Handbuch Ausbildung: Berufsausbildung im dualen System [Reprint 2019 ed.] 9783486800883, 9783486251500

In einer zunehmenden "Wissensgesellschaft" kommt der Ausbildung allgemein, sowie der speziellen Berufsausbildu

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German Pages 569 [576] Year 2001

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Zum Inhalt des Buches
1. Kapitel - Arbeit - Bildung - Beruf
2. Kapitel - Personalwirtschaftliche Grundlagen der Ausbildung
3. Kapitel - Lernen in der Ausbildung
4. Kapitel - Das Recht der Berufsausbildung
Anhang
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Stichwortverzeichnis
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Handbuch Ausbildung: Berufsausbildung im dualen System [Reprint 2019 ed.]
 9783486800883, 9783486251500

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Managementwissen für Studium und Praxis Herausgegeben von Professor Dr. Dietmar Dorn und Professor Dr. Rainer Fischbach Bisher erschienene Werke: Arrenberg • Kiy • Knobloch • Lange, Vorkurs in Mathematik Behrens • Kirspel, Grundlagen der Volkswirtschaftslehre Behrens, Makroökonomie - Wirtschaftspolitik Bichler • Dörr, Personalwirtschaft - Einfuhrung mit Beispielen aus SAP® R/3® HR® Blum, Grundzüge anwendungsorientierter Organisationslehre Bontrup, Volkswirtschaftslehre Bontrup, Lohn und Gewinn Bontrup • Pulte, Handbuch Ausbildung Bradtke, Mathematische Grundlagen fur Ökonomen Bradtke, Übungen und Klausuren in Mathematik für Ökonomen Bradtke, Statistische Grundlagen fîir Ökonomen Breitschuh, Versandhandelsmarketing Busse, Betriebliche Finanzwirtschaft, 4. Auflage Clausius, Betriebswirtschaftslehre I Clausius, Betriebswirtschaftslehre II Dorn • Fischbach, Volkswirtschaftslehre II, 3. Auflage Drees-Behrens • Schmidt, Aufgaben und Fälle zur Kostenrechnung Ellinghaus, Werbewirkung und Markterfolg Fank, Informationsmanagement Fank • Schildhauer • Klotz, Informationsmanagement: Umfeld - Fallbeispiele Fiedler, Einfuhrung in das Controlling, 2. Auflage Fischbach, Volkswirtschaftslehre I, 11. Auflage Fischer, Vom Wissenschaftler zum Unternehmer Frodl, Dienstleistungslogistik Götze, Techniken des Business-Forecasting Gohout, Operations Research Haas, Kosten, Investition, Finanzierung Planung und Kontrolle, 3. Auflage Haas, Marketing mit EXCEL, 2. Auflage Hardt, Kostenmanagement Heine • Herr, Volkswirtschaftslehre, 2. Auflage Hildebrand • Rebstock, Betriebswirtschaftliche Einführung in SAP® R/3® Hofmann, Globale Informationswirtschaft Hoppen, Vertriebsmanagement Koch, Marketing Koch, Marktforschung, 2. Auflage Koch, Gesundheitsökonomie: Kosten- und Leistungsrechnung Krech, Grundriß der strategischen Unternehmensplanung

Kreis, Betriebswirtschaftslehre, Band I, 5. Auflage Kreis, Betriebswirtschaftslehre, Band II, 5. Auflage Kreis, Betriebswirtschaftslehre, Band III, 5. Auflage Laser, Basiswissen Volkswirtschaftslehre Lebefromm, Controlling - Einfuhrung mit Beispielen aus SAP® R/3®, 2. Auflage Lebefromm, Produktionsmanagement Einführung mit Beispielen aus SAP11 R/3", 4. Auflage Martens, Statistische Datenanalyse mit SPSS für Windows Mensch, Kosten-Controlling Olivier, Windows-C - Betriebswirtschaftliche Programmierung für Windows Peto, Einführung in das volkswirtschaftliche Rechnungswesen, 5. Auflage Piontek, Controlling Piontek, Beschaffungscontrolling, 2. Auflage Piontek, Global Sourcing Posluschny, Kostenrechnung für die Gastronomie Posluschny • von Schorlemer, Erfolgreiche Existenzgründungen in der Praxis Reiter • Matthäus, Marktforschung und Datenanalyse mit EXCEL, 2. Auflage Reiter • Matthäus, Marketing-Management mit EXCEL Rudolph, Tourismus-Betriebswirtschaftslehre Rüth, Kostenrechnung, Band I Sauerbier, Statistik fur Wirtschaftswissenschaftler Schaal, Geldtheorie und Geldpolitik, 4. Auflage Scharnbacher • Kiefer, Kundenzufriedenheit, 2. Auflage Schuchmann • Sanns, Datenmanagement mit MS ACCESS Schuster, Kommunale Kosten- und Leistungsrechnung Specht • Schmitt, Betriebswirtschaft für Ingenieure und Informatiker, S. Auflage Stahl, Internationaler Einsatz von Führungskräften Steger, Kosten- und Leistungsrechnung, 2. Auflage Stock, Informationswirtschaft Weindl • Woyke, Europäische Union, 4. Auflage Zwerenz, Statistik

Handbuch Ausbildung Berufsausbildung im dualen System

Von

Prof. Dr. rer. pol. Heinz-J. Bontrup (Hrsg.) Prof. Dr. jur. Peter Pulte (Hrsg.) und

Prof. Dr. rer. pol. Katrin Hansen Dipl.-Kauffrau Patricia Wischerhoff

R. Oldenbourg Verlag München Wien

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Handbuch Ausbildung : Berufsausbildung im dualen System / von Heinz-J. Bontrup (Hrsg.).... - München ; Wien : Oldenbourg, 2001 (Managementwissen für Studium und Praxis) ISBN 3-486-25150-3

© 2001 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0 www.oldenbourg-verlag.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Gesamtherstellung: Druckhaus „Thomas Müntzer" GmbH, Bad Langensalza ISBN 3-486-25150-3

I

Vorwort

In einer zunehmenden „Wissensgesellschaft" kommt der Ausbildung allgemein, sowie der speziellen Berufsausbildung im dualen System oder an der Hochschule, eine dominante Rolle für den Einzelnen, aber auch für die Gesellschaft als Ganzes zu. Durch Ausbildung werden sowohl die Wettbewerbsfähigkeit von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen auf den angespannten Arbeitsmärkten bestimmt, als auch die zukünftigen Chancen der Unternehmen im Wettbewerb. Hierbei sind die zum Teil einschneidenden Veränderungsprozesse in der Arbeitswelt genauso zu beachten, wie die sich aus den „neuen" globalen ökonomischen Herausforderungen ergebenden (ableitbaren) Anpassungsprozesse. Das hier vorgelegte „Handbuch der Ausbildung" soll in diesem Kontext eine Orientierung bieten. Der Schwerpunkt wurde dabei auf die berufliche Bildung im dualen System gelegt. Aufbau und Inhalt des Handbuches sind in vier Kapitel unterteilt. Im ersten Kapitel werden allgemeine Grundlagen von Arbeit, Bildung und Beruf vermittelt, dem sich im zweiten Kapitel spezielle personalwirtschaftliche Fragestellungen zur betrieblichen Ausbildung anschließen. Das dritte Kapitel befaßt sich mit lerntheoretischen sowie pädagogischen Aspekten der Berufsausbildung und im vierten Kapitel werden sämtliche rechtlichen Zusammenhänge und Bedeutungsinhalte der betrieblichen Ausbildung dargelegt. Ein umfangreicher Anhang rundet den Aufbau des Buches ab. Als Adressaten des Handbuches kommen in erster Linie alle die in Frage, die sich auf der Ausbilderseite mit der Ausbildung (Berufsausbildung) junger Menschen beschäftigen. Dazu gehören die betrieblichen Ausbilder (Ausbildungsbeauftragten), Berufsschullehrer sowie Lehrer an allgemeinbildenden Schulen als auch Hochschullehrer sowie Dozenten in der Weiterbildung. Auf der anderen Seite werden die Auszubildenden und ihre Vertreter in den Betriebsräten sowie Jugend- und Auszubildendenvertretungen angesprochen. Daneben bietet das Handbuch den Unternehmensleitungen sowie den Kammerorganisationen (IHK's, Handwerkskammern) und den Gewerkschaften wertvolle zusammenhängende Erkenntnisse im Hinblick auf Ausbildung. Und nicht zuletzt verstehen sich die hier vorgestellten Inhalte als Vorbereitung auf die AusbildereignungsprUfung.

II

Die Autoren haben einer Reihe von Kollegen aus Wissenschaft und Praxis sowie Studierenden für wertvolle Hinweise und Anregungen zu danken. Bei den technischen Abschlussarbeiten und dem Erstellen von Grafiken waren stud. Andreas Kampl und stud. Marc Solmecke behilflich. Ihnen gilt unserer besonderer Dank.

Die Herausgeber Heinz-J. Bontrup, Peter Pulte

III

Inhaltsverzeichnis Vorwort

I

Inhaltsverzeichnis Zum Inhalt des Buches

III XIII

1. Kapitel - Arbeit - Bildung - Beruf 1.

Zum Faktor Arbeit und ihre Zukunft 1.1. Zur Relevanz der (Erwerbs-)Arbeit 1.2. Erwerbsarbeit, Beruf und Bildung 1.3. Besonderheiten des Faktors Arbeit 1.4. Das Kapital bestimmt die Verwertung der Arbeit 1.4.1. Zum Gewinnprinzip 1.4.2. Das Gewinnprinzip schafft keine Volbeschäftigung 1.5. Perspektiven der Arbeit 1.5.1. Quantitative und qualitative Aspekte 1.5.2. Produktivitäts- und Wachstumsschere 1.5.3. Globalisierungs- und Konzentrationsprozesse 1.5.4. Dienstleistungsgesellschaft und das Normalarbeitsverhältnis.... 1.5.5. Zum Arbeitsentgelt 1.5.6. Politik der Vollbeschäftigung

2.

Die gesellschaftliche Bedeutung von Bildung 2.1. Bildung und Chancengleichheit 2.1.1. Geschichtliche Herausbildung 2.1.2. Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg 2.1.3. Trotz Bildungsexpansion nicht mehr Chancengleichheit 2.2. Zur ökonomischen Relevanz von Bildung 2.2.1. Wirtschaftlichkeit von Humankapitalinvestitionen 2.2.2. Zur Finanzierung von Bildungsinvestitionen 2.3. Zum Wandel von Bildung und Ausbildung 2.4. Auswirkungen auf das duale System

3.

Zum deutschen Schul- und Hochschulsystem 3.1. Zu 3.1.1. 3.1.2. 3.1.3. 3.1.4.

den allgemeinbildenden Schulen Die einzelnen Schularten Die quantitative Entwicklung der Schularten Zur qualitativen Entwicklung Schüler-Lehrer-Relationen

1 1 3 4 7 7 9 12 12 14 14 15 16 17 20 20 20 22 24 27 27 34 40 44 45 45 45 48 51 53

IV

4.

3.2.

Zum tertiären Bildungsbereich der Hochschulen

56

3.3.

Allgemeine Weiterbildungsmöglichkeiten

61

Die Zukunft der Berufswelt 4.1. Zum Berufsbegriff 4.2. Zur Herausbildung und Entwicklung von Berufen 4.3. Das duale System der Berufsausbildung 4.3.1. Zur geschichtlichen Herausbildung 4.3.2. Zur Organisation der Berufsausbildung 4.3.3. In der EU ist das deutsche duale Modell einmalig 4.3.4. Auszubildende in Ost- und Westdeutschland 4.4. Zu den berufsbildenden Schulen 4.4.1. Die einzelnen Schularten im Überblick 4.4.2. Schüler-Lehrer-Relationen 4.5. Zum Ausbildungsstellenmarkt 4.5.1. Wesentliche Gründe für eine betriebliche Ausbildung 4.5.2. Allgemeine Angebots- und Nachfragebedingungen 4.5.3. Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsmarkt 4.5.4. Zur Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen 4.5.5. Kosten und Nutzen der Berufsausbildung 4.5.6. Zur Ausbildungsvergütung

63 63 64 69 69 70 72 72 77 77 80 82 82 85 88 90 97 101

2. Kapitel - Personalwirtschaftliche Grundlagen der Ausbildung 1.

Ausbildung planen und organisieren 1.1. Feststellung der Ausbildungsfähigkeit 1.2. Ausbildungsberufe festlegen 1.3. Zu den Ausbildern 1.4. Ausbildung im eigenen Betrieb 1.5. Betriebliche Kooperation in der Ausbildung 1.6. Kooperation mit der Berufsschule 1.7. Überbetriebliche Ausbildung 1.8. Festlegung der Ausbildungskapazitäten 1.8.1. Anzahl der Auszubildenden festlegen 1.8.2. Übernahme und Verbleib nach der Ausbildung 1.8.3. Schulabschluß der Auszubildenden 1.8.3. Erforderliche und erwünschte Qualifikationen 1.9. Ausbildungsziele und -schritte festlegen 1.9.1. Fachliche Ziele definieren und interpretieren 1.9.2. Schlüsselkompetenzen entwickeln 1.9.3. Ausbildungsplan erstellen

106 106 109 110 113 114 117 119 120 120 123 124 130 132 132 134 138

V

1.9.4. 2.

Ablegung von Prüfungen

Auszubildende finden, einstellen und führen 2.1. Auszubildende finden 2.2. Auszubildende auswählen 2.2.1. Zu den Bewerbungsunterlagen 2.2.2. Auswahlverfahren 2.2.3. Auszubildende einfuhren 2.3. Auszubildende betreuen und fuhren 2.3.1. Mögliche allgemeine Führungsstile 2.3.2. Ein spezielles Führungsmodell fiir Auszubildende 2.4. Auszubildende beurteilen

141 143 143 148 149 150 161 164 164 174 187

3. Kapitel - Lernen in der Ausbildung 1.

Einsatz neuer Lernmethoden für Auszubildende

195

2.

Motivation als Grundlage von Lernprozessen

197

2.1. Begriff der Motivation 197 2.2. Zusammenhang zwischen Motivation und Arbeitszufriedenheit.... 199 2.3. Inhaltstheoretische Ansätze der Arbeitsmotivation 202 2.3.1. Messung der Leistungsmotivation nach McClelland 202 2.3.2. Hierarchie der Motive nach Maslow 204 2.3.3. Zwei-Faktoren-Theorie nach Herzberg 209 2.3.4. Flow-Modell nach Csikszentmihalyi 212 2.4. Kritische Bewertung und Einfluß auf neue Lernmethoden 216 3.

Lernen während der Berufsausbildung 3.1. 3.2. 3.3. 3.4.

4.

Förderung der Lernfähigkeit von Auszubildenden Merkmale des handlungsorientierten Lernens Über handlungsorientiertes Lernen zur Erzeugung von intrinsischer Motivation Auswirkungen der gesetzlichen Änderungen in der Berufsausbildung

Leitfaden zur Einübung von Lern- und Arbeitstechniken 4.1. Rollenspiel 4.1.1. Entstehung und Bedeutung des Rollenspiels 4.1.2. Verlaufsstruktur für die Durchführung eines Rollenspiels 4.1.3. Rollenspiel „Konfliktlösung im Kundengespräch" 4.1.4. Lösung des Rollenspiels

218 218 220 225 228 230 230 230 232 236 240

VI

4.2. Szenario-Technik 4.2.1. Ausgangssituation und historische Entwicklung 4.2.2. Verlaufsstruktur für die Durchfuhrung von Szenarien 4.2.3. Szenario „Ökologieorientierte Unternehmensführung" 4.2.4. Lösung des Szenarios 4.3. Weitere Lerntechniken 4.3.1. Zukunftswerkstatt 4.3.2. Phasen-Methoden

248 248 252 256 260 264 264 265

4. Kapitel - Das Recht der Berufsausbildung 1.

Rechtsquellen für die Berufsausbildung 1.1. Das Grundgesetz und die Landesverfassungen 1.2. Das Berufsbildungsgesetz 1.2.1. Privatrechtlicher Teil 1.2.2. Öffentlich-rechtlicher Teil 1.2.3. Regelungsbereiche des Berufsbildungsgesetzes 1.3. Sonstige Gesetze 1.4. Rechtsverordnungen 1.5. Kammerrecht 1.6. Rechtsprechung 1.7. Kollektivverträge 1.8. Einzelausbildungsvertrag 1.9. Betriebliche Übung 1.10. Direktionsrecht 1.11. Internationales Recht 1.11.1. Europäisches Recht 1.11.2. Völkerrechtliche Verträge 1.12. Stufenaufbau des Arbeitsrechts

2.

Beteiligte und Mitwirkende an der Berufsausbildung 2.1. Zuständige Stellen / Kammern 2.1.1. Prüfungsverfahren 2.1.2. Förderung der Berufsausbildung 2.1.3. Überwachung 2.1.4. Berufsausbildung Behinderter 2.1.5. Freiwillige Aufgaben 2.2. Berufsbildungsausschüsse 2.2.1. Landesausschüsse für Berufsbildung 2.2.2. Bundesinstitut für Berufsbildung 2.3. Die Berufsschule 2.4. Ausbildungsstätte / Ausbildungsbetrieb

270 270 271 272 272 273 274 275 275 276 276 277 278 278 279 280 281 281 283 284 285 286 286 287 288 288 289 290 292 293

VII

2.4.1. Art der Einrichtung 2.4.2. Ausbildungsmaßnahmen außerhalb der Ausbildungsstätte 2.5. Personelle Voraussetzungen 2.6. Untersagen des Einstellens und Ausbildens 2.6.1. Überwachung durch die Kammern 2.6.2. Untersagung durch die zuständige Behörde 2.7. Der Ausbildende 2.8. Der Ausbilder 2.8.1. Fachliche Eignung 2.8.2. Persönliche Eignung 3.

4.

Ausbildungsberuf und Ausbildungsordnung

305

3.1.

Ausbildungsberufe

306

3.2.

Ausbildungsordnungen

307

Das Prüfungswesen

4.1. Zwischenprüfung 4.2. Abschlussprüfung 4.2.1. Prüfungsgegenstand 4.2.2. Zulassung zur Abschlussprüfung 4.2.3. Vorzeitige Zulassung 4.2.4. Zulassung in besonderen Fällen 4.2.5. Prüfungsverfahren 4.2.6. Prüfungsausschüsse 4.2.7. Rechtsmittel 5. Ausbildungsdauer 5.1. Verkürzung der Ausbildungszeit 5.1.1. Verkürzung nach § 29 Abs. 1 BBiG 5.1.2. Verkürzung auf Antrag nach § 29 Abs. 2 BBiG 5.2. Verlängerung der Ausbildungszeit 5.3. Nichtanrechnung von Zeiten 6.

294 295 296 296 297 297 297 298 299 304

Der Berufsausbildungsvertrag 6.1. Vertragsverhandlungen 6.2. Abschluss und Form des Berufsausbildungsvertrages 6.3. Die Eintragung des Berufsausbildungsverhältnisses 6.4. Vertragsschluss mit Mindeijährigen 6.5. Unwirksame Vertragsbestandteile 6.6. Inhalt des Berufsausbildungsvertrages 6.6.1. Art, Ziel und Gliederung der Ausbildung 6.6.2. Beginn und Dauer der Berufsausbildung 6.6.3. Ausbildungsmaßnahmen außerhalb der Ausbildungsstätte 6.6.4. Regelmäßige tägliche Ausbildungszeit 6.6.5. Probezeit

309 311 312 312 313 313 314 315 317 317 318 318 319 320 320 321 322 323 324 325 326 327 329 330 330 331 331 332

VIII

6.6.6. 6.6.7. 6.6.8. 6.6.9. 6.6.10. 7.

Die Ausbildungsvergütung Urlaub Kündigung Hinweis auf Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen Sonstiges

Rechte und Pflichten in der Berufsausbildung 7.1. Pflichten des Ausbildenden 7.1.1. Ausbildungspflicht 7.1.2. Bestellung von Ausbildern 7.1.3. Zurverfügungstellung der Ausbildungsmittel 7.1.4. Erziehungspflichten 7.1.5. Ordnungspflichten 7.1.6. Freistellungen 7.1.7. Schutzpflichten gegenüber dem Auszubildenden 7.1.8. Übertragung ausbildungsfremder Verrichtungen 7.2. Pflichten des Auszubildenden 7.2.1. Arbeitspflicht 7.2.2. Lernpflicht 7.2.3. Teilnahme an Ausbildungsmaßnahmen 7.2.4. Befolgung von Weisungen 7.2.5. Beachtung der Ordnung in der Ausbildungsstätte 7.2.6. Sorgfalt in der Behandlung der Ausbildungsmittel 7.2.7. Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen

8.

Die Ausbildungsvergütung 8.1. Charakter der Vergütung 8.2. Höhe der Vergütung 8.2.1. Zulagen und übertarifliche Bestandteile 8.2.2. Gratifikationen 8.2.3. Vergütung bei verkürzter Ausbildungszeit 8.2.4. Vergütung bei verlängerter Ausbildungszeit 8.3. Sachleistungen 8.4. Berechnungszeitraum 8.5. Fälligkeit 8.6. Lohnsteuer- und Sozialversicherungspflicht 8.7. Fortzahlung der Vergütung 8.8. Vergütung für Mehrarbeit

9.

Schadenersatzansprüche 9.1. 9.2. 9.3.

Verletzung einer Vertragspflicht Unerlaubte Handlung Vorzeitige Beendigung des Ausbildungsverhältnisses

332 333 333 333 334 334 334 334 335 335 336 337 338 339 339 340 340 340 341 342 343 344 345 345 346 347 349 349 349 350 350 351 351 351 352 353 353 354 356 356

IX

10. Ende des Berufsausbildungsverhältnisses 10.1. Ablauf der vertraglichen Dauer 10.2. Ablegen der Abschlussprüfung 10.3. Ablegen der Wiederholungsprüfung 10.4. Auflösung im beiderseitigen Einvernehmen 10.4.1. Zustandekommen 10.4.2. Aufhebungsvertrag mit besonderen Personengruppen 10.4.3. Aufklärungspflichten, Bedenkzeit und Widerrufsrecht 10.4.4. Anfechtung des Aufhebungsvertrages 10.5. Auflösende Bedingung 10.6. Tod einer Vertragspartei 10.7. Kündigung 10.7.1. Ordentliche Kündigung vor Beginn der Probezeit 10.7.2. Kündigung während der Probezeit 10.7.3. Außerordentliche Kündigung nach der Probezeit 10.7.4. Ordentliche Kündigung nach der Probezeit 10.7.5. Person des Kündigenden 10.7.6. Form und Inhalt der Kündigung 10.7.7. Kündigungsfrist 10.7.8. Klagefrist 10.7.9. Allgemeine Unwirksamkeitsgründe 10.7.10. Kündigungsschutz von Auszubildendenvertretungen 10.8. Folgen der Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses 10.8.1. Ende der Rechte und Pflichten aus dem Vertrag 10.8.2. Rückgabe der Ausbildungsmittel 10.8.3. Aushändigung der Beschäftigungspapiere 10.8.4. Ausgleichsquittung 10.8.5. Zeit zum Aufsuchen einer neuen Stelle 10.8.6. Übergang in ein Arbeitsverhältnis

358 358 359 360 361 361 362 362 363 364 365 365 366 366 366 370 371 371 372 373 373 374 375 375 375 375 376 376 377

11. Bußgeldvorschriften

377

12. Das Schlichtungsverfahren

379

13. Beteiligungsrechte des Betriebsrates 13.1. Einstellung von Auszubildenden 13.2. Kündigungen 13.3. Personalplanung 13.4. Förderung der beruflichen Bildung 13.5. Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung 13.6. Mitbestimmung bei Auswahl der Teilnehmer 13.7. Mitbestimmung bei betrieblichen Ausbildern 13.8. Die Jugend- und Auszubildendenvertretung 13.8.1. Die Jugend- und Auszubildendenversammlung 13.8.2. Die Gesamtjugend- und Auszubildendenvertretung

382 383 383 383 3 84 385 386 386 387 390 390

X

14. Das Jugendarbeitsschutzgesetz 14.1. Beschäftigung von Kindern 14.2. Beschäftigungsverbote und -beschränkungen 14.3. Akkordarbeit 14.4. Berufsschule / Prüfungen 14.5. Arbeitszeit 14.5.1. Dauer der Arbeitszeit 14.5.2. Beschäftigung an Sonn- und Feiertagen 14.5.3. Ruhepausen und Freizeiten 14.6. Urlaub 14.7. Sonstige Arbeitgeberpflichten 14.7.1. Menschengerechte Gestaltung der Arbeit 14.7.2. Unterweisung über Gefahren 14.7.3. Gesundheitliche Betreuung 14.7.4. Züchtigungsverbot, Alkohol- und Tabakkonsum 15. Zeugnis und Auskunft im Berufsbildungsrecht 15.1. Das Berufsschulzeugnis 15.2. Das Abschlussprüfiingszeugnis 15.3. Das arbeitsrechtliche Zeugnis 15.3.1. Ausstellung und Form 15.3.2. Zeitpunkt der Zeugniserteilung 15.3.3. Erteilung während des Ausbildungsverhältnisses 15.3.4. Nachträgliche Zeugniserteilung 15.3.5. Abholung des Zeugnisses durch den Auszubildenden 15.3.6. Inhalt des Zeugnisses 15.3.7. Das einfache Zeugnis 15.3.8. Das qualifizierte Zeugnis 15.3.9. Zugehörigkeit zum Betriebsrat 15.3.10. Beendigungsgründe 15.3.11. Änderungsverlangen des Auszubildenden 15.3.12. Haftung des Ausbi ldenden 15.3.13. Gerichtliche Durchsetzung des Anspruchs 15.4. Auskunft Anhang

391 393 394 395 395 397 397 398 399 399 400 400 401 401 402 402 403 403 404 404 405 406 406 407 407 408 408 410 411 411 411 412 414 416

1. Berufsbildungsgesetz 416 2. Gesetz zur Förderung der Berufsbildung durch Planung und Forschung (Berufsbildungsförderungsgesetz - BerBiFG) 443 3. Gesetz zur Ordnung des Handwerks (Handwerksordnung) (Auszug) ..451 4. Sozialgesetzbuch (SGB III) - Arbeitsförderung - (Auszug) 463 5. Betriebsverfassungsgesetz (Auszug) 472 6. Gesetz zum Schutze der arbeitenden Jugend (JArbSchG) 479 7. Ausbilder-Eignungsverordnung 501 8. Muster eines Tarifvertrages Auszubildende 504

XI_

9. Muster einer Betriebsvereinbarung "Beurteilungsgrundsätze für Auszubildende" 11. Muster einer Schlichtungsordnung 12. Muster eines Ausbildungsvertrages

507 511 515

Abbildungsverzeichnis

524

Tabellenverzeichnis

526

Abkürzungsverzeichnis

528

Literaturverzeichnis

531

Stichwortverzeichnis

552

XII

Zum Inhalt des Buches In den insgesamt vier Kapiteln des Buches wird ein weiter Bogen von den allgemeinen Problemen der Arbeitswelt und ihrer Zukunft, über personalwirtschaftliche Problembereiche von Ausbildung sowie neuer Lernmethoden für Auszubildende bis zu einer ausfuhrlichen Beschreibung und Analyse der rechtlichen Seite in der betrieblichen Ausbildung gespannt. Hierbei kam es den Autoren auf eine jeweils umfassende - wenn auch nicht in jeder Hinsicht vollständigen - Darstellung der jeweiligen Problembereiche an. Da wo eine Vertiefung des Inhalts aus Platzgründen nicht möglich war, wurden weitergehende Literaturhinweise vermerkt. Das erste Kapitel „Arbeit - Bildung - B e r u f beschäftigt sich zunächst mit dem Faktor Arbeit und ihrer Zukunft. Dabei werden sowohl die Relevanz von (Erwerbs-)Arbeit, die Besonderheiten des Faktors Arbeit sowie ihre Verwertungsmöglichkeiten auf kapitalistischen Arbeitsmärkten untersucht. Hieraus abgeleitet wird im Anschluss die gesellschaftliche und ökonomische Bedeutung von allgemeiner Bildung und die Verteilung von Chancengleichheit im Bildungsprozess. Dazu gehört eine Auseinandersetzung mit der Finanzierungsfrage von Bildungsinvestitionen (Bildung als meritorisches Gut) sowie die Frage nach bildungsdidaktischen und -methodischen Veränderungen in unserer Informations- bzw. Wissensgesellschaft. Dem schliesst sich eine Darstellung des heutigen Schul- und Hochschulsystems unter quantitativen als auch unter qualitativen Aspekten an. Von dem allgemeinen Schul- bzw. Hochschulsystem wird dann übergeleitet auf das System der dualen Berufsausbildung. Hier erfolgt sowohl eine geschichtliche als auch organisatorische Herausarbeitung der betrieblichen Ausbildung. Dazu gehört das Aufzeigen der quantitativen und qualitativen Entwicklung der unterschiedlichen beruflichen Schularten genauso, wie eine kritische Betrachtung des Ausbildungsstellenmarktes unter gegebenen Angebots- und Nachfragebedingungen. Im zweiten Kapitel „Personalwirtschaftliche Grundlagen der Ausbildung" wird der gesamte betriebliche Ausbildungs-Managementprozess im Detail beschrieben und analysiert. Was heißt es, die Ausbildung zu planen und zu organisieren? Wie wird die wirtschaftliche Ausbildungsfähigkeit festgestellt? Gibt es neben der Ausbildung im eigenen Betrieb auch alternative Möglichkeiten? Was ist bei der Festlegung der Ausbildungskapazitäten zu beachten. Wie werden Ausbildungsziele und -schritte bestimmt und wie sieht konkret ein Ausbildungsplan aus? Dies sind alles Fragen, die im einzelnen angesprochen und beantwortet werden. Es kommt unter personalwirtschaftlichen Aspekten bei der Ausbildung aber auch darauf an, die richtigen Ausbildenden zu finden (Beschaffung von Auszubildenden), wozu ein Auswahlprozess gehört, als auch eingestellte Auszubildende zu betreuen und zu fuhren, damit das jeweilig angestrebte Ausbildungsziel erreicht wird. Neben der Beschrei-

XIII

bung von unterschiedlichen Auswahlprozessen anhand von Bewerbungsunterlagen, Eignungstests sowie Bewerbungs- und Vorstellungsgesprächen wird hier auch ein spezielles Prozessmodell der Führung für Auszubildende entworfen und vorgestellt. Abschließend wird noch ein in sich geschlossenes System zur Beurteilung (Evaluierung) von Auszubildenden aber auch der Ausbilder dargelegt. Das dritte Kapitel „Lernen in der Ausbildung" zeigt neue Lernmethoden für Auszubildende. Auf der Grundlage einer ausführlichen Darstellung von motivationstheoretischen Ansätzen zur Arbeitszufriedenheit wird Lernen in der Berufsausbildung transparent gemacht. Dazu gehören neben einer Förderung der Lernfähigkeit insbesondere die Konzeption eines handlungsorientierten Lernens, daß auch in den jüngsten gesetzlichen Veränderungen in der Berufsausbildung implizit enthalten ist. Durch ein handlungsorientiertes Lernen, so wird hier gezeigt, soll bei den Auszubildenden eine intrinsische Motivation in der Ausbildung erzeugt werden. Dieser hohe Anspruch wird durch einen Leitfaden zur Einübung von Lern- und Arbeitstechniken untermauert. Im Mittelpunkt stehen dabei der Entwurf eines Rollenspiels für Auszubildende am Beispiel „Konfliktlösung im Kundengespräch" und die Szenario-Technik gezeigt anhand einer „ökologieorientierten Unternehmensführung". Daneben werden auch die Zukunftswerkstatt und die sog. Phasen-Methoden als Lern- und Arbeitstechniken angesprochen und vorgestellt. Den Abschluß des Handbuchs bildet das vierte Kapitel „Das Recht der Berufsausbildung". Aufbauend auf den Rechtsquellen für die Berufsausbildung (Grundgesetz und Landesverfassungen über das Berufsbildungsgesetz bis zum internationalen Recht) werden Beteiligte (Auszubildende, Ausbilder) und Mitwirkende (Berufsschule, Ausbildungsbetrieb, Berufsbildungsausschüsse) an der Berufsausbildung im rechtlichen Kontext dargestellt. Dem schliesst sich eine rechtliche Beschreibung von Ausbildungsberufen und Ausbildungsordnungen sowie eine Darstellung des Prüflingswesens (Zwischen- und Abschlussprüfung) an. Danach wird ausfuhrlich der Berufsausbildungsvertrag in allen rechtlichen Facetten vorgestellt und im Anschluss die Rechte und Pflichten des Ausbildenden und des Auszubildenden beschrieben. Einen wesentlichen Schwerpunkt des rechtlichen Teils bildet das Ende des Berufsausbildungsverhältnisses. Hier wird die Beendigung der Ausbildung nach abgelegter und bestandener Abschlußprüfung als auch die Kündigung des Ausbildungsverhältnisses aufgezeigt. Ebenso wird auf die Beteiligungsrechte der betrieblichen Mitbestimmungsseite (Betriebsrat sowie Jugend- und Auszubildendenvertretung) eingegangen. Einen größeren Raum nimmt zusätzlich das Jugendarbeitsschutzgesetz und abschliessend das Zeugnis und die Auskunft im Berufsbildungsrecht ein.

1

I.

Kapitel

Arbeit - Bildung - Beruf Heinz- J. Bontrup 1.

Zum Faktor Arbeit und ihre Zukunft

1.1.

Zur Relevanz der (Erwerbs-)Arbeit

Es ist heute unbestritten und bedarf keiner besonderen Erklärung mehr, daß Arbeit, Bildung und Beruf in einem engen Kontext stehen. In der Gegenwartsgesellschaft kapitalistischer Prägung, die u.a. auf einer hochgradig arbeitsteiligen und produktiven Ökonomie, aber auch auf einer völlig disproportionalen Verteilung von Vermögen (Produktiv-, Immobilien- und Geldvermögen) und hieraus erwachsener bzw. damit einhergehender gesellschaftlicher Verfügungsrechte basiert, ist nach wie vor Arbeit und Beruf für die Mehrheit der Menschen die einzige Form der Reproduktionsmöglichkeit und damit der gesellschaftlichen Daseinsgestaltung. Durch die Art und die Wirksamkeit ihrer Arbeit bestimmt die Masse der Menschen ihre Lebensumstände. Bevor Luther den sittlichen Gehalt des Wortes „arebeit" prägte, galt Arbeit in der Gesellschaft noch als sozialer Makel. Arbeit wurde bis ins 16. Jahrhundert als gesellschaftlich unwürdig eingestuft. Von der antiken Klassengesellschaft, in der man Arbeit den Sklaven überließ, über die mittelalterliche Gesellschaftshierarchie, in der der waffentragende Ritter die Arbeit den unterprivilegierten Landarbeitern zuteilte, bis zur Phase des Feudalismus, war menschliche Arbeit gesellschaftlich negativ belegt. Im 16. und 17. Jahrhundert, die bereits den Verfall des Feudalismus in sich trugen, wurde Arbeit durch das verstärkte Aufkommen eines Manufakturkapitalismus immer mehr zur ökonomisch abhängigen Lohnarbeit. In der Spätphase des Feudalismus (gegen Ende des 18. Jahrhundert), die vom politischen System des Absolutismus und ökonomisch vom Merkantilismus geprägt war, entluden sich dann die antagonistischen feudalen Klassenverhältnisse entgültig. Mit der französischen Revolution von 1789 schlug quasi die Geburtsstunde des Kapitalismus, der die Arbeit zu einem juristisch „freien" Lohnarbeiterverhältnis zwischen Unternehmer und Arbeiter machte und damit gleichzeitig ein neues ökonomisches Klassenverhältnis, ein Lohn-Gewinn-Verhältnis, konstituierte.

2

Z u m F a k t o r Arbeit u n d ihre Z u k u n f t

Erst mit dem gesellschaftstheoretischen sowie -praktischen Umbruch zur Neuzeit wandelte sich das Bild bzw. die Bedeutung von Arbeit, insbesondere im ökonomischen Kontext. Vollends anerkannt war Arbeit spätestens zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Hierzu hat nicht zuletzt auch die positive Wesensbestimmung der Arbeit durch die von Marx entwickelte Lehre des wissenschaftlichen Marxismus beigetragen. Nach dieser dialektischmaterialistischen Lehre wird Arbeit als ein zielorientiertes menschliches Handeln eingestuft. Hierbei entwickeln sich sowohl der Arbeitsgegenstand selbst als auch der tätige Mensch in einer auf Arbeit abgestellten Gesellschaft, und zwar individuell als auch gattungsmäßig, auf stets höherer Stufe in Form einer ökonomisch-gesellschaftlichen Synthese. Arbeit entfaltet dabei für das Individuum immer zwei Dimensionen. Zum einen bedeutet sie Mühsal, Last, Leid, Bewältigung des Notwendigen und andererseits die spezifisch menschliche Art des Umgangs mit der Umwelt, Selbstkonstitution des Menschen und damit auch Selbstverwirklichung. Arbeit ist aber nicht nur „Erwerbsarbeit". "Gesellschaftlich notwendig ist ebenso die meist unbezahlte Arbeit von Menschen im Haus, in der Familie und in der Gemeinschaft. Alle diese Arbeitsformen sind wechselseitig voneinander abhängig. Jede Form der Arbeit schafft Werte, kann Menschen ausfüllen und bereichern." 1 Dennoch findet gesellschaftlich eine Höherbewertung der über Marktprozesse vermittelten Erwerbsarbeit statt. „Die marktfÖrmige, sichtbare Erwerbsarbeit gilt als wertschöpfend und wird sozial anerkannt. Sie dominiert alle anderen Formen des Arbeitens und wirkt in besonderem Maße sinn- und identitätsstiftend. Andere Aktivitäten (wie Erziehungstätigkeiten oder das soziale Ehrenamt) werden zwar in einer ideellen Form sozial anerkannt, ihr Beitrag zur Wertschöpfung und zur persönlichen Identitätsstiftung wird aber geringer veranschlagt, als dies bei der Erwerbsarbeit der Fall ist."2 Erwerbsarbeit hat eine ähnlich hohe Bedeutung wie Familie. 3 „Sie ist ein zentraler Handlungsbereich, in dem die einzelnen ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen und gesellschaftliche Anerkennung dafür erfahren können bzw. wollen. Teilhabe an Erwerbsarbeit wird als gesellschaftliche Nützlichkeit und als Medium der sozialen Integration verstanden." 4 Erwerbsarbeit hat sich im Laufe der Zeit immer mehr in spezifische Berufe segmentiert. Dennoch ist zu konstatieren, daß Erwerbsarbeit auch heute, trotz einer hoch komplexen technisch-ökonomischen Welt, als un- und angelernte Tätigkeit ohne eine spezielle Berufsausbildung in nicht unbeträchtlichem Um' DGB, (Hrsg.), Die Zukunft der Arbeit im globalisierten Kapitalismus, Hannover 1996, S. 6 ^ Mutz, G., Strukturen einer Neuen Arbeitsgesellschaft, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 9/1999, S. 3 3 4

Vgl. Beathge, M. u.a., Jugend: Arbeit und Identität, Opladen 1988

Kahsnitz, D., Arbeitslehre sozialökonomische Bildung und Teil der Gesellschaftslehre, in: Nonnenmacher, F., (Hrsg.), Das Ganze sehen. Schule als Ort politischen und sozialen Lernens, Schwalbach/Ts. 1996, S. 148

Erwerbsarbeit, Beruf und Bildung

3

fang stattfindet und gesellschaftlich benötigt wird. Dies gilt mit Sicherheit ebenso für die Zukunft, wenn auch mit abnehmender Bedeutung.

1.2.

Erwerbsarbeit, Beruf und Bildung

Erwerbsarbeit in Form eines „Berufes" setzt Bildung (Ausbildung) voraus. Berufliche Bildung - entweder als Hochschulausbildung oder als Lehrausbildung im sog. „dualen System" - stellt dabei den Teil des gesamten Bildungssystems dar, „in dessen Verlauf die allgemeine Handlungs- und Leistungsfähigkeit des einzelnen in Richtung auf jene spezifischen Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten orientiert wird, die als Voraussetzungen für die Übernahme einer bestimmten Berufsrolle oder einer Tätigkeit im Rahmen der jeweiligen Gesellschaft gelten." 5 Bevor sich allerdings überhaupt Berufe etablieren konnten, wurde Arbeit durch direkte (sklavische) und indirekte (feudale) Abhängigkeit von Menschen erzwungen. Erst die Konstituierung einer liberalen kapitalistischen Ordnung machte Arbeit juristisch „frei", ohne sie aber aus den ökonomischen Fesseln der Marktabhängigkeit zu entlassen. Unter den Gegebenheiten (Prämissen) des Marktes wird daher heute Arbeit, Bildung und Beruf, und damit gleichzeitig die sozio-ökonomische Stellung des Menschen, in einer auf Massenproduktion und -konsum beruhenden Gesellschaft determiniert. Bildung ist hierbei, für nach ihrer Geburt als sozial und ökonomisch benachteiligt einzustufende Menschen, in einem langen Entwicklungsprozeß zum entscheidenden gesellschaftlichen Ausgleichsinstrument geworden. Potentielle Bildungsmöglichkeiten für jeden haben heute zwar eine hohe formale Durchlässigkeit und eine zumindest weitgehende Chancengleichheit im Hinblick auf eine sozialökonomische Partizipation geschaffen. Dennoch sind die realen Chancen eine berufliche Ausbildung und damit eine adäquate Erwerbsarbeit zu erhalten, immer noch höchst unterschiedlich verteilt. Auch steht fest, daß Bildung bzw. ein hoher individueller Bildungsstand unter kapitalistischen Produktions- und Marktbedingungen nicht das Risiko potentiell drohender Arbeitslosigkeit beseitigen kann und dennoch verlangt das global gewordene kapitalistische System 6 einen immer höheren Qualifikations- und Bildungsstand der Beschäftigten, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können.

5

Engelland, R., Arbeit - B e r u f - Bildung, Bonn 1975

® Vgl. Altvater, E./Mahnkopf, Grenzen der Globalisierung, Ö k o n o m i e , Ökologie und Politik in der Weltgesellschaft, 3. Aufl., Münster 1997, Martin, H.-P./Schumann, H., Die Globalisierungsfalle, 13. Aufl., H a m b u r g 1997

4

1.3.

Zum Faktor Arbeit und ihre Zukunft

Besonderheiten des Faktors Arbeit

Um über Arbeit bzw. die eingesetzten Arbeitskräfte ökonomisch zu verfugen, schließt der Unternehmer mit den Arbeitnehmern einen Arbeitsvertrag. Dieser Vertrag setzt de jure für den Arbeitskraftanbieter die „freie" Wahl von Beruf, Ausbildung und Arbeitsplatz voraus. In Deutschland wird dies im Artikel 12 des Grundgesetzes rechtlich garantiert. Durch die ökonomische Abhängigkeit der Arbeitnehmer von den Arbeitgebern - nur sie halten das Eigentum an den Produktionsmitteln und steuern diese profitorientiert - ist allerdings zwischen den rechtlichen Grundlagen und Bedingungen sowie den ökonomisch determinierten Inhalten eines Arbeitsvertrages zu unterscheiden. Dies leitet sich aus den völlig ungleichen ökonomischen Machtverhältnissen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern am Arbeitsmarkt ab. Stobbe führt dazu aus: „Auf einem gegebenen Teilarbeitsmarkt stehen sich im Einzelfall ein Unternehmen als Nachfrager nach einer spezialisierten Arbeitsleistung und ihr Anbieter gegenüber. Beide wollen einen Arbeitsvertrag schließen und müssen sich dazu über dessen Bedingungen einigen. Für die entstehende, durch einen fundamentalen Interessengegensatz gekennzeichnete Verhandlungssituation ist die ökonomische Ungleichheit der Partner typisch: Der ArbeitsplatzNachfrager ist regelmäßig dringender auf das Zustandekommen des Vertrages angewiesen als der Anbieter und daher in einer schwächeren Position. Er braucht lebensnotwendig ein Einkommen und kann weniger lange warten als der Unternehmer mit seinem laufenden Betrieb; er hat in der Regel eine geringere Auswahl und mehr Konkurrenten als dieser und steht zusätzlich dem Problem seiner räumlichen Mobilität gegenüber. Er ist in bezug auf seinen Informationsstand unterlegen, da die Aufwendungen zur Beschaffung von Informationen über den Arbeitsmarkt für ihn schwerer wiegen als für das Unternehmen, das sich, wenn es größer ist, hierfür Spezialkräfte halten kann. Ausnahmen von dieser allgemeinen Unterlegenheitssituation liegen vor, wenn auf einem Teilmarkt Mangel an Spezialkräften herrscht oder wenn eine allgemeine Vollbeschäftigungssituation vorliegt. Das ist jedoch, historisch gesehen, nicht die Regel." 7 Neben dem bestehenden Machtverhältnis ist Arbeit in eine hochgradig arbeitsteilige Wirtschaft als eine weitgehend spezialisierte Faktorleistung eingebunden (gefangen). Die zur Ausübung eines Berufs erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse werden neben einer theoretischen Ausbildung erst bei ihrer praktischen Anwendung am Arbeitsplatz voll erworben, vertieft und abgerundet. Ein Erwerbstätiger kann heute nicht als Friseur, in zwei Monaten als Elektriker und im nächsten Jahr als Sachbearbeiter in einer Bank arbeiten. Arbeit ist aus diesem Grund immer segmentierte Arbeit, die auf den unterschiedlichsten Teilarbeitsmärkten angeboten wird. Ohne einen formalen (aka7

Stobbe, A., Volkswirtschaftslehre III, MakroÖkonomik, 2. Aufl., Berlin/Heidelberg/New York 1987, S. 253

B e s o n d e r h e i t e n d e s Faktors Arbeit

5

demischen) Berufsabschluß (Professoren, Lehrer, Richter, Staatsanwälte, Ärzte u.a.) sind viele Teilarbeitsmärkte nicht zugänglich. Ein Wechsel von einem Teilmarkt in einen anderen, die interberufliche Mobilität, erfordert in der Regel eine mit Aufwendungen an Geld, Zeit und Lernbereitschaft sowie Lernfähigkeit verbundene Umschulung. Außerdem sind Arbeitsmärkte nach Wirtschaftssektoren (Branchen), Regionen und immer noch diskriminierend nach dem Geschlecht differenziert zu betrachten. 8 Aus all dem erklärt sich bereits der für viele ökonomische Laien nicht immer nachvollziehbare aber empirisch zu beobachtende Tatbestand, daß es in der Summe aller Arbeitsmärkte zu Massenarbeitslosigkeit kommen kann und dennoch auf bestimmten Teilarbeitsmärkten ein quantitativer und/oder qualitativer Arbeitskräftemangel besteht. Außer der Qualifikation als Markteintrittsbarriere spielt heute auch das Alter der abhängig Beschäftigten eine immer größere Rolle. Menschen die älter als 50 Jahre sind, haben am Arbeitsmarkt kaum noch eine Vermittlungschance. Da die Arbeitsleistung untrennbar an den Menschen gebunden ist, erfordert dies in der Regel seine persönliche Anwesenheit an einer Arbeitsstätte außerhalb seiner Wohnung. 9 Hierdurch entsteht das Problem des täglichen Arbeitsweges und des Wohnsitzwechsels bei Annahme eines ferngelegenen Arbeitsplatzes (interregionale Mobilität). Man könnte auch sagen, daß Menschen, aufgrund ihrer festen Wohnsitze mit einem entsprechend für sie wichtigen sozialen Umfeld, nicht beliebig mobil sind, wodurch der Arbeitsmarkt eine räumliche Segmentierung erfährt. Arbeit unterliegt weiter einer persönlichen (subjektiven) Einschätzung, die von einer hohen intrinsischen Motivation und Identifikation mit der Arbeit bis zu einem widerwillig akzeptierten Zwang (Entfremdung) reichen kann. Dennoch bildet Arbeit für die meisten Menschen den wesentlichen Teil ihres Lebens ab, zu der sie eine Einstellung finden müssen. „Sie erfordert in der Regel ein Mindestmaß an Bereitschaft zur Einordnung in eine Befehlshierarchie und zur Zusammenarbeit mit anderen Menschen bis hin zur Identifizierung mit den Zielen des jeweiligen Unternehmens; sie verlangt Disziplin, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Ausdauer, Selbstbeherrschung, Einsatzbereitschaft und eine Reihe weiterer sozialer Tugenden, ohne die auch in anderen Lebensbereichen schlecht auszukommen 8 Vgl. Jochmann-Döll, A., Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit, München 1990, dieselbe, Lohndiskriminierung und Arbeitsbewertung: Die Comparable Worth-Debatte, in: Emmerich, K./Hardes, H.D./Sadowski, D./Sitznagel, E. (Hrsg.), Einzel- und gesamtwirtschaftliche Aspekte des Lohnes, Nürnberg 1989, S. 21 - 3 8 9 Hieran ändern im Grundsatz auch Telearbeitsplätze nichts, wobei man unter Telearbeit jede auf Informations- und Kommunikationstechniken gestützte Tätigkeit versteht, die ausschließlich oder alternierend an einem außerhalb des Betriebes liegenden Arbeitsplatz verrichtet wird und mit der zentralen Betriebsstätte durch elektronische Kommunikationsebenen verbunden ist. Die bisherigen Untersuchungen über den Verbreitungsgrad von Telearbeit weichen bezüglich der Befunde weit voneinander ab, so daß hier empirische Werte genannt werden, die bei einer Spannbreite von ca. 30.000 bis 870.000 liegen. Zukünftige Potentialabschätzungen gehen allerdings von 1,75 bis 3,5 Mio. Telearbeitsplätzen aus. Vgl. Körte, W. B., Perspektiven von Telearbeit und Telekooperation in Wirtschaft und Verwaltung , in: Godehardt, (Hrsg.), Heidelberg 1997

6

Z u m F a k t o r A r b e i t u n d ihre Z u k u n f t

ist. Man faßt sie unter der Bezeichnung Arbeitsmoral zusammen. Ihr Stand hat offensichtlich großen Einfluß auf den Ablauf des Produktionsprozesses und damit auf die Arbeitsproduktivität. Wichtige Quellen der Arbeitszufriedenheit sind das Gefühl, von seinem Gebiet etwas zu verstehen, seine Fähigkeiten anwenden und auf das Arbeitsergebnis stolz sein zu können; im Vergleich zur eigenen Qualifikation und zu Arbeitskollegen angemessen bezahlt zu werden; über einen sicheren Arbeitsplatz, Dispositionsfreiheit und Aufstiegsmöglichkeiten zu verfügen. Da Arbeit einen so bedeutenden Teil des Lebens ausmacht, stellen und erhöhen Arbeitnehmervertreter ständig Mindestanforderungen an ihre äußeren Umstände. Die tägliche, wöchentliche, Jahres- und Lebensarbeitszeit soll möglichst kurz und von Pausen unterbrochen; Nacht- und Schichtarbeit beschränkt sein. Lästige und schädliche Einwirkungen (Lärm, Schmutz), Gesundheits- und Unfallgefahren sind so gering wie möglich zu halten. Der Monotonie der Arbeitsverrichtung soll entgegengewirkt, Verantwortungsbereich und damit Selbstbestimmung am Arbeitsplatz ausgedehnt, Gelegenheit zur Weiterbildung gegeben und das Betriebsklima verbessert werden. Die Arbeit soll interessant sein, Arbeitnehmer sollen umfassend über Vorgänge in Betrieb und Unternehmung informiert und an möglichst vielen Entscheidungen beteiligt werden. Die Gesamtheit der Bestrebungen, solche Arbeitsbedingungen herzustellen oder ihre Qualität zu verbessern, faßt man unter den Bezeichnungen Humanisierung der Arbeit und Einführung der betrieblichen und unternehmerischen Mitbestimmung zusammen." 10 Für die meisten Menschen ist Arbeit die einzige Einkommensquelle." Die abhängig Beschäftigten erhalten für ihre Arbeitsleistung einen kontraktbestimmten Lohn bzw. ein Gehalt. Das Arbeitsentgelt hat dabei eine Doppelfunktion. Es ist Kostenfaktor für das jeweilige Güterangebot und gleichzeitig Einkommens- und damit Nachfragefaktor. Die Lohnfindung unterliegt weitgehend einem kollektiven Prozeß zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden. 12 Der Staat nimmt dabei keinen direkten Einfluß auf die Lohnfindung (Tarifautonomie), wohl aber indirekt durch die Wirtschaftspolitik (Abgaben- und Steuerpolitik) sowie durch arbeitsrechtliche Maßnahmen (z.B. durch das Kündigungsschutzgesetz) oder durch Arbeitsschutzbestimmungen. Zusätzlich sind nach Einfuhrung der Währungsunion (Euro) die Einflüsse der autonomen europäischen Geldpolitik auf die Lohnhöhe und damit auf die Bestimmung der Bezahlung des Faktors Arbeit zu beachten. 13

10

Stobbe, A., Volkswirtschaftslehre III, a.a.O., S. 253f.

' 1 Dies schließt natürlich nicht aus, daß die Arbeitnehmerhaushalte über ein mehr oder weniger großes Geldvermögen oder über sonstige Einnahmequellen verfugen. Diese Einkommensarten sind allerdings in der Regel nicht ausreichend um davon den kompletten Lebensunterhalt zu bestreiten. 12 Vgl. Bontrup, H.-J., Lohn und Gewinn, a.a.O., S. 107 - 159 Zur Bedeutung und Einflußnahme der Geldpolitik auf Arbeitsmärkte vgl. Bontrup, H.-J., Volkswirtschaftslehre, Grundlagen der Mikro- und Makroökonomie, München/Wien 1998, S. 435 ff.

D a s Kapital b e s t i m m t d i e V e r w e r t u n g der A r b e i t

1.4.

Das Kapital bestimmt die Verwertung der Arbeit

1.4.1.

