schuldners (§ 137 InsO) 111 In § 137 InsO ist gegenüber § 130 InsO eine Sonderregelung für kongruente Wechselund Scheckzahlungen des Schuldners enthalten. Auf die Anfechtung inkongruenter Deckungen nach § 131 InsO ist § 137 InsO dagegen nicht anwendbar. 111a Die Vorschrift trägt dem Umstand Rechnung, dass sich ein Wechselgläubiger des Schuldners in einer „Zwickmühle“ befindet: Nimmt er die Zahlung auf den Wechsel an, riskiert er die Anfechtung nach § 130 InsO. Lehnt er sie ab, kann er keinen Protest erheben und verliert seinen Regressanspruch (Art. 43 ff. WG)3. Entsprechendes gilt für den Scheckgläubiger im Hinblick auf Art. 40 ff. ScheckG, jedoch spielt die Vorschrift insoweit nur bei der Insolvenz der Bank eine Rolle4. aa) § 137 Abs. 1 InsO 112 Um den Gläubiger vor dieser „Zwickmühle“ zu bewahren, schließt § 137 Abs. 1 InsO für den Bereich des § 130 InsO die Rückforderung vom Empfänger der Wechselzahlung aus. Gleiches gilt über § 137 Abs. 3 InsO für den Empfänger einer Scheckzahlung des Schuldners. 112a Diese Regelung soll jedoch nach dem soeben dargestellten Gesetzeszweck nur für den Fall gelten, in dem der Empfänger tatsächlich Regressansprüche gegen einen Dritten hatte, die er im Fall der Ablehnung verloren hätte5. Demnach greift § 137 InsO nicht ein, wenn ein Regress z.B. ohnehin an der Versäumung der Protestfrist gescheitert wäre oder wenn ein weiterer Regressschuldner überhaupt nicht existiert6. 113 Erfasst werden von § 137 Abs. 1 InsO nur Zahlungen des Schulders als Wechselverpflichteter – d.h. als Akzeptant (Art. 28 WG), als Aussteller beim Eigenwechsel (Art. 78 WG) oder als Ehrenannehmer (Art. 58 WG) – oder als Domiziliat (Art. 27 WG)7. Die Zahlung nach Protesterhebung, versäumter Protestfrist oder Protesterlass oder als Regresspflichtiger wird dagegen von der Vorschrift nicht erfasst8. 114 Gleichgestellt sind nach § 137 Abs. 3 InsO Scheckzahlungen. Die Gutschrift auf ein Konto des Empfängers wird dabei sowohl im Falle des Bar- als auch des Verrechnungsschecks wie eine Barzahlung behandelt9. Dagegen ist § 137 InsO auf andere indossable Wertpapiere oder auf eine durch Bürgschaft gesicherte Forderung nicht entsprechend anwendbar10. 115 § 137 InsO erfasst nur die Zahlung auf den Wechsel oder Scheck als solche, d.h. die Vorschrift betrifft die Anfechtung des Erfüllungsgeschäfts. An einer gegebenenfalls bestehenden Anfechtbarkeit des Kausalgeschäfts ändert die Regelung nichts11.
1 BGH v. 7.10.2010 – IX ZR 209/09, ZIP 2010, 2307; Wegener, NJW 2010, 3607 (3608). 2 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 130 Rz. 47. 3 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 137 Rz. 2; Zeuner in Smid, InsO, § 137 Rz. 2. 4 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 137 Rz. 7. 5 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 137 Rz. 3 (3/2003). 6 Zeuner in Smid, InsO, § 137 Rz. 6. 7 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 137 Rz. 3; Zeuner in Smid, InsO, § 137 Rz. 6. 8 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 137 Rz. 4. 9 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 137 Rz. 8. 10 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 137 Rz. 2. 11 Zeuner in Smid, InsO, § 137 Rz. 3.
802
Graf/Wunsch
Anfechtung der Sicherung oder Befriedigung eines Insolvenzglubigers
Rz. 120a
§ 10
bb) § 137 Abs. 2 InsO Ist die Rückforderung vom Empfänger nach § 137 Abs. 1 InsO ausgeschlossen, so 116 kommt nach § 137 Abs. 2 InsO die Rückforderung vom Regressschuldner (so genannte Einsatzrückgewähr) in Betracht. Der Insolvenzverwalter kann dann Erstattung der Zahlung von demjenigen verlangen, gegen den der Empfänger der Zahlung einen Regressanspruch hatte. Liegt dabei eine Kette von Regressansprüchen vor, so ist der letzte Regressschuldner 116a in Anspruch zu nehmen. Beim gezogenen Wechsel ist das der Aussteller (Art. 9 Abs. 1 WG), beim Eigenwechsel und beim gezogenen Wechsel nach Art. 3 Abs. 1 WG der erste Indossant (Art. 15 Abs. 1 WG)1. Handelt dieser letzte Rückgriffsschuldner für Rechnung eines Dritten (z.B. im Fall des Kommissionswechsels2), so trifft die Verpflichtung zur Rückgewähr zur Masse diesen Dritten. Diese Haftung des letzten Regressschuldners greift jedoch nur dann ein, wenn dieser 117 zur Zeit der Wechselbegebung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners oder den Eröffnungsantrag kannte. Hierbei gelten § 130 Abs. 2 (Kenntnis von Umständen, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag schließen lassen, oben Rz. 95, 110) und Abs. 3 InsO (Vermutung der Kenntnis bei nahe stehenden Personen, oben Rz. 100) entsprechend. Mit der Regelung des § 137 Abs. 2 InsO soll letztlich nur verhindert werden, dass das Privileg des § 137 Abs. 1 InsO missbraucht wird, indem etwa ein Wechselgläubiger den Wechsel in Kenntnis der Krise an einen gutgläubigen Dritten verkauft3. Zu beachten ist, dass die Haftung nach § 137 Abs. 2 InsO nur als Ersatz für eine ge- 118 mäß § 137 Abs. 1 InsO ausgeschlossene Anfechtung gegenüber dem Empfänger der Wechselzahlung nach § 130 InsO eingreift. Sie ist daher ausgeschlossen, wenn die Wechselzahlung außerhalb des Anfechtungszeitraums des § 130 InsO erfolgt ist oder eine inkongruente Deckung vorlag4. 4. Anfechtung einer inkongruenten Deckung, § 131 InsO Liegen die Voraussetzungen für eine inkongruente Deckung vor (oben Rz. 62 ff.), so 119 richtet sich die Anfechtbarkeit nach § 131 InsO. Die Schwelle für die Anfechtbarkeit liegt dabei deutlich niedriger. Hierbei sind drei Alternativen zu unterscheiden: – Rechtshandlungen innerhalb des letzten Monats vor oder nach Stellung des Insolvenzantrags, § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO; – Rechtshandlungen innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor Stellung des Insolvenzantrags bei Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO, und – Rechtshandlungen innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor Stellung des Insolvenzantrags bei Kenntnis des Gläubigers von der Gläubigerbenachteiligung, § 131 Abs. 1 Nr. 3 InsO. a) Rechtshandlungen innerhalb des letzten Monats vor Stellung des Insolvenzantrags oder danach, § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO Wurde die Rechtshandlung innerhalb eines Monats vor Stellung des Antrags auf Eröff- 120 nung des Insolvenzverfahrens oder gar erst nach Antragstellung vorgenommen (zur Fristberechnung vgl. Rz. 89 f., zur Maßgeblichkeit eines Eröffnungsantrags Rz. 91), so ist diese Rechtshandlung ohne weiteres anfechtbar. Insbesondere wird weder die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners verlangt, noch subjektive Merkmale auf Seiten des Gläubigers. Bei der Beratung eines Gläubigers, der in diesem Zeitraum eine Sicherung oder Be- 120a friedigung erhalten hat, liegt also die einzige Chance darin, das Vorliegen einer inkon1 2 3 4
Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 137 Rz. 5. Hess/Weis, Anfechtungsrecht, § 137 InsO Rz. 10. Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 137 Rz. 5. Zeuner in Smid, InsO, § 137 Rz. 7.
Graf/Wunsch
803
§ 10
Rz. 121
Insolvenzanfechtung
gruenten Deckung zu verneinen. Ist der Anwendungsbereich des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO einmal eröffnet, kann der Anfechtung nichts mehr entgegengehalten werden. b) Rechtshandlungen innerhalb des zweiten und dritten Monats vor Stellung des Insolvenzantrags, § 131 Abs. 1 Nr. 2 und 3 InsO 121 Lag die betreffende Rechtshandlung, durch die die Sicherung oder Befriedigung gewährt worden ist, dagegen im zweiten oder dritten Monat vor Antragstellung (zur Fristberechnung vgl. wiederum oben Rz. 89 ff.), so sieht das Gesetz zwei Alternativen der Anfechtbarkeit vor: aa) Objektive Zahlungsunfähigkeit, § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO 122 Nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist die inkongruente Deckung innerhalb dieses Zeitraums – wiederum ohne jede subjektive Voraussetzung – bereits dann anfechtbar, wenn zum Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung (§ 140 InsO, unten Rz. 246 ff.) die objektive Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gegeben war. Letzteres richtet sich nach den oben unter Rz. 94 ff. dargestellten Kriterien. bb) Kenntnis der Gläubigerbenachteiligung, § 131 Abs. 1 Nr. 3 InsO 123 Lediglich wenn die fragliche Rechtshandlung im zweiten oder dritten Monat vor Antragstellung lag und zum Zeitpunkt ihrer Vornahme keine Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gegeben war (oder diese jedenfalls nicht nachweisbar ist), kommt es überhaupt auf subjektive Kriterien an. Dann ist die inkongruente Deckung nach § 131 Abs. 1 Nr. 3 InsO anfechtbar, wenn der Gläubiger Kenntnis von der Benachteiligung der übrigen Insolvenzgläubiger hatte. Anders als § 133 InsO ist die Regelung dabei weder auf Rechtshandlungen des Insolvenzschuldners beschränkt, noch setzt sie subjektiven Benachteiligungsvorsatz des Insolvenzschuldners und Kenntnis des Gläubigers hiervon voraus. Ausreichend ist vielmehr, dass die Rechtshandlung objektiv – unmittelbar oder mittelbar – gläubigerbenachteiligend gewirkt hat (dazu oben Rz. 43 ff.) und der Gläubiger hiervon Kenntnis hatte. 124 Für die Kenntnis des Anfechtungsgegners reicht es nach § 131 Abs. 2 Satz 1 InsO aus, dass dieser Kenntnis von Umständen hatte, die zwingend auf eine Gläubigerbenachteiligung schließen lassen. Dabei ist zu beachten, dass z.B. die Erfüllung einer Zahlungsverpflichtung des Schuldners zwar stets objektiv gläubigerbenachteiligend wirkt, weil sie die Aktivmasse schmälert (vgl. Rz. 45). Jedoch reicht die Kenntnis dieses Umstands für sich genommen nicht aus. Denn zu einer Gläubigerbenachteiligung kommt es im Ergebnis nur dann, wenn das Vermögen des Schuldners nicht zur Befriedigung aller Gläubiger ausreicht. Daher muss die Kenntnis des Anfechtungsgegners auch Umstände umfassen, die diesen Schluss zulassen. Dies ist der Fall, wenn der Gläubiger aufgrund der ihm bekannten wirtschaftlichen Lage nicht davon ausgehen konnte, dass das Vermögen des Schuldners jetzt oder in absehbarer Zeit zur Befriedigung aller Gläubiger ausreichen würde1. Umstände, die in diesem Sinne auf eine Gläubigerbenachteiligung schließen lassen, können insbesondere auch in der Bedeutung des fraglichen Geschäfts für das Vermögen des Schuldners liegen: Kenntnis ist etwa dann zu bejahen, wenn der Gläubiger weiß, dass eine ihm eingeräumte Sicherheit praktisch das gesamte Schuldnervermögen erfasst2. 125 Demjenigen Gläubiger, der dem Schuldner bereits mit der Stellung eines Insolvenzantrags gedroht hat, unterstellt der BGH im Regelfall Kenntnis von Umständen, die auf eine Gläubigerbenachteiligung durch auf diese Drohung hin erfolgte Zahlungen schließen lassen3. Auch aus diesem Grund empfiehlt es sich für die Praxis, mit ausdrücklichen Drohungen mit einer Insolvenzantragstellung sehr zurückhaltend umzugehen. Denn selbst wenn eine derartige Drohung zunächst zum gewünschten Erfolg führt und der Schuldner seine Zahlungen begleicht, besteht anschließend für längere 1 BGH v. 18.12.2003 – IX ZR 199/02, NJW 2004, 1385 (1386 f.); BGH v. 18.4.1996 – IX ZR 268/95, ZIP 1996, 1015; BGH v. 15.12.1994 – IX ZR 24/94, ZIP 1995, 293 (296). 2 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 131 Rz. 31. 3 BGH v. 18.12.2003 – IX ZR 199/02, DB 2004, 810 (812).
804
Graf/Wunsch
Anfechtung der Sicherung oder Befriedigung eines Insolvenzglubigers
Rz. 130
§ 10
Zeit das erhebliche Risiko, die betreffende Zahlung im Falle eines Insolvenzverfahrens durch Anfechtung wieder zu verlieren. Denn die Drohung mit einem Insolvenzantrag kann zum einen die Inkongruenz der erhaltenen Zahlung bewirken (oben Rz. 75) und zum anderen nach § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO (dazu unten Rz. 192) eine Vermutung für die Kenntnis vom Vorsatz der Gläubigerbenachteiligung auslösen. Im Ergebnis ist die Zahlung dann sogar unabhängig davon, ob der Schuldner tatsächlich bereits zahlungsunfähig war, ohne weiteres anfechtbar, wenn innerhalb der nächsten drei Monate Insolvenzantrag gestellt wird. Und selbst wenn ein Insolvenzantrag erst deutlich später erfolgt, wird in der Regel noch ein erhebliches Risiko einer Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO bestehen. Hinsichtlich der Zurechnung der Kenntnis gilt Rz. 104 entsprechend. Liegt eine inkongruente Vollstreckungsmaßnahme (oben Rz. 74) vor, so muss sich der vollstreckende Gläubiger aber nicht die Kenntnis des Gerichtsvollziehers zurechnen lassen1.
126
Für dem Schuldner nahe stehende Personen enthält § 131 Abs. 2 Satz 2 InsO eine 127 dem § 130 Abs. 3 InsO (Rz. 100) entsprechende Vermutung für die Kenntnis von der Gläubigerbenachteiligung. Auch diese Vermutung bezieht sich aber nur auf die positive Kenntnis von der Gläubigerbenachteiligung, nicht jedoch auf Umstände i.S.d. § 131 Abs. 2 Satz 1 InsO, die zwingend auf die Gläubigerbenachteiligung schließen lassen2. 5. Sonderproblem: Anfechtung einer Aufrechnung nach §§ 130, 131 InsO, insbesondere bei Verrechnung durch Banken Die Anfechtung nach §§ 130, 131 InsO spielt auch bei der Aufrechnung eine wichtige 128 Rolle. Dabei geht es darum, ob die Aufrechnungslage in anfechtbarer Weise entstanden ist. In diesem Fall ist die Aufrechnung nach § 96 Nr. 3 InsO unwirksam (vgl. oben Rz. 31). Deshalb muss jeweils geklärt werden, ob die Rechtshandlung, die zum Entstehen der Aufrechnungslage geführt hat, unter § 130 oder § 131 InsO fällt (zu den Voraussetzungen einer Aufrechnung sowie zu den Aufrechnungsverboten s. § 7 Rz. 488 ff. und 510 ff.). Zu beachten ist, dass der Insolvenzverwalter ein Rechtsgeschäft, das zur anfecht- 129 baren Entstehung einer Aufrechnungslage führt, nicht insgesamt anfechten muss, sondern isoliert die Aufrechnung anfechten kann. Verkauft also z.B. der Schuldner kurz vor Eintritt des Insolvenzverfahrens Gegenstände an einen Gläubiger, der gegenüber dem Kaufpreisanspruch des Schuldners mit eigenen Forderungen aufrechnet, so kann der Insolvenzverwalter die Aufrechnung anfechten und Zahlung des Kaufpreises zur Masse verlangen3. In der Praxis sind insoweit insbesondere auch die Fälle der Verrechnung durch Ban- 130 ken relevant. Wenn auf ein debitorisches („in den roten Zahlen“ befindliches) Konto des Schuldners Gutschriften – Überweisungen, Schecks, Einzahlungen – eingehen, so verringert sich dadurch der Debetsaldo, die Bank erlangt also insoweit Befriedigung ihres Anspruchs aus dem Kontovertrag. Eine solche Verrechnung von Eingängen mit einem debitorischen Konto stellt eine Aufrechnung im Rechtssinn dar, auch wenn sie gleichsam automatisch geschieht und nicht mit einer Aufrechnungserklärung im üblichen Sinne einhergeht. Das in der Regel bestehende AGB-Pfandrecht der Banken an den eingehenden Gutschriften ändert an der Anfechtbarkeit der Verrechnung dieser Gutschriften nichts4 (umfassend zur Beratung von Banken § 9).
1 Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 130 Rz. 62 (für die Zurechnung der Kenntnis unfähigkeit im Rahmen des § 130 InsO). 2 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 130 Rz. 80 (3/2003); a.A. Hess/Weis, § 131 InsO Rz. 80. 3 Der Gläubiger kann sich dabei auch nicht auf den Einwand berufen, ohne möglichkeit hätte er das Geschäft nicht abgeschlossen, BGH v. 2.6.2005 – 2005, 553 (554). 4 Feuerborn, ZIP 2002, 290 (294 f.).
von der ZahlungsAnfechtungsrecht, die AufrechnungsIX ZR 263/03, NZI
Graf/Wunsch
805
§ 10
Rz. 131
Insolvenzanfechtung
131 Grundsätzlich der Anfechtung entzogen sind jedoch mangels Gläubigerbenachteiligung Zahlungseingänge, bei denen der Zahlende (z.B. ein Kunde des Schuldners) Forderungen erfüllt, die der Schuldner bereits wirksam und unanfechtbar an die Bank abgetreten hatte1. 132
Û
Hinweis: Aus Sicht der Bank sollte daher unbedingt darauf geachtet werden, dass einer (Global-)Zession unterfallende Kundenforderungen tatsächlich auf ein bei der Bank selbst geführtes Konto überwiesen werden. In diesem Fall scheidet eine Anfechtung des Zahlungseingangs aus. Zwar kann die Abtretung jeder einzelnen Forderung anfechtbar sein, jedoch ist maßgeblicher Zeitpunkt hierfür das Entstehen der Forderung (Rz. 249). Dieser Zeitpunkt liegt regelmäßig deutlich vor dem Zahlungseingang, so dass die Anfechtung nach §§ 130, 131 InsO oft ausscheidet. Demgegenüber reicht es nicht aus, wenn der Schuldner die Forderung zunächst anderweitig – z.B. durch Zahlung auf ein bei einem anderen Institut geführtes Konto – vereinnahmt und den vereinnahmten Betrag sodann an die Bank weiterleitet. In diesem Fall scheidet die Anfechtbarkeit des Zahlungseingangs nur dann aus, wenn zur Zeit der Weiterleitung ein Ersatzabsonderungsrecht bestand (siehe oben Rz. 48). Daher kann es sinnvoll sein, dem Schuldner eine erteilte Einziehungsermächtigung zu widerrufen, um für den Fall einer anderweitigen Vereinnahmung die Entstehung eines Ersatzabsonderungsrechts zu ermöglichen. In erster Linie sollte die anderweitige Vereinnahmung jedoch verhindert werden, da auch bei nicht bestehender Einziehungsermächtigung nicht zwingend ein Ersatzabsonderungsrecht entsteht (zur weiteren Voraussetzung der Abgrenzbarkeit s. § 7 Rz. 371 ff.).
133 In allen übrigen Fällen kommt die Anfechtung der Verrechnung in Betracht. Die Bank muss gutgeschriebene Eingänge an den Insolvenzverwalter herausgeben (gleichzeitig darf sie das Konto natürlich wieder um die zunächst gutgeschriebenen Beträge belasten), sofern zum Zeitpunkt eines Eingangs die Voraussetzungen der §§ 130, 131 InsO vorgelegen haben. Obwohl die Gutschrift durch die Bank an sich – im Unterschied zur Belastung eines Kontos – konstitutive Wirkung hat, kommt es dabei nicht auf den Zeitpunkt der Gutschrift an, sondern auf denjenigen des Eingangs z.B. der Überweisung. (In diesem Zeitpunkt entsteht ja bereits die Verrechnungslage.) Liegt dieser Zeitpunkt z.B. noch knapp außerhalb des Dreimonatszeitraums, die Gutschrift aber bereits innerhalb, oder erlangt die Bank erst nach Eingang, aber vor Ausführung der Gutschrift auf dem Konto schädliche Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners i.S.d. § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO, so ist die Verrechnung anfechtungsfest. 134 Dafür, ob in diesem Sinne eine Anfechtbarkeit der Verrechnungslage vorliegt, ist wiederum oftmals die Unterscheidung zwischen § 130 und § 131 InsO entscheidend. Das gilt insbesondere für Zahlungseingänge im letzten Monat vor Stellung des Insolvenzantrags und danach: Bejaht man hier die Inkongruenz der Verrechnung, so ist die Anfechtbarkeit ohne weiteres gegeben (Rz. 120). Die Frage nach Kongruenz oder Inkongruenz der Deckung hängt hier davon ab, ob die Bank – insbesondere aufgrund ihrer AGB – das Recht hatte, die konkreten Posten miteinander zu verrechnen2. Die Verrechnung ist daher inkongruent, wenn die Bank keinen Anspruch auf Zahlungseingang an diesem Tag hatte3. 135 Ein solcher Anspruch ist bei einem Überziehungskredit (Überziehung der vereinbarten Kreditlinie) immer gegeben4. Wenn der Schuldner sein Girokonto ohne aus1 BGH v. 1.10.2002 – IX ZR 360/99, ZIP 2002, 2182 (2183 f.) Die Anfechtung der Globalzession selbst richtet sich grundsätzlich nach § 130, vgl. BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 30/07, ZIP 2008, 183 (184); vgl. im Übrigen oben Rz. 67. 2 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 131 Rz. 25 (3/2003). 3 BGH v. 17.6.1999 – IX ZR 62/98, NJW 1999, 3780 (3782); BGH v. 22.1.1998 – IX ZR 99/97, NJW 1998, 1318 (1320); de Bra, NZI 1999, 249 (250); Heublein, ZIP 2000, 161 (166). 4 BGH v. 17.6.1999 – IX ZR 62/98, NJW 1999, 3780 (3781); BGH v. 22.1.1998 – IX ZR 99/97, NJW 1998, 1318 (1320); Dampf, KTS 1998, 145 (158); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 131 Rz. 8; Heublein, ZIP 2000, 161 (166).
806
Graf/Wunsch
Anfechtung der Sicherung oder Befriedigung eines Insolvenzglubigers
Rz. 138
§ 10
drückliche Vereinbarung bzw. mit bloßer Duldung durch die Bank überzogen hat, kann die Bank jederzeit Deckung (d.h. Rückführung auf das vereinbarte Kreditlimit) durch Verrechnung beanspruchen1, es liegt also eine kongruente Deckung vor. Hier ist aber aufgrund einer gewissen begrifflichen Verwirrung Vorsicht geboten: Als 135a „Überziehungskredit“ wird teilweise auch der Fall bezeichnet, dass die Überziehung des Kontos vertraglich vereinbart war (Kontokorrentkredit, „Dispokredit“). Eine solche Vereinbarung kann auch konkludent geschlossen werden2. In diesem Fall entsteht ein fälliger Anspruch der Bank auf Rückführung des Debets erst dann, wenn sie diese Vereinbarung bzw. den zugrunde liegenden Girovertrag kündigt. Zahlungseingänge vor Kündigung sind dagegen beim Kontokorrent grundsätzlich inkongruent3. Etwas anderes gilt allerdings insoweit, als Zahlungseingänge im Ergebnis nicht zur 136 Rückführung des Kredits – also zugunsten der Bank – verwendet wurden, sondern zur Ausführung weiterer Zahlungsaufträge des Schuldners4. Insoweit stellt die Verrechnung eine kongruente Deckung dar, die der Anfechtung nach § 130 InsO grundsätzlich als Bargeschäft i.S.d. § 142 InsO entzogen ist (siehe unten Rz. 282 ff.).
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Hinweis: Der BGH trennt insoweit nicht immer konsequent zwischen der Abgrenzung kongruente – inkongruente Deckung einerseits und der Frage des Bargeschäfts andererseits: Während das Urteil vom 7.3.20025 bereits das Vorliegen einer inkongruenten Deckung ablehnt (und zusätzlich ein Bargeschäft bejaht), geht das Urteil vom 1.10.2002 wieder von einer inkongruenten Deckung aus, deren Anfechtbarkeit erst am Vorliegen eines Bargeschäfts scheitert6. Beide Argumentationslinien führen stets zum Ausschluss der Anfechtbarkeit, jedoch ergeben sich insbesondere für die Frage der Beweislast Unterschiede. Für die Inkongruenz ist der Insolvenzverwalter darlegungs- und beweispflichtig, für das Vorliegen eines Bargeschäfts dagegen der Anfechtungsgegner.
137
Beispiel zur Anwendung der BGH-Rechtsprechung: Eine Bank hat im Rahmen eines Kontokorrents laufend Zahlungseingänge mit dem Debetsaldo verrechnet. Ihr können weder subjektive Merkmale unterstellt werden, die die Anfechtung kongruenter Deckungen oder inkongruenter Deckungen länger als einen Monat vor Stellung des Insolvenzantrags begründen könnten, noch war der Schuldner im letztgenannten Zeitraum bereits nachweislich zahlungsunfähig. In dieser – freilich nicht sehr realistischen – Konstellation kommt allein die von weiteren Merkmalen unabhängige Anfechtung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO (inkongruente Deckung im letzten Monat vor sowie nach Antragstellung) in Betracht. Das Konto des Schuldners hat sich wie folgt entwickelt: Stand des schuldnerischen Kontos einen Monat vor Antragstellung: 1 000 000 Euro Zahlungseingänge 500 000 Euro Ausgeführte Überweisungen 300 000 Euro Monatliche Abbuchung der Kontoführungsgebühren und Debetzinsen 10 000 Euro Stand des Kontos bei Verfahrenseröffnung: 810 000 Euro
1 BGH v. 21.12.1977 – VIII ZR 255/76, WM 1978, 133 (135); AG Wetzlar v. 31.10.1986 – 3 C 487/86, WM 1986, 1532 (1533); Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.114, 3.519. 2 BGH v. 17.6.1999 – IX ZR 62/98, NJW 1999, 3780 (3781) = ZIP 1999, 1271 (1272). 3 BGH v. 1.10.2002 – IX ZR 360/99, ZIP 2002, 2182 (2183); BGH v. 17.6.1999 – IX ZR 62/98, NJW 1999, 3780 (3781) = ZIP 1999, 1271 (1272); OLG Celle v. 2.2.2005 – 3 U 287/04, ZInsO 2005, 377 (378); OLG München v. 21.12.2001 – 23 U 4002/01, ZIP 2002, 608 (609); Dampf, KTS 1998, 145 (159); Heublein, ZIP 2000, 161 (166); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 130 Rz. 29; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 131 Rz. 26 (3/2003). 4 BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 223/01, BB 2002, 960 (961) = ZIP 2002, 812 (814); OLG Köln v. 29.9.2004 – 2 U 01/04, NZI 2005, 112 (114) = ZIP 2005, 222 (223 f.). 5 BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 223/01, BB 2002, 960 (961) = ZIP 2002, 812 (814). 6 BGH v. 1.10.2002 – IX ZR 360/99, ZIP 2002, 2182 (2183); so auch OLG München v. 21.12.2001 – 23 U 4002/01, ZIP 2002, 608 (609). Diese Rechtsprechung setzt sich zwar in einen gewissen Widerspruch zu dem vom BGH aufgestellten Postulat, dass inkongruente Deckungen in der Regel vom Anwendungsbereich des § 142 InsO ausgeschlossen seien (s. dazu Rz. 269), dürfte der Sache nach jedoch zutreffend sein.
Graf/Wunsch
807
138
§ 10
Rz. 139
Insolvenzanfechtung
139 Die Verrechnung der Zahlungseingänge in Höhe von 500 000 Euro ist grundsätzlich mangels Fälligkeit des Rückführungsanspruchs der Bank inkongruent. Anfechtbar ist sie im Ergebnis (unabhängig vom Weg der Begründung über Kongruenz oder über das Vorliegen eines Bargeschäfts) jedoch nur insoweit, als sie zur Rückführung des negativen Saldos verwendet wurde. Zahlungseingänge in Höhe der 300 000 Euro, die die Bank zur Ausführung von Überweisungsaufträgen verwendet hat, sind somit anfechtungsfest. Die Abbuchung der Gebühren und Schuldzinsen, also die Erfüllung eigener Ansprüche der Bank, ist dagegen unmaßgeblich1. Anfechtbar wäre die Verrechnung der Gutschriften danach in Höhe von 200 000 Euro. 140 Um die Inkongruenz auch derjenigen Verrechnungen zu vermeiden, denen keine Zahlungsausgänge gegenüberstehen, liegt es für eine Bank natürlich nahe, die Fälligkeit ihres Rückführungsanspruchs gegebenenfalls durch Kündigung der Kreditlinie herbeizuführen. 141
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Hinweis: Die Kündigung muss unmissverständlich zum Ausdruck kommen. Die Ankündigung, die Kreditlinie auszusetzen, keine weiteren Verfügungen zuzulassen und „künftige Zahlungseingänge zur Saldenreduzierung zu verwenden“, hat der BGH für eine Fälligstellung des Rückführungsanspruchs nicht ausreichen lassen2.
142 Hiermit dürfte im Regelfall allerdings nur dann etwas gewonnen sein, wenn die Kündigung noch außerhalb des Dreimonatszeitraums vor Stellung des Insolvenzantrags liegt. In diesem Fall werden diejenigen Eingänge auf dem Konto des Schuldners in der Regel „anfechtungsfest“ sein, die ebenfalls noch außerhalb dieses Zeitraums erfolgen, also nicht unter die §§ 130, 131 InsO fallen. Die späteren Gutschriften innerhalb des Dreimonatszeitraums bleiben dagegen als kongruente Deckungen anfechtbar, und dabei liegt es nahe, die vorangegangene Kündigung als ein Indiz für die Kenntnis der Bank von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zu werten. (Dem könnte man als Vertreter der Bank entgegenhalten, dass die Kündigung nur für eine Kenntnis von drohender Zahlungsunfähigkeit spricht, diese aber für § 130 Abs. 1 InsO nicht ausreicht. Das hilft aber dann nicht weiter, wenn die Kündigung selbst – für die Bank erkennbar – zur Zahlungsunfähigkeit des Schuldners geführt hat.) Liegt die Kündigung selbst dagegen bereits innerhalb dieses Zeitraums, so bleibt nicht nur die Anfechtbarkeit der Verrechnungen als kongruente Deckung nach § 130 InsO. Vielmehr kann dann auch die Kündigung selbst anfechtbar sein3, so dass die anschließende Verrechnung nach § 96 Nr. 3 InsO unwirksam ist, weil die Aufrechnungslage durch eine anfechtbare Rechtshandlung entstanden ist. Die Voraussetzungen für eine Anfechtung selbst nach § 130 InsO dürften insoweit fast immer zu bejahen sein: Einer Bank kann es kaum gelingen, einerseits die Voraussetzungen für die außerordentliche Kündigung der Kreditlinie darzutun und andererseits später zu bestreiten, dass sie Kenntnis von Umständen gehabt hat, die auf die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners schließen ließen4 (zur Kündigungsmöglichkeit von Banken s. § 9 Rz. 40 ff. und 138 ff.). 143 Bei einem Annuitäten- oder sonstigen Ratenkredit liegt eine inkongruente Deckung vor, wenn die Verrechnung mit dem Schuldensaldo vor Fälligkeit der jeweiligen Rate erfolgt ist5. 143a Auch hier ist für den Fall der bankenseitigen Kündigung zu beachten: Hat die Bank den Kredit gekündigt und solchermaßen die sofortige Fälligkeit ihres Rückzahlungsanspruchs herbeigeführt, so ist für die Frage der Wirksamkeit darauf folgender Verrechnungen gemäß § 96 Nr. 3 InsO auf die Kündigung abzustellen, denn durch sie
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BGH v. 11.10.2007 – IX ZR 195/04, ZIP 2008, 237 (238). BGH v. 1.10.2002 – IX ZR 360/99, ZIP 2002, 2182 (2183). BGH v. 14.10.2010 – IX ZR 160/08, ZIP 2010, 2460 (2461); De Bra, NZI 1999, 249 (250). Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 5.303. Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 131 Rz. 27 (3/2003); Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.208.
808
Graf/Wunsch
Anfechtung unmittelbar glubigerbenachteiligender Rechtsgeschfte
Rz. 147
§ 10
wurde die Aufrechnungslage erst herbeigeführt. Insoweit gelten die soeben zur Kündigung einer Kreditlinie gemachten Ausführungen entsprechend. Schließlich liegt eine inkongruente Deckung auch dann vor, wenn die Bank zweck- 144 bestimmte Einzahlung eigenmächtig – also ohne eine entsprechende Abrede1 – auf ein debitorisches Konto „umleitet“, um sich solchermaßen durch Aufrechnung zu befriedigen2. Gleiches gilt für die eigenmächtige (nicht: die vereinbarte3) Umbuchung von Guthaben auf debitorische Konten zum Zweck der Saldierung4. III. Anfechtung unmittelbar gläubigerbenachteiligender Rechtsgeschäfte des Schuldners, § 132 InsO 1. Anwendungsbereich und Überblick über die Tatbestandsalternativen § 132 InsO stellt gegenüber den §§ 130, 131 InsO einen Auffangtatbestand dar. Er 145 greift nur ein, wenn die betreffende Rechtshandlung nicht die Sicherung oder Befriedigung eines Insolvenzgläubigers darstellt5. Das ist der Fall – bei Rechtsgeschäften, die nichts mit der Sicherung oder Befriedigung von Gläubigern zu tun haben, z.B. bei – Verpflichtungsgeschäften; – der Erfüllung fremder Verbindlichkeiten nach § 362 Abs. 1 BGB6; – Rechtsgeschäften, die sich auf eine Position des Schuldners als Gläubiger einer Forderung beziehen, z.B. Erlassverträgen7, sowie – bei der Sicherung oder Befriedigung von Gläubigern, die nicht Insolvenzgläubiger sind8. § 132 InsO entspricht inhaltlich weitestgehend § 130 InsO, enthält aber insgesamt 146 vier Tatbestandsalternativen, weil die Absätze 1 und 2 jeweils unterschiedliche Kategorien von Rechtshandlungen betreffen. § 132 Abs. 1 InsO normiert für unmittelbar gläubigerbenachteiligende Rechtsgeschäf- 146a te des Schuldners zwei Alternativen, die den Zeiträumen des § 130 Abs. 1 InsO entsprechen: – Rechtsgeschäfte innerhalb von drei Monaten vor Stellung des Insolvenzeröffnungsantrags, § 132 Abs. 1 Nr. 1 InsO, und – Rechtsgeschäfte nach Antragstellung, § 132 Abs. 1 Nr. 2 InsO. § 132 Abs. 2 InsO stellt den unmittelbar gläubigerbenachteiligenden Rechtsgeschäf- 146b ten andere Rechtshandlungen des Schuldners mit bestimmten Folgen gleich. Auch bei diesen gleichgestellten Rechtshandlungen sind wieder die beiden o.g. Zeiträume zu unterscheiden. 2. Rechtsgeschäfte des Schuldners, die die Gläubiger unmittelbar benachteiligen, § 132 Abs. 1 InsO Der Gegenstand der Anfechtung wird in § 132 Abs. 1 InsO gegenüber §§ 130, 131 InsO 147 in zweifacher Weise eingeengt: Es werden nur Rechtsgeschäfte erfasst, und auch nur solche des Schuldners. Zusätzlich muss das Rechtsgeschäft unmittelbar gläubiger-
1 Im Fall einer solchen Abrede liegt eine kongruente Deckung vor, vgl. OLG Düsseldorf v. 30.3.1995 – 12 U 280/93, WM 1997, 913 (917). 2 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 131 Rz. 28 (3/2003); Paulus, ZIP 1997, 569 (577). 3 OLG Düsseldorf v. 30.3.1995 – 12 U 280/93, WM 1997, 913 (917); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 130 Rz. 29. 4 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, § 131 InsO Rz. 41; Paulus, ZIP 1997, 569 (577). 5 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 132 Rz. 2; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 132 Rz. 3 (3/2003); Zeuner in Smid, InsO, § 132 Rz. 12. 6 Zeuner in Smid, InsO, § 132 Rz. 11. 7 Jaeger/Henckel, InsO, 2008, § 132 Rz. 14. 8 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 132 Rz. 2; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 132 Rz. 47 (3/2003).
Graf/Wunsch
809
§ 10
Rz. 148
Insolvenzanfechtung
benachteiligend wirken; eine nur mittelbare Gläubigerbenachteiligung reicht nicht aus. a) Begriff des Rechtsgeschäfts 148 „Rechtsgeschäft“ i.S.d. § 132 Abs. 1 InsO ist jedes materiellrechtliche Rechtsgeschäft. Auch einseitige Rechtsgeschäfte des Schuldners fallen hierunter1. In Betracht kommt also der Abschluss von Verträgen jeder Art, aber auch z.B. die Kündigung eines Kredits (durch die für die Bank eine Aufrechnungsmöglichkeit entsteht)2 oder eines anderen Schuldverhältnisses durch den Schuldner. 149 Streitig ist, ob auch rechtsgeschäftsähnliche Handlungen oder Prozesshandlungen in den Anwendungsbereich der Vorschrift fallen3. Die Rechtsprechung hat sich, soweit ersichtlich, zu dieser Frage noch nicht geäußert. Aus Sicht des Anfechtungsgegners kann man daher mit guten Gründen die Auffassung vertreten, dass das Gesetz mit „Rechtsgeschäft“ in Abweichung zum weiten Begriff der „Rechtshandlung“ tatsächlich nur Rechtsgeschäfte meint. Dies wird allerdings nur selten zum Ziel führen, da stets noch § 132 Abs. 2 InsO und der Begriff der „anderen Rechtshandlung“ bleibt, dazu unten Rz. 157 ff. 150 Dagegen dürfte dahin gehend Einigkeit bestehen, dass Unterlassungen nicht unter § 132 Abs. 1 InsO fallen4. § 129 Abs. 2 InsO stellt die Unterlassung nur der Rechtshandlung gleich, nicht aber dem Rechtsgeschäft. Auch insoweit ist aber der Auffangtatbestand des § 132 Abs. 2 zu beachten, der alle Rechtshandlungen und somit auch Unterlassungen umfasst. b) Rechtsgeschäft des Schuldners 151 Anfechtbar sind nach § 132 Abs. 1 InsO nur Rechtsgeschäfte des Schuldners, d.h. zweiseitige Verträge mit Beteiligung des Schuldners sowie einseitige Rechtsgeschäfte oder rechtsgeschäftsähnliche Handlungen, die der Schuldner vorgenommen hat. 151a Dass der Schuldner bei dem Geschäft vertreten wurde, steht der Anfechtbarkeit selbstverständlich nicht entgegen. Für einen Vertreter ohne Vertretungsmacht gilt § 177 BGB5. 152 Auch von der Anfechtbarkeit nach § 132 InsO sind Bargeschäfte gemäß § 142 InsO ausgenommen. Auf den Begriff des Bargeschäfts wird unten in einem gesonderten Abschnitt eingegangen (Rz. 263 ff.). c) Unmittelbare Gläubigerbenachteiligung 153 Für den Begriff der Gläubigerbenachteiligung gilt zunächst die allgemeine Definition, die oben unter Rz. 44 gegeben wurde. Sie liegt also dann vor, wenn sich die Befriedigungsmöglichkeiten für die Insolvenzgläubiger ohne das fragliche Rechtsgeschäft wirtschaftlich betrachtet günstiger gestaltet hätten6. 154 Diese Gläubigerbenachteiligung muss unmittelbar durch das Rechtsgeschäft des Schuldners eingetreten sein, darf sich also nicht erst durch das Hinzutreten weiterer Umstände realisieren. Das ist der Fall bei einem Kauf zum überhöhten Preis oder einem Verkauf unter Warenwert7. Dagegen sind die oben in Rz. 49 genannten Fälle der mittelbaren Benachteiligung nicht nach § 132 Abs. 1 InsO anfechtbar, so z.B. der Verkauf von Wertpapieren zu zunächst angemessenem Preis, wenn der Wert nachträglich gestiegen ist. 1 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 132 Rz. 6 (3/2003). 2 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 132 Rz. 7 (3/2003). 3 Dafür: Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 132 Rz. 6 (3/2003); a.A. Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 132 Rz. 5. 4 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 132 Rz. 5; MünchKommInsO/Kirchhof, § 132 Rz. 9; Zeuner in Smid, InsO, § 132 Rz. 13. 5 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 132 Rz. 10 (3/2003. 6 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 132 Rz. 15 (3/2003). 7 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 132 Rz. 16 (3/2003).
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Graf/Wunsch
Anfechtung unmittelbar glubigerbenachteiligender Rechtsgeschfte
Rz. 160
§ 10
Schwierig zu beurteilen ist die Frage der unmittelbaren Gläubigerbenachteiligung 155 oftmals dann, wenn der Schuldner einen Sanierungskredit aufgenommen und hierfür Sicherheiten gewährt hat. Hier liegt eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung grundsätzlich nicht vor, wenn der Wert der Sicherheit den Umfang des gewährten Kredits nicht wesentlich überschreitet1. (Ob der Schuldner die gewährten Kreditmittel beiseite geschafft oder verbraucht hat, spielt insoweit keine Rolle, weil dies nur ein Fall der mittelbaren Benachteiligung wäre.) Lag allerdings die Aussichtslosigkeit des Sanierungsversuchs von vornherein auf der Hand, so ist der wirtschaftliche Wert des Kredits als geringer anzusehen als sein nomineller Wert2. Ähnliche Kriterien gelten auch für den Fall, dass der Schuldner außergerichtliche Sa- 156 nierungsversuche unternommen hat und hierfür Honorare anfielen: Eine unmittelbare Benachteiligung liegt in solchen Fällen nur dann vor, wenn entweder das Honorar überzogen oder der Sanierungsversuch offenbar zum Scheitern verurteilt war3. Die letztendliche Erfolglosigkeit ist dagegen kein Kriterium für eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung4. 3. Andere Rechtshandlungen des Schuldners i.S.d. § 132 Abs. 2 InsO § 132 Abs. 2 InsO stellt den unmittelbar gläubigerbenachteiligenden Rechtsgeschäf- 157 ten bestimmte andere Rechtshandlungen des Schuldners gleich. Dabei handelt es sich in doppelter Hinsicht um einen Auffangtatbestand: zunächst gegenüber den §§ 130, 131 InsO und zudem gegenüber § 132 Abs. 1 InsO5. a) Begriff der Rechtshandlung Der Begriff der Rechtshandlung entspricht dabei dem oben unter Rz. 26 ff. Aus- 158 geführten. Anders als bei Absatz 1 besteht keine Einschränkung auf Rechtsgeschäfte. Auch § 129 Abs. 2 InsO ist anwendbar, so dass Unterlassungen ebenfalls erfasst werden. Sie stellen einen der Hauptanwendungsfälle des § 132 Abs. 2 InsO dar. b) Weitere Voraussetzungen Andere Rechtshandlungen werden von § 132 Abs. 2 InsO jedoch nur erfasst, wenn sie 159 dazu führen, dass – der Schuldner ein Recht verliert oder nicht mehr geltend machen kann oder – dass ein vermögensrechtlicher Anspruch gegen den Schuldner erhalten oder durchsetzbar wird. Eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung wird bei anderen Rechtshandlungen 159a i.S.d. § 132 Abs. 2 InsO im Unterschied zu Abs. 1 nicht verlangt, jedoch wird diese in den o.g. Fallgruppen (Rechtsverlust des Schuldners oder Erhaltung bzw. Durchsetzbarwerden einer Verbindlichkeit) in aller Regel vorliegen. aa) Verlust eines Rechts Der Schuldner verliert ein Recht, wenn er den Wechselprotest nicht geltend macht 160 oder es unterlässt, die Ersitzung zu unterbrechen. Er kann ein Recht nicht mehr geltend machen, wenn er aufgrund prozessualer Versäumnisse einen aussichtsreichen Aktivprozess verliert, wenn er die Verjährung nicht unterbricht oder wenn er eine Mängelrüge nicht erhebt6.
1 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 132 Rz. 17 (3/2003). 2 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 132 Rz. 17 (3/2003). 3 BGH v. 11.6.1980 – VIII ZR 62/79, NJW 1980, 1962 (1963); Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 132 Rz. 18 (3/2003). 4 BGH v. 28.1.1988 – IX ZR 102/87, MDR 1988, 576 f.; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 132 Rz. 18 (3/2003). 5 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 132 Rz. 32 (3/2003). 6 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 132 Rz. 9; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 132 Rz. 34.
Graf/Wunsch
811
§ 10
Rz. 161
Insolvenzanfechtung
161 Für den Fall, dass vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Mietvertrag wegen Zahlungsverzugs des Schuldners gekündigt wurde, ist umstritten, ob der Insolvenzverwalter die Nichtzahlung des Mietzinses – die dem Vermieter die Kündigungsmöglichkeit eröffnet und damit mittelbar zu einem Rechtsverlust des Mieters geführt hat – mit der Folge anfechten kann, dass der Mietvertrag wieder auflebt1. Im Ergebnis dürfte dies zu verneinen sein, da der Gesetzeswortlaut nahe legt, dass der Rechtsverlust – unabhängig von der Frage nach mittelbarer oder unmittelbarer Gläubigerbenachteiligung – unmittelbare Folge der Rechtshandlung des Schuldners sein muss („… durch die der Schuldner ein Recht verliert“). Ähnliches gilt für sonstige Fälle, in denen Unterlassungen des Schuldners Kündigungs- oder andere Gestaltungsrechte seiner Geschäftspartner auslösen. bb) Erhaltung eines Anspruchs gegen den Schuldner 162 Ein vermögensrechtlicher Anspruch gegen den Schuldner bleibt erhalten, wenn er eine mögliche Anfechtung nach §§ 119 ff. BGB nicht rechtzeitig erklärt2. Ein solcher Anspruch wird durchsetzbar, wenn der Schuldner im Passivprozess die Einrede der Verjährung nicht erhebt3. 4. Anfechtungszeiträume 163 § 132 InsO unterscheidet dieselben beiden Zeiträume wie § 130 InsO: Rechtshandlungen (d.h. Rechtsgeschäfte i.S.d. § 132 Abs. 1 InsO oder andere Rechtshandlungen i.S.d. § 132 Abs. 2 InsO) innerhalb von drei Monaten vor Stellung des Insolvenzeröffnungsantrags und solche nach diesem Zeitpunkt. a) Rechtshandlungen im Zeitraum von drei Monaten vor Antragstellung, § 132 Abs. 1 Nr. 1 InsO 164 Für die Berechnung der Dreimonatsfrist des § 132 Abs. 1 Nr. 1 InsO gelten Rz. 88 ff. entsprechend. Auf die Frage, wann eine Rechtshandlung i i.S.d. Insolvenzanfechtungsrechts als vorgenommen gilt, wird unten im Abschnitt VIII unter Rz. 246 ff. eingegangen. 165 Voraussetzung für die Anfechtung innerhalb des Dreimonatszeitraums ist bei § 132 InsO wiederum die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners (oben Rz. 92 ff.) zum Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung und die Kenntnis des Anfechtungsgegners hiervon (oben Rz. 94 ff.). § 132 Abs. 3 InsO verweist bezüglich dieser Kenntnis auf § 130 Abs. 2 InsO, so dass also auch hier die Kenntnis von Umständen gleichgestellt wird, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen. Auch § 130 Abs. 3 InsO (Vermutung der Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit bei nahe stehenden Personen) gilt entsprechend. b) Rechtshandlungen nach Antragstellung, § 132 Abs. 1 Nr. 2 InsO 166 Für die Frage, welcher Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Rahmen des § 132 Abs. 1 Nr. 2 InsO maßgeblich ist, gelten die obigen Ausführungen zu § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO (Rz. 91) entsprechend. 167 Wie bei § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO reicht bei Rechtsgeschäften oder anderen Rechtshandlungen nach Antragstellung auch im Rahmen des § 132 Abs. 1 Nr. 2 InsO alternativ zur Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners – sofern Letztere vorlag – auch die Kenntnis von der Antragstellung. Die Kenntnis von Umständen, die auf die Zahlungsunfähigkeit oder die Antragstellung schließen lassen, ist der direkten Kenntnis nach §§ 132 Abs. 3 i.V.m. 130 Abs. 2 InsO gleichgestellt. Insoweit kann auf Rz. 95 ff. und 110 verwiesen werden.
1 So Zeuner in Smid, InsO, § 132 Rz. 14; dagegen MünchKommInsO/Kirchhof, § 132 Rz. 22. 2 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 132 Rz. 9; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 132 Rz. 35 (3/2003). 3 MünchKommInsO/Kirchhof, § 132 Rz. 25.
812
Graf/Wunsch
Anfechtung bei vorstzlicher Glubigerbenachteiligung, § 133 InsO
Rz. 172
§ 10
IV. Anfechtung bei vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung, § 133 InsO 1. Allgemeines § 133 InsO erlaubt die Anfechtung gläubigerbenachteiligender Rechtshandlungen 168 des Schuldners, die bis zu zehn Jahren in der Vergangenheit liegen. Diese lange Frist wird dadurch gerechtfertigt, dass von § 133 Abs. 1 InsO nur solche Handlungen erfasst werden, bei denen der Schuldner mit dem Vorsatz der Gläubigerbenachteiligung gehandelt hat und der Anfechtungsgegner dies wusste. § 133 Abs. 2 InsO enthält eine noch schärfere Sonderregel für entgeltliche Verträge 168a des Schuldners mit nahe stehenden Personen, die zu einer unmittelbaren Gläubigerbenachteiligung führen: Hier wird die Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Gläubigerbenachteiligungsabsicht des Schuldners vermutet, dies allerdings nur für einen Zeitraum von zwei Jahren vor Stellung des Insolvenzeröffnungsantrags. Zu beachten ist, dass § 142 InsO (Ausschluss der Anfechtbarkeit von Bargeschäften, dazu unten Rz. 263 ff.) im Rahmen des § 133 Abs. 1 InsO nicht gilt, wohl aber im Rahmen des Abs. 2.
169
2. Rechtshandlungen des Schuldners, § 133 Abs. 1 InsO a) Rechtshandlung des Schuldners § 133 Abs. 1 InsO erfasst nur Rechtshandlungen des Schuldners, nicht aber eines 170 Gläubigers oder eines Dritten. Ausreichend ist, wenn der Schuldner an der Rechtshandlung mitgewirkt hat bzw. die Handlung des Schuldners für die Gläubigerbenachteiligung mitursächlich war (z.B. wenn der Schuldner dem Gläubiger eine Einzugsermächtigung erteilt und dieser dann davon Gebrauch macht1). Der Anfechtung nach § 133 entzogen ist damit z.B. die Befriedigung eines Gläubigers 171 im Wege der Zwangsvollstreckung2. Eine Ausnahme gilt jedoch im Fall der Mitwirkung des Schuldners bei einer gegen ihn gerichteten Vollstreckungsmaßnahme3, die im einverständlichen Zusammenwirken mit dem Gläubiger (etwa dem Hinweis auf anderen Gläubigern verheimlichte pfändbare Vermögenswerte), in der Bereitstellung von Vollstreckungsmasse im Vorfeld einer erwarteten Vollstreckungsmaßnahme, aber auch im bewussten Unterlassen der Einlegung eines Erfolg versprechenden Rechtsbehelfs liegen kann. Ist sich der Schuldner dagegen nicht bewusst, dass er die Zwangsvollstreckung mit einem Rechtsbehelf hätte abwenden können, scheidet eine hierauf gestützte Absichtsanfechtung aus4, da bereits kein bewusstes Unterlassen (oben Rz. 41) vorliegt. Leistet der Schuldner zur Abwendung der Zwangsvollstreckung freiwillig, liegt 172 grundsätzlich eine Rechtshandlung des Schuldners vor. Durch unmittelbar bevorstehende Vollstreckungsmaßnahmen wird das Vorliegen einer Rechtshandlung des Schuldners dabei nicht ausgeschlossen, sondern erst dann, wenn dieser nur noch die Wahl hat zwischen sofortiger Zahlung und Duldung der für ihn sonst nicht abwendbaren Vollstreckungsmaßnahme, und somit jede Möglichkeit selbstbestimmten Handelns ausgeschlossen ist5. Letzteres ist in der Regel der Fall, wenn ein Gerichtsvollzieher erschienen und zur Vornahme von Vollstreckungshandlungen bereit ist. In diesem Fall sind an den Gerichtsvollzieher geleistete Zahlungen regelmäßig der Anfechtung nach § 133 InsO entzogen6.
1 BGH v. 19.12.2002 – IX ZR 377/99, BB 2003, 752 (756). 2 BGH v. 10.2.2005 – IX ZR 211/02, NZI 2005, 215 f. 3 BGH v. 3.2.2011 – IX ZR 213/09, ZIP 2011, 531 (532) zum Fall des bewussten Auffüllens der Kasse im Hinblick auf eine bevorstehende Kassenpfändung. 4 BGH v. 3.2.2011 – IX ZR 213/09, ZIP 2011, 531 (532). 5 BGH v. 10.2.2005 – IX ZR 211/02, NZI 2005, 215 (217); OLG Brandenburg v. 16.8.2006 – 7 U 42/06, ZInsO 2007, 40; OLG Frankfurt/M. v. 13.4.2006 – 26 U 37/05, ZInsO 2006, 943 (944). Zu den Einzelheiten sowie zu offenen Abgrenzungsfragen Huber, ZInsO 2005, 630 ff. 6 BGH v. 3.2.2011 – IX ZR 213/09, ZIP 2011, 531 (531).
Graf/Wunsch
813
§ 10 173
Û
Rz. 173
Insolvenzanfechtung
Hinweis: Dadurch steht der Gläubiger, wenn die im Rahmen der §§ 130, 131 InsO maßgebliche Dreimonatsfrist erst einmal verstrichen ist, im Falle der Befriedigung durch Zwangsvollstreckung anfechtungsrechtlich besser als bei einer unter dem Druck der Vollstreckungsdrohung erfolgten Zahlung des Schuldners. Auch insoweit ist es also taktisch unklug, Vollstreckungsmaßnahmen „auf die lange Bank zu schieben“ und den Schuldner mit immer neuen Vollstreckungsdrohungen und Fristsetzung doch noch zur Zahlung bewegen zu wollen. Vielmehr sollte die Zwangsvollstreckung möglichst schnell eingeleitet werden.
Beim Vollstreckungsauftrag empfiehlt es sich, die von Huber1 aufgestellten Grundsätze zum „anfechtungsresistenten“ Vollstreckungsauftrag zu beachten. Dieser besteht aus dem üblichen kombinierten Auftrag zur Sachpfändung und Abnahme der eidesstattlichen Versicherung, wobei sich der Gläubiger jedoch mit freiwilligen Ratenzahlungen des Schuldners ausdrücklich nicht einverstanden erklärt und den Gerichtsvollzieher stattdessen anhält, ggf. angebotene Teilzahlungsbeträge zu pfänden und an den Gläubiger abzuliefern. Bei Insolvenzantragstellung innerhalb der Dreimonatsperiode verschlechtert sich die Position des Gläubigers im Hinblick auf § 131 Abs. 1 Nr. 2, 3 InsO durch diese Maßnahme nicht. Sobald diese Dreimonatsperiode überstanden ist, verbessert sich die Situation des Gläubigers deutlich, weil § 133 InsO mangels Rechtshandlung des Schuldners nicht greift. b) Gläubigerbenachteiligung und dahin gehender Vorsatz des Schuldners aa) Objektive Benachteiligung 174 Die Rechtshandlung des Schuldners muss – dies ergibt sich schon aus der allgemeinen Regelung des § 129 Abs. 1 InsO – objektiv zu einer Gläubigerbenachteiligung geführt haben. Ausreichend ist dabei eine mittelbare Benachteiligung2 (oben Rz. 49). bb) Vorsatz 175 Der Schuldner muss den Vorsatz gehabt haben, die Insolvenzgläubiger zu benachteiligen. Ausreichend ist dabei dolus eventualis3. Benachteiligungsvorsatz i.S.d. § 133 Abs. 1 InsO liegt demnach vor, wenn der Schuldner im Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung (§ 140 InsO, dazu unten Rz. 246 ff.) seine Gläubiger im Allgemeinen – sei es zu seinen eigenen Gunsten, zu Gunsten eines einzelnen Gläubigers oder eines Dritten – benachteiligen wollte, oder wenn er diese Benachteiligung jedenfalls als Folge seiner Handlung erkannt hat. Der Schuldner muss zumindest damit gerechnet haben, dass sich die Befriedigungsaussichten seiner Gläubiger durch die betreffende Rechtshandlung verschlechtern. Dieser Benachteiligungsvorsatz muss sich nicht gegen alle Gläubiger richten, sondern kann auch nur einzelne, bestimmte oder unbestimmte Gläubiger betreffen4. Es ist nicht einmal erforderlich, dass zum Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung überhaupt Gläubiger vorhanden waren. Selbst ein völlig schuldenfreier späterer Schuldner kann den Vorsatz haben, etwaige künftige Gläubiger zu benachteiligen5. 176 Besteht zum Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung bereits Zahlungsunfähigkeit oder drohende Zahlungsunfähigkeit und ist dies dem Schuldner bei Vornahme einer objektiv gläubigerbenachteiligenden Rechtshandlung bewusst, so kann daraus nach ständiger Rechtsprechung des BGH auf Benachteiligungsvorsatz geschlossen 1 ZInsO 2005, 628 (631). 2 BGH v. 19.12.2002 – IX ZR 377/99, BB 2003, 752 (756); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 133 Rz. 8; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 133 Rz. 14 (7/2003); Zeuner in Smid, InsO, § 133 Rz. 9. 3 BGH v. 13.4.2006 – IX ZR 158/05, ZIP 2006, 1261 = WM 2006, 1159; BGH v. 10.2.2005 – IX ZR 211/02. ZIP 2005, 494 = WM 2005, 564; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 133 Rz. 21 (7/2003). 4 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 133 Rz. 37 (7/2003). 5 BGH v. 18.3.2010 – IX ZR 57/09, ZIP 2010, 841 (843); BGH v. 13.8.2009 – IX ZR 159/06, ZIP 2009, 1966 (1967).
814
Graf/Wunsch
Anfechtung bei vorstzlicher Glubigerbenachteiligung, § 133 InsO
Rz. 181
§ 10
werden, wenn der Schuldner nicht ausnahmsweise aufgrund konkreter Umstände mit einer baldigen Überwindung der Krise rechnen konnte1. (1) Kongruente Deckung Der o.g. Grundsatz ist insbesondere bei kongruenten Deckungen relevant. Diese sind 177 in aller Regel im Hinblick auf § 133 InsO „unverdächtig“, wenn sie zu einem Zeitpunkt vorgenommen wurden, zu dem Zahlungsunfähigkeit weder eingetreten war noch drohte. Dagegen sieht die Rechtsprechung den Benachteiligungsvorsatz bei einem zahlungsunfähigen Schuldner – der zwangsläufig in Kauf nimmt, nicht mehr alle anderen Gläubiger befriedigen zu können – auch bei kongruenter Deckung als den Regelfall an2. Dies gilt insbesondere, wenn der Schuldner durch Zahlungen an bestimmte Gläubi- 178 ger Nachteile für sich abwenden will, etwa die Zwangsvollstreckung oder Insolvenzantragstellung durch den betreffenden Gläubiger3, oder wenn der Gläubiger auf sonstige Weise Druck ausgeübt hat4. Zahlungen zur Abwendung der Zwangsvollstreckung indizieren somit (nur) beim zahlungsunfähigen Schuldner unabhängig von einer Inkongruenz (dazu sogleich Rz. 182) in aller Regel einen Benachteiligungsvorsatz5. Außerhalb des Bereichs der „Druckzahlung“ kann ein Gläubigerbenachteiligungsvor- 179 satz bei kongruenter Deckung ausscheiden, wenn es sich um die Bezahlung von Leistungen handelt, die zur Unternehmensfortführung notwendig sind und insoweit mittelbar der Gesamtheit der Gläubiger zu Gute kommen. Letzteres lässt zwar nicht automatisch die objektive Gläubigerbenachteiligung entfallen (oben Rz. 44), jedoch handelt der Schuldner in solchen Fällen in der Regel nicht mit Benachteiligungsvorsatz6. (2) Inkongruente Deckung Die – bewusste7 – Gewährung einer inkongruenten Deckung (oben Rz. 62 ff.) wird da- 180 gegen nach ganz h.M. unabhängig von einer bestehenden oder drohenden Zahlungsunfähigkeit bereits für sich genommen als ein Indiz für Benachteiligungsvorsatz angesehen8. Das liegt auch auf der Hand: Wendet der Schuldner einem Gläubiger mehr zu, als diesem zusteht, so spricht das für die Absicht, die übrigen Gläubiger zu benachteiligen. Daher spielt die Abgrenzung zwischen kongruenter und inkongruenter Deckung auch im Rahmen des § 133 InsO eine bedeutende Rolle. Das Gewicht des in der Inkongruenz liegenden Beweisanzeichens kann jedoch unter- 181 schiedlich ausfallen und ist umso geringer, umso unwesentlicher die Inkongruenz als solche ist9. Das gilt insbesondere in den Fällen, in denen eine Deckung gewährt wurde, die dem Gläubiger nur nicht in der Art oder zu der Zeit zugestanden hat. Das Beweisanzeichen ist vollends entkräftet, wenn die inkongruente Deckung im Zusam-
1 BGH v. 18.12.2008 – IX ZR 79/07, ZIP 2009, 573 (574); BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 121/06, ZIP 2008, 190 (193); BGH v. 24.5.2007 – IX ZR 97/06, ZIP 2007, 1511 (1513); BGH v. 13.4.2006 – IX ZR 158/05, ZIP 2006, 1261 = WM 2006, 1159. 2 BGH v. 13.4.2006 – IX ZR 158/05, ZIP 2006, 1261 (1263). 3 BGH v. 27.5.2003 – IX ZR 169/02, NJW 2003, 3347 (3349). 4 BGH v. 17.7.2003 – IX ZR 272/02, WM 2003, 1923 (1925); BGH v. 11.11.1993 – IX ZR 257/92, NJW 1994, 449 (452). 5 OLG Brandenburg v. 16.8.2006 – 7 U 42/06, ZInsO 2007, 40 (41). 6 BGH v. 16.7.2009 – IX ZR 28/07, NZI 2009, 723; BGH v. 10.7.1997 – IX ZR 234/96, ZIP 1997, 1551 (1553); BGH v. 10.7.2014 – IX ZR 192/13, NJW 2014, 2579 (2584). 7 MünchKommInsO/Kirchhof, § 133 Rz. 36. 8 BGH v. 18.3.2010 – IX ZR 57/09, ZIP 2010, 841 (843); BGH v. 2.12.1999 – IX ZR 412/98, NJW 2000, 957 (958) = ZIP 2000, 82 (83); BGH v. 8.10.1998 – IX ZR 337/97, WM 1998, 2345; BGH v. 15.2.1990 – IX ZR 149/88, WM 1990, 649; OLG Frankfurt/M. v. 7.2.1997 – 24 U 68/95, ZIP 1997, 598; OLG Brandenburg v. 26.2.1998 – 8 U 73/97, ZIP 1998, 1369; OLG Stuttgart v. 13.11.2002 – 3 U 19/02, ZIP 2002, 2264 (2267 f.). 9 BGH v. 12.11.1992 – IX ZR 236/91, DB 1993, 729; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 133 Rz. 26 (7/2003); Zeuner in Smid, InsO, § 133 Rz. 28.
Graf/Wunsch
815
§ 10
Rz. 182
Insolvenzanfechtung
menhang mit einem ernsthaft verfolgten Sanierungskonzept stand1 oder zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht nur keine Zahlungsunfähigkeit drohte, sondern noch keinerlei Zweifel an der Liquidität des Schuldners bestanden2. 182 Der Grundsatz, dass zur Abwendung der Zwangsvollstreckung geleistete Zahlungen stets als inkongruent anzusehen sind (oben Rz. 75), gilt für die Indizwirkung der Inkongruenz im Rahmen des § 133 InsO nicht3. Somit kann hieraus keine Vermutung für den Vorsatz der Gläubigerbenachteiligung abgeleitet werden. So lange der Schuldner zum maßgeblichen Zeitpunkt noch nicht zahlungsunfähig war (so dass sich der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz regelmäßig aus den in Rz. 176 ff. dargestellten Grundsätzen ergibt), reicht somit allein die Tatsache einer „Druckzahlung“ nicht aus, um Gläubigerbenachteiligungsvorsatz unterstellen zu können. Für Zahlungen zur Abwendung der Zwangsvollstreckung sowie für Fälle anderer Drohungen – z.B. derjenigen des Energieversorgungsunternehmens mit der Einstellung der Leistungen – ist somit letztlich entscheidend, ob zum Zeitpunkt einer auf diese Drohung hin erfolgten Zahlung Zahlungsunfähigkeit vorlag (und dem Gläubiger Kenntnis hiervon unterstellt werden kann)4. (3) Sonstige Fälle 183 Hat der spätere Insolvenzschuldner einen eigenen Schuldner angewiesen, direkt an einen Gläubiger zu zahlen, so kommt neben der Anfechtung gegenüber dem Zahlungsempfänger (dazu oben Rz. 57, 79) bei gegebenem Benachteiligungsvorsatz auch eine Anfechtung nach § 133 InsO gegenüber dem Angewiesenen in Betracht. Beide Anfechtungsgegner sind in diesem Fall Gesamtschuldner5. Es wird diskutiert, ob diese Grundsätze in bestimmten Fällen auch auf die Ausführung von Überweisungsaufträgen durch Banken übertragbar sind6. 184 Ein anderes Indiz für die Benachteiligungsabsicht kann in der Verschleuderung von Vermögensgegenständen und in unentgeltlichen Verfügungen liegen7. 185 Gläubigerbenachteiligungsvorsatz liegt ebenfalls vor, wenn die Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft einen sog. „Firmenbestatter“ in Anspruch nehmen, der die Gesellschaft faktisch liquidieren soll, ohne noch offene Gläubigerforderungen zu befriedigen8. 186 Im Abschluss von unmittelbar gläubigerbenachteiligenden schuldrechtlichen Verträgen liegt kein allgemeingültiges Indiz für den Vorsatz der Gläubigerbenachteiligung9. Das betrifft insbesondere Verträge im Zusammenhang mit außergerichtlichen Sanierungsversuchen. Rechtsgeschäfte mit dem Ziel der Sanierung können nur dann unter § 133 Abs. 1 InsO fallen, wenn der Schuldner das Scheitern der Sanierungsbemühungen vorhersieht und die damit einhergehende Gläubigerbenachteiligung zumindest billigend in Kauf nimmt10. Werden in diesem Zusammenhang auch Kreditsicherhei-
1 BGH v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, NJW 1998, 1561 (1564); BGH v. 12.11.1992 – IX ZR 236/91, DB 1993, 729; Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 133 Rz. 14; Zeuner in Smid, InsO, § 133 Rz. 28. 2 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 133 Rz. 14. 3 BGH v. 27.5.2003 – IX ZR 169/02, WM 2003, 1690 ff.; BGH v. 17.7.2003 – IX ZR 272/02, WM 2003, 1923 (1924); so auch bereits OLG Stuttgart v. 13.11.2002 – 3 U 19/02, ZIP 2002, 2264 (2267 f.); a.A. noch OLG Dresden v. 20.3.2003 – 13 U 2316/02, ZIP 2003, 1052 (1053 f.). 4 Vgl. OLG Köln v. 31.8.2006 – 2 U 3/06 (n.v.); OLG Köln v. 30.11.2006 – 2 U 86/06 (n.v.) jeweils zum Energieversorgungsunternehmen; vgl. jedoch zur Abgrenzung einer Zahlung aufgrund Drohung mit Mitteln der Zwangsvollstreckung und aufgrund Drohung mit einem Insolvenzantrag: BGH v. 18.6.2009 – IX ZR 7/07, ZInsO 2009, 1394. 5 BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 121/06, ZIP 2008, 190 (192); vgl. auch Rz. 321. 6 Ausführlich dazu Ganter, NZI 2010, 835 ff. 7 MünchKommInsO/Kirchhof, § 133 Rz. 32. 8 BGH v. 22.12.2005 – IX ZR 190/02, NJW 2006, 908 (910). 9 BGH v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, NJW 1998, 1561 (1562 f.). 10 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 133 Rz. 27 f. (7/2003).
816
Graf/Wunsch
Anfechtung bei vorstzlicher Glubigerbenachteiligung, § 133 InsO
Rz. 191
§ 10
ten gewährt, so stellt die Ernsthaftigkeit der Sanierungsbemühungen ein Beweisanzeichen gegen den Benachteiligungsvorsatz dar1. c) Kenntnis des Anfechtungsgegners von dem Benachteiligungsvorsatz Für die Anfechtbarkeit nach § 133 Abs. 1 InsO ist erforderlich, dass der Anfechtungs- 187 gegner den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners positiv gekannt hat. Fahrlässige – auch grob fahrlässige – Unkenntnis genügt nicht. Dagegen verlangt das Gesetz nicht, dass der Anfechtungsgegner auch seinerseits mit Benachteiligungsvorsatz gehandelt oder kollusiv mit dem Schuldner zusammengearbeitet hat. Auch hier gelten die allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften über die Wissenszu- 188 rechnung. Wurde der Anfechtungsgegner bei Abschluss des gläubigerbenachteiligenden Geschäfts vertreten, so kommt es also auf die Kenntnis des Vertreters an (wobei die Gutgläubigkeit des weisungsgebundenen Vertreters unschädlich ist), vgl. zum Ganzen oben Rz. 104. Kenntnis des Benachteiligungsvorsatzes ist zu bejahen, wenn der Anfechtungsgegner 189 die tatsächlichen Umstände gekannt hat, aus denen sich auf eine Benachteiligungsabsicht des Schuldners schließen lässt2. Dass Anfechtungsgegner und Schuldner gleichzeitig auch gehofft haben, ein Insolvenzverfahren vermeiden zu können, entlastet den Anfechtungsgegner nicht3. Auch für die Kenntnis des Anfechtungsgegners wird die Gewährung einer inkongru- 190 enten Deckung als Beweisanzeichen angesehen, wenn aus Sicht des Gläubigers zum betreffenden Zeitpunkt Anlass zu Zweifeln an der Liquidität des Schuldners bestanden4. Dieses Beweisanzeichen kann jedoch auch hier unterschiedlich stark ausfallen und macht eine Gesamtwürdigung nicht entbehrlich, ist also nicht im Sinne einer vom Anfechtungsgegner zu widerlegenden Vermutung zu verstehen5. Die Inkongruenz als solche wird dem Anfechtungsgegner in der Regel bewusst sein, wenn er die Umstände kennt, auf denen sie beruht6. Ist der Anfechtungsgegner allerdings trotz Kenntnis der Umstände rechtsirrig davon ausgegangen, die Leistung beanspruchen zu dürfen, d.h. ging er von einer kongruenten Deckung aus, so kann das Beweisanzeichen für eine Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners entkräftet sein7. Überdies wird es auch hier eine Rolle spielen, ob der Anfechtungsgegner zusätzlich zum Bewusstsein der Inkongruenz zumindest Zweifel an der Bonität des Schuldners hatte. Ein anderes Indiz für die Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners liegt 191 vor bei für den Anfechtungsgegner ersichtlicher Vermögensverschleuderung8 oder unüblichen Gestaltungen, die erkennbar aufgrund der Liquiditätsprobleme des Schuldners erfolgen9. Gleiches gilt für den Fall, dass der Anfechtungsgegner auf nachträgliche Besicherung von Altverbindlichkeiten gedrängt hat oder nur noch zur Warenlieferung gegen Vorkasse bereit war10. Letzteres bedeutet allerdings nicht, dass bei Lieferungen gegen Vorkasse stets von einem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners und Kenntnis des Gläubigers auszugehen wäre. Vielmehr gilt auch hier der in Rz. 179 dargestellte Grundsatz, dass ein Benachteiligungsvorsatz in der Regel dann ausscheidet, wenn der Schuldner ein Unternehmen ist und es sich bei der bezogenen Leistung um
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
BGH v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, NJW 1998, 1561 (1564). BGH v. 17.6.1999 – IX ZR 62/98, NJW 1999, 3780 (3082). BGH v. 26.6.1997 – IX ZR 203/96, NJW 1997, 3175. BGH v. 18.3.2010 – IX ZR 57/09, ZIP 2010, 841 (843); BGH v. 2.12.1999 – IX ZR 412/98, NJW 2000, 957 (958) = ZIP 2000, 82 (83); BGH v. 19.3.1998 – IX ZR 22/97, ZIP 1998, 793 (800). BGH v. 18.3.2010 – IX ZR 57/09, ZIP 2010, 841 (843). BGH v. 2.12.1999 – IX ZR 412/98, NJW 2000, 957 (958) = ZIP 2000, 82 (83). BGH v. 4.12.1997 – IX ZR 47/97, NJW 1998, 1561 (1565). Zeuner, Die Anfechtung in der Insolvenz, § 4 Rz. 198. BGH v. 18.12.2008 – IX ZR 79/07, ZIP 2009, 573 (575). MünchKommInsO/Kirchhof, § 133 Rz. 29.
Graf/Wunsch
817
§ 10
Rz. 192
Insolvenzanfechtung
eine kongruente Gegenleistung handelt, die für die Fortführung des Unternehmens nötig ist1. 192 Schließlich wird die Kenntnis des Anfechtungsgegners nach § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO widerleglich vermutet, wenn dieser Kenntnis von einer zumindest drohenden Zahlungsunfähigkeit und von der objektiven Gläubigerbenachteiligung hatte. Die Kenntnis von der drohenden Zahlungsunfähigkeit kann dabei oftmals auch auf die vorstehend in Rz. 189 genannten Umstände und im Übrigen stets auf eine Kenntnis der Zahlungseinstellung i.S.d.§ 17 Abs. 2 Satz 2 InsO gestützt werden (vgl. dazu oben Rz. 95). Ist Kenntnis von der drohenden Zahlungsunfähigkeit gegeben, so sind die Anforderungen an die zusätzlich erforderliche Kenntnis der Gläubigerbenachteiligung etwa bei der Erfüllung von Forderungen oder Gewährung von Sicherheiten nicht hoch: Diese Rechtshandlungen sind ihrer Natur nach stets gläubigerbenachteiligend (oben Rz. 44 ff.). Wenn der Gläubiger die drohende Zahlungsunfähigkeit kannte, so muss daher nur hinzukommen, dass er auch wusste, dass es neben ihm weitere Gläubiger gibt. Nach der Rechtsprechung des BGH ist eine Kenntnis des Gläubigers von drohender Zahlungsunfähigkeit und Gläubigerbenachteiligung deshalb in der Regel – allerdings nicht im Sinne einer Vermutung, sondern lediglich eines Beweisanzeichens – anzunehmen, wenn über einen längeren Zeitraum beträchtliche Zahlungsrückstände bestanden haben und es dem Gläubiger nach den Umständen bewusst war, dass es noch andere Gläubiger mit ungedeckten Forderungen gibt2. Letzteres kann bei einem Unternehmen (nicht aber bei einer Privatperson3) in aller Regel unterstellt werden, so dass der Anfechtungsgegner ggf. darlegen muss, dass und weshalb er davon ausgegangen sei, der einzige Gläubiger zu sein4. 193
Û
Hinweis: Die Rechtsprechung des BGH im Bereich kongruenter Deckungen zum Zeitpunkt bereits eingetretener oder drohender Zahlungsunfähigkeit erweist sich im Zusammenspiel mit der Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO für den Berater eines Gläubigers als problematisch. Sie erweitert faktisch den Zeitraum für die Anfechtung kongruenter Leistungen an einen Gläubiger, dem die (drohende) Zahlungsunfähigkeit bzw. die zugrunde liegenden Umstände bekannt waren, von dem Dreimonatszeitraum des § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO in vielen Fällen auf den gesamten Zeitraum seit Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit. Bei Zahlungen zur Abwendung der Zwangsvollstreckung wirkt es sich dabei zwar zu Gunsten des Gläubigers aus, dass der Benachteiligungsvorsatz nicht allein aus der – dem Anfechtungsgegner stets bekannten – Tatsache der „Druckzahlung“ folgt, sondern die (drohende) Zahlungsunfähigkeit hinzutreten und ebenfalls bekannt gewesen sein muss. Jedoch ist letzteres in der Praxis oftmals der Fall und auch nachweisbar, bzw. es besteht jedenfalls aus ex-ante-Sicht ein nicht unerhebliches Risiko, dass ein Gericht später eine Kenntnis der die Zahlungsunfähigkeit begründenden Umstände bejahen wird. In diesen Fällen ist die dem § 133 InsO entzogene Befriedigung durch Zwangsvollstreckung einer „freiwilligen“ Zahlung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung vorzuziehen (siehe bereits oben Rz. 77 und Rz. 173). Letztere sollte daher keinesfalls angestrebt werden. Kann sie nicht vermieden werden, bleibt dem Berater lediglich der Hinweis auf das Risiko der Anfechtung. Zusätzlich kann empfohlen werden, nicht in zu offensichtlicher Weise Druck auf den Schuldner auszuüben. Insbesondere ist in aller Regel davon abzuraten, dem Schuldner die Stellung eines Insolvenzantrags anzudrohen.
d) Anfechtungszeitraum 194 Der zeitliche Rahmen für eine Anfechtung wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung nach § 133 Abs. 1 erstreckt sich über die letzten zehn Jahre vor Stellung des
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BGH v. 16.7.2009 – IX ZR 28/07, NZI 2009, 723. BGH v. 13.8.2009 – IX ZR 159/06, ZIP 2009, 1966 (1967). BGH v. 18.3.2010 – IX ZR 57/09, ZIP 2010, 841 (844). BGH v. 1.7.2010 – IX ZR 70/08, WM 2010, 1756 (1757).
818
Graf/Wunsch
Anfechtung bei vorstzlicher Glubigerbenachteiligung, § 133 InsO
Rz. 199
§ 10
Insolvenzeröffnungsantrags bis zur Verfahrenseröffnung. Zur Fristberechnung nach § 130 InsO siehe oben Rz. 89 ff. 3. Entgeltliche Verträge mit nahe stehenden Personen, § 133 Abs. 2 InsO § 133 Abs. 2 InsO enthält gegenüber Abs. 1 insoweit eine Sonderregelung, als der Benachteiligungsvorsatz des Schuldners und die dahin gehende Kenntnis des Anfechtungsgegners in den von der Vorschrift erfassten Fällen vermutet werden1.
195
a) Entgeltlicher Vertrag mit einer dem Schuldner nahe stehenden Person Erfasst werden dabei nur entgeltliche Verträge, d.h. zweiseitige Rechtsgeschäfte, die mit einer Gegenleistung verbunden sind. Entgeltlich in diesem Sinne sind Geschäfte dann, wenn der Leistung des Schuldners eine Gegenleistung der nahe stehenden Person gegenübersteht und wenn beide Leistungen rechtlich voneinander abhängen2. Für die Annahme einer solchen Gegenleistung genügt bereits jeder wirtschaftliche Vorteil3.
196
Darunter fallen nicht nur obligatorische Verträge wie Kauf, Miete usw. Vielmehr kön- 196a nen auch dingliche Geschäfte (Übereignung, Bestellung dinglicher Rechte) erfasst sein. Selbst bei reinen Erfüllungsgeschäften wie der Tilgung einer durch entgeltlichen Vertrag begründeten Schuld wird die Entgeltlichkeit bejaht, weil der Schuldner im Gegenzug zu seiner Leistung von einer Schuld frei wird4. Die Tilgung einer unentgeltlich begründeten Forderung soll dagegen als unentgeltlich qualifiziert5 und damit von § 134 InsO erfasst werden. Vertragspartner muss eine dem Schuldner nahe stehende Person i.S.d. Legaldefinition des § 138 InsO sein.
197
b) Unmittelbare Gläubigerbenachteiligung Im Anwendungsbereich des § 133 Abs. 2 InsO ist eine mittelbare Gläubigerbenachtei- 198 ligung (Rz. 49) nicht ausreichend. Es muss vielmehr eine unmittelbare Benachteiligung vorliegen. Isoliert betrachtet nicht unmittelbar gläubigerbenachteiligende Verträge können jedoch dann unter § 133 Abs. 2 InsO fallen, wenn sie Teil eines auf einem vorgefassten Plan beruhenden Gesamtvorgangs sind und dieser bei wirtschaftlicher Betrachtung insgesamt unmittelbar gläubigerbenachteiligend wirkt6. Erfüllungsgeschäfte sind jedenfalls dann unmittelbar gläubigerbenachteiligend, wenn die erfüllte Forderung nicht fällig oder nicht durchsetzbar war7. c) Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und Kenntnis des Anfechtungsgegners Auf die Tatbestandsmerkmale des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes auf Seiten 199 des Schuldners und der Kenntnis des Anfechtungsgegners hiervon verzichtet § 133 Abs. 2 InsO nicht. Diese werden lediglich widerlegbar vermutet8.
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Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 133 Rz. 54 (7/2003). Jaeger/Henckel, InsO, 2008, § 133 Rz. 60. Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 133 Rz. 24. BGH v. 15.2.1990 – IX ZR 149/88, NJW 1990, 2687 (2688); MünchKommInsO/Kirchhof, § 133 Rz. 41. MünchKommInsO/Kirchhof, § 133 Rz. 41. OLG Frankfurt v. 14.7.2010 – 17 U 239/09, zitiert nach juris, zum Fall eines mit einer Darlehensgewährung verbundenen sale-and-lease-back-Geschäfts; MünchKommInsO/Kirchhof, § 133 Rz. 44. OLG Frankfurt v. 14.7.2010 – 17 U 239/09, zit. nach juris; OLG Koblenz v. 18.1.2006 – 1 U 1082/04, ZInsO 2006, 946 (948). Teilweise a.A. offenbar Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 133 Rz. 54 (7/2003): Nur die Vermutung der Kenntnis des Anfechtungsgegners sei widerlegbar. Das erscheint indes unplausibel, weil niemand von einer nicht existenten Tatsache (hier: Benachteiligungsvorsatz des Schuldners) Kenntnis haben kann. Daher muss auch der Gegenbeweis zum Benachteiligungsvorsatz des Schuldners möglich sein.
Graf/Wunsch
819
§ 10
Rz. 200
Insolvenzanfechtung
d) Anfechtungszeitraum 200 Diese Vermutung gilt jedoch nur für Verträge, die innerhalb von zwei Jahren vor Stellung des Eröffnungsantrags oder danach geschlossen wurden (zur Fristberechnung nach § 139 InsO vgl. Rz. 89 ff. und zum Zeitpunkt, in dem ein Rechtsgeschäft als vorgenommen gilt, unten Rz. 246 ff.). 201 Außerhalb dieses Zeitraums bleibt selbstverständlich ein Rückgriff auf § 133 Abs. 1 InsO mit der dann für den Insolvenzverwalter ungünstigeren Beweislast möglich. V. Anfechtung unentgeltlicher Leistungen des Schuldners, § 134 InsO 1. Unentgeltliche Leistung des Schuldners, § 134 Abs. 1 InsO a) Leistung des Schuldners 202 Entgegen der oftmals umgangssprachlich verwendeten Bezeichnung als „Schenkungsanfechtung“ erfasst § 134 InsO nicht nur Schenkungen, sondern alle unentgeltlichen Leistungen1. Das sind Fälle, in denen vom Schuldner ein Vermögenswert zugunsten des Anfechtungsgegners aufgegeben wird, ohne dass dem Schuldner oder mit dessen Einverständnis einem Dritten ein entsprechender Gegenwert zufließt2. 203 Leistungen in diesem – weit zu verstehenden – Sinne können neben der schenkweisen Übertragung von Geld oder anderen Vermögensgegenständen u.a. auch sein: – die Einräumung eines Bezugsrechts für eine Lebensversicherung3; – so genannte unbenannte ehebedingte Zuwendungen i.S.d. Familienrechts4; – Realhandlungen (z.B. Verarbeitung, Verbindung oder Vermischung, oben Rz. 27)5; – Gebrauchsüberlassungen6; – schuldrechtliche Rechtsgeschäfte (z.B. Schenkungsversprechen)7; – die Tilgung fremder Schulden oder Schuldübernahme8 sowie die Besicherung fremder Schulden9; – Prozesshandlungen10 und insbesondere prozessuale Unterlassungen11; – andere Unterlassungen (Mahnung, Verjährungs- oder Ersitzungsunterbrechung)12; – u.U. Gewinnausschüttungen einer Kapitalgesellschaft13. 204 Da der Gesetzeswortlaut eine Leistung „des Schuldners“ verlangt, muss nach h.M. eine Handlung des Schuldners zu Grunde liegen, wohingegen ein einseitiger Zugriffsakt des Empfängers nicht ausreicht14. b) Unentgeltlichkeit 205 Die Frage der Unentgeltlichkeit wird von der Rechtsprechung in zwei Schritten geprüft, wobei in einem ersten Schritt eine objektive und in einem zweiten Schritt eine
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Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 134 Rz. 1. BGH v. 4.3.1999 – IX ZR 63/98, ZIP 1999, 628 (629); Haas, ZIP 2006, 1373 (1377). BGH v. 23.10.2003 – IX ZR 252/02, WM 2003, 2479 (2481). Jaeger/Henckel, InsO, 2008, § 134 Rz. 23. Zum Begriff vgl. Weidenkaff in Palandt, BGB, § 516 Rz. 10. Hess/Weis, Anfechtungsrecht, § 134 InsO Rz. 7. Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 134 Rz. 7. Hirte in Uhlenbruck, InsO, Rz. 38. Zeuner in Smid, InsO, § 134 Rz. 18. BGH v. 1.6.2006 – IX ZR 159/04, ZIP 2006, 1362. Jaeger/Henckel, InsO, 2008, § 134 Rz. 40. Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 134 Rz. 27 (3/2003). Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 134 Rz. 8. Zu den Einzelheiten Haas, ZIP 2006, 1373 (1378). Vgl. MünchKommInsO/Kirchhof, § 134 Rz. 11 m.w.N. auch zur Gegenauffassung.
820
Graf/Wunsch
Anfechtung unentgeltlicher Leistungen des Schuldners, § 134 InsO
Rz. 210
§ 10
subjektive Betrachtung stattfindet1. Die Darlegungs- und Beweislast für die Unentgeltlichkeit trifft dabei den Insolvenzverwalter2. aa) Objektive Unentgeltlichkeit Zunächst wird geprüft, ob der Schuldner bei objektiver Betrachtung einen Gegen- 206 wert für seine Leistung erhalten hat bzw. ob ihm ein solcher – nicht zwingend vom Anfechtungsgegner – versprochen wurde3. Maßgeblich ist dabei, ob der Anfechtungsgegner bzw. ein Dritter objektiv zugunsten des Schuldners ein Vermögensopfer erbringt4 bzw. nach dem Inhalt einer getroffenen Abrede erbringen soll. Dabei ist nicht erforderlich, dass der Gegenwert eine Gegenleistung i.S.d. §§ 320 ff. BGB darstellt; ausreichend ist vielmehr jeder werthaltige Vermögensvorteil, z.B. auch die Gewährung einer Stundung5. Auch die nachträgliche Besicherung einer Forderung mit dem Ziel, der Gläubiger möge diese weiter stehen lassen, ist entgeltlich6, es sei denn die Forderung war bereits wirtschaftlich wertlos7. Entgeltlichkeit liegt auch dann vor, wenn der Schuldner zur Leistung verpflichtet war. Der Gegenwert liegt in diesem Fall in dem Freiwerden von einer Verbindlichkeit. Eine Ausnahme gilt allerdings für die Erfüllung eines Schenkungsversprechens oder eines anderen unentgeltlichen Vertrags: Diese ist stets unentgeltlich8, auch wenn die Abgabe des Schenkungsversprechens ihrerseits nicht anfechtbar ist.
207
In Mehrpersonenverhältnissen, etwa bei Zahlung auf fremde Schuld im Rahmen ei- 208 nes Cash-Poolings, besteht die Gegenleistung ebenfalls im Freiwerden von einer – in diesem Fall gegen den Dritten gerichteten – Verbindlichkeit. War diese allerdings nicht mehr werthaltig, so wird die Leistung als unentgeltlich angesehen, auch wenn der Schuldner gegenüber dem Dritten zur Erbringung dieser Leistung verpflichtet war9. War der Anspruch auf Leistung zur Zeit der Erfüllung noch nicht fällig, so kann die 209 Anfechtung nur auf Rückgewähr des Zinsvorteils gerichtet sein10. War der Anspruch aufschiebend bedingt, so ist zu differenzieren: Tritt die Bedingung bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz im Anfechtungsprozess noch ein, so muss dasselbe gelten wie bei Erfüllung vor Fälligkeit. Findet ein Bedingungseintritt dagegen bis zu diesem Zeitpunkt nicht statt, ist und bleibt die Zuwendung objektiv insgesamt unentgeltlich11. Sind die Leistung des Schuldners und der empfangene Gegenwert bei objektiver Be- 210 trachtung wertmäßig nicht ausgeglichen, so liegt objektiv Teilentgeltlichkeit vor. Maßgeblich ist dabei im Fall von Austauschverträgen der Zeitpunkt des Vertragsschlusses, d.h. vor Erfüllung eingetretene Wertänderungen bleiben außer Betracht und können nicht dazu führen, dass ein ursprünglich ausgeglichenes Geschäft nachträglich als nur teilentgeltlich angesehen wird12.
1 BGH v. 21.1.1999 – IX ZR 429/97, NJW 1999, 1033 = ZIP 1999, 316 (317); BGH v. 24.6.1993 – IX ZR 96/92, ZIP 1993, 1170 (1173); BGH v. 28.2.1991 – IX ZR 74/90, NJW 1991, 1620 (1611) = ZIP 1991, 454 (456). 2 BGH v. 21.1.1999 – IX ZR 429/97, ZIP 1999, 316 (317). 3 BGH v. 21.1.1999 – IX ZR 429/97, NJW 1999, 1033. 4 BGH v. 1.6.2006 – IX ZR 159/04, ZIP 2006, 1362 (1363). 5 MünchKommInsO/Kirchhof, § 134 Rz. 17a. 6 BGH v. 18.3.2010 – IX ZR 57/09, ZIP 2010, 841 (842). 7 BGH v. 1.6.2006 – IX ZR 159/04, ZIP 2006, 1362 (1363). 8 MünchKommInsO/Kirchhof, § 134 Rz. 7. 9 BGH v. 30.3.2006 – IX ZR 84/05, WM 2006, 1156; ausführlich dazu sowie zur Nachbesicherung im Mehrpersonenverhältnis Herrlich/Merkel, WM 2010, 2343 ff. 10 MünchKommInsO/Kirchhof, § 134 Rz. 24 mit Fn. 115. 11 Zeuner in Smid, InsO, § 134 Rz. 17. 12 MünchKommInsO/Kirchhof, § 134 Rz. 20.
Graf/Wunsch
821
§ 10
Rz. 211
Insolvenzanfechtung
bb) Subjektive Merkmale 211 Liegt nach den vorstehenden Grundsätzen objektiv Unentgeltlichkeit vor, sind subjektive Elemente grundsätzlich unbeachtlich1. Dies gilt auch für die Motivlage des Schuldners, d.h. dieser muss nicht mit dem Willen zur Freigiebigkeit handeln. Unentgeltlichkeit besteht daher auch dann, wenn der Schuldner an dem aufgegebenen Vermögenswert selbst kein Interesse mehr hatte (z.B. wenn er nach Einstellung seines Betriebs Arbeitnehmer, die er selbst nicht mehr beschäftigen kann, einem Dritten überlässt2) und sogar dann, wenn er mit der Leistung ein eigenes wirtschaftliches Interesse verfolgt (z.B. bei Werbegeschenken oder Bestechungsgeldern3, oder wenn er im Falle der nachträglichen Besicherung einer wirtschaftlich wertlosen Forderung mit dem Ziel gehandelt hat, dass die Kreditlinie nicht gekündigt wird4). 212 Nicht abschließend geklärt ist dagegen die Rechtslage für den Fall, dass mindestens eine Partei irrig vom Bestehen einer Verpflichtung zur Leistung ausging. Bei einer derartigen rechtsgrundlosen Leistung wird teilweise von einer Unentgeltlichkeit im Sinne des § 134 InsO ausgegangen5, teilweise wird dies wegen der entgegenstehenden subjektiven Vorstellung verneint6. Nach der letztgenannten Auffassung könnte der Insolvenzverwalter in diesen Fällen nicht nach § 134 InsO anfechten, sondern müsste einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung geltend machen (was allerdings überwiegend zum selben Ergebnis führen wird). Der BGH scheint jedenfalls einen Irrtum auf Seiten des Leistungsempfängers für unbeachtlich zu halten, da er die Auszahlung von Scheingewinnen im Rahmen von sog. Schneeballsystemen unter § 134 InsO subsumiert (dazu unten Rz. 217). Diesen Fällen ist stets immanent, dass der gutgläubige Anleger subjektiv vom Bestehen eines Anspruchs ausgegangen ist. 213 Liegt eine Gegenleistung dagegen objektiv vor, so wird in jedem Fall in einem zweiten Schritt geprüft, ob diese tatsächlich von den Beteiligten als Entgelt angesehen wurde oder ob mit der Leistung des Schuldners gleichwohl Freigiebigkeit bezweckt war7. Unentgeltlich ist dabei beispielsweise die Schenkung unter Auflage8. 214 Bei objektiv teilentgeltlichen Leistungen werden zu der Frage, inwieweit es auf subjektive Merkmale (einschließlich der zivilrechtlichen Grundsätze zur so genannten gemischten Schenkung oder sonstigen gemischten Zuwendung) ankommt, differenzierte Auffassungen vertreten. Fest steht, dass eine gemischte Zuwendung nicht bereits dann stets und automatisch gegeben ist, wenn Leistung und Gegenleistung objektiv nicht gleichwertig sind, sondern dass subjektive Elemente hier durchaus eine Rolle spielen können. Etwa bei Notverkäufen unter Wert sehen die Parteien in der Regel Leistung und Gegenleistung als nach Lage der Dinge ausgeglichen an. Jedenfalls wenn sich diese Einschätzung noch im Rahmen eines großzügig zu bemessenden Bewertungsspielraums bewegt, besteht im Ergebnis wohl Einigkeit, dass auch bei objektiv bestehender Wertdifferenz eine voll entgeltliche Leistung vorliegt9. Wird der Bewertungsspielraum dagegen überschritten oder liegt auf einer oder beiden Seiten ein erheblicher Irrtum über den Wert einer der Leistungen vor, ist umstritten, ob die subjektive (Voll-)Entgeltlichkeit § 134 InsO ausschließt10. 1 2 3 4 5
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MünchKommInsO/Kirchhof, § 134 Rz. 22. BGH v. 11.12.2003 – IX ZR 336/01, ZIP 2004, 671 (672 f.). MünchKommInsO/Kirchhof, § 134 Rz. 23. BGH v. 1.6.2006 – IX ZR 159/04, ZIP 2006, 1362 (1363). Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 134 Rz. 35; MünchKommInsO/Kirchhof, § 134 Rz. 22, 26; wohl auch LG Köln v. 19.1.2006 – 5 O 289/05, ZInsO 2006, 165 (zum Fall der Zahlung an den falschen Gläubiger). OLG Koblenz v. 11.3.1999 – 5 U 1160/98, KTS 2000, 265 (LS); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 134 Rz. 11. MünchKommInsO/Kirchhof, § 134 Rz. 23. Zeuner in Smid, InsO, § 134 Rz. 14. Haas, ZIP 2006, 1373 (1377 f.); Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 134 Rz. 21; MünchKommInsO/ Kirchhof, § 134 Rz. 25, 41. Für die grundsätzliche Maßgeblichkeit subjektiver Kriterien Haas, ZIP 2006, 1373 (1377 f.); Hess/Weis, Anfechtungsrecht, § 134 InsO Rz. 20; dagegen MünchKommInsO/Kirchhof, § 134 Rz. 22, 40 f. Nach Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 134 Rz. 21 soll es beim Kauf einer wertlosen Sa-
822
Graf/Wunsch
Anfechtung unentgeltlicher Leistungen des Schuldners, § 134 InsO
Rz. 217
§ 10
Liegt danach eine teilentgeltliche Leistung vor, so ist die Leistung des Schuldners 215 nach § 134 InsO anfechtbar. Allerdings muss der Empfänger einer solchen gemischten Zuwendung diese nicht vollumfänglich zurückgewähren: Ist die Leistung des Schuldners teilbar, so ist nur der unentgeltliche Teil zurückzugewähren1. Ist sie unteilbar, so kommt eine Rückgewähr nur in Betracht, wenn der unentgeltliche Charakter des Geschäfts überwiegt, oder wenn die Gläubiger ein berechtigtes Interesse an der Rückgewähr gerade des geleisteten Gegenstands haben. Anderenfalls genügt ein Ausgleich der Wertdifferenz in Geld2. Im Falle einer so genannten verschleierten Schenkung, d.h. eines von den Parteien 216 als unentgeltlich gewollten, zum Schein aber entgeltlich abgeschlossenen Geschäfts ist das entgeltliche Geschäft als Scheingeschäft nach § 117 Abs. 2 BGB nichtig. Die verbleibende unentgeltliche Leistung ist nach § 134 InsO anfechtbar3. c) Einzelfälle Ausschüttung von Scheingewinnen aus Schneeballsystemen im Rahmen eines Anla- 217 gebetrugs: Bei betrügerischen Anlagemodellen, die auf einem Schneeballsystem beruhen – zuletzt etwa im Fall der Phoenix Kapitaldienst GmbH – werden oftmals anfangs Scheingewinne (d.h. Gewinne, die durch das Anlagemodell gar nicht erzielt wurden, sondern aus den Einlagen anderer Kunden stammen) an die Anleger ausgeschüttet, um so den Schein aufrechtzuerhalten und zu weiteren Investitionen anzureizen. Wollen einzelne Kunden ihre Gelder abziehen, so wird dies in der Regel bis zum Zusammenbruch des Systems ebenfalls noch gewährt, wobei die Gelder auch hier in Wahrheit aus den Einlagen von Neukunden stammen. Der BGH hat diesbezüglich inzwischen mehrfach die Anfechtbarkeit der Auszahlung von Scheingewinnen nach § 134 InsO aufgrund objektiver Unentgeltlichkeit bejaht4. Die Rückzahlung von Einlagen wird dagegen als entgeltliche Leistung behandelt5. Hat allerdings ein Anleger, der über stehengelassene und seinem Konto gutgeschriebene Scheingewinne verfügte, die Auszahlung nur eines Teils seines (vermeintlichen) Guthabens veranlasst, so soll diese Auszahlung vorrangig auf die ausgewiesenen Scheingewinne und erst nach deren Verbrauch auf die der Anfechtung nach § 134 InsO entzogene Rückzahlung der Einlage entfallen6. Soweit Auszahlungen danach anfechtbar sind, greift ggf. zu Gunsten der geprellten Anleger über § 143 Abs. 2 Satz 1 InsO der Entreicherungseinwand des § 818 Abs. 3 BGB (dazu allgemein unten Rz. 310 ff.), der hier auch endgültige steuerliche Mehrbelastungen aufgrund der ausbezahlten Scheingewinne umfasst7. Dagegen kann die anfechtbare Auszahlung von Scheingewinnen auch über die bereicherungsrechtliche Saldotheorie nicht etwa mit der erbrachten Einlage saldiert werden8.
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che erforderlich, aber auch ausreichend sein, dass sich der spätere Insolvenzschuldner der Wertlosigkeit bewusst ist. Zeuner in Smid, InsO, § 134 Rz. 14. Zeuner in Smid, InsO, § 134 Rz. 14. Zeuner in Smid, InsO, § 134 Rz. 14. BGH v. 10.2.2011 – IX ZR 18/10, ZIP 2011, 674 (675); BGH v. 22.4.2010 – IX ZR 163/09, ZIP 2010, 1253 (1253); BGH v. 11.12.2008 – IX ZR 195/07, ZIP 2009, 186 (186); grundlegend BGH v. 29.11.1990 – IX ZR 29/90, NJW 1991, 560 (561 f.) m. zust. Anm. Ackmann, EWiR 1991, 75 f. BGH v. 10.2.2011 – IX ZR 18/10, ZIP 2011, 674 (675); BGH v. 22.4.2010 – IX ZR 163/09, ZIP 2010, 1253 (1253). BGH v. 10.2.2011 – IX ZR 18/10, ZIP 2011, 674 (675), wobei dies in jedem Einzelfall von den konkret im Rahmen des Anlagemodells getroffenen Regelungen und den Erklärungen der Parteien abhängen wird. BGH v. 22.4.2010 – IX ZR 163/09, ZIP 2010, 1253 (1255). Der Entreicherungseinwand wird dabei allerdings nur die Steuerbelastung umfassen, die auf die ausgeschütteten Scheingewinne als Gegenstand der Anfechtung entfällt, nicht auch diejenige auf nicht ausbezahlte Scheingewinne (die nach st. Rspr. des BFH ebenfalls steuerpflichtig sein können, vgl. zuletzt BFH v. 2.9.2010 – VIII B 261/09, BFH/NV 2011, 28). BGH v. 22.4.2010 – IX ZR 163/09, ZIP 2010, 1253 (1254).
Graf/Wunsch
823
§ 10
Rz. 218
Insolvenzanfechtung
218 Spenden – z.B. an politische Parteien – sind unentgeltliche Leistungen i.S.d. § 134 Abs. 1 InsO1. Die Ausstellung einer Spendenquittung und der damit einhergehende steuerliche Vorteil für den Schuldner stellen keine Gegenleistung dar2. 219 Die freiwillige nachträgliche Vergütung von Dienstleistungen – insbesondere im Arbeitsverhältnis – ist dagegen nicht zwingend als unentgeltlich anzusehen. Im Falle von freiwilligen Weihnachtsgratifikationen an Arbeitnehmer verneint die Rechtsprechung die Unentgeltlichkeit, weil solchen Leistungen auch im Arbeitsrecht Entgeltcharakter zugeschrieben wird3. Dies soll auch dann gelten, wenn die Zahlungen an Arbeitnehmer einer juristischen Person aus dem Privatvermögen des „wirtschaftlichen Alleininhabers“ geleistet wurden4. Ist ein Gesellschafter jedoch nicht „wirtschaftlicher Alleininhaber“ und fällt er selbst in Insolvenz, so stellen seine Leistungen an Arbeitnehmer der Gesellschaft stets unentgeltliche Leistungen dar, weil der Gesellschafter dann – auch faktisch – nicht Arbeitgeber war5. 220 Überhöhte Abfindungen an ausscheidende Arbeitnehmer sind hinsichtlich des den angemessenen Betrag überschießenden Teils nach den Grundsätzen über teilentgeltliche Leistungen (oben Rz. 214) nach § 134 Abs. 1 InsO anfechtbar6. 2. Ausnahme: gebräuchliche Gelegenheitsgeschenke geringen Werts, § 134 Abs. 2 InsO 221 § 134 Abs. 2 InsO nimmt gebräuchliche Gelegenheitsgeschenke aus der Anfechtung unentgeltlicher Leistungen aus. Hierunter fallen nur Schenkungen, d.h. keine sonstigen Zuwendungen. „Gebräuchlich“ sind Schenkungen insbesondere dann, wenn mit ihnen einer Verkehrssitte entsprochen wird, z.B. bei Geschenken zum Geburtstag, zur Hochzeit, zum Jubiläum o.Ä.7. 222 Die Ausnahme gilt nur für „gebräuchliche“ Gelegenheitsgeschenke „geringen Werts“. Diesbezüglich ist umstritten, ob es nur auf objektive Kriterien wie den Anlass und die Beziehung zwischen Schuldner und Beschenktem ankommt8, oder ob auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners zur Zeit der betreffenden Schenkung zu berücksichtigen sind9. Soweit feste betragsmäßige Obergrenzen vertreten werden, reichen die in der Literatur genannten Beträge von 50 Euro10 über 250 bis 500 Euro je nach Anlass11 bis hin zu 1500 Euro12. Nach anderer Auffassung kommt es auf das Verhältnis zum Gesamtvermögen des Schuldners an13. Hier besteht also Argumentationsspielraum.
1 De Bra in Braun, InsO, § 134 Rz. 17; OLG Celle v. 9.7.2009 – 13 U 18/09, ZIP 2009, 1531. 2 Zeuner in Smid, InsO, § 134 Rz. 20. 3 BGH v. 12.12.1996 – IX ZR 76/96, NJW 1997, 866 (867); LG Frankfurt/M. v. 30.11.1995 – 2/23 O 207/95, ZIP 1996, 88 (89). 4 BGH v. 12.12.1996 – IX ZR 76/96, NJW 1997, 866 (867); LG Frankfurt/M. v. 30.11.1995 – 2/23 O 207/95, ZIP 1996, 88 (89 f.); insoweit a.A. Zeuner in Smid, InsO, § 134 Rz. 21. 5 BGH v. 13.11.2001 – 27 U 96/01, BB 2002, 473 (474). 6 Zeuner in Smid, InsO, § 134 Rz. 21. Zum Vorliegen einer inkongruenten Deckung in diesem Fall oben Rz. 64. 7 Zeuner in Smid, InsO, § 134 Rz. 23. 8 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 134 Rz. 31. 9 So Henckel in Kölner Schrift zur InsO, 813 (841), Rz. 57; Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 134 Rz. 48; i.E. auch Zeuner in Smid, InsO, § 134 Rz. 23. 10 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, § 134 InsO Rz. 61. 11 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 134 Rz. 43 (3/2003); auch Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 134 Rz. 32 sieht den Betrag von 500 Euro als Obergrenze an. 12 MünchKommInsO/Kirchhof, § 134 Rz. 48. 13 So soll nach Bork in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 134 Rz. 84 (02/2010) eine relative Grenze von 0,3 % bis 0,5 % des Vermögens gelten. Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 134 Rz. 48 hält dies für „recht weitgehend“, vertritt aber im Grundsatz ebenfalls (ohne nähere Bezifferung) einen von den Vermögensverhältnissen des Schuldners abhängigen Maßstab.
824
Graf/Wunsch
Stille Gesellschaft: Anfechtung der Einlagenrckgewhr
Rz. 230a
§ 10
Die Darlegungs- und Beweislast für das Eingreifen des § 134 Abs. 2 InsO – also sowohl 223 für die Gebräuchlichkeit als auch für die Geringwertigkeit des Geschenks – liegt beim Anfechtungsgegner1. 3. Anfechtungszeitraum Der Anfechtungszeitraum beträgt nach § 134 Abs. 1 InsO vier Jahre vor Stellung des 224 Insolvenzeröffnungsantrags. Trotz des insoweit etwas missverständlichen Gesetzeswortlauts unterfallen auch Rechtshandlungen des Schuldners nach Antragstellung der Anfechtung wegen Unentgeltlichkeit2. Die Berechnung der Vierjahresfrist richtet sich nach § 139 InsO. Diesbezüglich gelten 225 die Rz. 89 ff. entsprechend. Die Frage, wann eine unentgeltliche Leistung gewährt wurde – welcher Zeitpunkt al- 226 so noch innerhalb der Vierjahresfrist liegen muss – richtet sich nach § 140 InsO (dazu allgemein unten Rz. 246 ff.). Für den Fall eines Schenkungsversprechens außerhalb der Vierjahresfrist mit anschließender Erfüllung innerhalb des Anfechtungszeitraums fingiert § 140 Abs. 1 InsO, dass auch das schuldrechtliche Schenkungsversprechen innerhalb des Anfechtungszeitraums gelegen hat3. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass eine unentgeltliche Leistung außerhalb 227 des Anfechtungszeitraums gewährt worden ist, liegt aufgrund der Gesetzesformulierung („…, es sei denn, dass …“) beim Anfechtungsgegner4. VI. Anfechtung der Rückgewähr und Besicherung von Gesellschafterdarlehen und gleichgestellten Forderungen, § 135 InsO Die Anfechtung nach § 135 InsO wird ausführlich in § 4 Rz. 50 ff. behandelt.
228
VII. Stille Gesellschaft: Anfechtung der Einlagenrückgewähr und des Erlasses eines Verlustanteils, § 136 InsO 1. Anwendungsbereich und Abgrenzung § 136 InsO soll gewährleisten, dass die Regelung des § 236 HGB, wonach der stille Ge- 229 sellschafter in der Insolvenz der Gesellschaft hinsichtlich seiner Einlage auf die Quote verwiesen ist und den vereinbarten Verlustanteil tragen muss, nicht durch Transaktionen im Vorfeld der Insolvenz ausgehebelt werden kann. Dementsprechend gilt die Vorschrift zunächst für die stille Gesellschaft i.S.d. 230 §§ 230 ff. HGB. Das ist eine reine Innengesellschaft, bei der sich der stille Gesellschafter am Handelsgewerbe eines anderen mit einer Einlage gegen Beteiligung am Gewinn beteiligt. Die Beteiligung auch am Verlust ist der gesetzliche Regelfall, kann aber nach § 231 Abs. 2 HGB ausgeschlossen werden. Die Abgrenzung zwischen typischer und atypischer stiller Gesellschaft spielt dabei für § 136 InsO keine Rolle. Die stille Gesellschaft als solche ist als reine Innengesellschaft ohne Gesamthands- 230a vermögen nicht insolvenzfähig. § 136 InsO betrifft den Fall der Insolvenz des Betreibers des Handelsgewerbes. Dies kann eine natürliche oder juristische Person oder eine Personenhandelsgesellschaft sein. Ist der Geschäftsinhaber eine Personengesellschaft, so greift § 136 InsO dabei nur ein, wenn über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wird. Die Insolvenz eines einzelnen Gesellschafters ist nicht ausreichend5.
1 2 3 4 5
MünchKommInsO/Kirchhof, § 134 Rz. 50. Zeuner in Smid, InsO, § 134 Rz. 27. Zeuner in Smid, InsO, § 134 Rz. 24. Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 134 Rz. 45 (03/2003). Zeuner in Smid, InsO, § 136 Rz. 5.
Graf/Wunsch
825
§ 10
Rz. 231
Insolvenzanfechtung
231 Umstritten ist, inwieweit § 136 InsO unmittelbar oder entsprechend auch auf Unterbeteiligungen sowie auf andere Mezzanine Finanzierungsformen wie partiarische Darlehen oder gar auf reguläre langfristige Unternehmenskredite anwendbar ist1. 232 Geht man beim partiarischen Darlehen nicht von einer entsprechenden Anwendung des § 136 InsO aus, ist die stille Gesellschaft vom partiarischen Darlehen abzugrenzen. Letzteres ist ein Darlehen mit der besonderen Abrede, dass die Rückzahlung nicht in regelmäßigen Raten erfolgt, sondern je nach Gewinnlage aus dem Geschäftsgewinn. Eine stille Gesellschaft liegt in Abgrenzung hierzu zwingend vor, wenn eine Beteiligung am Verlust vereinbart wurde2. Ist das nicht der Fall, so kann es sich sowohl um eine stille Gesellschaft (vgl. § 231 Abs. 2 HGB) als auch um ein partiarisches Darlehen handeln. Indizien für ein partiarisches Darlehen sind – neben der Bezeichnung durch die Parteien, die stets eine gewisse, wenngleich nicht entscheidende Rolle spielt – die Bestellung von Sicherheiten, die kurzfristige Kündbarkeit, die planmäßige Tilgung und eine Anlehnung der variablen (gewinnabhängigen) Verzinsung an Marktzinsen. Für eine stille Gesellschaft sprechen dagegen Abtretungsverbote, Überwachungs- und Kontrollrechte des Geldgebers, ein Rangrücktritt sowie die Beteiligung an den stillen Reserven. 233 Die stille Gesellschaft muss innerhalb der Anfechtungsfrist von einem Jahr rechtswirksam bestanden haben3. War der Gesellschaftsvertrag nichtig oder wurde er wirksam angefochten, so kann § 136 InsO aber dennoch greifen, wenn das Gesellschaftsverhältnis tatsächlich vollzogen worden war und somit die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft Anwendung finden4. 233a Dass die stille Gesellschaft im Zusammenhang mit der nach § 136 InsO anfechtbaren Rechtshandlung aufgelöst worden ist, steht der Anwendung der Norm nach Abs. 1 Satz 2 nicht entgegen (tatsächlich ist der Aufhebungsvertrag, wonach die Einlage zurückgezahlt wird, einer der Hauptanwendungsfälle des § 136 InsO). 2. Anfechtbare Rechtshandlungen: Einlagenrückgewähr und Erlass eines Verlustanteils 234 Anfechtbar ist nach § 136 Abs. 1 Satz 1 InsO eine Rechtshandlung, durch die dem stillen Gesellschafter entweder seine Einlage ganz oder teilweise zurückgewährt oder sein Anteil am Gesellschaftsverlust ganz oder teilweise erlassen wird. Die Rechtshandlung muss nicht vom Schuldner vorgenommen worden sein5. a) Einlagenrückgewähr 235 Eine Rückgewähr der Einlage des stillen Gesellschafters liegt dabei in jeder Übertragung von Vermögenswerten aus dem Vermögen des Inhabers an den stillen Gesellschafter, soweit diese der Rückführung der Einlagenvaluta dient6. Das betrifft Rechtshandlungen, die den Anspruch auf Rückgewähr der Einlage zum Erlöschen bringen (Erfüllung oder Erfüllungssurrogat, z.B. befreiende Leistung an einen Dritten, Aufrechnung), aber auch die Bestellung einer Sicherheit7.
1 Für die Anwendung auf partiarische Darlehen und vergleichbare Finanzierungsformen Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 136 Rz. 5; Krolop, ZIP 2007, 1738 (1741 ff.); Landsmann, Die stille Gesellschaft in der Insolvenz, 180 ff.; dagegen OLG Hamm v. 4.4.2000 – 27 U 154/99, NZI 2000, 544 und OLG Dresden v. 8.9.1999 – 19 U 101/99, NZG 2000, 302 jeweils zu § 237 HGB a.F. Gegen die Anwendung auf Unterbeteiligungen und Fremdfinanzierungen auch Stodolkowitz/Bergmann in MüKo zu InsO, § 136 Rz. 7. 2 OLG Hamm v. 2.3.1999 – 27 U 257/98, ZIP 1999, 1530 (1532). 3 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 136 Rz. 5. 4 OLG Hamm v. 2.3.1999 – 27 U 257/98, ZIP 1999, 1530 (1532); Jaeger/Henckel, InsO, 2008, § 136 Rz. 5. 5 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, § 136 InsO Rz. 8. 6 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 136 Rz. 10. 7 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 136 Rz. 10.
826
Graf/Wunsch
Stille Gesellschaft: Erlass eines Verlustanteils
Rz. 241
§ 10
Die Anwendung des § 136 InsO setzt voraus, dass die Einlagenrückgewähr auf einer 236 besonderen Vereinbarung zwischen Geschäftsinhaber und stillem Gesellschafter beruht. Die Anfechtung ist demnach ausgeschlossen, wenn die Rückgewähr in Erfüllung 236a eines gesetzlichen oder vertraglichen Anspruchs des stillen Gesellschafters geschieht1. War die stille Gesellschaft also von vornherein nur auf bestimmte Zeit vereinbart und endet diese Zeit innerhalb des Anfechtungszeitraums, so ist die vertragsgemäße Rückgewähr der Einlage insolvenzfest2. Dagegen stellt Abs. 1 Satz 2 klar, dass die vorzeitige vertragliche Auflösung der Ge- 236b sellschaft innerhalb des Anfechtungszeitraums ihrerseits als eine solche besondere Vereinbarung angesehen werden kann, auf der die dann folgende Einlagenrückgewähr beruht. Obwohl auch in diesem Fall zivilrechtlich ein Anspruch des stillen Gesellschafters auf Einlagenrückgewähr besteht, ist diese also anfechtbar. Das gilt jedoch nicht für solche Aufhebungsverträge, bei denen der stille Gesellschafter ohnehin durch Anfechtung oder Kündigung hätte ausscheiden können3. Wird der auf unbestimmte Zeit geschlossene Gesellschaftsvertrag wirksam gekün- 236c digt, so kommt es für die Anfechtbarkeit darauf an, ob das Kündigungsrecht seinerseits noch innerhalb des Anfechtungszeitraums eingeräumt worden ist. Nur in diesem Fall kann die der Kündigung folgende Einlagenrückgewähr angefochten werden4. Keine Rückgewähr liegt im Erlass einer vereinbarten, aber noch nicht erbrachten stillen Einlage. Etwas anderes gilt nur, wenn die versprochene stille Einlage zur Verlustdeckung nach § 236 Abs. 2 HGB erforderlich ist5.
237
Die Umwandlung der Einlage in ein Darlehen innerhalb der Anfechtungsfrist ist als solche zwar keine Einlagenrückgewähr, jedoch ist eine nachfolgende Rückzahlung des Darlehens ebenso nach § 136 InsO anfechtbar, wie es die Rückzahlung der stillen Einlage gewesen wäre6.
238
Die Auszahlung eines Anteils am Gewinn ist nur dann als Einlagenrückgewähr zu qualifizieren, wenn der Gewinn nach § 232 Abs. 2 Satz 2 HGB zur Deckung eines Verlusts hätte verwendet werden müssen, oder soweit der Gewinnanteil innerhalb der Jahresfrist ohne Erhöhung der Einlage heraufgesetzt wurde7.
239
b) Erlass eines Verlustanteils Die zweite Alternative des § 136 InsO kann naturgemäß nur dann eingreifen, wenn 240 der stille Gesellschafter überhaupt am Verlust beteiligt ist. Wurde also von Anfang an keine Verlustbeteiligung des stillen Gesellschafters vereinbart, so ist diese Abrede nicht anfechtbar, selbst wenn sie innerhalb des Anfechtungszeitraums liegt8. Aus dem Wortlaut („… entstandenen Verlust …“) ergibt sich weiterhin, dass zum Zeitpunkt der betreffenden Vereinbarung bereits ein Verlust entstanden sein muss9. Eine Abänderung des Gesellschaftsvertrags, wonach die zunächst vereinbarte Verlustbeteiligung des stillen Gesellschafters ausgeschlossen wird, ist also nur insoweit 1 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 136 Rz. 5 (07/2003). 2 Zeuner in Smid, InsO, § 136 Rz. 7. 3 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 136 Rz. 8; einschränkend OLG Hamm v. 2.3.1999 – 27 U 257/98, ZIP 1999, 1530 (1533): Anfechtbarkeit bejaht für den Fall, dass von einer bestehenden Möglichkeit der Anfechtung des Gesellschaftsvertrags tatsächlich kein Gebrauch gemacht wurde, sondern stattdessen ein Auflösungsvertrag geschlossen wurde. 4 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 136 Rz. 8. 5 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 136 Rz. 10; Hess/Weis, Anfechtungsrecht, § 136 InsO Rz. 11. 6 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 136 Rz. 10; Zeuner in Smid, InsO, § 136 Rz. 12. 7 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 136 Rz. 10. 8 Jaeger/Henckel, InsO, 2008, § 136 Rz. 11. 9 Zeuner in Smid, InsO, § 136 Rz. 16.
Graf/Wunsch
827
241
§ 10
Rz. 242
Insolvenzanfechtung
nach § 136 InsO anfechtbar, als damit auch rückwirkend bereits entstandene Verluste erfasst werden. Dagegen ist ein Erlass der Beteiligung an zukünftigen Verlusten anfechtungsrechtlich unbedenklich. Wird die Beteiligung am Verlust des laufenden Geschäftsjahres erlassen, so muss – gegebenenfalls durch Aufstellung einer Zwischenbilanz auf den Zeitpunkt der Vereinbarung – festgestellt werden, wie hoch der bis dahin aufgelaufene Verlust war. Nur insoweit unterliegt die Abrede dann der Anfechtung1. 3. Anfechtungszeitraum 242 Der Anfechtungszeitraum beträgt bei § 136 InsO ein Jahr vor dem Eröffnungsantrag (vgl. zur Fristberechnung oben Rz. 89 ff.). 243 Maßgeblich ist dabei im Unterschied zu sämtlichen anderen Anfechtungstatbeständen nicht die anfechtbare Rechtshandlung – Einlagenrückgewähr oder Erlass des Verlustanteils – selbst, sondern die Vereinbarung, auf der diese beruht (oben Rz. 236)2. 243a Diesbezüglich wird in der Literatur teilweise eine Umkehr der Beweislast angenommen: Aufgrund der Risikoverteilung soll der stille Gesellschafter dafür beweispflichtig sein, dass die betreffende Vereinbarung außerhalb des Anfechtungszeitraums lag3. 4. Ausschluss der Anfechtung nach § 136 Abs. 2 InsO 244 Nach § 136 Abs. 2 InsO ist die Anfechtung ausgeschlossen, wenn der Insolvenzgrund erst entsteht, nachdem die der Einlagenrückgewähr bzw. dem Erlass des Verlustanteils zugrunde liegende Vereinbarung getroffen worden ist. Dabei wird überwiegend verlangt, dass zur Zeit der Vereinbarung – unabhängig davon, welcher Insolvenzgrund der späteren Verfahrenseröffnung zu Grunde lag – überhaupt kein Insolvenzgrund vorgelegen haben darf, auch nicht eine nur drohende Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO4. Letztere dürfte u.E. allerdings nur im Falle eines hierauf gestützten Eigenantrags des Schuldners schädlich sein5. 245 Nach dem Gesetzeswortlaut ist für das Vorliegen des Anfechtungsausschlusses nach § 136 Abs. 2 InsO der Anfechtungsgegner, also der stille Gesellschafter, beweispflichtig. VIII. Zeitpunkt, in dem eine Rechtshandlung als vorgenommen gilt, § 140 InsO 1. Allgemeines 246 Bei allen Anfechtungstatbeständen muss geklärt werden, wann genau die anfechtbare Rechtshandlung i.S.d. Gesetzes vorgenommen wurde. Dies spielt zunächst eine Rolle für die Frage, ob die Rechtshandlung noch innerhalb des jeweiligen Anfechtungszeitraums lag. Darüber hinaus ist der Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung auch für sonstige objektive (z.B. Zahlungsunfähigkeit des Schuldners) und subjektive Tatbestandsmerkmale (z.B. Kenntnis des Anfechtungsgegners von dem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners) maßgeblich. Schließlich entscheidet sich hieran im Einzelfall, ob eine Rechtshandlung überhaupt noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen wurde, d.h. nur anfechtbar sein kann, oder ob sie als danach vorgenommen gilt und daher nach §§ 81, 91 InsO unwirksam ist. 1 Zeuner in Smid, InsO, § 136 Rz. 16. Nach K. Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, Anh. zu § 236 Rz. 17 soll die Aufstellung einer Stichtagsbilanz Voraussetzung dafür sein, dass ein unterjähriger Stichtag anfechtungsrechtlich anerkannt wird (ablehnend Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 136 Rz. 7 und Stodolkowitz/Bergmann in MüKo zu InsO, § 136 Rz. 21, die bei Fehlen einer Zwischenbilanz eine zeitanteilige Aufteilung zulassen wollen). 2 Zeuner in Smid, InsO, § 136 Rz. 9. 3 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 136 Rz. 14; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 136 Rz. 15 (07/2003); ablehnend Stodolkowitz/Bergmann in MüKo zu InsO, § 136 Rz. 23. 4 Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 136 Rz. 11; Stodolkowitz/Bergmann in MüKo zu InsO, § 136 Rz. 24. 5 So wohl auch Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 136 Rz. 13.
828
Graf/Wunsch
Zeitpunkt der Rechtshandlung, § 140 InsO
Rz. 249
§ 10
Diesbezüglich enthält § 140 InsO Regelungen, die den Zeitpunkt definieren, in dem 246a eine Rechtshandlung i.S.d. einzelnen Anfechtungstatbestände als „vorgenommen“ gilt. 2. Die Grundregel des § 140 Abs. 1 InsO: Maßgeblichkeit des Eintretens der Rechtswirkungen Nach der Grundregel des § 140 Abs. 1 InsO gilt eine Rechtshandlung zu dem Zeitpunkt als vorgenommen, zu dem ihre rechtlichen Wirkungen eintreten.
247
Für Rechtshandlungen, die aus mehreren Teilakten bestehen, bedeutet das vor- 248 behaltlich des § 140 Abs. 2 InsO, dass sie erst mit dem letzten zur Wirksamkeit erforderlichen Teilakt als vorgenommen gelten. Maßgeblich ist daher – bei der Übereignung nach §§ 929 ff. BGB die Einigung oder die Übergabe bzw. das Übergabesurrogat, je nachdem, welcher Vorgang zeitlich später liegt1; – bei der Hypothek die Bestellung oder die Valutierung, je nachdem, welcher Vorgang zeitlich später liegt2; – bei der Überweisung die Entstehung des Anspruchs auf Gutschrift auf dem Empfängerkonto3; – bei der Zahlung durch Scheck oder Wechsel die Einlösung durch die bezogene Bank4; – beim Lastschriftverfahren im Abbuchungsauftragsverfahren die Einlösung der Lastschrift5, im Einzugsermächtigungsverfahren jedoch erst die Genehmigung bzw. der Ablauf der Widerspruchsfrist6; – beim genehmigungsbedürftigen Rechtsgeschäft die Genehmigung, auch wenn diese zivilrechtlich auf den Zeitpunkt das Abschlusses zurückwirkt7; – bei der Sachpfändung die Inbesitznahme oder Siegelanlegung durch den Gerichtsvollzieher8; – bei der Forderungspfändung die Zustellung an den Drittschuldner9 (unerheblich ist dagegen der Zeitpunkt der Zahlung durch den Drittschuldner10); – bei Vor- und Hauptpfändung die Hauptpfändung11; – bei Pfändung in die offene Kreditlinie der Abruf eines Kredits durch den Schuldner12. Bei der antizipierten Forderungsabtretung oder -pfändung ist die Entstehung der einzelnen Forderung maßgeblich13, z.B. bei Abtretung eines Mietzinsanspruchs das
1 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 140 Rz. 4. 2 OLG Köln v. 19.10.1978 – 7 U 1/78, WM 1979, 1342 (1345); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 140 Rz. 7. 3 Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 140 Rz. 5B; MünchKommInsO/Kirchhof, § 140 Rz. 11. 4 BGH v. 11.1.2007 – IX ZR 31/05, ZIP 2007, 435 (436); Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 140 Rz. 5B. 5 BGH v. 19.12.2002 – IX ZR 377/99, BB 2003, 752 (753). 6 BGH v. 29.5.2008 – IX ZR 42/07, ZIP 2008, 1241 (1242); OLG Köln v. 5.11.2008 – 2 U 78/08, NZI 2009, 111 (111); OLG Karlsruhe v. 18.1.2007 – 12 U 185/06, NZI 2008, 188 (189); MünchKommInsO/Kirchhof, § 140 Rz. 11. 7 Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 140 Rz. 2; MünchKommInsO/Kirchhof, § 140 Rz. 8; a.A. (Maßgeblichkeit der zivilrechtlichen Rückwirkung) Hess/Weis, Anfechtungsrecht, § 140 InsO Rz. 8. 8 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 140 Rz. 4. 9 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 140 Rz. 4. 10 BGH v. 21.3.2000 – IX ZR 138/99, ZIP 2000, 898. 11 BGH v. 23.3.2006 – IX ZR 116/03, BGHZ 167, 11 (17). 12 BGH v. 22.1.2004 – IX ZR 39/03, ZIP 2004, 513 (514 f.). 13 Zur Vorausabtretung BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 30/07, ZIP 2008, 183 (184); BGH v. 20.3.2003 – IX ZR 166/02, WM 2003, 896 (897); BGH v. 30.1.1997 – IX ZR 89/96, WM 1997, 545 (546); zur Vorauspfändung BGH v. 13.3.2010 – IX ZR 111/08, ZIP 2010, 443 (444). Diese Grundsätze sind nicht auf Fälle übertragbar, in denen es nicht auf Abtretung oder Pfändung, sondern unmittelbar auf das Entstehen einer Forderung ankommt, vgl. hierzu unten Rz. 262.
Graf/Wunsch
829
249
§ 10
Rz. 250
Insolvenzanfechtung
Entstehen jeder einzelnen Mietzinsrate zu Beginn der jeweiligen Mietperiode1, bei der Kontenpfändung jede eingehende Gutschrift2. Dies gilt auch für die antizipierte Forderungsabtretung im Rahmen eines verlängerten Eigentumsvorbehalts oder einer Globalzession3. Sind Zahlungseingänge in einem Kontokorrentverhältnis aufgrund einer bestehenden Kontokorrentbindung nicht isoliert abtretungsfähig, so ist bei einer vorweggenommenen Abtretung oder Pfändung der Ansprüche aus dem Kontokorrentverhältnis das Entstehen eines abtretungsfähigen Schlusssaldos aus einem Rechnungsabschluss maßgeblich4. Das Fälligwerden der abgetretenen Forderung ist für die Anfechtung der Abtretung unbeachtlich. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Sicherungsnehmer keine Anfechtung befürchten muss, soweit eine abgetretene Forderung vor dem Anfechtungszeitraum entstanden, jedoch erst im Anfechtungszeitraum fällig geworden ist. Denn anfechtbar kann nicht nur die Abtretung selbst sein, sondern auch jede spätere Rechtshandlung, die die Fälligkeit der abgetretenen Forderung auslöst oder diese in sonstiger Weise werthaltig macht (z.B. die Erbringung von Leistungen durch den Schuldner, durch die der abgetretene Anspruch auf Vergütung dieser Leistungen fällig wird bzw. die Einrede des nichterfüllten Vertrags entfällt)5. 250 Wird einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung nur ermöglicht (§§ 130, 131 InsO, oben Rz. 55), kommt es auf das „Ermöglichen“ bzw. dessen Rechtswirkungen an, nicht auf die anschließende Nutzung dieser Möglichkeit durch den Gläubiger. Im o.g. Fall des Herbeiführens der Fälligkeit einer sicherungsabgetretenen Forderung ist dies der Zeitpunkt des Fälligwerdens6, unabgängig vom Zeitpunkt der späteren Einziehung durch den Gläubiger. Beim prozessualen Anerkenntnis wird teilweise auf dessen Abgabe7 und teilweise auf den nachfolgenden Erlass des Anerkenntnisurteils8 abgestellt; unbeachtlich ist aber in jedem Fall die nachfolgende Vollstreckung durch den Gläubiger. Auch hier ist allerdings zu beachten, dass die nachfolgende Verwertung (Einziehung der abgetretenen Forderung, Vollstreckung aus dem Annerkenntnisurteil) ihrerseits der Anfechtung unterliegen kann. Jedoch handelt es sich hierbei in der Regel nicht mehr um Rechtshandlungen des Schuldners, so dass eine Anfechtung nur innerhalb der kurzen Fristen der §§ 130, 131 InsO in Betracht kommen wird, nicht jedoch die zeitlich weiter zurückgreifende Absichtsanfechtung nach § 133 InsO. 251 Bei rückwirkenden Willenserklärungen (Anfechtung, § 142 BGB; Genehmigung, § 184 BGB) kommt es nach h.M. auf den Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung an, nicht auf den Zeitpunkt, auf den diese zivilrechtlich zurückwirkt9. 252 Bei einer Unterlassung ist der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem die rechtliche Wirkung des Unterlassens erstmals nicht mehr durch das betreffende positive Tun hätte abge1 BGH v. 17.9.2009 – IX ZR 106/08, ZIP 2010, 38 (39); BGH v. 30.1.1997 – IX ZR 89/96, WM 1997, 545 (546). 2 BGH v. 20.3.2003 – IX ZR 166/02, WM 2003, 896 (897); BGH v. 20.3.1997 – IX ZR 71/96, ZIP 1997, 737 (739); LG Braunschweig v. 10.11.1995 – 1 O 198/95, ZIP 1996, 35. Maßgeblich ist dabei jeweils bereits das Entstehen des Anspruchs auf Gutschrift (BGH v. 24.10.1996 – IX ZR 284/95, WM 1996, 2250 [2252] = ZIP 1996, 2080 [2082]), also der Zeitpunkt des Eingangs bei der Bank bzw. im Falle der Überweisung innerhalb derselben Bank die Belastung auf dem Konto des Überweisenden, vgl. Eckardt, EWiR 1999, 319 (320); Steinhoff, ZIP 2000, 1141 (1145). 3 BGH v. 26.6.2008 – IX ZR 144/05, ZIP 2008, 1435 (1436); BGH v. 6.4.2000 – IX ZR 122/99, ZIP 2000, 932 (934). 4 BGH v. 13.3.2010 – IX ZR 111/08, ZIP 2010, 443 (444). 5 BGH v. 26.6.2008 – IX ZR 144/05, ZIP 2008, 1435 (1436) zur Erbringung von Bauleistungen, durch die zuvor entstandene und sicherungsabgetretene Forderungen des Bauunternehmers fällig werden, vgl. auch oben Rz. 27, 55. 6 BGH v. 26.6.2008 – IX ZR 144/05, ZIP 2008, 1435 (1436). 7 Zeuner in Smid, InsO, § 140 Rz. 11. 8 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, § 140 InsO Rz. 12; Henckel in Kölner Schrift zur InsO, 645 (674) Rz. 66. 9 Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 140 Rz. 2; Ehricke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, § 140 Rz. 6 (10/2008); zu § 184 BGB auch MünchKommInsO/Kirchhof, § 140 Rz. 8; a.A. (Maßgeblichkeit der Rückwirkung) Hess/Weis, Anfechtungsrecht, § 140 InsO Rz. 8.
830
Graf/Wunsch
Zeitpunkt der Rechtshandlung, § 140 InsO
Rz. 259
§ 10
wendet werden können1. Dieser Zeitpunkt fällt oftmals mit dem Ablauf einer Frist zusammen, innerhalb derer die unterlassene Handlung hätte vorgenommen werden müssen, z.B. bei der unterlassenen Anfechtung einer Willenserklärung der Ablauf der Anfechtungsfrist, bei der Nichtunterbrechung einer Verjährungs- oder Ersitzungsfrist deren Ablauf oder bei der Nichteinlegung eines Rechtsbehelfs die hierfür geltende Frist. Geht es dabei um Unterlassungen des Schuldners, und war die betreffende Frist bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch offen (hätte der Insolvenzverwalter also selbst z.B. die Anfechtung nach §§ 119 ff. BGB erklären können), so gilt die Unterlassung als überhaupt nicht „vorgenommen“ und ist demnach auch nicht anfechtbar2. 3. Eintragungsbedürftige mehraktige Rechtsgeschäfte, § 140 Abs. 2 InsO Eine Sonderregelung enthält § 140 Abs. 2 InsO für solche mehraktigen Rechtsgeschäfte, die zu ihrer Wirksamkeit der Eintragung in das Grundbuch, das Schiffsregister, das Schiffsbauregister oder das Register für Pfandrechte an Luftfahrzeugen bedürfen.
253
Hier wäre nach der Grundregel des § 140 Abs. 1 InsO eben diese Eintragung maßgeb- 254 lich, deren Zeitpunkt stark von der Bearbeitungsdauer beim jeweiligen Register und damit letztlich oftmals vom Zufall abhängt. Nach § 140 Abs. 2 InsO kommt es jedoch nicht auf die Eintragung an, sondern auf den Zeitpunkt, in dem alle übrigen Wirksamkeitsvoraussetzungen vorgelegen haben. Die dadurch bedingte zeitliche Vorverlagerung ist für den Anfechtungsgegner in aller Regel günstig. Die Wirksamkeitsvoraussetzungen eines eintragungsbedürftigen Rechtsgeschäfts 255 (außer der Eintragung selbst) sind allerdings erst dann erfüllt, wenn neben den erforderlichen Willenserklärungen auch der Antrag auf Eintragung z.B. beim Grundbuchamt gestellt worden ist, und zwar nicht (nur) vom Schuldner, sondern von der anderen Partei3. Denn erst zu diesem Zeitpunkt hat der Anfechtungsgegner eine unentziehbare Anwartschaft erlangt. Hat dagegen nur der Schuldner die Eintragung beantragt, so könnte er diesen Antrag jederzeit wieder zurückziehen. Bei der Übereignung eines Grundstücks ist dabei nach § 140 Abs. 2 Satz 2 InsO be- 255a reits der Antrag auf Eintragung einer Vormerkung ausreichend, da bereits diese eine insolvenzfeste Rechtsposition verleiht. Die nachfolgende Übereignung eines Grundstücks gilt demnach gemäß § 140 Abs. 2 InsO bereits mit Stellung des Antrags auf Eintragung einer Vormerkung durch den Käufer als vorgenommen. § 140 Abs. 2 InsO erfasst nur Rechtsgeschäfte, nicht auch andere Rechtshandlungen4, insbesondere also nicht Vollstreckungsmaßnahmen wie die Eintragung von Arrestoder Zwangshypotheken. In diesen Fällen bleibt es also bei § 140 Abs. 1 InsO und damit bei der Maßgeblichkeit der Eintragung.
256
Außerdem gilt die Vorschrift nur für die enumerativ genannten Register, insbesondere also das Grundbuch, nicht aber z.B. für das Handelsregister.
257
Die Beweislast dafür, dass die übrigen Wirksamkeitsvoraussetzungen eines solchen 258 eintragungsbedürftigen Rechtsgeschäfts bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen haben, trägt derjenige, der sich hierauf beruft. In der Regel ist das der Anfechtungsgegner. 4. Bedingte und befristete Rechtshandlungen, § 140 Abs. 3 InsO Eine weitere Ausnahmeregelung, die den Zeitpunkt der Vornahme einer Rechtshand- 259 lung vorverlegt, ist in § 140 Abs. 3 InsO enthalten: Danach bleibt für die Frage, wann
1 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 140 Rz. 5. 2 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, § 140 InsO Rz. 16. 3 BGH v. 9.1.1997 – IX ZR 47/96, ZIP 1997, 423 (424) zur Parallelvorschrift § 10 Abs. 2 GesO m. zust. Anm. Eckardt, EWiR 1997, 1133 (1134); Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 140 Rz. 12. 4 Zeuner in Smid, InsO, § 140 Rz. 14.
Graf/Wunsch
831
§ 10
Rz. 260
Insolvenzanfechtung
die Rechtswirkungen einer Rechtshandlung eingetreten sind, der erst später erfolgende Eintritt einer Bedingung oder eines Termins außer Betracht. 260 Hierunter fällt beispielsweise die Lieferung von Waren unter (auch erweitertem oder verlängertem) Eigentumsvorbehalt1. Dementsprechend kann der Eigentumsvorbehaltskäufer auch noch innerhalb der Anfechtungsfrist z.B. des § 130 InsO durch Zahlung der letzten Rate den Eigentumsübergang bewirken, ohne dass ihm das Eigentum nachträglich durch Anfechtung wieder entzogen werden könnte. 261 Streitig ist, ob auch die Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses auf einen in der Zukunft liegenden Zeitpunkt (z.B. ordentliche Kündigung eines Mietvertrags) unter § 140 Abs. 3 InsO fällt. Bejaht man dies, so kommt es auf den Zeitpunkt des Zugangs einer solchen Kündigung an2. Nach der abweichenden Auffassung ist dagegen § 140 Abs. 1 InsO einschlägig, und die Kündigung gilt erst zu der Zeit als vorgenommen, zu der das Dauerschuldverhältnis aufgrund der Kündigung endet3. 262 Soweit es unmittelbar auf den Zeitpunkt der Entstehung von Forderungen ankommt, ist nach der Rechtsprechung des BGH – anders als bezüglich der Vorausabtretung dieser Forderungen (oben Rz. 249) – beispielsweise bei Mietzinsforderungen nicht das Entstehen der einzelnen Mietzinsrate entscheidend, sondern nach § 140 Abs. 3 InsO der Abschluss des Mietvertrags4. Dies spielt beispielsweise für das Vermieterpfandrecht oder die Entstehung einer Aufrechnungslage i.S.d. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO eine Rolle. Auf Grundlage dieser Rechtsprechung wird auch in anderen Bereichen der für die Anfechtung einer Aufrechnung maßgebliche Zeitpunkt der Entstehung der Aufrechnungslage auf den zugrunde liegenden Vertragsschluss vorverlagert, auch wenn die einzelnen Forderungen erst später entstehen5. Dies führt oftmals zur Anfechtungsfestigkeit später entstandener Aufrechnungslagen. IX. Unanfechtbarkeit von Bargeschäften, § 142 InsO 1. Einleitung 263 Bargeschäfte sind entgeltliche Geschäfte, bei der gleichwertige Leistungen unmittelbar ausgetauscht werden. Sie unterliegen nach § 142 InsO nur unter den Voraussetzungen des § 133 InsO der Vorsatzanfechtung und sind im Übrigen der Anfechtung entzogen. 264 Bargeschäfte sind oft bereits mangels Gläubigerbenachteiligung (dazu Rz. 43 ff.) nicht anfechtbar, weil sie als bloßer Aktivtausch die Insolvenzmasse nicht schmälern. Die Regelung in § 142 InsO ist jedoch relevant für diejenigen Fälle, in denen eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung eintritt, weil die ursprünglich gleichwertige an den Schuldner erbrachte Leistung wertmäßig nicht oder nicht voll in der Insolvenzmasse erhalten bleibt (z.B. wenn gelieferte Waren an Wert verlieren oder von einer dinglichen Sicherheit erfasst werden, oder bei gescheiterten Sanierungsbemühungen). 265
Û
Hinweis: Durch die eingeschränkte Anfechtbarkeit von Bargeschäften lässt sich das Anfechtungsrisiko mit relativ einfachen Mitteln oftmals deutlich reduzieren. Typischer Anwendungsbereich ist der Lieferant oder Erbringer von Dienstleistungen, dessen Schuldner in finanzielle Schwierigkeiten geraten ist: Es sind hohe Außenstände aufgelaufen, wobei der Schuldner nach wie vor noch teilweise – soweit eben gerade Mittel zur Verfügung stehen – Zahlungen leistet. Ohne rechtliche
1 Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 140 Rz. 17A. 2 So die amtl. Begr. zu § 159 RegE-InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 166 f.; Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 140 Rz. 17A. 3 So Zeuner in Smid, InsO, § 140 Rz. 15 mit dem Hinweis darauf, dass die Bestimmung des Termins, zu dem eine Kündigung wirkt, kein Termin i.S.d. § 163 BGB ist. 4 BGH v. 14.12.2006 – IX ZR 102/03, ZIP 2007, 191 (192); BGH v. 11.11.2004 – IX ZR 237/03, ZIP 2005, 181 (182). 5 Vgl. KG v. 2.3.2006 – 19 U 35/05, ZIP 2006, 2001 (2002) m. abl. Anm. Homann, EWiR 2006, 765 (766).