Zum Gewinnprinzip

7

In einem Marktsystem mit Gewinnprinzip beschäftigt der Eigentümer von Produktivkapital Arbeitnehmer, aber nur dann, „wenn diese zum Gewinn beitragen, also Mehrwert produzieren. Die Kosten (Einkommen) der Arbeitskraft müssen geringer sein als ihr Beitrag zum Unternehmenserfolg. Es genügt eben nicht, daß ein Arbeiter oder Angestellter durch seine Leistung gerade sowie zur Wertschöpfung beiträgt, wie seinem Einkommen entspricht." 14 Ideologisch gerechtfertigt worden ist dieser privatwirtschaftliche Grundtatbestand mit der Mystifikation, „daß die Arbeit als Quelle des gesellschaftlichen Reichtums durch die Konstruktion von wertschaffenden Produktionsfaktoren verdeckt, und Eigentum an Produktionsfaktoren von der Anspruchsgrundlage auf Einkommen zur Quelle von Wert wurde." 15 Daß dem nicht so ist, sondern der Arbeitnehmer unter kapitalistischen Verhältnissen einer Ausbeutung unterliegt, darauf hat nicht erst Marx, sondern viel früher mit seiner „Lohnabzugstheorie" bereits Smith nachhaltig hingewiesen. Aber selbst wenn man die dabei zugrundeliegende klassische Arbeitswerttheorie völlig ignoriert, (weil nach Busch aus ideologischen Gründen „das nicht sein kann, was nicht sein d a r f ) , so läßt sich die Ausbeutung des Faktors Arbeit auch in der Sprache der sog. modernen Volkswirtschaftslehre durch ein simples Zurechnungsproblem des Arbeitsertrages zeigen. Es wird wohl kaum ernsthaft zu bestreiten sein, daß der Einsatz von Kapital (K) in Verbindung mit der unternehmerischen Leistung alleine (isoliert) unter Verzicht auf jeglichen Arbeitseinsatz, also auf den Produktionsfaktor Arbeit (A), praktisch keine Produktion und damit auch keinen Gewinn erbringt („Wenn dein starker Arm es will, stehen alle Räder still"). Davon geht übrigens auch die neoklassische Theorie mit ihrer unterstellten gesamtwirtschaftlichen Produktionsfunktion (Y = Y (K, A) aus, die als beschränkt substitutional bezeichnet werden kann, d.h. nur mit einem Produktionsfaktor ist kein Output zu erzielen: Y (K, 0) = 0

Y (0, A) = 0

Aufgrund dieser ökonomisch unumstößlichen Tatsache wäre dann das gesamte Produktionsergebnis logischerweise auch dem Faktor Arbeit zuzurechnen, denn ohne ihn kommt keine Produktion zustande. Nun gilt allerdings der umgekehrte Fall auch. Wird nämlich nur Arbeit im Produktionsprozeß eingesetzt und auf jeglichen Kapitaleinsatz verzichtet, dann sinkt das Produkti14

Zinn, K. G., Wie Reichtum Armut schafft, Köln 1998, S. 33 H u f f s c h m i d , J., Politische Ö k o n o m i e der Finanzmärkte, H a m b u r g 1999, S. 42

8

Z u m Faktor Arbeit u n d ihre Z u k u n f t

onsergebnis praktisch ebenfalls auf Null und das gesamte Ergebnis der Produktion müßte dem Faktor Kapital zugerechnet werden. Bei dieser Betrachtung wird allerdings nicht bedacht, daß Kapital in Form von Maschinen und Produktionsgebäuden u.a. nichts anderes ist als vergegenständlichte (vorgetane) lebendige Arbeit in einer vorgelagerten Wirtschaftsperiode, d.h., ohne Arbeit hätte das zum Einsatz kommende Realkapital gar nicht entstehen können. Kapital, so stellt die Wirtschaftswissenschaft zu recht fest, ist lediglich ein derivativer Produktionsfaktor und Smith schrieb bereits 1776: „Arbeit war der erste Preis oder ursprünglich das Kaufgeld, womit alles andere bezahlt wurde. Nicht mit Gold und Silber sondern mit Arbeit wurde aller Reichtum dieser Welt letztlich erworben."16 „(...) Ursprünglich, vor der Landnahme und der Ansammlung von Kapital, gehört dem Arbeiter der ganze Ertrag der Arbeit. Er muß weder mit einem Grundbesitzer noch mit einem Unternehmer teilen."17 Die Erklärung einer Kapitalbildung der heute dominierenden Ökonomie mutet dagegen skurril an, wenn behauptet wird, daß Kapital nur durch Konsumverzicht gebildet werden kann; als unterschieden sich Lohnarbeiter und Kapitalist nur dadurch, daß der erstere alle seine Einkommen stets voll konsumiert, während der andere einen Teil davon gespart und sich im Laufe der Zeit ein Vermögen daraus gebildet habe. In diesem Zusammenhang sei auf das 24. Kapitel „Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation" im „Kapital" von Marx verwiesen.18 Auch durch eine gesamtwirtschaftlich-kreislauftheoretische Überlegung kann mit Nell-Breuning eine Ausbeutung des Produktionsfaktors Arbeit hergeleitet werden.

Smith, A., Der Wohlstand der Nationen. Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen, München 1978, S. 28, deutsche Übersetzung von H. C. Recktenwald, des 1776 erstmals von Adam Smith erschienenen Werks mit dem Orginaltitel: „An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations" 17

Ebenda, S. 56

18

Vgl. Marx, K„ Das Kapital, Bd. 1, Berlin (Ost) 1974, S. 741 - 791

9

Das Kapital bestimmt die Verwertung der Arbeit

Die Lohnsumme reicht nicht aus Investitionsgüter Wert 500 Löhne 300 Gewinn 200

Vorleistung Löhne Gewinn

Konsumgüter Wert 1.400 500 600 300

Die Investitionsgüter haben einen Wert von 5 0 0 Einheiten und dienen als Vorleistung für die Konsumgüterindustrie. Der Wert der Investitionsgüter wird abgedeckt durch den Gewinn der Kapitaleigentümer in der Investitions- und der Konsumgüterindustrie. Die Arbeiter erhalten als Gegenwert für ihre Lohnsumme in beiden Wirtschaftszweigen in Höhe von 9 0 0 Einheiten den Wert der Konsumgüter von ebenfalls 9 0 0 Einheiten (1.400 - 500). Der Gesamtwert (Y) verteilt sich demnach auf Löhne (L) und Gewinne (G) w i e folgt: Y = L + G = 1.400 = 900 + 500.

„In unserer Wirtschaft werden sowohl Konsumgüter als auch Kapital- oder Investitionsgüter produziert; die ersteren gehen, wie ihr Name besagt, in den Verbrauch, die letzteren dienen langfristiger Nutzung, für Wohnhäuser und dergleichen, oder dienen selbst wieder der Produktion, für Fabriken, Maschinen usw. An der Erzeugung beider Arten von Gütern wirken die Arbeitnehmer mit; für die Arbeitsleistung in diesen beiden Zweigen der Produktion zahlen die Unternehmer ihnen Arbeitslohn; dieser Arbeitslohn erscheint in der Erfolgsrechnung der Unternehmer als Kosten. Verwenden die Arbeitnehmer nun den ganzen Arbeitslohn zum Kauf der geschaffenen Verbrauchsgüter, so heißt das: die Unternehmer erhalten die ganze von ihnen als Kosten aufgewendete Lohnsumme zurück und geben dafür nur die produzierten Konsumgüter ab; die neugeschaffenen Kapital- oder Investitionsgüter verbleiben ihnen sozusagen gratis und franko. Man könnte das auch so ausdrücken: die Arbeitnehmer schenken den Unternehmern die Kapital- oder Investitionsgüter und sind zufrieden, als Entgelt für ihre Leistung im Produktionsprozeß denjenigen Teil der produzierten Güter zu erhalten, der in Konsumgütern besteht. Auf diese Weise werden die Unternehmer reicher und reicher, die Arbeitnehmer bleiben Habenichtse." 19

1.4.2. Das Gewinnprinzip schafft keine Volbeschäftigung In der einfachen kreislauftheoretischen Veranschaulichung (vgl. das vorherige Zahlenbeispiel „Die Lohnsumme reicht nicht aus") drückt sich gleichzeitig die gesamte Problematik und Krisenanfalligkeit einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung aus. Die Gesamtsumme der Arbeitseinkommen - selbst bei einer Konsumquote von eins (aus dem Arbeitseinkommen wird nichts gespart) ist zu gering, um als Gesamtnachfrage die produzierte Waren- bzw. Wertma" von Nell-Breuning, O., Kapitalismus und gerechter Lohn, Freiburg i.Br. 1960, S. 140f.

Z u m Faktor A r b e i t u n d ihre Z u k u n f t

10

sse (Wertschöpfung) einer Abrechnungsperiode zurückzukaufen. Ohne eine entsprechende Konsum- und Investitonsnachfrage der Kapitaleigentümer läßt sich der in der Produktion entstehende Gewinn an den Absatzmärkten nicht erzielen. Damit hängt die Höhe der Realisierung der gesamtwirtschaftlichen Gewinnsumme letztlich nur von der Konsumtion und der Investition der Kapitaleigentümer selbst ab. „Diese gesamtwirtschaftliche Selbsterzeugung der Unternehmereinkommen durch Unternehmerausgaben ist selbstverständlich für die einzelne Investitionsentscheidung irrelevant. Investiert wird gemäß der konkreten, einzelwirtschaftlichen Erwartungen über (steigende) Absatzchancen und/oder Kostenreduktionen durch Rationalisierungen." 20 Schränken die Kapitaleigentümer aber aus welchen Gründen auch immer ihre Konsumtion ein und verfallen in einen Investitionsattentismus, dann steigt in Folge die gesamtwirtschaftliche Sparquote wodurch letztlich das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht von (I) Investitionen und (S) Ersparnis (I = S) in Form einer deflatorischen Lücke (S > I) gestört wird und Arbeitslosigkeit entsteht. In kapitalistischen Ordnungen bestimmt, vor diesem Hintergrund, ausschließlich der Eigentümer (Unternehmer, Manager) über die Verwendung der im Kapitalverwertungsprozeß eingesetzten Produktionsmittel Arbeit, Boden und Kapital. Daran ändert auch das verfassungsrechtlich in Deutschland garantierte „Sozialstaatsprinzip" (Artikel 20 und 28 Grundgesetz) nichts. 21 Ein „Recht auf Arbeit", ein subjektiver, einklagbarer Anspruch eines Arbeitswilligen und Arbeitsfähigen auf gesellschaftliche Beschaffung eines Arbeitsplatzes existiert im Kapitalismus nicht, 22 wie die seit 25 Jahren in Deutschland bestehende Massenarbeitslosigkeit zeigt. Die Eigentumsrechte an Produktionsmitteln und ihre daraus deduzierte Gewinnverwertung zum Nutzen der Kapitaleigentümer werden trotz der aus Arbeitslosigkeit ableitbaren einzelals auch gesamtwirtschaftlichen Probleme offensichtlich höher eingestuft. „Arbeitslosigkeit bedeutet aus der Sicht der Betroffenen nicht nur eine materielle Einbuße (trotz Einkommensersatzleistungen), die mit steigender Dauer der Arbeitslosigkeit zunimmt (Eintritt in den Sozialhilfebereich) und die physische Existenz bedroht; nicht von ungefähr ist seit Jahren die Rede vom Entstehen einer 'neuen Armut'. Hinzu kommt, daß sie - vor allem bei längerer Dauer - neben einer beruflichen De-Qualifizierung auch eine Perspektivlosigkeit für die Betroffenen auslöst und so gravierende psychische Belastungen mit erheblichen gesellschaftspolitischen Folgen (Radikalisierung, Kriminalisierung, Suchtgefahren) begründet. All diese Probleme wiegen um so schwerer, weil mit der amtlich ausgewiesenen Zahl der Arbeitslosen die tatsächliche 'Betroffenheitsquote' - mit Blick auf'Stille Reserve' und Familienangehöri20

Zinn, K.-G., Wie Reichtum Armut schafft, a.a.O., S. 37

2

' Vgl. Bontrup, H.-J./Dammann, K., Gewinne, Beschäftigungsabbau und Sozialstaatsprinzip, in: Sozialer Fortschritt, 48. Jg., Heft 5/1999, S. 114ff., Bitter, W., Der Kündigungsrechtliche Dauerbrenner: Untemehmerfreiheit am Ende?, in: Der Betrieb, Heft 23/1999, S. 1.214(T. 22 Vgl. Glastetter, W., Recht auf Arbeit - Plausibilität versus Umsetzbarkeit, in: Das Wirtschaftsstudium (WISU), Heft 4/1998, S. 468ff.

Das Kapital bestimmt die Verwertung der Arbeit

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ge - nicht hinreichend abgedeckt ist." 23 Außerdem wird die registrierte Arbeitslosigkeit regelmäßig zu niedrig ausgewiesen, da die Arbeitslosenquotendarstellung im Nenner auch Beamte und Selbständige auffuhrt. 24 „Die Probleme der Arbeitslosigkeit liegen zum zweiten im gesamtwirtschaftlichen Bereich: Arbeitslosigkeit bedeutet nicht nur, daß der Einsatz des Produktionsfaktors Arbeit sowie zusätzliche Nachfrage begrenzt und somit Teile eines möglichen realen Wachstumspotentials 'verschenkt' werden. Hinzu kommt, daß Arbeitslosigkeit mit einer enormen Belastung der öffentlichen Haushalte einhergeht. Sie resultiert sowohl aus Mehrausgaben (für Einkommensersatzleistungen unmittelbar - und mittelbar, um mögliche gesellschaftliche Folgewirkungen zu verhindern und zu korrigieren) als auch aus Mindereinnahmen (Steuerausfälle, Rückgang des Sozialbeitragsaufkommens). Aus einzelwirtschaftlicher Sicht wäre somit ein Anspruch des Einzelnen gegenüber der Gesellschaft auf Bereitstellung eines Arbeitsplatzes nicht nur verständlich; aus gesamtwirtschaftlicher Sicht wäre die Gesellschaft auch gut beraten, ihm einen Arbeitsplatz zur Verfugung zu stellen." 25 Dies scheitert aber an der einzelwirtschaftlichen Profitausrichtung, die keine gesamtwirtschaftliche Rationalität kennt. Aufkommende oder bestehende Arbeitslosigkeit 26 wird in diesem Kontext von der etablierten Politik aber auch vom ökonomischen Mainstream der Neoklassik bzw. des Neoliberalismus 27 lieber auf zu hohe Lohnforderungen der Arbeitnehmer bzw. der Gewerkschaften zurückgeführt. Lohnsteigerungen hätten hinter der Produktivitätsrate zu liegen. Umverteilung zur Gewinnquote ist hier die zentrale Botschaft. Außerdem müsse eine stärkere Lohnstrukturdifferenzierung inkl. individueller Lohnabschlüsse unter Tarif möglich sein. Nur so käme es zu einer nachhaltigen Integration von Arbeitslosen mit schlechter bzw. geringer Grenzproduktivität in den Arbeitsmarkt. Sollte dabei der Lohn unter das Existenzminimum der Arbeitnehmer absinken („working Vgl. Glastetter, W., Recht auf Arbeit - Plausibilität versus Umsetzbarkeit, in: Das Wirtschaftsstudium (WISU), Heft 4/1998, S. 468ff, S. 470ff. Vgl. Bontrup, Heinz-J., Zur Erfassungsproblematik der Arbeitslosigkeit, in: Das Wirtschaftsstudium (WISU), Heft 1/1998, S.46ff. 25 Glastetter, W „ Recht auf Arbeit, a.a.O., S. 472 Besonders problematisch ist hierbei die Jugendarbeitslosigkeit. Im Oktober 1999 waren 400.849 junge Menschen im Alter unter 25 Jahren in Deutschland arbeitslos gemeldet. Dies entsprach einer Quote von 10,3 Prozent. Insgesamt lag die Arbeitslosenquote bei 9,9 Prozent. Auch die finanzielle Seite der Jugendlichen ist problematisch. Jugendliche Arbeitslose haben oft nicht lange genug gearbeitet, um längeren Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben zu haben und kommen zudem meist aus niedrigen Verdienstgruppen. Deshalb sind Jugendliche i.d.R. finanziell deutlich schlechter abgesichert als Erwachsene und überdurchschnittlich auf Unterstützung durch die Eltern und auf Sozialhilfe angewiesen. Mit dem Sofortprogramm der Bundesregierung zum „Abbau der Jugendarbeitslosigkeit - Ausbildung, Qualifizierung und Beschäftigter Jugendlicher" von Ende 1998 ist eine geringfügige Verbesserung der Situation eingetreten. Von einer „Entwarnung" kann allerdings absolut keine Rede sein. Dies gilt sowohl für das Lehrstellenangebot als auch für Arbeitsplätze nach einer abgeschlossenen Berufsausbildung. 27

Schui, H./Ptak, R./Blankenburg, S./Bachmann, G./Kotzur, D., Wollt ihr den totalen Markt? Der Neoliberalismus und die extreme Rechte, München 1997

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Z u m F a k t o r A r b e i t und ihre Z u k u n f t

poor"), so müsse der Staat durch Lohnsubventionierungen (vergleiche hier z.B. die Diskussion um den Kombilohn 28 ) einen notwendigen Niedriglohnsektor 29 alimentieren. Insgesamt verlangt die Neoklassik beim Vorliegen von Arbeitslosigkeit einen schärferen Lohnwettbewerb. Es müßten die dynamischen Marktkräfte auch am Arbeitsmarkt uneingeschränkt entfesselt und dazu der soziale Schutz der Arbeitslosen eingeschränkt werden. Nur so wähle der Arbeitslose, vor die Entscheidung gestellt, entweder weiter ohne Absicherung arbeitslos zu sein oder zu einem niedrigen Lohnsatz Arbeit zu finden, die Beschäftigung. Um dies letztlich sicherzustellen und politisch durchzusetzen, müsse der Arbeitsmarkt massiv rechtlich dereguliert werden. Dazu werden die Abschaffung des traditionell überholten Flächentarifvertrages in Richtung einer „Verbetrieblichung der Lohnpolitik", die Flexibilisierung der Arbeit, die Aufweichung des Betriebsverfassungsgesetzes und der Mitbestimmungsgesetze sowie arbeits- und sozialrechtlicher Schutzbestimmungen gefordert.

1.5.

Perspektiven der Arbeit

1.5.1.

Quantitative und qualitative Aspekte

Wird über Perspektiven der (Erwerbs-)Arbeit diskutiert, so sind im wesentlichen zwei Aspekte zu berücksichtigen. Erstens die Entwicklung von Angebot und Nachfrage auf den Arbeitsmärkten aus quantitativer aber auch aus qualitativer Sicht. Und zweitens die Frage nach der Bezahlung der Arbeit, die letztlich über die Verteilung der zukünftig realisierten volkswirtschaftlichen Wertschöpfung und damit über die gesellschaftliche Daseinsgestaltung der abhängig Beschäftigten entscheidet. Das quantitative Arbeitsangebot wird von der Bevölkerungsentwicklung und von der Arbeitszeit bestimmt, aber auch durch eine höhere Erwerbsorientierung. „Der Prozeß der Individualisierung hat bewirkt, daß Menschen von traditionellen Bindungen unabhängiger geworden sind. Soziale und regionale Herkunft, geschlechtsspezifische und familiäre Rollen haben an Bedeutung verloren. Männer und Frauen drängen verstärkt auf den Arbeitsmarkt, weil sie auf Erwerbsarbeit angewiesen sind, um ihr Leben unabhängig und eigenständig fuhren zu können. Die Erwerbsorientierung der Menschen hat zugenommen und das Angebot an Arbeitskräften ist dadurch stetig angestiegen." 30 Dieser Trend dürfte sich auch in Zukunft fortsetzen. Überlagert wird er in Vgl. Berthold, N., Eine Brücke zur Beschäftigung. Der Kombilohn fuhrt ökonomisch in die Irre/Arbeitsmarkt und Sozialstaat müssen besser miteinander verzahnt werden, in: FAZ vom 5.9.1998, Bäcker, G./Hanesch, W., Kombilohn kein Schlüssel zum Abbau der Arbeitslosigkeit, in: WSIMitteilungen, Heft 10/1997 Vgl. Bosch, G., Niedriglöhne oder Innovation. Überlegungen zur Zukunft der Arbeit, in: WSIMitteilungen, Heft 12/1999 Vgl. Mutz, G., Strukturen einer Neuen Arbeitsgesellschaft, a.a.O., S. 5

Perspektiven der Arbeit

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Deutschland allerdings durch einen langfristigen Rückgang der Bevölkerung. Bereits heute zeigen sich hier erste Auswirkungen auf den Arbeitsmärkten durch geburtenschwache Jahrgänge, die das Erwerbsalter erreicht haben. Gleichzeitig wird der Anteil der älteren Menschen steigen. Dies schafft zukünftig enorme Probleme bei der Finanzierung der Renten aber auch anderer Sozialleistungen. Der qualitative Aspekt des Arbeitsangebots wird durch Bildung bestimmt. Bildung, so wird überall betont, sei die „neue soziale Frage des 21. Jahrhunderts". Die Arbeitnehmer hätten sich immer mehr und vor allem flexibel auf ein „lebenslanges Lernen" einzustellen. Inwieweit wird es hierbei aber konkret gelingen, die in Zukunft sicher differenzierteren qualitativen Anforderungen der Arbeitsmärkte vor dem Hintergrund tiefgreifender wirtschaftlicher Strukturveränderungen adäquat anzupassen? Fest steht jedenfalls, daß die wirtschaftlichen Veränderungen einen massiven Einfluß auf die quantitative und auch qualitative Nachfrage nach Arbeit nehmen werden. „Wir erleben überall den Abbau des Sozialstaats, der Tarifverträge, des Arbeitsrechts, das Verschwinden geregelter Arbeitsbedingungen und gesicherter Arbeitsplätze. Was überall sich schnell ausbreitet sind prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Flexibilität, Mobilität, Individualisierung. Alles entwickelt sich in Richtung einer 'Marktgesellschaft' wie sie Polanyi nannte, und in der er eine NichtGesellschaft sah. Arbeit, mit der heute immer Erwerbsarbeit gemeint ist - der schon Marx „persönliche Tätigkeit' oder 'Selbsttätigkeit' gegenüberstellte -, jene Arbeit hört auf, der Boden zu sein, auf dem man sein Leben, seine Zukunftspläne aufbauen kann. Das hat eine von Mutz geleitete Untersuchung der Münchener Projektgruppe flir Sozialforschung überzeugend belegt. Sie zeigt auf, daß im Laufe von elf Jahren 97 Prozent der westdeutschen Erwerbsbevölkerung Arbeitslosigkeitsphasen durchlebt haben, und zwar in 63 Prozent der Fälle sogar mehrfach lange und/oder kurze. Bloß 32 Prozent der Erwerbsverläufe waren stabil. Prekarität, Verunsicherung trifft also nicht nur die ca. 35 Prozent der Erwerbsbevölkerung, die sich augenblicklich in sogenannten 'Nicht-Normalarbeitsverhältnissen' (dazu noch später, d.V.) befinden. Sie trifft praktisch alle. Erwerbsarbeit wird immer diskontinuierlicher."31 Man spricht bereits vom ,jobless growth" bzw. vom „Kapitalismus ohne Arbeit"."

3

' Gorz, A., Eine ganz andere Weltzivilisation denken, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 45. Jg., Heft 5/2000, S. 607 32 Vgl. Beck, U., Kapitalismus o h n e Arbeit, in: Spiegel, Nr. 20 vom 13. Mai 1996, S. 140 - 146, Rifkin, J., D a s Ende der Arbeit und ihre Zukunft, Frankfurt/M. 1998, Afheldt, H., Wohlstand für Niemand, M ü n c h e n 1994

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Z u m F a k t o r A r b e i t u n d ihre Z u k u n f t

1.5.2.

Produktivitäts- und Wachstumsschere

Die sich im Produktionsprozeß und der Verteilung von Waren breit durchgesetzte Digitalisierung hat zu enormen Produktivitätsfortschritten geführt. Die Schere zwischen Produktivitätswachstum und realem Sozialprodukt öffnet sich immer mehr, so daß es zu einer Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Beschäftigung gekommen ist. Der englische Ökonom Keynes hat bereits 1930 in einer langfristigen Prognose vor einer sich im Kapitalismus breitmachenden „technologischen Arbeitslosigkeit" gewarnt. 33 Allein ein Blick auf die jüngsten empirischen Daten für das wiedervereinigte Deutschland bestätigt diesen Trend. Von 1991 bis 1999 ist das reale Bruttoinlandsprodukt jahresdurchschnittlich um 1,3 Prozent gewachsen, während die Produktivität um jahresdurchschnittlich 2 Prozent gestiegen ist. Die Differenz von 0,7 Prozentpunkten hat sich bei einer konstanten durchschnittlichen Arbeitszeit pro Beschäftigten in Höhe von rund 1.500 Arbeitsstunden in einem Anstieg der registrierten Arbeitslosigkeit entladen. Diese stieg zwischen 1991 und 1999 von 2,6 auf 4,1 Millionen. 34 Außerdem ist es, zum Nachteil des Faktors Arbeit, zu einem Sinken der Lohnquote gekommen, 35 wobei die Verteilungsergebnisse innerhalb der jeweiligen Faktoren bzw. Interessengruppen zusätzlich divergieren. Dies führt, bzw. hat bereits zu gesellschaftlich sozialen Disproportionen geführt, die in der „Spätphase des Kapitalismus" (Mandel) eher noch zu- als abnehmen werden. 36

1.5.3.

Globalisierungs- und Konzentrationsprozesse

Da offensichtlich immer mehr Waren mit immer weniger Arbeit hergestellt werden können und auch immer mehr Frauen - zur ökonomischen und damit zur gesellschaftlichen Emanzipation - ihre Arbeitskraft auf den Arbeitsmärkten anbieten, sinkt strukturell zum einen die Nachfrage und steigt zum anderen das Angebot an Arbeit. Liberalisierungs- und Globalisierungsprozesse, die in den letzten Jahren zu gefährlichen Konzentrationsprozessen in der Wirtschaft geführt haben, sind außerdem verantwortlich für den Abbau von Arbeitsplätzen und werden es auch, bei einer weiter versagenden Wettbewerbspolitik, zukünftig sein. Die Schere zwischen Angebot und Nachfrage nach Erwerbsarbeit ist so in den letzten drei Jahrzehnten in Richtung Arbeitslosigkeit immer größer geworden. Vgl. Keynes, J. M., Politik und Wirtschaft, Männer und Probleme, Ausgewählte Abhandlungen, Tübingen 1956, S. 267 34 Zu den den statistischen Werten vergleiche den Tabnanhang in: Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Memorandum 2000, Köln 2000, S. 256ff. 35 In den letzten zwanzig Jahren hat es hier enorme Umverteilungen von der Lohn- zur Gewinnquote gegeben. Vgl. Bontrup, H.-J., Volkswirtschaftslehre, Grundlagen der Mikro- und Makroökonomie, München/Wien 1998, S. 700ff., derselbe, Lohn und Gewinn, Volks- und betriebswirtschaftliche Grundzüge, München/Wien 2000, S. 291 - 306 36

Vgl. Mandel, E., Der Spätkapitalismus, 2. Aufl., Frankfurt/M. 1973

Perspektiven der Arbeit

1.5.4.

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Dienstleistungsgesellschaft und das Normalarbeitsverhältnis

Wenn auch die düstere Zukunftsprognose des US-amerikanischen Journalisten Ri/kin, wonach die Globalisierung und der technische Fortschritt bis zu 75 Prozent der heute noch von Menschen verrichteten Arbeit überflüssig machen sollen, nicht eintreten wird, so dürfte aber feststehen, daß es zu einem weiteren nachhaltigen Anstieg der Produktivität kommen wird. Dies wird weiter Arbeitsplatzverluste nach sich ziehen. Auch der in Deutschland bereits nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzende sektorale Wandel hin zur Dienstleistungsgesellschaft wird dabei kein ausreichendes „Auffangbecken" für Arbeitskräfte industrieller Rationalisierungswellen sein. Im Gegenteil, es ist eher damit zu rechnen, daß gerade im Dienstleistungssektor die heute bereits stattfindende Rationalisierung durch einen erhöhten Einsatz von digitalisierter Technik ebenfalls zu einem Rückgang der Nachfrage nach Arbeitskräften fuhrt. Demnach muß davon ausgegangen werden, daß es künftig keinen Sektor der Erwerbswirtschaft gibt, der überschüssige Arbeitkräfte noch aufnehmen kann. In allen Sektoren wird der Saldo im Hinblick auf Beschäftigung negativ sein. Durch diese gesamte Entwicklung geraten die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften unter einen beträchtlichen Anpassungsdruck. Seit Jahren fuhren sie fast nur noch Abwehrkämpfe. Selbst der Flächentarifvertrag wird mittlerweile zur Disposition gestellt. Auch bei den „Normalarbeitsverhältnissen" ist ein kontinuierlicher Rückgang zu beobachten. Diese sind gekennzeichnet durch einen regelmäßigen Achtstundentag bei einer Fünf-Tage-Woche sowie durch ein tarifvertraglich und ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis, das auf eine ununterbrochene Lebensarbeitszeit ausgerichtet ist. Diesbezüglich hat die „Zukunftskommission fiir Bayern und Sachsen" folgendes festgestellt und prognostiziert. „Noch Anfang der siebziger Jahre standen einem NichtNormbeschäftigten fünf Normbeschäftigte gegenüber. Anfang der achtziger Jahre lag das Verhältnis bei eins zu vier, Mitte der achtziger Jahre bereits bei eins zu drei. Mitte der neunziger Jahre liegt es bei eins zu zwei. Bei Fortschreibung dieses Trends wird das Verhältnis von Norm- zu NichtNormarbeitsverhältnissen in fünfzehn Jahren bei eins zu eins liegen." 37 Selbst wenn diese Prognose zu pessemistisch erscheint, so muß wohl doch davon ausgegangen werden, daß in Zukunft die Arbeitsverhältnisse atypischer und noch risikobeladener werden. „Im Ergebnis wird diese Entwicklung dazu fuhren, daß ein erheblich größerer Teil der Erwerbsbevölkerung (...) als Freiberufler und Selbständige (Scheinselbständige) arbeiten wird. Daneben gibt es dann kleinere Stammbelegschaften von großen Netzwerkunternehmen. Erheblich mehr Erwerbstätige als heute werden mit Teilzeitjobs, mit befristeten Arbeitsverhältnissen oder auf Leiharbeitsbasis als Randbelegschaften arbei-

^ Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen, Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit in Deutschland. Entwicklung, Ursachen und Maßnahmen, Teil I, Bonn 1996, S. 11

Z u m F a k t o r A r b e i t und ihre Z u k u n f t

16

ten. Und Geringqualifizierte werden mehr noch als heute Gefahr laufen, in Langfristarbeitslosigkeit abgedrängt zu werden." 38

1.5.5.

Zum Arbeitsentgelt

Dies alles wird natürlich auch die Frage nach der Bezahlung des Faktors Arbeit berühren. Hier ist für die Masse der Arbeitnehmer die Zukunft eher wenig erfreulich. Wie angedeutet sind bereits heute allgemein die Weichen auf Lohnabbau und Umverteilung von der Lohn- zur Gewinnquote gestellt. Gewinne sollen auch in Zukunft nicht zur Verteilungsdisposition gestellt werden, da sie ja gerade durch verstärkte Realinvestitionen zu mehr Wachstum und damit zu mehr Beschäftigung den Weg ebnen. Im herrschenden politischen als auch im wissenschaftlich ökonomischen Bereich hat sich diese ideologische Irrlehre der Neoklassik zur angeblichen Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit fast unausrottbar verfestigt. Die öffentlichen Medien bereiten sie populistisch auf, so daß mittlerweile selbst viele Gewerkschaftler davon überzeugt sind, daß eine Lohnreduzierung, inkl. der Lohnnebenkosten selbstverständlich, zu mehr Beschäftigung führe. Daß dem nicht so ist, wurde empirisch mehrfach belegt. „So sind die realen Lohnstückkosten zwischen 1991 und 1999 um 5 v.H. gesunken, während die Stückgewinne im selben Zeitraum um 16 v.H. gestiegen sind. Und die Beschäftigung? Sie ist um 4 v.H. gesunken!" 39 Die „GIB-Formel", wonach die Gewinne von heute, die Investitionen von morgen und die Beschäftigung von übermorgen sind, stimmt heute einfach nicht mehr. Unternehmen haben im Vergleich zu früher, vor dem Hintergrund liberalisierter und globalisierter Finanzmärkte, immer mehr die Option erhalten, entweder in Güterproduktion zu investieren und damit neue Arbeitsplätze zu schaffen oder die erwirtschafteten Gewinne in Finanzaktiva auf einem weltweit vernetzten Finanzmarkt „arbeiten" zu lassen. 40 „Die eine Variante ist mit einem hohen Risiko und geringer Verzinsung, die andere Möglichkeit war (bislang) mit einem kalkulierbaren Risiko und hohen Renditeaussichten verbunden. Im Zweifel legten die Unternehmen die erwirtschafteten Gewinne deshalb am Kapitalmarkt an. Die in den vergangenen Dekaden (im Vergleich zu den Lohneinkommen) überproportional gestiegenen Unternehmensgewinne wurden größtenteils nicht reinvestiert. So sind trotz wirtschaftlichen Erfolges keine zusätzlichen Arbeitsplätze in entsprechender Zahl entstanden. Dies (und nicht, wie so häufig behauptet, der

Welsch, J., Welche Bildung braucht die Informationsgesellschaft?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 35-36/1999, S. 31 Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Memorandum 2000, Den Aufschwung nutzen - Politik für Arbeitsplätze, soziale Gerechtigkeit und ökologischen Umbau, Köln 2000, S. 27 Vgl. Huffschmid, J., Politische Ökonomie der Finanzmärkte, a.a.O.

Perspektiven der Arbeit

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'Export' von Arbeitsplätzen) ist das Kernproblem von Globalisierungsprozessen." 41 Weiter soll es innerhalb des Arbeitsentgeltes zu einer noch größeren Lohnstrukturdifferenzierung aufgrund der sich auf den Teilarbeitsmärkten unterschiedlich herausbildenden Arbeitsverhältnissen kommen. Dies impliziert ein niedrigeres Lohnniveau für gering oder unpassend Qualifizierte (Stichwort: „Niedriglohnsektor"), aber auch höhere Arbeitsentgelte zur Motivation von knappen Qualifizierungen. Innerhalb der Personalwirtschaftslehre geht man sogar von einer Transformation der Hochqualifizierten und unbedingt benötigten Stamm-Mitarbeiterinnen in „Mitunternehmer" aus. 42 Dies wird sich aber wohl nur auf einen kleinen Anteil von Arbeitnehmerinnen, meist den leitenden Angestellten, im Bereich der unternehmerischen Kernbelegschaften beziehen. Dabei kann es dann, neben der Bezahlung eines Arbeitsentgeltes auch zu zusätzlichen monetären Erfolgs- und Kapitalbeteiligungen von Arbeitnehmern kommen. 43

1.5.6.

Politik zur Vollbeschäftigung

Wirkliche Lösungen sind dies aber nicht. Hierdurch wird keine Vollbeschäftigung erreicht. Seit 25 Jahren sind wir in Deutschland, aber auch in anderen hoch entwickelten Industrieländern, weit vom diesem Zustand entfernt. 44 Von Ländern der zweiten und dritten Welt ist hierbei erst gar nicht zu reden. 45 Wollen wir Vollbeschäftigung zur langfristigen Sicherung eines sozialen und weitgehend auf Konsens basierenden Gesellschafts- und Wirtschaftssystems 4

' Mutz, G., Strukturen einer Neuen Arbeitsgesellschaft, a.a.O., S. 5

Vgl. Gaugier, E., Mitarbeiter als Mitunternehmer - Die historischen Wurzeln eines Führungskonzepts u n d seine Gestaltungsperspektiven in der Gegenwart, in: Wunderer, R., (Hrsg.), Mitarbeiter als Mitunt e m e h m e r , N e u w i e d 1999, S. 3 - 21 Vgl. Bontrup, H.-J., Zur Problematik von Erfolgs- und Kapitalbeteiligungsmodellen, in: Betrieb und Wirtschaft, 53. Jg., H e f t 20/1999, S. 784 - 792 4 4

Vgl. Friedrich, H./Wiedemeyer, M., Arbeitslosigkeit ein Dauerproblem. Dimensionen, Ursachen, Strategien, 3. Aufl.,Opladen 1998

Weltweit kann m a n nicht von „der" Arbeit sprechen. Zwischen der ersten und zweiten bzw. dritten W e l t bestehen beachtliche Unterschiede. Diese Unterschiede äußern sich in Bezahlung, rechtlicher und sozialer A b s i c h e r u n g bis hin zu den Arbeitsbedingungen. Das herrschende System der Weltwirtschaft hat hier bisher keine Angleichung der Lebensverhältnisse bewirkt. „Im Gegenteil: Die Reichen Länder w e r d e n immer reicher, die Armen werden immer ärmer. Die ärmsten 2 0 Prozent der Weltbevölkerung erlebten in den letzten 30 Jahren einen Rückgang ihres Anteils am W e l t e i n k o m m e n von 2,3 auf 1,4 Prozent. Dagegen stieg der Anteil der reichsten 20 Prozent von 70 auf 85 Prozent an. D e r Abstand zwischen Industrie- und Entwicklungsländern beim P r o - K o p f - E i n k o m m e n hat sich in diesem Zeitraum verdreifacht. In 70 Ländern der Welt hat sich der Lebensstandard seit 1980 sogar absolut verschlechtert. Bei der Nutzung d e r natürlichen Ressourcen pro Kopf der Bevölkerung gibt es inzwischen eine Diskrep a n z von etwa 60 : 1 zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. 80 Prozent der Weltbevölkerung leben in Armut. R u n d 1,2 Mrd Menschen befinden sich - so die Weltbank in ihrem jüngsten Jahresbericht - unterhalb der absoluten Armutsgrenze und müssen mit einem Dollar täglich überleben." D G B (Hrsg.), Die Z u k u n f t der Arbeit, a.a.O., S. 8

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Zum Faktor Arbeit und ihre Zukunft

erreichen, so wird in Zukunft ein völliges Umdenken notwendig sein. Der sich zur Zeit immer mehr hochschaukelnde „Kasinokapitalismus"46 (die Börse boomt in Reaktion auf die Baisse am Arbeitsmarkt) ist dazu in einen „sozialtemperierten Kapitalismus" zu transformieren, der Arbeit und nicht Profit in den Mittelpunkt gesellschaftlicher Zielorientierung stellt. Das klassische Lohn-Gewinn-Verhältnis47 muß dazu genauso in Frage gestellt - zumindestens sozialverträglicher gestaltet - werden, wie die zur Zeit stattfindende Organisation und Verteilung von Arbeit.48 Die Politik muß in ihrem bisherigen Kurs radikal umschwenken: Weg vom Mainstream der neoklassischneoliberal ausgerichteten Wirtschaftspolitik, die weitgehend nur noch die Stabilisierung und Pflege des Profits und der Finanzmärkte im Fokus hat,49 hin zu einer Vollbeschäftigungspolitik, der andere ökonomische Zielgrößen untergeordnet werden. Hierzu ist ein „modifizierter Keynesianismus" trotz aller politischer Diffamierung durchaus in der Lage.50 Mit Priewe wäre die folgende Makropolitik einzuleiten: • •





„Arbeitszeitverkürzungen der verschiedensten Art, die freilich mit dem Manko behaftet sind, daß sie häufig zugleich ein ungewolltes Produktivitätsprogramm sind. Arbeitsmarktpolitik zur Schaffung eines Sektors öffentlich geförderter Beschäftigung, in dem vorrangig Langzeitarbeitslose und unzureichend Qualifizierte vorübergehend aufgefangen werden können, um sie für den ersten Arbeitsmarkt zu qualifizieren; da die volkswirtschaftlichen Kosten der Arbeitslosigkeit geringfügig unter den Kosten dieser Maßnahmen liegen, sofern nicht Verdrängungs- und Umschichtungseffekte eintreten, handelt es sich um zwar gesamtwirtschaftlich preiswerte, jedoch die öffentlichen Budgets insgesamt belastende Maßnahmen, eine Finanzpolitik der Umschichtung, die bei gleichem Ausgabenvolumen auf Ausgabenpriorität zugunsten von beschäftigungsintensiven Bereichen setzt, wie sie beispielsweise in Frankreich derzeit praktiziert wird, eine sektorale Strukturpolitik, die einerseits die Expansion niedrig produktiver, also arbeitsintensiver Sektoren fördert (solange dies nicht mit normativen Kriterien kollidiert), andererseits moderne wachstumsträchtige Sektoren unterstützt (faktisch wird vorrangig - trotz aller anderslautenden Beteuerungen - eine Industriepolitik zur Stabilisierung traditioneller Sektoren ohne stärkere Wachstumsaussichten mithilfe hoher Produktivitätssteigerungen betrieben),

46

Vgl. Strange, S„ Casino Capitalism, New York 1986

47

Vgl. Bontrup, H.-J., Lohn und Gewinn. Volks- und betriebswirtschaftliche Grundzüge, München/Wien 2000

Vgl. Mutz, G., Strukturen einer Neuen Arbeitsgesellschaft, a.a.O., S. 6 - 11 Vgl. Huffschmid, J., Politische Ökonomie der Finanzmärkte, Hamburg 1999 Vgl. Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, die dazu seit 1975 jährlich ein fundiertes wirtschaftliches Gutachten vorlegt. Das letzte Gutachten aus dem Jahr 2000 trug den Titel: „Den Aufschwung nutzen - Politik für Arbeitsplätze, soziale Gerechtigkeit und ökologischen Umbau".

Perspektiven der Arbeit



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die Schaffung von geeigneten Produktions- und Handlungsanreizen über entsprechende Regulierungen (z.B. im Umweltschutz), was meistens auf Regulierung und manchmal auch auf Deregulierung im Sinne von Entbürokratisierung hinausläuft; allerdings ist dieser Umbau von Recht (auch Steuerrecht) und Institutionen langwierig, kompliziert und keineswegs immer beschäftigungs- und wachstumswirksam."5l

Insgesamt einzubinden ist diese Makropolitik in eine europäisch abgestimmte Steuerpolitik, die nicht den Profit, sondern die Masseneinkommen entlastet. Hierdurch können ökologisch ausgerichtete multiplikative Wachstumsprozesse generiert werden. Es mutet schon nachdenklich an, wenn der Fiskus in den USA 41 Prozent der ausgeschütteten Gewinne und nur 23 Prozent der Löhne und Gehälter für sich beansprucht und es sich in der EU umgekehrt verhält: 36 Prozent der Löhne und Gehälter füllen hier die Staatskassen, aber nur 29 Prozent der Gewinne - in Deutschland sogar nur 25 Prozent. 52 Zu einer beschäftigungsfördernden Politik gehört auch die Unterstützung der Europäischen Zentralbank, die diesen gesamten fiskalischen Kurs geldpolitisch nicht konterkarieren darf. Da die heute real existierenden Güter- und Dienstleistungsmärkte - nicht zuletzt auch aufgrund der hohen Verflechtung und Abhängigkeiten zwischen Großunternehmen und der mittelständischen Wirtschaft - durch eine Unzahl von temporären und dauerhaften Quasimonopolen, mindestens aber durch preisinreagible Oligopole gekennzeichnet sind, ist es außerdem politisch geboten, schnellstens ein Europäisches Kartellamt einzurichten, daß rechtlich in die Lage versetzt wird, den ökonomisch kontraproduktiven und politisch gefährlichen Konzentrationsprozeß in der Wirtschaft zum Stoppen zu bringen. „Die mit Shareholdermacht einhergehende Welle von Unternehmenszusammenschlüssen dürfte die Produktmärkte eher noch stärker vermachten. Dies läßt für die Unternehmen Renten anfallen, und zwar auf Kosten der Konsumenten." 53 Um all diese Wege politisch einzuschlagen, müssen die Staaten in Europa aufs Engste zusammenarbeiten. Der beste Weg dazu dürfte nach dem Abschluß einer Wirtschafts- und Währungsunion die zusätzliche europäische Integration in Form einer „Politischen Union" mit einem durch Wahlen demokratisch legitimierten und handlungsfähigen Europäischen Parlament sein.

Priewe, J., Makroökonomische Politik für mehr Beschäftigung, in: WSI-Mitteilungen, Heft 3/1999, S. 154f. Vgl. Gorz, A., Eine ganz andere Weltzivilisation, a.a.O., S. 609 ^ Pfaller, A., W i e unsozial ist der Shareholder-Kapitalismus?, Internationale Politik, Politikinfo der Friedrich-Ebert-Stiftung

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Die gesellschaftliche Bedeutung von Bildung

2.

Die gesellschaftliche Bedeutung von Bildung

2.1.

Bildung und Chancengleichheit

2.1.1.

Geschichtliche Herausbildung

Bevor sich eine vom Staat aktiv geförderte allgemeine Schulbildung in Deutschland durchsetzte, mußte ein mühsamer gesellschaftlicher Lernprozeß durchschritten werden. Im Mittelalter wurde das allgemeine Bildungssystem noch weitgehend von Klosterschulen und eine handwerkliche Ausbildung in Zünften getragen. 54 Zur Zeit der feudal geprägten Klassengesellschaften im 17. und 18. Jahrhundert bestand nur in wenigen absolutistischen Staaten eine allgemeine Schulpflicht. In Preußen wurde sie 1716 eingeführt. Bildung war hier dennoch weitgehend das Privileg gesellschaftlicher Oberschichten. Im Jahr 1776 beklagte sich Smith, in dem er eine höhere staatliche Fürsorge in Sachen Bildung für die Unterschichten einforderte. „In einer entwickelten und kommerzialisierten Gesellschaft sollte sich die Öffentlichkeit vielleicht mehr um die Erziehung des einfachen Volkes kümmern als um die der oberen Schicht. Vornehme und vermögende j u n g e Leute sind meist achtzehn oder neunzehn Jahre alt, ehe sie sich einem Beruf zuwenden, in welchem sie sich auszuzeichnen hoffen. Zuvor steht ihnen die ganze Zeit zur Verfügung, um sich jene Kenntnisse anzueignen, zumindest die Voraussetzung dafür zu schaffen, die ihnen allgemeine Achtung einbringen oder sie für eine solche würdig machen. Ihre Eltern oder Erzieher sorgen in der Regel hinreichend dafür, daß sie eine gute Ausbildung erhalten, und sind meist auch bereit, die Kosten dafür zu tragen. (...) Es kommt noch hinzu, daß Angehörige der vermögenden Oberschicht nur selten von morgens bis abends von ihrer Arbeit voll in Anspruch genommen sind. Normalerweise haben sie reichlich Freizeit, um sich sowohl fachlich als auch schöngeistig weiterzubilden und die Kenntnisse oder Interessen aus der Zeit ihrer Ausbildung zu erweitern. Ganz anders verhält es sich mit den jungen Leuten aus der unteren Schicht. Sie haben nur wenig freie Zeit für ihre Ausbildung. Ihre Eltern können sie selbst während der Kindheit kaum unterhalten, und sobald sie arbeitsfähig sind, müssen sie sich eine Beschäftigung suchen, um ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. In der Regel handelt es sich dabei um eine einfache und gleichförmige Tätigkeit, die wenig Mitdenken oder Verständnis erfordert. Gleichzeitig müssen sie lange und schwer arbeiten, so daß ihnen wenig Zeit und Muße und noch weniger Neigung bleibt, sich mit etwas anderem zu beschäftigen oder gar über etwas anderes nachzudenken." 1

Vgl. dazu ausfuhrlich: Münch, J., Das berufliche Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland, Europäisches Zentrum für die Förderung der Berufsausbildung, 3. Aufl., Berlin 1987, Kempf, T., Theorie und Empirie betrieblicher Ausbildungsplatzangebote, Frankfurt/M./Bern/New York 1985

Bildung und Chancengleichheit

21

Hinzu kam im 18. Jahrhundert, daß Bildung noch fast ausschließlich als schöngeistige Betätigung betrachtet wurde. Diese trennte man streng von einer mehr „speziellen Bildung" für die Unterschicht, die sogenannte „nützliche Kenntnisse und Fertigkeiten" für das Erwerbsleben vermitteln sollte. Dies selbst im 19. Jahrhundert noch weit verbreitete Klassenverständnis über Bildung basierte auf der Überzeugung, daß im Gegensatz zur Handarbeit nur die geistige Arbeit als gesellschaftlich wertvoll zu erachten sei. Dieser fatale Gedanke wirkt bis heute nach. Immer noch wird die Berufsausbildung im Gegensatz zu einem höheren Schulbesuch (Abitur) gesellschaftlich als weniger attraktiv eingestuft. „Nach wie vor ist das Bildungssystem in Deutschland sehr stark an der Allgemeinbildung ausgerichtet. Die Durchlässigkeit im System wird von allgemeinbildenden Abschlüssen bestimmt; allein das Abitur hält alle weiteren Bildungswege offen. Die betriebliche Berufsausbildung erscheint demgegenüber häufiger als Sackgasse." 55 Hierbei ist natürlich auch die unterschiedliche Bewertung der Ausbildung an den Arbeitsmärkten und damit die Bezahlung der Arbeit zu berücksichtigen. Massiv abgelehnt wurde die Trennung zwischen geistiger und körperlicher Arbeit, und damit auch die klassenbezogenen Bildungsunterschiede, erstmals ab Mitte des 19. Jahrhundert von der marxistischen Bildungslehre. 56 Für Marx, wie aber auch für die klassischen Nationalökonomen u.a. Petty, Mill, Malthus, Smith und Ricardo, stand immer fest, daß die einzige wertschaffende Quelle für die Wohlfahrtsentwicklung einer Volkswirtschaft die menschliche Arbeit schlechthin ist. Nur Arbeit als solche bzw. die Arbeitskraft ist in der Lage Neuwert zu schaffen, während die anderen Produktionsfaktoren Boden und Kapital im Produktionsprozess nur Wert abgeben, der letztlich in Vorperioden auch durch Arbeit geschaffen wurde. 57 Deshalb muß die Arbeitskraft durch Bildung auf ein hohes Niveau zum Wohl der Volkswirtschaft qualifiziert werden. Für Marx ist Arbeit lediglich ein „abstrakter Begriff'. Arbeit ist die „Verausgabung von Hirn, Muskel, Nerv und Hand." 58 Einfache und komplizierte Arbeit unterscheiden sich durch eine entsprechende Ausbildungszeit. Marx ging es in diesem Kontext eines gesellschaftlich arbeitsteilig zu organisierenden Produktionsprozesses immer um eine Aufhebung der Trennung von geistiger und körperlicher Handarbeit. Gesellschaftlich müsse das Ideal des allseitig und umfassend gebildeten und vernünftig (rational) handelnden Menschen angestrebt werden. Dieser grundsätzliche Gedanke stand u.a. auch Pate bei 55

Mues, W./Müller, A./Peege, J./Rapp-Frick, H.-P./Sahrhage, W./Tripp, W.AVeibert, C.-D., (Hrsg.), Der W e g zur Ausbilderprüfung, 32. Aufl., Dortmund 1998, S. 1/11 56

^

V g l . Altvater, E., Materialien zur politischen Ö k o n o m i e des Ausbildungssektors, Erlangen 1971 Zur Ausfuhrlichen Begründung dieses „Arbeitswerttheoretischen Ansatzes" vgl. Bontrup, H.-J.,

Lohn und Gewinn. Volks- und betriebswirtschaftliche Grundzüge, M ü n c h e n / W i e n 2000 58

Marx, K „ Das Kapital, Bd. 1, Berlin (Ost) 1974, S. 58

Die gesellschaftliche Bedeutung von Bildung

22

dem Entstehen von Arbeiterbildungsvereinen, die sich mit der Herausbildung einer Arbeiterbewegung ab Mitte des 19. Jahrhunderts etablierten.59 Die mit dem kapitalistischen System entstandene Arbeiterklasse strebte nach Gleichberechtigung. Sie wollte das damalige feudale Bildungsprivileg nur für bestimmte wohlhabende Klassen und Schichten beseitigen. Auch die Arbeiter erkannten, daß „Wissen Macht ist" bzw. „Herrschaftsverhältnisse" konserviert werden, wenn das Wissen in einer Gesellschaft nicht allen zur Verfügung steht bzw. bestimmte Schichten von der Aneignung dieses Wissens entweder aus gesellschaftlich-politischen oder aus ökonomischen Gründen ausgeschlossen werden. Die Arbeiter wollten Mitte des 19. Jahrhunderts als gleichberechtigte Bürger in der Gesellschaft anerkannt und nicht länger von den Oberschichten bevormundet werden. Wie wichtig diese gesellschaftliche Emanzipierung durch Bildung, spätestens ab Beginn des 20. Jahrhunderts war, zeigen heute immer noch viele Entwicklungsländer, in denen vielfach mehr als die Hälfte aller Einwohner nicht einmal lesen und schreiben kann und wo nach wie vor Diktatoren oder auch Monarchen, und von diesen gestützte Oberschichten des „Geldadels", relativ leichtes Spiel haben die allgemeine Bevölkerung zu unterdrücken und schamlos auszubeuten. Bis sich aber selbst in den heute demokratischen und ökonomisch weit entwickelten Staaten endgültig die These durchgesetzt hatte, daß „Bildung ein Bürgerrecht ist" (Dahrendorf), war auch das Bildungssystem in Deutschland noch mehr oder weniger starken politischen als auch ökonomischen Veränderungsprozessen unterworfen, die zusätzlich durch die im 20. Jahrhundert geführten Weltkriege massiv negativ beeinflußt worden sind.

2.1.2.

Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg

Spätestens mit Gründung der Bundesrepublik im Jahr 1949 wurden jedoch Bildungsziele weitgehend identisch mit den Zielen und Normen moderner demokratischer Gesellschaftsordnungen in Einklang gebracht. Dazu gehören u.a. die Ziele der Gerechtigkeit, der Gleichbehandlung aller Bürger, der Wahrung von Menschenwürde und freier Entfaltung der Person. Alle diese Werte sind heute im bundesdeutschen Grundgesetz - zumindest rechtlich formal verankert. Seit Mitte der 1960er Jahre wurde in Deutschland zudem Bildung verstärkt im Kontext von Chancengleichheit diskutiert. Es sollte zu einer „Bildungsoffensive und Bildungsexpansion" kommen, wobei Bildung zur Durchsetzung von Vgl. Abendroth, W., E i n f u h r u n g in die Geschichte der Arbeiterbewegung, Heilbronn 1985

B i l d u n g und C h a n c e n g l e i c h h e i t

23

Chancengleichheit als ein dynamischer und offener Prozeß zu verstehen ist, durch den ein bestehender Status (Bildungsstand) im Zeitablauf durch Bildungsaktivitäten verändert (verbessert) werden soll. Bezogen auf die Bildungschancen (Chancengleichheit) ist allgemein folgendes zu beachten: Der Bildungsausgangsstatus eines Menschen wird mit der Geburt aufgrund nicht meßbarer Erbanlagen rein zufallsbestimmt festgelegt. Erste Lernprozesse finden nach der Geburt durch das Leben in bestimmten familiären Verhältnissen und einer gesellschaftlichen Umwelt (Sozialisation) statt. Hier wirkt Bildung indirekt durch den Ausbildungsstatus der Eltern und der näheren Umgebung der heranwachsenden Kinder (u.a. Freunde). Aber auch Elternliebe und Zuneigung sowie die Übernahme einer Erziehungsverantwortung (Vorschulische Pädagogik) prägen die späteren Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder. Deshalb besteht wissenschaftlich eine weitgehende Übereinstimmung darin, „daß bereits beim Beginn der Schulpflicht große Unterschiede der Lernfähigkeit zwischen den Schülern festzustellen sind, die ihre Ursache in vererbten Anlagen und in der frühen Sozialisation haben." 60 Unter Chancengleichheit ist nie ein „Gleichmachen" von Individuen verstanden worden, sondern lediglich eine gesellschaftlich „formale Gleichheit" durch einen freien und offenen Zugang zu einem durchlässigen Bildungssystem, das unabhängig vom ökonomischen Status der Eltern einem stufenweisen steigenden Lernanspruch genügen soll. Hierbei sind die unterschiedlichen Begabungen, Interessenneigungen und Leistungsmotivationen der Menschen zu berücksichtigen. Damit kompatibel ist eine selektive differenzierte Förderung unterschiedlicher Lernfähigkeiten und Lernbereitschaften im Sinne einer gesellschaftlichen Integration. Selektion bedeutet dabei allerdings nicht das Ausgrenzen und Vernachlässigen all derjenigen, die einem vorgegebenen Bildungsprogramm nicht gewachsen sind, sondern die Schaffung von Entwicklungsmöglichkeiten durch eine adäquat adaptierte Förderung und Ausbildung zur Sicherstellung eigener Reproduktionsmöglichkeiten in einer letztlich auf Arbeit basierenden Gesellschaft. Im Berufsbildungsbericht 1999 heißt es zur Chancengleichheit noch einmal: „Die Aktivitäten von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sollten darauf gerichtet sein, Chancengleichheit in einem umfassenden Sinne zu ermöglichen. Junge Menschen haben Anspruch auf Ausbildung und Zukunftsperspektiven, unabhängig von ihrer Herkunft und den Einkommensverhältnissen der Eltern. Chancengleichheit wird nur dann erreicht, wenn jeder nach seinen Leistungen und Fähigkeiten ausgebildet werden kann." 61

Edding, F., Bildung, Bildungspolitik, in: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft, Bd. 2, Stuttgart/New York 1988, S. 10 61

Berufsbildungsbericht 1999, S. 1

24

D i e gesellschaftliche B e d e u t u n g v o n Bildung

Dabei sollen heute im wesentlichen drei Aspekte im Vordergrund stehen: • • •

Chancengleichheit als Garantie eines zur Existenz in der Gesellschaft notwendigen und hinreichenden Wissensbestandes, Chancengleichheit als rechtlich verbriefte Gleichheit aller Bürger in der Verfassung und als faktische (ökonomische) Chancengleichheit in dem Sinne, daß keine sozialen Mechanismen die Realisierungsmöglichkeiten der rechtlichen Chancengleichheit schmälern bzw. einengen dürfen. Die Gemeinschaft, der Staat, muß in diesem Kontext die allgemeinen Rahmenbedingungen in Form eines öffentlichen Schulwesens schaffen. Bildung muß ein öffentliches Gut sein, von dessen Konsumtion - wie bei privaten Gütern -die Gesellschaft niemanden aufgrund seiner gesellschaftlichen Herkunft und seiner ökonomischen Situation ausschließen darf.

2.1.3.

Trotz Bildungsexpansion nicht mehr Chancengleichheit

Die dazu vom Deutschen Bildungsrat Mitte der 1960 Jahre ausgearbeiteten Bildungs-Reformvorschläge sind allerdings „in den Augen vieler nur halbherzig und unzureichend umgesetzt worden. Mit Blick auf die Ergebnisse läßt sich sagen: Das Ziel, über eine massive Bildungsexpansion mehr Chancengleichheit in der Gesellschaft herzustellen, ist nicht erreicht worden. Auch wenn es in der Bundesrepublik, wie in allen anderen westeuropäischen Ländern, eine umfassende Bildungsexpansion gegeben hat - die Unterschiede zwischen den sozialen Schichten sind, wenn man den Zugang zu höheren Bildungsabschlüssen betrachtet, nicht geringer geworden. In keinem der westeuropäischen Länder konnten die sozialen Benachteiligungen über Bildungsreformen aufgehoben werden."62 Dies belegen die Bildungsstatistiken. „Nach den Sonderauswertungen des Statistischen Bundesamtes und dem von Block und Klemm angestellten Vergleich am Beispiel der Jahre 1972, 1989 und 1995 ergeben sich kaum Verschiebungen in der Bildungsverteilung. So 'besuchten von den 13-14jährigen Kindern aus Arbeiterfamilien im Jahr 1972 73 Prozent eine Hauptschule, 16,3 Prozent eine Realschule und 6,3 Prozent ein Gymnasium. Die entsprechenden Werte für die Schüler aus Beamtenfamilien hingegen lauteten 28,7 Prozent, 22,5 Prozent und 45,7 Prozent. Nach der Erhebung von 1989 besuchten von den 13-14jährigen Arbeiterkindern aber immer noch 58,1 Prozent eine Hauptschule, 26,3 Prozent eine Realschule, aber 62

Jobelius, S./Vössing, K., Mut zur Kapitalbildung. Die Notwendigkeit einer kulturellen und sozialen Reform des Bildungswesens, in: Jobelius, S./Rtlnker, R./Vössing, K., (Hrsg.), Bildungs-Offensive. Reformperspektiven für das 21. Jahrhundert, Hamburg 1999, S. 110

B i l d u n g und Chancengleichheit

25

nur 10,7 Prozent ein Gymnasium. Die Vergleichswerte für Beamtenkinder beliefen sich auf 13,3 Prozent, 24,2 Prozent und 58,3 Prozent.' Die relative Chance für ein Arbeiterkind, das Gymnasium zu besuchen, ist lediglich um den Faktor 1,07 gewachsen. Allenfalls läßt sich von einer größeren Teilhabe von Arbeiterkindern an mittlerer Bildung sprechen, bezogen auf die Bildungsbeteiligung nach sozialen Schichten im Gymnasium hat sich an der Homogenität nichts geändert. Diese Homogenität ist - stellt man die formal erreichte Durchlässigkeit zwischen den Bildungsgängen in Rechnung - auf Benachteiligungen in der Erziehung und eine nicht überwundene Distanz gegenüber höherqualifizierenden Abschlüssen in der Elterngeneration bildungsferner Schichten zurückzufuhren. Deren Bildungswünsche lassen deutliche Präferenzen für die Haupt-, im Facharbeiterbereich verstärkt auch für die Realschule erkennen. Im Bereich der unqualifizierten Arbeitnehmer begnügen sich zwei Drittel mit der Hauptschule, viele gehen auf die Sonderschule und nur 7 Prozent besuchen das Gymnasium. Die Chancen auf ein Universitätsstudium sind für die Kinder von selbständigen Akademikern heute mehr als das 40fache höher als für Kinder von Arbeitern ohne Lehre. Die kulturellen Barrieren des dreigliedrigen Schulsystems werden mit Blick auf die Elternpräferenzen auch bei guten Schulnoten der Kinder deutlich. So ist 'bei guten Schulnoten (Durchschnitt bis 2,3) für 94 Prozent der Oberschichtkinder, für 69 Prozent der Mittelschichtkinder, aber nur für 38 Prozent der Unterschichtkinder der Besuch des Gymnasiums vorgesehen'. Bei einem Notendurchschnitt von 2,3 bis 3,1 wird die Distanz noch größer: 73 Prozent der mittelmäßigen Oberschichtkinder sollen noch die gymnasiale Laufbahn einschlagen, 30 Prozent der Mittelschichtkinder und nur 11 Prozent der Unterschichtkinder. Dieser 'push up'-Effekt setzt sich bis zum Ende der Schullaufbahn fort." 63 Dennoch ist zu konstatieren, daß die Bildungsreformen immerhin Mobilitätsschübe ausgelöst haben. So konnten die Mittelschichtkinder den Abstand zu den Oberschichtkindem verringern, dafür „wuchs aber der Abstand der Unterschicht, die somit als Verlierer der Bildungsreformen bezeichnet werden kann." 64 Das Ergebnis einer nicht gegebenen Bildungs-Chancengleichheit manifestiert sich auch im tertiären Bildungssektor an Universitäten und Fachhochschulen. 65 Die in unregelmäßigen Abständen vom Deutschen Studentenwerk durchgeführten Untersuchungen zur „Beruflichen Stellung der Eltern" von Studierenden an Hochschulen kommen in der letzten 15. Erhebung aus dem Jahr 1997 im einzelnen zu folgenden Ergebnissen: „Seit den 50er Jahren Jobelius, S./Vössing, K., Mut zur Kapitalbildung. Die Notwendigkeit einer kulturellen und sozialen Reform des Bildungswesens, a.a.O., S. 112f. 64

Ebenda, S. 113

Zur Entwicklung der Studierendenzahlen an den Hochschulen in Deutschland vgl. den Punkt 3.2 in diesem Buch

26

Die gesellschaftliche Bedeutung von Bildung

wird in den Sozialerhebungen auch nach der beruflichen Stellung des Vaters gefragt. Schon damals galt sie als wichtiger Indikator für die soziale Herkunft der Studierenden. Die berufliche Position der Väter der Studierenden ist der einzige Indikator, mit dem für einen Zeitraum von fast einem halben Jahrhundert die soziale Zusammensetzung der Studierenden abgebildet werden kann. (...) Anfang der fünfziger Jahre waren über 70 Prozent der Studierenden Beamten- bzw. Selbständigenkinder. In den folgenden 20 Jahren vollzieht sich ein grundlegender struktureller Wandel sowohl in der Gesamtbevölkerung als auch bei den Studierenden. Mitte der siebziger Jahre stellen Beamten- und Selbständigenkinder nur noch etwa die Hälfte der Studierenden an Hochschulen. Die größte Gruppe bilden nunmehr Studierende aus Angestelltenfamilien (35 Prozent). Der Anteil der Arbeiterkinder, der im Jahr 1953 4 Prozent betrug, hat sich in den darauffolgenden 20 Jahren bis 1973 verdreifacht (und bis 1982 sogar vervierfacht). Diese grundlegenden strukturellen Veränderungen bis in die achtziger Jahre lassen sich nur vor dem Hintergrund der im gleichen Zeitraum stattfindenden massiven Bildungsexpansion in der Bundesrepublik erklären: Anfang der fünfziger Jahre gab es etwas mehr als 100.000 Studierende in der Bundesrepublik, Anfang der achtziger Jahre sind es zehnmal so viele (mehr als 1 Million). Seit Anfang der achtziger Jahre stabilisiert sich hingegen die Entwicklung. Der Anteil der Beamtenkindel an den Studierenden bleibt annähernd gleich, der Anteil der Angestelltenkinder erhöht sich noch bis 1991 und stagniert seitdem ebenfalls. Seit Anfang der neunziger Jahre verharrt auch der bis dahin sinkende Anteil der Selbständigenkinder auf etwa gleichem Niveau. Bei den Arbeiterkindern findet sich bis Anfang der achtziger Jahre ein kontinuierlicher Anstieg (bis auf 16 Prozent 1982) und in den folgenden 10 Jahren ein leichter Abfall der Quote (auf 13 Prozent 1991). Seither stabilisiert sich auch diese Quote, sie beträgt 1997 13 Prozent." 66

Anteil Arbeitskinder an Universitäten 1953: 4%

->

1997: 13%

Sozialökonomisch bezeichnend ist dabei der Tatbestand, daß für die alten als auch für die neuen Bundesländer gilt, „daß an Fachhochschulen der Anteil der Arbeiterkinder jeweils deutlich höher ist als an Universitäten. 25 Prozent der Väter von Studierenden an Fachhochschulen sind Arbeiter, an Universitäten sind es nur 14 Prozent." 67 Insgesamt liegt der Arbeiterkinderanteil damit Bundesministerium für Bildung und Forschung, (Hrsg.), Das soziale Bild der Studentenschaft in der Bundesrepublik, Bonn 1998, S. 102ff. 67 Ebenda, S. 105

Z u r ö k o n o m i s c h e n R e l e v a n z v o n Bildung

27

bei 16 Prozent. Hier wird deutlich, daß die in den 70er Jahren neu eingerichteten Fachhochschulen, insbesondere für Arbeiterkinder aufgrund kürzerer und praxisnäherer Studiengänge ein offensichtlich attraktives Angebot darstellen, „das eher als Universitäten in der Lage ist, bildungsferneren Schichten den Weg in die Hochschulbildung zu weisen." 68 „Unter Berücksichtigung der Funktion von Bildung im Hinblick auf sozialen Aufstieg und Einkommen erweist sich die ungleiche Bildungsverteilung als wichtiges Reproduktionsinstrument sozialer Ungleichheit in der Bundesrepublik." 69 Jobelius und Vössing kommen so zu dem Ergebnis, daß sich Bildungsreformen von der „Selbstlüge" befreien müssen, „die ökonomischen Widersprüche und Ungleichheiten durch die Herstellung von Chancengleichheit im Bildungswesen überwinden oder zumindest ausgleichen zu können. Jugendlichen wurden zwar vermehrt gleiche Bildungschancen eröffnet, danach entließ man sie aber in eine Welt, in der sich an den ungleichen sozialen Positionen nichts geändert hatte. Je bedrohlicher die Krise auf dem Arbeitsmarkt wahrgenommen wurde, desto geringer war die Bereitschaft in bildungsfernen Schichten, den unbekannten Weg längerer Schul- und Universitätsbildung auf sich zu nehmen. Die Bruchstellen auf dem Arbeitsmarkt markierten auch die Bruchstellen im Bildungswesen." 70 Bildungungspolitik muß daher in Zukunft verstärkt mit der Wirtschaftspolitik, hier insbesondere mit der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Verteilungspolitik eng verknüpft werden.

2.2.

Zur ökonomischen Relevanz von Bildung

2.2.1.

Wirtschaftlichkeit von Humankapitalinvestitionen

Der positive Einfluß bzw. die Relevanz von Bildung auf das Sozialprodukt, Einkommen und auf die Verteilung von Einkommen und Vermögen sowie auf die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes ist eine sehr alte Grundüberzeugung der Volkswirtschaftslehre. Bereits die sog. klassischen Ökonomen versprachen sich von Bildung eine Verbesserung des Wohlstands in Form von positiven externen Markteffekten. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich mit der Bildungsökonomik 71 innerhalb der Volkswirtschaftlehre ein eigener Forschungszweig herausgebildet. Von Bundesministerium für Bildung und Forschung, (Hrsg.), Das soziale Bild der Studentenschaft in der Bundesrepublik, Bonn 1998, S. 105 69jobelius, S./Vössing, K., Mut zur Kapitalbildung. Die Notwendigkeit einer kulturellen und sozialen Reform des Bildungswesens, a.a.O., S. 113 70

Ebenda, S. 111

Vgl. Edding, E., Bildungsökonomik, in: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft, Bd. 2, Stuttgart/New York 1988, S. 2 - 7, Möbes, H.-J., Bildungsökonomie, in: Eynem, G./von Bohret, C., (Hrsg.), Wörterbuch zur politischen Ökonomie, 2. Aufl., Opladen 1977, S. 63 - 67

28

Die gesellschaftliche B e d e u t u n g von B i l d u n g

besonderem Interesse ist dabei der Humankapital-Ansatz. Dieser sieht neben dem Sachkapital die menschliche Ressource, d.h. die in den Köpfen der Menschen enthaltenen Wissensbestände, als weitere Form des „Kapitaleinsatzes" an. Dazu ist Bildung und Ausbildung als Investition in den Menschen notwendig. Diese Humankapitalinvestitionen haben im Laufe der Menschheitsgeschichte vor dem Hintergrund einer veränderten technisch-ökonomischen Welt permanent zugenommen. Es wurden immer größere Investitionen in Humankapital erforderlich, „da weder der vorhandene Produktionsapparat betrieben noch neue wissensintensive Güter und Dienstleistungen geschaffen werden können, wenn es an qualifizierten Arbeitskräften fehlt." 7 2 Seit 1920 hat sich nach Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Nürnberg die Relation zwischen Sachkapital- und Humankapitalstock von 4,5 zu 1 auf 2,2 zu 1 im Jahr 1989 verringert. 73 Die Tendenz ist dabei weiter in Richtung Humankapital steigend. Dennoch gibt es hier Widersprüche. So wurden in den privaten Unternehmen seit Anfang der neunziger Jahre die Ausgaben für Bildung und Ausbildung sowie für Weiterbildung aber auch für Forschung und Entwicklung nicht ausgeweitet, sondern eher gekürzt. Damit verbunden waren Entlassungen von hochqualifizierten Arbeitskräften. Auch der Staat hat sich in Sachen Bildungsausgaben in den neunziger Jahren merklich zurückgehalten (vgl. dazu den Punkt 2.2.2.1 „Zu den Bildungsausgaben des Staates"). Dies gilt außerdem für die staatlichen Forschungs- und Entwicklungsausgaben. 7 4 Die Investition in Humankapital muß sich rechnen. Dies gilt nicht nur flir die Sachkapitalinvestition. Auf Basis dieses Tatbestandes sind verschiedene differenzierte Modelle bzw. Investitionsrechnungen entwickelt worden. 7 5 Beispielsweise kann anhand einer dynamisierten Kapitalwertberechnung die Wirtschaftlichkeit einer Humankapitalinvestition für eine Person, ein Unternehmen oder für einen öffentlichen Träger, aber auch für eine Volkswirtschaft im Vergleich zu jeweils alternativen Bildungsinvestitionen formalmathematisch bestimmt werden. Zieht man dazu die allgemeine Formel des Kapitalwerts heran, so läßt sich dieser wie folgt berechnen:

Welsch, G., Welche Bildung braucht die Informationsgesellschaft?, a.a.O., S. 26 Vgl. Buttler, F./Tessaring, M., Humankapital als Standortfaktor. Argumente zur Bildungsdiskussion aus arbeitsmarktpolitischer Sicht, in: Mitteilungen zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (MittAB), Heft 4/1993, S. 467 ff. Vgl. Welsch, G. Welche Bildung braucht die Informationsgesellschaft, a.a.O., S. 27 Vgl. Brinkmann, G., Ökonomik der Arbeit, Bd. 3, Die Entlohnung der Arbeit, Stuttgart 1984, S. 208 - 2 4 1 , Neubäumer, R., Der Ausbildungsstellenmarkt der Bundesrepublik Deutschland. Eine theoretische und empirische Analyse, Berlin 1999 75

Zur ökonomischen Relevanz von Bildung

n K0= -I0

I

29

1 (Ei - A|)

t= 0

(1 + i)'

K = Kapitalwert; I = Bildungsinvestition ; (Et - A,) = Einnahmenüberschuß (E, > A,) oder Einnahmenunterdeckung (E, < A,) der Bildungsinvestition in Periode t 1 = Abzinsungsfaktor der Periode t mit i = p/100 als Kalkulationszinsfuß (1 + i)« t = Periodenindex (to bis tn)

Hierbei werden sämtliche Erträge (E t ) aus einer Bildungsinvestition (I) nach Abzug aller Ausgaben (A t ) auf einen einheitlichen Bezugspunkt (t) mit Hilfe eines Abzinsungsfaktors abgezinst (diskontiert), wobei sich der Abzinsungsfaktor aus dem verwendeten Kalkulationszinsfuss ableitet. Der Kalkulationszinsfuss gibt dabei die Höhe der geforderten Mindestverzinsung des durch die Bildungsinvestition gebundenen Kapitals an. Die Problematik dieser Berechnung liegt in der Schwierigkeit einer exakten Bestimmung der Erträge (Nutzen) und Ausgaben für eine Bildungsinvestition über einen in der Regel längeren Zeitraum, der bezogen auf einen Arbeitnehmer beispielsweise seine gesamte Lebensarbeitszeit umfaßt und beeinflußt. Außerdem müßten bei einem exakten Vergleich sämtliche alternativen Bildungsinvestitionen ebenfalls in Geld bzw. Preisen bewertet und auf den Gegenwartswert diskontiert werden. Bei den Ausgaben sind Opportunitätskosten in Form entgangener Einkommen während der Ausbildungszeit auch zwischen unterschiedlichen Bildungsinvestitionen z.B. in eine Hochschuloder Berufsausbildung zu berücksichtigen und bei den Erträgen ist es u.a. im Hinblick auf die Einkommensentwicklung schwierig, kausale Beziehungen zwischen Einkommen und einem realisierten Bildungsgrad nach der Ausbildung abzuleiten, da Einkommensdifferenzen z.B. nicht nur durch Bildungsdifferenziale sondern auch durch veränderte Arbeitsmarktsituationen (konjunkturell und strukturell) begründet sein können. Nur in Kenntnis genauer Daten kann aber der jeweilige exakte Kapitalwert einer Bildungsinvestition ermittelt werden, wobei dann unter alternativen Bildungsinvestitionen die Investition zu wählen ist, die den höchsten Kapitalwert aufweist. Hierbei ist außerdem zu beachten, daß sowohl der jeweilige Betrag als auch die zeitliche Verteilung der Überschüsse aus einer Bildungsinvestition sowie die Höhe des angesetzten Kalkulationszinsfußes den Kapitalwert nachhaltig beeinflussen.

30

Die gesellschaftliche Bedeutung von Bildung

Vergleicht man beispielsweise vor diesem Hintergrund die Bildungsrendite eines Fachhochschulstudiums mit einer Berufsausbildung im dualen System, so müßten zunächst die unterschiedlichen Investitionskosten ermittelt werden. Geht man von einer durchschnittlichen Studienzeit an einer Fachhochschule von 4 Jahren und einer Lehrzeit von 3 Jahren aus, so ergibt sich unter Berücksichtigung der schulischen Pflicht-Vorleistungen die folgende differenzierte Ausbildungszeitsituation. Die Ausbildung im dualen System dauert insgesamt 12 Jahre und die mit Fachhochschule 16 Jahre (vgl. die folgende Abb. 1). Abb. 1:

Unterschiedliche Ausbildungszeiten

12 Jahre 4 9 Jahre Schulzeit

• 3 Jahre Lehrzeit

10 Jahre Schulzeit

2JahreFOS

4 Jahre Einkommen

40 Berufszeit

4 Jahre Fachhochschule

40 Berufszeit

16 Jahre

FOS = Fachoberschule

Geht man weiter von durchschnittlichen Ausbildungskosten - ohne während dieser Zeit entstehender Lebenshaltungskosten - für ein 4-jähriges Fachhochschulstudium in Höhe von ca. 400 DM monatlich für Lehrmittel u.a., also von rund 20.000 DM aus, 76 so stehen dem etwa 1.000 DM Ausbildungsvergütung monatlich sowie ein durchschnittliches Nettoeinkommen nach der Lehre über vier Jahre - in Höhe von monatlich 1.500 DM als Opportunitätskosten zwischen Lehre und Fachhochschulausbildung gegenüber. Die persönlichen Investitionskosten des Studiums belaufen sich somit insgesamt auf 128.000 DM.

Hierin sind nicht die Kosten der Hochschule (Gebäudekosten, Ausstattung, Lehr- und Verwaltungspersonal u.a.) enthalten, diese gehen als öffentliches Gut, also zum Preis Null, in die Rechnung ein.

31

Zur ö k o n o m i s c h e n R e l e v a n z von Bildung

Kosten und Opportunitätskosten der Hochschulausbildung Lehrausbildung

Fachhochschule Ausbildungskosten

20.000 DM

Ausbildungsvergütung

36.000 DM

Nettoeinkommen

72.000 DM

Hieraus leitet sich als nächstes die Frage nach dem Kapitalwert der Bildungsinvestition ab. Er ergibt sich durch Abzinsung (Diskontierung) der ihr zuzurechnenden jährlichen Einnahmeüberschüsse auf einen einheitlichen Bezugspunkt und durch Substraktion des ursprünglichen Kapitaleinsatzes von der Summe der diskontierten Einnahmeüberschüsse oder - was dasselbe ist von dem Barwert der Rückflüsse.

n K « = -I«

I

t= o

1 ( E t - A,)

(l + o*

Die Höhe des Kalkulationszinsfußes (i) bestimmt sich dabei auf Basis der Prämisse, „daß Kapital zum Kalkulationszinsfuß beschafft bzw. angelegt werden kann. Im Grundsatz gilt demnach, daß die Höhe des Kalkulationszinsfußes bestimmt wird durch die Finanzierungskosten, die bei Durchfuhrung der Investition entstehen, bzw. durch die Rendite, die bei alternativer Anlage der finanziellen Mittel erzielt werden könnte. Der Kalkulationszinsfuß ist also in jedem Fall Ausdruck der geforderten Mindestverzinsung des durch die Investition gebundenen Kapitals." 7 7 Eine Investition ist demnach immer dann vorteilhaft, wenn der Kapitalwert positiv ausfällt. Dies bedeutet, „daß die Investition über die geforderte Mindestverzinsung und die Amortisation des eingesetzten Kapitals hinaus einen Überschuß erwirtschaftet." 78 Unterstellt, der/die Fachhochschüler/in geht davon aus, daß er/sie im Durchschnitt mindestens 1.000 DM netto mehr pro Monat über die Dauer des Berufslebens nach der Ausbildung verdienen möchte bzw. diesen Einkommensunterschied auch realisiert, so läßt sich unter Berücksichtigung der ursprünglichen Bildungsinvestition von 128.000 D M und einem Kalkulationszinsfuss von 10 Prozent p.a. der folgende Kapitalwert errechnen. Hierzu kann die allgemeine Kapitalwertformel aufgrund jährlich gleichmäßiger Einnahmenüberschüsse von 12.000 D M durch Rentenbarwertfaktoren ( R B F ) vereinfacht wie folgt umgewandelt werden.

Auch die Kosten des Ausbildungsbetriebes und der Berufschule sind hier nicht berücksichtigt. 77

Schierenbeck, H., Grundzüge der Betriebswirtschaftslehre, 12. Aufl., München/Wien 1995, S. 338

7 8

Ebenda, S. 338

32

Die gesellschaftliche Bedeutung von Bildung

K 0 = - I 0 + a, x RBF„ K = Kapitalwert; I = Bildungsinvestition ; a = Jährlich konstanter Gehaltsüberschuss über die Laufzeit n

(l+i)n-l RBF = Rentenbarwertfaktor =

¡(1 +0" K = - 128.000 + 12.000x9,779 K = - 128.000 + 117.348 K= -

10.652

Der hier errechnete Kapitalwert ist negativ, d.h. unter den gesetzten Prämissen (10 Prozent p.a. Kalkulationszinsfuß und jährlicher Einkommensüberschuss von 12.000 DM) lohnt sich die Bildungsinvestition in ein Fachhochschulstudium nicht. Setzt man den Kapitalwert als Mindestbedingung gleich Null, hier wird dann die geforderte Mindestverzinsung von 10 Prozent p.a. aber noch keine Rendite realisiert, so errechnen sich Einkommensüberschüsse von rund 1.091 DM monatlich. K 0 = -I„ + a , x RBF n = 40 i = (M° K0 = 0 a, = Io : RBF

; a, = 128.000: 9,779

a, « 13.090 jährlich oder « 1.091 DM monatlich Erst wenn dieser Einkommensüberschuss pro Monat mindestens erreicht wird, hat der/die Fachhochschulstudent/in mit dem Auszubildenden im „dualen System" vom Einkommen her gleichgezogen. Auf Basis eines Kapitalwertes von Null, läßt sich auch die interne Verzinsung der Bildungsinvestition bzw. die Rentabilität errechnen. Hierbei wird die jeweilige Kapitalbindung pro Jahr berücksichtigt.

Io RBF '„ =

128.000 =

a,

9,7784 * 1 0 % bei 40 Jahren 13.090

Bei konstanten Einkommensüberschüssen pro Jahr und einem Kapitalwert von Null, sind demnach Kalkulationszinsfuß und interner Zinssatz gleich

33

Zur ökonomischen Relevanz von Bildung

groß. Eine rentable Bildungsinvestition ist aber erst dann gegeben, w e n n eine positive Investitionsmarge zwischen Kalkulationszinsfuß und internem Zinssatz gegeben ist. Die Differenz bestimmt dabei die Rendite der Bildungsinvestition. Wird beispielsweise der monatliche E i n k o m m e n s ü b e r s c h u ß von 1.000 D M auf 1.250 D M oder jährlich auf 15.000 D M erhöht, so ergeben sich die folgenden Werte.

Io

128.000

RBF ' „ =

=

= 8,5333

a,

15.000

Durch Interpolation läßt sich der interne Zinssatz (r) ermitteln. ¡2 " ¡1 r = i, - R B F ,

(%) RBF2 - RBF, 0,12-0,11

r = 11 - 8 , 9 5 1 0 5

(%) 8 , 2 4 3 7 8 - 8,95105

r = 11 - 8 , 9 5 1 0 5 r = 11 + 0 , 1 2 6 5 5

x

-0,014138 r = 11,1265

r = 11,1 %

Die Bildungsrendite würde sich demnach lediglich auf 1,1 Prozent belaufen (Kalkulationszinsfuss 10 Prozent minus interner Z i n s f u ß 11,1 Prozent). Erst bei einem Einkommensüberschuß von monatlich 2.000 D M (24.000 D M jährlich) erhöht sich die Bildungsrendite in unserem Beispiel auf 7,2 Prozent p.a. Trotz der vielfältigen Berechnungsschwierigkeiten von Bildungsinvestitionen - insbesondere im Rahmen einer gesamtwirtschaftlichen Betrachtung - ist nach Auswertung von Untersuchungen zum Humankapital-Ansatz festgestellt worden, daß sich Bildungsinvestitionen im Durchschnitt immer lohnen. Die Renditen sind hierbei in Entwicklungsländern aufgrund eines niedrigeren Bildungsniveaus (Basiseffekt) höher als in entwickelten Industrieländern. A u c h den Vergleich mit der Sachkapitalrendite m u ß die Bildungsinvestition absolut nicht scheuen. Hier gilt die allgemeine Aussage, daß die Rentabilität von Bildungsinvestitionen in den schulischen Primärbereich meistens die Rentabilität von Investitionen im Hochschulbereich übertrifft. 7 9 So ist es verständlich, daß Vgl.

Psacharopoulos,

G.,

Returns

to Education.

An

International

Comparison,

Amster-

34

Die g e s e l l s c h a f t l i c h e B e d e u t u n g v o n B i l d u n g

internationale Organisationen, wie die Weltbank, dieser Erkenntnis Rechnung tragen, und seit längerem in den Entwicklungsländern verstärkt auf Investitionen im Grundschulbereich setzen. 80 Man darf bei den Bildungsinvestitionen aber nicht nur rein ökonomische Betrachtungen anstellen und gelten lassen; „vielmehr erfüllen sie eine umfassendere politische und gesellschaftliche Funktion, und sie rechtfertigen sich letztlich aus sich selbst heraus." 81 Zu diesem Ergebnis kommt der USamerikanische Ökonom Galbraith. Er stellt weiter fest, daß Bildungsinvestitionen sich nachhaltig auf den inneren sozialen Frieden einer Gesellschaft auswirken. Sie eröffnen den Angehörigen der unteren, sozial und wirtschaftlich benachteiligten Schichten die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs. Außerdem ermöglicht Bildung den Menschen zum einen, politisches Bewußtsein zu entwickeln und politische Verantwortung zu übernehmen, und zum anderen, sich gesellschaftlich umfassend zu entfalten und durch eine geistige Horizonterweiterung das Leben auch kulturell zu genießen. 82 2.2.2.

Zur Finanzierung von Bildungsinvestitionen

2.2.2.1. Zu den Bildungsausgaben des Staates Es wird zwar von politischer Seite immer wieder beteuert, wie groß die finanziellen Anstrengungen in Sachen Bildung sind, die Realität entspricht dem aber nicht. Dieser Tatbestand zieht sich wie ein „roter Faden" durch alle Schulbereiche (Primär-, Sekundär- und Tertiärbereich). Insbesondere klafft hier eine große Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit im tertiären Hochschulbereich. Seit der bewußten sozialen Öffnung der Hochschulen zum Abbau einer Benachteiligung „bildungsferner Schichten", aber auch zur Dekkung eines steigenden Bedarfs akademisch gebildeter Fachkräfte, schrieben sich seit Anfang der 1970er Jahre immer mehr Studierende an Hochschulen ein, so daß heute etwa 1,8 Millionen Studenten und Studentinnen an Universitäten und Fachhochschulen studieren. Dies sind etwa 33 Prozent der Gesamtbevölkerung im Alter zwischen 18 und 21 Jahren in den alten und rund 22 Prozent in den neuen Bundesländern. Den 1,8 Millionen Studierenden stehen aber nur etwa 970.000 Studienplätze gegenüber, so daß die personelle, räumliche und apparative Grundausstattung der bundesdeutschen Hochschulen in absolut keiner Weise ausreichend ist. In den letzten 20 Jahren hat sich

dam/London/New York 1973 Vgl. Gundlach, E., Bildung und Wirtschaftswachstum, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium (WiSt), Heft 12/1999, S. 679 81

Galbraith, J. K., Die solidarische Gesellschaft, Hamburg 1998, S. 82

82

Ebenda, S. 81 - 8 8

Zur ö k o n o m i s c h e n R e l e v a n z v o n B i l d u n g

35

der Anteil der staatlichen Hochschulausgaben am Bruttosozialprodukt um ein Drittel reduziert. 83 In den jeweiligen Berufsbildungsberichten der Bundesregierung werden die gesamten Bildungsausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden sowie die Ausgaben für Bildungsmaßnahmen durch die Bundesanstalt für Arbeit aufgeführt. Hierin sind insgesamt enthalten „die Ausgaben für den Elementarbereich (Kindergärten, außerschulische Jugenderziehung); die Schulen (Grund-, Haupt-, Sonder-, Realschulen, Gymnasien, Gesamtschulen, berufliche Schulen und Fachschulen); die Hochschulen (Universitäten, Technische Hochschulen, Gesamthochschulen etc., einschließlich Hochschulkliniken, ohne DFG und Sonderforschungsbereiche); die Weiterbildung (z.B. Volkshochschulen, Lehrerfortbildung); die Förderungsmaßnahmen (z.B. Ausbildungsförderung für Schüler und Studenten); die Ausgaben für Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit (Förderung der beruflichen Bildung einschließlich Trainingsmaßnahmen der beruflichen Rehabilitation und der Eingliederungsleistungen für Aussiedler)." 84 Von 1988 bis 1992 sind hierbei die staatlichen Bildungsausgaben bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt in den alten Bundesländern von 4,9 Prozent auf 4,7 Prozent zurückgegangen. In absoluten Zahlen war nominell eine Steigerung von 103,8 Mrd. DM auf 132,8 Mrd. DM oder um 27,9 Prozent zu verzeichnen. Die jahresdurchschnittliche Steigerung lag bei 6,4 Prozent. Weit überproportional um 43 Prozent nahmen insgesamt die Zuschüsse der Bundesanstalt für Arbeit zu. Hier betrug die jahresdurchschnittliche Steigerungsrate 9,3 Prozent. Bezogen auf Gesamtdeutschland wurden die staatlichen Bildungsausgaben relativ reduziert. Sie stiegen zwischen 1993 und 1998 von 184,8 Mrd. DM auf 193,1 Mrd. DM. Dies entsprach aufgrund rückläufiger Ausgaben durch die Bundesanstalt für Arbeit nur noch einer Steigerungsrate von insgesamt 4,5 Prozent. Jahresdurchschnittlich lag die Eskalation bei 0,8 Prozent. Der Anteil der Bildungsausgaben bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt liegt seit Mitte der 80er Jahre nach wie vor bei 4,7 Prozent. Berücksichtigt man bei den Bildungsausgaben die Inflationsrate, so hat zwischen 1993 und 1998 trotz aller politischen Beteuerungen zur gesellschaftlichen Wichtigkeit des Bildungssektors keine reale Erhöhung der Bildungsausgaben stattgefunden. Auch der 1998 vollzogene Regierungswechsel hat bis heute keine wesentlich positive Veränderung gebracht.

^

Vgl. B u l t m a n n , T./Weitkamp, R., Hochschule in der Ö k o n o m i e . Zwischen H u m b o l d t und Standort

Deutschland, 2. Aufl., Marburg 1999, S. 13ff 84

Benifsbildungsbericht 1999, S. 117

36

Die gesellschaftliche Bedeutung von Bildung

Tab. 1: Staatliche Bildungsausgaben sowie Ausgaben für Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit - in Mrd. DM - alte Bundesländer Aufgabenbereich

1988

1989

1990

1991

1992

Elementarbereich Schulen Berufliche Schulen Hochschulen Weiterbildung Förderungsmaßnahmen Darunter: Ausbildungsförderung Gemeinsame Forschungsförderung durch Bund und Länder

5,3 42,2 7,5 25,4 2,9 4,6 2,4

5,7 43,0 7,7 26,8 3,0 4,8 2,4

6,0 45,3 7,4 30,4 3,2 5,2 2,7

6,7 49,9 7,7 31,6 3,7 6,7 3,8

7,5 52,5 8,0 32,6 4,0 7,1 4,0

5,2

5,3

5,4

5,8

5,8

Summe

93,1

96,3

102,8

112,2

117.5

10,7 103,8

11,4 107,7

14,4 117,2

14,6 126,8

15.3 132.8

In Prozent des Bruttoinlandspro4,9 4,8 duktes Quelle: Berufsbildungsbericht 1996, eigene Berechnungen

4,7

4,8

4,7

Bundesanstalt für Arbeit Insgesamt

Tab. 2: Staatliche Bildungsausgaben sowie Ausgaben für Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit - in Mrd. DM - Gesamtdeutschland Aufgabenbereich

1993

1994

1995

1996

1997

1998"

Elementarbereich Schulen Berufliche Schulen Hochschulen Weiterbildung Förderungsmaßnahmen Darunter: Ausbildungsförderung Gemeinsame Forschungsförderung durch Bund und Länder

15,8 69,3 10,4 43,7 4,5 7,6 3,6

16,2 70,8 10,4 45,0 4,6 7,3 3,1

16,0 74,7 10,9 47,3 4,7 7,1 2,9

16,4 76,0 11,0 48,5 4,9 6,9 2,7

17,0 76,1 11,2 49,2 5,0 6,5 2,4

16,8 -5,9 11,3 50,0 4,8 6,6 2,3

7,3

7,8

7,9

8,1

8,4

8,5

Summe

158,6

162,0

168,6

171,8

173,4

1"4,0

Bundesanstalt für Arbeit Insgesamt

26,2 184,8

20,2 182,2

21,4 190,0

22,7 194,5

19,8 193,2

:9,i 193,1

In Prozent des Bruttoinlandspro4,8 4,8 4,8 4,7 4,6 5,0 duktes 1) Vorläufiges Ergebnis, Quelle: Berufsbildungsberichte 1999, 2000, eigene Berechnungen

Bei den Einzelpositionen fällt insbesondere trotz steigender Schülerinnen und Studentenzahlen der drastische Rückgang der Ausgaben für Ausbildungsfor-

Z u r ö k o n o m i s c h e n R e l e v a n z von Bildung

37

derung (Bafög) von 3,6 Mrd. DM im Jahr 1993 auf 2,3 Mrd. DM oder um 36,1 Prozent im Jahr 1998 auf. 1992 erhielten noch insgesamt 845.965 Schülerinnen und Studentinnen Bafög. Bis 1997 reduzierte sich die Zahl auf 535.262 Geförderte oder um - 36,7 Prozent. Dabei bekamen 1992 von den Geförderten insgesamt nur 58,4 Prozent einen Betrag von über 500 DM pro Monat. Diese Zahl hat sich bezogen auf das Jahr 1997 mit 58,6 Prozent so gut wie nicht verändert. 85 Auch ein internationaler Vergleich von Bildungsausgaben dokumentiert bei aller Meß- und Abgrenzungsschwierigkeit zwischen den einzelnen Ländern, „daß Deutschland mit einem Wert von 4,7 Prozent unter dem Ländermittelwert von 5,6 Prozent und bei dem OECD-Gesamtwert von 4,9 Prozent liegt. Innerhalb der Länder der Europäischen Gemeinschaft liegt Dänemark bei einem Spitzenwert von 8 Prozent, Deutschland mit seinem Wert von 4,7 Prozent bildet mit Griechenland (2,4 Prozent) das Schlußlicht. Unter den OECDLändern, die nicht zur EU gehören, hält Norwegen mit 8,1 Prozent den Spitzenplatz, während Japan mit 3,8 Prozent den letzten Rang einnimmt. Unter allen OECD-Ländern haben nur Japan, Griechenland und die Türkei niedrigere Werte als Deutschland." 86

2.2.2.2. Bildung als meritorisches Gut Bildung ist ein meritorisches (gemischtes) Gut. Es hat sowohl den Charakter eines privaten Gutes als auch Merkmale eines öffentlichen Gutes. „Um ein öffentliches Gut handelt es sich dann, wenn nicht der Besitzer von dem Gut profitiert, sondern positive externe Effekte der Allgemeinheit oder zumindest einigen anderen Personen zugute kommen. Beim gemischten Gut hat der Besitzer besondere Vorteile, doch positive externe Effekte nutzen auch anderen. Wegen dieser externen Effekte ist es suboptimal, wenn nur der Besitzer des Gutes die Kosten desselben trägt. Denn er wird dann eine zu geringe Menge nachfragen, weil sein Nutzen unter dem gesamtgesellschaftlichen Nutzen liegt. Optimal wäre es, wenn jeder Nutznießer der externen Effekte sich entsprechend seinem Nutzengewinn an den Kosten beteiligen würde. Da sich die externen Effekte bei weiter Streuung jedoch nicht individuell zurechnen lassen, ist eine steuerfinanzierte Subventionierung des gemischten Gutes in der Regel zu empfehlen. Was sind die externen Effekte bei der Hochschulausbildung, die diese zu einem gemischten (meritorischen) Gut machen? (...) Der private Nutzen eines Studiums liegt vor allem in einer Einkommenserhöhung (bzw. Bildungsrendite; vgl. dazu noch einmal den Punkt 2.2.1, d.V.). 85 Vgl. Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1994, S. 424 und 1999, S. 393, vgl. dazu auch: Bultmann, T.AVeitkamp, R., Hochschule in der Ökonomie, a.a.O., S. 79 - 88

Sachverständigenrat Bildung bei der Hans-Böckler-Stiftung, (Hrsg.), Diskussionspapiere Nr. 1 Oktober 1998, S. 24

38

Die gesellschaftliche Bedeutung von Bildung

Dieses höhere Einkommen wird wieder verausgabt und kommt dann auch anderen Wirtschaftssubjekten zugute. Es mag ungewöhnlich erscheinen, Multiplikatoreffekte als externe Effekte zu bezeichnen, doch sie lassen sich eindeutig unter diesen Begriff subsumieren. Personen, die einen primären Einkommensanstieg hervorrufen, steigern zugleich das Einkommen und den Nutzen anderer, ohne dies zusätzlich zu ihrem eigenen Einkommensanstieg zu bemerken, auch ohne sonstige korrekte Berücksichtigung im Marktprozess. Technischer und organisatorischer Fortschritt, der vor allem von Studierten vorangetrieben wird, lässt die gesamte Wirtschaft zum Vorteil aller wachsen. Neue Ideen haben zum großen Teil selbst wieder den Charakter gemischter Güter." 87 Außerdem fuhrt ein höheres diskontiertes Lebenseinkommen eines Studierten in Relation zu einem Nichtstudierten zu höheren Steuereinnahmen. Die Diskussion um die Einfuhrung von Studiengebühren 88 muß daher mehr als ein „integraler Bestandteil eines marktradikalen Bildungsverständnisses und damit konstitutiver Bestandteil eines neoliberalen Deregulierungskonzeptes der Hochschulen" gesehen werden. 89 Sowohl die neoklassisch indoktrinierende Wirtschaftswissenschaft als auch parteiübergreifend viele Politiker halten - trotz der zuvor angeführten Argumente die Einfuhrung von Studiengebühren bildungspolitisch sowie ökonomisch für sinnvoll. Es soll zumindest partiell zu einer individuellen (privaten) Bildungsfinanzierung über eine entsprechende Preisbildung kommen. 90 Würde ein derartig marktradikales Modell, im Gegensatz zu einem rein steuerfinanzierten Bildungsausgabenmodell, zum Zuge kommen, so würden zukünftig ökonomisch weniger leistungsfähige (zahlungskräftige) Haushalte von Bildung weitgehend ausgeschlossen, zumindest würde die unter heutigen Finanzierungsmodalitäten herbeigeführte Bildungsbeteiligung sich nach sozialen Schichten noch stärker auseinanderentwickeln (segmentieren) als sie es heute bereits tut. Von einer partiellen privaten Beteiligung an den Bildungsausgaben des Staates verspricht man sich Leistungsanreize und nicht zuletzt auch eine höhere Effizienz des Bildungssystems in Form einer verbesserten Qualität des Bildungsoutputs. Dies gelte sowohl für die Anbieter (Lehrenden), denen bei überprüfter (evaluierter) Schlechtleistung monetäre Mittel entzogen werden müßten bzw. bei guter Leistung mehr Mittel zur Verfügung stünden als auch für die Nachfrager (Lernenden), die bei (teilweiser) bezahlter Nachfrage effektiver (qualitätsbewußter) mit dem Gut Bildung umgingen und so ihre Dilger, A., Eine ökonomische Argumentation gegen Studiengebühren, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium (WiSt), Heft 6/2000, S. 310 Vgl. Dohmen, D., Studiengebühren - Traum oder Trauma?, FIBS-Diskussionspapier Nr. 9, 2. Aufl., Köln 1997, Pickhardt, M., Hochschulbildung: Gutseigenschaften und Bereitstellungsmöglichkeiten, in: Das Wirtschaftsstudium (WISU), Heft 1/1998, S. 44 - 46 Bultmann, T./Weitkamp, R., Hochschule in der Ökonomie, a.a.O., S. 66 Eine derartige Preisbildung mit entsprechender privater Vollfinanzierung besteht auf den privaten Weiterbildungsmärkten inkl. privater Nachhilfemärkte. Allenfalls wird der Staat noch über eine steuerliche Begünstigung solcher Weiterbildungskosten beteiligt.

Zur ökonomischen Relevanz von Bildung

39

Lernbereitschaft erhöhen würden. Insgesamt käme es im Bildungssystem zu einer verbesserten Allokation der dort eingesetzten knappen Güter bzw. Bildungsausgaben. Hochschule wird hier wie ein Dienstleistungsunternehmen gesehen. 91 Bei den Studierenden wird mit einer kürzeren Studiendauer gerechnet, da Studiengebühren die Kosten des Studiums erhöhen würden. Dieser Leistungsanreiz muß allerdings mehr als bezweifelt werden. Warum sollen z.B. 1.000 DM Studiengebühren pro Semester zu einer Verkürzung des Studiums fuhren, wenn dies die wesentlich höheren Opportunitätskosten aus einem entgangenen Berufseinkommen (wegen längerer Studiendauer) nicht schaffen? Auch das andere Argument, die Studierenden würden eine stärkere Anspruchshaltung gegenüber den Hochschulen aus Studiengebühren ableiten die Studierenden würden sich in diesem Fall wie „Kunden" des Gutes Hochschullehre verhalten - ist gerade in den Niederlanden, wo eine deutliche Erhöhung der Studiengebühr in den vergangenen Jahren keine entsprechende Veränderung im Hinblick auf Studiendauern und Anspruchshaltungen nach sich gezogen hat, falsifiziert worden. Eine wirkliche Voraussetzung für die Verkürzung der durchschnittlichen Studienzeit wäre dagegen eine Verbesserung der finanziellen Situation der Studierenden im Rahmen einer Erhöhung und Ausweitung der mittlerweile total heruntergefahrenen Ausbildungsforderung BAfoG 92 (siehe dazu die Tabellen 1 und 2). Dies gilt besonders deshalb, weil heute drei Viertel der Studierenden ihr Studium durch Erwerbsarbeit während der Vorlesungszeit! mitfinanzieren müssen. Selbst wenn hierbei nicht immer nur zur Bestreitung eines studienadäquaten Lebensunterhalts einer Erwerbsarbeit nachgegangen wird, dies war 1997 aber immerhin bei 56 Prozent der Studierenden der Fall, so muß dieser Tatbestand aufgrund einer nur unzureichenden Finanzausstattung der Studierenden als eindeutiger gesellschaftlicher Makel angeführt werden. Auch gesamtwirtschaftlich wird die Einführung von Studiengebühren gefordert, da einkommensschwache Haushalte, die unterdurchschnittlich an der Hochschulbildung partizipieren, sich über Steuerzahlungen übermäßig an der Finanzierung beteiligen würden (Verteilungsproblem). Das SteuerVerteilungsargument scheitert hier schon daran, daß nun einmal Steuern keinen Anspruch auf spezielle staatliche Gegenleistungen begründen. Es besteht kein Zusammenhang zwischen einer individuellen Steuerzahlung und einer speziellen vom Steuerzahler genutzten öffentlichen Leistung. Ansonsten könnte jeder Steuerzahler seine individuelle Steuerzahlung mit dem Argument verweigern, daß er öffentliche Leistungen an ihn ablehnt oder anders bewertet. Denkt man außerdem das „Steuerscheinargument" zu Ende, so müßten, im Rahmen einer wirklich sozial gerechten Finanzierung, die Studiengebühren in Abhängigkeit vom sozialökonomischen Status der Eltern und der jeweilig stark divergierenden Kosten pro Studienplatz in den unterschiedlichen FachBultmann, T./Weitkamp, R., Hochschule in der Ökonomie, a.a.O., S. 32 - 47 Zur Novellierung des BafÖg vergleiche Dohmen, D., Ausbildungs-Realsplitting effizient und verteilungsgerecht, FIBS-Diskussionspapier Nr. 10, Köln 1999

40

Die gesellschaftliche Bedeutung von Bildung

richtungen sowie aufgrund der Studienlänge (Regelstudienzeiten) erhoben werden. Ein Studierender der Medizin müßte demnach beispielsweise mit den durchschnittlich verursachenden Kosten eines Studienplatzes in Höhe von 48.000 DM pro Jahr und ein Studierender der Wirtschaftswissenschaft mit nur 3.700 DM belastet werden. Weiter sind gegen eine angebliche Ungleichverteilung die bereits beschriebenen positiven externen Effekte sowie die Steuermehreinnahmen- und Innovationsvorteile einer Hochschulausbildung zu nennen. „Als weiteres Gegenargument gegen die unterstellte Umverteilung zu Lasten einkommensschwacher Bevölkerungsgruppen kommt hinzu, daß Studiengebühren am ehesten für Angehörige dieser Gruppen prohibitiv wirken. Schließlich zahlt zwar jeder Steuern, doch die Nettosteuerbelastung, also die Differenz von Steuerzahlungen an den Staat und empfangenen Leistungen vom Staat, ist nur für Personen mit höherem Einkommen positiv. Also würden de facto auch nur diese Personen Nettobildungsausgaben tragen müssen, wenn es denn welche gäbe." 93

2.3.

Zum Wandel von Bildung und Ausbildung

Ging es in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts um die Verhinderung einer „Bildungskatastrophe" {Picht), so dreht sich heute die Bildungsdebatte um wirtschaftliche Dynamik und gesellschaftliche Chancengleichheit. Die in der Vergangenheit rein quantitative Ausweitung von Bildungsinvestitionen sei dabei vor dem Hintergrund einer „Informations- und Wissensgesellschaft" nicht mehr ausreichend. Es müßten völlig neue qualitative Anforderungen an die Bildungspolitik gestellt werden, um die „Krise der dualen Berufsausbildung" und die „Verrottung der Hochschulen" (Glotz)94 oder die Misere der Weiterbildung zu überwinden. Dies sei deshalb wichtig, weil im 21. Jahrhundert nur die Volkswirtschaften im internationalen Wettbewerb vorne wären, die es schaffen würden, neues Wissen und seine kreative Nutzung in Form von Innovationen in quantitative und qualitative (ökologische) Wachstumsprozesse zu lenken. „Die Schaffung und Anwendung von Wissen jedoch geschieht nicht von selbst. Sie ist unmittelbar an die Fähigkeiten von Menschen geknüpft: an Geschicklichkeit, an spezifische Kenntnisse, an erworbenes Know-how, an Kreativität, Initiative, Engagement usw. und der Erwerb solcher menschlicher Fähigkeiten geschieht durch Bildung und Lernen. Deshalb ist die Informationsgesellschaft essentiell darauf angewiesen, Lernprozesse zu verbreitem und zu beschleunigen. Hierzu bedarf es massiver Investitionen in die Bildung und Ausbildung von Menschen. Eine leistungsfähige Infrastruktur, welche erarbeitete Wissensbestände enthält und Menschen Lernen er-

Dilger, A., Eine ö k o n o m i s c h e Argumentation gegen Studiengebühren, a.a.O., S. 312 ^

Vgl. Glotz, P., Im Kern verrottet? Fünf vor Z w ö l f an Deutschlands Universitäten, Stuttgart 1996

Z u m W a n d e l v o n Bildung und A u s b i l d u n g

41

möglicht und erleichtert, muß geschaffen werden." 95 Hierbei sind auch überlagernde gesellschaftliche Entwicklungen zu berücksichtigen und nicht zuletzt ökonomische Anpassungsprozesse. Der Soziologe Negt verlangt deshalb - auch als Instrument gegen die gesellschaftlichen Erosionskrise - den Erwerb und die Verbreitung von gesellschaftliche Schlüsselqualiflkationenen. Den Umbruch der alten gesellschaftlichen Strukturen macht er anhand von „fünf gesellschaftlichen und ökonomischen Krisenherden" zu seinem Thema: „Wir befinden uns in einer Welt voller Umbrüche, inmitten einer Erosionskrise, in der alte Verhaltensnormen und Orientierungsmuster nicht mehr unbesehen gelten und neue noch nicht da sind, aber intensiv gesucht werden." 96 Weil sich in dieser gesellschaftlichen Erosionskrise feste Strukturen auflösen und Deregulierungsprozesse in den Instutionen und damit bei den Menschen in den Unternehmen einsetzen, verlieren die antiautoritären, auf Selbstregulierung setzenden Erziehungs- und Lernpraktiken der Vergangenheit an Boden - und zwar weil ihnen das widerstandsfähige Objekt fehlt, an dem sie sich reiben und abarbeiten können. Negt überträgt die „Erosion" aus den Erziehungsinstitutionen in den gesellschaftlich-geschichtlichen Bereich; er transferiert also den durch Verunsicherung entstandenen Handlungsbedarf auf eine höhere Ebene. Damit verbindet er individuelles Lernen und persönliche Entwicklung mit der gesamtgesellschaftlichen Weiterentwicklung und sieht in der Herausbildung gesellschaftlicher Schlüsselqualifikationen einen Ausweg aus dem ErosionsDilemma. Die von ihm benannten notwendigen Kernkompetenzen sind: •

Identitätskompetenz:

Umgang mit bedrohter und gebrochener Identität zu lernen,



Technologische Kompetenz:

Gesellschaftliche Wirkungen von Technik zu begreifen und Unterscheidungsvermögen zu entwickeln.



Gerechtigkeitskompetenz:

Sensibilität für Enteignungserfahrungen, für Recht und Unrecht, für Gleichheit und Ungleichheit zu erwerben,



Ökologische Kompetenz:

Pflegerischer Umgang mit Menschen und der Natur zu praktizieren und

Wclsch, J., Welche Bildung braucht die Informationsgesellschaft?, a.a.O., S. 26 % Negt, O., Was künftig gelernt werden sollte, Schlüsselqualifikationen für die Zukunft, in: Jobelius, S./Rünker, R./ Vössig, K. (Hrsg.), Bildungs-Offensive, Reformperspektiven für das 21. Jahrhundert, Hamburg 1999, S. 58, vgl. auch Negt, O., die fünf großen Krisen. Verwerfungen der entwickelten kapitalistischen Gesellschaftsordnung, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 45. Jg., Heft 5/2000, S. 600 - 606

Die gesellschaftliche Bedeutung von Bildung

42



Historische Kompetenz:

über Erinnerungs- und Utopiefähigkeit zu verfugen.