832
Graf/Wunsch
Unanfechtbarkeit von Bargeschften, § 142 InsO
Rz. 269a
§ 10
Beratung werden die Parteien diese Zahlung in der Regel auf die ältesten offenen Forderungen verrechnen. Bei fehlender Tilgungsbestimmung kann sich dies auch aus § 366 Abs. 2 BGB ergeben. Geht der Gläubiger dagegen dazu über, die sofortige Bezahlung der jeweils zuletzt erbrachten Leistung zu verlangen, so können diese Zahlungen häufig als Bargeschäfte auch innerhalb des Dreimonatszeitraums trotz nachweisbarer Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der Anfechtung entzogen werden. Zwar besteht gerade bei Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit auch die Gefahr einer Anfechtung nach § 133 InsO (s. oben Rz. 176, 192), die durch § 142 InsO nicht ausgeschlossen wird. Da ein Bargeschäft jedoch regelmäßig bereits nicht objektiv gläubigerbenachteiligend wirkt, bestehen auch insoweit im Vergleich zur Tilgung alter Zahlungsrückstände deutlich bessere Chancen, der Anfechtung zu entgehen. Dabei ist unbedingt darauf zu achten, dass die Forderungen auch entsprechend frühzeitig fällig werden. Insbesondere sollten entgegenstehende vertragliche Fälligkeitsvereinbarungen vermieden werden (s. bereits oben Rz. 84). Denn eine Zahlung vor Fälligkeit wäre als inkongruent anzusehen, was zum einen nach der Rechtsprechung des BGH regelmäßig ein Bargeschäft ausschließt (dazu nachfolgend Rz. 269) und zum anderen ein Indiz für vorsätzliche Gläubigerbenachteiligung darstellt (s. oben Rz. 180 ff.). 2. Der Begriff des Bargeschäfts i.S.d. § 142 InsO Die Vorschrift definiert das Bargeschäft als „eine Leistung des Schuldners, für die un- 266 mittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen gelangt“. Es müssen also zwei Elemente vorliegen: Die Gleichwertigkeit einer Gegenleistung und die Unmittelbarkeit des Zusammenhangs zwischen Leistung und Gegenleistung. a) Gleichwertige Gegenleistung aa) Gegenleistung Zunächst muss tatsächlich eine Gegenleistung erfolgt sein. Diese muss in das Aktiv- 267 vermögen des Schuldners gelangen; die Befreiung von einer Verbindlichkeit reicht nicht aus1. Für den Charakter als „Gegen“-Leistung wird verlangt, dass Leistung des Schuldners 268 und Gegenleistung des Anfechtungsgegners durch Parteivereinbarung miteinander verknüpft sind2. Im Einzelfall können allerdings auch gesetzliche Schuldverhältnisse zu Bargeschäften führen, wenn z.B. bei Rücktritt oder ungerechtfertigter Leistung eine Rückabwicklung Zug um Zug erfolgt3. Dagegen kann die Erfüllung einseitiger gesetzlicher Pflichten nie ein Bargeschäft darstellen4. Im Übrigen ist eine Bardeckung i.S.d. § 142 InsO ausgeschlossen, wenn Leistung und/oder Gegenleistung freiwillig erbracht wurden oder zwar in einem gewissen faktischen oder kausalen Zusammenhang stehen, rechtlich aber nicht miteinander verknüpft sind. Ebenfalls kein Bargeschäft liegt nach h.M. vor, wenn der Schuldner eine andere als 269 die geschuldete Leistung erbracht hat (auch wenn insoweit Gleichwertigkeit gegeben war)5. Vertragliche Vereinbarungen, die den Inhalt der Leistungspflichten ändern, sind insoweit nur beachtlich, wenn sie vor Ausführung der zeitlich ersten Leistung getroffen werden6. Dementsprechend kann § 142 InsO der Anfechtung einer inkongruenten Deckung (zu Begriff und Voraussetzungen oben Rz. 62 ff.) nach der Rechtsprechung des BGH re-
1 MünchKommInsO/Kirchhof, § 142 Rz. 4a. 2 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 142 Rz. 1; Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 142 Rz. 6. 3 Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 142 Rz. 6. 4 MünchKommInsO/Kirchhof, § 142 Rz. 5b. 5 BGH v. 30.9.1993 – IX ZR 227/92, MDR 1994, 158; MünchKommInsO/Kirchhof, § 142 Rz. 7. 6 MünchKommInsO/Kirchhof, § 142 Rz. 8.
Graf/Wunsch
833
269a
§ 10
Rz. 270
Insolvenzanfechtung
gelmäßig nicht entgegengehalten werden1. Ob diese ohne Einschränkung bei jeder inkongruenten Deckung oder nur in der Regel gelten soll, lässt sich der Rechtsprechung nicht eindeutig entnehmen2. U.E. kann ein Bargeschäft in Einzelfällen durchaus auch bei inkongruenter Deckung vorliegen, etwa wenn die Leistungen zeitnah ausgetauscht werden, obwohl die Leistung des Schuldners erst später fällig gewesen wäre und damit „nicht zu der Zeit“ geschuldet war (oben Rz. 82 ff.). Aufgrund der Rechtsprechung des BGH empfiehlt es sich jedoch für die Beratungspraxis, den sicheren Weg zu gehen und derartige Konstellationen zu vermeiden, in dem die Fälligkeit durch rechtzeitige vertragliche Vereinbarung vorgezogen wird (vgl. bereits oben Rz. 84 und 265). Lag eine ausdrückliche dahingehende Vereinbarung nicht vor, wird man sich u.U. aber noch im Nachhinein mit der Berufung auf eine rechtzeitige stillschweigenden Änderung der Fälligkeitsbestimmungen behelfen können3. 270 Schließlich darf sich die vom Schuldner erbrachte Leistung ausschließlich auf die in Anspruch genommene Gegenleistung beziehen: Bestellt der Schuldner eine Kreditsicherheit für einen Neukredit, soll diese aber zugleich auch bereits bestehende Verbindlichkeiten sichern, so liegt keine Bardeckung vor4. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Sicherheit vorrangig das neue Darlehen sichert und dabei dieses wertmäßig nicht übersteigt5. 271 Dass Leistung und Gegenleistung nicht in einem zweiseitigen, sondern in einem Dreiecksverhältnis stehen, muss die Anwendung des § 142 InsO dagegen nicht ausschließen6. Auch ein entgeltlicher Vertrag zugunsten Dritter kann Bargeschäft sein, wenn der Schuldner an den Dritten leistet und hierfür im Deckungsverhältnis eine gleichwertige Gegenleistung erhält7. Jedoch kann eine umgekehrt vom Anfechtungsgegner an einen Dritten erbrachte Leistung nicht als Gegenleistung an den Schuldner angesehen werden, auch wenn der Schuldner hierdurch von einer Verbindlichkeit gegenüber dem Dritten frei wird. Vielmehr muss die Gegenleistung auch hier in das Aktivvermögen des Schuldners gelangt sein; ist dies nicht der Fall, scheidet auch eine analoge Anwendung des § 142 InsO aus8. bb) Gleichwertigkeit 272 Die Gegenleistung muss der Leistung des Schuldners (mindestens) gleichwertig sein. Dies ist nach objektiven Maßstäben zu beurteilen, jedoch unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls (konkrete Marktsituation etc). Geringfügige Abweichungen sind unbeachtlich9. 273 Bei der Besicherung eines Darlehens ist die verkehrsübliche Differenz zwischen Verkehrswert der Sicherheit und Darlehensvaluta unschädlich. U.E. bietet sich hier eine Übertragung der Rechtsprechung zur Übersicherung bei revolvierenden Globalsicherheiten an. In der Regel ist daher bei beweglichen Sachen ein Aufschlag von 50 % auf den Nennwert des Darlehens noch hinzunehmen10.
1 BGH v. 10.5.2007 – IX ZR 146/05, ZIP 2007, 1162 (1163); BGH v. 13.4.2006 – IX ZR 158/05, ZIP 2006, 1261 (1264); BGH v. 17.6.2004 – IX ZR 124/03, ZIP 2004, 1509; BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 223/01, ZIP 2002, 812 (815); BGH v. 30.9.1993 – IX ZR 227/92, MDR 1994, 158 = ZIP 1993, 1653 (1654) zur KO. 2 In dem grundlegenden Urteil BGH v. 30.9.1993 – IX ZR 227/92, MDR 1994, 158 = ZIP 1993, 1653 (1654) findet sich die Aussage, ein Bargeschäft sei bei inkongruenter Deckung „in aller Regel“ ausgeschlossen. In jüngerer Zeit wird der Ausschluss zumeist als allgemeingültig formuliert, der BGH hält dies allerdings nicht konsequent durch, vgl. oben Rz. 137. 3 MünchKommInsO/Kirchhof, § 142 Rz. 8. 4 BGH v. 12.11.1992 – IX ZR 236/91, DB 1993, 729; MünchKommInsO/Kirchhof, § 142 Rz. 6. 5 Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 6.103. 6 MünchKommInsO/Kirchhof, Rz. 5. 7 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 142 Rz. 2. 8 BGH 23.9.2010 – IX ZR 212/09, ZIP 2010, 2009 (2012 f.). 9 MünchKommInsO/Kirchhof, § 142 Rz. 9. 10 MünchKommInsO/Kirchhof, § 142 Rz. 13c.
834
Graf/Wunsch
Unanfechtbarkeit von Bargeschften, § 142 InsO
Rz. 279
§ 10
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage der Gleichwertigkeit ist in der Regel der Abschluss des dem Leistungsaustausch zugrunde liegenden Kausalgeschäfts1.
274
An der Gleichwertigkeit fehlt es nicht bereits deshalb, weil der Schuldner die erlangte 275 Gegenleistung – z.B. Bargeld – leichter dem Zugriff der Gläubiger entziehen kann2 oder weil ein solcher Zugriff – z.B. im Fall unpfändbarer Gegenstände – von vornherein nicht besteht3. Ob der Wert der Gegenleistung noch in der Insolvenzmasse vorhanden ist und somit 276 verwertet werden kann, spielt keine Rolle. Daher können auch Dienstleistungen, die an den Schuldner erbracht worden sind, als Bargeschäfte der Anfechtung entzogen sein4. Das betrifft insbesondere Anwalts- und andere Beraterhonorare im Zuge von – letztlich gescheiterten – Sanierungsversuchen. Die Zahlung eines solchen Honorars ist bei unmittelbarem Leistungsaustausch (dazu sogleich) nur anfechtbar, wenn das Honorar unangemessen hoch war oder wenn die betreffenden Sanierungsversuche bereits von vornherein zum Scheitern verurteilt waren (vgl. oben Rz. 186)5. b) Unmittelbarkeit des Leistungsaustauschs Die gleichwertige Gegenleistung muss unmittelbar in das Vermögen des Schuldners 277 gelangt sein. Damit ist ein zeitlicher Aspekt angesprochen. Nicht erforderlich ist dabei ein Leistungsaustausch Zug um Zug; auch die Reihenfolge von Leistung und Gegenleistung spielt keine Rolle6. Vielmehr darf zwischen Leistung und Gegenleistung nicht so viel Zeit vergehen, dass das Geschäft den Charakter eines Kreditgeschäfts annimmt7. Bezüglich des maßgeblichen Zeitpunkts von Leistung und Gegenleistung wird eine 278 entsprechende Anwendung von § 140 InsO vertreten8. Dies erscheint jedoch nicht in jedem Fall zwingend oder sachgerecht. So stellt der BGH für die Zahlung im Lastschriftverfahren für das Vorliegen eines Bargeschäfts auf den Lastschrifteinzug ab, obwohl im Rahmen des § 140 InsO erst die spätere Genehmigung maßgeblich ist (oben Rz. 248)9. Für den für einen unmittelbaren Leistungsaustausch noch zulässigen zeitlichen Ab- 279 stand gibt es keine einheitliche zeitliche Grenze. Hier muss u.a. nach der Art der ausgetauschten Leistungen differenziert werden. Bei der Lieferung beweglicher Sachen ist es nach der Rechtsprechung des BGH jedenfalls ausreichend, wenn zwischen Lieferung und Bezahlung rund eine Woche vergeht10. Erfolgt die Rechnungsstellung nicht sofort bei Lieferung, darf sowohl zwischen Lieferung und Rechnungsstellung als auch zwischen Rechnungsstellung und Zahlung jeweils rund eine Woche vergehen11. Ein Zeitraum von mehr als dreißig Tagen ist dagegen jedenfalls zu lang12. Verlangt ein Rechtsanwalt einen Honorarvorschuss, so muss er seine Leistung ebenfalls innerhalb 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
11 12
Zeuner in Smid, InsO, § 142 Rz. 2. Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 142 Rz. 2. MünchKommInsO/Kirchhof, § 142 Rz. 4a, 9. Zeuner in Smid, InsO, § 142 Rz. 3. BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 480/00, BB 2002, 1774 (1775); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 142 Rz. 3. BGH v. 14.1.2010 – IX ZR 153/07, DZWiR 2010, 290; BGH v. 10.5.2007 – IX ZR 146/05, ZIP 2007, 1161; BGH v. 13.4.2006 – IX ZR 158/05, ZIP 2006, 1261 (1264 f.). Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 142 Rz. 5. OLG Hamm v. 14.6.2005 – 27 U 85/04, ZIP 2006, 433 (434). BGH v. 2.4.2009 – IX ZR 171/07, ZInsO 2009, 1065 (1066 ff.); BGH v. 29.5.2008 – IX ZR 42/07, ZIP 2008, 1241 (1242). BGH v. 29.5.2008 – IX ZR 42/07, ZIP 2008, 1241 (1243); Allerdings hat der BGH bei anderen Leistungen ein Bargeschäft aufgrund einer Stundung von nur sieben Tagen verneint, weil ursprünglich Vorauszahlung vorgesehen und die Fälligkeit später bereits einmal zugunsten des Schuldners hinausgeschoben worden war, vgl. BGH v. 19.12.2002 – IX ZR 377/99, BB 2003, 752 (755). BGH v. 21.5.1980 – VIII ZR 40/79, ZIP 1980, 518 (519); OLG Düsseldorf v. 4.6.1982 – 24 U 23/82, BB 1983, 533 (543) = WM 1982, 1142. BGH v. 21.6.2007 – IX ZR 231/04, ZIP 2007, 1469 = WM 2007, 2007 (1616).
Graf/Wunsch
835
§ 10
Rz. 280
Insolvenzanfechtung
von dreißig Tagen erbringen (dazu näher Rz. 285)1. Der Zeitraum von dreißig Tagen dürfte im Sinne einer absoluten Obergrenze unabhängig von der Art der Leistungen gelten. 280 Ein Bargeschäft scheidet dann aus, wenn dem Schuldner für seine Leistung eine Stundung bzw. ein Zahlungsaufschub gewährt worden ist2. 281 Beweispflichtig für das Vorliegen eines Bargeschäfts ist der Anfechtungsgegner3. c) Einzelfälle aa) Verrechnung von Zahlungen auf debitorischen Schuldnerkonten 282 Die Frage, ob ein Bargeschäft i.S.d. § 142 InsO vorliegt, spielt für die Verrechnung von Zahlungseingängen auf debitorischen Konten des Schuldners (Rz. 127 ff.) eine wesentliche Rolle: Häufig wird der Schuldner im Zeitraum unmittelbar vor Stellung des Insolvenzantrags sein Kreditlimit voll ausgeschöpft haben. Gehen dann Zahlungen auf einem Konto ein und werden mit dem negativen Saldo verrechnet, so erlangt der Schuldner die Möglichkeit, Zahlungen (z.B. durch Überweisung) von diesem Konto zu veranlassen und seine Kreditlinie wieder neu in Anspruch zu nehmen. In diesem Fall hätte die Anfechtbarkeit der Zahlungseingänge für die Bank fatale Folgen: Sie müsste den gutgeschriebenen Betrag an den Insolvenzverwalter herausgeben, obwohl sie die nachfolgende Überweisung – die sie in der Regel nicht mehr rückgängig machen kann – nur aufgrund der zuvor eingegangenen Gutschrift überhaupt vorgenommen hatte. Hier nimmt der BGH zwar teilweise bereits in einem ersten Schritt auch bei ungekündigter Kreditlinie eine kongruente Deckung an (vgl. Rz. 135). Gänzlich vor der Anfechtung ist die Bank jedoch nur geschützt, soweit man im Wechsel von Zahlungsein- und -ausgängen eine Bardeckung sieht4. Dabei ist nicht erforderlich, dass die Bank Zahlungsaufträge des Schuldners unbeschränkt ausführt; ausreichend ist vielmehr auch die Gestattung einzelner Verfügungen nach dem Ermessen der Bank5. Hiervon zu differenzieren ist jedoch der Fall, wonach die Bank im Zuge der Verfolgung von Sonderinteressen in eine von dem Schuldner angestrebte Gläubigerbenachteiligung eingebunden ist. Fungiert die Bank nicht mehr als reine Zahlstelle, könnten auch Insolvenzanfechtungsansprüche gegenüber der Bank als Leistungsmittlerin begründet sein6. 283 Nach der Rechtsprechung des BGH liegt eine Bardeckung in solchen Fällen dann vor, wenn die Gutschriften in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit Belastungen des schuldnerischen Kontos stehen, wobei Belastungen zur Erfüllung eigener Forderungen der Bank außer Betracht bleiben, und dabei durch die Gutschriften insgesamt verhindert wird, dass das Kreditlimit des Schuldners überschritten wird7. Diesen Begriff hat der BGH mittlerweile dahin gehend präzisiert, dass ein Abstand zwischen Soll- und nachfolgender Habenbuchung von zwei Wochen unbedenklich ist8. Ein Quartal sei dagegen „bei weitem“ zu lang, und ob ein Monat noch ausrei-
1 BGH v. 6.12.2007 – IX ZR 113/06, DB 2008, 176; BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 240/00, BB 2002, 1774 (1775). 2 BGH v. 19.12.2002 – IX ZR 377/99, BB 2003, 752 (754). 3 Jaeger/Henckel, InsO, 2008, § 142 Rz. 46. 4 A.A. Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, Rz. 3.172, der in diesem Fall auch mit fehlender Gläubigerbenachteiligung argumentiert. Das von ihm angeführte Argument, die Bank hätte die Überweisungen ohne die Zahlungseingänge nicht ausgeführt, dürfte allerdings nach dem in Rz. 44 Gesagten nicht geeignet sein, bereits die Gläubigerbenachteiligung entfallen zu lassen. 5 BGH v. 1.10.2002 – IX ZR 360/99, ZIP 2002, 2182 (2184). 6 BGH v. 26.4.2012 – IX ZR 74/11, NJW 2012, 1959. 7 Grundlegend BGH v. 25.2.1999 – IX ZR 353/98, NJW 1999, 3264 (3265) (zur GesO); bestätigt durch BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 223/01, BB 2002, 960 (961 f.). Näher zur Berechnung des Umfangs des Bargeschäfts in solchen Fällen: BGH v. 15.11.2007 – IX ZR 212/06, ZIP 2008, 253; BGH v. 11.10.2007 – IX ZR 195/04, ZIP 2008, 237. 8 BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 223/01, BB 2002, 960 (962).
836
Graf/Wunsch
Unanfechtbarkeit von Bargeschften, § 142 InsO
Rz. 286
§ 10
chend wäre, hat der BGH offen gelassen1. Dabei soll die Abrechnungsperiode des Kontokorrents keine Rolle spielen2. Keine Rolle spielt die zeitliche Reihenfolge: Die Gutschriften müssen nicht etwa je- 283a weils vor den Belastungen des Kontos eingegangen sein3. Anfechtbar ist im Ergebnis daher (nur) der Betrag, um den die verrechneten Einzahlungen im maßgeblichen Anfechtungszeitraum die nach den o.g. Kriterien berücksichtigungsfähigen Auszahlungen übersteigen4. Jedoch kann eine Gutschrift trotz vorangegangener Auszahlungen dann kein Bargeschäft mehr darstellen, wenn danach gar keine weiteren Verfügungen mehr zugelassen werden, insbesondere wenn das Konto danach geschlossen wird5. Zu beachten ist dabei, dass ein Bargeschäft auch insoweit stets eine dahingehende 283b (zumindest konkludente) Vereinbarung voraussetzt (oben Rz. 268 f.)6. Von der Bank bloß faktisch geduldete Überziehungen des Kreditrahmens z.B. gegen Hereingabe von Kundenschecks können daher kein Bargeschäft darstellen. bb) Grundstücksschenkung gegen Nießbrauch Ein Bargeschäft liegt vor, wenn der Schuldner ein dinglich belastetes Grundstück 284 verschenkt und sich im Gegenzug ein Nießbrauchsrecht an dem Grundstück einräumen lässt7. cc) Beraterhonorare Auch Beratungsleistungen können Bargeschäfte sein. Dies gilt u.a. auch für die Zah- 285 lung eines Honorars im Rahmen ernsthafter, nicht von vornherein aussichtsloser Sanierungsbemühungen8. Bei Rechtsanwalts- und anderen Beraterhonoraren besteht dabei allerdings die Besonderheit, dass die der Honorarzahlung gegenüberstehende Gegenleistung des Beraters oft über einen längeren Zeitraum hinweg erbracht wird. Der BGH lässt es dabei nicht genügen, dass eine Zahlung unmittelbar nach Abschluss der Tätigkeit bzw. Ende der Abrechnungsperiode erfolgt (§ 614 BGB), sondern stellt auf den Beginn der anwaltlichen Tätigkeit ab. Dabei hat der BGH in beide Richtungen eine 30-Tage-Regel aufgestellt: Wenn zwischen Beginn der Tätigkeit und der Bezahlung durch den Mandanten mehr als 30 Tage liegen, so scheidet ein Bargeschäft danach aus. Gleiches gilt im Falle eines Honorarvorschusses auch umgekehrt9.
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Hinweis: 286 Hieraus folgt für den Berater eines insolvenzgefährdeten Unternehmens, dass nicht nur im Interesse der Sicherung einer Honorarzahlung, sondern auch zur Vermeidung einer späteren Anfechtungsproblematik beim Zeithonorar eine kurze Abrechnungsperiode (ein bis zwei Wochen) gewählt werden und zeitnah abgerechnet werden muss, so dass eine Zahlung innerhalb von 30 Tagen nach Beginn der Abrechnungsperiode erfolgen kann. Hierbei ist konsequent auf pünktliche Zahlung zu achten, gegebenenfalls um den Preis, dass ältere Rechnungen offen bleiben. Vorschüsse können – insbesondere beim Honorar nach Gebührenordnung – ebenfalls zur Herbeiführung von Bargeschäften eingesetzt werden. Voraussetzung ist allerdings, dass der Vorschuss zum einen im Einklang mit den
1 Nach MünchKommInsO/Kirchhof, § 142 Rz. 18a soll ein Monat die Höchstgrenze darstellen. 2 BGH v. 25.1.2001, NJW 2001, 1650 (1651). 3 BGH v. 14.1.2010 – IX ZR 153/07, DZWiR 2010, 290; BGH v. 7.3.2002 – IX ZR 223/01, BB 2002, 960 (962); de Bra, NZI 1999, 249 (253); Steinhoff, ZIP 2000, 1141 (1150). 4 BGH v. 15.11.2007 – IX ZR 212/06, ZIP 2008, 235 (237). 5 BGH v. 14.1.2010 – IX ZR 153/07, DZWiR 2010, 290. 6 MünchKommInsO/Kirchhof, § 142 Rz. 13a. 7 BGH v. 13.4.2006 – IX ZR 158/05, ZIP 2006, 1261 (1265). 8 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 240/00, BB 2002, 1774 (1775). 9 BGH v. 6.12.2007 – IX ZR 113/06, DB 2008, 176; BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 240/00, BB 2002, 1774 (1775).
Graf/Wunsch
837
§ 10
Rz. 287
Insolvenzanfechtung
Vorschriften der jeweiligen Gebührenordnung steht, und dass der Berater zum anderen innerhalb von 30 Tagen nach Zahlung des Vorschusses eine diesem wertmäßig entsprechende Leistung erbringt. Der BGH prüft dabei – auch bei letztendlich erfolglosen Sanierungsversuchen – materiell, ob der Schuldner innerhalb der 30 Tage eine gleichwertige Gegenleistung erhalten hat, d.h., ob die innerhalb dieses Zeitraums erbrachten Leistungen einen entsprechenden praktischen Nutzen hatten1. dd) Eigentumsvorbehalt 287 Grundsätzlich ist ein Eigentumsvorbehalt für das Vorliegen eines Bargeschäfts sowohl auf Käufer- als auch Verkäuferseite unschädlich, wenn Lieferung und Leistung in dem geforderten zeitlichen Zusammenhang (siehe oben Rz. 279) stehen. Ist der Schuldner Käufer, so kann jedoch die Bezahlung gelieferter Waren, an denen noch ein erweiterter Eigentumsvorbehalt besteht, kein Bargeschäft darstellen, denn der Schuldner erhält mangels Eigentumsübergangs keine gleichwertige Gegenleistung)2. Die Vereinbarung eines erweiterten Eigentumsvorbehalts hat damit insolvenzrechtlich den Nachteil, dass sie zeitnah erfolgte Kaufpreiszahlungen anfechtbar machen kann. Dies kann den Vorteil des Vorbehaltseigentums im Einzelfall – z.B. bei schwerer Verwertbarkeit – durchaus übersteigen, so dass aus Sicht des Lieferanten ggf. erwogen werden kann, bei Lieferung gegen sofortige Kaufpreiszahlung die Insolvenzfestigkeit der Zahlung vorzuziehen und auf einen erweiterten Eigentumsvorbehalt zu verzichten. X. Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung 1. Rückgewähranspruch der Masse, §§ 143, 145, 146 InsO a) Inhalt und Ausgestaltung des Rückgewähranspruchs, § 143 InsO 288 Grundlegende Rechtsfolge der Insolvenzanfechtung ist nach § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO, dass dasjenige zur Insolvenzmasse zurückgewährt werden muss, „was durch die anfechtbare Handlung aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben ist“. Nach heute ganz h.M. besteht also ein schuldrechtlicher Rückgewähranspruch (schuldrechtliche Theorie, siehe oben Rz. 5). Dieser Anspruch ist abtretbar3. 289 Dieser Rückgewähranspruch richtet sich primär nach dem Wortlaut des § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO auf Rückgewähr in Natur und betrifft insoweit dasjenige, was aus dem Vermögen des Schuldners weggegeben wurde, nicht etwa das, was der Empfänger erlangt hat4. 290 Lediglich ergänzend für gezogene Nutzungen sowie für den Sekundäranspruch bei Unmöglichkeit der Rückgewähr in Natur gilt nach § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO Bereicherungsrecht entsprechend, und zwar die Vorschriften über den bösgläubigen Bereicherungsempfänger (§§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4 BGB). Diese Regelung wird durch § 143 Abs. 2 InsO für den gutgläubigen Empfänger einer unentgeltlichen Leistung modifiziert. 291 Eine Aufrechnung gegen den Rückgewähr- oder Wertersatzanspruch mit einer Insolvenzforderung ist nach § 96 Nr. 1 InsO unzulässig und unwirksam. 292 Ein Zurückbehaltungsrecht kann jedoch bestehen aufgrund eines Gegenanspruchs auf Ersatz von Aufwendungen (unten Rz. 317)5, eines Gegenanspruchs aus § 144
1 2 3 4
BGH v. 6.12.2007 – IX ZR 113/06, DB 2008, 176. MünchKommInsO/Kirchhof, § 142 Rz. 13d; Zeuner in Smid, InsO, § 142 Rz. 4. BGH v. 17.2.2011 – IX ZR 91/10, ZIP 2011, 1114 (1115), s. auch oben Rz. 11. Zeuner in Smid, InsO, § 143 Rz. 2; zur Sonderproblematik bei Lebensversicherungen vgl. BGH v. 23.10.2003 – IX ZR 252/01, WM 2003, 2479 (2481). 5 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 143 Rz. 46.
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Graf/Wunsch
Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung
Rz. 298
§ 10
Abs. 2 Satz 1 InsO (unten Rz. 348) oder aufgrund des Auskunftsanspruchs eines ausoder absonderungsberechtigten Gläubigers1. aa) Rückgewähr in Natur, § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO (1) Umfang der Rückgewährpflicht Der Umfang der Rückgewährpflicht richtet sich nach dem, was aus dem Vermögen 293 des Schuldners weggegeben wurde. Bei Zahlungen des Schuldners für erfolgte Lieferungen muss der gezahlte Betrag dabei einschließlich der darin enthaltenen Umsatzsteuer zurückgewährt werden, auch wenn der Schuldner diese noch als Vorsteuer geltend machen konnte2. Bei der Anfechtung der Zahlung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen durch den Schuldner ist sowohl der Arbeitgeber- als auch der Arbeitnehmeranteil zurückzuerstatten3. Enthielt ein weggegebenes Stammrecht (z.B. Aktien) ein Bezugsrecht, so müssen z.B. auch die hieraus bezogenen jungen Anteile herausgegeben werden4. (2) Art und Umfang der Rückgewährhandlungen Die notwendigen Rückgewährhandlungen richten sich nach der Art der angefochtenen Rechtshandlung und des zurückzugewährenden Gegenstands:
294
Wird ein schuldrechtlicher Vertrag angefochten, müssen vom Schuldner erbrachte 295 Leistungen der Masse zurückwährt werden. Im Übrigen führt die Anfechtung dazu, dass sich der Vertragspartner nicht mehr auf den Vertrag berufen kann. So kann sich nach Anfechtung eines Grundstückskaufvertrags der Käufer als Anfechtungsgegner gegenüber der Masse auch nicht mehr auf eine zu seinen Gunsten eingetragene Vormerkung berufen5. Im Fall der Teilanfechtung (siehe oben Rz. 32) ist nur zurückzugewähren, was aus der gläubigerbenachteiligenden Klausel erlangt wurde6, bzw. der Vertragspartner kann sich nur auf diese Klausel nicht berufen. Wird die Übereignung einer Sache angefochten, und befindet sich diese noch im Ver- 296 mögen des Anfechtungsempfängers, so muss dieser die Sache zurückübereignen. Bei einem Grundstück ist dabei die Rückauflassung erforderlich, verbunden mit der Einwilligung in die Eintragung des Schuldners als Eigentümer. Der Anspruch aus § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO kann dabei durch Vormerkung gesichert werden7. Der Insolvenzverwalter kann aber statt der Übereignung auch lediglich auf Duldung der Zwangsvollstreckung in die Sache klagen8. Das wird er dann tun, wenn von vornherein feststeht, dass z.B. das vom Schuldner weggegebene Grundstück der Zwangsverwertung zugeführt werden soll. Die Rückabwicklung anfechtbar erworbener Grundpfandrechte kann durch Verzicht 297 des Anfechtungsgegners oder durch Einwilligung in die Löschung erfolgen9. Im Fall des Verzichts auf eine Hypothek ist die entstandene Eigentümergrundschuld (§§ 1168, 1177 BGB) zur Masse zurückzugewähren10. Auf ein anfechtbar erworbenes Pfandrecht an einer beweglichen Sache muss der An- 298 fechtungsgegner verzichten11 und die Sache, wenn sie sich in seinem Besitz befindet, 1 BGH v. 11.5.2000 – IX ZR 262/98, ZIP 2000, 1061 (1066); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 143 Rz. 46. 2 BGH v. 15.12.1994 – IX ZR 18/94, NJW 1995, 1093 (1095). 3 BGH v. 25.10.2001 – IX ZR 17/01, BB 2002, 590; OLG Hamburg v. 15.12.2000 – 1 U 91/00, ZIP 2001, 708 (710); a.A. OLG Dresden v. 16.1.2003 – 7 U 1167/02, ZIP 2003, 360 (363 f.). 4 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 143 Rz. 14. 5 BGH v. 11.7.1996 – IX ZR 226/94, NJW 1996, 3147. 6 BGH v. 11.11.1993 – IX ZR 257/92, NJW 1994, 449 (452). 7 LG Chemnitz v. 17.12.1998 – 3 O 5130/98, ZIP 1999, 496 (497); Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 143 Rz. 34 (1/2011). 8 Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 143 Rz. 47. 9 MünchKommInsO/Kirchhof, § 143 Rz. 44. 10 Zeuner in Smid, InsO, § 143 Rz. 12. 11 AG München v. 7.10.1969 – 31 K 27, 93/69, KTS 1970, 238 (239); Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 143 Rz. 38 (1/2011).
Graf/Wunsch
839
§ 10
Rz. 299
Insolvenzanfechtung
zur Masse herausgeben1. Einer Vollstreckung kann der Verwalter mit der Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO begegnen2. 299 Wird der Erlass einer Forderung oder der Verzicht auf eine Forderung angefochten, entsteht nach ganz h.M. ein unmittelbarer Anspruch auf Erfüllung der Forderung, wenn diese bereits fällig und durchsetzbar ist3. Es muss also nicht erst auf Abgabe einer Willenserklärung geklagt werden, die die Forderung wiederherstellt. 300 Ist die Erfüllung einer Forderung des Schuldners anfechtbar, so kann der Verwalter erneute Erfüllung verlangen4. Gleiches gilt, wenn eine Aufrechnung wegen anfechtbarer Schaffung der Aufrechnungslage nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unwirksam ist5 (vgl. oben Rz. 31). 301 Eine in anfechtbarer Weise vom Schuldner abgetretene Forderung muss zurückabgetreten werden6. Vorher kann der Insolvenzverwalter sie nicht geltend machen, und eine wegen der Abtretung ins Leere gegangene Vollstreckungsmaßnahme wird mit der Anfechtung nicht wirksam7. 302 Ist durch die anfechtbare Rechtshandlung eine Forderung des Anfechtungsgegners gegen den Schuldner entstanden, kann der Verwalter deren Erfüllung verweigern (bzw. im Falle der Anmeldung zur Tabelle nach § 176 InsO bestreiten), indem er die Einrede der Anfechtbarkeit erhebt8. Er kann aber auch aktiv werden und entweder eine Feststellungsklage erheben oder auf Verzicht klagen9. 303 Hat der Anfechtungsgegner durch eine anfechtbare Prozesshandlung (z.B. Anerkenntnis) oder ein anfechtbares prozessuales Unterlassen (Nichtbestreiten, rügeloses Einlassen, Nichteinlegung von Rechtsmitteln) einen vollstreckbaren Titel gegen den Schuldner erlangt, so bleibt die Wirksamkeit des Titels selbst hiervon unberührt. Der Verwalter kann aber auch hier die Einrede der Anfechtbarkeit erheben10. 304 Wird eine unentgeltliche Gebrauchsüberlassung seitens des Schuldners angefochten, so hat der Empfänger den Gegenstand herauszugeben und ein angemessenes Entgelt für die gesamte Dauer der Überlassung zu entrichten11. Bei einem Darlehen ist das der marktübliche Zinssatz12. 305 Bestand die anfechtbare Rechtshandlung in einem Unterlassen, so hat der Rückgewähranspruch zwar nicht den Inhalt, dass die unterlassene Handlung als vorgenommen anzusehen ist. Jedoch ist es dem Anfechtungsgegner verwehrt, sich auf das anfechtbare Unterlassen zu berufen. Hat also z.B. der Schuldner in einem Passivprozess nicht die Einrede der Verjährung erhoben, so kann der Verwalter sich dennoch (trotz Existenz eines vollstreckbaren Titels, § 141 InsO) auf die Verjährung berufen. Hat es der Schuldner umgekehrt unterlassen, die Verjährung eines eigenen Anspruchs zu unterbrechen, so kann der Verwalter die verjährte Forderung einklagen und dabei der Verjährungseinrede die Gegeneinrede der Anfechtbarkeit entgegenhal-
1 LG Mönchengladbach v. 17.4.1991 – 3 O 622/90, WM 1992, 752 (753); Zeuner in Smid, InsO, § 143 Rz. 11. 2 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, § 143 InsO Rz. 82; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 143 Rz. 40 (1/2011). 3 OLG Nürnberg v. 29.11.1966 – 3 U 84/66, KTS 1967, 170 (171) zur angefochtenen Genehmigung einer befreienden Schuldübernahme; Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 143 Rz. 9. 4 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 143 Rz. 9; Zeuner in Smid, InsO, § 143 Rz. 10. 5 Zeuner in Smid, InsO, § 143 Rz. 10. 6 MünchKommInsO/Kirchhof, § 143 Rz. 36. 7 BGH v. 21.9.2006 – IX ZR 235/04, ZIP 2006, 2176; BGH v. 5.2.1987 – IX ZR 161/85, BGHZ 100, 36 (42). 8 LG Potsdam v. 3.6.1997 – 3 O 88/98, ZIP 1997, 1383 (1384). 9 LG Potsdam v. 3.6.1997 – 3 O 88/98, ZIP 1997, 1383 (1384). 10 Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 143 Rz. 16. 11 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 143 Rz. 11. 12 BGH v. 21.4.1988 – IX ZR 71/87, MDR 1988, 858 f.
840
Graf/Wunsch
Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung
Rz. 310
§ 10
ten1. Gleiches gilt für die unterlassene Anfechtung nach §§ 119 ff. BGB, unterlassene Mängelrüge usw. Die Kosten der Rückgewähr (z.B. die Kosten der Umschreibung im Grundbuch) trägt der Anfechtungsgegner2.
306
bb) Sekundäransprüche bei Unmöglichkeit der Rückgewähr in Natur, § 143 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 InsO (1) Grundsatz: Scharfe bereicherungsrechtliche Haftung Ist eine Rückgewähr in Natur nicht möglich, so greift nach § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO 307 Bereicherungsrecht entsprechend, und zwar in Gestalt der Haftung des bösgläubigen Bereicherungsempfängers, §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 292, 989, 990 BGB. Auch der gutgläubige Anfechtungsgegner wird somit – vorbehaltlich der Ausnahmeregelung des § 143 Abs. 2 InsO (dazu sogleich Rz. 310 ff.) – kraft gesetzlicher Anordnung so gestellt wie ein Bereicherungsschuldner, der den Mangel des Rechtsgrunds kannte. Das bedeutet, dass der Anfechtungsempfänger (nur) bei zu vertretendem Untergang oder zu vertretender Verschlechterung des anfechtbar erlangten Gegenstands Wertersatz leisten muss3. Eine dingliche Surrogation findet dagegen nicht statt. Hinsichtlich des Vertretenmüssens kann auf die Kommentierung zum BGB verwiesen werden. Ein Mitverschulden des Schuldners an der Unmöglichkeit der Herausgabe in Natur bleibt dabei außer Betracht, nur ein Mitverschulden des Insolvenzverwalters ist nach § 254 BGB beachtlich4. Lediglich bei einer Geldschuld als Primäranspruch kommt es nach §§ 818 Abs. 4, 276 Abs. 1 Satz 1 BGB überhaupt nicht auf ein Verschulden am Verlust der Geldsumme an.
308
Anzusetzen ist derjenige Wert, den der Gegenstand zur Zeit der Eröffnung des Insol- 309 venzverfahrens (str.)5 für die Insolvenzmasse objektiv hätte, wenn die anfechtbare Handlung nicht vorgenommen worden wäre6. Wertminderungen nach der anfechtbaren Rechtshandlung vermindern also auch den Anspruch auf Wertersatz, sofern sie auch im Vermögen des Schuldners eingetreten wären7. Umgekehrt muss ein nachträglich gestiegener Wert ebenfalls herausgegeben werden8, nicht aber ein Gewinn des Anfechtungsgegners aus einem „günstigen Geschäft“9. (2) Ausnahme: Privilegierung des gutgläubigen Empfängers einer unentgeltlichen Leistung, § 143 Abs. 2 InsO Eine Ausnahme gilt für den gutgläubigen Empfänger einer unentgeltlichen Leistung 310 des Schuldners, sofern die Anfechtung nur auf § 134 InsO gestützt werden kann. In diesem Fall hat der Anfechtungsgegner die erhaltene Leistung nach § 143 Abs. 2 InsO nur insoweit zurückzugewähren, als er durch sie noch bereichert ist. Ist der Gegenstand selbst nicht mehr vorhanden, muss Wertersatz daher nur insoweit geleistet werden, als der Wert noch anderweitig im Vermögen des Empfängers vorhanden ist. Im Übrigen haftet der nach § 143 Abs. 2 InsO privilegierte Anfechtungsgegner auch nicht für den verschuldeten Untergang oder die verschuldete Verschlechterung der
1 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 143 Rz. 12; Zeuner in Smid, InsO, § 143 Rz. 14. 2 MünchKommInsO/Kirchhof, § 143 Rz. 27; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 143 Rz. 56 (1/2011). 3 Breutigam/Tanz, ZIP 1998, 717 (724); Zeuner in Smid, InsO, § 143 Rz. 15. 4 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 143 Rz. 21. 5 BGH v. 9.7.1987 – IX ZR 167/86, MDR 1987, 1020 = ZIP 1987, 1132 (1134); a.A. Gerhardt, ZIP 1987, 1429 (1432 f.): Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Anfechtungsprozess; ihm zuneigend auch Hess/Weis, Anfechtungsrecht, § 143 InsO Rz. 106. 6 BGH v. 15.10.1969 – VIII ZR 136/67, NJW 1970, 44 (46); Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 143 Rz. 27 (1/2011). 7 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 143 Rz. 21 (1/2011). 8 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 143 Rz. 22. 9 Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 143 Rz. 38.
Graf/Wunsch
841
§ 10
Rz. 311
Insolvenzanfechtung
Sache. Zu den Einzelheiten kann auf die Kommentierungen zu § 818 Abs. 2, Abs. 3 BGB verwiesen werden. 311 Die Gutgläubigkeit bezieht sich dabei nach § 143 Abs. 2 Satz 2 InsO auf die Gläubigerbenachteiligung. Da dem Empfänger einer unentgeltlichen Leistung in der Regel die Unentgeltlichkeit und damit die abstrakte Gläubigerbenachteiligung bekannt ist, betrifft dies die Frage der konkreten Gläubigerbenachteiligung, m.a.W. ob der Anfechtungsgegner erkannt hat bzw. damit rechnen musste, dass das (restliche) Vermögen des Schuldners nicht zur Deckung seiner Verbindlichkeiten ausreicht1. Gutgläubig ist somit derjenige, der keinen Anlass zu Zweifeln an der Bonität des Schuldners hatte. Streitig ist dagegen, ob auch derjenige gutgläubig ist, der zwar die Gläubigerbenachteiligung kannte, jedoch – was nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen wird – die Unentgeltlichkeit weder kannte noch kennen musste2. 312 Schädlich ist auch fahrlässige Unkenntnis, wobei der Fahrlässigkeitsmaßstab umstritten ist. Der Gesetzeswortlaut legt nahe, dass jede Form der Fahrlässigkeit schaden soll. Teilweise wird jedoch entsprechend der allgemeinen zivilrechtlichen Definition des Begriffs der Gutgläubigkeit gemäß § 932 Abs. 2 BGB vertreten, dass nur grob fahrlässige Unkenntnis schadet3. Unabhängig davon obliegen dem Anfechtungsgegner in aller Regel keine Erkundigungspflichten, so dass sich die fahrlässige Unkenntnis nur aus den ihm positiv bekannten Umständen ergeben kann4. 313 Schädlich ist dabei nicht nur die Bösgläubigkeit zum Zeitpunkt der Leistung, sondern auch eine später bis zum Zeitpunkt der Entreicherung auftretende Bösgläubigkeit5. 314 Die Beweispflicht für die Bösgläubigkeit liegt nach der Gesetzesformulierung beim Insolvenzverwalter, wodurch sich auch ein schärferer Fahrlässigkeitsmaßstab wieder relativiert6. Die Beweislast für eine Entreicherung trägt dagegen der Anfechtungsgegner7. cc) Nutzungen und Verwendungen 315 Auch im Bereich der Nutzungen und Verwendungen ist zu unterscheiden zwischen dem Regelfall und dem nach § 143 Abs. 2 InsO privilegierten gutgläubigen Empfänger einer unentgeltlichen Leistung: 316 Nach § 142 Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. Bereicherungsrecht muss der Anfechtungsgegner im Regelfall sowohl gezogene Nutzungen herausgeben (§ 818 Abs. 1 BGB) als auch für nicht gezogene Nutzungen Wertersatz leisten (§§ 818 Abs. 4, 990, 987 Abs. 2 BGB). Dies gilt unabhängig davon, ob der Schuldner seinerseits diese Nutzungen gezogen hätte8. Außer Betracht bleiben lediglich Nutzungen, die der Schuldner nicht hätte ziehen können9. Nach diesen Regeln richtet sich auch die Verzinsung von Zahlungsansprüchen, wobei jedenfalls ab dem Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung Prozesszinsen anfallen10. 317 Im Gegenzug sind notwendige Verwendungen des Anfechtungsgegners nach §§ 994 Abs. 2, 995, 683 Satz 2, 670, 256 Satz 2 BGB zu erstatten. Maßgeblich ist dabei der 1 MünchKommInsO/Kirchhof, § 143 Rz. 106. 2 Dafür Henckel in Kölner Schrift zur InsO, 831 (850), Rz. 84; Zeuner in Smid, InsO, § 143 Rz. 19; dagegen MünchKommInsO/Kirchhof, § 143 Rz. 101. 3 So Henckel in Kölner Schrift zur InsO, 831 (850), Rz. 84; Holzer, WiB 1997, 729 (736); Zeuner in Smid, InsO, § 143 Rz. 19; a.A. (einfache Fahrlässigkeit reicht aus) MünchKommInsO/Kirchhof zur InsO, § 143 Rz. 107. 4 MünchKommInsO/Kirchhof, § 143 Rz. 107. 5 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 143 Rz. 33; Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 143 Rz. 52; MünchKommInsO/Kirchhof, § 143 Rz. 108. 6 Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 143 Rz. 51. 7 MünchKommInsO/Kirchhof, § 143 Rz. 111. 8 OLG Stuttgart v. 13.1.2005 – 2 U 164/04, ZIP 2005, 1837 (1841); Zeuner in Smid, InsO, § 143 Rz. 16. 9 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 143 Rz. 25. 10 BGH v. 1.2.2007 – IX ZR 96/04, ZIP 2007, 488.
842
Graf/Wunsch
Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung
Rz. 323
§ 10
wirkliche oder mutmaßliche Wille der Insolvenzgläubiger1 oder nach anderer Auffassung des Insolvenzverwalters2, nicht aber der des Schuldners. Der Anspruch auf Ersatz werterhöhender notwendiger Verwendungen ist Masseanspruch i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO und begründet ein Zurückbehaltungsrecht des Anfechtungsgegners3. Demgegenüber begründen Aufwendungen in Zusammenhang mit dem anfechtbaren Erwerb (z.B. Notarkosten, Grunderwerbssteuer) keinerlei Gegenansprüche des Anfechtungsgegners4. Bei nur nützlichen Verwendungen ist streitig, ob diese einen Bereicherungsanspruch des Anfechtungsgegners begründen5 oder lediglich ein Wegnahmerecht nach § 997 BGB6. Demgegenüber muss der nach § 143 Abs. 2 InsO privilegierte gutgläubige Empfänger einer unentgeltlichen Leistung nur tatsächlich gezogene Nutzungen herausgeben, und Verwendungen auf den empfangenen Gegenstand mindern den Wertersatzanspruch stets7.
318
b) Anspruchsgegner Die Verpflichtung zur Rückgewähr in Natur bzw. zum Wertersatz trifft grundsätzlich denjenigen, der aus dem Vermögen des Schuldners etwas erlangt hat, gemäß § 145 InsO aber auch dessen Rechtsnachfolger.
319
Existiert sowohl ein unmittelbarer Anfechtungsgegner als auch ein (Einzel-)Rechtsnachfolger, so kann der Insolvenzverwalter wählen, wen er in Anspruch nimmt, und auch beide Ansprüche nebeneinander geltend machen8.
320
aa) Primärer Anfechtungsgegner Die Frage des primären Schuldners des Anfechtungsanspruchs ist in der Regel ledig- 321 lich bei mittelbaren Zuwendungen (vgl. oben Rz. 57) problematisch. In diesem Fall richtet sich der Rückgewähranspruch grundsätzlich gegen den letztendlichen Empfänger der Zuwendung, nicht gegen den Mittelsmann9. Etwas anderes gilt jedoch, soweit Letzterer ebenfalls einen Vermögensvorteil erlangt hat. In den Fällen der Zahlung auf Weisung des Schuldners (vgl. oben Rz. 183) kann dieser Vermögensvorteil im Freiwerden von einer Verbindlichkeit gegenüber dem Schuldner liegen. Daher kann der Insolvenzverwalter in diesen Fällen sowohl den Angewiesenen als auch den letztendlichen Empfänger der Zahlung als primären Schuldner in Anspruch nehmen; beide haften als Gesamtschuldner10. Zum Anspruchsgegner bei Scheck- und Wechselzahlungen des Schuldners (§ 137 InsO) siehe oben Rz. 111 ff.
322
In der Insolvenz des Anfechtungsgegners begründet der Anfechtungsanspruch ein 323 Aussonderungsrecht, allerdings nur für den Anspruch auf unmittelbare Rückgewähr des anfechtbar Erlangten bzw. eines Surrogats, nicht hingegen für den Fall, dass bereits bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Anfechtungsgegners lediglich ein Anspruch auf Wertersatz bestand11.
1 Zeuner in Smid, InsO, § 143 Rz. 17. 2 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 143 Rz. 26. 3 BGH v. 23.11.1995 – IX ZR 18/95, ZIP 1996, 83 (88); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 143 Rz. 27; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 143 Rz. 16 f. (1/2011). 4 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 143 Rz. 28. 5 So BGH v. 23.11.1995 – IX ZR 18/95, ZIP 1996, 83 (88); Jaeger/Henckel, InsO 2008 § 143 Rz. 148; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 143 Rz. 18 (1/2011). 6 So Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 143 Rz. 26. 7 Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 143 Rz. 54. 8 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 143 Rz. 431. 9 Zeuner in Smid, InsO, § 143 Rz. 26. 10 BGH v. 29.11.2007 – IX ZR 121/06, ZIP 2008, 190 (192). 11 Vgl. BGH v. 23.10.2003 – IX ZR 252/01, WM 2003, 2479 (2482 f.); Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 143 Rz. 4; MünchKommInsO/Kirchhof, vor §§ 129 bis 147 Rz. 23, § 143 Rz. 20a.
Graf/Wunsch
843
§ 10
Rz. 324
Insolvenzanfechtung
bb) Anfechtung gegen einen Rechtsnachfolger, § 145 InsO 324 Hinsichtlich der Inanspruchnahme eines Rechtsnachfolgers unterscheidet § 145 InsO zwischen Einzel- und Gesamtrechtsnachfolge: (1) Gesamtrechtsnachfolge 325 Der Erbe oder sonstige Gesamtrechtsnachfolger desjenigen, der einen Gegenstand in anfechtbarer Weise erworben hat, ist nach § 145 Abs. 1 InsO ebenso zur Herausgabe bzw. zum Wertersatz nach § 143 InsO verpflichtet, wie es sein Rechtsvorgänger wäre. Hinsichtlich der subjektiven Tatbestandsmerkmale eines Anfechtungstatbestands kommt es daher auf den Rechtsvorgänger an1. 326 Beim Erben oder der Erbengemeinschaft handelt es sich dann – unabhängig von der zeitlichen Reihenfolge zwischen Tod des Primärverpflichteten und Eröffnung des Insolvenzverfahrens – um eine Nachlassverbindlichkeit2. Im Fall der Nacherbschaft haftet bis zum Eintritt des Nacherbfalls der Vorerbe, sodann der Nacherbe, § 2139 BGB3. (2) Einzelrechtsnachfolge 327 Einzelrechtsnachfolger („sonstiger Rechtsnachfolger“) i.S.d. § 145 Abs. 2 InsO ist, wer einen anfechtbar aus dem schuldnerischen Vermögen ausgeschiedenen Gegenstand oder ein davon abgezweigtes begrenztes Recht erworben hat4. Einzelrechtsnachfolger in diesem Sinne kann auch der Schuldner selbst sein5. 328 Rechtsnachfolger i.S.d. § 145 Abs. 2 InsO ist beispielsweise derjenigen, der – eine anfechtbar erworbene Sache vom primären Anfechtungsgegner rechtsgeschäftlich übereignet bekommt (nicht aber der z.B. lediglich einen Kaufvertrag abgeschlossen hat6 oder der eine vom Schuldner bezahlte Geldsumme weitergeleitet erhält, ohne dabei Eigentum an konkreten vom Schuldner stammenden Geldscheinen oder Münzen zu erlangen7); – über eine Vormerkung zu seinen Gunsten verfügt8; – ein (Grund-)Pfandrecht oder anderes beschränkt dingliches Recht an einer vom primären Anfechtungsgegner anfechtbar erworbenen Sache erwirbt; – einen anfechtbar erworbenen Gegenstand als Vermächtnis zugewendet bekommt; – eine anfechtbar erworbene Sache gegenüber dem primären Anfechtungsgegner rechtmäßig besitzt, z.B. als Mieter9; – eine anfechtbar erworbene Forderung im Wege der cessio legis erwirbt; – einen Wechsel als Indossatar vom primären Anfechtungsgegner als Indossanten erwirbt. 329 Beruht die Rechtsnachfolge auf einem Hoheitsakt, z.B. beim Erwerb eines Pfändungspfandrechts in einem Zwangsvollstreckungsverfahren, so ist die Anwendbarkeit des § 145 Abs. 2 InsO umstritten, wird jedoch von der wohl h.M. bejaht10. Dagegen ist eine Anfechtung gegenüber dem Erwerber in Fällen des originären Erwerbs nach zutreffender Auffassung mangels Rechtsnachfolge nicht möglich11. Dies betrifft 1 Zeuner in Smid, InsO, § 145 Rz. 5. 2 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 145 Rz. 3 (03/2003); Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 145 Rz. 4; a.A. Jaeger/Henckel, InsO, 2008, § 145 Rz. 10. 3 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 145 Rz. 4 (7/2003). 4 BGH v. 5.2.1987 – IX ZR 161/85, MDR 1987, 494. 5 BGH v. 13.7.1995 – IX ZR 81/94, NJW 1995, 1846 (2847). 6 BGH v. 13.7.1995 – IX ZR 81/94, NJW 1995, 1846 (2847. 7 BGH v. 19.2.2009 – IX ZR 16/08, ZIP 2009, 769 (770), wobei in solchen Fällen stets vorab zu prüfen ist, ob eine mittelbare Zuwendung des Schuldners an den Letztempfänger vorliegt und dieser daher (auch) primärer Anfechtungsgegner ist, vgl. dazu oben Rz. 57, 79, 183, 321. 8 BGH v. 13.7.1995 – IX ZR 81/94, NJW 1995, 1846 (2847). 9 Zeuner in Smid, InsO, § 145 Rz. 6. 10 Vgl. Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 145 Rz. 18; MünchKommInsO/Kirchhof, § 145 Rz. 21 jeweils m.w.N.; a.A. Hess/Weis, Anfechtungsrecht, § 145 InsO Rz. 17. 11 Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 145 Rz. 18; MünchKommInsO/Kirchhof, § 145 Rz. 18.
844
Graf/Wunsch
Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung
Rz. 336
§ 10
neben Verbindung, Vermischung bzw. Verarbeitung oder Ersitzung auch den Zuschlag im Zwangsversteigerungsverfahren1. Der Einzelrechtsnachfolger haftet nach § 145 Abs. 2 nur unter zwei alternativen Voraussetzungen: – wenn ihm die Umstände, die die Anfechtbarkeit begründen (nicht: die Rechtsfolge der Anfechtbarkeit), zur Zeit des Eintritts der Einzelrechtsnachfolge positiv bekannt waren, § 145 Abs. 2 Nr. 1 InsO, was nach § 145 Abs. 2 Nr. 2 InsO bei dem Schuldner nahestehenden Personen im Sinne des § 138 InsO vermutet wird, oder – wenn er das Erlangte im anfechtungsrechtlichen Sinne unentgeltlich (zu den Kriterien oben Rz. 205 ff.) zugewendet bekommen hat, § 145 Abs. 2 Nr. 3 InsO. Als unentgeltlicher Erwerb soll dabei stets der Erwerb in der Zwangsvollstreckung durch Gläubiger des Anfechtungsgegners gelten2.
330
Der gutgläubige unentgeltliche Rechtsnachfolger i.S.d. § 145 Abs. 2 Nr. 3 InsO kann 331 sich jedoch auf § 143 Abs. 2 InsO (Entreicherung, siehe oben Rz. 310 ff.) berufen, ohne dass dessen Voraussetzungen auch beim primären Anfechtungsgegner vorliegen müssen3. Bei einer Kette von Einzelrechtsnachfolgen müssen die Voraussetzungen des § 145 Abs. 2 InsO auf jeder Stufe der Kette vorliegen, nicht nur beim Letzterwerber4.
332
In prozessualer Hinsicht ist zu beachten, dass ein Urteil aus dem Anfechtungspro- 333 zess gegen den primären Anfechtungsgegner nicht für oder gegen den Einzelrechtsnachfolger wirkt5. Der Insolvenzverwalter muss den Rechtsnachfolger vielmehr erforderlichenfalls erneut in Anspruch nehmen. Weiterhin kann er auf Grundlage des § 145 Abs. 2 InsO einer Zwangsvollstreckung in das Vermögen des primären Anfechtungsgegners entgegentreten, wobei die Vorschriften der §§ 771, 805 Abs. 2 ZPO zumindest entsprechend anwendbar sind6. c) Verjährung des Anfechtungsanspruchs, § 146 InsO Da die Insolvenzanfechtung kein Gestaltungsrecht darstellt, dessen Ausübung als 334 solche an eine Frist gebunden sein könnte, sondern vielmehr auch ohne eine „Anfechtungserklärung“ ein schuldrechtlicher Rückgewähranspruch der Insolvenzmasse nach §§ 143 ff. InsO entsteht (vgl. oben Rz. 5, 12), ist auch die Anfechtungsfrist in § 146 InsO als Verjährungsvorschrift in Bezug auf diesen Anspruch ausgestaltet. aa) Fristberechnung, Hemmung und Neubeginn der Verjährung Die Verjährung des Anfechtungsanspruchs richtet sich nach den Regelungen der §§ 195, 199 BGB über die regelmäßige Verjährung, § 146 Abs. 1 InsO.
335
Hemmung und Neubeginn (Unterbrechung) der Verjährungsfrist des § 146 Abs. 1 336 InsO richten sich ebenfalls nach den allgemeinen Vorschriften des BGB. Die bloße außergerichtliche Geltendmachung der Anfechtbarkeit einer Rechtshandlung im Sinne einer formlosen „Anfechtungserklärung“ unterbricht die Verjährung nicht7. Diese wird lediglich durch Verhandlungen i.S.d. § 203 BGB, durch Klageerhebung oder durch die ihr gemäß § 204 BGB gleichgestellten Schritte – z.B. die Zustellung eines Mahnbescheids – gehemmt. Durch ein Anerkenntnis wird die Verjährung des Anfechtungsanspruchs gemäß § 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB unterbrochen.
1 MünchKommInsO/Kirchhof, § 145 Rz. 18. 2 MünchKommInsO/Kirchhof, § 145 Rz. 30. 3 MünchKommInsO/Kirchhof, § 145 Rz. 31; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 145 Rz. 23 (7/2003). 4 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 145 Rz. 15 (7/2003). 5 MünchKommInsO/Kirchhof, § 145 Rz. 39. 6 MünchKommInsO/Kirchhof, § 146 Rz. 34. 7 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 146 Rz. 9 (12/2006).
Graf/Wunsch
845
§ 10
Rz. 337
Insolvenzanfechtung
bb) Rechtsfolgen der eingetretenen Verjährung 337 Gegenüber Ansprüchen der Insolvenzmasse muss sich der Anfechtungsgegner auf die Verjährung berufen. Tut er dies, ist der Anspruch auf Rückgewähr nicht mehr durchsetzbar. 338 Wird die Anfechtbarkeit dagegen einem Anspruch gegenüber der Masse entgegengehalten, bleibt die Anfechtungseinrede gemäß § 146 Abs. 2 InsO auch nach Ablauf der Verjährungsfrist erhalten. Dies gilt nicht nur gegenüber schuldrechtlichen Forderungen, sondern auch gegenüber sachenrechtlichen Verpflichtungen insbesondere in Form von Aus- und Absonderungsansprüchen1. Dabei soll ein mittelbarer Zusammenhang zwischen der verweigerten Leistungspflicht der Masse und der anfechtbaren Rechtshandlung genügen2. Die Anfechtungseinrede greift allerdings nicht, wenn der geltend gemachte Anspruch (auch) auf einer anderen Rechtsgrundlage als der angefochtenen Rechtshandlung beruht3. 339 Die Anfechtungseinrede kann dem Insolvenzverwalter auch im Aktivprozess als Gegeneinrede gegen eine Einwendung des Anfechtungsgegners dienen, z.B. bei anfechtbarer Erfüllung oder anfechtbarem Erlass einer Forderung. Auch insoweit bleibt die Einrede nach Ablauf der Verjährungsfrist erhalten4. 340 Der BGH hat offen gelassen, ob der Insolvenzverwalter nach Ablauf der Frist des § 146 Abs. 1 InsO noch eine Aufrechnung mit dem Anfechtungsanspruch erklären kann5. Dies dürfte sich nach allgemeinen Grundsätzen und damit nach § 215 BGB richten6. 2. Gegenansprüche des Anfechtungsgegners, § 144 InsO 341 Die Insolvenzanfechtung hat nicht zum Zweck, die Wirkungen anfechtbarer Rechtshandlungen nur einseitig zugunsten der Masse zu beseitigen. § 144 InsO regelt daher die „Kehrseite“ der Anfechtung, die sich zugunsten des Anfechtungsgegners auswirkt. Dabei betrifft Abs. 1 den Wegfall der Erfüllungswirkung bei Anfechtung der Erfüllung einer Forderung, Abs. 2 das Schicksal einer bereits durch den Anfechtungsgegner erbrachten Gegenleistung. a) Wiederaufleben von Forderungen nach § 144 Abs. 1 InsO 342 § 144 Abs. 1 InsO mit der Rechtsfolge des Wiederauflebens von Forderungen bezieht sich dabei auf den Fall, dass der Anfechtungsgegner einen nicht seinerseits anfechtbar erworbenen Anspruch auf das vom Schuldner in anfechtbarer Weise an ihn Geleistete hatte, mit anderen Worten: dass nur das Erfüllungsgeschäft anfechtbar ist, nicht jedoch das zu Grunde liegende Kausalgeschäft7. Dabei muss es sich nicht um eine gegen den Schuldner gerichtete Forderung handeln. Vielmehr kommen in Konstellationen mit mehreren Parteien auch Forderungen gegen Dritte in Betracht, wenn ein dingliches Rechtsgeschäft zu deren Erfüllung angefochten wurde (z.B. bei Leistung des Insolvenzschuldners auf fremde Schuld). 343 Tatbestandliche Voraussetzung für das Wiederaufleben einer Forderung des Anfechtungsgegners ist dabei, dass dieser seiner Rückgewährpflicht aus § 143 InsO auch tatsächlich nachgekommen ist. Erst wenn er den anfechtbar erlangten Gegenstand zur Masse zurückgewährt bzw. Wertersatz leistet, lebt auch sein Anspruch wieder auf. 344 In diesem Fall lebt die Forderung des Anfechtungsgegners so wieder auf, wie sie zur Zeit der Vornahme des anfechtbaren Rechtsgeschäfts bestanden hatte8. Das bedeu1 OLG Düsseldorf v. 5.7.1966 – 16 W 25/96, ZIP 1996, 1476 (1478); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 146 Rz. 16; MünchKommInsO/Kirchhof, § 146 Rz. 46a. 2 Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 146 Rz. 18 (12/2006). 3 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 146 Rz. 19. 4 MünchKommInsO/Kirchhof, § 146 Rz. 56. 5 BGH v. 7.6.2001 – IX ZR 134/00, DB 2001, 2293. 6 Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 146 Rz. 14 (noch zum inhaltsgleichen § 390 Satz 2 BGB a.F.). 7 MünchKommInsO/Kirchhof, § 144 Rz. 3. 8 Zeuner in Smid, InsO, § 144 Rz. 3.
846
Graf/Wunsch
Rechtsfolgen der Insolvenzanfechtung
Rz. 347
§ 10
tet u.a., dass die Verjährung für die Zeit gehemmt ist, in der die Forderung als erfüllt gegolten hat, d.h. für die Zeit zwischen Eintritt der ursprünglichen Erfüllungswirkung und Rückgewähr zur Masse mit der Folge des Wiederauflebens1. Handelt es sich um eine Forderung gegen den Insolvenzschuldner selbst, so ist diese im Übrigen im Insolvenzverfahren nicht anders zu behandeln als wenn sie ununterbrochen bestanden hätte. Ihr Rang richtet sich nach allgemeinen Vorschriften. Aus § 144 Abs. 1 InsO folgt weder eine Privilegierung noch ein Nachrang, so dass es sich im Regelfall um eine reguläre Insolvenzforderung handeln wird. Diese muss zur Tabelle angemeldet werden. Der Anfechtungsgegner ist auf die Insolvenzquote verwiesen und kann nicht gegenüber Ansprüchen der Masse aufrechnen. Nebenrechte und akzessorische Sicherungsrechte wie Pfandrecht, Hypothek, Bürg- 345 schaften usw. leben – soweit sie nicht ihrerseits anfechtbar sind – ebenfalls wieder auf; insbesondere kann hierdurch auch ein Absonderungsrecht des Gläubigers entstehen2. Eine gelöschte Hypothek ist dabei im Wege der Grundbuchberichtigung wieder einzutragen3. Nichtakzessorische Sicherheiten, die vom Schuldner bestellt wurden, leben zwar nicht ipso iure wieder auf, jedoch besteht dann ein Anspruch auf Abgabe der zur Neubestellung der Sicherheit erforderlichen Willenserklärungen4. Für Drittsicherheiten gilt folgendes: Akzessorische Drittssicherheiten wie die Bürg- 345a schaft leben grundsätzlich automatisch wieder auf. Ist ein Wiederaufleben rechtlich nicht möglich, so hat der Dritte Wertersatz zu leisten5. Streitig ist, ob bei bereits freigegebenen nichtakzessorischen Drittsicherheiten wie Grundschuld oder Sicherungsübereignung ebenfalls ein auf Neubestellung der Sicherheit gerichteter Anspruch des Gläubigers gegen den Sicherungsgeber besteht. Die h.M. bejaht dies6. Bis zu einer höchstrichterlichen Klärung sollte jedoch im Hinblick auf die Gegenauffassung im Einzelfall geprüft werden, inwieweit es sinnvoll sein kann, die Freigabe von Sicherheiten bei absehbarer Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu verweigern und ein Zurückbehaltungsrecht bis zum Ablauf der Anfechtungsfrist nach § 146 Abs. 1 InsO geltend zu machen7. b) Rückgewähr von Gegenleistungen nach § 144 Abs. 2 InsO Im Unterschied zu § 144 Abs. 1 betrifft Abs. 2 InsO den Fall der Anfechtung eines gegenseitigen Vertrags, also des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts8.
346
Anspruchsinhaber ist dabei stets derjenige, der die betreffende Gegenleistung er- 347 bracht hat. Durch Gesamtrechtsnachfolge (§ 145 Abs. 1 InsO) geht der Anspruch über. Ein nach § 145 Abs. 2 InsO in Anspruch genommener Sonderrechtsnachfolger kann den Anspruch aus § 144 Abs. 2 InsO dagegen aus eigenem Recht nicht geltend machen, er muss sich vielmehr an seinen Rechtsvorgänger halten und kann sich gegebenenfalls dessen Anspruch abtreten lassen oder pfänden9.
1 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 144 Rz. 3; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 144 Rz. 5 (7/2003). 2 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, § 144 InsO Rz. 9 f. 3 Zeuner in Smid, InsO, § 144 Rz. 3. 4 OLG Frankfurt/M. v. 25.11.2003 – 9 U 127/02 m. Anm. App, DZWIR 2005, 36 = NZI 2004, 267; Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 144 Rz. 7; MünchKommInsO/Kirchhof, § 144 Rz. 10d. unter Hinweis darauf, dass das Urteil im Anfechtungsprozess diesbezüglich für de Fall der Rückgewähr in einer dem § 894 ZPO entsprechenden Weise die Abgabe der Willenserklärungen fingiere. 5 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 144 Rz. 3. 6 Vgl. OLG Frankfurt/M. v. 25.11.2003 – 9 U 127/02 m. Anm. App, DZWIR 2005, 36 (37); Hirte in Uhlenbruck, InsO, § 144 Rz. 7; MünchKommInsO/Kirchhof, § 144 Rz. 10b, 10d; a.A. Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 144 Rz. 3. 7 Hess/Weis, Anfechtungsrecht, § 144 InsO Rz. 12. 8 Zeuner in Smid, InsO, § 144 Rz. 4. 9 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 144 Rz. 10; Zeuner in Smid, InsO, § 144 Rz. 10.
Graf/Wunsch
847
§ 10
Rz. 348
Insolvenzanfechtung
aa) Noch vorhandene Gegenleistung, § 144 Abs. 2 Satz 1 InsO 348 In diesem Fall ist eine bereits gewährte Gegenleistung des Anfechtungsgegners aus der Masse zu erstatten, soweit sie noch in natura vorhanden ist oder die Masse wenigstens noch um ihren Wert bereichert ist, § 144 Abs. 2 Satz 2 InsO. Letzteres ist auch dann der Fall, wenn sich der vom Anfechtungsgegner geleistete Gegenstand zwar aktuell nicht körperlich in der Masse befindet, aber von einem Dritten herausverlangt werden kann1. Hier handelt es sich – anders als bei nach § 144 Abs. 1 wieder aufgelebten Forderungen – um eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO, d.h. der Anfechtungsgegner ist insoweit nicht auf die Insolvenzquote verwiesen. 349 Der Anspruch aus § 144 Abs. 2 Satz 1 InsO steht mit dem Anfechtungsanspruch der Masse aus § 143 InsO in wirtschaftlichem Zusammenhang, weshalb (auch) der Anfechtungsgegner gegenüber dem Anfechtungsanspruch ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB hat2. Sind sowohl der Anspruch der Masse aus § 143 InsO als auch ein Gegenanspruch aus § 144 Abs. 2 Satz 1 InsO auf Zahlung einer Geldsumme gerichtet, können beide Parteien aufrechnen3. Nach anderer Auffassung sind die Ansprüche von vornherein zu saldieren4. bb) Nicht mehr vorhandene Gegenleistung, § 144 Abs. 2 Satz 2 InsO 350 Ist die Masse dagegen bezüglich einer vom Anfechtungsgegner erbrachten Gegenleistung entreichert, steht letzterem ebenfalls ein Wertersatzanspruch zu, jedoch gemäß § 144 Abs. 2 Satz 2 InsO nur als normale Insolvenzforderung. 351 Eine Aufrechnung mit der bloßen Insolvenzforderung aus § 144 Abs. 2 Satz 2 InsO ist nicht möglich, auch ein Zurückbehaltungsrecht gegenüber dem Anfechtungsanspruch besteht nicht5. Der Anfechtungsgegner ist vielmehr mit seinem Gegenanspruch auf die Quote verwiesen. cc) Beweislast 352 Die Beweislast dafür, dass die Masse noch um den Wert der erbrachten Gegenleistung bereichert ist, liegt beim Anfechtungsgegner6.
1 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 144 Rz. 5. 2 BGH v. 29.4.1986 – IX ZR 145/85, DB 1986, 1835 (1836); Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 144 Rz. 9; Holzer, WiB 1997, 729 (732); Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 144 Rz. 11 (7/2003); Zeuner in Smid, InsO, § 144 Rz. 6. 3 MünchKommInsO/Kirchhof, § 144 Rz. 12. 4 Dauernheim in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 144 Rz. 9; Nerlich in Nerlich/Römermann, InsO, § 144 Rz. 11 (7/2003); Zeuner in Smid, InsO, § 144 Rz. 7. 5 Zeuner in Smid, InsO, § 144 Rz. 9. 6 Zeuner in Smid, InsO, § 144 Rz. 11.
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Graf/Wunsch
§ 11 Steuerrechtliche Beratung
I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Steuerliche Fragestellungen bei Sanierungslösungen . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verluste von Verlust- und Zinsvorträgen auf Grund von Gestaltungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Steuerliche Wirkung eines Forderungsverzichts und Sanierungserlass . a) Einkommen- und Körperschaftsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verlustverrechnung . . . . . . . . . bb) Behandlung verbleibender Sanierungsgewinne . . . . . . . . . b) Gewerbesteuer . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verlustverrechnung und Mindestbesteuerung . . . . . . . . bb) Behandlung verbleibender Sanierungsgewinne . . . . . . . . . c) Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Schenkungsteuer . . . . . . . . . . . . . . 4. Besonderheiten des Forderungsverzichts durch einen Gesellschafter . . . . a) Steuerliche Wirkung des Verzichts bei der Gesellschaft. . . . . . . . . . . . . b) Steuerliche Wirkung des Verzichts beim Gesellschafter . . . . . . . . . . . . c) Steuerliche Wirkung des Verzichts bei Mitgesellschaftern. . . . . . . . . . . 5. Weitere Gestaltungsvarianten: Rangrücktritt und Forderungsverzicht mit Besserungsschein . . . . . . . . . . . . . a) Rangrücktritt . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Forderungsverzicht mit Besserungsschein . . . . . . . . . . . . . . c) Möglichkeit einer Verlustkonservierung durch Forderungsverzicht mit Besserungsschein? . . . . . . . . . . 6. Sanierungsbesteuerung bei Liquidation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Steuerforderungen und Einleitung des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . 1. Steuerforderungen als Auslöser eines Insolvenztatbestandes . . . . . . . . . . . . 2. Der Fiskus als antragstellender Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anforderungen an den Insolvenzantrag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fortsetzung des Insolvenzantragsverfahrens nach Erfüllung der Forderung des antragstellenden Gläubigers . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsmittel im Insolvenzantragsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . 3. Forderungsanmeldung durch den Fiskus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 6 6
8 14 14 16 20 29 31 32 34 35 37 37 43 45
46 46 48
51 54 57 57 60 62
67 71 73
IV. Steuerrechtliche Fragestellungen im Insolvenzantragsverfahren . . . . . . . . . 1. Steuerrechtliche Stellung und steuerliche Pflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sonderregelung für Steuerforderungen zur Begründung von Masseverbindlichkeiten im Insolvenzantragsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . b) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Steuerrechtliche Besonderheiten im Schutzschirmverfahren und bei vorläufiger Eigenverwaltung . . . . . . . . . . V. Steuerrechtliche Fragestellungen im eröffneten Insolvenzverfahren . . . . . . 1. Schuldner als Steuersubjekt . . . . . . . . 2. Steuerrechtliche Stellung, steuerliche Pflichten und Haftung des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Steuerforderung als Insolvenzforderung oder Masseverbindlichkeit 4. Verfahrensfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unterbrechung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erlass von Bescheiden . . . . . . . . . . c) Feststellung von Insolvenzforderungen zur Tabelle und nachträgliche Änderungen . . . . . . . . . . . 5. Aufrechnung mit Steuerforderungen . a) Gegenforderung (Forderung, mit der aufgerechnet werden soll) . . . . b) Hauptforderung (Forderung, gegen die aufgerechnet werden soll) . c) Sonderfall der umsatzsteuerlichen Zwangsverrechnung . . . . . . . 6. Steuerliche Folgen besonderer insolvenzrechtlicher Verfahrensgestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Steuerrechtliche Stellung des Sachwalters bei Eigenverwaltung . b) Verbraucherinsolvenzverfahren . . . c) Steuerforderungen im Insolvenzplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Steuerforderungen bei Restschuldbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schuldenbereinigungsplan . . . bb) Wohlverhaltensphase . . . . . . . . cc) Erteilung der Restschuldbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Besonderheiten einzelner Steuerarten in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . 1. Einkommensteuer . . . . . . . . . . . . . . . . a) Betriebsaufspaltung . . . . . . . . . . . . b) Wahlrechte in der steuerlichen Veranlagung durch Eheleuten/ Lebenspartnern . . . . . . . . . . . . . . .
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85 86 88
90 92 92
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124 125 127 128 133
135 135 137 138 141 141 146 148 151 151 152
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§ 11
2.
3. 4. 5.
6.
Rz. 1
c) Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . aa) Verwertung der Insolvenzmasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Mitunternehmerschaft . . . . . cc) Steuerforderungen aus dem Insolvenzantragsverfahren . d) Geltendmachung von Verlusten durch Gesellschafter . . . . . . . . . . Körperschaftsteuer . . . . . . . . . . . . . a) Besteuerungszeitraum . . . . . . . . b) Gemeinnützigkeit . . . . . . . . . . . . c) Anrechnung von Körperschaftsteuer beim Anteilseigner . . . . . . d) Körperschaftsteuerguthaben aus § 37 KStG . . . . . . . . . . . . . . . Gewerbesteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . Lohnsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bauabzugssteuer . . . . . . . . . . . . . . . a) Steuerabzug bei Bauleistungen . b) Freistellungsbescheinigung . . . . Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unternehmereigenschaft . . . . . . b) Abgrenzung von Insolvenzforderungen und Masseverbindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ist-Besteuerung . . . . . . . . . . bb) Soll-Besteuerung . . . . . . . . .
Steuerrechtliche Beratung
. . 158 . . 160 . . 164 . . 166 . . . .
. . . .
168 169 169 172
. . 173 174 175 178 182 182 186 188 188
7. 8. VII. 1.
. . 193 . . 194 . . 197
5.
. . . . . . . .
. . . . . . . .
2. 3. 4.
c) Umsatzsteuerliche Folgen von Verwertungsmaßnahmen . . . . . . . aa) Vorsteuerkorrektur wegen Änderung der Verhältnisse . . bb) „Kalte Zwangsvollstreckung“ cc) Verwertung beweglicher, mit Absonderungsrechten belasteter Gegenstände . . . . . . . . . dd) Haftung des Abtretungsempfängers nach § 13c UStG . . . . d) Ermittlung der Umsatzsteuer als Insolvenzforderung . . . . . . . . . . . . e) Umsatzsteuerforderungen gegen das insolvenzfreie Vermögen . . . . f) Umsatzsteuerliche Organschaft . Kfz-Steuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erbschaftsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung von Geschäftsführern für Steuerverbindlichkeiten . . . . . . . . . . Haftung des Eigentümers für Steuerforderungen . . . . . . . . . . . . . . Haftung der Organgesellschaft . . . . . Haftung des Steuerberaters des Insolvenzschuldners . . . . . . . . . . . . . Haftung des Insolvenzverwalters . . .
. 204 . 204 . 205
. 206 . 207 . 208 . . . . .
212 215 221 226 227
. 229 . 240 . 246 . 247 . 255
I. Einleitung 1 An den Schnittstellen verschiedener Rechtsbereiche stellen sich oftmals besonders komplexe Rechtsfragen, insbesondere wenn eine Abstimmung der verschiedenen Materien nicht durch den Gesetzgeber vorgenommen wurde und es daher an konkreten Regelungen fehlt. Die Verknüpfung zwischen Steuerrecht und Insolvenzrecht kann insoweit beinahe als Musterbeispiel für die sich ergebenden Probleme angeführt werden. Mit Einführung der Insolvenzordnung im Jahr 1999 wurden lediglich einzelne Fragen wie die umsatzsteuerliche Behandlung der Verwertung mit Absonderungsrechten belasteter Gegenstände (§§ 170, 171 InsO) ausdrücklich geregelt. 2 Eine konkrete Sonderregelung hat der Gesetzgeber dann im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2011 in § 55 Abs. 4 InsO geschaffen. Diese Regelung führt zur Aufwertung bestimmter Steuerforderungen aus dem Insolvenzantragsverfahren zu Masseverbindlichkeiten. 3 In der Abgabenordnung wiederum findet sich lediglich die allgemeine Grundregel des § 251 Abs. 2 S. 1 AO, wonach die Vorschriften der Insolvenzordnung „unberührt“ bleiben. Dies bedeutet nach allgemeinem Verständnis, dass die materielle Besteuerung, also die Entstehung und die Höhe der Steuerforderung dem Steuerrecht vorbehalten bleiben, während Art und Umfang der Durchsetzung der Steuerforderung sich nach dem Insolvenzrecht richten. Die Finanzbehörden können ihre Ansprüche also während der Dauer eines Insolvenzverfahrens nur nach den Vorschriften der Insolvenzordnung geltend machen1. 4 Die Finanzverwaltung hat inzwischen im Anwendungserlass zu § 251 AO zu verschiedenen grundsätzlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit der Abwicklung von Insolvenzverfahren Stellung genommen. Soweit sich hieraus günstige Folgen ableiten lassen, können sich der Insolvenzverwalter und andere Beteiligte hierauf vor dem Hintergrund der Selbstbindung der Verwaltung berufen. Auch weitere Erlasse, in welchen sich die Finanzverwaltung mit Fragen der Besteuerung in Sanierungsfällen so1 Vgl. Abschnitt 1 AEAO zu § 251.
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Steuerliche Fragestellungen bei Sanierungslçsungen
Rz. 9
§ 11
wie im Insolvenzverfahren befasst, sind grundsätzlich zu begrüßen, da sie zu einer größeren Vorhersehbarkeit und Einheitlichkeit der Behandlung bestimmter Fallgestaltungen führen. Die inhaltliche Würdigung muss demgegenüber differenzierter ausfallen, da nicht zu verkennen ist, dass in vielen Fragen ein Verständnis zu Gunsten des Fiskus zu Grunde gelegt wird. Ob es in absehbarer Zeit zu einer weitergehenden gesetzlichen Regelung zu steuerli- 5 chen Fragen in der Insolvenz kommen wird, erscheint fraglich. Allerdings wurde unter Mitwirkung verschiedener Verbände die sog. Seer-Kommission einberufen, die auf der Grundlage einer Bestandsaufnahme Vorschläge für mögliche Gesetzesänderung erarbeiten soll. Der für Sommer 2014 angekündigte Bericht der Seer-Kommission lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor. II. Steuerliche Fragestellungen bei Sanierungslösungen 1. Überblick Die Einleitung eines Insolvenzverfahrens ist typischerweise nicht die Zielvorstellung 6 der Beteiligten, sondern eine Handlungsalternative, zu welcher dann gegriffen wird, wenn eine Sanierung des Schuldners außerhalb eines Insolvenzverfahrens nicht mehr erreichbar erscheint. Auch im Rahmen eines Insolvenzverfahrens soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers bestenfalls eine Sanierung des Schuldners ermöglicht werden. Neben operativen Maßnahmen wird dabei in aller Regel auch eine finanzielle Restrukturierung stattfinden müssen, bei der die bestehenden Verbindlichkeiten des Schuldners reduziert werden (vgl. zu Sanierungsmaßnahmen auf der Passivseite § 1 Rz. 187 ff.). Gerade dann, wenn eine Sanierung möglich erscheint, weil einzelne oder verschiede- 7 ne Beteiligte bereit sind, auf ihre bestehenden Forderungen zu verzichten, stellt sich zugleich die Frage, ob die angestrebte Gestaltung auch steuerlich umsetzbar ist. Hier droht das Risiko der Besteuerung eines Sanierungsgewinns mit der Folge, dass sich der Schuldner an Stelle der Forderungen der verzichtenden Gläubiger nun einer Forderung des Fiskus ausgesetzt sieht, womit sich die bereitzustellenden frischen Gelder für die Durchführung der Sanierung entsprechend erhöhen1. Die Finanzverwaltung erkennt an, dass die Besteuerung von Sanierungsgewinnen mit der neuen InsO im Zielkonflikt steht2. 2. Verluste von Verlust- und Zinsvorträgen auf Grund von Gestaltungsmaßnahmen Bei Gesellschaften in der wirtschaftlichen Krise können Verlustvorträge gemäß § 10d 8 EStG sowie seit Einführung der Zinsschranke nicht verbrauchte Zinsvorträge gemäß § 4h Abs. 5 EStG über die Möglichkeit einer Verrechnung in der Zukunft erhebliche wirtschaftliche Bedeutung haben. Es besteht daher ein Interesse, diese gerade auch im Fall einer Sanierung der Gesellschaft nutzen zu können. Soweit im Rahmen der Sanierungsmaßnahmen ein Sanierungsgewinn entsteht, ist eine Verrechnung mit den vorhandenen Verlusten vorzunehmen, ehe als Billigkeitsmaßnahme eine Stundung oder ein Erlass der Steuer auf den Sanierungsgewinn in Betracht kommt. Daneben ist zu beachten, dass Umwandlungsmaßnahmen (§ 4 Abs. 2 S. 2, § 12 Abs. 3, § 15 Abs. 3 UmwStG) sowie Kapitalmaßnahmen (§ 8 Abs. 4 KStG a.F., § 8c KStG) den vollständigen oder teilweisen Verlust von Verlustvorträgen bzw. Zinsvorträgen zur Folge haben können3. Nach § 8c Satz 1 KStG4 führt die unmittelbare Übertragung innerhalb von fünf 9 Jahren von mehr als 25 Prozent des gezeichneten Kapitals an einer Körperschaft an einen Erwerber (schädlicher Beteiligungserwerb) dazu, dass insoweit die bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht ausgeglichenen oder abgezogenen negativen 1 Vgl. zur Gesamtthematik der Besteuerung von Sanierungsgewinnen beispielsweise Braun/ Geist, BB 2013, 351. 2 OFD Frankfurt/M. v. 12.2.2013 – S 2140 A – 4 – St 213, Rz. 7. 3 Vgl. Schwedhelm/Olbing/Binnewies, GmbHR 2012, 1269 (1283). 4 In der Fassung des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912.
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Steuerrechtliche Beratung
Einkünfte (nicht genutzte Verluste) nicht mehr abziehbar sind. Die Frage der Vereinbarkeit dieser Norm mit Art. 3 GG hat das FG Hamburg mit Beschluss vom 4.4.2011 dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt1. 10 Unabhängig von Satz 1 sind bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht genutzte Verluste vollständig nicht mehr abziehbar, wenn innerhalb von fünf Jahren mittelbar oder unmittelbar mehr als 50 Prozent des gezeichneten Kapitals, der Mitgliedschaftsrechte, Beteiligungsrechte oder der Stimmrechte an einer Körperschaft an einen Erwerber oder diesem nahe stehende Personen übertragen werden oder ein vergleichbarer Sachverhalt vorliegt (§ 8c Satz 2 KStG 2002 n.F.). 11 Erfolgt der das Verlustabzugsverbot des § 8c Satz 1 KStG auslösende schädliche Beteiligungserwerb während des laufenden Wirtschaftsjahres, kann ein bis zu diesem Zeitpunkt in diesem Wirtschaftsjahr erzielter Gewinn mit dem bisher noch nicht genutzten Verlust verrechnet werden2. 12 Nach der sog. Sanierungsklausel in § 8c Abs. 1a KStG sind die Regelungen des Abs. 1 unbeachtlich, soweit ein Beteiligungserwerb zum Zwecke der Sanierung des Geschäftsbetriebs der Körperschaft unter den näher beschriebenen Voraussetzungen erfolgt. Nach Auffassung der EU-Kommission liegt darin eine europarechtswidrige Beihilfe i.S.v. Art. 107 AEUV, da den unter die Sanierungsklausel fallenden Unternehmen ein finanzieller Vorteil gewährt werde, der anderen vorenthalten bleibe3. 13 Im Rahmen von Gestaltungsüberlegungen ist vor diesem Hintergrund darauf zu achten, dass eine Erhaltung des bestehenden Verlustvortrages nur sichergestellt ist, wenn die kapital- und stimmrechtsbezogenen Maßnahmen nicht zu einer Verlagerung von mehr als 25 Prozent des gezeichneten Kapitals führen. Begleitende Maßnahmen können beispielsweise in Einlagen oder Forderungsverzichten bestehen. Allerdings besteht insoweit das Risiko, dass die Finanzverwaltung in der Gesamtbetrachtung einen „vergleichbaren Sachverhalt“ i.S.v. § 8c Abs. 1 S. 1 KStG annimmt oder hierin einen Gestaltungsmissbrauch sieht4. 3. Steuerliche Wirkung eines Forderungsverzichts und Sanierungserlass a) Einkommen- und Körperschaftsteuer 14 Aus ertragsteuerlicher Perspektive ergeben sich grundsätzliche Unterschiede zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften. Während bei Personengesellschaften nicht die Gesellschaft als solche, sondern deren Gesellschafter Steuersubjekte sind, die zur Einkommensteuer herangezogen werden, erfolgt bei Kapitalgesellschaften die Besteuerung auf der Ebene der Gesellschaft in Form der Körperschaftsteuer. Bei der Ermittlung der für die Besteuerung maßgeblichen Grundsätze ergeben sich andererseits weitgehende Parallelen daraus, dass das Körperschaftsteuerrecht auf den einkommensteuerlichen Regelungen aufbaut. 15 Der Forderungsverzicht eines Gläubigers auf eine ihm gegenüber einer Personenoder Kapitalgesellschaft zustehende Forderung führt durch den Wegfall der zuvor passivierten Verbindlichkeit bei der Gesellschaft zu einer Vermögensmehrung. Nach handelsrechtlichen Grundsätzen ergibt sich damit ein Gewinn, der auch steuerlich zunächst einmal zu Grunde gelegt wird. aa) Verlustverrechnung 16 Zur Festsetzung einer Steuerforderung gegen die Kapitalgesellschaft oder den Gesellschafter einer Personengesellschaft kommt es dann nicht, wenn die Gesellschaft über laufende oder vortragsfähige Verluste verfügt, mit welchen der im Rahmen der
1 FG Hamburg v. 4.4.2011 – 2 K 33/10, ZIP 2011, 1713 = DStR 2011, 1172; Az. des BVerfG: 2 BvL 6/11. 2 BFH v. 30.11.2011 – I R 14/11, BStBl. II 2012, 360 = DStR 2012, 458 gegen BMF-Schreiben v. 4.7.2008, BStBl. I 2008, 736, Tz. 31 Satz 2. 3 EU-Kommission, Beschluss C 7/2010 (S.A. 29150) sowie Pressemitteilung IP/11/65 v. 26.1.2011. 4 Vgl. Schwedhelm/Olbing/Binnewies, GmbHR 2012, 1269 (1284 f.).
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Sanierung erzielte Gewinn verrechnet werden kann. Da eine Sanierungsnotwendigkeit gerade dann eintritt, wenn in den vergangenen Jahren laufende Verluste erzielt wurden, können die vorhandenen Verlustvorträge unter Umständen bereits ausreichend sein, um eine tatsächliche Steuerbelastung auf Grund der Sanierung auszuschließen. Grenzen einer Verlustverrechnung können sich jedoch insbesondere auf Grund der 17 sog. Mindestbesteuerung ergeben. Nach der seit dem Veranlagungszeitraum 2004 geltenden Regelung in § 10d Abs. 2 EStG können Verluste aus früheren Jahren nur noch bis zu einem Betrag von 1 Mio. Euro unbeschränkt, darüber hinaus nur noch zu 60 Prozent mit Gewinnen verrechnet werden. Übersteigt der durch Forderungsverzichte erzielte Buchgewinn daher die Grenze von 1 Mio. Euro, ergibt sich unabhängig vom Umfang der Verlustvorträge ein steuerlicher Gewinn von zumindest 40 Prozent des übersteigenden Betrages. Auch im mehrjährigen Besteuerungszeitraum der Abwicklung einer Kapitalgesellschaft nach § 11 Abs. 1 KStG ist der sog. Sockelbetrag der Mindestbesteuerung von 1 Mio. EUR (§ 10d Abs. 2 Satz 1 EStG) nur einmal und nicht mehrfach – für jedes Kalenderjahr des verlängerten Besteuerungszeitraums – anzusetzen1. Die Regelung der Mindestbesteuerung wird in ihrer Grundkonzeption vom BFH als 18 verfassungsgemäß eingestuft2. Noch nicht abschließend geklärt ist dagegen die Frage, ob dies auch insoweit gilt, als es durch die Regelung der Mindestbesteuerung dazu kommt, dass Verluste endgültig nicht mehr genutzt werden können3. Dies kommt bei einer Liquidation der Gesellschaft, aber auch bei einem Untergang der Verluste auf Grund eines Gesellschafterwechsels nach § 8c KStG in Betracht. Der BFH hat jüngst die Auffassung vertreten, dass die Mindestbesteuerung gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, wenn ein sog. Definitiveffekt eintritt, d.h., wenn es zu einer vollständigen Beseitigung der Abzugsmöglichkeit oder zu einem Ausschluss des Verlustausgleichs kommt, und hat hierzu eine Entscheidung des BVerfG eingeholt4. Lässt sich ein Ausgleich auf Grund der Regelungen der Mindestbesteuerung oder 19 nicht hinreichender Verluste nicht herbeiführen, stellt sich die Frage nach einer Möglichkeit der Steuerfreistellung gerade für die sanierungsbedingten Gewinne. bb) Behandlung verbleibender Sanierungsgewinne Bis zum 31.12.1997 enthielt das Einkommensteuerrecht in § 3 Nr. 66 EStG a.F.5 eine 20 ausdrückliche Regelung zur Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen. Diese Regelung wurde jedoch als eine seit Einführung des unbegrenzten Verlustvortrags nicht mehr gerechtfertigte Begünstigung im Rahmen einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und der Abschaffung von Steuervergünstigungen gestrichen6. Dabei wurde seitens des Gesetzgebers davon ausgegangen, dass eine angemessene Behandlung einzelner Härtefälle im Rahmen der Billigkeitsregelungen nach § 163 AO und § 222 AO möglich ist7. Allgemeine Leitlinien für die Finanzverwaltung für diese Fälle sind durch das BMF- 21 Schreiben vom 27.3.20038 (sog. Sanierungserlass) geregelt worden. Mit Beschluss vom 28.2.2012 hat der VIII. Senat des BFH die Auffassung vertreten, es sei zweifelhaft, ob die Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen durch Forderungsverzicht von Gläubigern allein wegen sachlicher Unbilligkeit aufgrund des Sanierungserlasses beansprucht werden könne, nachdem der Gesetzgeber die früher in § 3 Nr. 66 EStG vor1 BFH v. 23.1.2013 – I R 35/12, BStBl. II 2013, 508 = DStR 2013, 646. 2 BFH v. 22.8.2012 – I R 9/11, BStBl. II 2013, 512 = DStR 2012, 2435; vgl. auch Braun/Geist, BB 2013, 351 (353) m.w.N. zu kritischen Stimmen aus der Literatur. 3 Vgl. Braun/Geist, BB 2013, 351 (353). 4 BFH v. 26.2.2014 – I R 59/12, DStR 2014, 1761. 5 Zuletzt i.d.F. der Bekanntmachung v. 16.4.1997, BGBl. I 1997, 821. 6 Vgl. Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform, BGBl. I 1997, 2590. 7 Vgl. BT-Drucks. 13/7480 S. 192. 8 BStBl. I 2003, 240; ergänzt mit Schreiben vom 22.12.2009, BStBl. I 2010, 18.
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Steuerrechtliche Beratung
gesehene Steuerfreiheit abgeschafft habe1. Diese Auffassung wird allerdings von der Finanzverwaltung nicht geteilt, der Sanierungserlass wird dementsprechend auch weiterhin angewendet2. Auch der X. Senat des BFH hat Billigkeitsmaßnahmen bei unternehmensbezogenen Sanierungen nach Streichung von § 3 Nr. 66 EStG a.F. weiterhin für möglich gehalten, ohne allerdings eine Entscheidung über deren zulässige Reichweite zu treffen3. In einem weiteren Revisionsverfahren wird sich der X. Senat noch einmal mit der Gesetzmäßigkeit von Billigkeitsmaßnahmen auf der Grundlage des Sanierungserlasses zu befassen haben4. 22 Europarechtlich ist der Sanierungserlass unter dem Gesichtspunkt einer möglichen unzulässigen Beihilfe nicht zu beanstanden5. 23 Voraussetzungen für die Anwendung des Sanierungserlasses ist zunächst eine Sanierung. Darunter ist eine Maßnahme zu verstehen, die darauf gerichtet ist, ein Unternehmen oder einen Unternehmensträger (juristische oder natürliche Person) vor dem finanziellen Zusammenbruch zu bewahren und wieder ertragsfähig zu machen (= unternehmensbezogene Sanierung). Das gilt auch für außergerichtliche Sanierungen, bei denen sich die Gesellschafterstruktur des in die Krise geratenen zu sanierenden Unternehmens (Personengesellschaft oder Kapitalgesellschaft) ändert, bei anderen gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierungen im Rahmen der außergerichtlichen Sanierung von Kapitalgesellschaften sowie für Sanierungen im Rahmen eines Insolvenzverfahrens6. 24 Erforderlich für eine Begünstigung des Sanierungsgewinns nach dem Sanierungserlass sind die Sanierungsbedürftigkeit und Sanierungsfähigkeit des Unternehmens, die Sanierungseignung des Schulderlasses und die Sanierungsabsicht der Gläubiger. Liegt ein Sanierungsplan vor, kann davon ausgegangen werden, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind7. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, stellt die Erhebung der Steuer auf einen nach Ausschöpfen der ertragsteuerrechtlichen Verlustverrechnungsmöglichkeiten verbleibenden Sanierungsgewinn aus sachlichen Billigkeitsgründen eine erhebliche Härte dar, so dass Billigkeitsmaßnahmen erfolgen können. 25 Für die im Zusammenhang mit der Sanierung entstehenden Kosten, beispielsweise für die Aufstellung eines Sanierungsplans, geht die Finanzverwaltung davon aus, dass diese als Minderung des Sanierungsgewinns anzusetzen sind und damit den für eine Billigkeitsmaßnahme in Betracht kommenden Betrag mindern8. Ein Unterschied im Ergebnis ergibt sich im Vergleich zu einer Behandlung der Sanierungskosten als sonstige abzugsfähige Betriebsausgaben allerdings nur dann, wenn neben dem Sanierungsgewinn ein operativer Gewinn erzielt wird, da sonst die Verrechnung des Sanierungsgewinns mit dem laufenden Verlust auch die hierin berücksichtigten Sanierungskosten einschließt9.
1 BFH v. 28.2.2012 – VIII R 2/08, BFH/NV 2012, 1135, Kostenentscheidung nach Erledigungserklärung der Revision gegen das die Anerkennung von steuerfreien Sanierungsgewinnen ablehnende Urteil des FG München v. 12.12.2007 – 1 K 4487/06, DStR 2008, 1687. 2 Vgl. OFD Frankfurt/M. v. 12.2.2013 – S 2140 A–4–St 213 a.E.; vgl. auch Gragert, nwb 2013, 2141 (2142). 3 BFH v. 14.7.2010 – X R 34/08, BStBl. II 2010, 916 = ZIP 2010, 1807. 4 Az. des BFH: X R 23/13, Revisionsverfahren betreffend das Billigkeitsmaßnahmen ablehnende Urteil des Sächsischen FG v. 24.4.2013 – 1 K 759/12, ZIP 2013, 2274 = NZI 2014, 47. Vgl. auch das rechtskräftige Urteil des Sächsischen FG v. 14.3.2013 – 5 K 1113/12, DStR 2014, 190. 5 Vgl. Gragert, nwb 2013, 2141 (2142) unter Verweis auf eine nicht veröffentlichte Einzelfallprüfung der Europäischen Kommission. 6 Vgl. OFD Frankfurt/M. v. 12.2.2013 – S 2140 A-4-St 213 Rz. 1. 7 S. OFD Frankfurt/M. v. 12.2.2013 – S 2140 A – 4 – St 213 Rz. 4. 8 Vgl. OFD Frankfurt/M. v. 24.7.2013 – S 2140 A-4-St 213, BeckVerw 269720; OFD Niedersachsen v. 19.6.2013, S-2140-8-St 248 (VD), BeckVerw 273825. Vgl. hierzu kritisch Gragert, nwb 2013, 2141 (2144) sowie Mertzbach, DStR 2014, 172 mit Darstellung der Entwicklung der Verwaltungsauffassung. 9 Gragert, nwb 2013, 2141 (2144).
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Krger/Riewe
Steuerliche Fragestellungen bei Sanierungslçsungen
Rz. 31
§ 11
Vorrangig vor einer Stundung oder einem Erlass der auf den Sanierungsgewinn ent- 26 fallenden Steuerschuld ist allerdings zunächst eine Verrechnung mit bestehenden Verlustvorträgen auch insoweit vorzunehmen, als diese außerhalb des Anwendungsbereiches des Sanierungserlasses auf Grund von Verrechnungsbeschränkungen wie § 10d EStG nicht zulässig sind. Zudem ist nicht nur auf den Stand der festgestellten Verluste im Zeitpunkt der Sanierung abzustellen, sondern es sind auch spätere Änderungen der Besteuerungsgrundlagen, z.B. aufgrund einer Betriebsprüfung, sowie später entstandene Verluste des Folgejahres, die im Wege des Verlustrücktrags berücksichtigt werden können, einzubeziehen. Wendet sich der Steuerpflichtige gegen die vorgenommene Verlustverrechnung im Festsetzungsverfahren und begehrt die Verrechnung mit anderen Einkünften oder die Feststellung eines verbleibenden Verlustvortrags (§ 10d Abs. 4 EStG), wird darin die Rücknahme seines Erlassantrags gesehen mit der Folge, dass die Billigkeitsmaßnahme keine Anwendung findet1. Um die Überwachung der Verlustverrechnungsmöglichkeiten sowie die Ausnutzung 27 des Verlustrücktrags zu ermöglichen, erfolgt als Rechtsfolge im Rahmen der Billigkeitsmaßnahme zunächst kein Erlass der verbleibenden Steuerforderung, sondern eine Stundung bis mindestens zur Durchführung der nächsten noch ausstehenden Veranlagung2. Anschlussstundungen sind möglich. Erst nach abschließender Feststellung der endgültigen auf den verbleibenden zu versteuernden Sanierungsgewinn entfallenden Steuer ist die Steuer nach § 227 AO zu erlassen (Ermessensreduzierung auf Null)3. Ggf. auf diese Steuerbeträge erhobene Stundungszinsen sind ebenfalls zu erlassen. Zum Verfahren bei Personengesellschaften ist zu beachten, dass die Ermittlung des 28 Sanierungsgewinns im Rahmen der für Personengesellschaften vorzunehmenden gesonderten Feststellung durch das Betriebsfinanzamt erfolgt. Das sich daran anschließende Stundungs- und Erlassverfahren erfolgt durch das jeweilige Wohnsitzfinanzamt der betroffenen einzelnen Gesellschafter4. b) Gewerbesteuer Ebenso wie bei der Körperschaftsteuer stellt sich auch bei der Gewerbesteuer im Rahmen einer Sanierung die Frage, ob ein entstehender Sanierungsgewinn zu einer tatsächlichen Steuerbelastung führt. Dabei gilt auch insoweit die Begrenzung der Verlustverrechnung im Rahmen der Mindestbesteuerung (§ 10d Abs. 2 EStG; § 10a Satz 1 und 2 GewStG).
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Dass trotz der weitgehenden Parallelität der Regelungen zur Ermittlung eines Sanierungsgewinns im Bereich der Körperschaftsteuer sowie der Gewerbesteuer eine einheitliche Behandlung nicht gewährleistet ist, ist insbesondere auf die unterschiedlichen Zuständigkeiten zurückzuführen.
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aa) Verlustverrechnung und Mindestbesteuerung Auch für den Bereich der Gewerbesteuer ist nach der Rechtsprechung des BFH von 31 einer grundsätzlichen Verfassungsmäßigkeit der Mindestbesteuerung auszugehen5. Bei Forderungsverzichten in entsprechender Höhe im Rahmen der Sanierung ergeben sich daher trotz bestehender gewerbesteuerlicher Verlustvorträge auch gewerbesteuerlich grundsätzlich steuerbare (Buch-)Gewinne. Für die Fälle der Definitivbesteuerung geht der IV. Senat des BFH davon aus, dass es sich insoweit um eine verfassungsrechtlich unbedenkliche notwendige Folge der vom Gesetzgeber gewollten Typisierung handelt. Verwiesen wird insoweit wiederum auf die Möglichkeit von Billigkeitsmaßnahmen6.
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S. OFD Frankfurt/M. v. 12.2.2013 – S 2140 A–4–St 213 Rz. 8. S. OFD Frankfurt/M. v. 12.2.2013 – S 2140 A–4–St 213 Rz. 10. S. OFD Frankfurt/M. v. 12.2.2013 – S 2140 A–4–St 213 Rz. 12. Vgl. OFD Frankfurt/M. v. 12.2.2013 – S 2140 A-4-St 213 Rz. 6. BFH v. 20.9.2012 – IV R 36/10, BStBl. II 2013, 498 = DStR 2012, 2481. BFH v. 20.9.2012 – IV R 36/10, BStBl. II 2013, 498 = DStR 2012, 2481.
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§ 11
Rz. 32
Steuerrechtliche Beratung
bb) Behandlung verbleibender Sanierungsgewinne 32 Nach der Rechtsprechung des BFH soll die Festsetzung eines Gewerbesteuermessbetrags ungeachtet der Mindestbesteuerung nach § 10a Sätze 1 und 2 GewStG nicht unbillig sein, wenn der Gewerbeertrag allein daraus resultiert, dass der Steuerpflichtige zur Vermeidung der Insolvenz einen Gläubiger zum Erlass seiner Forderung gedrängt hat. Wäre der Verzicht nicht erklärt worden, hätte die Klägerin künftig keinen Gewinn mehr erzielt. Auch der Ausfall von gegen die Klägerin gerichteten Forderungen in einem Insolvenzverfahren hätte keine Gewinnauswirkung gehabt. Weder für den streitigen Erhebungszeitraum noch für spätere Erhebungszeiträume wären danach Gewerbesteuermessbeträge festzusetzen gewesen. Da auch keine Anhaltspunkte dafür bestanden hätten, dass es ohne Initiative der Klägerin zu dem Forderungsverzicht hätte kommen können, habe die Klägerin selbst die Ursache für das Eintreten der Mindestbesteuerung gesetzt, obwohl sie die Besteuerungsfolgen kennen musste1. Da im Regelfall Forderungsverzichte von Gläubigern nicht ohne Mitwirkung des steuerpflichtigen Schuldners erklärt werden, muss danach davon ausgegangen und in den Planungsrechnungen berücksichtigt werden, dass Billigkeitsmaßnahmen bei insolvenzvermeidenden Sanierungslösungen nicht erreicht werden können2. 33 Soweit danach noch ein Erlass einer sanierungsbedingten Gewerbesteuerverbindlichkeit in Betracht gezogen werden kann, ist im Verfahren zu beachten, dass für die Gewerbesteuer nicht die Finanzämter, sondern die jeweiligen Kommunen zuständig sind. Zudem findet der Sanierungserlass für die Gewerbesteuer keine Anwendung. Dies führt nicht nur dazu, dass man es neben dem zuständigen Finanzamt noch mit einem weiteren Ansprechpartner zu tun hat, sondern bei Niederlassungen des Schuldners in mehreren Kommunen müssen diese sämtlich mit einbezogen werden. Dabei drohen zum einen unterschiedliche Beurteilungen des Sachverhalts, zum anderen kann sich beispielsweise bei Filialunternehmen im Einzelhandel der organisatorische Aufwand stark erhöhen. c) Umsatzsteuer 34 Eine besondere Thematik ergibt sich bei Forderungen von Lieferanten3. Hat der Lieferant Umsatzsteuer in Rechnung gestellt, konnte ein entsprechender Vorsteuerabzug auch schon vor Erfüllung der Forderung vorgenommen werden. Wird anschließend mit dem Lieferant ein Forderungsverzicht vereinbart, führt dies zur Notwendigkeit einer Vorsteuerkorrektur nach § 17 UStG und damit zu einer unmittelbaren Belastung mit einem entsprechenden Rückforderungsanspruch des Fiskus. Der Sanierungserlass findet für die Umsatzsteuer keine Anwendung (zu Alternativgestaltungen vgl. § 1 Rz. 197 ff.). d) Schenkungsteuer 35 Der Verzicht eines Gläubigers auf eine Forderung in Sanierungsabsicht erfolgt aus wirtschaftlichen Erwägungen und stellt damit keine freigebige Zuwendung an den Schuldner dar. Daher fällt insoweit keine Schenkungsteuer an. 36 Eine Unsicherheit hat sich allerdings durch die für Verfügungen nach dem 13.12.2011 geltenden Neuregelung in § 7 Abs. 8 S. 1 ErbStG ergeben4. Danach gilt als Schenkung auch die Werterhöhung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, die eine an der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar beteiligte natürliche Person oder Stiftung (Bedachte) durch die Leistung einer anderen Person (Zuwendender) an die Gesellschaft erlangt. Obwohl der Gesetzgeber damit mittelbare Zuwendungen zwischen Gesellschaftern erfassen wollte, besteht nach dem Wortlaut keine entsprechende Beschränkung, so dass auch ein durch einen Dritten erklärter Verzicht auf eine Forderung ge1 2 3 4
BFH v. 20.9.2012 – IV R 29/10, DStR 2012, 2488. Braun/Geist, BB 2013, 351 (354). Vgl. Ebbinghaus/Hinz, DB 2014, 678. Vgl. zur Neuregelung und Gestaltungsüberlegungen zur Vermeidung der Schenkungsfiktion beispielsweise Milatz/Bockhoff, ErbStB 2013, 15; Blaas/Schwahn, DB 2013, 2350; Maile, DB 2012, 1952; Kahlert/Schmidt, DStR 2012, 1208.
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Krger/Riewe
Steuerliche Fragestellungen bei Sanierungslçsungen
Rz. 41
§ 11
gen die Gesellschaft dieser Regelung unterfallen könnte. Aus der Finanzverwaltung wird zur Vermeidung einer Besteuerung ein vorgeschalteter Forderungsverkauf vorgeschlagen, bei dem der verzichtende Gläubiger (Gesellschafter oder Dritter) in einem ersten Schritt einen Teil seiner Forderung zum Verkehrswert an die (Mit-)Gesellschafter verkauft und die Gesellschafter dann in einem zweiten Schritt beteiligungsproportional auf ihre Forderungen verzichten1. Verzichtet der Gläubiger auf eine wertlose Forderung, stellt dies auch nach Auffassung der Finanzverwaltung keinen steuerbaren Vorgang dar, weil der Gläubiger einer wertlosen Forderung nichts aus seinem Vermögen hergibt, sondern lediglich uneinbringbare Werte gegen Erwerbsaussichten umschichtet, und es insoweit an einer Vermögensverschiebung von dem Verzichtenden an die (Mit-)Gesellschafter fehlt2. 4. Besonderheiten des Forderungsverzichts durch einen Gesellschafter a) Steuerliche Wirkung des Verzichts bei der Gesellschaft Verzichtet ein Gesellschafter auf Forderungen gegenüber der Gesellschaft führt dies 37 – insoweit ebenso wie bei einem Verzicht durch einen Dritten – durch den Wegfall der zuvor passivierten Verbindlichkeit bei der Kapitalgesellschaft zu einer Vermögensmehrung, die nach handelsrechtlichen Grundsätzen als Gewinn ausgewiesen werden kann. Im Hinblick auf die Stellung des Gesellschafters zu seiner Gesellschaft ist dem steuerrechtlich jedoch durch den Abzug einer verdeckten Einlage zu begegnen, wenn der Gesellschafter den Erlass im Hinblick auf das Gesellschaftsverhältnis gewährt hat. Nach einer Entscheidung des Großen Senats des BFH aus dem Jahr 1997 ist dabei von der Kapitalgesellschaft als Wert der Einlage der tatsächliche Wert der Forderung, nicht ihr Nennbetrag und auch nicht der als Verbindlichkeit passivierten Betrag anzusetzen3. Soweit die Forderung nicht mehr werthaltig ist, bleibt es bei der Gewinnerhöhung durch den Wegfall der Verbindlichkeit. Ebenso zu behandeln wie ein Forderungsverzicht sind andere Maßnahmen, die auf eine einverständliche Entlastung der Gesellschaft von der passivierten Verpflichtung zum Zwecke der Einlage zielen4. Denkbar sind hierfür neben dem Erlass und der Abtretung des Anspruchs auch ein Schuldaufhebungsvertrag und eine Teilentlastung durch einen Abänderungsvertrag. Ein bloßes Stillhalteabkommen (pactum de non petendo) ändert dagegen am Bestand der Forderung und an der Passivierungspflicht der Gesellschaft nichts.
38
Nach Auffassung der Finanzverwaltung5 liegt bei einem Darlehensverzicht durch ei- 39 nen Gesellschafter nur dann ein begünstigter Sanierungsgewinn i.S. des Sanierungserlasses vor, „wenn der Verzicht eigenbetrieblich – und nicht gesellschaftsrechtlich – veranlasst ist und wenn neben dem Gesellschafter auch unbeteiligte Dritte Darlehensverzichte aussprechen („Handeln im Gläubiger-Akkord“) oder anderweitige Sanierungsbeiträge leisten.“ Von einer gesellschaftsrechtlichen Veranlassung ist dagegen auch dann auszugehen, wenn das Darlehen von vorne herein als sog. „Finanzplandarlehen“ ausgereicht wurde6.
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In diesem Rahmen soll keine Aufteilung des Darlehensverzichts eines Gesellschafters 41 in einen gesellschaftsrechtlich (für den werthaltigen Teil der Forderung) und einen
1 Ministerium für Finanzen und Wirtschaft Baden-Württemberg v. 14.3.2012, 3-S 380.6/84, FMNR115050012v, BStBl. I 2012, 331 Rz. 3.3.6. 2 Vgl. Ministerium für Finanzen und Wirtschaft Baden-Württemberg v. 14.3.2012, 3-S 380.6/84, FMNR115050012v, BStBl. I 2012, 331 Rz. 3.3.7. 3 BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307 = NJW 1997, 2837; vgl. auch BFH v. 16.5.2001 – I B 143/00, BStBl. II 2002, 436 = ZIP 2001, 1588 = NZI 2001, 671 Rz. 11. 4 BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307 = NJW 1997, 2837. 5 S. Ministerium der Finanzen Schleswig-Holstein v. 25.1.2013 – VI 3011-S 2741 – 108. 6 S. Ministerium der Finanzen Schleswig-Holstein v. 25.1.2013 – VI 3011-S 2741 – 108; zum Begriff des „Finanzplandarlehens“ vgl. BMF-Schreiben v. 8.6.1999, BStBl 1999 I, 545; KStH 2008, Anhang 25. IV.
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§ 11
Rz. 42
Steuerrechtliche Beratung
eigenbetrieblich (für den nicht werthaltigen Teil der Forderung) veranlassten Teil möglich sein1. „Vielmehr ist hier der Verzicht als Ganzes zu sehen, und er kann deshalb auch nur einheitlich als eigenbetrieblich oder gesellschaftsrechtlich veranlasst beurteilt werden. Nur wenn der Verzicht eigenbetrieblich veranlasst ist, kann davon ausgegangen werden, dass der Gesellschafter in der für einen begünstigten Sanierungsgewinn erforderlichen Sanierungsabsicht handelt. Ist der Verzicht hingegen gesellschaftsrechtlich veranlasst, gelten die Grundsätze des Beschlusses des Großen Senats des BFH vom 9. Juni 1997.“2 42 Verzichtet ein Insolvenzverwalter im Zusammenhang mit der Veräußerung eines in die Insolvenzmasse fallenden Geschäftsanteils an einer GmbH auf Forderungen gegen diese Gesellschaft und sind diese Forderungen als nicht werthaltig anzusehen, stellt der hierdurch entstehende Gewinn nach Auffassung des Sächsischen FG keinen erlassfähigen Sanierungsgewinn dar3. Der Forderungsverzicht sei in diesem Fall nichts anderes als eine auf den Kaufpreis abgestimmte Gegenleistung. b) Steuerliche Wirkung des Verzichts beim Gesellschafter 43 Soweit mit einem Forderungsverzicht eine verdeckte Einlage erbracht wird, d.h. im Umfang des werthaltigen Teils der vom Verzicht erfassten Forderung, führt dies beim Gesellschafter zum Zufluss des Forderungswerts4. Diese Sichtweise wird darauf gestützt, dass der Gesellschafter zwar keine zusätzlichen, aber eine Stärkung seiner bestehenden Gesellschafterrechte erlangt, indem der Forderungsverzicht zu einer Vermehrung des Vermögens und der Ertragsfähigkeit der Gesellschaft und damit zur Erhöhung der Ausschüttungsansprüche des Gesellschafters sowie des auf ihn entfallenden Liquidationserlöses führe. Hierin wird im Ergebnis eine Vermögensumschichtung gesehen. 44 Soweit die vom Verzicht des Gesellschafters erfasste Forderung nicht mehr werthaltig war, entsteht beim Gesellschafter, der die Forderung im Betriebsvermögen hält, grundsätzlich steuerlich abzugsfähiger Aufwand. Ein Aufwandsabzug ist steuerlich jedoch ausgeschlossen, wenn der Gesellschafter eine Körperschaft ist, die zu mehr als 25 % an der Kapitalgesellschaft, der das (nicht fremdübliche) Darlehen gewährt wurde, beteiligt ist (§ 8b Abs. 3 Satz 4 KStG). Diese nachteiligen Folgen könnten in entsprechend gelagerten Konstellationen u.U. dadurch vermieden werden, dass die insolvente Gesellschaft ohne einen Forderungsverzicht liquidiert wird und dadurch die stehengelassene Verbindlichkeit mit dem Untergang des Rechtssubjekts erlischt, ohne einen steuerpflichtigen Gewinn auszulösen5. c) Steuerliche Wirkung des Verzichts bei Mitgesellschaftern 45 Nach der für Verfügungen nach dem 13.12.2011 geltenden Neuregelung in § 7 Abs. 8 S. 1 ErbStG können Leistungen eines Gesellschafters an die Gesellschaft als steuerpflichtige Schenkung an die Mitgesellschafter angesehen werden. Grundsätzlich unterfällt auch ein lediglich durch einen oder einzelne Gesellschafter erklärter Verzicht auf eine Forderung gegen die Gesellschaft dieser Regelung. Der Anfall von Schenkungsteuer setzt dabei jedoch voraus, dass es zu einer Wertsteigerung des Geschäftsanteils des oder der Mitgesellschafter kommt. Daran dürfte es fehlen, soweit die Forderung, auf welche verzichtet wurde, nicht werthaltig war6.
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S. Ministerium der Finanzen Schleswig-Holstein v. 25.1.2013 – VI 3011-S 2741-108. BStBl. II 1998, 307; vgl. H 40 – Forderungsverzicht – KStH 2004. Sächsisches FG v. 4.4.2013 – 6 K 211/09, GmbHR 2013, 666. BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307 = NJW 1997, 2837. Vgl. FG Köln v. 6.3.2012 – 13 K 3006/11; aufgehoben durch BFH v. 5.2.2014 – I R 34/12, DStR 2014, 1601 auf Grund des eingeschränkten gerichtlichen Prüfungsmaßstabs für eine verbindliche Auskunft. 6 So Schwedhelm/Olbing/Binnewies, GmbHR 2012, 1269 (1272).
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Steuerliche Fragestellungen bei Sanierungslçsungen
Rz. 52
§ 11
5. Weitere Gestaltungsvarianten: Rangrücktritt und Forderungsverzicht mit Besserungsschein a) Rangrücktritt Soll eine insolvenzrechtliche Überschuldung vermieden werden, ohne dass ein steuerlicher Gewinn entsteht, ist an Stelle eines Forderungsverzichts mit Besserungsscheins der Weg eines Rangrücktritts zu wählen. Dabei wird die betroffene Forderung gerade nicht ausgebucht, sondern bleibt als Verbindlichkeit erhalten.
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Nach der Rechtsprechung des BFH muss allerdings bei der Formulierung des Rang- 47 rücktritts darauf geachtet werden, dass diese auf eine Rückführung der Forderung aus sog. „freiem Vermögen“ abstellt. Ist dies nicht der Fall, greift das Passivierungsverbot nach § 5 Abs. 2a EStG1. b) Forderungsverzicht mit Besserungsschein Auch der Forderungsverzicht eines Gläubigers gegen Besserungsschein stellt unter den weiteren Voraussetzungen des Sanierungserlasses einen begünstigten Sanierungsgewinn dar.
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Tritt der Besserungsfall ein, so dass der Schuldner die in der Besserungsvereinba- 49 rung festgelegten Zahlungen an den Gläubiger leisten muss, ist der Abzug dieser Aufwendungen als Betriebsausgaben entsprechend den Rechtsgrundsätzen des § 3c Abs. 1 EStG ausgeschlossen. Insoweit verringert sich allerdings nachträglich der Sanierungsgewinn2. Bei Forderungsverzicht gegen Besserungsschein erfolgt vor diesem Hintergrund 50 zunächst lediglich eine Stundung der auf den Sanierungsgewinn entfallenden Steuer für die gesamte Laufzeit der Besserungsklausel. Solange danach Zahlungen in Betracht kommen, darf kein Erlass ausgesprochen werden3. c) Möglichkeit einer Verlustkonservierung durch Forderungsverzicht mit Besserungsschein? Bei einem Forderungsverzicht des Gesellschafters ist wiederum zu differenzieren. 51 Wird auf eine zum Verzichtszeitpunkt wertlose Forderung verzichtet, kommt es, wie vorstehend darstellt, durch den Verzicht zu einem außerordentlichen Ertrag, der mit etwaigen bestehenden Verlustvorträgen zu verrechnen ist. Enthält der Forderungsverzicht eine Besserungsklausel, führt die Wiedereinbuchung und Erfüllung der Forderung nach Eintritt des Besserungsfalls nach allgemeinen Grundsätzen zu Betriebsausgaben, wenn die ursprüngliche Forderung betrieblich veranlasst war. Da auf diese Weise gegebenenfalls Zahlungen an einen neuen Gesellschafter als Be- 52 triebsausgaben abzugsfähig gemacht werden, liegt die Überlegung nahe, einen GmbH-Mantel nebst der Forderung des Alt-Gesellschafters aus einem Forderungsverzicht mit Besserungsschein zu kaufen4. Im Ergebnis kann damit ein vergleichbarer Effekt erreicht werden wie mit einer Nutzung von Verlustvorträgen, die für den Fall des Gesellschafterwechsels durch § 8c KStG ausgeschlossen wird. Eine solche Gestaltung war Gegenstand des BFH-Urteils vom 12.7.20125. Entgegen der Vorinstanz sah der BFH in den an den Neu-Gesellschafter erbrachten Zahlungen nach Eintritt des Besserungsfalles keine verdeckte Gewinnausschüttung. Ein Anwendungsfall des im entschiedenen Fall maßgeblichen § 8 Abs. 4 KStG a.F. lag nicht vor, auch eine Übertragung des Rechtsgedankens komme nicht in Betracht. Einen Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO verneint der BFH schon deswegen, weil die gewählte Gestaltung nicht unangemessen sei.
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Vgl. Schwedhelm/Olbing/Binnewies, GmbHR 2012, 1269 (1274). S. OFD Frankfurt/M. v. 12.2.2013 – S 2140 A-4-St 213 Rz. 9. S. OFD Frankfurt/M. v. 12.2.2013 – S 2140 A-4St 213 Rz. 11. Vgl. hierzu Dörr/Eggert, nwb 2013, 22. BFH v. 12.7.2012 – I R 23/11, DStR 2012, 2058 = NJW-RR 2013, 153 = BB 2012, 2864.
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§ 11
Rz. 53
Steuerrechtliche Beratung
Wird eine entsprechende Gestaltung schon bei Vereinbarung des Forderungsverzichts mit Besserungsschein angestrebt, könnten allerdings Zweifel erhoben werden, ob die Forderung tatsächlich als wertlos zu beurteilen ist, da insoweit ja bereits auf den späteren Eintritt des Besserungsfalles hin geplant wird1. 53 Auf der Ebene des Gesellschafters ist für Besteuerungszeiträume ab 2009 zu beachten, dass die Besserungsanwartschaft, wenn sie im Privatvermögen gehalten wird, nach Ansicht der Finanzverwaltung als sonstige Kapitalforderung unter § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG fällt2. Danach führt eine erbrachte Zahlung beim Forderungsinhaber nach § 20 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 EStG zu einem steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn in Höhe der Differenz zwischen dem Nominalwert der Forderung und den Anschaffungskosten der Besserungsanwartschaft. Hält der Erwerber der Besserungsanwartschaft mindestens 10 % der Anteile an der Gesellschaft, käme nach § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG auch der gesonderte Steuertarif von 25 % nicht zur Anwendung, sondern der persönliche Einkommensteuertarif. Vor diesem Hintergrund ist zu prüfen, ob tatsächlich im Ergebnis eine positiver steuerlicher Effekt erzielt wird3. 6. Sanierungsbesteuerung bei Liquidation 54 Forderungsverzichte werden nicht immer nur mit dem Ziel ausgesprochen, den Fortbestand einer Gesellschaft zu sichern. Denkbar sind diese vielmehr auch dann, wenn der Geschäftsbetrieb abgewickelt und die Gesellschaft liquidiert werden soll. Da in diesen Fällen keine positive Fortführungsprognose besteht, müsste der Geschäftsführer der Kapitalgesellschaft einen Insolvenzantrag wegen Überschuldung stellen, wenn die bestehenden Verbindlichkeiten die vorhandenen Aktiva übersteigen. Die ordnungsgemäße gesellschaftsrechtliche Liquidation ist daher nur auf der Basis von Verständigungen mit den vorhandenen Gläubigern möglich. 55 In diesen Konstellationen stellt sich die Frage, ob die Mindestbesteuerung auch dann greifen kann, wenn eine Nutzung der verbleibenden Verlustvorträge auf Grund der Liquidation der Gesellschaft in zukünftigen Besteuerungszeiträumen nicht mehr möglich sein wird. Der IV. Senat des BFH hält dabei die gewerbesteuerliche Mindestbesteuerung auch insoweit für verfassungsgemäß, als es wegen der Begrenzung zu einem endgültig nicht mehr verrechenbaren Verlust kommt4. Verwiesen wird durch den IV. Senat in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Möglichkeit, den durch die Mindestbesteuerung in Einzelfällen entstehenden Härten durch Billigkeitsmaßnahmen begegnen zu können. Allerdings soll es bei einer auf Initiative des Steuerpflichtigen zur Vermeidung eines Insolvenzverfahrens erklärten Forderungsverzichts an der für die Anwendung sowohl von § 163 AO als auch § 227 AO erforderlichen sachlichen Unbilligkeit fehlen, da in diesem Fall der Steuerpflichtige durch das eigene Verhalten zu der Entstehung eines Gewerbeertrags beigetragen hat, der aufgrund der Mindestbesteuerung nicht mehr vollständig mit vortragsfähigen Verlusten verrechnet werden konnte5. Insbesondere wenn die Vermeidung der Insolvenz aber nur durch einen Forderungsverzicht erreichbar ist, bestehen wirtschaftlich beachtliche Gründe für ein entsprechendes Vorgehen, was im Rahmen der Billigkeitsentscheidung Berücksichtigung finden muss6. Für den Bereich der Körperschaftsteuer hat der I. Senat des BFH bisher lediglich Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelung der Mindestbesteuerung in solchen Fällen geäußert7. Dies könnte dazu führen, dass einkommen- und körperschaftsteuerlich im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung § 10d Abs. 1 EStG in Fällen der Definitivbesteuerung nicht zur An-
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Vgl. zu diesem Risiko Dörr/Eggert, nwb 2013, 22 (29). Rz. 58, 62 des BMF-Schreibens v. 9.10.2012. Dörr/Eggert, nwb 2013, 22 (31). BFH v. 20.9.2012 – IV R 36/10, BStBl. II 2013, 498 = DStR 2012, 2481 = GmbHR 2013, 96; teilweise inhaltsgleich in BFH v. 20.9.2012 – IV R 60/11, BFH/NV 2013, 410. 5 BFH v. 20.9.2012 – IV R 29/10, BStBl. II 2013, 498 = DStR 2012, 2481 = GmbHR 2013, 96. 6 Vgl. hierzu und kritisch zur Rechtsprechung des IV. Senats Boller/Franke, nwb 2013, 668. 7 BFH v. 22.8.2012 – I R 9/11, DStR 2012, 2435; Gewährung von Aussetzung der Vollziehung: BFH v. 26.8.2010 – I B 49/10, BStBl. II 2011, 826.
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Steuerforderungen und Einleitung des Insolvenzverfahrens
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wendung kommt, so dass eine vollständige Verrechnung der Verluste ermöglicht wird. Allerdings finden sich auch in der Argumentation des I. Senat Hinweise darauf, dass Billigkeitsüberlegungen ausgeschlossen sind, wenn und weil die Organe des Steuerpflichtigen die Entscheidung zur Liquidation selbst willkürlich herbeigeführt haben1. Nach Auffassung der Finanzverwaltung liegt eine Sanierung im Sinne des Sanie- 56 rungserlass bei fehlender Fortführung des Unternehmens oder Einstellung trotz der Sanierungsmaßnahme nur vor, wenn die Schulden aus betrieblichen Gründen (z.B. um einen Sozialplan zu Gunsten der Arbeitnehmer zu ermöglichen) erlassen werden2. Keine begünstigte Sanierung ist gegeben, soweit die Schulden erlassen werden, um dem Steuerpflichtigen oder einem Beteiligten einen schuldenfreien Übergang in sein Privatleben oder den Aufbau einer anderen Existenzgrundlage zu ermöglichen. Im Fall der übertragenden Sanierung3 ist von einem betrieblichen Interesse auch auszugehen, soweit der Schuldenerlass erforderlich ist, um das Nachfolgeunternehmen (Auffanggesellschaft) von der Inanspruchnahme für Schulden des Vorgängerunternehmens freizustellen (z.B. wegen § 25 Abs. 1 HGB)4. III. Steuerforderungen und Einleitung des Insolvenzverfahrens 1. Steuerforderungen als Auslöser eines Insolvenztatbestandes Das Vorliegen eines Insolvenzgrundes ist zwingende Voraussetzung für die Eröffnung 57 eines Insolvenzverfahrens und daher typischer Gegenstand des Auftrages des Insolvenzgerichts an den Gutachter, wenn ein Insolvenzantrag gestellt wurde. Aus der Perspektive der Beteiligten stellt sich schon im Vorfeld, wenn geprüft werden muss, ob ein Insolvenzantrag gestellt werden sollte oder gar muss, die Frage, ob im konkreten Fall die objektiven Voraussetzungen eines Insolvenzgrundes gegeben sind und ob diese auch dargelegt werden können. Sowohl bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit als auch bei der Überschuldungs- 58 prüfung sind dabei Steuerforderungen im Rahmen einerseits der Gegenüberstellung von fälligen Forderungen und der zu deren Begleichung verfügbaren Mitteln beziehungsweise andererseits der Gegenüberstellung von Aktiva und Passiva in der rechnerischen Überschuldungsprüfung einzubeziehen. Das Erfordernis einer fälligen Forderung als Grundlage der Feststellung einer Zah- 59 lungsunfähigkeit setzt zunächst voraus, dass die Steuerforderung nach den maßgeblichen steuerrechtlichen Normen entstanden und fällig geworden ist. Nach der Rechtsprechung des BGH sind darüber hinaus nur solche Forderungen i.S. § 17 Abs. 2 InsO fällig, bei welchen eine Gläubigerhandlung feststeht, aus der sich der Wille, vom Schuldner Erfüllung zu verlangen, im Allgemeinen ergibt5. Nicht fällig sind daher zunächst Steuerforderungen, die gestundet wurden. Auch die Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheids wegen ernstlicher Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit (§ 361 AO) bewirkt nach Auffassung des OLG Brandenburg, dass die Steuerforderung während der Dauer der Aussetzung bei der Prüfung der Zahlungsfähigkeit nicht in Ansatz zu bringen ist6. 2. Der Fiskus als antragstellender Gläubiger Auf Grund seiner Gläubigerstellung steht dem Fiskus bei bestehenden offenen Steu- 60 erforderungen die Antragsberechtigung zur Einleitung eines Insolvenzverfahrens zu (vgl. allgemein zur Antragsberechtigung des Gläubigers § 6 Rz. 34 ff.).
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BFH v. 22.8.2012 – I R 9/11, DStR 2012, 2435, vgl. hierzu auch Braun/Geist, BB 2013, 351 (354). OFD Frankfurt/M. v. 12.2.2013 – S 2140 A-4-St 213. Vgl. BFH v. 24.4.1986 – IV R 282/84, BStBl. II 1986, 672 = ZIP 1986, 1205. OFD Frankfurt/M. v. 12.2.2013 – S 2140 A-4St 213. BGH v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07, NZI 2007, 579. OLG Brandenburg v. 6.3.2013 – 7 U 23/11, ZIP 2013, 941 = DStR 2013, 1844 = NZI 2013, 861.
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61 Bei vollstreckbaren Rückständen ist die Finanzbehörde im Rahmen pflichtgemäßer Ermessensausübung gehalten, bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes einen Insolvenzantrag zu stellen1. a) Anforderungen an den Insolvenzantrag 62 Im Insolvenzantrag muss das antragstellende Finanzamt das Bestehen einer Forderung gegen den Schuldner sowie das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes glaubhaft machen (§ 14 InsO). 63 Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung sind zur Glaubhaftmachung einer Forderung durch das Finanzamt Steuerbescheide und gegebenenfalls etwaige Steueranmeldungen des Schuldners (§§ 150, 167 AO, 18 UStG) vorzulegen2. Eine Liste der in der Vollstreckung befindlichen Rückstände reicht regelmäßig nicht aus. Es ist nicht erforderlich, dass der Steuerfestsetzungsbescheid rechtskräftig ist. Vielmehr genügt es, dass die Vollstreckungsvoraussetzungen der §§ 251, 254 AO vorliegen3. Eine Glaubhaftmachung der Forderungen durch das Finanzamt durch Vorlage der Bescheide oder der Steueranmeldungen kann ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn das Finanzamt die ausstehenden Steuern genau beschreibt und der Schuldner diese Forderungen nicht bestreitet oder sich lediglich auf Erlassanträge sowie Gegenansprüche beruft4. 64 Eröffnungsgründe im Rahmen eines Gläubigerinsolvenzantrages sind die Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) sowie bei juristischen Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, bei denen keine natürliche Person unbeschränkt haftet, auch die Überschuldung (§ 19 InsO). Die Zahlungsunfähigkeit wird gem. § 17 Abs. 2 S. 2 InsO vermutet, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. 65 Die Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes kann zunächst durch Vorlage einer Bescheinigung über einen erfolglosen Vollstreckungsversuch erfolgen. Der antragstellende Gläubiger kann den Eröffnungsgrund auch auf andere Weise glaubhaft machen5. Die schlichte Nichtbegleichung einer unbestrittenen Forderung kann im Einzelfall eine weitere Glaubhaftmachung entbehrlich machen6. Es ist ausreichend, wenn der Gläubiger Indizien glaubhaft macht, die einzeln oder in ihrer Häufung nach der allgemeinen Erfahrung den hinreichend sicheren Schluss auf das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes zulassen. So stellt die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen ein starkes Indiz dar, welches für den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit spricht, weil diese Forderungen in der Regel wegen der drohenden Strafbarkeit gemäß § 266a StGB bis zuletzt bedient werden7. Ein Indiz für die fehlende Zahlungsfähigkeit kann sein, wenn der Schuldner auf Zahlungsaufforderungen durch das Finanzamt nicht reagiert und dem angekündigten Vollstreckungsversuch weder entgegentritt noch den Zugang zur Wohnung ermöglicht. Eine einmal nach außen in Erscheinung getretene Zahlungsunfähigkeit wirkt fort, sie kann nur dadurch wieder beseitigt werden, dass die geschuldeten Zahlungen an die Gesamtheit der Gläubiger wieder aufgenommen werden8.
1 Abschnitt 2.2 Abs. 2 AEAO zu § 251. 2 BGH v. 13.6.2006 – IX ZB 214/05, NZI 2006, 590 = ZInsO 2006, 1456 = ZVI 2006, 503; BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 256/10, NZI 2011, 712 = ZInsO 2011, 1614 = ZIP 2011, 1971. 3 AG Göttingen v. 4.1.2013 – 71 IN 100/11, BeckRS 2013, 02477; OLG Stuttgart v. 30.9.1999 – 8 W 111/99, NZI 1999, 491, 492 f.; MüKo-InsO/Schmahl, § 14 Rz. 86; Uhlenbruck, InsO, § 14 Rz. 76; Kirchhof in HK-InsO, § 14 Rz. 13. 4 Vgl. BGH v. 21.7.2011 – IX ZB 256/10, NZI 2011, 712 = ZInsO 2011, 1614 = ZIP 2011, 1971; BGH v. 9.7.2009 – IX ZB 86/09, ZInsO 2009, 1533 Rz. 3; BGH v. 13.6.2006 – IX ZB 214/05, ZInsO 2006, 828 = NZI 2006, 590 Rz. 8 ff. 5 BGH v. 5.2.2004 – IX ZB 29/03, WM 2004, 1686, 1688; BGH v. 23.10.2008 – IX ZB 7/08, WuM 2009, 144. 6 Vgl. BGH v. 12.7.2012 – IX ZB 264/11, ZInsO 2012, 1418 Rz. 9. 7 BGH v. 13.6.2006 – IX ZB 238/05, WM 2006, 1631 Rz. 6; BGH v. 28.4.2008 – II ZR 51/07, ZInsO 2008, 1019 Rz. 5; FK-InsO/Schmerbach, § 14 Rz. 125; Uhlenbruck, InsO, § 14 Rz. 81. 8 BGH v. 13.6.2006 – IX ZB 238/05, WM 2006, 1631 Rz. 8.
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Steuerforderungen und Einleitung des Insolvenzverfahrens
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§ 11
Bedenken im Hinblick auf die Weitergabe von Informationen im Rahmen des Insolvenzantrages können sich aus dem Steuergeheimnis ergeben. Die im Insolvenzantrag des Finanzamts zur Glaubhaftmachung eines Eröffnungsgrundes notwendigen Angaben stellen jedoch nach Auffassung der Finanzverwaltung notwendige Angaben zur Durchführung eines Verwaltungsverfahrens in Steuersachen gemäß § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO dar, so dass darin kein Fall eines unbefugten Offenbarens liegt1.
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b) Fortsetzung des Insolvenzantragsverfahrens nach Erfüllung der Forderung des antragstellenden Gläubigers Nicht selten stellt die Stellung eines Insolvenzantrages den Anlass für den Schuldner 67 dar, die Forderung des antragstellenden Gläubigers zu erfüllen. Nach früherer Rechtslage, die den Bestand einer Forderung des Gläubigers noch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Antrag voraussetzte, führte die vollständige Erfüllung der Forderungen des Antragstellers zur Unzulässigkeit des Antrages. Dem betroffenen Gläubiger blieb damit regelmäßig keine andere Möglichkeit als seinen Antrag zurückzunehmen oder für erledigt zu erklären. Durch die zum 1.1.2011 geschaffene Neuregelung in § 14 Abs. 1 S. 2 und 3 InsO besteht nunmehr allerdings die Möglichkeit einer Fortsetzung des Insolvenzantragsverfahrens trotz Befriedigung des antragstellenden Gläubigers, wenn bereits in der Vergangenheit ein Antrag gestellt war2. Erforderlich ist, dass der frühere Antrag nicht länger als zwei Jahre zurückliegt. Sind der Finanzbehörde entsprechende Voranträge – auch von dritter Seite – bekannt, hat sie bei ihrer Antragstellung darauf hinzuweisen3.
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Nach der Rechtsprechung des BGH muss der antragstellende Gläubiger grundsätz- 69 lich das Vorliegen eines Insolvenzgrundes glaubhaft machen, um die Fortsetzung des Insolvenzantragsverfahrens zu erreichen4. Dabei ist nach den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalles vom Insolvenzgericht zu prüfen, ob die mit Antragstellung erfolgte Glaubhaftmachung eines Insolvenzgrundes auch nach Erfüllung der den Antrag stützenden Forderung fortwirkt oder der Gläubiger den Insolvenzgrund erneut5 glaubhaft machen muss6. Erst nach Zulassung des Antrags erfolgt eine Anhörung des Schuldners, in deren Rahmen dieser die Möglichkeit zu einer Gegenglaubhaftmachung zu dem zulässigkeitsbegründenden Vorbringen nach § 14 Abs. 2 InsO hat7. Glaubhaft zu machen ist schließlich prinzipiell ein fortdauerndes Rechtsschutzinteresse. Anders als bei sonstigen Gläubigern ist ein rechtliches Interesse an einer Verfahrensfortführung bei Finanzbehörden und Sozialversicherungsträgern regelmäßig anzuerkennen, weil diese öffentlichen Gläubiger nicht verhindern können, dass sie weitere Forderungen gegen den Schuldner erwerben8.