Überlagert werden diese Kernkompetenzen, von der Kompetenz einen Lernzusammenhang herzustellen. „An die Stelle von bloß addierenden Lernschritten muß ein exemplarisches Erfahrungslernen treten. Wesentliches Ziel dieses Erfahrungslernens ist die Herstellung von Zusammenhängen. Das klingt sehr allgemein und ist im Grunde auch selbstverständlich. Doch wenn man betrachtet, in welchem Umfang heute die Medien gerade zur Fragmentierung des Wissens und Bewusstseins beitragen, wird deutlich, daß Zerstörung der zusammenhängenden Weltauffassung zu einem wesentlichen Herrschaftsmittel geworden ist. Man sehe sich nur einmal die Tagesschau unter dem Gesichtspunkt dieser Fragmentierungsstrategie an. Ohne erkennbare Struktur, ohne geschichtliche Hintergründe, ohne Rückverweise auf vergleichbare Ereignisse werden Informationen aneinandergereiht, die nichts erklären und Zusammenhänge zwischen der Situation des Fernsehzuschauers und der übrigen Welt buchstäblich auseinanderreißen. (...) Heute scheint es unzeitgemäß, das Wort Dialektik in den Mund zu nehmen. Daß diese Denkweise zu einem klappernden Gerüst, in dem tatsächlich alles mit allem irgendwie verbunden ist, heruntergebracht wurde, bezeichnet eine eigene Tragödie. Ist aber .Zusammenhang' eigentümlicher Zweck des Lernens, dann ist dialektisches Denken, daß heißt die lebendige Bewegung in Widersprüche, die sich weder aufheben noch umgehen lassen, von äußerster Aktualität. Die Spannung zwischen dem lernenden Ich und dem Überhang der Objektwelt hat sich in gleichem Maße verschärft, wie das Subjekt den Traum von Autonomie und Freiheit verwirklicht glaubt. Diese Scheinautonomie und die entsprechende Freiheitsillusion durchschaubar zu machen und am Ende aufzuheben, ist deshalb der erste und wesentliche Akt eines Lernprozesses, der wirkliche Autonomie und Freiheit begründet. Nicht nur die Erosion der objektiven Verhältnisse macht es unmöglich, daß Zummanhang ohne aktive Beteiligung d;r Lernsubjekte zustande kommt; auch die zersprungene Einheit der großen Theorien legt uns nahe, über neue Verbindlichkeiten in der Herstellung von Zusammenhang nachzudenken." 97 Dies alles fällt allerdings schwer, in einer Welt, in der Politik nicht einmil daran denkt, das zusammenhängende Wissen in der Gesellschaft zu steigen. Wäre es vorhanden, würde die jetzige Politikergeneration keine gesellschaftliche Akzeptanz mehr besitzen. Hinzu kommt als allgemeine gesellschaftliche Entwicklung der letzten Jahre ein eindeutiger Trend zur Entsolidarisierurg bzw. zur Individualisierung. Auch die Voraussetzungen für die Identitätsbildung des Menschen haben sich damit verändert. Da die Bedeutung traditioneller Lebenszusammenhänge in den Hintergrund getreten ist, wird d;r "

Negt, O., Was künftig gelernt werden sollte, a.a.O., S. 61 f.

Zum Wandel von Bildung und Ausbildung

43

Mensch mit seiner Identitätsentwicklung und seinen Bemühungen um biographische bzw. berufsbiographische Kontinuität zunehmend auf sich selbst verwiesen. Die auf eine umfassende Kompetenzentwicklung bezogenen Ansätze beruflicher Bildung koinzidieren mit den Ansprüchen des Einzelnen, sein Leben selbst zu gestalten. Dies bedeutet, daß innerhalb der Berufsausbildung eine Neuorientierung in den Lernmethoden notwendig geworden ist. Hiermit verbunden ist in dem heutigen Berufsverständnis auch die Tendenz zu einer Veränderung der Begrifflichkeiten, wenn nicht mehr von Berufen, sondern berufsübergreifenden Kompetenzen, wie dem Konzept der persönlichen Schlüsselqualifikationen, gesprochen wird. Auf welche bildungsdidaktischen und auch -methodischen Veränderungen muß sich daher die Gesellschaft zukünftig mit einer hohen Wahrscheinlichkeit einstellen? Welsch hat dazu sieben Thesen entwickelt: •

„In der Informationsgesellschaft wird das Quantum an anzueignendem Wissen individuell und gesellschaftlich erheblich zunehmen. Das in der Industriegesellschaft vorherrschende 'Lernen auf Vorrat' wird verdrängt durch ein 'lebensbegleitendes Lernen'. Der Zwang zu höherer beruflicher und regionaler Mobilität wird wachsen.



Die Informationsgesellschaft 'produziert' nicht nur steigende Anforderungen an die Qualifikation der Menschen, auch die Art der geforderten Qualifikationen wird sich verschieben. Neben fachlichen, inhaltlichen Qualifikationen werden soziale Kompetenzen der unterschiedlichsten Art an Bedeutung gewinnen.



Das Verhältnis von Lernen und Arbeiten wird sich in der Informationsgesellschaft grundlegend verändern. Arbeiten muß lernförderlich gestaltet werden. Arbeiten und Lernen müssen stärker miteinander verzahnt werden.



Bildung und Lernen wird in pluralisierten institutionellen Strukturen stattfinden. Lernen wandert aus den herkömmlichen Bildungseinrichtungen aus in andere Institutionen. Vor allem die Wirtschaft wird zu einem wichtigen Träger von Lernprozessen.



Die Informationsgesellschaft bewirkt eine grundlegende Umwälzung der Arbeitswelt. Außerschulische Bildung muß sich verstärkt auf unterschiedliche Lernbedürfnisse und Lerngruppen einstellen, welche sich durch neue Arbeitsformen und Erwerbstätigengruppen ergeben: Kernbelegschaften, Randbelegschaften, Selbständige, Arbeitslose.



Die neuen multimedialen Informations- und Kommunikationstechniken werden zu vorherrschenden 'Kulturtechniken' in der Informationsgesellschaft. Das wird für die Bildung nicht nur neue Probleme aufwerfen, sondern auch neue Möglichkeiten des Lernens bieten.

44



Die gesellschaftliche Bedeutung von Bildung

Mit dem Übergang in die Informationsgesellschaft und den neuen Formen der Bildung verändert sich auch die Rolle der Beteiligten in Lern- und Bildungsprozessen. Es geht nicht mehr vorrangig darum, Lehrstoff v orzutragen und Informationen zu vermitteln, sondern vor allem darum, die Lernenden zu unterstützen, sich mit den neuen Lerninstrumenten zurechtzufinden. Lehrende übernehmen die Rolle von 'Navigatoren', Betreuern und 'Moderatoren' in Lernprozessen." 98

2.4.

Auswirkungen auf das duale System

Die zuvor beschriebenen Veränderungsprozesse im lerndidaktischen und methodischen Bereich werden auch Auswirkungen auf das duale System haben. Diesbezüglich werden zur Zeit die folgenden Punkte kontrovers diskutiert: • „Abkehr von der Berufsorientierung? Grundsätzlich wird gefragt, ob die dem System zugrunde liegende Berufsorientierung („Beruflichkeit") aufrecht erhalten werden kann und soll. Als Indizien der Auflösung des Berufs als Basis für Orientierung, Beschäftigung und Arbeitsmarkt werden u.a. die Abkopplung von beruflicher Ausbildung und Berufstätigkeit, die Zersplitterung der Ausbildung und damit die nachlassende Identifikationsmöglichkeit von Berufen und Berufsbildern angeführt. Vor allem der Wandel der Betriebs- und Arbeitsorganisation, der von einer berufsund funktionsbezogenen hin zu einer prozessorientierten Organisation führt, bewirkte eine Erosion des Berufs als soziostruktureller Kategorie. • Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Ausbildung Ein grundlegendes Problem für das duale Berufsbildungssystem besteht darin, daß es für seine Absolventinnen keine hinreichenden weiteren Entwicklungsperspektiven bietet. Die Durchlässigkeit und die weiteren Aufstiegsmöglichkeiten sind sehr begrenzt, von einer zufriedenstellenden Integration in das übrige Bildungssystem kann nicht die Rede sein. Die seit langem bestehende Forderung, berufliche Abschlüsse aufzuwerten, in dem sie auch einen ^fast) normalen Weg des Hochschulzugangs bilden, findet auch in der ausbildenden Wirtschaft zunehmend Unterstützung. Man verspricht sich davon eine gesteigerte Attraktivität des dualen Ausbildungssystems. • Modernisierung der Ausbildungsgänge Um den steigenden Flexibilitätsanforderungen besser Rechnung zu tngen, wird vorgeschlagen, die Grundstruktur der AusbildungsVerordnungen zi verändern. Dabei soll eine Modularisierung durch die Entwicklung und den Einsatz von Qualifikationsbausteinen betrieben werden. Außerdem soll dei Jugendlichen verstärkt die Möglichkeit eingeräumt werden, bereits 98

Welsch, J., Welche Bildung braucht die Informationsgesellschaft?, a.a.O., S. 28ff.

Z u den a l l g e m e i n b i l d e n d e n Schulen

45

ausbildungsbegleitend oder in engem zeitlichen Bezug zur Ausbildung Zusatzqualifikationen zu erwerben, die auch zertifiziert werden („Ausbildung plus").

• Differenzierung nach Leistungsmöglichkeiten Um leistungsschwächeren Jugendlichen bessere Berufschancen zu ermöglichen, wird an die Einfuhrung spezieller Ausbildungsgänge gedacht, die z.B. in einem Zeitraum von zwei Jahren eine stärker praxisorientierte berufliche Bildung vermitteln sollen. Dieser Vorschlag ist deswegen sehr umstritten, weil befürchtet wird, daß auf diese Weise eine Ausbildung „zweiter Klasse" und damit eine Segmentierung des Ausbildungssektors vorangetrieben wird. • Dualität oder Ausdifferenzierung der Lernorte Die klassische Aufgabenteilung zwischen den beiden Lernorten Betrieb und Berufsschule funktioniert in der Praxis vielfach nicht wie gewünscht, um so mehr gewinnen neue und andere Formen der Ausbildungsorganisation an Bedeutung. Durch Ausbildungs- und Lemortverbünde sollen zusätzliche Betriebe für die Ausbildung gewonnen und dadurch sowohl quantitative wie auch qualitative Verbesserungen bei der beruflichen Ausbildung bewirkt werden. Die weitere Entwicklung ist offen: Während die Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände im Grundsatz auf eine stärkere Spezialisierung, Differenzierung und Ausrichtung der Ausbildung an den Bedarfen der Betriebe und Unternehmen dringen, betonen die Arbeitnehmerorganisationen sehr viel stärker den bildungs- und gesellschaftspolitischen Auftrag des dualen Systems." 99

3.

Zum deutschen Schul- und Hochschulsystem

3.1.

Zu den allgemeinbildenden Schulen

3.1.1.

Die einzelnen Schularten

Das deutsche Schulsystem ist in ein allgemeinbildendes und ein berufsbildendes Schulwesen differenziert. Seit 1871, dem Jahr der Reichsgründung, liegt dabei die Kulturhoheit, d.h. die Gestaltung und Zuständigkeit für das Schulwesen bei den Bundesländern (Art. 70, Ziff. 1 GG). Das so in Deutschland dezentral ausgerichtete allgemeine Schulsystem läßt sich nach der Schulart (z.B. Hauptschule, Realschule, Sonderschule) sowie nach stufenförmigen Bildungsbereichen (Primär-, Sekundär- und Tertiärbereich) unterscheiden (vgl. dazu die folgende Abb. 2).

99

Bäcker, G./Bispinck, R./Hofemann, K./Naegele, G., Sozialpolitik und soziale Lage in Deutschland, Bd. I: Ökonomische Grundlagen, Einkommen, Arbeit und Arbeitsmarkt, Arbeit und Gesundheitsschutz, 3. Überarb. Auflage, Wiesbaden 2000, S. 316-317.

Zum deutschen Schul- und Hochschulsystem

46

Zum Primarbereich gehört die Grundschule. Sie umfaßt die Schuljahre 1. bis 4. (in Berlin als Ausnahme die Schuljahre 1. bis 6.). Der Besuch der Grundschule gilt für alle Kinder ab dem vollendeten 6. Lebensjahr als Pflicht. Die Grundschule vermittelt Grundkenntnisse und -fähigkeiten als Basis für die folgenden Schularten. Das 5. und 6. Schuljahr dienen seit den 70er Jahren in einigen Bundesländern als Erprobungs- und Orientierungsstufe zur besseren Durchlässigkeit (Entscheidungshilfe) zu den weiteren Schularten als eine besondere pädagogische Einheit ohne eine eigene Schulart zu bilden.

Abb. 2:

Schularten und Bildungsbereiche ALLGEMEINBILDEND

BERUFSBILDEND

Grundschule

(Primärbereich)

Hauptschule Sonderschule Realschule Gesamtschule Gymnasium

(Sekundarbereich (Sekundarbereich (Sekundarbereich (Sekundarbereich (Sekundarbereich

Gymnasiale Oberstufe

(Sekundarbereich II)

I) I) I) I) I)

(Sekundarbereich II) Berufsschule Berufsgrundschule Berufsfachschule Berufsautbauschule Fachschule Fachoberschule Kollegschule (Tertiärbereich) Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie Fachhochschule Universität

Die Hauptschule baut als Schule des Sekundarbereichs I mit den Klassen 5. bis 9. bzw. 5. bis 10. (Nordrhein-Westfalen) auf die Grundschule auf. Ziel der Hauptschule ist die Erlangung eines Hauptschulabschlusses. Dieser soll eine grundlegende Vermittlung eines allgemeinen Wissensstandes implizieren und die Eingangsqualifikation für eine betriebliche Berufsausbildung im „dualen System" (betrieblich plus Berufsschule) sowie die Voraussetzung für den Besuch einer Berufsfachschule bilden. In einigen Bundesländern ist neben dem einfachen auch der Abschluß eines qualifizierten Hauptschulabschlusses möglich. In Nordrhein-Westfalen darüber hinaus der Erwerb der Fachoberschulreife. Als besondere Schulart gilt die Sonderschule. Sie beinhaltet einen neunjährigen Pflichtschulbesuch für Lernbehinderte, geistig Behinderte und Körperbe-

Zu den allgemeinbildenden Schulen

47

hinderte. Sonderschulen sollen behinderten Kindern und Jugendlichen, die in Grund- und Hauptschulen nur unzureichend gefördert werden können, je nach Art und Ausmaß der Behinderung, spezielle Lernhilfen, gezielte pädagogische Betreuung und möglichst optimale Entfaltungsmöglichkeiten bieten. Bei den Sonderschulen werden sieben verschiedene Sonderschulzweige unterschieden: Sonderschulen für Lernbehinderte, geistig Behinderte, Verhaltensgestörte, Körperbehinderte, Sprachbehinderte, Hörgeschädigte und Sehgeschädigte. Auch die Realschule gehört, wie die Hauptschule, zum Sekundarstufenbereich I und umfaßt die Schuljahrgänge 5 bis 10. Sie soll die Schülerinnen mit einem über dem Bildungsniveau der Hauptschule liegenden Wissen auf den Abschluß der Fachoberschulreife vorbereiten. Der Abschluß berechtigt zum Besuch der Fachoberschule (Klassen 11 und 12) oder er bildet die Basis für eine „gehobene" Berufsausbildung. Das Gymnasium, als die höchste allgemeinbildende Schulart, ist zweigeteilt in die Sekundarstufe I (Klassen 5 oder 7 bis 10) und in die gymnasiale Oberstufe der Sekundarstufe II (Klassen 11 bis 13). Das Gymnasium baut entweder auf den Wissensstand der Grundschule oder auf die Orientierungsstufe auf. In der sog. „reformierten" Oberstufe wird seit 1972 der Unterricht in Form eines Kurssystems durchgeführt, das den Schülerinnen neigungs- und begabungsentsprechende Schwerpunktbildungen erlaubt. Nach der Aufhebung von Klassenverbänden werden halbjährliche Grund- und Leistungskurse angeboten. Um einer einseitigen Fächerauswahl vorzubeugen, müssen die Schülerinnen bei Zusammenstellung ihrer Leistungspläne eine Mindeststundenzahl in bestimmten Kernfächern aus den Fachbereichen Sprachen, Naturwissenschaften, Gesellschaftswissenschaften und in musischen Fächern belegen. Mit dem Abschluß der allgemeinen Hochschulreife (Abitur) nach der 13. Klasse (in einigen Bundesländern bei besonderen Schülerinnenleistungen nach der 12. Klasse) wird in der Regel der Besuch einer Hochschule (Universität oder Fachhochschule) angestrebt. Als eine heute immer noch „besondere" Schulart wurde gegen Ende der 60er Jahre - zunächst in einigen Bundesländern als Schulversuch - später in den 80er Jahren als sog. „Angebotsschule" die Gesamtschule gesetzlich verankert. Hier sind sämtliche Abschlüsse des Sekundarbereichs I möglich und bei Angliederung einer Oberstufe auch das Abitur. Gesamtschulen werden häufig auch als Schulzentren bezeichnet, in denen die Schularten der Hauptschule, der Realschule und des Gymnasiums räumlich (additiv, kooperativ) oder auch organisatorisch (integriert) zusammengefaßt sind. In der integrierten Gesamtschule (IGS) gibt es nur zu Beginn des Schulbesuchs in der Orientierungsstufe einen für alle Schülerinnen verbindlichen Stundenplan. Später unterscheiden

48

Zum deutschen Schul- und Hochschulsystem

sich die Leistungspläne der einzelnen Schülerinnen je nach ihren Neigungen und Fähigkeiten in den einzelnen Fächern. Hierbei soll die Auslese durch Differenzierung der Schülerinnen auf Basis der unterschiedlichen Neigungen und Begabungen stark im Vordergrund stehen.

3.1.2.

Die quantitative Entwicklung der Schularten

Die Bildungsstatistik 100 (vgl. dazu den folgenden Kasten) dokumentiert für den Bereich der allgemeinbildenden Schulen u.a. auch die Entwicklung der Schülerinnenzahlen an den einzelnen Schularten. Hierbei fällt im wesentlichen eine Anteilsverschiebung zu den höheren Schularten auf (vgl. dazu die folgenden Tabellen 3 und 4). Waren 1950 noch knapp 12 Prozent aller Schülerinnen an der Realschule und am Gymnasium eingeschrieben, so waren es im Schuljahr 1997/98 gut 38 Prozent. Heute besucht fast jede(r) vierte Schülerin eines Jahrgangs in Deutschland das Gymnasium. Machten 1960 von allen Schulabgängern gut 32 Prozent entweder die Fachhochschul- oder die allgemeine Hochschulreife, so waren es im Jahr 1997 fast 60 Prozent. 101 In einer Untersuchung schätzt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW), daß die Zahl der Abiturienten bis zum Jahr 2010 auf 28,5 Prozent ansteigen wird. Weitere 39 Prozent werden einen mittleren Abschluß (Fachoberschulreife) erreichen. Dieser Wert ist im Vergleich zu heute relativ stabil. Rückläufig von gut 27 Prozent auf 25,8 Prozent wird der Anteil der Schülerinnen sein, die einen Hauptschulabschluß bekommen und auch der Anteil ohne Hauptschulabschluß einschließlich der Schulentlassenen aus Sonderschulen wird von heute 8,8 Prozent auf 6,6 Prozent zurückgehen. 102

100 vgl. dazu ausfuhrlich: Kullmer, H. K., Bildungsstatistik, in: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft, Bd. 2, Stuttgart/New York 1988, S. 31 - 46 101 vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung, (Hrsg.), Berufsbildungsbericht 1999, S. 256, BMWI, Hrsg., Wirtschaft in Zahlen '97, S. 175 102

Vgl. DIW-Wochenbericht Nr. 26/1999, S. 488

49

Zu den allgemeinbildenden Schulen

Z u r Bildungsstatistik Gegenstand der Bildungsstatistik ist die quantitative Erfassung von Daten im Bereich des Bildungswesens. In Deutschland werden dazu vom Statistischen Bundesamt, Wiesbaden sowie von den jeweiligen Statistischen Landesämtern als auch von den statistischen Ämtern der Kommunen regelmäßig Statistiken erstellt und veröffentlicht. Im „Statistischen Jahrbuch der Bundesrepublik Deutschland" werden jährlich unter dem Kapitel „Bildung und Wissenschaft" ausführliche und differenzierte Daten zum Bildungsbereich veröffentlicht. Darüber hinaus werden hier zusätzliche Fundstellen und weiterführende Informationsquellen genannt. Insbesondere sei dabei auf die jährlich

erscheinende

Fachserie 11, Bildung und Kultur, Reihe 2, Berufliches Schulwesen und auf die Fachserie 11, Reihe 3 Berufliche Bildung verwiesen. Einen zusammenfassenden statistischen Schnellüberblick im Bereich Bildung verschafft die jährlich vom Bundesministerium für Wirtschaft, Berlin herausgegebene Veröffentlichung „Wirtschaft in Zahlen". Eine wichtige statistische Fundstelle stellt auch der jährlich vom Bundesministerium für Bildung und Forschung herausgegebene „Berufsbildungsbericht" dar. Zu erwähnen sei außerdem die in unregelmäßigen Abständen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin durchgeführten statistischen Berechnungen und Prognosen zur Entwicklung von Schülerinnenzahlen sowie zu den einzelnen Bildungsabschlüssen als auch die Berechnungen

zum

zukünftigen

Bedarf an

Lehrkräften

sowohl

allgemeinbildenden wie auch an berufsbildenden Schulen.

an

Weitere

wichtige Quellen für statistische Daten im Bildungsbereich bilden die Veröffentlichungen vom Bundesinstitut für Berufsbildung Berlin (Fehrbelliner Platz 3, 10702 Berlin, Tel: 030/86430) sowie von der Bundesanstalt für Arbeit das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB),

Nürnberg

(Regensburger

Str.

104,

90478

Nürnberg,

Tel:

0911/170). Zu nennen sind in diesem Zusammenhang auch noch die folgenden Institute: Institut für Technik und Bildung an der Universität Bremen (Wilhelm-Herbst-Str. 7, D-28359 Bremen) und das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (Gustav-Heinemann-Ufer Köln).

84-88,

50968

Zum deutschen Schul- und Hochschulsystem

50

Tab. 3: Jahr

1950 1955 1960 1965 1970 1974/75 1980/81 1984/85 1991/923 1992/93 1993/94 1994/95 1995/96 1996/97 1997/98*

Schülerinnen in allgemeinbildenden Schulen - in 1.000 Grundschule

Hauptschule

Sonderschule

6.813,3 ">

Realschule'

Gymnasium 2

237,6 438,2

666,1 873,7

133,1

370,7

6.303,8

187,6 321,6

574,0 874,4

6.481,3 2.772,8 2.271,6

384,9 354,3

1.111,8

860,3 974,5 1.387,9 1.711,4

2.291,2 3.386,3

1.714,4 1.446,2

284,6

1.142,0

3.319,6 3.475,1 3.558,9 3.634,3 3.691,3 3.698,4

1.483,2 1.478,2 1.488,3 1.498,2 1.500,5 1.504,8

344,0 360,2 371,9 382,9 391,1

1.176,3S) 1.412,6 1.463,3 1.500,5 1.543,4

398,6

1.579,8 1.608,3

5.156,8 5.290,9 5.569,2

4)

406,3

1.351,1

2.149,3 1.884,7 2.376,8 2.095,8 2.161,4 2.193,1 2.209,0 2.226,7 2.245,0

Gesamtschule -

22,3 135,4 220,3 220,9 436.3 493.4 523,8 550,1 571,6 591,4 607,4

Gesamtzahlen 7.717,0 6.468,7 6.655,0 7.305,3 8.910,0 9.824,8 9.119,4 7.537,8 9.196,9 9.164,8 9.473,7 9.673,8 9.847,7 9.988,3 10.070,4

Vorläufiges Ergebnis 1) Inkl. Abendrealschulen, 2) Inkl. Abendgymnasien/Kollegs sowie der entsprechenden Zweige der kooperativen Gesamtschule, 3) Ab 1991/92 Deutschland, 4) Volksschule inkl. Sonderschule, 5) Ab 1991/92 inkl. integrierter Klassen f. Haupt- und Realschüler, Quellen: BMWI, Leistung in Zahlen '72 '74, '77, '86, Wirtschaft in Zahlen 1998, eigene Berechnungen

Der allgemeine Trend zu höheren Schulabschlüssen wird begleitet von Rückgängen der Schüler-Innenzahlen an der Hauptschule, die mittlerweile als sog. „Restschule" negativ eingestuft wird. Gingen im Schuljahr 1980/81 noch fast 25 Prozent aller Schülerinnen zur Hauptschule, so waren es im Schuljahr 1997/98 nur noch knapp 15 Prozent. Zu dieser Entwicklung seit Beginn der 80er Jahre hat sicher auch der starke Zuwachs der Schülerinnen an Gesamtschulen beigetragen, die heute vielfach als ein „Surrogat zur Hauptschule" gesehen wird. Immerhin besuchten im Schuljahr 1997/98 607.000 Schülerinnen oder 6 Prozent aller Schülerinnen an gemeinbildenden Schulen die Gesamtschule.

51

Zu den allgemeinbildenden Schulen

Tab. 4: Jahr

1950 1955 1960 1965 1970 1974/75 1980/81 1984/85 1991/92 3 ' 1992/93 1993/94 1994/95 1995/96 1996/97 1997/98

Schülerinnen in allgemeinbildenden Schulen - Anteile in v.H. -

Grund schule

30,4 30,4 36,9 36,2 36,7 36,8 36,9 37,0 36,7

Hauptschule

88,3" 79,7 *> 79,5 76,2 70,7 66,0 24,9 22,7 15,8 16,2 15,6 15,4 15,2 15,0 14,9

Sonderschule

Realschule 1

Gymnasium 2

3,1 6,8 5,6 7,9 9,8 11,3 14,8 15,2 12,8 15,4 15,4 15,4 15,7 15,8 16,0

8,6 13,5 12,9 13,3 15,6 17,4 23,6 25,0 25,9 22,9 22,8 22,7 22,4 22,3 22,3

2,0 2,6 3,6 3,9 3,9 3,8 3,8 3,9 3,9 4,0 4,0 4,0 4,0

Gesamtschule -

0,3 1,4 2,4 2,9 4,8 5,4 5,6 5,7 5,8 5,9 6,0

Gesamtzahlen 100 100 100 100 100 100 100 100 100 100 100 100 100 100 100

a) Volksschule inkl. Sonderschule, Quelle: Basisdaten Tab. 3, eigene Berechnungen

Der sich hier abzeichnende quantitative Trend zu höheren Schulformen ist insgesamt positiv einzustufen. Schließlich dokumentiert sich hierin eine größere Chancengleichheit für viele einzelne junge Menschen gesellschaftlich aufzusteigen und sich ökonomisch eine verbesserte Daseinsgestaltung und Reproduktionsbasis für später zu sichern.

3.1.3.

Zur qualitativen Entwicklung

Die quantitative Verschiebung zu höheren Bildungsabschlüssen muss aber noch nicht bedeuten, daß es auch zu einer besseren Qualität im Bildungsbereich gekommen ist. Obwohl diese zwar vor dem Hintergrund der beschriebenen Anpassungsnotwendigkeiten in einer zukünftigen „Informationsgesellschaft" unbedingt notwendig sind, zeigt die Realität hier eher qualitative Bildungsschwächen. Nicht nur aufgrund der quantitativ gestiegenen Abschlußzahlen steht beispielsweise das Gymnasium seit längerem - was das Leistungsniveau der Abgängerinnen anbelangt - in der Kritik. Der mit der Oberstufenreform seit 1972 unternommene Versuch einer Vereinigung von breitem Grundwissen und individueller Spezialbildung ist nach Auffassung von Kritikern, unter ihnen ehemalige Mitglieder der Westdeutschen Rektorenkonferenz, mißlun-

52

Zum deutschen Schul- und Hochschulsystem

gen. Die Leistungskurse hätten zum Erwerb eines isolierten und teilweise schon veralteten Spezialwissens, die unzureichende Übereinstimmung in den einzelnen Bundesländern hinsichtlich der Lerninhalte und der Pflichtfachanzahl zu einer gravierenden Beeinträchtigung der Allgemeinbildung geführt. Als Bestätigung dieser Kritik werden die an den Hochschulen festgestellten nachlassenden Studienleistungen von Anfängern betrachtet. Dabei kritisieren fast durchgängig alle Hochschullehrer die teilweise nur noch als „mangelhaft" zu bezeichnenden allgemeinen Bildungskenntnisse ihrer Studentinnen als auch im Besonderen die fehlenden Deutsch- und Sprachenkenntnisse, sowie ein für fast jedes Studium benötigtes Wissen in höherer Mathematik. Diese Leistungsniveaukritik zieht sich wie ein „roter Faden" auch durch die Haupt- und Realschule. „Eine Befragung von rund 800 Betrieben durch das Institut der deutschen Wirtschaft, Köln zum Thema 'Anforderungsprofile von Betrieben - Leistungsprofile von Schulabgängern' hat ergeben, daß von den Betrieben benötigte Kenntnisse, Einstellungen und Verhaltensweisen bei vielen Schulabgängern, die sich für eine betriebliche Ausbildung bewerten, nicht in erwartetem Maße vorhanden sind. Gefordert wurden von Betrieben aller Branchen die Beherrschung der Grundrechenarten und der Rechtschreibung sowie das Vorhandensein von Basisqualifikationen, wie Motivation und Leistungsbereitschaft." 10J Auch der „Psychologische Dienst" der Arbeitsämter in Deutschland 1 0 4 kommt bezogen auf den Leistungsstand der Schulabgänger von Haupt- und Realschulen im Fach Rechnen zu katastrophalen Ergebnissen. So beherrschen von den Hauptschülern mal gerade 27,5 Prozent die Bruchrechnung und nur 21,5 Prozent die Prozentrechnung. Auch bei den Realschülern kommen 51,7 Prozent beim Bruchrechnen und 42,6 Prozent beim Prozentrechnen auf entsprechend schlechte Werte. 1 0 5 Außerdem zeigen die Schulabgänger allgemein beim selbständigen Lem;n, planvollen Arbeiten und logischen Denken im Urteil der Betriebe deutliche Schwächen. Gerade diese Qualifikationen sind aber in der Berufsausbildung und in einer Zeit sehr wichtig, in der sich die Arbeitswelt - wie beschrieben schneller verändert und vom einzelnen eine bessere Qualifizierung gefordert wird. Während nicht ausreichende Schulkenntnisse noch durch betrieblichen Unterricht behoben werden können, lassen sich Schwächen in der persönlichen Entwicklung nur schwer ausgleichen. Auch im internationalen Vergleich schneiden deutsche Schülerinnen ni-ht gerade positiv ab. Seit Jahrzehnten veröffentlicht die U N E S C O bildungsstati-

Hier zitiert aus dem Berufsbildungsbericht 1999, S. 105, vgl. zu den Ergebnissen ausfuhrlich aich den Berufsbildungsbericht 1998, Kapitel 3.4.1 D e n Psychologischen Dienst nehmen jährlich fast 200.000 Ratsuchende in Anspruch. Bei mehi als der Hälfte dieser Ratsuchenden handelt es sich um Jugendliche, bei denen in der Regel neben anderen Fragen die Eignung für bestimmte Ausbildungen geklärt werden soll. 105 Berufsbildungsbericht 1999, S. 103

Zu den a l l g e m e i n b i l d e n d e n S c h u l e n

53

stische Jahrbücher, die O E C D gibt Bildungsindikatoren heraus und fuhrt in Zukunft mit dem Programm PISA (Program for International Student Assessment) regelmäßig Schulleistungsuntersuchungen in den Mitgliedsländern durch. In einer 1995 und 1996 durchgeführten international vergleichenden Untersuchung über die Leistungen in Mathematik und Naturwissenschaften von Schülerinnen der Sekundarstufe II wurde festgestellt, daß Deutschland nicht nur große Abstände zu der Spitzengruppe hat, „sondern auch im Bereich der testleistungsschwächeren Schüler überproportional stark vertreten ist. Fast ein Drittel der Schüler der Sekundarstufe II überschreitet nicht die Stufe des „Rechnerischen Denkens im Alltag". In Österreich und Norwegen verharren auf dieser Stufe rund 20 Prozent, in der Schweiz und in den Niederlanden gar nur gut zehn Prozent der vergleichbaren Population. Die Ebene des „Argumentierens" und „Problemlösens" erreichen von unseren Schülern nur sechs Prozent, in der Schweiz, den Niederlanden und Norwegen sind es doppelt so viele. Ähnlich verhält es sich bei der naturwissenschaftlichen Grundbildung. Während mehr als ein Achtel der deutschen Schüler auf der Stufe des „praktischen Alltagswissens" verharren, sind dies in Österreich nur halb so viele, in der Schweiz und den Niederlanden gar nur gut zwei Prozent. Gut ein Achtel der deutschen Schüler erreicht die oberste Kompetenzstufe der „naturwissenschaftlichen Fachkenntnisse", in Norwegen und der Schweiz sind dies rund ein Viertel und in den Niederlanden knapp ein Drittel der getesteten Population. Bei den Fachleistungen in voruniversitärer Mathematik und Physik im internationalen Vergleich ergibt sich das gleiche Bild. Auch hier liegen die deutschen Schüler mit ihren Testleistungen im Mittelfeld, auch hier sind die Abstände zur Spitzengruppe erheblich." 106

3.1.4.

Schüler-Lehrer-Relationen

Die Politik muß sich hier fragen lassen, ob das relativ schlechte Leistungsniveau, zumindest in den wichtigen Basiskenntnissen, nicht auch mit einer in der Vergangenheit nicht immer optimalen Ausstattung der Schulen mit Sachmitteln, man denke hier nur an die Ausstattung mit PC's aber insbesondere an Lehrern zu tun haben könnte? Es ist für den Lernerfolg wohl unbestritten, daß vor allem eine quantitativ wie auch qualitativ nicht ausreichende Lehrerschaft mit dem Lernerfolg der Schülerinnen positiv korreliert. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin (DIW) untersucht deshalb in regelmäßigen Abständen die Schüler-Lehrer-Relation sowohl im Ist als auch den zukünftigen Bedarf an Lehrern.

Bos, W./Baumert, J., Möglichkeiten, Grenzen und Perspektiven internationaler Bildungsforschung: das Beispiel TIMSS/III, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 35 -36/1999, S. 7ff.

54

Zum deutschen Schul- und Hochschulsystem

T a b . 5:

Schüler-Lehrer-Relation an allgemeinbildenden Schulen 1997

Schüler je Lehrer -

Schulart

Neue

Alte Bundesländer

Grundschulen Orientierungsstufe Hauptschulen Kombinierte Schulen 11 Realschulen Gymnasien Gesamtschulen 2> Sonderschulen Abendschulen u. Kollegs Allgemeinbildende Schulen insgesamt

22,00 17,49 15,18 16,51 18,58 15,35 14,09 6,77 13,91

16,76

20,19 16,65 11,59 15,71 16,00 15,43 13,80 7,20 13,55

Deutschland Gesamt 21,64 17,18 15,05 15,77 18,14 15,36 14,02 6,87 13,86

15,71

16,53

1) Schulen mit Bildungsgängen für Hauptschul- und Realschulabschluß, 2) Integrierte Gesamtschule und freie Waldorfschule, Quelle: DIW-Wochenbericl.t Nr. 13/1999, S. 254

In der letzten Untersuchung aus dem Jahr 1999107 (auf Basiswerte des Jahres 1997 aufbauend) stellte das Institut fest, daß Ende 1997 in Deutschland insgesamt rund 667.800 Lehrerinnen an allgemeinbildenden Schulen beschäftigt waren. Gegenüber 1993 entsprach dies einer Steigerung an Lehrkräften von gut 1,2 Prozent. Insgesamt erteilten die Lehrkräfte pro Woche 14,35 M:o. Stunden Unterricht. Auf eine Klasse kamen im Durchschnitt 22,4 Schülerinnen. Die Schüler-Lehrer-Relation schwankte dabei von Schulart zu Schulart als auch zwischen den neuen und alten Bundesländern relativ stark, wie cie Tabelle 5 zeigt. „Die Schüler-Lehrer-Relation veränderte sich an den allgemeinbildenden Schulen von 1993 bis 1997 in den alten und neuen Ländern unterschiedlich, zum Teil gegenläufig. Während sie sich im Westen generell verschlechterte, verbesserte sie sich etwas im Osten. Insgesamt entfiel 19)7 an den allgemeinbildenden Schulen im Westen gut ein Schüler mehr auf eine Lehrkraft als im Osten. (...) Bei den Grundschulen sind im internationalen Vergleich die Schüler-Lehrer-Relationen ungünstig und die Klassen groß. Eei den anderen allgemeinbildenden Schularten liegen die Relationen innerhalb der OECD bestenfalls im Mittelfeld." 108 Zur Bestimmung des zukünftigen Lehrerbedarfs (Einstellungsbedarfs) maß von einem Ersatz- und Zusatzbedarf ausgegangen werden. Ersatzbedarf liegt vor, wenn Lehrer den Schuldienst beenden und ein Zusatzbedarf liegt vor, 107

Vgl. dazu ausführlich den DIW-Wochenbericht Nr. 13/1999, S. 252 - 259

108

Ebenda, S. 253f.

Zu den allgemeinbildenden Schulen

55

wenn sich die Schülerinnenzahl erhöht oder die Schüler-Lehrer-Relation sinken soll. Nimmt die Zahl der Schüler ab, entsteht rechnerisch ein Überhang an Lehrern, wenn weniger Personen aus dem Schuldienst ausscheiden, als es nach den vorhandenen Relationen geboten wäre. Nach der vom DIW entwikkelten Grundvariante, die den Status quo der Schüler-Lehrer-Relation fortschreibt, wird der Lehrerbedarf an allgemeinbildenden Schulen in Deutschland bis 2005 und von 2010 bis 2015 in West- und Ostdeutschland sich gegenläufig verändern. „Im ersten Abschnitt wird er in den alten Ländern steigen und in den neuen sinken, im zweiten wird es umgekehrt sein." 109

Tab. 6:

Einstellungsbedarf an Lehrern pro Jahr an gemeinbildenden Schulen

Zeitraum

1997/2000 2000/2005 2005/2010 2010/2015

Grundvariante Alte Bundesländer

Neue

18.585 16.146 1.980 2.967

6.905 7.507 3.291 1.709

Variante mit zusätzlichen Lehrkräften Alte Neue Bundesländer 28.321 -5.887 16.500 -7.711 1.172 -2.975 2.050 4.811

Quelle: DIW-Wochenbericht 13/1999, S. 259

Eine zweite vom DIW gerechnete Variante mit einem zusätzlichen Lehrerbedarf zur Verbesserung der Schüler-Lehrer-Relation kommt gegenüber der Basisvariante zu ähnlichen Ergebnissen auf einem höheren Bedarfsniveau an neu einzustellenden Lehrkräften. Indes besteht bei beiden Alternativen (wie die Tabelle 6 zeigt) in den alten Bundesländern gegenwärtig und in den unmittelbar folgenden Jahren der höchste jährliche Einstellungsbedarf. „Aus dem Überhang an Lehrkräften, der in den nächsten Jahren in Ostdeutschland entsteht, kann der Einstellungsbedarf in den westdeutschen Ländern nur teilweise gedeckt werden, abgesehen davon, daß das hohe durchschnittliche Alter der Lehrer und die unterschiedlichen Lehrbefähigungen der regionalen und beruflichen Mobilität Grenzen setzen. Die aus Haushaltsgründen häufig geübte Praxis, über verkürzte Stundentafeln und längere Arbeitszeiten die Personalausgaben an Schulen zu begrenzen, ist auf Kosten der Qualität des Schulunterrichts nicht beliebig ausdehnbar. (...) Bekannt ist außerdem, daß neu eingestellte junge Lehrerinnen ein notwendiges Innovationspotential für Unterricht und Kollegen sind. Einen gleichen Stellenwert für einen besseren Unterricht an Schulen hat auch die Erfüllung weiterer Forderungen: Die Weiterbildung des vorhandenen Personals ist voranzutreiben, und Schulunterricht darf nicht ausfallen/'l 10

l09

V g l . DIW-Wochenbericht Nr. 13/1999, S. 256

110

Ebenda, S. 258

56

3.2.

Zum deutschen Schul- und Hochschulsystem

Zum tertiären Bildungsbereich der Hochschulen

Neben dem Primär- und Sekundarbereich zählt zum Bildungssektor auch ein tertiärer Hochschulbereich. Hierzu gehören Universitäten, Gesamthochschulen, Fachhochschulen und sonstige Ausbildungsstätten (Akademien) mit berufsqualifizierenden (akademischen) Bildungsgängen. Das Hochschulsystem 111 in Deutschland umfaßt zur Zeit 349 Hochschulen. Es unterscheidet sieben Hochschularten. 1. Universitäten, 2. Gesamthochschulen inkl. der Fernuniversität in Hagen, 3. Theologische Hochschulen, 4. Pädagogische Hochschulen, 5. Kunsthochschulen inkl. der Sporthochschule in Köln, 6. Fachhochschulen inkl. der Fernfachhochschule in Hamburg und 7. Verwaltungsfachhochschulen. 112 Alle Hochschulen dienen gemäß § 2 Hochschulrahmengesetz von 1993 der Pflege und der Entwicklung der Wissenschaften und der Künste durch Forschung, Lehre und Studium und bereiten auf berufliche Tätigkeiten vor, die die Auswertung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden oder die Fähigkeit zu künstlerischer Gestaltung erfordern. Zu den Universitäten zählen alle wissenschaftlichen Hochschulen inkl. der technischen Hochschulen mit einem vollständigen Fächerspektrum in allen Zweigen der Real,- Sozial-, Formal- und metaphysischen Wissenschaften. 113 Als Zugangsvoraussetzung gilt die allgemeine Hochschulreife oder der Abschluß an einer Fachhochschule bzw. Verwaltungsfachhochschule. Die Universitäten verfugen alle über das Recht den Doktorgrad (Promotionsrecht) sowie die Lehrbefähigung für ein bestimmtes Fachgebiet an einer Universität (Habilitationsrecht) zu verleihen. Zur Zeit gibt es in Deutschland 86 Universitäten, davon 19 in den neuen Bundesländern. Als Abschlüsse verleiht die Universität neben dem Diplom auch den Abschluß des ersten Staatsexamens sowie den Magistertitel. Einige Universitäten verleihen neuerdings im Rahmen einer internationalen Titelangleichung zusätzlich die akademischen Grade Bachelor und Master of Arts M.A.

' ' ' Einen kurzen historischen Überblick zur Entwicklung der Hochschulen zeigen: Rethmeier, B./Zdrowomyslaw, N., Leitfaden für Hochschulinteressierte: Fachhochschule, Wirtschaft und Staat im Aus- und Weiterbildungsverbund, Milow 1995, S. 17f. Vgl. ausfuhrlich zum Profil der einzelnen Hochschulen: Handbuch der Universitäten und Fachhochschulen Deutschland, Österreich, Schweiz, 8. Aufl., München 1998, Studien- und Berufswahl 1998/99, Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung und Bundesanstalt für Arbeit, (Hrsg.), 28. Aufl., Nürnberg 1998, Albrecht, A./Neuvians, N., FH-Guide, Wirtschaft und Wirtschaftsrecht. Die Fachbereiche stellen sich vor, Köln 1998 Zur Systematik der Wissenschaften vgl. Bontrup, H.-J., Volkswirtschaftslehre. Grundlagen der Mikro- und Makroökonomie, München/Wien 1998, S. 2

Zum tertiären Bildungsbereich der Hochschulen

57

Seit dem Wintersemester 1950/51 ist in Deutschland die Zahl der Studentinnen an den Universitäten (inkl. der theologischen Hochschulen und der pädagogischen Hochschulen) von 122.442 auf 1.202.069 im Wintersemester 1998/99 um 881,7 Prozent gestiegen. Kamen im Jahr 1950 auf 1.000 Einwohner 2,4 Universitäts-Studentinnen, so waren es 1997 14,9. Der Anteil der Studentinnen an den Universitäten gemessen an den Studentinnen aller Hochschularten lag im Wintersemester 1998/99 bei 66,3 Prozent (vgl. zu den einzelnen Werten die folgenden Tabellen 7 und 8). Die seit 1970 entstandenen 7 Gesamthochschulen in Duisburg, Essen, Paderborn, Siegen, Wuppertal und Kassel sowie die Fernuniversität in Hagen umfassen im Unterschied zu den Universitäten sowohl Ausbildungsrichtungen von wissenschaftlichen Hochschulen als auch von Fachhochschulen, z.T. auch von Kunsthochschulen. Als Zugangsvoraussetzung gilt hier die allgemeine Hochschulreife oder die Fachhochschulreife. Das besondere Kennzeichen der Gesamthochschule ist dabei eine Vereinigung von Universität und Fachhochschule durch integrierte Studiengänge. Gesamthochschulen verfugen wie Universitäten über ein Promotions- und Habilitationsrecht. Als Abschluß wird sowohl das Universitäts-Diplom als auch das Fachhochschul-Diplom verliehen. Im Wintersemester 1998/99 studierten an den Gesamthochschulen insgesamt 143.684 Studentinnen. Dies entsprach einem Anteil bezogen auf alle anderen Hochschularten von 7,9 Prozent (vgl. die folgenden Tabellen 7 und 8). Als Theologische Hochschulen sind z.Z. 16 kirchliche sowie staatliche philosophisch-theologische Einrichtungen definiert. Sie haben teilweise Promotionsrecht, einige auch das Habilitationsrecht. Nicht zu den Theologischen Hochschulen werden die theologischen Fakultäten/Fachbereiche an Universitäten gezählt. Als Zugangsvoraussetzung gilt grundsätzlich die allgemeine Hochschulreife. Im Wintersemester 1998/99 waren 2.510 Studierende an Theologischen Hochschulen in Deutschland eingeschrieben. Pädagogische Hochschulen sind wissenschaftliche Hochschulen, z.T. mit Promotionsrecht. Als Zugangsvoraussetzung ist auch hier die allgemeine Hochschulreife erforderlich. Insgesamt bestehen nur noch 8 pädagogische Hochschulen in einigen Bundesländern als selbständige Einrichtungen zur Ausbildung von Lehrerinnen für Grund- und Hauptschulen sowie für Realund Sonderschulen. Das Studium schließt mit dem ersten Staatsexamen für den Schuldienst oder einem Diplom in Pädagogik ab. Grundsätzlich findet heute die pädagogische und fachbezogene Ausbildung von Lehrerinnen für den Sekundarbereich I und II an den Universitäten statt. Im Wintersemester 1998/99 studierten insgesamt noch 17.739 Studentinnen an Pädagogischen Hochschulen.

58

Tab. 7: Wintersemester

Zum deutschen Schul- und Hochschulsystem

Entwicklung der Studentinnenzahlen nach Hochschularten Universität0

1950/51

122.442

1955/56

138.707

1960/61 1965/66

Gesamthochschule

Fachhochschule 2 '

-

-

KunsthochschuleSporthochschule 5.079

Gesamt

127.521

-

-

5.532

144.238

219.397

-

-

7.178

226.575

276.408

-

-

7.577

283.935

1970/71

411.520

-

-

10.456

421.976

1975/76

596.324

41.861

137.425

13.094

788.7)4

1980/81

705.857

66.673

190.341

15.719

978.590

1985/86

875.065

80.715

287.198

19.121

1.262.099

1991/92 3 '

1.220.902

129.371

396.484

28.904

1.775.651

1995/96

1.233.466

146.729

448.561

29.150

1.857.9)6

1996/97

1.223.305

145.569

439.795

29.430

1.838.099

1997/98

1.219.452

144.976

438.386

29.944

1.832.758

1998/99

1.202.069

143.684

437.319

30.276

1.813.348

I) Inkl. pädagogischer und theologischer Hochschulen, 2) Ab 1992/93 einschließlich Verwaltungsfachhochschuler, 3) Ab 1991'92 Deutschland, p e l l e : BMWI, Leistung in Zahlen '72 '74, '77, '86, Wirtschaft in Zahlen '98, Statistisches Jahrbuch der Bundesrepublik Deutschland 1999, S. 380, eigene Berechnungen

Zu den Kunsthochschulen gehören 16 Hochschulen für „bildende Künste" sowie weitere 30 künstlerische Hochschulen für Gestaltung, Musik, Film und Fernsehen. Die Aufnahmebedingungen sind hier besonders geregelt. Neben der allgemeinen Hochschulreife sind besondere Begabungsnachweise zu erbringen oder eine Eignungsprüfung abzulegen. Die einzige Sporthochschule in Köln wird statistisch auch den Kunsthochschulen zugeordnet. Das Studium an einer Kunsthochschule fuhrt zum Diplom, Staatsexamen bei Lehramtsfächern (z.B. Ausbildung von Kunst- und Musikerziehern für Gymnasien, teilweise auch an Haupt- und Realschulen) oder zu einem künstlerischen Examin (Konzertreife, Zertifikat, Kirchliches Examen bei Kirchenmusik, Konzertexamen, Meisterklasse). Über ein Promotions- und Habilitationsrecht verfugjn die Kunsthochschulen nur in Ausnahmefällen. An den Kunsthochschulen waren im Wintersemester 1998/99 insgesamt 30.276 Studentinnen eingeschrieben. Der Anteil lag bei 1,7 Prozent bezogen auf alle Hochschularten.

Z u m tertiären B i l d u n g s b e r e i c h der H o c h s c h u l e n

Tab. 8:

59

Anteile der Studentinnenzahlen nach Hochschularten - in v.H. -

WinterSemester

Universität " GesamthochSchule

1950/51

96,0

1955/56

96,2

-

Fachhochs c h u l e 2>

Kunsthochschule Sporthochschule

Gesamt

4,0

100

3,8

100

-

3,2

100

-

2,7

100

-

2,5

100

-

1960/61

96,8

1965/66

97,3

1970/71

97,5

1975/76

75,6

5,3

17,4

1,7

100

1980/81

72,1

6,8

19,5

1,6

100

1985/86

69,3

6,4

22,8

1,5

100

1991/92 3 1

68,8

7,3

22,3

1,6

100

1995/96

66,4

7,9

24,1

1,6

100

1996/97

66,6

7,9

23,9

1,6

100

1997/98

66,6

7,9

23,9

1,6

100

1998/99

66,3

7,9

24,1

1,7

100

-

Quelle: B a s i s w e r t e a u s Tab. 9, eigene B e r e c h n u n g e n

Die 152 Fachhochschulen sind in ihrer rechtlichen Stellung den Universitäten gleichgestellt. Fachhochschulen gibt es seit 1969 in der alten Bundesrepublik und in den neuen Ländern seit 1991. Das Studium beträgt in der Regelstudienzeit wie an Universitäten 8 Semester, allerdings inkl. einem Praxissemester. Als Zugangsvoraussetzung gilt die allgemeine Hochschulreife oder die Fachhochschulreife; an einigen Fachhochschulen außerdem ein einschlägiges Praktikum bezogen auf den angestrebten Studiengang. Inhaltlich unterscheiden sich Universitäten und Fachhochschulen in Form einer mehr wissenschaftlich- anwendungsbezogenen Lehre und Forschung für Studiengänge in den Bereichen der Technik (Ingenieur- und Wirtschaftsingenieurwesen, Architektur und Innenarchitektur 114 ), Informatik, Mathematik, Wirtschaft (Betriebs- und Volkswirtschaft), Wirtschaftsrecht, 115 Sozialwesen, Design (Gestaltung) und Medien, Archiv-, Bibliotheks-, Dokumentations- und Informationswesen, Ernährung und Hauswirtschaft, Forstwirtschaft und Landespflege, Religionspädagogik, Restaurierungskunde, Seefahrt (Nautik), Gesundheitswesen/Pflegemanagement, Chemie und Sprachen. Das Studienangebot ist in den letzten Jahren durch die Errichtung weiterer differenzierter Angebote noch breiter aufgefächert worden. Als Studienab' Vgl. Hennig, K./Staufenbiel, J. E., Das Ingenieurstudium. Studiengänge und Berufsfelder für Diplom-Ingenieure, 5. Aufl., Köln 1992 Vgl. zu den Studiengängen Wirtschaft und Wirtschaftrecht: Albrecht, A./Neuvians, N., FH-Guide Wirtschaft und Wirtschaftsrecht, Köln 1998

60

Z u m d e u t s c h e n S c h u l - u n d Hochschulsystem

Schluß wird ein Diplom mit dem Zusatz (FH) verliehen. Die Promotion ist s;it dem Beschluß der Kultusministerkonferenz vom Dezember 1992 unter bestimmten Auflagen für entsprechend qualifizierte Fachhochschulabsolventan in Verbindung mit einer Universität auch an Fachhochschulen möglich. Als spezielle Form der Fachhochschule sind 36 Verwaltungsfachhochschulen gegründet worden, an denen Nachwuchskräfte (Beamte) für den gehobenen nichttechnischen Dienst in der öffentlichen Verwaltung (kommunale Verwaltung, Steuerverwaltung, Rechtspflege u.a. im Polizeidienst) des Bundes und der Länder sehr praxisnah ausgebildet werden. Auch die Fachhochschule der Deutschen Bundesbank fällt unter die Verwaltungsfachhochschulen. Im Gegensatz zu den anderen Hochschulen (freier Zugang) kann an eir.er Verwaltungsfachhochschule nur studieren, wer über die Fachhochschulre fe verfügt und sich bei einer der verschiedenen Einstellungsbehörden erfolgreich beworben hat und als Nachwuchskraft für den öffentlichen Dienst durch Eignungsprüfungen ausgewählt wurde (Beamtenanwärter). Während des Vorbereitungsdienstes an Verwaltungsfachhochschulen sind die Studierenden „Eeamte auf Widerruf. Sie haben in den als Trimester abgehaltenen Veranstaltungen Anwesenheitspflicht und erhalten während des Studiums cie vollen Beamtenanwärterbezüge. An den Fachhochschulen einschließlich der Verwaltungsfachhochschulen waren im Wintersemester 1998/99 insgesamt 437.319 Studentinnen eingeschoben. Bezogen auf alle Studentinnen an deutschen Hochschulen entsprach dies einem Anteil von 24,1 Prozent. Zu den sonstigen Ausbildungsstätten des tertiären Bildungsbereiches außerhalb der Hochschulen werden die Berufsakademien 116 gezählt. Sie vermitteln in Form einer dualen Ausbildung mit theoretischer und paralleler praktischer Tätigkeit einen berufsbezogenen Abschluß. „Das Diplom einer Berufsakacemie ist lediglich in Baden-Württemberg, wo dieses Modell einer dualen Ausbildung im Jahre 1974 aus der Wiege gehoben wurde, rechtlich einem Fachhochschulabschluß gleichgestellt." 117 Als Abschluß wird hier das Diplom mit dem Zusatz (BA) verliehen. Zugangsvoraussetzung zu den Berufsakademi;n ist die allgemeine oder fachgebundene Hochschulreife. Außer in BadenWürttemberg existieren Berufsakademien - mit einer etwas anderen Orgatisationsstruktur - auch in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Berlin und Sachsen. Um vergleichbare Institutionen zu den Berufsakademien handelt ;s sich bei den Wirtschaftsakademien in Bremen, Niedersachsen, Hamburg u:id im Saarland.

Vgl. dazu ausfuhrlich: Kersten, J.T., Berufsakademien in Niedersachsen. Duale Ausbildung als Alternative zum Hochschulstudium, Hannover 1993 Rethmeier, B./Zdrowomyslaw, N., Leitfaden fiir Hochschulinteressierte, a.a.O., S. 26

Allgemeine Weiterbildungsmöglichkeiten

3.3.

61

Allgemeine Weiterbildungsmöglichkeiten

Im Rahmen eines heute notwendig gewordenen „lebenslangen Lernens" 118 spielen im Bildungsbereich auch Weiterbildungsmöglichkeiten eine wichtige Rolle. „Weiterbildung bezeichnet die Fortsetzung oder Wiederaufnahme organisierten Lernens nach Abschluß einer ersten Bildungsphase und nach Aufnahme einer Berufstätigkeit. Der Begriff ist, soweit er auch allgemeinbildende Inhalte einschließt, weiter gefaßt als der Begriff 'berufliche Fortbildung' im Berufsbildungsgesetz. Im Gegensatz zu den Bildungsträgern des Primär-, Sekundär* und tertiären Bereichs ist Weiterbildung nicht staatlich reglementiert oder an bestimmte Formen und Inhalte gebunden. Vielmehr besteht ein vielfältiges Angebot unterschiedlicher Träger, das in seiner Gesamtheit bestrebt ist, schnell und flexibel auf gegenwärtige und zukünftige Anforderungen zu reagieren. Wichtigste Träger der beruflichen Weiterbildung sind die Betriebe der Wirtschaft. Nach Feststellungen des Instituts der deutschen Wirtschaft, Berlin sind 97 Prozent der Unternehmen regelmäßig in diesem Bereich aktiv. Die wichtigsten außerbetrieblichen Träger beruflicher Weiterbildung sind direkt oder über angeschlossene Bildungswerke - Kammern, Wirtschafts- und Berufsverbände, Gewerkschaften sowie gewerbliche Anbieter. Zunehmend bieten auch berufliche Schulen und tertiäre Bildungseinrichtungen Weiterbildung an." 119 Allein in der Zeit von April 1997 bis April 1998 nahmen in Deutschland insgesamt gut 7,2 Mio. Teilnehmerinnen an Weiterbildungsmaßnahmen teil. Davon gut 1,3 Mio. in den neuen Bundesländern. Der Männeranteil an allen Weiterbildungsmaßnahmen lag insgesamt bei 54,6 Prozent, der Frauenanteil entsprechend bei 45,4 Prozent. Differenziert nach alten und neuen Bundesländern betrug der Anteil in den alten Ländern bei den Männern 49,4 Prozent und in den neuen Bundesländern 50,6 Prozent. 120 Die Weiterbildungsmaßnahmen umfaßten dabei Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen, zu denen Vorträge oder Wochenendkurse, der Besuch von Techniker- oder Meisterschulen sowie von Lehrgängen, Kursen, Seminaren usw. zählten. Lehrgänge, die der Allgemeinbildung, der Berufsvorbereitung und ausbildung dienen, sind hier nicht erfaßt. Auf diesem Gebiet spielen u.a. die über 1.000 Volkshochschulen in Deutschland eine wesentliche und wichtige Rolle im Rahmen der Weiterbildung. Sie bieten auch zur Ausgestaltung des Bildungsurlaubs 121 eine Vielzahl Als wesentliche Gründe sind hierfür zu nennen: Zunahme der Wissensproduktion und ein Rückgang der Halbwertzeit des Wissens. 119 Mues, W./Müller, A./Peege, J./Rapp-Frick, H.-P./Sahrhage, W./Tripp, W.AVeibert, C.-D., (Hrsg.), Der Weg zur Ausbilderprüfung, a.a.O., S. 1/22 120 121

Vgl. Statistisches Jahrbuch 1999 für die Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden 1999, S. 398

Der Bildungsurlaub basiert auf einer gesetzlichen (gilt nicht in allen Bundesländern) oder tarifvertraglichen Anspruchsgrundlage zwischen 5 und 10 Tagen in zwei Jahren. Er ist als Freistellung von anderer Arbeit zum Zweck der Bildung unter Fortzahlung des Arbeitsentgeltes definiert und soll der politi-

62

Zum deutschen Schul- und Hochschulsystem

von Lehrgängen, Kursen und Arbeitsgemeinschaften und/oder beruflichen Weiterbildung an.

zur

allgemeinen

So boten im Jahr 1992 die Volkshochschulen insgesamt fast 467.000 Kursveranstaltungen, die rund 6,3 Mio. mal von Teilnehmern belegt wurden und fast 79.000 Einzelveranstaltungen mit knapp 3 Mio. Belegungen an. 122 Wie wichtig neben einer hochschulischen- oder beruflichen Erstausbildung die berufliche Weiterbildung zukünftig sein wird, belegt u.a. auch die Untersuchung durch das Nürnberger Institut fiir Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Zusammenarbeit mit dem Prognos-Institut, Basel. Hier wurde bezüglich der Veränderungen in der Arbeitswelt der folgende allgemeine Trend formuliert: „Weg von der Produktion, hin zur Dienstleistung". Tätigkeiten im Bereich Organisation und Management sind die Gewinner beim Wandel der Arbeitsgesellschaft. Waren 1995 (neuere Zahlen liegen nicht vor) 78 von 1.000 Erwerbstätigen in diesem Bereich tätig, so werden es im Jahr 2010 schätzungsweise bereits 103 von 1.000 Erwerbstätigen sein. Verlierer in der Arbeitswelt finden sich in den Tätigkeitsbereichen Herstellen, Reparieren, Maschinen herstellen und warten. Generell gibt es einen Trend zu höherer Qualifikation. In diesem Kontext ist auch die berufliche Umschulung nach § 1 Abs. 4 Berufsbildungsgesetz ein wichtiger Faktor. Im Unterschied zur beruflichen Fortbildung gemäß § 1 Abs. 3 Berufsbildungsgesetz, die auf Anpassung bzw. Erweiterung des Wissens und Könnens im erlernten Beruf abzielt, „ist Umschulung die Vorbereitung des Wechsels in einen anderen Beruf. Sie kann notwendig werden, •

aus Gründen der technisch-wirtschaftlichen Entwicklung, weil bestimmte Berufe nicht mehr im bisherigen Umfang benötigt werden (die Strukturanpassungen in der Montan-Industrie des Ruhrgebiets und in der ostdeutschen Wirtschaft nach der staatlichen Vereinigung Deutschlands sind Beispiele für arbeitsmarktbedingte Umschulungsnotwendigkeiten in großem Umfang);



aus gesundheitlichen Gründen, weil der einzelne seinen bisherigen Beruf krankheits- oder unfallbedingt nicht mehr ausüben kann (Umschulung aus Gründen medizinischer Rehabilitation);



aus persönlichen Gründen, weil sich der Arbeitnehmer beruflich umorientieren möchte." 123

sehen und beruflichen Weiterbildung dienen. 122 123

Vgl. Statistisches Jahrbuch 1994 für die Bundesrepublik Deutschland, a.a.O., S. 429

Mues, W./Müller, A./Peege, J./Rapp-Frick, H.-P./Sahrhage, W./Tripp, W.AVeibert, C.-D., (Hrsg.), Der Weg zur Ausbilderprüfung, a.a.O., S. 1/3

Z u m Berufsbegriff

63

Die staatliche Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung war bis Ende 1997 im Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in den § § 3 3 bis 49 AFG) geregelt. Seit dem 1. Januar 1998 ist das frühere Recht weitgehend auf das Sozialgesetzbuch (SGB III) übergegangen. An die Stelle der Begriffe „Fortbildung und Umschulung" ist im SGB III der Oberbegriff „Berufliche Weiterbildung" getreten (§§ 77 bis 96, §§ 153 bis 159, § 417). 124

4.

Die Zukunft der Berufswelt

4.1.

Zum Berufsbegriff

Die sprachgeschichtliche Bedeutung des Begriffs „Beruf' geht ebenso wie der Begriff „Arbeit" auf Martin Luther zurück, der das Wort in seiner Bibelübersetzung als „Berufung" durch Gott für das lateinische „vocatio" gebrauchte und schließlich für den Stand und das Amt des Menschen in der Gesellschaft. Erst nach 1900 wurde der Begriff „ B e r u f in den allgemeinen Sprachgebrauch aufgenommen und im Jahr 1925 durch Max Weber wissenschaftlich definiert. Weber verstand unter einem Beruf die durch Spezifizierung und durch (eine typische) Kombination abgehobene Leistung einer Person, die Basis einer kontinuierlichen Versorgungschance ist. Hieraus wird bereits folgendes deutlich: Erstens erfordert der Beruf einen qualifizierten Bildungsprozeß - und steht insofern funktional zwischen Arbeit und Bildung -, zweitens bestimmt er durch die mit seiner Ausübung verbundenen materiellen und immateriellen Belohnungen (Einkommenserwerb) den sozialökonomischen Status des einzelnen und seiner Familie im Hinblick auf Bedürfnisbefriedigung und wirkt damit drittens soziologisch schichtenbildend innerhalb der Gesamtgesellschaft. Auch grenzt sich der Beruf von anderen menschliche Arbeit beschreibenden Begriffen ab. „So wird als 'Job' eine Arbeit verstanden, die nicht auf Dauer angelegt ist und mit der auch keine engere persönliche Identifikation verbunden ist. In gleicher Weise fehlt bei 'Tätigkeit' oder 'Erwerbstätigkeit' in der Regel der persönliche Bezug." 125 Seit der Definition des Berufsbegriffs von Weber werden Berufe amtlich erfragt und ausgewiesen. 126 In der Statistik des Statistischen Bundesamtes, ' 2 4 Zu den wichtigsten inhaltlichen Veränderungen und zu quantitativen Angaben über Teilnehmerinnen an staatlich geförderten beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen vergleiche ausführlich den Berufsbildungsbericht 1999, S. 155ff. 125

Berufsbildungsbericht 1999, S. 1/11

126 Yg| Hofbauer, H./Stooß, F., Beruf und Berufsbildung, in: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft, Bd. 1, a.a.O., S. 468

Die Zukunft der Berufswelt

64

Wiesbaden werden heute etwa 20.000 „Berufsbezeichnungen" aufgeführt. Diese werden wiederum zu Berufsordnungen, Berufsgruppen, Berufsabschnitten und Berufsbereichen zusammengefaßt. Die amtliche Statistik versteht dabei unter Beruf „die auf Erwerb gerichteten, besondere Kenntnisse und Fertigkeiten sowie Erfahrung erfordernden und in einer typischen Kombination zusammenfließenden Arbeitsverrichtungen, durch die der einzelne an der Leistung der Gesamtheit im Rahmen der Volkswirtschaft mitschafft, und die in der Regel auch die Lebensgrundlage für ihn und seine nicht berufstätigen Angehörigen bilden". Diese weit gefaßte Definition von Beruf impliziert nur in wenigen Fällen auch einen anerkannten Ausbildungsberuf. Ein solcher liegt nur dann vor, wenn er auf Basis des Berufsbildungsgesetzes oder der Handwerksordnung als solcher anerkannt wurde. Bis zum Inkrafttreten des Berufsbildungsgesetzes 1969 wurden in der alten Bundesrepublik insgesamt 144 Ausbildungsberufe gezählt. 1990 lag im wiedervereinten Deutschland die Zahl bei 233 und im Jahr 199S gab es insgesamt 357 staatlich anerkannte Ausbildungsberufe. Seit der Einführung des Berufsbildungsgesetzes sind 280 Ausbildungsberufe - davon einige mehrfach - neu geordnet und definiert worden. Auch zur Zeit finden weitreichende Überarbeitungen der Berufsbilder und der verschiedenen Ausbildungsordnungen statt. 127

4.2.

Zur Herausbildung und Entwicklung von Berufen

Die Herausbildung und Entwicklung verschiedener Berufe korreliert aufs Engste mit der Entwicklung der Arbeitsteilung, die bis zur Gründung der mittelalterlichen Stadt im 11. Jahrhundert noch weitgehend in eine landwirtschaftlich geprägte Produktionswirtschaft eingebettet war. Fast die gesamte arbeitende Bevölkerung war zu diesem Zeitpunkt in der Landwirtschaft tätig. Eine heute bekannte berufliche Spezialisierung existierte noch nicht. Allenfalls kann man von einer zwischen den Geschlechtern und nach Altersgruppen differenzierter Arbeitsteilung sprechen. Bis auf Anfänge im Töpfer- und Schmiedehandwerk, als sog. bäuerliches Haushandwerk, gab es noch keine Berufsbildung im heutigen Sinne. Erst mit einer Steigerung der landwirtschaftlichen Produktionsüberschüsse, mit denen außerlandwirtschaftliche Gruppen - auch in den aufkommenden Dörfern und Städten - ernährt werden konnten, entstanden nicht nur Ausbeutungsmöglichkeiten des Menschen 127

Vgl. Berufsbildungsbericht 1999, a.a.O., S. 85ff.

Zur Herausbildung und Entwicklung von Berufen

65

durch den Menschen, sondern auch zunehmend politische, religiöse und militärische Funktionen mit eigenständigen „Berufsaufgaben". Der Feudalismus gebar schließlich die privilegierten Gruppen des Adels und der Geistlichkeit, die sich, ohne Arbeit zu verrichten, das Mehr- bzw. Überschußprodukt der landwirtschaftlichen Produktion nicht selten unter Gewaltanwendung aneigneten. Die ökonomische Grundlage der feudalen Produktionsweise war dabei das Eigentum der herrschenden Feudalherrenklasse am Grund und Boden und die Ausbeutung der unmittelbaren Produzenten, der Bauern, die von den Feudalherren persönlich abhängig und an deren Land in Fron- und Zinswirtschaft gebunden waren. Da im Feudalismus die landwirtschaftliche Produktion gegenüber dem Handwerk überwog, hatte das Eigentum am Hauptproduktionsmittel, dem Grund und Boden, die entscheidende Bedeutung. Um die Herrschaft über die landwirtschaftliche Bevölkerung zu erringen und Herrschaftsrechte zu erhalten sowie weitere Landokkupationen sicherzustellen, waren der Adel und der Klerus auf die Anwendung von Gewalt und damit auf Soldaten angewiesen. Reichten anfangs noch die bäuerlich geprägten und zu Fuß kämpfenden Heere aus, so verdrängten im Laufe der Zeit immer mehr schwergepanzerte Ritterheere zu Pferde die alte Kriegstechnik. Die neue Kriegstechnik 128 konnte allerdings nicht mehr nebenher von Bauern erlernt und geübt werden, sondern verlangte eine spezielle Ausbildung und ständige Übung. Stehende Söldnerheere waren die Folge. Auch das Kriegswerkzeug mußte hergestellt werden. So entstanden in der Nähe der feudalen „Großgrundherrschaften", die sich im Eigentum von Klöstern und Hochadel befanden, erste Handwerkszweige im Sinne eines sog. „Hofhandwerks". Dazu gehörte u.a. das Schmiedehandwerk (getrennt nach Gold-, Kunst- Eisenschmiede u.a), Schildmacher, Bäcker, Drechsler und Stellmacher. Zu einer größer werdenden Arbeitsteilung und beruflichen Herausbildung kam es aber erst mit dem raschen Aufschwung des Städtewesens seit dem 13. Jahrhundert. Im 15. Jahrhundert sind rund 4.000 städtische Siedlungen in Deutschland nachgewiesen, in denen bereits 10 bis 15 Prozent der Gesamtbevölkerung lebten. Durch die Entwicklung des Städtewesens war eine immer größer werdende Arbeitsteilung und eine damit einhergehene Tauschwirtschaft, die von einer Natural- in eine Geldwirtschaft gegen Ende des 12. Jahrhunderts überging, notwendig geworden. So entstand auch eine zunehmende Arbeitsteilung zwischen Land- und Stadtwirtschaft. Das Land versorgte die Stadt weitgehend mit Lebensmitteln und die Stadt umgekehrt das Land mit handwerklichen Erzeugnissen. Die Bedeutung der handwerklichen Fronhofs- und Klosterwerkstätten nahm dadurch rasch ab, da diese mit der städtischen Handwerkerschicht aufgrund einer höheren Produktivität nicht mehr mithalten konnte bzw. konkurrenzfähig war. Mit dem zunehmenden 128 Ygj d a z u ausfuhrlich: Bontrup, H.-J./ Zdrowomyslaw, N., Die deutsche Rüstungsindustrie. Vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik. Ein Handbuch, Köln 1988

66

Die Zukunft der Berufswelt

Güteraustausch schlug auch die Geburtsstunde des kaufmännischen Berufsstandes. Die Städte wurden dabei zum Zentrum der Kaufmannschaft, die sich sowohl mit dem Binnenhandel als auch mit dem Außenhandel befaßten. Das sich so immer mehr herausbildende Handelskapital spielte im Feudalismus eine wesentliche Rolle. Da die Produktion stark zersplittert war und die Märkte meist weit entfernt lagen, konnten die kleinen Warenproduzenten ihre Waren oft nicht selbst verkaufen. So übernahmen die Kaufleute die Rolle des Vermittlers und eigneten sich dabei einen bedeutenden Teil des Produktes der unmittelbaren Produzenten an. Besondere Erwähnung bei der Herausbildung von Berufen verdient das im Rahmen des städtischen Handwerks sich immer mehr durchsetzende handwerkliche Zunftwesen. Hiermit sollte jedem Zunftmitglied ein ausreichender Lebensunterhalt, die sog. „bürgerliche Nahrung", gesichert werden. Damit verbunden war die Kontrolle des Zugangs zur Zunft, die entweder durch die Begrenzung der Zahl der Lehrlinge und durch Verlängerung der Lehr- und Gesellenzeiten oder durch Restriktionen bei der Zulassung zur Meisterschaft erfolgen konnte. Damit sicherte sich die Zunft das Monopol in der Herstellung des jeweiligen Erzeugnisses, und jede Konkurrenz zwischen den Handwerkern war untersagt. Die Lehrlinge und Gesellen wurden von den Zunftmeistern ausgebeutet. Da auch der Meister in der Werkstatt arbeitete, begründete sich seine gegenüber den Gesellen und Lehrlingen höhere Stellung nicht nur auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln, sondern auch auf seinem Meisterrang. Der Meister bildete den Lehrling aus, zahlte ihm jedoch keinen Lohn, obgleich ihm der Lehrling mit seiner Arbeit einen bestimmten Ertrag einbrachte. Die Gesellen waren bereits ausgebildete Handwerker und erhielten von ihrem Meister ein entsprechendes Salär. Mit dem enormen Anstieg der Bevölkerung im 18. Jahrhundert, aufgrund einer stark sinkenden Sterbe- und steigenden Geburtenrate, kam es zu einer Landflucht in die Städte und damit zu einem erhöhten Arbeitsangebot, das im Rahmen des althergebrachten städtischen Zunftgewerbes, das sich immer noch am „Nahrungsprinzip" und an einer engen Marktabgrenzung bzw. abschottung orientierte, keine adäquate Nachfrage fand. Die ständig anwachsende ländliche Unterschicht konnte kaum Arbeit und Lohn finden. Vor allem in Süd- und Westdeutschland entstand eine drückende Armut, wodurch unter anderem Auswanderungen nach Amerika und Südosteuropa sowie Südrußland erfolgten. Die feudale Ordnung geriet immer mehr in Widerspruch zu den sich entwikkelnden Produktionsbedingungen und zur Entwicklung der Produktivkräfte. Selbst innerhalb der Zünfte war ein ökonomischer und sozialer Aufstieg der Gesellen zum Meister zur Ausnahme geworden.

Zur Herausbildung und Entwicklung von Berufen

67

Die Feudalherrschaft hemmte die Entwicklung von Handwerk und Handel. Auch die Städte, mittlerweile dominiert von der Handwerker- und Kaufmannschaft, gerieten immer mehr in einen erbitterten Befreiungskampf mit den Feudalherren, die sich noch als Eigentümer der Städte sahen. Die Städter mußten zur Unterhaltung der parasitären Feudalherren beträchtliche Abgaben und Steuern leisten und sie waren nicht zuletzt für die Stadtbewohner die obersten Richter. Die Feudalherren hatten sogar das Recht, die Stadt zu verkaufen, sie zu vererben und zu verpfänden. Am Ende siegte dennoch die Stadt, entweder durch einen geldlichen Freikauf oder mit Waffengewalt. Die Stadt erreichte schließlich ihre politische Unabhängigkeit und Selbstverwaltung, das Münzrecht und die feudale Befreiung von den Steuerlasten. Insgesamt wurde so die Beseitigung der feudalen Produktionsverhältnisse, ihre Ablösung durch neue, dem Niveau und Charakter der wachsenden Produktivkräfte entsprechende Verhältnisse zur gesellschaftlichen Notwendigkeit. Diese neuen Verhältnisse waren die kapitalistischen Produktionsverhältnisse, welche voraussetzten, daß der außerökonomische Zwang der unmittelbaren Produzenten zur Arbeit auf der Grundlage ihrer persönlichen Abhängigkeit durch den ökonomischen Zwang, durch die Verwendung von Lohnarbeit in der Produktion abgelöst wurde. Mit der Konstituierung der ersten kapitalistischen Betriebe, die von reichen Kaufleuten und Handwerksmeistern aber auch von vorausschauenden Feudalherren gegründet wurden, veränderte sich auch die Form der Arbeitsorganisation. Es entstand die Manufaktur als „Vorhof' der kapitalistischen Fabrikorganisation. Hiermit einher geht bis heute eine sich ständig verändernde Berufswelt. Die Arbeitsteilung, von Smith bereits 1776 als entscheidender Faktor für die „Entwicklung der Arbeitsproduktivität" gepriesen, führte zunächst unter den Bedingungen des Manufakturkapitalismus zu einer Vervollkommnung der handwerklichen Arbeitsinstrumente. Diese wurden allmählich den spezialisierten Operationen des „Teilarbeiters" angepaßt, und das führte zu ihrer Differenzierung und Spezialisierung. Die manufakturmäßige Arbeitsteilung war die Voraussetzung für eine tiefgreifende Umwälzung in der materiell-technischen Basis der Produktion - für den Ersatz der manuellen Arbeit durch die Maschine, für den Übergang von der Manufaktur zur Fabrikproduktion. Der Übergang zur maschinellen Großproduktion begann mit grundlegenden Veränderungen bei den Arbeitsinstrumenten, und zwar mit der Erfindung und Verbreitung von Maschinen. Die als „industrielle Revolution" bezeichnete Veränderung der Produktionsverhältnisse führte zu einer gemeinsamen aber hochgradig arbeitsteiligen Arbeit von Lohnarbeitern. Die Arbeitsteilung unterscheidet sich hier von der Arbeitsteilung in der Manufaktur. In der Manufaktur bilden der Teilarbeiter und sein manuelles Werkzeug die Grundlage der Arbeitsteilung. Ganz anders sieht

68

Die Z u k u n f t der B e r u f s w e l t

es dagegen in der Fabrik aus. Hier bildet die Kooperation von Maschinen oder ein „toter Mechanismus" die Basis der Produktion. Organe dieses Mechanismus sind die einzelnen Teilmaschinen, zwischen denen eine „Arbeitsteilung eigener Art" besteht. Die Kooperation von Maschinen existiert unabhängig von den Arbeitern. Die Arbeiter sind an diesen Mechanismus wie seine lebendigen Anhängsel angegliedert. Nicht der Arbeiter zwingt das Werkzeug, ihm zu dienen, wie das in der Manufaktur der Fall war, sondern umgekehrt, der Arbeiter dient der Maschine, folgt ihrer Bewegung. Nicht die Maschine wird den Funktionen des Arbeiters angepaßt, sondern der Arbeiter muß sich den Funktionen der Maschine anpassen. Folglich ändert sich der Inhalt der Arbeit des Lohnarbeiters in der kapitalistischen Fabrik im Vergleich zur Manufaktur wesentlich. Die kapitalistische Fabrik vertieft den Gegensatz zwischen körperlicher und geistiger Arbeit. Das Los der Arbeiter ist ruinierende körperliche Arbeit, welcher der schöpferische Inhalt fehlt. Die Funktionen der geistigen Arbeit werden von der körperlichen Arbeit getrennt und von einem engen, in Lohnarbeit stehenden Personenkreis ausgeübt, der den gesamten Produktionsprozeß kontrolliert. An diesem „Zwei-Klassenmenschen" hat sich bis heute trotz aller Humanisierung in der industriellen Produktion sowie aufgrund von veränderter Arbeitsorganisationen - wie z.B. der Einführung von Gruppenarbeit 129 - als auch einer wesentlich verkürzten Arbeitszeit 130 im wesentlichen nichts geändert. Der Mensch wurde in der Fabrikproduktion vom Produkt seiner Arbeit aufgrund einer immer größer werdenden Arbeitszerlegung und Arbeitsdifferenzierung - bis zur Fließbandproduktion - völlig entfremdet. Fabrikarbeit degenerierte zu einer ungelernten oder angelernten Arbeit. Auch heute wird der Produktionsprozeß in Industrie und Dienstleistung noch überwiegend von Menschen bewerkstelligt, die über keine abgeschlossene Berufsausbildung oder bezogen auf die ausgeführte Tätigkeit über eine berufsfremde Ausbildung verfügen. Der zukünftige Trend der benötigten Qualifikation in der Fabrikarbeit wird allerdings ein anderer sein. Demnach sind fachlich hoch ausgebildete, verantwortlich und engagiert handelnde Mitarbeiter, die im Team mit anderen zusammen arbeiten können, die gesuchten Mitarbeiter. Sie müssen komplexe Informations-, Organisations- und Produktionsstrukturen erfassen und komplexe Fertigungsanlagen kompetent führen können. 131 „Vor allem die Integration von Servicefunktionen in den Produktionsbereich wird in zunehmendem Maße den Erwerb von Mehrfachqualiflka129 v g l . Becker, K./Eyer, E./Fremmer, H./Hofmann, A., Einführung von Gruppenarbeit, Köln 1995, Grap, R./Gelbert, V., Gruppenarbeit in der Praxis, 2. Aufl., Herzogenrath 1996 130 vgl. Bosch, G., Arbeitszeitorganisation im Betrieb - ein internationaler Vergleich, in: Bontrup, H.J./Hansen, K., Problemfelder eines zukunftsorientierten Personalmanagements, Köln 1998, S. 112 - 135 Vgl. Volkswagen AG - Ein Qualifizierungskonzept für Auszubildende der Volkswagen AG

Das d u a l e S y s t e m der B e r u f s a u s b i l d u n g

69

tionen notwendig machen, die den Beschäftigten sowohl umfachreiche Material-, Maschinen-, Verfahrens- und Produktkenntnisse als auch Informatikwissen, kaufmännisches Wissen und nicht selten auch Mehrsprachlichkeit abverlangen können. Dies gilt mit Sicherheit für die neugeordneten Berufsbilder in den umstrukturierten Sektoren der Wirtschaft, für produktive Tätigkeiten mit hohen Dienstleistungsanteilen sowie für die neuen Informations- und Kommunikationsberufe im Kontext der neuen Informationsökonomien." 132

4.3.

Das duale System der Berufsausbildung

4.3.1.

Zur geschichtlichen Herausbildung

Die berufliche Bildung in Deutschland ist neben einer Hochschulausbildung durch ein sog. „duales System" 133 gekennzeichnet. Hierbei wirken Unternehmen und öffentliche Arbeitgeber sowie Berufsschulen in jeweiliger Eigenverantwortung bei der Ausbildung in praktischer und theoretischer Form zusammen. Gemäß Berufsbildungsgesetz von 1969 soll heute mit einer betrieblichen Berufsausbildung eine „breit angelegte berufliche Grundbildung" umgesetzt werden, bei der die „für die Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit notwendigen fachlichen Fertigkeiten und Kenntnisse" sowie „die erforderliche Berufserfahrung" vermittelt werden. Die ersten Ansätze einer betrieblichen Berufsausbildung reichen bis ins Mittelalter der handwerklichen Zunftgemeinschaften zurück. Erst mit der Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes von 1869 im technisch-gewerblichen Bereich wurde aber kurz vor der deutschen Reichsgründung 1871, sowie mit der Einführung des Handelsgesetzbuches von 1897 im kaufmännischen Bereich, eine erste allgemeinverbindliche gesetzliche Grundlage - wenn auch noch beschränkt auf das Setzen von staatlichen Mindestnormen - für die betriebliche Lehrlingsausbildung in Deutschland geschaffen. Außerdem wurden 1897 in Preußen erstmals Überwachungs- und Ausgestaltungskompetenzen der betrieblichen Ausbildung auf die Handels- und Handwerkskammern übertragen. Die Berufsschule, als Ergänzung im dualen System der betrieblichen Berufsausbildung, hat ihre Tradition in den freiwilligen „gewerblichen Sonntagsschulen" im 18. Jahrhundert. Hier wurden theoretische Grundlagen für eine allgemeine Berufspraxis gelegt. „Später erfolgte eine Weiterentwicklung zu allgemeinen Fortbildungsschulen, ohne zunächst die eher grundbildende Ausrichtung abzulegen. Gegenüber der Sonntagsschule wurde der Unterricht von ' 3 2 Lappe, L., Berufliche Chancen Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 26/1999, S. 30 ' 33 Der Begriff „duales System" wurde Mitte der 60er Jahre erstmals erwähnt.

Die Zukunft der Berufswelt

70

3 bis 6 Stunden pro Woche in die Arbeits- und Ausbildungszeit gelegt. Die Gewerbeordnung von 1869 sah dazu vor, daß öffentliche Regelungen der Gemeinden oder Länder die Betriebe verpflichten konnten, ihre Lehrlinge in die Fortbildungsschule zu entsenden. Die Einbeziehung berufsfachlicher Inhalte (z.B. Berufsfachkunde oder Buchhaltung) in die Fortbildungsschule leitete schließlich eine Umgestaltung von Zielen und Inhalten ein. Aus der allgemeinen Fortbildungsschule entwickelte sich - auch unter Einbezug bestehender Fachfortbildungsschulen wie Handelslehranstalten - eine berufsfachlich gegliederte Schule mit einzelberuflichem Bezug der Inhalte. 1921 wurde dieser Wandel durch Umbenennung in 'Berufsschule' auch äußerlich vollzogen. Die Frage der Berufsschulpflicht blieb dennoch für längere Zeit ein Problem. Eine einheitliche Regelung brachte erst ein Reichsgesetz von 1938. Es verpflichtete zugleich die Lehrherren, die 6 bis 8 Wochenstunden umfassende Schulzeit als Ausbildungszeit anzurechnen. Nach dem 2. Weltkrieg wurden die Berufsschulpflicht und die Lerninhalte der Gesetzgebung der Länder unterworfen und eine Stärkung der Berufsschulen als TeilzeitPflichtschulen in Angriff genommen. Erst dadurch konnten die Berufsschulen zu einem vollwertigen Partner im dualen System werden." 134

4.3.2.

Zur Organisation der Berufsausbildung

Eine betriebliche Berufsausbildung läßt sich grundsätzlich in Form von drei Modellen (Alternativen) durchfuhren bzw. organisieren. Erstens durch eine überwiegend schulische Ausbildung, wobei den Lernenden am Ende der Ausbildung die praktischen Kenntnisse und Fertigkeiten fehlen. Zweitens durch eine generelle betriebliche Ausbildung, der in der Regel die theoretische Basis fehlt und drittens durch ein Mischsystem von aufeinander abgestimmten schulischen und betrieblich (praktischen) Elementen. Weiter entstehen Fragen, wer die Verantwortung ftir die Ausbildung übernimmt (die ausbildenden Arbeitgeber oder der Staat als Gesetzgeber) und ob das Ausbildungssystem auf freiwilliger Basis oder vom Staat durch verbindliche Gesetze zentral oder dezentral geregelt wird? Auch Finanzierungsfragen spielen hier eine wesentliche Rolle.

134 Mues, W./Müller, A./Peege, J./Rapp-Frick, H.-P./Sahrhage, W./Tripp, W.AVeibert, C.-D., (Hrsg.), Der Weg zur Ausbilderprüfung, a.a.O., S. 1/27

D a s duale System der Berufsausbildung A b b . 3:

71

Ausbildungsalternativen

In Deutschland sind diese Fragen vom Grundsatz her eindeutig geregelt. Hier übernehmen im Rahmen der dualen Ausbildung die Unternehmen und öffentlichen Arbeitgeber die Verantwortung für die jeweilige betrieblich-praktische Ausbildung. Beratung und Überwachung findet durch die zuständigen Kammern statt. Die Berufsschulen, kontrolliert durch die jeweiligen Schulbehörden der Länder, tragen dagegen die Verantwortung für den theoretischen Teil der Ausbildung. Der Staat regelt übergeordnet - sowohl zentral für alle auf freiwilliger Basis ausbildenden Arbeitgeber 135 - durch das Berufsbildungsgesetz des Bundes und durch Ausbildungsverordnungen in den zur Zeit staatlich anerkannten 357 Ausbildungsberufen, sowie durch eine Schulpflicht für Berufsschüler bis zum 18. Lebensjahr mit entprechenden Lehrplänen (geregelt durch dezentral verantwortete Schulgesetze der Bundesländer), die betriebliche Berufsausbildung. Auch die Finanzierung der betrieblichen Berufsausbildung ist im deutschen dualen System eindeutig festgelegt. Die Kosten für den Ausbildungsplatz inkl. Durch die Freiwilligkeit der betrieblichen Berufsausbildung besteht für die Arbeitgeber die Alternative zwischen eigener Ausbildung und der Einstellung von Personal von außen zu entscheiden. Der hohe Anteil nichtausbildener Unternehmen und die Negativbilanz am Ausbildungsmarkt (Nachfrage ist größer als das Angebot an Lehrstellen) wird immer wieder nach staatlichen Zwangsmaßnahmen gerufen. Zumeist in Form einer monetären Bestrafung all der Unternehmen, die nicht ausbilden (vgl. dazu ausfuhrlich den Punkt 4.4.4).

72

D i e Z u k u n f t der Berufswelt

Ausbildungswerkstätten und betrieblicher Ausbilder sowie die Ausbildungsvergütung für die Auszubildenden trägt der jeweilige Arbeitgeber (Ausbildungsbetrieb), während die Kosten für die Berufsschule (Sachkosten, Lehrpersonal u.a.) vom Staat übernommen werden.

4.3.3.

In der EU ist das deutsche duale Modell einmalig

Das so aufgebaute deutsche duale Berufsausbildungsmodell existiert innsrhalb der Europäischen Union (EU) nur noch in Dänemark, Irland und in Luxemburg, hier allerdings mit einer wesentlich stärkeren staatlichen Intervention und Verantwortung. In Großbritannien besteht zwar eine betriebliche Ausbildung, diese ist aber nicht wie in Deutschland an eine Berufsschulpflicht gekoppelt. Die Berufsschule ist hier lediglich eine freiwillige Institution. In den anderen EU-Ländern findet die Berufsausbildung in vollzeitschulischen Ausbildungsformen und -gängen mit jeweils mehr oder weniger hohen Praxisanteilen statt. Eine Harmonisierung der beruflichen Ausbildung bzw. eine einheitliche Übertragung der deutschen dualen Ausbildung ist in der EU aus mehreren Gründen auf absehbare Zeit politisch wohl nicht durchsetzbar. Hierbei spielen in den einzelnen Ländern historische Gründe genauso eine Rolle, wie die jeweiligen politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Strömungen. 4.3.4.

Auszubildende in Ost- und Westdeutschland

Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Bonn hat in einer Längsschnittstudie „Jugend und Berufsausbildung in Deutschland" u.a. den Umgang der Jugendlichen mit Fragen nach der Berufswahl, dem Beruf als Lebenskonzept, der Einstellung zur Arbeit, der Zufriedenheit mit der Ausbildung und zudem mit Fragen zur Politik, Staat, Nation und zum gesellschaftlichen Zusammenleben als auch zur Persönlichkeit der Jugendlichen gestellt. 136 Bei der Berufswahl wurden in Ost und West gleiche Kriterien festgestellt. Ganz oben auf der Rangskala steht die Freude am Beruf. Der Beruf rr.uß „Spaß machen". Es folgen „Sicherheit vor Entlassung", „Verfügbarkeit des Ausbildungsplatzes", „Eignung" und „Aufstiegschancen". Etwa in der M:tte der 17 Rangplätze liegt erst der spätere Verdienst und - insbesondere im Osten - weit am Ende: die Höhe der Ausbildungsvergütung. Männliche Jugendliche tendieren eher zu Entscheidungen auf materieller Grundlage, weibliche eher mit sozialer Ausrichtung. Je höher der Schulabschluß, um so mehr 136 v g l Schweikert, K., Aus einem Holz? Lehrlinge in Deutschland. Eine Ost-WestLängsschnittuntersuchung. Berichte zur beruflichen Bildung, Bundesinstitut fiir Berufsbildung (Hrsg.), Berlin/Bonn 1999

Das duale System der Berufsausbildung

73

treten materielle Aspekte bei der Berufswahl in den Hintergrund. Den stärksten Einfluß bei der Berufswahl übt die Mutter aus. Gefolgt vom Vater und dem Berufsberater. Anspruch und Wirklichkeit bei der Berufswahl klaffen auseinander. Nur 55 Prozent der Auszubildenden werden im „Wunschberuf' ausgebildet. Bei weiteren 35 Prozent sind Berufswünsche allerdings noch wenigstens teilweise erfüllt. 10 Prozent erlernen einen Beruf, der ihren Vorstellungen nicht entspricht. Die Suche nach einem Ausbildungsplatz war für rund 20 Prozent der (erfolgreichen!) Jugendlichen schwierig oder sogar sehr schwierig (für Mädchen mit 24 Prozent deutlich öfter als für Jungen: 15 Prozent). 10 Prozent der Jugendlichen aus den neuen Bundesländern haben ihren Ausbildungsplatz im Westen gefunden (Mädchen häufiger als Jungen). Immerhin ein starkes Drittel mußte den Wohnort wechseln. Die Bewerbungshäufigkeit lag im Durchschnitt bei 5,6 mal. Das Risiko keine Lehrstelle zu finden ist für Mädchen doppelt so hoch wie bei Jungen; ebenso für Jugendliche mit Hauptschulabschluß. Auch wurde das Profil unversorgter Jugendlicher untersucht. Hier stellten sich die folgenden Ergebnisse ein. Der Anteil der Jugendlichen mit Hauptschulabschluß war 1996 bei den Unversorgten mit 22 Prozent doppelt so hoch wie bei Auszubildenden. Bei den Unversorgten liegt der Anteil mittlerer Bildungsabschlüsse mit 57 Prozent deutlich unter dem Anteil der Jugendlichen mit mittleren Abschlüssen und Lehrstelle. Die häuslichen Einkommensverhältnisse sind bei den Unversorgten vergleichsweise schwach. Unversorgte Jugendliche leben häufiger in Haushalten mit einem verfugbaren Einkommen pro Person von weniger als 500 DM pro Monat. Jugendliche aus der untersten Einkommensgruppe haben ein um 72 Prozent erhöhtes Risiko, keinen Ausbildungsplatz zu finden, trotzdem ist das Selbstbewußtsein bei Unversorgten noch eine Lehrstelle zu finden in etwa genau so hoch wie das der Jugendlichen, die eine Lehrstelle gefunden haben. Nach Abschluß der Ausbildung ist die große Mehrheit der Jugendlichen von der Bedeutung bzw. Wichtigkeit eines erlernten Berufs überzeugt. Die Bereitschaft allerdings den tatsächlich erlernten Beruf wieder zu ergreifen, dafür stimmten im Westen nur noch 58 Prozent der Auszubildenden (im 3. Ausbildungsjahr) und im Osten Deutschlands sogar nur noch 46 Prozent. Die Zufriedenheit mit der Ausbildung im Betrieb schwankt im Ausbildungsverlauf auf einem hohen Niveau. Äußern sich zu Beginn der Ausbildung 91 Prozent der Jugendlichen positiv, so geht der Anteil in der Mitte der Ausbildung auf 75 Prozent zurück. Er steigt dann allerdings gegen Ende der Ausbildung wieder auf 86 Prozent. Verglichen mit dem Betrieb fällt das Urteil über

74

Die Zukunft der Berufswelt

die Berufsschule weniger positiv aus. Hier äußerten sich im ersten Berufsschuljahr nur 66 Prozent positiv, im 2. Jahr 56 Prozent und im 3. Jahr 70 Prozent. Beim Abbruch oder Wechsel einer Ausbildung ist interessant, daß Mädchen doppelt so häufig ihre Ausbildung abbrechen wie Jungen. Auch die Wahrscheinlichkeit, daß Mädchen ihre Berufsausbildung wechseln, ist im Mittel um über 50 Prozent größer als bei Jungen.

Abb 4:

Gründe für den Abbruch der Ausbildung

Gründe für den Abbruch der Ausbildung Schwierigkeiten mit Ausbildern / Vorgesetzten Ausbildung entspricht nicht den Vorstellungen Finanzielle Gründe Anderer Ausbildungswunsch Andere Gründe Ausbildung zu schwierig / anstrengend Private Gründe Gesundheitliche Gründe Schule / Hochschule besuchen Arbeit annehmen Keine Angaben

Quelle: Berufsbildungsbericht 1999, S. 93

Die Übernahmechancen nach abgeschlossener Ausbildung werden von Jugendlichen im Osten als zu positiv eingeschätzt. Tatsächlich erhielten im Westen mehr Jugendliche - 65 Prozent - ein Arbeitsangebot als im Osten - 54 Prozent. Im Osten und im Westen Deutschlands wurden insgesamt im Beobachtungszeitpunkt 1996 je rund 55 Prozent der Ausgebildeten übernommen, tendenziell mehr junge Frauen: 59 Prozent als junge Männer: 53 Prozent. Die Übernahmequoten sind nach Branchen sehr unterschiedlich: Der Handel übernimmt am häufigsten, die Landwirtschaft am wenigsten.

D a s duale S y s t e m der B e r u f s a u s b i l d u n g

75

Über drei Viertel der erwerbstätigen Jugendlichen haben 1996 einen unbefristeten Arbeitsvertrag abgeschlossen, ohne Unterschiede zwischen den neuen und alten Bundesländern. Die Arbeitsperspektiven werden im Osten erstaunlicher Weise positiver als im Westen beurteilt. Knapp die Hälfte der Jugendlichen im 3. Ausbildungsjahr (48 Prozent) sieht auf eine mittlere Frist von 5 Jahren gute bis sehr gute berufliche Chancen. 39 Prozent schätzen die Perspektive als mittelmäßig ein und 13 Prozent als schlecht bis sehr schlecht. Dennoch glauben rund 75 Prozent der Jugendlichen in Ost und West in den nächsten Jahren an eine eher schwierige allgemeine Wirtschaftsentwicklung. Aber nur 40 Prozent sind der Meinung, daß ihre eigene Entwicklung davon negativ berührt wird. So ist es auch nicht erstaunlich, daß 70 Prozent der Jugendlichen in Ost und West guter Stimmung und mit ihrem Leben zufrieden sind und im Grunde positiv bzw. optimistisch in die Zukunft blicken. Die Untersuchungsergebnisse des Bundesinstituts für Berufsbildung zu Fragen von Politik, Staat, Nation und gesellschaftliches Zusammenleben lassen sich wie folgt zusammenfassen. 137 •

Die Bereitschaft zu wählen ist im Osten und Westen Deutschlands bei den Jugendlichen mit rund 78 Prozent gleich stark ausgeprägt.



In der Demokratie politisch engagieren wollen sich allerdings im Osten nur 7 Prozent und im Westen 17 Prozent der Jugendlichen. Je höher der Schulabschluß desto engagierter sind die Jugendlichen, im Westen ist der Zusammenhang dabei stärker als im Osten.



Bei den Jugendlichen im Osten ist eine deutlich reservierte Einstellung zur Demokratie erkennbar, verbunden mit autoritären Tendenzen. 39 Prozent der Jugendlichen meinen, die Demokratie löse ihre Probleme nicht (im Westen: 17 Prozent). Erschreckend rufen im Osten 46 Prozent nach dem „Starken Mann" (im Westen: 25 Prozent). Eine ablehnende Haltung zur Demokratie ist im Osten besonderns deutlich in Brandenburg mit 38 Prozent und Mecklenburg-Vorpommern mit 39 Prozent, im Westen in Hessen mit 22 Prozent.



Es herrscht eine Verdrossenheit über die Akteure der Politik, also über die Politiker, nicht so sehr eine allgemeine „Politikverdrossenheit".



Ausländerfeindlichkeit ist in den neuen Bundesländern mit 21 Prozent gegenüber 14 Prozent in den alten Bundesländern besonders hoch. „Deutschland den Deutschen" finden 13 Prozent im Westen und 20 Prozent im Osten gut. Das Gefahrenpotential für die Demokratie liegt aber

137 Yg| ( j a z u ausführlich: Schweikert, K., Aus einem Holz? Lehrlinge in Deutschland, a.a.O., S. 18 29

76

Die Zukunft der Berufsveit

viel höher. Faßt man die Jugendlichen zusammen, die entweder in hotem Maße ausländerfeindlich sind, oder zu Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung neigen bzw. die Demokratie sogar ablehnen, so errechnet sich ein Abteil von insgesamt 39 Prozent. •

Wenn schon eine Sympathie der Jugendlichen zu Parteien vorhanden ist, dann: im Osten für CDU und SPD, im Westen vor allem für die SPD.



Die potentielle Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt ist bei Jugendlichen im Osten deutlich höher ausgeprägt als im Westen. Befragt nach Gewaltanlässen antworteten im Osten 48 Prozent und im Westen 34 Prozent bei Diebstahl des eigenen Autos oder bei Einbruch in die Wohning auf jeden Fall Gewalt anwenden zu wollen. Allgemein ist das Ausmaß ier Gewaltbereitschaft bei einer abstrakten Bedrohung klar höher als in eher Situation persönlicher Betroffenheit. Auch steigt die Gewaltbereitschaft mit abnehmendem Selbstbewußtsein. Während im Westen die Gewaltoereitschaft mit dem Bildungsniveau tendenziell abnimmt, ist sie im Os:en vom Bildungsabschluß unabhängig. Generell ist die Gewaltbereitschaft bei jungen Männern höher als bei Frauen. Auch ist sie besonders hoch :>ei den Sympathisanten der Rechtsparteien.



Zwei Drittel der Jugendlichen haben einen festen Freund/eine feste Freindin. 71 Prozent der Mädchen haben schon einen festen Partner. Bei ¿en Jungen sind es 62 Prozent. Feste Partner finden sich dabei im Westen nit 68 Prozent öfter als im Osten mit 57 Prozent.



Die Jugendlichen verbringen ihre Freizeit zumeist mit Freund oder Freundin bzw. in der Clique, nur wenige - 5 Prozent - mit den Eltern. Am meisten zufrieden macht die Freizeit in Vereinen.



Die allgemeine Lebenslage wird als gut eingeschätzt. Die Lebenszufriedenheit bei den Jugendlichen ist hoch. Etwas besser liegen hier die Werte im Osten Deutschlands. Wer mit Berufs- und Betriebswahl zufrieden st, der ist auch sehr viel häufiger mit seinem Leben im reinen. Bestimmend für die Zufriedenheit der Jugendlichen mit ihrem Leben ist dabei weniger die Wahl des „richtigen Berufs" als vielmehr die des „richtigen Betriebs". Und: Je besser das Betriebsklima, desto höher die Lebenszufriedenheit.



Die wichtigsten Dinge im Leben der Jugendlichen sind: Gesundheit, Berufsausbildung, saubere Umwelt, mit Freunden und dem Partner zusammen sein.



Wer Wert auf Arbeit, Berufsausbildung und Familie legt, ist häufiger mit seinem Leben zufrieden als diejenigen Jugendlichen die Essen, Trinken, Kleidung, Stereoanlage, Geld und Besitz für in erster Linie erstrebenswert halten.

Zu den berufsbildenden Schulen

77

Im Fazit der Untersuchung über Jugendliche in Ost- und Westdeutschland kann durchaus geschrieben werden, daß die Jugend 2000 keineswegs - wie häufig betont wird - nur in einer „Spaß- und Freizeitgesellschaft" lebt. Dies wird auch durch die 13. Shell Jugendstudie138 bestätigt. Die jungen Leute nehmen das Lebensziel Beruf und ihre Aufgabe, sich darauf vorzubereiten, sehr ernst. Berufstätigkeit wird aber nicht mehr als vorgegebene Ordnung verstanden, in die man sich einzufügen hat, sondern als selbst gewähltes Lebenskonzept, für das man sich einsetzen muß.

4.4.

Zu den berufsbildenden Schulen

4.4.1.

Die einzelnen Schularten im Überblick

Vermittelt das allgemeinbildende Schulsystem die allgemeine Bildung, so wird an berufsbildenden Schulen die berufsbezogene Bildung gelehrt. Unter berufsbildende Schulen werden die Berufs-, Berufssonder-, Berufsgrund-, Berufsfach-, Berufsaufbau- und die Fachoberschule subsumiert. Neben der klassischen Berufsschule, die in Teilzeitform im Rahmen der dualen Berufsausbildung den ergänzenden Teil zur betrieblichen Ausbildung darstellt, haben sich sog. Vollzeitformen der beruflichen Bildung entwickelt, die ebenfalls berufsbezogene Kenntnisse vermitteln. Berufsschulen werden von Berufsschulpflichtigen, die sich in der beruflichen Erstausbildung befinden und in einem Arbeitsverhältnis stehen, sowie von Jugendlichen ohne Ausbildungsverhältnis, nach dem allgemeinen Schulabschluß i.d.R. ftir drei Jahre besucht. Die Berufsschule lehrt pro Woche neben acht Stunden berufsbezogenen theoretischen Unterricht auch vier Stunden erweiterte Allgemeinbildung. Entweder wird der Berufsschulunterricht an einzelnen (meistens zwei) Werktagen oder in Form eines Blockunterrichts in mehreren zusammenhängenden Zeitabschnitten erteilt. Die Berufssonderschule ist ein Teil der Berufsschule zur Ableistung der Berufsschulpflicht für ehemalige Sonderschüler. Auch zur Berufsschule wird das Berufsvorbereitungsjahr gezählt. Dies wurde in den 70er Jahren als fächerübergreifendes Ausbildungsjahr an den Berufsschulen, das nach Abschluß der Haupt- und Realschule sowie der 10. Klasse des Gymnasiums von Schülerinnen absolviert werden kann, die keine Lehrstelle gefunden haben.

' 3 8 D i e Shell Jugendstudie wird in unregelmäßigen Abständen erhoben. Sic stellt in Deutschland die umfangreichste Untersuchung ihrer Art dar.

78

Die Zukunft der Berufswelt

Die Berufsgrundschule wurde 1969 mit dem Berufsbildungsgesetz eingeführt. Sie ist keine eigenständige Schulform, sondern gestaltet in einem Berufsgrundbildungsjahr in Vollzeitform eine berufliche Grundbildung für fachlich gleich ausgerichtete Berufe (Berufsfelder) mit sowohl berufsbezogenen theoretischen als auch praktischen Elementen. Der erfolgreiche Abschluß der Berufsgrundschule wird auf eine anschließende Berufsausbildung als erstes Ausbildungsjahr angerechnet, wenn es sich um einen Beruf handelt, der dem gewählten Berufsfeld entspricht und ein bestimmter Umfang an fachbezogenem Unterricht erteilt wurde.

Tab. 9:

Schülerinnen in berufsbildenden Schulen - in 1 . 0 0 0 -

Jahr

1960 1965 1970 1974/75 1980/81 1984/85 1991/9231 1992/93 1993/94 1994/95 1995/96 1996/97 1997/98'

Berufsschule ''

1.661,9 1.787,7 1.603,7 1.645,7 1.969,6 2.003,6 1.816,5 1.796,5 1.755,4 1.713,7 1.713,1 1.730,6 1.758,9

Berufsaufbauschule

-

50,4 37,7 31,7 21,7 12,1 7,9 6,6 5,6 4,1 3,7 2,9 2,6

Berufsfachschule

139,2 159,6 200,4 272,5 352,0 399,1 248,9 263,6 285,5 295,0 306,7 330,0 355,4

Fachschulen/ Höhere Fachschulen 120,1 96,3 97,7 214,3 191,6

Fachoberschule 2)

-

207,6 159,9 176,9 167,1 170,6 164,9 162,8

51,1 117,5 133,7 140,0 215,1 227,3 235,4 243,6 247,2 253,3

163,3

259,8

Gesamtzahlen

1.921,2 2.094,0 1.990,6 2.281,7 2.668,6 2.762,4 2.448,3 2.470,9 2.449,0 2.427,0 2.435,6 2.479,6 2.540,0

*) Vorläufiges Ergebnis, 1) Berufsschulen in Vollzeit- u. Teilzeitform einschließlich Berufsgrundschule und Berufssonderschulen sowie d e m Berufsvorbereitungsjahr, 2) Inkl. Fachgymnasien, 3) Deutschland, Quelle: B M W I , Hrsg., Leistung in Zahlen '74, ' 7 7 , ' 8 6 , Wirtschaft in Zahlen 1998, eigene Berechnungen

An den Berufsschulen waren im Schuljahr 1997/98 fast 1,8 Mio. Schülerinnen eingeschrieben. Bezogen auf alle Schülerinnen an berufsbildenden Schulen entsprach dies einem Anteil von gut 69 Prozent. Im Jahr 1960 lag der entsprechende Wert noch bei über 86 Prozent. Dieser Strukturwandel ist auf eine Zunahme der Berufsfach- und höheren Berufsfach- sowie der Fachoberschulen zurückzufuhren. Berufsfachschulen und höhere Berufsfachschulen sind Schulen mit Vollzeitunterricht von mindestens einjähriger Dauer, für deren Besuch keine Berufs-

Zu den berufsbildenden Schulen

79

ausbildung oder berufliche Tätigkeit vorausgesetzt wird. Hier soll vielmehr für die unterschiedlichen Berufsbereiche eine schulische Erstausbildung vollzogen oder auf eine Berufsausbildung vorbereitet werden. Insgesamt weisen die Berufsfachschulen eine erhebliche Vielfalt auf. Der Abschluß der einjährigen Berufsfachschule berechtigt z.B. zum Besuch der Fachoberschule oder die zweijährige Berufsfachschule (namentlich als Handelsschule - die klassische Form der Berufsfachschule) führt zur Fachoberschulreife. Daneben gibt es die zweijährige höhere Berufsfachschule (höhere Handelsschule), die zum schulischen Teil der Fachhochschulreife führt, sowie die dreijährige höhere Berufsfachschule für Assistenten, die neben dem Assistentenabschluß (z.B. im Bereich Informationstechnik oder Fremdsprachen) die Fachhochschulreife verleiht. Außerdem existiert noch die dreijährige höhere Berufsfachschule mit gymnasialer Oberstufe in Nordrhein-Westfalen (in anderen Bundesländern u.a. als berufliches Gymnasium bekannt) zur allgemeinen Hochschulreife. Zu den Berufsfachschulen kann man auch die Fachschulen zählen, die auf eine abgeschlossene Berufsausbildung im Bereich von Wirtschaft (z.B. Abschluß zum staatlich geprüften Betriebswirt) und Technik (u.a. Technikerabschluß) aufbauen. Insgesamt besuchten im Schuljahr 1997/98 gut 518.000 Schülerinnen eine Berufsfachschule bzw. eine höhere Berufsfachschule. Seit 1960 hat die Bedeutung der Berufsfachschule bezogen auf den gesamten beruflichen Bildungsbereich von einem Anteil in Höhe von 13,5 Prozent auf gut 20 Prozent im Schuljahr 1997/98 zugenommen. Während die Berufsfachschulen ihre Schülerinnenzahlen haben steigern können, ging die Zahl der Schülerinnen an den Berufsaufbauschulen stark zurück. Im Schuljahr 1997/98 besuchten noch lediglich 2.600 Schülerinnen diesen Schultyp. 1960 lag die vergleichbare Zahl bei gut 50.000. Die Berufsaufbauschulen vermitteln in einer 18-monatigen Vollzeitform oder in einer dreijährigen Teilzeitform mit berufsbezogener Ausbildung eine erweiterte Allgemeinbildung und eine vertiefte berufliche Fachbildung mit Abschluß der Fachoberschulreife. Der Besuch der Berufsaufbauschule setzt eine erfolgreich abgeschlossene Berufsausbildung voraus. In der auch möglichen dreijährigen Kombinationsform muß ein Ausbildungsverhältnis bestehen.