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c) Rechtsmittel im Insolvenzantragsverfahren Die Stellung eines Antrags auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Ver- 71 mögen des Schuldners durch die Finanzbehörde ist kein Verwaltungsakt, sondern stellt schlichtes hoheitliches Handeln dar, dessen Überprüfung dem Finanzgericht und nicht dem Insolvenzgericht obliegt9. Dem Steuerpflichtigen stehen als Rechtsbehelfe hiergegen die allgemeine Leistungsklage (§ 40 Abs. 1 FGO) bzw. im vorläu-
1 Vgl. Verfügung betr. Auskunftserteilung in Angelegenheiten des Insolvenzrechts v. 12.6.2012, LfSt Bayern S 0130.2.1-102/1 St42. 2 Vgl. zur Neuregelung Gundlach/Rautmann, NZI 2011, 315. 3 Abschnitt 2.2 Abs. 3 S. 3 AEAO zu § 251. 4 BGH v. 11.4.2013 – IX ZB 256/11, NJW 2013, 2119 = ZIP 2013, 1086 = NZI 2013, 594. 5 Vgl. BR-Drucks. 618/05, S. 15 f. 6 BGH v. 11.4.2013 – IX ZB 256/11, NJW 2013, 2119 = ZIP 2013, 1086 = NZI 2013, 594 Rz. 6. 7 Vgl. BGH v. 11.4.2013 – IX ZB 256/11, NJW 2013, 2119 = ZIP 2013, 1086 = NZI 2013, 594 Rz. 11. 8 BGH v. 12.7.2012 – IX ZB 18/12, WM 2012, 1639 Rz. 7; BT-Drucks. 17/3030, S. 42. 9 Vgl. BFH v. 31.8.2011 – VII B 59/11, BFH/NV 2011, 2105; BFH v. 28.2.2011 – VII B 224/10, ZIP 2011, 724 = NZI 2011, 462; Abschn. 2.3 Abs. 1 S. 1 AEAO zu § 251.
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Steuerrechtliche Beratung
figen Rechtsschutzverfahren der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 114 FGO) zu1. So hat das FG Hamburg eine einstweilige Anordnung wegen ermessensfehlerhaften Handelns eines Finanzamtes erlassen, welches einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hatte, bevor Maßnahmen der Einzelzwangsvollstreckung ausgeschöpft worden waren, und es unbeachtet gelassen hatte, dass für die zu vollstreckende Steuer noch kein Grundlagenbescheid ergangen ist, der dem Vollstreckungsschuldner noch eine rechtliche Überprüfung der Steuerforderung ermöglicht hätte2. Da sich der Insolvenzantrag mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erledigt, kommt eine finanzgerichtliche Entscheidung nur für den Fall in Betracht, dass ein Feststellungsinteresse für das demzufolge als Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Insolvenzantrags zu behandelnde Begehren des Klägers besteht3. 72 Über den Insolvenzantrag als solchen entscheidet demgegenüber ausschließlich das Insolvenzgericht. Wird die Verfahrenseröffnung abgelehnt, hat der antragstellende Gläubiger die Möglichkeit einer sofortigen Beschwerde, umgekehrt kann der Schuldner sich gegen die Eröffnungsentscheidung mit der sofortigen Beschwerde zur Wehr setzen (§ 34 Abs. 1 InsO). 3. Forderungsanmeldung durch den Fiskus 73 Anders als im Rahmen der Insolvenzantragstellung soll nach Auffassung des Hessischen FG die Vorlage von Steuerbescheiden oder -berechnungen nicht erforderlich sind. Ausreichend sei vielmehr die Auflistung der Steuerforderungen nach Abgabenart, Besteuerungszeitraum, Fälligkeit sowie Stand des Festsetzungsverfahrens, auch wenn Besteuerungszeiträume mit unterschiedlichen Fälligkeiten vorliegen4. 74 Um die Anmeldung zur Insolvenztabelle zu überprüfen, steht dem Insolvenzverwalter ein Anspruch auf Auskunft und Akteneinsicht gegen die Finanzverwaltung zu5. 75 Wird die vom Finanzamt angemeldete Abgabenforderung gemäß § 178 Abs. 1 Satz 1 InsO vom Insolvenzverwalter oder von einem anderen Gläubiger bestritten, stellt das Finanzamt erforderlichenfalls das Bestehen der angemeldeten Insolvenzforderung durch Bescheid fest (§ 185 Satz 1 InsO i.V. mit § 251 Abs. 3 AO)6. Der Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO ist an die widersprechenden Insolvenzgläubiger bzw. den widersprechenden Insolvenzverwalter zu richten7. Gegen den Feststellungsbescheid ist gem. § 347 Abs. 1 Nr. 1 AO der Einspruch gegeben. War gegen einen Steuerbescheid dagegen bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens Einspruch eingelegt, wird das Einspruchsverfahren zunächst durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochen. Einen Widerspruch gegen die angemeldete Steuerforderung muss der Schuldner in diesem Fall nach § 184 Abs. 2 InsO durch Aufnahme des unterbrochenen Einspruchsverfahrens verfolgen8. 76 War über die zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung des Fiskus ein Klageverfahren anhängig, erledigt sich dieses, wenn der Forderung nicht widersprochen und diese daher in die Insolvenztabelle eingetragen wird. Die Unterbrechung des Klage1 Vgl. BFH v. 12.8.2011 – VII B 159/10 – BFH/NV S. 2104; Abschnitt 2.3 Abs. 1 S. 2 AEAO zu § 251; a.A. AG Göttingen v. 31.5.2011 – 74 IN 174/10, BeckRS 2011, 16073. 2 FG Hamburg v. 25.2.2011 – 2 V 8/11, DStRE 2012, 191. Als zulässig, aber unbegründet abgewiesen wurde ein entsprechender Antrag auf einstweilige Anordnung durch FG München v. 9.11.2012 – 7 V 3251/12, DStRE 2013, 1397. 3 Vgl. BFH v. 26.2.2010 – VII B 166/09, BFH/NV 2010, 1122. 4 Hess. FG v. 12.3.2013 – 6 K 1700/10, EFG 2013, 1297. 5 Vgl. BFH v. 19.3.2013 – II R 17/11, BStBl. II 2013, 639 = ZIP 2013, 1133 = NZI 2013, 706 = ZInsO 2013, 1159. 6 Vgl. Abschnitt 5.3.1 AEAO zu § 251; BFH v. 19.3.2013 – II R 17/11, BStBl. II 2013, 639 = ZIP 2013, 1133 = NZI 2013, 706 = ZInsO 2013, 1159; BFH v. 23.2.2010 – VII R 48/07, BStBl. II 2010, 562 = NZI 2010, 496 m. Anm. de Weerth zur Zulässigkeit eines Feststellungsbescheids auch bei vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ergangenem bestandskräftigen Steuerbescheid. 7 Abschnitt 5.3.1.1 Satz 2 AEAO zu § 251. 8 BFH v. 15.3.2013 – VII B 49/12, BFH/NV 2013, 1451 = ZInsO 2013, 1540.
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verfahrens nach § 240 ZPO endet durch die Erledigung der Hauptsache nicht. Die Kostenforderung aus dem finanzgerichtlichen Verfahren ist vom Gebührenfiskus nach § 9 Abs. 2 Nr. 4 GKG i.V.m. § 41 InsO zur Insolvenztabelle anzumelden1. Das Finanzamt kann auch nach Feststellung der angemeldeten Forderung zur Insol- 77 venztabelle eine erhöhte Steuerforderung geltend machen. § 177 Abs. 1 S. 3 InsO lässt eine Änderung von Anmeldungen zur Tabelle bis zum Schlusstermin zu. Auch die Rechtskraftwirkung des § 178 Abs. 3 InsO i.V.m. § 322 Abs. 1 ZPO steht einer Nachmeldung nach der Rechtsprechung des BGH nicht entgegen, weil ein nur einen Teil einer Forderung feststellendes Urteil den Gläubiger nicht hindert, seine noch nicht angemeldete Forderung nachträglich anzumelden2. Eine Korrektur zu Gunsten des Schuldners kommt sowohl im Fall der widerspruchslosen Eintragung der angemeldeten Steuerforderung in die Insolvenztabelle als auch im Fall der Feststellung durch Bescheid gem. § 185 InsO i.V.m. § 251 Abs. 3 AO (nur) unter den Voraussetzungen der §§ 130, 131 AO in Betracht3. IV. Steuerrechtliche Fragestellungen im Insolvenzantragsverfahren 1. Steuerrechtliche Stellung und steuerliche Pflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters Bei der Rechtsstellung des vorläufigen Insolvenzverwalters im Besteuerungsverfah- 78 ren ist grundsätzlich danach zu unterscheiden, ob auf diesen die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis übergegangen ist (sog. starker vorläufiger Verwalter) oder ob lediglich ein Zustimmungsvorbehalt zu seinen Gunsten angeordnet wurde (sog. schwacher vorläufiger Verwalter). Der in den weitaus überwiegenden Fällen bestellte schwache vorläufige Insolvenz- 79 verwalter ist nicht Vermögensverwalter im Sinne des § 34 Abs. 3 AO; daher obliegen die steuerlichen Pflichten, insbesondere die Steuererklärungspflicht, weiterhin dem Schuldner4. Steuerbescheide sind daher an den Schuldner zu richten und diesem bekannt zu geben, soweit kein Empfangsbevollmächtigter bestellt ist5. Auf den rechtlichen Status des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters hat die Regelung des § 55 Abs. 4 InsO keinen Einfluss6. Die vom starken vorläufigen Insolvenzverwalter begründeten Verbindlichkeiten stel- 80 len nach § 55 Abs. 2 InsO im eröffneten Verfahren Masseverbindlichkeiten dar. Erlässt die Finanzbehörde im Antragsverfahren auf solche Verbindlichkeiten bezogene Verwaltungsakte, ist Bekanntgabeadressat der starke vorläufige Insolvenzverwalter7. Aus der Bestellung eines Gutachters durch das Insolvenzgericht ergeben sich keine Auswirkungen auf das Besteuerungsverfahren des Schuldners8.
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Zu beachten ist, dass durch das Jahressteuergesetz 2008 in § 26 S. 3 AO eine ergänzende Regelung dahingehend getroffen wurde, dass ein Wechsel in der örtlichen Zuständigkeit insbesondere so lange nicht eintritt, wie über einen Insolvenzantrag noch nicht entschieden wurde. Erfolgt nach Stellung eines Insolvenzantrages ein Wohnsitz- oder Sitzwechsel des Schuldners, bleibt daher zunächst gleichwohl die örtliche Zuständigkeit des bisher zuständigen Finanzamtes bestehen9.
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1 Vgl. BFH v. 14.5.2013 – X B 134/12, BStBl. II 2013, 585 = ZIP 2013, 1789 = BB 2013, 1701 = ZInsO 2013, 1156. 2 BGH v. 19.1.2012 – IX ZR 4/11, ZIP 2012, 537. 3 Vgl. Abschnitt 5.3.5 Abs. 1 AEAO zu § 251; BFH v. 24.11.2011 – V R 13/11, BStBl. II 2012, 298 = ZIP 2011, 2481 = NZI 2012, 96 = ZInsO 2012, 185; BFH v. 24.11.2011 – V R 20/10, BFH/NV 2012, 711; BFH v. 6.12.2012 – V R 1/12, BFH/NV 2013, 906 = ZInsO 2013, 880. 4 Vgl. Abschnitt 3.1 Abs. 2 S. 2 AEAO zu § 251. 5 Abschnitt 3.1 Abs. 2 S. 2 AEAO zu § 251. 6 Vgl. Trottner, nwb 2012, 920 (924). 7 Abschnitt 3.1 Abs. 1 S. 6 AEAO zu § 251. 8 Abschnitt 3.1 Abs. 4 AEAO zu § 251. 9 Vgl. hierzu auch Finanzministerium des Landes NRW v. 10.1.2011, S 0127, FMNR012400011.
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83 Das Steuergeheimnis ist gegenüber einem schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter oder Gutachter durch die Finanzbehörden uneingeschränkt zu wahren. Auch wenn der Beschluss des Insolvenzgerichts die Ermächtigung enthält, „… Auskünfte über den Schuldner bei den Finanzämtern und den Banken einzuholen (§§ 5 Abs. 1, 21 Abs. 1 InsO)“, ist eine Auskunftserteilung jedenfalls nach Auffassung der bayerischen Finanzverwaltung nicht möglich1. 84 Da der starke vorläufige Insolvenzverwalter und der Insolvenzverwalter als Vertreter gem. § 34 Abs. 3 AO die steuerlichen Pflichten des Schuldners zu erfüllen haben, soweit ihre jeweilige Verfügungsbefugnis reicht, können ihnen durch die Finanzbehörden alle Auskünfte über Verhältnisse des Schuldners erteilt werden, die sie zur Erfüllung dieser steuerlichen Pflichten benötigen2. Soweit Steuerforderungen streitig sind, bei denen der Schuldner Gesamtschuldner zusammen mit anderen ist, steht das gegenüber den restlichen Gesamtschuldnern zu wahrende Steuergeheimnis einer Auskunftserteilung an den Insolvenzverwalter nicht entgegen3. Darüber hinaus dürfen keine Auskünfte erteilt werden. 2. Sonderregelung für Steuerforderungen zur Begründung von Masseverbindlichkeiten im Insolvenzantragsverfahren 85 In materieller Hinsicht haben sich wesentliche Veränderungen durch die Einführung von § 55 Abs. 4 InsO mit Wirkung für alle ab dem 1.1.2011 beantragten Insolvenzverfahren ergeben. Während zuvor auch für Steuerforderungen im Insolvenzantragsverfahren galt, dass diese nur dann als Masseverbindlichkeiten entstehen können, wenn ein starker vorläufiger Insolvenzverwalter eingesetzt oder eine entsprechende Einzelermächtigung erteile wurde, führt die Neuregelung in weitem Umfang zur Aufwertung von Steuerforderungen zur Masseverbindlichkeiten mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Das Verständnis und die zutreffende Umsetzung des § 55 Abs. 4 InsO sind noch in vielen Punkten ungeklärt. Die Finanzverwaltung hat zu der Regelung mit Schreiben vom 17.1.2012 Stellung genommen und darin eine (erwartungsgemäß) in vielen Punkten fiskusfreundliche Auslegung vorgenommen. a) Anwendungsbereich 86 Die Regelung erfasst sämtliche Steuerarten, hat allerdings ihre wohl größte wirtschaftliche Bedeutung im Bereich der Umsatzsteuer. 87 Im Hinblick auf die handelnden Personen erfasst § 55 Abs. 4 InsO nach dem Wortlaut der Norm Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet wurden. Dogmatisch ergeben sich hier Zweifel daraus, dass sich ein Zustimmungsvorbehalt des vorläufigen Insolvenzverwalters nach § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 InsO nur auf Verfügungen des Schuldners, nicht aber auf die Begründung von schuldrechtlichen Verpflichtungen bezieht. Die Finanzverwaltung vertritt für § 55 Abs. 4 InsO dementsprechend ein „untechnisches“ Verständnis und lehnt eine Masseverbindlichkeit beispielsweise aus Umsatzgeschäften des Schuldners nur ab, wenn der schwache vorläufige Insolvenzverwalter der Handlung ausdrücklich widersprochen hat. Ähnlich hat das FG Düsseldorf angenommen, dass es für eine „Zustimmung“ des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters im Hinblick auf Umsatzsteuerverbindlichkeiten ausreicht, wenn sich dieser aktiv oder konkludent mit der Fortführung der Umsatztätigkeit im Insolvenzantragsverfahren einverstanden erklärt4.
1 Vgl. Verfügung betr. Auskunftserteilung in Angelegenheiten des Insolvenzrechts v. 12.6.2012, LfSt Bayern S 0130.2.1-102/1 St42. 2 Vgl. Verfügung betr. Auskunftserteilung in Angelegenheiten des Insolvenzrechts v. 12.6.2012, LfSt Bayern S 0130.2.1-102/1 St42. 3 BFH v. 15.6.2000 – IX B 13/00, BStBl. II 2000, 431 = ZIP 2000, 1262 = NZI 2000, 504. 4 FG Düsseldorf v. 27.9.2013 – 1 K 3372/12 U; Rev. anhängig unter Az. V R 48/13.
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Steuerrechtliche Fragestellungen im erçffneten Insolvenzverfahren
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§ 11
b) Rechtsfolge Als Rechtsfolge ordnet § 55 Abs. 4 InsO an, dass die erfassten Verbindlichkeiten aus 88 dem Steuerschuldverhältnis als Masseverbindlichkeiten „gelten“. Es handelt sich damit um fiktive Masseverbindlichkeiten. Die Geltendmachung der Steuerforderungen als Masseverbindlichkeit kommt erst im Rahmen des eröffneten Insolvenzverfahrens in Betracht. Noch nicht abschließend geklärt ist dabei beispielsweise, ob im Bereich der Umsatzsteuer eine nach Voranmeldungszeiträumen getrennte Betrachtung vorzunehmen ist oder ob für den gesamten Zeitraum der vorläufigen Insolvenzverwaltung eine einheitliche Verbindlichkeit entsteht1. Soweit Zahlungen auf die von § 55 Abs. 4 InsO erfassten Verbindlichkeiten bereits vor 89 Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbracht wurden, stellt sich die Frage nach einer Insolvenzanfechtung dieser Zahlungen. Als Anfechtungsgrund kommt wegen Kenntnis der Finanzverwaltung vom Insolvenzantrag § 130 InsO in Betracht, wobei insbesondere das Bargeschäftsprivileg nach § 142 InsO für Steuerzahlungen nicht greift. Die Anfechtung hat dann nach § 144 Abs. 1 InsO zur Folge, dass die Steuerverbindlichkeit wieder auflebt, so dass es dann unter Berücksichtigung von § 55 Abs. 4 InsO zu einer Masseverbindlichkeit kommt. Ein Vorteil für die Insolvenzmasse kann sich dabei in Fällen einer Massearmut ergeben, da die Steuerverbindlichkeit wegen des Abstellens auf den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung als Altmasseverbindlichkeit einzuordnen ist, während die geleistete Rückzahlung zunächst für die Befriedigung der Neumassegläubiger zur Verfügung steht. Die Finanzverwaltung geht allerdings davon aus, dass wegen des Wiederauflebens der Steuerforderung als Masseverbindlichkeit dem Anfechtungsanspruch der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegengehalten werden und daher eine Rückzahlung verweigert werden kann2. 3. Steuerrechtliche Besonderheiten im Schutzschirmverfahren und bei vorläufiger Eigenverwaltung Im Rahmen eines Schutzschirmverfahrens (§ 270b InsO) sowie in der vorläufigen Ei- 90 genverwaltung (§ 270a InsO) wird anstelle eines vorläufigen Insolvenzverwalters ein vorläufiger Sachwalter eingesetzt. Dieser verfügt regelmäßig über geringere Kompetenzen als der vorläufige Insolvenzverwalter. Insbesondere ist es nach der gesetzlichen Regelung in § 270a Abs. 1 Satz 1 InsO ausgeschlossen, ein Verfügungsverbot oder einen Zustimmungsvorbehalt anzuordnen. Eine Anwendung der Regelung des § 55 Abs. 4 InsO und die damit verbundene Aufwertung von Steuerverbindlichkeiten zu Masseverbindlichkeiten scheidet daher aus. Inwieweit daneben Folgerungen aus der Einleitung des Insolvenzverfahrens auch in Verfahren mit beantragter Eigenverwaltung greifen, ist derzeit noch nicht vollständig geklärt. Fraglich ist dabei insbesondere, ob auch ohne den Übergang von Kompetenzen auf einen vorläufigen Insolvenzverwalter allein wegen der Überlagerung des Pflichtenkreises der selbstverwaltenden Geschäftsführung bestimmte Folgen, die nach der Rechtsprechung im Regelinsolvenzverfahren eintreten, auch für die Eigenverwaltung zu beachten sind3.
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V. Steuerrechtliche Fragestellungen im eröffneten Insolvenzverfahren 1. Schuldner als Steuersubjekt Auch mit Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenz- 92 verwalter im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 80 InsO bleibt der Schuldner zivilrechtlicher Eigentümer der zur Masse gehörenden Gegenstände. Das Steuerrecht folgt dem Zivilrecht insoweit, als der Schuldner auch weiterhin als wirtschaftlicher Eigentümer der jeweiligen Wirtschaftsgüter anzusehen ist (§ 39 AO). Steuersubjekt für alle Steuerarten und bezüglich des gesamten Vermögens ein1 Vgl. Debus/Schartl, ZIP 2013, 350 zu einem Beispielsfall und den unterschiedlichen wirtschaftlichen Ergebnissen. 2 Vgl. auch Trottner, nwb 2012, 920 (924). 3 Vgl. beispielsweise zur umsatzsteuerlichen Organschaft Kahlert, ZIP 2013, 2348.
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Steuerrechtliche Beratung
schließlich der Insolvenzmasse sowie auch im Hinblick auf Handlungen des Insolvenzverwalters mit Wirkung für die Insolvenzmasse ist dementsprechend der Schuldner. Er bleibt Steuerpflichtiger nach § 33 AO sowie Steuerschuldner im Sinne des § 43 AO. 93 Soweit die Insolvenzmasse betroffen ist, geht im Rahmen der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auch die Prozessführungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter über. Macht der Insolvenzschuldner allerdings geltend, Steuerbescheide seien unter Verletzung des § 87 InsO nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens an ihn zugestellt worden, macht er keinen Anspruch hinsichtlich des zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögens geltend; er rügt vielmehr nur die mangelnde Einhaltung der Regelungen der InsO. Für diesen Fall ist davon auszugehen, dass auch dem Schuldner die Befugnis zusteht, die Bescheide anzufechten und Anfechtungsklage bzw. Nichtigkeitsklage gemäß § 41 Abs. 2 Satz 2 FGO zu erheben1. 2. Steuerrechtliche Stellung, steuerliche Pflichten und Haftung des Insolvenzverwalters 94 Mit der Eröffnung des Verfahrens können bis zu diesem Zeitpunkt begründete Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (Insolvenzforderungen, siehe u. Rz. 103 ff.) nur noch nach Maßgabe der InsO geltend gemacht werden. Dies gilt auch für Ansprüche, auf die steuerliche Verfahrensvorschriften entsprechend anzuwenden sind (z.B. Rückforderung von Investitionszulagen2)3. 95 Der Insolvenzverwalter hat als Vermögensverwalter (§ 34 Abs. 3 AO) die steuerlichen Pflichten des Schuldners zu erfüllen4. Er ist daher u.a. gem. § 149 Abs. 1 i.V.m. den Einzelsteuergesetzen verpflichtet, Steuererklärungen für den Schuldner abzugeben. Die Steuererklärungspflicht besteht sowohl für Besteuerungszeiträume nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als auch für Besteuerungszeiträume vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, soweit der Schuldner noch keine Steuererklärungen abgegeben hat5. 96 Der Insolvenzverwalter hat die steuerlichen Pflichten des Schuldners jedoch nur insoweit zu erfüllen, als seine Verfügungsbefugnis reicht. Soweit Besteuerungsgrundlagen den insolvenzfreien Bereich betreffen, insbesondere Umsätze bzw. Einkünfte aus dem nach § 35 Abs. 2 InsO freigegebenen oder pfändungsfreien Vermögen, ist daher nicht der Insolvenzverwalter, sondern der Schuldner zur Erklärung verpflichtet, z.B. zur Abgabe von Umsatzsteuererklärungen für das freigegebene Unternehmen6. Entsprechendes gilt für die Erklärung zu Besteuerungsgrundlagen, die den mit dem Schuldner zusammenveranlagten Ehegatten/Lebenspartner betreffen7. 97 Für die Steuererklärungspflicht des Insolvenzverwalters ist es nach Auffassung der Finanzverwaltung, die sich insoweit auch auf Entscheidungen des BFH stützen kann, i.d.R. unerheblich, ob die Insolvenzmasse über ausreichende Mittel verfügt, um diese Erklärungen durch einen Dritten erstellen zu lassen8. Im Verhältnis zur Größe des Verfahrens wenige, einfach zu erstellende Steuererklärungen sind sowohl für den Insolvenzverwalter als auch für den Treuhänder im vereinfachten Insolvenzverfahren mit der Regelvergütung abgegolten9. Soweit der Insolvenzverwalter verpflichtet ist, Steuererklärungen einschließlich Steueranmeldungen abzugeben, und er dieser Ver1 Vgl. BFH v. 31.1.2012 – I S 15/11, BFH/NV 2012, 989 = ZIP 2012, 1099. 2 Vgl. zur Rückforderung einer Investitionszulage vom Zessionar BFH v. 16.4.2013 – VII R 44/12, BStBl. II 2013, 778 = ZIP 2013, 1871 = NZI 2013, 1086. 3 Vgl. Abschnitt 4.1.1 Abs. 4 S. 2 AEAO zu § 251. 4 Vgl. BFH v. 19.3.2013 – II R 17/11, BStBl. II 2013, 639 = ZIP 2013, 1133 = NZI 2013, 706 = ZInsO 2013, 1159 Rz. 14. 5 Vgl. Abschnitt 4.2 Abs. 1 AEAO zu § 251. 6 Vgl. Abschnitt 4.2 Abs. 2 S. 2 AEAO zu § 251. 7 Abschnitt 4.2 Abs. 2 S. 3 AEAO zu § 251. 8 BFH v. 23.8.1994 – VII R 143/92, BStBl. II 1995, 194; vgl. Abschnitt 4.2 Abs. 3 S. 1 AEAO zu § 251. 9 Vgl. BGH v. 14.11.2013 – IX ZB 161/11, ZIP 2013, 2413.
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Steuerrechtliche Fragestellungen im erçffneten Insolvenzverfahren
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§ 11
pflichtung nicht nachkommt, sind Zwangsmaßnahmen (§§ 328, 329 AO) gegen ihn zulässig. Dies gilt auch, wenn aus den angeforderten Erklärungen voraussichtlich nicht mit steuerlichen Auswirkungen zu rechnen ist (sogenannte „Null-Erklärungen“)1. Die Zwangsvollstreckung zur Erzwingung der Abgabe von Steuererklärungen muss sich gegen den Insolvenzverwalter persönlich und damit im Fall von Zwangsgeld nicht gegen das verwaltete Vermögen, sondern gegen das eigene Vermögen des Insolvenzverwalters richten2. In massearmen Verfahren kann jedoch regelmäßig von der Anwendung von Zwangsmitteln abgesehen werden; die Besteuerungsgrundlagen sind dann zu schätzen3. Erkennt der Insolvenzverwalter während des Verfahrens, dass der Schuldner für die 98 Zeit vor Insolvenzeröffnung unrichtige oder unvollständige Erklärungen abgegeben hat und dass es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder bereits gekommen ist, ist er nach § 153 Abs. 1 AO verpflichtet, die unrichtigen oder unvollständigen Steuererklärungen zu berichtigen oder zu vervollständigen4. Der Insolvenzverwalter ist Bekanntgabeadressat für alle die Insolvenzmasse betref- 99 fenden Verwaltungsakte5. Dies gilt insbesondere für die Bekanntgabe von – Steuerbescheiden oder Steuermessbetragsbescheiden wegen Steueransprüchen, die nach der Verfahrenseröffnung begründet und damit sonstige Masseverbindlichkeiten sind, – Verwaltungsakten nach § 218 Abs. 2 AO, – Steuerbescheiden wegen Steueransprüchen, die aufgrund einer neuen beruflichen oder gewerblichen, nicht vom Insolvenzverwalter freigegebenen Tätigkeit des Schuldners begründet sind (sog. Neuerwerb, § 35 InsO). Verwaltungsakte, die das insolvenzfreie Vermögen betreffen, sind demgegenüber an den Schuldner zu richten und diesem bekannt zu geben6.
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Das Finanzamt ist nicht berechtigt, über die Rechtmäßigkeit eines Insolvenzanfech- 101 tungsanspruchs aus § 143 Abs. 1 InsO durch Abrechnungsbescheid oder Erstattungsbescheid zu entscheiden7. Die Überprüfung der Insolvenzanfechtung einer Steuerzahlung hat vielmehr im Zivilrechtsweg zu erfolgen. Auskünfte von den Finanzbehörden kann der Insolvenzverwalter zunächst insoweit 102 erlangen, als sie zur Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten als Vertreter des Schuldners i.S.v. § 34 Abs. 3 AO benötigt. Daneben ist das Finanzamt nach § 30 Abs. 4 Nr. 3 AO berechtigt, die Einzelheiten mitzuteilen, soweit der Schuldner im Einzelfall oder allgemein seine Zustimmung zur Offenbarung im Insolvenzverfahren gegeben hat. Die Zustimmung des Insolvenzverwalters kann demgegenüber nicht vom Steuergeheimnis befreien, da die §§ 34, 35 AO den Vertreter lediglich zur Wahrnehmung der steuerlichen Pflichten ermächtigen und die Befreiung vom Steuergeheimnis ein höchstpersönliches Recht ist, über das nur der Betroffene selbst verfügen kann8. Der Insolvenzverwalter hat keinen Anspruch darauf, dass das Finanzamt auf einen Erstattungsantrag hin vom Amts wegen prüft, ob im möglichen Anfechtungszeitraum (ab drei Monate vor Eröffnungsantrag) Zahlungen eingegangen sind, die die spätere Insolvenzmasse schmälerten. Das Finanzamt ist auch nicht verpflichtet, selbständig die Zahlungsunfähigkeit und die Gläubigerbenachteiligung im Zeitpunkt der jeweiligen Zahlungseingänge zu ermitteln. Der Fiskus ist auch nicht nach Treu und Glau1 Vgl. Abschnitt 4.2 Abs. 3 S. 3 AEAO zu § 251, BFH v. 6.11.2012 – VII R 72/11, BStBl. II 2013, 141 = ZIP 2013, 83 = DStR 2013, 36. 2 Vgl. Hess. FG v. 18.4.2013 – 4 V 1796/12, EFG 2013, 994. 3 Vgl. Abschnitt 4.2 Abs. 3 S. 4 AEAO zu § 251. 4 Vgl. Abschnitt 4.2 Abs. 4 AEAO zu § 251. 5 Vgl. Abschnitt 4.3.2 Abs. 2 AEAO zu § 251. 6 Vgl. Abschnitt 4.3.2 Abs. 2 S. 3 AEAO zu § 251. 7 Vgl. BFH v. 5.9.2012 – VII B 95/12, BStBl. II 2012, 854; BFH v. 27.9.2012 – VII B 190/11, BStBl. II 2013, 109. 8 Vgl. Verfügung betr. Auskunftserteilung in Angelegenheiten des Insolvenzrechts v. 12.6.2012, LfSt Bayern S 0130.2.1-102/1 St42.
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Steuerrechtliche Beratung
ben zur Abklärung möglicherweise bestehender Anfechtungsrechte zur Auskunftserteilung verpflichtet1. Ein Auskunftsanspruch des Insolvenzverwalter kann sich jedoch aus dem im jeweiligen Bundesland geltenden Informationsfreiheitsgesetz ergeben. 3. Die Steuerforderung als Insolvenzforderung oder Masseverbindlichkeit 103 Im Rahmen des Insolvenzverfahrens stellt es für den Gläubiger einer Forderung eine bedeutsame Frage dar, in welche Forderungskategorie diese einzuordnen ist. Während Insolvenzforderungen nur nach den Regelungen der Insolvenzordnung geltend gemacht werden können, regelmäßig nur mit einer Teilzahlung bedient werden, die vielfach im einstelligen Prozentbereich liegt, und auch eine Aufrechnung nur unter Einschränkungen möglich ist, können Masseverbindlichkeiten auch im laufenden Insolvenzverfahren in voller Höhe geltend gemacht werden und sind, wenn nicht Massearmut eingetreten ist, vom Insolvenzverwalter auch in voller Höhe zu befriedigen (vgl. umfassend zu Gläubigerforderungen im eröffneten Verfahren § 6 Rz. 263). Als dritte denkbare Kategorie kommen schließlich Forderungen in Betracht, die sich gegen den Schuldner richten und für welche dieser mit seinem nicht zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögen haftet. 104 Auch bei Steuerforderungen ist Ansatzpunkt für die Feststellung, ob es sich um eine Insolvenzforderung handelt, die Regelung in § 38 InsO, wonach Insolvenzgläubiger derjenige persönliche Gläubiger ist, der einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner hat. Für Steuerforderungen besteht dabei Einigkeit, dass die „Begründung“ im Sinne des § 38 InsO nicht gleichzusetzen ist mit dem „Entstehen“ der Steuerforderung nach § 38 AO. Auf die steuerliche Entstehung der Forderung und deren Fälligkeit kommt es nicht an2. Vielmehr ist grundsätzlich auf die Verwirklichung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Steuergesetze abzustellen, an welche die Besteuerung anknüpft. Welche Einzelumstände dies bei verschiedenen Steuerarten im konkreten Fall erfasst, lässt sich auf der Basis dieser Grundregel allerdings noch unterschiedlich beurteilen. 105 Der für das Umsatzsteuerrecht zuständige V. Senat des BFH hat in neuerer Zeit entschieden, dass sich die „Begründung“ steuerlicher Forderungen im Sinne von § 38 InsO und damit die Abgrenzung zwischen Masseverbindlichkeiten und Insolvenzforderungen danach bestimme, ob der den Umsatzsteueranspruch begründende Tatbestand nach den steuerrechtlichen Vorschriften bereits vor oder erst nach Insolvenzeröffnung „vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen“ ist; nicht maßgeblich sei lediglich der Zeitpunkt der Steuerentstehung nach § 13 UStG3. Indem so nicht nur die Ausführung des Umsatzes, sondern auch die Erfüllung von Tatbestandsmerkmalen wie die Vereinnahmung des Entgelts im Rahmen des § 38 InsO für beachtlich erklärt werden, werden Forderungen in einem weiteren Umfang der Einordnung als Insolvenzforderung entzogen. Soweit diese Tatbestandsmerkmale durch den Insolvenzverwalter verwirklicht werden, wird damit der Tatbestand des § 55 Abs. 1 InsO erfüllt, so dass die Umsatzsteuerforderung eine Masseverbindlichkeit darstellt. 106 Der I. Senat des BFH hat ein für § 38 InsO hinreichendes Entstehen einer Steuerforderung nur dann anerkennen wollen, wenn der anspruchsbegründende Tatbestand abgeschlossen ist und damit ein gesicherter Rechtsgrund für das Entstehen der Gegenforderung festgestellt werden kann, so dass ohne weitere Rechtshandlung eines Beteiligten der entsprechende Anspruch kraft Gesetzes entsteht. Das sei nicht der Fall, wenn der Anspruch z.B. einen – bei Verfahrenseröffnung noch nicht gefällten –
1 BFH v. 14.4.2011 – VII B 201/10, BFH/NV 2011, 1296 = ZIP 2011, 1376; vgl. auch BFH v. 19.3.2013 – II R 17/11, BStBl. II 2013, 639 = ZIP 2013, 1133 zur Versagung der Erteilung eines Kontoauszugs durch das Finanzamt. 2 Vgl. statt vieler BFH v. 18.5.2010 – X R 60/08, BStBl. II 2011, 429 Rz. 33; Roth in Pape/Uhländer, § 55 Rz. 25. 3 BFH v. 29.1.2009 – V R 64/07, BStBl. II 2009, 682 = ZIP 2009, 977 = NZI 2009, 447 m. Anm. de Weerth; BFHE 236, 274 = DStRE 2012, 749.
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Gewinnausschüttungsbeschluss voraussetze1. Auch der VII. Senat des BFH hatte darauf abgestellt, ob der zivilrechtliche Sachverhalt, der zur Entstehung eines Steueranspruchs führt, seinem Kern nach bereits vor Insolvenzeröffnung verwirklicht wurde2. Die Finanzverwaltung stützt sich inzwischen allgemein auf die Formulierung, dass eine Abgabenforderung – unabhängig von der steuerrechtlichen Entstehung – immer dann als Insolvenzforderung anzusehen ist, wenn ihr Rechtsgrund zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bereits gelegt war bzw. der den Steueranspruch begründende Tatbestand nach den steuerrechtlichen Vorschriften bereits vor der Insolvenzeröffnung vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen war, es sei denn, dass der Tatbestand der § 55 Abs. 2 oder 4 InsO erfüllt ist3. Aus Vorgängen im Insolvenzantragsverfahren ergeben sich Masseverbindlichkeiten nach Maßgabe der Regelungen in § 55 Abs. 2 InsO für Handlungen eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters sowie in § 55 Abs. 4 InsO speziell für Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis4.
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4. Verfahrensfragen a) Unterbrechung Das Steuerfestsetzungsverfahren, das Rechtsbehelfsverfahren und der Lauf der 108 Rechtsbehelfsfristen werden, soweit sie die Insolvenzmasse betreffen und abstrakt dazu geeignet sind, sich auf zur Tabelle anzumeldende Steuerforderungen auszuwirken, analog zu § 240 ZPO unterbrochen5. Eine Verfahrensunterbrechung tritt nicht ein, wenn keine Forderungen gegenüber der Insolvenzmasse für Zeiträume vor Insolvenzeröffnung geltend zu machen sind (z.B. im Falle einer Erstattung für die Masse)6. Die Unterbrechung endet, wenn das Rechtsbehelfsverfahren nach den für das Insol- 109 venzrecht geltenden Vorschriften aufgenommen oder das Insolvenzverfahren beendet wird. Eine gerichtliche Entscheidung, die nach dem Eintritt der Unterbrechung und vor der Aufnahme des Verfahrens ergeht, ist ohne rechtliche Wirkung7. Nimmt der Insolvenzverwalter ein finanzgerichtliches Verfahren als Aktivprozess auf, kommt eine notwendige Beiladung des Insolvenzschuldner gemäß § 60 III, § 123 I 2 FGO aufgrund der auf den Insolvenzverwalter übergangenen Rechtsstellung nicht in Betracht8. Ein noch nicht beschiedener Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach § 361 AO 110 bzw. § 69 FGO wird durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unzulässig9. Eine gewährte Aussetzung der Vollziehung erledigt sich mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens10. Entsprechendes gilt für Anträge auf Stundung und Vollstreckungsaufschub11. Die Ermittlungsrechte und -pflichten der Finanzbehörde (§ 88 AO) und die Mitwirkungspflichten des Schuldners, des vorläufigen Insolvenzverwalters und des Insolvenzverwalters (§ 34 Abs. 3 AO) bleiben von der Unterbrechungswirkung unberührt12. 1 Vgl. BFH v. 23.2.2011 – I R 20/10, BStBl. II 2011, 822 = BFHE 233, 114 = DStR 2011, 1029. 2 BFH v. 5.10.2004 – VII R 69/03, BFHE 208, 10 = NZI 2005, 276; Rüsken, NZI 2006, 330 (332). 3 Abschnitt 5.1 Abs. 1 Satz 2 AEAO zu § 251 in der ab 31.1.2014 geltenden Fassung mit Beispielen zu verschiedenen Steuerarten. 4 S. oben Rz. 85 ff. sowie unten bei den einzelnen Steuerarten Rz. 166 f., 181, 225 ff. 5 Vgl. BFH v. 16.4.2013 – VII R 44/12, BStBl. II 2013, 778 = ZIP 2013, 1871 = NZI 2013, 1086 = ZInsO 2013, 1951 Rz. 19; BFH v. 24.8.2004 – VIII R 14/02, BStBl. II 2005 246; Abschnitt 4.1.2 Abs. 1 AEAO zu § 251. 6 BFH v. 13.5.2009 – XI R 63/07 – BStBl. II 2010, 11; vgl. Abschnitt 4.1.2 Abs. 2 AEAO zu § 251. 7 BFH v. 17.7.2008 – I R 3/08; BFH v. 27.11.2003 – VII B 236/02, BFH/NV 2004, 366. 8 Vgl. BFH v. 12.5.2009 – VIII B 27/09, BFH/NV 2009, 1449. 9 Vgl. BFH v. 27.11.1974 – I R 185/73, BStBl. II 1975, 208; vgl. Abschnitt 4.1.3 Abs. 2 S. 1 AEAO zu § 251. 10 S. § 124 Abs. 2 AO i.V.m. § 41 Abs. 1 InsO; vgl. Abschnitt 4.1.3 Abs. 2 S. 2 AEAO zu § 251. 11 Vgl. Abschnitt 4.1.4 AEAO zu § 251. 12 Abschnitt 4.1.2 Abs. 4 AEAO zu § 251.
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Steuerrechtliche Beratung
Die Pflicht zur handels- und steuerrechtlichen Rechnungslegung ergibt sich aus § 155 InsO. 112 Verfahren gegen Dritte, die sich nicht in Insolvenz befinden, bleiben grundsätzlich von den Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens unberührt. Dies gilt z.B. für das Besteuerungsverfahren des nichtinsolventen Ehegatten/Lebenspartners des Schuldners, für das Besteuerungsverfahren der nichtinsolventen Gesellschafter einer Personengesellschaft und für Haftungsverfahren gegen GmbH-Geschäftsführer1. 113 Das (Gewinn-)Feststellungsverfahren wird nicht dadurch unterbrochen, dass über das Vermögen der Gesellschaft ein Insolvenzverfahren eröffnet wird, weil die steuerlichen Folgen der Gewinnfeststellung nicht die Insolvenzmasse, sondern ausschließlich die Gesellschafter treffen2. Die dementsprechend fortbestehende Pflicht zur Abgabe der Feststellungserklärung obliegt weiterhin den Gesellschaftern als Beteiligten (§§ 179 Abs. 1, 181 Abs. 2 AO), nicht dem Insolvenzverwalter über das Vermögen der Gesellschaft3. Eine ggf. bestehende Pflicht zur Abgabe einer Gewerbesteuererklärung bleibt davon unberührt4. Der Feststellungsbescheid ist den Gesellschaftern einzeln bekannt zu geben, da die Gesellschaft durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöst wird5. Wurde eine Empfangsvollmacht gem. § 183 Abs. 1 Satz 1 AO erteilt, ist jedoch weiterhin eine Bekanntgabe gem. § 183 Abs. 3 AO an den Empfangsbevollmächtigten möglich. 114 Ist der Schuldner Gesellschafter einer Personengesellschaft, führt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu einer Unterbrechung des (Gewinn-)Feststellungsverfahren ausschließlich hinsichtlich der Feststellung des Anteils dieses Gesellschafters. Diese Unterbrechung hindert den Fortgang des (Gewinn-)Feststellungsverfahrens gegenüber den übrigen Beteiligten nicht. Insoweit wird vom Grundsatz der Einheitlichkeit des Feststellungsverfahrens (§ 179 Abs. 2 Satz 2 AO) abgewichen6. Das für die Besteuerung des insolventen Feststellungsbeteiligten zuständige Finanzamt hat das für die Durchführung der gesonderten und einheitlichen Feststellung zuständige Finanzamt unverzüglich über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu unterrichten7. b) Erlass von Bescheiden 115 Während des Insolvenzverfahrens dürfen hinsichtlich Insolvenzforderungen grundsätzlich keine Bescheide über die Festsetzung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis und keine Bescheide, die Besteuerungsgrundlagen feststellen oder Steuermessbeträge festsetzen, welche die Höhe der zur Insolvenztabelle anzumeldenden Steuerforderungen beeinflussen können, erlassen werden. Ein gleichwohl erlassener Steuerbescheid über einen Steueranspruch, der eine Insolvenzforderung betrifft, ist unwirksam8. 116 Bescheide, die einen Erstattungsanspruch zugunsten der Insolvenzmasse festsetzen, oder Festsetzungen von Steuermessbeträgen, die sich für den Schuldner vorteilhaft auswirken, können ergehen. Beispielsweise ist das Finanzamt berechtigt, Umsatzsteuerbescheide zu erlassen, in denen eine negative Umsatzsteuer für einen Besteuerungszeitraum vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens festgesetzt wird, sofern sich daraus keine Zahllast ergibt9.
1 Vgl. Abschnitt 4.1.5 Abs. 4 AEAO zu § 251. 2 BFH v. 24.7.1990 – VIII R 194/84, BStBl. II 1992, 508; vgl. Abschnitt 4.4.1.1 Abs. 3 AEAO zu § 251. 3 Vgl. Abschnitt 4.4.1.1 Abs. 4 S. 2 AEAO zu § 251. 4 Vgl. Abschnitt 4.4.1.1 Abs. 4 S. 4 AEAO zu § 251. 5 § 183 Abs. 2 AO; vgl. Abschnitt 4.4.1.1 Abs. 5 S. 1 AEAO zu § 251. 6 Vgl. Abschnitt 4.4.1.2 Abs. 1 AEAO zu § 251. 7 Abschnitt 4.4.1.2 Abs. 2 AEAO zu § 251. 8 BFH v. 18.12.2002 – I R 33/01, BStBl. II 2003, 630 = NJW 2003, 2335 = ZIP 2003, 1212 = NZI 2003, 456; vgl. Abschnitt 4.3.1 Abs. 1 AEAO zu § 251. 9 BFH v. 13.5.2009 – XI R 63/07, BStBl. II 2010, 11 = ZIP 2009, 1631 = DStR 2009, 1644 = ZInsO 2009, 1604; vgl. Abschnitt 4.3.1 Abs. 2 AEAO zu § 251.
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Steuerrechtliche Fragestellungen im erçffneten Insolvenzverfahren
Rz. 124
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Steuerfestsetzungen i.H.v. 0 v können ebenfalls durchgeführt werden, da sich hieraus 117 keine vollstreckbaren Ansprüche ergeben und somit die Schutzbestimmungen der §§ 87, 89, 174 InsO nicht berührt sind1. Weiterhin können folgende Verwaltungsakte ergehen2: 118 – Verwaltungsakte nach § 251 Abs. 3 AO (ggf. neben einer Bekanntgabe an den widersprechenden Gläubiger, § 179 Abs. 1 InsO), – Gewerbesteuermessbetragsbescheide (§ 184 AO) und Zerlegungsbescheide (§ 188 AO) nach einem Widerspruch gegen die Anmeldung von Gewerbesteuerforderungen zur Insolvenztabelle durch die erhebungsberechtigte Körperschaft3, – Bescheide, die Besteuerungsgrundlagen feststellen, die eine vom Insolvenzverwalter im Prüfungstermin bestrittene Steuerforderung betreffen4. Für diese Verwaltungsakte ist Bekanntgabeadressat der Insolvenzverwalter5.
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Masseverbindlichkeiten können dagegen während des Insolvenzverfahrens durch Bescheid gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend gemacht werden.
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Bei der Geltendmachung von Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO ist zu 121 beachten, dass in den Fällen, in welchen bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Steuerfestsetzung oder Steueranmeldung durch den Schuldner erfolgt ist, keine neue Bekanntgabe gegenüber dem Insolvenzverwalter stattfindet. Statt dessen werden die noch nicht getilgten Verbindlichkeiten mittels Leistungsgebot mit der ursprünglichen Fälligkeit und unter Aufführung der bereits entstandenen und noch nicht getilgten Nebenleistungen (insbesondere Verspätungszuschläge) gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend gemacht6. Wenn im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des 122 Gesellschafters einer Personengesellschaft noch kein (Gewinn-)Feststellungsbescheid vorliegt, gilt für die Besteuerung des Anteils des insolventen Beteiligten Folgendes7: Eine Unterscheidung zwischen Insolvenz- und Masseforderungen ist bereits im (Gewinn)Feststellungsbescheid gegenüber dem in Insolvenz befindlichen Mitunternehmer vorzunehmen. Werden durch die gesonderte und einheitliche Feststellung gegenüber dem Schuldner (insolventer Feststellungsbeteiligter) sowohl Besteuerungsgrundlagen, welche der Anmeldung von Insolvenzforderungen dienen, als auch Besteuerungsgrundlagen, welche der Festsetzung von Masseforderungen dienen, festgestellt, so sind die Besteuerungsgrundlagen, welche der Anmeldung von Insolvenzforderungen dienen, gesondert aufzuführen. Dieser Bescheid ist dem Insolvenzverwalter bekannt zu geben. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass der Bescheid, soweit er Besteuerungsgrundlagen betrifft, die der Anmeldung von Insolvenzforderungen dienen, lediglich ein „informatorischer Bescheid“ über die Berechnungsgrundlage ist8. In Fällen der Eigenverwaltung ist der Schuldner Bekanntgabeadressat9 für sämtliche 123 Bescheide, die im Regelinsolvenzverfahren an den Insolvenzverwalter zu adressieren sind. c) Feststellung von Insolvenzforderungen zur Tabelle und nachträgliche Änderungen Werden zur Insolvenztabelle angemeldete Ansprüche aus dem Steuerschuldverhält- 124 nis ohne Widerspruch in die Tabelle eingetragen, kommt der Eintragung dieselbe Wirkung wie der beim Bestreiten vorzunehmenden Feststellung gemäß § 185 InsO
1 2 3 4 5 6 7 8 9
BFH v. 10.12.2008 – I R 41/07, BFH/NV 2009, 719; vgl. Abschnitt 4.3.1 Abs. 3 AEAO zu § 251. Vgl. Abschnitt 4.3.1 Abs. 4 AEAO zu § 251. BFH v. 2.7.1997 – I R 11/97, BStBl. II 1998, 428. BFH v. 1.4.2003 – I R 51/02, BStBl. II 2003, 779. Vgl. Abschnitt 4.3.1 Abs. 4 S. 2 AEAO zu § 251. Vgl. Trottner, nwb 2012, 920 (925). Vgl. Abschnitt 4.4.1.2 Abs. 3 ff. AEAO zu § 251. Vgl. BFH v. 24.8.2004 – VIII R 14/02, BStBl. II 2005, 246. Vgl. Abschnitt 4.3.1 Abs. 5 AEAO zu § 251.
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§ 11
Rz. 125
Steuerrechtliche Beratung
i.V.m. § 251 Abs. 3 AO zu und kann wie diese unter den Voraussetzungen des § 130 AO geändert werden1. 5. Aufrechnung mit Steuerforderungen 125 Das Interesse an einer Aufrechnung besteht für das Finanzamt insbesondere im Hinblick auf Steuerforderungen, die als Insolvenzforderungen einzuordnen sind und daher ohne die Möglichkeit einer Aufrechnung lediglich mit der Insolvenzquote bedient werden. 126 Die Wirksamkeit einer vom Finanzamt erklärten Aufrechnung setzt nach § 226 Abs. 1 AO 1977 i.V.m. § 387 BGB zunächst das Bestehen einer Aufrechnungslage voraus. Die Gleichartigkeit der aufzurechnenden Forderungen nach § 387 BGB ist dabei gegeben, wenn beide auf Geld gleicher Währungseinheit lauten, nicht erforderlich ist, dass sie die gleiche Steuer betreffen2. Daneben sind auch im Fall einer Aufrechnung durch das Finanzamt die insolvenzrechtlichen Beschränkungen der Aufrechnungsmöglichkeiten in §§ 95, 96 InsO zu beachten. a) Gegenforderung (Forderung, mit der aufgerechnet werden soll) 127 Erforderlich ist insbesondere, dass die Forderung, mit der das Finanzamt gegen die dem Insolvenzschuldner zustehende Forderung aufrechnet, im Zeitpunkt der Abgabe der Aufrechnungserklärung fällig ist. Unabhängig davon, ob außerhalb eines Insolvenzverfahrens für das Fälligwerden einer Steuerforderung eine Steuerfestsetzung erforderlich wäre, kann das Finanzamt im Insolvenzverfahren mit Forderungen aufrechnen, die vor Verfahrenseröffnung entstanden sind, ohne dass es deren vorheriger Festsetzung, Feststellung oder Anmeldung zur Insolvenztabelle bedarf3. b) Hauptforderung (Forderung, gegen die aufgerechnet werden soll) 128 Anders als bei Forderungen gegen den Insolvenzschuldner, bei denen die Entstehung der Forderung vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen der Einordnung als Insolvenzforderung oder Masseverbindlichkeit einen erheblichen Unterschied bedeutet, ist es regelmäßig unerheblich, ob eine Forderung des Insolvenzschuldners vor oder nach der Verfahrenseröffnung entstanden ist, da grundsätzlich sämtliche Forderungen in die Insolvenzmasse fallen und vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden können. Bedeutung hat die Frage, ob eine in die Insolvenzmasse fallende Forderung vor oder nach Verfahrenseröffnung begründet wurde, jedoch nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO, der eine Aufrechnung ausschließt, soweit der Insolvenzgläubiger dem Schuldner erst nach Verfahrenseröffnung etwas schuldig geworden ist. 129 Im Fall der Masseunzulänglichkeit gilt in entsprechender Anwendung von § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO, dass Neuforderungen, die erst nach Feststellung der Masseunzulänglichkeit begründet worden sind, nicht zur Aufrechnung gestellt werden4. 130 Im Rahmen der Aufrechnung kann darüber hinaus auch der Zeitpunkt der Durchsetzbarkeit der Forderung des Insolvenzschuldners, gegen die aufgerechnet werden soll, Bedeutung erlangen. So schließt § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO bei vollständiger Erfüllung der für eine Aufrechnung erforderlichen Voraussetzungen erst im Verfahren die Aufrechnung aus, wenn die Forderung, gegen die aufgerechnet werden soll, (also die Hauptforderung des Insolvenzschuldners) unbedingt und fällig wird, bevor die Aufrechnung erfolgen kann. In diesem Fall gab es nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zumindest einen kurzen Zeitraum, in welchem der Insolvenzverwalter bereits die Erfüllung vom anderen Teil fordern konnte, ohne dass diesem die Einrede der
1 BFH v. 24.11.2011 – V R 13/11, BStBl. II 2012, 298 = ZIP 2011, 2481. 2 BFH v. 10.5.2007 – VII R 18/05, BStBl. II 2007, 914 = ZIP 2007, 1514. 3 BFH v. 10.5.2007 – VII R 18/05, BStBl. II 2007, 914 = ZIP 2007, 1514; BFH v. 4.5.2004 – VII R 45/03, BStBl. II 2004, 815 = ZIP 2004, 1423 = DStR 2004, 1172. 4 Vgl. BFH v. 4.3.2008 – VII R 10/06, BStBl. II 2008, 506 = ZIP 2008, 886 zum Vorsteuervergütungsanspruch aus der Insolvenzverwaltervergütung.
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Steuerrechtliche Fragestellungen im erçffneten Insolvenzverfahren
Rz. 133
§ 11
Aufrechenbarkeit entgegenstand. Diese für die Insolvenzmasse vorteilhafte Position wird durch das Aufrechnungsverbot bewahrt. Für den Fiskus hatte der VII. Senat des BFH zunächst eine Aufrechnungsmöglichkeit 131 gegen steuerliche Erstattungs- und Vergütungsforderungen bejaht, wenn dieser „ihrem Kern nach“ bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet waren. Parallel zur Abgrenzung von Insolvenzforderungen nach § 38 InsO sollte diese „Begründetheit dem Kern nach“ vorliegen, wenn der Sachverhalt, der zu der Entstehung des steuerlichen Anspruchs führte, vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwirklicht wurde1. Insoweit wurde ein Erstattungs- oder Vergütungsanspruch in Bezug auf eine vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandene Steuer als eine vor Eröffnung des Verfahrens aufschiebend bedingt begründete Forderung eingeordnet. Die Aufrechnung der Finanzbehörde sollte gemäß § 95 InsO im Verfahren möglich werden, sobald das als aufschiebende Bedingung zu behandelnde, die Erstattung, Vergütung oder sonst die Rückführung der steuerlichen Belastung auslösende Ereignis selbst – z.B. die Notwendigkeit einer Berichtigung der Umsatzsteuer gem. § 17 UStG – nach Eröffnung des Verfahrens eintrete. Nach der jüngsten Rechtsprechung des VII. Senats des BFH ist dagegen für die Anwendung des Aufrechnungsverbots nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem der materiell-rechtliche Berichtigungstatbestand des § 17 Abs. 2 UStG verwirklicht wird2. Einer Aufrechnung des Finanzamtes kann, wie auch in der Rechtsprechung des BFH 132 inzwischen ausgesprochen, auch der Umstand entgegenstehen, dass die Aufrechnungslage in anfechtbarer Weise entstanden ist (§ 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO). Hieran scheitert insbesondere die Verrechnung von Insolvenzforderungen des Finanzamtes mit einem aus der Vergütungszahlung an den vorläufigen Insolvenzverwalter resultierenden Vorsteuervergütungsanspruch des Insolvenzschuldners3. c) Sonderfall der umsatzsteuerlichen Zwangsverrechnung Keinen Fall der den §§ 94 ff. InsO unterliegenden Aufrechnung stellt nach der Recht- 133 sprechung des BFH die im Rahmen der Ermittlung der Umsatzsteuer vorzunehmende Verrechnung von Steuer- und Vorsteuerbeträgen dar4. Die im Rahmen der Steuerberechnung nach §§ 16 ff. UStG miteinander zu saldierenden Steueransprüche, Vorsteuerbeträge und Berichtigungen werden dabei lediglich als unselbständige Besteuerungsgrundlagen innerhalb einer Steuerberechnung und Steuerfestsetzung angesehen. Erst wenn sich bei der Steuerberechnung gemäß §§ 16 ff. UStG als Saldo eine Steuerschuld oder – als Vergütungsanspruch – ein rechnerischer Überschuss und damit eine „negative Steuerschuld“ zugunsten des Unternehmers ergibt, bestehe ein selbständiger und damit abtretbarer oder aufrechenbarer Steueranspruch oder Vergütungsanspruch. Die Steuerberechnung nach §§ 16 ff. UStG lasse sich auch nicht mit einer rechtsgeschäftlich vereinbarten Verrechnungsabrede im Kontokorrent vergleichen. Schließlich habe die Steuerberechnung nach §§ 16 ff. UStG keine gläubigerbenachteiligende Wirkung und sei keine anfechtbare Rechtshandlung i.S. der §§ 129 ff. InsO5.
1 Vgl. statt aller BFH v. 17.4.2007 – VII R 27/06, BStBl. II 2009, 589 = ZIP 2007, 1166 = ZInsO 2007, 664 = BFHE 217, 8 = DStRE 2007, 1057; BFH v. 21.9.1993 – VII R 119/91, BStBl. II 1994, 83 = BFHE 172, 308 = BB 1994, 415. 2 BFH v. 25.7.2012 – VII R 29/11, BStBl. II 2013, 36 = ZIP 2012, 2217 = NZI 2012, 1022; vgl. zu dieser Rechtsprechungsentwicklung und den Auswirkungen auf die Insolvenzpraxis auch Kahlert, ZIP 2013, 500. 3 Vgl. BFH v. 2.11.2010 – VII R 6/10, BStBl. II 2011, 374 = NJW 2011, 957. 4 BFH v. 25.7.2012 – VII R 44/10, BStBl. II 2013, 33 = ZIP 2012, 2220; BFH v. 24.11.2011 – V R 13/11, BStBl. II 2012, 298 = ZIP 2011, 2481 = NZI 2012, 96. 5 Noch weitergehend Stadie, UR 2013, 158, der eine Aussonderungsfähigkeit der vom Leistungsempfänger vereinnahmten Umsatzsteuerbeträge annimmt und eine gläubigerbenachteiligende Wirkung daher für ausgeschlossen hält.
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§ 11
Rz. 134
Steuerrechtliche Beratung
134 Dabei ist zu berücksichtigen, dass es für den laufenden Besteuerungszeitraum, für welchen noch kein Jahressteuerbescheid ergangen ist, nicht bei der nach Umsatzsteuervoranmeldungszeiträumen differenzierenden Betrachtung bleibt. Für die Zwecke des Insolvenzverfahrens hat nach der Rechtsprechung vielmehr eine einheitliche Berechnung der Umsatzsteuer für den laufenden Besteuerungszeitraum bis zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach §§ 16 ff. UStG zu erfolgen. Fragen der Aufrechnung stellen sich damit auch in diesem Rahmen nicht. Dies erfasst insbesondere Fälle, in welchen sich aus den Umsatzsteuervoranmeldungen für die ersten Voranmeldungszeiträume des im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens laufenden Besteuerungszeitraumes Ansprüche auf Steuervergütungen ergeben haben und wegen der erforderlichen Korrekturen im Zusammenhang mit der Insolvenz für den letzten Voranmeldungszeitraum eine Umsatzsteuerverbindlichkeit bestehen würde1. Relevant werden Aufrechnungsmöglichkeiten und ihre Grenzen im Zusammenhang mit der Umsatzsteuer daher lediglich noch, wenn es um eine Aufrechnung mit Forderungen oder Verbindlichkeiten aus zurückliegenden Besteuerungszeiträumen oder aus anderen Steuerarten geht. 6. Steuerliche Folgen besonderer insolvenzrechtlicher Verfahrensgestaltungen a) Steuerrechtliche Stellung des Sachwalters bei Eigenverwaltung 135 Wird im Insolvenzverfahren die Eigenverwaltung angeordnet (§§ 270 ff. InsO), ist der Schuldner selbst steuerlich als Vertreter der Insolvenzmasse i.S.v. §§ 34, 35 AO anzusehen. Daher ist er Bekanntgabeadressat für alle die Insolvenzmasse betreffenden Verwaltungsakte. Auswirkungen auf das Besteuerungsverfahren (z.B. die Veranlagungszeiträume) ergeben sich durch die Anordnung der Eigenverwaltung nicht. 136 Der vom Gericht bestellte Sachwalter (§ 274 InsO), der im wesentlichen Aufsichtsund Kontrollfunktionen ausübt, kann dagegen nicht als Vertreter i.S. der §§ 34, 35 AO angesehen werden. Dem Sachwalter dürfen von den Steuerbehörden daher keine Auskünfte erteilt werden. Das Steuergeheimnis steht jedoch Auskünften oder Mitteilungen an den Sachwalter nicht entgegen, soweit dies für Besteuerungszwecke erforderlich ist (z.B. Anmeldung der Insolvenzforderungen beim Sachwalter gem. § 270 Abs. 3 Satz 2 InsO)2. b) Verbraucherinsolvenzverfahren 137 Anstelle des Treuhänders nach § 313 InsO a.F. wird mit Wirkung ab 1.7.2014 auch im Verbraucherinsolvenzverfahren ein Insolvenzverwalter gem. § 56 InsO bestellt. Dieser erhält im Regelinsolvenzverfahren die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners. Er wird damit Vermögensverwalter i.S. des § 34 Abs. 3 AO. c) Steuerforderungen im Insolvenzplan 138 Die Fälle der Planinsolvenz (§§ 217 ff. InsO) fallen originär unter den Anwendungsbereich des Sanierungserlasses3. 139 Eine im Insolvenzverfahren bestehende Aufrechnungsbefugnis wird durch den Insolvenzplan jedenfalls dann nicht berührt, wenn die Aufrechnungsmöglichkeit dem Insolvenzverwalter erkennbar war und bei der Gestaltung berücksichtigt werden konnte4.
1 Vgl. die Sachverhaltsgestaltung in BFH v. 25.7.2012 – VII R 44/10, BStBl. II 2013, 33 = ZIP 2012, 2220. 2 Vgl. Verfügung betr. Auskunftserteilung in Angelegenheiten des Insolvenzrechts v. 12.6.2012, LfSt Bayern S 0130.2.1-102/1 St42. 3 Vgl. BMF v. 22.12.2009 – IV C 6 - S 2140/07/10001 – BStBl I 2010, 18. 4 BGH v. 19.5.2011 – IX ZR 222/08, NZI 2011, 538; kritisch zur uneingeschränkten Anwendbarkeit auf die Aufrechnung durch das Finanzamt Mertzbach, GmbHR 2013, 75 (76 f.).
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Steuerrechtliche Fragestellungen im erçffneten Insolvenzverfahren
Rz. 145
§ 11
Nicht abschließend geklärt ist die Anwendbarkeit der Liquidationsbesteuerung nach 140 § 11 Abs. 7 KStG im Rahmen eines auf die Fortsetzung der Gesellschaft zielenden Insolvenzplanverfahrens. Hierzu wird in der Literatur teilweise vertreten, dass es in jedem Fall mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu einer Liquidationsbesteuerung i.S.v. § 11 KStG kommt1. d) Steuerforderungen bei Restschuldbefreiung aa) Schuldenbereinigungsplan Dem Verbraucherinsolvenzverfahren ist nach §§ 305 ff. InsO der Versuch einer außer- 141 gerichtlichen Einigung mit den Gläubigern im Rahmen eines Schuldenbereinigungsplanes zwingend vorgeschaltet. Das Erfordernis wird auch mit der Reform des Verbraucherinsolvenzverfahrens beibehalten. Gegenüber einer eingeschalteten Schuldnerberatungsstelle dürfen die Finanzbehör- 142 de Auskünfte erteilen, wenn diese nach landesspezifischen Regelungen als geeignet anerkannt ist, da in diesem Fall von einer Zustimmung nach § 30 Abs. 4 Nr. 3 AO auszugehen ist. Die Anerkennung als geeignete Stelle i.S.d. § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO richtet sich nach den jeweiligen Landesausführungsgesetzen, beispielsweise in Bayern nach dem Bayerischen Gesetz zur Ausführung des Verbraucherinsolvenzverfahrens nach der Insolvenzordnung (AGInsO) vom 17.11.19982. Bestehen über die Anerkennung als geeignete Stelle Zweifel, ist die ausdrückliche schriftliche Zustimmung des Schuldners einzuholen, bevor dem Steuergeheimnis unterliegende Verhältnisse gegenüber der Schuldnerberatung offenbart werden3. Als Rechtsgrundlage für einen vor dem Finanzgericht einklagbaren Anspruch auf Be- 143 teiligung des Finanzamts an einem Schuldenbereinigungsverfahren kommt allein die Regelung betreffend den Billigkeitserlass einer Steuerforderung (§ 227 AO) in Betracht4. Dabei begründet nach Auffassung des BFH ein unmittelbar drohender Widerruf der Rechtsanwaltszulassung die Erlassbedürftigkeit nicht, da einem Rechtsanwalt selbst Tätigkeiten ohne juristische Qualifikationsanforderungen grundsätzlich zumutbar seien5. Im Verfahren gem. § 309 InsO kann dabei auch die fehlende Zustimmung eines Finanz- 144 amts zum Schuldenbereinigungsplan ersetzt werden. Eine dem Rechtsbehelfsverfahren nach der AO bzw. dem Klageverfahren nach der FGO vorbehaltene Entscheidung über die Aufhebung eines Steuerverwaltungsakts wird mit der Entscheidung des Insolvenzgerichts, durch welche die fehlende Zustimmung des Finanzamts ersetzt wird, nicht getroffen. Die Ersetzung der Zustimmung erfordert nicht, dass die Voraussetzungen eines Erlasses nach § 227 AO oder einer Stundung gem. § 222 AO gegeben sind6. Nach gerichtlicher Ersetzung der Zustimmung des Finanzamts zu dem Schulden- 145 bereinigungsplan können die hiervon betroffenen Abgabenansprüche nur in der Art und Weise, in der Höhe und zu dem Zeitpunkt geltend gemacht werden, die von dem festgestellten Schuldenbereinigungsplan gedeckt ist. In diesem Fall kann die Finanzbehörde nicht wirksam mit einem Steuererstattungsanspruch gegen eine nach dem Schuldenbereinigungsplan noch nicht fällige Leistungsverpflichtung des Abgabenschuldners aufrechnen. Die Einwendungen der unzutreffenden Berücksichtigung von Abgabenforderungen, der wirtschaftlichen Schlechterstellung des Finanzamts durch Ausschluss der Aufrechnung oder der Erforderlichkeit einer Wiederauflebensklausel
1 Vgl. Mertzbach, GmbHR 2013, 75 (80) m.w.N. auch zu der Abwicklungsmaßnahmen voraussetzenden Gegenauffassung. 2 GVBl. 1998, S. 414. 3 Vgl. Verfügung betr. Auskunftserteilung in Angelegenheiten des Insolvenzrechts v. 12.6.2012, LfSt Bayern S 0130.2.1-102/1 St42. 4 Vgl. BFH v. 26.10.2011 – VII R 50/10, BFH/NV 2012, 552 Leitsatz 1. 5 Vgl. BFH v. 26.10.2011 – VII R 50/10, BFH/NV 2012, 552 Leitsatz 3. 6 OLG Köln v. 28.8.2000 – 2 W 37/00, NZI 2000, 596.
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§ 11
Rz. 146
Steuerrechtliche Beratung
können allein im insolvenzgerichtlichen Beschlussverfahren geltend gemacht werden1. bb) Wohlverhaltensphase 146 Verlegt der Insolvenzschuldner während der Wohlverhaltensphase seinen Wohn- und/ oder Betriebssitz in einen anderen Finanzamtsbezirk, tritt der Zuständigkeitswechsel unmittelbar ein und die Besteuerung ist von dem neu zuständig gewordenen Finanzamt durchzuführen. Die Regelung des § 26 S. 3 AO greift nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens nicht mehr2. 147 Einer Aufrechnung des Finanzamtes als Insolvenzgläubiger gegen einen Steuererstattungsanspruch des Insolvenzschuldners steht in der Wohlverhaltensphase weder ein allgemeines Aufrechnungsverbot für Insolvenzgläubiger noch die spezielle Aufrechnungsbeschränkung des § 294 Abs. 3 InsO entgegen3. cc) Erteilung der Restschuldbefreiung 148 Der aufgrund einer erteilten Restschuldbefreiung entstandene Gewinn stellt kein rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 AO dar und ist damit erst im Zeitpunkt der Erteilung der Restschuldbefreiung realisiert4. 149 Der Sanierungserlass vom 27.3.2003 ist auf Gewinne aus einer Restschuldbefreiung (§§ 286 ff. InsO) und aus einer Verbraucherinsolvenz (§§ 304 ff. InsO) entsprechend anzuwenden. Unter den in diesem Schreiben beschriebenen Voraussetzungen ist daher auch die aufgrund einer Restschuldbefreiung (§§ 286 ff. InsO) oder einer Verbraucherinsolvenz (§§ 304 ff. InsO) entstehende Steuer auf Antrag des Steuerpflichtigen nach § 163 AO abweichend festzusetzen und nach § 222 AO mit dem Ziel des späteren Erlasses (§ 227 AO) zunächst unter Widerrufsvorbehalt ab Fälligkeit5 zu stunden. Erforderlich ist daher auch insoweit eine Erlassbedürftigkeit und Erlasswürdigkeit. Da es hier um die Besteuerung einer natürlichen Person geht, ergibt sich lediglich die Besonderheit, dass der Ausschluss einer Begünstigung einer unternehmerbezogenen Sanierung6 nicht anzuwenden ist7. Vorrangig ist in diesen Fällen allerdings zunächst einmal die Frage zu prüfen, ob überhaupt ein steuerlicher Gewinn realisiert wird, was bei privaten Verbindlichkeiten oder Einkommensteuerrückständen, auf welche sich die Restschuldbefreiung bezieht, nicht der Fall ist8. 150 Im Hinblick auf Steuerverbindlichkeiten, die Insolvenzforderungen darstellen, werden Anfechtungsklagen gegen die Steuerfestsetzung ebenso wie Verpflichtungsklagen auf Gewährung eines Erlasses gem. § 227 AO oder einer Billigkeitsmaßnahme gem. § 163 AO mit der Gewährung der Restschuldbefreiung unzulässig9. Durch die Restschuldbefreiung entfällt in diesen Fällen das Rechtsschutzbedürfnis10. VI. Besonderheiten einzelner Steuerarten in der Insolvenz 1. Einkommensteuer 151 Ertragsteuerliche Auswirkungen hat die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder gegebenenfalls bereits die Einsetzung eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters, so1 FG Düsseldorf v. 8.12.2006 – 18 K 2707/05 AO, BeckRS 2006, 26022634; zur Aufrechnung durch das Finanzamt vor dem Beschluss über die Ersetzung der Zustimmung zum Schuldenbereinigungsplan vgl. FG Sachsen-Anhalt v. 28.3.2012 – 2 K 1134/11, BeckRS 2013, 94686. 2 Vgl. Finanzministerium des Landes NRW v. 10.1.2011, S 0127, FMNR012400011. 3 Vgl. BFH v. 7.1.2007 – VII B 118/09, BFH/NV 2010, 950; BFH v. 21.11.2006 – VII R 1/06, BFHE 216, 1 = BStBl. II 2008, 272; BGH v. 21.7.2005 – IX ZR 115/04, BGHZ 163, 391. 4 BMF v. 22.12.2009 – IV C 6 - S 2140/07/10001, BStBl. I 2010, 18. 5 Vgl. hierzu Abs. 6 Buchstabe a AEAO zu § 240. 6 Rz. 2 Satz 2 des BMF-Schreibens v. 27.3.2003. 7 BMF v. 22.12.2009 – IV C 6-S 2140/07/10001, BStBl. I 2010, 18. 8 Schwedhelm/Olbing/Binnewies, GmbHR 2012, 1269 (1274). 9 Vgl. die Fallgestaltung in BFH v. 28.2.2012 – VIII R 2/08, BFH/NV 2012, 1135 m. Anm. Lindwurm, AO-StB 2012, 168. 10 Vgl. FG Hamburg v. 15.8.2011 – 3 K 132/11, EFG 2011, 2180.
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Besonderheiten einzelner Steuerarten in der Insolvenz
Rz. 159
§ 11
weit die steuerlichen Verhältnisse auf der Vertretungs- oder Verfügungsmacht hinsichtlich bestimmter Gegenstände aufsetzen. a) Betriebsaufspaltung Die mitunternehmerische Betriebsaufspaltung hat zur Folge, dass die von der Besitz- 152 gesellschaft an die Betriebsgesellschaft überlassenen Wirtschaftsgüter für die Dauer der Betriebsaufspaltung als Betriebsvermögen der Besitzgesellschaft behandelt werden1. Eine Betriebsaufspaltung endet, wenn die persönliche Verflechtung dadurch entfällt, 153 dass über das Vermögens des Betriebs- oder Besitzunternehmens oder über beide das Insolvenzverfahren eröffnet wird2. In Folge des Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter ist die sowohl Besitz- als auch Betriebsunternehmen beherrschende Person oder Personengruppe nicht länger in der Lage, ihren geschäftlichen Willen in der Betriebsgesellschaft durchzusetzen. Das Ende der Betriebsaufspaltung hat für die Besitzgesellschaft eine Betriebsaufgabe zur Folge, wenn nicht die Voraussetzungen für eine Betriebsverpachtung vorliegen3.
154
b) Wahlrechte in der steuerlichen Veranlagung durch Eheleuten/Lebenspartnern Zur Ermittlung des Umfangs der gegenüber den jeweiligen insolvenzrechtlichen Ver- 155 mögensbereichen festzusetzenden Steuern bzw. zur Tabelle anzumeldenden Steuerforderungen im Fall der Zusammenveranlagung von Ehegatten/Lebenspartnern vgl. die ausführliche Darstellung in Abschnitt 9.1.2 AEAO zu § 251. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Ehegatten muss 156 der Anspruch auf Zustimmung zur Zusammenveranlagung gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend gemacht werden. Es handelt sich hierbei nicht um ein höchstpersönliches Recht des Schuldners4. § 1353 Abs. 1 BGB verpflichtet den Ehegatten, in eine Zusammenveranlagung einzuwilligen, sofern dadurch die Steuerschuld des anderen verringert und sich hierdurch für den auf Zustimmung in Anspruch genommenen Schuldner keine steuerlichen Nachteile ergeben. Der Insolvenzverwalter darf die Zustimmung daher nicht davon abhängig machen, dass sich der Ehegatte zur Auszahlung des durch die Zusammenveranlagung erzielten Steuervorteils verpflichtet5. Das Steuerklassenwahlrecht für den Insolvenzschuldner geht dagegen nicht auf den Insolvenzverwalter über6.
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c) Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit Nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind Masseverbindlichkeiten insbesondere Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören.
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Die aus der Verwertung der Insolvenzmasse sich ergebende Einkommensteuerschuld 159 ist in einem auf den Zeitraum nach Insolvenzeröffnung beschränkten Einkommensteuerbescheid gegenüber dem Insolvenzverwalter festzusetzen. Die einheitliche Einkommensteuerschuld ist zu diesem Zweck gegebenenfalls aus Sicht des Finanz1 Vgl. BFH v. 30.8.2007 – IV R 50/05, BStBl. II 2008, 129 = DStR 2007, 2201 Rz. 18. 2 Vgl. BFH v. 30.8.2007 – IV R 50/05, BStBl. II 2008, 129 = DStR 2007, 2201; BFH v. 6.3.1997 – XI R 2/96, BStBl. II 1997, 460 = ZIP 1997, 1199. 3 Vgl. z.B. BFH v. 14.3.2006 – VIII R 80/03, BFHE 212, 541 = BStBl. II 2006, 591, m.w.N. 4 Vgl. BFH v. 22.3.2011 – III B 114/09, BFH/NV 2011, 1142 = ZIP 2011, 1162 Rz. 12 unter Verweis auf BFH v. 21.6.2007 – III R 59/06, BFHE 218, 281 = BStBl. II 2007, 770 sowie BGH v. 24.5.2007 – IX ZR 8/06, NJW 2007, 2556. 5 BGH v. 18.11.2010 – IX ZR 240/07, NZI 2011, 615 = ZInsO 2011, 47 = ZIP 2010, 2515 = ZVI 2011, 414; BGH v. 18.5.2011 – XII ZR 67/09, NZI 2011, 647 = ZInsO 2011, 1460 = ZIP 2011, 1527. 6 BFH v. 27.7.2011 – VI R 9/11, BFH/NV 2011, 2111 = ZIP 2011, 2118.
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§ 11
Rz. 160
Steuerrechtliche Beratung
amtes in eine Insolvenzforderung, eine Masseforderung und eine insolvenzfreie Forderung aufzuteilen1. Der gegen die Masse gerichtete Bescheid ist ein gegenständlich beschränkter Steuerbescheid, mit dem die Einkommensteuer festgesetzt wird; er ist Teil des Festsetzungsverfahrens. aa) Verwertung der Insolvenzmasse 160 Die Einkommensteuerschuld, die aus der Verwertung der zur Insolvenzmasse (und zum Betriebsvermögen) gehörenden Wirtschaftsgüter resultiert, ist als sonstige Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu qualifizieren. Nach Auffassung des Thüringer FG ist der für das Jahr der Insolvenzeröffnung festgesetzte Einkommensteueranspruch auch Masseverbindlichkeit, soweit er sich auf den Gewinn aus der Veräußerung von Anlagegegenständen bezieht, die der Insolvenzschuldner, der seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt, schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens veräußert hat, wenn das entsprechende Entgelt erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vereinnahmt wird2. 161 Ist das verwertete Wirtschaftsgut mit Absonderungsrechten belastet, stellt die aus der Verwertung resultierende Einkommensteuerschuld auch dann in voller Höhe eine Masseverbindlichkeit dar, wenn der – nach Vorwegbefriedigung der absonderungsberechtigten Gläubiger – tatsächlich zur Masse gelangte Erlös nicht ausreicht, um die aus der Verwertungshandlung resultierende Einkommensteuerforderung zu befriedigen3. 162 Gelangt pfändbarer Arbeitslohn des Insolvenzschuldners als Neuerwerb zur Insolvenzmasse, liegt allein darin keine Verwaltung der Insolvenzmasse in anderer Weise i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, so dass die auf die Lohneinkünfte zu zahlende Einkommensteuer keine vorrangig zu befriedigende Masseverbindlichkeit ist4. Der BFH verweist hierzu auf die Privilegierung des Fiskus als Gläubiger der Lohnsteuer, die jedoch nur die laufende Lohnsteuer, nicht aber eine auf das Gesamteinkommen zu leistende Abschlusszahlung5 oder Lohnsteuerhaftungsbeträge6 erfasst. Durch § 35 InsO soll grundsätzlich der Neuerwerb zur Masse gezogen werden, aber den Neugläubigern nur das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners verbleiben. Die Benachteiligung der Neugläubiger wird damit gerechtfertigt, dass nach der Konkursordnung das Arbeitseinkommen in der Regel auch vom Altgläubiger gepfändet gewesen sei, so dass den Neugläubigern tatsächlich auch kein Vermögen aus dem Neuerwerb zur Verfügung stand7. Wenn die mit einem Neuerwerb zusammenhängenden Verbindlichkeiten ohne Zutun des Insolvenzverwalters zu Masseverbindlichkeiten werden könnten, hätte es zudem der Schuldner in der Hand, die Masse durch Eingehen von Verbindlichkeiten zu schmälern. Nach Auffassung des BFH ist insoweit für die Einkommensteuer, die auf einen Neuerwerb anfällt, keine abweichende Betrachtung geboten, so dass diese ebenso wie die Aufwendung von Werbungskosten oder Betriebsausgaben grundsätzlich aus dem insolvenzfreien Vermögen des Insolvenzschuldners zu begleichen ist8. Etwas anderes gilt schließlich auch nicht, wenn die vom Arbeitgeber abgeführte Lohnsteuer nicht ausreicht, um die endgültige Jahreseinkommensteuer abzudecken.
1 Vgl. BFH v. 5.3.2008 – X R 60/04, BFHE 220, 299 = BStBl. II 2008, 787 = ZIP 2008, 1643 m.w.N.; FG Münster v. 29.11.2013 – 4 K 3607/10, ZIP 2014, 589. 2 Thüringer Finanzgericht v. 30.11.2011 – 3 K 581/09, ZIP 2013, 790; Rev. anhängig unter Az. X R 12/12. 3 BFH v. 16.5.2013 – IV R 23/11, DStR 2013, 1584 Leitsatz 2 unter Aufgabe der anderslautenden Rechtsprechung in BFH v. 29.3.1984 – IV R 271/83, BFHE 141, 2 = BStBl. II 1984, 602 = NJW 1985, 511, unter 3.; vgl. auch Abschnitt 6.1 AEAO zu § 251. 4 BFH v. 24.2.2011 – VI R 21/10, BStBl. II 2011, 520 = NJW 2011, 3120; vgl. zum Lohn- und Einkommensteueranspruch gegen den insolventen Arbeitnehmer auch Kammeter/Kammeter, nwb 2011, 4012. 5 Vgl. BAG v. 24.10.1979 – 4 AZR 805/77, DB 1980, 835. 6 BFH v. 21.7.2009 – VII R 49/08, BFHE 226, 97 = BStBl. II 2010, 13 = ZIP 2009, 2208. 7 BR-Drucks 1/92, S. 122 zu § 42 InsO-Entwurf; vgl. BT-Drucks. 16/3227, S. 17 zum geänderten § 35 Abs. 2 InsO. 8 BFH v. 24.2.2011 – VI R 21/10, BStBl. II 2011, 520 = DStR 2011, 804 Rz. 16 m.w.N.
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Besonderheiten einzelner Steuerarten in der Insolvenz
Rz. 169
§ 11
Dabei ist unerheblich, dass der Arbeitnehmer durch die Wahl der Steuerklasse die Höhe der Lohnsteuer beeinflussen kann1. Im Fall der Freigabe einer selbständigen Tätigkeit des Insolvenzschuldners richtet 163 sich die Einkommensteuerforderung gegen das insolvenzfreie Vermögen. Nach Auffassung des FG Münster folgt hieraus, dass auch ein Einkommensteuererstattungsanspruch nicht in die Insolvenzmasse fällt, wenn die zu Grunde liegenden Vorauszahlungen durch den Schuldner aus dem insolvenzfreien Vermögen erbracht wurden2. bb) Mitunternehmerschaft Ist der Schuldner an einer Mitunternehmerschaft beteiligt, sind Masseverbindlichkei- 164 ten zunächst die Einkommensteuerschulden, die sich aus „echten“ Gewinnen der Mitunternehmerschaft ergeben3. In diesem Fall kommt der gegen die Gesellschaft gerichtete Gewinnanspruch unmittelbar der Insolvenzmasse zugute. Zu den Masseverbindlichkeiten gehören nach der Rechtsprechung des BFH weiter- 165 gehend aber auch die Einkommensteuerschulden, die sich daraus ergeben, dass bei Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft durch Auflösung einer Rückstellung auf der Ebene der Gesellschaft (Mitunternehmerschaft) ein Gewinn entsteht4. Die Steuerverbindlichkeit sei insoweit im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO „in anderer Weise durch die Verwaltung der Insolvenzmasse“ begründet worden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Die Entstehung der Steuerverbindlichkeit hat ihre Ursache in der (zur Masse gehörenden) Beteiligung des Steuerpflichtigen an der Mitunternehmerschaft und der daraus entstehende Teilhabe an deren Ergebnissen. cc) Steuerforderungen aus dem Insolvenzantragsverfahren Masseverbindlichkeiten ergeben sich nach denselben Grundsätzen wie für das eröff- 166 nete Insolvenzverfahren, wenn im Insolvenzantragsverfahren ein starker vorläufiger Insolvenzverwalter eingesetzt wird (§ 55 Abs. 2 InsO). Auch die Einkommensteuer wird zudem von § 55 Abs. 4 InsO erfasst, so dass es zu ei- 167 ner Umqualifizierung von Einkommensteuerforderungen zu Masseverbindlichkeiten mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens kommt, soweit diese von einem schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter oder mit dessen Zustimmung begründet wurden. Zu Grunde zu legen sind dabei sowohl die normale Geschäftstätigkeit als auch die Veräußerung von Anlagevermögen mit Aufdeckung stiller Reserven5. d) Geltendmachung von Verlusten durch Gesellschafter Gesellschafter der Schuldnergesellschaft können entstandene Verluste im Rahmen 168 ihrer persönlichen Besteuerung nach § 15 EStG bei Personengesellschaften bzw. nach § 17 EStG bei Kapitalgesellschaften geltend machen. Die maßgeblichen Informationen für den Gesellschafter ergeben sich insbesondere aus der Rechnungslegung der Schuldnergesellschaft. Für die Buchführung und Rechnungslegung in Bezug auf die Insolvenzmasse ist nach § 155 InsO der Insolvenzverwalter zuständig. Eine Verletzung dieser Verpflichtung des Insolvenzverwalters kann allerdings keinen Anspruch auf Ersatz des Individualschadens eines Gesellschafters begründen (s. § 3 Rz. 170 ff.). 2. Körperschaftsteuer a) Besteuerungszeitraum Wird über das Vermögen einer Kapitalgesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet 169 und im Rahmen dieses Verfahrens nicht eine Unternehmensfortführung, sondern ei1 BFH v. 24.2.2011 – VI R 21/10, BStBl. II 2011, 520 = NJW 2011, 3120 Rz. 17. 2 FG Münster v. 27.9.2013 – 14 K 1917/12, ZIP 2013, 2420. 3 Vgl. BFH v. 18.5.2010 – X R 60/08, BStBl. II 2011, 429 = ZIP 2010, 1612 = ZInsO 2010, 1553 Rz. 37 m.w.N. 4 BFH v. 18.5.2010 – X R 60/08, BStBl. II 2011, 429 = ZIP 2010, 1612 = ZInsO 2010, 1553 Leitsatz 3 sowie Rz. 37. 5 Trottner, nwb 2012, 920 (923).
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§ 11
Rz. 170
Steuerrechtliche Beratung
ne Abwicklung durch Vermögensverwertung in Gang gesetzt, finden über § 11 Abs. 7 KStG die Regelungen der Liquidationsbesteuerung des § 11 Abs. 1 bis 6 KStG Anwendung. Dies bedeutet insbesondere, dass grundsätzlich der im Zeitraum von der Eröffnung bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens erzielte und nach Maßgabe des § 11 Abs. 2 KStG 2002 ermittelte (Abwicklungs-)Gewinn der Besteuerung zu Grunde zu legen ist (§ 11 Abs. 1 Satz 1 KStG). 170 Besteuerungszeitraum ist in diesem Fall nicht das einzelne Kalenderjahr, sondern der gesamte (Insolvenz-)Abwicklungszeitraum. Jedoch folgt aus § 11 Abs. 1 Satz 2 KStG, wonach der Besteuerungszeitraum drei Jahre nicht übersteigen soll, dass die Finanzbehörde in bestimmten Fällen schon vor dem Abschluss der Abwicklung die bis dahin entstandene Steuer in einem Bescheid im Wege einer Zwischenveranlagung festsetzen darf1. 171 Derzeit noch nicht abschließend geklärt ist die Frage, ob die während der Liquidation einer Kapitalgesellschaft durchgeführten „Zwischenveranlagungen“ bzw. nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommenen „Berechnungen“ am Ende des Abwicklungszeitraums durch eine endgültige Veranlagung unter Zugrundelegung des am Ende des Abwicklungszeitraums geltenden Steuersatzes zu ersetzen sind. Das FG Köln hat hierzu die Auffassung vertreten, dass für die Zwischenveranlagungen bzw. Berechnungen der zum Ende des jeweiligen Besteuerungszeitraums geltende Steuersatz anzuwenden ist und eine Änderung des Steuersatzes am Ende des Abwicklungszeitraums nicht auf die Zwischenveranlagungen zurück wirkt2. b) Gemeinnützigkeit 172 Die Körperschaftsteuerbefreiung einer Körperschaft, die nach ihrer Satzung steuerbegünstigte Zwecke verfolgt, endet, wenn die eigentliche steuerbegünstigte Tätigkeit eingestellt und über das Vermögen der Körperschaft das Konkurs- oder Insolvenzverfahren eröffnet wird3. Zur steuerbegünstigten Tätigkeit gehört zwar auch die Begleichung von Schulden aus laufenden Geschäften der ideellen Tätigkeit; dies gilt jedoch nur, wenn die Tätigkeit daneben noch auf die Verwirklichung steuerbegünstigter Zwecke gerichtet ist und die Befriedigung der Gläubiger nicht ausschließlicher Zweck der Körperschaft wird. c) Anrechnung von Körperschaftsteuer beim Anteilseigner 173 Die Anrechnung der auf die Gewinnausschüttung einer Kapitalgesellschaft entfallenden Körperschaftsteuer auf die Einkommensteuer des wesentlich beteiligten Anteilseigners ist rückgängig zu machen, wenn der Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft die für die Gesellschaft geleistete Körperschaftsteuerzahlung wegen Gläubigerbenachteiligung zu Recht angefochten und zurückgefordert hat4. d) Körperschaftsteuerguthaben aus § 37 KStG 174 Einer Aufrechnung des FA gegen den Anspruch auf Auszahlung des Körperschaftsteuerguthabens während eines vor dem 31.12.2006 eröffneten Insolvenzverfahrens steht das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO entgegen5. 3. Gewerbesteuer 175 Als Besonderheit der Gewerbesteuer ist das zweistufige Besteuerungsverfahren zu beachten. Es ergeht zunächst ein Gewerbesteuermessbescheid, der die Feststellung 1 BFH v. 23.1.2013 – I R 35/12, BStBl. II 2013, 508 = DStR 2013, 646; BFH v. 22.2.2006 – I R 67/05, BFHE 213, 301 = BStBl. II 2008, 312 = BB 2006, 2115; BFH v. 18.9.2007 – I R 44/06, BFHE 219, 61 = BStBl. II 2008, 319 = GmbHR 2008, 160. 2 FG Köln v. 27.9.2012 – 10 K 2838/11, ZIP 2013, 40; offengelassen in der Revisionsentscheidung BFH v. 7.5.2014 – I R 81/12, BeckRS 2014, 95714. 3 BFH v. 16.5.2007 – I R 14/06, BStBl. II 2007, 808 = ZIP 2007, 1570; Abschnitt 5 AEAO zu § 51. 4 FG Berlin-Brandenburg v. 23.2.2010 – 1 K 2357/06 B, EFG 2010, 1132. 5 BFH v. 23.2.2011 – I R 20/10, BStBl. II 2011, 822 = ZIP 2011, 1116 = DStR 2011, 1029.
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Besonderheiten einzelner Steuerarten in der Insolvenz
Rz. 181
§ 11
einer Besteuerungsgrundlage für Zwecke der Erhebung von Gewerbesteuer(vorauszahlungen) beinhaltet. Der Gewerbesteuermessbescheid ist Grundlagenbescheid für einen von der zuständigen Gemeinde zu erlassenden Gewerbesteuer-(Vorauszahlungs-)Bescheid. Auch wenn der Gewerbesteuermessbescheid daher nicht unmittelbar eine Forderung gegen den Steuerschuldner festsetzt, bezieht er sich doch auf einen gegen diesen gerichteten vermögensrechtlichen Anspruch und damit auf dessen der Zwangsvollstreckung unterliegendes Vermögen. Im Fall der Insolvenz genügt diese mittelbare Auswirkung auf das Vermögen des Schuldners, um die Insolvenzmasse i.S. des § 240 ZPO als betroffen anzusehen, so dass es entsprechend dieser Norm zu einer Verfahrensunterbrechung kommt1. Wird eine angemeldete Steuerforderung im Prüfungstermin bestritten, so ist sie im Regelfall durch Bescheid gemäß § 251 Abs. 3 AO festzustellen. Um in diesem Fall keine Verschiebung sachlicher Zuständigkeiten herbeizuführen, kann in diesem Fall auch ein Gewerbesteuermessbescheid als Grundlagenbescheid erlassen werden2.
176
Bei Sanierungslösungen stellen sich auch im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens für die Gewerbesteuer die Fragen der Sanierungsbesteuerung mit den Besonderheiten der Unanwendbarkeit des Sanierungserlass sowie der örtlichen Zuständigkeit (s. oben Rz. 29 ff.).
177
4. Lohnsteuer Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Einkünfte aus 178 nichtselbständiger Arbeit durch Abzug vom Arbeitslohn erhoben, soweit dieser von einem inländischen Arbeitgeber gezahlt wird. Der Arbeitgeber ist u.a. zur Abführung der Lohnsteuer verpflichtet (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Er handelt hierbei aber für Rechnung des Arbeitnehmers, der Schuldner der Lohnsteuer ist (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EStG). Die auf diese Weise erhobene Steuer wird bei der Veranlagung des Arbeitnehmers auf dessen Einkommensteuer angerechnet (§ 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG). Wird nicht geschuldete Lohnsteuer zu Unrecht abgeführt, ist diese nur auf die Einkommensteuer des Arbeitnehmers anzurechnen, nicht aber dem Arbeitgeber zu erstatten. Ein etwaiger Erstattungsanspruch steht dem Arbeitnehmer zu3. In der Insolvenz des Arbeitnehmers wird der Fiskus als Gläubiger der Lohnsteuer in 179 zweifacher Weise gegenüber anderen Neugläubigern privilegiert. Die über § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO angeordnete entsprechende Anwendung der §§ 850, 850a, 850c, 850e, 850f Abs. 1, §§ 850g bis 850i ZPO hat zur Folge, dass nur der allgemein pfändbare Teil des Arbeitslohnes zur Masse gelangt. Die Lohnsteuer, die vom Arbeitgeber direkt an das Finanzamt zu entrichten ist, wird vom Arbeitseinkommen des Insolvenzschuldners abgezogen, um den allgemein pfändbaren Betrag zu ermitteln. Damit wird dem Steuergläubiger nicht nur ein direktes Zugriffsrecht auf die Erwerbsquelle eingeräumt, sondern der Lohnsteuerabzug erfolgt zudem unabhängig vom Pfändungsschutz. Zu den steuerrechtlichen gesetzlichen Verpflichtungen i.S. des § 850e ZPO gehört dabei nur die laufende Lohnsteuer. Ein aus der vorherigen Abführung von Lohnsteuer resultierender Erstattungsanspruch fällt grundsätzlich als Neuerwerb nach § 35 InsO in die Insolvenzmasse. Pfändungsfreiheit nach § 850 ZPO besteht nicht, da der Erstattungsanspruch nicht als Arbeitseinkommen im Sinne dieser Norm eingeordnet werden kann4.
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Im Insolvenzantragsverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers greift § 55 Abs. 4 InsO mit der Rechtsfolge der Aufwertung der Lohnsteuerverbindlichkeit zu einer
181
1 Vgl. bereits BFH v. 2.7.1997 – I R 11/97, BStBl. II 1998, 428 = NJW 1998, 630 zur KO. 2 Vgl. bereits BFH v. 2.7.1997 – I R 11/97, BStBl. II 1998, 428 = NJW 1998, 630 Rz. 10 zur KO; Abschnitt 4.3.1 Abs. 4 AEAO zu § 251. 3 Vgl. BFH v. 19.12.1960 – VI 92/60 U, BFHE 72, 465, BStBl. III 1961, 170; BFH v. 23.5.2000 – VII R 3/00, BFHE 192, 398 = BStBl. II 2000, 581; BFH v. 29.11.2000 – I R 102/99, BFHE 194, 69 = BStBl. II 2001, 195. 4 Vgl. BFH v. 29.1.2010 – VII B 188/09, ZInsO 2010, 768 = BFH/NV 2010, 1243; Abschnitt 9.1.4 Abs. 2 AEAO zu § 251.
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Rz. 182
Steuerrechtliche Beratung
Masseverbindlichkeit dann ein, wenn Löhne an die Arbeitnehmer des Schuldners vom schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter oder mit dessen Zustimmung vom Insolvenzschuldner ausgezahlt werden1. 5. Bauabzugssteuer a) Steuerabzug bei Bauleistungen 182 Erbringt der Insolvenzschuldner im Inland Bauleistungen, sind dessen Kunden seit dem 1.1.2002, soweit es sich nicht um Nichtunternehmer oder um Vermieter von bis zu zwei Wohnungen handelte, als Leistungsempfänger i.S. des § 48 Abs. 1 Satz 1 EStG zur Durchführung eines Steuerabzugs verpflichtet. Der Leistungsempfänger muss danach von der von ihm geschuldeten Gegenleistung (Entgelt zuzüglich Umsatzsteuer) einen Steuerabzug in Höhe von 15 Prozent vornehmen und den entsprechenden Betrag an das zuständige Finanzamt abführen. Die abgeführten Beträge werden auf die Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer sowie abzuführende Lohnsteuern angerechnet. 183 Bauleistungen im Sinne der Regelung sind alle Leistungen, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen (§ 48 Abs. 1 S. 3 EStG). Die Regelung kommt unabhängig von der Rechtsform und der umsatzsteuerlichen Unternehmereigenschaft des Leistenden zur Anwendung. 184 In der Insolvenz des Leistenden stellt sich die Frage, ob das Finanzamt die vom Leistungsempfänger vereinnahmten Beträge in voller Höhe auf Steuerverbindlichkeiten im Rang von Insolvenzforderungen verrechnen kann. Dies ist nach der Rechtsprechung des BFH zu verneinen. Das steuerrechtliche Abzugsverfahren diene ausschließlich dem Ziel, Steuerausfälle zu vermeiden oder zu vermindern, die durch ein pflichtwidriges Verhalten des Steuerschuldners verursacht werden können, solle aber nicht die insolvenzrechtliche Stellung des Steuergläubigers verbessern. Deshalb steht dem Steuergläubiger auch für Forderungen, die im Wege des Abzugsverfahrens beglichen werden, insolvenzrechtlich nur die allgemeine Verteilungsquote zu2. 185 Eine vom Leistungsempfänger gemäß § 48a Abs. 1 Satz 2 EStG geleistete Abführung von Steuerbeträgen an das Finanzamt nach Einleitung eines Insolvenzverfahrens ist, da die Abführung für Rechnung des Steuerschuldners erfolgt, insolvenzrechtlich genauso zu behandeln wie eine entsprechende Leistung des Schuldners selbst. Abhängig vom Leistungszeitpunkt kommt daher eine Unwirksamkeit nach § 81 Abs. 1 Satz 1, § 91 Abs. 1 InsO oder eine Anfechtbarkeit nach §§ 129 ff. InsO in Betracht. Im Rahmen der Anfechtungstatbestände kann der Umstand bedeutsam werden, ob die gesetzliche Anordnung der Abführung durch den Dritten zu einer Kongruenz der Zahlungen führt oder ob eine inkongruente Leistung vorliegt3. b) Freistellungsbescheinigung 186 Der Leistungsempfänger ist von der Verpflichtung zum Steuerabzug befreit, sobald ihm eine dem Leistenden erteilte Freistellungsbescheinigung nach § 48b Abs. 1 Satz 1 EStG vorgelegt worden ist (§ 48 Abs. 2 EStG). In diesem Fall bestimmen sich die Verpflichtungen des Leistungsempfängers aus dem Bauleistungsvertrag ausschließlich nach den im Einzelfall maßgeblichen Regeln des Zivilrechts. Das wird in der Regel zur Folge haben, dass er die gesamte geschuldete Gegenleistung an den Leistenden erbringen muss. 187 Nach § 48b Abs. 1 EStG hat das Finanzamt eine Bescheinigung über die Befreiung vom Steuerabzug gemäß § 48 EStG (Freistellungsbescheinigung) zu erteilen, wenn ein Leistender i.S. des § 48 Abs. 1 Satz 1 EStG dies beantragt, der durch den Steuerabzug zu sichernde Steueranspruch nicht gefährdet erscheint und für den Leistenden ein inländischer Empfangsbevollmächtigter bestellt ist. Der BFH hat hierzu entschie-
1 Vgl. Trottner, nwb 2012, 920 (924). 2 Vgl. BFH v. 13.11.2002 – I B 147/02, BStBl. II 2003, 716 Rz. 15. 3 Von Inkongruenz ausgehend Hinze, DZWIR 2005, 282.
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Besonderheiten einzelner Steuerarten in der Insolvenz
Rz. 191
§ 11
den, dass dem Insolvenzverwalter im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Bauunternehmers eine Freistellungsbescheinigung gemäß § 48b EStG regelmäßig nicht versagt werden darf1, also ein entsprechender Anspruch besteht. Zunächst steht dem Insolvenzverwalter auf Grund des Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach § 80 InsO das Antragsrecht für den nach § 48b Abs. 1 S. 1 EStG erforderlichen Antrag zu. Die nach dem Wortlaut der Regelung erforderliche Bestellung eines inländischen Empfangsbevollmächtigten ist nach dem Sinn und Zweck dieser Voraussetzung nur dann erforderlich, wenn der Leistende im Ausland ansässig ist, was im Fall des in Deutschland eröffneten Insolvenzverfahrens gerade nicht der Fall sein dürfte. Als problematisch könnte die materielle Voraussetzung angesehen werden, dass der durch den Steuerabzug zu sichernde Steueranspruch nicht gefährdet erscheint. Hierzu hatte die Finanzverwaltung vertreten, dass eine solche Gefährdung immer dann gegeben sei, wenn über das Vermögen des Steuerschuldners das Insolvenzverfahren eröffnet worden und in diesem Verfahren eine vollständige Befriedigung der Steuerforderungen nicht zu erwarten ist2. Der BFH hat hierzu jedoch abweichend entschieden, dass die insolvenzrechtlichen Regelungen, die den Steuergläubiger auf die Verteilungsquote beschränken, schon auf der Ebene der Feststellung des Steueranspruchs und nicht als dessen Gefährdung zu berücksichtigen sind3. 6. Umsatzsteuer a) Unternehmereigenschaft War der Schuldner bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht unternehmerisch 188 tätig, führen die Verwertungshandlungen des Insolvenzverwalters nicht zur Begründung der Unternehmereigenschaft. Die Veräußerung des Vermögens ist in diesem Fall vielmehr als letzter Akt der privaten Betätigung anzusehen4. War der Schuldner vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens Unternehmer im Sinne 189 des § 2 Abs. 1 S. 1 UStG, ändert sich dies durch die Verfahrenseröffnung nicht. Die Umsätze, die der Insolvenzverwalter in Bezug auf Gegenstände der Insolvenzmasse oder durch sonstige Leistungen im Rahmen der Verwaltung der Insolvenzmasse ausführt, sind daher grundsätzlich umsatzsteuerpflichtig. Auch beim insolventen Schuldner umfasst das Unternehmen nach § 2 Abs. 1 S. 2 UStG die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit, es gilt der Grundsatz der Unternehmenseinheit5.
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Zu berücksichtigen und für das Verständnis der Behandlung von Umsatzsteuerforde- 191 rungen in der Insolvenz entscheidend ist allerdings, dass nach der Rechtsprechung des V. Senats des BFH auf Grund des Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Schuldnervermögen von einer Aufspaltung des – grundsätzlich einheitlichen – Unternehmens in verschiedene Unternehmensteile auszugehen ist6. Zu unterscheiden sind nach diesem von der Finanzverwaltung übernommenen7 Verständnis: – der vorinsolvenzrechtliche Unternehmensteil, gegen den Insolvenzforderungen zur Tabelle anzumelden sind (§§ 174 ff. InsO), – der die Insolvenzmasse betreffende Unternehmensteil, gegen den Masseverbindlichkeiten geltend zu machen sind, sowie 1 BFH v. 13.11.2002 – I B 147/02, BStBl II 2003, 716. 2 Vgl. Ministerium für Finanzen und Bundesangelegenheiten Saarland, Erlass v. 3.7.2002, DStZ 2002, 653. 3 Vgl. BFH v. 13.11.2002 – I B 147/02, BStBl II 2003, 716, Rz. 15. 4 BFH v. 29.6.1987 – X R 23/82, BStBl. II 1987, 744 = DB 1987, 2080. 5 BFH v. 20.12.2012 – V R 23/11, BStBl. II 2013, 334 = DStR 2013, 359. 6 BFH v. 20.12.2012 – V R 23/11, BStBl. II 2013, 334 = DStR 2013, 359; BFH v. 28.6.2000 – V R 87/99, BFHE 192, 132 = BStBl II 2000, 639; BFH v. 24.11.2011 – V R 13/11, BFHE 235, 137, BStBl. II 2012, 298. 7 Vgl. Abschn. 17.1 Abs. 11 UStAE i.d.F. des BMF-Schreibens v. 9.12.2011, BStBl. I 2011, 1273.
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§ 11
Rz. 192
Steuerrechtliche Beratung
– ggf. das vom Insolvenzverwalter freigegebene Vermögen, bei dem Steueransprüche gegen den Insolvenzschuldner persönlich ohne insolvenzrechtliche Einschränkungen geltend gemacht werden können. Von einer Aufspaltung wird von der Finanzverwaltung auch in den Fällen der Eröffnung unter Anordnung der Eigenverwaltung (§ 270 Abs. 1 Satz 1 InsO) sowie in den Fällen der Bestellung eines „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters ausgegangen1. 192 Eine Verrechnung von umsatzsteuerlichen Berechtigungen und Verpflichtungen zwischen den verschiedenen Unternehmensteilen ist ausgeschlossen2. Die Summe der gegenüber dem Insolvenzverwalter und der gegenüber dem Insolvenzschuldner festgesetzten Umsatzsteuer muss die nach den Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes entstandene Jahresumsatzsteuer für das gesamte Unternehmen ergeben3. b) Abgrenzung von Insolvenzforderungen und Masseverbindlichkeiten 193 Im Ausgangspunkt gilt auch für die Umsatzsteuer der allgemeine Grundsatz, dass eine Forderung als Insolvenzforderung einzuordnen ist, wenn diese im insolvenzrechtlichen Sinn vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet wurde. Das Umsatzsteuerrecht sieht als Varianten die Besteuerung nach vereinbarten Entgelten (sog. Soll-Besteuerung) sowie die Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten (sog. Ist-Besteuerung) vor. aa) Ist-Besteuerung 194 Da für die Entstehung der Umsatzsteuer im Fall der Ist-Besteuerung die Vereinnahmung der Forderung durch den Steuerpflichtigen Tatbestandsvoraussetzung ist, gehen Rechtsprechung und Finanzverwaltung davon aus, dass in diesem Fall die Vereinahmung der Forderung maßgeblich für die Abgrenzung zwischen Insolvenzforderung und Masseverbindlichkeit ist. 195 Eine Vereinnahmung durch den Schuldner vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens führt dabei zu einer Insolvenzforderung. 196 Eine Masseverbindlichkeit ergibt sich, wenn eine Forderung des Schuldners aus einem Umsatzgeschäft nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch den Insolvenzverwalter vereinnahmt wird. Unerheblich ist in diesem Fall, wann der zu Grunde liegende Umsatz erfolgt ist4. Zu Masseverbindlichkeiten führt schließlich über die Fiktion des § 55 Abs. 4 InsO die Vereinnahmung von Forderungen durch einen schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter5. bb) Soll-Besteuerung 197 Da im Fall der Soll-Besteuerung die Umsatzsteuer dagegen schon in dem Voranmeldungszeitraum zu berücksichtigen ist, in der die Ausführung des Umsatzes erfolgt ist, scheint es auf den Zeitpunkt der Vereinnahmung für die Einordnung als Insolvenzforderung oder Masseverbindlichkeit dagegen nicht mehr ankommen zu können. Im Ergebnis wird dies jedoch von der Rechtsprechung und der ihr folgenden Finanzverwaltung anders gesehen. 198 Soweit eine Forderung gegen einen Kunden im Zeitpunkt des Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter noch nicht erfüllt ist, kann eine Vereinnahmung nur noch für den Unternehmensteil Insolvenzmasse erfolgen. Dass eine Vereinnahmung nicht mehr für den vorinsolvenzrechtlichen Unterneh1 Vgl. Abschnitt 9.2 Abs. 1 Satz 3 AEAO zu § 251. 2 BFH v. 20.12.2012 – V R 23/11, BStBl. II 2013, 334 = DStR 2013, 359; BFH v. 28.6.2000 – V R 87/99, BFHE 192, 132 = BStBl. II 2000, 639; BFH v. 24.11.2011 – V R 13/11, BFHE 235, 137 = BStBl. II 2012, 298 = ZIP 2011, 2481 = NZI 2012, 96. 3 BFH v. 28.6.2000 – V R 87/99, BStBl. II 2000, 639 = ZIP 2000, 1778 = NZI 2001, 56 = ZInsO 2000, 600 = DStR 2000, 1689. 4 Vgl. BFH v. 29.1.2009 – V R 64/07, BStBl. II 2009, 682 = ZIP 2009, 977 = NZI 2009, 447; Rondorf, nwb 2013, 2079. 5 Vgl. BMF-Schreiben v. 17.1.2012, BStBl. I 2012, 120 Rz. 17; Rondorf, nwb 2013, 2079.
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Besonderheiten einzelner Steuerarten in der Insolvenz
Rz. 203
§ 11
mensteil erfolgen kann, wird als ein Fall der Uneinbringlichkeit der Forderung i.S.v. § 17 Abs. 1 S. 1 InsO angesehen (Uneinbringlichkeit aus Rechtsgründen)1. Folglich hat eine Korrektur der bereits im Rahmen der Soll-Besteuerung berücksichtigter Umsatzsteuerbeträge auf Null für sämtliche noch ausstehende Forderungen zu erfolgen. Als Zeitpunkt der Korrektur wurde in der Rechtsprechung des V. Senat des BFH zu- 199 nächst der Zeitpunkt eine juristische Sekunde vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens angenommen. Mit Urteil vom 8.8.2013 hat der V. Senat des BFH allerdings bereits aufgrund der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt eine Uneinbringlichkeit angenommen2. Begründet wird dies damit, dass im Hinblick auf die Pflicht des vorläufigen Verwalters zur Massesicherung und dem sich hieraus ergebenden Verbot, die Gläubigeransprüche zu erfüllen, die vor seiner Bestellung begründet wurden und die im Insolvenzverfahren lediglich Insolvenzforderungen sind, beide Arten der Verfügungsbeschränkung nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO und damit auch die Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehalts zur Folge haben, dass der Gläubiger seinen Entgeltanspruch – selbst wenn es nachfolgend zu keiner Eröffnung des Insolvenzverfahrens kommt, sondern diese z.B. mangels Masse unterbleibt – zumindest für die Dauer des Eröffnungsverfahrens und damit im Regelfall über einen längeren Zeitraum von ungewisser Dauer3 nicht mehr durchsetzen kann. Dies gilt unabhängig davon, welche weiteren Befugnisse für den vorläufigen Insolvenzverwalter im jeweiligen Einzelfall bestehen. Folge der Korrektur ist, dass für den jeweils relevanten Betrachtungszeitraum, in 200 den die Korrektur fällt, eine entsprechende Verringerung der Umsatzsteuer eintritt. Da für die Feststellung der Umsatzsteuerforderung als Insolvenzforderung eine Zusammenfassung der Voranmeldungszeiträume bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens stattfindet, kommt dem Fiskus der Korrekturbetrag als Verringerung seiner zur Insolvenztabelle anzumeldenden Forderung zu Gute. Werden anschließend die Forderungen von den Kunden des Insolvenzschuldners 201 erfüllt, ist eine weitere Korrektur der Umsatzsteuer vorzunehmen, die sich insoweit im Bereich der Insolvenzmasse abspielt. Die Umsatzsteuerforderung kann daher als Masseverbindlichkeit geltend gemacht werden. Dieses Ergebnis wird in der Praxis vielfach untechnisch dahingehend zusammengefasst, dass es durch das Insolvenzverfahren zu einem „automatischen Übergang zur Ist-Besteuerung“ komme. Kein Korrekturerfordernis im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens 202 besteht für Umsatzsteuerforderungen, die kraft Gesetzes ohnehin als Masseverbindlichkeiten zu berücksichtigen sind. Dies erfasst Forderungen aus Umsatzgeschäften eines starken vorläufigen Verwalters nach § 55 Abs. 2 InsO4 sowie aus Umsatzgeschäften eines schwachen vorläufigen Verwalters oder des Schuldners mit Zustimmung des schwachen vorläufigen Verwalters gemäß § 55 Abs. 4 InsO5. Für den Fall, dass eine der Soll-Besteuerung unterliegende Entgeltforderung aus 203 tatsächlichen Gründen als uneinbringlich korrigiert wurde und anschließend im Insolvenzantragsverfahren vereinnahmt werden kann, soll nach Auffassung der Finanzverwaltung ebenfalls von einer fiktiven Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO auszugehen sein6.
1 BFH v. 9.12.2010 – V R 22/10, BStBl. II 2011, 996 = NJW 2011, 1998 = ZIP 2011, 782 = NZI 2011, 336. 2 BFH v. 8.8.2013 – V R 18/13, DStR 2013, 1883, bestätigt durch BFH v. 3.7.2014 – V R 32/13, DStR 2014, 2020. 3 Vgl. zu diesem Kriterium BFH v. 8.3.2012 – V R 49/10, BFH/NV 2012, 1665, unter II.2.a. 4 Vgl. Abschn. 17.1 Abs. 13 Satz 4 UStAE i.d.F. des BMF-Schreibens v. 12.4.2013, BStBl. I 2013, 518. 5 Vgl. Abschn. 17.1 Abs. 13 Sätze 1 und 2 UStAE i.d.F. des BMF-Schreibens v. 9.12.2011, BStBl. I 2011, 1273. 6 Vgl. Abschn. 17.1 Abs. 14 UStAE i.d.F. des BMF-Schreibens v. 12.4.2013, BStBl. I 2013, 518.
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§ 11
Rz. 204
Steuerrechtliche Beratung
c) Umsatzsteuerliche Folgen von Verwertungsmaßnahmen aa) Vorsteuerkorrektur wegen Änderung der Verhältnisse 204 Hat der spätere Insolvenzschuldner vor Einleitung des Insolvenzverfahrens einen Vorsteuerabzug geltend gemacht, ist für den Insolvenzverwalter Vorsicht geboten, wenn der betroffene Gegenstand im Insolvenzverfahren verwertet wird. Erfolgt eine Veräußerung umsatzsteuerfrei, kann dies den Berichtigungstatbestand des § 15a UStG wegen Änderung der Verhältnisse auslösen. Die Korrektur der Vorsteuer führt in diesem Fall nach der Rechtsprechung des BFH zu einer Masseverbindlichkeit1. bb) „Kalte Zwangsvollstreckung“ 205 Veräußert ein Insolvenzverwalter ein mit einem Grundpfandrecht belastetes Grundstück freihändig aufgrund einer mit dem Grundpfandgläubiger getroffenen Vereinbarung, liegt nach neuerer Rechtsprechung des BFH neben der Lieferung des Grundstücks durch die Masse an den Erwerber auch eine steuerpflichtige entgeltliche Geschäftsbesorgungsleistung der Masse an den Grundpfandgläubiger vor, wenn der Insolvenzverwalter vom Verwertungserlös einen „Massekostenbeitrag“ zugunsten der Masse einbehalten darf2. Vergleichbares gilt für die freihändige Verwaltung grundpfandrechtsbelasteter Grundstücke durch den Insolvenzverwalter. Sowohl bei einer Zwangsversteigerung als auch bei der freihändigen Veräußerung des Grundstücks durch den Insolvenzverwalter wird dabei umsatzsteuerrechtlich nur eine Lieferung des Eigentümers, dieser vertreten kraft Amtes durch den Insolvenzverwalter, an den Erwerber, nicht aber ein Doppelumsatz durch eine Lieferung an den Grundpfandgläubiger und durch diesen an den Erwerber angenommen3. Handelt hiernach der Insolvenzverwalter nicht für Rechnung des Grundpfandgläubigers, liegen die Voraussetzungen eines Kommissionsgeschäftes (§ 3 Abs. 3 UStG) nicht vor und führt daher die freihändige Veräußerung im Namen des Grundstückseigentümers auch nicht nach den Regeln über Kommissionsgeschäfte zu einem sog. Dreifachumsatz4. cc) Verwertung beweglicher, mit Absonderungsrechten belasteter Gegenstände 206 Im eröffneten Insolvenzverfahren ist der Insolvenzverwalter kraft Gesetzes zur Verwertung von beweglichen, mit Absonderungsrechten belasteten Sachen befugt, die er in Besitz hat (§ 166 Abs. 1 InsO). Umsatzsteuerlich führt eine Veräußerung auf Grundlage dieser Verwertungsbefugnis dazu, dass ein Umsatz des Insolvenzschuldners an den Erwerber angenommen wird (sog. „Einfachumsatz“), wobei die anfallende Umsatzsteuer eine Masseverbindlichkeit darstellt5. Die insoweit tatsächlich anfallende Umsatzsteuer ist nach § 171 Abs. 2 Satz 3 InsO dem Verwertungserlös zu entnehmen. An den absonderungsberechtigten Gläubiger ist demnach nur der Nettoerlös auszukehren6. Entgegen früherer Rechtsprechung soll zudem auch bei der freihändigen Verwertung von Sicherungsgut durch den Insolvenzverwalter eine steuerbare Geschäftsbesorgungsleistung an den gesicherten Gläubiger vorliegen7.
1 BFH v. 8.3.2012 – V R 24/11, BStBl. II 2012, 466; BFH v. 9.2.2011 – XI R 35/09, BStBl. II 2011, 1000 = NJW 2011, 2608. Zur steuerlichen Folge einer Freigabe des belasteten Grundstücks und anschließenden Zwangsversteigerung vgl. Sächs. FG v. 18.10.2013 – 4 K 579/13. 2 BFH v. 28.7.2011 – V R 28/09, BFH/NV 2011, 1985 = ZIP 2011, 1923 = DStR 2011, 1853. 3 Vgl. BFH v. 19.12.1985 – V R 139/76, BFHE 146, 484 = BStBl. II 1986, 500 Leitsatz und unter III.2.a zur Zwangsversteigerung. 4 Vgl. zum Begriff bei Verwertung von Sicherungsübereignung an beweglichen Gegenständen BFH v. 6.10.2005 – V R 20/04, BFHE 212, 146 = BStBl. II 2006, 931 unter II.2.; BFH v. 23.7.2009 – V R 27/07, BFHE 226, 421 = BStBl. II 2010, 859 = DStR 2009, 2193 unter II.1.a. 5 Dies gilt ebenso für den Fall der angeordneten Eigenverwaltung, vgl. de Weerth, NZI 2013, 922 (923). 6 Überblicksdarstellungen zur umsatzsteuerlichen Behandlung der Verwertung sicherungsübereigneter Gegenstände: Rondorf, nwb 2014, 842; Kreuzberg/Herget, NZI 2013, 118. 7 BFH v. 28.7.2011 – V R 28/09, BFH/NV 2011, 1985 = ZIP 2011, 1923 = DStR 2011, 1853 Rz. 26 ff.
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Besonderheiten einzelner Steuerarten in der Insolvenz
Rz. 211
§ 11
dd) Haftung des Abtretungsempfängers nach § 13c UStG Hat ein Unternehmer den Anspruch auf die Gegenleistung für einen steuerpflichtigen 207 Umsatz i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG an einen anderen Unternehmer abgetreten und die festgesetzte Steuer, bei deren Berechnung dieser Umsatz berücksichtigt worden ist, bei Fälligkeit nicht oder nicht vollständig entrichtet hat, haftet der Abtretungsempfänger nach Maßgabe des § 13c Abs. 2 UStG für die in der Forderung enthaltene Umsatzsteuer, soweit sie im vereinnahmten Betrag enthalten ist (§ 13c Abs. 1 Satz 1 UStG). Nach der Rechtsprechung des BFH greift diese Haftung auch dann, wenn ein vorläufiger Insolvenzverwalter aufgrund richterlicher Ermächtigung eine zur Sicherheit abgetretene Forderung eingezogen und den Erlös an den Abtretungsempfänger weitergeleitet hat1. d) Ermittlung der Umsatzsteuer als Insolvenzforderung Grundlage für die Anmeldung der Insolvenzforderungen nach §§ 174 ff. InsO ist der 208 gemäß §§ 16 ff. UStG berechnete Steueranspruch für das Kalenderjahr. Im Jahr der Insolvenzeröffnung ist die anzumeldende Steuer für den Zeitraum bis zur Insolvenzeröffnung zu berechnen2. Neben den dem vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil zuzuordnenden Umsatz- 209 steuerbeträgen und hierauf bezogenen Korrekturen sind dabei auch Vorsteuerbeträge und diesbezügliche Korrekturen im Rahmen der Saldierung zu berücksichtigen3. Dabei gilt, dass gezogene Vorsteuern aus Eingangsrechnungen, die vom Schuldner bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht beglichen wurden, in voller Höhe zu korrigieren sind. Spätestens mit der Verfahrenseröffnung sind die Ansprüche der Gläubiger gegen den Schuldner nicht mehr durchsetzbar4, was eine Korrektur nach § 17 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 UStG erforderlich macht5. Dies gilt auch für Forderungen aus einem vom Schuldner geschlossenen gegenseitigen Vertrag, der dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO unterliegt6. Die zur Insolvenztabelle anzumeldende Umsatzsteuerforderung erhöht sich daher um die entsprechenden Vorsteuerbeträge. Eine weitere Korrektur der Umsatzsteuer ergibt sich zum Ende des Insolvenzverfah- 210 rens, wenn sich die Forderungen von Insolvenzgläubigern auf Grund der auf die Insolvenzforderungen erbrachten Quotenzahlung als teilweise werthaltig erweisen7. Es ist dann eine teilweise erneute Korrektur der zu Beginn des Verfahrens erfolgten Vorsteuerkorrektur vorzunehmen, die zu einer entsprechenden Verringerung der aus der Vorsteuerkorrektur resultierenden Forderung des Finanzamtes bzw. zu einem entsprechenden Erstattungsanspruch führt, wenn keine Insolvenzforderung des Finanzamtes offen geblieben war. Entsprechende Beträge können Grundlage für eine Nachtragsverteilung sein (s. § 6 Rz. 367 ff.). Ein bestandskräftiger Feststellungsbescheid über eine Umsatzsteuernachzahlung als 211 Insolvenzforderung steht einer später begehrten anderweitigen Umsatzsteuerfestsetzung entgegen, wenn dieser Bescheid nicht mehr geändert werden kann. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass zunächst für den Insolvenzschuldner keine Steuererklärungen abgegeben wurden und das Finanzamt die Umsatzsteuernachzahlung daher im Feststellungsbescheid im Wege der Schätzung ermittelt hatte8. Für den Insolvenzverwalter ist daher in Fällen der Steuerschätzung besondere Vorsicht geboten. 1 2 3 4 5 6
7 8
BFH v. 20.3.2013 – XI R 11/12, ZIP 2013, 1289 = NZI 2013, 657. BFH v. 24.11.2011 – V R 13/11, BStBl. II 2012, 298 = ZIP 2011, 2481. Vgl. Rondorf, nwb 2013, 2079 (2083). BFH v. 6.6.2002 – V R 22/01, BFH/NV 2002, 1352; BFH v. 28.6.2000 – V R 45/99, BFHE 192, 129 = BStBl. II 2000, 703 = ZIP 2000, 2120 = ZInsO 2000, 660. Vgl. Abschn. 17.1 Abs. 16 UStAE i.d.F. des BMF-Schreibens v. 12.4.2013, BStBl. I 2013, 518. Vgl. BFH v. 22.10.2009 – V R 14/08, BStBl. II 2011, 988 = ZIP 2010, 383 = NZI 2010, 272 Rz. 41 insoweit in Änderung der Rechtsprechung in BFH v. 28.6.2000 – V R 45/99, BFHE 192, 129 = BStBl. II 2000, 703 = ZIP 2000, 2120 = ZInsO 2000, 660. Vgl. BFH v. 22.10.2009 – V R 14/08, BStBl. II 2011, 988 = ZIP 2010, 383 = NZI 2010, 272 Rz. 41. Vgl. BFH v. 11.12.2013 – XI R 22/11, ZIP 2014, 427 = ZInsO 2014, 454.
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§ 11
Rz. 212
Steuerrechtliche Beratung
e) Umsatzsteuerforderungen gegen das insolvenzfreie Vermögen 212 Gibt der Insolvenzverwalter eine selbständige unternehmerische Tätigkeit des Schuldners frei, so stellt die Umsatzsteuer aus dieser Tätigkeit keine Masseverbindlichkeit dar. 213 Auch wenn der Insolvenzschuldner Massegegenstände für seine nach Insolvenzeröffnung aufgenommene unternehmerische Tätigkeit nutzt, stellt die durch sonstige Leistungen des Insolvenzschuldners begründete Umsatzsteuer auch vor Einführung des § 35 Abs. 2 InsO jedenfalls dann keine Masseverbindlichkeit dar, wenn die Umsätze im Wesentlichen auf dem Einsatz seiner persönlichen Arbeitskraft und nicht im Wesentlichen auf der Nutzung des Massegegenstandes beruhen. Dies gilt sowohl bei unberechtigter Nutzung1 als auch dann, wenn der Schuldner die Massegegenstände mit Billigung des Insolvenzverwalters verwendet, da die im Wesentlichen auf der Arbeitskraft des Schuldners beruhenden Umsätzen keine „Verwertung“ von Massegegenständen i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO darstellen2. 214 Umgekehrt führt ein durch die freigegebene Tätigkeit erworbener Umsatzsteuervergütungsanspruch nicht in die Insolvenzmasse und kann vom Finanzamt mit vorinsolvenzlichen Steuerschulden verrechnet werden3. f) Umsatzsteuerliche Organschaft 215 Eine umsatzsteuerliche Organschaft erlischt mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Organgesellschaft. Dabei kommt es nach der Rechtsprechung des BFH vor dem Hintergrund des insolvenzrechtlichen Einzelverfahrensgrundsatzes nicht darauf an, ob für die Organgesellschaft Eigenverwaltung (§ 270 InsO) angeordnet wurde und für einen im Rahmen der Eigenverwaltung tätigen Sachwalter (§ 274 InsO) besondere Befugnisse wie Kassenführung (§ 275 Abs. 2 InsO) und/oder Zustimmungsbedürftigkeit (§ 277 InsO) bestehen4. 216 Auch der starke vorläufige Insolvenzverwalter einer Organgesellschaft kann die Willensbildung bei dieser bestimmen, was zur Folge hat, dass die organisatorische Eingliederung nicht mehr gewährleistet ist und die Organschaft endet5. 217 Zwischenzeitlich entschieden ist die Frage, dass auch bereits mit der Bestellung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters über das Vermögen der Organgesellschaft die Organschaft beendet wird. Im Rahmen einer ausdrücklichen Änderung der Rechtsprechung hat der BFH hierzu nun festgestellt, dass mit der Anordnung gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO, dass Verfügungen nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind, die organisatorische Eingliederung endet6. Da der vorläufige Insolvenzverwalter nicht nur befugt, sondern insolvenzrechtlich sogar verpflichtet ist, Zahlungen der GmbH an den bisherigen Organträger zu verhindern, entfalle für den Organträger die Möglichkeit, die GmbH zu beherrschen und die Steuer für die Umsätze aus der Tätigkeit der bisherigen Organgesellschaft als Steuerschuldner und damit als „Steuereinnehmer“ zu entrichten7. Ob und welche weiter gehenden Rechte das Insolvenzgericht dem vorläufigen schwachen Verwalter einräumt, ist unerheblich. Ohne Bedeutung ist deshalb, ob sich der vorläufige schwache Verwalter wie ein starker, allgemein geschäftsführungsbefugter vorläufiger Verwalter gerierte, welche weiteren Befugnisse ihm zustanden und ob zu einem späteren Zeitpunkt 1 2 3 4
Vgl. BFH v. 8.9.2011 – V R 38/10, BStBl. II 2012, 270 = ZIP 2012, 88 = NZI 2012, 335. Vgl. BFH v. 17.3.2010 – XI R 2/08, BFHE 229, 394 = ZIP 2010, 1405 = ZInsO 2010, 1390. BFH v. 1.9.2010 – VII R 35/08, BStBl. II 2011, 336 = ZIP 2010, 2359. BFH v. 19.3.2014 – V B 14/14 gegen entsprechend differenzierende Auffassungen in OFD Hannover v. 6.8.2007 – S 7105-49-StO 172, juris, Tz. 1.3.2; Schmittmann, ZSteu 2007, 192 sowie die Vorinstanz Hess. FG v. 6.11.2013 – 6 V 2469/12, ZIP 2014, 532 = DStR 2014, 415. Vgl. zu dieser Thematik auch Kahlert, ZIP 2013, 2348. 5 BFH v. 1.4.2004 – V R 24/03, BFHE 204, 520 = BStBl. II 2004, 905, unter II.2. 6 BFH v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = ZIP 2013, 1773 = NZI 2013, 857 LS 1 und Rz. 19; aus der früheren Rechtsprechung vgl. BFH v. 24.8.2011 – V R 53/09, BStBl. II 2012, 256 = ZIP 2011, 2421 = NZI 2011, 987 Rz. 29. 7 BFH v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = ZIP 2013, 1773 = NZI 2013, 857 Rz. 30.
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Krger/Riewe
Besonderheiten einzelner Steuerarten in der Insolvenz
Rz. 221
§ 11
auch die wirtschaftliche Eingliederung entfallen ist. Es kommt auch nicht darauf an, ob der Kläger beim Insolvenzgericht auf eine Änderung der nach § 21 InsO getroffenen Anordnungen hätte drängen können1. Für den (bisherigen) Organträger hat dies zur Folge, dass er die im Anschluss an die Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt ausgeführten Umsätze der (bisherigen) Organgesellschaft nicht zu versteuern hat. Die Vorsteuerberichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG auf Grund der Uneinbringlich- 218 keit von Forderungen gegen die Organgesellschaft erfolgt gegenüber dem Organträger, wenn die Uneinbringlichkeit vor oder gleichzeitig mit der Organschaftsbeendigung eingetreten ist2. Hierfür ist auf Grundlage der jüngsten Rechtsprechung des BFH zu beachten, dass zwar einerseits die Organschaft bereits aufgrund der Bestellung des vorläufigen Verwalters mit Zustimmungsvorbehalt endet, andererseits aber die Uneinbringlichkeit im selben Zeitpunkt – und damit vor einem möglichen Entfallen der wirtschaftlichen Eingliederung – eingetreten ist, so dass die Organschaft noch im Zeitpunkt des Eintritts der Uneinbringlichkeit bestand. Der Vorsteuerberichtigungsanspruch richtet sich daher gegen den Organträger3. Dies ist wirtschaftlich insbesondere dann von Bedeutung, wenn die Insolvenz lediglich die Organgesellschaft betrifft, da der Fiskus in diesem Fall mit dem Organträger einen solventen Anspruchsgegner in Anspruch nehmen kann. Nach der anfechtungsrechtlichen Rechtsprechung des BGH kommt eine Deckungs- 219 anfechtung durch den Insolvenzverwalter der Organgesellschaft in Betracht, wenn das Finanzamt Zahlungen auf die Umsatzsteuerschuld unmittelbar von der Organgesellschaft erhalten hat. Zieht das Finanzamt entsprechende Beträge aufgrund einer Lastschriftermächtigung vom Konto der Organgesellschaft ein, so mache es den steuerrechtlichen Haftungsanspruch aus § 73 AO gegen die Organgesellschaft geltend. Erbringt der Schuldner einer noch nicht durchsetzbaren steuerrechtlichen Haftungsverbindlichkeit eine Zahlung an das Finanzamt, so sei davon auszugehen, dass er dadurch seine Haftungsverbindlichkeit und nicht die ihr zugrunde liegende Steuerschuld des Dritten tilgen will4. Soweit der Zahlung der Organgesellschaft eine Doppelwirkung zukommt, weil dadurch neben der Forderung des Finanzamtes zugleich der im Innenverhältnis bestehende Anspruch des Organträgers auf Befreiung von der aus den Umsätzen der Organgesellschaft resultierende Umsatzsteuerverbindlichkeit erfüllt wird, kann die Leistung nach Wahl des Insolvenzverwalters sowohl gegenüber dem Finanzamt als Leistungsempfänger als auch gegenüber dem Organträger angefochten werden. Für den Fall einer Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Or- 220 ganträgers hat es der BFH als ernstlich zweifelhaft angesehen, ob dieser Umstand für die Organschaft ohne Bedeutung ist. Der BFH verweist auch insoweit auf den insolvenzrechtlichen Einzelverfahrensgrundsatz, der insbesondere dazu führt, dass lediglich der Umsatzsteueranspruch aus der eigenen Umsatztätigkeit des Organträgers als Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO eingeordnet werden kann5. 7. Kfz-Steuer Der BFH hatte zunächst die Auffassung vertreten, dass die Rechtsposition als Halter eines Kraftfahrzeuges stets zur Insolvenzmasse gehöre6. Diese Rechtsprechung hat
1 BFH v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = ZIP 2013, 1773 = NZI 2013, 857 Rz. 37. 2 Ständige Rechtsprechung, vgl. BFH v. 22.10.2009 – V R 14/08, BStBl. II 2011, 988 = ZIP 2010, 383 = NZI 2010, 272; BFH v. 5.12.2008 – V B 101/07, BFH/NV 2009, 432; BFH v. 11.4.1991 – V R 126/87, BFH/NV 1992, 140 = ZIP 1991, 1081. 3 BFH v. 8.8.2013 – V R 18/13, BFHE 242, 433 = ZIP 2013, 1773 = NZI 2013, 857 Rz. 39 unter Verweis auf BFH v. 6.6.2002 – V R 22/01, BFH/NV 2002, 1352, unter II. 2. 4 BGH v. 19.1.2012 – IX ZR 2/11, NJW 2012, 1585 = ZIP 2012, 280; anders BFH v. 23.9.2009 – VII R 43/08, BStBl. II 2010, 215 = ZIP 2009, 2455 = BB 2009, 2731. 5 BFH v. 19.3.2014 – V B 14/14, BFHE 244, 156 = ZIP 2014, 889 f. = NZI 2014, 421. 6 Vgl. BFH v. 29.8.2007 – IX R 4/07, BFHE 218, 435 = BStBl. II 2010, 145 = NZI 2008, 59 = ZIP 2007, 2081 = ZVI 2007, 616.
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§ 11
Rz. 222
Steuerrechtliche Beratung
der nunmehr nach dem Geschäftsverteilungsplan für die Kfz-Steuer allein zuständige II. Senat des BFH zwischenzeitlich aufgegeben1. 222 Nach dem nunmehr geltenden Verständnis stellt die nach Insolvenzeröffnung entstandene Kfz-Steuer nur dann eine Masseverbindlichkeit dar, wenn das Fahrzeug, für dessen Halten die Steuer geschuldet wird, Teil der Insolvenzmasse ist. Demgegenüber handelt es sich bei der Kfz-Steuer für ein unpfändbares Fahrzeug nicht um eine Masseverbindlichkeit, da der Insolvenzverwalter/Treuhänder auf Grund der fehlenden Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis das Entstehen der Kfz-Steuer für das Fahrzeug nicht verhindern kann. Auch die Nutzung eines insolvenzfreien Fahrzeuges für die Insolvenzmasse begründet keine Masseverbindlichkeit, da der Wortlaut des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO „durch die Verwaltung […] der Insolvenzmasse“ voraussetzt, dass die Steuerverbindlichkeit aus der Verwaltung eines Massegegenstandes resultiert2. 223 Hat der Insolvenzverwalter eine echte Freigabe des Fahrzeugs erklärt, entfällt ein Bezug der Kraftfahrzeugsteuer zur Insolvenzmasse. Durch die Freigabeerklärung wird das Fahrzeug aus der Insolvenzmasse entlassen und fällt in das insolvenzfreie Schuldnervermögen zurück3. 224 Demgegenüber hat die Freigabe der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners nach § 35 Abs. 2 InsO keine Auswirkungen auf die Massezugehörigkeit eines im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung vorhandenen Fahrzeugs. Durch diese Erklärung wird das Fahrzeug nicht aus der Insolvenzmasse entlassen, vielmehr umfasst eine Freigabe der selbstständigen Tätigkeit gemäß § 35 Abs. 2 InsO nur den Neuerwerb und nicht das im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits vorhandene Vermögen. Die Freigabe der selbstständigen Tätigkeit des Insolvenzschuldners nach § 35 Abs. 2 InsO durch den Insolvenzverwalter ist daher für die Beurteilung der Kraftfahrzeugsteuer als Masseverbindlichkeit oder insolvenzfreie Verbindlichkeit ohne Bedeutung4. 225 Erfolgt während des Insolvenzantragsverfahrens die Neuzulassung eines später zur Insolvenzmasse gehörenden Kraftfahrzeugs durch den Schuldner mit Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters, kommt es mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 55 Abs. 4 InsO zu einer Aufwertung der Kfz-Steuer zu einer Masseverbindlichkeit. Bei bereits zugelassenen Kraftfahrzeugen fehlt es dagegen an einem Anknüpfungspunkt für § 55 Abs. 4 InsO5. 8. Erbschaftsteuer 226 Erbschaftsteuerliche Risiken für den Gesellschafter des Insolvenzschuldners können sich insbesondere dann ergeben, wenn im Rahmen einer Übertragung von Betriebsvermögen durch Erbschaft oder Schenkung die Vergünstigungen gem. §§ 13a, b ErbStG in Anspruch genommen wurden. Der BFH geht hierzu davon aus, dass der Wegfall der Vergünstigung wegen Nichteinhaltung der Behaltensfristen selbst dann mit dem Gesetzeszweck im Einklang steht, wenn das Betriebsvermögen krisen- oder insolvenzbedingt veräußert oder aufgegeben wird. Wenn der nach § 13a Abs. 5 ErbStG a.F. begünstigte Betrieb wegen Insolvenz aufgegeben wird, soll nach dieser Rechtsprechung die Erbschaftsteuer auch nicht wegen sachlicher Unbilligkeit nach § 227 AO zu erlassen sein. Das gilt auch, wenn der Erbe durch die Unternehmensinsolvenz in erheblichem Umfang Privatvermögen verloren hat, da es auf die individuellen Umstände der Betriebsaufgabe nicht ankommt6.
1 BFH v. 13.4.2011 – II R 49/09, NZI 2011, 828 = ZInsO 2011, 2188 = ZIP 2011, 1728 = ZVI 2011, 420; vgl. auch Hartman, NZI 2012, 168. 2 BFH v. 13.4.2011 – II R 49/09, NZI 2011, 828 = ZInsO 2011, 2188 = ZIP 2011, 1728 = ZVI 2011, 420. 3 Vgl. Hirte, Uhlenbruck, InsO, § 35 Rz. 82 m.w.N. 4 BFH v. 8.9.2011 – II R 54/10, BFHE 235, 1 = ZInsO 2011, 2339 = ZIP 2012, 42. 5 Vgl. Trottner, nwb 2012, 920 (924). 6 BFH v. 4.2.2010 – II R 35/09, BFH/NV 2010, 1601 = DStZ 2010, 622.
892
Krger/Riewe
Haftungsfragen
Rz. 234
§ 11
VII. Haftungsfragen Der gesetzliche Vertreter einer juristischen Person haftet gemäß §§ 69, 34 Abs. 1 AO, 227 soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihm auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Pflichtverletzungen sind insbesondere Verstöße gegen die Steuererklärungspflicht 228 und die Steuerentrichtungspflicht einschließlich der Pflicht zur Mittelvorsorge. Wird eine solche steuerliche Pflicht verletzt, kann ggf. der gesetzliche Vertreter einer juristischen Person nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO als Haftungsschuldner durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. 1. Haftung von Geschäftsführern für Steuerverbindlichkeiten Vgl. zur steuerrechtlichen Haftung des Geschäftsführers § 2 Rz. 168 ff., zum Straftatbestand der Steuerhinterziehung s. § 5 Rz. 220 ff.
229
Erforderlich für die Haftungsinanspruchnahme als gesetzlicher Vertreter ist zunächst, dass die jeweilige Person im Zeitpunkt der als haftungsbegründend angesehen Handlung eine entsprechende Rechtsstellung hatte. Ein auf §§ 34 Abs. 1 i.V.m. § 69 AO gestützter Haftungsbescheid gegenüber einer Person, die in dem Zeitpunkt, in dem eine Steuererklärung abzugeben war, nicht mehr Geschäftsführer der steuerschuldenden Gesellschaft war, ist rechtswidrig1.
230
Unsicherheiten können sich nach einer Abberufung ergeben, wenn der Verdacht einer Firmenbestattung vorliegt. Nach Auffassung des FG Köln2 ist es zumindest zweifelhaft, ob eine zivilrechtliche Nichtigkeit des Abberufungsbeschlusses eines Geschäftsführers aufgrund „organisierter Firmenbestattung“ auch zur steuerlichen Unbeachtlichkeit des Abberufungsbeschlusses führt.
231
Gerade in der finanziellen Krise wird dabei von einem GmbH-Geschäftsführer ver- 232 langt, dass er eine vorausschauende Planung vornimmt und entsprechende Mittel zur Entrichtung von Steuern bereithält, von denen er weiß, dass ihre Entstehung unmittelbar bevorsteht3. Werden fällig gewordene Steuerbeträge pflichtwidrig nicht an das FA abgeführt, kann 233 die Kausalität dieser Pflichtverletzung für einen dadurch beim Fiskus entstandenen Vermögensschaden nicht durch nachträglich eingetretene Umstände oder durch die Annahme eines hypothetischen Kausalverlaufs beseitigt werden (s. § 2 Rz. 185). Die Funktion und der Schutzzweck des in § AO § 69 AO normierten Haftungstatbestandes schließen die Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe aus. Deshalb entfällt die Haftung eines GmbH-Geschäftsführers insbesondere nicht dadurch, dass der Steuerausfall unter Annahme einer hypothetischen, auf § 130 Abs. 1 InsO gestützten Anfechtung gedachter Steuerzahlungen durch den Insolvenzverwalter ebenfalls entstanden wäre4. Die gesellschaftsrechtliche Pflicht des Geschäftsführers zur Sicherung der Masse i.S. 234 des § 64 GmbHG kann im Rahmen der Pflichtenkollision die Verpflichtung zur Vollabführung der Lohnsteuer allenfalls in den drei Wochen suspendieren, die dem Geschäftsführer ab Kenntnis der Überschuldung bzw. Zahlungsunfähigkeit der GmbH nach § 15a InsO (§ 64 Abs. 1 GmbHG a.F.) eingeräumt sind, um die Sanierungsfähigkeit der GmbH zu prüfen und Sanierungsversuche durchzuführen. Nur in diesem Zeitraum kann das die Haftung nach § 69 AO begründende Verschulden ausgeschlossen sein5.