Die Zukunft der Berufswelt

80

Tab. 10:

Schülerinnen in berufsbildenden Schulen - Anteile in v.H. -

Jahr

Berufsschule

1960 1965

86,5 85,4

1970 1974/75

80.6 72,1 73,8 72,6 74,2 72,7

1980/81 1984/85 1991/92 1992/93 1993/94

71,7 70,6

1994/95 1995/96 1996/97

70,3 69,8

1997/98'

69,3

Berufsaufbauschule -

2,4 1,8 1,4 0,8 0,4 0,3 0,3 0,2

Berufsfachschule 7,2 7,6 10,1 11,9 13,2 14,4 10,2 10,7 11,7 12,2

0,2 0,2

12,6

0,1 0,1

13,3 14,0

Fachschulen/ höhere Fachschulen 6,3 4,6

Fachoberschule -

Gesamtzahlen 100

4,9

2,6

9,5 7,2 7,5 6,5

5,1 5,0

100 100 100 100

5,1 8,8

100 100

7,2 6,8

9,1 9,6 10,0

100 100 100 100

7,0 6,8 6,6 6,4

-

10,1 10,2 10,2

100 100

* Vorläufiges Ergebnis, Quelle: Basisdaten aus Tab. 10, eigene Berechnungen

Die Fachoberschule, die auf den mittleren Schulabschluß der Fachoberschulreife aufbaut, umfaßt im Sekundarbereich II eine 2-jährige vertiefte Schulung in Allgemeinbildung in Verbindung mit einer beruflichen Fachbildung und fuhrt bei erfolgreichem Abschluß zur Fachhochschulreife. In der 11. Klasse wird der Unterricht in Teilzeitform durch ein fachbezogenes Praktikum (Wirtschaft, Technik, Soziales) ergänzt. Die Klasse 11 kann durch eine abgeschlossene Berufsausbildung im dualen System ersetzt werden. Die Klasse 12 v/ird in der Regel in Vollzeitform durchgeführt. Sie kann aber auch in Teilzeitform in zwei Jahren erworben werden. Seit Mitte der 70er Jahre kann die Fachoberschule auf steigende Schülerinnenzahlen verweisen. Im Schuljahr 1997/98 besuchten fast 260.000 Schülerinnen die Fachoberschule, dies entsprach bezogen auf alle Schülerinnen an beruflichen Schulen einem Anteil von 10,2 Prozent.

4.4.2.

Schüler-Lehrer-Relationen

Die Situation der Schüler-Lehrer-Relation an berufsbildenden Schulen ist im Vergleich zu den allgemeinbildenden Schulen wesentlich schlechter. Insge-

Zu den berufsbildenden Schulen

81

samt, über alle Schularten, kamen im beruflichen Bereich im Jahr 1997 auf eine Lehrkraft im Durchschnitt fast 24 Schülerinnen. Hierbei schwanken allerdings die Zahlen von Schultyp zu Schultyp relativ stark (vgl. dazu im einzelnen die folgende Tabelle 11). Besonders problematisch ist die Situation an der „klassischen" Berufsschule, wo 1997 auf eine Lehrkraft fast 39 Schülerinnen kamen.

Tab. 11:

Schüler-Lehrer-Relation an berufsbildenden Schulen 1997 - Schüler je Lehrer -

Schulart

Berufsschulen " Berufsvorbereitungsjahr Berufsgrundbildungsjahr Berufsaufbauschulen Berufsfachschulen Berufs- und -tech.. Oberschulen Fachgymnasien Fachoberschulen Fachschulen Fach- und Berufsakademien Kollegschulen Berufliche Schulen insgesamt

Alte Neue Bundesländer 38,39 9,96 10,47 12,82 13,38 11,98 12,95 17,38 14,66 7,83 24,38 23,29

39,56 14,35 12,92 -

15,50 -

12,08 17,60 16,42 -

26,98

Deutschland Gesamt 38,65 11,09 10,59 12,82 13,73 11,98 12,76 17,41 14,91 7,83 24,38 23,97

I) Inkl. Berufsgrundbildungsjahr in Teilzeitform, Quelle: DIW-Wochenbericht 13/1999, S. 254

Auch sind Schwankungen zwischen den neuen und alten Bundesländern zu beachten. Analog zu der Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Berlin im Bereich der allgemeinbildenden Schulen, stellte das Institut auch den zukünftigen Lehrerbedarf an berufsbildenden Schulen bis zum Jahr 2015 fest (vgl. dazu im einzelnen die folgende Tabelle 12). Demnach wird sich der Bedarf an Lehrpersonal bis zum Jahr 2010 in den neuen und alten Bundesländern gegenläufig entwickeln. Während er im Westen steigt, fällt der Bedarf im Osten. Dies gilt sowohl für die Grundvariante (keine verbesserte Schüler-Lehrer-Relation zum Stand heute) als auch für die Variante mit zusätzlichen Lehrkräften zur Verbesserung der heute gegebenen Schüler-Lehrer-Relation.

Die Zukunft der Berufswelt

82

Tab. 12:

Einstellungsbedarf an Lehrern pro Jahr an berufsbildenden Schulen

Jahr

Grundvariantc Neue Bundesländer 3.056 230 4.711 112 4.164 - 1.605 880 633

Alte 1997/2000 2000/05 2005/10 2010/15

Variante mit zusätzlichen Lehrkräften Neue Alte Bundesländer 4.567 913 4.859 80 4.243 - 1.762 501 -209

Quelle: DIW-Wochenbericht 13/1999, S. 259

Nach 2010 wird der Lehrerbedarf in den alten Bundesländern stark zurück gehen, während er in den neuen Bundesländern wieder ansteigt. Dies gilt für die Grundvariante. Für die Variante mit zusätzlichen Lehrkräften sinkt dagegen sowohl in den alten als auch in den neuen Bundesländern nach dem Jahr 2010 bis 2015 der Einstellungsbedarf an Lehrkräften. In den alten Bundesländern allerdings - relativ betrachtet - wesentlich stärker als in den neuen Bundesländern. Insgesamt konstatiert das DIW, daß an den beruflichen Schulen eine Erhöhung der Zahl der Lehrkräfte unumgänglich ist. Dies gilt bereits vor dem Hindergrund der heute vorliegenden schlechten Schüler-Lehrer-Relation. Sollte sich die Situation am Lehrstellenmarkt in Zukunft nicht nachhaltig verbessern, so ist bei einem höheren Anteil einer vollschulischen Berufsausbildung (Berufsfachschulen, Fachoberschule u.a.), im Gegensatz zu einem in teilzeitform abgehaltenen Unterricht innerhalb des dualen Berufsbildungssystems (geringere Personalintensität), außerdem noch von zusätzlich benötigten Lehrkräften auszugehen. 139

4.5.

Zum Ausbildungsstellenmarkt

4.5.1.

Wesentliche Gründe für eine betriebliche Ausbildung

Es ist heute unbestritten, daß für die Wohlfahrtsentwicklung einer Volkswirtschaft die Bereitstellung hochqualifizierter Arbeitskräfte unerläßlich ist. Dies gilt sowohl für den Bereich der Hochschulabsolventen des tertiären Bildungsbereichs, wie auch für die betriebliche Berufsausbildung im dualen System. Zwischen beiden Bereichen hat es seit Beginn der 80er Jahre eine immer größere Verschiebung zum Hochschulbereich gegeben. Mehr Abschlüsse an 139

Vgl. DIW-Wochenbericht Nr. 13/1999, S. 258

Zum Ausbildungsstellenmarkt

83

höheren Schulen (Fachhochschulreife, Abitur) und ein nachlassendes quantitatives und qualitatives Ausbildungsstellenangebot, bei einem gleichzeitigen Hang der Jugendlichen zur mehr geistigen als denn körperlichen Arbeit, zeichnen hierfür im Wesentlichen verantwortlich. Zum ersten Mal wurden in Deutschland im Jahr 1991 mehr Studenten als Auszubildende gezählt. Um im zukünftigen globalen Wettbewerbsprozeß der kapitalistischen Länder bestehen zu können, wird das „Geisteskapital" immer mehr in den Vordergrund rücken. 140 Die Strukturdaten der Arbeitslosen zeigen außerdem, daß die Gefahr arbeitslos zu werden bzw. lange arbeitslos zu sein, nachhaltig von einer qualifizierten Ausbildung abhängig ist. Die Arbeitslosenquoten von Akademikern oder sonst Ausgebildeten sind niedriger als die Arbeitslosenquoten derjenigen ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Hinzu kommt die nach wie vor gültige Gleichung: „Mehr Wissen gleich mehr Geld". Vergleicht man dazu die durchschnittlichen monatlichen Bruttoverdienste der Arbeitnehmer des Jahres 1995, so zeigen sich erhebliche Differenzen zwischen ausgebildeten und ungelernten Arbeitnehmern (vgl. dazu die folgende Tabelle 13).

T a b . 13: D u r c h s c h n i t t l i c h e m o n a t l i c h e B r u t t o v e r d i e n s t e in D M , 1995

Arbeiter (West) Arbeiter (Ost) Angestellter (West) Angestellter (Ost)

mit Lehre/ Berufsausbildung 4.615 3.296 6.181 4.268

ungelernt/ohne Berufsausbildung 4.210 3.028 5.255 3.803

Differenz in v.H. -8,8 -8,1 - 15,0 - 10,9

Quelle: Statistisches B u n d e s a m t

Die Bedeutung bzw. Wichtigkeit der speziell betrieblichen (dualen) Ausbildung ist außerdem unter vier Aspekten zu sehen: wirtschaftlich, gesellschaftlich, bildungspolitisch und pädagogisch. Aus wirtschaftlicher Sicht sprechen eine Reihe von Argumenten für eine betrieblich duale Ausbildung. 141 Dazu gehören:

140

Vgl. Thurow, L. C„ Die Zukunft des Kapitalismus, 3. Aufl., Regensdorf, Düsseldorf 1998, S. 378f.

141

Mues, W./Müller, A./Peege, J./Rapp-Frick, H.-P./Sahrhage, W./Tripp, W.AVeibert, C.-D., (Hrsg.),

84 • •

Die Zukunft der Berufswelt

Praxisnähe; die Ausbildung erfolgt unter späteren Berufsbedingungen, Erwerb von Berufserfahrung während der Ausbildung; frühzeitige Adaption an die Erfordernisse des Berufes (fachlich und sozial),



Direkter Zusammenhang zwischen Ausbildungsplatzangebot und Beschäftigungsbedarf; die Wirtschaft orientiert ihren Ausbildungsbedarf an den anschließenden Beschäftigungsmöglichkeiten,



Orientierung an betrieblichen Anforderungen; die Betriebe können ihre spezifischen Bedingungen - trotz staatlicher Mindestvorgaben - relativ flexibel in die Ausbildung einbringen,



Unabhängigkeit der Qualifikationsentwicklung von Verfügbarkeiten auf dem Arbeitsmarkt; der externe Arbeitsmarkt spielt deshalb eine nur übergeordnete Rolle,



Vermeidung von Einarbeitungskosten; die übernommenen Ausgebildeten kennen den Betrieb und die jeweiligen immanenten Arbeitsabläufe so vie das Sozialgefuge,



Geringeres Risiko personeller Fehlbesetzungen; der Betrieb hat während der Ausbildungszeit eine ausreichende Möglichkeit die Stärken und Schwächen seiner zukünftigen Mitarbeiter kennen zu lernen,



Imagegewinn; Unternehmen die ausbilden vermitteln der Öffentlichkeit allgemein ein positives Zukunftsbild - gerade in Zeiten eines angespannten Ausbildungsmarktes.

Neben diesen positiven ökonomischen Faktoren der betrieblichen Ausbildung werden aber auch Nachteile angeführt. In erster Linie wird dabei (gesantwirtschaftlich) die starke Abhängigkeit des potentiell Auszubildenden (Anbieter) von einzelbetrieblichen Entscheidungen (Nachfrager) angeführt. „Dies ist allerdings so lange unproblematisch, wie der Arbeitsmarkt aufnahmefähig ist und nachwachsende Jahrgänge untergebracht werden können. Wenn dagegen aus konjunkturellen oder strukturellen Gründen der Fachkräftebedarf zurückgeht, kann dies Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsstellenmarkt nach sich ziehen. Gleiches gilt, wenn demographische Entwicklungen - etwa das Auftreten geburtenstarker Jahrgänge - leine Entsprechung auf dem Arbeitsmarkt finden."142 Auf einzelwirtschaftlicher (betrieblicher) Ebene wird als Nachteil der betrieblichen Ausbildung häufig die Kostenseite für die Unternehmen - dies gilt nsbesondere in Zeiten eines Überangebots am Ausbildungsmarkt - genannt. 3eDer Weg zur Ausbilderprüfung, a.a.O., I/lff. 142 Mues, W./Müller, A./Peege, J./Rapp-Frick, H.-P./Sahrhage, W./Tripp, W.AVeibert, C.-D., (Hrsg.), Der Weg zur Ausbilderprüfung, a.a.O., S. 1/3

Zum Ausbildungsstellenmarkt

85

triebliche Ausbildung würde die Unternehmen von der Kostenseite zu stark beanspruchen. Dies sei auch ein Grund, warum so wenig Unternehmen ausbilden würden. Hierauf wird später noch ausführlich einzugehen sein. Auch gesellschaftliche Aspekte sprechen für eine betriebliche Ausbildung. Hier sind die frühzeitige Integration junger Menschen in den Wirtschaftsprozeß genauso zu nennen, wie die Entwicklung eines Verantwortungsbewußtseins der ausbildenden Unternehmen. Für die Jugendlichen ist die Berufsausbildung keineswegs nur eine Übergangsphase, aus der man herauswächst. Es werden vielmehr die wichtigsten Grundlagen für die Qualifizierung der Arbeitskraft gelegt. Sie ist gleichzeitig eine Weichenstellung für den zukünftigen Lebensstandard und die Bedingungen, unter denen später gearbeitet wird. Außerdem fällt diese Phase in der Regel mit einem wichtigen individuellen Entwicklungsabschnitt zusammen. Als bildungspolitischer Aspekt ist der offene Zugang zu einer betrieblichen Ausbildung anzuführen. Im Gegensatz zu rein schulischen Ausbildungssystemen kann die betriebliche Berufsausbildung auf formale Zugangsvoraussetzungen verzichten. Sie steht bei einer positiven Prognose bezüglich des Ausbildungsziels grundsätzlich jedem offen. Und nicht zuletzt gibt es auch pädagogische Gründe, die eindeutig für eine duale betriebliche Ausbildung sprechen. „Dabei erwächst ein wesentlicher Vorteil aus der Praxisnähe und der Einbindung der Ausbildung in den Berufsalltag: Das Lernen an konkreten Arbeitsaufträgen hat eine besondere pädagogische Funktion. Der Auszubildende lernt in unmittelbarer Rückkopplung zur Arbeitswirklichkeit, effektiv zu arbeiten, Selbständigkeit und Verantwortungsbewußtsein zu entwickeln, Teamfähigkeit unter Beweis zu stellen, auf Kundenwünsche einzugehen." 143 Berufliche Bildung fördert aber auch die Möglichkeiten der Teilhabe (Partizipation) am politischen Prozeß - nicht nur die allgemeine Schulbildung hat Einfluß auf die Informations- und Mitwirkungsmöglichkeiten des Einzelnen in der Gesellschaft. Vor allem wird eine gute berufliche Qualifizierung möglichst aller zum wichtigen Faktor für die Stärke und Handlungsfähigkeit in der Auseinandersetzung um Arbeits- und Lebensbedingungen. In diesem Kontext sei hier noch einmal auf die Besonderheiten des Faktors Arbeit hingewiesen.

4.S.2.

Allgemeine Angebots- und Nachfragebedingungen

Da der Ausbildungsmarkt im engen Zusammenhang zum allgemeinen Arbeitsmarkt steht, gelten auch hier bestimmte Angebots- und Nachfragebedingungen. Die am meisten vertretene Theorie des ökonomischen Mainstream, 1 4 3 Mues, W./Müller, A./Peege, J./Rapp-Frick, H.-P./Sahrhage, W./Tripp, W.AVeibert, C.-D., (Hrsg.), Der Weg zur Ausbilderprüfung, a.a.O., S. 1/4

86

Die Zukunft der Berufsveit

auch als neoklassische Theorie bezeichnet, weist dem Lohn dabei die entscheidende Reglerfunktion zwischen Angebot und Nachfrage zu. Diese arbeitsmarktimmanente Betrachtung - ist der Lohn zu hoch, wird wenig Arbeit nachgefragt - greift bezogen auf die wirtschaftliche Praxis allerdings viel zu kurz. Hierbei wird systematisch übersehen, daß die Arbeitsnachfrage im wesentlichen von der Entwicklung der Kapitalverwertung auf den Güter- und Geldmärkten determiniert wird und nicht auf den hiervon abhängigen und derivativen Arbeitsmärkten. Bei der Arbeitsnachfrage muß zunächst einmal zwischen potentiellen Determinanten und tatsächlichen Determinanten unterschieden werden. 144 Die Zihl der gesamtwirtschaftlichen Arbeitsplätze ergibt sich aus der Multiplikaton des Kapitalstocks (Kapitalkoeffizienten) mit der Arbeitsintensität. Multipliziert man danach die Zahl der Arbeitsplätze mit der betrieblichen normalen Arbeitszeit 145 , so erhält man die potentielle Arbeitsnachfrage. Dividiert man diese durch die normale Arbeitszeit je Arbeitnehmer (ohne Mehrarbeit), so ergibt sich die potentiell nachgefragte Anzahl an Arbeitnehmern. Potentielle Arbeitsnachfrage

/ / / i

x = x = =

Kapitalstock Arbeitsintensität Arbeitsplätze normale Betriebszeit potentielle Nachfrage (Stunden): normale Arbeitszeit je Arbeitnehmer f potentiell nachzufragende Anzahl an Arbeitnehmern

Quelle: Engelen-Kefer, U./Kühl, J./Peschel, P./Ullmann, H., Beschäftigungspolitik, 3. Aufl., Köln 1995

Hiervon weicht in der Regel die tatsächliche Arbeitsnachfrage ab. „Sie bestimmt sich zum einen aus der Höhe der Produktion, die ihrerseits abhäigt vom erwarteten Absatz und vom Fertigwarenbestand. Bei übervollem Fertigwarenlager wird die Produktion natürlich stärker zurückgenommen. Darüber hinaus hängt die Arbeitsnachfrage ab von dem Teil der Produktion, der in einer Arbeitsstunde erbracht werden kann: Ist er groß, wird man weniger Arbeitsstunden für die Gesamtproduktion benötigen und umgekehrt. Der Produktionsbeitrag einer Arbeitsstunde ist die Arbeitsproduktivität. Sie ist >on vielen Faktoren abhängig: Vom Arbeitstempo, von der betrieblichen Arbeisorganisation, vor allem aber vom effizienten Einsatz moderner Maschiren. Zusammengefaßt könnte man dies alles den Rationalisierungsgrad nenn;n.

144

Engelen-Kefer, U./Kühl, J./Peschel, P./Ullmann, H„ Beschäftigungspolitik, 3. Aufl., Köln 199.', S.

27f. Hierbei ist entsprechend Mehrschichtarbeit zu berücksichtigen.

Zum Ausbildungsstellenmarkt

87

Die Produktion multipliziert mit der Arbeitsproduktivität ergibt das Volumen der tatsächlichen Arbeitsnachfrage, also die Menge der benötigten Arbeitsstunden. Es hängt nun von der Arbeitszeit ab, die davon ein einzelner Arbeitnehmer leisten soll, wie viele Beschäftigungsverhältnisse nachgefragt werden. Dies ist nun allerdings nicht allein vom Willen des Arbeitgebers abhängig, sondern ebenso von tariflichen und gesetzlichen Regelungen. " 1 4 6 Tatsächliche Arbeitsnachfrage Erwarteter Absatz +/- Lageraufbau/Lagerabbau = Effektive Produktion x arbeitsstündliche Produktivität = tatsächliche Arbeitsnachfrage (Arbeitsvolumen in Stunden) : tatsächliche Arbeitszeit je Arbeitnehmer = tatsächlich nachgefragte Anzahl an Arbeitnehmern Quelle: Engelen-Kefer, U./Kühl, J./Peschel, P./Ullmann, H., Beschäftigungspolitik, 3. Aufl., Köln 1995

Neben den quantitativen Faktoren spielt auch die Qualifikation der Arbeitnehmer für das Angebot und die Nachfrage am Arbeitsmarkt eine wesentliche Rolle. Die Unternehmen benötigen nicht nur eine bestimmte Quantität an Arbeit, sondern auch auf den nach Berufen differenzierten Teilarbeitsmärkten eine bestimmte Qualität an Arbeit, die sich zudem aufgrund einer fast permanenten Technikentwicklung ständig verändert. Alle diese Determinanten des Arbeitsmarktes (quantitativ und qualitativ) beeinflussen auch den speziellen Ausbildungsmarkt, wobei es gesamtwirtschaftlich darauf ankommt, das Ausmaß und die Struktur der Ausbildungstätigkeit so festzulegen, daß innerhalb eines überschaubaren Zeitraums stets eine ausreichende Zahl „richtig" qualifizierter Arbeitnehmer auf den jeweiligen Teilarbeitsmärkten zur Verftigung steht. Ein derartiges Unterfangen scheint in marktwirtschaftlichen Ordnungssystemen, wo das Angebot an Ausbildungsplätzen letztlich von betrieblichen (einzelwirtschaftlichen) Rentabilitätserwägungen und die Nachfrage nach Ausbildung aufgrund des in Artikel 12 Grundgesetz verankerten „Prinzips der freien Berufswahl" abhängig ist, ein eher rein zufälliges, als denn planbares gesamtwirtschaftliches Ergebnis zu sein. Dies belegen empirisch zumindest die jährlichen Ausbildungsstellenbilanzen.

146

Engelen-Kefer, U./Kühl, J./Peschel, P./Ullmann, H., a.a.O., S. 27f.

88 4.5.3.

Die Zukunft der Berufswelt

Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsmarkt

Bei der statistischen Erstellung der Ausbildungsstellenbilanz erfolgt e:ne Anlehnung an § 3 Berufsbildungsgesetz. Demnach wird das Angebot an Berufsausbildungsstellen als Summe der neu abgeschlossenen Ausbildungsv;rträge errechnet, die vom 1. Oktober eines Jahres bis zum 30. September des Folgejahres abgeschlossen wurden, zuzüglich der bei den Arbeitsämtern gemeldeten Ausbildungsstellen, die am 30. September nicht besetzt waren. Die Nachfrage nach Ausbildungsstellen wird als Summe der neu abgeschlosseren AusbildungsVerträge sowie der am 30. September bei den Arbeitsämtern gemeldeten und noch nicht vermittelten Ausbildungsstellenbewerber bestimmt. Die zeitliche Eingrenzung eines Vermittlungsjahres (1. Oktober bis 30. September) orientiert sich dabei am Beginn des neuen Ausbildungsjahres. Neue Ausbildungsverträge + Offene Ausbildungsplätze = Angebot Neue Ausbildungsverträge + Noch nicht Vermittelte = Nachfrage Betrachtet man die Angebots- und Nachfrageentwicklung auf dem Ausbildungsmarkt, so kann man bis Ende der 70er Jahre von einem weitgehend ausgeglichenen Markt sprechen.

Zum Ausbildungsstellenmarkt Tab. 14: Jahr

1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992" 1993 1994 1995 1996 1997 1998

89

Ausbildungsstellenbilanz 1980 bis 1998 Neue Ausbildungsverträge 650.000 605.636 630.990 676.734 705.652 697.089 684.710 645.746 604.002 583.736 545.562 539.466 595.215 570.120 568.082 572.774 574.327 587.517 612.771

Offene Plätze

44.600 37.348 19.995 19.641 21.134 22.021 31.170 44.541 61.962 84.913 113.873 128.534 126.610 85.737 54.152 44.214 34.947 25.864 23.404

Angebot

Noch nicht Vermittelte

694.600 642.984 650.985 696.375 726.786 719.110 715.880 690.287 665.964 668.649 659.435 668.000 721.825 655.857 622.234 616.988 609.274 613.381 636.175

17.300 22.140 34.180 47.408 58.426 58.905 46.270 33.880 24.791 18.278 13.969 11.205 12.975 17.759 18.970 24.962 38.458 47.421 35.675

Nachfrage

667.300 627.776 665.170 724.142 764.078 755.994 730.980 679.626 628.793 602.014 559.531 550.671 608.190 587.879 587.052 597.736 612.785 634.938 648.446

Uberhang

27.300 15.208 - 14.185 - 27.767 - 37.292 - 36.884 - 15.100 10.661 37.171 66.635 99.904 117.329 113.635 67.978 35.182 19.252 -3.526 -21.557 - 12.271

AngebotsNachfrageRelation 104,1 102,4 97,9 96,2 95,1 95,1 97,9 101,6 105,9 111,1 117,9 121,3 118,7 111,6 106,0 103,2 99,4 96,6 98,1

Quelle: Berufsbildungsbericht 1999, S. 2, 1) A b 1992 West- und Ostdeutschland

Seit Beginn der 80er Jahre ist eine differenzierte Entwicklung festzustellen. In der alten Bundesrepublik war in den Jahren 1982 bis 1986 die Nachfrage größer als das Angebot. Ab 1987 wurden rechnerisch bis 1998 in jedem Jahr mehr Lehrstellen angeboten als nachgefragt. Diese günstige Marktsituation war in den neuen Bundesländern dagegen nicht vorhanden. Hier übersteigt bis auf das Jahr 1992 in jedem Jahr bis 1998 die Nachfrage das Angebot. Man kann also von einem „gespaltenen Ausbildungsmarkt" sprechen. Der Gesamtmarkt zeigt seit 1996 eine Negativbilanz (vgl. dazu die Tabelle 14). Diese wird verstärkt, wenn man sowohl regionale als auch berufsspezifische Ange'oots-Nachfragerelationen in die Betrachtung mit einbezieht. 147 Außerdem sind die Jugendlichen zu berücksichtigen, die sich in „Warteschleifen" befinden (z.B. im Berufsvorbereitungsjahr) und weiterfuhrende allgemeinbildende Schulen sowie Hochschulen besuchen, deren Alternative bei dem Vorliegen eines adäquaten Ausbildungsplatzes nicht gewählt worden wäre. Und nicht zuletzt müssen im Grunde auch die Jugendlichen in der Negativbilanz aufgeführt werden, die resigniert haben und einer ungelernten Arbeit nachgehen oder in der stillen Reserve des allgemeinen Arbeitsmarktes abgetaucht sind.

147

Vgl. dazu den Berufsbildungsbericht 1999, S. 41 f.

90

Die Zukunft der Berufsveit

In der offiziellen Statistik des Ausbildungsmarktes waren in den alten Bindesländern zum 30. September 1998 noch rund 23.400 unvermittelte Bewerber registriert. Ihnen standen rechnerisch rund 22.900 offene Plätze geg;nüber. Hierbei sind jedoch starke regionale als auch berufsspezifische Ungleichgewichte zu beobachten. Vielfach waren die Ausbildungsplätze dort, wo sie nicht gebraucht wurden oder die Berufswünsche bzw. Bewerberprofile ier bisher nicht Vermittelten stimmten nicht mit den noch freien Ausbildungsplätzen überein. In den neuen Bundesländern muß die Situation am Ausbildungsmarkt rur Zeit als katastrophal eingestuft werden. Obwohl hier bereits ca. 40 Prozent ier Ausbildungsplätze durch staatliche Sonderprogramme nach SGB III (Benachteiligtenförderung) bereitgestellt werden, und nur knapp 60 Prozent \on der privaten Wirtschaft, lag die Zahl der noch nicht vermittelten Bewerber am einen Ausbildungsplatz am 30. September 1998 bei rund 12.300. Dieser Zihl standen lediglich 500 offene betriebliche Ausbildungsstellen gegenüber.148 Nach vorläufigen Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes haben sch 1999 die Zahlen und damit die Ausbildungschancen der Jugendlichen im „dualen System" leicht verbessert. Insgesamt wurden 1999 636.587 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen. Das ist gegenüber 1998 eine Steigering von 4 Prozent. Trotzdem waren am 30. September 1999 in Deutschland noch knapp 29.400 Jugendliche ohne einen Ausbildungsplatz. Dies waren 18 Prozent weniger als zum Stichtag 1998. Diese unbefriedigende Verbesserung ier Ausbildungsplatzbilanz geht allerdings nicht auf ein freiwilliges erweitertes Angebot der privaten Wirtschaft zurück, sondern auf das Ende 1998 venbschiedete Sofortprogramm Bildung, Qualifizierung und Beschäftigung Jugentlicher zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit (JUMP).149 Insgesamt befanden sich am 31. Dezember 1999 in Deutschland rund 1,7 Millionen Jugendliche in einer Ausbildung im „dualen System". Das waren 2 Prozent (plus 40.400) mehr als im Vorjahr. 4.5.4.

Zur Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen

Die NichtVersorgung junger ausbildungsbereiter Menschen mit einem idäquaten Ausbildungsplatz im „dualen System" hängt wesentlich von der Aisbildungsbeteiligung der privaten Unternehmen aber auch der öffentlichen Arbeitgeber ab. Stellen in Relation zur jeweiligen Nachfrage die Arbeitgeber in Quantität und Qualität zu wenig Ausbildungsplätze bereit, so werden die Eil148

Vgl. Berufsbildungsbericht 1999, S. lff.

149

Vgl. Ausbildungsfibel der Bundesanstalt für Arbeit, Bonn, 10/2000, S. 725

Z u m Ausbildungsstellenmarkt

91

dungs- und damit Lebenschancen junger Menschen gefährdet. Die Problematik ist nicht neu. Seit Ende der 70er Jahre gibt es eine teilweise politisch heftig geführte Diskussion um die Ausbildungsbereitschaft in einer marktwirtschaftlich-kapitalistisch geprägten Gesellschaft. Ein aktueller Blick und eine Analyse der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge für das Jahr 1998 zeigt u.a. die Verteilung der Ausbildungsplätze auf die einzelnen Wirtschaftsbereiche. Demnach liegen sowohl in West- wie in Ostdeutschland in der Industrie und im Handel die Ausbildungsquoten mit gut 50 Prozent an erster Stelle, gefolgt vom Handwerk, das auf 34 Prozent kommt. Stark abweichend zwischen Ost- und Westdeutschland sind die Quoten im Bereich der Freien Berufe. Diese liegen in Westdeutschland bei 9,5 Prozent, während die Quote in Ostdeutschland 4,6 Prozent beträgt. Relativ gering und identisch hoch waren die Ausbildungsquoten erstaunlicherweise des öffentlichen Dienstes (ohne Laufbahnausbildungen im Beamtenverhältnis) mit jeweils 2,5 Prozent. Bezieht man die abgeschlossenen Ausbildungsverträge auf die Zahl der insgesamt Beschäftigten in West- und Ostdeutschland, so zeigt der Anteil die Ausbildungsanstrengungen in West und Ost. Diese sind mit einem prozentualen Wert von 0,017 im Westen und einem Wert von 0,022 im Osten mal gerade als marginal einzustufen. Ein höherer Ausbildungswert in den neuen Bundesländern ergibt sich auch bezogen auf die Gesamtauszubildendenzahl. Diese Werte belaufen sich im Westen auf 4,5 Prozent und im Osten auf 6,3 Prozent. 150 Tab. 15:

N e u abgeschlossene Ausbildungsverträge nach Wirtschaftsbereichen 1998

Wirtschaftsbereich

Westdeutschland Ostdeutschland Anzahl Anteil in v H Anzahl Anteil in v H Industrie und Handel 242.071 50,1 69.592 53,9 Handwerk 167.994 34,7 44.388 34,3 Öffentlicher Dienst 11.996 3.202 2,5 2,5 Landwirtschaft 11.427 2,4 4.335 3.4 Freie B e r u f e 45.892 5.970 9,5 4,6 Hauswirtschaft 4.054 0,8 1.694 1.3 Seeschiffahrt 142 0,02 14 0,01 Insgesamt 483.567 100,0 129.195 100,0 Quelle: Berufsbildungsbericht 1999, S. 4 und 5, eigene Berechnungen

Das betriebliche Ausbildungsangebot der Unternehmen im dualen System ist freiwillig. Der Staat kann kein Unternehmen zwingen, entsprechende Ausbildungsplätze bereitzustellen. Hinzu kommt, daß der Staat von den Unternehmen bestimmte Voraussetzungen verlangt, wenn sie ausbilden wollen. Diese 150

Vgl. Berufsbildungsbericht 1999, S. 130

92

Die Zukunft der Berufswilt

Voraussetzungen sind vor allem im Berufsbildungsgesetz, der Handweiksordnung und der Ausbilder-Eignungsverordnung geregelt. 151 In einer Unt;rsuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Nürnberg der Bundesanstalt für Arbeit stellte sich 1997 heraus, daß nur knapp 53 Prozent aller Unternehmen in Deutschland die gesetzlichen Voraussetzungen lur Berufsausbildung erfüllen. Die Verteilung über die einzelnen Branchen zeigen die Zahlen in der folgenden Tabelle 16. Demnach liegt das Gesundheitswesen mit einer Quote von 74 Prozent an erster Stelle. Den letzten Platz belegen die Organisationen ohne einen Erwerbszweck sowie der Staat selbst mit 18,7 Prozent.

Tab. 16.: Gesetzliche Ausbildungsvoraussetzungen nach Branchen in Prozent Anteil der Unternehmen, die die Branche

gesetzlichen

Voraussetzungen

zir

Berufsausbildung erfüllen Land- und Forstwirtschaft

43,8

Bergbau, Energie, Wasserversorgung

22,6

Grundstoffverarbeitung

52,1

Investitionsgüterindustrie

73,9

Verbrauchsgüterindustrie

67,2

Baugewerbe

72,6

Handel

51,4

Verkehr, Nachrichten

23,9

Kredit, Versicherung

46,7

Gaststätten, Beherbergung

25,6

Bildungsstätten, Verlage

32,7

Gesundheitswesen

74,0

Sonstige Dienstleistungen

57,1

Organisation ohne Erwerbszweck/Staat

18,7

Gesamt

52,7

Quelle: IAB-Betriebspanel 1997

Unter Berücksichtigung der Freiwilligkeit der betrieblichen Ausbildung und der Ausbildungsvoraussetzungen kommt der Berufsbildungsbericht 1999 zu dem erschreckenden Ergebnis, daß sich faktisch zwei Drittel iiier Unternehmen in Deutschland nicht an der beruflichen Ausbildung beteiligen. 152

Vgl. dazu ausführlich Kapitel IV (rechtlicher Teil in diesem Buch) 152

Vgl. Berufsbildungsbericht 1999, S. 133

93

Zum Ausbildungsstellenmarkt

Nach Betriebsgrößenklassen zeigt sich, daß mit zunehmender Betriebsgröße die Ausbildungsquote steigt. In der Betriebsgrößenklasse 1 bis 9 Beschäftigte bildeten 1997 nur 17,1 Prozent aller Unternehmen aus. 153 In der Größenklasse 500 und mehr Beschäftigte lag die Quote dagegen bei 94,5 Prozent. Aufgrund der hohen Zahl der Unternehmen im Größenbereich 1 bis 9 Beschäftigte (80,3 Prozent aller Unternehmen liegen in diesem Bereich) lag die Gesamtzahl der ausbildenden Unternehmen bei lediglich 24 Prozent bzw. einem Drittel (vgl. im einzelnen die folgende Tabelle 17). Vor dem Hintergrund dieser Zahlen drängt sich die Frage nach einer staatlichen Intervention in Form eines Umverteilungssystems auf. Übernehmen die Unternehmen nicht die ihnen politisch zugestandene Ausbildungsfreiheit, so ist der Staat gefordert. Tab. 17: Ausbildungsbetriebe nach Betriebsgrößen (Beschäftigte) und Gründe der Nichtausbildung 1997 Betriebsgröße

Ibis 9

Merkmal

Betriebe gesamt Ausbildungsbetriebe Nichtausbildungsbet. Ausbildungsquote 10 bis 49 Betriebe gesamt Ausbildungsbetriebe Nichtausbildungsbet. Ausbildungsquote 50 bis Betriebe gesamt 499 Ausbildungsbetriebe Nichtausbildungsbet. Ausbildungsquote 500 und Betriebe gesamt mehr Ausbildungsbetriebe Nichtausbildungsbet. Ausbildungsquote Gesamt Betriebe gesamt Ausbildungsbetriebe Nichtausbildungsbet. Ausbildungsquote

Gründe, warum Unternehmen nicht ausbilden in v H "

1.320.058 226.338 1.093.720 17,1 257.110 120.796 136.314 47,0 62.209 42.597 19.612 68,5 4.223 3.992 232 94,5 1.643.600 393.723 1.249.877 24,0

Keine geeigneten Bewerber

Zu hohe Ausbildungskosten

Spätere Übernähme nicht möglieh

11,4

42,1

25,6

Allg. Sonstizuviele ge ProGründe bleme mit Ausbildung 28,4 34,1

17,4

22,8

19,6

30,8

42,5

1,8

17,1

22,0

18,6

56,6

0,9

27,8

30,9

0

80,8

12,5

37,6

24,3

28,6

36,4

Quelle: Berufsbildungsbericht 1999, S. 136f., eigene Berechnungen, 1) Mehrfachnennungen möglich

" • ' i n der Quote enthalten sind auch die Unternehmen, die die gesetzlichen Voraussetzungen zur Ausbildung nicht erfüllen.

94

D i e Z u k u n f t der Berufswelt

Die Diskussion über eine staatliche Intervention in die berufliche Ausbildung ist dabei nicht erst jüngeren Datums. Seit der Verabschiedung des Ausbildungsplatzforderungsgesetzes (AP1FG) 1976 mußte der Bildungsminister jährlich eine Analyse der Ausbildungsplatzsituation vorlegen. Waren hierbei die gesetzlich festgelegten Kriterien eines Ungleichgewichtes am Ausbildungsmarkt erfüllt, 154 so hatte er die Pflicht, eine Umlagefinanzierung 155 zugunsten der Berufsausbildung einzuführen. Die nicht ausbildenden Betriebe und staatlichen Verwaltungen hätten dann Beiträge in einen Fonds zur Finanzierung weiterer Ausbildungsplätze einzahlen müssen. Diese Regelung, die von den Unternehmen damals wie heute hart bekämpft wurde und wird, ist allerdings nie von der damaligen sozial-liberalen Bundesregierung umgesetzt worden. Die von Bundeskanzler Schmidt geführte Bundesregierung scheute die Auseinandersetzung mit den Unternehmen. Trotz massiver gewerkschaftlicher Proteste gab sie kampflos ihren verbal verkündeten Anspruch auf staatliche Verantwortung im Bereich der Berufsausbildung auf. Zu Hilfe kam der Bundesregierung 1980 das Bundesverfassungsgericht, das auf Antrag des Freistaates Bayern das AP1FG einschließlich der Umlagefinanzierung für von Anfang an als nichtig erklärte. Die ausführliche Begründung der Nichtigkeitserklärung des AP1FG durch die Verfassungsrichter enthielt überraschenderweise aber auch Passagen über den Kompetenzstreit zwischen Unternehmern und Staat in der beruflichen Bildung. So erklärt das Bundesverfassungsgericht: „Wenn der Staat in Anerkennung der Aufgabenteilung den Arbeitgebern die praxisbezogene Berufsausbildung der Jugendlichen überläßt, so muß er erwarten, daß die gesellschaftliche Gruppe der Arbeitgeber diese Aufgabe nach Maßgabe ihrer objektiven Möglichkeiten und damit so erfu.lt, daß grundsätzlich alle ausbildungswilligen Jugendlichen die Chance erhalten, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Das gilt auch dann, wenn das freie Spiel der Kräfte zur Erfüllung der übernommenen Aufgabe nicht mehr ausreichen sollte."

[ ) e r Angebotsüberschuß an Ausbildungsplätzen des jeweiligen Vorjahres durfte nicht weniger als 12,5 Prozent betragen und es durfte keine wesentliche Verbesserung im laufenden Jahr zu erwarten s;in. Legt man in den 80er und 90er Jahren diese 12,5 Prozent Angebotsüberschuß als Meßlatte für ein Ungleichgewicht auf dem Ausbildungsmarkt zugrunde, so war diese Angebots-Nachfrage-Relation nu - in den Jahren 1990 bis 1992 erfüllt. In allen anderen Jahren zwischen 1980 und 1998 hätte demnach bei dem Vorliegen des 1980 abgeschafften Ausbildungsplatzförderungsgesetzes die Bundesregierung in ien Ausbildungsmarkt mit einer Umlagefmanzierung intervenieren müssen. Demnach mußten alle Unternehmen eine proportionale Abgabe (Höchstgrenze jedoch 0,25 vH.) auf die jeweilige Bruttolohn- und -gehaltssumme bei einem Freibetrag für Kleinuntemehmen in Hihe von 400.000 DM entrichten. Dieses Geld wurde dann als gezielte Hilfe an Auszubildende und Ausiildungsbetriebe gegeben, wobei allerdings kein Anspruch auf Ersatz der gesamten Ausbildungskosten bestand. Die Hilfen sollten in erster Linie als einmalige Zuschüsse zur Erhaltung gefährdeter Ausbildungsplätze nach regionalen und berufsspezifischen Gesichtspunkten erfolgen.

Zum Ausbildungsstellenmarkt

95

Damit werden aus der Sicht des Bundesverfassungsgerichts zwei Dinge zweifelsfrei geklärt: •

Es besteht ein Grundrecht auf Ausbildung für alle Jugendlichen.



Die Arbeitgeber sind für die praxisbezogene Berufsausbildung verantwortlich.

Was passiert aber, wenn das „freie Spiel der Marktkräfte" versagt? Die Betonung des Rechts auf Ausbildung gerade in einer solchen Situation legt es hier nahe, daß auch nach Auffassung des Gerichtes die staatlichen Stellen nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht haben, in den Ausbildungsmarkt einzugreifen. Auch heute steht die Bundesregierung in Anbetracht eines angespannten Ausbildungsmarktes vor dieser grundsätzlichen Frage. Staatliche Intervention in den Ausbildungsmarkt ja oder nein? 76 Prozent der Bevölkerung sind genauso wie die Gewerkschaften der Meinung: Wer nicht ausbildet, soll zahlen. Das hat das von der IG Metall 1998 beauftragte Kölner Meinungsforschungsinstitut „result" herausgefunden. Gegen eine staatliche Intervention waren lediglich 2,9 Prozent der Bevölkerung, während sich 21,1 Prozent weder dafür noch dagegen, also indifferent, entschieden. Bei den Arbeitgebern sprachen sich immerhin 38 Prozent für eine Umlagefinanzierung aus.

96

Die Zukunft der Berufswelt

Das Modell eines zentralen Berufsausbildungsfonds „Vertreten wird dieser Vorschlag durch die Sachverständigenkommission „Kosten und Finanzierung der außerschulischen beruflichen Bildung" (1974). Nach ihren Vorstellungen soll die Fondsfinanzierung die gesamten betrieblichen Kosten der Ausbildung einschließlich individueller Vergütungen umfassen. Die Mittel sind durch einen proportionalen Tarif auf der Bemessungsgrundlage der Bruttolohn- und -gehaltssumme aller Betriebe aufzubringen. Die Vergabe erfolgt an alle ausbildenden Unternehmen und an überbetriebliche Ausbildungsstätten nach einem zweistufigen Verfahren (1. Akkreditierung, d.h. ausbildungswillige Unternehmen müssen zunächst bestimmte Voraussetzungen für die Sicherung einer qualitätsreichen Ausbildung erfüllen; 2. Mittelvergabe nach dem Umfang der tatsächlich

durchgeführten

Berufsausbildung).

Die

vorgeschlagene

Fondslösung scheint insbesondere durch die Setzung von Mindeststandards, die regionale und sektorale Flexibilität des Mitteleinsatzes und durch die Ansammlung von Reserven in der Hochkonjunktur und die Verfügung über zusätzliche Mittel in der Rezession (antizyklischer Mitteleinsatz) geeignet, die genannten externen Schäden zu vermeiden. Gegenüber einer rein staatlichen Finanzierung bietet sie die Vorteile eines flexiblen

Finanzierungsinstruments und erweiterter Möglichkeiten für eine

Mitverantwortung der Betroffenen. Sie bannt die Gefahr, daß mittelfristig geplante Bildungsausgaben kurzfristig zugunsten anderer Staatsausgaben oder wegen sinkender Steuereinnahmen wieder zurückgenommen werden müssen, und betont die Sachnähe der Abgabepflicht." 156 Explizit dagegen waren hier sogar nur 2,2 Prozent. Fast 60 Prozent sind allerdings der Meinung, die Unternehmen können selbst für genügend Lehrstellen sorgen. 157 Offensichtlich ist dies aber anhand der zuvor gezeigten Daten nicht der Fall. Als Gründe warum Unternehmen nicht ausbilden, ergeben sich, nach Betriebsgrößenklassen differenziert, völlig unterschiedliche Angaben (vgl. die Tabelle 17). Gaben beispielsweise 11,4 Prozent der befragten Unternehmen in der Größenklasse 1 bis 9 Beschäftigte an, keine geeigneten Bewerber gefun-

Mackscheidt, K., Bildung: Öffentliche Finanzierung, in: Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft, Bd. 2, a.a.O., S. 26 157

Vgl. direkt. Der Info-Dienst der IG Metall, Nr. 4/1998, S. 2

Zum Ausbildungsstellenmarkt

97

den zu haben, so lag der Anteil bei den Unternehmen mit 500 und mehr Beschäftigten bei nur 0,9 Prozent. Auch der angegebene Grund zu hoher Ausbildungskosten zeigt betriebsgrößenbedingt stark unterschiedliche Werte. Bei 42,1 Prozent der kleinen Unternehmen von 1 bis 9 Beschäftigte sind die Ausbildungskosten der Grund für das Nichtausbilden, während bei den Großunternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten die spätere Übernahme der Ausgebildeten als Grund eine wesentliche Rolle spielt. Über alle Betriebsgrößenklassen hinweg fällt allerdings auf, daß mit 37,6 Prozent der Nennungen, gefolgt mit 36,4 Prozent sonstiger Gründe, die Ausbildungskosten offensichtlich den wichtigsten Grund für die Unternehmen darstellen, warum sie nicht ausbilden (vgl. im einzelnen Tabelle 17).

4.5.5.

Kosten und Nutzen der Berufsausbildung

Bei der Berufsausbildung spielen offensichtlich die Kosten eine nicht unbeträchtliche Rolle. Neben den Aufwendungen, die der Staat im dualen System übernimmt (Kosten des Berufschulbetriebs; dazu gehören die Kosten für Schulpersonal sowie die Kosten für schulische Lehr- und Lernmittel als auch die Schulgebäudekosten inkl. Instandhaltung), trägt der jeweilige Ausbildungsbetrieb die Kosten der Ausbildungsvergütung inkl. der Beiträge zur Sozialversicherung (vgl. dazu ausführlich den nächsten Punkt 4.4.6), die Kosten für das Ausbildungspersonal (Lohn- und Gehaltskosten) zuzüglich der Produktivitätsverluste 158 ) sowie die Sach- und Kapitalkosten der Ausbildungsstätte. Im Jahr 1999 entfielen so auf den Staat insgesamt 9,35 Mrd. DM und auf die privaten Unternehmen insgesamt 23,5 Mrd. DM.

158 Beim Ausbildungspersonal, das nicht ausschließlich für die Ausbildung zuständig ist, treten insofern Produktivitätsverluste auf, weil ohne Auszubildende mehr produziert werden könnte, wenn Vorgesetzte und Kollegen keine Unterweisungen geben und fehlende Fertigkeiten und Kenntnisse bei den Auszubildenden nicht zu zusätzlichem Materialverbrauch und einem höheren Verschleiß an Werkzeugen und Maschinen fuhren würden.

98

Die Zukunft der Berufswelt

Abb. 5: Gesamtkostenverteilung der dualen Ausbildung

Gesamtkostenverteilung der dualen Ausbildung 1999

Staat • Kosten des Berufsschuldienstes • Förderung überbetrieblicher Berufsbildungsstätten • Sonderprogramme

Ausbildungsbetrieb • Kosten der Ausbildungsstätte • Ausbildungsvergütung • Ausbilderkosten

Die Ermittlung der Ausbildungsaufwendungen für das Unternehmen hängt vom jeweiligen Berufsbild (z.B. technisch oder kaufmännisch) und der Art der Ausbildung (in Lehrwerkstatt, auf Lerninseln oder direkt im Arbeitsprozeß) entscheidend ab. Hierbei sind die Kosten dann am geringsten, wenn die Auszubildenden in den wertschöpfenden Arbeitsprozeß des Unternehmens eingebunden sind. Auch die gezahlten Ausbildungsvergütungen beeinflussen die Aufwendungen. Die Aufwandsseite läßt sich durch Soll-Ist-Vergleiche anhand von Ausbildungskennziffern planen, steuern und transparent machen. Folgende Mengen* und Wert-Kennzahlen lassen sich hier u.a. ermitteln:

Zum Ausbildungsstellenmarkt

99

Kennziffern Auszubildende in Prozent der Gesamtbelegschaft Kaufmännische Auszubildende in Prozent zu kaufmännischen Angestellten Technische Auszubildende in Prozent zu technischen Angestellten Gewerbliche Auszubildende in Prozent zu Facharbeitern Auszubildende in Relation zu Ausbildern Anteil bestandender Abschlußprüfungen Übernommene Ausgelernte in Prozent zu insgesamt Ausgebildeten Übernommene Ausgelernte in Prozent der jährlichen Personaleinstellungen Ausbildungsaufwand in Prozent des Gesamtumsatzes Ausbildungsaufwand in Prozent des Gesamtpersonalaufwandes Brutto-Ausbildungsaufwand pro Auszubildenden Netto-Ausbildungsaufwand pro Auszubildenden Netto-Ausbildungsaufwand pro Belegschaftsmitglied

Die Kennziffern sollen eine Hilfe zur Tranzparenz und zur Einhaltung einer Kostendisziplin im Ausbildungsbereich bieten. Damit soll gleichzeitig eine hohe Wirtschaftlichkeit und Rentabilität der eingesetzten Mittel erzielt werden. Auch die Frage nach dem Kostenträger bzw. auf wen die Kosten der Ausbildung abgewälzt werden bzw. wieviel Ausbildungskosten die verkauften Produkte haben tragen müssen, läßt sich erst dann beantworten, wenn die Kosten vorher genau erfaßt wurden. Eine erste Kostenuntersuchung zur Höhe der betrieblichen Ausbildungskosten wurde 1971 von einer Sachverständigenkommission Kosten und Finanzierung der beruflichen Bildung" durchgeführt. Die letzte Untersuchung stammt aus dem Jahr 1992 vom Bundesinstitut für Berufsbildung, Berlin bezogen auf Daten aus dem Jahr 1991. Diese Ergebnisse sind für das Jahr 1995 fortgeschrieben worden.159 Demnach betrugen im Jahresdurchschnitt die betrieblichen Aufwendungen 34.985 DM je Auszubildenden. Problematisch ist die Bestimmung der Erträge, d.h. die quantitative Ermittlung des Nutzen-Beitrags der Ausbildung zum Unternehmenserfolg. Der Berufsbildungsbericht 1999 stellt diesbezüglich kritisch fest: „Häufig ist die Diskussion zu Kosten und Nutzen der beruflichen Bildung in der Vergangen159 Y g | Bardeleben, R./Beicht, U./Feher,K., „Was kostet die betriebliche Ausbildung?" Fortschreibung der Ergebnisse 1991 auf den Stand 1995. Bundesinstitut für Berufsbildung (Hrsg.), Berichte zur beruflichen Bildung, Bd. 210, 1997

100

Die Zukunft der Berufsw;lt

heit zu einseitig auf Kostenargumente ausgerichtet worden." 160 Dies lag sicher auch an einer wesentlich schwierigeren Erfassungsmöglichkeit von rechenbaren Nutzenvorteilen. Hier besteht in Zukunft noch einiger Forschungsbedarf. Relativ einfach ist der Nutzen nur da zu quantifizieren, wo die Arbeit cer Auszubildenden im Rahmen der betrieblichen Wertschöpfung monetär zu bewerten ist. Der sich dabei ergebende Ertrag/Nutzen wurde für das Jahr 1995 durchschnittlich pro Auszubildenden mit 13.527 DM ermittelt, so daß bei Bruttokosten von 34.985 DM insgesamt jährliche Nettokosten von durchschnittlich 21.458 DM je Auszubildendem verblieben.

Kosten-Nutzenrechnung der betrieblichen Ausbildung Bruttokosten 34.985 DM Ertrag/Nutzen 13.527 DM Nettokosten 21.458 DM

In Summe über alle Unternehmen betrachtet ist es völlig klar, daß Ausbildung bzw. Erstqualifikation ein unbedingtes Muß darstellt. Hier ergibt sich erst gar nicht die Frage nach einem rechnerischen Nutzen, weil ohne Ausbildung alles andere nicht zu haben bzw. möglich ist. Der Reichtum einer Volkswirtschaft definiert sich u.a. nachhaltig durch das Qualifikationsniveau der arbeitenden Bevölkerung. Für ein einzelnes Unternehmen existiert aber ein kurz- bis mittelfristiges Gewinnkalkül. Hier erfolgt die Abwägung ob eine eigene Ausbildung unterhalten werden soll oder ob der zukünftige personelle Bedarf am Arbeitsmarkt zu decken ist. Dabei verläßt sich das einzelne Unternehmen darauf, daß andere Unternehmen über ihren eigenen Bedarf für andere Unternehmen mitausbilden. Unterstellt dies findet statt und man geht davon aus, daß Ausbildung einem Unternehmen während der Ausbildungszeit mehr kostet als sie an Ertrag einbringt, dies gilt insbesondere für die Ausbildung in einer Lehrwerkstatt, so läßt sich der Nutzen der Ausbildung neben einer langfristigen Sicherung des Fachkräftebedarfs in Form von rekrutiven Opportunitätserträgen bestimmen. „Unter dem Begriff rekrutive Opportunitätserträge ist die Vermeidung von Kosten und Folgekosten der Einstellung von Arbeitskräften über den externen Arbeitsmarkt zu verstehen. Im einzelnen handelt es sich hier um Kosten der Personalbeschaffung, Einarbeitung und Anpassungsqualifizierung

160

Berufsbildungsbericht 1999, S. 118

Zum Ausbildungsstellenmarkt

101

neu eingestellter Arbeitskräfte, der Fluktuation und des Fehlbesetzungsrisikos." 161 Die rekrutiven Opportunitätserträge sind dann unter dem Gesichtspunkt einer einzelwirtschaftlichen Gewinnmaximierung mit den Nettokosten der betrieblichen Ausbildung zu vergleichen. Sind die rekrutiven Opportunitätserträge größer, so lohnt aus einzelwirtschaftlicher Sicht die Unterhaltung einer eigenen Ausbildung, ansonsten nicht.

4.5.6.

Zur Ausbildungsvergütung

Die Ausbildungsvergütungen, nach § 10 Berufsbildungsgesetz von jedem Unternehmen an die Auszubildenden gemäß Lebensalter in angemessener Höhe zu zahlen, stellen innerhalb des Ausbildungskostenblocks der Unternehmen mit rund 36 Prozent den größten Faktor dar. 162 Dabei muß gemäß gesetzlicher Bestimmungen (§ 10 Abs. 1 Berufsbildungsgesetz BBiG) die Vergütung mit fortschreitender Ausbildung ansteigen, und zwar mindestens jährlich. In den meisten Branchen vereinbaren die Sozialpartner im Rahmen ihrer Tarifautonomie die Höhe der monatlichen Ausbildungsvergütungen in den Tarifverträgen. Die hier festgelegten Vergütungen stellen für tarifgebundene Unternehmen, die einem Arbeitgeberverband angehören, der den Tarifvertrag abgeschlossen hat, verbindliche Mindestvergütungen dar, die zwar überschritten aber nicht unterschritten werden dürfen. Nicht tarifgebundene Unternehmen orientieren sich in der Regel an den Tarifvergütungen in ihrer Branche und Region. Die Rechtsprechung erlaubt nicht tarifgebundenen Unternehmen allerdings eine Unterschreitung der Tarifvergütungen bis zu 20 Prozent. Die Gewährung einer Ausbildungsvergütung war - historisch betrachtet keine Selbstverständlichkeit. „In der mittelalterlichen handwerklichen Ausbildung, die durch die Zünfte streng geregelt war und die als Ursprung der heutigen betrieblichen Berufsausbildung gilt, mußten die Eltern des Lehrlings in den meisten Zünften dem Lehrherren ein Lehrgeld entrichten. Der Lehrling wurde in den Haushalt des Meisters aufgenommen, d.h. er erhielt Kost und Unterkunft, was den wesentlichen Grund für die Lehrgeldzahlungen darstellte. Nur selten wurde dem Lehrling ein Entgelt für die geleisteten Arbeiten gezahlt, in einigen Zünften war dies sogar ausdrücklich verboten. Mit dem Niedergang der Zünfte und der zunehmenden Industriealisierung im 19. 161

Berufsbildungsbericht 1999, S. 120

162

Vgl. Ebenda, S. 115

102

Die Zukunft der Berufswelt

Jahrhundert löste sich die strenge Ordnung der handwerklichen Ausbildung weitgehend auf. Viele Handwerksmeister betrachteten unter dem Konkurrenzdruck der industriellen Massenproduktion ihre Lehrlinge vor allem als kostengünstige Arbeitskräfte. Unterbringung und Verpflegung der Lehrl.nge wurde nicht mehr als Aufgabe des Lehrherren, sondern der Eltern betrachtet. Die Meister zahlten daher immer häufiger eine sogenannte Erziehungsbeihilfe, während umgekehrt die Entrichtung von Lehrgeld allmählich entfiel; allerdings kamen Lehrgeldzahlungen auch noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor. Aufgrund der relativ schlechten finanziellen Bedingungen einer Handwerkslehre entschieden sich nun viele Jugendliche stattdessen für e ne Arbeit in einer Fabrik, wo sie Lohnzahlungen erhielten. Obwohl die jugendichen Arbeiter dort teilweise als Lehrlinge bezeichnet wurden, fand eine Ausbildung im herkömmlichen Sinne in der Regel nicht statt." 163 Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts „begannen die an Bedeutung gewinnenden Gewerkschaften, sich für eine umfassende Ordnung des Lehrlingswesens und für kollektivvertragliche Regelungen der Lehrlingsvergütungen einzusetzen. (...) Die Gewerkschaften betrachteten das Lehrverhältnis als Arbeitsverhältnis und die Lehrlingsvergütung als Lohn für die im Betrieb geleistete Arbeit, der folglich tarifvertraglich zu regeln sei. Für das Handwerk handelte es sich dagegen um ein reines Ausbildungs- und Erziehungsverhältnis, für das eine Erziehungsbeihilfe - als Beitrag zu den Unterhaltskosten der Lehrlings gewährt wurde; jeglicher Zusammenhang dieser Zahlungen mit den produktiven Leistungen der Lehrlinge wurde bestritten. Während sich in der Zeit des Nationalsozialismus die Auffassung des Handwerks durchsetzte (...) lebte Jie alte Diskussion um die Funktion der Zahlungen an die Lehrlinge ab den fünfziger Jahren in der Bundesrepublik wieder auf. (...) Das Bundesverfassungsgericht kam 1962 zu der Auffassung, daß die Zahlungen an die Lehrlinge beide Funktionen gleichzeitig besitzen, also sowohl Unterhaltsbeihilfe als auch Entlohnung für geleistete Arbeit darstellen. Diese Ansicht fand auch im BBiG von 1969 Berücksichtigung. (...) Seit etwa Mitte der siebziger Jahre bestehen tarifvertragliche Vereinbarungen zu den Ausbildungsvergütungen in nahezu allen bedeutenden Wirtschaftszweigen. Tarifgebundene Betriebe sind gemäß § 4 Abs. 1 Tarifvertragsgesetz (TVG) verpflichtet, ihren Auszubildenden mindestens die tarifvertraglich festgelegten Vergütungssätze zu zahlen." 164 In einer ausführlichen empirischen Untersuchung der langfristigen Entwicklung der Ausbildungsvergütungen kommt U. Beicht zu dem Ergebnis, „caß sich Phasen mit relativ hohen jährlichen Steigerungsraten und Phasen mit sehr moderaten Zunahmen abwechselten (vgl. die folgende Tabelle 18). Die in ¿en Tarifverhandlungen vereinbarten Erhöhungen der Ausbildungsvergütungen sind in der Regel beeinflußt durch den Umfang der allgemeinen Lohn- und Beicht, U., Entwicklung der Ausbildungsvergütungen in der betrieblichen Berufsausbildung in: WSI-Mitteilungen, Heft 10/1998, S. 699f. 164 Ebenda, S. 700f.

Zum Ausbildungsstellenmarkt

103

Gehaltserhöhungen, daneben scheinen allerdings auch die jeweiligen Verhältnisse auf dem Ausbildungsstellenmarkt eine wichtige Rolle zu spielen. Im Zeitraum von 1976 bis 1982 wurden die Vergütungen - trotz angespannter Lehrstellensituation - noch relativ stark angehoben: Die durchschnittlichen jährlichen Steigerungsraten lagen jeweils über 5 v.H.. Ab 1982 verschärfte sich die Lage, und das Lehrstellenangebot reichte selbst rein rechnerisch betrachtet nicht mehr aus, um die Nachfrage zu decken; erstmals setzte eine heftige Diskussion um die Höhe der Ausbildungsvergütungen ein. Die Forderungen nach einem Einfrieren oder Zurückfahren der Vergütungen zeigten in den Tarifverhandlungen der Jahre 1983 bis 1989 ihre Wirkungen: In einigen Tarifbereichen wurde zeitweise auf eine Vergütungserhöhung verzichtet und vereinzelt sogar eine Kürzung vorgenommen. In den meisten Bereichen gab es allerdings auch in diesem Zeitraum regelmäßige, aber zurückhaltende Zuwächse. Der durchschnittliche jährliche Anstieg ging auf deutlich unter 5 v.H. zurück; die niedrigste Steigerungsrate war in dieser Phase 1985 mit lediglich 2,0 v.H. zu verzeichnen. Mit der erheblichen Verbesserung der Ausbildungsplatzsituation verstummte die Diskussion um die Ausbildungsvergütungen zu Beginn der neunziger Jahre völlig. Zunehmend wurden sogar Befürchtungen hinsichtlich eines künftigen Nachwuchsmangels laut, und es setzten intensive Überlegungen ein, wie die Attraktivität der betrieblichen Berufsausbildung erhöht werden könnte. Ein Aspekt war dabei, die Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen mit bereits während der Ausbildung zu erzielenden attraktiven Verdienstmöglichkeiten zu überzeugen. Die Vergütungen wurden daher von 1990 bis 1992 stärker denn je erhöht; dies waren gleichzeitig die Jahre mit den günstigsten Angebots-Nachfrage-Relationen bei den Ausbildungsplätzen. Mit einem Vergütungsanstieg um durchschnittlich 11,6 v.H. wurde 1991 der Spitzenwert erreicht. Ab 1993 führten die abermals mehr und mehr auftretenden Engpässe auf dem Lehrstellenmarkt, die vor allem durch einen drastischen Abbau von Ausbildungsplätzen verursacht wurden, erneut zu einer intensiven Debatte um die Ausbildungskosten. Die Forderung nach einer Begrenzung oder einer Absenkung der Ausbildungsvergütungen, die nun von Seiten der Wirtschaft und zum Teil auch der Bildungspolitiker erhoben wurden, waren noch wesentlich massiver als in den achtziger Jahren. Dies schlug sich immer stärker in den Tarifabschlüssen nieder: Bereits 1993 reduzierte sich die durchschnittliche Steigerungsrate um über vier Prozentpunkte auf 5,3 vH; 1996 war sie bereits auf lediglich 1,8 vH gesunken. Im Jahr 1997 stagnierte die Vergütungsentwicklung rechnerisch gesehen völlig. Bewirkt wurde dies vor allem durch die Senkung der tariflichen Ausbildungsvergütungen in den gewerblichen Berufen des Bauhauptgewerbes um knapp 10 vH. Demgegenüber gab es allerdings in den meisten der übrigen Berufe leichte Vergütungssteigerungen." 165

Beicht, U., Entwicklung der Ausbildungsvergütungen, a.a.O., S. 705f.

104

Die Z u k u n f t der Berufsvelt

T a b . 18:

Entwicklung der durchschnittlichen tariflichen Ausbildungsvergiitungen pro Monat

Jahr

B e t r ä g e in D M Nominal (N)

A in v . H .

Real (R)

nominal

Inflationsrate1'

A in v . H . real

1976

395

395

.

.

1977

416

401

5,3

3,8

1,5

1978

446

419

7,2

2,7

4,5

1979

474

428

6,3

4,1

2,2

1980

507

435

7,0

5,4

1,6

1981

542

438

6,9

6,3

0,6

1982

570

437

5,2

5,3

-0,1

1983

586

434

2,8

3,4

-0,6

1984

602

436

2,7

2,3

0,4

1985

614

435

2,0

2,2

-0,2

1986

635

451

3,4

-0,2

3,6

1987

656

465

3,3

0,3

3,0

1988

673

472

2,6

1,2

1,4

1989

702

479

4,3

2,8

1,5

1990

757

503

7,8

2,7

5,1

845

543

11,6

3,6

Westen

Osten

1991

-

8,0

Westen

Osten N

I

R

N

R

N

R

N

I

R

1992

924

572

628

628

9,4

4,0

5,4

-

1993

973

582

792

726

5,3

3,6

1,7

26,1

10,5

15,6

1994

1.002

584

853

755

3,0

2,7

0,3

7,7

3,7

4,0

1995

1.036

594

924

802

3,4

1,7

1,7

8,3

2,1

6,2

1996

1.055

596

952

808

1,8

1,4

0,4

3,0

2,2

0,8

1997

1.055

585

936

777

0,0

1,8

-1,8

-1,7

2,1

-3,8

1998

1.067

586

951

779

1,1

0,9

0,2

1,6

U

0,3

-

-

Quelle: Beicht, U., WSI-Mitteilungen, a.a.O., S. 705, sowie Berufsbildungsbericht 1999, S. 116, 1) Preissteigerungen für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte/Gesamtlebenshaltung; vgl. Sachverständigenrat (SVR), Jahresgutachten 1998/99, S. 414, eigene Berechnungen; N = Nominal; R = Reil; I = Inflationsrate

Nach einer Inflationsbereinigung der nominalen Ausbildungsvergiitungen zeigen sich die realen Steigerungsraten. Hierbei ist zwischen West- und Ostdeutschland aufgrund unterschiedlich hoher Inflationsraten zu unterscheiden. In Westdeutschland, den alten Bundesländern, stiegen die nominalen Ausiildungsvergütungen zwischen 1976 und 1998 insgesamt um 170,1 Prozent. Nach Abzug der jährlichen Inflation ergab sich aber nur ein Anstieg in Höhe von 48,4 Prozent. In den 80er Jahren betrug dabei das durchschnittliche jährliche reale Wachstum der AusbildungsVergütungen 1,1 Prozent. Von 1990 bis 1998 stieg das durchschnittliche Wachstum auf real 2,3 Prozent.

Z u m Ausbildungsstellenmarkt

105

In den neuen Bundesländern legten die Ausbildungsvergütungen zwischen 1992 und 1998 insgesamt nominal um 51,4 Prozent zu. Real stiegen die Vergütungen aber auch hier nur um 24 Prozent. Jahresdurchschnittlich entsprach dies einer realen Steigerungsrate von 3,7 Prozent. In den alten Bundesländern betrug das durchschittliche jährliche reale Wachstum der Ausbildungsvergütungen zwischen 1992 und 1998 dagegen nur 0,4 Prozent. Bei den Ausbildungsvergütungen sind je nach Berufen starke Abweichungen zu berücksichtigen. An der Spitze befand sich 1998 - wie in den Jahren zuvor - der Beruf Gerüstbauer; für Auszubildende über 18 Jahre waren durchschnittlich in den alten 1.871 DM und in den neuen Ländern 1.684 DM pro Monat tariflich festgesetzt. Auch in den Berufen des Bauhauptgewerbes (z.B. Maurer, Zimmerer sowie Straßenbauer) wurden vergleichsweise hohe Vergütungen gezahlt. Sie lagen durchschnittlich in den alten Ländern bei 1.446 DM und in den neuen bei 1.345 DM. Beispiele für eher niedrige Ausbildungsvergütungen sind in den alten Ländern die Berufe Damenschneider (352 DM), Augenoptiker (633 DM) und Friseur (476 DM), Modenäher (557 DM) und Florist (575 DM). Insgesamt gesehen ist die Vergütungssituation allerdings noch differenzierter, als es durch die berufsspezifischen Durchschnittswerte zum Ausdruck kommt. So variieren die tariflichen Ausbildungsvergütungen im gleichen Beruf je nach Branche und Region relativ stark." 166

166

Berufsbildungsbericht 1999, S. 116

106

II. Kapitel

Personalwirtschaftliche Grundlagen der Ausbildung Heinz-J. Bontrup / Katrin Hansen

Bisher wurden mehr die allgemeinen Bedingungen und Voraussetzungen iir eine Ausbildung im „dualen System" dargestellt. Im folgenden sollen lie Ausfuhrungen auf personalwirtschaftliche Grundlagen der dualen Berusausbildung ausgerichtet werden. Hierbei geht es im wesentlichen um die Organisation der Ausbildung, um eine rationale Ausbildungsplanung uni umsetzung sowie um Fragen der Beschaffung und der Führung von Auszulildenden.

1.

Ausbildung planen und organisieren

1.1.

Feststellung der Ausbildungsfahigkeit

Wenn Unternehmen zum ersten Mal vor der Entscheidung stehen, in ein;m bestimmten Berufsfeld auszubilden, ist zunächst einmal eine Bestandsaifnahme unter der Fragestellung empfehlenswert: Verfügt das Unternehmen überhaupt über die notwendige sachliche (technische) sowie personelle Ausstattung und sind die gesetzlichen Viraussetzungen für eine Ausbildung erfüllt? Wie bereits gezeigt wurde, verfugen in Deutschland nur 52,7 Prozent aler Unternehmen inkl. des Staates über die gesetzlichen Ausbildungsvorausstzungen. 167 Die konkrete Beantwortung der Frage nach der gesetzlichen Aisbildungsfähigkeit ist dabei abhängig von den spezifischen Anforderungen edes einzelnen Berufsfeldes, die den Ausbildungsordnungen bzw. in detaillierter Auflistung dem Ausbildungsrahmenplan und den für viele Benfe 167 vgl. Punkt 4.4.4 („Zur Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen") im Kapitel I

Feststellung d e r A u s b i l d u n g s f ä h i g k e i t

107

vorliegenden Erläuterungen und Praxishilfen zur Ausbildungsordnung 168 zu entnehmen sind. Bei einer grundsätzlichen betrieblichen Bestandsaufnahme können die folgenden Leitfragen weiterhelfen: •

Welche Fertigkeiten und Kenntnisse sollen in der Ausbildung im einzelnen vermittelt werden?



Welche Voraussetzungen technischer, personeller und sonstiger Art sind zur Vermittlung dieser Fähigkeiten und Kenntnisse notwendig?

• •

Sind die Voraussetzungen im jeweiligen Betrieb gegeben? Falls nicht: Ist es möglich und sinnvoll diese Voraussetzungen im eigenen Betrieb zu schaffen oder zumindest in Kooperation mit anderen Unternehmen auszubilden?

Sind die jeweils in den zur Zeit 357 anerkannten unterschiedlichen Ausbildungsberufen sachlichen und technischen Voraussetzungen der Ausbildunsstätte für eine Berufsausbildung erfüllt, so verlangt der Gesetzgeber für die Ausbildung im „dualen System" außerdem die persönliche und fachliche Eignung der Ausbilder. Hierbei ist zwischen Ausbildenden und Ausbilder zu unterscheiden: •

Ausbildender ist der Vertragspartner des Auszubildenden, also nicht unbedingt eine natürliche, sondern ggf. auch eine juristische Person (z.B. eine GmbH). Der Ausbildende kann selber ausbilden, muß es aber nicht. Vielmehr kann er einen Ausbilder bestellen oder ist hierzu sogar verpflichtet, wenn er selber (als juristische Person oder aufgrund fehlender eigener fachlicher oder persönlicher Eignung) nicht selber ausbilden kann. Der ausbildende Betrieb muß grundsätzlich zur Ausbildung geeignet sein, darf also in der Vergangenheit nicht etwa wiederholt oder schwer gegen Gesetze verstoßen haben oder bestimmten Verboten des Jugendschutzgesetzes unterliegen.

D a s BIBB (Bundesinstitut für Berufsbildung) gibt hierzu sehr aussageföhige und hilfreiche Unterlagen heraus. Sie sind kostenpflichtig zu beziehen über den Verlag: „Bildung und Wissen" in Nürnberg.

108



Ausbildung planen und organisieren

Ausbilder vermitteln den Auszubildenden im Betrieb die notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten. Hierzu müssen sie ihre besondere Eignurg nachgewiesen haben, i. d. R. durch eine Prüfung nach der AusbilderEignungsverordnung. Der Betrieb meldet diese Mitarbeiter den ziständigen Stellen. „Von den bei den Kammern als verantwortlich gemeldeten Ausbildern ist nur eine Minderheit ausschließlich in dieser Funktion tätig; die große Mehrheit, nach Schätzungen des Bundesinsttuts für Berufsbildung etwa 94 Prozent, bildet nebenberuflich im Ralmen ihrer Produktions- oder Dienstleistungsfunktion aus." 169

Mit Wirkung vom 1. November 1998 wurde die AusbilcerEignungsverordnung für die Gewerbliche Wirtschaft geändert und mit Wirkung zum 1. März 1999 auf die Hauswirtschaft, die Landwirtschaft, die F eien Berufe und auf den öffentlichen Dienst übertragen und damit vereinhiitlicht. Erstreckten sich früher die den Auszubildenden zu vermittelnden Kenntnisse und Fertigkeiten im Betrieb über die vier Fachgebiete: •

Grundfragen der Berufsausbildung,



Planung und Durchführung der Ausbildung,



der Jugendliche in der Ausbildung und



Rechtsgrundlagen.

So macht sich heute die berufs- und arbeitspädagogische Eignung der Ausbilder an der Kompetenz in den folgenden sieben Handlungsfeldern fest:

Tab 19:

169

Sieben Handlungsfelder für die Ausbildereignung

1.

Allgemeine Grundlagen

2.

Planung der Ausbildung

3.

Mitwirkung bei der Einstellung von Auszubildenden

4.

Ausbildung am Arbeitsplatz

5.

Förderung des Lernprozesses

6.

Ausbildung in der Gruppe

7.

Abschluss der Ausbildung

Berufsbildungsbericht 1999, S. 111

Ausbildungsberufe festlegen

109

Diese Handlungsfelder bilden gleichzeitig den Rahmen auf dem Weg zur Ausbildereignungsprüfung. Im Handlungsfeld eins (Allgemeine Grundlagen) werden die ökonomischen und rechtlichen Bedingungen der dualen Ausbildung dargelegt. Dazu gehört auch eine Auseinandersetzung mit dem Ausbildungsstellenmarkt bzw. seinen Angebots- und Nachfragedeterminanten. Das Handlungsfeld zwei (Planung der Ausbildung) beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der rationalen Auswahl von Berufen sowie mit der Ausbildungsorganisation in Betrieb und Berufsschule. Das dritte Handlungsfeld (Auszubildende einstellen) beschreibt den personalwirtschaftlichen Aspekt der Ausbildung, wozu insbesondere der Beschaffungsprozeß von Auszubildenden gehört. Im vierten Handlungsfeld (Am Arbeitsplatz ausbilden) wird das Lehren und Lernen in den Betrieben analysiert, werden die Ausbildungsinhalte definiert und abgestimmt mit möglichen Lernmethoden. Lern- und Arbeitstechniken müssen aber auch zum Erfolg einer Ausbildung eingeübt werden. Damit beschäftigt sich das fünfte Handlungsfeld (Förderung von Lernprozessen). Dem schließt sich im sechsten Handlungsfeld (Gruppen anleiten, Ausbildung in der Gruppe) die Auseinandersetzung mit gruppenorientierten Arbeits- und Lernmethoden an, um dann abschließend im siebten Handlungsfeld (Abschluß der Ausbildung) den Auszubildenden auf seine Abschlußprüfung adäquat vorzubereiten und ihn im Kontext eines „Lebenslangen Lernens" auf Fortbildungsmöglichkeiten aufmerksam zu machen.

1.2.

Ausbildungsberufe festlegen

Wenn das Unternehmen bereits über Erfahrungen in der beruflichen Ausbildung verfügt, wird sich die Auswahl bestimmter Ausbildungsberufe nicht mehr als grundsätzliches Problem stellen. Doch auch dann gilt es gesellschaftlichen und technischen Veränderungen gerecht zu werden: neue Berufsbilder werden definiert und bestehende verändert. Grund genug für vorausschauende Unternehmen, sich immer wieder der Frage zu widmen, in welchen Berufsfeldern es zukünftig ausbilden will. Zur Zeit gibt es 357 anerkannte Ausbildungsberufe, die allerdings unterschiedliche berufliche Zukunftsperspektiven für die Auszubildenden bieten. Um sicherzustellen, daß die jungen Menschen in zukunftsweisende Berufsfelder hinein wachsen, die nicht nur eine Übernahme durch den ausbildenden oder andere Betriebe sicherstellen, sondern auch längerfristige Beschäftigungschancen bieten, erscheint es sinnvoll, das eigene Ausbildungsangebot von Zeit zu Zeit kritisch zu überprüfen und ggf. umzusteuern, um die begrenzten Ausbildungskapazitäten optimal zu nutzen.

Ausbildung planen und organisitren

110

Ausgangspunkt einer solchen Analyse durch das Unternehmen sollten dessen Kernkompetenzen 170 und strategischen Ziele sein, da mit der Ausbildung in die Personalressourcen des Unternehmens investiert bzw. Personalentwicklung betrieben wird. Dabei ist es sinnvoll die Anstrengungen gezielt in sobhe Zukunftsfelder zu leiten, die mittel- bis langfristig den Erfolg und die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens und gleichzeitig den Wert der erreichten Berufsqualifikation für die Auszubildenden sichern. Hier stellen sich die Fragen: •

Welche Trends und Veränderungen sind branchenseitig in den nächsten Jahren auf den Märkten und in der technologischen Entwicklung zu erwarten?



Welche Kernkompetenzen sollen aufgebaut oder verstärkt werden?



Wo liegen die längerfristigen Stärken im Wettbewerb?



Welche Arbeitsplätze und Arbeitsaufgaben sind für das Unternehmen zukunftsweisend?



Welche Berufsfelder sind damit angesprochen?

Mit der Beantwortung dieser Fragen ist relativ klar umrissen, in welcien Ausbildungsberufen das Unternehmen mit hoher Priorität ausbilden und worauf es seine Kräfte konzentrieren sollte.

1.3.

Zu den Ausbildern

Die Anzahl der Ausbilder ist - langfristig betrachtet - im Westen und Osten Deutschlands rückläufig. Zwischen 1996 und 1997 hat es allerdings wieder einen Anstieg gegeben. „In den Ausbildungsbereichen Industrie und Handel, Öffentlicher Dienst, Landwirtschaft, Freie Berufe und Hauswirtschaft waren 1997 in den alten Ländern 460.110 und in den neuen 67.936, insgesamt 528.046 Personen als Ausbilder registriert (1996: 509.964). Im Handwerk gibt es keine gesonderte Erfassung von Ausbildern. Dies sind generell die Meister und Meisterinnen, da die Meisterprüfung die Anforderungen für die Ausbilder-Eignung umfaßt." 171 Andere Personen, die entsprechende Fortbildungen und Prüfungen abgelegt haben (bspw. in der früheren DDR) oder bereits über langjährige AUSDÜdungserfahrung verfugen, können sich ganz oder teilweise von einer Prüfung nach der Ausbildungs-Eignungsverordnung befreien lassen. 170 y g i Krüger, W./Homp, C., Kernkompetenzen, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, -lefc 10/1998, S. 529fr. 171

Berufsbildungsbericht 1999, S. 111

111

Z u den Ausbildern

1997 legten in den alten Bundesländern insgesamt 49.006 Personen und in den neuen Bundesländern 39.613 Personen die Ausbilder-Eignungsprüfung ab. 172 Befreit von der Prüfung wurden 16.621 in den alten und 5.931 in den neuen Bundesländern. Die folgende Tabelle 20 zeigt die Verteilung der gemeldeten Ausbilder auf die Ausbildungsbereiche für die Jahre 1996 und 1997.

Tab. 20:

Verteilung der Ausbilder auf Ausbildungsbereiche

Ausbildungsbereich

1996

1997

Industrie und Handel Handwerk Öffentlicher Dienst Landwirtschaft Freie Berufe Städtische Hauswirtschaft

46,9 30,5 4,1 2,7 15,3 0,5

48,0 29,6 4,1 2,8 14,9 0,6

Quelle: Berufsbildungsbericht 1999, S. 111

Der Novellierung der Ausbilder-Eignungsprüfung liegt ein mit den Arbeitgeberverbänden und den Gewerkschaften abgestimmtes und den aktuellen Bedürfnissen entsprechendes „handlungsorientiertes Lehr- und Lernkonzept" zugrunde. 173 Das Konzept wird auch seitens der Kultusministerkonferenz befürwortet bzw. verpflichtend gemacht und hat sich bereits in den Berufsschulen weitgehend durchgesetzt. Als globale Orientierungspunkte sind hier zu nennen: 174 •

Handlungsorientiertes Lehren und Lernen bezieht sich auf berufsbezogene Situationen ("Lernen für Handeln").



Handlungsorientiertes Lehren und Lernen setzt an Handlungen an, die selbst ausgeführt oder gedanklich nachvollzogen werden ("Lernen durch Handeln").



Handlungsorientiertes Lehren und Lernen setzt auf die Selbststeuerung der Lerner: Handlungen werden möglichst selbständig geplant, durchgeführt und überprüft.

• 7 2 Vgl. Berufsbildungsbericht 1999, S. 112 ' 7 3 Vgl. dazu ausfuhrlich das III. Kapitel in diesem Buch •74 Vgl. dazu auch die Rahmen-Lehrpläne neueren Datums.

112

A u s b i l d u n g planen u n d organisieren



Handlungsorientiertes Lehren und Lernen geht ganzheitlich (holistisch) vor: Unterschiedliche (z. B. technische, ökonomische, soziale) Aspekte der Berufswirklichkeit werden beachtet und in der Problemlösung integriert.



Handlungsorientiertes Lehren und Lernen setzt an den Erfahrungen der Lerner an und macht neue Informationen damit anschlußfähig an vorhandenes Wissen.



Handlungsorientiertes Lehren und Lernen bezieht auch soziale Prozesse mit ein. Mögliche gesellschaftliche Auswirkungen von Handlungen werden reflektiert und auch Interessenklärungs- und Konfliktbearbeitungsprozesse beachtet.

Zur Umsetzung eines handlungsorientierten Lehrens und Lernens sollten die Ausbilder mindestens über die folgenden Kompetenzen verfugen: •

Wirtschaftliches Denken und Handeln,



Prozeßorientiertes und ganzheitliches Denken,



Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit sowie Kritikfähigkeit,



Teamfähigkeit und Moderationskompetenz,



ausgeprägte Handlungs- und Sozialkompetenz.

Dies gilt insbesondere angesichts der Tatsache, daß Ausbilder Vorbildfunktion für die Auszubildenden haben und auch in offenen Lernsituationen akzeptierte und kompetente Lernpartner sein müssen. "Aus dem persönlichen Verhalten der Betreuer bezüglich Kommunikation und Kooperation mit Kollegen, Führungskräften, Mitarbeitern und Kunden ziehen Lernende eigene Rückschlüsse. Dessen müssen sich Betreuer immer bewußt sein! Deshalb müssen Betreuer Vorbild für Lernende sein. Mangelndes Verhalten der Lernenden muß angesprochen und begründet, nicht aber gerügt werden. Gutes Verhalten sollte eine positive Rückmeldung erhalten." 175 Sofern die angeführten fachlichen und personellen Voraussetzungen im Betrieb nicht oder nicht im wünschenswerten Maße vorhanden sind, ist über Qualifizierungsmaßnahmen nachzudenken. Hilfreich dabei kann bspw. das „Programm zur Qualifizierung von Personal in den neuen Bundesländerr" sein, das vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und

Fink, R., Petra plus: Prozeßorientierung im Rahmen der Projekt- und transferorientierten Ausbidung, Berlin/München 1994 1999, S. 58

Ausbildung im eigenen Betrieb

113

Technologie gefördert wird, oder das „Seminarkonzept für Ausbilder und Ausbilderinnen zum Führungs- und Konfliktverhalten". 176

1.4.

Ausbildung im eigenen Betrieb

Ist die Frage nach der Ausbildungsfähigkeit beantwortet, stellt sich die Frage „wo bildet das Unternehmen aus?" Hierbei ist zu entscheiden ob die Ausbildung weitgehend in räumlich-organisatorischer Nähe zum Arbeitsprozeß stattfinden soll oder in Form von Lehrwerkstätten oder Lernecken. In der Praxis finden wir meist in Abhängigkeit von der Betriebsgröße in kleineren Betrieben typischerweise die direkte Anbindung an den Arbeitsprozeß, häufig in Verbindung mit Lernecken, während Großunternehmen ebenso typischerweise Lehrwerkstätten einrichten, in denen die Auszubildenden zunächst getrennt vom eigentlichen Betriebs- und Arbeitsprozeß unterwiesen werden und die Möglichkeit erhalten, die benötigten Fertigkeiten an speziell hierfür konzipierten Lernarbeitsplätzen einzuüben. Die Ausbildung im Arbeitsprozeß selbst ist für das Unternehmen mit geringeren Kosten verbunden, da durch die Arbeit des Auszubildenden eine Wertschöpfung realisiert wird, „und zum anderen, weil sich am Arbeitsplatz 'Leerzeiten' für die Unterweisung von Lehrlingen nutzen lassen, so daß weniger (Opportunitäts-)Kosten für Ausbilder und Anlagen anfallen als in speziellen Ausbildungseinrichtungen." 177 Bei einer reinen Ausbildung in Lehrwerkstätten ist dies nicht der Fall und auch auf Lerninseln nur in beschränktem Umfang. Im Gegenteil, hier fallen - gerade bei der Lehrwerkstatt - nicht unbeträchliche Zusatzkosten an. Der Vorteil von Lehrwerkstätten liegt in der Trennung der Ausbildungssituation vom Tagesgeschäft, so daß die Lerner ungestört und unbeobachtet bleiben. Lehrwerkstätten bilden quasi „geschützte Räume", in denen Auszubildende Fehler machen können und aus ihren Fehlern lernen, in denen Raum ist für Fragen, Üben und Experimentieren. Dies ist sicherlich positiv für die Lehr- und Lernsituation. Auf der anderen Seite behindert die Trennung vom Arbeitsprozeß den Erwerb überfachlicher Qualifikationen und verzögert die Integration der Auszubildenden in den betrieblichen Arbeitsprozeß, so daß nicht selten Auszubildende eine längere Einarbeitungs- zumindest eine Gewöhnungszeit an das „härtere" Berufsleben benötigen. Weicht darüber hinaus die Ausbildung in der Lehrwerkstatt zu sehr von der später zu verrichtenden Arbeit im Betrieb ab, so verlassen die Ausgebildeten nicht selten enttäuscht das Unternehmen, da sich ihre Vorstellungen von Arbeit nicht mit denen des Unternehmens decken. 176

Vgl. Berufsbildungsbericht 1999, S. 113f.

177

Neubäumer, R., Der Ausbildungsstellenmarkt der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O., S. 368

114

A u s b i l d u n g p l a n e n u n d organisitren

Interessant erscheint daher für größere Unternehmen das Konzept der „Lerninsel" zu sein, wie es bspw. von der VW Coaching-Gesellschaft vorgeschlagen und auch erfolgreich realisiert wurde. 178 Lerninseln 179 sind hier unter pädagogischen Gesichtspunkten gestaltete Ausbildungsplätze cder Ausbildungszentren, die in den Geschäfts- und Arbeitsprozeß integriert snd, so daß die Auszubildenden permanent mit dem Tagesgeschäft und den Fschkolleginnen und -kollegen in Verbindung stehen. Der Geschäftsprozeß sebst ist Lerngegenstand. Die Auszubildenden erleben so Problemlösungsprozesse von Anfang an in der Praxis mit, werden frühzeitig in den Fachabteilun»en sozialisiert und in den betrieblichen Wertschöpfungsprozeß integriert. Die Aufgaben der Auszubildenden auf den Lerninseln spiegeln die Aufgaben der Fachabteilungen wieder, werden aber natürlich unter pädagogischen Aspekten aufbereitet und von qualifizierten Ausbildungsbeauftragten begleitet. Die Problemlösung erfolgt idealerweise in Teams, die sich selbst organisieren. Lerninseln tragen so zur arbeitsprozeßorientierten Ausbildung bei, die zu einer hohen Problemlösungskompetenz, zur höheren Identifikation mit Beruf und Unternehmen und zu einer kürzeren Einarbeitszeit nach der Übernahme führt.

1.5.

Betriebliche Kooperation in der Ausbildung

Keinesfalls sollte ein Betrieb den voreiligen Schluß ziehen und auf eine Ausbildung verzichten, wenn bei ihm nicht Ausbildungsinhalte komplett algedeckt werden können und/oder es an fachlich und persönlich geeignetem Personal fehlt. Gerade für kleinere Unternehmen bieten sich verschiedine Formen der kooperativen Ausbildung an. Hier erscheint vor allem das sogenannte „Ausbildungskonsortium" mit gleichberechtigten Partnerbetrieben interessant, die jeweils mit ihren spezifischen Stärken und Kernkompetenzen zu einer gelungenen Ausbildung beitragen. Im Konsortium wählt jeder Betrieb individuell „seine" Auszubildenden xus, die Ausbildung selbst erfolgt allerdings arbeitsteilig, indem jeder Partner die Verantwortung für einen bestimmten Ausbildungsabschnitt oder -anteil ü)ernimmt. Voraussetzung für dieses Netzwerk-Modell ist einerseits die relaive räumliche Nähe der Unternehmen, um den Auszubildenden lange Wegstrekken zu ersparen. Andererseits liegt es auf der Hand, daß zwischen den Aus-

Vgl. Haase, P./Jagla, H.H., Reform der Berufsausbildung im „Modell Volkswagen", in: Persmalfilhrung plus 1999, S. 49. Auch Siemens setzt auf koordinierte Dezentralisierung und Prozessorimtierung in der Ausbildung. Vgl. Berufsbildungsbericht 1998, S. lOf. 179 v g l . z u m Konzept der Leminsel, ihre Ergebnisse für den Lernerfolg und zu den spezifischer Anforderungen an das Ausbildungspersonal den Berufsbildungsbericht 1999, S.l 13f.

Betriebliche Kooperation in der Ausbildung

115

bildungsbetrieben keine direkte wirtschaftliche Konkurrenz vorliegen darf, sondern eine komplementäre Leistungserstellung wünschenswert ist.

Weitere Formen der kooperativen Ausbildung sind: •

Ausbildungsverbund mit Leitbetrieb, der die Gesamtausbildung organisiert und verantwortet und dadurch die Partnerbetriebe entlastet, die ihrerseits bestimmte Ausbildungsabschnitte übernehmen.



Ausbildungsverein mit Geschäftsstelle in der Funktion des Leitbetriebes, welcher seinerseits Ausbildungsverträge abschließt und die Verantwortung für die Ausbildung übernimmt die arbeitsteilig in den Betrieben erfolgt.



Auftragsausbildung indem die Auszubildenden eines Betriebes begrenzte Abschnitte der Ausbildung in einem - ggf. auch mehreren - anderen Unternehmen oder bei einem Bildungsträger durchlaufen. Dies ist vertraglich zwischen den Institutionen zu regeln und erfolgt gegen Kostenerstattung. Dieses Modell ist für kleinere Unternehmen ein guter Einstieg in die Berufsausbildung, wenn sie als Auftragnehmer agieren, da sie so erste Ausbildungserfahrungen sammeln, ohne in dieser Phase mit Einstellung, Organisation und Prüfungsfragen belastet zu sein. Doch auch der umgekehrte Fall ist hier sinnvoll: Häufig findet sich in der Praxis die Kooperation zwischen Ausbildungsbetrieben unterschiedlicher Größe: Großunternehmen verfugen eher über eine Ausbildungswerkstatt und über einen größeren Fachkräftepool. Kleinere Unternehmen beteiligen sich an den Kosten der Lehrwerkstatt und ermöglichen ihren Auszubildenden damit die Erfahrung an moderneren und größeren Anlagen zu sammeln, an welchen sie in festgelegten Ausbildungsphasen gemeinsam mit den Auszubildenden der Großunternehmen oder in speziellen Gruppen ausgebildet werden. Ein vergleichbares Vorgehen ist auch in Kooperation mit Verbänden, Kammern und öffentlichen Einrichtungen möglich.

Ein Sonderfall ist die Kooperation von Ausbildungsbetrieben und Fachhochschulen. Diese sogenannten „Kooperativen Studiengänge" beinhalten eine Kombination von Berufsausbildung und einschlägigem Studium, welches aufgrund von Abstimmungen zwischen Betrieb, Berufs- und Fachhochschule und der damit erreichten fachlichen Verklammerung der Lernprozesse an den unterschiedlichen Lernorten in kürzerer Zeit und besonders effektiv absolviert werden kann. Wie das unten dargestellte Beispiel an der Fachhochschule Gelsenkirchen zeigt, kombiniert der auszubildende Studierende zunächst Ausbildung und Grundstudium bei einem reduzierten Umfang der Berufsschule. Nach Abschluß der Ausbildung wird das Studium in Teilzeit oder in Abend-

Ausbildung planen und organisieren

116

stunden fortgesetzt, so daß auch hier eine gewisse betriebliche Anwesenheit gesichert ist. Vorteil für die Studierenden ist eine fundierte berufliche Qualifikation mit persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten in Kombination mit einem attraktiven Arbeitsplatz. Seitens der Studienberechtigten werden derartige „Dopoelqualifikationen" als bestmögliche Sicherung ihrer beruflichen Möglichkeiten angesehen - ein Trend, den das bekannte "HIS" (Hoch-SciulInformationssystem) in Hannover in Auswertung empirischer Langzeite'hebungen als wieder wachsend prognostiziert. 180

Abb. 6: Kooperativer Studiengang V e r s o r g u n g s - und Entsorgungstechnik an d e r Fichhochschule Gelsenkirchen Betriebliche Qualifizierung Nach 2 Jahren P r ü f u n g als: • Ver-und Entsorger • G a s - Wasserinstallateur • Zentralheizungs- und Lüftungsbauer • Technischer Zeichner (Fachrichtung Heizungs-, Klima-, Sanitärtechnik) " Anlagenmechaniker (Fachrichtung Versorgungstechnik)

Studium Nach 5 Jahren Prüfung als: Dipl.-Ing. ( F H ) Versorgungstechnik bzw. Entsorgungstechnik

Start: Fachhochschulreife und Qualifizierungsvertrag/Ausbildungsvertrag 1. J a h r und 2. J a h r 3 T a g e im Betrieb 0,5 T a g e Berufsschule 1,5 T a g e Studium an FH

3. J a h r

4. J a h r und S. J a h r

Praxis im Betrieb (4. Jahr) 1 Tag im Betrieb (5. Jahr) 4 Tage S t u d i u m FH (5. Jahr Diplomarbeit im Betrieb (5. Jahr) Ziel: D i p l o m d e r Fachhochschule Gelsenkirchen und Gesellenbrief Quelle: Informationsmaterial der FH-Gelsenkirchen: Stand 1998 1 Tag im Betrieb 4 Tage Studium an FH

Die Vorteile einer solchen „Doppelqualifikation" für die Unternehmen bringt der Niederlassungsleiter der VW-Coaching-Gesellschaft auf den Punkt: , Wir kennen die Absolventen der dualen Studiengänge bereits seit viereinhalb fahren. Das ermöglicht uns einen effizienten beruflichen Ersteinsatz ohne Unge und teure Einarbeitungszeit." 181

180 Yg[ [_ e w i n i «.., Veränderungen von (Aus-)Bildungsstrategien der Studienberechtigten und Stidienanfanger, in: Hochschul-Informations-System HIS (Hrsg.), Hannover 1999, S. 27ff. " " Jagla, H. H., Niederlassungsleiter VW-Coaching, zitiert in: Barthold, H.M., Mit Öl unter dei Fingernägeln betriebliche Prozesse managen, in: FAZ 277/27. November 1999, S. 67

Kooperation mit der Berufsschule

117

Bislang wird diese Möglichkeit der Ausbildung überwiegend von Großunternehmen genutzt. 182 Doch gerade kleinere und mittlere Unternehmen erhalten in diesem Modell die Chance, besonders engagierte und qualifizierte Fachkräfte an sich zu binden und so ihr Führungsnachwuchspotential intern zu sichern. Nicht zuletzt eröffnet ein guter Kontakt zu einer regionalen Hochschule kleinen und mittleren Unternehmen Möglichkeiten des Zugangs zu Innovationen und aktuellen Weiterbildungsangeboten auf einem hohen Niveau. Kooperative Ausbildung in ihren verschiedenen Formen hat allerdings einige rechtliche Bedingungen zu beachten, 183 auf die an dieser Stelle nur kurz hingewiesen werden soll. So muß der einstellende Betrieb den überwiegenden Teil des Ausbildungsberufsbildes abdecken können. Qualitätsstandards aller Ausbildungsstätten müssen gesichert sein. Im Ausbildungsplan ist kenntlich zu machen, an welcher Ausbildungsstätte welche Inhalte vermittelt werden und der Auszubildende muß über den Verlauf der Ausbildung ständig informiert werden.

1.6.

Kooperation mit der Berufsschule

Im „dualen System" ist die Berufsschule quasi der natürliche Partner der Ausbildungsbetriebe. In der Berufsschule werden allgemeine und berufsübergreifende, aber auch die berufsfeldspezifischen, fachtheoretischen Kenntnisse vermittelt. Die im Betrieb erworbenen fachpraktischen Kenntnisse und Fertigkeiten werden in der Berufsschule reflektiert und vertieft. Für den Unterricht sind die Auszubildenden freizustellen. 184

Vgl. bspw. das Angebot „Studieren im Praxisverbund" der VW-Coaching Gesellschaft, in: Haase, P./Jagla, H.H., a.a.O., S.47 183 Yg| h j e r z u d a s i v . Kapitel in diesem Buch. Zu den rechtlichen Rahmenbedingungen vgl. das IV. Kapitel in diesem Buch

118 Abb. 7:

Ausbildung planen und organisieren Beispiel für ein Lernfeld im 2. Ausbildungsjahr

/ Lernfeld: / Am Marketing-Management eines touristischen Anbieters mitwirken. ( Zielformulierung: ( ( ( Í Í í

Die Schülerinnen und Schüler erläutern den Prozeß eines modernen Toirismus-Marketing-Managements. Sie erstellen für einen touristischen Atbieter eine ganzheitliche, dienstleistungs- und prozeßorientierte Markctingplanung. Sie entwickeln ein Leitbild, das die unterschiedlichen Interessen des Anbieters, der Arbeitnehmer und Marktpartner sowie de Verantwortung für Gesellschaft und Umwelt einbezieht.

/ / / / /

Inhalte: Marktanalyse, Marketingstrategie, Marketinginstrumente: Produktpolitii, Preispolitik, Vertriebspolitik, Kommunikationspolitik, Erscheinungsbid des Anbieters: Corporate Identity, Corporate Design, Corporate Behiviour, Corporate Communications

Quelle: Berufsbildungsinstitut (BIBB 1999b), S. 107

Üblicherweise wird der Unterricht in Fachklassen durchgeführt und erfolgt unter Synchronisation von schulischen Rahmen-Lehrplänen und betrieblich relevanten Ausbildungs-Rahmenplänen. Beispielhaft ist oben ein Lernfeld aus einem 1998 aktualisierten Rahmenlehrplan dargestellt, das dem ausbildenden Betrieb gute Ansatzpunkte bietet, seinerseits die schulischen Lernprozesse zu unterstützen, indem die Auszubildenden im 2. Lehrjahr die Gelegenheit erhalten, an Marketingkonzepten des Ausbildungsbetriebes mitzuwircen und Strategien konkurrierender Unternehmen zu analysieren. Besonders geeignet wäre in diesem Kontext die Vergabe von Arbeitsprojikten an einzelne oder mehrere Auszubildende, die Lösungen einer solcien Aufgabenstellung im Lernfeld selbst planen, durchführen, präsentieren ind letztlich reflektieren. Dabei werden nicht nur fachliche sondern auch üterfachliche, vor allem planerische und soziale Kompetenzen erworben. Die Rahmen-Lehrpläne enthalten neben berufs- (feld-) spezifischen Bescheibungen von Lernfeldern und deren Zuordnung zu bestimmten Ausbildurgsphasen, allgemeine Hinweise zu didaktischen Prinzipien und dem Bildurgsauftrag der Berufsschule. Ausbilder sind gut beraten, sich mit diesen in len letzten Jahren überarbeiteten Konzepten vertraut zu machen, da sie mit her-

Überbetriebliche A u s b i l d u n g

119

aus resultierenden neuen Anforderungen auch an die betriebliche Lehr- und Lernsituation konfrontiert werden. 185 An dieser Stelle sei nur das Grundprinzip des Erwerbs von Handlungskompetenz kurz dargestellt. Handlungskompetenz erfordert die gleichgewichtige Entwicklung von Fachkompetenz, Personalkompetenz und Sozialkompetenz. Allgemein definiert die Kultusministerkonferenz Handlungskompetenz „als die Bereitschaft und Fähigkeit des einzelnen, sich in gesellschaftlichen, beruflichen und privaten Situationen sachgerecht, durchdacht sowohl individuell als auch sozial verantwortlich zu verhalten." 186 Die Entwicklung einer solchen Handlungskompetenz ist dabei auch erklärter Bestandteil des Ausbildungsauftrages von Berufsschulen.

1.7.

Überbetriebliche Ausbildung

Ergänzend zur betrieblichen und schulischen Ausbildung tritt die punktuelle überbetriebliche Ausbildung hinzu. Kooperationspartner des Ausbildungsbetriebes sind dabei Kammern, Innungen und Verbände, die Unterweisungslehrgänge anbieten, sofern diese zu einer Optimierung des Ausbildungserfolges notwendig sind. Sinnvoll sind Unterweisungslehrgänge, die solche Fertigkeiten und Kenntnisse vermitteln, die im Ausbildungsbetrieb nicht erarbeitet werden können, weil der Betrieb z.B. stark spezialisiert ist oder aber in Ausbildungsteilen nicht auf dem neuesten Stand ist. Denkbar ist auch, daß Unternehmen diese Lehrgänge nutzen, um eigenes know how durch die Auszubildenden und deren neue Erkenntnisse gezielt zu erweitern. Wenngleich prinzipiell von einer rahmenplangestützten Synchronisation der Ausbildung an den unterschiedlichen Lernorten auszugehen ist, enthebt das die Beteiligten dennoch nicht von Abstimmungsaktivitäten im Detail. Auf die Bedeutung gleichgerichteter didaktischer Konzepte wurde bereits oben hingewiesen. Hilfreich erscheint auch der Austausch von Lehr- und Anschauungsmaterialien, die Klärung von Lehr- und Lernzielen und die Zusammenarbeit und der Erfahrungsaustausch bei Prüfungen. Die Zusammenkünfte der beteiligten Personen aus Schule, Betrieb und überbetrieblichen Ausbildungsstätten werden schließlich zu einer besseren und vertrauensvolleren Zusammenarbeit fuhren, die die gesamte Ausbildung effizienter machen. Sie eröffnen but last not least Chancen der Weiterbildung von Ausbildern und Lehrkräften.

Vgl. dazu insbesondere das Kapitel III in diesem Buch. 186 vgl. die Rahmen-Lehrpläne neueren Datums. Hier zitiert aus dem Rahmen-Lehrplan für den Ausbildungsberuf „Reiseverkehrskaufmann" (Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 27. März 1998), in: BIBB 1999b, S. 96f.

A u s b i l d u n g planen u n d organisieren

120

1.8.

Festlegung der Ausbildungskapazitäten

Ist die grundsätzliche Ausbildungsfähigkeit überprüft und festgestellt, entsteht die Frage nach der Ausbildungskapazität. Diese Frage ist sowohl quantitativ als auch qualitativ zu beantworten.

1.8.1. Anzahl der Auszubildenden festlegen Bei der Bestimmung der Anzahl der Auszubildenden muß zunächst die Fnge beantwortet werden, in welchen konkreten Ausbildungsberufen sich das Unternehmen engagieren will bzw. aufgrund der jeweiligen Ausbildungsfäligkeit sich engagieren kann. Nach dem Berufsbildungsgesetz können hier in Zweifelsfällen die Handwerkskammern und Industrie- und Handelskammirn aber auch die Arbeitsämter weiterhelfen. Die quantitative Ausbildungskapazität bestimmt sich unter Berücksichtigung von Rentabilitätsgesichtspunkten am zukünftigen personellen Bedarf ies Unternehmens. Wie bereits unter Punkt 4.4.2 („Allgemeine Angebots- uid Nachfragebedingungen") dargestellt wurde, ist der Ausbildungsmarkt gruidsätzlich als ein derivativer (abgeleiteter) Markt des allgemeinen Arbetsmarktes bzw. genauer, der Arbeitsnachfrage einzustufen. Neben der markbezogenen und technisch aber auch gesetzlich determinierten personellen Bedarfszahl spielt natürlich ebenso der Netto-Kostenaspekt der Ausbilding (vgl. dazu den Punkt 4.4.5 „Kosten und Nutzen der Berufsausbildung") ene wichtige Rolle. Wesentlich bei der Festlegung der quantitativen Ausbildungskapazität ist a:>er auch der Betreuungsaufwand. Auszubildende dürfen demnach nur dann eingestellt werden, wenn die Ausbildungsstätte eine angemessene Betreuing durch persönlich und fachlich geeignete Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeter (Ausbilderinnen) gewährleisten kann. „Setzt man die Zahl der Ausbildungsverhältnisse in Beziehung zu derjenigen der Ausbilder (einschließlich Haidwerk), ergeben sich hier folgende Relationen: In den alten Ländern entfielen 1997 auf insgesamt 1.261.399 Auszubildende insgesamt 632.020 Ausbilder; ein Ausbilder war - wie schon seit mehreren Jahren - durchschnittlich für zwei Auszubildende verantwortlich. In den nsuen Bundesländern kommen 1997 auf 360.809 Auszubildende 117.609 Ausbilder; die Relation Auszubildende zu Ausbilder liegt - auch hier schon seit m;hreren Jahren - bei 3 : l." 187

187

Berufsbildungsbericht 1999, S. 111

121

Festlegung der Ausbildungskapazitäten

Der konkrete Betreuungsaufwand variiert natürlich von Ausbildungsberuf zu Ausbildungsberuf und hängt nicht zuletzt auch von der Gefahrenanfälligkeit des Tätigkeitsspektrums insbesondere in technischen Berufen ab. Als geeignete "Faustregel" kann eine Relation von einem Auszubildenden auf drei im Unternehmen angestellte Fachkräfte gelten, wobei in Kleinbetrieben die Ausbildung einer Person bereits dann auch möglich und sinnvoll sein kann, wenn nur eine einzige Fachkraft mit Ausbildereignung beschäftigt ist.