1 2 3 4 5
FG Köln v. 17.3.2011 – 13 K 4010/06, BeckRS 2012, 96047. FG Köln v. 17.3.2011 – 13 K 4010/06, BeckRS 2012, 96047. Vgl. BFH v. 11.3.2004 – VII R 19/02, BStBl. II 2004, 967 = BB 2004, 1486. BFH v. 5.6.2007 – VII R 65/05, DStR 2007, 1722. BFH v. 27.2.2007 – VII R 67/05, NZI 2007, 599.
Krger/Riewe
893
§ 11
Rz. 235
Steuerrechtliche Beratung
235 Soweit Steuerzahlungen nach Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt zu erbringen gewesen wären und dieser seine Zustimmung verweigert (wozu er insolvenzrechtlich zur Massesicherung verpflichtet ist), ist dem Geschäftsführer die Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten rechtlich unmöglich, so dass in diesem Rahmen eine Haftungsinanspruchnahme ausgeschlossen ist1. Noch ungeklärt ist derzeit, ob eine Haftung der Vertretungsorgane auch im Verfahren der vorläufigen Eigenverwaltung ausgeschlossen ist2. 236 Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist bei der Haftung für Umsatz- und Körperschaftsteuer der haftungsbegrenzende Grundsatz der anteiligen Tilgung zu beachten. Dieser besagt, dass der gesetzliche Vertreter nach § 69, § 34 AO nur in dem Umfang in Anspruch genommen werden kann, in dem er bei der Tilgung der Gesamtverbindlichkeiten das Finanzamt gegenüber anderen Gläubigern benachteiligt hat3. Verlangt wird von einem GmbH-Geschäftsführer, dass er in Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten die ihm zur Verfügung stehenden Mittel zu einer in etwa anteiligen Befriedigung des Finanzamtes und der übrigen Gläubiger verwendet. 237 § 93 InsO hindert die Finanzverwaltung nicht, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit4 einen Anspruch aus §§ 69, 34 AO gegen den persönlich haftenden Gesellschafter der Schuldnerin geltend zu machen5. Im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer GmbH scheidet im Fall einer Haftungsinanspruchnahme des Gesellschaftergeschäftsführers die Anwendung von § 93 InsO aus, auch die Voraussetzungen eines nur vom Insolvenzverwalter geltend zu machenden Gesamtschadens nach § 92 InsO dürften regelmäßig nicht vorliegen6. 238 Ausgeschlossen ist eine Haftungsinanspruchnahme nach Ablauf der Festsetzungsfrist. Hierbei ist zu beachten, dass die Regelung des § 191 Abs. 3 Satz 4 AO dahin auszulegen ist, dass die Festsetzungsfrist für einen Haftungsbescheid nicht endet, solange die Steuer noch geltend gemacht werden kann, sei es durch Festsetzung, sei es in anderer, im Einzelfall durch Gesetz (hier: die Insolvenzordnung) vorgeschriebener Weise7. 239 Wird über das Vermögen des Geschäftsführers (ebenfalls) ein Insolvenzverfahren eröffnet, können Haftungsschulden aus §§ 34, 69 AO in diesem Verfahren nicht als Masseverbindlichkeiten geltend gemacht werden, auch wenn der Haftungsanspruch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet wurde8. 2. Haftung des Eigentümers für Steuerforderungen 240 Eine Haftung für Steuerforderungen gegen den Insolvenzschuldner kann einen Dritten auch nach § 74 AO treffen. Die Norm regelt die Haftung des Eigentümers bestimmter Gegenstände. Konkret stellt § 74 AO folgende Anforderungen für eine Haftung auf: 241 Der Haftende muss Eigentümer von Gegenständen sein (§ 74 Abs. 1 Satz 1 AO). Nach aktueller Rechtsprechung des BFH, der sich die Finanzverwaltung angeschlossen
1 Vgl. BFH v. 19.2.2010 – VII B 190/09, ZIP 2010, 1900 = ZInsO 2010, 1652 zum Widerruf einer Lastschrift durch den vorläufigen Insolvenzverwalter. 2 Eine Haftung verneint Kahlert, ZIP 2012, 2089 im Hinblick auf eine vorrangige Massesicherungspflicht, ihm folgend Hobelsberger, DStR 2013, 2545. 3 Vgl. BFH v. 14.7.1987 – VII R 188/82, BFHE 150, 312 = BStBl. II 1988, 172 = ZIP 1987 367 m.w.N. 4 Offene Handelsgesellschaft, Kommanditgesellschaft, Partnerschaftsgesellschaft, Gesellschaft des Bürgerlichen Rechts, Partenreederei, Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung, vgl. § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO. 5 BGH v. 4.7.2002 – IX ZR 265/01, BStBl. II 2002, 786 = NJW 2002, 2718 = NZI 2002, 483. 6 Vgl. BFH v. 11.3.2008 – VII B 214/06 (n.v.). 7 Vgl. BFH v. 22.6.2011 – VII S 1/11, BFH/NV 2011, 2014. 8 BFH v. 21.7.2009 – VII R 49/08, BStBl. II 2010, 13 = ZIP 2009, 2208 = NZI 2010, 37.
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Krger/Riewe
Haftungsfragen
Rz. 246
§ 11
hat, können auch Rechte – im Entscheidungsfall ein Erbbaurecht – Gegenstand der Haftung nach § 74 AO sein1. Die Gegenstände müssen dem Unternehmen des Steuerschuldners dienen (§ 74 242 Abs. 1 Satz 1 AO), und zwar nicht nur vorübergehend. Der Eigentümer der Gegenstände muss wesentlich an dem Unternehmen beteiligt sein (§ 74 Abs. 1 Satz 1 AO). Dies ist der Fall, wenn er unmittelbar oder mittelbar zu mehr als einem Viertel am Grund- oder Stammkapital oder dem Vermögen des Unternehmens beteiligt ist (§ 74 Abs. 2 Satz 1 AO) oder aber er auf das Unternehmen einen andersgearteten beherrschenden Einfluss ausübt und dadurch dazu beiträgt, dass die fälligen Steuern nicht entrichtet wurden (§ 74 Abs. 2 Satz 2 AO). Durch den BFH zwischenzeitlich entschieden wurde in diesem Zusammenhang die Frage, ob eine Haftung auch in dem Fall eintritt, dass der mögliche Haftungsgegenstand nicht im Eigentum des am Unternehmen Beteiligten, sondern im Eigentum einer Personengesellschaft steht, an welcher dieser beteiligt ist. Der BFH hat dies für den Fall zweier Gesellschafter, die jeweils zu 50 Prozent an den betroffenen Kommanditgesellschaften beteiligt waren, mit Blick auf die gesamthänderische Bindung bejaht2. Die Steuern, für welche der Eigentümer in Anspruch genommen werden soll, müssen 243 aus dem Betrieb des Unternehmens herrühren. Eine Haftung kommt daher nicht für sämtliche Steuerarten in Betracht. Erfasst sind vor allem die Umsatz- und die Gewerbesteuer, nicht aber die Einkommen- oder die Körperschaftsteuer, die Erbschaftsteuer, die Lohnsteuer und die Kapitalertragsteuer sowie die steuerlichen Nebenleistungen nach § 3 Abs. 4 AO3. Der Eigentümer haftet nicht persönlich, sondern lediglich dinglich mit den jeweiligen Gegenständen. Die Haftung erstreckt sich auch auf Surrogate der Gegenstände4.
244
Eine Aufrechnung des Anspruchs des Finanzamtes auf Duldung der Zwangsvollstre- 245 ckung in ein Grundstück nach § 74 AO gegen ein Steuerguthaben, wie beispielsweise den Anspruch des Haftungsschuldners auf Erstattung von Umsatzsteuer, ist mangels Gleichartigkeit ausgeschlossen5. 3. Haftung der Organgesellschaft Im Fall der Organschaft trifft die Organgesellschaft, die selbst gerade nicht Steuer- 246 schuldner ist, eine Haftung nach § 73 AO. Diese Haftung erstreckt sich nach dem Verständnis der Norm durch die Rechtsprechung nicht nur auf die von der Organgesellschaft verursachten Steuern, sondern erfasst auch diejenigen Steuerforderungen, die durch den Organträger selbst verursacht wurden oder diesem von anderen Organgesellschaften zugerechnet werden. Abweichungen sollen vor diesem Hintergrund lediglich im Rahmen von Billigkeitsmaßnahmen möglich sein6. Im Ergebnis kann diese Haftung zur Insolvenz auch von ansonsten nicht insolvenzbedrohten Tochtergesellschaften im Organkreis führen und bereits als Haftungsrisiko zur Unverwertbarkeit der entsprechenden Gesellschaftsanteile führen.
1 Vgl. BFH v. 23.5.2012 – VII R 28/10, BStBl. II 20102, 763 = NJW-RR 2012, 1428 = DStR 2012, 1655; Nr. 1 AEAO zu § 74 n.F.; insoweit zustimmend Dißars, nwb 2013, 3763 (3765). 2 BFH v. 23.5.2012 – VII R 28/10, NJW-RR 2012, 1428 = DStR 2012, 1655; insoweit ablehnend Dißars, nwb 2013, 3763 (3765 ff.). Die gegen das Urteil eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen, s. BVerfG v. 17.9.2013 -1 BvR 1928/12, NJW-RR 2014, 105 = ZIP 2013, 2105. 3 Vgl. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 74 AO Rz. 15; Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/ FGO, § 74 AO Rz. 26. 4 BFH v. 22.11.2011 – VII R 63/10, BStBl. II 2012, 223; ebenso Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 74 AO Rz. 17; Klein/Rüsken, AO § 74 Rz. 3; a.A. Schwarz, AO, § 74 Rz. 17; Pahlke/König, AO, § 74 Rz. 15. 5 BFH v. 28.1.2014 – VII R 34/12, BStBl. II 2014, 551 = DStR 2014, 1057. Kritisch Dusch, DStR 2013, 19. 6 Vgl. Schimmele/Weber, BB 2013, 2263.
Krger/Riewe
895
§ 11
Rz. 247
Steuerrechtliche Beratung
4. Haftung des Steuerberaters des Insolvenzschuldners 247 Für den Steuerberater des Insolvenzschuldner ergeben sich Haftungsrisiken insbesondere im Vorfeld eines Insolvenzverfahrens. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat das Ende des Mandatsverhältnisses des Schuldners zu seinem Steuerberater nach § 116 i.V.m. § 115 InsO zur Folge. Ob und mit wem ein neuer Beratungsvertrag geschlossen wird, liegt im Hinblick auf die Insolvenzmasse in der alleinigen Entscheidungsbefugnis des Insolvenzverwalters. 248 Die Insolvenzverschleppung nach § 15a InsO stellt ein Sonderdelikt dar, welches nur durch den genannten Personenkreis verwirklich werden kann. Das strafrechtliche Risiko einer eigenen Täterschaft besteht für den Steuerberater daher allenfalls dann, wenn seine Einflussnahme auf die Geschäftsführung so umfangreich wird, dass er als faktischer Geschäftsführer angesehen werden kann1. Daneben kommt eine Beihilfe des Steuerberaters zu einer vom Geschäftsführer begangenen Insolvenzverschleppung in Betracht. 249 Von der Rechtsprechung präzisiert wurden in jüngster Zeit die Maßgaben für eine vertragliche Haftung des Steuerberaters im Zusammenhang mit der Feststellung der Insolvenzreife. Der Steuerberater unterliegt danach zunächst bei einem ausdrücklichen Auftrag zur Prüfung der Insolvenzreife eines Unternehmens einer vertraglichen Haftung für etwaige Fehlleistungen2. Dies gilt auch dann, wenn der vertraglich lediglich mit der Erstellung der Steuerbilanz betraute Steuerberater weitergehend erklärt, dass eine insolvenzrechtliche Überschuldung nicht vorliege3. Der lediglich mit der allgemeinen steuerlichen Beratung einer GmbH beauftragte Berater ist hingegen nicht verpflichtet, die Gesellschaft bei einer Unterdeckung in der Handelsbilanz auf die Pflicht ihres Geschäftsführers ungefragt hinzuweisen, eine Überprüfung, ob Insolvenzreife bestehe, in Auftrag zu geben oder selbst vorzunehmen. Tritt der Steuerberater bei einem rein steuerrechtlichen Mandat jedoch in konkrete Erörterungen über eine etwaige Insolvenzreife der von ihm beratenen Gesellschaft ein, ohne die Frage nach dem Insolvenzgrund zu beantworten, hat er das Vertretungsorgan darauf hinzuweisen, dass eine verbindliche Klärung nur erreicht werden kann, indem ihm oder einem fachlich geeigneten Dritten ein entsprechender Prüfauftrag erteilt wird4. 250 Neben echten Haftungsnormen sind durch den Steuerberater auch die möglichen Risiken einer Inanspruchnahme aus Insolvenzanfechtung zu beachten5. 251 Dies betrifft zunächst die anfechtungssichere Gestaltung von Honorarzahlungen. Anfechtungsfest sind dabei Zahlungen, die im Rahmen eines Bargeschäfts geleistet werden. Dies ist nach der Rechtsprechung des BGH zu Anwaltshonoraren zu erreichen, wenn zwischen dem Beginn der Tätigkeit und Erbringung der Gegenleistung ein Zeitraum von höchstens 30 Tagen liegt6. Bei der Einforderung von Vorschüssen ist entsprechend darauf zu achten, dass diese die im Verlauf der nächsten 30 Tage auflaufende Vergütung nicht überschreiten. 252 Erleichterungen bei der Insolvenzanfechtung bestehen für den Insolvenzverwalter gegenüber nahestehenden Personen. So wird nach §§ 130 Abs. 3, 132 Abs. 3, 137 Abs. 2 Satz 2 InsO die Kenntnis der nahestehenden Person von einer objektiv eingetretenen Zahlungsunfähigkeit sowie die Kenntnis von einem gestellten Insolvenzantrag vermutet und nach § 131 Abs. 3 Satz 2 InsO die Kenntnis von der Benachteiligung der Insolvenzgläubiger. Eine Person kann einer juristischen Person oder Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit auch nahestehen, wenn ihr als freiberuflicher oder gewerblicher Dienstleister alle über die wirtschaftliche Lage des Auftraggebers erheblichen Daten üblicherweise im normalen Geschäftsgang zufließen, so dass sie über den glei1 Vgl. Strohn, DB 2011, 158. 2 BGH v. 7.3.2013 – IX ZR 64/12, NZI 2013, 438 = WM 2013, 802 Rz. 15; NZI 2013, 793 = WM 2013, 1323 Rz. 12. 3 BGH v. 6.6.2013 – IX ZR 204/12, NZI 2013, 793 Rz. 13. 4 BGH v. 6.2.2014 – IX ZR 53/13, NZI 2014, 308. 5 Vgl. Fuhst, DStR 2013, 782. 6 Vgl. BGH v. 6.12.2007 – IX ZR 113/06, NJW 2008, 659 = NZI 2008, 173.
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Krger/Riewe
Haftungsfragen
Rz. 258
§ 11
chen Wissensvorsprung verfügt, den sonst ein mit der Aufgabe befasster leitender Angestellter des Schuldnerunternehmens hätte (ausgelagerte Buchhaltung)1. Ist der Anfechtungsgegner von dem Insolvenzschuldner als externer Helfer mit der Führung seiner Bücher und internen Konten beauftragt, kann er dagegen nicht als nahestehende Person angesehen werden, wenn zum Vornahmezeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung der Zufluss von Buchungsunterlagen aus dem betreuten Unternehmen länger als ein Vierteljahr stockte. Über die Rückforderung von Honorarzahlungen hinaus ist nach neuerer Rechtspre- 253 chung des BGH auch eine Erstattungspflicht eines Steuerberaters denkbar, der Gelder, die er vom Insolvenzschuldner erhalten hat, als uneigennütziger Treuhänder an Gläubiger weitergeleitet hat2. Im entschiedenen Fall hatte der Treuhänder nach Stellung des Insolvenzantrages Zahlungen an Krankenkassen und Arbeitnehmer geleistet. Eine Deckungsanfechtung gegenüber dem Treuhänder scheidet in diesem Fall aus, weil dieser nicht Insolvenzgläubiger im Sinne der §§ 130, 131 InsO ist. Nach der Rechtsprechung des BGH kommt aber eine Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO in Betracht. Der zahlungsvermittelnde Verwaltungstreuhänder sei nicht schutzwürdig, wenn er infolge seiner Kenntnis von einem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners, der sich nicht nur auf die Begründung der Verwaltungstreuhand beschränkt, sondern eine Masseverkürzung durch die auf diesem Wege ermöglichten mittelbaren Zuwendungen an bestimmte Insolvenzgläubiger einschließt, sich auch die weitere Gläubigerbenachteiligung zurechnen lassen muss. Gegenüber dem Wertersatzanspruch soll sich der uneigennützige Treuhänder nicht auf einen Wegfall der Bereicherung berufen können3. Zusätzliche Haftungsrisiken ergeben sich dann, wenn der Steuerberater die mit dem 254 ESUG geschaffene Möglichkeit nutzt, als Aussteller der Bescheinigung nach § 270b InsO im Rahmen des Schutzschirmverfahrens tätig zu werden4. 5. Haftung des Insolvenzverwalters Eine Haftung des Insolvenzverwalters kann sich zunächst aus den insolvenzrechtlichen Haftungsnormen der §§ 60, 61 InsO ergeben.
255
Eine Inanspruchnahme des Insolvenzverwalters speziell durch die Finanzverwaltung 256 kann auf die allgemeine Haftungsnorm des § 69 AO gestützt werden. Zwischen der steuerlichen Haftung gem. § 69 AO und der insolvenzrechtlichen Haftung gem. § 60 InsO (für den vorläufigen Insolvenzverwalter in Verbindung mit § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO) besteht einfache Gesetzeskonkurrenz, d.h. beide Anspruchsgrundlagen kommen nebeneinander zur Anwendung, falls ihre Voraussetzungen erfüllt sind5. Die Inanspruchnahme eines (vorläufigen) Insolvenzverwalters nach § 69 AO setzt vo- 257 raus, dass dieser als Vermögensverwalter im Sinne des § 34 AO oder als Verfügungsberechtigter nach § 35 AO eingeordnet werden kann. Durch den Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen 258 des Schuldners erlangen der Insolvenzverwalter sowie der starke vorläufige Insolvenzverwalter die Stellung eines Vermögensverwalters. Ein sog. schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt ist demgegenüber kein Vermögensverwalter i.S. von § 34 Abs. 3 AO, da es in diesem Fall trotz des Zustimmungsvorbehalts bei der Verfügungsbefugnis des Schuldners bleibt6.
1 BGH v. 15.11.2012 – IX ZR 205/11, NJW 2013, 694 m. Anm. Dahl/Thomas = NZI 2013, 29 m. Anm. Fölsing. 2 BGH v. 24.1.13 – IX ZR 11/12, NZI 2013, 249 m. Anm. Enzenhofer. 3 BGH v. 26.4.2012 – IX ZR 74/11, NJW 2012, 1959 = NZI 2012, 453 unter Aufgabe von BGH v. 9.1.21993 – IX ZR 100/93, NJW 1994, 726. 4 Vgl. zu Anforderungen an Aussteller und Inhalt der Bescheinigung sowie Haftungsfragen Reinhardt/Lambrecht, Stbg 2014, 71; Zipperer/Vallender, NZI 2012, 729. 5 FG Münster v. 1.7.2010 – 3 K 3206/06, BB 2010, 2078. 6 BFH v. 30.12.2004 – VII B 145/04, BFH/NV 2005, 665.
Krger/Riewe
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§ 11
Rz. 259
Steuerrechtliche Beratung
259 Die Einordnung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters als Verfügungsberechtigter nach § 35 AO hat der BFH auch für den Fall abgelehnt, dass der vorläufige Insolvenzverwalter seine Kompetenzen überschreitet. Die Stellung des Verfügungsberechtigten setzt grundsätzlich die Fähigkeit voraus, aufgrund bürgerlich-rechtlicher Verfügungsmacht im Außenverhältnis wirksam zu handeln1. Ausreichend kann es nach der Rechtsprechung des BFH zwar sein, wenn die betroffene Person aufgrund ihrer Stellung erst in der Lage ist, tatsächliche und rechtliche Rechtsverhältnisse herbeizuführen, die sie dazu befähigen, rechtlich verbindlich die Pflichten des gesetzlichen Vertreters entweder selbst zu erfüllen oder durch die Bestellung der entsprechenden Organe erfüllen zu lassen2. Anders als der Alleingesellschafter einer GmbH, der sich jederzeit selbst zum Geschäftsführer bestellen oder für die Einsetzung eines anderen Geschäftsführers Sorge tragen kann3, ist der schwache vorläufige Insolvenzverwalter nicht in der Lage, ohne Mitwirkung des Insolvenzgerichts seine Verwaltungsbefugnisse beliebig auszudehnen und sich eine Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners zu verschaffen, die ihm vom Insolvenzgericht bewusst nicht übertragen worden ist4.
1 Vgl. BFH v. 21.2.1989 – VII R 165/85, BFHE 156, 46 = BStBl. II 1989, 491. 2 BFH v. 16.3.1995 – VII R 38/94, BFHE 177, 209 = BStBl 1995 II, 859. 3 Vgl. BFH v. 27.11.1990 – VII R 20/89, BFHE 163, 106 = BStBl. II 1991, 284 = NJW 1991, 2511 = BB 1991, 1323. 4 BFH v. 27.5.2009 – VII B 156/08, BFH/NV 2009, 1591 = ZIP 2009, 2255.
898
Krger/Riewe
§ 12 Arbeitsverhältnisse im Insolvenzverfahren
I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wirkungen des Insolvenzantrages und der Insolvenzeröffnung . . . . . . . . 2. Betriebsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das vorläufige Insolvenzverfahren . . . 1. Der Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 22 Abs. 1 Satz 1 InsO) . . . . . . . . . . . a) Arbeitgeberstellung . . . . . . . . . . . . b) Interessenausgleich und Sozialplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Interessenausgleich . . . . . . . . . bb) Sozialplan . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kündigungsfristen . . . . . . . . . . . . . d) Beteiligungsrechte des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Vergütungsansprüche der Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Hs. 2 InsO) . . . . . . . . a) Arbeitgeberstellung . . . . . . . . . . . . b) Vergütungsansprüche der Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der vorläufige Sachwalter . . . . . . . . . . III. Das Arbeitsverhältnis im eröffneten Insolvenzverfahren – Bestand und Beendigung der Dienstverhältnisse . . 1. Kündigungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kündigungsvollmacht . . . . . . . . . . 2. Beteiligungsrechte des Betriebsrats . 3. Interessenausgleich . . . . . . . . . . . . . . . a) Interessenausgleich nach § 125 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . bb) Betriebsänderung. . . . . . . . . . . cc) Interessenausgleich als Betriebsvereinbarung . . . . . . . dd) Namensliste . . . . . . . . . . . . . . . ee) Gesetzliche Vermutung . . . . . . ff) Kontrolle der Sozialauswahl . . gg) Personalstruktur . . . . . . . . . . . b) Änderung der Sachlage . . . . . . . . . 4. Gerichtliche Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung (§ 122 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Beschlussverfahren nach § 126 InsO . . a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Betriebe mit Betriebsrat . . . . . bb) Betriebe ohne Betriebsrat . . . . b) Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sozialauswahl; dringende betriebliche Erfordernisse . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 1 3 5
5 5 10 10 20 24 27 29
37 37 56 58
59 59 59 60 65 69 69 69 70 76 78 81 83 92 99
105 121 121 121 124 125 139 148 153
6. Sozialplan. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inhalt des Sozialplanes. . . . . . . . . aa) Abrechnung von Sozialplanansprüchen . . . . . . . . . . . bb) Sozialplanmuster . . . . . . . . . . c) Beteiligung des Betriebsrats . . . . d) Dotierungsgrenzen . . . . . . . . . . . . aa) Absolute Grenze. . . . . . . . . . . bb) Relative Grenze . . . . . . . . . . . e) Einigungsstellenverfahren . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . bb) Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Befriedigung der Sozialplanansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Sozialplan vor Verfahrenseröffnung (§ 124 InsO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Widerruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Widerrufsberechtigung . . . . . . . . . . . V. Kündigung der Dienstverhältnisse . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestand und Beendigung der Dienstverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . a) Kündigungsfrist . . . . . . . . . . . . . . b) Unkündbare Dienstverhältnisse . aa) Betriebsratsmitglieder. . . . . . bb) Bundesfreiwilligendienst . . . . cc) Ausbildungsverhältnisse . . . . c) Befristete Dienstverhältnisse . . . . d) Altersteilzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Sonderkündigungsschutz . . . . . . aa) Schwerbehinderte . . . . . . . . . bb) Mutterschutz und Elternteilzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Außerordentliche Kündigung . . . 3. Schadensersatz (§ 113 Satz 3 InsO) . 4. Zeugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Massenentlassung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Betriebsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unwirksamkeit der Entlassungen . . 4. Sperrfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Freifrist. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . VII. Klagefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. § 4 Satz 1 KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nachträgliche Zulassung der Klage nach § 5 KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Vergütungsansprüche . . . . . . . . . . . . 1. Zeiten nach Insolvenzeröffnung . . . . 2. Freistellung von der Arbeitsleistung 3. Arbeitsentgeltansprüche bei Masseunzulänglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . .
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. 159 . 159 . 171 . . . . . . . . .
180 193 194 199 199 210 213 213 218
. 226 . . . . . .
230 230 231 235 250 250
. . . . . . . . . .
251 251 260 261 274 276 278 282 283 284
. . . . . . . . . . . . .
305 319 324 327 332 332 340 343 347 349 350 351 351
. . . .
361 374 374 375
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§ 12
Rz. 1
4. Zeiten vor Insolvenzeröffnung (Insolvenzgeld) . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anspruchsvoraussetzungen . . . . . aa) Persönliche Voraussetzungen des Insolvenzgeldanspruches bb) Sachliche Voraussetzungen des Insolvenzgeldanspruchs . (1) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . (2) Inländisches/Ausländisches Insolvenzereignis . . . . . . . . . . (3) Mehrere Insolvenzereignisse . (4) Neu gegründetes Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Leiharbeitsverhältnisse . . . . . b) Insolvenzgeldzeitraum . . . . . . . . . aa) Grundsätzliches . . . . . . . . . bb) Umfang des Arbeitsentgeltes . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Allgemeines . . . . . . . . . . . . (2) Schadensersatzansprüche . cc) Einmalzahlungen . . . . . . . . (1) Jahressonderzahlung . . . . . (2) Gewinnbeteiligung . . . . . . . (3) Tantieme. . . . . . . . . . . . . . . (4) Bauleiterprämie . . . . . . . . . (5) Provision . . . . . . . . . . . . . . . (6) Urlaubsabgeltung . . . . . . . . (7) Urlaubsentgelt . . . . . . . . . . (8) Zusätzliches Urlaubsgeld. . (9) Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle . . . . . . . . . . (10) Lohn- und Gehaltsnachzahlung . . . . . . . . . . . . . . . . (11) Betriebsübergang . . . . . . . . (12) Arbeitszeitguthaben . . . . . (13) Arbeitsleistung ohne Kenntnis des Insolvenzereignisses. . . . . . . . . . . . . . (14) Ansprüche der Erben . . . . . dd) Höhe der Leistung . . . . . . . ee) Vorschuss . . . . . . . . . . . . . . ff) Verfahren . . . . . . . . . . . . . .
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
. 387 . 387 . 387 . 405 . 405 . 416 . 423 . . . .
431 433 435 435
. . . . . . . . . . . .
441 441 448 449 450 460 461 462 463 464 466 467
5.
IX.
. 468
1. 2.
. 469 . 471 . 474
3. 4.
. . . . .
475 478 481 486 494
5. 6.
7.
(1) Arbeitnehmerpflichten . . . . . (2) Pflichten des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Auszahlung . . . . . . . . . . . . . . . hh) Tarifliche Ausschlussfristen und Insolvenzgeldbescheinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ii) Anspruchsübergang . . . . . . . . (1) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . (2) Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . jj) Fristen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Antragsfrist. . . . . . . . . . . . . . . (2) Nachfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . kk) Verfügungen über das Arbeitsentgelt . . . . . . . . . . . . (1) Abtretung . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Pfändung und Verpfändung . (3) Erlöschen von Pfandrechten . (4) Vorfinanzierung . . . . . . . . . . . Altersversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unverfallbarkeit . . . . . . . . . . . . . . b) Leistungen des Pensionssicherungsvereins . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Versorgungszusagen im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Versicherungsmissbrauch . . . . . . e) Widerruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Betriebsübergang in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses . . . . . . . . . . Haftung des Betriebserwerbers . . . . Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 128 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vermutungswirkung . . . . . . . . . . . Prozessuales. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. 494 . 501 . 511
. . . . . . .
512 520 520 527 537 537 540
. . . . . . .
550 550 555 558 559 583 583
. 587 . 593 . 597 . 603 . 613 . 613 . 636 . 645 . . . . . .
651 659 660 660 663 667
I. Allgemeines 1. Wirkungen des Insolvenzantrages und der Insolvenzeröffnung 1 Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses keinen Einfluss. Bestehende Arbeitsverhältnisse werden weder durch den Insolvenzantrag noch durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beendet (§ 108 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 InsO) (vgl. hierzu § 8 Rz. 174 ff.). Weder der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch die Insolvenzeröffnung selbst bieten einen Grund für eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung bestehender Arbeitsverhältnisse1. Eine Formulierung in der Kündigungserklärung: „Ich kündige Ihr Arbeitsverhältnis wegen der Insolvenzeröffnung vom …“ ist deshalb nicht richtig. Die außerhalb des Insolvenzverfahrens geltenden Kündigungsgründe finden auch im Insolvenzverfahren Anwendung. 1a In den Fällen, in denen eine kollektive Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes (§ 170 Abs. 4 SGB III) nicht in Betracht kommt, kann die Frage der Leistungsverpflichtung der Arbeitnehmer trotz bestehender Entgeltrückstände eine Rolle spielen. 1 BAG v. 25.10.1968 – 2 AZR 23/68, AP Nr. 1 zu § 22 KO (Böhle-Stamschräder) = NJW 1969, 525.
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Allgemeines
Rz. 4
§ 12
Der Arbeitnehmer hat bei der Nichterfüllung der Zahlungspflicht des Schuldners ein 1b Zurückbehaltungsrecht an seiner Arbeitsleistung (§ 273 Abs. 1 BGB), das nach Treu und Glauben auszuüben ist. Bei geringfügigen Rückständen darf der Arbeitnehmer daher nicht zurückbehalten. Das ausgeübte Zurückbehaltungsrecht führt zu einem Anspruch auf Leistung Zug um Zug. Aus diesem Grunde hat der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung so anzubieten, dass der Schuldner diese Zug um Zug mit der Zahlung annehmen könnte. Der Arbeitnehmer hat deshalb – ohne eine Leistungsverpflichtung – an seinem Arbeitsplatz anwesend zu sein. Das Zurückbehaltungsrecht an der Arbeitsleistung kann nicht nur von einem einzel- 2 nen Arbeitnehmer, sondern auch durch mehrere Arbeitnehmer gemeinsam ausgeübt werden1. Der Schuldner kann die Arbeitnehmer vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht auf die zu erwartenden Ansprüche auf Insolvenzgeld verweisen (zu den Voraussetzungen der Gewährung von Insolvenzgeld siehe unten Rz. 387 ff.). Das zu erwartende Insolvenzgeld stellt keine Sicherheit i.S.d. § 273 Abs. 3 Satz 1 BGB dar2. Unterrichtet jedoch der vorläufige Insolvenzverwalter die Arbeitnehmer verbindlich über das mit dem Insolvenzgericht abgestimmte Datum der Insolvenzeröffnung und sind dringende Arbeiten zu erledigen, so ist die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts seitens der Arbeitnehmer rechtsmissbräuchlich3. Die Unterrichtung der Arbeitnehmer könnte wie folgt vorgenommen werden: Es ist durch Absprache mit dem Insolvenzgericht sichergestellt, dass über den Insolvenzantrag spätestens am … entschieden wird, so dass Ihre Entgeltansprüche in vollem Umfang durch das Insolvenzgeld gesichert sind. Diese Erklärung darf vom vorläufigen Insolvenzverwalter natürlich nur abgegeben 2a werden, wenn die Entgeltansprüche des Arbeitnehmers auch in vollem Umfang insolvenzgeldfähig sind, also insbesondere nicht, wenn die Beitragsbemessungsgrenze für das Insolvenzgeld überschritten ist. In diesem Ausnahmefall besitzen die Arbeitnehmer eine Sicherheit i.S.v. § 273 Abs. 3 2b Satz 1 BGB, da die Voraussetzungen für die Gewährung von Insolvenzgeld (§ 183 Abs. 1 Nr. 1 SGB III) in naher Zukunft vorliegen. Die Abstimmung des Datums der Insolvenzeröffnung ist noch gängige Praxis, widerspricht jedoch dem Postulat des BGH, dass über den Insolvenzantrag sofort nach dem Eingang des Gutachtens des Sachverständigen zu entscheiden ist4. 2. Betriebsrat (zur Mitwirkung des Betriebsrats im eröffneten Verfahren siehe unten Rz. 65 ff.) Besteht im schuldnerischen Unternehmen ein Betriebsrat, so wird dessen Amt oder 3 Amtsführung weder durch einen Insolvenzantrag noch durch die Insolvenzeröffnung tangiert. Die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats (§§ 74 ff. BetrVG) bleiben ohne Einschränkung erhalten. Die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats setzen jedoch voraus, 4 dass sich ein erstmals gewählter Betriebsrat konstituiert hat, also der Wahlvorstand die gewählten Mitglieder des Betriebsrats zur Wahl des Betriebsratsvorsitzenden und dessen Stellvertreter einberufen und der Betriebsratsvorsitzende und dessen Stellvertreter gewählt wurden (§ 29 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 26 Abs. 1 und 2 BetrVG)5. Die Frage der Konstituierung eines neu gewählten Betriebsrats kann insbesondere im Insolvenzantragsverfahren praktische Auswirkungen haben. Beschließt der Schuldner vor Wahl und erstmaliger Konstituierung des Betriebsrats eine Betriebsänderung gemäß § 111 BetrVG, so kann der Betriebsrat einen Sozialplan nicht durchsetzen und es bestehen – mangels Beteiligungsrechten des Betriebsrats – auch keine Nachteilsaus-
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BAG v. 14.2.1978 – 1 AZR 76/76, BAGE 30, 50 (58) = DB 1978, 1403. BAG v. 25.10.1984 – 2 AZR 417/83, NZA 1985, 355 = ZIP 1985, 302 (304). BAG v. 25.10.1984 – 2 AZR 417/83, NZA 1985, 355 (356) = ZIP 1985, 302 (305). BGH v. 17.2.2004 – IX ZR 135/03, ZIP 2002, 766 = NZI 2004, 316. BAG v. 23.8.1984 – 6 AZR 520/82, BAGE 46, 282 = NZA 1985, 566.
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§ 12
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Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
gleichsansprüche nach § 113 BetrVG1. Erfolgt die Betriebsschließung noch während des vorläufigen Insolvenzverfahrens, so stellen die Nachteilsansprüche nach § 113 BetrVG Insolvenzforderungen nach § 38 InsO dar2, auch wenn das Arbeitsverhältnis nach der Insolvenzeröffnung endet. 4a Der Betriebsrat ist aber auch dann umfassend zu beteiligen, wenn er erstmals nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gewählt wurde3. II. Das vorläufige Insolvenzverfahren (Hierzu ausführlich § 6 Rz. 69 ff. und § 14 Rz. 8 ff.) 1. Der Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 22 Abs. 1 Satz 1 InsO) a) Arbeitgeberstellung 5 Mit Erlass eines allgemeinen Verfügungsverbotes nach § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO übernimmt der vorläufige „starke“ Insolvenzverwalter die Arbeitgeberfunktion. Er hat die allgemeinen Kündigungsvorschriften zu beachten, also bei Vorhandensein eines Betriebsrats diesen vor jeder Kündigung anzuhören (§ 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG), bei Betriebsänderungen den Versuch eines Interessenausgleichs (§ 111 BetrVG) zu unternehmen und bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen einen Sozialplan nach §§ 112, 112a BetrVG abzuschließen. 6 Die durch die InsO eingeräumten arbeitsrechtlichen Erleichterungen nach §§ 113, 120 –122 sowie 125 –128 InsO stehen ihm nicht zur Verfügung4. Er hat insbesondere die gesetzlichen, tariflichen oder individuell vereinbarten Kündigungsfristen einzuhalten5. Gleichfalls hat er den Ausschluss der ordentlichen Unkündbarkeit des Arbeitsverhältnisses ebenso zu respektieren wie eine Zeit- oder Zweckbefristung. 7 Der vorläufige Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis ist zur Betriebsstilllegung nur mit Zustimmung des Insolvenzgerichtes befugt (§ 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Hieraus folgt jedoch nicht, dass dem vorläufigen Insolvenzverwalter ohne Zustimmung nicht die Befugnis eingeräumt ist, sämtliche Arbeitsverhältnisse zu kündigen. Die Zustimmung des Insolvenzgerichts zur Betriebsstilllegung ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung6. 8 Infolge des Übergangs der Arbeitgeberstellung hat der vorläufige Insolvenzverwalter steuerliche Verpflichtungen zu erfüllen, also Lohnsteuervoranmeldungen abzugeben, sofern er Entgelte an die Arbeitnehmer auszahlt. Unterlässt er dies, haftet er nicht nur nach §§ 60, 61 InsO, sondern auch nach §§ 34, 69 AO. (Zur steuerrechtlichen Stellung sowie den steuerrechtlichen Pflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters vgl. § 11 Rz. 19 ff.; zur Haftung des vorläufigen Insolvenzverwalters siehe oben § 6 Rz. 95 ff.) 9 Auch die sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtungen sind durch den vorläufigen Insolvenzverwalter zu erfüllen. Er hat, ohne dass es auf eine Entgeltzahlung an die Arbeitnehmer ankommt, die monatlichen Beiträge zu melden, da die Beiträge zur Sozialversicherung mit der Lohn- und Gehaltsfälligkeit entstehen (§ 22 Abs. 1 SGB IV). Dieses gilt auch dann, wenn das Arbeitsentgelt an die Arbeitnehmer ganz oder teilweise nicht ausbezahlt wird und/oder der Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt nicht einfordert7. Gleiches würde auch dann gelten, wenn der Arbeitnehmer nach Entstehen seines Entgeltanspruches ganz oder teilweise auf sein Arbeitsentgelt verzichtet.
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BAG v. 28.10.1992 – 10 ABR 75/91, NZA 1993, 420 = ZIP 1993, 289. BAG v. 4.12.2002 – 10 AZR 16/02, BAGE 104, 94 = NZA 2003, 665 = ZIP 2003, 311. BAG v. 18.11.2003 – 1 AZR 30/03, ZIP 2004, 235. Kirchhof in HK-InsO, § 22 Rz. 42. BAG v. 20.1.2005 – 2 AZR 134/04, BAGE 113, 199 (202) = NZA 2006, 1352 (1356) = ZIP 2005, 1289 (1290). 6 BAG v. 27.10.2005 – 6 AZR 5/05, NZA 2006, 727 = ZIP 2006, 585. 7 BSG v. 26.11.1985 – 12 RK 51/83, BSGE 59, 183 (189) = ZIP 1986, 232.
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Das vorlufige Insolvenzverfahren
Rz. 17
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b) Interessenausgleich und Sozialplan aa) Interessenausgleich Da im Insolvenzantragsverfahren dem vorläufigen Insolvenzverwalter die arbeits- 10 rechtlichen Erleichterungen nach §§ 113 ff. InsO nicht zur Verfügung stehen, ist beim Vorhandensein eines Betriebsrats und Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 111 BetrVG ein Interessenausgleich nach §§ 111, 112 BetrVG zu versuchen1. Im Besonderen ist hier das Fehlen der Vorschriften zur gerichtlichen Zustimmung 11 zur Kündigung (§ 122 InsO), zum Interessenausgleich mit Namensliste (§ 125 InsO) sowie hinsichtlich des Beschlussverfahrens zum Kündigungsschutz (§ 126 InsO) zu nennen. Der vorläufige Insolvenzverwalter hat, um Nachteilsausgleichsansprüche nach § 113 12 BetrVG zu vermeiden, das Verfahren nach § 112 BetrVG voll auszuschöpfen2, also auch bei Nichtzustandekommen des Interessenausgleichs die Einigungsstelle anzurufen. Die Anrufung der Einigungsstelle ist auch dann erforderlich, wenn sich der Betriebsrat formlos mit der Betriebsänderung einverstanden erklärt3. Der Interessenausgleich ist auch zu versuchen, wenn ein Sozialplan nach § 112a BetrVG nicht erzwungen werden kann4. Erst nach der Feststellung durch den Vorsitzenden der Einigungsstelle, dass eine Eini- 13 gung nicht erzielt wurde, können die geplanten Entlassungen durchgeführt werden, ohne zu Nachteilsausgleichsansprüchen der Arbeitnehmer zu führen5. Nachteilsausgleichsansprüche entstehen grundsätzlich mit der Entlassung des Arbeitnehmers und werden fällig mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die Freistellung von der Arbeitsleistung kann aber bereits schon eine die Nachteilsausgleichsverpflichtung auslösende Maßnahme sein, wenn sie nicht mehr einseitig vom Arbeitgeber umkehrbar ist6. Daher ist vor allem bei den im (vorläufigen) Insolvenzverfahren ausgesprochenen un- 14 widerruflichen Freistellungen Vorsicht geboten. Soweit Maßnahmen umkehrbar sind, z.B. auch widerrufliche Freistellungen, dürften sie noch keine Nachteilsausgleichspflicht begründen7. Eine Klagefrist besteht nicht8. Soweit tariflich oder individuell Ausschlussfristen für alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis vereinbart sind, gelten diese Ausschlussfristen auch für die Nachteilsausgleichsansprüche9. Ein Beschluss der Einigungsstelle ist schriftlich niederzulegen, durch den Vorsitzen- 15 den der Einigungsstelle zu unterschreiben und dem Betriebsrat und vorläufigem Insolvenzverwalter zuzuleiten (§ 76 Abs. 3 Satz 3 BetrVG). Die Kosten des Einigungsstellenverfahrens, die der vorläufige (starke) Insolvenzver- 16 walter begründet, stellen im eröffneten Insolvenzverfahren Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 2 Satz 1 InsO) dar. Dazu gehören das Honorar des Vorsitzenden der Einigungsstelle, der betriebsfremden Beisitzer, der Bevollmächtigten der Betriebsparteien sowie eventuelle Sachkosten. Die Nachteilsausgleichsansprüche nach § 113 BetrVG stellen im eröffneten Insolvenzverfahren Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 2 Satz 1 InsO) dar, da der Anspruch auf einer betriebsverfassungswidrigen Handlung des vorläufigen Insolvenzverwalters beruht10. Eine Begrenzung auf 2,5 Monatsverdienste in analoger Anwendung des § 123
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
BAG v. 18.12.1984 – 1 AZR 176/82, BAGE 47, 329 = NZA 1985, 400 = ZIP 1985, 751. BAG v. 18.12.1984 – 1 AZR 176/82, BAGE 47, 329 = NZA 1985, 400 = ZIP 1985, 751. BAG v. 26.10.2004 – 1 AZR 493/03, BAGE 112, 260 = NZA 2005, 237 = ZIP 2005, 272. BAG v. 8.11.1988 – 1 AZR 687/87, BAGE 60, 87 = NZA 1989, 278 = ZIP 1989, 256. BAG v. 13.12.1978 – GS 1/77, BAGE 31, 176 (191, 192) = ZIP 1980, 83 = MDR 1979, 395. LAG Berlin-Brandenburg v. 2.3.2012 – 13 Sa 2187/11 = ZIP 2012, 1429 = ZInsO 2012, 893. BAG v. 30.5.2006 – 1 AZR 25/05, NZA 2006, 1122 = ZIP 2006, 1510. Annuß in Richardi, BetrVG, § 113 Rz. 62. BAG v. 22.2.1983 – 1 AZR 260/81, BAGE 42, 1 = NJW 1984, 323 = ZIP 1983, 846. BAG v. 3.4.1990 – 1 AZR 150/89, NZA 1990, 619 = ZIP 1990, 873.
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§ 12
Rz. 18
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
Abs. 1 InsO scheidet aus1. Zum Begriff der Masseverbindlichkeit siehe § 6 Rz. 264 ff. und § 14 Rz. 11 ff., 36 ff. 18
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Hinweis: Der Klageantrag geht dahin, den Beklagten (der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin ist) zur Zahlung einer Abfindung nach § 113 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 BetrVG zu verurteilen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird2.
18a Die Angabe eines Betrages ist entbehrlich, da das Gericht im Rahmen des § 10 KSchG nach freiem Ermessen den Abfindungsbetrag bestimmt. Um jedoch eine Beschwer i.S.v. § 64 Abs. 2 ArbGG darlegen zu können, ist in der Klagebegründung die klägerische Vorstellung zur Abfindungshöhe darzulegen. 19 Die Abfindung nach § 113 BetrVG ist ebenso wenig wie die Abfindung nach §§ 9, 10 KSchG steuerfrei. Der Nachteilsausgleichsanspruch stellt eine Lohnausgleichsleistung dar und ist Bestandteil des Arbeitsentgelts. Es besteht damit auch eine sozialversicherungsrechtliche Beitragspflicht. Da der Nachteilsausgleichsanspruch einen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis i.S.v. § 850 ZPO darstellt, ist er somit pfändbar3. Die Pfändungsgrenzen von § 850c ZPO gelten jedoch nicht4. Bei dem Nachteilsausgleichsanspruch handelt es sich um eine „nicht wiederkehrend zahlbare Vergütung“ i.S.v. § 850i ZPO5, so dass der Nachteilsausgleichsanspruch nur beschränkt pfändbar ist. bb) Sozialplan 20 Liegen die Voraussetzungen für einen erzwingbaren Sozialplan (§ 112a BetrVG) vor und kommt es zu keiner Einigung zwischen dem Betriebsrat und dem vorläufigen Insolvenzverwalter, so kann sowohl der Betriebsrat als auch der vorläufige Insolvenzverwalter die Einigungsstelle anrufen. Die Einigungsstelle ist zuständig, wenn der Sozialplan erzwingbar ist. Erzwingbar ist der Sozialplan, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 111 BetrVG gegeben sind oder bei reinen Personalanpassungsmaßnahmen die Grenzen von §§ 112a Abs. 1 Satz 1 BetrVG überschritten werden. Die Einigungsstelle stellt, sofern der Sozialplan nach §§ 111, 112a BetrVG erzwingbar ist, den Sozialplan (§ 112 Abs. 4 und 5 BetrVG) durch Spruch nach billigem Ermessen auf. Im Rahmen des billigen Ermessens sind auch die Förderungsmöglichkeiten nach dem SGB III zu berücksichtigen (§ 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2a BetrVG). Ob ein Beschluss der Einigungsstelle ohne Beteiligung der Insolvenzgläubiger noch zu einem Rechtsfehler führt, der auch nach Ablauf der Zweiwochenfrist des § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG in jedem arbeitsgerichtlichen Verfahren zu beachten ist6, ist offen, da vor der Einführung der Insolvenzordnung jedenfalls im eröffneten Verfahren keine Beteiligungspflicht der Gläubiger angenommen wurde7. 21 Die relativen und absoluten Grenzen des § 123 Abs. 1 InsO gelten für einen vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeschlossenen oder durch Spruch der Einigungsstelle aufgestellten Sozialplan nicht. 22 Im eröffneten Insolvenzverfahren resultieren aus dem im Insolvenzantragsverfahren vom (starken) vorläufigen Insolvenzverwalter geschlossenen Sozialplan Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 2 Satz 1 InsO), so dass der Insolvenzverwalter nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens von der Widerrufsmöglichkeit (§ 124 Abs. 1 InsO) jedenfalls dann Gebrauch machen muss, wenn der Sozialplan die absoluten Grenzen
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BAG v. 22.7.2003 – 1 AZR 541/02, BAGE 107, 91 = NZA 2004, 93 (95) = ZIP 2003, 2216 (2219). BAG v. 22.2.1983 – 1 AZR 260/81, BAGE 42, 1 = NJW 1984, 323. BAG v. 13.11.1991 – 4 AZR 20/91, BAGE 69, 29 (32) = NZA 1992, 384 = ZIP 1992, 494. BAG v. 13.11.1991 – 4 AZR 20/91, BAGE 69, 29 (32) = NZA 1992, 384 = ZIP 1992, 494. BAG v. 12.9.1979 – 4 AZR 420/77, BAGE 32, 96 (101) = MDR 1980, 346; LAG Schleswig-Holstein v. 13.12.2005 – 2 Sa 384/05, NZA-RR 2006, 371. 6 BAG v. 13.12.1978 – GS 1/77, BAGE 31, 176 (191, 192) = ZIP 1980, 83 = MDR 1979, 305. 7 Kania in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, BetrVG, § 76 Rz. 9.
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nach § 123 Abs. 1 InsO überschreitet. Unterlässt er den Widerruf, haftet er den Insolvenzgläubigern auf Schadensersatz nach § 60 Abs. 1 Satz 1 InsO. Schließt der vorläufige Insolvenzverwalter einen nicht erzwingbaren Sozialplan ab, 23 hat er diesen zwingend nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 124 Abs. 1 InsO zu widerrufen, da er sonst mit der Haftungsfolge nach § 60 Abs. 1 Satz 1 InsO Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO begründet. Praktische Anwendungsfälle sollte es zu beiden Konstellationen aber kaum geben. Die Sozialplanabfindungen nach § 112 BetrVG gehört ebenso wie die Kündigungsabfindung nach §§ 9, 10 KSchG zu den Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis i.S.v. § 850 ZPO1.
23a
c) Kündigungsfristen § 113 InsO ist im Antragsverfahren nicht anwendbar2. Dieses ergibt sich bereits aus der Stellung im 3. Teil „Wirkungen der Insolvenzeröffnung“ im Gesetz. Deshalb hat der vorläufige Insolvenzverwalter die gesetzlichen Kündigungsfristen nach §§ 621, 622 Abs. 2 BGB ebenso zu wahren wie einzelvertragliche und tarifliche Fristen.
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Ist die ordentliche Kündigung einzelvertraglich oder tariflich (vgl. z.B. § 55 BAT, jetzt 25 § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD – AT) ausgeschlossen, so bindet dieses auch den vorläufigen Insolvenzverwalter. Nur bei der Kündigung aller Arbeitsverhältnisse kann das unkündbare Arbeitsverhältnis außerordentlich mit der auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren gesetzlichen oder tariflichen Kündigungsfrist (Auslauffrist) gekündigt werden3. Es handelt sich um eine ordentliche Kündigung, so dass ein im schuldnerischen Unternehmen bestehender Betriebs – oder Personalrat gemäß § 102 BetrVG bzw. § 79 BPersVG zu beteiligen ist. Für einen Widerspruch des Betriebsrats gilt die Wochenfrist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG4. Die Ausschlussfrist nach § 626 Abs. 2 BGB ist unanwendbar, da es sich bei dem Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit um einen Dauertatbestand handelt5. Die zeit- oder zweckbefristeten Dienstverhältnisse sind ohne den Vorbehalt nach § 15 Abs. 3 TzBfG vor dem Fristablauf nicht kündbar.
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d) Beteiligungsrechte des Betriebsrats Ein im schuldnerischen Unternehmen bestehender Betriebsrat hat die auch außer- 27 halb des Insolvenzantragsverfahrens geltenden gesetzlichen Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte. Der Betriebsrat ist bei allen personellen Maßnahmen zu beteiligen. Es ist also bei Versetzungen (§§ 99, 95 Abs. 3 BetrVG) dessen Zustimmung einzuholen. Vor beabsichtigten Kündigungen (§ 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG) ist er zu hören. Bei der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung von Betriebsratsmitgliedern und ähnlich unkündbaren Betriebsverfassungsorganen ist die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen und im Falle der Verweigerung das arbeitsgerichtliche Zustimmungsersetzungsverfahren zu betreiben (§ 103 BetrVG). Der vorläufige Insolvenzverwalter hat auch die Mitbestimmungsrechte nach § 87 28 BetrVG zu wahren, weshalb er z.B. gehalten ist, bei der Gewährung von Anwesenheitsprämien eine Einigung mit dem Betriebsrat in Form einer Betriebsvereinbarung herbeizuführen (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG)6.
1 BAG v. 13.11.1991 – 4 AZR 20/91, BAGE 69, 29 (31) = ZIP 1992, 494 (495); LAG Niedersachsen v. 14.11.2003 – 16 Sa 1213/03, NZA-RR 2004, 490. 2 BAG v. 20.1.2005 – 2 AZR 134/04, BAGE 113, 199 = NZA 2006, 1352 (1353) = ZIP 2005, 1289 (1292). 3 BAG v. 28.3.1985 – 2 AZR 113/84, BAGE 48, 220 = NZA 1985, 559 = ZIP 1985, 1351. 4 BAG v. 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, BAGE 80, 10 (22) = NZA 1998, 771 = ZIP 1998, 1119. 5 BAG v. 5.2.1998 – 2 AZR 227/97, BAGE 88, 10 (21) = NZA 1998, 771 = ZIP 1998, 1119. 6 Richardi in Richardi, BetrVG, § 87 Rz. 821.
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e) Vergütungsansprüche der Arbeitnehmer 29 Nimmt der vorläufige Insolvenzverwalter die Arbeitsleistung der Arbeitnehmer in Anspruch, so stellen die Vergütungsansprüche der Arbeitnehmer nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Masseverbindlichkeiten dar (§ 55 Abs. 2 Satz 1 InsO). 30 Bei einer Freistellung der Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter besitzt der Arbeitnehmer nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO1. Der vorläufige Insolvenzverwalter kann wie jeder andere Arbeitgeber den Arbeitnehmer ohne eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht ohne Weiteres von der Arbeitsleistung freistellen2. Es bedarf eines besonderen Interesses des Arbeitgebers an der Freistellung3. Ein solches insolvenzspezifisches Freistellungsbedürfnis kann sich aus der fehlenden Beschäftigungsmöglichkeit infolge der Einschränkung oder Stilllegung von Betriebsabteilungen ergeben4. Im Zusammenhang mit § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO hat das LAG Hamm im eröffneten Verfahren auch unter dem Gesichtspunkt der Masseschonung argumentiert5. 31 Bei einer Freistellung von der Arbeitsleistung, auch im Zusammenhang mit der Abgabe der Kündigungserklärung oder bei einer späteren Freistellung nach der Kündigungserklärung, besteht kein Mitbestimmungsrecht eines im Betrieb bestehenden Betriebsrats, da es sich um keine Versetzung nach § 99 Abs. 3 BetrVG handelt6. 32 Besteht keine Regelung im Anstellungsvertrag, hat der Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Kündigungsfrist einen Beschäftigungsanspruch7, es sei denn, dass über das Interesse an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinausgehende Gründe die Nichtbeschäftigung legitimieren. Ein solches Interesse liegt im Falle einer betriebsbedingten Kündigung bei einer fehlenden Einsatzmöglichkeit vor, was dem Grunde nach auch einem spezifischen Freistellungsbedürfnis gleichkommt. Im Rahmen der Freistellung ist bei der Auswahl der Arbeitnehmer billiges Ermessen zu beachten8. 33 Eine Vereinbarung im Arbeitsvertrag, wonach der Arbeitgeber nach der Kündigung des Arbeitsverhältnisses zur Freistellung ohne ein berechtigtes Arbeitgeberinteresse berechtigt sein soll, hält der allgemeinen Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB nicht stand. Auch bei vorformulierten Klauseln ist Wirksamkeitsvoraussetzung für eine einseitige Freistellungsbefugnis ein sachlicher Grund9. 34 Gehen nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die insolvenzgeldfähigen Arbeitsentgeltansprüche der Arbeitnehmer nach der Stellung des Antrages auf Insolvenzgeld (§ 187 SGB III) auf die Bundesagentur für Arbeit über, begründen diese Entgeltansprüche, gleichgültig ob der vorläufige Insolvenzverwalter die Arbeitsleistung der Arbeitnehmer in Anspruch genommen hat oder nicht, in der Hand der Bundesagentur für Arbeit aufgrund gesetzlicher Neuregelung seit dem 1.1.2002 (§ 55 Abs. 3 InsO) nur noch Insolvenzforderungen nach § 38 InsO. 35 Nimmt der vorläufige Insolvenzverwalter die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers in Anspruch und wird das Arbeitsverhältnis vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelöst, so erwirbt der Arbeitnehmer in Bezug auf die Urlaubsabgeltungsansprüche im eröffneten Insolvenzverfahren eine Masseforderung nach § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO, und zwar unabhängig davon, ob für seine sonstigen Vergütungsansprüche durch die Bundesagentur für Arbeit Insolvenzgeld bezahlt wird. Zur Besonderheit des § 55 Abs. 2 InsO siehe oben § 6 Rz. 270 ff.
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BAG v. 20.1.2005 – 2 AZR 134/04, BAGE 113, 1999 = NZA 2005, 1352 = ZIP 2005, 1289 (1292). BAG v. 21.9.1993 – 9 AZR 429/91, BAGE 74, 204 = NZA 1994, 454. BAG v. 4.6.1964 – 2 AZR 310/63, BAGE 16, 72 = NJW 1964, 1918. Bertram, NZI 2001, 625 (626); Sinz in Uhlenbruck, § 55 Rz. 100. LAG Hamm v. 27.9.2000 – 2 Sa 1178/00, ZIP 2001, 435. BAG v. 28.3.2000 – 1 ABR 17/99, BAGE 94, 163 = NZA 2000, 1355. BAG v. 26.5.1997 – 2 AZR 632/76, BAGE 29, 195 = NJW 1978, 239. LAG Nürnberg v. 30.8.2005 – 6 Sa 273/05, NZA-RR 2006, 151 = ZIP 2006, 256. Preis in Preis, Der Arbeitsvertrag, II F 10, Rz. 8, 9.
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§ 12
Nimmt umgekehrt der vorläufige Insolvenzverwalter die Arbeitsleistung des Arbeit- 36 nehmers nicht in Anspruch und entstehen vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Urlaubsabgeltungsansprüche, so besitzt der Arbeitnehmer nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO. 2. Der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Hs. 2 InsO) a) Arbeitgeberstellung Das Insolvenzgericht muss in jedem Einzelfall die Pflichten des vorläufigen Insolvenz- 37 verwalters festlegen1. Eine allgemeine Ermächtigung für den Schuldner zu handeln ist unwirksam. Dementsprechend kann durch das Insolvenzgericht dem vorläufigen Insolvenzverwalter entweder die Arbeitgeberstellung übertragen oder Handlungen des Schuldners im arbeitsrechtlichen Bereich von der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters abhängig gemacht werden. Im letztgenannten Fall muss der Schuldner die schriftliche Einwilligungserklärung 38 des vorläufigen Insolvenzverwalters im Original mit dem Kündigungsschreiben vorlegen2 oder der vorläufige Insolvenzverwalter erklärt die Einwilligung auf dem Kündigungsschreiben selbst. Die Einwilligungserklärung muss das Schriftformerfordernis nach § 126 BGB erfüllen. Fehlt die schriftliche Einwilligungserklärung des vorläufigen Insolvenzverwalters, 39 kann der Arbeitnehmer oder sein Bevollmächtigter die Kündigung „wegen der fehlenden Vorlage der Einwilligung in schriftlicher Form“ zurückweisen3. Eine Vorlage der schriftlichen Einwilligungserklärung nach der Zurückweisung beseitigt die Unwirksamkeit der Erklärung nicht4. Dem vorläufigen Insolvenzverwalter kann durch das Insolvenzgericht auch als Einzel- 40 maßnahme die Kündigungsbefugnis übertragen werden5. Das Insolvenzgericht kann bereits im Beschluss über die vorläufige Insolvenzverwal- 41 tung den vorläufigen Insolvenzverwalter generell zur Betriebsstilllegung des schuldnerischen Betriebs ermächtigen6. Ist diese generelle Ermächtigung des Insolvenzgerichts zur Betriebsstilllegung nicht erteilt, ist der vorläufige Insolvenzverwalter dennoch im Falle der Übertragung der Arbeitgeberstellung oder der Kündigungsbefugnis zur Kündigung der Arbeitsverhältnisse berechtigt. Auch der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt (sog. „schwa- 42 cher“ Insolvenzverwalter) benötigt für eine Betriebsstilllegung die Zustimmungsentscheidung des Insolvenzgerichts. Erst nach Vorliegen dieser Zustimmungsentscheidung kann entweder der vorläufige Insolvenzverwalter, wenn ihm hierzu durch das Insolvenzgericht die Rechtsmacht verliehen ist, den Betrieb stilllegen oder der Stilllegung durch den Schuldner zustimmen. Unabhängig von der Zustimmungsentscheidung kann der Schuldner kündigen, da die gerichtliche Zustimmungsentscheidung zur Betriebsstilllegung für die Kündigungserklärung kein Wirksamkeitserfordernis ist7. Wegen der rechtlichen Konsequenzen der Stilllegungsentscheidung und des Nachweises, dass die Stilllegungsentscheidung vor der Kündigungserklärung erfolgte, ist durch den Kündigungsbefugten der Beschluss zur Stilllegung schriftlich zu dokumentieren8 (zur Person des vorläufigen Insolvenzverwalters vgl. § 14 Rz. 11 ff., 36 ff., 76 ff.). In betriebsratlosen Betrieben bietet sich zu Dokumentationszwecken eine gemeinsame schriftliche Information des Schuldner und des vorläufigen Insolvenzverwalters an das Insolvenzgericht an. 1 2 3 4 5 6 7 8
BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353 (367) = ZIP 2002, 1625 (1630). BAG v. 10.10.2002 – 2 AZR 532/01, BAGE 103, 123 = NZA 2003, 909 = ZIP 2003, 1161. BAG v. 10.10.2002 – 2 AZR 532/01, BAGE 103, 123 = NZA 2003, 909 = ZIP 2003, 1161 (1163). H.-F. Müller in Erman, BGB, § 111 Rz. 5. BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353 (367) = ZIP 2002, 1625 (1630). BAG v. 29.6.2000 – 8 ABR 44/99, ZIP 2000, 1588 (1592) = NZA 2000, 1180. BAG v. 27.10.2005 – 6 AZR 5/05, BAGE 116, 168 = NZA 2006, 727 = ZIP 2006, 585. BAG v. 21.6.2001 – 2 AZR 137/00, NZA 2002, 212 (214).
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Rz. 43
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Im Bestandsstreit ist somit durch den Arbeitnehmer zu bestreiten: – die Stilllegungsentscheidung vor Zugang der Kündigungserklärung; – die Berechtigung des vorläufigen Insolvenzverwalters, die Stilllegungsentscheidung zu genehmigen oder über die Stilllegung zu entscheiden. 43 Ein Bestreiten der einzelnen Tatsachen mit Nichtwissen gemäß § 138 ZPO ist zulässig1. Legt das Gericht nach einem zulässigen Insolvenzantrag dem Schuldner kein allgemeines Verfügungsverbot auf, so sind die Pflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters durch das Gericht zu bestimmen (§ 22 Abs. 2 Satz 1 InsO). Im Rahmen dieser Pflichtenregelung übertragen einige Insolvenzgerichte dem vorläufigen Insolvenzverwalter die Arbeitgeberfunktion. Der vorläufige Insolvenzverwalter ist hierdurch anstelle des Schuldners zur Kündigung einzelner Arbeitsverhältnisse befugt. Der vorläufige Insolvenzverwalter hat, da sich hieraus seine Kündigungsbefugnis ergibt, mit der Kündigungserklärung den entsprechenden Gerichtsbeschluss in Fotokopie beizufügen, um das Risiko der Zurückweisung der Kündigungserklärung „mangels Vorlage der Vollmachtsurkunde“ (§ 174 Satz 1 BGB) zu vermeiden. 44 Kündigt der vorläufige Insolvenzverwalter alle Arbeitsverhältnisse, so verstößt er gegen das Betriebsfortführungsgebot nach § 22 Abs. 1 Nr. 2 InsO, sofern ihm nicht durch das Gericht generell oder im Einzelfall die Zustimmung zur Betriebsstilllegung erteilt wurde2. Gleiches gilt, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter nicht sämtliche Arbeitsverhältnisse, sondern die überwiegende Anzahl oder die für eine Betriebsfortführung zwingend erforderlichen Arbeitnehmer kündigt. Die Kündigungen sind trotz der fehlenden materiellen Kündigungsbefugnis wirksam3. 45 Die Kündigungserleichterungen nach §§ 113, 120–122, 125–128 InsO kommen dem vorläufigen Insolvenzverwalter auch dann nicht zugute, wenn ihm durch das Insolvenzgericht die Arbeitgeberfunktion übertragen wurde. Er hat ohne jegliche Einschränkung die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats, insbesondere auch in personellen Angelegenheiten (§§ 95 Abs. 3, 99, 102, 103 BetrVG), zu wahren. Sofern die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Betriebsänderung i.S.v. § 111 BetrVG vorliegen, hat er den Versuch eines Interessenausgleichs zu unternehmen und, sofern ein Sozialplan erzwingbar ist (§§ 111, 112a BetrVG), Verhandlungen über einen Sozialplan aufzunehmen und diesen auch abzuschließen. Der Anspruch des Betriebsrats auf Abschluss eines Sozialplanes besteht unabhängig von einer Widerrufsmöglichkeit nach der Verfahrenseröffnung gemäß § 124 Abs. 1 InsO. Es empfiehlt sich für den vorläufigen Insolvenzverwalter trotz einer Übertragung der Arbeitgeberfunktion seitens des Insolvenzgerichts, wenn der Schuldner oder der gesetzliche Vertreter des Schuldners erreichbar sind, diese in die Entscheidungen und Verhandlungen einzubeziehen. 46 Kündigt der vorläufige Insolvenzverwalter oder der Schuldner mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters ohne den Versuch eines Interessenausgleichs bestehende Arbeitsverhältnisse, obgleich die tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 111 Satz 2 Nr. 1 BetrVG vorliegen, resultieren hieraus Nachteilsausgleichsansprüche der betroffenen Arbeitnehmer nach § 113 BetrVG. Auch dann, wenn im Rahmen von § 22 Abs. 2 Satz 1 InsO durch das Gericht dem vorläufigen Insolvenzverwalter die Befugnis zur Kündigung von Arbeitsverhältnissen übertragen wurde4, besitzen die Arbeitnehmer nach der Verfahrenseröffnung bezüglich ihrer Nachteilsausgleichsansprüche nur Insolvenzforderungen nach § 38 InsO5. Wird mit der Betriebsstilllegung vor der Insolvenzeröffnung begonnen, stellt der Nachteilsausgleichsanspruch des Arbeitnehmers nur eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO dar6. Der Individualanspruch des
1 BGH v. 7.10.1998 – VIII ZR 100/97, ZIP 1998, 1965 = NJW 1999, 53; BAG v. 29.6.2000 – 8 ABR 44/99, ZIP 2000, 1588 (1590) = NZA 2000, 1180. 2 BAG v. 29.6.2000 – 8 ABR 44/99, NZA 2000, 1180 = ZIP 2000, 1588 (1592). 3 BAG v. 27.10.2005 – 6 AZR 5/05, BAGE 116, 168 = NZA 2006, 727 = ZIP 2006, 585. 4 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 157, 353 = ZIP 2002, 1625, 1630. 5 BAG v. 3.4.1990 – 1 AZR 150/89, NZA 1990, 619 = ZIP 1990, 873. 6 BAG v. 4.12.2002 – 10 AZR 16/02, BAGE 104, 94 = NZA 2003, 665 = ZIP 2003, 311.
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Das vorlufige Insolvenzverfahren
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Arbeitnehmers auf Nachteilsausgleich ist als Insolvenzforderung nach § 38 InsO in der Regel wertlos oder zumindest so gut wie wertlos (zur Geltendmachung einer Insolvenzforderung vgl. § 6 Rz. 278 ff.). Dem Betriebsrat wird durch die Rechtsprechung teilweise ein Unterlassungsan- 47 spruch mit dem Ziel zuerkannt, dass ohne Abschluss eines Interessenausgleichs der Ausspruch von Kündigungen sowie die Demontage und der Abtransport von Betriebsanlagen untersagt wird1. Die Instanzgerichte beurteilen diese Frage unterschiedlich. Teilweise wird der Unterlassungsanspruch bejaht2, teilweise verneint3. Nach richtiger Ansicht ist dem Betriebsrat zur Sicherung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats ein Unterlassungsanspruch zuzubilligen4, da der Unterlassungsanspruch nach § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG in die Zukunft gerichtet ist. Auch die Bußgeldvorschrift des § 121 Abs. 1 BetrVG ist nicht geeignet, die Beteiligungsrechte des Betriebsrats nachhaltig zu schützen. Der Betriebsrat kann im Verfahren der einstweiligen Verfügung gemäß §§ 935, 940 48 ZPO den Unterlassungsanspruch durchsetzen5. Der Unterlassungsanspruch des Betriebsrats ist vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zeitlich nicht befristet6. Der Betriebsrat ist in dieser Situation zum schnellen Handeln aufgerufen. Einstweilen frei.
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b) Vergütungsansprüche der Arbeitnehmer Die Vergütungsansprüche der Arbeitnehmer stellen im eröffneten Verfahren Insol- 56 venzforderungen nach § 38 InsO dar, soweit nicht die Voraussetzungen für die Gewährung von Insolvenzgeld (§§ 183, 185 SGB III) gegeben sind. Im Gegensatz zu den Fällen, in denen dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsver- 57 bot auferlegt wurde, ist es für die Entgeltansprüche der Arbeitnehmer bedeutungslos, ob durch den vorläufigen (schwachen) Insolvenzverwalter und/oder Schuldner die Arbeitsleistung in Anspruch genommen wurde. § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO ist nicht analog anwendbar. Auch wenn dem vorläufigen Insolvenzverwalter durch das Gericht die Arbeitgeberfunktion im Rahmen der Pflichtenbestimmung nach § 22 Abs. 2 Satz 1 InsO übertragen wurde, führt diese Befugnis nicht zur Begründung von Masseverbindlichkeiten im eröffneten Insolvenzverfahren7. 3. Der vorläufige Sachwalter Ordnet das Gericht auf Antrag des Schuldners das Verfahren nach § 270a InsO oder 58 das nach § 270b InsO an, gelten für den einzusetzenden Sachwalter (§ 270a Abs. 1 Satz 2 InsO) die Kompetenzzuweisungen in §§ 274, 275 InsO. Der vorläufige Sachwalter hat danach ausschließlich Prüfungs- und Kontrollfunktion, so dass seine Erklärungen und Rechtshandlungen keine unmittelbaren Wirkungen in Bezug auf Arbeitsverhältnisse im schuldnerischen Unternehmen entfalten. Selbst fehlende Zustimmungen oder Widersprüche machen Rechtshandlungen des Schuldners (wie z.B. Kündigungen, Einstellungen, Abschluss von Sozialplänen, Zahlung oder Vereinbarung von Abfindungen) nicht unwirksam. Selbstverständlich gelten für den Schuldner (auch mit Zustimmung des vorläufigen Sachwalters) vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Kündigungserleichterungen nach §§ 113, 120–122, 125–128 InsO ebenso wenig wie für den vorläufigen Insolvenzverwalter mit Genehmigungsvorbehalt. 1 Fitting, BetrVG, § 111 Rz. 130, 131. 2 LAG Hamburg v. 26.6.1997 – 6 Ta BV 5/97, NZA-RR 1997, 296; LAG Berlin v. 7.9.1995 – 10 Ta BV 5/95, AP Nr. 36 zu § 111 BetrVG 1992. 3 LAG Rheinland-Pfalz v. 28.3.1989 – 3 Ta BV 6/89, NZA 1989, 283 (LS); LAG Köln v. 1.9.1995 – 13 Ta 223/95, BB 1995, 2115 (LS); LAG Düsseldorf v. 19.11.1996 – 8 Ta BV 80/96, NZA-RR 1997, 297. 4 Fitting, BetrVG, § 111 Rz. 132. 5 LAG Hamm v. 28.8.2003 – 13 Ta BV 127/03, NZA-RR 2004, 80 = ArbRB 2004, 14. 6 LAG Hamburg v. 26.6.1997 – 6 Ta BV 5/97, NZA-RR 1997, 296; LAG Köln v. 13.1.1998 – 13 Ta BV 60/97, NZA 1998, 1018 (1020). 7 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353 = ZIP 2002, 1625.
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III. Das Arbeitsverhältnis im eröffneten Insolvenzverfahren – Bestand und Beendigung der Dienstverhältnisse 1. Kündigungsbefugnis a) Allgemeines 59 Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist allein der Insolvenzverwalter zur Kündigung befugt. Auf ihn gehen kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 1 InsO) das Verwaltungsund Verfügungsrecht sowie die Rechte und Pflichten aus den Arbeitsverhältnissen des Schuldners über. Bei der Kapitalgesellschaft endet auch bei fortbestehendem Dienstvertrag die rechtsgeschäftliche Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers, so dass auch seine Kündigungsbefugnis entfällt. Erteilte Vollmachten erlöschen mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 117 InsO). Zu § 117 InsO vgl. § 8 Rz. 292 ff. und zu den Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vgl. § 6 Rz. 142 ff.). b) Kündigungsvollmacht 60 Der Insolvenzverwalter kann zur Abgabe der Kündigungserklärung generell oder im Einzelfall einen Dritten bevollmächtigen1. Beschäftigt der Insolvenzverwalter den bisherigen Personalleiter weiter und teilt er den Arbeitnehmern mit, dass der Personalleiter seine bisherigen Befugnisse auch weiterhin innehat, so ist durch diesen keine Kündigungsvollmacht vorzulegen2. Aus Vorsichtsgründen unterschreiben die meisten Insolvenzverwalter Kündigungen höchstpersönlich. 61
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Hinweis: Ist der Insolvenzverwalter Mitglied einer Sozietät, so sind seine Sozien keinesfalls offensichtlich bevollmächtigt, Kündigungen gegenüber Arbeitnehmern des schuldnerischen Betriebs auszusprechen3.
62 Der Insolvenzverwalter kann mit seiner arbeitsrechtlichen Vertretung unter Einschluss der Kündigungsbefugnis einzelne oder mehrere Personen betrauen und diese Bevollmächtigung in betriebsüblicher Form bekannt geben4. Diese Mitteilung kann über einen Anschlag am schwarzen Brett nicht wirksam erfolgen5. Ausreichend ist jedoch ein Rundschreiben an die Mitarbeiter oder ein betriebsinternes, für alle Arbeitnehmer zugängliches Informationssystem. 63 Der Arbeitnehmer kann eine ohne oder mit unzureichender Vollmacht erklärte Kündigung „wegen Nichtvorlage der Vollmachtsurkunde“ unverzüglich zurückweisen (§ 174 Satz 1 BGB)6. Insoweit gelten keine Besonderheiten zur Rechtslage außerhalb des Insolvenzverfahrens. 63a Beruht die Vertretungsmacht nicht auf einer erteilten Vollmacht, sondern auf einer gesetzlichen Grundlage, kann die Vertretungsmacht nicht durch eine Vollmachtsurkunde nachgewiesen werden, so dass eine Zurückweisung ausscheidet7. Gleiches gilt für Bestellungsurkunden von Vormündern, Pflegern oder gerichtlich bestellten Verwaltern wie z.B. Insolvenzverwaltern. 64 Wird nach der Zurückweisung die Vollmachtsurkunde vorgelegt, heilt dieses die unwirksame Kündigungserklärung nicht. Eine Genehmigung durch den Vertretenen ist gemäß § 177 BGB nicht möglich, so dass die Kündigungserklärung neu vorgenommen werden muss8. Ist ein Betriebsrat vorhanden, ist dieser erneut nach § 102 BetrVG an-
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BAG v. 21.7.1988 – 2 AZR 75/88, NZA 1989, 264. BAG v. 22.1.1998 – 2 AZR 267/97, NZA 1998, 699 = ZIP 1998, 748. BAG v. 18.4.2002 – 8 AZR 346/01, NZA 2002, 1207 (1210) = ZIP 2002, 2003 (2007). BAG v. 20.8.1997 – 2 AZR 518/96, NZA 1997, 1343. BAG v. 3.7.2003 – 2 AZR 235/02, BAGE 107, 36 (49) = NZA 2004, 427 (431); LAG Berlin v. 28.6.2006 – 15 Sa 632/06, NZA – RR 2007, 15; LAG Köln v. 3.5.2002 – 4 Sa 1285/01, NZA-RR 2003, 194. 6 BAG v. 11.7.1991 – 2 AZR 107/91, NZA 1992, 449 = ZIP 1992, 497. 7 BGH v. 9.11.2001 – LwZR 4/01, ZIP 2002, 174 (175). 8 Schramm in MünchKommBGB, § 174 Rz. 11.
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Bestand und Beendigung von Dienstverhltnissen
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§ 12
zuhören, da mit der ersten Kündigung die Anhörung des Betriebsrats verbraucht ist1. 2. Beteiligungsrechte des Betriebsrats Die erstmalige Wahl eines Betriebsrats führt nicht automatisch zu Mitbestimmungs- 65 und Beteiligungsrechten eines Betriebsrats. Diese Rechte entstehen erst dann, wenn sich ein erstmalig gewählter Betriebsrat konstituiert hat (§ 29 Abs. 1 BetrVG). Gibt der Insolvenzverwalter vor der Konstituierung des Betriebsrats die Kündigungserklärung ab, besteht kein Beteiligungsrecht des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG2. Gleiches gilt, wenn der Insolvenzverwalter eine Betriebsänderung vornimmt. Auch hier sind vor Konstituierung des Betriebsrats die Mitbestimmungsrechte nach §§ 111 ff. BetrVG nicht zu wahren3. Ist dem Insolvenzverwalter bekannt, dass im Betrieb ein Betriebsrat gewählt werden soll, muss er mit der Betriebsschließung nicht zuwarten4. Gleiches gilt, wenn sich der Betriebsrat noch nicht konstituiert hat. Generell ist der Insolvenzverwalter verpflichtet, den Betriebsrat über eine geplante Betriebsänderung zu unterrichten und den Versuch eines Interessenausgleichs zu unternehmen, wenn nach der Insolvenzeröffnung erstmalig ein Betriebsrat gewählt wurde und dieser sich konstituiert hat5. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens werden die Rechte eines im schuld- 66 nerischen Unternehmen bestehenden und konstituierten Betriebsrats nicht eingeschränkt. Der Insolvenzverwalter hat die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats vollumfänglich zu wahren, also z.B. die – Zustimmung bei Versetzungen einzuholen (§§ 95 Abs. 3 i.V.m. 99 BetrVG); – Anhörung vor jeder Kündigung (§ 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG); – Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung von Mandatsträgern (§ 103 Abs. 1 BetrVG); – Unterrichtung bei geplanten Massenentlassungen (§ 17 Abs. 2 KSchG)6; – Mitbestimmungsrechte (§ 87 BetrVG); – Beratung und Unterrichtung bei Betriebsänderungen (§ 111 BetrVG); – Verhandlungen über einen Interessenausgleich (§ 112 Abs. 2 und 3 BetrVG); – Verhandlungen über den Abschluss eines Sozialplanes (§§ 112, 112a BetrVG). Wurde im schuldnerischen Unternehmen ein Wirtschaftsausschuss gebildet, so hat der Insolvenzverwalter diesen über die wirtschaftlichen Angelegenheiten zu unterrichten (§ 106 Abs. 2 BetrVG) und selbst an den Sitzungen teilzunehmen oder einen sachkundigen Vertreter zu entsenden (§ 106 Abs. 2 Satz 1 BetrVG).
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Dem Betriebsrat ist durch den Insolvenzverwalter die Kündigungsabsicht auch dann 68 mitzuteilen, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis noch nicht angetreten hat7 oder wenn das KSchG auf das Arbeitsverhältnis noch keine Anwendung findet8. Der Betriebsrat ist gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG unabhängig davon zu beteiligen, welche Kündigungsfrist zur Anwendung gelangt, also auch bei tariflich zulässigen kurzen, sogar eintägigen Kündigungsfristen9. Bei der beabsichtigten Kündigung von Aushilfsarbeitsverhältnissen und Ausbildungsverhältnissen gelten keine Besonderheiten. Lediglich bei Zeitablauf von zeitbefristeten Arbeitsverhältnissen10 oder
1 BAG v. 16.9.1993 – 2 AZR 267/93, BAGE 74, 185 = NZA 1994, 311; BAG v. 31.1.1996 – 2 AZR 273/05, NZA 1996, 649. 2 BAG v. 25.10.1984 – 2 AZR 417/83, NZA 1985, 355 = ZIP 1985, 302. 3 Annuß in Richardi, § 111 Rz. 27. 4 BAG v. 28.10.1992 – 10 ABR 75/91, NZA 1993, 420 = ZIP 1993, 289. 5 BAG v. 18.11.2003 – 1 AZR 30/03, BAGE 108, 294 = NZA 2004, 220 = ZIP 2004, 235. 6 BAG v. 16.9.1993 – 2 AZR 267/93, BAGE 74, 185 = NZA 1994, 311. 7 Etzel in KR, § 102 BetrVG Rz. 28. 8 BAG v. 18.5.1994 – 2 AZR 920/93, BAGE 77, 13 = NZA 1995, 24. 9 LAG Hamm v. 5.7.1995 – 3 Sa 2003/94, BB 1996, 959 (LS). 10 Etzel in KR, § 102 BetrVG Rz. 39.
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§ 12
Rz. 68a
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
beim Abschluss von Aufhebungsverträgen1 scheidet eine Beteiligung des Betriebsrats aus. 68a Durch den Abschluss eines Interessenausgleichs nach § 1 Abs. 5 KSchG oder § 125 InsO wird die Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG nicht entbehrlich2. Der Interessenausgleich kann jedoch mit der Anhörung nach § 102 BetrVG verbunden werden3. Im Interessenausgleich könnte die Anhörung wie folgt formuliert werden4: 68b M 21
Verbindung Betriebsratsanhçrung mit Interessenausgleich
Bei der Verhandlung ber den Interessenausgleich und der Erstellung der Namensliste lagen dem Betriebsrat die Sozialdaten smtlicher Arbeitnehmer des Betriebs vor. Mit der Erstellung der Namensliste ist gleichzeitig das Anhçrungsverfahren nach § 102 BetrVG zur Kndigung der in der Namensliste genannten Arbeitnehmer eingeleitet worden. Die Erçrterungen, die zur Erstellung der Namensliste gefhrt haben, sind gleichzeitig die fçrmliche Information des Betriebsrats ber die Kndigungsgrnde gemß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Der Betriebsrat hatte in seiner Sitzung vom . . . Gelegenheit, ber die beabsichtigten Kndigungen zu beraten. Er gibt dazu folgende, abschließende Erklrung ab: Die Kndigungen werden zur Kenntnis genommen. Der Betriebsrat betrachtet das Anhçrungsverfahren damit als abgeschlossen. 68c Hilfreich ist es auch, die mitgeteilten Sozialdaten abstrakt zu benennen und den Stichtag der Datenerhebung anzugeben. 3. Interessenausgleich a) Interessenausgleich nach § 125 InsO aa) Allgemeines 69 Voraussetzung für die Anwendbarkeit von § 125 InsO ist die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 27 InsO) und das Vorhandensein eines Betriebsrats sowie dessen Konstitution. Der vorläufige Insolvenzverwalter, auch wenn auf ihn gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis übergegangen ist, kann dagegen das Interessenausgleichsverfahren nur nach §§ 111, 112 BetrVG oder § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG durchführen. § 125 InsO ist lex specialis zu § 1 KSchG, beseitigt jedoch nicht das Erfordernis eines besonderen Kündigungsgrundes i.S.d. § 15 KschG5. bb) Betriebsänderung 70 Ebenso wie bei § 111 BetrVG muss bei § 125 InsO eine Betriebsänderung durch den Insolvenzverwalter geplant sein6. Eine Betriebsänderung stellt auch eine Verringerung der Zahl der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer dar. Im Falle eines Personalabbaus ist dann ein Interessenausgleich herbeizuführen, wenn durch die geplante Personalmaßnahme die Zahlenangaben von § 17 Abs. 1 KSchG überschritten werden oder wenn bei Großbetrieben von dem geplanten Personalabbau 5 % der regelmäßig Beschäftigten betroffen sind7. Maßgeblich ist die Zahl der im Unternehmen in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Entlassung, also Zugang der Kündigungserklärung. Schwankungen aufgrund von außergewöhnlichem Geschäftsanfall oder eine kurzfristige Drosselung bleiben unberücksichtigt8. Im Falle der Insolvenz ist rückblickend auf die bisherige, normale Belegschaftsstärke abzustellen9. 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Etzel in KR, § 102 BetrVG Rz. 42. BAG v. 28.8.2003 – 2 AZR 377/02, BAGE 107, 221 = ZIP 2004, 525. BAG v. 20.5.1999 – 2 AZR 532/98, BAGE 91, 341 = NZA 1999, 1101 = ZIP 1999, 1610. Bertram, NZI 2001, 625 (629). BAG v. 17.11.2005 – 6 AZR 118/05, NZA 2006, 370 = ZIP 2006, 918. BAG v. 16.5.2002 – 8 AZR 319/01, NZA 2003, 93. BAG v. 6.12.1988 – 1 ABR 47/87, BAGE 60, 237 = NZA 1989, 399 (400) = ZIP 1989, 389. v. Hoyningen-Huene in v. Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 17 Rz. 19. BAG v. 9.5.1995 – 1 ABR 51/94, NZA 1996, 166 = ZIP 1995, 1762.
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Bestand und Beendigung von Dienstverhltnissen
Rz. 73
§ 12
Eine vom Betriebsrat unterschriebene Namensliste, ggf. auch im Rahmen einer Be- 70a triebsvereinbarung, ohne Vorliegen der Voraussetzungen nach § 111 BetrVG, lässt die Rechtsfolgen des § 125 InsO nicht eintreten1. Erfolgt der Personalabbau durch den Insolvenzverwalter in Etappen, ist maßgeblich, 71 ob die einzelnen Betriebsänderungen unabhängig voneinander geplant sind oder ob es sich um eine einheitliche Maßnahme handelt2. Handelt es sich um eine einheitliche Maßnahme des Insolvenzverwalters, so ist maßgeblich für die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer und damit die Zahlenangaben von § 17 Abs. 1 KSchG die bei der ersten Maßnahme vorhandene Arbeitnehmerzahl. Generell spricht ein zeitlicher Zusammenhang der einzelnen Entlassungen dafür, dass eine einheitliche Maßnahme geplant war3. Mitzuzählen sind auch diejenigen Arbeitnehmer, welche dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf einen Teilbetriebsübernehmer widersprochen haben und deren Arbeitsverhältnis deshalb mangels Beschäftigungsmöglichkeit durch den Insolvenzverwalter gekündigt werden muss4, sowie Eigenkündigungen oder Aufhebungsvereinbarungen soweit diese durch die geplante Betriebsänderung veranlasst sind. Durch die Verweisung in § 125 Abs. 1 InsO auf § 111 BetrVG steht fest, dass der im in- 72 solventen Unternehmen bestehende Betriebsrat rechtzeitig und umfassend über die geplante Betriebsänderung durch den Insolvenzverwalter5 zu unterrichten ist. Die Unterrichtung des Betriebsrats muss vor der Entscheidung des Insolvenzverwalters über das Ob, Wann und Wie der Betriebsänderung erfolgen6, damit der Betriebsrat auf die Planung noch Einfluss nehmen kann. Eine Betriebsänderung ist auch dann i.S.v. § 111 Satz 1 BetrVG geplant, wenn die Betriebsänderung durch äußere Umstände erzwungen wird, weshalb folgerichtig eine geplante Betriebsänderung auch dann angenommen wird, wenn sie durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder äußere wirtschaftliche Umstände erzwungen wird7, da dem Insolvenzverwalter die Möglichkeiten nach §§ 122, 126 InsO zur Verfügung stehen. Der Insolvenzverwalter beginnt mit einer Betriebsänderung erst mit der Auflösung 72a der Betriebsorganisation, nicht jedoch bereits mit der Produktionseinstellung und/ oder der Freistellung der Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung8, wenn die Produktion jederzeit wieder aufgenommen werden könnte. Stellt der Insolvenzverwalter die Arbeitnehmer jedoch unwiderruflich frei, kann er die Freistellung nicht mehr einseitig zurücknehmen. Sie ist damit unumkehrbar und kann der Beginn der Stilllegung eines Betriebes und damit auch Beginn der Durchführung einer Betriebsänderung sein9. Denn eine geplante Betriebsänderung wird durchgeführt, wenn der Arbeitgeber mit ihr beginnt und vollendete Tatsachen schafft, die nicht mehr rückgängig zu machen sind10. Für den Insolvenzverwalter ist äußerste Vorsicht geboten, da eine Freistellung damit Nachteilsausgleichsansprüche nach § 113 BetrVG auslösen kann. Der Insolvenzverwalter hat spätestens bei der Einholung der Zustimmung des Gläu- 73 bigerausschusses zur Betriebsstilllegung (§ 158 Abs. 1 InsO) oder bei der Unterrichtung des Schuldners von der Schließungsabsicht (§ 158 Abs. 1 Satz 1 InsO) den Betriebsrat zu unterrichten. Die Unterrichtung des Betriebsrats und die Beratung mit dem Betriebsrat stehen dann unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Gläubigerausschusses zur Betriebsstilllegung. Fasst die Gläubigerversammlung einen Stilllegungsbeschluss (§§ 156, 159 InsO), so hat der Insolvenzverwalter den Betriebsrat
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BAG v. 16.5.2002 – 8 AZR 319/01, NZA 2003, 93 = ZInsO 2003, 43. BAG v. 8.6.1989 – 2 AZR 624/88, NZA 1990, 224 = ZIP 1990, 323. BAG v. 9.5.1995 – 1 ABR 51/94, NZA 1996, 166 = ZIP 1995, 1762. BAG v. 10.12.1996 – 1 AZR 290/96, NZA 1997, 787 = ZIP 1997, 1471. BAG v. 22.7.2003 – 1 AZR 541/02, BAGE 107, 91 = NZA 2004, 93 = ZIP 2003, 2216. BAG v. 20.11.1970 – 1 AZR 409/69, BAGE 23, 62 (73) = NJW 1971, 774. BAG v. 13.12.1978 – GS 1/77, BAGE 31, 176 (187) = MDR 1979, 345; BAG v. 22.7.2003 – 1 AZR 541/02, ZIP 2003, 2216. 8 BAG v. 22.11.2005 – 1 AZR 407/04, NZA 2006, 736 = ZIP 2006, 1312. 9 LAG Berlin-Brandenburg v. 2.3.2012 – 13 Sa 2187/11, ZIP 2012, 68672 = ZInsO 2012, 893. 10 Heinze/Bertram in Gottwald, Insolvenzrechtshandbuch, § 104 Rz. 31; BAG v. 22.11.2001 – 1 AZR 11/01, NZA 2002, 992 = ZIP 2002, 817.
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§ 12
Rz. 74
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
hiervon unverzüglich zu unterrichten und Verhandlungen über einen Interessenausgleich aufzunehmen1, es sei denn, die Gläubigerversammlung fasst einen Vorratsbeschluss und stellt die Entscheidung über die Stilllegung in das Ermessen des Insolvenzverwalters. Solange der Interessenausgleich nicht abgeschlossen ist oder der Vorsitzende der Einigungsstelle das Scheitern eines Interessenausgleichsversuchs nicht festgestellt hat, kann der Insolvenzverwalter den Beschluss der Gläubigerversammlung zur Betriebsschließung nicht durch Kündigung der Arbeitsverhältnisse umsetzen, da er sonst Nachteilsausgleichsansprüche, welche Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Satz 1 InsO darstellen, nach § 113 BetrVG auslöst. 74 Die Unterrichtung des Betriebsrats hat so rechtzeitig zu erfolgen, dass vor der Durchführung der Betriebsänderung der Interessenausgleich und der Sozialplan noch verhandelt werden können2. 75 Der Betriebsrat muss über die Gründe für die geplante Betriebsänderung, den Inhalt geplanter Maßnahmen und die Auswirkung auf die Arbeitsverhältnisse unterrichtet werden. Auf Verlangen hat der Insolvenzverwalter dem Betriebsrat die – bezogen auf die geplante Betriebsänderung – erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen (§ 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG)3. Der Umfang der Unterrichtungspflicht des Insolvenzverwalters wird auch nicht durch die Notwendigkeit der Geheimhaltung eingeschränkt4. cc) Interessenausgleich als Betriebsvereinbarung 76 Der gemäß § 125 Abs. 1 InsO zustande gekommene Interessenausgleich stellt eine freiwillige Betriebsvereinbarung dar. Diese Betriebsvereinbarung ist gemäß § 77 Abs. 2 Satz 2 BetrVG schriftlich (§ 77 Abs. 2 Satz 1 BetrVG) niederzulegen und zu unterzeichnen (§ 77 Abs. 2 Satz 2 BetrVG). Die Unterzeichnung der Betriebsvereinbarung muss durch den Insolvenzverwalter und den Betriebsrat bzw. dessen bevollmächtigten Vertretern auf der gleichen Urkunde erfolgen5. Der Austausch von einseitig unterzeichneten Exemplaren der Betriebsvereinbarung genügt dem Schriftformerfordernis des § 77 Abs. 2 Satz 2 BetrVG nicht, da § 126 Abs. 2 BGB auf Betriebsvereinbarungen nicht anwendbar ist. Ein Verstoß gegen das zwingende Schriftformerfordernis führt gemäß § 125 Satz 1 BGB zur Nichtigkeit der Betriebsvereinbarung6. Besteht der Interessenausgleich aus mehreren Blättern, so muss nicht jedes einzelne Blatt gesondert unterschrieben werden, sofern die Blätter inhaltlich aufeinander Bezug nehmen und miteinander fest verbunden sind7. Die Einheitlichkeit der Urkunde wird dadurch hergestellt, dass ihre Bestandteile dauerhaft zusammengeheftet sind und einen Sinnzusammenhang erkennen lassen8. Auf die körperliche Verbindung der Bestandteile der Urkunde kann dann verzichtet werden, wenn die Einheit der Urkunde sich aus einer fortlaufenden Paginierung, Nummerierung der einzelnen Bestimmungen, einer einheitlichen farblichen Gestaltung, dem inhaltlichen Zusammenhang des Textes oder vergleichbarer Merkmale zweifelsfrei ergibt9. Wird die vorhandene Verbindung, z.B. die Heftklammer zum Zweck des Fotokopierens gelöst und später die Urkunde wieder zusammengeheftet, ist das Schriftformerfordernis nicht gewahrt. Die Übermittlung durch Telefax und eine Gegenzeichnung hierauf genügt dem Schriftformerfordernis nicht10.
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Fitting, BetrVG, § 111 Rz. 109. BAG v. 14.9.1976 – 1 AZR 784/75, NJW 1977, 727 (LS). Annuß in Richardi, BetrVG, § 111 Rz. 150. BAG v. 20.11.1970 – 1 AZR 409/69, BAGE 23, 62 (73) = NJW 1971, 774. BAG v. 21.8.1990 – 3 AZR 422/89, NZA 1991, 507 = ZIP 1991, 675. BAG v. 26.10.2004 – 1 AZR 493/03, BAGE 112, 260 = NZA 2005, 237 = ZIP 2005, 272. BAG v. 11.11.1986 – 3 ABR 74/85, BAGE 53, 309 (312) = NZA 1987, 449. BAG v. 30.10.1984 – 3 AZR 213/82, BAGE 47, 125 (127) = NZA 1985, 426; BAG v. 7.5.1998 – 2 AZR 55/98, NZA 1998, 1110 = ZIP 1998, 1885 (1887). 9 BGH v. 24.9.1997 – XII ZR 234/95, BGHZ 136, 357 = NJW 1998, 731. 10 BGH v. 28.1.1993 – IX ZR 259/91, BGHZ 121, 224 (229) = ZIP 1993, 424.
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Bestand und Beendigung von Dienstverhltnissen
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Der Interessenausgleich kann mit einer aufschiebenden oder auflösenden Bedingung 77 versehen sein1. dd) Namensliste Der Interessenausgleich nach § 125 InsO beinhaltet neben dem eigentlichen Interes- 78 senausgleich nach §§ 111, 112 BetrVG eine Namensliste der zu kündigenden Arbeitnehmer. Die Namen der zu kündigenden Arbeitnehmer sind entweder in den Interessenausgleich (Betriebsvereinbarung) aufzunehmen oder in einer gesonderten Liste aufzuführen. Auch für die Namensliste, wenn diese gesondert erstellt wird, gilt das Schriftformerfordernis nach §§ 77 Abs. 2 Satz 1 BetrVG. Dem Schriftformerfordernis ist nur dann Genüge getan, wenn entweder zusätzlich zum Interessenausgleich die Namensliste gesondert durch den Betriebsrat und den Insolvenzverwalter in der gleichen Urkunde unterzeichnet wird oder der Interessenausgleich auf die nicht unterschriebene Namensliste Bezug nimmt und beide Urkunden fest miteinander verbunden sind2. Nur bei fester Verbindung von Interessenausgleich und Namensliste wird eine einheitliche Urkunde gebildet und das Schriftformerfordernis erfüllt3. Ist die Namensliste nicht unterschrieben, jedoch mittels Heftmaschine fest und dau- 78a erhaft mit dem Interessenausgleich verbunden, so sind die Arbeitnehmer in dem Interessenausgleich namentlich bezeichnet4. Dieses gilt jedoch nicht, wenn die nicht unterschriebene Namensliste erst nach der Unterzeichnung des Interessenausgleichs an diesen geheftet wird5. Die ursprüngliche Gesamturkunde wird jedoch dann zerstört, wenn zum Zwecke des Kopierens die Heftklammern gelöst und später die losen Blätter wieder zusammengeheftet werden6. Die Vermutungswirkungen und damit auch das Zustandekommen eines wirksamen Interessenausgleichs hat der Insolvenzverwalter zu beweisen. Weitere Tatsachen zur Rechtfertigung der Kündigung hat der Insolvenzverwalter in diesem Fall nicht vorzutragen7. Die gesonderte Namensliste muss nicht ausdrücklich in der Überschrift als Anlage zum Interessenausgleich bezeichnet werden. Gleichfalls ist die Angabe von Ort und Datum kein Wirksamkeitserfordernis für die Namensliste zum Interessenausgleich8. Durch das strenge Schriftformerfordernis sollen in Bezug auf die Namensliste Mani- 79 pulationen ausgeschlossen werden, insbesondere nach Abschluss des Interessenausgleichs zu Lasten der Arbeitnehmer ein Austausch der Namensliste unmöglich werden. Hieraus folgt jedoch zugleich, dass auch nach dem Abschluss des Interessenausgleichs noch eine Namensliste durch den Insolvenzverwalter und Betriebsrat schriftlich vereinbart werden kann, solange die Kündigungserklärungen den in der Namensliste bezeichneten Arbeitnehmern noch nicht zugegangen sind9. Nach den gleichen Grundsätzen kann auch eine bereits vereinbarte Namensliste durch eine neue Namensliste ersetzt werden, solange die Kündigungserklärungen den Arbeitnehmern noch nicht zugegangen sind. Ob eine „Negativliste“, also die Nennung der im Betrieb Bleibenden, ausreicht, ist zwar umstritten, aber aufgrund des klaren Wortlautes des § 125 InsO und der Rechtssicherheit, abzulehnen10. Von § 125 InsO werden nicht nur die Beendigungskündigungen, sondern auch Ände- 80 rungskündigungen erfasst (§ 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Aus diesem Grund ist entweder 1 Offen: BAG v. 21.7.2005 – 6 AZR 592/04, NZA 2006, 162 = ZIP 2006, 199. 2 BAG v. 6.12.2001 – 2 AZR 422/00, ZInsO 2002, 1104 (LS) = NZA 2002, 999 (O). 3 BAG v. 7.5.1998 – 2 AZR 55/98, BAGE 88, 375 = NZA 1998, 1110 = ZIP 1998, 1885; BAG v. 20.5.1999 – 2 AZR 278/98, ZInsO 2000, 351 (LS) = NZI 2001, 87. 4 BAG v. 7.5.1998 – 2 AZR 55/98, BAGE 88, 375 = NZA 1998, 1110 = ZIP 1998, 1885. 5 BAG v. 6.7.2006 – 2 AZR 520/05, NZA 2007, 266 = ZIP 2006, 2329. 6 LAG Hamm v. 6.7.2000 – 4 Sa 233/00, EWiR 2001, 125 (Anm. von Grimm) = ZInsO 2001, 336 (LS). 7 BAG v. 28.8.2003 – 2 AZR 368/02, NZA 2004, 432 = ZIP 2004, 1271. 8 BAG v. 7.5.1998 – 2 AZR 55/98, BAGE 88, 375 (383) = NZA 1998, 1110 (1112) = ZIP 1998, 1885 (1887). 9 BAG v. 7.5.1998 – 2 AZR 55/98, BAGE 88, 375 (382) = NZA 1998, 1110 (1112) = ZIP 1998, 1885 (1887). 10 LAG Sachsen v. 12.7.2005 – 7 Sa 892/04; Berscheid in Uhlenbruck, § 125 InsO Rz. 24.
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§ 12
Rz. 80a
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
im Interessenausgleich oder in der Namensliste klarzustellen, von welcher Kündigungsart die genannten Arbeitnehmer betroffen werden sollen1. Im Falle der Änderungskündigung ist das Änderungsangebot in den Interessenausgleich aufzunehmen. Sind die Änderungsangebote für einzelne Arbeitnehmer unterschiedlich, so sind die jeweiligen Angebote aufzunehmen. Der Vorbehalt nach § 2 KSchG muss dem Insolvenzverwalter innerhalb der Kündigungsfrist, spätestens innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigungserklärung, zugegangen sein (§ 2 Satz 2 KSchG). Die Frist kann nicht abgekürzt werden; sie ist zwingend2. Eine zu kurz bemessene Frist setzt die Frist von § 2 Satz 2 KSchG in Gang. 80a Die Namensliste ist so konkret zu erstellen, dass die Arbeitnehmer zu identifizieren sind, z.B. bei Namensgleichheit durch Angabe des Geburtsdatums3. ee) Gesetzliche Vermutung 81 Ein wirksam zustande gekommener Interessenausgleich mit Namensliste führt zu folgenden gesetzlichen Vermutungen: – Betriebsbedingtheit der Kündigungen (§ 125 Abs. 2 Nr. 2 InsO); – Fehlende anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit im Betrieb; – Unmöglichkeit der Weiterbeschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen. 82 Durch § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO wird zugunsten des Insolvenzverwalters eine gesetzliche Vermutung i.S.v. § 292 Satz 1 ZPO aufgestellt. Der Arbeitnehmer hat deshalb im Kündigungsschutzprozess durch substantiierten Tatsachenvortrag die Vermutung der Betriebsbedingtheit der Kündigung zu entkräften sowie zu beweisen4, dass keine dringenden betrieblichen Erfordernisse für die Kündigung vorliegen5. Aus der Umkehr der Beweislast folgt zwingend auch die Umkehr der Darlegungslast zu Lasten des Arbeitnehmers. Da die gesetzliche Vermutung der Betriebsbedingtheit sich auch auf eine fehlende anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit im Betrieb erstreckt, ist es Sache des Arbeitnehmers, sofern er die fehlende anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit im Betrieb bestreitet, konkret darzulegen, wie er sich eine anderweitige Beschäftigung vorstellt und welcher freie Arbeitsplatz zu gleichwertigen oder zu geänderten schlechteren Arbeitsbedingungen vorhanden ist6. Bei der Altersteilzeit stellt die Betriebsstilllegung kein dringendes betriebliches Erfordernis i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Insolvenzverwalter dar, sofern sich der Arbeitnehmer in der Freistellungsphase befindet. Die Betriebsstilllegung steht der Weiterbeschäftigung im Gegensatz zu einer nach dem Altersteilzeitvertrag vereinbarten Freistellung nicht entgegen. Auch die Aufnahme in eine Namensliste nach § 125 Abs. 1 InsO führt nicht zu der gesetzlichen Vermutung nach § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO7. 82a Bei der Altersteilzeit ist jedoch in der Arbeitsphase eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses möglich, da hier dringende betriebliche Gründe einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen können8. 82b Es ist im Kündigungsschutzprozess ausreichend, wenn der Insolvenzverwalter den Interessenausgleich mit Namensliste vorlegt, um die gesetzliche Vermutung darzulegen. Erst wenn der Arbeitnehmer die gesetzliche Vermutung widerlegt hat, ist der Insolvenzverwalter gezwungen, zur Betriebsbedingtheit der Kündigung und der fehlenden anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit vorzutragen.
1 2 3 4 5 6 7 8
Vgl. Moll in K/P/B, § 125 Rz. 30; Ahrendt in Hamburger Kommentar zur InsO, § 125 Rz. 8. BAG v. 18.5.2006 – 2 AZR 230/05, NZA 2006, 1092. Zwanziger, Kommentar zum Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 125 Rz. 15. BAG v. 11.8.1976 – 5 AZR 422/75, BAGE 28, 144 = NJW 1977, 350. BAG v. 7.5.1998 – 2 AZR 536/97, BAGE 88, 363 = NZA 1998, 933 (934) = ZIP 1998, 1809 (1811). BAG v. 20.1.1994 – 2 AZR 489/93, BAGE 94, 250 = ZIP 1994, 966. BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 571/01, BAGE 104, 131 = NZA 2003, 789 = ZIP 2003, 1169 (1171). BAG v. 16.6.2005 – 6 AZR 476/04, NZA 2006, 270 = ZIP 2006, 1842.
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Rz. 85
§ 12
ff) Kontrolle der Sozialauswahl Der Interessenausgleich mit Namensliste führt in zweifacher Hinsicht zu einer ein- 83 geschränkten gerichtlichen Kontrolle der Sozialauswahl (§ 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO). Während § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG eine Kündigung dann für sozial ungerechtfertigt erklärt, wenn bei der Auswahl der Arbeitnehmer die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt wurden, engt § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO die gerichtliche Kontrolle allein auf die drei Auswahlkriterien Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltsverpflichtung ein. Die sonst im Rahmen von § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG vorzunehmende Einzelfallbetrachtung scheidet aus1. Der Insolvenzverwalter und der Betriebsrat können sich im Rahmen der Sozialauswahl nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO auf eine Bewertung der drei Auswahlkriterien mittels einer Auswahlrichtlinie (Betriebsvereinbarung) nach § 95 BetrVG in Form eines Punkteschemas verständigen2. Ohne dass die Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen sind, kann der In- 84 solvenzverwalter mit dem Betriebsrat im Rahmen der Auswahlrichtlinie nach § 95 BetrVG eine Punktetabelle zur Gewichtung der drei Auswahlkriterien vereinbaren. Eine Rechts- und Billigkeitskontrolle mit einer Beurteilung von Besonderheiten des Einzelfalls entfällt3. Diese Auswahlrichtlinie nach § 95 BetrVG stellt eine Betriebsvereinbarung dar, so dass diese schriftlich niederzulegen und von beiden Seiten auf der gleichen Urkunde zu unterschreiben ist. Es ist nicht möglich, eine mangels Schriftform unwirksame Auswahlrichtlinie in eine Regelungsabrede zwischen dem Insolvenzverwalter und Betriebsrat umzudeuten4. Die vorgenommene soziale Auswahl kann im Rahmen des Kündigungsschutzprozes- 85 ses nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden5. Grob fehlerhaft ist die Sozialauswahl, wenn die Gewichtung der drei Kriterien Alter, Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten jegliche Ausgewogenheit vermissen lässt6 und ein evidenter, ins Auge springender Fehler vorliegt7. Die Grundbedingungen der sozialen Auswahl stehen nicht zur Disposition der Betriebsparteien, auch nicht eine abweichende Definition des Betriebsbegriffes8. Die grobe Fehlerhaftigkeit wird nicht von Amts wegen geprüft, sondern es ist durch den klagenden Arbeitnehmer ein konkreter Vortrag zur groben Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl erforderlich9. Kann der klagende Arbeitnehmer die ihm nach § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG obliegende Darlegungs- und Beweislast – wie üblich – bezüglich der Tatsachen, aus denen sich die Unrichtigkeit der Sozialauswahl ergibt, nicht erfüllen, kann er den Insolvenzverwalter im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses zur Mitteilung der Gründe auffordern, die diesen zur vorgenommenen Auswahl veranlasst haben10. Ein pauschaler Verweis des Insolvenzverwalters auf den Interessenausgleich und die Namensliste nach § 125 Abs. 1 InsO genügt nicht. Kommt der Insolvenzverwalter dieser Aufforderung nicht nach, so ist die streitige Kündigung als sozialwidrig anzusehen, ohne dass die Frage der groben Fehlerhaftigkeit zu prüfen ist11. Der Insolvenzverwalter kann sich im Rahmen seiner Auskunftspflicht gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 KSchG darauf beschränken, seine subjektiven Überlegungen mitzuteilen. Der klagende Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf eine vollständige Auflistung der Sozialdaten aller objektiv vergleichbaren Arbeit-
1 BAG v. 18.1.1990 – 2 AZR 357/89, BAGE 64, 34 = NZA 1990, 726. 2 BAG v. 24.3.1983 – 2 AZR 21/82, BAGE 42, 151 = ZIP 1983, 1105 = NJW 1984, 78. 3 BAG v. 18.1.1990 – 2 AZR 357/89, BAGE 64, 34 = NZA 1990, 726 = ZIP 1990, 1363; offen: BAG v. 16.6.2006 – 6 AZR 476/04, NZA 2006, 720 = ZIP 2005, 1842. 4 BAG v. 16.6.2005 – 6 AZR 476/04, NZA 2006, 270 = ZIP 2005, 1842. 5 BAG v. 28.8.2003 – 2 AZR 368/02, NZA 2004, 432 = ZIP 2004, 1271. 6 BAG v. 21.1.1999 – 2 AZR 624/98, NZA 1999, 866 = ZIP 1999, 2111. 7 BAG v. 17.11.2005 – 6 AZR 107/05, NZA 2006, 661 (664) = ZIP 2006, 774 (777). 8 BAG v. 20.9.2012 – 6 AZR 483/11, NZA 2013, 94 = ZIP 2013, 284. 9 BAG v. 15.6.1989 – 2 AZR 580/88, BAGE 62, 116 (125) = NZA 1990, 380 = ZIP 1990, 1223. 10 BAG v. 24.3.1983 – 2 AZR 21/82, BAGE 42, 151 (161) = ZIP 1983, 1105 = NJW 1984, 78. 11 BAG v. 10.2.1999 – 2 AZR 716/98, NZA 1999, 702 = NJW 1999, 3796.
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§ 12
Rz. 86
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
nehmer1. Erteilt der Insolvenzverwalter trotz Aufforderung keine oder keine vollständige Auskunft, ist der Vortrag des Arbeitnehmers, es seien sozial stärkere Arbeitnehmer als er vorhanden, schlüssig und ausreichend2. Da die abgestufte Darlegungs- und Beweislast auch im Rahmen von § 125 InsO gilt3, ist die Kündigung ohne weiteres als sozialwidrig anzusehen. 86 Bei dem sozialen Auswahlkriterium der Unterhaltspflichten ist auf die gesetzlichen Unterhaltspflichten und die konkrete Belastung des Arbeitnehmers durch diese gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen abzustellen4. Ob die gesetzliche Unterhaltsverpflichtung erfüllt wird, ist unerheblich. Im Rahmen der sozialen Auswahl können die Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte zur Feststellung des Umfangs der Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern herangezogen werden5. 87 Es ist ausschließlich auf die Unterhaltspflicht des von der Kündigung bedrohten Arbeitnehmers abzustellen, so dass Arbeitseinkommen eines Ehepartners im Rahmen der sozialen Auswahl unberücksichtigt bleibt. Es besteht keine Verpflichtung, einen Doppelverdienst im Rahmen der sozialen Auswahl zum Nachteil des zu kündigenden Arbeitnehmers zu berücksichtigen6. Wegen des Arbeitsplatzrisikos des Zweitverdieners könnte, wenn diesem überraschend gekündigt würde, sonst die Auswahlentscheidung im Nachhinein unrichtig werden7. 88 Der Insolvenzverwalter und der Betriebsrat können über die drei Auswahlkriterien hinaus weitere Gesichtspunkte, wie z.B. die Schwerbehinderteneigenschaft oder erlittene Arbeitsunfälle zugunsten des Arbeitnehmers berücksichtigen. In diesem Falle tritt eine Selbstbindung des Insolvenzverwalters mit der Folge ein, dass solche zusätzlichen Gesichtspunkte zwingend zu berücksichtigen sind8. 89 Grob fehlerhaft ist die soziale Auswahl, wenn eines der drei Auswahlkriterien überhaupt nicht berücksichtigt wird, also z.B. die Auswahl allein nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit vorgenommen wird9. Grob fehlerhaft ist die Sozialauswahl auch dann, wenn die Gewichtung der drei Auswahlkriterien jede Ausgewogenheit vermissen lässt10 und der Fehler evident ist. Allein eine starke, unangemessene Gewichtung eines der drei Auswahlkriterien führt jedoch nicht zur groben Fehlerhaftigkeit. Das Schwergewicht kann auf jedes der drei Auswahlkriterien, auch die Unterhaltsverpflichtungen des Arbeitnehmers11, gelegt werden. Der Dauer der Betriebszugehörigkeit ist entgegen der Wertung des § 1 KSchG12 keinerlei Priorität einzuräumen. Ein Rückgriff auf § 10 KSchG scheidet aus, da § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO eine in sich abgeschlossene Regelung zur sozialen Auswahl enthält13. Eine feststehende Reihenfolge der Kriterien gibt es nicht14. 89a Eine Sozialauswahl ist nur dann unwirksam, wenn sich ihr Ergebnis als fehlerhaft erweist, denn auch ein mangelhaftes Auswahlverfahren führt nicht zur groben Fehlerhaftigkeit des „zufällig“ richtigen Ergebnisses15. 90 Wird die soziale Auswahl bezüglich der zu kündigenden Arbeitnehmer nach einer Punktetabelle16 vorgenommen, so darf grundsätzlich hiervon nur in engen Grenzen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
BAG v. 21.12.1983 – 7 AZR 421/82, NZA 1985, 158 = ZIP 1984, 1394. BAG v. 21.7.1988 – 2 AZR 75/88, NZA 1989, 264. BAG v. 21.2.2002 – 2 AZR 581/00, NZA 2002, 1360 = ZInsO 2002, 1103. BAG v. 8.8.1985 – 2 AZR 464/84, NZA 1986, 679 = NJW 1986, 3105. BAG v. 28.6.2012 – 6 AZR 682/10. BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 549/01, BAGE 104, 131 = NZA 2003, 791 (794) = ZIP 2003, 1169. v. Hoyningen-Huene, NZA 1986, 449. Dorndorf in Heidelberger Kommentar zum KSchG, § 1 Rz. 1092. Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 85. BAG v. 21.1.1999 – 2 AZR 624/98, NZA 1999, 866 (868) = ZIP 1999, 2111. BAG v. 2.12.1999 – 2 AZR 757/98, NZA 2000, 531 = ZIP 2000, 676. BAG v. 18.1.1990 – 2 AZR 357/89, BAGE 64, 34 = NZA 1990, 729 = MDR 1990, 953. BAG v. 2.12.1999 – 2 AZR 757/98, NZA 2000, 531 = ZIP 2000, 676. Zwanziger, Kommentar zum Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 125 Rz. 61. BAG v. 20.9.2012 – 6 AZR 483/11, NZA 2013, 94 = ZIP 2013, 284. BAG v. 18.1.1990 – 2 AZR 357/89, BAGE 64, 34 = NZA 1990, 729 = MDR 1990, 953.
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§ 12
abgewichen werden, z.B. bei Vereinbarung von Härteklauseln1. Entscheidungen, die Punktwerte zur Verneinung2 oder Feststellung der groben Fehlerhaftigkeit3 anführen, können nur den Einzelfall abbilden und dürfen nicht verallgemeinert werden. Die Festlegung des auswahlrelevanten Personenkreises durch den Insolvenzverwal- 91 ter ist ebenfalls nur auf grobe Fehlerhaftigkeit zu überprüfen4. In die soziale Auswahl einzubeziehen sind die vergleichbaren Arbeitnehmer, also Arbeitnehmer, welche ohne Änderung des Arbeitsvertrages aufgrund des Direktionsrechts des Insolvenzverwalters auf einem anderen Arbeitsplatz im Betrieb weiterbeschäftigt werden können5. Die Vergleichbarkeit hängt von der Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer ab6 und ist tätigkeitsbezogen. Bei einem betriebsübergreifenden Versetzungsrecht ist jedoch die Sozialauswahl auf den einzelnen Betrieb begrenzt und hat nicht betriebsübergreifend zu erfolgen7. Der Insolvenzverwalter hat auch einen weiten Beurteilungsspielraum dahingehend, ob und welche Einarbeitungszeit er auf einen anderen Arbeitsplatz im Betrieb dem zu kündigenden Arbeitnehmer einräumt8. In die soziale Auswahl einzubeziehen sind auch diejenigen Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse aufgrund einzelvertraglich oder tariflich vereinbarten Ausschlusses der ordentlichen Kündigung unkündbar sind, da diese Arbeitsverhältnisse durch den Insolvenzverwalter ordentlich kündbar sind (§ 113 Satz 1 InsO). Kann ein Betriebsratsmitglied wegen des Sonderkündigungsschutzes nach § 15 KSchG nicht ordentlich gekündigt werden, ist das Betriebsratsmitglied ebenso wie andere Sonderkündigungsschutz genießende Personen in die Sozialauswahl nicht einzubeziehen9. Werden vergleichbare Arbeitnehmer bei der Bildung des auswahlrelevanten Kreises übersehen oder zu Unrecht eine Unkündbarkeit des Arbeitsverhältnisses angenommen, so führt dieses nicht zwingend zur groben Fehlerhaftigkeit10, sondern nur dann, wenn die Sozialauswahl im Ergebnis objektiv grob fehlerhaft ist11. gg) Personalstruktur Durch § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Hs. 2 InsO ist dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit 92 anhand gegeben, eine ausgewogene Personalstruktur erstmals zu schaffen und nicht nur zu erhalten. Der Insolvenzverwalter wird dadurch in die Lage versetzt, Fehler der Personalplanung des insolventen Unternehmens aus der Vergangenheit ebenso zu beseitigen wie Fehlentwicklungen aus der Unkündbarkeit von Arbeitsverhältnissen12. Es ist jedoch nicht möglich, im Rahmen der Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur ausschließlich oder überwiegend die Beschäftigungsverhältnisse älterer Arbeitnehmer zu kündigen, da der Begriff der Personalstruktur mit dem Begriff der Altersstruktur nicht gleichzusetzen ist13. Eine solche Vorgehensweise ist grob fehlerhaft. Ausgewogen ist die Personalstruktur, wenn konkrete, inhaltlich berechtigte betriebliche Interessen ein Abweichen von der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG rechtfertigen14. Die Ausgewogenheit ist nicht betriebsbezogen, sondern innerhalb des auswahlrelevanten Kreises der Arbeitnehmer zu beurteilen15. Werden „Leistungsträger“ nicht in die Sozialauswahl einbezogen, hat der Insolvenzverwalter die Interessen der sozial schwächeren Arbeitnehmer gegen das betriebliche Interesse an der He1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
Gallner in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 125 InsO Rz. 12. LAG Hamm v. 16.3.2000 – 4 Sa 747/99, ZInsO 2000, 571 (LS). LAG Hamm v. 16.2.2000 – 4 Sa 905/99, ZInsO 2000, 572 (LS). BAG v. 7.5.1998 – 2 ARZ 536/97, BAGE 88, 363 (374) = NZA 1998, 933 (936). Griebeling in KR, § 1 KSchG Rz. 220. BAG v. 29.3.1990 – 2 AZR 369/89, BAGE 65, 61 = NZA 1991, 181 = NJW 1991, 587. BAG v. 2.6.2005 – 2 AZR 158/04, BAGE 115, 82 = NZA 2005, 1175 = ZIP 2005, 2077. BAG v. 15.6.1989 – 2 AZR 580/98, BAGE 62, 116 (125) = NZA 1990, 226 = ZIP 1990, 1223. BAG v. 17.11.2005 – 6 AZR 118/05, NZA 2006, 370 = ZIP 2006, 918. Caspers in MünchKommInsO, § 125 Rz. 37; a.A. Linck in HK-InsO, § 125 Rz. 36; Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 194, 195. Vgl. Rz. 89, 89a. Linck in HK-InsO, § 125 Rz. 31. BAG v. 28.8.2003 – 2 AZR 368/02, NZA 2004, 432 (435) = ZIP 2004, 1271. BAG v. 20.4.2005 – 2 AZR 201/04, NZA 2005, 877 = ZIP 2005, 1803. BAG v. 28.8.2003 – 2 AZR 368/02, NZA 2004, 432 = ZIP 2004, 1271.
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Rz. 93
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rausnahme des Leistungsträgers abzuwägen1. Die Darlegungs- und Beweislast liegt beim Insolvenzverwalter2. Er hat auf Verlangen des Arbeitnehmers im Prozess auch die Gründe für die Ausklammerung einzelner Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl anzugeben3. 93 Andererseits kann eine altersgerechte Belegschaft geschaffen werden, indem Altersgruppen für die einzelnen Betriebshierarchien gebildet werden. So können z.B. für die Führungsebene und für Arbeitnehmer in der Verwaltung und der Produktion einzelne Gruppen gebildet werden. In diesen Gruppen wird sodann nach den drei Auswahlkriterien die Punktebewertung bei den Arbeitnehmern vorgenommen. Es ist dann möglich, die Anzahl der zu entlassenden Arbeitnehmer prozentual und schematisch auf die einzelnen Personal- und Altersgruppen zu verteilen. Müssen z.B. 20 % der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer entlassen werden, so kann der Insolvenzverwalter in den einzelnen Gruppen jeweils 20 % der dort aufgeführten Arbeitnehmer entsprechend des angewandten Punkteschlüssels entlassen, ohne dass eine grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl eingewandt werden kann. Der Insolvenzverwalter muss im Kündigungsschutzprozess schlüssig dartun, wie viel Prozent der potentiell zu kündigenden Arbeitnehmer vor dem Ausspruch der Kündigung den jeweiligen Altersgruppen angehörten und wie die einzelnen Kündigungen auf die einzelnen Altersgruppen verteilt worden sind4. Es reicht nicht aus, sich auf den Interessenausgleich zu berufen, der insoweit keine Vermutung der Richtigkeit beinhaltet5 Darüber hinaus muss der Insolvenzverwalter schlüssig darlegen, welche Nachteile sich ergeben würden, wenn die Sozialauswahl stringent nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG durchgeführt würde6. 94 Die Erhaltung einer ausgewogenen Altersstruktur ist auch außerhalb des Insolvenzverfahrens möglich7. Sie ist dann zulässig, wenn die Auswahl allein nach sozialen Gesichtspunkten zu einer erheblichen Verschiebung der Altersstruktur führen würde, die im betrieblichen Interesse nicht hinnehmbar ist8. Nach dem Sachverhalt, der der Entscheidung des BAG zugrunde lag, erfolgte die personelle Auswahl im Rahmen der Erhaltung einer ausgewogenen Altersstruktur wie folgt: 94a Beispiel: Beschäftigungszeit Lebensalter (vollendete Lebensjahre)
je volles Beschäftigungsjahr bis zu 20 Jahren
0 Punkte
bis zu 30 Jahren
1 Punkt
bis zu 40 Jahren
3 Punkte
bis zu 50 Jahren
6 Punkte
bis zu 57 Jahren über 57 Jahren Unterhaltsverpflichtungen
1 2 3 4 5 6 7 8
1 Punkt
8 Punkte 10 Punkte
Ehegatte
3 Punkte
je Kind, das im Orts- bzw. Sozialzuschlag Berücksichtigung findet
3 Punkte
BAG v. 12.4.2002 – 2 AZR 706/00, NZA 2003, 42 = NJW 2002, 3797. Ahrens in K. Schmidt, § 125 Rz. 35. BAG v. 10.2.1999 – 2 AZR 716/98, NZA 1999, 702 = NJW 1999, 3796. BAG v. 20.4.2005 – 2 AZR 201/04, NZA 2005, 877 (879) = ZIP 2005, 1803. LAG Schleswig-Holstein v. 9.11.2004 – 2 Sa 349/04, NZA-RR 2005, 545 (546). BAG v. 20.4.2005 – 2 AZR 201/04, NZA 2005, 877 (879) = ZIP 2005, 1803. BAG v. 23.11.2000 – 2 AZR 533/99, BAGE 96, 306 = NZA 2001, 601 = NJW 2001, 3282. BAG v. 6.7.2006 – 2 AZR 442/05, NZA 2007, 139 = NJW 2007, 460 (Ls).
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Rz. 98
§ 12
Es ist auch folgendes, vereinfachtes Punkteschema zulässig1: Beschäftigungszeit
bis zu 10 Jahre ab dem 11. Jahr maximale Punktzahl
Lebensalter
Unterhaltspflichten
1,5 Punkte/Jahr 2 Punkte/Jahr 75 Punkte
pro vollendetes Jahr
1 Punkt
maximale Punktzahl
55 Punkte
pro kindergeldberechtigtes Kind Verheirateten Zuschlag maximale Punktzahl
Erwerbsminderung
94b
je 10 %
5 Punkte 4 Punkte 55 Punkte 1 Punkt
Zur Erhaltung der vorhandenen Altersstruktur werden nun aus den vergleichbaren 95 Beschäftigten Altersgruppen gebildet. Die Altersgruppen können in Fünf – Jahresschritten gebildet werden2. In diesen Altersgruppen werden nun jeweils prozentual entsprechend des Gesamtvolumens der erforderlichen Maßnahmen und der Anzahl der Beschäftigten in der jeweiligen Altersgruppe Arbeitsverhältnisse abgebaut. Die Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur ist mehr als die Schaffung einer 96 altersgerechten Belegschaft. Hierbei können und müssen Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen der einzelnen Arbeitnehmer berücksichtigt und bewertet werden3. Die Begründung muss sich aus einer detaillierten Personalbedarfsplanung ergeben, aus welcher die Anzahl der benötigten Arbeitnehmer sowie für jede Betriebsabteilung das erforderliche Anforderungsprofil bezüglich der Arbeitnehmer ersichtlich ist. Nur durch Berücksichtigung von Leistungsstärke, Fachkenntnissen etc. ist die Schaffung einer leistungsfähigen Personalstruktur möglich. Die Auswahlkriterien sind ebenso wie die Kriterien für die Erhaltung oder Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur detailliert im Interessenausgleich darzustellen4. Für die grobe Fehlerhaftigkeit der Gewichtung der sozialen Kriterien hat der Arbeit- 97 nehmer die Darlegungs- und Beweislast5. Rügt der Arbeitnehmer die ordnungsgemäße Sozialauswahl, so hat der Insolvenzverwalter auch im Rahmen von § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO die Gründe, die zu der getroffenen Sozialauswahl führten, anzugeben (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 KSchG). Der Arbeitnehmer kann die Ordnungsgemäßheit der Sozialauswahl mit Nichtwissen bestreiten6. Das Bestreiten mit Nichtwissen (§ 138 Abs. 4 ZPO) ist zulässig, da der Arbeitnehmer weder an dem Zustandekommen des Interessenausgleichs nicht beteiligt war noch sonst eigene Wahrnehmungen in Bezug auf den Interessenausgleich tätigen konnte7. Eine Erkundigungspflicht beim Betriebsrat besteht für den Arbeitnehmer nicht. Andererseits besteht wie bei der Sozialauswahl eine abgestufte Darlegungs- und Beweislastverteilung, so dass der Arbeitnehmer nach Offenlegung der Gründe für die getroffene Sozialauswahl die grobe Fehlerhaftigkeit substantiiert darzutun und zu beweisen hat8. Bestreitet der Arbeitnehmer, dass die Kündigung zur Schaffung oder Erhaltung einer 98 ausgewogenen Personalstruktur dient, so obliegt dem Insolvenzverwalter die volle Darlegungs- und Beweislast. Allein der Insolvenzverwalter kennt die unternehmerischen Planungen und damit die notwendigen Voraussetzungen für die Funktionsfähigkeit des Betriebs und die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens9. 1 2 3 4 5 6 7 8 9
BAG v. 6.7.2006 – 2 AZR 442/05, NZA 2007, 139 = NJW 2007, 460. BAG v. 20.4.2005 – 2 AZR 201/04, NZA 2005, 877 = ZIP 2005, 1803. BAG v. 12.4.2002 – 2 AZR 706/00, NZA 2003, 42 (44) = NJW 2002, 3797 (3799). Andres in Andres/Leithaus, § 125 Rz. 16. Gallner in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 125 Rz. 9. BAG v. 29.6.2000 – 8 ABR 44/99, BAGE 95, 197 = NZA 2000, 1180 = ZIP 2000, 1588 (1592). BGH v. 7.10.1998 – VIII ZR 100/97, ZIP 1998, 1965 (1967) = NJW 1999, 53. BAG v. 23.6.2005 – 2 AZR 193/04, NZA 2005, 1233. Zwanziger, Kommentar zum Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 125 InsO Rz. 80 ff.
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Rz. 98a
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
98a Mit der Rechtsprechung des BAG ist nach dem Inkrafttreten des AGG mittlerweile klargestellt, dass im Rahmen der Sozialauswahl Punkte für das Alter vergeben werden und auch Altersgruppen gebildet werden können1. Das BAG sieht die Rechtfertigung von Differenzierungen in der Alterspunktvergabe und Altersgruppenbildungen in den rechtmäßigen Zielen der Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik2. b) Änderung der Sachlage 99 Eine wesentliche Änderung der Sachlage liegt vor, wenn zwischen dem Abschluss des Interessenausgleichs und dem Zeitpunkt des Zuganges der Kündigungserklärung die Voraussetzungen einer Betriebsänderung entfallen, weil sich z.B. durch eine Betriebsveräußerung die Umstände (andere wirtschaftlicher Schwerpunkt des Übernehmers) ändern oder eine Teilbetriebsstilllegung in einem wesentlich geringeren Umfange als geplant durchgeführt wird. Die Geschäftsgrundlage für den Interessenausgleich entfällt. Abzustellen ist auf den Zugang der Kündigungserklärung3. Eine Änderung der Sachlage kann auch dadurch eintreten, dass zwischen dem Abschluss des Interessenausgleichs und dem Zugang der Kündigungserklärung ein Arbeitnehmer, welcher nicht auf der Namensliste aufgeführt war, aus dem Betrieb ausscheidet und hierdurch ein anderer Arbeitnehmer, der ursprünglich schlechtere Sozialdaten besaß „nachrückt“. Eine solche Änderung der Sachlage führt nicht zum Wegfall des Interessenausgleichs, da die Änderung nur einen einzelnen Arbeitnehmer und nicht die geplante Betriebsänderung als solche und damit auch nicht den Interessenausgleich betrifft. 100 Ändert sich die Sachlage wesentlich nach Zugang der Kündigungserklärung und ist die Kündigungsfrist noch nicht abgelaufen, so hat der Arbeitnehmer einen Wiedereinstellungsanspruch4. Der Klageantrag lautet5:
M 22 Klageantrag bei Wiedereinstellungsanspruch . . . den Beklagten (Insolvenzverwalter oder Betriebsbernehmer) zu verurteilen, das Angebot des Klgers auf Abschluss eines Fortsetzungsvertrages zu den bisherigen Arbeitsbedingungen aus dem Arbeitsvertrag vom . . . als . . . unter Anrechnung der frheren Beschftigungsdauer . . . anzunehmen. 100a Erfolgt nach dem Ablauf der Kündigungsfrist ein Betriebsübergang, so besteht zumindest im Insolvenzverfahren kein Anspruch auf eine Wiedereinstellung oder Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses6. Außerhalb eines Insolvenzverfahrens besteht nach dem Ablauf der Kündigungsfrist ein Wiedereinstellungsanspruch, wenn neben den materiellen oder immateriellen Betriebsmitteln willentlich die Hauptbelegschaft von dem Betriebsübernehmer übernommen wird7. 101 Die Klage des Arbeitnehmers, mit der er die Wiedereinstellung begehrt, ist keine Kündigungsschutzklage, so dass für diese Klage die Frist des § 4 Satz 1 KSchG nicht läuft. Der Wiedereinstellungsanspruch wird durch Leistungsklage i.S.v. § 894 ZPO gegen den Arbeitgeber gerichtlich geltend gemacht8. 102 Es handelt sich um einen zulässigen Leistungsantrag. Mit der Rechtskraft des stattgebenden Urteils gilt die Annahmeerklärung des Insolvenzverwalters gemäß § 894 Abs. 1 Satz 1 ZPO als abgegeben9. 1 2 3 4 5 6 7 8 9
BAG v. 6.11.2008 – 2 AZR 523/07, BAGE 128, 238 = NZA 2009, 361 = ZIP 2009, 1339. BAG v. 15.12.2011 – 2 AZR 42/10, BAGE 140, 169 = NZA 2012, 1044 = ZIP 2012, 1623. BAG v. 21.2.2001 – 2 AZR 39/00, ZIP 2001, 1825. BAG v. 13.5.2004 – 8 AZR 198/03, BAGE 110, 336 = ZIP 2001, 1610. BAG v. 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, NZA 1998, 701 = NJW 1998, 2379. BAG v. 28.10.2004 – 8 AZR 199/04, NZA 2005, 405. BAG v. 12.11.1998 – 8 AZR 265/97, BAGE 90, 153 = NZA 1999, 331 = ZIP 1999, 670. BAG v. 6.8.1997 – 7 AZR 557/96, BAGE 86, 194 = NZA 1998, 254. BAG v. 13.5.2004 – 8 AZR 198/03, BAGE 110, 336 (339) = ZIP 2004, 1610 (1611).
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§ 12
Denkbar ist, dass die Klage auf Wiedereinstellung mit der Kündigungsschutzklage 103 verbunden wird. In diesem Fall gilt wiederum für die Kündigungsschutzklage die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG. Ändert sich die Sachlage i.S.v. § 125 Abs. 1 Satz 2 InsO nach dem Zugang der Kündi- 104 gungserklärung und nach dem Ablauf der Kündigungsfrist, so besteht kein Wiedereinstellungsanspruch1. 4. Gerichtliche Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung (§ 122 InsO) Die gerichtliche Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung kann durch 105 den Insolvenzverwalter ohne Einigungsstellenverfahren und ohne die Gefahr von Nachteilsausgleichsansprüchen nach § 113 Abs. 3 BetrVG beantragt werden, wenn ein Interessenausgleich entweder drei Wochen nach Verhandlungsbeginn oder nach schriftlicher Aufforderung zur Verhandlungsaufnahme nach rechtzeitiger und umfassender Unterrichtung des Betriebsrats nicht zustande gekommen ist. § 122 Abs. 1 Satz 1 InsO hat die gleichen Voraussetzungen wie § 111 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Die Unterrichtung hat insbesondere vor der Verwirklichung der geplanten Betriebsänderung zu erfolgen. Soweit der Betriebsrat Unterlagen zur Einsicht fordert, sind ihm diese zur Verfügung zu stellen. Die Unterrichtung des Betriebsrats durch den Insolvenzverwalter oder einen mit seiner Vertretung generell oder im Einzelfall bevollmächtigten Dritten2 sollte allein aus Beweisgründen schriftlich erfolgen. Tritt der Betriebsrat mit dem Insolvenzverwalter nicht in Verhandlungen über den Interessenausgleich ein, wird die Drei-Wochen-Frist durch die schriftliche Aufforderung des Insolvenzverwalters zur Verhandlungsaufnahme sowie die rechtzeitige und umfassende Unterrichtung des Betriebsrats in Gang gesetzt.
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Die Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen ist an den Betriebsratsvorsit- 107 zenden oder seinen Stellvertreter im Amt zu richten (§ 26 Abs. 2 Satz 2 BetrVG). Das Schriftformerfordernis in § 122 Abs. 1 Satz 1 InsO stellt ein gesetzliches Schriftformerfordernis i.S.v. § 126 BGB dar. Dieses hat zur Konsequenz, dass die Aufforderung des Insolvenzverwalters dem Betriebsrat zugehen muss. Die Übermittlung der Aufforderung zur Aufnahme von Verhandlungen durch ein Te- 108 lefax ist wegen des Schriftformerfordernisses nicht ausreichend3, so dass die Frist nach § 122 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht in Gang gesetzt wird. Die Frage der ausreichenden Information des Betriebsrats beurteilt sich nach objektiven Kriterien und nicht danach, ob der Betriebsrat weitere Informationen fordert.
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Beim Betriebsrat objektiv vorhandene Informations- oder Erklärungsdefizite können 110 durch den Insolvenzverwalter im Rahmen der Verhandlungen über den Interessenausgleich ohne weiteres noch ausgeräumt werden. Die Aufnahme von Verhandlungen kann durch den Betriebsrat mit der Begründung, die erteilten Informationen oder überlassenen Unterlagen seien nicht ausreichend, nicht verweigert werden. Der Fristbeginn nach § 122 Abs. 1 Satz 1 InsO wird hierdurch nicht gehindert4. Verhandlungen mit dem Betriebsrat vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens 111 durch den Schuldner oder den vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 22 Abs. 1 Satz 1 InsO) über die Betriebsänderung sind auf die Frist des § 122 Abs. 1 Satz 1 InsO anzurechnen5. Die Insolvenzeröffnung schafft keine neue Situation, so dass die Drei-Wochen-Frist des § 122 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht von Neuem zu laufen beginnt. Bereits im Insolvenzantragsverfahren sind der Umfang der notwendigen Betriebsänderung und die einzelnen zu ergreifenden Maßnahmen bekannt. Erfolgt der Antrag des Insolvenzverwalters an das Arbeitsgericht auf Zustimmung zur Betriebsänderung verfrüht, so ist dieses regelmäßig unschädlich, da auch 1 2 3 4 5
Zweifelnd: BAG v. 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, BAGE 87, 221 = NZA 1998, 701 = NJW 1998, 2379. BAG v. 21.7.1988 – 2 AZR 75/88, NZA 1989, 264. BGH v. 28.1.1993 – IX ZR 259/91, BGHZ 121, 224 = ZIP 1993, 424. ArbG Lingen v. 9.7.1999 – 2 BV 4/99, ZIP 1999, 1892 = ZInsO 1999, 656. Linck in HK-InsO, § 122 Rz. 11.
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§ 12
Rz. 112
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
im Beschlussverfahren die Zulässigkeit des Antrages danach beurteilt wird, ob er zum Zeitpunkt der Anhörung vor der Kammer (§§ 57 Abs. 1, 80 Abs. 2 Satz 1, 83 Abs. 3 ArbGG) zulässig war. 112 Antragsberechtigt ist ausschließlich der Insolvenzverwalter. Die Antragsschrift muss § 253 Abs. 2 ZPO entsprechen. Der Antrag kann auch zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden (§ 81 Abs. 1 Hs. 2 ArbGG). Die Antragsschrift muss einen bestimmten Sachantrag enthalten. Dieser Antrag könnte lauten:
M 23 Zustimmung Betriebsnderung Es wird die Zustimmung zur . . . ohne vorausgehendes Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG beantragt. 113 Im Antrag ist exakt die geplante Betriebsänderung zu bezeichnen, also z.B. welche Abteilung/Abteilungen stillgelegt werden sollen, welche Personalmaßnahmen geplant und/oder welche Betriebsteile zusammengelegt werden sollen. Im Falle der Betriebsstilllegung oder Teilbetriebsstilllegung ist auch der geplante Stilllegungstermin anzugeben. Die exakte Antragstellung ist erforderlich, da nur mit bindender Wirkung für die Beteiligten im Beschlussverfahren die konkrete Betriebsänderung verbeschieden wird und damit auch nur für diese konkrete Betriebsänderung die Sanktionen des § 113 Abs. 3 BetrVG entfallen. 114 Eine sofortige Betriebsänderung und eine nachträgliche heilende gerichtliche Zustimmung verhindert nicht das Entstehen der Nachteilsausgleichsansprüche der Arbeitnehmer, vielmehr soll bereits die gerichtliche Genehmigung nicht möglich sein1. 115 Der Insolvenzverwalter hat im Antrag an das Arbeitsgericht detailliert und nachprüfbar darzulegen: – Eilbedürftigkeit der Umsetzung der geplanten Maßnahmen; – die wirtschaftliche Situation des Betriebs; – Zielrichtung der geplanten Maßnahmen; – Auswirkung der Maßnahmen auf die Arbeitsverhältnisse. 116 Decken die laufenden Einnahmen die laufenden Kosten des Betriebs nicht, so ist durch das Arbeitsgericht die Zustimmung zur Betriebsänderung zu erteilen2. In einem solchen Falle hat der Insolvenzverwalter über die Einnahmen und Ausgaben eine Planrechnung aufzustellen und im Rahmen des Beschlussverfahrens vorzulegen. Im Interesse der Gesamtgläubigerschaft kann nicht gefordert werden, dass sonstige freie Mittel der Insolvenzmasse zur Kostendeckung verwandt werden. Strebt der Insolvenzverwalter die Zustimmung zu einer Teilbetriebsstilllegung an, so hat er auch detailliert die wirtschaftliche Situation dieses Teilbetriebs darzulegen. 117 Das Arbeitsgericht hat im Rahmen des Beschlussverfahrens nicht darüber zu entscheiden, ob die geplante Betriebsänderung sinnvoll oder wirtschaftlich zweckmäßig ist, sondern ob die Betriebsänderung vor der Durchführung des Einigungsstellenverfahrens oder danach erfolgen kann oder erfolgen muss. Bleibt unklar, ob die Voraussetzungen für eine gerichtliche Zustimmung vorliegen, geht dies zu Lasten des Insolvenzverwalters, der die objektive Beweislast trägt3, da allein er die wirtschaftliche Lage des Unternehmens kennt und darlegen kann. 118 Liegen die Voraussetzungen nach § 122 Abs. 2 Satz 1 InsO vor, erteilt das Gericht die Zustimmung.
1 Markowski in Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath, Arbeitsrecht, § 122 Rz. 3. 2 ArbG Lingen v. 9.7.1999 – 2 BV 4/99, ZIP 1999, 1892 = ZInsO 1999, 656. 3 Zwanziger, Kommentar zum Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 122 InsO Rz. 48.
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§ 12
Die Zustimmung gilt mit Rechtskraft des nach § 84 ArbGG erlassenen Beschlusses als erteilt. Die Rechtskraft tritt nicht sofort ein, da auch eine unzulässige Rechtsbeschwerde die Rechtskraft hemmt1. Die Rechtskraft tritt auch dann nicht sofort ein, wenn die Rechtsbeschwerde zum BAG nicht zugelassen wurde2. Erst der rechtskräftige Beschluss, mit welchem das Arbeitsgericht der Betriebsänderung ohne Durchführung des Verfahrens nach § 112 Abs. 2 BetrVG zugestimmt hat, ersetzt den Interessenausgleich. Die danach durchgeführten Entlassungen bleiben sanktionslos. An die rechtskräftige, arbeitsgerichtliche Zustimmung sind die Gerichte auch in späteren Verfahren, in denen Arbeitnehmer einen Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG begehren, gebunden3. Der Insolvenzverwalter kann nicht nur neben dem Beschlussverfahren nach § 122 119 InsO Verhandlungen mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich mit Namensliste (§ 125 InsO) führen oder alternativ das Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz (§ 126 InsO) betreiben, sondern auch die Einigungsstelle anrufen (§ 112 Abs. 2 Satz 2 BetrVG). In extremen Fällen kann der Insolvenzverwalter einen Antrag auf Erlass einer einst- 120 weiligen Verfügung mit dem Ziel der Zustimmung zur Betriebsänderung ohne vorheriges Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG stellen. Aufgrund der Beschleunigungsmaxime nach § 122 Abs. 2 Satz 2 InsO kann dieses nur für Fälle gelten, in denen der Insolvenzverwalter einerseits glaubhaft macht, dass die Betriebsänderung nur sinnvoll ist, wenn sie unverzüglich durchgeführt wird und er andererseits auch glaubhaft macht, dass keine oder keine nennenswerten sozialen Belange der Arbeitnehmer dagegen sprechen4. Das Verfahren nach § 122 InsO hat bisher wenig Verwendung in der Praxis gefunden. 120a Das mag daran liegen, dass die Einsichtsfähigkeit der Arbeitnehmervertreter in wirtschaftliche und unternehmerische Zwänge wahrscheinlich mindestens genauso hoch wie die eines Gerichtes ist und die Gestaltungsmöglichkeiten auf beiden Seiten außerhalb des Beschlussverfahrens besser sind. 5. Beschlussverfahren nach § 126 InsO a) Einleitung aa) Betriebe mit Betriebsrat Besteht im schuldnerischen Unternehmen ein Betriebsrat, so kann der Insolvenzverwalter das Beschlussverfahren nach § 126 InsO einleiten, wenn kein Interessenausgleich nach § 125 Abs. 1 InsO zustande gekommen ist.
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Die Zeitvorgabe ist die Gleiche wie nach § 122 Abs. 1 Satz 1 InsO, also maximal drei Wo- 122 chen ab dem tatsächlichen Verhandlungsbeginn oder schriftlicher Aufforderung sowie rechtzeitiger und umfassender Unterrichtung des Betriebsrats i.S.v. § 111 BetrVG. Die Drei-Wochen-Frist muss vor der Einleitung des Beschlussverfahrens nicht ausgeschöpft werden. Zeigt sich in den Verhandlungen, dass ein Interessenausgleich nicht zustande kommt oder erklärt einer der Betriebspartner die Verhandlungen für gescheitert, kann der Insolvenzverwalter das Beschlussverfahren sofort einleiten5. Das Beschlussverfahren nach § 126 InsO steht dem Insolvenzverwalter nur dann zur 123 Verfügung, wenn es sich um eine Betriebsänderung i.S.v. § 111 Nr. 1 und 2 BetrVG handelt und im schuldnerischen Betrieb mindestens zwanzig wahlberechtigte Arbeitnehmer vorhanden sind. Dieses ergibt sich aus der Verweisung in § 126 Abs. 1 Satz 1 InsO auf § 125 Abs. 1 InsO und der dortigen Verweisung auf § 111 BetrVG6. In den Fäl-
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BAG v. 14.8.2001 – 2 AZB 20/99, BB 2001, 2535 = ZInsO 1999, 656. BAG v. 14.8.2001 – 2 AZB 20/99, BB 2001, 2535 = ZInsO 1999, 656. BAG v. 10.11.1987 – 1 AZR 360/86, BAGE 56, 304 = NZA 1988, 287 = ZIP 1988, 388. Zwanziger, Kommentar zum Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 122 InsO Rz. 65. Linck in HK-InsO, § 126 Rz. 3. Zwanziger, Kommentar zum Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, InsO, § 126 InsO Rz. 9.
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Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
len, in denen diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, ist ein Antrag des Insolvenzverwalters als unzulässig zurückzuweisen. bb) Betriebe ohne Betriebsrat 124 Das schuldnerische Unternehmen kann aus unterschiedlichen Gründen keinen Betriebsrat besitzen. Entweder ist die Mindestzahl von fünf wahlberechtigten Arbeitnehmern nicht erreicht (§ 1 BetrVG) oder die Belegschaft hat trotz Vorliegens der Voraussetzungen für die Wahl eines Betriebsrats zulässigerweise keinen Betriebsrat gewählt1. Fehlt im Betrieb ein Betriebsrat, kann der Insolvenzverwalter das Beschlussverfahren sofort einleiten und den Antrag nach § 126 InsO stellen. Gerade in Betrieben mit vielen Arbeitnehmern kann diese Vorschrift die Durchführung von Betriebsänderungen und damit erfolgreiche Sanierungen erleichtern. b) Antrag 125 Die Antragstellung ist nur durch den Insolvenzverwalter und nicht durch einen vorläufigen Insolvenzverwalter möglich2. Der Antrag muss darauf gerichtet sein, festzustellen, dass die Kündigung der Arbeitsverhältnisse bestimmter, im Antrag bezeichneter Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und sozial gerechtfertigt ist (§ 126 Abs. 1 Satz 1 InsO). 126 Die Antragstellung könnte lauten:
M 24 Antrag nach § 126 Abs. 1 InsO Es wird festgestellt, dass die Kndigung von a) Herrn Max Mller, Schillerstraße 2, Berlin, geb. 10.2.1965 b) Frau Lena Mayer, geb. Friedrich, Goethestraße 69, Berlin, geb. 2.9.1964 durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und sozial gerechtfertigt ist. 127 Es handelt sich um einen Feststellungsantrag, bei welchem jedoch ein besonderes Feststellungsinteresse i.S.v. § 256 ZPO nicht darzulegen ist, da sich das Feststellungsinteresse aus § 126 Abs. 1 Satz 1 InsO ergibt. 128 Im Antrag sind diejenigen Arbeitnehmer namentlich aufzuführen, deren Arbeitsverhältnisse betriebsbedingt gekündigt werden sollen. Die Arbeitnehmer sind im Antrag zu bezeichnen, obgleich sie Beteiligte des Beschlussverfahrens sind. Die Aufführung im Antrag ohne gesonderte Namensnennung z.B. als Beteiligte Ziff. 1–10 ist nicht ausreichend. Die Arbeitnehmer sind so zu bezeichnen, dass sie individuell bestimmt sind nach Vornamen, Zuname, Geburtsdatum und Adresse3. An die Bestimmtheit der Benennung sind die gleichen Anforderungen wie nach § 125 InsO zu stellen4. Die Angabe der Betriebszugehörigkeit und sonstiger bei der Sozialauswahl relevanter Daten im Antrag ist entbehrlich5, da diese Angabe nicht Inhalt des Antrages, sondern der Begründung zum Antrag sind. 129 Die Nennung der Arbeitnehmer im Antrag stellt keine Rangordnung in Bezug auf die soziale Auswahl dar6. Es ist zulässig, wenn der Insolvenzverwalter im Rahmen von Hilfsanträgen weitere Arbeitnehmer für den Fall aufnimmt, dass durch das Gericht die Kündigung einzelner Arbeitsverhältnisse nicht für gerechtfertigt erachtet wird7. 130 Wird der Antrag verfrüht, d.h. vor Ablauf der Drei-Wochen-Frist gestellt, so wird dieser dann zulässig, wenn die Verhandlungsfrist mit dem Betriebsrat zum Zeitpunkt 1 2 3 4 5 6 7
Fitting, BetrVG, § 1 Rz. 285. BAG v. 29.6.2000 – 8 ABR 44/99, BAGE 95, 197 = NZA 2000, 1180 = ZIP 2000, 1588. Hamacher in Nerlich/Römermann, InsO, § 126 Rz. 30. Hamacher in Nerlich/Römermann, InsO, § 126 Rz. 30. A.A. Hamacher in Nerlich/Römermann, InsO, § 126 Rz. 30. Zwanziger, Kommentar zum Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 126 InsO Rz. 30. Müller, NZA 1998, 1315 (1320).
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der mündlichen Verhandlung abgelaufen ist1, da es für die Zulässigkeit des Antrages auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung über den Antrag ankommt. Der Insolvenzverwalter kann zunächst die Kündigungserklärungen abgeben und zu- 131 warten, welche Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage erheben. In diesem Falle entfällt das Rechtsschutzbedürfnis für das Beschlussverfahren nach § 126 InsO nicht2, wie sich aus § 127 Abs. 1 Satz 1 InsO ergibt, da die Bindungswirkung des Beschlusses nach § 126 InsO erst mit der Rechtskraft eintritt. Auch wenn der Insolvenzverwalter vor der Einleitung des Beschlussverfahrens nach § 126 InsO die Kündigungen ausspricht, ist für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Kündigung der Zeitpunkt des Zuganges der Kündigungserklärung maßgeblich. Ist ein Interessenausgleich nach § 125 InsO abgeschlossen, ist grundsätzlich ein Be- 132 schlussverfahren nach § 126 InsO ausgeschlossen. § 126 und § 125 InsO schließen sich gegenseitig aus3. Es ist deshalb nicht möglich, dass der Insolvenzverwalter im Rahmen der gleichen Betriebsänderung einen Interessenausgleich mit Namensliste nach § 125 InsO abschließt und die übrigen nicht namentlich genannten Arbeitnehmer in das Beschlussverfahren nach § 126 InsO verwickelt. Lediglich wenn eine neue Betriebsänderung vorgenommen wird und über diese neue 133 Betriebsänderung kein Interessenausgleich zustande kommt, kann bezüglich dieser Betriebsänderung ein Beschlussverfahren nach § 126 InsO eingeleitet werden4. Beteiligte des Beschlussverfahrens sind: – der Insolvenzverwalter, – die im Antrag namentlich benannten Arbeitnehmer, – ein vorhandener Betriebsrat, – eventuell der Betriebserwerber.
134
Der Insolvenzverwalter ist aufgrund der Antragstellung Beteiligter des Beschlussverfahrens.
134a
Der Betriebsrat ist kraft Gesetzes (§ 126 Abs. 2 Satz 1 InsO) Verfahrensbeteiligter. Dieses gilt auch für den Fall, dass im schuldnerischen Betrieb keine zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmer (§ 125 Abs. 1 InsO, § 111 BetrVG) vorhanden sind und deshalb der Antrag nach § 126 Abs. 1 Satz 2 InsO unzulässig ist5 (siehe Rz. 123).
134b
Die Arbeitnehmer sind am Verfahren gleichfalls kraft Gesetzes (§ 126 Abs. 2 Satz 1 InsO) beteiligt. Dieses ergibt sich auch aus der Bindungswirkung (§ 127 Abs. 1 Satz 1 InsO) des Beschlusses.
134c
Der Arbeitnehmer kann sein Einverständnis mit der Beendigung seines Arbeitsver- 135 hältnisses oder mit der Änderung der Arbeitsbedingungen erklären. Diese Einverständniserklärung beurteilt sich nach materiellem Recht. Der Arbeitnehmer kann eine gesetzeswidrige Kündigungserklärung hinnehmen6 indem er entweder nach Zugang der Kündigungserklärung sein Einverständnis mit der Beendigung oder Änderung ausdrücklich erklärt oder die Klagefrist nach § 4 Satz 1 KSchG ungenutzt verstreichen lässt, so dass die Kündigung gemäß § 7 KSchG als sozial gerechtfertigt fingiert wird. Das Einverständnis mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann der Arbeitnehmer im Rahmen eines schriftlich (§ 623 BGB) abgeschlossenen Aufhebungsvertrages erklären, oder durch Klageverzichtserklärung nach Zugang der Kündigungserklärung. Ein Verzicht auf den gesetzlichen Kündigungsschutz und damit auf die Klagebefugnis vor Zugang der Kündigungserklärung ist unwirksam7. Nach der Einleitung des Beschlussverfahrens und namentlicher Benennung als Beteiligter kann der 1 2 3 4 5 6 7
Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 126 InsO Rz. 13. BAG v. 29.6.2000 – 8 ABR 44/99, BAGE 95, 197 = NZA 2000, 1180 = ZIP 2000, 1588 (1590). Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 126 InsO Rz. 14. BAG v. 20.1.2000 – 2 ABR 30/99, BAGE 93, 267 = NZA 2001, 170 = ZInsO 2000, 684. A.A. Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 249. BAG v. 3.5.1979 – 2 AZR 679/77, BAGE 32, 6 = NJW 1979, 2267 = MDR 1979, 875. BAG v. 4.12.1991 – 7 AZR 344/99, NZA 1992, 838.
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Rz. 136
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Arbeitnehmer immer noch erklären, dass er mit der Änderungs- oder Beendigungskündigung einverstanden ist1. Gibt der Arbeitnehmer die Erklärung nach der Rechtshängigkeit des Beschlussverfahrens ab, so verliert er seine materielle Beteiligtenstellung. Die Einverständniserklärung ist eine Prozesserklärung und ist nicht mehr widerrufbar oder anfechtbar2. 136 Das Beschlussverfahren kann von allen Beteiligten nach § 83a Abs. 1 ArbGG für erledigt erklärt werden3. Die Erledigungserklärung ist somit vom Insolvenzverwalter als Antragsteller, dem beteiligten Betriebsrat und jeweils von dem namentlich benannten Arbeitnehmer abzugeben. Es ist nicht erforderlich, dass sämtliche namentlich benannten Arbeitnehmer und damit Beteiligte des Beschlussverfahrens die Erledigungserklärung gleichfalls abgeben. Der einzelne Arbeitnehmer kann über den Streitgegenstand verfügen, so dass das Beschlussverfahren bezüglich einzelner Arbeitnehmer unterschiedlich ausgehen kann4. 137 Die Erledigungserklärung führt zur Einstellung des Verfahrens durch den Vorsitzenden (§ 83a Abs. 2 Satz 1 ArbGG). 137a Stimmen ein oder mehrere am Beschlussverfahren Beteiligte der Erledigung nicht zu, kann der Insolvenzverwalter als Antragsteller das Beschlussverfahren allein für erledigt erklären. Dem Gericht obliegt die Prüfung, ob ein erledigendes Ereignis eingetreten ist5. Stellt das Gericht fest, dass ein erledigendes Ereignis eingetreten ist, wird das Verfahren nach § 83a Abs. 2 ArbGG eingestellt. Das Einverständnis kann auch im Rahmen eines Vergleichs (§ 83a Abs. 1 ArbGG) erklärt werden. Voraussetzung ist, dass der Vergleich gerichtlich protokolliert wird. Ein außergerichtlich abgeschlossener Vergleich beendet das Beschlussverfahren nicht automatisch, sondern es bedarf verfahrensbeendender Prozesserklärungen. 138 Der Arbeitnehmer kann auch sein Einverständnis in Form eines Anerkenntnisses erklären6. c) Sozialauswahl; dringende betriebliche Erfordernisse 139 Die Überprüfung der Sozialauswahl erfolgt nur bezüglich der drei sozialen Auswahlkriterien Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltsverpflichtungen (§ 126 Abs. 1 Satz 2 InsO). Dieser eingeschränkte Prüfungsmaßstab entspricht § 125 Abs. 1 Nr. 2 Hs. 1 InsO mit einer Einschränkung: Die Nachprüfung der sozialen Auswahl der Arbeitnehmer ist nicht auf grobe Fehlerhaftigkeit beschränkt. Es gelten die allgemeinen Vorgaben nach § 1 Abs. 2 und 3 KSchG. 140 § 126 Abs. 1 InsO engt den Prüfungsmaßstab im Gegensatz zu § 125 Abs. 1 Nr. 2 Hs. 2 InsO nicht auf die grobe Fehlerhaftigkeit ein. Gleichfalls ist im Rahmen dieses Beschlussverfahrens die Erhaltung oder Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur nicht möglich. Die Kontrolle der Sozialauswahl wird nach § 1 Abs. 2 und 3 KSchG vorgenommen. Eine analoge Anwendung von § 125 Abs. 1 Nr. 2 Hs. 2 InsO scheidet schon deshalb aus, weil die Auswahl der im Antrag bezeichneten Arbeitnehmer allein durch den Insolvenzverwalter ohne Beteiligung des Betriebsrats erfolgt7. 141 Im Rahmen der Antragsbegründung hat der Insolvenzverwalter bezüglich jedes im Antrag namentlich bezeichneten Arbeitnehmers die drei Auswahlkriterien Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltsverpflichtungen sowie deren Gewichtung darzutun, da nur hierdurch das Gericht die soziale Auswahl nachprüfen kann.
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Zwanziger, Kommentar zum Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 126 InsO Rz. 26. Zwanziger, Kommentar zum Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 126 InsO Rz. 26. Matthes in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, § 83a ArbGG Rz. 11. BAG v. 29.6.2000 – 8 ABR 44/99, BAGE 95, 197 = NZA 2000, 1180 = ZIP 2000, 1588 (1590). BAG v. 23.6.1993 – 2 ABR 58/92, NZA 1993, 1052. Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 252. Hamacher in Nerlich/Römermann, InsO, § 126 Rz. 42.
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Rz. 148
§ 12
Da es sich beim Verfahren nach § 126 InsO um ein Beschlussverfahren handelt, gilt 142 grundsätzlich der Untersuchungsgrundsatz1 (§ 83 Abs. 1 Satz 1 ArbGG). Eine Darlegungslast besteht nicht; das Gericht hat den Sachverhalt nur im Rahmen der von den Beteiligten mitgeteilten Tatsachen zu ermitteln. Eine Beweiserhebung im Beschlussverfahren durch das Gericht erfolgt nur dann, wenn Tatsachen substantiiert bestritten sind oder sich Zweifel an der Richtigkeit aufdrängen2. Die Beteiligten haben an der Sachverhaltsaufklärung gemäß § 83 Abs. 1 Satz 2 ArbGG mitzuwirken und somit alle entscheidungserheblichen Tatsachen vorzutragen. Die Vorschriften des ArbGG über das Beschlussverfahren gelten entsprechend (§ 126 143 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 InsO). Das Beschlussverfahren ist vorrangig zu erledigen (§§ 122 Abs. 2 Satz 3, 126 Abs. 2 Satz 2 InsO). Da § 61a Abs. 3–6 ArbGG kraft dieser Verweisung Anwendung findet, sind auch verspätete Angriffs- oder Verteidigungsmittel nur begrenzt zuzulassen (§ 61a Abs. 5 ArbGG). Bei einer Fristversäumung endet die Aufklärungspflicht des Gerichts3. Der Vorsitzende kann mit den Folgen von § 83 Abs. 1a Satz 2 ArbGG Fristen für das Vorbringen setzen (§ 83 Abs. 1a Satz 1 ArbGG). Bleibt der Sachverhalt, gegebenenfalls auch nach Beweisaufnahme, unklar, ist nach 144 der objektiven Beweislast zu entscheiden4. Die objektive Beweislast richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen des Kündigungsschutzes. Der Insolvenzverwalter muss die Antragsvoraussetzungen nach § 126 Abs. 1 Satz 1 InsO (siehe Rz. 121 ff.) beweisen, insbesondere in Betrieben mit einem Betriebsrat das Vorhandensein von mindestens zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern (§ 125 Abs. 1 InsO, § 111 BetrVG) und die soziale Rechtferti gung der Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG. Der Arbeitnehmer hat aufgrund von § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG die mangelnde Sozialauswahl bezüglich der Vergleichbarkeit und der Sozialdaten darzulegen und zu beweisen. Da im Rahmen des Beschlussverfahrens nach § 126 InsO der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 83 Abs. 1 Satz 1 ArbGG) gilt, finden die allgemeinen Vorgaben zur abgestuften Darlegungs- und Beweislast keine Anwendung5. Es ist ausreichend, dass der Arbeitnehmer die ordnungsgemäße Sozialauswahl bestreitet6. Der Arbeitnehmer muss keinen anderen, weniger schutzbedürftigen Arbeitnehmer benennen7. Der maßgebliche Beurteilungszeitpunkt im Rahmen der Nachprüfung der sozialen Auswahl ist unterschiedlich.
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Ist die Kündigungserklärung vor der Einleitung des Beschlussverfahrens nach § 126 InsO abgegeben worden, so ist der Zugang der Kündigungserklärung maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt. Eine Änderung der Sachlage begründet gegebenenfalls einen Wiedereinstellungsanspruch8.
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Ist die Kündigungserklärung bei Rechtshängigkeit des Beschlussverfahrens noch 147 nicht abgegeben, so ist zur Beurteilung der Kündigung auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen9. Dieses folgt aus § 127 Abs. 1 Satz 2 InsO, wonach der Beschluss nach § 126 InsO seine Bindungswirkung verliert, wenn sich die Sachlage nach dem Schluss der letzten mündlichen Verhandlung wesentlich geändert hat. d) Rechtsmittel Gemäß §§ 126 Abs. 2 Satz 2, 122 Abs. 3 InsO ist eine Beschwerde an das LAG nicht statthaft. Eine Rechtsbeschwerde an das BAG bedarf der Zulassung durch das Ar-
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Zwanziger, Kommentar zum Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 126 InsO Rz. 45. BAG v. 10.12.1992 – 2 ABR 32/92, NZA 1993, 501 (505). Hamacher in Nerlich/Römermann, InsO, § 126 Rz. 47. Zwanziger, Kommentar zum Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 126 InsO Rz. 46. Linck in HK-InsO, § 126 Rz. 12. Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 258. Zwanziger, Kommentar zum Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 126 InsO Rz. 48. BAG v. 6.8.1997 – 7 AZR 557/96, BAGE 86, 194 = NZA 1998, 254. Zwanziger, Kommentar zum Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 126 InsO Rz. 52.
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§ 12
Rz. 149
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
beitsgericht1. Die Rechtskraft tritt auch dann nicht mit Zustellung der Entscheidung an die Verfahrensbeteiligten ein, wenn die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen wurde, da auch eine unzulässige Nichtzulassungsbeschwerde den Eintritt der Rechtskraft hemmt2. 149 Obgleich bei dem arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren nach § 122 InsO die Rechtsmittelmöglichkeiten stark eingeschränkt sind (§ 122 Abs. 3 Satz 1 InsO), tritt die Rechtskraft des Beschlusses nicht nach der Zustellung an die Beteiligten ein (§§ 80 Abs. 2 i.V.m. 50 Abs. 1 Satz 1 ArbGG). 150 Lässt das Arbeitsgericht im Beschluss die Rechtsbeschwerde an das BAG wegen grundsätzlicher Bedeutung oder Divergenz zu (§ 122 Abs. 3 Satz 1 Hs. 1 InsO), so tritt die Rechtskraft des Zustimmungsbeschlusses erst mit Zustellung der Entscheidung des BAG an die Beteiligten ein. 151 Wird die Rechtsbeschwerde durch das Arbeitsgericht nicht zugelassen und legt der Betriebsrat und/oder ein Arbeitnehmer als Beteiligter dennoch eine – unzulässige – Rechtsbeschwerde zum BAG ein, wird hierdurch der Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses wiederum bis zur Zustellung des Beschlusses des BAG, mit welchem die Rechtsbeschwerde als unzulässig zurückgewiesen wird, gehemmt3. 152 Eine zugelassene Rechtsbeschwerde wirkt nur zugunsten derjenigen Arbeitnehmer, welche die Rechtsbeschwerde eingelegt haben. Soweit Arbeitnehmer im Falle der Zulassung keine Rechtsbeschwerde einlegen, erlangt der arbeitsgerichtliche Beschluss insoweit und in Bezug auf diese Arbeitnehmer Rechtskraft, da die Wirksamkeit der Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines bestimmten Arbeitnehmers einen abgrenzbaren, der Rechtskraft selbständig fähigen Teil des Beschlusses, betrifft4. e) Kosten 153 Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden im Beschlussverfahren nicht erhoben (§ 2 Abs. 2 GKG i.V.m. § 2a Abs. 1 ArbGG). Das Arbeitsgericht hat grundsätzlich keine Kostenentscheidung zu treffen und keinen Streitwert festzusetzen, es sei denn, dass das BAG das Verfahren an das Arbeitsgericht zurückverweist und diesem die Kostenentscheidung überlässt5. 154 Kommt es zum Verfahren der Rechtsbeschwerde vor dem BAG, werden die außergerichtlichen Kosten erstattet (§ 126 Abs. 3 Satz 2 InsO). 155 Der Ausschluss der Kostenerstattung nach § 12a Abs. 1 Satz 1 und 2 ArbGG ändert am materiellen Kostenerstattungsanspruch des Betriebsrats nichts6. Die Prozesskosten des Betriebsrats sind deshalb nach § 40 BetrVG zu erstatten7. Ist die Prozessvertretung – wie im Rechtsbeschwerdeverfahren gem. § 94 Abs. 1 ArbGG – durch einen Rechtsanwalt gesetzlich vorgeschrieben, so ist die Erstattungspflicht nach § 40 Abs. 1 BetrVG ohne Weiteres gegeben. In allen anderen Fällen gehören zu den dem Betriebsrat zu erstattenden Kosten auch Rechtsanwaltskosten, sofern der Betriebsrat zum Zeitpunkt der Beschlussfassung die Zuziehung eines Rechtsanwaltes für notwendig erachten konnte8. Eine ordnungsgemäße Beschlussfassung des Betriebsrats setzt voraus, dass der Beschlussfassungspunkt Gegenstand der Einladung zur Betriebsratssitzung und der Tagesordnung war (§ 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG). 155a In der Regel ist im Verfahren nach § 126 InsO aufgrund der komplizierten Rechtslage die Zuziehung des Rechtsanwaltes praktisch immer notwendig9. Die Kosten des an-
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BAG v. 14.8.2001 – 2 ABN 20/01, BB 2001, 2535 = ZInsO 2001, 1071. BAG v. 14.8.2001 – 2 ABN 20/01, BB 2001, 2535 = ZInsO 2001, 1071. BAG v. 14.8.2001 – 2 ABN 20/01, BB 2001, 2535 = ZInsO 2001, 1071. BAG v. 29.6.2000 – 8 ABR 44/99, BAGE 95, 197 = NZA 2000, 1165 = ZIP 2000, 1588 (1590). Hamacher in Nerlich/Römermann, InsO, § 126 Rz. 54. Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 265. Linck in HK-InsO, § 126 Rz. 19. BAG v. 3.10.1978 – 6 ABR 102/76, BAGE 31, 93 = NJW 1980, 1486 = MDR 1979, 435. Zwanziger, Kommentar zum Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 126 InsO Rz. 41.
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Rz. 161
§ 12
waltlichen Vertreters des Betriebsrats stellen Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO dar1. Da eine Festsetzung des Streitwertes im Beschluss nach § 84 ArbGG nicht erfolgt, ist auf Antrag der Wert der anwaltlichen Tätigkeit festzusetzen (§ 33 Abs. 1 RVG). Für die Ermittlung des Streitwertes ist § 12 Abs. 7 ArbGG entsprechend heranzuziehen2, so dass von einem Vierteljahresbetrag des Arbeitsentgeltes als Höchstbetrag für die Streitwertberechnung beim Prozessvertreter des Arbeitnehmers auszugehen ist3.
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Die Vertretung mehrerer Arbeitnehmer durch den gleichen Prozessbevollmächtigten 157 dürfte die Ausnahme sein, da in der Regel widerstreitende Interessen (§ 203 Nr. 3 StGB) vorliegen. Sollte dennoch ein Rechtsanwalt mehrere Arbeitnehmer vertreten, erfolgt keine Zusammenrechnung der einzelnen Gegenstandswerte, da es sich nicht um dieselbe Angelegenheit i.S.v. § 7 Abs. 1 RVG handelt. Bei dem anwaltlichen Vertreter des Insolvenzverwalters sind jedoch die nach § 12 Abs. 7 ArbGG ermittelten und festgesetzten Streitwerte der beteiligten Arbeitnehmer und des Betriebsrats zur Ermittlung des Gegenstandswertes zu addieren4. Für das Rechtsbeschwerdeverfahren beim BAG gelten keine gebührenrechtlichen 158 Besonderheiten (§ 126 Abs. 3 Satz 2 InsO). Die obsiegenden Arbeitnehmer erwerben Kostenerstattungsansprüche gegenüber der Insolvenzmasse als Masseverbindlichkeiten; sofern der Arbeitnehmer unterliegt, hat dieser der Insolvenzmasse die außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Ist das Ergebnis in der Rechtsbeschwerdeinstanz hinsichtlich der Arbeitnehmer gespalten, tragen die unterlegenen Arbeitnehmer insgesamt den Anteil der Kosten der Arbeitgeberseite, der dem Anteil am Gegenstandswert der Arbeitgeberseite entspricht, der auf sie entfällt5. Über die Kosten des Betriebsrats wird nicht entschieden. Hier verbleibt es bei dem materiellen Freistellungsanspruch nach § 40 Abs. 1 BetrVG. 6. Sozialplan a) Einleitung Eine Sozialplanpflicht besteht, wenn eine Betriebsänderung geplant wird (§ 111 159 Satz 1 BetrVG), der Betrieb regelmäßig mehr als zwanzig wahlberechtigte Arbeitnehmer und einen Betriebsrat besitzt. Die erforderliche Arbeitnehmerzahl muss zum Zeitpunkt der Betriebsänderung, also 160 bei dem Abschluss der Planung, vorhanden sein6. Zum Zeitpunkt des Entschlusses, eine Betriebsänderung durchzuführen, muss weiterhin in dem Betrieb ein Betriebsrat bestehen und dieser sich nach seiner Wahl konstituiert (§§ 26 Abs. 1, 29 Abs. 1 BetrVG) haben7. Sowohl der Versuch eines Interessenausgleichs als auch Verhandlungen über die Aufstellung eines Sozialplanes setzen einen Betriebsrat als Verhandlungspartner voraus. Die Wahl eines Betriebsrats nach dem Entschluss zur und dem Beginn der Durchfüh- 161 rung der Betriebsänderung berechtigt diesen nicht, die Aufstellung eines Sozialplanes zu verlangen8. Auch wenn dem Insolvenzverwalter zum Zeitpunkt des Entschlusses zur Betriebsänderung die Absicht bekannt war, dass die Arbeitnehmer einen Betriebsrat wählen wollen, kann nach der erfolgten Betriebsratswahl der neu gewählte Betriebsrat nicht verlangen, dass über die Aufstellung eines Sozialplanes verhandelt wird9.
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Linck in HK-InsO, § 126 Rz. 19. Wenzel in GK-ArbGG, § 12 Rz. 265. A.A. ArbG Hamburg v. 7.10.2005 – 18 BV 5/05, ZInsO 2005, 1320. Zwanziger, Kommentar zum Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 126 InsO Rz. 40. Zwanziger, Kommentar zum Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 126 InsO Rz. 38. BAG v. 10.12.1996 – 1 ABR 43/96, NZA 1997, 733 = ZIP 1997, 855. BAG v. 20.4.1982 – 1 ABR 3/80, BAGE 38, 284 (289 ff.) = ZIP 1982, 982 = NJW 1982, 2334. BAG v. 20.4.1982 – 1 ABR 3/80, BAGE 38, 284 = ZIP 1982, 982 = NJW 1982, 2334. BAG v. 28.10.1992 – 10 ABR 75/91, NZA 1993, 420 = ZIP 1993, 289.
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§ 12
Rz. 162
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
162 Die in einem solchen Falle von dem neu gewählten Betriebsrat angerufene Einigungsstelle (§ 112 Abs. 2 Satz 2 BetrVG) ist offensichtlich unzuständig. Ein vom Betriebsrat gestellter Antrag auf Bestellung des Vorsitzenden der Einigungsstelle und der Zahl der Beisitzer (§ 76 Abs. 2 Satz 2 und 3 BetrVG) ist durch das Arbeitsgericht wegen offensichtlicher Unzuständigkeit der Einigungsstelle zurückzuweisen (§ 98 Abs. 1 Satz 2 ArbGG). 163 Auf Antrag des Insolvenzverwalters kann die Frage der Zuständigkeit der Einigungsstelle in einem gesonderten Beschlussverfahren entschieden werden. Antragsgegner ist in diesem Falle der Betriebsrat. Auf das Verfahren finden die Vorschriften für das Beschlussverfahren (§§ 80 ff. ArbGG) Anwendung. Das Beschlussverfahren kann isoliert vor einer Entscheidung der Einigungsstelle durchgeführt werden1. 164 Hat die Belegschaft keinen Betriebsrat gewählt oder hat sich ein neu gewählter Betriebsrat erst nach dem Entschluss zur Betriebsänderung konstituiert, laufen die gesetzlichen Beteiligungsrechte leer. Diese betriebsratslosen Betriebe stehen außerhalb der Betriebsverfassung2. Der einzelne Arbeitnehmer besitzt keinen Anspruch auf Aufstellung eines Sozialplanes. 165 Unbeschadet der Beteiligungsrechte eines gewählten und konstituierten Betriebsrats ist bei einer geplanten Betriebsänderung, die sich ausschließlich auf einen Personalabbau beschränkt, ein Sozialplan nur erzwingbar, wenn der Personalabbau die Größenordnungen des § 112a Abs. 1 BetrVG erreicht oder überschreitet. Der Personalabbau in den Größenordnungen des § 17 Abs. 1 KSchG löst das Beteiligungsrecht des Betriebsrats (§ 111 BetrVG) bei einer geplanten Betriebsänderung aus. Die Größenordnung des § 112a Abs. 1 BetrVG regelt hingegen ausschließlich die Sozialplanpflicht. Die Zahlen- und Prozentangaben in § 17 Abs. 1 KSchG und § 112a Abs. 1 BetrVG sind unterschiedlich. § 112a Abs. 1 BetrVG ist daher als Einschränkung der Sozialplanpflicht in Fällen des Personalabbaus zu verstehen, die auch anwendbar ist, wenn zum Personalabbau weitere Maßnahmen hinzukommen. Erzwingbar ist der Sozialplan nach § 112 Abs. 4 BetrVG dann nur, wenn diese weiteren Maßnahmen allein oder zusammen mit dem Personalabbau eine Betriebsänderung sind3. 166 Entlassungen i.S.v. § 112a Abs. 1 BetrVG stellen sowohl der Abschluss eines wegen der Betriebsänderung veranlassten Aufhebungsvertrages (§ 112a Abs. 1 Satz 2 BetrVG), als auch Eigenkündigungen der Arbeitnehmer, die aufgrund einer geplanten Betriebsänderung erfolgen, dar4. Maßgeblich für die Quoren nach § 17 Abs. 1 KSchG und § 112a Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist allein, dass der Arbeitnehmer durch die geplante Betriebsänderung zum Ausscheiden aus dem Betrieb veranlasst wird. Aus diesem Grunde sind auch Versetzungen von Arbeitnehmern in andere Betriebe zu berücksichtigen5. Bei den Quoren sind Entlassungen aus personen- oder verhaltensbedingten Gründen sowie die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses wegen wirksamer Befristung nicht mitzurechnen6. 167 Trotz des Vorliegens der Voraussetzungen von § 112a Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Abschluss eines Sozialplanes dann nicht erzwingbar, wenn das Unternehmen – nicht der Betrieb – nicht älter als vier Jahre ist7. Maßgeblich für die Altersbestimmung des Unternehmens8 ist nicht der Zeitpunkt der Gründung z.B. nach § 2 Abs. 1 GmbHG, sondern die Aufnahme der Erwerbstätigkeit (§ 112a Abs. 2 Satz 3 BetrVG). Entgegen des Wortlautes von § 112a Abs. 2 Satz 3 BetrVG erfolgt die Anzeige über die Aufnahme der Erwerbstätigkeit gemäß § 138 Abs. 1 Satz 1 AO an die Gemeinde, in welcher
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BAG v. 28.7.1981 – 1 ABR 65/79, BAGE 36, 138 (140) = NJW 1982, 2410. BAG v. 16.8.1983 – 1 AZR 544/81, BAGE 44, 86 = NJW 1984, 2966. BAG v. 28.3.2006 – 1 ABR 5/05, NZA 2006, 932 = ZIP 2006, 1460. BAG v. 23.8.1988 – 1 AZR 276/87, BAGE 59, 242 (250 ff.) = NZA 1989, 31 = ZIP 1988, 1417. Richardi, NZA 1984, 177 (179). BAG v. 2.8.1983 – 1 AZR 516/81, BAGE 43, 222 (231) = NJW 1984, 1781. BAG v. 22.2.1995 – 10 ABR 23/94, NZA 1995, 697 = ZIP 1995, 1111. BAG v. 27.6.2006 – 1 ABR 18/05, NZA 2007, 106 = ZIP 2007, 39.
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Rz. 172
§ 12
der Betrieb oder die Betriebsstätte eröffnet wird. Die Gemeinde ihrerseits unterrichtet das zuständige Finanzamt. Die Privilegierung bezieht sich auf die Neugründung eines Unternehmens und nicht 168 eines Betriebs. Dies hat zur Konsequenz, dass neu gegründete Unternehmen auch dann von der Sozialplanpflicht für eine Betriebsänderung befreit sind, wenn die Betriebsänderung in einem Betrieb erfolgt, den das Unternehmen übernommen hat und der selbst schon länger als vier Jahre besteht1. Zugrunde zu legen ist der arbeitsrechtliche Betriebsbegriff. Als Betrieb ist die organisatorische Einheit anzusehen, innerhalb deren der Unternehmer allein oder zusammen mit seinen Mitarbeitern mit Hilfe sächlicher und immaterieller Mittel bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt2. Beispiel Übernimmt ein i.S.v. § 112a Abs. 2 Satz 3 BetrVG neu gegründetes Unternehmen im Wege der übertragenden Sanierung („asset deal“) einen Betrieb, so ist für diesen Betrieb auch dann ein Sozialplan nicht erzwingbar, wenn er älter als vier Jahre ist. Hier besteht folglich zum Nachteil der Arbeitnehmer ein Gestaltungsspielraum.
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Die Befreiung von der Sozialplanpflicht gilt nicht für Neugründungen im Zusammen- 170 hang mit der rechtlichen Umstrukturierung von Unternehmen und Konzernen (§ 112a Abs. 2 Satz 2 BetrVG). Die rechtliche Umstrukturierung kann eine Verschmelzung von einem oder mehrerer Unternehmen auf ein neu gegründetes Unternehmen, die Auflösung eines Unternehmens und Übertragung seines Vermögens auf ein neu gegründetes Unternehmen, die Aufspaltung eines Unternehmens auf mehrere neu gegründete Unternehmen oder die Abspaltung von Unternehmensteilen auf neu gegründete Tochtergesellschaften darstellen. Die Befreiung von der Sozialplanpflicht tritt deshalb nur dann ein, wenn ein unternehmerischer Neuanfang vorliegt. Maßgebend ist nicht das Alter des Betriebs, sondern des Unternehmens3. Unter § 112a Abs. 2 Satz 2 BetrVG fallen deshalb auch Neugründungen, die aus einer Umwandlung nach dem Umwandlungsgesetz hervorgehen, also durch Verschmelzung, Spaltung, Vermögensübertragung oder Formwechsel4. b) Inhalt des Sozialplanes Gleichgültig, ob es sich um einen erzwingbaren oder nicht erzwingbaren Sozialplan 171 handelt, stellt der abgeschlossene Sozialplan eine Betriebsvereinbarung i.S.v. § 77 BetrVG dar. Für die Betriebsvereinbarung (Sozialplan) besteht das Schriftformerfordernis (§ 77 Abs. 2 Satz 1 BetrVG). Der Sozialplan ist von dem Insolvenzverwalter und dem Vorsitzenden des Betriebsrats oder den jeweils Bevollmächtigten auf derselben Urkunde zu unterzeichnen5. Der Austausch einseitig unterschriebener Exemplare des Sozialplanes genügt ebenso wenig dem Schriftformerfordernis wie die Unterschrift auf einer übermittelten Fotokopie6. Auch die Übermittlung der einseitig unterschriebenen Betriebsvereinbarung durch Telefax und Unterschriftsleistung auf dem Telefax durch den anderen Betriebspartner genügt dem Schriftformerfordernis nicht7. Eine nicht dem Schriftformerfordernis genügende Betriebsvereinbarung (Sozialplan) ist gemäß § 125 Satz 1 BGB nichtig. Die abgeschlossene Betriebsvereinbarung ist im Betrieb auszulegen (§ 77 Abs. 2 Satz 3 BetrVG). Ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Aushändigung eines Exemplars der Betriebsvereinbarung besteht nicht8. Der Sozialplan hat die Aufgabe, die durch die geplante Betriebsänderung entstehen- 172 den wirtschaftlichen Nachteile auszugleichen oder zu mindern. Dem Zweck nach 1 2 3 4 5 6 7 8
BAG v. 13.6.1989 – 1 ABR 14/88, BAGE 62, 108 = NZA 1989, 974 = ZIP 1989, 1487. BAG v. 14.9.1988 – 7 ABR 10/87, BAGE 59, 319 = NZA 1989, 190. BAG v. 27.6.2006 – 1 ABR 18/05, NZA 2007, 106 = ZIP 2007, 39. Annuß in Richardi, BetrVG, § 112a Rz. 18. BAG v. 21.8.1990 – 3 AZR 422/89, NZA 1991, 507 = ZIP 1991, 675. LAG Berlin v. 6.9.1991 – 2 Ta BV 3/91, DB 1991, 2593. BGH v. 28.1.1993 – XI ZR 259/91, BGHZ 121, 224 = ZIP 1993, 424. Fitting, BetrVG, § 77 Rz. 25.
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§ 12
Rz. 173
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
sind Sozialplanansprüche keine Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes1. Wesentlich müssen die Nachteile für die Arbeitnehmer nicht sein. Der Insolvenzverwalter und der Betriebsrat können als Betriebspartner frei regeln, welche Nachteile durch den Sozialplan ausgeglichen oder gemindert werden sollen2 und in welchem Umfang dies geschehen soll. Trotz des weiten Gestaltungsspielraums der Betriebspartner haben diese den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG) zu wahren3. 173 Im Gegensatz zu einem durch Spruch der Einigungsstelle aufgestellten Sozialplan können in einem zwischen den Betriebspartnern vereinbarten Sozialplan unterschiedslos Abfindungen für alle infolge einer Betriebsänderung entlassenen Arbeitnehmer festgesetzt werden, deren Höhe sich allein nach dem Monatseinkommen, der Dauer der Betriebszugehörigkeit und den Unterhaltspflichten nach einem Punktesystem bemisst4. 174 Unzulässig ist es, Abfindungen ohne Berücksichtigung von Alter, familiären Belastungen und einer eventuellen Schwerbehinderteneigenschaft zu vereinbaren und für alle Betroffene einen Abfindungsbetrag in gleicher Höhe für jedes Jahr der Beschäftigung zu gewähren5. 174a Sozialpläne dürfen weiterhin, auch nach Inkrafttreten des AGG, nach Lebensalter und Betriebszugehörigkeit gestaffelte Abfindungsregelungen vorsehen, denn dies ist durch § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG gedeckt6. So kann ein Sozialplan u.a. regeln, dass Arbeitnehmer erst ab dem 40. Lebensjahr die volle Abfindung erhalten, davor in prozentualer Abstufung weniger7. 175 In einem Sozialplan können zulässigerweise folgende Regelungen getroffen werden: – Vereinbarung einer Stichtagsregelung. Danach werden nur Arbeitnehmer vom Geltungsbereich des Sozialplanes erfasst, die zum Stichtag in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis stehen8. Stichtagsregelungen sind grundsätzlich zulässig und die damit verbundenen Härten müssen hingenommen werden, wenn die Wahl des Zeitpunktes sachgerecht ist9. – Ausschluss von Arbeitnehmern von der Geltung des Sozialplanes, die vor der geplanten Stilllegung des Betriebs ihr Arbeitsverhältnis selbst kündigen, da der Insolvenzverwalter ein berechtigtes Interesse an der geordneten Weiterführung des Betriebs bis zu dessen Schließung hat10. – Vereinbarung, wonach die Anrechnung von Abfindungen nach §§ 9, 10 KSchG auf Sozialplanleistungen erfolgt, ist möglich11. – Anrechnung der Nachteilsausgleichsansprüche nach § 113 BetrVG12. – Ausschluss der Anrechnung von Abfindungen und/oder Nachteilsausgleichsansprüchen13.
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BAG v. 9.11.1994 – 10 AZR 281/94, NZA 1995, 644 = ZIP 1995, 767. BAG v. 28.9.1988 – 1 ABR 23/97, BAGE 59, 359 (365) = NZA 1989, 186 = MDR 1989, 219. Fitting, BetrVG, § 112a Rz. 153. BAG v. 14.9.1994 – 10 ABR 7/94, BAGE 78, 30 = NZA 1995, 440 = ZIP 1995, 771. BAG v. 14.9.1994 – 10 ABR 7/94, BAGE 78, 30 = NZA 1995, 440 = ZIP 1995, 771. BAG v. 26.5.2009 – 1 AZR 198/08, BAGE 131, 61 = NZA 2009, 849 = BB 2009, 2428 (m. Anm. Nimmerjahn/Döring). BAG v. 12.4.2011 – 1 AZR 764/09, NZA 2011, 988 = DB 2011, 1758. BAG v. 30.11.1994 – 10 AZR 578/93, NZA 1995, 492 = ZIP 1995, 765. BAG v. 19.2.2008 – 1 AZR 1004/06, NZA 2008, 719. BAG v. 9.11.1994 – 10 AZR 281/94, NZA 1995, 644 = ZIP 1995, 676. BAG v. 20.6.1985 – 2 AZR 427/84, NZA 1986, 258 = NJW 1986, 2785. BAG v. 21.11.2001 – 1 AZR 11/01, ZInsO 2002, 1153; BAG v. 20.11.2001 – 1 AZR 97/01, BAGE 99, 377 = ZIP 2002, 817 = NZA 2002, 992 = ZInsO 2002, 1153. Berscheid, ZInsO 2002, 1127.
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Bestand und Beendigung von Dienstverhltnissen
Rz. 177a
§ 12
– Ausnahme aus dem Geltungsbereich des Sozialplanes von Arbeitnehmern, welche vorgezogenes Altersruhegeld in Anspruch nehmen können1. – Bei teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern kann die Abfindung nach dem Verhältnis der individuellen Arbeitszeit zu der Regelarbeitszeit bemessen werden2. – Degression und/oder Progression entsprechend des Lebensalters3. – Ausschluss von Arbeitnehmern aus dem Geltungsbereich des Sozialplans, denen ein Arbeitsplatz vermittelt wird4. – Ausnahme von Arbeitnehmern, welche die Voraussetzungen für den übergangslosen Rentenbezug nach Beendigung des Anspruches auf Arbeitslosengeld erfüllen, aus dem Geltungsbereich des Sozialplanes5, auch wenn der Arbeitnehmer durch die Inanspruchnahme vorgezogenen Altersruhegeldes eine Rentenminderung – auch in erheblichem Umfange – hinnehmen muss. – Ausschluss von Arbeitnehmern aus dem Geltungsbereich des Sozialplanes, welche dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses gemäß § 613a BGB auf den Betriebsübernehmer widersprechen, wenn ihnen die Weiterarbeit beim Betriebserwerber zumutbar ist6. – Generell ist der Ausschluss von dem Geltungsbereich des Sozialplanes zulässig, wenn der Arbeitnehmer einen anderen, zumutbaren Arbeitsplatz ablehnt7. – Nichtberücksichtigung von in einem Arbeitsvertrag angerechneter Zeit der Betriebszugehörigkeit bei einem früheren Arbeitgeber zugunsten des Arbeitnehmers8. – Fälligkeitsregelung, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über eine Kündigungsschutzklage9. – Bezugnahme bei Zuschlägen für unterhaltsberechtigte Kinder auf erfasste Lohnsteuermerkmale10 und Vereinbarung eines Stichtags hinsichtlich der Feststellung11. Es ist auch zulässig und zweckmäßig, Höchstbegrenzungsklauseln für Abfindungen wegen des Verlustes des Arbeitsplatzes zu vereinbaren12.
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In einer gesonderten Betriebsvereinbarung können über den Sozialplanleistungen 176a liegende, zusätzliche Abfindungen für den Fall vereinbart werden, dass der Arbeitnehmer auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verzichtet13. Jedoch ist im Falle eines früheren Betriebsüberganges die beim früheren Arbeitgeber zurückgelegte Betriebszugehörigkeit im Rahmen des Sozialplanes bei der Berechnung der Betriebszugehörigkeitszeiten zu berücksichtigen14.
177
Aus Gründen der Praktikabilität kann in einem Sozialplan geregelt werden, dass für 177a die Anzahl der Unterhaltsberechtigten die erfassten Lohnsteuermerkmale maßgeb-
1 BAG v. 26.7.1988 – 1 AZR 156/87, NZA 1989, 25 = NJW 1989, 480, BAG v. 11.11.2008 – 1 AZR 475/07. 2 BAG v. 28.10.1992 – 10 AZR 129/92, BAGE 71, 280 = NZA 1993, 717 = ZIP 1993, 449 = MDR 1993, 455. 3 BAG v. 26.6.1990 – 1 AZR 263/88, BAGE 65, 169 = NZA 1991, 111 = ZIP 1990, 1360. 4 BAG v. 22.3.2005 – 1 AZR 3/04, NZA 2005, 831. 5 BAG v. 31.7.1996 – 10 AZR 45/96, NZA 1997, 165. 6 BAG v. 5.2.1997 – 10 AZR 55/96, NZA 1998, 158. 7 BAG v. 28.9.1988 – 1 ABR 23/87, BAGE 59, 359 (367) = NZA 1989, 186 = MDR 1989, 290. 8 BAG v. 30.3.1994 – 10 AZR 352/93, NZA 1995, 88. 9 Kania in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 112a BetrVG Rz. 30. 10 BAG v. 12.3.1997 – 10 AZR 648/96, BAGE 85, 252 = NZA 1997, 1058. 11 LAG Hamm v. 15.3.2006 – 18 Sa 14/06, NZA-RR 2006, 572. 12 BAG v. 23.8.1988 – 1 AZR 284/87, BAGE 59, 255 = NZA 1989, 28 = NJW 1989, 480. 13 BAG v. 13.5.2005 – 1 AZR 254/04, NZA 2005, 997 = ZIP 2005, 1468, offen gelassen hinsichtlich Anwendung von § 612a BGB. 14 BAG v. 8.2.1983 – 3 AZR 229/81, BAGE 44, 7 = ZIP 1994, 99 = NJW 1984, 1254.
Hçfer
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§ 12
Rz. 178
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
lich sind. Dieses gilt auch für unterhaltsberechtigte Kinder von Arbeitnehmern aus Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft1. 178 Unwirksam ist eine Klausel: – wonach der Sozialplananspruch entfällt, wenn der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage erhebt2; – Nichtberücksichtigung von Betriebszugehörigkeitszeiten, in denen z.B. wegen Mutterschutzes, Wehrdienst und Zivildienst das Arbeitsverhältnis ruhte3; – Ausschluss derjenigen Arbeitnehmer, die ihr Arbeitsverhältnis selbst gekündigt haben, nachdem ihnen der Insolvenzverwalter mitgeteilt hatte, für sie bestehe aufgrund der Betriebsänderung keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr4; – Unterlassen der Klageerhebung gegen den Betriebserwerber5; – Erfolglose Feststellungsklage gegen den Betriebserwerber6; – Nichtberücksichtigung von Zeiten des Erziehungsurlaubs7 (Elternzeit). 179 Grundsätzlich unterliegen Sozialpläne als Betriebsvereinbarungen einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle8. Sozialpläne sind auszulegen wie Tarifverträge9. 179a Sind einzelne Bestimmungen in einem Sozialplan unwirksam, so führt dieses nicht zur Gesamtnichtigkeit des Sozialplans, sofern die verbliebenen Teile eine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung darstellen10. 179b Der Sozialplan unterliegt im Individualprozess nicht einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle in Bezug auf die Angemessenheit der Dotierung11. 179c Der Arbeitnehmer kann jedoch im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren Ansprüche oder erhöhte Ansprüche aus einem Sozialplan mit der Behauptung einklagen, er sei unter Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (§ 75 BetrVG) ganz oder teilweise von den Leistungen aus dem Sozialplan ausgeschlossen12 worden. Hält sich dagegen der Sozialplan im Rahmen billigen Ermessens und verstößt er nicht gegen höherrangige Rechtsnormen, so kann der einzelne Arbeitnehmer keine Überprüfung des Sozialplanes erreichen13. aa) Abrechnung von Sozialplanansprüchen 180 Der Arbeitnehmer hat gegenüber dem Insolvenzverwalter Auskunftsansprüche, obgleich der Sozialplan als Betriebsvereinbarung gemäß § 77 Abs. 2 Satz 3 BetrVG an geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen ist, um seinen individuellen Sozialplananspruch errechnen oder überprüfen zu können. Dieser Auskunftsanspruch stellt eine Nebenverpflichtung aus dem Arbeitsverhältnis dar und basiert auf § 242 BGB. Für den Insolvenzverwalter empfiehlt es sich, ohne gesonderte Aufforderung dem Arbeitnehmer die Berechnung der individuellen Sozialplanansprüche nach dem folgenden beispielhaften Muster mitzuteilen.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
BAG v. 12.3.1997 – 10 AZR 553/96, NZA 1998, 158. BAG v. 20.12.1983 – 1 AZR 442/82, BAGE 44, 364 = NZA 1984, 53 = ZIP 1984, 476. BAG v. 12.11.2002 – 1 AZR 58/02, DB 2003, 1635 = AP Nr. 159 zu § 112 BetrVG 1972. BAG v. 15.1.1991 – 1 AZR 80/90, BAGE 67, 29 = NZA 1991, 692 = ZIP 1991, 1380 = MDR 1991, 1180. BAG v. 22.11.2005 – 1 AZR 458/04, NZA 2006, 220 = ZIP 2006, 489. BAG v. 22.7.2003 – 1 AZR 575/02, BAGE 107, 100 = ZIP 2003, 2220. BAG v. 21.10.2003 – 1 AZR 407/02, BAGE 108, 147 = NZA 2004, 559 = ZIP 2004, 578. BAG v. 14.2.1984 – 1 AZR 574/82, NZA 1984, 202 = ZIP 1984, 1000. BAG v. 22.3.2005 – 1 AZR 3/04, NZA 2005, 831. BAG v. 21.10.2003 – 1 AZR 407/02, BAGE 108, 147 = NZA 2004, 559 = ZIP 2004, 578. BAG v. 17.2.1981 – 1 AZR 290/78, BAGE 35, 80 (92) = ZIP 1981, 642 = NJW 1982, 69. BAG v. 25.10.1983 – 1 AZR 260/82, BB 1984, 598. BAG v. 26.7.1988 – 1 AZR 156/87, NZA 1989, 25 = NJW 1989, 480.
936
Hçfer
Bestand und Beendigung von Dienstverhltnissen
Rz. 184
§ 12
M 25 Musterschreiben Berechnungsergebnis Sozialplanansprche
181
Sehr geehrte(r) Herr/Frau . . . Nach dem mit dem Betriebsrat abgeschlossenen Sozialplan vom . . . habe ich fr Sie . . . Sozialpunkte ermittelt. Im Einzelnen ermittelt sich dieser Punktewert wie folgt: Anzahl der Beschftigungsjahre: . . . Jahre, daraus ergibt sich ein Punktewert von: Lebensalter: . . . Jahre, daraus ergibt sich ein Punktewert von: Durchschnittliches Einkommen pro Monat: . . . Euro, daraus ergibt sich ein Punktewert von: . . . Prozent Schwerbehinderung (Gleichstellung), daraus ergibt sich ein Punktwert von: . . . unterhaltsberechtigte Kinder, daraus ergibt sich ein Punktwert von: Ihr Gesamtpunktewert: Insgesamt wurden auf diese Weise fr alle Arbeitnehmer . . . Sozialpunkte ermittelt. Der auf diese Sozialpunkte zu verteilende Betrag betrgt . . . Euro, so dass sich pro zu verteilendem Sozialpunkt ein Betrag in Hçhe von . . . Euro errechnet. Ihre individuelle Sozialplanforderung errechnet sich sonach wie folgt: Ihre individuellen Sozialplanpunkte: . . . multipliziert mit Punktwert . . . ergibt Gesamtwert . . . Euro Gesamtsozialplananspruch . . . Euro Diesen Betrag habe ich fr Sie als Anspruch vermerkt. Eventuelle Einwendungen gegen die Berechnung bitte ich unverzglich mitzuteilen. Außerdem mçchte ich Sie darauf hinweisen, dass sich die Hçhe des Abfindungsanspruches noch ndern kann, da die Verwertung der Insolvenzmasse noch nicht abgeschlossen ist und das wirtschaftliche Ergebnis des Insolvenzverfahrens somit noch nicht feststeht. Denn im Insolvenzverfahren darf fr die Berichtigung von Sozialplanforderungen nicht mehr als ein Drittel der Masse verwendet werden, die ohne einen Sozialplan fr die Glubiger zur Verteilung zur Verfgung stnde. Weiter weise ich darauf hin, dass eine Zwangsvollstreckung in die Insolvenzmasse wegen der Abfindung unzulssig ist und Abschlagszahlungen nur mit Zustimmung des Insolvenzgerichtes erfolgen drfen. Unterschrift, Ort, Datum Der Vorteil einer frühzeitigen Unterrichtung der Arbeitnehmer besteht darin, dass zeitnah eventuelle Berechnungsfehler korrigiert werden können. Daneben dienen die Schreiben als Grundlage zur Erfassung der Masseverbindlichkeiten.
182
Die Ansprüche aus Sozialplänen sind vererblich, wenn diese entstanden sind1. Die An- 183 sprüche aus dem Sozialplan entstehen zu dem Zeitpunkt, in dem alle Tatbestandsvoraussetzungen des Anspruchs eingetreten sind. Das Entstehen des Anspruchs auf die Sozialplanleistung2 oder die vor der Anspruchsentstehung eintretende Vererblichkeit muss ausdrücklich im Sozialplan geregelt sein. Enthält der Sozialplan zur Fälligkeit keine Regelung, wird die Abfindung am Ende 184 des Arbeitsverhältnisses fällig3. Auch wenn der Sozialplan vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeschlossen wurde und der Anspruch erst nach Eröffnung des In-
1 BAG v. 27.6.2006 – 1 AZR 322/05, NZA 2006, 1238 = ZIP 2006, 1836. 2 Fitting, BetrVG, § 112a Rz. 181. 3 BAG v. 30.3.2004 – 1 AZR 85/03, NZA 2004, 1183.
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§ 12
Rz. 185
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
solvenzverfahrens mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig wird, besitzt der Arbeitnehmer nur eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO (hierzu § 6 Rz. 278 ff.). Allein maßgeblich ist, dass der Sozialplananspruch vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet wurde1, es sei denn ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis hat abgeschlossen2. 185 Da es sich bei dem Sozialplan um eine Betriebsvereinbarung i.S.v. § 77 BetrVG handelt, bedarf ein Verzicht auf Rechte aus einem Sozialplan der Zustimmung des Betriebsrats (§ 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG)3. Stellt jedoch die Abweichung von dem Sozialplan für den Arbeitnehmer objektiv die günstigere Regelung dar, ist entsprechend des Günstigkeitsprinzips der Verzicht zulässig4. Aus diesem Grunde ist es notwendig, dass bei Anrechnungsklauseln für Ansprüche nach §§ 9, 10 KSchG oder nach § 113 BetrVG diese Ansprüche auf den Sozialplananspruch angerechnet werden und nicht die Sozialplanansprüche auf die sonstigen Abfindungsleistungen. Andererseits kann der Arbeitnehmer auf bestehende Nachteilsansprüche, da es sich um Individualansprüche handelt, ohne Zustimmung des Betriebsrats verzichten. Eine analoge Anwendung von § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG scheidet aus5. 186 Im Sozialplan können – dieses geschieht selten – für Ansprüche auf Abfindungen und sonstige Leistungen Ausschlussfristen vereinbart werden6. Im Insolvenzverfahren ist eine solche Klausel überflüssig, da die Sozialplanansprüche als Masseverbindlichkeiten (§ 123 Abs. 2 Satz 1 InsO) auch ohne deren Geltendmachung vom Insolvenzverwalter im Rahmen der Vorgaben des § 123 Abs. 3 Satz 1 InsO zu erfüllen sind. 187 Es ist zulässig, die Ansprüche auf Nachteilsausgleich mit den Sozialplanabfindungen zu verrechnen, da eine Zweckidentität besteht. Beide Ansprüche sollen wirtschaftliche Nachteile der Arbeitnehmer infolge ihrer Entlassung aufgrund einer Betriebsstilllegung ausgleichen. Der weiter gehende Zweck des Nachteilsausgleichs nach § 113 BetrVG, ein betriebsverfassungswidriges Verhalten des Insolvenzverwalters zu sanktionieren, schließt eine Verrechnung nicht aus7. 188 Im Falle von Altsozialplänen (§ 124 InsO) und außerhalb der Insolvenz beträgt die Verjährungsfrist für Ansprüche aus dem Sozialplan, soweit der Sozialplan vor dem 1.1.2002 abgeschlossen und der Anspruch des Arbeitnehmers entstanden ist, nach § 195 a.F. BGB 30 Jahre (Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB). Für Sozialplanansprüche, die nach dem 1.1.2002 entstanden sind, gilt die regelmäßige Verjährungsfrist von 3 Jahren nach § 195 n.F. BGB8. Grundsätzlich gilt für Ansprüche aus einem Sozialplan nach § 123 InsO nicht anderes, denn nach § 123 Abs. 2 Satz 1 InsO sind solche Ansprüche Masseverbindlichkeiten, die ebenso den allgemeinen Verjährungsregeln unterliegen. Es empfiehlt sich daher, eine entsprechende Verzichtsklausel in den Sozialplan aufzunehmen. 189 Auch ohne gesonderte Regelung werden leitende Angestellte von den Regelungen des Sozialplanes nicht erfasst9. Auch nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz besteht keine Verpflichtung, die leitenden Angestellten in den Wirkungsbereich eines Sozialplanes einzubeziehen10.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
BAG v. 27.10.1998 – 1 AZR 94/98, NZA 1999, 719 = ZIP 1999, 540. BAG v. 31.7.2002 – AZR 275/01, NJW 2003, 989. BAG v. 31.7.1996 – 10 AZR 138/96, NZA 1997, 167. BAG v. 27.1.2004 – 1 AZR 148/03, BAGE 109, 244 = NZA 2004, 667 = ZIP 2004, 1165. BAG v. 23.9.2003 – 1 AZR 576/02, BAGE 107, 347 = NZA 2004, 440 = ZIP 2004, 627. Hamacher in Nerlich/Römermann, Vorbemerkung vor §§ 121 bis 124 InsO Rz. 59. BAG v. 20.11.2001 – 1 AZR 97/01, BAGE 99, 377 = NZA 2002, 992 = ZIP 2002. BAG v. 30.10.2001 – 1 AZR 65/01, BAGE 99, 266 = NZA 2002, 449. BAG v. 31.1.1979 – 5 AZR 454/77, BAGE 31, 266 = NJW 1979, 1621. BAG v. 16.7.1985 – 1 AZR 206/81, BAGE 49, 199 = NZA 1985, 713 = ZIP 1985, 1285.
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Bestand und Beendigung von Dienstverhltnissen
Rz. 193
§ 12
Die Zahlungen aufgrund eines Sozialplanes stellen Arbeitslohn dar und unterliegen 190 somit der normalen Besteuerung im Zeitpunkt der jeweiligen Auszahlung1. Der Insolvenzverwalter hat eine Lohnsteuerbescheinigung entweder dem Arbeitnehmer oder dem Betriebsstättenfinanzamt einzureichen (§ 41b Abs. 1 Satz 4 und 5 EStG). Unabhängig von der Höhe der Sozialplanansprüche besteht keine Beitragspflicht zur 191 Sozialversicherung. Es handelt sich um Arbeitsentgelt i.S.v. § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV, das nicht der Beitragspflicht zur Sozialversicherung unterfällt, obgleich die Zahlung der Lohn-/Einkommensteuer unterliegt2. Die Ansprüche aus dem Sozialplan können wie Arbeitsentgelt gepfändet werden und unterliegen den Pfändungsbeschränkungen nach §§ 850 ff. ZPO3. Bei dem Sozialplananspruch des Arbeitnehmers handelt es sich um einmalige Bezüge i.S.v. § 850i Abs. 1 ZPO4. Der Pfändungsschutz wird nur auf Antrag des Arbeitnehmers gewährt (§ 850i Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Antrag ist vor der Auszahlung beim Vollstreckungsgericht zu stellen. Der Antrag ist nicht fristgebunden5.
192
bb) Sozialplanmuster
M 26 Sozialplan
193
Zwischen ... im Folgenden „Insolvenzverwalter“ genannt und ... im Folgenden „Betriebsrat“ genannt wird anlsslich der Betriebsnderung gemß dem gesondert abgeschlossenen Interessenausgleich vom . . . folgender Sozialplan vereinbart: § 1 Geltungsbereich Die Regelungen dieses Sozialplanes gelten fr alle von den im Interessenausgleich angesprochenen Maßnahmen betroffenen Arbeitnehmer, die am . . . (Stichtag) in einem ungekndigten und unbefristeten Arbeitsverhltnis standen. Ausgenommen hiervon sind Personen gemß § 5 Abs. 2 BetrVG und leitende Angestellte gemß § 5 Abs. 3 BetrVG sowie Arbeitnehmer, – denen aus wichtigem Grund fristlos gekndigt wurde, – die unmittelbar aus dem Arbeitsverhltnis in ein ungekrztes Rentenverhltnis wechseln kçnnen. § 2 Sozialplanvolumen Das Sozialplanvolumen ist gemß § 123 InsO auf das 2,5-fache des Monatsbruttoverdienstes (§ 10 Abs. 3 KSchG) der von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer begrenzt. Nach § 123 Abs. 2 InsO ist das Sozialplanvolumen begrenzt auf ein Drittel der Masse, die ohne einen Sozialplan zur Verteilung an die Insolvenzglubiger zur Verfgung stnde. Die Parteien sind sich darber einig, dass fr den Fall, dass die Grenze von § 123 Abs. 2 InsO berschritten wird, eine Krzung prozentual erfolgt.
1 2 3 4
Drenseck in Schmidt, EStG, § 19 Rz. 50. BAG v. 9.11.1988 – 4 AZR 433/88, BAGE 60, 127 = NZA 1989, 271 = ZIP 1989, 125. BAG v. 12.9.1979 – 4 AZR 420/77, BAGE 32, 96 (101 ff.) = NJW 1980, 800 = MDR 1980, 346. BAG v. 13.11.1991 – 4 AZR 20/91, BAGE 69, 29 = NZA 1992, 384 = ZIP 1992, 494 = MDR 1992, 592. 5 Stöber, Forderungspfändung, Rz. 1235 ff.
Hçfer
939
§ 12
Rz. 193
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
§ 3 Sozialplanabfindung Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhltnis betriebsbedingt gekndigt wird, erhalten eine Abfindung, die sich wie folgt errechnet: Lebensalter: pro Jahr 2 Punkte Betriebszugehçrigkeit: pro Jahr 10 Punkte Kinder pro Kind 10 Punkte Schwerbehinderung 30 % 5 Punkte je 10 % ber 30 % 5 Punkte Fr die Ermittlung dieser Sozialdaten ist folgender Stichtag maßgebend: . . . Die Summe der Punkte ergibt die persçnliche Gesamtpunktzahl. Diese persçnliche Gesamtpunktzahl wird mit dem Punktwert multipliziert und ergibt den individuellen Abfindungsbetrag. Der Punktwert errechnet sich aus dem Sozialplanvolumen nach § 2 dividiert durch Gesamtpunktzahl (Summe der Sozialpunkte aller betroffener Arbeitnehmer). § 4 Flligkeit Die Befriedigung der Sozialplanansprche erfolgt nach insolvenzrechtlichen Vorschriften, wobei eine Abschlagszahlung erfolgen soll, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Etwaige Zahlungsansprche, die in einen gerichtlichen Vergleich vereinbart werden oder gerichtlich festgesetzte Abfindungen sowie Ansprche aus § 113 BetrVG werden auf Leistungen aus diesem Sozialplan angerechnet. § 5 Zeugnisse Auf Wunsch sind allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern innerhalb von 14 Tagen nach dem Verlangen qualifizierte Zwischenzeugnisse/Zeugnisse zur Verfgung zu stellen. § 6 Erbansprche Versterben Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer, die einen Anspruch auf Abfindung aus dem Sozialplan haben, steht dieser Anspruch den Erbberechtigten zu. Die Ansprche auf Sozialplanleistungen sind mit dem Abschluss des Sozialplanes entstanden. § 7 Verjhrung und Ausschlussfristen Der Insolvenzverwalter verzichtet wegen Ansprchen aus diesem Sozialplan darauf, die Einrede der Verjhrung zu erheben sowie auf die Einrede tariflicher und/oder vertraglicher Ausschlussfristen. § 8 Schlussbestimmungen Widerspricht eine Vorschrift hçherrangigem Recht, so bleibt die Gltigkeit der brigen Bestimmungen davon unberhrt. Die unwirksame Bestimmung wird durch eine dieser Vorschrift angemessene Regelung ersetzt. Der Inhalt dieser Betriebsvereinbarung wird den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern durch Aushang bekannt gegeben und auf Wunsch in Kopie ausgehndigt. § 9 Hinweise Die Abfindungen dieses Sozialplanes sind sozialversicherungsfrei. Die Leistungen unterliegen ohne Begnstigung der Lohnsteuer. Die Regelungen dieses Sozialplanes treten mit Unterzeichnung in Kraft und enden, ohne dass diese Nachwirkungen entfalten, mit Auszahlung der letzten Forderung aus diesem Sozialplan. Ort, Datum . . . ... (Insolvenzverwalter)
940
Hçfer
... (Betriebsrat)
Bestand und Beendigung von Dienstverhltnissen
Rz. 199
§ 12
c) Beteiligung des Betriebsrats Der Betriebsrat kann die Aufstellung eines Sozialplanes unabhängig von einem Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung verlangen. In der Regel laufen die Verhandlungen über den Interessenausgleich und den Sozialplan parallel1.
194
Der Betriebsrat kann die Aufstellung eines Sozialplanes auch nach der Durchführung 195 der Betriebsänderung durch den Insolvenzverwalter verlangen. Es ist hierbei unerheblich, ob sich der Insolvenzverwalter im gesetzlichen Umfang um einen Interessenausgleich bemüht hat oder nicht2. Auch wenn der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß aus Anlass der Betriebsänderung beteiligt wurde und Nachteilsausgleichsansprüche der Arbeitnehmer entstanden sind, bestehen dennoch Ansprüche aus einem Sozialplan und damit ein Anspruch auf Aufstellung eines Sozialplanes3. Die Ämter der Betriebsräte enden mit der rechtlichen Beendigung des jeweiligen Arbeitsverhältnisses.
196
Bei einer Betriebsstilllegung ist bezüglich des Zeitpunktes des Amtsendes der Mitglie- 197 der des Betriebsrats zu beachten, dass dem Betriebsrat bei einer Betriebsstilllegung und damit einer Betriebsänderung i.S.v. § 111 BetrVG weitgehende Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte zustehen. Dem Betriebsrat ist in diesen Fällen zur Wahrnehmung der mit der Betriebsstilllegung in Zusammenhang stehenden Rechte und Befugnisse ein Restmandat (§ 21b BetrVG) zuzubilligen. Dieses Restmandat berechtigt den Betriebsrat zum Verlangen auf Aufnahme von Verhandlungen über einen Interessenausgleich, auf Aufstellung eines Sozialplanes4, erforderlichenfalls auch zur Anrufung der Einigungsstelle, Einleitung des Beschlussverfahrens sowie zur Änderung eines bestehenden und noch nicht vollständig abgewickelten Sozialplans5. Das so genannte Restmandat des Betriebsrats führt jedoch nicht dazu, dass die Arbeitsverhältnisse der Betriebsratsmitglieder über den Zeitpunkt der Betriebsstilllegung und/oder den Beendigungstermin hinaus fortgesetzt werden6. Lediglich ihr betriebsverfassungsrechtliches Amt mit den eingeschränkten Befugnissen dauert an, mit der Konsequenz, dass den Betriebsratsmitgliedern deren Kosten nach § 40 Abs. 1 BetrVG und im Rahmen des Erforderlichen der Sachaufwand nach § 40 Abs. 2 BetrVG als Masseverbindlichkeiten zu erstatten sind. Dieses Restmandat des Betriebsrats besteht auch dann, wenn die Betriebsänderung nach der Amtszeit des Betriebsrats, insbesondere nach Kündigung der Arbeitsverhältnisse aller Betriebsratsmitglieder (§ 24 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG), erfolgt7. Das Restmandat des Betriebsrats wird nicht durch den Vorsitzenden oder seinen 198 Stellvertreter im Amt ausgeübt, sondern durch alle Mitglieder des Betriebsrats8. Ein Sozialplan und der Interessenausgleich können somit wirksam nur durch alle Mitglieder des Betriebsrats unterzeichnet werden. d) Dotierungsgrenzen aa) Absolute Grenze Das Sozialplanvolumen ist auf das 21/2 fache des Monatsverdienstes der von einer Ent- 199 lassung betroffenen Arbeitnehmer begrenzt (§ 123 Abs. 1 InsO). Es handelt sich um einen Höchstbetrag. Überschreiten die Betriebsparteien bei Abschluss des Sozialplanes diesen Höchstbetrag, führt das zur Unwirksamkeit des Sozialplanes9; der Sozialplan ist absolut nichtig. Die Nichtigkeit beim Überschreiten der absoluten Begrenzung tritt ein sowohl für vereinbarte, als auch für Sozialpläne, welche von einer 1 2 3 4 5 6 7 8 9
BAG v. 20.4.1982 – 1 ABR 3/80, BAGE 38, 284 = ZIP 1982, 982 = NJW 1982, 2334. BAG v. 15.10.1979 – 1 ABR 49/77, BB 1980, 524. BAG v. 13.12.1978 – GS 1/77, BAGE 31, 176 (207) = NJW 1979, 774. BAG v. 16.6.1987 – 1 AZR 528/85, BAGE 55, 344 (352) = NZA 1987, 858 = ZIP 1987, 1200. BAG v. 5.10.2000 – 1 AZR 48/00, BAGE 96, 15 = NZA 2001, 849 = ZIP 2001, 1384. BAG v. 14.10.1982 – 2 AZR 568/80, BAGE 41, 72 (83) = ZIP 1983, 1252 = MDR 1984, 82. BAG v. 16.6.1987 – 1 AZR 528/85, BAGE 55, 344 (353) = NZA 1987, 858 = ZIP 1987, 1200 (1203). BAG v. 14.11.1978 – 6 ABR 85/75, BB 1979, 522 = KTS 1979, 310. Fitting, BetrVG, § 112a Rz. 304.
Hçfer
941
§ 12
Rz. 200
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
Einigungsstelle aufgestellt werden. Der nichtige Sozialplan ist sowohl gegenüber den Insolvenzgläubigern als auch gegenüber der Schuldnerin unwirksam. 200 Der nichtige Sozialplan führt nicht zum endgültigen Verlust von Arbeitnehmeransprüchen. Zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Betriebsrat ist ein neuer Sozialplan zu vereinbaren oder die Einigungsstelle muss neuerlich tätig werden. Aus einem nichtigen Sozialplan kann der begünstigte Arbeitnehmer keine Ansprüche herleiten. Dem Insolvenzverwalter ist eine Auszahlung, auch die Vornahme von Abschlagszahlungen nach § 123 Abs. 3 Satz 1 InsO, verwehrt. 200a Die Nichtigkeit der Betriebsvereinbarung (Sozialplan) und die Nichtigkeit eines Spruches der Einigungsstelle kann jederzeit, auch außerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG, geltend gemacht werden1. 201 Die Nichtigkeit eines abgeschlossenen Sozialplanes kann dadurch vermieden werden, indem im Sozialplan vereinbart wird, dass bei einem ungewollten Überschreiten der absoluten Obergrenze eine prozentuale Herabsetzung des Gesamtbetrages erfolgt. 201a In der Regel werden die einzelnen Sozialplanleistungen aber schon nicht in Euro-Beträgen festgesetzt, sondern zulässigerweise2 nach einem Punktesystem ermittelt und die Höhe des Sozialplanvolumens abstrakt nach § 123 InsO definiert. 202 Vorgenommene Zahlungen auf einen nichtigen Sozialplan sind als ungerechtfertigte Bereicherung (§§ 812 ff. BGB) zurückzuverlangen, wobei mit dem Argument der Entreicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) zu rechnen ist. Sind die Leistungen auf den nichtigen Sozialplan ganz oder teilweise von den Arbeitnehmern nicht wieder zu erlangen, haftet der Insolvenzverwalter gemäß § 61 InsO auf Schadensersatz3. Da es sich um einen Gesamtschaden handelt, ist dieser von einem neu bestellten Insolvenzverwalter geltend zu machen (§ 92 Satz 2 InsO). 203 Bei der Berechnung des Monatsverdienstes i.S.v. § 10 Abs. 3 KSchG ist von dem regelmäßigen Verdienst der von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer auszugehen. Entlassen i.S.v. § 123 Abs. 1 InsO sind auch diejenigen Arbeitnehmer, die Aufhebungsverträge schließen oder aufgrund der Betriebsänderung eine Eigenkündigung aussprechen. 203a Für die Berechnung des Gesamtbetrages i.S.v. § 123 Abs. 1 InsO soll der maßgebliche Zeitraum der Monat der Betriebsänderung und nicht der Monat der Aufstellung des Sozialplanes4 sein. Näher liegt es, als maßgeblich den Monat zu wählen, in dem die einzelnen Arbeitsverhältnisse enden5. 204 Bei der Ermittlung des Sozialplanvolumens ist der individuelle Arbeitsverdienst der von der geplanten Entlassungsmaßnahme betroffenen Arbeitnehmer und nicht der Durchschnittsverdienst aller im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu ermitteln. Dieses ist durch die Formulierung „der von einer Entlassung betroffenen Arbeitnehmer“ eindeutig klargestellt. 204a Durch den Verweis auf § 10 Abs. 3 KSchG ist klargestellt, dass Schwankungen im individuellen Arbeitsverdienst nicht berücksichtigt werden. Ein Minderverdienst durch Kurzarbeit oder ein Mehrverdienst durch gelegentliche Überstunden sind nicht zu berücksichtigen. 205 Neben der Grundvergütung gehören zu den Geldbezügen auch Zulagen wie Auslösungen, Nachtarbeits-, Schmutz-, Gefahren-, und Schichtzulagen, sofern diese regelmäßig auch in der Vergangenheit angefallen sind.
1 Fitting, BetrVG, § 112a Rz. 307. 2 Fitting, BetrVG, §§ 112, 112a Rz. 263; Kania in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, BetrVG § 112a Rz. 27. 3 BGH v. 5.10.1989 – IX ZR 233/87, NJW-RR 1990, 45 = MDR 1990, 239. 4 Vgl. Hamacher in Nerlich/Römermann, InsO, § 123 Rz. 17 (befürwortet ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Aufstellung des Sozialplans). 5 MünchKommInsO/Caspers, § 123 Rz. 61.
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Rz. 213
§ 12
Als Teil des individuellen Monatsverdienstes sind Jahressonderzahlungen wie Weih- 206 nachtsgeld, Abschlussvergütungen, zusätzliches Urlaubsgeld und Sachbezüge zu berücksichtigen. Die Sachbezüge sind mit dem Marktwert und nicht nach steuer- oder sozialversicherungsrechtlichen Sätzen in Ansatz zu bringen1. Die private Nutzungsmöglichkeit eines Dienstwagens ist mit dem konkreten Nut- 206a zungswert2 zu bewerten. Spesen, Fahrtkostenzuschüsse und sonstige Aufwandsentschädigungen bleiben au- 207 ßer Ansatz, da es sich insoweit um kein erarbeitetes Arbeitsentgelt handelt. Eine Jahressonderzahlung und ein zusätzliches Urlaubsgeld sind zeitanteilig mit 1/12 207a pro Monat zu berücksichtigen, wenn ein einzelvertraglicher oder tariflicher Rechtsanspruch besteht3. Der im Rahmen von § 123 Abs. 1 InsO zu berücksichtigende Monatsverdienst ist der Bruttobetrag ohne Kürzung durch Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeträge. Die absolute Obergrenze des Sozialplanvolumens i.S.v. § 123 Abs. 1 InsO ergibt sich durch Addition der ermittelten individuellen Monatsverdienste der von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmer und Multiplikation mit dem Maximalfaktor von 2,5.
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Da leitende Angestellte i.S.v. § 5 Abs. 3 BetrVG von einem Sozialplan nicht erfasst 209 werden4, sind deren Monatsverdienste im Rahmen von § 10 Abs. 3 KSchG nicht zu berücksichtigen. Anderseits sind die Entgelte von Teilzeitbeschäftigten und Heimarbeitern zu berücksichtigen, da auch im Rahmen von § 123 Abs. 1 InsO der betriebsverfassungsrechtliche Arbeitnehmerbegriff nach § 5 BetrVG heranzuziehen ist5. bb) Relative Grenze Nach § 123 Abs. 2 Satz 2 InsO darf für Zahlungen auf Sozialplanforderungen nicht 210 mehr als ein Drittel der zur Verteilung an die Insolvenzgläubiger stehenden Insolvenzmasse verwendet werden. Die relative Begrenzung nach § 123 Abs. 2 Satz 2 InsO findet nur bei einer Verteilung der Insolvenzmasse nach §§ 187–206 InsO Anwendung; in einem Insolvenzplan (§§ 217 ff. InsO) muss weder die absolute noch die relative Begrenzung berücksichtigt werden (§ 123 Abs. 2 Satz 2 InsO). Reicht das vorhandene Drittel der verteilbaren Insolvenzmasse zur Erfüllung der So- 211 zialplanforderungen nicht aus, erfolgt kraft Gesetzes (§ 123 Abs. 2 Satz 3 InsO) eine anteilige Kürzung der Sozialplanansprüche. Der nicht erfüllte Teilbetrag des Sozialplananspruches erlischt6. Bei mehreren Sozialplänen bezieht sich die relative Grenze auf die Gesamtsumme al- 212 ler Forderungen aus diesen Sozialplänen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn Ansprüche aus einem Sozialplan vor Verfahrenseröffnung (§ 124 InsO) und Ansprüche aus einem nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 123 InsO) aufgestellten Sozialplan bestehen. Der Altsozialplan ist bei der relativen Begrenzung nicht zu berücksichtigen, da es sich bei Forderungen aus Altsozialplänen um Insolvenzforderungen nach § 38 InsO handelt und sich die Verteilungsanweisung nach § 123 Abs. 2 Satz 2 InsO nur auf Sozialpläne bezieht, aus denen Masseverbindlichkeiten resultieren (§ 123 Abs. 2 Satz 1 InsO)7. e) Einigungsstellenverfahren aa) Allgemeines Ist der Sozialplan erzwingbar und können sich der Insolvenzverwalter und Betriebs- 213 rat nicht auf einen Sozialplan einigen, was in der Praxis wegen der ohnehin gesetzlich 1 2 3 4 5 6 7
Hamacher in Nerlich/Römermann, § 123 Rz. 20. BAG v. 16.11.1995 – 8 AZR 240/95, BAGE 81, 294 = NZA 1996, 415 = NJW 1996, 1771. Neef in Heidelberger Kommentar zum KSchG, § 10 Rz. 10. BAG v. 16.7.1985 – 1 AZR 206/81, BAGE 49, 199 = NZA 1985, 713 = ZIP 1985, 1285. Hamacher in Nerlich/Römermann, InsO, § 123 Rz. 16. Linck in HK-InsO, § 123 Rz. 22. A.A. Hamacher in Nerlich/Römermann, InsO, § 123 Rz. 32.
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vorgegebenen Obergrenzen kaum vorkommen wird, ist die Einigungsstelle anzurufen (§ 112 Abs. 4 Satz 1 BetrVG). Für die Bildung und Zusammensetzung der Einigungsstelle gelten mangels abweichender Regelungen in der InsO die Bestimmungen des BetrVG. Der obligatorische Vermittlungsversuch des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit (§ 112 Abs. 2 Satz 1 BetrVG) jedoch entfällt auf Antrag einer der Betriebsparteien (§ 121 InsO). 214 Der Insolvenzverwalter ist zur Benennung von Insolvenzgläubigern als Einigungsstellenbeisitzer, im Gegensatz zum Insolvenzantragsverfahren, nicht verpflichtet, da die Interessen der Gläubiger ausreichend durch die Regelungen in §§ 123, 124 InsO gewahrt sind1. 215 Die Anzahl der Beisitzer der Einigungsstelle ist gesetzlich nicht geregelt. Im Regelfall ist eine Besetzung mit 2 Beisitzern erforderlich und ausreichend2. 215a Die Beisitzer müssen weder unparteiisch sein noch dem insolventen Betrieb angehören. Die Bestellung von Verbandsvertretern ist sowohl auf Seiten des Insolvenzverwalters als auch des Betriebsrats zulässig3. 215b Kommt eine Einigung über die Anzahl der Beisitzer auf Seiten des Insolvenzverwalters und des Betriebsrats nicht zustande, so sind diese gemäß § 98 Abs. 1 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 76 Abs. 2 Satz 3 BetrVG durch das Arbeitsgericht zu bestellen. 216 Wird über die Person des Vorsitzenden der Einigungsstelle, der im Gegensatz zu den Beisitzern unparteiisch (§ 76 Abs. 2 BetrVG) sein muss, kein Einvernehmen erzielt, so ist auch er durch das Arbeitsgericht gemäß § 98 Abs. 1 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 76 Abs. 2 Satz 2 BetrVG zu bestellen. 217 Der Vorsitzende der Einigungsstelle kann, gleichgültig ob er einvernehmlich bestellt oder durch das Gericht bestellt wurde, wegen Besorgnis der Befangenheit in entsprechender Anwendung von §§ 42, 1032 ZPO abgelehnt werden4. Da das BAG § 1032 Abs. 1 ZPO analog anwendet, verliert derjenige Betriebspartner, der sich auf die Verhandlung in der Einigungsstelle rügelos einlässt, obwohl ihm die Ablehnungsgründe bekannt sind, sein Ablehnungsrecht. Über den Befangenheitsantrag entscheidet wiederum das Arbeitsgericht im Beschlussverfahren nach § 98 ArbGG. bb) Kosten 218 Die Kosten der Einigungsstelle sind Masseverbindlichkeiten i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Die Kosten der Einigungsstelle und damit auch die Kosten des Vorsitzenden sowie der Beisitzer trägt somit die Insolvenzmasse (§ 76a Abs. 1 BetrVG). Voraussetzung für diese Kostentragungspflicht der Insolvenzmasse ist, dass die Kosten für die ordnungsgemäße Durchführung der Aufgaben der Einigungsstelle erforderlich und verhältnismäßig sind5. Auch wenn betriebsfremde Einigungsstellenbeisitzer verpflichtet sind, das Honorar ganz oder teilweise an ihren Arbeitgeber oder an die sie beschäftigende Gewerkschaft abzuführen, bleibt der Vergütungsanspruch zu Lasten der Insolvenzmasse erhalten6. 218a Für Beisitzer der Einigungsstelle, die dem schuldnerischen Betrieb angehören, entfällt kraft Gesetzes ein Vergütungsanspruch (§ 76a Abs. 2 Satz 1 BetrVG). 219 Kommt es zu keiner vertraglichen Absprache – die dringend zu empfehlen ist – zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Vorsitzenden der Einigungsstelle über die Höhe der Vergütung, so setzt der Vorsitzende der Einigungsstelle gemäß §§ 315, 316 BGB die Höhe seiner Vergütung nach billigem Ermessen fest. Die Vergütung bemisst 1 BAG v. 6.5.1986 – 1 AZR 553/84, BAGE 52, 24 = NZA 186, 800 = ZIP 1986, 1202 = MDR 1986, 1052. 2 LAG München v. 15.7.1991 – 4 Ta BV 27/91, NZA 1992, 185. 3 BAG v. 14.12.1988 – 7 ABR 73/87, NZA 1989, 515 = ZIP 1989, 462. 4 BAG v. 9.5.1995 – 1 ABR 56/94, BAGE 80, 104 = NZA 1996, 156; BAG v. 11.9.2001 – 1 ABR 5/01, BAGE 99, 42 = NZA 2002, 572 = ZIP 2002, 541. 5 BAG v. 13.11.1991 – 7 ABR 70/90, NZA 1992, 459. 6 BAG v. 14.12.1988 – 7 ABR 73/87, NZA 1989, 515 = ZIP 1989, 462.
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Rz. 226
§ 12
sich nicht nach einem Gegenstandswert, sondern nach dem erforderlichen Zeitaufwand, der Schwierigkeit des Streitthemas und der Höhe eines eventuellen Verdienstausfalls1 (§ 76a Abs. 4 Satz 3 BetrVG). Die Vergütung wird nach der Beendigung der Tätigkeit der Einigungsstelle fällig, so 220 dass weder der Vorsitzende noch die Beisitzer einen Anspruch auf eine Vorschussleistung besitzen. Die Vergütung der Beisitzer ist generell niedriger zu bemessen als diejenige des Vor- 221 sitzenden (§ 76a Abs. 4 Satz 4 BetrVG). Es entspricht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn die Beisitzer jeweils 7/10 des Honorars des Vorsitzenden der Einigungsstelle erhalten2. Sowohl der Insolvenzverwalter als auch der Betriebsrat können sich in der Einigungs- 222 stelle anwaltlich vertreten lassen. In der anwaltlichen Vertretung des Insolvenzverwalters liegt ein Indiz für die Schwierigkeit von Rechts- und Sachfragen, so dass in der Regel der Betriebsrat seine anwaltliche Vertretung ebenfalls für erforderlich erachten darf. Er kann nach ordnungsgemäßer Einladung zur Betriebsratssitzung und Beschlussfassung in der Betriebsratssitzung die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters beschließen3, sofern die Zuziehung notwendig ist. Um die Kosten eines Einigungsstellenverfahrens zu minimieren, empfiehlt es sich deshalb, dass der Insolvenzverwalter oder von ihm beauftragte Dritte nicht als anwaltlicher Vertreter in der Einigungsstelle tätig wird, sondern als Beisitzer. Die Kosten des durch den Betriebsrat hinzugezogenen Rechtsanwalts stellen keine Kosten der Einigungsstelle dar4. Es handelt sich um Kosten der Betriebsratstätigkeit i.S.v. § 40 Abs. 1 BetrVG5.
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Die Höhe des Honorars des anwaltlichen Vertreters ist nach § 17 Nr. 7d VV 2403 RVG 223 zu ermitteln6. Ist das Sozialplanvolumen, wie dieses regelmäßig der Fall ist, zwischen den Betriebspartnern streitig, so ergibt sich der Gegenstandswert aus der Differenz der von den Betriebspartnern vorgeschlagenen Sozialplanvolumina7. Kommt es im Einigungsstellenverfahren zu einer Betriebsvereinbarung über einen Sozialplan, so soll das die Einigungsgebühr nach Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 VV RVG nicht auslösen, da nur der sich ergebende Beratungs- und Verhandlungsanspruch des Betriebsrates erfüllt wird8. Besteht zwischen dem Insolvenzverwalter und dem von ihm beauftragten anwalt- 224 lichen Vertreter über Grund und/oder Höhe der geschuldeten Vergütung für die anwaltliche Vertretung des Insolvenzverwalters in der Einigungsstelle Streit, so ist dieser Streit vor den ordentlichen Gerichten auszutragen. Hingegen ist über die Kosten des Rechtsanwalts, der ordnungsgemäß durch Be- 225 schluss des Betriebsrats zu dessen Vertretung in der Einigungsstelle beauftragt wurde, im Beschlussverfahren zu entscheiden9. Gleiches gilt für die Vergütungsansprüche des Vorsitzenden der Einigungsstelle und der unternehmensfremden Beisitzer10. f) Befriedigung der Sozialplanansprüche Kraft gesetzlicher Regelung handelt es sich bei den Sozialplanansprüchen um Masse- 226 verbindlichkeiten (§ 123 Abs. 2 Satz 1 InsO). Die relative Begrenzung nach § 123 Abs. 2 Satz 2 InsO bedingt, dass vor einer Ausschüttung auf die Sozialplanforderun1 2 3 4 5 6 7 8
Fitting, BetrVG, § 76a Rz. 19–29. BAG v. 3.5.1984 – 6 ABR 60/80, NZA 1984, 330; BAG v. 14.2.1996 – 7 ABR 24/95, NZA 1996, 1225. BAG v. 4.12.1979 – 6 ABR 37/76, BB 1980, 938 = DB 1980, 2091. BAG v. 21.6.1989 – 7 ABR 7/87, BAGE 62, 139 = NZA 1990, 107 = MDR 1990, 185. BAG v. 21.6.1989 – 7 ABR 78/87, BAGE 62, 139 = NZA 1990, 107 = MDR 1990, 185. BAG v. 14.2.1996 – 7 ABR 25/95, NZA 1996, 892. A.A. LAG Schleswig-Holstein v. 6.2.2002 – 2 Ta 145/01, BB 2002, 1224. BAG v. 13.5.1998 – 7 ABR 65/96, NZA 1998, 900; LAG Hessen v. 29.8.2011 – 16 TaBV 94/11, ArbRB 2012, 211 (212); ArbG Berlin v. 15.3.2006 – 9 BV 21646/05, NZA-RR 2006, 543. 9 BAG v. 5.11.1981 – 6 ABR 24/78, BB 1982, 806. 10 BAG v. 12.2.1992 – 7 ABR 20/91, BAGE 69, 331 = NZA 1993, 605 = ZIP 1993, 525.
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§ 12
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gen zunächst sämtliche Masseverbindlichkeiten nach §§ 53–55 InsO getilgt oder zumindest deren Tilgung sicher sein muss. Gleiches gilt auch für die Vornahme von Abschlagsverteilungen nach § 123 Abs. 3 Satz 1 InsO auf die Sozialplanansprüche. 226a Als Masseverbindlichkeiten sind die Sozialplanansprüche nicht zur Insolvenztabelle nach § 174 Abs. 1 Satz 1 InsO anzumelden (vgl. § 6 Rz. 263 ff.). Da hierdurch eine Forderungsprüfung und damit die Benachrichtigung der Arbeitnehmer als Gläubiger von einem Prüfungsergebnis entfällt, teilt zweckmäßigerweise der Insolvenzverwalter dem einzelnen Arbeitnehmer den individuell ermittelten Sozialplananspruch unter Darlegung der Berechnungsgrundlage mit, zumal der Arbeitnehmer gemäß § 242 BGB gegenüber dem Insolvenzverwalter ohnehin Auskunftsansprüche zur Ermittlung der Berechnungsgrundlagen für die Sozialplanansprüche besitzt (vgl. Rz. 181). 227 Der Abschluss des Sozialplanes stellt eine Handlung des Insolvenzverwalters i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO dar, so dass hieraus Masseverbindlichkeiten resultieren und das zeitlich befristete Vollstreckungsverbot nach § 90 Abs. 1 InsO nicht eingreift. Aus diesem Grunde und wegen der Nachrangigkeit der Sozialplanansprüche nach allen sonstigen Masseverbindlichkeiten nach §§ 53–55 InsO, musste zwingend die generelle Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung wegen einer Sozialplanforderung (§ 123 Abs. 3 Satz 2 InsO) angeordnet werden. Deswegen fehlt auch einer auf Zahlung gerichtete Leistungsklage das Rechtsschutzbedürfnis. Dies gilt auch im Falle der Masseunzulänglichkeit1. 228 Sofern die übrigen Masseverbindlichkeiten getilgt oder deren Tilgung sichergestellt ist, soll der Insolvenzverwalter einen Antrag auf Zustimmung zur Vornahme von Abschlagszahlungen auf die Sozialplanansprüche beim Insolvenzgericht stellen (§ 123 Abs. 3 Satz 1 InsO). Er hat im Rahmen dieses Antrages darzulegen, dass die Masseverbindlichkeiten nach §§ 53–55 InsO entweder befriedigt sind oder deren Befriedigung gesichert ist. Verstößt der Insolvenzverwalter schuldhaft gegen die Verpflichtung, die Zustimmung zur Abschlagsverteilung beim Insolvenzgericht einzuholen, so kann der einzelne Sozialplangläubiger zunächst Aufsichtsmaßnahmen des Insolvenzgerichtes nach § 58 InsO anregen. Daneben besitzt der Sozialplangläubiger gegen den Insolvenzverwalter persönliche Schadensersatzansprüche in Höhe seines Zinsschadens. 228a Ist der Arbeitnehmer der Ansicht, dass er zu Unrecht nicht im Sozialplan berücksichtigt wurde, oder wenn er höhere Sozialplanansprüche begehrt, entscheidet hierüber das Arbeitsgericht im Urteilsverfahren2. Es ist Feststellungsklage zu erheben3, es sei denn, dass die Sozialplanansprüche bereits teilweise oder in voller Höhe erfüllt wurden. 229 Mit dem Eingang der Anzeige der Masseunzulänglichkeit (§ 208 Abs. 1 Satz 1 InsO) oder der drohenden Masseunzulänglichkeit (§ 208 Abs. 1 Satz 2 InsO) beim Insolvenzgericht steht wegen der Rangfolge des § 209 InsO fest, dass auf die nach allen Masseverbindlichkeiten einzuordnenden Masseverbindlichkeiten aus einem Sozialplan keinerlei Dotierung erfolgen wird. Ist ein Sozialplan zum Zeitpunkt der Anzeige der Masseunzulänglichkeit noch nicht aufgestellt oder gar die Verhandlungen hierüber noch nicht aufgenommen, so ist das Verlangen des Betriebsrats auf Aufstellung eines Sozialplanes rechtsmissbräuchlich, da durch die Anzeige der Masseunzulänglichkeit feststeht, dass auf Sozialplanansprüche keine Ausschüttung erfolgen kann (zur Einstellung nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit vgl. § 6 Rz. 350 f.). 229a Sollte es sich im Nachhinein ergeben, dass die Insolvenzmasse dennoch zulänglich war oder zulänglich wurde, kann der Betriebsrat aufgrund seines Restmandates (§ 21b BetrVG) immer noch die Aufnahme von Verhandlungen über den Abschluss eines Sozialplanes fordern und beim Scheitern der Verhandlungen oder einer Weigerung des Insolvenzverwalters, Verhandlungen über den Abschluss eines Sozialplanes aufzunehmen, die Einigungsstelle anrufen. 1 BAG v. 21.1.2010 – 6 AZR 785/08, BAGE 133, 136 = NZA 2010, 413 = ZIP 2010, 546. 2 BAG v. 17.10.1989 – 1 ABR 75/88, BAGE 63, 152 = NZA 1990, 441. 3 BAG v. 29.10.2002 – 1 AZR 80/82, ZIP 2003, 1414.
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Sozialplan vor Verfahrenserçffnung (§ 124 InsO)
Rz. 233
§ 12
Der Abschluss eines Sozialplanes nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit würde 229b dem Gericht oder im Falle der Übertragung der Zustellungen analog § 8 Abs. 3 InsO auf den Insolvenzverwalter zu überflüssiger Mehrarbeit und Kosten führen. IV. Sozialplan vor Verfahrenseröffnung (§ 124 InsO) 1. Allgemeines Sozialpläne haben generell die Wirkung einer Betriebsvereinbarung (§ 112 Abs. 1 230 Satz 3 BetrVG), so dass die Betriebsvereinbarung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ordentlich mit einer Frist von drei Monaten (§ 120 Abs. 1 Satz 2 InsO) oder außerordentlich (§ 120 Abs. 2 InsO) gekündigt werden kann. Eine Kündigungsmöglichkeit nach § 120 InsO hätte jedoch dazu geführt, dass der gekündigte Sozialplan gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG bis zum Abschluss einer neuen Betriebsvereinbarung (Sozialplan) nachgewirkt hätte. Eine Nachwirkung besteht bei erzwingbaren Betriebsvereinbarungen, also bei Betriebsvereinbarungen, bei denen der Spruch der Einigungsstelle die fehlende Einigung zwischen dem Insolvenzverwalter und Betriebsrat ersetzen kann1. Zu diesen erzwingbaren Betriebsvereinbarungen gehören Sozialpläne2, sofern nicht die Voraussetzungen nach § 112a BetrVG gegeben sind. Um diese Nachwirkung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG auszuschließen, war die Regelung in § 124 InsO bezüglich der vor Verfahrenseröffnung abgeschlossenen Sozialpläne erforderlich. Im Ergebnis ist folglich § 124 InsO lex specialis zu § 120 InsO. 2. Widerruf Grundsätzlich bleibt der vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vereinbarte oder 231 durch einen Spruch der Einigungsstelle aufgestellte Sozialplan in Kraft. Wurde der Sozialplan vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einem Zeitraum von nicht länger als drei Monaten vor der Insolvenzantragstellung vereinbart oder in diesem Zeitraum durch einen Spruch der Einigungsstelle aufgestellt, kann ein solcher Sozialplan sowohl von dem Insolvenzverwalter als auch von dem Betriebsrat widerrufen werden (§ 124 Abs. 1 InsO). Sind mehrere Insolvenzanträge gestellt worden, so ist analog zu § 139 Abs. 2 InsO der erste zulässige und begründete Antrag maßgeblich. Anträge, die sich durch Zahlung an den antragstellenden Gläubiger oder durch Antragsrücknahme erledigt haben, bleiben unberücksichtigt3. Voraussetzungen für den Widerruf sind: 232 – Eröffnung des Insolvenzverfahrens, – Aufstellung des Sozialplanes innerhalb der Zeitspanne von drei Monaten vor dem maßgeblichen Eröffnungsantrag. Die Fristen für die Aufstellung des Sozialplanes und für den Antrag auf Insolvenzeröffnung berechnen sich nach §§ 187, 188 BGB4. Die Aufstellung des Sozialplanes ist erfolgt, wenn sich Arbeitgeber und Betriebsrat 233 geeinigt haben und der Sozialplan von beiden Betriebspartnern unter Wahrung des Schriftformerfordernisses (§ 126 BGB) unterzeichnet ist. Wird der Sozialplan durch Spruch der Einigungsstelle aufgestellt, so kommt dieser durch den in der Einigungsstelle verkündeten Beschluss zustande, wenn bei der Verkündung beide Betriebspartner anwesend sind. Der Spruch und damit der Beschluss muss deshalb im Protokoll vermerkt werden. Sind Arbeitgeber und/oder Betriebsrat nicht anwesend, so ist der Sozialplan mit Zugang des Spruches aufgestellt (§ 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG). Maßgeblich ist bei unterschiedlichen Zugangsdaten das spätere Datum.
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Fitting, BetrVG, § 77 Rz. 178. BAG v. 10.8.1994 – 10 ABR 61/93, BAGE 77, 313 = NZA 1995, 314. BGH v. 20.11.2002 – IX ZR 48/01, ZIP 2002, 87. Wolf in Braun, § 124 Rz. 3.
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§ 12
Rz. 234
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
234 Von § 124 InsO werden auch diejenigen Sozialpläne erfasst, die zwischen dem Eröffnungsantrag und der Eröffnung des Insolvenzverfahrens unter Beteiligung des vorläufigen Insolvenzverwalters auf Seiten des Arbeitgebers abgeschlossen wurden1. Sozialpläne, welche früher als drei Monate vor dem Eröffnungsantrag aufgestellt wurden, werden durch § 124 InsO nicht erfasst. Die nicht erfüllten Ansprüche aus solchen Sozialplänen bleiben Insolvenzforderungen nach § 38 InsO. 3. Widerrufsberechtigung 235 Der Widerruf kann sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom Betriebsrat erklärt werden. Besitzt der Betriebsrat nur noch das so genannte Restmandat (§ 21b BetrVG), ist der Widerruf nur wirksam, wenn er von allen Betriebsratsmitgliedern erklärt wird. Eine besondere Form für den Widerruf besteht nicht2. Wird der Widerruf durch den Betriebsrat auf Grund seines Restmandats erklärt, erfordert diese Erklärung aus praktischen Gründen die Schriftform. 236 Für den Insolvenzverwalter besteht im Normalfall kein Zwang zum Widerruf eines Altsozialplanes. 237 Wurde jedoch der Sozialplan zwischen dem Betriebsrat und einem vorläufigen Insolvenzverwalter, auf welchen gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis übergegangen war, mit der Folge abgeschlossen, dass die Verbindlichkeiten aus diesem Sozialplan nach Verfahrenseröffnung Masseverbindlichkeiten darstellen (§ 55 Abs. 2 Satz 1 InsO), hat der Insolvenzverwalter diesen Sozialplan zu widerrufen, wenn die absolute Grenze des § 123 Abs. 1 InsO überschritten ist. Unterlässt der Insolvenzverwalter in einem solchen Falle den Widerruf, so macht er sich persönlich (§ 60 InsO) schadensersatzpflichtig. Solche Fälle könnten jetzt nach Einführung des ESUG an Relevanz gewinnen, da aufgrund der stärkeren Gläubigerbeteiligung und auch der zu beobachtenden Wechsel der Verfahrensart (vorläufige Eigenverwaltung im Antragsverfahren/Fremdverwaltung im eröffneten Insolvenzverfahren) nicht zwingend Personen- und damit auch Entscheidungskontinuität gegeben sein müssen. 238 Widerruft der Insolvenzverwalter einen Altsozialplan, aus welchem Insolvenzforderungen nach § 38 InsO resultieren, weil der Sozialplan von dem Schuldner oder dem Schuldner mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalter abgeschlossen wurde, so macht er sich regelmäßig schadensersatzpflichtig, da der neu abgeschlossene oder von der Einigungsstelle aufgestellte Sozialplan zu Masseverbindlichkeiten (§ 123 Abs. 2 Satz 1 InsO) führt3, und somit automatisch die Gläubiger mit Insolvenzforderungen nach § 38 InsO benachteiligt. Dieses gilt auch dann, wenn durch den Altsozialplan die absoluten Grenzen nach § 123 Abs. 1 InsO überschritten werden. Auch eine erhebliche Überschreitung der absoluten Grenze von § 123 Abs. 1 InsO nötigt und berechtigt den Insolvenzverwalter erst dann zum Widerruf, wenn sich bei einem neu abgeschlossenen Sozialplan trotz der hierdurch begründeten Masseverbindlichkeiten die Befriedigungsaussichten der Insolvenzgläubiger mit Forderungen nach § 38 InsO verbessern. 239 Der Insolvenzverwalter hat auch Altsozialpläne zu widerrufen, deren Aufstellung nicht erzwungen werden konnten (§ 112a BetrVG). In diesem Falle kann als Folge des Widerrufes keine Masseverbindlichkeit durch einen neuen Sozialplan entstehen, da dessen Aufstellung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ebenfalls nicht erzwungen werden kann.
1 BAG v. 20.11.1984 – 1 ABR 59/80, BAGE 47, 214 = NZA 1985, 227 = ZIP 1985, 429 = MDR 1985, 523. 2 MünchKommInsO/Caspers, § 124 Rz. 14. 3 LAG Hamm v. 30.4.2010 – 10 TaBV 7/10, ZIP 2010, 2315.
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Sozialplan vor Verfahrenserçffnung (§ 124 InsO)
Rz. 246
§ 12
Das Unterlassen des Widerrufes durch den Insolvenzverwalter führt nicht zu Masse- 240 verbindlichkeiten, da §§ 123, 124 InsO eine in sich geschlossene, lückenlose Regelung bilden1 und eine Pflicht zum Handeln des Insolvenzverwalters nicht besteht2. Besitzt der Betriebsrat noch ein Restmandat, so ist entgegen § 26 Abs. 3 Satz 2 BetrVG der Widerruf nicht an den Vorsitzenden des Betriebsrats oder seinen Stellvertreter im Amt, sondern an alle Betriebsratsmitglieder zu richten, da das Restmandat von dem Betriebsrat als Ganzem wahrgenommen wird. Im Planverfahren (§§ 217 ff. InsO) wird regelmäßig eine Anpassung eines Altsozialpla- 241 nes erforderlich werden. Auch im Planverfahren sind zum Widerruf ausschließlich der Insolvenzverwalter und der Betriebsrat, nicht jedoch der Schuldner oder die Verfahrensbeteiligten, berechtigt. Zum Insolvenzplanverfahren ausführlich, vgl. § 13 Rz. 1 ff.). Der Betriebsrat wird einen Altsozialplan dann widerrufen, wenn die Zahlungsver- 242 pflichtungen aus diesem Sozialplan durch den Schuldner ganz oder in erheblichem Umfange nicht erfüllt wurden. Die Forderungen der Arbeitnehmer aus Altsozialplänen, welche nicht von einem vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 22 Abs. 1 Satz 1 InsO) abgeschlossen wurden, stellen im eröffneten Insolvenzverfahren Insolvenzforderungen nach § 38 InsO dar. Dieses gilt auch dann, wenn der Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters, auf welchen die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nicht übergegangen war, einen Sozialplan abgeschlossen hat3. Der Betriebsrat wird ferner auch dann einen Altsozialplan widerrufen, wenn die Leis- 243 tungen aus diesem weitestgehend vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbracht wurden, der Sozialplan jedoch wesentlich unterhalb der Grenzen des § 123 Abs. 1 InsO, eventuell wegen der sich bereits abzeichnenden Insolvenz, dotiert war. Die an die Arbeitnehmer erbrachten Leistungen sind bei der Berechnung des Sozialplanvolumens anzurechnen (§ 124 Abs. 3 Satz 2 InsO). Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann der Betriebsrat auf den Widerruf 243a des Sozialplans verzichten4. Gleichgültig, wer den Sozialplan widerruft, können die auf den widerrufenen Sozial- 244 plan erbrachten Leistungen nicht zurückgefordert werden (§ 124 Abs. 3 Satz 1 InsO). Der Ausschluss der Rückforderbarkeit schließt jedoch nicht aus, dass beim Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen bezüglich der an die Arbeitnehmer ausbezahlten Beträge der Insolvenzverwalter gemäß §§ 130 ff. InsO die Anfechtung erklärt5. Der Insolvenzverwalter ist naturgemäß bei einer Anfechtung nach §§ 130 ff. InsO dem Einwand der Entreicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) ausgesetzt, wobei für den Wegfall der Bereicherung der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig ist6 (zur Anfechtung vgl. § 10 Rz. 219 ff.).
244a
Die Arbeitnehmer, welche durch die Leistungsversprechen aus dem widerrufenen So- 245 zialplan begünstigt waren, müssen nicht zwingend in dem neuen Sozialplan, der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zwischen dem Betriebsrat und dem Insolvenzverwalter abzuschließen oder durch die Einigungsstelle aufzustellen ist, berücksichtigt werden (§ 124 Abs. 2 InsO). Die Nichtberücksichtigung dieser Arbeitnehmer kann z.B. dadurch erfolgen, dass ei- 246 ne dem Insolvenzereignis nähere Stichtagsregelung gewählt wird und hierdurch einzelne Arbeitnehmer aus dem Anwendungsbereich des neuen Sozialplanes herausfallen. Durch eine neue Stichtagsregelung wird weder § 75 BetrVG noch der allgemeine Gleichheitsgrundsatz verletzt. Die Vereinbarung von Stichtagen in Sozialplänen ist
1 2 3 4 5 6
BAG v. 31.7.2002 – 10 AZR 275/01, ZInsO 2002, 998. Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 477 f. BAG v. 20.11.1984 – 1 ABR 59/80, BAGE 47, 214 = NZA 1985, 227 = ZIP 1985, 429. LAG Köln v. 17.10.2002 – 5(4) TaBV 44/02, NZI 2003, 335. Kreft in HK-InsO, § 129 Rz. 18. BGH v. 10.2.1999 – VIII ZR 314/97, NJW 1999, 1181 = MDR 1999, 695.
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§ 12
Rz. 247
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
üblich und grundsätzlich zulässig, solange die Wahl des Zeitpunktes sachlich vertretbar1 und nicht willkürlich ist. 247 Ein Vertrauensschutz, wonach einmal entstandene Sozialplanansprüche bestehen bleiben, existiert nicht. Ein Sozialplan kann nichtig sein oder ein Spruch der Einigungsstelle kann wegen Ermessensüberschreitung (§ 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG) durch das Arbeitsgericht aufgehoben werden. Der mangelnde Vertrauensschutz ist auch nicht unbillig2. 248 Kraft gesetzlicher Regelung sind die vorgenommenen Leistungen auf einen Altsozialplan auf die Höchstgrenze nach § 123 Abs. 1 InsO insoweit anzurechnen, wenn die Arbeitnehmer in dem nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeschlossenen Sozialplan aufgeführt sind (§ 124 Abs. 3 Satz 2 InsO). 249 Für den Widerruf nach § 124 InsO besteht keine Frist. Eine Analogie zu § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG scheidet aus. Die zeitliche Grenze für den Widerruf zieht allein § 242 BGB3. Mangels einer Widerrufsfrist ist es durchaus legitim, wenn seitens des Betriebsrats die Entscheidung über den Widerruf solange aufgeschoben wird, bis Klarheit über den Umfang der Insolvenzmasse und damit der Befriedigungsaussichten der Arbeitnehmer aufgrund eines neuen Sozialplanes besteht. V. Kündigung der Dienstverhältnisse 1. Allgemeines 250 Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Verwaltungs- und Verfügungsrecht auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO). Die Dienstverhältnisse bestehen mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort (§ 108 Abs. 1 Satz 1 InsO)4 (vgl. § 8 Rz. 174 ff.). 250a Vereinbarungen in einem Arbeitsvertrag, welche für den Insolvenzfall die automatische Vertragsbeendigung oder für den Arbeitgeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung normieren würden, sind unwirksam, da sämtliche Lösungsklauseln, welche die Rechtswirkungen von §§ 103–118 InsO ausschließen oder beschränken, unwirksam sind (§ 119 InsO). 250b Bezüglich der Dienstverhältnisse besteht kein Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO (hierzu § 8 Rz. 10 ff.). An die Stelle des Wahlrechtes tritt die Kündigungsberechtigung nach § 113 InsO. 2. Bestand und Beendigung der Dienstverhältnisse a) Kündigungsfrist 251 Von § 113 Satz 1 InsO werden alle Dienstverhältnisse i.S.v. § 611 BGB umfasst, so z.B.: – Arbeiter und Angestellte i.S.v. § 612 Abs. 1 BGB, – Ausbildungsverhältnisse nach dem BBiG, – weiterbeschäftigte Rentner, – Studenten, – Aushilfsarbeitsverhältnisse, – Teilzeitarbeitsverhältnisse, – Abrufarbeitsverhältnisse, – Probearbeitsverhältnisse. 252 Durch § 113 InsO wird kein besonderer Kündigungsgrund geschaffen, sondern es werden lediglich die Kündigungsfristen nach §§ 621, 622 Abs. 2 BGB im Interesse eines beschleunigten Personalabbaus in der Insolvenz die Höchstfrist auf drei Monate zum 1 2 3 4
BAG v. 30.11.1994 – 10 AZR 578/93, NZA 1995, 492 = ZIP 1995, 765. BAG v. 10.8.1994 – 10 ABR 61/93, BAGE 77, 313 (329) = NZA 1995, 314. Linck in HK-InsO, § 124 Rz. 3. BAG v. 19.10.2004 – 9 AZR 645/03, BAGE 108, 351 = NZA 2005, 527 = ZIP 2004, 1011.
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Kndigung der Dienstverhltnisse
Rz. 258
§ 12
Monatsende verkürzt. Die Frist des § 113 Satz 2 InsO stellt keine Regel-, sondern eine Höchstfrist1 dar. Auch im Falle einer arbeitsvertraglich oder tariflich längeren als der gesetzlichen Kündigungsfrist, sind der Insolvenzverwalter und der Arbeitnehmer in der Insolvenz zur Kündigung mit der Höchstfrist des § 113 Satz 2 InsO berechtigt2. Längere tarifliche Kündigungsfristen werden durch § 113 Satz 2 InsO verdrängt. § 113 Satz 2 InsO ist verfassungskonform; ein unzulässiger Eingriff in die Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) liegt nicht vor3.
253
Da es sich bei § 113 Satz 2 InsO um keine Regelkündigungsfrist handelt, gelten die kürzeren Fristen (§ 113 Satz 2 Hs. 2 InsO), wenn gesetzlich (§§ 621 Nr. 1–3, 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 BGB), tariflich oder einzelvertraglich kürzere Kündigungsfristen maßgebend sind4. Ist der Arbeitnehmer weniger als 8 Jahre (§ 622 Abs. 2 BGB) beschäftigt, ist die gesetzliche Kündigungsfrist kürzer (§ 622 Abs. 2 Nr. 3 BGB) als die Frist nach § 113 Satz 2 InsO. Zusätzliche Differenzierungen wegen des Lebensalters sind europarechtswidrig5.
254
Im Rahmen einer vereinbarten Probezeit (§ 622 Abs. 3 BGB) hat die Kündigung durch 255 den Insolvenzverwalter nicht zum Monatsende, sondern mit der gesetzlichen Frist von zwei Wochen zu erfolgen. Bei der verkürzten Kündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB bleibt es bei der Kündigungsmöglichkeit von vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Ende eines Kalendermonats. Hatte der Schuldner oder der vorläufige Insolvenzverwalter vor der Eröffnung des 256 Insolvenzverfahrens mit der gesetzlichen Frist gekündigt, so ist der Insolvenzverwalter nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verpflichtet zu prüfen, ob es unter Ausnutzung der Frist des § 113 Satz 2 InsO zu einer Verkürzung der Kündigungsfrist kommt. Bejahendenfalls hat er nachzukündigen. Die Nachkündigung stellt keine unzulässige Wiederholungskündigung dar, da die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Abkürzung der Kündigungsfrist einen neuen Kündigungssachverhalt schaffen6. Ein im schuldnerischen Betrieb vorhandener Betriebsrat ist vor dem Ausspruch der Kündigung neuerlich nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zu beteiligen7. Kündigungserschwerungen in Form von Zahlungsverpflichtungen, um ein Arbeitsver- 257 hältnis ordentlich kündigen zu können oder ein Kündigungsausschluss sind im Rahmen von Insolvenzverfahren unwirksam, da solche Regelungen gegen den Grundsatz von § 113 InsO verstoßen8. Gleiches gilt für den Ausschluss der betriebsbedingten Kündigung in Standortsicherungsvereinbarungen9. Ist in einem Tarifvertrag geregelt, dass betriebsbedingte Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen, so ist dieses Kündigungserschwernis bei einer vollständigen Betriebsstilllegung im Insolvenzverfahren unbeachtlich10. Bei einer reinen Personalanpassung im Rahmen des Insolvenzverfahrens ist jedoch eine solche tarifliche Regelung zulässig, so dass der Betriebsrat nicht nur nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG anzuhören ist, sondern der Kündigung ausdrücklich zustimmen muss. Verweigert der Betriebsrat die Zustimmung zur Kündigung, ist der Insolvenzverwalter gezwungen, die Einigungsstelle anzurufen. In einem Interessenausgleich zwischen Insolvenzverwalter und Betriebsrat kann 258 wirksam über die Kündigungsfrist des § 113 Satz 2 InsO nicht disponiert werden, so 1 BAG v. 16.6.1999 – 4 AZR 191/98, BAGE 92, 41 = NZA 1999, 1331 = ZIP 1999, 1933. 2 BAG v. 3.12.1998 – 2 AZR 425/98, BAGE 90, 246 = NZI 1999, 452 = NJW 1999, 1571. 3 BAG v. 16.6.1999 – 4 AZR 191/98, BAGE 92, 41 = NZA 1999, 1331 = ZIP 1999, 1933 = NJW 2000, 972. 4 BAG v. 6.7.2000 – 2 AZR 695/99, NZA 2001, 23 = NJW 2001, 317. 5 EuGH v. 19.1.2010 – Rs. C-555/07, Slg. 2010, I-365 - Seda Kücükdeveci/Swedex GmbH & Co. KG, NZA 2010, 85 = ZIP 2010, 196; BAG v. 9.9.2010 – 2 AZR 714/08, NZA 2011, 343 = ZIP 2011, 444. 6 BAG v. 22.5.2003 – 2 AZR 255/02, ZIP 2003, 1670 = BB 2003, 2183 = DZWIR 2003, 465. 7 BAG v. 31.1.1996 – 2 AZR 273/95, NZA 1996, 649. 8 LAG Hamm v. 14.1.1999 – 8 Sa 1991/98, ZInsO 1999, 544 (LS). 9 BAG v. 17.11.2005 – 6 AZR 107/05, NZA 2006, 661 = ZIP 2006, 774. 10 BAG v. 19.1.2000 – 4 AZR 910/98, KTS 2001, 186.
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§ 12
Rz. 259
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
dass eine Vereinbarung einer längeren als der gesetzlichen Höchstfrist des § 113 Satz 1 InsO unwirksam ist1. 259 Der Geschäftsführer einer GmbH besitzt nicht nur eine Organstellung, sondern auch einen Dienstvertrag, auf den § 622 Abs. 1 Satz 1 BGB entsprechend anwendbar ist. Dieses gilt zunächst für den Fall, dass der Geschäftsführer nicht oder nicht maßgeblich am Kapital der Gesellschaft beteiligt ist2. Auch dann, wenn der Geschäftsführer am Kapital der Gesellschaft beteiligt ist, ohne einen beherrschenden Einfluss auf die Gesellschaft ausüben zu können, bemisst sich seine Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB3. 259a Besitzt der Geschäftsführer einen beherrschenden Einfluss auf die Gesellschaft, so ist sein Dienstverhältnis nach § 621 BGB zu kündigen. Die regelmäßig im Geschäftsführeranstellungsvertrag vereinbarten langen Kündigungsfristen für das Dienstverhältnis werden in der Insolvenz auf die Frist von drei Monaten zum Monatsende (§ 113 Satz 2 InsO) abgekürzt. 259b Die Kündigungsfrist nach § 113 Satz 2 InsO gilt für Kündigungen sowohl des Insolvenzverwalters als auch des Arbeitnehmers bzw. des Dienstverpflichteten, wie sich aus § 113 Satz 1 InsO ergibt. b) Unkündbare Dienstverhältnisse 260 Durch § 113 Satz 1 InsO werden lediglich die Kündigungsfristen verkürzt, so dass grundsätzlich der auch im Insolvenzverfahren bestehende Sonderkündigungsschutz durch den Insolvenzverwalter zu beachten ist. Danach ist der Insolvenzverwalter an den gesetzlichen Ausschluss der ordentlichen Kündigung ebenso gebunden, wie an behördliche Zustimmungs- und Genehmigungserfordernisse. An vertragliche Ausschlüsse der ordentlichen Kündigung, unabhängig davon, ob sie auf Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Individualvertrag beruhen, ist der Insolvenzverwalter nicht gebunden4. aa) Betriebsratsmitglieder 261 Das Arbeitsverhältnis der Amtsträger der Betriebsverfassung, also der Mitglieder des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und eines Seebetriebsrats ist ordentlich nicht kündbar (§ 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG). Gleiches gilt für die Amtsträger der Personalvertretung (§ 15 Abs. 2 Satz 1 KSchG). Eine Kündigung der Arbeitsverhältnisse dieses besonders geschützten Personenkreises ist nur außerordentlich möglich. Dieses gilt auch im Insolvenzverfahren5, so dass dieser Personenkreis in eine Sozialauswahl nicht einzubeziehen ist. Die mögliche Kündigung aus wichtigem Grund setzt voraus, dass der Betriebsrat der außerordentlichen Kündigung zustimmt (§ 103 Abs. 1 BetrVG) oder das Arbeitsgericht im Beschlussverfahren rechtskräftig die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung ersetzt (§ 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG). Für die Mitglieder der Personalvertretung ergibt sich die gleiche Regelung aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und 2 BPersVG. 262 Gleichfalls ordentlich unkündbar sind die Amtsträger der Betriebsverfassung und der Personalvertretung für die Dauer von einem Jahr nach Beendigung der Amtszeit (§ 15 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 KSchG). Für die Mitglieder des Wahlvorstandes und für nicht gewählte Wahlbewerber endet der eine ordentliche Kündigung ausschließende Kündigungsschutz mit Bekanntgabe des Wahlergebnisses (§ 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG). Während die Nachwirkung, die eine Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung entbehrlich macht, für Betriebsräte 1 Jahr beträgt, beträgt diese für die Mitglieder von Wahlvorständen und für Wahlbewerber 6 Monate (§ 15 Abs. 1 Satz 2 u. Abs. 3 Satz 2 KSchG).
1 2 3 4 5
BAG v. 19.1.2000 – 4 AZR 910/98, KTS 2001, 186. BGH v. 11.5.1981 – II ZR 126/80, BGHZ 79, 291 ff. = NJW 1981, 2748 = MDR 1982, 34. BGH v. 26.3.1984 – II ZR 120/83, BGHZ 91, 217 = NJW 1984, 2528. Müller-Glöge in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 113 InsO Rz. 6, m.w.N. BAG v. 17.11.2005 – 6 AZR 118/05, NZA 2006, 370 = ZIP 2006, 918.
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Hçfer
Kndigung der Dienstverhltnisse
Rz. 266
§ 12
Ersatzmitglieder haben ohne eine Tätigkeit im Betriebsrat ausgeübt zu haben, kei- 262a nen besonderen Kündigungsschutz. Rückt ein Ersatzmitglied in den Betriebsrat nach, genießt es ab diesem Zeitpunkt den besonderen Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 oder 2 KSchG in vollem Umfang1. Im Falle der Vertretung steht dem Betriebsratsmitglied für die Dauer der Vertretung der besondere Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 Satz 1 KSchG zu. Auch das nachgerückte Betriebsratsmitglied genießt den besonderen Kündigungs- 262b schutz während der Amtszeit und den nachwirkenden Kündigungsschutz2. Dieser nachwirkende Kündigungsschutz beginnt mit dem Ende der Vertretung, dauert ein Jahr und beginnt mit jeder Vertretung erneut zu laufen3. Nach der Beendigung des Vertretungsfalls ist im Nachwirkungszeitraum eine ordentliche Kündigung nicht möglich und im Falle einer außerordentlichen Kündigung keine Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 103 BetrVG erforderlich4. Sowohl die Mitglieder des Wahlvorstandes als auch die nicht gewählten Wahlbewer- 263 ber haben nachwirkenden Kündigungsschutz (vgl. Rz. 262a) für die Dauer von sechs Monaten (§ 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG) nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses (§ 18 Abs. 3 BetrVG bzw. § 23 Abs. 2 BPersVG). Der Zweck des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung und damit des nachwirkenden Kündigungsschutzes ist, dass bei eventuellen Konflikten zwischen Arbeitgeber und Amtsträgern eine Abkühlungsphase liegen soll5. Eine gegen § 15 KSchG oder § 47 BPersVG verstoßende Kündigung ist gemäß § 134 BGB nichtig. Es handelt sich um einen sonstigen Unwirksamkeitsgrund i.S.d. § 13 Abs. 3 KSchG. Für die Frage, ob die Kündigung gegen § 15 KSchG verstößt, kommt es – wie immer 264 bei Kündigungserklärungen – auf den Zugang der Erklärung beim Arbeitnehmer an. Für die Anwendbarkeit von § 15 KSchG ist entscheidend, ob der Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Zuganges der Kündigungserklärung dem besonderen Kündigungsschutz des § 15 KSchG unterlag oder nicht. Aus diesem Grunde ist auch eine ordentliche Kündigung, die in der Zeit des besonderen Kündigungsschutzes erklärt wurde und dem Arbeitnehmer in dieser Zeit zuging, bei der jedoch der gewollte Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erst nach Ablauf des besonderen Kündigungsschutzes liegt, ebenfalls nichtig6. Der besondere Kündigungsschutz schließt auch eine ordentliche Änderungskündi- 264a gung7 bezüglich der besonders geschützten Arbeitnehmer aus. Das Arbeitsverhältnis der in § 15 Abs. 1 bis 3 KSchG genannten Personen ist aus- 265 nahmsweise ordentlich kündbar, wenn der Betrieb ganz oder teilweise stillgelegt wird (§ 15 Abs. 4 KSchG). Auch hier ist von dem betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriff auszugehen8. Es ist der durch das BAG entwickelte Betriebsbegriff zugrunde zu legen, wonach der Betrieb die organisatorische Einheit ist, innerhalb derer der Arbeitgeber mit seinen Arbeitnehmern durch Einsatz technischer und immaterieller Mittel bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt, die sich nicht in der Befriedigung von Eigenbedarf erschöpfen. Die Betriebsstilllegung setzt die ernstliche Absicht voraus, die Weiterverfolgung des bisherigen Betriebszweckes dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne aufzugeben9. Für die Betriebsstilllegung ist es nicht ausreichend, dass die betriebliche Arbeit ein- 266 gestellt wird, sondern auch ein entsprechender Umsetzungsakt, so z.B. die Kündi1 2 3 4 5 6 7 8 9
v. Hoyningen-Huene in v. Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 15 Rz. 29. BAG v. 6.9.1979 – 2 AZR 548/77, BB 1980, 317 = DB 1980, 451. v. Hoyningen-Huene in v. Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 15 Rz. 56. BAG v. 18.5.2006 – 6 AZR 627/05, NZA 2006, 1037. BAG v. 13.6.1996 – 2 AZR 431/95, NZA 1996, 1032 = NJW 1997, 78. Ascheid in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 15 KSchG, Rz. 23. BAG v. 6.3.1986 – 2 AZR 623/85, BAGE 55, 117 = NZA 1988, 32 = ZIP 1986, 1600. BAG v. 5.3.1987 – 2 AZR 623/85, BAGE 55, 117 = NZA 1988, 32 = ZIP 1987, 1588. BAG v. 19.6.1991 – 2 AZR 127/91, NZA 1991, 891 = ZIP 1991, 1374.
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§ 12
Rz. 267
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
gung aller Arbeitnehmer und die Veräußerung der Betriebsmittel, erfolgt1. Auch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bewirkt keine Betriebsstilllegung. Die Betriebsstilllegung ist von einer Entscheidung des Insolvenzverwalters abhängig2 und von diesem zu dokumentieren3. Ist im Insolvenzverfahren ein Gläubigerausschuss eingesetzt, sollte der Insolvenzverwalter auf einen schriftlich festgehalten Beschluss des Ausschusses hinwirken, in dem die Stilllegung dokumentiert ist. Nur durch ausreichende Dokumentation ist es möglich, im Kündigungsschutzprozess darzulegen und zu beweisen, dass die unternehmerische Entscheidung durch den Insolvenzverwalter vor Zugang der Kündigungserklärung getroffen wurde. 267 Eine ordentliche Kündigung der in § 15 Abs. 1–3 KSchG genannten Personen ist frühestens zum Zeitpunkt der Betriebsstilllegung zulässig (§ 15 Abs. 4 KSchG), wobei die Kündigung vor dem Zeitpunkt der Betriebsstilllegung erklärt werden kann4. Verzögert sich die Stilllegung, so endet das Arbeitsverhältnis quasi automatisch mit dem nächsten zulässigen Beendigungstermin nach der erfolgten Betriebsstilllegung5. Diese Situation ist vergleichbar mit einer unzutreffenden Berechnung der Kündigungsfrist und des Kündigungsendtermins. 268 Wird nicht der gesamte Betrieb stillgelegt, sondern nur ein Betriebsteil, sind die in § 15 Abs. 1–3 KSchG genannten besonders schutzwürdigen Arbeitnehmer in die nicht stillgelegten bzw. nicht stillzulegenden Betriebsabteilungen zu übernehmen. Eine Betriebsabteilung setzt einen organisatorisch abgrenzbaren Teil eines Betriebs voraus, eine personelle Einheit, eigene Betriebsmittel und die Verfolgung eines eigenen Betriebszwecks6. Sind mehrere räumlich nahe beieinander liegende Betriebsteile vorhanden und befinden sich in diesen Betriebsteilen organisatorisch abgrenzbare Arbeitseinheiten, die jeweils einen eigenen Betriebszweck verfolgen, so bilden diese Arbeitseinheiten jeweils eine Betriebsabteilung i.S.v. § 15 Abs. 5 KSchG7. 269 Die Regelung in § 15 Abs. 4 KSchG kann nicht wörtlich genommen werden. Es ist nicht nur auf die Stilllegung des Betriebs, in dem der geschützte Personenkreis beschäftigt ist, abzustellen, sondern eine teleologische Reduktion führt dazu, dass die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses des geschützten Arbeitnehmers nichtig ist, soweit er in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann8. Ein Freimachen eines Arbeitsplatzes im Unternehmen wie bei einer anderen Betriebsabteilung ist nicht erforderlich9. Auch wenn mehrere Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb bilden (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG), d.h., wenn sie mit ihren Arbeitnehmern arbeitstechnische Zwecke innerhalb einer einheitlichen Organisation fortgesetzt verfolgen und ein einheitlicher Lenkungsapparat vorhanden ist10, ist der Arbeitnehmer mit einem besonderen Kündigungsschutz in einem anderen Unternehmen weiter zu beschäftigen. Für die Frage, ob mehrere Unternehmen einen einheitlichen Betrieb i.S.d. § 15 Abs. 4 und 5 KSchG bilden, sind die durch das BAG für das Betriebsverfassungsrecht und §§ 1, 23 KSchG entwickelten Grundsätze heranzuziehen11. 270 Der nach § 15 Abs. 1–3 KSchG geschützte Personenkreis ist in eine andere Betriebsabteilung zu übernehmen und dem Arbeitnehmer ist dort ein gleichwertiger Arbeitsplatz anzubieten. Ist in der anderen Betriebsabteilung kein freier Arbeitsplatz vorhanden, so hat der Insolvenzverwalter für den besonders geschützten Arbeitnehmer 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
BAG v. 17.3.1987 – 1 ABR 47/85, NZA 1987, 523 = ZIP 1987, 1005. BAG v. 16.9.1982 – 2 AZR 271/80, ZIP 1983, 205 = NJW 1983, 1341. BAG v. 21.6.2001 – 2 AZR 137/00, NZA 2002, 212. BAG v. 14.10.1982 – 2 AZR 568/80, BAGE 41, 72 = ZIP 1983, 1492 = NJW 1984, 381. BAG v. 23.4.1980 – 5 AZR 49/98, BAGE 33, 94 = ZIP 1980, 669 = NJW 1980, 2543. BAG v. 11.10.1989 – 2 AZR 61/89, NZA 1990, 607 = ZIP 1990, 944. BAG v. 20.1.1984 – 7 AZR 443/82, BAGE 45, 26 = NZA 1984, 38 = NJW 1984, 2488. BAG v. 13.8.1992 – 2 AZR 22/92, NZA 1993, 224 = ZIP 1993, 224. v. Hoyningen-Huene in v. Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, § 15 Rz. 184. BAG v. 7.8.1986 – 6 ABR 57/85, BAGE 52, 325 = NZA 1987, 131 = ZIP 1987, 183 = NJW 1987, 2036. 11 BAG v. 5.3.1987 – 2 AZR 623/85, BAGE 55, 117 = NZA 1988, 32 = ZIP 1987, 1588.
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Kndigung der Dienstverhltnisse
Rz. 273
§ 12
nach § 15 Abs. 1–3 KSchG einen Arbeitsplatz durch Versetzung oder notfalls durch Kündigung freizumachen1. Der durch § 15 Abs. 1–3 KSchG geschützte Arbeitnehmer hat wegen des Interesses der Belegschaft an der Fortführung seines Amtes absoluten Vorrang vor allen anderen Arbeitnehmern. Der Zweck von § 15 Abs. 1–3 KSchG geht dem Schutz des § 1 Abs. 3 KSchG vor. Diese Wertung soll in Extremfällen dazu führen, dass der Insolvenzverwalter auch einen Arbeitsplatz eines Arbeitnehmers, der gesetzlichen Sonderkündigungsschutz genießt (z.B. § 9 Abs. 1 MuSchG, § 85 SGB IX), frei zu kündigen hat2. Im Allgemeinen wird aber ein durch § 15 Abs. 1–3 KSchG geschützter Arbeitnehmer die Entlassung einer werdenden Mutter oder eines Schwerbehinderten nicht verlangen können3. Ist in keiner anderen Betriebsabteilung für den besonders geschützten Arbeitnehmer 271 ein gleichwertiger Arbeitsplatz frei oder freizumachen, so ist die Übernahme des Arbeitsnehmers aus betrieblichen Gründen nicht möglich (§ 15 Abs. 5 Satz 2 KSchG), so dass eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses des besonders geschützten Arbeitnehmers möglich ist (§ 15 Abs. 5 Satz 2 KSchG). Da es sich um eine ordentliche Kündigung handelt, ist keine Zustimmung des Betriebsrats (§ 103 BetrVG) oder des Personalrates (§ 47 BPersVG) erforderlich, wobei jedoch die Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG bzw. des Personalrates (§ 79 Abs. 1 Satz 1 BPersVG) erforderlich ist4. Neben § 15 Abs. 4 und 5 KSchG sind §§ 1 ff. KSchG nicht anzuwenden5, wobei sonstige kündigungsschutzrechtliche Vorschriften außerhalb des KSchG selbstverständlich neben § 15 KSchG zu beachten sind6. Ist in einem anderen Betrieb des Unternehmens ein gleichwertiger Arbeitsplatz frei, 272 so ist dem besonders geschützten Arbeitnehmer ein Änderungsangebot zu unterbreiten7. Kann der besonders geschützte Arbeitnehmer bei Stilllegung einer Betriebsabteilung nach entsprechender Änderungskündigung zu unveränderten Bedingungen auf einem freien Arbeitsplatz in einer anderen Betriebsabteilung weiterbeschäftigt werden, so ist der Insolvenzverwalter nicht verpflichtet, einen örtlich näher gelegenen und deshalb den besonders geschützten Arbeitnehmer weniger belastenden Arbeitsplatz frei zu kündigen8. Das Bundesarbeitsgericht hat klargestellt, dass § 15 Abs. 4 und 5 KschG als Spezial- 272a normen nicht analogiefähig und damit nicht anwendbar auf andere als die in § 15 Abs. 1 bis 3 KschG genannten Personengruppen sind9.
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Hinweis: 273 Wegen der ordentlichen Unkündbarkeit der Arbeitsverhältnisse nach §§ 15 Abs. 1–3 KSchG sind mit Übernahme des Amtes als (vorläufiger) Insolvenzverwalter, spätestens jedoch, wenn Entlassungen geplant sind, festzustellen: – Vor- und Zunamen sowie Adressen aller Betriebsratsmitglieder nebst Ersatzmitgliedern. Fand die letzte Betriebsratswahl in den letzten neun Monaten vor der beabsichtigten Kündigung des geschützten Personenkreises statt: – Vor- und Zunamen und Adressen der Mitglieder des Wahlvorstandes, sämtlicher Wahlbewerber und der Mitglieder und Ersatzmitglieder des „alten“ Betriebsrats.
BAG v. 18.10.2000 – 2 AZR 494/99, BAGE 96, 78 = NZA 2001, 321. Etzel in KR, § 15 KSchG Rz. 126. Bernstein, NZA 1993, 728 (733). BAG v. 20.1.1984 – 7 AZR 443/82, BAGE 45, 26 = NZA 1984, 38 = NJW 1984, 2488. Etzel in KR, § 15 KSchG Rz. 93. Etzel in KR, § 15 KSchG Rz. 152. BAG v. 27.1.1994 – 2 AZR 584/93, NZA 1994, 840 = NJW 1994, 2846. BAG v. 28.10.1999 – 2 AZR 437/98, NZA 2000, 825 (826). BAG v. 17.11.2005 – 6 AZR 118/05, NZA 2006, 370 = ZIP 2006, 918.
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§ 12
Rz. 274
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
bb) Bundesfreiwilligendienst 274 Durch das zum 1.7.2011 in Kraft getretene Wehrrechtsänderungsgesetz ist die Wehrpflicht in Deutschland bis auf weiteres ausgesetzt worden. Das Gesetz zur Einführung des Bundesfreiwilligendienstes (BFDG) hat den bisherigen Zivildienst abgelöst und enthält keine besonderen Schutzvorschriften, so wie das ArbPlSchG. 275 Sollten Primärarbeitsverhältnisse von Freiwilligen währende ihres freiwilligen Dienstes ruhen, hätten sie nach aktueller Gesetzeslage keinen besonderen Kündigungsschutz. cc) Ausbildungsverhältnisse 276 Nach Ablauf der Probezeit ist eine Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses nur noch aus wichtigem Grunde möglich (§ 15 Abs. 2 BBiG). Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellt auch hier keinen wichtigen Grund zur Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses dar. Im Falle der Stilllegung des Betriebs kann das Berufsausbildungsverhältnis ausnahmsweise (außerordentlich) gekündigt werden. Solange die Ausbildung stattfinden kann, ist eine Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses nicht möglich1. Ist jedoch eine Ausbildung im insolventen Betrieb nicht mehr möglich, z.B. weil der Ausbilder ausgeschieden ist, kann die außerordentliche Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses erfolgen. 277 Als Kündigungsfrist ist nicht die Drei-Monats-Höchstfrist zum Monatsende gemäß § 113 Satz 2 InsO einzuhalten2, sondern in entsprechender Anwendung des § 622 BGB die dort normierte als Auslauffrist. Die Kündigung ist zum Zeitpunkt des tatsächlichen Wegfalls der Ausbildungsmöglichkeit in analoger Anwendung von § 15 Abs. 4 KSchG zulässig3. c) Befristete Dienstverhältnisse 278 Die zeit- oder zweckbefristeten Dienstverhältnisse enden mit dem vereinbarten Zeitablauf (§ 620 Abs. 1 BGB). Ist in dem zeit- oder zweckbefristeten Dienstverhältnis die ordentliche Kündigung ausgeschlossen, so kann das Dienstverhältnis durch den Insolvenzverwalter dennoch gekündigt werden (§ 113 Satz 1 InsO)4. Ist das ordentlich unkündbare Arbeitsverhältnis noch mindestens für drei Monate befristet, so gilt die gesetzliche Höchstkündigungsfrist von drei Monaten nach § 113 Satz 2 InsO5. Diese Kündigungsfrist wird nicht durch eine kürzere, gesetzliche, Kündigungsfrist verdrängt, wobei es gleichgültig ist, ob der Ausschluss der ordentlichen Kündigung auf einer einzelvertraglichen oder tariflichen Regelung beruht6. 279 Im Gegensatz zu § 22 KO unterscheidet § 113 InsO nicht danach, ob ein Dienstverhältnis bereits angetreten ist oder nicht. Noch nicht angetretene Dienstverhältnisse unterliegen nicht dem Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO, sondern sie müssen durch den Insolvenzverwalter gekündigt werden. 280 Je nach Ausgestaltung des Dienstvertrages ergeben sich unterschiedliche Kündigungsmöglichkeiten für das noch nicht angetretene Arbeitsverhältnis. Ist keine abweichende Vereinbarung zwischen den Parteien getroffen, so kann die Kündigung bereits vor dem Dienstantritt erklärt werden7. Die maßgebliche Kündigungsfrist ergibt sich in diesen Fällen aus §§ 621, 622 BGB. Die Kündigungsfrist beginnt im Zweifel mit dem Zugang der Kündigungserklärung8. Lediglich dann, wenn einzelvertraglich eine
1 BAG v. 27.5.1993 – 2 AZR 601/92, BAGE 73, 201 = NZA 1993, 845 = ZIP 1993, 1316. 2 BAG v. 27.5.1993 – 2 AZR 601/92, BAGE 73, 201 = NZA 1993, 845 = ZIP 1993, 1316. A.A. Weigand in KR, §§ 21–22 BBiG Rz. 70. 3 Kießner in Nerlich/Römermann, InsO, § 113 Rz. 46. 4 BAG v. 6.7.2000 – 2 AZR 695/99, BAGE 95, 216 = NZA 2001, 23 = ZIP 2000, 1941. 5 BAG v. 6.7.2000 – 2 AZR 695/99, BAGE 95, 216 = NZA 2001, 23 = ZIP 2000, 1941. 6 Linck in HK-InsO, § 113 Rz. 26. 7 BAG v. 9.5.1985 – 2 AZR 372/84, NZA 1986, 671 = NJW 1987, 148. 8 BAG v. 25.3.2004 – 2 AZR 324/03, NZA 2004, 1089 = NJW 2004, 3444.
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Kndigung der Dienstverhltnisse
Rz. 282d
§ 12
längere als die Frist nach § 113 Satz 2 InsO vereinbart war, erfolgt die Kündigung des Dienstverhältnisses mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende. Ist jedoch zwischen den Parteien vereinbart, dass eine Kündigung vor Arbeitsaufnah- 280a me nicht möglich ist, hat es damit auch für den Insolvenzverwalter sein Bewenden1, denn die Eröffnung des Insolvenzverfahrens führt nicht zu einer Änderung der vertraglichen Vereinbarung. Der Arbeitnehmer hat jedoch ein Recht zur außerordentlichen, fristlosen Kündigung 281 seines Arbeitsverhältnisses, hergeleitet aus § 109 Absatz 2 InsO, da es für einen Arbeitnehmer unzumutbar ist, den Dienst bei einem im Insolvenzverfahren befindlichen Unternehmen anzutreten2. d) Altersteilzeit Die Altersteilzeit existiert in zwei Modellen. Einmal in Form der kontinuierlichen Arbeitszeit (unterschiedliche Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit oder unterschiedliche wöchentliche Arbeitszeiten) oder im Blockmodell (gleiche Dauer der Arbeits- und Freistellungsphase). In der Praxis kommt überwiegend das Blockmodell vor.
282
In der Freistellungsphase kann das Arbeitsverhältnis durch den Insolvenzverwalter 282a auch im Falle einer völligen Betriebsstilllegung nicht gekündigt werden, da keine dringenden betrieblichen Erfordernisse der Weiterbeschäftigung entgegenstehen (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG)3, sondern der Arbeitgeber bereits zuvor aus anderen Gründen, nämlich der Altersteilzeitvereinbarung auf die Arbeitsleistung verzichtet hat. Die Betriebsstilllegung stellt deshalb kein dringendes betriebliches Erfordernis für eine betriebsbedingte Kündigung dar. Auch dann, wenn der Arbeitnehmer in einem Interessenausgleich mit Namensliste namentlich aufgeführt ist, ist die Vermutung nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO widerlegt, da der Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit für das Arbeitsverhältnis bedeutungslos ist4. Etwas anderes gilt in der Arbeitsphase. Hier können dringende betriebliche Erforder- 282b nisse vorliegen, die einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen, so dass eine betriebsbedingte Kündigung beim Vorliegen der Voraussetzungen nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG möglich ist5. Exkurs: Entgeltansprüche 282c Die insolvenzrechtliche Einordnung der Arbeitsentgeltansprüche erfolgt differenziert. Die Abgrenzung zwischen Insolvenzforderung und Masseverbindlichkeit erfolgt grundsätzlich danach, wann die Arbeitsleistung, die den Arbeitsentgeltansprüchen zu Grunde liegt, erbracht worden ist6. Dieser Zeitraum bestimmt, inwieweit Leistungen des Arbeitnehmers der Insolvenzmasse zu Gute gekommen sind. Soweit Leistungen der Insolvenzmasse nicht zu Gute kamen, also die Arbeitsleistung in der Arbeitsphase vor der Insolvenzeröffnung erbracht wurde, stellen diese in der Freistellungsphase geschuldeten Arbeitsentgeltansprüche Insolvenzforderungen nach § 38 InsO dar7. Der Arbeitnehmer wird nicht anders als der Darlehensgläubiger behandelt. Sein „Darlehen“ ist die in der Hoffnung auf spätere bezahlte Freistellung zusätzliche erbrachte Arbeit bzw. der entsprechende dauerhafte Entgeltverzicht in der Arbeitsphase. Die nach der Insolvenzeröffnung in der Arbeitsphase geschuldeten Arbeitsentgelt- 282d ansprüche sind grundsätzlich Masseverbindlichkeiten. Gleiches gilt für die Aufstockungsleistungen und die Aufstockungsbeträge zur Rentenversicherung8. 1 2 3 4 5 6 7 8
A.A. Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 99. Marotzke in HK-InsO, § 109 Rz. 47. BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 571/01, BAGE 104, 131 = NZA 2003, 789 = ZIP 2003, 1169. BAG v. 5.12.2002 – 2 AZR 571/01, BAGE 104, 131 = NZA 2003, 789 (790) = ZIP 2003, 1169 (1171). BAG v. 16.6.2005 – 6 AZR 476/04, BAGE 115, 122 = NZA 2006, 270 = ZIP 2005, 1842. BAG v. 19.10.2004 – 9 AZR 647/03, BAGE 112, 214 = NZA 2005, 408 = ZIP 2005, 457. BAG v. 19.10.2004 – 9 AZR 647/03, BAGE 112, 214 (219) = NZA 2005, 408 = ZIP 2005, 457. BAG v. 23.2.2005 – 10 AZR 602/03, NZA 2005, 694 = ZIP 2005, 873.
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§ 12
Rz. 282e
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
282e Im Falle der Masseunzulänglichkeit sind die Arbeitsentgeltansprüche während der Arbeitsphase für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Insolvenzverwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit hätte kündigen können, Neumasseverbindlichkeiten. Dieses gilt auch für den Fall der Freistellung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung1. 282f Befindet sich der Arbeitnehmer bei der Insolvenzeröffnung in der Arbeitsphase und erbringt er zunächst nach der Insolvenzeröffnung Arbeitsleistungen für die Insolvenzmasse und wechselt er später in die Freistellungsphase, so erfolgt die insolvenzrechtliche Einordnung spiegelbildlich. Zunächst stellen die Arbeitsentgeltansprüche in der Freistellungsphase im Anschluss an die Arbeitsphase Insolvenzforderungen nach § 38 InsO dar. Die Arbeitsentgeltansprüche aus der Arbeitsphase nach der Insolvenzeröffnung werden spiegelbildlich am Ende der Freistellungsphase als Masseverbindlichkeit geschuldet2. Die wirtschaftliche Absicherung der Arbeitnehmer gebietet jedoch die Zahlung in der Freistellungsphase in unmittelbarem Anschluss an die Arbeitsphase3. Beispiel:
282g An die Arbeitsphase schließt sich die Freistellungsphase von 36 Monaten an und der Arbeitnehmer hat die letzten fünf Monate der Arbeitsphase nach der Insolvenzeröffnung gearbeitet. In diesem Fall hat er für 31 Monate nach dem Ende der Arbeitsphase spiegelbildlich eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO und für die letzten 5 Monate eine Masseverbindlichkeit. Bei der Rückabwicklung eines vorzeitig beendeten Altersteilzeitarbeitsverhältnisses gilt Gleiches hinsichtlich der insolvenzrechtlichen Einordnung der Arbeitsentgeltansprüche. Maßgebend ist, wann die den Ansprüchen zugrunde liegende Arbeitsleistung erbracht wurde und nicht, wann die Ansprüche fällig sind4.
282h Im Fall des Betriebsübergangs nach § 613a BGB geht das Altersteilzeitarbeitsverhältnis auf den Betriebsübernehmer über, sowohl bei einem Arbeitnehmer in der Arbeitsphase5 als auch bei einem Altersteilzeitarbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers, der sich zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs in der Freistellungsphase befindet, letzteres hat das BAG klargestellt6. 282i Auch in diesen Fällen des Betriebsübergangs gilt die durch die Insolvenzeröffnung eingetretene Haftungsbeschränkung7. Siehe Rz. 605 ff. Da der Betriebserwerber nicht für die Insolvenzforderungen, jedoch für die Masseverbindlichkeiten8 haftet, gilt für die Ansprüche aus der Freistellungsphase für die Zeit ab dem Betriebsübergang nichts anderes9. 282j Hat der Arbeitgeber die Wertguthaben nach § 7d Abs. 1 SGB IV nicht insolvenzgesichert, so bestehen im Insolvenzfall keine Schadensersatzansprüche der Arbeitnehmer gegenüber dem Geschäftsführer, da § 7d Abs. 1 SGB IV kein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB ist10. Auch unter der Geltung von § 8a ATG scheidet eine Schadensersatzverpflichtung des Geschäftsführers aus, da nur der Arbeitgeber zur Sicherung verpflichtet ist11. 282k Eine Sicherung des Wertguthabens durch Patronatserklärungen, Bürgschaften oder Schuldbeitritte sind keine geeigneten Sicherungsmittel (§ 8a Abs. 1 Satz 2 ATG), so dass auch eine Garantieerklärung der Muttergesellschaft als Sicherungsmittel ausscheidet.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
BAG v. 23.2.2005 – 10 AZR 602/03, NZA 2005, 694 = ZIP 2005, 873. BAG v. 19.10.2004 – 9 AZR 647/03, BAGE 112, 214 = NZA 2005, 408 = ZIP 2005, 457. LAG Schleswig-Holstein v. 10.1.2006 – 2 Sa 418/05, NZA-RR 2006, 293 (294). BAG v. 23.2.2005 – 10 AZR 672/03, DZWIR 2005, 428 = NZA 2005, 1375 (LS). BAG v. 19.10.2004 – 9 AZR 647/05, BAGE 112, 214 = NZA 2005, 408 = ZIP 2005, 457. BAG v. 30.10.2008 – 8 AZR 54/07, BAGE 128, 229 = NZA 2009, 432 = ZIP 2009, 682. BAG v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, BAGE 32, 326 = ZIP 1980, 117 = NJW 1980, 1124. BAG v. 18.11.2003 – 9 AZR 347/03, BAGE 108, 351 (354, 355) = NZA 2004, 654 = ZIP 2004, 1011. BAG v. 30.10.2008 – 8 AZR 54/07, BAGE 128, 229 = NZA 2009, 432 = ZIP 2009, 682. BAG v. 16.8.2005 – 9 AZR 470/04, NZA 2006, 1052 = ZIP 2006, 344. BAG v. 23.2.2010 – 9 AZR 44/09, BAGE 133, 213 = NZA 2010, 1418 = ZIP 2010, 1361.
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Kndigung der Dienstverhltnisse
Rz. 285a
§ 12
Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens besteht kein Anspruch auf Sicherung nach § 8a ATG1.
282l
e) Sonderkündigungsschutz Es wurde bereits oben unter Rz. 260 darauf hingewiesen, dass durch § 113 Abs. 1 283 Satz 2 InsO lediglich die Kündigungsfristen geändert werden und auch im Insolvenzverfahren der Sonderkündigungsschutz, der die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausschließt, bestehen bleibt2. Siehe aber Rz. 270, § 15 Abs. 1–3 KSchG geht im Extremfall dem Sonderkündigungsschutz vor. aa) Schwerbehinderte Auch im Insolvenzverfahren bedarf sowohl die ordentliche als auch die außerordentli- 284 che Kündigung eines Schwerbehinderten der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes (§ 85 SGB IX). Es gelten bei Feststellung des Sonderkündigungsschutzes keine Besonderheiten im Vergleich zur Rechtslage außerhalb des Insolvenzverfahrens. Voraussetzung des Sonderkündigungsschutzes ist die Schwerbehinderteneigen- 285 schaft. Schwerbehindert ist derjenige Arbeitnehmer, bei dem ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 % vorliegt (§ 2 Abs. 2 SGB IX) oder der gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX mit einer Behinderung von mindestens 30 %, jedoch weniger als 50 %, einem Schwerbehinderten gleichgestellt ist. Die Feststellung der Behinderung hat lediglich eine deklaratorische Bedeutung3, während die Gleichstellung konstitutive Bedeutung besitzt4. Für das Bestehen des besonderen Kündigungsschutzes (§§ 85, 91 SGB IX) wegen der Schwerbehinderung ist Voraussetzung, dass der Arbeitnehmer vor dem Zugang der Kündigungserklärung einen Antrag auf Feststellung seiner Behinderung oder Gleichstellung gestellt hat5, der Nachweis der Schwerbehinderung geführt (§ 90 Abs. 2a SGB IX) oder die Schwerbehinderung offenkundig ist6. Der Nachweis i.S.v. § 90 Abs. 2a Alt. 1 SGB IX setzt voraus, dass die Schwerbehinderteneigenschaft im Kündigungszeitpunkt festgestellt ist. Eine rückwirkende Änderung eines ablehnenden Bescheids im Rechtsmittelverfahren führt nicht zum Sonderkündigungsschutz7. Eine Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderteneigenschaft oder von dem Antrag ist für den Sonderkündigungsschutz nicht erforderlich. Der Arbeitnehmer hat jedoch innerhalb einer Regelfrist von derzeit einem Monat nach dem Zugang der Kündigungserklärung dem Insolvenzverwalter von dem Bescheid oder der Antragstellung Mitteilung zu machen. Das BAG neigt dazu für die Mitteilung künftig die Frist analog § 4 Satz 1 KSchG auf drei Wochen abzukürzen8. Dieses gilt auch nach der Einführung von § 90 Abs. 2a SGB IX zum 1.1.20029. Unterlässt der Arbeitnehmer diese rechtzeitige Mitteilung, verwirkt er den Sonderkündigungsschutz10. Der nach § 2 Abs. 3 SGB IX gleichgestellte Arbeitnehmer erwirbt die positiven 285a Rechtsfolgen der Gleichstellung erst durch einen entsprechenden Bescheid der Bundesagentur für Arbeit (§ 68 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Der Bescheid wirkt auf den Tag der Antragstellung zurück (§ 68 Abs. 2 Satz 2 SGB IX). Der Insolvenzverwalter kann gegen den Gleichstellungsbescheid kein Rechtsmittel einlegen11. 1 2 3 4 5 6 7 8 9
BAG v. 15.1.2013 – 9 AZR 448/11, NZA-RR 2013, 303 = ZIP 2013, 900. BAG v. 17.11.2005 – 6 AZR 118/05, NZA 2006, 370 = ZIP 2006, 918. BAG v. 30.6.1983 – 2 AZR 10/82, BAGE 43, 148 = NJW 1994, 687. BAG v. 24.11.2005 – 2 AZR 514/04, NZA 2006, 665 = NJW 2006, 1614. BAG v. 16.6.1991 – 2 AZR 241/90, NZA 1992, 23. BAG v. 7.3.2002 – 2 AZR 612/00, BAGE 100, 355 (361) = NZA 2002, 1145. OVG Rheinland-Pfalz v. 7.3.2006 – 7 A 1129/05, NZA 2006, 1108. BAG v. 12.1.2006 – 2 AZR 539/05, NZA 2006, 1035. BAG v. 7.3.2002 – 2 AZR 612/00, BAGE 100, 355 (360) = NZA 2002, 1145; BAG v. 16.8.2005 – 9 AZR 79/05, NZA 2006, 1057 = ZIP 2006, 348. BAG v. 23.2.2010 – 2 AZR 659/08, BAGE 133, 249 = NZA 2011, 411. 10 BAG v. 23.2.1978 – 2 AZR 462/76, BAGE 30, 141 (158) = NJW 1978, 2568 = MDR 1978, 788. 11 BAG v. 19.12.2001 – B 11 AL 5/01, BSGE 89, 119 = NZA 2002, 664 (Kurzmitteilung).
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§ 12
Rz. 285b
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
285b Der Arbeitnehmer ist i.R.d. Verfahrens zur Mitwirkung verpflichtet. Dieses hat zur Folge, dass die Rückwirkung eines Gleichstellungsantrags trotz positiven Bescheids nicht eintritt, wenn der Antrag nach dem Ablauf der Frist von § 69 Abs. 1 Satz 2 SGB IX verbeschieden wird und die Fristüberschreitung auf einer fehlenden Mitwirkung des behinderten Arbeitnehmers beruht. Der Umfang der Mitwirkungspflichten ergibt sich aus § 60 Abs. 1 Satz 1 SGB I. Verletzt der Arbeitnehmer diese Mitwirkungspflicht, genießt er den Sonderkündigungsschutz nicht (§ 90 Abs. 2a SGB IX). Für die fehlende Mitwirkung ist der Insolvenzverwalter Darlegungs- und Beweispflichtig. Da das Integrationssamt die erforderlichen Auskünfte nicht erteilt, ist die Beweisführung praktisch unmöglich1. 286 Eine Antragstellung auf Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft oder Gleichstellung nach dem Zugang der Kündigungserklärung führt nicht nachträglich zum Sonderkündigungsschutz und damit zu keiner Nichtigkeit der Kündigung. 287 Auch das verwaltungsförmliche Verfahren vollzieht sich weitestgehend nach den außerhalb des Insolvenzverfahrens geltenden Regeln. Der Insolvenzverwalter hat den Antrag auf Zustimmung zur Kündigung beim Integrationsamt schriftlich zu stellen (§ 87 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Da das Integrationsamt eine Stellungnahme, des Betriebsrats und des Schwerbehinderten sowie, sofern vorhanden, der Schwerbehindertenvertretung einholt (§ 87 Abs. 2 SGB IX), sollten die erforderlichen Abschriften dem Antrag beigefügt werden. Sofern vorhanden, empfiehlt es sich auch, eine Fotokopie des Schwerbehindertenausweises beizufügen. 288 Gleichgültig, welche Behörde den Schwerbehindertenausweis ausgestellt hat, ist der Antrag auf Zustimmung bei dem für den Sitz des Betriebs zuständigen Integrationsamt zu stellen. 289 Die Kündigung kann erst nach der Erteilung der Zustimmung des Integrationsamtes ausgesprochen werden. Eine ohne Zustimmung erfolgte Kündigung ist nach § 134 BGB nichtig2, wobei eine nachträgliche Genehmigung der nichtigen Kündigung nicht möglich ist. 289a Die Kündigung wird jedoch wirksam, wenn der Arbeitnehmer nicht innerhalb der Dreiwochenfrist ab dem Zugang Kündigungsschutzklage erhebt (§ 7 KSchG), wobei diese Klagefrist nicht läuft, wenn der Insolvenzverwalter die Zustimmung beim Integrationsamt nicht beantragte (§ 4 Satz 4 KSchG)3. Das Zustimmungserfordernis durch das Integrationsamt gilt auch für eine Änderungskündigung. 290 Das Integrationsamt hat unter den Voraussetzungen des § 89 Abs. 3 SGB X innerhalb eines Monats nach dem Antragseingang über die Erteilung der Zustimmung zu entscheiden (§ 88 Abs. 5 SGB IX). Dies ist im Vergleich zum Verfahren außerhalb der Insolvenz eine wesentliche Beschleunigung. Die Voraussetzungen nach § 89 Abs. 3 SGB X müssen allerdings mit Substanz dargelegt werden (siehe Rz. 299a). Eine Fristüberschreitung durch das Integrationsamt ist dann aus sachlichen Gründen nicht zulässig. Für die Wahrung der Frist genügt die Absendung oder sonstige, auch telefonische Bekanntgabe des Bescheides an den Insolvenzverwalter und den schwerbehinderten Arbeitnehmer. Wird innerhalb der Monatsfrist keine Entscheidung getroffen, gilt die Zustimmung als erteilt (§ 88 Abs. 5 Satz 2 SGB IX). 291 Bei der außerordentlichen Kündigung ist die Entscheidung durch das Integrationsamt binnen zwei Wochen ab dem Antragseingang zu treffen (§ 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Wird die Entscheidung innerhalb der gesetzlichen Frist nicht getroffen, wird die Zustimmung ebenfalls fingiert (§ 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX). 292 Die vom Insolvenzverwalter einzuhaltende Kündigungsfrist beträgt mindestens vier Wochen (§ 86 SGB IX). Das Integrationsamt hat über den Antrag nach freiem,
1 Cramer, NZA 2004, 698 (704). 2 BAG v. 16.3.1994 – 8 AZR 688/92, BAGE 76, 142 = NZA 1994, 879. 3 BAG v. 3.7.2003 – 2 AZR 487/02, BAGE 107, 50 = NZA 2003, 1335 = ZIP 2003, 2129.
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Kndigung der Dienstverhltnisse
Rz. 299a
§ 12
pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Die Zustimmung ist zu erteilen, wenn die beabsichtigte Kündigung in keinem Zusammenhang mit der Behinderung des Arbeitnehmers steht. Ob Kündigungsgründe nach § 1 KSchG bestehen, ist durch die Fachgerichte und nicht durch das Integrationsamt zu entscheiden1. Nur dann, wenn die arbeitsrechtliche Unwirksamkeit ohne jeden vernünftigen Zweifel in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht offen zutage tritt, darf die Zustimmung durch das Integrationsamt versagt werden2. Bei einer völligen Betriebsstilllegung besteht für das Integrationsamt kein Ermes- 293 sensspielraum (§ 89 Abs. 1 SGB IX), sondern die Zustimmung zur Kündigung muss erteilt werden, wenn zwischen dem Zugang der Kündigungserklärung und dem Tag, bis zu welchem ein Anspruch auf die Bezahlung von Lohn oder Gehalt besteht, mindestens drei Monate liegen (§ 89 Abs. 1 SGB IX). Die Frist des § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB IX läuft unabhängig von der individuellen Kündigungsfrist. Bei Arbeitsverhältnissen mit kurzer gesetzlicher oder tariflicher Kündigungsfrist führt die Regelung in § 89 Abs. 1 SGB IX zu einer indirekten Verlängerung der Kündigungsfrist. Ebenso wie bei der Regelung für Amtsträger in § 15 Abs. 5 Satz 1 KSchG gilt die 294 Einschränkung des Ermessens des Integrationsamtes dann nicht, wenn eine weitere Beschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz desselben Betriebs möglich ist (§ 89 Abs. 1 Satz 3 SGB IX). In derartigen Fällen versagt das Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung. Eine tatsächliche Zahlung von Lohn oder Gehalt ist nicht Voraussetzung der Zustim- 295 mung, insbesondere auch nicht, dass die Insolvenzmasse für die Erfüllung der Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO ausreicht3. Das Integrationsamt kann die Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzung (§ 89 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) für die Erteilung der Zustimmung durch eine Bedingung oder durch eine Auflage sicherstellen.
296
Bei der Auflage (§ 32 Abs. 2 Nr. 4 SGB X) kann der Insolvenzverwalter sofort und un- 297 abhängig von einer Zahlung kündigen. Das Integrationsamt kann im Falle der Nichtzahlung von Lohn oder Gehalt die Zustimmung zur Kündigung nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 SGB X widerrufen. Da der Widerruf nur für die Zukunft wirkt, ist eine vor dem Zugang des Widerrufs ausgesprochene und dem Schwerbehinderten zugegangene Kündigungserklärung wirksam. Wählt das Integrationsamt die Bedingung (§ 32 Abs. 2 Nr. 2 SGB X), so kann der Insol- 298 venzverwalter die Kündigung erst nach der Lohn-/Gehaltszahlung für den Zeitraum von drei Monaten aussprechen. Eine früher ausgesprochene Kündigung ist nichtig. Da die Kündigung nur binnen Monatsfrist seit dem Zugang der Zustimmungserklärung erfolgen kann (§ 88 Abs. 3 SGB IX), ist der Insolvenzverwalter gezwungen, bei einer Zustimmung des Integrationsamtes unter der Bedingung der Lohn-/Gehaltszahlung, vorzeitig die Lohn-/Gehaltsforderung des Schwerbehinderten für drei Monate zu Lasten der Insolvenzmasse zu erfüllen. Die Kündigungsfrist nach § 86 SGB IX gilt nur für Kündigungserklärungen des Insolvenzverwalters, nicht aber für Kündigungen durch den Arbeitnehmer.
299
Im Insolvenzverfahren soll nach § 89 Abs. 3 SGB IX das Integrationsamt auch dann 299a die Zustimmung zur Kündigung erteilen, wenn – der Schwerbehinderte in einem Interessenausgleich namentlich als einer der zu entlassenden Arbeitnehmer bezeichnet ist (§ 125 InsO), – die Schwerbehindertenvertretung (§ 95 Abs. 2 SGB IX) beim Zustandekommen des Interessenausgleichs beteiligt worden ist, – der Anteil der nach dem Interessenausgleich zu entlassenden Schwerbehinderten an der Zahl der beschäftigten Schwerbehinderten nicht größer ist als der Anteil 1 BVerwG v. 11.11.1999 – 5 C 23/99, BVerwGE 110, 67 = NZA 2000, 146. 2 BVerwG v. 2.7.1992 – 5 C 51/90, BVerwGE 90, 287, 294 = MDR 1993, 1242. 3 BAG v. 12.7.1990 – 2 AZR 35/90, NZA 1991, 348 = ZIP 1991, 677.
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Rz. 300
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der zu entlassenden übrigen Arbeitnehmer an der Zahl der beschäftigten übrigen Arbeitnehmer, – die Gesamtzahl der Schwerbehinderten, die nach dem Interessenausgleich bei dem Arbeitgeber verbleiben sollen, zur Erfüllung der Verpflichtungen nach § 71 SGB IX ausreicht. 300 Liegen die vorgenannten Voraussetzungen vor, soll das Integrationsamt die Zustimmung erteilen. Im Regelfall ist die Zustimmung zu erteilen; lediglich bei Vorliegen eines atypischen Falles kann die Versagung der Zustimmung erfolgen1. 301 § 89 Abs. 3 SGB IX ist nicht lex specialis zu § 89 Abs. 1 SGB IX. § 89 Abs. 1 SGB IX regelt die Zustimmung bei einer endgültigen Betriebsschließung, während § 89 Abs. 3 SGB IX eine Zustimmung auch dann ermöglicht, wenn unter den anderen Voraussetzungen ein Personalabbau vorgenommen wird. § 89 Abs. 3 SGB IX erleichtert somit im Rahmen des Insolvenzverfahrens den Personalabbau und die Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur (§ 125 Abs. 1 Ziff. 2 Hs. 2 InsO). 302 Kraft Gesetzes haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung keine aufschiebende Wirkung (§ 88 Abs. 4 SGB IX). Die Kündigung kann somit unmittelbar nach der erteilten Zustimmung ausgesprochen werden. Der Insolvenzverwalter muss binnen eines Monats nach Zugang der Zustimmungserklärung die Kündigungserklärung abgeben (§ 88 Abs. 3 SGB IX), wobei es für die Rechtzeitigkeit auf den Zugang der Kündigungserklärung bei dem schwerbehinderten Arbeitnehmer ankommt. 303 Wenn sich der Arbeitnehmer einen umfassenden Rechtsschutz erhalten will, muss er nun zum einen binnen eines Monats nach Zustellung des Bescheides des Integrationsamtes gegen diesen Bescheid Widerspruch einlegen (§§ 69, 70 VwGO). Der betroffene Arbeitnehmer kann ferner den Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung nach §§ 80a, 80 Abs. 5 VwGO stellen2. Über den Widerspruch entscheidet der Widerspruchsausschuss beim Integrationsamt (§ 118 SGB IX). Hilft der Widerspruchsausschuss des Integrationsamtes nicht ab, kann der Arbeitnehmer Klage zum Verwaltungsgericht erheben. 303a Die Entscheidung des Widerspruchsausschusses wird durch das Verwaltungsgericht nur darauf überprüft, ob sie rechtswidrig ist oder ob seitens der Verwaltungsbehörde Ermessensfehler vorliegen. Maßgeblich für die verwaltungsgerichtliche Überprüfung ist nicht die Sachlage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung, sondern zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides3. 304 Der Arbeitnehmer muss zum anderen parallel innerhalb der Frist des § 4 Satz 1 KSchG die Kündigung durch Erhebung der Kündigungsschutzklage anfechten. Sofern die Rechtswirksamkeit der Kündigung nur noch von der Frage der Wirksamkeit der Zustimmung des Integrationsamtes abhängt, ist das arbeitsgerichtliche Verfahren gemäß § 148 ZPO auszusetzen4. Jede andere Entscheidung als die Aussetzung des Rechtsstreites ist ermessensfehlerhaft5. bb) Mutterschutz und Elternteilzeit 305 Der gesetzliche Mutterschutz nach § 9 MuSchG während der Schwangerschaft und nach der Entbindung gilt auch im Insolvenzverfahren. 306 Auf Antrag des Insolvenzverwalters kann ausnahmsweise die Kündigung durch die zuständige oberste Landesbehörde für zulässig erklärt werden (§ 9 Abs. 3 Satz 1 MuSchG). Jede vor dem Zugang der Zustimmung erklärte Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist nichtig6. Für die Entscheidung der Behörde ist keine bestimmte 1 2 3 4 5 6
BVerwG v. 10.9.1992 – 5 C 39/88, BVerwGE 91, 7 = NZA 1993, 76. OVG Sachsen v. 25.8.2003 – 5 BS 107/03, NZA – RR 2004, 408 (LS). Etzel/Gallner in KR, §§ 85–90 SGB IX Rz. 103. BAG v. 26.9.1991 – 2 AZR 132/91, NZA 1992, 1073. BAG v. 25.11.1980 – 6 AZR 210/80, NJW 1981, 2023 = MDR 1981, 524. BAG v. 29.7.1968 – 2 AZR 363/97, BB 1968, 1081 = DB 1968, 1632.
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Kndigung der Dienstverhltnisse
Rz. 315
§ 12
Form, auch keine Schriftform, vorgesehen, wobei aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit die Bescheide regelmäßig schriftlich und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen, ergehen. Erst nach dem Zugang der Entscheidung beim Insolvenzverwalter ist die Kündigungssperre beseitigt und der Insolvenzverwalter kann wirksam die Kündigungserklärung abgeben. Die Zulässigerklärung durch die oberste Landesbehörde ist sowohl für die ordentliche als auch für die außerordentliche Kündigung sowie die Änderungskündigung erforderlich1.
307
Die Ausführung des MuSchG obliegt nach Art. 83 GG den Ländern. Von der gesetz- 308 lichen Ermächtigung zur Übertragung der Befugnis zur Zulässigkeitserklärung von Kündigungen auf andere Stellen haben die Arbeitsminister der Länder in unterschiedlicher Weise Gebrauch gemacht2. Die zuständige Behörde wird nur auf Antrag, für den keine bestimmte Form vorgese- 309 hen ist, tätig. Aus Beweissicherungsgründen ist unbedingt die Schriftform zu empfehlen. Der Antrag auf Zustimmung ist nicht fristgebunden. Lediglich bei einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung ist die zweiwöchige Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB zu beachten.
310
Im Rahmen des Antrages ist die Angabe zur Art der beabsichtigten (ordentlichen/au- 311 ßerordentlichen) Kündigung oder Änderungskündigung erforderlich. Daneben müssen der Kündigungsendtermin, die Sozialdaten der Arbeitnehmerin, sowie der Tag der mitgeteilten, voraussichtlichen Entbindung angegeben werden. Weiter sind Ausführungen zu den Kündigungsgründen erforderlich. Da die Arbeitnehmerin zu dem Antrag zu hören ist, empfiehlt es sich, um Zeitverzögerungen zu vermeiden, den Antrag bereits in doppelter Fertigung einzureichen. Für die Verwaltungsbehörde gilt der Untersuchungsgrundsatz. Die Behörde entschei- 312 det nach pflichtgemäßem Ermessen, so dass sie an den Antrag des Insolvenzverwalters nicht derart gebunden ist, dass sie dem Antrag entweder nur stattgeben kann oder ihn ablehnen muss. Denkbar ist es, die Entscheidung dann, wenn keine Betriebsstilllegung vorliegt, mit Nebenbestimmungen (Befristungen, Bedingungen, Auflagen und Widerrufsvorbehalte) zu verbinden3. Aus diesem Grunde ist auch die immer wieder in den Zustimmungsbescheiden enthaltene Bedingung, dass die Zustimmung erteilt wird, sofern es nicht innerhalb einer Frist – regelmäßig drei Monate – nicht zu einem Betriebsübergang nach § 613a BGB kommt, unwirksam, zumal diese oft postulierte Bedingung auch sachlich unrichtig ist, da der Betriebsübergang an sich nie der Grund für die betriebsbedingte Kündigung ist. Gegen die Entscheidung der Verwaltungsbehörde ist der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gegeben.
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Nach erteilter Zustimmung kann die Kündigung unabhängig von der Bestandskraft 314 des Bescheides ausgesprochen werden. Ein Widerspruch der Arbeitnehmerin hat keine aufschiebende Wirkung4. Die Arbeitnehmerin muss innerhalb der Frist des § 4 Satz 1 KSchG die Kündigung anfechten (vgl. Rz. 304). Bis zur Unanfechtbarkeit der behördlichen Zulässigkeitserklärung ist die Kündigung 314a schwebend wirksam. Im Falle der späteren bestandskräftigen Aufhebung des Verwaltungsaktes wird die Kündigung nichtig. Der Kündigungsschutzprozess ist nicht gemäß § 148 ZPO auszusetzen, wenn die er- 315 teilte Zustimmung angefochten ist5. Wird der Zustimmungsbescheid der Behörde rechtskräftig aufgehoben und war der Kündigungsschutzprozess nicht ausgesetzt, so 1 2 3 4 5
Bader/Gallner in KR, § 9 MuSchG Rz. 72, 73, 75. Einzelheiten: Bader/Gallner in KR, § 9 MuSchG Rz. 109. Bader/Gallner in KR, § 9 MuSchG Rz. 116. BAG v. 17.6.2003 – 2 AZR 245/02, BAGE 106, 293 = NZA 2003, 1329. BAG v. 17.6.2003 – 2 AZR 245/02, BAGE 106, 293 = NZA 2003, 1329 (1331).
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Rz. 316
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
ist der Restitutionsgrund des § 580 Nr. 6 ZPO gegeben und die arbeitsgerichtliche Entscheidung ist aufzuheben1. 316 Die Wirksamkeit der Kündigungserklärung ist neben der Einhaltung der Schriftform (§ 623 BGB; § 9 Abs. 3 Satz 2 MuSchG) auch an die Angabe des zulässigen Kündigungsgrundes gebunden (§ 9 Abs. 3 Satz 2 MuSchG). Der zulässige Kündigungsgrund im Sinne dieser Norm ist der von der Zustimmungsbehörde gebilligte Kündigungsgrund, so dass auf die der Arbeitnehmerin zugestellte Entscheidung der Behörde Bezug genommen werden kann. Dennoch empfiehlt es sich, nochmals eine Fotokopie dieser behördlichen Entscheidung der Kündigungserklärung beizufügen. 317 Auch während der Elternzeit ist das Arbeitsverhältnis ordentlich nicht kündbar (§ 18 Abs. 1 Satz 1 BEEG). Die Kündigung kann auf Antrag des Insolvenzverwalters ausnahmsweise bei Vorliegen eines besonderen Falles für zulässig erklärt werden (§ 18 Abs. 1 Satz 2 BEEG). Für den Rechtsschutz und die Anfechtung der Kündigungserklärung gelten keine Besonderheiten (vgl. Rz. 304, 315). 318 Die allgemeinen Verwaltungsvorschriften vom 3.1.1986 regeln zum Vorliegen eines besonderen Falles, bei dem das Interesse des Arbeitnehmers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisse hinter die Interessen des Arbeitgebers zurücktritt, u.a. Folgendes: §2 Bei der Prüfung nach Maßgabe des § 1 hat die Behörde davon auszugehen, dass ein besonderer Fall im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes insbesondere dann gegeben ist, wenn 1. Der Betrieb, in dem der Arbeitnehmer beschäftigt ist, stillgelegt wird und der Arbeitnehmer nicht in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann, 2. die Betriebsabteilung, in welcher der Arbeitnehmer beschäftigt ist, stillgelegt wird und der Arbeitnehmer nicht in einer anderen Betriebsabteilung des Betriebs oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann, 3. der Betrieb oder die Betriebsabteilung, in denen der Arbeitnehmer beschäftigt ist, verlagert wird und der Arbeitnehmer an dem neuen Sitz des Betriebs oder der Betriebsabteilung und auch in einer anderen Betriebsabteilung in einem anderen Betrieb des Unternehmens nicht weiterbeschäftigt werden kann, 4. der Arbeitnehmer in den Fällen der Nummern 1–3 eine ihm vom Arbeitgeber angebotene zumutbare Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz ablehnt … .
318a Die allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu § 18 BEEG sind auch zur Ermessensausübung im Rahmen von § 9 Abs. 3 MuSchG heranzuziehen. f) Außerordentliche Kündigung 319 Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat, wie oben unter Rz. 1 ausgeführt, grundsätzlich auf den Bestand der Arbeitsverhältnisse keinen Einfluss. Diese Selbstverständlichkeit ist auch in § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO normiert. 320 Weder der Insolvenzantrag noch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens rechtfertigen deswegen eine außerordentliche Kündigung2. Eine außerordentliche Kündigung ist sowohl für den Insolvenzverwalter als auch den Arbeitnehmer nur unter der Voraussetzung von § 626 BGB möglich. 321 Auch für den Insolvenzverwalter gilt die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB. Die Ausschlussfrist beginnt, sobald der kündigungsberechtigte Insolvenzverwalter zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnisse von den für die außerordentliche Kündigung maßgebenden Tatsachen hat. Dem Insolvenzverwalter ist zur Aufdeckung möglicher außerordentlicher Kündigungsgründe eine Einarbeitungszeit zu gewähren3.
1 BAG v. 25.11.1980 – 6 AZR 210/80, BAGE 34, 275 = NJW 1981, 2023 = MDR 1981, 524. 2 BAG v. 25.10.1968 – 2 AZR 23/68, NJW 1969, 525. 3 OLG Düsseldorf v. 8.12.1983 – 8 U 234/82, ZIP 1984, 86; zweifelnd: BGH v. 2.7.1984 – II ZR 16/84, ZIP 1984, 1113.
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Rz. 326
§ 12
Bei einer Verdachtskündigung ist Zulässigkeitsvoraussetzung für eine außerordentli- 322 che Kündigung, dass der verdächtigte Arbeitnehmer zu den Kündigungsvorwürfen angehört wird1. Eine ohne hinreichende Anhörung des verdächtigten Arbeitnehmers ausgesprochene Verdachtskündigung ist allein aufgrund der mangelnden Anhörung unwirksam2. Unterbleibt die Anhörung aus Gründen, die der Insolvenzverwalter nicht zu vertreten hat, z.B. weigert sich der Arbeitnehmer eine Stellungnahme abzugeben, berührt dieses die Wirksamkeit der Kündigung nicht. Führt der Insolvenzverwalter die gebotene Anhörung des Arbeitnehmers und die Sachverhaltsaufklärung mit der gebotenen Eile durch, wird hierdurch der Lauf der Ausschlussfrist gehemmt3. Die Kündigungserklärung muss zweifelsfrei erkennen lassen, dass das Arbeitsverhält- 323 nis außerordentlich aus wichtigem Grunde beendet werden soll4. Die Kündigungserklärung sollte klarstellen, dass auf jeden Fall das Arbeitsverhältnis beendet werden soll5. In diesem Falle kann eine unwirksame, außerordentliche Kündigungserklärung gemäß § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden. Auch der Insolvenzverwalter muss prüfen, ob die außerordentliche Kündigung mit oder ohne soziale Auslauffrist ausgesprochen wird. Abhängig von der Dauer des bislang ungestört verlaufenen Arbeitsverhältnisses und der Schwere des Kündigungsvorwurfs kann der Insolvenzverwalter gehalten sein, die außerordentliche Kündigung nur mit der sozialen Auslauffrist, also derjenigen Frist, die bei ordentlicher Kündigung einzuhalten wäre, auszusprechen. Im Rahmen des Kündigungsschreibens sollte jedoch klargestellt werden6, dass es sich um eine außerordentliche Kündigung handelt. 3. Schadensersatz (§ 113 Satz 3 InsO) Kündigt der Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis mit der verkürzten Frist des 324 § 113 Satz 2 InsO, kann der Arbeitnehmer als Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO) Schadensersatz verlangen (zur Rechtsstellung eines Insolvenzgläubigers vgl. § 6 Rz. 278 ff.). Voraussetzung des Schadensersatzanspruches ist, dass dem Arbeitnehmer einzelvertraglich, tariflich oder gesetzlich eine längere Kündigungsfrist zugestanden hätte. § 113 Satz 3 InsO gilt nur für Kündigungserklärungen des Insolvenzverwalters, so dass bei einer Kündigung des Arbeitnehmers mit der verkürzten Frist nach § 113 Satz 2 InsO der Insolvenzmasse keine Schadensersatzansprüche zustehen7. Der Höhe nach auszugleichen ist dem Arbeitnehmer der entgangene Verdienst bis 325 zum Termin der regulären Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Einhaltung der individuellen, tariflichen oder gesetzlichen Kündigungsfrist, also der sogenannte Verfrühungsschaden8. Anzurechnen sind zeitraumbezogen9 alle sonstigen Einnahmen oder Ersparnisse (§ 615 Satz 2 BGB) und öffentlich-rechtlichen Leistungen i.S.v. § 11 Nr. 3 KSchG, zu denen z.B. das Arbeitslosengeld und Leistungen aus dem vorgezogenen Altersruhegeld zählen. Die Schadensberechnung bei ordentlich unkündbaren Arbeitsverhältnissen erfolgt 326 analog §§ 9, 10 KSchG10. Der Anspruch des Arbeitnehmers stellt eine bis zum Ablauf der ursprünglichen Kündigungsfrist und endgültigen Schadensberechnung bedingte Forderung gemäß § 42 InsO dar, so dass eventuell auf die Insolvenzforderung entfallende Quoten zurückzubehalten und zu hinterlegen (§§ 191 Abs. 1, 198 InsO) sind. Der entgangene Verdienst ist dem Arbeitnehmer als Schadensersatz in Höhe der Bruttobezüge zuzubilligen, da der Arbeitsentgeltanspruch generell einen Bruttoanspruch11 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
BAG v. 13.9.1995 – 2 AZR 587/94, BAGE 81, 27 = NZA 1996, 81. BAG v. 26.9.2002 – 424/01, BAGE 103, 54 = NZA 2003, 230. BAG v. 6.7.1972 – 2 AZR 386/71, BAGE 24, 341 = NJW 1973, 214 = MDR 1973, 82. BAG v. 13.1.1982 – 7 AZR 757/79, BAGE 37, 267 = NJW 1983, 303 = MDR 1983, 167. BAG v. 13.8.1987 – 2 AZR 599/86, NZA 1988, 129 = NJW 1988, 581. BAG v. 13.1.1982 – 7 AZR 757/79, BAGE 37, 267 = NJW 1983, 303. Hamacher in Nerlich/Römermann, § 113 Rz. 252. BAG v. 26.7.2001 – 8 AZR 739/00, BAGE 98, 275 = NZA 2002, 325. BAG v. 22.11.2005 – 1 AZR 407/04, NZA 2006, 736 = ZIP 2006, 1312. Zwanziger, Das Arbeitsrecht der Insolvenzordnung, § 113 InsO Rz. 40. BAG v. 11.2.1998 – 5 AZR 159/97, NZA 1998, 710 = ZIP 1998, 868.
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§ 12
Rz. 327
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
darstellt. Sofern der Arbeitnehmer Netto-Beträge zur Insolvenztabelle anmeldet, muss der Insolvenzverwalter die angemeldete Forderung bestreiten. 4. Zeugnis 327 Der Arbeitnehmer hat auch im Insolvenzverfahren einen Anspruch auf Erteilung eines Zeugnisses1. Der Arbeitnehmer kann wählen, ob er ein einfaches oder ein qualifiziertes Zeugnis wünscht (§ 630 BGB). Die Form und der Inhalt des Zeugnisses erfahren durch das Insolvenzverfahren keine Besonderheiten2. 328 Hat das Arbeitsverhältnis vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geendet, besteht der Zeugniserteilungsanspruch des Arbeitnehmers gegenüber dem Schuldner3. 328a Hat jedoch das Arbeitsverhältnis rechtlich am Tage der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestanden, so hat der Insolvenzverwalter den Zeugniserteilungsanspruch des Arbeitnehmers zu erfüllen4. Abzustellen ist auf das rechtliche Bestehen des Arbeitsverhältnisses, so dass auch im Falle der Freistellung von der Arbeitsleistung durch den Insolvenzverwalter dann das Zeugnis zu erstellen ist, wenn am Insolvenzeröffnungstag das Arbeitsverhältnis noch rechtlich bestand. Das Zeugnis ist auf dem Firmenbriefbogen des Schuldners zu erteilen5. 328b Im Falle des Insolvenzantragsverfahrens ist zu unterscheiden: Ist ein vorläufiger Insolvenzverwalter ohne die Übertragung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis bestellt und ihm auch nicht auf Grund einer Einzelermächtigung die Arbeitgeberstellung übertragen worden, richtet sich der Zeugniserteilungsanspruch gegen den Schuldner und nicht gegen den vorläufigen Insolvenzverwalter6. Ging jedoch die Verfügungsbefugnis auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über, ist dieser Schuldner des Zeugniserteilungsanspruchs. 329 Für den Zeugniserteilungsanspruch des Arbeitnehmers ist es unerheblich, ob der Insolvenzverwalter die Führung und Leistung des Arbeitnehmers aus eigenen Wahrnehmungen beurteilen kann. Er muss sich die erforderlichen Angaben aus den Personalakten oder durch Befragen der Vorgesetzten des Arbeitnehmers beschaffen. Er hat darüber hinaus gegen den Schuldner, die organschaftlichen Vertreter (§ 101 Abs. 1 Satz 1 InsO), sowie alle Angestellte (§ 101 Abs. 2 InsO) den Auskunftsanspruch gemäß § 97 InsO7. Der Insolvenzverwalter kann in dem Zeugnis darauf hinweisen, dass er die Beurteilung nicht aufgrund eigener Wahrnehmungen vornimmt. 329a Nur in Extremfällen, wenn sich der Insolvenzverwalter trotz aller Bemühungen die notwendigen Kenntnisse nicht verschaffen kann, entfällt der Zeugniserteilungsanspruch des Arbeitnehmers8. 330 Wurde dem Arbeitnehmer vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch den Schuldner ein Zeugnis erteilt, so richtet sich ein Berichtigungsanspruch nicht gegen den Insolvenzverwalter, sondern gegen den Schuldner, wenn das Arbeitsverhältnis rechtlich vor der Insolvenzeröffnung beendet war. War der Zeugniserteilungsanspruch vor der Insolvenzeröffnung tituliert, ist im Falle der Nichterfüllung des titulierten Anspruchs die Vollstreckung gegen den Schuldner und nicht den Insolvenzverwalter durchzuführen9. 331 Ein wegen der Zeugniserteilung oder Zeugnisberichtigung anhängiger Rechtsstreit wird durch die Insolvenzeröffnung nicht unterbrochen10. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Einzelheiten: Stiller, NZA 2005, 330. Linck in HK-InsO, Vor § 113 Rz. 66. BAG v. 28.11.1966 – 5 AZR 190/66, BAGE 19, 146 = NJW 1967, 648 = MDR 1967, 435. BAG v. 30.1.1991 – 5 AZR 32/90, BAGE 67, 112 = NZA 1991, 599 = ZIP 1991, 744. BAG v. 3.3.1993 – 5 AZR 182/92, NZA 1993, 697 = NJW 1993, 2197. BAG v. 23.6.2004 – 10 AZR 495/03, BAGE 111, 135 = NZA 2004, 1390 = ZIP 2004, 1974. BAG v. 23.6.2004 – 10 AZR 495/03, BAGE 111, 135 = NZA 2004, 1390 = ZIP 2004, 1974 (1976). BAG v. 30.1.1991 – 5 AZR 32/90, BAGE 67, 112 = NZA 1991, 599 = ZIP 1991, 744. LAG Düsseldorf v. 7.11.2003 – 16 Ta 571/03, NZA-RR 2004, 206 = ZIP 2004, 631. BAG v. 23.6.2004 – 10 AZR 495/03, BAGE 111, 135 = NZA 2004, 1392 = ZIP 2004, 1974 (1977).
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Massenentlassung
Rz. 336
§ 12
Der Insolvenzverwalter kann die Aufgabe der Zeugniserteilung, wie dieses auch in 331a größeren Unternehmen üblich ist, auf einen Bevollmächtigten übertragen. Im Zeugnis ist in diesem Fall deutlich zu machen, dass der Vertreter gegenüber dem zu beurteilenden Arbeitnehmer weisungsbefugt war1. Der Zeugniserteilungsanspruch kann verwirken. Die Verwirkung kann bereits vor Ab- 331b lauf der Verjährungsfrist eintreten. Das Zeitmoment des Verwirkungstatbestandes kann bereits zehn Monate nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfüllt sein2. VI. Massenentlassung 1. Allgemeines Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens obliegt es dem Insolvenzverwalter, die erforderliche Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG zu erstatten3. Die Voraussetzungen der Anzeigepflicht ergeben sich aus dem Quorum nach § 17 Abs. 1 KSchG.
332
Für den Zeitpunkt, zu dem die Massenentlassung anzuzeigen ist (Entlassung i.S.v. 333 § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG) ist im Gegensatz zu der früheren, jahrzehntelangen Rechtsprechung des BAG4, nicht das Datum des tatsächlichen Ausscheidens des Arbeitnehmers aus dem Betrieb, also der Endtermin des Arbeitsverhältnisses, sondern das Datum des Zuganges der Kündigungserklärung5. Zu raten ist aber, die Anzeige vor dem Ausspruch der Kündigungen zu erstatten, da 334 nur dieser vom Arbeitgeber beherrscht und verlässlich festgestellt werden kann. Maßgeblich für die Anzeigeverpflichtung ist, dass innerhalb eines Zeitraumes von dreißig Kalendertagen die Entlassungen, d.h., die Kündigungen erklärt werden. Neben den Kündigungen durch den Insolvenzverwalter sind auch Eigenkündigungen der Arbeitnehmer, Aufhebungsverträge und Änderungskündigungen für das Quorum zu berücksichtigen (§ 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG)6. Fristlose Kündigungen sind jedoch nicht zu berücksichtigen (§ 17 Abs. 4 Satz 2 335 KSchG). Eigenkündigungen und Aufhebungsverträge bleiben dann unberücksichtigt, sofern sie nicht durch den Insolvenzverwalter veranlasst sind (§ 17 Abs. 1 Satz 2 KSchG). Auch Arbeitsverhältnisse, welche aufgrund Zeitablaufs, Zweckerreichung oder Eintritts von auflösenden Bedingungen enden, sind bei dem Quorum nach § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG nicht zu berücksichtigen7. Berücksichtigt werden müssen dagegen Aufhebungsverträge, die zum Zweck des Wechsels in eine Transfergesellschaft geschlossen werden8, denn in den meisten Fällen werden der Wechsel in eine Transfergesellschaft vom Arbeitgeber veranlasst. Richtet der Insolvenzverwalter eine Massenentlassung so ein, dass die Zahl der zu 336 entlassenden Arbeitnehmer innerhalb von dreißig Kalendertagen jeweils unter dem Schwellenwert des § 17 Abs. 1 Nr. 1–3 KSchG bleibt, so liegt hierin keine Umgehung der Anzeigepflicht9. Da die Anzeige vor der Durchführung der Entlassungen zu erstatten ist, ergibt sich hieraus zwingend, dass die Arbeitsverhältnisse noch nicht beendet sein dürfen.
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BAG v. 26.6.2001 – 9 AZR 392/00, NZA 2002, 34. BAG v. 17.2.1988 – 5 AZR 638/86, BAGE 57, 329 = NZA 1988, 427. BSG v. 21.3.1978 – 7/12 RAr 6/77, BSGE 46, 99 (100) = NJW 1980, 2430. BAG v. 24.2.2005 – 2 AZR 207/04, NZA 2005, 766 = ZIP 2005, 1330. EuGH v. 27.1.2005 – Rs. C-188/03 Irmtraut Junk/Wolfgang Kühnel, Slg. 2005, I-885 = NZA 2005, 213 = ZIP 2005, 230; BAG v. 23.3.2006 – 2 AZR 343/05, NZA 2006, 971 = ZIP 2006, 1644. BAG v. 11.3.1999 – 2 AZR 461/98, NZA 1999, 761 = ZIP 1999, 1568. Weigand in KR, § 17 KSchG Rz. 44. Kiel in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 17 KSchG Rz. 12. Hauck in Heidelberger Kommentar zum KSchG, § 17 Rz. 26.
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§ 12
Rz. 337
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
337 Im Rahmen der Anzeige nach § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG sind zwingend folgende Angaben in der Anzeige zu machen: – Name des Arbeitgebers (Schuldner i.S.v. § 11 Abs. 1 und 2 InsO), – tatsächlicher Sitz und Art des Betriebs (Geschäftszweck), – Entlassungsgründe (Stichworte), – Zahl und Berufsgruppen (tatsächliche Tätigkeit) der zu entlassenden Arbeitnehmer, – Zahl und Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, – Zeitraum in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen (Kündigungsendtermine), – Kriterium für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer. 338 Dieser zwingende Inhalt der Massenentlassungsanzeige ist nur teilweise deckungsgleich mit dem Mindestinhalt der Unterrichtung des Betriebsrats nach § 17 Abs. 2 Nr. 1–6 KSchG. 339 Die Massenentlassungsanzeige ist unwirksam, wenn eine der Pflichtangaben nach § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG fehlt1. Fehler bei der Anzeige werden auch nicht durch einen bestandskräftigen Verwaltungsakt der Arbeitsverwaltung geheilt2. 2. Betriebsrat 340 Besteht im schuldnerischen Betrieb ein Betriebsrat, so sind diesem rechtzeitig die zweckdienlichen Auskünfte zu erteilen und er ist schriftlich über die Angaben nach § 17 Abs. 2 Nr. 1–6 KSchG zu unterrichten, auch wenn der Betrieb stillgelegt werden soll und nach Ansicht des Arbeitgebers die Konsultation des Betriebsrates die Entscheidung nicht mehr beeinflussen wird3. Der Massenentlassungsanzeige an die Agentur für Arbeit ist zwingend eine Stellungnahme des Betriebsrats beizufügen (§ 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG). Eine Stellungnahme des Betriebsrats ist in zwei Fällen entbehrlich und die erstattete Massenentlassungsanzeige dennoch wirksam: 340a – Es ist ein Interessenausgleich nach § 125 Abs. 1 InsO zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Betriebsrat abgeschlossen worden, da dieser Interessenausgleich die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG (§ 125 Abs. 2 InsO) ersetzt. Der Massenentlassungsanzeige ist der nach § 125 Abs. 1 InsO abgeschlossene Interessenausgleich in Kopie beizufügen. Der Interessenausgleich nach § 125 InsO macht jedoch weder die Massenentlassungsanzeige als solche noch die Angaben nach § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG entbehrlich. Ein Interessenausgleich nach § 111 BetrVG ersetzt nicht die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG. Aber auch in einen Interessenausgleich nach § 111 BetrVG, in dem die von Entlassung betroffenen Arbeitnehmer nicht namentlich bezeichnet sind (§ 125 Abs. 1 InsO), kann die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 KschG integriert werden, da ein eigenständiges Dokument hierfür nicht Voraussetzung ist4. – Der Insolvenzverwalter macht glaubhaft, dass der Betriebsrat unter Darlegung der in § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG aufgeführten Angaben mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige unterrichtet wurde (§ 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG). 341 Damit der Insolvenzverwalter die rechtzeitige Unterrichtung des Betriebsrats glaubhaft machen kann, muss er sich den Zugang der schriftlichen Unterrichtung nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch den Betriebsratsvorsitzenden oder dessen Stellvertreter im Amt (§ 26 Abs. 3 Satz 2 BetrVG) mit Datum quittieren lassen. Zweckmäßigerweise wird dem Betriebsrat der Entwurf der Massenentlassungsanzeige übermittelt.
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Weigand in KR, § 17 KSchG Rz. 83. BAG v. 28.6.2012 – 6 AZR 780/10, NZA 2012, 1029 = ZIP 2012, 1822. BAG v. 13.12.2012 – 6 AZR 48/12, NZA 2013, 864 = NZI 2013, 447 = DB 2013, 941. BAG v. 21.3.2012 – 6 AZR 596/10, NZA 2012, 1058 = ZIP 2012, 1259.
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Massenentlassung
Rz. 346
§ 12
Der Insolvenzverwalter hat gleichzeitig eine Durchschrift seiner Mitteilung an den 342 Betriebsrat mit den in § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1–5 KSchG vorgeschriebenen Angaben der Agentur für Arbeit zuzuleiten (§ 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG), da die Arbeitsverwaltung hierdurch rechtzeitig über eine geplante Massenentlassung unterrichtet werden soll. Leitet der Insolvenzverwalter der Agentur für Arbeit keine Abschrift der Unterrichtung des Betriebsrats zu, wird dieses Unterlassen regelmäßig bei der Entscheidung über die Sperrfrist nach § 18 KSchG berücksichtigt1. 3. Unwirksamkeit der Entlassungen Wird die Massenentlassungsanzeige nicht erstattet, obgleich die Voraussetzungen 343 nach § 17 Abs. 1 KSchG vorlagen oder war die Anzeige unwirksam, weil nicht alle Pflichtangaben nach § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG in der Anzeige enthalten waren oder weil eine Stellungnahme des Betriebsrats nicht beigefügt war, sind die Entlassungen unwirksam2. Die Unwirksamkeit betrifft nicht die Kündigungserklärung3, sondern die tatsächliche 344 Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Der Arbeitnehmer kann sich neben dem individuellen Kündigungsschutz nach §§ 1 ff. KSchG auch auf die Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige oder die fehlende Zustimmung der Agentur für Arbeit zur Kündigung (§ 18 Abs. 1 Hs. 1 KSchG) berufen. Hat der Insolvenzverwalter die Zustimmung der Agentur für Arbeit zur Kündigung weder vor noch nach dem Entlassungszeitpunkt beantragt, wird das Arbeitsverhältnis durch die entsprechende Kündigungserklärung nicht aufgelöst4. Beruft sich also der Arbeitnehmer auf die Entlassungssperre nach § 18 KSchG, beendet die gegebenenfalls nach §§ 1 ff. KSchG wirksame Kündigungserklärung das Beschäftigungsverhältnis nicht. Stimmt die Agentur für Arbeit der Entlassung des Arbeitnehmers nicht zu dem ins Auge gefassten Entlassungstermin zu, ist keine oder keine wirksame Massenentlassungsanzeige erstattet worden, kann die Entlassung nicht zu dem vorgesehenen Termin erfolgen. Beschäftigt der Insolvenzverwalter den Arbeitnehmer nicht weiter, gerät er in Annahmeverzug. Eine unterlassene oder unwirksame Massenentlassungsanzeige kann längstens noch 345 bis zur geplanten Kündigungserklärung nachgeholt werden. Ein Nachholen der Massenentlassungsanzeige nach der abgegebenen Kündigungserklärung ist nicht möglich. In einem solchen Fall muss der Insolvenzverwalter eine erneute Kündigung aussprechen und beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 KSchG zuvor eine wirksame Massenentlassungsanzeige erstatten5. Eine unwirksame Kündigung führt jedoch zu Nachteilsausgleichsansprüchen nach § 113 BetrVG6. Beruft sich der Arbeitnehmer auf den individuellen Kündigungsschutz nach §§ 1 ff. 346 KSchG, so muss er die Kündigungsschutzklage innerhalb der Frist des § 4 Satz 1 KSchG erheben. Will der Arbeitnehmer nicht die Kündigung als solche angreifen, sondern die Unwirksamkeit der Entlassung wegen der unterlassenen oder fehlerhaften Massenentlassungsanzeige geltend machen, muss er Feststellungsklage nach § 256 ZPO erheben7. Obgleich nicht die Kündigung als solche angegriffen wird, sondern die Unwirksamkeit der Entlassung, liegt ein sonstiger Unwirksamkeitsgrund i.S.d. §§ 7, 13 Abs. 3 KSchG vor8, so dass der Arbeitnehmer diesen sonstigen Unwirksamkeitsgrund in der Insolvenz gleichfalls innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG geltend machen muss.
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Weigand in KR, § 17 KSchG Rz. 65. BAG v. 11.3.1999 – 2 AZR 461/98, NZA 1999, 761 = ZIP 1999, 1568. BAG v. 18.9.2003 – 2 AZR 79/02, BAGE 107, 318 = NZA 2004, 375 = ZIP 2004, 677. BAG v. 13.4.2000 – 2 AZR 215/99, NZA 2001, 144 = NZI 2001, 272. Bauer/Powietzka, DB 2001, 383. BAG v. 18.11.2003 – 1 AZR 637/02, BAGE 108, 311 = NZA 2004, 741 = ZIP 2004, 1828; BAG v. 30.3.2004 – 1 AZR 7/03, BAGE 110, 122 = NZA 2004, 931 = ZIP 2004, 1823. 7 Hauck in Heidelberger Kommentar zum KSchG, § 18 Rz. 26. 8 Hauck in Heidelberger Kommentar zum KSchG, § 17 Rz. 3.
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§ 12
Rz. 347
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
4. Sperrfrist 347 Die ordnungsgemäß erstattete Massenentlassungsanzeige löst gemäß § 18 Abs. 1 Hs. 1 KSchG eine Regelsperrfrist von einem Monat aus. Diese Frist berechnet sich ab dem Eingang der Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit; die Fristberechnung erfolgt nach §§ 187 ff. BGB. 347a Die Regelsperrfrist kann auf Antrag, der im Rahmen der Massenentlassungsanzeige zu stellen ist, bis zum Tage der Antragstellung, d.h. bis auf den Tag des Eingangs der Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Agentur für Arbeit, abgekürzt werden (§ 18 Abs. 1 Hs. 2 KSchG). Für die Abkürzung der Sperrzeit unter die Regelsperrzeit von einem Monat ist der Nachweis durch den Insolvenzverwalter erforderlich, dass der Insolvenzmasse die Einhaltung der einmonatigen Sperrzeit wirtschaftlich nicht zuzumuten ist. 347b Die Sperrfrist kann durch die Agentur für Arbeit auf längstens zwei Monate verlängert werden (§ 18 Abs. 2 KSchG). Bei der Entscheidung, ob die Sperrzeit verlängert oder verkürzt wird, ist mitentscheidend, ob die Agentur für Arbeit von der geplanten Massenentlassung rechtzeitig nach § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG unterrichtet wurde. Im Übrigen ist eine Verlängerung der Sperrzeit auf bis zu zwei Monaten nur aus arbeitsmarktpolitischen Gründen zulässig. 347c Während der Sperrfrist kann ohne Zustimmung der Agentur für Arbeit eine Entlassung nicht wirksam werden, d.h., dass der in der Sperrfrist liegende Kündigungsendtermin das Arbeitsverhältnis nicht beendet, so dass die Entlassung gehemmt – aufschiebend bedingt1 – ist. Ist während der Sperrfrist die Kündigungsfrist abgelaufen, verlängert sich die Kündigungsfrist bis zum Ablauf der Sperrfrist2, wobei es keiner erneuten Kündigungserklärung bedarf. Dies gilt aber tatsächlich nur, wenn der Kündigungsendtermin in der Sperrfrist liegt, denn geregelt wird nur der Vollzug der Entlassung3. Die Kündigung wird mit dem Tage des Ablaufs der Sperrfrist wirksam. § 18 Abs. 1 KSchG ist als Mindestkündigungsfrist zu verstehen4. Beispiel:
348 Der Insolvenzverwalter kündigt das Arbeitsverhältnis zum 30. April. Die Agentur für Arbeit verhängt eine Sperrfrist bis zum 15. Mai. Damit endet das Arbeitsverhältnis zum 15. Mai. Der Endtermin des Arbeitsverhältnisses und das Ende der Sperrzeit fallen dann zusammen. Dieses gilt auch, wenn die Kündigung nur zu bestimmten Terminen wie z.B. nach § 622 Abs. 1 BGB möglich ist.
5. Freifrist 349 An die Sperrfrist schließt sich die Freifrist gemäß § 18 Abs. 4 KSchG an. Diese ist seit der Entscheidung des EuGH5 vom 27.1.2005 obsolet6, da es nicht mehr auf die beabsichtigten Endtermine der Arbeitsverhältnisse, sondern auf den Zugang der Kündigungserklärungen ankommt. 349a Hat der Insolvenzverwalter eine Massenentlassung angezeigt, obgleich die Voraussetzungen der §§ 17 ff. KSchG nicht gegeben waren, wird dieses dem antragstellenden Insolvenzverwalter durch die Agentur für Arbeit in Form eines so genannten Negativattestes mitgeteilt. Wird durch die Agentur für Arbeit fälschlicherweise angenommen, dass die Voraussetzungen für eine Massenentlassungsanzeige nicht vorliegen, genießt der Insolvenzverwalter Vertrauensschutz. Das Negativattest wirkt in diesem Falle wie eine zum gleichen Zeitpunkt erteilte Zustimmung der Agentur für Arbeit zur vorzeitigen Entlassung7. 1 2 3 4 5
BAG v. 13.7.2006 – 6 AZR 198/06, BAGE 119, 66 = NZA 2007, 25 = ZIP 2006, 2396. Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 142 Rz. 36. BAG v. 6.11.2008 – 2 AZR 935/07, BAGE 128, 256 = NZA 2009, 1013 (1016) = ZIP 2009, 487. Dzida/Hohenstatt, DB 2006, 1897 (1901); a.A. Ferme/Lipinski, NZA 2006, 937 (939). EuGH v. 27.1.2005 – Rs. C-188/03 Irmtraut Junk/Wolfgang Kühnel, Slg. 2005, I-885 = NZA 2005, 213 = ZIP 2005, 230. 6 BAG v. 13.7.2006 – 6 AZR 198/06, BAGE 119, 66 = NZA 2007, 25 = ZIP 2006, 2396. 7 Hauck in Heidelberger Kommentar zum KSchG, § 18 Rz. 19.
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Klagefrist
Rz. 354
§ 12
6. Zusammenfassung Beabsichtigt der Insolvenzverwalter die Durchführung einer Massenentlassung und 350 ist im Betrieb ein Betriebsrat vorhanden, gilt folgendes – nur durch Abschluss ein Interessenausgleiches nach § 125 abs. 1 InsO – zu modifizierendes – Ablaufschema: – Rechtzeitige schriftliche Unterrichtung des Betriebsrats (§ 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1–6 KSchG); – Aufnahme von Beratungen über Möglichkeiten, die Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern (§ 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG); – Übersendung einer Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat mit den Angaben nach § 17 Abs. 2 Nr. 1–5 KSchG an die Agentur für Arbeit (§ 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG); – Erstattung der Massenentlassungsanzeige unter Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats oder Glaubhaftmachung, dass der Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige unterrichtet wurde (§ 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG); – Zusendung einer Abschrift der Massenentlassungsanzeige an den Betriebsrat (§ 17 Abs. 3 Satz 6 KSchG); – Anhörung des Insolvenzverwalters und Betriebsrats bei der Agentur für Arbeit (§ 20 Abs. 3 Satz 1 KSchG); – Entscheidung der Agentur für Arbeit über die Zustimmung zur Massenentlassung (§ 18 KSchG); – Durchführung der Entlassungen innerhalb der Freifrist (§ 18 Abs. 4 KSchG)1. Daneben bestehen die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats im Rahmen der Personalplanung (§ 92 BetrVG), einer geplanten Betriebsänderung (§ 111 BetrVG) sowie des Versuchs eines Interessenausgleichs und Vereinbarung eines Sozialplanes (§ 112 BetrVG).
350a
VII. Klagefrist 1. § 4 Satz 1 KSchG Die dreiwöchige Klagefrist nach § 4 Satz 1 KSchG ist durch den Arbeitnehmer auch dann zu wahren, wenn er andere Unwirksamkeitsgründe als die in § 1 Abs. 2 und 3 KSchG genannten Gründe behauptet (§ 4 Satz 2 KSchG).
351
Es sind somit auch die sonstigen Unwirksamkeitsgründe (§ 13 Abs. 3 KSchG) innerhalb der Drei-Wochen-Frist durch Klageerhebung geltend zu machen. Die Regelung gewährleistet für den Insolvenzverwalter ein hohes Maß an Rechtssicherheit, da alle Unwirksamkeitsgründe wie – nicht ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung (§ 102 BetrVG), – fehlende behördliche Zustimmung zur Kündigung (§ 9 MuSchG, § 85 SGB IX), – Nichtigkeit (§ 613a Abs. 4 Satz 1 BGB), – Mangel der Schriftform (§ 623 BGB), – nicht erstattete oder fehlerhaft erstattete Massenentlassungsanzeige (§§ 17, 18 KSchG) durch fristgerechte Klageerhebung geltend zu machen sind.
352
Ist die Zustimmung einer Behörde wie z.B. bei Schwerbehinderten, Gleichgestellten, 353 werdenden Müttern oder im Erziehungsurlaub befindlichen Arbeitnehmern zur Kündigung erforderlich, beginnt der Lauf der Klagefrist erst mit der Bekanntgabe der Entscheidung an den Arbeitnehmer (§ 4 Satz 4 KSchG). Kündigt der Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis von Arbeitnehmerinnen und 354 Arbeitnehmern mit Sonderkündigungsschutz (§ 9 MuSchG, § 85 SGB IX), ohne einen
1 Hauck in Heidelberger Kommentar zum KSchG, § 17 Rz. 6.
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§ 12
Rz. 355
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
Antrag auf Zustimmung zu stellen, läuft die Klagefrist nicht. Die Klagefrist läuft erst ab Bekanntgabe der Entscheidung an den Arbeitnehmer (§ 4 Satz 4 KSchG)1. 355 Die Klage ist gegen den Insolvenzverwalter in seiner Eigenschaft als Partei kraft Amtes zu richten. Ist die Klage gegen die Schuldnerin gerichtet, ist das Rubrum zu berichtigen, wenn sich aus der Klage oder der Klageschrift beigefügten Kopie des Kündigungsschreibens ergibt, dass sich die Klage gegen den Insolvenzverwalter als Partei kraft Amtes richten soll2. 356 Erhebt der Kläger eine allgemeine Feststellungsklage mit dem Antrag festzustellen, dass sein Arbeitsverhältnis fortbesteht, wahrt bei rechtzeitigem Eingang bei Gericht auch eine solche Klage die Klagefrist3. Sicherer ist die vom BAG zugelassene4 Antragskumulierung nach § 4 KSchG und nach § 256 ZPO. 357 Der Kündigungsschutzantrag lautet demgemäß:
M 27 Kndigungsschutzantrag Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhltnis zwischen den Parteien durch die Kndigung vom . . . nicht aufgelçst worden ist und das Arbeitsverhltnis ber den . . . weiter fortbesteht. 358 Streitig ist nach Streichung von § 113 Abs. 2 InsO nicht mehr, ob der Arbeitnehmer innerhalb der Drei-Wochen-Frist alle Unwirksamkeitsgründe mit Ausnahme der Rüge der Sozialwidrigkeit vorbringen muss oder ob der Arbeitnehmer sich auf Unwirksamkeitsgründe auch nach Ablauf der dreiwöchigen Klagefrist berufen kann. 359 § 4 Satz 1 KSchG fordert für die Wahrung der Klagefrist die Klageerhebung. Eine Klage, bei welcher der Arbeitgeber (Insolvenzverwalter) benannt ist, das Datum der Kündigung angegeben und deutlich wird, dass sich der Kläger gegen die Kündigung wendet, wahrt die Frist. 360 Eine Klage gegen den Insolvenzschuldner wahrt hingegen die Klagefrist nicht. Eine Berichtigung des Rubrums in diesen Fällen setzt die Erkennbarkeit der Insolvenzeröffnung aus der Klageschrift oder Anlagen zur Klageschrift voraus5. Höhere Anforderungen an die Klage, insbesondere auch eine Klagebegründung, sind auch im Insolvenzverfahren nicht zu stellen. 360a Ein bei der Insolvenzeröffnung anhängiger Kündigungsschutzprozess wird gemäß § 240 ZPO durch die Insolvenzeröffnung unterbrochen6 und kann gemäß § 86 InsO sowohl durch den Arbeitnehmer als auch den Insolvenzverwalter aufgenommen werden. 2. Nachträgliche Zulassung der Klage nach § 5 KSchG 361 War der Arbeitnehmer trotz aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert, die Kündigungsschutzklage innerhalb von drei Wochen nach dem Zugang der Kündigungserklärung zu erheben, ist die Klage durch das Arbeitsgericht auf Antrag gemäß § 5 KSchG nachträglich zuzulassen. Sowohl außerhalb wie auch während des Insolvenzverfahrens wird somit die Einzelfallgerechtigkeit über das Interesse an einer schnellen Rechtsklarheit und Rechtssicherheit gesetzt7.
1 BAG v. 3.7.2003 – 2 AZR 487/02, BAGE 107, 50 = NZA 2003, 1335 = ZIP 2003, 2129; BAG v. 27.3.2003 – 2 AZR 272/02, NZA 2003, 1391. 2 BAG v. 18.4.2002 – 8 AZR 346/01, NZA 2002, 1207 = ZIP 2002, 2003 (2007); BAG v. 27.3.2003 – 2 AZR 272/02, NZA 2003, 1391. 3 BAG v. 7.12.1995 – 2 AZR 772/94, BAGE 81, 371 = NZA 1996, 334. 4 BAG v. 21.1.1988 – 2 AZR 581/86, BAGE 57, 231 = NZA 1988, 651 = MDR 1988, 890. 5 BAG v. 21.9.2006 – 2 AZR 573/05, NZI 2007, 182 = NJW 2007, 458. 6 LAG Schleswig-Holstein v. 24.1.2005 – 2 Ta 17/05, NZA-RR 2005, 658 = ZInsO 2006, 224. 7 Hauck in Heidelberger Kommentar zum KSchG, § 5 Rz. 1a.
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Klagefrist
Rz. 370
§ 12
Die Voraussetzung für die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage ist, 362 dass die Klage nicht innerhalb der Drei-Wochen-Frist erhoben wurde sowie dass der Arbeitnehmer die Drei-Wochen-Frist trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zumutbaren Sorgfalt versäumt hat. Irrt sich der Arbeitnehmer über den Fristlauf, so liegt in der Regel ein die nachträgliche Zulassung der Klage ausschließendes Verschulden vor. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn ihm über die Klagefrist von zuverlässiger und geeigneter Stelle eine falsche Auskunft erteilt wurde.
363
Zuverlässig und geeignet sind: – Rechtsanwälte, – Gewerkschaftliche Rechtsschutzsekretäre, – Rechtsantragsstelle eines Arbeitsgerichts, – Betriebsräte in Großbetrieben. Nicht geeignet sind: – Betriebsrat in Klein- und Mittelbetrieben, – Allgemeine Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts, – Arbeitskollegen.
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Allein die Unmöglichkeit, rechtzeitig eine Auskunft oder einen Rechtsrat einzuholen, rechtfertigt nicht die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage1.
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Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Arbeitnehmers an der Versäu- 365 mung der Klagefrist ist gemäß § 85 Abs. 2 ZPO dem Arbeitnehmer anzurechnen2. Lediglich das Verschulden des Büropersonals des Prozessbevollmächtigten geht nicht zu Lasten des Arbeitnehmers3. Die Unkenntnis der Klagefrist des § 4 Abs. 1 KSchG stellt keinen Grund für eine 366 nachträgliche Klagezulassung dar4. Geht dem Arbeitnehmer die Kündigungserklärung während seines Urlaubs oder ei- 367 ner sonstigen Ortsabwesenheit unter seiner normalen Postanschrift zu, ist ein Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage dann begründet, wenn der Arbeitnehmer erst nach dem Ablauf der Klagefrist von der Kündigung Kenntnis erlangte. Nimmt der Arbeitnehmer so rechtzeitig von der Kündigungserklärung Kenntnis, dass es ihm noch zumutbar ist, in der verbleibenden Zeit der Drei-Wochen-Frist Rat einzuholen und gegebenenfalls die Klage zu erheben, scheidet eine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage aus5. Im Insolvenzverfahren wird die häufigste Begründung für einen Antrag auf nachträg- 368 liche Zulassung einer Kündigungsklage sein, dass der Arbeitnehmer erst nach dem Ablauf der Klagefrist von einem Betriebs- oder Teilbetriebsübergang nach § 613a BGB erfahren habe. In diesem Fall kann eine nachträgliche Zulassung der Klage nur dann erfolgen, wenn die Kündigungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Diese Tatsache gehört zum schlüssigen Vortrag beim Antrag auf die nachträgliche Zulassung. Die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage setzt einen Antrag voraus 369 (§ 5 Abs. 1 KSchG). Der Antrag ist innerhalb von zwei Wochen nach der Behebung des Hindernisses zu stellen (§ 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG). Mit dem Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage ist, wenn bislang noch keine Kündigungsschutzklage erhoben war, die Klageerhebung zu verbinden. Ist bereits eine Kündigungsschutzklage eingereicht, ist auf diese Bezug zu nehmen. 370 Im Antrag sind die für die nachträgliche Zulassung maßgeblichen Tatsachen anzugeben und glaubhaft zu machen. Die Glaubhaftmachung erfolgt nach § 294 ZPO. Sofern 1 2 3 4 5
Hauck in Heidelberger Kommentar zum KSchG, § 5 Rz. 45. LAG Rheinland-Pfalz v. 28.5.1997 – 8 Ta 254/96, NZA 1998, 55 (56). BAG v. 9.1.1990 – 3 AZR 528/89, NZA 1990, 538 = NJW 1990, 2707. Sächsisches LAG v. 23.7.1998 – 9 Ta 193/98, NZA 1999, 112 (LS). Hauck in Heidelberger Kommentar zum KSchG, § 5 Rz. 60, 61.
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§ 12
Rz. 371
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
die Glaubhaftmachung nicht im Rahmen des Antrages nach § 5 Abs. 1 KSchG erfolgt ist, muss dieses innerhalb von zwei Wochen nachgeholt werden (§ 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG). 371 Wird die Antragsfrist nach § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG versäumt, scheidet eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus1. 372 Der Antrag auf die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage muss innerhalb von sechs Monaten ab dem Ablauf der Klagefrist gestellt werden (§ 5 Abs. 3 Satz 2 KSchG). Es handelt sich um eine absolute Ausschlussfrist. 373 Wird innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG weder eine Kündigungsschutzklage erhoben noch nach dem Ablauf der Klagefrist ein Antrag auf eine nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage gestellt, wird die materielle Wirksamkeit der Kündigung gemäß § 7 KSchG fingiert2. VIII. Vergütungsansprüche 1. Zeiten nach Insolvenzeröffnung 374 Die Vergütungsansprüche der Arbeitnehmer für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Regeln Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses die Zahlung einer Abfindung zur Folge hat oder nur dann möglich ist, stellt diese Abfindung auch bei einer Kündigung durch den Insolvenzverwalter nach der Insolvenzeröffnung nur eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO dar3. Der Insolvenzverwalter hat die vertraglichen Entgeltansprüche bei der jeweiligen Fälligkeit abzurechnen, das sich aus der Abrechnung ergebende Nettoentgelt an die Arbeitnehmer auszuzahlen, die Lohnsteuer, Kirchenlohnsteuer etc. sowie die Sozialversicherungsbeiträge einzubehalten und abzuführen. Zu den Masseverbindlichkeiten siehe oben § 6 Rz. 264 ff. 2. Freistellung von der Arbeitsleistung 375 Stellt der Insolvenzverwalter den Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung frei und gewährt er im Rahmen der Freistellung bestehende und noch entstehende Urlaubsansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wird hierdurch zunächst der Arbeitsentgeltanspruch des Arbeitnehmers nicht berührt. Die Erfüllung des Urlaubsanspruchs durch die Freistellung muss ausdrücklich erklärt werden4, wobei er dem Arbeitnehmer auch das Recht einräumen kann, die konkrete Lage des Urlaubs innerhalb eins bestimmten Zeitraums selbst zu bestimmen5. Stellt der Insolvenzverwalter den Arbeitnehmer widerruflich frei, muss der Urlaub kalendermäßig festgelegt werden, da sonst die Urlaubserteilung nicht wirksam ist6. Der Arbeitnehmer erwirbt mit der unwiderruflichen Freistellung einen Anspruch auf Arbeitslosengeldzahlung aufgrund der Gleichwohlgewährung (§ 157 Abs. 3 Satz 1 SGB III), wenn der Arbeitnehmer kein Arbeitsentgelt erhält. Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt geht in Höhe des gewährten Arbeitslosengeldes kraft Gesetz (§ 115 SGB X) auf die Bundesagentur für Arbeit über. Dieser Anspruch der Bundesagentur für Arbeit hat Gleichrang mit den restlichen Arbeitsentgeltansprüchen des Arbeitnehmers7. Der Bezug von Arbeitslosengeld aufgrund der Gleichwohlgewährung mindert zunächst die Anspruchsdauer für den Bezug von Arbeitslosengeld nach § 148 Abs. 1 Nr. 1 SGB III. Eine spätere Erstattung des Arbeitslosengeldes durch den Insolvenzverwalter oder infolge von Konfusion8 bei der Gewährung von Insolvenzgeld, führt dazu, dass aus 1 2 3 4 5 6 7
Hauck in Heidelberger Kommentar zum KSchG, § 5 Rz. 28. Kiel in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 7 KSchG Rz. 1. BAG v. 27.4.2006 – 6 AZR 364/05, NZA 2006, 1282 = ZIP 2006, 1962. BAG v. 9.6.1998 – 9 AZR 43/97, BAGE 89, 91 = NZA 1999, 80 = NJW 1999, 1496. BAG v. 6.9.2006 – 5 AZR 703/05, BAGE 119, 232 = NZA 2007, 36 = DB 2006, 2583. BAG v. 20.6.2000 – 9 AZR 405/99, NZA 2001, 100. BAG v. 16.10.1985 – 5 AZR 203/84, BAGE 50, 22 = NZA 1986, 361 = ZIP 1986, 242 = MDR 1986, 345. 8 BSG v. 22.4.1986 – 10 RAr 12/85, ZIP 1986, 852.
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Billigkeitsgründen das gewährte Arbeitslosengeld nicht auf die Anspruchsdauer nach § 147 SGB III angerechnet wird1. Die Konfusion tritt ein, obgleich das Arbeitslosengeld und Insolvenzgeld aus verschiedenen Vermögensmassen entrichtet werden2. Ist der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Freistellung erkrankt, scheidet während der 376 Erkrankung eine Urlaubsgewährung aus. Da der Arbeitnehmer der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung steht, erhält er kein Arbeitslosengeld. In diesem Fall hat die zuständige Krankenkasse an den Arbeitnehmer Krankengeld zu bezahlen. Während des Entgeltfortzahlungszeitraumes von § 3 Abs. 1 EFZG ruht der Krankengeldanspruch, sofern der Arbeitnehmer vom Insolvenzverwalter zu Lasten der Insolvenzmasse Arbeitsentgelt, also die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle, erhält (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V). Hieraus folgt, dass der Arbeitnehmer für Zeiten, für welche der Insolvenzverwalter die Lohnfortzahlungsverpflichtung nicht erfüllt, einen Krankengeldanspruch besitzt. Die Arbeitsentgeltansprüche des Arbeitnehmers gehen gemäß § 115 Abs. 1 SGB X auf die Krankenkasse in Höhe derer Leistungen über. Die auf die Bundesagentur für Arbeit übergangenen Ansprüche können wegen tarifli- 376a cher Ausschluss- und Verfallfristen erlöschen oder verjähren3. Die Versäumung der Ausschlussfrist kann auch der Bundesagentur für Arbeit als Rechtsnachfolgerin des Arbeitnehmers entgegengehalten werden4. Bei der Abrechnung der Ansprüche der freigestellten Arbeitnehmer sind die Beiträge 377 zur Sozialversicherung nach den Beitragssätzen desjenigen Jahres zu ermitteln, in welchem der Entgeltanspruch entstanden ist. Wegen des lohnsteuerlichen Zuflussprinzips ist jedoch die Lohnsteuer, Kirchenlohnsteuer etc. nach den im Zeitpunkt der Auszahlung anzuwendenden Steuersätze einzubehalten und abzuführen. Hat der Arbeitnehmer mehrere Arbeitsverhältnisse, so muss er – wie bisher durch Vorlage der Lohnsteuerkarte – dafür Sorge tragen, dass die sogenannten ELStAM (Elektronische Lohnsteuerabzugsmerkmale) gebildet sind. Tut er das nicht, ist die Lohnsteuer nach Steuerklasse VI einzubehalten. Solange der Insolvenzverwalter weder die Masseunzulänglichkeit noch die drohende 378 Masseunzulänglichkeit angezeigt hat, kann der Arbeitnehmer trotz der Freistellung von der Arbeitsleistung und des Bezuges von Arbeitslosen- oder Krankengeld gegen den Insolvenzverwalter Zahlungsklage erheben. Der Klageantrag lautet in diesem Falle:
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M 28 Zahlungsklage Arbeitnehmer Der Beklagte wird verurteilt, an den Klger . . . Euro brutto, abzglich auf die Bundesagentur fr Arbeit/Krankenkasse bergegangener . . . Euro netto, zuzglich 5 Prozentpunkte ber dem Basiszinssatz ab . . . aus brutto5 . . . Euro zu bezahlen. Anderweitiger Verdienst des Arbeitnehmers ist auf das Arbeitsentgelt anzurechnen, 379a wenn der Insolvenzverwalter den Arbeitnehmer unter Anrechnung bestehender Urlaubsansprüche von der Arbeit freistellt6. Der Insolvenzverwalter erfüllt den Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers dadurch, dass er ihm das Recht einräumt, die Lage des Urlaubszeitraums selbst zu bestimmen7. Ist der Arbeitnehmer damit nicht einverstanden, weil er ein Annahmeverweigerungsrecht für sich beansprucht, hat er dieses unverzüglich dem Insolvenzverwalter mitzuteilen. 1 2 3 4 5 6
Düe in Brand, SGB III § 157 Rz. 49. BSG v. 22.4.1986 – 10 RAr 12/85, ZIP 1986, 852. BAG v. 7.12.1983 – 5 AZR 425/80, BAGE 44, 337 (340) = BB 1984, 784. BAG v. 15.11.1973 – 5 AZR 226/73, BB 1974, 229. BAG v. 7.3.2001 – GS 1/00, BAGE 97, 150 = NZA 2001, 1195 = ZIP 2001, 1929. BAG v. 6.9.2006 – 5 AZR 703/05, NZA 2007, 36 = BB 2006, 2825; a.A. BAG v. 25.2.1988 – 8 AZR 596/85, BAGE 57, 366 = NZA 1988, 607 = ZIP 1988, 1074. 7 BAG v. 14.3.2006 – 9 AZR 11/05, NZA 2006, 1008.
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379b Ergibt jedoch die Freistellungserklärung des Insolvenzverwalters, dass er dem Arbeitnehmer für den gesamten Freistellungszeitraum Urlaub gewährt, entfällt die Anrechnung eines Zwischenverdienstes1. Beispiel2: Ich stelle Sie mit Ablauf des … von der weiteren Arbeitsleistung frei. Bitte melden Sie sich sofort bei der für Ihren Wohnsitz zuständigen Agentur für Arbeit arbeitslos. Nicht genommenen Urlaub und den bis zur Beendigung Ihres Arbeitsverhältnisses entstehenden Urlaub nehmen Sie bitte im Rahmen der Freistellung. Sollten Sie vor Ablauf der Kündigungsfrist ein neues Arbeitsverhältnis eingehen können, darf ich Sie bitten, unter Angabe des Eintrittsdatums bei dem neuen Arbeitgeber und ihrer vertraglichen Bezüge eine Mitteilung an mich zu machen, da dieses für die Ermittlung Ihrer Masseschuldansprüche bedeutsam ist.
3. Arbeitsentgeltansprüche bei Masseunzulänglichkeit 380 Der Insolvenzverwalter kann beim Insolvenzgericht die drohende Masseunzulänglichkeit anzeigen, d.h., dass die Masse voraussichtlich nicht ausreichen wird, um nach Deckung der Massekosten die bestehenden sonstigen Masseverbindlichkeiten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen (§ 208 Abs. 1 Satz 2 InsO). Begrifflich ist die drohende Masseunzulänglichkeit identisch mit der drohenden Zahlungsunfähigkeit i.S.v. § 18 InsO (vgl. hierzu § 1 Rz. 49 ff.). Drohende Masseunzulänglichkeit liegt vor, wenn die Masseverbindlichkeiten bei Fälligkeit durch die vorhandene liquide Insolvenzmasse nicht völlig getilgt werden können. Auch die Anzeige der drohenden Masseunzulänglichkeit führt die Rechtsfolge von § 209 InsO herbei3. 381 Die Masseunzulänglichkeit liegt weiter dann vor, wenn rechnerisch die vorhandene und zu bildende Insolvenzmasse nicht ausreicht, die fälligen Masseverbindlichkeiten in voller Höhe zu erfüllen (§ 208 Abs. 1 Satz 1 InsO). Abzustellen ist entgegen dem gesetzlichen Wortlaut nicht auf die Fälligkeit der Masseverbindlichkeiten, sondern auf deren rechnerische Höhe. Deckt die rechnerisch zu bildende Insolvenzmasse die rechnerisch ermittelten Masseverbindlichkeiten nach Abzug der Massekosten nicht, liegt Masseunzulänglichkeit i.S.v. § 208 Abs. 1 Satz 1 InsO vor. 381a Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit kann bereits durch den vorläufigen Insolvenzverwalter im Rahmen seines Gutachtens erstattet werden4. Dieses gilt zumindest dann, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter mit dem bestellten Insolvenzverwalter personenidentisch ist. 382 Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit nach § 208 Abs. 1 Satz 1 und 2 InsO hat in Bezug auf die Arbeitnehmeransprüche folgende Auswirkungen: Die Ansprüche der Arbeitnehmer aus den Arbeitsverhältnissen bis zum Zeitpunkt des Einganges der Masseunzulänglichkeitsanzeige beim Insolvenzgericht (§ 208 Abs. 1 Satz 1 InsO) stellen so genannte Altmasseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO dar. 383 Bei den Ansprüchen aus den Arbeitsverhältnissen nach der erfolgten Anzeige der Masseunzulänglichkeit ist zu differenzieren: Nimmt der Insolvenzverwalter die Arbeitsleistung nicht in Anspruch, d.h., stellt er die Arbeitnehmer spätestens nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit von der Arbeitsleistung frei, erwirbt der Arbeitnehmer nachrangige Masseverbindlichkeiten (Altmasseverbindlichkeiten) nach § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Nimmt der Insolvenzverwalter die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit in Anspruch, erwirbt der Arbeitnehmer privilegierte Masseforderungen (Neumasseverbindlichkeiten) nach § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO. 384 Versäumt der Insolvenzverwalter die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum ersten Termin nach der erfolgten Masseunzulänglichkeitsanzeige, obgleich er hätte kündigen können, erwirbt auch derjenige Arbeitnehmer, der von der Arbeitsleistung frei1 2 3 4
BAG v. 19.3.2002 – 9 AZR 16/01, NZA 2002, 1055 = ZIP 2002, 2186. BAG v. 6.9.2006 – 5 AZR 703/05, BAGE 119, 232 = NZA 2007, 36 (37) = BB 2006, 2825. BAG v. 31.3.2004 – 10 AZR 253/03, BAGE 110, 135 = NZA 2004, 1093 = ZIP 2004, 1323 (1325). BAG v. 23.2.2005 – 10 AZR 603/03, ArbRB 2005, 65.
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Rz. 386a
§ 12
gestellt ist, für die Zeit nach dem ersten Kündigungstermin privilegierte Masseforderungen (Neumasseforderungen) gemäß § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO. Der Insolvenzverwalter kann i.S.v. § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO solange nicht kündigen, wie Kündigungssperren bestehen1, weil z.B. behördliche Zustimmungen nach §§ 9 MuSchG, 85 SGB IX nicht erteilt, der Interessenausgleich nach § 111 BetrVG weder durchgeführt noch die gerichtliche Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung (§ 122 InsO) erteilt oder das Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz (§ 126 InsO) nicht durchgeführt ist. Die Notwendigkeit der Durchführung der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG stellt keine Kündigungssperre2 im vorstehenden Sinn dar. Auch wenn der Insolvenzverwalter einen Interessenausgleich unter einer aufschiebenden oder auflösenden Bedingung abschließt, wird bereits vor dem Bedingungseintritt die Kündigungssperre nach § 113 BetrVG beseitigt, weil der Interessenausgleich dann zumindest „versucht“ ist, so dass er das Arbeitsverhältnis im rechtlichen Sinne kündigen kann3. Für den Zeitraum zwischen der Anzeige der Masseunzulänglichkeit und dem ersten Kündigungstermin verbleibt es bei den Altmasseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Wegen Masseverbindlichkeiten der zweiten Rangordnung (§ 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 385 Nr. 2 und 3 InsO) – Neumasseverbindlichkeiten – ist trotz der erfolgten Anzeige der Masseunzulänglichkeit eine Vollstreckung in die Insolvenzmasse weiterhin möglich (§ 90 Abs. 2 InsO). Eine Vollstreckung wegen Masseverbindlichkeiten i.S.v. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO, den so genannten Altmasseverbindlichkeiten, ist nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit unzulässig (§ 210 InsO). Zur Einstellung wegen Massearmut siehe oben § 6 Rz. 346 ff. Dem Altmassegläubiger fehlt für eine Leistungsklage das Rechtsschutzbedürfnis4. Ist Grund und/oder Höhe der Arbeitsentgeltforderung streitig, ist der Arbeitnehmer auf die Feststellungsklage zu verweisen5. Eine zum Zeitpunkt der Masseunzulänglichkeitsanzeige anhängige Leistungsklage ist auf Feststellung umzustellen.
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Reicht die Insolvenzmasse nur zur teilweisen Befriedigung der Neumassegläubiger 386 aus, ist im Falle des Einwands des Insolvenzverwalters der erneuten Masseunzulänglichkeit nur noch der Erlass eines Feststellungsurteils möglich6. Ob im Falle der erneuten Masseunzulänglichkeit eine neuerliche, förmliche Masseunzulänglichkeitsanzeige möglich ist, kann wegen der Möglichkeit des Masseunzulänglichkeitseinwands durch den Insolvenzverwalter offen bleiben7. Da auch im Falle einer förmlichen Masseunzulänglichkeitsanzeige die Wirkungen von § 208 InsO fehlen, hat der Insolvenzverwalter die Darlegungs- und Beweislast für die Masseunzulänglichkeit8. Wurde vor der Anzeige der Masseunzulänglichkeit eine Masseforderung i.S.v. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO rechtskräftig zu Lasten der Insolvenzmasse tituliert, steht dem Insolvenzverwalter in den Grenzen von § 767 Abs. 2 ZPO die Vollstreckungsgegenklage zur Verfügung9. Der Einwand der Masseunzulänglichkeit muss bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz erhoben und dargelegt werden10.
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BAG v. 4.6.2003 – 10 AZR 586/02, NZA 2003, 1087 (1091) = ZIP 2003, 1850. BAG v. 31.3.2004 – 10 AZR 253/03, BAGE 110, 135 = NZA 2004, 1093 = ZIP 2004, 1323. BAG v. 21.7.2005 – 6 AZR 592/04, BAGE 115, 225 = NZA 2006, 162 = ZIP 2006, 199. BAG v. 11.12.2001 – 9 AZR 459/00, NZA 2002, 975 = ZIP 2002, 628. BAG v. 31.1.1979 – 5 AZR 749/77, BAGE 31, 288 = NJW 1980, 141 = MDR 1979, 703; BAG v. 11.12.2001 – 9 AZR 459/00, NZA 2002, 975 = ZIP 2002, 628. BGH v. 3.4.2003 – IX ZR 101/02, BGHZ 154, 358 = ZIP 2003, 914; BAG v. 4.6.2003 – 10 AZR 586/02, NZA 2003, 1087 (1090) = ZIP 2003, 1850; BAG v. 15.6.2004 – 9 AZR 431/03, BAGE 110, 80 = NZA 2005, 354 = ZIP 2004, 1660. BGH v. 13.4.2006 – IX ZR 22/05, BGHZ 167, 178 = NJW 2006, 2997 (3000) = ZIP 2006, 1004 (1008). BGH v. 3.4.2003 – IX ZR 101/02, BGHZ 154, 358 = ZIP 2003, 914. BAG v. 20.5.1987 – 4 AZR 648/86, NZA 1987, 631 = ZIP 1987, 997. BAG v. 16.10.1985 – 4 AZR 431/84, ZIP 1986, 1338.
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4. Zeiten vor Insolvenzeröffnung (Insolvenzgeld) a) Anspruchsvoraussetzungen aa) Persönliche Voraussetzungen des Insolvenzgeldanspruches 387 Einen Anspruch auf Insolvenzgeld besitzen Arbeitnehmer (§ 165 Abs. 1 SGB III). 388 Der Arbeitnehmerbegriff ist der gleiche wie in den anderen Bereichen des SGB III1. Arbeitnehmer ist, wer von einem Arbeitgeber persönlich abhängig ist2. Eine wirtschaftliche Abhängigkeit ist jedoch nicht erforderlich3. Der Arbeitnehmerbegriff wird im Sozialrecht ebenso definiert wie im Arbeitsrecht. Danach ist Arbeitnehmer, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages oder eines gleichgestellten Vertragsverhältnisses im Dienst eines anderen diesem zur Arbeit verpflichtet ist. 389 Auch § 7 Abs. 1 SGB IV und die dortige Definition ist zur Abgrenzung von Arbeitnehmern zum Selbständigen heranzuziehen. Danach wird die Beschäftigung dahingehend definiert, dass es sich um eine nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis, handelt. Eine Weisungsgebundenheit und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Dritten sind Anhaltspunkte für eine abhängige Beschäftigung (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). 390 Arbeitnehmer i.S.v. § 165 SGB III sind unter anderem: – Arbeiter, – Angestellte, – Auszubildende, – Praktikanten, – Heimarbeiter, – beschäftigte Studenten, – beschäftigte Schüler, – geringfügig Beschäftigte i.S.v. § 8 SGB IV, – Bezieher von vorgezogenem Altersruhegeld oder Altersruhegeld bei Ausübung einer Erwerbstätigkeit in persönlicher Abhängigkeit zu einem Arbeitgeber, – Handelsvertreter i.S.v. § 84 Abs. 2 HGB, – Handlungsgehilfen i.S.v. § 59 HGB, – Vorstandsmitglieder einer Genossenschaft4. 391 Keine Arbeitnehmer sind die Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft. Dieses gilt unabhängig von der Größe der Aktiengesellschaft und einer Kapitalbeteiligung der Vorstandsmitglieder. Auch das am Aktienkapital nicht beteiligte Vorstandsmitglied ist kein Arbeitnehmer i.S.v. § 165 Abs. 1 SGB III5. 392 Hausgewerbetreibende erhalten im Gegensatz zu Heimarbeitern kein Insolvenzgeld. Die Abgrenzung zwischen den Heimarbeitern und den Hausgewerbetreibenden erfolgt danach, ob fremde Hilfskräfte beschäftigt werden oder nicht. Heimarbeit liegt dann vor, wenn der Beschäftigte sich alleine betätigt oder ausschließlich Familienangehörige mitarbeiten. Lediglich wenn die Voraussetzungen der Scheinselbständigkeit i.S.v. § 7 SGB IV gegeben sind, ist eine Heimarbeit zu verneinen. Die Unterscheidung zwischen Heimarbeitern und Hausgewerbetreibenden und der Ausschluss der Hausgewerbetreibenden vom Insolvenzgeld ist nicht verfassungswidrig6.
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BSG v. 29.7.1982 – 10 RAr 9/81, ZIP 1982, 1230. BSG v. 29.1.1981 – 12 RK 63/79, BSGE 51, 164 (165) = BB 1981, 2074. BSG v. 23.9.1982 – 10 RAr 10/81, ZIP 1983, 103. SG Altenburg v. 29.8.2000 – S 7 AL 1023/99, DZWIR 2002, 242. BSG v. 22.4.1987 – 10 RAr 6/86, BSGE 61, 282 = ZIP 1987, 924; BSG v. 22.4.1987 – 10 RAr 5/86, NZA 1987, 614. 6 BSG v. 27.11.1980 – 8b/12 RAr 10/79, BSGE 50, 174 = ZIP 1981, 134.
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Bei Künstlern ist zu unterscheiden: Unterliegt der Künstler dem Künstlersozialversicherungsgesetz, ist er kein Arbeitnehmer. Ist der Künstler jedoch in den insolventen Betrieb durch Wochen- oder Monatsengagements eingegliedert, so handelt es sich in der Regel um ein Arbeitsverhältnis, weshalb bei der Insolvenz des Arbeitgebers ein Anspruch auf Insolvenzgeld besteht.
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Die in Altersteilzeit beschäftigten Arbeitnehmer haben beim Vorliegen der sonstigen 394 Voraussetzungen Anspruch auf Insolvenzgeld, da das Arbeitsverhältnis fortbesteht1 und sie somit Arbeitnehmer i.S.v. § 165 Abs. 1 SGB III sind. Grundlage für das Insolvenzgeld ist das für die Teilzeitarbeit geschuldete Arbeitsentgelt, zuzüglich der Aufstockungsbeträge und der zusätzlichen Beiträge zur Rentenversicherung2. Führt ein Störfall zu einer vorzeitigen Beendigung des Altersteilzeitarbeitsverhältnis- 395 ses, ist für die Bemessung des Insolvenzgeldes das verstetigte Arbeitsentgelt maßgebend3. Statt des Erarbeitensprinzips, das sonst das Recht des Insolvenzgeldes bestimmt, kommt das Lebensunterhaltungsprinzip zur Anwendung4. Der Alleingesellschafter einer GmbH steht zur Gesellschaft in keinem abhängigen Beschäftigungsverhältnis5, weshalb er mangels Arbeitnehmereigenschaft keinen Anspruch auf Insolvenzgeld besitzt.
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Bei Gesellschafter-Geschäftsführern und mitarbeitenden Gesellschaftern einer Ka- 397 pitalgesellschaft ist im Einzelfall zu prüfen, ob eine persönliche Abhängigkeit gegenüber der Gesellschaft bestand und damit eine Arbeitnehmereigenschaft vorliegt6. Ebenso wie beim Alleingesellschafter ist die persönliche Abhängigkeit des Gesellschafter-Geschäftsführers dann zu verneinen, wenn der Gesellschafter-Geschäftsführer mit 50 % und mehr am Stammkapital der Gesellschaft beteiligt ist7. Die Prüfung, ob der Gesellschafter-Geschäftsführer in persönlicher Abhängigkeit zur Gesellschaft stand, ist in jedem Einzelfalle anzustellen. Auch bei weniger als 50 % Beteiligung am Stammkapital kann im Einzelfall diese Abhängigkeit fehlen8. Bei einem sogenannten Fremdgeschäftsführer, welcher an der Gesellschaft überhaupt 398 nicht beteiligt ist, wird in der Regel eine persönliche Abhängigkeit zu bejahen sein, zumal er keinerlei Unternehmerrisiko trägt und normalerweise ein von der Ertragslage der Gesellschaft unabhängiges Gehalt bezieht. Wird jedoch dem Fremdgeschäftsführer neben seinem Grundgehalt eine ertragsabhängige Tantieme zugebilligt und liegt der Tantiemeanspruch über dem jeweiligen Festgehalt, ist die persönliche Abhängigkeit und damit die Arbeitnehmereigenschaft zu verneinen. Sozialversicherungsrechtlich besteht bei einem Gesellschafter-Geschäftsführer Ar- 399 beitnehmereigenschaft, wenn er die wesentlichen wirtschaftlichen Entscheidungen tatsächlich nicht allein treffen kann. Die Beurteilung durch die Deutsche Rentenversicherung Bund im Rahmen des Statusfeststellungsverfahrens (§ 7a SGB IV) zur abhängigen oder selbständigen Tätigkeit des Geschäftsführers ist für die Frage, ob dem Geschäftsführer Insolvenzgeld zu bewilligen ist, unerheblich, da die Insolvenzgeldversicherung nicht zu den Versicherungszweigen der Renten- und Arbeitslosenversicherung gehört9. Die Anspruchsberechtigung wird durch die Agentur für Arbeit neuerlich geprüft. Sofern der Gesellschafter-Geschäftsführer durch die Höhe seiner Kapitalbeteiligung 400 ihm nicht genehme Beschlüsse der Gesellschaft nicht verhindern kann, besteht eine persönliche Abhängigkeit zur Gesellschaft10. Ist der Geschäftsführer über Treuhand1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
BAG v. 27.4.2004 – 9 AZR 18/03, BAGE 110, 208 = NZA 2005, 821. Insolvenzgeld-DA der BA, Nr. 2.2 Abs. 13 zu § 165 SGB III. Insolvenzgeld-DA der BA, Nr. 6.2 Abs. 3 zu § 165 SGB III. SG Berlin v. 3.11.2005 – S 60 AL 5563/03 54, BeckRS 2005, 43841. BSG v. 9.11.1989 – 11 RAr 39/89, BSGE 66, 69 = BB 1990, 783. BAG v. 27.6.1985 – 2 AZR 425/84, NZA 1986, 794 = ZIP 1986, 1213. BSG v. 24.6.1982 – 12 RK 43/81, BB 1984, 1049. BAG v. 27.6.1985 – 2 AZR 425/84, NZA 1986, 794 = ZIP 1986, 1213. BSG v. 23.9.1982 – 10 RAr 10/81, ZIP 1983, 103 (104); Roeder in Niesel, SGB III, § 183 Rz. 19. BSG v. 8.8.1990 – 11 RAr 77/89, NZA 1991, 324 (LS) = ZIP 1990, 1566.
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verträge im Besitz der Mehrheit des Stammkapitals, so ist er dann Arbeitnehmer i.S.v. § 165 SGB III, wenn er die Gesellschafterrechte nur nach der jeweiligen Weisung des Treugebers ausüben darf1. Voraussetzung ist jedoch, dass der Treuhandvertrag wirksam ist, also notariell beurkundet wurde (§ 15 Abs. 4 Satz 1 GmbHG)2. Auch eine gesellschaftsvertragliche Sperrminorität durch das Erfordernis der Einstimmigkeit der Gesellschafterbeschlüsse oder des Erfordernisses qualifizierter Mehrheiten hindert die Annahme eines Arbeitsverhältnisses nicht, soweit sich die Sperrminorität auf grundlegende Gesellschaftsbeschlüsse beschränkt und die Abberufung des Geschäftsführers mit einfacher Stimmenmehrheit möglich ist3. Allein die Tatsache, dass eine Sperrminorität vorliegt, rechtfertigt nicht die Annahme einer selbständigen Tätigkeit4. 401 Entgegen der Praxis der Bundesagentur für Arbeit können zur Prüfung der persönlichen Abhängigkeit Kapitalbeteiligungen von Familienangehörigen des Gesellschafter-Geschäftsführers diesem nicht ohne Weiteres zugerechnet werden. Ein einheitliches Abstimmungsverhalten der Gesellschafter aufgrund familiärer Bindungen darf nicht unterstellt werden. Eine solche Unterstellung und damit die Zusammenrechnung der Kapitalanteile ist wegen des Verstoßes gegen Art. 6 GG verfassungswidrig5. 402 Besteht zwischen den vertraglichen Festlegungen und den tatsächlichen Verhältnissen ein Unterschied, so kommt es auf die tatsächlichen Umstände an, es sei denn, der Geschäftsführer hat ausdrücklich auf seine Rechtsmacht als Geschäftsführer verzichtet6. 403 Die Organmitglieder juristischer Personen können Arbeitnehmer i.S.v. § 165 SGB III sein, wenn sie keinen beherrschenden Einfluss auf die Gesellschaft ausüben oder ausüben können. Nach Auffassung des BGH besteht eine identische Betrachtungsweise zwischen dem Insolvenzschutz nach dem Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) und dem Insolvenzschutz für die Bezüge aus dem Geschäftsführerverhältnis. Derjenige Geschäftsführer, dessen Ansprüche aus betrieblicher Altersversorgung nach dem BetrAVG geschützt sind, besitzt auch Anspruch auf Insolvenzgeld7. 404 Zusammenfassend ist nach der Rechtsprechung des BSG ein Gesellschafter-Geschäftsführer kein Arbeitnehmer, wenn seitens der Gesellschaft kein Weisungsrecht besteht und damit der Geschäftsführer-Gesellschafter seine Tätigkeit im Wesentlichen frei gestalten, insbesondere über die eigene Arbeitskraft, Arbeitsort und Arbeitszeit frei verfügen kann oder er sich nur in die von ihm selbst gegebene Ordnung des Betriebs einfügt8. 404a Checkliste9 Indizien für eine selbständige Tätigkeit sind: m Kapitalbeteiligung von 50 % und mehr, m Darlehnsgewährung, Übernahme persönlicher Bürgschaften, m Sperrminorität, m wesentliches Unternehmerrisiko durch Teilnahme am Gewinn und Verlust der GmbH, m Entscheidungsverantwortung für wesentliche Funktionen des Unternehmens, m alleinige und umfangreiche Branchenkenntnis, 1 2 3 4 5 6 7 8 9
BSG v. 30.1.1997 – 10 RAr 6/95, ZIP 1997, 1120 (1122). BSG v. 25.1.2006 – B 12 KR 30/04 R, ZIP 2006, 678 (681) = GmbHR 2006, 645 (648). BSG v. 24.9.1992 – 7 RAr 12/92, ZIP 1993, 54. A.A. Insolvenzgeld-DA der BA, Nr. 4.2 Abs. 8 zu § 165 SGB III. BVerfG v. 12.3.1985 – 1 BvR 571/81, 1 BvR 494/82, 1 BvR 47/83, BVerfGE 69, 188 = ZIP 1985, 829 = NJW 1985, 2939. BSG v. 8.8.1990 – 11 RAr 77/89, NZA 1991, 324 (LS) = ZIP 1990, 1566. BGH v. 28.4.1980 – II ZR 254/78, BGHZ 77, 94 = ZIP 1980, 453. BSG v. 6.2.1992 – 7 RAr 134/90, BSGE 70, 81. Freckmann, BB 2006, 2077 (2078).
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m Befreiung vom Selbstkontrahierungsverbot, m keine Weisungsunterworfenheit bzw. nur bei außergewöhnlichen Geschäften, m Tätigkeit durch familiäre Rücksichtnahme geprägt, m Urlaubsantritt ohne Genehmigung, m Geschäftsführung faktisch wie ein Eigentümer. Indizien für eine abhängige Beschäftigung sind: m Kapitalbeteiligung unter 50 %, m keine Sperrminorität, m keine Besonderheit im Rahmen einer Familiengesellschaft, m kein Tragen eines wesentlichen Unternehmerrisikos, m Weisungsunterworfenheit bezüglich Zeit, Ort und Ausführung der Tätigkeit, m keine eigene Entscheidungsbefugnis für wesentliche Unternehmensfunktionen, m Selbstkontrahierungsverbot, m Eingliederung in den Betrieb, m m m m m
Weiterzahlung der Vergütung im Krankheitsfalle, festes Jahresgehalt, Urlaubsgeld und Weihnachtsgratifikation, nachvertragliches Wettbewerbsverbot, Urlaubszeitpunkt hat den Bedürfnissen der Geschäftsführung Rechnung zu tragen.
Die Bundesagentur für Arbeit hat hierfür ein Feststellungsformular entwickelt (BA 404b SP III 31 – Zusatzblatt Gesellschafter(in)/Geschäftsführerin) – 4.2012). Die Mitglieder von Personengesellschaften können mit der Gesellschaft ein geson- 404c dertes Arbeitsverhältnis begründen und werden dann als persönlich abhängige Arbeitnehmer behandelt1. bb) Sachliche Voraussetzungen des Insolvenzgeldanspruchs (1) Allgemeines Voraussetzung für den Anspruch auf Insolvenzgeld ist das Vorliegen eines Insolvenz- 405 ereignisses i.S.v. § 165 Abs. 1 Nr. 1–3 SGB III. Ein Insolvenzereignis ist zunächst die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 27 InsO). 406 Dies setzt zwingend voraus, dass durch das Insolvenzgericht ein Eröffnungsbeschluss erlassen ist (§ 27 Abs. 2 InsO). Erlassen ist der Insolvenzeröffnungsbeschluss mit der Unterzeichnung durch den Insolvenzrichter2. Der Insolvenzeröffnungsbeschluss ist nur wirksam, wenn dieser durch den Insolvenzrichter unterschrieben ist3. Wird der Insolvenzeröffnungsbeschluss versehentlich nicht unterschrieben, wirkt er – auch i.S.v. § 165 Abs. 1 Nr. 1 SGB III – erst ab der Nachholung der unterbliebenen Unterschrift. Der unterschriebene Eröffnungsbeschluss wird nur wirksam, wenn er aus dem inneren Geschäftsbereich des Insolvenzgerichtes bewusst herausgegeben wurde4. Dieses kann durch Einlegen in den Postausgang oder durch eine telefonische Mitteilung an einen Außenstehenden, in der Regel den Insolvenzverwalter, erfolgen5. Maßgebend für die Wirkungen der Insolvenzeröffnung ist die Unterzeichnung des Beschlusses durch den Insolvenzrichter und nicht der Erlass des Beschlusses. Auch dann, wenn rechtswidrig die Insolvenzeröffnung auf einen späteren Termin als die tatsächliche Unterzeichnung des Insolvenzeröffnungsbeschlusses durch den In-
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BSG v. 26.5.1966 – 2 RU 178/64, BSGE 25, 51 (52). BGH v. 17.2.2004 – IX ZR 135/03, ZIP 2004, 766 (767). BGH v. 23.10.1997 – IX ZR 249/96, BGHZ 137, 49 = ZIP 1997, 2126 = NJW 1998, 609. Schröder in Hamburger Kommentar zur InsO, § 27 Rz. 27; Kirchhof in HK-InsO, § 27 Rz. 30. Kirchhof in HK-InsO, § 27 Rz. 30.
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§ 12
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solvenzrichter datiert wird1, kommt es auf das Eröffnungsdatum an. Nach der Entscheidung des BGH vom 17.2.2004, ist ein gegen diese Grundsätze verstoßender Insolvenzeröffnungsbeschluss nichtig2. 407 Ein weiteres Insolvenzereignis ist die Abweisung des Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse (§ 165 Abs. 1 Nr. 2 SGB III). 407a Die Abweisung mangels Masse erfolgt, wenn die Kosten des Verfahrens durch das Vermögen des Schuldners voraussichtlich nicht gedeckt sind (§ 26 Abs. 1 Satz 1 InsO) und von dritter Seite kein ausreichender Vorschuss geleistet wird (§ 26 Abs. 1 Satz 2 InsO). Zu den Verfahrenskosten i.S.v. § 26 Abs. 1 Satz 1 InsO zählen die Gerichtskosten einschließlich der gerichtlichen Auslagen, die Vergütung und Auslagen eines vorläufigen Insolvenzverwalters, die Vergütung und Auslagen des Insolvenzverwalters sowie der Mitglieder des Gläubigerausschusses (§ 54 InsO). 408 Analog zu § 27 InsO ist bei der Abweisung mangels Masse das Datum des Abweisungsbeschlusses für die Berechnung der Drei-Monats-Frist maßgebend. Auch hier muss der Abweisungsbeschluss ebenso wie der Insolvenzeröffnungsbeschluss eine Außenwirkung entfaltet haben. Zur Abweisung mangels Masse siehe oben § 6 Rz. 130 ff. 409 Wird der Insolvenzantrag aus anderen Gründen als der Masseunzulänglichkeit abgewiesen, z.B. als unzulässig oder mangels eines Eröffnungsgrundes (§§ 16, 17 InsO) als unbegründet, liegt kein Insolvenzereignis i.S.v. § 165 Abs. 1 Satz 2 SGB III vor. Gleiches gilt, wenn durch den antragstellenden Gläubiger der Insolvenzantrag in der Hauptsache für erledigt erklärt wird3 oder der Antrag zurückgenommen wird. Vgl. § 6 Rz. 111 ff. zur Zulässigkeit eines Insolvenzantrages. 410 In der Praxis wird immer wieder übersehen, dass im Falle der Abweisung mangels Masse eine Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers besteht. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, einen im Betrieb vorhandenen Betriebsrat von dem Abweisungsbeschluss zu unterrichten (§ 165 Abs. 5 SGB III). Besteht im Betrieb kein Betriebsrat, so ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Arbeitnehmer in geeigneter Weise von dem Abweisungsbeschluss zu unterrichten. Weder für den Arbeitgeber noch für das Insolvenzgericht besteht eine Verpflichtung, die Arbeitsverwaltung von der Abweisung mangels Masse zu unterrichten, wobei eine Verständigung durch das Insolvenzgericht sinnvoll ist, um eine Tätigkeit der Agentur für Arbeit von Amts wegen zu initiieren. 411 Unterrichtet der Arbeitgeber die Betriebsvertretung oder die Arbeitnehmer von dem Abweisungsbeschluss nicht, handelt er ordnungswidrig. Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu 5000 Euro geahndet werden (§§ 404 Abs. 2 Nr. 2, 404 Abs. 3 SGB III). 412 Der Auffangtatbestand von § 165 Abs. 1 Nr. 3 SGB III stellt für den Anspruch auf Insolvenzgeld kumulativ folgende Tatbestandsvoraussetzungen auf: – vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland; – kein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens; – Offensichtlichkeit, dass ein Insolvenzverfahren mangels Masse nicht in Betracht kommt. Im Einzelnen: 413 Die Betriebstätigkeit im Inland muss vollständig eingestellt sein. Allein die Einstellung einer Produktion ist nicht ausreichend, wenn daneben durch den insolventen Betrieb die produzierten Waren vertrieben werden. Andererseits sind Tätigkeiten, die nicht dem Betriebszweck dienen, wie z.B. Abwicklungsarbeiten oder Erhaltungsarbeiten an Betriebsanlagen, keine Betriebstätigkeit i.S.v. § 165 Abs. 1 Nr. 3 SGB III, so dass solche Tätigkeiten der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit nicht entgegenstehen4.
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BGH v. 17.2.2004 – IX ZR 135/03, ZIP 2004, 766. BGH v. 17.2.2004 – IX ZR 135/03, ZIP 2004, 766 (767). Kreft in HK-InsO, § 139 Rz. 12. BSG v. 5.6.1981 – 10/8b RAr 3/80, BSGE 52, 40 (41) = ZIP 1981, 1112 (1113).
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Rz. 418a
§ 12
Unterhält der Arbeitgeber mehrere Betriebe, so genügt für die Erfüllung des Tat- 413a bestandsmerkmals der Beendigung der Betriebstätigkeit die Einstellung der betrieblichen Betätigung in einem Betrieb nicht1. Bei mehreren Betrieben kommt es auf die Einstellung der betrieblichen Tätigkeit im letzten Betrieb an. „Offensichtlich“ bedeutet, dass Insolvenzgeld zu gewähren ist, wenn alle äußeren 413b Tatsachen und somit der Anschein für die Masseunzulänglichkeit sprechen. Erfolglose Pfändungsversuche etc. muss der Arbeitnehmer nicht dartun2. Für eine Masseunzulänglichkeit spricht, dass der Arbeitgeber unter Hinweis auf die Zahlungsunfähigkeit das fällige Entgelt nicht zur Auszahlung bringt. Zu § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BetrAVG hat das BAG darauf verwiesen, dass das Tatbestandsmerkmal der Offensichtlichkeit vorliegt, wenn durch den Arbeitgeber die Versorgungsleistungen unter Hinweis auf die Vermögenslosigkeit eingestellt und der Pensionssicherungsverein a.G. als Träger der Insolvenzsicherung von den gesamten Umständen unterrichtet war3. Die Wertung in § 165 Abs. 1 Nr. 3 SGB III ist die Gleiche wie in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BetrAVG. Der Arbeitnehmer, der sich auf die offensichtliche Masseunzulänglichkeit beruft und 414 hiermit seinen Anspruch auf Insolvenzgeld begründet, ist für dieses Tatbestandsmerkmal darlegungs- und beweispflichtig. Der Arbeitnehmer muss jedoch keinen vollen Beweis (Strengbeweis) erbringen, da er regelmäßig nicht über die Beweisunterlagen für eine Masseunzulänglichkeit verfügt. Er genügt deshalb seiner Darlegungslast, wenn er Indizien für die offensichtlich vorliegende Masseunzulänglichkeit darlegt4. Der Arbeitnehmer ist keinesfalls verpflichtet zur Klärung der Sachlage und der Frage, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 165 Abs. 1 Nr. 3 SGB III erfüllt sind, einen eigenen Insolvenzantrag zu stellen5. Eine mit Kosten verbundene eigene Antragsverpflichtung kann dem Arbeitnehmer schon deshalb nicht auferlegt werden, weil die Kosten eines Insolvenzantrages ebenso wie Vollstreckungskosten kein Arbeitsentgelt darstellen und deshalb auch nicht über Insolvenzgeld erstattet werden. Insolvenzanträge, die am Tage der Betriebseinstellung gestellt sind, schließen das Insolvenzereignis nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 SGB III aus6.
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Wird ein zulässiger Insolvenzantrag zurückgenommen, entfallen ex tunc die Wirkun- 415a gen, so dass bei der vollständigen Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland und der Offensichtlichkeit, dass ein Insolvenzverfahren mangels Masse nicht in Betracht kommt, der Auffangtatbestand von § 165 Abs. 1 Nr. 3 SGB III erfüllt ist7. (2) Inländisches/Ausländisches Insolvenzereignis Der Anknüpfungspunkt für das Insolvenzgeld ist, dass ein in- oder ausländisches In- 416 solvenzereignis vorliegt, sofern die Arbeitnehmer im Inland beschäftigt werden (§ 165 Abs. 1 Satz 2, 3 SGB III). § 165 Abs. 1 Nr. 3 SGB III findet unabhängig davon Anwendung, ob der Arbeitgeber 417 ein ausländisches Unternehmen ist und/oder welche Nationalität der Arbeitnehmer besitzt. Generell sind der Wohnsitz und die Nationalität des Arbeitnehmers für den Anspruch 418 auf Insolvenzgeld bedeutungslos8. Der ausländische Wohnsitz oder der ständige Aufenthalt des Arbeitnehmers im Aus- 418a land stehen der Anwendung von § 165 ff. SGB III nicht entgegen, wenn der Schwerpunkt der rechtlichen und tatsächlichen Merkmale eines Arbeitsverhältnisses im In-
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BSG v. 29.2.1984 – 10 RAr 14/82, ZIP 1984, 1123 (1125). BSG v. 23.11.1981 – 10/8b RAr 6/80, BSGE 53, 1 (3) = ZIP 1982, 469 (467). BAG v. 11.9.1980 – 3 AZR 544/79, BAGE 34, 147 = ZIP 1981, 307. BSG v. 22.9.1993 – 10 RAr 9/91, ZIP 1993, 1716 (1718). BSG v. 23.11.1981 – 10/8b RAr 6/80, BSGE 53, 1 (4) = ZIP 1982, 469 (470). BSG v. 8.2.2001 – B 11 AL 27/00 R, DZWIR 2001, 324 (325). BSG v. 30.10.1991 – 10 AR 3/91, BSGE 70, 9 (12) = ZIP 1992, 197. BSG v. 29.2.1984 – 10 RAr 20/82, BSGE 56, 201 (202) = ZIP 1984, 1249.
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Rz. 419
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
land liegt1. Umgekehrt führt die Beschäftigung eines im Inland wohnenden Arbeitnehmers, der für einen ausländischen Arbeitgeber im Ausland arbeitet, zu keinem Insolvenzgeldanspruch im Inland2. Ein von einem inländischen Arbeitgeber ins Ausland entsandter Arbeitnehmer hat Anspruch auf Insolvenzgeld bei der Insolvenz seines inländischen Arbeitgebers. Auch wenn der Arbeitnehmer sofort von dem inländischen Arbeitgeber ohne eine vorherige Inlandsbeschäftigung ins Ausland entsandt wird, bestehen bei der Insolvenz des inländischen Arbeitgebers Insolvenzgeldansprüche3. 419 Voraussetzung für einen Insolvenzgeldanspruch des ins Ausland entsandten Arbeitnehmers ist, dass er schwerpunktmäßig ein der deutschen Rechtsordnung unterliegendes Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis besitzt. Merkmale hierfür sind: – Arbeitsvertrag mit einem inländischen Unternehmen; – Befristung der Auslandstätigkeit; – Anwendung deutschen Arbeitsrechtes; – Vereinbarung des deutschen Gerichtsstandes; – Anspruch auf Heimaturlaub4. 419a Auch wenn der ins Ausland entsandte Arbeitnehmer den inländischen Arbeitgeber wechselt, d.h. bei einem neuen deutschen Arbeitgeber im Ausland tätig wird, kommt es wesentlich auf die rechtliche Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses an. 420 Ausländische Insolvenzereignisse oder Insolvenzereignisse nach ausländischem Recht lösen für im Inland beschäftigte Arbeitnehmer einen Anspruch auf Insolvenzgeld aus (§ 165 Abs. 1 Satz 2 SGB III). Im Verhältnis zu Österreich ist dieses in § 22 des Ausführungsgesetzes zum deutsch-österreichischen Konkursvertrag vom 8. März 1985 (BGBl. I S. 535) geregelt, wonach die Entscheidung eines österreichischen Gerichtes der Entscheidung eines deutschen Gerichtes in Bezug auf das Insolvenzgeld gleichgestellt ist. 421 Bei einem ausländischen Arbeitgeber sind bei der Prüfung der Voraussetzungen nach § 165 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III sowohl die inländischen als auch die ausländischen Vermögensverhältnisse zugrunde zu legen5. Obgleich auch das Auslandsvermögen in die Prüfung der Masseunzulänglichkeit einzubeziehen ist, kann der Arbeitnehmer hierüber in der Regel keine Angaben machen, so dass eine offensichtliche Masseunzulänglichkeit anzunehmen ist, sofern nicht ausnahmsweise gesicherte Erkenntnisse über vollstreckungsfähiges Auslandsvermögen vorliegen. 422 Unterhält ein ausländischer Unternehmer eine inländische, gewerbliche Niederlassung und beendet diese Niederlassung vollständig ihre Betriebstätigkeit, so führt ein den Voraussetzungen des § 165 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–3 SGB III ähnlicher Vorgang zu Insolvenzgeldansprüchen der im Inland beschäftigten Arbeitnehmer. Voraussetzung ist, dass im Inland einerseits eine betriebliche Tätigkeit ausgeübt wurde und andererseits, dass diese Betriebstätigkeit unter den Voraussetzungen von § 165 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III vollständig beendet wurde6. (3) Mehrere Insolvenzereignisse 423 Liegen mehrere Insolvenzereignisse i.S.v. § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III vor, so ist für den Insolvenzgeldanspruch des Arbeitnehmers grundsätzlich das zeitlich erste Insolvenzereignis maßgebend7. Dieses gilt auch im Rahmen der internationalen Zuständigkeit gemäß Art. 3 EuInsVO, sodass bei einem zuerst im Ausland eröffneten Insolvenzverfahren die Betriebsfortführung im Insolvenzantragsverfahren im inländischen 1 2 3 4 5 6 7
BSG v. 21.9.1983 – 10 RAr 6/82, ZIP 1984, 469. BSG v. 29.6.2000 – B 11 AL 35/99 R, BSGE 87, 1 (4) = ZInsO 2001, 372. BSG v. 27.5.1986 – 2 RU 12/85, BSGE 60, 96 (98) = NZA 1986, 806. Peters-Lange in Gagel, SGB III, § 165 Rz. 61. Kühl in Brand, SGB III, § 165 Rz. 37. BSG v. 23.11.1981 – 10/8b RAr 8/80, ZIP 1982, 718 (719). BSG v. 17.12.1975 – 7 RAr 17/75, BSGE 41, 121; BSG v. 17.5.1989 – 10 RAr 10/88, ZIP 1989, 1270.
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Sekundärinsolvenzverfahren mangels der Möglichkeit der Insolvenzgeldvorfinanzierung unmöglich wird. Maßgeblich sind jedoch nur diejenigen Insolvenzereignisse, welche entweder zur Er- 424 öffnung des Verfahrens führten, bezüglich derer der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen wurde oder bei denen die tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 165 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III gegeben waren. Als unzulässig oder unbegründet zurückgewiesene oder zurückgenommene Insolvenzanträge lösen die Sperrwirkung nicht aus (vgl. Rz. 409). Diese Priorität gilt auch dann, wenn ein Insolvenzantrag zunächst mangels Masse 425 abgewiesen wurde (§ 26 Abs. 1 Satz 1 InsO) und später aufgrund eines neuen Antrages sowie nach Zahlung eines Kostenvorschusses durch einen Dritten dann dennoch das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Hier ist und bleibt die Abweisung mangels Masse das erste relevante Insolvenzereignis. Nur in äußersten Ausnahmefällen kann ein späteres, zweites Insolvenzereignis neuer- 426 liche Ansprüche der Arbeitnehmer auf Insolvenzgeld auslösen. In einem solchen Falle muss sich die Vermögenslage des Arbeitgebers so nachhaltig gebessert haben, dass der Insolvenzgrund eindeutig in Wegfall geraten ist1. Es ist nicht ausreichend, dass der Arbeitgeber nach den Insolvenzereignissen des § 165 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 SGB III seine betriebliche Betätigung wieder aufnimmt oder fortsetzt und gegenüber seinen Arbeitnehmern die Lohnfortzahlungsverpflichtung erfüllt. Diese Umstände bedeuten nicht, dass der Arbeitgeber seine Zahlungsfähigkeit wieder erlangt hat2. Für die Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit spricht, wenn der Arbeitgeber 427 wieder kreditwürdig wurde, bezüglich der Altverbindlichkeiten Regelungen trifft, und diese Regelungen gegenüber den Gläubigern erfüllt sowie die Löschung im Schuldnerverzeichnis (§ 26 Abs. 2 InsO) erfolgt ist. Führt der Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund der 428 Vorgabe der InsO den schuldnerischen Betrieb bis zum Berichtstermin fort, damit die Gläubigerversammlung über die Betriebsstilllegung im Berichtstermin entscheiden kann (§§ 156, 157 InsO), stellt die Betriebseinstellung aufgrund eines Beschlusses der Gläubigerversammlung ebenso wenig wie eine Einstellung des Verfahrens mangels Masse (§ 207 Abs. 1 InsO) ein neues Insolvenzereignis i.S.v. § 165 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB III dar. Auch hier ist maßgebend der Insolvenzeröffnungsbeschluss als erstes Insolvenzereignis. Da kein neues Insolvenzereignis vorliegt, werden somit auch keine neuen Ansprüche auf Insolvenzgeld ausgelöst3. Im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens endet das Insolvenzereignis des § 165 429 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III erst mit der Beendigung des Insolvenzverfahrens, d.h. mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens gemäß § 200 InsO. Begründet der Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens neue Ar- 430 beitsverhältnisse, so erwerben die Arbeitnehmer im Falle der Einstellung der Betriebstätigkeit und/oder der Einstellung des Verfahrens mangels Masse (§ 207 Abs. 1 InsO) bezüglich eventuell nicht gedeckter Entgeltansprüche keinen Anspruch auf Insolvenzgeld. Es handelt sich zum einen um kein neues Insolvenzereignis, zum anderen haben die Arbeitnehmer in Kenntnis des Insolvenzereignisses die Arbeit aufgenommen, so dass § 165 Abs. 2 SGB III unanwendbar ist4. (4) Neu gegründetes Unternehmen Abzustellen ist auf die Insolvenz des Arbeitgebers. Übernimmt ein neu gegründetes Unternehmen die Arbeitnehmer eines insolventen Unternehmens, so führt die Insolvenz des neu gegründeten Unternehmens zu einem neuen Insolvenzereignis mit der
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BSG v. 30.10.1991 – 10 RAr 3/91, BSGE 70, 9 (10) = ZIP 1992, 197. BSG v. 11.1.1989 – 10 RAr 7/87, NZA 1989, 485 = ZIP 1989, 460. BSG v. 17.5.1989 – 10 RAr 10/88, NZA 1989, 773 = ZIP 1989, 1270. BSG v. 17.5.1989 – 10 RAr 10/88, NZA 1989, 773 = ZIP 1989, 1270.
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Folge, dass den Arbeitnehmern neuerlich Insolvenzgeld zuzubilligen ist. Dieses wird insbesondere in Fällen der übertragenden Sanierung bedeutsam. 432 Es ist bedeutungslos, ob eine völlige oder teilweise Identität der Gesellschafter des ersten und zweiten Betriebs vorliegt. Ausschlaggebend ist allein, dass ein neuer Arbeitgeber im Rechtssinne insolvent wurde1. (5) Leiharbeitsverhältnisse 433 Bei Leiharbeitsverhältnissen ist im Rahmen der erlaubten Arbeitnehmerüberlassung der Verleiher Arbeitgeber. Für die Insolvenzgeldansprüche der Arbeitnehmer ist deshalb zunächst entscheidend, ob das Insolvenzereignis i.S.v. § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III bei einem in- oder ausländischen Verleiher eintritt. Ist diese Frage zu bejahen, besitzt der Arbeitnehmer Insolvenzgeldansprüche. Fehlt dem Verleiher die Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung, so ist der Entleiher kraft gesetzlicher Fiktion (§ 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG) Arbeitgeber und damit Schuldner des Arbeitsentgeltes. 434 Damit ist entscheidend, ob bei der Entleihfirma ein Insolvenzereignis i.S.v. § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III vorliegt. Trotz der gesetzlichen Fiktion des § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG hat jedoch der gutgläubige Leiharbeitnehmer, also derjenige, der auf die Erlaubnis des Verleihers zur Arbeitnehmerüberlassung vertraute und vertrauen durfte, in der Insolvenz des Verleihers Anspruch auf Insolvenzgeld, da nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts der Schadenersatzanspruch an die Stelle des Entgeltanspruches gegen den Verleiher tritt2. b) Insolvenzgeldzeitraum aa) Grundsätzliches 435 Der Arbeitnehmer besitzt einen Anspruch auf Insolvenzgeld für die nicht erfüllten Arbeitsentgeltansprüche aus den letzten drei Monaten seines Arbeitsverhältnisses vor dem Insolvenzereignis (§ 165 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–3 SGB III). Die Drei-Monats-Frist errechnet sich nach § 187 Abs. 1 BGB3, weshalb es mit § 187 Abs. 1 BGB nicht vereinbar ist, für die Stunden, welche am Insolvenzeröffnungstag dem Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung (§ 27 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 InsO) vorausgehen, Insolvenzgeld zu bewilligen. Der Insolvenzeröffnungstag bleibt grundsätzlich bei der Fristberechnung außer Betracht4. 436 Besteht das Arbeitsverhältnis noch am Tage des Insolvenzereignisses, so sind durch Insolvenzgeld die rückständigen Arbeitsentgeltansprüche für maximal drei Monate vor dem Insolvenzereignis abgesichert. 437 Ist das Arbeitsverhältnis vor dem Insolvenzereignis beendet worden, so sind die Entgeltansprüche der letzten drei Monate aus dem beendeten Arbeitsverhältnis über Insolvenzgeld abgesichert. Es ist somit ohne Relevanz, ob die letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses dem Insolvenzereignis unmittelbar vorausgehen oder nicht5. 438 Bei einer sich abzeichnenden Insolvenz leistet häufig der Arbeitgeber auf die Arbeitsentgeltansprüche der Arbeitnehmer Abschlagszahlungen und nimmt eine Leistungsbestimmung nach § 366 Abs. 1 BGB vor. Besitzt nun bei der Insolvenz des Arbeitgebers der Arbeitnehmer Arbeitsentgeltansprüche sowohl aus einem Zeitraum, für welchen Insolvenzgeld geschuldet wird, als auch aus einem nicht mehr geschützten Zeitraum, so sind die Teilzahlungen des Arbeitgebers auf den ungeschützten Zeitraum zu verrechnen6.
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BSG v. 28.6.1983 – 10 RAr 26/81, BSGE 55, 195 = ZIP 1983, 1224 (1225). BSG v. 20.3.1984 – 10 RAr 11/83, BSGE 56, 211 = ZIP 1984, 988. BSG v. 22.3.1995 – 10 RAr 1/94, BSGE 76, 67 (77) = ZIP 1995, 935. BSG v. 12.12.1995 – 10 RAr 1/95, BSGE 77, 155 (161) = ZIP 1996, 758. Peters-Lange in Gagel, SGB III, § 165 Rz. 71. EuGH v. 14.7.1998 – Rs. C-125/97, Slg. 1998, I-4493 - A.G.R. Regeling/Bestuur van de Bedrijfsverenigig voor de Metaalnijverheid = NZA 1998, 1109 = NZI 1998, 37.
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Rz. 445
§ 12
Der EuGH nimmt auch bei einer Leistungsbestimmung durch den Arbeitgeber die Til- 439 gungsfolge entsprechend § 366 Abs. 2 BGB vor, da eine Leistungsbestimmung i.S.v. § 366 Abs. 1 BGB durch den Arbeitgeber den Schutz des Arbeitnehmers vereitelt und deshalb gegen Art. 4 RL 80/987/EWG des Rates vom 20.10.1980 verstößt. Die Konsequenz für den Arbeitnehmer ist, dass ihm das Insolvenzgeld in dem Umfange zu gewähren ist, wie wenn keine Leistungsbestimmung getroffen wäre. Der Insolvenzverwalter hat erforderlichenfalls die Abrechnungen für die Arbeitnehmer neu zu erstellen. Stand der Arbeitnehmer zum gleichen, insolventen Arbeitgeber zeitlich nacheinander 440 in mehreren Arbeitsverhältnissen, so kann er aus diesen Arbeitsverhältnissen beim Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 165 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–3 SGB III Insolvenzgeld für maximal drei Monate beanspruchen. Es ist unerheblich, ob das Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich durch Arbeitslosigkeit oder Aufnahme eines anderen Arbeitsverhältnisses unterbrochen war. bb) Umfang des Arbeitsentgeltes (1) Allgemeines Arbeitsentgelt i.S.v. § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III sind die Bezüge aus einem Dienstver- 441 hältnis (§ 114 Abs. 1 InsO). Die begriffsnotwendige Voraussetzung für einen Anspruch auf Insolvenzgeld ist somit zunächst, dass der Arbeitnehmer das Arbeitsentgelt erarbeitet hat. Sämtliche Nebenforderungen aus dem Dienstverhältnis wie z.B. Verzugszinsen, Finanzierungskosten, Kosten der Rechtsverfolgung und Vollstreckungskosten unterliegen deshalb, da es sich um keine erarbeiteten Bezüge handelt, nicht dem Arbeitsentgeltbegriff des § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III. Solche Ansprüche werden folglich über Insolvenzgeld nicht abgedeckt1. Als Arbeitsentgelt gelten jedoch Zuschüsse zum Entgelt, auch wenn diese Zuschüsse kein sozialversicherungsrechtliches Arbeitsentgelt i.S.v. § 14 SGB IV darstellen2. Die Kosten für ein Insolvenzantragsverfahren sind den Sozialversicherungsträgern, 442 jedoch nicht den Arbeitnehmern zu erstatten. Eine solche Differenzierung zwischen den Ansprüchen auf Insolvenzgeld bei den Arbeitnehmern und den Sozialversicherungsträgern ist zulässig3. Im Gegensatz zu den Arbeitnehmern sind den Sozialversicherungsträgern neben den rückständigen Kranken- und Rentenversicherungsbeiträgen auch Nebenforderungen, wie z.B. Kosten der Zwangsvollstreckung sowie die Kosten der Beantragung eines Insolvenzverfahrens unter Einschluss von Sachverständigengebühren nach dem JVEG zu erstatten4. Unter den Begriff des Arbeitsentgeltes i.S.v. § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III sind alle bei- 443 tragspflichtigen Bezüge des Arbeitnehmers bis zur Beitragsbemessungsgrenze (§ 341 Abs. 4 SGB III) zu subsumieren. Die Ansprüche auf Insolvenzgeld sind auf das Bruttoarbeitsentgelt der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze nach § 341 Abs. 4 SGB III begrenzt (§ 167 Abs. 1 SGB III). Alle Aufwendungen des Arbeitnehmers, die er aus Anlass der Erbringung seiner Ar- 444 beitsleistung hatte, stellen Arbeitsentgelt i.S.v. § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III dar und sind somit über das Insolvenzgeld zu erstatten. So sind dem Arbeitnehmer z.B. Reisespesen zu erstatten, soweit diese nachweislich im Drei-Monats-Zeitraum des § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III entstanden sind. Der Insolvenzverwalter muss sich wegen der zeitlichen Zuordnung der Reisespesen vom Arbeitnehmer die Originalbelege aushändigen lassen. Auch dann, wenn der Arbeitnehmer die Aufwendungen mit einer Firmenkreditkarte 445 bezahlt hat und er von dem Kreditkartenunternehmen als Mithaftender in Anspruch genommen wurde, unterliegt der Rückgriffsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber der Insolvenzsicherung über Insolvenzgeld, sofern die Aufwendungen dem Zeitraum
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BSG v. 28.2.1985 – 10 RAr 19/83, ZIP 1985, 626. Marschner, DB 1998, 2165 (2166). BSG v. 15.12.1992 – 10 RAr 2/92, ZIP 1993, 689. Insolvenzgeld-DA der BA, Nr. 1 Abs. 5 zu § 175 SGB III.
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§ 12
Rz. 446
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
des § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III zuzuordnen sind1. Verwendet der Arbeitnehmer jedoch die Firmenkreditkarte oder seine eigene Kreditkarte zur Kreditbeschaffung für den Arbeitgeber, so unterliegen diese Beträge nicht der Insolvenzsicherung, da es sich insoweit um keine Aufwendungen handelt, welche mit der Erbringung von Arbeitsleistungen in Zusammenhang stehen2. 446 Als Arbeitsentgelt i.S.v. § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III sind auch Beitragszuschüsse des Arbeitgebers zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie Beitragszuschüsse zu den berufsständischen Versorgungseinrichtungen (§ 172a SGB VI) zu werten und somit dem Arbeitnehmer durch die Agentur für Arbeit über das Insolvenzgeld zu erstatten. 446a Bei Entgeltumwandlungen nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 BetrAVG gilt die Entgeltumwandlung als nicht vereinbart (§ 165 Abs. 2 Satz 2 SGB III), sofern keine Entgeltanteile an den externen Versorgungsträger (Pensionsfond, Pensionskasse oder Direktversicherung) abgeführt wurden. Die Beitragszahlung muss durch den Arbeitnehmer erfolgen. Hat der Arbeitnehmer die Beiträge bereits ganz oder teilweise entrichtet, erfolgt die Erstattung durch die Agentur für Arbeit über das Insolvenzgeld. 447 Vereinbarte Abfindungen nach §§ 9, 10 KSchG für den Verlust des Arbeitsplatzes stellen grundsätzlich kein Arbeitsentgelt i.S.v. § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III dar3. Eine andere Beurteilung ergibt sich jedoch dann, wenn die Abfindung auch geschuldetes Arbeitsentgelt bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses abgilt. Diese anteiligen Arbeitsentgeltansprüche sind dann über Insolvenzgeld dem Arbeitnehmer zu erstatten4. (2) Schadensersatzansprüche 448 Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers wegen einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses begründen keinen Anspruch auf Insolvenzgeld. Ein aus § 628 Abs. 2 BGB resultierender Schadensersatzanspruch stellt keinen Anspruch aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis dar, sondern er entsteht für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Aus diesem Grunde wird Insolvenzgeld nicht geschuldet5. Als Arbeitsentgelt i.S.v. § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III sind jedoch Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers zu werten, wenn der Arbeitgeber es versäumt hat, rechtzeitig im Rahmen von Kurzarbeit die Anzeige über den Arbeitsausfall zu erstatten oder Fristen bei der Antragstellung auf Kurzarbeitergeld, Winterausfallgeld etc. versäumt. Voraussetzung für den Insolvenzgeldanspruch ist jedoch auch hier, dass die entgangenen Leistungen dem Insolvenzgeldzeitraum zuzuordnen sind6. cc) Einmalzahlungen 449 Der Arbeitsentgeltanspruch des Arbeitnehmers kann nur dann einen Anspruch auf Insolvenzgeld begründen, wenn der Anspruch zeitlich dem Insolvenzgeldzeitraum zuzuordnen ist. Auf die Fälligkeit der jeweiligen Ansprüche kommt es nicht an. (1) Jahressonderzahlung 450 Eine Jahressonderzahlung, welche im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses gewährt wird, kann unterschiedliche Zwecke verfolgen. Sie stellt entweder die Gewährung einer zusätzlichen Vergütung für das Bezugsjahr oder eine Belohnung der Betriebstreue dar. 451 Für den Entgeltcharakter einer Jahressonderzahlung sprechen z.B.: – anteilige Zahlung der Jahressonderzahlung für den Fall des Ein- oder Austritts des Arbeitnehmers während des Kalenderjahres;
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BSG v. 16.9.1991 – 10 RAr 12/90, BSGE 69, 228 = NZA 1992, 329 = ZIP 1992, 347. BSG v. 18.9.1991 – 10 RAr 12/90, BSGE 69, 228 (232) = NZA 1992, 329 = ZIP 1992, 347 (349). BAG v. 25.2.1981 – 5 AZR 922/78, BAGE 35, 98 = ZIP 1981, 1021 = NJW 1982, 127. Insolvenzgeld-DA der BA, Nr 7.2 Abs. 3 zu § 165 SGB III. BSG v. 29.2.1984 – 10 RAr 20/82, BSGE 56, 201 = ZIP 1984, 1249. BSG v. 17.7.1979 – 12 RAr 4/79, BSGE 48, 277.
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Vergtungsansprche
Rz. 455
§ 12
– anteilige Zahlung der Jahressonderzahlung bei zeitweiligem Ruhen des Arbeitsverhältnisses im Bezugsjahr; – anteilige Rückerstattung der Jahressonderzahlung bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis. Für die Belohnung der Betriebstreue durch die Jahressonderzahlung sprechen z.B.: 452 – Zahlung der vollen Jahressonderzahlung, sofern der Arbeitnehmer am Auszahlungstag in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis steht (so genannte Stichtagsregelung); – volle Rückzahlung der Jahressonderzahlung für den Fall des Ausscheidens bis zu einem bestimmten Stichtag des Folgejahres; – Ausschluss des Anspruches auf eine bereits erarbeitete Jahressonderzahlung bei Vertragsbruch oder bei Vorliegen von Gründen, die den Arbeitgeber berechtigen, den Arbeitsvertrag fristlos zu kündigen; – Zahlung der vollen Jahressonderzahlung bei einer sich über das gesamte Bezugsjahr erstreckenden Erkrankung des Arbeitnehmers; – Staffelung der Höhe der Jahressonderzahlung nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit. Sofern in einem Arbeits- oder Tarifvertrag Regelungen getroffen werden, aus denen sich ergibt, dass die Jahressonderleistung sowohl die im Bezugsjahr erbrachte Arbeitsleistung zusätzlich vergüten und daneben vergangene und/oder zukünftige Betriebstreue honorieren soll, liegt eine Jahressonderzahlung mit Mischcharakter vor.
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Für die Behandlung der Jahressonderzahlung mit Mischcharakter beim Insolvenz- 454 geld gilt Folgendes: Ist der alleinige Zweck der Jahressonderzahlung die zusätzliche Vergütung für die im Bezugsjahr geleistete Tätigkeit, so sind maximal 3/12 der Jahressonderzahlung beim Insolvenzgeld zu berücksichtigen1. Handelt es sich um eine Jahressonderzahlung mit Mischcharakter und ist im Arbeits- oder Tarifvertrag ausdrücklich geregelt, dass im Falle der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Bezugsjahr eine anteilige Zahlung der Jahressonderzahlung erfolgt, ist ebenfalls 3/12 der Jahressonderzahlung im Insolvenzgeldzeitraum zu berücksichtigen2. Wird durch die Jahressonderzahlung allein die Betriebstreue belohnt, so ist die Jah- 455 ressonderzahlung in voller Höhe im Rahmen des Insolvenzgeldes zu berücksichtigen, wenn alle wesentlichen Anspruchsvoraussetzungen für den Anspruch auf die Jahressonderzahlung im Insolvenzgeldzeitraum erfüllt sind, insbesondere wenn bei einer Stichtagsregelung der Stichtag im Insolvenzgeldzeitraum liegt3. Gleiches gilt auch für Jahressonderzahlungen mit Mischcharakter, sofern für den Fall einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Bezugsjahr keine ausdrückliche Regelung über eine anteilige Zahlung getroffen ist4. Dieses hat bei Jahressonderzahlungen ohne ausdrückliche Regelung einer anteiligen Zahlung im Falle der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Bezugsjahr zur Konsequenz, dass die volle Jahressonderzahlung über Insolvenzgeld dann dem Arbeitnehmer zu erstatten ist, wenn der Fälligkeitstermin in den Insolvenzgeldzeitraum fällt5. Hier ist ausnahmsweise für den Anspruch auf Insolvenzgeld die Fälligkeit der Jahressonderzahlung maßgeblich6. Wird jedoch der Fälligkeitstermin nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit in den Insolvenzgeldzeitraum verlegt, entfaltet diese Betriebsvereinbarung wegen des Verstoßes gegen die guten Sitten keine Wirkung7. Der festgelegte Auszahlungszeitpunkt kann durch eine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber – Stundung – zu Lasten der Bundesagentur für Arbeit nicht hinausgeschoben werden8. 1 2 3 4 5 6 7 8
Peters-Lange in Gagel, SGB III, § 165 Rz. 108. BSG v. 10.9.1987 – 10 RAr 10/86, BSGE 62, 131 (134) = MDR 1988, 260. BSG v. 10.9.1987 – 10 RAr 10/86, BSGE 62, 131 (134) = MDR 1988, 260. Peters-Lange in Gagel, SGB III § 165 Rz. 108. BSG v. 18.3.2004 – B 11 AL 57/03 R, BSGE 92, 254 = ZIP 2004, 1376. BAG v. 26.5.1992 – 9 AZR 41/91, BAGE 70, 275 = NZA 1993, 848. BSG v. 18.3.2004 – B 11 AL 57/03 R, BSGE 92, 254 = ZIP 2004, 1376. BSG v. 21.7.2005 – B 11a/11 AL 53/04 R, NZA-RR 2006, 437.
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§ 12 456
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Rz. 456
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
Hinweis: Liegt die Fälligkeit für die Jahressonderzahlung bei dieser Sachverhaltskonstellation nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, stellt der gesamte Anspruch auf die Jahressonderzahlung einen Masseschuldanspruch nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO dar. Besteht ein Anspruch auf Jahressonderzahlung, muss der vorläufige Insolvenzverwalter als Gutachter prüfen, ob eine Stichtagsregelung vereinbart ist. Ist dieses zu bejahen, hat er im Gutachten das Insolvenzgericht hierauf aufmerksam zu machen und sein Gutachten zeitlich so zu erstatten, dass durch das Insolvenzgericht unmittelbar nach dessen Eingang über die Insolvenzeröffnung entschieden werden kann1, da eine Abstimmung des Datums der Insolvenzeröffnung nicht mehr zulässig ist.
457 Ist der Zweck für die Jahressonderzahlung nicht oder nicht eindeutig zu ermitteln, ist davon auszugehen, dass es sich lediglich um eine zusätzliche Vergütung für die in der Vergangenheit geleistete Arbeit handelt2. 458 Sieht der Arbeits- oder Tarifvertrag für das Jahr des Eintrittes oder des Ausscheidens eine Zwölftelung einer Jahressonderzahlung vor, so ist je 1/12 der Jahressonderzahlung auf den durch Insolvenzgeld gesicherten Zeitraum anzurechnen3. Auch dann, wenn in einem Arbeits- oder Tarifvertrag die Voraussetzung für den Anspruch auf anteilige Jahressonderzahlung dahingehend geregelt wurde, dass der Arbeitnehmer an einem bestimmten Stichtag in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis steht und das Insolvenzereignis vor diesem Stichtag eintrat, besteht ein Anspruch auf Insolvenzgeld4. Sofern sich aus dem Zweck der Jahressonderzahlung ergibt, dass ein enges Verhältnis zwischen der erbrachten Arbeitsleistung und der Gewährung der Jahressonderzahlung besteht, sind 3/12 bei der Berechnung des Insolvenzgeldes zu berücksichtigen5. 458a Bei der Errechnung des Insolvenzgeldes sind die 3/12 der Jahressonderzahlung nicht im letzten abzurechnenden, insolvenzgeldfähigen Zeitraum zu berücksichtigen, sondern es sind je 1/12 der Jahressonderzahlung in den jeweiligen insolvenzgeldfähigen Zeiträumen abzurechnen6. Dieses gilt auch, wenn hierdurch vollständig abgerechnete und ausbezahlte Entgeltzeiträume neu zu berechnen sind, da nur durch diese Abrechnungsweise eine Steuerprogression zum Nachteil der Arbeitnehmer vermieden wird. 459 Durch Arbeits- und Tarifvertrag kann eine zeitliche Zuordnung der Jahressonderzahlung vorgenommen werden. Es kann z.B. geregelt sein, dass die Jahressonderzahlung zum 30. Juni eines Kalenderjahres ohne Rücksicht darauf vorgenommen wird, ob der Arbeitnehmer noch bis zum Ende des Jahres im Betrieb bleibt oder nicht. In einem solchen Falle fehlt jeglicher Anhaltspunkt für eine Aufteilung der Jahressonderzahlung auf die Monate des laufenden Jahres7. Eine solche tarifliche Regelung kann für den Arbeitnehmer Vor- und Nachteile haben, je nachdem, ob der Anspruch auf die Jahressonderzahlung in den letzten drei Monaten des Arbeitsverhältnisses entstand oder nicht. Entstand der Anspruch in den letzten drei Monaten des Arbeitsverhältnisses oder vor dem Insolvenzereignis, so ist die Jahressonderzahlung in voller Höhe über Insolvenzgeld abzugelten8. Entsteht in diesen Fällen der Anspruch auf die Jahressonderzahlung vor dem Insolvenzgeldzeitraum, besitzt der Arbeitnehmer nur eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO. Entsteht die Forderung nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, stellt der Anspruch des Arbeitnehmers eine Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO dar. Diese Differenzierungen können daher gerade in Insolvenzverfahren mit vielen Arbeitnehmern entscheidend für den Gang des Insolvenzverfahrens und die wirtschaftlichen Ergebnisse der Beteiligten sein. 1 2 3 4 5 6 7 8
BGH v. 17.2.2004 – IX ZR 135/03, ZIP 2004, 766. BAG v. 8.11.1978 – 5 AZR 358/77, NJW 1979, 1223. BSG v. 12.8.1987 – 10 RAr 9/86, NZA 1988, 79. Peters-Lange in Gagel, SGB III, § 165 Rz. 107. BSG v. 10.9.1987 – 10 RAr 10/86, BSGE 62, 131 = MDR 1988, 260. BSG v. 12.8.1987 – 10 RAr 9/86, NZA 1988, 179. BSG v. 7.9.1988 – 10 RAr 13/87, ZIP 1988, 1585 (1587). BSG v. 18.1.1990 – 10 RAr 10/89, ZIP 1990, 524.
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Vergtungsansprche
Rz. 463
§ 12
(2) Gewinnbeteiligung Die Gewinnbeteiligung stellt ein so genanntes aufgestautes Arbeitsentgelt dar. Die 460 Gewinnbeteiligung ist arithmetisch auf die einzelnen Monate, für welche die Gewinnbeteiligung geschuldet wurde oder wird, aufzuteilen1. Soweit nach der erfolgten Aufteilung Anteile der Gewinnbeteiligung in den Insolvenzgeldzeitraum des § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III entfallen, sind diese mit je 1/12 pro Monat über Insolvenzgeld abzugelten2. Die außerhalb des Insolvenzgeldzeitraumes rechnerisch zuzuordnende, anteilige Gewinnbeteiligung stellt eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO dar. Anteilige Gewinnbeteiligungen aus dem noch bestehenden Arbeitsverhältnis für die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Da die dauerhafte Gewinnerzielung in Unternehmen vor einem Insolvenzereignis 460a nicht der Regelfall ist, dürfte die praktische Relevanz dieser Fälle seit der Koppelung des Insolvenzgeldes an die Beitragsbemessungsgrenze im Jahr 2004 weiter zurückgehen. (3) Tantieme Oft ist der Tantiemeanspruch zu bewerten. Dieser wird zwar rechtlich wie eine Gewinnbeteiligung behandelt, d.h. es ist auf den abzugeltenden Zeitraum abzustellen3. Allerding ist die Ermittlungsbasis (Umsatz, Kundenanzahl, fehlende Krankheitstage etc.) vielfältiger und damit praktisch relevanter als die Gewinnbeteiligung.
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Die Ansprüche der Arbeitnehmer aus einer Zielvereinbarung sind insolvenzgeldfähig. 461a Auch hier ist auf den Zeitraum des Erarbeitens (Erarbeitensprinzip) abzustellen. Auch dann, wenn die Zielvereinbarung aus Gründen, welche der Arbeitnehmer nicht zu vertreten hat, nicht vorliegt, bestehen Ansprüche auf die variable Vergütung4. Es handelt sich nicht um Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers, die nicht insolvenzgeldfähig wären. Die Höhe der variablen Vergütung ist gemäß § 287 ZPO zu schätzen. (4) Bauleiterprämie Die Bauleiterprämien werden in der Bauwirtschaft üblicherweise für eine mehrjäh- 462 rige Tätigkeit gewährt und der Arbeitnehmer hierdurch am wirtschaftlichen Erfolg der Baustelle beteiligt. Auch bei der Bauleiterprämie ist für das Insolvenzgeld nicht maßgeblich, wann der Anspruch fällig wurde, sondern für welchen Zeitraum dem Arbeitnehmer dieses zusätzliche Entgelt geschuldet wird. Auch hier ist wiederum der zeitanteilig auf den Insolvenzgeldzeitraum entfallende Teilbetrag zu ermitteln und dem Arbeitnehmer über Insolvenzgeld zu vergüten5. (5) Provision Im Gegensatz zu der Gewinnbeteiligung, Tantieme und Bauleiterprämie kommt es 463 beim Provisionsanspruch nicht darauf an, in welchem Zeitpunkt der Anspruch erarbeitet wurde. Entscheidend ist nur, dass der Provisionsanspruch – wenn auch unter der aufschiebenden Bedingung der späteren Ausführung des Geschäftes – im Insolvenzgeldzeitraum entstanden ist6. Ohne eine gesonderte Abrede zwischen dem Unternehmer und Arbeitnehmer entsteht der Provisionsanspruch mit dem Abschluss des Vertrages (Geschäftes). Kommt infolge der Insolvenz oder auch infolge der Erfüllungsablehnung durch den Insolvenzverwalter (§ 103 Abs. 2 InsO) der Auftrag nicht zur Ausführung, so hat dieser Umstand auf die Provisionsansprüche des angestellten Handelsvertreters keinen Einfluss. Es wird für die im Insolvenzgeldzeitraum des § 165 1 Kühl in Brand, SGB III, § 165 Rz. 62. 2 BAG v. 21.5.1980 – 5 AZR 337/78, BAGE 33, 113 = NJW 1981, 77 = ZIP 1980, 666 = MDR 1980, 964. 3 BAG v. 21.5.1980 – 5 AZR 441/78, NJW 1981, 79 = ZIP 1980, 784. 4 BSG v. 23.3.2006 – B 11a AL 29/05, NZA 2006, 1148 = ZIP 2006, 1414. 5 BAG v. 4.6.1985 – 3 AZR 355/83, NZA 1986, 363 = ZIP 1986, 657. 6 BSG v. 24.3.1983 – 10 RAr 15/81, BSGE 55, 62 = ZIP 1983, 965.
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§ 12
Rz. 464
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
Abs. 1 Satz 1 SGB III entstandene Provisionsanwartschaft Insolvenzgeld geschuldet. Sofern jedoch noch Tätigkeiten des Arbeitnehmers oder auch Dritter, z.B. Zahlung des Kunden, für das Entstehen des Provisionsanspruches vertraglich erforderlich sind, muss der letzte Akt dieser Tätigkeit noch in den Insolvenzgeldzeitraum fallen1. Durch die Insolvenzeröffnung wird der Bestand des entstandenen Provisionsanspruches nicht berührt, da der Schuldner die Nichtausführung des Geschäftes, wenn es nicht ausgeführt wird, infolge der Insolvenz i.S.v. § 87a Abs. 3 Satz 2 HGB zu vertreten hat. (6) Urlaubsabgeltung 464 Der Arbeitnehmer hat in Bezug auf Urlaubsabgeltungsansprüche (§ 7 Abs. 4 BUrlG) keinen Anspruch auf Insolvenzgeld (§ 167 Abs. 1 SGB III)2. Da mangels der Insolvenzgeldfähigkeit der Urlaubsabgeltungsansprüche ein Forderungsübergang auf die Bundesagentur für Arbeit nach § 169 SGB III nicht erfolgt, verbleibt dem Arbeitnehmer trotz der Antragstellung auf Gewährung von Insolvenzgeld die Aktivlegitimation zur Weiterverfolgung der Urlaubsabgeltungsansprüche. 465 Ist das Arbeitsverhältnis noch vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beendet worden, stellen die Urlaubsabgeltungsansprüche des Arbeitnehmers Insolvenzforderungen nach § 38 InsO dar, die mit dem Bruttobetrag zur Insolvenztabelle anzumelden sind. Wird das Arbeitsverhältnis aber erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beendet und entstehen infolge der Beendigung Urlaubsabgeltungsansprüche (§ 7 Abs. 4 BUrlG), so stellt der Urlaubsabgeltungsanspruch eine sonstige Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO dar3. Dieses gilt nicht nur für den Urlaub des laufenden Jahres, sondern auch für den übertragenen Urlaub4. Mit dem Tode des Arbeitnehmers erlischt der Urlaubsanspruch ebenso wie ein Urlaubsabgeltungsanspruch5. (7) Urlaubsentgelt 466 Das Urlaubsentgelt stellt Arbeitsentgelt i.S.v. § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III dar, da die Vergütung dem Arbeitnehmer während des bezahlten Urlaubs gemäß § 1 BUrlG fortzuzahlen ist. Das Urlaubsentgelt ist folglich bei Vorliegen der sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III dem Arbeitnehmer zu erstatten. Auch beim Urlaubsentgelt ist unerheblich, ob die Fälligkeit aufgrund arbeits- oder tariflicher Regelung mit Urlaubsbeginn entsteht. Obgleich der Urlaubsanspruch unteilbar ist, bewirkt die Insolvenzeröffnung während des angetretenen Urlaubs, dass das zeitanteilig auf den Zeitraum vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entfallende Urlaubsentgelt als Insolvenzgeld zu erstatten ist und das zeitanteilige Urlaubsentgelt für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO darstellt6, da der Arbeitnehmer in Unkenntnis der Insolvenzeröffnung weitergearbeitet hat (§ 165 Abs. 3 SGB III). Auch in diesem Fall ist jedoch der Insolvenzgeldanspruch auf maximal drei Monate begrenzt. (8) Zusätzliches Urlaubsgeld 467 Soweit arbeitsvertraglich oder tariflich ein zusätzliches Urlaubsgeld geschuldet wird, teilt dieses grundsätzlich das rechtliche Schicksal des Urlaubsentgeltes7. Wird das zusätzliche Urlaubsgeld entsprechend des Arbeits- oder Tarifvertrages an einem bestimmten Kalendertag, z.B. dem 1. Juli eines jeden Jahres zur Auszahlung fällig, gilt das Gleiche wie bei der Jahressonderzahlung: Liegt der Fälligkeitszeitpunkt für das zusätzliche Urlaubsgeld im Insolvenzgeldzeitraum des § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III, so ist das zusätzliche Urlaubsgeld in voller Höhe über Insolvenzgeld zu erstatten. Auf 1 Kühl in Brand, SGB III, § 165 Rz. 68. 2 BSG v. 20.2.2002 – B 11 AL 71/01 R (Essen), NZI 2002, 506 = DZWIR 2002, 381. 3 BAG v. 25.3.2003 – 9 AZR 174/02, ZIP 2003, 1802 = NZA 2004, 43 = BB 2003, 2404 = DZWIR 2003, 461 = DB 2003, 2180. 4 BAG v. 15.2.2005 – 9 AZR 78/04, BAGE 113, 371 = NZA 2005, 1124 = ZIP 2005, 1653. 5 BAG v. 23.6.1992 – 9 AZR 111/91, BAGE 70, 348 = NZA 1992, 1088. 6 BSG v. 1.12.1976 – 7 RAr 136/75, BSGE 43, 49 (52). 7 BAG v. 4.6.1977 – 5 AZR 663/75, BAGE 29, 211 = NJW 1978, 182 = MDR 1977, 1050.
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Vergtungsansprche
Rz. 473
§ 12
die Frage, für welche Urlaubstage das zusätzliche Urlaubsgeld bestimmt war, kommt es nicht an. (9) Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle Erfüllt der Arbeitgeber seine gesetzliche Lohnfortzahlungsverpflichtung nicht und 468 erbringt deshalb gemäß §§ 44, 49 SGB V die Krankenkasse während des Entgeltfortzahlungszeitraumes Krankengeldzahlungen, geht der Arbeitsentgeltanspruch des Arbeitnehmers kraft Gesetzes (§ 115 Abs. 1 SGB X) auf die Krankenkasse über und begründet für die Krankenkasse einen Insolvenzgeldanspruch. Ist die Krankenkasse gemäß § 8 Abs. 1 EFZG verpflichtet, über das rechtliche Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus Leistungen zu erbringen, kann sie Insolvenzgeld nur für den Zeitraum bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses beanspruchen (§ 166 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. SGB III). (10) Lohn- und Gehaltsnachzahlung Bei Lohn- und Gehaltsnachzahlungen kommt es ebenfalls nicht auf deren Fälligkeit 469 an. Ausschlaggebend für das Insolvenzgeld ist die Zuordnung zu dem Zeitraum, für den die Lohn- und Gehaltsnachzahlung bestimmt ist. Nur mit dem Insolvenzgeldzeitraum deckungsgleiche Nachzahlungszeiträume sind im Rahmen der Insolvenzgeldzahlung zu berücksichtigen1. 469a
Beispiel: Ist die pauschale Nachzahlung für die Monate Januar, Februar und März eines Kalenderjahres bestimmt, wird die Nachzahlung fällig mit der Auszahlung des Entgeltes für April des Kalenderjahres und erfolgt die Insolvenzeröffnung am 1. März des Kalenderjahres, so sind nur 2/3 der Nachzahlung insolvenzgeldfähig, da nur die Monate Januar und Februar in den Insolvenzgeldzeitraum nach § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III fallen.
Durch § 166 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 SGB III wird die Berücksichtigung von nachträglichen Tariflohnerhöhungen beim Insolvenzgeld nicht ausgeschlossen, soweit sich die Tariflohnerhöhung auf Insolvenzgeldzeiträume bezieht2.
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(11) Betriebsübergang Auch dann, wenn neben dem Arbeitgeber eine Haftung Dritter für die Entgeltansprü- 471 che des Arbeitnehmers besteht, hat der Arbeitnehmer aufgrund des Zweckes des Insolvenzgeldes als vorrangige Sicherung dennoch Anspruch auf Insolvenzgeldzahlung3. Ging der Betrieb durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über und trat hierdurch der Betriebsübernehmer in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Überganges bestehenden Arbeitsverhältnissen (§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB) ein, berührt dieses den Anspruch des Arbeitnehmers auf Insolvenzgeld nicht4. Der Zweck des Insolvenzgeldes ist es, dem Arbeitnehmer eine vorrangige Sicherung gegen Entgeltausfälle zu gewähren5. Zum Betriebsübergang in der Insolvenz vgl. nachstehend Rz. 582 ff. Erwirbt der Betriebserbwerber das schuldnerische Unternehmen vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens haftet er der Arbeitsagentur für das an die Arbeitnehmer der Schuldnerin gezahlte Insolvenzgeld6. Auch soweit bei Personengesellschaften eine Haftung des persönlich haftenden Ge- 472 sellschafters gemäß § 128 HGB besteht, kann der Arbeitnehmer auf diese Haftung nicht verwiesen werden, da hierdurch der Zweck des Insolvenzgeldes, dem Arbeitnehmer eine möglichst schnelle Zahlung zu gewährleisten, vereitelt würde7. Hat der Arbeitnehmer für seine Entgeltansprüche Sicherheiten, so kann er ebenfalls nicht darauf verwiesen werden, dass er zunächst die Sicherheiten verwerten muss 1 2 3 4 5 6 7
BSG v. 24.11.1983 – 10 RAr 12/82, ZIP 1984, 345. Kühl in Brand, SGB III, § 166 Rz. 5. BSG v. 30.4.1981 – 10/8b/12 RAr 11/79, BSGE 51, 296 (298) = ZIP 1981, 748. BSG v. 6.11.1985 – 10 RAr 3/84, BSGE 59, 107 (108) = ZIP 1986, 100. BSG v. 28.6.1983 – 10 RAr 26/81, BSGE 55, 195 = ZIP 1983, 224. BAG v. 20.6.2002 – 8 AZR 459/01, NZA 2003, 318 = ZIP 2003, 222. BSG v. 10.8.1988 – 10 RAr 2/86, BSGE 64, 24 (25).
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473
§ 12
Rz. 474
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
und dass nur ein eventuell verbleibender Differenzbetrag seiner Arbeitsentgeltansprüche über Insolvenzgeld befriedigt wird. Solange die Arbeitsentgeltansprüche des Arbeitnehmers nicht tatsächlich befriedigt sind, ist beim Eintritt des Insolvenzereignisses beim Arbeitgeber Insolvenzgeld zu bewilligen. Es ist nicht erforderlich, dass bei einem mithaftenden Dritten die Insolvenzgeldvoraussetzungen nach § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III gegeben sind, da er nicht Arbeitgeber ist. Ebenso unerheblich ist, ob Ansprüche gegen Dritte oder Sicherheiten vorhanden sind, da Pfandrechte sowie andere akzessorische Sicherungsrechte mit dem Arbeitsentgeltanspruch (§ 169 Satz 1 SGB III) mit dem Antrag auf Insolvenzgeld auf die Bundesagentur für Arbeit übergehen (§ 401 BGB). Gleiches gilt für Ansprüche gegen mithaftende Dritte, z.B. aus Bürgschaft oder § 613a BGB sowie der Haftung des persönlich haftenden Gesellschafters1. (12) Arbeitszeitguthaben 474 Arbeitszeitguthaben, die im Rahmen der Flexibilisierung der Arbeitszeit entstanden sind, unterliegen gleichfalls der Insolvenzgeldsicherung, sofern die Zuordnung zum Insolvenzgeldzeitraum nach § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III unter Berücksichtigung des Erarbeitungsprinzips möglich ist und erfolgt2. Ein Anspruch auf Insolvenzgeld besteht auch dann, wenn im Insolvenzgeldzeitraum geleistete Arbeitsstunden unvergütet geblieben sind, weil die älteren Lohnforderungen durch die Lohnzahlung im Insolvenzgeldzeitraum getilgt wurden3. (13) Arbeitsleistung ohne Kenntnis des Insolvenzereignisses 475 Insbesondere bei der Abweisung des Insolvenzantrages mangels Masse gibt es Fälle, in denen die Arbeitnehmer in Unkenntnis des Insolvenzereignisses weiterarbeiten oder gar mit dem insolventen Arbeitgeber ein neues Arbeitsverhältnis begründen. Auch in diesen Fällen der Unkenntnis eines Insolvenzereignisses besteht der Anspruch auf Insolvenzgeld für die drei Monate des Arbeitsverhältnisses vor der Kenntnisnahme des Arbeitnehmers von dem Insolvenzereignis (§ 165 Abs. 3 SGB III). Der Insolvenzgeldzeitraum endet erst mit positiver Kenntnis des Arbeitnehmers von einem Insolvenzereignis nach § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III. 476 Befindet sich der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Insolvenzereignisses im Urlaub und erlangt er erst nach Beendigung des Urlaubes von dem Insolvenzereignis Kenntnis, so ist das Urlaubsentgelt bis zum Zeitpunkt der Kenntnisnahme von dem Insolvenzereignis als Insolvenzgeld zu bezahlen. Die Rechtsprechung fingiert hier eine Weiterarbeit in Unkenntnis des Insolvenzereignisses mit der Folge, dass ausnahmsweise auch für Zeiträume nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Insolvenzgeld geschuldet wird4. Auch hier bestehen die Insolvenzgeldansprüche für maximal drei Monate. 477 Eine Weiterarbeit i.S.v. § 165 Abs. 2 SGB III liegt auch dann vor, wenn der Arbeitnehmer infolge seiner Erkrankung von dem Insolvenzereignis keine Kenntnis erlangt hat oder weil er unter Fortzahlung des Arbeitsentgeltes von der Arbeitsleistung freigestellt ist. Auch hier ist bis zum Tage der tatsächlichen Kenntnisnahme von dem Insolvenzereignis dem Arbeitnehmer Insolvenzgeld zu gewähren5. Generell soll der Insolvenzgeldanspruch keine Entschädigung für diejenige Zeit sein, in welcher der Arbeitnehmer ohne Gegenleistung gearbeitet hat, sondern eine Ersatzleistung für die Zeit, für welche der Arbeitsentgeltanspruch durch den Arbeitgeber zu erfüllen war6.
1 2 3 4 5 6
BSG v. 2.11.2000 – B 11 AL 23/00 R, NZI 2001, 440 = NZA-RR 2001, 553 (554). BSG v. 25.6.2002 – B 11 AL 90/01 R, BSGE 89, 289 = ZInsO 2002, 1049 = ZIP 2004, 135. Hase, DZWIR 1999, 190. BSG v. 30.10.1980 – 8b/12 RAr 7/79, BSGE 50, 269 = ZIP 1981, 37. BSG v. 3.10.1989 – 10 RAr 7/89, ZIP 1990, 63. BSG v. 30.10.1980 – 8b/12 RAr 7/79, BSGE 50, 269 = ZIP 1981, 37.
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Rz. 482
§ 12
(14) Ansprüche der Erben Der Erbe kann wie ein Arbeitnehmer gemäß § 165 Abs. 4 SGB III einen eigenen Insol- 478 venzgeldanspruch geltend machen, sofern er durch Erbgang Inhaber nicht erfüllter Arbeitsentgeltansprüche wurde. Der Antragsbefugnis des Erben auf Insolvenzgeld setzt voraus, dass der Übergang der Arbeitsentgeltansprüche auf die Erben vor der Stellung des Antrages auf Insolvenzgeld und vor dem Insolvenzereignis erfolgte. Ist der Arbeitnehmer nach der Antragstellung auf Insolvenzgeld entweder vor oder nach dem Insolvenzereignis verstorben, so wird der fällige Insolvenzgeldanspruch gemäß § 58 SGB I nach den Vorschriften des BGB vererbt. Die gelegentlich in Arbeits- und Tarifverträgen geregelten Ansprüche von Hinterblie- 479 benen auf Gehaltsfortzahlungen im Todesfalle begründen keinen Anspruch auf Insolvenzgeld. Zum einen stellt diese Gehaltsfortzahlung kein Arbeitsentgelt i.S.v. § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III dar1, da es sich um kein erarbeitetes Arbeitsentgelt handelt. Zum anderen entsteht der Anspruch nicht in der Person des Arbeitnehmers, sondern in der Person der Hinterbliebenen. Gleichgültig ob der Arbeitnehmer vor seinem Tod Urlaubsabgeltungsansprüche bei 480 seinem Arbeitgeber geltend gemacht hat oder nicht, besteht für diese Urlaubsabgeltungsansprüche auch in der Hand der Erben kein Anspruch auf Insolvenzgeld (§ 166 Abs. 1 Nr. 1 SGB III). dd) Höhe der Leistung Das Insolvenzgeld ist so hoch wie der Teil des um die gesetzlichen Abzüge verminder- 481 ten Arbeitsentgeltes für die letzten dem Insolvenzereignis vorgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses. Das Arbeitsentgelt ist somit um die Arbeitnehmerbeiträge zur Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung sowie um die steuerlichen Abzüge zu mindern. Die steuerlichen Abzüge sind ausschließlich unter Verwendung der Lohnsteuertabellen zu ermitteln. Die Vorschriften über den permanenten Lohnsteuerjahresausgleich gemäß § 39b Abs. 2 EStG sind nicht anzuwenden, sondern der Steuerabzug hat anhand der Monatslohnsteuertabellen zu erfolgen2. Die Lohnsteuer ist im Rahmen der Berechnung des Insolvenzgeldes so zu errechnen, wie sie der Arbeitgeber errechnen musste. Bei Einmalzahlungen ist deshalb § 39b Abs. 3 EStG anzuwenden3. Soweit auf der Lohnsteuerkarte individuelle Freibeträge zugunsten des Arbeitnehmers eingetragen sind, müssen diese bei der Berechnung des Insolvenzgeldes gleichfalls berücksichtigt werden4. Da das Insolvenzgeld den individuellen Arbeitsentgeltausfall sichern soll, kommt es auch auf die individuellen steuerlichen Verhältnisse an5. Die Kürzung des Arbeitsentgeltes zum Zwecke der Errechnung des Insolvenzgeld- 482 anspruchs um fiktive Lohnsteuerbeträge unterbleibt, wenn das Arbeitsentgelt im Ausland erzielt und sowohl nach dem ausländischen als auch nach dem inländischen Steuerrecht steuerfrei ist6. Trotz der Regelung in § 167 Abs. 2 Nr. 2 SGB III bleibt es bei diesem Nettoprinzip, da § 167 Abs. 2 Nr. 2 SGB III ausschließlich die Errechnung des Insolvenzgeldes für Grenzgänger regelt. Als Grenzgänger werden Arbeitnehmer mit ausländischem Wohnsitz behandelt, welche bei ihrer inländischen Tätigkeit nicht der deutschen Lohnbesteuerung unterliegen. Hier werden, um eine Besserstellung gegenüber Arbeitnehmern, bei denen ein gesetzlicher Lohnabzug vorgenommen wird, die fiktive Lohnsteuer, Kirchenlohnsteuer etc. berücksichtigt. Auch bei Einkünften, die nicht der Lohnsteuer unterliegen, z.B. bei Gesellschafter-Arbeitnehmern, erfolgt eine fiktive Lohnsteuerberechnung, um auch für diesen Personenkreis sonst vorliegende Vorteile im Rahmen des Insolvenzgeldes zu vermeiden7. 1 2 3 4 5 6 7
BSG v. 11.3.1987 – 10 RAr 2/85, ZIP 1987, 796. BSG v. 19.2.1986 – 10 RAr 14/84, BSGE 60, 7 = BB 1986, 1368 = KTS 1986, 491. BSG v. 10.8.1988 – 10 RAr 5/87, KTS 1989, 178. Offen: BSG v. 19.2.1986 – 10 RAr 14/84, BSGE 60, 7 (11) = BB 1986, 1368 = KTS 1986, 491. Peters-Lange in Gagel, SGB III, § 167 Rz. 7. BSG v. 27.6.1985 – 10 RAr 16/84, ZIP 1985, 1148. Kühl in Brand, SGB III, § 167 Rz. 8.
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§ 12
Rz. 483
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
483 Mit Wirkung vom 1.1.2004 wurde das Insolvenzgeld auf das der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze (§ 341 Abs. 4 SGB III) entsprechende Bruttoarbeitsentgelt begrenzt (§ 167 Abs. 1 SGB III). Diese Gesetzesänderung bewirkt, dass besser verdienende Arbeitnehmer nicht mehr in voller Höhe ihren Entgeltausfall über Insolvenzgeld erhalten und nunmehr den übersteigenden Teilbetrag als Insolvenzforderung (§ 38 InsO) zur Insolvenztabelle anmelden müssen. 483a Im Insolvenzantragsverfahren kann durch das Insolvenzgericht dem vorläufigen Insolvenzverwalter durch eine Einzelermächtigung gestattet werden, konkret bezeichnete Masseverbindlichkeiten zu Lasten der späteren Insolvenzmasse zu begründen1. Dementsprechend kann dem vorläufigen Insolvenzverwalter entweder die Bezahlung der durch das spätere Insolvenzgeld nicht gedeckten Differenz der Arbeitsentgeltansprüche oder in dieser Höhe die Begründung von Masseverbindlichkeiten gestattet werden. Allerding sollte diese Vorgehensweise in einem Antragsverfahren, in dem das Insolvenzgeld kollektiv vorfinanziert wird, unbedingt mit der Agentur für Arbeit abgestimmt werden. 483b Der Höchstbetrag gemäß § 167 Abs. 1 SGB III ist nicht um Teilzahlungen, die im Insolvenzgeldzeitraum erbracht wurden, zu kürzen2. 484 Die Agentur für Arbeit hat von einem bestehenden Arbeitsentgeltanspruch auszugehen, wenn ein vollstreckbarer Titel, ein gerichtlicher Vergleich oder ein Versäumnisurteil vorgelegt wird. Die arbeitsgerichtlichen Urteile, auch Versäumnisurteile, entfalten auch für das Insolvenzgeldverfahren eine Bindungswirkung. 484a Das rechtskräftig durch Urteil zugesprochene Arbeitsentgelt stellt generell die Obergrenze eines Anspruches auf Insolvenzgeld dar3. Da das arbeitsgerichtliche Verfahren nicht vom Amtsermittlungsprinzip beherrscht wird, ist die Agentur für Arbeit bei einem Versäumnisurteil nicht gehindert, Tatsachen zu berücksichtigen, die im rechtskräftigen Urteil mangels entsprechenden Vortrages nicht berücksichtigt werden konnten4. 485 Beiträge des Arbeitgebers zur Zukunftssicherung stellen Arbeitsentgelt i.S.v. § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III dar. Im Falle der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers können die Arbeitnehmer diese Beiträge zur betrieblichen Altersversorgung selbst erbringen, mit der Folge, dass die im Drei-Monats-Zeitraum des § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III erbrachten Beiträge über Insolvenzgeld zu erstatten sind5. 485a Sofern der Arbeitnehmer im Insolvenzgeldzeitraum Arbeitslosengeld im Rahmen der Gleichwohlgewährung (§ 157 Abs. 3 Satz 1 SGB III) erhielt, stehen ihm in dieser Höhe keine Ansprüche auf Insolvenzgeld zu, da der Anspruch auf Insolvenzgeld auf die Bundesagentur für Arbeit übergeht. Der übergegangene Insolvenzgeldanspruch erlischt durch Konfusion. Es ist hierbei bedeutungslos, dass die Leistungen des Arbeitslosengeldes und des Insolvenzgeldes aus verschiedenen Vermögensmassen des Sozialversicherungssystems erbracht werden6. Erbringt die Krankenkasse während des Insolvenzgeldzeitraumes Krankengeld, weil der insolvente Arbeitgeber seiner Verpflichtung zur Entgeltzahlung im Krankheitsfalle nicht nachkommt, geht der Arbeitsentgeltanspruch gemäß § 115 Abs. 1 SGB X auf die Krankenkasse über. Diese erwirbt in Höhe der Krankengeldzahlungen den Anspruch auf Insolvenzgeld. ee) Vorschuss 486 Die Voraussetzungen für eine Vorschussgewährung auf Insolvenzgeld ergeben sich aus § 168 Satz 1 SGB III und müssen kumulativ vorliegen.
1 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353 = ZIP 2002, 1625. 2 EuGH v. 4.3.2004 – Rs. C-19, 50, 84/01, Slg. 2004, I-2005 INPS/Alberto Barsotti u.a., Milena Castellani, Anna Maria Venturi, NZA 2004, 425 = ZIP 2004, 867. 3 BSG v. 20.6.1995 – 10 RAr 6/94, ZIP 1995, 1534 (1535). 4 BSG v. 30.7.1981 – 10 8b/RAr 4/80, ZIP 1982, 78 (79). 5 BAG v. 17.11.1992 – 3 AZR 51/92, BAGE 71, 364 = NZA 1993, 843 = ZIP 1993, 696. 6 BSG v. 22.4.1986 – 10 RAr 12/85, ZIP 1986, 852.
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Vergtungsansprche
Rz. 494
§ 12
Im Einzelnen: – Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögend des Arbeitgebers ist beantragt und hierüber noch nicht entschieden. – Es ist hinreichend wahrscheinlich, dass die Voraussetzungen für den Anspruch auf Insolvenzgeld erfüllt werden, d.h. entweder das Insolvenzverfahren eröffnet wird oder die Abweisung mangels Masse erfolgt. Ein Eröffnungsgrund i.S.v. § 16 InsO muss vorliegen. Weiterhin dürfen für eine Antragsrücknahme keine Anhaltspunkte gegeben sein1. – Schließlich muss das Arbeitsverhältnis beendet sein.
487
Eine faktische Beendigung des Arbeitsverhältnisses z.B. durch Freistellung reicht für 488 eine Vorschussgewährung in der Regel nicht aus, sondern das Arbeitsverhältnis muss rechtlich beendet sein. Es lohnt sich in diesen Fällen aber eine konkrete Nachfrage bei der zuständigen Arbeitsagentur, denn einige Agenturen zahlen bei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit des Eintrittes der Anspruchsvoraussetzungen nach § 168 SGB III lieber einen Vorschuss statt zunächst das später anzurechnende Arbeitslosengeld im Rahmen der Gleichwohlgewährung. Die Feststellung, ob die Voraussetzungen des Anspruches auf Zahlung von Insolvenz- 489 geld gegeben sind, beansprucht keine längere Zeit, sondern die Anspruchsvoraussetzung, nämlich die Entscheidung über den Insolvenzantrag, sind zeitlich ungewiss. Die Agentur für Arbeit hat im Rahmen des Ermessens (§ 168 Satz 1 SGB III) Vor- 490 schüsse auf das Insolvenzgeld zu zahlen. Um der Agentur für Arbeit eine sachgerechte Ermessensausübung zu ermöglichen, hat der Arbeitnehmer im Rahmen des Vorschussantrages Entgeltabrechnungen für die Vergangenheit und eine schriftliche Bestätigung des Arbeitgebers, vorläufigen Insolvenzverwalters, des Betriebsrats oder des steuerlichen Beraters vorzulegen, dass die in den Entgeltabrechnungen ausgewiesenen Beträge teilweise oder in voller Höhe unbezahlt sind. Es sind durch den Arbeitnehmer weiterhin Angaben und Nachweise zum Zeitraum des Rückstandes wegen der Drei-Monats-Frist des § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III zu machen. Außerdem sollte eine Bestätigung des vorläufigen Insolvenzverwalters (Gutachters) über das Insolvenzereignis und den Zeitpunkt des Eintritts vorgelegt werden. Die Höhe des Vorschusses liegt im Ermessen der Agentur für Arbeit (§ 168 Satz 2 491 SGB III). Als angemessener Vorschuss wurde in der Praxis bislang 70–90 % der zu erwartenden Leistung erachtet, wobei es nicht ermessensfehlerhaft ist, wenn die Agentur für Arbeit 100 % auf den Insolvenzgeldanspruch bezahlt. Über die Vorschussgewährung muss die Agentur für Arbeit dem Arbeitnehmer einen Bescheid, in welchem auf die Vorläufigkeit der Leistung hingewiesen wird, erteilen. Es ist weiter auf die Anrechnung des Vorschusses auf das Insolvenzgeld (§ 168 Satz 3 SGB III) sowie auf den Erstattungsanspruch der Agentur für Arbeit bei Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen hinzuweisen.
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Auch einem Abtretungs- oder Pfandgläubiger des Anspruches auf Arbeitsentgelt (§ 170 Abs. 1 und 2 SGB III) kann beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 168 SGB III ein Vorschuss auf das Insolvenzgeld gewährt werden2.
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ff) Verfahren (1) Arbeitnehmerpflichten Das Insolvenzgeld ist eine Leistung der Arbeitsförderung, so dass durch den Arbeit- 494 nehmer gemäß § 323 Abs. 1 Satz 1 SGB III eine Antragstellung auf Bewilligung des Insolvenzgeldes erforderlich ist. Die Antragstellung kann formlos mündlich oder fernmündlich erfolgen, wobei ein bestimmter Antragsinhalt nicht vorgeschrieben ist3. Es
1 Kühl in Brand, SGB III, § 168 Rz. 7. 2 A.A. Kühl in Brand, SGB III, § 167 Rz. 5. 3 Striebinger in Gagel, SGB III, § 323 Rz. 4.
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§ 12
Rz. 495
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
genügt zunächst, dass aus dem Antrag ersichtlich ist, dass eine Sozialleistung aus dem Bereich der Arbeitsförderung in Anspruch genommen und der insolvente Arbeitgeber ausdrücklich oder sinngemäß bezeichnet wird. 495 Die Bundesagentur für Arbeit fordert jedoch, dass nach mündlicher Antragstellung die anspruchsbegründenden Tatsachen auf den von der Bundesagentur für Arbeit herausgegebenen Vordrucken angegeben werden. 496 Für das Insolvenzgeld ist die Agentur für Arbeit zuständig, in deren Bezirk die für den insolventen Arbeitgeber zuständige Lohnabrechnungsstelle liegt (§ 327 Abs. 3 Satz 1 SGB III). Der Antrag auf Gewährung von Insolvenzgeld kann zunächst bei jeder Agentur für Arbeit gestellt werden. Eine rechtswirksame, fristwahrende Antragsstellung ist auch bei anderen, unzuständigen Leistungsträgern i.S.v. § 12 SGB I möglich. Solche Leistungsträger sind z.B.: 496a – – – – – – – – –
Ortskrankenkassen, Betriebskrankenkassen, Innungskrankenkassen, Ersatzkassen, Berufsgenossenschaften, Sozialämter, Landesversicherungsanstalten, Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, Gemeinden.
497 Soweit sich Arbeitnehmer im Ausland aufhalten, können diese den Antrag auf Gewährung von Insolvenzgeld bei den amtlichen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland stellen (§ 16 Abs. 1 Satz 2 SGB I). 498 Die zweimonatige Antragsfrist nach § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III wird auch durch die Stellung des Antrages auf Gewährung von Insolvenzgeld bei dem unzuständigen Leistungsträger gewahrt (§ 16 Abs. 2 Satz 2 SGB I)1. Der Leistungsträger ist verpflichtet, den Antrag auf Gewährung von Insolvenzgeld unverzüglich an die zuständige Agentur für Arbeit weiterzuleiten. Keine zuständigen Stellen i.S.v. § 12 SGB I sind z.B. die Finanzämter, Hauptzollämter und die Deutsche Post AG. Ein dort gestellter Antrag wahrt die Antragsfrist nur dann, wenn der Antrag innerhalb der Frist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III entweder bei einem unzuständigen Leistungsträger oder der zuständigen Agentur für Arbeit eingegangen ist. 499 Der Antrag auf Gewährung von Insolvenzgeld kann auch durch einen Dritten, welcher eine schriftliche Vollmacht benötigt2, gestellt werden. Ist dem Antrag die Vollmacht nicht beigefügt, muss diese Vollmacht spätestens bis zum Ablauf der Ausschlussfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III, also innerhalb von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis, nachgereicht werden3. 500 Die Insolvenzgeldanträge können auch als Sammelanträge unter Benutzung einer EDV-Liste erstellt werden. Sofern die im Antrag aufgeführten Arbeitnehmer den Sammelantrag nicht einzeln und persönlich unterzeichnen, sondern die Unterzeichnung z.B. durch den Vorsitzenden des Betriebsrats oder den Insolvenzverwalter vorgenommen wird, ist auch für diese Personen eine schriftliche Bevollmächtigung durch den einzelnen Arbeitnehmer und die Nachreichung der Vollmacht innerhalb der Antragsfrist (§ 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III) erforderlich.
1 Hassel in Brand, SGB III, § 323 Rz. 8. 2 Hassel in Brand, SGB III, § 324 Rz. 17. 3 BSG v. 23.10.1984 – 10 RAr 6/83, ZIP 1985, 173.
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Rz. 503
§ 12
(2) Pflichten des Insolvenzverwalters Gegenüber der Bundesagentur für Arbeit bestehen im Falle der Eröffnung des Insol- 501 venzverfahrens Auskunftspflichten des Insolvenzverwalters, der Arbeitnehmer sowie sonstiger Personen, welche Einblick in die Arbeitsentgeltunterlagen hatten oder haben (§ 316 Abs. 1 SGB III), wobei der Insolvenzverwalter seinerseits von Personen, die Einblick in die Arbeitsunterlagen hatten, Auskunft verlangen kann (§ 316 Abs. 2 SGB III). Zu den auskunftsverpflichteten sonstigen Personen gehören auch die Mitglieder des Betriebsrats, da diese regelmäßig Einblick in die Arbeitsentgeltunterlagen haben (§ 80 Abs. 2 Satz 2 Hs. 2 BetrVG). Durch die Auskunftsverpflichtung bedingt, kann sich, sofern er in die Arbeitsentgeltunterlagen Einblick hatte, der Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer des Schuldners nicht auf seine Geheimhaltungsverpflichtung berufen. Sofern Behörden in Arbeitsentgeltunterlagen Einblick hatten, z.B. im Rahmen von Anträgen auf Sozialhilfe, Wohngeld etc., sind diese Behörden gegenüber der Bundesagentur für Arbeit zur Amtshilfe verpflichtet (§ 69 SGB X). Die Auskunftsverpflichtung besteht über den gesetzlichen Wortlaut von § 316 Abs. 1 SGB III hinaus auch für die dort aufgeführten Personen, wenn sie Einblick in die Arbeitsentgeltunterlagen haben.
502
Die auskunftspflichtigen Personen oder Behörden müssen nicht von sich aus tätig 502a werden. Ein Tätigwerden setzt ein Auskunftsverlangen der Agentur für Arbeit oder im Falle des § 316 Abs. 1 SGB III des Insolvenzverwalters voraus, in welchem konkret die benötigte Auskunft zu bezeichnen ist. Der Auskunftsverpflichtete ist im Rahmen des Zumutbaren auch zu eigenen Nachforschungen verpflichtet. Sofern mit der Auskunftserteilung geringfügige Kosten entstehen, hat diese der Auskunftspflichtige selbst zu tragen. Dieses gilt jedoch mangels Rechtsgrundlage für größere Aufwendungen nicht1. Spezielle Pflichten im Rahmen des Insolvenzgeldes ergeben sich für den Insolvenz- 502b verwalter aus § 314 Abs. 1 Satz 1 SGB III. Weigert sich der Insolvenzverwalter eine Insolvenzgeldbescheinigung zu erstellen, sind für die Klage die Sozialgerichte zuständig2. Allgemein zur Auskunftsverpflichtung des Insolvenzverwalters siehe oben § 6 Rz. 186 ff. Für das Verfahren der Eigenverwaltung nach §§ 270 ff. InsO gibt es in § 314 SGB III 502c keine ausdrückliche Regelung. In Absatz 1 wird auf die Bestellung eines Insolvenzverwalters abgestellt. Der Auffangtatbestand des Absatzes 2 greift bei Nichteröffnung oder Aufhebung eines Insolvenzverfahrens ein. Ohne weitere Begründung geht die Agentur für Arbeit in der Durchführungsanweisung Insolvenzgeld (14. Ergänzung, Stand: April 2012) davon aus, dass der Sachwalter für die Erstellung der Insolvenzgeldbescheinigung zuständig ist. Das ist nicht sachgerecht. Der Sachwalter hat nur Überwachungsaufgaben und Interventionsrechte. Die Verfügungsbefugnis über das schuldnerische Vermögen und die Arbeitgeberstellung verbleiben beim Schuldner, der insoweit die in der Fremdverwaltung den Insolvenzverwalter treffenden Aufgaben wahrnimmt, zumal der Sachwalter sich die Informationen in entsprechender Anwendung des § 314 Abs. 2 SGB III erst vom Schuldner beschaffen müsste. § 314 Abs. 1 SGB III verpflichtet daher den Schuldner selbst und nicht den Sachwalter. In der Praxis ist diese Vorgehensweise bereits zu erkennen. Eine Tätigkeit des Insolvenzverwalters setzt ein Verlangen der Agentur für Arbeit voraus. Dieses Verlangen erfolgt regelmäßig durch die Anforderung oder Übersendung der von der Bundesagentur für Arbeit vorgesehenen Verdienstbescheinigungen für das Insolvenzgeld (§ 314 Abs. 1 Satz 3 SGB III). Die Bundesagentur für Arbeit lässt zu, dass anstelle der amtlichen Vordrucke durch den Insolvenzverwalter EDV-Vordrucke verwendet werden; über eine Zulassung dieser EDV-Vordrucke entscheidet die i.S.v. § 327 Abs. 3 Satz 1 SGB III zuständige Agentur für Arbeit.
1 Peters-Lange in Gagel, SGB III, § 316 Rz. 11. 2 LAG Schleswig-Holstein v. 28.10.2003 – 2 Sa 324/03, NZA-RR 2004, 375.
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§ 12
Rz. 504
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
504 Die Voraussetzung für die Zulassung von EDV-Vordrucken ist, dass der Vordruck Angaben enthält über: – Höhe des Arbeitsentgeltes für die letzten der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses; – Höhe der gesetzlichen Abzüge; – Abschlagszahlungen auf das Arbeitsentgelt; – Pfändung von Arbeitsentgelt; – Verpfändung von Arbeitsentgelt; – Abtretung von Arbeitsentgelt 505 Auch wenn nach § 314 Abs. 1 Satz 2 SGB III durch den Insolvenzverwalter oder Arbeitgeber nur anzugeben ist, ob die Ansprüche auf Arbeitsentgelt gepfändet, verpfändet oder abgetreten sind, hat der Insolvenzverwalter auf ihm bekannte oder sich aus den Unterlagen ergebende gesetzliche Forderungsübergänge hinzuweisen. Berücksichtigt der Insolvenzverwalter einen gesetzlichen Forderungsübergang nach § 115 Abs. 1 SGB X nicht oder nicht richtig, so ist der Forderungsübergang durch die Agentur für Arbeit von Amts wegen zu berücksichtigen. 506 Die Agentur für Arbeit geht im Rahmen der Insolvenzgeldbescheinigung davon aus, dass durch den Insolvenzverwalter nur solche Arbeitsentgeltansprüche bestätigt werden, die noch nicht erfüllt, nicht verjährt oder wegen Ablaufs einer tariflichen Ausschlussfrist nicht verfallen sind. In der Ausstellung und Unterzeichnung der Insolvenzgeldbescheinigung liegt regelmäßig ein Anerkenntnis, so dass durch die Agentur für Arbeit die Arbeitsentgeltansprüche zur Wahrung etwaiger tariflicher Ausschlussfristen nicht gesondert geltend gemacht werden müssen. 507 Wird die Arbeitsbescheinigung vorsätzlich oder fahrlässig unrichtig ausgefüllt, ist der Insolvenzverwalter der Bundesagentur für Arbeit dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet (§ 321 Nr. 1 SGB III). Gerade in Großverfahren unterlaufen dem mit der Erstellung der Verdienstbescheinigungen für das Insolvenzgeld beauftragten Personal immer wieder bei der Beantwortung der Frage, ob Arbeitsentgelt gepfändet, verpfändet oder abgetreten ist, Fehler. Der Insolvenzverwalter haftet für dieses Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen1. 508 Durch § 60 Abs. 2 InsO wird die Haftung des Insolvenzverwalters nunmehr auch in Bezug auf die Arbeitsverwaltung modifiziert. 509 Zieht der Insolvenzverwalter außenstehende Dritte hinzu, z.B. Steuerbevollmächtigte, Buchführungsunternehmen etc., haftet er gegenüber der Bundesagentur für Arbeit nur für ein Auswahlverschulden. Setzt er Personal des schuldnerischen Unternehmens ein, so ist der Insolvenzverwalter zu dessen sorgfältiger Überwachung verpflichtet. Ist das Personal nicht offensichtlich ungeeignet, scheidet eine Haftung aus (§ 60 Abs. 2 InsO). Aus § 60 Abs. 2 InsO ergibt sich im Umkehrschluss, dass die Mitarbeiter des Insolvenzverwalters dessen Erfüllungsgehilfen sind, für deren Verschulden er nach § 278 BGB wie eigenes Verschulden einzutreten hat (vgl. zur Haftung des Insolvenzverwalters allgemein bei § 6 Haftung im eröffneten Insolvenzverfahren). 510 Bestehende Haftungsansprüche kann die Bundesagentur für Arbeit gegenüber dem Insolvenzverwalter nicht durch einen Verwaltungsakt geltend machen, sondern der Anspruch ist vor den Sozialgerichten durch Leistungsklage zu verfolgen2. gg) Auszahlung 511 Die Auszahlung des Insolvenzgeldes erfolgt in der Regel durch die Agentur für Arbeit.
1 BSG v. 25.3.1982 – 10 RAr 7/81, BSGE 53, 212 = ZIP 1982, 1336. 2 BSG v. 12.2.1980 – 7 RAr 107/78, ZIP 1980, 348.
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Vergtungsansprche
Rz. 517
§ 12
hh) Tarifliche Ausschlussfristen und Insolvenzgeldbescheinigung Es wurde bereits oben (vgl. Rz. 506) darauf hingewiesen, dass der Insolvenzverwalter im Rahmen der Erstellung der Insolvenzgeldbescheinigung, obgleich dieses aus § 314 Abs. 1 Satz 2 SGB III nicht ersichtlich ist, zu prüfen hat, ob Arbeitsentgeltansprüche aus dem Insolvenzgeldzeitraum noch nicht erfüllt, verjährt oder wegen Ablaufs einer tariflichen Ausschlussfrist verfallen sind.
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Bei den tariflichen Ausschlussfristen ist zu differenzieren: 513 Ist bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Forderung des Arbeitnehmers durch Ablauf der tariflichen Ausschlussfrist erloschen, so hat es damit sein Bewenden. Die Insolvenzordnung kann nicht verhindern, dass vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandene Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis auch vor der Eröffnung des Verfahrens aus materiellen Gründen erlöschen1. Diese Entgeltforderung ist durch den Insolvenzverwalter nicht zu bescheinigen. Sinn und Zweck von tariflich oder individuell vereinbarten Ausschlussfristen ist es, in 514 kurzer Zeit Klarheit über das Bestehen von Ansprüchen aus einem Arbeitsverhältnis zu schaffen. Wenn jedoch der Arbeitgeber zahlungsunfähig ist und die der Höhe nach nicht zweifelhaften Ansprüche seiner Arbeitnehmer nicht erfüllt, ist die zur Wahrung der Ausschlussfrist verlangte Geltendmachung nur eine Förmelei2. Wegen nicht zweifelhafter Ansprüche, die während des Insolvenzantragsverfahrens erlöschen können, sollte der vorläufige Insolvenzverwalter erklären, auf die verlangte Geltendmachung zu verzichten. Sieht ein Tarifvertrag wie z.B. § 16 BRTV-Bau vor, dass zur Vermeidung des Verfalls 515 Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis gegenüber dem Arbeitgeber schriftlich erhoben werden müssen, so wird der Lauf der Ausschlussfrist durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens dann unterbrochen, wenn die Frist zur schriftlichen Geltendmachung im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch nicht abgelaufen war. Dieses gilt auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens beendet worden war3. Auf die Insolvenzforderungen aus dem Arbeitsverhältnis sind tarifliche oder auch 516 individuell vereinbarte Ausschlussfristen nicht anzuwenden. Die Insolvenzgläubiger können eine Befriedigung ihrer Insolvenzforderungen nur im Insolvenzverfahren erlangen. Für die Geltendmachung von Forderungen im Insolvenzverfahren ist ein besonderes Verfahren (§§ 174 ff. InsO) vorgesehen, weshalb tarifliche Bestimmungen zur Verfolgung von Insolvenzforderungen keine weiteren Rechtshandlungen vorschreiben können (zur Anmeldung zur Insolvenztabelle vgl. umfassend bei § 6). Solche Tarifbestimmungen verstoßen gegen zwingendes Gesetzesrecht und sind nichtig (§ 134 BGB)4. Da auch die auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangenen Arbeitsentgeltansprüche (§ 169 SGB III) Insolvenzforderungen gemäß § 38 InsO darstellen, und zwar unabhängig davon, ob im Insolvenzantragsverfahren die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übergegangen war oder nicht5, hat die Bundesagentur für Arbeit zur Wahrung einer Ausschlussfrist nichts zu unternehmen. Besteht im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung das Arbeitsverhältnis, so tritt kraft 517 Gesetzes (§ 80 InsO) der Insolvenzverwalter in dieses für die Zeit ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein. In diesem fortbestehenden Arbeitsverhältnis besteht ein Interesse des Insolvenzverwalters als Schuldner von Lohnforderungen an einer alsbaldigen Klarheit, ob und in welchem Umfange Ansprüche aus dem fortgesetzten Arbeitsverhältnis geltend gemacht werden. Deshalb müssen für die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehenden und fällig werdenden Arbeitsentgeltansprüche
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BAG v. 18.12.1984 – 1 AZR 588/82, BAGE 47, 343 (350) = NZA 1985, 396 = ZIP 1985, 754. BAG v. 8.6.1983 – 5 AZR 632/80, BAGE 43, 71 (76) = ZIP 1983, 1374 = NJW 1984, 510. BAG v. 22.9.1982 – 5 AZR 421/80, BAGE 40, 156 (160) = ZIP 1983, 92. BAG v. 18.12.1984 – 1 AZR 588/82, BAGE 47, 343 (348) = NZA 1985, 396 = ZIP 1985, 754. BAG v. 3.4.2001 – 9 AZR 301/00, ZIP 2001, 1965 = BB 2001, 2530.
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§ 12
Rz. 518
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
(Masseverbindlichkeiten) die Ausschlussfristen in vollem Umfang angewandt werden1. 518 Es wurde oben (vgl. Rz. 506) bereits darauf hingewiesen, dass die Ausstellung einer Verdienstbescheinigung das Anerkenntnis bestehender Arbeitsentgeltansprüche beinhaltet und hierdurch tarifliche Ausschlussfristen gewahrt werden. Handelt es sich um eine sogenannte zweistufige Ausschlussfrist, wonach auf der ersten Stufe die Ansprüche schriftlich innerhalb einer Frist gegenüber dem Arbeitgeber und nach der Ablehnung oder eines weiteren Fristablaufes zur Vermeidung des Verfalls die Ansprüche gerichtlich geltend gemacht werden müssen, wahrt im Falle eines Betriebsüberganges die Verdienstbescheinigung des früheren Arbeitgebers die Ausschlussfrist dann, wenn nach Betriebsübergang der Arbeitnehmer auf der zweiten Stufe die Zahlungsklage gegen den Betriebsübernehmer richtet2. 519 Stellt nach einem erfolgten Betriebsübergang der Insolvenzverwalter die Verdienstbescheinigung für das Insolvenzgeld aus, muss die Bundesagentur für Arbeit wegen eventueller Erstattungsansprüche von Insolvenzgeld gegenüber dem Betriebsübernehmer die tarifliche Ausschlussfrist wahren, da der Insolvenzverwalter nicht für den Betriebsübernehmer handelt3. Dieser Sachverhalt ist nicht vergleichbar damit, dass der Arbeitgeber oder der Insolvenzverwalter rückständige Entgeltansprüche in einer Verdienstbescheinigung für das Insolvenzgeld anerkannt hat. In diesem Fall kann sich der Arbeitgeber oder der Insolvenzverwalter auf den Ablauf einer tariflichen Ausschlussfrist nicht berufen4. ii) Anspruchsübergang (1) Allgemeines 520 Bereits mit der Stellung des Antrages auf Insolvenzgeld und damit unabhängig von einer Leistungsgewährung durch die Bundesagentur für Arbeit erfolgt der Anspruchsübergang der Arbeitsentgeltansprüche auf die Bundesagentur für Arbeit (§ 169 Satz 1 SGB III). Der Anspruchsübergang erfolgt auch dann, wenn sich im Nachhinein ergibt, dass der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Insolvenzgeld besitzt5. Mit dem Antrag auf Gewährung von Insolvenzgeld verliert der Arbeitnehmer bezüglich aller Arbeitsentgeltansprüche, welche durch das Insolvenzgeld nach § 167 Abs. 1 SGB III umfasst sein können, seine Aktivlegitimation. 521 Der Arbeitnehmer bleibt jedoch Inhaber der Arbeitsentgeltansprüche, soweit diese nicht insolvenzgeldfähig sind. Hier steht kraft Gesetzes fest, dass ein Anspruch auf Insolvenzgeld nicht begründet werden kann. Dieses gilt für Urlaubsabgeltungsansprüche (§ 7 Abs. 4 BUrlG) des Arbeitnehmers, da diese Ansprüche nicht insolvenzgeldfähig (§ 166 Abs. 1 Nr. 1 SGB III) sind und Entgeltansprüche, soweit diese die Beitragsbemessungsgrenze (§ 314 Abs. 4 SGB III) übersteigen (§ 167 Abs. 1 SGB III), so dass insoweit die Aktivlegitimation beim Arbeitnehmer verbleibt. 522 Die Folge des Anspruchsüberganges nach § 169 Satz 1 SGB III ist, dass die vom Arbeitnehmer zur Insolvenztabelle angemeldeten insolvenzgeldfähigen Arbeitsentgeltansprüche durch den Insolvenzverwalter zu bestreiten sind. § 169 Satz 1 SGB III und der frühe Rechtsübergang auf die Bundesagentur für Arbeit soll die Gefahr von Doppelleistungen an den Arbeitnehmer – Arbeitsentgelt und Insolvenzgeld – ausschließen. Die Gerichte für Arbeitssachen dürfen deshalb nach Sinn und Zweck des § 169 Satz 1 SGB III denselben Anspruch gegenüber dem Insolvenzverwalter solange nicht zuerkennen, wie über den Antrag auf Insolvenzgeld nicht abschließend entschieden ist6. Verfolgt der Arbeitnehmer die strittig gebliebene Arbeitsentgeltforderung gemäß
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BAG v. 18.12.1984 – 1 AZR 588/82, BAGE 47, 343 (350) = NZA 1985, 396 = ZIP 1985, 754. BAG v. 21.3.1991 – 2 AZR 577/99, NZA 1991, 726. LAG Schleswig-Holstein v. 19.9.1995 – 1 Sa 460/95, ZIP 1995, 1687 (1689). BAG v. 8.8.1979 – 5 AZR 660/77, ZIP 1980, 123 = NJW 1980, 359. BAG v. 10.2.1982 – 5 AZR 936/79, BAGE 38, 1 = ZIP 1982, 1105 = NJW 1983, 592. BAG v. 4.6.1977 – 5 AZR 663/75, BAGE 29, 211 (214) = NJW 1978, 182 = MDR 1977, 1050.
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Rz. 529
§ 12
§ 179 Abs. 1 InsO durch Feststellungsklage weiter, ist die Klage mangels Aktivlegitimation durch das Arbeitsgericht (§ 185 InsO) abzuweisen. Der Arbeitnehmer erlangt seine Aktivlegitimation dann zurück, wenn durch die 523 Bundesagentur für Arbeit der Antrag auf Gewährung von Insolvenzgeld ganz oder teilweise bindend zurückgewiesen wurde. Bindend bedeutet, dass der Antrag auf Gewährung von Insolvenzgeld nach Durchführung des sozialgerichtlichen Vorverfahrens (§ 78 SGG) durch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit ganz oder teilweise rechtskräftig abgewiesen wurde. Der frühzeitige Anspruchsübergang auf die Bundesagentur für Arbeit soll diese in die 524 Lage versetzen, notwendig erscheinende Schritte zur Klärung der tatsächlichen Lage zu ergreifen1. Da der Arbeitnehmer nach der Stellung des Antrages auf Gewährung von Insolvenzgeld gehindert ist, selbst die zur Durchsetzung und Realisierung seiner Arbeitsentgeltforderung notwendigen Schritte zu unternehmen, trifft diese Verpflichtung die Bundesagentur für Arbeit. Ob die Bundesagentur für Arbeit verpflichtet ist, beim Vorliegen der Insolvenzantragsvoraussetzungen einen eigenen Insolvenzantrag zu stellen, um die Voraussetzungen für Insolvenzgeld nach § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III zu schaffen, ist zweifelhaft2. Ein Anspruchsübergang gemäß § 169 Satz 1 SGB III erfolgt auch dann, wenn der Ar- 525 beitnehmer den Antrag auf Gewährung von Insolvenzgeld bereits vor dem Insolvenzereignis, also in der Regel vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, gestellt hat. Der Anspruchsübergang erfolgt in diesem Falle aufschiebend bedingt mit dem Insolvenzereignis, d.h. dem Tage der Insolvenzeröffnung3. Dem Insolvenzverwalter bleiben Einwendungen in Bezug auf den Arbeitsentgeltanspruch trotz des gesetzlichen Forderungsüberganges dem Grunde und der Höhe nach erhalten (§ 404 BGB).
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(2) Umfang Auf die Bundesagentur für Arbeit geht der Anspruch auf das rückständige Arbeits- 527 entgelt über. Trotzdem die Bundesagentur für Arbeit an den Arbeitnehmer nur Leistungen in Höhe des Nettoarbeitsentgeltes erbringt (§ 167 Abs. 1 SGB III), geht der Bruttoarbeitsentgeltanspruch des Arbeitnehmers auf die Bundesagentur für Arbeit über. Der Arbeitnehmer kann, obwohl die Bundesagentur für Arbeit im Rahmen des Insolvenzgeldes nur den Nettolohnanspruch des Arbeitnehmers erfüllt, die Zahlung der Lohnsteuer, Kirchenlohnsteuer etc. an sich nicht verlangen4. Das Insolvenzgeld ist lohnsteuerfrei (§ 3 Nr. 2 EStG). Die Folge hiervon ist, dass für 528 den Insolvenzgeldzeitraum nur der Beschäftigungszeitraum, nicht jedoch das in diesem Zeitraum erzielte Bruttoentgelt, die Lohnsteuer, Kirchenlohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Sozialversicherungsbeiträge vom Arbeitgeber bescheinigt wird. Im Rahmen der Jahressteuererklärung für den Zeitraum, in welchem Insolvenzgeld gewährt wurde, muss der Arbeitnehmer den Bescheid der Bundesagentur für Arbeit über die Gewährung von Insolvenzgeld vorlegen, da einerseits wegen des Bezuges des Insolvenzgeldes bei der Veranlagung der Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 1 Nr. 1a EStG zur Anwendung gelangt und er andererseits trotz Zahlung durch die Bundesagentur für Arbeit die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 2a EStG geltend machen kann. Die Bescheinigung nach § 32b Abs. 3 EstG hat im Falle der Vorfinanzierung von Insolvenzgeld die Arbeitsverwaltung zu erteilen5. Durch die Lohnsteuerbefreiung des Insolvenzgeldes nach § 3 Nr. 2 EStG ist eine Be- 529 reicherung der Insolvenzmasse beabsichtigt. Eventuelle wirtschaftliche Nachteile 1 2 3 4
BAG v. 4.6.1977 – 5 AZR 663/75, BAGE 29, 211 (213) = NJW 1978, 182 = MDR 1977, 1050. BSG v. 15.12.1992 – 10 RAr 2/92, ZIP 1993, 689 (691). BSG v. 15.12.1994 – 12 RK 69/93, BSGE 75, 283 (289) = ZIP 1985, 396 (399). BAG v. 17.4.1985 – 5 AZR 74/84, BAGE 48, 229 (234) = NZA 1986, 191 (192) = ZIP 1985, 1405 (1406). 5 OFD Hannover, Vfg. v. 19.6.2002 – S 2295-49-StO 211/S 2295-79-StH 215, NZI 2002, 596.
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§ 12
Rz. 530
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
bei einzelnen Arbeitnehmern aufgrund deren individuellen steuerlichen Situation durch die entgangene Lohnsteuererstattung ist hinzunehmen. 530 Wird dem Arbeitnehmer antragsgemäß Insolvenzgeld in Höhe des Nettoentgelts bewilligt, besitzt er keinen Anspruch auf die steuerliche Bruttorestlohnforderung. Er hat auch keinen Anspruch gegen die Bundesagentur für Arbeit auf Rückübertragung der steuerlichen Bruttorestlohnforderung1. 531 Nebenforderungen, welche nicht insolvenzfähig sind, wie z.B. Zinsen und Kosten der Rechtsverfolgung, gehen auf die Bundesagentur für Arbeit nicht über (siehe dazu Bundesagentur Rz. 441). 532 Pfandrechte sowie andere akzessorische Sicherheiten gehen gemäß § 401 BGB mit dem Arbeitsentgeltanspruch auf die Bundesagentur für Arbeit über. Gleiches gilt für Ansprüche gegen mithaftende Dritte z.B. Ansprüche gegen Bürgen oder den Betriebserwerber, sofern er gemäß § 613a BGB haftet. Ansprüche gegen persönlich haftende Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft gehen nicht auf die Bundesagentur für Arbeit über, sondern sind gemäß § 93 InsO durch den Insolvenzverwalter der Gesellschaft zu verfolgen. 533 Von dem gesetzlichen Forderungsübergang nach § 169 Satz 1 SGB III sind auch Erstattungsansprüche gegen die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft aufgrund des für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) nicht erfasst, da der einzelne Arbeitnehmer keinen unmittelbaren Anspruch gegen die Ausgleichskasse besitzt. 534 Das Urlaubskassenverfahren sichert dem Arbeitnehmer bezüglich seiner Urlaubsvergütung vor dem Ausfallrisiko mit der Folge, dass ein neuer Bauarbeitgeber oder die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft (ULAK) den Anspruch auf Urlaubsvergütung erst dann zu erfüllen haben, wenn der Ausfall feststeht2. 535 Soweit der Arbeitnehmer über das Insolvenzgeld die Urlaubsvergütung erhält, ist der Insolvenzverwalter berechtigt und verpflichtet, den als Insolvenzgeld zugeflossenen Betrag als gewährte Urlaubsvergütung in die Lohnnachweiskarte einzutragen, auch wenn der Arbeitnehmer unter Gewährung bestehender und noch entstehender Urlaubsansprüche von der Arbeitsleistung freigestellt war3. 536 Obwohl der Insolvenzverwalter berechtigt ist, das von der Bundesagentur für Arbeit gewährte Insolvenzgeld als gewährte Urlaubsvergütung in die Lohnnachweiskarte einzutragen, besteht gegenüber der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft für den Insolvenzverwalter kein Erstattungsanspruch4. Soweit durch die Insolvenzmasse jedoch die auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangenen Urlaubsentgeltansprüche aus der Insolvenzmasse durch Zahlung einer Insolvenzquote berichtigt werden, erwirbt die Insolvenzmasse einen Erstattungsanspruch gegen die Ausgleichskasse5. jj) Fristen (1) Antragsfrist 537 Der Antrag auf Gewährung von Insolvenzgeld ist durch den Arbeitnehmer innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis zu stellen (§ 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III). Der Antrag auf Insolvenzgeld kann bereits vor dem Insolvenzereignis gestellt werden und wirkt dann auf den Tag des Insolvenzereignisses. Die zweimonatige Ausschlussfrist beginnt im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit der Unterzeichnung des Eröffnungsbeschlusses durch den Insolvenzrichter (§ 27 InsO) und im Falle der Abweisung mangels Masse mit Unterzeichnung dieses Beschlusses. Im Falle der Betriebseinstellung (§ 165 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III) 1 2 3 4 5
BSG v. 20.6.2001 – B 11 AL 97/00 R, ZInsO 2002, 152 (LS). BAG v. 20.2.2001 – 9 AZR 661/99, BZA 2002, 218 (220). BAG v. 20.6.2000 – 9 AZR 261/99, NZA 2001, 620 = ZIP 2001, 303. BAG v. 25.10.1984 – 6 AZR 35/82, BAGE 47, 114 = NZA 1985, 365 = ZIP 1985, 493. BAG v. 11.1.1990 – 8 AZR 440/88, BAGE 64, 6 = NZA 1990, 938 = ZIP 1990, 1213.
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Rz. 544
§ 12
kommt es ebenso wie bei der Abweisung mangels Masse auf eine Kenntnis des Arbeitnehmers von dem Insolvenzereignis nicht an. Die Antragsfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III läuft. Nach dem Ablauf der Antragsfrist läuft die Nachfrist nach § 324 Abs. 3 Satz 2 und 3 SGB III, sofern der Antragsteller die Säumnis nicht zu vertreten hat1. Die Antragsfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III gilt sowohl für die Arbeitnehmer als auch für den Dritten i.S.v. § 170 Abs. 1 SGB III. Für die Sozialversicherungsträger besteht keine Antragsfrist, da eine Verweisung von § 175 Abs. 1 SGB III auf § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III fehlt. Für den Sozialversicherungsträger gilt die vierjährige Verjährungsfrist nach § 25 SGB IX. Die Antragsfrist, welche sich nach §§ 187, 188 BGB richtet, beginnt ohne Rücksicht auf eine Kenntnis des Arbeitnehmers von dem Insolvenzereignis i.S.v. § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III. Der Tag des Insolvenzereignisses zählt bei der Fristenberechnung nach § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III nicht mit (§ 187 BGB).
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Auch dann, wenn der Arbeitnehmer in Unkenntnis des Insolvenzereignisses weiter- 539 arbeitet oder bei dem insolventen Arbeitgeber ein neues Arbeitsverhältnis begründet, ist für den Fristbeginn zunächst das Insolvenzereignis i.S.v. § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III maßgeblich. Der Tag der Kenntnisnahme von dem Insolvenzereignis ist für den Fristbeginn unerheblich2. (2) Nachfrist Sofern der Arbeitnehmer noch während der Antragsfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 540 SGB III die Kenntnis von dem Insolvenzereignis erlangt, eröffnet sich für den Arbeitnehmer nicht die zweimonatige Nachfrist des § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III, da der Arbeitnehmer während der noch laufenden Antragsfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III an der Antragstellung nicht gehindert war. Allein die Unkenntnis von der Antragsfrist nach § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III entschuldigt nicht die Fristversäumnis und eröffnet dem Arbeitnehmer nicht die Nachfrist des § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III. Die Bundesagentur für Arbeit als Leistungsträger ist zur Aufklärung der Bevölkerung 541 über die Rechte und Pflichten nach dem Sozialgesetzbuch verpflichtet (§ 13 SGB I). Aus diesem gesetzlichen Auftrag für die Bundesagentur für Arbeit folgt, dass diese bei der Kenntnis eines Insolvenzereignisses in geeigneter Form die betroffenen Arbeitnehmer innerhalb und außerhalb des insolventen Betriebs auf die Möglichkeit von Anträgen auf Gewährung von Insolvenzgeld und insbesondere auch die einzuhaltenden Fristen hinzuweisen hat. Aus einer unzureichenden oder auch völlig unterlassenen Aufklärung folgt jedoch nicht, dass der Arbeitnehmer für den Fall, dass sich das Arbeitsamt auf eine Fristversäumung nach § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III beruft, den Einwand unzulässiger Rechtsausübung erheben könnte3. Verletzt die Bundesagentur für Arbeit ihre Aufklärungsverpflichtung nach § 13 SGB I, 542 so besteht für den Arbeitnehmer kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch4. Hat jedoch die Agentur für Arbeit bzw. deren Mitarbeiter eine unrichtige oder missverständliche Information erteilt und beruht hierauf die Fristversäumung, so besteht der sozialrechtliche Herstellungsanspruch5. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch führt dazu, dass dem Arbeitnehmer das Fristversäumnis nach § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III nicht angelastet werden kann und sein Antrag auf Gewährung von Insolvenzgeld als rechtzeitig gestellt zu behandeln ist.
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Dem Arbeitnehmer eröffnet sich die Nachfrist des § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III dann, wenn er die Versäumung der Antragsfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III nicht zu ver-
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Hassel in Brand, SGB III, § 324 Rz. 20, 22. BSG v. 30.4.1996 – 10 RAr 8/94, ZIP 1996, 1623. BSG v. 28.9.1976 – 3 RK 7/76, BSGE 42, 224 (228). BSG v. 21.6.1990 – 12 RK 27/88, BSGE 67, 90 (92). BSG v. 17.10.1979 – 12 RK 47/77, BSGE 49, 76 (78); BSG v. 21.6.1990 – 12 RK 27/88, BSGE 67, 90 (94).
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§ 12
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Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
treten hat, wobei bereits leichte Fahrlässigkeit i.S.v. § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB die Nachfrist nicht eröffnet. 544a Der Sorgfaltsmaßstab ergibt sich aus § 276 Abs. 2 BGB, d.h. der Arbeitnehmer hat die nach den Umständen erforderliche und seiner Persönlichkeit zumutbare Sorgfalt anzuwenden1. So hat er z.B. nicht voraussehbare Verzögerungen im Postverkehr nicht zu vertreten2. 545 Weiter kann zu der Frage, welche Sorgfalt der Arbeitnehmer anzuwenden hat, auf die Grundsätze für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 27 SGB X zurückgegriffen werden. Danach gilt ein objektiver Verschuldensmaßstab, der sich an den Erkenntnismöglichkeiten und -fähigkeiten des Arbeitnehmers orientiert3. 546 Der Arbeitnehmer hat die Versäumung der Antragsfrist zu vertreten mit der Folge, dass sich ihm die Nachfrist nach § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III nicht eröffnet, wenn ihm die Tatsache der Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse bekannt wurde und er sich nicht darum bemühte, den Zeitpunkt des Ablehnungsbeschlusses zu erfahren4. Andererseits ist der Arbeitnehmer nicht verpflichtet, nach dem Grund der Entscheidung des Insolvenzgerichtes zu forschen, da der Insolvenzgrund für den Anspruch auf Gewährung von Insolvenzgeld unerheblich ist5. 547 Der Arbeitnehmer hat sich das Verschulden seines Bevollmächtigten anrechnen zu lassen. Beauftragt der Arbeitnehmer den Prozessbevollmächtigten ausschließlich mit einer Vertretung im arbeitsgerichtlichen Verfahren wegen bestehender Arbeitsentgeltrückstände, so ist es für die Versäumung der Antragsfrist nach § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III unschädlich, wenn der Prozessbevollmächtigte den Arbeitnehmer über die ihm bekannt gewordene Insolvenz des Arbeitgebers nicht rechtzeitig innerhalb der Antragsfrist informiert6. 548 Die Nachfrist des § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III beginnt, sobald der Arbeitnehmer bei gebotener Sorgfalt Kenntnis von dem Insolvenzereignis hätte haben können7. Versucht der Arbeitnehmer seine Arbeitsentgeltansprüche, z.B. durch Vollstreckung, durchzusetzen, stellt dieser Versuch keine ausreichende Entschuldigung für eine Versäumung der Antragsfrist nach § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III dar8. 548a
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Hinweis: Es ist jedem Arbeitnehmer zu empfehlen, dass er bei Kenntnis eines Insolvenzantrages in Bezug auf seinen Arbeitgeber oder gar bei Kenntnisnahme von einem Beschluss des Insolvenzgerichtes zunächst einen Antrag auf Gewährung von Insolvenzgeld stellt. Er hat sich dann – gegebenenfalls wegen des gesetzlichen Forderungsüberganges – mit der Bundesagentur für Arbeit abzustimmen, ob noch aussichtsreiche Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen zu ergreifen sind9, oder die Bundesagentur für Arbeit hat aufgrund des Forderungsüberganges eigene Ermittlungen zur Klärung der Frage, ob ein Insolvenzereignis i.S.v. § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III vorliegt, vorzunehmen.
549 Wird auch die wiedereröffnete Frist des § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III versäumt, gibt es keine weitere Fristverlängerung. Lediglich die Grundsätze, welche durch die Rechtsprechung allgemein zur Nachsicht gegenüber der Versäumung von Ausschlussfristen entwickelt worden sind10, finden Anwendung. Es müssen folglich besondere Gründe vorliegen und es dürfen die vom Gesetzgeber mit der Ausschlussfrist verfolgten Ziele und die dabei zu berücksichtigenden Interessen nicht entgegenstehen. Da die Fristen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Hassel in Brand, SGB III, § 324 Rz. 23. Striebinger in Gagel, SGB III, § 324 Rz. 30. Striebinger in Gagel, SGB III, § 324 Rz. 31. BSG v. 10.4.1985 – 10 RAr 11/84, ZIP 1985, 753 (754). BSG v. 22.9.1983 – 10 RAr 11/91, ZIP 1993, 1719. BSG v. 29.10.1992 – 10 RAr 14/91, BSGE 71, 213 (216) = NJW 1993, 1350 = ZIP 1993, 372. BSG v. 26.8.1983 – 10 RAr 1/82, BSGE 55, 284 (286) = ZIP 1983, 1353. BSG v. 10.4.1985 – 10 RAr 11/84, ZIP 1985, 753. Striebinger in Gagel, SGB III, § 324 Rz. 32. BSG v. 28.10.1981 – 3 RK 59/80, BSGE 52, 254 (257).
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Rz. 557
§ 12
nach § 324 Abs. 3 SGB III auch dazu dienen sollen, die Insolvenzgeldfälle rasch abzuwickeln, wird nur in extrem seltenen Fällen Nachsicht zu gewähren sein. kk) Verfügungen über das Arbeitsentgelt (1) Abtretung Die Abtretung von Arbeitsentgeltansprüchen ist grundsätzlich zulässig (§§ 398 ff. 550 BGB), sofern nicht arbeitsvertraglich oder tariflich ein Abtretungsverbot besteht. Die Abtretung der Arbeitsentgeltansprüche ist der Höhe nach auf den pfändbaren Teil der Entgeltansprüche begrenzt (§ 400 BGB), es sei denn, der Arbeitnehmer erhält eine wirtschaftlich gleichwertige Leistung. In diesem Falle kann er auch die unpfändbaren Teile des Arbeitsentgeltes abtreten1. Tritt der Arbeitnehmer seine Arbeitsentgeltansprüche an einen Betriebsübernehmer 551 ab, so erwirbt dieser dann keinen Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn der Betriebsübergang vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt ist, wobei es für den Betriebsübergang allein schon ausreichend ist, wenn der Betriebsübernehmer die Leitungsmacht übernommen hat2. Wegen der haftungsrechtlichen Folgen von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB sind bei dieser 552 Konstellation die Arbeitsentgeltansprüche durch Konfusion erloschen3. Nach der Abtretung der Arbeitsentgeltansprüche ist lediglich noch der Zessionar berechtigt, einen Antrag auf Insolvenzgeld zu stellen (§ 170 Abs. 1 SGB III). Die Bundesagentur für Arbeit kann trotz der Abtretung der Arbeitsentgeltansprüche an einen Dritten mit schuldbefreiender Wirkung das Insolvenzgeld an den Arbeitnehmer auszahlen, wenn dieser seinerseits einen Antrag auf Gewährung von Insolvenzgeld stellt.
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Hinweis: 554 Um die Rechtsfolge von § 407 Abs. 1 BGB auszuschließen, ist es für den Zessionar dringend geboten, spätestens dann die erfolgte Abtretung der Arbeitsentgeltansprüche der Bundesagentur für Arbeit anzuzeigen, wenn er von einem Insolvenzereignis Kenntnis erlangt.
(2) Pfändung und Verpfändung Erfolgt vor dem Antrag auf Gewährung von Insolvenzgeld eine Pfändung oder Ver- 555 pfändung der Arbeitsentgeltansprüche, erstreckt sich das Pfandrecht auch auf den Insolvenzgeldanspruch (§ 170 Abs. 2 SGB III). Der Pfandgläubiger ist alleine zum Antrag auf Gewährung von Insolvenzgeld befugt und muss ebenso wie der Abtretungsgläubiger die zweimonatige Antragsfrist nach § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III wahren. Von Pfändungen der Arbeitsentgeltansprüche aus der Zeit vor dem Antrag auf Ge- 556 währung von Insolvenzgeld erlangt die Bundesagentur für Arbeit regelmäßig keine Kenntnis. Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wird dem Arbeitgeber zugestellt, weshalb in der Lohnbescheinigung für das Insolvenzgeld gemäß § 314 Abs. 1 Satz 2 SGB III anzugeben ist, inwieweit die Ansprüche auf Arbeitsentgelt gepfändet, verpfändet oder abgetreten sind. Der Dritte erwirbt nur dann einen eigenen Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn die Ab- 557 tretung, Verpfändung oder Pfändung vor der Antragstellung des Arbeitnehmers auf Gewährung von Insolvenzgeld erfolgten. Nach der Antragstellung geht der Arbeitsentgeltanspruch auf die Bundesagentur für Arbeit gemäß § 169 Satz 1 SGB III über, so dass nur noch der Anspruch auf Insolvenzgeld gepfändet, verpfändet oder abgetreten werden kann. Auch hier ist die Anzeige der Verpfändung oder Abtretung gegenüber der Bundesagentur für Arbeit erforderlich, um die Rechtsfolgen von § 407 Abs. 1 BGB auszuschließen. 1 BGH v. 31.5.1954 – GSZ 2/54, BGHZ 13, 360 = NJW 1954, 1153. 2 BAG v. 28.4.1987 – 3 AZR 75/86, BAGE 55, 228 = NZA 1988, 198 = ZIP 1988, 120 (120) = MDR 1988, 344. 3 BSG v. 6.11.1985 – 10 RAr 3/84, BSGE 59, 109 = ZIP 1986, 100.
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(3) Erlöschen von Pfandrechten 558 Die Pfandrechte erlöschen mit der Zahlung des Insolvenzgeldes durch die Bundesagentur für Arbeit an den Pfandgläubiger (§ 170 Abs. 3 SGB III). Vor der Pfandreife muss die Bundesagentur für Arbeit das Insolvenzgeld zugunsten des Arbeitnehmers und des Pfandgläubigers hinterlegen (§ 1281 BGB). (4) Vorfinanzierung 559 Nach § 170 Abs. 4 Satz 1 SGB III besitzt der neue Gläubiger oder Pfandgläubiger keinen Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn das Arbeitsentgelt vor dem Insolvenzereignis ohne Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit übertragen wurde. Die Übertragung der Arbeitsentgeltansprüche erfolgt entweder durch Abtretung gemäß § 398 BGB oder Verpfändung gemäß §§ 1273, 1274, 1279 BGB. Von § 170 Abs. 4 Satz 1 SGB III nicht erfasst ist die Pfändung von Arbeitsentgeltansprüchen durch Gläubiger des Arbeitnehmers. 560 § 170 Abs. 4 Satz 1 SGB III regelt die kollektive Vorfinanzierung des Arbeitsentgeltes1. Für einen kollektiven Vorfinanzierungstatbestand spricht es, wenn die Arbeitnehmer des insolventen Betriebs weitestgehend geschlossen zur Weiterarbeit unter Hinweis auf die Vorfinanzierung des Arbeitsentgeltes entweder durch Gläubiger des Betriebs, den vorläufigen Insolvenzverwalter oder den Betriebsinhaber angehalten werden. Wesentliches Merkmal ist das Ziel der Aufrechterhaltung des Betriebes. Typisch für den kollektiven Vorfinanzierungstatbestand ist weiter, dass den Arbeitnehmern nur ein Vertragspartner (Kreditinstitut) gegenüber steht. 561 § 170 Abs. 4 Satz 1 SGB III lässt die individuelle Vorfinanzierung unberührt2. Typisch für diese individuelle Vorfinanzierung ist, dass z.B. auf Veranlassung des vorläufigen Insolvenzverwalters die Arbeitnehmer ihre Arbeitsentgeltansprüche individuell vorfinanzieren lassen, also mehrere Vertragspartner (Kreditinstitute) gegen Abtretung oder Verpfändung der Arbeitsentgelte die Vorfinanzierung übernehmen. Mangels Zustimmungserfordernisses bleibt für den Dritten der Schutz nach § 110 Abs. 1 und 2 SGB III erhalten. Die vorfinanzierenden Dritten erhalten nach dem Insolvenzereignis auf Antrag das Insolvenzgeld. 562 Um eine individuelle Vorfinanzierung durch die Kreditinstitute, bei denen die Arbeitsnehmer ihre Konten unterhalten, zu ermöglichen, sollte der vorläufige Insolvenzverwalter den Arbeitnehmern des insolventen Betriebs beispielsweise ein Schreiben folgenden Inhalts überlassen: 563 M 29
Besttigungsschreiben Gehaltsrckstnde
An die Arbeitnehmer der X-GmbH Zur Vorlage bei der jeweiligen das Gehaltskonto fhrenden Bank besttige ich Folgendes: Durch Beschluss des Amtsgerichtes . . . vom . . . wurde u.a. vorlufige Insolvenzverwaltung angeordnet und ich zum vorlufigen Insolvenzverwalter bestellt. Nach den Lohn-/Gehaltsunterlagen bestehen Lohn-/Gehaltsrckstnde fr die Zeit ab . . . Ich besttige Ihnen, dass ich beim zustndigen Amtsgericht . . . als Insolvenzgericht darauf hinwirken werde, dass die Entscheidung ber den Insolvenzantrag so rechtzeitig erfolgt, dass die Drei-Monats-Frist des § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III fr das Insolvenzgeld nicht berschritten wird. Im Falle der Abtretung oder Verpfndung der rckstndigen Arbeitsentgeltansprche bitte ich um berlassung einer Abschrift der Abtretungs- oder Verpfndungserklrung. 564 Die kollektive Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes bedarf der Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit. Eine ohne Zustimmung vorgenommene Vorfinanzierung führt dazu, dass dem Dritten kein Anspruch auf Insolvenzgeld zusteht. Zwar nennt § 170
1 Kühl in Brand, SGB III, § 170 Rz. 10. 2 Kühl in Brand, SGB III, § 170 Rz. 10.
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Abs. 4 Satz 1 SGB III die Zustimmung als Voraussetzung für den Anspruchserwerb und würde somit auch die Genehmigung erfassen. Es ist allerdings zu raten, die Übertragungstatbestände hinsichtlich des Arbeitsentgeltes erst nach erfolgter Zustimmung zur Vorfinanzierung zu vollenden, da in der Verwaltungspraxis die Zustimmung teilweise als Einwilligung verstanden wird. Die Entscheidung der Bundesagentur für Arbeit setzt einen Antrag auf Zustimmung 565 zur Vorfinanzierung des Arbeitsentgeltes voraus. Die Antragstellung erfolgt regelmäßig nicht durch den vorläufigen Insolvenzverwalter oder den Schuldner, sondern durch den vorfinanzierenden Dritten (neuen Gläubiger). Wenn schon der vorläufige Insolvenzverwalter in Absprache mit dem Dritten den Antrag auf Zustimmung zur Vorfinanzierung bei der Bundesagentur für Arbeit stellt, muss er klarstellen, dass er diesen Antrag namens und in Vollmacht des Dritten stellt. Durch die Bundesagentur für Arbeit ist die Zustimmung gegenüber dem vorfinanzierenden Dritten zu erklären. Die Vorfinanzierung des Arbeitsentgeltes kann entweder durch Abschluss eines Kauf- 566 vertrages (§§ 433, 435 BGB) oder durch Abschluss eines Darlehensvertrages (§ 488 BGB) erfolgen. Bei der kaufvertraglichen Abwicklung verpflichten sich die Arbeitnehmer, ihre fäl- 567 ligen und künftigen Arbeitsentgeltforderungen gegen den insolventen Arbeitgeber an den vorfinanzierenden Dritten zu übertragen. Die darlehnsweise Abwicklung findet kaum mehr praktische Anwendung. Die Abwicklung der Vorfinanzierung durch Abschluss eines Kaufvertrages mit dem 568 Kreditinstitut erfolgt nach folgendem Schema: Zwischen dem Kreditinstitut und den Arbeitnehmern der Schuldnerin wird unter Zu- 569 stimmung der Schuldnerin und des vorläufigen Insolvenzverwalters eine Vereinbarung geschlossen mit folgenden wesentlichen Regelungen: – Den Arbeitnehmern wird der Ankauf der Ansprüche auf Netto-Arbeitsentgelt angeboten, wobei Kürzungen für Leistungen, die nicht in dem Abrechnungsmonat entstanden oder fällig geworden sind, vorgenommen werden. – Bei Abtretungen, Verpfändungen und Pfändungen wird nur der nicht abgetretene, verpfändete oder gepfändete Arbeitsentgeltanspruch angekauft. – Spesen und/oder Provisionen bleiben beim Ankauf außer Betracht. – Bei freiwillig versicherten Arbeitnehmern wird der Arbeitgeberbeitrag zur Krankenversicherung als Teil des Netto-Arbeitsentgeltes betrachtet. – Klarstellung, dass dem Kreditinstitut aufgrund der im Forderungskaufvertrag enthaltenen Abtretung die jeweiligen Ansprüche auf Insolvenzgeld zustehen. – Klarstellung, dass das Kreditinstitut nicht für Lohnfolgekosten einsteht. – Ermächtigung durch die Arbeitnehmer, dass die Behörden der Arbeitsverwaltung dem Kreditinstitut alle für die Vorfinanzierung und die Insolvenzgeldgewährung bedeutsamen Umstände mitteilen können. – Einstehen des Arbeitnehmers für Bestand des Arbeitsentgeltes. – Verzicht des Arbeitnehmers auf außerordentliche (fristlose) Kündigung und Aufhebung des zu Arbeitsvertrages. – Erklärung des Arbeitnehmers, noch keinen Antrag auf Insolvenzgeld gestellt zu haben. Die Kreditinstitute, die Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes als Bankdienstleistun- 569a gen anbieten, verwenden standardisierte Abtretungsvereinbarungen und lassen in der Regel Verhandlungen einzelner Arbeitnehmer über deren Inhalt nicht zu. Die im Forderungskaufvertrag genannten und vom Arbeitgeber zu tragenden Zinsen 570 und Kosten des Forderungskaufs stellen bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Insolvenzforderungen nach § 38 InsO dar. Um dieses Ergebnis zu vermeiden, wird entweder mit einem sogenannten „Zweikontenmodell“ gearbeitet. Auf ein neu errichtetes Konto bei dem vorfinanzierenden Kreditinstitut, welches regelmäßig als Anderkonto des vorläufigen Insolvenzverwalters geführt wird, werden die überschlägig erHçfer
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mittelten Zinsen und Kosten aus dem Vermögen des schuldnerischen Unternehmens als Vorschuss überwiesen. Die an die Arbeitnehmer danach ausbezahlten Beträge werden auf einem zweiten von dem vorfinanzierenden Kreditinstitut errichteten Bankkonto belastet. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und nach Auszahlung des Insolvenzgeldes durch die Bundesagentur für Arbeit werden beide von dem vorfinanzierenden Kreditinstitut errichteten Konten abgerechnet und der sich ergebende Überschuss der Insolvenzmasse zur Verfügung gestellt. Etwas „eleganter“ und die Liquidität im Eröffnungsverfahren schonend ist die Gestattung der Begründung von Masseverbindlichkeiten durch das Insolvenzgericht bezüglich der Kosten der Vorfinanzierung und der Zinsen1. 571 Die Bundesagentur für Arbeit geht bei der Vorfinanzierung der Arbeitsentgelte im Rahmen des § 170 Abs. 4 SGB III in zwei Stufen vor. 572 Für Arbeitsentgeltrückstände aus der Zeit vor der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters erteilen die Agenturen für Arbeit ohne weiteres auf Antrag die Zustimmung zur Vorfinanzierung des rückständigen Arbeitsentgeltes, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter darlegt, noch Zeit für eine abschließende Prognose zu benötigen und zumindest im Insolvenzeröffnungsverfahren ein erheblicher Teil der Arbeitsplätze erhalten bleibt (DA der BA zu § 170 SGB III Ziffer 3.2 Absatz 15). 573 Bei der Vorfinanzierung von Arbeitsentgelten, welche nach dem Insolvenzantrag entstehen, ist diese Manipulationsmöglichkeit zu Lasten der Bundesagentur für Arbeit nicht auszuschließen. Deshalb setzt in diesem Falle die Zustimmung zur Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes durch die Bundesagentur für Arbeit eine positive Prognose für den Erhalt eines erheblichen Teiles der Arbeitsplätze (§ 170 Abs. 4 Satz 2 SGB III) voraus. Durch die notwendige Prognoseentscheidung, dass ein erheblicher Teil der Arbeitsplätze auf Dauer erhalten wird, kann die so genannte Ausproduktion unter Ausnutzung der Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes nicht mehr erfolgen. Eine Wertschöpfung durch Fertigstellung von Halbfabrikaten etc. zu Lasten der Insolvenzausfallversicherung scheidet nach dem Willen des Gesetzgebers aus. 574 Durch den Antragsteller ist glaubhaft zu machen, dass durch die Vorfinanzierung der Arbeitsentgelte ein erheblicher Teil der Arbeitsplätze auf Dauer erhalten bleibt. Der Antragsteller, also das zu der Vorfinanzierung bereite Kreditinstitut, verfügt nicht über die Kenntnisse dieser für die Glaubhaftmachung erforderlichen Tatsachen, so dass der Antragsteller auf die Angaben oder eine Stellungnahme des vorläufigen Insolvenzverwalters angewiesen ist. 574a In Antragsverfahren nach § 270a InsO und § 270b InsO fordern die Arbeitsagenturen hierzu Stellungnahmen des vorläufigen Sachwalters an. Die Erhaltung eines erheblichen Teiles der Arbeitsplätze muss i.S.v. § 294 ZPO überwiegend wahrscheinlich sein. Es genügt jedoch auch, wenn Indizien als Tatsachen der Agentur für Arbeit unterbreitet werden, wonach die Sanierung einen erheblichen Arbeitsplatzerhalt erwarten lässt2. 575 Solche Indizien sind z.B.: – erste Maßnahmen im Rahmen der Umsetzung eines konkreten Sanierungskonzeptes (z.B. Konzept zu Rationalisierung, Umstrukturierung und Verminderung der Produktionskosten), – Übernahmeangebot eines potentiellen Interessenten, das noch von der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen abhängig gemacht wird, – Gutachten des vorläufigen Insolvenzverwalters, mit nachvollziehbar günstiger Prognose für die Fortführung des Unternehmens (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Hs. 2 InsO)3.
1 BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 195/01, BGHZ 151, 353 = ZIP 2002, 1625. 2 Neue Geschäftsanweisungen für die Arbeitsagenturen zur Vorfinanzierung von Insolvenzgeld, ZInsO 2006, 1137. 3 Peters-Lange in Gagel, SGB III, Anhang § 170 Nr. 3.2 Abs. 13.
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Unmittelbar nach einem Insolvenzantrag werden weder erste Maßnahmen eines Sa- 576 nierungskonzeptes umgesetzt sein noch wird ein belastbares Gutachten des vorläufigen Insolvenzverwalters oder Sachwalters vorliegen können. Meist wird deswegen auf mehr oder weniger bereits konkretisierte Angebote von Investoren oder auf aktuelle positive Entwicklungen abgestellt werden, die einen erheblichen Arbeitsplatzerhalt erwarten lassen. Der Erhalt eines erheblichen Teiles der Arbeitsplätze setzt zunächst voraus, dass die bisherige betriebliche Tätigkeit fortgeführt wird. Einen festen Maßstab für die Erhaltung eines erheblichen Teiles der Arbeitsplätze i.S.v. § 170 Abs. 4 Satz 2 SGB III gibt es nicht. Man kann sich sicherlich grob an den Mindestgrenzen von § 112a Abs. 1 Nr. 1–4 BetrVG orientieren.
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Die Zustimmungsentscheidung der Agentur für Arbeit erfolgt im Rahmen pflichtge- 578 mäßer Ermessensausübung. Entgegen der anfänglichen Befürchtungen1 wird durch die Agenturen für Arbeit keinesfalls restriktiv entschieden. In vielen Fällen wird kein förmliches Übernahmeangebot eines potentiellen Interessenten gefordert, sondern es wird die Mitteilung eines konkreten Übernahmeinteresses und Nennung der wesentlichsten Übernahmevoraussetzungen als ausreichend erachtet. Erweist sich nach der Zustimmung zur Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes durch 579 die Agentur für Arbeit die Prognose des vorläufigen Insolvenzverwalters als unzutreffend oder übernimmt der Interessent trotz seiner Interessenbekundung den schuldnerischen Betrieb nicht, so hat dieser Umstand regelmäßig auf die durch die Agentur für Arbeit erteilte Zustimmung keinen Einfluss. Nur dann, wenn die Zustimmung aufgrund vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtiger oder unvollständiger Angaben erteilt wurde, kann die als Verwaltungsakt zu wertende Zustimmung durch die Bundesagentur für Arbeit zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X). Die Zustimmung der Agentur für Arbeit zur Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes 580 kann auch nachträglich erteilt werden (§§ 183, 184 BGB), siehe Rz. 564. Das Risiko, dass die Zustimmung versagt wird, trägt allerdings der das Insolvenzgeld vorfinanzierende Dritte, da er für den Fall der Versagung der Zustimmung keinen Anspruch auf Insolvenzgeld erwirbt (§ 170 Abs. 4 Satz 1 SGB III). Der vorläufige Insolvenzverwalter sollte die Arbeitnehmer zeitnah über seine Bemü- 581 hungen zur Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes unterrichten, da er hierdurch eventuelle Zurückbehaltungsrechte der Arbeitnehmer an deren Arbeitsleistung verhindert. Die Arbeitnehmer haben nicht nur dann, wenn der Insolvenzgeldzeitraum durch eine verbindliche Erklärung des vorläufigen Insolvenzverwalters gesichert ist, eine anderweitige Sicherheit i.S.v. § 273 BGB2, sondern insbesondere auch dann, wenn konkrete Bemühungen um eine Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes unternommen werden. Die Bundesagentur für Arbeit hat klargestellt, dass die Vorfinanzierung von Arbeits- 582 entgeltansprüchen auch während der vorläufigen Eigenverwaltung gem. § 270a InsO und der vorläufigen Eigenverwaltung unter einem Schutzschirm gem. § 270b InsO möglich ist. Kommt es im Falle des Verfahrens nach § 270b InsO zu einer Sanierung des Unternehmens, ohne dass ein Insolvenzverfahren eröffnet wird, scheidet die Gewährung von Insolvenzgeld aus3. 5. Altersversorgung a) Unverfallbarkeit Eine betriebliche Altersversorgung liegt vor, wenn das Versorgungsversprechen aus 583 Anlass eines Arbeitsverhältnisses erteilt wurde und die Leistungen durch ein biologisches Ereignis (Alter und/oder Tod und/oder Invalidität) ausgelöst werden4. Eine 1 Wiester, ZInsO 1998, 99. 2 BAG v. 25.10.1984 – 2 AZR 417/83, NZA 1985, 355 = ZIP 1985, 302. 3 HEGA 03/12-08 – Insolvenzgeld – Auswirkungen des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen. 4 BAG v. 8.5.1990 – 3 AZR 121/89, NZA 1990, 933 = ZIP 1990, 1496.
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Leistung wegen Alters liegt vor, wenn die Altersleistungen ab dem üblichen Pensionsalter gewährt werden. Feste Altersgrenzen ab dem 60. Lebensjahr sind mit Wirkung für die Insolvenzsicherung zulässig1. Keine betriebliche Altersversorgung liegt bei der Zahlung von Vorruhestandsgeldern oder Überbrückungsgeldern vor. 584 Für Versorgungsansprüche (§ 7 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG) und unverfallbare Versorgungsansprüche (§ 7 Abs. 2 Satz 2 BetrAVG) tritt im Falle der Insolvenz des versorgungsverpflichteten Arbeitgebers der Pensionssicherungsverein a.G. (PSVaG) ein. Die Unverfallbarkeit der Versorgungsansprüche tritt ein, wenn – das Arbeitsverhältnis vor dem Eintritt des Versorgungsfalls, jedoch nach der Vollendung des 30. Lebensjahres endet – und die Versorgungszusage zu diesem Zeitpunkt 5 Jahre bestand (§ 1b Abs. 1 Satz 1 BetrAVG). 585 Die Unverfallbarkeitsvorausetzungen nach § 1b BetrAVG können durch eine vertragliche Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer nicht begründet werden2, insbesondere nicht durch die Vereinbarung fiktiver Eintrittsdaten. Eine Vordienstzeit ist nur dann bei der Unverfallbarkeit zu berücksichtigen, wenn sich diese unmittelbar an das Beschäftigungsverhältnis anschließt3 und selbst von einer Versorgungszusage begleitet war4. Wird das Beschäftigungsverhältnis unterbrochen, müssen die Unverfallbarkeitsvoraussetzungen jeweils neu erworben werden5. Der Grund der Unterbrechung und deren Dauer sind unerheblich. Das Ruhen des Arbeitsverhältnisses führt nicht zu einer Unterbrechung. 586 Geht das Arbeitsverhältnis gemäß § 613a BGB über, ist der Betriebserwerber nicht verpflichtet, bei der Berechnung der eigenen Versorgungsleistungen die Beschäftigungszeiten des früheren Arbeitgebers zu berücksichtigen6. Lediglich bei der Unververfallbarkeitsfrist des § 1b Abs. 1 Satz 1 BetrAVG sind die Dienstjahre bei dem früheren Arbeitgeber zu berücksichtigen, nicht hingegen bei der qualifizierten Wartezeit7. b) Leistungen des Pensionssicherungsvereins 587 Der PSVaG erbringt anstelle des insolventen Arbeitgebers an den Versorgungsberechtigten oder dessen Hinterbliebene die Versorgungsleistungen. 588 Sicherungsfall sind alternativ die – Insolvenzeröffnung (§ 7 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG) – Abweisung des Antrags auf Insolvenzeröffnung mangels Masse (§ 7 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 BetrAVG) – vollständige Beendigung der Betriebstätigkeit (§ 7 Abs. 1 Satz 4 Nr. 3 BetrAVG). 589 Rückständige Versorgungsleistungen erbringt der PSVaG bis höchstens 6 Monate vor dem Entstehen der Leistungspflicht, also vor dem Sicherungsfall (§ 7 Abs. 1a Satz 3 BetrAVG). 590 Der PSVaG hat die gleichen Leistungen wie sie von dem insolventen Arbeitgeber geschuldet sind zu erbringen. Ist eine dynamische Rente zugesagt, ist diese auch durch den PSVaG zu erfüllen8. Andererseits ist der PSVaG nicht zur Anpassung nach § 16 BetrAVG verpflichtet9.
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BAG v. 12.11.1985 – 3 AZR 606/83, BAGE 50, 130 (136) = ZIP 1986, 999. BAG v. 21.1.2003 – 3 AZR 121/02, BAGE 104, 256 = NZA 2004, 152 = ZIP 2003, 1996. BAG v. 28.3.1995 – 3 AZR 496/94, BAGE 79, 370 = NZA 1996, 258. BAG v. 22.2.2000 – 3 AZR 4/99, NZA 2001, 1310 (1312). BAG v. 22.2.2000 – 3 AZR 4/99, NZA 2001, 1310 (1312). BAG v. 19.4.2005 – 3 AZR 469/04, NZA 2005, 840 = DB 2005, 1748. BAG v. 8.2.1983 – 3 AZR 229/81, BAGE 44, 7 (11) = ZIP 1984, 99. BAG v. 15.2.1994 – 3 AZR 705/93, BAGE 75, 377 (381); BAG v. 8.6.1999 – 3 AZR 39/98, NZA 1999, 1215 = ZIP 1999, 1689 (1691). 9 BAG v. 5.10.1993 – 3 AZR 698/92, BAGE 74, 318 = NZA 1994, 458.
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Unter den Insolvenzschutz nach § 7 BetrAVG fallen sowohl Versorgungsempfänger 591 als auch die Versorgungsanwärter. Entscheidend ist, ob die Voraussetzungen für den Bezug der Betriebsrente erfüllt sind1. Die Höhe der Leistung ist begrenzt auf das Dreifache der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV (§ 7 Abs. 3 BetrAVG).
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c) Versorgungszusagen im Einzelnen Die Versorgungszusage kann bestehen in 593 – einer Direktversicherung, – einer Gewinnbeteiligung2, – einer Leistung einer Unterstützungskasse, – einer Sachleistung, – einer Entgeltumwandlung. Im Falle der Gewinnbeteiligung muss die Auszahlung bis zum Versorgungsfall gesperrt sein. Die Anwartschaften und Versorgungsleistungen einer Unterstützungskasse sind 594 gleichfalls insolvenzgeschützt (§ 7 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG), sofern die Insolvenz beim Trägerunternehmen eintritt. Die Leistungsfähigkeit der Unterstützungskasse ist ohne Belang3. Aktiva und Passiva der Unterstützungskasse gehen auf den PSVaG über (§ 9 Abs. 3 Satz 1 BetrAVG)4. Sind Sachleistungen, wie z.B. Wohnrecht in einer Werkswohnung oder ein Kohlede- 595 putat, als betriebliche Altersversorgung zugesagt, ist der Wert in Geld durch den PSVaG zu erbringen. Die Entgeltumwandlung (§ 1a Abs. 1 Satz 1 BetrAVG) führt dazu, dass bei einer 596 Entgeltumwandlung von bis zu 4 % der Bemessungsgrenze (§ 18 Abs. 1 SGB IV) die gesetzliche Unverfallbarkeit sofort eintritt. Die Wahl des Versicherungsunternehmens steht dem Arbeitgeber zu5. Führt der Arbeitgeber die Entgeltanteile nicht an einen Pensionsfond, eine Pensionskasse oder im Falle der Direktversicherung nicht an das Versicherungsunternehmen ab, gilt die Entgeltumwandlung als nicht vereinbart (§ 165 Abs. 2 SGB III), so dass die Bundesagentur für Arbeit für die letzten drei Monate vor dem Insolvenzereignis (§ 165 Abs. 2 SGB III) die Erstattung im Rahmen des Insolvenzgeldes vornimmt. d) Versicherungsmissbrauch Die Eintrittsverpflichtung des PSVaG entfällt bei einem Versicherungsmissbrauch. Die Annahme eines Versicherungsmissbrauchs setzt voraus: – objektiv: Indizien für den alleinigen oder überwiegenden Zweck einer Versorgungszusage, deren Verbesserung, Beleihung oder Verpfändung einer Direktversicherung (§ 1b Abs. 2 Satz 3 BetrAVG), um den PSVaG in Anspruch zu nehmen; – subjektiv: alleiniger oder überwiegender Zweck, den PSVaG in Anspruch zu nehmen.
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Der Missbrauchstatbestand (§ 7 Abs. 5 Satz 1 BetrAVG) ist durch den PSVaG zu beweisen. Der Missbrauchskontrolle unterliegen auch Anpassungen nach § 16 BetrAVG6.
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War die Verbesserung einer bereits erteilten Versorgungszusage missbräuchlich, hat der PSVaG selbstverständlich die ursprünglich erteilte Versorgungszusage ohne die Verbesserung zu sichern.
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BAG v. 26.1.1999 – 3 AZR 464/97, NZA 1999, 711 = ZIP 1999, 1018. BAG v. 30.10.1980 – 3 AZR 805/79, BAGE 34, 242 (245) = NJW 1981, 1470. BAG v. 14.12.1993 – 3 AZR 618/93, BAGE 75, 196 (202). BAG v. 6.10.1992 – 3 AZR 41/92, BAGE 71, 235 (242) = NZA 1993, 455 = ZIP 1993, 281. BAG v. 19.7.2005 – 3 AZR 502/04 (A), NZA – RR 2006, 372 = ZIP 2005, 1982. BAG v. 29.11.1988 – 3 AZR 184/87, BAGE 60, 228 (233) = ZIP 1989, 391.
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Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
600 Verbesserungen oder neu erteilte Zusagen der beiden letzten Jahre vor dem Eintritt des Sicherungsfalls bleiben unberücksichtigt. Maßgebend ist der Zeitpunkt der Zusageänderung1. Die Missbrauchsvermutung ist unwiderlegbar (§ 7 Abs. 5 Satz 3 BetrAVG)2, so dass dem Arbeitnehmer der Nachweis einer fehlenden Missbrauchsabsicht abgeschnitten ist3. Planmäßige, automatische Verbesserungen4 sowie von § 16 BetrAVG losgelöste Dynamisierungen5 werden von der Missbrauchsvermutung nicht erfasst, jedoch Anpassungen nach § 16 BetrAVG6. 601 Die Missbrauchsvermutung des § 7 Abs. 5 Satz 3 BetrAVG gilt für die Beleihung, Abtretung oder Verpfändung der Rechte aus einer Direktversicherung in den letzten beiden Jahren vor dem Sicherungsfall nicht7. 602 Wird die Versorgungszusage an Familienangehörige erteilt, ist ein Fremdvergleich durchzuführen8. Um einen Missbrauch zu verhindern, muss der Arbeitsvertrag schriftlich abgeschlossen, tatsächlich vollzogen sowie das geschuldete Arbeitsentgelt an den Arbeitnehmer (Familienangehörigen) ausbezahlt sein9. e) Widerruf 603 Der Widerruf einer unverfallbaren Versorgungszusage wegen einer Treuepflichtverletzung ist nur bei einem ungewöhnlich schwerwiegenden Verstoß möglich. Die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt ebenso wenig zum Widerruf10 wie ein Verstoß des Arbeitnehmers gegen strafrechtliche Vorschriften. Erst wenn die Treuwidrigkeit des Arbeitnehmers den Arbeitgeber in eine die Existenz bedrohende Lage gebracht hat, ist der Widerruf gerechtfertigt11. 604 Andererseits kann der Arbeitgeber und nach der Übernahme der Leistungen der PSVaG mit Schadensersatzansprüchen gegen die Betriebsrentenansprüche die Aufrechnung erklären. Lediglich das Existenzminimum muss dem Arbeitnehmer gesichert bleiben12. 605 Bei einer Direktversicherung kann das Bezugsrecht des Arbeitnehmers unwiderruflich oder widerruflich eingeräumt werden. Ein widerrufliches Bezugsrecht stellt eine ungesicherte Anwartschaft dar13 und begründet vor dem Eintritt des Versicherungsfalls zu Gunsten des Arbeitnehmers keinen Aussonderungsanspruch14. Der Insolvenzverwalter kann, da alle vertraglichen Rechte bei dem insolventen Versicherungsnehmer blieben, das Widerrufsrecht ausüben und den Rückkaufswert zur Insolvenzmasse ziehen15. 606 Nach dem Eintritt der Unverfallbarkeitsvorausetzungen (§ 1b Abs. 1 Satz 1 BetrAVG) ist der Widerruf des Bezugsrechts zu Gunsten des Arbeitnehmers (§ 1b Abs. 2 Satz 1 BetrAVG) im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses16 arbeitsrechtlich unzulässig. Ein unzulässig erklärter Widerruf verpflichtet den Arbeitgeber zum Schadensersatz in Form der Übertragung des Rechts aus dem ursprünglichen Versicherungsvertrag oder dem Abschluss eines gleichwertigen neuen Versicherungsvertrags17. Ist 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17
BAG v. 2.6.1987 – 3 AZR 764/85, ZIP 1989, 1598. BAG v. 24.6.1986 – 3 AZR 645/84, BAGE 52, 226 (232) = ZIP 1987, 393. BAG v. 26.4.1994 – 3 AZR 981/93, BAGE 76, 299 (304) = NZA 1995, 73. BAG v. 22.11.1994 – 3 AZR 767/93, BAGE 78, 279 = NZA 1995, 887. BAG v. 8.6.1999 – 3 AZR 39/98, NZA 1999, 1215 = ZIP 1999, 1689. BAG v. 26.6.1994 – 3 AZR 981/93, BAGE 76, 299 (304) = NZA 1995, 73. BAG v. 26.6.1990 – 3 AZR 651/88, BAGE 65, 208 = NZA 1991, 60 = ZIP 1990, 1596. BGH v. 28.9.1981 – II ZR 181/80, ZIP 1982, 95. BAG v. 20.7.1993 – 3 AZR 99/93, BAGE 73, 350 = NZA 1994, 121. BGH v. 25.11.1996 – II ZR 118/95, NZA-RR 1997, 147. BGH v. 17. 12, 2001 – II ZR 222/99, NZA 2002, 511 = ZIP 2002, 364. BAG v. 18.3.1997 – 3 AZR 756/95, BAGE 85, 274 = NZA 1997, 1108 = ZIP 1997, 935. BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 264/01, NZA – RR 2003, 154 = ZIP 2002, 1697. BGH v. 18.7.2002 – IX ZR 264/01, NZA – RR 2003, 151 = ZIP 2002, 1697. BGH v. 23.10.2003 – IX ZR 252/01, BGHZ 156, 350 = ZIP 2003, 2309. BGH v. 15.2.1992 – XII ZR 247/90, BGHZ 117, 70, 73. BAG v. 28.7.1987 – 3 AZR 694/85, NZA 1988, 159.
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Hçfer
Vergtungsansprche
Rz. 611
§ 12
dieses dem Arbeitgeber nicht möglich oder verweigert der Arbeitgeber die Übertragung oder den Neuabschluss eines Versicherungsvertrags, hat im Fall der Insolvenz der PSVaG Insolvenzschutz zu gewähren (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 BetrAVG). Der Arbeitgeber kann den wirtschaftlichen Wert einer Direktversicherung durch Ab- 607 tretung, Beleihung oder Einräumung eines Pfandrechts zu Gunsten eines Dritten nutzen. Ist das Bezugsrecht des Arbeitnehmers noch widerruflich, benötigt der Arbeitgeber dessen Zustimmung nicht; ist das Bezugsrecht unwiderruflich, bedarf jede Verfügung über die Direktversicherung der Zustimmung des Arbeitnehmers. Kann im Versicherungsfall (§ 7 Abs. 1 Satz 1 und 4 Nr. 1–3 BetrAVG) die Versicherungsleistungen ganz oder teilweise nicht bezahlt werden, hat der PSVaG Versicherungsschutz zu gewähren (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 BetrAVG). Zahlte der insolvente Arbeitgeber anstelle einer Vergütung Versicherungsprämien zu einer Lebensversicherung (Gehaltsumwandlung), ist im Zweifel von einer unverfallbaren Anwartschaft des Arbeitnehmers auszugehen1. Ist zu Gunsten des Arbeitnehmers ein unwiderrufliches Bezugsrecht vereinbart wor- 608 den, steht ihm im Insolvenzverfahren ein Aussonderungsrecht an der Direktversicherung zu2. Zahlt das Versicherungsunternehmen trotzdem auf Anforderung an den Insolvenzverwalter, hat der Arbeitnehmer gegen die Masse keinen Ersatzaussonderungsanspruch, da der Erfüllungsanspruch des Arbeitnehmers gegen die Versicherung fortbesteht3. Ist hingegen das Bezugsrecht widerruflich eingeräumt, ist auch nach dem Eintritt 609 der Unverfallbarkeit der Insolvenzverwalter nicht gehindert, den Widerruf zu erklären und den Rückkaufswert zur Insolvenzmasse zu ziehen. Bei einer Direktversicherung ist zwischen dem Rechtsverhältnis Arbeitgeber/Versicherer (Deckungsverhältnis), dem Rechtsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Versicherer (Vertrag zu Gunsten Dritter) sowie dem Rechtsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber (Versorgungsverhältnis) zu unterscheiden. Ist arbeitsrechtlich ein Widerruf ausgeschlossen, ist er dennoch versicherungsrechtlich zulässig. Der Insolvenzverwalter macht sich hierdurch nicht schadensersatzpflichtig, sondern der Arbeitnehmer hat Schadensersatzansprüche gegen den insolventen Arbeitgeber, die er zur Insolvenztabelle anmelden muss4. Bei einem eingeschränkt unwiderruflichen Bezugsrecht, welches unter dem Vorbe- 610 halt steht, dass das Arbeitsverhältnis nicht vor dem Eintritt des Versicherungsfalls und der Unverfallbarkeit endet, kann im Fall der betriebsbedingten (insolvenzbedingten) Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Insolvenzverwalter dem Arbeitnehmer das Bezugsrecht nicht entziehen5. Dem Arbeitnehmer steht in diesem Fall an den Rechten aus der Direktversicherung ein Aussonderungsrecht zu6. Die „Beendigung“ des Arbeitsverhältnisses und damit die Berechtigung zum Widerruf ist auf die Fälle zu reduzieren, in denen der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz freiwillig aufgibt oder personen- oder verhaltensbedingte Gründe zur Kündigung führten7. Es ist auf die betriebsrentenrechtlichen Wertungen abzustellen8. Will der Insolvenzverwalter den Rückkaufswert der Lebensversicherung zur Insol- 611 venzmasse ziehen, sollte er wegen der Aufgabe der sog. Erlöschenstheorie zu § 103 InsO9 den Versicherungsvertrag gemäß § 165 Abs. 1 VVG kündigen10.
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BAG v. 8.6.1993 – 3 AZR 670/92, BAGE 73, 209 = NZA 1994, 507. BGH v. 22.9.2005 – IX ZR 85/04, ZIP 2005, 1836 (1837). BAG v. 15.6.2010 – 3 AZR 31/07, NZA 2010, 1448 (Ls) = BB 2011, 253. BAG v. 8.6.1999 – 3 AZR 136/98, NZA 1999, 1103 (1005) = ZIP 1999, 1638 (1641). BGH v. 8.6.2005 – IV ZR 30/04, NZA 2006, 1364 (Ls) = ZIP 2005, 1373. BGH v. 3.5.2006 – IV ZR 134/05, NZA-RR 2006, 532 = ZIP 2006, 1309. BGH v. 8.6.2005 – IV ZR 30/04, NZA 2006, 1364 (Ls) = ZIP 2005, 1373 (1375). BAG v. 15.6.2010 – 3 AZR 334/06, BAGE 134, 372 = NZI 2011, 30 = NZA-RR 2011, 260. BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, BGHZ 150, 353, 359 = ZIP 2002, 1093, 1094. BGH v. 7.4.2005 – IX ZR 138/04, NZI 2005, 384 (mit Anm. Ampferl 385 (387) = ZIP 2005, 909 (910).
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§ 12
Rz. 612
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
612 Soweit es im Laufe des Insolvenzverfahrens zum Betriebsübergang kommt, muss der Insolvenzverwalter allein für die Anwartschaften derer einstehen, die nach dem Eröffnungszeitpunkt Ansprüche verdient haben und vor dem Betriebsübergang ausgeschieden sind1. In diesen Fällen sind die Voraussetzungen des § 3 BetrVG trotz des entgegenstehenden Wortlautes erfüllt, so dass der Insolvenzverwalter die Anwartschaften abfinden kann2. IX. Der Betriebsübergang in der Insolvenz 1. Allgemeines 613 § 613a BGB findet auch im Insolvenzverfahren Anwendung mit der Folge, dass bei einer Betriebs- oder Teilbetriebsveräußerung durch den Insolvenzverwalter zugunsten der Arbeitnehmer der Bestandsschutz nach § 613a Abs. 1 und 4 BGB eingreift3. Jegliche Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber/Insolvenzverwalter und den Arbeitnehmern, welche bei einem Betriebsübergang den Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses verhindert, ist wegen der Umgehung von § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB unwirksam. Diese Rechtsfolge tritt insbesondere sogar dann ein, wenn die Arbeitnehmer ihr Arbeitsverhältnis fristlos kündigen, obwohl sie vor der Abgabe ihrer Kündigungserklärung über den geplanten Betriebs- oder Teilbetriebsübergang und dessen Rechtsfolgen aufgeklärt wurden4. Gleichfalls ist der Abschluss eines Aufhebungsvertrages, der die Kontinuität des Arbeitsverhältnisses beseitigen soll, wegen der Umgehung von § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB unwirksam5. 614 Ist jedoch das Ziel des Aufhebungsvertrages das endgültige Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Betrieb, so ist dieser Aufhebungsvertrag wirksam, auch wenn er in einem Zusammenhang mit einem Betriebs- oder Teilbetriebsübergang steht6. Typischerweise werden solche Aufhebungsverträge mit dem Ziel der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem bisherigen Arbeitgeber im Zusammenhang mit dem Wechsel des Arbeitnehmers zu Transfergesellschaften abgeschlossen. Enthält der Aufhebungsvertrag keine Bedingungen und wird durch den bisherigen Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer kein neues Arbeitsverhältnis begründet oder der Abschluss verbindlich in Aussicht gestellt, ist der Aufhebungsvertrag wirksam7. Das Bundesarbeitsgericht hat zuletzt diese Grundsatzentscheidungen bestätigt, aber klargestellt, dass auch das in Aussichtstellen der Übernahme einer bestimmten Anzahl von Mitarbeitern oder eines Prozentsatzes der Belegschaft so verbindlich sei, dass dies zur Unwirksamkeit der Aufhebungsvereinbarung führt8. Die Möglichkeit des Abschlusses von Aufhebungsverträgen mit dem Ziel der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem bisherigen und dem zukünftigen Betriebsinhaber verbessert in erheblichem Umfange die Möglichkeit zur Erhaltung von Arbeitsplätzen insolvent gewordener Unternehmen. 615 Der Betriebsübernehmer kann Arbeitnehmer, die einen Arbeitsvertrag mit der Qualifizierungsgesellschaft abgeschlossen haben, ohne dass es eine Umgehung von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB darstellt, neu einstellen9.
1 BAG v. 22.12.2009 – 3 AZR 814/07, BAGE 133, 50 = NZA 2010, 568 = ZIP 2010, 987. 2 BAG v. 22.12.2009 – 3 AZR 814/07, BAGE 133, 50 = NZA 2010, 568 = ZIP 2010, 987. 3 BAG v. 26.5.1983 – 2 AZR 477/81, BAGE 43, 13 = NJW 1984, 627 = ZIP 1983, 1377 = MDR 1984, 171. 4 BAG v. 11.2.1992 – 3 AZR 117/91, NZA 1993, 20 = ZIP 1992, 1247. 5 BAG v. 28.4.1987 – 3 AZR 75/86, BAGE 55, 228 = NZA 1988, 198 = ZIP 1988, 120 = MDR 1988, 344. 6 BAG v. 11.12.1997 – 8 AZR 654/95, NZA 1999, 262; BAG v. 10.12.1998 – 8 AZR 324/97, BAGE 90, 260 = NZA 1999, 422 = ZIP 1999, 249. 7 BAG v. 18.8.2005 – 8 AZR 523/04, BAGE 115, 340 = NZA 2006, 145 = ZIP 2006, 148. 8 BAG v. 18.8.2011 – 8 AZR 312/10, NZA 2012, 152 = ZIP 2011, 2426; BAG v. 10.12.2012 – 8 AZR 575/11 = NZA 2013, 203 = DB 2013, 236; Thum, BB 2013, 1525. 9 Gaul/Otto, ZIP 2006, 644.
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Der Betriebsbergang in der Insolvenz
Rz. 620
§ 12
Die Tatbestandsvoraussetzung von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB ist, dass ein Betrieb 616 oder ein Betriebsteil als Einheit auf einen anderen Inhaber übergeht1 und dabei ihre Identität bewahrt2, wobei eine Einheit als organisatorische Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- und Nebentätigkeit verstanden wird3. Ein Betriebsübergang setzt somit generell voraus, dass die Rechtspersönlichkeit des Betriebsinhabers wechselt4. Ein Gesellschafterwechsel allein berührt die Identität der Gesellschaft als Rechtssubjekt nicht5, so dass bei einem Gesellschafterwechsel im Rahmen eines Planverfahrens nach § 217 InsO kein Betriebsübergang vorliegt. Gleichfalls führt ein Wechsel der Rechtsform, da dieser keinen Einfluss auf die Identität des Rechtssubjektes hat, zu keinem Betriebsübergang. Auch bei dem Übergang eines Betriebsteils ist es erforderlich, dass es sich um eine 617 selbständige, abtrennbare, organisatorische Einheit handelt, in welcher innerhalb des betrieblichen Gesamtzwecks ein Teilzweck verfolgt wird6. Beim Übergang eines Betriebsteils muss die wirtschaftliche Einheit beim Erwerber ihre Identität wahren7. In Branchen, in denen es im Wesentlichen nicht auf sachliche Betriebsmittel, sondern 618 auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, wie z.B. im Dienstleistungsbereich, stellt eine organisierte Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden ist, eine übernahmefähige, wirtschaftliche Einheit dar8. Die Folge hiervon ist, dass der Betriebserwerber, der die Hauptbelegschaft übernimmt, auch in die Arbeitsverhältnisse aller ungekündigten sonstigen Arbeitsverhältnisse der in diesem Betrieb oder Betriebsteil beschäftigten Arbeitnehmer eintritt9. Je geringer die Qualifikation der Arbeitnehmer ist oder zur Ausführung der Tätigkeit in der organisatorischen Einheit sein muss, umso höher muss der prozentuale Anteil der übernommenen Arbeitnehmer sein, um zu einem Betriebsübergang i.S.v. § 613a BGB zu gelangen. Andererseits führt in Betrieben oder Betriebsteilen, die durch das Fach- und Spezial- 619 wissen einzelnen Arbeitnehmer geprägt werden, die Übernahme solcher Know-howTräger zu einem Betriebsübergang10. Trotz des vom EuGH geprägten Begriffs der wirtschaftlichen Einheit ist im Rahmen 620 einer Gesamtbewertung zu entscheiden, ob ein Betriebsübergang vorliegt oder nicht. Hierbei spielt im produzierenden Gewerbe die Übertragung materieller Aktiva wie z.B. Gebäude, Maschinen, Produktionsanlagen, Werkzeuge, Rohstoffe, Halb- und Fertigfabrikate, Fahrzeuge und Transportgeräte eine ausschlaggebende Rolle für die Frage, ob ein Betriebsübergang vorliegt. Sofern der Auftraggeber die Betriebsmittel zur Verfügung stellt, was insbesondere im Reinigungs-, Bewachungs- und Kantinenbereich der Fall ist, kommt es im Gegensatz zu früher auf das Merkmal der eigenwirtschaftlichen Nutzung nicht mehr an11. Gleichfalls stellten die Übertragung immaterieller Aktiva, wie z.B. Patent- und Gebrauchsmusterrechte12, die Übertragung von Schutzrechten und Lizenzen13 sowie die Übertragung von Warenzeichen ein Indiz für
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BAG v. 12.7.1990 – 2 AZR 39/90, NZA 1991, 63 = ZIP 1990, 1609. Preis in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 613a BGB Rz. 6. Preis in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 613a BGB Rz. 6. BAG v. 3.5.1983 – 3 AZR 1263/79, BAGE 42, 312 = ZIP 1983, 715. Preis in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 613a BGB Rz. 43. Preis in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 613a BGB Rz. 7. BAG v. 24.6.2006 – 8 AZR 556/05, NZA 2007, 1320 (Ls) = DB 2006, 2818. BAG v. 22.5.1997 – 8 AZR 101/96, BAGE 86, 20 = NZA 1997, 1050 = ZIP 1997, 1555. BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 375/96, BAGE 87, 120 = NZA 1998, 249 = ZIP 1998, 344. BAG v. 11.12.1997 – 8 AZR 729/96, BAGE 87, 303 = NZA 1998, 534. EuGH v. 15.12.2005 – Rs. C 232, 233/04, Slg. 2005, I-11237 Nurten Güney-Görres und Gul Demir/Securicor Aviation [Germany] Ltd und Kötter Aviation Security GmbH & Co. KG, NZA 2006, 29 = ZIP 2006, 95; BAG v. 6.4.2006 – 8 AZR 222/04, NZA 2006, 723 = ZIP 2006, 1268. 12 BAG v. 25.6.1985 – 3 AZR 254/83, BAGE 49, 102 = NZA 1986, 93 = ZIP 1985, 1523 = MDR 1986, 170. 13 BAG v. 27.4.1988 – 5 AZR 358/87, BAGE 58, 176 = NZA 1988, 655 = ZIP 1988, 989.
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§ 12
Rz. 621
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
einen Betriebsübergang dar, wobei allein eine Übernahme von Aufträgen des insolventen Betriebs zu keinem Betriebsübergang1 führt. 621 Ohne die Übernahme von materiellen und/oder immateriellen Aktiva oder zumindest einer teilbetrieblichen Organisation liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB nicht vor, wobei der Erwerber nicht Eigentümer der Betriebsmittel sein muss. Ausreichend ist auch eine Nutzungsvereinbarung, die den Gebrauch regelt2. In den Fällen der Übernahme von Aufgaben ohne eine Übernahme einer teilbetrieblichen Organisation handelt es sich um keinen Betriebs – oder Teilbetriebsübergang, sondern um eine Funktionsnachfolge3. Die Rechtsfolgen von § 613a BGB setzen bei einem Teilbetriebsübergang voraus, dass die übergegangene organisatorische Teileinheit bereits beim Veräußerer bestanden hat. Ein Betriebsübergang scheidet aus, wenn der Erwerber mit den übernommenen Personen, immateriellen und materiellen Betriebsmitteln eine neue wirtschaftliche Einheit organisiert4. 622 Auch die bloße Fortführung bisheriger Aufgaben durch einen Dritten stellt eine Funktionsnachfolge und keinen Betriebsübergang dar5. Einem Betriebsübergang steht eine wesentliche Änderung des unternehmerischen Konzepts und der Organisation entgegen6. Die Änderungen müssen nachhaltig umgesetzt und durchgeführt werden. 623 Für die Frage, ob eine Kündigung gegen das Kündigungsverbot des § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB verstößt oder ob die Kündigung aus anderen Gründen i.S.v. § 613a Abs. 4 Satz 2 BGB erfolgte, ist entscheidend, ob die Kündigung wegen der Stilllegung des Betriebs oder sonstiger Betriebseinschränkungen erfolgt ist. Erfolgt z.B. eine Betriebsstilllegung mit anschließender Veräußerung der Betriebsmittel, liegt kein Betriebsübergang i.S.v. § 613a BGB vor, da sich der Betriebsübergang und die Betriebsstilllegung ausschließen7. 624 Die Stilllegung erfordert den ernstlichen und endgültigen Entschluss des Arbeitgebers/Insolvenzverwalters, die Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zwischen dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf Dauer oder zumindest für einen unbestimmten, aber wirtschaftlich nicht unerheblichen Zeitraum aufzugeben8. Die Einstellung der Produktion allein stellt noch keine Betriebsstilllegung dar, sondern es muss daneben die dem Betriebszweck dienende Organisation aufgelöst werden9. Die Stilllegung muss greifbare Formen angenommen haben, und es muss durch den Insolvenzverwalter nach außen dokumentiert werden, dass die unternehmerische Betätigung auf Dauer eingestellt ist. Wird durch den Betriebserwerber alsbald die Produktion wieder aufgenommen, spricht eine tatsächliche Vermutung gegen eine ernsthafte Absicht, den Betrieb stillzulegen10. Auch dann, wenn zwischen der Betriebseinstellung und der Wiederaufnahme der Produktion ein Zeitraum von zwei Monaten liegt, spricht dieses gegen eine ernsthafte Absicht der Betriebseinstellung11. Dauert die Betriebsunterbrechung länger als jede gesetzliche Kündigungsfrist von Arbeitsverhältnissen nach § 622 Abs. 2 BGB, spricht dieses für eine ernsthafte Absicht, den Betrieb stillzulegen12. Im Handel stellt eine neun Monate dauernde, tatsächliche Einstellung jegli-
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BAG v. 10.6.1988 – 2 AZR 801/87, ZIP 1988, 1272. BAG v. 31.1.2008 – 8 AZR 2/07, NZA 2009, 1232 (Ls) = ZIP 2376. BAG v. 27.10.2005 – 8 AZR 45/05, NZA 2006, 263 = DB 2006, 454. BAG v. 26.8.1999 – 8 AZR 718/98, NZA 2000, 144 = NJW 2000, 1589. BAG v. 28.8.2006 – 8 AZR 317/05, NZA 2007, 1287. BAG v. 4.5.2006 – 8 AZR 299/05, NZA 2006, 1096 = ZIP 2006, 1545; BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 331/05, NZA 2006, 1357 = ZIP 2006, 2181. BAG v. 27.2.1987 – 7 AZR 652/85, BAGE 54, 215 = NZA 1987, 700 = ZIP 1987, 1138. BAG v. 10.10.1996 – 2 AZR 477/95, NZA 1997, 251. BAG v. 12.2.1987 – 2 AZR 247/86, NZA 1988, 170 = ZIP 1987, 1478. BAG v. 12.2.1987 – 2 AZR 247/86, NZA 1988, 170 = ZIP 1987, 1478. BAG v. 27.9.1984 – 2 AZR 309/83, BAGE 47, 13 = NZA 1985, 493 = ZIP 1985, 698 (701) = MDR 1985, 699. BAG v. 22.5.1997 – 8 AZR 101/96, BAGE 86, 20 = NZA 1997, 1050 = ZIP 1997, 1555.
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Der Betriebsbergang in der Insolvenz
Rz. 630
§ 12
cher Verkaufstätigkeit eine so erhebliche Zeitspanne dar, dass diese der Annahme eines Betriebsübergangs entgegensteht. Erfolgt eine nicht unerhebliche räumliche Verlegung des Betriebs, liegt kein Betriebs- 625 übergang i.S.v. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB vor und die Kündigung der Arbeitsverhältnisse erfolgt in diesem Fall nicht wegen des Übergangs eines Betriebs (§ 613a Abs. 4 Satz 1 BGB), sofern die alte Betriebsgemeinschaft tatsächlich und rechtsbeständig aufgelöst wird1. Werden, wie in einem entschiedenen Fall, die Produktionsanlagen nach Lyon verkauft, die Produktion durch den Erwerber der Produktionsanlage in Lyon aufgenommen und die Beschäftigungsverhältnisse der in Berlin beschäftigten Arbeitnehmer gekündigt, handelt es sich nicht um eine Kündigung wegen des Übergangs eines Betriebs i.S.v. § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB, sondern um eine Kündigung aus anderen Gründen i.S.v. § 613a Abs. 4 Satz 2 BGB, nämlich aus dringenden betrieblichen Erfordernissen wegen des Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit in Berlin (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG). Bei einer Betriebsverlagerung erfolgt dann die Kündigung aus anderen Gründen 626 i.S.v. § 613a Abs. 4 Satz 2 BGB, wenn der Arbeitnehmer aufgrund des Inhaltes seines Arbeitsvertrages am neuen Ort der Betriebstätigkeit nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet ist2. Das BAG stellt darauf ab, ob der Arbeitnehmer aufgrund einer – wirksamen – Verset- 627 zungsklausel zur Erbringung seiner Arbeitsleistung an einem anderen Ort verpflichtet ist oder nicht. Abzustellen ist nicht auf den Versetzungsbegriff nach § 95 Abs. 3 BetrVG, wonach bereits eine Versetzung innerhalb der gleichen Gemeinde vorliegt, wenn die Verkehrsverbindung schlechter ist als an dem bisherigen Arbeitsplatz, sondern auf § 4 Nr. 1 BetrVG. Weit entfernt i.S.v. § 4 Nr. 1 BetrVG sind bereits zwei Betriebsstätten, wenn sie 40 Kilometer auseinanderliegen und mit einem guten Straßennetz oder guten Bahnverbindungen erreichbar sind3. Besteht arbeitsvertraglich eine Versetzungsklausel und wird der Betrieb räumlich soweit verlagert, dass diese räumliche Entfernung unter § 4 Nr. 1 BetrVG zu subsumieren ist, erfolgt eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht wegen des Übergangs eines Betriebs i.S.v. § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB. Bei der Betriebsstilllegungsabsicht und dem späteren Betriebsübergang ist jeweils auf den Zeitpunkt des Zuganges der Kündigungserklärung abzustellen.
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War bei dem Zugang der Kündigungserklärung ein Betriebsübergang bis zum Ablauf 629 der Kündigungsfrist noch nicht vollzogen, jedoch die Kündigung zur Vorbereitung des Betriebsübergangs ausgesprochen worden, so ist diese gemäß § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB nichtig4. War jedoch bei Ausspruch der Kündigung und deren Zugang beim Arbeitnehmer nach vernünftiger betriebswirtschaftlicher Prognose davon auszugehen, dass die Betriebsstilllegung unumgänglich ist, führt eine nach dem Zugang der Kündigungserklärung erfolgte Betriebsveräußerung nicht zur Nichtigkeit der Kündigung, nach § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB. Da es für die Wirksamkeit der Kündigung auf die tatsächlichen Verhältnisse bei deren Zugang ankommt, muss zum Zeitpunkt des Zuganges der Kündigungserklärung der Insolvenzverwalter endgültig entschlossen sein, die Betriebs- und Produktionsgemeinschaft aufzulösen5. Kommt es nach dem Zugang der Kündigungserklärung, jedoch vor der Beendigung 630 des Arbeitsverhältnisses zu einem Betriebsübergang, so haben die gekündigten Arbeitnehmer gegen den Betriebsübernehmer einen Anspruch auf Wiedereinstellung zu unveränderten Bedingungen6.
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BAG v. 12.2.1987 – 2 AZR 247/86, NZA 1988, 170 = ZIP 1987, 1478. BAG v. 20.4.1989 – 2 AZR 431/88, BAGE 61, 369 = NZA 1990, 32 = ZIP 1990, 120. BAG v. 17.2.1983 – 6 ABR 64/81, BAGE 41, 403 = BB 1983, 1790. BAG v. 19.5.1988 – 2 AZR 596/87, BAGE 59, 12 = NZA 1989, 461 = ZIP 1989, 1012 = MDR 1989, 668. 5 BAG v. 10.10.1996 – 2 AZR 477/95, NZA 1997, 251. 6 BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 295/95, BAGE 87, 115 = NZA 1998, 251.
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§ 12
Rz. 631
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
631 Der Klageantrag1 lautet:
M 30 Klageantrag Wiedereinstellung bei Betriebsbergang Das Angebot des Klgers auf Abschluss eines Vertrages zu den bisherigen Arbeitsbedingungen mit . . . aus dem Arbeitsvertrag vom . . . als . . . unter Anrechnung der bisherigen Beschftigungsdauer seit dem . . . anzunehmen. Der Leistungsantrag ist zulässig2. Die Willenserklärung gilt mit der Rechtskraft des Urteils als abgegeben (§ 894 Abs. 1 Satz 1 ZPO). 632 Erfolgt jedoch erst nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Betriebsübergang, so hat es mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses sein Bewenden3. 633 Hat der Insolvenzverwalter zur Verbesserung der Verkaufschancen ein Sanierungskonzept erstellt und kündigt er hierauf gestützt Arbeitsverhältnisse, so liegt keine Kündigung wegen eines Betriebsübergangs vor4. Der Insolvenzverwalter kann auch aufgrund eines verbindlichen Konzepts oder Sanierungsplans des Erwerbers (Erwerberkonzept), welcher mit der Betriebsübernahme aus dringenden betrieblichen Erfordernissen i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG die Belegschaft verringern will, die Kündigungserklärungen abgeben5. Voraussetzung ist, dass die Durchführung des Konzepts oder des Sanierungsplans vor Zugang der Kündigungserklärungen bereits greifbare Formen angenommen hat. Daran dürfen allerdings nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden, denn oft sind gerade die Kündigungserklärungen der erste Schritt zur Umsetzung und weitere leistungswirtschaftliche Maßnahmen obliegen naturgemäß dem Erwerber. Entgegen einer früheren Auffassung des BAG6 ist es unerheblich, ob der Insolvenzverwalter bei Fortführung des Betriebs das Erwerberkonzept hätte durchführen können. Sowohl der Inhaber eines notleidenden Betriebs wie auch der Insolvenzverwalter sind regelmäßig nicht dazu in der Lage, das notleidende Unternehmen entsprechend dem Erwerberkonzept fortzuführen7. 634 Ein Teilbetriebsübergang setzt voraus, dass die übernommenen Betriebsmittel bereits bei einem früheren Betriebsinhaber die Qualität eines Betriebsteils, also einer organisatorischen Einheit hatten8. Der Betriebsübernehmer muss die wesentlichen Betriebsmittel des Teilbetriebs übernehmen. Wenn der Betriebsübernehmer mit den übernommenen Betriebsmitteln erst einen Betrieb oder Betriebsteil, also eine neue organisatorische Einheit gründet, fehlt es an den tatbestandlichen Voraussetzungen von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB9. 635 Kommt es zu einem Teilbetriebsübergang i.S.v. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB, so ist nach objektiven Kriterien zu entscheiden, für welchen Betriebsteil die Arbeitnehmer überwiegend tätig waren. Sofern Arbeitnehmer in mehreren Betriebsteilen, also einem Betriebsteil, der auf einen neuen Inhaber übergeht und einen Betriebsteil, der im Insolvenzverfahren liquidiert wird, tätig waren, kann die Zuordnung des Arbeitsverhältnisses durch eine Einigung zwischen dem Insolvenzverwalter als Veräußerer und dem Erwerber durch eine den Arbeitnehmer bindende Vereinbarung erfolgen10. Der Über-
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BAG v. 4.12.1997 – 2 AZR 140/97, NZA 1998, 701. BAG v. 13.5.2004 – 8 AZR 198/03, BAGE 110, 336 = ZIP 2004, 1610. BAG v. 28.10.2004 – 8 AZR 199/04, NZA 2005, 405. BAG v. 18.7.1996 – 8 AZR 127/94, BAGE 83, 302 = NZA 1997, 148 = ZIP 1996, 2028. BAG v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, NZA 2003, 1027 = ZIP 2003, 1671; BAG v. 20.9.2006 – 6 AZR 249/05, NZA 2007, 387 = BB 2007, 627. BAG v. 26.5.1983 – 2 AZR 477/81, BAGE 43, 13 = ZIP 1983, 1377 = MDR 1984, 171. Preis in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 613a BGB Rz. 170. BAG v. 16.2.2006 – 8 AZR 204/05, NZA 2006, 794. BAG v. 16.2.2006 – 8 AZR 204/05, NZA 2006, 794. BAG v. 20.7.1982 – 3 AZR 261/80, BAGE 39, 208 (213) = NJW 1983, 472 = ZIP 1983, 107.
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Der Betriebsbergang in der Insolvenz
Rz. 642
§ 12
nehmer eines Betriebsteils tritt in diejenigen Arbeitsverhältnisse ein, welche dem übernommenen Betriebsteil zuzuordnen sind. Kann der nach der Teilbetriebsübernahme verbleibende restliche Betriebsteil nicht mehr sinnvoll geführt werden, bedingt dieses eine betriebsbedingte Kündigung i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG. Der Übernehmer des Teilbetriebs tritt in diesem Falle nicht in die Rechte und Pflichten aus den Arbeitsverhältnissen mit denjenigen Arbeitnehmern, die in dem nicht übernommenen Betriebsteil beschäftigt sind, ein1. 2. Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses Der Arbeitnehmer kann dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Betriebs- 636 erwerber widersprechen. Ein sachlicher Grund für den Widerspruch muss nicht vorliegen2. Unter den Begriff des Arbeitsverhältnisses fällt auch das Ausbildungsverhältnis3, so dass auch dieses auf den Betriebserwerber übergeht. Gemäß § 613a Abs. 5 BGB hat der bisherige Arbeitgeber oder der neue Arbeitgeber die Arbeitnehmer umfassend zu unterrichten, damit die einmonatige Widerspruchsfrist nach § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB in Gang gesetzt wird. Der Arbeitnehmer ist zu unterrichten über: – Zeitpunkt des Übergangs bzw. geplanter Zeitpunkt des Übergangs, – Grund für den Betriebsübergang.
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Hierbei ist es ausreichend, wenn der Insolvenzverwalter die rechtlichen Gründe für 638 den Betriebsübergang mitteilt, also, ob der Betrieb oder Teilbetrieb verkauft, eine Umwandlung erfolgt oder einzelne Dienstleistungen im Wege des Outsourcings aus dem Betrieb verlagert werden. – Rechtliche, wirtschaftliche und soziale Folgen des Übergangs für die Arbeitneh- 639 mer Die Arbeitnehmer sind somit zu unterrichten über die Fragen der Weitergeltung oder Änderungen der bisherigen Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis, die Haftung des bisherigen und des neuen Inhabers gegenüber den Arbeitnehmern, den Kündigungsschutz sowie die Rechte und Pflichten aus Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen und deren Weitergeltung auch über die Sozialplanpflicht des Erwerbers (§ 112a Abs. 2 Satz 3 BetrVG). – In Aussicht genommene Maßnahmen Im Wesentlichen wird es für den Fall, dass der Betriebsübergang mit einer Betriebsänderung verbunden ist, um den Hinweis auf den Abschluss von Interessenausgleich und Sozialplan oder den aktuellen Stand der Verhandlungen gehen, aber auch alle sonstigen Maßnahmen (Entgeltverzichte, Arbeitszeitverlängerungen etc.) zählen hierzu.
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Die Unterrichtung der von dem Übergang betroffenen Arbeitnehmer hat in Textform 641 (§ 126b BGB) zu erfolgen. Die Erklärung muss schriftlich erfolgen, die Person des Erklärenden sowie den Abschluss der Erklärung erkennen lassen. Die Unterrichtungsverpflichtung4 kann sowohl von dem bisherigen Arbeitgeber (In- 642 solvenzverwalter) als auch dem neuen Inhaber erfüllt werden. Im Rahmen eines Kaufvertrages sollte klar geregelt werden, wer und in welchem Umfange die Unterrichtung vornimmt, da die einmonatige Widerspruchsfrist erst ab der vollständigen Unterrichtung der betroffenen Arbeitnehmer über die Folgen des Betriebsübergangs zu laufen beginnt. Die vollständige Unterrichtung muss die Haftungsfragen sowie die sozialen und wirtschaftlichen Folgen des Betriebsübergangs5 beinhalten. Daneben
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BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 375/96, BAGE 87, 120 = NZA 1998, 249 = ZIP 1998, 344 (347). BAG v. 30.9.2004 – 8 AZR 462/03, BAGE 112, 124 = NZA 2005, 43 = ZIP 2005, 132. BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 382/05, NZA 2006, 1406 = ZIP 2007, 87 (88). Lemke/Oberwinter, ZIP 2007, 310. BAG v. 24.5.2005 – 8 AZR 398/04, BAGE 114, 374 = NZA 2005, 1302 = ZIP 2005, 1978.
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§ 12
Rz. 643
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
ist der Betriebsübernehmer identifizierbar1 zu benennen und der Gegenstand des Betriebsübergangs anzugeben2, der Rechtsgrund, z.B. Pachtvertrag, und die unternehmerischen Gründe sind anzugeben3 sowie über die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen sorgfältig zu informieren4. Die in Aussicht genommenen Maßnahmen (§ 613a Abs. 5 Nr. 4 BGB) sind zu benennen, wenn ein konkretes Planungsstadium im Zeitpunkt der Unterrichtung erreicht ist5. Die reine Wiedergabe des Gesetzestextes ist nicht ausreichend6. Alle dem Arbeitnehmer erteilten Informationen müssen zutreffend sein, wobei es auf den subjektiven Kenntnisstand des Informierenden zum Zeitpunkt der Unterrichtung ankommt7. Die Unterrichtung muss daher nicht nur vollständig, richtig und präzise sein, sondern auch noch „verständlich und arbeitsplatzbezogen“8. Ob der Arbeitnehmer über sein Widerspruchsrecht, die Monatsfrist (§ 613a Abs. Abs. 6 Satz 1 BGB) und eine eventuelle betriebsbedingte Kündigung im Falle des Widerspruchs durch den Veräußerer zu unterrichten ist, ist zweifelhaft. 643 Die Verletzung der Unterrichtungspflicht nach § 613a Abs. 5 BGB führt nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung9. Der Arbeitnehmer ist ausreichend dadurch geschützt, dass die Widerspruchsfrist von einem Monat nach § 613a Abs. 6 BGB nicht läuft. Eine schuldhafte Verletzung der Unterrichtungspflicht kann Schadensersatzansprüche auslösen10, so zB bei einer unvollständigen Information über die Haftung des Erwerbers im Fall des Verlustes von Sozialplanansprüchen11. Selbst nach Jahren kann der Widerspruch noch zulässig sein, wobei es keiner Kausalität zwischen der fehlerhaften oder unvollständigen Unterrichtung und dem Grund des Widerspruches bedarf12. 644 Der Widerspruch des Arbeitnehmers gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses kann sowohl gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber als auch dem neuen Betriebsinhaber erklärt werden. In einem Kaufvertrag ist deshalb eine gegenseitige Informationspflicht für Verkäufer und Käufer über die erfolgten Widersprüche zu regeln. Der Widerspruch ist durch den Arbeitnehmer schriftlich (§ 613a Abs. 6 Satz 1 BGB) zu erklären. Trotz dieses Schriftformerfordernisses genügt auch ein konkludent erklärter Widerspruch13. Ebenso wie der Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage vor dem Zugang der Kündigungserklärung unwirksam ist14, ist ein durch den Arbeitnehmer im Vorhinein erklärter Verzicht auf die Unterrichtung und den Widerspruch nach § 613a Abs. 5 und 6 BGB unwirksam. Wirksam ist jedoch ein Verzicht des Arbeitnehmers auf das Widerspruchsrecht, wenn im Rahmen der Ver-
1 BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, BAGE 119, 91 = NZA 2006, 1268 (1269) = ZIP 2006, 2050 (2051). 2 BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, BAGE 119, 91 = NZA 2006, 1268 (1270) = ZIP 2006, 2050 (2052). 3 BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, BAGE 119, 91 = NZA 2006, 1268 (1270) = ZIP 2006, 2050 (2052). 4 BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 303/05, BAGE 119, 81 = NZA 2006, 1273 = ZIP 2006, 2143; BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, BAGE 119, 91 = NZA 2006, 1268 (1271) = ZIP 2006, 2050 (2053). 5 BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 303/05, BAGE 119, 81 = NZA 2006, 1273 (1276) = ZIP 2006, 2143 (2146). 6 BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, BAGE 119, 91 = NZA 2006, 1268 (1271) = ZIP 2006, 2050 (2051). 7 BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, BAGE 119, 91 = NZA 2006, 1268 (1269) = ZIP 2006, 2050 (2051). 8 BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, BAGE 119, 91 = NZA 2006, 1268 (1269) = ZIP 2006, 2050 (2051). 9 BAG v. 24.5.2005 – 8 AZR 398/04, BAGE 114, 374 = NZA 2005, 1302 = ZIP 2005, 1978. 10 BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 382/05, NZA 2006, 1406 (1411) = ZIP 2007, 87 (93). 11 LAG Düsseldorf v. 8.8.2006 – 8 (5) Sa 244/06, DB 2007, 348. 12 BAG v. 20.4.2010 – 3 AZR 225/08, BAGE 134, 111 = NZA 2010, 883 (884) = DB 2010, 1589 (1590, 1591); BAG v. 18.3.2010 – 8 AZR 840/08, NZA-RR 2011, 280 (Ls) = DB 2010, 2172 (Ls). 13 BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 382/05, NZA 2006, 1406 (1408) = ZIP 2007, 87 (89). 14 BAG v. 10.12.1964 – 2 AZR 369/63, BAGE 17, 1 = NJW 1965, 1453 (LS) = MDR 1965, 609.
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Der Betriebsbergang in der Insolvenz
Rz. 650
§ 12
zichtserklärung auf einen konkreten Betriebsübergang Bezug genommen wird. Der Widerspruch wirkt auf den Zeitpunkt des Betriebsübergangs zurück1. 3. Haftung des Betriebserwerbers Wird der Betrieb oder Teilbetrieb im Rahmen eines Insolvenzverfahrens veräußert, 645 ist § 613a BGB insoweit nicht anwendbar, wie diese Norm die Haftung des Betriebserwerbers (§ 613a Abs. 2 Satz 1 BGB) für bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandene Ansprüche vorsieht2 (vgl. hierzu auch § 14 Rz. 83 ff.). Unabhängig von der Haftungsfrage geht das Arbeitsverhältnis in seinem rechtlichen 646 Bestand auf den Betriebserwerber über. Der Betriebserwerber tritt in die bestehenden Altersteilzeitarbeitsverhältnisse ein, wenn der Betriebsübergang in der Arbeitsphase erfolgt3. Der Betriebsübernehmer hat die Ansprüche aus dem Altersteilzeitarbeitsverhältnis ab dem Datum des Betriebsübergangs oder der Übernahme der Leitungsmacht4 zu erfüllen. Befindet sich der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs in der Freistellungsphase, geht das Arbeitsverhältnis ebenfalls über5. Dieses folgt daraus, dass es sich bei dem Altersteilzeitarbeitsverhältnis um ein Arbeitsverhältnis handelt, in welchem lediglich auf Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite die Bedingungen modifiziert wurden (vgl. hierzu Rz. 282c). Die Haftungsbeschränkung zugunsten eines Betriebserwerbers tritt nur ein, wenn 647 die Veräußerung im Rahmen eines gesetzlich geregelten Insolvenzverfahrens erfolgt6. Auch wenn der vorläufige Insolvenzverwalter gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO dem Unternehmensverkauf durch den Schuldner zustimmt, weil dieses im Einzelfall den Interessen der Gläubiger dient, führt dieser vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgte Verkauf nicht zu einer Haftungsbegrenzung zu Gunsten des Betriebserwerbers7. Gleiches gilt auch, wenn der vorläufige Verwalter, auf den die Verwaltungsund Verfügungsbefugnis i.S.v. § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO übergegangen ist, die Betriebsoder Teilbetriebsveräußerung vornimmt. Das Datum des Abschlusses des Rechtsgeschäfts ist für den Haftungsausschluss 648 zugunsten des Betriebserwerbers nicht unbedingt maßgeblich. Übernimmt der Betriebsübernehmer bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens die tatsächliche Leitungsmacht, indem er über den bisherigen Arbeitgeber die betrieblichen Entscheidungen steuert, tritt zu seinen Gunsten keine Haftungsbeschränkung ein8. Bei einem sukzessiven Betriebsübergang ist für den Zeitpunkt des Übergangs maß- 649 gebend, wann die für die Fortführung wesentlichen Betriebsmittel übergegangen sind und die Entscheidung bezüglich des Betriebsübergangs nicht mehr rückgängig gemacht werden kann9. Ein vertragliches Rücktrittsrecht hindert den Übergang der Arbeitsverhältnisse nicht. Erfolgt der Betriebs- oder Teilbetriebsübergang nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, so haftet der Betriebsübernehmer für ungedeckte Arbeitsentgeltansprüche der Arbeitnehmer aus dem Zeitraum zwischen der Insolvenzeröffnung und dem Datum des Betriebsübergangs10. Der Betriebsübernehmer hat für die bestehenden sowie übertragenen Urlaubs- 650 ansprüche einzustehen11. Von der Haftungsbeschränkung (vgl. Rz. 605) werden die 1 BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 305/05, BAGE 119, 91 = NZA 2006, 1268 (1273) = ZIP 2006, 2050 (2054). 2 BAG v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, BAGE 32, 326 = ZIP 1980, 117 = NJW 1980, 1124. 3 BAG v. 19.10.2004 – 9 AZR 647/03, BAGE 112, 214 = NZA 2005, 527 = ZIP 2005, 695. 4 BAG v. 28.4.1987 – 3 AZR 75/86, BAGE 55, 228 = NZA 1988, 198 = ZIP 1988, 120. 5 Zweifelnd: BAG v. 19.10.2004 – 9 AZR 645/03, BAGE 112, 214 = NZA 2005, 527 = ZIP 2005, 695. 6 BAG v. 4.7.1989 – 3 AZR 756/87, BAGE 62, 224 = NZA 1990, 188 = ZIP 1989, 1422. 7 BAG v. 20.6.2002 – 8 AZR 459/01, NZA 2003, 318 = ZIP 2003, 222. 8 BAG v. 28.4.1987 – 3 AZR 75/86, BAGE 55, 228 = NZA 1988, 198 = ZIP 1988, 120. 9 BAG v. 15.12.2005 – 8 AZR 202/05, NZA 2006, 597 = ZIP 2006, 1145. 10 BAG v. 4.12.1986 – 2 AZR 246/86, BAGE 53, 380 = NZA 1987, 460 = ZIP 1987, 454. 11 BAG v. 18.11.2003 – 9 AZR 95/03, BAGE 108, 357 = NZA 2004, 651 = ZIP 2004, 1013.
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§ 12
Rz. 651
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
Urlaubsansprüche, da diese einem Zeitpunkt vor der Insolvenzeröffnung nicht zugeordnet werden können, nicht erfasst1. Wenn der Betriebsübernehmer zeitanteilige Urlaubsansprüche der Arbeitnehmer erfüllt, so erfolgt der interne Ausgleich zwischen dem Veräußerer und Erwerber gemäß § 426 BGB2. Da der gesamte Jahresurlaubsanspruch der Arbeitnehmer gemäß § 1 BUrlG mit dem Beginn des Urlaubsjahres entsteht, stellt die Forderung des Erwerbers aus der Übernahme der Teilurlaubsansprüche eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO dar. 4. Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen 651 Das Schicksal von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen beim Betriebs- oder Teilbetriebsübergang wird in § 613a Abs. 1 Satz 2–4 BGB geregelt. Danach gilt Folgendes: 652 Die von dem bisherigen Betriebsinhaber auf das Arbeitsverhältnis angewandten Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen werden nach dem erfolgten Betriebsübergang nicht mehr in ihrer kollektiven Form angewandt, sondern sie gelten individualrechtlich in dem übernommenen Arbeitsverhältnis fort (§ 613a Abs. 1 Satz 2 BGB). § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB regelt lediglich, dass die Tarifnormen oder Betriebsvereinbarungen Eingang in das übergegangene Arbeitsverhältnis finden3. Da nur die Arbeitnehmeransprüche durch § 613a BGB gewahrt werden, erfolgt quasi ein Einfrieren der im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden tariflichen Bestimmungen. Dieser status quo, die fehlende Dynamisierung, führte dazu, dass bei einer Änderung der Tarifnorm oder der Betriebsvereinbarung nach dem erfolgten Betriebsübergang, diese Weiterentwicklung nicht zum Inhalt des übergegangenen Arbeitsverhältnisses wird4. Im Zuge der differenzierten Rechtsprechung zu §§ 305 ff. BGB haben sich auch die Auslegungskriterien für Bezugnahmeklauseln geändert, so dass nicht mehr ohne Weiteres von „Gleichstellungsabreden“ ausgegangen wird, sondern die in Bezug genommenen Tarifverträge mit ihrer Dynamik gelten können5. 653 Gelten die Regelungen aus dem früheren Tarifvertrag oder der früheren Betriebsvereinbarung individualrechtlich fort, dürfen sie nicht einseitig vor Ablauf eines Jahres nach dem Betriebsübergang zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden (§ 613a Abs. 1 Satz 2 BGB). Nach Ablauf der Jahresfrist kann entweder mit dem Arbeitnehmer ein Änderungsvertrag abgeschlossen oder eine Änderungskündigung ausgesprochen werden. 654 Sind umgekehrt die Arbeitsbedingungen beim Betriebsübernehmer besser als in dem abgebenden Betrieb, haben die übernommenen Arbeitnehmer auch aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz heraus keinen Anspruch auf die Anpassung an die besseren Bedingungen6. 655 In zwei Fällen gelten für das Änderungsverbot nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB Ausnahmen: 656 Zum einen, wenn der Tarifvertrag oder die Betriebsvereinbarung keine zwingende Wirkung mehr entfalten können oder die zwingende Wirkung innerhalb der Jahresfrist verlieren und deshalb nur noch nach § 4 Abs. 5 TVG oder § 77 Abs. 6 BetrVG nachwirken (§ 613a Abs. 1 Satz 4 BGB)7. Diese Konstellation tritt ein, wenn der Tarif-
1 BAG v. 18.11.2003 – 9 AZR 347/03, BAGE 108, 351 = NZA 2004, 654 = ZIP 2004, 1011. 2 BGH v. 4.7.1985 – IX ZR 172/84, NZA 1985, 737 = ZIP 1985, 1156; BGH v. 25.3.1999 – III ZR 27/98, NJW 1999, 2962 = MDR 1999, 749. 3 BAG v. 13.11.1985 – 4 AZR 309/84, BAGE 50, 158 (162, 163) = NZA 1986, 433 = ZIP 1986, 593. 4 EuGH v. 9.3.2006 – Rs. C 499/04, Slg. 2006, I-2397, Werhof/Freeway Traffic Systems GmbH & Co. KG, NZA 2006, 376 = ZIP 2006, 723; BAG v. 29.8.2001 – 4 AZR 332/00, BAGE 99, 24 = NZA 2002, 513 = ZIP 2002, 721 (722). 5 BAG v. 29.8.2007 – 4 AZR 765/06, BeckRS 2011, 78903. 6 BAG v. 31.8.2005 – 5 AZR 517/04, BAGE 115, 367 = NZA 2006, 265 = ZIP 2005, 2225. 7 Preis in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 613a BGB Rz. 121.
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Der Betriebsbergang in der Insolvenz
Rz. 662
§ 12
vertrag oder die Betriebsvereinbarung beim Betriebsübergang bereits gekündigt war oder innerhalb der Jahresfrist gekündigt werden konnte1. Zum anderen, wenn der neue Betriebsinhaber und der Arbeitnehmer die Anwendung 657 eines anderen Tarifvertrages vereinbaren, sofern dieser nicht bereits aufgrund beiderseitiger Tarifbindung gilt. Hier bieten sich durch den Abschluss von Firmentarifverträgen, die beim Erwerber gelten, ganz erhebliche Gestaltungsspielräume. Die Fortgeltung des Tarifvertrages oder einer Betriebsvereinbarung ist dann aus- 658 geschlossen, wenn die Rechte und Pflichten bei dem Betriebserwerber durch Rechtsnormen eines anderen Tarifvertrages oder einer anderen Betriebsvereinbarung geregelt werden (§ 613a Abs. 1 Satz 3 BGB). Für die Anwendung von § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB ist erforderlich, dass sowohl der Betriebserwerber als auch der übernommene Arbeitnehmer entweder kraft Mitgliedschaft in den tarifschließenden Parteien oder kraft Allgemeinverbindlichkeitserklärung gemäß § 5 TVG an den beim Erwerber geltenden Tarifvertrag gebunden sind2. 5. Betriebsrat Besteht nach dem Betriebsübergang der Betrieb in seiner organisatorischen Einheit 659 fort, bleibt die Kontinuität des Betriebsrats gewahrt3. Bei einem Teilbetriebsübergang und der Fortführung des Betriebs als selbständige Einheit endet die Zuständigkeit des Betriebsrats des veräußernden Betriebs für den übertragenen Teil und die dort beschäftigten Arbeitnehmer. Auch für die Zeit bis zur Wahl eines neuen Betriebsrats im nunmehr selbständigen Betriebsteil besteht kein Restmandat des ehemals zuständigen Betriebsrats bis zur Wahl eines neuen Betriebsrats4. Nur bei einer Betriebsspaltung im Rahmen der Gesamtrechtsnachfolge nach §§ 1 Abs. 1 Nr. 2, 123 UmwG besteht ein Übergangsmandat des Betriebsrats (§ 321 Abs. 1 Satz 1 UmwG). 6. § 128 InsO a) Allgemeines § 613a BGB ist – erkennbar und von niemanden ernsthaft zu bestreiten – sanierungs- 660 feindlich. Mit § 128 InsO hat der Gesetzgeber für betriebsratsgebundene Betriebe einen Ansatz gewählt5, der auch für Betriebe ohne Betriebsrat als Erwerberkonzept Anwendung findet. Auch6 § 128 InsO erlaubt und stellt nun sicher, dass der Insolvenzverwalter die Planungen des Betriebserwerbers durchführen und die aufgrund der Rationalisierung entfallenden Arbeitsverhältnisse kündigen kann (vgl. Rz. 597). § 128 InsO hat zur Voraussetzung, dass entweder zwischen dem Betriebsrat und dem 661 Insolvenzverwalter ein Interessenausgleich nach § 125 Abs. 1 InsO unter namentlicher Bezeichnung der zu kündigenden Arbeitnehmer zustande kam oder der Insolvenzverwalter das Beschlussverfahren nach § 126 InsO durchführt. Da dem Betriebserwerber das Vorgehen nach §§ 125, 126 InsO verschlossen ist, muss zwingend vor dem Betriebsübergang entweder der Interessenausgleich zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Betriebsrat abgeschlossen oder durch den Insolvenzverwalter der Feststellungsantrag gestellt sein7. Der Insolvenzverwalter kann mit dem Betriebs- oder Teilbetriebserwerber unter Nut- 662 zung der Verfahren nach §§ 125, 126 InsO eine Betriebsänderung i.S.v. § 111 BetrVG durchführen. Der Betriebserwerber erreicht hierdurch im Gegensatz zu § 613a BGB eine Planungssicherheit und kann die vom Insolvenzverwalter geplante Betriebs-
1 2 3 4 5 6 7
Preis in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 613a BGB Rz. 121. BAG v. 19.3.1986 – 4 AZR 640/84, BAGE 51, 274 = NZA 1986, 687 = ZIP 1986, 933. BAG v. 5.2.1991 – 1 ABR 32/90, BAGE 67, 168 = NZA 1991, 639 = MDR 1991, 648. BAG v. 23.11.1988 – 7 AZR 121/88, BAGE 60, 192 = NZA 1989, 433. Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 286. BAG v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, NZA 2003, 1027 = ZIP 2003, 1671. Schaub, DB 1999, 217 (225).
Hçfer
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§ 12
Rz. 663
Arbeitsverhltnisse im Insolvenzverfahren
änderung nach dem Betriebsübergang durchführen. Konsequenterweise ist der Betriebserwerber im Beschlussverfahren zum Kündigungsschutz (§ 126 InsO) Beteiligter (§ 128 Abs. 1 Satz 2 InsO). Nach der Rechtskraft des Beschlusses zum Kündigungsschutz kann nicht nur der Insolvenzverwalter, sondern auch der Betriebserwerber die Kündigung der Arbeitsverhältnisse der im Antrag aufgeführten Arbeitnehmer aussprechen. b) Vermutungswirkung 663 Im Falle des Betriebsübergangs wird die in § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO enthaltene gesetzliche Vermutung dahin gehend erweitert, dass vermutet wird, dass die Kündigung der Arbeitsverhältnisse nicht wegen des Betriebsübergangs erfolgt (§ 128 Abs. 2 InsO). Diese gesetzliche Vermutung (§ 292 Satz 1 ZPO) hat der Arbeitnehmer nunmehr in zweifacher Hinsicht zu beseitigen. Er muss zum einen die Vermutung der Betriebsbedingtheit der Kündigung durch substantiierten Tatsachenvortrag entkräften sowie zum anderen auch zusätzlich beweisen, dass keine dringenden betrieblichen Erfordernisse für die Kündigung des Insolvenzverwalters oder des Betriebserwerbers vorliegen1. Die Vermutungswirkung nach §§ 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 128 Abs. 2 InsO erstreckt sich auch darauf, dass eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit für den gekündigten Arbeitnehmer nicht vorhanden ist. 664 Da es sich um ein gesetzliche Vermutungen handelt, trifft den Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast auch dafür, dass die Kündigung nicht wegen eines geplanten oder erfolgten Betriebsübergangs erfolgte. Wenn der Insolvenzverwalter das Sanierungskonzept (des Erwerbers) in den Interessenausgleich nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO aufnimmt, wird der Arbeitnehmer einen Verstoß gegen § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB nicht beweisen können. 665 Die gesetzliche Vermutung des § 128 Abs. 2 InsO erstreckt sich jedoch nur auf einen Interessenausgleich nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO. Nimmt der Insolvenzverwalter das Sanierungskonzept in einen Interessenausgleich nach § 111 BetrVG auf, verbleibt es bei der allgemeinen Beweislastverteilung des § 613a BGB. 666 § 128 Abs. 2 InsO erschöpft sich im Rahmen des Beschlussverfahrens zum Kündigungsschutz (§ 126 InsO) in einer Klarstellung, wenn auf das Arbeitsverhältnis das KSchG Anwendung findet. Obsiegt der Insolvenzverwalter rechtskräftig mit seinem Feststellungsantrag, so wird gesetzlich das dringende betriebliche Erfordernis, die Richtigkeit der sozialen Auswahl sowie zusätzlich vermutet, dass die Kündigung nicht wegen des geplanten oder erfolgten Betriebsübergangs erfolgt ist. Findet auf das Arbeitsverhältnis das KSchG keine Anwendung, z.B. weil die Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG nicht erfüllt ist, tritt in Bezug auf diesen Arbeitnehmer die Vermutungswirkung nach § 128 Abs. 2 InsO trotzdem ein2. 7. Prozessuales 667 Ist vor dem Betriebsübergang durch den bisherigen Arbeitgeber/Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis gekündigt worden und beruft sich der Arbeitnehmer allein auf die Sozialwidrigkeit der Kündigung, so ist der bisherige Arbeitgeber/Insolvenzverwalter passivlegitimiert3. Wird im Kündigungsschutzprozess zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Arbeitnehmer ein Beendigungsvergleich abgeschlossen, wirkt dieser Vergleich auch gegenüber dem Betriebserwerber4. Erfolgt nach der Rechtshängigkeit der Kündigungsschutzklage ein Betriebsübergang, tritt in entsprechender Anwendung von §§ 265, 325 ZPO die Rechtskrafterstreckung im Verhältnis des Arbeitnehmers zum Betriebsübernehmer ein5. Ein Prozessvergleich zwischen dem Betriebsveräußerer und Arbeitnehmer entfaltet analog § 265 ZPO Rechtswirkungen zu Gunsten des 1 BAG v. 7.5.1998 – 5 AZR 536/97, BAGE 88, 363 = NZA 1998, 933 = ZIP 1998, 1809 (1811). 2 Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, Rz. 310; Schaub, DB 1999, 217 (225); a.A. Giesen, ZIP 1998, 46 (51). 3 BAG v. 18.3.1999 – 8 AZR 306/98, NZA 1999, 703. 4 BAG v. 24.8.2006 – 8 AZR 574/05, NZA 2007, 328 = ZIP 2007, 93 (LS). 5 BAG v. 18.2.1999 – 8 AZR 485/97, NZA 1999, 648 = ZIP 1999, 1142.
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Hçfer
Der Betriebsbergang in der Insolvenz
Rz. 669
§ 12
Betriebsübernehmers1. Hat der bisherige Arbeitgeber/Insolvenzverwalter die Kündigungserklärung zeitlich nach dem Betriebsübergang ausgesprochen und hat der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses nicht widersprochen, geht die Kündigung ins Leere, da zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis besteht. Eine Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers wäre als unbegründet2 und nicht als unzulässig abzuweisen3. Begehrt der Arbeitnehmer, wie dies regelmäßig der Fall ist, einerseits die Feststel- 668 lung, dass das Arbeitsverhältnis durch eine betriebsbedingte Kündigung des ehemaligen Arbeitgebers/Insolvenzverwalters nicht aufgelöst worden und darüber hinaus die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis auf den neuen Betriebsinhaber übergegangen ist, so sind der Betriebsveräußerer und der Betriebserwerber Streitgenossen4. Geht dem Arbeitnehmer die Kündigungserklärung des alten Arbeitgebers/Insolvenzverwalters nach dem Betriebsübergang zu, so richtet sich die Klage mit dem Antrag festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auf den neuen Betriebsinhaber übergegangen ist, allein gegen den neuen Betriebsinhaber. Kommt es nach der Rechtshängigkeit zu einem Betriebsübergang, kann der Arbeit- 669 nehmer einen bislang nicht gestellten Auflösungsantrag nur in einem Prozess gegen den Betriebserwerber stellen5. Der frühere Arbeitgeber/Insolvenzverwalter ist für einen Auflösungsantrag nicht mehr passivlegitimiert, denn es soll das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers zum neuen Arbeitgeber aufgelöst werden. Dieses folgt aus § 9 Abs. 2 KSchG, da die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu dem Zeitpunkt zu erfolgen hat, zu dem es bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte.
1 2 3 4 5
BAG v. 24.8.2006 – 8 AZR 574/05, NZA 2007, 328 (330) = ZIP 2007, 93 (Ls). BAG v. 18.4.2002 – 8 AZR 346/01, NZA 2002, 1207 = ZIP 2002, 2003. Müller-Glöge, NZA 1999, 449 (456). BAG v. 4.3.1993 – 2 AZR 507/92, NZA 1994, 260. BAG v. 20.3.1997 – 8 AZR 769/95, BAGE 85, 330 = NJW 1998, 331 = NZA 1997, 937.
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§ 13 Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung
I. Beratung bei Insolvenzplan . . . . . . . . 1. Das Grundverständnis des Insolvenzplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Reformziele des Gesetzgebers der InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die wesentlichen Grundsätze des Insolvenzplanverfahrens. . . . . . . . . c) Die Macht des Faktischen: Rechtspraxis versus Gesetz . . . . . . d) ESUG: Ein Gesetz unter dem Vorbehalt der Nachprüfung . . . . . . 2. Allgemeine strategische Überlegungen zum Planverfahren . . . . . . . . . . . . a) Der Antragsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . b) Gestaltung durch Eigenverwaltung und Insolvenzplanverfahren . c) Der Zeitfaktor: Von der Erarbeitung des ersten Entwurfs bis zur rechtskräftigen Planbestätigung . . d) Aufhebung des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Unternehmensbezogene Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Liquiditätsbedarf bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Insolvenzplans – Zwischenfinanzierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Gruppenorientierte Mehrheitsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erforderliche Mehrheiten . . . . bb) Obstruktionsverbot . . . . . . . . . 3. Der Schuldner/Insolvenzverwalter als Planersteller . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Berechtigung zur Planeinreichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . (1) Originäres Planvorlagerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Gläubigerversammlung als Auftraggeber des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . cc) Vorlage mehrerer Insolvenzpläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gliederung und Inhalt eines Insolvenzplans . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Darstellender Teil. . . . . . . . . . . (1) Der darstellende Teil als Informations- und Datenpool . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Erarbeitung des darstellenden Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gestaltender Teil . . . . . . . . . . . cc) Plananlagen . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vermögensübersicht, Ergebnis- und Finanzplanung . . . . . .
1 1 1 8 18 26 34 39 43
47 49 52
54 57 58 60 85 85 85 95 95
97 101 107 109
109 112 113 117 117
(2) Muster: Plan-G+V, Plan-Liquiditätsrechnung, Planbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 (3) Weitere Pflichtanlagen . . . . . . . 133 dd) Regelungsfreiheit . . . . . . . . . . . 143 (1) Finanzwirtschaftlich orientierte Pläne . . . . . . . . . . . . . . . . 145 (2) Leistungswirtschaftlich orientierte Pläne. . . . . . . . . . . . 146 (3) Eigensanierungspläne . . . . . . . 147 (4) Übertragende Sanierungspläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 (5) Liquidationspläne . . . . . . . . . . 149 (6) Moratoriumspläne . . . . . . . . . . 150 (7) Weitere Plan- und Mischformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 ee) Vorgabe des Gesetzes: Gruppenbildung . . . . . . . . . . . . 153 ff) Der modifizierte Gleichbehandlungsgrundsatz . . . . . . . . 169 gg) Der PSVaG als besonderer Gläubiger beim Eigensanierungsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 hh) Änderung des Plans . . . . . . . . . 199 ii) Planberichtigung . . . . . . . . . . . 204 jj) Bedingter Plan . . . . . . . . . . . . . 207 kk) Überwachung der Planerfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 ll) Kreditrahmen . . . . . . . . . . . . . . 228 c) Abstimmung mit den (Haupt-)Beteiligten – prepackaged plan . . . . . 246 d) Ausgleichszahlungen für widersprechende Beteiligte . . . . . . . . . . . 250 e) Muster: Gliederung eines Insolvenzplans . . . . . . . . . . . . . . . . 255 4. Der Gläubiger als Planbetroffener . . . 256 a) Einflussnahme auf die Plangestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 aa) Planinitiativrecht durch Beauftragung . . . . . . . . . . . . . . 256 bb) Sonstige Mitwirkungshandlungen und Rechte der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 b) Gruppenbildung: Organisation der gemeinsamen Interessen . . . . . 263 c) Gesellschaftsrechtlicher Einfluss im Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . 267a aa) Verzahnung von Insolvenzrecht und Gesellschaftsrecht . 272 bb) Umwandlung von Forderungen in Eigenkapital . . . . . . . . . 275 (1) Wahlrecht zur Teilhabe am Sanierungserfolg . . . . . . . . . . . 278 (2) Unternehmerisches Engagement aus Sicht der Gläubiger . 287 5. Die Einbeziehung der Anteils- und Mitgliedschaftsrechte . . . . . . . . . . . . . 295
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§ 13
6.
7.
8.
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Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung
a) Mitwirkung an Grundlagen- und Strukturentscheidungen . . . . . . . . b) Auswirkung des Eingriffs in die Anteilsrechte für das Planverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Insolvenzgericht in der Notarfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorprüfung durch das Insolvenzgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Den Erörterungs- und Abstimmungstermin vorbereitende Maßnahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Leitung des Erörterungs- und Abstimmungstermins . . . . . . . . . . . aa) Erörterung durch die Planbeteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Stimmrechtsfestsetzung für die Beteiligten . . . . . . . . . . . . . cc) Abstimmung über den Insolvenzplan . . . . . . . . . . . . . . dd) Der gesonderte Abstimmungstermin als Ausnahme . . d) Feststellung des Abstimmungsergebnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Planbestätigung durch das Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Die Aufhebung des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antragsgebundener Rechtsschutz der Planbeteiligten . . . . . . . . . . . . . . . a) Minderheitenschutz einzelner Beteiligter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Widerspruchsrecht des Schuldners. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sofortige Beschwerde nach § 6 InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vorprüfungsverfahren . . . . . . . (2) Planbestätigung . . . . . . . . . . . . (3) Planberichtigung . . . . . . . . . . . Folgen des rechtskräftigen Insolvenzplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wirkungen des Insolvenzplans auf Planbeteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wirkungserstreckung auf unbekannte Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . aa) Vorsorgemaßnahmen durch den Insolvenzplan . . . . . . . . . . bb) Verjährungsfrist und Vollstreckungsschutz als gesetzliche Auffangklauseln . . . . . . . . . . . . c) Die Einbindung von Mitschuldnern, Bürgen und sonstige NichtPlanbeteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . d) Wiederaufleben gestundeter oder teilerlassener Forderungen . . . . . . e) Vollstreckungsmöglichkeit aus dem Plan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Steuerliche Wirkungen und Folgen des Insolvenzplans . . . . . . . . . . Haftungsfragen im Insolvenzplanverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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295 10. 300 309
II. 1. 2.
309
330
3.
343 347 348 360 363 367 375 391 401 401 411 416 416 419 425 426 440 441 441 461 461
468
479 483 492 501 512 512
4.
b) Haftungsrisiken im Insolvenzplanverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . Schema: Zeitlicher Ablauf des Insolvenzplanverfahrens . . . . . . . . . . . Beratung bei Eigenverwaltung . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Verhältnis der Eigenverwaltung zum Insolvenzplan-, Verbraucherund Restschuldbefreiungs- sowie den sonstigen besonderen Arten des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . Anwendbare Vorschriften im Eigenverwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Vorschriften, Eröffnungsvoraussetzungen und Eröffnungsverfahren . . . . . . . . . . . . b) Insolvenzmasse, Einteilung und Organe der Gläubiger, Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . d) Verwaltung und Verwertung der Insolvenzmasse . . . . . . . . . . . . . . . . e) Befriedigung der Insolvenzgläubiger und Einstellung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Ergänzung der Insolvenzordnung durch die Zivilprozessordnung und andere Gesetze . . . . . . . . . . . . Das Antragsrecht des Schuldners und seine Stellung im Verfahren . . . . . a) Antragstellung durch den Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Schuldnerantrag als unabdingbare Voraussetzung jeder Eigenverwaltung . . . . . . . bb) Zeitpunkt der Antragstellung . cc) Antragsberechtigung bei Gesellschaften oder sonstigen Personenvereinigungen . . . . . . dd) Die Ausgestaltung des vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Der Schutzschirm als Option im Eröffnungsverfahren . . . . . . (2) Muster: 270b-Bescheinigung . . ee) Rücknahmeberechtigung . . . . ff) Muster: Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer juristischen Person unter gleichzeitiger Anordnung der Eigenverwaltung und Einreichung eines Insolvenzplans (Eigenantrag) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Befugnisse und Pflichten des Schuldners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Insolvenzmasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verfahrensführende Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Mitwirkungspflichten . . . . . . . dd) Informationspflichten . . . . . . .
515 518 520 520
531 537
539
542 543 545
546
547 549 549
549 550
554
556 556 572 585
589 590
592 600 606 607
Beratung bei Insolvenzplan ee) Ausgaben für die Lebensführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Sonstige Beteiligungsrechte . . c) Antragsrecht zur Aufhebung der Eigenverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Gläubiger im Eigenverwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aufgaben des vorläufigen Gläubigerausschusses im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren . . . . . . b) Antrag zur Anordnung der Eigenverwaltungsantrag durch die Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag zur Aufhebung der Eigenverwaltung durch eine Gläubigerversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Aufhebung der Eigenverwaltung nach Antrag eines Gläubigers . . . . e) Muster: Antrag eines Gläubigers auf Aufhebung der Eigenverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Mitwirkung von Gläubigerausschuss bzw. Gläubigerversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Antrag auf Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit . . . . . . . . . aa) Das Recht der Gläubigerversammlung . . . . . . . . . . . . . . bb) Antragsberechtigung einzelner Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . cc) Folgen der Anordnung . . . . . . . 6. Die Entscheidungen des Gerichts zur Eigenverwaltung . . . . . . . . . . . . . . a) Maßnahmen im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . b) Schema: Zeitlicher Ablauf des Schutzschirmverfahrens. . . . . . . . .
Rz. 2
611 615 617 620
620
625
631 634
7.
636
637 647 647 651 655
8. 9.
660 660
10.
§ 13
c) Die Anordnung der Eigenverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Eigenverwaltung aufgrund Schuldnerantrag . . . . . . . . . . . bb) Die nachträgliche Anordnung aufgrund Beschluss der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Im Zusammenhang mit der Anordnung der Eigenverwaltung zu treffende gerichtliche Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Anordnung der Zustimmungsbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . e) Die Ablehnung der Eigenverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Die Aufhebung der Eigenverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Mitwirkung des Sachwalters . . . . a) Tätigkeiten im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . b) Prüfungs- und Überwachungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Anzeigepflichten . . . . . . . . . . . . . . . d) Verfahrenstypische Maßnahmen . . e) Zustimmungsvorbehalte . . . . . . . . f) Insolvenzplan . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Partielles Verwaltungs- und Verfügungsrecht über die Insolvenzmasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Rechtsstellung des Sachwalters . . Rechtsschutz der Betroffenen . . . . . . Haftungsfragen im Eigenverwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schema: Zeitlicher Ablauf der Eigenverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . .
677 679
684
685 689 693 696 699 699 705 709 715 727 728
731 732 737 746 751
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I. Beratung bei Insolvenzplan 1. Das Grundverständnis des Insolvenzplans a) Die Reformziele des Gesetzgebers der InsO1 Die Vorgabe der Reformer war eindeutig: Das neue Verfahren soll eine marktkonfor- 1 me Insolvenzbewältigung ermöglichen und hierfür die Voraussetzungen schaffen. Den Ansatz, die Gesetzmäßigkeiten des Marktes zu nutzen, fand der Gesetzgeber in der bestehenden Rechts- und Wirtschaftsordnung. Mit der Anknüpfung an vorhandene marktkonforme Rahmenbedingungen und der damit verbundenen Entscheidungsfreiheit der Beteiligten über Liquidation oder Sanierung wurde die dem Vergleichsund Konkursrecht eigene Tendenz zur Zerschlagung beseitigt. Der Gesetzgeber stellt im Ausgangspunkt die Regelabwicklung zur Verfügung und bietet optional das „Insolvenzplanverfahren“ an, um Alternativen der Verwertung im Wettbewerb und in freien Verhandlungen zu finden. Mit der angestrebten vermögensorientierten Verhandlungslösung unter den Beteilig- 2 ten soll die bestmögliche Verwertung des Schuldnervermögens als Haftungsobjekt durch die Abwicklung oder Umgestaltung der Finanzstruktur – ggf. in Kombination mit leistungswirtschaftlichen Maßnahmen – ermöglicht werden. Die Beteiligten sol-
1 Ausführlich Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 143 ff.
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§ 13
Rz. 3
Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung
len eine Rentabilitätsentscheidung treffen, die denselben Grundsätzen wie eine außergerichtliche Investitions- oder Desinvestitionsentscheidung folgt1. 3 Welche Verwertungsart des Schuldnervermögens marktwirtschaftlich sinnvoll oder umgekehrt sinnwidrig ist, lässt sich nur im Einzelfall entscheiden, weshalb kein Typenzwang herrschen oder die Bevorzugung eines Verfahrensziels erfolgen soll. Vielmehr wird ein gleichrangiges Angebot von Liquidation, übertragende Sanierung, Eigensanierung oder jede andere denkbare Lösung den Beteiligten im freien Wettbewerb der besten Verwertungsart unterbreitet. Aus der marktwirtschaftlichen Ordnung hat der Gesetzgeber adaptiert, dass privatautonome Entscheidungen ein höheres Maß an wirtschaftlicher Effizienz verbürgen als die hoheitliche Regulierung wirtschaftlicher Abläufe. Den Beteiligten wird mit der vorgenommenen Deregulierung ein Höchstmaß an Flexibilität, Differenzierung und Individualität für die einvernehmliche Bewältigung der Insolvenz angeboten, weshalb in einem Insolvenzplan in jeder Hinsicht von der gesetzlichen Zwangsverwertung der Insolvenzmasse abgewichen werden kann. Das Recht der Beteiligten, auf die Auswahl der Verwertungsart Einfluss zu nehmen, wird folgerichtig unabhängig vom Verfahrensziel gewährt. 4 Zwangseingriffe in die zivilrechtliche Güter- und Haftungsordnung der einzelnen Beteiligten zu- und untereinander sowie in die Verteilungsordnung der Gesamtvollstreckung mit der Folge von Vermögensverlagerungen zur Durchsetzung eines Verfahrensziels oder zur Schaffung zweckwidriger Sondervorteile Einzelner werden nicht ermöglicht. Die zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung vorgefundenen Verhältnisse sollen Maßstab für die Desinvestition in der Zwangsverwertung des Schuldnervermögens wie auch für die Investition im Rahmen einer Fortführung oder Sanierung bleiben. Die günstigste Masseverwertung wäre aber nicht durchführbar, wenn Sicherungsgläubiger das ihnen haftende Sicherungsgut aus dem Unternehmensverbund des Schuldners lösen und damit die Realisierung und Erhaltung des Verbundwerts verhindern könnten. Die Wirkungen des externen Zugriffs werden deshalb dem Verfahrensziel angepasst und Sicherungsgläubiger in das Verfahren eingebunden (vgl. hierzu ausführlich § 7 Rz. 8 ff.). Wettbewerbsverzerrungen werden vermieden, indem die zeitweilig vorenthaltene Nutzung des Sicherungsguts mit einem marktgerechten Preis entschädigt wird. 5 Weil Mehrheitsentscheidungen nicht das wirtschaftliche Optimum garantieren, hat in wirtschaftlichen Angelegenheiten die Mehrheit prinzipiell nicht mehr Recht als die Minderheit. Es soll deshalb kein einzelner Beteiligter gezwungen werden, die im Regelinsolvenzverfahren entstehende Liquidationsquote alternativ und plangeregelt dauernd oder zeitweilig in das Schuldnerunternehmen zu investieren oder anstelle seines Rechts eine Abfindung hinzunehmen. Umgekehrt soll aber eine Minderheit innerhalb einer Plangruppe eine bestimmte, für die anderen Beteiligten dieser Gruppe vorteilhafte Art der Masseverwertung nicht verhindern können oder eine einzelne Beteiligtengruppe ein schrankenloses Vetorecht gegen einen für andere Gruppen vorteilhaften Plan haben. Der Gesetzgeber lässt deshalb klar obstruktives Verhalten unbeachtet, um marktkonforme Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse zu fördern2. 6 Die den regelabweichenden Entscheidungen immanente Unsicherheit und das damit verbundene Risiko trifft diejenigen Personen, deren Vermögenswerte im Unternehmen gebunden sind. Die Entscheidung soll deshalb allein den Gläubigern (mit dem
1 Eine Investitionsentscheidung liegt vor, wenn die planvorgeschlagene Alternativlösung angenommen wird. Im Falle der Desinvestitionsentscheidung wird die Regelverwertung der Vermögensgegenstände mit anschließender Auskehr der Erlösquote an die Gläubiger durchgeführt. 2 Unter Obstruktion (lat. obstruere: versperren) versteht man allgemein den gezielten/planmäßigen Widerstand, mit dem unerwünschte Maßnahmen verhindert werden sollen, i.e.S. das Verhalten einer Minderheit, durch sachfremde Aktionen Beschlüsse der Mehrheit zu verzögern, idealiter zu verhindern.
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ESUG1 auch den Eigenkapitalgebern) des Schuldners zustehen2. Außenstehende können allenfalls versuchen, die Beteiligten für ihre Ziele zu gewinnen, um so mittelbar auf die Investitionsentscheidung Einfluss zu nehmen. Nicht nur der Ausgang, sondern auch der Gang des Insolvenzverfahrens soll von den 7 Beteiligten bestimmt werden, und zwar nach Maßgabe des Werts ihrer in das Verfahren einbezogenen Rechte (zum Ansatz des Wertmaßstabes auch für die Einbeziehung der Anteilsinhaber über das ESUG vgl. Rz. 29). Die Einbindung der Sicherungsrechte muss deshalb im Entscheidungsprozess Berücksichtigung finden. Sicherungsgläubiger werden im Stimmrecht nicht nur auf ihre Ausfallforderung beschränkt, sondern sind insgesamt, d.h. auch mit dem Wert ihres Absonderungsrechts, stimmberechtigt. Dem Insolvenzgericht obliegt es ausschließlich, die Rechtmäßigkeit des Handelns zu überwachen, ansonsten hat es allenfalls vermittelnde und schlichtende Aufgaben, um die Einigung zu fördern. Die Rolle des Insolvenzverwalters verändert sich nicht, er hat insbesondere die Interessen der Gläubiger zu wahren. b) Die wesentlichen Grundsätze des Insolvenzplanverfahrens3 Im Insolvenzverfahren sollen die Gläubiger des Schuldners durch die Vermögensver- 8 wertung und anschließende Erlösverteilung gemeinschaftlich befriedigt werden. Neben diesem klassischen, abwickelnden Ansatz im Regelinsolvenzverfahren eröffnet das im Zuge der Insolvenzrechtsreform eingeführte Insolvenzplanverfahren alternative und gleichrangige Möglichkeiten der Insolvenzbewältigung, insbesondere zum Erhalt eines Unternehmens. Das Gesetz bestimmt dabei nicht, welches Ziel das konkrete Insolvenzplanverfahren verfolgt. Die Ergebnisoffenheit lässt vielmehr im Ausgangspunkt jede nur denkbare Lösung als eine von der Regelabwicklung abweichende, gleichrangige Alternative zu (§ 1 InsO). Dabei kann Inhalt des Insolvenzplans jede Regelung sein, die individualvertraglich außerhalb eines Insolvenzverfahrens getroffen werden kann4. Das Insolvenzplanverfahren ist Teil des (Regel-)Insolvenzverfahrens, das – ohne be- 9 sondere Verfahrensart zu sein – alternativ die Insolvenz bewältigt/abwickelt. Aus diesem Grund ist kein besonderer Antrag zu stellen, ausreichend ist die Planvorlage an das Insolvenzgericht. Im Anschluss daran hat das Gericht eine Vorprüfung vorzunehmen und bei erfolgreichem Abschluss das weitere Insolvenzplanverfahren von Amts wegen in Gang zu setzen. Den Beteiligten wird mit den Vorschriften zum Insolvenzplan ein Rechtsrahmen vor- 10 gegeben, der bei passenden tatsächlichen wie rechtlichen Verhältnissen anstelle der Regelabwicklung eine alternative Insolvenzbewältigung zulässt. Damit ist auch klar, dass der Insolvenzplan selbst weder saniert noch liquidiert oder eine sonstige Verwertung vornimmt, er schafft lediglich die formellen Voraussetzungen dafür. Die Beteiligten sollen eine einvernehmliche Bewältigung der Insolvenz im Wege von Verhandlungen und privatautonomen Austauschprozessen erreichen können, wobei von sämtlichen Vorschriften über die insolvenzmäßige Verwertung und Verteilung abgewichen werden kann (§ 217 InsO). Nicht zur Disposition der Beteiligten stehende Vorschriften der Insolvenzordnung sind hingegen auch im Planverfahren bindend5.
1 ESUG: Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, BGBl. I 2011, S. 2582. 2 Also nicht dem Insolvenzgericht oder Insolvenzverwalter. 3 Ausführlich hierzu Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 162 ff. 4 Haas in HK-InsO, vor §§ 217 ff. Rz. 10, § 217 Rz. 15; zur Unterscheidung in verfahrensrechtliche und materiell-rechtliche Regelungen vgl. Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 217 Rz. 3 f. 5 Haas in HK-InsO, vor §§ 217 ff. Rz. 2; Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, vor § 217 Rz. 10.
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11 In Verbraucherinsolvenz- und sonstigen Kleinverfahren kann ein Insolvenzplanverfahren seit dem 1.7.2014 in Gang gesetzt werden1. Mit dem Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte (RSBGesetz) wird § 312 Abs. 3 InsO, der den bisherigen Ausschluss des Planverfahrens für das Verbraucherinsolvenzverfahren vorsah, gestrichen2. Verbraucher werden so nicht mehr ausschließlich auf eine Insolvenzbewältigung mit dem Schuldenbereinigungsplan nach den §§ 305 bis 310 InsO verwiesen3. Ob ein Verbraucherinsolvenzverfahren vorliegt, ergibt sich aus § 304 InsO (vgl. § 16 Rz. 66, 130 ff.). 12 Mit der Orientierung am Vergleich und Zwangsvergleich sowie Anleihen im ausländischen, vornehmlich dem US-amerikanischen Recht wird der Plan als privatautonome, den gesetzlichen Vorschriften entsprechende Übereinkunft der mitspracheberechtigten Beteiligten über die Verwertung des haftenden Schuldnervermögens unter voller Garantie des Werts der Beteiligtenrechte beschrieben. Die Gläubigergesamtheit organisiert, nicht aus freiem Willen zusammengefunden, sondern als zusammengefügte Schicksalsgemeinschaft ihre Befriedigung aus dem Schuldnervermögen. So gesehen ist der Insolvenzplan seinem Wesen nach ein spezifisch insolvenzrechtliches Instrument4. Obwohl der Insolvenzplan kein Vertrag im herkömmlichen Sinne ist, wird seine Auslegung für zulässig erachtet, soweit nicht der vollstreckbare Teil betroffen ist. Auslegungsmaßstab ist das individuelle Verständnis derjenigen, die ihn beschlossen haben. Maßgeblicher Zeitpunkt zur Ermittlung des gemeinsamen Verständnisses im Wege der Auslegung ist der Erörterungs- und Abstimmungstermin5. Eine Auslegung nach dem objektiven Erklärungsbefund, wie sie etwa bei AGB oder Emissionsprospekten stattfindet, ist nicht zulässig6. 13 Der Insolvenzplan bezweckt weder eine Rechtswohltat für den Schuldner, noch kann gegen seinen Willen die Fortführung des Unternehmens in der vorhandenen Organisationsstruktur oder die Leistung eines Eigentümerbeitrags durchgesetzt werden. Das Recht, nicht etwa eine die Regelverwertung verdrängende Pflicht zur Planeinreichung spiegelt die Möglichkeit zum Wettbewerb um die beste Vermögensart wider. 1 In den Anwendungsbereich fallen alle zu diesem Stichtag bereits laufenden Verbraucherinsolvenzverfahren: Der Gesetzgeber weicht vom Prinzip der klaren Stichtagsregelung (Tag nach der Verkündung des Gesetzes bzw. Antragstellung) aufgrund der umfassenden Mitwirkungsrechte der Beteiligten im Planverfahren mit einer partiellen Rückwirkungsregelung ab. Nach Art. 9 Satz 1 des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte (RSB-Gesetz, BGBl. I 2013, S. 2379) ist die Gesetzesänderung, nach der in Verbraucherinsolvenzverfahren ein Insolvenzplan möglich ist, am 1.7.2014 in Kraft getreten. Über Art. 103h Satz 2 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung (Art. 6 Ziff. 2 des RSB-Gesetzes) gilt dies für alle bereits zu diesem Zeitpunkt laufenden Verfahren, nicht erst für solche, die ab dem 1.7.2014 beantragt werden. Voraussetzung für ein Verbraucher-Insolvenzplanverfahren ist demnach, dass bis zum 30.6.2014 der Schlusstermin noch nicht durchgeführt wurde, § 218 Abs. 3 InsO. 2 Ausführlich hierzu Regierungsentwurf Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte, BT-Drucks. 17/11268 v. 31.10.2012; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 17/13535 v. 15.5.2013. 3 Vgl. zur Rechtslage bis zum 30.6.2014 bspw. Lüer in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 217 Rz. 2. Einen Vergleich zwischen Schuldenbereinigungsplan und Insolvenzplan stellt an Rugullis, NZI 2013, 869 ff.; ebenso Rein, ZVI 2014, 239 ff.; Lissner, ZInsO 2014, 1835 ff. Einfache Insolvenzpläne und deren Gestaltung beschreiben bspw. Beyer, ZVI 2013, 334 ff., und ZVI 2014, 289 ff.; Grote, Insbüro 2014, 203 ff. und 252 ff. 4 BGH v. 6.10.2005 – IX ZR 36/02, ZInsO 2006, 38 (39), mit entsprechenden Nachweisen zu den bisher vertretenen Ansätzen im Schrifttum, die Rechtsnatur des Insolvenzplans dogmatisch abzuleiten. Einen Überblick unter Berücksichtigung der ESUG Regelungen gibt Madaus, KTS 2012, 27 ff. 5 OLG Dresden v. 15.8.2012 – 13 U 1757/11, ZInsO 2013, 996 ff. 6 BGH v. 6.10.2005 – IX ZR 36/02, ZInsO 2006, 38 (39); unzutreffend Frind, NZI 2007, 374 (377), der aus der Entscheidung des BGH umgekehrt die Auslegung anhand des objektiven Empfängerhorizonts herauslesen will. Dem Grunde nach dem BGH zustimmend, jedoch die in diesem Zusammenhang getroffene Feststellung, eine normative Wirkung über den Kreis derjenigen, die den Plan beschlossen haben, komme dem Plan nicht zu, zutreffend kritisierend Bähr/Landry, EWiR 2006, 87 (88).
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Dabei steht die Befugnis zur Planvorlage neben dem Insolvenzverwalter dem Schuldner zu, der damit frühzeitig tätig werden und zur Beschleunigung des Verfahrens beitragen kann (§§ 218, 247 InsO). Um die unterschiedlichen Vermögensinteressen berücksichtigen zu können, wird die 14 den Plan legitimierende, mehrheitsgetragene Entscheidung in unterschiedlichen Abstimmungsgruppen gesucht, was gleichzeitig größtmögliche Flexibilität bei der Differenzierung der Planwirkung auf den einzelnen Beteiligten bietet. Unterschiedliche Betroffenheit und unterschiedliche Interessen sollen nicht i.S.d. „par conditio creditorum“ über alle Gläubiger hinweg zwanghaft gleich behandelt werden müssen. Weil kein Beteiligter, auch nicht der Schuldner oder an ihm beteiligte Personen, ge- 15 gen seinen Willen schlechter stehen soll als bei der insolvenzmäßigen Regelverwertung, wird als Korrektiv zur Mehrheitsentscheidung an verschiedenen Stellen Minderheitenschutz gewährt (§§ 245, 247, 251 InsO). Trotz unterschiedlicher vermögensrechtlicher Betroffenheit können über den unein- 16 geschränkt gewährten Minderheitenschutz in den einzelnen Gläubigergruppen gleiche Mehrheitsanforderungen nach „Kopf und Summe“ aufgestellt werden (für die mit dem ESUG einbezogene Gruppe der Anteilsinhaber nach deren Beteiligung). Um zu verhindern, dass Gruppen sich die Zustimmung zum Plan von anderen Beteiligten (in anderen Gruppen) durch ungerechtfertigte Zugeständnisse abkaufen lassen, obwohl die Planlösung deren Interessen wahrt, genügt es, dass die Mehrheit der gebildeten Gruppen dem Insolvenzplan zustimmt (§ 245 Abs. 1 Ziff. 3 InsO)1. Der Zweck des Insolvenzplanverfahrens ist die Gewährleistung des in den Reform- 17 zielen beschriebenen marktkonformen Insolvenzverfahrens2. c) Die Macht des Faktischen: Rechtspraxis versus Gesetz Schon im Vorfeld des Inkrafttretens der Insolvenzordnung gab es unterschiedliche 18 Ansichten über Sinn und Zweck, Vor- und Nachteile, Chancen und Gefahren des Insolvenzplanverfahrens. Der Gesetzgeber sah sich mit seinem „Kernstück“ der Insolvenzrechtsreform von Praktikern und Theoretikern bestätigt, andere dagegen sahen dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet und sprachen der Insolvenzrechtskultur in Deutschland die schlimmsten Befürchtungen aus. Selbst nach den ersten Jahren praktischer Planerfahrung stellt man nicht sonderlich überrascht fest, dass der „Meinungskampf“ um das Insolvenzplanverfahren weiterhin besteht. Das Scheitern des ersten Insolvenzplanverfahrens wurde zum Nährboden der eigenen Skepsis und zur weiteren Kritik genutzt3. Es gibt fragend formulierte Aussagen wie „Ein Schlag ins Wasser?“ oder die Besprechung der Entscheidung des LG Traunstein mit den geäußerten „Schreckensbildern“, die nun in die Wirklichkeit umgesetzt worden seien4.
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Im Gegensatz dazu sahen sich die Befürworter bestätigt, als kurz darauf ein Insol- 20 venzplanverfahren als erstes erfolgreich in Deutschland abgeschlossen werden konnte. Die kühne, aber wohl wenig realistische Behauptung, „jedes dritte Unternehmen könnte gerettet werden“, konnte man der Presse entnehmen5. Es gab aber durchaus realitätsnahe Aussagen, die dem Planverfahren „einen überzeugenden Start“ attestierten6.
1 Die Interessenwahrung der anderen Beteiligten erfolgt, weil deren Gruppe nicht schlechter gestellt ist im Vergleich zur (bestmöglichen) insolvenzmäßigen Regelverwertung und diese Gruppe auch an einem etwaigen Fortführungswert des Schuldnerunternehmens ranggemäß beteiligt ist (vereinfacht der Regelungsgehalt des § 245 InsO). 2 Ausführlich Schiessler, Der Insolvenzplan, 1997, S. 27 ff. 3 Handelsblatt v. 26.5.1999. 4 Wellensiek, NZI 2000, Heft 9, Editorial; Smid, InVo 2000, 1 ff., zu LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461 ff. 5 Sächsische Zeitung v. 17.7.1999. 6 Braun, NZI 1999, 473 ff.
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21 Eine interessante Frage ist, wie die Verfasser dieser Publikationen zu ihrer Überzeugung gelangen. Es gibt nicht die zahllosen Meldungen über Insolvenzplanverfahren, wie man sie über Regelinsolvenzverfahren liest. Nur wenige Planverfahren werden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht bzw. öffentlichkeitswirksam „vermarktet“, wobei seit dem ESUG und dem damit installierten Schutzschirmverfahren wie auch der modifizierten Eigenverwaltung (vgl. Rz. 26 ff.) die Beteiligten, insbesondere Berater (nicht immer die anwaltlichen und sonstigen Regeln zur Verschwiegenheit wahrend) spürbar die Öffentlichkeit suchen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Mehrzahl der Insolvenzpläne entweder das Insolvenzverfahren verhindern, weil sie im Vorfeld der Insolvenz als Verhandlungsinstrument bei Gläubigern eingesetzt gerade das erreichen, was im nachfolgenden Planverfahren bewirkt werden soll, oder als „prepackaged plan“, d.h. in Abstimmung mit den wesentlichen Betroffenen, erarbeitet werden und verständlicherweise in diesem Stadium bzw. nach Überwindung der Krise die Beteiligten nicht gerade die Öffentlichkeit suchen1. 22 Seit Inkrafttreten der Insolvenzordnung mit seinen wesentlichen Teilen zum 1.1.19992 muss sich das Planverfahren auch an Zahlen messen lassen. Verglichen mit den Daten zu Unternehmensinsolvenzverfahren wird klar, dass die Regelabwicklung deutlich überwiegt3. Jahr
Insolvenzanträge mit Insolvenzplan
gemäß § 231 InsO zurückgewiesene Insolvenzpläne
durchgeführte Insolvenzplanverfahren nach Vorprüfungsverfahren
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23 Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass geringe Zahlen jedenfalls nicht per se gegen den Insolvenzplan sprechen oder diesen diskreditieren4. Es gibt trotz aller Skepsis erfolg1 Ein Beispiel für einen „außergerichtlichen Insolvenzplan“ beschreibt van Zwoll, ZInsO 2008, 418 ff. 2 Die Auswirkungen der Änderungen von Verfahrensvorschriften der InsO stellt Schmerbach, ZInsO 2014, 132 ff., dar. 3 Die nachfolgende Darstellung gibt die Anzahl der Insolvenzplanverfahren in Deutschland wieder. Die Daten werden erhoben von Schultze & Braun bei den jeweiligen Insolvenzgerichten. Die detaillierte Beantwortungsquote lag für das Jahr 2013 bei 65 %, die Rücklaufquote bei 77 %. 4 Paffenholz/Kranzusch, Insolvenzplanverfahren – Sanierungsoption für mittelständische Unternehmen, 2007, stellen mit ihrer Studie die Auswertung etwa 50 insolventer Unternehmen und
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reiche Planverfahren, und es gibt plangeeignete Szenarien, die mit der altbekannten Zerschlagung oder übertragenden Sanierung gerade nicht gelöst werden können1. So sind Fälle denkbar, in denen der Rechtsträger erhalten werden muss, um steuerliche Verlustvorträge oder eine bestimmte Qualifizierung nicht zu verlieren2. Sollen nachrangige Verbindlichkeiten endgültig reguliert werden und ist mit der Zustimmung des (insbesondere öffentlich-rechtlichen) Gläubigers nicht zu rechnen, kann das Planverfahren eine Lösung bieten3. Drohen aufgrund bestehender Finanzierungsverflechtungen Domino-Insolvenzen innerhalb eines Verbundes, kann das Planverfahren das probate Mittel sein. Entsprechendes gilt, soweit die persönliche Arbeitskraft des Schuldners wesentlicher Vermögensposten ist oder schlicht der Zeitfaktor in der Abwicklung und im Abschluss des Insolvenzverfahrens ausgenutzt werden soll4. Internationale Rechtsbeziehungen und damit nicht selten zusammenhängende unklare Anwendungsfragen materiellen Rechts können mittels Insolvenzplan zeitnahen Lösungen anstelle langfristigen Streitigkeiten und Auseinandersetzungen zugeführt werden5. Es lässt sich aber auch konstatieren, dass zur Durchführung eines Insolvenzplan- 24 verfahrens die Rechtspraxis über die gesetzlichen Vorgaben hinaus derzeit mehr fordert, nämlich die Beseitigung gedanklicher Hürden: So liest man oft, Altbewährtes genüge den Anforderungen, die an ein modernes Insolvenzrecht gestellt werden. Ebenso begegnet man dem weit verbreiteten Irrtum, der Insolvenzplan sei vom Gesetzgeber schlechthin zur Insolvenzbewältigung eingeführt worden, aber aufgrund der nur spärlichen Anwendung bereits gescheitert. Deshalb wird erst gar nicht der Versuch unternommen, das Instrument des Insolvenzplans einmal selbst einzusetzen6. Weder in der allgemeinen Begründung des Regierungsentwurfs noch in dem Bericht des Rechtsausschusses finden sich Angaben darüber, wie häufig das Planverfah-
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der bei ihnen durchgeführten Insolvenzplanverfahren dar. Zu den Bereichen Eigenverwaltung und Insolvenzplan auch Kranzusch, ZInsO 2008, 1346 ff., und ZInsO 2012, 688 ff. Dies gestehen auch Kritiker ein, bspw. Wellensiek, NZI 2002, 233. du Carrois, Insbüro 2012, 15 ff. vergleicht die Einstellung des Verfahrens (§ 213 InsO) mit dem Insolvenzplan und dem Vergleich in der Wohlverhaltensperiode. Zu denken ist insbesondere an öffentlich-rechtliche Genehmigungen, Fördermittel, Lizenzen so wie auch an Konzessionen oder den Erhalt der Spielklasse in der Insolvenz eines Sportvereins. Vgl. zu unterschiedlichen Anwendungsbeispielen die Einsatzmöglichkeit des Insolvenzplans: Bornheimer, KTS 2008, 145 (160 ff.); Haas, NZI 2003, 177 ff.; Korff, ZInsO 2013, 1277 ff.; Weber, NZI 2013, 476 ff.; Hölzle, FR 2006, 447 (469), diskutiert die Insolvenzplanlösung bei der Beteiligung insolvenzbefangener Rechtsträger am Beispiel einer Umwandlung. Umwandlungsmaßnahmen als Teil der ESUG-Regelung in § 225a InsO untersucht Becker, ZInsO 2013, 1885 ff. Gerbers, ZInsO 2006, 633 ff., stellt die Realisierung stiller Reserven bei Verwertung von Anlagevermögen und damit die Ertragssteuerlast als Masseverbindlichkeit dem Sanierungsgewinn bei Insolvenzplanlösungen gegenüber. § 225 Abs. 1 InsO, der als gesetzliche Folge den Erlass der nachrangigen Forderung vorsieht, und § 237 InsO, der Stimmrechte für nachrangige Gläubiger nur für den Fall gewährt, dass Rechte der nachrangigen Insolvenzgläubiger im Insolvenzplan gestaltet werden (mittelbar über den Nichtverweis auf § 77 Abs. 1 Satz 2 InsO). Vornehmlich in der Insolvenz des Freiberuflers: vgl. Graf/Wunsch, ZVI 2005, 1055 ff.; Hess/Röpke, NZI 2003, 233 ff.; Schmittmann, ZInsO 2006, 419 ff.; Tetzlaff, ZInsO 2005, 393 ff. Zum Zeitfaktor insbesondere beim Freiberufler, der die Berufszulassung bzw. Amtsenthebung befürchten muss, auch Runkel/Fliegner, EWiR 2005, 171 f. Planverfahren können im Übrigen nach der Verfahrenseröffnung innerhalb von drei Monaten abgewickelt werden, vgl. Steffen/Kussmaul, DB 2000, 1849 ff., was zugleich als Praxisfall für ein gescheitertes Planverfahren zu nennen ist, vgl. Stuttgarter Nachrichten v. 2.7.2003 (der Plan allein saniert eben nicht). Fritze, DZWIR 2007, 89 ff., stellt den Fall Senator Entertainment AG vor. Hingerl, ZInsO 2008, 404 ff., beschreibt das immer noch vorhandene Missverständnis bzw. die Unkenntnis der Beteiligten wie auch seine Erfahrungen anhand fünf Fälle aus der Praxis. Hingerl, ZInsO 2009, 759 f., mit dem Hinweis auf die Insolvenzgerichte, die Insolvenzpläne als ein lästiges Hindernis in der Bewältigung des Tagesgeschäfts sehen. Priebe, ZInsO 2011, 467 (476), beklagt, dass im Zusammenhang mit der Gestaltung von Insolvenzplänen nach wie vor starre Musterpläne dominieren und damit einem einheitlichen Schema folgen. Er führt dies im Wesentlichen auf die mangelnde Praxis der Anwender mit dem Medium Insolvenzplan zurück. Bähr, EWiR 2008, 411 f., stellt im Jahr 2008 konsterniert fest, dass die Praxis nach mehr als
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ren Anwendung finden wird. Schon der Bericht der Kommission für Insolvenzrecht warnt vor den Erwartungen, die das Reorganisationsverfahren (heute in Teilen das Insolvenzplanverfahren) nicht erfüllen könne1. Gleichwohl hat die Kommission die Einführung des Reorganisationsverfahrens für lohnend erachtet und darauf verwiesen, dass der Erfolg des neuen Verfahrens entscheidend davon abhängen wird, ob qualifizierte Richter und Rechtspfleger sowie geeignete Insolvenzverwalter zur Verfügung stehen2. 25
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Hinweis: Das Planverfahren ist kein Massenphänomen, es ist vielmehr, sinnvoll und überlegt eingesetzt, eine Möglichkeit, die Insolvenz zu bewältigen. Als Baustein darf der Insolvenzplan im Werkzeugkasten des Sanierers oder Insolvenzverwalters/ Schuldners nicht fehlen. Es gibt vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten, die es zu erkennen gilt3. Dort, wo es neue Möglichkeiten gibt, treten regelmäßig bislang nicht bekannte Probleme auf, die rechtlich wie auch tatsächlich unter fachkundiger Anleitung und Beratung zu lösen sind. Letztlich ist der konkrete Erfolg des Insolvenzplanverfahrens nicht an Zahlen zu messen, sondern daran, ob eine marktwirtschaftlich sinnvolle und zur Regelabwicklung alternative Insolvenzbewältigung ermöglicht wird.
d) ESUG: Ein Gesetz unter dem Vorbehalt der Nachprüfung4 26 Die mediale Präsenz erfolgreicher Restrukturierungen verfestigte den Insolvenzplan (in Einzelfällen mit angeordneter Eigenverwaltung) als Handlungsoption im Sanierungsverfahren5. Die Krisenbewältigung mittels Insolvenzverfahren wurde salonfähig, weil die wirtschaftlich Betroffenen entsprechende Anforderungen an die Berater, Insolvenzverwalter und die Insolvenzgerichte formulierten und sich nicht ihrem wirtschaftlichen Schicksal verbunden mit der gesetzlich streng regulierten Unternehmensabwicklung ohne Einwirkungsmöglichkeit hingaben. Dort, wo man bereit war sich mit einem solchen Vorhaben offen auseinanderzusetzen, stieg zugleich die Akzeptanz und in geeigneten Fällen konnte von der Abwicklung im Regelverfahren abgewichen werden. Entgegnete man bereits in der Anbahnung solcher Verfahren mit Skepsis oder klar formulierter Ablehnung, blieben die Handelnden nicht untätig. Der Markt suchte Alternativen, die man außerhalb Deutschlands mit dem zur Restrukturierung vorteilhafter empfundenen ausländischen Recht fand. 27 Dem zunehmenden Trend, im Inland faktisch ansässige, zumindest aber wirtschaftende Unternehmen unter Anwendung ausländischen Rechts zu sanieren, konnte
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zehn Jahren seit der Einführung des Insolvenzplanverfahrens nicht einmal dessen Grundzüge beherrscht. Erster Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, 1985, S. 160. Dies stellt auch Braun fest, der die Insolvenzverwalter als das „Nadelöhr des Planverfahrens“ bezeichnet: Braun in Berger/Bähr/Naumann/Winderlich/Ferber/Oldiges/Melchior/Sturm, Zweiter Leipziger Insolvenzrechtstag, 2001, 51 (53). Vgl. hierzu auch Jaffé, ZIP 2001, 2302. Einen Erfahrungsbericht aus Richtersicht gibt Gerster, ZInsO 2008, 437 ff. So auch Thies in Schmidt, Hamburger Kommentar zur InsO, Vorbemerkung §§ 217 ff. Rz. 21, der feststellt, dass die Sanierungs- bzw. Insolvenzverwaltungsbranche allmählich von den vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten des Insolvenzplans Gebrauch macht. Hagebuch/Oberle, NZI 2006, 618 (622), stellen zutreffend dar, dass das Insolvenzplanverfahren bereits mit dem Eintritt des Investors in die Gesellschafterstellung neuerdings als strategisches Sanierungsinstrument und „Exit-Szenario“ in die Betrachtungen und Berechnungen mit einbezogen wird. Das ESUG schafft hier ein Mehr an rechtlichen Möglichkeiten. Madaus, ZIP 2012, 2133 ff., beschreibt losgelöst von § 225a InsO die gesellschaftsrechtliche Regelungsmacht des Insolvenzplans anhand von Umwandlungen; hierzu auch Simon/Brünkmanns, ZIP 2014, 657 ff. Brünkmanns, ZIP 2014, 1857 ff., zeigt zudem die Möglichkeit zur Unternehmensakquisition mittels Insolvenzplan auf. Ausführlich hierzu Regierungsentwurf zum ESUG, BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 17/7511 v. 26.10.2011. Bspw. Ihr Platz (im Rahmen der Insolvenz von Schlecker musste allerdings erneut Insolvenzantrag gestellt werden), Karstadt, Märklin, Schiesser oder SinnLeffers, um nur einige zu nennen.
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man sich nicht mehr verschließen. Freilich betraf dies im Wesentlichen die großen Restrukturierungsverfahren, die um die Insolvenzordnung geführten Diskussionen (zum Planverfahren vgl. Rz. 18 ff.) wurden so aber um ein globales Sachthema, den Sanierungsstandort Deutschland, erweitert und entsprechend kontrovers fortgeführt1. Mit dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) hat der Gesetzgeber im Jahr 2011 auf die in den insolvenzrechtlichen Fachkreisen geführten Diskussionen in Teilbereichen reagiert. Als Element eines dreistufigen Reformvorhabens (frühzeitige Sanierung insolvenzbe- 28 drohter Unternehmen, Verbraucherinsolvenzverfahren und Konzerninsolvenzrecht) trat das ESUG am 1.3.2012 überwiegend in Kraft2. Um die Schwächen des geltenden deutschen Rechts abzubauen und den Sanierungsstandort Deutschland zu stärken, wurden u.a. erweiterte Möglichkeiten zur Sanierung mittels Insolvenzplan geschaffen und das Blockadepotential im Verfahrensablauf abgebaut (Ausbau und Straffung des Insolvenzplanverfahrens). Restrukturierungsverfahren sollen so in Deutschland schneller und effektiver werden, um den Abwanderungen betroffener Unternehmen ins Ausland („forum shopping“) Einhalt zu gebieten. Zudem wird den Beteiligten ein berechenbares Insolvenzverfahren an die Hand gegeben, um bereits bei drohender Zahlungsunfähigkeit und damit frühzeitig die Möglichkeit zur Sanierung über ein gerichtsbetriebenes, weniger von Zufällen abhängiges Verfahren zu schaffen. Erneut stellt dabei der Gesetzgeber auf das Insolvenzplanverfahren als das zentrale Mittel ab3: Die strikte Trennung zwischen Insolvenzrecht und Gesellschaftsrecht wird mit dem 29 ESUG aufgegeben. Fortan werden zur Optimierung der Sanierungsmöglichkeiten neben der bislang nur individualvertraglich gestaltbaren Bedingung zur Verknüpfungen der beiden Rechtsgebiete Kapitalmaßnahmen über mehrheitsbestimmte Planregelungen zulässig, insbesondere die Umwandlung von Forderungen in Gesellschaftsanteile („dept equity swap“). Im Vergleich zur übertragenden Sanierung, die die Vermögenswerte vom Inhaber/Rechtsträger trennt, wird gerade auch dadurch die vom Gesetzgeber vorgegebene Gleichwertigkeit der Abwicklungsalternativen (§ 1 Satz 1 InsO) hergestellt4. Gläubiger stehen künftig nicht mehr vor dem „Alles-oderNichts-Prinzip“, wenn Anteilsinhaber Kapitalmaßnahmen blockieren und so die zugewiesenen Planquoten als abschließende Wertzuschreibung fixiert werden. Die Gläubiger haben nun die Chance, durch unmittelbar plangestalterisch wirkende Elemente an den Erträgen des sanierten Unternehmens zu partizipieren und dessen Aktivitäten mitzubestimmen; wie bisher bleibt die Umwandlung gegen den Willen der betroffenen Gläubiger außen vor. Anteilsinhaber werden so direkt in den Sanierungsprozess eingebunden, weil sich deren schützenswerte Rechtsposition nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den restlichen Vermögenswert ihres Anteilsund Mitgliedschaftsrecht beschränkt: In einem Regelinsolvenzverfahren wird der Rechtsträger abgewickelt und im Register gelöscht. Dies berücksichtigend sind die Anteilsinhaber unmittelbar Planbetroffene und werden in Bezug auf Stimmrecht, Minderheitenschutz und Rechtsmittel den Gläubigern gleichgestellt. Die im Geschäftsverkehr bei Kapitalmaßnahmen üblichen „change-of-control“-Klauseln werden für das Planverfahren außer Kraft gesetzt und den bisherigen Anteilsinhabern wird ein wichtiger Grund zum Austritt eröffnet. Mit Einführung der Insolvenzordnung wurde dem Schuldner die Verwaltung der eigenen Insolvenz gestattet, mit Leben erfüllt wurde die Eigenverwaltung allerdings 1 Einen Überblick zum Meinungsbild DiskE-ESUG in der Literatur gibt Frind, ZInsO 2011, 373 ff. Das Normsetzungsverfahren mit Hinweisen zu fehlenden Regelungen fasst Heinrich, NZI 2012, 235 ff., zusammen. Flöther, ZIP 2012, 1833 ff., beleuchtet zudem die ersten Auswirkungen des ESUG in der Praxis und wagt einen Ausblick. 2 BGBl. I 2011, S. 2582. 3 Ausgangspunkt für das ESUG-Gesetzgebungsverfahren war ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen v. 9.6.2010, BT-Drucks. 17/2008 v. 9.6.2010, S. 1:“Insolvenzplanverfahren attraktiver gestalten“. 4 Dies für die bisherige Rechtslage bemängelnd Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 217 Rz. 84.
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Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung
nicht wirklich. Es lag weniger an den Unternehmen, die Insolvenzgerichte zögerten, die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis dem Schuldner im Eröffnungsverfahren wie auch nach der Verfahrenseröffnung zu belassen. Der gut gemeinte Ansatz, mit frühzeitig gestellten Anträgen und einem von Gläubigerseite ausgesprochenen Vertrauen den Gang ins Insolvenzverfahren eigenorganisiert anzutreten, konnte in der Praxis spürbar nicht umgesetzt werden; erfolgreiche Einzelfälle bestätigen gleichwohl die Sinnhaftigkeit eines solchen Ansatzes. Anstelle des vom Gesetzgeber nicht weiter verfolgten vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens werden mit dem ESUG die Anforderungen der Eigenverwaltung gelockert: Die Gläubiger sollen vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Unterstützt ein vorläufiger Gläubigerausschuss einstimmig den Antrag des Schuldners, kann das Gericht den Antrag nicht mehr als nachteilig für die Gläubiger ablehnen. Das Gericht soll zudem aussichtsreiche Anträge durch die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters (anstelle eines „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalters) unterstützen. Als weiteren Anreiz zur frühzeitigen Sanierung wird dem Schuldner das „Schutzschirmverfahren“ zur Verfügung gestellt. Bei lediglich drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung kann der Schuldner im Rahmen des Eröffnungsverfahrens binnen einer Frist von bis zu drei Monaten in Eigenverwaltung einen Insolvenzplan zur Sanierung erarbeiten. 31 Mit der erfolgreichen Annahme des Insolvenzplans durch die Gläubiger war das Verfahren aber noch nicht durchlaufen, Ungemach drohte den Planbefürwortern regelmäßig zum Ende des Verfahrens: Das Wirksamwerden des Insolvenzplans konnte durch Rechtsbehelfe (Minderheitenschutz, sofortige Beschwerde) einzelner, bisweilen untätiger Gläubiger verzögert werden, wie auch die Verfahrensaufhebung durch die Verpflichtung zur Berichtigung aller unstreitigen Masseansprüche in einem laufenden Geschäftsbetrieb kaum denkbar war. So wurde ein wesentlicher Vorteil des Planverfahrens, die zeitoptimierte Verfahrensgestaltung konterkariert. Die Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen wurde gehemmt, neben den schwer erträglichen Umständen des Zuwartens für die Beteiligten kam die Erfolg versprechend gestartete Restrukturierung zum Erliegen, in einzelnen Fällen scheiterte sie. Diese übermäßigen Verzögerungen sollen mit dem ESUG verhindert werden. So muss der Beschwerdeführer vor der Entscheidung über die Planbestätigung seine verfahrensmäßigen Möglichkeiten ausschöpfen, die daneben geforderte materielle Beschwer setzt eine wesentliche wirtschaftliche Beeinträchtigung voraus. Über vom Insolvenzplan geregelte Ausgleichszahlungen wird der Streit der glaubhaft zu machenden Planschlechterstellung außerhalb des Insolvenzverfahrens vor den ordentlichen Gerichten geführt, womit die Bestätigung des Plans hiervon losgelöst erfolgen kann. Ergänzt wird diese Regelung um ein dem Vorbild des Aktienrechts folgendes Freigabeverfahren (§ 246a AktG): Die Beschwerdemöglichkeit gegen einen Insolvenzplan wird eingeschränkt, womit ungeachtet der Anhängigkeit der sofortigen Beschwerde der Insolvenzplan vollzogen werden kann (und nicht mehr rückabzuwickeln ist). Die Pflicht des Verwalters, vor Aufhebung des Verfahrens die unstreitigen Masseansprüche zu erfüllen, wird auf die fälligen Ansprüche beschränkt, für alles andere reicht der Nachweis der Erfüllbarkeit über einen Finanzplan bzw. die Sicherheitsleistung aus. 32 Für das Insolvenzplanverfahren wird die funktionale Zuständigkeit mit dem ESUG ab dem 1.1.2013 vom Rechtspfleger auf den Richter übertragen1. Die mit der Stärkung des Insolvenzverfahrens erstrebte wirtschaftliche Bedeutung in Sanierungsverfahren und die Möglichkeit, über Insolvenzpläne in die Rechtsstellung von Gesellschaftern eingreifen zu können, war Anlass für den Gesetzgeber, das Insolvenzplanverfahren in Gänze auf den Richter zu übertragen2. 1 Klarstellend hat der Gesetzgeber bereits nachgebessert: Dies gilt für Insolvenzverfahren, die ab dem 1.1.2013 beantragt werden, vgl. Gesetz zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess, BT-Drucks. 17/11385 v. 8.11.2012. In ein laufendes Planverfahren wird damit nicht eingegriffen. Von der grundsätzlichen Zuständigkeitsverlagerung ausgenommen bleibt das Klauselverfahren gemäß § 257 InsO. 2 Auf die Akzeptanz im internationalen Bereich hinweisend: Braun/Heinrich, NZI 2011, 505 (514 f.).
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Beratung bei Insolvenzplan
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Auf Empfehlung des Rechtsausschuss wurde die Bundesregierung im Gesetzge- 33 bungsverfahren aufgefordert, fünf Jahre nach dem Inkrafttreten u.a. zu prüfen und dem Deutschen Bundestag Bericht zu erstatten, ob die Eingriffsmöglichkeit in Eigenkapitaltitel genutzt wurde und welche Auswirkungen sich daraus ergeben, ob sich das Schutzschirmverfahren bewährt hat und darüber hinaus ein Bedürfnis für ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren besteht und ob die Aufgabenverteilung zwischen Richter und Rechtspfleger eine effektive Verfahrensabwicklung ermöglicht oder die funktionelle Zuständigkeit neu geregelt werden soll1. Insoweit steht das ESUG bereits heute unter verstärkter Beobachtung, jenseits der bislang geäußerten Meinungsbekundungen und dokumentierten Erfahrungsberichte. 2. Allgemeine strategische Überlegungen zum Planverfahren Gemessen an den bisherigen Handlungsmöglichkeiten in der Vergleichs-, Konkurs- 34 oder Gesamtvollstreckungsordnung bietet das Insolvenzplanverfahren dem Schuldner, den Gläubigern und mit dem ESUG auch den an dem Schuldner beteiligten Personen neue Alternativen, ihr Verhalten und Vorgehen zu entwickeln. Um den rechtlich vorgegebenen Rahmen umsetzen zu können, ist analytisches Vordenken von denkbaren Szenarien, sind vergleichende Betrachtungen mit dem Ziel, wünschenswerte, im Regelfall vorteilhaftere Entwicklungen über das bloße Dabeisein hinaus durch aktives Handeln und steuernde Beiträge zu beeinflussen, anzustellen. Die Beteiligten müssen Strategien entwickeln, um nach der Bestimmung des Ziels den Weg dorthin auswählen zu können2. Das Planverfahren will im Rahmen eines Insolvenzverfahrens den Wettbewerb um die beste Verwertung fördern3.
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Hinweis: 35 Soweit ein Insolvenzverfahren unzulässig ist oder die Eröffnung abgelehnt wird, kommt ein Planverfahren nicht in Betracht. Davon zu trennen ist die Frage, ob der Insolvenzplan (oder sein Entwurf) als Ausgangspunkt weiterer Verhandlungen genutzt werden kann4. Auch für die Anteilsinhaber bieten sich nunmehr Optionen. Bislang wird im 36 Wesentlichen auf das von Gläubigern initiierte „Hinausdrängen“ der Altgesellschafter im Wege der Forderungsumwandlung abgestellt. § 225a Abs. 2 InsO beschreibt hierzu den Anwendungsfall der Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital. Der Plan kann aber mehr: Die Auseinandersetzung/Trennung im Gesellschafterkreis, das Ausscheiden, das individualvertraglich mangels fehlender Zustimmung außerhalb der Insolvenz nicht umgesetzt werden konnte, wird so innerhalb eines Planverfahrens strategisches Ziel auf Ebene der verbleibenden Anteilsinhaber. § 225a Abs. 3 InsO bietet hierfür die Basis. Mitunter konnte gerade wegen unterschiedlicher Wertvorstellungen im Vorfeld noch keine Einigung gefunden werden, bei im Übrigen vorhandenem Konsens über die künftige Gesellschafterstruktur. Dies erkennend mag auch im Rahmen einer Vermeidungsstrategie ein nicht auszuschließendes Insolvenzplanverfahren zerstrittene Gesellschafterkreise wieder an den Verhandlungstisch bringen5, setzt aber die Statthaftigkeit ganz grundsätzlich voraus.
1 Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 17/7511 v. 26.10.2011, S. 6. 2 Braun in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, vor § 217 Rz. 217. 3 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 164. 4 Ein Beispiel für einen „außergerichtlichen Insolvenzplan“ beschreibt van Zwoll, ZInsO 2008, 418 ff. 5 Der so verfolgte strategische Ansatz muss sich am Ziel des Insolvenzverfahrens in Form des Planverfahrens (ggf. vorbereitend über ein Schutzschirmverfahren mit nachfolgender Eigenverwaltung) messen lassen und ist verfehlt, wenn er rechtsmissbräuchlich betrieben wird. In diese Richtung auch Madaus, ZIP 2014, 500 ff. Zum strategischen Eigenantrag Brinkmann, ZIP 2014, 197 ff. Zur Position des Minderheitengesellschafters bspw. Meyer, ZInsO 2013, 2361 ff. Den Grenzbereich im Gesellschafterstreit aufzeigend Fölsing, ZInsO 2013, 1325 ff. Vgl. hierzu statt vieler auch LG Frankfurt a.M. v. 19.7.2013 – 3-09 O 78/13, NZI 2013, 749 f., mit Anm. Fölsing, a.a.O. (750 f.). Wechselseitig potentiell zustehende Schadenersatzansprüche werden nur
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§ 13
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Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung
Im Rahmen eines „Konzerns“ muss man sich für den Insolvenzfall (d.h. die Obergesellschaft wird insolvent und zieht die Insolvenz von Tochtergesellschaften nach sich, oder eine Tochtergesellschaft wird insolvent und beeinträchtigt damit andere Gesellschaften im Verbund) von der im Gesellschaftsrecht oder auch in der Betriebswirtschaft bekannten „konsolidierenden“ Betrachtung einer betriebswirtschaftlichen Einheit (dem Gesamtunternehmen) lösen. Das deutsche Insolvenzrecht ist streng rechtsträgerorientiert und kennt in seiner Abwicklung noch kein Konzerninsolvenzrecht1. Es ist deshalb zunächst zu klären, welchen Rechtsträger man zum Ausgangspunkt seiner insolvenzrechtlichen Überlegungen macht und ob Ziel der Überlegungen u.a. auch der Erhalt, zumindest aber die Einbeziehung des Verbunds oder seiner wesentlichen Teile sein kann2. In aller Regel wird die Insolvenz einzelner Rechtsträger Auswirkungen auf andere Rechtsträger im Unternehmensverbund haben, und es werden entsprechende Wechselwirkungen bestehen. Deshalb ist losgelöst von der insolvenzrechtlich geprägten Orientierung am Rechtsträger eine rechtsträgerübergreifende Konzeption zu entwickeln. Es kann deshalb sinnvoll sein, (vereinfacht) einen Hauptinsolvenzplan für den zum Ausgangspunkt gemachten Rechtsträger zu erstellen (weniger im Sinne eines Rangverhältnisses), der die Gesamtkonzeption federführend entwickelt bzw. darstellt und dabei gestaltend ausschließlich Regelungen für den betroffenen Rechtsträger umsetzt. Die Insolvenzen aller anderen Rechtsträger werden mittels Nebeninsolvenzplänen (oder im Regelverfahren oder überhaupt nicht insolvenzbelastet still) abgewickelt, die entweder auf die Darstellung des Hauptinsolvenzplans verweisen oder diese wiederholen, während gestaltend jeweils die für den Rechtsträger erforderliche Regelung (in der Gesamtabstimmung) getroffen wird. Haupt- und Nebeninsolvenzplan bedingen sich wechselseitig und werden so aufeinander bezogen. Formal kann sogar ein einziger Plan (i.S. einer Unterlage) erstellt werden, der materiell getrennt die Regelungen für den einzelnen Rechtsträger ausweist. Maßstab für die Zulässigkeit eines solchen Vorhabens ist die Übersichtlichkeit und Nachvollziehbarkeit für die Beteiligten. Dies gilt unabhängig von allen Problemen, die eine Konzerninsolvenz mangels rechtlicher Rahmenbedingungen sonst mit sich bringt3.
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a) Der Antragsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit 39 Zur Anwendung der Regelungen über das Insolvenzplanverfahren muss das Insolvenzverfahren eröffnet sein4 (zu den Eröffnungsgründen vgl. § 1 Rz. 40 ff., 97 ff. und 106 ff.). Vorausgesetzt wird demnach die Insolvenz, etwas, was der Schuldner und die übrigen Beteiligten eigentlich nicht wollen, das in der subjektiven Betrachtung des unmittelbar Betroffenen regelmäßig das Übel schlechthin ist. Zum Positiven gewen-
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in Teilen den Verlust kompensieren, der einhergeht, wenn man nicht abgestimmt selbst, sondern andere (dann wieder im Regelverfahren) über die Zukunft des Unternehmens entscheiden. Konzerninsolvenzen sollen über die dritte Stufe des Reformvorhabens (vgl. Rz. 28) einer Regelung zugeführt werden. Die Selbständigkeit der Einzelverfahren wird dabei nicht in Frage gestellt, es soll eine koordinierte Insolvenzabwicklung innerhalb eines Unternehmensverbundes erreicht werden (Regelungen zum Gerichtsstand, zur Kooperation und Koordination u.a.), vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen v. 28.8.2013, Beilage zu ZIP 2/2013 wie auch BT-Drucks. 18/407, ZInsO 2014, 286 ff. Ein Meinungsbild zum RegE geben Frind, ZInsO 2014, 927 ff.; Simon NZI 2014, 55 ff.; Verhoeven, ZInsO 2014, 227 ff.; Humbeck, NZI 2013, 957 ff. Den Fall Senator Entertainment AG beschreibend Fritze, DZWIR 2007, 89 ff. Zu den bisherigen Ansätzen zum Konzerninsolvenzrecht vgl. oben Kap. 1 Rz. 215 ff. sowie bspw. Lüer in Uhlenbruck/Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, § 217 Rz. 23 ff.; Uhlenbruck in Kind/Kießner/Frank, FS Eberhard Braun, 2007, S. 335 ff.; Ehricke, ZInsO 2002, 393 ff. jeweils m.w.N.; Kluth, NZI 2002, Heft 5, Gastkommentar. § 1 InsO: „Das Insolvenzverfahren dient dazu …“. Dem vorgelagert und zugelassen wird die Einreichung eines Insolvenzplans durch den Schuldner bereits mit der Antragstellung auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, § 218 Abs. 1 Satz 2 InsO; alternativ steht dem Schuldner das Schutzschirmverfahren als Teil des Eröffnungsverfahrens zur Vorbereitung der Sanierung mittels Insolvenzplans gemäß § 270b InsO im Rahmen der Eigenverwaltung zur Verfügung.
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Beratung bei Insolvenzplan
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det, kann jetzt immerhin in einem Insolvenzverfahren unter Anwendung der Insolvenzordnung abweichend von der Regelabwicklung mittels Insolvenzplan die Krise/ besondere Situation bewältigt werden. Im bereits eröffneten Insolvenzverfahren gestaltend i.S.v. § 1 Satz 1 Hs. 2 InsO tätig 40 zu werden ist nicht unmöglich, erfordert aber regelmäßig ein Mehr an Arbeit und Überzeugungskraft im Bestreben, den Beteiligten die Vorteile des Insolvenzplanverfahrens näher zu bringen, als ein Tätigwerden beizeiten1. In der Phase des eröffneten Verfahrens sind nicht selten bereits irreparable Schäden eingetreten, die man als gegeben und als die Ausgangssituation des Insolvenzplans, wie im Übrigen auch die des Regelverfahrens, nicht gerade förderlich hinnehmen muss. Mit § 18 InsO ist nunmehr die Möglichkeit gegeben, einen Antrag auf Verfahrenseröff- 41 nung wegen drohender Zahlungsunfähigkeit zu stellen2. Macht der Verantwortliche (Einzelunternehmer, Geschäftsführer, Vorstand etc.) in dieser Situation nichts, wird er also nicht tätig, ist allein das Nichtwahrnehmen der möglichen Antragstellung für ihn rechtlich weder strafbewehrt noch sonst sanktioniert. Tatsächlich nimmt er sich aber die Chance, den Verfahrensgang im gesetzlichen Rahmen zu steuern (zum Insolvenzstrafrecht vgl. § 5 Rz. 229 ff.).
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Hinweis: 42 Durch das frühzeitige Tätigwerden kann der Insolvenzsachverhalt relativiert wie auch antizipiert werden, was ein besonderes Kalkül und damit ein strategisches Element für den Schuldner und andere Verfahrensbeteiligte sein kann3. Die Notwendigkeit, frühzeitig einen Insolvenzplan zu erstellen, zeigen Entscheidungen, die standes- bzw. berufsrechtlicher Natur sind und sich auf einen zwar widerlegbaren, aber zunächst vermuteten Vermögensverfall stützen4.
b) Gestaltung durch Eigenverwaltung und Insolvenzplanverfahren Mit dem in den §§ 217 bis 269 InsO geregelten Insolvenzplanverfahren steht ein 43 universelles Instrument zur Verfügung, das den Beteiligten die Möglichkeit zur Prozesssteuerung im rechtlich vorgegebenen Rahmen gibt, innerhalb eines Insolvenzverfahrens alternativ eine von der Verwertung des Schuldnervermögens und der Erlösverteilung an die Gläubigergemeinschaft abweichende Gestaltung vorzunehmen. Als ein Ziel gibt dabei § 1 Satz 1 Hs. 2 InsO den Erhalt des Unternehmens vor5. Um sich die Kenntnisse und Erfahrungen des Schuldners im Insolvenzverfahren zu Nutze machen zu können, sehen die §§ 270 ff. InsO die Möglichkeit vor, ein eigenverwaltetes Insolvenzverfahren zu betreiben. Der Schuldner wird während der (vom Insolvenzgericht auf Antrag angeordneten) Eigenverwaltung anstelle des Insolvenzverwalters im
1 Genau genommen wird ein Vorteil von Gesetzes wegen nicht vorausgesetzt. Vermögensorientiert reicht die (voraussichtliche) Nichtschlechterstellung der Beteiligten aus, vgl. die §§ 245, 247, 251 InsO. 2 Der Rechtsbegriff ist legaldefiniert. Zu Einzelheiten bspw. Schmerbach in Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 18 Rz. 1 ff. 3 Ist das insolvente Unternehmen ein Versicherungsunternehmen oder ein Kreditinstitut, fallen Antragsrecht und Planvorlagerecht auseinander, Braun/Frank in Braun, Insolvenzordnung, § 218 Rz. 2 m.w.N. 4 Bspw. BGH v. 22.3.2010 – AnwZ (B) 28/09, BeckRS 2010, 08907; BGH v. 22.3.2010 – AnwZ (B) 100/08, BeckRS 2010, 10702; BGH v. 9.11.2009 – AnwZ (B) 89/06, BeckRS 2009, 87758; Lösungsansätze skizzieren Graf/Wunsch, ZVI 2005, 105 ff.; Schmittmann, ZInsO 2006, 419 ff.; Tetzlaff, ZInsO 2005, 393 ff. Für eine verfassungskonforme Auslegung und Anwendung der Widerrufsvorschriften im Lichte von § 35 InsO und Art. 12 GG Niesert/Georgiev, NZI 2013, 1007 ff. Zu den Anforderungen zur Versagung berufsrechtlicher Genehmigungen BVerfG v. 2.8.2013 – 1 BvR 2912/11, NJW 2013, 3357 ff.; Ehlers/Schmid-Sperber, ZInsO 2008, 879 ff., beschreiben und standardisieren insoweit den denkbaren Verfahrensablauf über einen Musterinsolvenzplan für Freiberufler bei Vermögensverfall. 5 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 203 f.; zu den sich ergebenden Pflichten eines GmbH-Geschäftsführers vgl. bspw. Mann, DStR 2002, 1104 ff.; Schluck-Amend/Walker, GmbHR 2001, 375 ff. m.w.N.
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Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung
Interesse der Gläubiger tätig und wickelt, unterstützt durch einen im Wesentlichen überwachenden Sachwalter, seine eigene Insolvenz ab1. 44
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Hinweis: Kombiniert der Schuldner den Insolvenzplan mit dem Antrag auf Eigenverwaltung und reicht er beides bereits mit Antragstellung auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (vgl. § 6 Rz. 27 ff.) ein, wird ihm die Möglichkeit zu initiativem Handeln und zur aktiven Teilnahme am Geschäftsverkehr, nahezu so, wie er es als Unternehmer kannte, belassen2. Ein Schuldnerantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit in Verbindung mit einem Antrag auf Eigenverwaltung und der Einreichung eines gefertigten Insolvenzplans ist als Muster unter (Rz. 589) dargestellt3. Der eigentlichen Eigenverwaltung, die ab der Verfahrenseröffnung angeordnet wird, wurden mit dem ESUG zwei unterschiedliche Eröffnungsverfahren vorgeschaltet, §§ 270a und 270b InsO. Gelingt es dem Schuldner nicht, zeitoptimiert bis zur Antragstellung den Insolvenzplan zu fertigen, kann er das (besondere) Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO beantragen. Dem Schuldner wird so von Gesetzes wegen ermöglicht, unter dem Schutz des vorläufigen Insolvenzverfahrens, das zudem auf die Eigenverwaltung ausgerichtet ist, binnen einer Frist von drei Monaten die Eigensanierung vorzubereiten4. Bis zur Verfahrenseröffnung wird dem Schuldner gestattet, mit Blick auf das beantragte Eigenverwaltungsverfahren zu agieren. Eine weitere Besonderheit besteht zum regulären vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren nach § 270a InsO: Der Schuldner hat das Recht, den vorläufigen Sachwalter auszuwählen. Ein Muster der für das Schutzschirmverfahren erforderlichen Bescheinigung gemäß § 270b Abs. 1 S. 3 InsO ist unter (Rz. 573) dargestellt. Der Schuldner muss insoweit abwägen, ob er die Zeit des Eröffnungsverfahrens zur Vorbereitung der späteren Umsetzung des Planverfahrens mit einem bereits vorliegenden Insolvenzplan nutzen will, er dafür auch bereits bei den Beteiligten werben kann, oder die Sanierung erst noch strukturiert und der Insolvenzplan erstellt werden muss, er dann aber den Sachwalter selbst bestimmen kann (entweder selbst oder über den von ihm vorgeschlagenen Gläubigerausschuss).
c) Der Zeitfaktor: Von der Erarbeitung des ersten Entwurfs bis zur rechtskräftigen Planbestätigung 47 Eine, wenn nicht die wesentliche strategische Überlegung zur Durchsetzung eines Insolvenzplans ist die Entwicklung eines klaren Zeitkonzepts. Entscheidend ist, inwieweit der Planersteller die Möglichkeit hat, den zeitlichen Geschehensablauf zu beeinflussen. Derjenige, der den Zeitpunkt bestimmen kann, zu dem er den Beteiligten einen Vorschlag auf abweichende Abwicklung eines Insolvenzverfahrens unterbreiten kann, hat den psychologischen Vorteil des Handelns im ersten Zugriff. Dabei ist besonders zu berücksichtigen, dass der Planverfasser Zeit braucht, um Unterlagen und Informationen im Unternehmen zu erheben und Analysen durchzuführen, um nachfolgend einen Plan zu erarbeiten, verbunden mit dem Problem, dass ab dem Zeit-
1 Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, S. 526 f. 2 Frank, Der Syndikus, November/Dezember 2000, 27 (28); Spies, ZInsO 2005, 1254 ff.; Schmudde/Vorwerk, ZInsO 2006, 347 ff., mit dem zutreffenden Hinweis, dass die Eigenverwaltung nicht den Regelfall darstellt und man deshalb, um der Vielfältigkeit des Planverfahrens nicht ungenügend Rechnung zu tragen, in seinen strategischen Überlegungen die Durchführung eines Planverfahrens nicht zwingend an die Eigenverwaltung koppeln darf. Auch wenn der Gesetzgeber in § 270 InsO das Regel-Ausnahme-Prinzip zwischen Eigenverwaltung und Regelverfahren aufgegeben hat und mit § 270b InsO eine sanierungsorientierte Modifizierung des vorläufigen Insolvenzverfahrens mit der Erstellung eines Insolvenzplans in Eigenverwaltung zur Verfügung stellt, gelten die grundsätzlichen Überlegungen von Schmudde/Vorwerk weiter. 3 Vgl. hierzu auch Friedhoff, ZIP 2002, 497 ff. 4 Zu den sich regelmäßig stellenden Fragen Bremen, NZI 2014, 137 ff., der in kompakter Form ein Leitbild der Schutzschirmsanierung entwickelt.
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Beratung bei Insolvenzplan
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punkt, zu dem das Insolvenzverfahren eröffnet wird, die Fortführung des Betriebs ohne Entscheidung über den weiteren Fortgang zeitlich limitiert ist1.
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Hinweis: 48 Es sind in aller Regel Zeitvorstellungen für die nachfolgenden Abläufe zu entwickeln: 1. Entwurfsphase: 1.1. Erstellung der Planhypothese 1.2. Daten- und Informationserhebung 1.3. Erstellung des Insolvenzplans im Entwurf 1.4. Abstimmung des Planentwurfs mit Dritten 1.5. Modifikation und Fertigstellung des Insolvenzplans nach Abstimmung mit Dritten 2. Planeinreichung bei Gericht: 2.1. Vorprüfung durch das Gericht 2.2. Erläuterungen an das Gericht und ggf. Einholung eines Sachverständigengutachtens 2.3. Einholung von Stellungnahmen 2.4. Niederlegung auf der Geschäftsstelle 3. Gläubigerabstimmung über den Plan: 3.1. Terminierung von Berichts-, Prüf- und Erörterungs- und Abstimmungstermin 3.2. Vertagung des Erörterungs- und Abstimmungstermins bzw. gesonderter Abstimmungstermin 4. Vor der Planbestätigung: 4.1. Erfüllung der Planbedingungen 4.2. Geltendmachung Minderheitenschutz durch einzelne Beteiligte 5. Planbestätigung durch das Gericht: 5.1. Prüfung des Obstruktionsverbots 5.2. Ggf. Einholung eines Sachverständigengutachtens 6. Rechtsmittel gegen den Beschluss des Insolvenzgerichts 7. Aufhebung des Insolvenzverfahrens
d) Aufhebung des Insolvenzverfahrens Mit der rechtskräftigen Bestätigung des Insolvenzplans treten die im gestaltenden 49 Teil des Insolvenzplans festgelegten Wirkungen für und gegen alle Beteiligten ein (§ 254 Abs. 1 Satz 1 InsO). Das Insolvenzverfahren ist aber noch nicht aufgehoben und erfordert ein weiteres Tätigwerden der Beteiligten (§ 258 InsO). Insbesondere liegt es an der Person des Insolvenzverwalters, bisweilen auch am Insolvenzgericht, nicht durch dilatorisches Verhalten im Umgang mit dem Rechtsinstrument des Insolvenzplans, den mühsam erarbeiteten Zeitvorteil durch zögerliche Behandlung im Abschluss des Verfahrens zunichte zu machen. Ebenso wenig helfen übereilte Aktionen, insbesondere vor dem Hintergrund haftungsauslösender Tatbestände. Die Beteiligten müssen ihr Tätigwerden danach ausrichten, dass in einem gläubigerorientierten Verfahren die Gläubiger (und ggf. Anteilsinhaber) dem Insolvenzplan und seiner Umsetzung zugestimmt haben, was insbesondere in der Fortführung des Geschäftsbetriebs ein ungestörtes und unbehindertes Tätigwerden fordert. So hat der Insolvenzverwalter unmittelbar Schlussrechnung zu legen, soweit der In- 50 solvenzplan keine abweichende Regelung trifft (§ 66 InsO), sowie die unstreitigen fälligen Masseansprüche zu berichtigen und für die streitigen oder nicht fälligen Sicher1 Die Insolvenzverwaltung und Sanierungsberatung beleuchten Nickert/Nickert, Insbüro 2014, 121 ff., als Aufgabe des Projektmanagements.
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heit zu leisten; alternativ kann für die nicht fälligen Masseansprüche ein Finanzplan vorgelegt werden, aus dem sich die Erfüllung dieser Ansprüche ableiten lässt (§ 258 Abs. 2 InsO). Hat das Insolvenzgericht die Vergütung und Auslagen des Insolvenzverwalters und der Mitglieder des Gläubigerausschusses festgesetzt, kann das Insolvenzverfahren aufgehoben werden. Vereinzelt gehen Insolvenzgerichte in Abstimmung mit dem Verwalter dazu über, nach rechtskräftiger Planbestätigung das Insolvenzverfahren „partiell aufzuheben“ und dem Schuldner nur für diesen Teil die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zu übertragen. Dieses Vorgehen ist contra legem und dient eher dazu, langjährig geübte Verfahrensabläufe, vornehmlich im Zeitverhalten nicht ändern zu müssen. Erforderlich ist statt dessen die alsbaldige Umsetzung der noch zu treffenden Maßnahmen innerhalb des Insolvenzverfahrens und damit vor der Verfahrensaufhebung. 51
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Hinweis: Wird das Insolvenzverfahren nicht zeitnah aufgehoben, steht der Schuldner vor dem Dilemma, dass er selbst noch durch das Insolvenzverfahren gebunden (ihm ist abgesehen von der Eigenverwaltung die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis bislang entzogen), der Insolvenzverwalter seinerseits aber durch den rechtskräftigen Insolvenzplan an weiterführenden Maßnahmen gehindert ist. Dies muss auch bei den Überlegungen zum zeitlichen Ablauf berücksichtigt werden (vgl. Rz. 47).
e) Unternehmensbezogene Überlegungen 52 Neben den allgemeinen strategischen Überlegungen muss unternehmens- und branchenbezogen individuell geplant werden. Anders formuliert und als Frage gestellt: Welche Auswirkungen hat das Planverfahren auf das tägliche Geschäft des Schuldners? So hat ein Produktionsunternehmen langlebiger, hochwertiger Investitionsgüter andere Problemfelder zu beachten als ein Unternehmen, dessen Produkte chargen- oder auftragsbezogen oder saisonal orientiert sind, oder als ein im Handel befindliches Unternehmen. 53
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Hinweis: Es sind insbesondere nachfolgende Vorüberlegungen anzustellen: 1. Welche Reflektion erfolgt auf dem Markt und im Unternehmen selbst bei Bekanntwerden des Planvorschlags (Umfeld, Kunden, Mitarbeiter/regional, national, international)? 2. Ist die Errichtung eines Informationssystems oder der Einsatz eines Pressesprechers erforderlich? 3. Welche freie Liquidität (cash flow) ist vorhanden und steht voraussichtlich zur Verfügung? 4. Kann Eigenkapital und/oder Fremdkapital eingesetzt werden? 5. Sind steuerrechtliche Auswirkungen durch die Einleitung des Planverfahrens oder die Planhypothese zu erwarten? 6. Kann das Schuldnerunternehmen das Planverfahren neben der Betriebsfortführung personell leisten? 7. Zusammenstellung eines Planarbeitsteams: Wer kommt für die Übernahme von Aufgaben im Planverfahren in Betracht? 8. Müssen die Hauptverantwortlichen im Unternehmen ausgetauscht werden? 9. Bestehen allgemein regelungsbedürftige Arbeitnehmerfragen? 10. Gibt es Handlungsbedarf bei den Versicherungen? 11. Sind Umweltschutzmaßnahmen verfolgt worden, müssen solche beachtet werden? 12. Welchen Fortführungs- und welchen Zerschlagungswert repräsentiert das Unternehmen des Schuldners? 13. Kommt die Eigenverwaltung/Regelverwaltung in Betracht?
Frank
Beratung bei Insolvenzplan
Rz. 58
§ 13
f) Liquiditätsbedarf bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Insolvenzplans – Zwischenfinanzierung Neben den eigentlichen Planrechnungen, die auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens 54 des Insolvenzplans abzustellen sind und regelmäßig detailliert erst mit der Erarbeitung des Insolvenzplans aufgestellt werden, bedarf es vorab in etwa der Abschätzung des Gesamtfinanzierungsbedarfs für die Plandurchführung, der im weiteren Verlauf zu konkretisieren ist.
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Hinweis: 55 Damit sind neben der eigentlichen Planumsetzung (nach Bestätigung) auch die Planerarbeitung (reine Planerstellungskosten) und, je nach Planziel, die Finanzierung des laufenden Geschäftsbetriebs oder der laufenden sonstigen Verwaltung der Insolvenzmasse vom Zeitpunkt der Antragstellung bis zur Planbestätigung in die Berechnung einzustellen.
Es ist zu klären, ob der Kassenbestand, eingeräumte Kreditlinien oder Guthaben für die Zwischenfinanzierung verwendet werden können, ob auf Forderungen aus der Fortführung des Geschäftsbetriebs laufend zurückgegriffen werden kann, wann und wie ein Massekredit aufzunehmen ist und wie ein etwaiger Liquiditätsüberschuss aus dem Eröffnungsverfahren genutzt werden kann. Es ist wenig zielführend, nachfolgend durchführbare Planmaßnahmen zu gestalten, wenn bereits während des laufenden Insolvenzverfahrens auf dem Weg zur Planbestätigung die Liquidität oder der Finanzierungsbedarf an Eigen- und Fremdkapital nicht gedeckt ist.
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g) Gruppenorientierte Mehrheitsbildung Das Insolvenzplanverfahren ermöglicht, von sämtlichen Vorschriften des Regelver- 57 fahrens über die Verwertung und Verteilung abzuweichen, und gestattet über die Regelungen des ESUG jetzt auch den Eingriff in die Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen. Trotz allem bleibt es ein gläubigerorientiertes Verfahren, in dem abschließend der Restvermögenswert der Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte der am Schuldner beteiligten Personen garantiert werden muss; alle anderen Überlegungen richten sich an den Interessen der Gläubiger zur bestmöglichen Befriedigung, zumindest soweit sie keiner anderweitigen Regelung zustimmen, aus. Sieht der Insolvenzplan Regelungen zur Einbindung der Anteilsinhaber vor, können sie, den plangeregelten Eingriff rechtfertigend, im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens mitentscheiden. Für sie wird eine Abstimmungsgruppe gebildet und sie werden insoweit den Gläubigern gleichgestellt. Der Gesetzgeber trägt diesem Umstand Rechnung, indem er die Gläubiger und die Anteilsinhaber als „Beteiligte“ oder auch „Gruppenangehörige“ bezeichnet, an Stellen, an denen die Gleichstellung erforderlich ist. Im Übrigen stellt er, wo unterschiedliche Rahmenbedingungen gelten, konkret auf den Anteilsinhaber oder Gläubiger ab. Der Planersteller muss deshalb ausschließlich gläubigerorientiert planen, soweit der Insolvenzplan keinen Eingriff in die Rechte der Anteilsinhaber vorsieht, er muss sich an den Beteiligten oder Gruppenangehörigen orientieren, soweit in die Rechte der Anteilsinhaber eingegriffen werden soll. In jedem Fall muss er mehrheitsorientiert planen. aa) Erforderliche Mehrheiten Das Insolvenzplanverfahren stellt in der Frage der Annahme der alternativen Insol- 58 venzbewältigung nicht auf die im Regelverfahren praktizierte Mehrheitsfindung über alle Gläubiger hinweg auf die Summe der Forderungen ab (§ 76 Abs. 2 InsO), sondern ermöglicht die Abstimmung über den Insolvenzplan entsprechend wirtschaftlich unterschiedlicher Interessen in den einzelnen gebildeten Gruppen (§§ 222, 243 InsO), dort nach Kopf- und Summenmehrheit, soweit es die Gläubiger betrifft (§ 244 Abs. 1 und 2 InsO), nach Mehrheit der Summe der Beteiligungen am Schuldner, soweit die Anteilsinhaber abstimmen (§ 244 Abs. 3 InsO)1. 1 Auf die Kopfmehrheit kommt es in den Gruppen für Anteilsinhaber nicht an. Der Gesetzgeber nimmt die Wertungen des Gesellschaftsrechts auf, wonach über die Kapitalverhältnisse Entscheidungen herbeigeführt werden, BT-Drucks. 17/5712 v. 4.5.2011, S. 50.
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§ 13 59
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Rz. 59
Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung
Hinweis: Der Planverfasser wird deshalb potentielle „Planstörer“ ausfindig machen und diese in, den Anforderungen des Gesetzes Rechnung tragende Gläubigergruppen einordnen. Der Planarchitekt muss dies antizipierend über die Kopf- und Summenmehrheit bzw. Mehrheit der Beteiligungssumme innerhalb der jeweiligen Gruppe das störende Verhalten einzelner kompensieren. Gelingt dies allein aufgrund der Einordnung in eine Gruppe wegen der Summe der dem obstruierenden/störenden Gruppenangehörigen zustehenden Forderungshöhe, Höhe der Beteiligung oder nach Köpfen nicht, muss der Planverfasser in ausreichender Zahl Gruppen bilden. Er muss über die Mehrheit der gebildeten abstimmenden und dem Plan zustimmenden Gruppen dafür Sorge tragen, dass die (wegen gruppenintern fehlender Kopf- und/oder Summenmehrheit bzw. Mehrheit der Beteiligungssumme) dem Plan nicht zustimmenden Gruppen (und damit auch die einzelnen Planstörer) über das Obstruktionsverbot gemäß § 245 InsO nicht mit ihrer Störertaktik durchkommen.
bb) Obstruktionsverbot 60 Werden die Mehrheitserfordernisse in der Abstimmung über den Insolvenzplan gemäß § 244 InsO nicht erreicht, ermöglicht § 245 InsO dem Insolvenzgericht, die Zustimmung der nicht zustimmenden Gruppe(n) als erteilt zu betrachten, wenn die planablehnende Haltung missbräuchlich oder willkürlich ist1. Der Planersteller muss deshalb in seiner strategischen Planung die negativ votierende Gruppe zum Ausgangspunkt seiner Planregelungen machen2. § 245 InsO verfolgt primär das Ziel, eigennützige Erwägungen einzelner Gruppen zu verhindern und die Durchsetzbarkeit des eingereichten Insolvenzplans zu erreichen, wenn die übrigen Gruppen dem Insolvenzplan zustimmen und somit die Umsetzung der Planregelung wünschen. 61 Umgekehrt und damit dem Schutz der Gruppenangehörigen dienend, formuliert § 245 InsO ein Mindestmaß dessen, was den Gruppen angeboten werden muss, um eine von der Regelabwicklung abweichende Insolvenzbewältigung durch den Insolvenzplan zu ermöglichen, nämlich die Gewährung des Regelabwicklungswerts und die angemessene und ranggemäße Beteiligung an einem durch den Insolvenzplan realisierten Mehrwert. Daneben gibt es eine weitere zentrale Schutzvorschrift, § 251 InsO, die den individuellen Schutz des Gläubigers oder Anteilsinhabers bezweckt (vgl. Rz. 401). 62
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Hinweis: Die Gruppenbildung zusammen mit dem Obstruktionsverbot ist damit der Schlüssel eines erfolgreichen Insolvenzplanverfahrens. Die Durchsetzbarkeit trotz des negativem Votums einzelner Gruppen unter Berücksichtigung eines Mindestmaßes an Wertzuwendungen an die den Insolvenzplan ablehnenden Gruppen folgt den Grundsätzen eines interessengerechten Ausgleichs innerhalb einer vom Gesetz vorgegebenen und im Einzelnen näher bestimmten angemessenen Interessenabwägung3. § 245 InsO stellt dafür inhaltliche und formale Anforderungen. Ausgangspunkt für die Prüfung des Obstruktionsverbots ist allein die negativ votierende Gruppe. Hat eine Gruppe dem Insolvenzplan zugestimmt, hat das Insolvenzgericht bspw. nicht zu überprüfen, ob die zustimmende Grup-
1 Vgl. zum Obstruktionsverbot bspw. LG Traunstein v. 27.8.1999 – 4 T 2966/99, NZI 1999, 461 ff.; OLG Köln v. 5.1.2001 – 2 W 228/00, NZI 2001, 660; LG Bielefeld v. 30.11.2001 – 23 T 365/01, ZIP 2002, 951; AG Göttingen v. 19.12.2001 – 74 IN 112/00, ZIP 2002, 953, mit einer Anm. von Otte, EWiR 2002, 877 f.; LG Magdeburg v. 25.4.2001 – 3 T 12/01, NZI 2001, 326 f.; LG Mühlhausen v. 17.9.2007 – 2 T 190/06, NZI 2007, 724 ff. 2 Vgl. hierzu LG Göttingen v. 7.9.2004 – 10 T 78/04, NZI 2005, 41 ff.: Der Planverfasser hat auf die geänderte Sach- und Rechtslage im Erörterungs- und Abstimmungstermin nur unzureichend reagiert und den widersprechenden Gläubiger im Verhältnis zu anderen Gläubigern nicht zumindest gleich behandelt. 3 Vgl. auch Eidenmüller, Unternehmenssanierung, 1999, S. 51 (79), der dies als Spannungsverhältnis zwischen Wertschöpfung und Wertbeanspruchung beschreibt.
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Beratung bei Insolvenzplan
Rz. 65
§ 13
pe angemessen am wirtschaftlichen Wert gemäß § 245 Abs. 1 Ziff. 2 InsO beteiligt ist1. Was als Missbrauch oder Willkür angesehen wird oder, anders gewendet, was als 63 Mindestmaß dessen normiert ist, was den Angehörigen der Gruppen geboten werden muss, beschreibt zunächst § 245 Abs. 1 InsO, der mit Abs. 2 für die Gläubiger und Abs. 3 für die Anteilsinhaber den Rechtsbegriff der „angemessenen Beteiligung“ kumulativ und abschließend näher bestimmt2. Während Abs. 1 Ziff. 1 eine vergleichende Betrachtung zwischen Regelabwicklung und Insolvenzplanlösung für die widersprechende Gruppe fordert, stellt Abs. 1 Ziff. 2 i.V.m. Abs. 2 bzw. Abs. 3 auf näher beschriebene Vergleichspositionen mit gruppenfremden Gläubigern bzw. Anteilsinhabern ab3. Die gruppeninterne Gleichbehandlung wird über § 226 InsO gewährleistet (vgl. Rz. 169). Die Angehörigen der die Zustimmung nicht erteilenden Gruppe dürfen gemäß § 245 64 Abs. 1 Ziff. 1 InsO durch den Insolvenzplan voraussichtlich nicht schlechter gestellt werden, als sie ohne Insolvenzplan stünden. Das wirtschaftliche Ergebnis im Falle der Planlösung ist mit dem hypothetischen Ergebnis der Regelabwicklung zu vergleichen4. Abgestellt wird in der vergleichenden Betrachtung auf eine gedachte (zügige und alsbaldige) Beendigung des Insolvenzverfahrens anhand der konkreten Verfahrensumstände, wie sie sich zum Zeitpunkt des (angenommenen) Inkrafttretens des Insolvenzplans darstellen5. Das, was die Angehörigen der nicht zustimmenden Gruppe aus der Regelabwicklung abschließend mit der Schlussverteilung erhalten würden, ist die eine Vergleichsgröße, die Planzuwendung die andere, was hilfreich in einer Vergleichsrechnung gegenübergestellt werden kann6.
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Hinweis: 65 Nicht entscheidend und damit in die vergleichende Betrachtung nicht einzubeziehen ist, was die Gläubiger möglicherweise nach Abschluss des Insolvenzverfahrens natürlicher Personen im Rahmen einer Restschuldbefreiung während der Wohlverhaltensperiode erhalten können7. Die Restschuldbefreiung ist optional zugunsten des Schuldners eingeführt worden und setzt voraus, dass dieser den Gläubigern über einen Treuhänder seine laufenden pfändbaren Bezüge während einer Wohlverhaltensfrist zur Verfügung stellt, um in den Genuss der Restschuldbefreiung zu gelangen, §§ 286 ff. InsO (vgl. § 16 Rz. 441 ff.). Damit wird ersichtlich ein anderer Zweck verfolgt als mit der Garantie des Regelabwicklungswerts gemäß der §§ 245 und 251 InsO, der sich zur Schlussverteilung mit
1 Dem in der Gruppe mehrheitlich überstimmten einzelnen Angehörigen bleibt freilich der Einwand nach § 251 InsO erhalten, er sei durch die Planlösung voraussichtlich schlechter gestellt, als er ohne Plan stünde. 2 OLG Köln v. 5.1.2001 – 2 W 228/00, NZI 2001, 660. 3 Dies ergibt sich auch aus § 245 Abs. 1 Ziff. 2 InsO („die Angehörigen dieser Gruppe …“) und der Eingangsformulierung im nachfolgenden Abs. 2 („Für eine Gruppe der Gläubiger …“) bzw. Abs. 3 („Für eine Gruppe der Anteilsinhaber …“). 4 §§ 156 bis 173, 187 bis 216 InsO. Niering, NZI 2010, 285 (287 f.), sieht bspw. für den Planverfasser durch die vom Gesetz für das Insolvenzplanverfahren nicht vorgesehene relative Höchstgrenze für aufgestellte Sozialpläne nach § 123 Abs. 2 Satz 2 InsO die Gefahr, dass sich die Insolvenzgläubiger bei Überschreiten dieser Grenze im Planverfahren erfolgreich darauf berufen können, durch den Plan schlechter als im Regelverfahren gestellt zu sein, weil die erhöhten Masseverbindlichkeiten ihre Befriedigung beinträchtigen. Dem kann nicht gefolgt werden, soweit die Gläubiger im Planverfahren wirtschaftlich voraussichtlich nicht schlechter gestellt werden als in der Regelverwertung. Vergleichend betrachtet wird (nur) das zu erwartende wirtschaftliche Ergebnis der jeweiligen Verfahrensabwicklung, nicht die Herleitung bzw. Entwicklung etwaiger Auszahlungsbeträge. 5 Haas in HK-InsO, § 245 Rz. 7. 6 Braun in Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung, § 245 Rz. 3 ff.; Haas in HK-InsO, § 245 Rz. 8; vgl. auch LG Bielefeld v. 30.11.2001 – 23 T 365/01, ZIP 2002, 951; AG Göttingen v. 19.12.2001 – 74 IN 112/00, ZIP 2002, 953, mit einer Anm. von Otte, EWiR 2002, 877 f., nahm eine Besserstellung an, weil der Schuldner ohne Insolvenzplan beschäftigungslos würde. 7 Vgl. hierzu LG München I v. 5.9.2003 – 14 T 15659/03, ZVI 2003, 473.
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§ 13
Rz. 66
Beratung bei Insolvenzplan und Eigenverwaltung
der Verfahrensaufhebung ergibt1. Darüber hinaus ist die Restschuldbefreiung nur für natürliche Personen zulässig, würde also für Personenmehrheiten oder juristische Personen eine Insolvenzplanabwicklung über § 245 InsO unmöglich machen, wenn dort im Regelverfahren nach der Schlussverteilung schon dem Grunde nach alle Restforderungen bestehen bleiben. Unbeachtlich ist auch, was den Gläubigern an Rechten oder Forderungen nach Abschluss des Insolvenzverfahrens mit oder ohne Restschuldbefreiung verbleiben würde. Die im Regelinsolvenzverfahren nicht erfüllten Verbindlichkeiten oder solche, von denen trotz Restschuldbefreiungsverfahren gemäß § 302 InsO nicht befreit wird, werden nicht durch die Erlösverteilung im Regelabwicklungsverfahren dem Gläubiger zugewandt, sondern bereits durch einen vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (arg e § 55 Abs. 2 InsO) bzw. der Verfahrenseröffnung (arg e § 54 und § 55 Abs. 1 InsO) liegenden Sachverhalt begründet2. Dies kann die Planbestätigung nicht verhindern (wirtschaftliche Erwägungen der konkreten Verfahrensabwicklung als Maßstab der §§ 245 und 251 InsO). Soweit von dritter Seite Zuwendungen an Beteiligte erfolgen, sind diese nur in die vergleichende Betrachtung einzustellen, wenn auch im Regelinsolvenzverfahren hierauf ein Rechtsanspruch bestehen würde. Erfolgen Drittzuwendungen, kann Bedarf bestehen, dies im Insolvenzplan offen zu legen, um den Vorwurf des Stimmenkaufs oder den Einwand des Verstoßes gegen § 226 InsO zu entkräften (vgl. Rz. 169 ff.). Die gegebenen Verfahrensumstände sind auch in der vergleichenden Betrachtung für die Anteilsinhaber heranzuziehen, so dass nicht pauschaliert von einem Wert „0“ der Rechtsposition des Anteilsinhabers ausgegangen werden kann. Aus der Mehrzahl abgewickelter Insolvenzverfahren wird man jedoch unschwer die allgemeine Erkenntnis ziehen können, dass im Regelverfahren mit der Abwicklung des Rechtsträgers und der abschließenden Löschung im Register unter Berücksichtigung der Verteilungsrangfolge gemäß § 199 InsO (alle Insolvenzgläubiger i.S.v. § 38 InsO, d.h. die in § 39 InsO bezeichneten nachrangigen und übrigen Forderungen der Insolvenzgläubiger sind maßgeblich) die wirtschaftliche Berechtigung der Anteilsinhaber regelmäßig gegen Null gehen wird – ein restlicher Vermögenswert wird damit aber nicht gänzlich ausgeschlossen. Der Insolvenzplan wird deshalb hierzu eine konkrete Aussage treffen müssen.
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68 Für die vergleichende Betrachtung sind objektivierbare Maßstäbe heranzuziehen. Nicht entscheidend ist, ob ein Gruppenangehöriger die sofortige einer später höheren Zahlung vorziehen würde. Sieht der Insolvenzplan Ratenzahlungen vor, müssen Zins- und Risikoelemente im Rahmen von Auf- oder Abzinsungen berücksichtigt werden. Die Vergleichsposition ist weiter davon abhängig, welche Form der Verwertung in der Regelabwicklung im konkreten Fall zu erwarten ist. Liegen Anhaltspunkte vor, dass eine übertragende Sanierung möglich ist, weil entsprechende Kaufangebote existieren, ist in die wertende Betrachtung der konkret gebotene Veräußerungswert einzustellen. Eine going-concern-Bewertung nach allgemein anerkannten betriebswirtschaftlichen Methoden ist in diesem Fall nicht zulässig3. Gibt es keine konkreten Angebote, existieren keine konkreten Anfragen oder handelt es sich um geäußerte Wunschvorstellungen einzelner Beteiligter, sind Zerschlagungswerte 1 Vgl. hierzu auch Jaffé in Frankfurter Kommentar zur InsO, § 217 Rz. 101; a.A. Graf/Wunsch, ZIP 2001, 1029 ff. 2 Damit unterliegen bspw. auch Forderungen aus unerlaubter Handlung der Erlasswirkung des § 227 InsO. Vgl. zur Erlasswirkung BGH v. 17.12.2009 – IX ZR 32/08, BeckRS 2010, 01432; Frank, FD-InsR 2010, 297977; so im Ergebnis schon LG Hannover v. 7.7.2003 – 20 T 36/03, ZInsO 2003, 719 (720); Frind, NZI 2007, 374. A.A. wohl AG Düsseldorf v. 7.1.2008 – 503 IN 221/02, ZInsO 2008, 463 (464), zu § 251 InsO (nicht bei § 245 InsO), das die Vorträge einzelner Gläubiger, die zur Versagung der Restschuldbefreiung führen können, im