Fachkräfte

Auszubildende

1-2

1

3-5

2

6-8

3

je weitere 3

je einer

Die Anzahl der Auszubildenden darf ggf. von dem nach der Faustregel ermittelten Ausmaß auch nach oben abweichen, wenn eine ordnungsgemäße Ausbildung weiterhin gewährleistet ist. Dies wird der Betrieb im Einzelfall prüfen müssen. Hierbei ist die jeweilige Kammer mit einzubeziehen, da sie die Ausbildungseignung des Betriebes feststellen muß. Auszubildende in Großunternehmen, die von einem von sonstiger Arbeit komplett freigestellten Ausbilder betreut werden, können in Gruppen in einer Stärke von bis zu 16 Personen ausgebildet werden, wobei allerdings im Einzelfall auch hier zu prüfen ist, ob dabei eine ordnungsgemäße Ausbildung jederzeit gesichert ist. Gerade bei kleinen Unternehmen, die nur einen oder zwei Auszubildende zur gleichen Zeit angemessen betreuen können, stellt sich die Frage, in welcher Periodizität eingestellt wird. Ist beispielsweise die Einstellung eines weiteren Auszubildenden erst dann vorzunehmen, wenn der vorhergehende Ausbildungsgang abgeschlossen ist oder kann auch überlappend ausgebildet werden? Für ein Unternehmen mit nur ein oder zwei Fachkräften sollte dabei jeweils der Ausbildungsgang abgeschlossen werden, weil ansonsten die Belastung für die Betreuer und das Unternehmen zu groß würde. Für Unternehmen mit mindestens fünf angestellten Fachkräften wäre aber bereits eine zeitlich überlappende Ausbildung zu überlegen. Denn bei paralleler Ausbildung bietet sich den Auszubildenden die Chance fachlich und sozial voneinander zu lernen und damit ein höheres Kompetenzniveau im überfachlichen Bereich zu

122

Ausbildung planen und organisieren

erreichen. Die überlappende Ausbildung erscheint im Sinne des Unterruhmens auch vorteilhaft, da Auszubildende mit unterschiedlichem Stand der Kenntnisse und Fertigkeiten jeweils spezifisch zur Wertschöpfung im Übernehmen beitragen können und Brüche im Ausbildungsprozeß vermieden werden. Vor dem Hintergrund angespannter Ausbildungsmärkte188 stellt sich auch die sozialpolitische aber auch die wirtschaftliche Frage nach einer quantitativen „Ausbildung über Bedarf. Diese liegt gesamtwirtschaftlich immer drnn vor, wenn die Zahl der Ausgebildeten die Zahl der später im Beruf Beschäftigten übersteigt. Bezogen auf ein Unternehmen kann dann von einer „Ausbildung über Bedarf' gesprochen werden, wenn daß Unternehmen nicht die Ausgebildeten zur Befriedigung einer Unterdeckung im ermittelten Nettopersonalbedarf benötigt und es so zu einer NichtÜbernahme nach erfolgreich lbgeschlossener Ausbildung kommt.189 In einer Untersuchung zur „Ausbildung über Bedarf' hat Neubäumer festgestellt, daß dieses Phänomen „in einem Beruf desto stärker auftritt, je niedriger die Kosten sind, die den Betrieben durch die Ausbildung entstehen."190 Findet der Ausgebildete allerdings in „seinem" Beruf keine adäquate Beschäftigung, so liegt aufgrund einer Nichtrealisierbarkeit der Erlöse aus einer Humankipitalinvestition eine Fehlinvestition vor. Gesellschaftlich als auch individuill. Auf der anderen Seite wurde aber auch von Neubäumer festgestellt, „daß es in bestimmten Berufen trotz 'Ausbildung über Bedarf zu einem Fachkiäftemangel kommen kann. Entscheidend dafür ist, daß zusätzliche Lehrstellen eine Kostenbeteiligung der Betriebe erfordern würden und daß eine hohe Abwanderung zu wettbewerbsfähigeren Arbeitsplätzen stattfindet. Dies setzt ¡in Attraktivitätsgefälle zwischen den verschiedenen Teilarbeitsmärkten \oraus."191 Losgelöst von einer derartig wirtschaftlichen Betrachtung ist allerdings auch ein gesellschaftlich-sozialer Aspekt von „Ausbildung über Bedarf zu beachten. Jugendliche die in Zeiten knapper Ausbildungsplätze bei der Vergabe leer ausgehen, werden in ihrer Lebenschance benachteiligt. Dies impliziert für die Gesellschaft eine nicht vollständige Absorption möglicher Humanressourcen und damit letztlich eine suboptimale Auslastung späterer Produktionsmöglichkeiten. Auch sind gesellschaftliche Sozialkosten für eine Alimemierung der Jugendlichen und die potentielle Gefahr einer Kriminalisierung zu beachten. 188 Ygi ( j a z u noch einmal im Kapitel I den Punkt 4.4.3 „Angebot und Nachfrage auf dem Auibildungsmarkt" '89 z u r Ermittlung eines Nettopersonalbedarfs vergleiche ausfuhrlich: Jung, H., Personalwirtsctaft. München/Wien 1995, S. 1 Uff. 190 Neubäumer, R., Der Ausbildungsstellenmarkt der Bundesrepublik Deutschland, a.a.O., S. 369f. ' 9 1 Ebenda, S. 371

Festlegung der Ausbildungskapazitäten

123

1.8.2. Übernahme und Verbleib nach der Ausbildung Eine in den letzten Jahren stark zugenommene Problematik bildet die Übernahme von Auszubildenden nach ihrer Berufsausbildung. „Zwar haben die Tarifvertragsparteien in den vergangenen Jahren zahlreiche Vereinbarungen abgeschlossen, die zumindest eine befristete Übernahme sicherstellen sollen, dennoch meldete sich beispielsweise 1997 rund ein Viertel der Absolventen (27,2 %) einer betrieblichen Berufsausbildung direkt nach Ausbildungsabschluss arbeitslos. In den neuen Bundesländern lag der Anteil mit rund 40 % deutlich höher. Tendenziell nahmen die Übergangsprobleme in den vergangenen Jahren zu. Die Übernahme variiert nach Betriebsgröße und Branche (vgl. nachfolgende Tabelle). Tab. 21

Übernahmequoten von Auszubildenden im Jahr 1997 in % Ubernahmequoten Alte Bundesländer

Betriebsgrößenklasse - 1 bis 9 Beschäftigte - 10 bis 49 - 50 bis und mehr Beschäftigte Branche - Land- und Forstwirtschaft - Bergbau, Energie, Wasserversorgung - Grundstoffverarbeitung - Investitionsgüter - Verbrauchsgüter - Baugewerbe - Handel - Verkehr, Nachrichten - Kredit, Versicherungen - Gaststätten, Beherbergung - Bildungsstätten, Verlage - Gesundheitswesen - Sonstige Dienstleistungen - Organisationen o. Erwerbszweck / Staat

| Neue Bundesländer

45,5 50,2 58,7 63,5

51,0 55,4 40,8 54,7

54,6 84,2 65,0 69,1 57,1 62,3 59,7 47,3 80,5 37,2 23,3 42,4 50,7 65,4

33,3 53,3 69,2 55,4 54,9 62,3 55,0 50,3 81,2 31,4 5,0 53,0 52,6 60,5

Insgesamt 54,2 49,1 Quelle: IAB-Betriebspanel 1997, Welle alte Länder und 2. Welle neue Länder, zit. nach Berufsbildungsbericht 1999, S. 147; auch Bäcker, G./Bispinck, R./Hofemann, K./Naegele, G., S. 314.

In größeren Betrieben ist sie höher als in Kleinbetrieben. Längst nicht alle Ausbildungsabsolventen fanden (dauerhaft) eine Stelle im erlernten Beruf. Dies gilt wiederum besonders für die neuen Länder: Von den Absolventinnen der Jahre 1992 bis 1996 befanden sich Ende 1997 nur knapp die Hälfte (45 %)

124

Ausbildung planen und organisieen

im erlernten Beruf, 16 % in anderen Fachberufen, 6 % in einer Anlemtätigleit und knapp 10 % waren arbeitslos. Weitere 15 % befanden sich in einer anderen Aus- oder Weiterbildungsmaßnahme bzw. in einer sonstigen schulisclen oder (Fach-)Hochschulausbildung. Der Rest entfällt auf die Bereiche Weir/Zivildienst, Hausfrau/Hausmann-Tätigkeit und sonstiges." 192 1.8.3.

Schulabschluß der Auszubildenden

Auch eine sozialpolitisch heftig diskutierte Frage ist die, welcher Schuhbschluß die geeignete qualitative Basis bzw. Voraussetzung für eine Berufsausbildung im dualen System bildet? Hintergrund dieser Diskussion ist :in gravierender Wandel im Schulwahlverhalten und generell im Bildungsbewußtsein in Deutschland: 193 Vergleichen wir die Anteile der Schultypen in den Klassenstufen 5 bis 7, also im Übergangsbereich von der Grundschule zu weiterfuhrenden Schulen, so stellen wir in der Zeit von 1951 bis 1997 eiren erheblichen Bedeutungsverlust der Volks- bzw. Hauptschule zugunsten \on Realschulen und Gymnasien sowie anderer Schulformen fest. Während ftiher seitens der Arbeitgeber der Hauptschulabschluß als eine gute Grundlige für eine Ausbildung im Unternehmen angesehen wurde, so entwickelte sch im Laufe der Zeit das Gymnasium immer mehr zum „Marktführer" unter cen Schulformen in der Sekundarstufe I 194 und die Hauptschule wurde durch lie Realschule auf Platz eins der schulischen Vorbildung für eine sich anschießende Berufsausbildung abgelöst. Die Bedeutung der Schulabschlüsse weist allerdings deutliche sektorale Unterschiede auf. In Industrie und Handel finden wir 1997 einen hohen Aneil von Auszubildenden im ersten Lehijahr, die über die allgemeine Hochschilreife oder die Fachhochschulreife verfügen (24 Prozent), so daß die haintschulische Vorbildung hier knapp auf den dritten Platz verwiesen wird. N(ch höher ist die Bedeutung des Realschulabschlusses mit 59 Prozent bzw. der Hochschulreife mit 27 Prozent im öffentlichen Dienst. Ziehen wir beide Abschlüsse zusammen, so erhalten wir hier einen Anteil von 86 Prozent. Der Hauptschulabschluß im öffentlichen Dienst kommt lediglich auf 7 Prozent. Anders sieht es im Handwerk, in der Hauswirtschaft und in der Landwirtschaft aus. Dort stellt der Hauptschulabschluß nach wie vor die häufigste Art der schulischen Vorbildung dar. Rechnen wir hier die Personen mit ab;eschlossenem Berufsgrundbildungsjahr bzw. Berufsvorbereitungsjahr himu, 192 Bäcker, G./Bispinck, R./Hofemann, K./Naegele, G., Sozialpolitik und soziale Lage in Deutschend, Bd. 1: Ökonomische Grundlagen, Einkommen, Arbeit und Arbeitsmarkt, Arbeit und Gesundheitsschitz, 3. überarb. Auflage, Wiesbaden 2000, S. 314-315.

193 vgl. Wolter, A., Strategisch wichtige Veränderungen im Ausbildungsverhalten von Schülern ind Konsequenzen für den Hochschulzugang, in: Hoch-Schul-Informations-System HIS, (Hrsg.), Hanniver 1999, S. 10ff., siehe dazu auch im Kapitel I den Punkt 3.1.2 in diesem Buch. 194

Hurrelmann zitiert in: Wolter, A., a.a.O., S. 10

Festlegung der Ausbildungskapazitäten

125

die auch über einen Hauptschulabschluß verfugen, so erreichen wir in der Hauswirtschaft einen Gesamtanteil von 56 Prozent, im Handwerk einen Anteil von 54 Prozent und in der Landwirtschaft einen Anteil mit Hauptschulabschluß von 47 Prozent. Insgesamt stellen die Realschule und Hauptschule mit 37 Prozent bzw. 31 Prozent die Hauptquellen für Auszubildende im dualen System dar, während Schulabgänger mit allgemeiner Hochschulreife oder Fachhochschulreife auf insgesamt 16 Prozent kommen und den dritten Platz belegen. Vergleichen wir diese Zahlen mit den Präferenzen der Unternehmen, so zeigt eine aktuelle Umfrage des Institutes der deutschen Wirtschaft, Köln daß Wunsch und Wirklichkeit aus Arbeitgebersicht nicht unbedingt übereinstimmen.195 Die Unternehmen bevorzugen in erheblich höherem Maße den Realschulabschluß und häufig auch die verschiedenen Formen der Hochschulreife, als dies die tatsächlichen Strukturen in den abgeschlossenen Ausbildungsverträgen widerspiegeln. Die Gegenüberstellung von Wunsch und Wirklichkeit ist in der folgenden Tabelle 22 wiedergegeben, die die tatsächlich abgeschlossenen Ausbildungsverträge in Industrie, Handel und Handwerk mit den Aussagen über den bevorzugten Schulabschluß in einigen relevanten Ausbildungsberufen vergleicht. Die Istzahlen beziehen sich auf die schulische Vorbildung von Auszubildenden, die 1997 einen Ausbildungsvertrag neu abgeschlossen haben. Die anderen Zahlen geben die Präferenzen der befragten Betriebe wieder. Die Zahlen machen insgesamt deutlich, daß vor allem die Realschule von den befragten Unternehmen weit stärker geschätzt wird, als die Unternehmen es in der Einstellung von Auszubildenden (Istzahlen) realisieren können. Eine Erklärung für die Differenz läßt sich bei der Analyse von Präferenzen der Schulabgänger für bestimmte Berufsfelder finden.196 So dominieren bei den Ausbildungsanfängern mit Hochschulreife ganz klar die Ausbildungsberufe der Bankkauffrau bzw. des Bankkaufmannes. 68 Prozent der Ausbildungsanfänger wiesen in diesem Berufsfeld 1997 diesen Schulabschluß auf. Es folgt mit geringem Abstand die Ausbildung zum Industriekaufmann/ Industriekauffrau. Unter den zehn am häufigsten gewählten Ausbildungsberufen finden sich ausschließlich solche im kaufmännischen Bereich und im Bürobereich.

195

Vgl. Gartz, M./Hüchtermann, M./Mrytz, B., a.a.O., 1999, S. 54ff.

196

Vgl. Berufsbildungsbericht 1999, S. 61 ff.

Ausbildung planen und organisieren

126

Tab. 22:

Wunsch und Wirklichkeit der schulischen Vorbildung aus Unternehmersicht

Ausbildungsbereich

Sonstiges

Ist 37 %

(Fach-) Hochschulreife Ist 24 %

Kaufmännische Ausbildung 1 0 %

41 %

30%

19%

Ausbildung zum Einzel- 2 5 % handelskaufmann bzw kauffrau 32% Ausbildung im gewerblichtechnischen Bereich

56%

9%

10%

52%

8%

8%

Handwerk

Ist 64 %

Ist 32 %

Ist 5 %

Ist 4 %

Ausbildung im Handwerk

40%

56%

2%

3 %

Industrie und Handel

HauptSchule Ist 27 %

Realschule

Ist 11%

Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis des Berufsbildungsberichtes 1999, S. 107 und Gartz, M./Hüchtermann, M./Mrytz, B., Schulabgänger: Was sie können und was sie können müßten, Köln 1999, S. 55ff.

Bei den Ausbildungsanfängern mit Realschulabschluß dominieren gleichfalls die kaufmännischen Ausbildungsberufe; hier finden wir allerdings auch einen hohen Anteil von Arzt-, bzw. Zahnarzt-Helferinnen/Helfern, von Kraftfahrzeugmechanikern/-mechanikerinnen, Elektroinstallateuren und -installateurinnen sowie von Auszubildenden im Friseurhandwerk. Die jeweils am häufigsten gewählten Ausbildungsberufe der Ausbildungsanfänger mit unterschiedlichem Schulabschluß sind in der folgenden Abbildung 6 zusammengefaßt.

Festlegung der Ausbildungskapazitäten

Abb. 8:

127

Die von Ausbildungsanfängern 1997 am häufigsten gewählten Ausbildungsberufe

Ausbildungsanfanger mit Hochschulreife

Bankkaufmana'Bankkauffrau Industriekaufmann/Industriekauffrau K a u f m a n n / K a u f f r a u im Groß- und Außenhandel B ü r o k a u f m a n n / - k a u f f r a u (Industrie und Handel) Steuerfachangestellter/Steuerfachangestellte

Ausbildungsanfanger mit Realschulabschluß

K a u f m a n n / K a u f f r a u im Einzelhandel Arzthelfer/Arzthelferin Kraftfahrzeugmechaniker/-mechanikerin Zahnarzthelfer/Zahnarzthelferin B ü r o k a u f m a n n / - k a u f f r a u (Industrie und Handel) Kraftfahrzeugmechaniker/-mechanikerin Maler und Lackierer/Malerin und Lackiererin K a u f m a n n / K a u f f r a u im Einzelhandel Friseur/Friseurin Fachverkäufer/-verkäuferin im Nahrungsmittelhandwerk Maurer/Maurerin Behindertenberufe im Handwerk Maler und Lackierer/Malerin und Lackiererin Behindertenberufe im Bereich Industrie und Handel Hauswirtschaftstechnischer Betriebshefer/Betriebshelferin Maurer/Maurerin

Ausbildungsanfanger mit Hauptschulabschluß

Ausbildungsanfanger ohne Hauptschulabschluß

Quelle: Berufsbildungsbericht 1999, S. 60ff

Bei der Interpretation dieser Daten ist allerdings zu berücksichtigen, daß sich hier bereits das Ergebnis einer Abstimmung von Angebot und Nachfrage auf dem Ausbildungsmarkt widerspiegelt und nicht die ursprünglichen Präferenzen der Auszubildenden. Dennoch wird deutlich, daß ausbildende Unternehmen aus dem Handwerk und Einzelhandel sowie in gewerblich-technischen Berufen die größten Chancen haben, ihre Auszubildenden aus Hauptschulen und ggf. aus Realschulen zu rekrutieren, während Banken, Steuerberater und Industrie sowie Groß- und Außenhandel ihren kaufmännischen Nachwuchs aus Auszubildenden mit Hochschulreife entwickeln müssen.

Ausbildung planen und organisieren

128

Interpretationsbedürftig ist die Differenzierung der am stärksten besetzten Ausbildungsberufe nach dem Geschlecht. Die von jungen Frauen am häufigsten gewählten Berufe sind demnach 197 •

Bürokauffrau,



Arzthelferin,



Zahnarzthelferin,



Kauffrau im Einzelhandel,



Friseurin,



Industriekauffrau,



Fachverkäuferin,



Bankkauffrau,



Hotelfachfrau und



Kauffrau für Bürokommunikation.

Diese Übersicht darf allerdings nicht dahingehend mißverstanden werden, als daß junge Frauen keinerlei Interesse an anderen Berufen hätten oder aber dafür ungeeignet wären. Ganz im Gegenteil. Unternehmen sollten im Sinne einer größeren Vielfalt ihres Personals prüfen, ob sie geeigneten Bewerberinnen nicht den Weg zu eher frauenuntypischen Berufen öffnen können. Hinsichtlich der formalen Qualifikation sind Schülerinnen mindestens so gut qualifiziert wie junge Männer. Körperliche Voraussetzungen dürften in den wenigsten Berufen eine echte Barriere darstellen 198 und im Sinne eines guten Betriebsklimas und der Teamarbeit erscheint eine geschlechtliche Mischung der Belegschaft nur empfehlenswert. So lassen sich aus der in den USA schon seit längerem, in Europa erst seit 1999, beachteten Diskussion um „Diversity" einige interessante Implikationen für die geschlechtergemischte Zusammensetzung von Human-Ressourcen ableiten. Eine „diverse", also nach Geschlechtern, Alter und kulturellem Hintergrund gemischte Belegschaft bietet gute Chancen zur Steigerung von •

Kreativität und Innovationen (produkt- und prozeßorientiert),



Problemlösungsqualität und



organisationaler Flexibilität. 199

197

Vgl. Berufsbildungsbericht 1999, S. 72ff.

Allerdings wird von jungen Frauen die Werkstattarbeit tendenziell immer noch mit schwerer, körperlicher Arbeit gleichgesetzt und im Zuge der Selbstselektion daher dieser Bereich eher gemieden. Vgl.dazu ausführlich Klatt, R./Richter-Witzgall, G., Frauen in Zukunftsberufen. Wege zu einer wirtschaftsnahen Entwicklung der Chancengleichheit von Frauen in der Ausbildung. Abschlußbericht der Sozialforschungsstelle im Auftrag des Ministeriums fiir Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes NRW, Dortmund 1999. 199 Vgl. Wagner/Sepehri, 1999, S. 20

129

Festlegung der Ausbildungskapazitäten

Unternehmen, die sich gezielt mit einer Verbreiterung des Facettenreichtums der Human-Ressourcen auseinandersetzen und dies auch kommunizieren, gewinnen als Arbeitgeber und als Ausbildungsbetrieb an Attraktivität und werden daher besonders qualifizierte Bewerber und Bewerberinnen anziehen. Hier könnten vom Unternehmen veröffentlichte Informationen, Betriebsbesuche und Schülerpraktika aufklärend und motivierend wirken. Tab. 23:

Mädchen in Männerberufen - Weibliche Lehrlinge in ausgewählten Männerberufen (Stand 31.12.1998)

Bäcker Maler und Lackierer Tischler Raumausstatter Kfz-Mechaniker Elektroinstallateur Fleischer Buchbinder Gas- und Wasserinstallateur Metallbauer Dachdecker Zimmerer Maurer Schornsteinfeger Fliesen-, Platten- Mosaikleger Klempner

4.635 4.183 2.745 2.173 1.402 531 391 307 279 278 157 136 132 121 110 30

Quelle: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (Hrsg.), Sozialpolitische Umschau, Nr. 382 vom 1. November 1999

Voraussetzung für eine erfolgreiche Rekrutierung qualifizierter Bewerberinnen ist allerdings die Bereitschaft der Unternehmen, die jungen Frauen nach der Ausbildung auch zu übernehmen, eine Klippe, die im Rahmen von Modellversuchen „Mädchen in Männerberufen" nicht immer überzeugend umschifft wurde und daher die Bereitschaft der jungen Frauen, sich auf neue Felder zu wagen, häufig wieder abgeschwächt hat.200 So zeigt beispielhaft eine aktuelle Studie für Medienberufe der Sozialforschungsstelle in Dortmund, daß für die Berufswahl der jungen Frauen unter anderem die folgenden Aspekte ausschlaggebend sind:

200 V g | Berufsbildungsbericht 1999, S.152 sowie Klatt, R./Richter-Witzgall, G., a.a.O., S. 24

Ausbildung planen und organisieren

130



Zukunftsfähigkeit und -Sicherheit des Berufes,



erwartete Kreativität und Abwechslungsreichtum,



Bezahlung,



Karrierechancen in unterschiedlichen Beschäftigungsfeldern. 201

Wenn diese Punkte sicher auch für männliche Auszubildende einen hohen Stellenwert haben dürften, so wird hier dennoch klar deutlich, daß für junge Frauen die Berufsperspektiven offensichtlich ein entscheidendes Kriterium darstellen. Eine zweite Bedingung zur Rekrutierung qualifizierter weiblicher Auszubildender ist ein frauenfreundlicher, nicht diskriminierender Umgang mit den Auszubildenden im Betrieb, der im Sinne eines positiven Betriebsklimas ohnehin wünschenswert wäre. Parallele Argumentationen gelten für die Ausbildung junger Menschen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund und damit für die Einstellung ausländischer Auszubildenden.

1.8.3.

Erforderliche und erwünschte Quaiiiikationen

Handlungsleitend für die auszubildenden Unternehmen sollte hier die Frage sein, welche Qualifikationen denn tatsächlich benötigt und erwünscht sind, um nicht nur den Ausbildungserfolg sondern auch die Berufstätigkeit auf längere Sicht zu sichern. Hier gibt uns die bereits zitierte Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft, Köln wertvolle Hinweise. Als grundlegend werden dort die folgenden Qualifikationen unabhängig vom konkreten Ausbildungsberuf eingefordert: 202 •

Wissensvermittlung und fachliche Kompetenzen Beherrschung der deutschen Sprache in Wort und Schrift, Beherrschung einfacher Rechentechniken, Grundlegende naturwissenschaftliche Kenntnisse, Grundkenntnisse wirtschaftlicher Zusammenhänge.



Kenntnisse und Verständnis über die Grundlagen unserer Kultur Grundkenntnisse in deutscher und europäischer Geschichte, Kenntnis der gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, ethischen Anforderungen und religiösen Inhalte unserer Kultur.

201 202

Vgl. Klatt, R./Richter-Witzgall, G., a.a.O., S. 23 Vgl. Gartz, M./Hüchtermann, M./Mrytz, B., a.a.O., S. 19ff

Festlegung der Ausbildungskapazitäten



131

Werte-Erziehung Zuverlässigkeit, Selbstbeauftragung, Lern- und Leistungsbereitschaft, Ausdauer, Belastbarkeit, Frustrationstoleranz, Konzentrationsfähigkeit, Verantwortungsbereitschaft, Kritikfähigkeit, Sorgfalt, Gewissenhaftigkeit



Soziale Kompetenzen Kooperationsbereitschaft, Teamfähigkeit, Höflichkeit, Freundlichkeit, Konfliktfähigkeit, Fähigkeit zur friedlichen Verarbeitung von Differenzen, Toleranz, Handlungsorientierung, Handlungskompetenz

Betrachten wir diese Auflistung im Hinblick auf besondere Stärken oder Schwächen einzelner Schultypen, so wird deutlich, daß wir nicht davon ausgehen können, daß eine bestimmte Schulform diesen Anforderungen durchgängig gerecht oder nicht gerecht wird. Kenntnisse in den Kulturtechniken werden beispielsweise seitens der Unternehmen durchweg als unzureichend angesehen, was dazu geführt hat, daß mit Ausnahme der Kreditwirtschaft die meisten befragten Unternehmen ihre Anforderungen gesenkt haben. 203 Auch wenn hier dem Gymnasium noch ein relativ hohes Niveau zugesprochen werden kann, so weist diese Schulform auf der anderen Seite nicht unbeträchtliche Defizite hinsichtlich der Praxis- und Berufsorientierung sowie notwendiger allgemeiner ökonomischer Kenntnisse auf. 204 Die größten Probleme sehen die Arbeitgeber im Bereich der sozialen Kompetenzen: „Vermißt wird außerdem der Dienstleistungsgedanke. (...) Die Schulabgänger zeigen sich eher unselbständig und von mangelnder Ausdauer, Denken in Zusammenhängen sei wenig ausgeprägt. Defizite gibt es auch besonders im Bereich der Kommunikations- und Teamfähigkeit." 205 Qualifizierungsprozesse insbesondere im überfachlichen Bereich enden allerdings nicht am Schultor: Familie, Freizeitgestaltung, Mediennutzung und nicht zuletzt die Betreuung am Ausbildungsplatz und die Motivation zur persönlichen und beruflichen Weiterentwicklung dürfen in diesem Zusammenhang nicht unterschätzt werden. Ausbildungsbetriebe sind daher gut beraten, sich nicht nur an den schulischen Leistungen und Erfolgen ihrer Auszubildenden in der Vergangenheit zu orientieren, sondern sich auf die Suche nach Potentialen zu machen, die für den angestrebten Beruf erfolgskritisch sind und außerdem Lernprozesse zu initiieren und zu begleiten, die einen weiteren Aufbau der fachlichen und überfachlichen Kompetenzen ermöglichen. 203

Vgl. Gartz, M./Hüchtermann, M./Mrytz, B., a.a.O., S. 38f.

204

Vgl. ebenda, S. 24f.

205

Ebenda, a.a.O., S. 39.

132

Ausbildung planen und organisieren

1.9.

Ausbildungsziele und -schritte festlegen

Im dritten Schritt der Ausbildungsplanung geht es darum, fachliche und überfachliche Ausbildungsziele zu definieren und den Weg zum Erreichen dieser Ziele in einem Ausbildungsplan zu konkretisieren.

1.9.1. Fachliche Ziele definieren und interpretieren Die fachlichen Ausbildungsziele ergeben sich zunächst aus den definierten Ausbildungsberufsbildern mit den zugehörigen Kenntnissen und Fertigkeiten, die unter Einbeziehung selbständigen Planens, Ausführens und Kontrollierens zu vermitteln sind. Beispielhaft soll hier die Ausbildung zum Anlagenmechaniker/zur Anlagenmechanikerin herangezogen werden. In § 8 der einschlägigen Verordnung zu dieser Ausbildung finden wir die folgenden Punkte der Berufsausbildung: 206

1. Berufsbildung, 2. Aufbau und Organisation des Ausbildungsbetriebes, 3. Arbeits- und Tarifrecht, Arbeitsschutz, 4. Arbeitssicherheit, Umweltschutz und rationelle Energieverwendung, 5. Lesen, Anwenden und Erstellen von technischen Unterlagen, 6. Unterscheiden, Zuordnen und Handhaben von Werk- und Hilfsstoffen, 7. Planen und Steuern von Arbeits- und Bewegungsabläufen; Kontrollieren und Beurteilen der Ergebnisse, 8. Warten von Betriebsmitteln, 9. Prüfen, Anreißen und Kennzeichnen, 10. Ausrichten und Spannen von Werkzeugen und Werkstücken, 11. Manuelles Spanen, 12. Maschinelles Spanen, 13. Trennen, Umformen, 14. Fügen,

206 vgl. BIBBd, 1999. Erläuterungen zur Verordnung über die Berufsausbildung zum/zur Konstruktionsmechaniker/in und zum/zur Anlagenmechaniker/in in der Fachrichtung Schweißtechnik vom 10. Juni 1996

133

Ausbildungsziele und -schritte festlegen

15. Konstruieren, Anreißen Abwicklungen.

und

Herstellen

von

Schablonen

und

In dieser Auflistung sind übergeordnete Ausbildungsinhalte (Punkte 1 bis 4) enthalten, die sich auch in anderen Ausbildungsberufen, ggf. in anderen Formulierungen, wiederfinden. Daneben finden sich fachbezogene Inhalte (z. B. „Fügen'", „manuelles Spanen"), und fachübergreifende Ziele: „Lesen, Anwenden und Erstellen von technischen Unterlagen", „Planen und Steuern von Arbeits- und Bewegungsabläufen; Kontrollieren und Beurteilen der Ergebnisse", die für das jeweilige Berufsbild spezifisch sind. Diese Ausbildungsinhalte sind unter Einbeziehung selbständigen Planens, Ausführens und Kontrollierens zu vermitteln. Neben den inhaltlichen Ausbildungszielen sind damit auch prozessorientierte Fähigkeiten zu entwickeln, die es den Auszubildenden ermöglichen, ihr Lernen und Arbeiten selbst zu steuern und damit Problemlösungs- und Handlungskompetenz zu erwerben. 207 Das Modell des selbständigen beruflichen Handelns 208 sieht eine Zerlegung des Ausbildungsprozesses in die folgenden Schritte vor: • • • • • •

Informieren, Planen, Entscheiden, Durchführen, Kontrollieren, Auswerten.

Um das Ausbildungsziel des selbständigen beruflichen Handelns zu erreichen, werden die Schritte 1, 2 , 4 und 5 den Auszubildenden individuell oder in kleineren Gruppen in Eigenverantwortung übertragen. Entscheidung und Bewertung erfolgen in eingehender Diskussion mit den Ausbildern, um in dieser Phase Qualitätsstandards und damit Handlungsziele gemeinsam zu erarbeiten. Auszubildende werden damit zu aktiven Gestaltem ihrer Ausbildung. Als Ausbildungsziel kann auf dieser Ebene also die Fähigkeit zur selbständigen Erledigung von Arbeitsaufträgen von der Planung bis hin zur Bewertung der Ergebnisse definiert werden. Am hier gewählten Beispiel des Anlagenmechanikers bzw. der Anlagenmechanikerin bedeutet dies, daß als Ausbildungsziel zu definieren wäre, daß die Auszubildenden in die Lage versetzt werden, sich selbständig anhand von Fachbüchern oder anderer Unterlagen über Verfahrensschritte, Werkstoffe oder Arbeitsschutzbedingungen zu informieren, ihre Arbeitsschritte selbstän207 Ygi. dazu ausführlich das Kapitel III in diesem Buch. 208

Vgl. BIBB 1999, S. 99 oder auch die jeweiligen Erläuterungen und Praxishilfen für den Ausbildungsberuf.

Ausbildung planen und organisieren

134

dig und fachlich kompetent zu planen und diese Planung auch auszufuhren. Zum Ausbildungsziel gehört weiterhin, daß das Arbeitsergebnis anhand von gängigen Qualitätskriterien korrekt bewertet und protokolliert wird. Hierdurch erhalten die eingangs dargestellten fachlichen Ausbildungsziele neben der inhaltlichen Dimension („Trennvorgang wird korrekt ausgeführt", siehe den folgenden Kasten) eine prozessorientierte Ausprägung. „Trennvorgang wird korrekt ausgeführt" „Die Auszubildenden sind in der Lage, sich über geeignete Verfahren des Trennens oder Umformens zu informieren, Trennungsvorschläge zu planen und durchzufuhren und dabei sachkompetent über die benötigten Werkzeuge, Hilfsmittel etc. zu entscheiden. Sie bewerten das Arbeitsergebnis korrekt und erkennen Ursachen für das Nichterreichen von Sollwerten. Aus Abweichungen leiten sie Konsequenzen für folgende Arbeitsgänge ab." Derartig umfassend definierte Ausbildungsziele rücken bereits in die Nähe der fachübergreifenden Schlüsselkompetenzen, die im folgenden näher betrachtet werden sollen.

1.9.2. Schlüsselkompetenzen entwickeln Bereits im Zusammenhang mit den erforderlichen und erwünschten Qualifikationen der Auszubildenden zum Ende ihrer Schulzeit, wurde die Bedeutung von Schlüsselkompetenzen sichtbar. Unter Schlüsselkompetenzen verstehen wir funktionsübergreifende, längerfristig sinnvoll einsetzbare Fähigkeiten, Kenntnisse und Haltungen, also die persönlichen Voraussetzungen einer Person, die diese in die Lage versetzen, Wissen in Nutzen zu transformieren und so bestimmte Leistungen, zu erbringen. 209 In den neuen Ausbildungsberufen werden vor allem gefordert: •

Team- und Kommunikationsfähigkeit als Basis von Wissensaustausch und Zusammenarbeit, 210



Prozeßorientierung Sichtweise und

im Sinne einer

ganzheitlichen

(holistischen)

209 vgl. Hausmann, H., Welche Schlüsselkompetenzen brauchen Führungskräfte?, in: io-Management, Heft 4/1994, S.39ff. 210

Vgl. Klatt, R./Richter-Witzgall, G., a.a.O., S. 9ff.

A u s b i l d u n g s z i e l e und -schritte f e s t l e g e n



135

Kundenorientierung.

Einen wesentlichen Beitrag zu dem Prozeß des Erwerbs von Schlüsselkompetenzen leistet das handlungs- und erfahrungsorientierte Lernen, das nicht nur Sach- und Fachziele vermitteln hilft, sondern auch den Prozeß des Lernens selbst zum Gegenstand und den Lernenden zum Subjekt dieses Prozeßes macht. 211 Schlüsselkompetenzen und ihr Erwerb sind sehr eng mit der Persönlichkeitsentwicklung der Menschen verbunden. 212 Sie lassen sich nicht so wie fachliche Inhalte vermitteln, sondern müssen aktiv in realen Handlungsbezügen erworben werden. 213 Im Kern der Berufsausbildung geht es heute um die erlern- bzw. erwerbbare Fähigkeit zur Problemlösung in komplexen Situationen des beruflichen Handlungsfeldes. „Handlungskompetenz" lautet hier das Schlüsselwort: „Die berufliche Praxis lehrt, daß Fachkräfte ihre Aufgaben im Zusammenhang mit dem gesamten geschäftlichen Prozeß vom Kundenauftrag bis zur Rechnungsstellung betrachten und ihr Handeln danach ausrichten müssen. Von jeder Fachkraft - unabhängig vom einzelnen Beruf - wird berufliche Handlungskompetenz erwartet." 214 Um eine umfassende und nachhaltige Problemlösung in der Interaktion mit anderen Menschen zu erreichen, bedarf es neben fachlicher Qualifikationen überfachlicher Schlüsselkompetenzen in den Bereichen •

persönliche (oder Individual-)Kompetenz (z.B. Leistungsbereitschaft, Selbstmanagement, Lernfähigkeit),



soziale Kompetenz (z.B. Kommunikationsfahigkeit,

Kooperations-

und Konfliktfahigkeit, auch im interkulturellen Bereich, Teamfähigkeit ) und •

konzeptionelle (oder Methoden-) kompetenz (z.B. Kenntnis und Einschätzung der Einsatzfahigkeit geeigneter Methoden in spezifischen Situationen). 215

Vgl. Pätzold, AVortmann, Didaktische Handlungsmöglichkeiten zur Ausbildung von Schlüsselqualifikationen, in: Arnold, R./Müller, HJ., Kompetenzentwicklung durch Schlüsselqualifizierung, Hohengehren 1999, S.153ff, Müller, H, Erschließen durch Versprachlichen, in: Arnold/Müller, S. 130ff. Vgl. Reetz , L., Schlüsselqualifikationen aus bildungstheoretischer Sicht - in der berufs- und wirtschaftspädagogischen Diskussion, in: Arnold/Müller, a.a.O., S. 46f. 213

Vgl. Müller, H., Erschließen durch Versprachlichen, a.a.O., S. lOlff.

Fink, R., Petra plus: Prozeßorientierung im Rahmen der Projekt- und transferorientierten Ausbildung, a.a.O., S. 11 2

' ^ V g l . Hausmann, H., Welche Schlüsselkompetenzen brauchen Führungskräfte?, a.a.O., S. 39ff. Eine andere Einteilungen und eine ausfuhrliche Auseinandersetzung finden sich in: Goos, G./Hansen, K.,

Ausbildung planen und organisieren

136

Schlüsselqualifikationen stellen somit in der hier vertretenen Sichtweise kein Gegenkonzept zu Fachqualifikationen dar, sondern können, um im Bild zu bleiben, als „Schlüssel" zur erfolgreichen Anwendung von fachlichen Qualifikationen in komplexen Situationen mit vielfältigen und wechselnden Anforderungen verstanden werden. Auf den Erwerb spezifischer Fachkompetenzen darf also keinesfalls verzichtet werden. Vielmehr bilden die Schlüsselkompetenzen die Chance, zusätzlich benötigtes Fachwissen effektiv und effizient bei erkennbarem Bedarf zu erschließen (bspw. „Lernfähigkeit" bei persönlichem Wissenserwerb, „Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit" als Voraussetzung zur Zusammenarbeit vom Fachwissen her, bezogen auf heterogen zusammengesetzter (interdisziplinärer) Teams, um Probleme fachkompetent zu bearbeiten). Als zweiter Aspekt kommt die konkrete Umsetzung von Plänen in die Praxis als Einsatzfeld der Schlüsselkompetenzen hinzu: Zum Handlungserfolg tragen sie beispielsweise bei, indem erkannte Probleme und Lösungen konsequent in die Unternehmensrealität umgesetzt werden. Selbst- und TeamManagement, Fähigkeit zum Setzen sinnvoller Prioritäten, Frustrationstoleranz und die Fähigkeit, eine positive Arbeitsatmosphäre zu schaffen, Feedback-Fähigkeit - oder auch ihr Fehlen! - können von erheblichem Einfluß auf die Realisierung von Problemlösungen sein. Die Bedeutung einer Verknüpfung fachlicher und überfachlicher Kompetenzen ist in der Praxis längst erkannt. So stellt die Siemens AG ihr „Kompetenzmodell" in den Mittelpunkt einer prozeßorientierten Ausbildung. 216 Abb. 9:

Kompetenzmodell

FACHKOMPETENZ

SOZIALKOMPETENZ

Frauen in Führungspositionen: Erfahrungen, Ziele, Strategien, Münster u.a. 1999, S.27ff Vgl. Fink, R., Petra plus: Prozeßorientierung im Rahmen der Projekt- und transferorientierten Aus-

137

Ausbildungsziele und -schritte festlegen

Hierbei werden in einem Konzept einer „Projekt- und transferorientierten Ausbildung" die in fünf Zielbereichen definierten und relevanten Einzelqualifikationen zu Schlüsselqualifikationen: 217

Abb. 10: Bündelung von Einzelqualifikationen zu Schlüsselqualifikationen

Zielbereich

Schlüsselqualifikation

Arbeitsplanung, Arbeitsausführung, Ergebniskontrolle

Organisations- und Planungsfähigkeit

Teamarbeit, Kontakt zu anderen

Kommunikations- und Kooperationsfahigkeit

Lernverhalten, Auswerten und Weitergeben von Informationen

Denk- und Lernstrategien

Eigen- und Mitverantwortung bei der Arbeit

Selbständigkeit und Verantwortungsbereitschaft

Psychische und physische Beanspruchung

Belastbarkeit

Beispiele für Einzelqualifikationen Zielstrebigkeit, Sorgfalt, Selbststeuerung, Systematisches Vorgehen, Koordinationsfähigkeit schriftliche und mündliche Ausdrucksfähigkeit, Einfühlungsvermögen, kundengerechtes Verhalten Einsatz von Lemtechniken, Weiterbildungsbereitschaft, Abstrahieren, Transferfähigkeit, problemlösendes Denken, Kreativität Mitdenken, Zuverlässigkeit, Selbstdisziplin, Entscheidungsfähigkeit, Erkennen eigener Grenzen und Defizite Konzentrationsfähigkeit, Ausdauer, Aufmerksamkeit, Umstellungsfähigkeit

Dieses Vorgehen liefert eine gute Orientierung für die Ausbildung generell, da die aufgezeigten Zielbereiche sich heute in nahezu jedem Berufsbild wiederfinden. Die Auflistung der Teilkompetenzen wäre allerdings zu modifizieren, da ihre Bedeutung und Ausprägung für einzelne Ausbildungsberufe unterschiedlich sein dürften. bildung, a.a.O., S. 12. Vgl. Fink, R., Petra plus: Prozeßorientierung im R a h m e n der Projekt- und transferorientierten Ausbildung, a.a.O., S. 8ff.

138

Ausbildung planen und organisieren

1.9.3. Ausbildungsplan erstellen Sind die fach- und überfachlichen Ausbildungsziele geklärt, gilt es einen konkreten betrieblichen Ausbildungsplan zu erstellen. Als pragmatischer Leitfaden können hier die bekannten fünf „W-Fragen" behilflich sein. •

Was?

(Lernziele, Lerninhalte)



Wo?

(Betriebliche Arbeitsplätze, Schulungen)



Wie?

(Lehr- und Lernmethoden)



Wer?

(Ausbilder, Ausbildungsbeauftragte und Paten)



Wann?

(Zeitrahmen)

Das „Was?" und „Wann?" ist durch die jeweiligen Ausbildungsverordnungen mit den zugehörigen Anlagen bereits grob vorgegeben. Die einzelnen Lernziele müssen jedoch - auch unter Berücksichtigung betriebsspezifischer Voraussetzungen - zu Lerneinheiten zusammengefaßt werden. Sinnvollerweise orientieren sich hier die Betriebe an den vorliegenden Rahmenlehrplänen, den Ausbildungsrahmenplänen und den zugehörigen Erläuterungen. Hier sind nicht nur die Inhalte der Ausbildung konkret dargestellt und in ein zeitliches Grobraster eingefugt, sondern es finden sich in den Erläuterungen auch - die für viele Ausbildungsberufe in aktueller Fassung vorliegen - konkrete Hinweise auf Umsetzungsmöglichkeiten und Handlungshilfen. Basis-Antworten auf das „Was?" und das „Wann?" sind damit gut abzudecken. Dies kann beispielhaft anhand der Ausbildungsplanung für Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste deutlich gemacht werden. 218 Hier finden wir u.a. den geforderten Lerninhalt „Datenbanken kontrollieren und aktualisieren". In den Erläuterungen wird diese Forderung konkretisiert und in die folgenden Teilaspekte zerlegt:

• • • •

allgemeine Qualitätskontrolle von Datenbasen und Datenbanken, Kontrolle und Revision der Indizes von Datenbanken, Updating von Datenbanken, Aktualisierung von Internetangeboten.

Weiter finden wir unter Lerninhalte „Am Aufbau von Datenbanken mitwirken", die weiteren Punkte:

218

Vgl. BIBB 1999c, S. 39f., S.46, S. 60

A u s b i l d u n g s z i e l e und -schritte f e s t l e g e n

• • •

139

Eingabe von Daten und Datensätzen, Kontrolle der Funktionen des Datenbanksystems, Optimierung des Datenbankkonzeptes.

In den „Handlungshilfen" wird der fachrichtungsspezifische Ausbildungsinhalt „Am Aufbau von Datenbanken mitwirken" mit dem Ausbildungsinhalt „Informationsspeicher und Kataloge nach betrieblichen Qualitätskriterien verwalten" sowie mit allgemeinen Ausbildungszielen gekoppelt. Diese werden hier mit „Auswirkungen von Informations- und Kommunikationstechniken auf Arbeitsorganisation und Arbeitsanforderungen an Beispielen des Ausbildungsbetriebes aufzeigen" beschrieben. Dazu gehören die folgenden Inhalte:

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veränderte Ablauforganisation, z.B. Mischarbeitsplatz, Verkürzung der Bearbeitungsdauer von Routinetätigkeiten, Intensivierung der Arbeit, Qualifikation und Belastung, Umgestaltung der Arbeitsplätze/-arbeitsräume.

Für den gesamten hier angesprochenen Lemblock werden drei bis fünf Monate des zweiten Ausbildungsjahres veranschlagt. Zur Strukturierung eines betrieblichen Ausbildungsplanes erscheint es daher sinnvoll, die Ausbildungsinhalte zunächst nach Ausbildungsjahren zu gruppieren und sie dann zu Lernfeldern zusammenzufügen, die bestimmten Lernorten zuzuweisen sind. In einem nächsten Schritt wäre eine differenziertere zeitliche und personelle Planung vorzunehmen. Den einzelnen Lernfeldern sollten Hinweise auf besonders gut geeignete didaktische Lernformen wie bspw. dem Projekt, das Planspiel, die Juniorenfirma hinzugefugt werden. 219 Dabei geht es auch hier immer wieder um die Kombination von Fachkenntnissen mit dem Erwerb von Schlüsselqualifikationen. Derartig differenzierte Ausbildungspläne erlauben nicht nur die Planung und Koordination der Ausbildung sondern auch die zeitnahe Lernzielkontrolle. Betriebliche Ausbildungspläne könnten so anhand der Ausbildung von Reiseverkehrsleuten in folgender Form dargestellt werden:

Vgl. hierzu ausfuhrlich die Ausfuhrungen in Kapitel III.4. dieses Buches

Ausbildung planen und organisicen

140

Abb. 11 : Auszugweise Darstellung eines betrieblichen Ausbildungsplans

Zu vermittelnde Kenntnisse und Fertigkeiten incl. methodisch-didaktischer Hinweise 1. AUSBILDUNGSJAHR 5. Marketing a) Ergebnisse der Marktbeobachtung und Marktforschung für die Erschließung neuer Zielgruppen und Produkte erarbeiten b) wichtige Segmente der Tourismusbranche unterscheiden Nutzung von Fachpresse, neuen Medien, Fachstudien und Marktanalysen, Ergebnisse schriftlich zusammenfassen 2. AUSBILDUNGSJAHR 5. Marketing c) an Maßnahmen des Ausbildungsunternehmens zur Öffentlichkeitsarbeit, Werbung und Verkaufsförderung mitwirken Fünf Schritte des Marketingkonzeptes kennenlernen und in Teamarbeit anwenden (Projekt) s. auch Lernfeld 10 des Rahmenlehrplanes: Am Marketing-Management eines touristischen Anbieters mitwirken

Ausbildungsort

Ausbildende Personen

Zeitraum

Marketingabteilung

Herr/Frau

6 Wochen Terminierung: 02.10.2000 17.11.2000

Herr/ Frau... Geschäftsleitung, Werbeabteilung

4 Wochen in Teamarbeit Terminiemit Herrn/Frau rung: 03.09.2001 28.09.2001

Ausbildungsziele und -schritte festlegen

1.9.4.

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Ablegung von Prüfungen

1.9.4.1. Die Zwischenprüfung Einen besonderen Schwerpunkt in der Ausbildungsplanung bilden die Zwischen- und Abschlußprüfungen. Hier müssen der Auszubildende und der Ausbilder den Lehr- und Lernerfolg unter Beweis stellen. Die Prüfungsinhalte und -formen sind in der jeweiligen Ausbildungsverordnung festgelegt und sollten zur Definition von Lern- und Ausbildungszielen herangezogen werden. Die Zwischenprüfung hat die Aufgabe die Ausbildungsinhalte der ersten 18 Ausbildungsmonate abzuprüfen. Sie muß vor dem Ende des zweiten Ausbildungsjahres abgeschlossen werden. Konkret bedeutet dies, daß die Inhalte der beruflichen Grundbildung und Teile der beruflichen Fachbildung prüfungsrelevant sind. Nähere Erläuterungen zu den spezifischen Inhalten sind den Anlagen zur Ausbildungsordnung, in denen das Berufsbild näher beschrieben ist, zu entnehmen. So wird erwartet, daß die Auszubildenden den Aufbau und die Aufgaben des ausbildenden Betriebes erläutern können, also beispielsweise informiert sind über •

Branchenzugehörigkeit,



Rechtsform,



Organisation und Produktionsprogramm,



grundlegende Funktionen wie Beschaffung, Absatz, Fertigung,



Betriebsvereinbarungen und



Betriebs-, Jugend- und Auszubildendenversammlungen,

um nur einige Punkte aus der beruflichen Grundbildung zu nennen, die mit dem Beruf im engeren Sinne nicht unbedingt verbunden sind. Naheliegend sind natürlich die Ausbildungsziele, die den Arbeitsschutz, das Lesen, Anwenden und Erstellen von technischen Unterlagen betreffen. Hier finden wir im Verordnungsteil genaue Angaben darüber, was geprüft wird. Prüfungsgegenstand ist allerdings nicht nur der Teil der Ausbildung, der im Betrieb geleistet wird, sondern auch der wesentliche Lehrstoff der Berufsschule. Es empfiehlt sich für den Ausbilder, sich über den Lehrplan und die zugehörigen Lehrziele zu informieren, um einerseits die eigene Planung darauf abzustimmen und andererseits die Lernerfolge der Auszubildenden nach Abschluß wesentlicher Lerneinheiten mit diesen gemeinsam zu kontrollieren. Derartige Lernzielkontrollen sollten sich nicht nur an den Prüfungszeiten

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Ausbildung planen und organisieren

orientieren, sondern kontinuierlich durchgeführt werden, um Defizite zeitnah aufdecken und beheben zu können. 220 1.9.4.2 Die Abschlußprüfung Vergleichbar mit der oben dargestellten Analyse der Anforderungen zur Zwischenprüfung ist das Vorgehen bei der Abschlußprüfung. Auch hier sind die zu vermittelnden Ausbildungsinhalte und der wesentliche Lehrstoff der Berufsschule prüfungsrelevant. Die erwarteten Fähigkeiten und Kenntnisse sind auch hier wieder den Anlagen zur Verordnung über die Berufsausbildung zu entnehmen. Hilfreiche Hinweise finden sich darüber hinaus in den „Erläuterungen und Praxishilfen" zu den einzelnen Ausbildungsberufen. 221 Kataloge der Inhalte schriftlicher Prüfungen können bei den Industrie- und Handelskammern sowie bei den Handwerkskammern angefragt werden. Bei der Definition von fachlichen Ausbildungszielen erscheint es unerläßlich, auch die Prüfungsform zu berücksichtigen, um die Auszubildenden wirklich „fit" für die Prüfung zu machen und deren Erfolg sicher zu stellen. Sowohl die Zwischen- als auch die Abschlußprüfung bestehen aus einem schriftlichen und einem praktischen Teil. In der Zwischenprüfung sind Aufgaben aus definierten Gebieten zu lösen, die sich auf praxisbezogene Fälle des jeweiligen Ausbildungsberufes beziehen müssen. Kehren wir zu unserem Beispiel des Anlagenmechanikers zurück, so gliedert sich hier die schriftliche Abschlußprüfung in die Fächer •

Technologie,



Arbeitsplanung,



Technische Mathematik und



Wirtschafts- und Sozialkunde.

Das Ausbildungsziel besteht dabei darin, den Prüfling in die Lage zu versetzen, die jeweils gewünschten Fachinhalte abzurufen, zu versprachlichen und in korrekter Form schriftlich darzulegen. Im praktischen Prüfungsteil soll der Auszubildende unter Beweis stellen, daß er befähigt ist, eine fachlich einwandfreie Arbeit in einer vorgegebenen Zeit zu planen, durchzufuhren und zu kontrollieren. In unserem Beispiel des Anlagenmechanikers mit Fachrichtung Schweißtechnik muß der Prüfling in 12 Stunden drei schweißtechnische und zwei mechanische Prüfungsstücke anfertigen. 220

Vgl. Jagla, H.H./Haase, P., a.a.O., S. 50f.

221

Vgl. dazu beispielsweise BIBB 1999b, 1999c, 1999d, S. 127fF

Auszubildende finden

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Auch in Berufen die nicht gewerblich-technischer Natur sind, ist ein praktischer Teil der Abschlußprüfung vorgesehen, wie es das Beispiel des Reiseverkehrskaufmmans (Fachrichtung Touristik) verdeutlicht: „Im Prüfungsbereich praktische Übungen soll der Prüfling eine von zwei ihm zur Wahl gestellten praxisbezogenen Aufgaben aus den Gebieten Produktplanung und -gestaltung, Kundenberatung und Verkauf, Reservierung sowie Beförderungsleistungen bearbeiten. Für die Bearbeitung ist ein Zeitraum von höchstens 10 Minuten vorzusehen. Die Aufgabe soll Ausgangspunkt für das folgende Prüfungsgespräch sein. Hierbei ist das betriebliche Einsatzgebiet (...) zugrunde zu legen. Der Prüfling soll dabei zeigen, daß er komplexe Aufgaben bearbeiten und Gespräche systematisch, situationsbezogen und kundenorientiert vorbereiten und fuhren kann." 222 An diesen wenigen beispielhaften Ausführungen wird bereits die Verknüpfung fachlicher Ausbildungsziele mit fachübergreifenden Kompetenzen deutlich. Dazu gehören: Konzentrierte Arbeit unter Zeitdruck, die Fähigkeiten komplexe Aufgaben zu lösen und Gespräche kundenorientiert zu fuhren. Dies sind Schlüsselqualifikationen zur Herstellung von Handlungskompetenz im beruflichen Feld, aber auch darüber hinaus.

2.

Auszubildende finden, einstellen und führen

Hat ein Unternehmen prinzipiell die Entscheidung getroffen, in bestimmten Berufsfeldern auszubilden und auch die Ausbildungsvoraussetzungen sind gegeben, dann stellt sich die Frage, wie die „richtigen" Auszubildenden gefunden werden können? Dazu sollen im folgenden alternative Rekrutierungs- bzw. Beschaffungswege aufgezeigt werden, um dann sinnvolle Vorgehensweisen bei der Auswahl geeigneter Bewerber bzw. Bewerberinnen zu diskutieren. Abschließend wird noch auf die Gestaltung der Einführung von Auszubildenen in ein Unternehmen eingegangen.

2.1. Auszubildende finden Bevor die konkrete Beschaffungsphase von Auszubildenden eingeleitet wird, müssen zunächst einmal aussagefähige Anforderungsprofile entwickelt werden. Hierbei stellt sich ganz konkret die Frage nach den Eingangsqualifikationen für eine Ausbildung bezogen auf den Auszubildenden selbst. Bei der Beantwortung greifen wir auf die bereits dargestellten Kategorien zurück und 222

Zitiert aus § 8 der Verordnung. Vgl. BIBB 1999b, S. 24f.

Auszubildende finden, einstellen und fuhren

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machen gleichzeitig deutlich, woran man das Vorhandensein bestimmter Qualifikationen erkennen kann. In der folgenden Abbildung sind in der linken Spalte einige wesentliche Kulturtechniken bzw. Schlüsselkompetenzen aufgeführt, die heute in vielen Ausbildungsberufen relevant sind. Diese Qualifikationen wären aus Sicht des Ausbildungsbetriebes und unter Berücksichtigung des Berufsbildes zu ergänzen, zu konkretisieren und zu gewichten. Beispielsweise könnten als weitere Anforderungen fachliche Voraussetzungen (z. B. naturwissenschaftliche Kenntnisse) oder auch gesundheitliche Aspekte (z. B. Sehvermögen) sowie sprachliche Kompetenzen (z. B. Englischkenntnisse) hinzugefugt werden. Abb. 12: